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/
Al+.xa nd, Kendau .
uͤhlands Sunen
zur
Geſchichte der Dichtung und Sage.
Siebenter Band.
—e —— ç — ——
Stuttgart.
Verlag der J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung.
1868.
LA a... .L DL
Bucdruderei der 3. G. Gotta’ihen Buchhandlung in Stuttgart.
ö— — — — _ _ — 2.
n£LQ
19-34
l-
e a. pe
Borwort des Herdusgebers.
Im Winterhalbjahr 1831 auf 1832 und im darauffolgenden
Sommer hat Uhland an der Univerfität Tübingen die Sagen-
geihichte vor einer ungewöhnlich zahlreihen Zuhörerfhaft vor:
getragen.
Die BVeröffentlihung von Borlefungsbeften nad) dem Tode
des Verfaflers ift eine mifslihe Aufgabe, ähnlich wie der Abdruck
von Privatbriefen, wenn die Schreibenden dazu nicht mehr weder Ja
noch Nein jagen fünnen. Die volle Verantwortung für den Inhalt
und insbeſondere für die Form Tann nit dem Verfaſſer, der da-
mit nicht vor die Leſewelt zu treten beabfichtigte, zugejchoben mer:
den, aber au nicht dem Herausgeber, der eingreifend zu ändern
ſich nicht berechtigt fühlte Doch beforge ih nit, daß den in
vorliegendem Bande veröffentlichten VBorlefungen, wie fie einjt, aus
dem Munde des Meifters vernommen, auf die Zuhörer eine zün-
dende und heute nach Jahrzehenden noch unvergefiene Wirkung
hervorgebracht haben, die warme Theilnahme auch weiterer Kreiſe
entgehen werde.
In einzelnen Gapiteln fällt die Darftellung mit den früher, in
den erften Bänden unferer Sammlung abgevrudten VBorlefungen über
die Geſchichte der altdeutſchen Poefie zufammen. Zumeilen ift das
Thema neu überarbeitet; in andern häufigen Fällen weiſt der Ver⸗
tafler ausdrücklich auf die früheren Hefte zurüd, in welchen ſich da
und dort die in unferem früheren Abdrucke auch gewiſſenhaft benügten
Spuren der jpäteren Überarbeitung fund geben. Es lag in ver
Natur der Sache, daß diefe wörtlich wiederholten Stellen, zumal
IV
folde von größerem Umfang, in der fpäteren Borlefung nicht
abermals zum Abdruck Tommen konnten und daß der Herausgeber
ih mit der Verweifung auf die früheren Bände begnügen muſte.
Sole Stellen, wo der Zuſammenhang unterbroden ift und der
Leer durch Zurüdgehben auf einen frühern Band die Lücke zu er-
gänzen bat, find immer durch Sternden (***) bemerklich gemacht.
Das gleihe Zeichen ift da angewendet, wo Uhland aus fremden
Merken mehr oder minder umfänglide Mittheilungen in feine Bor:
träge einfügte. Größere Stellen diefer Art, zumal aus leicht zu—
gänglihen Werken, find hier, um Raum zu fparen, in der Regel
nicht abgedrudt worden, fondern einfach durch ein Citat und das
Zeichen ** erledigt.
Uhland bat am Rande feines Manuſeripts noch in ſpäteren
Jahren einzelne litterariſche Hinweiſungen und Bemerkungen ver⸗
ſchiedener Art nachgetragen. Ich habe dieſelben, ſoweit ſie mir von
Intereſſe ſchienen, in den Anmerkungen, in eckige Klammern ge:
faßt, mit aufgenommen. Was ich ſelbſt oder meine Freunde
ergänzend oder berichtigend zuzufügen für nothwendig erachtet haben,
iſt gleichfalls in eckige Klammern eingeſchloſſen, aber immer mit
der Namensſchiffer des Verfaſſers verſehen.
Für die Feſtſtellung des Textes und die Anordnung der ein-
zelnen Abjchnitte dienten bei ver Herausgabe außer dem Original:
manufcripte des Verfaflerd® die von Hermann Kurz umd von mir
-in der Borlefung nachgejchriebenen Hefte.
Zu ©. 234, der Stelle über Bölvis, trägt Liebrecht die Ver:
weilung auf Bd. 3, ©. 132 ff. nad.
Tübingen, 26 September 1868.
A. v. Keller.
Sagengeſchichte
der
germaniſchen und romaniſchen Völler.
upland, Schriften. VII. 1
Bu nn
Einleitung.
Die Sagengefchichte der germanischen’ und romanifchen Völker ift
der Gegenftand ver Vorlefungen, die ich für das beworftehende Semefter
eröffne. Einleitende Bemerkungen zur näheren Beitimmung ber Auf
gabe, welche hiedurch geftellt ift, fodann über den Weg und die Mittel
der Löfung, follen uns in ber heutigen Stunde beichäftigen.
Hafen wir die Aufgabe zunächſt nur äußerlich, fo befteht fie in
einer gefchichtlichen Darftelung der mündlichen Überlieferungen, die
bei den genannten Volksſtämmen im Berfolge ber Beiten in Umlauf
waren. Bon diefer äußern Bezeichnung aber werben wir zur innern
Bedeutung gelangen, wenn wir ung zu zweien ber angegebenen Merk:
male die Gegenfäte denken, zu der Sage, der mündlichen ÜÜberliefe-
rung, bie Ritteratur, den Schriftverkehr, zu den Völkern in ihrer Ge:
fammtheit die einzelnen Berfaffer beitimmter Werke. Der litterarifchen
Ausbildung und dem Hervortreten jchriftftellerifcher Perfönlichkeit gebt
überall ein Zeitalter volksthümlicher Überlieferung voran. Diefe ver:
ſchiedenen Buftände find Erzeugnis und Ausbrud der innern Geſchichte
des geiftigen Völkerlebens. So lang alle Kräfte und Richtungen des
Geiftes in der Poefe gefammelt find, blüht das Reich der lebenbigen
Gage; jo bald die geiftigen Thätigfeiten fich nach verfchievenen Seiten
der Erkenntnis zu fondern beginnen, entfaltet fi die Litteratur. Die
Erfindung der Schrift an fich ift es keineswegs, was eine fo weſent⸗
liche Veränderung herborbringt; diefe Erfindung felbit ift nur das Werk
des für fie erwachſenen geiftigen Bebürfnifjes. Allerdings aber wird
die Schrift das Mittel, woburd der Antheil der Einzelnen an bem
geiftigen Gejammtleben und den gefonverten Richtungen desſelben zur
Erſcheinung kommt und in immer fchärferen Individualitäten ſich
4
ausprägt. Und fo beſteht auch umgekehrt die Sage nicht bloß in Ermang-
lung des noch unerfundenen Buchſtabens, ſondern weil für biefen noch
gar Fein Bebürfnis vorhanden ift, weil die Bilderfchrift poetifcher Ge-
ftaltungen ihn gar nicht vermiffen läßt. Eben damit ergiebt ſich aber,
daß die Sage im Großen und Ganzen auch wirklich nur eine poetifche
fein Tann; denn wo das Wort weder für abftraltes Denken zugebilvet, -
noch dur die Schrift feftgehalten ift, Tann eine geiftige Mittbeilung,
eine dauernde Überlieferung nicht anders gedacht werben, als mittelft
der Anſchauungen der Einbildungskraft. Selbſt gefchichtliche Thatfachen
müjten als bloße Gedächtnisfache frühzeitig erlöfchen, wenn fie nicht
durch poetifche Kräfte, durch Phantafie und Gemüth, gehoben und fort:
während aufgefriicht würden. Die Sage ber Völker ift biernach weſent⸗
lich Volkspoeſie; alle Volkspoeſie aber ift ihrem Hauptbeftande nad
fagenhaft, ſofern wir unter Sage die Überlieferung durch Erzählen,
das epiſche Element der Poefie, zu verfteben pflegen. Denn wenn ſchon
auch der Volfspoefte feine der poetifchen Grundformen völlig fremb ift
und fie in ihrem urjprünglichften Zuftand die verſchiedenen Dichtformen
ungetrennt in ſich jchließt, jo kann fie doch immer nur durch Geftalt
und Handlung, durch das epiſch Anfchauliche, nachhaltigen Beſtand
gewinnen.
Das Wejen ver Volls: und Sagenpoefie fol uns zwar eben erft
durch die gefchichtliche Ausführung felbft in volleres Licht treten; doch
ſcheint e8 angemeflen, uns über das bisher Aufgeftellte durch einige
weitere Andeutungen zu verftänbigen.
Der Drang, der dem einzelnen Menſchen inwohnt, ein geiftiges
Bild feines Weſens und Lebens zu erzeugen, iſt auch in ganzen Völ⸗
tern, als folchen, ſchöpferiſch wirffam und es ift nicht bloße Redeform,
daß die Möller dichten. Eben in dieſem gemeinfamen Herborbringen
haftet” der Begriff der Volklspoeſie und aus ihrem Urfprung ergeben ſich
ihre Eigenjchaften.
Wohl Tann auch fie nur mittelft Einzelner fi) äußern, .aber bie
Perſönlichkeit der Einzelnen ift nicht, wie im ber Dichtkunſt litterarifch
gebildeter Zeiten, vorwiegend, ſondern verſchwindet im allgemeinen
Bollscharatter. Auch aus ben Beiten ber Volksdichtung haben ſich bes
rühmte Sängernamen erhalten und, two biefelbe noch jest blüht, wer⸗
den beliebte Sänger namhaft gemacht. Meiſt jedoch find die Urheber
5
ber Sagenlieder unbelannt ober beftritten, und die Genannten felbft,
auch wo die Namen nicht ind Mythiſche fich verlieren, erfcheinen überall
nur als Vertreter der Gattung, die Einzelnen ftören nicht die Gleich
artigleit der poetifchen Maſſe, fie pflanzen das Überlieferte fort und
reihen ihm das Ihrige nach Geift und Form übereinjtiimmend an, fie
führen nicht abgefonderte Werke auf, fondern fchaffen am gemeinjamen
Bau, der niemals bejchlofien ift. Dichter von gänzlich hervorſtechender
Eigenihümlichleit können bier Schon darum nicht als dauernde Erſchei⸗
nung gedacht werben, weil die mündliche Fortpflanzung der Poeſie das
Eigenthümliche nad der allgemeinen Sinnesart zufchleift und nyr ein
allmähliches Wachsthum geftattet. Vornehmlich aber läßt ein innerer
„Grund die Überlegenheit der Einzelnen nicht auflommen. Die allge:
meinfte Theilnahme eines Volkes an Lieb und Eage, wie fie zur Er
zeugung einer blühenden Bollöpoefie erforderlich ift, findet nothwenbig
dann fatt, wenn die Poefie, wie zuvor bemerkt wurde, noch ausſchließ⸗
lich Bewahrerin und Ausfpenderin des geſammten geiftigen. Beſitzthums
if. Eine bedeutende Abftufung und Ungleichheit ber Geiftesbilbung
it aber in diefem Jugendalter eines Volfes nicht mohl geventbar; fie
kann erft mit der vorgerüdten künſtleriſchen und wiſſenſchaftlichen Ent:
widlung eintreten. Denn wenn auch zu allen Zeiten die einzelnen
Naturen mehr oder weniger begünftigt erfcheinen, bie einen gebend,
die andern empfangend, bie geiftigen Anregungen aber das Geſchäft
der Eoleren find, jo muß doch in jenem einfacheren Zuftanbe bie poetifche
Anſchauung bei Allen lebendiger, bei den Einzelnen mehr im Allge:
meinen befangen gedacht werben. Indem bie geiftigen Richtungen nod)
ungeſchieden find, haben ſich audy ver Eigenthümlichleit noch Feine be:
fondern Bahnen eröffnet; das künſtleriſche Bewuſtſein fteht noch nicht
den Stoffe gegenüber, darum auch feine abfichtlihe Manigfaltigkeit
ber Geftaltung; der Stoff felbft, im Gefammtleben des Volles feſt⸗
begründet, durch lange Überlieferung geheiligt, gibt feiner freieren Will-
kühr Raum. Und fo bleibt zwar die Thätigleit ber Begabteren unver:
loren, aber fte mehrt und fördert nur unvermerkt das gemeinfame Ganze.
Allerdings kann auf keiner Stufe der poetifchen Litteratur, felbft
nicht bei dem fchärfften Gepräge bichterifcher Eigenthümlichkeiten, der
Bufammenhang des Einzelnen mit der Gefammtbildung feines Volles
völlig verläugnet werden. Exfcheinungen, bie in Nähe und Gegenwart
6
ſchroff auseinander ftehen, treten in der Ferne der Seit und des Raumes
in größere Gruppen zufammen und dieſe Gruppen felbjt zeigen unter
jih einen gemeinfchaftlichen Charakter. Stellt man ſich fo dem ge:
jammten poetifchen Erzeugnis eines Volles gegenüber und vergleicht
man es nad außen mit den Gefammtleiftungen andrer Völker, fo be
trachtet man dasſelbe ala Nationalpoefie; für unfern Zweck war es um
den innern Gegenfat zu thun, um die Vollöpoefie in ihrem Verhält⸗
nifje zur dichterifchen Berjönlichkeit.
Die Volkspoeſie lebt, wie gezeigt worden, nur in mänblichem Bor:
trage. Das nun, daß ihre Gebilde lediglich mitteljt der Phantaſie und
des angeregten Gemüthes durch Jahrhunderte getragen werden, beivährt
biefelben als probchaltig. Was nicht Mar mit dem inneren Auge ger _
haut, was nicht mit regem Herzen empfunden werben fanı, woran
follte das fein Tafein und feine Dauer Inüpfen? Die Echrift, bie
auch das Entfeelte in Balfam aufbewahrt, die Aunftform, die auch
dem LZeblofen den Echein de3 Lebens leiht, find nicht vorhanden. Auch
niht Wort und Tonweife, im Gedächtnis feitgehalten, können das
Michtige retten; denn das fchlichte Wort ift in jenen Zeiten feine Schön-
beit für fi, es lebt und ftirht mit feinem Gegenftande; bie einfache
Tonweife, wenn fie felbft Dauer haben fol, muß urſprünglich einem
Zebendigen gedient haben. Je feſter und lebenövoller jene ächten Ge
bilde baftehn, um fo weniger Tann dad Scheinleben in ihrem Kreiſe
auflommen und geduldet werben. ,
Worin liegt aber der Gehalt und die Kraft, vermöge - deren fie
durch viele Gefchlechter unvertilgbar fortbeftehen? Ohne Zweifel darin,
daß fie bie Grundzüge des Volkscharakters, ja die Urformen natur⸗
Träftiger Menfchheit, wahr und ausdrucksvoll vorzeichnen. Glaubens:
anfichten, Naturanſchauungen, Charaktere, Leivenfchaften, menſchliche
Berhältnifje treten bier gleichjam in urweltliher Größe und Nadtheit
hervor; unbermitterte Bildwerke, gleich der erhabenen Arbeit des Ur:
gebirgs. Darum kann auch gerade ven Beiten, welche durch gefcllige,
fünftlerifche und wiſſenſchaftliche Verfeinerung folden urfprünglichern
Zuftänden am fernften und frembeften ftehen, der Rüdblid auf dieje
lehrreich und erquidlich fein; fo ungefähr, wie der gröfte der römifchen
Geichichtfchreiber aus feinem welken Römerreih in die frifchen ger
manifhen Wälder, auf die riefenhaften Geltalten, einfachen Sitten
7
und gefunden Charalierzüge ihrer Bewohner, vorhaltend und weiſſagend
hinüberzeigte. |
Wenn wir uns bier die Vollöpoefie nach ihrem vollſten Begriffe
gedacht haben, fo ift doch Leicht zu erachten, daß fie in ihrer geſchicht⸗
lichen Erſcheinung bei verſchiedenen Völkern, nach Gehalt und Umfang,
in fehr manigfachen Abftufungen und Übergängen fi darſtelle. Wie
das Leben jedes Volles wirb auch das Bild dieſes Lebens, die Poefie,
beichaffen fein. Ein Hirtenvolk, in deſſen einfame Gebirgthäler ber
Kampf der Welt nur fernher in dumpfen Widerhallen eindringt, wird
in feinen Liedern und Ortsſagen die beſchränkten Verhältniſſe ländlichen
Lebens, die Mahnungen ber Naturgeifter, die einfachiten Empfindungen
und Gemüthözuftände niederlegen; fein Geſang wird ibpllifch-Iyrifch
austönen. Ein Volk dagegen, das ſeit unvorbenklicher Beit in welt-
geſchichtlichen Schwingungen fick bewegt, mit gewaltigen Scidjalen
fämpft und große Erinnerungen bewahrt, wird auch eine reiche Dich-
tung, voll mächtiger Charaktere, Thaten und Leidenſchaften, aus ſich
erichaffen, und wie fein Leben meitere Kreiſe zieht und größere Zu⸗
fammenhänge bildet, wie fich in ibm ein höheres Walten mit jtärleren
Zügen offenbart, fo werden auch feine poetifchen Überlieferungen ſich
zum Cyelus einer großartigen Götter: und Helvenfage verlnüpfen und
ausdehnen. Bei bemfelben Volk aber wird man bie eigentliche Volls⸗
poefie in dem Maaße zurüdweichen fehen, in welchem bie Litterarijche
Bildung und die mit ihr verbundene Herrichaft dichterifcher Perſönlich⸗
keit vorſchreiten. Gedeihen und Abfterben der Volfspoefie hängt überall
davon ab, ob die Grundbedingung berjelben, Theilnahme bes geſamm⸗
ten Volles, feft ftebe oder verfage; ziehen die ebleren Kräfte fich von
ihr zurüd, dem Schriftenthbum zugewandt, fo verfinft fie nothwendig
in Armuth und Gemeinheit.
Wir haben die Sage der Völker als Volkspoeſie und zwar als
eine in Geltalt und Handlung darſtellende Poefie bezeichnet. Hiedurch
ergibt fih und für die Sagengefchichte weſentlich der poetifche Gefichtds
punft und eben damit auch. vie Verſchiedenheit unfrer Aufgabe von
derjenigen, welche fich die Verfafler der befannteften mythologiſchen Ge⸗
ſchichtwerke geſetzt haben, Görres in feiner afiatifchen Mytbengeichichte,
Creuzer und Baur in ihren Darftellungen der Symbolit und Mythos
Iogie der alten Völler, Mone in ver Gejchichte des Heidenthbums im,
\
8
nördlichen Europa haben fich vorzugsweife die Glaubensforfhung, bie
vorchriftliche Religionsgeichichte, zum Gegenitande genommen. So wenig
nun eine Aufgabe die andere aufbebt, fo ergibt ſich doch mit dem ver⸗
ſchiedenen Standpunkt und Zwecke, bier dem poetifchen, dort dem relis
gionsgefchichtlihen, auch eine bebeutende Verſchiedenheit in der Ab:
„grenzung ber zu bearbeitenden Gebiete und in der Geltung ber vor:
liegenden Stoffe. Die Mythengeſchichte in der angegebenen Bedeu⸗
tung bat nur diejenigen Sagen in ihren Bereich zu ziehen, in benen
eine Glaubensanſicht entweder unmittelbar zum Ausdrud Tommt oder
doch aus ihren Wirkungen zu erkennen ift; der Sagengeichichte in unfrem
Sinne fallen alle Überlieferungen anheim, welche das Lehen ver Völker,
in göttliden und menfchlicden Beziehungen, geiftig zurüdfpiegeln. Wenn
jomit bie Sagengeſchichte allerdings auch die religiöfe Mythenwelt in
fih aufnimmt und deshalb das Mythologiſche nur einen ergänzenden
Theil ihres ausgebehnteren Gebietes auszumachen fcheint, jo kommt
doch auf der andern Seite in Betracht, daß fie fich gerade ba zurückzieht,
wo die Mytbenforfhung am lebhafteften andringt, da wo ber nadte
Glaubensfag, das Philoſophem, das in den Bildern liegt, das ent-
hüllte Myſterium beroortreten will, vor ber priefterlichen Lehre, deren
Geheimnis den Glaubensforſchern fo bebeutfam ift, die aber, auch ohne
den Gebrauch der Echrift, zu ber vollsmäßigen Sagenpoefie nicht
weniger im Gegenfate fteht, als bie litterariſch⸗wiſſenſchaftliche Beſonde⸗
rung fpäterer Beiten. Strebt die Mythengefchichte durch alle die bunten
Entfaltungen der Dichterfabel nach philofophifcher "Einheit, fo vergnügt
fih die Sagengefchichte, wie wir fie aufgefaßt, an ber reichften poetifchen
Manigfaltigkeit; find nach der Anficht philoſophiſcher Mythenforſcher
die Götterlehren der beibnifhen Völker nur Verdunklungen einftiger
reiner Uffenbarung, nur Trümmer eine gemeinfamen Urſyſtems
(Scelling, Gottheiten von Samothrace S. 30. 87), und fol bie
wiffenfchaftlide Mythologie durch alle Trübung und Zerftüdlung jene
reine und ganze Erkenntnis erfchauen ober erahnen lafien, jo mag es
fich doch auch in poetifcher Richtung der Mühe lohnen, jene Offenbarung
der göttlichen Schöpferkraft, die im Geift und Gemüthe ber Menfchen
unverfieglich fortwirkt, in ihre lebendigen Bilbungen, wie bie volls-
mäßigen Sagentreife fie barbieten, zu verfolgen. Iſt es verbienftlich,
Die Gedanken, die in den Mythen verborgen find, rein zu ermitteln
9
und in ihren Bufammenbängen barzulegen, fo dürfen doch auch bie
poetifchen Geftaltungen als foldhe nicht vernachläſſigt werden, d. h.
fofern fich in ihnen unmittelbar der innere Gehalt ausfpricht, wie aus
dem Auge die Seele blidt, fofern es eben auf biefe Ungetrenntheit ber
Idee und der Ericheinung ankommt, ohne welche die Idee bes Weſens
und die Erſcheinung des Geiftes entbehren müfte. Während num ber
mythologiſchen Anficht, wo fie ſich allzu einfeitig ausgebilvet hat, bie
Bötterwelt felbft, ſobald fie fih aus dem lUnbegrenzten und Unge⸗
heuren zu geftalten anhebt, ſogleich verdächtig wirb, die Heldenſage,
das Epos aber nur für eine vermenfhlichte geſunkene Bötterfage gilt !,
ſo beginnt das poetiſche Intereſſe ber Sagengeſchichte gerade da, tvo
aus dem Hintergrunde des Unendlichen die Geſtalten hervorſpringen,
und es fteigt in dem Maaße, als ſich die Schöpfungen vervielfältigen,
es findet fi) am volllommenften befriebigt, da vo Himmel und Erbe,
Gottliches und Menfchliches, geftaltenreich und bewegt, zu einem vollen
Leben in einander greifen.
Soviel über Sage und Sagengefchichte im Allgemeinen. Welche
befonbre Arten der Überlieferung in ben Bereich ber letztern fallen,
werden wir gleich nachher berühren, wo von der Anordnung des ge:
ſchichtlichen Vortrags zu fprechen ift.
Zur Beftimmung unfrer Aufgabe gehört aber hauptſächlich noch,
daß wir und über fie als eine Sagengeſchichte der germaniſchen und
romaniſchen Völker erklären.
Es iſt die nationale Stellung, von der aus wir unſern Kreis be⸗
ſchreiben. Das deutſche Volk hat eine reiche, zum umfaſſenden epiſchen
Cyklus ausgebildete Heldenſage und neben dieſer noch hat es manigfache
andre Sagenbildungen angeſetzt. Aber das vorhandene felbft weit ung
auf Vieles hin, mas einft vorhanden var und was dem auf und Ge
fommenen zur Erllärung dienen ſollte. Dieſes gilt beſonders in Be:
ziehung auf den mythiſchen Beftand der Sagen. Suchen wir Ergän-
zung und Aufllärung, jo müflen wir unfern Geſichtskreis auf diejenigen
Völker erweitern, die fi) uns durch Sprachverdandtichaft ala Glieder
bed großen germaniſchen Gefammtftammes bewähren. So nun zeigt
fh uns vorzüglich bei den Völkern des flandinaviichen Nordens eine
1Mone I, 827.
-
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gemeinfame Götterlehre, dort noch ganz und Klar, bei und zertrümmert
und verbleidht, eine gemeinfame Heldenſage und, auch mo die Sagenäjte
ſich ſcheiden, der gemeinfchaftliche Urfprung. Überhaupt aber wird
. uns jebeö der politifch untergegangenen oder noch blühenven germanifchen
Völker, fofern von den erftern überhaupt nähere Kunde geblieben ift,
wechfelfeitige Beziehungen für die Kenntnis volfsthümlicher Überliefe>
rung eröffnen. Damit erftredt fich unſre geſchichtliche Forſchung und
Darftellung über die Geſammtheit der Völker des germaniſchen Sprach
und Volksſtammes.
Mas aber die romanischen Volker betrifft, d. h. diejenigen, deren
Spraden aus der Bermifchung ber altlateinifchen mit andern, vorzüglich
germanischen Idiomen hervorgegangen find, jo bat bei ihnen, mit den
Einflüffen der germanischen Eroberungen überhaupt, auch die Sagenpoejie
der Eroberen, wenn gleich diefe die Sprache der Beliegten annahmen,
fih wirkſam und fruchtbar erwieſen, und foweit dieſes der Fall iſt, follen
darum auch fie in den Kreis unfrer Aufgabe gezogen werben.
Bon den nichtgermaniihen Volksſtämmen, welche vor oder nad
den Germanen ſich in europäifchen Ländern angefiebelt haben, find
befonder8 ber keltiſche und der ſlaviſche durch reichere Sagendichtung
ausgezeichnet; ihre Sagen bieten auch, wie es nicht bloß die Nachbar:
ſchaft, fondem auch die weitere Verwandtſchaft aller europäiſchen Stämme
mit ſich bringt, manche Beziehung zu ber germaniſchen dar; aber die
Aufgabe zu einer europäifchen Sagengefchichte auszubehnen, würde mir
fhon die Unbelanntichaft mit ben leltiſchen und flavifhen Sprachen
verbieten. Soweit jedoch in Frankreich und England die Mythen und
Sagen ber ältern keltiſchen Einwohner mit den germanifchen fich vers
bunden und vermengt haben, werben auch fie, nach Maßgabe ber
zugänglichen Mittel, in Betracht gezogen werben.
Über den Weg zur Löfung der Aufgabe, wie fie im bisherigen
geſtellt wurde, über die Anoronung der gefchichtlichen Darftellung, füge
ih Weniges bei, da fi) das Verfahren doch nur am Gegenftande felbft
erproben kann.
Bor Allem bringt e3 ber entwidelie Begriff der Sage mit ſich,
daß wir ſie von der Litteratur völlig ablöſen. Nicht als ob unterlaſſen
werden dürfte, überall die litterariſchen Quellen und Hülfsmittel anzu⸗
geben, aus denen und durch welche die Kenntnis der Sage zu ſchöpfen
11
if. Aber das Schriftwerk als foldyes, das einzelne Gedicht, als Kunft:
ganzes, der jeweilige Verfafler und Drbner find ung nicht von mefents
lichem Intereſſe, fie gehen uns nur in fo weit an, als uns bie nähere
Belanntichaft mit ihnen Merkmale für die kritiſche Würdigung der
vollsmäßigen Echtheit der in Schrift gefaßten Sage darbietet. Der
poetifche Stil, die Eprade, bie äußere Kunftform find ung eben fo
wenig für fih von Belang. Eine Aufzeihnung und Behandlung,
weiche das gröfte technijche Ungeſchick verräth, Tann ung wichtiger fein,
ald die künfileriſch lobenswertheite Bearbeitung; jene läßt vielleicht,
eben wegen Unvermögens bes Verfaſſers, felbit etwas zur Sache zu
thun, den urfprünglichen Eagenbeitand viel unverletzter, ala bie ge:
ſchicktere Hand des felbftthätigen Bearbeiterd. Dichter, ald Individuen
von eigenthümlicher Perfönlichleit, Tommen nad) dem, was über das
Wefen der Volkspoeſie gejagt worden, hier nicht vor; handeln wir von
den Etinnmen, durch welche der poetifche Geift der Völler m Eang
und Eage fi ausfpradh, fo kann nur von ganzen Klaſſen der Sänger
und Sagenerzähler die Rebe fein. Überall muß unſer Befireben dahin
geben, die Eage aus allen Formen, in die fie eingefangen ift, mieber
frei und flüfiig zu machen, fie tem beiveglichen Elemente, in dem fie
geworden und gewachſen tft, zurüdzugeben.
Wo in den vorhandenen ESchriftventmälern die Sage ſchon in
großen und echten Geftaltungen vorliegt, werden davon Auszüge und
Umriffe gegeben werben, mit Weglaflung alles deſſen, was fi Un:
weſentliches ober Fremdartiges beigemijcht bat. Am beften wirb immer
die Sage jelbft jprechen. Freier muß gelondert und verknüpft werden,
wo Beitanbtheile verjelben Sage in mehreren, oft nad Beit und Sprache
getrennten Denkmälern auseinander liegen. Endlich find oft nur ein
zeine, faft verjunlene und erlofchene Überrefte und Andeutungen vor:
handen, welche doch, wenn jebe leifere Spur verfolgt, wenn alles Ber:
freute emfig gelammelt wird, unverhofft zu bebeutendern mythiſchen
und fagenbaften Verbindungen anfchiwellen. |
Den Auszügen und Sombinationen follen dann Erläuterungen und
Betrachtungen über Gelchichte und Bedeutung ber Sagen und Sagen»
kreiſe nachfolgen.
Mit der Götterfage, dem Mythus im engeren Sinne, wird da,
wo eine foldhe in größern und erkennbaren Zügen vorliegt, der Anfang
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gemacht werben. Daran reiht fich die Helbenfage, der epiſche Cyklus.
Drtsfagen, Geſchlechtsſagen, 'fonftige vereinzelte Sagen von mythiſchem
oder geichichtlichem Anſtrich werben ver Götters und Helbenjage zur
Ergänzung und Beltätigung dienen können, oder von dort ihre Erklä⸗
rung erhalten. Balladen, epifch-Iyrifche Volkslieder, werben bald als
die einfachen Typen größerer Dichtungen, bald als rhapſodiſche Bruch
ftüde verlorener Lieverfreife oder als halb unkenntlich gewordene Um⸗
wandlungen älterer Mytben und Sagen, unfre Aufmerkjamleit in An-
ipruh nehmen. An manden Orten werden wir aber aud in den
Volksballaden fich eigene und neue Sagenkreife „geringeren Umfangs
bilden fehen. Manches endlih, was Mythus und Epos in feiter
Geftaltung, beitimmter Bedeutung, georbnetem Zuſammenhang unter
gefchichtlichen Namen und örtlicher Bezeichnung aufführen, wirb uns
das Märchen in kindlichem Spiel, in phantaftifcher Auflöfung, namen⸗
und beimatlos, twiebergeben.
Aber nicht bei jedem Volke werben uns alle dieſe Arten der Über:
lieferung, Götterfage, Heldenfage, Oris⸗ und Geſchlechtsſage, Ballade,
Märchen, in fo vollftänviger Folge zu Gebot ftehen. Ofters werben
wir erſt aus der Heldenfage auf bie untergegangene Götterwelt zurüd-
fchließen müflen oder nur noch aus Lolalfagen, Volksliedern, Märchen
den erfterbenden Nachhall vollerer Sagenllänge vernehmen.
Das Ganze unſrer geichichtlichen Darftelung ordnet fich in zwei
Haupttheile, deren erſter die Sagengeſchichte der germaniſchen, ber
zweite die ber romanifchen Völker behandeln wird. Jeder der beiben
Haupttheile zerfällt dann, nach ven Völkern, bie ihm angehören, in
untergeorbnete Abjchnitte.
Die Litteratur der Quellen und Hülfsmittel wird je bei ben be
fondern Abichnitten, bei ven Sagenfreifen und einzelnen Sagen, ans
gegeben werben.
Allgemeinere Litterarnotigen am Schluſſe diefer Einleitung bei⸗
zufügen, bin ich darum nicht im Stande, weil mir Feine umfafjenbere
Sagengefchichte in dem anggeigten Sinn beiannt iſt. Am nädjiten
noch eignet ſich bieher die ſchon erwähnte Geſchichte des Heidenthums
im nördlichen Europa von F. J. Mone, 2 Theile, Leipzig und Darm⸗
ftabt 1822 (au als 5ter und Gter Theil der creuzeriſchen Symbolik
und Mythologie der alten Völker). Mones Standpunkt ift aber ganz
13
der religionsgeſchichtliche und erſtreckt fi in dieſer ausfchlieklichen
Richtung aud auf bie finnifchen, ſlawiſchen und keltiſchen Völker⸗
ftämme.
Eben der Umftand, daß bie von mir betretene Bahn erft verfucht
werben muß, wird auch zur Folge haben, daß ich die große Mafje des
für eine folhe Sagengeſchichte nöthigen Materials auf das erſte Mal
weder jo vollftändig noch fo burchgearbeitet werde geben können, als
es bei längerer Bearbeitung nad) meinen eigenen Anforberungen ges
ſchehen follte.
Erfter heil.
Sagengeſchichte der germaniſchen Völker.
Erfter Abſchnitt.
Uordiſche Sage.
Die Völker des ſtandinaviſchen Nordens, Norweger, Jsländer,
Schweden und Dänen hatten in der ältern Zeit eine gemeinſchaftliche
Eprade, die norbifche, tunga norreena. Dieje lebt, nachdem fie ſich
bei den Übrigen in Mundarten geipalten und ausgebildet, wozu aller:
dings ſchon ältere Verfchiedenheiten den Keim enthalten mochten, im
heutigen Isländiſchen fort. Ebenſo hatten dieſe Völker gemeinſame
Götter: und Helvenfage, an der mohl jedem fein befondrer Antheil zu:
fommen mag, die aber doch in ein großes Ganzes verſchmolzen ift und
"deren Denkmäler in jener altnorbifhen ober isländiſchen Sprache ver:
faßt find; noch bei der jpätern Trennung der Sprachen läßt fi in
Volksliedern und Volksſagen die einftige Gemeinjchaft erfennen.
Den Isländern gebührt vorzugsweiſe das Verdienſt, die gemein:
fame Sage aufgefaßt, gefammelt, bewahrt und aufgezeichnet zu haben;
und diefe Bemühungen find wohl auch nicht ohne Einfluß auf die
innere Geftaltung der Lieber und Sagen geblieben. Es wird darum
nicht unpaflend fein, einiges über die befondern Berhältnifie, wodurch
das Heine Inſelvolk in diefe Wirkſamkeit verjegt wurde, voranzuſchicken.
Die Inſel Island, von Schneegebirgen ftarrend, baumlos ber
Iharfen Winde wegen, von Heerben beieibet, die des Schmudes der
Hörner entbehren, von Treibeis umlagert, auf dem ber Bär von Grön-
land berunterfhwimmt, nah Wintern und Nächten (wie der Norben
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überhaupt), ftatt Eommern und Tagen, bie Zeit meſſend, fcheint freilich
nicht zum Garten der Poefte gefchaffen zu fein. Aber wie dort oft die
Eisrinde kracht und ber Hella Flammen wirft, wie aus den ftarren
Sümpfen fievende Qucllen hoch auffpringen, fo hat auch die Poeſie
dem Eife getrogt und begreiflih ift, daß der gewaltige und’ ernfte
Charakter der nordiſchen Natur ſich der norbifchen Poeſie mittheilen mufte.
Gegen das Ende des neunten Jahrhunderts wurbe Island von
Norwegen aus bevöllert. Harald Echönhaar, ein Häuptling im ſüd⸗
lichen Norwegen, warb, wie bie Sage melbet, um eine Jungfrau, bie
ihm ihre Hand nur um den Preis zuficderte, wenn er das ganze Nor-
wegen, welches damals unter eine große Zahl Heiner Könige vertheilt
war, fih unteriverfen würde. Da gelobte Harald, fein Haar nicht
eber zu fchlichten oder zu fchneiben, bis er bes ganzen Landes Meifter
wäre. Er löfte fein Gelübde und warb Gründer eines norivegifchen
Reiches. Die Stammhäupter aber und andere freie Männer, bie bes
Exoberers Herrichaft nicht ertragen wollten, wanderten aus. Biele
fuchten ihre Zuflucht auf Island und fo entftand bier ein Freiſtaat,
ber fich bis über die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts ungbhängig
erhielt. Das Chriftenthum wurde um das Jahr 1000 auf Island
eingeführt. |
Se weniger das, neue Baterland den Einwanderern barbot, um
fo mehr waren fie zu reger Kraftanftrengung aufgeforbert und auf
geiftigen Zebensgenuß bingetviefen. Viehzucht und Fifchfang genügten
ihnen nicht, fie durchſtrichen das Meer, erit ala Seeräuber, bald auch
ala Kaufleute. Wer nicht fremde Lande gefehen Hatte, galt nichts in
der Heimath. Es war ein Sprichwort: „albern ift das heimische Kind“.
Hinwider Iud die Ruhe eines achtmonatlihen Winters ein, das Er:
fahrene in ber Erinnerung aufzufaflen, geiftig zu verarbeiten, erzählend
mitzutbeilen. In der äußern Abgeichievenheit warb das innere Leben
tege und die Lieder ertönten auf Island, eben wie dort nur in den
falten und finftern Winternädhten der Echwäne lieblicher Gefang ge:
hört werven fol. Götter und Helden traten im Liebe leuchtend berbor;
was dem einzelnen Mann, was einzelnen Geſchlechtern, was dem ganzen
Volke Dentwürbiges begegnete, was auf land, was im ganzen
Norden Erhebliches fich ereignete, warb in ver Sage aufbewahrt. 8
land war dem übrigen Norden als ein Spiegel gegenübergeftellt und auch
16
von manchem ferneren Lande ficlen Bilder hinein. Bon Jsland giengen
die Elalden aus, die an ben Königähöfen der nordiſchen Reihe und
der weltlichen Inſeln fangen.
1. Götterfage.
Hauptquellen: Die beiden Eben.
Die ättere oder Sämunds -Edda it eine Sammlung von Götter- umd
Helbenliedern, muthmaßlich durch Samund Sigfuflon, einen isländiichen Geiſt⸗
tichen, vor 1182 veranflaltet. Außer der großen Ausgabe, die zu Kopenhagen
in 8 Onartbänden, 1787 bis 1828 (der dte Band enthält zugleich das mytho⸗
Logifche Lericon) erſchienen, ift befonders die Handausgabe von Raſk und Afze
lius, Stodholm 1818, 8, zu bemerien. [Reue Ausgaben von Mund, Liming,
Möbius. 8.)
Dentfche Überfegung von Studach, Nürnberg 1829, 4. 1te Abth. (Mecenf.
von Wachter in Ien. Lit. 8. Mai 1831. Nr. 89 bis 91), Legis, Gräter u. a.
Die jüngere Edda des Snorre Sturlefon, Lagmann auf land, der 1241
ermordet wurde, ift ein Lehr⸗ und Handbuch der norbiichen Poefie, das in
profaoifhen Auszügen zufammenftellt, was die ältern, noch vorhandene und
verloren gegangene Lieder von den Böttern gefungen.
Nach der Husgabe von Nefenius, Kopenhagen 1665, 4, if fie von Naff,
Stodholm 1818, 4, vollftänbiger und kritiſcher herausgegeben. [Neu Kopen-
hagen 1848 bis 18652. R.] Nach der dänifchen Überfehuug von Myerup ift fie
ins Deutfche übertragen von U. Rühs, Berlin 1812.
[Beide Edden im Auszug liberfegt von Simrod. 8.)
Umriß der Gdötterjage.
Am Anfang der Zeit war nichts, nicht Sand noch See, nicht
fühle Wogen, nicht grünes Gras, nirgends Erde, noch Himmel oben,
nur der gähnende Abgrund (Ginnunga:gap, Chaos). Aber lange vor
der Erde war Niflheim geſchaffen, die Nebelwelt; in ihrer Mitte fließt
der Quell Hpergelmir und aus ibm ſtrömen zwölf Flüffe, die Elivagar
beißen. Wenn dieſe foweit von ihrem Urfprung kommen, baß das
Gift, das mit ihnen floß,. verhärtet, fo wird daraus Eis, und Schichte
ſchiebt fih auf Scichte in Binnungagap. So warb deſſen nörblidhe
Gegend voll von Eis und Froſt, voll Sturmes und Unwetters. Südlich
0; TE — — ——
17
aber iſt eine andre Welt, Muſpell, Muſpelheim/ heil und heiß, flammend
und brennend; ihr Herrſcher Surtur, der Schwarze, ber einſt die ganze
Melt mit Feuer verzehren wird. Bon den Feuerfunken nun, die aus
Mufpelheim herüberflogen, war ber ſüdliche Theil von Ginnungagap
warm, hell und milde, wie mwinditille Luft. Und als der Hauch der
Wärme dag Eis traf, ſchmolz es und floß in belebten Tropfen niever
und daraus warb eined Mannes Bild, der Rieſe Imer. Er mar böfe,
wie alle feine Ablümmlinge. Zunächſt nad Ymer entitand aus dem
aufgethauten Eife die Kuh Aubumbla, die mit vier Milchſtrömen aus
ihren Eutern den Rieſen nährt, Diefer fchlief und fiel in Schweiß,
da erwuchs unter feinem linken Arm ein Mann und eine Frau, und
fein einer Fuß zeugte mit dem andern einen Sohn. Daher ſtammt
das Geſchlecht der Hrimthurfen, Frofiriefen. Die Kuh Audumbla aber
beledite die mit Reif belegten Saljfteine und am erften Tag entftanden
aus den Steinen Menfchenhanre, am zweiten ein Haupt und am
dritten ein ganzer ſchöner und Fräftiger Mann, Bur genannt. Sein
Sohn war Bör, der mit Beftla, der Tochter des Joten Bölthor, drei
Söhne zeugte, Odin, Vili und Be, die Beherricher des Himmels und
der Erde. Börs Söhne erfchlugen Ymern und in feinem Blut ertrant
dad ganze Geſchlecht der Hrimthurſen, einen ausgenommen, Bergelmer,
der mit feiner Frau in einem Boot ſich rettete, der Stammvater neuer
Rieſengeſchlechter. Die drei Götter aber, Börs Söhne, brachten ben
erichlagenen Ymer mitten in Ginnungagap; aus feinem Fleiſche ſchufen
fie die Erbe, aus ben Knochen Berge, aus dem Haare Wald, aus dem
Blute, das feinen Wunden enifloffen war, das Meer, rings um die
Erbe, aus der Hirmjchanle den Himmel, aus dem Hirne die ſchweren
Wollen” Funken und Strahlen, die von Muſpelheim ausgeworfen
waren, feßten fie als Geftirne an und unter den Himmel. Der Nadıt
und dem Tage, der Sonne und dem Monde beftimmten fie ihren Lauf.
Die Nacht fährt heran mit dem Nofle, welches Hrimfari (Neifmähne)
beißt und jeden Morgen mit dem Schaume feines Gebiſſes die Erbe
betbaut, Das Roſs des Tages heißt Skinfaxi (Olanzmähne), denn
Zuft und Erde leuchten von feiner Mähne. Als aber die Sonne
ſüdlich auf die kühlen Steine ſchien, da keimten aus dem Grunde grüne
Gewächſe.
Unter die vier Ecken des Himmels ſetzten die Götter vier Zwerge:
. Apland, Schriften. VI. 2
18
DR, Weit, Süd, Nord. Am nörblicden Ende deöfelben ſitzt der Ibtte
Hräfvelg (Leichenſchlinger) in Molergeftalt. Wenn er mit feinen Flügeln
weht, fo geht der Mind aus über die Erbe. Zu Außerft an den Ufern
des erdumkreiſenden Meeres erhielten die Rieſen Land. Gegen fie ift
von innen ringsumber eine Wehr errichtet aus den Augenbrauen Ymers.
Dieß ift Midgard, außerhalb ift Utgard; erfteres die Welt der Götter
und Menfchen, letzteres, befonbers gegen Norden, bie ber Rieſen⸗
gefchlechter.
Die Schöpfung der Menfchen aber geſchah alfo. Da Bra Söhne
am Ufer giengen, fanden fie zwei Hölzer, Aſt und Embla (Eiche und
Eller) und ſchufen Menfchen baraus. Der erfte, Odin, gab ihnen Geift,
der andre Berftand, der britte Blut und Farbe. Von Aſk und Embla
ftammt das Menfchengefchledht, das feine Wohnung in Midgard erhielt.
Mitten in der Welt aber bauten fidh die Götter eine Burg, die
Asgard genannt ward. Denn das Göttergefchleht, das von Dbin
ftammt, bat den Namen Wen. Diejes Gefchledht ver Afen ift hell und
ſchön. Der höchſte der Aſen ift Odin ſelbſt. Er herrſcht über alle
Dinge. Allvater heißt er, weil er aller Götter und Menichen Vater
if. Die andern Götter, jeber wie er Macht bat, dienen ihm, tie
Kinder einem Vater. Wenn er auf feinem Hochſitze Hlidſtjalf thront,
fo ſieht er über die ganze Welt und jchaut jebes Menfchen Thun. Auf
feinen Schuliern fiken zwei Raben, Huginn und Muninn (Gebanfe
und Gedächtnis), die ihm ins Ohr fagen Alles, was fie hören und
ſehen. Er läßt fie jeden Tag die Welt umfliegen und zur Mittagszeit
kommen fie wieder zurüd, Cr hat nur ein Auge, das andre liegt im
Brunnen ber Weisheit. Wenn er zum Kampfe zieht, trägt er den
Goldhelm und führt den Speer Gungnir, der immer trifft. Seine
Gemahlin ift Yrigg, die das Schickſal ver Menſchen kennt, obgleich fie
e3 Teinem offenbart. Thor, Odins Sohn, der erfte nad dem Vater,
ift der ſtärkſte aller Götter und Menfchen. Er fährt in einem Wagen
mit zwei Böden befpannt. Drei Kleinove hat er: den Hammer, vor
dem die Niefen zittern und ber in feine Hand zurüdfliegt, wohin er
ihn geworfen bat; den Gürtel, durch den feine Kraft verdoppelt wird,
wenn er ihn um ſich fpannt; die Eifenhandichuhe, momit er den Hammer
faßt. Sein meiftes Geſchäft ift der Kampf mit den SHrimthurfen.
Odins zweiter Sohn ift Baldur der Gute, der von Schönheit glänzt,
a
» 39
den Alle lieben und loben. Er ift der mildeſte, meijefte und berebtefte
der Alien. Seine Urtheile fann Niemand ändern. Nichts Unreines
darf in feiner Wohnung fein. Sein Sohn ift Forfeti, der Schlichter
alles Streites, vom dem Alle, die fich in jchwierigen Sadıen an ihn
wenden, ausgeföhnt hinweg geben. Niörd, der dritte Aſe, herricht über
den Gang bes Windes und ftillt Meer und Feuer. Ihn ruft man auf
der See und bei ver Fifcherei an. Er kann Reichthum und Überflu
verleihen. Seine Frau, Stabi, liebt dagegen das Gebirg, mo fie, auf
Schrittſchuhen fahrend, mit ihrem Bogen die Thiere verfolgt. Njörds
Kinder find Freyr und Freya. Jener, der Sohn, gebietet über Regen
und Sonnenfcein und die Fruchtbarkeit der Erbe. Ihn muß man
anrufen um gutes Jahr und Frieben. Er ift auch der Reihen Schutz⸗
gott. Seinen Wagen zieht ein Eber, Gullinburfti, der in ber Luft
und auf dem Meere, Tag und Nacht, dabinfahren Tann; mag es noch
fo dunkel fein, des Ebers goldene Borften geben Helle genug. Freya,
die Tochter, tft die verebrtefte der Afinnen, die vornehmſte nach Frigg.
Eie wird um das Glück der Liebe angeflebt. Sie ift eine Freundin
der Lieber und erhört gerne, die fie anrufen. Mit ihrem golbnen
Halsichmude, Brifing, fährt ſie auf einem Wagen, der von zwei Katzen
gezogen wird. Ihr Gemabl, Dir, ift fern vom ihr gezogen, ihn fucht
fie und bie Thränen, die fie um ihn meint, find roth wie Gold. Kühn
und tapfer ift Tor. Er waltet über den Sieg in der Schlacht, darum
müfjen bie Kriegsleute ihn anrufen. Zur Verſöhnlichkeit unter ben
Menfchen trägt er wenig bei. Einhändig ift er, feit er die Kühnheit
hatte, feine Hand dem Wolfe Fenrir in den Rachen zu fteden. Bragi
ift ein Meifter in der Dichtkunſt, der Skalden erfter; nach ihm wird
die Dichtlunft Bragur genannt. Seine Frau ift Idun. Sie verwahrt
die Apfel, wovon die Götter fpeifen, wenn fie anfangen zu altern;
bavon werden fie alle wieder jung. Als Idun einit entführt war,
wurden die Götter alt und graubanrig. Die Afın Saga trinkt jeden
Tag mit Odin aus golonen Schaalen. Der Götter Bote ift Hermodr,
Odins Sohn, ihr Wächter aber Heimball, von neun Jungfrauen ge:
boren, mit Golbzähnen. Diefer wohnt am Ende des Himmels, um
vor den Rieſen die Brüde Bifröft zu wahren, die von der Erbe zum
Himmel geht und die wir Regenbogen nennen. Er bedarf weniger
Schlaf als ein Vogel, fieht bei Nacht ſo gut ald am Tage, hundert
20
Meilen weit, und hört Gras und Wolle wachſen. Sein Horn, Gjallar⸗
born, wird in allen Welten gehört. Noch werben Andre ben Aſen
und Alinnen beigezäblt, darunter Loki, der Rieſenſohn, der Berleumber
der Aſen, eine Schande für Götter und Menſchen. Er ift von fehönem
Ausſehen, aber böfen und unbeftändigen Sinnes. Bor Andern ift er
liftig und behend. Er gibt den Aſen ſtets verberblichen Rath und hat
fie oft in fchlimme Verlegenheit gebracht, oft aber half er ihnen wieber
durch feine Schlaubeit. Er hat Schuhe, womit er in ber Luft und im
Meere fchreiten Tann. Er bat mit der Riefin Ungurbobi drei unge
beure Weſen erzeugt: den Wolf Fenrir, der einft Odin verſchlingen
wird, die Erdſchlange, Jörmungand, die, mitten im Meere liegend,
alle Länder umſpannt und ſich in den Schweif beißt, ſodann Hel, die
Todesgöttin, von wildem und furchtbarem Ausſehen, halb blauer, halb
menſchlicher Farbe, zu deren unterirdiſcher, hochumhegter Wohnung
die geſandt werben, die vor Alter und an Krankheiten geſtorben ſind.
Meineivige, Meuchelmörver, Ehebrecher kommen nah Naftrönd, ein
abjcheuliches Gebäube, fern von der Sonne, aus Schlangen gewoben,
welche Gift nach innen fpeien, fo daß die Bewohner in Giftftrömen
waten.
Im Himmel aber find viel herrliche Wohnungen. Jedes ber vor
nehmften Aſen hat feinen eigenen Saal. Valhall, Odins weiter, leuch⸗
tender Saal, nimmt Diejenigen auf, die im Streit und auf dem Wahl-
plage gefallen find. Ste beißen dann Einberiar. Valhalls Dad ift
mit golbenen Schildern belegt. Die Ballen blinten von Gold. Auch
die Wände find rundum mit Schildern, ftatt mit Teppichen, gefchmüdt
und mit Speerichäften getäfelt. Abends erhellen blanfe Schwerter den
Saal, fo daß es keiner andern Erleuchtung bedarf. Dort fpeifen bie
Einheriar vom Fleiſche des Ebers Sährimnir, der jeden Tag gelockt
wird und am Abend wieder ganz ifl. Aus dem Euter der Ziege
Heidrun, die das Laub von den Ziveigen des Baumes Lärad frißt,
fließt foviel: Meth, daß alle Einheriar vollauf davon zu trinken haben.
Odin ſelbſt bebarf Feiner Speife, da ihm Wein zum Trank und zur
Speife dient. Das Eſſen, das auf feinen Tiſch Tommt, gibt er feinen
beiven Wölfen, Geri und Freki. eben Morgen rüften ſich die Ein
heriar, geben hinaus in den Hof, Tämpfen und tödten einander; aber
um die geit des Mahles reiten fie wieber alle heim zum Saale, ſitzen
21
einträchtig am Trinktiſch und trinfen Bier mit. den Afen, das ihnen
die Ballyrien bringen. Die Ballyrien find Jungfraun, die Odin zu
jevem Kampf ausfendet. Sie reiten hin, um bie Schlacht zu lenken,
über den Sieg zu gebieten und ben Männern den Tod zu mählen.
‚Sie weben Gewebe der Schlacht mit Schwertern und bluttriefenben .
Speeren. In Balhall aber dienen fie und walten bes Bechers.
Der Götter heiligfte Stelle, wo fie täglich Gericht halten, ift bei
der Eiche Yggdrafill. Ihre Zweige breiten fich über Die ganze Welt aus
und reichen hinauf über den Himmel, Drei Wurzeln hat fie, deren
eine zu den Aſen und den Menſchen, bie andre zu den Hrimtburfen,
die dritte zu Niflheim und zum Brunnen Hvergelmir, der voll Schlangen
ift, fich erftredt. Bei der mittlern Wurzel ift Mimirs Brunnen, worin
Weisheit und Berftand verborgen find. Der Eigner des Brunnens tft
voll Weisheit, weil ex. jeden Morgen daraus trinkt. Einmal Tam
Allvater dahin und verlangte einen Trunk, der ihm aber nicht eher
gewährt warb, bis er ein Auge zum Pfande fehte. Bei der Wurzel
aber, die zu ben Aſen gebt, ift Urds Brunnen, ber ſehr Beilig ift.
Zwei Schwäne ſchwimmen darin und an ihm wohnen die drei Normen
Urd, Berbandi und Stuld (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft), welche
der Menfchen Lebenszeit beftimmen und die Runen des Schickſals
zeichnen. Taäglich befprengen fie bie Eiche mit dem Waſſer des Brunneng,
damit fie nicht verborre noch verfaule. Mehr Drangfal duldet dieſe
Eike, als Sterblihe wiſſen; vier Hirfche laufen in ihren Zweigen
umber und beißen die Knofpen ab, an der Seite modert fie, an ber
Wurzel, die zu Niflbeim geht, nagt der Drache Nidhöggr. Dben fibt
ein Aar, ber viele Dinge weiß, zwiſchen feinen Augen ber Habicht
Veburfölnir; das Eichhorn Ratatbskr aber läuft am Baume auf und
ab und trägt des Adlers Worte der Schlange zu.
Außer den Göttern (Ajen), den Riefen (oten) und den Menfchen
find noch andre Geſchlechter: die Banen, die Alfen, die ſich in Licht:
alfen und Schwarzalfen tbeilen; letztere werden auch gleichbedeutend
mit den Zivergen genommen, die zuerit als Würmer in des Urriefen
Ymers Fleiſche zu Leben anftengen, nachher aber mit Willen der Götter
Berftand und Menichengeftalt erhielten.
Der Kreis der Afen felbft bat ſich zum Theil durch Vermiſchung
mit Vanen und Joten gebildet. Das Leben der Götter in Asgard ift
A
=
N
nicht von Anfang fo geivefen und mwirb auch im Laufe ber Zeiten vers
gehen. Als Asgard noch auf Erben ftand, mar ein goldnes Alter bes
Friedens, bis jene Bermifchunger vorgiengen. Odin ſchleuderte ben
Speer unter das Boll und das warb ber erfte Krieg auf Erben. Wohl
werben die Ungeheuer, bon denen den Göttern Berberben broht, ge:
bunden, aber fortwährend ertönen die Weiffagungen bes Weltunter
gangs, der Götterbämmerung, Ragnaröf.
Noch ift zwar die Macht der Götter gefichert, jo lang Baldur der
‚Gute lebt, Odins fchöner und milber Sohn. Doc Balbur jelbft hat
viele Träume, daß fein Leben in Gefahr fei. Als er fie den Alten
erzählt, halten fie Rath darüber und es wird beichloffen, ihm Sicher:
beit gegen jede Gefahr zu verſchaffen. Frigg, feine Mutter, nimmt
biernac einen Eid von Feuer, Wafler, Eifen und andern Metallen,
Steinen, der Erde, den Bäumen, Krankheiten, giftigen Schlangen,
Vögeln und andern Thieren, daß fie Baldurn nicht fehaben erben,
Da diefes feftgejeßt und Allen befannt gemacht ift, ergeben ſich die
Alen damit, daß fie ihn vorm in die Verfammlung ftellen, wo einige
auf ihn fchießen, andre nah ihm bauen, wieder anbre mit Steinen
nad) ihm werfen; und was fie auch thun, er hat keinen Schaben davon,
We Loki dieſes fiebt, verbrießt es ihn; in Geftalt eines Weibes begibt
er fi zu Frigg und forjcht fie aus, ob denn alle mögliche Dinge ger
ſchworen, Baldurs zu fhonen. Yrigg antwortet: „Es wächſt ein Tleiner
junger Baum weitlih von Balball, Mifteltein genannt; er ſchien mir
zu jung, um ihn in Eid zu nehmen.” Loki zieht nun den Mifteltein
aus und geht dann damit zur Verfammlung. Der blinde Hödr, einer
ver Afen, fteht zu äußerſt im Kreiſe. Ihn redet Loki an und fragt:
Warum fchiegeft du nicht auf Baldurn? Hödr antwortet: ch fehe nicht
und hab’ aud) Feine Wehr. Ich will dir zeigen, wo er fteht, und fchieße
dann auf ihn mit diefer Gerte! Hödr nimmt Mifteltein und ſchießt
nah Lokis Anweifung auf Baldurn. Der Schuß durchbohrt dieſen
und er fällt tobt zur Erde. Sprachlos ftehen die Aſen umber, dann
brechen fie in Thränen aus. Als fie wieder mehr zur Beſinnung ge
Tommen, fragt Frigg, wer von den Afen ihre Gunft gewinnen und zu
der Unterwelt reiten wolle, um zu verſuchen, ob er Balburn finden
Zönne, und dann Hel Löfegelb zu bieten, falls fie ihn zurüd nad
Asgard Tommen laſſen wolle. Hermod der Schnelle, Odins Sohn,
23
übernimmt diefe Botichaft. Auf Odins Roſſe Sleipnir reitet er Hin.
Die Ajen nehmen Baldurs Leiche und bringen fie zur See. Sie fol
auf einem Schiffe verbrannt werden. Balburs Roſs wird mit allem Ger
‚Ihrer zum Scheiterhaufen geführt. Nanna, Balburs ran, vergeht vor
Gram und ihre Leiche wird mit des feinigen verbrannt. Thor hat den
Sceiterhaufen mit feinem Hammer geweiht und Odin darauf feinen
Boldring Draupnir gelegt, von bem fortan in jeder neunten Nacht acht
gleich Ichöne Ringe tropfen. Hrimthurſen und Bergriefen jelbft find
bei dieſer Leichenfeier in großer Anzahl gegenwärtig. Indeſs reift Her:
mob neun Rädkte durch dunlle und tiefe Thäler und erblickt kein Licht,
bis er zum Fluſſe Gjoll kommt und über die Gjallarbrüde reitet, die
mit fchimmerndem Bolde belegt if. Modgudur, eine Jungfrau, welde
die Brüde bewacht, fragt ihn nad Namen und Geſchlecht. Sie fett
binzu: Geſtern, da fünf Schaaren tobter Märmer über die Brüde ritten,
donnerte fie nicht fo fehr, als jetzt unter bir allein, auch haft bu Teine-
Todtenfarbe; warum reiteft du auf ber Bahn ber Todten? Hermod
antwortet: Sch juche Baldurn; haft bu etwas von ihm in dieſen Ge
genden gefeben? Sie jagt ihm, daß Balbur über bie Brüde geritten
fei; nörblich hinunter gebe ver Weg zu Hel. Da reitet Hermod foeiter
fort, bis er die Umzäunung erreicht, bie Held Wohnung umgibt. Hier
fleigt er vom Roſſe und fpannt ben Gurt feiter, ſetzt fich wieder auf
und gibt ihm die Sporen. Das Roſs ſetzt über bad Geheg. Hermod
“reitet darauf zum Saale, fteigt ab und geht hinein, wo er Balbum,
feinen Bruder, auf ber vornehmften Stelle figen fiebt. Er bleibt bie
Nacht über. Um Morgen verlangt er von Hel, daß fie Balburn mit
ibm heim reiten laſſe, ihr vorftellenp, welche Trauer um ihn bei ben
Alen fei. Hel antivortet, es mwürbe jetzt ſich zeigen, ob Balbur fo
allgemein geliebt fei, ale man fage; denn wenn alle Dinge in ber
Melt, Iebenvige und Ieblofe, ihn beweinen, fol er Erlaubnis erhalten,
39 den Aſen zurückzulehren; dagegen aber foll ex bei Hel bleiben,
wenn Jemand Einwendung mache oder nicht weinen wolle Hermod
reitet heim nad Asgard und verlünbigt, was er gejehen und gehört.
Die Aſen ſenden jeht Boten über bie ganze Welt aus und forbern
auf,-Baldum aus Hels Gewalt. zu meinen, Alle thun es, Menschen,
Thiere, Erbe, Steine, Bäume und alle Metalle, wie. noch biefe Dinge -
weinen, wenn fie aus bem Froft in. die Wärme kommen. Als bie
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Boten nad) wohl verridhtetem Gejchäft zurüdlehren, finden fie in einer
Höhle ein Niefenweib, das Thök heißt. Sie bitten auch biefes, Bals
burn zu beweinen. Das Weib aber antwortet: Mit trodnen Augen
weint Thök über Balburs Tod; weder im Leben, noch im Tode batt’
ich Gutes von ihm; Hel behalte ihren Raub! Man glaubt, daß biefe
Thok Niemand anders als Loki var, ber ben Aſen fo vieles Übel
- zugefügt, So bleibt Balbur in der Unterwelt; Loki aber mwirb von
den Afen gefangen und über brei Felſenſpitzen feitgebunben. Eine
giftige Schlange wird über ihm aufgehängt, damit ihm das Gift ber
jelben auf fein Angeficht niedertxopfe. Seine Frau Sigyhn ſitzt neben
ihm und hält ein Gefäß unter. Wenn biefes voll ift und fie es hin⸗
mwegträgt, tropft ihm indeſſen das Gift ins Geficht, wobei er fich fo
ſtark windet, daß die ganze Erbe bebt; unb bieß ift die Urfache des
Erdbebens. Dort liegt er fo in Banden bis Nagnaröf,
Dem Weltbrande voran geht eine böfe Zeit. Brüber töbten Brüder,
Berivandte lämpfen mit Verwandten. Dann kommt Fimbulvetr (ver
große Winter), der aus drei intern, ohne einen Sommer bazivifchen,
beſtoht. Beilgeit und Schwertzeit, Sturmzeit -und Wolfzeit, ehe bie
Welt fällt. Bei den Joten kräht der feuerrotbe Hahn, bei ben Aſen
der goldgelbe, in Hels unterirdiſchen Sälen der rußfarbige. Der ges
feffelte Wolf Fenrir beult. Alle Bande brechen, Loki wird frei. Die
Erde bebt, die Zwerge feufgen am Felſenthore, Yggdraſil ſtöhnt und
bebt. Das Meer ſchäumt fiber feine Ufer, denn die Midgardsſchlange
wilthet und ſucht das Land. Da erhebt fi) Heimbal und bläft ing
Stallarhorn, daß es in allen Welten gehört wird, und ruft die Götter
zum Rampfe. Odin fpricht vergebens mit Mimers Haupte. Der Aoler
ſchreit und gerreißt Leichen, bie Woge brauft und das Schiff Naglfar,
das aus den Nägeln der tobten Menfchen gemacht ift, wird los und
vom Niejen Hrymr gefteuert. Der Himmel aber fpaltet fih, Mufpels
‚Söhne kommen reitenb heraus, von Surtur angeführt, dem Allver:
‘brenner, ver von Yeuerflammen umgeben ift und befien Schwert heller
als die Sonne leuchtet. Unter ihnen bricht die Himmelsbrüde Bifröft.
Loki vereinigt fih mit Held Söhnen, Hrymr mit allen Riefen, um am
allgemeinen Streite Theil zu nehmen. Alle Aſen waffnen ſich. Alle
Einherien in Valhall ziehen aus mit ihnen. Zuvörderſt reitet Odin
mit Goldhelm, Harniſch und Speer. Auf ber unermehlichen Ebene
— 1
25
Bigrid beginnt ber legte Kampf. Der Wolf verfehlingt Obin; aber
Vidar, fein Sohn, der ſchweigende ftarle Afe, rächt ben Vater. Heimball
und Loft tödten einander. Freyr fällt durch Surtur. Thor tödtet die
Erdſchlange, aber er fällt, von ihrem Gift erftidt. Zuletzt ſchleudert
Surtur Feuer über die Welt, die Sonne ſchwärzt fih, die Erde finkt
in3 Meer, vom Himmel fallen die Sterne, um den Weltbaum raft bes
Feuers Dualm, mit dem Himmel felbft fpielt die flammende Lohe.
Aber aus dem Meere fteigt von Neuem eine grüne, fchöne Erbe,
die Waſſer fallen, ver Adler fängt Fiſche auf den Bergen. Korn wächſt,
ohne gefät zu werben. Balbur, Höbr und andre ber Aſen erfcheinen.
Sie feßen fih zufammen und fprechen von voriger Bei. Auch ein
Menichenpaar hat ſich geborgen, von Morgenthau genährt, Lif und
Liftbrafin. Bon ihnen ftammen die neuen Gefchledhter. Die Sonne
bat eine Tochter geboren, jchön wie die Mutter, deren Bahn fie wandelt.
%
an
In den allgemeinern Zufammenbang ber nordiſchen Götterlehre,
welcher hier im Umriſſe gegeben worden, fallen noch manche beſondre
Sagen, worin mehr die einzelnen Götter in ihrem eigenthümlichen
Weſen und Wirken berbortreten. Dieſe mweitern Sagen werden wir
nachher Bei der Erläuterung des Ganzen benützen.
Als die Quellen, nad) denen die obigen Auszüge gemacht und bie
noch weiter folgenden zu geben find, baben wir bereits bie beiben
Eoden benannt. Bon der Beichaffenbeit diefer Quellen ift hier Einiges
anzufügen. Die ältere, ſämundiſche Edda enthält 16 heidniſch⸗mytho⸗
logifche Lieder. Sie find in der in altnorbifcher Dichtlunft herkömm⸗
lichen Weiſe der Allitteration oder bes Stabreims abgefaßt, noch nicht
aber in den verwideltern Formen ber ausgebildeten Skaldenkunſt. Die
Berfaffer find, wie bei aller älteften Boefie, unbelannt, obgleich fonit
ſchon vom neunten Jahrhundert an nicht leicht ein erheblicyeres Skalden⸗
lied gefunben wird, deſſen Verfafler nicht auch dem Namen nach bes
kannt gewejen wäre (Geier 192). Die einzelnen Eddalieder verbreiten
fih bald mehr über den größern Zufammenhang der Schöpfung und
Bötterwelt, jo beſonders Bölufpa, die Weifjagung ver Wole; bald
find fie mehr auf beſondre Theile und Ereigniſſe ber Göttergeſchichte
—
26
N
gerichtet; faſt durchaus ift fchon der Rahmen des Gebichtes ein mythi⸗
fcher; Götter, Rieſen, Zwerge, Wolen treten felbft, in Rebe und Hand
Yung, weifjagend, lehrend, in Streitgefprädh und Räthſelfrage auf, Alles
in gebrängten Nebefäten, in raſchen und oft fchroffen Zufammen-
ftellungen. Die jüngere, profaifche Edda, Enorros Edda, gibt in ihren .
beiden mythologiſchen Abfjchnitten, gleichfalls in Yorm von Geiprächen
mythiſcher Perjonen, ausführliche, mehr abfichtlich geordnete Berichte über
diefe ganze Mythenwelt, auf die Grundlage der alten Sagen und Lieber,
aus benen häufig Strophen eingeflodhten find. An biefen mythologts
ſchen Haupitheil der jüngeren Edda fchließt fi) noch die Skalda, eine
Belehrung über die biehteriichen Umifchreibungen und Benennungen,
nebſt einer Überficht der Versarten der isländiſchen Dichtkunſt u. f. w.,
wobei dann zur Erflärung der aus Mythus und Gage entnommenen
Bilder und Namen auch verſchiedene mythiſche und ſagenhafte Erzäbs
lungen eingefügt find. Die gefammte jüngere Edda ift fomit eine
isländiſche Poetik, fie gibt dad Mythologiſche für den Gebrauch ber
Dichterfprache ; denn auch nach ber Einführung des Chriftenthumsd fuhr
man im Norben fort, ſich für die Dichtkunſt der heidniſch⸗mythiſchen
Bilder und Namen zu bebienen. Der Zweck eines ſolchen Unterrichts
brachte e3 mit fi, daß auch wirklich aus der Duelle ber alten Sagen
und Lieder gefchöpft murbe, aber in der Anorbnung, in Paraphraſe
und Erläuterung konnte bier allerdings auch chriftliche Anfiht hin und
wieder einwirken.
Über die Echtheit der eddiſchen Gbtterlehre iſt Vieles verhandelt
worden. Überecht, möchte man ſagen, iſt ſie genommen von dem erſten
deutſchen Überſetzer der jüngeren Edda, J. Schimmelmann (Stettin
1778. 4). Er ſieht die Edda für die älteſte Überlieferung an, die dem
ganzen „europäifchceltiichen” Volle bei deſſen erftem Auszug aus Afıen
mitgegeben tworden, für ein Gottesbuch, eine Weiſſagung und bie ältefte
göttliche Offenbarung, welche die ganze Lehre von Gott, der Dreieinig⸗
feit, dem Mefliad, dem Antichrift u. ſ. w. enthalte. Hinwieder ift fie
für etwas zum bloßen Spaß Gebichtetes erklärt von F. Adelung: Über
nordiſche Literatur, Geſchichte und Mythologie, in Veckers Exrholungen,
1797. I. Später trat vorzüglic Fr. Rühs als entfchievener Gegner
der Echtheit auf. Er bat feine Überfegung der jüngern Edda (Berlin
1812) vorzüglich unternommen, um in einer ihr beigefügten Abhand⸗
27
lung „von ber norbiihen Mythologie“ (S. 120 ff.) feine Anfichten
hierüber auszuführen. Er behauptet darin, was unter dem Namen,
nordiſche Mythologie auf und gefommen, fei niemald Glaube des Volle
geweſen, ja nur einem äußerft unbeträchtlichen Theil nach in bemfelben
begründet. Die Meinungen des Bolls "haben nur ben erften Keim
bergegeben, der auf das freifte und manigfaltigfte ausgehilbet worden.
Der Bollsglaube ftehe fogar mit den myibifchen Vorftellungen im Wider _
ſpruch. Überall feien chriſtliche Ideen hinzugelommen, auch rabbinifch
eabbaliftiiche. Dann ſei auch die griechtfch-römifche Mythologie benützt
worden, theils unmittelbar, theil® durch Vermittlung der Angeljachfen.
Der Hauptſache nach feien die nordiſchen Mythen zur Lehre und zum
Beiſpiel für junge Dichter beftimmt und zum Scherz, zur Beitverfürzung
erfunden, brauchbar als poetifcher Stoff, als Verzierung der Gedichte,
um jo mehr, als bie isländiſchen Dichter es für einen Borzug gehalten,
dem großen Haufen dunkel, nur den Eingeweibten verſtändlich zu fingen.
Die Vermiſchung des Chriftlichen mit dem Heibnifchen lafſe fih in Sagen
und Liedern nachweiſen. Schon vor ver Verkündigung des Chriften-
thums im Norben habe zwiſchen Ehriften und Heiden ein genauer Ber
kehr Statt gefunden. Die Heiden haben die neue Religion zur Be
reicherung ihrer armen vaterländiichen Götterlehre benützt. Die Bekehrer
feien ihrerſeits geneigt geweſen, das Alte bem Neuen zu verfnäpfen,
fie haben in den alten Vorftelungen Punkte aufgefucht, um auf den:
felben ein neues Gebäude aufzuführen. Eben weil jene Mythen ſpäter
entftanden, weil fie nie Glaube des Volks geweſen, fondern nur er:
funden worden, um in ber Dichtkunſt zur poetischen Farbengebung zu
dienen, babe die Geiftlichkeit fie gebulbet, ja, felbft dichtend, fich ihrer
bevient, fie erweitert und vermehrt. Auch werben bie alten Götter
meift in einem Tomifchen oder verächtlichen Lichte dargeſtellt. Es komme
demnach biefer Mythologie keine andre Bebeutung zu, als die jebe
einzelne Mythe in ſich trage, ald Hervorbringung eine mehr oder
minder glüdlichen Dichters. Vergeblich ſeien von jeher die Verſuche
geiwefen, fie mit den Mythen ber älteften und entfernteften Völler in
BZufammenbang zu bringen, ober fie als Glieder eines Syſtems zu
ertlären.
Gegen dieſe Anficht erhob fih P. €. Müller, vorzüglich in fol
gender Schrift:
28
Über die Achtheit der Aſalehre und den Werth der Suorroijchen Edda,
von P. E. Müller. Ans der däniſchen Handfchrift aberſebt von L. ©. Sander.
Kopenhagen 1811.
Er macht darin vorzüglich geltend, die Kenningar (ein Stück der
Skalda) enthalten eine Sammlung poetiſcher Umſchreibungen und Benen⸗
nungen Odins, Thors, Balders, Freyrs und der übrigen Aſen, ſo wie
auch Lokis, dann der Gottinnen Frigg, Sif, Idun, ferner der Welt, der
Erde, des Meer3 u. ſ. w., belegt durch ungefähr 500 Bruchſtücke von
etwa 80 namentlich aufgezählten Dichtern, melde gröftentbeil®, ge⸗
ſchichtlichen Quellen zufolge, vom 9ten bis gegen das Ende bes 18ten
Jahrhunderts gelebt haben. Diefe Bruchftüde, je aus 4 bis 8 Zeilen,
etlihe aus mehreren Strophen beftehend, feien voll von mythiſchen
Anfpielungen und deuten auf biefelben Mythen bin, welche ber erite
mythologiſche Theil der Edda profaifch darſtelle. Hieraus folge, daß
auch die lehtern nicht willkürlich erbichtet feien, man müſte denn jene
500 als Mufter der poetifchen Sprache ausgehobenen Lieberftellen, in
ihrer fragmentarifhen Geftalt, bei aller Verſchiedenheit des Inhalts,
des Tones und Versbaus, und binwieder bei ber gröften Gleichheit
derjenigen, welche unter demjelben Namen angeführt werben, ſämmtlich
für unecht erllären, mas ein böchft unmahrfcheinliches Gewebe von
Betrug und Lügen vorausſetzen würde.
An diefer Streitfache haben beſonders noch die Brüder Grimm,
als Verfechter der Echtheit, Theil genommen:
W. C. Grimm, Necenfion der mülleriſchen Schrift in den SHeibelberger
Jahrbüchern der Litteratur, 1811. Nr. 49. 50. Auch fon in der Abhandlung:
Über die Entflehung der altdeutfchen Poeſie und ihr Berhältwis zu ber nordie
fen, in den Studien, 1808. Il. ©. 221 fi.
J. Grimm, Recenfion von Rühs Edda in der Leipziger Litteratur- Zeitung,
1812. Mr. 287. 288.
Wie könne, wird weiter angeführt, überhaupt von einer Erfindung
. der Mythologie gerebet werden, two noch die Spuren von dem Cultus
der alten Götter fichtbar feien, wo in fo vielen Sagen unb Geſängen
fie uns entgegentreten? Niemals fei eine neue Mythologie erfunden
morben, fo wenig al3 eine neue Sprache. Welche Geifter Tönnten auch
fo gebichtet haben, daß fie unbewuft mit ben erft fpät nachher in
Europa befannt gewordenen Mythen der älteften und entfernteften
29
Bölfer überrafchend zufammentreffen! Der erfte und mwichtigfte Beweis
der Echtheit fei der innere. An fich felbft, kraft des ihnen inwoh⸗
nenden Geiftes, ſeien die Gefänge der ältern Edda und die Mythen
der jüngern die ſicherſten Quellen.
Neuerlich hat Geijer im erſten Theil ſeiner Geſchichte von SEchweden
(S. 185 ff.) die Frage über die Echtheit ber nordiſchen Mythologie ſehr
befriedigend abgehandelt. Er führt den Beweis ihrer Echtheit aus dem
Bufammenhange der Götterfage mit dem Ganzen ber Litteratur und
Bildung des alten Nordens.
Die innere Lebenskraft diefer Götterfage und der eben erwähnte
weitere Zufammenbang find auch die entfcheivendften Gründe der Echt⸗
beit. Unfer fernerer Gang durch die Sagenwelt der germanifchen Völker
wird und au die Mythen der Edda in ihrer vollsthumlichen Geltung
bewährt zeigen.
Im Ganzen wird die Frage von der Ehtheit der nordiſchen Götter
lage von den neueren Litteratoren für abgemacht angefehen. Sie rebuciert
fih nur noch auf die Kritil einzelner Stellen der Edden, bei denen
man die Spur einer fpätern, chriftlihen Anficht zu bemerken glaubt.
Gleichwohl glaubte ich diefe Streitfrage nicht umgehen zu dürfen, da
man leicht in ältern, ſonſt verbienftlichen Schriften auf Anfichten ftoßen
kann, welche den, ber mit den Momenten biejes Streites nicht befannt
wäre, irre machen könnten. Die Spaltung der Meinungen wäre wohl
auch niemals in ſolchem Grabe eingetreten, wenn zu ber Beit, ba ber
Streit fi) erhob, die mythiſchen Gefänge ber ältern Edda fchon in der
Bollftändigkeit herausgegeben geweſen wären, in ber fie jeßt vorliegen.
Was die neueren Forfcher ernfilicher beichäftigt, iſt die Frage über
die Bedeutung diefer Mythologie; und biefe Frage wird man auch
noch lange nicht für erledigt anfehen dürfen, bis in das Einzelnfte der
Bilder und Sagen wohl niemal3.
Se länger und näher man bie nordiſchen Mythen betrachtet, um
fo mehr machen fie den Eindrud eines großartigen und finnvollen
Ganzen. Es ift auch auf ihre Erklärung ſchon viel Scharffinn und
Gelehrjamkeit verwendet worden. Eine bebeutenbe Schwierigfeit liegt
in ber etumologifchen Deutung der Namen. Denn davon überzeugt
man fi bald, daß die Namen ber mythiſchen Berfonen und Gegen
fände nicht biftorifche find, fondern Bezeichnungen aus Weſen und
30 .
Eigenfchaft. Darum müften wir auch über Letzteres durch eine richtige
Etymologie vielfach verftänvigt werden. Einige Namen, deren Beben:
tung völlig Har ift, find in obigem Auszuge als ſolche bemerklich ge:
macht worden. Wenn ed aber bei den meiften entfchieden ift, daß fie
Sachbezeichnungen find, und man nur häufig zwifchen verfchiedenen, für
möglich angefehenen Bebeutungen ſchwankt, fo darf auch auf die gleiche
Bewandtnis bei den übrigen, noch nicht erllärten, geichloffen werben.
Aber auch geborne Isländer, die ſich eifrig mit Commentierung ber
Edden beihäftigt, haben doch noch Vieles und darunter mande der
erbeblichiten Namen unentziffert gelaflen over doch nicht genügend auf:
gehellt. J. Grimm gibt in der Vorrede zu den deutſchen Rechtsalter:
thümen (S. XVII) Hoffnung, daß er auf ähnliche Weife mie dieſe
(alfo ausgedehnt auf den ganzen germanifchen Völkerſtamm), auch bie
Gefchichte des heibnifchen Glauben? der Deutfchen bearbeiten werde.
Durch einen ſolchen Spracforfcher dürften wir allerdings erwarten,
in jener eiymologifchen Erllärung beträchtlich weiter geführt zu werben.
Aus der fehr umfangreichen Litteratur der nordiihen Mythen⸗
erflärung mache ich folgende neuere Schriftfteller nambaft:
Finn Magnufen, ans einem islänbifchen Geſchlechte, der vorziiglich in
folgenden drei Werten für die Erflärung der flandinaviihen Mythologie mit
großem Fleiße gearbeitet hat: in feiner bänifchen Überfekung und Erklärung
der ältern Edda, 4 Bände, Kopenhagen 1821 bis 1823; in feiner, gleichfalls
Dänisch gejchriebenen Eddalehre, 4 Bände, Kopenhagen 1824 bis 1826; ſodann
in: Priscæ veterum Borealium Mythologie Lexicon, auctore Finno Mag-
nugen. Havnie 1828. 4.
Mone in der angeführten Geſchichte des Heidenthums im nördlichen Eu-
vopa. Theil 1. Leipzig 1822. ©. 309 ff.
F. Münter, Gefchichte der Einführung des Chriſtenthums in Dänemark
und Norwegen. Leipzig 1823. (Muh als Iter Theil feiner Kirchengeichichte
von Dänemark und Norwegen.)
E. G. Geijer, Geſchichte von Schweden, Theil 1, ſchwediſch, Upſala 1825.
Hievon eine deutſche Überfegung auch unter dem befondern Titel: Schwedens
Urgeſchichte, Sulzbach 1826.
Die verfchievenen Richtungen dieſer Schriftfteller Infien ſich Yunlich
dahin bezeichnen, daß bei Finn Magnufen die phyſiſche, bei Done die
philoſophiſche und bei Münter die hiſtoriſche Mythendeutung vorherrſcht.
Börres macht in feiner Mythengeſchichte der aſiatiſchen Welt, aus
31
Anlaß der verfchiebenartigen Erflärungen ber perfifchen Mythenlehre,
die ſehr beachtenstvertbe Bemerkung (S. 237): |
„Jede Erklärungsart hat ihre eigene wahre Seite, durch deren Hervorheben
‚ fe im ganzen Umfange wahrſcheinlich gemacht werben mag; jede aber muß
vieles fallen laſſen, was fie nicht aufnehmen kann, und daraus läßt fich dann
jedesmal ihre Widerlegung führen. Die eigentliche Wahrheit ift, daß die Lehre
jeibft alle zufammen, nnd keine von allen ift; daß fie darftellt die ganze Natur-
anſicht, chronologiſch, aſtronomiſch, phyſiſch, geographiſch, hiſtoriſch und philo-
jophiſch, ſo weit ſie die damalige Welt erkannt; daß ſie aber keineswegs ein
einzelnes Moment ſelbſt, bis zur höchſten Sonderung und Schärfe getrieben,
für ſich ergreift, eine Scheidung, die nur ſpäterer Zeit eigenthümlich fein kaun.“
In ähnlichem Sinne ftellt Geier (S. 284) feiner Erflärung den
. Sag voran, die Mythologie der Norvländer, wie die anbrer Völlker,
enthalte alte Borftellungen über bie Geſchichte der Natur, über bie
Geſchichte der Menſchen und Religionen, enblich über die Gejchichte des
Volkes ſelbſt, und daß fie dieß alles in einander und auf einmal bar:
ftelle, jei e8 gerade, was das mythiſche Zeitalter der Geſchichte bezeichne.
Rach den angegebenen drei Gefichtspuntten gejonbert, nimmt er dann die
Erklärung vor. Beſonders aber ift noch anzurühmen, vaß, Geijer auch
einen von manchen Mythenerklärern allzuſehr vernachläßigten Geſichts⸗
punkt gewürdigt bat, den poetiſchen. Nicht als ob er dieſem gleichfalls
einen bejondern Abfchnitt gewidmet hätte, was auch nicht vonnöthen war,
da bie poetifche Betrachtungsweiſe ſich beffer durch das Ganze äußert.
Nur beiläufig in einer Note fteht, zunächſt in Beziehung auf hie natur
geichichtlichen Deutungen Finn Magnufens, folgende inhaltreiche Be⸗
merkung (S. 290):
„Sicherlich findet fich bier, wie in allen Mythologieen, eine phyſiſche Be⸗
deutung., Nur muß man bedenten, daß fie nicht die einzige ift, und daß unter
andern auch deshalb alle Erklärung aus dieſem oder einem andern befondern
Geſichtspunkt nicht glüden kann u. ſ. w. Überhaupt wird feine Mythologie durch
die bloß allegorifche Erflärungsart erfchöpft, weil keine bloß durch Allegorie ent-
fanden if. Die meifl dem Verſtande ongehörige Handlung, welde zu einem
gegebenen Begriffe ein Bild fucht, ift eine ganz andre, viel abftractere und un-
fruchtbarere Tätigkeit, als diejenige, deren lebendigem Schooße dieſe alten Bilder
entgnollen. Hier ift nicht Das Bild zum Begriffe gelommen. Im Gegentheil
hat der Begriff vom Anfang als Bild beſtanden. Diefe unanflöslihe Berſchmel⸗
zung des Begriffes und Wildes in den Mythologieen mag immer den allegoriſchen
32
Erklärer zur Berzweiflung bringen; bloß durch fie aber haben dieſe Bilder
ihre Selbfftändigleiv erhalten, lebten, bewegten fi), erzeugten in manig⸗
faltigen Combinationen andre Bilder aus fih, nicht nach den Geſetzen bes be-
rechnenden Berftandes, fondern nah dem VBeblirfniffe und Gefallen der unbe
wuft ſchaffenden Einbildungsfraftl. Daraus folgt nicht, daß diefe Bilver nicht
aus mehr als Einem Gefihtspunft eine Bedeutung im Ganzen haben können;
aber dieſe verträgt ſich ganz gut mit ber Selbſtſtändigkeit der Bilder, ja fie
Spricht fi) poetifh um jo Träftiger aus, je ungefuchter die Bebeutung erfcheint.“
Bei allen den gelehrten und geiftreihen Bemühungen, melde von
den genannten und andern Forfchern des nordiſchen Alterthums zur
Erklärung der Götterfage vorgenommen worben find, kann es gleich
wohl, fo wie die Sache jet noch ſteht, Keinem, der von diefer My⸗
thologie zu handeln hat, erlafjen fein, die Deutung auf feine eigene
Weife, nach dem felbftempfangenen Eindruck zu verfucden, mag er damit
viel oder wenig zu leiften hoffen. Denn wie viel man auch den Bor:
gängern verbanten mag, jo werben boch über einen fo verwidelten und
vieldeutigen Gegenftand nicht wohl zwei nach allen Theilen überein;
ſtimmen. Ein folder Berfuch fol nun auch im Folgenden gemacht
werben, jedoch nur infoweit alö die Aufbellung des Ganzen durch eine
überfichtliche Anordnung besjelben nad feinen größern Gruppen und
bervorftechendern Geftalten zu erreichen ift.
Eine alles Einzelne durchdringende Erforſchung und Erklärung dieſer
Mothologie, welche Überhaupt nur auf etymologifchem und eregetifchem
Wege auszuführen märe, würde füglich für fich allein einen Semeftral:
curſus ausmachen.
Es iſt die Sage der Sagen, mit der wir begonnen, die Sage vom
AN, die bildliche Geſchichte vom Werben, Beſtehen und Tünftigen Unter:
gange der Welt und aller Kräfte, die in ihr wirken.
Das Erxfte, mas aus dem Nichts auffteigt, zu beiden Seiten bes
leeren Abgrunds Ginnungagap, ift der Gegenſatz von Niflheim (Nebel:
welt) und Mufpelheim (noch nicht etymologifch erklärt), von Waſſer und
Teuer, Kälte und Wärme, Dunkel und Licht, Nord und Süd. Aus
dem Bufammentreffen diefer entgegengefeßten Elemente gehen erft vie
unorganifchen, dann die organischen Bildungen hervor. Stamm ber
unorganifchen ift der Urriefe Ymer, aus beffen Leib und Glievern ber
Weltbau geformt wird. Die organifhen Bildungen werben von ber
33
Kuh Audumbla, felbft einem Urtypus des Organifchen, aus den Salz:
fteinen berborgeledt. Bur, das erfte, vollkommnere organifche Weſen,
das auf dieſe Weile entfteht, ift ber Stammtater ber Götter, welche
den Weltbau aus dem Rieſenleibe aufführen und barein aus Bäumen
die Menſchen erfchaffen und begeiftigen.
Aber wie aus der gegenfeitigen Bindung jener beiben Elemente
das AU erſchaffen ift, ſo wird es dur die Wieberauflöfung biefes
Bandes Fünftig zerftört; Niflheims und Mufpelheims entbundene Mächte
brechen los und zgertrümmern den Weltbau; erft der große Winter
(Fimbulvetr), der Winter von drei Wintern, dann ber verzehrende
Weltbrand. Die Götter felbft, wie file im Ganzen der Weltfchöpfung
geworben, find auch nur Mächte in der Zeit und mit der Enibinbung
der Gegenſätze, aus deren Vermittlung das MWeltganze und fie felbft
hervorgegangen, müſſen auch fie wieder untergehn. (Wie die Ajen regin,
Mächte, genannt werben, jo heißt das Weltende ragna-rök, der Mächte
Dämmerung ober VBerberben. Lex. myth. 382. 392. Bergl. Gramm. 1,
473. 533.) |
Dieb die materielle Seite des Weltganzgen; aber durch dasſelbe
zieht auch ein lebendiger Geift; moher aber der Geift ftamme, von io
er den Göttern, denen er inwohnt und die ihn felbjt mieder den
Menfchen einhauchen, zugelommen, darüber ift nicht? ausgefprochen.
Nun beiagt zwar bie jüngere Edda bei der Schöpfung des Urrieſen
aus dem thauenden Eife!:
Da wurden die Tropfen belebt durch die Kraft deſſen, der bie Hitze dahin
fandte, und war eines Mannes Geftalt, der Amer genannt ward.
Mone bemerkt (1, 316) zu diefer Stelle:
Warum die Begenfähe zur Bereinigung getäufcht (eine der Etymologieen
von ginnunga) werden, das ift ein Geheinmis, an welches die nordiſche Reli⸗
gion den Glauben an den einen, unbegveiflichen Gott anfnüpfte Durch feine
Kraft wird die Hitze gejendet, durch ihn die Gegenfähe getäuſcht, durch ihn
befommen die Tropfen Leben, darum ift er ber Unbegreifliche, der über alle
Welt erhaben ift, der nie ftirht, weil er nie geboren wurde. Es ift bas eine
große und herrliche Idee von Gott, welche der hriftlichen völlig gleich kommt.
1 Edda Resen. Demes. IV. D. 3: ba kviknudu Droparne aff krapte
Dess er til sende hittann, og var Manns Lyknide, og er s& nefindur
Ymer.’ [Ed. hafn. 1848. 1, 42, &.]
Uhland, Schriften. VII. .3
34
.
— —
Allein der Satz, auf welchem hiebei der Nachdruck liegt, „daß die
Tropfen ſchöpferiſch belebt worden, durch die Kraft deſſen, der die
Hitze geſandt“, findet ſich nur in der proſaiſchen Edda, nicht in den
älteren Eddaliedern von der Schöpfungsgeſchichte. Iſt er aber auch
nicht bloß eine fpätere Erläuterung, jo wird er doch am einfachften-
auf Surtur bezogen, den Herricher von Mufpelheim, ber auch einft von
da ausfährt mit Muſpells Söhnen und die Welt mit euer zerftört.
Zwar ift nun diefer Surtur eben als der unfichtbare und unbegreifliche
Gott ausgelegt worden, von dem der Demiurg Ddin nyr eine Ema-
nation fei (F. Magnufen, Lex. myth. ©. 4523. Mone felbft nimmt es
nicht jo; 1, 451); mit Recht hat aber Geijer (S. 280”) dagegen an-
geführt, daß Suriur, der Echwarze, beim legten Kampfe die böfen
Weſen Loli, Fenrir u. ſ. w. zu Genoſſen babe, aljo feine höhere Offen⸗
barung ber Gottheit felbft fein könne. Als Gebieter von Mufpelheim
ift er augenſcheinlich nur der Elementargeift der Feuerwelt.
Um das geiftige Element diefer mythiſchen Weltihöpfung und fein
Verhältnis zum materiellen beftimmter zu erfennen, ijt es nötbig, auf
die verfchiedenen Weſenklaſſen, die in ihr bedeutend berwortreten, näher
einzugehen und fie in ihrer charakteriftifchen Erfcheinung und Wirkſam⸗
feit zu verfolgen. Es find ihrer fechferlei: Soten, Vanen, Aſen;
Schwarzalfen, Lichtalfen, Menſchen; von diefen find wieder nad) Mones
paflender Claffification (1, 110) ven Soten die Schwarzalfen ober
Zwerge, den Banen bie Lichtalfen, den Afen die Menjchen zuzuibeilen;
der Natur nach gleichartig, aber in verfchiebenem Maaße ver Madıt
und Höbe.
In diefen breierlei Hauptllafien zeigen ſich wieder bie bei ber
Weltihöpfung wirkſam geweſenen Gegenfähe und ihre verſchiedenen
Bindungen. Am nädften gegen Niflheim, vie Welt der Kälte und
Finſternis, auf der Norbfeite, ſtehen die Joten, am nächſten ‚gegen
Mufpelbeim, die Wärme: und LZichtwelt, auf der Sübfeite, die Vanen,
von deren Entftehung die bier offenbar fragmentarifche Echöpfungsfage
zwar nichts meldet, deren ganze Erſcheinung aber ihnen jene Stellung
anmweilt; in der Mitte zwiſchen Nord und Süd fteben die Afen. Syn
ähnen liegt die volle Bindung aller entgegengefeßten Kräfte. Sie er:
den auch wirklich Bönd (Bande) und Höpt (Hafte) genannt (Lex. myth.
43. 139). Doc} lege ih auf ſolche vieldeutige Benennungen, aus denen
-»
man nur allzu Berfchiebenartiges ſchon bewieſen hat, Leinen Werth.
. Bir müflen uns in ber Mythendeutung an die Harfte Erſcheinung, an
Dild und Handlung, balten. Bei dieſer Probe werben uns aber bie
Aſen wirklih in jener bindenden Mitte fi) erweifen. Zugleich wird
fi und zeigen, daß, wie in Joten und Vanen das Materielle, die
Naturkraft, fo in den Aſen das Ideelle, die Geiſtesmacht, vorherrſcht,
aljo eben fie das geiftige Element des Weltganzen darftellen.
Wir folgen nun diefen drei Wefenarten, deren Unterſchiede mir
bisher nur im Allgemeinften angegeben, in ihr beſondres Leben und
in ihre einzelnen bebeutendern Geftaltungen. Die Grundverjchiedenbeit
der drei Arten werden wir im Ganzen unverrüdt finden; aber wie in
der Natur felbft die manigfaltigften Miſchungen und Übergänge ftatt:
finden, fo wird auch bie in den mythiſchen Bildern ſchaffende Einbil-
dungslraft jelbftändige Geftalten und Charaktere von manigfacher
Zufammenjeßung der Eigenfchaften ins Leben rufen; und ſowie das
geiftige Element fih in Bild und Handlung verfinnlicht, jo werben mir
es hinwieder die materiellen Beſtandtheile der erjchaffenen‘ Welt geiftig
belebend ergreifen ſehen, und zwar in der Art, daß die phufilchen Ge:
walten und Gegenjäte zu ethiſchen erhoben werben.
Zuerft alfo vom Geſchlechte der Joten (Jötun, Bl. Jötnar)! Sie
ftammen, wie wir wiffen, von dem Urriefen Dmer. So wie biejer im
nördlichen Theile von Ginnungagap, dem leeren Abgrunbe, in bem
Theile, der, Niflheim zunächſt, voll von Eis und Froft, voll Sturmes
und Unwetters ift, und wohin die belebenden Funken aus Mufpelheim
den mweiteften Weg zu maden hatten, aus Eisſchichten erwachlen ift,
jo find aud feine Ablömmlinge fortwährend Hrimthurfen, Eisriefen,
Bewohner des rauhen, unfruchtbaren Gebirge, Bergriejen (bergrisar).
Ihr Wohnfig, Jötunheim, ift ihnen außerhalb der von Afen und
Menjchen betvohnten Bezirke, in Utgard, angewiefen. Aber beftändig
bedrohen ſie, die Reiflalten (hrimkalldr, pruind frigidus, Beiwort
der Soten), als feindliche Wintermächte, die Mittelmelt und längſt
würden in ihr feine Menfchen mehr wohnen (Edd. IL, 146), wenn nicht
bie Aſen, die Erhalter der Welt, einen Bändiger, eine Sommerkraft,
gegen fie ausjenveten, den Donnergott Thor, den ftärkften der Götter,
defien Hammer Mijölnir (Bermalmer) der Riefen Schreden ift. Gegen
biefe materiellften Naturkräfte muß derjenige der Ajen kämpfen, ber
36
unter ihnen jelbft der unbeholfenfte, ungeijtigfte tft, aber den Gürtel
der Kraft (Megingjardir) um die Lenden trägt. (Lex. myth. 623 f.)
In dieſer Eigenſchaft, als Wintermächte, als die Gegner Thors,
find uns die Joten in einer Reihe von Erzählungen dargeſtellt, von
denen ich Einiges aushebe, da fie und am beiten den Blid in bie
Niefenwelt eröffnen 1.
Süngere Edda S. 206 fi. Bräter Nordiſche Blumen S. 98 ff. ***
In der jüngern Edda heißt es einmal (Rühs S. 185): „Keiner iſt
ſo kundig, daß er alle Großthaten Thors erzählen könnte; ich kann
deren ſo viele berichten, daß der Tag nicht hinreichen würde, um Alles
zu ſagen, was ich weiß.“ Die vielen Geſchichten, welche hier gemeint
ſind, beziehen ſich ohne Zweifel alle auf Thors Kämpfe mit dem Rieſen⸗
geſchlechte. Außer den Abenteuern bei Utgardloki und Thrym ſind auch
wirklich noch verſchiedene Abenteuer dieſer Art in den Edden erzählt:
Thors Fiſchfang mit dem eisbartigen Rieſen Hymir, wobei er die un⸗
geheure Midgardsſchlange mit einem Ochſenkopf anködert und aus dem
Meer emporzieht, den Rieſen aber über Bord wirft; fein ſiegreicher
Zweikampf mit dem Rieſen Hrungnir, der ein viereckiges Herz von Stein
bat, auch einen ſteinernen Kopf, einen Steinſchild und eine Steinkeule,
die Thors getvorfener Hammer in Stüde jchlägt, woher alle Schleif:
Steine fommen u. |. w.
Man ift darüber einverftanden, daß in dem gröften Theile dieſer
Sabeln der bald mehr, bald minder glüdliche Kampf des Sommers mit
dem Winter, die fich beſtändig die Wage halten, vargeftellt ift. In
den Abenteuern mit Utgarblofi ift Thor im Nachtheil, einer feiner
Böde wird binfend, feine gemaltigften Hammerfchläge auf des Riefen
Haupt dringen doch nicht dur, feine und feiner Gefährten Kraft:
anftrengungen in den Wettlämpfen, jo ungeheuer fie find, erringen
doch nicht den Sieg; es ift die Winterzeit,. wo der Donnergott nichts
vermag, mo feine Schläge fruchtlos fallen, im fernen Utgarb, im
äußerften Winterreiche richtet auch der ftarfe Thor nichts aus, Befler
fteht feine Sache im Thrymsliede. Er erwacht aus dem Schlafe, wäh:
rend teflen ihm die Winterriefen den Hammer geftohlen; viefe ver-
langen die ſchöne Freya, eine Sommergöttin, die fie ftet3 ben Afen zu
1 [Ausführlihere Behandlung in den Sagenforfhungen Th. 1. 8.)
37 - ’
entreißen trachten. Da kommt Thor, als Freya verhüllt, der Tonner in
der Frühlingswolke, feine Augen flammen unter dem Schleier und fein
Hammer fährt zerfchmetternd auf des Niefen Haupt. An der Grenze
Des Jotenreiches, bei den Steingehegen (Griötänagardar), an der Grenz:
ſcheide der Jahrszeiten, beſteht er auch als Sieger den Zweikampf mit
dem Steinrieſen, von deſſen ſchwerem Fall er faſt ſelbſt erdrückt wird.
So klar aber dieſe Verhältniſſe im Ganzen ſind, ſo ſchwierig iſt
die Erklärung der einzelnen Umſtände.
Hören wir 3. B., wie Mone den zuerſt vorgetragenen Mythus von
Thors Zuge zu Utgarblofi in das Einzelne deutet, 8. I, 407 ff.!***
Es ift nicht zu beftreiten. daß die Allegorie des Ganzen, ber
Gegenfag und Kampf der Winter: und Sommermächte, auch in ben
Einzelheiten durchblicke und daß die Mythendeutung fih anzuftrengen
babe, die allegorifchen Beziehungen, fomweit es ohne Zwang gejchehen
fann, zu verfolgen; wenn z. B. Thialfi, der Reifegefährte des Donner:
gottes, zugleich ein behender Wettläufer ift, fo fordert er allerdings zu
‚der Forſchung auf, ob nicht fein Rame ihn als Strahl, Winditoß, als
irgend eine den Donner begleitende raſche Naturerfcheinung bezeichne
und dann auch in feiner Schweſter Nöfloa ein ähnliches Phänomen zu
finden fei. Ebenſo wenig ift zu miskennen, daß aud die Raturmythen
‚im größern Bufammenbang der Eddalehre geiftigere Verbindungen an:
fnüpfen. Aber eine ſolche Menge und bunte Miſchung phyſiſcher unb
philofophifcher Beziehungen in der einen Erzählung würde mir gerabe
die Hauptſache, die Entftehung einer Tebendigen und für ſich anſchau⸗
lihen Sagendichtung, völlig unerflärbar machen. Gewifs Niemand,
ala der gelebrte Ausleger felbit, Hat jemals in der ergeklichen Rieſen⸗
geichichte all diefen Sinn entveden können, und doch find diefe Natur:
mythen ohne Zweifel einft bei den Syahresfeften der ſtandinaviſchen
Völker gejagt und gejungen ‚worden; namentlih der Mythus von dem
als Freya verkleideten Thor bewährt feine vollsmäßige Verbreitung
dadurch, daß er noch bis in neuere Zeit, wie wir fpäter ſehen werben,
ala nordiſches Volkslied fortgevauert hat. Wenn Mone in ber be
ſprochenen Sage einen recht auffallenden Beweis findet, wie man alle
Weſen im nordiſchen Glauben als perfonificierte Ideen anſehen müfle,
jo unterliegt zwar die ſinnbildliche Befchafferiheit diefer Weſen über:
haupt keinem Ziveifel, aber daß Sommer und Winter fi bie Herr-
38
ſchaft ftreitig machen, ift noch Teine bebeutfame Idee, es ift eine höchſt
einfache Thatjache, und der Mythus wäre ein fehr gehaltlofer, menn
er feinen Zwed hätte, als unter allerlei Verhüllungen jene Thatfadye
burchicheinen zu laſſen. Sein Berbienft beruht vielmehr darin, daß er
das naturgefchichtliche Faktum in einer Reihe belebter Geftalten, in einer
epijch beivegten Handlung, darzuftellen weiß. Es ift der poetiſche Ge-
fihtspunft, den ich früher mit Geijers Worten angedeutet habe, ber
‚und zum volleren Berftändnis diefer Sagen leiten muß. Sie find in
ihren Grundzügen allegorifch, auch die Bilder haben big auf einen ge:
wiflen Grab dieſe Eigenfchaft; aber ohne daß ſich eine beftimmte Grenz⸗
ſcheide ziehen ließe, beginnen fie ihr felbftändiges Leben zu entivideln
und den allegorifchen Umriß mit freien Schöpfungen auszufüllen. Es
ftehen fih im fraglihen Mythus zwei Gewalten gegenüber, bie eine
riefenhaft, ftarr und fteinern, die andre gebrungen, raſch und ſchlagend.
Anftrengung und Widerftand in ihrem SKampfe, auf beiden Seiten
maaßlos, darzuftellen, war die Aufgabe der Poefie. Sie that es mit
Hülfe aller Bilder des Ungeheuren, die in biefen Kreis fielen. Thor
trinkt das Meer zur Ebbe, er lüpft bie Erbfchlange, er beugt dem
Alter kaum ein Knie, Alles Ausdrud feiner furdtbaren Kraft, ohne
daß es irgend einer entferntern Beziehung bebürfte; Thialfi, fer er
Wetterftrahl oder Gewitterfturm, wird nur von Hugi, dem Gedanken,
im Wettlauf überholt, wieder nur Ausdrud der äußerſten Schnelligleit,
ohne daß man nöthig hätte, den in der materiellen Rieſenwelt fremb-
artig fcheinenden Gedanken für den Gedanken des Gemüths, nicht der
Bernunft, zu erklären. Erkennen wir in biefer ganzen Mythenwelt
nicht die frei waltende Kraft der Phantafie, fo entgeht uns ihr Beftes
und Eigenthünilchſtes, und übrig bleibt ung, als Frucht alles auf:
gewenbeten Scharffinns, nichts, als ber Bodenſatz naturgefchichtlicher
Binjenwahrbeiten und zweifelhafter Philoſopheme, die für unfre Zeit
durchaus keinen ſpekulativen Werth haben können.
Ich habe mich bei dieſem Beiſpiel etwas länger verweilt, weil es
beſonders tauglich ſchien, einige früher nur im Allgemeinen geäußerte
Anſichten über die Auslegung der Mythen zu erläutern.
Auf die Seite der Winterrieſen, zum Jotengeſchlecht überhaupt,
werben noch weiter gezählt: die Nacht (Nött); Agir, der Herrſcher bes
Meeres, und feine Gemahlin, Ran; Hräfvelgr, der Adlerrieſe, der am
39
Ende des Himmels (am Norbpol) figt und durch den Schwung feiner
ungeheuren Flügel den Wind verurfadht, ber fiber die Waſſer fährt,
Leichenſchlinger, weil er die Menfchen im Seefturme verderbt; dann der
Wolf Fenrir und die Mingardöfchlange, von denen nachher mehr; auch
Hel, die Todesgöttin in Niflheim, deren unterirbifher Saal Elvidnir
(nimbos sive procellas late accipiens, Lex. myth. 150%) heißt, ihre
Schüfſel Hungr, ihr Meſſer Sulte (Verſchmachten), ihr Knecht Ganglati,
ihre Magd Ganglöt (die Trägen, Säumiggehenden) u. f. w.
Das Jotengeſchlecht überhaupt ift nicht bloß ein winterliches, das
jährlich vom Donnergotte belämpft wird, wie mir e8 bisher betrachtet;
es ift aud ein der ganzen Weltordnung feinbliches, das ſtets den großen
Bau zu brechen droht, dad von den Aſen mit Mühe gebänbigt wird
und deſſen Jahreskämpfe nur das Vorfpiel des einftigen Welt:
kampfes find.
Insbeſondre kommen biebei der Wolf Fenrir und die Midgarb-
Schlange in Betracht. Die Deukung Fenrirs ift noch fehr unficher;
bald nimmt man ihn für das unterirbifche Feuer, bald für den Rachen
der Finſternis. Ihn haben die Ajen mit dem Bande Gleipnir ges
bunden, wobei er dem kühnen Tor, dem Schlachtengott, der ihm zum
Pfande der Sicherheit die Hand in den Schlund geftedt, dieſe abge-
biffen. Beim Weltlampfe fährt er mit aufgefperrtem Rachen bervor,.
fo daß der Unterliefer die Erde, der Oberliefer den Himmel berübtt.
MWöre Raum, würd’ er ihn noch meiter aufjperren. Bon ibm wird
Ddin verfchlungen, der Afe Vidar ſetzt ihm ben Fuß auf den untern
Kiefer, die Hand an den oben und zerreißt ihn fo.
Ibrmungandr, die Midgarbfchlange, welche die ganze Erde um:
gürtet, wird für dad Toben und Branden des Meeres angefehen, das
ſtets über die Ufer hereinzubrechen ftrebt. Dit diefem Ungeheuer hat
Thor Schon auf fernen Zügen in das Riefenland Manches zu Tchaffen 1.
Sn Allem, was wir bisher erörtert, hat ſich uns das Geichlecht
der Joten nur als das mnterielle Böfe dargeftellt. In Loki, der zuleßt
genannt wurde, wird es num auch in das ethifhe Gebiet Übertreten.
Loli ericheint in doppelter Eigenfchaft, als Utgarda-Loli und als
Aſa⸗Loki. In der erften Eigenſchaft, ala König in Utgarb, dein Reiche .
1 [3 kürze hier und vermweife auf bie fpätere Behandlung im Mythus
von Thor ©. 168 fi. 8.)
40
der Winterriefen, haben wir ihn hinreichend kennen gelernt. Als Aſa⸗
Loft, Loki in der Geſellſchaft der Afen, wird er der Vater der Lüge,
der Götter und Menſchen Schande genannt. Es darf uns nicht irren,
daß wir in Thor Übenteuern bei Utgardlofi einen andern Loki in
Thors Begleitung fanden; Beide find doch im Grunde nur ein Weſen,
das perfonificierte Böfe, dort in phyſiſcher, hier in fittlicher Beziehung.
So beftimmt das Jotengeſchlecht auf einer Seite die Schwerkraft
der Materie darftellt, jo wird ihm auf anbrer Seite gleichwohl Weis-
beit zuerlannt, Selbſt Mimir, in deſſen Brunnen Weisheit verborgen
ift, wohnt unter derjenigen Wurzel der Weltefche, die zu ben Eisrieſen
gebt. Die Geheimniſſe, die in ben Tiefen ber Natur verborgen liegen
und beren Kenntnis ben Göttern felbft nöthig ift, wurden ben perſoni⸗
ficierten Raturtvefen als Weisheit zugeichrießen, und ba die Riefen, als
die erfte Schöpfung, älter find, als die Götter, jo mufte ihnen auch
die Kunde von ben älteften urmweltlichen Dingen vorzugsweiſe zulommen.
Die Wole, welche im Eddaliede vom Anfang und Ende der Welt fingt,
ift von den Soten ber Urwelt auferzogen und unterrichtet. Andre Lieder
zeigen und bie Ajen im Wettlampfe mit Riefen und Zwergen über
koſsmogoniſche und andre mythologiſche ragen ; foviel aber die Natur:
wejen willen, fo ziehen fie doch gegen die Götter den Kürzern. Im
Eddaliede Bafthrubnismal, eben einem ſolchen Wettgeipräche zwiſchen
Odin und bem meisheitberühmten Joten Bafthrubnir, weiß diefer langhin
auf jede Frage Beicheid; als er aber zuleßt befragt wird, was Odin
- Seinem Sohne Baldur, ehe biefer auf den Scheiterhaufen gelegt warb,
ins Ohr gefagt, jo muß er fich überwunden geben. Die Spike liegt
biebei wohl nicht bloß darin, daß Niemand das heimlich zugeraunte
Wort vernommen haben konnte, fondern im Inhalte des Wortes felbit.
Diefer war, wie man ſehr wahrjcheinlich annimmt, die Zuficherung des
Auferfiehens in ber wiebergebornen Welt. Bon diefer MWiebergeburt
bat zwar der Riefe jelbit zu jagen gewuſt, aber das Wort ber Be:
lebung, die Zofung der Fortdauer, mufte ihm, als in ber Materie
befangen, ein Geheimnis bleiben. Die Naturweisheit des Joten ver:
ſtummt vor ber geiftigern des Aſen.
Sowie aber den Naturweſen, als perjönlich belebten, Verftand
beigemeflen wird, jo werben fie, nad einer nod näheren Forderung
- der Einbilvungstraft, auch mit Willen begabt. Die feindfeligen
41
Äußerungen der Naturkräfte werden zum abſichtlichen Werke ver Bos-
beit und Tüde, Uigarbloli wirb zum Aſaloki, feine geiftigere Entfaltung
bringt ihn in die Gemeinſchaft der Aſen. Niemals aber verläugnet ſich
jener urjprünglide Zuſammenhang, die alte Jotennatur, und in dem,
was von Loli gemelbet wird, durchlreuzen ſich immer die beiverlei Ge:
ftaltungen des einen, bösartigen Weſens.
Die etymologifche Bedeutung des Namens Loki iſt nicht befriebi«
gend audgemittelt. Wir haben wenig geivonnen, wenn wir hören, daß
2ofi 1) cingens, circundans, occludens, 2) finiens, finem imponens,
eoncludens beveuten könne. Ihn, wie auch dem Wolfe Fenrir ge:
ſchehen ift, für das unterirbifche, vullanifche Feuer zu erllären, weil,
nach der jüngern Edda, feine Irampfhaften Rindungen, als er gebunden
ift, das Erbbeben verurfachen, ift für feine ganze Erfcheinung unzu:
veichend; in Utgard, jeiner phyfifchen Heimath, läßt er nichts von ber
Natur des Erdfeuerd an fi) bliden, bei den Aſen wirkt er mehr mit
dem Geifte und überhaupt tritt er felbft nicht fo, mie feine Finder,
als einzelne zerſtörende Naturgewalt hervor.
Auf ber Seite der Joten nemlich beurkundet er fich insbeſondre
auch durch Abſtammung und Nachkommenſchaft. Sein Vater ift der
Riefe Farbauti, feine Mutter wird Laufey, auch Nal, genannt, Bon
ſeiner Frau, Sighn, bat er zwei Söhne, Narfi und Nari; mit ber
Rieſin Angurbodi (Sorgen:, Unheilverkünderin) hat er bie drei Unge⸗
beuer, den Wolf Fenrir, die Midgarbsfchlange und Hel erzeugt.
Bei den Aſen iſt er von jchönem Ausjehen, er beweilt ſich ihnen
dienftwillig, beſonders wo etwas durch Lift ausgeführt werben fol, wie
er denn, als Dienerin des zur Freya verfleiveten Thor, bie Joten felbit
betzügen hilft. Zum Theil aber leiftet er auch foldhe Dienfte nur ge:
zwungen, wenn man ihn über verrätheriſches Einverftändnid mit dem
Jotengeſchlechte zur Verantwortung ziehen will. Überhaupt ift er auch
im Kreiſe der Aſen ihr binterliftiger Feind und bringt fie, wo er Tann,
in Gefahr, in Schaden und Schmach. Mit den giftigſten Schmähreben
überhäuft er fie bei einem Gaſtmahl in den Hallen Ägirs, des Meer:
herrſchers, wovon ein befondres Eddalied handelt; nur wor Thors
Sammer zieht er ſich dort zurüd. Das gröfte Unheil aber, das er
über die Afen bringt, ift der Tod Baldurs des Guten. Wie er durch
feine Ränke diefen Tod veranlagt, wie er, als Rieſenweib, verhindert,
42
daß Baldur aus Hels Sälen zurüdgeiveint wird, und wie er dafür bie
Ragnarök auf den Felſen gebunden liegt, ift früher erzählt worden.
Die Erllärung des Mythus von Baldurs Tode wird uns nachher be:
fonders beichäftigen. Hier kommt und nur das in Betracht, mie Loft,
der als Fürft der Winterriefen, als Utgarblofi, ven ftarfen Thor zum
Gegner hatte, nun als Loki unter den Aſen, als Lügenvater und Trug-
ftifter, fich den reinften und beften der Götter, Baldurn, zum Wider:
fpiel genommen und wie, nachdem er dur deſſen Tod has geiftig:
fittliche Weltgeſetz gelöft hat, nun auch alle die roben und wilden
Naturkräfte unaufbaltiam bereinbrechen und er felbft, ber vergeblich
gefeflelt war, mit ihnen zum Werke der Zerftörung heramzieht.
Den Joten ftammverwandt find die Schwarzalfe ober Zwerge. Sie _
erhielten ihr Leben zuerſt im Fleifche des Urriefen Ymer, wo fie Würmer
waren. Die Götter verliehen ihnen Berftand und menſchliche Geftalt.
Aus Ymers Fleifh und Knochen find Erde und Berge geihaffen, darum
mohnen aud die Ziverge fortwährend in Felſen und unter der Erbe.
Auch Tie gehören fomit der Nachtſeite an und die jüngere Edda fagt, -
fie ſeien fchwärzer als Pech. Das Licht der Sonne verfcheudht fie, denn,
vom Aufgang berfelben erreicht, werden fie in Steine verwandelt.
Niefen und Zwergen ift das Unbeimliche und Dunkle der unermefjenen
Naturgewalt gemeinfam; aber bie Winterriefen wirken roh und zer:
ftörend, die untertrdiichen Zwerge geheim und kunſtreich. Alle bie
munberbaren Erzeugniffe, die aus dem dunkeln Echooß der Erde, aus
bem Sinnern der Berge berborfommen, find das Werk der Biverge.
Daran zeigen fie den ihnen von den Göttern verliebenen Verſtand.
Häufig werden fie als kunſtreiche Schmiebe dargeftellt und aus ihrer
Eſſe find die beiten Kleinode der Götter hervorgegangen. Doc dienen
fie Göttern und Menfchen meift nur durch Gewalt oder Kift gezivungen
und darum liegt auch in ihrem Wefen etwas Treulofes und fyeind«
liches, das fie auf die Seite der Soten ftellt. Ihr Treiben veranfchau:
licht fih in folgendem Mythus der jüngern Edda, bei Rühs Seite '
248 bis 251. ***
Es würde zu weit führen, wenn mir verjuchen mwollten, alle bie
Kleinode zu erflären, melde bier von den Zwergen verfertigt werben.
Letzteres Tann auch überhaupt ſchon für die Bezeichnung der Funftreichen
Arbeit gelten. Nur den Punkt, von welchem die ganze Erzählung
⸗
43
ausgeht, hebe ich hervor, weil ſich uns hier im Treiben ber Zwerge ein
Seitenftüd zu Thors Riefenlämpfen barbietet. Sift, die Göttin mit
den ſchönen Haaren, des Donnergott® Gemahlin, erklärt fich Leicht,
wenn auch die etymologiſche Bedeutung nicht erhoben ift, als die fommer:
lihe Saatflur, das Erntefeld. Loki, vom Gefchlechte der Winterriefen,
bat der Göttin alle Haare abgefchnitten, has Feld des Echmudes bes .
raubt, Aber der gewaltige Thor, die Sommerfraft des nächften Jahrs,
zwingt ihn, ber beraubten Sif wieder goldene Haare berbeizuichaffen.
Bon den Schwarzalfen muß Loki diefe erlangen, von ben bunleln,
unterirdifchen Mächten, melde die neue Saat leimen laflen und her:
vortreiben. Die Winterriefen hat Thor gebändigt und die Erdgeiſter
müflen Sif8 goldene Haare weben.
Wir kommen zu der zweiten bebeutendern Weſenklaſſe unſres My:
tbenkreifes, den Banen (Vanir). &3 ift ſchon bemerkt worben, daß
von ihrer Entftehung die Schöpfungsgelchichte ſchweigt. Aber ihre
ganze Erſcheinung weiſt ihnen ihre Stelle deutlih genug an. In dem:
- jenigen Theile tes leeren Raumes, Ginnungagap, melcher fühlich gegen
- Mufpelheim, die Lichts und Feuerwelt, lag, mar es von den unten,
welche dortber kamen, warm, bel und milde, wie mwindftille Luft.
Sowie nun auf der entgegengejeßten, nörblichen Seite aus dem ſchwer
auftbauenden Eife das Niefengefchlecht hervorgieng, fo ift anzunehmen,
daß auf der Sübfeite die weiter herüberftrömende Thauung fich mit der
Märme aus Wufpelheim zu einer andern fonnigen Schöpfung band,
zum @efchlechte der Banen, für deren Urfprung uns fonft eine Züde
bleibt und deren Ericheinung überall warm und licht hervortritt. Aber
auch fie find einfeitige Naturfräfte, nur daß leicht begreiflich die Riefen,
ala Geburten der Kälte und Finſternis, für feindliche, die Banen, als
Kinder des Lichts und der Wärme, für freundliche Weſen angefehen
wurden. Die bindende und erhaltende Kraft der Aſen, die und in der
Mitte ſteht, hat denn auch mit jenen weit mehr zu kämpfen, ala mit
diefen. Doc ift allerdings die Spur eines frühen Kampfes, den die
Ajen auch mit den Banen zu beftehen hatten, vorhanden, denn e3 wird
gemelvet?, melche Geifel fie einander gegenfeitig gegeben haben. Die
1 (Bgl. Mythus von Thor S. 5. 8)
2 Vol, jüngere Edda S. 239.
AA
zeritörenden Feuergewalten brechen erft am Ende ber Tage mit Surtur
aus Mufpelheim hervor. Auch von den Vanen wird gejagt, daß fie-
weiſe feien, Vieles wiſſen, ohne daß fie darum zu den geiftigern Weſen
zu rechnen find; wir haben unter der Weisheit, die ven Joten beige-
mefjen wird, die Kunde der Natur und der urmweltlichen Dinge ver:
ftanden; auf äbnlihe Art wird auch die Weisheit der Vanen nur für
das umfaffende Schauen, das ihnen als Lichtivefen zufommt, zu
nehmen jein.
Meine Auffaffung der Vanen weicht von den auch unter ſich bes
deutend verſchiedenen Anfichten der neueren Erflärer ab. Finn Mag:
nufen hält fie für Mächte des Luftfreifes, der Erdatmoſphäre, Mone
erflärt fie für „den reinen Geift“ (1, 371 unten). Die nähere Ber
trachtung aber wird ung zeigen, daß fie einerfeits viel zu phyſiſch und
äußerlich Wohlfahrt und Gedeihen gebend erfcheinen, um für reingeiftige
Weſen gelten zu können, und baß fie anderſeits fich zu fehr ing Ge-
fühlöleben fteigern, um nur als atmofphärifche Mächte bezeichnet werben
zu bürfen. Geier (S. 298) feßt die Banen, als Waflergötter, den
Alen, als Yeuergöttern, entgegen; aber diefer Annahme widerſpricht bie
lichte, jonnige Erfcheinung der Banen.
Zum Gejchlechte der Banen, wenn glei in die Gemeinfchaft der
Aſen aufgenommen (mie von der andern Seite der Jote Loki), gebören
vorzüglih: Njörd, defien Kinder Freyr und Freya, dann Heimball.
Niörb (Njördur) herrſcht in Noatun, der Waffergegend. Er regiert
den Lauf des Windes und ftillt Meer und euer. Ihn ruft man auf
Seefahrten und beim Fiſchfang an. Er verleiht Reichthum. Seine Frau
heißt Stabi, die Tochter des Rieſen Thiaſſi. Sie wollte wohnen, wo
ihr Vater wohnte, auf den Gebirgen in Thrymheim. Nidrd hingegen
wollte ſich an der See aufhalten. Sie wurden baber einig, neun
Nächte auf den Gebirgen und dann drei in Noatun zuzubringen. Aber
da Niörb von Thrymheim nad Noatun zurüdlam, fang er:
Mid bin ich der Berge,
Nicht lange war ich dort,
Nur neun Nächte,
Der Wölfe Heulen
Schien mir widrig
Gegen der Schwäne Lieb.
Da fang Slkadi:
Nicht konnt’ ich fchlafen
Am Strande ber See
Bor der Vögel Geſchrei;
Mir ſcheuchte den Schlummer,
Vom Meere Tehrend,
. Allmorgen die Möve.
Da zog Stabi zurüd nad den Bergen und wohnt in Thrymheim.
Sie läuft oft auf Schrittfchuhen mit ihrem Veoen nach Thieren (jüngere
Edda 185 f.).
Zum Jotengeſchlechte gezählt fanden wir den Meerherrſcher ÄAgir
und den Rieſenadler Hräſvelgr, den Leichenſchlinger, der über die Waſſer
fährt. Dieſe ftellen die furchtbare und gewaltſame Natur des Meeres
dar. Njörd dagegen ſtillt das Ungeſtüm ber Winde und Wogen, er
ſchützt bie friedlichen unb fruchtbaren Beichäftigungen bes Seelebens,
die Schifffahrt und den Fifchfang, darum ift er auch ein Geber des
Reichthums. ALU dieß fegenveiche Wirken übt er al3 ein Herricher ber
milderen Natur und Jahreszeit. Sehr bezeichnend ift hiefür der Gegenſatz
im Wechjelgefang mit feiner Gattin Stabi. Sie, die vom Riefengefchlecht
entiprofien ift, liebt das wilde Gebirg, wo die Wölfe heulen, mo fie
auf Schrittichuhen über den Schnee hin jagt; ihm, dem freundlichen
Banen, ift das Uferland, die bewohnte Gegend, angenehm. Die neun
Nächte, welche die Ehegatten von fo verichiedener Neigung in Thrum-
beim zubringen, bat man wohl mit Recht auf die neun winterlichern
Monate des Nordens, die drei Nächte, die fie in Noatun wohnen, auf
die drei jommerlichen, dem Seeverlehr günftigen, gebeutet.
Bon Nijörb ift gefagt, daß er in Banaheim auferzogen und ben
Aſen von den Banen verföhnungsmwetrie zu Geifel gegeben worden fei,
am Ende ber Zeit aber werd' er zu ben Banen zurüdlehren; und bieß
ſcheint ihn eben auch als bloße Naturkraft, den geiſtigen Aſen gegen⸗
über, zu bezeichnen.
Freyr, Njörds Sohn, läßt noch heller und wärmer die ſchöne
Jahreszeit aufgehn. Er fährt in der Luft und über Meer mit dem
Eber, deſſen goldene Borſten jedes Dunkel erhellen. Er wird der beſte
der Götter, der von Niemand Gehaßte, genannt. Er herrſcht über
Regen und Sonnenſchein und über die Früchte der Erde, ihn ruft man
-
46
um gute Jahre und Frieden an, auch er waltet über den Reichthum
der Menſchen. Aber während Njörd durch Schifffahrt und Fiſcherei
Reichthum gibt, ſo ſegnet und bereichert Freyr durch die Fruchtbarkeit
der Erde. Ihn zeigt uns in ſeinem eigenthümlichſten Weſen folgendes
Lied der ältern Edda „Skirners Fahrt“ (Gräter ©. 234 ff.).***
Gerdur!, die ſchöne Tochter des Winterrieſen, von deren weißen
Armen Erd’ und Luft erglängen, ift die befchneite, eiöbebedte Erbe;
die dunkle, fladernde Flamme um fie ber, da3 Nordlicht; die tobenven
Hunde, die Winterftürme. Zu ihr kommt Freyrs Bote Skirnir (der
Heiniger, Klärer), die helle Yrüblingsluft, mit Freyrs fcharfem, ſchim⸗
merndem Schwerte, dem Frühlingsſtrahl. Der Bann, den Slkirnir über
fie ausfpricht, daß fie, wenn fie nicht der Werbung folge, ewig einfam,
finfter und unfruchtbar bei den Eisriefen wohnen müſſe, ift für fich
klar. Sie bietet endlich den Eiskelch voll des alten Meths, das Eis
beginnt zu thauen; jie verfpricht den Früblingsgott im lauen, Inofpen-
den Haine zu umarmen und er harrt ſehnſuchtsvoll dem verbeißenen
Tag entgegen. Der Nächte, die er harren muß, find wieder neun, auf
die Wintermonate bezüglich.
Wir haben früher gejeben, wie Aſathor, der ſtarke Donnergott,
die Riefen zermalmt; bier jehen wir den Vanen Freyr feine milbere
Gewalt anwenden. Die jüngere Edda fagt, im letzten Streite werde
Freyr mit Surtur kämpfen und die Urſache feines Todes werde dann
der Mangel des Schwertes fein, das er Skirnirn gegeben. Freyr, ber
milde Frühlingsgott, geht freilich waffenlos auf. in ber Flamme bes
Weltbranves.
Die ſommerliche Befruchtung der Erde ift und in Freyr als eine
Brautwerbung, als der Sieg der Sehnſucht und Liebe, dargeftellt.
Waltet aber er über das Werben und Wachſen, fo kommt uns in feiner
Schweſter Yreya der Reiz bes Frühlings zur Erfcheinung. Darum zeigt
fh aud in ihr beitimmter noch, als bei Freyr, und von ber unorgas
niihen Natur auf die organifche und in das fühlende Gemüth über:
getragen, die Berbindung von Frühling, Sehnſucht und Liebe. Wenn
ih mich für diefe Weſen aus dem Vanengeſchlecht vorzugsweiſe bes
1 Gymir, Gerdurs Vater, wirb gleichbedentend mit dem Meeresgotte Ägir
genoinmen; vgl. Lex. myth. 1375. Her. ©. Str. 40. 42,
47
Wortes Frühling beviene, während bie germanifchen Völler für bie
ſchöne gebeihliche Jahreszeit überhaupt den Gefammtnamen Eommer
gebrauchten (vgl. Grimm, Rechtsalt. 823. Lex. myth. 743), fo will
ih damit nur das bezeichnen, dab uns Freyr und Freya biefe Sommer:
zeit fo recht in ihrer belebenbften Anregung, in ihrem frijcheften Glanze
vor Augen ftellen. Die Verbindung bes Frühlings und der ſehnſüch⸗
tigen Liebe, phyſiſch begründet und zum Seelenzuftande gehoben, zieht
fih durch die ganze ältere Poeſie und bat ihren reichſten Ausbrud im
Minnefange des Mittelalterd erlangt. Aber auch in der Sagendichtung
werden wir diefen Zug verfolgen Tönnen, ja es mwirb fi uns ber
Minnefang jelbft nur als eine Iyrifch entfaltete Frühlings: und Liebeö«
ſage ergeben. Freya nun, Frühlings: und Liebesgöttin zugleich, zeigt
und noch ganz biejen- urfprünglichen Zufammenhang; nad Urfprung
und Verwandtſchaft, ald Vanin, gehört fie entſchieden ber Raturfeite
an; dad Phyſiſche, Geſchlechtliche, waltet in ihrer Erſcheinung fichtbar
vor, aber zugleich jcheinen die Farben der leuchtenden Schönheit, ber
blühenden Sehnfucht hindurch und es dürfte dieſes leicht noch in höhe
rem Grabe der Fall jein, wenn uns, bei der Unvollitändigfeit ber.
mötbifchen Überlieferungen, nicht gerade bon ihr einige der fchönften
und bebeutungsvolliten Züge nur angebeutet wären.
Freya, die fchöne Tochter Njörds, aus Banaheim, aber im Kreiſe
der Afinnen eine der angefebenften, fährt bald, gleich ihrem Bruder
Freyr, mit einem glänzenden, golbborftigen Eber, Hildiſpini, den bie
Zwerge verfertigt, bald mit einem Geipann von Katzen, beren Bes
deutung ungweifelhafter ift, als die des Eberd, Wie der Rieſe Thrym
fie als Löfegeld für Thors Hammer verlangt, wie fie ſich darüber ent
rüftet, daß ihr der große Briſingſchmuck entzweibricht, wie dann Thor,
ftatt ihrer verkleidet, nach Jötunheim fährt, iſt früher erzählt und babei
Freya als Frühlingsgöttin, welche die Eigriefen fletö den Bewohnern
ber Mittelmelt zu entreißen juchen, erklärt worden. So hat audh-ber
Riefe Hrungnir, als er einft nah Asgard Fam, alle Götter zu tübten
gebroht, ausgenommen Freya und Sif, die er mit fich nehmen werde,
und Freya war bie Einzige, die ihm einfchenfen durfte (jüngere Edda
243). Nach einer mweitern Sage von ähnlicher Bebeutung bat fich ein
Sote zum Lohn eines Bauwerks, dad er den Aſen leiften fol, Freya
und obendrein die Sonne und den Mond ausbebungen; durch Lokis
48
Lift, den die Afen als Anftifter des Unheil hart bedrohen, und zulegt
dur Thors Hammerichlag wird die Göttin vor dieſer VBergabung zu
ben Winterriefen gerettet. Auch ihr berühmtes Halsgefchmeide, Bri-
fingr, Brifingamen (fammeum s..igneum monile, Iæx. myth. 37)
ift offenbar der glänzende Echmud des Yrüblings, defien voller Reiz
in ihr zur Anfchauung kommt. Von der Eriwerbung biefes Geſchmeides,
das ihr auch einft Loki, der Jotenſohn, entivendet, aber Heimball, ber
Bane, zurüdholt, iſt ein befondrer Mythus, obgleich anthropomorphiftifch
entftellt, in der fonft hiftoriichen Saga von Dlaf Tryggbhaſon aufbehalten.
Freya fiebt eimft vier Zwerge in ihrer unterirdiſchen Wohnung einen
wunderſchönen goldenen Halsſchmuck ſchmieden. Bol Verlangend bar:
nad, bietet fie den Zwergen Gold, Silber und andre Koftbarleiten
dafür, aber fie bebürfen all deſſen nicht und mollen das Kleinod um-
feinen andern Preis ablaflen, als um die äußerfte Gunft der Göttin.
Sie willigt ein und jeder ber vier Zwerge bringt ihr den ihm gehörigen
oder von ihm verfertigten vierten Theil des Schmuckes. Wir finden in
diefer Erzählung auffallende Ähnlichkeit mit derjenigen, mie Siſs goldene
Haare von den Schiwarzalfen bereitet werben. Bebeuten biefe die gol-
bene Ernte, fo ergibt fi Freyas Gefchmeide, gleichfalls von den Mächten
ber Tiefe gefertigt, als der Frühlingsſchmuck der blühenden Erbe. Die
vier Stüde bed Brifingamen fcheinen ebenfo viele Abfchnitte der Früh⸗
Iings- und Sommerzeit, etiva Monate, zu bezeichnen. Da die fchöne
Zeit des Zahres vergänglich ift, fo muß auch ber Banengöttin (Vana-
dis, Vanagod, Lex. myth. 799) eine Zeit ver Trauer und der Sehn:
Sucht kommen; nicht bloß, daß fie ihres Geſchmeides beraubt wird, auch
ihr Gemahl, Odr, zieht weite Wege bon ihr, fie aber weint ihm nad
und ihre Thränen find rothes Gold. Ihn zu fuchen, reift fie unter
fremden Böllern. Gerade von diefem fchönen Mythus ift uns nur die
kurze Meldung übrig. Über Odr können mir, im Geifte dieſer Dich
tungen, nur foviel errathen, daß er eine Sommerfraft fei, von ber
Freyas eigener Beitand abhängt; ob die Sehnjuchtäthränen, womit fe
ihn wieder ber zu weinen fucht, der goldene Früblingsregen feien, Tann
nur gemuthmaßt werden. Bon diefem Goldiveinen heißt fie die thränen⸗
thöne Göttin (grätfagra god, Sn. Edd. 119. Dea lacrymando
pulchra, Lex. myth. 79°). Gie hat‘ zwei Töchter, Hnofs und Ger
ſimi, und wie an ihr felbit Alles fchön und leuchtend ift, felbft die
49
Thränen, fo. jollen aud die Namen dieſer Töchter zur Bezeichnung
glänzender Kleinode gebraudt werben (Lex. myth. 78).
Diele Göttin des Frühlingsreizes und der Frühlingsſehnſucht ijt
nun auch diejenige, die von Verliebten angerufen wird und ber Liebes⸗
geſãnge (mpnssungr,, Sn. Edd. 29) wohlgefällig find.
No wirb in einem der Eddalieder von ihr gefagt, daß ihr Saal
Folkvangr Beiße und fie jeben Tag die eine Hälfte ber Tobten (halfen
val) erlieje, Odin die anbre. Die jüngere Edda erweitert biefes fo,
daß, wo fie zur Schlacht veite, fie mit Din ſich in bie Gefallenen
bälftig theile. Es widerſtreitet aber dem ganzen Weſen Freyas, ſie
für eine Schlachtgöttin anzunehmen, und wir werden über die Stelle
Des Eddaliedes, melde zu vielfachen Auslegungen Anlaß gegeben bat,
wohl erft aus den ſpätern Bollsfagen- einigen Aufichluß erlangen.
Zu den Vanemn findet man noch Heimdalln gezählt (Finn WM.
Edd. II, 110), den Wächter der Himmelsbrücke. Die lichte Erfcheinung
diefer Götterbrücke mag es auch fein, was ihn dem Banengeichledht
eignet, und feine Geburt von neun Müttern könnte fih auf die manig:
fachen Farben und Tarbenübergänge des Regenbogens beziehen. Im
Übrigen ift das vieldeutige Wefen dieſes Gottes noch wenig aufgehellt
und wir haben um fo mehr ben Verluſt eines ihm befonvers gewid⸗
meten Liedes, wovon nur wenige Beilen noch übrig find, zu bebauern
(Lex. myth. 146°).
Den Banen untergeorbnet find die Lichtalfe (Liösslfar). Denn
von Freyr befagt ein Eddalied (F. Magn. Edd. I, 169), daß ihm bie
Götter am Morgen ber Tage Alfbeim zum Zahngeld (at tannfd) ges
geben haben. Diefe Wohnung der Alfe kann aber in Verbindung mit
Freyr nur die der Lichtalfe fein. Sonft heißt es von letztern, daß fie
liter als die Sonne ſeien und in ben höchſten, füblichen Himmeln
wohnen (Lex. myth. 4). Diefe Lichtweſen im meiten, blauen Ather
(Vidbläinn) find aber zu burchfichtig und fchwebend, ale daß fie be⸗
träcdhtlih in die mythiſche Handlung eingreifen könnten. Wie die
Schwarzalfe mit den Joten ber bunleln Erbe, fo gebören die Lichtalfe
mit den Banen dem Licht und der Luft an. Die Banen find in Ge
ftalt, Charakter und Handlung getreten, während bie Lichtalfe ohne
beftimmtere Perſönlichkeit elementarifch umherſchweben.
Das dritte der mythiſchen Hauptgefchlechter find yi Aſen (Äs,
Uhland, Schriften. VI.
so
Meir). Ihr Stammvater war Bur. Burs Eohn Bör erzeugte mit
einer Riefentochter die drei Söhne: Dbin, Bili und Be, melde den
Urrieſen erſchlugen, deſſen Blut zum Meere ward; aus feinem Körper,
den fie mitten in Ginungagap gebracht, bildeten fie die Erde und das
Himmelögewölb, in biefes fegten fie als Geftime die Funken und
Strahlen aus Mufpelbeim, oroneten die Zeit, ſchufen Biverge aus ben
Würmern in Ymers Fleifhy und Menfchen aus den Baumbölzern,
walteten dann über ein goldenes Alter, belämpften, als biefes unter:
gegangen, die feindlichen Naturkräfte, welde, nur zeitlich gebänbigt,
einft zum Berberben der Afen losbrechen werden. Der Wohnſiztz dieſer
ift die Burg Asgard, in der Mitte der Welt, über das Irdiſche erhöht.‘
So erfcheinen die Afen überall bildend, verbinden, ordnend, er
haltend inmitten der Echöpfung. Sie verbinden in. ihrem Weltbau ben
Eisſtoff aus Niflheim mit den Feuerfunfen aus Mufpelfeim. Eie
nüpfen felbit Verwandtſchaft mit Joten und Banen und nehmen Ab:
kömmlinge dieſer Gelchlechter in ihre Gemeinſchaft auf; fie haben unab⸗
läſſig zu kämpfen mit dem barten Sotenftamm und verftehen fich leicht
. mit dem weichen Vanengeſchlechte. Vom Streite mit dieſen erfahren
wir faft nur durch die Friedensſchlüfſe.
| Der geichloffene Kreis der Aſen ift in der Zwölfzahl gebacht, ebenfo
die Afinnen. Aber bei dem Reichthum ber mythiſchen Geftaltenbilbung
tritt Überzähligkeit ein, fo daß man aud bie Zwölfzahl verſchieden
befegt findet. Es werben auch zwölf Säle, jeber die beſondre Woh⸗
nung einer Gottheit, aufgezählt, und man bat in biefen Eälen die
zwölf Zeichen des Thierkreifes, zwölf Sonnenhäufer, zu finden geglaubt,
|
und darnach auch die Inhaber derfelben in ebenjo viele Monatsgötter -
abgetheilt. So forgfältig und Funftreih man aber alles dieſes abge-
meflen bat, fo ift es boch nicht zu einer überzeugenden Anſchaulichkeit
erhoben und wir müſſen vorderhand die Göttergeftalten noch frei ihre
Bahnen wandeln lafien.
Der Gbtter beiligfte Stätte ift bei der Eiche Yggdraſill. Dorthin
reiten fie jeven Tag über die Himmelsbrüde zu Rathsverſammlung und
Gericht. Die Zweige dieſer Eiche verbreiten fich über die ganze Erde
und zeichen über den Himmel, ihre Wurzeln erftreden ſich nach ver-
ſchiedenen Weltreihen. An ben Zweigen wird fie von Hirfchen benagt,
an ber tiefften Wurzel von Schlangen, an ber Seite fault fie. Aber
51
durch die Nomen mit dem Wafler aus Urds Brunnen täglich beiprengt,
grünt fie fort und fort. Beim Einbruche des Weltendes erbröhnt und
erbebt fie und Flammen fchlagen um fie ber. Es foll nicht verſucht
werben, bie manigfaltigen Bilder, bie fich um biefe heilige Eiche her⸗
drängen, im Einzelnen zu beuten. Aber in den größeren Zügen, in
ihrer Ausbreitung über das AU, in ihrer Stellung zwiſchen zehrende
- und nährende Gewalten, in der Pflege der Beitgöttinnen, tft fie em
wohl verftänbliches Bild des Weltbeftanbes, des Alllebens in ber Beit.
Sie wird auch die Alternährende (vid aldurnara, Sem. 9 [Bölufp. 587)
- genannt.
Nicht umfonft rathen und richten nun die Aſen täglich unter biefem
Weltbaume, ift ihnen dieſes bie erfte und beiligfte Stätte; denn in
biefem Gericht, in dem mwaltenden Geſetze, rubt das Beitehen ber Welt.
Was aber die Alen jo in die Mitte des Weltlebens ftellt, was
fie zu der Macht erhebt, welche die widerſtreitenden Kräfte bindet und
beherrſcht, das ift der Gef. Wir haben Soten und Vanen ihrem :
urjprüngliden Weſen nad als entgegengefehte Naturfräfte bargeftellt.
Soweit ſich aber an ihnen eine Erhebung ins geiftige Leben fund gab,
fanden wir fie in den Kreis der Aſen aufgenommen. Nunmehr aber
ift von den Afagöttern zu bandeln, fofern fie von Soten und Vanen
verſchieden find, und hier werden fie fih uns ala weſentlich geiftige
Mächte offenbaren, wenn gleich, fowie die Naturkräfte fich ihnen an-
näberten, jo auch fie an jene anfnüpfen und eben in diefe Annähe⸗
rungen und Übergänge vie Möglichkeit der Bindung und Vermittlung
der phyſiſchen Kräfte durch die geiftigen gelegt zu jeim fcheint.
Mir betrachten zu dem bemerkten Zwecke, wie bei ben beiben
andern Hauptftämmen, nun auch im Gefchlechte der reinen Aſen die
bevdeutendften Geftalten und Charaktere, einzeln oder nach ben Gruppen,
in welche fie der Mythus zufammenftellt. Ä
Zuerft von Bragi, Idun und Saga. Der Aſe Bragi ift der erfte
der Stalden. Nach ihm heißt die Skaldenkunſt Bragr und die fih am
beften auf geivanbte Rebe verftehen, Bragurleute (bragr karla eda
qvenne 1, Sem. Edda 29). Bei den Mahlen ber Götter macht er den
Sprecher und ein Theil der jüngerm Edda: Bragis Reden (Brage
1 {Die richtigere Dentung diefer Worte wäre: die Krone der Männer oder
Frauen. Bgl. Sigurdargv. 3, 15. Snorr. Ed. I, 98. 8.) -
. 52
roedur) bezeichnet ſich als auf die Erzählungen Bragid bei einem folchen
©elage gegründet. Ex. gibt dort dem Meergott Ägir, ver bei den Afen
zu Gaft ift, über die alten Göttergeſchichten Aufichluß. Es wird felbft
einmal bemerkt, daß er beim Schmaufe vom Getränk erhitzt geweſen.
Bragis Gemahlin ift Idun, die in einem Gefäße die Apfel bewahrt,
von denen fie geniehen, wenn fie zu altern anfangen; dann werben fie
wieder verjüngt und dieſes dauert bis zur Götterbämmerung. Daß die
Genoſſin des Dichtergottes die Äpfel der Verfüngung trägt, ift ein
Mythus, deſſen getitige Deutung fih am nädhften legt: bie Macht ber
Poefie, dem hinſchwindenden Leben in ihren Gefängen ewige Jugend
zu erhalten. Allein eben dieſe Bebeutung, welche fih am erften auf-
drängt, iſt nicht die urfprünglide; wir müſſen Idun zunächſt ben
Naturmptben anreiben und erft dadurch, daß ihr ein Aje die Hand
bietet, .ift fie vergeiftigt geworden. Idun flammt auch aus dem Alfen:
gefchlechte, fie wird fogar zu den Kindern Ivalds, eines Biverges, ge:
rechnet, und von ihr erzählt die jüngere Edda ©. 236 ff. Folgendes: ***
Diefen Mythus erllärt Finn Magnufen, Lex. ar 00 fi:
folgendermaßen:
Idun galt urſprünglich fiir die gelindere Zeit des Jahres, oder die heitere
und warme Luft, welche Blumen und Früchte hervortreibt und durch welche
die ganze Natur mit den göttlichen Geiftern, ihren Negierern, jährlich wieder
jung zu werben ſcheint. Dieß geſchieht, wenn ihre Äpfel, worunter Sterne
gemeint zu fein foheinen, verzehrt, d. 5. zur Frühlings⸗ und Sommerzeit ver-
ſchwunden find; in der Sprache ber Dichter hieß dieſes, daß die Götter felbft
von ihnen genoffen hätten. Daher ihre blühende Jugend im Frühling, ihre
männliche Stärke im Sommer und Herbfl. Beim Herannahen des Winters
aber erfcheinen die Sterne der Nacht wieder im nörblichen Slima. Thiaſſi, der
riefenhafte Dämon des Winters, ergreift Lolin, den Genius des elementari-
ihen und irdiſchen Feuers, und zwingt ihn, Idun dutch das Vorweiſen irbi-
fcher Früchte aus Asgard d. 5. in die winterliche Rieſenwelt zu verloden,
umd fo wird fie von Thiaffi mitfammt den himmlischen Apfeln geraubt, von
denen fi) jet Die untern oder winterliden Mächte nähren und ſtärken, während
die Götter, welche die beffern Naturkräfte regieren, zu altern und zu ergrauen
beginnen. Diefer ihr Zuftand dauert und verfchlimmert fi den Winter fiber,
bis jener Winterriefe, auf dem beeiften Ocean feflgebalten, Idun gehörig zu
bewachen vergißt. Dann macht fih Loki mit Hülfe Freyas, ber Göttin ber
Fruchtbarkeit und Wärme, und in ihrem Yallengewand auf und entführt Idun
53
wieder, die in eine Schwalbe, das Symbol des Frühlings, verwandelt if. Der
Zod Thiaffis, der Idun oder die Frühlingsluft verfolgte, bezieht fi auf den
Untergang des Winters in ten Flammen ter Eonne.”
Auch Mone läßt bier durchaus bie phufifche Deutung vormwalten,
1, 394 bis 96.***
Trautvetter (Sterndeutige Auffchlüffe über die Eoda und die deutſche
Heldenſage, Iſis 1820. IX. S. 605) bemerkt:
Die goldenen Äpfel [der Idun] find die lichten Tage, bie im Geröf ab»
gebiffen werden. ”
Es zeigt fich bier abermals, wie bedenklich die Erklärung bis in
die einzelnften Umftände der mythiſchen Erzählung fe. So meit aber
find wir mit der Bilberfprache der norbifchen Mythologie bereit bes
fannt geworben, daß wir im Ganzen, mit Finn Magnufen und Dione,
in ber Entführung Iduns und ihrer Apfel zu den Niefen leicht wieder
eine der Raturmytben von bem beftändigen Kampfe der Sommer: und
Mintermächte erfennen. Daß der Jote Loki es ift, ber Idun dem
Riefen Thiaffi zuführt, daß fie in Geftalt einer Schwalbe zurüdehrt,
daß ber nacheilende Sturmriefe. feine Adlerſchwingen verjengt, al dieſes
find Bilder, welche in den Kreis jener Naturmythen einfchlagen. Idun
erhält jomit allerdings eine phufiiche Bebeutung, fie reiht ſich den Na:
turmächten des Frühlings und Sommers an, fle ift die verjüngende
Kraft des wiederkehrenden Lenzes. Somit würden dur) den Genuß:
ihrer Gaben zunächſt diejenigen Götter verjüngt, die mir auch als
Naturlräfte nachgewielen haben, die vom Banengefchledht. Aber fchon
darin, daß gejagt wird, fo geh’ es mit der Berjüngung der Götter fort
bis zum Weltuntergang, erweiſt fich eine größere, mwelterhaltende Kraft,
und ift auch hierin Idun noch phyfiſch zu nehmen, fo reiht fie nun
einem Aſen die Hand und zwar dem Gotte der Dichtkunſt. Damit
berechtigt fie allerbings, was erft Naturſymbol, Bild ber ſich immerfort
im Frühling erneuenden Welt war, nun aud als. geiftiges Sinnbild
anfzufaflen, ala Sinnbild des nie alternden Geiſteslebens der göttlichen
Alen, verwandt jener geiftigen Jugend, bie ewig im Gefange blüht.
Saga wirb zu ben Afinnen gezählt und wäre nad Finn Magnufens
Bermuthung (Lex. myth. 200***, 4069) mit Idun identifch oder doch
nahe befreunbet. Die Gründe für die Identität find nicht ſehr ein⸗
leuchtend, aber allerdings kann dieſe Göttin mit Bragi und Idun
!
54
füglich zuſammengeſtellt werden. Saga hieß im Norden jede Geſchichts⸗
erzählung, hiſtoriſche oder ſagenhafte, ein Unterſchied, der urſprünglich
gar nicht beſtand. Die als Aſin perſonificierte Saga wohnt im Saale
Söckvabeckr (Sinke- oder Senkebach), über den die kühlen Wellen ber:
raufchen; bort trinten Odin und Saga: jeden Tag fröhlich zuſammen
aus goldenen Schaalen. 1
Odin heißi Allvater 2, weil er der Götter und Menſchen Vater iſt.
Auch der Altervater, der Vater der Zeiten (aldafavpr), wird er ge
nannt. Er ift der oberite ber Aien, er waltet über alle Dinge und
die andern Götter dienen ihm, nachdem Jeder Macht hat (Sn. Edu. 23).
Einer feiner Namen tft Fjölnir, der Vielfache, Manigfaltige (multi-
formis, Lex. myth. 72); und in Wahrheit ift auch feine Erfcheinung
und Wirkſamkeit fo manigfaltig, daß man von ihm in den alten Lie⸗
bern gegen 200 Namen aufzählen fann. (Ebendaſ. 269**: Odini nostri
apud veteres po&tas occurrentia nomina ducenta fere enumerare
possemus.)
Soll viefes vielgeitaltige und allumfaflende Weſen in feiner Ein-
heit ergriffen werben, fo fcheint das Näthlichite, von dem Punkt aus:
zugeben, auf den uns ber bisherige Weg ber Betrachtung geführt hat.
Wir ſtehen im Kreife der Aſen, unter denen Odin ber erfte iſt. Bon
ihm und feiner Gemahlin Yrigg ftammt das Geſchlecht der Afen, er
führt in ihrer Verfammlung den Vorſitz und zieht an ihrer Spite zum
Gtreite, fie dienen ihm, wie Kinder dem Vater (In. Edd. 23).
Hat fi und nun bisher die geiftige Ratur der Aſen bargethan,
fo ift zu erwarten, daß in biefem ihrem Oberhaupte bie geiftige Aſen⸗
kraft fih im vollſten Maße äußern merbe.
Odin figt auf feinem Hochſitze Hlidſtjalf, von wo er alle Heime
(Weltreviere) überfhaut und die Töne aus der unterften Tiefe bört
(Bdd. rhythm. 895). Auf feinen Achfeln figen die beiden Raben Hugin
und Munin, die ihm alles Neue ins Ohr fagen, was fie jehen und
1 [Hier fehlen im Manufcript einige Blätter. Die letzten Worte babe ich
aus meinem nachgefchriebenen Hefte ergänzt. Kerner wurden abgehandelt:
Balds, Hödr, Nanna, Yorfeti; Thör mit Mövi und Magni, feinen Söhnen;
Tor, Bivar. 8] .
2 Edd. rbythm. 466. 48. 154. Sn. Edd. il.
55
bören; denn jeden Tag fenvet er fie aus, die ganze Welt zu umfliegen,
und dadurch erhält er Kunde von vielen Dingen. Die Namen biefer
Naben, Gedanke und Gedächtnis, zeigen ſchon, daß er mit dem Geifte
die Welt umkreiſt. Wenn die Midgardsſchlange ſich, als materielles
Spotentvefen, um die Erde fchließt, fo umſchwebt Odin [geiftigt mit ges
flügelten Gedanken die Welt. Als Wanderer zieht er aus, um bie
Weisheit des Rieſen Bafthrubnir zu erforfchen, reitet in die Schatten:
welt, um Hel wegen Baldurs zu befragen. Um einen Trunk aus dem
Weisheitbrunnen hat er fein Auge zum Pfand gegeben. Mimirs
Brunne wird hier für das Meer, Ddins barem gefenltes Auge für -
den nächtlichen Untergang der mwinterliden Sonne, und Odin felbft für
einen Sonnengott angejeben. Auch fein leuchtendes Auge ift Die Sonne.
Dafür fpricht fein Name Baleygr, das Flammenauge. Er iſt einäugig,
weil Die Sonne bie eine ift; aber er ift nicht felbft die Sonne, fonbern
nur fein Auge, ald Symbol feines lichten göttlichen Geiſtes. Das
andre bat er in die Tiefe hinabgefentt, in ven Duell der Naturweis⸗
beit; im Gegenſat zur geiſtigen der Afen ift fie Erbtheil des Rieſen⸗
geſchlechts, zu dem auch Mimir gehört.
Auch in menfchlichem Weſen wandelt Odin umher, um alle Geime
zu Iennen. Beſonders kommt ihm die Runenkunde zu. (fiber die Runo⸗
Ingie dgl. W. Grimm, über deutfche Runen. Göttingen 1821. - ©.
Brumjulfsfon, Periculum runologicum. Kopenhagen 1825. Geijers
ſchwediſche Geſchichte Th. I, 6.4. Studach, Sämunds Edda 1, 38 ff.)
Die von Studach bier erwähnte Sammlung von Schwurlievern und
Bannfprüden ift ohne Zweifel diefelbe, die fich jeht in den Händen von
Etubad befindet und worüber Studach fih in einem Briefe an einen
Mürttemberger äufert, daß er durch diefe Magie die wahre Bedeutung
der Runen gefunden babe, wodurch alles Bisherige über den Haufen
"falle, was über die Runen gefchrieben worden, folglich auch über bie
Eddalieder. Wenn er diefen Probierftein an die Edda lege, werde ihm
auf einmal Alles Kar. Studach mag fich in der erſten Freude über
feine Erfindung etwas geteuſcht haben. Ohne Nüdficht darauf muß
die Erlläjrung mit den vorhandenen Mitteln verfucht werben und gewiſs
wird die Anſchauung ber mythiſchen Bilder felbft die Grundlage ber
1 [Die in Klammern gefeite Stelle ift ans meinen nachgeſchriebenen Heften
ergänzt. K.]
56
Erklärung bleiben müſſen, wenn auch das Runenweſen ein größeres
„Gewicht für die Mythendeutung erlangen wird, als ihm bisher zu ge⸗
bühren ſchien.
Im Kreiſe der Aſen ſelbſt finden wir Odin in naher Berührung
mit ſolchen Weſen, die wir bereits als bie unberkennbarſten Perſoni⸗
fikationen geiſtiger Thätigkeiten kennen gelernt haben, Saga und Bragi.
Auf fein Verhältnis gu Idun bezieht ſich das räthſelhafte Eddalied:
Odins Rabenzauberlied, Hrafnagaldur Odins.) Mit Saga trinkt er
jeden Tag fröhlich aus goldnen Schaalen, und damit iſt wohl nichts
Andres beſagt, als daß er es ſei, von dem Saga geiſtig erweckt und
belebt wird. Auch der Slaldengott Bragi verdankt ihm ben “Trank der
Begeifterung. Bon der Erlangung biefes Tranks gibt die jüngere Edda
eine ſehr abenteuerliche Erzählung, auf deren Inhalt ſich aber auch ein
Stüd des Eddaliedes Havamal bezieht, j. Edda ©. 289. bis 242. ***
Es läßt fich denlen, wie ſehr ein fo räthſelhafter Mythus die Des
mühungen der Nusleger in Anfpruch genommen bat. ch verfuche auch
hier nicht, das Einzelne zu entziffern, ſondern beichränte mich auf einige
Grundzüge. Der erfte Keim und Anſatz bes wunderbaren Getränke,
der in Koaſir! perfonificiert ift, bildet ſich aus, der zum Zeichen des
Friedensſchluſſes gefchehenen Vermiſchung des Speicheld der Aſen und
der Banen. Liegt: in den Vanen bie mohltbätige, ertvärmende, Frucht
treibende Naturkraft, in ben Afen aber die geiftige Belebung, jp muß
ein Erzeugnis ber Ausflüfle von Beiden ein ſolches fein, in dem bie
Kraft der Natur zum Geifte gefteigert erſcheint. Die Getränfe, die wir
bildlich geiftige nennen, find Herborbringungen der warmen, fonnigen,
vanenhaften Natur und das Geifterwedenbe, das fie in fich tragen,
mufte der mythenbildenden Phantafie auch wirklich für eine geiftige,
von den Aſen kommende Beimtichung gelten. Zinn Magnufen, der,
‘wenn aud aus andern Prämiflen, eben bie Anficht bat: Si Qvaser,
ut eonjeeimus, cerevisiam ac alios inebriantes potus, vegetabilibus
ortos, siguificef u. ſ. w, (Lex. myth. 271*; vgl. Edd. rh. 51, 35), beruft.
fi zu Unterftügung derſelben ſehr paſſend auf eine Stelle der Halfs
Saga (Cap. 1. ©. 26), wo Dbin zur Bereitung bes beften Bieres
1 Über die ruſſiſchen Geträuke Mjöd nnd Kwas findet fi Nachricht in
A. Ermans Reife um die Erbe, durch Norbafien Band 1. Berlin 1838, nad
ben Jahrbüchern für mifienfchaftliche Kritik, Januar 1834, Sp. 46. ,
97
!
feinen Epeichel als Gährmittel beigebe. Die Sageuſielle fpricht aber
auch noch in den beſondern Umftänden für dasjenige, was ich über das
Verhältnis der Ajen und Banen in dieſer Sache bemerkt babe. Es
wetteifern dort zwei Frauen, welche das befte Bier zu Stande bringe;
die eine thut ein Gelübbe zu Freya, die andre zu Odin und biefer
verhilft ihr durch das erwähnte Gährmittel zum Siege. Freue, die
Banin, konnte nur für gefunde, nährende Stoffe haften, der Aſe Odin
gab die geiftige Gährung. Wie nun Kvaſir und fein Blut bei Zwergen
und Rieſen umgetrieben werben, bis zuletzt der herrliche Meth in Sut-
tungs Felshöhle verfchlofien liegt, darüber läßt ſich, nach der Analogie
der uns ſchon belannten Mythen, wenigſtens foniel errathen, daß damit
die Schickſale des den unterirbifchen und winterlichen Mächten. über:
gebenen Keime ‚gemeint feien!. Aber nicht den Riefen und Zwergen .
gehört bieler edle Scha auf bie Dauer an; die Yen, die dazu das
Beite getban, haben aud auf ihn das nächſte Anrecht und Odin felbit
fährt hinab, ihn, wie er nun geworden, zurädzubolen. Nicht Thors
Hammer, noch Freyrs glänzendes Schwert, noch Freyas Hingebung,
noch Lokis Jotenliſt genügt dießmal dem Werke, der Afenvater jelbit
muß es mit Schlangenflugheit vollführen, weil es ſich nicht um eine
Raturgabe, fondern um einen geiftigen Erwerb handelt. Aud der Name
des Gefäfles, worin biefes Getränke bewahrt wird, bezeichnet deſſen
Eigenſchaft: Odrörir (Odroerir, ingenii motor aut excitator, Lex.
myth. 379%). Diefen Meth gab Odin den Aſen und den Dichtern,
von ihm wohl trinkt er mit Saga; wenn Odrörir verfchloffen tft, jo
wird die Nunenweisheit der Afen irre (Finn M. Edd. UI, 219. 231.
Edd. rh. 88); ein Trunk bes Toftbaren Metbes, aus ihm gejchöpft,
macht in Weisheit blühen, wachſen und gebeihen, ein Wort zeugt dann
Worte mit dem andern, ein Werl mit dem andern Werke. (Edd. rh.
‚3°. Finn M. II, 139.) So ergibt fi denn, daß dieſer Mythus
nicht bloß phyſiſch von der Entftehung berauſchender Getränke hanbelt,
fonvern daß der bilblihe Trank den Duell der Begeilterung, ber in
Wort und Werk fruchtbaren Erregung des geiftigen Lebens bedeutet;
auch liegt der Gedanke nicht fern, daß dieſer wunderbare Quell aus
der Wechfelwirtung der vom Geifte durchdrungenen Natur und des von
ber Natur erfrifchten Geiftes entjpringe. |
I Bgl. Finn Magnufen, Edda III, 158.
m
1) .
Mit der Eriverbung des Dichtertrankes ift uns Odin aus der
Weisheit des Willens ſchon bedeutend in das Gebiet des ſchaffenden
und wirkenden Geiftes übergetreten. „Allvater wirft” (orkar), hebt
eined der Eddalieder an (Hrafngald. O. Edd. rh. 86. Finn M. I,
218), und im Gegenfaße damit heißt es teiter: „Alfe unterfcheiden
(sKilja), Vanen wiſſen (vita)“. Bon der Weisheit diefer Naturweſen
war früher die Rebe.
Nachdem wir bisher an Odin sunächft nur das geiftige Weſen
darzuthun fuchten, fo ift nun auch das Wirken feines Geiftes weiter
zu verfolgen.
Die drei Eöhne Börs, Din, Vili und Be, bauten aus bem Leibe
des von ihnen erfchlagenen Urriefen und aus den Funken von Muſpel⸗
beim Himmel und Erde. Wieder geben dann drei Aſen zufammen,
Ddin, Hänir und Lodur, und riefen die Mienfchen ind Leben (Bölufp.
17. 18). |
Bis drei lamen
Aus der Berfammilung
Mächtige, liebenbe
Afen zum Ufer;
Fanden am Laute,
Wenig vermögenb,
Aſt und Embla,
Schickſalsloſe.
Geiſt (Avnd) uicht hatten fie,
Hatten Berftand (Oth) nidt,
Blut noch Geberte (Lä, Leti),
Noch jhöne Farbe (Lito).
Geift gab Odin, _
Sinn gab Hänir,
Blut gab Lodur
Und ſchöne Yarbe.
Sonft finden wir die Ajen auch in der Dreizahl durch hie Welt
zeiiend und dann find es: Odin, Loli und Hänir (Sn. Edd. 80. 135).
/ 1 Studach I, 12, 33: Dihin gab die Seele, aund, das Unſterbliche bes
Menſchen, in welcher Bebeutung dad Wort fi) bis auf heute in Skandinavien
erhalten hat und die nicht erft Später in dasſelbe eingetragen worden ifl.
59
Nach einer Bemerkung Geijers (268, 10a) ſoll auch ftatt Lodur, welcher
nur eben bei der Erfchaffung der Menſchen genannt wird, Loptr vor⸗
fommen, welches ein Name Lokis ift. In einem der Eddalieder erinnert
auch Loki den Odin daran, wie fie am Morgen ber Tage Blut zu⸗
fammen miſchten, Blutbrüderfchaft. ſchloſſen. Sowie aber der Joten⸗
john Loki unter die Afen aufgenommen ift, fo war Hänir, der andre
Gefährte Dvins, einft den Vanen zum Geifel gegeben, und es Tönnte
hiernach in jener Dreibeit wieder die durch den Aſen Odin feftgehaltene
Bindung der Gegenfähe des Joten⸗ und Vanengeſchlechts vermuthet werben.
Im Übrigen find die Namen und Weſen Bili und Be, wie Odins
Genoffen beim Weltbau heißen, Hänir und Lodur, wie fie bei ber
Menſchenſchöpfung genannt find, noch viel zu wenig ins Klare geſetzt,
als daß über ihren beſondern Antheil eine unzweifelhafte Anficht geltend
gemacht werben könnte; und eben damit ift auch erne fefte Beftimmung
der dreierlei Göttergaben, womit Aſt und Embla ausgeftattet wurden,
noch fehr ſchwierig.
Soviel aber leidet keinen Zweifel, daß Odin, deſſen Name auch
unveränderli durchlaͤuft, als der erſte und oberſte unter den Dieien
auftritt und daß auch ſeine Gabe, nennen wir ſie Lebenshauch, Geiſt,
Seele, ſich als vie geiſtig weſenhafteſte und lebendigſte hervorſtellt.
Was Odin feinen Söhnen gebe, ſagt und auch mehr im Einzelnen
ein andres Eddalied (Hindiu-Ijod, Str. 3. Edd. rh. 113):
Sieg giebt er Eühnen,
Erlihen Reichthum,
Nede den Edeln,
Witz den Männern,
Fahrwind den Seglern,
Gang den Skalden,
» Aber Mannpeit
. Daunen Reden.
Bir ſehen, Din, der den Afen den Trank der Begeiftigung ge
holt, der den Menſchen lebendigen Geift gegeben, gibt auch Alles, was
das Leben rüftig bewegt. Wie der Fahrwind die Segel ſchwellt und
Wellen über die Meeresfläche treibt, fo haucht Odin allaufregend in bie
Belt der Götter und Menfchen-und als der Geiſt des lebendigſten
Lebens ift er auch weſentlich ein Gott des Kampfes.
60
i
Ter Beitand der Welt beruht auf einer Bindung widerſtrebender
Kräfte. Mit den Vanen haben fich, die Aſen nur verglichen, mit den
Soten find fie in fortwährenden Kampfe begriffen. Die furdhtbarften
Ungeheuer dieſes Gefchlecht3 muften durch Gewalt oder Lift gebunden
werden und mit den Winterriefen „hauert ber jährliche Krieg. Zur
Bändigung und Bekämpfung dieſer feindlihen Mächte hat. ſich Odin
mit einer Schaar ſtarker Sprößlinge umgeben, welde, damit ihnen
Stärle gegen materielle Gewalten zum Erbtheil würbe, mit ber Erbe
und mit Riefenweibern erzeugt find. Tyr, der Kühne, hat bie Hand
in den Rachen bes Wolfes geftredt, Thor mit feinen Söhnen ift uner:
müblich, die Rieſen nieverzufchmettern. Wohl war einft ein Goldalter
(gullaldr, Sn. Edd. 15), wo die Aſen fröhlich auf golpnen Tafeln
ſpielten (dd. rh. 2, 8 f. 10, 61). Wohl ift in Baldur, einem andern
Sohne Odins, von andrer Mutter, dem reinften, beiten ber Aſen, eine
Herrfchaft des Gefeßes und der Sitte aufgegangen, welche, fo lange fie
jelbit beftebt, auch das Weltganze im Beftann erhält. Aber Balbur
felbft hat ahnungsvolle Träume, daß fein Leben in Gefahr fei, und
alle Weifjagungen beitätigen ed. Umſonſt wird die Ratur in Eid ge
nommen, ber Keim ber Empörung bleibt doch in ihr haften. Se tiefer.
Dbin in den Abgründen ber Rieſenweisheit forſcht, um fd fichrer nur
‘ erhält er die Kunde, daß’ die gefeflelten Mächte, die immerfort an
ihren Banden rütteln, auch dieſe wieder brechen. werben. Baldurs
geiſtiges Reich, in ber Zeit und in ber materiellen Welt gegründet, ift
gleich dieſen vergänglihd. Der Geift jelbit bat, um die Materie zu
binden, ſich vielfach mit diefer vermifhen müſſen. Schon Odin felbft
und feine Brüder, die Orbner der Welt und die Echöpfer der Menfchen,
find aus der Verbindung Börd mit der. Niefentochter Beftla hervor:
gegangen. Das Golvalter währte nur, big die Weiber aus Jötun⸗
heim famen (Edd. rh. 2, 8. Sn. Edd. 15). Din felb und anbre
Aſen verbanden fi) mit Riefenweibern. Nicht bloß die freundlichen
Vanen wurden in bie Gejellihaft der Aſen aufgenommen. Auch der
Sote Loki, mit dem Dbin am Morgen der Tage ſchon Blutbrüderichaft
gefchloffen, war in ihren Kreis ‚eingetreten und mufte hier, als das
fittliche Böje, auch die höchfte Blüthe des Ajenreiches, Baldurs ſittliche
Herrfchaft, untergraben und zerftören.,
War fonac dem Geilte in ber von ihm gebauten . Melt Feine
61
dauernde Stätte bereitet, jo mujte er ſteis wehrhaft und lampfrüſtig
fein, fein Werk in ver Zeit zu fchirmen, ſtets weg: und Ichlachtfertig,
den legten, großen Streit zu beſtehen und aus der zufammenftürzenden
Welt, in feinem Weſen unverfümmert und durch den Kampf felbft ge:
kräftigt und geläutert, zu einem neuen, höheren Daſein durchzubrechen.
Diefe raftlos ftrebende, Tampfgerüftete Kraft des Geiftes, die Bürg:
ſchaft feiner Nichtgebundenheit in Zeit und Materie, ift in Odin zur
Darftellung gekommen. Valhall (Valhavll, Valhöll), Odins leuchtende
Halle, tft denn aud ein Waffen: und Helvenfaal. Das Dad ift mit
goldenen Scilven belegt, die Wände find mit Schilden, ftatt mit
Zeppichen, geihmüdt, und Abends dienen blanke Schwerter zur Er:
leuchtung. Der Name dieſes Saales befagt wörtlid: Halle der Ge-
fallenen, Erſchlagenen (valr, strages). Denn die, melde im Kampfe
gefallen find oder ſich freimillig den Tod gegeben haben, fahren zu
Odin. Die auf dem Bette fterben, Tommen zu Hel3. dunkeln Sälen.
Odin bat den Menfchen den Geiſt eingehaucht, er nimmt ihn zurüd;
aber ihm, dem kämpfenden Gotte, find nur die Fräftigen Geifter ge-
vecht, denen das irdiſche Leben eine Echule des Stampfes war. Diefe,
in Valhall aufgenommen, , heißen Einberien (Einheriar). Sie jpeifen
von dem Eber Sährimnir, der jeden Abend wieder ganz ift, und trinfen
den unverſieglichen Meth aus ven Eutern der Biege Heidrun. Odin
jelbft genießt nur Wein und gibt die Speife feinen Wölfen Geri (vorax)
und Freki (ferox, avidus, Lex. myth. 775). Dieje find Sinnbilder
der Schlacht, wie dann mwohl auch die Naben auf des Gottes Schul:
tern. Die Einberien reiten jeden Morgen getwaffnet auf den Hof, be:
fämpfen und tödten einander; zur Zeit des Mahles aber fehren fie
unverleßt zurüd und die Valkyrien reichen ihnen das Trinkhorn.
Balkyrien (Valkyria, Blur. Valkyriur, von valr, strages, und
kjöra, köra, eligere, Tobtenfürerinnen, Lex. myth. 528°. 535°),
auh Odins Sungfraun (Odins meyar) genannt, find, ihrem Namen
gemäß, die Wejen, melde Odin augfendet, um die Tobten zu wählen,
um die Helden, welche für Valhall reif find, zum Tod in der Schlacht
zu beſtimmen. Sie werben bald in größerer, bald in Kleinerer Zahl
benannt und ihre Namen beziehen fih, foweit fie erklärt find, fait
durhaus auf Kampf und Kampflärm. Ihre Erjcheinung ift kriegeriſch,
fie reiten unter Schilden. Das Reiten der Valkyrien ift eim Zeichen
62
nahenden Kampfes, felbft bei den Göttern; die Weiſſagerin in ber
Bölufpa fingt, unmittelbar bevor fie auf Baldurs Tod lömmt, mit
bem ber Friede der Welt zur Neige geht, Bolgendes!:
Sie ſah Valtyrien,
Weither kommend,
Bereit zu reiten
Zum Göttervolke.
Skuld den Schild hielt,
Den andern Skögul,
Gunnr, Hildr, Gavndul
Und Geirſkavgul.
Nun ſind gemeldet
Herjans Jungfraun,
Bereit zu reiten
Auf's Feld, Ballyrien.
Dieſe Kriegsjungfrauen walten über Sieg und Tod, in Valhall
aber ſind ſie die Schenkinnen.
In jener Eigenſchaft, als Lenkerinnen des Schlachtgeſchicks, find
fie vorzüglich in einem Liede dargeſtellt, das die Nialsſaga (Havn. 1809.
II, 4) aufbewahrt bat. ch hebe dasſelbe aus, weil es als das aus—
drudvollfte Gemälde biefer mythifchen Wefen angeführt zu werben pflegt.
Gräter, Nord. Blum. 270 ff. ***
Mit Recht hat jevodh Finn Magnufen bemerkt (Lex. myth. 5325),
daß in diefem, der chriftlihen Zeit angehörigen Liebe die Vallyrien
einfeitig und nicht mehr rein im Geiſte des heidniſchen Alterthums
dargeitellt feien:
Christianismo huc introducto Bellone ille, una cum reliquo Deorum
coetu, malis tantum ac foedissimis deemoniis sunt adscripte. Bona nulla
piis indulgere eredebantur, at e contrario meras calamitates, infortunie,
cwdes ac sanguinolentas retinuerunt functiones.
In andrem Lichte, in .einer viel geiftigern Wirkfamleit, werben
uns die Balkyrien in der norbifchen Helvenfage erfcheinen, two ihr Weſen
erft zur vollen Entwidlung kommt.
Aber auch bier fhon, in ber Götterfage. find fie nicht bloß blutige
Schlachtgöttinnen. Sie haben den höhern Beruf, die Heldengeifter für
1 Edd. rh. 4, 24 fellt diefe Strophe in andern Zufammenhang.
-
‘63 ,
— —
Odins Halle zu Füren. Ihn felbft werben twir in ben Helbenfagen un:
mittelbar über Kampf und Sieg gebieten und fogar in bas irbifche
Schlachtgewühl nieverfteigen jehen. Davon hat er auch in den mythi⸗
fhen Liedern die Namen: Heervater (auch Herjan), Balvater, Siegvater.
Den Triegeriihen Bölfern des Norbens war Kampf und Krieg
die Blüthe des Fräftigften Lebens. Darum Tonnte auch das Leben bei
Odin unter feinem ausbrudsvolleren Bilde dargeftellt werden, als unter
dem des irbijchen Heldenthums. Erwägen wir aber, was zubor über
Odins ganze geiftige Natur ausgeführt worden, fo Tann und nicht mebr
zweifelhaft bleiben, daß das Mahl in feiner Halle jenem mythiſchen
Tranle der Begeifterung verwandt, daß die Kampfſpiele der Einherien
gleichfalls nur bildlicher Ausdruck der fortwährenden geiftigen Kampf.
übung feien. Wie zur Herbitzeit die Strichvögel fi) zum Wegzuge
fammeln, um in gefchlofjener Schaar ben meiten Flug über Länder
und Meere, durch Wollen und Stürme, ausdauern zu fönnen, ‚jo
fammelt Odin um fi) die Geifter, bie er ausgeſandt und die fich Fräftig
erprobt haben, zum großen Heerzug aus der untergehenden Zeitwelt.
Noh in Balhall ftärkt und übt er fie unabläffig, und je größer bie
Zahl ift, Die zu ihm fährt, um fo befler fteht die Sache des Geiles.
Im Liebe Grimnismal heißt es (Edd. rh. 43, 23):
Fünfhundert Thüren
“ Und vierzig brüber
Glanb' ih in Balhall.
Adthundert 1 Einherjen -
Gehn vor ans jeder,
Wenn fie fahren dem Wolf entgegen.
Die jüngere Edda fagt noch befonders:
Eine große Menge ift da, und weit Mehrere werben ihrer noch werben,
und doch mögen es nicht zu viele fein, wenn der Wolf Fenrir fommt. Jüngere
Edda 198 und Sn, Edd. 41 f.
In einem fpätern Skaldenliede auf den Tod Erichs Blutart freut
fih Odins Herz, als die Helden von der Erde zu ihm kommen, und
in einem ähnlichen Geſange heißt es:
1 Lex. myth. &. 56***: Numerus ille [432000] ad zodiaci ac anni
divisiones et mundan® ztstis annorum seriem p. p., certum habuit re-
spectum, et variis igitur modis in Chaldeorum, Indorum, Sinensium et
pl. vetustissimam mythologiam est receptus.
64
Da ſprach Göndul,
Auf ihren Speer gelehnt:
Nun gedeiht der Götter Sache,
Da ſie Hakon
Mit großem Heere
Heim zu ſich geladen 1.⸗
Brit nun wirklich die lang verkündete Beit des Weltlampfes
herein, dann mappnet fi) Odin felbit; den Goldhelm auf dem Haupte,
mit der ſchönen Brünne angethban, den Speer Gungnir ſchwingend,
reitet er den Ajen und Einberien voran zu der weiten Ebene Vigrid,
wo der Kampf ſich erhebt. Er felbit wird vom Molfe verichlungen
und aud die andern ftreitbarften Götter gehen unter. Aber auch bie
Ungeheuer find erlegen, der Kampf ber Götter, zu melden Odin
alle geiftigen Kräfte mit ſich fortgeriffen, war nicht fruchtlos und
aus den Trümmern des Weltbaus fteigt eine neue, verjüngte Welt
empor.
Über Odin ift noch zu bemerken, daß, wenn auch die etymologi⸗
Then Ableitungen feines Namens von édr, Subſt. (ratio, intellectus)
oder von Ödr Adj. (insanus, furens, Lex. myth. 3789), was auf
feine ftürmifche Kampfnatur zu beziehen wäre, fich nach Feiner Seite
ftihhaltig bewähren follten, doch auch Teine andre feftgeftellt ift, welche
jeinem geiftigen Wefen, wie wir e8 aus dem ganzen mythiſchen Zu:
fammenbang entwidelt, entgegen wäre. Zwar bat man ihn phufiich
für den Gott des Himmels oder des Luft angenommen, vorzüglich aus
dem Grunde, weil Srigg, die Mutter Erde, feine Gemahlin ſei. Allein
eben diejer Umjtand iſt nicht nur unerwieſen, fondern Frigg wird fogar
der Erde entgegengeftellt, indem fie, in den bichterifchen Benennungen
der Skalda, die Nebenbuhlerin Jörds, der Erde, beißt, mit welcher
Odin auch Söhne erzeugt bat, die in die Reihe derjenigen gehören,
welche wir als bie Starken unter den Aſen bezeichnet haben, wogegen
aus der Ehe mit Frigg ein Sohn ganz anbrer Art, Baldur ver Gute,
hervorgegangen ift. Frigg ift nicht die Erde ſelbſt, ſondern bie Tochter
ver Erde, Förgynd. Im Übrigen tritt ihre Weſen fo wenig deutlich
hervor, daß ich ihr unter den Weltalten des Aſenkreiſes keine befonbre
Darftellung widmen konnte. Die in ihrem Gefolge aufgezählten Afınnen,
1 Sagabibl. II, 374. Münter 453.
65
vie ich gleichfalls nicht beſonders aufgeführt babe, neigen ſich theils
mehr zur phyſiſchen, theild mehr zur ethiſchen Bebeutung.
Wir haben, wie den Joten bie Zwerge oder Schwarzalfe und ben
Banen die Lichtalfe, fo den Aſen die Menfchen zugeorbnet. Bon dieſen
fol’ jeboch hier nicht eigens noch gehandelt werden. Soweit fie in die
Götteriwelt reihen, haben fie fich uns bereits in der geiftigen Berbin-
dung nit Odin berausgeftellt, ihr befonbrer Mythus aber ift die Helben-
fage, der unfre nächſte Abtheilung gewidmet fein wird.
Der bisherige Durchgang durch die verſchiedenen Weſenklaſſen der
nordiſchen Götterlehre war darauf berechnet, das Verhältnis des gei-
ftigen Elements biefer Mythologie zum phyſiſchen beftimmter erkennen
zu lernen. Der Erfund war der, daß mitten zwiſchen bie widerſtre⸗
benden Raturgewwalten aus unbelannter Quelle eine geiftige Kraft bindend
und orbnend eintrat, daß fie in der phyſiſchen Schöpfung, die aus biefer
Bindung herborgieng, zugleich ein geiftiges Reich gründete und dieſes
auch, nachdem es in ber Beitfchöpfung nicht mehr beftehen konnte, durch
den Untergang berfelben in ein höheres Dafein zu retten fuchte.
Die Götter in der Zeit find als foldde von befchränkter Macht.
Am Brunnen unter der Weltejche wohnen die drei Nornen, durch ihre
Namen ſchon als Bergangenheit (Urd), Gegenwart (Berbandi) und
Zukunft (Stulb) bezeichnet. Sie beitimmen Lebenszeit und Gefchid der
Menichen, aber auch die Götter vermögen nichts über fie. „Allvater
wirkt,“ jagt das Lied, „Normen weiſen“ (visa nornir, Edd. rh. 88).
Die Götter, in der Beit wirlend, find den Beitgöttinnen verfangen.
Räthſelhaft ift der Geift in die erfchaffene Welt herabgeftiegen; in
eine lichtere, aber doch wieder räthſelhafte Ferne tritt er über nach dem
Weltuntergange. Die mythiſchen Berlünbungen von ber neuen ober
verjüngten Welt fiimmen nicht in allen Punkten überein. Hören wir
darüber die jüngere Edda S. 233 f.! ***
Daß in diefer neuen Welt, bie wohl nur eine Verjüngung und
Berllärung der alten ift (von ver Welteſche war auch nur gefagt, daß
die Lohe um fie ber geſchlagen), Feine der rohen Naturgewalten wieder
auftaucht, daß felbft Die Vanengötter verſchwunden find (Freyr war
Schon beim Kampfe ſchwertlos), daß Baldur der Gute und fein ſchuld⸗
Iofer Mörder verſöhnt erfcheinen, al dieſes past wohl zu unjern
früheren Erörterungen. Warum aber von ben Aſen felbjt nur bie
Npland, Schriften. VI. 6
66
genannten wieder auftreten, warum Obins felbft nicht mehr gedacht wird,
ob aud) diefer, nachdem aller Kampf aufgehört, feine Bahn vollendet,
ober ob er völlig geiftig ins Unfichtbare ſich erhoben Bat, auf biefe
und andre Fragen wird ſich nichts Entſcheidendes antworten laſſen.
Eben darin liegt aber aud die Möglichkeit, diefe Götterlehre, je nach
ber individuellen Auffafjung, höher oder tiefer in ber religidjen Geltung
zu ftellen. Gerade die Strophe der Völufpa, die einer höhern Anficht
die günftigfte wäre, wird, weil fie fi) nur in ben Bapierbanbichriften
der ältern Edda findet, von Einigen für unecht gehalten (F. Magnujens
Edda I, 691).
Da tomnıt der Mächtige
Bu der Götter Rath,
Stark von oben,
Der tiber Alles waltet.
Urtheile fpricht er,
Streit befänftigt er,
Stiftet heiligen Frieden,
Gibt Heilige Sakung,
Die dauern wird,
Soviel jedoch bleibt unter allen Borausfehungen gewiſs, daß durch
dieſe Mythenwelt eine mächtige Ahnung des Unendlichen, des über
die Zeitmächte erhabenen Göttlichen, ein lebendiger Hauch bes unver⸗
gänglichen Geiſtes hindurchzieht.
Wir haben im Bisherigen die Erklärung der nordiſchen Götterfage
leviglih aus ihrem eigenen, inneen Zufammenbange nach dem phufi-
ſchen und geiftigsfittlichen Geſichtspunkte verſucht. Es ift nun noch
von ihrer hiſtoriſchen Beziehung zu ſprechen.
Die Meinungen in dieſer Hinſicht find auf Jahrhunderte hin durch
Dasjenige beftimmt worben, was Snorre Sturlefon, in ber erften
Hälfte des 13ten Jahrhunderts, in feine norwegiſche Königsgejchichte,
die Heimskringla, über die Einwanderung ber Afen im Norden aufge:
nommen bat.
Die Heimstringla (von den Worten, mit denen Re anhebt, kringla
heimsins, orbis terrarum, jo genannt) ift zu Stodholm 1697, 2 Bde Fol.
und jpäter in 6 Foliobänden, Kopenhagen 1777 bis 1826, herausgegeben.
1 Edd. rh. 9; vgl. Hyndl. Str. 41.
67
Snorro ſelbſt ſetzte dieſes Werl aus ſchon vorhandenen ſchriftlichen |
Eagan der hiſtoriſchen Klaſſe zufammen. Der Eingang besfelben, bie
Inglingnfaga, jedoch ift noch wirklich fagenhafter Natur und für ımfre -
Zwecke find hier die 13 eriten Capitel von Belang, deren Abfaffung
Müller dem Snorro felbft zufchreibt, tuogegen Geier (S. 323 ff.) ber
Meinung ift, daß er auch fie ſchon in ber vor ihm gelegenen Ynglinga-
faga vorgefunden babe. hr Inhalt ift diefer: (Cap. 1.) Auf der’
Nordſeite des fchwarzen Meeres erftredt fi das große oder kalte
Schweden (Bvipiöd). Der nördliche Theil desfelben liegt ungebaut vor
Froft und Kälte In biefem Schweden find große Lanpftriche mit
mancherlei Völlern und Zungen. Da find Niefen und Ziverge, au
Schwarze Leute und allerhand twunberlihe Bölfer, fowie Thiere und
Drachen von furdtbarer Größe. Bon den Norbgebirgen fließt durch
Edyweben der Strom, ber mit Recht Tanais heißt, vordem Tanaqpisl
oder Banagvisl genannt, und fich ins ſchwarze Meer ergießt. Das
Zand zwiichen feinen Armen hieß Banaland over Banaheim (Vana-
beimur). Er trennt die Welttheile; ber gegen Oſten heißt Afin, ber
gegen Weiten Europa. (Cap. 2.) Das Land in Aſien, öſtlich des
Tanagvisl, war Afaland ober Aſaheim (Asa-heimur) genannt. Die
Hauptftadt dieſes Landes hieß Asgard; barin war ein Häuptling (Höf-
dinge), der Odin (Odinn) genannt war; auch war daſelbſt eine große
DOpferftätte. Zwölf Hauptpriefter, Diar! oder Drottnar genannt (Divi
s. Domini), follten dort über Opfer und Urtheil walten und ihnen
ſollte alles Bolt Dienft und Verehrung erbieten. Odin war ein großer
Kriegamann (Hermadur), auch weit umber gelommen, und hatte fi
viele Reiche unterworfen. Er mar fo flegreih, daß er jede Schlacht
gewann; und fo kam e3, daß feine Leute glaubten, ihm allein gebühre
überall der Sieg. Wenn er feine Männer in ven Krieg ober auf andre
Fahrten außjandte, war fein Gebrauch, ihnen feine Hände auf das
Haupt zu legen und den Segen zu geben; dann glaubten fie glüdlich
zu fahren. Auch pflegten feine Leute, wo fie zur See oder auf bem
Lande in Nöthen tvaren, feinen Namen anzurufen und davon glaubten
fie ſtets Abhülfe zu erlangen; darum fchien ihnen aller ihr Troft bei
ihm zu fein. Er fuhr oft fo weit fort, daß er viele Jahre ausblieb.
1 Diar heißen bie Afengötter Hrafnagald. Od. 18. Bdd. rh. 91a.
+
\ 68
(Gap. 3.) Dbin hatte zwei Brüber, Be und Bilir, Diefe beherrſchten
‚ die Reiche, fo lang er abweſend war. Einmal war er jo lange auß-
geblieben, daß die Aſen nicht mehr an feine Heimkehr glaubten; ba
tbeilten fich. die Brüder in fein Erbe und eigneten fih beide feine Ge-
mahlin zu. Bald nachher kam Odin zurüd und nahm feine Frau
wieder zu fih. (Gap. 4.) Odin fuhr mit Heeresmacht gegen bie Banen,
aber diefe .waren. wohl gerüftet und mehrten ihr Sand. Der Sieg
wechſelte und fie verheerten einander gegenfeitig die Zänder. Als das
beiden entleibet war, beitimmten fie eine Zuſammenkunft, machten
Frieden und gaben einander Geifel. Die Banen gaben ihre trefflichiten
Männer bin, Njörd den Reichen und feinen Sohn Freyr; die Aſen
“dagegen Einen, der Häner hieß, und von dem fie fagten, daß er wohl
zu einem Häuptling tauge. Er war ein ſehr geoßer und ſchöner Mann.
Mit ihm fandten fie den, der Mimer hieß, einen fehr weiſen Mann.
Die Banen aber gaben dagegen Denjenigen, ber unter ihnen der Weifefte
war und Koafir bie. Ale Häner nah Banaheim Tam, warb er
fogleih zum Häuptlinge gemadt. Mimer gab ihm in Allem feinen
Rath ein. Wenn aber Hänir ſich in Gericht und andern Verſamm⸗
Iungen befand, wobei Mimer nicht zugegen war, und bann ſchwierige
Sachen vor ihn gebracht wurden, antwortete er immer das Nemliche: "
Mögen Andre rathen! Da merkten die Banen, daß fie beim Taufche
von den Afen bintergangen worden; darum enthaupteten fie Mimern
und fandten fein Haupt den Aſen. Odin nahm es und falbte e3- mit
Kräutern gegen die Yäulnis, fang Beſchwörungen darüber und bewirkte
dadurch, daß es mit ihm ſprach und ihm viel geheime Dinge offen-
barte. Njörd und Freyr wurden von Obin zu Opferprieitern beftellt
und waren nun Diar unter den Xen. Njörds Tochter Freya war
Opferprieiterin, fie lehrte zuerft bei ven Aſen ven Bauber, welcher
Seid hieß und bei den Vanen üblih war. Als Niörb noch bei dieſen
war, hatte er feine Schwefter zur Frau, mie es dort gejeglich war.
Ihre Kinder waren Freyr und Freya. Bei den Aſen aber war es
verboten, fo nah in die VBerwandtichaft zu heirathen. (Gap. 5:) Große
Gebirgöfetten erftreden fi) von Rorboft nach Südweſt und fcheiben
das große Schweden von andern Reichen. Nicht ferne ſüdlich von
diefem Gebirg ift Türkland gelegen, wo Odin große Befigthümer hatte.
Zu der Beit zogen die römifchen Häuptlinge weit durch die Welt umber
69
und bradten alle Völker unter ſich. Biele Fürſten flohen vor biefem
Unfrieden von ihrem Eigenthum. Odin, als ein zulunftlundiger Mann,
mwufte voraus, daß feine Nachkommen auf der Norbfeite der Welt
wohnen follten. Da fehte er feine Brüder Be und Vilir über Asgarb;
er aber zog von dannen und mit ibm alle Diar und vieles Boll;
zuerft fuhr er weftlih nad Gardareich, dann üblich nach Sarland,
Er Hatte viele Söhne, die er über die von ihm eingenommenen Reiche
in Eazland zu Beichügern fehte. Dann zog er norbwärts zum Meere
und nahm feinen Wohnfig auf einer Inſel, jett Odinsey auf Fünen.
Dann fanbte er Gefion nörblih über ven Sund, um Land aufzufuchen.
Sie kam zu Gylfi, der ihr ein Pflugland gab. Drauf 308 fie nad)
Jötunheim und hatte dort vier Söhne von einem Joten. Diefe brachte
fie in Ochſenhäute (bra beim i yxna liki), fpannte fie vor den Pflug
und 309 fo das Land, das ihr Gylfi gegeben, hinaus auf das Meer, .
weitwärts gegen Odinsey; das heißt nun Seeland und. da wohnte fie
fortan. Skjöldur, Odins Sohn, nahm fie zur Frau und fie wohnten
in Hlebra. Dort aber, wo das Land berauögerifien worden, blieb ein
See zurüd, der Lögur (der Mälarfee) heißt und in biefem See liegen
die Buchten gerabe jo, wie in Seeland die Landſpitzen. (Dafür wird
eine Strophe Bragis des Alten angeführt.) Als nun Odin erfahren,
daß öftlih bei Gylfi fruchtbare Länder feien, zog er dahin und machte
mit Gylfi einen Vergleich. Denn Gylfi jah ein, daß er keine Kraft
bätte, den Aſen zu wiberfiehen. Odin und Gylfi verjuchten einander
in Künften der Täuſchung, die Ajen hatten aber ftetö bie Oberhand.
Odin nahm feinen Wohnfig am Lögur, an der Stätte, die jeht alt
Sigtun (forno Sigtuner) heißt. Er richtete dort ein großes Heiligthum
und Opfer ein (hof oc blot), nad der Aſen Gewohnheit. Die Lände⸗
seien, deren er ſich dort bemächtigte, ließ er Sigtun nennen. Auch ben
Brieftern des Heiligthums (Hofgodonom) gab er Wohnftätten: Niörb
wohnte in Noatun, Freyr zu Upfala, Heimball zu Himinbjörg, Thor
zu Thrubvangr, Balbur zu Breibablil. Ihnen allen gab er gute
Wohnſitze. (Cap. 6.) Als der Ale Odin in die Norblande kam und
mit ihm die Diar, begannen und. übten fie, wie man wahrhaft be
richtet, mandherlei Künfte, welche die Menfchen lange nachher geübt
" Haben. Odin war der gepriefenfte von Allen und von ihm, ald dem
Kundigften, empfiengen fie alle dieſe Künſte. Die Urfachen dieſer großen
70
Verehrung waren folgende: er mar von fo ſchöner und anfehnlicher
‚ Geftalt, daß, wenn er bei feinen Freunden ſaß, Allen das Herz lachte.
War er aber im Heere, fo erſchien er feinen Feinden fehr furdtbar.
Denn er konnte Ausfehen und Geftalt wechſeln, mie er mollte. Eine
andre Urfache war die: er ſprach fo fertig und gut, daß Allen, die es
anbörten, das allein. das Wahre däuchte. Alles ſprach er in Verſen
(hendingom), gleidy dem, mas man jeht Sfalofhaft (Skaldscapur)
heißt. Er und feine Briefter heißen Liederſchmiede (liodasmider), denn
diefe Kunft kam durch fie in Nordlanden auf. Odin wuſte auch zu
bewirten, daß in der Schladt feine Yeinve blind wurden, ober taub,
oder verzagt, und daß ihre Waffen nicht fchärfer, als Gerten, ſchnitten.
Seine Kriegsleute fuhren ohne Harnifch und waren rafend, mie Hunde
oder Wölfe, biffen in ihre Schilde und waren ftärler als Bären oder
Stiere; fie erfhlugen die Leute und weder Feuer noch Eijen vermochte
etwas über fi. Das nennt man Berſerkergang (Berserks gangur).
(Cap. 7.) Ddin wechſelte die Geftalt, dann lag fein Körper mie fchla-
fend ober tobt, er aber war Vogel oder Thier, Fiſch oder Schlange,
und fuhr in einem Augenblid in ferne Lande, in feinen ober Andrer
Angelegenheiten. Er konnte au mit bloßen Worten euer Töfchen,
das Meer. Stillen und den Wind nad Gefallen drehen. Auf feinem
Schiffe, Slidbladner genannt, fuhr er Über große Meere und man
fonnte das zufammenwideln, wie Tuch. Odin hatte Mimers Haupt
bei fih, das ihm viele Neuigkeiten aus andern Weltgegenben fagte.
Manchmal erwedte er todte Menichen aus ber Erde und feßte fich unter
Grabbügel; daher warb er Draugabrottinn (Herr der Gefpenfter) oder
Haugadrottinn (Here der Hügel) genannt. Er hatte zwei Raben, die
er an Menjchenrede gewöhnt hatte. Sie flogen meit durch bie Länder
und fagten ihm viel Neues; dadurch wurde er überaus kundig. Afle
diefe Künfte lehrte er durch Runen und Zauberlieder, wovon die Aſen
Zauberſchmiede (galdrasmider) genannt find. Dbin verftand die Kunſt,
welcher die meifte Kraft beimohnt und die er jelbft übte, fte beißt Seid.
Durch fie wuſte er das Schichkſſal der Menfchen und andre zufünftige
Dinge, aud vermochte er damit, Menſchen zu töbten, Unglüd over
Krankheit über fie zu bringen, ihnen Berftand und Kraft zu nehmen
und Andern zu geben. Mit diefem Zauber wollten fi, feiner entſetz⸗
lichen Folgen wegen, bie Männer nicht abgeben, und nur bie Göttinnen
71
lernten ihn. Odin wuſte von allen Schägen, wo fie verborgen lagen,
und er Fonnte Lieber, melde vor ihm Erde, Berge, Felſen und Grab
bügel aufſchloſſen. Mit bloßen Worten band er Die, melde darin
mohnten, gieng ein und nahm, was er wollte. Durch foldhe Zauber:
kräfte warb er fehr berühmt, feine Feinde Fürchteten ihn und feine
Freunde vertrauten auf ihn. In den meiften feiner Künſte unterrichtete
er die Opfervorſteher und fo wurden fie ihm bie Nächften in allem
MWiffen und Zauber. Viele Andre lernten wieder von Diefen und das
durch wurde die Zauberei weit verbreitet und blieb lang im Gebraudhe.
Die Leute opferten Odin und den zwölf Häuptlingen, nannten fie ihre
Götter und glaubten lange Zeit an fie u. ſ. w. (Cap. 8.) Ddin gab
feinem Lande bie Geſetze, welche zuvor bei den Aſen beftanden hatten.
Er fegte feſt, daß alle Todten follten verbrannt und ihr Eigenthum
mit ihnen auf den Scheiterhaufen gelegt werben. Denn er fagte, jeder
würde mit foviel Habe nah Valball (til Valhallar) fommen, als er
auf dem Scheiterhaufen gehabt hätte; auch follte er deſſen genießen,
was er felbft in die Erde gegraben. Die Aſche folle man in bie See
tragen oder in die Erde graben, und über angejebenen Männern Grab:
hügel zur Erinnerung aufmerfen, auch Allen, die eine männliche That
verübt, Bautafteine errichten. Diefer Gebrauch twurde lange nachher
beibehalten. Hierauf folgt die Anorbnung dreier Jahresopfer, dann
(Cap. 11) Odins VBermählung mit Stade, welche vorher Njörds Frau
war und mit der Odin, nebft andern Söhnen, den Sämingur zeugte,
den Stammvater norwegifcher Häuptlinge. Bon Odins Tode wird erzählt
(Sap. 10): Din ftarb an Krankheit (vard sott daudur) in Schweden.
Als er dem Tobe nahe war, ließ er fich mit Speeresfpite zeichnen und
eignete ſich alle waffentodte Männer zu; er fagte, daß er nach Godheim
fahren und dort feine Freunde wohl empfangen werbe. Nun dachten bie
Schweden, er wäre in das alte Asgard gelommen und lebe dort ewiglich.
Da begann man von Neuem Odin zu verehren und anzurufen. Auch
glaubten die Schweden, baß er fich zeige, wenn große Kriege bevorſtehen.
Da gab er den Einen Sieg, die Andern Iud er zu ſich, und beibes hielt
man für ein gutes 2008. Odins Leichnam wurde fehr ehrenvoll ver
brannt. Sie hatten den Glauben, daß je höher der Rauch in die Luft
aufftiege, um jo herrlicher der, dem das Brennen gelte, ſich im Himmel
befinde, und um fo reicher, je mehr Habe mit ihm verbrannt würde.
72
Dieß die Gefchichte von Odins irdiſchem Reiche; auf ähnliche Weife
wird dann noch von feinen Nachfolgern Njörd und Freyr erzählt, unter
denen die Schweden Frieden und gute Jahre hatten und melde fie
darum für die Geber dieſes Segens hielten; auch wie Freyr das große
Opferhaus zu Upſala erbaut und ausgeſtattet, auch dahin feinen Hauptſitz
verlegt, und wie von ihm, ber mit einem andren Namen Yngwi hieß,
die Ynglinger ftammen, aus welchem Geſchlecht in ber Folge der Zeit
die norwegiſchen Könige. hervorgiengen. Endlich von Freya, die alle
andre Götter überlebte, von ihrem Mann Odur und ihren Töchtern
Hnoſs und Gerfemi; aud wie Freyr nad feinem Tode als Jahres⸗
und Friedensgott verehrt wurde.
Der Inhalt dieſer dreizehn erſten Capitel der Inglinga⸗Saga, nebſt
einigen kürzern Stellen der däniſchen Geſchichte des Saxo Grammaticus
(aus der zweiten Hälfte des 12ten Jahrhunderts), worin Odin und bie
übrigen Afen gleichfalls für Zauberer gelten, die fih den Götternamen
angemaßt und ihren Sig bald in Byzanz (Asgard), bald in Upfala
baben !, machen die Grundlage zu der hiſtoriſchen Anficht der norbifchen
Mythen, die fich bei vielen Gelehrten feftgejeßt hat.
Smöbefondre bat der dänische Gefchichtfchreiber Suhm dieſer An-
fiht auf Iangehin neuen Anhalt gegeben. In feinem Bude: Om Odin
og den hedniske Gudelsere og Gudstieneste udi Norden, Kopenhagen
1771, 4, it ein eigenes, ausführliches Capitel der Betrachtung Odins
als Menfchen gewidmet (S. 69 ff). Er nimmt, nad dem Vorgange
des norwegischen Geſchichtforſchers Schöning, brei hiſtoriſche Ddine an
welche nach einander zu beftimmten Zeiten vor oder nach Chrifii Geburt
als Religionsftifter oder Reformatoren in den Norben eingeivanbert.
Denn ba mit den in der Hauptfache für hHiftorifh angenommenen Bee
richten Snorros und Saros die Gefchlechtöregifter der angelfächfifchen
Könige, welche gleihfall® zu Odin auffteigen, und jo manche anbre
Geſchichtsdaten in Einklang gebracht werben muften, fo Fonnte man
chronologiſch mit einem Odin nicht ausreichen.
Diefe Annahme mehrerer ganz oder zum Theil geichichtlicher Dbine
iſt denn aud den Gelehrten ſehr geläufig geworden. So fagt 5. B.
Friedrich Schlegel in feinen Vorlefungen über die Gefchichte ber alten und
1B. J, S. 18 bis 15. 8. 11,&.64f. 8. VI, S. 166.
13
neuen Bitteratur (gehalten 1812, in feinen ſämmtlichen Werken Band I,
Wien 1822, ©. 247):
Wir müffen uns den Obin denken als einen Fürſten, Eroberer, Helden,
der zugleich Dichter war, und als folder durch weifſagende Geſänge in der
@ötterlehre manches veränderte und ermenerte, entweder allein ober zugleich mit
andern zu demfelben Zwecke mitwirlenden Brieftern, Sehern und Dichten, und
der als Stifter, zwar nicht einer nenen Götterlehre, aber doch einer neuen
Epoche derfelben, als Held und Seher, dem auch große Zauberkraft und Kunſt
beigelegt ward, nachgehends felbft vergättert worden if.
Sodann (ebendafelbft ©. 249):
Den manigfaltigen Angaben und zum heil verworrenen Sagen und
ſich wiberflreitenden Meinungen von dem jüngern, unzweifelhaft hiſtoriſchen
Odin ließe fid) wohl noch mit der meiften Wahrfcheinlichkeit die VBermuthung
unterlegen, daß derfelbe von den Gothen, deren Wohnfite fi bis in die
Grenzen von Aften erflredten (aus Afien fjelbft wäre die Einwanderung des
ältern Odin gefchehen), ausgegangen fei; vielleicht zu der Beit, als aud das
Chriſtenthum fon Anhänger bei ihnen zu finden begann, womit doch wohl
nicht alle zufrieden fein mochten, jo wenig als mit dem fteten Hinbrängen in
das römiſche Land und Leben, wodurch die väterliche Eitte nothwendig ver-
drängt werden mufte; daß mithin Odin, als Held und Ylıft, als Sänger,
Scher und Prieſter, Anhänger und Erneuerer ber alten Götterfage und norbi-
jhen Myſterien, zurüd: nad dem innern Norten und Germanien gezogen jei,
dort in Altfachien ein Reich geftiftet, endlich aber in Schweden feine Helden⸗
laufbahn beſchloſſen habe.
Ein Anhänger der mehreren Divine, Thore u. |. w. und ein ers
Härter Vertreter der hiſtoriſchen Anficht ift unter ben Neueren vor
züglid Münter in der angeführten Geſchichte des Chriftentbums in
Dänemartd und Norwegen (Leipzig 1823. Auch SKirchengefchichte von
Daänemark und Norwegen, Th. h). Man findet in dieſem Werke,
deſſen fonftige Berbienfte ich nicht zu fchmälern gemeint bin, unter der
Aufichrift „Sharakteriftil Odins“ eine ausführliche Porträtichilderung
des Lehten der Odine (6, 72 ff.), deren Ergebnis nad den Worten -
bes Verfafiers nichts andrea ift, als „das Bild eines feigen und liftigen
Gauklers.“ Beſonders wird (unter Beziehung auf eine Schrift von
Abrahamſon: Thor und Odin, Skandinab. Muf. 1802. Heft ID) dem.
verfchmittten Odin der rebliche Charakter des wackern Thor gegenüber:
geftelt. Da beißt es u. A. (S. 79):
7A
Odins Charakter erfheint im unglnftigen Lichte, wenn ber Charakter
Thors mit den fhönften Farben gemalt wird. Er Hilft zwar allen in der Roth,
aber ungerufen und bloß um ſich geltend zu machen. Gaukelei und leerer
Schinmer begleiten ihn überall. - Thor Hingegen fieht allein aufs Nützliche,
und hilft nur, wo er um Hülfe angerufen wird; dann aber auch ebeimäibig
und ohne Vergeltung zu begehren.
Es verfteht fih, daß der Verfaſſer biemit nur die Anfichten der
alten Standinavier ausfprechen will, aber unvermerkt geräth er in eine
wahrhaft biographifche Darftellung.
In diefe biftorifche Sicherheit kam ein bedeutender Bruch, als
P. E Müller fi) der nordischen Sagengeſchichte bemächtigte. Von
feinen Berbienften um biefe wird mehrfach zu fprechen Gelegenheit
fein. Hier zunächſt Tommt uns folgende Schrift in Betracht: Critisk
Undersögelse af Danmarks og Norges Sagnhistorie eller om tro-
veerdigheden af Saxos og Snorros Kilder. (Beſonders abgedrudt aus
den Schriften der k. däniſchen wiſſenſchaftlichen Geſellſchaft.) Kopen:
hagen 1823. 4.
Müller gebt allervingd auch vom geſchichtlichen Standpunkt aus,
aber ſeine unbefangene und kenntnisreiche Kritik führt ihn zu dem, nach
meiner Anſicht, geſundeſten Urtheil über die ausgehobenen Capitel der
Ynglingaſaga. Es beſteht weſentlich in Folgendem (S. 185 ff.):
Was bier [in den dreizehn erften Capiteln der Ynglingaſaga] von
den Aſen gejagt wird, können wir auf drei Elafjen zurüdführen: 1) Nach⸗
richten, welche zugleich in ben Enden gefunden werben [Müller meift viefe
im Einzelnen nad]; 2) Nachrichten, die in den Edden übergangen find:
von Ddins Reife, Mimers Haupt, Pdins Heirath mit Stabi: 3) Be
merlungen, wodurch diefe Nachrichten an Zeit und Ort gebunden und da⸗
durch an die Geſchichte geknüpft find, daß Odin zuerft öftlih vom Tanais
wohnte, daß er aus Furcht vor den Römern nad dem Norden zog.
* Mas die erfte Claſſe diefer Nachrichten betrifft, fo können wir über
ihre Quellen oder ihre biftorifche Bedeutung nicht ungewiſs fein; denn
was wir hier als Gejchichte leſen, finden wir in den Edden als Dichter:
mythe!. Da nun die alten Dichter, deren Verſe wir übrig haben,
gröſtentheils vor Snorro lebten; da die mythiſche Einkleidung dieſer
1 Das Meiſte hat ums auch ſchon an belannte Mythen erinnern können,
Andres wird die Heldenfage deutlicher bervorftellen 3. B. die Berſerker.
75
Greigniffe das unverfennbare Gepräge höheren Alters trägt, ale bie
biftorifche, und es unzweifelhaft iR, daß die Afen im alten Norden als
Götter verehrt wurben, fo müflen mir bie Anſchauungsweiſe ber Edden
vom Weien der Afen für die urſprüngliche, Snorros für die abgeleitete
annehmen. Durd die gründlichſten Unterfuchungen ift hinreichend be»
wiefen, daß die Afen, gleichwie die Götter der meiften andern Völker⸗
fämme, ihrem Urfprung nah nicht als hiſtoriſche Perfonen, ſondern
als perfonificierte Naturgötter, deren meifte Thaten nur fombolifche
Bedeutung haben, zu betrachten find. Diefe Betrachtungsiweile, eine
Folge der Forſchungen fpäterer Zeiten, konnte nicht diejenige Snorros
fein. Er mufte (nach den Begriffen feiner Beit) die alten Götter ent-
weder für Teufel oder für Menfchen anſehen. Für böfe Geifter konnte
er fie nicht anfehen wollen, da er als isländifcher Dichter fie fo oft in
feinen Verſen aufführte und von diefen Stammwätern das Geſchlechts⸗
regifter der nordiſchen Könige ſowohl, als fein eigenes, berleitete. Ber
trachtete er fie dagegen als Menſchen, jo erhielt feine Geſchichte der
norwegiſchen Köntge die erwünſchteſte Volftänbigfeit; fie fonnte beginnen
mit den älteften Stummpätern, von denen man gehört hatte, und mit
der Stiftung der Verfafſung und Religion in den nordifhen Staaten.
Bon dieſer hiſtoriſchen Auslegung der Mythen aber war e3 wieder eine
Folge, daß Snorro hier nicht Zeugnisftellen von Skalden anführen
fonnte, bie durchaus nicht auf biefe Weife ihrer Götter gedacht katten;
weshalb gerade in den 13 erften Sapiteln, welche lauter Dichtermythen
umfaflen, nur zwei Berfe vorkommen (wovon ber eine die Fabel von
der Entftehung Seelands betrifft, welche Snorro aus poetifcher Incon⸗
ſequenz unter das Übrige, das Hiftorifch auöfehen follte, gebracht
batte u. ſ. w.). Gewiſs hätte er mehrere Skaldenverſe angeführt, wenn
er in ihnen ausbrüdliche Befräftigung feiner Meinungen von ber Afen
Riederlafjung in den norbifchen Reichen gefunden hätte Da alfo diefe
Nachrichten von des Nordens älteften Königen nur unrichtige Erklärungen
norbifcher Mythen find, können fie nicht Quellen für die alte norbifche
Geſchichte fein, fondern lediglich Beiträge für die Behandlung ber
nordifhen Mythologie. Gilt diefes von den Nachrichten über die Aſen,
deren Quellen wir Tennen, fo haben wir Grund, dasſelbe binfichtlich der
wenigen andern Nachrichten anzunehmen, die ein ähnliches mythifches Ger
präge haben, beren Quellen wir aber nicht mehr nachweiſen können u. f. w.
76
Was fobann die Nachrichten über bie Gegend, woher Odin nit
feinem Gefolge in den Norden einmanberie, und die Seit, da Dieſes
geihah, anbelangt, fo tragen fie kein mythiſches Gepräge und find von
dem Gefchichtfchreiber für völlig zuverläfiige Züge der älteften Gefchichte
Skandinaviens angejehen worden. Inzwiſchen Tann Suorros Zeugnis
über das, was ſich ungefähr 1800 Jahre vor feiner eigenen Lebenszeit
zugetragen, an und für fich jelbft feinen Werth haben. Er kann aud
keinerlei beftimmte Außerung hierüber bei irgend einem alten Stalven
gefunden haben; denn der Mann, der im Folgenden fich fo beflifien
‚zeigt, Alles, was zweifelhaft fein fonnte, mit Beugnifien der Stalden
zu belegen, würde dieſes bei den twichtigften Stüden ber älteften Ge:
ſchichte nicht verfäumt haben. Wir find fogar befugt, anzunehmen,
bag nad dem, wie wir die Beichaffenheit der alten Sagen im Allges
meinen und ber nordiſchen im Beſondern kennen, die Staldengefänge,
welche zu Snorros Zeit noch im Gebächtnis des Volkes waren, nicht
einmal folche beſtimmte biftorifche Nachrichten enthalten konnten. Alle
Cagengefchichte lehrt una nemlih, daß, wenn das Andenken an einen
Kriegszug oder eine Wanberung fich burch eine lange Reihe von Ge
fchlechtern fortpflanzgen fol, Diefes nicht in der "Form eines kurzen
biftorifchen Berichtes gejchehen, ſondern ſich an Begebenheiten Inüpfen
muß, die einen dauernden Eindrud hinterlaſſen. Sollten alfo zu Enorros
Zeit alte Erinnerungen an die Reife der Afen vom Tanais und beren
Beranlaffung vorhanden geweſen fein, fo bürften auch Mythen von ihren
Kriegen mit den Römern und den Abenteuern der Reife nicht gefehlt.
haben. Wir fönnen mit Sicherheit behaupten, daß weder zu Snorros
Zeit, noch überhaupt feit der Einführung bes Chriſtenthums ſolche
Sagen in Umlauf waren, denn wir haben allzu viele Bruchftüde von
Skaldenliedern aus dem 9, 10 und 11 Jahrhundert, um nicht von ben
Edden zu reden, übrig, als daß mir nicht in foldhen eine Spur fo
merkwürdiger Mythen gefunden haben follten. Die Gründe, aus welchen
verſchiedene neuere Schriftfteller mit Fug die orientalifche Herkunft ber
Stanbinavier behaupten, find aus der Vergleihung der Sprachen und
ber zeligiöfen Meinungen gefhöpft, welche Snorro nidt im Stande
war anzuftellen. Es jcheint daher nichts Andres übrig zu bleiben, als
daß wir annehmen, Snorro fei buch den Gefichtspunft, von welchem
er die alten Sagen betrachtet, auf dieſe Außerungen gebracht worden,
71
und daß e3 nicht etwas war, was er won Andern gehört hatte, fonbern
was er jelbft burch feine Forſchung herausgefunden zu haben glaubte.
Wir können foger mit Wahrfeheinlichleit angeben, was ibn in feiner
Forſchung geleitet haben kann. Jornandes ſowohl als Paulus Diaeonus
find ihm mahrfcheinlicher Weife befaunt geweſen. Diele beide Schrift-
fteller fchiden geographiſche Bemerkungen voraus unb beginnen darauf
die Gefchichte des Volles, die fie beichreiben wollen, mit der Erzählung
feiner älteften Wanderungen. So macht es auch Gnorw. Aber jme
Schriftfieller, die in den von nörblichen Volksſtaͤmmen geftifteten Reichen
lebten, konnten es dabei beruhen laſſen, daß fie die Stammväter vom
Norden kommen ließen. Snorto, der im Rorden ſelbſt lebte, mufte
ein andres Baterland für dieſes Stammvolk ſuchen. Zwar konnte bie
Neigung der Schriftſteller des Mittelalters, die Herkunft ber Völler zu
verherrlichen, indem man fie von den Trojanern ober anbern berühmten
Kationen bes Altertbums berleitete, eine Neigung, bie fi) aud zu den
Islaͤndern verbreitet bat, nicht wohl dem Geſchmackee des befonnenen
Geſchichtſchreibers zuſagen, aber ſchon die Namen Aſen und Asgarb
muſten ihn darauf führen, an Afien als ihr Vaterland zu denken.
Run Schreibt Jornandes Cap. 5, daß der Tanais, ber von den riphäi⸗
Shen Bergen, dem Ende ber befannten Welt, nieberfalle, vie berühmte
Grenze zwifchen Europa und Aſien fei; in dem iften Sapitel der Heims⸗
kringla aber bemerft Snorro nicht allein, daß der Tanais ben einen
Drittbeil der Welt von dem andern trenne, fondern außerdem, daß
biefer Fluß von Bergen komme, welche außerhalb ber beivohnten Länder
liegen. Er fügt noch weiter hinzu, daß ber Fluß mit Recht Tanais
heiße. Diejes muſte auf eine Beichaffenheit des Ylufies zielen, melde
den Namen rechtfertigte. Welche Beichaffenheit es war, kann uns nicht
zweifelhaft fein; denn es wird beigefügt, er habe vordem Tanaapisl ober
Banagqvisl geheißen; aber der eine diefer Namen kommt eben jo wenig,
als der andre, bei ixgend einem alten Schriftfteller vor. Das Ganze trägt
Dagegen bad Gepräge etymologifcher Conjectur. Tanais konnte leicht zu
Tanagvisl werben, Tanaqpisl aber fchien ungefähr basjelbe wie Vana⸗
quisl zu. fein; und ba dieſes Wort den Fluß der Vanen bezeichnen Tonnte!;
- 1 Biden Halborfens Lex. isl. II, 1845: Qufsl, ramus arboris, fluminis
u. ſ. we; darum muß denn aud Banaheim zwifchen den Äſten bes Strames,
i Vanaquislom, dat. plur., liegen.
f
78
fo war damit zugleich ver Name des Fluſſes erklürt und die Stelle be
ſtimmt, wo bie Banen wohnten und von deren Nachbarſchaft die afiati-
then Männer außgegogen waren, welche Odin anführtel. Die andre
Äußerung Snorros, daß Odin durch die Eroberung der Römer auszu⸗
mwanbern veranlagt worden fer, erläutert Müller ſodann noch aus theolo⸗
giſchen und genealogiſchen Combinationen dieſes Geſchichtſchreibers.
Dieſen mir in der Hauptfadhe ganz einleuchtenden Ausführungen
Müllers habe ih nur Folgendes beizufügen. Es handelt ſich hier nicht
von ber allgemeinen Frage über die Herkunft der germanifchen Völker
aus dem Diten und über bie Verwandtſchaft der nordiſchen Götterlehre
mit den Mythologieen ber aſiatiſchen Vollsſtämme, fonbern davon, ob
in den mythiſchen Sagen des Nordens fich beftimmte Hinweifungen auf
biftorifche Perſonen und Ereigniffe, namentlih auf die Einwanberung
einer aſiatiſchen Priefterenlonie und ihrer Lehre ermitteln lafien. Nun
kann aber ſoviel mit ziemlicher Sicherheit behauptet werben, daß Alles,
was zum Behuf einer foldhen Annahme von den Darftellungen Saros
und Snorrds an bis ‚zu ben gelehrten Ausführungen der neueren
Schriftiteller vorgebracht worden, gänzlich ungeſchrieben wäre, wenn
nicht in den nordiſchen Mythen ſelbſt die Götter Aſen genannt wären,
und ihr Wohnſitz Aſsgard, die Burg der Aſen. Allein eben das, daß
dieſer Anklang, der zu ſo weit greifenden Folgerungen geführt hat, auch
wirklich auf etymologiſcher Identität beruhe, daß die Aſen (ds, BI.
sesir) ſprachbegrundet Aſiaten (ſolche nennt Hervar. S. ©. 411, Asia-
menn) ſeien, unterliegt erheblichen Zweifeln. Jornandes Histor. Goth.
©. 86 f. fagt von ben Gothen:
Proceres suos, quorum fortuna vineebant, non puros homines, sed
semideos, id est Anses vocavere.
Diejes gothiſche ans num fällt, wie in der Bedeutung (numen,
deus), jo auch ſprachlich zufammen mit dem norbifchen Äs, wie
Grimm (Grammatik I, 286) gezeigt bat. (Wie dieſes As, eesir, fo
würde jenes ans, anzeis, althd. ans, enft lauten.) Grimm bringt -
mehrere analoge Fälle bei, mo das gothiſche und altbochbeutiche an
dem altnorbifchen A entipriht (Gramm. II, 429): Gothiſch ans
1 Einzuſchieben wäre Hier noch, daß Snorros großes Schweden (Svipiod
bin mikla) nichts anders if, als das alte Seythie magna, wie auch Geiler
826 näher nachgewiejen bat.
79
(trabe) masc. altn. As masc. trabs, .dst (amor, goth. ansts), bäs
(stabulum, goth. banst), g&s (anser, altbb. fans) u. ſ. w. Bon dem
althv. ans flammen manche Eigennamen: Anfesgis, Ans⸗helm u. f. w.
und in folchen bleibt zutveilen auch das n hinweg: As⸗ulf, As⸗pirin,
As-pirin, fem. (Orammı. II, 447). Durch biefen etymologifch ber
gründeten Zufammenbang find wir auf einmal weit von den Afiaten
entrüdt, die Afen find uns einfach Götter, und wenn wir fie wieder
an Afien anknüpfen wollten, jo müfte zuvor erft fprachlich nachgewieſen
fein, daß das profobifch kurze as in Afia mit dem gothifchen ans und
bem nordiſchen gebehnten As zufammenfallen könne. Nicht befier fteht
es mit dem ebbilchen Idafelde, welches man gleichfalls zum phrugifchen
Idaberge zu verjeen, keinen Anftand genommen bat. Idavöollr ift in
ben Edden der Play, wo die Aſen im Golbalter ſich verfammelten und
wo fie auch näch dem Weltbranbe fich wieder finden werben (Lex. myth.
195 f.). Nach Biörn Haldorſens Lex. isl. ©. 426 beißt aber Idavöllr,
m. nicht? andres, als: viretum, ein grüner Plat (ebd. idiar v. iflar,
f. pl. viror prati, Wiefengrün, idie-gresnn , viridis, floridus). Mebrere
andre norbijch -etymologiiche Ableitungen gibt Finn Magnufen a. a. O.
Das menschliche Dafein Odins und ber übrigen Aſen, als hiſtoriſcher
Berfonen, fällt uns nad allem bisherigen gänzlich hinweg und bie
afiatifche Abftammung der nordiichen Gdtterlehre Tönnen wir wenigſtens
nicht auf dem ‚angegebenen Wege für erwieſen ober erweisbar halten.
Es ſchien nöthig, von diefen nach unfrer Anfiht verfehlten Be
fitebungen ausführlicher zu fpxechen, weil ihre täuſchenden Ergebniſſe
ſitch in der Litteratur der nordiſchen Alterthumskunde jo jehr ausgebreitet
und fo feft eingewurgelt haben, daß man auch ba, wo die Irrthumer,
- von benen früher ausgegangen wurde, erkannt find, doch noch ihre une
vertilgbaxe Spur finden Tann.
Dieß ſcheint mir felbft in Geijers fonft jo gehaltreihen Unter:
fuchungen der Fall zu fein. Er beiennt fih in ber Hauptſache zu
Müllers Anfiht, wonad die Erzählung der Ynglingaſaga nicht für
ein hiſtoriſches Zeugnis gelten Tann (6. 327), und am Ende hat bach
auch er einen durch die mithribatifchen Kriege veranlaßten Zug Odins
im Jahrhundert vor Chriftus (S. 377. 365). Die Ausführung aber,
die ihn dahin leitet, gebt von ber Behauptung aus (S. 328),. betrachte
man die Angaben der Inglingafoga an und für fih, fo müſſe man
80.
zugeben, daß fie bloß vollgültige Zeugen von der Vorftelungsart ihres
Verfafiers feien und durchaus nicht für die Sache felbft zeugen können,
fofern dieſe nicht auf andre Art könne beiwiefen werben; follte jedoch
ein ſolcher Beweis gegeben werben können, fo wäre e8 in ber That viel
fonverbarer, wenn ein bloßer glüdlicher Zufall dieſe Übereinftimmung
zwifchen dem wahren Verhältniffe und ven isländiſchen Erzählungen
beiwerfitelligt hätte, als anzunehmen, baß in biefen eine wirfliche, wenn
auch dunkle und misverſtandene Erinnerung von der Begebenheit fich
erhalten babe.
Gegen dieſe Boransf etzung iſt einzuwenden, daß, wenn man ſich
einmal von der Zuſammenſetzung des Berichtes der Ynglingaſaga aus
menſchlich umgewandelten Göttermythen einerſeits und willkührlichen
gelehrten Combinationen anderſeits überzeugt hat, dieſer Bericht auch
durch keinen anderartigen Beweis haltbar werben könne. Der andre
Beweis bliebe doch immer ein neuer, für ſich beftehender, der von jener
in fih unbaltbaren Erzählung weder Beftätigung erhalten, noch fie be
ftätigen könnte. Über die neue Beweisführung Geijers Toll nun zwar
hier nicht abgeurtheilt werben, da wir fie doch nicht füglich in ihrem
ganzen Gange verfolgen können. Aber jedenfalls beweift fie nur Völker⸗
züge, die biftorifche Vorftellung von Din und den übrigen Aſen aber,
als Priefterlönigen und Religionsftiftern oder Religionsneuerern, iſt auch
bier als gültig vorausgejegt und verdankt doch ihren Urfprung wieder
nur der Ynglingaſaga und den ähnlichen Anfichten Saros.
Das echte Weſen Odins und ber Afen kann nur aus den unge
trübten Mythen felbft entnommen werden und hier find fie Perfonifi«
Tationen phyſiſcher und geiftiger Kräfte. So wenig als Odin ein ein
äugiger Menfch war, fo wenig war er ein Menſch überhaupt; er iſt
menfchlich zu nehmen in Teinem andern Sinne, als fofern er eine Idee,
ein Erzeugnis bes menfchlichen Geiftes und eine potenzierte menjchliche
Geiſteskraft tft.
Das Ganze der norbifchen Götterlehre bildet einen Gebanfenfreis
und in biefem felbit, von innen heraus müflen bie nationalen und ge
ſchichtlichen Einflüffe erlannt werben, denen man wirklich Glauben beis
meſſen fol.
Ein. Andres, als jene biftorifche Verlbrperung des Mythus, iſt die
Bildungsgeſchichte des mythiſchen Ideenkreiſes. Selbſt die hiſtoriſchen
81
Odine haben ihre Bedeutung nur ale Urheber und Vertreter verſchiedener
Entwicklungen der Glaubenslehre.
Die nordiſche Mythologie macht num allerdings ein fo durchge⸗
'arbeitetes, umfang: und geftaltenreiches Ganzes aus, daß wir nur eine
allmäbliche, ftufenmeife Ausbilbung zu biefem vollen Ganzen annehmen
Sonnen. Es ergeben fich fomit für die innere Bildungsgeichichte zwei
Hauptfragen, die über ven Urfprung und die fiber bie ftufentveife Ent«
widlung diefer Mythologie. :
Die Frage über den Urfprung geht hauptſächlich darauf hinaus,
ob fie ala ein Ableger ber uralten afiatiichen Religionsſyſteme anzu:
fehen ſei, welcher mit der Bevölkerung des Nordens von Dften ber
zugleich dahin verpflanzt worden.
Es kann in einer Sagengefchichte, wie wir fie unternommen haben,
am Menigften davon die Rede fein, ben mweltgefchichtlichen Zufammen: .
hang zwiſchen den Mythenkreiſen der verichiebenen Völlerftämme ver:
lãugnen zu wollen, und es find auch wirklich fchon bedeutende Überein-
ſtimmungen der nordischen Mythen mit den aftatifchen bargethan worden.
Finn Magnufen bat befonders in feiner Eddalehre hierüber vieles Ein:
zelne beigebracht, und mehr im Großen zeigt fih die Berwanbtichaft in
der Reihenfolge der Religionsfofteme, welche Görres in feiner Mythen⸗
gefchichte der afiatiichen Welt aufgeführt und mit einem Umriß der
norbifhen Glaubenslehre beilofien hat. Aber auch das ift nicht zu
miskennen, daß die nordiſche Mythologie in fich felbftändig daſteht und
daß es zu ihrem Verftändnis feines Suchens nad außen bebarf; und
dieß ift auch ver Grund, warum ich das Auffteigen gu den Religionen
des Orients und die ganze Vergleihung nad) außen nicht zum Bereich
unfrer fonft ſchon fehr umfangreichen Aufgabe rechne, mogegen wir in
einem fpätern Falle, wo das Germanifche nicht aus fich ſelbſt genügend
erflärt werben kann, allerdings zum Ausblid in die orientalifche Mythen»
welt gendtbigt fein werden.
Bei jener VBollftändigkeit in ſich bat aber auch die ſtandinaviſche
Mythologie ein Mimatifches und nationales Gepräge, wodurch fie jo
alt und tief bei den nörblichen Völfern gewurzelt erfcheint, daß wir
auch von biefer Seite nicht mehr im Stande find, das Erbtheil, das
fie von ber Wiege der Völler mitgebracht, von ber Ausbildung, bie fie
im Norden ſelbſt erlangt bat, zu unterſcheiden. Die Eiswelt Niflheim,
Uhland, Schriften. VI. 6
82
bie einheimischen Bilder des Ungeheuren, Wölfe, Erpichlange, Rieſen⸗
abler und fo manches Andre, was wir beiläufig berührt baben, ver:
feßt uns in bie eigentbümliche Natur der Nordwelt. Geijer bemerkt
war (©. 383), es ſei nicht recht begreiflich, wie in der Götterlehre ber
Nordbewohner die böje Bebeutung des Nordens überhaupt bie vor⸗
herrſchende fein Tönnte, wenn die Zehre felbft zuerft in den Umgebungen
einer norbiichen Natur entftanden wäre. Allein hierauf wird ſich Leicht
entgegnen laflen, daß auch im höchiten Norden doc wieder eine Nord⸗
und eine Sübfeite fei, eine Sommer und eine Winterhafde, ja daß
gerade bier Sommer und Winter fich im fchroffften Wechſel gegenüber:
fteben. Aber auch abgefehen von jenen Bildern des fchärfften nordiſchen
Gepräges, auf die etwa darum weniger Gewicht gelegt werben möchte,
weil der odiniſche Glaube auch unter den beutfchen Völkern außerhalb
Skandinaviens verbreitet war, weht durch dieſen Odinsglauben jener
gewaltige Geift der Kühnheit und des Kampfes, der ben germanifchen
Stämmen in fo beſondrem Maße eigentbümlich war.
Mas fodann, nächſt der Frage über den Urfprung, bie ftufenmweife
Entwicklung bes norbifchen Myihenkreiſes betrifft, jo glaubte ich fchon
in ber früheren Darftelung den Gang dieſer Entwicklung bauptfächlich
darin nachweifen zu Tünnen, daß fih auch bie urfprünglich phyſiſchen
Kräfte mehr und mehr in ben Bereich des geiftigen Lebens fteigern, bie
Banen in bie Gemuthswelt, die Joten in das fittlich Böfe Weniger
babe ich mich bis jet mit derjenigen Vorſtellungsweiſe befreunden
können, nach welcher je ein Beftanbtheil des jehigen Müutbenganzen
fih in fchichtenartigen Anjäten über den andern geichoben bat. Diele
Anficht fteht im Zuſammenhange mit ber von ben mehreren Odinen
oder Prieftescolonieen; jede derſelben ſoll ein neues veligiöfes Element
binzugebracht und über die früheren geltend gemacht haben. So rechnet
Münter zu der Religion vor den Zeiten des lekten Odins inäbefonbere
den Naturdienft des riefenhaften Utgarblofi, des gefürchteten Wolfes
Fenrir, der Midgarbsfchlange u. |. w. (S. 35). Geijer läßt nad ein
ander breierlei mythiſche Geſchlechter zus Herrichaft kommen, morunter,
wenn ich ihn richtig aufgefaht babe, das erfte die Joten find, das
zweite in Thor, dem Belämpfer der Joten, und das dritte in Odin
vertreten if. Er beruft fidt dafür auf eine Stelle des Saxo, ver bei
Anlap einer Riefengefchichte folgende Meinung äußert (8. I, ©. 9):
83
Nosse operte pretiam est, triplex quondam Mathematicorum genus
inauditi generis miracula discretis exercuisse prestigiis. Horum primi
fuere monstruosi generis viri, quos Gigantes antiquitas nominavit, hu-
mane magnitudinis habitum eximia corporum granditate vincentes. Se-
cundi post hos, primam physiculandi solertiam obtinentes, artem possedere
Pythonicam. Qui quantum superioribus habitu cessere corporeo, tantum
vivaci mentis ipgenio prastiterunt. Hos inter gigantesque de rerum
summa bellis certabatur assidnis, quoad Magi victores giganteum armis
genus subigerent, sibique non solum regnandi jus, verum etiam divini-
tatis opinionem consciscerent,. Horum utrique, per summam ludificandorum
oeulorum peritiam, proprios alienosque vultus variis rerum imaginibus ad-
umbrare callebant, illicibusque formis veros obscnrare conspectus. Tertii
vero generis homines, ex alterna superiorum copula pullulantes, auctorum
suorum nature nec corporum magnitudine, nec artium exercitio respon-
debant. His tamen apud delusas. prestigiis ınentes divinitatis accessit
opinio. Neg mirandum, si prodigialibus eorum portentis adducta bar-
baries in adulterine religionis cultum concesserit; cum Latindrum quo-
que prudentiam pellexerit talium quorundam divinis honoribus celebrata
mortalitas.. Hzc ideirco tetigerim, ne, cum prestigia portentave per-
scripsero, lectoris incredula refragetur opinio.
Auf dieſe Stelle irgend eine mythiſche Beriovenabtheilung zu gründen,
halte ich für ſehr bedenklich. Saxo zeigt bier offenbar eine jehr getrübte
Einficht in das Innere der ſkandinaviſchen Mythologie und es ift ihm
vielmehr darum zu thun, fi vor der Anerlennung ber beibnifchen
Gotterweſen zu verwahren und fie, wie Snorro, in ber Eigenſchaft von
Bauberern und Betrügern in fein Geſchichtbuch aufnehmen zu können.
Auch nach Vollsftämmen theilt Geijer die Beſtandtheile des nor-
diichen Mythenkreiſes ab, fo daß die Joten den finnischen Ureinwohnern
Skandinaviens und ihrem Glauben entfprechen, die Vanen ben wendi⸗
fchen Böllern an ber Dftfee (S. 387, 7), die Alen den eingewanderten
Gothen. (Über die Frage von der Stammeinheit der flandinavifchen
Gothen mit den Volkern der oſt⸗ und weſtgothiſchen Reiche, moraus
Geier jo Manches deduciert, wird bei der gotbifchen Helbenfage zu
ſprechen jein.)
Aus dem Kampfe ber celigionen verſchiedener Völker, welche
Religionen unter fich ſelbſt elementariſch verſchieden find, läßt Geijer
den jetzigen Complex der nordiſchen Mythologie hervorgehen. Das
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Ergebnis der hierauf gerichteten Forſchung bat er in folgendem (5. 296
bis 300) nievergelegt.**”
Sch laſſe biebei pas Einzelne beruben, worin meine Auffaffung
der mythiſchen Geftalten eine andre ift, 3. B. in Beziehung auf bie
Natur der Banen; ich gebe auch zu, daß einzelne, und nicht unerbeb:
liche Erfcheinungen, wie namentlich Thor ala Afe, fich fchmwieriger in bie
Anlage des Ganzen einorvnen, und ich könnte mir ohne foldhe Ring
zeichen mehrfacher Anfäte ein Gewächs, wie der norbifche Mythencyklus,
gar nicht denken, indem eine Mythologie niemals, wie ein ſpekulatives
Spftem, aus einem reinen und gleichartigen-Guffe fertig hervorgehen
ann. Dennoch aber vermag ich der völfer: und religionögefchichtlichen
Scheidung bes mythiſchen Zufammenbanges in der Art, wie Geijer fie
vornimmt, nicht beizutreten. Sie würde mix bie nordiſche Mythologie
nicht erklären, ſondern auflöfen. Die Joten, Vanen, Aſen haben mir
überhaupt Teinen Beſtand mehr, wenn fie von einander getwennt werben.
Wenn in einem mythologiſchen Ganzen Feuer und Waflerfräfte gegen:
einander fpielen, fo folgt daraus noch gar nicht, daß dieſes Ganze aus
dem Kampfe einer euerreligion mit einer Waſſerreligion entftanden
ſei. Der Kampf der Elemente liegt fo offen vor dem Auge, das in
die Natur blidt, daß es ganz einfach ift, ihn auch in jeber mythiſchen
Weltanſchauung von vorn herein gegeben zu finden. Sowie in ber
Mythologie, die wir dargeftellt haben, der Weltbau aus ben burch den
Geift gebundenen phyſiſchen Gegenſätzen auffteigt, fo kann ich mir auch
die Entftehung des nordiſchen Mythenbaus nicht ohne das urfprüngliche
Zuſammenwirken der verichiebenen Elemente benten, und fobalb biefe
durch hiftorifche Sonberung aus einander gerifien werben, fo bricht mir,
wie in Ragnaröf, das ganze mythologiſche Weltgebäube zufammen.
Der Betrachtung der norbiihen Mythen von phyſiſcher, etbifcher
und biftorifcher Seite könnte noch die vom poetischen Geſichtspunkt aus
beigefügt werben. Ich glaube jeboch, daß nach diefer Seite die mythi⸗
ſchen Bilder ſich durch ihre eigene Erfcheinung, in ber fie nach den
Quellen dargeftelli wurben, geltend machen müſſen. Vergegenwärtigen
wir und die verfchiebenartigen Geftalten, das ftarre wilde Sotenge
Schlecht, die Winterriefen mit dem Eisbart, dem breiedigen Hergen von
Stein und dem fteinernen Haupte, das Thors Hammer fpaltet, den
Sturmadler, deſſen Flügelihlag das Meer aufwühlt, den gähnenden
85
Rolf Fenrir und die erbumfpannende Niefenfchlange, den auf bie
Felſen gebundenen Loli, von deſſen Krümmungen die Erbe bebt, dann
die freundlichen Banen, Njörd, der das Lieb der Schwäne am Meeres:
firande liebt, Freyr, der von Odins Hocfite nach der Riefenjung-
frau fchaut, von deren weißen Armen Land und Luft erglänzen, Freya
mit dem leuchtenden Halsſchmuck, goldene Sehnfuchtsthränen weinend,
enblih ben geiftigen Ajenftamm, Odin mit dem Sonnenauge, den
reinen, glänzenden Baldur mit den weißblumigen Brauen, Idun mit
den Äpfeln ver Berjüngung, Bragi und Saga, bie vom Tranke ber
Begeifterung getrunten, das‘ waffenleuchtende Valhall mit der ganzen
Heldenſchaar ftreitbarer Aſen und Einherien, die Valkyrjen, die Schlacht:
tobten wählend und den Einherjen das Trinkhorn reichend, benfen mir
ung dieſe manigfaltigen Geftalten nicht als tobte Standbilder aufgeftellt,
fondern als lebendige Charaktere in rege Handlung geſetzt, dieſe Hand»
lung jelbft ein großartiges Weltganzes von der Entftehung aller Dinge
aus den Urelementen bis zum Untergange des Alls und dem Wieder⸗
aufgrünen des verfengten Weltbaumes, unter dem bie Nornen einft ber
Zeit und des Geſchickes walteten, in biefe Haupthandlung aber episodiſch
wieder bie charakteriftiichen Abenteuer der einzelnen Götterweſen ver
flochten, Thors Befuche im Riejenland, Skirnirs Brautwerbung, Odins
Fahrt nach dem Dichtertranke u. ſ. w., Abenteuer, in denen Thor,
Loki und fo fort in der feiteften inbivibuellen Charalterzeichnung auf--
treten, fühlen wir über biefem beivegten Leben immerfort die ſchwüle
Ahnung des von dumpfen Stimmen aus der Tiefe verfündeten Unter:
ganges ſchweben und ſehen wir doch, wie es zu jeder vollftänbigen
Weltvarftellung gehört, durch den Ernft des Ganzen aud den Scherz
und die ergekliche Zaune fpielen, bliden wir auf alles Diefes auch nur
flüchtig zurüd, fo wird uns bie nordiſche Mythologie, in poetifcher Hin⸗
fiht, als ein wohlgeglievertes !, geftaltenreiches Epos der Götterwelt ſich
darſtellen.
I Die Anerlennung dieſes poetiſchen Ganzen auch bei Fr. Schlegel a. a. O.
S. 254 bis 256.
86
2. Heldenſage.
Die Stelle, welche die Menſchen in der mythiſchen Weltanſchauung
des Nordens einnehmen, iſt bereits bei der Götterſage angezeigt worden.
Sie ſind, vermöge ihrer geiſtigen Natur, den Aſen zugeordnet, von denen
fie Leben und Geiſt empfiengen. Odin, der Vater der Götter und
Menſchen, jammelt in Valhall die rüftigen, kampferprobten Geifter, und
eben biefe in ihrem irdiſchen Stampfleben find die. Helden. Dieſem
deutfchen Worte entſprechen in ven norbifchen Liedern und Sagen. (vgl.
So. Edd. 195) die Benennungen: Rede (reckr), Hilding (hildingr,
Sohn der Hilbur, des perfonificierten Krieges), Heermann (hermadr),
Heerlönig (herkonüngr), auch einfach König (konüngr); denn eben die
Königsgefchlechter, die Durch Tapferkeit herrſchen, find die Heldenſtämme,
welche ihre Abkunft von den Göttern und zwar meift von Odin felbft,
als ihrem gemeinfamen Stammpater, herleiten. (Die Stiftung der ver-
ſchiedenen Stände wirb Heimdalln zugefchrieben, in der Einleitung zum
Rigsmäl) Dem Angeführten gemäß ift auch Ddin derjenige unter ben
Böttern, der am Deveutenbften entweder unmittelbar, ober burch feine
Dienerinnen, die Ballyrien, in das Leben und die Schichſale ber Helden
hereingreift.
Hat uns nemlid die Götterfage mit den Verhältnifien ver Men-
fchen vom Standpunkte der Göttermelt aus befannt gemacht, erfuhren
wir dort, zu welchem Gott oder welcher Göttin um dieſe oder jene Gabe
und Segnung ber Anruf und die Gelübbe der Menfchen emporfteigen,
faben wir bie von der Erde Abgerufenen in Odins Valhall, ober in
Freyas Follvang, oder in Hels bunfle Säle aufgenommen, die zu
Einherien erhobenen aber fortan am himmlifchen Leben und den Welt:
fämpfen der Götter Theil nehmen, fo werben wir nun umgelehrt in
der Heldenfage die Einwirkungen der Götter und diefe ſelbſt in das
irdiſche Menfchenleben hernieberfteigen fehen. So bilvet die Heldenſage
einen ergängenden Theil des mythiſchen Weltfoftems, und je höherem
Altertum die zu ihr gehörenden Lieder und Sagen entfprungen find,
um fo harmonifcher verbinden fie ſich mit den Göttermythen nad} Gegen:
“Stand, Geift und äußerem Gepräge zum großen, himmlifches und irdi⸗
fches Leben umfaflenden Weltganzen.
Es hat fih aud in Anwendung auf deutiche und norbifche Eagen-
&
87
geichtchte Die Neigung geäußert, in ber Helbenfage nur eine vermenſch⸗
lichte, getrübte und geſunkene Gbtterſage zu erfennen. So behauptet
Mone, Creuzers Symbolif und Mythologie im Auszuge von Mofer
©. 897 f.:
Heldenfagen waren im Heidenthum der Bollsglanben Dem efoterifchen,
priefterlichen gegenüber] und beſtanden in Göttergeſchichten, aufgefaßt nach
menſchlichen Berbältniffen; Geburt, Thaten und Tod der liberirdifchen Weſen
murden darin erzählt und überliefert. (Vgl. Mone, Geſch. I, 827. II, 122.)
Allerdings nun finden wir in der Geſchichte ver Sagen häufig
auch den Hergang, daß die Gottermythen menſchlich umgeftaltet were
den, nit etwa bloß in gelehrter Abficht, wie im obigen Beifpiele
ber Heimskringla, fondern im Wege vollgmäßiger Sagenentwidlung,
wovon gleich nachher Fälle angeführt werden follen. Aber jener Her:
gang ift keineswegs der allgemeine ober vorherrſchende. Wo überhaupt
die Sage zu einer vollen Ausbilbung gelangt ift, merben wir bie höhere
und die irdiſche Welt, Göttliches und Menfchliches, gleichzeitig beftehen
und manigfach in einander greifen fehen. Auch die Heldenfage ift dann
nicht ohne Götter, immer zeigt fie im Hintergrunde den Götterhimmel,
und bie einzelnen Göttergeftalten treten freundlich oder feinplich wirkend
in die irdifche Handlung ein; aber eben nur aus dem gleichzeitigen Vor⸗
handenſein zwei verſchiedener Welten Tann diefes Verhältnis hervorgehen.
Sp bilden Götterfage und Helvenjage zufammen ein Ganges, aber fie
find nicht identiſch.
Sie flir iventifch zu nehmen, verleitete vorzüglich bie Ühereinftim-
mung, bie zwifchen beiden beſteht. Man fand in ber Darftellung irbis
{cher Geſchichten mikrokosmiſch diefelben Ideen und Geſetze waltend, die
im Nakrokosmus der Göttermelt und bes allgemeinen Weltlebens ſich
offenbarten. Allein ein Widerſpruch, ein ben Zuſammenhang güttlicher
und menfchlicher Dinge aufhebender Misllang wäre gar nicht gedenk⸗
bar, ba ja die jeweiligen Borftellungen von den Göttern in benfelben
Geiftern lebendig waren, in denen die Heldendichtungen ihre Pflege
fanden. Die Heldenfagen find ver geiftige Ausdrud bes Vollslebens,
fie können fo wenig als das Vollsleben ſelbſt, außer Verhältnis mit
dem Glauben ver Volker gebucht werben. Wenn aber Mone bie weitere
Überzeugung ausfpricht (I, 321), „wie fehr die großen Glaubensfäge
ben Charakter ber teutichen [germaniſchen] Völker gebilvet und beren
88
Geſchichte geftaltet haben;” fo wird dieß nur mit der Beſchränkung
angenommen werben Tünnen, daß zwiſchen bem Glauben ber Böller
und ihrem Charakter, der zugleich ihre Gefchichte beftimmt, eine Wechſel⸗
wirkung ftatt finde, daß allerbings die odiniſche Glaubenslehre auf
den Charakter und bie Unternehmungen ber germaniichen Böller ans
vegend eingewirkt, daß aber auch zum voraus ſchon ver Tampfrüftige,
thatkräftige Geiſt diefer Volker dem Odinsglauben fein eigenthüämliches
Gepräge gegeben habe. Diefelbe Wechfelmirtung aber, wie zwiſchen ber
Glaubenslehre und dem Völterleben, finden wir ſehr natürlich auch
zwifchen ber poetifchen Geftaltung beider, zwiſchen der Götterfage und
der Helbeninge.
Die beveutendften Quellen und Hülfsmittel für bie Kenntnis ber
norbifchen Helvenfage find folgenve:
1. Die beiden Ebben, und zwar in ber ältern die auf die mythi⸗
ſchen Gefänge folgenden Helbenliever, nad der jetzt gewöhnlichen Abs
theilung 20 an der Zahl, aus den der deutſchen Poefie mit der nor
diſchen gemeinfamen Sagenkreifen von Bölund, den Völfungen und
Niflungen. Aus ber jüngern Edda ober vielmehr der ihr angehängten
Stalda gehören hieher einige Sagen und ein vollftändiges Lied, Grotta-
fang, bie zur Erklärung poetifcher Ausbrüde der Skaldenſprache beis
gebracht find. Die Litteratur ber Edden ift ſchon bei ber Götterfage
angegeben worden.
2. Die nichthiftorifchen isländifchen Sagan.
Wie in die Gbtterwelt Bragi und Saga aufgenommen find, fo
wurbe im Norben und vorzugsweife wieder von den Isländern neben
ber Skaldenkunft au die Erzählung in ungebundener Rebe fleißig be
trieben. Eine ſolche Erzählung größeren Umfangs hieß Saga (eine
fürzere nannte man Thättr) 1; ein in Erzählungen wohl erfahrener Mann
hieß Sagenmann (Sagnamadr, auch Fræedimadr; at freda, erudire).
Der Charakter der Sagan mar entiveber vorwiegend ein gefchichtlicher,
foweit in ihnen Begebenheiten aus der Zeit ber Bebauung Islands in
der zweiten Hälfte des Hten Jahrhunderts, oder ber zunädft vorher
gegangenen und der nachfolgenden Zeit, erzählt wurden, ober ein, im
engern Sinne, ſagenhafter, mythiſch-poetiſcher, fofern die Erzählung.
4 Sagabibl. IT, 493.
2) -
ſich beſonders auf die Altern, vorgefchichtlichen Erinnerungen aus dem
norwegischen Heimathland und dem übrigen Norden eritxedte. Die Sagan
wurden in der Bollsverfammlung und an Königshöfen vorgetragen,
fie waren an langen Winterabenden bie Unterhaltung der in ber ge
meinſchaftlichen Stube vereinigten Hausgenoſſenſchaft, wie fie es auf
Island noch jest find. Auch diefe Sagenerzählung hatte fich gewiſſer⸗
maaßen zur Kunft ausgebildet, fie hatte in Stil und Form ein eigen:
thümliches Gepräge erhalten. Waren die mythiſchen und heroiſchen
Skaldenlieder nicht jelten von kurzen Einleitungen und Zwiſchenſätzen
in Profa begleitet, fo find befonbers die älteren Sagan häufig mit
Berfen durchwoben und hatten in ven Liebern ihre Grundlage ober ihren
Stützpunkt. Niebergeichrieben wurden die Sagan feit dem 12ten jahr:
hundert. Sie wurden nicht fchriftlich verfaßt, ſondern giengen jchon
volllommen fertig in die Schrift über. Mündlih und namenlos, wie
alle voflamäßige Überlieferung, haften fie fih berangebilvet und ihre
Übertragung in Schrift glich, nach Geijers Ausprud, dem Abpflüden
einer reifen Frucht.
Über dieſen Gegenftand geben Aufſchluß und Nachweifung:
B. €. Müller, Über den Urfprung und Verfall. der isländiſchen Hiſtorio⸗
graphie n. ſ. w. aus dem Dänifchen überſetzt von 2. C. Sander. Kopenhagen
18313. Derfelbe in den Einfeitungen ver Sagabibliothel. Geijer, a. a. O.
Cap. 5, 6.155 fi.
Wenn nün gleich auch die hiftorifchen Sagan noch manche fagen-
bafte Züge aufgenommen haben, jo geben uns doch hauptfächlich die
vorgeichichtlichen, mythiſch⸗poetiſchen an. Von dieſen iſt neuerlich fol-
gende Sammlung. veranftaltet worden, die ich ftatt aller einzelnen
Ausgaben anführe ſogl. Möbiug Catalog. libr. island. ©. 33 ff. 8.]:
Fornaldar Sögur Nordrlanda eptir gömlum handritum ütgefnar af
C. C. Rafn. 3 Bände. Kaupmannahöfn 1829 ff.
Eine dänifche Überfegung diefer Sagenflaffe: Nordiske Kempe- Historier
efter islandske Haandskrifter fordanskede ved C. C. Rafn. 8 Bände.
Kjöbenhavn 1821 bis 1826.
Reue Ausgabe, mit der Sammlung der tsländiffgen Originale parallel
laufend, doch mit einzelnen Ansnahmen: Nordiske Fortids Sagaer, efter den
udgivne islandske eller gamle nordiske Grundskrift oversatie af C. C.
Refn. 8 Bände. Kopenhagen 1829 bis 1880.
pP” \
%
Ans Deutiche find nur diejenigen Sagen vollftändig überſeht, welche
zu dem ben Deutfchen mit dem Norden gemeinfamen Bolſungen⸗ und
Niflungenchklus gehören:
Nordiſche Heldenromane, überſetzt durch F. H. v. d. Hagen. 5 Bändchen.
Breslau 1814 fi.
Als Hülfsmittel ift beveutend:
Sagabibliothek med Anmerrkninger og indledende Afhandlinger, af
P. E. Müller. 3 Bände. Kjöbenhavn 1817 His 1820.
Diefes ſchätzbare Werk gibt Auszüge aus den islandiſchen Sagan
mit litterariſchen Notizen und ſagengeſchichtlichen Unterſuchungen. Für
unſern Zweck gehört vorzüglich der zweite Band, der das eigentlich Sagen⸗
hafte umfaßt, während die beiden andern Bände mehr hiſtoriſchen In⸗
halts ſind. Ins Deutſche übertragen iſt nur der erſte Band:
Sagaenbibliothek des ſtandinaviſchen Alterthums von P. E. Milller, aus
ter däniſchen Handſchrift überſetzt von K. Lachmann, Berlin 1816. [B. 2, bear-
beitet von ©. Lange. Frankfurt a. M. 1832. K.) \
3. Saros dänische Geſchichte:
Saxonis Grammatici Historie Danic® Libri XVI, e recensione Ste-
phenü u. f. w. ed. C. A. Klots. Lipsie 1771. 40,
Über ihn und fein Wert:
Die Profegomena von Klotz, wo befonders auch das Biographifche zu finden.
P. €. Müllers Abhandlung über die Quellen der 9 erften Bücher Saros und
ihre Glaubwilrdigleit, in der angeführten Critisk Undersögelse af Danm. og
Norg. Sagnhist. Geijer, a. a. D. Gap. 5, ©. 205 fi.
Kloß, Proleg. S. 6: Apprime vero conveniebat Saxoni Grammatici
nomen, quo illa, quam mediam vulgo appellant, etas virum literarum
ingenuarum et liberalium scientia instructum ornabat,
Saxo, zugmannt Grammaticus, ein bänifcher Geiitlicher, wahr:
ſcheinlich Probft der Kirche zu Roeskild, fchrieb fein Geſchichtwerk in
der zweiten Hälfte des 12ten Jahrhunderts, auf die Aufforderung des
Erzbiſchofs Abfalon zu Lund, Seine Aufgabe erftredte ji auf den
ganzen Umfang des damaligen Dänenreihd, die Inſeln, Sütland,
Schonen. Der Reihthum vorgefchichtlicher Überlieferungen, der ihm zu
Gebote. ftand, war fo groß, daß die Hälfte feines Werks, die neun
eriten Bücher, vie bis über ben Anfang bes 10ten Jahrhunderts veichen,
noch faft durchaus der Sage anheimfällt. Dadurch ift feine Arbeit eine
91
.
reiche Fundgrube für die norbifche Sagengeſchichte geworden. Eie ber
ruht auch in biefer vordern Hälfte großentheils auf Liedern und Bolls-
fagen und die vielen verfificterten Stellen, die er überall eingefireut hat,
find offenbar Überfegungen alter, einheimilcher Gefänge, was auch noch
für einzelne Fälle beſtimmt nachgewiefen werden kann. Ex braucht geme
zu feiner Gewähr Ausbrüde, wie: veteres tradunt, antiquitas per-
hibet, vulgaris opinio, vulgaris sententia u. f. iv. (@eijer ©. 206 f.)
Die Leiſtungen der Isländer waren ibm nicht unbelannt; da er aber
auf eigenem, bänifchem Boden bie nollsmäßigen Überlieferungen aufs
nahm und ſanmelte, jo wird burch ihn nicht nur Manches, was bie
Seländer geben, beftätigt, ergänzt ober in anderer Ausbilbung ber ein,
zelnen Sagen bargeftellt, ſondern es erhält auch ber nordiſche Sagen⸗
That überhaupt durch ihn einen bebeutenden Zuwachs merkwürbiger
Kunden, welche nur in feiner Aufgeichnung noch vorhanden find. Zwei
Umftände tbun feinem Werke, in VBergleihung mit den islänbifchen
Dentmälen, Eintrag. Der eine ift, daß Saro lateinifch fchrieb und
zwar in einem rhetoriſch gezierten und phraſeologiſch gebehnten Stile.
Wie anders aber, in eigenthümlicher, einheimifcher Farbe, würde Alles
vor uns ftehen, wie fehr müften wir in ber unmittelbaren Anſchauung
altnordifcher Boefie und Sage bereichert fein, wenn Saxo, gleih ben
Söländern, die mündliche Überlieferung ohne den Zwiſchentritt einer
fremden Sprache in Schrift gefaßt hätte? Dennoch liegt nicht bloß in
diefen Überlieferungen felbft eine fo unvertilgbare Kraft ihres urfprüng:
lien Weſens, ſondern es fand fich auch glücklicher Weile bei Saro
fo viel nationaler und poetifcher Sinn, daß wir auch durch die fremb-
astige Scheidewand hindurch noch lebhaft von dem Geifte nordiſcher
Spgendichtung ergriffen werben. Der andere nachtheilige Umftand ift,
daß Saro die Sagen vom Standpunkte der Geſchichtſchreibung aus auf
faßte. Sie fellten für hiſtoriſche Berichte gelten, follten in paſſende
Zeitfolge und örtlihe Stellung, in eine wohlgeorbnete Reihe bänifcher
Könige zufammengefügt werben. Während nun in ben vorgeichichtlichen
isländiſchen Sagan jede Sage, in gänzlich unbefangener Auffaſſung,
vollſtaͤndig zugleich. und. in ſich abgeſchloſſen, gegeben ift, fo muſte Saro
für feinen Zweck ſichten und orbnen, trennen unb verbinden. Alles
biefes geſchah zum Nachtheil der Sage, ohne darum der Geſchichte Vor⸗
theil zu bringen. Er verfuhr nicht ohne leitende Grunde, die wir
«
nur nidt für baltbare anerkennen werden, z. B. wenn er die Rieſen⸗
geſchichten voranftellt, nach der Anſicht, daß Rieſen in der älteſten Zeit
den Norden bewohnt haben. Aber bei all Dieſem verfälſcht er doch nie
mals die Sage. Davor bewahrte ihn eine fromme Vorliebe für dieſe
vaterländifchen Altertblimer und eben jener poetifche Sinn, ben mir
ihon an ihm gerühmt haben und aus dem allein auch das Werk in
ſolcher Sagenfülle hervorgehen konnte (vgl. Undersög. 6). Allerdings aber
find wir nun auch nicht durch Saros hiftoriſche Auffaſſung und chrono⸗
logiſche Anordnung gebunden, ſondern wir lafien frei ven Maaßſtab der
Sage walten, wir ſondern, was nur äußerlich zuſammengeſtellt iſt, und
wir verbinden wieder, mas, nad) Saxos Zeitrechnung weit auseinander
gerüdt, vermöge innerer Verwandtſchaft zufammengehört. Durch feine
redliche Weife bat auch Saro dieſes Verfahren ſelbſt erleichtert. Er:
jcheinen manche feiner Erzählungen nicht mehr fo in echter mythiſcher
Geftalt, wie in den isländifchen Aufzeichnungen, fo it dieſes nicht einer
Fälſchung von feiner Seite beizumeſſen, fonbern dem Umftanbe, baß
in bem früher chriſtlich gewordenen und allen äußern Einflüffen näher
ausgeſetzten Dänemark, vielleicht auch bei weniger feiten und geregelten
Formen der’ Überlieferung, die Sagen im Bollsmunde felbft, aus dem
Saro fie aufnahm, fchon manigfache Umwandlung erfahren hatten.
Daß Saro, wie früher erwähnt wurde, Odin und andre Aſen als
hiſtoriſche Perſonen behanbelt, mag auf benfelben Gründen beruben,
welche in. Snorros Heimskringla dieſelbe Behandlungsweiſe veranlapt
hatten. Aber auch die Ericheinung zeigt ſich bei Saxo, daß in der
Volksſage ſelbſt ſchon ber Gdttermythus ſich menſchlich umgeſtaltet hatte.
Ich gebe die Beiſpiele hievon, bevor ich zur eigentlichen Heldenſage über⸗
gebe, in welcher, nach ben obigen allgemeinen Bemerkungen, dieſer Her
gang keineswegs ald ber vorherrſchende zugeftanden tuerben Tonnte.
Ob Sars den Mythus fchon in der Vollksſage vermenihlidht nor:
fand oder felbft erft ihn an Perfonen, bie ihm für biftoriiche galten,
anfnüpfte, kann in dem zumächft folgenden Falle noch für zweifelhaft
angeſehen werben.
Wir haben in der Götterfage den Wechſelgeſang kennen gelernt,
worin der Bane Ridrb und feine Gemahlin Stabi, aus dem Noten
geſchlecht, nach dieſer Verſchiedenheit ihrer Naturen auch ihre verſchiedene
Reigung ausſprechen. Niörb ift müde der Berge, wo ihm ber Wölfe
=
\ 4 93
Heulen widrig fchien gegen der Schwäne Lieb. Sladi konnte nicht
fchlafen am Strande des Meeres. vor dem Geſchrei der Seewögel, jeben
Morgen wird fie von der Möve gewedt (j. Edda 186). Bei Saro nun
(B. 1, ©. 21) wirb von dem achten Dänenlönige Habbing, befien ganze
Geſchichte übrigens höchſt ſagenhaft lautet, erzählt, ex habe, nachbem er
mehrere Jahre untriegerifch dem Feldbau obgelegen unb dem Seeweſen
entfrembet geblieben, ſich zulegt felbft folgenbermaßen angellagt:
Quid moror in latebris opacis,
Collibus. implicitus scruposis,
Nec mare more sequor priori?
Eripit ex oculis quietem
Agminis increpitens lupini
Stridor et usque polum levatus
Questus inutilium ſerarum
Impatiensque rigor leonum u. f. w.
Officiunt scopuli rigentes u. ſ. w.
Mentibus eequor amare suetis.
Nam freta remigiis probare
Officii potioris esset,
Mercibus ac spoliis ovare u. f. w.
ZRquoreis. inhiare lucris,
- Quam salebras nemorumgue flexus
Et steriles habitare saltua.
Seine Gemahlin aber, die Das Leben in Yeld und Wald geliebt und
dem frühen Rufe der Seevögel abbolb geweſen, babe fich jo geäußert:
Me canorus angit alis immorantem littori
Et soporis indigentem garriendo aoneitat u. |. w.
Neo sinit pausare noctu mergus alte garrulus
Auribus fastidiosa delicatis inserens u. |. w.
Tutius sylvis fruendum dulciusque censeo u. |. w.
Mir haben bier eine offenbare Paraphrafe des alten mythiſchen
Liedes; wie aber Saro dazu gelommen, es dem bänifchen Königspaare,
fo misverftanden, in den Mund zu legen, ob ihm dazu fchon in ber
volf3mäßigen Überlieferung Anlaß gegeben war oder ob er durch eine
gelehrte Combination darauf geführt worben, ift ungewiſs.
Sichrer dürfen wir in einem andern Falle annehmen, daß er ben
Böttermythus ſchon in der Vollsfage epiich zugebilbet antraf. Wir
94
erinnern und, wie bie j. Edda ben Tob bes göttlichen Baldurs durch den
blinden Höbr, dieſe entfcheidende Kataftrophe des Welt: und Götter
lebend, und die dafür von Bali, Baldurs Bzuber, genommene Rache
darftelt. In Saros tem Buche finden wir Hödem wieber als einen
König über Dänemark und Schweden, Hother, von dem Folgendes ge-
melbet wird (B. 3, ©. 53 ff.): Hother, Hodhrods Sohn, erwuchs
in der Pflege des norwegischen Königs Gevar. Er war nicht bloß in
allen Leibesübungen Träftig und gewandt, auch in jeder Art des Saiten:
ſpiels war er unübertroffen. Er verftand, damit jede frohe oder ſchmerz⸗
lihe Stimmung, jede milde ober heftige Bewegung der Seele hervor⸗
zurufen. Nanna, Gevars Tochter, warf ihre Neigung auf den viel:
begabten Züngling. Einft aber fah Balbur, ein Sohn Odins, die
Jungfrau im Babe. Ihre glänzende Echönheit entflammte in ihm bie
beftigfte Leivenfchaft und er beichloß, fich Hothers, der feinen Wünfchen
im Wege ftand, mit dem Schwerte zu entledigen. Um biefelbe Zeit
verirste Hother auf der Jagd im Nebel und Tam in dad Gemad ge
wiſſer Waldjungfraun, bie ihn mit feinem Namen grüßten. Auf fein
Befragen, wer fie feien, erwiderten fie, durch ihre Lenkung werde bas
Gefchi der Kriege beftimmt, oft feien fie, Niemand ſichtbar, in ber
Schlacht gegenwärtig und jchaffen ihren Freunden heimliche Hülfe. Auch
wuften fie von Balders Leidenſchaft für Nanna und ermahnten Hothern,
jenen, als einen Halbgott, nicht mit Waffen zu reizen. Nachdem
Hother biefed vernommen, ſah er auf einmal, zu jenem Erftaunen,
das Gemad mit den Jungfraun verichwunben und fich ſelbſt unter
freiem Himmel daſtehend. |
Ignorabet enim, quæ circa se gesta fuerant, ludibrium tantum in-
aneque prestigiosarum artium extitisse commentum.
Indem man einmal die Zauberei anerfannte, hatte man überall
für die geichichtliche Anficht gewonnenes Spiel. Hother begab fich
bierauf ſogleich zu Gevar und warb um deſſen Tochter. Der König
äußerte, daß er Hothern fehr gerne begünftigen würde, wenn ex nicht
den Born Balbers fürchtete, ber fich zubor fchon mit ber gleichen Bitte
an ihr gewendet. Balder fei felbft vor Eifen feft, doch geb’ eö em
engvertwahrtes Schwert, mit dem allein Balber getöbtet werben könne.
Im Beſttze besjelben, fowie eines wunberbare Stärle verleihenden
Halsbands fei ber Zwerg (sylvarım Satyrus) Wimring Mittel
\ j 95 ”
der Anweiſungen Gevars zwingt Hother dem Biverge die beiden Kleinode
ab, Balder kam nun gewaffnet zur Freimerbung in Gevars Land.
Dieſer hieß ihn Nannas Gefinnung felbft erforſchen. Ihre Antwort
fiel dahin aus, Daß ihr eine Verbindung zwifchen Göttern und Sterb-
lichen nicht paſſend ſcheine. Es fand hierauf ein Seetreffen zwiſchen
Hotber und Balder ſtatt. Menichen ftritten bier gegen Götter. Yür
Balder lämpften Dbin und Thor und die heiligen Götterfchaaren.
Hother jedoch, mit einem eifenfeften Schlachtgewand umgürtet, brach in
die bichteften Schlachtbaufen der Götter und wüthete, jo viel ein Erden⸗
fohn gegen Tiberirbifche vermochte. Aber auch Thor zerfchmetterte mit
dem Schwung feiner Keule unmiberftehlih Schilder und Helme. Der
Sieg wäre den Göttern geivorden, hätte nicht Hother, als fchon fein -
Heer zu weichen begann, den Griff der Keule abgehauen. Dieſer Waffe
beraubt, ergriffen die Götter plöglich die Flucht:
Inimieum opinioni esset, nisi fidem antiquitas faceret, deos ab homi-
nibus superäri. Deos antem potius opinative, quam naturaliter dicimue.
Talibus namgue non natura, sed gentium more, divinitatis vocabulum
damus.
Bon der Flucht Balders zeugt noch der Name des Hafens. (Testis
belli portus Balderi fugam vocabulo refert.) anna wurde nun
Hothern zu Theil, doc war damtt ber Krieg. nicht beendigt. In einer
andern Echlacht war Balder der Sieger; feinem bürftenben Heere ließ
er einen Duell aus der Erde fpringen. Auch baran haftet noch fein Name:
Novos humi latioes, terram altius rimatus, aperuit. Quorum erum-
pentes scatebras sitibundum agmen hianti passim ore captabat. Eorundem
vestigia, sempiterno firmata vocabanlo, quanquam pristina admodum sca-
turigo desierit, nondum prorsus exolevisse ereduntur.
Lex. myth. ©. 29: Fous Balderi ibi memoratus, danice Baldersbrönd
(inter Havniam et Roskildiam situg), id nomen hodie retinet.
Balder wurde jedoch von Gefpenftern, welche Nannas Geſtalt an-
nahmen, zur Rachtzeit fo fehr gequält, daß ex Tran! wurde und nicht
mehr zu Zube geben konnte. Er muſte fich deshalb eines Wagens ber
dienen. Gleichwohl Ichlug er Hothern noch emmal, Diefer floh nad
Sätlanb, wo aud er einem Orte den Namen gab:
Qui cum in Jutiam concessisset, vicum, in quo manendi usum habuit,
nomine suo nuncupandum curavit.
%
Nachher begab er fi, feines Unglücks müde, ganz allein in eine
Wildnis in Schweden. Auf dem Gipfel eines hoben Berges pflegte er
dort dem rathfragenden Volle Beſcheid zu geben. Im unwegſamen
Walde kam er einft in eine Höhle, welche von benjelben Jungfraun
bewohnt murbe, bie ihn einft mit dem unverleßbaren Kleide beichenkt
batten. Er Hagte fie an, daß es ihm nicht ergangen, wie fie ihm ver:
fprochen hätten. Die Yungfraun bemerften, daß auf beiden Seiten
gleich viele gefallen feien, und ficherten ihm den Sieg zu, wenn er eine
töftliche Speife, die zur Mehrung der Kräfte Balders erdacht wäre,
hinwegzunehmen vermöchte. Hieburch fand ſich Hother von Neuem zum
Kampf ermuthigt. Es warb abermals eine Schlacht geliefert, ver, bei
ziemlich gleichem Verluft auf beiden Seiten, vie Nacht ein Ende machte.
Um bie dritte Nachtwache gieng Hother heimlih aus, um die Feinde
auszufundichaften. Da ſah er aus Balders Lager drei Sungfraun kom⸗
men, welche die geheimnispolle Speife trugen. Er verfolgte fie eilig,
denn die Spuren im Thaue verrietben ihm ihren Weg, bis zu ihrer
Wohnung. Auf ihre Frage, wer er fei, nannte er fih einen Harfner
(eitharedum), und als fie ihm ein Saitenfpiel darboten, ſchlug er 8
in den liehlichften Klängen an. Die Sungfraun (nympbee) hatten brei
Schlangen, deren Eiter fie in Balder Speije zu miſchen pflegten.
Damit waren fie eben befchäftigt. Die Eine wollte fchon Hotbern von
diefer Speife mittheilen, als die Altefte erflärte, Balder werde gefähr-
bet, wenn man bie Kraft feines Feindes mehre. Der Gaft gab jedoch
vor, er fei nicht Hother, fondern ein Begleiter Hotherd. Hierauf
ſchenkten ihm die JZungfraun huldreich einen fchönen, fiegträftigen Gürtel,
Auf dem Rüdwege begegnete er Baldern, vertvundete biefen und ftredte
ihn halbtodt nieder. Balder fühlte fein Ende nahe, aber, durch den
Schmerz der Wunde aufgereizt, erneuerte er am folgenden Tage bie
Schlacht. Er ließ fih in diefelbe tragen, um nicht im Gezelt eines
unrühmlichen Todes zu fterben. In der folgenden Nacht fab er im
Schlafe 1 Hel (Proserpina) vor ſich ftehen, die ihm verfündigte, daß
fie ihn am kommenden Tag umarmen werde. Die Weiflagung bes
Traumgefichts war nicht leer. Nach Verfluß von drei Tagen erlag
Balder dem Schmerz der Wunde. Sein Heer beſtattete ben Leichnam
1Bgl. Hrolfs S. Cap. 5.
9
koniglich und erhob barüber einen Grabhügel. Dieſen wollten, wie
Saxo hinzuſetzt, zu feiner Zeit (vigente veteris sepulture fama)
einige Männer, in ber Hoffnung, Schäße barin zu finden, zur Nachts
zeit aufgraben, entfloben aber, von plöglichem Schrei ergriffen; denn
es ſchien ihnen auf einmal vom Gipfel bes fteilen Berges ein gewaltig
rauſchender Strom berabzuftüizen und fich über das Felb zu ergießen.
Niemand magte fortan fi an dem Hügel zu vergreifen 1.
Sazo erzählt hierauf noch weiter, wie Odin, nachdem er die Wahr
fager über bie Rache für Baldern befragt, mit Rinda, ber Tochter des
Nuffenlönigs, einen Sohn erzeugte, ber bier Bous genannt wird und
welchem Hother in der Schlacht unterlag; eine Erzählung, welche mehr,
ala das Vorhergehende, ven mythiſchen Charakter erhalten bat.
Die Geſchichte Balders und Hothers aber, wie Saro fie aufge
nommen bat und wie ich fie,, mit Weglaffung manches ganz Fremd⸗
artigen, mitgetheilt habe, ift allerdings ein verwanbelter Gottermythus
in ber Art, wie Done bie ganze Helvenfage betrachtet wiflen will. Die
Identität im Ganzen mit dem Inhalte ver Edda ift volllommen beuts
lich und auch die einzelnen mythiſchen Züge fcheinen vielfach binburd;
fo Baldurs fchivere Träume, Odins Yulunftfrage bei den Soten, Now
nen und Ballyrien, obwohl hier vermengt, bie Götterfpeife mit den
Schlangen, die an Suttungs Meth, den Din als Schlange geholt,
erinnert. Sa es mögen bier durch bie Bollafage manche, in den Edden
nicht überlieferte Züge des Mythus aufbehalten fein. Die epiſche Aus
malung, vie Antnüpfung an Örtlicleiten, fpricht überall bafür, baß
Saxo wirflih aus der Bollsfage geihöpft babe. Er verhält fich fat
leivenb gegen bie Überlieferung und macht nur bie nöthigften Anmer⸗
Jungen, um ſich gegen den Glauben an die alten Götter zu verwahren,
Zugleich aber fehen wir auch, wie ber Mythus feine urfprüngliche Be
deutung verloren bat, bie busch Feine neue, ihm unterlegte Grundidee
erſetzt worden ift, unb wie bamit auch das Einzelne, wenn auch nicht
vhne poetifche Anklänge, ohne Anhalt und Haren Bujfammenbang auss
einanberläuft. Eben darum habe ich diefe Ergählung nicht In ben Kreis
1 Fim Magnufen erwähnt, Lex. myth. S. 29, daß man den Grab⸗
bügel Balders in ber Folge bei dem Dorfe Ballerup (oder Dalderup) und einen
andern zu Tune in Seeland zeigte. |
Npland, Sqhriften. VI. 7
8
der reinen Heldenſage eingereiht, ſondern nur als einen ber möglichen
Übergänge des Göttermythus zur Heldenſage bemerklich gemacht.
Saro berichtet in feiner Borrede (S. 69) 1, in Bleding ziehe fich
längs eines Yelsfteigs, der vom Suüdmeer nah den Einöben Wärenbs
führe, eine in den Fels gehauene, zwiſchen zwei Linien über Höhen
und Tiefen fortlaufende Runeninſchrift. König Waldemar, ber ihre
Bedeutung zu wiflen wunſchte, babe Leute dahin gefanbt, um biefe
Buchſtaben auf Stäbe abzuzeichnen; dieß fei aber ohne Erfolg geblieben,
weil das Ausgehauene theils verjchlittet, theils durch bie Wanbelnden
abgetreten geweſen ſei. So ift auch in ber Sagenzeihe, bie ſich durch
Saxos Werk Hinzieht, manches alte Leichen am Pfade ber Jahr⸗
hunderte verwilcht unb ausgetreten, Andres aber von dieſer wunder
baren Bilverfchrift werden wir noch ſcharf und verftändlih zu Tage
treten jeben.
Die Heldenfagen, deren bebeutenbere jet nach ben angegebenen
Quellen dargeftellt werben follen, tbeilen wir in zwei Klafien:
A. ſolche, die dem ſtandinaviſchen Norben eigenthümlich find;
B. diejenigen, welche der norbilchen Sagenpoeſie mit ber deutfchen,
wenn auch nach verichtebenen Geftaltungen, gemeinfam zugehören.
Diefe Abtheilung wird uns fpäter zur Verleihung der beutichen
Heldenſage mit der nordiſchen dienlich fein. Die nordiſche Sage ſelbſt
fest alle die verfchiebenen Kreife, die fie in fich aufnimmt, burch einen
gemeinjamen Helbenuater in Verbindung. Diefer ift Halfdan ber Alte.
Bon ihm, ber jelbft von Odin ſtammt, melden Lieb und Sage (F. Magn.
Edd. IH, 12 f. Edd. So. 190. Fortids S.U, 3f.): ex that im Mitt:
winter ein großes Opfer, daß er 300 Jahre in feinem Königthum leben
möchte; die Antwort ber Gdtter aber Inutete dahin, er Tolle nicht mehr,
als eine Mannes Alter leben, aber in 800 Jahren folle Fein unbe
rühmter Mann und Tein Weib aus feinem Stimme hervorgehen. Seine
erſten 9 Sohne, die alle gleich alt waren, wurben jo beräimt, daß
ihre Ramen in allen Gefängen als Ehren und Rönigenamen gebraucht
wurben; Teiner von ihnen hatte Kinder und fie fielen alle auf einmal
im Kampfe. Neun andere Söhne, die er nach jenen hatte, waren alle
Heerlönige und nad ihnen und ihren Nachlommen find alle die Helben-
1 Bel. Saro 8. VII, ©. 212, 2.
99
geſchlechter benannt, die in den Helbenfagen auftreten, 3. B. von Näfil
die Niflunger, von Bubli die Bublunger u. ſ. w.
Wir folgen aber der vorbemerkten Eintheilung.
A Eigenthämlih nordifhe Heldenfagen.
1. Frodi ber Frichfame,
Thiele, d. Yollf. L 6. 21. W. Grimm, d. Amen, 252 ob.
Die Stalba enthält unter den Kenningar (poetifchen Bezeichnungen)
Folgendes (Sn. Edd. ©. 146 ff. [Edda Snorra Sturlusonar. ‘Hafn.
1848. I, 374. Simrocks Erda ©. 347. 8.)):
„Barum wird das Gold Frodis Mehl genannt? Davon if die Sage
die: Stjöld Hieß der Sohn Odins, von bem die Skjöldunger flammen. Er
hatte Sig und Herrfchaft in den Landen, die jebt Dänemark genannt werben
amd damals Gotland hießen. Skjölds Sohn hieß Fribleif, der nach ihm über
die Lande herrſchte. Fridleifs Sohn hieß Yrodi, er nahm das Königthum nad
feinem Bater, zu der Zeit, da Kaifer Auguftus Yrieden in der ganzen Welt
fiftete. Damals ward Chriſtus geboren. Weil nun Yrodi der mächtigſte aller
Könige in Nordianden war, fo ward ihm tn der ganzen däniſchen Zunge biefer
Friede zugeiproden und nennen die Norbmänner dieß Frodisfrieden!. Kein
Mann fügte da dem Andern Schaden zu, mochte er auch den Mörder feines
Baters oder Bruders?, los oder gebunden, vor fi finden. Da war auch fein
Dieb oder Räuber, jo daß ein Golbring lang anf Kalangursheibed lag. König
Frodi fandte Einladung (heimbod) nad) Schweben an König Yiölnir; da kaufte
er zwei Mägde (ambättir, Sclavinnen), welche Fenja und Menja hießen; fie
waren groß und ſtark. Zu der Zeit gab es in Dänemark zwei Miühlfteine
von folder Größe, daß Niemand ſtark genug war, fie umzutreiben; anch
hatten dieſe Mühlen die Eigenſchaft, daß auf ihnen gemahlen wurde, was
der Mahlende vorfagte Solche Mühle hieß Grottid. Hengiljapte iſt der
genannt, der dem König Yrodi die Mühlen gab. Frodi ließ die Mägde zu
den Mühlen geben und bieß fie da Gold und Frieden und Heil für ihn
1 Fröda-frid.
2 Bol. Grimm, Rechtsalt. 400.
3 Geijer &. 399, N. 8: Jalangr lag in Jutland; vgl. Sarı ©. V.
4 Grotta f. mola.
100
mahleni. Er geftattete ihnen nicht länger Ruhe noch Schlaf, als fo lang ber
Kuduf ſchwieg oder fie ein Lieb fingen mochten (hljöd mätti qveda), Ea wird
gefagt, daß fie da das Lieb fangen, welches Grottafang genannt wird; und ehe
fie ausgefungen, mahlten fie Frodin ein Heer, fo daß in der Nacht der Seelönig
Möfingr kam, Frodin erſchlug und große Beute nahm. Da war ber Frodisfriede
vorbei. Möfingr nahm Grotti mit fi), fowie auch Fyenja und Menja, und hieß fie
nun Salz mahlen; um Mitternacht fragten fie, ob Möfingr nicht des Salzes
fatt habe (leiddiz); er aber hieß fie fortmahlen. Da mahlten fie noch kurze
Friſt, bis das Schiff unterſank; und im Meere blieb dort ein Gtrubel, wo die
See durch die Muhlſteinlöcher gefallen war, da ward die See ſalzig.
Ran find gekommen
Zu Königs Haufe.
Zwo Zulunftlundge,
Fenja und Menja.
Sie find bei Frobi,
Fridleifs Sohne,
Mäcdıtge Mägde,
Zu Dienft gebunden,
Bur Mühle wurden
Sie hingeleitet,
Des grauen Steines
Gang zu lenken.
Nicht gönnt’ er Beiden
Naft noch Ruhe,
Bevor er hörte
Den Sang der Mägde.
Sie ließen heulen
Die laute Mühle,
Mit Armen treibend
Die raſchen Steine,
Nod hieß er weiter
Die Mägde mablen.
1 Nieberd. Liederb, 106:
je vern in jennem Frauckryken,
dar licht ein Möle ftolt, -
de malet alle Morgen
dat Säluer, dat rote Goldt.
10
Sie fangen und ſchwangen
Rauſchende Steine,
Bis Frodis Dienſtvolk
Zumeiſt entſchlafen.
Da ſang das Menja,
Der Mühle waltend:
„Reich mahlen wir Frodin,
Mahlen ihn felig
In Gutes Fülle,
Auf der Freudenmuhle.
Er ſitz' anf Schatze,
Er ſchlaf' auf Daunen,
Er wach' in Wohlfein!
Wohl iſt's gemahlen,
Da ſchuld' auch Keiner
Dem andern Schaden,
Noch bau’ ihm Böfes!
Nicht ftift er Todſchlag,
Nicht hau’ ex darım
Mit ſcharfem Schwerte,
Fänd' er gefeffelt
Des Bruders Mörder!“
Da ſprach nit Frodi
Ein Wort vor diefem:
„Richt Ichlafen ſollt ihr,
Ihr und ber Kuckuk,
Richt länger, denn ich
Ein Lied mag fingen.”
„Richt warft bu, Frodi,
Dir, jelbft vorſchanend,
Du Gernerebner,
Da du uns Fauftefl.
Du ſahſt auf Kräfte,
Du fahft auf Ausfehn,
Doch nad der Abkunft
Hieltſt du nit Frage.“
102
Hart war Hrungnir
Und hart fein Vater,
Doch war Thiaffi
Stärler, als Beide,
Idi und Aurnir
Sind uns befreundet,
Sind unſres Baters,
‚ Bergriefen, Brüder.
Nie wär’ euch Grotti
Bom Berg gelommen,
No jener harte
Stein aus der Erbe;
Noch mahlte fo .
Bergrieſentochter,
Wär ihr Geſchlecht
Nicht deſs mitwiſſend.
Neun Winter waren
Bir Zaubermägde
Stark aufgewachſen
Unter der Erde.
Jung ſchickten wir uns
Bu großem Werke,
Wir rildten felber
Den Fels vom Orte,
Bir wälzten Steine
Um’s Haus des Wiefen,
Daß rings die Erde
Davon aufbebte.
So fhwangen wir
Den vollenden Fels,
Den ſchweren Stein,
Daß Männer ihn griffen.
Bir aber fürder
Im Schwedenreiche,
Bir Zukunftakundge,
Durch's Boll hinſchritten.
103
Sättigten Düren N
Brachen Schilde,
Giengen durch's Heer,
Das graugepanzerte.
Stürzten den Führer,
Stärkten den Andern,
Brachten bem guten
Guttorm Hüullfsvoll.
Raſt war keine
Bor Feindes Falle.
Hort trieben wir’s
In jenen Jahren,
Daß wir in Kämpfen.
Weitkundge wären.
Da fchürften wir
Mit ſcharfen Speeren
Blut aus Wunden
Und rötheten Schwerter.
Nun find wir kommen
Zu Königs Haufe,
Erbarmungslos
Zu Dienſt gebunden.
Kies ſchmerzt bie Sohlen,
Die Glieder Kälte.
Dem Feinde mahlen wir,
Trüb iſt's dei Frodi.
Die Hand ſoll ruhen,
Der Stein mag ſtehen!
Gemahlen hab’ ich
Mein Tagewerk.“
„Nicht ſei den Händen
Haft vergönnet,
Eh’ vollgemahlen
Es Frodin däucht.
Hände werden halten
Harte Schwerter,
104
DBluttriefende Waffen.
Wach' auf, Frodi,
Bad’ auf, Frodi,
Willt du lanſchen
Unſern Sängen
Und Zuknunftſagen!
Feur ſeh' ich breunen
Der Burg im DOften;
Schlachtkuündend wachet
Die Warnungsflamme.
Ein Heer wird kommen
Hieher im Fluge,
Dem König wird es
Die Burg verbrennen.
Nicht wirb dir bleiben
Der Stuhl von Ledra,
Die goldnen Ringe,
Die Königsfeine.
Faſſen wir Mägde
Die Mandel jhärfer!
Wir find geborgen
Bor dieſem Blutbad.“
„Mächtig mahlte
Meines Vaters Tochter;
Sah reif zum Tode
Der Männer Manchen.
Es fprangen die großen
Stüten der Mühle,
Die eifernen, fernhin.
Mahlen wir fürder!“
„Mahlen wir fürber!
Drias Sohn,
Abkimmling Halfdans,
Wird Frodin rächen,
Wird feiner Mutter -
Sohn und Bruder
Geheißen werben; .
Beide wien wir’. .
165
Die Mägbe mahlten,
Brauchten die Kraft,
Die Jungfraun tobten
Sm Jotenmuthe.
Da barft die Mandel,
Ziel um die Schaale,
Da fprang ber ſchwere
Stein in Stücke.
Bergriein, die eine,
Sprach dieß Wort:
„Gemahlen iR Frodin,
Jetzt mögen wir enden,
Genug nun ſtanden
An der Mühle die Mägde.“ 1
Diejes räthielhafte Lieb ift doch ſchon ohne nähere Erklaͤrung wohl
geeignet, einen beftimmten poetifchen Einbrud herborzubringen. &3 ver»
kündigt in duſtrem, abnungsuollen Geſange ben nahen Umſchwung bes
zum Übermanfe gefteigerten Glückes. König Frodi iſt ein norbifcher
Polykrates. Solche unmittelbare Eindrücke konnten auch die fchon früher
vorgetragenen Mythenlieder hinterlaſſen und es liegt eben darin bas
poetische Weſen diefer Mythenwelt. Aber wie wir dort doch immer noch
zu einer befondern Deutung ber bichterifchen Bilder hingezogen wurden
und biefe Deutung ben poetiſchen Eindruck keineswegs aufbob, vielmehr
die lebendige Einheit der Idee und bes Bildes recht fühlbar machte,
fo ift nun aud) die befonbere Erklärung bes Mühlenlieves zu verjuchen.
Dasſelbe wird übrigens weientlic; durch bie ihm in ber Stalba voran⸗
geſchickte profaifche Erzählung ergänzt. Denn wenn auch biefe fih als
von einem chriftlichen Berfafler niebergeichrieben bezeichnet, fo gibt doch
mur fie den Mythus im vollftänvigen Umriffe, wie 3. B. das Lieb nichts
vom Wahlen des Goldes und nachher des Salzes befagt. Es ift Häufig
der Fall, daß die alten Lieder nur gewiſſe, befonbers anregende
3 Befonders heransgegeben ift obiges Lieb, Grottasaungr, in Thorlacii
Antiquitatt. boreal. observatt. miscellan. Spec. V. Havn. 1794, mit Les-
arten, lateinifcher und däniſcher Überfegung, aber ohne Commentar. Deutich
überfeßt von Bräter in Idunna und Hermode u. ſ. w. 1812. N. 52. Bgl.
Möbins, Catalogus libr. isl. ©. 91. Yiinings Edda ©. 484 fi 8) -
>
106
Momente ver Sage hervorheben, und das Mühlenlieb fcheint fogar anders
feit3 über den Kreis des ihm zu Grunde liegenden Mythus, zum Nach⸗
theil des letztern, hinauszutreten.
Die Löfung des Raͤthſels dürfte einfach dieſe fein: die Mühle im
Ganzen ift das Meer, die Mühlfteine find Felsufer, Klippen, Riffe,
Scheeren, die Mühlmägbe find die Wellen; König Frodi hat diefe Mägde
in feinen Dienft gelauft, er hat fich das Meer durch Schifffahrt dienſt⸗
bar gemacht; fie mahlen ibm Gold, das Meer, bie Seefahrt bereichert
ihn; er läßt die Mägde nicht länger raften, als von einem Kuckulsruf
zum andern, er fett bie Seefahrt nicht aus, ala den Winter über, von
einem Sommer zum andern 1; aber die ihm erft Glüd gemahlen,
mablen ibm nun feindlichen Überfall, Bas Meer, das ihn reich ges
macht, bringt auch den Seelönig her, ber Frodin erichlägt und feine
gefammelten Schäße raubt; der Seelönig nimmt die Mühle und bie
Mühlmägde mit fi, ihm müflen fie Salz mablen, er waltet nun frei
auf dem Meere, wühlt die falzigen Wellen um; die Magde fragen ibn
um Mitternacht, ob er nicht Salzes genug habe, es aber heißt fie fort-
mablen, ver kede Seeheld? befährt auch noch im finftern, nordiſchen
Winter das Meer; da mablen die Mägbe, bis das Schiff unterfinkt
und die Mühlfteine den Meeresftrudel bilden, er bußt feine Kechheit mit
dem Untergang im ftürmifchen Meere.
Dieje Deutung ift nun aber auch noch den Hauptzügen nach in
den mythiſchen Vorſtellungen, ver Naturanſchauung und ben Sitten bes
Nordens nachzuweiſen.
Daß die Mühle überhaupt das Meer bedeute, iſt von Finn Mag⸗
nufen (Lex. myth, 237 f, Edd. IV, 258 f.) fehr einleuchtenb darge⸗
than. Die Phantafie der Norbländer betrachtete bie beivegte Ser als
eine große Mühle, worin der Meerfand gemahlen werde. Der bänifche
Konigaſohn Amleth, deilen fagenhafte Geſchichte Saxo (B. III, ©. 71 f.)
erzählt, ſtellt ſich verrückt und ſpricht allerlei wunderliche Dinge, welche
jedoch unter dieſem Scheine einen richtigen Siam verbergen.
Ita astutiam veriloquio permiscebat, ut nec dictis veracitas deesset,
nec äcuminis modus verorum’judicio [indicio] proderetür.
1 gl. Hrolfs 8. 6. 12. Herr. 8. 6. 3.
2 Was ein Seelönig fei, |. Ungliugaſaga Gap. 84.
107
Eine ſolche Doppelrede ift mın auch, daß ex einſt, ald x am See⸗
fixande vorbeifommt, bad Sanb des Dünen, das man ibm für Mehl
ausgibt, als von den Meeresftürmen gemablen bezeichnet:
Arenarıım quoque preteritis ckivis, sabulam perinde ac farra aspioere
jassus, eadem albicantibus maris procellis permolite esse respondit. Lau-
dato a comitibus responso, idem a se prudenter editum asseverahet..
Daher heit auch in: dem Bruchſtücke eines Skaldenliebes, das bie
Slalda aufbewahrt bat (Sn. Edd. 126. [Hafn. 1848. 1, 324]), das
Neer die Mühle, in der einft neun Mühlmädchen Amlobin Uferſand
gemahlen. Zum Beweife, daß noch im Anfang des 18ten Jahrhunderts
bei den dänischen Bauern ſolche Vorftellungen und Redeweiſen üblich
waren, führt Finn Magnufen aus einer Iateinifchen Handſchrift von
Eorterup, der zu dieſer Zeit fchrieb, eine Stelle folgenven Inhalts an:
Roh jetzt if der Bewegung des Meeres der Name einer Mühle nicht
jo weit entzogen, daß er nicht noch heutzutage von unfern Bauern gebraucht
wäre. Wenn biefe bei hellem und ruhigen Himmel, Morgens oder Abends,
die Bellen des Meeres lauter als gewöhnlich rauſchen hören, fo prophezeien
fie nit mit Unrecht einen baldigen Stuem, mit ben Worten: „Wir Triegen
bald Unwetter, es mablt ſo im Meere“. Und man muß gefieben, daß biejes
Rauſchen im Meere den Ton von Mühifteinen, bejonders von Handmühlen, die
ſtark umgeſchwungen werden, fo teufchend darftelle, daß man das Eine vom
Andern ſchwer unterfcheiden würde.
Das Wort Malftrom, womit noch im Norben ein Mesresftrubel
bezeichnet wird, ift gleichfalls hieher zu rechnen. Noch einem alten noch
ungebrudten Beifage, ber ſich in einigen Hanbfchriften der Skalda findet,
ſoll das Schiff des Seelönigs in der Bucht von Petland (heutzutage
Pentland⸗Frith, der Sund, der Schottland von den Orladen fcheibet),
untergegangen fein, wo fodann ein gefährlicher Malſtrom entſtanden.
Sp überzeugend mir nun Finn Magnufens Beweiſe für die Deus
tung der Mühle als das Meer überhaupt ericheinen, jo Tann ich doch
feine weitere Anficht nicht theilen, daß das Mehl, welches Frodin ge:
mahlen worden, für Golbfand zu nehmen fei. Dieſes konnte im Nor⸗
den und auch fonft beim Meere wenig in Betracht kommen. Das Gold
iR mir im Allgemeinen ber Reichthum, ven Schifffahrt und Seemacht
theils durch Handelsverkehr und Fiſchfang, theils durch den nicht für
unrũhmlich angeſehenen Seeraub und die den alten Skandinaviern
108
berfönmlicde Brandſchatzung fremder Yferlänber herbeiſchafften. Wir
wiffen, daß Niörb, der über ven Gang des Windes herrfcht und das Meer
ftillt, den man auf der See und bei ber Fiſcherei anzuft, alto derſelbe
Gott, der über bie Seefahrt und bie gute Fahrzeit waltet, auch der
Geber des Reichthums und Überflufles ift (J. Ebda ©. 188. [Hafn.
1848. 1, 92]). Und in ber angeführten Liederfielle aus Saxo (B. I,
©. 21 [Ausg von Müller 1, 54]): findet ber König Habbing wegen
diefer Bortheile, die dad Meer abwirft, für befler, zu ihm zurückzu⸗
kehren:
Nam freta remigiis probare
Officii potioris esset,
Mercibus ac spoliis evare,
re aliens [fremdes Goſd] sequi loeello,
Zquoreis inhiare lucris, _
Quaın salebras nemorumgque flexus
Et steriles habitare saltus.
Die Mühle heißt Grotti, was Stein zu bebeuten ſcheint (Lex.
myth. 475%: Grottin-tanna, dentes saxeos gestans); fie heißt fo in
Beziehung auf die zwei ungeheuren Mühlfteine. Wie Grotti vom Berge
getwälzt worben, fchilbert das Lied in mächtigen Zügen. Es mag hie
bei die Vorftellung zu Grunde liegen, daß die Uferfelfen, die Klippen
und Scheeren, an denen das Meer ſich mahlend und raujchend bricht,
vom Gebirge herabgerollt feien. Ste find lotgerifſene Stüde der Ge
birgswelt. In der Tiefe bes Meeres verurfachen ihre Klüfte den
Malfirom.
Endlich die riefenbaften Mühlmägde, Menja und Yenja, haben
wir für die Wellen erflärt; in ihnen ift die Bewegung bed Meeres gegen
das Geſtein perfonificieri, ihr Gefang, die rauſchende Stimme bes
Meeres, ertönt erſt fanfter, dann ſchwillt er flürmifcher an. Sie find
dienfibar, wie der Menſch fi die Elemente dienfibar macht, fie mahlen
Frodin, was er wünfcht; aber fie find auch unbändig und treulos, mie
das Element, fie mahlen ihm Verdetben. (Die Sandmühle ft im nor
bifchen Altertum die gewöhnlide Sflavenarbeit.) Menja und- Fenja
ftammen vom Sotengeichledhte, denn dahin, wie und aus der Götter:
fage befannt ift, gehören alle bie wilden und rohen Naturgewalten.
Hrungnirn, den Steinriefen, den Thor zerſchmettert, Thiaffin, der Idun
109
geraubt, u. A. nennen fie ihre Verwandte. Ihr Vater, deſſen Ramen
fie nicht angeben, ift vermuthlich Agir, der Meereögott vom Joten
ſtamme; die Wellen werben fonft ÄAgirs Töchter genannt. Die Niefen:
töchter, die unter ver Erde genährt waren, vermögen allein, Grotti vom
Haufe des Niefen herzumälgen, daß die Erbe davon erbebt; ſei es, daß
fie ala Ströme des Gebirges die Yelfen herabrollen oder fie ala für
mifche Brandung vom Ufer Iosreißen. Sie ziehen nach Schweden, dem
guten Guttorm zu Hülfe, durchbrechen das Feindesheer, ſpalten Schilve
und röthen Schwerter; mit Unrecht hat man fie deshalb zu Valkyrien
gemacht; der Kampf, an dem fie, die Meeresivellen, Theil nehmen,
it eine Seefchladht, die zu Guttorms Gunſten ausfällt. In Beziehung
auf diefen Sagenbelven weiß ih nur das anzuführen, daß bei Saro
(B. 1,©.8f. Steph. 9f. [Müller I, 34]) ein Guthorm, Haddings
Sohn, vorkommt !, der bei Rieſen in Schweden erzogen und fpäter König
in Dänemark wird. Wie Fenja und Menja dem Guttorm geholfen,
fo mablen und fingen fie au den Fühnen Seelönig Myfing zu Yrobis
Berverben heran. Aber auch jenen felbft verfenten fie zuletzt im Mal:
ſtrome.
Die poetiſchen Bilder, in denen der nordiſche Mythus ſpricht, find
in der Folge zu eigentlichen Räthſeln geworden. Dieſe Eigenſchaft hat
ein chriſtlicher Grottaſang, den ich hier zur Vergleichung aushebe. Hängt
er auch nicht geſchichtlich mit dem heidniſchen zuſammen, ſo kann er
Doch unſrer Erklärungsweiſe zur Unterſtützung gereichen. ***
Aretin, Beiträge zur Gedichte und Litteratur u. ſ. w. B. IX. Miinchen
1807. ©. 1163 bis 1166. DBgl Done, Quell u. Tori. I, 114. Wolff,
Hiftorifche Bollzlieder S. 75 bis 78. Seem. Edd. 127, 57. [Les chants de
861 par Bergmann. Straßburg 1858, ©. 116 f. 8] "
69 viel zur Erläuterung bes Müuhlenliedes für fih. Dasſelbe fteht
aber in genauer Berbindung mit Frodis Frieden, von welchem außer
der Einleitung, die dem Grottafang in ber Stalda vorangebt, auch
amberwärts Lieb und Sage fprechen. Die Götter hatten ihr Golbalter
und fo bat aud den Menſchen einft das ihrige gehlüht. Bald in ber
Zukunft, halb in ver Vergangenheit wird, wie im Mythus anbrer
Böller, Jo auch im norbifchen, die felige Zeit gefucht, die niemals im
4 Bgl. Möinichen, Nord. Folks Overtra ©, 148, u |
110
die Gegenwart tritt. In ver Bölufpa (F. Magnuſen, Edd. ©. 33. Str. 19)
wird geſagt: Den Mord weiß fie
In der Welt den erfien,
Da fie Gullveig
Durchbohrten mit Speeren,
In des Hohen Halle
Sie dreimal brannten,
Die dreimal geborne,
Doch lebt fie noch.
Heidur hieß man fie,
Bo fie zu Haus kam,
Das trüigriiche Weib,
Bähmte fie Wölfe,
Seidkünſte kannte fie
Stets verlodte fie
Übles Boll u. ſ. w.
Odin ba auswarf x
Unter Boll den Speer.
Das weiß fie den Kriegsmord
In der Welt den erften.
Geheg ber Afaburg
Ward da gebrochen,
Krieg ahnıten die Vanen,
Über das Feld fie fuhren.
Diefe Stelle, deren Erflärung allerdings mandes Schwierige hat
und bie von Einigen auf die Kriege ber Götter felbit bezogen wird,
laͤßt wenigſtens fo viel deutlich werden, wie aus dem Golde, aus dem
Übermanfe des Glüdes felbft, das Unheil hervorgeht.
Sonft berichten die Sagen 1 über die irdiſche goldene Zeit noch
Folgendes:
Die Imglingafagn erzählt von ber Regierung des für einen
Schwedenfönig genommenen Niörb (Cap. 11. Heimskringl. 1, 15 f.):
In feinen Tagen war burdaus guter Friede und Jahresſegen jeder Art,
fo reichlich, daß die Schweden deshalb glandten, Njörd walte iiber das Jahr
und über das Glück der Menſchen.
1 ®gl. Helgagqvida Hundingsbana 1, Edd. Sem, 151, 13: Fröda frid.
Saro ©. 1%, 2 [Müller 1, 240).
111 .
Ebendafelbſt (Gap. 12. I, 12 [16]) wird von feinem Sohne und
Rachfolger Freyr geſagt:
Er war ſehr geliebt und ein Geber guter Jahre, wie fein Bater n. |. w.
In feinen Tagen begann Frodis Friede (Fröda fridar), da war auch gute
Beit in allen Landen. Die Schweden redineten das Freyrn zu und er mar
um fo viel mehr verehrt als andre Gotter, da in feinen Tagen das Bolt des
Landes reicher als vorher durch Frieden und SJabresfegen war u. |. w. I[S. 16.]
Freyr ward Trank und als feine Krankheit zunahm, wurben fie zu Rathe,
wenige Leute zu ihm lommen zu laffen. Sie bauten einen großen Hügel und
madten eine Thüre dran und drei Fenſter. Als nun Freyr todt war, trugen
fie ihn heimlich in den Hügel und ſagten den Schweden, er lebe noch, und ver⸗
wahrten ihn dort drei Winter. Alle Schatzung aber brachten ſie in den Hügel;
zum einen Fenſter hinein das Gold, zum andern das Silber und zum dritten
die Kupfermünzen; da war gutes Jahr und Friede. [Cap. 18.) Als aber nun
alle Schweden wuſten, daß Freyr tobt war und gutes Jahr und Friede ber
Rand, glaubten fie, e8 würde fo bleiben, fo lange Freyr in Schweden wäre,
und wollten ihn nicht verbrennen, nannten ihn den Gott der Welt und opferten
ihm alle Zeit hernach um Jahrgewächs und Frieden.
Ferner (Cap. 14. I, 13 f. [(S. 17)):
Fiölner, der Sohn Ungpifreyrs, waltete hernach fiber die Schweden und
Npfala-Gut; er war reich und hatte Frieden und gute Jahre (arsell oc frid-
sel). Damals war Friedfrodi (Fridfrödi) zu Ledra; zwiſchen ihnen fand
gutes Bernehmen und gaftfreundlide Einladung flat. Als nun Fiblner zu
Frodin nad Seeland fuhr, ward Hier ein großes Gaflmahl angerichtet und
weit in den Landen umber dazu eingeladen. Frodi Hatte ein großes Haus und
darein war eine große Kufe gemacht, viele Ellen hoch und aus großen Zimmer⸗
bölzern zufammengefügt. Diefe Kufe ftand im Untergeſchoſſe und darüber war
ein Boden, zwiſchen den Dielen aber eine Öffnung, wodurch man aus ber
Rufe, die voll Methes war, ſchöpfen konnte. Da ward fehr Hark getrunken u. |. w.
As bierauf Füölner in ber Nacht aufgeftanden war, fiel ex, von
Schlaf und Trunk betäubt, in die Methiufe 1 und ertrand, „in winbftillem
See,” wie der beigefügte Vers eines Staldenlieves jagt.
Saro hat ſechs Dünenfönige, bie den Namen Frotho (Frodi) führen,
und unter mehrere berjelben find Züge vextheilt, welche offenbar der
einen Sage von Friedfrodi gehören. Bon Frotho I, Haddings Sohne,
1 BL. Cap 8.1,6.4 9. V, S. 14.
112
berichtet Saxo (B. II, ©. 25 f. fi, 61 Müler]) 1, als Frotho ge
funden, daß der Schaf feines Vaters durch Kriege aufgezehrt jei, und
er nicht getwuft, wie ex fein Kriegsvolk erhalten folle, ſei er durch ben
Aufruf eines herzulommenden Mannes ermutbigt morben (tali eubenntis
indigens carmine ooneitatur). Diefer Aufruf in Inteiniichen Berfen,
von denen man bei Saro immer annehmen darf, daß fie alten ein⸗
heimiſchen Liedern oder Zieberitellen entfprechen, bebt fo ar:
"Insula non longe est premollibus edita clivis,
Collibus era tegens et opimte conscia prede. '
Hic tenet eximium, montis POossessor, acervum, .
Implicitus gyris serpens, crebrisque reflexus
Orbibus, et caude sinuosa volumina ducens,
Multiplicesque agitans spiras virusque profundens u. f. w.
Der Mann gibt hierauf auch Anweilung, tie dieſer goldhütende
Drache bezwungen werben könne. Frotho fol feinen Schilb und ben
ganzen Leib mit Stierhäuten bebeden, dadurch werde er vor dem bren-
nenden Eiter, den das Ungeheuer ausfpeie, und vor deflen giftigem Biſſe
verwahrt fein. Die Schuppenhaut des Drachen troße zwar jeder Waffe,
aber am Bauche fei eine Stelle, wo das Schwert einbringen Tönne.
Frotho fährt nun ganz allein auf bie Inſel über, greift den Drachen
an, als diefer von der Tränke nad) feiner Höhle zurückkehrt, und erlegt
ihn auf bie angegebene Weile. Der gefundene Schat macht den König
fehr veih. Bon eben diefan Frotho meldet Saxo nachher noch (DB. IL,
©. 37 [1, 79 Müller):
Nec pretereundum, Frothonem contusie commolitisque auri frag
minibus cibos respergere solitum, quibus adversum familiares veneflcorum
insidias uteretur.
Unter diefen Golbfplittern, mit denen Frotho feine Speiſe beſtreut,
erkennt man leicht den misverſtandenen Dichterausbrud vom Golde, als
Frodis Mehl, Menjas Reibwerk (Menio neit, intrimenta eris, Lex.
myth. 2374).
Ein nachfolgender Frotho Il wird (B. V, S. 127 [1, 296 Müller])
als Geſetzgeber geſchildert und unter ſeinen Satzungen findet bie
1 Ganz Ähnliches ei Sarı 8. VI, e. 158 von Seile, Bol. and
3. VII, ©. 1%. - x
113
einer goldenen Friebenszeit wohl anflehenbe, dah Riemanb feine Gabs
ſeligkeiten unter Schloß und Niegel verwahren ſolle.
Presterea sanxit, ne quis rem famfliarem seris mandare presumeret,
duplum ex fireo regis amissorum pretium recepturus. Quam si quis
arcarum ciaustris observandam duxisset, aurem libres regi debitor fieret.
Noch weiteres hieher Einſchlagende wird von eben dieſem beitten
Frotho an einer fpätern Stelle angeführt (B. V, ©. 138 [1, 247
Müller]): |
Victor Frotho, pacem per omnes gentes reficere cupiens, ut unius-“
cujusque rem familiarem a farum incursu tutam prestaret otiumque regnis
post arma assereret, armillam unam in rupe, quam Frothonis petram
nominant, alteram apud Wig provinciam, habita cum Norvagiensibus
coneione, defixit, edictee a se innoventie experimentum daturas; subductis
iisdem, in omnes regionis presides animadvertendum minatus. Itaque
summo cum pr&fectorum periculo aurum absque custodis, mediis affixum
wiviis, magnum avaritie irritamentum extabat, opportana rapine preda
plena cupiditatis ingenia provocante. Btatuit idem, ut navigantes repertis
ubicumqgue remis licite fruerentur. Amnem vero transituris usum equi,
Quem vado prozimum reperissent, liberum esse conoessit. Eodem de-
scendendum fore constitnit, quum priores ejus pedes solum attingerent,
postremos adhuc unda sublueret. Talinm siquidem commodorum bene-
fieia potius humanitatis, quam injariee nomine censenda credebet. Cesterum
reum capitis fieri, qui superato amne equi usum longius expeiere pr®-
sumpsisset, ingtituit. Juseit etiam, ne quis dem vel arcam seris obfir-
matam haberet, aut rem ullam claustrorum custodia contineret, triplicem -
amissorum restitutionem promittens. Preterea tantum alieni cibi in com-
mestus assumi fas esse, quantum uni can» sufficeret, promulgabat,
Quam si quis in capiendo mensuram excederet, furto obnoxius haberetur.
Dem Könige der Friedenszeit werben bier jene milden Beſtim⸗
- mungen zugefchrieben, die in den germanischen Rechtsalterthümern unter
mancdherlei Geftalt vorlommen, wonach dem Wanderer überall das
Nöthigfte zu feinem Fortlommen und feiner Erfrifhung geftattet wird
und bie Eigenthumsrechte durch die dringendſten Forderungen ber Menſch⸗
lichkeit beſchränkt find 2.
1 Andre Satungen ©. 131 [246 Müller].
2 Bol. Grimm, Rechtsalt. 400 His 402. 948. 249. 209, wo die Fälle
Saros nicht angemerkt find.
Nplamd, Schriften. VIL 8
414
Auf Fieben Jahre wird dieſer exfte Friede des dutten Frothos an⸗
gegeben (ebend. [1, 248 Müller]), 08 folgt aber ſpater noch ein Aojahriger
(B. V, S. 143 f. [1, 264 Mäller] ):
Annisqua tricenis ab omni hellorum Rogotio tamperatum ost, Quo tam-
pore eunctis pene terris eximia fortitudinis laude -danicnn nomen inclarnit,
Auch bier wieder heißt es 11, 256 Müller]:
Denique in Jutia, tasquamı in cspite regni sui, magni ponderis auream
armillam triviis affigi curavit, edictee a se innocentis experimentum tama
insignis predee documento daturus u. |. w. Tanta siquidem Frothoniane
majestatis aucteritas erat, ut etiam aurum, rapine expositum, perinde
ac firmioribus claustris obeitum tueretur.
(In der Eage, wie bie Skalda fie erzählt, ift e3 mehr ber un:
ſchuldige Sinn der Menfchen dieſes Beitalters, was ben Golbring weg⸗
zunehmen abhält.)
Wie in der Skalda wird nun aud von Saxo biefe Geiebenägeit
mit der Geburt bes Heilands in Verbindung gefekt:
Per idem tempus publicee salutis auctor, mundum petendo, servan-
dorum mortalium gratis mortalitatis habitum ampleeti sustinuit, cum jam
terre, sopitis beilorum incendiis, serenissimo tranquillitatis otio fruerentur.
Creditam est, tam profas® pacis amplitudinem ubique wqualem nec ullis
orbis pertibus interruptam, non adeo terreno principatui, quam divino
ortui famulatam fuisse, eotlitusque gestum, ut inusitatum- "Vomporis bene
fielam preesentem temporum testaretur autorem. |
Nach diefes Frothos Tode murbe fein Leichnam von den Großen
des Reichs noch drei Jahre aufbewahrt (wie die Inglingafaga von Freyr
erzählt) und auf einem Wagen geführt [1, 256 Müller]: .
Deportebatur itaque ab eis exanimum corpus, ut jam non funebri
lecto, sed regali vehiculo gestari videretur, tanquam invalido seni nec
satis virium compoti id muneris a militibus deberetur. Tantum magni-
ficentie etiam extincto ab amicis tributum est.
Zuletzt wird er bei einer Brüde in Seeland Töniglich beftattet:
Secus Weram, Sialandie pontem, regio funere tumulavere corpus,
sffirmantes, Frothonem eo loci mortis ac busti copiam exoptasse, ubi
regni ejus pristantissima haberetur provincia.
(Der Sinn dieſes Begrabens bei der Brüde ift wohl ein anderer;
entweder bezieht es fich auf den durch Frodis Frieden geficherten Verkehr 1,
1 Bol. die Sagungen vom Schiffer und Wanderer.
113
ober, was wahrſcheinlicher, auf ven durch maunche Inſchriften von
Nunenſteinen bewieſenen Gebrauch, ſich zum Gedächtnis eine Brücke
zu ſtiften, was man mit den religibsmythiſchen Vorſtellungen von ber
Giallarbrũcke in Verbindung bringt.) Das Andenken an Frothos IH
fegenzeiche Regierung wurde nad) Saxos weiterem Berichte (B. VI,
©. 145 [1, 258 Müller]) noch befonbers dadurch geehrt, daß die Dünen
denjenigen zu jeinem Nachfolger beftimunten, des em wurdiges Loblieb
auf den Gingegangenen dichten ivürbe. Auch bier hatte Sato wieder
eine alte Lieberftelle vor ſich. Er ſagt:
Tune’ quidam Hisrnus, denice admodum poesis peritus, ut elaritatem
viri imsigni dietorum monumento prosequeretur, premii magnitudine con-
citatas, more suo barbarum oondidit metrum. Cujus intellectum quatuor
versiculis editum in hwc verba transcripsit [„transcripsi* Müller]:
Frotbonem Dani, quem longum vivere vellent;,
Per gua defanctum rure tulere diu.
Principis boc summi tumulatum oespite corpus,
Zithere sub liquido nada recondit humus.
Quo carmine edito, auctorem Dani diademate munerati sunt,
Sp geht Friebfrobi in ven Geſang auf, wie jein golbenes Red
der Poefie entiprungen if. Der Name biefes Friedens⸗ und Geſetze⸗
Rifters felbft ift wicht unbebentfam: frödr heißt weile, vielwiſſend. Es
ergibt fih aus ben angeführten Berichten, daß von Frodi zum Theil
das Nämliche erzählt wird, wie von Freyr, daß feine irdiſche Herrichaft
mit dem göttliden Walten Njörds und Freyrs zufammengeflellt und
verwechjelt wird. Der norwegiſche König Dlaf Tryggbaſon, der am
Ende des 10ten Jahrhunderts die Einführung des Chriſtenthums in
feinem Reiche durchſetzte, fagt nach der. von ihm handelnden hifturiichen
Saga (die auch der Hauptjache nach einen Theil ber Heimskringla auss
macht), in einer Anrede an die Thrander (Throndheimer), worin er
gegen den dem Freyr getwibmeten Dienft eifert und ber dreifachen
Schatzung zum Grabhügel erwähnt, u. U. auch das: den Jahresſegen
und ben Frieden, ben die Schweden bem Freyr zugelchrieben, hätten
die Dänen ihrem König Yrodi dem Friebfamen zu Dante, gerechnet
(Lex. myth. 96°). Das Herumführen des todten Frothos auf dem
Wagen (bei Saro) erinnert daran, daß nach berfelben Dlaf-Tryggvafons-
Saga das Bilb Frehrs, deſſen Stelle zuweilen aud ein Ichenviger
116
Menſch einnimmt, zu gewifler Zeit durch das Land geführt wird, um
ihm Jahresfegen zu bringen, zu welcher Fahrt ohne Zweifel die weißen
Pferde gebraucht wurden, die man in feinem Heiligthbum hegte. Daß
der ſchwediſche Fjölnir mit Frodi in Verkehr gefekt wird, erklärt ſich
leicht ſchon aus dem Namen des Yijölnir, den Manche für den exiten
hiſtoriſchen Schwedenlönig annehmen. Yiölnir ift eine Ableitung von
Köl, viel; auch Odin wird Fiölnix genannt, was wir von feiner viel:
geftaltigen Erſcheinung verflanden; bei ben ſchwediſchen Fjblnix ſcheint
mehr die Fülle des irdiſchen Segen? gemeint zu fein. In biefer geht
er auch unter, im mindftillen Methſee!. Menja und Fenja, wie fie
Frodin Gold und Glüd gemahlen, jo mablen fie au ihm und feinem
Frieden den Untergang. Hiebei aber tritt in der Sage, wie bie Skalda
fie profaifch gibt, eine Geftalt nur dunkel im Hintergrunde auf, die im
Liede vergefien iſt. Dort beißt e8: Sengiljapte ift der genannt, ber
dem König Yrodi die Mühlen gab. Hengikjaptr oder Hengiljöptr ift
aber einer von den Namen Odins (ore sive barbitio pendulo aut de-
misso preditus; vgl. Stägrani, Siäskeggr. Lex. myth. 3695). Und
fein Anderer ald Odin ift wohl auch jener subiens indigena, der nad)
Saxos Erzählung Frothon zur Erwerbung des Dracenbortes aufruft.
Diefes plögliche Ginzutreten Odins in unſcheinbarer Geftalt wirb uns
in den folgenden Sagen noch öfters begegnen. Und fo erflärt ſich's
auch, warum im Hyndluliede von Odin gejagt ift, er gebe ben Würs
digen Gold (Edd. F. Magn. III, 8 f. [Str. 2]). Er gibt aber das
Gold nicht zum Segen, jonbern zur Anftiftung des Streits (Frotho foll
damit fein Kriegövolf unterhalten), wie er einft ben Speer zuerft aus
gervorfen und die Banen, die Frucht⸗ unb Friebensgötter, über bas
Feld fuhren. So fteht felbft im Hintergrunde ber Friedensſage ber
Tampfaufregende Gott, der uns fchon im weiteren Verlauf der Helden⸗
fage immer beutlicher hervortreten mirb.
2. SHerbär und Heibrek.
Fornaldar Bögur I, 409 ff. - Nordiske Fortids Sagaer I, 377 ff.
Spafrlami, ein Ablümmling Odins, König in Garbareih (Ruß:
land), vitt auf die Jagd aus und feßte einem Hirfche nach, den er nicht
1 [Säriften 6, 422.ff. 8.) Bgl. Die Schweiz in ihren Ritterhurgen I, 118.
117
eher, als am Abenb bes nächften Tages erreichte. Er mar darüber fo
weit in ben Wald Hineingeritten, daß er nicht wuſte, wo er wäre.
Bei Sonnenuntergang ſah er einen großen Fels, bei dem zwei Zwerge
ftanden. Dieſe zauberte er mit dem Maaleifen 1 heraus und ſchwang
das Schwert über fie. Da baten fie, ihr Leben löfen zu dürfen. Der
eine nannte ſich Dyrin, der andere Dralin?. Da Spafrlami mufte,
daß fie die kunſtreichſten aller Zwerge waren, legte er ihnen auf, ihm
ein fo vortrefflides Schwert zu fertigen, als fle irgenb vermöchten.
Griff und Mittelftüd follten von Gold fein, Scheide und Gehäng mit
Gold beichlagen. Dieſes Schwert follte niemals brechen noch often,
Eifen und Stein wie Tuch fchneiven und in Schlacht und Einzellampf
immer ben Sieg haben. Damit follten fie ihr Leben Iöfen. Am be
ſtimmten Tage Iam hierauf Spafrlami zum Felſen; die Zwerge gaben
ihm das Schwert, das wunderſchön war. Aber als Dvalin am Gin«
gang bes Selten ftand, ſprach er: „Diefes Schwert, Spafurlami, fol
eined Mannes Tod fein, jo oft es gezogen wird, und mit ihm follen bie
drei gröften Nivingawerle 3 verübt werben; es foll auch bein Tob
werben.” Da bieb Spafurlami nad dem Zwerge, bad das Schwert
in den Felſen ſchnitt; ber Zwerg aber lief in venfelben hinein. Svafur⸗
lami führte nun biefes Schwert und hieß es Turfing; er trug ed im
Schlacht und Einzellampf und hatte ſtets den Sieg. Einſt aber fiel
der Berferler Arngrim auf dem Seezug (viking) mit einem großen
Heer in Svafrlamis Reich und fie trafen fich im Zweilampf. Arngrim
hatte einen Schild mit großen Eifenplatten; in biefen hieb Spafurlami
und ſchnitt ihm ganz durch, fo daß das Schwert in ber Erbe feft ſtand.
Da ſchwang Arngrim fein Schwert und fchlug des Königs Hand ab,
nahm hierauf Tyrfing und fpaltete damit Soafurlamin. Mit großer
Beute und mit Epnör, ber Tochter bes Exfchlagenen, zog er heim nach
der Inſel Bolm und hielt Brautlauf (brüdkaup) mit Eyvör. Sie
hatten zwölf Söhne, beren ältefter Anganthr hieß, ber eilfte und zmölfte
1 [Forn. 8. 1, 414] med mälajärni, einem mit magifiher Infcheift ver⸗
fehenen &ifen; mäl Rebe, Gang.
2 Dvalin heißt auch einer der vier Zwerge, welche Freyas Halsihmud
geſchmiedet. [Xgf. Völusp. 11. 14. Hävamäl 144. Fafnism, 13. Hrafna-
gald. 24. 2] "
8 Ntdings-verk, parrieidium, immane et infame flagitium.
118
hießen Hadding. Diefer beiber Arbeit war gleich der Eines von ben
andern, Angantyr aber verrichtete zweier Männer That; er. war einen
Kopf höher, als die andern. Alle waren fie große Berjerler. In jungen
Sabren ſchon fuhren fie auf Kriegszüge aus. Es waren mur die zwölf
Brüder auf einem Schiff, aber oft hatten fie mehrere Schiffe auf ber
Kriegsfahrt. Ihr Vater hatte auf feinen Zügen die berühmteften Waffen
erobert; Tyrfing gab er Angantyrn. Wenn fie allein mit ihren Leuten
waren und ber Berjerfergang über fie fam, giengen fie an das Land
und bieben in Steine oder Bäume. Denn einmal war ihnen in biefem
Buftande das Unheil begegnet, daß fie ihre Mannen tübteten und ihre
Schiffe zerftörten. In jedem Kampfe waren fie fiegreih und dadurch
weit berühmt gemorven. Auf Bolm begab es fih eines Julabends,
dag man Gelübde zum Bragibecher that (at Bragar fulli). Auch Arns
grims Söhne thaten dieß. Hiörvard, ber vierte der Brüder, gelobte,
die ſchöne Ingiborg, Tochter des Schwedenkönigs Yngwi zu Upfala, zu
eriwerben; würde fie ihm nicht, jo wol’ er im Kampf um fie fallen.
Sm Frühling madten nun alle zwölf Brüder die Fahrt nach Upſala
und traten vor ben Tiſch des Königs Yngwi, neben bem feine Tochter
faß. Hjörvard trug feine Werbung vor, fand aber einen Mitbewerber
an Hialmar, einem Kämpfer des Könige. Ingiborg entichied für dieſen,
denn Arngrims Söhne wären übel berüchtigt. Hjörvard forberte nun
Hjalmarn zum Holmgang, jüblic auf Sames. Am beftinunten Tage
erwartete Hjalmar mit feinem Kampfgenofien Orvarodd auf Samsd bie
zwölf Berſerker, die mit blutigen Waffen und bloßen Schwertern ans
Land ftiegen. Sie hatten bereit die ganze Mannſchaft auf den beiden
in der Bucht Tiegenden Schiffen ihrer Gegner erſchlagen. Hialmar nahm
es mit Angantyrn allen auf, weil biefer das Schwert Tyrfing führte,
das wie Sonnenftrablen leuchtete, Odd mit ben eilf anbern Brüdern
nach einander; dieß galt für das Geringere. Hjalmar und Angantyr
wiejen einander nad Valhall, fie Kämpften fo heftig, daß fie bis zu
den Knieen in den Boden traten; ihre Schwerter Ioberten wie Flammen
und bon ihrem Kampf erbebte die Erbe; aus Mund und Nafe gieng ihnen
Rauch. Auch Odd begann feinen Kampf mit ben andern Brüdern.
Zuerſt fiel Hjörvard von feinen Streichen. Als die andern es fahen,
bißen fie in die Schilvränder und der Schaum ftand ihnen vor bem
Munde. Zunächſt fiel Hervard; .bei feinem. Galle tobten die Verſerker,
119
ftrediten die Zungen, Intrfchten die Zähne und brüllten wie raſende
Stiere, daß es in ben Felſen wieberhallte. Dem britten, Seming, bieb
Odd faft alles Fleifch von den Knochen. Als er mit ven Eilfen fertig
war, war auch Angantyr gefallen. Hjalmar aber ſaß auf einem Hügel,
leichenblaß. Odd gieng zu ihm unb fang:
Was if das, Hialmar?
Haft Farbe gewechſelt,
Dich ſeh' ich müde
Von manchen Wunden.
Dein Helm iſt zerhauen,
Die Brünne gebrochen;
Nun gebt’3 zur Neige
Mit deinem Leben.
Hjalmar: | -
Schszehn Wunden,
Berichligte Brinne;
Schwarz if mir's vor Augen,
Nicht feh’ ich zum Gange.
Mich traf zum Herzen
Vom Schwert Angantyrs
Die ſcharfe Spite, ,
In Gift gehärtet.
Funf Höfe hatt’ ich
Umber im Lande;
Doch mich verdroß es,
Dort zu weilen.
Nun werd’ ich Tiegen,
Des Lebens Iebig,
Bom Schwert zerhauen,
Hier auf Sams.
Hausdiener trinken
Meth in der Halle
Bei meinem Bater.
Manchen müdet
Des Bieres Fulle;
Mich quält des Eifens
Spur auf dem Eiland.
120
Sch ſchied vou ber weißen
Königstodter
Auf Agnafits
Außerſtem Ende.
Bahr ift das Wort,
Das fle mir fagte,
Nimmer würd' id
Wiederkehren.
Zeuch von der Hand mir
Den rothen Goldring,
Bring ihn der jungen
Ingiborg!
Trauern wird ſie,
Treuen Muthes,
Daß ich nicht kehre
Nach Upſala.
Ich ſchied von der Schönen
Süßen Sange,
Freudig fuhr ich
Oſtlich mit Soti.
Die Fahrt beeilt' ich
Und zog zum Streite,
Zum letztenmal
Bon lieben Freunden.
Ein Rabe fleugt
Vom hohen Baume,
Nach ihm von Oſten
Zumal ein Adler.
Den letzten Adler
Werd' ich nun ſättgen,
Ihn werd' ich tränken
Mit meinem Blute.
Nach dieſem ſtarb Hjalmar. Odd blieb die Nacht über dort. Am
Morgen trug er die Berjerler alle zufammen und begann bann einen
Hügel aufzumerfen. Die Bewohner des Eilands führten nad feiner
Anweifung große Bäume herbei und warfen Steine und Sand barauf.
€3 warb ein großes und feftes Werl, Odd arbeitete baran einen halben
121
=
Monat. Dann legte er die Berferler mit ihren Waffen darein unb
warf den Hügel zu. Hjalmars Leiche trug er auf das Schiff und führte
fie nad Schweden. Die Königstochter zerſprang alabald vor Leid und
beide wurden in einen Hügel gelegt,
Angantyr batte kurz vor feinem letzten Kampfe den Karl Bjartmar
in Aldeigjaburg beſucht und deſſen Tochter Svafa geheirathet. Sie ge⸗
bar nach ſeinem Tode ein großes und ſchönes Mädchen. Manche riethen,
man ſollte das Kind aus der Welt ſchaffen, denn es könne kein Weibes⸗
ſiun in ihm fein, wenn es ſeines Vaters Stamme nachſchlage. Bjart-⸗·
mar aber ſagte: „E3 ziemt mir, Arngrims Söhnen nach Vermögen zu
helfen; es wird fich zeigen, wenn biefes Sind zu feinen Jahren fommt,
daß Arngrims Söhne nicht gänzlich tobt find; denn ich glaube, daß
von ihm große Geſchlechter und geivaltige Männer ausgehen werben.”
Das Kind wurde dann mit Wafler übergofien unb Hervör genannt.
Es erwuchs bei dem Jarl und war flark, wie ein Knabe. Hervör ge
wöhnte fih mehr, Bogen, Schild und Schwert zu gebrauchen, als zu
nähen und ftiden. Sie that auch öfter Böſes als Gutes, und als ber
Jarl fie barüber zurechtwies, lief fie in bie Wälber binaus, machte ſich
da eine Hütte und erfchlug Menſchen, um fich ihrer Habe zu bemäch⸗
tigen. Als der Jarl biefes hörte, zog er mit feinem Heer in den Wald
und nahm Herbör gefangen. Doc töbtete fie viele feiner Kriegsleute,
eb’ ex ihrer habhaft wurde. Sie hielt fi nun wieder eine Zeit lang -
bei ihm auf. Als ihr aber einft von Arbeitsleuten, denen fie Tibles
zugefügt, ihre verbächtige, ihr bisher verborgene Abkunft vorgeworfen
worden war und fie hierauf von Bjartmar erfahren hatte, daß ihr
Bater Angantyr auf Samsd begraben liege, gelüftete fie'3, ihre hin⸗
gefahrenen Blutsfreunde zu befuchen und beren Schäte zu heben. In
Mannskleidern und Waffen zog fie fort, begab ſich zu Bilingern ! und
nannte fih Hjdrvarb, wie einer ihrer Vatersbrüder. Als bald nachher
der Häuptling ber Schanr farb, übernahm fie die Führung berjelben.
Diefer Hjdrvard verbeerte nun mweitum bie Lande und fteuerte zuletzt
nad Samsd. Hiörvarb verlangte, and Land zu geben, wo man im
Hügel reihen Fund zu geivarten hätte. Seine Leute fprachen alle da»
1 Vikingr, pirsta, qui in sinubus pro‘ tempore delitescit, ut pre-
detur, a vik, zecassus, Bugt. viking, f. piraties, Shbuei. Bikn,
Lex. isl. II, 436, .
122
⸗
gegen, denn dort giengen täglich fo große und Böfe Geiſter um (mein-
veettir), daß es da ſchlimmer am Tage ſei, als anderwärts bei Nacht.
Doch wirkte Hjörvard endlich aus, daß man Anker warf. Cr ſelbſt
nahm ein Boot und ruderte ans Land, eben zur Zeit des Sonnen⸗
untergangs. Am Lande traf er einen Mann, der vie Heerde hutete.
„Du biſt unbefannt bier auf der Inſel, fprach- der Mann; geh heim
mit mir! hier fronimt es feinem Menſchen, nach Sonnenuntergang außen
zu fein.“ Hjörvard ſprach: „Sag mir, wo Hjdrvards Hügel find!”
Der Mann antwortete: „Du bift übel gefahren, daß du zur Nachtzeit
um das fragft, wornach Wenige am Mittag fragen mögen; denn ein
brennendes Feuer fpielt darüber, ſobald die Sonne niedergeht.“ Als
Hjbrvard fich dennoch entichloflen zeigte, die Hügel zu beſuchen, jagte
der Hirte: „Ich ſehe, daß du em muthiger Mann bift, obgleich un
bebacht; ich will die meine Halskette geben, wenn du mir heimfolgſt.“
„Kein, ſprach Hjorvard, und wenn bu mir Alles gibſt, was du haft,
fo ſollſt du mich nicht aufhalten.” Aber als die Sonne niebergegangen
war, hötte man einen ſtarken Donner anf der Inſel und die Hügel
feuer Hammten in die Luft. Da erfchrad der Hirte. Hidrvarb jang:
Nicht Taf uns forgen
Um fol @etöfe,
Und flammt' auch Teuer
Um all das Eilaub!
Laß nicht je leicht
Uns Furcht erfaffen
Bor todten Reden!
Reben wir weiter!
Der Hirte:
Thöricht däucht mir,
Der dahin geht,
Einfamer Mann
Im graufen Dunkel.
‘Feuer fährt um,
- Hügel öffnen fi,
Erd' und Moor brennt;
Laß uns enteilen!
Der. Hirte lief nun. beim gum Hofe und blickte nidyt mehr um.
Hervör aber fah, tie die Hügelfeuer außen auf dem Eiland brannten
183
—
und ſchritt furchtlos dahin, wie in einem dunklem Nebel, bis fie zu
ben Berjerlerhügeln kam. Da wandte fie ſich zum gröften berjelben
und fang: .
Wach' auf, Angantyr! _
Dich weder Heroör,
Einzige Tochter
Bon dir und Svafa.
Gib aus dem Hügel
Die ſcharfe Waffe,
Die Spafrlamin
Zwerge ſchmiedeten!
Hiorvard, Hervard,
Hraui, Angantyr!
Euch alle weck ich -
Unter Baldeswurzeln,
Mit Helm und Harniſch
Und ſcharfen Schwertern,
Mit ſchmucken Schilden
Und rothen Speeren.
Wohl ſeid ihr worden,
Arngrims Söhne,
Mächtge Kämpfer,
Zu Staub verwandelt,
Da keiner kommt
Bon Eyvirs Söhnen,
Mit. mir zu reden
In Munarvang.
Hibrvard, Herpard,
Hrant, Angantyr!
Se mög’s end allen
Da drinne wihlen,
Als ob ihre fchliefet
Am Ameishaufen,
Gebt ihr das Schwert nicht,
Das Schmiedwerk Doalins!
Nicht ziemt Grabgeiftern
- Solch thenre Waffe.
124
Da fang Angantyr:
Hervor, Tochter!
Was rufſt du ſo
Mit Schreckensworten?
Fahr' du zum Übel,
Raſendgewordne,
Sinnberaubte!
Irredenkend
Weckeſt du Todte.
Nicht Vater begrub mich
Noch andre Freunde;
Dit nahmen Tyrſing
Die Zween, die lebten.
Eines der Beiden
. Ward e8 zuletzt.
Hervör:
Nicht ſagſt du Wahrheit;
So laß ein Gott 1 dich
Heil im Hügel,
So wie du nicht haſt
Tyrfing drinne!
Träge biſt du,
Erbe zu laſſen
Dem einzgen Kinde.
Da öffnete fi der Hügel und es war anzufehn, ald wäre euer
und Flamme rings barum. Da fang Angantyr:
Gefallen ift Helgrind, 2
Dffen die Hügel,
AU if in euer
Der Strand zu ſchauen.
Alles ift außen
Dem Auge fihtbar;
Eil’ du, wenn du kannſt,
⸗ Zu deinen Schiffen!
1 Äss,
2 Helgrind, ®1. Helgrindur, Hels Gatter, die Pforte ber Unterwelt.
Hervör:
Angantyr:
Herbör:
125
Richt brennet ihr fo,
Nächtliche Yeuer,
Daß ih vor euren
Flammen mich feheute.
Richt zittert Des Mädchens
Muthiges Herz,
Sieht and den Todten
Sie in der Thüre ſtehn.
Dir fag’ ich, Hervör
Gorch' du darauf,
Weiſe Tochter!),
Was da werden ſoll.
Tyrfinge wird dir,
Ob du mir glaubeft,
AU dein Geſchlecht
WVerderben, o Jungfrau!
Einen Sohn wirft du haben,
Der alsdann fol
Tyrfing tragen,
Der Kraft vertrauen.
Heidrek wird ihn
Heißen das Bolf,
Den Gewaltigftien
Unter'm Strahlengelt.
Euch bezaubr' ich,
Grabesgeifter,
Daß ihr alle
Darnieberlieget,
Kodte bei Todten,
Im Schlafe mobernd,
Gibſt du, Angantyr,
Nicht aus dem Hügel
Den Feind der Schilde mir,
Hialmars Törter.
Angantyr:
Servör:
Angantyr:
Hervör:
Angantyr:
126
Nicht Menſchen gleich du,
Junges Mädchen ⸗
Die um Grabhügel
Waukt zur Nachtzeit,
Mit gelerbtem Speer
Und gothſchem Schwerte,
Mit Helm und Harnifch,
Bor ber Halle Thlir.
Ein Mann bebünft’ ich
Die meiften Menſchen,
Als eure Säle
Zu ſuchen ich fuhr.
Rei’ mir aus dem Hügel,
Das Brünnen haſſet,
Der Zwerge Schmiebwert!
Nicht frommt dir's zu hehlen.
Mir liegt unter Schultern
Hialmars Tödter,
All iſt es außen
Umwallt von Feuer.
Kein Mädchen kenn' ich
Über der Erbe,
Das wagte, die Waffe
In Hände zu nehmen.
Ich will's wahren,
In Hände nehmen
Das ſcharfe Schwert,
Hab’ ich's nur einmal.
immer fürdt’ ich
Brennendes Ferer;
Die Lohe legt ſich,
Neig' ich mich drüber.
Thoöricht, Hervbr,
Biſt bu, bei Sinnen,
427
Offnen Auges
In’s Feur gu flürgen.. .
Lieber geb’ ich
Schwert aus dem Hügel
Dir, junges Mädchen!
Kann dir's mit weigern.
Da ward das Schwert aus dem Hügel geworfen in Hervörs Hand.
Hterauf fang fie:
Wohl thateft du,
Sohn der Bilfinger, _
Daß du mir gabeft
Das Schwert aus dem Hügel.
Beſſer, o Held,
Bediinkt mich diefes,
Als alles Norweg
Eigen zu haben.
Angantyr:
Wenig weiſt du,
Thörichtes Weib,
Ungllichſelges,
Was dich freuen fol.
Tyrfing wird dir,
Ob vu mir glaubeſt,
All dein Geſchlecht
Verderben, p Jungfrau!
Gehen will ich
Zu der Brandung Roſſen.
Die Heldentochter
Iſt guten Muthes.
Wenig furcht' ich,
Du Sohn der Fürften,
Was meinen Söhnen
Künftig zu Theil wird.
Hervör:
Angantyr:
Du wirft es haben
Und. lange hegen;
Halt im Hulfte
Hjakmars Tödter!
128
Greif nit an die Eden!
@ift iſt im beiben.
Dieb Schwert ift übler,
As andres Unheil.
Fahr wohl, Tochter!
Schnell noch geb’ ih dir
Zwölf Männer Leben,
Ob du es glaubefl,
Stärke, Schwungkraft!,
All das Gute,
Was Arngrins Söhne
Burüdeließen.
Herbör:
Wohnt ihr Alle
(Fort drängt e8 mid)
Heil in Hligeln!
Bon binnen fahr’ id.
Wohl bedünkt' ich mich
Am Ziel des Lebens,
AS mid die Feuer
Rings umloderten.
Sie gieng bierauf zum Strande nieder und ala es tagte, ſah fie,
daß die Schiffe fort waren. Die Bilinger waren vor dem Gebonner
und ben Feuern auf der Inſel erichroden. Hervör blieb auf Samsö,
bis ein andres Schiff fie aufnahm. |
Der nun folgende Theil ver Saga erzählt die Erfüllung des auf
dem Schwerte Tyrfing haftenden Fluches in Hervörs Gefchlechte. Diele
vermählt ſich mit Höfund, dem Sohne des Königs Godmund in Bläfis-
völl, einem fabelhaften Lande. Sie hat von ihm zwei Söhne, Angan⸗
tyr und Heidrek, wovon der erftere bem milden Vater, ver lektere dem
wilden, ftreitluftigen Sinne ber Mutter nachichlägt. Da Heibrel am
Hofe feines Vaters blutigen Streit anftiftet, wird er veriviefen. Der
Vater gibt ihm gute Räthe, die Mutter das Schwert Tyrfing auf ben
Weg, mit dem er in Berſerkerwuth ven Bruder, der ihm das Geleite gab,
erichlägt. Bon den Lehren des Vaters thut er immer das Gegentheil,
1 afl oc eljun.
129
mad, wenn er gleih ein mädtiger König in Neibgotland 1 wird,
doch zuletzt feinen Untergang berbeiführt. Die drei Nidingswerle, bie
dem Schwerte angewünfcht find, gehen in Heidreks Schidfal in Er⸗
Füllung: das exfte derſelben ift der Brubermord an Angantyr, das
zweite, daß Heidrel in Reidgotland Schwäher und Schwager mit Tyr⸗
fing erſchlägt, das dritte, daß er felbft von treulofen Sinechten im
Schlafe damit erfehlagen wird. Auch die Gefchichte von Heidreks Sohne,
der wieder Angantyr beißt, wird beigefügt; aber immermehr verliert
ſich die Erzählung vom alten Sagengrund in willkührliche Erbichtung.
Als reiner, urfprünglicher Sagenbeftand ift nad Müllers Annahme
(Sagabibl. II, .566 f.) faft nur noch Dasjenige anzufehen, was oben
ausführlicher mitgetheilt worden, der Kampf auf Samsö und Hervörs
Todtenbefhtwörung. Hier hat fich die Überlieferung noch in den vielen
Lieverftrophen einen feften Anbalt bewahrt: Das eddiſche Hindluliod
zählt die Berſerler, Arngtims und Eyvörs Söhne, auf, bie wie Ylams
men über das Land fuhren (Edd. rh. 116. %. Magn. Edd. III, 15
[Str. 23]). Bon den zwölf Söhnen Arngrims und Dfurad (Eybör)
und ihrem Streit auf Samsd mit Hialmar und Orvarodd (Hialmerus
atque Arvaroddus) meldet auch Saxo (B. V, S. 140 f. Bol. Müller,
_ Sagnhist. 70 bis 72), im Einzelnen bald übereinftimmend und fogar näher
erflärend, bald abweichend, wie es überall die lebendige Volksſage mit
fih bringt. Roc im 17ten Jahrhundert hatten fich bei den Samsdern
Iofafe Erinnerungen von Orvaroddshügel und den Brübergräbern er⸗
halten (Müller a. a. D. 567). Ausführlicher, als felbft in der Her
vörsfaga, ift eben dieſer Kampf in bie befondere Saga von Orvarodd
(€. 14 in Fornald. S. II, 210 ff. €. 28 in Fort. S. II, 188 ff.)
aufgenommen.
Die Hervörsfaga in ihren Alteften Beftanbtheilen ift die großartigfte
Darftellung jener maaßloſen Lebenskraft, die dem riefenbaften Helden⸗
thume des Nordens eigentbümlich if. Arngrims zwölf Söhne maren
Berſerker. Der Berferler und ber fie plöglich ergreifenden Wuth, des
Berferlerganges (berserks-gängr, Biörns Lex. isl. I, 74), geichieht
in den nordiſchen Sagen vielfah Meldung. Der Name bezeichnet
wörtlih: bis aufs Hemd oder Unterkleid bloße, im Gegenfah ber
1 Das Skandinavien gegenüberliegende Feſtland in Pommern, Preußen.
Upland, Schriften. VII. 9
130
Gepanzerten (ber, baar, bloß; serkr, toga, tunica, it. indusium, ebv. II,
238; berserkr, indusio tantum, non lorica indutus, ebd. I, 73). Beim
Eintritt jenes Zuftands, ben und auch die Hervörsſaga beſchreibt,
Inirfchen die Berferler mit den Zähnen, beißen in die Scilve, ver-
Ichlingen glühende Koblen, laufen durch loderndes Teuer, rennen ohne
Panzer (woher eben ber Name) in den Streit, toben in ihrem Blut:
durft gegen die eigenen Genofjen, weshalb fie auch beim Ausbruch des
Anfalls in Bande geichlagen werben. Für den Urheber bes Berjerker-
ganges wurde, mie wir aus ber früher angeführten Stelle der YUnglinga⸗
faga wiſſen (©. 6), Odin angejeben, der Beiveger alles Kampflebens 1.
Übrigens gedenken auch geſchichtliche Sagan der Berſerkerwuth, die als
ein Unheil für ven damit Befaßten betrachtet warb (Sagabibl. I, 149.
Vatnsdäl. S. Auch I, 38. Vgl. fonft Saxo B. VII, ©. 189. 190.
Paulus Diac. I, 20. Lex. myth. 477), und noch das isländiſche
Ghriftenrecht von 1123 (Jus eoclesiast. vetus ed. Thorkelin. Bavn.
et Lips. 1776. Cap. XVI. ©. 78 f.) erflärt ba, wo es gegen bie Über:
bleibfel des Heidenthums eifert, ſowohl die Berſerker ſelbſt, als bie
jenigen, welche nicht den Wüthenden zu bändigen fi bemühen, für
rechtlos. Es iſt auch an ſich nicht unglaublid, was in einer neueren
Schrift (Menzel, Geſch. d. Deutichen I, 10) hierüber geäußert wird, daß
in Zeiten vorwiegender Körperfraft das Übermaaß aufgeregter Lebens-
fülle fich zu augenblidlicher Raſerei fteigern konnte.
Ein ſolches Berſerkergeſchlecht, zwölf Brüder, liegt nun, in wüthen-
dem Kampf erichlagen, im Grabhügel auf Samsö. Aber bie über
ſchäumende Kraft raftet auch unter dem Boden nicht, fie ſchlägt zur
Nachtzeit in Ylammen aus, daß bie ganze Inſel zu brennen fcheint,
und läßt fih im Donnergetöfe vernehmen; ber Hirte flieht dem Hofe
zu, ohne fich umzufehn, und die Seefahrer ſtoßen erſchreckt vom Stranbe.
Nur eine Tochter jenes Geſchlechts, in ber die angeftammte Natur alle
Schranken ber Weiblichleit gefprengt bat, das Weib zum Manne ge
fteigert ift, jchreitet in Helbenrüftung furchtlos burch jenes heimiſche
Element und fingt das Beichwörungslieb, das die Grabgeifter aufweckt.
Ihr wird das Zauberſchwert berausgewworfen, Werkzeug und Wahr:
zeichen jener ungebänbigten Kampfwuth, bie ihren Fluch in, ſich trägt.
1 Bgl. Sn. Edd. ©, 66. 162 (die Strophe: Fullavflug u. |. w. vgl, Lex.
mytir 635 *).
131
Kein Gold liegt in jenem Hügel begraben; aber Stärke, Schwung,
Lebenskraft von zwolf Männern ließen Arngrims zwölf Söhne zurüd
und vererben folches Gut zugleich mit dem Schwerte. Hervör will dieſes
haben, wenn es aud ihrem ganzen Gefchlechte fichres Verderben brobt.
Die Erfüllung ſäumt nicht und auch die Nidingswerke, die Schanbthaten,
fönnen für das Werkzeug des blinden Zornes nicht ausbleiben. Heibref,
Gervörs jüngerer Sohn, erwächſt, vermöge feiner Berferlernatur, zum
Führer diefes Schwerte. Die Mutter reicht es ihm zum Abſchied und
fo Tann er ven Befonnenen Ratbichlägen, die ihm ber mildere Vater
mitgab, niemal& Gehör leihen; das erfte Nidingswerk, das mit Tyrfing
verübt wird, ift Heidreks Brudermord, das letzte fein eigener Tod von
Knechteshand. Die Grundidee der ganzen Sage liegt offenbar barin,
wie die ungemeflene unb ungezügelte Kraft fich felbft verzehrt. Der
Mittelpunkt, in dem Vergangenes und Künftiges zufammenreichen, und
der entſprechendſte, phantafiereichite Ausdruck diefer tragischen Anficht
des norbiichen Kampflebens ift das große Nachtgemälbe der Beſchwörung
auf Samsö.
Aus den Geſchichten von Heibref, Hervörs Sohn, ift noch Yolgen-
des auszuheben (C. 15): Als Heidrek in Neidgotland berrfchte, mar
dort ein mächtiger Herfe (Unterhäuptling, satrapa), Namens Geft 1,
zugenannt ber Blinde. Er war böfe und gewaltthätig Dem König
Heidrek hatte er die Schagung vorenthalten und deshalb beſtand große
Feindſchaft zmifhen ihnen. Der König fandte ihm Botfchaft, er folle
iommen und fich dem Spruce bes Gerichtes unterwerfen; wo nicht,
fo folle vie Schlacht entfcheiden. Keines von beiden gefiel dem Herſen
md er befehloß, dem Odin zu opfern, daß dieſer ihm helfen möchte.
Eines Abends fpät warb nun an die Thüre geflopft; vor ihr ftand ein
Mann, der fih gleichfalls Geft nannte. Es entfpann fidh ein Geſpräch,
in welchen ber Herfe Geft dem Fremden feinen Kummer offenbarte.
Der Fremdling erbot fih, ftatt feiner zum König zu ziehen. Sie
wechjelten Ausfehn und Gewand und der Frembling Geft machte ſich
auf den Weg nach Yarheim, dem Site des Königs. Hier trat er in
die Halle und grüßte ven König. Diefer fchwieg und ſah zornig auf
den Ankömmling. „Willſt du, ſprach er, dich dem Uxtheile meiner
1 Bei Saxo 8. V, S. 135 lommt ein Gestiblindus, Gothorum rex, vor,
doch ohne bemwrfbare Beziehung zu ber Erzählung ber Hernörsfaga.
132
rechtöfundigen Männer unterwerfen?“ Geft fragte hierauf, ob es nicht
mehrere Weiſen gebe, fich zu löſen. „Es gibt deren, antwortete ber
König; du follft Räthſel aufgeben, die ich nicht erratben Tann, und bir
damit Frieden erfaufen.” Geſt zog dieſes dem Gerichtswege vor. Es
wurden nun zwei Stühle berbeigebracht, auf die fie ſich nieberließen,
‚ und bie Leute waren in frober Erwartung, weiſe Worte zu bören.
Geſt legte hierauf dem König eine Reihe von Rätbjeln vor, die Heidrek
alle errietb. Die letzte dieſer Fragen jeboch mar die uns fchon beiannte,
was Odin Balburn ins Ohr gefagt, bevor biefer auf den Scheiterhaufen
getragen ward. „Niemand kann das willen, als bu felbit“, rief ber
König zormentbrannt, entblößte dad Schwert Torfing und wollte nad
Geft bauen. Aber dieſer verwandelte fich plöglich in einen Fallen und
entflog durch's Fenſter. Nur die Schwanzfevern traf das Schwert und
ſeitdem ift der Falle hinten geftußt.
Diefe Räthſel und ihre Löſung ſammt dem Schluffe, wie Geft als
Falke davonfliegt, bilden ein, der Saga einverleibtes Lieb non 66
Strophen (Getspeki! Heidreks Kongs, Räthſelweisheit König Heidreks).
Die Profaerzählung fügt noch hinzu, Einer vom Hofgefinde, ber zu
gegen geweſen, babe vom Schwerte fallen müſſen; Obin aber habe noch
über den König ausgerufen, teil er ven Frieden, ben er zwiſchen ihnen
geſetzt, ſelbſt gebrochen, fo follen bie fchlechteften Knechte ihm ven Tod
geben. Müller, der die Herbörsfage in ihrer jebigen Zufammenfeßung
dem 13ten Jahrhundert zufchreibt, ohne jedoch einerſeits ben Altern
Sagengrund, anderſeits verfchievene noch fpätere Zuſätze zu miskennen,
bemerft über das Näthfellied insbeſondere, daß bie poetiſchen Auf
löſungen, da fie nur in einer einzigen Abſchrift gefunden werden, ein
fpäteres Produkt zu fein fcheinen, die Räthfel felbft aber älter, ala die
proſaiſche Erzählung; auch fie jevoch enthalten jo wenig Charakteriftifches
und ‚gleichen fo ſehr dem Wiße fpäterer Zeiten, daß fie eher dem 1dten,
als dem 10ten Jahrhundert (der heidniſchen Zeit), angehören. Der
Nahmen eines ſolchen Liebes ift nun allerdings geeignet, fortwährend
Zufäbe in ſich aufzunehmen, und fo mögen auch bie in Getſpekli zuſam⸗
mengereibten NRätbjel verſchiedenen Zeiten ihren Urſprung verbanten.
1 Gestr, geäspeki |. Vafpr. m. Str, 19. Sem. Edd. ©. 88. Finn
M.Edd. I, 88; speki f. sapientie, Lex. iel. II, 317a, heißt auch die Weis-
heit, welche. Sigurd von Brynhild lernen will; vgl, Grimm, Heldenſ. 892 u.
133
Aber nicht nur tragen mehrere einzelne das klare Gepräge alterthüm⸗
licher Raturanfchauung oder enthalten beftimmte mythiſche Beziehungen,
ſondern es gibt fih auch in der Anlage des Ganzen ber mythiſche
Zufammenbang zu erkennen. "Einzelne der bemerkten Art find 3. 2.
folgende.
Str. 3: Gef:
Heidrel:
Str. 5: Belt:
Heidrek:
Von Hauſe fuhr ich,
Bon Haufe reift’ ich,
Sah Weg auf Wege;
Weg war unten,
Weg war oben,
Weg allerwegen.
Heibrel, König,
Rath du das Näthiell
Out ift dein Räthſel,
Geh der Blindel
Errathen ift es.
Bogel flog oben,
Fiſch ſchwamm unten,
Du giengſt auf der Brücke.
Was war das Trinken,
Das ich geſtern trank?
Nicht Wein noch Waſſer,
Meth noch Bier,
Noch Mus irgend.
Doch gieng ich durſtlos dannen.
Heidrek, König,
Rath du das Räthſel!
Gnt ift dein NRäthiel,
Geſt der Blinde!
Errathen ift es.
Du giengſt in der Some,
Bargft di im Schatten,
Than flel im Thale,
Da nahmft du dir
134
Des Nachtthaues,
Kühlter dir fo die Kehle.
Str. 27: Geſt:
Der ift der Einfame,
Der fchläft in der Afche,
Bon Steinen gemadt?
Baterlos, mutterlos,
Der Schadengierige,
Friftet er dort fein Alter.
Heibrel, König,
Rath du dag Räthſel!
Heidref:
Gut ift dein Nätbjel,
Geſt der Blinde!
Errathen iſt es.
Aſche nährt Feuer,
Auf dem Heerde verborgen,
Erzeugt von Steinen.
Str. 29: Geſt:
Wer iſt der Dunkle,
Der liber den Boden fährt,
Waſſer und Wald verichlingt?
Stürme jcheut er,
Männer niemals,
Mit der Sonne rehtet er.
Heibrel, König,
Kath du das Räthſel!
Heidref:
But ift dein Räthſel,
Geft der Blindel
Erratben ift e8.
Der Nebel hebt fi
Bon Gymirs 1 Lager,
Hüllet den Himmel ein,
Tödtet den Schein
1 Gymir wird öfters mit AÄgir, dem Meeresgotte, gleich genommen, Lex.
myth. 137 6.
135
Der Gefpielin Dyalins, 1
Flieht nur Yornjots? Sohn.
Str. 39: Geft:
Wer find die Mädchen,
Die viele zuſammen gehn,
Nach des Baters Beſtimmung?
Haben bleiche Haare,
Weißfaltige Schleier,
Kein Mann bhütet fie.
Heidrek, König,
Rath du das Räthſel!
Heidrek:
Gut iſt dein Räthſel,
Geſt der Blinde!
Errathen iſt es.
Gymir hat ſie,
Die weiſen Töchter,
. Erzeuget mit Ran.
Wogen und Wellen
Sind fie geheißen;
Kein Mann bütet fie.
Str. 47: Geſt: |
Der find die Bränte,
Auf Brandungsflippen
Die Bucht Hin fahrend?
Hart Bett fie Haben,
Die Weißgefchleierten,
Nicht fpielend bei ftiller See.
Heidrel, König,
Rath du das Räthiel!
Heibrel::
Gut ift dein Räthſel,
Geh der Blindel
Errathen iR es.
Wogen und Wellen
1 Dvalins leika, vgl. Biörns Lex. isl. II, 21a. Finn Magnufens Lex.
myth. 49.
2 Kar, der Wind, ein Sohn des Niefenvaters Fornjotr.
136
Und alle Branbungen
Lagern zuletzt ſich
Auf Scheeren und Klippen,
Verlaſſen bei ſtiller See.
‚Dieſe zuletzt angeführten und noch mehrere ähnliche Räthſel, deren
Gegenſtand die Meereswellen find, veſtätigen uns noch mehr die Deutung
der Mägde im Mühlenlied. Überall find die Naturkräfte in Perſon
und Handlung geſetzt. Ganz mythologiſch ift ein weiteres Rätbfel, das
vorlegte, Str. 61. |
Geit:
| Ber find die Bwei,
Die zu Thinge fahren?
Drei Augen haben fie
Beide zufammen,
Zehen Füße,
Einen Schweif,
So fahren fie über die Lande. .
Die Löfung ift: der einäugige Odin, der auf feinem achtfüßigen
Roſſe Sleipniv durch die Luft fährt.
Was am Schluffe vom abgeftutten Schwanze des Fallen erzählt
wird, erinnert an einen Ähnlichen Zug in der jüngern Edda (S. 226
Rühs [S, 70 Rask]). Die Aſen wollen Lokin fangen, als den Stifter
des Morbes an Baldur; Loki hat fi) aber, als Lachs verwandelt, in
einen Waflerfall geflüchtet. Dort ergreift ihn enblih Thor, aber der
Fiſch gleitet ihm in der Hand, fo daß er ihn erft am Schwanze recht
erfaßt. Aus diefer Urſache ift der Lachs hinten ſpitz. Diefe Art, bie
auffallende Geftalt der Naturweſen aus befonbern Ereignifien zu er
Hören, ift im Gebiete der Sagen berlönmmlich (vgl. Bidrner S. 525,
Schluß des ©. 6).
Neben den einzelnen mythiſchen Beziehungen zeigt nun aber auch
die ganze Anlage des Räthjellieves unverkennbare Ähnlichkeit mit meh⸗
seven Mythenliedern ver Edda. Im Vafthrudnismal insbeſondere be
ſucht Odin als Wanderer unter dem Namen Gangradr (gressum mo-
derans s. dirigens, Lex. myth. 109) den Rieſen Vafthrudnir, um
defien Weisheit zu erfunden. Sie legen einander gegenfeitig Räthfel-
fragen vor, bis zulegt der Rieſe den Gott an derſelben Frage eriennt,
137 -
mit der auch Geiſpeki jchließt. Grimnismäl, in dem Dbin unter dem
Namen Grimnir (personatus, ebd. 128) zu dem König Geirröd Tommt,
Vegtamsquida, wo er als Vegtamr (vie adsuetus, ebd. 544) eine Völe _
in der Unterwelt befragt, Alvismäl, ein Geſpräch zwiſchen Thör und
. dem Zwerg Alois, tragen mehr ober weniger basfelbe Gepräge. Nur
betreffen die Fragen der Müthenliever die Götterwelt und die Welt:
ſchickſale, während die Räthſel Gefts ſich mehr auf Naturbilder und
menschliche Dinge beziehen; bort erforfcht Odin die alten Urmächte, bier
prüft er den einzelnen Menſchen; die Löſung aber, woburd er fh als
der Inhaber der göttlichen Weisheit zu erfennen gibt, ift in beiden
Fällen diefelbe. Die Näthjel, wie Getſpeki fie aufgibt, find gewiſſer⸗
maaßen die Vorjchule zu jenem tieferen und umfaſſendern Wiſſen. Wie
dort das Feuer, der Nebel, vie Wellen u. ſ. w. perfonificiert und bes
lebt werben, fo liegt bier die gefammte Glaubenslehre in einem großen
Bufammenbange von Perfonifilationen und Handlungen verhüllt. An
jenen einzelnen Bildern wirb der Sinn eingeübt für diefe ganze Weife ber
Auffaffung, von ihnen empfängt er den Schlüffel zum innern Heiligthum.
- Sowie wir das mythiſche Ganze durchaus als ein poetifch geftaltetes
und belebtes kennen gelernt haben, fo find auch dieſe vereingelten Räthſel,
wenigftens bie beflern und alterthümlichern unter ihnen, poetifche Bilder,
die, auch wenn bie Löfung gefunden ift, noch als lebendige Anfchauungen
anziehend bleiben; eine Probe, bie wir auch jeßt noch an das Räthiel,
fofern man es zu den Dichtarten rechnen foll, anzulegen haben.
Die einleitende Erzählung zu unfrem Räthfellieve, von dem reit-
gotländifchen Herfen, der Geht der Blinde gebeißen haben ſoll, kann id)
nicht für urfprünglich anjeben. Der Name Geft (Gaft) pafst nur auf
den als Wandrer anlommenden Dbin (mie bie ähnlichen Gangräd,
Begtam), nicht auf den Herjen, der zu Haufe bleibt; und ber Beiname
des Blinden (Gestr blindi), für den Herjen unerllärt, eignet fich gleich
falls für den einäugigen Din. Der irbifch umherwandelnde Gott prüft
den getwalttbätigen König Heibrel, den Beſitzer des Zornichwertes, ber
Berſerkerwaffe, und überführt ihn, wie im Mythenliede den Riefen
Bafthrudnir, ale in höherer Weisheit unerfahren.
Noch öfter wird uns auf dem Wege durch das Sagenreich die Er⸗
ſcheinung Odins, als forfchenden und viellundigen Wanderers, bes
genen. (Bol. Widſith, Grimme Helomf. 875.) .
138
3. Hrolf Krali.
Sage Hrolfs Konungs Kraka, Fornaldar Sögur 8. I, 1 ff. Fort. 8.1,
1 fi. (Bodvar Biarkes 8. Sagabibl. Il, 524 f.) Skalda, Snorra Edda ©. 150
bis 154 [Rafll. Ynglinga Saga C. 32 bis 34. Sapı, Gr. 2. II, ©. 37
bis 58. 8. VII, ©. 184 ff. [log]. Müller, Sagabibl. II, 493 bis 535.
Müller, Sagnhift. 25 bis 36. 193. 246.
Grolf Kraki wird von Saro als der 18te Dänenkönig aufgeführt
und. ala Erbauer des bäntichen Königsfitzes Lethra (S. 431), So
wie fein Gedächtnis auf uns gelommen, erſcheint er durchaus als
Sagenheld; doch ift darum fein einftiges gefchichtliches Dafein nicht
abzuftreiten; Müller fett vasfelbe in das Ende bes 6ten und den An-
fang des Tten Jahrhunderts (Sagabibl. H, 522). Er war einer der
fagenberühmteften Helben des Nordens und von feinen Thaten, con-
spicuis probitatis operibus, fagt Saro (S. 38), quorum eximium
fulgorem omnis evi memoria specioso laudum preeconio celebrat.
Die töländifhe Saga von ihm und feinen Kämpen (köppum
hans; kappi, heros, athleta, Biörn® Lex. isl. I, 442 4) ift eine der
ausgeführteften. Gleichwohl bietet Saxo Mehreres zur Ergänzung bar
und zeugt auch durch die Abweichungen, wie verbreitet und vielfach
behandelt biefe Sagen waren. Die Inglingafaga, welche davon nur foviel
berührt, als mit ihrem Gegenftanve, ven Geſchichten der alten Upſala⸗
Tönige, in Verbindung ftanb, beruft fi dabei (C. 33) auf eine be
fondere Sköldungaſaga; Sköldunge hießen eben die von Skjöld abge
leiteten Dänenklönige.
Hrolfs Sage ift fo angelegt, wie wir in der Folge bie meiften größern
Sagenbildungen zugefchnitten finden werben. Ein junger Rönigshelb
fammelt um fich einen Kreis der trefflichften Reden, gewöhnlich in der
Zwolfzahl, und vollführt dann mit ihnen gewaltige Thaten, bis fie in
einem letten, großen Kampfe gemeinfam untergehen. In einem ſolchen
Sagenganzen lafien fi drei Haupttheile unterfcheiben: in ben erften
fallen die Erzählungen von der Abftammung des Haupthelden, von
den Gelchiden, die auf feinem Stamme ruhen, von feiner früheren
Jugend, fodann ähnliche Berichte von feinen künftigen Genoffen,
1 Leire, jetzt ein ſeeländiſches Dorf.
139
und mie fie zuleßt Alle, oft durch heftige Kämpfe, zu unzertrennlicher
Genoſſenſchaft zufammengeführt werden; ber zweite Haupttheil umfaßt
die fiegreichen Züge der jo verbundenen Heldenſchaar; ber Tritte den
gemeinfamen Untergang. Je burchgebilbeter die Sage ift, um fo fühl:
barer zieht fih durch das Ganze eim innerer Bufammenbang, eine
bewegende Grundidee. Die tünftliche Einheit des Epos 1, vermöge
weicher die Geichichte gleich in der Mitte gefaßt, das Vorhergegangene
aber mittelft episodiſcher Erzählungen nachgeholt und eingereiht wirb,
ift dem einfachern Aliertbum fremd und mar wohl auch nicht die uns
fprüngliche Weife des homeriſchen Epos.
Die Hrolfsſaga nach jenen drei Beftanbibeilen vollftänbig darzu⸗
ftellen, würde uns zu meit führen. Die Borgefchichten von Hrolfs
Eltern und Ahnen, vom Uriprung und ben früheren Schidfalen feiner
Reden machen einen unverhältnismäßigen Theil bes Ganzen aus und
ed ericheinen darunter in ſich abgeichlofiene Sagen ohne nothiwenbigen
Zufammenhang mit dem Folgenden. Sch werde daher nur bei bem
verweilen, was ſich näher auf und um ben Haupthelden concentriert
und babei zwar bie isländiſche Saga zu Grunde legen, überall aber
die erheblichern Ergänzungen aus Saros Erzählung eintragen, die
gerade in dieſen mwefentlihern Theilen ausführlich und lebendig ift.
Die Saga beginnt mit den Königsbrübern Halfdan, Hrolfs Groß.
vater, und Frodi, vemjelben, von dem das Mübhlenlied handelt, unter
Andeutung biefer Verwanbtichaftsverbältnifie, aber fonft mit abmweichens
den Umftänden (Sn. Edd. 1502). Frodi überfällt feinen Bruder, bem
er die Herrichaft über Dänemark misgönnt, verrätherifch und läßt ihn
umbringen; aber Halfvans Söhne Helgi und Hroar, mweldhe von treuen
Freunden verborgen wurben, rächen, als fie herangewachſen, den Tod
ihres Vaters an Frodi. Diefe Geſchichten erzählt Saro, zum Theil
mit andern Namen und Nebenumftänvden, von feinem Frotho V, ben
er erft lange nad Hrolf Kraki ſetzt (®. VII, S. 184 bis 186). Es
pafien überhaupt folche Gewaltthaten nicht gut für den Frodi ber
Friedenszeit. Helgi, der bierauf König in Dänemark wird, beirathet
unwiſſend feine eigene Tochter Yrſa, die er einft mit einer ſächſi⸗
ſchen Königin erzeugt. Die Frucht dieſer Ehe ift Hrolf, der Held
1 Horaz de arte poet. ®. 185 bis 150.
2 Bol. Sagabibl, 2, 496. 498.
140
der Saga. Yrſa, die fih nach Entdeckung der wahren Verhältniſſe
von Helgi getrennt, wird nachher, gegen ihre Neigung, mit bem
Schwedenlönige Adils zu Upfala vermählt. Als einft Helgi um Yrſas
willen bortbin gelommen, läßt ihn Adils, nad fcheinbat freundlicher
Aufnahme, auf dem Rückweg überfallen und Helgi erliegt ber Über:
macht. Ihm folgt im Dänenreiche fein und Yrſas Sohn Hrolf. Bevor
aber die Saga ganz auf diefen übergeht, gibt fie bie befontern Ge
Schichten des Kämpen Spipbag, ber zuerit dem Könige Adils dient und
dann, mit feinen Brüdern, von Hrolfs Ruhme gelodt, zu dieſem zieht,
und noch ausführlicher die des ſtarken Bödvar Bjarki! und feiner
Brüber, deſſen Yahrt gleichfalls am Ende nach dem Hofe zu Ledra geht.
König Hrolf war durch Tapferkeit, Großmuth und Freigebigkeit
vor allen Königen berühmt geworden. Darum fammelten fih um ihn
die gröſten Kämpfer des Nordens (C. 22. 23. 31. Fort Sag. 1, 41.
44, 59 u.). Das Lob feiner Freigebigkeit verfünbigt beſonders aud
Sam (©. 41): j
Perunt autem, illum, quicquid prestare posceretur, prime suppli-
cationi prompta liberalitate tribuere solitum, nec unquam ad secundam
- petentis vocem distulisse rogatum. Siquidem precum iterstionem muni-
firentie velocitate precurrere, quam beneficium tarditate notare maluit,
Qu® res ei maximam athletarum frequentiam conciliavit. Pleramque enim
virtus aut premiis pascitar, aut laudibus incitatur.
Es findet fih auch in den lateinischen Verſen bei Saxo, bie wie
immer Überfegung und Paraphrafe nordiſcher Lieder find, eine Erzäh⸗
lung, von ber in der Saga nicht? vorlommt, von dem Siege Hrolfs
über den reichen und geizigen Rorik (©. 47 f.). Dieſer, der: Gold
über Heldenruhm und Freunde fchäßte, ließ, als er von Hrolf gedrängt
war und wegen feiner Kargheit Feine Kriegsleute aufzuftellen hatte,
al fein lang gejammeltes Gold vos die Thore feiner Stadt auöfchütten,
um bamit die Feinde abzuhalten. Uber er verlor Gold und Leben
zugleih; Hrolf vertheilte Die ganze, veiche Beute feinen Kriegsgefährten:
een nee profuit hosti
Census iners, quem longo avidus cumulaverat wvo.
Hunc pius invasit Rolvo, summasque peremti
Cepit opes, inter dignos partitus amicos,
1 8gl. Lex. myth, S. 481.
141
Quicquid avara manas tantis congesserat annis;
Irrumpensque opulenis magis, quam fortia, castra,
Prebuit eximiam soeiis sine sanguine predam. _
Cui nil tam pulchrum fuit, ut non funderet illud,
Aut charum, quod non sociis daret, era favillis
Assimilans, famaque annos non ſœnore mensus.
Zugleich aber wird von feiner Tapferleit gejagt [S. 48]:
Tam prceps in bella fuit, quam concitus amnis
In mare decurrit, pugnamque capessere promptus,
Ut cervus rapidum bifido pede tendere cursum.
Aus dem erften Theile der Saga nun, den Borgefchichten, bebe
ich aus, wie Bödvar Bjarli, nachher der ausgezeichnetfte von Hrolfs
Reden, zu deſſen Hofe kommt (C. 33 bis 36). In biefen früher Aben⸗
teuern herrſcht noch die gute Laune vor; weiterhin wird Inhalt und
Ton der Erzählung immer ernſter und tragifcher.
Bödvars Bater Björn, ein norivegifcher Königsfohn, war durch
böfen Zauber feiner Stiefmutter bei Tag in einen Bären vertvanbelt
und erhielt nur bei Nacht wieder menfchliche Geſtalt. Seine Söhne
hatten übernatürlihe Stärke.
Eines Tags war ftarles Unwetter und Böbvar warb auf feiner
Fahrt nad) Lebra ganz burchnäßt, fein Roſs fchritt mübe unter ihm im
böfen Wege. Schon war die Nacht eingebrochen, als es ven Fuß an
einen Abhang ſtieß. Bödvar fiieg ab und fand ein Bauerbaus, mo
er willig aufgenommen ward, Er fragt viel um Hrolfs und feiner
Kämpen Heldenwerte, auch ob es noch weit zu dem König ſei. „Nein,
fagte der Bauer, dahin tft nur ein kurzer Weg; mwillft du zu ihm
ziehen?“ Bobvar bejabte das. „Dort, fuhr der Bauer fort, wirft du
wohl aufgenommen werben; denn ich febe, daß du ein großer und
ſtarker Mann biſt, und bort trifft du auch anſehnliche Männer.”
Darüber begann das alte Bauerweib laut zu weinen. „Warum weinft
du, armes Weib?” fragte Böbvar.. Sie antwortete: „Wir haben einen
Sohn, der Hötte heißt. Der gieng eined Tags zur Burg, um ſich zu
vergnügen, aber bes Könige Männer foppten ihn, wobei er fich fehr
übel befand; nachher nahmen fie ihn und febten ihn in einen Beiner-
baufen, und das ift num ihr Zeitvertreib während des Mahles, daß
fie, fowie ein Bein nach dem andern abgeefien ift, es nach ihm werfen.
142
Dft, wenn es ihn trifft, Bat er davon großen Schaben, und ich weiß
jetzt nicht, ob er noch lebt oder tobt iſt; aber von meiner Gaftwillig:
feit gegen dich hoffe ich, du werbeft mir damit vergelten, daß bu lieber
kleine als grofje Beine nad ihm wirfft, wenn er noch nicht tobt iſt.“
„Ich werde thun, wie bu mich bitteit, antwortete Bödvar, und das
bedünkt mich nicht fo ſehr mannlich, Leute mit Beinen zu werfen ober
Kinder und Geringe zu quälen.“ „Da thuft bu wohl dran, fagte
die Alte, denn beine Hand feheint mir jo ſtark, dab ich gewiſs weiß,
er würde deine Würfe nidst aushalten können, wenn du ihn nicht
fchonen wollteſt.“ Bödvar z0g hierauf weiter nach Ledra (til Hleidar-
gards), wo der König feinen Sit hatte. Hier führte er fein Roſs in
ben Stall neben die beiten Pferde des Königs, ohne Jemand darum
zu fragen. Darauf gieng er in die Halle, wo nur Wenige zugegen
waren. Er ſetzte fich zu äußerit, und ala er eine Leine Weile da ge
ſeſſen, börte er etwas poltern in einer Ede ber Halle. Er ſah dahin
und. warb gewahr, daß eine Hand aus einem großen Beinechaufen
hervorlam; bie Hand war ganz ſchwarz. Bödvar gieng bin und fragte,
wer in dem Beinhaufen fi. Die Antwort lautete mit ſchwacher
Stimme: „Hött heiß’ ich, lieber Bölki!“ „Warum bift-bu hier? was
machſt du?“ „Ich mache mir eine Schildburg!, Lieber Bökli!“ „Er:
bärmlich bift du in deiner Schildburg,“ rief Bödvar, ergriff ihn und
zog ihn aus dem Beinhaufen hervor. Hött fchrie laut auf: „Trachteſt
du mir nad dem Leben? thu das nicht! du haft mir meine Schiluburg
zujammengebrochen; ich hatte fie eben fo hoch um mich aufgeführt,
daß fie mich vor allen euern Würfen beichirmt hätte, und doch war
fie noch nicht in dem Stand, in ben ich fie bringen wollte.” „Nicht
folft vu, verfetste Bodvar, fernerbin Schildburgen zu bauen brauchen.”
Hött weinte und ſprach: „Willſt du mich denn töbten, lieber Bölkit“
Bödvar bieß ihn nicht fo laut fchreien und trug ihn aus ber Halle
nach einer nahen Waflerftätte; da wuſch er ihn vom Wirbel bis zur
Zehe, gieng dann mieber zu feinem vorigen Sitze und ſetzte Hött neben
fich; diefem war aber fo bange, daß er am ganzen Leibe zitterte, obs
gleich er merken konnte, daß biefer Mann ihm helfen wollte. Es ward
nun Abend und die Leute kamen in bie Halle. Hrolfa Kämpen faben
1 Skjaldborg, scutorum testado, Lex. isl. 264 b. Schiledach.
143
nun, daß Hött auf einer Bank Platz genommen hatte,’und ber Mann,
der ihn dahin geſetzt, fchten ihnen fehr breift zu fein. Hött warb übel
zu Muth,. ald er feine alten Belannten ſah, und fo lieb ihm ſein
Lehen war, wollte er wieber in den Beinhaufen fahren, um vor ihren
Würfen befler gefichert zu fein. Bödvar aber hielt ihn feſt. Die Hof
leute trieben nun wieder ihren alten Brauch und warfen zuerft Tleine
Beiner nah Bödvar und Hött. Bödvar that, ala bemerkt’ er es nit;
Hött dagegen war fo bange, daß er weder Speife noch Trank anrührte,
denn er fürchtete jeden Yugenblid, tobtgetworfen zu merben. „Sieber
Bokki, rief er, jet wird ein großer Knochen auf dich gezielt, der wird
unfer Berberben werben.” Bödvar hieß ihn fill fein, hielt feine hohle
Hand entgegen, faßte jo den Knochen, dem ein ganzes Lenvenbein
mitfolgte, und ſandte ihn auf den, ber geivorfen hatte, mit folder
Gewalt zurüd, daß eö des Mannes Tod war. Nach Saro, der auch
diefe Gefchichte berührt S 41), drehte ihm ber Wurf nur den
Kopf um.
Frontem ejus in oeeipnt reflexit idemque loco frontis intoreit, trans-
versum hominis animum vultus obliquitste mulctando.
Großer Schredten Tam über das Hofgefind und das Gerücht lief
hinauf zu König Hrolf und feinen Kämpen, daß ein Mann, der etwas
Ungewöhnlichem gleich fehe, in die Halle gekommen fei und einen
jener Hofleute getöbtet habe und daß fie ihn nun wieder töbten laſſen
wollen. Der König fragte, ob der Hofmann unſchuldig getöbtet wor⸗
den. „So gut als unſchuldig“, antworteten ſie; aber die Wahrheit
kam nun doch an den Tag. Da ſagte König Hrolf: „Weit davon,
dag man dieſen Mann töbten ſollte. Ihr habt wieder euer Unweſen
getrieben, unſchuldige Zeute mit Beinen zu werfen, was mir zur
Unehre gereicht und euch zu großer Schande. Ich habe davon früher
oft geſprochen, ihr aber habt auf meine Worte nicht geachtet. Es muß
kein geringer Mann ſein, den ihr angegriffen habt; ruft ihn her zu
mir!“ Bödvar gieng nun vor ben König und grüßte ihn anſtändig.
Der König fragte nach feinem Namen. „Hötts Frieden (Hattargrida ?)
nennen eure Hofleute mich, fonft heiß ich Bödvar.“ „Welche Buße
willft du mie für meinen Hofmann geben?“ „Wie er that, jo geſchah
1 Bl. Saro B. V, S. 108 u. 8. VI, S. 178.
2 Höttr, pilens. Grid, n. pl. pex, securitas.
144
ihm." „Willſt du mein Dann werben und feinen Pla einnehmen?“
"Richt Sag’ ich „Nein“ dazu, mer Mann zu fein; aber ich will mid
darum keineswegs von Hött trennen, fondern wir Beibe follen näher
bei bir figen, als Jener ſaß; ſonſt ziehen wir Beibe fort.“ Der König
- fagte: „Obſchon ih an Hött wenig Ehre für mich ſehe, fo will ich doch
nicht die Speife an ihm Sparen.” Bödvar gieng nun mit Hött zu dem
Site, der ihm gefiel.
Ein weiteres Abenteuer ift, wie Bodvar feinen Schübling Träftigt.
Er bat ein Ungethüm (bei Saro ift es ein Bär) erfchlagen, das bes
Königs Heerben verheert, und läßt nun ben verzagten Hött, den er mit
fih genommen, vom Blute bes Thieres trinlen und von deſſen Her
eflen. Davon wird Hott ſtark und fühn. Der König gibt ibm fein
Schwert Gullinhjalti (Goldenheft) und 'beftimmt, dab er darnach fortan
Hjalti heiten fol.
Sp viel aus den Borgefchichten; den mittlern, zweiten Theil ber
Saga bildet König Hrolf und feiner nun vollzählig verfammelten
Kämpfer Fahrt nach Schweden. Bon diefem Zuge gibt die Skalda
(Sn. Edd. 150 bis 154) einen kurzen Bericht, um zu erklären, warım
man in der Dichterfpradhe das Gold Krafis Saat oder Saat von
Fyrisvellir nenne. Vollſtändiger ift die Hrolfsſaga (C. 38 bis 46).
Eines Tags hielt König Hrolf ein herrliches Mahl und alle feine
Kämpen faßen bei ihm in feinem Königsſaale. Da blidte ex nad
beiden Seiten und ſprach: „Mächtige Stärke ift bier gefammelt in
eine Halle.“ Weiter fragte er Bödvarn, ob er fol einen König
fenne, der folche Kämpen babe. Bödvar fagte, er kenne feinen. „Aber
ein Ding tft, fehte er hinzu, das eure Tönigliche Ehre mindert.” König
Hrolf fragte, was das je. „Das fehlt euch, Herr, daß ihr nicht
euer Batererbe in Upfala verlangt habt, das euch euer Schwager König
Adils unrechtmäßig vorenthält.“ König Hrolf antwortete: „Eine
ſchwierige Sache wird das fein, biefes Erbe zu fuchen, denn Adils ift
ein zauberkundiger, ſchlauer und dabei graufamer Mann, ber ſchlimmſte,
mit dem man zu jchaffen haben Tann. Aber du erinnerft mich, daß
ih an dieſem geizigen und verrätherifchen Könige meines Vaters Tod
zu rächen babe; darım wollen wie das gefährliche Unternehmen wagen.“
Darauf rüftete fih König Hrolf zu diefer Reife mit hundert Männern,
außer feinen zwölf Kämpen. Sie Inmen auf ihrer Fahrt zu einen
145
Bauer, ber vor der Thüre ſtand und fie alle zu fi einlud. Der
König fagte: „Haft du auch das Vermögen dazu? denn wir find nicht
wenige, wenn wir beifammen find.” Der Bauer lachte: „Hab ich
doch mandmal nicht wenigere Männer dahin Tommen feben, mo ich
gemweien bin! es fol eu nicht an Trank noch Andrem mangeln, was
ihr die Nacht über braucht.“ „Wir mollen’3 verſuchen,“ fprach der König.
Ihre Rofle wurden nun fogleich in gute Pflege genommen. „Was ift
dein Name?” fragte ver König. „Hrani! nennen Einige mich,“ mar
die Antwort. Sie wurben jo wohl aufgenommen, daß fie an Feine
gaftfreiere Stätte hätten Tommen können. Der Bauer war ſehr munter;
fie mochten fragen, was fie wollten, fo antwortete er fehr wohl auf
Alles, und fie erkannten ihn für den weileften Mann, den fie jemald
getroffen. Sie legten ſich nun fchlafen, konnten es aber nicht, indem
es fie jo fehr fror, daß ihnen die Zähne klapperten. Da fprangen fie
auf und zogen über fi), was fie befommen konnten, ausgenommen
allein Hrolfs zwölf Kämpen, welche bloß die Kleider anbehielten, bie
fie zuvor angehabt; doch fror e3 fie alle die Nacht über. Am Morgen
fragte ver Bauer, wie fie geſchlafen. „Wohl,“ antivortete Böbvar;
worauf der Bauer zum König fagte: „Ich weiß, daß es beinen Hof
männern in der Schlaflammer etwas Fühl vorgefommen ift; es war
auch fo; aber nicht dürfen fie glauben, alle die Führlichkeiten aushalten
zu können, womit euch König Adils in Upfala verſuͤchen wirb, wenn
ſchon das ihnen fo beſchwerlich ſchien. Willft du darum, Kerr, mit
dem Leben davon kommen, fo jende die Hälfte deiner Schaar wieder
beim! denn es ift nicht die Menge, die den Ausfchlag zum Siege über
König Adils geben wird.” Der König folgte dem Rathe und ritt
bierauf mit der andern Hälfte feines Weges weiter. Als es Abend
warb, lag ein anbrer kleiner Bauerbof vor ihnen und fie glaubten,
denjelben Bauer wieder zu erkennen, ber fie Die vorige Nacht beherbergt
batte, was ihnen fehr wunderlih vorlam. Der Bauer empfieng fie
wieder jehr wohl und fragte nur, warum fie fo oft kommen. Sie
legten fich ſchlafen, machten jedoch abermals auf, indem fie ein fo un-
leivlicher Durft befallen hatte, daß fie faum mehr die Zunge beivegen
fonnten. Sie ftanden daher auf und eilten zu einer großen Kanne
1 Der Name Rani bei Saro B. VII, S. 222.
Upland, Schriften. VII. 10
146
mit Wein, an ber fie fich erlabten. Am Morgen fagte der Bauer
Hrani: „Wenig Ausdauer foheinen mir die Männer zu haben, bie
Nachts zu trinken brauchen; härtere Proben werdet ihr auöftehen,
wenn ihr zu König Adils kommt.“ Ein flarles Unwetter fiel ein, fie
blieben darum ben Tag über und nun ſtand bie dritte Nacht bevor.
Am Abend wurbe Feuer vor ihnen aufgemadt und nun kam es denen,
bie am euer faßen, vor, als würd' e8 ihnen zu heiß um bie Hänbe,
weshalb die Meiften von den Pläben auffprangen, die ihnen der Bauer
angemwiejen, ausgenommen König Hrolf und feine Kämpen. Da fagte
des Bauer: „Noch müßt ihr, Herr, eine Auswahl in eurer Schaar
machen, und ift das mein Rath, daß Keiner die Fahrt fortſetze, als
thr und eure zwölf Kämpen; nur in biefen Fall ift einige Hoffnung
eurer Wiederkehr, im andern nicht.“ „So großes Vertrauen, erwi⸗
berte Srolf, hab’ ich zu dir gefaßt, Bauer, daß ich deinem Rathe folgen
will.” Sie blieben drei Nächte dort, worauf ber König mit feinen
zwölf Kämpen meiterritt, die ganze übrige Schaar aber zurückſandte.
Jene kamen nach Upfala und ritten zu Königs Adils Halle. Diefer
fieß fie jcheinbar wohl aufnehmen, befahl aber glei), daß man ihren
Nofien im Stalle Mähnen und Schweife abjchneiden folle. Die Helben
zogen in die Halle ein; jeder hatte einen Habicht auf ver Achfel figen,
König Hrolf den feinigen, der Habrok (der Hochgehoste) hieß. Hrolf
gieng nicht vorn in der Reihe, da fein Kämpe Spipdag, dem der ſchwe⸗
difche Hof befannt war, geratben hatte, nicht merken zu laſſen, meldhes
der König ſei. König Adils ſaß auf dem Hochſitz, aber es war ein
ſolches Dunkel um ihn, daß man fein Angeſicht nicht deutlich fehen
fonnte. Er fidherte den Bäften fein Geleite zu, in der Halle waren
gleichwohl Fallgruben angebracht und Hinter den Wanbbehängen ſtürzten
Gemappnde hervor, wurden aber von Htolf und feinen Kämpen haufen
weife niedergeſtreckt. König Adils fchwoll vor Zorn auf feinem Hochſitz,
ftellte fi) nun aber, als märe der Angriff gegen feinen Willen ge
fcheben, und begrüßte fie als feine Freunde. Er ließ ein Langfeuer in
der Halle anzünden. Auf beiven Seiten desſelben fanden lange Bänke.
Hroff mit feinen Kämpen, beftänbig die Waffen in den Händen, faß
auf der einen Seite, Adils mit feinen Hofleuten auf der andern, und
fo Sprachen fie mit einander. Adils ließ das Feuer immer ftärler an⸗
fchüren; er hatte gehört, daß Hrolf ein Gelübde gethan, weder Teuer
147
noch Eiſen zu fliehen, und wollte ihn nun dahin bringen, daß er ent-
weder verbrennen ober fein Gelübbe brechen müfte. Die Bänfe, worauf
Adils und die Seinigen faßen, waren bereit weiter hinausgerüdt
worden. Als nun bie Flamme ſchon die Kleider der Gäſte angriff,
riefen Bödvar und Svipdag:
Mehren wir das Feuer
In Adils Burg!
Hrolfs Kämpen ergriffen nun jeder einen von denen, bie das
Feuer anfchürten, und warfen fie baren, daß fie zu Aſche verbrannten.
Damm warfen fie ihre Schilde auf das Feuer, liefen über die brennen
den Schilde und König Hrolf ſprach:
Nicht flieht das Feuer,
Der darüber läuft.
König Adils war durch Zauber entflohben. (So muß der Hergang
aus Vergleihung der Eaga mit’der Erzählung der Skalda bergeftellt
werben; in jeber für fich ift Einiges unklar.)
Ile, Adils Gemahlin, Hrolf Mutter und Schwelter, hatte in-
deſs die Ankunft der Fremden erfahren; fie gieng zu Hrolf und begrüßte
ihn freundlich. Auch beftellte fie einen Mann Namens Böggr Zum
beſondern Dienfte der Bäfte Als Böggr vor König Hrolf kam, fagte
er: „Diefer Mann iſt mager und etwas ſchmal (kraki!) von Angeficht;
it das euer König?" König Hrolf fagte darauf: „Einen Namen baft
du mir nun gegeben, der feft an mir hängen wird; aber was gibft bu
mir zur Namenfefte (at nafufesti)?" Vöggr antwortete: „Dazu babe
ich gar nichts, ich bin ein armer Mann.” „So muß ber geben, ber
zu geben hat,“ fprach der König, zog einen Goldring von feiner Hand
und gab ihn dem Manne. Vöggr fagte: „Heil dir, König, für dieſe
toftbare Gabel“ Hrolf erwiderte: „Vöggr ift mit Wenigem vergnügt.“
Hierauf ſprach Vöggr, indem er feinen einen Fuß auf die Bank fegte:
„Das feierliche Gelübde thu' ich bier, daß ich dich rächen iverbe, wenn
ich dich überlebe und wenn du von Menfchen überwunden wirft.“ Der
König veriehte: „Das iſt fchön von dir; aber doch find Andre bier,
auf die man nicht minder vertrauen darf.” Das ſahen fie nun, daß
diefer Mann hold und treu war in dem Wenigen, was er vermochte;
aber fie meinten, es fei auch nur wenig, was er außrichten könnte.
i Hrolfr kraki, Hrolfus tener. Lex. isl. 1, 473.
148
Diefe Geſchichte mit Vöggr, die im Verlauf der Sage bebeutend wird,
it in der Stalda auf dieſelbe Weife erzählt. Saxo, der fie auch mit
befondrem Wohlgefallen aufgenommen bat, gibt eine etwas verſchiedene
Erflärung des Namens und einen weitern, eigentbümlichen Zug (S. 42 f.):
Hoc loci quiddam memoratu jucundum operi inseratur. Adolescoens
quidam, Woggo nomine, corpoream Rolvonis magnitudinem attentiori
contemplatione scrutatus, ingentique ejusdem admiratione captus, per-
contari per Judibrium copit, quisnam esset iste Krage, quem tanto
statur® fastigio prodiga rerum natura ditasset, faceto cavillationis genere
inusitstum proceritatig habitum prosecutus. Dicitur enim lingua danica
krage trancus, cujus semictsis ramis fastigia conscenduntur, ita. ut pes
precisorum stipitum obsequio, perinde ac scale beneficio nixus, sensim-
que ad superiora provectus,. petit celsitudinis compendium assequatur.
Quem vocis jactum Rolvo perinde ac inclytum sibi cognomen amplexus,
urbanitatem dicti ingentis armille dono proseguitur. Qua Woggo dex-
teram excultam extollens, leva per pudoris simulationem post tergum
reflexa [vgl. Saro B. VIII, ©. 256 unten], ridiculum corporis incessum
prebuit, prefatus exiguo letari munere, quem sors diutine tenuisset
inopie. Rogatus, cur ita se gereret, inopem ornamenti manum nullogque
eultus .beneficio gloriantem, ad aspectum reliqus verecundo paupertatis
rubore perfundi dicebat. Cujus dicti calliditate consentaneum priori mu-
nus obtinuit. Siquidem Rolvo manum, que ab ipso occultebatur, exemplo
religuee in medium accersendam curavit, Nec Woggoni rependendi bene
ficii cura defuit. Siquidem arctissima voti nuncupatione pollicitus est, si
Rolvonem ferro perire contigerit, ultionem se ab ejus interfectoribus
exacturum. Nec prstereundum, quod olim ingressuri curiam proceres
famulatus sui principia alicujus magn® rei voto principibus obligare s0-
lebent, virtute tirocinium &uspicantes.
Sn der Naht kam König Adils vor das Haus, wo bie Gäfe
Ichliefen, mit einem. großen Heer und legte Feuer an. Die Helden
wollten nicht fd elend umkommen und rannten fo gewaltig gegen bie
Wand des feften Haufes an, daß fie hindurdhbrachen!. Draußen erhob
fih nun ein harter Kampf. Während besfelben fam Hrolfs Habicht
von der Burg bergeflogen und fette fi) auf des Königs Achfel, ſich
fo gebervend, als ob er fich eines großen Siege zu rühmen hätte.
Auch fand man nachher, daß er alle Habichte des Königs Adils
1 Bol. Saro 8, IV, ©. 142.
149
getöbtet hatte, Nicht minder fiegreich Tämpfte fein Herr; König Adils
war verſchwunden und feine Leute, die noch aufrecht waren, baten um
Frieden. Hrolf und feine Kämpen giengen hierauf wieber in bie Halle;
ex ſetzte fih auf ven Hochſitz und bie Kämpen auf die Königebanf,
Als fie nad) ihren Roffen ſehen ließen, zeigte fich, wie diefe zugerichtet
waren. Indeſs kam die Königin Yrſa in die Halle, beflagte, daß
ihr Sohn nit jo aufgenommen worden, wie fie es wünſchte, und
rieth ihm, nicht länger bier zu verweilen, denn Adils ziehe aus ganz
Schweben Kriegsvoll zufammen. „Hier, fuhr fie fort, ift ein Silber:
bom, das ich dir geben will, darin alle die beiten Ringe des Königs
verwahrt find, auch ber, welcher Spiagris 1 heißt und ben er über alle
andern ſchätzt.“ Ste gab ihm damit fo viel Gold und Silber, daß es
feine Schätung zuließ. Darauf ließ fie zwölf Roſſe vorführen, alle
von rother Farbe, und ein fchneeweißes, das König Hrolf felbft reiten
follte. Es waren die beiten Pferde des Königs Adils. Auch Schilde,
Helme und Kleiver gab fie. ihnen, da das Feuer ihre Kleider und
Waffen verzehrt hatte. Hernach ftiegen fie zu Roſſe und König Hrolf
nahm liebreich Abjchied von feiner Mutter. Sie nahmen ihren Weg
von Upfala nieder nach Fyrisvöll (Ebene bei Upfala). Da fah König
Hrolf vor fi auf dem Wege einen großen Golbring funkeln und der
Ring erllang, als fie über ihn hinritten. „Der tönt fo laut, weil er
ungerne allein ift, ” rief der König und warf einen von feinen Gold:
ringen zu jenem auf den Weg mit den Worten: „Das fol man von
mir jagen, daß ich das Gold nicht aufbebe, wenn es auch auf dem
Wege liegt, und auch Feiner meiner Mannen fich erfühnen fol, es auf
zubeben; denn es ift bieher geworfen, um unjre Fahrt aufzuhalten.”
Sie gelobten ihm das und indem hörten fie Hörmerllang von allen
Eden und wurben gewahr, daß eine zahllofe Schaar ihnen nadjagte.
„Diefe reiten ſtark hinter uns her, fagte Bödvar, und ed wäre mir -
lieb, wenn fie mit uns zu fchaffen hätten.” „Lafjen wir das!“ ant-
wortete der König; „fie follen fchon felbjt anhalten.” Damit ftxedte er
feine Hand nach dem Hom aus, worin das Gold war und das Beigabı
auf dem Nitte trug. Er fäte nun Gold meithin auf dem Wege über
ganz Fyrisvöll, jo daß. der Weg wie Gold funfelte. Da fprangen die
i Lex. isl. II, 355: Sviar, m. pl. [Gen. Svia] Sueci. Sviarfki, n.
Suecia. Ebendaſ. I, 308: Gris, m. porcellus, porculus, Gris.
150
Rachſetzenden von ben Pferden, haſchten nach dem Golde und fchlugen
fih darum. Als König Adils das ſah, kam er faft von Sinnen und
verwies feinen Leuten, daß fie das Geringere aufrafften und das
Größere entwiſchen ließen. „Diefe Schmach wird in alle Lande aus
geben, daß ihr zwölf Männer vor einer jo zahlloſen Menge entlommen
ließet, die ich aus allen Gauen Schwedens zufammengezogen.” Künig
Adils eilte nun Allen voran, denn er war ber Bornigfte, und bie
Menge folgte ihm nad. Als König Hrolf ihn zunächſt hinter fich fah,
nahm er den Ring Sviagris hervor und warf ihn auf den Weg. So:
bald Adils den Ring erblickte, ſprach ex: „Holder, als ih, war dem
König Hrolf, mer ihm biefes Kleinob gab; jet aber foll es mein fein
und nicht König Hrolfs.“ Hierauf ftredite er den Speerichaft nach dem
Ringe, aber indem er ben Spieß in die Öffnung besfelben ſtach, bog
er ſich ſtark auf dem Pferde. Hrolf warb das gewahr, wandte fein
Roſs ſchnell um und fprach: „Schweingebogen 1 hab ich nun ben, der
der Schweden mächtigſter iſt. Indem nun Abils den Speerfchaft und
damit den Ring an fich zieben wollte, hieb ihm Hrolf die ganze Hinter-
feite hinweg mit feinem Schwerte Stöfnung, dem beften aller Schwerter,
die in Nordlanden getragen worden. König Adils mufte in dieſem
fchlimmen Buftande heimkehren; Hrolf aber nahm wieder ben Ring
Spiagris. Sp trennten fie ſich für dieſes Mal und man bat Feine
Sage davon, daß fie nachher wieder zufammentrafen.
Saxo, der überhaupt über den ſchwediſchen Zug andre Sagen vor
ſich hatte, ba er in vielen Umftänden abweicht, erzählt die Demüthi-
gung bes Könige Adils fo (S. 41 [1, 86 Müller)):
Videns igitur Atislus donatum Rolvoni torquem inter alia auri in-
signia relictum, intimum avaritiee sue pignus curiosius contemplatus, ut
preedam exeiperet, affıxis humo genibus cupiditati majestatem inclinare
sustinuit. Quem Rolvo tollend® pecunie gratia pronum demissumque con-
spiciens, propriis prostratum muneribus risit, perinde ac cupide repeten-
tem, quod callide tribuisset.
König Hrolf und feine Kämpen ritten ibres Weges meiter. Als
die Nacht einfiel, Tamen fie zu einem Hof; vor der Thüre ſtand der
1 ©ebogen, wie ein Schweingrüden (svinbefgda ek nu Pann, sem
Svianna er rikastr) [S. 93. K.]. Wortipiel des Nachbarhafſes; wohl and
Anfpielung auf Sviagris, nad) dem Schweine, dem Ferkel, gebogen. .
151
Bauer Hrani, der ihnen alle Gaftfreiheit erbot und bemerkte, baß ihre
Fahrt nicht viel anders ausgefallen fei, als er vorausgeſagt. „Hier
find Waffen, die ich dir geben will,“ fagte Hrani weiter. „Furcht⸗
bare Waffen find das,” fagte der König Es war Schild, Schwert
und Brünne Hrolf wollte fie nicht annehmen; barüber warb Hrani
zornig und es fchien ihm damit große Unehre geſchehen zu fein. „Nicht
bift du immer fo weile, wie bu bir däuchſt“, ſprach er. An Nacht⸗
berberge war nun nicht mehr zu denken, fie ritten ohne Abfchied fürber,
obgleich die Nacht fehr finfter war. Noch waren fie nicht weit gelommen,
als Bodvar Bari anhielt und ſprach: „Zu ſpät befinnen ſich Unkluge;
fo gebt es jet mir; es ahnt mir, daß mir nicht weislich gehandelt
haben, indem wir uns jelbft den Sieg verjagten.” König Hrolf fagte:
„Dasſelbe ahnet mir; dieſer Mann mag Din der Alte geivefen fein,
und in Wahrheit er war einäugig.”“ „Laßt uns fchnell umkehren,
fagte Spipbag, dab wir Gewiſsheit erhalten!” Sie ritten nun zurüd,
aber da war Hof und Bauer verſchwunden. Nun zogen fie ihres
Weges und.Tamen mwieber nah Dänemark. Den Rath gab Böbvar
dem Konig, daß er von der Zeit an nicht viel in Kampf ziehen follte,
denn e3 fei zu befürdhten, daß er fortan nicht mehr fo fiegreich fein
werbe, wie zuvor. „Das Schichſal rathet. über jedes Mannes Leben,
fagte der König, (und nicht jener böſe Geiſt).“ „Dich möchten wir zuletzt
verlieren, erwiberte Bödvar, wenn wir zu walten hätten; aber ich babe
ſchwere Ahnung, daß in Kurzem große Ereignifie über uns alle kommen
werben.” Bon dieſer Fahrt nach Schweden wurden fie jehr berühmt.
Dieß der Hauptinhalt defien, was wir nach der obigen Eintheilung
al3 den zweiten mittlern Theil der Saga zu betrachten haben. Die
bangen Ahnungen am Schluſſe besfelben geben im britten Theil in
Erfüllung (C. 47 bis 52).
Geraume Zeit ſaßen jet König Hrolf und feine Kämpen im
Frieden in Dänemark. Niemand griff fie an; alle Könige, die Hrolf .
fih ſchatzpflichtig gemacht, blieben in Gehorfam und bezahlten, was
ihnen auferlegt war. So that auch Hidward, Hrolfs Schwager.
König Hrolf hatte eine Halbſchweſter, Skuld, die fein Vater Helgi mit
einer Alfın (älfkona, ©. 15) erzeugt hatte. Ste war mit dem Unter:
könig Hjörvard vermählt (C. 23) und konnte nicht ertragen, daß ihr
Gemahl ihrem Bruder Schabung entrichten follte. Dieſes Joch abzu-
152
werfen, reizte fie ihren Gemahl auf und feinen Zweifeln hielt fie
entgegen, wie König Hrolf felbft ahne, daß ber Sieg von ihm gewichen
ſei. Skuld war fehr.liftig und, vermöge ihres Urſprungs, eine große
Zauberin. Unter dem Vorwand, dem Könige die Schaung zu brin«
gen, die er für brei Jahre hatte zufammen kommen laflen, fuhren
Skuld und Hjöward mit einem großen Heere nach Ledra. In ihrem
Gefolge waren Alfe, Normen und unzählige andre böfe Weſen. Skulds
Bauberkunft wuſte den ganzen Anfchlag zu verhüllen. Es war bie
Zeit des Julfeſtes; der König hatte zur Feier dezfelben große Anftalten
getroffen und feine Männer tranken ſtark den Julabend, als Stulb
und Hidrvard ihre Zelte vor Ledra auffchlugen. Viele Wagen waren,
ftatt der Schagung, mit Waffen und Rüftzeug angefüllt. Denjelben
Abend war Hjalti vor die Burg gegangen, um feine Geliebte zu be
fuchen. Er ſah, daß das Feld rings um die Burg mit geiwaffneten
Schaaren befegt mar, gieng darauf vor die Halle, wo König Hrolf
und feine Kämpen faßen, und rief: „Wach auf, König! Tinfriebe ift
vor der Burg; Kampf ift nöthiger, als fchöne Frauen zu halfen; menig
wird das Gold in der Halle vermehrt werben burch deiner Schmefter
Schatung.” Seinen Genoſſen rief Hialti zu: „Laßt uns des Königs
Heer führen, der nie an uns gejpart bat! Takt uns unfre Gelübbe
erfüllen, den berrlichften König, der in Norblanden ift, zu vertheidigen!
In allen Landen fol man hören, daß mir ihm Waffen und Heerfleiber
und fo viel andre Wohlthaten vergolten, wie wir fchulbig find. Große
Vorzeichen find vorausgegangen und es kann gefchehen, daß König
Hrolf zum lettenmale mit feinen Kämpen und Hofmännern trinkt.
Auf nun, ihr Kämpen alle, und waffnet euch!” Auf fprangen die
Kämpen alle, auch König Hrolf fprang auf; doch ſprach er furchtlos:
„Holt uns ben beften Trank! wir ſollen erft trinfen und fröhlich fein
und dann zeigen, melde Männer Hrolfs Kämpen find; ftreben wir
darnach, daß unfre Mannheit im Gedächtnis fei! Sagt Hjörvard
und Skuld und ihren Mannen, daß wir uns fröhlich trinfen, eb mir
die Schakung empfangen!” Wie ver König gebot, jo geſchah ed. Als
fie nun getrunfen, fprang König Hrolf vom Hochſitz auf und mit ihm
zogen alle jene Kämpen aus, Bödvar Bjarlin ausgenommen. Ihn
fahen fie nirgends, was fie jehr wunderte, und fie befürchteten, er fei
gefangen oder erfchlagen. Draußen erhob fih nun ein ſchrecklicher
153
Kampf und ber Boden warb mit Leichen bereit. Da ſprach Hialti:
„Brünnen find viele zerihlagen und Waffen entzweigebrochen, Helme
zerhauen und manch ‚Leder Reiter vom Roſſe geftoßen; aber unfer König
iſt noch friſchen Muths, er iſt fo fröhlich, wie ba er faß und tranf;
er ſchwingt fein Schwert mit beiven Händen, zwölf Männer Städde
Scheint er zu haben, manch tapfern Mann bat er gefällt und nun fol
Hjörvard feben, daß das Schwert Stöfnung beißt und laut in ihre
Hirnſchaalen fingt (gnestr)!* Denn das war bie Art Sköfnungs,
daß es laut auflang (kvad vid hatt), wenn es auf Knochen traf. In
dieſem Kampfe ſahen Hidrwarb und feine Mannen, daß ein großer
und ftarter Bär dicht vor König Hrolf bergieng. Hieb⸗ und Schuß
waffen glitten ohne Wirkung an ihm ab, er ftürzte Männer und Roſſe
nieder und zermalmte die Leute mit Klauen und Zähnen, fo daß ſich
ein klägliches Geheul in Hjörvards Heer erhob. Hialti ſah fi um
und vermifste noch immer feinen Freund Bödvar. Da lief er zurück
zu ber Königähalle und bier jah er Bödvarn ganz müßig fiten. „Auf,
Bodvar Bjarki! rief er, over ich verbrenne bad Haus und dich mit;
das ift eine Hauptichande für einen Kämpen, wie du bift, baß ber
König fich für uns in Gefahr fegen fol.” Bödvar ſtand auf, em
feufzte und fpradh: „Richt darfft du mich fchreden, Hjalti! nicht zaghaft
bin ich und bin bereit, mitzuzieben; als ich jung war, floh ich weder
Feuer noch Eifen; Feuer hab ich nicht oft verfucht, aber Eifen hab’ ich
manchmal ausgehalten. Hier aber haben wir gegen größere Wunber
zu flreiten, als je zuvor. Du aber, Hjalti, bift mit deinem Bornehmen
dem König nicht zu jo großem Dienfte geweſen, wie du glaubft; denn
fo weit war ed nun faft gefommen, daß man nicht wuſte, zu wem ber
Sieg fih wenden würde. Keiner, als du ober ber König, wär im
Stande getvefen, mich herauszurufen, jeden Andern würd' ich erfchlagen
haben. Seht aber nahet, mas werden fol, fein Rath Tann helfen,
und ich fage dir, daß ich jebt dem König weniger frommen mag, al?
bevor du mich riefeft.” Bödvar gieng nun hinaus zum Kampfe; ba
verſchwand der Bär und der Kampf warb fchwieriger für Hrolfs
Schaar. Denn die Königin Skuld, bie in einem fchwarzen Belt auf
ihrem Zaubergerüfte (seidbjall) faß, hatte nicht mit ihren Künften
herankommen Tönnen, fo lange der Bär in Bödvars Heere war. Seht
fam aus ‚Hjörbarbs Heer ein ungebeurer, wolfgrauer Eber, aus befien
154
Borken Pfeile flogen und Hrolfs Hofmänner haufenweiſe töbteten.
Bodvar Biarli Tümpfte wie raſend, feine Arme waren blutig bis zu
den Achſeln und Leichen Ingen ring: um ihn aufgehäuft. Aber fo
viele Feinde er und andre Kämpen Hrolfs erfchlugen, fo wurde bodh
Giobrvards und Stulps Heer niemals dünner. Da ſprach Böbvar:
„Hier fteben die Todten wieder auf und ſtreiten gegen uns; ſchwer iſt's,
gegen Tobte (vid drauga) zu Tämpfen.” Auch Hjalti ſprach: „Dünkt
es mir/ gleich, daß ich viel Volles erfchlage, vermag ich doch nicht alle
bie Hiebe zu vergelten, die ich empfange; boch will ich mich nicht fparen,
wenn wir heute Abend in Valhall follen zu Gafte fein.“ - Wieder
fagte Bödvar: „In zwölf großen Schlachten hab’ ich gelämpft, aber
nicht Schwing’ ich jetzt mein Schwert freubig tie zubor. Dem König
Hibrvard bieb ih Hand und Fuß weg, ein zweiter Hieb Tpaltete feinen
Rüden und er athmete nicht mehr; aber jebt ftreitet er jo rüftig, als
zuvor. Hier find fo viele und gewaltige Männer aus allen Eden ber
Welt zufammengelommen, daß man ben Kampf nicht gegen fie aus
halten Tann. Aber Odin kann ich nicht unter ihnen erfennen, und
boch zweifl ich nicht, daß er bier unter uns ſchwebt, ber treulofe Sohn
Herjans; könnte mir ihn Jemand zeigen, ich wollt’ ihn zermalmen, wie
einen Andern, ben Geringften und Elenveften.” Hialti jagte: „ Nicht
ift das Schiefal leicht zu beugen.” König Hrolf wehrte fi mannlih,
man brang hart auf ihn ein und bie ausgefuchteften Männer des feind⸗
lichen Heeres fchlugen einen Kreis um ihn. Stuld war nun felbft
auch zum Kampfe gelommen und trieb ihre Ungeheuer gegen Hrolf an,
denn ſie ſah, daß feine Kämpen ihm nicht nahe waren. Das war
eben, was Bodvarn und andre Kämpen ſchmerzte, daß fie ihrem Herrn
nicht Hälfe bieten konnten; denn fie waren jetzt ebenfo begierig, mit
ihm zu fterben, wie fonft mit ihm zu leben, als fie in ihrer Jugend⸗
blüthe ſtanden. Alle Hofmänner König Hrolfs waren num gefallen und
die meiften feiner Kämpen waren töbtlich verwundet. . Da erhöb ſich ein
folches zauberhaftes Ungewitter, daß fie alle, Einer über den Anbern,
ftürzten. Run fiel auch König Hrolf. Aber auch König Hjdrvarb und fein
ganzes Heer war gefallen; nur einige Böſewichte blieben mit Skuld übrig.
Doc fand auch fie ihren Untergang durch ein Heer, das Bödvars Brüder
mit Hülfe' der Königin Yrja zufammengebracht hatten und deſſen Haupt
anführer Böggr war. Über König Hrolf warb ein Hügel aufgeworfen
155
und fein Schwert Stöfnung an feine Seite gelegt; auch für jeden feiner
Kämpen warb ein Grabbügel aufgetvorfen und Waffen barein gelegt.
Und enbet hier die Saga vom König Hrolf Kraki und feinen Kämpen.
Aber gerade diefer letzte und bebeutenbfte Theil der Saga bebarf
mweientlich der Ergänzung durch die Darftellung Saxos. |
Bei ibm feiert Hrolf die Ankunft Hiarthwars und Sculdas durch
ein großes Gaftmahl. Die Fremden (Sueones) halten fich jehr nüchtern
und in der Nadıt, al3 die Dänen im tiefen Schlafe liegen, holen fie
die Waffen hervor, die fie verftohlener Weile, ſtatt des Tributs, mit
gebracht; fie dringen dann in bie Burg und überfallen die Schlaf
trunfenen. Den meilten Raum bei Saro nehmen jedoch die wieberholten
Aufrufe Hjaltos an Biarco und des Lehtern Antworten ein, durchaus
in lateinifchen Hexametern. Daß babei ein heimilches Lieb zu Grunde
liege, wirb dießmal ausbrüdlich gejagt (©. 52): .
Hanc maxime exhortationum seriem ideirco metrica ratione compe-
gerim, quod earundem sententiaram intellecstus, danici cujusdam carminis
compendio digestus, a compluribus antiquitatis peritis memoriter usurpatur 1.
Zuerft ruft Hialto vor Biarcos Gemach u. A. (©. 44):
Diseutiant somnum proceres, stupor improbus abeitl u. |. w.
Non ego virgineos jubeo cognoscere ludos,
Nec teneras tractare genas, aut dulcia nuptis
Oscula conferre u. |. w.
Non liquidum captare merum u. ſ. w.
Evoco vos ad amara magis certamina Martis u. ſ. w.
Quisquis amicitiam regis colit, arma capessat!
Biarco, des an diefem Auf erwacht, mwedt feinen Diener (cubi
cularium suum Scalcum, mas für fich fchon Knecht heikt, Grimm,
Rechtsalterth. S. 302) und heißt ihn Feuer aufmachen:
Surge puer, crebroque ignem spiramine pascel u. |. m.
Proderit admota digitos extendere fiamma,
Quippe calere manu debet, qui curat amicum u. |. w.
(Das Lebtere Scheint ein nordiſches Sprüchwort zu fein.) Wieder
mahnt Hialto, dem Könige feine Wohlthaten zu vergelten:
1 Müller (Sagnhift. 34) hat librigens ausgeführt, daß Saro zwei ver-
jchiedene Lieder unmittelbar an einander gereiht habe, wovon eines ben Aufruf
Hialtos au den zögernden Bjarki, das andre ihre Wechjelreden in der Schlacht
enthalten haben müffe, entfprechend der Darftellung der Saga.
156
Duloe est, nos domino pero&pta rependere dona ı. f. w.
Enses theutonici, galew armillsque nitentes,
Loric® talo immissee, quas contulit olim
Rolvo suis, memores acuant in prwelia mentes ı. |. w.
. . vultuque sub illo
Ducamas tristes, quo dulces hausimus annos.
Omnia, que poti temulento prompsimus ore,
Fortibus edamus animis, et vota sequamur
Per summum jurata Jovem superosque potentes u. ſ. w.
Nemo enses tergo excipiat: pugnacia Bemper
Pectora vulneribus pateant. Certamina prima
Fronte gerunt aquile et rapidis se rictibus urgent
Anteriore loco; species vos alitis eequet
Adverso nullam metuentes corpore plagam.
Nachdem Hjalto felbft eine große Nieberlage unter den Feinden
angerichtet, kommt er zum brittenmal vor Biarcos Schlafgemacd und
ruft ihm Vorwürfe und Drohungen zu [S. 47]:
Ut quid abes, Biarco? num te sopor occupat altus?
Quid tibi, queso, more est? aut exi, aut igne premeris.
Elige quod prestat, eis concurrite mecum |
lgne ursos arcere licet, penetralia flammis
Spargamus, primosque petant incendia postes!
Die, melde dem König treuer ergeben feien, heißt Hialto feft zw
fammenftehn und erinnert fie, wie Rolf die Schäge Roriks unter feine
Kriegögefährten vertheilt, wie folches oben angeführt worden!. Er
ſchließt diefen Aufruf (©. 48):
Quid clausis agitur foribus, quid pessula valvas
Juncta seris cohibent? etenim jam tertia te vox,
Biarco, ciet, clausoque jubet procedere tecto.
Nun erhebt ſich Biarco:
Quid me Rolvonis generum ?, quid, bellice Hialto,
Tanta voce cies? u. |. w.
1 $n dieſem dritten Aufruf iſt Rolf ef noch lebend, dann als ſchon gefallen
angenommen.
2 Gener Tann bier nur Schwager heißen; Biarki hatte nad) Saxos eigener
Erzählung Rolfs Schweſter Ruta zur Gemahlin erhalten. Nach der Hrolfs-
Saga aber (&. 87) war es des Königs Tochter Drifa.
— — — — — ——
157
Er mahnt jetzt felbft zum verzweifelten Racelampf (mad ſchon
zum zweiten Liebe zu gehören fcheint) :
In tergum redeant clypei, pugnemus apertis
Pectoribus, totosque auro densate lacertos,
» Armillss dextr® excipiant, quo fortius ictus
Collibrare queant et amarum figere vulnus!
Die Goldringe, die fie von der Freigebigleit des Königs, tie
namentlich Hialto, an Arm und Hand tragen, follen dazu dienen, bie
Wucht der Hiebe zu verftärten, womit fie ihren nun gefallenen Herrn
rächen.
Nemo pedem referat, certatim quisque subire
Hostiles studeat gladios hasiasque minaces,
Ut charum uleiscamur herum. Super omnia felix,
Qui tanto sceleri vindictam impendere possit ı. |. w.
Es folgen weitere Wechjelveden Hialtos, Biarcos und feiner Ge
mahlin Ruta, während des Kampfes, ähnlich denen in ber Saga.
Hialto geftebt [S. 51 Klok. I, 106 Müller]:
Et nunc, Biarco, viges, quanquam eunctatior quo
Extiteris » damnamque more probitate repensas.
Biarco fragt Rutan:
Et nanc ille ubi sit, qui vulgo dicitur Othin,
Armipotens, uno semper contentus ocello?
Die mihi, Ruta, precor, usquam si conspicis illum |!
Hierauf Ruta:
Adde oculum propius et nostras prospice chelas 1,
Ante sacratarus victriei lumina signo,
Si vis presentem tuto cognoscere Martem.
1 Chels, znin, Krebsiheere, and Klaue; bier Fingernägel, Finger?
Finn Magnufen, Lex. myth. S. 805: Pro more superstitiosorum Islandorum
et pl. qui spectra se videre posse opinantur, quam chele (Plinii auctoritate)
brachis, hic autem proprie in latus reflexa denotent, Sic ingeniose diffi-
cilem hune locum explicarunt Stephaniug et Br. Svenonius n. ſ. w. [Müller
zum Saro 1, 106: Accedens pröspice sub alis meis, per aperturam inter
brachia mea et latera intende oculos. Vgl. ebendaf. 2, 99 big 101. 8.] Auch die
Stelle von Orvar Odd wird angeführt. Das Beichen wird für Thors Hammer
ertlärt, der alle dämoniſche Augenbiendung vertreibe. Bgl, Müllers Sagn⸗
bifl. 35 u.
158
Odin wirb Biarcon erft fidhtbar, indem biefer unter Autas Hand
oder Arm bin fieht und über feine Augen ein Zeichen macht. Daß
man auf foldhe befondere Weiſe zum Anblid fonft unfichtbarer Weſen
gelangen Tonnte, zeigt auch eine Stelle in der Saga von Orvarodd
. (8. 38). Diefer wird in einer Schlacht, wo Bauberivefen gegen ihm
ftreiten, biefelben erft gewahr, als ihn ein Mann mit Namen Hal _
unter feine Hand ſehen beißt; unter biefer Hand fchießt er dann auch
feine Pfeile dahin ab.
Biareo erwidert:
8i potero horrendum Frigge spectare maritum,
Quantumcunque albo clypeo sit tectus et altum
Flectat equum, Lethra nequaquam sospes abibit:
Fas est belligerum bello prosternere divum.
Enblich vevet er noch einmal feinen Freund Hialto an:
Ad caput extincti moriar ducis obrutus, ac tu
Ejusdem pedibus moriendo allabere pronus,
Ut videst, quisquis congesta cadavera lustrat,
Qualiter acceptum domino pensavimus aurum.
Preeda erimus oorvis, aquilisque rapacibus esca,
Vesceturque vorax nostri dape corporis ales.
Sic belli intrepidos proceres occumbere par est,
DUlustrem socio complexos funere regem.
Dur das biöherige gibt uns Saxo über ben Inhalt der islän-
diſchen Saga mehr nur einzelne lebendige Züge und läßt uns überhaupt
das alte Lied, das als Grundlage beiber Erzählungen zu betrachten
ift, vollftändiger erfennen. Nothwendiger Schlußftein des Ganzen iſt
dagegen, was Saro noch von Vöggrs Rache meldet. Hievon ift bie
Erzählung der Saga eine fehr verkümmerte: Hidrbvar iſt in ber
Schlacht gefallen und Böggr ift der Anführer eines Heeres, das nad
ber gefammelt worden, um an Skuld Rache zu nehmen 1. Den echten
Schluß des tragifchen Heldenfpield bat aber offenbar nur Saro in
Holgendem :
Bon Rolfs Heere war Niemand mehr übrig, ald Woggo, der
einft, als ihm Rolf zur Namenfefte den goldnen Armring gegeben, ben
Tod des Königs zu rächen gelobt hatte. Hiartwar ſaß fröhlich" beim
1 Srolfs ©. €. 52 bezieht fi) auf ein Fröda Pättr.
159
Siegesmahl und äußerte feine Verwunderung, daß von fo vielen
Kriegern Rolfs fich Feiner durch Flucht over Gefangenfchaft gerettet babe.
Er klagte das Schickſal an, daß es ihm nicht einen Einzigen ber treuen
Männer übrig gelafien, deren Dienft ihm ſelbſt jo erwünſcht fein
würde. Als man ibm nun Woggon vorführte, war er darüber, mie
über ein werthes Geſchenk, erfreut und fragte, ob jener ihm dienen
wolle. Dem Bejahenden bot er das bloße Schwert. Woggo wies bie
Spitze zurüd und verlangte das Heft. So fei e8 Nolfs Sitte getvefen,
wenn er feinen Kämpen das Schwert gereicht. (Olim namque se re-
gum clientele daturi tacto gladii capulo obsequium polliceri sole-
bant, fügt Saxo erläuternd bei; über dad Schwören auf den Schwert
Inopf vgl. Grimm, Rechtsalt. 166.) Woggo faßte nun das Heft und
fieß die Spike durch Hiartwarn, die Rache erfüllend, die er bem
König Rolf angelobt. Dann bot er freudig feine Bruſt den auf ihn
einftürzenden Kriegäleuten Hiartivard dar. Sp warb das Siegesmahl
zur Leichenfeier:
Clarım ac semper memorabilem virum, qui, voto fortiter expleto,
mortem sponte complexus suo ministerio mensas tyranni sanguine maon-
lavit. Neque enim oceidentium manus vivax animi virtus expavit, cum
prins a se loc», quibus Rolvo assueverat, interfectoris ejus cruore resperss
cognosceret.
Mas die Sage von Hrolf Kraki, von ber Beit an, wo feine Käm⸗
pen zuerſt ſich in feiner Halle fammeln, bis dahin, wo fie alle mit ihm
‚untergehen, zur Einheit verbindet, ift die in Hrolfs Charakter voran
ftehende Eigenfchaft der Milde, der königlichen Freigebigfeit.
hm, der immer auf bie erfte Bitte gewährt, der nichts für fich
behält, find feine Gegner auch durch Charakterverichiedenbeit entgegen:
gelegt: jener Rorik, deſſen in ven Verſen bei Saro gedacht wird, ber
keine Bertheiviger hatte, weil er allein über feinem Golde brütete, und
der dann all dieß Gold vor die Thore der Stabt fchütten mufte, wo
e3 Hrolf den Seinigen 'austheilte; dann ber geizige König Adils im
Schweden, ber vor dem Ringe Spiagris ſchweingebogen twird, während
Hrolf dem klingenden Ring auf dem Wege einen andern zur Gefell: .
haft hinwirft und weithin über Fyrisvöll Gold ausfät, wie einft
feines Ahns Bruder Frodi Gold gemahlen hatte. Die gewaltigften
Kämpen der Nordlande bat der Ruf von Hrolfe Milde zu ihm geführt;
"160
die Waffen, mit denen er fie ausftattet, brauchen fie in feinem Dienfte;
die Golbringe, die er an ihren Arm geftreift, machen ihren Schwert
Schlag gewichtiger im Kampfe für ihn; ber, den er zur Namenfefte be
ſchenkt, ftatt von ihm beichenkt zu werden, wird fein Räder; ben
Wein, den er ihnen fo fröhlich zutrank, wergelten fie mit ihrem Blute,
und mie fie mit ihm lebensfroh in ber gaftlichen Halle ſaßen, fo liegen
fie draußen auf der Wahlftätte tobt zu Haupt und Füßen ihres erſchla⸗
genen Könige. | |
Mildingr ift in ver Skaldenſprache eine bichteriihe Benennung
für König. (Sn. Edd. 190. Mildingr, largitor, auch audmildingr,
femildingr; mildi, f. munificentia; mildr, largus, Lex. isl. 77 ff.
audr, m. opes, divitie; f&, n. pecunia; jene3 unbewegliche, biejes
fahrende Habe.) Durch alle germanifche Sagenkreiſe eriheint dieſe Milde,
die unbegrenzte Freigebigkeit des Herrn gegen feine Reden, als eine
nothwendige Eigenschaft jedes echten Heldenkönigs. Das Verhältnis
wird aber dadurch keineswegs zu einem gemeinen Zohnbienfte. Es ift
ein gegenfeitiges rüdhaltlofes Hingeben bes Beten, was jeber hat; ber
König part nicht feinen Reichthum, die Reden ſparen nicht ihre Kraft
und ihr Leben; jo hörten wir es in den Aufrufen Hjaltis und Bjarkis
und fo ergibt es die ganze Handlung der Hrolfsfagee Wenn aber in
andern Sagen bie Fönigliche Freigebigkeit mehr nur als einzelner Be-
ſtandtheil hervortritt, fo können wir bie Geſchichte von Hrolf und feinen
Kämpen als die eigentlichfte Sage der Königsmilde bezeichnen. Er iſt
der Milding der Mildinge und feine ganze Heldenbahn funkelt vom
auögeftreuten Golbe.
So viel vom Grundgevanten des Ganzen. Im Beſondern erfordert
das eingewobene Mythiſche einige erläuternde Bemerkungen. Auch in dieſer
Sage waltet Odin. Als der Bauer Hrani (rani, m. rostrum, Rüſſel,
Lex. isl, 193« ) beberbergt er den König Hrolf und fein Gefolge auf
dem Zuge nad Upſala. Auf Hrolfs Zweifel, ob er fie Alle aufnehmen
könne, entgegnet er lachenb: „Nicht wenigere Männer hab ich manch⸗
mal kommen fehen, da wo ich geweſen bin“ (E. 39), Damit ift un-
vertennbar fein Heldenſaal Valhall angebeutet, wohin bie Einberien
in zabllofer Menge zu ihm kommen. Wie fodann Hrani die Ausbauer
der Gefährten Hrolfs mit Kälte, Durft und Feuer prüft, darin zeigt
fi) ganz der kampfwerbende Gott, der die Helden erzieht und fräftigt;
161
L)
und von bemfelben Geifte zeugt der’ kühne Rath, den er dem Könige
gibt, erſt die Hälfte feiner Schaar und dann Alle bis auf die zwölf
erlefenen Rämpen zurückzuſenden, inbem er von den wenigen Geprüften,
nicht von ben Vielen, die in ber Prüfung nicht beftanden, fein Heil
zu erwarten habe. Minder Har ericheint fowohl in der Saga, als bei
Saxo, das nachherige Verhältnis der. Helden zu Odin. Diefer wirb
baburch gegen fie aufgebracht, daß fie fein Waffengefchen? nicht as:
nehmen wollen, entzieht ihnen fortan den Sieg und Tämpft ſelbſt in
der legten Schlacht im Heer ihrer Feinde. Dabei läßt nun bie Saga
(6. 47) den König äußern: „E3 hilft nieht, nad ihm ſdem verſchwun⸗
denen Hrani, in dem er felbft Odin vermutbet bat] zu fuchen, denn
es if ein böfer Geil.” Und ferner: „Das Schickſal waltet über jebes
Mannes Leben und nicht jener böfe Geiſt.“ Auch meldet die Saga
- weiterhin (©. 48): -
Davon hat man keine Nachrichten, daß Künig Hrolf ober feine Kämpen
jemals den Böttern follten geopfert haben; vielmehr glaubten fie au ihre eigene
Macht und Stärke. Denn zu der Beit war der heilige Glaube noch nicht hier
in Morblanden verkündigt und die, welche im nördlichen Theile der Welt
wohnten, hatten nur wenig Erlenchtung fiber ihren Schöpfer.
Im Rampfe ſelbſt (C. 51) ſchilt Bjarki auf den ſchlechten unb
treuloſen Herjans⸗ Sohn (Herjan, imperator, dux, devastator, Lex.
myth. 155, iſt aber ein Name Odins ſelbſt) und droht, dieſes giftige
Weſen wie eine junge Maus zu zerdrücken. Endlich (C. 52) folgt
noch die Fromme Betrachtung:
Und es ging nun, wie zu erwarten war, fagte Meifter Gmalterus, DaB
Menfhenträfte jolchen Zenfelskräften nicht widerſtehen können ohne @ottes Bei-
fand; und das Eine verhinderte deinen Sieg, König Hrolf, daß du keine Er-
leuchtung über deinen Schöpfer hattefl.
Wer diefer Meifter Gualterus oder Walther war, weiß man nicht;
Müller (IL, 518 ff.) vermuthet in ihm einen fremben Geiftlichen, dem
der Sagafchreiber einmal von Hrolfs Niederlage erzählt haben mochte.
Aus allem Bisherigen aber ergibt ſich, daß die isländiſche Saga, bie
in ihrer jeßigen Form und Zuſammenſetzung nad Müllers Annahme
(il, 522) nicht älter ift, als aus dem 14ten Jahrhundert, die heibni-
ſchen Vorftellungen mit hriftlichen vermengt bat. Saro, ver ein volles
Jahrhundert älter iſt, berichtet nichts vom Bauer Hrani, mohl aber
Ublen», Schriften VI. 11 -
®
162
die Drohung Bjarkis gegen Odin. Soll nun das Echte vom Unechten
geſchieden werben, fo ift e8 allervings ber mythiſchen Vorftellung ge
mäß, ben Untergang ber bisher fiegreichen Helden als eine Folge befien
dayuftellen, daß Ddin, der Siegvater, wie einer feiner Namen lautet,
fih von ihnen abgewendet. Die bloße Nichtannahme des Waffen:
geſchenks fcheint zwar Tein ganz genügender Grund diefer Ungunft zu
fein; wohl mdglih aber, daß hiebei irgend ein fagenhafter Zug ver
wilcht worden. Als: unechter Zuſatz ift zu betrachten, daß Hrolf Dbim
einen böjen Geift nennt und daß er und feine Kämpen niemals den
Gottern geopfert, fondern auf eigene Kraft vertraut haben follen.
Leute von diefer Gefinnung lommen zwar in mehrern andern Sagan
vor und aus folchen ift wohl auch Die Sache hieher übertragen. Aber
in unfrer Saga entftebt hiedurch ein: offenbarer Widerſpruch, denn
Hrolf und feine Helden glauben gar ſehr an Odin; fobalb fie
en, daß Hrani fein Andrer, al3 der einäugige Odin, geweſen, fuchen
fie den Weg zu ihm zurüd, und als fie ibn nicht mehr finden, äußert
Biarli die Beforgnis, daß nun ber Sieg vom Könige gewidhen; im
letzten Kampf aber ruft Hjalti feinem Freunde zu, heut Abend mer
‚den fie in Valhall zu Gafte fein. Dieſe Züge haben echt norbifches
Gepräge, und mas mit ihnen im Wiberfpruche fteht, muß zurückgewieſen
werden. Dahin aber find Bjarkis Drohungen gegen Odin nicht zu
rechnen, in benen ſich der Troß der Verzweiflung ausfpricht; ber Kampf
der Helden gegen die Götter findet fi auch im Epos andrer Voller.
Daß endlich Dbin felbft in der Schlacht erfcheint und denen, die fonft
feine Günftlinge waren, Werberben bringt, wird uns nod mehrmals
in der nordiſchen Helbenfage vorfommen und kann uns nicht befrem:
den, ba wir aus der Götterfage wiflen, wie Odin nad den Seelen
der Tapfern dürftet und wie die Helden, auf welcher Seite fie fallen,
doch bei ihm in Balball zufammentommen.
Erläuterung heiſcht ferner Bbdvar Bjarkis Zögern bein: Begink
des Iekten Kampfes, wodurch die Aufrufe Hjaltis an ihn veranlaßt
find. Weder Saro noch die Saga erklärt fich hierüber ausdrücklich
beide laſſen bier ein gewiſſes Geheimnis walten, aber dennoch ergibt
ih, beſonders aus der Iehtern, folgender Zufammenhang. So lange
Biarfi unbeweglich zu Haufe bleibt, kämpft der wüthende Bär vor
dem König ber und bringt Zerftörung in das feimbliche Heer; fobalb
168
aber Bjarli, durch Hjaltis wieberholte Mahnung “gewedt, ſich zum
Kampf erhebt, ift der Bär verfchwunben und bie Kraft des Helden
vermag ihn nicht zu erfeken. Darum jagt Böbvar zu Hialtin: „Du
bift dem König durch dein Vornehmen nicht zu fo großem Dienfte ge
weien, wie du glaubft; ich fage bir mit Wahrheit, daß ich jet dem
König Hrolf weniger Hülfe fchaffen kann, als bevor bu mic, abriefeft.“
Die Löfung Fiegt darin, daß Bödvar Bjarki, nah ber Sprache bes
Rorbene, bamramr war (hamr, exuvie, cutis; ramr, fortis, robus-
tus; hamramr, immani v. brutali robere pollens, Lex. isl. 1, 126;
eigentlich: ftark durch Annahme einer andern Haut, Geſtalt). Es be
Rand nemlich der Glaube, daß bie Menſchenſeele in andre Geſtalten
übergeben und in ihnen mit vermebrter Kraft wirken lünne So lang
nun die Seele außen war, lag der Körper fill umb- burfte nicht
aufgeftört werden. Mit mern folches vorgegangen war, ber bieß
bamramr (Sagabibl. II, 516. Sagnhist. 35). Wie wir bereits im
der Götterfage manche foldhe Bertvanblungen in Xhiergeftalt vorgefun⸗
ven haben, fo werben wir auch in der Heldenſage noch auf viele
Roten. Bjarkis Verwandlung in einen Bären hängt zufammen mit
der angeführten Gabel, wonach fein Bater Björn in einen folden
war verzaubert worden. Ob Biarlis Kampf in Bärengeftalt zu biefer
Erdichtung vom Schidfal feines Vaters Anlaß gegeben babe, wie
Müller annimmt, ober ob bie umgelehrte Entwidlung der Sage ſtatt⸗
gefunden, wird fih kaum emticheiven laſſen. So lang Biarki mit
dãmoniſchen Kräften kämpft, find Skulds Zauber unwirtfam; ſobald
es aber duch Hijallis Mahnungen in den ruhenden Körper zurüd:
gerufen ik, brechen dieſe Zauber mit ihrer ganzen verderblichen Macht
hervor.
Stuld ſelbſt, von Hrolſs Vater mit einer Alfin erzeugt, ſcheint
in den vorhandenen Überlieferungen einige Verdunklung erfahren zu
haben. Es befriedigt nit ganz, wenn Müller (Sagabibl. II, 508)
in der Erzählung von ihrem unbeimlichen Urſprung nur das Mittel
findet, ſich ihren bösartigen Charakter zu erflären. Wenn bie Saga
(8. 48) Mfe und Romen in Slulds Gefolge bringt, fo verräth bieß
bereit3 ein flarles Misverſtehen ver mythiſchen Weſen. Skuld (future)
beißt bie jüngfte der drei Rornen, aber auch eine ber himmlischen
Balkyrien wird fo genannt (Lex. myth. 435). Da nun in der Hrolfs⸗
164
fage Dbin auf ber Seite Skulds im Kampf erfcheint, fo mag wohl
auch Hrolfs Halbichwefter, mit dem Valkyriennamen Stulb, uriprüng
lich eine ſolche Tampfluftige Dienerin Odins geivefen fein.
Daß dem Mythiſchen und Sagenhaften in den Überlieferungen
von Hrolf und feinen Kämpen ein biftorifcher Beitand unterliege, haben
wir früher anerlannt. Da jedoch Feine reingefchichtliche Duelle vor
handen ift, jo Tann auch bier keine Bergleichung zwifchen Geichichte und
Sage angeftellt werden. Die Berechnung Müllers (Sagabibl. I, 523),
wonad er die Lebenszeit Hrolf Krakis in das Ende des G6ten und ben
Anfang des 7ten Jahrhunderts ſetzt, beruht hauptſächlich auf ber Kö⸗
nigsreihe des Ynglingatal, des alten Skaldenliedes vom ſchwediſchen
Konigsſtamme, worauf die Ynglingaſaga gebaut iſt und in dem auch
König Adils aufgezählt wird,
Viel höher hinauf, als die Hrolfsfaga in ihrer jehigen Geftalt
und als Saxos Erzählung, ziehen fi die Epuren der fagenhaften
Überlieferung von Hrolf Krali. Ein paar Dienfchenalter nad Hrolfs
Tode wurbe fein Gedächtnis von ber fchönen Tochter bes ſchwediſchen
Königs Hjbrvar getrunken (nglingaf. C. 41: at Rolf minni krakaz
Sagabibl. U, 520). Staldenverfe aus dem 10ten Jahrhundert ent
balten fchon bie poetiſche Benennung bes Goldes als Sant ober
Frucht von Fyrisvöll und werben zum Beleg biefür in ber Stalda
beigebracht (Sn. Edd. 153 f. Sagnhist, 30). Wie ein Ysländer im
10ten Jahrhundert Hrolfs Grabbügel aufbrach, deſſen Schwert Skof⸗
nung und Hjaltis Streitagt herausnahm, aber Biarlis Schwert dem
Arme des Todten nicht entwinben konnte, wie dann Hrolfs Schwert
durch mehrere Gefchlechter gieng und jelbft eine Wallfahrt nach Nom
mitmachte, erzählen bie biftorifchen Sagan ber Isländer (Sagabibl. IL,
520 f.). Am lebenbigften aber murbe das Gedaächtnis dieſes Sagen
Bnige und feiner Kämpen im Sabre 1030, am Morgen vor der
Schlacht bei Stifleftab erneut, in welcher ber norwegiſche König Diaf
“der Heilige feinen Tob fand. Damals wurde das alte Bjarkamal
(Bjarlislied) gefungen, ohne Zweifel dazfelbe, welches dem leiten
Theile der Hrolfefaga und der Erzählung Saxos, den wir ausdrücklich
auf ein altes einheimilches Lieb vertweifen hörten, zu Grunde liegt.
Die Saga König Olafs des Heiligen, wie fie einen Theil von Snorros
Heimskringla ausmacht, erzählt ©. 220 (I, 770 ff):
165
Bei Tagesanbruch erwachte der König. Noch ſchien es ihm zu früh, das
Heer zu wecken. Da fragte er, wo der Skalde Thormodr wäre. [Sonft bor-
modr Kolbrunar skald.] Dieſer war in der Nähe und fragte, was der König
von ihm wolle, Der König ſprach: „Sag uns ein Lieb her!" Thormod erhob
fih und fang fo laut, daß man es im ganzer Heere vernahm. Er fang das
alte Biarlamal, das fo anhebt [folgen die 2 erſten Strophen]. Da erwachte
das Heer, und als das Lied gefungen war, banlten ihm die Männer da-
für und nannten das Lied „ber Krieger Weckeſang [huskarla hvöt; hvöt,
n, pl. incitamente, Lex. isl. I, 412]”. Der König dankte ihm gleichfalls und.
gab ihm einen Golbring von einer halben Mark. Thormod dankte für die Gabe
and ſprach: „Wir haben einen guten König, aber das Tann Niemand wiflen,
wie lang er leben wird. So ift nun das meine Bitte, daß wir uns nicht jchei-
den, lebend oder tobt.”
Man glaubt, in diefen Worten das Nachgefühl von Hrolfs und
feiner Kämpen treuer Genofienichaft, wovon Das Lieb fang, zu ver -
fpüren. Thormod folgte auch feinem König im Tode. (Merkwürdig
ift die Erzählung feines Todes G. 146.)
Die Bruchitüde, die uns vom Bjarlamal übrig find, beſtehen
aus den beiden Anfangöftrophen in ber Heimskringla und drei meitern
Strophen nebft zwei Strophenfragmenten, welche die Skalda aufbe
wahrt bat, zufammengebrudt hinter der Hrolfsſaga in Rafns Ausgabe
und Überſetzung. Sie Iauten fo:
Der Tag iſt erftanden,
Des Hahns Gefieder rauſcht,
Zeit if, die Märmer
Bur Arbeit zu weden.
Wachet und wachet,
Ihr trauten Freunde,
All ihr gewaltigen
Feinde Adils!
Har, der hartgreifende,
Hrolf, der Schutze,
Stammedle Männer,
Die Flucht nicht kennen,
Nicht weck' ich zu Wein euch,
Noch zu Weiberlofen,
Wei’ euch zu hartem
Hildursſpiele.
» 166
Der milde König
Gab feinen Mamıen
Fenjas Arbeit,
Fafnirs Lager,
Glafirs Glanzlaub,
Granis Bürde,
Dranpnirs theuren Schweiß,
Des Warmes Daunen.
Austheilte Hilmir 1,
Die Männer eınpflengen
Sifs Haupthaar,
Eis der Hände 2,
Oddursbuße,
Freyas Bähren,
Des Fluſſes Fener,
Glauzworte Idis 3.
Der Kriegsfürft erfreute
Biele Männer mit
Thiaſſia Erbtheil;
Geſchmückt giengen wir,
Der kühne Häuptling
Schenkte den Tapfern
Des Rheines Rotherz,
Zank der Niflungen.
So werd’ ihn malmen
Die der ſchwärzlichte
Betrüger des Waldbärs
Den Wandbewohner.
Geueigt ift auf Jörds Haar [Gras]
Hrolf der Großmüthige.
(Sp jpielen durch ein folches Lied immer auch die andern Sagen
hindurch und erfrifchen ihr Andenken.)
i Rex, galeatus.
2 Das Gold: Feuer der Hände.
8 Als die Niefen Thiaffi, Idi und Gang ihres Baters Erbe thellten,
maaßen fie das Gold, indem fie immer anf einmal fo viel nahmen, als Jeder
im Munde halten konnte.
167
4. Nelf und feine Reden.
Saga af Hälfi ok Hälfserekkum in Fornald. Sög. II, 23 fi. Nord. Fort.
Sag. IL, 21 fj. Arwidsson, Sv. Fornsänger I, 10 bis 12.
Diefe norwegische Sage ift ein Seitenftüd zu ber däniſchen von
Hrolf und feinen Kämpen, doch von viel geringerem Umfang. Die
8 exften Gapitel enthalten Vorgeichichten, die wir hier übergehen und
mit dem Inhalt bes Yten beginnen.
König Hiörleif von Rogaland in Norivegen hatte von feiner Ge:
mahlin Hild zwei Söhne, wovon ber ältere Hidrolf, der jüngere Half
hieß. Der Bater fiel auf der Vikingsfahrt, die Mutter aber heira-
thete nachher ben König Asmund, der nun Hidrleif3 Söhne aufzog.
Als Hiörolf acht Winter alt war, rüftete er fih, auf Kriegsfahrten
auszuziehen.
Er nahm alle Schiffe, die er befommen konnte, kleine und große,
neue und alte, auch was er von Leuten fand, Freie oder Unfreie. Sie
hatten allerlei Dinge zu Waffen, Stangen und Steden, Knüttel und
Halen. Darım nennt man ſeitdem Alles, was unbequem ift, Hidrolfö
Zeug (Hjörölfskeeri). Als er nun zum Kampfe mit Vilingern kam, ver:
ließ er fih auf die Menge feiner Mannſchaft. Aber da fie unerfahren
und waffenlos waren, blieben ihrer Viele und Andre flohen. So fam er
zur Herbftzeit zurüd und warb für einen geringen Mann geachtet. Im
Frühling darauf war Half, der jüngere Bruder, zwölf Winter alt und
fein Mann war jo groß ober fo ftark, wie er. Auch er bereitete fich nun
auf Kriegsfahrt. Er hatte ein neues und wohl ausgerüſtetes Schiff,
Bon dem beiden Söhnen des Jarls Alf! in Hörbaland, Welche beide Stein
bießen, war der ältere, achtzehnjährige, des jungen Königs Rathgeber.
" Niemand follte mitfahren, der jünger oder unerfahrener, als er felbit,
‚ wäre. Im Hofe lag ein großer Stein; wer den nicht aufzuheben ver:
mochte, burfte nicht mitfahren; auch Keiner follte dabei fein, ber ſich
jemals fürdhtete, oder bange Worte ſpräche, oder Wunden halber das
Geſicht verzöge. Man fuchte in eilf Landſchaften, bis man zwölf aus:
gewählte Männer fand. In Allem aber waren es breiunbbreikig, bie
an Bord giengen. Am erften Abend, da fie im Hafen anlegten, fiel
ftarter Regen. Da hieß Stein beden (tjalda, tentorium figere). Der
1 Bgl. Hyndl. 8. Str. 13 [12, 8). Finn Magnufens Edd. III, 12.
168
König erwiderte: „Willſt du noch Häufer deden, wie daheim?“ Bon
da an nannten fie Jenen Innſtein (inni n. domus; aber audy inn, in’
intro). Den Tag darauf ruberten fie bei fcharfen Unwetter an einer
Landſpitze vorbei. Auf diefer fland ein Mann, der mitzufahren ver
Iangte. Der König bieß ihn an ber Gteuerftange ftehen bis zum Abend.
Jener fagte, das fei wohl gefprochen, fo ſei er dem König nahe ge
ſtellt. (Wortſpiel: styri, n. clavus, gubernaculum; at styra, guber-
nare, regere.) Diefer Mann war Stein der jüngere; er warb bar
nach Utſtein genannt (dt, foras)1. Sie hatten befonvere Kämpfergeſetze
gemacht. Eines war, daß Keiner ein Schwert, länger. als eine Elle,
haben follte; fo müfle man nah auf den Mann gehn. Sie ließen fi
Sage (kurze, breite und dicke Schwerter) machen, bamit bie Hiebe
größer würden. Seiner von ihnen hatte minder Stärke, ala zwölf
mittlere Männer. Ihre Wunden durften fie nicht eher verbinden, als
zur felben Stunde bes folgenden Tags. Niemals nahmen fie Frauen
ober Kinder gefangen mit. Sie fuhren weit umber in den Landen
und hatten immer Sieg Achtzehn Sommer war König Half auf
diefen fiegreichen Fahrten. Ihre Sitte war, ftetd vor ben Lanbfigen
zu liegen; auch dedten fie nie ihre Schiffe und niemals ließen fie vor
dem Sturme die Segel herab. Sie wurden Halfs Reden denannt
(Älfsrekar) und niemals hatte ex mehr, als 60, auf feinem Schiffe.
König Half fuhr nach feinem Reiche vom Kriegszuge heim. Da
hatten fie einen großen Sturm auf dem Meere; ihr Schiff konnte nicht
mehr ausgefchöpft (duch Schöpfen erleichtert) werben. Da warb be
fchloffen, zu loofen, wer über Borb fpringen folltee Doch deſſen bes
durft' e8 nicht, denn Jeder drängte fich, vor feinen Genofien über Borb
zu fpringen, und wenn fie hinausfprangen, fagten fie: „Stroblos ifl’s
überm Schifferand” (d. b. bovenlos; die Zimmerboben waren häufig mit
Stroh beitreut).
Als nun König Half nad Hördaland kam, zog König Asinund
(fein EStiefvater) ihm entgegen, untergab ſich ihm und ſchwur ihm ben
Eid; auch lud er Half und die Hälfte feiner Mannen zum Mahle.
Am nächſten Morgen wollte Half fi dahin aufmachen und bie Hälfte
feiner Leute bei dem Schiffe zurüdlaffen. Da widerrieth es Innſtein,
1 Bgl. Jomsvik. S., Sagabibt. III, 63 f. 70 f. Saro Bud VID
S. 184.
169
vor Asſsmunds Truge warnend; Half aber glaubte, feinem Verwandten
trauen zu bürfen. Ihre Wechſelreden find in Liebesform in die Saga
aufgenommen. Daraus Folgendes:
Innſtein:
Dir iſt worden
Gram nun Odin,
Daß du auf Aſsmund
Feſt vertranef. .
Er wird uns Allen
Trug anftiften,
Wenn du nicht weife
Vorſicht braucheſt.
Der König:
Dich luſtet ſtets
Nach Worten der Angſt,
Nicht wird der König
Frieden brechen.
Gold wird uns werben,
Dazu Kleinobe 1,
Rothe Ringe,
Bon feinen Höfen,
Galf, mir träumte
Kath du Solches 21),
Daß Feur um unfre
Männer fpielte;
Übel war's,
Sich draus zu retten.
Kannft du, König,
Den Traum mir deuten ?
Der König: |
Um die Schultern Hirren
Den Schanrmeiftern,
- Den Königsmannen,
Goldne Brümmen.
1 Ok gersimar.
? Hygdu at slikul Wie im Getſpeli: hygg Bü at gätul
Innſtein: |
Der König:
Innſtein:
Der König:
470
Das mag auf Achſein
Der Edlingafreunde
Licht aufleuchten,
Als bränne Feuer.
Noch träumte mir
Bum zweitenmalfe:
Mir ſchien auf Achſeln
Fer zu brennen.
Nicht dünkt mir das
Heil zu verbeißen.
Kannſt du, König,
Den Traum mir deuten?
Wohl geb’ ich Jedem
Helm und Brunne
Der kühnen Jilngliuge,
Die mir folgen,
Das wirk aufleuchten,
As bränne Feuer
Den Königsmannen
Auf breiten Schultern.
Das träumte mir
Bum drittenmale,
Bir fein gefunten
In Meerestiefe.
Das mag gewaltgen
Sammer kinden.
Kannſt du, König,
Den Traum mir deuten?
Bu lange hör’ ich
Auf Thorenrede.
Nichts Liegt, das -fag’ ich,
Unter Solchem.
Laß du Niemand
Fürder hören
Deine Träume
Bon diefem Tag an!
174 ,
Innſtein:
Folgt, ihr Hrokr!,
Ihr Heerlönge,
Meinen Worten!
Folg' and, Utſtein! ”
Gehn wir alle
Auf vom Gtrande,
Nicht gehorchend
Den Klnig dießmal)
Utitein: 5
, Den König laflen wir
Streng gebieten
Über das Bolt
Und unfre Fahrten!
Wagen wir, Bruder,
Wie ihm bedfintet,
Unſer Leben
Mit kühnem Führer!
Gefolgt Hat der König
Auf Fahrten draußen
Meinen Näthen
So mandies mal.
Nun ſeh' ich: nichts mehr,
Was ih rebe,
Bil er beachten,
Seat beim wir kamen.
König Half gieng nun mit der Hälfte feiner Mannſchaft zu König
Asmunds Hofe. Sie trafen große VBerfammlung und es warb em
prächtige Mahl gehalten. In ver Nacht aber legte Asmund Feuer
an die Halle, wo Half und jene Reden fchliefen. Zwei verjelben er⸗
wachten nad) einander von Rauch und Flamme, legten ſich aber ruhig
wieder hin. Auch ‚König Half erwachte, weckte Wie Seinigen und bieß
fie fich wappnen. Gie liefen nun (wie Hrolfs Kämpen) gegen bie Wand
und durchbrachen fie. Draußen aber fielen fie vos de ibemnaqht Als
ber König gefallen war, fang Innſtein:
1 Bwei Brüder biefed Namens, Grote der Weiße und Orote der Sawarx,
Söhne des Herſen Hamund, waren in Halfs Geſolge.
Innftein:
172 .
Hier ſah ich alle,
Gleich an Küͤhnheit,
Einem folgen,
Dem Konigsſohne.
Treffen wir froh uns,
Die Hingefahrnen!
Nicht if leichter
Leben, als Sterben.
Auch die Reden Halfs, die beim Schiffe geblieben twnren, kamen
zum Kampf und ein großer Theil von ihnen fiel. Bis zur Nacht währte
ber Streit und bevor Innſtein fiel, fang er:
Odin wir haben
Übles zu lohnen,
. Der ſolchen König
Des Siegs beraubte,
Draußen hab’ ich
Achtzehn Sommer
Gefolgt dem Kühnen,
Den Speer zu färben.
Nicht will ich andern
Hänptling haben,
Streitbegiergen, \
Will alt nicht werben.
Hier muß Innſtein
Bur Erde finten,
Mutdig zum Haupte
Des Heerfilhrers.
Das follen Kämpen
Sagbar machen,
Daß Half, der König,
Lachend farb.
Gunnlbd, die Mutter der beiden Steine, kam in der Nacht auf
die Wahlftatt und fuchte nach ihren Söhnen. Sie fand Innſtein tobt
unb Utſtein ſchwer verwundet. Sie brachte diefen heim nach ihrem Hofe
und beilte ihn heimlich. Nachher 309 ex nad Dänemark zu feinem Ber
wandten, König Eyftein. Hrok der Schwarze hatte viele große Wunden.
Er gieng in ber Nacht und kam zu einem armen Bauern, bei dem er
173
blieb, bis feine Wunden verbunden waren. Nachmals kam er zum König
Hall in Schoonen (& Skäney).
Bon vielen beiben geretteten Halfsrecken, Uiften und Hrok bem
Schwarzen, erzählt die Eaga noch weiter.
Utftein hielt ſich bei König Eyftein in Dänemark auf. Der Rath:
geber dieſes Königs, Ulf der Rothe, hatte acht Söhne, treffliche Kmpen
und fehr neibifch auf Uiftein. Beim Trintgelag kam es mit ihnen zum
Zanke. Der Anlaß waren Utfteins Geſänge von Halfs Falle und ber
Hoffnung auf Rade an Asmund. Uiftein gieng mit allen acht zum
Kampfe. Er fang:
us Söhne fahren
Ans, zu lämpfen,
Act Yünglinge
Gegen ein Haupt.
Stein wird nicht fliehen,
Ob ihm auch folge
Biel geringre
Schaar zum Kampfe.
Half, tränmte mir,
Trieb mich, zu fireiten,
Berbieß, der Kühne,
? Mir zu folgen.
Mir war der König
Gut im Traume,
Wo wir die Kämpfe
Halten follten.
Der Kampf begann und Yiften erſchlug alle Söhne Ulfs. Dann
gieng er ein vor den König und fang:
Run bin ich fommen,
uif zu fagen,
Daß feine Söhne
Erichlagen liegen.
Willſt du, Eyfein,
Laß ihrer mehr noch
Im Kampfe prüfen
Der Sperre Sohn!
174
Eyftein:
Selbft verbeut ſich's
Golden zu prüfen.
Halfs Reden find -
Meifter non Allen.
Dich weiß ih der Männer
Allererfien,
Einzig tapferften,
Der du acht aufwogft.
Utftein:
Alle wollt’ ‚ich
Eyfleins Mannen
Des Schwertes fättgen
Sonder Dtübe,
Wenn folh Wert mir
Nöthig dünkte
Dder zuvor wir
Feinde wären.
Kraft lüftet Keinen
Mit mir zu prüfen.
Mir ward, dem Jüngling,
Alter beftimmt.
Herz hab’ ich
Hart in der Bruft,
Wie mir’s in der Jugend
> Ddin bildete.
Hrok der Schwarze, Hamunda Sohn, mar bei König Hali in
Scoonen. Halis Tochter hieß Brynhild. Um fie. hatte ber König
Svend (Sveinn) der fiegreiche geworben, König Halt aber fie ihm ver:
fagt. Da gelobte Svend, des Mannes Tob zu werben, ber Brynhild
beirathete, und jo auch ihres Vaters.” Hebinn hieß ein Jarl König
Hakis und Vifill deſſen Sohn. Diefer warb auch um Brynhild und
fie warb ihm unter dem Bebinge zugelagt, daß er das Land gegen
Svend fchirmte. Hrok der ſchwarze hielt ſich dort unbelannt auf und
war in feinem Anfehn. Er ſaß nur auf.dem Gaftfig. Es geichah nun
eine® Tags, daß die Hofleute auf bie Jagd auszogen, die Frauen aber
175 .
in den Nußwald. Die Königstochter Brynhild fah da einen Mann an
einer Eiche ſtehen. Sie hörte, wie er fang:
Run will jagen
Hamunds Sohn,
Welchen Geſchlechts wir
Brüder waren.
Wohl war mein Vater
Biel ein beſſerer,
Kühnerer Habicht,
Als Hakis Kämpen.
Mit Keinem dürfte \
Bifill ſich meſſen,
Der nur Hamunds
Heerben biäktete,
Keimen ſah ich dort
Der Schweinebirten
Mutblofern, - °
As Hedinns Erben.
Mir war das Leben
Viel ein beſſeres
In Halfs Gefolge,
Des herrlichen Konigs.
Ale waren wir F
Eines Rathes,
Zuhren art Heerſahrt.
In alle Lande.
Half ſah ich hauen
Mit beiden Händen,
Nicht hatte der Konig
Den Schild vor der Bruſt.
Kein Mann findet, .
Tährt er auch weitum,
Höhere Herzen
" Ind musbnollere.
Den Tod nicht ſchenen
Hieß er die Fuͤnglinge,
’ Noch Angfimorte
Jemals ſprechen;
1776
‚Keiner follte
Er zählt bierauf
Schließt die Reibe mit
Dem Kühnen folgen,
Der nicht des Königs
Schichal theilte.
Richt ſtöhnen ſollten,
Wenn anch im Angriff
Hart verwundet,
Des Königs Freunde,
Noch ihre Wunden
Binden laflen
Bor gleicher Tagszeit
Des andern Tages.
Richt Bande hieß er
Im Heere brauchen,
An keiner Ebfran
Unbill üben,
Zeglihe Jungfrau '
Um Mitgift Tanfen,
Mit jchönem Golbe
Nah Rath des Vaters.
Nie waren fo viele
Männer auf Schliten,
Dog wir zur Flucht
Uns wenden mochten,
Ob wir auch minbre
Mannſchaft hatten,
So daß Eilfe
Auf Einen trafen.
die Halfsrecken, namentlich rühmend), auf und
ſich:
Nimmer erjchien ich
In ſolcher Schaar
Ausgeartet
Von meinem Geſchlechte.
Mich benannten fie
Der Männer raſcheſten,
Denn Jeder fuchte
Den Ruhm des Anden.
4177
Nicht lebte fo lange
Der Landgebieter,
Als er verdient
Durch tapfre Thaten.
Zwölf Winter alt
Begann er die Heerfahrt,
Dreißig war er
Bei feinem Tode.
Solches lehrt mich, ,
Wenig zu ſchlafen
Manche Nächte
Und viel zu wachen,
Daß mein Bruder
Drennen follte,
Lebend, im Feuer,
Mit des Königs Reden.
Der Tag war mir
Auf diefer Erbe
Der Tage bunfelfter,
Wie Männer wiffen u. ſ. w.
AU meine Trauer
Wurde leichter,
Wenn Half, den König,
Ich rächen könnte;
So, daß ih Asmund
Mit Schwertes Schärfe,
Mit blankem Eifen
Die Bruft zerfpaltete.
Gerät foll werben
Half der Tapfre,
Weil fie den Kühnen
Im Frieden mordeten u. ſ. w.
Da ſoll man pritfen
Und prüfen laſſen,
Bem ich mit Spenb
Bufammentreffe,
nhland, Sqhriſten. VII. 12
178
Wer da im Kampfe
Sieger werke,
Hamunds Sohn
Oder Halis Kaͤmpen.
Das fing' ich jetzt
Der ſchmucken Jungfrau,
Daß ih um Brynhild
Werben möchte,
Wit’ ich das Eine, -
Daß fie wollte
Hrok lieben,
Hamunds Sohn.
Rimmer fand ich,
So weit ih fuhr, .
Holdere Jungfrau,
As Halis Tochter;
Sie ift in Allem,
Wie ich es wünſchen mag.
Hier din?’ ich mir jetzt
In Halis Reiche
Verſtoßen zu ſein
Bon allem Volle.
Allen gibt man
Drinnen Sibe
Halbınal lieber,
As Halfe Reden.
Brynhild erzählte ihrem Vater, mas fie gehört hatte, und .fagte,
daß einer von Halfs Reden hieher gelommen fein müfle. Als ver König
das erfahren, führte er Hrok zum Hochfig und nahm ihn mit der gröften
Liebe auf. Hrok der ſchwarze erhielt nun die Königstochter Brynhild.
Im nächſten Frühling z0g er mit feinem Heere gegen Svend den fieg:
haften und es fam zwiſchen ihnen zur Schladt. Svend fiel und Hrof
fam fiegreich zu König Halı zurüd, Den Sommer darauf zogen König
Haki und Hrof der ſchwarze und mit ihnen König Eyſtein und Utſtein
mit Heeresmacht nad) Norwegen und hielten eine Schlacht gegen König
Asmund, darin er umkam.
179
Das letzte Gapitel des Saga (E. 17) berichtet noch kürzlich von
Halle Nachlommen.
Diefe Saga von Half und feinen Reden bat ein höchſt einfach
altertbümliches Gepräge. Sie beſteht großentheild aus Liedern !, bie
Profaerzählung ift ſehr gebrängt, in kurzen Sägen. Sie ift faft nur
bad Band, wodurd die Liederſtellen verfnüpft werden, und fagt zum
Theil dasſelbe, mas diefe enthalten. Beſonders bildet das letzte, gröfte
Lied Hrols des ſchwarzen ven Kern des Ganzen. Müller nimmt an,
daß fie im 11ten Jahrhundert aus den damals im Umlauf befinblichen
Liedern zufammengefett und im 13ten nievergefchrieben worden. Den
König Half felbft fett er in das 8te Jahrhundert (Sagabibl. II, 455
bi8 457). Die Berechnung wird dadurch begünftigt, daß diefe Saga
fh mehrfach an andre, mehr hiftorifche Sägan anlehnt. ft hiernach
Half jünger als Hrolf, fo zeigt ſich doch in der jegigen Abfafjung ihrer
Sagan das umgelehrte Verhältnis. Die von Hrolf ift neuer und ver
widelter. Beide Helden mit ihrem Gefolge werben gerne zuſammen⸗
genannt, wie fie denn auch manche Ähnlichkeit darbieten. Auch von
Half findet fich ein vichterifcher Ausdruck der Staldenfprache » der Panzer
hieß Half Kleider (ebend. II, 453). Während aber bei Hrolf die
Königemilde das Charakteriftifche ausmacht, fo ift es bei Half und
feinen Reden mehr die Härte, die Kühnheit und Ausbauer, womit fie
allen Gefahren und Befchwerden des Krieges und ber Seefahrt troßen.
Auch in Halfs Saga können wir die drei epifchen Abtheilungen unter:
ſcheiden: die Vorgefchichten von feinen Ahnen und feinem ältern Bruder
- Hiörolf, deflen Ungeſchick einen hervorhebenden Gegenfaß zu dem tüd):
tigen Wefen des jüngern Bruders bildet; dann die fiegreichen Fahrten
mit den um ihn verfammelten zwölf Reden; endlich der gemeinfame
Untergang durch Asmunds Berrath. Die Rade, die niemals aus:
bleiben darf und in manchen Sagen einen weitern Haupttheil ausmacht,
folgt auch hier nicht unmittelbar, wie in der Hrolfs-Sage. Es gehen
noch zwei befondre Erzählungen von zwei übriggebliebenen Halfäreden
boran. Diefe Erzählungen ftehen aber in einem innern Zufammenbang
mit der Haupthandlung. Es gehört zu dem Schönſten dieſer Saga,
I Kann der Stalde Bragi, der &. 17 vorkommt, nach dem, was fonft von
ihm bekannt ift, als derjenige angefehen werben, ber diefe Geſchichten in Lieber
gebracht?
180
wie dev Heldentönig in ber Seele feiner beiven umherirrenden Reden,
fortlebt. Dur einen Traum von ihm findet Uiftern fi ermuthigt
. umd geftärkt, den Kampf mit acht Gegnern zu beſtehen. Hrok, im Walb
an der Eiche ſtehend, fingt den ganzen Heldenlauf feines gefallenen
Königs und die legten furchtbaren Gefchide, die ihm noch immer in ber
Nacht Feinen Schlaf vergönnen. Kaum aber haben bie beiden die Gunſt
der Könige erworben, bei denen fie Zuflucht gefunden, fo führen fie Die
Macht verfelben zum Rachezug und fänftigen fo den Schmerz, ben fie
tief in der Seele getragen.
5. Bribihief.
Fridbj6fe 1 Saga ens frekna, Fornald. Sög. II, 61 fi. Nord. Fornt.
Bag. II, 59 ff. Sagabibl. II, 458 fi
Über die Lanbichaft Sögni (Sygnafylki) in Norwegen herrſchte
König Beli. Auf der Weſtſeite ber Bucht (jetzt Sognefjord, einer der
tief ind Land einſchneidenden, ſchmalen Meeresarme im füblichen Nor
wegen, oberhalb Bergen) lag ein großer Hof, Balburshag genannt.
Hier war Friedensſtätte (gridastadr) und ein großes Opferhaus (hof),
umgeben mit einer hohen, Umzäunung (skidgardr), Viele Götter
waren bort, doch warb am meiften Balbur verehrt. Die Stelle warb
fo heilig gehalten (af heidnum mönnum), daß bort weder Menfchen
noch Thiere beichäbigt werben durften; auch durften da nicht Männer
mit Frauen zufammenlommen. Diefe Seite, wo König Beli waltete
hieß Syrftrand (Syretrönd). Jenſeits der Bucht aber, dem Königafike
gegenüber, lag ber Hof Framnes, wo ber Herje Thorftein Bilingsfon
wohnte. Diefer hatte den britten Theil bes Reichs zu verwalten und
‚ war des Königs ftärffter Beiftand. Jedes dritte Jahr bielt er dem
König ein Foftbares Gaftmahl, die zwei andern Jahre hielt der König
das Mahl für Thorftein. König Beli warb ſchwach von Alter und
ſtarb. Ihm folgte bald auch Thorftein. Diefer hatte befohlen, daß
i Fridpjöfr, Frieddieb; 6. 10, S. 92:
Ds het ek Fridpjöfr,
er ek för med vikfngum ı. ſ. w.
Da hieß ich Frieddieb,
- As ich fuhr mit Bilingern.
181
— — — — —
man feinen Grabhũgel am Ufer der Bucht, dem bes Königs gegenüber,
aufwerfen folle, fo daß fie einander beunrftehende Ereigniſſe zurufen
fönnten. Beide hatten fterbend ihren Söhnen empfohlen, das gute
Bernehmen der Väter fortzufeken. Der König hinterließ zwei Söhne,
Helgi und Halſdan, und eine Tochter Ingibjörg. Helgi wurde frübr
zeitig ein großer Opferer (blötmadr), aber auf beide Brüder hielten
die Leute wenig. Ingibjörg, die Schöne genannt (hin fagre), war
nad dem Tode ihrer Mutter einem guten Bauer in Sogne, Namens
Hilding, übergeben worben, der fie wohl und forgfältig aufzog. Bei
ibm ward auch Fridthjof, Thorfleind Sohn, erzogen. Dieſe beiden
Pfleggeſchwiſter (fostrsyskin) übertrafen alle andern Kinder. Fribtbiof,
der Zapfre (hinn freekni) zugenannt, mar durch Stärke und Geſchick⸗
lichleit ausgezeichnet und Jedermann münjchte ihm Gutes. Sein Vater
Thorftein hatte ein Schiff, das Ellidi hieß, mit hohem gebognem Kiel
und etfenbeichlagnem Borbe, für fünfzehn Ruderer auf jedem Borb ein
gerichtet. Fridihjof aber war jo ſtark, daß er Ellidi im Vorbertheil mit
zwei Rudern von dreizehn Ellen Länge ruberte, während für jedes
anbre Ruder zwei Männer nöthig waren. Dieſes Schiff und ein Gold⸗
zing, desgleichen Feiner in Norwegen gefunden wurde, waren die gröften
Koftbarleiten, die Fridthjof von feinem Vater erbte Er war nun
angejebener, als die Königsföhne; diefe hatten nur die Königsehre vor
ihm voraus. Darüber faßten fie Haß und Misgunft gegen ihn und
achteten nid darauf, daß ihr Vater fie ermahnt batie, an den ge
prüften Freunden feftzubalten. Sie glaubten zu bemerken, daß ihre
Schweſter Ingibjörg und Fridthjof Neigung zu einander hätten. Als
fie nun einft auf Framnes -bei einem überaus ſtattlichen Gaſtmahl
waren, ſprachen Imgibjörg und Fridthjof viel zufammen. Die Königs
tochter fagte zu ihm: „Du haft einen guten Goldring.“ „Wahr ift
das,” antwortete Frivibjof, Darnach zogen bie Brüber beim und ihre
Misgunft wuchs. Bald darnach wurde Fridthjof ehr trübfinnig. Sein
Pflegbruder Björn! fragte nach der Urſache. „Sch denke darauf, erwi⸗
. derte Fridtbjof, um Ingibjorg zu werben, und wenn gleich von gerin«
gerer Würde, als ihre Brüder, bin ich doch nicht minber mächtig.”
„Thun wir fol” fagte Björn. Fridthjof fuhr nun mit. einigen
1 Bgl. Saxo 8. VIH, ©. 223: Biorn e vico Soghni.
188
Männern zu den Brübern. Dieſe faßen auf dem Hügel ihres Waters.
Fridthjof brachte feine Werbung vor, die Könige aber antworteten:
„Das ift nicht ſehr verftändig geworben, baß wir unfre Schweſter
einem Mann ohne Würbe geben follten; wir fchlagen das gänslich ab.“
Fridthjof verfehte: „Da ift mein Geſchäft bald abgethan, und zur
Vergeltung iverb’ ich euch fortan niemals Hülfe leiften, wenn ihr auch
deren bebürftet.“ Sie fagten, daß fie fih darum menig befümmezten.
Fridthjof aber fuhr heim und warb wieder heiter.
Hring, ein mächtiger aber ſchon bejahrter Fylkekbnig über Hringu
reich, gleichfalls in Norwegen, hatte gehört, daß Bells Söhne mit
Fridthjof gebrochen. Da hielt er es nicht für ſchwierig, über fie zu
fiegen, und ließ fie aufforvern, ihm Schatzung zu entrichten, ober et
würbe ein Heer in ihr Reich führen. Ste rüfteten fich gegen ibn; als
fie aber fanden, daß ihre Mannichaft nur gering war, ſandten fie den
Bauer Hilding zu feinem Pflegfohne Fridthjof um Hülfe Pribtbief
fat eben mit Björn beim Schacdhipiel (at hnefatafli; hnefi, m. pugnus).
Er ſchien nicht auf Hildings Rebe zu achten und gab nur verftedter
Weiſe, indem er im Spiele fortfuhr, zu verfteben,. daß er den rothen
Stein (Ingibjörg) angreifen und den Brübern überlaflen würde, ſich
an den König (König Hring) zu machen. Die Königäbrüber zogen num
aus, ließen aber zuvor Ingibjörg mit acht Frauen nach Baldurshag
Bringen und glaubten, daß Fridthjof nicht fo dreift fein mürbe, ihre
Schwefter dort aufzufuchen, da Niemand diefe Stätte zu entweihen
wagte. Sobald fie aber fort waren, zog Fridthjof feine Feierlleider
an, legte den Goldring an feine Hand und ließ das Schiff Ellidi vor
sieben. Biden fragte: „Wohin follen wir ſteuern?“ Fridthjof: „Nach
Baldursbag, zur Kurzweil mit Ingibjörg.“ Bidm: „Das ift nicht
väthlich, Götter gegen ſich aufzubringen.” Fridthjof: „Darauf will ic
e3 wagen; Ingibjörgs Huld acht’ ich mehr, als Baldurs Zorn.“ Sie
ruderten hierauf über die Bucht und giengen auf nach Baldurshag und in
Ingibjbrgs Wohngemach. Sie ſaß dort mit acht Jungfrauen und ber
Gäfte waren auch acht. Alles war mit Seide unb koftbarem Gewebe
behängt. SIngibjörg fand auf und ſprach: „Warum bift du jo kühn,
Fridthjof, ohne Erlaubnis meiner Brüder hieher zu kommen und fo bie
Götter gegen dich zu erzürnen?“ „Wie dem ei,“ antwortete Fridtbjof,
„deine Liebe acht' ich mehr, als der Götter Zorn.“ Ingibjörg: „Du
188
four bier willlommen fein und alle beine Gefährten!“ Sie lich ihm
Hierauf an ihrer Seite nieberfiden und trank ihm den beiten Wein zu; .
fo ſaßen fie und vergnügten ih. Da ſah Ingibjörg den Golbring an
feiner Hand unb fragte, ob ex dieß Kleinod (gersemine) zu eigen babe.
Fridihjof beiahte das und fie lobte ben Ring fehr. „Den Ring will
ih dir geben,“ ſprach Fribthjof, „wenn bu gelobft, ihn niemals weg⸗
zugeben, fondern mir ihn zu fenden, wenn bu ihn nicht mehr
baben wilft, und biermit follen wir einander Treue zuſichern.“ Se
verlobten fie ſich und wechſelten bie Ringe Yridihjof war oft im
Baldershag bei Nacht; täglich Tam er dahin und .vergnügte fich mit
Ingibjbrg. |
Helgi und Halfpan hatten ven König Hring verhöhnt, es wär
ihnen eine Schande, fi mit einem Manne zu fchlagen, der fo alt fei,
daß er nicht ohne Beiftand aufs Pferd kommen koͤnne. Seht aber
Iam er ihnen mit ſolcher Übermacht entgegen, daß fie ſich ihm ohne
Schwesiftreich unteriwerfen und ihm ihre Schwefter, Ingibjörg die Schöne,
zur Gemahlin verfprechen muften. Sie zogen bierauf mit ihrem Heere
zurüd und waren übel mit ihrer Fahrt zufrieden. Als Fridthjof ihre
Antunft nahe. glaubte, Sprach er zur Köntgstochter: „Wohl und Schön
habt ihr uns aufgenommen und Balbur, unfer Wirth (bondi), Bat
und nicht gezürnt; aber wenn ihr wißt, daß eure Brüber heimgelommen,
fo breitet eure Leinwand über den Dijarfaal (dis, Pl. disir, dea)
aus! denn er ift der höchſte im Hofe und wir können das von unfrem
Hof aus fehen.” Hierauf fuhr Fridthjof heim; am nächſten Morgen
aber gieng er zeitlich hinaus, und als er zurüdlam, fang ex:
Verkünden will ich
Unfern Kämpen,
Daß es aus ift
Mit Tyreudenfahrten;
Nicht follen die Männer
Bu Schiffe gehn,
Nun find die Linnen
\ Zur Bleihe fommen.
Als König Helgi erfahren, was vorgegangen war, ſprach ex: „Wun⸗
derſam wär’ es, wenn Balbur jeden Hohn von Fridthjof dulden follte;
er fol uns Vergleich bieten oder aus dem Lande geiviefen werben.“
184
Da fie ihn nicht anzugreifen wagten und zur Mitgift ihrer Schweſter
Mittel nöthig hatten, fo verlangten fie von Fridthjof zum Vergleich,
baß er von den Drfneyen (ben orlabifchen Inſeln) bie Schatzung ein
fordre, die ihnen feit ihres Waters Tode nicht bezahlt worben fei.
Fridthjof gieng den Vergleich ein, aus Achtung für die bingegangenen
Bäter, doch unter dem Bebing, daß al fein Eigenthum indefs in Frie
den gelafien werde. Dieß wurde mit Eiden angelobt. Er bereitete ſich
nun zur Fahrt und wählte fi tapfre Männer zu feinem Geleite. Es
waren ihrer achtzehn, die an Bord bes Schiffes Ellidi giengen. Als
fte aber abgefahren waren, ließ König Helgi den Hof Framnes ver
brennen und berief zwei Zauberweiber, Heidi und Samglöm, die einen
folden Sturm über Fridthjof und feine Gefährten ſenden follten, daß
fie alle im Meer umlämen. Die Weiber beftiegen den Zauberftuhl (hjall)
mit ihren Zaubern und Beſchwörungen.
Fridthjof mar ſchon außerhalb der Bucht von Somi, als fid
Icharfes Wetter und großer Sturm erbob, die Eee gieng ſehr hoch und
das Schiff ſchoß gewaltig fort. Da fang Fridthjof:
Schwimmen Tieß ih von Sogni
Das dunkle Wellenrofs;
Die Braut faß ſorgvoll
Mitten in Baldurshag.
Hoch anf fchänmet das Dieer,
" Heil doch fei den Bräuten,
Die uns Liebes gönnen,
Ob auch Ellidi finte!
Biörn fagte: „Gut wär's, menn bu jeht auf Andres bächteft, als
von den Mädchen in Balburshag zu fingen.” Als ein neuer Stoß
kam, fang Fribtbjof:
Das war vormals
Auf Framnes,
Daß ich hinruderte
Zu Angibjörg.
Jetzt ſoll ich fegeln
Am kalten Sturme
Und vorwärts laſſen
Das Langthier laufen.
185
Als nachher das Schneegeiköber jo ſtark wurbe, dah man nidht von
einem Ende des Schiffes zum andern ſehen konnte und bie See über
Bord ſchlug, fang Fridthjof:
Helgi Täßt die Wegen,
Die fhaumgemähnten, wachſen.
Nicht iſts, wie da wir kilſaten
Die Braut in Balburshag.
Ungleich find mir gunſtig
Ingibjörg und der König.
Lieber wollt’ ich der Lichten
Glück der Liebe danken.
„Das mag fein,” fagte Björn, „daß fie dir Beßres gönnt, als
dir jet zu Theil wird.” Nun fchlugen große Wogen über fie und fie
mujten alle im Schöpfraum ftehen. Fridthjof fang:
Stark trinkt mir zu die Woge;
Wohl feufzt Sie, wenn ich finfe
Am Schmwänemeer, im Often,
Wo Lein lag auf der Bleiche.
„Glaubſt du,” fagte Björn, „daß die Mädchen in Sogni viele
Thränen um dich werben fallen laſſen?“ „Das denk' ich gewiſs,“
anttwortete Fridthjof. Auf's Neue wuchs das Unwetter an, fo daß bie
Meeresiwogen, die gegen das Schiff anraufchten, mehr Gebirgen, als
Wellen, ähnlich fchienen. Da fang Fridthjof:
Ich jaß auf Polftern
In Baldurshag,
Sang, was ich wulfte,
Der Künigstochter.
Nun ſoll ich ſicher
Hans Bett betreten,
Ein Andrer aber
Ingibjörge. ”
Da kam eine große Woge und warf vier Männer über Borb, bie
alle in den Abgrund ſanken. „Run ift zu erwarten,” ſprach Fridthjof,
„DaB Einige unfrer Männer zu Ran fahren werben; und wir werben
nicht als rechte Abgefandte ericheinen, wenn wir dahin kommen, wir
bereiten uns denn rajch; mir jcheint rätblih, daß jeder Mann etwas
Gold bei fih habe.“ Da zerbieb er den Ring von Ingibjörg
186
(hringinn Ingihjergar-naut), vertheilte bie Städe unter feine Gefährten
und fang:
Der Ring fei zerhauen,
Den Halfdans reicher Bater,
Den. golbrotben, hatte,
Bevor uns Ägir aufnimmt!
Gold foll man ſehn an Wäften,
Denn wir Herberge fuchen
In Rans Sälen mitten;
So ziemt es ſchmucken Reden.
Mitten durch die Dunkelheit des Sturmmetterd ſah Fridthjof, daß
fih ein großer Walfifch rings um das Schiff gelegt hatte, auf befien
Rüden zwei Zauberweiber fahen. Er vermuthete fogleich, daß ihnen
König Helgi durch dieſe Weiber den Sturm angerichtet habe und daß
fie jet einem Lande nahe gelommen fein müflen, dur den Wallfiſch
aber an ber Landung verhindert werben follen. Bjöm trat hierauf
an's Steuer, Fridthjof aber ergriff eine Gabelftange (fork), fprang auf
das Vorbertheil und fang dem Schiffe Ellivi zu, denn dieſes hatte bie
Eigenfhaft, daß es Menſchenrede veritand:
Heil dir, Ellibil
Lauf du auf Wogen!
‚Den Bauberinnen
Brich Zähn' und Stirne,
Kinnbacken und Kiefer
Dem böjen Weibe!
Brich beide Ziße
Diefer Here!
Darauf ſchoß er die Gabel nach ver einen Hamläuferin (hamhley-
punni, Zäuferin in frember Geftalt), aber Ellidis Spite traf den Rüden
der andern‘, und fo marb Beiden der Rüden gebrochen; der Wallfifch
taudjte unter unb ward nicht mehr gefeben. Da begann bad Wetter
fich zu fänftigen, das Schiff aber war nah’ am Sinken. Fridthjof rief
jeme Männer auf und hieß fie ſchöpfen. Björn fagte: „Das ift ver
gebliche Arbeit.” Fridthjof aber fang:
Nicht dürft ihr, Freunde,
Den Tod fürchten.
187
Zeigt euch freudig,
Rafche Reden!
Dos ja willen
Meine Träume:
Noch foll nie werden
Sngibjörg.
Da Ichöpften fie das Schiff und waren nun dem Lande nahe ge:
kommen. Doc abermald warf ſich Unmetter ihnen entgegen. Fridthjof
ergriff noch zwei Ruder am Vorbertheil des Schiffes und ruberte auf's
Stärkſte. Da Härte ſich's auf und fie fahen, daß fie vor Effiafund an-
gelommen maren, mo fie nun landeten. Das Schiffsvolk war jehr
ermattet. Fridthjof aber mar noch fo rüftig, daß er adıt Männer ans
Ufer trug, Björn trug zwei und Asmund einen. Da fang Fribtbiof:
Ich trug auf
Zur Teuerftätte
Miüde Männer,
Bom Schneefturm matte
Nun hab’ id) das Eegel
Auf Sarıd gefett.
Schwer iſt's, zu ringen
Mit Dreeresfärfe.
Der Zarl Angantyr auf Effin, wo Fridthjof an's Land gieng, hatte
die Getvohnheit, daß er, wenn er trank, einen Mann vor das Fenſter
feiner Trinkftube figen ließ, der gegen den Wind ausfchauen und Wache
halten mufte. Diefer Wächter tran? aus einem Thierhorn, und wenn
es leer war, bot er's zum Fenfter herein und es warb ihm ein andres
gefüllt. Hallvard hieß der Mann, der Wache hielt, ala Fridthjof lan:
dete. Er ſah diefen beranfahren und fang:
Männer feh’ ich fchöpfen,
Im ſtarken Sturme,
Sechs auf Ellidi,
Und ſieben rudern.
Wohl gleicht der Kühne
Am Vorberliele
Fridthjof dein tapfern,
Die Ruder zwingt er.
188
Und als nun Hallvard fein Horn ausgetrunten, warf er es zum
Senfter herein und fagte der Schenkin, die zu trinken brachte:
Nimm du vom Eftrid),
- Schönwandelnde Schenkin,
Hallvards Trinkhorn,
Das umgeſtürzte!
Eturmmüde Männer
Seh' ich im Meere,
Hulfbedürftig
Zum Hafen ſtrebend.
Der Jarl hieß Hallvard hinausgehn und die Fremden gaſtlich
empfangen, wenn es Fridthjof, ſeines Freundes Thorſtein Sohn, fer
Da ſprach ein Mann, Namens Atli, ein großer Viking: „Nun ſollen
wir erproben, was gefagt ift, daß Fridthjof das Gelübbe getban, Keinen
zuerſt um Frieden zu bitten”. Es waren ihrer zehn, lauter böfe -undb
babgierige Männer, die auch oft Berjerkergang giengen. Als diefe auf
Fridthjof trafen, fagte Atli: „Wende bih nun gegen uns, Fridthjof!
Adler, die auf uns ftoßen, follen fih mit uns krallen; jet kannſt bu
dein Wort erfüllen und nicht um Frieden reden.“ Fridthjof manbte
ſich gegen ihn und fang:
Rimmer follt ihr
Gebeugt uns jehen
Dder angftooll,
Ihr nfelbärte! 2
Eh’ ich um Frieden
Bitte, fchreit’ ich
Allein zum Kampfe
Mit euch zehen.
Da kam Hallvarb hinzu und fagte: „Das will der Jarl, daß ihr alle
willflommen feib und Niemand Streit an euch fuchen fol." Der Jarl
1 [Fornald. 8. 2, 82:) pᷣvi öndverdir skulu ernir klöast med okkr; ſo
Hialto, bei Saro 8. II, ©. 46:
.. Certamina prima
Fronte gerunt aquile et rapidis se rictibus urgent
Anteriore loco: species vos alitis equet u, ſ. w.
agl. B. V, ©. 105: Anterius alites certant. Müller, Sagnhiſt. 57, Rote.
2 Eyarskeggjar.
4189
nahm Fridthjof und feine Gefährten wohl auf, fie blieben bei ihm ben
Winter über und waren fehr von ihm geehrt. Ich weiß,“ fagte Aus
gantyr zu Fridthjof, daß bu hieher geſandt bift, um Schatzung zu holen,
und darauf kamn ich bir gleich die Antwort geben, daß König Helgi
keine Schatzung von mir erhalten wird; aber du follft bon mir zur
Gabe fo viel empfangen, als du wünfcheft, und magft bu das Schakung
beißen, wenn bu willſt, oder anders, wenn dir's lieber iſt!“ Fridthiof
nahm ed an und im Frühling fuhr er ab von ven Orkneyen, nad
berzlichem Abfchied von Angantyr. Hallsard fuhr mit ihm.
Indeſs hatte fich daheim in Norwegen manderlei begeben. Fram⸗
nes war abgebrannt. Die Schweitern, bie den Sturm erregt, waren
beide mitten in der Beſchwörung vom Zauberftuhle geftürzt und hatten
beide den Rüden gebrochen. Im Herbit kam König Hring nad Sogn,
um Hochzeit zu halten. Es ward ein Gaftmahl angeftellt, bei dem er
Bermählung mit Angibjörg tranl. „Woher baft du dieſen koſtbaren
Ring,“ Sprach er zu ihr, „den du an deiner Hand trägft?“ Sie fagte,
ihrem Water hab’ er gehört. „Der ift von Fridthjof (Fridhjöfs nautr),*
verſetzte König Hring; „nimm ihn alsbald von der Hand! denn nicht
ſoll dir's an Gold fehlen, wenn du nah Alfheim kommſt.“ Da gab
fie den Ring Helgis Frau und bat fie, ihn Fribtbiof zu geben, wenn
diefer zurückläme. König Hring zog nun beim mit feiner Frau und
war ihr mit großer Liebe zugethan.
Als Fridthjof nah Framnes zurückkam, ſprach er: „Dieß Haus
iſt ſchwarz getvorben und bier haben nicht Freunde gewaltet“. Weiter
lang er;
Bormals tranlen wir
Auf Yramnes,
Nüftge Jünglinge,
Mit meinem Vater.
Berbrannt nun ſeh' ich
AU die Wohnung;
Königen hab’ ich
Übles zu Ihnen.
Fridthjof erflärte nım, daß er zuerſt die Schatung obliefern wolle.
Sie ruberten über bie Bucht nach Syrſtrand. Hier erfuhren fie, daß
bie Könige in Baldurshag beim Opfer (at disablöti) feien. Dahin
190
giengen nun Fridthjof und Björn, die Andern aber hießen fie indeſs
alle Schiffe, die in der Nähe waren, zerhauen. Yribtbjof trat allein
in die Thüren von Baldurshag: Björn mufte außen Wache halten.
Im Difarfanle fand Fridthjof nur menige Leute; die Könige waren
dort beim Opfer und faßen beim Trinken. euer brannte auf dem
Eftrih, dabei faßen ihre Frauen unb mwärmten die Götter, einige
falbten fie und trocineten fie mit einem Tuche. Fridthjof trat vor
König Helgi und ſprach: „Willſt du jet die Schagung empfangen?“
Damit ſchwang er den Beutel, worin das Silber war, Helgin auf die
Naſe, jo daß ihm zwei Zähne ausfuhren und er auf dem Hochſitz in
Unmacht ſank. Halfdan ergriff ihn, fo daß er nicht ind Feuer fiel.
Fridthjof fang:
Nimm du die Schatzung,
“ BVoltögebieter, .
Mit den Vorberzähnen,
Wenn's dir genug if!
Silber findft du
Im Grunde des Beutels,
Das Björn und ih
Dir eingetrieben.
Wenige Leute waren im Saale, denn bie Meiften tranlen an einer
andern Stätte. Als nun Fridtbjof hinausgehen mollte, fah er ven
koſtbaren Ring an der Hand von Helgis Yrau, die eben Baldum am
Feuer wärmte. Fridthjof griff nach dem Ringe, biefer aber wear feit
an ber Hand und fo zog er fie das Eftrih entlang nah der Thür.
Darüber fiel Baldur ins Fener. Halfbans Frau griff eilig nach Jener,
ba fiel auch der Gott, den fie gewärmt hatte, ins Feuer. Die Lobe
ſchlug nun in beide Götter, die zum voraus gefalbt waren, und von
da auf in das Dad, fo daß das Haus in Flammen ftand. Fridthjof
aber erhielt den Ring, eh’ er hinausgieng. Dann kehrte ex mit Björn
zur Bucht zurüd, Helgi, nachdem er fich erholt, und Halfdan eilten
mit ihrem Gefolge nad. Fridthjof und die Seinigen waren aber fchon
an Bord und ließen ihr Schiff wiegen. Die Schiffe Helgis fand man
zerhauen. Diefer warb panz rafend; er fpannte feinen Bogen, legte
einen Pfeil auf die Sehne und wollte nah Fridthjof mit folder Kraft
ſchießen, daß beibe Bogenenben zufammenbrachen. Als Fridthijof dieſes
191
ſah, ergriff es zwei Ruder auf Ellife und zog fie fo far! an, baf
beide in Stüde giengen. Dazu fang er:
Ich tüfste die junge
Ingibjörg,
Belis Tochter,
Sn Baldurshag.
So follen Ruder
Auf Eflidi
Beide brechen,
Die Helgis Bogen! .
Der Wind ſtrich vom Lande, fie fpannten die Segel und fuhren rafch
von dannen. Fridthjof beſchloß nun, nicht mehr in Norwegen zu bleiben,
fondern auf Vilingsfahrt auszuziehen. Nach feiner Abfahrt hielten bie
Könige Thing, erklärten ihn landesverwieſen und zogen all fein Eigen:
thum an fih. Halfdan nahm feinen Sit auf Framnes, wo er wieber
einen Hof aufbaut. Auch Baldurshag ftellten fie wieder ber. Das
war Helgin das Schlimmfte, daß die Götter verbrannt waren.
Fridthjof erwarb fih auf feinen Fahrten Reichthum und Ruhm.
Er vertilgte Übelthäter und graufame Bilinger, aber Bauern und
Kaufleute ließ er in Frieden. Nah drei Jahren legte er gegen ben
Winter oſtwärts in einer Bucht an und fagte feinen Kriegsleuten, daß
er hier ans Land gehen und den. König Hring und Ingibjörg befuchen
wolle, um ihre Liebe mit anzufeben; am Anfang bes Sommers follen
fie ihn hier wieder abholen; auf den erften Sommertag werd' er ein-
treffen. Als ein alter Salzbrenner 1 verkleidet und verlarvt gieng er
allein an Hrings Hof. Der König fand Gefallen an ihm und behielt
ihn den Winter über, bemerkte jedoch, daß er für den Ning, ben er
an der Hand trage, lange Salz gebrannt haben müfle Die Königin
fprach wenig mit ihm. Einjt als der König und Ingibjörg über einen
zugefrorenen See fuhren, brach das Eis unter ihnen; Fridthjof aber
lief Hinzu und riß den Wagen mit den Pferden heraus. » Als ver Früh:
ling kam und ber Wald ergrünte, zog ber König eines Tags mit feinen
Hofleuten aus, um fich am jchönen Ausjehen des Landes zu vergnügen.
Er kam mit Fridthjof im Walde fern ab von andern Menfchen. Hier
wollte er ſich ein wenig fchlafen legen. Fridthjof rieth ihm, lieber
1 Bol. Saro 3. VI, ©. 149, 1.
N
192
nad Haufe zu kehren. Der König aber legte fich nieber und fchlief
feft ein. Fridthjof faß neben ihm, zog fein Schwert aus ber Scheibe
und warf ed weit von ſich. Bald barauf erhob fih der König und
ſprach: „War das nicht fo, Fridtbjof, daß dir Manches in ben Sinn
kam, bem bu doch wohl widerſtandeſt? du ſollſt darum bei uns hoch
angeſehen ſein. Ich erkannte dich am erſten Abend, da du in die
Halle tratſt, und nicht ſobald ſollſt du von uns ſcheiden. Etwas Großes
mag ‘bir bevorſtehn.“ Als nun Fridthjof fortreiſen wollte, gab es
König Hring nicht zu: er fühle fein Ende nahe; Fridthjof ſoll nad
feinem Tode Ingibjörg haben und, bis feine Söhne erwachſen wären,
das eich verwalten. So geihah e8 auch. Helgi und Halfdan führten
ein Heer gegen Fridthjof, aber Jener warb getöbtet und Diefer mujte
fih unterwerfen. Rachdem Yribthjof den Söhnen Hrings das Reich
ihres Vaters übergeben, war er felbit Sylfelönig 1 über Sogni und
Halfdan ‘war fein fchagpflichtiger Herfe.
Diefe Saga, deren jetzige Abfafiung Müller (Sagabibl, II, 461)
dem Stile nad in das Ende des 13ten oder den Anfang des 14ten
Jahrhunderts fett, hat einen von ben bisher abgehandelten verſchiedenen
Charakter. Sie ift idyllenhaft in ber Darftellung des einfachen, häus⸗
Tichen Lebens an ben Höfen der norbifchen Fylkekönige, Herſen, Jarle;
fie ift romanartig in der tätigen Durchführung der Liebesgeſchichte
zwifchen Fridthjof und Ingibjörg. Das Myihifche dagegen greift viel
weniger bebeutfam ein, als in ben biöherigen Sagen. Zwar ift un
ein Blick eröffnet in Agirs und Rand tiefe Säle, wohin die Helben
nur goldgefhmüdt eingehen wollen. Diefe Weſen treten aber nicht
jelbft in die Handlung ein, wie etwa im Mühlenliede die Wellen, fonft
auch Ägirs oder Rans Töchter genannt, als riefenhafte Mühlmägde
bervortreten. Ferner ift zwar diefer Eaga die befonbre Verehrung
Baldurs eigentbümlich, aber auch dieſer greift nicht, wie bisber fein
Bater Odin, lebendig in das Ganze; nur fein tobtes Bild wird gefalbt
1 In Rorwegen gab e8 eine große Anzahl unabhängiger Gebieter von be
ſchränkter Macht, Fyllekösnige genannt, fylki, rn. provincia, tractus terre,
bis in ber Zten Hälfte des Iten Jahrhunderts Harald Schönhaar ih nad und
nad alle Übrige Stämme unterwarf und Gründer eines norwegiihen Reiches
wurde, das auf einem Lehensverhältnis beruhte. Ruhs, Handb. d. Geſch. d.
Mittelalters 768 f.
193
und gewaͤrmt unb geht zuleit im Teuer auf. Diefer Mangel an
mythiſcher Belebung wird auch nicht durch die Wärme der Empfindung
im Liebesverhältniffe Fridthjofs und Ingibjörgs vergütet. Es bericht
bierin, nach unfrer Gefühlsweife, einige Trockenheit. In ber ftarlen
Ratur der altnordiſchen Poefie liegt es, daß fie der Empfindung nur
in großartigen und gewaltſamen Berhältniffen Luft geben fann. Dex
Treuebund Hrolfd und Halfs mit ihren Kämpen, wie er fich im lebten,
gemeinfamen Kampf und über biefen hinaus bewährt, bietet weit mehr
kräftig Rührendes dar, als Frivtbiofs und Ingibjörgs unglüdliche Liebe.
Das eigenthümlichft Schöne ber Fribthjofsfaga berubt vielmehr in ber
unerfchütterlichen Yreudigleit des Helden. Als den Kern bes Ganzen
betrachte ich die trefflich durchgeführte Sturmfcene (C. 6). Sie ift am
reichſten mit Lieberftrophen ausgeſtattet, worauf auch Diefe Saga haupt: .
fächlich ſich zu gründen fcheint (Sagabibl. II, 461). Das Liebesleben in
Baldurshag war mit wenig Klang und Farbe bargeftellt, vielleicht war
auch davon urfprünglich wenig Andres erzählt, als was Fribtbjof auf dem
Meere fingt. Exft im Gebraus. der einftürgenden Wogen mwirb die Ems
pfindung wach und das echt nordiſche Liebeslied ift ein Gefang im Sturme.
Den mytbifchen Gehalt des Fridthjofsſaga flellt Bone weit höher,
als mir es möglich iſt. Bol. I, 298 bis 290. *** (Beli heißt in ber
Bölufpa ein Niefe, ven Freyr töbtet, der alfo mit Balbur nicht
einerlei fein Tann. Altheim, worauf Done mythiſche Bedeutung legt,
hieß aud eine Gegend bed alten Norwegens zwiſchen ben Strömen
Gotelv und Romelv. Lex. myth. 3a. Bögubr. €. 6; vgl. 6.10.) Das
Ergebnis dieſer ganzen Ausführung Mones, daß die Fridthjofsſaga
eine Glaubenöfehde zwiſchen Licht: und Waflervienern enthalte, fällt
zufammen, wenn man erwägt, daß Fridthjof keineswegs als ein be
fondrex Verehrer der Meeresgötter Agir und Ran erſcheint. Er bat
mit ben ungejtümen Meeresgewalten lediglich zu kämpfen. Björn jagt
einmal im Verſe (C. 7, ©. 83), wie fie achtzehn Tage lang am Schiff
ausfchöpfen muften, als’ Rans Kinder (die Wellen) den Meertreter
(das Schiff) ermüdeten. Agir und Ran, allervings vom Jotengeſchlechte,
fielen auch eben darum, wie bei bes Götterfage gezeigt morben, bie wilbe
Natur des Elementes dar. Um günftige Schifffahrt wird Niörb, ber
Bane, angerufen. Die Sage bietet überhaupt Fein inneres Verhältnis,
lemen irgend eingreifenben Gegenfat zwiſchen Balbur und den Reeres⸗
Upland, Sqriften. VIl. 13 |
194
göttern dar; Erſterer hätte ben Letztern dafür nur verbunden fein Tönnen,
daß fie dem Zerftörer feines HeiligthHums fo viel Drangfal antbun. Auch
der ſchöne, nachbarliche Freundesverkehr zwifchen den Vätern, die fid
gegenfeitig zum Mahle laden unb noch von den Grabhügeln aus über
den Sund fich beiprechen tollen, zeugt von keinem Glaubenzftreite. Bei
dieſer Beichaffenheit der mythologischen Hypotheſe in ihren Grundlagen
wird es feiner nähern Erörterung der einzelnen Umſtände bebürfen.
Für unwahrſcheinlich halte ich zwar keineswegs, daß Balbur in
dieſer Sage urfprünglich mehr innere Bebeutung gehabt, jeboch Zeine
elementarifche, fondern eine ethiſche. Wir baben in Balbur, bem
ſchönſten, lichteften der Aſen, ben Gott ber fittlihen Güte und Rein⸗
beit Tennen gelernt; feine Gattin Nanna ift nad) Mones eigener Er:
Märung (I, 430) die jungfräulide Unſchuld; in Baldurs bimmlifcher
Wohnung Breibablit (late fulgens), dem glängendften ber Götter:
fäle, kann nichts Unreines befteben, und fo ift auch das irdiſche Bal⸗
durshag der Saga vor aller Gewalttbat und Unreinheit gefreit. Aber
biefe ſagenhafte Freiſtätte ſelbſt könnte urfprünglich bloß mythiſche
Symbolik geweſen, oder, wenn auch im Norden wirklich einſt ein ſolches
Heiligthum beſtand, dieſes nur als die äußere Darſtellung einer Idee,
eines ſittlichen Baldurstempels zu betrachten fein. Eine ſolche ideale
Deutung wird jelbft buch den Wortfinn einiger erbeblicherer Namen
begünftigt. Baldurshagi (hagi m. pascuum, Lex. isl. I, 819, sep-
tum; vgl. Grimm, Gramm. II, 457) ift das Gehege ber reinen Sitte,
wie auch das Heiligthum der Saga mit einem hohen Baune (skidgardr)
umbegt if. In dieſe ſchützende Freiftätte ift bie Jungfrau gebracht,
deren Name Ingibjörg wenigſtens nach feiner zweiten, beutlichen Silbe
(björg, f. tegmen, refugium, Gramm. II, 486) wohl bieher pafst; ift
aber in ber erften, zweifelbaftern Silbe ein urſprüngliches y (ü) mit
einem ſtärkern i verwechielt, eine Verwechslung, bie überhaupt in ber
iBländifchen Ausfprache herkömmlich ift (Gramm. I, 284, mit Bezug
auf Raft), fo dürfte fih als Sinn des ganzen Worts ergeben: Jugend⸗
Schuß, geborgene Jugend (Yngi, n. juventus, obsol. nisi in com-
positis, hier Ingis-? Biden II, 489; Jngia, juvenescere, Lex. myth.
©. 6065, yngi, m. juvenis; ynga, f. virgo). Fridthjof endlich, der
Frieddieb, wäre Derjenige, der bie Friedensſtätte (dort war gridastadr,
grid, o..pax, securitas, fridr, m. pax), das Heiligthum der Unschuld
195
und Sitte, beſtiehlt. Allen, jo wie bie isländiſche Eaga jet bes
ſchaffen tft, weiſt auch ihr Altefter Beſtandtheil, bie Liederſtrophen,
nirgends beſtimmter auf ein lebendiges Eingreifen des Mythus von
Baldur hin. |
Manche der bisher erörterten Mythen und Sagen find von andern,
beſonders däniſchen Dichtern, Ohlenſchläger u. A., poetifch bearbeitet
worben. Beſonders aber hat neuerlich die ſchwediſche Bearbeitung ber
Fridthjofsſaga durch Ef. Tegner verdienten Beifall gefunden und durch
preifache Überfegung ins Deutfche 1 auch unter ung große Verbreitung
erlangt. Wenn nun gleich felbftändige poetiihe Behandlungen ber
alten Sape nicht in den Kreis unfrer Aufgabe fallen, fondern der Ge
Ichichte ber neuern Poefie angehören, fo jol ihnen doch da, wo fie
etwas zur Erläuterung unſres Gegenftandes beitragen können, nicht
abfichtlich aus dem Wege gegangen werden. Tegner bat in ver alten
Saga offenbar dasfelbe vermifst, mas auch wir außzuftellen fanden,
indem wir einestheild den Mangel an Wärme ber Empfindung und
des Colorits in der Darftellung von Fridthjoſs und Ingibjörgs Liebe
und anberntheil3 den Abgang der mythiſchen Belebung bemerklich machten.
Erfteres jedoch bezeichneten wir mehr nur als einen Mangel nad) ber
Gefühlsweiſe unferer Zeit. Eben darum aber mufte der neuere Dichter,
wenn er auch im Ganzen dem Gange ber Saga ziemlich getreu folgt,
bier feinen Stoff mit erhöhter Empfindung durchdringen und demgemäß
auch mit reicherem Yarbenglanze ſchmücken. Die mythiſche Begeiftigung
durfte zwar nur mittelft einer Idee herbeigeführt werben, welcher eine
allgemeinere, auch für unfere Zeit gültige Wahrheit und Bebeutung zus
fommt; hiebei fam aber allerdings zu Statten, daß ber Mythus von
Baldur gerade derjenige ift, der vor allen andern Theilen ber norbifchen
Mythologie der chriftlichen Anſicht am meiften zufagt. Auf diefe beiden
Punkte bat fi nun auch mefentlich Tegners poetifche Thätigfeit ger
richtet. In Beziehung auf ben erftern Punkt, bie Steigerung des Ge
fühls, fcheint mir die Zöfung der Aufgabe minder volllommen gelungen,
1 [&. v. Helwig 1826, 1844, 1853, Mohnile 1826, 1842, 1854, 1862,
Schley 1826, Mayerhoff 1835, Janſen 1841, Minding 1842, 1846, Berger
1843, 1854, 1859, 1866, Wollheim 1845, Heinemanıt 1846, 1862, Hart⸗
mann 1846, v. Leinburg 1855, 1865, A. Niendorf 1856, Lobedanz 1862,
Simrod 1863, Biehoff 1865, 2. Freytag 1867. Kurz.)
1%
nicht ſowohl darum, weil ber Held zumeilen doch allzu fentimental
wird (3. B. im 4ten Gef. Über]. von Amal. v. Helmig ©. 34:
Grin fleiget die Erb’ aus der Hülle von Schnee,
Und die Draden ſchwimmen auf blauer See,
Der junge Degen
Schaut träumend zum Mond nur, auf Waldes Wegen.
oder im Tten Gel. ©. 50:
So lang die Sonn’ in warmer Feier
Mit Purpurglanz das Thal erfüllt,
Wie rofig der Geliebten Schleier
Des Buſens Blumenwelt umbüllt,
So lang ir’ einfam ih am Strande,
Bon reger Sehnſucht Pein verzehrt,
Und fchreibe ſeufzend dort im Sande
Den theuern Ramen mit dem Schwert,
jondern bauptfählich darin fcheint mir ein Misftand zu fiegen ,‚ daß
Tegner neben biefer modernen Gefühlsmweife doc) auch von der altnor:
diſchen Heldenkraft nichts aufopfern wollte und jogar hierin noch Einiges,
was die Saga nicht enthielt, beifügte. Im 16ten Gel. (S. 144)- droht
Biörn, dem König Hring, wenn Fridthjof nicht wieder von deſſen Hofe
zurüdfomme, den Blutabler zu fchneiven, eine barbarifche Sitte, dem
lebenden Gefangenen den Rüden in der Form von Wblerflügeln auf:
zuſchneiden, bie wohl fonft in nordiſchen Sagen vorkommt, aber nicht
in der Fridthjofsſaga. Dann, im 17ten Gef. vom Gelag an König
Hrings Hofe (S. 149):
Und tüchtgen Julrauſch nahm ſich
Ein Jeder mit vom Schmaus;
wovon gleichfalls die Saga nichts enthält. Der 18te Geſang, Vikinger
Recht, fo mandes Schöne aud er enthält, zeigt boch vielleicht am
deutlichften die ungleichartige Zufammenjegung. Vgl. ©. 136 bis 140.***
Ein großer Theil der Vikingerſatzungen, welche den vorbern Theil
dieſes Geſangs ausmachen, find der Fridthjofsſaga fremd, vielmehr der
Saga von Half und feinen Reden entnommen und tragen ganz ben
Iräftigen Charakter diefer Saga. Daran reiht fih dann aber in ber
zweiten- Hälfte ein ſchwärmeriſcher Liebestraum, wie ihn Halfs Reden
niemals träumten, denen nur ihr gefallener Heldenkönig kampfmahnend
im Traume erjhien. Die Zufammenftellungen des Nordens und
197
N
Südens, in der malerifchen Poeſie der Neuern fo beliebt, find überhaupt
der innern Haltung und dem gleichmäßigen Charakter der Dichtungen,
dem Arbeiten aus einem Stüde, nicht fehr günftig.
Die Idee, wodurch Tegner das, was wir bie inythiſche Belebung
nannten, zu erjeßen fucht, ift Hauptfächlich im Schlußgefang, in folgenden
Worten bes Priefters an Fridthjof, in dem von ihm zur Sühnung feiner
That neu aufgebauten Baldurstempel, fchön ausgeſprochen. ©. 185 f.:
Ein jedes Herz hat feinen Balbur u. |. m.*** Dann noch bie Anknüpfung
an das Chriftlihe S. 188 f.: Was mar bie Meinung u. |. m. *** Auch
bon dieſer idealen Hebung bed Ganzen ftedhen die vorangeführten: Züge
norbifchen Ungeftims und finnlicher Kraftäußerung zu merklich ab.
Diele Bemerkungen follten dazu dienen, die bedeutenden Schwierig.
leiten der poetifchen Erneuerung der alten Sagenwelt zu veranſchau⸗
lichen, keineswegs aber die dichteriſchen Schönheiten des tegneriſchen
Werkes zu verfümmern.
Mit der Fridthjofsſaga fteht in Verbindung die Saga borsteins
Vikingssonar (Fornald. Sög. 1, 381 f., Fortids 8. II, 310 ff.)
Diefelbe handelt vom Vater und Großvater Fridthjofs und wäre darum
vor der Saga von ihm anzuführen geweſen, wenn fie überhaupt als
eine echt altertbümliche und nicht vielmehr als em erſt im 14ten Jahr»
hundert zur Fridthjofsſaga gebichtetes Seitenſtück zu betrachten mäte
(Sagabibl. II, 594 f.), weshalb wir uns auch nicht bei ihr verweilen.
Der Fall ift nicht jelten in der Sagengefchichte, daß die Väter der
Helden eigentlih ihre Söhne, d. h. die Erzählungen von den Vätern
neuer, al3 die von den Söhnen, und erft durch diefe veranlaßt find.
6.
Im genealogifhen Verhältnis der Abftammung ftehen folgende
vier norwegifche Sagenhelden: Ketil Häng, Grim Lodinfinn, Orvarodd
und An, der Bogenfpanner. Bon jedem berfelben iſt eine islänbifche
Saga vorhanden: Saga Ketils Hzengs, Saga Grims Lodinkinna,
Örver-Odäs Saga, Äns Saga Bogsveigis 1, ſämmtlich im 2ten Band
ber zafnifchen Fornaldar Sögur und bemfelben ber bänifchen Über⸗
ſetzung. Sagabibl. II, 525 ff.
1 At sveigia, flectere, curvare.
n
18
Da jedoch in diefen fänmtlihen Sagan nicht ſowohl organifche
Sagenbildungen, als willkührlich zufammengereihte Abenteuer enthalten
find, wenn auch neben den neuern Erbichtungen manches Altfagenbafte
bervortritt und die norbifche Farbe im Ganzen vorhanden ift, fo mag
es, bei der Menge bes noch zu verarbeitenden Stoffes, genügen, bie
ſelben litterariich angegeben zu haben.
Nur eine Sttuation, die und noch in anbern Sagenkreifen mehr:
fach begegnen wird, der Kampf bed Vaters mit dem Sohne, ohne daß
Einer den Andern kennt, bebe ich aus der lebten berfelben, von An,
dem Bogenfpanner, hervor (C. 7, ©. 251 ff. [Schriften I, 165.ff. K. ].
Weitere, hier nicht benannte, minder erhebliche und noch weniger
auf altertbümliche Überlieferung gegründete Sagan, größern und ge
ringern Umfangs, find in Müllers Sagabibliothei, beſonders den lebten
Abtbeilungen bes 2ten Bandes, verzeichnet.
Die bisher bargeftellten Heldenſagen berubten zunädft auf t#län-
diſchen Quellen, auf einigen Erzählungen der jüngern Edda, zumeift
aber auf den altnordiſchen Sagan; bei einigen wurden Saros- Berichte
‚zur Ergänzung ober Bergleihung benügt. Die nun weiter folgenden
Sagen finden ſich entweder bei Saro allein oder doch bei ihm am voll:
ftändigften und lebenbigften erzählt, jo daß umgekehrt isländiſche Nach⸗
richten bier nur auf ähnliche Weife angewendet werben, wie früher
Saxo für die Sagan.
7. Habbing. |
Saro 8. I, S. 9 fi. Miülter, Sagnhift. 20 bis 24. Lex. myth. 296 f.
Die Erzählungen von Habbing (Hadingus), dem Sohne Grams,
dem Sten in Saros dänifcher Königsreihe, nehmen ven größern Theil
feines erften Buches ein. Die Urfache, warum er diefen Helden unter
die älteften Dänenkönige verſetzt, ift, nad Müllers Bemerkung (&. 24),
ohne Zweifel in der uns ſchon befannten Anficht Saros zu ſuchen,
wonach er für bie erften Bewohner des Nordens die Niefen und für
die nächſten nad diefen die für Götter gehaltenen Zauberer erklärt.
Beide Klaſſen aber, Riefen und Götter, ſpielen in Haddings Gefchichten.
Ex wird bei Riefen erzogen und von Odin geſchützt, beleibigt die Götter
und ftiftet zur Sühne dem Gotte Fro (Freyr) ein Opfer, bejucht bie
Unterwelt u. |. w. Der mythiſche Charakter dieſer Erzählungen und
19
die vielen eingeftreuten Verſe mweifen auf hohes Altertbum bin und bie
Manigfaltigkeit der Abenteuer läßt auf eine ziemlich umfaflende Hab»
dingsſaga ſchließen. Aber mehreres Räthſelhafte im Einzelnen und
der unklare Zufammenbang des Ganzen gibt zu erkennen, daß bie
Überlieferungen, wie Saro fie vorfand, ſchon fehr an Berbunklung
und Berrifienbeit litten. Sch gebe darum auch nur einige Züge, bie uns
inbefondre Odins irbifches Walten noch weiter vergegentwärtigen können.
(S. 12 5.) Des Sünglings Habbing, ber verlafien umberirrte,
auf Rache für feinen erichlagenen Bater finnend, nahm fich ein alter,
einäugiger Mann an und verband ihn auf feierliche Weife mit bem
Bilinger (pirata) Lifer:
Siquidem icturi fedus veteres vesligia sua mutui sanguinis asper-
sione perfundere consueverant, amicitiarum pignus alterni cruoris com-
mercio firmaturi.
Dieß war, was man im Norden föstbreedre-lag 1, Pflegbrüberbund,
nannte. Der Name bat feinen Urfprung von dem fchon früher er:
wähnten genauen Verhältnis ziwifchen denjenigen, welche bei bemfelben
Pfleguater erzogen waren. Cin ähnliches, ja noch engeres Band knüpf⸗
ten auch Solche, bie fich nicht auf diefe Art fchon nahe ftanden, mit:
telft der von Saxo angebeuteten finnbilplihen Handlung. Dean jchnitt
nemli lange Rafenftüde auf, befeitigte fie an ben Enden in ber Erbe,
richtete fie auf und ſtützte fie mit einem Spieße; bann traten Diejenigen,
welche den Bund eingeben wollten, darunter, verwundeten fich, ließen
ihr Blut zufammenfließen und vermifhten es mit Erbe, fielen fofort
auf die Kniee und ſchwuren bei ven Göttern, Einer des Andern Tob
zu räcden, wie Brüder (nad dem Geſetze der eigentlichen Blutöver:
wandtſchaft), worauf fie ſich die Hände reichten und fortan Pflegbrüder
hießen. Durch ein ſolches Bündnis mit dem Bilinger Lifer ſucht der
einäugige Greid den Jüngling Hadding zu ſtützen.
Liſer und Habbing befriegten nun zufammen Lolern ?, den Häupt-
Img der Kurländer (Curetum tyrannum), wurden aber von ihm über:
wunden. Den fliehbenden Hadding brachte der vorerwähnte Greis auf
feinem Roſſe nad) feiner Wohnung, erquidte ihn durch ein Föftliches
i Föstro, nutrire; föstr, n. educatio, nutricatus. Brœdra, gen. pl.
von brödir, frater. Lag, n. lex, jus, societas, fedus. [Schr. L, 139. 269 ff. &.]
2 Geijer ©. 208, N. 10 will in diefem Loler Lokin finden,
200
Getränk und verhieß ihm davon einen Zuwachs feiner Korperkraft.
Dabei verkündete er dem Jüngling Folgendes im mahnenden Liede
(eujus augurii monitum hujusmodi carmine prabavit): Hadding
werde vom verfolgenden Feind ergriffen werden, um ihn gefeſſelt zu
halten und den wilden Thieren vorzuwerfen; dann ſoll er ſeine Wächter
mit mancherlei Erzählungen überhäufen und, wenn fie eingeſchlafen,
ſeine Bande ſprengen. Hierauf ſoll er mit ganzer Kraft einen
Löwen angreifen, der die Gefangenen zu zerfleiſchen pflege. Wenn er
dieſen mit dem Schwerte durchbohrt, ſoll er das warme Herzblut des⸗
ſelben trinken und das Herz verzehren, davon werd' ihm neue, gewal⸗
tige Stärke zulommen. Er, der Beraiber, werde felbft die Wächter
in Schlaf ſenken und darin fefthalten. Nach Diefem brachte der Alte
den Süngling auf dem Pferde zur vorigen Stelle zurüd, Hadding,
der durch die Öffnung des Gewandes, mit dem er bedecktt war, ſchüch⸗
tern hinausblickte, ſah, wie das Rofs über dem Meere bineilte; auf
des Alten Warnung aber wandte er die erftaunten Augen von bem
ſchauderhaften Wege. Er wurde nachher wirklich von Lokern gefangen
und Alles ergieng, wie ihm voraus verfünbigt war.
(S. 20.) Als fpäterhin Hadding einem gewiſſen Thuning, der ihn
mit einer Hülfsſchaar von Biarmiern (Biarmeland, Permien, bie Gegend
am weißen Meer und ver Divina, deren Bewohner für ſehr zauberfundig
galten) befriegen wollte, entgegenzog und mit feiner Flotte Norwegen
porüberfuhr, jah er am Ufer einen Greis, der eifrig mit dem Gewand
winkte, daß man an der Küfte anfahren folle. Habbing nahm ihn an
Bord, obgleich feine Gefährten nicht wollten, daß man fich bamit ver-
weile. Er empfieng nun won biefem Frembling die Antweifung zu einer
neuen, feilförmigen Schlachtorbnung. Im Kampfe ſelbſt ftellte ber
Greis fih hinter die Reihen, zog aus ber Tafche, die ihm vom Nacken
bieng, einen Bogen, der anfangs Hein erichien, bald aber fi; weiter
ausbehnte, und legte an bie Sehne zehn Pfeile zugleich, die, mit kräf⸗
tigem Schuß auf die Feinde gefchnellt, eben fo viel Wunden bobrten.
Die Biarmier führten durch BZauberlieber ungeheure Regengüfle bexbei,
aber ver Greis vertrieb burch Sturmgemwölf den Regen. Habbing fiegte
und der Alte fchied, indem er ihn-ermahnte, glänzende Kriegszüge den
submlofen, ferne den nahen vorzugiehen, und ihm ben Tod, nicht
durch Feindesgewalt, ſondern durch eigene Hand, weiſſagte.
201
Auh in dieſer Sage erjcheint Odin als Erwecker und Kräftiger
junger Helden. Denn baß ber einäugige Greis Odin fei, wenn er auch
nirgends genannt wird, Tann uns nach feinem ähnlichen Auftritt in
andern Sagen nicht zweifelhaft fein. Er ftiftet die Blutbrüberfchaft
zwiſchen Habbing und Lifer, diefen Bund zu Heldenwerl und Blut:
rache. Der Jüngling, ver auf Baterradhe ſann, mar ihm befonders
genehm. Auf feinem Rofje, dem achtfüßigen Sleipnir, bringt er den -
Süngling aus der Schlacht nad, feiner Wohnung, nad Walhall, und
erfrifcht ihn dort mit einem köſtlichen Tranfe (suavissime cujusdam
potionis beneficio), worunter wir den begeifternden Euttungsmeth,
den Odin den Zivergen abgeivonnen, zu verftehen haben. Der Löwe,
von deſſen Herzen und Herzblut Hadding nad Odins Rathe genießen
fol, ift hier etwas frembartig; in ber Hrolfsfage wird Ähnliches mehr
nordiſch von einem Bär erzählt. Überhaupt will die doppelte Stärkung
burch den Göttertrank und durch Thierblut nicht recht fo nahe zufammen-
paflen, beides mag in ber urjprünglichen Geftalt der Sage weiter aus
einander gelegen fein. Schön' iſt, wie ber Jüngling unter dem Mantel
bervorlaufcht und auf die fchauberhafte Bahn des Roſſes berabfieht;
hier erweift fich völlig der durch die Luft hinſchwebende Sleipnir. Als
Erfinder und Lehrer der Feilfürmigen Schlachtordnung, die man wegen
ihrer Ahnlichleit mit der Form eines Schweinslopfes Svinfylking (fyl-
king, F. acies) nannte, wird uns Odin noch ferner Begegnen. Als
Theilnehmer an der Schlacht fanden wir ihn aud in der Hrolfsfage.
Daß enblih ter Günftling Odins eines gewaltfamen Tobes ſterbe,
ift nicht anders zu erwarten,. ba er ohne eine ſolche Todesart nicht
nach Walhall kommen könnte.
8. Reguer.
Sarı B. U, S. 29 bis 32. 38. Milller, Sagnhiſt. ©. 26.
Diefe Erzählung reiht ſich infofern an die vorige von Hadding an,
als in ihr eine Tochter dieſes Helden auftritt; aud bat fie gleichfalls
mythiſches Gepräge und ift mit Verſen durchwoben. Vielleicht war jie
der größern Haddingsſaga, deren einftiges Vorhandenſein wir vermuthet
haben, angehängt.
Thorild, die Wittwe des Schwedenkönigs Hunding, haßte ihre
202
—
jungen Stiefſöhne, Regner und Thorald, auf das Außerſte, würdigte
ſie zum Hirtendienſt herab und ſuchte, ſie in mancherlei Gefahren zu
verwickeln. Da machte ſich Svanhvit (Suanhuita, Schwanweiß), bie
Tochter Haddings, mit ihren Schweſtern, die fie fich zum Gefolge
nahm, nach Schweden auf, um den Untergang jener edeln Sprößlinge
abzuwenden. Sie fand die beiden Jünglinge, welche zur Nachtzeit die
Heerden hüten muſten, von mancherlei geſpenſterhaften Weſen um⸗
ſchwärmt; ihren Schweſtern, bie von den Pferden ſteigen wollten, ver⸗
bot fie dieſes, indem fie ben Geſpenſterſpuk folgendermaaßen (tali poe
matis sono) fhilberte:
Monstra quidem video, celerem captantia saltum,
Corpora nocturnise precipitare locis.
Bella gerit deemon, et iniquæ dedita rixe
Militat in mediis turba nefanda viis.
Effigie spectanda truei portenta feruntur,
Hecque hominum nulli rura patere sinunt,
Agmina, preeipiti per inane ruentia cursu,
Hac nos progressum sistere sede jubent.
Flectere lora monent, sacrisque absistere campis,
Arvaque nos prohibent ulteriora sequi.
Trux lemurum chorus advehitur, precepsque per auras
Carsitat et vastos edit ad astra sonos.
Accedunt Fauni Satyris, Panumque caterva
Manibus admixta militat ore fero.
Silvanis coeunt Aquili, Jarveque nocentes
Cum Lamiis callem partieipare student,
Saltu librantur Furie, glomerantar eisdem
Larve, quas Simis Fantua juncta premit,
Calcandus pediti trames terrore redundat,
Tutius excelsi terga premantur equi.
Zu wünfchen wäre, baß uns Statt ber römiſchen Namen biefer Spul:
geifter die entiprechenden norbilchen Benennungen der Theilnehmer an
diefem nächtlichen Reigen erhalten wären, wiewohl wir einige berfelben,
Alfer, Veettir u. ſ. w., vermuthen können.
Regner, der ältere der Königsſöhne, tritt berzu und bemerkt, daß
man fie nicht auch für Gefpenfter halten folle, fie ſeien Hutknechte über
die Tönigliche Heerde und weil fich diefe verlaufen, während fie ihre Spiele
203
getrieben, haben fie aus Furcht vor der Züchtigung nicht zu ihrem Herrn
heimzukehren gewagt. Als jedoch Spanhpit den ſchönen Jüngling ſchär⸗
fer betrachtete, ſprach fie: „Von Königen, nicht von Knechten, ſtammſt
du, das verräth mir der leuchtende Glanz deiner Augen.“ Sie rieth
ben Jünglingen, eiligſt von dieſem unheimlichen Wege zu weichen, da⸗
mit ſie nicht dem nächtlichen Spuke zur Beute würden. Regner, ſeines
ſchlechten Aufzugs ſich ſchämend, erwiderte, nicht immer ſei Knechtes⸗
ſtand von Mannheit entblößt und oft ſei vom grauen Kleid (atra veste)
eine ſtarke Hand umſchloſſen. Er ſelbſt fürchte keine geſpenſtiſche Macht,
mit einziger Ausnahme des Gottes Thor, mit deſſen Stärke nichts
Menſchliches noch Göttliches verglichen werden könne. Vergebens ſuche
die Jungfrau, feinen Muth wankend zu machen. Svanhyvit bewunderte
die Entfchloffenheit des Jünglings und indem von ihrer jungfräulichen
Geftalt das Dunkel wid) und ein wunderbarer Lichtglanz fich über fie
verbreitete, bot fie Regnern ala Brautgefchent ein herrliches Schwert
dar, mit dem er die Nachtgeipenfter befämpfen Tünne und das er aud)
in Zulunft ala Held würdig gebrauchen folle. Diefe Ermahnungen
fand Saro gleichfalls in Liedesform vor (coaptato rhythmorum canore)
und gibt fie wieder in lateinifchen Diſtichen. Regner kämpft nun die
ganze Nacht hindurch mit diefem Schwerte gegen die Ungethüme; denn
nicht paſſend erfcheint ed, nach dem Vorigen, wenn Saro auch dieſen
Kampf der Jungfrau zufchreibt, die ja dem Königsjohne eben dazu
das Schwert gegeben:
In gladio, quo monstra tibi ferienda patebunt,
Suscipe, rex, sponse munera prima tue!
Am Morgen fand man das Feld mit mancherlei Larven bebedt
und darunter auch Thorilds, der böfen Stiefmutter, Geftalt, mit vielen
Wunden; fie wurden alle auf einem großen Scheiterhaufen verbrannt.
Negner ward nun König von Schweden und die Retterin Svanhvit
feine Gemahlin.
Noch wird weiter, zum Theil weniger Mar, erzählt, wie der Dänen:
fönig Frotho, Syanhvit3 Bruder, darüber aufgebracht, daß fie ohne
jeine Buftimmung ſich vermählt, ihr in Schweden eine große Schlacht
geliefert habe, mie er, nad) dem ungünftigen Ausgang derſelben, bei
Nacht ein Boot beftiegen, um Gelegenheit zu finden, die feindlichen
Schiffe zu burchbohren, wie aber Svanhvit, die gleichfalls nächtlicher
204
Weile allein umbergefchifft, ihn darüber ergriffen und zum Frieden
beivogen. Als in der Folge Regner geftorben, fei ihm feine Gemahlin
in Kurzem aus Kummer um ihn nachgefolgt (S. 38).
Auch die Eage von Regner und Evanhvit fällt ganz in den odi⸗
niſchen Mythenkreis. Svanhyit ift eine irdiſche Valkyrie. Wir finden
auch in einem der heroiſchen Eddalieder (dem von Bölund) eine Val:
fyrie Svanhvit zugenannt und diefed mar überhaupt darum ein ges
eigneter Valkyrienname, weil dieſe Wefen öfters in Echwangeftalt er
fcheinen. hr Beruf, ala Dienerinnen Odins, ift beſonders auch ber,
die noch Schlummernde Kraft jugendlicher Helvenfühne zu wecken. Wir
werben noch fernere Beifpiele finden, mie bie leuchtende Erſcheinung
der Balfyrie den hindämmernden Jüngling aufruft, wie er von ‘ihr
das wunderbare Heldenſchwert empfängt und mit ihr durch unzertrenn⸗
liche Liebe verbunden wird. Die Valkyrien reiten durch die Luft, im—
mer in ber Mehrzahl, daher heißt es, daß Svanhvit ihre Schweftern
zum Gefolge genommen babe (sororibus in famulitium sumfis); fie
verbietet ihnen, abzufteigen; auf ihren LZuftrofien fchmebend, erweiſen
die Valkyrien auch fonft ihre fchügende Gegenwart gegen bömonifche
Mefen, die ihren Günftlingen zu ſchaden drohen. Das nächtliche Umber:
ſchweifen Svanhvits, auf dem fie ihrem Bruder Frotho begegnet, der
die Echiffe durchbohren will, mag gleichfalls urſprünglich eine ſolche
Balfyrienfahrt geweſen fein. Da von den Valkyrien jpäterhin aus:
führlich zu handeln ift, fo babe ich bier nur fo viel angedeutet, als zur
Erflärung der Heinen Eage zunädft nöthig war. Die böfe, burd)
fhäblichen Zauber wirkende Stiefmutter ift in Sagen und Märchen
herkömmlich. Die Auszeichnung der von ben Göttern ftammenben
Königsgefchlechter durch den Augenglanz werben wir anderwärts noch
in auffallendern Zügen wiederfinden 1.
Die Sage von Regner und Svanhyit ift auch in der Darftellung
Saxos noch von unverfennbarer poetifher Schönheit. Aus der un
heimlihen Geſpenſternacht leuchten erſt ahnungsvoll die Augen des
Königsſohns und fteigt dann die lichtglänzende Geftalt der jungfräu⸗
Iihen Valkyrie auf; und fo durchdringt auch ber inwohnende Glanz
ber Sage noch immer bie werbunfelte Überlieferung.
1 [Schriften I, 224. 8.)
. 205
9. Amleth.
Saro B. II, ©. 68. 8. IV, &. 87. Müllery Sagnhiſt. 42 bis 44.
Rorik, König von Dänemark, übertrug nach dem Tode Gervendills
deflen Söhnen, Horvendill und Fengo, die Nachfolge in der Statt:
halterjchaft über Jütland. Horvendill vollführte ala Seeheld jo gewal⸗
tige Thaten und ließ bavon dem König fo veiche Beute zufommen, daß
er deſſen Tochter Geruth zur Gemahlin erhielt, mit ber er einen Sohn,
Amleth, erzeugte. Solch hohes Glück ſeines Bruders entzündete Neid
und Haß in Fengos Bruſt. Er ſann auf Nachſtellungen, und als ſich
Gelegenheit ergab, vollbrachte er mit blutiger Hand den Brudermord.
Zu dieſer Gewaltthat geſellte er noch die ehebrecheriſche Verbindung
mit der Wittwe des Getödteten. Den Mord beſchönigte er damit, daß
derſelbe zur Rettung Geruths vor dem Haß und Jähzorn ihres Ge:
mahls gefchehen fei. Amleth, des Ermorbeten Sohn, der diefem Treiben
zujah und feinem Oheim verbächtig zu werben fürdhtete, ſuchte, ſich
durch den Schein des Blöbfinns zu ſichern. Schmutzig und entftellt
gieng er umher; was er ſprach und that, hatte das Gepräge beg Aber:
witzes. Manchmal ſaß' er am Herbe, Tehrte die Kohlen mit den Hän⸗
den zufammen und ſchnitzte krumme Stäbchen von Holz, bie er dann:
am Teuer härtete und mit Widehraken verfah; diefe Stäbchen fammelte
und verwahrte er forgfältig. Wenn man ihn fragte, was er damit
wolle, gab er zur Antwort, er forge für fcharfe Gefchoffe zur Vater
race. So viel darüber gelacht wurbe, jo erregte doch die Gefchidlich
feit, die er bei biefer Handarbeit zeigte, den Verdacht ber klügern Ber
obachter. Dieſe glaubten nun, die entſcheidendſte Probe werde die fein,
wenn fie ihn an einfamer Stelle mit einem Mädchen von ausgezeich⸗
neter Schönheit zufammenführten; dem euer der Liebe werde die Ver
ftelung weichen. Zu diefem Zwecke follten Einige vom Hofe mit dem
Süngling abwegs in den Wald reiten. Unter ben Begleitern war aber
zufällig ein Milchbruder (collacteus) Amleths, der ihn warnte. Am:
leth wuſte jelbft ſchon, woran er war. Gleich als man ihn zu Pferde
fteigen hieß, fette er fich verkehrt auf dazjelbe und zäumte e8 beim
Schweif auf. Bei dieſem ſonderbaren Ritte ſtießen ſie im Geſträuch
auf einen Wolf; als die Begleiter dieſen für ein Füllen ausgaben,
bemerkte Amleth, allzu wenig ſolche laufen (militare, ohne Zweifel das
⁊
\ |
206
— — — — —
doppelſinnige herja, heerfahrten und verheeren) in Fengos Heerde,
womit er verſteckt genug ben Beſitzthümern feines Oheims Übles an-
wünſchte. Sie kamen am Meeresufer vorbei, wo das Steuerruder
eines geſtrandeten Schiffes lag; Amleths Gefährten verſicherten, ſie
hätten ein Meſſer von ausnehmender Größe gefunden. „Man muß
auch einen großen Schinken damit ſchneiden“, bemerkte Amleth, wor:
unter er das Meer verſtand. Als ſie nachher auf Dünen trafen und
man ihm das Sand als Mehl zeigte, gab er zur Antwort, die Stürme
bes Meeres haben es weiß gemahlen. Die Begleiter lobten feine Ant:
port und er verficherte, daß fie mit Verſtand gegeben jei. Nicht min:
der fchlau und behutſam benahm fih Amleth in der Zufammenfunft
mit dem Mädchen, in dem er eine Pflegſchweſter wiederfand.
Da auch diefer Verſuch der Ausforfchung fehlgeichlagen war, fo
vieth einer der Freunde Fengos ein andres Mittel an; Fengo jolle ſich
unter dem Vorwand eined dringenden Gefchäfts entfernen, Amleth
aber unterdeſſen allein mit feiner Mutter in ein Gemad) eingefchlofien
werben, nachdem man zuvor für einen Mann gejorgt, der ohne Beiber
Wiffen an einer verborgenen Stelle das Geſpräch derfelben belaufce.
Dem Ohre ver Mutter werde ber Sohn, ivenn er etwas zu fagen habe,
Diefes unbevenklich eröffnen, ihrer Treue fich ungefcheut anvertrauen.
Der Nathgeber felbft erbot fich zum Dienfte des Horchers. Fengo gab
dem Borfchlage feinen Beifall und entfernte fi unter dem Vorgeben
einer weiten Reife. Der aber, der ven Rath ertbeilt, hatte fih in
dem Gemace, morin Amlethb mit feiner Mutter verfchloffen wurde,
unter Stroh (stramento) verftedt. Amleth wuſte fi auch gegen biefe
Nachftellung zu helfen. Einen Lauſcher argwohnend, lief er zuerft nad)
jeiner angenommenen, tbörichten Weife umher, krähte wie ein Hahn,
fhlug die Arme, wie Flügel, auf und nieder und ſchwang fi in
wiederholten Sprüngen auf dem Stroh, um zu erforfchen, ob Jemand
darunter verborgen ſei. Als er nun etwas unter feinen Füßen fpürte,
ftach er mit dem Schwert hinein und durchbohrte fo den Horcher. Den
Leihnam brachte er hinaus, zerhieb ihn in Stüde und warf ihn fo
den Schweinen vor. Dann kehrte er in dad Gemach zurüd. Als nun
die Mutter den Wahnwis des Sohnes heftig zu bejammern begann,
bub er an, ihr ftrenge Vorwürfe darüber zu machen, daß fie mit dem
Mörder ihres Gemahls in ſchamloſer Verbindung lebe, ſagte ihr, daß
207
er nicht ohne Grund den Schein der Thorbeit angenommen, da Der
jenige, ber feinen Bruder gemorbet, unzweifelhaft auch gegen feine
Bertvandte wüthen würde, daß er den Entjchluß der Vaterrache un⸗
verrüdt in der Seele trage und nur den gelegenen Zeitpunkt erwarte;
gegen ein finftres und hartes Gemüth bebürfe es tieferer Anſchläge.
Ihr aber fei es überflüffig, des Sohnes Unverſtand zu beflagen, ba
fie mit mehr Recht ihre eigene Schande beweinen follte; übrigens werde
fie zu jchweigen willen. Durch den Stachel foldher Reben erwedte er
in ber Mutter das Gefühl ver Pflicht und das Andenken der früheren
Liebe. _
Fengo konnte bei ferner Zurückkunft nichts über feinen Kundſchafter
erfragen, denn die Auskunft, "welche Amletb gab, daß er von ben
Schweinen verzehrt worben jet, wurde nur belacht. Da er gleichwohl
feinen Stiefjohbn immer mehr des Truges verdächtig hielt, aber aus
Scheue vor dem Großvater bed Sünglings, dem König Rorik, und vor
der Mutter ihn nicht felbft aus dem Wege zu räumen mägte, beichloß
er, fih zu diefem BZivede des Königs von Britannien zu bebienen.
Amleth wurde dahin gefandt; vor feiner Abreife aber gab er feiner
Mutter auf, die Halle mit einem nehartigen Gewebe zu befleiven
(textilibus aulam nodis instruat) und nad Jahresfriſt fcheinbar fein
Begängnis zu feiern; auf biefelbe Zeit werd’ er zurückkommen. Mit
ibm reisten Zwei vom Hofgefinde Fengos, die auf Holz gejchnittene
Runen mit fi führten, woburh dem König der Briten bie Ermor-
bung bes ihm zugeichidten Jünglings aufgetragen wurde. Dieſe Runen
las Amleth, als feine Begleiter jchliefen, fchabte fie ab und fette an
ihre Stelle andre, worin der Auftrag ber Tödtung gegen bie beiden
Gefährten umgewandt und der König zugleich erſucht murbe, feine
Tochter dem Eugen Sünglinge, der ihm geſandt werde, zur Ehe zu
‚geben.
In Britannien angelommen überreichten die Gefandten ihre Rus
nenbotichaft. Der König’ ließ fich nichts merken und nahm fie gaft-
freundlich auf. Beim Mahle verichmäbte Amleth, zum Erftaunen Aller,
Tran? und Speife des Föniglichen Tifches. Um die Urjache davon zu
erkunden, ließ der König in der Nacht die Geſpräche der Gäfte belau-
chen. Auf Befragen feiner Begleiter äußerte Amleth, das Brot babe
nach Blut gefchmedt und das Getränt nach Eifen. Er fügte Hinzu,
208
der König habe Inechtiihe Augen und die Königin habe in ihrem Be
nehmen Ciniges von den Sitten einer Magd gezeigt. Der König, dem
Dieſes binterbracht wurde, ftellte Nachforſchung an und es fand ſich,
daß das Getraide zu dem Brot auf einem Schlachtfeld gewachſen, das
mit Gerfte (farre) vermifchte Waſſer aber aus einer Quelle geſchöpft
var, in ber werroftete Schwerter audgegraben wurden. Nach der Er
zählung Andrer (alii referunt) fol das Getränf, ver Meth, einen
Todtengeruch gehabt haben, weil die Bienen vom Fett eines Leichnams
genoſſen hatten. Weiter erfuhr der König durch das Geftänbnis feiner
Mutter, daß er der Sohn eines Leibeigenen fei, fowie fih au ergab,
daß feine Gemahlin von einer Gefangenen geboren war. Indem er
nun in den Iharffinnigen Beobachtungen Amkeths (vgl. die Sagen von
Merlin) einen übermenſchlichen Geift verebrte, nahm er feinen Anftand
mehr, feine Tochter ihm zur Ehe zu geben. Die beiden Begleiter aber
ließ er, nach dem vermeintlichen Begehren feines Freundes, am folgen:
den Tage auffnüpfen. Amleth, der ſich hiedurch beleibigt anftellte,
erhielt noch vom König Gold zur Sühne, welches er nachher ſchmelzen
und in bohle Stöde gießen ließ.
Nachdem er ein Jahr dort geblieben, nahm er Urlaub zur Rüd:
fehr in fein Vaterland; von allem Reichthum bes königlichen Schatzes
aber führte er nichts mit fih, als die mit Gold gefüllten Stäbe. So-
wie er Jütland erreichte, nahm er wieder die alte lächerliche Weife
an. Mit Schmuß bebedit trat er in das Haus, mo eben feine Leichen:
feier gehalten murbe, zum gröjten Erſtaunen Aller, indem ſich das
Gerücht von feinem Tode verbreitet hatte. Zulebt löste fi der Schreden
in Gelächter auf. Als man ihn nun auch nad) feinen Begleitern fragte,
wies er feine Stäbe vor und fagte: „Hier iſt der Eine und hier der
Andre." Statt der Getöbteten zeigte er die für fie empfangene Buße.
Hierauf gefellte er fi, um bie Heiterkeit der Gäfte zu vermehren, den
Schenken zu und verrichtete fein Amt mit vielem Eifer. Damit fein
weites Gewand ihn nicht im Gehen hindern möchte, umgürtete er bie
Hüfte mit einem Schwerte, das er abfichtlich öfters-entblößte und füh
damit die Fingerfpigen vertvundete. Die Umftehenden ließen deshalb
durh Schwert und Scheide einen eifemen Nagel fchlagen. Nachdem
er nun den eveln Gäften fo lange mit Trinken zugeſetzt, bis fie Alle
ſchlafend in der Halle umberlagen, fchien ihm bie Zeit zur Ausführung
209
feines Vorhabens gelommen zu fein. Die von feiner Mutter gewobene,
nehartige Wandbedeckung ließ er berabfallen, ſchlug fie über die Schla-
fenden ber und ſchürzte fie mittelft der Irummen Stäbchen, die er einft
gefertigt, fo unauflöslich zufammen, daß Keiner von Denen, die dar⸗
unter lagen, mit aller Anftrengung wieder aufguftehen vermochte. Dann
warf er Feuer in bad Haus, die Ylamme griff weit um und verzehrte
bie Königshalle.mit Allen, die barin noch im tiefen Schlafe lagen oder
vergeblich fih zu erheben ftrebten. Hierauf gieng er in das Schlaf:
gemach, wohin Fengo früher gebracht worden war, und vertaufchte das
Schwert, das an deſſen Lager bieng, mit bem feinigen. Nun medte
er den Oheim mit dem Rufe, feine Hofleute gehen im Feuer unter,
Amleth fei hier, mit feinen Krummftäbchen bewaffnet und begierig, für
den Tod jeines Vaters die Strafe zu vollziehen. Fengo ſprang auf;
indem er aber vergeblich das vernagelte Schwert zu ziehen fich abmühte,
fiel er unter Amleths Streichen.
Auch bier iſt Saxo voll vom Lobe des Rächers (©. 78):
Fortem virum æternoque nomine dignum, qui etultitiæ commento pru-
denter instructus, ®ugustiorem mortali ingenio sapientiam admirabili
ineptiarum simulatione suppressit, nee solum proprit salutis obtentum
sb astutis mutuatus, ad peterne quoque ultionis copiam eadem ductum
prebente ‚pervenit. Itaque et se solerter tntatus, et parentem strenue ul-
tus, fortior an sapientior existimari debeat, incertum reliquit.
Ein zweiter Theil ver Sage erzählt nun (8. IV) die meitern
Schickſale Amleths, der durch allgemeinen Zuruf an bie Stelle feines
Oheims erhoben wird. Auf einem Schilde läßt, ex feine ganze Ge
fchichte bis zum Vollzug der Vaterrache abbilden. Bon feinem Schwäher,
ber einft mit Fengo die Verpflichtung eingegangen, je Einer des An-
dern Tod zu rächen, wird er binterliftiger Weife auf eine gefährliche
Werbung um die fchottifche Königin Hermutrub ausgeſchickt, bie alle
ihre Freier umbringen läßt. Nach manchen Abenteuern und Kriegs:
thaten fällt er endlich in Jütland in einer Schladht mit dem Dänen:
Lönige Viglet. Saro bemerkt am Schlufle (S. 87): Insignis ejus sepul-
tura ac nomine campus apud Jutiam extat.
Die Sage von Amleth, in der Geftalt, wie fie von Saro gegeben
wird, verfündet fih durch ihre breite Ausführlichkeit, romanhafte Aus:
ſchmückung und gejuchte Spitfindigleit ala eine ſolche, die nicht
Nhland, Gcriften. VII. 14
210
unmittelbar aus dem frifhen Duell vollsmäßiger Überlieferung geſchöpft
ft Es find ihr auch Feine Verje, das gewöhnliche Zeichen alterthüm⸗
licher Grundlage, einverleibt. Sobann find zwar zwei i#länbifche
Sagan von Amleth vorhanden, allein beide find nur mehr ober we
niger frei nach Saxo bearbeitet (Sagnhiſt. S. 42,06. Sagabibl. III,
480°). Unter foldden Umftänden möchte ver norbifche Urſprung dieſer
Erzählung um fo zweifelhafter erjcheinen, als fie wirklich auffallende
Ahnlichkeit mit griechifcher und römischer Sage zeigt. Diefe Sagen-
verwandtihaft iſt namentlich in folgender Schrift nachgewieſen:
Bibliothek der Novellen, Märchen und Sagen, herausg. von Echtermener,
Henfchel und Simrock; auch mit dem befondern Titel: Quellen des Shalfpear,
in Novellen, Märchen und Sagen. 3 Thle. Berlin 1881.
Th. I, ©. 69 ff. ift der vordere Theil der Sage, joweit fie nemlich
mit Shakeſpeares Hamlet in Beziehung fteht, aus Saxo überfeht. Im
Th. III, der zugleich K. Simrods Anmerkungen und Erläuterungen
zu den in fänmtlichen drei Theilen enthaltenen Erzählungen enthält,
wird von ber Sage von Amleth (S. 162 bis 170) u. a. Folgendes aus:
geführt: ©. 164 ff. *** ze
Diefer Ähnlichkeiten, befonders mit der Sage vor Brutus 3, und
der jegigen, nichtalterthümlichen Beichaffenheit der Amlethſage uner⸗
achtet fehlt es ihr dennoch nicht an Anzeigen einer einheimischen Wurzel,
Bon Dänemark, mo fie felbft ihre Heimath annimmt, ausgegangen,
mag fie von isländiſchen Sagenmännern, bie fich bei fremben Stoffen
immer größere Willkührlichkeit erlaubten, frei behanbelt worden und fo
wieder Saron zugelommen. fein. Müller vermuthet (Sagnhiſt. 44),
daß Saro fie von dem Jsländer Arnold, den er fonft als einen Ge
währsmann anführt, erhalten haben könne. Borzüglich aber bemeift
das Brucftüd eines alten Stalvenliebes, in der Skalda (Sn. Edd. 126)
aufbewahrt, die frühe Belanntichaft des Nordens mit der Amlethfage;
1 Livii Histor. 8. L, 6. 56: Comes his additus L. Junius Brutue, Tar-
quinia sorore regis natus, juvenis longe alius ingenio, quam cujus simu-
lationem irduerat u. |. w. Ergo ex industria factus ad imitationem stultitie,
quum se suaque pred& esse regi sineret, Bruti quoque haud abnuit oogno-
men: ut sub ejus obtentu cognominis liberator ille populi Romani animus,
latens opperiretur tempora sua. Is tum ab Tarquiniis ductus Delphos, ludi-
brium verius, quam comes, aureum baculum, inclusum corneo cavato ad id
baculo, tulisse donum Apollini dicitur, per ambeges effigiem ingenii sui,
211
dort wird, wie fehon zum Grottafang angemerki worden, bad Meer
die Mühle genannt, in der einft neun Mühlmäbchen Amlodin! Ufer .
fand gemahlen, bezüglich auf die Antwort Amleths, als man ihm ben
Meerjand für Mehl ausgab. Auf örtliche Volksſage deutet Saro felbft;
wenn er fagt, daß noch ein Feld in Zütland durch Amleths Begräbnis
und Namen audgezeichnet fei, und noch in neuerer Zeit gibt es eine
Amlethsheide bei Biborg in Sütland (Sagnhiſt. 43). Das Triebrad
im Haupttheil der Sage ift auch ein echt norbilches, die Vaterrache;
und die goldgefüllten Stäbe find, meines Erachtens, nicht weniger
finnreih und eigenthümlih angebracht, als in der Sage von Brutus;
Amleth trug in denfelben das Wergeld für die beiden getöbteten Ge
führten (nach germanischen Begriffen gab es nur Erſatz, nicht Strafe,
für die Töbtung) und er fonnte darum, die Stäbe vorzeigend, mohl
fagen: Hic et unus et alius est. An ein eigentliches Entlehnen ber
einen Sage au2 der andern ift ſonach faum zu denken und die Frage
fällt mehr jener allgemeinen, wunderbaren Sagenvertwandtichaft zwiſchen
den verſchiedenſten Völfern anherm.
Shafefpeare, der den Stoff zu feinem Hamlet zunächſt au® einem
ältern Trauerfpiel gleichen Inhalts und einer englifhen Novelle, welche
ben tragijchen Erzählungen des Franzoſen Belleforeit entnommen mar,
gefchöpft zu haben fcheint (Quell. d. Shakeſp. III, 162), wobei jeboch
immer Saros Erzählung zu Grunde lag, hat auch aus diefer mehrere
beveutende Situationen feines Werkes bervorgebilvet: Amleths Pfleg⸗
fchwefter, durch die er verfucht werben fol, ift Opbelia; der Laufcher,
der erftochen wird, Polonius, und die Strafrebe, die Amleth an feine
Mutter richtet, hat auch ber große Dichter nicht verfhmäht. Aber bei
all der, von Simrod bezeichneten Verfchiedenheit in. der Antvenbung
des Wahnwitzes, athmet doc ſchon durch das Snnerfte der alten Am⸗
lethfage eine Ahnung von dem büfterhumoriftifchen Geifte bes Shake⸗
fpearifchen Trauerfpield. Jene. Proben des Scharffinns, die Amleth
1 Amblodi, m., qv. lodandi vid ambl, vir inaniter satagens, Pfufcher.
ambl, n. labor assiduus, vagus, ideligt Arbejde nden synderlig Feerdig-
hed :og Fremgang, Fusken. At loda, herere, henge ved. gl. Sagnh.
44 f. Angelf. emelli. Es kann fi) auf die krummen Stäbchen beziehen, bie
Amleth für Gefchoffe verfertigt. Eine der igländifhen Sagarı heißt Amballes
Saga. Bgl. Hamballe, Schmeller II, 197. Haimpel, hempeln, Pfuſcharbeit
machen u. ſ. w. ebend.
212
bei dem brittiichen König ablegt, find noch ſchon nicht mehr, wie Simrod
annimmt, bloße Beweiſe ber Sinnenfhärfe. Es zeigt ſich darin
jene unfelige Gabe, der Gewinn bitterer Erfahrungen, in allen Gegen
ftänden das Faule, Schlechte, Hinfällige zu witten und aufzufpüren,
im Getränfe den Roft, in der Speife den Tobtengerud), im Honig ben
Moder, in den Augen bes Königs und den Gebärben der Königin bie
Inechtifche Natur. Damit ift auch Shakeſpeares Hamlet gequält (5.155):
Wie ekel, ſchaal und flach und unerfprießlich
Scheint mir das ganze Treiben diefer Welt!
Pfuil pfui darüber! 'S if ein wüſter Garten,
Der auf in Samen ſchießt; verworfues Unkraut
Erfullt ihu gänzlich.
Ein andermal (S. 211)3
Es ſteht in der That fo übel um meine Gemüthslage, daß bie Erde,
dieſer treffliche Bau, mir nur ein kahles Borgebirge ſcheint; feht ihr, dieſer
herrliche Baldachin, die Luft, dieß wadre ummölbende Firmament, dieß maje
ftätifche Dach, mit goldnem Feuer ausgelegt, kommt es mir doch nicht anders
vor, als ein verpefteter Haud von Dünften! Welch ein Meiſterwerk ift ber
Menſchl mie edel durch Vernunft! wie unbegränzt an Fähigleiten! in Geſtalt
und Bewegung wie bebeutend und wunberwilrdig! im Handeln wie ähnlich einem
Engel! im Begreifen wie Ahnlich einem Gott! die Bierbe der Welt! das Bor
bild der Lebendigen! Und doch, was ift mir biefe Oninteffenz von Staube?
Endlich (©. 288):
Wir mäſten alle andre Kreaturen, um uns zu mäflen, unb uns ſelbſt
mäften wir für Maden. Der fette König und ber magre Bettler find nur ver-
ſchiedene Gerichte; zwey Schüfſeln, aber für eine Tafel. Das ift das Ende
vom Liede. Jemand könnte mit den Wurm fifchen, der von einem König
gegeffen hat, und von dem Fiſch effen, der ben Wurm verzebrte.
Diefer Hamlet bat recht den bittern Honig der Sage eingelogen;
bie alte Sage ift pa erfaßt, wo fie den tiefiten Anklang gab. Diefe
Durchdringung und Bergeiftigung des innerften Kerns, diefe Erneuerung
von innen beraus ift das bichterifche Verfahren beim Gebrauch alter
Sagenitoffe. Bei einem foldden können dann auch alle bloß zufälligen
Außerlichleiten wegfallen und in Shakeſpeares Hamlet finden wir ganz .
das Coftüm und die Sitten eines Hofes aus der Zeit bes Dichters,
ganz den Stand der geiftigen Bildung zu biefer Zeit. So gibt aud)
Herber (in dem Aufjag Iduna in den Horen, 1796, B. V, Heft 1,
213
bem beften wohl, was über die Anwendbarkeit der norbifchen Mythologie
in der deutichen Dichtkunſt gejagt worben) ven Gebrauch diefer Mythen
zu, wenn erft Idunas Apfel fie verjünge.
Böthe Hatte gleichfalls die Abficht, die Sage von Amleth nad
Saro frei zu behandeln (Quellen u. ſ. w. III, 173).
m
10. Ups. 1
Sr 8. IV, ©. 98 bis 96, 87. Svenonis Aggonis filii (Svend Aagefens,
ans dem 12ten Jahrhundert, er war gleichzeitig mit Saxo, ben er E.V, ©. 56
feinen contubernalis nennt, und ſchrieb um oder nach 1186. Langeb. I, 48)
compendiossa regum Danise historia, in 2angebel, Seriptor. rer. danic, T.L
Hafo. 1772. Fol. Gap. I. IL ©. 45 bis 47, Müller, Sagnhiſt. 46 bis 50.
Der Dänenlönig Wermund war alt geworden und hatte das Augens
licht verloren. Ihm mar erft in’ vorgerüdtem Alter ein Sohn geboren
worden, der zwar alle Sünglinge von gleichen Jahren an Körpergröße
überragte, aber von flumpfem Geifte zu fein ſchien. Er verhielt: fid
ftumm, lachte niemal® und nahm an feinem Spiele Theil (S. 87).
So hatte Wermund an ihm Feine Stüße und auch feines Volles An:
fehn mar ſehr gefunten. Denn es batte fich ereignet, daß zwei bäs
nifche Sünglinge, die Söhne des Jarls von Schleswig (Sleswicensium
preefecti, S. 87), mit dem fchwebifchen Könige, der ihren Vater ge
tödtet hatte, Zwei gegen Einen fämpften, war nur jo, daß der eine
Bruder, als dem andern ber Todesſtreich drohte, fich nicht mehr halten
fonnte und herzueilend den König erihlug (S. 92):
Quo facto plus opprobrii, quam laudis contraxit, quod in juvando
fratre statutas duelli leges solvisset, eidemque utilius quam honestius
opem tulisse videretur.
Diefer Stand der Dinge veranlaßte den König von Sachſen?,
Geſandte an Wermund abzuorbnen, die ihn aufforbern follten, das
1 [Bgl. zu diefem Abſchnitte Schriften I, S. 294. 295, 416. K. Simrod,
Beowulf, das ältefle deutſche Epos, überſetzt umd erläutert. Stuttgart und
Augsburg 1859. 8. ©. 167. 168. Saros Erzählung ift die Quelle von
Uhlands im Jahre 1804 entflandener, im Jahre 1814 umigearbeiteter Ballade
„Der blinde König“ in: Gedichte, zweiundfünfzigſte Auflage. Stuttgart 1868,
” 8 ©. 201 bis 203. -$.]
2 Bei Sven. Agg. ift es Alamannorum Rex, auch Imperator.
N
214
Reich, das er wegen Alters und Blindheit nicht mehr verwalten Tönne,
ihrem Herrn abzutreten. Hab’ er aber einen Sohn, der mit dem bes
Sachſenkönigs zu kämpfen wage, fo fol das Reich dem Sieger zufallen.
Wermund feufzte tief auf und fagte, mit Unrecht werd’ ihm fein Alter
vorgeworfen, denn nicht dadurch fei er zu feinem Ungläd fo alt ge
worden, daß er in feiner Jugend den Kampf gefürchtet. Selbft jet
noch -fei er bereit, den angetragenen Zweilampf mit eigener Hand aus:
zufechten. Die Gejandten. erklärten, daß ihr König fich nicht der Schmach
ausſetzen werde, mit einem Blinden zu kämpfen. Beſſer werbe die Sache
durch die Söhne ausgemacht. Da ſprach auf einmal, zum Eritaunen
der Dänen, Wermunds ftummer Sohn Uffo 1 und verlangte von feinem
Bater die Erlaubnis, den Gefanbten zu antworten. Wermund fragte,
wer biefe Erlaubnis von ihm begehre, und ald man ihm eriviberte,
fein Sohn Uffo, beflagte er, daß nicht bloß die Fremden, fondern aud
feine eigenen Diener feines Unglüds fpotten. Als aber Jene auf ihrem
Worte beharrten, ſprach er, es fteh’ ihm frei, wer es auch fer, feine
Meinung vorzubringen. Da ſprach Uffo zu den Geſandten, es fehle
tweber dem König an einem Sohne, noch dem Reih an Beichügern;
er fei entfchloffen, nicht bloß den Sohn ihres Königs, fondern auch
einen weitern Kämpfer, den er fih aus den Tapferften des Sachſen⸗
volkes wählen möge, zu beftehen. Die Gejandten lachten der eiteln Ruhm⸗
rede. Drt und Zeit des Kampfes wurden jedoch jogleich verabrebet.
Mach dem Abgang der Gejandten lobte Wermund den Kühnen,
der die Antwort gegeben, und verficherte, daß er lieber Diefem, wer
er auch fei, al3 dem übermüthigen Feinde, fein Reich abtreten werde.
Als aber Alle betheuerten, daß es fein Sohn fei, hieß er ihn näher txeten,
um mit den Händen zu prüfen, mas ihm die Augen verjagten. Als
er dann an der Größe der Gliedmaaßen und ben Zügen des Gefichts
feinen Sohn erkannte, fragt’ er diefen, warum er fo lange ftumm ges
blieben?. Uffo antwortete, bisher fei er mit Denen, bie feinen Vater
beihüßt, zufrieden geweſen; jetzt erſt, mo fie von den Drohungen ber
Fremden bevrängt gefchienen, hab’ er zu ſprechen für nöthig gehalten.
1 Bei Sven. Agg. zuerft Uffi (hie Alium genuit Uffi nomine), dann
immer Uffo; er if ſprachlos bis in fein SOftes Jahr.
2 Bei Sven. Agg. ©. 46 fagt Wermund, nachdem er den Sohn betaflet:
Talem me memini in flore extitisse javentutis.
215
Auf die meitere Frage, warum er lieber Zwei, als Einen, zum Kampfe
gefördert, gab er den Grund an, damit die Befiegung des Schweden⸗
königs durch Zwei, welche den Dänen zur Schmach gereichte, durch die
That eines Einzigen aufgeiwogen und jo der Volksruhm bergeftellt
würde. Wermund hieß nun feinen Sohn vorerft den Gebrauch der
Waffen erlernen, deren er noch ungewohnt ſei. Man brachte Waffen
berbei, aber Uffos breite Bruft zerfprengte die Ringpanzer und man
Ionnte feinen finden, der ihm weit genug mar. Zuletzt, ald er auch
den feines Vaters zerrig, ließ Wermund venfelben auf der linten Seite,
bie der Schild dedte, auffchneiden und mit einer Spange beiten. Auch
“ mehrere Schwerter wurden gebradt, aber, fo wie Uffo fie ſchwang,
brachen fie in Stüde. Der König hatte ein Schwert von ungewöhn-
licher Schärfe, pas Skrep genannt war (skreipr, lubricus, glatt, Lex.
isl. 1I, 279); nicht galt für fo hart, daß es nicht vom erften Streiche
besjelben geipalten würde. Weil er der Kraft feines Sohnes nicht ver
traute und es feinem Andern gönnte, hatte Wermund dieſes Schwert
längft in die Erde vergraben 1. Er ließ ſich auf das Feld zu der von
ihm bezeichneten Stelle führen, 309 bad Schwert heraus und reichte es
feinem Sohne. Diefer fand es von Alter gebrechlich und zerfrefien;
er fragte deshalb, ob er es auch, wie die vorigen, prüfen dürfe. Wer⸗
mund eriviberte, wenn biefes Schwert auch von ibm durch Schwingen
zertrümmert würde, fo wäre feines mehr übrig, das der Kraft feines
Armes entfpräche. Bei fo zweifelhaften Erfolg foll er lieber von ber \
Probe abftehen.
Man zog nun zum verabrebeten Kampfplatz. Diejer mar auf
einem von den Armen des Eiderftromes gebildeten Eiland, fo dab man
nur zu Schiffe dahin kommen konnte. Uffo fand fi allein dort ein,
ber Sohn des Sachſenkönigs in Begleitung eines durd Stärke ausge
zeichneten Kämpen. Die beiberjeitigen Ufer waren mit Schauluftigen
angefült. Wermund hatte fi auf den äußeriten Rand der Brüde
(in extreme pontis parte) geftellt, um, wenn fein Sohn bejiegt würde,
i Sven. Agg. C. 11, ©. 46: Ad tumulum itaque ducatum postulavit,
in quo prius mucronem experientissimum occulisverat. Et mox inter-
signiis per petrarum notas edoctus, gladium jussit efiodi prestantissimum.
Quem illico dextra corripiens, bic est, eit, fill, quo numerose triumphavi
et qui mihi infallibile semper tutamen extitit.
— — - — _
216
im Strome unterzugehen!. Uffo, von Zweien angegriffen und feinem
Schwerte midtrauend, mehrte bie Schläge Beiber mit dem Schild ab,
um erft zu beobachten, welcher ver gefährlichere fei, und kann biefen
menigftens mit einem Streiche zu treffen. Wermund, welcher glaubte,
fein Sohn lafie fih aus Schwäche die Schläge der Gegner fo gebulbig
gefallen, neigte fid) mehr und mehr über ven Rand des Brüde, um,
wenn fein Sohn verloren wäre, fih in bie Tiefe gu ſtürzen. Uffo reizte
feine Gegner noch durch Zurufen auf. Als ihm nun ber Kämpe näher
fam, fpaltete ex ihn mit dem erften Schwertftreiche mitten durch. Da
rief Wermund erfreut: „Sch höre den Klang meines Schwertes.“ Man
fagte ihm, was gefchehen, und er 309 fich mwieber vom Rande zurüd.
Auf gleiche Weiſe traf Uffo den Königsſohn mit ber andern Schneide
bed Schwertes, „ch höre zum zweitenmal den Klang des Schwertes
Skrep“, vief Wermund aus. Als man ihm nun den Doppelfieg feines
Sohnes verkündigte, liefen ihm vie Freudenthränen aus ben blinden
Augen. Die Sachſen zogen beſchämt mit ihren Leichnamen zurüd und
bie Dänen empfiengen jauchzend Uffon, der ihre Ehre’ hergeftellt.
Das gefchichtliche Dafein Wermunds und Uffos wird durch ander '
wärtigE Anzeigen beglaubigt, ohne daß jedoch die Zeit desſelben genau
beftimmt werben könnte (Müller S. 49). Wie es aber mit dem hiſto⸗
reichen Gehalt der Überlieferung befchaffen fein möge, in poetifcher
Hinficht bat fich diefelbe zu einem ber anziehendften Bilder unter denen,
die von Saro aufbewahrt find, abgerundet. Ohne mythiſche Beimifchung
ift das Ganze innerlih, vom Gemüthe, belebt und in einfachen, aus⸗
drucksvollen Situationen anſchaulich gemadt. Es kommt im vielen
Sagen vor, daß ber Held in feiner Jugend bumpf und träg erjcheint,
bis auf einmal der rechte Augenblid der That den ſtillgenährten Helben-
geift zur Flamme weckt. Aber die Zujammenftellung bes flummen
Sohns mit dem blinden Vater ift unfrer Sage eigenthümlich; Jenem
geht die Sprache auf, nachdem Diefem das Augenlicht verdunkelt iſt.
Schön und ſicher iſt die Haltung des blinden Greiſes durchgeführt; ben
Verlauf des Kampfes, dem er nicht mit den Augen folgen Fann,
1 Ebb. ©. 47: Teutonieis ergo ultra fluminis ripam in Holsatis con-
sidentibus, Danis vero citra amnem dispositis, Rex pontie in medio sedem
elegit, quatenus, si unigenitus occumberet, in fluminis se gurgitem pra-
eipitaret u. |. w.
EG
217
erfennt er atı dem altvertrauten Klange feines Schwertes Sirep. Auch
das, daß ein Heldenſchwert feinen eigenen lang hat, wie ber Menich
feine Stimme, findet ſich fonft in den Sagen; aber bier, auf ven alter⸗
blinden König angewandt, wird diefer Zug eindringlicher und bebeute
famer.
Saro bedauert, daß er von den mweitern Thaten Uffos, ber nad
feinem Bater König geworden und den auch Mehrere Olavus, Man-
sueti cognomine (in einer nordiſchen Königäreihe Ole hin Litilleti !,
Müller 47) benennen, nichts zu fageh wiffe (E. 96):
Cojus zequentes actus vetustatis vitio solennem fefellere notitiam.
Sed credi potest, gioriosos eorum processus extitisde, quorum tam plena
laudis principie fuerint.
Den Grund diefer Vergeſſenheit fucht er in Folgenbem:
Tam breri factorum ejns prosecutione animadverto, quod illustrium
gentis nostre virorum splendorem scriptorum penuria jaudi memoriseque
subtrazerit. Quod si patriam hanc fortuna latino quondam sermone
donasset, innumers danicorum operum volumina tererentur.
Hätte Dänemark früher gelehrte Geſchichtſchreiber in Iateinifcher
Sprache haben können, dann möchten wir allerdings von Uffos Thaten
und Schidjalen wahrer und vollftändiger unterrichtet fein, dann aber
hätten wir auch nicht die poetiſche Vollsfage, die Saron ſelbſt Mehreres
zu willen begierig macht. Diefe Sage ift mit den Freudenthränen
Wermunds über den Sieg feines Sohnes und feines Schwertes in fich
geichlofien und bedarf keiner weitern Geſchichtfolge.
11. Asmund.
Saxo ©. V, ©. 136 f. Sagnhist. 69 f. Sagabibl. II, 610. 617.
Aamund, der Sohn bes Königs AIR von Hebemarfen (Hetmarchia,
in Norwegen), verierte ſich einft auf der agb von feinem Gefolge.
Er kam fo tief in die Wildnis, daß er enblich fein Roſs verlor und
ihm feine Kleider abriflen; feine Nahrung waren Waldſchwämme. Sp
gelangte er zuleßt zu ber Wohnung des Königs Biorn (Biorno) von
Pig (in Wik provincia). Mit dieſes Königs Sohne Asvit lebte er
einige Zeit zufammen und fie fchlofien den Bund der Freundfchaft mit
1 Litillatr, humilis, demüthig, beſcheiden, herablafiend, Lex. isl. II, 366.
218
den Schmure, daß ber, melcher ben Anbern überlebte, fich mit bem
Geftorbenen begraben laſſen ſollte. Asvit ftarb an einer Krankheit
und wurde mit Roſs und Hund in einen Grabhügel 1 beftattet (terreno
mandatur antro). Aömund, dem Schwure getreu, ließ fich lebendig
mitbegraben; etwas Speife gab man ihm mit. Damals Tam der Schwer
denkönig Eril auf einem Kriegszug in jene Gegend. Als die Schweben
den Grabhügel faben, 'vermutheten fie Schäbe darin und erbracden
ihn mit Kärſten. Es öffnete fi) vor ihnen eine Höhle (specus) von
größerer Tiefe, als fie erwartet hatten. Um dieſe zu burchforfchen,
war es nötbig, daß fih Einer am Seile binabließe. Das Loos traf
ginen der rüftigften Jünglinge. Kaum war biefer in einem Korbe, ber
am Seile hieng, binabgelafien, fo warf Asmund ihn heraus und fireg
felbft in den Korb. Den Obenſtehenden gab er fobann das Leichen
zum Aufziehen. Sn der Hoffnung auf einen großen Schab zogen Jene
den Korb zurüd; als fie nun aber die unbelannte Geftalt vor ſich ev
blidten, glaubten fie, der Todte ſei wiedergekehrt, warfen das Seil _
binweg und entfloben voll Schredens; denn Asmund ſah Teichenblaß
und blutig aus, Er bemühte fi), die Fliehenden zurüdzurufen, fie
fürchten fi) vor einem Lebenden. König Exit Tam felbft Hinzu und
war befonders über das blutige Angeficht des Erftandenen verwundert.
Der Beicheib, den Aamund gibt, ift von Saro in lateiniſche Berfe ge
bracht, in denen der fchauerliche Refrain wiederkehrt:
Quid stupetis, qui relictum me colore cernitis?
Obsolescit nempe vivus omnis inter mortuos.
Der Inhalt feines Berichtes ift, daß Asvit in jeder Nacht wieder auf:
gelebt ſei, zuerft das Roſs, dann den Hund verzehrt, zulekt aber
1 [Bgl. Kunftblatt Nr. 77, 25 Sept. 1834. ©. 308: „Alterthlimer. Im
Kirchſpiel Norop, an der Norbfeite von Fyen, in Dänemark, Hat man einen
Rieſenhligel aufgegraben und darin ein Niefenzimmer (SJetteftue) oder eine Grab»
fammer gefunden, deren Boden und Seitenwände aus ſchweren gehauenen Feld⸗
einen beftanden, und die jo geräumig war, daß vier Perfonen aufredht darin
figen fonnten. Der einzige Aſchenkrug, der darin war, beftand aus Thon, und
er fiel zufammen, als er an die Luft fam. Als etwas Ungewühnliches bemerkte
man babei, daß er rechts vom Eingange, und alfo nicht gegen Often, fondern
gegen Süden fland. In der Nähe jene Grabhligels befinden- fich noch mehrere,
die wahrſcheinlich gleichen Alters mit ihm find und die man nächſtens ebenfalls
unterſuchen wird. “]
219
\
Asmund jelbft angegriffen und ihm das Tinte Ohr abgerifien habe. Er
jedoch habe dem Unhold das Haupt mit dem Schwerte abgefchlagen
„und den Leib mit einem Pfahle durchbohrt. Bon ſolchem furdhtbaren
Ringen fei er blntig. J
Es gibt von dieſem Asmund eine isländiſche Saga: Egils und
Asmunds Saga, die zu Upſala 1693 im Druck erſchienen iſt und in
den 3ten Band der rafniſchen Sammlung altnordiſcher Sagan aufge⸗
nommen werden ſoll!. Einen Auszug daraus enthält die Sagabibl.
II, 610 ff. Das Mitbegraben wird hier auf ähnliche Weiſe, wie bei
Saxo, erzählt, im Übrigen aber ift dieſe Saga fo höchſt abenteuerlich
(3. DB. der Pflegbruder, mit dem fih Asmund begraben Täßt, ift hier
Aron, ein Sohn des Königs Rodgan in der Tartarei), daß man bie
furze Erzählung bei Saro leicht” für die ältere und echtere erkennt.
Ihr liegt ohne Zweifel ein von ihm übertragenes Lieb zu Grunde.
Daß der Pflegbrüderbund fich bis zu der Verbindlichkeit des Über:
lebenden erftredte, fich mit dem früher Berftorbenen begraben zu laſſen,
kommt zwar fonft in keiner Sage vor, aber es liegt darin doch nur
eine folgerichtige Durchführung und Steigerung ber Begriffe von ben
Berpfliditungen jened Bundes (vgl. Sagnhiſt. 69). Die Pflegbrüber
Ihwuren, Einer des Andern Tod zu rächen; davon nun liefern felbft
die mehr hiftorischen Sagan Beifpiele, daß, wenn ber Überlebende nicht
im Stande war, bie Rache zu vollführen, er ſich auf die Nachricht vom
Tode des Freundes felbit entleibte; Asvit war aber nicht von Feindes⸗
band gefallen, fondern an Krankheit geftorben, darum mochte bier auch
nicht ein gewaltfamer Tod Asmunds paſſend fcheinen, denn fonft wäre
der eine der Brüber zu Hel, der andre nad) Valhall zu Odin gefahren.
Dad nun, daß der fiechtobte Asvit eine Beute Hels geworben, beren-
Wohnungen im dunkeln, feinvfeligen Niflheim find, macht ihn auch
zum bösartigen Gefpenfte, mit dem ber Lebende blutig ringen muß.
Es beißt davon im Liebe bei Saxo:
Nescio quo stygii numinis ausu
Missus ab inferis spiritus Asvit -
Seevis alipedem dentibus edit,
Infandoque canem prebuit ori.
1 [Ft daſelbſt S. 365 bis 407 abgebrudt. Der Bte Band ber Fornaldar
sögur Nordrlanda trägt die Jahrszahl 1830. 8&.]
220
— — — — —ñ—n—
Nec contentus equi vel canis esü,
Mox in me rapidos transtulit ungues
Discissaque geua sustulit aurem.
Daß man foldde Grabgefpeniter, um fie unſchädlich zu machen, noch⸗
mals tödtete, indem man bie Leichname zu Aiche verbrannte, ihnen bas
Haupt abhieb oder einen Pfahl durch die Bruft fchlug, findet fih aud
fonft in den nordishen Eagan. Bei dem in den Vollsfagen ber ſlavi⸗
ſchen Völker fo häufig vorkommenden Vampyrismus, an ben überhaupt
Asvits blutgierige Erfeheinung erinnert, wird derſelbe Gebrauch an
gewandt.
12, Fridlev.
Saro 8. VI, &. 146 bis 154. Bgl B. IV, S. 98 f. Müller, Sagm
hiſt. 75 f. |
Was und von biefem einft fagenberühmten Dänenlönige allein
noch bei Saro aufbewahrt ift, fönnen wir nur als Brucftüde eines
ehemals vorhandenen größeren Sagenverbandes, einer umfaſſendern
Fridleifsſaga, betrachten. Saro unterſcheidet zwar zwei däniſche Könige
mit dem Namen Fridlev, aber das Wenige, was er von dem ältern
berjelben, am Echlufie ded-4ten Buchs, berichtet, wird, wie Müller
©. 75 bemerkt, der Hauptfache nach vemfelben angeeignet werben können,
bon dem das 6te Buch umftändlicher handelt.
Bon dieſen Sagenbruchftüden heben wir Folgendes aus:
In Norwegen lebten zwölf Brüder, Tampfrüftige Sünglinge, auf
einer Felsburg mitten in einem reißenden Strome. Bon ihren Ramen
verzeichnet Saro folgende (nam ceetera vetustas abstulit): Gerbiorn,
Gunbiorn, Armbiorn (Ambiorn?), Stenbiom, Esbiorn (Asbiorn),
Thorbiom und Biorn. Der Strom fiel vom hohen Gebirg herab,
brach fich raufchend und ſchäumend Bahn burch bie Felfen und ba, wo
er aus den Klüften breiter hervorſtrömte, bildete er das fchroffe Feld:
eiland, auf welchem die Veite fand. Eine Zugbrüde verband fie mit
dem Ufer. Der Lauf des Stromes war fo gewaltig, daß ihn fein
Roſs durchſchwimmen konnte außer einem, welches Biorn befaß unb
das allein die Kraft batte, ſich durch den Strudel zu ringen. Biorn
batte auch einen Hund von furchtbarer Wilpheit, der es öfters mit zwölf
Männern aufgenommen hatte. Caro bemerkt tabei:
221
Sed quoniam tradite magis quam cognite referuntur, fidem arbiter
penset. Hæe siguidem, ut accepi, deliciarum quondam loco habita.
Der Hund hiltete font die Heerden bes Riefen Offot. (Unter den
Riefenbenennungen, welche die Skalda aufführt, kommt auch der Name
Oföte, al. Ofote, vor, Sn. Edd. 2110 und in einem Anhang zur Dlaf
Tryggvaſons Saga, dän. Tiberf. III, 195, wird gleichfalls des Rieſen
Dfotan erwähnt, Sagnhiſt. a. a. D.) Die zwölf Brüder hatten fich
durch Bezwingung von Riefen und andre Siege berühmt gemacht und
durch große Beute bereichert. Sie hatten, als fie von ihren fonftigen
Rampfgenofien verlaflen worden, jenes Stromeiland befeftigt und ſich
von ba aus durch Raub und andere Gewaltthat weitum furchtbar ges
madt. Haldan, ber Sohn und Nachfolger Erils, des däniſchen Statt-
halters in Schweben, hatte ſich nicht vor ihnen in feinem Lande halten
lönnen und rief baher ben däniſchen Königsfohn Fridlev, der noch felbft
von feinem väterlichen Erbe verbrängt war, zu Hülfe Fridlev Fam
mit kriegeriſchem Gefolge nach Norwegen und trieb die Brüder. in ihre
Defte. Bei viefem eiligen Rückzuge muſten fie ein treffliches Roſs
(Biorns) über der Zugbrücke dahintenlaſſen. Run ließ Fridlev verkin:
digen, daß dem, der einen ber Brüder erlege, deſſen Leihnäm mit
Gold aufgemogen werben ſolle. Einige feiner Kämpen gelobten ihm,
darnach zu fireben, und fegten ihr eigeneß Leben zum Pfande, wenn
fie nicht die abgefchlagenen Häupter der Räuber zurüdbrächten. Fridlev
bieß fie fich noch gedulden und begab fich- in der Nacht mit einem ein⸗
zigen Begleiter zum Strome:
Ne enim alienis, quam propriis viribus, instructior videretur, auxi-
lium virtute precurrere statuit.
Sein Begleiter fam um (vermuthlich weil fein Pferd dem Strome
weichen mufte, nach Saros Erzählung hätte ihn Fridlev felbft mit
Steinen umgebradt); Fridley aber taufchte mit dem Betöbteten bie
Kleider, damit, wer ben Leichnam fähe, ben König verunglüdt glau⸗
ben möchte. Das Pferd des Begleiters beſprengte er mit Blut; fo
follte es, ins Lager zurückkehrend, feinen Tod beftätigen. Hierauf gab
ex dem erbeuteten Rofie die Sporen und trieb es mitten durch bie
Wirbel. Auf dem Eiland angelangt, erftieg er den Wall und gieng
leiſen Trittes nach dem Gebäube, wo die Brüder fröhlich beim Schmaufe
faßen, busch den reißenden Strom ſich völlig gefichert glaubend. Er
222 u
———— —— — —
blieb unter dem Thürgewölbe ſtehen und hörte, wie Biorn erzählte,
ee hab’ im Traum ein Thier aus hen Wellen fteigen geſehen, das,
büftre Flammen fpetend, die ganze Burg in Brand geitedt habe. Es
ſei daher räthlicher, die Inſel zu durchſuchen, als fich jo völlig forglos
zu verhalten. Sie erhoben fih nun, ſuchten umber und fanden das
Roſs, auf dem Fridlev übergeſetzt Batte; indem fie nicht zweifelten, daß
diefes feinen Reiter abgetvorfen, freuten fie fich über den Untergang
ihres Feinded. Inzwiſchen war auch das Pferd, welches Yridlen mit
Blut beſprützt hatte, im Lager feiner Kämpen angeiprengt. Sie eilten
nad dem Strome, fanden ben Leichnam und hielten ihn, in dem glän-
zenden Gewande, Für bie von ben Fluten hergeſchwemmte Leiche des
Könige. Entrüftet hierüber drängten fi) bie, welche ven Räubern den
Tod geſchworen hatten, an das abjehüflige Ufer, und ihnen folgten bie
Andern, von gleicher Begierde beieelt, den König zu rächen ober zu
fterben. Als Fridlev diefes ſah, ließ er plötzlich die Fallbrüde herab,
nahm feine Streiter auf und die jämmtlichen Brüber wurben mit dem,
Schwert aufgerieben, Biorn allen ausgenommen. Ihn ließ Fridlev
von feinen Wunden heilen und nahm ihn zu feinem Genofien an (sub
sacre obtestationis pignore collegam adscivit).
Nachdem Frivlev fich des väterlichen Reiches in Dänemark bemäch⸗
tigt hatte, ſchickte er, auf den Rath der Seinigen, Gefandte nad) Nor
wegen, bie für ihn um bie Tochter bes dortigen Königs Amund werben
ſollten. Eines derjelben, Namens Froco, wurde auf der Überfahrt
von den Fluten verfchlungen, wobei fich ein wunderbares Zeichen ergab.
An der Stelle, wo er verfunten war, drang mitten aus dem Strubel
Blut hervor und färbte das ganze Meer purpurroth. König Amund,
ber. von Fridlevs Vater Frotho Manches zu leiven hatte, wies darum
bie Gejandten ſchnöde von fih. Frogerth aber, die Königstochter, bie
durch Fridlevs Thatenruhm für ihn eingenommen war, machte ihren
Vater darauf aufmerkſam, daß dad munberbare Ausfehen des Meeres,
deſſen Wellen fih plöglih in Blut verwandelt, Norwegen eine große
Niederlage beveuten müfje. Vergeblich jedoch ſandte Fridley zum zwei⸗
tenmal feine Boten. Amund ließ dieſe hinrichten. Nun führte Fridlev,
in Begleitung Haldans und Biorns, feine Flotte nach Norwegen.
Amund kam mit ber feinigen entgegen. Frocaſund (auf ben ertrunfe
nen Froco bezüglich) hieß die Bucht, in die beide Geſchwader einliefen.
223
In der Nacht gieng Fridley auf Kundſchaft aus; Da börte er in ber
Luft ein ungewohntes Raufchen, und als er emporfah, vernahm er
aus ber Höhe den Gefang dreier Schwäne: |
Dum mare verrit Hythin rabidosque intersecat sstus,
Auro verna bibit et lactea pocla ligurit.
Optima conditio servi, cui rege creatus
Obsequitur, temere mutatis sortibus, hæres.
Dann fiel ein Gürtel aus der Luft, auf dem fich Runen befanden,
die dem Liede zur Erflärung dienten. Ein Niefe Hythin nemlich hatte
den Eohn des Königs von Telemarlen (Thialamarchiee) über dem
Knabenſpiele meggeraubt und, indem er fich besfelben als feines Ru⸗
derers bediente, fuhr er eben auf einem Boote bei Frivlen vorbei. Diefer
reiste nun durch einen Schmähgefang ben Riefen zum Kampfe, worin
er demfelben Hand und Fuß abbieb und den gefangenen Königsſohn
befreite. Nachdem er fi in ber Höhle des Rieſen mit Schäten be
Inden, ließ er fi) damit von dem Jüngling noch in der Nacht zu feinen
Schiffen zurüdrudern. Auf dieſer Fahrt fang er ein Lied über bie
vollbrachte That, welches in Saroz Überfegung damit fehließt:
Ergo leves totoque manus conamine nisi
Rimemur mare, castra prius classemque petentes,
Quam roseum liquidis Titan caput exserat undis:
Ut cum rem rumor vulgaverit, atque Frogertha
Noverit egregio partam conamine predam,
Blandior in nostrum moveat presordia votum.
Am folgenden Tage wurde zwifchen ibm und Amund eine große
Schlacht, theild zu Lande, theils zur See geliefert. Biorn half ſeiner ſchon
mwantenden Schaar wieber auf, indem er feinen ungebeuren Hund los ließ.
Amund Tam in der Schlacht um. Einer feiner Kampfgenofien war An der
Bogenichüge (Auo [b. 5. Ano], cognomento sagittarius). Gegen biejen
legte Biorn eben einen Pfeil auf vie Sehne, als ihm An mit feinem
Pfeile die Sehne entzweiſchoß. Gin zweiter Pfeil fuhr zwiſchen Biorns
beiden Fingern durch und ein dritter traf Biorns Pfeil. Damit wollte
der treffliche Bogenfchüte nur zeigen, daß er gegen den Mann ſelbſt
wohl vermöchte, mas er gegen deſſen Geſchoß vermocht. Aber unge:
ſchreckt dadurch fehritt Biorn dennoch dem Kampfe mit An enigegen,
Beide giengen verwundet daraus hervor. Nachher aber murben fie bie
224
beften Freunde. Frogerth wurde) nach dem Tod ihres Vaters, dem
Sieger zu Theil.
Aus einer andern Verbindung batte Fridlev einen Sohn ODlav.
Er mwünfchte deſſen künftiges Schickſal zu erfahren:
Mos erat antiquis, super futuris liberorum eventibus Parcarum ora-
cula consultare. Quo ritu Fridlevus Olavi filii fortunam exploraturus,
nuncupatis solenniter votis, deorum ædes precabundus accedit, ubi intro-
specto sacello teruas sedes totidem nyınphis oceupari cognoseit.
Die eine diefer Schickſalsgottinnen verlieh dem Anaben ſchöne Geftalt
und die Gunſt der Menſchen, die zweite die Tugend der Yreigebigfeit,
bie dritte aber, die von misglinftigerem Sinne war, ſuchte den Ge
ſchenken ihrer Schweiter entgegen zu mirken und fügte die Eigenſchaft
rer Sparfamleit Hinzu. So geſchah es, daß Dlav, zwilchen hiefen
widerſtrebenden Gaben getheilt, zulekt von ber Kargheit feinen Beinamen
davontrug. ,
Sn dem erften diefer Sagenbruchſtücke; von ben zwölf Brüdern
auf dem Felseiland, haben wir eine von ben epifchen Vorgeſchichten,
wie der Hauptheld der Eage fich feine Kampfgenofien durch den Kampf
jelbft gewinnt. Fridlev Inüpft bier ven einzigen überlebenden aus ber
Zahl jener Brüder, Biorn, unzertrennlih an fi) und verbindet fid
den Schweden Haldan, für den er biefes Abenteuer unternommen. Die
Felsburg mitten im reißenden Steome, der vom Gebirge fällt und aus
den tiefen Schluchten Tchäunend hervorbricht, ift, in wenigen Zügen,
ein gutes Landſchaftbild aus der wilden norwegiſchen Natur. Aus
dem Felſenneſt und burch die Waſſerſtrudel muß fich Fridleo den beften
feiner Waffenbrüber herausholen. Biorn und Halden kämpfen nachher,
in der großen Schlacht gegen Amund, getreulich auf feiner Seite. Das
Borzeichen diefer Schlacht, mie ſich vom Blute bes verfunfenen Froco
das ganze Meer röthet, finden ivir, nach jener wunderbaren Sagen
verwandtſchaft zwiſchen ven entfernteiten Völkern, von der wir auch in
der Amlethsſage ein Beifpiel hatten, wenn gleich auf verſchiedene Weiſe
angewandt, in einem neugriechiichen Vollsliede bei Fauriel (B. II)
wieder. Es lautet nah W. Müllers Überfegung (II, 11) fo:
Ein Mägdiein will auf Reifen gehn u. f. m. ***
Die Färbung des ganzen Meeres durch das Blut eines Menfchen
üt der Sage mit dem Liebe gemeinfam. Aber finnreicher erjcheint fie
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225
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allerbings in letzterem, wo fie nicht ala Vorbedeutung eintritt, ſondern
wo bie gekraͤnkte Unfchuld durch die ganze entrüftete Natur um Rache
ruft und ber verübte Frevel fich fo unverlöfchlich verfündet. Die brei
Schwäne, die Nachts aus ber Luft berabfingen, find Vallyrien, bie
dem von dem Niefen Hythin in Dienftbarleit herabgegogenen konige
finde den Retter erwecken.
Die Erzählung von dem Bogenichügen An erinnert. an das, was
wir aus beflen eigener Saga, von dem Wettſchießen zwiſchen ihm und
feinem Sobne, beigebradit.
Die drei Parcen, welche Friblev über das Schidfal jeines Sohnes .
Olav befragt, find die Normen des norbifchen Mythus, von beren Gin
wirken auf menjchlihe Verhältniffe bei einer der folgenden Sagen aus
führlicher zu handeln fein wird.
Sm Tten Buche Saros tft eine Reihe kurzer Liebesgeichichten zu:
fammengeftellt, von derjenigen Art, melde nachher den Gegenftand
vollamäßiger Balladen ausmachte. Die meiften berfelben gründeten fich
auch, mie bie eingemifchten Verſe anzeigen, auf ältere Lieder.
Müller (Sagnbhift. 106; vgl. 120) bemerlt, daß Saxo biefe im
Volksgeſang überlieferten Erinnerungen aus alten Zeiten, welche doch
felbft feine Zeitbeftimmung enthielten, nicht unabſichtlich gegen das Ende
des mythiſchen Zeitraums nad einander einrüden mochte, wo es ihm
eben an andrem Stoffe zur Ausfülung bes Übergangs fehlte.
Diefe Sagen find folgende:
13. Other nud Syrith.
Saro 8. VII, &. 192 His 194. Müller, Sagnhiſt. 98 f.
Syrith, die Tochter des dänischen Königs Syvald, wurde ihrer
Schönheit wegen von vielen Freiern gejucht, ſchlug aber niemals gegen
einen die Augen auf. Sie erbat fich auch von ihrem Vater, nur Dem
folgen zu dürfen, ver fie bewegen könnte, ihn anzubliden. Othar, ber
thatenberühmte Sohn des Vikings Ebbo, mar einer ber eifrigften Ber
werber; allein auch ex mujte abziehn, ohne der geſenkten Augen Meifter
zu werben. Auch ein Niefe verjuchte fih an ihnen, und da ed ihm
nhland, Schriften. VIE. 15
[} 226.
eben fo wenig gelang, fo raubte er die Jungfrau mitfammt den nieber-
gefchlagenen Augliedern und führte fie in bie tiefen Gebirgsfchluchten.
AB Othar dieſes erfuhr, durchftreifte er nad ihr das Innerſte bes
Gebirgs, fand fie, erfchlug den Riefen und zog mit ihr von dannen.
Der Niefe hatte mit großer Sorgfalt die Schönen Haare der Jungfrau
fo feft und manigfach in einander geflochten, daß fie kaum mehr an-
ders, als mit dem Schwerte, entwirrt werden zu können fchienen.
Vergeblich bemühte ſich Othar auch jet, den Blid Syriths auf fich zu
lenken. Sie wandte fih von ihrem Retter ab und irrte längere Zeit
in ber Einöde umber, bis fie zu der Hütte eines riefenhaften Wald
weibes kam. Diefem mufte fie bie Biegen hüten und erft wieber durch
Dthars Hülfe wurde fie von folder Dienftbarleit befreit. Saro gibt
bier ein Lieb in fapphilchen Strophen, worin Dthar die Schöne auf:
fordert, lieber ihm zu folgen und ſich freundlich zu erweifen, als bie
Biegenheetde ihrer trogigen Gebieterin zu weiden. Das Lieb fchließt fo:
Ad lares hinc te statuam paternos
Et pie letam sociebo mwatri,
Si semel blandis agitate votis
Lumina pandas.
- Quam tuli claustris toties gigantum, -
Confer antiquo meritum, labori,
Et, graves rerum miserata nisus,
Parce rigoril -
Aber unbemweglich blieben Syriths Wimpern verfchloflen und Saxo
kann ſich nicht enthalten, auszurufen:
Quantee porro pudieitie seculi illius feeminas extitisse putemus, que
ne ad levem quidem oculorum motum maximis amatorum irritamentis
adduci potuerunt! |
Nachdem auch diefe zweite Rettung die Schöne nicht zu rühren ver:
mocht, kehrte Othar beihämt und gekränkt zu feinen Schiffen zurück.
Syrith irrte wieder weit in den Felfen umher und Fam endlich durch
Zufall in das Haus Ebbos. Sie gab ſich, entblößt wie fie war, für bie
Tochter armer Leute aus. Othars Mutter jedoch bemerkte, des ärm⸗
lichen Anzugs unerachtet, das edle Weien ber Fremden, räumte ihr
den Ehrenfit ein und behielt fie gaftfreunblidh bei ſich. Othar jelbft
kam Binzu und fragte, warum die Jungfrau ihr Geſicht mit bem
227
Schleier bebede. Er hatte fie aber wohl erkannt und beichloß, fie ger
nauer ‚zu erforfchen. Darum ftellte er fi an, als mollte er fidh mit
einer Andern vermählen, und Syrith mufte zum Brautgemad) Teuchten.
Als nun das Licht, das fie trug, faft abgebrannt war, jo daß die
Flamme ihr immer näher auf die Finger fam, hielt fie doch die Hand
unbeweglich und fchien nicht? von der Hige zu empfinden. (Vol. Fär.
Dv. 300). Erft als Othar fie ermahnte, für ihre Hand zu forgen,
Schlug fie auf einmal die Augen mit einem zärtlihen Blide gegen ihn
auf. Da hielt fogleich der ervichtete Brautgang inne und Syrith ſtand
ala Braut an Bithars Seite.
Müller harakterifiert diefe Sage fo:
„Sie hat viel poetifche Haltung. Eine Idee liegt der ganzen romantijchen
Einkleidung zu Grunde; die weihliche Berſchämtheit wird auf eine fehr einfache
Weiſe fymbolifiert und der Knoten mit Feinheit geldft, indem das Mädchenherz,
welches der Dankbarkeit, dev Furcht und dem Zwange wiberfianden, fich zulekt
von der weibliden Eiferfucht hinreißen läßt.”
Als Eiferfucht fcheint mir aber Die Bewegung, die in Syriths Herzen
vorgeht, nicht ganz richtig bezeichnet zu werben; es iſt mehr das ſchmerz⸗
liche Gefühl, daß fie den wohlbegründeten Anſprüchen Othars auf ihre
Ziebe und der eigenen geheimen Reigung für ihn allgu lange fein Gehör
gegeben und daß dadurch für Beide ein ſchönes Glück verfäumt fei; in
dieſes quälende Gefühl verſunken fommt ihr noch einmal Othars freund
lid) marnende Stimme zu, da ift der Bann geldit, in dem ihre jungfräu-
liche Scheu fie feitgehalten hatte, und ob es auch zu ſpät ſei, fchlägt fie
die lange geichloffenen Augen auf und öffnet rüdhaltlos den Blick in
ihr Innerſtes.
Die ſchöne Sage, über die Saro ein altes Lieb vor ſich hatte,
ift nicht ganz unverkümmert auf uns gefommen. Die Entführung durch
den Riefen wurbe auf verfchievene Weife erzählt (opinantur alii u. f. w.)
und es ift hierin, wie bei den Abenteuern in der Wilbnis, nicht Alles
Har und vollſtändig. Die Hauptzüge jedoch, fomweit fie zur Darlegung
und Entwicklung der innern Zuftände nothwendig waren, find uns
unverwifcht erhalten.
Eine, wenn auch verbunfelte Spur der Verbreitung diefer Sage
findet fich in der früher erwähnten isländischen Saga von Egil und
Asmund; dort nennt ſich Asmund, der fih mit feinem Freunde
’ 228
— —
begraben ließ, einen Sohn Ottars, Königs in Halogaland, und Sigrids,
einer Tochter des Jarls Ditas in Yütland (Sagabibl. II, 611).
14. Alf und Alvild.
Saro 8. VH, S. 1% f. Müller, Sagnhiſt. 100 f.
Sigar, König in Dänemark (Syvalds Sohn und Syriths Bruder),
hatte drei Söhne, Syvald, Mf und Alger und eine Tochter, Sygne.
Unter den brei Brübern war Alf der ausgezeichnetite an Muth und
Geftalt. Er trieb fih auf Vikingsfahrten um. Seine Loden waren
pon ſolchem Lichtglang, daß man meinte, er babe Haare von Silber.
Zu derfelben Zeit hatte Syvard, König in Getland, eine Tochter,
mit Namen Alvild, welche ſtets verfchleiert gieng. Ihr Vater, der fie
eng verſchloſſen hielt, Hatte zwei Schlangen (viperam anguemque)
von ihr aufziehen laſſen, welche, mit ihr großgetvachten, fie beimachen
follten. So Tonnte nicht leicht Jemand zu ihrem Frauengemade durch⸗
dringen. Wer es aber verſuchte und nicht ausführte, dem ließ ber
König das Haupt abjchlagen und auf einen Pfahl fteden. Mf, Sigars
Sohn, tagte den Verfuch, der ibm um fo ruhmvoller fchien, je ge
fährlicher er war. Um die Wuth ber Thiere noch mehr gegen fich zu
reizen, umgürtete er fi) mit einem blutigen Felle; bem einen fließ er
einen glübenden Stahl in den Rachen und das andre erlegte er mit
einem Speerwurf. Als er aber den bebungenen Giegespreis, . Alvilds
Hand, verlangte, erwiderte ber König, nur der könne fein Eidam wer⸗
ben, für den fich feine Tochter aus freier Wahl entſchiede. Alvild, bie
den tapfern Freier rühmte, erfuhr von ihrer Mutter Heftige Vorwürfe
über dieje weibliche Schwäche. Da vertaufchte fie die Frauentracht mit
männlicher und wandte fich dem Friegeriichen Seeleben zu. Mit einem
Gefolge von Yungfraun, die denſelben Entichluß ergriffen, kam fie zu
einer Schaar von Bilingern, bie. eben ihren Führer im Kriege verloren
hatte. Ihrer Ichönen Geftalt wegen wurde fie von diefen (wie Hervör)
zum Haupt erforen und führte nun viele Helbenthaten aus. Einft kam
Alf auf jeinen Seefahrten in eine ſchmale Bucht an der finnifchen Küſte,
wo eben aud Alvild mit ihren Schiffen eingelaufen war. Sie ließ
ungefäumt das heranlommende Geſchwader angreifen. Die Dänen be
wunberten bie ſchöne Geftalt und Haltung ihrer Gegner. Die Seeſchlacht
begann. Alf iprang vorn auf Alvilds Schiff und ſtreckte von eimem
Ende zum anbern Alle nieder, die ihm Wiberftand leifteten. Da fchlug
Borlar, Alfs Kampfgenofie, Alvilden den Helm vom Saupte und nun
zeigte fih, daß hier nicht mit Waffen zu kämpfen jet (oseulis, non _
armis, agendum esse). So hatte nun Alf unverhofft Die getroffen,
bte er zu Land und Meer, unter taufend Gefahren, unermäblich gefucht
hatte. Alvild kehrte zur Frauentracht zurück und warb Alfe Gemahlin.
Auch Borkar erwählte ſich eine ihrer Gefährtinnen. |
Obſchon e3 auch dieſer Sage nicht an fchönen Bügen ſchit, ſo iſt
fie doch weniger innerlich und gleichmäßig durchgebildet, als die vor
hergehende von Dibar und Syrith. Befonbers ift fie vornherein etwas
verwirrt. Verſe bat Saro hier nicht angebracht und fcheint alfa auch
fein Lieb benützt zu haben.
15. SHagbarth und Sygne.
Sar 8. VI, ©. 197 bis 205. Ynglinga 8. 6. 25. 27. Müller,
Sagnhif. 101 bis 104. Svenska Folkvis. I, 137 bis 147. Udv. Danske
Vis. II, 2 bis 18. 402 ff. Grimm, Altdän. Heldenl. 98 ff. 509 bis 517.
[Grundtvig, Danmarks gamle Folkev. 1, 258 fj. 2, 256. 8, 791 ff. Liebrecht.]
Geijer, Schwed. Urgeſch. 222 f. 5. 415. (Landndma 256.) Kormaks 8.
12. 16: Hagbards Bild. Bgl Hoffmanns Fundgr. I, 375: hagebart, larva?
Am Anfang des Frühlings trafen Alf und fein Bruber Alger auf
der Vilingefahrt mit den Söhnen des noriwggifchen Königs Hamund,
Helwin, Hagbarth und Hamund, zufammen. Es ward eine Seefchlacht
geliefert, in ber fich beide Theile fo jehr exichöpften, daß fie Frieden
zu fchließen gemötbigt waren. Hagbarth zog mit Sigars Söhnen nad
Dänemark, ſprach dort ohne Willen derfelben ihre ſchöne Schwefter
Sygne und gewann ihre Liebe. Amar hatte Hildigifl, ein vornehmer
Deutſcher, um fie geivorben. Aber fie fand an ihm nichts, als fchöne
Geftalt und glänzende Haare; an Hagbarth, der von zauberem
Ausſehen war, rühmte fie bie Tapferkeit. Ihre Hußerungen hier:
über bat Saxo in Berfe gebracht (tali concentu usa perhibetur).
König Sigar, Sygnes Vater, hatte zwei alte Männer zu Rathgebern,
die Brüder Bölvis und Bilvis!. Diefe waren von fo verfchiebener
1 Lex. iel.: Böl, n. calamitas, erumna. Bil, n. momentum, interstitium
temporis v. loci. Vis, sapiens, pradens. Edd. Hafa. GL T. I, ©. 432:
0
Sinnesart, daß ber eine, Bilvis, Feinde zu verföhnen pflegte, ber
andere, Bölvis, Freunde zu entzweien bedacht war. An ven letztern
wandte ſich Hilbigifl, ber es nicht verſchmerzen Ionnte, daß ihm Hag-
barth vorgezogen wurde. Er verlodie den blinden Greis (luminibus ca-
ptum) durch Geſchenke, zwiſchen Sigars und Hamunds Söhnen Feind:
Schaft zu ſtiften. Bolvis verläwmbete die Iehtern bei Sygnes Brübern
unb verficherte, biefelben haben niemals treue Bundnis gehalten und
Tönnen nur durch Krieg gebändigt werben. Sp wurde der Friebe ge
brodden, Helwin und Hamund mwurben in Abtvejenheit ihres Bruders
Hagbarth von Alf und Alger bei dem Hafen Hamunbäfjorb (apud
portum, qui sinus Hamundi dieitur) angegriffen und famen um. Gag:
barth, der fpäter mit ganzer Kraft hinzulam, rächte feine Brüder mit
dem Untergang von Sigars Söhnen. Hildigifl entlam mit einer Wunde
auf der Hinterfeite. Ob nun glei Hagbarth Sygnes Brüdern den
Tod gebracht, fo wagte er Doch, allein, in Weibertracht, fie aufzufuchen,
ihrer Treue feft verfichert. Er gab fih für eine ftreitbare Dienerin !
feines Bruders Hakon, eines berühmten Seehelden, aus, welche von
biefem mit Botichaft an König Sigar gefandt fi. Man nahm ihn
in das Frauengemach ber Königstochter auf; die Mägbe aber, bie
ihn beim Fußbad bebienten, äußerten ſich über die Rauhheit feiner
Hände und Füße befrembet. Da erwiberte er, in Hakons Dienfte geh’
e3 nicht befier, mo man über Steine und Dorme meite Reifen machen,
„Barlviss, in fem. -vis, adj. dirus, infanstus, prodigiosus, certam malum
portentans vel adferens. Bavi-visir draümar. Veg. I. 8. var. c. conf.
Harb. XXI. 3.“ Bgl. Grimm, Edda S. 90: Blindr inn baulvisi. Hröm.
Greips. 8. C. 1: Bildr, Voli. C. 4 init. €. 5. 6. 7. 6. 8: Blindr hinn
illi, Hagall. & 9, 6. 10: Karllinn Blindr er hèt Bavis. Bgl. Schwelle
IV, 15 u. 187 f. IV, 278 a. v. Bapfen. I, 168. J. Grimm, d. Mythol.
265 [b 441]. 672: blinde belien (Schmeller IV, 187). Cromek, Remains
212 f.: Billie Blin. 330. (gl. Motherwell LXIX, 21. Minstrelsy, 5 ed. II,
52. Nyerap IV, 158 fi. Sv. Folkv. II, 56. 59. 219 f.) Zweifache Fylgien
in einer isl. Saga. Leo, Altfächf. und angeli. Sprachproben, Halle 1838,
©. 18: „V& villad böon bilevite u. ſ. m.“ ©. 110: „bilevit, adj. billig,
einfach, gutmüthig; bilevitnis, Billigleit.“ Neues Jahrbuch ber berlinifchen .
Geſellſch. f. d. Sprache u. Alterthumskunde II, 64 f. Wackernagels Leſebuch
1861. I, 1236. Tafnadıtfpiele S. 255. 1468. 8.]
1 Bsl. Heig. qv. Hund. II, Str. 3. Edd. Beem. &. 159.
23
Waffen und Ruder unit führen müfle. Auch diefe Rebe ift in
Berfen, z. 2.:
Quid miri, tenerum nobis durescere subtel n. f. w.
Cui plantas toties subjecte relisit arena,
Et vepres medium corripuere gradum?
Nunc saltu nemus experior, nunc ®@guora cursu,
Nune mare, nunc tellus, nunc iter unda mihi’u. f. w.
Nec colus aut calathi, sed cæde madentia tela
Officium nostre composuere manus.
Es folgen nun, gleichfalls in Berfen, die Geſpräche ber Liebenven
in der Nacht. Hagbarth fragt, wozu Sygne entjchlofien fei, wenn ihr
Bater ihn, der ihre Bruder getödtet, ergreifen und binrichten laflen
würbe. Sygne verfichert, daß, melden Todes auch ihr Beliebter fter-
ben follte, fie fi dem nemlichen weiben werde. Hagbarth wurde bon
den Mägden verratben und nach tapfrer Gegenwehr von ben Dienern
des Königs gefangen. Man hielt Gericht über ihn, wobei Bilvis ans
rieth, lieber von den Dienften des Helden Gebrauch zu machen, als
graufam gegen ihn zu verfahren. Da kam Bolvis Hinzu und erflärte
den Rath für ungebörlg, durch ben die gerechte Ahndung bes Königs
für den Tod feiner Söhne und die Schmad ferner Tochter gehemmt
werben follte. Dieſer Anficht ftimmte die Mehrheit bei, Hagbarth wurde
zum Tode verurtheilt und der Pfahl, an den er gehängt werben follie,
aufgeridhtet. Die Königin reichte dem Verurtheilten ein Trinkhorn,
aus dem fie ihn mit bittern Worten zur Lebe trinken hieß:
Nunc, insolens Hagbarthe,
Quem morte dignum concio
Adjudicavit omnis,
Sitis fugande gratia
Ori dabis bibendum
Sceypho liquorem corneo ı. f. mw. “
"Audacibus labellis
Lethale liba poculaum,
Quo potus infororum
Mox applicere sedibus,
. Ituras in reclusem
Ditis severi regiam,
- Patibuleque corpus,
Orco daturus spiritam!
Der junge Held ergriff das Trinfgefäß und vergalt die herbe Rede
der Königin, indem er fi des Todes ihrer Söhne rühmte.
Hac gustum capiam manu supremum u. ſ. w.
Qua natos tibi sustuli gemellos.
dam non elysios inultus axes,
Non impune truces adibo manes,
- Nam nostro prius hos peracta nisu
Clades tartareis reclusit antris.
Hæc vestro maduit oruore dextra,
Hec proli teneros ademit annos a. |. w.
Infelix genitrix et orbs natis
Sublatum tibi nulla reddet taa,
Nec tempus redimet diesve quevis
Demptum lethifero rigore pignus.
Damit warf er dad Trinkhorn auf die Königin und begoß fie mit
dem Tobestranfe.
.Indeſs fragte Sygne ihre weinenden Dienerinnen, ob fie ihr in
dem, was fie vorhabe, Gejellichaft zu leiften wagen. Jene gelobten,
jedes Loos mit ihr zu theilen. Hierauf erflärte Sygne den Entichluß,
dem. Geliebten im Tode zu folgen und, ſowie das Zeichen gegeben fei,
das Frauengemach in Flammen zu fteden und fi mit den Schleiern zu
echängen. Alle ftimmten ein und fie trank ihnen den Becher zu. Hang:
barth wurde, um gehängt zu werben, nach einem Berge geführt, ber
nachmals von ihm den Namen erhielt (qui postmodum ab ipso vocs-
bulum traxit), Er wollte die Treue feiner Geliebten erproben und hieß
die Schergen erft nur feinen Mantel aufhängen, indem e8 ihn vergnüge,
feinen naben Tod vorerft im Bilde zu fehen. Man willfahrte ibm; bie
aufgeftellte Wächterin aber glaubte, Hagbarth fei gerichtet, und verfüns
digte dieß den Sungfraun. Diefe ftedten ſogleich das Gemach in Brand,
ftießen die Schemel unter den Füßen hinweg und ließen fich von den
Schleiern erwürgen. Als Hagbarth das Frauengemad der Königsburg
in Flammen fah, äußerte er mehr Freude über die Treue feiner Ge:
liebten, als Trauer über feinen nahen Tod. Er forberte die Umftehen;
den auf, feinen Tod zu befchleunigen. Auch dieß in einem Liebe Chu-
jusmodi carmine), woraus folgendes:
Oeyus, 0 jarenes, correptus im aera tollar,
Dulce mihi, nupta, est post «tus fata mori.
Aspicio erepitus et tecta rubentia flammis,
Pollicitusque diu paeta revelat ameor u. f. w.
Felix, qui tanto[-ta?] merni consorte juvari,
Nec male tartareos solud adire deos u. |. w.
Axis uterque juvat, gemino celebrabitur orbe,
Una animi requies, par in amore fides,
Alsbald wurde das Urtheil vollitredt. Zur Beglaubigung ber
Sage aber beruft ſich Saro auf örtliche Anzeigen:
Et ne caiquam antiquitatis vestigia prorsus exolevisse eredantar,
predicte rei fides presentibns locorum indiciis exhibetur, quum et Hag-
berthus pago vocabalum extinctus intulerit, nec longe a Sigari oppido 1
locus pateat, ubi’ plano paululum agger elatior veteris fundi instar pro-
tuberantis humi specie demonstrat. Sed et quidam Absaloni ? trabem se
eo loci repertam vidisse narravit, qnam agrestis vomere glebam rimatus
offendit.
Das Weitere, wie Halo, Hagbarths Bruder, Rache nimmt ®
u. ſ. w., können wir bier übergehen.
Was Hagbarth fterbend gemweiffagt, daß feine und Sygnes treue
Liebe im Gedächtnis der Menſchen leben werde, ift reichlich in Erfül:
lung gegangen. Seine der alten Sagen bat ſich in fo andauernder und
weitverbreiteter Erinnerung erhalten, als dieſe. Die ältern Lieder, aus
denen Saxo ſchöpfte, find zu einer Vollsballabe geworben, die noch bie
in die letzte Zeit in bänifcher und ſchwediſcher Sprache auf fliegenden
Blättern umgeht. Wie ſchon Saro Ortlicleiten anführt, um ben
Schauplatz ber Ereigniſſe feſtzuſtellen, ſo machten fih Jahrhunderte hin⸗
durch und noch jeßt die drei norbifchen Reiche, Dänemark, Schweden
und Norwegen, und in biefen wieber bie einzelnen Landſchaften, jenen
Schauplag ftreitig. Überall findet man Ortſ haften, Höfe, Hügel,
Duellen, -Eichen, Steine nad den Berfonen der Erzählung benannt
und das Bolt weiß die Bedeutung der Namen aus Lied und Gage zu
1 Sigarfied in Gecland.
2 Dem Probſt in Roeskild und nachherigen Biſchof in Lund, auf deſſen
Aufforderung Saro fein Werl verfaßte.
3 Darnnter die Sage vom wandeluden Walde B. VII, S. 204.
234
erflären. Davon Mehreres ſeiner Zeit bei den Balladen und Dirt
jagen des Nordens.
Hier mag nur noch angebeutet werben, was von den Erwäh⸗
nungen diefer Sage der früberen-Beit, felbft noch weit über Saxo
hinauf, angehört. In Thiodolfs Ynglingatal, diefem im Oten Jahr:
hundert verfaßten Stalvenliede, der Grundlage der Inglingafaga, heißt
bereitö der Galgen das Roſs von Sygnes Manne, auch Sigars Rofs;
und ähnliche Ausvrüde finden ſich bei ven fpäteren Skalden. Abwärts
aber deuten zunädft nach Saro das isländiſche Landnamabok, vom
Anfang des 13ten Jahrhunderts, und bie Stalda auf den Inhalt
der Sage.
Diefe bat auch wirklich fo ergreifende Situationen, daß man ſich
ihre lebenskräftige Fortdauer wohl erllären Tann. Veränderungen hat
ſie allerdings erfahren, dem nordiſch Alterthümlichen hat ſich in der
Ballade das Ritterliche beigemiſcht und jene gewaltige Wechſelrede zwi⸗
ſchen Hagbarth und der Königin, die ihm den Todesbecher reicht, iſt
nur bei Saxo noch vorhanden.
Unter dem haderſtiftenden Bölvis, der blind bezeichnet wird, würde
ich den einäugigen Dbin zu finden glauben (ber fich einft auch Bölverf
nennt), wenn nicht die Deutung bed andern Rathgebers, Bilvis,
Schwierigleit machte.
16. Halfden.
[(Dieſer Abſchnitt der Borlefungen wird hier unterdrückt, weil Ubland bie
Sage von Halfdan neu in den Sagenforſchungen 1, 192 (Schriften 6, 110) fi.
abgehandelt hat, zum heil mit wörtficher Benügung feines Heftes für bie
Borlefungen. 8] .
u 17. Harald Hylbetanb.
Sapo ©. VII, &, 212. 8. VIII, &. 227. Sagnhist. 106 bis 119.
Sögubrot, Fornald. Sög. I, 361 ff. Fort. Sag. I, 83 ff. (befonvers C. 1 am Ende.
4. 7618 9.) Das Sagabruhftüd von alten Königen in Dänemark und Schweden
it in feiner gegenwärtigen Geftalt nicht älter, als aus dem 14ten Jahrhundert.
Sagabibl, Il, 484 ff. Beier, Schwer. Geſch. I, Cap. 10. ©. 444 bis 52.
Nah Saro ift Harald Hyldetand der Sohn Haldans und Guriths.
Das isländiſche Sagabruchſtück dagegen gibt ihm ganz anbre Eltern,
Hrärek und Auda. Die letztere Angabe fiimmt auch mit andern nor
diſchen Zeugnifien überem und ift daher unbedenklich der Angabe Saros
vorzuziehen, der, um feinen Königsreihen Zuſammenhang zu geben, ſich
manche genealogiſche Willkühr erlaubt, während .er mit bem innen
Beftande der Sagen gewiſſenhaft verfährt.
Den Beinamen Hyldetand erflärt Saxo (©. 212) bavon, daß ihm
zwei ausgeftoßene Zähne unerwartet durch anbre erſett, dadurch aber
ſeine Bahnreihe hervorſtehend geworden.
Quorum jaeturam postmodam insperata molarium eruptio sarciebet.
Hie eventus Hyldetand ei eognomen imposait: quod eum quidam ob emi-
nentem dentium ordinem assecntum affirmant.
Sögubrot C. 1 bemerkt von ihm das befondere, daß feine Vorder⸗
zähne groß und goldfarbig geweſen feien.
Sonft wirb der Name auch Hilvetanb (Hilditavnn, Edd. Sem.
117%) gefchrieben und in biefee Form leitet ihn Geijer (444,7) von
Hilldr, Krieg, ab; man habe Haralds hervorſtehende Zähne auf feine
kriegeriſchen Eigenſchaften gebeutet.
Harald mar von ausgezeichnet ſchöner und hoher Geſtalt, auch
allen feinen Mtersgenofien an Stärke überlegen; dazu war ihm von
Odin, deflen Ausiprud er das Leben verbantte, die Gunſt geworden,
daß Fein Eifen ihn verlegen Tonnte. Dafür batte ex die Seelen ber
von ihm Erſchlagenen Dbin verheißen. In einer Schlacht in Rorivegen
ſchritt er ohne Harniſch, mit einem Purpurrod befleivet und mit einer
golddurchwobenen Binde um die Haare, mehr feftlich als Triegeriich an:
getban, vor feinen Schaaren her dem Feind entgegen. Alle Geſchoſſe,
bie auf ihn gerichtet waren, fielen machtlos von ihm ab. So gieng er
aus dem Kampfgewühl unverlegt ala Sieger hervor.
Bor einem Kriege gegen bie Schweden erfchien ihm ein großer,
einäugiger Greis, mit haarigem Mantel. Derfelbe nannte ſich Odin,
behauptete, fehr kriegskundig zu fein, und lehrte ihn die Feilfärmige
Schlachtordnung (svinfylking, f.), ſowie auch die Anordnung eines
Seetreffens. Mittelft diefer Belehrungen trug Harald den Sieg bavon.
Auf feinen vielen Heerfahrten gewann er fi) unter den Befiegten felbft
treffliche Kämpen, andre z0g der Ruf feiner Thaten an. Wer beim
Fechten mit der Wimper zudte, wenn auch der Hieb ſchon die Augen⸗
brauen berührte, warb fogleich aus feiner Umgebung verwieſen. Da
s
236
teine Macht weder zu Lande noch zu Waſſer mehr ſich gegen Harald
und feine Krieger wagte, fo trat ein vieljähriger Friebe ein, in welchem
der König alterte. Er hatte feinem Schweſterſohne Ringe (Sigurd
Hring) deſſen väterlihes Reich Schweben übertragen. Gin getvifler
Bruno 1, Haralds innigfter Bertrauter, trug alle geheimen Botfchaften
zwilchen ben beiden Königen bin und her. Dieſer wurbe auf einer
folhen Botichaftäreife vom Strome verfchlungen. Da nahm Odin
defien Namen und Geftalt an und wuſte durch trügerifche Ausrichtungen
die Bande ‚der Fyreundfchaft und Vertuandtichaft zwiſchen ben Beiben zu
lbſen. Der von ihm im Stillen gefchürte Haß fchien endlich nicht mehr
ohne öffentlichen Ausbruch befriedigt werden zu können. Sie kündigten
einander Krieg an und fieben Jahre follen mit den Rüftungen zu bem
großen Kampfe bingegangen fein.
Es gibt Welche, bemerkt Saro, bie behaupten, Harald babe nicht ans
Misgunft oder Eiferſucht um die Herrſchaft den Krieg unternommen, ſondern
freiwillig uud abſichtlich den Anlaß zu feinem eigenen Untergange geſucht.
Denn da er wegen ſeines Alters und ſeiner Strenge auch dem
Volke laſtig geworden, babe er, um feinem vergangenen Leben gemäß
zu enbigen, den Tod in der Schlacht dem auf den Krankenbette vor⸗
gezogen. Um aber feinen Ted mehr zu verberrlihen und mit größerem
Geleite zur Unterwelt zu geben, babe er bie großen Nüftungen auf
beiden Seiten veranftaltet, übrigens jelbft gewünſcht, daß Ring Sieger
bleibe. .
Die Geſchichte dieſes Kriegs bat, nach Saxos weiterer Angabe
- [&. 220], Starlatber, der felbft eine vorzügliche Säule der Schlacht
‚war, in beimifcher Weife (d. h. im Liebe) verfaßt:
Historiam belli suetici Starcatherus, qui et ejusdem prelii preci-
puum columen erst, primus danico digessit eloquio, memorim magis,
quam literis traditam. Cujus seriem, ab ipso pro more patrio vulgariter
editam digestamque, latialiter complecti statnens, inprimia prestantisei-
mos utriusque partis proceres recensebo. Neqne enim mihi multitudinem
complectendi cupido incessit, quam ne pr&cise quidem numerus capit.
E3 werben nun wirklich die auögezeichnetften Streiter auf beiden
Seiten in langer Reihe aufgezählt. Sie fammeln fi, in verſchiedenen
1 Lex. isl. 1, 1166: Bruni, m. ustio, urigo, it. incendium , ot.
Brändelje; it. Btand, brändende Ild; it. Ildavaade.
237
Waffengattungen geübt, nit nur aus allen flanvinavifchen Reichen,
fondern aud aus andern Ländern, befonders deutichen und ſlaviſchen.
Stolden und Schildjungfrauen befinden ſich darunter, auch Helden, bie
fonft in der Sage belannt_find. Bon mehreren Kämpfern Haralds
wirb bemerlt, daß er fie (wie wir früher von Hrolf Kraki gehört) durch
goldgefhmüdte Schwerter und reichen Kriegslohn ſich einft verbunden
babe (S. 222): \
Horum omnium clientelam rex liberali familiaritafe coluerat. Nam
primis apud ipsum honoribus habiti, cultos auro gladios opimaque belloram
preemia perceperunt.
Der Kampfplat mar zum voraus verabrebet, auf dem Yelbe Bra-
valla (& Bravelli)1 am Meerbufen Bravik in Dftgotland. (Saro ©.
227 nennt biefen Krieg bellum bravicum; auch ift 8. VIII, ©. 235
die Rede von bravellinis tropheis, fonft aber walten bei ihm Mis—
verfländnifle über bie Örtlichkeit vor, Geijer 448.) Haralds Flotte war
fo zahlreih, daß man von Seeland nad Schoonen auf den Schiffen
wie über eine Brüde gehen konnte. Aber auch feines Gegners Schiffs:
rüftung war fo bebeutend, daß bie Segel den Blid auf dad Meer
verbauten (prospectumque pelagi explicata malis carbasa pre-
struebant).
König Ring war zuerſt mit Lande und Seemacht am verabredeten
Plate angelommen und hatte feine Schanren geordnet. Als das däniſche
Heer beranzog, hieß er die Seinigen fih ruhig verhalten, bis fie
ſehen, daß König Harald feinen Schladhtwagen beftiegen habe; leicht
werde ein ‘Heer, von einem Blinden geführt, zufammenfallen. In⸗
deffen orbnete Bruno, an Haralds Statt, die Schlachtreihen in Keil:
form. Der alterblinde König ftand auf dem Wagen und erhob feine
Stimme, fo laut er Tonnte, feine Schaaren anzufeuern. Die ungeheure
Schlacht begann nun. Saxos Derftellung wird bier fehr emphatifch
(S. 225):
Deinde canentibus lituis summa utrinque vi conseritur bellum. Cre-
deres, repente terris ingruere celum, sylvas camposque subsidere, mi-
sceri omnia, antiquum rediisse chaos, divina pariter et humana tumul-
1 Brövellir, jett Bräwalle, 5. Mognujens Edda, hiftor. Reg. IV, 302.
gt. III, 286.
238
tuosa tempestate confundi, cunctaque simul in perniciem trahi. Nam ubi
ad teli jactum perventum, intolerabilis armorum stridor incredibili cunete
fregore complevit. Vapor vulnerum repentinam calo nebulam intendebet,
dies effusa telorum grandine tegebatur.
Die Thaten einzelner Kämpen und Schildjungfraun werden nam-
baft gemacht. An der Spike ber dänischen Keiloronung focht der Friefe
Ubbo, den einft Harald, da er ihn, als feinen Gegner, nicht mit
Waffen bezwingen konnte, von feinen Kriegäleuten mit Händen fangen
lieb und ihm bann, um ihn für feinen Dienft zu gewinnen, feine
Schweſter zur Ehe gab (B. VII, ©. 214). Ubbo erihlug zwanzig
erlefene Kämpfer des ſchwediſchen Heeres, eilfe wurden von ihm vers
wundet. Zuletzt erlag er felbit, da Niemand mehr “fich mit ihm ins
Handgemeng wagte, ben wetteifernden Pfeilſchüſſen dreier Bogenichligen
aus Telemarken. Hundert und vier und vierzig Pfeile hafteten in ber
Bruft des Kämpfenben, bevor er entlräftet fein Knie zur Erde neigte. Da
erit brach das Verberben über die Dänen em, hauptſächlich durch den
_ Andrang der norwegifchen Bogenſchützen. |
Der blinde Harald entnahm aus dem traurigen Gemurmel ber
Seinigen, daß ſich das Glüd auf die Seite des Feindes gewanbt habe.
Er hieß Brunon, der aus Hinterlift den Dienft des Wagenleiters ver-
ſah, beobachten, wie Ring fein Heer georbnet habe. Halblachend ant-
wortete Bruno, ber Feind kämpfe in Keilordnung (corniculata acie,
Doppelkeil auf eine Grundlage geftüt). Beſtürzt und erftaunt hierüber
fragte der König, von wem Ring biefe Weife der Heerſchaarung erlernt
babe, da doch Din, der Erfinder und Meifter derjelben fei (diseipline
hujus traditor atque repertor) und von ihm Niemand, als Harald
jelbft, in diefer neuen Kriegskunſt ‚unterrichtet worden. Als Bruno
bierauf ſchwieg, gemahnte es den König, derſelbe ſei Din, und ber
ibm einft befreunbete Gott babe, um ihm jet zu helfen ober die Hülfe
zu entziehen, ſolche Geftalt angenommen. Da begann er denjelben an
zufleben, daß er ven Dänen, denen er font gnädig fich erzeigt, auch
dießmal den Sieg verleihen möge; auch verſprach er, die Seelen ber
Gefallenen dem Gotte zu weihen. Bruno aber, unbemwegt durch bieje
Bitten, warf plöglic den König aus dem Wagen, ftieß ihn zu Bo
den, entriß dem Fallenden die Keule und zerfehmetterte ihm damit das
Haupt. |
239
Um den Wagen des Königs lagen unzählige Beihname, fo daß fie
über die Räder und bis zur Deichlel ragten. Denn im Heere Rings
waren gegen 12000 erlejene Kämpen (proceres) erlegt worden, auf
Haralds Seite aber außer dem übrigen Kriegsvolf(preeter popularium
stragem) gegen 30000.
Sobald Ring den Tod Haralds erfahren hatte, ließ er das Zeichen
zur Aufbör des Schlacht geben. Er ſchloß Frieden mit ben Yeinben,
die ihren Führer verloren hatten. Hierauf hieß er die Schweben ımter
den Haufen der Erſchlagenen Haralds Leichnam auffuchen. Gin balber
Tag mufte darauf verwandt werben. Als man enblich ben Leichnam
fammt ber Keule gefunden, veranftaltete Ring eine königliche Leichen
feier. Er ließ das. Pferd, worauf ex felbft ſaß, am den Wagen bes
Königs fpannen, fchmüdte es mit goldenen Deden und weihte es ſo
dem Tobten. Unter feierlidhen Gelübden flehte er, daß Harald mit
biefem Pferde feinen Todesgenoſſen zur Schattenwelt voranziehen und
bei dem Gotte derfelben Freunden und Feinden frieblihe Site bereis
ten möge.
Inde vota nuncupet adjicitque precem, uti Haraldus, eo vectore usus,
fati consortes ad .tartara antecederet atque apud prestitem Orci Plutonem
sociis hostibusque placidas expeteret sedes. S. 227. 8.]
Sodann ließ er einen Scheiterhaufen errichten und befahl ben Dä⸗
nen, das vergoldete Schiff ihres Königs in die Flammen zu werfen.
AS nun das Fener den. darauf gelegten Leichnam verzehrte, gieng Ring
unter den trauernden Kämpen umber und forberte fie alle dringend
auf, Waffen, Gold und was fie Beftes hätten, zur Ehre eines fo hoch⸗
verdienten Königs dem Sceiterhaufen zu übergeben. Die Aſche des
verbrannten Leichnams hieß er nad Lethra bringen und dort mit Roſs
und Waffen Föniglich beftatten. Indem er durch ein fo ehrenvolles
Begängnis feinem Obeim das legte Recht widerfahren ließ, gewann er
fi die Gunft der Dänen, bie nun unter feine Herrſchaft gebracht waren.
(Et hie quidem belli bravici finis.)
Das isländische Sagabruchſtück, welches nicht nur in ber Haupt:
fache, ſondern jelbft in der Aufzählung der einzelnen Streiter mit Saxo
zufammentrifft, ergibt gleichwohl beſondre ober abweichende Büge, von
denen wir Einiges auöheben. |
Harald Hilvetand hatte anverthalbhundert Jahre zurüdgelegt und
| 20
⸗
u
konnte nicht mehr geben. Bilfinger fielen überall in ſein Reich ein. Da
ſchien es feinen Freunden, daß es dem Lande bei fo geſchwächter Gern
ſchaft übel gebe, und Manche meinten auch, er wäre nun alt genug.
Einige Große des Reichs wollten, als der König im Badgefäſſe ſaß,
Zweige darüder legen und darauf Steine werfen, um ihn im Babe zu
erträufen. Er wuſte ihnen aber noch zuvorzukommen und beichloß,, eines
königlichen Todes zu ſterben. Run veranftaltete er den Krieg mit fer
nem Verwandten, dem Schwebenkönig Ring.
Das Mytbifche ift bier verwiſcht. Bruni iſt ein Häuptling Haralds,
ben Diefer das Heer ordnen läßt. Doc verwundert ift der König au
bier, daß die Keilordnung, von der er glaubte, dag Niemand, ale er
und Dbin, fie Tonne, von feinem Gegner angewandt worden. Er wird
, von Bruni mit ber Keule erichlagen, ohne daß man den Grund biejer
That erführe. Beim Leichenbegängnis läßt Ring den König Harald
"in bemfelben Wagen und mit bemjelben Pferde fahren, die er in ber
Schlacht hatte, und führt ihn: jo in ben aufgeworfenen Grabbügel;
das Pferb wird nachher getöbtet. Auch gibt König Ring den Sattel,
worauf er felbft geritten, feinem freunde Harald und Heißt ihn nun,
wie er am liebften wolle, nah Valhall reiten over fahren. Ringe und
Waffen werden nicht in die Flamme, ſondern in ben Hügel geivorfen.
Die Schlachtordnung, wie der Rüffel in ber Bruft ftedt, lernt man aus
dem Sagabruchftüd deutlicher Tennen, als bei Saxo.
Jenes bat auch eine Erzählung eigen von dem ſchwediſchen Käm⸗
pen Soknar⸗Soti, der von der Schildjungfrau Vebjörg eirien Hieb über
die Wange erhält, woburd ihm ber Kiefer entzweigeſchnitten und bas
Kinn abgejchlagen wird; er weiß ſich aber zu helfen, er nimmt ben
Bart zwilchen die Zähne und hält fo fern Kinn feſt.
Das Brucftüd bemerkt (C. 9), diefe Schlacht fei fo heftig und
hartnädig geweien, daß in allen alten Sagan erzählt werbe, wie Teine
Schlacht in Norblanden eine jo große und herrliche Auswahl gewaltiger
Kämpen aufmeifen könne!. Auf ähnliche Weife äußert ſich die Her
vörsſaga bei kurzer Erwähnung der Bravallafchlacht.
Nach Müllers Unterfuchungen (Sagnbift. 119) würbe dieſe Schlacht
nach den Andeutungen, welche vie Biftorifchen Sagan ber Isländer
1 Bgl. Regn. Lodbr. S. C. 2 zu Anfang.
2341
enthalten, gejchichtlich in die exfte Hälfte des achten Jahrhunderts, um
730 , zu feßen fein.
Dat Saxos Erzählung auf einem alten Liebe beruhe, iſt nicht nur
von ihm felbft bezeugt, jondern ergibt ſich auch aus ber noch durch⸗
aus in den zujammengereibten Kämpfernamen beſtehenden Allitteration,
ſowie aus dem poetiſchen Schwunge, der beſonders in ber angeführten
Etelle vom Beginne der Schlacht berriht. Was aber die beftimmtere
Angabe Saros betrifft, als wäre ber heldenhafte Skalde Starlather
fein Gewährsmann, fo wird hierbon bei der nachfolgenden Starkadrs⸗
fage beſonders die Rede fein. Der Beriht in Sögubrot geht ohne
Zweifel von derfelben Quelle aus, aber nur mittelbar, nicht mehr aus
der näheren Belanntichaft mit dem alten Liebe felbft.
Für unfre Zmede ift die Sage von Harald Hylvetand beſonders
durch ihren mythiſchen Beſtandtheil bedeutend. Wenn in mandhen ber
bisherigen Sagen nur der Schatten Odins an uns vorüberftreift, To
erſcheint in jener Odin leibhaftig in voller Geftalt und Thätigkeit; ja
e3 erwächſt hieraus auch Demjenigen Beglaubigung, mas wir dort oft
nur vermuthend und anbeutenb bemerken fonnten. Odin, der nach den
Eeelen der Tapfern bürftet, weiht fich den jungen Helten Harald
durch wunderbare Gabe, läßt fich aber dafür die Seelen der von ihm
Erfchlagenen geloben. Er ftiftet, ala Bruni, Zwietracht unter ben
Verwandten, um ben großen Kampf herbeizuführen. Er will nicht,
daß fein gealterter Günftling ruhmlos zu Hel fahre; mit großem Ge
folge von beiden Heeren foll er in Valhall eingehn (denn jo bat Sö—
gubrot richtig, mas Saro ad inferos überfegt). Odin felbit gibt dem
blinden Könige den Keulenfchlag, durch den er'zu Valhalls Ehre er:
hoben wird. Warum aber Odin all den irbifchen Kampf errege und
fo gierig auf die Seelen der Helden fahnde, ift uns aus ber Götter:
lage befannt. Und die Schilderung der Bravallaſchlacht felbft, in ber
nach Saxos Worten Göttliche und Menfchliches in wildem Sturme
fih zu vermengen, Beides zufammen ind PVerberben gezogen zu
werden und das alte Chaos wiederzukehren fcheint, dieſe wahrſchein⸗
lich aus entſprechenden Stellen des alten Liebes entnommene Schil⸗
derung erinnert und an jenen legten Kampf, in den Odin Aſen und
Einherien führen wird und für den ihm der Exrprobten niemals
genug find.
Upland, Säriften. Vi. 16
[4
242
18. &tarlabr, 1
Saro B. VI, S. 154 bi8 188. VII, ©. 194. 208. 219. VII, ©. 220.
‘295. 227 f. 230 bis 236. (Olo ®. VI, S. 215 bis 219. 3. VIIL, &. 228. 227 f.)
Sagnhiſt. 76 bis 96. 111. 113. 115. (Dlo 110 f.) Edda Seemund. 161. 1645
(Starkedr). Sögubrot &. 9. (Fornald. 8. I, 388: Starkadr und Störkudr.)
Nornagest. S. C. 7. 8 im Anf. (Starkadr Störverksson). Hervar..8. 6, 1.
(Starkadr). Halfs 8. €. 1 bis 4. (Vikarr). Gautrel? und Hrolfs S. ©. 8 bis 7.
Sagabibl. II, 580 f. 584 bis 587. Bol. Suhm, om Odin ©. 62 bis 54. Lex.
myth. 315 f. Egils und Asmunds ©. Sagabibl. II, 614. 616. Ynglinga S.
C. 25 (Starkadur hinn gamle). C. 29 (Ali hinn frokni) Sn. Edda 301
(Starkadr gamli), 268 (Starkadar lag). 208 (Ali), 108, vgl. Lex. myth.
©. 636 Note. ©. 649 Note. Fornmanna S. III, 200 f. (Starkadr in der Hölle.)
Diefes Helden wirb in Sagen und Liedern des Nordens häufig ge
dacht. Bon ven zahlreichen und manigfachen Überlieferungen, bie über
ihn im Umlauf geweſen fein müflen, findet fich jedoch nur noch bei Saro
ein größerer Vorrath erhalten. Allein wenn gleih Saros Berichte Ge:
burt und Tod bes Helden umfaſſen und überhaupt ſehr reichhaltig find,
jo kommen doch nicht bloß bei ihm felbft Andeutungen nun verfchollener
Abenteuer vor, ſondern e8 zeigt'auch feine ganze Behandlungsweiſe, daß
er nicht eine zufammenhängenbe Starfabrsfaga vor ſich hatte, fonbern
aus zerftreuten Liedern und Volksſagen ſchöpfte. (Vgl. Sagnhift. 84.)
Es liegt dieß auch, wie fich mweiterhin ergeben wird, gewiſſermaßen in
der Eigenthümlichleit des Sagenhelven. Außerdem kann wirklich Einiges,
was Saro unvollftändig oder undeutlich gibt,. von andrer Seite ergänzt
und befier aufgehellt werben. Die Sagen von Starfather, welche Saro
aufgenommen bat, ziehen ſich theild in ausführlidern Darftellungen,
theild in fürzern beiläufigen Meldungen, von andern Geſchichten unter:
brochen, durch das 6te, Tie und Ste Bud. Wir werben, indem mir
fie durch Ausfcheivung des daztwifchengetretenen Fremdartigen zuſammen⸗
rüden, und an die von Saxo beobachtete Folge derfelben halten, da fie
im Ganzen als die richtige erjcheint. Die gefammte Reihe zerfällt aber
von felbft in einzelne Rhapſodieen, die wir auch als ſolche unterfcheiben
und mas je in einer Abtheilung aus andern Quellen ergänzt werben
ann, fogleich beifügen. Bon dem Zuſammenhang und der Bebeu:
tung des Ganzen ſoll dann zum Schlufie gehandelt werben.
1 [Bgl. die Sagenforfhungen I, 176. Schriften 6, 101 ff. 8.]
243
1. Starladrs Urfprung und vorbeſtimmtes Schickſal.
Bei Saro im 6ten Buche wird Starkadr, Storverks Sohn, zuerft
eingeführt, indem er, von einem Schiffbrudy allein gerettet, zu dem
dänischen Könige Frotho, Fridlevs Sohne, kommt und von diefem gaft-
frei aufgenommen wird. Er verteilt hier einige Zeit als Hausgenofle
des Königs, wird von Tag zu Tag ehrenvoller ausgezeichnet, zulekt
mit einem fchönen Fahrzeuge beichentt und auf Bilingsfahrt aus⸗
geſandt.
Hiezu fügt nun Saro einige allgemeinere Bemerkungen über die
Perſon Starkaders; derjelbe habe an Körper und Geift gewöhnliche
Sterblihe überragt, fein Ruhm fei fo weit verbreitet geweſen, daß noch
jet das ehrenvollfte Gedächtnis feiner Thaten und feines Namens fort-
beſtehe. Denn nicht bloß in Dänemark (apud nostros) hab’ er durch
feine Heldenwerke fich verherrlicht, ſondern auch in allen Landichaften
der Schweden und Sachſen fich leuchtende Denkmäler geftiftet. Er fol
in derjenigen Gegend entfproflen fein, melde an Schweden im Dften
grenze und in der jett Efthen und andere barbarifche Völker ihre weiten
Wohnſitze Haben. Ein fabelhafter Volksglaube aber (fabulosa et vul-
garis opinio) habe über feinen Urfprung ungereimte Dinge erbichtet.
Denn Einige erzählen, er fei von Riefen entjproffen und diefe Abftam-
mung babe fih durch eine ungewöhnliche Anzahl von Händen fund ges
geben. Der Gott Thor habe ihn von diefem Überfluffe befreit und
ihm vier berfelben ausgerifien, jo baß mit den zwei noch Übrigen ber
vorher riefenhafte Körper auf menschliches Maaß zurüdgeführt wor⸗
den ſei [S. 155]:
Tradunt enim quidam, quod, a gigantibus editus, monstruosi ge-
neris habitum inusitata manuum numerositate prodiderit, asseruntque,
Thor deum quatuor ex his affiuentis nature vitio procreatas elisis ner-
vorum compagibus avaulsisse atque ab integritate corporis prodigiales di-
gilorum eruisse complexus, ita ut, duabus tantum relictis, corpus, quod
ante in gigantes granditatis statum effluxerat ejusque formam informi
membrorum multitudine representabat, postmodum meliore castigatum
simulacro brevitatis human® modulo caperetur.
(Der Gott Thor dürfte in dieſem, wie in andern Fällen, dem
Stile Saros, unbeſchadet der Deutlichleit, wohl auch einige überzäh⸗
lige Schreibfinger ausreißen.)
244
Im Eingang der Hervörsfaga (EC. 1) geſchieht eines Starkadrs
Erwähnung (fein Vater wird Störfoibr, nach anderer Lesart Storvirkr,
Fornald. 8. I, 412, genannt), der von ben Thuflen abftammt und
ihnen an Stärke und Weſen gleicht; er hat acht Hände und haut mit
‚vier Schwertern zugleih. Bon Thor wirb er getöbtet. Es ift dieß
offenbar der Nemliche, deſſen Abfunft von den Niefen Earo meldet;
nur zeigen fih in der Saga andere, verbunfelte Überlieferungen
von ihm.
Bebeutender ift, was eine andere iSländifhe Saga, die von Gau:
tret und Hrolf, hieher Bezligliches enthält, Diefe Saga, die ih nur
in Müllers Auszügen (Sagabibl. II, 614. 616. Sagnbift. 80 f.) kenne
(die Ausgabe Upfala 1664 ift felten und unvollftändig, der Zte Band
der rafnifchen Sammlung, darin fie fteben ſoll, noch nicht zugänglich),
gehört ihrem fonftigen Inhalt nad) zu den fpätern, aber gerade was
fie von Starfabr meldet, beruht, wenn auch nicht mehr in urfprüng-
licher Form erhalten, doch auf altem Sagengrunbe.
Dbin batte, unter dem Namen Hrosharsgrani, Starkadrn erzogen.
Einft träumte Letzterem (diefe Einkleivung gibt fi) als eine jpätere
zu erfennen), daß ihn fein Pflegvater an eine abgelegene Gtelle im
Walde führte, wo eilf Aſen faßen, die Hrosharsgrani ald bin
grüßten. Sie follten Starkadrs Schidjal beitimmen. Thor, der ihm
als einem Niefenfohne ungünftig war, verweigerte ihm Naclommen:
ſchaft; Odin gab ihm drei Menfchenalter; Thor fagte, er folle in jedem
ein Nidingswerke! vollführen. Odin beftimmte ihm die beiten Waffen,
Thor verfagte ihm Landbeſitz; Odin ſchenkte ihm Reichthum anderer
Art, Thor legte Hinzu, daß er doch niemals genug haben folle.. Odin
gab ihm Sieg in jevem Streit, Thor fügte bei, daß er in jedem eine
tiefe Wunde davon tragen folle; Odin gab ihm Skaldenkunſt, Thor
ließ ihn feine eigenen Lieber vergeflen; Odin machte ihn beliebt bei den
Mächtigen, Thor verhaßt beim Volke. Die Aſen beitätigten beiberlei
-Beitimmungen und biefe bewähren fich denn auch in den nachfolgenden
Schickſalen des Helden.
1 Drei Nidingswerle haften auch auf dem Schwerte Tyrfing. Herr.
S. C. 2.
" 245
2. Starladrs erſtes Nidingswerl.
Die Alten erzählen (tradunt veteres), jagt Saro, daß Starkadr
in der Erwürgung des norwegifchen Könige Vikar der Gunſt ber
Götter die Erftlinge feiner Frevelthaten dargebracht (in Wicari Nor-
vagiensium regis jugulo deorum favori facinorum suorum principia
dedicasse). Odin wollte, daß biefer Vikar durch klägliche Hinrichtung
untergehen folle, und da er dieß nicht offen ausführen wollte, verherr⸗
lichte er Starkadrn, der zuvor Thon durch ungewöhnliche Körper:
größe ausgezeichnet war, durch tapfern Geift und Liederkunſt, damit
derfelbe zum Dante dafür fich feiner Abficht gegen Bilar um fo be
reitioilliger eriwiefe. Er hatte Starkadrn auch darum mit drei Mens
ihenaltern begabt, damit dieſer in ſolchen Urheber eben fo vieler Ni:
dingswerke (totidem exeerabilium operum auctor) würde. Starkadr
begab fih zu Bilar und barg den Verrath unter dem Scheine des Ge
horſams. Sie zogen zufammen auf Bilingsfahrt. Als ihnen nun einft
der Wind lange jo jehr entgegen war, daß fie den größern Theil des
Jahres ftille Tiegen muften, beſchloſſen fie, die Götter mit Menfchen-
blut zu fühnen. Das Todesloos wurde geworfen und fiel auf den
König. Da fhlang Starkadr ein Weidenband um den Hals Vikars,
als follte er nur auf einen Augenblid zum Scheine die Strafe erleiden.
Aber der Knoten übte fein Recht und erbroffelte den Hängenden. Statt
zu helfen, entriß Starkadr dem noch Zudenden mit dem Schwerte den
Neft des Athems. Denn, feßt-Saro hinzu, die Meinung: foheint mir
nicht der Erwähnung werth, wonach bie weichen Weiben fich plötzlich
zum Eiſenbande bärteten.
Auch die Gautreks- und HrolfsSaga Inüpft den Verrath gegen.
Vikar unmittelbar an die Beftimmung der Schidfale Starkadrs. Diefer
bat fein Traumgeficht eben in der Nacht, ala das Loos den König ge-
teoffen. Nachdem die VBerfammlung der Aſen ſich getrennt, fordert
Ddin zur Borgeltung feiner Gaben von Starkabrn, daß biefer ihm
Vilarn fende, und gibt demfelben einen Spieß, der nur ein Rohr
Rengel zu fein ſcheint. Am nächften Morgen läßt Bilars Schiffsvolk
fich an, als fol’ er Odin geopfert werden; aber durch Zauber wird das
Spiel zum Ernfte und das Rohr, womit Starkadr ihn berührt, wird
zum Speere, der des Königs Herz durchbohrt.
Sn
246
Müller bemerkt, daß der Schickſalsrath der Ajen in der urſprüng⸗
lichen Sage gleich bei der Geburt Starkadrs werde ftattgefunden haben.
Da jedoch Saro und die Saga in ber Anknüpfung biefes Götterrathes
an das erite Nidingswerk übereinftimmen, fo lann auch wohl die Auf
faffung der Sage angenommen iverben, daß Odin fich bes riefenhaften
Starkadrs erſt bemächtigt, nachdem Dieſer ſchon jo gewaltig herange
wachen. Im Nidingswerke an Vilar muß der von Odin Begabte dem
Gotte fein erftes Opfer bringen.
Über Vikar felbft aber müflen wir noch eine andere isländiſche
Quelle beiziehen, bie früher dargefiellte Saga von Half und Halfe
Reden. In den Vorgeſchichten berfelben, welche wir damals bei Seite
ließen, wird Folgendes erzählt:
Alfrek, König in Hördaland, deffen Gemahlin Signy hieß, Hatte eimen
Hofmann, mit Namen Koll. Diefer folgte dem König norbwärts nach Sogn
und fagte ihm viel von ber Schönheit Geirhilds, der Tochter Drifs. Denu er
hatte fie beim Brauen gefehen und äußerte nun, daß er fie dem Könige zur
Ehe wünſchte. Höttr 1, der eigentlih Odin war, kam nun zu Geirhild, da fie
mit der Leinwand befhäftigt war. Er nahm mit ihr die Abrebe, daß König
Alfrek fie zur Ehe haben, fie aber ihn ſelbſt in Alleın anrufen folltee Der
König fah fie, zog mit ihr heim und hielt denfelben Herbſt mit ihr Hochzeit.
Allein er Tonnte nicht beide Frauen behalten, ihrer Uneinigkeit wegen. Da
fagte er, daß er bie behalten wolle, welche das befte Bier gebrant haben würde,
wenn er von der Fahrt zuriidläme ie metteiferten mın im Branen. Signy
rief Freya an und Geirhild Hött. Diefer gab flatt der Bähre feinen Eipeichel
bei und fagte, daß ex für feine Hülfe Haben wolle, maß zwiſchen Beirhild und
der Rufe fei; uud ihr Dier befland die Probe. Da ſprach Alfrel:
Mert auf, Geirhild!
Gut ift dieß Bier,
Wenn ihm nicht folgen
Andre Gebrechen.
Hangen jeh’ ich
An hohem Galgen
Deinen Geboren,
Berkauft an Odin.
In demſelben Halbjahr ward Bilar geboren, Sohn Alfreks und Geirhilds.
(€. 1.)
1 Höttr, Hut, von dem tief ins Geſicht gehenden Gute, mit dem Odin
gewöhnlich in feiner irdiſchen Erſcheinung auftritt.
247
Was Alfeel in der Liebeöftraphe feinen Sohne werfiagt, über
defien Tod die Halfsſaga nichts enthält, bringt nachher Din, inbem
er fein Anrecht auf Bilar geltend macht, durch Starladrs erftes Ni⸗
dingswerk in Erfüllung.
3. Starladrs Kriegsfahrten.
Starladr nahm Vikars Schiff und verband fi mit Bemo, dem
tapferften der dänifchen Vikinger. Diefe beiven Fahrtgenoſſen hielten fo
auf Mäßigkeit, als eine Hauptftühe der Tapferkeit, daß fie fih niemals
den Gelagen der Trunlenen bingaben. Sie bezwangen weit umber bie
Länder. Bei einem Einfall in Rußland hatten die Einwohner, um fie
aufzuhalten, ihnen Fußeifen gelegt. Die Dänen aber befeftigten Hölzer
unter die Sohlen und fchritten jo über das Hemmnis hinweg. Sie
verfolgten den rufſiſchen Fürften in die Wälder und erlangten Bier fo
große Beute, daß Feiner anders, ala mit Gold und Silber beladen,
zu den Schiffen zurückkam. Nah Bemos Tob wurbe der tapfere Star
kadr von biarmifhen Kämpen in Genoſſenſchaft aufgenommen, bei
denen er viele dentwürbige Thaten verrichtet. Dann begab er fi
nah Schweden, wo er bei den Söhnen Freyrs (cum filiis Fro, den
Ynglingern, dem ſchwediſchen Königsgefchlechte, das feinen Urfprung
bon Freyr herleitete ?) fieben Jahre feierte. Zur Zeit der Opfer in
Upſala aber wurden ihm die weibiſchen Tänze, bie Spiele der Gaukler
und das Geflingel der Schellen zum Ele.
Quod apud Upsalam sacrificiorum tempore constitutus, effeeminatos
corporum motus, scenicosque mimorum plausus ac mollia’nolarum cre-
pitacula 2 fastidiret.
Er verfügte fich deshalb zu dem däniſchen Häuptling Halo (ad
Haconem, Danie tyrannum),. Mit diefen machte ex eine Fahrt nad
Irland, mo damals Huglet König war. Obgleich im Befi eines reis
hen Schatzes war Huglet doch fo geisig, daß er, als er einft Schuhe
verfchentte, die Riemen zurüdbehielt. Bei dieſer Kargheis gegen Ehren
leute war er nur gegen Spielleute und Gaufler (mimos ac jocula-
tores) freigebig. In der Schlacht zwiſchen Huglet und Halo nun verlieh
1 Bl. Saro B. VIII, ©. 223.
2 ®gl. Svensk. Folkwis. I, XLVI.
. 248
aM dieſes nichtswürdige Wolf zitternd die Reiben und vergalt bie
Wohlthaten des Königs mit ſchändlicher Flucht. Nur. zwei tapfere
Kämpen, Gegath und Soibdav, vertheibigten bie Echäte ihres Herrn,
warfen fi) allein der feindlichen Menge entgegen und fochten für ein
ganzes Heer. Gegath ſchlug Hakon, ter auf ihn eindrang, eine ſolche
Wunde in die Bruft, daß bie Leber geftreift wurde. Auch Starkadr
erhielt von Gegath eine tiefe Kopfwunde. Er verficherte nachher im
Liebe (in quodam carmine), daß er nie eine fchmerere empfangen,
weil fie niemals fi ſchloß, wenn gleich äußerlich die Haut das geipal:
tene Haupt zufammenbielt. Nachdem Huglet befiegt und gefallen
war, ließ Starkadr, fo viel der Gaufler gefangen wurden, mit Rutben
ftreichen. Der königliche Scha zu Dublin (apud urbem Dufflinam)
wurde dem Kriegsvolke preisgegeben. Er war jo groß, daß man an
feine forgfältige Theilung dachte.
Nach diefem wurde Starkadr mit dem flavifchen Fürften Win ab:
geihidt, um dem Abfall der öftlichen Völker Einhalt zu thun. Sie
lämpften gegen die Heere ber Kuren, Semgallen und zuleßt aller Völ⸗
fer im Dften und erfochten ruhmvolle Siege. In Rußland war der
Kämpe Wifinn, der den Felſen Anafial bewohnte, die Geiſel naber
und ferner Lanbichaften. Er raubte die Frauen der angefehenften
Männer. Denn er hatte nichts zu fürchten, weil fein bloßer Blid alle
Waffen ftumpf madte. Starfabr, der hievon gehört, machte fich auf, °
den Frevler zu beftrafen. Im Kampfe mit Wiſinn „bebedte er fein
Schwert mit einem bünnen Felle, machte jo den Zauber unwirfjam und
erlegte den Gegner. Nachher überwand er bei Byzanz den Rieſen
Tanna im Ringlampf und zwang ihn, fremde Länder aufzufuchen.
Auch nad) Polen drang er und befiegte im Ziweilampf einen Kämpen,
den die Dänen (nostri) Waſon!, die Deutfchen aber Wilzga nennen.
Inzwiſchen fannen die Sachſen, die fi der Dänenkönig Frotho zins⸗
bar gemacht hatte (Sago ©. 154), auf Abfall. Da fie feine Schladt
gegen ihn wagten, jo fchlugen fie einen Zweilampf vor. Sie wählten
dazu bie Beit, da fie den gefürchteten Starkadr auf Kriegsfahrten ab»
wejend wuſten. Dieſer kam jedoch eben recht zurüd, um den Kampf
für den König zu befteben, der ihn einjt als Schiffbrüchigen auf:
1 &,. 285: Inde_dedi letho Wazam u. f. w.
’
249
7
genommen. Die Sachſen hatten dem Kämpen Hama (Heime?), ber kei
ihnen für ven fiegberühmteften galt, verfprochen, wenn er ſich dem
Streit unterzöge, ihn mit Gold aufzuwägen. Die erlorenen Streiter
wurden von beiben Seiten mit friegeriichem Gefolge auf die Kampf:
ftätte geführt. Hama verachtete feinen greifen Gegner und wählte ben
Ringlampf. Auch führte er einen folden Fauſtſchlag auf Starlaben,
daß Diefer, auf die Knie geftüst, den Boben mit bem Sinn berührte.
Sein Schickſal ließ ihn aber nicht befiegt werben, er erhob fidh, ent:
blößte das Schwert und hieb Haman mitten durch. (Complures agri
[dieß würde nit zu Thors Borbeftimmung paflen] sexagenaque
mancipia vietorie pretium extitere.) Den Sachſen wurde noch ftrens
gerer Zins auferlegt.
Die Thaten Starkadrs, die wir in diefer Abtheilung zuſammen⸗
gefaßt haben, find in Saros Gtem Buche faft ebenfo ſummariſch, ohne
belebtere Darftellung, nach einander aufgezählt, wie fie hier. wiederge⸗
geben worden. Es läßt fih hieraus fließen, daß Saro felbft ent-
weder feine ausführlichen Sagen darüber vor fich gehabt, oder fo aben-
teuerliche, baß er fie feinem Werke nicht einverleiben modte. Da er
jeboch in leßterem Punkte fonft nicht fo ftreng verfährt, fo ift die erftere
Annahme um fo wahrfcheinlicher, ala er uns auch wirklich die Beichafs
fenbeit feiner Duelle errathen läßt. Am Sten Buche (S. 234 f.) läßt
er Starlabrn in lateinifchen Berfen die bedeutendern Thaten, die er in
feinem langen Leben vollbracht, der Reihe nach nambaft machen. Alle
find nur furz berührt und es findet fidh Einiges darunter, was nicht
Schon im 6ten Buche erzählt war. Auch bier hatte er, wie gewöhnlich,
ein altes Lied zu Handen. Lieber diefer Art, in welchen ein Held am
Biele feines Lebens auf die ausgezeichnetſten Begegnifle desſelben zurück⸗
blickt, kommen in der norbifchen Poefte mehrere vor. Aus demjenigen
nun, weldes Starlabın beigelegt war, nahm Saxo die beutlicheren
Momente in die Erzählung bes éten Buches, ber wir gefolgt find, auf, .
die übrigen begnügte er ſich, zugleich mit jenen, in ben lateiniſchen
Berfen des Sten Buches raſch vorüberzuführen. Für Einiges jedoch
mochten ihm noch anderwärtige Überlieferungen zu Gebot ftehen; fo
namentlich über Starkadrs Genofjenfhäft mit Halo, Es erhellt nicht
recht, wie Saro fih das Verhältnis viefes Hako, den er (S. 157)
Danise tyrannum nennt, zu dem für gleichzeitig angenommenen Dänen»
250
konige Frotho gedacht babe. Mehrere Generationen nachher, im Tten
Buche (S. %03), finden wir auch Starladrn bei Halo, dem Sohne
des norwegiſchen Königs Hamund, dem Bruder Hagbartkä, den König
Sigar aufhängen . ließ. Als Halo den Tod feines Brubers rädıen
will, verläßt ihn Starlabr, weil ex früher von dem alten Sigar Gaft
freundichaft genofien hatte. Daß aber dieſer Hako, Hamunds Sohn und
Hagbarths Bruber, identiſch fei mit dem Halo des 7ten Buches, in
defien Gefolge Starkadr den Zug gegen ven König Huglet in Irland
mitmacht, gibt. Saxo felbit zu erkennen, indem ex jo anknüpft:
Hako, Hamundi filins, quum in ultionem fratrum arma ab Hyber-
niensibus in Danos translaturus videretuz, ab u. ſ. w. Starkatbero u. ſ. w.
deseritur.
Saro bat ſich Hier, wie öfters, in feine Königsreihen verwidelt,
den Beſtand der Sage jedoch ungelränit gelafien. Dieß zeigt ung bie
Bergleihung deſſen, was die Ynglingaſaga von ber Verbindung Stars
kadrs mit Halo, nordiſch Haki, berichtet. Im 2öften Gap. berjelben
wird der Zug des Seelönigs Hali mit feinem Bruber Hngbarbr und
dem alten Starladr (Starkadur hinn gamle) gegen König Hugleilr
(Saxos Hugletus), der nur gegen Gaukler und Spielleute freigebig
war und bei dem allein die Kämpen Spipbagr und Geigadr (Gegathus
et Suibdavus) flanden, in der Hauptſache mit denſelben Zügen erzählt,
wie bei Saxo. Nur ift Hugleil nicht König im entlegenen Irland,
jondern im näheren Schweben 1, was wir auch für das Urſprüngliche
anſehen dürfen. Hakli fiegt und wird Slönig in Schweden. Er tar,
nad) all diefem, ein fagenberühmter Seelönig, Anführer von Bilingern,
von dem auch Sago, außer dem Angeführten, noch Mehreres zu ſagen
weiß. In feinem Dienft, ala Schildiungfrau, gab ber verkleidete Hag-
barth vor, die rauhen Hände und Sohlen sshalten zu haben. Gr
hatte (Ynglingaſaga Gap. 25), wie jeber Sagenlönig, zwölf Kämpen bei
. ip und darunter mar Starlabr?. In Schwehen faßte gr zwar auf einige
1 Bgl. Geiler ©. 414 f. Saro B. IV ©, 97, 2.
2 Diefer jogt päter ©. 178:
Undecim quondam proceres eramus
Regis Haconis studium secuti.
Hic prior Helgo Gegathus resedit
Ordine coone.
Bl. 8. VII, ©. 194.
251
— — — — —
Zeit auch als König eines Feſtlandes Fuß, aber am Ende feines Lebens
lehrte er in jein voriges Element zurüd, wie biefelbe Gaga (Gap. 27)
erzählt. Zwei Söhne des alten Konigsgeſchlechts lieferten ihm auf
Fyrisvöll eine Schladt. Er blieb Sieger, hatte aber jo große Wun-
den empfangen, daß er ſah, jein Leben neige fi) zum Ende. Da ließ
er ein Schiff mit Leihen ber Erſchlagenen und mit Waffen belaben,
das Steuer zu recht legen unb die Segel aufziehen, dann auf dem
Schiffe einen großen Sckiterhaufen errigten und anzünden. Der fter
bende Hali wurde auf den Scheiterhaufen gelegt. Der Wind biies
vom Lande und das brennende Schiff fuhr mit vollen Segeln in die
offene See. Das war lange nachher allkundig!.
4. Starfadrs erfte Hofreife.
König Frotho in Dänemark, bei dem einft Starkadx ald Schiff
brüdiger ehrenvolle Aufnahme gefunden und dem er burd) ben jieg:
reihen Zweikampf mit dem fächfiichen Kämpen Hama gelohnt hatte,
gieng in Abwefenbeit des Helden auf Hägliche Weife unter. Die Sachſen⸗
fönige (reguli) Syerting und Hanev fannen darauf, die ihnen auferlegte
Dienftbarkeit abzufchütteln. Hanev griff offen zu ven Waffen. Aber
Frotho führte jein Heer über die Elbe und Hanen fiel bei Hanover,
das nad ihm benannt ift (apud vicum Hanofra, taliter ab eo nun-
cupatum). Sperting dagegen verheblte feinen Groll und war auf Ber:
rath bedacht. Saro hält ihn durch den rühmlichen Zweck nicht für
entſchuldigt.
Nam etsi patrite libertatem querere perutile videbatur, ad hanc tamen
dolo ae proditione contendere non Jicebat.
Sperting wollte den Rönig Frotho, den er zum Gaftmahl em-
pfangen, durch angelegte euer verderben, wurde aber felbft noch
von Frotho erreicht und fo fielen fie Einer von des Andern Schwerte,
Frothon folgte fein Sohn Ingell (Angjald) im Reiche nad. Diefer
überließ fih gänzlih der Trägheit und Schwelgerei; die Waffen ließ
er ruhen und dachte nicht darauf, feinen Vater zu vächen. Er ließ
1 Allfregt; alfreegan — clarescere; vgl. Lex. isl. I, Ya. 2525: frægia
== celebrare, laudare.
52
fih fogar von den Söhnen Evertings, welche dadurch die Rache bon
fid) abwenden wollten, die Schweſter verfelben zur Ehe geben. Seine
eigene Schwefter, Helga, wulte ein Goldſchmied, von unebler Herkunft,
durch Schmeicheleien und Heine Geſchenke für fich zu gewinnen. Denn
feit dem Tode bed Vaters war fie ohne Auffiht und Bormund. Stars
ade, der fi) damals bei dem ſchwediſchen Könige Haldan befand, hatte
durch Erzählung ber Wanderer bievon Kunde erhalten und beichloß
fogleich, den Übermuth des Goldſchmieds zu beftrafen und ber ver⸗
waisten Tochter Frothos beffen Verbienfte um ihn zu vergelten. Eilig
durchzog er Schweden, trat in das Haus bes Goldſchmieds und ſetzte
ſich zunächſt der Thüre, indem er mit einem tief bereingehenden Hute
fein Gefiht verbarg. Der Goldſchmied hieß ihn gleich hinausgehn und
mit den Bettlern die übrigen Broden verzehren. Der Greis aber blieb
mit verhaltenem Grimme fiten und wollte den Muthwill des Gold⸗
ſchmieds näher Tennen lernen. Diefer trug koſtbare Gewande, mit
Biberfellen gefäumt und mit Gold verbrämt, auf feinen Schuhen
olänzten Edelfteine und um feine Haare wanden fich leuchtende Bänder.
Starfadr ſah nun mit an, mie Sener fein Haupt in den Schooß ber
Königstochter nieberlegte und fie ihm mit ihren zarten Händen bie
Loden fchlichten mufte. Bald jedoch warnte fie ven Zubringlichen vor
dem Greis an der Thüre, der mit forfchendem Auge umbherblide und
in dem fie Starfabın vermuthe. Der Goldſchmied aber eriwiderte, nie
werde der Held, den fie fürdite, in fo bettelhaftem Aufzug erfcheinen.
Da warf Starladr zornentbrannt die Verbüllung ab und griff ans
Schwert. Der erfchrodene Goldſchmied mufte fich nicht zu rathen; die
Thüre zu fuchen, an ber jein Feind faß, war fo gefährlih, als ihn
innerhalb des Haufes zu erwarten. Endlich zog er die Flucht vor; als
er aber über bie Schwelle eilte, hieb ihm der Alte, zu ſchmählicher
Strafe, die Sittheile auf. Als fih fofort die Hausgenofienfchaft
ftaunenb und klagend um ben Verwundeten fammelte, ließ ſich Star⸗
kadr in bittrer Hohnrede aus. Saxo hat bier ein altes Lieb in eine
lange Reihe Iateinifcher Herameter übertragen. Darin erzählt Starlahr
den ganzen Hergang, rügt den Übermuth des Goldſchmieds und ermahnt
die Königstochter, ihrer Ahnen eingeben? zu fein. Unter den Schmieben
felbft macht ex einen Unterſchied; Funftreich zwar, aber von weicherer
und zaghafter Sinnesart feien die Goldſchmiede; tüchtiger und hand⸗
e
253 |
fefter jeien, wie er felbft einſt erfahren, Diejenigen, welche Schwerter
und andre Waffen jchmieben:
ER me judice prestant,
Qui gladios et tela viris ad prelia cudunt
Ingenioque animos produnt et corda rigore
Oficii signant ausumque labore fatentur.
Die Erfahrung, auf die er fih hier nur beiläufig bezieht (ietus
ab his quondam), wird etwas näher in dem jchon erwähnten jpätern
Liede bezeichnet, worin er bie bebeutenveren Ereignifie feines Lebens
zufammenfaßt. Dort ergibt ſich, jedoch ohne Angabe des eigentlichen
Anlaſſes, daß er einft von den Schmieden in Telemarlen wohl zer
bämmert worben (B. VIU, ©. 234):
Pe Post hec Thelemarchos
Aggressus, caput inde tuli livore craentum,
‚ Quassum malleolis armisque fabrilibus ictum.
Hic primum didiei, quid ferraments valerent
Incudis, quantumve animi popularibus esset.
Nah der Hohn: und Strafrede Tehrte Starfadr nah Schweben
zurüd und lag in König Haldand Dienfte unabläflig den Waffen ob.
5. Starkadrs zweite Hofreife
Helga, Frothos Tochter, lebte, nach den Lehren, die fie von
Starlabr empfangen 1, in ftrenger, jungfräulider Sitte. Um fie wollte
ber Noriweger Helgo werben. Er beftieg ein Schiff, deſſen Segel mit
Gold geihmüdt und an einem vergolveten Mafte mit purpurfarbigen
Tauen befeitigt waren. König Ingell willigte in das Begehren bes
Freier, wenn er dafür einen Kampf wagen wolle. Helgo erklärte fich
dazu bereit. E3 waren nemlich damals auf Seeland neun Söhne eines
Herzogs (ducis cujusdam) von großer Stärfe und Kühnbeit. Der
ältefte derſelben, Anganter, war gleichfalls Bewerber um bes Königs
Schwefter und als fie nun Helgon zugejagt war, forberte er dieſen
zum Rampfe.
Die Zeit des Kampfes wurde auf den Tag nad ber Hochzeit
feſtgeſetzt. Helgo war jedoch in großer Beforgnid, denn er follte, wie
es ſchien, gegen alle neun Brüder kämpfen. Da er fich jedoch hiezu
1 Diefe waren ſehr handgreiflich.
oo
nitht beftimmt verbindlich gemacht hatte, fo vieth ihm feine Braut,
Starkadrn berbeizubolen, ber ftet den Hülfshebürftigen gewärtig zu
fein und durch feine Zwiſchenkunft jchlimmen Fällen eine glückliche
Wendung zu geben pflege. Helgo madıte fi mit weniger Begleitung
nad Schweden auf. Als er vor Upſala angelommen, ſchickte er Einen
in die Stabt voraus, der Starkadrn mit höflihem Gruße auf bie
Hochzeit der Tochter Yrotdos laden follte Starkadr ſah ben Boten
zornig an und erwiderte, eine fo thörichte Einladung würde nicht un-
geftraft bleiben, wenn nicht feines theuern Frotho in ber Wotfchaft
gedacht worden wäre; benn man jcheine ihn für einen Roffenreißer
oder Schmarozer zu halten, der dem Geruche fremder Küchen nachlaufe.
Auf diefe Antwort begab ſich Helgo felbft in die Königsburg, grüßte
den Alten im Namen der Tochter Frotbos und erbat fi) ihn zum
Genofien des verabrebeten Kampfes. Da wurde Starkadr freunblid,
fagte feine Hülfe zu und bieß Helgon mit feinen Begleitern nad
Dänemark zurüdreifen. Er ſelbſt machte fich erft fpäter auf den Weg
und lief (si famse credi fas est) fo geſchwind, daß er in einem Tage
fo weit fam, als Jene in zwölfen gelommen maren, und gleidjzeitig
mit ihnen vor der Halle Ingells eintraf. Die Tifche waren fchon mit
Hochzeitgäften bejeht, unter denen fich au die neun Tampfluftigen
Brüder befanden. Sie verhöhnten den Frembling, merkten aber bald,
daß er Derjenige fei, der zum Beiftand Helgos aus ber Ferne kommen
follte. In der Hochzertnacht hielt Starfabr vor der Brautlammer Wache,
indem er ſein Schwert ftatt des Riegels der Thüre vorfchob. Als aber
ber Tag graute und ber Bräutigam fich verfpätete, wollte Starladr
ihn nicht aufwecken, fondern machte ſich fill von bannen, um allein
den Kampf für ihn zu beftehen. Er gieng nad) dem Felde Roliung
und feste fih an einen Bergabbang, dem Wind und Schneegeftöber
entgegen. Aber als ob Frühlingsluft wehe, zog er fein Kleid aus
(tune ac si verna cœli temperies aspiraret, depositas veste, demen-
dis operam pulicibus dabat), Den Burpurmantel, den ihm Helga
geſchenkt hatte, warf er in die Dorne. Die neun Kämpen zogen auch
heran, lagerten fich aber auf die entgegengejeßte, windſtille Seite bes
Berges und machten ein Feuer auf. Als fie Starfabrn nicht fahen,
ichiten fie Einen auf den Berg, um von bort nach deflen Ankunft
auszuſchauen. Der Kundfchafter erflieg die Höhe und ſah nun am
25
Abhange den alten Mann, ber bis zu den Schultern eingeſchneit war,
Auf die Frage, ob er ber fei, ber den verabrebeten Kampf ausfechten
wolle, antwortete Starladr bejahend. Seht kamen aud die Andern
und fragten, ob er fie alle zugleich oder einzeln zu belämpfen gelonnen
fi. Er wählte den Kampf mit Allen auf einmal und biefer beganır
nun. Sechs derjelben ſtreckte Starkadr niever, ohne felbft verwundet
zu werben; auch bie drei Übrigen gefellte er ihren Brüdern bei, aber
bon ihnen wurde er mit fiebenzehn Wunden fo zugerichtet, daß ihm
die Gebärme aus dem Leibe biengen. Ermattet und von Durft gequält
kroch er auf den Knieen nach dem nahe rieſelnden Bache. Aber in das
Bett biefes Baches war Anganter niebergeitredt worden und das ftrös
mende Blut beöfelben röthete weithin das Waſſer. Starkadr wollte
lieber verſchmachten, als aus vielem Bache trinken. Als feine Kraft
faft verzehrt war, lehnte er fich hinſinkend auf einen Felsſtein und
noch zu Saxos Zeit ſah man die Oberfläche dieſes Steines ausgeböhlt,
wie wenn fich ein Liegender darin abgebrüdt hätte:
Ego autem hanc imaginem humana arte elaboratam reor, cum veri
fdem excedere videatur, insecabilem petree duritiam ita cerw mollitiem
- imitari potuisse, ut solo innitentis conlactu humane sessionis speciem
representaret habitumque perpetue concavitatis indueret. 1 ”
Ein Mann, der zu Wagen vorbeilam, ſah Starkadrn am ganzen
Leibe vol Wunden und fuhr mit Staunen und Grauen näber hinzu.
Er fragte, was ihm zum Lohne würde, wenn er diefe Wunden heilte.
Starkadr aber fragte erft nach Beruf und Abkunft des Mannes, und
ala er hörte, daß e3 ein Büttel fei (preeconis partibus fungi), wies
er ihn nicht bloß mit Verachtung von fi, ſondern überhäufte ihn noch
mit Schmähworten, daß er den Schaben der Armen fih zum Gewinn
sechne, im Ausfundfchaften und Anklagen fein Geſchäft juche unb jede
Unſchuld anſchwärze. Nachdem Diefer fih entfernt hatte, kam ein
Andrer, der gleichfalls feinen Dienſt anbot und auf die Frage über
feinen Stand erflärte, daß er eine Leibeigene zur Ehe habe und, um
fie frei zu maden, ihrem Herrn Felbarbeit verrichten müfle. Auch
1 Anders erzählt es Starkadr ©. 285:
Teste loco, qui, me stomacho linquente, peresus,
Non parit arenti redivivum cespite gramen.
256
diefen würdigte Starkadr nicht, Hülfe von ihm. anzunehmen. Nach
ihm kam ein Weib bahergegangen, das ſich auf die gewöhnliche Frage
als eine Magd zu erkennen gab, die an ber Hanbmühle arbeite. Star
kadr fragte fie weiter, ob fie ein Sind babe, und als fie es bejahte,
hieß er fie nach Haufe geben und, ftatt feine Wunden zu beilen, ihrem
weinenden Töchterlein die Bruft geben. Enblid fuhr ein SYüngling
heran, der au, als er den Greis erblidte, hinzutrat, um ihm zu
helfen. Auf Befragen, wer er ei, nannte er fi den Sohn eines
(freien) Bauern, welcher felbft auch den Landbau treibe.. Starkadr
Iobte die Abfunft des Jünglings und erkannte feinen Beruf für ben
ehrwürbigften, ba derjelbe Feinen andern Erwerb kenne, ald ben er
fih im Scheiße des Angefichts verfchafft. Das Leben des Landbauers
fei dem gröften Reichthum vorzuziehen, da es zwiſchen glänzendem und
niedrigem Looſe die glückliche Mitte halte. Zum Lohne für den Liebes⸗
dienft beftimmte er dem SZünglinge ben zwifchen die Dorne geivorfenen
Mantel. Der Bauernfohn gieng nun and Werk, brachte die ausge
tretenen Eingeweide wieber an ihren Drt und band fie mit Weiben
ein. Hierauf nahm er den Greis auf feinen Wagen und führte ihn
voll Ehrerbietung nad der Königsburg.
Unterbefien war Helga in großer Sorge um ihren jungen Gemahl.
Sie mwujte, daß Starkadr, ſobald er nach Befiegung ver Kämpen zyrüd:
komme, Helgon, der ſich aus Weichlichfeit verfäumt, zur Strafe ziehen
mwerbe. Sie rieth nun dem Gemabl, ſich tapfer zu mehren, da Star⸗
kadr die Mannhaften zu fchonen, die Feigen zu baflen pflege. Kaum
war Starlabr vor ver Königsburg angelangt, fo fprang er, den Schmer;
feiner Wunben nicht achtend, wie ein Geſunder vom Wagen und erbrad
mit einem Fauftfchlag die Thüre des Brautgemachs. Auch Helgo fprang
auf, ſchwang fein Schwert und traf Starkadrs Stimme. Als er aber
zum zmweitenmal bauen wollte, lief Helga mit vorgehaltenem Schilde
dazwiſchen. Der Schild wurde von Helgos Schwertitreich bis zur Mitte
durchgehauen. Starkadr lobte diefe Brobe von Helgos Tapferkeit und
ließ ihn nun ungefährbet. So hatte‘ Helga zugleich ihren Gemahl ge
rettet und ihren Wohlthäter geichirmt. Bevor noch Starkadrs Wunden
auögeheilt waren, eilte er nach Schweben zurüd, um bort, nachdem
König Haldan von Empörern ermorbet worden, deflen Sohn Syvard
in die väterliche Herrichaft einzufehen.
257
6. Starkadrs dritte Hofreife.
Noch immer war filr den Tob Frothos Feine Rache genommen.
Sein entarteter Sohn Ingell hatte fich vielmehr mit den Mörbern bes
Baters enge befreundet. Der Unwille bierliber veranlakte Starfabrn
zum dritten Gange nad) Dänemark. Er nahm eine große Laft Koblen
auf den Rüden und wenn die Leute, die ihm begegneten, ihn fragten,
was er damit tolle, antwortete er, er wolle dem froftigen König In⸗
gell einheizen (Ingelli regis hebetudinem ad acuminis habitum car-
bonibus se perdueturum astrutit). Den ganzen Weg legte er rafchen
Laufes, mie in einem Atbem, zurüd. Sin der Halle Ingells nahm er
ben Ehrenſitz ein, den ihm die Könige des vorigen Jahrhunderts überall
eingeräumt hatten. Als die Königin fah, daß ein Mann in ſchmutzigen
md zerlumpten Kleidern fih obenan auf die Toftbaren Polſter zu ſetzen
ertühnt habe, fchmälte fie auf ihn als einen Unverſchämten und bieß
ihn diefen Pla verlaffen. Er gehorchte zwar ſchweigend, konnte aber
doch feinen Siugrimm nicht ganz verhehlen. Im Aufftehen drückte ex
jo ftarf gegen die Wand, daß das Gebälk erzitterte und ben Einfturz
drohte. Er lieh fich nun im äußerften Theil ver Halle niever. König
Ingell kam von der Jagd zurück und betrachtete aufmerkſam den Alten,
der nicht vor ihm aufftand. An ber finftern Stirne, den ſcharfen
Augen, den rauhen Händen unb den Narben auf der Vorderfeite des
Körpers erkannte er Starkadrn. Seiner Gemahlin verwies er ihr
Benehmen und bieß fie diefen Mann, den ihm einft fein Vater zum
Pfleger gegeben, auf bas Freumdlichſte bewirthen. Abends beim Mahle,
dad der König mit Svertings Söhnen, feinen Schwägert, einnahm,
wurden die ausgeſuchteſten Speifen aufgetragen. Ingell lud Starfaben
deingenb ein, fich nicht früher dem Mahle zu entziehen. Der Greis
aber verſchmähte ven ſchwelgeriſchen Überfluß und verlangte einfache
Bauernkoft. Auf die Frage, warum er fo finfter die Gaftfreiheit des
Königs von fich weile, ertwiverte er, um den Sohn Frothos, nicht um
einen Schlemmer zu finden, fei er nad Dänemark gelommen (S. 174).
Saro äußert fich hiebei fehr erbittert über den verberblichen Einfluß
der deutſchen Üppigfeit auf den Norden [S. 172]:
Postquam se enim [Ingellus] Teutonie moribus permisit, effoeminate
ejus lascivie succumbere non erubuit, Ex cujus sentina in patrie nostre
Uhland, Säriften. Vils 17
258
fauces hand parva luxurie nutrimenta fluxerunt. Inde enim splendi-
diores 'mens®, lautiores culin®, sordida ooquorum ministeris, varieque
farciminum sordes manavere. Inde licentioris cultus usurpatio a ritu
patrio peregrinata est, Itaque regio nostra, que continentiam in se
tanguam naturalem aluit, luxum a finitimis depoposcit, Cujus Ingellus
illecebra captus, injurias beneficiis rependere erubescendum non duxit,
Neque illi misera parentis clades cum aliguo amaritudinis suspirio obver-
sata est.
Die Königin, die nun Alles anwenden wollte, den Zorn bes
Alten zu befchwichtigen, a0g von ihrem eigenen Haupte eine Binde
von wundervoller Arbeit und legte fie auf Starkadrs Schooß. Er aber
warf ihr die Binde in's Geficht, indem er es für fchmählich anfah,
daß ſein mit Narben bevedies, des Helms gewohntes Haupt folch
weibiſchen Schmud tragen follte. Durch feine Schmeichelei Tieß er das
blutige Bild der Niederlage feines Freundes Frotho aus feiner Seele
verdrängen. Noch einen meitern Berfuch machte gleichwohl die Königin,
den finftern Gaft aufzubeitern. Ein kunſtreicher Flötenſpieler follte
mit feinen weichen Tönen den Zürnenden befänftigen. Aber bald bes
merkte Jener, daß er mehr einer Bilvfäule, als einem Menichen, vor
fpiele. Zuletzt warf Starladr ein abgenagtes Bein dem Pfeifer in’s
Geficht, jo daß ihm aller Blas aus den vollen Baden fuhr (muneris
das Vorſpiel größerer Nieberlagen (cujus leesio futuras coenee clades
ominata est, mie im Nibelungenliev). Starkadrs zornige Augen ver
viethen längft den innern Sturm (occultam animi procellam aperta
luminum swvitia testatus), er fonnte nicht ertragen, daß Frothos
Mörder die Tifchgenofien feines Sohnes waren, und er ftimmte nun
ſelbſt, ftatt des Flötenfpielers, mit ſtarker Stimme ein Lied aus andrem
Ton an. (Deinde in ampliorem histrionis sugillationem mox citan-
dum carmen subtexuit.) Dieles Lieb gibt Saro, nur einmal burd
wenige Beilen proſaiſcher Erzählung unterbrochen, in 70 ſapphiſchen
Strophen.
Starlabr verlangt in bemfelben, daß die unkriegeriſche Jugend
dem tapfern Alten feine Ehre gebe. Bei Frotho fei er ſtets obenan
geſeſſen, jet weile man ihn in den Winkel und er gleiche dem Fiſch
unterm Waſſer.
259
— —
Cedat imbellis vetulo juventus
Et senis crebros veneretur annos!
In viro forti numerosa nemo
Tempora culpet u. ſ. w.
Quando Frothonis comes ennotabar ,
Militum semper medius resedi,
Æde sublimis, procerumgque primus
Prandia duxi,
Sorte nunc versa melioris wevi,
Angulo claudor simuloque piscem,
Qui vago captat latebram recursu
Abditus undis.
Er erinnert fih feiner trüben Ahnungen, als er zulekt von
Frotho ſchied [S. 175 f.]:
Proxime quando, Frotho, te reliqui,
Mente presaga didici, quod armis
Hostium certe periturus esses,
Maxime regum.
Cumque rus longum tererem viator,
Prescius mentem gemitus subibet,
Qui, quod hinc esses mihi non videndus,
Omine finxit.
Mär’ er zugegen geweſen, als ver treulofe Gaftfreund dem König
nach dem Leben getrachtet, fo würd’ er entiweber feinem Heren im Tobe
gefolgt oder deſſen Rächer geworden fein. Er rügt hierauf die Schwel-
gerei und Feigheit Ingells, in dem er vergeblich den Sohn Frothos
gejucht. Aber wenn auch der Sohn entartet fei, jo werde doch er nicht
dulden, daß des Königs Erbe den Fremden zum Raube werbe. Da
erzittert die Königin und reicht bem zürnenden Greife, was fchon früher
erzählt war, ihre Hauptbinbe bin, die er ihr mit Unwillen zurüdwirft
und im lauten Gejange fortfährt (clara rursum voce recinuit). Er
beißt fie den meibifchen Schmud ihrem Gemahle ſchenken und wirft ihr
vor, daß fie vemfelben die üppigen beutichen Bräuche zugebracht. Sie
kredenze demjelben ven Wein in Schanlen und lafje das gefottene Fleifch
noch an zweiten Feuer braten. Damit vergleicht er die raube Mäpßigfeit
der Könige und Helden voriger Zeit [S. 178]:
260
Fortium crudus cibus est virorum,
Nec reor lautis opus esse mensis,
Mens quibus belli meditatur usum
Pectore forti.
In Frothos und Hakos Tagen haben fie nichts Gekochtes geſpeiſt.
Trocknes Widder⸗ und Eberfleiſch und harte Rinden haben ihren Hunger
geſtillt. Kein Meth, ſondern Bier ſei getrunken worden, nicht aus zier⸗
lichen Krügen, ſondern aus dem Faſſe. Damals habe man auch nicht
für den erſchlagenen Vater Geldbuße angenommen. Jetzt muß er beim
Staldenſange für den Sohn feines königlichen Freundes erröthen [S. 179]:
Unde cum regum tituli canuntur
Et ducum vates memorant triumphos,
Pallio vultum pudibundus abdo
Pectore tristi.
Cum tuis nil eniteat tropheis,
Quod stylo digne queat annotari;
Nemo Frothonis recitatur hares
Inter honestos.
Immer fchärfer werben des Greijes Stachelreden. Den, ber feinen
Vater nicht zu rächen tage, werde man leicht hinſchlachten, wie ein
Zidlein oder ein Lamm. Ein Sohn Svertings werde Dänemark erben.
Der Anblick dieſer Königin, ber Tochter Spertings, im Glanz be
Goldes und der Ebelfteine, baran Ingell fich mweibe, ſei den Getreuen,
die ber vorigen Zeit gedenken, ein brennender Vorwurf; nur bie Rache
an Frothos Mördern könne noch Starladrs Herz erfreuen:
Dum gravem gemmis nitidamque cultu
Aureo gaudes celebrare nuptam,
Nos dolor probro sociatus urit
Turpia questos u. ſ. w.
Nam secus, quam tn, scelus estimamus
Hostium, quos nunc veneraris; unde
Prisca noscenti facies molesta est
Temporis hujus.
Re magis nulla cuperem beari,
Si tui, Frotho, juguli nocentes
Debitas tanti sceleris viderem
Pendere posnas.
261
König Ingell lieh anfangs dem Strafliede Starkadrs nur ein
halbes Ohr, aber immermebr ergriff ihn die gewaltige Mahnung, bis
er zulegt, von Schaam und Zorn erglühend, vom Site ſprang und
das Schwert gegen die Söhne Evertings entblößte Gegen fie und
ihr Gefolge erhob er den Kampf der Rache und erichlug die Mörber
feines Vaters (erubescendumque convivium egregia crudelitate mu-
tavit u. f. w. aliguanto speciosius eruore, quam mero, calices im-
buens). Nah vollbrachter That hob Starfabr, der tapfer mitgeholfen,
abermals ein Lied an, worin er vom König Abſchied nimmt, ihm zu
diefer Bewährung feines erwachten Heldengeiſtes glüdwünjcht und fidh
der vollen Rache um Frothon erfreut. Zuletzt hält er jein eigene®
Kampfleben der verweichlichten Zeit zum Spiegel vor und wünſcht fich,
folddem gemäß, auch ven Waffentod [S. 183]:
Ast ego, qui totum concusesi cladibus orbem,
Leni morte fruar? placidoque sub astra levandus
. Funere, vi morbi defangar vulneris expers?
Müller (Sagnhiſt. 85) meint, daß Starladr in der urfprünglichen
Sage alle die Geſchäfte, die ibm Saro für die brei Gänge nad Däne
mark anweift, auf einmal verrichtet haben werbe, die Beitrafung des
Goldſchmieds, den Kampf für Helge und bie Erweckung Ingelld. Es
ift dieß möglich, obgleich Saxo ſchon drei abgejonderte Darftellungen
vor fich gehabt haben mag. Aber anders müften wir, bei Müllers
Annahme, die Ereignifie ordnen. Zum zweiten Gang wird Starkadr
durch Helge, der ihn in Schmeben auffucht, eingelaven, unb da feine
Antwort, wonach er nicht als Hochzeitgaft, wohl aber zum Kampf
ericheinen will, ſich als ein echt fagenhafter Zug zu erfennen gibt, jo
müjte dieje Einladung vorangeftellt werden. Die Züchtigung bes Gold:
ſchmieds und die Bewerbung Helgo8 können aber auch nicht wohl gleich
zeitig gedacht werben, und ba nun Saro noch einer Schweiter Helgas,
Aa, erwähnt, von ber er font nichts zu erzählen weiß, jo mochten
wohl die beiven Abenteuer, welche jet Helgan allein zugewieſen find,
früher unter die zwei Schmweftern vertbeilt geweſen jein.
7. Starladrs zweites Nidingswert.
Für jedes der brei Menfchenalter, welche Odin Starkaben verlieben,
ift ihm von Thor ein Nidingswerk beſchieden. Da er an Ingells Hofe
262
als ein Greis erjcheint, der von ben Königen und Helben des ver:
gangenen Jahrhunderts fpricht, fo haben wir ihn wenigſtens am Schlufle
des zweiten Alters befindlihd und fomit aud das zweite Nidingäwerf
und vollbracht zu denken. Worin ſolches beftanden, ift nirgends aus-
drücklich befagt; aber aus einer, obgleich erft fpäteren Meldung Saros
läßt fih mit Wahrfcheinlichkeit entnehmen, daß eine fchmähliche Feld
flucht für diefes zweite Schanbmal gegolten habe. Im Tten Bude
(S. 194) erzählt Saro, zwilchen dem Dänenkönige Syvald (dem
Bater jener Syrith mit den nievergefchlagenen Augen), den Saro erft
als den fünften ndh Ingell aufführt, und dem Schweden Regnald
babe eine Schlacht in Seeland ftattgefunden. Beide haben bie erlefenften
Kämpen um fi verfammelt gehabt. Nachdem man fi) aber drei Tage
binburch gefchlagen und die Tapferkeit ver Kämpfenden auf beiden Seiten
den Sieg noch immer ſchwankend erhalten, fo fei endlich Othar (Syriths
Gemahl) mit grölter Todesverachtung in die dichteſten Reihen der Feinde
eingevrungen, habe ben Führer derjelben, Regnald, mitten unter feinen
Tapferften erfchlagen und fo plöglich den Sieg für die Dänen entfchieben.
Diefe Schlacht ſei durch die Feigheit der gröften Helden ausgezeichnet
gewefen; vierzig berfelben auf ſchwediſcher Seite haben die Ylucht em
griffen, unter diejen vorzüglich der fonft unerfchütterliche Starkadr:
Insigne hoc prelium maximorum procerum ignavis fuit. Adeo si-
quidem rei summa perhorruit, ut fortissimi Sueonum quadraginta terga
fuge dedisse dicantur. Quorum precipuus Starcatherus, nulla szvitis
rerum aut periculorum magnitudine quati solitus, nescio qua nunc obre-
pente. formidine sociorum fugam sequi, quam spernere, pr=optavit. Cre-
diderim hunc metum ei divinis viribus injecetum, ne supra humanam for-
titudinem virtute sibi preditus videretur. Adeo nihil perfecti mortaliam
felicitas habere consuevit.
Kann diefer panifche Schrecken, ber plöglich über den Helden ge
fommen, wirklich nicht anders erflärt werben, als daß er durch gött
liche Einwirkung erregt worden, jo läßt fich leicht hierin eines ber von
Thor über Starkadrn verhängten Nidingswerke erratben. Saro fekt
noch hinzu, die feloflüchtigen Kämpen haben ſich in die Kriegsgenofſen⸗
Schaft des Vikings Hako begeben.
Tunc hi omnes maximi piratarum Haconis, quasi quædam belli reli-
quise ad eum delapse, coımmilitium amplectuntur.
263
Hiedurch beftätigt fich zugleich, daß dieſes zweite Nidingswerk viel
böber hinauf in der Zeit zu rüden fei. Denn jchon viel früher fanden
wir bei Saxon felbft Starlabın mit Hakon verbunden und im Straf:
liede an Ingelln iſt ihm dieſe Verbindung eine Erinnerung aus alten _
Zeiten. Die genenlogifhe Anordnung der Sagen hat hier Saron aber:
mals in Widerſprüche verwickelt. Ob Dihar, vor dem er Starkadrn
flieben läßt, in ber urfprüngliden Sage als foldher genannt geweſen
fei, erfcheint fehr zweifelhaft. Othars fagenhaftes Dafein ift mit der
Erwerbung Syriths mohl abgefchloflen. War einmal Starkadrs wunder⸗
bare Flucht ſagenkundig, fo konnte, ohne daß der Hauptzug verloren
gieng, bald der, bald jener Helv ald der fiegreihe Gegner benannt
werden.
Müller (Sagnhift. 90) bemerkt, es fei nur eine rhetoriſche Bezeich⸗
nung der Tapferfeit eines Helden geweſen, daß felbft Starkadr vor
ihm geflohen. Immer müften wir jedoch hiebei die Begründung in
der Sage von Starkadr felbit annehmen. Daß übrigens der Ruhm,
Starladın in die Flucht getrieben zu haben, nicht auf einen Helben-
namen bejchränft blieb, zeigt, die Nornageft3faga, aus bem 14ten Jahre
hundert. Hier wird jener Ruhm dem Helden Sigurb beigemeflen. Es
erzählt nemlich der fabelhafte Wandrer Nornageft (8. 7. Fort. ©. 1.
306. Fornald. S. I, 330 f.): In einer Schladt der Gjukunge, ber
Schwäger Sigurbs, mit Gandalf Söhnen fah man im Heere der
letern einen großen und ftarfen Mann, der Männer und Roſſe nieber-
ſchlug und mehr einem Soten, als einem Menfchen, glich. Sigurd
gieng ihm mit einigen Andern entgegen, doch waren die Meiften nicht
ſehr aufgelegt dazu. Auf Sigurds Behragen nannte fih der Mann
Starkadr, Storverksſohn, aus Fenhring in Norwegen. Sigurd er:
widerte, er babe von Starkadrn gehört, aber meift nur Böfes; ſolche
Männer dürfe man nicht für meitere Übelthaten aufiparen. Nachdem
nun auch Sigurd ſich genannt, fuchte Starkadr zu entlommen, aber
Sigurd eilte ihm nad, ſchwang das Schwert Gram in die Luft und
fieß ihn mit dem Heft auf's Gebiß, daß ihm zwei Stodyähne aus:
fuhren; das mar ein ſchmählicher Hieb. Sigurd hieß da das Ungethüm
(mannhundinn) abziehen; „ich aber, fett der Erzähler Nornageft hinzu,
nahm den einen ber Stodzähne mit, ber wiegt fieben Ore (aura) und
hängt jetzt an einem Glodenfeil zu Lund in Dänemark, fürwitzigen
264
Leuten zur Schau.” Nah Starkadrs Flut loben auch Ganbalis
Söhne.
So wechſeln in der Erzählung dieſer Flucht Namen und Neben-
umftände, aber der gemeinfame Typus mar ohne Zweifel Starkadrs
sweiteh Nidingswerk.
8. Starkadr in der Bravallaſchlacht.
In dieſer berühmten Nordlandsſchlacht focht Starkadr auf ſchwe⸗
diſcher Seite unter den Vorderſten (prior in acie). Es werden bei
Saxo (B. VII, ©. 225) und in Sögubrot (Kap. 9. Fort. ©. 1, 354
bis 356), nicht ganz übereinftimmend, die Kämpen bes dänischen Heeres,
darunter auch eine Schilvjungfrau, namhaft gemacht, melde von Stars
kadrs Hand fielen oder verwundet wurden. Der legte, den er erichlug,
war der Däne. Haki. Uber von diefem batte ex felbft ſchwere Wunden
empfangen; die Zunge hieng ihm zum Harnifch heraus, der Naden
war ibm balb burchgehauen, fo daß man in die Höhlung ſah, und ein
Finger abgeichlagen. In ſolchem Zuftand verließ er das Schlachtfeld
und die Haffende Halswunde fchien nicht mehr vernarben zu wollen.
Diefe und andere Einzellämpfe ſowohl, als die Gefchichte des ganzen
Krieges, bat, nad Saros Verſicherung (S. 220), Starfabr in vater
ländifher Sprache berichtet [ogl. oben S. 236. &.]:
Historiam belli suetici Starcatherus, qui et ejusdem prelii precipuum
columen erat, primus danico digessit eloquio, memorie magis, quam
litteris traditam. Cujus seriem, ab ipso pro more patrio vulgariter edi-
tam digestamque, latialiter complecti statuens,_inprimis prasstantissimos
utriusque partis proceres recensebo u. f. w.
(&. 225) Starcatherus, qui belli hujus seriem sermone patrio primus
edidit u. |. w. commemorat ı. |. w. declarat u. |. w. testatur u. f. w.
Auch Sögubrot nennt einmal Starkadrn ald Zeugen (Fornald,
S. I, 384: sem Störkudr inn gamli segir).
Daß Saron unmittelbar, dem Sagabruchſtücke wenigftens mittelbar,
ein norbifches Lieb zu Grunde liege, in welchem Starkadr als in eigener
Perſon ſprechend eingeführt war, und daß namentlich bei Saro in ben
allitterierenden Namen der Kämpfer fowohl, als im poetifchen Schtwunge
der Beichreibung das Skaldenlied durchblide, wenn er gleich hier nicht
ausdrücklich der Worte carmen, ceeinit u. bgl. fich bevient, ift bei
265
der Sage von Harald Hyldetand dargethan worden. Daß Saxo Star⸗
kadrn als Skalden anerkannte, erhellt aber nicht bloß aus der Erzählung
im 6ten Buche, daß Odin ihn als Dichter verherrlicht babe (S. 156:
condendorum carminum peritia illustravit, womit die Gautreka⸗ und
Hrolfs-Saga übereinftimmt), jondern auch aus einer Stelle bes Sten
Buchs (©. 233), wo Saro Starlabın jo anreden läßt:
Unde venis, patrias solitus scriptare poesee u. |, w.
Quove ruis, danicæ vates promptissime Muse?
Bon feiner Theilnahme an der Bravallaſchlacht jagt Starkadr eben
dort (S. 235), in der Aufzählung feiner Thaten:
Er semperque manebit
Nostra bravellinis virtus conspecta tropheis.
—
9. Starkadrs drittes Nidingswerk.
Dieſes iſt der Mord an König Olo, wie ihn Saro nennt und
ihm ben Beinamen Vegetus gibt (S. 219); in den islänbiichen Sagan:
Äli hinn freeknii (Sögubr. €. 8. Fornald. S. I, 381. Nornag. S. €,
8. Fornald. 8. I, 331. Yngling. S. C. 29. I, 31). Bon ihm fcheint
eine eigene Saga vorhanden gemwejen zu fein (Sagnhist. 111); Sago
wenigftend weiß von ihm manderlei Sagenhaftes? zu erzählen. Sein
Dio ift ein Sohn Sivarbs und Schwefterfohn Harald Hyldetands. Er
bringt feine Jugend in Norwegen zu, bezwingt frühzeitig zwei gefähr⸗
liche Räuber in Telemarlen, erlämpft ſich eine Braut und erlegt die
Feinde feines Vaters. Bon al Diefem, mas Saxo im 7ten Buche
(S. 215 bis 19), zum Theil mit eingeftreuten Verſen, ausführlicher be
zichtet, bebe ich nur das aus, was nähere Beziehung zur Sage von
Starkadr barbietet.
ODlo hatte jo blikende Augen, daß er bie Tapferften mit dem
bloßen Blicke ſchreckte (adeo visu efferus erat, ut quod alii armis,
ipse oculis in hostem ageret ac fortissimum quemque vibrante lu-
minum acritate terreret), Nun gab es damals zwei übermüthige
1 Frekinn, frekn, strenuus, fortis, Lex. isl. I, 2526. So aud
Frotho, cognomento Vegetus, 8. IV, ©. 97. Hyndlal. St. 14: Äli var
&br öflgastr manna.
2 8. VI, ©. 213: Qu® de ejus operibus memori®e sant prodita
uf. m.
266
Sungfraunräuber, die Brüder Scati und Hialli. (Scatus et Hiallus).
Sie hatten auch Eja, die Tochter des wermeländiſchen Königs Dlav
zum Raube beftimmt und ließen dem Vater jagen, wenn er fie babor
bewahren wolle, jo müfle er fich jelbit oder einen Andern zum Kampfe
mit ihnen ftellen. Als Olo dieß erfuhr, freute er fi) der Gelegenheit
zum Etreite. In Bauerntracht trat er in König Dlavs Halle. Er
fette fih unter die Lebten, fah das ganze Haus in Trauer, rief ben
Sohn bes Königs näher zu ſich und befragte ihn um die Urſache. Als
ihm nun Diejer die Bedrängnis feiner Schwefter fund gab, fragte DIo
weiter, was Dem zum ohne beftimmt fei, ber fich für die Jungfrau
wage. Der König, bierüber von feinem Sohne befragt, anttvortete,
feine Tochter fei er ihrem Beichirmer zu geben bereit. Diefe Worte
madten Dlon noch begieriger auf den Kampf. Die Königätochter aber
hatte die Gewohnheit, die Gefichter der angelommenen Gäfte, mit vor
gebaltener Leuchte binzutretend, aufmerkſam zu betradhten, um aus
ihren Zügen den Charakter und die Herkunft der Fremden zu errathen,
worin ihr eine große Fertigkeit zuerkannt wurde. Als fie nun mit
forſchendem Blicke vor Dion getreten war, wurde fie von ver Schärfe
feiner Augen fo getroffen, daß fie faft leblos nieberfant. Zweimal
wiederholte fie. den Verſuch mit gleihem Erfolge. Der König fragte
um den Grund biefer Erfeheinung, worauf Eſa erflärte, ber fcharfe
Blid des Gaſtes habe fie niebergeworfen, fie erfenne baran, daß er
von Königen ftamme und, wenn er den Sieg davon trage, ihrer Um⸗
armung würdig fei. Der Gaft, deſſen Geficht vom Hute bevedit war,
wurde nun von Allen gebeten, vie Verhüllung abzumerfen. Er ent
blößte die Stirne und Alle beivunderten feine Schönheit. Licht er
glänzten feine Locken, aber die jchredenden Augfterne deckte er mit den
Wimpern. Hoffnung und Freude berrfchten nun auf einmal an dem
vorber jo trüben Gelage. Indeſs kamen Hialli und Scati mit zehen
Dienern heran und riefen ftürmifch den König zum Kampfe, wenn er
nicht fogleich feine Tochter herausgebe. Alsbald nahm Olo ihre Aus:
forderung an, gieng mit ihnen zum Streite und ftredte allein, mit
jeinem Schwerte Logthi!, alle Zwölfe nieder. Der Kampfplatz mar
eine Inſel mitten im See, unweit eines Fleckens, der noch jet nad)
1 Sn. Edd. 214a unten unter den sverbs-heiti: lavgpir. Heimskr.
3. I, ©. 99: lögdis wid, der Schild, nah 8. af Nidli ©. 66, Note.
267
den beiben erfchlagenen Brüdern benannt ift (unde non longe vieus
abest, qui cladis hujuscemodi monimentum, Hiallıi et Scati fratrum
vocabula conjunctim referens, prebet). Dlo erhielt die Königstochter
zum Siegespreife.
Nachmals erfuhr er, daß fein Vater Sivarb von dem Fylkekonige
Thoro (a Thorone regulo) durch deſſen Häuptlinge Tofto und Leotar
hart bedrängt werde. Da machte er ſich mit einem einzigen Diener,
der Weiberfleiver trug, nach Thoros Königsburg auf. Ste hatten ihre
Schwerter in hohle Stäbe verborgen und Olo felbft trat, als ein alter
Mann verftellt, in bie Halle. Hier gab er vor, er fei bei Sivard
Bettlerfönig (egentium regem 1) geweſen und durch ben Hab bes
Königsfohnes Olo vertrieben worden. Alsbald begrüßten ihn die Hof:
Ieute als König, beugten ihm die Kniee und ftredten ihm ſpottweiſe
die Hände (zur Huldigung) dar. Er hieß fie dieſer Verpflichtung nad:
fommen, 308 das Schwert aus dem Stabe und gieng auf den König
los. in Theil half nun Olon, an der einmal gelobten Treue feft-
baltend, Andre kehrten fich hieran nicht und ftanden zu Thoron. So
erhob ſich ein Hausfrieg, in welchem der König umlam. Sein Häupt-
ling Leotar gab, tödlich verwundet, dem Sieger DIo den Beinamen
des Tapfern (Leotarus, lethaliter saucius, vietorem Olonem tam
ingenio vividum, quam acrem operibus judicans, vegeti cognomine
ı Saxonis Grammatici Historie danic® libri XVI. Stephanus Johannis
Stephanius recognovit notisque uberioribus illustravit. Sorte, 1644. %ol.
. Nott, in 1. VII, S. 166 (zu ©. 142, 8. 16): Se Egentium Regem fuisse]
Nescio an alijs nationibus in usu sit tam anguste (si dis placet) majestatis
dignitas. Nobis Egentium Rex dicitur Staader Konge, qui fere omnibus
in urbibus regnum apud nos posside. Is homo plerumque esse solet
provectæ statis, albicante barba et capillo, qui longum secum ducens
mendicorum agmen, ad fores divitum excubat, tandemque opim& ciborum,
vel interdum pecunie, predä receptä, eam inter subditos ex quo distri-
buit. Sceptri loco ingentem baculum sive contum gestat, quo murmur
tamultuantis plebecule compesecit.“ Die Bueignung des Stephanus Johannis
Stephanins ift datiert: Sore, prid. Non. Januar. Anno Messie 1645.
Ritson, anc. engl. metr. romanc. III, 313:
j Of beggers mo than sexti,
Horn seyd, Maister am y
And aske the the mete u. f. w.
W. Scotts Sir Tristrem 346, Note. The fratern. of vagab, 3.
268
donavit.) Zugleich aber mweifiagte er, Olo werde, nad dem Beifpiel
des Trugs, den er an Thoro geübt, durch Verrath ber Seinigen um
fommen. Mit diefen Unglüdsworten verſchied er. Dlo bradte nun
feinem Bater den Frieden, erhielt von ihm bie Meeresberrichaft und
rieb fiebenzig Seelönige (maritimos reges) auf. Sein Ruhm führte
ibm viele tapfre Kämpen zu.- Unter biefen war aud Starkadr, ben
er höchſt ehrenvoll aufnahm, beiten Dienft ihm aber zum Unheil warb.
Weiterhin wird Dlo, fowohl bei Saro (8. VII, ©. 223 ff.),
als in Sögubrot (a. a. D.), als Hülfögenofie Sigurd Hrings in der Bra
vallaſchlacht genannt. Er hatte fieben Könige in feinem Gefolge, ſowie
auch den Helden Starkadr. Saro macht ihn, nach Harald Hyldetands
Untergang in dieſer Schlacht, zum Nachfolger vesfelben auf dem Königs:
fite von Lethra. Durch Grauſamkeit wurde er aber jo verhaßt, daß
zwölf Häuptlinge ſich gegen fein Leben verſchworen. Da fie aber ber
eigenen Kraft mistrauten, fo dungen fie dazu Starfaben. Dieler be
Ichloß, den König im Babe zu erfchlagen. Als er aber eintrat, fielen
Olos funfelnde Blide jo jcharf aufihn, daß ex, von Schredien gelähmt,
ben Fuß unbielt. |
Itague qui tot ducum, tot pugilum arma protriverat, unius inermis
viri aciem ferre non potuit.
Die jedoch, feines Blickes fich bewuſt, bebedite jein-Geficht, biek
Starfaden näher kommen und fagen, was er bringe. Denn die lange,
vertraute Genofjenfchaft ließ Feinen Verdacht in ihm auflommen. Star:
kadr aber ſprang mit bloßem Schwerte hinzu, burchbohrte den König
und traf ihm noch den Hals, als er fich aufraffen wollte. Hundert
und zwanzig Pfund Goldes waren Starladrs Sold. Nachmals aber
war er fo von Schaam und Reue Über diefe That ergriffen, daß er,
wenn berfelben gedacht wurde, fich der Thränen nicht enthalten konnte.
Einige von denen, bie ihn aufgeftiftet hatten, erfchlug er zur Rache für
jein eigenes Verbrechen.
Als eine Nidingsthat Starkadrs bezeichnet auch die Nornageſtſaga
(€. 8), daß er den König Ali (al. Armöd!) im Bad erfchlug, und
zwar als eine folche, die feiner ſchmählichen Flucht nachgefolgt.. Diefen
Todſchlag für das dritte und letzte der ihm vorbeftimmten Nidingswerke
1 Bgl. Sagnhiſt. 83. Fornald. 8. III, 406. [Schriften I, 224 fi. 2.)
|
269
anzunehmen, begründet fi auch dadurch, daß derſelbe in naher Ver
bindung mit jenem eigenen Tode ſteht, wie bie folgenne Abtheilung
ergeben wirb.
Die Inglingafaga (C. 29) erwähnt gleichfalls, als einer befannten
Sache, daß Starfadr Alin getöbtet. Aber die perfönlichen Verhältnifie
Alis find hier andre, ala bei Saxo. Ali der Tapfere (Ali hinn frokni),
bes bänifchen Frivleifs Sohn, kommt mit feinem Heere nach Schiweben,
befiegt den bortigen König Aun in mehren Schlachten, nöthigt ibn
aus feinem Heiche zu fliehen und ift dann felbft fünf und zwanzig
Sabre lang König in Upfala, bis Starkadr der Alte ihn tobtichlägt.
Saro fcheint nicht bloß andern Überlieferungen gefolgt zu fein, fondern
auch feinen Olo abfichtlich in andre Verwandiſchaftsverhältniſſe verſetzt
zu haben, um mit ihm feine däniſche Königsreihe auszufüllen.
10. Starkadrs Top. PN
Diejer legte Theil der Sage ift einzig durch Saxos Erzählung im
8ten Buche (S. 230 unten bis 236) auf und gekommen.
Starkadr war von Alter müde und an den Augen ſchwach ges
worden. Das Leben war ihm entleibet, aber er wollte nach einer fo
Triegerifchen Laufbahn nicht eines unblutigen Tobes fterben. Er wünfchte
fih, von irgend einem freigebornen Manne erichlagen zu merben.
(Adeo quondam rei bellice deditis 'morbo oppetere probrosum
existimatum est.) Um fih nun Einen zu erfaufen, ber ihn todtſchlüge,
trug er das Gold, das er flir den Mord an Olo empfangen hatte, an
feinen Hals gehängt. Er glaubte von biefem Blutgelbe den beften Ge
braudy zu machen, wenn er dadurch gegen fich ſelbſt einen Rächer Olos
erweckte. Mit zwei Schwertern umgürtet unb auf zwei SKrüdenftäbe
ſich ftügend, wankte er umber. Ein Mann vom Bolfe meinte, zwei
Schwerter feien einem Greife überflüflig, und bat Starkadrn zum
Spotte, ihm eines berfelben zu fchenfen. Starkadr hieß ihn näher
kommen und zeigte, daß er noch des Schwertes Meifter fei, indem er
Genen mitten durchhieb. Dieß fah ein gewifler Hather, deſſen Vater
Lenno einer bon denen tar, welche Starfabr einft (olim), weil fie ihn
zur Ermordung DIos aufgeftiftet, in feiner Reue erichlagen batte.
Hather war eben mit Rofien und Hunden in der Jagd begriffen, er
bielt an und hieß zwei feiner Gefährten, um dem Alten Furcht ein
270
zujagen, ſpornſtreichs auf ihn anfprengen!. Sie thaten es. Als fie
aber dicht an ihm wieder umwandten und enteilen wollten, traf er fie
fo mit feinen Stäben, daß fie ihren Muthwillen mit dem Tobe büßten.
Erſchrocken über diefen Anblid flog Hather zu ‘Pferde herbei, fah num,
daß es Starladr war, und fragte ihn, ob er nicht fein Schwert um
einen Wagen vertaufchen wolle. Der Greis erfannte wegen feiner
blöden Augen ben Süngling nicht und fprach feinen Unwillen über den
Spott desfelben in einem Liebe aus. (Itaque carmen, quod indi-
gnationis sus magnitudinem patefaceret, in huno subtexuit modum.)
Es folgt nun ausführliche Wechfelrede zwiſchen Starkadr und Hather
in Inteinifhen Hexametern. Zuerſt beflagt Starkadr die Hinfälligkeit
des Alters:
Ut sine regressu pronas agit-alvens undas,
Sic ætas hominum, cursim labentibus annis,
Irreditura fluit; preceps ruit orbita fati,
Quam generat, finem rerum factura, senectus,
Illa oculos hominum periter gressusque relidit,
Eripit 08 animumque viris, fameqne nitorem
Paulatim premit et claros oblitterat actus u. f. w.
Seinen eigenem Zuſtand ſchildert er fo:
Ipse ego, quam noceat, didici, damnosa vetustas,
Visu ®eger, vocis modulis et pectore raucus u. f. w.
Jamque minus vegetum corpus fulcimine tutor,
Flaccida subjectis innixus membra becillis.
Lucis inops, moderor vestigia fuste gemello
Et virge monstrante sequor compendia callis,
Stipitis auspicio potius, quam lumine, fisus.
Nemo mei curam celebrat, nec in agmine quisquam
Solamen veterano adhibet, nisi forsan Hatherus
Assit et infracti rebus succurrat amici.
Zum Lobe dieſes Hathers, deſſen Gegenwart er noch nicht ahnt,
läßt er nun Mebreres folgen, rühmt deſſen Freigebigleit und Tapferkeit
und ſchließt hieran die Erinnerung an fein eigenes Triegerifches Leben.
Hierauf hebt Hather an (hujusmodi carmen habuit):
1 Bgl. Dietrich, Rufſiſche BVollsmährchen S. 66 f.
271
Unde venis, patrias solitus scriptare poeses,
Iofßrmo dubium suspendens stipite gressum ?
Quove ruis, danic vates promptiesime Muse?
Roboris eximii cassus decor excidit omnis,
Exulat ore color, animoque amota voluptas,
Destituit fauces vox et raucedine torpet.
Ut ratis assiduo fluctu quassata fatiscit,
Sic longo annorum cursu generata senectus
Triste parit funus u. f. w.
Quis vetuit te, note senex, juvenilibus uti
Rite jocis, agitare pilam, morsa nuce vesci? 1
Hather räth nun dem Greife, wie zuvor ſchon angebeutet war,
ein Schwert zu verlaufen und fi dafür Wagen und Pferd anzu:
ſchaffen, da ihn feine alten Beine nit mehr tragen wollen. Er laufe
ja doch Gefahr, daß man ihm das unnäge Schwert entreiße und gegen
ihn ſelbſt wende:
At si forte caves cassum venundare ferrum,
Ereptus tibi te perimet, ni veneat, ensis.
Starkadr ereifert fih heftig gegen den Unbelannten, der, ftatt
dem lichtberaubten Wanderer fi) zum Führer anzubieten, ihn verhöhne.
Lieber wol’ er zu Fuße gehn, als fein Schwert einem Unwürdigen
abtreten:
Nempe pedes gradiar, nec turpiter' ense relicto
Externam mercabor opem u. ſ. w.
Qua probitate petis indignum viribus ensem ?
Haud latus hic imbelle decet dextramque bubulei
Agrestem soliti calamo deducere Musam u. f. w.
Damals, jo fährt er fort, würbeft bu mich nicht des Schwertes
zu berauben verſucht haben, als in der Schlacht von der Wucht meiner
Streiche entweder die Klinge mir in ber Hand zerbrach ober meine
Feinde nieberftredte:
“Aut gladium fregit manus, aut obstantia fudit,
Hec gravitas ferientis erat u. ſ. w.
Und nun folgt jene, ſchon früher erwähnte Aufzählung feiner bes
beutendften Thaten.
1 Bgl. Halfs 8. C. 16 zu Anf.
” 272
Endlich erfährt er, daß Hather, Lennos Sohn, ber fei, mit dem
er ſpreche. Diefen, als einen Yüngling von edler Abkunft, forbert er
auf, ihn, den Mörder feines Vaters, zu erfchlagen und bietet Hathern
dafür das Gold, das er einft von Lenno empfangen:
Preeteres, Hathere, privavi te patre Lenno,
Hanc mihi, queso, vicem referas, et obire volentem
Sterne senem jugulumgue meum pete vindice ferro,
Quippe operam clari mens percussoris adoptat,
Horret ab ignava fatum deposcere dextra.
Sponte pia legem fati precurrere fas est;
Quod nequeas fugere, hoc etiam anticipare licebit.
‘Arbor alenda recens, vetus excidenda; minister
Nature est, quisquis fato coonfinia fandit
Et sternit, quod stare nequit. Mors optima tunc est,
Quum petitur, viteeque piget, quum funus amatur,
Ne miseros casus incommoda proroget zetas. .
Hather milligte ein, duch das Gold und die Begierde, feinen
Bater zu rächen, angereizt. Nun bot ihm Starkadr haftig fein Schwert
dar und bog feinen Naden bin. Auch ermahnte er Hathern, mannbaft
das Wert zu vollbringen, und verficherte ihn, wenn er gleich nach dem
Streiche zwiſchen Haupt und Rumpf Springe, werd' er feft vor allen
Waffen werben. Hather ſchwang kräftig das Schwert und Starfahrs
abgefchlagenes Haupt bik noch in die Erbe,
Quod corpori avulsum impactumgue terre, glebam morsu carpsisse
fertur, ferocitatem animi moribundi oris atrocitate declarans.
Den Sprung zwiſchen Haupt und Rumpf hatte Hather unterlaflen,
aus Furcht, von dem ftürzenden Riefenförper erbrüdt zu werben, wie
es ihm auch zugebacht jein mochte. Er ließ Starkadrn auf dem Felde
Raaliung begraben (in campo, qui vulgo Raaliung dieitur). Es iſt
dieß dasſelbe, auf dem ber Held im Kampfe für den neubermäblten
Helgo die neun Brüder erfchlagen hatte (dort Roliung, S. 167).
So war Alles in Erfüllung gegangen, was Dbin und Thor,
Jener günftig und Diefer feindlih, Starkadrn vorbeftimmt hatten: er
batte mehrere Menichenalter durchlebt und in jevem ein Nidingswerk
vollführt; Landbeſitz konnte er nicht behaupten, denn er zog unſtät
1 Bgl. Grimm, Edda ©. 108, Str. 20. [Helg. Hund. 2, 25. 2.]
— — — ——
273
umber; an guten Waffen und reicher Beute fehlte es ihm nicht, aber
er hatte doch nicht genug und darum nahm er das Gold für den Mord
an Olo; fiegreich war er im Kampfe, aber jebesmal trug er eine um:
beilbare Wunde davon; als Stalde war er berühmt und im Straf:
gefang an Ingell bewährte er die Macht feines Liebes; davon jedoch,
daß er feine eigenen Lieder vergeflen, kommt nicht3 weiter in ben vor⸗
handenen Überlieferungen vor; bei den Mächtigen war er beliebt, denn
immer finden mir ihn in ber Genoſſenſchaft berühmter Land⸗ und Sees
fönige; daß er dem Bolle verhaßt fein follte, wenn er gleich den freien
Bauernftand für den ehrwitrbigften erflärt, darauf Tann fein Abenteuer
mit ben Schmieden in Telemarlen, wovon er jagt:
Hic primum didici, quid ferramente valerent
Incudis, quantumve animi popularibus esset;
dann der Spott, ben er im Alter erfuhr, bezogen werden. Inwiefern
nun aber dieſe VBorbeftimmungen erft aus dem Charakter und ben
Schidfalen des Helden, wie fie in der Vollsſage hervortraten!, abs
ftrabiert worben feien over umgekehrt die Sage fi aus jenen Vorbe⸗
ſtimmungen weiter entwidelt babe, läßt fich nicht mehr mit Sicherheit
entſcheiden. Wahrſcheinlich hat beiberlei Wirkung ftattgefunden, jo daß
die ſchon vorhandenen Sagen von Starkadrn auf jene Formeln zurüd:
geführt, dann aber diefe mieder zur Abrundung und Vollendung bes
Sagentreijes fruchtbar gemacht murben.
Mas den gefchichtlicher Grund anbetrifft, jo gefchieht zwar auch
in mehr biftorifchen Sagan der Isländer Starkadrs kurze Erwähnung,
namentlih im Landnamabok wird Starkadr der Alte ala Skalde bei
König Frodi und feinem Sohne Ingjald genannt (Sagnbift. 90 ff.).
Aber von einer eigentlichen Vergleichung urkundlicher Berichte mit ben
ingenbaften kann auch bier nicht bie Rede fein. Auch die Lieder, welche
Saro in lateinische Verje übertrug und worin Starkadr als in eigener
Perſon Iprechend eingeführt war, ſowie die ihm zugejchriebenen Stropben
in ber Gautreks⸗ und Hrolfs-⸗Saga und in ber Skalda, die eine bes _
ſondere Versart nach ihm Starkadarlag nennt, können ihm nicht als
urkundlicher Nachlaß vindiciert werben; dieſes Skaldenthum gehört mit
zu der Sage und ift nicht mehr oder weniger hiſtoriſch, als dieſe über:
1 Bol. Sagnhiſt. 84.
Uhland, Säriften. VII. 18
274
haupt. Vgl. Sagnhiſt. 88. 91. 93 f. 115. Da fi Starkadrs Leben
durch mehrere Menfchenalter zieht, jo hat man, um bie Hiftorifche Mög:
Yicheit zu retten, Mehrere besfelben Namens aus verſchiedenen Zeiten
angenommen, eine vielgebrauchte Auskunft, die für bie gefchichtliche
Zurechtſetzung der Sagen allerdings die leichtefte, aber in der Regel
auch die unftatthaftefte iſt. (Wal. Sagnhift. 91 f.)
Fehlt e8 aber auch diefer Sage nicht an einem gefchichtlichen An-
halt, jo war fie doch, foweit wir ihre Spur verfolgen können, Tängft
der poetifchen Sagenbilbung anheimgefallen. Davon zeugt das Mythifche,
das ſich ihr eng vermoben bat!. Was Saro angibt, daß Starlabr in
der Gegend entiprofien fein folle, melde an Schweben im Dften gränge
und jebt von Efthen und andern barbariſchen Bölfern weithin bewohnt
werbe, ift von Müller (S. 77 f.) überzeugend dahin erflärt morben,
daß unter diefer Gegend urfjprünglich nichts Andres, als Sötunbeim,
die Heimath der Riefen, zu verfteben fei, welche man, nachdem übers
haupt der Mythus mehr biftorifchegeographiich aufgefaßt wurde, in jene
norböftlichen Landftriche verlegte. Damit ftimmt dann auch vollfonmen
überein, was Saro und die Sagan fonft von Starkadrs riefenhafter
Abkunft und Geftalt melden?. Storverkr, der Name feines Vaters,
wird in der Skalda (Sn. Edd. 2095) unter den poetiichen Benennungen
für Jote aufgeführt und in der Saga von Gautrel und Hrolf wird
es als der erite Anlaß zu Thors Yeindichaft gegen Starlabr bargeftellt,
daß die Mutter des letztern einen fchlechten Riefen dem Ajathor vor:
gezogen habe (Sagnbift. 77 f.). Sol übrigens, auch unter der Ber
dunflung, welche ver Mytbus bier, wie in andern Fällen, erlitten
haben mag, die urfprüngliche Bedeutung diefes Zufammentwirkens der
jotifchen Abkunft mit den Einflüflen Odins und Thors ermittelt werben,
fo fcheint es diefe zu fein: ein norbifcher Heros follte geſchaffen werden
aus der verbundenen Natur des Rieſen⸗ und bes Afengeichlechtes. Die
jotifche Abftammung gab Starlabın das Übermaaß Zörperlicher Fülle
und Kraft, von den Afen empfieng er ben Heldengeift, aber diefen in
zmweifacher Eigenfchaft und Richtung. bin, der Heldenpater, gab den
Schwung, die höhere Belebung jener Riefentraft, Thor, der, zwar
1 Bgl. noch Sagnhiſt. 89: Rotho. Diefer Name kommt auch bei Saro
&. 207 unten vor.
2 [Bgl. Sagenforfhungen I, 185 ff. Schriften 6, 106 ff. 8.)
275
Bekämpfer der Joten, body felbft zwilchen ihnen und den Aſen halb⸗
riefenbaft inne fteht?, gab ihren Misbraud und Auswuchs, die rühm-
lichen Thaten ftammen von Din, die Nibingswerle von Thor. . Aus
diefer Mifhung wird allerdings Fein Tugenbipiegel, aber die Sagen»
dichtung gibt und ein wahrhaftiges Bild des norbilchen Heldenthums
im Guten und im Böfen. Allein auch in Beziehung auf die Nidings⸗
werke muß bier, einex fpäteren Ausführung vorgreifend, bemerkt werden,
daß in altnorbifcher Anſchauungsweiſe ſolche Frevel weniger für jelbft-
verjchulbet, als für ein von höherer Macht verhängtes Unheil galten
(wie bei der Töbtung Bilars ſich beſonders berborftellt) und daß fie
daher nicht jomohl den Eindrud des Abſcheus, als den tragiichen bes
Mitleids mit der jo zum Schnählichen getriebenen Helbentraft, hervor⸗
brachten.
So ift uns denn Starfabr im Edeln, wie im Gewaltfamen, ber
Typus des nordilchen Helden und die Sage von ihm bat fich folgerecht
in diefem Sinne ausgebilbet. Seine riefenhafte Natur ist Ianglebig
Durch Jahrhunderte; mie ein Eisriefe fißt er eingefchneit bis an bie
Schultern, die tiefften Wunden werben ihm gejchlagen, das Eingemweibe
hängt ihm aus dem Leibe, dennoch bleibt er unvertilgt, und wenn er
tobesmatt darniederfinkt, drückt er noch feine ganze Geftalt in den
harten Felsitein. Als blinder, abgelebter Greis ftredit er die Beleidiger
mit den Krüden nieder. Sein abgefchlagened Haupt beißt in die Erbe,
und wenn in einem ber heroifchen Eddalieder (F. Magn. Edd. III, 302;
- vgl. 297), als des grimmigften der Helven, eines Königs Starkadr
gedacht wird, deſſen Rumpf ſich noch fchlug, ala das Haupt fort war,
fo ift dieß fagenhaft derſelbe Rieſenſohn.
Aber auch dem Geifte nach wandelt er ungebeugt durch viele
Zeiten. Er ift immer alt und hat davon bei Snorro den Beinamen
hinn gamli (Sagnhift. 92), wie Halfdan, aber in anbrer Bedeutung,
als diefer, wenn auch beide fich in Einzelnem nahe kommen. Halfdan
ift der Alte, alö der gemeinfame Stammvater aller Königsgeichlechter;
Starkadr ftellt das Urbild eines höhern, firengern Heldenthums dar,
wie es ftet3 nur in der Vergangenheit gedacht wurde. Emft und
mäßig, ein abgefagter Feind der Gaukler und der Schlemmer, den
1 Bgl. Rechtsalterth. 349, 1.
⸗
276
Ruf zum Feſte verſchmähend, dem zum Kampfe willig, ift er em
Schreden der geſunkenen, vertweichlichten Gegenwart. So figt er, eine
furchtbare Erfcheinung aus verſchwundenen Tagen, an der Thüre bes
üppigen Goldſchmieds umb an Ingells ſchwelgeriſchem Königsmahle.
Hier fingt er, wie anders man zu Hakos Zeiten gelebt, und facht ben
verglimmenven Funken des Helvengeiftes von Neuem an. Aber aud)
eine Warnung ift er jedem neuen Menſchenalter burch ein Nidingswerk,
daß auch die Fräftigfte Natur nicht vor dem Falle ficher fei, ſowie bie
unbeilbaren Wunden, bie er aus jedem fiegreichen Kampfe davonträgt,
den Übermuth des Sieges bämpfen. Immer wieder bei andern fagen-
berühmten Helden kehrt er auf feinem weitjchreitenden Gang durch bie
Sahrhunderte ein, denn wo ber alte Helbengeift lebt, da ift Starkadr.
So liegt es im Wefen feiner Sage, daß fie andre Sagen an fi
Mmüpft und in fi aufrollt. Es gibt in ihr feine Anachronismen, weil
fie der ganzen Helvenzeit angehört, und mas von ihr ausgeſondert
werben Tann, fofern es nicht urjprünglich mit ihr verbunden war, ge
bührt ihr dennoch vermöge ihrer natürlichen Entwicklung. Zu dieſen
fpätern Aneignungen mag allerbings bie Bravallaſchlacht zu rechnen
fein, welche fon in die Morgendämmerung ber Geſchichte fällt. Aber
wie hätte in diefer berühmteften Schlacht des Nordens Starkadr fehlen
bürfen? Sn ihr bat ſich noch einmal alle Helbenfraft der Norblande
gefammelt; fchiverer verwundet, ala jemals, geht Starkadr aus ihr,
feine Bahn neigt fich jebt zum Ende, da faßt er noch zum Letzten im
großen Staldenlieve das Bilb der verfinfenden Heldenwelt auf und beut
e3 den kommenden Altern hinüber.
Sp erſchien auch die Sage von Starkadr al? die paſſendſte, vie
Reihe der dem Norden eigenthüümlichen Heldenſagen zu befchließen.
Bd. Deutſch-nordiſche Heldenjagen.
Die Stammvermandtichaft der Völfer des ſtandinaviſchen Nordens
mit den deutishen im engern Sinne verläugnet ſich aud in der Sage
nicht. Dieſes Verhältnis kann zwar erft erörtert werben, wenn aud
die entfprechende deutſche Sage dargeftellt fein wird. Um aber die Ber:
gleihung zum woraus anzubahnen, ſchien es räthlich, von den Helben-
fagen des Norden? zuerft diejenigen aufzuführen, bei benen eine
277
Gemeinſchaft mit beutfcher Sage entweder überhaupt nicht beftanden bat
oder doch nicht mehr in beiberfeitigen Dentmälern nachgewieſen merben
fann, wenn auch jchon noch, wie in der Sage von Starladr, die Spuren
eines früheren Sagenverkehrs fich bemerklich machen; ſodann aber, in
der nun folgenden Klaſſe, die meitern zufammenzuftellen, melde ber
norbiichen Sagenpoefie mit ber beutichen gemeinfchaftlich angehören
und noch jetzt in ihren beiberfeitigen Geftaltungen verglichen werden
fönnen. Das urfprüngliche Anrecht wird ſich bald mehr auf beutjche,
bald mehr auf nordiſche Seite zu neigen fcheinen. Aber au da, wo
man für deutfchen Urſprung entfcheiven muß und die norbifcheg Über:
fieferungen felbft auf deutfche Duelle hinweiſen, wird man body meift
die norbifche Darftellung, in BVergleihung mit der jetzigen beutfchen,
für die ältere und echtere anerfennen und auf die erftere zur Erklärung
der Ießteren zurüdgehen müflen. Gerade diefe Sagen waren au im
Norden fo völlig eingebürgert, fo früh verarbeitet und allbefannt, fo
genan in die älteſte Skaldenſprache verwoben und, was noch wichtiger
it, fie hängen fo innerlich mit dem odiniſchen Mythus und dem Geifte
der ganzen norbifchen Sagenpoeſie zufammen, daß wir fie durchaus
nicht von dieſer ausſcheiden können, vielmehr den allgemeinern Erfund
der Betrachtung norbifcher Helbenfagen erft dann zweckmäßig erheben
werden, wenn auch dieſe zweite Klaſſe verjelben abgehandelt jein wird.
Läßt fich Übrigens, jenes innern Zufammenbangs unergehtet, in ben
deutſchnordiſchen Heldenjagen theilmeife eine geiftigere Durchbildung bes
merten, als in denen der erſten Klafle, jo werben wir dieß eben als
bie Folge der unvordenklichen und vielfeitigen Beichäftigung ber ger
maniſchen Völker mit diefen Sagentreifen zu betrachten haben.
An die eigentlich beutfchnorbiihen Sagen haben fi) aber im
Norden mehrere andre, in ihm jelbft ermachfene angefchlofien, durch
die ex jenen gemeinfamen Beſitz ſich näher zu verbinden und anzueig:
nen getrachtet bat. Auch folche werden wir, dieſes Zuſammenhangs
wegen, der zweiten Klafie einreihben. Auf der andern Seite ſcheiden
wir nicht bloß bier, jondern von ber Darftellung der norbifchen Helden
lage überhaupt, Dasjenige aus, was erft von ber eigenthümlich beut-
Ihen Geftaltung der gemeinfamen Sage fpäter in den Norben herüber
gefommen ift. Dieſes gilt außer Einigem bei Saro, hauptſächlich von
der umfangreichen Vilkinaſaga oder Dietrichäfage, welche, wenn gleich
278
iSlänbifch verfaßt, doch nach ihren eigenen Angaben auf deutfchen Über:
Lieferungen beruht und in der Hauptfache ganz auf die Seite der beutjchen
Ausbildung des gemeinfchaftlichen Sagenfreijes fällt. Ihr Inhalt dient
wejentlih zur Ergänzung der deutichen Heldenfage, für die nordiſche
werden wir nur Einzelned daraus beizuziehen haben.
Nah diefen Erläuterungen beginnen mir bie angegebene zweite
Reihe norbifcher Heldenſagen.
1. Hilbur.
Skalda, Sn. Edd. ©. 163 bis 165. Sörla Bättr (Saga af Hedni ok
Högna), Fornald. 8. I, 389 fi. Fort. 8. I,'361 ff. &agabibl. II, 570 fi.
Saro 8. V, ©. 122 bis 135. Sagnhiſt. 67 f. Lex. myth. S. 157 bis 60.
Die Skalda fagt bei den Dichterausprüden für Schlacht: Die
Schlacht wird genannt der Hjabninge Sturm oder Schlagregen und fo
heißen die Waffen der Hjadninge Feuer oder Webzeug. Davon Yautet
die Sage 1 alfo: König Högni hatte eine Tochter mit Namen Hildur.
- Diefe nahm der König Hebin, Hiarrandis Sohn, zur Beute, als ihr
Vater auf einer Berfammlung abmejend war. Sobald Högni hörte,
daß man in fein Reich eingefallen und feine Tochter weggeführt, fuhr
er mit feinem Heergefolge Hebin nach, der, wie er erfahren, norbwärts
die Küften entlang gefegelt war. Als er aber nad Norwegen Tam,
hörte er weiter, Hebin fei nach dem meftlichen Meere gefegelt. Högni
verfolgte denfelben bis zu den Drfneyen, und als er bei ber Inſel
Haey (jebt Hoy) anfam, mar dort kaum zuvor Hebin mit feinem Kriegs⸗
volf angelangt. Hildur begab fih zu ihrem Bater und bot ihm von
Seiten Hedins einen Halsſchmuck zur Söhnung, zugleich aber fagte fie
ihm, daß Hebin zum Gtreite bereit fei und Högni bon ihm feine Scho⸗
nung zu erwarten habe. Högni antwortete feiner Tochter unfreunblic,
und als fie nun zu Hedin zurüdfem, ſagte fie Diefem, Högni wolle
feine Söhnung, und hieß ihn ſich zur Schlacht rüften. So thaten fie
auch Beide, fliegen and Land und fchaarten ihre Striegsleute. Da
rief Hedin noch feinen Schwäher um Frieden an und bot ihm vieles
Gold zur Buße. Högni erwiderte: „Zu fpät bieteft du das, wenn bu
1 (Bl. Schriften 8. I, S. 88. .]
2379
Frieden wünfdelt, denn jet hab’ ich mein Schwert Dainsleif 1 gezogen,
das von Zwergen geichmiebet und, fo oft es entblößt ıft, eines Man
nes Tod wird; nimmer hört e3 dann zu bauen auf und feine Wunde
heilt, die es gefchlagen.” Da antwortete Hein: „Das Schwert haft
du in der Hand, aber nicht den Sieg; gut ift das Schwert, das feinem
Herren Heil bringt.” Nun erhoben fie die Schlacht, die der Hjabninge
Kampf (Hjadninga-vig ?) genannt wird, und fchlugen ſich den ganzen
Tag, am Abend aber giengen die Könige auf ihre Schiffe. Hildur aber
gieng in der Nacht auf die Walftatt und weckte durch Zauber alle die
Erichlagenen auf. Den folgenden Tag giengen die Könige wieder auf
ben Kampfplag und erneuerten die Schlacht zugleich mit allen Denen,
die den, Tag zuvor gefallen waren. Dieſer Kampf mährte Tag für
Tag in der Weile fort, daß alle Gefallene, fowie alle Waffen und
Schilde, die auf der Walftätte lagen, (Nachts) zu Steinen wurden;
wenn e3 aber tagte, ftunden alle Todte wieder auf und kämpften, und
alle Waffen waren wieder brauchbar. Sin Liedern ift gejagt, daß bie
Hiadninge jo fortfahren werden bis Ragnaröl ®.
Es folgen bierauf in der Skalda einige Strophen, melde ber
Skalde Bragi der Alte in feinem Liebe auf den Dänenkönig Ragnar
Lodbrok nad diefer Sage gebichtet babe. Darin wird gejagt, daß bie
Schlacht der Hjabninge, mit Andrem, auf einem Schilde dargeftellt
geweſen fer, den der König dem Stalven gegeben; auch wie die trug:
finnende Hildur den Halsſchmuck Högnin vergeblich angeboten und ber
Anfang der Schlacht wird befungen.
1 Lex. myth. 158: i. e. res (vel artiicium) a Daino relicta.
2 Lex. myth. 158: Nomen gentilitium Hiadningar, ab illo virili Hödin
alioguin derivandum. gl. Kräkumdl &. 13: fyrir Hedninga vägi.
3 Kunſtblatt 1834. Zul. Nr. 59. S. 285: Kunflverein in München. Die
Geiſterſchlacht, Sarton, von Wild. Kaulbach. „Attila, König der Hunnen,
liefert, nad) einer alten Sage aus ben Fragmenten des Damasrius, den Rö-
mern vor den Thoren Roms eine breitägige, blutige Schladt. Es wird von
beiden Seiten mit folder Erbitterung gefochten, daß am Ende des dritten Tags
fein Hunne und Römer mehr lebt. Mit Anbruch der Nacht erwachen fie vom
kurzen Zodesichlafe, heben fi von der Erde und beginnen in der Luft den
Kampf von Neuem.” Dieß war das vom Geh. Rath v. Klenze dem Kunſtler
übergebene Programm, nad welden er ihm ein Bild ausführen folle; die
vollendete Zeichnung ift die oben genannte Geifterfchlacht.]
280
Viele von diefer Sage ausgehende Berennungen bes Kriegs und
ber Kriegswerkzeuge kommen auch fonft in ber Skaldenſprache vor;
außer den. Eingangs erwähnten: die Waffen Hilburs Eteine, das
Schwert Hildurs Flamme, der Panzer Hildurs Rinde, Kriegsleute
Högnis Boll. Beim Anbruhe der Schlacht von Stifleftab fingt ber
Stalde Sizur: Bald wird Hedins Weib fommen (Lex. myth. 159%. Saga⸗
bibl. DI, 574 f.).
Ausführlicder, als die kurze Erzählung der Skalda, ift die islän⸗
diſche Saga von Hedin und Högni; aber die alte mythiſche Sage bat
in biefer fpätern Behandlung ihr uriprüngliches Gepräge verloren
‚amd ift mehr in ber Art ritterlich mährchenbafter Abenteuer umgewan⸗
delt und ausgefponnen. Hebin ift bier ein Yürft aus Serlland (dem
: Sande der Saracenen), der aber doch feine Fahrten bis Dänemark
erftredt. Die Anftifterin des Streites ift nicht Hildur, ſondern ein
räthjelhaftes weibliches Weſen, Göndul (ein Valkyrienname), das Heben
wiederholt im Walde, auf einem Stuble ſitzend, antrifftl. Bei der an-
gegebenen Beichaffenheit diefer Saga kommt uns viefelbe nicht umftänd»
licher in Betradt. Nur der Schluß ift für die Sagengefchichte merk:
würdig.
(€. 9) Dlaf Tryggpafon [dev bekannte König in Norwegen, der gegen
das Ende des 10ten Jahrhunderts die Einführung des Chriftenthums nicht
ohne Liſt und Gewalt durchjette] lam im erften Jahre feiner Regierung zur
Inſel Ha umd legte dort eines Abends an. Auf diefer Inſel pflegten fonf
jedesmal in der Nacht die Wachtmänner zu verſchwinden, fo daß Niemand
wufte, was aus ihnen geworden. var Ljomi 1 follte nun diefe Nacht Wache
halten. Als alle auf den Schiffen eingefchlafen waren, zog er all fein Waffen⸗
gewand an und nahm fein Schwert, das früher Jarnſtjöld gehabt und defien
Sohn Thorſtein Ivarn gegeben hatte, und gieng anf die Inſel. Da fah
er einen Dann gegen fi) kommen, hochgewachſen, ganz blutig und von tran-
rigen Ausfehn. Spar fragte den Mann um feinen Namen. Derſelbe nannte
fih Hebin, Hiarandis Sohn, aus Serfland. „Ah muß dir fagen,* fette er
hinzu, „das Berfhwinden der Wachtmänner ift mir und Högnin, Halfdans
Sohne, zuzurechnen, denn wir und unsre Leute find fo unheilvollem Schidjal
unterworfen, daß wir Naht und Tag kämpfen müflen und dieß fon viele
Menſchen alter währt. Hildur, Högnis Tochter, fitt da und fieht zu, Obin
1 Liömi, m. splendor.
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aber bat ums dieß auferlegt und daß uns nichts Andres erlöjen könne, als
werm irgend ein Ehriftermann mit uns kämpft; dann foll der, ven er erfchlägt,
nicht wieder aufftehn und fo Jeder feines Unheil ledig werden. Nun will ich
dich bitten, daß du mit uns zum Kampfe geheſt, deun ich weiß, daß du ein
guter Ehrift biſt, ſowie au, daß dem Könige, dem du dieneft, viel Glückes
folgt; mir jagt mein Sinn, daß uns von ihm und feinen Mannen etwas Gutes
widerfahren wird,“ var willigte ein, mit ihm zu gehen. Darüber wurde
Hein froh und fprad: „Du ſollſt dich hüten, gegen Högni vorzugehn, und
ebenjo, mid vor Högni zu erlegen, denn es fteht in feines Menſchen Macht,
Högnin zu erjchlagen, bevor ich tobt bin, da er Zauber in den Augen hat
(eegishjälm { augum) und Niemand fchont. Darum iſt das einzige Mittel,
daß ich. ihn von vorn befämpfe und du ihm von hinten bie Todeswunde gibft,
denn leicht ift dir's, mich zu tödten, wenn ih auch am längften von uns Allen
lebe.” Sie giengen hierauf zum Kampfe und var fah, daß Alles fich fo ver-
hielt, wie Hebin ihm gejagt hatte. Er trat Hinter Högnin, hieb ihn ins Haupt
und fpaltete ihn bis in die Schultern herab. Da fiel Högni tobt nieder und
Rand feitbem nie wieder auf. Hernach erfchlug Ivar alle die Männer, die im
Kampfe waren, und zulett Hedin, und es war ihm eine leichte Sade. Dann
gieng er zu den Schiffen zuriid und da mar es taghell. Der König, dem er
Alles erzählte, war zufrieden mit feiner That und fagte, er habe viel Glüd
gehabt. Beim Tage giengen fie nun ans Sand und dahin, wo der Kampf
flattgefunden hatte, fahen aber feine Spur von dem, was vorgegangen war;
das Blut jedoch jah man an Ivars Schwerte zum Wahrzeichen, und niemals
mehr verfäwanden die Wachtmänner. Der König fuhr nad Diefem heim in
fein Reich.
Auch Saro bat die Sage von Hildur gefannt. Bei ihm follte fie,
ſoweit es thunlich war, mehr eine hiftorifche Haltung annehmen. Er
bat fie (B. V, ©. 132 bis 135) unter feinen britten Frotho eingereibt.
Hithin ift ihm ein norwegiſcher Fylfelönig (rex aliquante Norvagien-
sium gentis), der fih mit 150 Schiffen der Flotte Frothos anſchließt.
Nachher hat er ein Liebesverftändnis mit Hilda, der Tochter des jüt:
länvifchen Königs Hogin (Hogini Jutorum reguli), einer ſehr geprie-
jenen Jungfrau. Beide waren, auf das bloße Gerücht, für einander
entbrannt. Als fie fih aber das erftemal zu fehen befamen, Tonnte
Keine den Blid vom Andern abwenden. Hithin und Hogin zogen
zufammen auf Bilingsfabhrt; dieſer mufte noch nicht, daß jener feine
Tochter liebe. Hithin mar viel Heiner als Hogin, aber ſehr jchön.
Bald aber verlobte ihm Hogin feine Tochter, und fie ſchwuren fich,
2893
Einer des Andern Tod zu rächen. Sie eroberten zufammen für Fre
tho bie-orlabifchen Inſeln (Hithino quoque et Hogino Orcadum tro-
phea cessere). In der Folge wurde Hithin bei Hogin angeſchwaͤrzt,
daß er mit befien Tochter vor der Verlobung verbotenen Umgang ge
habt habe, quod tunc immane cunctis gentibus facinus habebatur.
Hogin glaubte der falfchen Anklage und griff mit der Flotte feinen
Eidam an, wurde aber von ihm gefchlagen. Frotho, deſſen Friede durd
diefen Streit gebrochen war!, ſuchte die Beiden auszuföhnen; als
aber Hogin beharrlih feine Tochter zurüdverlangte, orbnete er einen
Zweikampf, als da2 einzige Mittel der Entſcheidung, an. In bielem
wurde Hithin ſchwer verwundet; Hogin aber, der ihn hätte töbten
tönnen, hatte Mitleid mit feiner Jugend und Schönheit. Sieben Jahre
nachher erhoben fie bei der Inſel Hithinsd 2 wieder einen Kampf und
fielen von den Wunden, die fie ſich gegenfeitig beibrachten. Hilda fol,
aus Sehnſucht nach ihrem Gemahl, bei Nacht die Beifter der Erſchla⸗
genen zu erneutem Kampfe durch Zauberliever erwedt haben.
Ferunt, Hildam tantu mariti cupiditate flagrasse, ut noctu inter-
fectorum manes, redintegrandi belli gratia, carminibus excitasse credatur.
In dieſem Lebten iſt allerbings ver weſentliche Beſtandtheil ter
Sage erhalten, obgleich die Angabe, daß Hilda aus Liebe zu Hithin
die Todten zum Kampf erweckt babe, auf offenbarem Misverftändnis
beruht, fowie auch der Grund bes Zwiſtes, daß Hogin die Verführung
feiner Tochter, nachdem fie bereis mit feinem Willen an Hithin ver
mäblt war, an diefem habe rächen wollen, nicht einleuchten Tann.
Bon der mährchenhaften Auffaflung in der isländiſchen Saga und
der verſuchten biftorifchen bei Saro finden wir und auf bie mythiſche
der Stalda, als die echtere, zurückgewieſen.
Die Wurzel hild in der Bebeutung von Kampf, Schlacht (pugne)
183.7, ©. 134: Itaque statam a Frothone pacem internum labefacta-
verat bellum. ®gl. Helg. Qv. H. B. I. Str. 18. Edd. Sem. S. 151:
eleit Fr6da frid fjanda & milli,. Edd. Havn. 8. I, ©. 62. 29 bemerkt zu
biefer Stelle: Pax frothoniana pleonasmo poetico pro pace hic ponitar.
Ein ähnlicher Ausdruck mochte Saron veranlaffen, die Sage von Hilda unter
jeinen Frotho III einzureihen. Frute auch im deutſchen Gudrunliede.
3 Hiddinsee iſt der Heutige Name einer im baltifchen Meere, bei Rügen,
gelegenen Infel; Hedinsei kommt auch im erſten Lied von Helgi Hundingsb.
vor. Edd. Havn. II, 67, 45. 877.
283
ift der altnordiſchen Sprade mit der angelfächfifchen und ber alt
hochdeutſchen gemein. Doch findet fie ſich meift nur in Bufammen-
feßungen, befonder3 der Eigennamen. Wo das Wort fiir fich ftebt,
nordiſch Hildr, angelfächftfeh Hilde, bezeichnet es ben weiblich perſoni⸗
ficierten Kampf, die Bellona des germaniſchen Nordens; und dieſer
Begriff Tiegt dann wieder den vielen weiblichen Namen mit der Enbung
auf bild, bilt zu Grunde (Grimm, d. Gramm. II, 461 f. 499. Lex.
isl. I, 359): Brynhiſdr loricata Bellona; Geirhildr, Vikars Mutter,
hastata B.; Grimhildr larvata B. Auf folde Perfonification gründen
fich die poetiſchen Ausbrüde der Eddalieder: Hildurs Spiel für Kampf,
Hildur wecken für den Kampf erheben. Hildur erfcheint aber, ihrem
Weſen gemäß, auch ala eine von den Ballyrien ber Götterwelt, deren
Namen, wie ſchon erwähnt worden, fi) meift auf Kampf oder Kampf:
lärm beziehen. In der Völufpa (Edd. Sem. 45. Str. 24) reitet fie
in der Schaar diefer Dienerinnen Odins fampfverfündend daher und
im Grimnismal (ebend. 45°. Str. 36) reicht fie mit den andern das
Trinfhorn den Einherien. Den Balfyrien der Götterwelt aber ent:
Iprechen irdiſche, die, gleichfalls in Odins Dienfte, Kampf erregen und
bes Kampfes walten, ober dieſe letztern find eben die der Götterwelt,
nur in menſchlicher Verwandlung, wie aud Odin felbft zur Erbe herab-
ſteigt. So ift die Valkyrie Hildur, als Tochter Högnis und Gemahlin
. Hebins, die Stifterin des Streiteö zwiſchen biefen Beiden, gerade wie
in. der Sage von Harald Hylvetand Odin felbft ald Bruni zwiſchen
den Blutöverwandten zwiſterregende Trugbotichaft trägt 1. Selbft die
Tobten noch erwedt Hildur zu immer erneuter Schlacht. Aber wie
meift das Dämonifche, ift diefer Kampf ein nächtlicher und bei Tage
werben Streiter und Waffen zu Stein; denn fo wird es nad) Andeu—⸗
tung der isländifchen Saga und Saxos richtiger gefaßt werden, wenn
gleich die Stalda den Streit bei Tage dauern und die Verfteinerung
bei Nacht eintreten läßt. Auch jonft werden im nordiſchen Volksglau⸗
ben Zwerge und andre unbeimlihe Weſen, wenn fie fih vom Stral
der Sonne überraſchen lafjen, in Steine verwandelt. Irgend eine
1 Anch Göndul, wie die Streitfiifterin in der isländiichen Saga heißt, iſt
ein Vallyrienname. Bgl. Sagnhift. 68.
2 Alvismsl Sir. 36. Finn Magımien, Edda 2, 36. Helg. Qv. Hat.
Sk. Str. 29. 30. Völs. Qv. h. forn. Str. 38,
284
auffallende UOrtlichleit, ein Feld mit feltfam umbergeftreuten Stein:
maſſen, mochte der Phantafte das Bild einer folchen verfteinerten Wabl:
ftätte barbieten.
Finn Magnufen ſucht der Sage von Hildur, wie überall, eine phy-
fiiche Bebeutung zu unterlegen.
Lex. myth. &. 158: Mihi eluceseit, totam hanc fabulam physico-
allegoriess (uti plerasqve alias eddicas) esse originis, qrum de diei cum
noete, vel lueis cum tenebris qvotidianu certamine revera sermo sit. Tune
astra cozlestia (Einherorum modo) statis qvotidie horis dimicant, evanes-
cunt vel disparent et iterum denuo resuscitari videntur etc. qv& singula
enodare mira relationis hic exhibite et sine dubio depravatee cunfusio
vetat, qvum prius de heroum nocturno sed mox postea de diurno certamine
serio logvatur.
Durch etymologiſche Deutung der Namen ſucht zwar Finn Magnu-
jen diefe Anficht näber zu begründen; es wird fich aber nicht leicht Fe
mand überzeugt finden, der nicht in das ganze Syſtem der phufifchen
Müythenauslegung dieſes Schriftjtellers eingeht. Hildur, die Hauptper:
fon der Sage, gehört, nach obiger Ausführung, allzu deutlih dem
Kampfleben ber odiniſchen Glaubenslehre an, als daß uns bier bie
phyſiſche Erklärung Platz greifen könnte. Näher fcheint mir ed Müller
(Sagnbhift. 58) zu treffen, der in jenem fortwährenden Kampfe ein Bilb
der unverföhnlichften Feindfchaft erkennt. Nur glaube ich, daß diefes
nicht auf den befondern Fall ber Feindſchaft zwiſchen den Königen Högni
und Hedin zu beſchränken iſt, ſondern daß die Sage in allgemeinerer
Bedeutung ein Bild des nimmer raſtenden, irdiſchen Kampfes gibt,
der, durch Odins Dienerin Hildur immer neu angefacht, fortdauert bis
Ragnarök, mo der Hjadningen Streit im großen, allverzehrenden Welt:
kampfe aufgeht.
Die fpäter hinzugelommene Erzählung, wie bei Dlaf Tryggbafons
Ankunft auf Haey, noch vor dem Ende der Welt, der gefpenftifche
Kampf geftillt wird, hat für unfre Auffaffung gleichfalls ihren guten
Sinn: der Botſchaft des Chriftenthums, der Lehre des Friedens und
ber Verſöhnung, meicht ber odiniſche Kampffturm . Wenn aber Ivar
auch nur mit dem Schwerte die kämpfenden Geſpenſter zur Ruhe bringt,
1 Odin Hat dieß ung auferlegt (Odinn befir Betta lagit a oss), läßt die
Saga S. 406 den nachtwandelnden Hebin fprechen.
| 285
fo ift dieß ganz in ber Weiſe feines Königs und Meifterd, der auch
mit gewaltiamen Mitteln ver Religion bed Friedens die Bahn brad).
Auf deuticher Seite entipricht der Sage von Hilbur ein Theil des
Heldengebichtes Gudrun. [Schriften I, 451 f. 8.]
2. Bölnndr.
Völunder-gvida, Edd. Sem. 133 fi. Vilkina Saga C. 19 bis 30 (edit.
Peringskiold. Holm. 1715. Fol. S. 37 bis 77). Sagabibl. II, 154 ff. Lex.
‚ myth. ©. 578 bis 88, Art.: Völundr. [Veland le forgeron. Dissertatien
sur une tradition du moyen äge, avec les textes islandais, anglo -saxons,
anglais, allemands et frangais-romans qui la concernent. Par G. B.
Depping et Francisque Michel. Paris, Didot, 1833.] [Simrod3 Edda,
1864, ©. 141. 8.]
Der Inhalt des Eddaliedes von Völund und ber proſaiſchen Eins
leitung besjelben ift folgender:
Br. Grimm, Lieder d. alt. Edda, Überf. S. 3 ff. ***
(Zu ©, 7.: „Lachend bob er ſich auf in die Luft u. ſ. w.“ Hier
ift aus ber Bilfinenfage Cap. 30 zu erläutern, daß Völundr durd
feinen Bruder Egill, der ein trefflicher Bogenſchütze war, fich große
und Leine Federn von Vögeln allerlei Art verfchafft und daraus eine
Flieghaut verfertigt hatte, in der ex wie ein Geier ausfah.)
Völundr, angelfähfiih Veland, ſchwediſch und däniſch Velent,
engliſch Wayland, deutſch Wieland, iſt der Dädalus der nördlichen
Völker. Seine Sage hat auch unverkennbare Ähnlichkeit mit der von
Düdalus, welcher gleichfalls mittelft Fünftlicher Flügel der Gefangen
ſchaft entflieht. Wie der Name des Dädalus im griechiichen Alterthum
zur Bezeichnung der fünftlichften Arbeiten gebraucht murbe, fo hieß jenen
Böllern jedes kunſtreiche Waffenftüd oder Prunkgeräthe Wielands Werk,
Noch jekt wird in Island ein ausgezeichneter Schmied Völundr ges
nannt (Lex. myth. ©. 587. Lex. isl. ©. 464; Völundr, m. Deedalus,
en Zufindlonftner).
Schon die angegebenen Formen bed Namens in verſchiedenen
Spracden deuten darauf, wie verbreitet berielbe war. Nicht bloß im
ſtandinaviſchen Norden, aud bei den Angelſachſen, den fpätern Eng:
ländern und Schottländern, in Deutichland und Norbfranfreich war er
286
mohlbelannt. Wir werben daher dieſem fagenhaften Schmiede noch
mehrfach auf dem Gange durch die Sagengeſchichte begegnen und fein
Gedächtnis da und bort örtlich angelnüpft finden. Was den Norden
betrifft, fo heftet die Volksſage dasſelbe noch jekt an verichiedene
Stellen in Schweden und Sütland, wie fpäter bei den Ortsfagen
gezeigt werden fol. Im Eddaliede wird Nidub, bei dem Bölundr
feſtgehalten iſt, als Herr der Niaren (Niära-drottin, wie man glaubt,
im beutigen Nerife in Schweden) bezeichnet. Die Profaeinleitung nennt
Volundrn und feine Brüder Söhne des Finnenfönigs; das Lieb felbft
befagt nichts hievon und es ift darum nicht unwahrfcheinlich, daß bie
innen an die Stelle der Alfe getreten find, zu deren Genoflenfchaft
Völundr im Liede felbft gezählt wird. Er heißt: Älfe liödi (Alforum
popularis), visi Älfa (dux, rex Alforum). Diefe mythiſche Verwandt
ſchaft aber erflärt fich leicht, da wir aus ber Götterfage wiſſen, daß
die Schwarzalfe Tunftreihe Schmiebe find, von denen alle Götterfler-
node herrühren. Schwieriger ift e8, den mythiſchen Grund ber Ber
bindung des alfifchen Bölundr und feiner Brüder mit den drei Bally:
rien überzeugend anzugeben. Da jedoch Odin insbefondre auch als
der Geber treffliher Waffen erfcheint, wie das Hynbluljod Str. 2 von
ihm jagt:
Hermodurn gab er
Helm und Bränne,
Sigmundum aber
Ein Schwert zu nehmen;
und mie er auch Starkadrn bei ber Schiejalsbeftimmung die beften
Waffen zutbeilt, jo Tann es nicht auffallen, jene Dienerinnen, die
Balfyrien, mit den Waffenjchmieden in Verkehr treten zu ſehen. Diele
nehmen überhaupt in ber Helbenfage eine bebeutende Stelle ein und
wir haben gehört, wie Starfabr fie rühmt, unerachtet er von ihren
Hämmern übel zugerichtet worben iſt. Wo die Waffen fo vieles galten
und ihnen fo wunderbare Eigenfchaften beigelegt wurden, muſte auch
der Waffenſchmied eim angejehenes Glied der Gejellfhaft fein. Bon
Völundr beißt es ausdrücklich im Liebe, daß er felbft das Schwert,
das ihm Nidud nahm, künſtlich geihärft und gehärtet babe, und
auch fonft nennt ihn die Sage als den Meifter ber vorzüglichkten
Waffen.
287
Außer dem, was die Bilfinenfaga ausführlich erzählt, find auf
deutfcher Seite nur einzelne fürzere Meldungen von Wieland vorhan⸗
den; doch laſſen dieſe nicht zweifelhaft, daß einft mehr von ibm geſagt
und gefungen wurbe. Am meiften wird er als Vater bes Helden
Wittich genannt, der in ben beutfchen Gedichten eine bebeutenbe
Rolle fpielt.
3. Die Völfunge.
Die beroifchen Lieder der Edda, mit Ausnahme des Bölundslieds, 19 nad)
der Eintheilung der rasliichen Ausgabe. Völsüngs Saga, Fornald. S. 1, 118 ff.
Fort. 8.1,107 ff. Über]. durch v. d. Hagen. Breslau 1815. Nordiſche Helden-
romane, Ates Bochen. Sagabibl. II, 36 fi.
1. Sigurbs Ahnen.
Sigi war ein Sohn Odins. Er töbtete einen fremden Knecht, im
Zorne darüber, daß diefer es ihm in ber Thierjagd zuvorgethan.
Darım hieß man ihn Wolf im Frieden (varg I v&um?) und er mochte
nun nicht länger im Lande bleiben. Sein Vater Odin geleitete ihn
eine weite Strede, bis er ihn zu Heerichiffen gebracht hatte. Sigi zog
nun auf Kriegsfahrten mit der Mannſchaft, die ihm fein Vater beim
Abfchied gegeben hatte. Er war fiegreih im Kampfe und gewann ſich
endli Land und Reid. Er jchloß eine anjehnliche Heirath und wurde
ein mächtiger König über Hunaland (ftatt deſſen beißt in ben profais
ſchen Bwilchenfägen der Eddalieder das Reich der Bölfunge Frakland,
Franken, Grimms Heldenfage S. 34). Im feinem Alter wurde er von
den Brüdern feiner Yrau überfallen und erjchlagen; aber fein Sohn
Rerir nahm blutige Rache. Rerirs Ehe war lange finverlos; er und
feine Gemahlin baten die Götter um einen Erben. Da ſandte Odin
einen befruchtenden Apfel; ſechs Winter hindurch gieng die Königin mit
einem Sohne, der zulegt von ihr gefchnitten und Völſungr genannt
wurde. Völſungr folgte feinem Bater im Reiche über Hunaland und
ı Völs. S. & i fe Hyndl. Li. Str. 2. 235. [Schriften ©. I,
S. 141f 8) .
2 Lex. isl. II, 4116: vargr { veum, qui effusione innocui sanguinis
pacem vel fidem asylorum violat. Vergr, m. lupus. Ebd. 4155: ve, n. pl.
jura asyli, sanctitas juridica.
war fieghaft in allen Schladiten. Er hatte zehn Söhne und eine
Tochter. Der ältefte Sohn hieß Sigmunbr, die Tochter, Sigmunds
Zwillingsichweiter, Signy. König Völfung ließ eine ftattlihe Halle
bauen; mitten darin ſtand ein großer Apfelbaum, deſſen Bineige über
das Dach hinausragten unb dasſelbe beichatteten, während der Stamm!
in der Halle wurzelte.
Als nun Signy, gegen ihre Neigung, mit Siggeir, König von
Gotland, vermählt wurde und die Gäfte Abends an den Feuern um:
berjaßen, trat ein Mann in die Halle, ver von Ausſehen Allen unbe
fannt war. Er war groß, alt und einäugig, gieng baarfuß, Batte
einen niedrigen Hut auf dem Haupt, einen gefledten Mantel über ſich
und Leinhofen um die Beine gebunden. In der Hand trug er ein
Schwert, das er entblößte und bis an das Heft in den Baumftamm
ftieß. Alle fcheuten fich, ihn zu begrüßen; er aber ſprach: „Wer diefes
Schwert aus dem Stamme zieht, der foll es von mir zur Gabe haben;
er wird felbft erproben, baß er nie ein beſſer Schwert in der Hand
trug.” Hierauf gieng ber alte Mann aus ber Halle und Niemand
wufte, wer er war ober wohin er gegangen. Die Männer flanden
nun auf und beeiferten fi, das Schwert herauszuziehen; aber feinem
rüdte das Eifen von der Stelle. Zulekt trat Sigmundr, Völſungs
Sohn, hinzu und zog das Schwert auß dem Stamme, als wär’ es
[08 vor ihm gelegen. Siggeir, fein Schwager, wollte e3 ihm dreifach
mit Gold aufwägen. Sigmundr aber fagte: „Du Tonnteft es nicht
minder nehmen, denn ich, wenn es dir zu tragen ziemte.” Daraus
erwuchſen Zwietracht und Verrath unter den Verwandten; König Böl
fung fiel in blutiger Schlacht gegen feinen Eidam Siggeir, feine Söhne
murben umgebracht und einzig Sigmundr mit Hülfe feiner Schwefter
Siany gerettet. Mit biefer felbft erzeugte er, ohne fie zu Tennen, einen
Sohn Sinfjötli; nur ein Abfömmling des Völſungenſtanimes von
Vater⸗- und Mutterfeite war dem Werk der Rache getvachfen. Bevor
e3 aber dazu kam, hatten Sigmundr und Sinfjötli mancherlei Drangfal
1 & wurde Branditod (Branstokk) genannt; Rafn glaubt, deshalb, weil
nm ihn das Feuer aufgemacht wurde; eine andre Lesart ift: Barnstokk, Kinder
ftamm; Brandr, m. bat doppelte Bedeutung: torris, Brand, und ensis,
Schwert, Klinge, Schwertflamm aber wärbe zu ver nachfolgenden Erzählung
gut pafien.
zu beſtehen. Sie Tiefen lange, zu Wölfen verzaubert, im Walde
umber, fie wurden in einen-Hügel eingemauert und mitten zwifchen
ihnen war ein großer Feldftein eingejebt, fo daß fie einander nur
hören könnten. Aber Signy hatte ein Schwert mit hinabgeworfen;
die Spite desfelben ſtieß Sinfiötli über dem Felſen hindurch und Sig-
mundr 309 fie an fih; fo durchſägten fie ben Felfen- zwiſchen ihnen,
wie gefungen wirb:
Sie fägten mit Macht
Den mächtigen Fels,
Sigmundr mit dem Schwerte
Und Sinfiätli.
As fie befreit waren, legten fie Feuer an Siggeird Halle und
webrten ihm den Ausgang. Signy, bie ihnen bisher geholfen und felbit
ihre Kinder non Siggeir ihnen geopfert hatte, folgte nicht ihrem Ruf, aus
der Halle zu geben, ſondern ließ fich freudig mit ihrem Gemahl verbrennen.
Diefe grauenhaften Geidhichten, melde die Saga ausführli er⸗
zäblt, habe ich bier nur kurz berührt; fie berubten, wie ber angeführte
Vers zeigt, auf nun verlosenen Liedern und ftehen nun in ber nadten .
Proſa roher da, als fie urfprünglich befchaffen fein mochten. Über
Sigmundr hebe ich jedoch noch Dasjenige aus, was fein Verhältnis zu
Odin ergänzt.
Als Sigmundr ſchon alt war, bielt er eine Schlacht mit König
Lingoi; Träftig bieb er noch durch das Heer der Feinde, die Arme‘
blutig bis zur Achſel. Da trat ihm ein Mann entgegen, mit niebrem
Hut und blauem Rod, einäugig, einen Speer auf ihn ſchwingend.
Sigmundr hieb mächtig dagegen, fein Schwert traf auf den Speer
und zeriprang in zwei Stüde. Sein Glüd war gewichen und er fiel
mit dem meiſten ‘Theile feines Heeres. Hidrbis, feine Frau, gieng in
der Nacht auf die Walftatt, fand ihn dort liegend und fragte, ob ex
noch zu heilen jei.. Der Held wollte nicht gebeilt ſein; Dbin wolle,
daß er fürder fein Schwert ziehe, feit dieſes bier gerbrochen ; die Schwert:
ftüde follen für den Sohn bewahrt werden, ben Hjördis unter dem
Herzen trage; er felbft werbe jet die Blutsfreunde feben, bie voran
gegangen.
Sigmundss berühmtefte Söhne (außer Sinfiötlin, der noch vor
des Baters Tode umlam) find Helgi, mit Borghilbr, Sigurd, mit
Uhpland, Schriften. VII. 19
200 "
* —.
v4
Hidrdis erzeugt. Mit diefen Beiden fpaltet fi) der Sagenflamm, der
im Völfungenhaufe wurzelt, in zwei große Afte.
2. Helgi.
Helga-qvida Hatfnga-Skada. Helga-qvida Hundings-bana 1. II
Völsünga-qvida hin forna. Sinfjötla-lok. Edd. Seem. 140 bis 171. (Simrods
Edda, 1864, S. 148 fi. 8.] Völs. Saga C. 8 f. (v. d. Hagen €. 15 his 17).
Saga af Hromundi Greipssyni, Fornaldar Sögur II, 363 ff. Fort. 8. II,
291 fi. Sagabibl. II, 49 bis 53. 545 fi. Saro B. UI, S. 37 f. Sagnhift. 26.
(Schriften I, 148. 8.]
Helgi erfcheint in breimaligem Leben. Zuerſt als Sohn Hör
vards, Königs in Norwegen, und Sigurlinns, der Tochter bes Königs
von Spavaland. Stumm und namenlos figt der Jüngling am Hügel.
Neun Valkyrien reiten daher und die herrlichfte darunter, Svava, des
Königs Eylimi Tochter, ruft ihn mit dem Namen Helgi aus feinem
dumpfen Schweigen auf. Zur Namenfefte entvedt fie ihm cin wuns
derbares Schwert. Er vollführt damit manch Helbenwerf und rädt
an Hrobmarn den Tob feines Muttervaters. Svava fehirmt ihn oft
in Scladten. Helgi erfchlägt auch ben Joten Hati, den Räuber
vieler Bräute, als er auf einem Felſen faß. Hrimgerbr, Hatis Tochter,
wollte dafür in der Nacht Helgis Schiffe verderben. Aber leuchtend
unterm Helme ritt Svava vor ihren Gefährtinnen ber, die Wollen
roſſe jchüttelten fih, und aus ihren Mähnen tropfte Thau im bie
Thäler und Hagel auf die hohen Bäume. So blieb die Flotte ge
fhüßt. In der folgenden Nacht Fam Hrimgerbr wieder und verlangte
Helgin fih zum Buhlen, zur Buße für Hatis Tod. Aber fie ward
mit Rebe bingehalten, bis ber Tag aufleuchtete und fie zum Stein
bild verwandelte. Sie ftand nun ein Habenzeichen (hafnar-mark) in
Hatisbucht (Hata-firdi). (Hievon erflärt fih ber Beiname Helgis:
Hatinga - skadi, Schade, Berberben der Hatinge, des Geſchlechts
Hatis.) Helgi und Spava verlobten fih und liehten einander ſehr.
Während aber Helgi auf Kriegsfahrten umberzog, war Hebin, fein
Bruder von andrer Mutter, daheim in Norivegen. ALS diefer am Jul
abend allein aus dem Walde heimgieng, begegnete ihm ein Zauber:
mweib, das auf einem Wolfe ritt und Schlangen ftatt der Bügel hatte.
Sie bot ihm ihre Begleitung an, er aber fagte nein dazu. Da fprad
291
fie: „Das follft bu entgelten bei Bragid Becher (at Bragar-fulli)”!,
Denfelben Abend wurden Gelühbe getban. Die Männer legten ihre
Hände auf den Sühneber und gelobten zum Becher Bragis. Hebin
gelobte, Svava, Eylimis Tochter, die Geliebte feines Bruders, heim-
zuführen. Darüber befiel ihn aber foldde Reue, daß er auf milden
Wegen binauslief in die Sühlande, wo er auf feinen Bruber Helgi
traf. Diefem erzählte ex, ſchuldbewuſt, mas gefchehen; Helgi aber
teöftete ihn und verfieherte, die Zrinigelübde werben wahr werben,
denn Helgi abnte feinen nahen Tod in dem ihm bevorftebenden Kampfe.
Wirklih fiel er in der Schlacht mit Alfe, dem Rächer feines Vaters
Hrobmar. Todeswund beſchied Helgi feine Braut auf die Walftatt
und bat fie, nicht zu weinen, fondern feinem Bruder Hedin fich zu
vermählen. Aber Spava hatte gelobt, nimmermehr einen andern zu
umfangen, unb Hebin gieng hinweg, den ebeln Bruder zu rächen.
Helgi und Spava follen wiebergeboren jein (Helgi ok Svava er
sagt at veri endrborin). |
Miedergeboren wird Helgi im Stamme der Völſunge, als ein
Sohn Sigmundrs von Borghild. Nacht war’3 in der Burg bei feiner
Geburt, die Normen famen, woben nnd befeitigten die goldnen Schickſals⸗
fäden unterm Mondesſaale; er follte der berühmteite der Könige werben.
Eine Nacht alt, ftand er jchon in der Brünne und die Raben auf dem
Baume riefen ſich freudig zu von fünftiger Beute. Wie ein Ulmbaum
wuchs er auf unter den Freunden. Kurz ließ fein Vater ihn auf Kampf
warten. Fünfzehn Jahre war er alt, als zwiſchen den Königen Sig:
mund und Hunding Unfrieve ausbrach. Hunding jchidte Männer aus,
um Helgin bei feinem Pflegvater Hagall aufzugreifen. Helgi fonnte
ſich nicht anders retten, als daß er bie Kleiber einer Magd anzog und
an die Hanbmühle trat. Sie ſuchten, aber fanden ihn nit. Da
ſprach Blindr,; der Unbeilvolle (Blindr inn baul-visi): „Scharf find die
1 Dättr of Ragnars son. Fornald. S. I, 345: at Bragar-fulli,. Solche
Gelübde auf den Bragisbecher am Julabend kamen ung ſchon in der Hervörs-
ſaga €. 4 vor, wo Hiörvard auch gelobte, ſich eine Königstochter zu erwerben,
Der Süihneber war Freyrn geweiht und noch jett ftellen die fchwebiichen Bauern
am erfien Weihnadhtabend einen aus Mehl gemachten Eher, der Julegalt ge
nannt wird, auf den Tiſch. Edd. Havn. 8. II. Glosse. &, 793. Lex. myth.
449. Herr. 8. 6. 14.
292
Augen von Hagalls Magd; nicht ift geringer Art, die an der Mühle
fteht, die Steine brechen, die Mühle zeripringt; hart ift des Konigs⸗
ſohns Schickſal, der Gerfte mahlt. Beſſer ziemte diefer Hand Schwer
tesgriff, als Mühlenwalze.” Dennoch entlam Helgi durch die Klugheit
Hagalls. Er zog dann m bie Schlacht und erfchlug den König Hun⸗
ding, wovon er Helgi Hundingstöbter (Hundings-bani) genannt wurde.
Auch Alf und Eyolf, Hundings racheſuchende Söhne, exlagen ibm. Nach
der Schlacht jaß er unter dem Aolerfteine nieder. Da brach ein Licht
hervor, daraus Blitze fuhren, bebelmte Valkyrien erichienen, blutbe
ſprutzt, Flammen auf den Spießen. Vom Rofie ſprach Sigrun, Hög⸗
nis Tochter, die wiedergeborne Svava, dem Höbbrobb hab’ ihr Vater
fie verheißen, dem müfle fie Helgi ablämpfen. Helgi fubr nun aus
gegen Hödbrodd, ein Seefturm überfiel ihn und er bieß die Segel nur
noch höher aufziehn, Blige ſchlugen in bie Schiffe; da kam Sigrun
mit ihren Gefährtinnen durch die Züfte und das Unwetter legte fic.
Sn der Schlacht, die darauf beginnt, ſchwebt fie ſchützend bernieder
und wünſcht ihm Heil, als Hödbrodd gefallen. Aber in vberfelben
Schlacht bleibt auch Sigruns Bater mit dem einen feiner Söhne.
(Das Übrige nach der grimmiſchen Überfegung ©. 28 bis 32 ***.)
Bon diefen Karalievern (käru-ljsdom) tft nichts auf uns gelom⸗
men. Aber aus der unter den Quellen angeführten Saga von Hro
mund Greipfon C. 7 können wir, durch die Verwirrung und Entftel-
lung hindurch, welche bier die alten Überlieferungen erfahren haben,
ungefähr fo viel vom Inhalt der verlorenen Lieber erraten Vergl.
Schriften I, 144. 154. K.]:
Sn der neuen Wiebergeburt fchmebt die Valkyrie als Kara !,
Halfdans Tochter, in Schwansgeftalt, ſchirmend über Helgin (Helgi
hinn freekni), der in einer Schlacht, die auf dem Eife des Vänerſees
gehalten wird, auf der Seite der Halbinge (al. Hadding, ©. 373)
fiht. Sn der Hite des Kampfes ſchwingt Helgi das Schwert fo body,
baß er Karan töbtlich trifft. Die Valkyrie ſinkt herab, Helgis Heil iſt
gewichen und das Haupt wirb ihm gefpalten. ?
ı Lars, al. Cara, ©. 372.
2 [Die folgenden Abſchnitte wurden nad ber früheren Darftellung der
deutſchen Heldenfage vorgetragen. Schriften I, 82 fi. 8]
293
$ Sigurd.
Er ift der andre bedeutende Aft des Völfungenftammes, Sigmundrs
Sohn von Hiördis. In Dänemark lebte ihr junger Sohn Sigurd,
den fie nad Sigmunds Falle geboren. Die Sage von ihm holt aber
weiter aus. [Bergl. Schriften I, 82. 8.]
4. Atlis Gaſtmahl.
[B. I, 8. 8]
5. Spanhild und ihre Brüder.
[B. I, 86. &.]
6. Aslaug.
[8. I, 87. 8)
Die Sage von den Bölfungen ift diejenige, in welcher ſich die
alte Sagengemeinfchaft der ffandinavifchen und deutfchen Völker auf
norbifcher Seite im gröften Umfange darlegt. Was wir nun bier,
im Gebiete der norbifchen Heldenfage, über dieſes gemeinfchaftliche
Sagengut zu erörtern haben, bezieht fih auf zwei Fragpunkte,
1) was die nordiſchen Quellen jelbft über die Heimath vieler Sage
ausfprechen oder anbeuten,
2) in welchem Zuſammenhang dieſelbe ihrer innern Bedeutung
nach mit dem Ganzen der altnorbifchen Sagenpoefie ftebe.
Sn erfterer Beziehung ergibt fich zuvörderſt, daß eine Sage von
jo manigfadher PVerzweigung, von fo vielen genenlogifchen Ketten:
gliedern nad gejonderten Hauptpartieen betrachtet werden müfje, mie
wir foldhe ſchon in der Darftellung des Inhalts bemerflih gemacht
baben. Die Vorgeſchichten von den Ahnen bes Bölfungengefchlechts,
von Sigmund und feinem Sohne Sinfjötli, haben fih zwar nicht in
deutfchem Helvenlied erhalten, wohl aber werben mir bei ven Angels
jachfen ihre Spur! finden. Hier ift auh Sigmund nit Völſungs
Sohn, fondern er beißt richtiger ſelbſt Wälfing, der Sohn Wälſes,
denn die Enbungen auf -Ung, -ing, bezeichnen die Abftammung und
an ber Spige der Bölfunge muß alſo ein Ahnherr Völſi geftanden fein
(Grimm, Helden]. 16. Finn Magnufen, Edd. 1V, 325). Sigi, bes in ber
1 [Bgl. J. Urimm in Haupts Zeitſchrift für deutfches Altertfum I, 2
41. 8)
294
VBölfungenfage ald Sohn Odins obenan geftellt wird, jollte ohne Zweifel
dazu dienen, ben berühmten Namen in dieſem Geichlechte, welche mit
der Hauptfilbe Sig: beginnen (Sigmund ‚Signy, Sigurd), eine Wurzel
zu geben. Sigis urjprüngliche Heimath, aus ber fein Vater Dbin
ihn zu den Heerichiffen führt, ift nicht benannt; aber das Land, worin
er feine Herrfhaft und feinen Stamm begründet, nennt die Saga
Hunaland. Htemit ift jedenfalls ein nichtſtandinaviſches Land bezeichnet.
In demfelben Reiche folgt in britter Generation Sigmund nad und
von diefem fagt bie ältere Edda, in ber kurzen Proſaerzählung von
Sinfjdtlis Ende: „Sigmund, Völſungs Sohn, war König in Frank
Iand (& Fraklandi)“. Damit übereinftimmenb bejagt die, wenn gleich
erft fpäter binzugelommene Vorrebe zur jüngern Edda: „Der dritte Sohn
Odins ift genannt Siggi (al. Sigi), fein Sohn Berir (al. Rerir,
Jerer) 1. Ihre Borbäter herrfchten_über das Land, das jet Frank
Iand (Frakland) genannt wird, und von ba ift das Geſchlecht ges
kommen, das man Völſunge nennt” ?. Die ältefte nordiſche Duelle
alfo, die ſämundiſche Edda, gibt dem Bölfungenftamme fränkifche
Abkunft.
Im Norden erſt auf dieſen Stamm gepfropft erſcheinen die Sagen
von Helgi. Sie ſtehen mit der Volſungenſage in keiner nothwendigen
Verbindung und können leicht von ihr abgelöſt werden. Daß fie aber
dem Urſprunge nach dem Norden eigenthümlih waren, kann darum
nicht behauptet werden. Wir merden auch im beutichen Liebe Nach:
Hänge davon aufweilen können. Die Ortlichkeiten find meift unbe
flimmte, allgemein gehaltene; nur theilweife ift wirklich ſtandinaviſche
Anknüpfung verfucht worden. Beſonders aber zeigt das breimalige
Erſcheinen Helgis unter verfchievenen äußern Verhältniſſen, mährend
fih doch der innere Beitand der Sage immer als derjelbe erfennen
läßt und felbjt einzelne Namen und Nebenumftände von einer Ber:
wandlung in die andre übergegangen find, daß dieſe Sage längft eine
heimath⸗ und berrenlofe war, die darum leicht aud an andre ange
1 Vols. 8. S. 116: Rerir (al. Reri, Berir, Beirir). Raſt äußert zur
Eddavorrede (S. 14, 7) die Bermmthung, daß am ridhtigften Velsi ober Völsi
gelejen werden möchte, und die vielerlei Lesarten deuten allerdings auf Gor-
ruption.
2 Sn. Edd. 14.
ſcheben werben konnte!; und fo wurbe Helgi auch in einer feiner
Erfcheinungen dem fagenberühmten Bölfungengefchlechte angereiht. Seine
und feiner Valkyrie mehrmalige Wiederkehr hörten wir zwar ald Wieder⸗
geburt bezeichnen, aber dieß wird nicht in den Liedern felbft, fondern
nur in der ihnen angehängten Profa gejagt und ift nur ein Verſuch,
bie verfchiebenen und doch ſämmtlich in ber Überlieferung befeftigten
Darftellungen der Sage zu erklären. Die Wiedergeburt ift nur eine
poetifche derjelben Sage in mehrfacher äußerer Geftaltung. Eine eigent-
liche Wiedergeburt, ein wieberholtes Erdenleben bingegangener Menſchen
finden wir in feiner andern nosbifchen Sage; ein ganz Andres ift bie
Erneuung der Welt und das Aufleben der Götter und Menſchen nad)
dem Weltbrande (vgl. Mone I, 465).
Im weitern Berlauf der Bölfungenfage wird zwar Sigurd nach
Dänemark gezogen, wo ſeine Mutter ſich mit dem König Alf in zweiter
Ehe vermählt und er nun ſeine Erziehung erhält. Aber doch wird er,
von feiner Herkunft, ber ſüdliche (hinn sudreni,. Helden. ©. 5)
genannt und bald drängt die Sage wieder ihrer Heimath zu. Sigurd
zieht grüne Wege. hinaus fürlich nad Frankland (sudr til Fracland,
Edd. Seem. 1915. 193) und an den Rhein zu König Gjuli, wo er
auc feinen Tod findet. Fern außerhalb des Nordens ift dann auch
ber Sit des Königs Ali gedacht, auch wenn man für biefen die Ber
ziebung auf den Hunnenlönig Attila nicht als urfprünglich gelten Jäßt.
Fürder wendet ſich die Sage in pas Gothenreich des Königs Jörmunrek
Ermanarich), und menn fie zulegt mit Aslög ſich wieder im Norden
anbeftet, fo gehörte dieß jo wenig zu ihrem echten Beftanbe, daß es
vielmehr dem ausprüdlichen Zeugnis der Eddalieder widerfpricht, nad -
welchen zwifchen Sigurd und Brynhild das Schwert lag. Wenn ihnen
nun doch am Schlufle ver Bölfungafaga eine Tochter, Aslög, zuges
ihrieben wird, fo geſchah dieß bloß um ein nordiſches Konigsgeſchlecht
zu verherrlichen, indem man es an die Helbenfage anlnüpfte, wie nad
ber bei ber Sage von Ragnar Lodbrok näher erhellen wird.
Das hohe Alter der Eddalieder dieſes Kreifes, welche in der Ge
ftalt, in welcher fie vor uns liegen, großentheild bem Sten Jahrhundert
angehören, ‚aber fich wieder auf ältere Gefänge berufen, die man mit
I Müllers Sagabiblioth. II, 49 bis 58, Grimm, Helvenf. 846.
296
Wahrſcheinlichkeit ins 6te Jahrhundert verfegen kann (Heldenf. ©. 4),
fobann das mythiſche Gepräge dieſer altnordiſchen Darftelung konnte
früher leicht auf die Anficht führen, daß biefer Sagenkreis, von welchem
weber jo alte noch fo alterthümlich ausgeprägte veutfche Denkmäler
übrig find, nicht von Deutichland aus, fondern eher aus einer ben
germaniſchen Volksſtämmen gemeinfamen Sagenquelle dem Rorben zu
gelommen jei.
Die neuen Forſchungen, vorzüglich die von W. Grimm, in feinem
Werk über die beutiche Heldenfage, führen gleichwohl davguf, daß bie
Bölfungenfage ihrem Hauptbeftande nach eine fränkifche ſei, allmählich
aber durch gothifche und burgunbifche, fowie durch einbeimifch norbifche
Sagen erweitert. Hinweifungen, die für biefe Anficht aus den norbifchen
Quellen felbft fi) ergeben 1, babe ich im Bisherigen ausgehoben; bie
weitere Ausfuhrung aber muß auf die Betrachtung ber deutlichen Helben-
ſage ausgeſetzt werben.
Ein zweiter Fragepunkt iſt uns nun der, in welchen Zuſammen⸗
bang bie dem Norden nicht urſprünglich angehörige Völſungenſage
dennoch ihrer innern Bedentung nach mit dem Ganzen ber nordiſchen
Sagenpoefie getreten ſei.
Das Beſtreben, dieſe Sage dem Norden örtlich und genealogiſch
anzueignen, bat ſich uns ſchon im Obigen herausgeftellt. Erheblicher
aber iſt die innere Aneignung, vermöge welcher dieſer ganze Sagenkreis
auf den odiniſchen Glauben begründet, von ihm durchdrungen und um⸗
ſponnen wurde. Selbſt in keiner eigentbüümlich nordiſchen Sagenreihe
ift Odin jo vom Anfang bis zum Ende thätig, wie in dieſer. Er iſt
felbft der Stammovater der Bölfungn. Dem göttlichen Urſprung ver
dankt ohne Zweifel dieſes Geflecht die Unverlegbarkeit durch Gift und
das fcharfe leuchtende Auge, das durch jeve Verwandlung binburd-
fcheint, vor bem ber Mörder Sigurbs zurüchkſchrickt und ſelbſt die Roſſe
ſcheuen, die Svanhild zertreten jollen. Odin geleitet feinen Sohn Sigi
in die Welt Hinaus und verhilft ihm zu Heerfchiffen; Rerin fenbet er
den befruchtenden Apfel; in ven BVaumſtamm in Völfungs Halle ftößt
er das herrliche Schwert, das nur Sigmund berauszuziehen vermag;
dieſes Schwert wird bie Urſache bes blutigen Zwiſtes unter den Bluts
1 BgL noch Eagabibl. II, 120,
291
verwandten, tie wir folden auch fonf von biefem Kampfgotte erregt
fanden. Immer wieber erfcheint Odin in feiner bedannten irdiſchen
Berbüllung als einäugiger, langbärtiger Greis mit berabhängendem
Hut und umgeſchlagenem Mantel. So tritt er auch dem alten Sig.
mund in ber lehten Schladyt entgegen ımb ſchwingt auf ihn den Speer,
an dem das trefflihe Schwert, einft feine Gabe, zeripringt. Er halt
ben alten Helden aus dem Schlachtgewühle zu fich, wie in anbrer Sage
ben greifen Harald Hyldetand. Auch in ben dem Völfungenftamme
angefügten Helgisſagen maltet Odin, theils burch feine Dienerinnen,
die Valkyrien, die bier in leuchtender Erſcheinung auftreten, theils
unmittelbar, indem er Dagın, ber ihm für Baterrache opfert, feinen
Speer zur Rache an Helgi leibt. Dagr erwibert feiner Schwefter, bie
ihn deshalb verwünſcht: „Dbin allein ift Schuld an allem Unheil, er
warf Zwiſt unter Verwandte.” Aus den Sälen Odins ehrt Helgi
Rachts zurüd in den Grabbügel; aber wenn ber Hahn das Siegerboll,
die Einberjen, weckt, weitet er zurüd über die Regenbogenbrüde Bifröft.
Wieder erſcheint Odin an ber Spike von Sigurds Geſchichten. Mit
ben Alien, Hänir und Loli, venfelben, mit denen er bie erſten Menichen
geihaffen (wenn Lodr mit Loki gleichbeveutend genommen wird), wandelt
er durch die Welt und auf diefem Gange werben die Geſchicke langer
Geſchlechtsreihen beftimmt. Dbin legt bei ber Sühne für Ditur zu dem
übrigen Golde den Ring, auf dem der Fluch haftet, daB er ven Ber
filern des Schatzes Verderben bringt 1. Odin hilft dann dem jungen
Sigurd das Roſs Grani wählen, bad von Sleipnir ſtammt. Aus deu
Stüden des Schwertes, das Odin einft in den Baum ftieß, wird Si,
gurds treffliches Schwert Gramr gefchmiebei, womit er feinen Bater
raͤcht und den Lindwurm erfhlägt. Auf Sigurds Fahrt zur Vaterrache
ht fh Odin in das Schiff aufnehmen, ſtillt das Ungewitter und
gibt ihn Kampflehren, namentlich von ber feilfürmigen Schlachtordnung,
1 Die Buße fir geiöbtete Menſchen uud Thiere durch Beſchüttung derſelben,
zwar nicht mit Gold, aben mit rothem Weizen, kommt auch fonft in ben beut-
ſchen und norbiichen Rechtsalterthiimern vor, 3. B. nach im Wendhager VBauern-
recht in Schaumburg (a. 1731): „Den getöbteten Hund foll man bei bem
Schwanz aufhangen, daß ihm die Nafe auf die Erde ftehet und fol mit rothem
Weizen begoffen werden, bis er bebedt ift, das foll fein Beſſerung fein.” Grimm,
Rechtsalterth. 668. [Schriften I, 218. 8.]
208
die auch Harald Huldetand von ihm erlernt. Als Sigurb auf ber
Heide den Lindwurm erwartet, Tommt wieder Odin und räth ihm,
mehrere Gruben zu machen, damit das Blut ablaufen könne !. Din
bat die Valkyrie Brynhild, weil fie einem Andern, als feinem Günft-
linge,-den Sieg verlieh, in ben Zauberfchlaf gejentt und beftimmt, daß
der ihren Schlaf breche, den nichts erſchrecken könne. Diefer ift Sigurh,
ben fie Weisheit lehrt und zwiſchen Ruhm und Vergeſſenheit wählen
heißt. Sigurbs frühzeitiger Tod wird in langer Reihe blutiger Thaten
durch den völligen "Untergang bes Gjukungengeſchlechtes gerächt, und
als die leten biefes Stammes, Hambir und Sörli, nicht mit Waffen
zu verlegen find, fommt nochmals ber einäugige Greis und räth, fie
mit Steinwürfen zu tödten.
Inwiefern auch bie beutfche Darftellung ber Sage, bauptfächlich
im Nibelungenlieve, noch bie einflige Begründung im Ddinsglauben
durchblicken laſſe, wird erft bort zu erörtern fein. Aber fo viel ergibt
fih aus den angeführten Zügen, daß die Völſungenſage, wenn auch
von Deutfchland eingewandert, doch mit der gejammten mythifchen unb
ethifchen Anficht des Nordens, wie biefe ſich fonft in ver ſtandinaviſchen
Götter: und Helbenfage ausbrüdt, in volle Übereinftimmung ge
treten iſt.
Die frühe und feſte Embürgerung der Bölfungenfage im Norben
erweift ſich auch in der großen Anzahl bichterischer Ausdrücke, Die von
ben älteften Skalden an ihr entnommten find. Die jüngere Edda gibt
einen gedrängten Umriß der Sage, um zu erllären, warum bas Gold
Otterbuße (otrgjöld), der Aſen Löſegeld, Granis Bürbe u. dgl. ge
nannt wird. In den Bruchſtücken bes alten Bjarkamal fanden wir
gleihfalls mehrere daher’ ftammende Bezeichnungen bes Goldes: Ya
nirs Lager, Rheinerz u. |. wm. So hießen auch die Steine Hamdirs
und Sörlis Berverben, der Panzer Hamdirs Hemd u. |. m. (Sagabibl.
II, 376 bis 78).
Den bisher bargeftellten deutichsnorbifchen Sagen veiben wir num
noch zwei weitere an, welche zwar im Norden felbft erwachſen, aber
mit der Völfungenfage nahe verbunden und zu ven weitern Aneignungen
derjelben zu rechnen find.
1 Bol. Saro B. II, ©. 25. B. VI, S. 153, 1.
2%
4. Ragnar Lodbrok.
Saga af Ragnari onúngi Lodbrök 6k sonum hans, Fornald. 8. I,
234 fi. Fort. 8.1, 219 ff. (v. d. Hagen, nord. Helbenromane, 5btes Bändchen).
Kräkumsl , hinter obiger Saga an beiden Orten; and befonders von Rafn
herausgegeben unter dem Titel: Kräkumäl u. f. w. efter en gammel hidtil
ubenyttet Skindbog og flere Haandskrifter med dansk, latinsk og fransk
Overseettelse, Varianter og tilhörende Undersögelser samt kritiske og phi-
lologiske Anmerrkinger udgivet af C. C. Rafn. Kopenhagen 1826. pattr
af Ragnars sonum, Fornald. 8. I, 343 ff. Fort. 8.1, 317 fi. Völs. Saga
6. 43. Saxo 8. IX, ©. 259 bis 274. Sagabibl. II, 464 ff. 94 bis 97. Sagnhift.
150 bis 167. Geijer I, 452 bis 502.
Herrubr, ein mächtiger Jarl in Gotland, hatte eine Tochter mit
Namen Thora, zugenannt Borgarbjörtr (Burghirſch, Hirſch in der Burg),
weil fie alle Frauen fo ſehr an Echönheit übertraf, als der Hirich
andre Waldthiere. Der Jarl liebte diefe Tochter ſehr, er Lieb ihr in
ver Nähe der Königshalle ein Frauengemach bauen und mit einer Ber:
zäunung umbegen. Jeden Tag ſchickte er ihr etwas zum Ergetzen und
jo ließ er ihr Einmal auch eine Feine Schlange (yngorm) von beſondrer
Schönheit bringen. Thora fand daran Gefallen, fette dieſelbe in ihre
Lade und legte ihr Gold unter. Bald aber wuchs der Lindwurm ſehr,
zuſammt bem Golde unter ihm; er hatte nicht mehr Raum in der Lade
und lag nun im Ring um diefelbe her; endlich hatte er auch in ber
Stube nicht mehr Raum und immer mehrte ſich zugleich das Gold; da
legte ex fih außen um die Frauenftube, fo daß Kopf und Schweif zus
‚ Iammenreichten. Niemand wagte jeßt mehr, dahin zu fommen, al3 der
Mann, der ihm Futter brachte, wozu jedesmal ein Ochſe nöthig mar.
Dem Jarl fchien das ein großer Übelftand und er gelobte (beim Bragis-
becher, nad) Pättr af Ragn. son. ©. 345), feine Tochter dem Manne,
wer er auch wäre, zu geben, ber den Wurm erlegte; das Gold unter
biefem follte die Mitgift fein. Diefe Nachricht gieng weit umher, aber
Niemand wagte fi) an den großen Wurm. Damals herrjchte über
Dänemark Sigurd Hring, berühmt durch den Sieg in ber Bravalla-
ſchlacht. Sein Sohn Ragnar, in früher Jugend ſchon ein großer
Krieggmann, hörte von dem Gelübde des Jarls. Er ließ fich einen
Munderlihen Anzug maden, Hoſen und Mantel von zottigem Felle
300
(bat eru lodbrekar! og lodkäpa), in Pech gelotten und bann ge
bärtet. Im Sommer fteuerte er nad) Gotland und legte in einer heim-
lichen Bucht an, nicht weit vom Site des Jarls. Fruhmorgens gieng
er in der erwähnten Kleivung, mit ber er fich noch im Sande wälzte,
und einen großen Spieß in der Hand, allein von den Schiffen. Bom
Speereifen hatte ex zuvor die Nägel ausgezogen. Als er bei ber Burg
des Jarls ankam, lag noch Alles im tiefen Schlafe. Er gieng ſogleich
auf den Lindwurm los, ſtach nad ihm mit dem Speere und zog biefen
wieder an ih. Zum ziweitenmal ſtach er ten Lindwurm in den Rüden;
berfelbe Trümmte fih fo gewaltig, daß das Speereifen vom Scafte
Iosgieng und das ganze Frauengemach von feinem Todesfampf erzitterte.
Ragnar wandte fi zum Weitergehn ; da traf ihn ein Blutftrabl zwischen
die Schultern, aber feine Kleidung befehügte ihn vor Schaden. Die
Frauen ervachten von dem Lärm und famen heraus. Thora ſah da
einen großen Mann hinweg gehn und fragte um feinen Namen. Rag-
nar antwortete mit einer Liebesftrophe, worin er ſich freute, nur fünf
zehn Winter alt, ven Erdfiſch, ven Haidelachs, getroffen zu baben.
Er gieng nun fort, indem er das Eifen in der Bunde ließ, den Schaft
aber mit fih nahm. Thora mwufte nicht, ob biefer hochgewachſene
Süngling von Menfchenftamm fei oder nicht. Der Jarl lieb hierauf
nad Thoras Rath eine Volksverſammlung berufen und zugleich ver
fündigen, daß derjenige, welcher behauptete, dem Wurme die Todes:
munde gegeben zu haben, feinen Schaft mit fi) bringen ſolle. Auch
Ragnar und jeine Kriegsleute famen von den Schiffen zu biefer zahl-
reichen Verfammlung, lagerten fih aber etwas abſeits von den Andern.
Da erhob fih der Jarl, gebot Stille und forberte den, der den Schaft
zum Speereifen hätte, das in der Wunde geblieben war, auf, ſolchen
vorzuweiſen und ben berbeißenen Lohn zu empfangen. Das Speer:
eifen wurde nun in ber Berfammlung umbergetragen, aber Niemand
hatte den rechten Schaft dazu. Enplih fam man auch zu Ragnarn
und bei ihm pafste Eifen auf Schaft. Man fah nun, daß ex ben
Lindwurm erlegt, und von biefer That wurde er berühmt über ben
ganzen Norden. Er warb hierauf um Thora und der Jarl nahm
v
1 [Fornald. 8. I, 288. 8.} Lod n. villositas, hirauties; lodinn hirtas,
villosus. Broök £. femorale, breekur f. pl. bracce.
301
fein Begehren wohl auf. Mit einem großen Gaftmahl wurde die Hochzeit
gefeiert 9.
Bon Thora hatte Ragnar zwei Söhne, Erik und Agnar; da fiel
fie in Krankheit und ftarb. Ragnarn gieng ihr Tod fo zu Herzen, daß
er nicht in feinem Reiche bleiben wollte, fondern wieder auf Kriegs:
fahrten auszog.
Eine Sommers ſteuerte er mit feinen Schiffen nach Norivegen,
um dort Freunde zu befuden. Am Abend legten fie in einem Heinen
Haven an, in ber Nähe eines Hofeß, der Spangarheidi hieß. Den
Morgen darauf giengen die Speisknechte (matsveinar) nach dem Fleinen
Hofe, um Brot zu baden. Sie baten die alte Hausmutter, bie ſich
Grima nannte, ihnen behülflich zu fein. Sie entgegnete, ihre Hände
feieh zu ſteif dazu, aber ihre Tochter Kraka (kräka Krähe) werde bald
nach Haufe fommen. Kraka war am Morgen draußen, um Schafe
zu hüten, und als fie fah, daß viele große Schiffe angefahren, wuſch
fie fih, obgleich das alte Weib ibr das verboten hatte, um zu vers
hindern, daß man ihre Schönheit nicht wahrnehme, denn fie war das
fhönfte aller Weiber und ihr Haar fo lang, daß es bis auf die Erbe
herabfiel, glänzend wie die fchönfte Seide. Als die Knechte Feuer auf
gemacht hatten, kam Kraka beim. Sie erftaunten über der Schönheit
des Mäbchens und wollten nicht glauben, daß es die Tochter ver hä.
lichen Alten fei. Kraka Inetete nun den Teig und die Knechte fiengen
an, das Brot zu baden; aber ihre Augen waren immer auf Kraka ge
richtet, fo daß fie darüber das Brot verbrannten. Nach vollbrachten
Gefchäfte kehrten fie zu den Schiffen zurüd, geftanden aber, daß fie
niemals fo fchlecht gebaden und dafür Strafe verdienen. Der König
fragte um die Urſache und fie fpracdhen nun von Krakas unübertreff:
liher Schönheit. Ragnar bemerkte, fie ſei doch gewiſs nicht jo ſchön,
als Thora, geweſen. Jene verficherten, daß fie Thoran nichts nachgebe.
Der König beichlog nun, nach Kraka zu fenden, und wenn biefelbe
nicht fo ſchön gefunden werde, wie die Knechte behaupten, follen fie
1 Zur Erklärung des Beinamens jagt Saro B. IX, ©. 262: Cujus cul-
tum rex [Herothus] curiosius contemplatus, quum hirtum atque hispidum
animadvertisset, precipue tamen occidu& vestis horrorem, maximeque
incomptam braccarum speciem eludens, Lodbrogh eum per ludibrium
sagnominavit.
302 ⸗
geftzaft werben. Ben Boten gab er auf, wenn ihnen Krafa wirklich
fo ſchön erfcheine, fie mitzubringen, aber fie ſoll weder befleibet noch
unbelleidet, weder geipeiit noch ungefpetit fein, weder allein kommen
noch einen Menſchen bei fich haben !. Die Abgejandten zogen num nad
dem Hofe, fanden die Ausfage der Knechte wahrhaft und richteten ihre
Botfchaft aus. Kraka veriprah, am folgenden Tage zu kommen. Sie
gieng dann auch wirklich zu den Schiffen und zwar fo, wie der König
verlangt hatte. Statt der Kleiver hatte fie ein Fiſchernetz um fid
gewidelt und über dieſes ließ fie ihre langen, goldglänzenden Haare
fallen, ftatt der Speife hatte fie an einem Lauch gefchmedt und keinen
Menſchen ließ fie fich folgen, aber Grimas Hund. Der König fand
großes Gefallen an ihr und bat fie, mit ihm zu ziehen. Sie wollte
nur dann einwilligen, wenn er hei ber Zurüdfunft von feiner Fahrt
noch desfelben Sinnes wäre. Er bot ihr Thoras goldgenähtes Gewand,
fie weigerte fih aber, e3 anzunehmen:
Sie nennen mid nur Krala
Und in kohlſchwarzen Kleidern
Treib’ ih auf fleingem Boden
Die Geißen längft der See bin.
Ragnar holte fie auf der Rüdfahrt ab. Bon dem Bauer und
feinem Weibe nahm fie unfreundlicden Abſchied, da fie mufte, daß
jene ihren Pflegvater Hetmir umgebracht hatten. Nach der Ankunft in
Ragnars Reiche wurbe bei einem feftlichen Gaftmahl Willlomm und
Hochzeit zugleich getrunfen.
Der erite Sohn dieſer Ehe erhielt, ala man ihn mit Waſſer begof,
den Namen Ivar. Er war beinlog; wo Knochen fein follten, waren
nur Knorpel. Doch ragte er an Wuchs über alle feines Alters, er
mar der Iehönfte von Ausjehen und von ungemeinem Berftanbe.
Ihm folgten drei Brüder: Björn, Hpitjerf und Rögnvald. Wohn
die Sünglinge giengen, ließ ber beinlofe Ivar, ber nicht geben Tonnte,
fih auf Stangen tragen; ihn wollten fie in allem ihrem Bornehmen .
zum Rathgeber haben. Er rieth ihnen, ihren Vater um Schiffe und
Kriegsmannſchaft zu bitten. Ihrem Wunſch wurde entfprochen, fie
fuhren aus und hatten überall Sieg. Da rieth Ivar, zu befrer Prüfung
1 Bl. Geijer ©. 454 u.
303
ihrer Tapferkeit dahin zu ziehen, wo fie die Übermacht gegen ſich
hätten. Sie zogen nun gegen Hoitabär (in Schleswig), eine große,
ſtarkbevolkerte Opferftätte. Spar ließ ſich auf einem Schilde in bie
Schlacht tragen und ſchoß getwaltig mit dem Bogen. Rögnvald, ber
bei ven Schiffen bleiben follte, gönnte feinen Brüdern den Kampfruhm
nicht allein, zog ihnen nad, fiel aber im Streite. Jene eroberten den
feften Ort und machten reiche Beute.
Ragnar felbft Tieß fih auf einem Befuche bei dem ſchwediſchen
König Eyftein zu Upfala bereben, daß ihm deſſen ſchöne Tochter, die
ihm am eriten Abend geſchenkt (d. b. Tredenzt) hatte, beſſer anftände,
als die Tochter des Bauern. Er verlobte ſich mit jener, aber die Ber:
mählung follte verfchoben werden. Allen feinen Begleitern verbot er,
bei der Zurückkunft nad Dänemark, bei Tobeöftrafe, von dem Ver:
Iobnis zu Sprechen. Als ihn aber Krafa fragte, mas er Neues bringe,
und er nichts Solches zu wiſſen vorgab, fagte fie ihm die Neuigfeit
von feiner Verlobung. „Wer hat dir das erzählt?“ ſprach Ragnar.
„Behalten follen deine Mannen Leib und Glieder, fuhr fie fort, denn
feiner von ihnen bat mir das gefagt; aber bu mirft gefehen haben,
daß damals drei Vögel auf dem Baume neben dir faßen; dieſe fagten
mir die Nachricht. Aber das bitte ich, daß du nicht ausreiſeſt, dieſe
Heirath zu vollziehen, denn ich will dir nun erzählen, daß ich eines
Königs, nicht eines armen Bauerd Tochter bin; mein Vater war ein
fo berühmter Mann, daß nicht feinesgleichen gefunden warb, meine
Mutter aber die ſchönſte und weiſeſte der Frauen, deren Name in
dauerndem Gedächtnis Ieben wird, jo lange die Welt ſteht.“ Sie ers
öffnete ihm nun, daß fie eine Tochter von Sigurd dem Fafnirstöbter
und Brynhild, Bublis Tochter, ſei. Ragnar fand unmwahricheinlich,
daß die Tochter diefer beiden Kraka beißen und in folder Armuth, wie
dort auf Spangarheibi, aufgewachſen fein follte.
„Davon zeugt die Saga (saga er til pess)“, erwiberte fie und
erzählte nun Alles, wie Sigurd und Brynhilb auf dem Gebirg zu:
fammengetroffen, wie ihr rechter Name Aslög ſei und wie fie zu dem
Bauer gelommen. Sie fette hinzu: „Das Kind, das ich unterm Herzen
trage, wirb ein Knabe fein und an ihm wird man bas Beichen finden,
daß es ſcheint, als ob eine Schlange um fein Auge liege; geht die
in Erfüllung, fo bitte ich dich, nicht nach Schweden zu zieben, um
304
dich mit König Eyfteins Tochter zu vermählen; fchlägt es aber fehl,
fo zeuch, wohin bu willſt! Ich wünſche, daß diefer Knabe nad) meinem
Vater genannt werde, wenn, wie ich hoffe, dieſes Ehrenmal in feinem
Auge gefunden wird.” Bald hernach wurbe ber neugeborne Sohn in
die Halle getragen und in Ragnars Mantelihoß (ok lagdr 1 skikkju-
skaut Ragnars) gelegt. Als der König dad Kind betrachtete, fragte
man ihn, wie es heißen follte. Da fang er:
Sigurd fol man ihn heißen,
So wird er Schlachten kämpfen u. |. w.
Bon Odins Stamm ber erfle
Sol diefer Sohn genannt fein;
Den Wurm bat er un Auge,
Den jener Sigurd aufrieb.
Darauf zog er einen Golbring von der Hand, gab ihn bem Knaben
zur Namenfefte und fang dann Weiter:
Mau fieht an keinem Knaben,
AS einzig nur an Sigurd,
Im Augenfteine mitten
Die Schlang’ in Ringen liegen;
Drum foll vom Augenwurme
Der Sohn das Beiwort haben.
(Sigurd hieß davon: Schlang im Auge, ormr { auge.) Nagnar
aber Stand von der Fahrt nah Schweben ab.
Anders erzählt Saxo (B. IX, ©. 263 f.) den Anlaß des Bei
namens. Syvard, ein Sohn Regner Lodbrogs (wie es jcheint von
Thora, ©. 262) hatte in ver Schlacht eine große Wunde erhalten und
die Ärzte verzweifelten an feiner Heilung. Da trat ein alter Mann
von erftaunlicher Größe an das Lager des Kranken und verjpradh, ihn
fogleih zu heilen, wenn er die Seelen Derjenigen, die von feinen
Maffen fallen würden, feinem Retter weihen wolle (si sibi illorum,
quos armis oppressurus foret, animas dedicasset), Auch verſchwieg
der Mann feinen Namen nit und fagte, er werde Roftar geheißen -
(Rostarum 1 se diei subjunxit), Syvard milligte ein. Der Greis
1 Auch 8. II, ©. 62 nennt fih Odin Rosterum. Lex. isl: Rosta, £.
tumultus. Lex. myth. S. 309: Nomen Röstarr sive Rostar pugnacem
sive beiligerum significat, ab eddico-poötico vocabulo rosta (pugna) deri-
vandum. Rosta insuper (et originitus quidem) signißcavit procellam,
305
betaftete nun die Wunde und machte fie alsbald vernarben. Zuletzt warf
er Staub in Syvards Augfterne, wovon plößlich Flecken entftanden,
welche die gröfte Ähnlichkeit mit Würmern hatten. Eine alte Frau,
welche das Getränt beforgte, fiel bei dieſem fchredlichen Anblid leblos
nieder. Syvard erhielt davon den Beinamen Schlangenauge.
Postremo pupillas ejus pulvere perfundens [senex] abiit. Qui maculis
repente coortis eximiam vermiculorum similitudinem obetupescentibus oculis
ingeneravit. Crediderim, hujus mirsculi auctorem futuram juvenis sevi-
tiam evidentiori lumiaum testimonio prodere voluisse, ne perspicacior
corporis pars sequentis vile presagio vacua maneret. Quem anus, qu&
potionibus ejus prwerat, vermiculatas ore notas pre&ferre conspiciens, in-
usitato juvenis horrore permota subito lapsu decidens, lingui animo cogpit.
Quo evenit, ut Syvardo serpentini oculi vulgatum late cognomen accederet.
Der Schwebenlönig Eyftein, befien Tochter Regnar verfchmähte,
wurde nun fein Feind. Regnars Söhne erfter Ehe, Erif und Agnar,
zogen mit Heerichild nach Schweden, wurden aber überwältigt. Agnar
fiel im Kampfe, Erik wurde gefangen. Eyſtein bot ihm Frieden und
feine Tochter an, aber Erif wollte feine Buße für feinen Bruder nehmen
und bat nur für feine Begleiter um Frieden und für fi um eine be
jondre Tobesart.
Er ließ Spieße in die Erde fteden und ſich auf die Spiben ber "
jelben legen. So endete er, nachdem er zubor gefungen:
Nie ftarb, fo weit ich denke,
Der Sprößling eines Königs
Auf gleich Toftbarem Bette
Zum Frühmahl für die Raben u. ſ. m.
Weiſt du, wenn aus dem Haupte
Sie mir die Augen baden,
So lohnen fie mir übel,
Wie ich fie fonft gefüttert.
1 &8 fcheint dies eine eminente Weife zu fein, fi) wit Speeresfpike zu
zeichnen; oder Tiegt ber Nachdruck darin, daß Erik (Eirikr) über alle andre
Befallene erhaben fterben wollte? Hierauf deutet Bättr ©. 348 f.: Hefi hann
svYä upp yfir allan valinn u. f. w. Mun ek efstr ä val deyja u. ſ. w.
Ok d6 hann sv& uppi yfir valnum. Doch auch: upp & spjöte oddu-
aum u. |. w. |
Uhland, Schriften. VII. - 90
306
Seinen Mannen batte ex einen Ring von feiner Hand zugeimorfen,
den fie feiner Stiefmutter Aslög bringen jollten. Diefe war allein
daheim, als die Boten anfamen. Sie zögerten drei Tage, vor fie zu
treten. Als fie endlich vor ihren Hochſitz kamen, hatte fie ein Leintuch
auf den Knieen und bie Haare gelöft, um fie zu fchlichten. Die Männer
brachten ihre Botfchaft vor und einer fang bas Lied, das Erik gefungen
batte, als er ihr den Ring: jandte. Da ſahen fie, daß fie Thränen
fallen ließ, aber dieſe waren wie Blut anzufehen und hart, wie Hagel
Üdrner; daB war das erfte und lettemal, daß man fie weinen fab.
Als Hierauf ihre eignen Söhne, var und feine Brüber, heimgekommen
waren, trat fie zu ihnen in bie Halle. Sie erzählten ihr den Fall ihres
Sohnes Rögnvald, aber gefaßt ſprach fie:
Rögnvald im Männerbiute
Hat Schildesrand geröthet.
Furchtlos fuhr er zu Odin,
Der erſte meiner Söhne.
Run erzählte fie ihnen den Tod der Stiefbrüber unb forderte fie
zur Race auf. Spar aber äußerte Scheue, nicht vor den Menfchen,
fonbern vor dem Zauber 1, der dem König Eyſtein zur Hülfe fei. Ber
geblich ertwieverte Aslög, wenn ihre Söhne gefallen wären, würben
Erik und Agnar nicht ein Halbjahr mit der Rache gewartet haben.
Schon wollte fie ohne Hoffnung weggehen, als ber dreijährige Sigurd,
der mit ihr gelommen mar, zu fingen anbob, baß über drei Nächte die
Fahrt zur Rache ausgerüftet fein folle. Da änderten die Brüder ihren
Sinn und ließen ihre Schiffe ind Meer, wenn fie glei aus dem Eife
gehauen werden mujten. Aslög jelbit 308 unter dem Namen Ranbalin
(die Schilbtragende, vgl. Geijer 457, 4) an der Spike des Heeres, dad
ben Landweg nahm. König Eyftein fiel in der Schlacht.
Spar und feine Brüder, denen nun auch Sigurd Schlangrim-Auge
fih anfchloß, richteten fortan ihre Kriegsfahrten nach dem Süden. Sie
famen bi3 zur Burg Luna (in Etrurien) und beichloffen, nicht abzu:
lafien, bis fie die berühmte Romaburg (til Romabörgar) erreicht hätten.
Sie wuften aber nicht, wie weit ver Weg dahin noch war. Da kam
ein alter, graubaariger Mann zu ihnen, der auf ihr Befragen fagte,
1 Eine zauberhafte Kuh, Sibilja, deren Gebrüll fein Heer aushalten konnte,
dergleichen auch früher zu Hviteby.
307
er fei ein Bettler (stafkarl) und habe fein ganzes Leben bie Länder
durchwandert. Bon biefem verlangten fie, daß er ihnen fage, wie meit
noch der Weg von bier nad) Romaborg jei. Der Wandrer antivortete:
„Ich kann euch etwas zum Zeichen jagen; ihr Tünnt bier dieſe Eiſen⸗
fehube anfehen ?, die ich an ven Füßen babe; fie find jet alt und bie
andern, die ich auf dem Rüden trage, find durchgelaufen; als ich aber
von Romaborg mengieng, band ich dieſe burchgelaufenen, die ich jekt
auf dem Rüden babe, an meine Füße, und auf dem Wege von bort
bin ich ſeither geweſen.“ Da fanden bie Brüder, daß fie die Fahrt
nad) Rom (til Röme at fara) aufgeben müflen, und fuhren mit ihrem
Heere zurüd.
Als Ragnar von den Thaten Jeiner Söhne hörte, wollte er auch
nicht ruhig fiken, ſondern beſchloß, einen Angriff auf England zu
machen. Er ließ dazu, gegen Aslögs Rath, nur zwei, aber ungewöhn⸗
lich große Schiffe bemannen, damit man jagen fönne, er habe England
mit zwei Schiffen erobert; follte ihm aber der Sieg nicht zufallen, fo
fer es für feinen Ruhm beffer, je weniger Schiffe er mitgebracht. As⸗
lög begleitete ihn zu den Schiffen, und ehe fie fich trennten, reichte fie
ihm, zur Bergeltung für das Gewand, bad er ihr einft gegeben, ein
Dberfleid und fang dazu:
Dir gönn’ ich diefes tiefe
Gewand, das nicht genäht ift;
Es ift mit Heilesmilnfchen
Gewirkt aus feinen Fäden. -
Nicht wird dich Schneide beißen,
Nicht wird dir Wunde bluten
In diefem heilgen Hemde;
Den Göttern ward's geweihet.
Ragnar fteuerte nun nach England, aber feine beiden Schiffe
wurden vom Sturme gegen das Land geworfen und zerjchmettert. Doc
kam das Heer unbeichädigt an ben Strand. Ragnar ſchritt in die
Schlacht gegen den engliſchen König Ella, in der Hand den Speer,
mit dem er ven Lindwurm vor Thoras Saal erftochen, ftatt der Brünne
dag Kleid von Aslög, fonft feine Schirmmaffe, als den Helm auf dem
Haupte. Dennoch ſchadete ihm weder Pfeilſchuß noch Schwerthieb.
1 Lex. isl. sköemidr, calcearius, Stomager.
308
Niemand bielt vor ihm Stand; dennoch fiel fein ganzes Heer vor ber
Übermadt der Feinde, er felbft wurde zwiſchen Schilde eingefchloffen
und gefangen. Auf die Frage, mer er fei, antwortete er nicht. Da
fagte König Ella: „Diefer Mann muß auf härtere Probe geſetzt werben,
wenn er nnd nicht jagen will, wer er if. Man fol ihn in einen
Schlangenhof (ormgard) werfen und da eine Zeit lang figen laſſen.
Sagt ex aber feinen Namen und können wir und überzeugen, daß er
Ragnar fei, fo foll er auf's bexeitefte aufgenomnien werden.” Man
führte nun Ragnarn dahin, aber er ſaß lange unb Feine Schlange
bängte fih an ihn. Da hieß e8: „Das ift ein tüdtiger Mann, Waffen
hafteten heute nicht auf ihm und nun können ihm bie Schlangen nicht
ſchaden.“ Als König Ella Dieſes hörte, befahl er, ihm das Oberkleid
abzuziehen. So gefchah es und nun hängten fi) ihm die Schlangen
auf allen Seiten an. Da fang Ragnar:
Ein und fünfzig Schlachten
Schlug ich, vielderiihmte;
Manchem Manne fligt’ ich
Leids auf meinen Fahrten.
Nimmer dacht' ih, Würme
Bürben zum Tod mir werben.
Bieles aber ergebet,
Das man am mindfien glaubte.
Grungen 1 würden die Ferkel (Friſchlinge),
Wuüſten fie Noth des Ebers.
Mich bewältigt der Schlangen
Biß, die mich umziſchen,
Nagen mit ihrem Stachel,
Haben mich ansgefogen.
Bleich Tieg’ ich bei Würmen,
Bald wird enden mein Leben.
So verſchied er. König Ella mwufte nun, daß es Ragnar ivar,
und fanbte nun Boten aus, um befien Söhnen die Nachricht von ihres
i Grydja mundu grisir,
ef galtar hag vissi.
Al. Grina mundi grisir,
ef galta böl vissu a. |. w.
309
Vaters Tobe zu bringen und auszukundſchaften, wie fie ſolche aufs
nehmen würden und was er von ihnen zu befahren hätte. Als bie
Boten zur dänifchen Königsburg kamen und in bie Trinkhalle traten,
lag Spar auf dem Hodfike, Sigurd Schlangim-Auge und Hvitſerk der
raſche (hrati) ſaßen beim Brettipiel (at hneftafli) und Björn Eifenfeite
(jarnstda) fchiftete einen Speerichaft auf dem Boden ber Halle. Die
Abgejandien kamen vor Spar und fagten, daß fie engliſche Männer
feien, welche König Ela gefhidt, um ihnen ben Tob ihres Vaters
Ragnar zu verfünden. Sigurd und Hvitſerk lieben nun bas Breit
fallen und gaben genau auf die Erzählung Adt. Biörn ftanb auf
dem Boden ber Halle und ſtützte ſich auf feinen Speeridaft 1. Sekt
fragte Ivar genauer nad) den Umſtänden bes Todes und die Boten
erzählten nun Alles, wie es zugegangen, von ber Zeit an, da Ragnar
nad England kam, bis da er fein Leben ließ. Als aber bie Erzählung
daranf Tamm, wie er geingt: „rungen werben bie Ferkel,” griff Björn
mit feiner Hand fo feſt um ben Speerſchaft, daß fih die Spur ein,
brüdte, wo die Hand gefaßt hatte, und als fie ihren Bericht fchlöffen,
Ihwang er den Speer fo beftig?, daß biefer in zwei Stüde fprang;
Hvitſerk hielt einen Brettftein, den er geichlagen, in der Hand und
drückte ihn fo feft, daß ihm das Blut aus allen Nägeln fprang; Sigurb
Schlang-im-Auge fchabte fi den Nagel mit einem Meſſer und horchte
fo geipannt auf, daß er nicht auf ſich achtete, bis ihm das Mefler im
Beine ftand. Ivar aber fragte auf das Genauefte nach Allem, und
fein Geſicht wurbe bald roth, bald bleih, feine Haut ſchwoll ganz auf
von dem Grimm in feiner Bruft. Hoitfer? äußerte zuerft, die Rache
könne nun fogleih beginnen an König Ellas Boten. var fagte, das
fol nicht geichehen, fie jollen im Frieden fahren und, wenn fie etwas
bedürfen, werd’ er es ihnen verichaffen. Die Boten fuhren nun zurück
und König Ella meinte, als er ihre Meldung angehört, vor Spar habe
er fich zu fürchten ober vor einem. Der Erfolg bewährte dieß. Gegen
feinen Rath beeilten, fi bie Brüder, den Vater an Ella zu rächen,
wurden aber von Diefem gefchlagen. Spar ſelbſt ließ fi unterwürfig
an und erbat fi von Ella fo viel Land, als er mit ciner Ochſenhaut
1Saro B. IX, ©. 273: Syvardus vero, eodem nuntio accepto n. ſ. m.
hastile, quod forte in manu habebat, altius pedi stupefactus immersit.
2 Yüzdiste Oväber 300. Saro ©. 19.
+‘
310
umfpannen Zönnte, die ex bann in dünne Riemen ſchnitt und auf ber
damit umgogenen Stelle bie Stadt London (Landänaborg; im pätir
©. 858 Jörvill, York) erbaute. Nachdem er fih ba feftgefeht und Ellas
Anhänger von ihm abmwenbig gemacht, ließ er dieß feine Brüber wifien,
welche nun mit einem großen Heere kamen, Ellan befiegten und ge
fangen nahmen. Nah Ivars Rath wurde ihm ber Abler gefchnitten.
Ivar berrichte nun in England; er befahl auf feinem Zobtenbette, baf
man ihn da beftatten folle, wo fein Reich feindlichen Überfall am
meiften auögefeht ſei, denn er hoffte, baß dann bie Landenden nicht
fiegen würden. |
Hvitſerk kam auf einer Kriegdfahrt im Dften in. Gefangenjchaft
und wählte fih ven Tob, daß er auf einem Haufen bon Köpfen er
Schlagener Männer verbrannt werden follte. Aslög befang feinen Tob.
Sonſt ift von ihre nur noch gefagt, daß fie eine alte rau wurde. Bon
Sigurd Schlangim-Auge aber ftammte ein großes Geſchlecht. Seine
Tochter hieß Aslög, die Mutter von Sigurd Hidetr. Diefer war Vater
der Ragnhild, der Mutter Harald Härfagre, des erften Königs über
ganz Rorwegen.
Diele Sage. ift Durch den zu ihr gehörenden Tobesgefang Ragnars
eine der berühmteften geworben und muß daher in dieſer Verbinbung
ausführlicher erörtert werden.
Die Saga legt dem fterbenden Ragnar im Schlangenhofe nur zwei
Siedesſtrophen bei, in deren exfterer er feiner 51 Schlachten kurz en
wähnt. Saxo dagegen (B. IX, ©. 272) gedenkt einer umfafjendern
Aufzählung aller feiner Thaten, die auch mit der Stelle von den Friſch⸗
lingen ſchloß:
Cujus adeso jecinore, cum cor ipsum funesti carnificis loco coluber
obsideret, omnem operum suorum cursum animosa voce recensuit, au-
periori rerum contextui hane adjiciens clausulam, si sucule verris suppli- _
einm scirent, haud dubio, irruptis haris, affliotum absolvere propererent.
Quo dicto Hella adhuc nonnullos filiorum ejus vivere interpretatus, qui-
escere carnifices amoverique viperas jubet. Cumque satellites peragende
jussionis gratis accurrissent, Regnerus imperium regis funere suo pre -
cesserat.
Wir haben nun auch noch einen altnorbifchen Tobesgefang unter
dem Ramen Kralumal (Krafas Rede), „das auch Einige Lodbrokslied
311
nennen (er sumir kalla Lodbr6kerkvidu),” in 29 Strophen, welcher
mebrfältig herausgegeben und in viele Sprachen überſetzt! ift. N
Sn dieſem Liebe führt der ſterbende Ragnar die ganze Reihe feiner
Helvdenthaten vorüber. Sämmtliche Strophen, mit Ausnahme der legten,
beginnen refrainartig:
Wir bieben mit dem Schwerte. ?
Der Kampf mit dem Lindwurm ift auch hier das erfte Heldenwerk:
1. ir bieben mit dem Schwerte.
Es war nicht allzu lange,
Daß wir nad Botland giengen,
Zum Mord des Erubenfundgen;
Dort ward zur Braut mir Thora.
Da ich den Aal der Haide
Durchbohrt, warb ich geheißen
Lodbrok fortan von Kämpen.
Ich flach den ſtarken Erdwurm
Mit lichter Stahleszunge.
2. Wir hieben mit dem Schwerte.
Jung war ich, da wir gaben
Oſtlich im Oreſunde (i Eyrasundi)
Ein Mahl dem giergen Wolfe.
Dort, wo die harten Eifen
Auf hohe Helme fangen,
Da ward gelbfüßgen Vögeln
Der Azung viel bereitet.
Ägir war angefchwollen,
Ran water’ im Walbinte u. f. w.
4. Wir bieben mit dem Schwerte.
Erfreut warb Hedins Gattin,
Da wir Helfinger fandten
Hein nach den Sälen Herjans u. |. w.
Im ähnlichen Bildern der Skalbenſprache, aber ohne charakteriftiſche
Züge, werben die mweitern Kämpfe befungen. Dann gegen den Schluß:
1 [BgL Möbins, Catalogus librorum islandicorum ©, 133 f. K.]
2 Hjuggu ver med hjörvi.
312
24. Wir hieben mit dem Schwerte.
Das hat ih mir erwielen,
Daß wiz dem Schichſal folgen;
Niemand entweicht der Norne.
Wohl dacht' ich nicht, daß Ella
Des Alters Biel mir fee,
Da ih Blutfalken (Raben) äzte,
"Den Borb zum Strande treibend.
Wohl gaben wir den Wölfen
Ihr Theil in Scotlands Buchten.
25. Wir hieben mit dem Schwerte.
- Das ſchafft mir immer Freude,
Daß Baldurs Baterd Bänte
Bereit ich weiß zum Trinkmahl.
Bald werden Bier wir trinten
Aus krummen Schäbelbäumen 1.
Nicht fchmerzt der Tob den Helden
In Fiölnirs bebrem Haufe;
Nicht tret’ ich mit dem Worte
Der Angſt zu Biprirs? Tiſche.
26. Wir hieben mit dem Schwerte.
Jetzt würden Aslögs Söhne
Hier alle mit den ſcharfen
Schwertklingen Hiſdur wecken,
Wenn fie nur Kunde hätten
Bon aller meiner Drangfal,
Wie eine Schaar von Schlangen,
Giftvollen, mich verzebre.
Die Mutter gab ich ihnen,
Die Muthige geboren.
1 Diefe Stelle ift früher fo misverftanden worden, 3. B. in Gräters Über
jegung, Nord. Bl. ©. 19, als tränken die Helden in Balhall ans den Schä-
dein ihrer gefallenen Feinde. Sie trinken aber nur aus Thierbörmern, aus
Krummbäumen der Hirnſchaalen, aus den gebogenen Gewächſen ber Thiertöpfe,
or bjügvidum hausa GSagabibl. II, 479). Bitgr, curvus; vidr m. arbor;
haus m. cranium.
2 Lex. myth, 564: Vidrir, Viprir, tempestatis dator, moderator vel
effector. j
313
27. Wir hieben mit dem Schwerte.
Es neigt ſich Karl gum Ende,
Grimm bdränget mich die Natter
Im Saal des Herzens niftend;
Das hoff’ ih, bald wird Ella
Bon Bidrirs Reis durchbohrt fein.
Die Söhne werden fchwellen ?
Ob ſolchem Tod des Baters;
Nicht werten biefe Rafchen
In träger Ruhe zögern.
28. Wir bieben mit dem Schwerte.
Zu ein und fünfzig Schlachten
Hab’ ich das Heer geführet,
Zum Pfeilgeving? entdietend.
Jung röthet’ ich die Spike
Und nie fam mir zu Simen,
Mich würd’ ein anbrer König
In Kampfesruhm bewältgen;
Jetzt laden mich die Aſen
Und nicht erſchreckt der Tod mich.
29. So winfch’ ich denn, zu enden,
Heim laden mich die Difen 4,
Die mir von Herjans Hallen
Herabgeſandt hat Odin.
Froh werd' ich Bier mit Aſen
Dort auf dem Hochſitz trinken.
Ab find des Lebens Stunden
Und lachend werd' ich ſterben 5.
Die Anlage biefes Liedes, daß ein Selb unmittelbar vor bem Tode
ſeine Thaten und Erlebniffe aufzaͤhlt, ift in norbifchen Sagen herlümms
lich. Wir fanden den Nachklang eines ſolchen Liedes, das Stadlabrn
zugeſchrieben var, in ben Inteinifchen Verſen Saxos (B. VIIL ©. 234 f.);
1 Der Speer. '
2 Wie die Saga von Ivarn meldet.
8 Fieinpings bodi; fleinn, m. spiculpm.
4 Goͤttinnen; bier wohl Valkyrien.
5 Lesjandi skal ek deyja.
_
314
andre ähnlicher Art find unter deu Namen von Ärvarodd und Asbjörn
Prudi aufbehalten, welch Iekterer das feinige fingt, während ihm bie
Därme aus dem Leibe gewunden werben. (Örvar-Odds Saga, Fornald.
8. II, 301 ff. Fortivs Sag. II, 236 ff. Yortäl. om Orm GStorolfsf.,
bei Dlaf Tryggo. S., Oldnord. Sag. IH, 192 ff. Vgl. hiezu Grimm,
Rechtsalth. 519 f. 690, 4.) „Lachend fterben” ift ebenfallö eine wieder⸗
kehrende Bezeichnung des ungebrochenen Heldenmuthes. So börten wir
bei Saro von Hrolf Kraki rühmen:
Ridendo excepit lethum mortemque cachinno
Sprevit et elysium gaudens successit in orbem u. f. w.
(Sago B. II, 49 f. Bol. 42.) Auch Högni lacht, ald man ihm
das Herz ausfchneibet (Völs. 8. €. 37).
Die Benennung des Liedes Krakumal kann fo gedeutet werben,
baß angenommen wurde, Kraka (Aslög) habe dasſelbe auf den Tob
ihre Gemahls dichten Iaflen, wie 3. B. noch ein Staldengefang vor
handen ift, den die normwegifche Königin Gunhild, um bie Mitte des
- 10ten Jahrhunderts, zu Ehren ihres auf der Bilingsfahrt nach Eng:
land gefallenen Gemahls, Erich Blutart, abfaflen ließ (Sagabibl. IL,
373 ff.). Es werben aber aud in den islaͤndiſchen Sagan Aslsg felbft
manche Lieberftropben in ben Mund gelegt, namentlich (Ragn. L. S.
€. 19) die auf ben Tod ihres Sohnes Hpitferf, und es wäre baher
auch möglich, daß ein Trauergefang Aslögs (ähnlich den Eddaliedern
Godrünar-Harmr, Gudruns Trauer, und Oddrünar-Grätr, Dbbruns
Meinen) unter dem Namen Krakumal vorhanden war und diefer Name
auf Ragnars Todesjang Übergieng, welch Iebtern man fogar in einer
Handſchrift als Bjarfamal bezeichnet findet (Fornald. S. 1, 282, 3. 300, 1).
Als Grundlage oder Anhalt der Sagen von Ragnar, wie es fonft mit
Liedern ber Fall iſt, kann diefer Gefang nicht betrachtet werben, denn
es zählt die einzelnen Ereigniffe nur ſummariſch auf und ſtimmt weder
mit ben islänbifen Sagen, noch mit den Erzählungen Saros genau
überein. Aud bat man barin nicht bloß die Spur eines cheiftlichen
Verfafiers bemerkt (der Kampf beißt Str. 11 Odda! messa, Mefle der
Speeripiten, was jedoch Rafn, Fort. ©. 1, 281, 4 für einen ver
ächtlichen Seitenblid auf das Chriftentbum, Geijer ©. 459, N.
1 Oddr, cuspis, muero, telum. .
315
möglicherwveife für eine fpätere Anderung ftatt des Str. 17 vorkommenden
Odda senna !, Hader der Speere, erflärt), ſondern man bat auch
Sprade und Stil bes Liebes neuer gefunten, jo bag Müller (Saga-
bibL II, 480) dasfelbe dem 11ten oder 12ten Jahrhundert zufchreiben
zu Fönnen glaubt. Diefes würde jeboc frühere Gelänge von Ragnar
und feinen Söhnen und jelbft einen Tobesgefang in älterer Form
keineswegs ausfchließen. Wir haben auch wirklich, als das ältelte
Denkmal, in der Skalda noch ein Brucftüd eines Ehrenliedes auf
Ragnar übrig, das der Stalde Bragi der Wie im Yten Jahrhundert
verfaßt bat (Sagabibl. II, 473. 75. 77. Bel. Fort. S. 1, 327).
Es würde uns zu weit führen, bie unter fi) manigfach abwei⸗
chenden, aber doch in Hauptzligen zufammentreffenben Sagequelten,
bie größere und die Türzere Saga, Kralumal und Saxo, im Einzelnen
gegeneinander zu halten oder auf die bier mögliche Bergleihung mit
den norbifchen Gefchlechtöregiftern und namentlich auch mit ben aus⸗
mwärtigen Berichten der alten Annaliften Englands, Irlands, Frankreichs
u. |. w. einzugeben; in der lebtern, biftorifhen Beziehung find von
Müller und Geijer ausführliche und jorgfältige Erörterungen angeftellt
worden. Wir beichränfen uns auf Dasjenige, was vom Stanbpunft
der Sagengeſchichte aus für die Charakteriftil der Überlieferungen von
Ragnar Zobbrof und feinen Söhnen wefentlich erjcheint.
Die Anläffe diefer Überlieferungen, fo fagenhaft auch letztere noch
geftaltet find, ſtehen doch nur ein Jahrhundert vor dem Beginn ber
islãndiſchen Gejchichtichreibung und mittelft jener möglichen Bergleichumg
auswärtiger Berichte fallen- ſchon merklich die Lichter ter Geſchichte
berein (Sagabibl. II, 476. Sagnh. 166. Geijer 502). Die norbifchen
Genealogieen ſetzen Ragnars Lebenszeit gegen bas Ende des Sten Jahr:
bundert3 und fie verdienen Glauben, da hier die Erinnerung von
der hellen geichichtlichen Zeit aud nur um wenige Glieder zurüdzugeben
brauchte und auf folde Stammliften große Aufmerkſamkeit verwendet
wurde, aud bier deren mehrere, von einander unabhängige in ber
Hauptfache übereinftimmen (Sagabibl, 474 f. Sagnh. 160 ff. Geijer
500 u.). Die Namen mehrerer feiner Söhne, wie fie in der Sage an
gegeben find, findet man bei ben fremden Annaliſten als diejenigen
1 Senna, f. lis, altercatio.
316
furchtbarer normännifcher Seefahrer, die an den Küſten ber weſtlichen
Länder Verheerungen anrichteten und Eroberungen machten, auch zum
Theil mit der ausdrücklichen Bezeichnung als Söhne Lodbroks und mit
fonftigen der Sage entſprechenden Umständen. Aber eine Schwierig
feit, welche den Geſchichtsforſchern viel zu fchaffen macht, liegt darin,
daß diefe Lodbroksſöhne nach den dhronologifchen Angaben der Anna⸗
Iiften faft ein Jahrhundert fpäter auftreten, ala der burch bie isländi⸗
fchen Stammtafeln conftatierte Nagnar Lobbrof, dem bie norbifche Sage
gleichnamige Söhne zufchreibt. Man bat viefen biftorifchen Widerſpruch
mebrfach zu Iöjen gejucht, inbem man zwei Könige bed Namens und Ber
namens Ragnar Lodbrok, den einen im Bten, ben andern im Bten Jahrhun⸗
dert, annahm, oder in ben angeblichen Söhnen Lobbrofs Enkel desjelben
vermuthete (Sagabibl. IL, 476. Sagnhiſt. 166), ober in ber norbifchen Gage
felbft den Einfluß der auswärtigen Quellen gewahrte (Geijer 199). Der
legtgenannte Schriftſteller findet gleichwohl am Ente dod nur im Weſen
der Sage die Löfung diefer Verwicklungen. Er bemalt u. A. (©. 498): _
Wenn auch die Conjectur ven zwei Königen Ragnar Lodbrok, wie fie
gewöhnlich aufgeftellt worden ift, verworfen werben muß, fo ift doch unflreitig
wahr, daß die Thaten mehrerer Helden auf den einzigen Ragnar Lodbrok üßer-
getragen worden find, und die Ähnlichkeit der Namen hat dazu beigetragen, daß
man von ihm zu [in] fo verfehtedenen Zeiten redete, daß fie ein Menſchenleben
nicht faffen konnte.
(&. 500 f.) Die Verwirrung in der Geichichte einer blutigen Leit umd
der Umftand, daß der Schauplag der Thaten außerhalb des Nordens lag,
mufte nothwendig Berfchiebenheiten in den Berichten erzeugen; und wir haben
jhon bemerkt, daß im Norden felbft verſchiedene Behandlungen der Ragnart-
ſaga eriftierten. Nur in den poetiichen Hauptzügen ſtimmen alle überein: eine
friegeriichen Königs und Helden Tod auf fremder Küfte und die für ihn gefibte
Race. Diefer poetiide Ragnar Lodbrok des Nordens ift ohne Zweifel auch
der wirkliche und nimmt in der Zeit wahrſcheinlich den Play ein, den die alten
Geſchlechtsregiſter ihm gegen das Ende des achten Jahrhunderts anmweifen.
Sage und Geſang aber haben ſich feiner Geſtalt bemächtigt und ihn einerfeits
in Verbindung mit den Älteren Helden der Borzeit gebracht, anbrerfeits feinen
Namen in vergleihungsweife neuere Beiten durch einen Rachekrieg herunter
gefegt, der während ber mehr als: hundertjährigen Plünderzüge der Bilings⸗
ſchaaren auf allen Küften Europas leicht immer von Neuen erzählt werben
konnte. Auf ihnen wurde der Echeiterhaufen angezündet, in welchem das
317
norbifche Heibenthum mit biutiger Haferei feine letzten Kräfte opferte, indem es,
wie vormals Oden, die Ehre nad) dem Tode nad) der Höhe der Flamme be
rechnete; und in flärleren Bilbern Tonnte diefer, auch in feinem Untergange
noch gefährliche Geift nicht dargeftellt werben, als in diefem Ragnar, der feine
Thaten befingt, während Schlangen ihm am Herzen nagen, als in feinen
Söhnen, von denen der eine ſcharfe Spieße zu feinem Todtenbette wählt, ein
anderer fich auf einem Scheiterhaufen aus den Köpfen erfchlagener Feinde ver-
brennen läßt, ein dritter befichlt, feinen Grabhligel an der Küſte feines Reiches
zu errichten, die dem Angriff am meiften ausgefett ſei.
Diefe Auffaflung der Ragnarsſage ift ſchön und richtig zugleich,
fofern wir letztere wirllich an ven Schluß der heibnifchen Sagenperiobe
zu ftellen haben; aber in der Sage für fich betrachtet liegt die Beben:
tung bed untergebenden Heibentbums auf feine andre Weife, als in
andern, früheren Sagen, worin nicht minder, dem Geift bes obinifchen
Glaubens gemäß, bie ungebänbigte Kraft fich felbft verzehrt und ber
Held mit Laden ftirbt.
Was die Sage von Nagnar und feinen Söhnen als auf dem
Übergange ber Sagenzeit in die gefchichtliche befindlich charakterifiert,
iſt mehr ihre formelle Beichaffenheit, als ihre innere Bedeutung. Die
Greignifie, aus denen fie zufammengefeht ift, Ragnars Heirathen, feine
und feiner Söhne Kriegsthaten und letzte Schickſale, find nicht ſowohl
zu einem poetiſchen Ganzen abgerundet, als in einer hiſtoriſchen Folge
an einander gereibt; die gefehichtlichen Thatſachen, wie fie nun aud
durch äußere Zeugnifie beftätigt werden, find nicht mehr völlig in
Poeſie aufgegangen, fondern haben ſich nur in bie poetifche Darftellung
gefteigert. So kann jener höchft lebenbigen Scene, wie Ragnars Söhne
die Botichaft feines Todes aufnehmen, die wahrhafte Thatſache zu
Grunde liegen, daß Ragnars Tod feine Söhne zum Rachezug aufregte.
Auf der andern Seite hängen dieſe Überlieferungen, außer durch
die eben erwähnte Steigerung und poetiſche Belebung des Wirklichen,
noch durch andre Beziehungen mit der Sagenwelt zufammen. Sagen:
haft ift das Zufammenrüden hiſtoriſch von einander entfernter Berfonen,
unb jene Anficht, daß unter Lodbroks Söhnen Lodbrokliden überhaupt,
Abkommlinge Lodbroks, zu verftehen feien, bat in ber Sage jelbft den
Umftand für fi, daß fie ihm eine fo große Anzahl von Söhnen
zufdweibt, weiche gleichzeitig mit dem Vater auf Kriegsfahrten aus⸗
| 318
ziehen (von Thora: Erik, Agnar; bon Aslög: war, Björn, Hvitſerk,
Nögnvald, Sigurd, und bei Saro noch aus einer britten Verbindung:
Ubbo). Mehrere Theile der Ragnarsfage find aber auch noch ganz in
ben älteren Mythus getaucht. Dahin gehören: Ragnars Drachenkampf,
Aslögs und ihres Sohnes Sigurb Anknüpfung an die Bölfungenfage,
endlih Ragnars Tod im Schlangenhofe. Zu den beiden erftern Dich
tungen ſcheinen zunächft bie Beinamen ber Helden, unter denen fie be-
rühmt waren, ohne daß man einen die Phantaſie befriebigenden Grund
dafür anzugeben wujte, den Anlaß gegeben zu haben. Ragnars Bei-
name 2obbrof (braccis hirsutis indutus) follte nicht etwa bloß aus
einer beiondern Liebbaberei besfelben in jeiner Kleivung, fondern auf
eine des Helden würdigere Weile erklärt werden und bafür ſtanden
aus dem alten Sagenſchatze die Graählungen zu Gebot, wie ein Helb,
der zum Kampfe mit einem Dracden gebt, fich vor beflen Gift und
Flamme durch einen Anzug von Fellen fchügt, was Saro fchon vor
Ragnar Lobbrof zweimal, zuerft von feinem Frotho I (B. II, ©. 25),
dann von Fridlev (B. VI, ©. 153, 1), zu melden wufte.. Sigurd,
Kagnars Sohn, mar unter dem Beinamen Schlang⸗im⸗Auge (ormr ?
auga) belannt. Daß man über die Bebeutung diejes Beinamens zweifel⸗
baft war, ergibt ſich aus dem boppelten Verſuche, benfelben zu erklären.
Saxo (B. IX, ©. 263 f.) erzählt, daß Roftar (Odin), der den wunben
Helden geheilt und fich dafür bie Seelen ver von ihm Exfchlagenen
verheißen laſſen, die Augſterne besfelben mit Staub beftxeut babe und
daraus wurmãhnliche Flecken entſtanden feien. Die i#ländifche Saga
Dagegen läßt (C. 8) dadurch, daß um ober in Sigurds Auge eine Schlange
zu liegen fcheint, die Ausfage feiner Mutter, daß fie eine Tochter Si⸗
gurbs des Schlangentöbters von Brynhild fei, beglaubigen. Es if
bereitö bemerkt morben, daß auch lediglich auf dem Gebiet ber Sage
eine Tochter Sigurbs von Brynhild nicht angenommen werden Zönne.
Muller (Sagabibl. II, 477 f.) ſucht dieſen frembartigen Zufag auf
biftorifchem Wege zu erklären; die Huge Kraka, welde fih auf ben
Grund ihrer niedrigen Herkunft vom Volle geringgeſchätzt gefehen und
nahe daran getvejen, verftoßen zu werden, babe, vielleicht jogar mit
Ragnars Wiffen, durch jene Angabe, die in dem zufälligen Umſtand
‚mit des Sohnes Augen ihren Anlaß gefunden, fich zu behaupten ge
ſucht. Die Schwierigkeit, daß doch fchon „damals die allgemeine
“Meinung den Bölfungen Sigurd viel höher binaufgefeßt haben müffe, um
319
⸗
ein · ſolches Borgeben zu glauben, ſucht Müller zu beſeitigen, indem er
annimmt, daß die Sage ſpäterhin aus dem Stammbater einen wirk⸗
lichen Vater gemacht haben könne. Einfacher ſcheint mir, der phan⸗
taſtiſchen Namendeutung, die hier doch einmal eingetreten iſt, freies
Spiel zu laſſen. Sie konnte fich bald mehr auf den Namen Sigurd
werfen, ben Ragnars Sohn mit dem Bölfungenhelpen gemeinfam hatte
unb moburd) er fich diefem in der Abſtammung anzureiben fchien, bald
mehr auf den Beinamen, der dann Wieder verſchiedene Beziehungen
darbot; einmal die befonbre auf den Schlangentöbter Sigurd, wie fie
in einer Lieberfiropbe der Saga angegeben tft (C. 8):
Den Burm hat er int Auge,
Den jener Sigurd aufrieb 1;
ſodann die allgemeinere auf den fcharfen, fehneidenden Blid überhaupt,
wie fie der Erzählung Saros zu Grunde zu liegen fcheint, mo die alte
Frau vor Schreden über den Anblid zu Boben ftürzt. Sazro felbft
bemerkt dabei:
Crediderim, hnjus miraculi auctorem futuram juvenis seevitiam evi-
dentiori luminum testimonio prodere voluisse u. |. w.
Der Urheber des Wunders aber iſt Dbin, dem, als dem Gotte
der Helden, die Begabung mit dem Schrediendauge ? wohl beigemeflen
wird; und wieder eignete fich hiedurch der junge Sigurd in das Vol⸗
fungengeichledt, das, von Dbin ftammend, die feharfen Augen zum
Abzeichen hatte. Diefe allgemeinere Beziehung, wonach ber Beiname
ormr 1 auga nicht? Andres hieß, als „der mit dem fcharfen, ftechenven
Auge”, balte ich für die urfprüngliche; die Verbindung desſelben mit
dem Ramen Sigurd, den Ragnars Sohn von dem Großvater Sigurd
Hring (Geijer 452) ererbt hatte, führten dann zu der Antnüpfung an
die VBölfungenfage. Beltätigt wird diefe Anficht noch dadurch, daß es
in den Eddaliedern von Helgi auch von einem fcharfen furdhtbaren
Schwerte heißt, ihm liege der Schreden in ber Spite, und eine blutige
1 beim er ormr i auga,
er annan l&t. svelta.
2 Helg. Qv. HB. Il, Str. 2. Edd. Sem. 158 f.: Hvass ero augo 1
Hagais PYjo u. ſ. w. Völs. 8. €. 80: augn Sigurdar voru svä enör 1. |. w.
„(onar, celer, acer).
320
Schlange Längft der Schneide, fowie das Schwert ſelbſt Blutichlange
(blödormr) genannt wird (Helg. @v. Hat. Sk. Str. 9. Helg. Qv. HB.
I, Ste. 8. Grimm, Edda 34). Die ftechende Schredensichlange ſteckt im
fcharfen Schwerte, wie im fcharfen Helbenauge !.
Bon Kraka⸗Aslög, als einer Tochter Sigurbs und Brunhilbs, ex
mwähnt Saxo nichts ausdrücklich. Spuren biefer Sage ſcheint jedoch auch
er vor fich gehabt zu haben. Die zweite Gemahlin Ragnars beit ihm
Suanlogha, (Doc ift ihm Syvard, serpentini oculi coguomine, nicht
ihr, fondern Thoras Sohn, B. IX, ©. 268. 271. Bel. 262 u)
Geijer (©. 454, 7) vermuthet in Spanloga einen Schreibfehler für As
Ioga, Aslaug. Mir jcheinen darin die Namen ziveier Töchter, bie
man dem Bölfungen Sigurb zufchrieb, Syanbild von Gudrun umd
Aslaug von Brynhild, verfchmolzen zu fein. Im Übrigen hat Saro
die eigenthümliche Sigurdsſage, obgleich fie ihm ſchwerlich unbelannt
war, von feinem Werke ausgeichlofien, wahrſcheinlich weil er he für
eine beutiche anſah.
Entſchieden fagenhaft ift enblih Ragnars Tod im Schlangenhofe.
Daß Ragnar Lodbrok in England eines gewaliſamen Todes geftorben,
mag immerhin ala biftorifche Thatſache befteben und man findet davon
auch in dem englifchen Chroniken Erwähnung, obſchon gleichfalls mit
ſagenhaftem Anftrich (Geijer 474 f.); aber daß er den Schlangen vor
geworfen worden und bier fterbenv feine Thaten gelungen babe, if
ein Erbtheil alter Fabel. Die Bölfungenfage, auf die fchon einmal
der Blick gerichtet war, bot auch biefür ein Vorbild im Tode Gun:
nars, ber, ebenfalld von Schlangen verzehrt, die Harfe, weil ihm bie
Hände gebunden find, mit den Füßen ſchlägt. Nach ver Nornageſts⸗
fagn (€. 2) gab es ein befondres Lieb: Gunnars-slagr (Gunnars
Harfenfchlag; vgl. Olafsen om Nordens gamle Digtekonst S. 262. $ 26:
Slagr, en Vise som synges elter Slag og Tact), welches jetzt verloren
ift. Zwar kam im vorigen Jahrhundert ein Lieb dieſes Namens in
altnoxbifcher Dichtweife, ein Tobesgefang des von den Gchlangen
bebrängten Gunnars, auf Island zum Borfchein und wurde von
Mebreren für alt und echt angeſehen; bie darüber angeftellten Nach⸗
1 Edd. Havn. II, 34, 21: Sic de Skeggii nobilis Islandi gladio, ma
gieis item viribus insigni legimas, quod genius angvicalum referens,
yrmlingr, et in capulo latens quandoque sese conspieiendum stiterit,
. 321
forfchungen aber laſſen feinen gegründeten Zweifel übrig, daß basfelbe
von Gunnar Paulſen, einem isländiſchen Geiftlihen, der im Jahr
1785 ftarb, gedichtet ſei!.
Es ift zwar allervings eine gelungene Nachahmung des Stils ber
beroifchen Eddalieder, aber die Unechtheit verräth ſich ſchon baburd,
daß es gar nichts Neues gibt, fondern alle feine Anfpielungen auf
Mythus und Sage fi in den vorhandenen Quellen nachweiſen Iafien,
in denen der Dichter ſich wohl bewandert zeigt. (Anreven, wie die in
Str. 23 an die Harfe, fommen wohl auch nicht in alten Liedern vor.)
Der Inhalt des alten Gunnarsflagr konnte nun im Wejentlichen nicht
wohl ein andrer fein, als der des Krakumal, Aufzählung der Thaten
und Geſchicke des mit ungebrochenem Muthe fterbenden Helden. Wo»
bin aber diefer Tod im Schlangenhofe mit, dem Gefange des Sterbenben
urfpränglich gehört habe, in die VBölfungen: oder in die Ragnarzfage,
kann nicht zweifelhaft erjcheinen, wenn man erwägt, daß berjelbe hier
mit Überlieferungen verbunden ift, die ſchon an ber Grenze ber Ge
ſchichte Fiegen, bort aber mit einer uralten Sage, ber das Wunderbare
noch durchaus natärlich ift, in harmoniſchem Zufammenbange ftebt.
Als Seitenftül der Todesgejänge können bier die zwar nur noch
aus hriftlicher Zeit vorhandenen, aber ohne Zweifel einem älteren Typus
entſprechenden Stalvenliever von der Aufnahme ber Helden in Balball
(Sagabibl. II, 373 ff. Heimskringla I, 163 ff. Häkonar Saga Adal-
steinsföstra C. 33. Münter ©. 436 ff. 451 bis 455; vgl. 441) beige
bracht werben.
6. Nornageſt.
"Bögupättr af Norna-Gesti, Fornald. S. I, 311 ff. Fort. 8. I, 289 fi.
(Anfang des 14ten Jahrh. Sagabibl. II, 120. Sagabibl. II, 108 fi. Olaf
Tryggvasons Saga &. 70. (Heimskringla I, 288 f.) Sagnhift. 227. Kong
Diaf Tryggvafons Saga u. |. w. overſ. af Rafn. II, 137 ff. C. 201 ff.: Von
Spend und feinen Söhnen. (Auch mit dem Titel: Oldnordisle Sagaer u. f. w.
overf. af C. C. Rafn. B. II. Kiöbenh. 1827. Der erfte 8. 1826). Gagabibl.
II, 222 bis 97.
Als König Olaf Tryggvaſon ſich einft zu Trondheim aufhielt, kam
eines Nachmittags ein, Mann zu ihm und grüßte ihn anſtändig. Der
1 Edd. Hafn. II, prefet. XXIV bis XXVII. Edd. Sem. 274, 1.
Uhland, Schriften. Vi. 21
N
322
—
König nahm denſelben wohl auf und fragte, wer er ſei. Jener nannte
ſich Geftr!. „Gaſt follft du bier fein, jo wie du heißeft,“ fagte ber
König. Geftv eriwiverte: „Wahrhaft fage ich bir meinen Namen, Her!
aber gerne möcht’ ich dein Gaft fein, wenn es geftattet iſt.“ Der König
fagte, das ftehe ihm frei. Da aber fchon der Tag fich neigte, wollte
ex nicht weiter mit Geft fprechen, ſondern eilte zum Abendſang (Beiper),
gieng nachher zu Tiſch und dann zur Ruhe. In biefer Nacht wachte
der König auf und las im Bett feine Gebete, während die andern
Männer in derſelben Halle (i pvi berbergi) fchliefen. Da bedäuchte
ihn, als Täme ein Alf oder ein anbres Weſen in bad Haus, obſchon
alle Thüren verjchlofjen maren; derjelbe trat vor jebes Mannes Lager
und zulegt zum Bette befien, der zu äußerft fchlief.” Da bielt ex an
und ſprach: „Erftaunlih ſtarke Schlöfler find bier vor leerem Haufe:
auch ift der König nicht fo weile, wie die Leute glauben, die ihn für
den Werften balten, da er jetzt fo feft ſchläft.“ Darnach verſchwand
der Alf durch die verfchloflenen Thüren. Frühmorgens fandte der König
feinen Diener (ekösvein), um zu erfunden, wer bie Nacht in jenem
Bette gelegen. Es zeigte fih, daß es der Gaft war. Der König ließ
ihn vor ſich rufen und fengte nad feiner Herkunft. Jener antwortete:
„Thordr hieß mein Bater, zugenannt Thingbite (bingbitr; bitr, acer,
ecerbus, acutus), ein Däne von Geſchlecht; er wohnte auf dem Hofe
Gräningr in Dänemark.” „Ein wackrer Mann bift du“, fagte der König:
Geſtr war fühn in Worten, größer, als die meiften andern Männer,
ftar und doch ziemlich bei Jahren. Er bat den König, länger an
feinem Hofe bleiben zu dürfen. Der König fragte, ob er getauft fei.
Geftr erwiberte, er ſei primfignet ? (mit dem Kreuzeszeichen vorerft be
zeichnet), aber nicht getauft. Hierauf fagte der König, Geftr könne wohl
bei feinen Hofleuten bleiben; doch fol’ er nicht lange bier verweilen,
ohne fich taufen zu laſſen. Der Alf aber hatte vom Schlofje geſprochen,
weil Geſtr fih Abends wie andre Chriften bekreuzte (signdi sik), aber
doch noch ein Heide war. „Übft du irgend eine Kunft aus?“ fragte
der König weiter. Geftr fagte, er fpiele die Harfe und erzähle Sagan
(leika hörpu edr segja sögur) den Leuten zur Kurzweil. Hierauf
der König: „Übel thut König Svend (Sveinn), daß er ungetaufte
1 Gestr, m. hospes, advena.
2 at primsigna, prima signatione erucis christianum initiare,
323
“ Männer aus feinem Keiche durch. die Lande fahren läßt.” „Nicht iſt
das dem Dänenkönige aufzurechnen”, verjegte Geſtr, „denn ich 308
Iange Seit vorher aus Dänemark fort, ehe Kaifer Otto Danavirk
verbrennen ließ und den König Harald Gormsſon und Hakon Blotjarl
zwang, das Chriftentbum anzunehmen.”
Über viele Dinge wurde Geftr vom Könige befragt und wuſte
wohl und weislich Bejcheid zu geben. Es war, tie man fagt, im
dritten Jahre der Regierung König Dlaf3 (aljo im Yahr 998), daß
diefer Geftr zu ihm kam. (Geſchenke aus Gläſisvöll 2.) Kurz vor ber
Julzeit fam Ulfe ber Rothe, der den Sommer über in bed Königs
Geſchäften ausgeweien war, um nun bei ihm, wie gewöhnlich, ven
Hochwinter zuzubsingen. Unter andern Koftbarleiten, welche Ulf dem
König mitbrachte, war ein kunſtreich genrbeiteter Golbring, der Hnis
tudr hieß. Er hatte vormals dem Könige Halfe gehört, von dem bie
Halfsreden benannt find. Am achten Tage des Juls gab Ulf dem
König diefen Ring. Der König dankte für die Gabe und alle bie
treuen Dienfte, die ihm Ulfr ftet3 erwiefen. “Der Ring gieng weit um
im Saale, wo die Männer tranlen. Einer zeigte dem Anbern den
King und Kleiner glaubte noch fo gute Gold gejehen zu haben, als
das an Hnitud war. Zuletzt fam er an bie Bäftebanf und an ben.
neuangelommenen Geftr. Diejer ſah den Ring an und gab ihn dann
“ quer über die Hand, womit er das Trinkhorn hielt, zurüd. Er machte
wenig daraus, ſprach nicht von dem Kleinod und fuhr im kurzweiligen
Geſpräche mit feinen Nachbarn fort. Ein Schenfe an der Gäftebant
fragte nun: „Bedünkt euch wohl um ven Ring?” „Sehr wohl”, ers
widerten fie, „nur dem neuangelommenen Gafte nicht, er findet nichts
daran und feheint fih nicht auf folche Dinge zu verftehen.“ Der
Scente gieng nun vor den König und fagte ihm bie Reben der Gäſte.
Der König aber ſprach: „Geſtr mag mehr willen, als ihr meint; ex
fol morgen zu mir fommen und mir irgend eine Saga erzählen.” Die
Gäfte fragten nun weiter, ob Geſtr ſchon irgendwo fo gutes, ober
beſſres Gold geſehen habe. Er bejahte das. Darüber lachten die Hof
leute jehr. „Du muft mit und metten”, jagten fie, „daß du gleich
gutes Gold gejeben, fo daß bu es beweifen fannit; darauf follen wir
1 Virki, n. vallum, munitio.
2 (5. H. v. d. Hagen, nordiſche Heldenromane 5, 120, &.)]
324
vier Mark Silbers fegen, du aber dein Mefier und beinen Gürtel, und
der König foll entſcheiden.“ Geſtr gieng die Wette ein und bamit enbigte
fich ihr Geſpräch. Dann nahm er die Harfe und ſchlug fie wohl und Tange
den Abend über, fo daß Alle mit Luft zubörten. Am beften fchlug er
Gunnarsflag und zulegt das alte Lied von Gubrund Trug (Gudrt-
narbrögd 1 hinu fornu), das die Leute nicht zuvor gehört hatten; ? nad
dieſem giengen fie fchlafen. Am andern Tage, nad Meſſe und Früh—
mahl, follte der König über die Wette richten. Er ſprach zu Geſtr:
„set bift Du ſchuldig, etwas Gold vorzuweiſen, wenn bu welches
haft.” Gefte griff nun nad einem Beutel, den er bei fich hatte, knũpfte
ihn auf und madte etwas baraus los, was er dem König reichte.
Dieſer fah, daß es ein Stüd von einer Sattelfpange (af södulhringju)
und ſehr gute Gold war. Er bieß nun aud den Ning Hnitub vor
holen, hielt die Spange mit dem Ringe zufammen und fprad: „Sm
Wahrheit fcheint mir dasjenige beßres Gold, was Geftr vorgewieſen
bat, und fo wird es noch Mehrern vorkommen, wenn fie es anjehn.“
Viele beftätigten den Ausfpruch des Königs, worauf er dem Gafte das
Wettgeld zuerfannte. Geftr aber ſprach: „Behaltet euer Gelb! ich bevarf
deſſen nicht; aber mettet nicht mehr mit unbefannten Männern, benn
ihr wißt nicht, ob ihr nicht Einen vor euch habt, der mehr gehört und
gefeben, ala ihr! und euch, Herr, danf ich für den Spruch.“ Der
König erwiderte: „Nun will id, daß du fageft, woher du dieſes Gold
erhalten.” Hierauf Gefte: „Wenn ich euch erzähle, wie es mit dem
Golde gegangen, fo vermuthe ich, daß ihr noch andre Sagan zugleid
bören wollet.“ „Das mag fein,“ fagte der König, „daß bu recht ver
mutheſt.“
Geſtr begann nun feine Erzählung damit, wie er ſüdwärts nad
Frankland (i Frakkland) zog, um Königsfitte kennen zu lernen. Dort
erwuchs bei König Halfrek der junge Sigurd, Sigmunds Sohn.- Geſtr
begab fich in deſſen Dienfte und mar babei, wie Reginn ihn zur
Tödtung Fafnirs auf Onitaheive aufrezte Er war auf mit auf
Sigurb8 Zuge gegen Hundings Söhne und wurde damals Nornageftr
genannt. Ebenſo nahm er fpäter an der Kriegfahrt Sigurbs und feiner
Schwäger, der Gjufungen, gegen Gandalf Söhne Theil, wobei jene
1 Brögd, n. pl. dolus, impostura.
2 Bol. Färöiste Qväder, Indledn. 41 f.
325
ihmählihe Flucht Starkadrs vorfiel, ven der wir in befien Sage ex
zählt. Geftr nahm einen ber beiden Badenzähne mit fi, die Sigurb
Starkadrn auögeftoßen, benfelben, der jegt im Glodenjeile zu Lund
hängt. Bald nachher hörten fie yon Starkadrs Nidingswerk, mie ex
den König Ali im Bad erjchlagen. Eines Tags begab es fich, daß
Sigurd auf dem Wege zu einer Zuſammenkunft in einen Sumpf ritt
und das Roſs Grani jo Fark fich binaufarbeitete, daß der Bruftgurt
entziweigieng und die Spange nieterfiel. Als Geſtr ſah, wo fie im
Schlamme bervorglübte, hob er fie auf und reichte fie Sigurd, dieſer
aber ſchenkte fie ihm, und das war bie Golbfpange, die Geftr hier vor⸗
gewiefen. Sigurd fprang vom Hoffe, Geftr aber ftreichelte und wuſch
es, wobei er einen Lod aus deſſen Schweife nahm, zum Beichen ſeiner
Länge. Geftr wies nun dem Könige Diaf auch biefes Pferdshaar vos
und es war 7 Ellen lang. „Bergnüglich“, ſprach der König, „bebünlen
mich deine Sagan.“ Alle lobten Geſtrs Erzählungen und feine Tüchtigkeit.
Der König wollte, daß er noch viel mehr von ven Begebniffen feiner
Freunde melde, und Geſtr erzählte nun viel Kurzweiliges bis zum
Abend. Am folgenden Morgen ließ der König ibn mwieder rufen und
fprach zu ihm: „Nicht kann ich fo recht aus deinem Alter kommen, wie
du jo alt fein fönneft, um bei dieſen Ereigniffen gegenwärtig geweſen
zu jein; darum erzähle nun eine andere Saga, bamit wir über dieſe
Dinge -befler aufgellärt werden!“ „Das wuſte id) voraus,“ verjehte
Geſtr, „daß ihr noch andre Sagan von mir würbet hören wollen, wenn
ich euch von dem Golde gejagt.” Geftr erzählte nun weiter, wie ex
wieder norbwärt® nad Dänemark gezogen und ſich da, nach feines
Vaters Tode, auf feinem Erbe niedergelaſſen. Bald nachher hab’ ex
Sigurds und der Gjulungen Tod erfahren. Auf des Königs Frage,
wie Sigurd gejtorben, erzählt er nun auch davon und willfahrt auch
noch der Bitte ber Hofleute, ihnen zu fingen, was Brynhild nad
ihrem Zobe gelungen, Es ift dieß das Lied von Brynhilds Todesfahrt,
das weniger vollftändig auch in der Völſungenſaga flieht und fi) dem
Kreiſe der Eddalieder von Sigurd anſchließt. Geſtrs Erzählung gibt
überhaupt einen Abriß ber Sigurdsſage, mit eingeſtreuten Liederſtrophen,
im Ganzen mit der Völſungenſaga übereinſtimmend, aber doch auch
mit mehrerem Eigenthümlichen.
Koh immer mehr wollen die Hoflente von dieſen Gejchichten
326
bören. Der König aber meint, daß ed nun dabon genug fei, fragt
jedoch weiter: „Warft du bei Lobbrofs Söhnen?“ „Kurze Zeit war
ich bei ihnen,“ jagte Geftr; „ich kam zu ihnen, als fie nach Roma-
borg zu ziehen gedachten.“ Es folgt nun die Geſchichte von dem
Wanderer mit den burchlaufenen Eiſenſchuhen, der fie zur Umkehr
. beranlaßt. König Olaf bemerkt darüber, das müfle ein Geift, von
Gott gefandt, geweſen fein, der fie fo ſchnell ihren Entſchluß zu ändern
bewogen babe, um nicht bie heiligfte Stabt Rom ihren Verheerungen
auszufehen.
Noch fragte der König den Fremdling: „Bei welchem der Könige,
zu denen bu gelommen, bat e3 bir am beften gefallen?“ Geftr ant
wortete: „Am meijten Freude fand ich bei Sigurb und den Giufungen;
bei Lodbroks Söhnen aber fonnte man am meiften leben, wie man
wollte; bei Erik in Upfala war am meiften Glück; aber von allen
vorgenannten Slönigen wandte Harald Schönhaar den gröften Eifer
auf Hoffitten. Ich mar auch bei König Hlöbver (Ludwig?) in Sapr
land und ba wurde ich primfignet, denn ich konnte anders nicht dort
fein, weil jehr auf bas Chriſtenthum gehalten wurbe, und da bebünlte
mich am allerbeſten.“
Nachdem Geſtr dem Könige auf feine Fragen noch Bieles erzählt,
fprach er zuleßt: „Sch muß euch nun auch melden, warum ich Norna⸗
geſtr genannt bin. ch murbe bei meinem Vater an bem Orte, der
Gräningr beißt, aufgezogen. Er war reich an Geld und hielt ſtattliche
Wohnung. Da fuhren im Lande weiſſagende Weiber, die man Bölen
nannte, umher und fagten den Leuten ihr Alter voraus; darum lub
man fie zu fich, ftellte ihnen Gaftmähler an und bejchenkte fie beim
Abſchied. Mein Vater that auch fo, fie famen zu ihm mit großer Be
‚gleitung und follten mein Schifal weiſſagen. Ich lag in der Wiege
und über mir brannten zwei Kerzenlichter. Cie ſprachen da zu mir,
e3 folle mir großes Glück zu Theil werden, weit mehr, als meinen
Eltern und Verwandten oder andern Häuptlingslöhnen im Lande. Diefer
Weiber waren drei. Die jüngfte Norne glaubte fi) von ben beiden
andern zurückgeſetzt, meil fie bei einer fo wichtigen Weiflagung nicht
von ihnen befragt morben war. Es war auch eine Schaar unrubiger
Leute da, die fie von ihrem Sitze ftießen, fo daß fie zur Erbe fiel.
Darüber wurde fie ſehr aufgebradht und rief ben andern laut und
327
zornig zu, fie möchten mit biefen guten Weiflagungen einhalten. „Ich
will ihm das zittheilen“, rief fie, „daß er nicht länger Ieben fol, als
die Kerze brennt, die neben dem Knaben angezündet iſt.“ Da nahm
die ältefte Völe die Kerze, Idichte fie aus und hieß meine Mutter fie
verwahren und nicht eher anzünden, als an meinem letzten Lebenstage.
Darnach zogen die Weiffagerinnen fort, banden die junge Norne und
führten fie jo mit fi; mein Vater aber gab ihnen beim Abſchied reiche
Geſchenke. Als ich erwachſen mar, gab mir meine Mutter dieſe Kerze zu
verwahren und ich habe fie noch bei mir.” Der König fragte hierauf:
„Warum fuhreft du jeßt hieher zu uns?“ Geftr antwortete: „Ich er-
wartete von euch irgend ein Glüd, da ihr vor mir von guten und
weifen Männern fehr gerühmt worden ſeid.“ Der König fagte: „Willſt
du jebt die heilige Taufe empfangen?“ Geftr erwiberte: „Das will
ih thun nach eurem Rathe.“ So geihah au, der König nahm ihn
in feine Gunft auf und machte ihn zu feinem Hofmann. Geſtr war
fehr gottesfürdhtig und folgte wohl den Königäfitten, auch fonft war
er bei den Leuten beliebt. Eines Tags fragte der König ihn: „Wie
lange wilft du noch leben, wenn es auf dich anfommt?" Gefte ant-
wortete: „Kurze Zeit fortan, wenn Gott jo will.” Weiter fprach ber
König: „Wie wird es nun gehen, wenn du beine Kerze vorholſt?“
Geſtr nahm die Kerze aus feinem Harfengeftell. Der König hieß fie
anzünden, und da dieß gefchehen, brannte fie raſch. „Wie alt bift du
jegt?” fragte der König. „Dreihundert Winter,” war die Antwort,
„Alt bit du,” fagte der König. Geſtr legte fih nun nieder und bat
um die Olung. Der König lie fie ihm geben, und als es gefchehen,
war wenig von ber Kerze noch unaufgebrannt. Man fand nun, daß
der Tod ihm nahte und im Augenblide, da die Kerze verbrannt war,
ftarb auch Geſtr. Allen ſchien fen Tod merfwürbig; ber König
hielt auch viel auf feine Sagan und hielt für wahr, was Geſtr von
feinem Alter erzählt hatte. Hiemit fchließt die Erzählung von Nor:
nageſtr.
Fragen wir nun, wer der räthſelhafte Alte war, der Jahrhunderte
hindurch bei und mit den heidniſchen Sagenkönigen umherzog, dann ſich
primſignen, taufen und am Ende mit der letzten Olung verſehen ließ,
ſo muß noch einmal der alte Odin genannt werden. Den Beweis
geben ung andre Sagan nahe zur Hand. Snorros Heimskringla
(1, 288 f.) enthält im Gap. 70 der Dlaf: Truggenfonsfaga folgende
Erzählung:
Es ift gejagt, daß, als König Dlaf beim Gaftgebot auf Angvalbsnäs war,
eines Abends ein alter Mann zu ihm kam, der einen herabhängenden Hut auf
hatte und einäugig war; er ſprach fehr verftändig und wuſte von allen Landen
zu fagen. Der König hatte großes Gefallen an feinen Reden und fragte ihn
nad vielen Dingen, der Gaſt aber (gesturinn) wuſte auf alle Fragen zu ant-
worten und der König jaß lange den Abend über bei ihm. Er fragte den
Mann, ob er wife, wer der Augwald geweien, von dem die Landipite und
der Drt den Namen babe. Der Gaft wuſte hierüber wohl Beſcheid zu geben
und bezeichnete auch den Grabhügel diefes alten Königshelden. Solches und
viel Andres berichtete er dem König Olaf von den Königen voriger Zeit und
andern alten Geſchichten. Als fie nım weit in die Nacht beifammen gefeffen
waren, erinnerte der Biſchof den König, daß es Zeit wäre, fchlafen zu geben,
mas aud der König that. Sobald er aber entkleidet war und fich niedergelegt
hatte, fette fih der Gaſt auf den Schemel vor feinem Bette und ſprach noch
lange mit ihm und ein Wort fchlug das andre. Da fagte der Bifchof zum
König, num wär’ es Beit, zu fchlafen. Der König that dem gemäß und der
Gaſt gieng hinaus. Bald hernach erwachte der König, fragte nad) dem Gaſte
und befahl, ihn wieber berzurufen. Den Gaſt aber fand man nirgends. Am
Morgen darauf ließ der König den Koch und den Schenken rufen und fragte
fie, ob irgend ein unbelannter Dann zu ihnen gelommen fe. Sie antworteten,
als fie die Speife zubereiten follten, fei ein Mann zu ihnen gekommen und
babe gejagt, fie richten fchlechtes Fleisch für den Tifch des Königs zu; dann
hab’ er ihnen zwei feifte Ochjenfeiten gegeben und dieſe haben fie mit dem am-
dern Fleiſche gefotten. Der König hieß Alles zufammen wegwerfen, diefer Gaß
ſei fein Menſch geweſen; es müfle Obin gemeien fein, an ben bie Heiden lange
geglaubt. Auch fitgte ex hinzu, Odin folle nie mehr foweit kommen, ihn zu
betrügen.
Dennoch ift c8 dem munderlichen Gafte gelungen, noch dem Rad
folger diefes Königs, Dlaf dem Heiligen (bis 1030) nahe zu kommen.
Sm Leben des letztern finden fi) davon zwei Erzählungen (Sagabibl.
II, 116 ff):
Eines Abends, als König Dlaf auf Sarpsborg faß, fım ein ımbelannter,
wohlgewachfener Mann zu ihm und nannte ſich Tole-Xolefen, einen Sohn ven
Tokeſen dem Alten. Diefer Tole war ftilfe, trank nicht viel und wurde wohl
gelitten; er war fehr verfländig und der König fand Unterhaltung daran, ihm
zuzuhören. Eines Tags fragte der König ihn, wie alt er fei. Der Ram
⸗
829
antwortete, es ſei ihm beſtimmt, zwei Menfchenalter zu leben, unb die Beit fei
num bald vorbei. Olaf fagte, da werd’ er fi wohl ber Könige Half und
Hroff Krali erinnern können. Jener erwiberte, er jei bei beiden gemweien; und
der König fragte weiter, welcher von Beiden der kühnſte geweſen. Tole er⸗
zählte nun, als ex weit umber gereift, die gröften Häuptlinge zu befuchen,
fei er auch zu König Hrolf gelommen und babe fi) den Winteraufenthalt bei
ihm erbeten. Der König habe geantwortet, er Targe nicht mit feiner Speife,
und babe ihm feinen Pla da angewiefen, wo er Einen von Sige wegbringen
könne; doch habe der König den Andern verboten, nicht mit dem Fremden zu
ringen. Toke fei num zuerft zu Bödvar Bjarki gegangen, Hab’ ihn an ben
Händen genommen, feine Fliße gegen ten Bankſchemel geftemmt und mit aller
Macht gezogen. Bjarki ſei roth und bleich geworden, aber nicht von ber Stelle
gerüdt. Hjaltin den Hochgemuthen (hugpradi) habe er bis an das Ende
der Bank gebracht, aber nicht weiter; Hvitſärk den Scharfen aber und bie
Übrigen hab’ er vom Plate aufgezogen und fich über fie gejeht. Dort habe er
nun den Winter zugebradht und ſich auf's Allerbefte befunden. Im Eommer
reifte er weiter und kam zum König Half, der ihm auf dieſelbe Weife, wie
Hrolf, feinen Sig anwies. Er rüdte nun zuerſt an Utftein Jarl, dann an
Snfein, Hrod dem Schwarzen, Björn, Bard und allen den Übrigen, ohne
einen Einzigen von der Etelle zu bringen, und muſte fich zu unterft ſetzen.
König Olaf fragte, ob er getauft fer. Toke antwortete, ex ſei prümfignet, aber
nicht getauft, weil er beftländig zwiſchen Chriſten und Heiden umher gereift,
doch glaube er an den weißen Chriſt und fei zu König Dlaf gelommen, um
etwas mehr von demſelben zu hören. Tole wurde barauf getauft und flarb im
weißen Kleidern.
Die andere Erzählung, denjelben König betreffend, ift dieſe:
Kurz, nachdem Dlaf der Heilige Aftrid, die Tochter des Schwedenksnigs,
geheirathet hatte, zog er zum Gaſtgebot nach der Landſchaft Bigen. Da kam
eines Abends ein unbelannter Mann zu ihn, den Hut auf dem Kopf, bärtig
und häßlich; er nannte fi Gef. Als der König zu Bette gieng, rief er den
Mann zu fi) und fragte ihn, ob er irgend etwas zur Kurzweil wiſſe. Geſt
war weile und von Mihner Rede, er erzählte viel von den alten Königen. Dann
fragte er den König Dlaf: „Welcher von den Königen der alten Zeit möchten
du am liebſten gewefen ſein, wenn die Wahl bei dir fände?“ „Sch möchte
fein Heibe gewefen ſein,“ antwortete Dlaf, „weber ein König, noch ein anbrer
Mann.” „Das ift richtig,” fagte Geſt, „du Hättefk nicht Urſache, zu wünſchen,
daß du ein Andrer wärefl, als du biſt; aber ich frage nur, welchen von ben
alten Königen du am liebften gleichen möchteſt.“ Olaf antwortete: „Dem
König Hrolf Krali; doch fo, daß ich dabei ein Chriſt bliebe.” „Barum,“
v
330
fragte Geht, „möchtet du nicht Tieber dem Könige gleichen, der in jebem Eireite
den Sieg hatte, der in allen Yertigleiten fo erfahren war, daß Keiner ihm
gleichkam, der Andern Sieg verleihen konnte und zu fingen verfland, wie Anbre
zu reden 12“2 Da erhob fi) Olaf tm Bette, nahm das Gebetbuch, das neben
ihm lag, und wollte es Geſt an den Kopf fhlagen. „Du ſelbſt,“ rief er, „möchte
ich zulebt fein, du ſchlimmer Odin!“ Es wird gejagt, daß Ger verfhwand;
König Diaf aber lobte Gott.
Es fällt in die Augen, daß dieſe vier Erzählungen, die fi) auf
zwei verſchiedene Könige vertheilen, nur viererlei Darftellungen und
Ausbildungen derfelben Sage find. Wirklich können wir aud ihre
gemeinfame Grundlage in der ältern, heidniſchen Sagendichtung, morauf
Ichon der Name Odin binbeutet, nachweiſen.
Die Hervörsiaga erzählt, wie wir früher (Nr. 2) beigebracht, im
16ten Capitel Folgendes:
Als Heidrek, Hervbrs Sohn, in Reidgotland herrſchte, war bort ein mäch⸗
tiger Herje, mit Namen Geſtr, zugenannt der Blinde Er hatte dem König
Heidrek die Schatumg vorenthalten und Diefer ließ ihm deshalb entbieten, er
ſolle kommen und ſich dem Spruche des Berichtes unterwerfen; wo nicht, fo
folle die Schlacht entſcheiden. Keines von beiben gefiel dem Herfen und er be
ſchloß, dem Odin zu opfern, damit der ihm helfe. Eines Abends fpät wurde
nun an die Thüre geflopft; vor ihr Hand ein Mann, der fih gleichfalls Geſtr
nannte. Sie fragten einander um bie gangbaren Neuigkeiten und der Herfe
Get. eröffnete dem Fremden feine Noth. Dieſer erbot fih, flatt feiner zum
König gu ziehen. Eie wechſelten Ausjehen und Gewand und der Fremdling Get
machte fi auf den Weg nach Aarheim, dem Site bes Königs. Hier trat er
in die Halle und grüßte den König. „Wit du,“ fprach Lebterer zirnend,
„dich dem Urtheile meiner rechtslundigen Männer unterwerfen?“ Geſt fragte
bierauf, ob es nicht mehrere Weifen gebe, fi) zu löſen. „ES gibt deren,“
erwiberte der König; „du ſollſt Räthſel aufgeben, die ich nicht erratben Tann,
und dir bamit Frieden erfaufen.” Geſt z0g dieſes dem Gerichtswege vor. Es
wurden nun zwei Stühle herbeigebracht, auf die fie fich niederließen, und bie
Leute waren in frober Erwartung, weile Worte zu hören.
Geſt Iegte Hierauf dem König eine Reihe nen Räthſeln vor, die Heidrel
alle krrieth. Die letzte diefer ragen jedoch war die, was Odin Baldurn ins
Ohr gejagt, bevor Diefer auf den Scheiterhanfen getragen ward. „Riemaud
fon das willen, als du ſelbſt,“ rief der König. zornenibrannt, entblößte das
1 Bgl. Grimm, Altdamiſche Heldenl. S. XVII.
331
ſchwert Tyrfing und wollte nach Geſt hauen. Uber Diefer, der eben Odin
war, vermanbelte fich plöglich in einen Fallen und entflog durch's Fenſter.
Die Rätbfel und ihre Loſung enthält das der Hervorsſaga einverleibte
Zieb: Getspeki Heidreks konungs, NRäthjelweisheit König Heidreks.
Mehrere dieſer Räthſel tragen, wie damals (S. 132 ff.) gegeigt murbe,
das Gepräge altertbümlicher Naturanſchauung ober beziehen ſich auf
beftimmte mythologiſche Gegenftände. Es bat und aber auch vie
ganze Anlage des Raͤthſelliedes unverkennbare Ähnlichkeit mit mehreren
Müytbhenliedern der Edda gezeigt, in melden Odin ala Wandrer unter
den Namen Gangrabr (gressum moderans s. dirigene), Grimnir
(pereonatus), Vegtamr (vie adsuetus), bald einen König, bald einen
Niefen, bald eine Völe in der Unterwelt auffucht, um Räthielfragen
vorzulegen, Weisheit zu prüfen und zu erkunden; nur daß bie Fragen
der Mütbenliever die Götterwelt und die Weltſchickſale betreffen, bie
Näthfel Geſts aber mehr mit Naturbildern und menſchlichen Dingen
fich beihäftigen. Zugleich ift bemerkt worden, daß ber Name Geftr
nur auf ven, als Wandrer ankommenden Odin (mie die Ähnlichen
Gangradr, Begtamr), nicht auf den Herjen, der zu Haufe bleibt,
pafien und der Beiname des Blinden (Gestr blindi), für den Herjen
unerflärt, ſich gleichfalls für den einäugigen Odin eigne. [Schr. 6, 805. 8.].
Auf diefer alten, tief in den Mythus hineinrei denden Grundlage
beruhen nun die Erzählungen von demjenigen Geſtr, der zu ben Ks
nigen Dlaf fam und in denen ber wunderbare Gaſt ala Odin entweder
ausprüdlich genannt ober doch nach dem dargelegten Zufammenbange
leicht zu erfennen ift. Geſts Erzählungen betreffen zwar meift nur bie
Heldenfagen der heibnifchen Zeit; allein über feinen nächtlichen Ges
Iprächen mit dem Könige liegt em gewifies Geheimnis und dem from
men Bifchof ericheinen dieſe Unterhaltungen feines Herrn bedenklich.
Der alte Odin verfucht fih mit feinem heidniſchen Wiflen nun auf
noch an ben chriftlicden Königen und bie Bedeutung ber mythiſchen Sage
hat fi) nun dahin gewendet, daß Erinnerungen und Anmwanblungen
des Heidenthums, in der Perſon Dbins, ſich an jenen Belchrern bes
Nordens felbft verfuhen. Man muß dabei vor Augen haben, daß bie
alten Götter, von denen man ſich abkehrte, darum doch nicht für bloße
Geſchöpfe der Einbildungskraft erflärt wurden, fondern für böje Geifter,
welche fich die Herrichaft über die Menſchen angemapt hatten und fort
332
während darnach trachteten. Dieb Ing nicht nur ber Denkweiſe der Be
kehrten am nächften, fonbern e8 war auch die Anficht ver Kirche. Der
Pabſt Nicolaus I fehrieb im Jahre 858 an Erich, König von Däne
marl: Desine ergo idola colere et desmonibus jam servire desiste!
Ompes enim dii gentium, dicente Psalmista, deemonia (Münter
©. 579). [Schiften 1, 158 f. 8.)
Die einfachfte und damit der alten Anlage am vächſten kommende
unter den viererlei Erzählungen ik offenbar die zulegt vorgetragene,
wenn fie glei auf den fpätern König, Dlaf den Heiligen, bezogen ift.
Bier fragt Geft, der, wie Odin immer, mit Hut und langem Bart
erfchienen, den König am Ende, warum er nicht am liebften dem Kö⸗
nige gleichen möchte, ber ftetö den Sieg felbft hatte und Andern fchenten
Tonnte, ber in Feiner Fertigleit erreicht war, ber ſprach, wie Anbre
fangen. Damit nähert ſich die Sage am meiften jenen alten Wett:
geſprächen über Glaubensſachen. Der Schluß aber ift ganz entſprechend
dem von Getipefi, nur daß der König nad Odin, den.er beim Namen
nennt, nicht mit dem Schwerte, fondern chriftlicher mit dem Gebetbuche
ſchlägt.
Dieſer Darſtellung zunächſt ſteht die des Olaf⸗Tryggvaſonsſaga.
Hier weiſt das Bedenken bes Biſchofs über die Unterredungen des
Königs mit dem Unheimlicen, einaugigen Gafte, wenn auch gleich fie
Anfangs nur von den alten Königen handelten, noch auf die rechte
Bedeutung bin. Der König merkt au am Ende felbft, dab es Odin
geivefen, ber ihn betrügen wollen. Nur daß Odin Fleiſch zur Küche
liefert, erjcheint als ein fremdartiger Zuſatz.
Dagegen hat in der Nomageftsfaga und in ber erſten Erzählung
von Dlaf dem Heiligen die Sage eine gang andre Richtung erhalten,
indem fie zu einer Belcehrungsgefchichte geworben ift. In beiben Dar
ftellungen wird ber primfignete Gaſt bei dem frommen Könige getauft,
bleibt dann an dem criftlichen Hofe und ftirbt den Tod des Ghriften.
Die Berichte aus der Heidenzeit aber find mehr nur ein Gegenftend
ber gejelligen Unterhaltung, ald daß fih in ihnen ein beftimmter
Gegenſatz zu dem. neuen Glauben äußerte. Die Erzählung von Dlaf
bem Heiligen ift übrigens auch in ber veränderten Richtung, bei der
Odin, ſonſt ‚die Hauptperfon, ausfällt, noch kurz und einfad. Die
Nornageltfaga hingegen verbreitet fi ausführlih in biefer, dem
338
urfprünglichen Sinne entfrembeten Richtung und fügt noch weitere Sagen:
beftanbtbeile Hinzu.
Dabin gehört beſonders Dasjenige, mas den Gaft zum Rornageft
madt, die Beftimmung feines Alters und Geſchicks durch die drei an
feiner Wiege erjcheinenden Weiffagerinnen und die Abhängigkeit feiner
Lebensdauer von der verhängnisvollen Kerze. Auffallend iſt hiebet
die Ähnlichkeit mit der griechifhen Sage von Meleager. Diefer war
noch wenige Tage alt, ald die drei Parcen (Moiren) zu dem Bette
feiner Mutter traten. Die eine verlünvigte, er werde tapfer, die
andre, er werde großmütbig fein; die britte, er werde fo lange leben,
als ver eben jett auf dem Herbeoliegende Brand vom Feuer nicht ver⸗
zehrt fei. Seine Mutter bob diefen Brand forgfältig auf. Als fie
aber in der Folge erfuhr, daß Meleager ihre Brüder erichlagen habe,
eilte fie im Drang der Rache mit dem Brande nad dem Feuer und
ließ ihn von bemfelben verzehren. Meleager ftarb nun fchriell hinweg 1.
Ob diefe Sage etwa auf gelehrtem Wege nad dem Norden gelommen,
oder ob Nornageftö Kerze der natürlichen Bergleichung zwiſchen dem
fterbenden Menfchen und einer erlöjhenden Ylamme die Entftehung
verdankt (Sagabibl. II, 115), mag dahingeftellt bleiben. Iſt aber
diefer Beftandtheil ver Sage auch von außenher gefommen, fo bat er
doch in den altnordiſchen Vorftellungen einen Anhalt gefunden. Den
griechiſchen Moiren entiprechen die ſtandinaviſchen Nornen. Diefer
Name, die jüngfte Norne (hin Yngsta nornin), wird in der Saga
wenigſtens einer der weiffagenden Frauen gegeben. Wir willen aus
der Götterlehre, daß die brei großen Normen die Zeit» und Schidjals-
göttinnen des Nordens find, die, am Urbarbrunnen wohnend, jeden
Tag die Weltefche begießen. Wenn von ihnen diejenigen unterſchieden
werden, welche fich bei eines Kindes Geburt einfinden und ihm Lebens:
zeit und Geſchick zutheilen, fo find dieß im Grunde nur verichiebene
Äußerungen berfelben Macht, die bald das Schidfal der Welt, bald
das ber einzelnen Menjchen beftimmt. So hörten mir, mie bei des
Bölfungen Helgi nächtlicher Geburt die Nornen erichienen, ihn begabten,
der Fühnfte und befte der Könige zu werben, goldne Schickſalsfäden
woben und fie mitten unterm Monbesfanle feftigten. Daß nun biefe
1 Nitſch, Mytholog. Wörterbud) 1881 fe nach Apollodor und Hygin.
334
Gedankenweſen in der Art in die Wirklichkeit traten, daß man irdiſchen
Weiffagerinnen im norbifhen Alterthum den Namen Nornen beilegte,
dafür weiß ich außer der Nornageſtsſaga keinen Beleg anzuführen, In
diefer jeboch wird den brei Grauen an Geftd Wiege noch ein andrer
Rame, Bölen (völvar), gegeben, unter dem auch nach anderwärtigen
Beugnifien weiſſagende Weiber im Norden zu finden waren. Bivar
bat auch der Göttermythus feine Völen, Balan, wie feine Nornen;
wenn dieſe die Zeit und das Schiefal weben, fo verfündigen es bie
Balan; fie weiffagen von den Weltfchidfalen und deuten bie Träume,
bon denen die Himmlifchen geängftigt werben. Aber auch irbifcher
Weife, noch in chriftlicher Zeit, ziehen Völen umber und werben über
die Zukunft des Landes oder ber Einzelnen befragt. Eine der hiſto⸗
rigen Sagan, die von Erik dem Rothen, gibt eine genaue Beſchrei⸗
bung einer ſolchen irbifchen Völa ! (Finn Magn. Edd. I, 6 bis 102).
Thorkild, Häuptling der norwegiich:isländifchen Anfiedler auf Grin
- land, fuchte bei einer ſolchen Beſcheid. Da heißt es denn:
„Die Weiffagerin Thorbjörg, genannt die Heine Vala, pflegte zur Winter
zeit auf Saftgeboten umberzuziehn, wozu fie von denen eingeladen war, welche
Luft Hatten, fi über ihr künftiges Schidfal zu unterrichten. Da Thorlkild
einer der Bornehmften im Lande war, fo ſchien ihm obzuliegen, Kunde barüber
zu fuchen, wann die damals herrſchende Theuerung aufhören werde. Gr Ind
aljo die Weiffagerin ein, nachdem er Alles aufs Prächtigfte zugerüftet, wie man
einen ſolchen Gaſt zu empfangen pflegte. Ein Sit wurde für fie auf eme
Erhöhung zugerichtet und darauf lag ein Polfter, mit Hühnerfedern gefüllt.
Inzwiſchen wurde ein Dann ausgejchidt, um ihr entgegenzugehen, und mit
ihm kam fie am Abend in folgendem Aufzug an: fie trug einen blanen Mantel,
von oben bis unten mit Steinen beſetzt, ein Band von Glasperlen um ben
Hals, eine Müte von ſchwarzem Lämmerfell, mit weißem Katenfell gefüttert.
In der Hand hatte fie einen Stab mit Meffiugbeichläg und einem mit Steinen
beſetzten Knopf. Um den Leib trug fie einen hunnifchen Gürtel, wovon eine
große Taſche nieberhbieng, in der ihr Baubergeräth verwahrt war. Sie hatte
Schuhe von rauchem Kalbleber, mit- langen Riemen und Kupferknöpfen feige
macht. Ihre Handſchuhe waren außen von ſchwarzem Pelze, inwendig von
1 Wie fie Walter Scott nicht forgfältiger geben könnte, ber auch felbft im
Piraten eine Thetländifhe Norma aufführt. gl. Lex. myth. 269.
2 Bol. Sagabibl. I, 298 f. 368. II, 494. 531. 610. Niflunge Gaga
C. 328. ©, 25.
335
— — —ze eu
weißem Katzenfell. Sie wurde von Allen ehrerbietig begrüßt, beantworteie aber
dieſe Grüße fo, wie es, nad ihrem Dafürhalten, Jedem der Anweſenden be⸗
ſonders gebührte. Thorkild ſtellte ſich auf ihre rechte Seite und führte ſie zu
dem erhöhten Sitze; auch bat er fie, das Hans und die Leute des Hauſes in
Augenfchein zu uehmen. Sie fprach nur wenig, Am Abend wurben die Tifche
gededt umd folgende Speifen ihr vorgejet: füßer Brei von Geißmild und ein
Gericht von den Herzen verichiebener Thiere. Sie bediente ſich eines Meffing-
Löffels und eines Meſſers, deſſen Schaft von Wallfiſchzahn, mit Kupfer beichla-
gen war; die Spite aber war abgebrochen. Nachdem die Tiſche fortgenommen
waren, trat Thorkild vor und fragte fie, was fie um das Haus und die hier
verfammelten Leute bedünke, ſowie auch, wie bald fie ihn über die Dinge be
lehren könne, worüber fie befragt und was fie Alle gerne zu wiffen wünfchten.
Sie antwortete, das lönne nicht vor dem nächſten Tage gejchehen, nachdem fie
erft eine Nacht im Haufe zugebracht. Frühmorgens (nah Andern: gegen den
Abend des folgenden Tags) wurde Alles fo zubereitet, wie die magischen Vor⸗
richtungen es erbeifchten. Sie begehrte, daß einige Frauensperſonen dabei einen
Geſang fingen follten, der Vardlokur (Wachtkreis oder Kreisgefang) genannt
werde, aber es fand ſich Niemand, der ihn konnte. Als man nun ausfandte,
um eine folhe Frauensperſon aufzufuchen, fagte Gudrid, ein anmwefendes junges
Mädchen: „Ich bin weder eine kluge Frau, nod eine Weiffagerin; aber meine
Amme Halldis lehrte mich doch in Island einen Sang, der benfelben Ramen
bat.” Thorkild antwortete: „Da kannſt du mehr, als wir glaubten.” Sie
fagte: „Diefer Sarıg und die dazu gehörenden Geberden find von. der Art, daß
ich fie nicht ausführen kann, da ich eine Chriftin bin.” Thorbjörg erwiberte:
„Hierin kannſt du uns unbeforgt dienen, ohne daß dein Glaube Gefahr Läuft.“
Inmittelſt ließ Thorfid Alles in Stand feten, mas zu ber Feierlichkeit erfor-
deriih war, und bat Gudrid infländig, dem Begehren zu entiprechen, fo daß
fie fi) auch endlich bewegen ließ. Xhorbjörg fette fich da auf den Zauberſtuhl,
umgeben von einem Kreife von Frauen; Gudrid aber trug den Sang mit fo
ſtarker und Harer Stimme vor, daß die Anweſenden zugeftanden, fie hätten nie
zuvor einen fo fhönen Gefang gehört. Die Wahrfagerin war auch fehr wohl .
damit zufrieden, dankte ihr und gab zu verftehen, daß fie jetzt viel erfahren
habe fiber den Gang der Krankheit und der Witterung. „Jetzt,“ jagte fie, „it
mir Bieles geoffenbart, wovon weder ich, noch Andre zuvor wuſten. Die
gegenwärtige Hungersnoth wird nicht fange dauern, Überfluß an Allem wird
mit dem Frübjahre zurückkehren; felbit die Krankheiten, welche diefe Gegend ge
plagt Haben, werden bald ganz verjhwinden. Dir, Gudrid, will ich den Dienft
vergelten, ben bu uns erwiejen haſt, denn dein Schidjal, das ich jet fehr
genau kenne, ift herrlicher, als irgend Jemand jett glauben möchte. Hier in
336
!
Grönland wirft du mit einem fehr anfehnlihen Manne verbeirafhet werben;
diefe Ehe wird jedoch nicht lange dauern, da es beftimmt ift, daß du nad 3%
Iand zurücdtehreft und die Stammmutter eines zahlreichen und blühenden Ge⸗
ſchlechtes werbeft, welches von herrfihem Glanz umſtrahlt werben foll. Yet
wünſch' ich Dir, meine Tochter, alles Gute und fage dir Lebewohl.“ Hierauf
giengen Alle, ver Eine nad) dem Andern, hin zu der Wahrfagerin und fragten
über das, was ever befonders von zukünftigen Dingen zu wiflen wänfchte,
- woranf fie deutliche Antwort abgab. Bald wurde fie nad einem andern Hofe
in derfelben Abficht eingeladen. Da kam (der Hrifliche) Thorbjörn zurück, denn
er hatte fich mwegbegeben, weil er bei ber Ausübung eines folchen heibnifchen
Aberglaubens nicht zugegen fein wollte. Die Witterung beſſerte fich vollfommen
mit dem berannahenden Frühjahr, wie Thorbiörg vorausgefagt hatte.
Die wichtigfte Veränderung aber, welche die Sage von Geftr in
der Nornageſtsſaga und der ihr verwandten Erzählung von Dlaf dem
Heiligen erfahren bat, bleibt immer die, daß fie, wie fchon bemerkt,
zu einer Bekehrungsgeſchichte geworben ifl. Daß Geftr mit den alten
heidniſchen Königen befannt war, kommt auch in ben beiben andern
Darftellungen vor; aber daß er nun ben chriſtlichſten König des Nordens
auffucht, um bei ihm getauft gu werben und chriftlich zu fterben, damit
‚gebt die Sage in eine neue Bedeutung über, welche gleichwohl in ihr
nicht fo tief aufgefaßt ift, als in folgender, der ältern (vorinorroifchen)
Saga von Dlaf Tryggvaſon angehöriger Erzählung (K. Dlaf Tryggvaſ.
Saga, overf. af Rafn II, 137 ff., €. 201: Om Svend og hans Sön
Sind): . '
Es findet fich in Büchern geſchrieben, daß in des Jarls Halon Sigurds-
fohns Tagen nördlich oben in Throndheim ein Dann mit Namen Svend Iebte.
Er war rei und von vornehmem Geſchlecht, fill und ſanftmüthig daheim,
aber flreitig und flolz gegen jeine Obern, wenn ihm Etwas misbehagte. Er
opferte den heidniſchen Göttern, nad feiner Eltern und Berwandten Gebrauch,
wie alle Leute damals in Norwegen thaten. Er Hatte auf feinem Hofe ein
großes und anjehnliches Götterhaus; darin waren viele Götterbifper, aber doch
verehrte Svend am meiften Thor; er fland auch in Freundſchaft mit Halon
Jarl, wie andre Opferer. Seine Söhne hießen Spend und Find, Spend
glich feinem Bater in Sinnesart, Find aber war fehr eigenfinnig und zänkiſch,
miſchte fi oft in Andrer Bwiftigfeiten und ſprach hoch herab, manchmal aber
jo ſchweigſam, daß man nit ein Wort aus ihm Heransbringen konnte, tiber
haupt in feiner Denkweiſe jehr wunderlich. Man traute ihm darum nicht viel
Berfiand zu. Er hielt auch wenig auf ihren Glauben, denn wenn er, was
337
jelten geſchah, in feines Vaters Götterhaus kam, pries er die Götter nicht,
fordern fpottete ihrer bei jedem Wort, nannte fie fchieläugig und befläubt und
fagte, fie können Andern nicht helfen, da fie nicht fo viel Kraft hätten, fich ſelbſt
den Staub abzuwiſchen. Oft ergriff er fie und warf fie von ihren Plätzen;
fein Bater aber fagte ihn, daS werde feinem Glück im Wege ftehen, daß er ſich
fo ſchlecht gegen fie benehbme, da doch Thor fo viele und preismertbe Thaten
verrichtet, durch Berge gefahren, Felſen entzwei gebrochen, Odin aber Über dem
Siege der Männer gewaltet. Find antwortete: „Da gehört geringe Kraft Dazu,
Steine und Felsftide zu zerbrechen und derlei Arbeit auszuführen, oder Sieg
zu geben, wie Odin, dur Trug und nicht durch Kraft; mich aber bedünlt, daß
der mädtig ift, der im Anfang die Berge hergeſetzt bat, die ganze Welt und
das Meer; was wiflet ihr von dem zu fagen?” Davon wufte der Bater nicht
viel zu erzählen. Eines Winters um Julzeit, da die Leute zum Trinktiſch ge
kommen waren, fagte Find: „Weit umber werden nım biefen Abend Gellibde ge
than, an Orten, wo nicht beffer zu fein ift, als bier; nun thu' ich das Gelübde,
daß ich dem Könige dienen werde, der der Höchſte und in jeder Hinficht Andern
vorzuziehen iſt.“ Das deuteten die Leute verſchieden. Einige jagten, Hakon Jarl
fei der vornehmfte Häuptling in norbifchen Landen und dem werde Find dienen
wollen. Find fagte, er wife wohl zu unterjcheiden zwifchen einem König und einem
Sarl. Andre, die itbler gegen ihn gefinnt waren, fagten, er zeige feinen Un⸗
verfiand in diefer Antwort, wie im Gelübde felbf. Nach dem Zul rüftete ſich
Find zur Abreife. Sein Bater fragte ihn, wohin er gebenle. Sind fagte: „Das
weiß ich nummermehr, wohin ich fahren werde; aber auffuchen will ich einen
König, dem ich zn dienen gedenke und doch allein auf die Weife, daß ich mein
Gelübde nad) jeder Hinficht erfülle.“ Er fragte dann, ob fein Bruder Svend
mit ihm ziehen wolle. Diefer wollte nit. „Das ift auch gut,“ ſagte Find,
„daß du den Bater behilflich fein willt, über unfrer Habe zu machen, bis ich
zurfidfomme.” Der Bater fagte: „Wünſcheſt du, daß ich dir einige Männer
zum Gefolge und Geld mit auf die Reife gebe?” „Nein, gar nicht,“ antwortete
Zind, „dein nicht würde ich Berftand haben, fiir mehrere Männer zu forgen,
da ich nicht Verſtand habe, fiir mich ſelbſt zu forgen, wie Manche jagen und
ih nicht läugne, daß es wirklich der Fall fe.” Darnach zog Find fübwärts
den obern Weg durch die Upkande und kam nach Wigen, von wo er mit einem
Schiffe nad Dänemark reiſte. Sobald er den Fuß an's Land geſetzt, gieng er
allein vom Schiffe fort nad) den Wäldern, in denen er lang umherirrte. End⸗
lich kam er heraus zu einer Stelle, wo er emen Hirten traf. Sie fetten fich
uieber und fpradhen mit einander. Find fragte, ob bewohnte Gegend in der
Nähe fe. Der Hirte bejahte das. Daranf fragte Find, ob der Hirte mit
ihm Die Kleider wechfeln wolle. Diefer war gerne bereit und fie thaten nım fo.
Npland, Schriften. VII. 22
338
„Was ift bier in die Kleiver gebunden ?* fagte Find. „Das nennen wir Chriſten
ein Kreuz,“ war die Antwort. „Biſt du ein Chriſt?“ fragte Find, „und was
it e8 damit, wenn man ein Chriſt iſt?“ Der Hirte erzählte ihm davon, was
er wuſte; aber Find erzählte ihm dagegen von Thor ımb Obin und ihren
, Thaten, Der Hirte fagte: „Bald glaube ih, du willfi mich in ver Rebe irre
machen; aber beffer ift, du geheft zu unſrem Biſchof, der nicht weit von hier
it, denn bei ihm wirft du nicht mit Geſchwätz allein zurecht Tommen und er
wird did) tiber dem Glauben deutlicher befcheiden können, als ich.“ Kind fagte:
„Was iſt das, fo ihr Biſchof nennt? ift e8 ein Menſch, oder ein andres Thier?“
Der Hirt antwortete: „Noch wird beine Rebe nicht klüger; entweder bift du eim
großer Thor oder ein läppifcher Menſch, oder du Hift nicht fo einfältig, als du
dich anläßſt; Biſchof nennen wir den Leiter and Vorſteher des heiligen Chriſten⸗
thums.“ Find fagte, zu diefem wolle er vor Allem geben. Er kam demnächſt
zum Biſchof und grüßte ihn. Der Biſchof fragte, wer er fei. Er fagte, er fei
ein Norweger. „An wen glaubft du?” fragte der Bifchof. Find antwortete:
„An Thor und Odin, wie andre Norweger.“ „Das ift ein ſchlechter Glaube,“
fagte dev Biſchof, „und ich werde dich einen andern, beflern Glauben lehren
laffen.” Find verfetste: „Das weiß ich erſt, wenn ich ihn höre, ob diefer Glaube
mir beffer vorfommt; und warum willſt du diefen Glauben mich lehren laſſen
und mir ihn nicht ſelbſt weiſen?“ Der Bifchof übergab ihn einem Priefter, der
ihn den Glauben lehren follte. Aber Find verwidelte Alles vor dem Prieſter,
fo daß diefer nichts ausrichten konnte und dem Biſchof fagte, diefer Mann jei
fo einfältig und ihm fo fchwer etwas beizubringen, daß man auf feine Weile
mit ihm voranlommen könne. „Mir fcheint diefer Mann nicht ſowohl einfältig,
als wunderlich,“ fagte der Bifchof und begann, ihn num felbft zu untermeifen und
ihm von den Wunderwerken-des allmächtigen Gottes zu erzählen. Endlich jagte
Find: „Das ift ganz anders, als ich zuvor hörte, daß feine Götter fo mächtig
feien, als Thor und Odin; aber jetzt entnehme ich das befonvers ang beimen
Worten von diefem Chriſt, den du verkündeſt, daß jeder Menſch, fo viel er
wollte, ihm entgegen thun mochte, fo lange er auf der Welt war; aber nad
feinem Tode wurde er jo berühmt, daß er in die Hölle einfiel und der heid⸗
niſchen Götter Häuptling Thor band, und nachher fonnte fein böfer Geift (Bätte)
vor ihm Stand halten; darum ſcheint mir, daß er ber König if, dem ich zu
dienen gelobt babe, höher und heiliger, größer und mächtiger, als alle andre
Könige, und darım werd’ ich hinfort an ihn glauben und ihm dienen, wie
ihr mich Iehret.” Der Bifchof fagte: „Das if ganz richtig, nach dem Begriffe,
den du von Gott gefaßt Haft, und nun zeigt es fich, wie ich fagte, daß du viel
verflänbiger bift, als du dich auläßſt.“ Find wurde ba getauft und hielt feinen
Glauben wohl und blich einige Zeit in Dänemart.
839
Nachher (5. 208) zog er auch zum König Olaf Tryggbaſon und ſtarb bei
dieſem. Der König ließ ihn zum Tode bereiten und ſtand ihm ſelbſt mit Sorg⸗
falt bei.
Diefe Erzählung, in ihrer gegenwärtigen Yorm ſchwerlich älter,
als aus dem 14ten Jahrhundert, fcheint auf geichichtlichem Grunde zu
“ beruhen (Sagabibl. III, 226), wenn gleich die Darftellung ins Sagen:
Bafte jpielt und bie heibnifche Götterverebrung nad ſpätern, chriſt⸗
lichen Begriffen allzu roh aufgefaßt fein mag. Daß nun eben dieſe
oder eine Ähnliche Erzählung, wenn auch nur mittelbar, der Sage von
Geſtr die veränderte Richtung gegeben habe, wodurch fie zur Belehrungs:
geſchichte geworden if, kann nicht geradezu behauptet werden. Aber
jo viel iſt gewiſs, daß die chriftlicde Richtung erft bier ihr rechtes und
Hares Ziel erreiht. Odin, ber fi) nod in ber zweiten Erzählung von
Dlaf dem Heiligen als ben größten ber Könige rühmt, muß weichen
und es tritt ein höherer, heiligerer König hervor, deſſen Dienſte jett
der Sohn des Nordens zuziebt.
Die Sage von Nornageſt war die geeignetjte, die Reihe ver bisher
dargeftellten norbifchen Helbenfagen zu bejchließen. In ihr und den zu
ihr gehörigen Erzählungen gehen noch einmal bie berühmteften der.alten
Helben, Hrolf Kraft mit feinen Kämpen, Half und feine Reden, Stars
fadr, die Völfungen, Ragnars Söhne, im Zauberfpiegel vorüber und
der Heldenvater Odin verſchwindet als ein unheimlicher Nachtgeift.
Wir lafien nun im Rückblick auf diefe Sagenreibe einige allge
meinere Bemerlungen folgen:
1) über das Verhältnis ver Heldenjage zur Götterfage;
2) über den gemeinjchaftlidhen Charakter beider;
3) über die Organe biefer ſtandinaviſchen Sagendichtüng.
1. Über dad Verhältnis der Heldenfage zur Götterſage.
Wir haben die Helvenfage vom Anfang als einen ergänzenden
Theil des mythiſchen Weltganzen bezeichnet. Die Götterfage belehrt
uns über die Schöpfung der Menſchen unb über ihren_Buftand nad
dem Tobe, bie Heldenfage zeigt uns das Berhältnis zwiſchen Göttern
840
und Menichen während des irdiſchen Daſeins. Wir find der Bebeutung -
ber höhern Mächte nur balb verfidert, fo lang wir diefe nicht in
ihrer Einwirkung auf die menfchlihen Dinge erfennen, und umgelehrt
wird uns die irbifhe Erſcheinung jener höhern Wefen ein Räthſel
bleiben, wenn uns nicht der Blick nach dem Götterhimmel geöffnet if.
Vergegenwärtigen wir ung bie mythiſchen Beitandtheile der bisher
dargeitellten Heldenfagen, jo ermeift ſich weit vorberrfchend die Wirk⸗
famfeit Odins. Die Menſchen find, wie früher dargethan wurbe, ver-
möge ihrer geifligen Natur ben Aſen zugeorbnet. Der oberite und
geiftig Iebenvigfte ber Aſen aber, ber gemeinfame Vater der Götter
und Menjchen, tft Odin und mit ihm ftehen barum auch die erregteiten,
rüftigften Menfchengeifter, die Helden, im manigfachſten Berfehr.
Es ift jedoch angemefien, etwas näher auf die Erfcheinung der
verfchiedenen mythiſchen Wefenarten in der Heldenfage einzugehen.
Die Banen mit ben ihnen zugeoroneten Lichtalfen, die freund:
lihen, fonnigen Naturfräfte des Lichtes, der Wärme, der Fruchtbar⸗
feit, Tönnen im gewaltig bewegten Heldenleben feine bebeutende Stel-
lung einnehmen. Sie walten über die rubigern Buftände des Feld⸗
baus, des Fiſchfangs, der friedlichen Schifffahrt, des ehelichen Lebens.
Sie werden mehr durch feftliche Jahresopfer verehrt, ald im Helben-
fange gefeiert. Njörds und Freyrs konnten wir faft nur in ber Sage
von Frodis Frieden erwähnen, deſſen goldene Zeit, nach der Ynglinga⸗
faga, in Schweden ihrem. Einflufle verdankt wurde. Niörd, der im
Frühling das Meer öffnet, ift wohl auch ven feefahrenden Helden nütz⸗
lich; aber fie bauen auch, menn’s drauf anfommt, die eingefrornen
Kiele aus dem Eis, wie Ragnars Söhne, und fpannen mitten im
Sturme die Segel noch höher auf, wie Helgi und Sigurd. Starkadr
will nicht länger bei den Söhnen Freyrs (cum filiis Fro, Saro 157;
vgl. 223), den Ynglingen, ruhig liegen, weil ihn bie weibifchen Tänze
der Gaufler und das Geflingel ver Schellen bei den Opferfeiten zu
Upfala anwidern. (Vgl. noch Saro 18 f.) Wenn Sigurd in einem
Eddaliede (Brynh. Qv. II, Str. 24; Edd. Sem. ©. 219) Freyrs
Freund (Freys vinr 1) genannt wird, fo mag dieß eine Bezeichnung
1 Edd. Harn. II, 222, 25: Freys vinar Freyi amieci i. e. diis dilecti.
Edd. F. Magn. IV, 68: Freyrs Yndlings. E. O, Vens. Bgl. Grimm,
Edda 252. [Simrods Edda ©. 216. &.]
341
feiner leuchtenden Schönheit fein. Freyja wird zugleich mit Frigg
einer Frau von ber andern in Kindeswehen zur Hülfe gewünſcht
. (Oddr. Gr. Str. 8; Edd. Seem. 240). Als Liebesgöttin erjcheint fie
gar nicht; der Helden Liebe find die Valfyrien.
Beträchtlicher greifen in die Helbenjage bie Soten ein und bie ihnen
verwandten Schwärzalfe. Wie bie Aſen mit ben Joten und Hrimthurfen
in beftändigem Kriege begriffen find, jo liegt auch den Helden durch
fo viele Sagen hindurch die Belämpfung ber Riefen ob. Wie bie
Winterriefen Freyan und Idun aus Asgard entführen, fo find auch
die Riefen der Heldenfage ſtets darauf aus, ſchöne Erbentöchter, könig⸗
The Jungfraun, zu rauben und nad ihren Felshöhlen im Gebirge
wegzufchleppen. Die Helden aber find unermüdlich, ihnen bie Toftbare
Beute abzulämpfen; fie befreien die Sprößlinge edler Geſchlechter, die
in die Dienftbarkeit der Niefen gefallen find; fo Fridlev den telemars
kiſchen Königsfohn, der dem Riefen Hytbin ala Ruderknabe dient, fo
Dihar bie fpröbe Syrith, die dem riefenhaften Walbweibe die Biegen
hüten muß. Hier ift es nun nicht ein Kampf der Sommerfräfte gegen
die Wintermächte, wohl aber der ebleren Helvdenfraft gegen bie rohe,
fittenlofe Gewalt, und immerhin ſtehen auch ſchon in biefem irbifchen
Streite die Helben, die Bötterfühne, auf der Seite der welterbaltenden
Alien. Dasfelbe zeigt fih im Kampfe ber Helden mit Lindwürmern und
andern Ungeheuern. Aber wie der Götter Verderben anhebt, als drei
gewaltige Thurfenmäbchen aus Jotunheim. kommen (Bölufpa Str. 8),
fo ſuchen auch auf der Erde Rieſenweiber die Helden zu verloden (in
den Sagen yon Habding und Helgi). Die Riejen, überhaupt die Ges
waltthätigen, bie von ben Helben belämpft werden, find häufig ala
Berjerker dargeftellt. Vom Rieſenſtamme kommt jenes rafende Ber
ſerkergeſchlecht der Hiefür bedeutſamſten Hervörsſage, Arngrim und
feine zwölf Söhne, die auf Samsd fielen, die Befiter und Vererber
des Wuthichwertes Tyrfing, an dem drei Nidingswerke haften, und fo
ſtammt auch Starkadr, felbft das Werkzeug dreier Nidingsthaten, von
Riefen ber. Zwar bezeichnet die Ynglingaſaga (GC. 6 fin.) das
Kriegsvolk Odins ala Berferler, und der odiniſche Kampfgeift. bietet
allerdings Beziehungen zum Berferlergange dar; aber va die An:
deutung biefer Saga, in welcher Odin durchaus menfchlih und ges
Ihichtlih genommen ift, durch Fein anderweites mythiſches Zeugnis
342
beftätigt wirb, vermöge beflen Dbin als Urheber ber Berſerkerwuth zu
betrachten wäre, fo erben wir dieſe richtiger, nach Anweiſung ber
Helvenfagen, auf die Seite der maßlofen, ungebändigten Rieſenkraft
fetten. Selbft eines der mythiſchen Eddalieder (Harbarz-1j6d &tr. 35.
Edd. Seem. 78°, F. Magn. Edd. II, 149. 161 f.) nennt die Riefen-
und Bauberweiber Berjerkerbräute (brüdir berserkja), nimmt fomit
Berſerker mit Joten gleichbedeutend.
Zunm Jotengeſchlechte gehören, nach der Götterfage, auch bie wil⸗
den Meeresgetvalten. Agir, ver Meeresgott, und feine Gemahlin Ran
werben öfters in den Sagenlievern genannt, Fridthjof Schlägt im
Seefturme feinen Ring in Stüde und vertheilt dieſe unter feine Ge
fährten, damit man Gold an ihnen ſehe, wenn Ägir fie aufnehme und
fie in Rans Sälen Herberge fuchen (Fornald. 8. II, 78). Aud von
Rans Kindern (Ränar j6d, ebenbaf. 83, 1; jöd, n. proles, foetus),
den Wellen, die den Meertreter, das Schiff, ermüben, fingt Yribtbiof.
Helgis Schiffe will gleichfalls Agirs Tochter umſtürzen und die ſchützende
Valkyrie entiwindet das Konigsſchiff Rans Händen (Helg. Qv. HB. I,
Str. 29. 30. Edd. Seem. 153). Noch perfönlidyer aber treten in ber
Sage von Frodi biefe Gewalten in Handlung. Die Mühlmägde Menja
und Fenja, die bald Gol und Glück, bald Sand und VBerberben
mahlen, find, wie gezeigt worden, ebenfalls die Wellen, Agirs Töchter.
Zwar wird ihre Bater nit genannt, aber fie ftammen vom Riefen
geichlechte, nennen Hrugnirn, den Steinriefen, den Thor zerjchmettert,
und Thiaffin, der Idun geraubt, ihre Verwandte und mahlen tobend
in Jotenmuth (f jötun-m6di, Sn. Edd. 150°).
Hel, vie Beherricherin des Talten, unterirdiſchen Tobtenreiches,
gehört Ihon als Tochter Lokis zum Jotenſtamme. Bon ihr gefanbt if
jenes biutgierige Grabgefpenft des ftechtobten Asvit
(Nescio quo stygli numinis ausu j
Missus ab inferis spiritus Asrit u. |. w. ),
mit welchem Aamund, ber fidh freiwillig mitbegraben ließ, ringen muß.
(Bol. noch Gudrünarhv. Str. 19: Seem. Edd. 268% und Helreid
Brynh.) Loki ſelbſt ericheint ald Utgardsloki, als König der Niefen-
welt, in verjchiedenen Sagen, bie wir jedoch erft nachher, bei ben
1 Sıpp 8. V, S. 137.
—
343
Mähren, anführen werben; ala Aſaloki aber, als das aus der phyfi⸗
fchen Beziehung in die ethiſche gefteigerte Böfe, wandert er mit ben
Ken Dbin und Hänir über die Erbe und bringt zum Löfegelb für ben
von ihm tobigeworfenen Ditur den Fluchring, der zwei Brübern zum
Tod und acht Königen zum verderblichen Zwiſte werben foll (Sigurd.
Qr. H, Str. 5. Edd. Seem. 181), ein Fluch, ber fih im tragifchen
Gefchide der Bölfungen und Niflungen erfällt.
Die den Joten verwandten Schwarzalfe oder Zwerge find in ber
Götterfage beichäftigt, herrlihe Kunftwwerle, Thor? Hammer, Obins
Speer, Freyas Halsſchmuck, Sifs goldne Haare u. dgl. zu ſchmieden.
Wenn aber biefe von den Unterirdiſchen verfertigten Gegenftände fi)
vorzüglich auf Raturerfcheinungen beziehen, jo finden wir in der Helden:
fage die Schwarzalfe im Befite folder Schäge, die auf bas bewegte
Menichenleben Einfluß haben. Sie find die Inhaber der in der Erbe
verborgenen Erze, des Eifens, aus dem fie Schwerter von wunder:
baren Gigenichaften jchmieden, des Goldes, das den Menſchen fo er:
wünfcht ala gefährlich if. Diefe Werke und Befigihümer geben fie aber
nur gezivungen heraus und rächen ſich für den erlittenen Zwang durch
Auflegung des Fluches auf das ihnen Entriſſene. So beften in ber
Hewörsſage die Ziverge Dyrin und Drvalin an dad Schwert Zyrfing
drei Nidingswerle. So verwünſcht in der Völfungenfage der Zwerg
Andvari das Bold, das ihm abgebrungen wird, daß es den Befitern
zum Verderben werde. Auch bie tüdifchen Schmiede Reigin und Bölund
find alfifher Natur.
Von den Xen, im Gegenſatze der vaniſchen und jotiſchen Götter,
berührt Hänit nur in ber vorbemerkten Erdenwanderung mit Din
und Loli die Heldenfage, Bragi nur infofern, als bei feinem Becher
am Sjulabend von den Helden folgenreiche Gelübde abgelegt werben. Die
Bedeutung Jcheint die zu fein, baß bie Thaten angelobt werben, die einft
im ben Belang übergeben, in den Runen verzeichnet. werben jollen, die,
wie Brynhild den Sigurd lehrt, auf Bragis Zunge ftehen (Brynh.
Qrv. I, Str. 17. Edd. Sem. 196). Baldurs Geſchichte ift zwar bei
Soro (8. III) und wohl auch ſchon in den Überlieferungen, die er
vor fih hatte, anthropomorphiſtiſch ala Heldenſage behandelt; wir
muſten aber diefelbe gänzlich in die Bötterfage zurückweiſen. Ob Balbur .
mit Sigurd identiſch zu nehmen fei, wie mehrfach behauptet worden,
344
und auf diefe Art doch ber Gott fih zum Helden umgetvanbelt babe,
wird bei ber deutſchen Sage zu erwägen fein. (Vgl. Lachmann, Arit.
d. Sage v. d. Nib. 22 [Schriften I, 172. 209 f. 8.].) Dab aber
dieſer Gott in der Fridthjofsſage, wo er jet nur noch im befriebeten
Baldurshag als bölzernes Standbild aufgeftellt ift, einft mehr innere
Bedeutung gehabt, als Wächter heiliger Sitte und Reinheit, fanden
wir bei der Erörterung jener Sage nit unwahricheinlich.
Unzmeifelbafter tritt Thor heraus. Er waltet in der Sage von
Halfoan, dem Ahn der Königsgefchledhter. Dieſer wird Thors Sohn
genannt und ihm Hilft Thor die Felsitüde vom Berge wälzen, wodurch
das Heer feiner Feinde zerichmettert wird. Der Beiname Bierggram,
den Halfdan von biefem Ereignis erhielt, dem er ed, nad Saro, auch
verdanten joll, für Thors Sohn gehalten worben zu fein, war auch
ein Name bes Donnergottes ſelbſt. Wie diefer mit dem furdhtbaren
Hammer Mijölnir die Eis- und Steinriefen zermalmt, jo fchlägt auch
Halfdan bald mit einer ausgerifienen Eiche, bie er fich als Keule zu
richtet, bald jelbft auch mit einem ungehenern Hammer (mires granditetis
malleo, Saro ©. 190) Riefen und Berjerker nieber; und wie Thor
burch den Schlag feines Hammers Freyan aus ber Gewalt der Joten
rettet und nach Asgard zurüdführt, fo befreit ber Lämpfenve Halfban
bie gefährbeten Königstöchter und wahrt die königlichen Helbenflämme,
die unter feiner Obhut ftehen, vor ber Bermifhung mit dem rohen
Rieſengeſchlechte. Nach andrer Seite offenbart fih Thor in der Sage
von Starlabr, bei deſſen Schickſalsbeſtimmung er im Gegenfate zu
Odin fteht. Odin theilt dem Helden das Heilbringende und Rühm⸗
Ische zu, Thor das Unheil und bie. Nibingewerte. Als Beweggrund
diefer Ungunft wird in einer ber hieher bezüglichen Sagan angegeben,
dag die Mutter Starkadrs einen Niefen bem Aſathor vorgezogen, und
fchon die Abftammung dieſes Helden- vom Sotengefthledht überhaupt
Stellt ihn auf die Seite ber von Thor Gehaßten. Allein der Gegenfat
zwiſchen Odin und Thor ift ein allgemeinexer; er wird uns gleich
nachher in einer andern Sage begegnen und felbft eines ber mythiſchen
Eddalieder, Harbarzljod, ift ein Streitgefang ber beiden Aſen. Man
bat hierin die Spur verfchievener Götterverehrungen, bie zum Ganzen
1 Sagenforſchungen I, 196 f. Edriften 6, 112 f. 2]
345
ber. norbifchen Mythologie ſich gefchichtlich, zum Theil widerſtrebend,
verbunden, oder den Streit zweier Selten zu bemerfen geglaubt, wie
man benn auch eihnographilc die Verehrung Thors vorzugsweiſe den
Norwegern, Freyrs den Schweden, Dbins den Dünen zugefchieben hat.
Gleihwohl Tann der fraglide Gegenſatz auch ohne eine folge, mehr
äußerlidie Sonberung erklärt werden. Sind einmal bie Aſen unter ſich
als Perfonificationen mehrfacher Kräfte und been unterjchieben, fo
find eben bamit auch Abflufungen und Gegenſätze im Sinnen bes
Afenkreifeö gegeben, Wenn wir in ben Afen überhaupt den wirkenden
Geiſt erlannten, fo erſchien uns doch in diefer Wirkſamleit Odin als
ber geiftigfte, Thor als der, welcher der Materie am nächſten fteht.
Sr Tämpft gegen die Materiellftien Naturmäcdte und bat barum auch
zu ihnen die meifte Beziehung, iſt felbft der Thurfenbafte unter ben
Aſen und feine Mutter ift die Erde. Diefe Verſchiedenheit zwiſchen
Thor und Obin äußert fi denn auch barin, daß fie Starlabın auf
fo entgegengejegte Weife begaben; von Dbin empfängt der Helb bie
geiftige Belebung, von Thor wird er nur in ber ihm als Riefenjohne
angebornen wilden Natur beftärft.
Bon allen Alen aber und von allen Weſen Ber Gbtterwelt über:
haupt äußert Odin weit die mädtigfte und allgemeinfte Wirkung im
der Heldenſage. Bir haben Türzlich erſt nachgeiviefen, wie er in ber
Bölfungenfage vom Anfang bis zum Ende durchſchreitet. Auf ähnliche
Weite Tönnten wir durch dem gröſten Theil der übrigen Sagenreihe
feine Spur verfolgen, die auch immer an Ort und Stelle angezeigt
worden ift. Für den Überblid ift es jedoch zwedgemäß, fein Auftreten
- und Wirken unter allgemeineren Geſichtspunkten aufzufafien. -
Seine Erſcheinung ift von der Art, dag mir ihn leicht erfannt
baben, auch wo er gar nicht ober nicht wit bem Namen Odin genannt
war i, Eimängig, alt und bärtig, in Hut und Mantel gehüllt, tritt
er unerwartet und ungelannt in die Königöhalle, oder fteht plötzlich an
der Seite des einfamen Heldenfohnes, ober verlangt vom Borgebirge
aus in das vorüberſegelnde Schiff aufgenommen zu werben. Auch
diefe irbifche Erfcheinung fteht in Übereinfimmung mit feinem gött
liden Weſen; einäugig ift er, weil er fein anbres Auge um einen
8 [BgL die zum Theil gleihlautende Ausführung ®. I, ©. 188. 8.)
\
346
Trunt aus Mimirs Weisheitäbrunnen zum Pfanbe geſetzt; alt ericheint
er als der Vater ber Götter und Menſchen; verhüllt und unter anbern
Namen gebt er auch in ber Götterwelt aus, die Weisheit ber Riefen
und ber unterirdifhen Bolen zu erfunden. Auf feine Berhüllung, wie
auf feine Wanderungen überhaupt, beziehen ſich auch verſchiedene feiner
Namen, wie die im Eddaliede Grimnismal aufgezählten (Str. 47. 48.
Edd. Seem. 465): Sidhöttr (mit bem tief hereingebenben Hute, mit
bem auch die Helden, Olo, Starladbr u, ſ. w. ihr Geficht verbergen),
Sidfleggr ? (mit dem tief herabhängenden Barte), Grimr, Grünnir?
(der Verlarvte). Auf längere Zeit nimmt er au die Geftalt irgend
eines beftimmten Menſchen an, fo diejenige bed im Strome verum
glüdten Bruni, des Rathgebers Harald Hyldetands. Als ein Bauer,
Hrani 8, bewirthet er den König Hrolf Kraki und auch als Geftr in
ber Herbörsfage wird er ein Bauer (bondi) genannt. .
So wie wir Din in ber Goͤtterſage von ziveterlei Seiten betrachtet,
als den Forſchenden und Kundigen unb ala den Wirkenden und Kämpfen:
ben, fo Stellt. er ſich auch in feiner irdiſchen Tchätigleit nach beiberlei
Beziehungen dar. In der erftern tritt er als Geftur auf, legt den
Könige Heidrek Räthſel vor, oder verſucht nod ala Nornageſt die chriſt⸗
lichen Könige, ſingt und ſagt die Kunden aus ber alten Heldenzeit.
Gr, der in Asgerb mit Saga ans goldnen Schaalen trinkt, iſt auf
Erden jelb ein Sagenerzähler und twie er Bragin den Dichtertrant
verichafft und felbft zu fingen verfieht, wie Andre zu reden, fo verleiht
‚er auch Starkadrn bie Babe ver Slalbenlunſt.
Noch viel manigfadher aber ift feine irdiſche Wirkſamkeit in ber
andern Beziehung, als Kampf» und Heldengott. Ex wird felbft Stamm
vater kriegeriſcher Gehchlechter, und unerstüblich gebt er darauf aus,
Helben zu erwecken und auszwrüften, Zwietracht und Kampf anzuftiften.
Er ftößt das herrliche, aber flreiterregende Schwert in den Baumſtamm
des Volſungenhauſes, iheilt Starladrn gute Waffen zu, hilft bem
1 Lex. isl. sidr, laxus, demissus, lang, ſid; höttr, m. pileus; skegg,
n. barba. [Simrods Edda ©. 21. 292. K.]
2 Lex. mytlı. 128: Grimnir (personatus vel galeatus). Ebd. Grimarr,
Grimar, personatns a 26 grima, persoma, galea.. ©. 130: Grimr, grimer,
personatus, velatus.
9 Rani, m. rostrum, in spec. huie.
347
Sigurd das befte Roſs auswählen, beräth ihn und Frothon oder Fridlev
beim Dradenlampfe, bringt den flüchtigen Habbing auf bem Roſſe
Sleipnir hoch über dem Meere nach Balball und ftärlt ihn mit Götter
fpeife, lehrt Habbing !, Sigurd, Haralb Hyldetand und deſſen Gegner
Hring die Teilfürmige Schlachtordnung, prüft ald Bauer Hrani bie
Kämpen Hrolfs, die auf feinem Hofe eingelehrt, dur Froft, Feuer
und Durſt, er hat Halfs Reden Utftein in ber Jugend das harte Herz
in ber Bruft gebilvet (Fornald. 8. II, 51). Die Balfyrien 2, feine
Dienerinnen, ſendet er den Sünglingen zu, um ben Helbengeifi in
ihnen anzufadden. Er jelbft trägt ald Bruni zwiſchen verwandten Kö⸗
nigen zwiſterregende Botichaft bin und wider. Er maltet aber auch
über die Blutrache, die der Duell fo vieler, von Gefchlecht zu Geſchlecht
fortwuchernder Gewaltthaten ift; ihm opfert Dagr für Baterracdhe und
Odin leiht dann felbft bem Sünglinge den Speer zum Tode feines
Schwagers Helgi; im die Buße für Ottur legt er, mittelft des beige
fügten Fluchrings, den Keim neuen Zwiſtes, der, in Morb und Radye
fih fortwälzend, die Heldenftämme verfchlingt. Sm der Schladt er
Scheint er bald hülfreich, bald feinen eigenen Günſtlingen verberblich.
Sn Haddings Kampfe gegen die Biarmier ftellt er ſich hinter bie
Reiben, zieht aus der Tafche, die ihm vom Naden hängt, einen Bo-
gen, der anfangs Hein erfcheint, bald aber weit fich dehnt, und legt
an die Sehne zehn Pfeile zugleich, die, mit Yräftigem Schuß in bie
Feinde geichnellt, ebenfoniet Wunden bohren. Die Biarmier führen
durch Zauberliever ungeheure Megengüfje herbei, aber per Greis ver:
. treibt durch Sturmgewölt den Regen. In Hrolf Kralis letztem Streite
fieht Bjarki, wenn er Rutan unterm Arme durchblickt, den ſchreck⸗
lichen Odin mitten im Schladjtgewähl auf hohem Roſs, mit weißem
Schilde bevedt. Dem greifen Sigmund ſchwingt Dbin in der Schlacht
den Speer entgegen, an dem das Böllungenichwert zeripringt, und
nım fällt auch der fonft von dem Gotte begünftigte Held. In der
Bravallaſchlacht ift Odin Haralds Wagenführer und erichlägt den alten
König mit defien eigener Keule.‘ Nicht bloß auf einzelne Helden ift
des Gottes Abſehen gerichtet, er läßt fi) von denen, bie er begabt
1 [Bgf. Schriften I, 188 ff. 8.)
2 [Sariften I, 141. 8]
as
und auszeichnet, wie von Harald Hyldetand und von Sigurd Schlang⸗
imauge, für deſſen Heilung, die Seelen aller von ihnen Erſchlagenen
verheißen, er weckt eine Welt von Kämpfern und rafft fie heerweiſe
dahin. Als Odin den Speer unter's Volk auswarf, hörten wir die Völe
fagen (Bölufpa Str. 28), da erhub fi in ter Welt der erſte Kriegs
mod. Darum hatte auch Frodis golones Friedensalter auf der Erde
feinen Beſtand und Hengifjapte (ter mit dem berabhängenvden Barte)
war es, ber Frodin bie verberbliche Mühle gab. Roc aus ber ge
fchichtlichen Zeit, in der Saga von Styrbjörm, der gegen das Ende
des t0ten Jahrhunderts lebte, wird folgender ſagenhafte Bug erzählt:
Der Schwedentönig Erik Hatte fih zwei Tage hindurch mit Styrbjürn,
feinem Brudersſohne, gefchlagen. In der folgenden Nacht gieng er zu Odins
Heiligthum und gab ſich jelbit Hin, indem er, wenn er fiegen würde, feinen
Tod in zehn Fahren angelobte Kurz daranf nahte fih ihm ein Mann mit
tiefem Hut und gab ihm einen NRobrftengel, den er Über das feinbliche Heer
hinſchießen und dabei fprechen folle: „Odin will euch alla” Erik folgte der
Weiſung; Blindheit ſchlug die Feinde, ein Bergfall zermalmte einen Theil der⸗
jelden. Styrbiörns dänifche Streitgenofien flohen und erlangten ihr Geſicht erß
wieder, als fie außerhalb des Raumes waren, fiber ben der Rohrftengel him-
fuhr. Styrbjörn, der ftehen geblieben, ward mit allen den Seinigen erjchlagen
(Sagabibt. III, 142. 144 f.).
So fährt Odins Speer fortwährend über gange Heere bin, und
nicht bloß, um ben alten Harald zu holen, bat Odin die Bravalla⸗
ſchlacht angeftiftet;. ein langes, zahlloſes Gefolge von Helden follte ber
gefallene König mit fich nad) Valhall einführen aus dieſer berühmteften
Schlacht des Nordens, deren Beichreibung an ven lebten, allverfchlin
genden Weltlampf mahnt. Die Übereinftiimmung der Heldenfage in
ihren mythiſchen Beftandtheilen ‚mit der Bötterfage erweiſt fich beſon⸗
vers binfihtlih Odins in der Art, wie ſich beibe gegenleitig erläutern
und ergänzen. Wir haben in ber Götterſage das Weſen und Wirken
Dbins vorzugsweiſe als ein geiftigeö darzuthun verfucht und num zeigt
uns auch die Heldenfage kaum irgend einen Zug, ber auf eine phy⸗
filche Bebeutung dieſes Gottes hinweiſen möchte (der erbeblichfte, welcher
fo gefaßt werben könnte, ift in der Sage von Hadding das Vertreiben
bes bergezauberten Regenguſſes durch Sturmgewölk); dagegen bezieht
ſich überall das eingreifendſte und klarſte Wirken des Gottes auf
349
menſchliche Geiſtesregung und Leidenſchaft. Die beiberlei Richtungen, in
denen Odin auf Erben, wie früher in ber Götterwelt, thätig iſt, bie
Prüfung der Geifter und die Erwedung der Thatlraft, können auch
füglich in dem einen Begriffe ber geiftigen Anregung zujammengefaßt
werben. Umgelehrt aber wird und basjenige, mad in den irdiſchen
Erſcheinungen Odins widerſprechend und rätbielbaft ſich barftellen
mochte, durch den Rückblick auf ſein höheres, himmliſches Leben erklärt
und ausgeglichen. Es iſt überall der gleiche Grund, warum er Helden
und Heldenſtämme pflegt, waffnet, wunderbar begabt, warum er fie
anfeindet, aufreizt, verberbt. Er bürftet nach Seelen der Tapfern,
darum ſucht er die Häufer der ‚Helden auf, erziebt und rüftet ihre
Söhne zur Tapferkeit, ftiftet große Kämpfe, darin fie ſich bewähren
fönnen; er will nur Solche, die im Streite gefallen find over freis
willig ſich mit Speeres Spike gezeichnet haben. Seine Günftlinge
müfjen ihm die Seelen ihrer Erfchlagenen geloben, ihnen felbft gibt er
Heldenruhm und furzes Leben, oder, wenn fie gealtert find, erbarmt
er fi ihrer und rafft jelbft fie gewaltſam hin. Aber nicht die leere
Luft am Tode der Tapfern treibt ihn, er bedarf ihrer, doch eben nur
ihrer, der Rampferprobten, und diefer Tann ihm nie zu viel werben zu
jenem gröften ‚ ungeheuren Sampfe, welcher der Welt und ven Göttern
felbft den Untergang droht.
Wie Odin felbft, fo bebürfen auch feine Dienerinnen, die Valkyrien,
zur vollen Darlegung ihres Weſens der Heldenfage; ja, wenn wir die
geiftigere Bedeutung Odins in der Götterwelt zu ſuchen haben, fo laſſen
die Balkyrien 1 ihre höhere Natur erft in ihrem irdiſchen Wirken voll-
ftäntig leuchten. Auch fie find bier, wie Odin felbit, auf zweifache
Weile thätig: fie lehren Weisheit, wie Brünhild den Sigurd Runen
lehrt, und fie rufen zu Heldentbaten auf; aber auch bier fällt Beides
in dem einen Beftreben zufammen, die dämmernde Sünglingsfeele mit -
geiftigem Feuer zu durchflammen, 2
Es genügt nicht, den Urfprung der Sage von den Valkyrien in
Naturerfcheinungen, in Luftgefichten, zu ſuchen. In der Poeſie aller
1 (Bgl. Schriften I, 150 ff. 8.) |
2 [Die nachfolgende Stelle des Manuſcripts wiederholt meift wörtlich den
I, 151 ff. abgebrudten Abſchnitt. Ich gebe daher bier die Stelle abgekürzt. 8.]
850
Böller wird ben Bögeln ein geiftiges Leben beigelegt und es ik
nütlich, ihre Sprache zu verftehen, twie Sigurb von ihnen gewarnt und
über die Zufunft belehrt wird, wie Aslaug von ihnen die Verlobung
Ragnars in Schweden erfährt. Odin jelbit läßt feine Raben 1, Hugin
und Munin, Gedanke und Gebädtnis, alſo völlig geiftiger Natur,
täglich die Welt umkreifen, um ibm Kunde von allen Dingen heimzu⸗
bringen. Der Liebling der Sagen aber ift der Schwan.
[Blätter für litterarifche Unterhaltung Nr. 294, 20 Det. 1832:
Vielfach benutzt iſt Die fchöne Sage, baß der Schwan feine Seele im
ſchönen Geſängen von fi) hauche und dann flerbe. Minder bekannt bürfte
folgende Notiz tiber den wirfliden Schwanengejang jein, die ſich ebenfalls im
der isländischen Reiſebeſchreibung von Dlaffen und Bovelfen I, 34 findet. Der
Schwanengefang, melden fie, if in ben langen, dunkeln Winternächten anf
Island eine angenehme Erſcheinung. Die Schwäne durchſtreifen um bie
Mitternachtsftunden haufenweiſe die Luft und erfüllen diefelbe mit Tönen, die
denen der Bioline gleichen. Es pflegt nur ein Schwan auf einmal zu fingen;
fobald feine Tanggehaltenen Klänge verfloffen, beginnt ein anderer und fo fahren
ſie lange Zeit im Wechfel fort. Diefer Schwanengefang bebeittet meiftens Than-
wetter und ift fomit bei hartem Froſte den armen Jelandern auch in anderer
Hunt tröſtlich und ee ,
Der norbifcien Sage zit hiemach das aler, Bit Gegnbte
weiblihe Weſen durch den, Zauber der Liebe für die mädhtigfte Er
wedung bes Helbengeiftes und die Gegenwart besfelben wird auch in
‚weiter Entfernung in glänzenden und Iuftigen Naturerfcheinungen ger
ahnt. In der finftern Nacht ſchwebt Helgis Valfyrie um das Schiff
ihres Helden und entringt es den Riefenweibern, in der Schlacht ſchwebt
fie fchirmend über ihm; Thorild 2 erfcheint leuchtend in der Nacht dem
Königsfohne Regner, der als Hirtenjunge dienen muß, und reicht ihm
ald Brautgabe das fiegreihe Schwert zum Kampfe mit den Nacht⸗
geipenftern. Aber auch über das Ervenleben hinaus währt die Ber:
bindung, die Valkyrie erhebt fich wieder in ihr himmlifches Dafein, in
dem fie ung, bevor wir fie ala Heldenbraut Tennen lernten, nur in
den allgemeinen Zügen einer Kriegsgöttin erfchienen war, und wie fie
1 (Bgl. Schriften I, 146. 8]
2 [Bgl. Schriften I, 225. 8.)
351
—— —
bier unten den Helden erweckt und begeiftigt hatte, fo reicht fie ihm
nun in Balball, dem Sanle des Geifterbaters, das Horn mit bem
Tranfe der göttlichen Begeifterung. \
€8 bat fih uns bei dieſem Durchgang ber Heldenfage in ihrem
Verhältnis zur Götterfage die Übereinftimmung beider unter fi er
wieſen. Diefer Zufammenhang ift allerbings in den Überlieferungen,
wie fe auf uns gefommen find, manigfach getrübt, aber je mehr wir
dad Ganze in's Auge faſſen, um fo mehr erhellen fich auch dieſe ge⸗
trühten Partieen und treten mit bem Übrigen in Einklang Was in
ber profaifchen Erzählung der jüngern Edda oder in der breitern Aus
führlichfeit der Sagan geſunken ober faljch gewendet ift, kann meift
mit Hülfe der älteren Lieber in feine rechte Höhe und Bedeutung ber:
geſtellt werden.
2. Über den gemeinſchaftlicen Charatter ber Götter und Helbenfage.
Das Berbältnis zwilchen Götter: und Heldenfage des Nordens ift
im Bisherigen objectiv betrachtet worden. Wir fanden, ivie beide ſich
wechleljeitig erklären und ergänzen, wie bie irdiſche Geichichte mit dem
Meltleben, das menschliche Geſchick mit dem Schidjal der Götter zu:
fammengreift und ſich darin vollendet. Diefe objective Übereinftimmung.
wird ung aber als eine nothwendige ericheinen, ‚wenn wir erwägen,
daß jenes Weltganze ein Bild der Welt ift, wie fie in ber Anſchauung
ber Völker fich bargeftellt hat, bei denen die fo zufammenhängende
Sage lebendig war. Eben damit aber ergibt fich, neben ber objectiven
Übereinftimmung, ein noch tiefer greifenber fubjectiver Charakter, ber,
im innerften Bildungszuftande diejer Völker begründet, dag Erzeugnis
ihrer Weltanfchauung im Ganzen und Einzelnen, in Inhalt und Form,
durchdringt und ausprägt. Soll diefer gemeinjame, fubjective Cha-
salter mit einem Worte bezeichnet werden, fo ift es ber des Naturs
kräftigen. Die Naturkraft herrfcht in Götters und Heldenfage der alt-
nordiſchen Völker, wie fie in ihrem innern und äußern Leben geherrſcht
bat. Ihre Götterlehre ift Naturreligion, fofern wir hierunter eine
ſolche Religionzform verftehen, in der von den Gegenfäten zwiſchen
Ratur: und Sittengeſetz, Nothwendigkeit und Freiheit, bie exftere
Seite, die bes Naturgeſetzes und der Nothivendigfeit, wenn nicht aus⸗
352
ſchließlich, doch vorwiegend ausgebilbet ift 1. Keineswegs aber exfiredt
fih der Naturcharakter der nordiſchen Bötterlehre fo weit, daß er in
gleicher Weife auch auf ben Gegenſatz zwiſchen Natur und, Geil,
zwilchen dem Pbufiichen, Materiellen, und dem Geiftigen, Idealen,
anwendbar wäre. Denn der Geift ift in ihr allerbings Über die Materie
geftellt, er durchſpäht, bekämpft und bändigt fie; aber er wirft mehr
Träftig, als fittlich, er iſt felbft eine Naturkraft, die der Nothwendig⸗
feit folgt, ex ift nicht durch fittliche Freiheit in fich beitimmt und über
fih jelbft gehoben. Der Naturcharalter der norbifchen Glaubenslehre
ift alfo näher dahin anzugeben, daß in ihr die materielle und bie
geiftige Natur unter dem gleichen Geſetze der Nothwendigkeit ftehen.
Wenn nun gleich beibe unter fi im Kampfe begriffen find, fo find
‚ fie gleichwohl durch die gemeinfame Unterorbnung noch nahe verbunden.
Dieje Bindung ift eine bebeutende Schranke des Geiftes und gereicht
dem ethifchen Werthe ber norbifhen Götterlehre zum Nachtheil, aber
fie erhält auf der andern Seite dem Materiellen geiftige Belebung und
dem Geifte, ſoweit ihm zu walten vergönnt ift, lebendige Geftaltung
und hieraus erwächſt die poetifche Naturfraft der nordiſchen Mythologie.
Die Anſchauung der Natur felbft tft vermöge biefer Yelthaltung
des Geiſtes in der Materie eine durchgreifende Perfonifilation. Das
poetifche Gefühl unfrer Zeit betrachtet die Natur vorzugsmeife maleriſch,
landſchaftlich; der Geift, den wir in ihr ahnen, umjchwebt fie, mie ein
zarter, farbiger Duft; das Auge des Norblänvers aber heftete fich auf
das Gebirg, bis die befchneiten Felsthürme menſchliche Geberbe an:
nahmen und der Eis⸗ oder Steinriefe ſchweren Trittes herangewandelt
kam; es verfentte fich in den Glanz der Frühlingsflur oder des Sommer:
feldes, bis Freija mit dem leuchtenden Halsſchmuck oder Sif mit bem
wallenden Golphaar hervortrat. Diefe Naturwejen, einmal in's Leben
gerufen, traten nun auch unter fih, jedes nad feinem perfünlichen
Charakter 2, in Handlung und fo vichteten fich jene manigfachen Ratur:
mythen der Epda, deren Sinn wir niemals dur philofophifche Ab-
ftraltion, fondern nur wieder mit demjelben naturbelebenven Blide
1 gl. Baur, Symbolit und Mythologie I, 148 f.
2 In der nordiſchen Mythologie find nicht ſowohl, wie bei den Griechen,
die Ideen plaſtiſch ansgebildet, als vielmehr die Naturerfcheinungen begeiftigt
and damit ins Unbegrenzte anfgelöft.
353
erreichen werben, ber ihnen das Dafein gab. Wären jene jotifchen
und vanifchen Götter bloße Allegorieen der Natur geweſen, fo hätte
man fih ihrer auch als folder bewuſt fein müflen und fie hätten
dann niemals ber Gegenftand religiöfer Scheue und Berehrung fein
fönnen; aber da die Natur in ihnen lebendig und perfönlich wurde,
verehrte man in ihnen ben in ber Natur waltenden Geift, wenn auch
nur in feinen einzelnen Richtungen und Äußerungen.
War aber fo die finnliche Erfcheinung in gewiſſem Maaße belebt
und begeiftigt, jo wurde auf ber andern Seite ber Geift durch ma:
terielle Gebundenpeit beichräntt und binfällig. Dbin, ver kämpfende
Geift, und Baldur, der mild erhaltende, waren gerade fo perfonificiert
und ſinnlich Heftaltet, wie jene Naturweſen, und traten infoferne mit
ihnen auf gleiche Linien. Sie find damit, wie jene, der Zeit und
ihren Gefeben, der Nothwendigkeit und der Vergänglichleit in der Zeit,
unterivorfen. Mächtig ift Allvater, aber die Rornen, die Beitgöttinnen,
weifen (Hrafnag. Od. Str. 1. Edd. Sem. 88); die Aſen haben ihre
Nornen, wie die’ Alfe und bie Zwerge (Fufn. M. Str. 13. Edd. Sem.
188). Der Meth, von dem die Götter trinken, ift gemifcht aus ftoff
artigen und geiftigen Beſtandtheilen. Balbur felbft, vorzugsweiſe der
Ethiſche unter den Afen, wiegt doch Natur» und Sittengefeg auf einer
Mage, darum ift auch fein Reich ein vergängliches und er finkt felbft
zu Hel hinab.
Derjelbe Naturcharalter zieht fih nun auch in beiden Richtungen
durch die Heldenfage. Menjchliches Leben bringt bier auch in die übrige
Natur ein; die Sprache ber Vögel wird verftanden und umgekehrt
horcht das Element dem Zauberliede; bie menfchlicde Seele fährt in
jede Thiergeftalt. Alle Erfcheinung hat tieferen Sinn, barum ift jedes
Traumbild bedeutungsvoll und nichts Exrhebliches gefchieht, mas nicht
durch Träume vorgebildet wäre. Sind aber die Götter im Banne der
Natur befangen, wie viel mehr bie Ervenbewohner? Die ungeheure
Körperkraft, zu der bie Helden heranwachſen, mit der fie bie Schredien
der Natur, die Gewalt des Meeres und bie Ungethüme des Waldes
befämpfen, brängt in ihnen felbft bie Herrichaft des Geiftes zurüd.
Sie fteigert fich bis zur blinden Berferferwuth. Der Zauber, dem bie
Ratur gehorcht, beberrfcht auch die Menichenfeele und vermag ben
Menfchen zum rafenden Wolfe umzufchaffen. Ein Baubertrant bringt
Ubland, Schriften. VI. 23
354
geihworene Eibe in Vergeſſenheit und nöthigt zu anbrer Liebe: Mo—⸗
tive, bie überall in den Heldenfagen fo bedeutend wirken, haben ent
ſchieden phyſiſche Grundlage; jo das Forterben der edleren Ratur in
beftimmten Gejchlechtern, vorzüglich aber die Blutrache, die inſtinkt⸗
artige Nötbigung, lediglich twegen bes gleichen Blutes, ohne Nüdfidht
auf das fonftige- Hecht der Sache, ven erichlagenen Verwandten ge
waltfam zu rächen. Unter den Lehren, welche Brynhild dem Sigurd
gibt, findet fi) die: „Traue niemals den Verheißungen befien, dem
bu. den Bruder erfchlagen over den Bater gefällt! der Wolf ftedt im
jungen Sohne, ward er au mit Gold erfreut” (Brynh. Qv. 1, Str. 36.
Seem. Edd. 198 [= Sigrdrif. 35. .8.]). Die Buße, das Wergeld, ift ber
erſte Verfuch einer gerichtlichen Ausgleichung, aber in ber alterthüm⸗
lihen Anſicht der Heldenfage ift es edler, das Löſegeld zu verſchmähen
und Blut mit Blut zu fühnen. Leiht doch Odin felbft feinen Speer
zur Baterrache und auch im Kreiſe der Afen will Bali feine Hände
nicht waſchen, noch jein Haupt kämmen, bebot er den Mörber feines
Bruders Balbur auf ven Scheiterhaufen gebracht. Auch jede innigere
Freundſchaft aus freier Wahl nimmt durch bie feierliche Bermifchung
des Blutes im Pflegbrüberbunde bie Geftalt ber eigentlichen Bluts⸗
freundschaft an [vgl. 1, 259 f. 8]. Bor Allem aber äußert fich die
Herrihaft der Nothwendigkeit darin, daß bie böje That, wenn auch
ein Grund zur Rache, doch nicht eine Sache der Zurechnung, fondern
ein Unglüd für den ift, der fie verübt. Nicht bloß das Lebensalter
und andres Geſchick ift dem Helden durch die Nornen vorbeftummt,
auch die That ift ihm zum voraus zugetheilt. Die Nidingswerke find
eine unfelige Gabe der Götter bei feiner Geburt oder haften an feinem
Schwerte. Helgi findet feine Schuld an feinem Bruder Hebin, ber,
von einem Rieſenweibe verwünjcht, ihm bie Braut zu rauben gelobte.
Nachdem Gudruns Söhne ihren Bruder erfehlagen, entichulbigt fi
Hambdir, daß ihn die Difen (Nornen?) dazu gereizt haben (Hamdism.
Str. 39. Edd. Seom. 273). Der lud, der in der Völfungenfage auf
das Löfegold gelegt ift, wirkt in langer Reihe von Frevel und Rache
bis zur völligen Bertilgung der Gefchlechter fort. Liebe und Haß,
Treue und Verrath, walten ohne Verbienft und Verſchuldung mit ber
Nothwendigkeit und Unbewuſtheit des eingepflanzten Naturtriebs. Über:
einftimmenb biemit iſt bemerkt worden, daß jelbft im norbifchen Rechte
ww u 1 Mm ——
u —
’
355
Schuld und Zufall, beide im Begriff eines unvermeidlichen Schichſals
zuſammentreffend, nicht immer unterfchieden werben (Schilbener, Guta⸗
Lagh d. i. der Inſel Gothland altes Rechtsbuch u. |. wm. Greifswald
1818. ©. 190 f. R. 152). Man darf fih darum auch nicht wundern,
daß bie Lehrweisheit im Havamal, ſowie der Unterricht Brynhilds
mehr Klugheitsregeln, als Sittenſprüche, mehr hülfreiche Runen, als
Lehren der Tugend, enthält.
So wie aber die materielle Natur bald im Übermanf ihrer elemen:
tarifchen Gewalten fih ungeftüm und furdtbar entlavet, bald wieder
freundlich und ftillerbaben fich darftellt und ihre Segnungen ausfpenbet,
exicheint auch in jenen Helbvenfeelen neben dem Gewaltfamen bag
Edle und Hohe. Es verläugnet fich nicht, daß das unbewuſte Wirken
der menſchlichen Natur mit dem Sittengefeß in feinem unauflösbaren
Widerſpruche fteht, daß die unverborbene Natur, wie im Kinde, fo im
Jugendalter ver Völler, ihre eigenen, friichlräftigen Tugenden hervor:
treibt. Während in geiftig gebilvetern Zeiten die fittliche Freiheit fi
vorzüglih im ftrengen Exrnfte gegen die meichlidhen und üppigen Weis
gungen betbätigt, jo nimmt bort die natürliche Neigung felbft ihre bee _
fländige, willenskräftige Richtung auf das Ernfte, Strenge, Harte und
dann, allertings im Übermaaß, auf das Graufame und Blutige. Diefe
norbifchen Helven find unbarmberzig, aber fie find es zunächft gegen
ſich jelbft; ein Menfchenleben gilt ihnen wenig, aber fie ſparen auch
ihr eigenes nicht. Wenn Starkadr die Üppigen Sitten an Angels Hofe
ftraft, fo tritt er ſchon unter ein neues Gefchledht ein; aber er felbft
ift der Held der alten Zeit, der fi) am Wintermorgen auf die Sturm
feite feßt und fi bis zu den Schultern einjchneien läßt, der jeine
furdhtbaren Wunden Keinem zu verbinden gibt, der ihm ein Schlechter
dünkt. Unter den Kämpfen des Zornes und Hafles zeigen fih dann
auch Liebe und Treue in ihrer vollen Kraft, ja fie blühen mandmal
in wunderbarer Zartheit auf, mie eine Waflerlilie auf fturmbemwegter
See. Gudrun ſitzt über Sigurbs Leiche, fteinharten Herzens, und kann
nicht weinen; da wird Das Tuch, das ihn bebedie, weggeſchwungen,
fie ſchaut einmal auf ihn, ihre Wange röthet fih, ein Regentropfen
rinnt nieder auf ihre Kniee; Brynhild fticht fi das Schwert in bie
Bruft, um mit dem geliebten Helden, den fie felbft erfchlagen ließ, den
Sceiterhaufen zu theilen; wenn Sigrun weint, bann fallen blutige
356 \
Tropfen auf Helgis kalte Bruft im Grabhügel; Hagbarth eilt freubig
zum Galgen, als er Sygnes Kammer brennen fieht; dem greifen König
Wermund rinnen Freubentbränen aus den blinden Augen, als er ben
fiegreihen Klang feines Schwertes Skrep in ber Hand feines Sohnes
bört 1; und welcher Wettlampf ver Treue im Untergange Hrolf Krafis
mit feinen Kämpen! Auch die mildern Tugenden fehen wir in biefem
Könige herborleuchten; er gewährt ftets auf die erfte Bitte, feine gaſt⸗
liche Halle ift immer offen und vom erbeuteten Golde behält er nichts
für fih; darum nennt auch ihn der chriftliche Dlaf auf Geſts Frage,
welchem von den alten Königen er am liebiten gleichen möchte.
Es geht auch in diefer Heldenzeit die Sage von dem golbnen
Friedensalter, das einft unter König Frodi geblübt. Damals berrichte
Geſetz und Recht, Keiner hätte den Mörder feines Baterd oder Bruders
angetaftet,. mochte er ihn los oder gebunden vor ſich finden, und ein
Golbring lag lange unberührt am Wege. Aber dieſe Friedenszeit ift
längft von der Erde verſchwunden, wie Baldurs Reich bei den Göttern.
Hildur weckt unabläfjigen Kampf bis zur Gdtterbämmerung; unabwend⸗
barer Fluch haftet auf den ebelften Helvdenjtämmen. Das Gefühl dieſes
unauflöslichen Bannes verbreitet über die ganze Helvenjage einen
büftern, tragiſchen Ernſt. Es ift eine tiefe Sehnſucht nach Befreiung,
bie nicht auf Erben, jondern von und bei den Göttern erwartet wird,
die all den irbifchen Kampf verhängt haben, ber jelbft eine höhere Be
deutung und Weihe erlangen fol. Der greife Starkadr, vom Fluch
feiner Nidingswerke gebeugt, trägt das Gold, das er dafür empfangen,
am Halje, zum Lohne dem, der ihn zu Odin fendet. Aus dem ſchwülen
Leben bliden die Helden freudig dem Tod entgegen, fie ſehen Valhall
offen und fterben lachend. Auch dort noch wartet” ihrer Kampf, aber
ein größerer, in Gemeinfchaft der Götter. Auch dieje find noch in den
Schranken der Zeit gefangen, aber ver letzte Kampf aller Geifter, ber
Untergang ihres Dafeins im Endlichen, ift auch ihre gemeinfante Be
freiung. In der neuen Welt ift alles Übel verschwunden und Baldur
wiebergelehrt (Völufpa Str. 62. Seem. Edd. 10).
So finden wir in ber Götter: und Helbenfage des Nordens zwar
den Naturcharalter im Guten wie im Böfen vorherrfchend, aber das
1 [®gl. 1,29. 8]
357
Sehnen uud Streben des Geiſtes nach fittlicher Freiheit Tann dennoch
in ihr nicht verlannt werben.
3. über die Organe der nordiſchen Sagenbichtung.
Geijer I, 170 bis 180. 247 bis 257. 260. Mone I, 285 bis 287.
243 bis 249. ‘
Es ift in der Einleitung zu unſrer Sagengefchichte bemerkt morben,
daß, wenn e3 fi) von den Stimmen handle, durch welche der poetifche
Geift der Völker fih in Sang und Sage ausgefprocdhen, nicht von
Individuen, fondern nur von ganzen Klaflen der Sänger und Sagen:
erzähler die Rebe fein könne. Fragen mir nad jolden Organen ber
norbifchen Sagendichtung, fo ftellen ſich dreierlei dar: Priefter, Stalben,
Sagenmänner.
Priefter: und Sängerfchulen, mit faftenmäßiger Ausbildung, laffen
fih im flandinavifchen Norden nicht nachweiſen. Man bat allerdings
in demjenigen, was die Inglingafaga von Dbin und feinem Gefolge
melbet, den Beweis folder Einrichtungen gefucht; allein dba wir mit‘
der geihichtlihen Auffaflung der Aſen in diefer Saga überhaupt nicht
übereinftimmen Tonnten, fo vermögen wir ihr Zeugnis auch für bas
Prieftertwefen nicht anzuerfennen. Geiftliches und weltliches Anfehen
waren im Norben vereinigt. Der König, der Häuptling, ber Vorfteher
jedes Bezirks verſahen die priefterlichen Verrichtungen !. Auch einzelne
Landbeſitzer hatten ihre eigenen Gotteöhäufer. Nirgends erfcheint ber
Priefter (godi) und fein Amt (godord) als etwas von andern Ständen
Abgeſchloſſenes. Natürlih ift aber, daß die Vorfteher des Gottes:
dienftes, auch vorzugsweiſe in bie Kenntnis ber Götterlehre eingeweiht,
die Bewahrer und Ausbilder, Lehrer und Erflärer der hierauf bezüg-
lihen Sagen und Gefänge waren, daß in ihrer Lehrweisheit die Götters
mythen ihre tieffte und geiftigfte Bebeutung hatten. Inſofern können
wir die mythologiſchen Eddalieder allervings als priefterliche Dichtung
bezeichnen.
Weltlicher war der Beruf der Stalden. Aber Stalde war SYeber,
der die Fähigkeit hatte, zu bichten und zu fingen. Bon dieſer Allges
meinheit bes Gejanges zeigt fich wohl auch die Spur noch darin, daß
1 Wie Halfdan in der Fridthjofs- Saga.
358
!
an ben bewegtern Stellen ber Sagan die Rede fo bäufig in den Bers
übergeht, ohne daß man behaupten Tönnte, dieß feien nur Überbleibiel
einer ältern durchaus verfificierten Darſtellung. Das zur Bezeichnung
diefer gehobenen Rede gebräuchliche Wort qveda bedeutet fingen fo:
wohl als ſprechen (Dlaffen 8 9. Geijer 174, 7). Die Stalbichaft 1 war
eine freie Gabe der Götter, fie ftand nit im Bann eines befonvern
Standes. Könige und Helden fingen, wie jever Andre im Volle. Die
jenigen aber, welche fi in der Kunſt auszeichneten und fie zu ihrem
eigentlichen Berufe machten, begaben ſich in bie Dienfte ber Könige
und Häuptlinge, oder zogen an ihren Höfen umber, wo ihnen ber
Ehrenfit eingeräumt und reichluher Lohn zu Theil wurde. Ihr Ge
fang bildete fich immer fünftlicher und fchwieriger aus, und wenn fie
feine Schule ausmachten, jo fchufen fie fich doch eine eigene, bilder
reiche Dichterfprache, einen beftimmten Kunftftil. Eine ausführlichere
Darftellung dieſes Skaldenweſens gehört nicht zu unfrer Aufgabe. Die
heroiſchen Sagenliever ftammen nicht von biefer höfiſchen Skaldenkunſt.
Während und von ber zweiten Hälfte des Yten Jahrhundert? an die
Namen ber berühmteften Skalden und von ben meiſten berfelben Lieber
ober Lieberbruchftüde, großentheild zum Ruhm ihrer Gönner und beren
Gefchlechter, übrig find, worin eine Menge von Dichterausdrücken aus
den Heldenfagen entlehnt ift, jo ift doch von Teinem ber eigentlichen
Sagenlieder der Urheber befannt; fie gehören dem altertbümlich em:
fachern, volksmäßigern Staldengefange an. Zwar wird Starkadr als
Dichter mancher Lieber von feinen eigenen Thaten, von feiner Theil:
nahme an der Bravallaſchlacht u. |. m. genannt und Saro hat mehrere
derfelben in lateiniſche Verſe übertragen, aber dieſe Autorfchaft Star:
kadrs gehört felbft mit zur Sage. Auf melde Weile aber durch den
Geſang der Stalden geichichtliche. Ereignifle in die Poefie übergiengen,
davon fann ung ein fpäteres Beifpiel, aus der erften chriftlichen Zeit,
eine Anbeutung geben. In der Schlacht bei Stifleftab, im Jahr 1030,
in der Dlaf ber Heilige fiel und vor deren Anbrucd das alte Bjarka⸗
mal gelungen wurbe, waren drei Stalden in des Königs Gefolge. Er
rief fie in den Kreis von Schilden, welche feine ftärfften und mutbig:
jten Männer um ibn fchloffen, und fagte zu den Skalden: „Hier follt
1 Skäldskapr, m. = poesis.
359 J
ihr ſein und ſehen, mas ſich Merlwürdiges begibt, fo daß ihr dazu
der Sage Andrer nicht bebürft; denn euch geziemt es, hernach davon
zu fagen und zu dichten.” Zwei von ihnen fielen an tes Königs Seite.
Der britte fang, töbtlich verwunbet, noch zu Dlafs Preiſe, bevor er
fh den Pfeil aus bem Herzen zog und verſchied (Geijer 173 f.).
Zu dem Bilverreichtfum der fpätern Skaldenſprache finden ſich
übrigens doch ſchon in den ältern mythiſchen und fagenhaften Liedern
die Keime. Es ift diefefbe Bilplichkeit, die das Weſen der Mytben im
Ganzen ausmacht, auf den einzelnen Ausdruck angewandt; zwiſchen
Beidem mitten ‚inne liegen jene Bilverräthfel im @etipeli und in ber
Amlethafage. \
Sagenmann enblid; (sagnamadr, freedimadr; froedi, n. doctrina,
ecientia; at froda, erudire) hieß ein in Erzählungen wohl erfahrener
Mann. Einen folden nennt ſich Geft, der fo viel von ben alten
Königen zu erzählen weiß, bei Dlaf Tryggvaſon. Auch die Sagem
erzählung mar Tein abgefchloflenes Gewerbe, obgleich auch fie ſich auf
gewiſſe Art zur Kunſt gefteigert hatte. Hievon ift im Allgemeinen jchon
früher gehandelt worden und ich hebe nur noch zum Beweiſe ber
Vollsmaßigkeit dieſer Sagenerzählung einzelne Büge aus, welche Geijer
S. 175 bis 179 zufammengeftellt hat.’ **
Es bewährt fi durch all Dieles, daß Sagenlied und Sagen⸗
erzählung im Norden wahrhaft und im beften Sinne vollemäßig waren,
nicht auf Stände oder Schulen beichräntt, aber auch den Ebelften im
Bolle zu tbätiger Theilnahme und zum Genufle zugänglich.
2‘
3. Balladen, Ortsfagen, Mährchen.
Wir faflen in diefer lebten Abtheilung ber nordiſchen Sagen:
gefchichte diejenigen Sagenbildungen zujfammen, welche, nachdem ber
große Mythenkreis der Götter: und Heldenſage durch das Chriſtenthum
gebrochen war, entweber, von bemfelben abgelöſt und mit veränderter
Form, fich im Bolt erhalten baben, oder aus dem Grunde der ums
geivandelten Zeit neu hervorgegangen find. Zwar gehören auch bie
bisher benügten Auffoflungen der Sage großentheila der chriftlichen
360
Zeit an, wie die ſeit dem Anfang bes 13ten Jahrhunderts nieder
gefchriebenen mythiſchen Sagan und Saros bänifche Geſchichte; aber in
ihnen hersfcht dennoch Zuſammenhang, Geift und Gepräge ber ältern
Periode vor. Wir befanden uns in ben beiven biöberigen Abtheilungen
auf dem Gebiete bes altnordiſchen Heidenthums, in der jeßigen treten
wir in das chriſtliche Mittelalter des Nordens über; und fo wenig für
jedes Einzelne die Grenze fcharf gezogen werben kann, jo manigfad
bie Übergänge find, fo befteht gleichwohl ver charakteriſtiſche Unterfchied
im Größern und Ganzen. Auch lebt zwar ein bebeutenver Theil der
Sagenpoefie, die wir jetzt barzuftellen haben, noch beutzutag im Wunde
des Volkes, aber fie berubt doch weſentlich im Charakter des norbifchen
Mittelalters... So viel zur vorläufigen Verftändigung über den Inhalt
diefer Abtbeilung im Allgemeinen! Die befonvdern Bezeichnungen
(Ballade, Ortsſage, Mährchen) follen in der Darftellung der hiedurch
bezeichneten Klaſſen ihre Erläuterung erhalten.
1. Balladen.
Diefes fremden Wortes glaube ich mich doch am zweckmäßigſten
zu bebienen, um bie Volkslieder jagenhaften Inhalts aus derjenigen
Periode, in welche wir jet übergetreten find, zu bezeichnen. Die ein:
heimifchen Benennungen find däniſch vise (Weile, Lied), kjssmpevise
(Kämpenlied, Helvenlieb), ſchwediſch visa, isländiſch qvedi, n. (Sang),
rimur (Reime), und fo auch färdiſch qveli, rujme, auch taattur,
letzteres zur Bezeichnung einzelner Theile größerer Lieber, oder aud
neuerer Gefänge (Fär. Qv. 15). Wollten wir aber, diefem entfprechend,
gleichfall8 allgemeinere Benennungen, Sagenlieber, Helbenlieber, Volls⸗
lieder, gebrauchen, jo wäre ung bie gemeinte Liederllaffe nicht genug:
fam, mit einem Worte von den altnorbischen, gleichfalls fagenhaften,
heroiſchen, vollamäßigen Gefängen unterfchieden. Balladen aber hießen
zunächſt die jchottifchen und englifchen Sagenliever aus der mittlern
Beit, welche zu den norbifchen berfelben Periode fo nabe Beziehung
darbieten, und das Wort ift burch jene zu einem allgemein verſtänd⸗
lihen SKunftausbrude zur Bezeichnung von Sagenlievern in der Weife
der nördlichen Völker des Mittelalterd geworben.
Sammlungen norbifcher Volksballaden find folgende:
u sw
or ⸗
u Br
Lg Ze En 2 Zen Z Sue 7 Be 7 zn 2.
ıiıT % [u
» 361
Levninger af Middel- Alderens Digtekunst. Heft I. Kopenhagen 1780.
U ebend. 1784. Das Uſte Heft diefer däniſchen Lieder if von Saudvig, das
2te von Nyerup herausgegeben.
Udvalgte Denske Viser fra Middelalderen efter A. 8. Vedels og P.
Syvs trykte Udgaver og efter haandskrevne Samlinger udgivne pas ny
_af Abrahamson, Nyerup, og Rahbek. 5 Xheile. Kopenhagen 1812 bis 14.
Bom dten Theil an find nur die beiden leßtern Herausgeber genannt, ber te
gibt die alten Tonweiſen und litterariſche Abhandlungen.
Udvalg af Danske Viser fra Midten af det 16de Aarhundrede til he-
nimod Midten af det 18de, med Melodier, i Forening med P. Rasmussen
udgivet af N. Nyerup. En Fortseitelse af de i Aarene 1812—14 udgivne
Kjeempeviser. 2 Theile. Kopenhagen 1821.
[Danmarks gamle Folkeviser , udgivne af Bvend Grundtvig. 8 Bände.
Kopenhagen 1868. 1856. 2.)
Altdänifche Heldenlieber, Balladen und Märchen, überfegt von W. G.
Grimm. Heidelberg 1811.
Svenska Folk-Wisor, utgifne af E. G. Geijer och A. A. Afzelius,
3 Bände Stodholm 1814 bis 1816. Mit Melodieen. i
[Aus neuerer Beit find aud noch bie Sammlungen von Arwidsfon und
Landſtad zu erwähnen. H.]
Schwediſche Volksharfe, mit einer Beilage von Norränaliedern und Melos
dieen von J. 2%. Studach. Stochholm 1826. Darin 24 ſchwediſche Bollsliever,
bauptfähfih nach obiger Sammlung.
Rordenfaal, eine Sammlung ſchwediſcher Vollslieder, mit Begleitung bes
Pianoforte, nid den alten Geſangweiſen bearbeitet. 2 Hefte. Berlin 1827.
(Herausgegeben von dem ſchwediſchen Tonkünſtler U. F. Lindblad, 9 Lieber,
meift in obiger Sammlung und überfegt von Frau v. Helwig.)
Bollglieder der Schweden. Aus der Sammlung von Geijer und Afzelius.
Bon G. Mohnile. B. I. Berlin 1830. (565 Numern).
Feröiske Qveder om Sigurd Fofnersbane og hans At. Med et An-
hang.. Samlede og oversatte af H. Ch. Lyngbye Med en Indledning af
P. E. Müller. anders 1822,
[P. 3. Willagen, altisländifche Volksballaden und Heldenlieber der Färinger.
Bremen 1866. 8.]
[Germanifche Bollslievder der Borzeit. In den Bersmaßen der Dri⸗
ginale fibertragen von Roſa Warrens. Hierher gehören Band I, ſchwediſche
Boltsfieder, Band II, daäniſche Volkslieder, Band IV,. norwegiſche, islän-
diſche, färöiſche Vollslieder der Borzeit. Leipzig und Hamburg 1856 bis
1866. 9]
362 .
Diieſelbe Gemeinfchaft, melde in Beziehung auf bie alte Götter
und Heldenfage unter den Völkern des ſtandinaviſchen Nordens beftanben
batte, beftand auch für die Balladenbichtung, felbft nachdem bie Mund⸗
arten der gemeinfamen altnorbifchen Sprache fich zu gejonderten Sprachen
immer beflimmter ausgefchieven hatten. Bon norwegifchen und von
iBlänbifchen Volfsliebern fonnte zwar feine Sammlung bier nambaft
gemacht werden. Mohnife (1, 165) erwähnt einer im Jahr 1821 zu
Chriftiania erſchienenen Sammlung: Norrzeena, en Samling af Forsög
til norske Netionalsange, mit der Bemerkung jedoch, daß er nicht
fagen könne, ob biefelbe ala Borläuferin einer größern Sammlung
norwegischer Volkslieder zu betrachten fei. Wirklich find es, wie ſchon
‚ der Titel anzeigt, lauter neugebichtete Lieber, und zwar ſolche, bie aus
Anlaß eines für den beften norwegiſchen Nationalgefang ausgeſetzten
Preiſes von mehreren Berfaflern eingelommen waren. '
Dennoch ift Fein Zweifel darüber, daß die alten Vollsballaden
auch in Norwegen verbreitet waren und auch dort noch eine Sammlung
berfelben veranftaltet werden könnte; einzelne berjelben find in ber
Mundart diefes Landes gebrudt. Eine Sammlung islänbifcher, vom
Sabre 1665, findet fih auf ber Univerfitätsbibliothef zu Kopenhagen.
(Abo. d. Bif. V, 72 bis 76. Vol. Für. Quäder 36 f.) Die Lieber ſelbſt
verlegen bie Ortlichfeit der Handlung in die verſchiedenen flandinawifchen
Länder und weiſen bamit auf gegenfeitigen Austaufch bin. Wenn nun
glei ihre Heimath nicht in einem einzelnen biefer Zänber geſucht
werben barf, fo ift doch ſehr glaublich, daß der vorzügliche Anſtoß zu
diefer fpätern mittelalterlihen Weile von Dänemark musgegangen,
als demjenigen Lande, welches der neuen, chriſtlichen Bildung am
nächſten zugänglich war 1. Damit flieht dann auch in Übereinflimmung,
daß bie ber ältern Götter: und Helvenfage entnommenen Beftanbtheile
diefer Balladendichtung hauptjächlih im höhern Norden, auf ben
Färden, gepflegt wurben. Zu einem gemeinfamen Ganzen aber find
biefe in den verfchiedenen Norblanden gefungenen Bolläliever insbe⸗
ſondre noch dadurch verſchmolzen, daß überall an bie Stelle des alten
Stabreims und des auf ihn gegründeten Versbaus der romaniſche End⸗
[4
1 Bgl. C. Molbech: Bemserkninger over vore danske Folkeviser fra
Middelalderen. Kopenhagen 1828. ©. 40 f. 65.
363
J
reim mit feinen epifchen Formen und beigefügten Kehrreim (däniſch
und ſchwediſch omqväd, färdifch stevi, niurlefi) getreten iſt.
Die früheften, reichhaltigften Aufzeihnungen und Sammlungen
folcher Bolfsballaden fanden in Dänemark ftatt. Die banbfchriftlichen
bänifchen Lieberbüicher, welche von der Mitte des 16ten Jahrhunderts
beginnen, find von Nyerup (Udo. d. Vif. V, 17 ff.) verzeichnet. Sie
befanden fi, wie die eingefchriebenen Ramen zeigen, meift im Beſitze
weiblicher Hände und eines dieſer Liederbücher bat die Form eines
Herzens. Auch zu ber erften gedruckten Sammlung gab eine Frau den
Anlaß, die Königin Sophie von Dänemark. Sie wurbe im Jahr 1686
auf ver Inſel Hven, wo fie Tycho Brahes aſtronomiſche Werkzeuge
und Vorrichtungen befichtigt hatte, einige Tage burh Sturm aufges
halten und erfuhr, daß ein Freund Brabes, ber Geſchichtsforſcher
Anders Sörenſön Vedel, alte däniſche Lieder gefammelt babe. Sie
zeigte große Luft, diefelben zu Iefen, und Vedel eignete ihr, jedoch erft
fünf Jahre nachher (Ribe 1591), einhundert derjelben im Drude zu.
Aus feinem Nachlaß erfchien, Kopenhagen 1657, eine weitere Samm⸗
lung unter dem Titel: Tragica oder alte däniſche biftorilche Liebeslieder
(Elskoffs Viser), fämmtlid von tragiſchem Ausgang. Die erfte vedeli-
fche Sammlung vermehrte Peter Syv mit einem zweiten Hundert und
gab fie jo, Kopenhagen 1895, in den Drud. Dieſe ſwoiſchen Kämpfer
meifen (keempeviser) wurden 1739, 1764, 1787, wieder aufgelegt un
find in Dänemark gewiſſermaßen zum VBolfebuche geworden. Manche
Lieder wurden auch auf einzelnen, fliegenden Blättern verbreitet. Die
neueſte, vollftändiafte Sammlung (von Abrahamſon, Nyerup und Rabe
bef) mit ihren Nachträgen ift zuvor fchon angemerkt worben. leid)
wohl fcheint auch durch fie ber braudbare Vorrath noch keineswegs
erſchöpft zu fein. Nach einer Bemertung von Molbed) (a. a. D. ©. 113)
hatte J. M. Thiele, der Herausgeber einer Sammlung däniſcher Bolds:
fangen, eine neue, forgfältige Reviſion aller in Kopenhagen belannter,
bandichriftliher Sammlungen alter, bänifcher Volkslieder (neben einer
bisher ganz unbelannten und unbenüsten Sammlung von Dbenfe) bes
gonnen und feine Unterfuchungen hatten bereits (1823) das Reſultat
gegeben, daß in diefen Sammlungen über 250 bis jetzt ungedruckte und
in die nyerupifche Sammlung nicht aufgenommene Lieber fich finden.
Wollte man num von diefer Anzahl fogar %/,, als des Druds nicht
364
würdig, veriverfen, fo mürben doch 100 ungebrudte Stücke übrig
bleiben, bexen Herausgabe zu münfchen wäre.
Wie in Dänemark biefe mittelalterliche Weife am frübeften gereift
war, fo bot fie auch am früheften ihre Erzeugniſſe der Sammlung bar
und lief am ebeiten Gefahr, von neuer litterariicher Bildung verbrängt
zu werden. Deflen ungeachtet war auch für bie neuefte Sammlung
die lebendige. Überlieferung im Volksgeſange noch nicht verfiegt und
aus biefem allein fonnten bie alten Tonmweifen aufgenommen werben.
Sm Schweden fehlt ed zwar auch nicht ganz an banbfchriftlichen Samm-
[ungen vom 16ten Jahrhundert an (Sv. Folkv. IIL, 250 f.; die frübefte
Jahrzahl ift 1572), und Manches wurde aud in dieſem Lande auf -
Flugblättern verbreitet. Eine gebrudte Sammlung gab es aber nicht
vor der oben angeführten, 1814 bis 16 von Geijer und Afzelins heraus:
gegebenen. Auch verdankten diefe Sammler ihr Meiftes und Beftes
ber mündlichen Überlieferung, vorzüglich durch Frauen, und bie vor
handenen brei bandichriftlichen Sammlungen wurden ihnen fogar erft
während ber Herausgabe bekannt, für die fie nur Varianten baraus
benügten. -
Das Fortleben ber Lieber im Vollsmunde zog ſich immer. weiter
nad) dem Norden zurüd, aber diefe Duelle bat fi fo rein erhalten,
daß bie erft jet in Schweben aufgezeichneten Lieber fich zum Theil
urfprünglicher eriveifen, als wie fie im 16ten Jahrhundert in Dänemarl
aufgefchrieben wurben, und daß bie ſchwediſchen Herausgeber die münd-
lichen Überlieferungen in ber Regel ben Drudhblättern vorzogen. Auch
fanden fie in den nörblicdern Provinzen Schwedens, dem eigentlichen
Norrland, nicht nur reihe Ausbeute, fondern auch faft durchaus den
erbieften und beften Text der Lieder. Im Übrigen betrachten auch fie
mit diefer erften, gebrudten Sammlung den Reichthum des alterthüm:
lichen Bollögefanges in ihrem Vaterlande noch lange nicht für erichöpft.
Am fpäteiten wurden die färdifchen Volfsliever aufgefchrieben und
in den Drud gegeben. Die erfte handſchriftliche Sammlung ift von
ben Jahren 1781 und 1782, bie erfte gebrudte von 1822, deren Titel
oben angegeben murbe. Aber gerade auf dieſen entlegenen Inſeln
haben fich Lieber des älteften Urfprungs, mythiſche und folche, Die der
Helbenjage von den Bölfungen angehören, bis heute münblich fortge
pflanzt. Die lettern find beſonders beliebt unb werben vorzugsweiſe
365
zum Reihentanze gefungen; auf fie beſchränkt fich auch meift bie ge
drudte Sammlung.
So Bieles nun von dem alten Liederſchatze der nordiſchen Völker
nod nicht zur allgemeinen Kenntnis gebracht ift, wie es denn bemerkter⸗
maaßen noch ganz an gebrudten Sammlungen noriwegifcher und islän-
difcher Vollslieder fehlt, fo ift dennoch ber bereit3 zugängliche Vorrath
beträchtlich genug, um uns aud von biefer Periode der Sagenpoefie
ein umfang» und geftaltenreihes Bild zu geben. Denn Sagenlieder,
Balladen, find diefe zahlreichen Vollögefänge; eine beſondre Lyrik hat
ſich noch nicht ausgeichieben.
Wir gehen nun dieſen poetiichen Gejammtbefi ber norbifchen
Völker in der mittlern und neuern Zeit in der Folge durch, daß Mir
mit benjenigen Liedern beginnen, welche ſich zunächſt ber Altern Götter
und Heldenſage anreiben, jobann die aus dem Geiſt und den Sitten
des Mittelalters hervorgegangenen betrachten und mit denen, melche
den Übergang zur geſchichtlichen Darftellung bilden, den Befchluß machen.
Bon den altnorbiihen Mythenliedern, wie fie in ber Edda noch vor: -
handen find, ift nur eines vollftändig in die neuere Form übergegangen,
das Lied von Thrym (Thrymsqpida, auch Hamars:Heimt, Edd. Sem.
70 ff.), welches bei der Götterfage vorgetragen und erläutert murbe.
Es erzählt, wie Thor feinen verlornen Hammer von dem Riefen zuxück⸗
erlangt, indem er, verfleivet als Freya, melde ber Rieſe Thrym für
die Zurückgabe des Hammers zur Braut verlangt, in Gefellichaft des
ala Dienerin verfleiveten Loli zum Riefenlande ziebt und, als ber
Hammer zur Heiligung des Verlöbniffes berbeigebracht wird, mit bem:
felben den Riejen Thrym und al fein Gefchlecht zerſchmettert. Wir
haben darin einen Naturmythus erkannt, den Sieg des feiner Waffe
wieder mächtigen Donnergottes über die Winterriefen, welche fletö bar:
nach trachten, die fhöne Sommergdttin Freya den Wien zu entreißen.
Als ſchwediſche, norwegiſche und dänische Ballade hat fich dieſes uralte
Lied erhalten. Gebrudt ift in neuerer Zeit nur die ſchwediſche und
dänische Behandlung. Erſtere ift bie alterthümlich einfachere. Sie fteht
im 8ten Heft der ftodholmifchen Zeitfchrift Iduna (2te Auflage 1824)
und verdeuticht in Mohnikes Volksliedern der Schweden (I, 172 ff.).
Thor heißt hier Thorkar (Thorkarl; karl, Mann; nortvegijch Torekal),
Loli Lole Lewe (Edd. Sem. 73. Ham. H. Str. 22: Loki, Lau-
366
foyjar sonr), Freya Frogenborg, der Niefe Trolltram (der Troll
Thrym; troll n., i8l, tröll, Rieſe, Zauberer, Dämon). Das Lieb lautet
nach Mohnikes Überfehung fo:
Thorkar fit auf feinem Site u. |. w. ***
Im bäntichen Liebe (Nyerup, Ubv. II, 188 fi. 1) wirb Thor
Tord af Hafsgaard (Asgard) genannt, Loki, Tords Bruder, Lolke
Lejemand, Freyja Fridlefsborg und der Rieſe Tosſe⸗Greve (toese,
Dummkopf; eigentlich purs, puss isl. Rieſe, Rieſengraf, Rieſenhäupr⸗
ling). Hier möchte Jungfrau Fridlefsborg lieber einen Chriſtenmann
heirathen, als den widrigen Trold, und fie richten, nicht den Vruder
Thord, fondern ihren alten Bater als Braut zu. Die Jungfrau
fügt:
Da wollen wir nehmen ben alten Bater,
So wollen wir bürften jein Haar;
Führen wir ihn zum Nordgebirg,
Stellen als Braut ihn dar!
Die Braut ißt fünfzehn Ochfenleiber, dreißig Schweinfeiten und
fiebenbundert Brote; zwölf Laften Bier trinkt fie aus, fo daß ber
Bräutigam die Hände ringt und gerne den Hammer bergeben will,
wenn er nur ihrer los wird. Nicht bloß gegen das Eddalied, fonbern
auch gegen die ſchwediſche Darftellung ift hier Vieles entftellt und über
trieben. Ob und wie weit nun in biefen Ummanblungen noch ein
Berftändnis der urfprünglichen Bebeutung geblieben fei, erfcheint zwei⸗
felbaft; doch zeigt fich im jchwebifchen Liebe die Spur des rechten Ber
ftändnifjes, wenn Jungfrau Frogenborg „die Schöne Sonne” genannt
wird. Aber jedenfalls betwährt fich die poetifche Kraft der alten My
tbenbildung darin, daß, fogar bei verlornem Sinne des alten Mythus,
bie Geftalten und Situationen felbftändig noch Jahrhunderte hindurch
als beluftigendes Mährchen fortleben konnten.
Völlig mythiſcher Natur, wenn gleich feinem der noch vorhandenen
altnordiſchen Geſänge entiprechend, find ferner einige der färdifchen
Volkslieder. Dahin gehört ohne Zweifel ein hanvfchriftlices, von dem
nur der Titel befannt ift: Odin vor Asgaard u. f. w. (Für. Qu. Indl.
16: „Ouin ür Aasgörum [Odin fra Asgaard], ogſaa kaldet Frigvin ?
1 Ebendaſ. II, 226 der Anfang der normwegifchen Berfion.
2 BgL Für. Qv. 284, 165.
367
Maaleja‘). Dagegen ftehen in der gedruckten Sammlung bie zwei
folgenden, die ich in Überfegung gebe:
Strymners Reim (Skrujmali- Rujma 1).
Es war an einem Morgen friih 2,
Des ich mich wohl entfinne,
Der Bauer gieng zum Walde fort,
Sucht’ Apfel und Eicheln drinne.
Da zog der Regen finfter auf,
Die Sonne ſank hinunter,
Da wandte ſich der Bauersmann
Zur Heimath raſch und munter.
Da zog ber Regen finfter auf,
Es ſank der Tag zum Abend,
Der Bauer lief fo froh und friſch,
Nach feiner Heimat trabenh.
Da ward es in der Wolfe licht ,
Und lit ward's auf den Wegen,
Der Bauer fah, wie Skrymner ihm
Gar mächtig ſchritt entgegen.
Wohl aus der Erde Strymmer flieg,
Durch Odins I Gabe kräftig,
“ Trug in der Hand das. Hiegelbrett 4
Und ſchritt heran gefchäftig.
Trug in der Hand das Biegelbrett
Bon weißem Eifenbeine,
Die Würfel aber waren da
Aus Bold von Harem Scheine,
Der Riefe war von ftarler Art,
Bon der die Argen flammen.
Er ſprach: „Sig nieder, lieber Freund,
Und fpielen wir zuſammen!“
1 [&,. 480 bei Lyngbye. 8.)
2 Al. Zeiertag, halgjin Deä,
3 Ouvans.
4 Tijil Talv, eigentlich Spielbrett von Ziegelftein, wahrſcheinlich aus Plätt-
hen verfchiedener Farbe, bier aber allgemeiner, da das Brett von Elfenbein if.
368
Der Bauer ſprach: „O nein, o nein! _
Dir kann das nicht gebühren.
Ich Hab’ das Breitſpiel nie gelernt,
Ich weiß fein Spiel zu führen.“
„Du muft mit mir zum Brettſpiel bier,
Und fpielft du fonft auch feines,
Nicht ſoll's dich Toften Haus noch Hof,
Dein Haupt nur oder meines.”
Der Baner ftand auf grünem Grund,
Begann, auf Rath zu finnen;
Da zog er an die Sieghandfchuh 1,
So dacht' er zu gewinnen.
Der Bauer ſetzte fih zum Spiel,
Wie jehr davor ihm banzgte;
Doch gieng das Brettipiel jo zum Schluß,
Daß er den Sieg erlangte.
Wohl fpielten dieſe Männer nicht
Um Haus noch Hof im Brette;
Des Rieſen Leib und Leben fland,
Sein Haupt und Hals zur Wette.
„Im Brett haft du gewonnen mid,
Du magft dem Glück wohl preifen,
Doch laß mid) löfen jet mein Haupt,
Somie du felhft magft weiſen!“
„Willſt du dir löſen Haupt und Hals,
Sollſt du zuerft mir rüften
Gut Bier und Wein und Eichelſchwein,
All was mid mag geläften.
1 Sijurshanskar, vermuthlih Handſchuhe, die durch Runen gefeit waren;
folde Siegrunen wurden aud) auf das Heft des Schwertes eingefchnitten (Grimm,
Ebd. 214. Edd. Havn. 195), wie Brynhild den Sigurd lehrt. Es gab and
Sieghelme, Siegkleider (sejerskleeder, Udv. d. Vis. IV, 243) d. 5. gefeflete
Baffenrüfung. Berzaubernder Schlag mit Wolfhandſchuhen (med Ulfhandske)
fonmt in Hrolfs 8. €. 25 (Fornald. S. I, 50) vor. Handski, m. chi-
rotheca.
Du ſollſt mir ſetzen in den Hof
Eine Burg, eine breit’ und lange,
Und Bier und Wein und Reben brin,
Eine Burg vom erften Range,
Am Grunde fol ein Eftrich fein
Und Ziegel auf den Binnen, -
Das Dad fei von dem blauften Blei,
Das irgend zu gewinnen.
Der Efirih auf dem Grunde fei
Bon weißem Marmelfteine,
Der Dachſtuhl von Cypreſſenholz,
Die Band von Elfenbeine.
Da fol man Herrenbetten fehn,
Das Bettgeftell von Cedern,
Die Laken und die Deden all
Gefüllt mit Fönirfedern.
Da foll man Herrenbetten fehn,
Gefüllt mit Schwanendaunen,
Bededt mit Purpurtüchern all
Und Goldftoff, zum Erftaumen,
Ein koſtbar Beden fei auch dort,
Gefüllt mit edlem Tranle,
Daß, wer davon getrunfen hat,
Sein Lebtag nie erfrante.
Ka, Niemand foll da werben frant,
Bevor er ſelbſt will fterben.
Und fchaffft du das nicht Alles ber,
Hau’ ich dein Haupt zu Scherben.
Da fol au Trank und Speife ſelbſt N
Sich auf die Tifche tragen.”
Dem Rieſen ift fein Leben lieb,
Muß „ja“ zu Allen jagen.
Der Bauer halft fein liches Weib
Am Abend beim Empfange:
„Run wird man feben, wie ich bald
In Wird’ und Reichthum prange.“
Uhland, Sqhriften. VII. 24
370
—ſ een
Da hob das Weib zu weinen an
Und ſprach mit Angſt und Beben:
„Wohl ſchied der Rieſe ſo von dir,
Es koſtet dich dein Leben.“
Der Bauer ſchlief da ruhig ein
In ſeines Weibes Arme.
Der Rieſe ſucht und ſammelt Gold,
So mid’ und ſchwer von Harme.
Auf See und Sand fuhr Skrymner um,
Auf Bergen und in Klingen,
Setzt in des Bauern Hof die Burg
Mit all den koſtbarn Dingen.
Er bracht' ihm in die Halle dann,
Gar ſtattlich zugerüſtet,
Gut Bier und Wein und Eichelſchwein
Und was ihn ſonſt gelüftet u. ſ. w.
Es wiederholt ſich nun, faſt mit denſelben Worten, die Aufzäh—⸗
lung alles deſſen, was der Bauer verlangt hatte.
Frühmorgens, als der Bauersmann
Zum Walde wollte gehen,
Da ſah er eine große Burg
Bor ſeiner Thüre ſtehen.
Der Bauer ſah die ſchöne Burg,
Er war ſo friſch und munter,
Der Rieſe ſtand und klemmte ſich
Die Schenkel ſchier herunter.
Der Bauer ſtand auf grünem Grund,
So fett und wohl gediehen.
Man führt’ ihn in die fhöne Burg,
Da muft’ ihn Sorge fliehen.
“ Der Bauer halſt fein liebes Weib
Am Abend zum Empfange:
„Zehn Könge gibt es oder zwölf,
Die überrag' ich lange.”
371
— —
Der Bauer war ſo friſch und froh,
Mild gegen Seinesgleichen;
Zehn Könge gibt es oder zwölf,
Die ihm an Wohlſtand weichen.
Die Hausfran war an Kindern reich
Und rothem Scharlachtuche
Doch war ihr bang, daß Skrymner nicht
Den Tod des Bauern fuche.
Der Bauer hatte draus und drin,
Was ihm fein Herz erfrente.
Doch mild’ ift meine Zunge jet,
Kurzweil genug für heute!
Das Seitenftüd zu diefem Liebe heißt:
Lotis Sage (Loka Thaattur) 1,
Der Rief' und der Bauer fpielten, wie vor,
Der Riefe gewann und der Bauer verlor. 2
„Ich hab’ getragen den Sieg davon,
Nun will ich haben deinen Sohn.
Den Sohn will ich haben von dir,
Wenn du ihn nicht kannſt bergen nor mir.“
Da ruft der Bauer Knechte zmei: .
„Ladet ihr Odin 3 mir herbei!
Wär Odin, Wialönig, Bier,
Und hälfe, dich zu verbergen, mir!"
„Ih wollte, mein Odin käme heran
Und wilſte, wo man verbergen Tann.“
Bevor fie halb geiprochen das Wort,
Stand Odin vor dem Tifche bort.
„Hör du, Odin! ich rede zu bir;
Du follft verbergen den Knaben mir.“
1 [&. 500 bei Lyngbye. K.]
.? Risin vann o Bondin vajg. Bgl. Udv. d. Bil. IV, 122 ff.:
Den Ungersvend han tabte
Og Jomfruen hun vandt.
9 Ouvin,
1 Höner.
372 -
Odin fuhr mit den Knaben aus,
Bauer und Bäurin traurten zu Hans.
Odin hieß einen Ader mit Macht
Wachſen und reifen in einer Nacht.
Odin hieß den Knaben nun
Mitten im Ader fih unterthun,
Mitten in eine Ühre hinein,
Mitten in's Gerſtenkorn fo Hein.
„Bleib da drinn und forg nicht mehr!
Wenn ich rufe, komm zu mir ber!
Bleib da drinn und hab nicht Graus!
Wenn ich rufe, fo komm heraus!“
Skrynmers Herz if hart, wie Horn;
Er nimmt den ganzen Arm voll Korn.
Er vafft den Arm voll Korns an fi
Und hält ein Schwert fo fürdhterlid.
Er hält iu der Haub ein fchneibend Schwert,
Damit er ben Knaben zu baum begehrt.
Da ift der Knab' in Angft und Graus,
Doch das Körnlein fpringt von der Fanſt heraus,
Da ift der Knab' in Sorgen fehr,
Doch Odin ruft ihn zu ſich Ber.
Odin fährt mit dem Knaben davon
Und bringt ven Bauersienten den Sohn.
„Hier ift dein Erbe wieder zu Haus;
Mit meinem Berfted ift es nun aus.“
Da heißt der Bauer Knechte zwei:
„Rufet ihr Hänern ! mir berbei!“
„Ich wollte, mein Häner käme heran
Und wüſte, wo man verbergen kann.”
Bevor fie halb geiprodhen das Wort,
Stand Häner vor dem Tiſche dort.
1 Lokkji.
373
„Hör du, Häner! ich rede zu bir;
Du ſollſt verbergen den Knaben mir.”
Häner fuhr mit dem Knaben hinaus,
Bauer uud Bäurin trauxten zu Hans.
Häner gieng auf dem grünen Grund,
Drei Schwäne flogen da über den Sund.
Bon DOften flogen da Echwäne brei
Und feßten ſich Hänern nahebei.
Häner heißt den Knaben nım
In die Macdenfeder ſich unterthun.
„Bleib da drinn und forg nicht mehr!
Wenn ich rufe, fomm zu mir ber.
_ Bleib da drinn und hab nit Graus!
Wenn ich rufe, fo fomm heraus!“
Skrymmer lief auf dem griünen Grund,
Drei Schwäne flogen da über den Sum. -
Er ftrauchelt und fällt auf feine Knie,
Den vorderfien Schwan boc fängt er hie
Den vorderftien Schwan doch fieng er ein
Und ſchlug ihm den Hals von dem Schulterhein.
Da war der Knab in Angſt und Graus,
Doch die Feder flog vom Naden heraus,
Da mar der Knab’ in Sorgen fehr,
Doch Häner ruft ihn zu fich ber.
Höner fuhr mit dem Knaben davon
Und brachte den Banersleuten den Sohn:
„Bier iR bein Erbe wieder zu Haus;
Mit meinen Berfied iR es nun aus.“
Da ruft der Bauer Knechte zwei:
„Ladet ihr Lofin 1 mir herbei!“
„Ih wollte, mein Loli käme heran >
Unb wüfte, wo man verbergen kann.“
274
—
Bevor fie Halb geiprodhen das Wort, |
Stand Loki vor dem Tiſche dort.
„Du weilt gar nichts von meiner Roth;
Sirynmer will meines Sohnes Tod.
Hör du, Lolil ih rede zu bir;
Du ſollſt verbergen den Knaben mir!
Berbirg ihn wohl uud behult' ihn dann,
Daß ihn der Niefe nicht fangen kann!“
„Soll ic; den Sohn verbergen bir,
So ſchaff du, was von nöthen mir!
Ein Bootbaus 1 ſollſt du Laffen haun,
Bevor du mich magft wieder ſchaun.
Ein weites Genfer mad barein!
u Die Stäbe follen von Eifen fein.”
Loli fuhr mit dem Knaben aus,
. Bauer und Bäurin traurten zu Haus.
Loft gieng hernieber zum Strand,
Wo die Schüte ſchwamm vor dem Land.
Loli rudert zum änßerften Yang;
So if gefagt im alten Geſang.
Loli fpricht nicht viele Wort,
Angel und Stein wirft er über Bord.
Angel und Stein zu Grunde fuhr,
Bald zog er Butten auf an der Schnur.
Einen zog er und 309 wohl zwei,
Dem dritten bracht’ er mit Roth herbei.
1 Nest. Solche Schuppen, wo bie Boote verwahrt wurden, finb etwas
oben auf dem Lande, ober auf Klippen, wo die Wellen nicht wohl hinreichen
toten, angebracht. Sie haben gemöhnlich ein Fenſter oder eine Öffnung auf
der Landfeite, damit, wenn die Brandung ſtark wird, ein Mann bineinkriechen
und die Boote feflbinden kann, damit fie nicht weggeſchwemmt werden, was
doch zumeilen bei ſtarkem Sturme gejchehen kamm. Etwas Befonbres find nun
bier die in der Offnung fefigemadhten Eifenftangen. Weit mufte bie Öffnung
fein, wenn der Niefe, wie nachher geichieht, verjuchen follte, hindurchzukonnnen.
Für. Du. 510, Note.
375
Loli heißt den Knaben nun
Im Rogenlorne ſich unterthun.
„Bleib da drinn und ſorg nicht mehr!
Wenn ich rufe, fomm zu mir ber! -
Bleib da drinn und hab nicht Graus!
Wenn ich rufe, fo komm heraus!“
Lofi rubert wieder zum Land,
Der Rieſe flieht vor ihm auf dem Sand.
Der Niefe ſprach zu Loli fchnell:
„Wo wareft du heute Nacht, Geſell?“
„Ruh nicht Hab’ ich und nirgends Stand,
Schweifen muß ih um Meer und Land.“
Der Riefe ſtößt fein Boot hinaus,
Loft ruft: „Hei! wel ein Braus!“
Loki ruft dem Rieſen zu:
„Beſſer führen wir, ich und du.“
Der Rieſe nimmt das Steuer zur Hand,
Loki rudert hinaus vom Land.
Loft rudert fort und fort,
Das Eifenboot will nicht vom Drt.
Loki rief dem Rieſen zu:
„Beſſer ffänd’ ih am Steuer, als du.“ -
Als zu den Rudern der Riefe griff,
Fuhr in die weite See das Schiff.
Skrynmer rudert mit langem Arm,
Loft ſchafft id am Stener warın.
Skrymmer rudert zum äußerfien Yang,
So tft gefagt im alten Geſang.
Der Riefe ſpricht nicht viele Wort‘,
Angel und Stein wirft er liber Bord.
Angel und Stein zu Grunde fuhr,
Bald 308 er Butten auf an der Schnur.
Einen zog er und zog wohl ziei,
. Dear dritten bracht’ er mit Noth herbei.
376
Loki ſprach fo trügeriſch:
„Rieſe, gib du mir dieſen Fiſchl“
Der Rieſe gab zur Antwort: „Nein!
Kein, mein Loki! der wird nicht bein.”
Hielt den Fiſch mit den Knieen vorn,
Zählt' im Rogen jegliches Korn.
Jegliches Korn, das im Rogen hängt,
Zählt er, damit er den Knaben fängt.
Da war der Knab’ in Angſt und Graus;
Doch das Korn glitt zwifchen ber Yauft heraus.
Da war der Knab' in Sorgen ſehr,
Doch Loki ruft ihn zu ſich her.
„Sit hier nieder, hinter mich!
Laß nicht den Rieſen erbliden dich!
Du muft laufen fo leicht auf dem Land, |
Daß du die Spur nicht drückſt in den Sand.”
Der Rieſe rudert zuriid zum Land,
Grabe gegen den weißen Sant.
. Der Wiefe rubert bem Lande zu,
Loki drehet das Boot im Nu.
Der Riefe Hößt das Boot an den Strand,
Der Knabe fpringt jo leicht auf das Land.
Der Rieſe fieht ih um auf dem Land,
Der Knabe ſteht vor ihm auf dem Sand.
Der Knabe lief jo leicht über's Land,
Er drüdte die Spur nicht ein in ben Sand.
Der Rieſe lief jo ſchwer auf dem Land,
Er ſank bis zu den Knien iu den Sand,
Der Knabe lief mit aller Macht
Durch's Boothaus, das fein Vater gemacht.
Durch's Boothaus, das fein Vater ließ baum,
Folgt ihm der Miefe mit gutem Vertraun.
Der Niefe blieb im Fenſter bangen
Und zerbrad die Stirn an den Eifenftangen.
377
gef, ruſtig binterbrein,
Hieb ab dem Niefen das eine Bein.
Dem Wiefen war das nur Aurzweil,
Die Wunde war gleich wieber heil.
Lofi, ruſtig Hinterbrem,
Hieb ab dem Rieſen das andre Bein.
Er hieb ihm ab das andre Bein
Und warf e8 zwiſchen Stod und Stein.
Dem Knaben war es ein luſtig Spiel,
Wie da der Rieſe zuſammenfiel.
Loki fuhr mit dem Knaben davon
Und brachte den Banersleuten den Sohn:
„Hier ift dein Erbe wieder zu Haus,
Mit meinem Berfted ift es nun aus.
Mit meinem Berfted iſt's abgemacht,
Ich hab deine Sad zum Ende gebradt.
Ich Hab gehalten, was ich geſchworn;
Nun hat der Niefe fein Leben berlorn.“
Gine Erllarung biefer beiden Lieder iſt in ber gebrudten Samm⸗
kung nicht gegeben. Sie kann jedoch, den Hauptzügen nad, wenig
Schwierigkeit haben, nachdem wir einmal wit ber Bilberkhrift der
nordiſchen Naturmythen belannt geworden find. Im Liebe ppm wieder⸗
erlangten Hammer beſiegt der Aſe Thor den Winterrieſen Thrymr.
Sn einem früher vorgetragenen Mythus ber jüngern Edda haben wir
Thorn in feinen Wettlämpfen bei Utgardsloki im Nachtheil gefunden
und ſchon auf dem Wege dahin bat ex allerlei Abenteuer mit dem
Riefen Strymmir gehabt, in defien Handſchuh er eine Nacht über Her
berge genommen, der ihm ben Speifefad zugeſchnürt und an befien
Haupt er jeine Hammerfchläge erfolglos verſucht. In beiden Mythen
bat fih uns ein Kampf ber Sommer: und Winterfräfte bargeftellt,
dort, im Liebe vom Hammer, zum Bortheil, bier, auf der Fahrt zu
Nigarblofi, zum Nachtheil des Donnergottes. Bon ähnlicher Bebeu«
tung find nun die beiden färdifchen Lieber; nur daß bier nicht ber
gewaltige Aje mit dem Winterriefen kämpft, fondern der unmächtige
Bauer mit ihm fpielt, aljo die Entſcheidung den Schickſalsmächten
378
anbeimgibt. Im erften Liebe geivinnt ber Bauer, er fpielt mit Sieg
handſchuhen, es ift ein Sommerlied; im zweiten verliert er, der Winter
briht an. Wenn die Eddamythen in der Götterwelt im allgemeineren
MWeltleben ſich beivegen, jo jehen wir bier, in ben Bollölievern, ben
Wechſel der Jahreszeiten, mehr idylliſch, in feinem Einfluß auf das
ländliche, bäuerliche Leben vorgebilbet.
Betrachten wir von biefem Geſichtspunkt aus die beiden Lieber
einzeln! Im erften beißt ber Riefe Skirujmsli. Nach einer Anmerkung
des Herausgebers bebeutet dieß im Färdiſchen ein Geipenft; isländiſch
skrimel, m. (Lex. isl. U, 281a monstrum), ein Ungeheuer, Mis⸗
geichöpf; mweiter aber wirb beigefügt, ein geborner Yärder, der Pfarrer
Schröter auf Suberde, bemerfe nad Tradition, daß dieſes Lied ten
Gefpenfternamen (Skrujmsli Rujma), ftatt des Altern Skrymners !
Riim, zur Zeit ber Mönche erhalten habe, wo es bei Strafe zu fingen
verboten geweſen; eö werde auf Färde als ein Überreft bes Heiden
thums angefehen 2. Diefem gemäß habe ich auch in der Überfegung
den Namen Skrymner gebraudht, woburd uns ter Rieſe des Liebes
mit Strymnir? des Eddamythus identiſch wirt. Dieß ift er aber auf
abgejehen vom Namen. Sein Auffteigen auf der Erbe beim Heran
ziehen der dunkeln Regenwolke und beim Anbruch bes Abends verkündet
ihn deutlich genug als eine ber twinterlidden und: finftern Erdmächte
Das: Brettfpiel, wozu er den Bauern auffordert, Tommt auch ſonſt
in ben ‚Sagen und Liebern bes Nordens vor. Nach der Bölufpe
fpielten die Aſen in ihrem Goldalter dieſes Spiel (tefldo, Bölufpa
Str. 8. Edd. Sem. ©. %; at tebla, alea vel latrunoulis ludere,
fpille Brätfpil, Lex. isl. I, 87230) und in der neuerſtandenen Belt
werben fie ihre wunderſamen Golbtafeln (gullnar töflur) im Grafe
wiederfinden (Völufpa Str. 61. Edd. Seem. S. 10). Sollte wirklich
dieſes Götterfpiel, mie es erflärt worben ift, die Bewegung ber
I Bl. Grimm, Altdän. Heldenl. &. 503 ob. Sagabibl. IE, 618 ff.
2 Für. Dv. 480.
9 Lex. myth. 630, Note: „Nomen Skrymir aut est vertendum a) gran-
disonus, b) fabulosus, jactabundus, c) deformis vel monstrosus aut etiam
d) deformans.“ Bol. 434. Lex. isl. II, 283b: „Skrymnir, m. gigas grandi-
sonas, en Jette; a skrum.“ Ebend. 283a: „Skrum, n. figmentum, nuge
Sfabder, Oppdigtelje, Praleri.“
n
379
Geftirne bebeuten, fo wäre das au auf unfer Lien anwendbar, denn
ber Lauf der Geftirne beftimmt den Sieg ber Jahreszeit. In ben
Balladen werben wir weiterhin Beifpiele finden, wie um Leben und
Ehre Goldtafel geipielt wird, oder ver König das Spiel enticheiden
läßt, ob er feine Tochter dem Freier geben fol. In unfrem erſten
Liede nun gewinnt ber Bauer; der Erbriefe it ihm verfallen und muß
berbeifchaffen, was Jener verlangt, vor Allem die Yülle von Trank
und Speife, Bier und Wein und Eichelichwein, dann bie ftattliche
Burg voll behaglicher und Foftbarer Dinge, die am Morgen in bes
Bauern Hofe fteht: Fett und mwohlgebiehen ſteht er felbft da. Damit
ift der Segen und Reichthum bezeichnet, den die fruchtbare Jahreszeit
dem Bauern bringt; fte fchafft ihm Leibesnahrung, baut und füllt fein
Haus. Die Bauersfrau ift gefegnet mit Kindern, denn, wie das fol
gende Lieb zeigt, find auch wieder die Erdfrüchte bes Bauern Kinder.
Die Frau bat aber immer bange, daß der Niefe body noch über ben
Bauern Meifter werde, und dadurch Intipft ſich dieſes Lied an bas
zweite. Daß aber erfteres wirklich jo, von dem Siege ter beflern
Sabreszeit verftanden worden, dafür ſpricht noch insbefondre der sa
reim, mit dem es gejungen wird:
Der Winter weicht, der Sommer fommt,
Die Erde wird fo milde,
So ſchön Gewächs ergrünet im Gefilde.
Und wenn e3, nach der einen Verſion ber erften Strophe, ein
beiliger Tag ift, an dem der Bauer ausgeht und das Spiel gewinnt,
fo mag wohl dieſes Lieb zur Feier eines beftimmten Fefttags im Yrübe
jahr gefungen und getanzt worden fein. Zwar ſcheint es auf eine
vorgerüdtere Zeit hinzuweiſen, daß der Bauer in ven Wald gebt, um
Apfel und Eicheln zu finden; allein wenn man auch nicht barauf ver⸗
zichten mäfte, in ber jeweiligen Form einer ſolchen Dichtung alle ein-
zelne Züge mit ber Bedeutung bes Ganzen in bolllommener Über:
einftimmung zu finden, jo Tönnte doch hier noch immerhin die Erklä⸗
rung ftattfinden, baß damit die Begierbe des Bauer nach den Früchten
des Jahres bezeichnet fei.
Im zweiten Liebe geivinnt ber Niefe, und ber Bauer fol ihm
einen Sohn ausantiworten, entweder zur Löfung feines Hauptes, mie
im erften Liebe der Riefe das feinige löſen muß, ober weil er benfelben
380
auf das Spiel geſetzt hatte. Der Bauernfohn beveutet, wie ſchon be
rührt worden, den Segen des Jahres, dem ber Winterriefe ein Biel
jet. Aber wenn glei der Rieſe vorerft das Epiel geivonnen, fo iR
ex doch feines Pfandes noch nicht ſicher; jener Jahresſegen trägt in
fich den Keim neuer Tünftiger Früchte. Dieſer Keim fteht unter ver
Dbhut ver Götter, die der Bauer zu Hülfe ruft. Es iſt nicht ber
kämpfende Donnergott Thor, an den er fi) wendet, denn jebt iſt
Thors Hammer jelbit von den Riefen hinweg genommen. Auch der
milde Freyr, wenn gleich Geber der Fruchtbarkeit, ift jet, in ben
Wintermonaten, machtlos. Die fchaffenden Götter müſſen Hier in's
Mittel treten. Wie nach der Voluſpa (Str. 18. Edd. Sem. 3) bei
ber Weltihöpfung Odin, Hänir und Lodur die Baumflämme zu Men
ſchen beleben, wie dann an der Spitze der Sigurböfage Odin, Hänir
und Aſaloli auf ihrer Wanderung durch die Welt den Keim Hünf:
tiger Geſchicke pflanzen, fo fchreiten bier, auch in der Dreyabl, Din,
Hanir und Loki nach einander hülfreih ein, denn es gilt bier, die Un-
vertilgbarkeit des in die Natur gelegten fchöpferiichen Triebes zu be
währen, das dürre Saatlom für neue Ernten lebendig zu erhalten,
pen gefährbeten Keim aus ber flarren Hand des Winterriefen zu retten.
Am meiften fällt das Bild mit der Sache felbft zufammen in ber erften
Hettung durd Odin, mo der Bauernfohn mitten im Kornfeld, mitten
in der Ähre, mitten im Gerſtenkorne felbft verborgen ift und, als ber
Rieſe den Arm voll Getreides zufammenrafft, eben biefes Heine Korn
ihm aus der Fauſt fpringt. Aber auch die entfliegende Feder des ge:
tößteten Schwan ! und das entgleitende Rogenkorn bes gefangenen
Fiſches find unverkennbare Sinnbilder des unerlöfchlichen Lebenskeimes
und vielleicht noch beſondrer Begiehungen fähig; ja fie ſcheinen ben
Mytbus auf einen größern Kreis des Naturlebens zu erweitern. Der
Rieſe ſelbſt muß zuletzt in ber Verfolgung bes Bauernjohnes untergehn,
denn fowie der Keim gerettet ift, bat bie Wirkfamleit ver Winter:
mächte aufgehört. Die Art aber, tie ber Riefe umkommt, iſt, bier
aur im ländlichen Bilde, biefelbe, wie wir in einem früheren Mythus
einen Andern diefes Geſchlechts auf der Verfolgung abgefangen jahen;
ber Rieſe Thiaſſi verfolgt Idun, die er geraubt hatte und die ihm als
4 Über den Schwan vgl. Troil 116.
381
Schwalbe von Loki wieder entführt wurbe, in @eftalt eines blers;
auf der Mauer von Asgard aber fchießt er in das Yeuer, das Die
Ken anzlinden, verfengt feine Schwingen und wird getötet.
Die zwei färdiſchen Volkslieder find nach dem biöberigen eine Er:
gänzung der altnorbifchen Mythen. Im zweiten kommt twieberbolt ber
Ausbrud vor: „So ift in altem Liebe gejagt” (Str. 60. 67: So eer uj
ſodnun Fröji sagt); will man aber diefes bloß für eine berfömmliche
Formel betrachten, fo ift gleichwohl nicht zu zweifeln, baß ber alter
tbümliche Inhalt einft auch in der alten Liebesform vorhanden geiwejen
ſei. Zudem Zönnen dieſelben nicht wohl auf ben Färben ſelbſt ent
ftanben fein, da bier ber Getreivebau, auf den fie ſich beziehen, ſtets
unbebeutend war (Für. Div. 7); basfelbe ift der Fall mit Island
(Zroil 36), und der Inhalt biefer Lieder mag daher ſchon ein Erb:
theil aus dem norwegiſchen Heimatblande fein. Er bat fich, des hohen
Alters uneracdhtet, in dem Maaße rein erhalten, daß feine Bebeutung
noch wohl durchſchaut werben Tann, aber in der äußern Ausſtattung
zeigt ſich der Einfluß mittelalterliher Romantik. Die prächtige Burg,
die der Bauer verlangt, mit elfenbeinernen Wänden und Dachiverl
von Cyprefſenholz und von Reben umrankt, die Betten mit Burpur:
beden und Phönixfedern u. |. w. find offenbar folche Tpätere Ausmalung;
früher mochte ber Bauer mit einem neuen bölgernen Langhaus und
einer tüchtigen Bierkufe darin zufrieden fein.
In den biöher erösterten Lieben traten noch bie großen Götter
Thor, Din, Hänir, Loli, wenn auch zum Theil mit entfiellten Aus
men, auf. Bon ihnen findet ſich auch in ben ber Heldenfage entnom⸗
menen Balladen noch einige Spur. Aber fonft waren es gerabe biefe
höhern Mächte, welche bie neue Lehre am menigften bulden mochte,
und auf das Abfingen jener färdifchen Lieder mytbiichen Inhalts joll
in früheren Beiten eine Gelbbuße gelegt geweſen jein (Kür. Qu. 20 f.).
Dagegen bat fi ver Bollsglaube eine andre mythiſche Weſenklaſſe
nicht entfremben laflen, die fortwährend unmittelbar aus ber umgeben,
den Ratur zu ihm ſprach. Es find dieß die untergeorbneten Elementar⸗
geifter, die Mfe der altnordiſchen Mythologie, die.nun in ben Bal⸗
laden als Elfen fortleben und gerade in diefer |pätern Dichtung mit
befondrer Liebe eigenthümlich ausgebildet worden find. (Altnord. Alfr,
PL. Alfar; ſchwed. elf, Pl. elfar, woneben häufig der weibliche Blur.
elfvor; bän, elv, BI. elve, in Zufammenfegungen heutzutag ellefolk,
ellekone, ellekonge, ftatt elvefolk u. ſ. w.; aus welchem ellekonge
durch Misverſtändnis die unrichtige deutiche Überſetzung Erllönig ext
ſprungen ift, ba der Name des Geiftes mit dem des Baumes Erle,
bän. elle, altnord. elni, alnus, nichts zu fchaffen bat. Grimm, ir.
Eifenm. LXI).
Es ift allen befanntern Raturzeligionen gemein, daß in ihnen
. eine Menge folder untergeorbneter Geiſter lebt und webt, welche bald
unfihtbar und leife geahnt die Natur erfüllen (ebend. LIII), bald in
Iuftigen Erſcheinungen berbortreten, dem Menfchen in freundlicher oder
feindlicher Gefinnung ſich nahend. Man faßt biefes Geiſterweſen bei
den neuern Volkern am beiten unter dem, ihrer vielen gemeinfamen
Namen der Elfen zujammen. Es ift neuerlich eine bejonbre Mytho⸗
logie der Feen und Elfen von einem Engländer (Keightley) erjchienen,
in’3 Deutfche überfegt von D. L. B. Wolff, 2 Theile, Weimar 1828.
Das Grünblichfte aber ift eine Abhandlung der Brüder Grimm über
die Elfen, welche fie der bon ihnen herausgegebenen Überjegung iris
ſcher Elfenmährchen, Leipzig 1826, als Einleitung vorangeftellt haben.
Wenn man erwägt, wie dieſes Geifterreich in übereinftimmenden
Hauptzägen bei Völkern verfchiedenen Stammes und fonft auch bebeus
tend verjchienener Glaubenslehre ſich ausgebreitet hat, fo erlennt man ın
ihm das urjprünglichfte und allgemeinfte Element ver mythilchen Natur:
anſchauung, aus dem dann erft die eigenthümlichen Göttergeftalten jever
. befondern Mythologie aufgetaucht find. Wurden diefe durch die Herr⸗
ſchaft einer neuen Lehre zerftört, fo trat die Auflöſung in jenes freiere
Element wieder ein. Die luftigen Elementargeifter jchlüpften den exor:
cifierenden Bekehrern zwiſchen ven Fingern durch und fie werben aud
nicht weichen, fo lange die Völker. noch mit einiger Einbildungskraft
die Ratur anfchauen, beren wunderbares Leben fie umgibt.
Was nun den Rorben betrifft, jo unterjcheibet Die Eddalehre Licht:
alfe und Schwarzalfe oder Zwerge, Naturgeifter bes Lichts und ber
Finſternis, Bewohner der leuchtenden Himmelsgegenden und ber bun-
feln Erde (ebend. LXI f.). Mit voller Strenge war diefe Unterſchei⸗
dung vielleicht niemals durch alle Mythen und Sagen burchgeführt,
aber in den Volksliedern, bei denen wir jetzt ftehen, ift fie gänzlich
aufgelöſt, die heiderlei Arten find überall verwechſelt, ihre äußern
Kennzeichen, ihre guten und böjen Eigenschaften manigfach vermifcht,
und eben biefe zweideutige Natur ift bier, wie in ben entiprechenven
Liedern und Sagen andrer Völker, ein berborftehender Zug bes Elfen:
weſens geworben (ebend. LXII f. LXXXIX).
Der Elfenname, den wir als allgemeinfte Bezeichnung gebrau-
chen, weicht übrigens für die bejondern Arten elfiicher Weſen zahl:
reichen andern Benennungen. Wir veranfchaulicden uns nun biefes
Elfenreih in feinen bemerkenswertheſten Erfcheinungen durch die Lie
der ſelbſt. |
Erft nur abnungsvoll, halb im Traume ſieht man die Elfen in
einem Liede, das befonders durch Herders Überfegung aus dem Dä:
nifchen, in den Stimmen ber Böller ©. 446, befannter geworben iſt
(Udv. d. Bil. I, 234. 385. Grimm 156. 521. Zuf. 55 u.) Auch
ſchwediſch ift es vorhanden (Sv. III, 170 bis 174). Hier nach Herber:
Elfenhöh.
Ich legte mein Haupt anf die Elfenhöh' u. ſ. w.***
Die Elfen, wie ſie hier erſcheinen, ſind, was man in Schweden
Högfolk, Hũugelvolk nennt, d. h. ſolche, die in Anhöhen ober in ben
großen nordiſchen Grabhügeln wohnen (Sv. III, 158). Auf einen ſol⸗
chen hat fich der junge Gefell im Liede niedergelegt und befindet ſich
darum ganz im Luftkreiſe des Elfenzaubers. Nicht ſo glücklich, als er,
den der Hahnenſchrei eben zur rechten Zeit rettet, iſt ein Andrer, von
dem eine gleichfalls durch Herder übertragene däniſche Ballade meldet.
Auch ſchwediſch und isländiſch findet fie ſich vor, wie immer in ſolchen
Fällen, mit mancherlei Veränderungen. (Udv. d. Viſ. I, 236. 386 f.
Isländ. Grimm 91. 508. Sv. III, 158. 162. Mohnike 49. 208.)
Nach Herder (ebend. 452): |
. Herr Dlof.
Serr Dlof reitet ſpät und weit u. ſ. w. 7%
Der Elfenfchlag, der dem Ritter DIof zum Verberben wird, kommt
auch fonft in den Sagen vor (Grimm, ir. Elfm. CI f., 2). Aber
auch freundlicher, wenn gleich immer gefährlich, erfcheint das Höhenvolk
im Liede vom Nitter Tynne. "
384
Ritter Tynne (däniih Tönne).
Schwediſch Sv. I, 32. 127. Dänifh Udv. d. Bil. I, 281. 390. Hier,
foweit es für das Elfenweien von Intereſſe, nad dem Schwediſchen, wo das
Lied alterthümlicher lautet. Es ift and von Mohnike I, 98 fiberfett.
Das war der Nitter Tonne,
Wollt ſchießen den Hirſch und die Hinde,
Da ſah er Ulfa, des Zwerges Tochter,
Unter grimender Linde.
Und das war Ulfa, des Zwerges Tochter,
Zur Dienerin ſprach ſie behende:
„Du ſollſt nach meiner Goldharfe gehn,
Daß ich den Ritter zu mir wende!“
Sie ſchlug die Goldharfe den erſten Schlag,
Der mochte ſo lieblich klingen,
Die wilden Thier' in Feld und Wald
Vergeſſen, wohin fie wolln ſpringen.
Sie ſchlug die Goldharfe den zweiten Schlag,
Der mochte ſo lieblich klingen,
Der Graufalk, der auf dem Zweige ſaß,
Er breitet aus ſeine Schwingen.
Sie ſchlug die Goldharfe den dritten Schlag,
Der mochte ſo lieblich klingen,
Der kleine Fiſch, der ſchwamm in der Flut,
Bergißt, wohin er will ſchwimmen.
Hier blühte die Au, hier belaubte ſich's all,
Das mochte der Runenſchlag walten;
Ritter Tynne ſein Roſs mit dem Sporne ſtach,
Er konnte ſich nicht mehr halten.
Und das war Ritter Tynne,
Bon feinem Roſs er ſich ſchwinget,
So geht er zu Ulfa, des Zwerges Tochter,
All unter grünender Linde.
„Ihr fitzet Hier, meine Jungfrau ſchön,
Über alle Lilien eine Roſe;
Euch fieht niemals ein irdiſcher Mann,
Den nicht füftet, um euch zu koſen.“
385
„Schweigt fill, ſchweigt fill, Ritter Tynne,
Mit eurem Liebeswerben!
Ich Hab’ mich einem VBerglönig verlobt,
Einem König über alle Zwerge.
Mein Bräutigam fittt im Berge drinn,
Goldtafel fpielt er im Berge,
Mein Bater ftellt feine Kämpen im Kreis
Und Heidet in Eifen die Zwerge.
Meine Mutter fit im Berge drinn,
Und Eegt das Gold in den Schrein,
Ich ſchlich mich heraus eine Heine Weil‘,
Zu [lagen die Goldharfe mein.”
Und das war Ritter Tonne,
Klopft fie auf die rofige Wange:
„Warum nicht antworteft du befler mir,
Herzfiebfte, nad) der ich verlange?“
„Nicht beffer kann ich antworten euch,
Kann ſelbſt darüber nicht walten.
Ich hab’ mich einem Berglönig verlobt,
Das Gelübde muß ich ihm Halten.”
Und das war Thora, bes Zwerges Frau,
Sch zur Bergthüre hinaus,
Da ward ihr zu ſehn, mie Ritter Tynne
Saß unter ber Finde draus.
Und das war Thora, des Ywerges Frau,
Sie war fo emft und firenge.
„Was Haft du draußen im Walde zu thun?
Hieher find nicht beine Bänge.
Biel beffer wärſt bu im Berge brinn
Und legteft Gold in den Schrein,
As daß du fiel im Roſenwald
Und ſchlägſt die Golbharfe dein.
Und beffer wär du im Berge drinn
Und nähteft dein Brautkleid zu Ende,
Rs zu fchlagen unter Linde den Runeuſchlag,
Der des Chriſtenmanns Herz zu bir wende.“
Uhland, Särlften. VI. 25
386
Und das war Ulfe, des Zwerges Tochter,
Sie geht in den Berg zuband,
Ihr nach geht Ritter Tynne
In Scharlah und Pelzgewand.
Und das war Thora, des Zwerges Fran,
Den Golpftuhl rüdt fie heran,
So ſenkt fie Ritter Tonne in Schlummer,
Bis daß da krähte der Hahn.
‚ Und das war Thora, des Zwerges Frau,
Fünf Aımebäcder nimmt fie zur Hand,
So Töft fie ihn aus den Runen,
Worein ihre Tochter ihn band.
„Und hört ihr, Ritter Tynne!
Nun habt vor den Runen ihr Frieden;
Das will ich euch fagen in Wahrheit:
Meiner Tochter feid ihr nicht beſchieden“ u. |. w.
Da gab fie ihm ein nenes Seid,
Mit Gold und Perlen beftedt,
Und jede Naht im Kleide war
Mit edeln Steinen bebedi.
Da ˖ gab fie ihm ein Roſa fo gut,
Einen neuen Sattel jofort:
„Nie jolft du nad dem Wege fragen,
Dein Roſs findt immer den Ort.“
Und das war Ulfa, des Zwerges Tochter,
Roc immer war er ihr werth.
Sie gab ihm einen neuen Speer
Und dazu ein gutes Schwert,
„Nie wirft du flreiten einen Streit,
Daß du des Siegs entbehref;
Nie wirft dur jegelm auf der See,
Dog du zum Strand nicht kehreſt“ u. ſ. w.
Was hier von ber alten Ballade gegeben worden, ift nur etwa
die Hälfte des Ganzen, fo viel nemlich das Leben und ben Haushalt
des elfiſchen Bergvolkes betrifft. Drinnen im Berge ift Alles mit
Erzen beichäftigt. Die Bergkönige ſpielen Bolbtafel ober Heiden ihre
-
N
387
Mannſchaft in Eifen, die Zwergfrau legt Gold in den Schrein. Die
ſchöne Tochter aber Tchleicht fich hinaus und fchlägt den Goldklang ber
Harfe an, um den Ritter zu bezaubern. Nachdem biefer auf dem
Goldſtuhl gefchlummert, wird er von den Runen entbunden und erhält
zum Abfchied wunderbare Waffen und herrliche Kleinode. Das Lieb
erzählt aber noch außerdem, wie bie Zwergfrau dem Ritter vertraut,
daß fie von Chriften geboren und in den Berg geftohlen fei, wie fie
ihm, zum Erſatz für Ulfa, die ihm nicht werben lann, ihre Tönigliche
Schweftertochter beftimmt und mie fie ihn eben dazu jo wohl ausrüftet,
bamit er diefe, die an einem fremben Hofe feftgehalten ift, in ritter-
lihem Kampfe befreien Tönne, was er dann auch rühmlich ausführt.
Diele Geſchichten aber Tönnen, wenigſtens in der Ausführlichkeit, mit
der fie jetzt erzählt find, nicht urfprünglidh zur Fabel gehört haben und
es weichen auch gerab in dieſem Theile bes Liedes die ſchwediſche
und die dänifche Überlieferung hauptfächlich von einander ab.
Was bier nur kurz berührt ift, daß auch der Bergkönig jelbft
berauslommt, ‘um ſich unter den Töchtern der Menfchen eine Braut
zu holen, ift der Gegenftand eines andern ſchwediſchen Liedes, das in
mehrfachen Berfionen vorliegt. Die vollftändigfte ift dieſe:
Der Berglönig.
(Sv. II, 22. Sonft audy den Bergtagna, die Berggefangene, 8v. I, 1,
11, 201. Die Verbreitung diefes Bollsglaubens in Schweden zeigt ſich and
darin, daß man eigene Worte- für foldhe Entführungen in den Berg bat:
bergtagen, Adj. in den Berg genommen, von tage, nehmen; bergtagning,
Subſt., die Wegnahme in den Berg).
Stolz Margaret hatt’ einen Bater fo rei,
Der war König über fieben Königreich.
Un die Jungfrau freiten der Grafen zwei,
Sie aber wollte noch bleiben frei.
Um die Jungfrau freiten der Fürſten vier,
Doc keiner der viere gefiel noch ihr.
Um die Jungfrau freiten Könige fieben,
Doc feiner von allen wollt’ ibr belieben.
Berglönig fragt feine Mutter um Rath,
Wie er am beiten ſtolz Margaret faht.
388
„Wie viel denn willſt du geben mir,
Daß fie ſelbſt ſoll kommen zum Berge dir?“
„Dir will id) geben das rotbefte Gold
Und all deine Kiften mit Pfennigen voll.“
Eines Sommtagmorgens, da ſollt' es geſchehn,
Stolz Margaret wollte zur Kirche geht.
Und all wie fie gebt, ober ſtehen bleibt,
AU näher es fie zum Berge treibt.
Sie geht um den Berg dreimal im Kreis,
Da Öffnet fi eine Thüre leis.
Stolz Margret hinab durch die Bergthilr fteigt,
Berglönig ihr framblich die Augen neigt.
Er nahm die Jungfrau auf feine Knie
Und mit Golbringen verlobt’ er fie.
Er nahm fie in feinen Arm jo hol,
Gab Königswürd' ihr und Krone von Gold.
So war fie im Berg acht volle Jahr,
Bis fie zwei Söhn' und ein Mägblein gebar.
Und als fie acht Jahre gewefen aus,
Berlangte fie nad) ihrer Mutter Haus.
Bergkönig ſprach zu den Knechtlein zwein:
„Spannt ihr vor ben Wagen bie Grauroſſ' ein!“
Stolz Margaret trat zur Bergtbiir hinaus,
Da weinten die Heinen Kinder gubans.
Berglönig nahm in die Arme fie hold,
So hob er fie auf den Wagen von Gold.
„Und Hör’ du, Knechtlein, umd merk dir's genau!
Bum Hof ihrer Mutter führ' du die Frau!“
Stolz Margaret ab vor der Thüre ſteigt,
Und die Mutter ihr freundlich die Augen neigt.
„Und mo benn bift bu geweſen fo lang?“
„Ich macht’ auf der Blumenau einen Gang.“
„Was foll denm die Hand’ in deinem Haar?
Sp tragen fih Frauen und Mütter flirwahr.“
389
„Wohl Hab’ ich die Haube zum Schmuad mir gewählt,
Berglönig ifi mir verlobt und vermählt.
Im Berge war ich die vollen acht Jahr,
Wo ich zwei Söhn’ und ein Mägdlein gebar.
Wohl hab’ ih zwei Söhn' und ein Töchterlein,
Das wird die herrlichfte Imgfrau fein.“
„Stolz Margaret, hör' und laß mich verſtehn,
Kann ich folgen dir heim und bie Kindlein ſehn?“
Bergkönig ein durch die Thüre fchritt,
Und Margaret fiel zur Erde damit.
„Und ſtehſt du num bier und klagſt über mich
Und wendeſt nicht wieder zum Berge dich?
Und ſtehſt du nun bier und Hagft dein Geſchick
Und kommſt nit von felbft zum Berge zurück?“
Er flug fie auf Die rofige Wang:
„Wohlauf, deine Kindlein warten ſchon lang” u. ſ. w.
Berglönig fie anf die Arme bob
Und in den vergüldeten Wagen ſchob.
„Und hör du, Knechtlein, und mer! dir's genau!
Zum Berge follft du führen die Fran.”
Stolz Margaret trat zur Bergthur ein,
Da freuten fo ſehr fi die Kinder Hein.
„Es ift nicht werth, daß ihr meiner euch freut.
D wär’ ich nicht eure Mutter noch heut!“
Das eine brachte den Stubl von Gold:
„Meine traurige Mutter, bier ausruhen wollt!“
Das zweite bracht ein gefülltes Horn,
Das dritte legt’ drein ein verglildetes Korn.
Und den erfien Trunk, den fie tranl im Saat,
Vergaß fe Himmel und Erde zumal. - '
Und den zweiten Trumk, ven fie trank im Saal;
Bergaß fie Bott und fein Wort zumal.
Und den dritten Trunk, den fie trank im Saal,
Bergaß fie Schweiter und Bruber zumal.
3%
So vergaß fie beide, Schweſter uud Bruder,
Doch nimmer vergaß fie die trauernde Mutter. -
Derielbe Berlehr, wie mit ben Berggeiftern, beftebt auch zwiſchen
den Chriftenleuten und den Waflergeiftern; die Lage und Beichaffenheit
bes Landes enticheidet, welche Art biefer Naturweſen bormwalte Was
im ſchwediſchen Berglande vom Berglönig gefungen wird, bas iſt im
Dänemark auf den Meermann angewandt. Vergleichen wir die bänifche
Berfion der eben vorgetragenen fchiwebifchen Ballade!
Agnes und der Meermann.
Agnes auf ihrem Söller fund,
Strads tauchte der Meermann aus dem Grund.
„Und hör’ du, Agnes, wie ich es mein!
Willſt du meine Herzallerliebfte jein?“
„D ja! o ja! das will ich zurftund,
Wenn du mit mich nimmft auf des Meeres Grund.”
Er ſtopft' ihr wie Ohren, er ftopft’ ihr den Mund,
So führt’ er hinab fie zum Meeresgrund.
Sie waren zufammen acht volle Jahr,
Sieben Söhne fie ihn gebar.
Agnes faß an der Wien’ und fang,
Da hörte fie Englands Glockenklang.“
Agnes gieng vor den Meermann zu flehn:
„Und- dürft’ ich wohl in die Kirche gehn?“
„Zur Kirche laß ich dich gerne fein,
Wenn du wieder kommſt zu den Kindern Hein.“
Er ftopft’ ihr die Ohren, er ſtopft' ihr den Mund,
So führt’ er empor fie auf Englands Gruud. ”
Agnes trat in die Kirchthilr ein,
Ihre Mutter alsbald hinterdrein.
„Und bör du, Agnes! antworte mir wahr!
Wo bift du gewejen acht volle Jahr?“
„Ich bin im Meeresgrunde geweſen,
Mit fieben Söhnen vom Meermann genejen.”
1 Agnete og Havmanden, Udr. d. Vis. I, 313, 394.
391
—
„Und was gab er dir für die Ehre zunor,
Da er zn feiner Braut dich erfor?“
„Er bat mir gegeben ein gut Goldband,
Kein prächtigers glänzt an der Königin Hand.“
Und der Meermann trat zur Kirchthür ein,
Da drehten die Bilder ſich insgemein.
Gein Haar wer wie das lauterfie Gold,
Seine Augen waren fo forgenvoll I.
„Und hör du, Agnes! verweil nicht mehr!
Deine Kinder verlangen nad) dir fo jehr.“
„Laß fie verlangen, fo lang umd fo fehr!
Dorthin fomm* ih doch nimmermehr.“
„Und dent an die großen und denk an die kleinen
Und die Heinften, die in der Wiege weinen!“
„Nimmer denk sch der großen noch der Heinen,
Noch der Heinften, die in der Wiege weinen.”
In der ſchwediſchen Berfion muß bie Frau zum Berge zurüd,
fühlt ſich aber mitten unter ihren Kindern unglüdlid; bier kehrt fie
nicht wieder und trennt fich noch ſchneidender von den Kindern. Beide⸗
mal ift diefe Verbindung der Chriftentöchter mit den bämonifchen Weſen
unbeilbringend, und darum wird fie im ſchwediſchen Liede der ftolgen
Margaret zur Strafe, bie vorher zwei Grafen, fünf Zürften und fieben
Könige verſchmaht hatte.
Der gute Meermann ift gewöhnlid am Ende ver Betrogene, fo
in einem andern, gleichfalls in verfchievenen Überlieferungen, däniſch
und ſchwediſch, vorhandenen Liede. Hier die eine ber dänifchen Ver⸗
fionen, nah Grimm (©. 201) 2:
Es wohnt eine Frau in Dänemark u. ſ. w.***
Jamieſon, der feiner Sammlung fchottifcher Balladen eine Über:
fegung dieſes altvänifchen Liedes beigefügt bat, macht die Bemerkung,
der Meermann ſei ein ehrlicher Teufel und im Grunde der befte Chrift
von allen breien geweſen (Sv. IH, 139).
it frydefuld’?
2 U. d. Bil. I, 218 bis 233. 884.
392
Auch unter dem Namen der Ned (ſchwed. Necken, unfer Nize)
Iommt der Waſſerdämon vor. Als folder geht er wieber auf Braut:
werbung aus in folgendem fchmebifchen Liebe, das auch in däniſchen
Balladen variiert ift. Nach Mohnikes Überfehung I, 128:
Der Ned,
Der Ned er gebt anf dem ſchneeweißen Sand n. |. w.
Die Macht der Harfe, die den Ritter in den Berg verlodt, Tann
aber auch dem Ned feine Beute wieder entreißen, wie ein weiteres
ſchwediſch⸗däniſches Lieb erzählt. Mohnike I, 57:
Der Harfe Kraft.?
Der Geſell er geht und fpielet im Freien u. |. m."
Aud von der Meerfrau (Hafsfrun, ſchwed.) handeln mehrere Sieber.
Ein ſchwediſches (Sv. III, 148 ff.) erzählt, wie ber Bruber bie von
ihr geraubte Schwefter zurüderlangt. Wie der Meermann ben Jung
fraun, fo ift fie den Zünglingen gefähr. So in folgender Überlieferung
aus Uppland (Sv. I, 110 ff.):
Hear Dlof fattelt fein granes Pferd,
Nach der Meerfrau Hofe der Ritter fährt.
Herr Diof ritt, fein Golbfattel ffoß,
Herr Olof er ſinkt in der Meerfran Schooß3 m. |. wm.
„Willkommen, willlommen, jung Olof, mir!
Fünfzehn Jahr erwart’ ich dich bier.
Do wo bift du geboren, wo außgeritten?
Wo find dir deine Hofkleider gefchnitten ?“
„Bon des Kailers Hof bin ich ausgeritten;
Da find mir meine Hoffleiver gefchnitten.
Dort hab ich den Vater und dort die Mutter,
Dort hab ich Schwefter, dort hab ich Bruder.
Dort hab ich Wiefe, dort hab ich Feld, .
Dort ſteht mein Brantbett ſchon beftellt.
1 Sv. IN, 127. I, 160. Cine däuiſche Bariation bei Herber, Stimmen
der Böller ©. 450.
2 Sv. III, 140. Ubv. d. if. I, 826. 395.
3 Sköt, fonft sköte, n. Schooß; sköt, m. aber auch eine Art Neb.
393
Dort weilet die Braut, bie getrene, wir,
Mit ihr will ich Ieben und fterben mit ihr.“
„Und hör, Ritter Olof! komm, folg mir herein!
Aus filberner Kanne trin? Tauterften Bein!
Wo biſt du nun geboren? wo ansgeritten?
Wo find dir deine Hoflleider. gejchnitten?“
„Hier bin ich geboren, hier ausgeritten,
Hier And mir meine Hoflleiver geſchnitten.“
„Wo haſt du num Vater? wo haft du nun Mutter?
Und wo Haft du Echwefter? und wo haft du Bruher?*
„Bier hab ich Vater, Hier hab ich Mutter
Und Bier hab ih Schwefter und bier Hab ich Bruder.“
„Wo haſt du nun Wiefe? wo haft du nun Feld?
Wo ftehet dein Brautbett ſchon beftellt?*
„Wo weilet die Braut, die getreue, dir,
Mit der du willſt Ieben und fterben mit ihr?”
„Hier hab ich meine Wiefe, Hier hab ich mein Feld,
Hier iſt mein Brautbett ſchon beftellt.
Hier weilet die Braut, die getreue, mir;
Mit dir will ich leben und fterben mit dir!”
Der Zaubertrant, der hier den Ritter DIof feine wahre Heimath ver _
geften lehrt, ift derfelbe, von dem auch ſtolz Margaret nach ihrer Rückkehr
in den Berg getsunfen und über dem fie Himmel und Erbe, Gott und
fein Wort, Schwefter und Bruder vergißt, nur die trauernde Mutter nicht,
Du ben Vollölievern von den Waflernigen gehört noch bie ſchwe⸗
diſche Ballade vom jungen Magnus, den die Meerfrau lockt. Sie ift
in mehreren Berfionen vorhanden, bie zum Theil in das ſchwediſch⸗
bänifche Lieb vom Jüngling auf dem Elfenhügel übergehen. Eine ders
felben aber nimmt beftimmte Beziehung auf ein gejchichtliches Ereignis,
das im Lichte des Bollaglaubens bargeftellt if. Herzog Magnus, ber
jüngfte Sohn Guſtavs I (erfte Hälfte des I6ten Jahrhunderts), brachte
als ſchwachfinnig feine leuten Lebensjahre auf dem Herrenhofe Kungs-
bro und dem Schlofle Vadſten in Oftgotland zu. Davon befagt nod
vie allgemeine Tradition, ex ſoll eines Tags, bezaubert von ber Schön
beit der Meerfrau, die ihm von ber See wintte, fich über Hals und
394
Kopf aus dem Fenfter in das Wafler geftürzt haben, aber unbefchäbigt
von feinen Wächtern wieder aufgefangen worden fein und dann erzählt
haben, wie ihn zwei emporgehobene Arme in feinem Falle leicht aufge
faßt. Bon ihm fingt nun die bemerkte Verfion der Ballade, wie er aus
dem Fenſter des Schlofies die ſchöne Meerfrau fieht, wie ihn dieſe mit
mancherlei Berbeißungen zu ſich Iodt und, als er fich weigert, ihn
mit Wahnſinn bedroht. Wahrſcheinlich ift ein älteres Lieb dem wirt
lichen Vorfall anbequemt, dann aber auch ber hiftorifche Name auf bie
anbern Verfionen des Liedes übertragen worben (Sv. IIL 168 bis 174.
178 bis 180).
Doch ift der Name Magnus auch fonft in den Ballaven zu Haufe
und es könnte darin zum Voraus ein Anklang gelegen fein, ber bie
Volksdichtung mit dem Ereignis verband.
Nachdem wir dieſe Bilver aus dem Elfenleben in bunter Reibe
vorübergeführt, ftellt fi das Bebürfnis heraus, diefelben unter allge:
meinere Gefichtspuntte zu fammeln. Das Verhältnis des Elfenweſens
zum Syſtem der altnorvifchen Mythen ift bereit beiprochen worden;
aus der Auflöfung bed letzern hat fich jenes entbunben und frei ent
mwidelt. Um jo nötbiger ift es, fich darüber Rechenſchaft zu geben,
wie biefes Elfenreich im lebendigen Berftändnis des Volles, in feinem
innern Bebürfnis haftete.
Die Ratur iſt ein Wunder auch für ſolche Zeiten, welche tiefer
in. die Gründe ihrer Erfcheinungen eingebrungen und ihrer Kräfte in
höherem Grade Meifter geworden find; mie viel wunderbarer muß fie
dem jugendlichern Alter der Völker fich barftellen, welche die Erfcheis
nungen ber Ratur mit frifhen Sinnen Beobachten, ohne die Urſachen
derfelben entwäthfeln zu können, welche ven Wirkungen ver Raturkräfte
viel ſchutzloſer ausgejeht find und dieſe nicht durch fich felbft, fonbern
nur durch perfönliche Tüüchtigleit zu befämpfen wiflen! Die mangelnte
Kenntnis der Gefehe und Urfachen wird durch die Phantaſie erfegt und
das Wirken ber Elemente geftaltet fich nach ter Weile der menfchlichen
Ratur. Hiemit erhält dasſelbe Perfönlichleit, wird nach Menfchenart
in Charakter. und Handlung gefett. Immer aber liegt das Gefühl
des Unergründlichen im Hinterhalt, immer erfcheint die Natur vertraut
zagleih und grauenhaft. Die Natur ift auch wirflich getreu zwar und
verläflig in ihrem großen Gange, aber ungetreu im ihren Wechſeln.
395
— — — — — — — —
Das Gebirg, der weite Wald haben ihre ſtille große Einſamkeit, ihre
abnungsvollen Zauberftimmen 1, aber fie haben auch ihre wilden Ge
walten und plößlihen Schreden. Der Klare Strom, der ruhige Meeres-
ſpiegel Ioden den Schiffer vom Strand und den Schwimmer zum Babe,
aber plöglich erheben fie ſich wogend im Sturme over ziehen in ver-
borgene Wirbel hinab. Dadurch wird ber Charakter der in ben Liedern
perfonificierten Elemente, der Berg: und Meerelfen, nothwendig em
zweideutiger; fie find bald licht, mild und anlodend, bald büfter, zor⸗
nig und verberblih. Im ausgebildetern Syftem der ältern Mythologie
haben fich die wohlthätigen und verberblichen Naturkräfte mehr dualiſtiſch
abgeichieden; jetzt, nach ber Aufhebung jenes ˖ Syſtems, ericheinen fie
vorzugsmeife in ihrer Miſchung und Doppelfeitigfeit.
Die Handlung, in welche fie treten, ift im Ganzen eine einfache,
den verfchiebenen Elementen gemeinfame. Der Menſch wird von ben
Raturgeifiern angezogen, überrafcht und hingenommen; bald bleibt er in
ihrer Gewalt, bald wird er aus derjelben befreit. Die Phantaſie für ſich
erklärt ſchon alle dieſe Bezauberungen, Entführungen und Rettungen
und bie Bilder, unter melden fie dargeftellt find. Ein poetifcher Blick
in den Grund des Meeres oder in die Schachte des Gebirgs ſchmückt
und bevöllert diefe geheimnisvollen Tiefen; die elfifchen Geftalten fteigen
herauf und hinab; aber, wie der Menſch überall ein Menſchenherz fudht,
fo findet auch mancher Hinabgezogene dort ein Geſchwiſter oder ein Ge
Iiebtes wieder, das ihm zum Troft und zum Heile wird. Wenn uns aber
auch ſchon der Drang der Phantafie und des Gemüths zur Erklärung
ausreicht, fo ift doch nicht zu zweifeln, daß auch Erfahrungen aus bem
Leben mitunterliegen. In wenig gebauter Gegend, bei meit zerftzeuten
Wohnungen und ungebabnten Wegen, in der einfamen Wilbnis des
Waldes und Felsgebirgs, an milden Strömen und auf bem unfteten
Meere mufte den Naturmächten mandes Opfer anheimfallen. Ba
findet man auf der Brüde die golbgeipangten Schuhe ber Yungfrau,
die der Ned hinabgerifien, und im Waflerfall ihren Leichnam . Mit
Bleicher Wange fommt Olof zu feiner Mutter beim, nachdem er ben
s Das Echo heißt im Isländiſchen und Färöiſchen die Rede der Zwerge,
der Bergelfen. Lex. isl. 1, 160: Dvergmäl, n. echo. Fär. Oväb. 464, 17.
468, W. 470, 9.
2 Bl. Vilk. 8. 6. 29. ©. 84.
396
Elfenſchlag empfangen, und wieder auf andre Weile ſahen mir ben
wahnwigigen Herzog Magnus aus der Geſchichte in die Yabel ge
zogen.
Ein vorzüglicher Grund der großen Vorliebe für das Elfenweſen
lag aber auch in dem eigenthümlichen Charalter, den das Chriſtenthum
in der Lehre der Bekehrer und ihrer Nachfolger angenommen batte und
bei dem ein bebeutenbes Bebürfnis der Phantafie und des Gemütbz
unbefriebigt blieb. Überall wurbe der einige Gott weit mehr in ber
Eigenſchaft des Erlöfers, als in der des Schöpfere, verfündigt; über:
al murden die Wunder und Myfterien ver Berfühnung und Eelig
madhung vorangeftellt, die der Erſchaffung und Erhaltung der Welt
blieben auf fi beruhen. Die Sehnſucht, in der Ratur das Göttliche
zu erkennen, war die Grundlage der alten Naturreligion und murbe
von biefer emfig genährt und gehegt. Diefem Verlangen kam die neue
Lehre, jo wie fie behandelt wurbe, auf Teine Weife entgegen; die höl
zernen Heiligenbilber drehten fich um, wenn der Ned in die Kirche trat.
Nur als böfe Dämone wurden die Naturgeifter im Kirchenglauben ge:
dulbet. Ein fo tief gepflangtes Bebürfnis nahm fich aber dennoch fein
Recht und die fehmerzlich gefühlte Lücke wurde mit einem Überrefte des
heidniſchen Raturglaubens, mit dem Elfenleben, ausgefüllt; dieſes wurde
ſogar, da auf der andern Seite fo Vieles von dem alten Göttertveien
weggefallen war, mit beſondrer Neigung und reichem poetifhem Triebe
ausgebildet.
Man kann felbft für unfre Beit noch die Frage aufwerfen,
nicht die Religionslehre ſich zu ausſchließlich von der Natur ab auf a
Unſichtbare gewendet babe und dadurch zwiſchen ber Religion und ber
Poefie, der die Natur und das äußere Leben unentbehrlich find, eine
unerfprießlihe Trennung beftehe, welche wegfallen würde, wenn man
den Dffenbarungen des Göttlichen in der fichtbaren Welt eine vollere
Anerlennung widerfahren liebe.
In ben bisher burchgegangenen Volksballaden waren es haupt
fächlich Die allgemeinern Naturwefen, bie Elemente, welche bejeelt und
geftaltet wurden. Aber dieſe Bejeelung äußert fi noch weiter und
durchgreifenver; auch in Bäumen und Thieren wurd eine fühlende Seele
gefuht, und wenn die Elementargeifter, fo nahe fie dem Menfchen
rüden, doch immer etwas Außermenfchliches, Dämoniſches, behalten,
397
was fie an bie alte Gbtternatur antnäpft, fo legt nun der Menſch
binabwärts in bie andern Gefchöpfe feine eigenen Vermögen, Empfin-
dungen und Leidenſchaften. So liegt wirklich eine weitere beträchtliche
Zahl von Liedern vor uns, welche von ſolchen Berwandlungen handeln.
Dergleichen find uns aud in ber Götter und Heldenſage vorgelommen,
wo ber mit der Macht, ſich zu verwandeln, begabte hamramr 1 beißt.
Sn den Ballaven find fie meift durch Verzauberung, befonterd von
einer böfen Stiefmutiter, herbeigeführt.
Wir beginnen -mit der Linde, nach einen ſchwediſchen Liebe, Sv.
III, 114. Ich babe für. die Überfegung noch die Varianten einer
andern, von den Herausgebern beigebrachten fragmentariſchen Aufzeich
nung, fowie einige von Nyerup mitgetheilte Strophen einer bänifchen
Berfion, Udv. d. Bif. V, 25 f., benützt.
Die Jungfrau geht in den Roſenwald,
Da fieht eine grünende Linde fie bald.
„Da ſtehſt du, Linde, fo ſchön und fo hold,
Und Blätter trägft du, fie gläuzen, wie Gold.“
‚Was rübınft bu mich jo? Das verlohnet ſich nicht;
Dein iſt ja das Glück, das mir Armen gebridt.
Du figeft da drinne, wärmf Hand bir und Yuß,
In Zweig und in Wurzel bier frieven ich muß.
Es kommen hie Freier und freien um dich,
Die Zimmerleut’ fommen, beſichtigen mid.
Bur Altartreppe werd' ich zerjpellt,
Bo mander Sünder aufs Knie hin fällt.
Zu einem Betſtuhl werd' ich zeriägt,
Drauf mande Sünbrin die Hände legt.“
„D liebe Linde, dieweil du kannſt fprechen,
Mag nichts in der Welt dir den Kummer brechen ?“
„D nichts im der Welt kann ben Kummer mir brechen,
AS König Magnus, Könnt’ ich ihm Sprechen.“
Und die Jungfrau feste fich nieder und fchrieb:
„Wer trägt mir den Brief Hin? wer thut mir's zu Tieb ?“
1 (Schriften I, 182 f. 8]
398
Strads flog hernieder ein Falle fo gran:
„Ich trage den Brief nad) des Könige: Bau.”
Der Falke den Brief in die Klauen nahm
Und zum Könige Magnus geflogen kanı.
Der König nahm ihm den Brief aus der Klan,
Las haſtig und las jedes Wörtlein genan.
„Nun fattelt mir Rrads meinen Renner fo rotb,
Daß ich reit’ und befrei’ meine Braut aus ber Noth!”
König Magnus rannt’ anf dem rothen Roſs,
Geſchwinder ein Theil, als der Falle fchoß.
Auf die Kniee warf fi der König flolz
Und küſtte die Jungfrau im Lindenbolz.
König Magnus fiel vor der Jungfrau Fuß
Und küſst' auf die Lindenwurzel den Kufs.
König Magnus den Stamnı mit den Armen umfchlang,
Bis fo ſchön eine Jungfrau der Lind’ entiprang.
Er bob die Jungfrau wohl auf fein Roſs;
So ritt er wit ihr nad dem Königsſchloß.
Er ſetzte fie auf fein Kniee fofort,
Gab ihr Goldkron' und Berlöbniswort.
Aber nicht bloß die Linde tft eine verzauberte Jungfrau, auch die
Nachtigall, die auf der Linde fingt. Davon ift ein auf ſchwediſchen
und bänifchen Slugblättern, mit Ausnahme der fprachlichen Verſchieden⸗
beit, gleichlautendes Lied vorhanden (Sv. II, 67. Ubo. d. Bif. I, 250.
388 1):
Die Nachtigall.
Ich weiß wohl, wo ba fleht ein Schloß;
Das ift fo wohl gezieret
Mit Siüber und mit rothem Gold,
Bon Quadern aufgeführet.
Und vor dem Schloß flieht eine Lind’
Mit fhönen, grünen Blättern,
Darin wohnt eine Nachtigall,
Läßt ihre Stimme ſchmettern.
1 Bgl, Niederd. Liederb. Nr. 66.
399
Ein Ritter kam geritten her
Und Taufchte dem Gefange.
Zur Stunde war’s der Mitternacht,
Berwundert Bielt er lange.
„Run hör du, Heine Nachtigall!
Ein Lieb noch mögf Du fingen!
Deine Yebern laß’ ich beichlagen mit Gold,
Um den Hals dir Perlen fchlingen.“
„as follen Federn mir von Gold,
Die dir fo wohl gefallen?
In der Welt bin ich ein Vogel wilb
Und fremb den Leuten allen.”
„Biſt du in der Welt ein Bogel wilb
Und fremd den Leuten allen,
Dich quält wohl Hunger, Froſt unb Schnee,
Auf breiten Weg gefallen?”
„Mi quält nicht Humger, quält nicht Schnee,
Der fällt auf breite Wege;
Mid quält wohl eine Sorge mehr,
Die ih fo heimlich: pflege.
Zwifhen Berg und tiefem Thal
Die ſtarken Ströme treiben;
Doch wer bat einen treuen Syreund,
Wird unvergeffen bleiben.
Wohl hatt’ ich einen Liebſten mir,
Einen Nitter, kühn und bieder;
Stiefmutter warf das plötlich um,
Es war ihr all zuwider.
Sie ſchuf mi zu einer Nachtigall,
Hieß durch die Welt mich flreifen,
Meinen Bruder zu einem Wolf fo grimm,
Hieß ihn im Walde fchweifen.
Strada fuhr er in den Wald hinein,
Richt joe er Heil erfahren,
Solang er nicht ie Herzblut trank;
Das ward nach fieben Jahren.
400
Da wollte fie ih eines Tags
Im Nojenwald ergeben;
Mein Bruder fah’s und Tieß wicht ab,
Boll Grimms nad) ihr zu fpähen.
Ergriff fie bei dem Tinten Fuß
Mit ſcharfen Wolfesflanen,
Niß aus ihr Herz und trank ihr Blut;
Da war er beil zu ſchauen.
Ich bin ein Meiner Vogel noch
’ Der fliegt in Wäldern, weiten,
Mein Leben ift fo kummervoll,
Zumeift in Winterszeiten.
Doch dank ich Gott, der mich erwedt,
Daß ih die Zunge rühre.
In fünfzehn Jahren ſprach ich nicht,
Wie ich Geipräd hier führe.
Ich fang nur immer anf dem Zweig
Mit Nachtigallenflage,
Und nirgenb# fanb ih befiern Ort
Als in dem grünften Hage.”
„Nun bör, de Heine Nachtigall,
Und thu, wie ih dir meldel
Am Winter fi’ in meinem Baur,
Am Sommer fleug zu Felde!“
„Hab, ſchöner Nitter, Dank daflir!
Doch hilft's nicht meiner Plage;
Stiefmutter hat's verboten mir,
So lang ich Federn trage.“
Die Nachtigall beſann ſich noch,
Der Ritter hielt nicht ſtille,
Denn bei dem Fuß ergriff er ſie,
So war es Gottes Wille u. ſ. w.
Er nimmt fie mit fich heim in fein Gemach, wo fie fich in mehrere
Thiere, zum Löwen unb Bären, zus Schlange und zum Lindwurm
umwandelt unb erft, als ber Ritter biefem mit einem Beinen Meſſer
Blut gelafien, als Jungfrau, klar wie eine Blume, vor ihm ſteht.
%
\ 401
Sie entdedt ihm nun weiter, daß fie eine Tochter des Könige von
Egyptenland fei, und er erkennt nun in ihr feine Schweitertochter.
Diefer Schluß hat etwas Fremdartiges; auch fprechen andre Ans
zeichen dafür, daß diefe Ballade aus Deutſchland nach dem Norben
gelommen ſei. Die Eingangsftropbe, von dem mwohlerbauten Schloffe,
fommt in deutfchen Liedern vor und bie mwörtliche Üibereinftimmung bes
dänischen und ſchwediſchen Tertes, die auch beide gedruckten Blättern
entnommen find, verräth ein gemeinjchaftliches Original. ft fie aber
auch vom verwandten Deutſchland gekommen, fo hat fie fi) Doch ganz
in die Vorſtellungsweiſe der nordischen Balladendichtung eingefügt. Die
Verwandlung ded Bruder? in einen Wolf, überhaupt bem Norden
gangbar, findet ſich auch in der einen Aufzeichnung des Liebes bon ber
Linde und noch in andern Stüden. Auch in ber griechifchen Sage ift
Philomele eine verwandelte Jungfrau und hat graufame Geſchicke zu
Hagen.
Der Nachtigall wurde fanfte Klage beigelegt, Schauerliches heftete
fih an die finftre Erjcheinung des Haben ober des Geierd. Vom Val⸗
raben oder Nachtraben, in deſſen Geftalt Dämone oder verzauberte
Menſchen umberflogen, wurde mandjes gefagt und gefungen. Er ließ
fich die Kinder, noch vor ihrer Geburt, verheißen und holte oder zeichnete
fie dann auf graufame Weife. Hier das Lieb vom Balraben, nad
Grimms Überfegung (S. 79 ff. Bel. 150 ff. Udv. d. Viſ. I, 186 ff.
Bol. ebend. 295 ff. 318. 394):
Der König und unfre junge Königin u. ſ. w. ***
(Zwei Brüder, als Roſs und Rabe, befreien bie Schwefter, bie
dann wieder die beiden durch Kuſs erlöft, Udv. d. Bif. I, 319 bis 25.
394 f. Sv. 2, 194 bis 200.)
Das Wild des Waldes leiht zu manden Berivandlungen feine Ge-
ftalt. Durch Runen verwandelt fi in bänifcher Ballade ein Ritter
zum Hirſche, fpielt im Hofe der Jungfrau, bie er entführen will, und
lodt fie fo in den Wald hinaus (Udo. d. Bil. I, 258. 389. Vgl. I,
327 u.). Zur Hindin und noch Andrem wird eine Jungfrau von ihrer
Stiefmutter in einem dänifchen Liede verwandelt, das in verjchiedenen
Berfionen aufgezeichnet ift (Nyerup I, 246 bis 249. 241 bis 245; auch
zum Vogel, 387).
nhland, Schriften. VII. 26
„Mein Bater ritt hinauf ins Sand,
Um eine Roſe zu werben,
Da fand er fo ein leivig Weib,
Bor dem muft’ ich verderben.
Die erfte Nacht in des Vaters Haus
Bar fie mir Mutter, die gute;
Die zweite Nacht da ward fie mir
Stiefmutter, die böggemuthe.
Ich faß an meines Baters Tiſch,
Ich fpielte mit Braden und Winden,
Da kam Stiefmutter gegangen raſch,
Mein Glüd, das muſte da jhwinden.
Mein ſchönes Glück, das Gott mir gegönnt,
Stiefmutter ſah es ungerne,
Sie ſchuf mih um in ein ſcharfes Schwert
Und hieß mich fahren fo ferne.
Am Tage nahm der Ritter mid um,
Da hieng id an feiner Seite,
Bei Nacht, da lag ich ihm unterm Haupt,
Ich war ihm fein Tiebft Geleite.
Mein gutes Glück, das Gott mir gegönnt,
Stiefmutter ſah es ungerne,
Sie fhuf mid zu einer Heinen Scheer
Und hieß mi fahren fo ferne.
Am Tag war ich in der Jungfrau Hand,
Da fchnitt ich am weißen Leine,
Bei Nacht, da fchlief ich in ihrem Gemach,
In einem vergüfbeten Schreine.
Das gute Glück, das Gott mir gegönnt,
Stiefmutter ſah e8 ungerne,
Sie ſchuf mich zu einem Hirfchlein um,
Sie hieß mich fahren fo ferne.
Sie ſchuf mich zu einer Hindin um,
Sie wuſte fo manche Tide,
Meine fieben Beipielen zu Wölfen grau,
Die follten mid) reißen in Stüde.
403
Meine fieben Gefpielen, bie waren mir gut,
Die blieben von mir fo ferne.
Das gute Glück, das Gott mir gegönnt,
Stiefmutter ſah eg ungerne.
Herr Heinrich dient an des Königs Hof,
Er ift jo ſchön ein Ritter,
Der trauert’ um mid) wohl Tag und Nacht,
Die Sorge war ihm fo bitter.“
Herr Heinrih nimmt den Bogen zur Hand,
Sf traurig zu Walde gegangen,
Da fpielt eine Hindin vor ihm ber,
Wills Gott, jo wird er fie fangen.
Und als die Hindin er erjagt,
Fällt vor dem Roſſe fie nieder,
Und wirft von fih die Hirfheshaut
Und wirb zur Jungfrau wieder.
Er nennt fie feines Herzens Traut,
Hält fie fo feſt umwunden.
„Gelobt jei Gott im Himmelreich!
Ich babe dich Hier gefunden.
Ich Hab’ bier feine Dienerin
Und feinen Knecht zur Seiten;
So bredden wir felbft das Tindenlaub,
Ein Brantbett zu bereiten“ u. ſ. w.
Weiter läuft ein Königsfohn, von der Stiefmutter zum Bären
verzaubert, auf Dalbyheide. Der Bär zerreißt Ochfen und Pferde auf
der Weide, und einen Bauer, ber mit ihm ringt, erwürgt er; dann
kaͤmpft ein Ritter mit ihm vier Tage lang, wird aber zuletzt vom Bären
niebergeworfen. Doch will der Bär ihm das Leben fchenten, wenn er
das Eifenband zu löſen vermöge, das die Stiefmutter jenem um ben
Hals gebunden. In jolden Ringen lag, wie aus andern Sagen er:
beilt, eben bie geheime Kraft, moburd bie Thierhaut fich dem Menfchen
anſchloß (vgl. Grimm, Heldenſ. 388). Der Ritter macht das Kreuz
über den Bären und davon zeripringt dad Band. Der erlöite Königs-
ſohn gibt feine Schweiter dem Befreier zum Lohne (Nyerup I, 182.
404
— —
398. Grimm 300). In der Saga von Hrolf Kraki fanden wir ſchon
die Verwandlung eines Königsſohns zum Bären, durch den Haube
feiner Stiefmutter, deren Liebesanträge er zurückgewieſen hatte; es war
dieß Bidm, Bödvar Bjarlis, eines der Kämpen Hrolfe, Bater, ſchon
durch feinen Namen für diefe Verwandlung beftimmt.
Endlich der fabelhafte Lindwurm (Lindormen) hat gleichfall® unter
feiner Schuppenbaut einen Königsjohn verftedt. Er kommt auf die
Hausflur der Jungfrau, nöthigt fie durch Berzauberung, ihm zu folgen,
und wird durch einen Kuſs von ihr erlöft. Es erhebt ſich über ihnen
ein Königsbau und fie wird die Braut des jungen Königs (Udv. d.
Viſ. I, 255. 388. Sv. III, 121 bis 126). Diefe Erlöfung durch den Kuſs
kam fchon bei ver Linde vor und findet fich auch fonft in den norbifchen
Balladen, wie in den Sagen andrer Völler, es ift ein Gegenzauber ver
Liebe, der Treue, des Mitleids.
Die Verwandlungen, von denen biöher die Rede war, wurden,
wie in den Liedern ſelbſt angeveutet ift, hauptſächlich durch Runen
zauber bewirkt. Der Ritter, der fich in einen Hirfch verwandelt, um
die Jungfrau hinauszuloden, jagt (Nyerup I, 260, 1):
Kann ih nit Jungfrau Uſalill
Mit fchöner Rede fahn,
So werd' ih fie betrügen,
Wenn die Rune mir Helfen Tann.
Bei der Darftellung Odins, der für den Stifter der Runen galt,
ift bemerkt worden, daß man unter diefen die Schriftzeichen des Nor
dens verftand, welche durch Bauberliever zu magiſchem Gebraude ge
weiht werben fonnten. Aber auch die Zaubergefänge felbit wurden Runen
genannt! und in dem Liebe vom Ritter Tynne heißt das bezaubernde
Harfenfpiel der Zivergtochter Runenfchlag und der Ritter wird aus ben
Runen, in bie er durch dasſelbe gebunden ift, durch Hülfe von Runen
büchern wieder gelöft.
Aller Zauberglaube beruht auf dem Gefühle ber Abhangigkeit von
Kräften, deren Wirken ein unbegriffenes iſt und eben darum auch für
ein grenzenloſes angeſehen werden kann. Wo noch nicht der forſchende
1 Geijer 111. 116.
405
Geiſt erwacht iſt, der die wirkenden Kräfte nach innen auf ihr letztes,
nicht weiter erklärbares Geſetz zurückzuführen ſtrebt, da wird nach außen
eine Formel geſucht, welche, die Sinne treffend, unmittelbar das Ge⸗
heimnis in ſich ſchließt. Solche ſinnliche Formeln ſind die Runen, als
magiſche Buchſtaben und Geſänge. Folgerecht wird daher die Runen⸗
kunde denjenigen Weſen zugeſchrieben, welche Perſonifilationen der un⸗
begriffenen Naturmächte ſind, wie in dem vorerwähnten Liede von der
Tochter des Bergkönigs und in dem von der Elfenhöh, wo die Elfen
verſprachen, den Ritter Olof ſtarke Runen (ramme Runer, Nyerup I,
235. Val. ebend. 280°) zu lehren. Der Runenzauber vermag auch alle
jene manigfachen Berwandlungen zu bewirken, benn fein Geſetz bes
natürlihen Organismus bat noch beftimmte Grenzen gezogen. Am
wenigften aber darf und befremden, die auch der gereiftern Forſchung
wunderbaren, geiftigfinnlichen Wirkungen ber Liebe und der Mufif in
das Licht des Zaubers geftellt zu finden. Folgen wir nun ben Liedern
auch durch diefe Erfcheinungen des Runen: und Zauberweſens!
Eine Art von Inbegriff des Runenzaubers gibt nachftebendes
dänifches Lied (Nyerup I, 308 f. 393): .
Auf Dovrefield m Norge,
Lagen die Kämpfer ohn' Sorge.
Wer aber foll führen unfre Runen, wenn wir nicht felber können?
Wohl kühne Kämpfer, zwölf an der Zahl,
Der Königin Ingeborg Brlder zumal.
Der Erſte wandte den Wind mit der Hand,
Der Andre brachte den Strom zum Stand.
Der Dritt' unter’$ Waffer fuhr, wie ein Yıld,
Dem Bierten fehlte nie Speif auf dem Tiſch.
Der Fünfte ſchlug Goldharfenfpiel,
Daß Alle, dies hörten, das Zangen befiel.
Der Sechste das Goldhorn blies fo laut,
Daß Keiner e8 hörte, dem nicht gegraut.
1Fär. Ov. 286, 46 fi. Bgl. 226, 22 f. 138, 28. 140, 32 f. 240, 57
big 59. 285. 286, 173. 298.
406
Der Siebente tanzt’ auf dem wogenben Meer,
Der Achte gieng unter der Erd’ einher.
Der Reunt’ alle Thier' im Walde band,
Den Behnten nie der Schlaf überwand.
Der Eilfte band den Lindwurm im Gras,
Ja all, was er wollte, gleich hatt’ er das.
Der Zwölfte war von folddem -Berftand,
Er muft’, was geſchah im frembeften Land.
Ich ſag' euch das zu wahrem Bericht,
Ihrs Gleichen findt man in Norweg nidt.
Ich will euch fagen mit einem Wort,
Ihrs Gleichen findt man an feinem Ort.
Wer aber ſoll führen unfre Runen, wenn wir nicht felber können?
Daß die zmölf Brüder dem Runenzauber alle diefe Künfte ver
dantten, ergibt fchon ber Kehrreim. Doc ift eine Art.und Wirkung
dieſes Zaubers ihnen nicht befonders zuerkannt, die in andern Balladen
fpielt. Es ift dieß das Werfen der Runen, um zur Liebe zu zwingen.
Wer die rechten Runen in das Kleid einer Jungfrau zu werfen weiß,
an den iſt fie durch unwiberftehlichen Zauber gebannt. Davon handeln
befonvers zwei dänische Lieder. In dem einen wirbt Herr Peter fünf
volle Winter um die fchöne Mettelill; fie mweift ihn zurüd, meil er ihren
Bruder nicht darum fragen will. Da fchreibt er die ſtarken Runen und
wirft fie ihr ins Gewand. Blut fpringt ihr aus den Nagelmurzeln
und Thränen fallen auf ihre Wange Er fteigt zu Schiff und fegelt
nach feiner Heimath. Aber fie verzehrt fih drei Winter lang in Sehr
fucht nach ihm. Da geht fie mit bloßem Haupt und baarfuß von ihres
Vaters Hofe. Nur ein treues Mädchen, die Kleine Kirſten folgt ihr.
Sie befteigen ein Boot, Mettelil führt das Steuer und Kirften rubert.
So fahren fie über die meite See, zum Lande Peters, der die Geliebte
freudig willkommen beißt und nun mit ihr die Vermählung feiert
(Nyerup I, 303 ff. Vgl. Grimm 169. 324). Im andern Liebe will
Ritter Stig die Heime Kirften, die gegen ihn hartgefinnt ift, gleichfalls
durch Runenwerfen an fich fefieln. Abends beim Gelage wirft er feine
Runen nad ihr aus, fehlt aber und fie fallen der Schwefter. des Königs
ind Gewand. Bon nun an ift diefe an ihn gebunden und der König
, 407
gibt fie ihm zur Gemahlin (Nyerup I, 295 ff.). Auf was dieſe Wurf:
runen eingeichrieben waren, erhellt nicht.
Poetiſcher und ein Gegenftand vieler fchönen Lieber iſt die magifche
Gewalt, welche die Töne auf das menſchliche Gemüth und über die Natur
ausüben. Geſang, Harfe und Horn zeigen fi) auf ſolche Weiſe zauber:
kräftig. Am geringften werden wir bie Wirkung der Muſik anfchlagen,
daß fie in den Schlaf verfenten fann. Aber mie der eine ber Kämpen
auf Doprefjeld den Runen verbantt, daß er niemals vom Schlafe be
mältigt wird, fo gibt e8 auch umgelehrt einen Zauber, der den Schlaf
- berbeiführt. Dieß in ber dänischen Ballade vom gefangenen Ritter, nach
Grimm ©. 130 f. (Nyerup IV, 43 ff. 345 f. Bol. Sao ©. 12 f.):
Auf Lindholms Haus u. $. m.***
(Sclafrunen, Sövneruner, Nyerup III, 179. Vgl. auch Odins
Schlafdorn.) |
Sin der Sage von Hadbing, bei Saro (B. I, ©. 12, nord. Helden].
Nr. 7; oben S. 198 ff.), wird dem Erzählen, wornnter jedoch Sagen-
Lieder verftanden fein können, eine ähnliche Wirkung beigelegt, die ſich
damit als eine magifche barftellt, daß Odin felbft dabei feinem Günſt⸗
ling zur Befreiung aus der Gefangenfchaft behülflih fein wil. Er
fagt zu dem jungen Helden Habbing: .
ren at tu
Custodes variis rerum narratibus imple.
Cumque sopor dapibus funetos exceperit altus,
Injeetos nexus et vincula dira relide u. f. w.
lpse struam votis aditum, famulosque sopore
Conficiam et lenta stertentes nocte tenebo.
Am mächtigften aber wirkt die Muſik ala Liebeszauber. Unter den
runentundigen Brüdern auf Dovrefjeld mar auch einer, der in das
vergüldete Horm (Lur, bier Schlachthorn) blies, daß Allen, die es
hörten, davor graufte Aber auch eine andre, anziehende Zauberkraft,
ganz diefelbe, wie das Runenwerfen, hat der Klang des goldnen Horms
(Lyd, isl. Lüdr, m. buceina, tuba, Valdhorn, Trompet, Luur,
Biörn Halb. Lex. is). Il, 45°). Davon eine bänifche Ballade, Grimm
©. 173 (Nyerup II, 53 ff.):
Herr Peter und Herr Oluf u. ſ. wm. **
408
— — — — —
Der tragiſche Ausgang zeigt, wie dieſer Zauber der Mufil, da
wo er felbft die Sitte bricht, für einen unbeilvollen Zwang angejehen
wurde. Vom Klang der Golbharfe findet fich ähnlihe Wirkung in
einem andern dänischen Liede von Herzog Heinrih und Jungfrau
Malfred (Nyerup IV, 134 fi. Grimm 135). Die Wirkung dieſes
Klangs wird fogar gleichbebeutenb mit Liebesſchmerz überhaupt genom
men. Sn einem bänifchen Liebe wird eine trauernbe Jungfrau gefragt
(Nyerup III, 254. Grimm 243):- -
Hört ihr, Heine Kirften, was bleicht euch die Wange fo viel?
Bon was habt ihr das empfangen, von Harf- oder Pfeifenfpiel?
Jede Kluft des Standesunterſchieds ſchwindet wor der Macht ber
Töne..
Biel gefungen ift in Schweden ein Lied, wie der König burch ben
Gefang eines Hirtenmäbchens (vallpige, vallkulla).bezaubert wird (Sv.
III, 44 bis 59):
Klein Hirtenmäbdhen zur Weide zieht,
Sie finget jo hell vor den Biegen ihr Lied.
Und der König erwacht im hoben Gemach:
„Was fingt für ein lieblicher Vogel mich wach?”
Das ift ja Fein Vogel, es dünket euch nur;
Das Mädchen treibet die Ziegen zur Flur.
Und der König fpriht zu den Anappen ziveen:
„Das Mädchen bittet ihr, vor mich zu gehn!“
Sie liefen zum Hirtenmädchen binaug:
„Gefällt dir's, zu kommen in Königeshaug ?”
„Wie kann ich hinein vor ten König gehn,
Bor dem König im grauen Wallmar ſtehn?“
„zen König befümmert dein Kleid nicht fehr;
Dein Weidlied zu hören, verlanget ihn mehr.“
Und der König fprad zu den Mägden zuhand:
„Nehmt ab ihr das graue Wallmargewand!“
Sie nahmen ihr ab das Wallmargemwand
Und reichten ihr Zobel und Marder zuhand.
Da gieng fie ben hohen Gemache zu
Mit Seidenzwidel und Goldſpangſchuh.
Das Mädchen tritt gor den König ein
Und er heißt mit den Augen fie willfomm fein.
„Run, Hirtenmäbchen, bein Lied fing mir!
Einen feidenen Frauenrock geb’ ich Dir.“
„Ein feidener Frauenrock taugte mir fchlecht;
Die Zicklein zu weiden, das ift mir gerecht.“
„Nun, Hirtenmädchen, dein Lieb fing mir!
Ein Schiff auf dem Meere, das geb’ ich dir.“
„Ein Schiff auf den Meere, das taugte mix fchlecht;
Die Zicklein zu hüten, dag ift mir gerecht.“
„Run, Hirtenmäbchen, dein Lieb fing mir!
Mein halbes Baterreich geb’ ich dir.“
„Dein halbes Baterreich taugte mir jchlecht;
Die Zidlein zu hüten, das ift mir gerecht.“
„Run, Hirtenmäbdhen, dein Lieb fing mir!
Meine Treu, meine Ehre, die geb’ ich dir.“
„Deine Treu, deine Ehre geziemen nicht mir;
Do wohl kann id fingen mein Weidlied vor dir.“
Eie erhub einen Sang, fte erhub wohl zween,
Da begann das Schiff auf dem Meere zu gehn.
Und als fie den vierten, den fünften begann,
Da tanzte der König und jeglicher Mann.
„Und was mir gelobt ift, das laß num geichehu;
Und laß du gu meinen Bidlein mid) gehn!“
„Und was dir gelobt ift, das foll dir geihehn,; -
Doch nimmermehr folft mit den Zidlein du gehn.”
Und Mägd’ und Fräulein, bie frausten ihr Haar
Und der König reicht ihr die Goldkron' dar.
Diefes beliebte Lieb wird mit manigfachen Veränderungen gefungen.
Die bezaubernde Sängerin iſt mitunter ein Mühlmädchen (qvarnpiga,
©. 53), das an der Handmühle mahlt, was wir fchon öfters als ein
Geichäft der Unfreien Iennen gelernt haben. Der erwachende König
410
glaubt in andern Verfionen, ftatt des Tieblich fingenden Vogels, fein
vergolbetes Horn (5. 49), oder feine Goldharfe (S. 53. 55. 58) zu
vernehmen. Wenn aber in einer Überlieferung das Hirtenmäbchen wir
lih die Harfe fpielt (S. 50), fo ift das ein unpaflender Zuſatz, da
"für fie nur das Weiblied fich eignet und das Wunderbare nur um fo
ſtärker berbortritt, wenn es durch den einfachen Hirtenfang bewirkt
wird. Auch die Anerbietungen des Könige, wodurch er das Mädchen
zum Singen beivegen will, find verfchieven geftellt und gefteigert; ın
einigen Verfionen bietet er, bevor, er fich ſelbſt gefangen gibt, noch
feinen beften Diener und feinen jüngften Bruber an (©. 51. 59. 56 f.).
Ebenso find die Wirkungen des Hirtenfanges mehrfach variiert. Erft
lacht und jpielt fein Herz, dann ift es dem Weinen nahe. Nicht
bloß er und feine Hofleute fangen zu tanzen an, fondern auch Halm
und Holz. Selbft die Todten erftehen aus ihren Gräbern (S. 51.
54. 56 f.). Ich bin bier der einfachften Darftellung gefolgt, vie ſich
für den idylliſchen Charakter des Liedes am beſten zu ſchicken fchien.
Mehrere der angegebenen Wirkungen der Mufif find Gemeingut dieſer
Balladendichtung. Die Nöthigung zum Tanze kommt auch bei ben
Brüdern auf Dovrefjeld vor, deren fünfter die Goldharfe fchlägt, daß
Alle tanzen, die darauf hören.
Wie im ſchwediſchen Liede der König, fo Tann in einem bänifchen
die Königin der Lodung der Töne nicht wiberftehen. Nah Grimm
134 (Nyerup IV, 100):
Der König der fitet in Ribe u. |. w. ***
Die Eiferfuht des Königs, die hier nur leid angebeutet wird,
nimmt einen verberblichen Ausbruch, als ein andermal die Königin vom
Klang eines Hormes (Lur) bezaubert wird; gleichfalls in däniſchem Liede,
Grimm 84 (Nyerup I, 356 ff.):
Algrev bläft in das Hörnlein fein u. |. w. ***
Auch bei andern Völfern findet fih die Cage von dem Ritter und
Sänger, deſſen Herz der Geliebten von dem eiferfüchtigen Gemahl vor:
gelegt wird.
Der Klang bes Hornes und der Harfe, der fich im bisherigen
hauptſächlich als ein verlodender erwiefen hat, kommt aber noch m
andrer Bebeutung und Wirkung vor, ala Botſchaft und Hülferuf, in
\
411
großen Nöthen an Entfernte gerichtet. Es Tehrt in den Balladen häufig -
wieder, daß einer Schönen von dem, der ihre Ehre gefräntt hat, eine
Harfe gegeben wird, um barauf zu fpielen, wenn fie forgenvoll fei
(Sv. I, 52, 1. 58, 5. 61, 4. 226, 6. III, 91, 8. 92. Nyerup IV,
105 f.). Dieß hat nicht fowohl den Sinn, daß fie ſich mit dem Saiten:
jpiele erheitern und tröften ſoll, fondern fie erhält damit ein Pfand,
daß es ihr in der dringendften Noth (Sv. II, 222,7: i nöd; fonft ges
wöhnlich sorgefull) nicht an Hülfe fehlen werde. Wird dann die Harfe
angeichlagen, fo bringt ihr Klang auch in die Ferne bin an Ohr und
Herz deſſen, der fie zurüdließ, und mahnt ihn an feine Pflicht. Diefer
Zug, der ſonſt mehr nur beiläufig erfcheint, ift in folgendem ſchwedi⸗
ſchen Liede, das auch in abweichender dänifcher Überlieferung vorlommt,
zum Hauptinhalte geworben, Sv. II, 90 ff. (Nyerup IV, 104 ff.):
Rofilia fitt in der Kammer dort, |
Die Thränen fallen ihr fort und fort.
Rofilias Frau, fie trat herein:
„So verweint die Augen? was mag bir fein?“
„Ich mag wohl weinen die Augen mir rotb;
Ich hörte wohl neulich, mein Liebfter fei tobt.“
„Und börteft du neulich, bein Liebſter fei tobt,
Bor mir’s zu verſchweigen, das that dir nicht noth.“
„Die Wahrheit kann ich verjchweigen nicht mehr;
König Dlof hat abgelodt meine Ehr'.“
„Und Iodte der König die Ehre dir ab,
Sag’ an mir, was er zur Buße dir gab!“
„Er gab mir eine Harfe von Gold, _
Die in großem Kummer ich fpielen ſollt'.“
„Und lodte König Olof die Ehre’von dir,
So nimm, was du haft! zeuch ferne von mir!“
Kofllia legt in den Schrein ihr Bold,
Andeis ihr jo manche Thräne entrolit.
Rofilia geht in den Rofenwald,
Zu raften aber gelftet fie bald.
Rofilia nahm ihre Harfe von Gold,
Auf der im Kummer fie fpielen wollı.
412
König Dlof aus dem FYenfter ſah,
Roſilias Harfe vernahm er da.
„Nun hör’ ich meine Harfe von Gold,
Die im Kummer Roſilia ſpielen ſollt'.“
Roſilia zum Hofe des Königs geht,
Wo außen ein kleiner Knappe ſteht.
„Du Knappe, hör, was ich ſage dir! -
Iſt der König daheim? das fag du mir!“
„König Dlof er fitst im obern Geſchoß,
Ihn kümmert fo dürftige Maid nicht groß.“
Rofilia geht vor den König ein
Und er heißt mit den Augen fie willkomm fein.
König Dlof die blauen Bolfter ſtreicht:
„Roſilian gelüſtet's zu ruhen vielleicht.“
„O nicht bin ich müde, o nicht iſt mir ſchwach;
Für dich erlitt ich viel Kummer und Schmach.“
„Schtift du um mich viel Kummer und Hohn,
Zweifle nicht, zweifle nicht! ich vergüt’ es bir ſchon.“
Er ſetzte fie auf ſein Knie fofort,
Gab Goldkron' ihr und Verlöbniswort u. |. w.
Es berrjcht auch in den Liedern biefer Art ein reines Gefühl für
die Sitte. Denn wenn gleich auch hier noch jenes dem altnorbijchen
Naturglauben eigenthümliche Princip der Nothwendigkeit mwaltet und
daher die Verführte, als einem unwiderſtehlichen Zauber folgend, jeder
Zurechnung enthoben fcheint, fo fühlt fie ſich dennoch entwürbigt und
übergibt fih, im Lieb von ber Wette Peter und Olofs, felbft den
Flammen. Und fo ift e8 auch ſchön, daß dbiefelbe Harfe, die das
Werkzeug der Verlodung war, aus der Hand des Verführers in bie
der Verführten übergeht und bier eine herzergreifende Stimme mir,
die ihn mahnt, fein Unrecht wieder gut zu machen.
Den Harfenihlag in der Noth, ver in meite Kerne dringt, fanben
wir auch Schon in ber Helbenfage. Gunnars Harfenſchlag im Schlangen:
bofe wird von feiner Geliebten Oddrun weit über den Sund hin ge
hört; fie eilt ihm zu Hülfe, Zommt aber zu fpät. Das Eddalied
413
— — —— — — t—
„Oddruns Klage” lautet hierüber jo (Str. 27 bis 29. Edd. Sæm. 243.
$: Magn. Edd. IV, 138 [Simrod ©. 245. 8.]):
Herrlich der Fürſt
Die Harfe ſchlug,
Er meinte das,
Der hochgeborne König,
> Daß ih kommen
Zu Hilf ihm könnte.
Her von Hlesey
Konnt’ ich es hören,
- Mie die ftarfen
Saiten erſchollen.
Die Dienerinnen
Hieß ich bereit fein,
Des Königs Leben
Wollt’ ich behüten.
Die Fähre ließen wir
\ Sundüber fließen,
Bis ih ſah alle
Höfe Atlis.
Auch Ragnar Lodbroks Todesſang iſt ein folcher Nothruf, der feine
Söhne, wenn nicht mehr zur Hülfe, doch zur Rache mahnt. Selbft
noch aus ber Bruft der Tobten ertönt ein mächtiger Klang in folgen:
dem ſchwediſchen Liede (Sv. III, 16 ff. I, 81 ff. ebend. I, 86 ff. Fä⸗
rdiſch vgl. Für. Qv. V, 1. 348, R.):
Es war ein König in Engelland,
Bwo Töchter hatt’ er im Jungfraunftand.
Die Schweiter fo zu der Schweiter ſprach:
„Komm, laß uns geben dem Strande nad!”
Die Jüngſte war wie die Sonne Har,
Die ültſte ſchwarz, wie bie Erde, war.
Die Jüngſte gieng vor, die Loden im Flug,
Die Ältſte gieng nach mit heimlichem Trug.
Die Jüngſte gieng vor, fo wohlgemuth,
Die Ältſte ſtieß ſie hinab in die Flut.
414
Da firedte fle aus die fchneeweiße Hand:
„O liebe Schweiter, du hilf mir ans Land!
O liebſte Schwefter, du Hilf mir ans Land!
Dir will ich geben mein roth Goldband.“
„Dein Goldband wird mir nicht entgehn,
Nie jour du auf grüner Erde mehr ſtehn.“
„D liebe Schwefter, hilf mir aus der Flut!
Ich gebe dir meine Goldkrone fo gut.“
„Deine Goldkron' wird mir nicht entgehn,
Nie ſollſt du auf grüner Erde mehr ftehn.“
„D liebſte Schwefter, ans Land Hilf mir!
Meinen jungen Bräutigam geb’ ich bir.“
„Und nimmer beif’ ich zum Lande bir;
Dein junger Bräutigam wird doch mir.“
Die Schiffer ruderten aus vor Tag,
Sie fanden die Jungfrau im Wellenfchlag.
- Sie fanden die Jungfrau, weiß wie Schnee,
Und zogen fie facht an den Strand ber See,
Ein Spielmann, der des Weges kam,
Die Jungfrau zu einer Harfe fih nahm.
Das Bruftbein nahm er zum Geftell,
Die Harfe Hang fo Tieblih und heil.
Und er nahm der Jungfrau Finger fo fein,
Die mujten die Harfenfchrauben ihm fein.
Und er nahm auch ihr gofpgelbes Haar,
Das ftatt der Harfenjaiten ihm war.
Die ſchmucke Harf’ auf den Arm er nahm
Und zum Hochzeithaufe gegangen Tan.
Er ſpielt' im Königshauſe fie dort.
„> horch, meine Braut, auf der Harfe Wort!”
Und im erften Schlage gab fie ben Laut:
„Mein rothes Golbband trägt die Braut.”
Und im zweiten Schlage gab fie den Laut: _
„Der Bräutigam war mein Berlobter fo traut.“
415
Und im dritten Schlage den Laut fie gab:
„Meine Schweiter ftieß mich ins Meer hinab.“
„Zerſchlagt mir die Harf’ an einem Stein!
Sie Hang mir den Tod in dag Herz hinein.”
In den meiften Überlieferungen diefes Liedes wird dasſelbe mit den
Mythen von den Waflergeiftern in Verbindung gebracht, indem an bie
Etelle des Spielmanns, der die wunderbare Harfe baut, der Ned ein:
tritt, den auch fonft die Volksſage zu einem mufilalifchen Wefen madıt.
Das Horn wird gleichfalls nicht bloß verlodend, fondern auch zum
Hülferuf gebraudt. Da es von den Rittern auf Jagd und Fahrt ge:
tragen wird, fo iſt es ohnehin beftimmt, in mancherlei allen bie
Lofung zu geben. Aber in ber gröften Noth wirkt e8 auch auf über:
natürliche Weife und in die Ferne hinaus auf die inniger Befreundeten.
Es Tann Biefür ein bänifches Lied angeführt werden, nah Grimm
207 f. (Nyerup IV, 31 ff.):
Stolz Signild ließ brauen u. ſ. w. **
Im Übrigen erſcheint dieſer Nothruf durch das Horn in den Sagen
andrer Völker eingreifender und bedeutſamer, wie namentlich in der
fränkiſchen von Roland. |
Nicht bloß über Seineögleichen übt der Menfch in den nordiſchen
Volksliedern dur die Muſik den mächtigiten Zauber aus; dasſelbe
Mittel, wodurch die -Naturgeifter ihn bewältigen, wendet er gegen fie
zurüd, und in folden Fällen äußert dasjelbe von beiden Seiten feine
wundervollften Wirkungen. Wenn Ulfoa, die Zivergtochter, den Runen:
ſchlag auf der Goloharfe fchlägt, da vergeflen bie Thiere des Waldes,
wohin fie fpringen, die Fifche der Flut, wohin fie ſchwimmen wollen,
der Fall auf dem Zweige breitet die Flügel aus, die Wieje blüht und
Alles belaubt ih. Wenn die Jungfrau der Elfenhöh’ ihr Lied anbebt,
da hält der gewaltige Strom inne, die Filche fpielen mit ihren Floßen,
die Vögel im Walde beginnen zu zwitſchern. Und fo umgelehrt, wenn
der Bräutigam die vom Ned, hinabgezogene Braut durch Harfenichlag
zurüdbeifcht, da fpielt er die Vögel vom Zweige, die Rinde von der
Birke, daS Horn von der Stirne des Stier, den Thurm von der
Kirche und zulegt die Braut aus den Wellen auf jeine Kniee (Nyerup
I, 328. Sv. III, 144 f. 147). Es Scheint fich bier in den Balladen
416
etwas zu ergänzen ‚ was in den Gbitermythen verloren if. Wenn
unter den ielterhaltenden Aſen Jedem fein Theil zugewieſen ift, wo
durch er den zerftörenden Kräften entgegenwirkt, fo mögen wohl bie
Runen auf der Zunge Bragis, des Staldengottes, (Finn Magnufen,
Edd. IV, 47) durch Harmonie die Welt beberrfcht haben.
Es ift noch eine Art des Zaubers übrig, bie in den Balladen ihre
Macht äußert, die Beſchwörung der Todten. Diefe gefchieht ſchon in-
der Götterwelt durch Zauberliever und Runen. Odin kömmt als Veg—
tamr (Vegt. qv. Str. 9. 10. Edd. Seem. 94. Finn Magnufen Edd. II,
254 f.) vor Held Pforte, wo eine Völe begraben liegt, da fingt er
Baubergefänge und legt Stäbe (Runen) an (lagdi & stafi), und nun
muß ſich die Todte erheben, die, vom Schnee bejchneit, vom Regen
gefchlagen und vom Thau benetzt, lange dort gelegen war. So wedt
auch- in der Heldenfage Hervör durch Zaubergefang ihren Vater im
Grabhügel und zwingt ihn, das Schwert Tyrfing heraus zu werfen.
Ähnliches nun kommt in den Volksliedern vor. So in dem bänifchen
Helbenliede von Drm, der einem Riejfen die Tochter des Dänenfönigs
abfämpfen will, Grimm ©. 41 f. (Nyerup-I, 55 ff. 64 ff. 375 bie 378):
Es war fpät zur Abendzeit u. ſ. m. ***
Bol. Für. Qu. 368 bis 375. |
Dann in der dänischen Ballade von Svedger, ber zu einer gefähr:
lihen Brautfahrt von der Mutter im Grabe feine Ausrüftung verlangt,
Grimm ©. 168 f. (Nyerup I, 252 ff. 389):
Hier fittt ihr, alle meine guten Dann u. |. w. ***
Aber außer dieſen heroifchen Beichwörungen gibt es in ven Balla⸗
den noch einen andern Zauber, der die Tobten aud dem Grab er-
weckt, ‘die Klagen und Thränen der Zurüdgebliebenen; ein Zauber, ber
wieder an den Nothruf der Harfe erinnert.
Aage und Elfe.
(Nyerup I, 210 ff. 381 bis 388. Grimm ©. 73 f. 505 bis 507. 8v.1,298.
II, 204 ff.) .
Das war der Nitter Aage,
Ritt über die Inſel weit,
Verlobte fih Jungfrau Elfe,
So eine holde Maid.
417
Berlobte fi Jungfrau Elſe
Mit Gold, fo manchem Bund,
Den Monatstag nad) diefem
Lag er im ſchwarzen Grund.
Da war der Jungfrau Elſe,
Ihr Herz von Sorge wund,
Das hörte Ritter Aage
Tief unter ſchwarzem Grund.
Auf ſteht der Ritter Aage,
Trägt ſeine Bahre mit,
Er wankt nach ihrer Kammer:
Mit mühenollem Schritt.
Klopft an mit feinem Sarge,
Weil man fein Kleid ihm nahm.
„Steh auf, du Jungfrau Elfe,
Schleuß auf deinem Bräutigam!“
Da ſprach die Jungfrau Elfe:
„Nicht öffn' ich Thür noch Thor,
Nennft du nicht Jeſu Namen,
Wie du gelonnt hievor.“
„Steh auf, du Jungfrau Eilſe,
Schlenß auf nur Thür und Thor!
Wohl nenn’ ih Jeſu Namen,
Wie ich gekonnt hievor.“
Auf ſteht die Jungfrau Eife,
Schließt auf ihr Kämmerlein,
Mit Thränen auf der Wange
Läßt fie den Todten ein.
Sie nimmt den Kamm von Golde,
Kämmt ihm fein gelbes Haar;
So manches Haar fie fchlichtet,
- &o viel der Thränen war.
„Sag an, herzliebfter Aage,
Wie iſt's in deinem Grab?
Die iſt's im ſchwarzen Grunde,
Da man dich grub hinab?“
Utzlaubd, Schriften. VI. 27
418
„Jedmal, daß du dich freueft
Und leicht iſt dein Gemüth,
Da ift mein Grab dort unten
Umbängt mit Rofenblüth.
Jedmal, daß du dich grämeft
Und fchwer dir ift zu Muth,
Da ift mein Sarg dort unten
Gefüllt mit dickem Blut.
Nun kräht der Hahn, der rothe,
Und nun muß ih vom Ort,
Zur Erde müffen die Todten,
Da muß auch ich mit fort.
"Nun kräht der Hahn, der fehwarze,
Da muß ich flugs hinab,
Sich öffnet des Himmels Pforte,
Da muß ich in mein Grab,“
Auf ſteht der Ritter Aage,
Trägt feine Bahre mit,
Sp wanket er zum Kirchhof
Mit mühenolem Schritt,
Das that die Jungfrau Elfe,
Ihr Herz war voll von Sram,
Wohl durch den Wald, den finftern,
Folgt fie dem Bräutigam,
Und als fie aus dem Walde
Zum Kirchhof kommen wer,
Da falbte dem Ritter Yage
Sein ſchönes gelbes Haar.
Und als er von dem Kirchhof
Die Kirche gieng entlang,
Da falbte dem Ritter Aage
Seine rojenrothe Wang.
„Run hör’, du Jungfrau Elſe!
Herzliebfte, Iaß den Sram!
Du weine niemals wieder
Um deinen Bräutigam!
419 -
Sieh auf, ſieh auf zum Himmel,
Do manches Sternlein flieht!
Daran wirft bu erkennen,
Wie bald die Nacht vergeht.“
Da ſah fie auf zum Himmel,
Sah all die Sternlein ftehn.
Zur Erb’ entwich der Todte,
Sie konnt’ ihn nicht mehr jehn.
Heim gieng die Jungfrau Eife,
Ihr Herz von Sorge wund,
Den Monatstag nad dieſem
Lag fie im ſchwarzen Grund.
Diefe Ballade zeigt nahe Beziehung zu dem Eddaliede von Helgi
und Sigrun. Diefe ift binausgegangen in den Grabhügel ihres Ge
mahls, da jagt fie zu ihm: „Dein Haar, Helgi, ift reifburcäbrungen,
überall bift du von Blutesthau benebt, eisfalt find deine Hände; wie
Tann ich jemald dir Sühne fchaffen?” Helgi antwortet: „Du allein,
Sigrun, bift ſchuld, daß Helgi fo vom blutigen Leivesthau bemekt ift;
du goldgeſchmückte weinteſt bittre Zähren, ehe du ſchlafen giengft u. f. w.;
jede ift blutig auf meine Bruft gefallen, vie eiskalte, ſchmerzbedrungene.“
Ehe der Hahn Salgofnir das Siegervolt, die Helden in Valhall, weckt,
muß Helgi bahin zurückkehren. Es find zwei mythiſche Hähne, ber
Ichönrotbe ‚mit dem Goldkamm bei den Aſen, ber rußfarbe in ber
Unterwelt; dieſe krähen auch in der Ballade als rother und ſchwarzer
Hahn (Edd. F. Magn. I, 45 f.), wenn glei bier Jefu Namen ge
nannt wird und der Todte in der Kirche begraben liegt.
In nachfolgendem Liebe wird ver Chriftengott felbit in die Hand⸗
lung gezogen (Nyerup I, 205 ff. 899 f. Grimm 147 ff.) !:
Dyring ritt fiber die Inſel meit,
Eine fhöne Jungfrau er ſich freit.
Zufammen waren fie fieben Jahr,
Dis fie ſechs Kindlein ihm gebar.
1 Zwei ſchwediſche Verſionen des Liedes, welche die Macht der Thränen
noch flärfer hervorheben, Sv. III, 33 bis 89.
420
Da kam der Tob in biefes Land
Und brach die Lilie mit feiner Han.
Dyring ritt über die Inſel weit,
Eine andre Jungfrau er fich freit.
Heim führte die Braut der Bräutigam,
Doch fie war Allen bitter und gram.
Da fie num fuhr auf den Hof daher,
Da flanden die Kinder und weinten fehr.
Die Kindlein ftanden fo traurig dort,
Sie ftieß mit ihrem Fuße fie fort.
Sie gab den Kindlein nit Bier noch Brot,
Sprad: „Ihr follt leiden Hunger und Noth.“
Nahm ihnen die blauen Polſter neu,
Spread: „Ahr follt liegen auf bloßer Streu.“
Wachslichter, die großen, löſchte fie aus:
„Ihr ſollt nun liegen im dunkeln Haug.”
Die Kindlein weinten zur Abendflund,
"Das hörte die Mutter im tiefen Grund.
Das hörte, die unter ber Erbe war.
„Bu meinen Kindlein muß ich fürwahr.“
Sie gieng vor unfern Herrn zu fiehn:
„Und darf ich zu meinen Kindlein gehn?“
Ste bat den Herren und bat fo lang,
Bis daß er ihr erlaubte den Gang.
„Doch ehe der Hahn kräht, hebe Dich fort!
Richt länger ſollſt du verweilen dort.“
Da bob fie auf ihr mldes Gebein,
Die Mauer riß und der Marmorftein.
Und als fie gieng ben Ort hinan,
Da heulten die Hunde die Wollen an.
Und als fie kam zu bes Hofes Thor,
Da ftand die Ältite Tochter davor.
„Was ftebft du Bier, liebe Tochter mein?
Und wie denn geht's den Geſchwiſtern dein?“
421
„Du bift doch meine Mutter nicht,
Meine Mutter war fo ſchön und licht.
Meine Dintter war weiß mit Wangen roth,
Doch du bift bleih, als wäreft du tobt.”
„Wie ſollt' ich ſchön doch fein und Licht?
Todt war ich und bleih ward mein Geht.
Wie ſollt' ich weiß doch fein und roth?
So lange bin ich geweſen tobt.”
Und als fie trat in die Stube hinein,
Da flanden mit Thränen die Kinder Hein.
Das eine fie fämmt und dem andern fie flicht
Und das dritte fie hebt und das vierte fie richtt.
Das finfte nahm fie mit folder Luft,
Als ob fie ihm geben wollte die Bruft 1.
Sie fagte zum Äfteften Töchterlein::
„Den Bater bitte zu mir herein!“
Und als ex berein in die Stube kam,
Da ſprach fie zu ihm in Hitterem Bram:
„Ich ließ zurück wohl Bier und Brot,
Meine Kindlein leiven von Hunger Roth.
Ich ließ zurfid die Polſter nen,
Meine Kinder liegen auf bloßer Streu.
Wachslichter ließ ich dir, große, nad,
Meine Kinder liegen in dunleln Gemach.
Und muß id öfter zu ihnen gebn,
Das wird dir nit zum Glüde geſchehn.
Nun krähet der Hahn, der rothe,
Bur Erde muß jedes Todte.
Nun krähet auch der ſchwarze Hahn,
Des Himmels Thor ift aufgethan.
- Run träbet auch der weiße Hahn,
Nicht länger ich verweilen kann u. ſ. w.
1 Bel. H. Schreiber, Taſchenbuch für Gelqhichie und Alterthum in Süd⸗
dentſchland. 1839. ©. 826.
422
Der dritte weiße Hahn, der bier ericheint und dem fo gut als den
andern feine mythiſche Stelle gebührt, mag bem hellen Reiche ber Banen
und Lichtalfe angehören, wie die beiven andern bem Aſen⸗ und Joten⸗
reiche.
Zwei weitere däniſche Balladen, bie ich bier gleichfalls mittheile,
gehören fchon mehr dem Geſpenſterweſen bes chriftlichen Mittelalters
an; boch zeigen auch fie noch den ſtufenweiſen Übergang.
Hedebys Geſpenſt.
(Nyerup I, 201 ff. Grimm 296.)
Ich ritt am Abend über Land,
Mein Roſs ih in die Schlinge band.
Ich legte mein Haupt an den Hligelrain,
So gerne wollt’ id da Ihlafen ein.
Und als mich der erfte Schlaf befieng,
Der todte Mann zu mir hergieng.
„Und bift du eiuer von meinem Geſchlecht,
Soüft führen du meine Sad’ im Recht.
Nah Hedeby follft du hingehn,
Da wohnen mir Blutsfreunde zehn.
Da bat auch gewohnt mir Bater und Mutter,
Dazu auch Schweſter und lieber Bruder.
Da wohnt Hein Ehriftel, mein ſchönes Weib,
Und die verrieth meinen jungen Leib.
Mit ihren fünf Weibern fie das thät,
Sie erftidten mi im Seidenbett.
Sie bargen im Bündel Heu mich dort
Und führten zur wilden Heide mich fort.
Der Gefell, den fonft ich hielt fo werth,
Er reitet nun mein gutes Pferd.
Mit meinem Meffer ißt der Dieb
Und liegt bei meinem holden Lieb,
Sitt mir am breiten Tiſche dort,
Berhöhnt meine Kinder mit hartem Wort.
423
Gibt ihnen fo ein Meines Brot,
Berfpottet fie, weil ihr Bater tobt.
Mit meinen Hunden reitet er bin
Und jagt mir die Thier’ im Walde drinn.
Und jagt er mir eins-den Forſt hinab,
So wedt er mi anf in meinem Grab.
Doch komm’ ich einmal zu ihm hinein,
Da foll ihm übel zu Muthe fein.
Denn bier aud Feine Beſchwörung mehr, aud nicht die durch bie
Thränen, obwaltet und Feine jonftigen mythifchen Züge hervortreten,
fo ift e8 doch noch immer ein norbifches Motiv, das Begehren ber
Mordbuße, was den Todten beraustreibt; der Blutöverwanbte, dem
ex erjcheint, ſoll feine Sad’ im Rechte führen, d. 5. die Morbllage
erheben. Anders nun im folgenden letzten Stüde diefer Art, auch aus
dem Dänifchen (Nyerup I, 215 ff. 383 f.):
Das war Herr Morten von Vogelſang,
Er ritt in den grünen Wald;
Da kam ein Siechthum über ihn
An einen Morgen jo bald.
Todt reitet Herr Mosten von Bogelfang.
Zur Kirche gab er das rothe Gold,
Zum Klofter gab er fein Pferd,
Da legten fie mit Sang und Klang
Herrn Mortens Leich' In die Erd”,
Das war der junge Folmer Skjöt,
“ Er ritt über Berg und Thal,
Nach reitet ihm Morten von Bogeljang,
Spräd’ gerne mit ihm einmal.
„Nun Hör du, junger Folmer Stjötl
Halt an und fprid mit mir!
Sch ſchwör' bei meinen Chriftenglauben,
Keinen Schaden füg’ id dir.”
„Nun Hör du, Morten von VBogelfang,
Was ift zu reiten dir noth?
Nicht länger, als feit geftern, iſt's,
Man ſcharrte dich ein für todt.
424
Sch reite nicht um Klage bier,
Noch daß ih Spruch erlang',
Ich reit' um ein kleines Ackertheil,
Man ſchwur's zu Vogelſang.
Ich reite nicht um Hader hier
Und nicht um Gold und Geld,
Ich reit um ein kleines Ackertheil,
War zweier Waiſen Feld.
Sag ihr, der ſchönen Frau Mettelill,
Sobald du dort zu Gaſt,
Sie gebe zurück das Ackertheil,
So wird meiner Seele Raſt!
Sag ihr, der ſchönen Frau Mettelill,
Hat fie nicht Glauben dazu,
Droben vor der Kammerthür
Da ſtehen meine Nachtſchuh!
Droben vor der Kammerthür,
Wo meine Nachtſchuh ftehn,
Das wird geihehn vor Mitternadit,
Man wird voll Bluts fie fehn.”
„Herr Morten, reitet nun hinweg!
Ruht aus eur mid Gehein!
Ich ſchwör euch: dieſes Adertbeil
Soll rückerſtattet ſein.“
Schwarz waren ſeine Habichte
Und ſchwarz war auch ſein Hund
Und ſchwarz war all des Herren Bolt,
Das ihm folgte dur Waldesgrund.
Dank Habe die fchöne Frau Mettelill!
Sie war fo treu dem Gemahl,
Sie gab zurüid das Adertbeil,
Da war die Seel’ aus der Qual.
Diefer Grabgeift wird ganz in der Art, wie der Gefpenfterglaube
fih noch heutzutag hauptſächlich äußert, durch Gewifiensangft umge
trieben. Ex fucht nicht, wie noch das Gefpenft von Hebeby, Rechtsſtreit
425
und Urtbeil, er will vielmehr zurüderftattet wiflen, mas er bei Lebr
zeiten vor dem Gericht ungeredhterweife ven Waifen abgenommen.
So haben die alten mythiſchen Borftellungen ihre allmähliche Um⸗
wanblung in ben neuern Bollaglauben vollenvet.
Nachdem zuerft das Verhältnis der Volksballaden zur Götterſage
exdrtert worden, fo ift nun auch von ihrer Beziehung zur Heldenſage
zu handeln. Manches von dem, was in den altnorbifchen Liedern und
Sagen gefungen und gejagt war, ift in die Form der Balladen über
gegangen und bat fi) jo zum Theil noch bis auf den heutigen Tag
im lebendigen Vollsgeſang erhalten. Im beträchtlichften Umfang ift
dieß mit foldden Sagen der Fall, die wir als dem Norden mit Deutſch⸗
land gemeinjame bezeichnet haben. Dahin gehören 11 färöifche Lieber,
bie den Hauptbeftand der gebrudten Sammlung ausmachen, meift von
bebeutenver Stropbenzahl, fo daß eines derfelben bis auf 220 Strophen
anfteigt. Sie find Buuptjächlic dem Sagenkreis entnommen, den mir
in den Sagan von den Völſungen, Nornageft und Ragnar Lodbrok
bargeftellt fanden. Ein großer Theil derfelben, der, vom Tobe Gig
munds anbebend, die Thaten und Geſchicke Sigurbs, Brynhilds, ber
Gjukungen und Atlis umfaßt, bflvet ein nicht nur durch Versart und
Stil, fondern auch durch ausbrüdliche Anknüpfungen am Schluffe der
einzelnen Lieber zufammenhängendes Ganzes. Hiezu kommen bann bie
Lieder non Ragnar und Aslög (Assla), der angeblichen Tochter Sigurbs
und Brynhilds, und von Nornageft, ſodann noch einige, in denen ein:
zelne Abenteuer Sigurds und Birgars, Vealants Sohnes, mit Rieſen
und Zwergen erzäblt ſind. Es zeigt fich in dieſen Liedern eine Mi:
ſchung ber nordiſchen und beutichen Darftellung des gemeinfchaftlichen
Sagenkreiſes. Die von Sigurd und den Gjukungen over Niflungen
ftimmen bis zu Sigurds Tod in der Hauptjache mit ber norbifchen
Bölfungenfage und den Eddaliedern; von dba aber, jenen Morb mit
eingeſchloſſen, halten fie ſich mehr an die, auf deutfcher Überlieferung
berubende Bilfinafaga Ragnar und Nornageft fallen wieder den entſpre⸗
chenden norbiichen Sagan anheim, Birgar aber ben beutfchen Quellen.
Auf den Färden felbft war eine allgemeine Sage, daß bie bortigen
Gefänge von eimem alten, in Leder gebundenen Buche herſtammen,
welches auf die Inſel Sandö mit einem isländiſchen Schiffe, das dort
geftsanvet, gelommen ſei. Das Buch fei jo groß getvelen, daß es bie
%
426
volle Laſt eines Pferbes auf der einen Seite feine® Tragfatteld aus
gemacht. Der Kehrreim eines färdifchen Liedes hebt an: „Ein Neim
ift von Island kommen, gefchrieben im Buch fo breit” (Far. Qu.
553, 5). Die Nachforſchungen der Gelehrten nach diefen Buche find
jedoch vergeblich geweſen und die Inſelbewohner befiten überhaupt feine
fchriftliche Aufzeichnungen ihrer vielen Lieber, fondern dieſe haben ſich
durchaus mündlich vererbt. Der jetige färdifche Dialekt iſt auch fo ab-
weichend von dem islänbifchen, daß ein Gebrauch isländiſch aufgefchrier
bener Lieber, ohne eine eigentliche Umarbeitung, nur in längft ver
gangener Zeit hätte eintreten können. Es mögen diefe und andre
Sagenliever auf den Färden, fo gut als auf Island, ein altes Erb:
theil aus dem gemeinfamen, normwegifchen Heimathlande fein, aber durch
innere und auswärtige Einwirkungen manigfach eriveitert und umge:
manbelt (Fär. Op. Indl. 13. 38, 40). Der Einfluß deutfcher Über:
lieferung erflärt fi ala ein mittelbarer durch den Verkehr mit den
andern norbiichen Ländern; doch könnte audy Einiges unmittelbar durch
die auf Suberd beftandenen Nieberlaffungen der Hanſeſtädte eingeführt
worden fein (ebend. 36).
So beliebt die Lieder dieſes Helbenkreifes bei den Bewohnern jener
entlegenen Sinfeln find, fo machen fie doch den Einprud, daß fie ihrem
Lebenselemente zu weit entrüdt find. Man findet in ihnen einzelne
Spuren der altnorbifchen Dichterfprache, 3. B. wenn das Gold nod
Malmaring (Malm aa Rhin, Rheinerz, 126 f.), ein Held oder König
Mjelingur (Mildingr, 180, 130), Hilmar (Hilmir, 204, 188), ver
Drache, den Ragnar erlegt, Ura-Bej, eine Fifchart (320, 28), ge
nannt wird. (Vol. 89, 2. 135, 18. 194 u.). Bon folden Ausbrüden
fagen aber die Färöer jelbit: „Wir find dieſes Wortes nicht mächtig”
(219, N.). Es zeigt ſich auch an einzelnen Stellen poetijcher Schwung,
3. B. wenn ein Lieb beginnt: „Auf dem Meere brechen fich viel wilde
und jähe Wogen”, um damit die Ausfahrt eines Helden anzufündigen
(101), oder wenn von ber ſchönen Brynhild gejagt wird, die Sonne
fchein’ auf fie mit Schatten (128, 3. Vgl. 227, 21). Allein au
dieß find eben nur Einzelheiten und im Ganzen herrſcht eine gewiſſe
Trockenheit, welche überall eintreten muß, mo die überlieferte Poefie
nicht fortwährend aus ihrer Lebensquelle getränft wird. Das innere
Verſtändnis des Mythus und des Heldenthums ift verfiegt und mand«
427
mal bleibt von den Heldendharafteren nur bie riefenhafte Geftalt und bie
rohe Gemwaltthat übrig. Keines dieſer Helvenliever fommt ven früher
vorgetragenen zwei mythiſchen Etüden, vom Spiele Skrymners mit
dem Bauer, an poetifchem Werthe gleich; Tebtere haben fich wohl eben
dadurch fo lebendig erhalten, daß fie in ben Kreis der ländlichen Wirth:
fchaft, in den Bereich der eigenen Anfchauungen und Bebürfnifje ein
greifen. Aus gleichem Grund ift auch unter den Liedern der Helven-
fage dasjenige das eigenthümlichite und belebtefte, welches fich mehr
zum Soylliichen binneigt, indem ed Brautwerbung und Hochzeitfeier fo
fchildert, wie fie dem Bewohner der Färden anftändig und ftattlich er:
fcheinen mochten.
Es ift dieß das Lied von Ismal (Ujsmal). Sein Inhalt fällt in
den Umfreis der Bölfungenjage, ohne daß jedoch diefe in ihren anders
wärtigen Darftellungen etwas Entfprechendes darböte. Dem Helden
Sigurd wird hier eine Schwefter Spanild Sonnenliht (Suola Ljaume),
gegeben, um melde Ismal, der berühmte Kämpe (frefji kjempa),
wirbt. Beim Hochzeitmahl fieht Sigurd Brynhilden, die eine der Brauts
jungfraun ift-und an bie fih fortan fein Schickſal knüpft. Bon 8:
mal und feiner Werbung wiſſen weder die Ebdaliever noch die Vol⸗
fungafaga. Svanhild beißt ihnen die Tochter Sigurds von Gudrun.
Auch pafst die einfache Weife, wie fih Sigurd im Jsmalsliede in
Brynhild verliebt, nicht recht. für das heroiſche Weſen des Drachen:
töbterd und feiner Valkyrie, eben barum aber um fo befier für ben
ländlichen Gefang färdifcher Inſelbewohner, welchem denn auch biefer
epiſodiſche Zufat zur Heldenfage, wenn nicht feinen Urfprung, doch
feine harakteriftiiche Ausbildung verdankt. ch habe hiernach auch gerade
dieſes Lieb zur Probe der färöiſchen Balladen der bemerkten Klaſſe ge
wählt, dasſelbe aber, feines größern Umfangs wegen, in Proſa über:
tragen.
Ismals Lied.
(Fär. Ov. 100 ff. Bgl. Indl. 27 f.)
1. Auf dem Meere bricht fih manche jäühe Woge. Ismaln kam es zuerft
in den Sim, feinen Knecht Hermund aufzubieten.
2. Bir wollen reiten in des Königs Hof, um Hjalpreis Tochter zu werben.
3. Mitten im Grashof wechjelt er fein Kleid (skin) und fo bereit gebt er
in die hoben Hallen ein.
428
4. Wo König Hialprek am Tiſche faß mit fünfhundert Mannen.
5. Ismal flieht auf der Halle Boden: mit filberbefuopftier Mütze; feine
Wangen find roth, wie Hummerflauen, feine Augen blan, wie eine Taube.
6. Ismal ſteht auf der Halle Boden und trägt feine Werkung vor. „Ski
beglüdt, tapfrer König! gib beine Tochter mir!“
7. Lange faß der König und fann auf Kath, wie er Ismaln follte mit
Hohn antworten.
8. „Die Jungfrau hat einen rafchen Bruder, er Heißt Sigurb ber
namenkundige. Ständ’ er bir zur reiten Hand, er däuchte wohl dein
Meifter.*-
9, Das war Spanild Sonnenlicht, fie gieng ein in die Halle. Sowie
fie Ismaln mit Augen jah, gewann fie Gunft zu ihm.
10. Lange ſaß der König und fann darauf, wie er Jamalu follte mit
Sul antworten.
11. Da antwortete Hialpret, der König, all ohne Sorge: „Dir geb’ ih
meine Tochter jetzt und dazu den Hochzeittrunf.“
12. Zamal fteht auf der Halle Boden, gürtet fid und wendet ſich; verlobt
ſich Svanhilden Sonnenlicht; Hjalpret, der König, läßt ſchenken.
13. Ismal ſteht auf der Halle Boden, für alle Dinge weiß € er Beſcheid.
„Wie foll ih den Sigurd zu meinem SHochzeitfefte Taden?“
14. Da antwortete Hjalprel, der reiche König: „Ich weiß dir keinen andern
Rath, als du ladeſt ihn ſelber.“
15. Jamal ſprang auf fein gutes Roſs, fort ritt er in ven Wald; da
begegnet’ ihm Sigurd, Sigmunds Eohn, mitten auf feinem Wege.
16. Das ift mir für wahr gefagt, er war nicht gar freundlid.
17. Ismal fteht auf dem grünen Feld, für alle Dinge weiß er Beſcheid.
„Dich bitt’ ih, Sigurd, zu meinem Hochzeitfeſte.“
18. Antwortete Sigurd, Sigmunds Cohn, er fit auf raſchem Roſſe:
„Woher des Tandes ift die Braut, die du dir, Ismal, gefreit?”
19. „König, Hjalprek ift ihr Vater, Frau Hjordys ihre Mutter; das if
mir für wahr gejagt, du feift der Jungfrau Bruder.”
20. „Haft du meine Schweſter gefreit und mich nicht drum gefragt, fo
flag’ ih di mit Kmütteln lahm; dir geblihrt kein andres Recht.“
21. „Wohl hab’ ich deine Schmefter gefreit und dich nicht drum gefragt.
Doch eh du mid mit Knütteln lähmſt, biet’ ich dir ein andres Recht.
22. Wohl hab’ ich deine Schwefter gefreit, nicht aber wuſt' id um bi.
Eh bu mich mit Knütteln lähmſt, foll deine Etirne ſchwitzen.“
23. „Haft du meine Schwefler gefreit, die fittfamfte der Jungfrauen, hör
du, Ismal, rafcher Kämpe, follft du mir Heldenarbeit vollbringen!“
429
—
24. Antwortete Ismal, der raſche Held, gewachſen fiber alle Kämpen:
„Wie Heißt das erſte Wert, das du mir auflegen willſt?“
25. „Hier vorm in dem grünen Wald, da liegen der Würme ſechs; alle
muſt du fie mir erjchlagen, eh du vor den Brautjchemel trittſt.
26. Hier vorn in dem grünen Wald, da Tiegen der Würme zwölf; alle
muſt du fie mir erfchlagen, eh du das Brautgemadh betrittfl.”
27. „Hier vorn in dem grünen Wald, da liegen der Würme zween; ſag'
du mir, Sigurd, Sigmunds Sohn! wie lang find fie denn?“
28. „Der eine ift achtzehn Ellen lang, der andre dreiundzwanzig; mein
ganzes Heer ift Zeuge, daß ich dir die Wahrheit ſage.“
29. „IR der eine achtzehn Ellen lang und der andre breiundzwanzig, fo
bin ich des flarfen Samfons Sohn und fürdhte mir nicht davor.“
30. Alle die Wurme ſchlug er da, das dunkt ihm Feine Noth. Finna fpie
Eiter auf ihn, daß er nicht von hinnen konnte.
31. Das war Sigurd, Sigmunds Sohn, er ritt heim nach dem Hofe.
Außen ſtand Svanild Sonnenlicht.
82. Sigurd gieng in die Burg, groß ift feine Kraft; er fett fich auf ven
Hodfit, daß all Pie Burg erzittert. 0
83. „Bflegen fo, Bater, höfiſche Männer ihre Xöchter binzugeben,
fo wollt’ ich, bein Halsbein wär’ in fieben Stüde gefchlagen von meiner
Fauſt.“
34. Hervor trat Svanild Sonnenlicht, die ſittigſte aller Frauen. „Haft
du, Sigurd, den Rath erdacht, Ismaln Heldenwerk aufzulegen?“
85. „Geh bu fort aus meinen Augen! ich will dich nicht anhören; nicht
ziemt das meinem guten Schwert, in Weiberblut es zu tauchen,“
36. Das war Svanild Sonnenlicht, fie begann fo fehr zu weinen. Wieder
fragte Sigurd, warum fie fih fo gebärbe.
87. „Geh du fort ans meinen Augen! weine nicht Länger diegmal! Der
Mann ift würdig feiner Maid, und nicht iſt er ſchwächer, denn ich.“
88. Sigurd fprang auf fein gutes Roſs, er trägt das Helbenfchwert, fo
reitet er nach dem Walde fort, feiner Schwefter zu Liebe.
89. Ismal Kiegt auf dem grünen Grund, feft im Eiter des Wurmes. Froh
ift er, da er Granis Hufe treten hört.
40. Ismal Tiegt auf dem grünen Grund, fe in des Wurmes Blut. Froh
if er, da er Granis Hufe ſtampfen hört.
41. Sigurd nimmt ihn in den Sattel umb fürchtet flir Jomals Wunden;
im feiner Tafche jucht er nach Salbe, um fie einzureiben.
42. Sigurd nimmt ihn in den Sattel, führt ihn beim zu den Hallen:
„Rimm bier, Syanild Sonnenlicht! heil’ dr den Kümpen!“
430 '
43, Sie heilt! ihn einen Tag, fie heilt’ ihn zwei; der vierten Woche erſten
Tag fuhr er in die blaue Brünne.
44. Der vierten Woche erftien Tag fuhr er in die neue Brünme; fie führt
ihn in die Hallen ein; fo freundlich war er anzujehn.
45. Da rüfteten fie das Hochzeitmahl; kein Mangel war da; achtzehn
Burgen waren geladen, zwölfhundert Mann aus jeder.
46. Da rüfteten fie das Hochzeitfeft, bald war Alles verfammelt; achtzehn
Burgen waren gelaben und dort war audy der König von Frankreich (Kongur
eäv Frans).
471. Ismaln fehlten nicht die Brautmänner; ;ur rechten Hand gieng König
Hjalpref, zur linken Gunnar der Held.
48. Svanilden fehlten nicht ſchmucke Brautfrauen; zur rechten Hand gieng
Gunild, Budlis Gemahlin, zur linken Grimild, Gjnkis.
49. Svanilden fehlten nicht ſchmucke Brautjungfrauen; zur rechten Hand
gieng Brinild, Budlis Tochter, zur linken Gurin (Gudrun), Gjufis.
50. Da war ein Mann, der die Harfe ſchlug, genannt Orvur⸗Oddur;
Hialmar Kappi und Sigurd waren Brautführer.
51. Da waren dreißig Krüge von Eilber und manche Silberfhaale Da
lief e8 über in des Königs Halle, als Alles bereit geftellt war.
52. Da waren breißig Scüffeln von Silber, neugefchmiedet waren alle.
Sigurd fteht auf der Halle Boden und erzählt von raſchen Kämpen.
53. So flierte da Sigurd auf Brynhilds Rede, er brach über dem Tiſche
bie vergüldete Methſchal' entzwei.
54. Getrunlen war diefe Hochzeit. Die Leute waren fo fröhfich, wie bie
Bögel, die auf dem Zweige figen, ſich des lichten Tages freuen.
55. Dreißig Kerzen waren angezündet und vierzig Fackeln brannten; fie
geleiteten dieſe reiche Braut die erfte Nacht zum Lager.
56. Dreißig Kerzen waren angezündet und Wachslichter dazu. König
Hialpref und all jein Gefind geleitete fie zum Schlafhaufe.
57. Die Orgel ward im Hof getreten, Harfen ſchlug man in Menge.
König Hialprek und all fein Geſind' geleitete fie zum Lager.
58. Getrunten war dieſe Hochzeit und luflig war ihr Leben. Beide giengen
zu einem Lager, Ismal und fein Weib.
59. Getrunfen war diefe Hochzeit, beides, wohl und lange. So mander
Hofmann war dabei, als Federn in Vogelichwinge.
60. Getrunken war dieſe Hochzeit und fo hab’ ich’s vernommen. Dam
fubr Jeder, der geladen war, Heim zu dem Seinen.
61. Nun fol das Lied aufhören, nicht länger fing’ ich diefesmal. Run
jol anheben eine andre Mähr, faßt ihr fie ins Gedächtnis!
431
— — — — —
— ⸗
Die deutſch-nordiſche Sage von Sigurd und den Niflungen bat
fih auch, zugleich mit den Überlieferungen von Wolfvietrih, Dietrich
von Bern und feinen Helen, in einer anjehnlichen Reihe altbänifcher
Balladen ausgeprägt. (Sämmtlih im Iten Bande der Nyerup-Rah—
befifchen Sammlung und voranftehend in Grimms Überjegung.) Der
Schauplatz vom Berrath an den Niflungen bat fih aus dem Hunnen:
reiche, Hunaland, auf die Kleine Inſel Hven im Sunde zurüdgezogen.
Diefe däniſchen Lieder fallen jedoch gröftentheild auf die Seite der
deutihen Sagengeftaltung und entfprechen fomit nicht der Völſunga⸗,
fondern der Bilfinafaga. Inſofern berühren fie und, nach dem fchon bei
den Heldenjagen angenommenen Plane, bier nicht näher. Einige wenige
folgen den. norbifchen Quellen und erzählen, ziemlich entftellt, die Ge⸗
Ichichten Sivards, Brynilds und ihrer Tochter Svanelil (Aslög. ©.
Nyerup I, 132 ff. Udvalg af danske Vifer fra 16—18 Aarh. II, 199 ff.
Bol. auch Nyerup II, 172 ff). Im Ganzen gilt von den dänifchen, diefem
Sagentreife zugebörenden Ballaven vasfelbe, was zum Nachtheil der
färöifchen gefagt worden. Sie find, neben dem gefuntenen Stil, aud
noch zerrifiener und vermwirrter, als dieſe. Dieſe Helden find überaus
rieſenhaft und ungebärdig. Sie fallen daburd mehr und mehr ins
Zuftige und Scherzhafte und aus der fich hiemit natürlich ergebenden
Parodie ift ein Lieb hervorgegangen, in welchem fie, willlührlich zu:
fammengerafft, zu einer gigantischen Hochzeit verfammelt find.
Heldenhodzeit.
(Udv. d. Bif. fra 16—18 Aarh. II, 173 fi Grimm 63 ff.)
Das war der Graf Herr Guncelin,
er Sprach zur Mutter fein:
„Ich will reiten hinauf ind Land
und verjuchen die Mannheit mein.”
Wohl auf vor Tag! wir fommen wohl über die Heibe.
„Willſt du reiten hinauf ins Land
und machſt mir das belannt,
So will ich dir geben dein gutes Roſs,
der graue Karl genannt.
So will ih dir geben den grauen Karl,
. dein Rofs von raſchem Lauf.
432 .
Nie darf du Schnallen den Sporn an den Yuß,
nod binden den Helm bir auf.
Keinen Kämpfer du achten darfft,
vor feinem darf dir graun,
Bevor du auf einen Kämpfer triffft,
man nennt ihn Iver den Dlann.
Das war der Graf Herr Guncelin,
er reitet an grüner Halb’;
Er begegnet dem Tleinen Tilventin,
den er halten heißt alsbald.
„Willkommen, junger Zilventin!
‚wo haft du die Nacht geruht?“
„Ich hab’ gerubt auf Bratensborg,
wo man Feuer baut aus dem Hut.”
Das war der Graf Herr Guncelin,
er blidt unterm Helm fo roth:
„Türwahr, dur Heiner Tilventin,
du ſprichſt deinen eignen. Tod.“
Das war der Graf Herr Guncelim,
ber ſchnell ſein Schwert auszog,
Er hieb den Heinen Tilventin,
daß der in Stüde flog.
So ritt er fort nad) Bratensborg,
Er ſtieß ans Thor den Schaft:
„Iſt irgend hier ein Kämpfer drin,
der fechten mag mit Kraft?“
Das war der Held, Herr ver Blau,
der aus nad Weften ſchaut';
„Nun Hilf mir Ufi und Asmer Grib!
Ich höre Kämpferlaut.“
Das war der Held, Herr Iver Blau,
der aus nach Oſten ſchaut':
„Hilf, Otthin, mir, ſo gut du kannſt!
Herr Guncelin ruft ſo laut.“
1 Alf und Aſe?
433
—
N
Das war der Graf Herr Guncelin,
Den Helm warf über der Selb;
Das börte die liebfte Mutter fein
Biel Meilen über Feld.
Die Frau erwacht um Mitternacht
und ſprach zu ihrem Herrn:
„So walte nur der höchſte Gott
über unjern Sohn in ber Fern'!“
Den eriten Ritt und den erflen Stoß
(fie waren Helden zur Hand)
Stab Guncelin Haren ver Blau
und warf ihn weit auf's Land.
„Hör du, Graf Herr Guncelin!
willſt du mich Lafjen leben,
Ich hab’ wir eine Braut verlobt
und die will ich dir geben.”
„Richt mrit der Brant, die dir verlobt,
will ich die Hände fügen;
Gib mir Salenta, die Schweiter bein!
jo aß ih mir genügen.“
Sie richteten die Hochzeit zu,
fie konnt' nicht beſſer fein;
So viel e8 kühne Kämpfer gab,
jo viele Iuden fie ein.
Sie Iuden Bidrich, Verlands Sohn,
ſtark Dietrich au von Bern,
Sie Iuden Holger den Dänen ein,
dieweil er flritt jo gern.
Sie Iuden Sivard, den rafchen. Geſelln,
daß vor der Braut er reite;
Der Riefe Langbein ſitzen ſoll
dem Bräutigam zur Seite
Sie Inden den Meifter Hildebrand,
der trug bie Fackel voraus;
Ihm folgten au die Kämpfer zwölf,
die tranfen und machten viel Braus.
ublandb, Säriften. vu.
434
Folqvard der Spielmann kam dahin;
ihm tranken die Kämpfer Beſcheid;
Dahin kam König Sigfred Horn,
fich ſelber zu Angſt und Leid.
Da ſollte die ſtolze Frau Grimild
die Braut bereiten zum Mahl;
Sie ließ ihr die Hände mit Eifen beichlagen
und die Finger umfdymieden mit Stahl.
Frau Gunde Hette fam dahin,
die im Nordgebirge hauſt;
Sie trank wohl und fie tanzie wohl,
verftand mohl, wie man ſchmauſt.
Da war gekommen Frau Brynial,
zu ſchneiden der Braut das Eſſen;
Ihr waren ſieben Magde gefolgt
und unter die Kämpfer geſeſſen.
Sie führten die Brant in die Kammer ein,
zu halten den Morgenſchmaus;
Cie aß da auf vier Tonnen Brei,
der ſchmeckt' ihr überaus.
Achtzehn Schweinfeiten nahm fie dazu
und fechzehn Ochjenruden,
Trank dazu fieben Tonnen Bier,
dann fieng fie an zu fchluden.
Sie führten die Braut zum Saale Hin,
da baufchte fo fehr ihr Gewand,
Sie hieben, um fie zu bringen hinein,
wohl fünfzehn Elln von der Wand.
Sie führten die Braut zur Brautbank Hin
und festen fie nieder jo facht;
Die Brauthank war von Marmorſtein,
die zerfprang bis zur Erde mit Macht u. |. w.
Die junge Braut von der Brautbanf jprang,
die Hände ftredte fie aus,
Der Riefe Langbein fprang zu ihr
und tanzte mit ihr durch's Haus.
"435
Da tanzte der Tiſch unb da tanzte die Bauk,
der Reihn gieng von Ribe bis Slie;
/ Der Heinfte Mann, der im Tanze war,
hielt fünfzehn Elin unterm Knie u. |. mw.
€3 fehlt hier nur nody Sivarbs Aufzug in einem. andern Liebe,
imo diefer Held mit einer ausgerifienen Eiche am Gürtel tanzt und ber
König ausruft: „Sivarb bringt und den Sommer herein!“ (Nyerup I,
14. Grimm 30 f.) |
Wenn die färöifche Hochzeit mehr noch einen idylliſchen Anftrich
bat, jo hat wie däniſche einen entſchieden grotesken.
Die ſchwediſchen Vollslieder erftreden fich nicht über diefen deutſch⸗
nordiihen Sagenkreis. \
Aber auch noch andre, mehr einzeln ftehende Heldenfagen des Nor⸗
dens, die wir früher in ihrer. ältern Geftalt vorübergeführt haben, find
in den fpätern Bollögefang durchgebrungen. Im Berzeichnis der noch
ungebrudten färöifchen Lieder laſſen ſich mehrere Helden telänbifcher
Sagan bemerien; fo wird eines von Half Ende namhaft gemadyt
(Sagabibl. II, 453). Der in der Hervörsſaga dargeftellte Kampf Hiel⸗
mars und OÖOrvarodds mit ben Berferlern auf Samss ift, unter halb
fenntlidyen Namen, in eine dänische Ballade umgewandelt (Ryerup J,
139 ff.) und von Hervörs Todtenbeihtwörung finden fich gleichfalls An-
Hänge im dänifchen und färöischen (Bär. Dv. 368 bis 375) Volksgeſange.
Schwediſch und däniſch ift endlich die tragiiche Geſchichte Hagbarths
und Sygnes (oben S. 229) in Balladenform viel verbreitet (Svenska
Folk-wisor I, 137 fj. Habor och Signild. Nyerup III, 1 ff. Hafbur og
Signe. Vgl. 1V, 47). Sie hat an Kraft der Darftellung verloren und
bedeutfame Züge eingebüßt; ein fchöner Zug ift dagegen binzugelommen.
Als des Königs Kriegsleute den maffenlofen Hafbur doch nicht über:
wältigen können, gibt die falfche Dienerin den Rath, ihm die Hände
mit einem Haare Signilds zu binden; das werde er nicht entzwei reißen.
Sie binden ihn mit zwei berfelben und fie tft ihm zu lieb im Herzen,
als daß er ihre Haare zerrifie.
Auch von ſolchen Heldenjagen, bie wir nicht mehr in ihrer älteren
Darftellung vergleichen können, baben fich Überbleibfel in ven Balladen _
erhalten, wenn gleich in zerriffener und verbunfelter Geftalt. So Ribolts
Drachenkampf, Nyerup I, 144 ff. 388; dann das felbft rätbjelbafte
436
Lieb, defien Held, in däniſcher Verſion Sven Vonved, in ſchwe⸗
diſcher Sven Svanehvit genannt, Räthfelfragen, an die des Getipeli
erinnernd, aufgibt, Nyerup I, 83. 379. Grimm 227. 387. Svenska
Folk-wisor II, 138 u. a. m.
Schön die feither betrachteten Lieber, wenn gleich dem Grunbftoffe
nad von altnorbifchen Mythen und Heldenfagen ftammend, haben doch
in Form und Darftellung und felbft in veränderter Bedeutung bie
Einflüffe des chriftlihen Mittelalters gezeigt. Eine weitere zahlreiche
Klafie aber ift aus dem Leben und ven Sitten bes Mittelalters felbft
auch dem Stoffe nach hervorgegangen oder hätte doch ebenfo wohl daraus
hervorgehen können; denn keineswegs läßt ſich in jebem einzelnen Falle
über ben Urfprung entfcheiden, da im imittelalterlichen Leben felbft die
neuaufgelommenen Vorftelungen und Gebräude überall noch mit ben
‚ältern, im Heidenthum wurzelnden vermifcht maren.
_ Die zahlreichen Lieber der bemerkten Klafie find von manigfacen
inhalt und verſchiedenem Werthe. Borberrichend ericheinen, was den In:
halt betrifft, vie Liebesabenteuer, Brautwerbungen, Entführungen, Wetten
und Kämpfe der Rebenbuhler, Treue und Untreue, bald in beiterer, bald
in tragifcher Entwidlung. Es möchten fich auch diefe manigfachen Leben®
bilder großentheild auf gewiffe Grundtypen zurüdführen lafien. Ohne
jedoch eine ftrengere Eintheilung vorzunehmen, hebe ich nach beiben
Seiten, des Ernftes und bes Scherzed, einige Geratiesiie Stücke
geringeren Umfangs bervor.
Mehr noch an den Geift des ältern Nordens mahnt das büftre
ſchwediſche Vohlslied von Sven im Rofengarten 1 (Sven i Rosengärd,
. 8v. II, 2 ff. in 2 Berfionen, Mohnike ©. 3 ff):
Wo bift du gemwefen fo lange,
Sven im Rofenhain ?
„Ich bin im Stall geweſen,
Liebe Mutter mein!“
Ihr harret mein fpät, doch ich fomme niemals.
Was find deine Kleider fo blutig,
Spen im Rojenhain?
1 Bol. Schröter, Finniſche Runen. Upfala 1819. S. 125 fj. Sven, Jung
geſell, junger rafcher Mann; dann Knappe, Edelmann; aber auch Eigenname.
Wie Morten von Bogeljang.
437
„Das weiße Fohlen ſchlug mich,
Liebe Mutter mein!“
Was if dein Hemd fo blutig,
Spen im Rofenhain?
„Meinen Bruder hab’ ich gemordet,
Liebe Mutter mein!“
Wohin nun deines Weges,
Sven im Rofenhain?
„Das Land muß ich nun räumen,
Liebe Mutter mein!”
Bann wirft du wieder fommen,
Spen im Rofenhain ?
„Wann der Nabe bleichet,
Liebe Mutter mein!”
Bann bleihet denn der Rabe,
Sven im Roſenhain?
„Bann der Granftein 1 ſchwimmet,
Liebe Mutter mein!“
Ihr barret mein fpät, doch ich fomme niemals.
Das Schwimmen des Granttfteind, bier, in älterer Anficht, der
Ausdruck unmöglicher Wiederkehr, unverſöhnlicher Schuld, ift, nicht
unbebeutfam, in der chriftlichen Legende möglich geworden. Ein andre
ſchwediſches Lied bezeichnet damit die Erſcheinung eine® Engels (Sv.
H, 233):
Bas nimmer ich ſah, hab' gefehen’ ich. itt,
Daß der Grauftein ſchwimmt und ver Mann darauf fißt.
Und im färöifchen St. Jakobsliede (Fär. Qu. 520 ff.) Ichifft diefer
Heilige auf einem Steine über das Meer nah Garfialand (Spanien),
wo er den König befebrt, indem er deſſen Sohn, der vor fünfzehn
Sahren in dem Meeresgrund verjunfen, wieder ind Leben ruft. So
hätte durch die Wunder der Friedensbotſchaft auch dem landflüchtigen
Sven noch der Grauftein ſchwimmen können.
Verwandt mit dem Tone ber vorigen Ballade ift folgende gleich
falls ſchwediſche (Sv. III, 107 ff.):
1 Grästen, auch gräberg, grauer Yelsflein, Granit.
«
Höreſt du, Schweſter Anna?
Haſt du nicht Luſt zu vermählen dich bald?
„Nicht hab' ich noch zu vermählen mich Luſt,
Will leben als Jungfrau mit ſtolzer Bruſt.“
Höreſt du, Schweſter Anna?
Was für ein Grauroſs, thu mir fund,
Das geftern vor deiner Thüre ftund?
„Das war kein Pferd, war Graurojs feins,
Meiner engliihen Schafe war's wohl eins.“
Höreft du, Schwefter Anna?
Was war das für ein vergüldter Speer,
Der blinkte von deinem Fenſter her?
„Richt war ein vergüldter Speer im Haus;
Die Some, fie ſchien wohl ein und aus.“
Höreft du, Schweiter Anna?
Was waren das für Kinder Mein,
Die geftern gemeint in der Kammer dein?
„Kein weinend Kind ich drinnen hielt,
Auf meiner Orgel hab’ ich gefpielt.”
Höreſt du, Schweiter Anna?
Kennft du wohl diefe Manneshand,
Die hängt an meinem Sattelband ?
„Gott grade dir, Bruder Olof!
Meinen Kindlein haft du gethan groß Leid,
Nahmft ihren Bater von meiner Seit.”
Der Typus diefes nordſchwediſchen Liebes Tehrt im Volksgeſange
mehrerer Völker wieder; in ſüdſchwediſchen, ſowie in ſüdnorwegiſchen,
dänifchen und deutfchen Verfionen ift ihm eine fcherzhafte Wendung ge:
geben. Nur im höhern Norden und in Epanien hat das Lieb feinen
ftrengen Ernſt bewahrt; dort aber ift e8 der Bruder, bier der Gemafl,
der die gekränkte Ehre des Haufes zu rächen hat.
Tragiſchen Ausgang nimmt ein großer Theil der Entführungs:
geſchichten. Es wird in das Recht und in bie Ehre eines Haufes einge:
griffen und die wehrhaften Glieder desſelben laffen dieß nicht ungeahndet.
Die gemeinfame Anlage vieler Balladen ift bie: eine Jungfrau wird
>
—
verlodt, mit einem Bitter zu entfliehen; fie ruhen in einem Walde aus,
aber fchon eilen ihnen die Bermandten der Entführten nad und es er
hebt fih ein Kampf, der Allen zum Verderben oder zur Trauer endigt.
Zum Wufter bievon ein fchmebifches Lieb, das in mehrfachen, auch
dänischen Verſionen vorkommt (Sv. II, 7 ff. Vgl. I, 5 ff. HI, 76 ff.
Nyerup III, 353 ff. 438 f. Grimm 119 ff. 518. Nyerup II, 327 ff.
439
- — —
435 f. Grimm 74 ff.):
1 Stolts.Hilla lilla eyr s& vildt i sömmen sin. Mohnile I, 34: Hilka
lilla hanbthiert fo wilb im Schlaf! Söm m. Rath, Saum, Nätherei; somn m.
Schlaf.
Klein Hilla fit in der Kammer dort,
Die Thränen fallen ihr fort und fort.
Gleich kam die Kunde zur Königin:
Klein Hilla näht in die Irre bin 1.
Die Königin achſelt den Mantel blau,
So gieng zu Mein Hillas Kammer die rau.
Schlug Hillan auf bleihhlühende Wang’,
Daß ihr das Blut auf den Vorhang fprang.
„O gnädige Königin, ſchlagt nicht fo hart!
Ich bin doc, wie ihr, von Königes Art.”
Klem Hilla Hopft auf das Kiffen blau:
„Gefällt hier zu ruhn meiner gnädigen Frau?
O gnädige Königin, feget euch ber!
Ich will euch erzählen mein Leid fo fchmer.
An des Baterß Hofe, da gieng es mir gut,
Sieben Ritter hielten mich täglich in Hut.
Mein Bater fo mohl meiner Ehre pflag,
Zween Ritter dienten mir jeden Tag.
Der eine, der Herzog Magnus hieß,
Nach meiner Gunft fich gelüften ließ.
Der andre hieß Herzog Hillebrand,
Des Königes Sohn von Engelland.
Und das war Herzog Hillebrand,
Mit ihm muſt' ich entfliehn aus dem Lad.
h)
Er Sattelte da fem Rofis fo grau
Und bob mid; hinauf vor des Vaters Bau.
Und als wir gelommen zum Roſenwald,
Da verlangte der Herzog zu ruhen fo bald.
Er legte fein Haupt in meinen Schooß
Und jchlief einen Schlummer fo forgenlos.
Hillebrand, Hillebrand, den Schlaf Taß fein!
Ich böre Bater und Brlider mein.
Hillebrand, Hillebrand, wach auf, wach auf!
Ich keun' ihre Grauroſſ' am raſchen Lauf.
Hillebrand nimmt mich in den Arm und ſpricht:
Klein Hilla, nenn’ meinen Namen nicht 1!
Da flug er in dem borderften Reihn
Meine Brüder ſechs und den Bater mein.
Dann traf er in der zweiten Schaar
Meinen jüngften Bruder mit goldgelbem Haar,
O Hillebrand, Hillebrand, ſtill dein Schwert!
Mein jängfter Bruder iſt Tods nicht werth.
Nicht hatt’ es ausgeſprochen mein Mund,
Todwund lag Hillebrand auf dem Grund.
Hillebrand er ftreicht fein blutiges Schwert:
„Und wärf du nicht Hilla, des wäreſt bu werth.“
Mein Bruder faßt’ an der Lode mich drauf,
So band er mid an den Sattelfnauf.
So Hein war feine Wurzel gewiſs,
Die ein Stitd nicht von Hillas Fuße riß.
Da war auch gewiſs fein"Bmeig jo Hein,
Der ein Stüd nicht geriffen von Hillas Bein.
1 In der verwandten dänifchen Ballade „Herr Ribolt“ Heißt es (Myerup III,
880): Du nevn mig ikke tildödel (Bal. Nyerup III, 486. Grimm 507.
8v. 1, 11. OD, 194) Diefes Tobtnennen (ſchwediſch dödnämna) berußte auf
dem Glauben, daß bie Kraft eines im Streit oder andrer Unternehmung Be
griffenen geläbmt werde, wenn man feinen Namen nenne, wie beim Rad
wanbier,
441
Und als wir famen um erfien Thor,
Meine traurige Mutter ſtaud danor.
Da wollte mein Bruder ermürgen mich,
Meine Mutter wollte verlaufen mid.
Sie verlauften mich fiir eine Glode neu,
Die hängt in Mariä Kirchengebäu.
Als die Mutter hörte der Glocke Klang,
Das traurige Herz ihr in Stüde fprang.“
Kein Hilla ſchloß ihre Rede hie,
Da fiel fie todt vor der Königin Knie.
In diefem Liebe ift die tragifche Kataftrophe der Entführung fehr
vollftändig ausgeführt. Der Vater und ſechs Brüder der Jungfrau
werben auf der Verfolgung vom Entführer erfchlagen. In der Angft
um ben legten, fiebenten Bruder, dem fie das Leben erflehen will, ruft
fie den Geliebten beim Namen und wird ihm dadurch zum Verberben.
Der gerettete Bruber nimmt nun an ihr die Rache für das Geſchehene;
die Mutter beftimmt ihn zwar, daß die Jungfrau nicht getöbtet, ſondern
um eine Glode verlauft werde, aber beim Klang dieſer Glocke bricht
das Mutterherz. Endlich wird die Verkaufte von ihrer eigenen Erzäh⸗
lung all dieſes Unheils fo ergriffen, daß fie ſich damit jelbft zum Tode
genannt hat.
Nicht fo gewaltfamer Art find die Ereignifle im folgenhen ſchwedi⸗
fihen Liebe. Hier verzehrt fich ein ſtille duldendes Herz im geheimen
Kummer:
(Sr. 1U, 30 ff. Val 27 fi. 175 fi)
Pflegbruder ſprach zum Pflegbruber fein:
„Wird mir Hein Chriftel, ſchön Schwefter dein ?”
„Kein Ehriftel-fie it noch fo jung und klein,
Goldkrone möcht’ ihr zu ſchwer noch fein.”
„Und wenn fie jo Hein und fo jung aud wär,
Auf's Jahr fol fie tragen Goldkrone fo ſchwer.“
Sie hoben die Braut in den Sattel da,
Zwei Knappen des Königs ritten ihr nah.
1 Gier könnte noch: Pehr Tyrsons döttrar i Vänge, Br. III, 198 fi.
eingerlidt werben.
442
Sie führten die Braut auf den Kirchhof bar,
Goldgewirkt die Kleider, goldgeflochten das Haar.
Sie führten die Braut in die Kirche bin,
Ihr rollen die Thränen auf Wangen und Kinn.
Sie führen zum Brautftuhl fie zur Stund',
Ihre Thränen, die rollen fo dicht auf den Grund.
„Und Herr Gott Vater, hör du mein Gebet!
Nimm bin mich, fo lang noch der Wald grün fteht!“
Pfingfttag war's, da dieß Gebet fie erhub,
Mittfommertag, da man das Grab ihr gruß.
Sie Iegten Fein Ehriftel wohl auf die Bahr,
Gott? Engel ftanben da rings in der Schaar.
Sie trugen die Leich' auf den Sand fo weiß,
Gotts Engel die fangen vor ihr mit Fleiß.
Sie legten die Leich’ in den ſchwarzen Grund,
Das Goldfreuz ftedten Die, Engel zur Stund.
In andern Verfionen biefes Liebes ift ber hier verichtwiegene Grund
der Abneigung gegen die Tönigliche Heirath als ein chriftlich: frommer
bezeichnet: die Jungfrau fehnt ſich nach den Freuden bes Himmelkt,
nicht nach einer trdifchen Krone.
Den traurig:ernften Liedern mögen nun auch einige luftigen Tone
gegenüberfteben.
Sm den mythiſchen Volkeliedern der Färder ſahen wir den Bauer
mit dem Rieſen um den Sieg der Jahreszeit im Goldbrett ſpielen.
Ein viel und manigfach gefungenes fchmebifches Lied erzählt, wie ber
Heine Matrofe mit der Königstochter Goldwürfel fpielt. Im Däniſchen
ift der Spielende ein Neitersjunge.
(Sv. II, 37 bis 47. Nyerup IV, 122 fi. 351 f. Grimm 414 ff.)
Die Jungfrau faß im Obergeſchoß,
Gold wob ins Kleid fie ein.
Da kam ein Meiner Bootsmann
Und gudte da herein.
Doch fie fpielten, fie fpielten Goldwürfel.
443
„Und hör du, Meiner Bootsmann,
Mas ich will fagen dir!
Lüſtet Dich, zu fpielen
Goldwürfel mit mir?“
„Und wie denn fol ich fpielen
Goldwürfel mit dir?
Ich hab’ ja fein rotbes Gold
Einzufeßen hier.“
„Se du nur beine Jade,
Die graue je nur frei!
Dagegen will ich ſetzen
Hier Goldringe zwei.“
Und bei dem erſten Goldwürfel,
Der auf das Spielbrett rann,
Berlor der Heine Bootemann
Und die ſchöne Jungfrau gewann.
„Und hör du, Heiner Bootsmann,
Bas ich will fagen dir!
Lüftet dich, zu ſpielen
Goldwürfel mit mir?*
„Und wie denn foll ich fpielen
Goldwärfel mit dir?
Ich bab’ ja fein rothes Gold
Einzujeßen bier.“
„Sek du nur deinen alter Hut,
Seh nur den grauen ein!
So ſetz ich meine Goldkrone;
Gewinnſt du fie, ift fie dein.”
Und bei dem zweiten Golbwürfel,
Der auf das Spielbrett rann,
Berlor der Heine Bootsmann
Und die ſchöne Jungfrau gewanı.
„Und hör du, Heiner Bootsmann,
Was ih will jagen dir!
Lüftet Dich, zu fpielen
Goldwürfel mit mir?”
444
„Und wie denn ſoll ich fpielen
Goldwürfel mit dir?
Ich hab ja kein rothes Gold
Einzufegen bier.“
„Seh du nur beine Strümpfe
Und filbergefpangte Schuh!
Sp fe ih meine Ehre
Und meine Treu dazu.”
Und bei dem britten Golbwürfel,
Der anf das Spielbreit rann,
Berlor die jhöne Jungfrau
Und der Heine Bootsmann gewann.
„Und hör du, Heiner Bootsmann,
Heb du dich fchnell von mir!
Ein gehend Schiff auf dem Meere,
Das will id geben dir.“
„Ein gehend Schiff auf dem Meere,
Das nehm’ ich, wo ich kann;
Doc Haben will ih die Jungfrau,
Die ih mit Gofbwürfel gewann.“
„Und Hör du, Heiner Bootsmann,
Heb du dich ſchnell von mir!
Ein Hemd, gefäumt mit Seide,
Das will ich geben bir.”
Ein Hemd, gefäumt mit Seide,
Das nehm’ ich, wo ich kann;
Doch Haben will ih die Jungfrau,
Die ich mit Golbwiirfel gewann.“
„Und hör du, Heiner Bootsmann,
Heb du dich ſchnell von mir!
Mein Königreich zur Hälfte,
Das will ih geben dir.”
„Dein Königreid) zur Hälfte,
Das nehm’ ich, wie ich kann;
Doch haben will ich die Jungfrau,
Die ih mit Golbwärfel gewann.“
445
Die Jungfrau geht in die Kammer,
Sie Frauft ihr goldgelb Haar.
„Bnab’ Bott ob Liefer Heirath!
Die geht nicht hoch fürwahr.“
Der ‚Bootsmann gebt auf dem Eſtrich,
Er fpielt mit feinem Schwert.
„Dir wird fo gut eine Heirath,
Als irgend du biſt wertb.
Ich bin wohl nicht ein Bootsmann,
Ich dünkt' es fo dir nur;
Ich bin der befte Königsjohn, -
Der je von England fuhr.”
Dod fie fpielten, fie fpielten Goldwürfel.
Wie wir für die tragiichen Entführungsgefchichten einen gemein:
famen Typus bemerkt haben, fo gibt es auch einen ſolchen für eine
anfehnliche Zahl ergeblicher Brautwerbungs⸗ und Hochzeitabenteuer.
Hier wird gewöhnlich dem Bräutigam von einem Anbern, ber ältere
over befiere Anfprüche hat, die Braut noch am Hochzeitabenb weggehafcht.
Ähnliche Anlage zeigte ſich ſchon in den Helbenfagen, namentlich in
denen von Halfdan. Auf eigentbümliche Weife'ift jenes Thema in folgender
Däntfcher Ballade behandelt (Nyerup IV, 254 ff. Grimm 137 ff.):
Das war an einem Samflag,
der Regen fiel fo laut. -
Das war Tyge Hermandfen,
follte Holen feine Braut.
Herr Tyge flieht zum Fenſter hinaus,
wie die Bäche fo firömend laufen:
„Da ritt’ ich doch mir felber zur Dual,
fo theuer die Braut mir zu laufen.
Hör du, Rilans Benditfön!
dein Nofs bat lange Bein’;
Ich Bitte dich bei dem allmächtigen Gott:
Hol du die Braut mir herein!“
Antwortet Nilaus Benbitfön,
antwortet ein Wort für fih:
„Soll ich dir Holen bie junge Braut,
. da find’ ih wohl einen Schlich.“
446
Und das war Nilaus Benbitfön,
ber ritt der Braut zu Gruß;
Sie breiteten Eeid’ und Zindel grün
all vor feines Rofſes Fuß. -
Sie kleideten fi in Seide
und auch in Goldſtoffkleid,
So ritten fie zur Kirche
al mit der fhönen Maid.
Die Braut flieht vor der Kirchenthür,
wie eine Roſe jo licht;
Sie bat, nad dem Waffer auszufehn,
ob der Bräutigam fonıme noch nicht.
Antwortet Nilaus Benditfön,
darf fi nicht lange befinnen:
„Er wagt fi heut nicht über den Bad,
weil die Ströme fo heftig rinnen.“
Sie fetten die Braut auf die Brautbank Hin,
mit Züchten und mit Sitten,
Sie fahen all nad dem Waffer aus,
ob der Bräutigam komme geritten.
Da ſchenkten fie Beides, Bier und Meth,
wohl in der Silberjchaale;
Es neigte ſtark zum Abend hin
und gieng zu End mit dem Mahle.
Sie hoben da die junge Braut
wohl auf das Brautbett hoch,
Da faß fie wohl drei Stunden lang,
der Bräutigam jäumte noch.
Die Priefter ftanden vor'm Brautbett
und fangen auf's Allerbefte.
„as fol noch werben mit diefer Braut?
der Bräutigam fehlt beim Feſte.“
Herzu gieng Nilaus Benbitfön,
feine Schuhe warf er fort:
„So will ich ſelbſt der Bräutigam fein,
ich geb’ ihr Treu und Wort”
447
- Da tranten fie das Brautgelag
und machten fi) gute Zeiten,
Außer Tyge Hermandfen,
durft’ über den Bad) nicht reiten.
An einem Mittwoch 1 war es num,
das Waſſer begann zu fallen;
Herüber fam Tyge Hermandfen
mit feinen Brautmannen allen.
Er fam wohl in das Hochzeithaus
und zu dem fchönen Feſte;
Da ſprach fogleih die junge Braut:
„Kehrt heim, ihr fpäten Säfte!“
„Hör du, folge Sidſelill,
das Hab’ ih nun mit dir, -
Daß du dich verlobt einem Andern
und übel gefpielt mit mir!”
„Hör du, Tyg Hermandſen!
das konnteſt du ſelbſt dir fagen,
Daß ich nicht wollte ſolchen Gefelln,
der in Regen ſich nicht mag wagen.
Wärſt du ein rechter Bräutigam
und hätteſt mich lieb und wert,
Du hätte gebrochen die Welle blau
mit deinem blanlen Schwert.“
„Da will ih in ein Klofter gehn
und will ein Mönd da werben;
Und wiß du, ftolge Sidſelill!
dur ſiehſt mich nimmer auf Erden.“
„Führt doch dein Weg dich bier vorbei,
wenn fill die Bäche dir jcheinen,
Hab’ ich dann Käfe, mehr als zwei,
geb’ ih in den Sad dir einen.”
Den Lieben von Entführungen gab die Vervielfältigung der
Nonnenklöfter eine neue Richtung. Dom Klofterraub wurde Manches
1 Odensdag, Onsbag.
448
gejungen. Eine beitre Ballade vieler Klafie, die in ſchwediſcher und
bänifcher Verſion gebrudt ift, gebe ich bier nad) erſterer:
(Svenska Folk-visor I, 179. Mohnite I, 17 ff. Nyerup IV, 261 ff. 366)
Herr Karl vor feine Pflegmutter trat,
er gieng um Rath fie an:
„Wie mag ich die fhöne Jungfrau wohl
mir aus dem Klofter fahn ?“
„Leg du dich Frank, leg du dich todt,
leg du dich auf die Bahr!
So kannſt du die ſchöne Jungfrau wohl
dir holen ohne Fahr.“
Da traten die Kleinen Diener ein,
fie waren gefleidet in Blau.
„Will die ſchöne Jungfrau zur Leichenftub’ gehn?
bort fiegt ‚Herr Karl zur Schau.”
Da traten die Heinen Diener ein,
fie waren gelleidet in Roth.
„Wil die ſchöne Jungfrau zur Leichenftub’ gehn? .
dort Tiegt Herr Karl und ift tobt.“
Da traten die Heinen Diener ein,
fie waren gekleidet in Weiß.
„Will die fchöne Jungfrau zur Leichenftub’ gehn,
Herren Karl betrachten mit Fleiß?”
Die Jungfrau vor ihre Pflegmutter trat,
um Rath fie anzugehn.
„Ach! kann ih hinab in die Leichenftud”,
Herrn Karl auf der Bahre zu ſehn ?“
„Und nicht will ich dir geben ben Rath
und aud nicht fag’ ich „nein“;
Doch gehſt du Heut Abend zur Leichenſtub',
leicht magft bu betrogen fein.”
Und die Jungfrau ein zur Thüre geht,
fie glänzt wie die Sonn aus der Nadıt.
Herr Karl, der hat ein falſches Herz,
das liegt auf der Bahr’ und lacht.
449 -
Und die Jungfrau zu feinem Haupie tritt,
flieht an fein krauſes Haar:
„Ach! als du bier noch lebteſt,
wiie lieb und werth ih bir war!“
Und die Jungfrau zu feinen Füßen tritt, -
hebt auf den weißen ein:
„Ach! ala du Bier noch lebteſt,
warft bu der Herzliebfte mein.“
Und bie Imigfrau zu der Thlire gieng, -
bot ihren Schweſtern Gutnacht;
Herr Karl, der auf der Bahre lag,
fprang auf und ergriff fie mit Macht.
„Tragt aus meine Bahre wieder
und fchenfet Met und Wein! '
Morgen ſoll meine Hochzeit fein
mit der Hergallerliebften mein.”
Das waren die Klofternonnen,
fie laſen im Buche dort.
„Das war ein Gottesengel,
nahm unfre Schwefter fort.“
Und alle Kloflernonnen,
fe fangen Jede für ſich:
„Chriſt geb’, dag ein foldher Engel
binnehme mich und dich!“
So fchließen uns die Engel, wie zuvor bie Reihe ernfter und weh⸗
möäthiger Lieder, nun aud) die der heitern und ſcherzhaften. Dort fangen
fie der Jungfrau, deren Herz vor Kummer gebrochen, zu Grabe und ſetzten
ein golvenes Kreuz auf ihre Begräbnizftätte, bier jollen fie die Nonnen
aus den Kloftermauern in's frifche Leben zurüdführen. Neben ben
heidniſchen Naturgeiftern hat fich eine Schaar hriftlicher Lichtalfe hervor⸗
geftellt; die Phantafie und das Gemüth juchen unermüdlich und überall
befreundete Genien.
Nach der angenommenen Stufenfolge ift nun zulett noch von ben:
jenigen Balladen zu reden, welche ven Übergang des fagenhaften Vollks⸗
lieds zur geichichtlichen Darftellung bilden.
Es find viele nordiſche Balladen vorhanden, welche unzweifelhaft
Upland, Schriften. VII. 29
450
oder muthmaßlich fich auf. biftorifche Perfonen und Ereigniſſe beziehen.
Die dänischen find im 2ten Bande der Nyerup-Rahbeliichen Samm-
lung zufammengefaßt und in Grimms Überfeßung gegen das Ende ger
ftellt; in der ſchwediſchen Sammlung ift den Stüden: diefer Art bie
zweite Wbtheilung jebes Bandes eingeräumt. Eine fichre Grenze zwiſchen
ſolchen Stüden, die auf geichichtlicher Grundlage beruhen, und andern,
die aus freierer Auffaflung des Lebens beruorgegangen, Tann freilich
nicht gezogen werben. Es finden hier die manigfachſten Vermittlungen
ftatt. Noch weniger kann die hiftorifche Kritik auf bie einzelnen Züge
jedes Liedes erftredit werben, denn nicht leicht fteht eine urkundliche
Detailgefchichte zur Vergleichung. So gründet fih die Ballade von
Arel und Valborg höchſt wahrfcheinlich auf ein wirkliches Ereignis des
13ten Jahrhunderts, von dem aber die Gefchichte ſchweigt und das in
der Volksſage ſich dichteriich zugebilvet hat. (Dieje vielverbreitete Bal⸗
lade, vermuthlich norwegischen Urfprungs, da die Begebenbeit Norwegen
angehört, fteht dänifch bei Nyerup III, 257 ff. 425 ff. Grimm 357 ff.
637 ff., fchwebifch in Svenska Folkwisor I, 148 ff. Dur Olen⸗
ſchlägers Trauerfpiel find Areld und Valborgs Geſchicke auch in Deutid-
land allgemein befannt geworden.) Überhaupt gehören die Lieder diefer
Klaſſe ja nur infofern in unfern Bereich, als in ihnen wirklich noch
die bildende Kraft der Sagenpoefie fich äußert.
Vorzüglich beachtenswerth ift in dieſer Hinficht die Erfcheinung, dab
auch jet noch, im Laufe des norbifchen Mittelalters, gefchichtliche Cha⸗
raltere und Begebenheiten dieſer Zeit felbft zu umfaflendern Sagen
bildungen menigftens die Anſätze entwickelt haben, in der Art, daß
mehrere Lieber fi zu emem Cyklus zufammenreihen. Zwei folder
Liederkreiſe treten in den däniſchen Balladen zu Tage, der erfte von
der Königin Dagmar, des zweite von Marft Stig und jenen Töchtern.
Mit diefen beiden fchließen wir denn auch den Durchgang durch bie
nordiſche Ballabenpoefie.
Auf die Königin Dagmar beziehen fi fünf in innexem Zuſammen
bang ſtehende däniſche Lieder (Nyerup II, 70 bis 98. 349 big 355. Grimm
337 bis 354. 585 ff.). Das erfte derfelben gebe ich bier in Überſetzung
die Übrigen im Auszug:
König Waldemar und Herr Strange
fiten tiber dem breiten Tiſch,
-
451
-. — —
Sie beginnen zuſammen zu reden
manch Wort ſo fröhlich und friſch.
Da ſegelt Herr Strange nach Königin Dagmar.
„Herr Strange, hör, was ich ſage dir!
ſollſt fahren vom Lande mir aus,
Soüf führen mir vom böhmiſchen Land
die junge Braut in mein Haus.“
Da fprad Herr Strange Ebbefün,
Wollt’ Auges Wort nicht fparen:
„Sol ich ausreifen in’s böhmiſche Land,
wer foll da mit mir fahren?“
„Nimm mit dir den jwigen Herrn Limbek
und Herrn Oluf Lykke vor allen!
Nimm auch den reichen Herren Peter Glob
und welche dir fonft gefallen!
Nimm du den Biſchof von Seeland mit!
er ift fo gelehrt ein Dann.
Nimm auch Herrn Albert von Effilsd,
der die Worte wohl fügen Tann!”
Das war der junge Herr Strange,
er gieng hinab an den Strand,
Ihn geleitete König Waldemar felbft
mit mandhem Danne von Stand. '
Sie fegelten über die ſalzge See
und fuhren der Wochen drei, 2
So nahe fie konnten der böhmiſchen Grenz’,
fie waren fo fröhlich und frei.
Sie ſtrichen die Segel, fie warfen die Anker,
fie eilten das Land hinan;
So ſchön war dieſe Herrenſchaar,
Herr Strange der vorderſte Mann.
Und als fie ein Stück gelommen in's Land,
da ſchickten fie Botfchaft voraus,
Zu melden dem König von Böhmenreich,
von wem fie ihm kämen zu Haus.
452
Sie hätten mit ihm zu fprecden "geheim,
das fei er beftens gebeten.
Da warb auf die Erde Seide gebreitet,
vor den König follten fie treten.
„Heil fei end, König von Böhmenland!
Ihr ſeid ein Yürft mit Ehren.
König Waldemar bat uns ausgefandt,
Eure Tochter fiir ihn zu begehren.”
„Ihr Herrn, nehmt Waſſer und Handtuch hier
und fetet zu Tiſch euch nieber!
Ihr feid willlommen in unfren Land,
wir emtbieten euch Gutes binwieber.”
Der König geht in’s Obergeichoß
und hält mit der Königin Rath.
„Bon Dänemark ift eine Botſchaft kommen,
die um unfere Tochter bat.”
„Bil König Waldınar von Dänemarfl,
will unfjre Tochter er haben,
Wir geben fie ihm, dem mächtigen Mann,
und dazu viel köſtliche Gaben.”
Sie legten ihr an das rothe Gold,
Geleiteten fie zum Saal;
Herr Strange, der Nitter, fland auf vor ihr
und die andern Herren zınnal,
Sie ſchlugen ihr über die Seide blau
und führten zum Saale fie ein,
„Hier mögt ihr fehen das Fräulein ſelbſt
in Zucht und in Sitten fein.“
Sie brachten herein das Schachipielbrett,
das Spiel von Golde fo rein;
Herr Strange follte [pielen mit ihr
und reben mit ihr allein.
Sie fpielten das Spiel von rothem Gold,
und als fie das britte vollbracht,
Da hatte Herr Strange gewonnen die Brant
in König Waldemars Macht.
453
Es neigte zum fpäten Abend fchon,
- da gieng zum Ende die Wette.
Herr Strange, der Ritter weil’ und Hug,
follte führen die Braut zu Bette.
Sie führten das Fräulein zum Hochzeitbett
und der Ritter faß darauf;
Herr Strange mit großer Chr’ und Zudt
ftand gegen dem Yräulein auf.
„Sagt nun, Herr Strange, die Wahrheit mir
auf eure Ehr’ und Treul
Iſt euer König in Dänemark
Beides ſchön und getreu?“
Antwortet’ ihr Herr Strange ba,
ſah auf zur Sonne dabei:
„Fürwahr der König von Dänemart
it ſchöner, als meiner zwei.“
Da ward auf die Erde Seide ‚gelegt,
fie führten das Fräulein vom Strand,
Sie bot ihren lieben Eltern Gutnacht,
fo wollten fie fahren vom Land.
Das war der König von Böhmenland,
er gab feiner Tochter Die Lehre:
„Und wenn bu kommſt nach Dänemark bin,
fo den?’ auf Zucht und auf Ehre!
Gottsfürchtig, tugendlich, fromm und gut,
des beffeiße dich fort und fort!
Das theile mit allen, die unterthan bir!
fo wirft du ihr Hoffen und Hort.”
Da trieben die Herren das Schiff vom Land,
fie waren fo fröhlich und frei.
Sp fegelten fie nad) Dänemarl
nicht voll der Monate zwei.
Die milde Königin Dagmar kam
vor Mands an das Land,
Da warf der König von Dänemark
fein Roſs herum auf dem Sand.
454
„Sagt mir, Herr Strange Ebbefön,
eh’ näher wir kommen dem Land!
Wer ift der bdreifte, tolle Geſell,
der reitet auf weißem Sand ?“
„Seid willkomm, edle Königin,
und redet davon fat!
Das ift König Waldmar von Dänemark,
bat dreier Reiche Macht.
Meirte gute, gnäbge Frau Dagmar,
mit dem Fürſten iſt's fo geftalt,
Er Hat der Burgen und Velten viel,
bat dreier Reiche Gewalt.“
„Nun ſchäm' di, Strange, ſchäm' du bidy,
der alſo lügen kann!
Iſt das der König von Dänemark?
Einäugig dünkt mich der Mann.“
„Hört ihr das, meine ſchöne Jungfrau!
er ift ein Held zur Hand,
Hat wiedergewonnen zu Dänemart
dag ganze nordelbiſche Land.
Er if ein Mann und ein weifer Fürſt,
er blickt auf die Feinde fo Ted,
Sie fliehen vor ihm nah OR und nach Weſt,
wenn fein Born fie jaget in Schreck.
Ber Larıd und Leben wagen will,
mit Kriegsſpiel fich ergetzen,
Iſt er ein Fürſt von Muth und Blut,
muß ſchon ein Aug' drauf ſetzen.
Hört ihr das, meine ſchöne Jungfrau?
ihr mögt euch wahrlich freun.
Euch wird, fo lang ihr leben mögt,
nie diefe Fahrt gereun.
J
Und auch, ſo lang ihr leben mögt,
will ich euch Dienſt bewähren,
Und aller Adel in Dänemark,
er ſoll euch lieben und ehren.“
455
So tranten fie ihr Hochzeitfeft
zu einer guten Stund.
Der Fürſt und die Fürſtin liebten wohl
einander von Herzensgrund.
Da freute fi wohl Groß und Klein,
da freute fih Arm und Neid,
Da freuten fi von Herzensgrund
Bürger und Baur zugleich.
Sie kam mit Frieden, kam ohne Bejchwer,
Dem Bauer Troſt zu ermweifen;
Hätt’ Dänemark allzeit ſolche Blumen,
man follte fie ehren und preifen.
Allen, foviel in Dänemark warn,
benahm fie wohl manche Klage;
So lange fie lebt' auf der Erde bier,
da batten fie gute Tage.
Da jegelt Herr Strange na Königin Dagmar.
Das zweite Lied erzählt, wie die Königin Dagmar, ber elterlichen
Lehren eingebent, fih von ihrem Gemahl gleih zur Morgengabe ers
bittet, daß er feinen Mutterbrubex, den Biſchof Waldemar, den er
Ihon in's zmölfte Jahr gefangen hielt, losgebe, auch alle übrigen Ger
fangenen aus den Eifen befreie und den Bauern alle Pflugpfennige
erlaße.
Das dritte enthält die Prophezeiung einer Meerfrau, welche ber
Königin das Geſchick ihrer Söhne verkündigt, auch daß fie felbft an der
Geburt des dritten Sohnes jterben möchte. Die Königin entläßt die
Unglüdsprophetin reich beſchenkt und biefe ruft ihr noch aus den
Wellen zu:
Am Himmelreich follft du bauen und leben; ,
Da wird dir erſt Ruh und Stille gegeben.
Das vierte Lied zeigt die Königin auf dem Sterbelager. Sie hat
fi) nichts vorzumwerfen, als daß fie am Sonntag ihre Seivenärmel ein»
gefchnürt. Abermals bittet fie den König für die Gefangenen und Fried»
Iofen; auch eröffnet fie ihm ben Wunfch, daß er. nach ihrem Tode die
Heine Ghriftel und nicht Berngerd von Portugall, die bittre Blume,
456
heirathen möge. Dann hört fie die Bloden bes Himmelreichs läuten
und verlangt hin zu den Seelen. In Ringfteb wirb fie begraben.
Tas fünfte Lieb befagt, wie der König ſich dennoch mit Berngerb
vermählt. Diefe ift gänzlih das Wiberfpiel von Dagmar. Sie ver
langt zur Morgengabe, daß ber König das ganze Land mit einem’ Eijen-
band umziehen lafie: r
„Lieber Herr, was der Bauer wohl mehr bebarf,
Als ein Fenſter, eine Thür und’eine Senfe jcharf?
Was braucht ein Bürger in's Haus dazu,
Hat er zwei Ochſen und eine Kuh?
Welche Banerfrau gebiert einen Sohn,
Soll mir geben ein Loth ſchön Gold davon.
Aber bringt fie ’ne feine Tochter zur Welt,
Soll fie mir geben die Hälft' von dem Gelb.“
Dagmar aber erfcheint ihrem Gemahl im Traum und ermahnt ihn,
fih nicht von Berngerd bethören zu laſſen. Diefe kommt bald hernach
um, und um fie fieht man Feine Thräne fließen.
Die biftoriichen Perſonen biefes Liebercyflus find: Waldemar I
ober der Siegreiche, der im Anfang bes 13ten Jahrhunderts regierte,
feine erfte Gemahlin Margareta, Tochter des Königs, von Böhmen, die
im Sabre 1212 ftarb, und ihre Nachfolgerin Berengaria, eine por
tugiefifche Königstochter. Auch einzelne Thatfachen ber Lieber Infien fih
geichichtlich nachweifen und gewiſs ift das einfach⸗ſchöne Bilb der milden
Königin Dagmar aus gejchichtlicher Wahrheit hervorgegangen. Aber
auch die Dichtung bat ihr Blumen in ben Todtenkranz gewunden und
Ihon ihr Lievername Dagmar ift ein poetiſcher: Tagjungfrau (alt
däniſch maar, isländiſch meer, Jungfrau). Die Lichtalfe waren Kinder
des Tags (vgl. Lex. myth. 43). Bon Waldemars Werbung um fie
ift auch ein färdifches Lieb vorhanden (Färdifte Qväder 556,9; vgl.
470,93) und in Schweben hat man auf fie, wenigſtens durch den Kehr⸗
reim, das Lied bezogen, in welchem die Mutter aus dem Grabe kömmt,
um jbre von der Stiefmutter mishandelten Kinder zu pflegen (Aye
rup 1, 399 f.).
Ter zweite Cyklus biefer Art, von Marſt (Marſchall) Stig und
feinen Töchtern, erinnert an ben Gang der antiken Tragödie. Er
’
457
begreift 8 bis 9 Lieber, theilmeife von ziemlichem Umfang (Nyerup 2,
115 bis 162. 369 bis 367. 1, 310. 393. Grimm 89 bis 409. Thiele 1,
41. 2,56. 59. Svenska Folk-visor IIL, 40 ff.). Ihr Inhalt iſt kürzlich
diefer: „König Erich Glepping fendet feinen Marſchall Stig auf Kriegs⸗
fahrt aus und entehrt indefien die fchöne Frau besjelben gewaltſam. Als
Stig, bei feiner Heimkehr, diefes erfahren, raftet er nicht, bis er feine
Hausehre gerächt hat. Er überfällt den König, als biefer einſt in einer
Bauernicheune übernachtet, und ermorbet ihn jämmerlid. Dann fucht
er feine Sicherheit auf einer hoben, feiten Burg.” Vom Tode bes
Marſchalls handelt Fein Lieb beſonders. Wir fehen nur feine Töchter
beimatblos umberisten. Davon folgendes Lied, bei Grimm ©. 400:
Marſt Stig hat zwei Töchter ſchön ı. f. w. ***
In einem meitern Liebe wird die vielgefungene Sage, wie ber
Meermann eine Jungfrau wegführt, auf eine der Töchter Stigs ange
wandt, vermuthlich um auszubrüden, wie fie ſpurlos von ber Erbe vers
ſchwunden. Die legten Lieder handeln von Ranild, der den König an
Stig verratben, und deflen Hinrichtung. Die gejchichtlichen Ereigniſſe,
welche diefen Liedern zu Grunde liegen, fallen gegen den Schluß bes
13ten Jahrhunderts.
Wenn v3 zur Überficht und Erläuterung nöthig war, die norbis
ſchen Ballaben, wie im Bisherigen gefchehen, nad ihren verſchiedenen
Klafien und Stufen abzutbeilen, jo liegt doch anderſeits gerade darin
wieber ein bejonverer Reiz dieſer reichen Vollzbichtung, daß alle viele
verſchiedenen Arten, mythiſche, heroifchriefenbafte, romantifche, traurigen
und ſcherzhaften Inhalts, Biftorifche, fich in bunter Manigfaltigkeit ver
weben, und es bildet ſich jo aus allen zufammen eine poetifhe Welt
vol frifcher, lebendiger Geftalten und doch von dem zauberischen Dufte
bes Wunderbaren umflofien.
Wenn es fchon bei den ältern Sagen und Liebern vergeblich war,
nach den Urhebern zu fragen, fo kann davon bei biefen Vollsballaden
noch weniger die Rebe fein.‘ Selbft das Tunftmäßigere Staldenthum
bat aufgehört, wir finden nur bie und da wieder bie wandernden
Spielleute. Bon ihnen mochte mande jener ernften und ergeßlichen
Brautwerbungen bei den Hochzeitfeften, von benen die Weber felbit jo
Vieles melden, gefungen werben. Im Ganzen aber Tann doch nur um
>
458
Volke felbft Urſprung, Verbreitung und Ausbildung biefes Ballaben-
weſens gejucht werben, jo jedoch, daß Feiner der verſchiedenen Stände
des Volks auszuschließen ift, indem namentlich ein großer Theil ber
Lieder ſich allzu ſehr im ritterlichen Leben bewegt, als daß nicht ber
Adel, der ja auch Feine böhere Bildung Tannte, thätigen Antheil ge
nommen baben folltel, So waren ja auch die älteften fchriftlichen
Sammlungen ein Beſitzthum abelicher Fräulein. Daß die Färöer ihre
Balladen, und am liebften bie von Sigurd und feinem Gefchlecht, zum
Reihentanze fingen, ift früher bemerkt worden. Es ift damit mimifcher
Ausdruck des Inhalts der Lieber verbunden und wenn es in einem ber’
felben an die Stelle fommt, wo die Helden gewaltig baherjprengen, fo
wird der Tanz felbft zum bonnernden Galopp (Färdifle Oväber €.
411, N.). Sene großen Tänze in ben hellen Sommernädten bes
Nordens, von deren verführerifchen Klängen die Balladen jelbft jo
Manches erzählen, waren wohl auch eine vorzügliche Pflegftätte vieles
Gejanges.
2. Ortsſagen.
Diefe Rubrik ift in der ſkandinaviſchen Sagengefchichte mehr nur
‚ anzuzeigen, als auszuführen. Wir begreifen unter berfelben diejenigen
Volksſagen, welche, außer und neben ben volleren Kreifen des Mythus,
ber Heldenfage, ver Balladenvichtung, kurz und vereinzelt daftehen und
meift an beftimmte Ortlichleiten gebannt find. In den norbifchen Ländern,
wie überall, haften an Bergen und Seren, an Yelsftüden von auf
fallender Form, an Quellen, Grabhügeln, Kirchen, Burgtrümmern u. ſ. f.
mancherlei Überlieferungen, vie dem vorüber Wandernden, wie das
Echo im alten Gemäuer, einfilbig abgebrochene Stimme geben. Sie
find oft ganz einzeln und örtlich aus beſondern, natürlichen oder ardr
teftonifchen Geftaltungen hervorgegangen oder follen ven Ortsnamen
zur Erflärung dienen; oft aber find fie auch Iofale Antnüpfungen des
allgemeinern Volksglaubens und der volleren Sagen, die dadurch eimer
beftimmten Gegend vertrauter und einheimifcher werden. Umgekehrt
aber haben auch die größern Sagenkreiſe ſolche örtliche Merkwürdig⸗
1 IVgl. Ferdinand Wolf, über die Frage: In welchen Kreiſen find die jetzt
fogenannten Boltsballaden entftanden? (Vorwort zu „Schwediſche Volkslieder
der Vorzeit, Übertragen von R. Warrens,” Leipzig 1857. 8.) 9.)
. 459
feiten in fi aufgenommen. So weiß die Götterfage davon, wie die
Afın Gefion mit einem Ochfengefpann aus SYötunheim ein Stüd Landes
in Schweden herausgepflügt und in das Meer verfeßt hat, woraus bie
Inſel Seeland geworben iſt, deren Landipigen ganz den Buchten bes
Mälarjees entiprechen, welcher an der Stelle des ausgerifienen Land»
ftüdes entitanden. So wird in der Helbenjage von Starkadr erzählt,
wie er, von Wunden ermatiet, auf einen Felsſtein hinſank und diefem
feine Geftalt einvrüdte, welche Saro noch felbft gejehen (Sazo B. VI,
©. 167 f.). Auf der andern Seite ift gleichfalls fchon erwähnt worden,
wie vielfach die Sagen von Hagbarth und Sygne, vom Schmiede Bör
Iund u. |. w. ſich in örtlicher Tradition angelnüpft finden; das Gleiche
gilt von der Gejchichte Axels und Balborgs und andern in den Balladen
befungenen Ereignifien. Beſonders auch haben fich die untergeordneten
dämoniſchen Weſen, die in ver Balladendichtung eine fo bebeutenve
Rolle fpielen, überall in den Ortsſagen angefievelt. Die Elfen ber
Hügel, die Zwerge, der Ned, die Meerfrau, treiben auch bier ihren
Spuk. Mit dem allgemeinften Namen heißen fie Trolle oder Trolde
(t3ländifch travil, trölln., in der Edda jedes jotnifche, bögartige Wefen,
Lex. myth, 474 ff.; ſchwediſch troll n.; däniſch trold, en), fo jeboch,
daß. fie bei biefem Namen mehr in ihrer feindfeligen Natur und in
bäßlicher Geſtalt gevacht werben, daher er auch wieder vorzugsweiſe
auf Wald: und Erbgeifter angewandt wirb (vgl. Nyerup I, 175 ff.
Arndt II, 8). Eigenthümlich ift noch der Ortsſage der Hausgeift,
der Niſſe, der im einzelnen Hofe und Haufe, bald hülfreich, bald neckiſch,
fein Weſen treibt; denn je mehr fi die Sage örtlich einengt, um fo
häuslicher werben aud die Dämone.
Die Ortsfagen haben ihren bebeutenbften Werth in der Sagenge-
fhichte da, wo aus ihnen erft auf das einftige Vorhandenſein und bie
Beichaffenheit verlorener Mythen⸗ und Sagenkreiſe zurüdgefchloflen
werden muß ober wo fie nur noch fragmentarifch und unklar vorhandenen
größern Sagen zur Ergänzung und Erläuterung gereichen können. Ihre
Bedeutung finkt aber, wo bie größern Sagenkreiſe felbft noch im ganzen
Zufammenhang und in reicher Fülle zu Tage liegen. Letzteres ift nun,
mehr als irgendivo, bei den neuern Völkern, in ber norbifchen Sagen:
poefie der Ball, die ung das Syſtem einer vollſtändigen Götterfage, dann
eine bielverzweigte Heldenfage und zuletzt noch eine üppig wuchernde
‚460
Balladendichtung ausgebreitet hat. Je mehr die Sagengeſchichte, wie
wir ſie von Anfang aufgefaßt haben, ihr Abſehen auf die poetiſche Ge⸗
ftaltung richtet, um fo weniger iſt ihr nad der ergiebigen “Ausbeute,
welche die bisher betrachteten Kreife darboten, eine ſparſame Nachleſe
unter den vereinzelten Ortsſagen erforderlich. Denn wenn aud aus
diefen wirklich Einiges von verfchollener, älterer Sage hergeftellt werben
könnte (3. B. aus den Überlieferungen von Spend Felding, Nyerup
150 bis 66. 96 ff. 388 ff. Vgl. Thiele I, 40. II, 64. IV, 16. Grimm
©. 316), fo würden und doch folche fpecielle Bemühungen bier zu meit
führen. \ |
Ich beichränte mich daher auf die Angabe der hauptfächlichen Hülfs⸗
mittel, die bei näherer Beichäftigung mit biefer Sagenflafie zu be
nützen find.
Die einzige reichhaltigere Sammlung ift:
Danske Folkesagn, samlede af I. M. Thiele; 2 Theile over 4 Sanmm⸗
lungen, Kopenhagen 1819. 1823.
[Über Sagen und Mährchen aus Dänemark. Bon Steffens.“
. Sn Büfchings „der Deutfchen Leben, Kunft und Wiſſen im Mittelalter“.
B. U, Breslau 1819, ©. 183 bis 91. Hauptſächlich nur über Walde
mars Jagd, nach Thiele]
Mebreres über einzelne dänifche Sagen findet fih in ben An⸗
merfungen zu ber Nyerup » Rahbekifchen Lieberfammlung Vgl. aud
Overtro hos den danske Almue (af R. Nyerup) in dem Zeitblatt:
Dagen for 1822. N. 291 bis 94. 297. 299.
Eine Sammlung jehwebiicher Vollsfagen wird ſchon feit längerer
Zeit von Betterfiröm erwartet. Bis jebt muß man fih an bas hal
ten, was ſich in E. M. Arndts Reife durch Schweden im Jahre 1804,
4 Theile, Berlin 1806, befonvers im Bten Theil ©. 7 bis 21, fodann in
ben Einleitungen und Anmerkungen zu einzelnen Xiebern der Sammlung
von Geijer und Afzelius, namentlih den Zauber: und Elfenlievern des
Sten Bandes, auch in Geijers Geſchichte von Schweden zerftreut findet.
In der Ausgabe ber färdifchen Volkslieder ift gleihfalld Ein⸗
zeines von dieſen Eilanden angemerkt, auf denen man fegar noch neuen
lich ein Sagenbrudftüd von den Söhnen Ragnar Lobbrofs aus dem
Munde des Volls bat aufzeichnen können, gebrudt in ber Einleitung
461
zum 1ten Banbe ber Nordiske Fortids Sagaer, overs. af C. C, Rafn.
Kopenhagen 1829. XV bis XVII.
Sammlungen norwegiſcher und isländifcher Ortsſagen find gleiche
falls noch vorhanden.
Um übrigens auch von dieſer Sagenklafie eine Probe zu geben,
wähle ich ein ſolches Stüd, in dem fi) noch Erinnerungen aus bem
alten Götterglauben, mit chriſtlichen Vorftellungen wunderlich vermifcht,
erhalten haben.
Sn Nyerups Schrift Über die bänifchen und norwegiſchen Volks⸗
bücher (Almindelig Morskabeleening i Danmark og Norge igjennem
. Aarhundreder. Beskreven af Rasmus Nyerup. Kjöbenhavn, forlagt
af Brödrene Thiele 18161) ift, als das einzige, dem Norden felbft ent
ftammende, noch gangbare Vollsbüchlein (S. 243 bis 247) das von dem
Alten oder Trold des Höjbergs verzeichnet. Dem däniſchen Büchlein liegt
aber ohne Zweifel ein ſchwediſches zu Grunde, ba bie Ortlichleit der
Sage in Schweden liegt. Nyerup gibt davon folgenden Auszug ?: ***
3. Mährchen.
Die in ber münblichen Überlieferung der Völker gangbaren Märchen
find ihrem Hauptbeftande nach phantaftifche Auflöfungen folder Mythen
und Sagen, deren urfprüngliche Bebeutung verloren ift®, deren Bilder
aber noch immer die Einbilbungstraft vergnügen lönmen und, wie em
fliegender Sommer, ſich leicht und glänzend umberipinnen.
Schon in der ältern nordiſchen Sage findet fich Verſchiedenes dieſer
Art. Man findet in isländifchen Sagan und bei Saro abenteuerliche
Erzählungen von den Fabellanden Utgarblofis, Geirröds und God⸗
mund3, in deflen Lande Odainsakur, der Unfterblichleitänder, liegt, mo
Kranke gefund, Alte wiever jung werben und Niemand dem Tob unter:
liegt (Lex. myth. 294 f. Vgl. Nyerup II, 327 f. Grimm ©. 507, 3.
Kong Dlaf Tryggvaſ. S. af Rafn D. III, 121 ff. 155 ff.). Dahin
gehört auch die noch ungebrudte Huldaſaga, wovon in ber Sagabibl. I,
363 ff. ein Auszug gegeben ift.
1 Dimifches Vollsbuch von Königin Dagmar? Grimm, Altvänifche Lieder
©. 586.
2 [Der Auszug fehlt im Manuſcript. 8.)
3 Bel. Baur, Symbolif und Mythologie I, 53 f.
462
— — — —— — —
[7
Sm den Balladen, befonvers denen, hie das Elfenreich betreffen,
ift noch Mehreres im angegebenen Sinne mährchenhaft geworden. Ein
größerer Vorrath eigentlicher Mährchen, wie wir ſolchen 3. B. in den
deutfchen Lieder und Hausmährchen, gelammelt von.den Brüdern Grimm,
befiten, ift.im Norden nicht vorhanden. Die Brüder Grimm haben
im 3ten Bande der gebachten Sammlung (Berlin 1822), wo fie die
Zitteratur der Mährchen bei den verfchiebenen Wölfen mit großer Um
ficht abhanveln, aus Dänemark und Schweben nur Weniges, und aud
dieſes meift mit Deutichland gemeinfam, zu verzeichnen gewuſt (II,
405 bis 408 1).
Die Erklärung liegt wieder nahe. Wo fo vieles Poetifche und
Sagenhafte noch, wie namentlich in ben nordischen Vollksliedern, in
fefterer Geftalt vorhanden ift, da ſchwimmt weniger in mährchenhafter
Auflöfung umber. Ganz folgerichtig zeigt ſich uns in der Sagenge
fchichte die Erjcheinung, daß, während zu oberft im Norben eine reiche
und unverfehrte Götter: und Heldenfage daſteht, das phantaftifche
‚Mährchen aber fi) wenig entwidelt hat, jo umgefehrt, auf der füb-
lichften Spige des germaniſch-romaniſchen Sagengebiet3, in Unter:
italien, wo Mythus und Epos längft erlojchen find, das Mährchen jene
gedeihlichſte Blüthe getrieben bat.
Sch ſchließe hiemit die Vorlefung für dieſes Semefter. Es bat fid
freilich bald gezeigt, daß in der vorgeftedten Beit ver Umfang einer
Sagengejchichte der germanifchen und romantischen Völker nicht werde er
Ihöpft werden können, und fo ift ftatt ihrer nur eine Sagengeſchichte
bes fHandinavifchen Nordens zu Stande gelommen, während die der
übrigen Völker auf dad Sommerhalbjahr ausgeſetzt werden muß. Allen
auch für fich bildet die norbifche Sage ein fo vollitändiges und wohl abge
fchlofjenes Ganzes, wie e8 bei feinem andern Volle, das in unfre Auf:
gabe fällt, wieder zu finden iſt. Sein andres hat eine vollſtändig er-
haltene Gdtterfage aufzumweifen; bei allen andern muß erfi aus ber
Helvenjage, ober noch weiter unten aus Balladen, Ortsſagen, Mährchen
der verlorene oder verjunfene Mythus ſoweit möglich bergeftellt,- er
rathen und erahnt werben.
1 [S. 322 der Ausgabe von 1856. Bol. Islenzk Aöfintyri, söfnud af
M. Grimssyni og F. Arnasyni. Reytkjavik 1852. R.]
wenn d .
— — —
Sagengeſchichte der germanifhen und romaniſchen
Völker,
Zweite Hälfte!.
Borbemerkungen.
Als ich am Anfang bes Winters bie. Vorlefungen über die Sagen:
-gefchtchte der germanischen und romanischen Völker eröffnete, mar es
meine Abficht, die Aufgabe im Laufe eines Semefterö zu löfen. Bald
jedoch zeigte ſich, daß, bei der großen Maſſe des zu verarbeitenden
Stoffes, entweder vom vollftändigen Ganzen nur ein Umriß gegeben
werden könnte oder zu einer ausgeführteren Darftellung die Zeit bes
Vortrags auögedehnt werden müſte. ich zog das Lebtere vor. Denn
es handelte fich bier, wie in aller Gefchichte der Boefie, davon, bie
Bildungen ver fchaffenden Dichtkraft nicht bloß Außerlich anzuzeigen,
fondern fie und ben Gang ihrer Entwidlung fo viel möglich zu einer
vollen und unmittelbaren Anfchauung zu bringen. Nach diefer aus⸗
gebehntern Anlage reichte das vorige Semefter nur für die Sagenge
fchichte ber Völker des ſtandinaviſchen Nordens aus. Sowie jedoch biefe
nordifche Sagengeſchichte in fich ein organifches Ganzes ausmadhte, fo
werde ich darauf bedacht fein, daß aud die Sagenbildungen berjenigen
Völker, zu welchen wir jebt vorſchreiten, für fich verftänblich und in ſich
abgerundet ericheinen mögen.
Was ich über den Begriff einer Sagengefchichte in ber allgemeinen
Einleitung vorangeſchickt babe, will ich bier nicht ausführlich wiederholen.
Es kann im Wefentlichen auf folgende Säte zurüdgeführt merben:
1 [Auf einem Umſchlag des Mannfcripts betitelt Uhland dieſe Abtheilung
fo: Deutfche und Franzöftiche Sagengefchichtee Sommerhalbjahbr 1882. 8.)
464
4
Sm Leben der Völker gibt es eine Zeit, in welcher alle Kräfte
und Richtungen bes Geiftes in der Poeſie gefammelt find!. Glaube,
Lehrweisheit, Gefchichte, alle Seiten und Anterefien des beivegten Lebens
prägen fi) dann in bichterifchen Geftaltungen aus. Diefe Geftaltungen,
mit dem Ideenreichthum der Böller erfüllt, von ihrer Phantafie ge
Schaffen, mit ihrem Gemütbe bejeelt, tragen die Gewähr ihres Beſtandes
in fi; fie können nicht untergehn, fo lang fie in berjelben Geiftes
fiimmung Aufnahme finden, aus ber fie entiprungen find. Diele
lebendige Bilderfchrift haftet unmittelbar und ficher in Phantafie und
Gemüth, fie bedarf nicht der Erhaltung durd den todten Buchftaben.
Ihr genügt volllommen die mündliche Mittheilung dur) Singen und
Sagen, ja biefe Art der Überlieferung, als die Iehenvigite, fagt ihr am
beiten zu. Die Schrift findet feine Anwendung, nicht etwa bloß, weil
fie nicht: erfunden, fondern weil fie kein Bebürfnis ift; denn weſſen
der menjchliche Geift bebarf, das erfindet ee. Runen waren im Rorben
lange befannt, ohne daß man ſich ihrer zur Aufzeichnung der Lieber
und Sagen bebiente. Erſt wenn ber Gebanle vom Bilde, Lehre und
Geſchichte von ber Poefier fich ablöfen, wenn die geiftigen Fähigkeiten
und Richtungen fich ausfcheiden, muß auch zur Buchſtabenſchrift ge
griffen werben. Dann weicht die mündliche Überlieferung, die Sage,
der fchriftlichen, der Litteratur. Erſt in biefer treten dann auch, für
die Poeſie felbft, Dichtercharaltere, fchriftftelleriiche Individualitäten,
bervor. In jener jugendlichen Sagenzeit, bei ber Ungeſchiedenheit der
geiftigen Vermögen und Entwidlungen, ift der Bildungsſtand jebes
Bolles überhaupt mehr ein allgemeiner, gleichartiger; die münblide
Überlieferung insbefondre aber loft jede individuelle Weife in der ge
meinfamen auf, der begabtefte Einzelne mehrt nur unvermerlt ben
geiftigen Gefammtbefit, der berühmtefte Sängername ift felbft nur ein
fagenhafter, und wenn wir nad den Dichtern fragen, fo Tann zulekt
doch nur das Volt im Ganzen genannt werden. Aus ihm erzeugt und
wandelt fi) die Sagenpoefie in einem natürlichen und allgemeinen
Wachsthum, wie ein taufendflämmiger Urwald immerfort in fich ver
mittert und aus feinen eigenen Samen iwieber auffteigt.
Die Sagengeichichte nun ift und die gefchichtliche Darftellung jener
1 [Bol Schriften I, 25. VII, 1 fi. 8)
465
vorlitterarifchen, in münblicher Überlieferung erwachſenen Bollspoefie.
Sie unterſcheidet fi uns eben-bamit, nad Abficht und Umfang, fo:
wohl von der Mythengeſchichte, als von der poetifchen Zitteraturge
ſchichte. Die Mythengeſchichte, wie fie neuerlich mit befondrer Vorliebe
ausgebildet worden ift, befchäftigt ſich mit den religiöfen Überlieferungen
der heidniſchen Völker und gebt auf die poetifchen Sagen nur-in ſoweit
ein, als fie zur Erläuterung der Glaubensanfichten beitragen; ihr Stand»
punkt ift der religionsgefchichtliche; Die Sagengeſchichte, in unfrem Sinne,
erftredt fih über alle Traditionen, melde das Leben der Bölfer, in
göttlihen und menſchlichen Beziehungen, dichteriſch geftaltet zurück⸗
fpiegeln, fie gebt mejentlih vom poetiſchen Gefichtspunft aus. Die
poetische Litteraturgeichichte verkehrt in Schriftbentmälern, in Geifteser-
zeugniflen, welche da anfangen, wo die mündliche Überlieferung aufhört;
ihr ift die Kunftform des Werkes, die Eigenthümlichkeit des Verfaflers
von großem Belang; der Sagengeſchichte dagegen gilt dag Schriftwert
nur als Mittel, der alten Überlieferung habhaft zu werben, nur ala
Saflung des tiefquellenden Sagenborms; ihr fommen Form und Ber:
fafler nur in fofern in Betracht, als von ihnen auf die reinere ober
getrübtere Echtheit des Inhalts zu fchließen ift; fie bat weniger mit
einzelnen Dichten, als mit größeren Klafjen von Eängern und Er:
zäblern zu Schaffen. Im Übrigen pflegt die Sage noch lange Zeit neben
der Litteratur einherzugehen. Während ein Theil des Volles fich der
gelebrtern Bildung zugewandt bat, bleibt ver andre noch an bem alten
Zieber: und Sagenfchage hängen. Aber freilih je mehr edlere Kräfte
fi) der Pflege diefes vollgmäßigen Befiges entziehen, um fo bürftiger
wird er fein Dafein friften.
Nach diejen Hier kurz zufammengefaßten Anfichten unternahm ich
e2, die Sagengejchichte der germanischen und romanifchen Völker für
den alkademiſchen Vortrag zu bearbeiten. Sie jollte in zwei Haupttheile
zerfallen, die Sagengejchichte der germanifchen Völker und die der ros
manifchen, der erftere Haupttheil wieder in zwei Abſchnitte, nordiſche
und deutſche Sage. Nur der erjte Abjchnitt des erſten Theil tft im
vorigen Semefter vorgetragen worden, bie Sagengeſchichte der Völker
des ffandinavifchen Nordens, Der große Sagenreichthum viefer Völker
bat uns fo lange feftgehalten. Sie haben einen Beſitz voraus, deſſen
fih Feiner ber Übrigen, in den Bereich unfrer Darftellung fallenden
Uhland, Schriften. VII. 30
466
Bollsftämme rühmen kann, eine in uralten Denkmälern erhaltene Götter
fage, ein in den Hauptzligen vollftänbiges mythologiſches Syftem, das
auch für den weitern Berfolg unfrer Aufgabe von Bedeutung tft.
Zunähft fommen wir nun an den zweiten Abfchnitt des erſten
Theils, oder der germanischen Sagengeſchichte, an die deutfche Sage.
Über ihr Verhältnis zu ben übrigen Abtbeilungen ber ganzen Dar
ftellung ift Einiges vorläufig zu erinnern.
Sch habe gleich anfänglich in ver allgemeinen Einleitung bemerkt,
"daß es die nationale Stellung jet, von der aus wir unfern Kreis be
fchreiben. Die Sagenpoefie des eigenen Volles und Baterlandes follte
fih uns erjchließen. Allein je weiter mir in das Altertbum derfelben
eindringen, um fo unzulänglicher erfcheint es, ſich auf die Grenzen
des jetzigen deutſchen Sprachgebiet3 einzufchränfen. Der Gefichtäfreis
muß fi) auf alle diejenigen Völker erweitern, die ſich und durch Sprach⸗
verwandtſchaft ala Glieder des großen germanifchen Gefammtftammes
bewähren. Darunter nehmen bie Völker des ſkandinaviſchen Nordens
eine ‚vorzüglihe Stelle ein; gemeinfame Götter: und Heldenfage ver
bindet fie mit unjern deutſchen Vorfahren und in ihren Denkmälern
erfcheint Vieles noch ganz und klar, was bei uys zerftüdelt und balb
erloſchen ift, wie hauptjächlich die odinifche Glaubenslehre. So muften
wir uns aufgeforbert finden, ihre Sagengeichichte zur Vorbereitung für
die deutſche herbeizuziehen. Diefe nordifche Sagenwelt bildet aber in ſich
einen jo reichen und lebendigen Zufammenhang, daß wir, einmal auf
fie verwieſen, fie nicht anders, als in ihrem vollen Beſtande darzu⸗
ftellen für geeignet hielten. Nach andrer Seite greift der Einfluß ger
maniſcher Sagenpoeſie auch auf die romanischen Völker hinüber, d. h.
auf diejenigen, deren Sprache aus ber Bermilchung der altlateinifchen
mit andern, vorzüglich germantichen Idiomen herborgegangen ift; und
foweit ein ſolcher Einfluß ſich offenbart, foll auch die Sage dieſer
Völker Gegenftand unfrer Betrachtung fein. Indem wir alfo jetzt von
der nordiſchen Sage zur deutſchen übergeben, bie romanijche aber in
der Ausficht behalten, treten wir in die Mitte unfrer Aufgabe. So
rein aus einem Stüde, jo vorherrſchend in unmittelbarer Darftellung,
wie es bei der norbiichen Sage möglih war, Tann bie beutfche nicht
behandelt werben. Sie ift zu vielverzweigt, in ben vorhandenen Auf
zeichnungen entweber zu lückenhaft, ober zu manigfach getrübt und
167
umgewandelt, al® daß nicht bier wielmals der weniger anziehende Weg
mübfamer Forſchung, kritiicher Prüfung, fleißigen Sammelns und
Sichtens eingeihlagen und verfolgt werden müfte Wir Tönnten es
auch zum voraus nicht erivarten, daß uns das Bild unfrer alten Sagen⸗
dichtung fo leicht und unverkümmert zufalle, denn über wenige Länder
haben fo manigfade Schickſale und Bildungswechſel ihre Furchen und
Gleiſe gezogen, als über die deutſche Erbe.
Zweiter Abſchnitt.
Dentfche Sage.
‚ Bir haben unter dem Geſammtnamen Germanen, germaniſch einen
großen Stamm ſprach⸗ und fittenverwandter Völker zufammengefaßt,
der fih uns dann wieder in zwei Hauptäfte, den norbifchen und den
deutfchen geipalten hat. Da binfichtlich diefer Benennungen zum Theil
ein verſchiedener Gebrauch ftatt findet, jo wird bier Einiges zu ihrer
Erläuterung zu fagen fein. J. Grimm bedient fi in feinen groß
artigen, den ganzen Völkerſtamm umfaflenden Werken, der beutfchen
Grammatit und den deutſchen Rechtsalterthümern, der Bezeichnung
beutfch. eben in dieſem allgemeinften Sinne. SHierüber erflärt er fi
in der Einleitung zu Theil I, Ausg. 1 (Göttingen 1819) ver Gram-
matik, S. XXXVI folgendermaßen:
Ich beviene mich, wie jeder fieht, des Ausdrucks „deutſch“ allgemein, fo
daß er aud die norbifhen Sprachen einbegreift. Viele würden das Wort
„germaniſch“ vorgezogen und unter feine Allgemeinheit da8 Deutſche und Nor⸗
diſche als das Beſondere geftellt haben. [So machen wir die Eintheilung.]
Da indeflen norbiiche Gelehrte neuerdings förmliche Einſprache dawider thun,
daß ihr Volksſtamm ein germaniſcher ſei, fo foll ihnen die Theilnahme an diefem
feit der Römerzeit ebrenvollen Namen jo wenig aufgedrungen werben, als der
von ihnen vorgefdhlagene 1 allgemeine „gothiſch“ gebilligt werden kann. Die
Gothen bilden einen fehr beftimmten Stamm, nach dem man ımmöglidy andere
Stämme benennen darf. Deutſch bleibt dann die einzige allgemeine, fein ein-
zelnes Voll bezeichnende Benennung u. |. w. Jeder allgemeine Rame bat für
1 gl. Rask,, Undersögelse om det gamle Nordiske eller Islandske
Sprogs Oprindelse. Kopenhagen 1818. S. 70 bis 72.
469
gewifie Beiten und Länder etwas Unpaſſendes, allein bie Geſchichte bedarf feiner
einmal. Wo es auf den bejondern Unterſchied ankommt, verfteht man fie
obnebem.
Grimm misbilligt fonad den Ausdrud germaniſch als den allge
meinen nicht, er fann aber für feine Zwecke auch den Ausdruck deutfch,
in diefem weiten Sinne, wohl gebrauchen, da er im Einzelnen immer
die befondern Sprach⸗ und Bolleftämme gothiſch, altſächſiſch, alt»
norbifch u. f. im. benennt. Für unfern Zmed aber kam e3 hauptſäch⸗
lich darauf an, einen Collectivnamen zuerft für die fämmtlichen ſprach⸗
und ſtammverwandten Völker, mit Einfchluß der norbifchen, fobann
einen andern für alle übrigen, im Gegenſat zu ben leßtern, zum Ges
brauche zu haben, und dazu fchienen die Ausbrüde germaniſch und deutſch
die tauglichften.
Bom Uriprung des Namens Germanen befagt Tacitus Germania
Cap. 2 Folgendes:
Ceterum Germanie vocabulum. recens et nuper additum: quoniam,
qui primi Rhenum transgressi Gallos expulerint, ac nune Tungri, tunc
Germani vocati sint. Ita nationis nomen, non gentis i evaluisse paulatim,
ut omnes primum a victore ob metum, mox ab se ipsis invento nomine
"Germani vocarentur 2,
Sp wäre aljo der befondre Name zu einem allgemeinen für alle
bie ftammverwandten Nationen geworben und als ein ſolcher Collectiv⸗
name wird er auch überhaupt von den römischen Schriftftellern gebraucht.
Tacitus rechnet aber auch noch insbeſondre die Sutonen, deren Gebiete
(Germ. Cap. 44: Suionum eivitates) nach feiner Beichreibung - offenbar
flandinavifches Land find (wie auch Geijer I, 64 f. annimmt), aus
drüclich zu den Germanen (nec ut apud ceteros Germanos). Der
Gebrauch diejes Wortes, wonach wir auch die norbifchen Völker darunter
begreifen, ift ſonach in fehr alter Autorität begründet. Tiber die Eiy-
mologie besfelben ift zwar fchon viel gerathen, aber noch nichts Schlagen»
des beigebracht worden. Grimm felbft äußert hierüber Teine entfchiedene
Meinung (Gramm. II, 448. 412).
-
1 Gens tanquam genus singulas nationes tanquam natas sive filias
complectitur. Annal. Il, 1. Germ. 88,
2 Bgl. Paſſows Annot. S. 87.
470
— — — — —
Der Ausdruck deutſch kommt erſt ſeit dem Anfang des dHten
Jahrhunderts in Urkunden, Gloſſen, bei Annaliſten und andern
Schriftſtellern vor, meiſt in Anwendung auf die Sprache (lingua
theudieca, theodisca; doch auch in einer Gloſſe des gedachten Jahr⸗
bunberts: thiudisca liudi, Germani, Schmeller I, 406. II, 523).
Belege vom älteften Gebrauch dieſes Wortes findet man gejammelt
bei Fr. Rübs, Ausführliche Erläuterungen der 10 erften Capitel ver
Schrift des Tacitus über Deutfhland S. 103 fi. Mone II, 6 bie 8,
Schmeller, Bayeriſches Wörterbuch‘ I, 406 8. v. deutſch. Dasſelbe
wird auf Völker der hochdeutſchen und der niederbeutfhen Mundart,
vorzüglich auf Franken, aber auch auf Sachſen und Andere bezogen,
nicht aber auf bie nordiſchen Stämme, und es eignet fi daher ganz
für die beſchränktere Golleftiobebeutung, in ber wir es nehmen.
Etymologiſch hat man es fonft meiſtens als Adjectiv von thiot, alt:
hochdeutſch Masc. und Neutr., goth. biuda, fem. gens, populus, ab
geleitet: tbiodisc, thiudisc, gentilis, popularis (Schmeller a. a. D.)
Gegen dieſe Ableitung erflärt fih Grimm, Gramm. I, 108. Bol
103. 1069 1,
Ob die bei den römischen Schriftftellern vorkommenden Namen
Teutones, teutonicus, für einen bejondern germanifchen Stamm, Teuto-
burgum, mit unſrem thiutise, im etymologiſchen Zuſammenhang ftehe,
ift noch unausgemadit. Vgl. Gramm. I, 163. Schmeller a. a. D.
Rühs 102 f.?
Wichtiger, als die Namen, ſind uns die innern Beziehungen der
allgemeinen Stammverwanbtichaft ſowohl, als hinwider ber linealen
Sonderung aller der Völker, die unter jenen Collectionamen germaniſch
und deutſch begriffen find. Sowie in der Sprachgemeinichaft die vor
zügliche Gewähr der Stammverwanbtichaft liegt, fo find dann auch bie
Mundarten das ficherfte Merkmal für die Abtheilung der großen ger
manifchen Familie in ihre Hauptſtämme. Diefe Sprachverhältniſſe hat
Grimm folgendermaßen in großen Zügen vorgezeichnet (in ber ange:
führten Einleitung ©. 2 f.):
1 [Später Bat er fie entfchieden angenommen. Vgl. Geſchichte der deutfchen
Sprade ©. 789. 8.]
2 [Bgl. Grimms Geſchichte der deutihen Sprache S. 790. 8.)
„»y- . — m
471
Man ſieht, daß die Gothen und die ihnen näher verbundenen Stämme,
namentlich die Gepiden, Heruler und Vandalen, einen Gegenſatz in Sprache
und Geſchichte zu den Longobarden, Baiern, Burgunden, Alemannen und
Franken bildeten. Einem dritten Hauptſtamm gehören die Sachſen, Weſtphalen,
Frieſen und Angeln an und vermitteln wiederum die Berbindung mit dem
vierten Hauptſtamm, nämlich dem norbifchen. Freilich iſt es ſchwer oder un⸗
möglich, dieſes Reſultat im Einzelnen auf die verſchiedenen Namen und Wohn⸗
fie der dentichen Völker des 1ten und 2ten Jahrhunderts anzumenden [vgl.
XLill]; wir befiterf aus jener frühen Zeit faft nur Nachricht von der Sprache
des zweiten Hauptſtamms (Alemannen, Katten, Sueven u. f. w.). Und wie
viele einzelne Völkerſchaften dürfen gar nicht in Anfchlag gebracht werden, wenn
man nicht willlürfich das Dunkele zu dem Helleren ordnen will! Im Ganzen
aber bleibt die Sache nichts deſto weniger begründet und wird e8 zumal durch
die feit dem 8ten Jahrhundert aus der Ungemwifsheit tretende Sprachgeſchichte
des zweiten (hochdeutſchen) und dritten (niederdentihen) Hauptſtamms. Was
fih fpäter feft und natürlich zeigt, muß ſchon früher fo beftanden haben.
Durch forgfältige Bergleihung der Sprachunterſchiede mit Geſchichte, Sitte und
Sage der Älteren Zeit werden wir auch manches Einzelne befeftigen lernen,
das jetzo noch abgerifien erjcheint.
Die vier Sprachſtämme der germanifchen Völker, welche die Grund:
lage der fpäteren Entwidlungen ausmachen, find hiernach biefe:
1. der gothifche: Gothen, Gepiden, Heruler, Banbalen;
2. der hochdeutſche: Longobarden, Baiern, Burgunden, Alemannen,
Franken; und nad fpäterer gengraphifcher Beitimmung: Schwaben,
Baiern, Oftreih, Schweiz, Elfaß, Franken, Thüringen (Oberſachſen),
Heflen, Oberrhein 1;
3. ber nieberbeutfche: Sachſen, Weſtphalen, Friefen, Angeln und,
von diefen Völkern ausgegangen, die Angelfachfen; nad) Tpäterer Geo»
graphie: Sachſen (Niederfachfen), Engern, Weit: und Oſtphalen, Nieder
rhein (Niederlande); das Verhältnis der englifchen Sprache und Sage
Iaffe ich bier noch ausgefegt fein;
4. der norbifche: Island, Norivegen, Schtweben, Dänemarf.
. Die vier großen Hauptſtämme ftehen [nad Grimms weiterer Darlegung
©. LI] unter einander in mehrfachen Verhältnis. So ftehen der erfte (gothifche)
und zweite (hochdeutſche) in unleugbar näherer Berwandtichaft gegenilber dem
1 Ebendaj. ©. LII. LV. LXIX.
an 472
dritten iederdeutſchen) und vierten (nordiſchen). Den UÜbergang zwiſchen 2
Gochdentſch) ind 3 (Niederdeutſch) vermitteln die Franken; zwiſchen 3 (Nieder⸗
deutſch) und 4 Mordiſch) Frieſen und Angeln; zwiſchen 1 (Gothiſch) und 2
Gochdeutſch) vermuthlich die Quaden, Markomannen u. ſ. w; zwiſchen 1
(Gothiſch) und 4 Mordiſch) läßt ſich gar kein Mittelglied erkennen; aber die
große Bollkommenheit, worin ſich in dieſen beiden bie alte Sprache geſchicht⸗
lich erhalten hat, vermittelt die wichtigſten Berührungspunkte. In anderer
Nüdfiht darf man auch die drei erfien Stämme (den gotbifchen, hochdent-
jhen und nieberbeutfchen) dem einzigen vierten (bem nordiſchen) entgegen
ftellen u. |. w. ü |
Diefem Ichtern Gegenfag der Sprachſtämme entſpricht denn aud
unfre Abtheilung der germanifdhen Sagengefhichte in nordifche und
deutſche. Db nun aber in Beziehung auf das Verhältnis dieſer vier
Hauptftämme bie Sagenforichung dasſelbe Rejultat liefern werde, welches
die Sprachforichung ergeben bat und das ich am beiten mit Grimm
eigenen, präciien Worten mitzutheilen glaubte, darüber will ich dem
Gange der Unterſuchung nicht vorgreifen. Das jedoch mag ſchon zum
voraus angebeutet werden, daß die beiden Außerften, der erfte (gothifche)
und der vierte (norbifche) Hauptitamm, welche Grimm binfichtlich der
Sprade durd fein Mittelglied verbunden findet, ſich aud in der Sage
entichieven gegemüberftehen.
Die verfchtevenen Klaſſen der Sagendichtung, die und in Be
tracht kommen, find in ber allgemeinen Einleitung nad) folgender
Reihe aufgezählt worden: Götterfage, Helvenfage, Ortsſage, Ballade,
Mährchen.
Dieſem Schema ſind wir, der Hauptſache nach, in der Darſtellung
der nordiſchen Sage gefolgt und werden es nun auch auf die deutſche
anwenden. Bei dieſer jedoch tritt gleich der damals erwähnte Fall ein,
daß die Götterſage nicht mehr, wie in den Eddaliedern und ber pro
fatfchen Edda des Nordens, in reichen mythiſchen Dentmälern vor uns
ausgebreitet liegt, ſondern daß wir die lebendigern Zeichen ihres einfti«
gen Daſeins wirklich erft in den folgenden Sagenklaſſen zu fuchen haben.
Der erſten Unterabtheilung biefes zweiten Abſchnitts können wir daher
nicht, wie der des erften, die Rubrik „Götterſage“ geben, fondern nur
die befcheibnere: .
-“
473
— — — —
1. Älteſte Spuren ber deutſchen Götterſage.
Spuren der alten Götter nur finden wir auf deutſchem Boden ein⸗
gedrückt, während wir im ſtandinaviſchen Norden ihre lebendigen und
vollen Geftalten wandeln jahn.
Ein umfaffendes und den wifjenichaftlichen Anforberungen ber
jetzigen Zeit genügenbes Werk über deutſche Mythologie befiken mir
nicht. Biel Verbienftliches hat auch in diefem Fache: Mones Gefchichte
des Heibenthbums im nördlichen Europa. 2 Theile, Leipzig und Darm
ſtadt 1822. (Der vordere Theil des 2ten Bandes betrifft die Religion
des beutfchen Bölferftammes.) Aber die mythologifch: philofophiichen
Hypotheſen und Gombinationen des Berfaflers machen Vorficht beim
Gebrauche diefes Werkes nöthig.
J. Grimm bat in der Vorrede zu feinen beutjchen Rechtsalter⸗
thümern (Göttingen 1828. XVII) Hoffnung gegeben, daß er auf
ähnliche Weile verarbeiten werde, was-er zu der Gefchichte des heibni-
ſchen Glaubens der Deutichen gejammelt habe. Eine Arbeit über dieſen
Gegenftand, in derjelben Weife ausgeführt, mie die Rechtsalterthümer,
läßt das Trefflichfte eriwarten!. Schon jet gibt das ebengenannte
Werk, ſowie auch die beutjche Grammatik, manchen lehrreichen Beitrag
zur Kenntnis des deutfchen Mythus.
Einzelne hieher einſchlagende Abhandlungen werde ich je bei i ihrem
bejondern Gegenftande nambaft machen.
Die älteiten Nachrichten von einiger Erheblichleit über den Glauben
und bie Götterverehrung der alten Deutſchen geben und bie römischen
Geſchichtſchreiber und unter diefen vorzüglich Tacitus in feiner Schrift:
de situ, moribus et populis Germanie. Ich werde diefe Schrift, als
die reichhaltigfte der auf und gelommenen, für die Betrachtung deſſen,
was uns überhaupt die alten Schriftftellee vom Glauben unſrer Bor:
fahren melden, zum Anbalt nehmen und die hieher bezüglichen Stellen
berfelben, ſoweit ich es im Stande bin, fortlaufend mythologifch com-
mentieren. Ich bebiene mich dabei der 2ten Ausgabe von %. Paſſow,
Breslau 1817, welche die verſchiedenen Lesarten fehr vollfländig angibt
1 [Jakob Erimms deutjche Mythologie ift zuerfi 1885, wieder 1844 er-
ſchienen. 8.]
474
und auf die urfprünglien, aus den bloßen Conjecturen, zurüdzu
führen bemüht iſt. (Vgl. Gramm. I, Einl. XXXIX.) Die neufte
größere Ausgabe ver Werke des Tacitus von Walther ift noch nit
biö zu den Heineren Schriften vorgeſchritten.
Zur Litteratur der Germania, in Beziehung auf die Alterthümer des
beibnifchen Glaubens, find anzufübren: F. NRihs, Ausführliche Erläuterung
der zehn erflen Kapitel der Schrift des Tacitus über Dentihland. Berlin
1821. (Rühs wollte unter dem Titel „das alte Germanien“ eine ausführliche
Erläuterung der Echrift des Tacitus, als Beitrag für die Bearbeitung der
deutſchen Alterthlimer überhaupt geben, wurde aber dur den Tod unter⸗
brochen.)
Ammon und Bäumlein, Teutſche Alterthümer der Mythologie und Sprache
oder mythologiſch⸗- etymologiſcher Kommentar zu Tacitus Schrift de situ,
moribus et populis Germanie. Tübingen 1817.
Die Germania des Tacitus, überfett und in vollsthümlicher, dentid>
rechtlicher und geographifch-hiftorifcher Hinficht erfäntert von Bülau, Weiske
und von Leutſch, Leipzig 1828 (mehr räfonnierend, als forfchend).
€3 bat über der älteften Gefchichte unfres Volles ein bejonbres
Geſchick gewaltet, Gerade biejenigen Gefchichtbücher römischer Schrift:
fteller, worin bie ausführlichiten Nachrichten über Germanien und feine
Völker gegeben waren, find nicht auf uns -gefommen, So haben wir
den Verluft derjenigen Bücher von Livius Gefchichtiwerfe zu bebauem,
in welchen die Striege Cäſars am Rheine und die des Drufus in Deutſch⸗
land beichrieben waren. Das 104te namentlich enthielt, wie noch ber
Epitomator anzeigt, eine Beichreibung der Lage Germaniens und ber
Sitten feiner Bewohner. Der ältere Plinius war im Traumgefichte von
Drufus aufgefordert worden, feine Thaten der Vergeſſenheit zu entreißen,
und ſchrieb hierauf -20 Bücher über die Sriege der Romer mit den
Germanen. Er war, als er das Werk anfteng, jelbjt in Deutfchland,
und feine Naturgeſchichte zeigt, daß er pon diefem Lande genaue Kennt⸗
nid batte. Aber jene 20 Bücher find verloren und basjelbe iſt der
Hal mit noch andern hieher bezüglichen Schriften römischer Autoren
(Bredows Germania ©. 55 f. Rübz ©. 36 ff. 40 f.). Dagegen hat
fih uns bon Tacitus außer dem, was er in den Annalen und Hiftorien
bon deutſchen Sachen meldet, in dem Heinen Bude über Germanien,
nah Rühs treffender Bezeichnung (S. 59), das vollkommenſte und
lebenbigfte Gemaählde eined zu den barbariichen gezählten Volles er
halten, das wir aus dem gangen Altertum befigen. In bemfelben ift
wohl aud das Wefentlichfte aus den verlorenen Schilderungen zufammen-
gefaßt, es iſt bei geringem Umfang überaus inhaltreich und aus feinem
: gebrängten Kerne tft ſchon gar Vieles entwidelt worden und kann noch
immer Weiteres entwidelt werben, wie auch für unfern Gegenftand im
_ Folgenden verfucht werben fol.
Tacitus jchrieb dieſes Buch, nach den Anzeigen, melde das 37te
Capitel an die Hand gibt, im Sabre 98 oder 99 nad Chriſti Geburt
(Bredow S. 49. Rũhs 56). Er war, nad allen Umſtänden, nie felbit in
Germanien (Bredow 54. Rühs 55). Aber was ihm die Schriften feiner
Borgänger, die Erzählungen feiner Landsleute, die dort geweſen waren,
und wohl aud die Germanen jelbft, die er in Rom zu beobachten Ge:
legenbeit hatte, für feine Arbeit darboten, hat er gewiſs Har und treu
aufgefaßt, wenn er gleich von feinen Quellen fchmeigt. Dem, was ihm
bon außen zugieng, kam ein inneres Berftändnis entgegen; er var dem
germanifchen Weſen mit fichtlicher Liebe zugewandt; in biefem mochte
ihn ein Verwandtes anfprechen mit jener alten, einfachen Römertugend,
deren Bild er, mitten in feinem verborbenen Beitalter, unerlöfchlich
in der Seele trug. Die Abficht, dem welken Römerreiche das Bio
eines an feinen Grenzen ftehenven gefunden und naturfräftigen Volles
entgegenzuhalten, läßt ſich nicht verlennen. Aber man ift viel zu weit
gegangen, wenn man darum fein Buch als eine Satire bezeichnet und
gewiſſermaaßen eine willführliche Conftruction bes germanischen Lebens
darin gefucht hat. Je mehr den germanifchen Alterthümern in neuerer
Zeit nad) verſchiedenen Richtungen eine gründliche Erforichung aus ben
einheimifchen Quellen zu Theil geworben ift, um jo vollftändiger hat
fi) durch die Vergleihung mit diefen die Olaubwürbigfeit der Angaben
des Tacitus in den bebeutenbften Zügen bewährt. Es ift allerdings
zu unterfcheiden, was er ala Thatfache gibt und was er zur Erklärung
oder Würdigung einer ſolchen als jeine Anficht beifügt. Dort, in ben
Thalſachen, werden wir ihn glaubhaft finden ober er wirb und wenig⸗
ftens einen Anhalt bieten, feine Angaben nach unfrer fonftigen Kennt
nis zurechtzulegen und zu ergänzen; hier, in ben Anfichten, werden wir
ung durch ihn nicht für gebunden erachten, aber doch auch hiebei feinen
hellen Blid bemerken können. Aber nicht bloß im Einzelnen liegt bie
476 "
— — —— — —
Wahrheit ſeiner Darſtellung, ſie liegt im Geiſte des Ganzen. Derſelbe
Hauch, der noch jetzt wohl Manchen anweht, der aus der Fremde zum
deutſchen Heimathlande wiederkehrt, dieſes Gefühl des Reinen und
Friſchen, des Wohlwollens und der Milde, weht uns aus der Ger:
mania des Tacitus entgegen. Er hat auch nicht bloß rüdwärts die
Beobachtungen feiner Vorgänger in fi aufgenommen, er bat jelbft
vorwärts, in die Zukunft gefchaut.
Als Drufus feinen letzten Zug bis an die Ufer ver Elbe erftredte,
da erichien ihm, wie Dio Caſſius (LV, 1) erzählt, ein Weib von über:
menschlicher Größe- und rief ihm zu: „Wohin ftrebft bu, Unerfättlicher?
Es iſt dir nicht beftimmt, dieß alles zu fchauen. Zeuch von binnen!
denn das Ende deiner Thaten und beines Lebens fleht dir bevor.”
(Rühs 29.) Auch Tacitus hat diefe Erfcheinung der gewaltigen Germania
gejehen, hat fie verftanden und gedeutet. Er fagt Cap. 33, nachdem
er bon einem innern Kriege germanifcher Völker berichtet:
Maneat, quæso, duretque gentibus, si non amor nostri, at oerte
odium sui! quando in urgentibus imperii fatis nihil jam prestare fortuna
majus potest, quam hostium discordiam. "Und C. 37: Quippe regno Ar-
sacis acrior est Germanorum libertas.
3 8 geſchah damals, wie gleichfalls Tacitus am Schluffe des 13ten
Buchs der Annalen (Capitel 58) berichtet, daß ber ruminalifche Baum,
der einft die Kindheit des Remus und Romulus gejchirmt hatte, in
den Zweigen erftarb und im Stamme verdorrte. Man nahm dieß für
ein bedeutungsvolles Vorzeichen. Zwar ſchlug biefer Baum noch ein-
mal aus, aber die erfterbende alte Welt ergrünte nicht wieder. Ein
andrer Fräftiger Lebensbaum erwuchs in den deutjchen Wäldern und
weit mehr, ala Tacitus jelbft ahnen mochte, lag in bem, was er von
dem Weſen, den Einrichtungen und Sitten ber germanifchen Völker melbet,
ber Keim einer neuen Weltgefchichte und fo auch einer neuen Boefie.
Wir gehen nun alfo, in Ermanglung reicherer mythiſcher Denkmäler,
bie einzelnen Stellen der Germania, die ſich auf germanischen Mythus
beziehen, commentierend durch, und zwar in der Art, daß wir jedes⸗
mal bemerfen, mas etwa in ber norbifchen Bötterfage Entſprechendes
gefunden wird, Der Berfuch der Vergleihung wird vielleicht am Ans
fang unfruchtbar erjcheinen, aber doch am Ende zu einem überzeugen:
deren Ergebnis führen.
477
6. 2. Celebrant carminibus antiquis, quod unum apud illoe memoriee
et annalium genus est, Tuisconem [al. Tuistonem), deum terra editum,
et fliam Mannum, originem gentis conditoresque. Manno tres filios
assignant, e quorum nominibus proximi Oceano Ingtevones, medii Her-
minones, ceteri Istevones vocentur. Quidam, ut in licentia vetustatis,
plures deo ortos pluresque gentis appellationes, Marsos, Gambrivios,
Suevos, Vandalos sffirmant: eaque vera et antiqua nomina. Ceterum
Germani® vocabulum recens et nuper additum.
Das 2te Sapitel, in welches Tacitus diefe germanifche Stamm:
fage aufgenommen’ hat, ftellt zuerft die Anficht auf, daß die Germanen
Ureinwohner (indigene) ſeien, unvermifcht mit andern, eingetwanderten
Völkern. Den Gründen für diefe Anftcht wird die eigene Überlieferung
der Germanen angereihbt. Betrachten wir aber diefe Sage genauer,
fo fcheint fie nicht bloß auf ven Urfprung des bejtimmten Volkes,
fondern auf die Schöpfungsgefchichte überhaupt fich zu beziehen. Zuifto,
der obenan geftellt ift, wird ein Gott genannt; über bie Etymologie
des Namens felbft wage ich feine Vermuthung 1. Deutlicher ift Tuiftos
Sohn Mannus; das Wort Mann bezeichnet in der älteften Sprache mehr
homo, als mas. „Als fpäter für homo das aus dem Adj. mannisks
geleitete mannisco, mennisco, mensche auflam, Tonnte das Simpler
mehr den Begriff mas ausprüden” (Gramm. III, 318 f.). Jener Man-
nus?, der Sohn Tuiftos, ift ſonach noch ein fehr allgemeines, mehr
fosmogonisches, als nationales Weſen. Erſt von feinen Söhnen follen
die drei Volksſtämme Ingävones, Herminones, Iſtävones? benannt jein.
Diefe Völlernamen auf perfönliche zurüdgeführt, würden tenigftens
zwei Namen der Söhne des Mannus annehmlich hervortreten: Ingo
und Hermin. Ingo entſpricht dem altnorbifchen Dngi (m. juvenis;
vgl. Gramm. II, 364). Hermin jcheint ſich noch langehin als ein
Göttername zu bewähren; bie Formen airmun, airman? goth., ahd.
&rmun, örman, irmin, altnordiſch iörmun, zumeilen mit vorgejeßter
Spirans h (nad Grimms Ausdrud: „dunkles Sinnes, vieleiht Name
1 (Bol. Wadernagel, Gloffar zum altdeutichen Lejebuch, Bafel 1889, u. d. W.
zwifch. Zeuſs, die Deutfchen und die Nachbarſtämme S. 22. 72. Grimm, Ge
ſchichte der deutſchen Sprade ©. 467. 775. 791. &.]
2 Bol. Maßmann, Wefjobr. Geb. 21 bis 24.
3 Bol. Grimms Gramm. I, 1te Ausg. 1819. Einleitung XLIIL Done 2,
5. [Grimms Geſchichte der deutichen Sprache S. 467. 768. 775. &.]
478
— — — — —
eines Gottes?” Gramm. II, 448), immer in Zuſammenſetzungen voran-
ſtehend, brüden den Begriff des Großen, Umfafienden aus, 3. B. abe.
irmin-got (Hildebrand 25), irman-stl (altissima columna, colossus,
Hoffmanns althochd. Gloſſ. 18, 30), altf. irmin-diot (genus humanum,
vgl. Hildebrand 11), agf. Sormen-cyn (genus humanum), öormen-grund
(terra), altn. iörmun-gandr (serpens maximus, die ungeheure Mit:
gardsſchlange der norbifchen Mythologie; vgl. Lex. myth. 214), iör-
mungrund (terre). Auch in vielen Eigennamen: Hermun-duri, Tae.;
goth. Afrmana-reiks (Ermanaricus); ahd. Irmindrüt, Irmangart u. f.m.!
Am unklarften bleibt der den Iſtävonen zu unterlegenve Perſonen⸗
name. Scheint nun nah dem Bisherigen auch die Dreitheilung nad
den Söhnen des Mannus noch im allgemeinern Weltmythus zu be
ruhen, fo ergibt doch die weitere Meldung des Gejchichtfchreibers, wie
immer mehrere germanifche Völker (Marſen, Gambrivier, Sueven,
Bandalen) ihren bejondern Antheil an dem göttlichen Urſprung des
Gefammtvolfes verlangten und darum, außer jenen breien, mehrere
Götterfühne (plures deo orti) angenommen mwurben, eben damit aber
die Stammfage ihre kosmogoniſche Bebeutung einbüßte.
Bleiben wir bei jener älteren Geftalt der Sage ftehen, fo zeigt
fh, zwar nicht im Wortlaute der mythiſchen Namen, aber im genen
logiſchen Schema eine unverfennbare Ähnlichkeit mit den kosmogoniſchen
Götterivefen der ſkandinaviſchen Mythologie. Der erbgeborne Gott
Tuiſto (deus terra editus), fein Sohn Mannus und wieder deſſen drei
Söhne, die Stammpäter der Germanen, finden ihr Entſprechendes im
dem nordiſchen Buri (generans), der von der Kuh Aubhumla aus
den Sahjfteinen geledt wird, deſſen Sohne Bör (gnatus), und bes
Letztern drei Söhnen Odin, Vili und Be, melde die Welt bilveten
und orbneten und die Menjchen erfchufen (Sn. Edd, 7. Seem. Edd. 1, 4).
In beiden Mythen zeigt fich zuerft eine einfache Zeugung und dann
eine breifache; in beiden geht das organifche Urweſen aus dem unor⸗
1 Gramm. II, 448 (zu irmin-diot): Wie wenn germani hiermit zu⸗
ſammenhienge, nämlich kein comp. von ger-man wäre (©. 412 f.), fordern
ein Derivatum germ-an (oben ©. 1756)? Freilich findet fi} weber hermani
noch germunduri, aber der Kehlanlaut kann bei verſchiedenen Vollsſtämmen
von ber Ausſprache und dem Ohr der Römer verfchieden aufgenommen
worden fein.
” 479
ganifchen Stoffe, „der Gott” aus der Erde oder nem Salafteine berbor;
in vollkommener Menfchengeftalt (allr madr) entipringt Buri, ber Götter:
vater, und fo darf und aud ber Name Mannus, Menſch, nicht abs
halten, ihn und feine Söhne für Götterweſen zu nehmen.
Mir befinden uns bier überhaupt im Gebiete der VBermuthungen
und Andeutungen, und fo mag auch noch folgende Stelle aus den
Annalen des Tacitus (B. XI, Cap. 57) angeführt werben, worin '
von ber Heilighaltung der Salgquellen bei den Germanen die Rebe ift:
Eadem sestate inter Hermunduros Cattosque certatum magno prolio,
dum flumen, gignendo sale fecundum, et conterminum, vi trahunt, super
libidinem cuncta armis agendi, religione insita, eos maxime locos pro-
pinquare eœlo, precesque mortalium a deis nusquam propius andiri; inde,
indulgentia numinum, illo in amne illisgue silvis salem provenire, non
ut alias apud gentes, eluvie maris arescente unda, sed super ardentem
arborum struem fusa, ex contrariis inter 86 elementis, igne aique aquis
concretum. Sed bellum Hermunduris prosperum, Cattis exitiosius fuit.
(gl. Plinii Hist. nat. ). XXXI, c. 89.)
Daß in dem vorlegten Sate auf die Entftehung des Salzes aus
"dem Zufammenwirken zweier entgegengejeßter Elemente, des Feuers und
des Waflers, ein befondrer Werth gelegt ift', würbe (wie ſchon Mone
1I, 27; vgl. I, 318 oben bemerkt bat) gefucht und ſpielend erjcheinen,
wenn Tacitus hierin feine eigene Meinung und nicht vielmehr, wie
der relative Stil ergibt, die religidfe Anſicht (religionem insitam) ber
Germanen dargelegt hätte. Nun wiſſen wir aus der nordiſchen Mythos
logie, daß die ganze Weltichöpfung aus dem Gegenſatz und der Bindung
widerftreitenber Elemente hervorgieng. Die gefrormen Ströme aus Rifls
beim, der Heimath der Kälte und Finfternis, werben durch die Feuer⸗
funken aus Muſpelheim, dem Reiche der Wärme und des Lichtes, zum
Schmelzen gebracht. : Aus den belebten Tropfen entjtehen dann unor-
ganifche und organische Bildungen, der Urriefe Ymer, die Kuh Aud⸗
humla. Diefe let aus den Salafteinen den vollendeten Organismus,
Buri; die Salzfteine felbjt aber ericheinen jchon als ein teicherer, aus
jener Wechſelwirkung der Elemente erzeugter Stoff. Ein Anklang ähn-
licher Sagen nun läßt ſich in ben angeführten Worten vernehmen:
indulgentia numinum salem provenire ex contrarüs inter se ele-
mentis, igne atque aquis, eonoretum. Die religiöfe Meinung aber von
480
dem zwiſchen ben beiden Völkern ftreitigen Salzflufſe (eos maxime locos
" propinquare colo, precesque mortalium a deis nusquam propius
audiri) würde in norbiicher Anficht fi) dahin beftimmen, daß an dieſen
heiligen Drten fortwährend die Werkftätte jener elementariichen Belt:
ſchöpfung offen ftehe.
Merkwürdig ift insbefondre noch, daß Tacitus der Stammfage der
Germanen, die wir zu einer fosmogonifchen erweitern zu dürfen glaubten,
ausdrücklich als einer durch alte Lieder überlieferten gedenkt:
Celebrant carminibus antiquis, quod unum apud illos memoris et
annslium genus est, Tuistonem, deum terra editum, et fllium Mannum,
originem gentis conditoresque.
Alfo ſchon im älteften Germanien gab es eine Götter: und
Schöpfungsfage in Liebern, wie eine foldhe fpäter in den Mythenliedern
der Edda fich erhalten hat.
Gehen wir von den Spuren kosmogoniſcher Sagen zu den be
jondern Gottheiten über, welche, nad) der Meldung der alten Schrift-
fteller, von den Germanen verehrt wurden, fo ftellt ſich ung ver Zeit
nach die furze Nachricht voran, welche Cäfar (de bello gallico 1. VI,
cap. 21) von der Götterverehrung der Germanen, im Gegemjaße zu
derjenigen der Gallier gibt:
Germani u. f. w. neque Druides habent, qui rebus divinis presint,
neque sacrificiis student. Deorum numero e08 solos ducunt, quos cernunt
ei quorum opibus aperte juvantur, Solem et Vulcanum et Lunam; reliquos
..ne fama quidem acceperunt.
Ich verjuche nicht, den genannten drei Naturgottheiten entfprechenbe
aus der nordiſchen Mythologie gegenüber zu ftellen. In diefer findet
fih zwar Sol, die Sonnengdttin, und ihr Bruder Mani, der Mond,
ſowie auch ein bejondrer Feuerdämon Logi. Allein alle diefe Weſen
nehmen Feine auögezeichnete Stelle ein. Sieht man aber Hauptgötter
berbei und madt mit Mone (II, 29) den Sol Gäfars zum Odin, ben
Vulkan zum Thor und die Luna zur Frigg, fo fehlt es hiefür an aller
näheren Begründung. Cäſar war von dem Neligionswefen ber Ger
_manen offenbar fehr unvolllommen unterrichtet, ivie er denn auch nur
kurze Zeit in Deutſchland verweilt hatte. Wenn er die kurze Erwäh
nung ihrer Götter unmittelbar an die Behauptung anreibt, daß die
Deutfchen weder Druiden haben, die dem Gottesdienfte vorftehen, noch
481
fi) viel mit Opfern abgeben, fo deutet er eben damit einen Grund
feiner mangelhaften Kenntnis an. Er kam gerade Denjenigen nicht
näher, bie ihm über die Glaubenslehre der germanifchen Völker hätten
Aufichluß geben lönnen. Eine priefterliche Kaſte, nach Art der galli-
ſchen Druiden, hatte fi zwar bei den Germanen nicht ausgebildet,
aber die Nachrichten des Tacitus zeigen zur Genüge, daß es auch bei
ihnen weder an Prieftern, noch an Opfern fehlte; und fo gibt uns
dieſer Schriftfteller auch von ihren Göttern wenigftens ſoweit genauere
Kunde, dab wir fie nicht auf einen fo rohen Naturbienft befchräntt fehen,
wie Cäſar annehmen will. Daß mährend der Zeit, welche zwiſchen
beiden Schriftftellern inne liegt, hierin eine weſentliche Veränderung _
vorgegangen, ift nicht glaublih. Tacitus! beruft ſich mehrmals auf
alte Überlieferungen diefer Völker. Seine genauern Anzeigen beruhen
auf der ſeit Cäſars Tagen erweiterten Bekanntſchaft mit ihrem ein»
beimifchen Leben; fie müfjen ung daher auch in der weitern Verfolgung
der germanifchen Götterfage leiten. Er berichtet Germania Cap. 9: .
Deorum maxime Mercurium colunt, cui certis Jiebus humanis quoque
hostiis litare fas habent. Herculem ac Martem concessis animalibas pla-
cant. Pars Suevorum et Isidi sacrificat. Unde causa et origo peregrino
sacro, parum comperi, nisi quod signum ipsum, in modum liburne
figuratum, docet advectam religionem. Ceterum nec cohibere parietibus
deos, neque in ullam humani orie speciem assimilare, ex magnitudine
coelestium arbitrantur. Lucos ac nemora consecrant, deorumque nomini-
bus appellant secretum illud, quod sola reverentia vident,.
Bier germanifche Gottheiten, Mercur, Hercules, Mars und fie,
find uns bier genannt, aber auch wirklich bloß genannt und zwar mit
fremden, römischen Namen (interpretatione romana, wie Tacitus felbit,
Germania Gap. 43 diefe Umnennung bezeichnet), die und nur ganz im
Allgemeinen auf die Eigenfchaften dieſer Götterweſen (ea vis numini,
eben.) jchließen lafjen. Am meiften verehrt fol Mercur gemwefen fein, aber
gerade der Gott dieſes Namens ift in der alten Mythologie ein ſehr
vieljeitiges Wefen. Fragt fih nun, melde feiner Prädikate in der ent:
Iprechenden germanischen Gottheit wiedergefunden wurven, fo mag uns
hiebei ein andrer römischer Schriftfteller zu Hülfe kommen. Cäſar hat
auf ähnliche Weife bei den Galliern eine vorzügliche Verehrung des
1 Bgl. Mone II, 30.
Uhland, Schriften. VI. 31
j - 482
Mercurius bemerkt und er gibt die befondern Merkmale an, vie zu
diefer Annahme zu berechtigen fdhienen. Er fagt _(de bello gallico
3. VI, Cap. 17):
Deum maxime Mercuriam ! colunt. Hujus sunt plurima simulacra;
hunc omnium inventorem artium ferunt, hunc viarum atque itinerum
ducem, hunc ad qumstus pecuni® mercaturasque habere vim maximam
arbitrantur.
Seten wir nun bei Tacitus die gleiche Anſchauungsweiſe voraus
und erwägen fir, was von den angegebenen Merkmalen auf einen
germanifchen Mercur paſſen würde, fo werben wir und vorzüglich nur
. auf eines berjelben vertiefen finden. Als einflußreih auf Geldgewinn
und Kaufmannſchaft Tann Mercur bei einem Volke nicht gebacht werben,
das Tacitus Cap. 5, mit Ausnahme der Grenzbeiwohner, noch auf den
Tauſchhandel beſchränkt fand (interiores simplieius et antiquius per-
mutatione mercium utuntur) und von dem er Gap. 26 bemerft:
Fenus agitare et in usuras extendere, ignotum.
Als dux viarum et itinerum möchte Mercur gleichfalls wenig in
einem Lande zu ſchaffen haben, von dem wieder Tacitus (Cap. 5) fagt:
Terra, etsi aliquando specie differt, in universum tamen aut silvia
horrida, aut paludibus fosda.
(Auf die eigentlichen Völkerzüge feheint ber Straßengott Mercur
feine Beziehung darzubieten und mit der Srminftraße ift e8 eine fehr
zweifelhafte Sache; vgl. v. d. Hagen, Irmin 33 bis 35. Grimm, Irmen⸗
ſtraße 35.)
Bebeutfamer dagegen ift uns diejenige Bezeichnung Mercurs, melde
Cäfar voranftellt: hune omnium inventorem artium ferunt. Waren
auch die Künfte der Germanen nicht viele und ausgebildete, jo bat doch
jeves Volt relativ feine Kunſtfertigkeiten, und eine geiſtige Erregung
der Germanen erhellt fhon aus dem, was Tacitus von ihren Liedern
meldet. Dachte fi nun Tacitus, wie Cäfar, den Mercur, ben verebr:
teften der germanischen Götter, ald den Erfinder aller Künfte, fo ift be:
achtenswerth, daß auch ber oberfte der Aſen, Odin, vorzugsweiſe bad
geiftige Wirken darftellt und für den Geber und Anreger aller höhern
1 gl. Ammian. Marcell. 8. XVI, €. 5.
483
— — — — —
Fähigleiten gilt. Ex, hat den begeiſternden Dichtertrank herbeigeſchafft;
Hermes erfand die Lyra und lehrte den Apoll fie ſpielen; ih wird auch
befonder8 die Gabe der Wohlredenheit zugefchrieben. Odin ift ber
Stifter der Runen, Mercur hat aus dem Fluge der Kraniche die Bud;
flaben erfunden. (Hygin, Nitſch 1363*.) Ein Eddalied (Hindlu -Ijod,
Str. 3 [bei Simrod ©. 131. K.] hörten wir von Odin fagen:
Sieg gibt er Söhnen, \
Etlichen Reichthum,
Rede den Edeln,
Witz den Männern,
Fahrwind den Seglern,
Sang den Skalden,
Aber Mannheit
Manchem Recken.
In der bisher beſprochenen Stelle bemerkt Tacitus noch, daß dem
Mercur an gewiſſen Tagen auch Menſchenopfer gebracht werden dürfen,
und an einem andern Orte (annal. B. XIII, €. 57), bei ver Erzählung
des ſchon erwähnten Krieges der Hermunduren und der Hatten um ben
heiligen Salzfluß, wird gleichfalls des Mercurius auf folgende Weife
gebadht: | |
Sed bellum Hermunduris prosperum, Cattis exitiosius fuit, quia
victores diversam aciem Marti ac Mercurio sacravere, quo voto equi, viri,
cuneta vicia oceidioni dantur [traduntur]. Et mine quidem hostiles in
ipsos vertebant.
‚ Die Erklärung diefer Stelle ift nicht ohne Schwierigkeit. Der
natürlichſte Sinn fcheint aber der zu fein: die Sieger, die Hermuns
buren, hatten das entgegengeſetzte Heer, diversam aciem, dem Mars
und Mercur zum voraus geweiht, als Opfer für ben Sieg, den ihnen
dieſe Götter zutheilen würden, angelobt; zwar möchte biebei ftatt bes
Perfects sacravere das Plusquamperfect sacraverant erwartet werden;
allein Tacitus iſt im Gebrauch ber Zeitformen nicht beſonders ftreng
und das gleich folgende quo voto weist auf ein foldyes vorhergegangenes
Gelübde hin, vermöge deflen Alles, was unter den Sieg fällt, cuncta
vieta, Männer und Roſſe, niedergemadt wird, oceidioni dantur.
Diefes Präfens dantur zeigt zugleich, daß hier von etwas auch fonft
Vorkommendem, von einem germanischen Gebrauche die Rebe iſt. Im
484
letzten Satze (et mine quidem hostiles in ipsos vertebant) iſt das
legte Wert neutral, für vertebantur gebraucht; die Drohungen ber
Feinde wandten ſich auf fie felbft zurüd, womit wohl nichts Andres
befagt wird, als daß bie Katten ihrerfeits durch ein ähnliches Ge
lübde biefes Verfahren ber fingenben Hermunduren hervorgerufen
hatten.
Daß dem Odin, ie andern norbiichen Göttern, zu gewiſſen Zeiten
oder bei befondern Anläffen auch Menfchenopfer gewidmet wurden, könnte
mehrfach nachgeiwiefen werden. Wir halten uns jedoch ganz an jenes
charakteriſtiſche occidioni dare. Odin, der nad Obigem alle geiftige
Thätigfeiten der Menjchen anregt, iſt insbeſondre auch der Erreger des
Kampfes. Denn auf was ift der Geilt der Völker auf diefer jugend:
lichen Bildungsſtufe eifriger gerichtet, als -auf Kampf und Krieg? Din
ijt der Gott der Heere und der Geber des Siegs, er heißt Heerbater
und Siegvater. In Schlachten ijt er felbft gegenwärtig, mie Tacitus
Cap. 7 auch von dem Gotte der Germanen jagt: quem adesse bellan-
tibus eredunt. Odin ift Erfinder und Lehrer der keilförmigen Schlacht:
ordnung, welche wieder die ber Germanen ift, Cap. 6: acies per
cuneos componitur, und Hist. 8, V, Gap. 16: Civilis haud porrecto
. agmine, sed cuneis adstitit. Aber auch nad} feiner höhern Stellung
im Weltleben, wie mir fie in der norbifchen Götterlehre dargethan haben,
ift Odin ein- Kampfgott. Er ift felbft der fämpfende Geift, der am
Ende ver Beiten burch den Untergang ber materiellen Welt zu einem
höheren Dafein durchbrechen fol. Zu diefem letten, gröften Kampfe
fammelt er um fi) die im irdifchen Streit erprobten Helden als Ein:
berien in Valhall; fie leben auch dort in beftänbiger Kampfübung, bie
zu dem Tage, da er an ihrer Spite zur Schlacht auszieht. Er dürfte
nad den Seelen ber Tapfern, denn ihrer wird ihm nie genug zum
furchtbaren Weltftreit. Darum läßt er ſich auch von feinen Günftlingen
die Seelen ihrer Erfchlagenen geloben. Hievon geben die norbijchen
Sagen mehrfach Zeugnis. Der Dänenkönig Harald Hyldetand iſt durch
die Gunſt Odins unvermundbar durch Eifen. Dafür bat er dem Gotte
die Seelen derjenigen gelobt, die durch fein Schwert fallen würden.
Saro Gramm., Hist. Dan. 8. VII, ©. 212: Animas quippe ei [Othino],
quas ferro corporibus ejecisset, pollicitus est. Haralo fällt als Greis
in der bon Odin angeftifteten, im Norden fagenberühmten Bravalla-
485
ſchlacht durch einen Keulenſchlag des Gottes felbit, nachdem in biefer
Schlacht eine ungeheure Anzahl von Helden auf beiden Seiten umge
Tommen tft. Der feindliche Heerführer, Sigurd Ring, Haralds Neffe,
läßt die Leiche des Erſchlagenen auffuchen, ſchirrt fein eigenes Schlacht-
roſs an den Wagen Haralds, weiht es diefem und fleht, daß er, feinen
Todesgenofien damit voranziehend, Freunden und Feinden glüdliche '
Wohnſtätten erbitte. Ebendaſ. B. VIII, ©. 227: Inde vota nuncupat, ad-
jieitque precem, uti Haraldus, en vectore usus, fati consortes ad tar-
tara antecederet, atque apud presstitem Orci Plutonem sociis hosti-
busque placidas expeteret sedes. Ebenfo erzählt Saxo B. IX, ©. 263,
wie Odin zu dem fehmervermunbeten Siward (Eigurd, Ragnar Lod⸗
broks Sohne) getreten und ihm Heilung verfprochen, si sibi illorum,
quos armis oppressurus foret, animas dedicasset. Am nächiten aber
auf den Fall bei Tacitus, mo für einen Sieg in der Feldſchlacht das
ganze feindliche Heer dem Gotte geweiht wirb, paſst eine Erzählung ber
isländiihen, dem Hauptinhalte nach hiftorifchen Saga von Styrbjörn,
einem ſchwediſchen Königsſohne vom Ende des 10ten Jahrhunderts. Nach
dem Auszuge, den Peter Er. Müller (Sagabibl. IU, 142, gl. 144 f.)
von dieſer Saga gibt, hatte Styrbjörn fich zwei Tage hindurch, in der
Gegend von Upfala, mit feinem Oheim, dem Schwebenlönige Erik, ges
jchlagen. Als die Nacht wieder die kämpfenden Heere trennte, opferte
Styrbjörn, dem es unglüdlich ergangen war, dem Gotte Thor. Dies
felbe Nacht ging Erik zum Heiligthum Odins und gab fich felbft bin,
am den Sieg zu erhalten, indem er femen Tod nach zehen Jahren ans
gelobte. Kurz darauf nahte fih ihm ein Mann mit tiefhereinhängendem
Hute (dieß ift gewöhnlich die irbifche Erfcheinung Odins) und gab ihm
einen Roßrftengel, den er über das feindliche Heer hinfchießen und dabei
ſprechen jolle: „Odin will euch alle haben!” Erik folgte der Weifung;
Blindheit fehlug das Heer der Feinde, ein Bergfall zermalmte einen
Theil desfelben. Styrbjörns dänische Streitgenoffen flohen und erlangten
ihr Geficht erft wieder, als fie außerhalb der Strede fich befanden, über
die der Nohrftengel gefahren war. Styrbjörn, der, auch erblinvet,
fteben geblieben, wurde mit allen feinen Kriegern erichlagen. Dieß
Speerwerfen über ein feinvliches Heer, wodurch dasſelbe dem Pers
derben geweiht wird, kommt auch fonft im Norden vor (Sagabibliothel
III, 145. Rechtsalterth. 59, 29) und hat wohl fein mythiſches Vorbild
486
darin, daß Odin am Ende des golpnen Alter, zum erften Heerftreite
den Speer auswarf (Völufpn 28. Edda Seem. 5).
Die nordiiche Sage und die Stelle bei Tacitus Tommen ſich wechſa⸗
ſeitig erllärend entgegen. Zur Vollſtändigkeit jener gehört es offenbar,
daß Erik nicht bloß fih, nach Ablauf von 10 Jahren, fondern, wie
die Hermunduren, das ganze feindliche Heer, wenn ihm ber Sieg würde,
dem Gotte weiht, und deſſen iſt der Speerwurf das Beiden. Die ans
geführten Gelübde Haralds und Sivards, welche die Seelen aller ihnen
Unterliegenvden dem Odin verfprechen, dienen zur Beftätigung. Auf der
andern "Seite erhält die Erzählung bes Tacitus nicht nur ihr unver
Iennbares Gegenbild in der nordifhen Sage, fondern es wird nun aud
erflärlih, wie Mercur, der Erfinder aller Künfte nah Cäſars Be
zeihnung, nun auf einmal, gegen ben römiſchen Begriff von ihm, auch
als Schlachtengott erfcheinen kann; denn ift Mercur Odin, fo vereinigt
ja dieſer beiverlei Eigenfchaften in fi und eben auf Odin paſst auch
der ſchon bemerkte Umftand, melcher wieder nicht der römifchen Anficht
von Mercur entnommen fein kann, daß er von allen Göttern am böchften
verehrt wird (deorum maxime Mercurium colunt).
Das Gelübde der Hermunduren war aber nicht bloß an Mercur,
fondern auch an Mars gerichtet (diversam aciem Marti ac Mercurio
‘ sacravere), SHierüber ließen ſich nun verjchiebene Vermutungen auf:
ſtellen. Sat nicht etwa jenes Zuſammentreffen der Eigenſchaften bes
Mercur und des Kampfgottes in Odin den Tacitus irre gemacht und
veranlaßt, den einen Gott doppelt, den Odin als Mars und Mercur
zu bezeichnen? denn auffallend iſt doch, daß derſelbe Schriftſteller, den
wir im Iten Capitel der Germania den Mercur als den verehrteſten der
germanifchen Götter herborftellen hörten, an einem andern Drte den
gleichen Vorrang dem Mars einräumt. Histor. B. IV, Sap. 64 läßt
er einen Gefandten ver ZTencterer fo zu den ſtammverwandten Agrippt
nenſern fprechen: Rediisse vos in corpus nomenque Germanie, com-
munibus deis, et preecipuo deorum Marti grates agimus. Dder bürfen
wir ein Misverſtändnis in ber Art vermutben, daß, da das Gelübde
beiderjeitig mar, die Hermunduren nicht dem Mars und Mercur zugleich,
jondern fie dem einen, die Katten aber dem andern Gotte das Opfer
zugefagt, wie in ber norbiichen Erzählung Styrbjörn dem Thor opfert
und Erik fi an Odin wendet und wie auch fonft in den Sagen bes
487
— — — —— — —
Nordens Odin und Thor einander gegenüberſtehen? Solche Fragen mögen
ſich in Beziehung auf die beſondre Stelle der Annalen allerdings auf:
drängen, aber immerhin bleibt Mars als ein weiterer, von Mercur
unterfchiedener Gott beftimmt genug herausgeſtellt. |
Im 9ten Capitel ver Germania, wovon wir ausgegangen, beißt
ed, nachdem von Mercur, al3 dem verehrteften der Götter, die Rebe
war: Herculem ac Martem concessis animalibus placant. Auch ber
Norden bat neben bem Heer: und Siegvater Dvin noch einen befondern
Kriegsgott, Tyr, einen Sohn Odins. In Ermanglung näherer Ber
gleihungspunlte muß jedoch dahingeſtellt bleiben, ob vieler für ben
Mars des Tacitus anzunehmen fei. (Vgl Mone II, 29.) Ebenſo⸗
wenig läßt fi über den Hercules jagen, ben dieſer Hiſtoriker bier als
den zweiten in der Reihe germanijcher Götterweien aufführt. Er ges
denkt desſelben ſchon Cap. 3:
Fuisse apud eos et Herculem memorant, primumgue omnium virorum
fortium, ituri in pralis, canunt;
wo jedoch Hercules mehr in der Eigenfchaft eines Helden (viri fortie),
als eines Gottes erjcheint. Seiner gefchieht ferner Cap. 34 Erwähnung,
nad der Beichreibung des Gebiet3 der Friefen:
Ipsum quin etiam Oceanum illa tentavimus, et superesse adhuc Her-
culis columnas, fama vulgavit; sive adiit Hercules, seu, quiequid ubique
magnificum est, in claritatem ejus referre consensimus, Nec defuit
audentia Druso Germanico: sed obstitit Oceanus, in se simul atque in
Herculem inguiri. Mox nemo tentavit: sanctiusque ac reverentius visum,
de actis deorum credere, quam scire.
Endlich Annal. B. U, Cap. 12 finden wir einen dem Hercules
heiligen Wald in der Wefergegend:
Cesar [Germanicus] transgressus Visurgim indicio perfuge cognoseit
delectum ab Arminio locum pugn®: convenisse et alias nationes in sil-
vam Herculi sacram ausurosque nocturnam castrorum Oppugnationem.
Daß Tacitus den Hercules bald als Heros und bald als Gott
bezeichnet, mag im antilen Mythus beruhen, nach welchem der Heros zum
Lohne feiner Thaten unter die Götter aufgenommen wurbe. Ihm würde
unter den nordilchen Göttern am nächiten Thor, der ftärkfte der Aſen!,
1 Bgl. Mone II, 30.
488
verwandt fein, der, gleich ihm, Niefen und Ungeheuer bezwingt und
mit dem furchtbaren Hammer, wie Hercules mit ber Keule, —
der ſeine Fahrten in das fernſte Utgard, die Heimath der Eis- und
Steinrieſen, erſtreckt und von dort nach der großen Erdſchlange in das
Meer hinausrudert. Daß die Sagen vom germaniſchen Hercules lebendiger
Art waren, läßt fi) aus ber beſondern Angabe ſchließen, wonach von
ihm gefungen, und zwar beim Borjchritt in die Schlacht gefungen wurde,
Cap. 3: Ituri in preelia canunt. Im Ganzen aber ift es für uns nicht
minder jchwierig, als für Drufus, dem Hercules nachzuſpüren.
Auch der Iſis, welche noch im Cap. 9 genannt wird, vermögen wir
nit den Echleier zu lüften. Tacitus bemerft, daß ein Theil ver
Sueven ihr opfre und fügt hinzu: |
| Unde causa et origo peregrino sacro, parum comperi, nisi quod
signum ipsum, in modum liburne [eines liburnifchen, dalmatiſchen Schiffes]
fguratum, docet advectam religionem.
Nur ein gottezdienftliches Eymbol, in Form eines Echiffes, das an
das jogenannte navigium Isidis 1 erinnerte, fcheint dem Tacitus oder dem
Erzähler, dem er folgte, die ägyptiſche Göttin zugeführt zu haben; denn
Götterbilder, woraus eine Ähnlichkeit hätte entnommen werben fönnen,
waren, nach der unmittelbar angehängten Bemerkung, bei den Germanen
nicht gebräudlih. Konnte nun Tacitus Urſache und, Urfprung der Ber:
ebrung diefer vermeintlich fremden Göttin nicht erfahren, fo find mir
nicht im Stande, ihr wirkliches Weſen zu erfennen. Das angegebene
Symbol bietet Feine deutliche Beziehung zu einer der befannten Göttinnen
bes Nordens dar. (Vgl. Rühs 284 f. Mone II, 31.) Überhaupt aber
ift-felbft der Verfuch, für Gottheiten, von denen jo wenig Näheres be
lagt wird, Beziehungen zur norbifhen Mythologie anzufnüpfen, nur
dann für gerechtfertigt anzufehen, wenn ſich wirklich ſchon bei andern
auffallendere Apnlichkeiten ergeben haben. Diefes war nad dem Bi
berigen am meiften zwiſchen dem Mercur des Tacitus und dem Alien
DObin\ver Fall.
Dahin rechnen wir nun noch weiter, mas Germania Cap. 8 von
ber religiöſen Verehrung der Frauen gemeldet wird:
1 Nitſch, Mytholog. Wörterb. 11686: „Diefes Feſt [navig. Is.] war eine
feierliche Proceffion, wodurch man bei der Wiedereröffnung der Schiffahrt der
Göttin daß erfte Schiff weihete.“
—
- 489
‚ Inesse quin etiam sanetum aliquid et providum putant [feminis]; nec
aut cunsilia earum aspernentur, aut responsa negligunt. Vidimus sub
divo Vespasiano Veledam, diu apud plerosque numinis loco habitam, sed
et olim Auriniam et complures alias venerati sunt; non adulatione, neo
tanquam facerent deas. |
Viele Stellen der Alten beftätigen dieſen Glauben ber Germanen
an vie höhere Begabung ber Frauen. Derfelbe erweiſt feinen Einfluß
in den wichtigften Unternehmungen der germanischen Völker. Die ge
Ichichtlichen Zeugniffe beginnen bei den blutigen Weifjagerinnen ber
Simbern, welche Strabo im 7ten Buch feines geographifchen Werkes
befchreibt. Sie fchreiten vor zu den Frauen im Heere Ariovifts, die,
um ben Beginn ver Schlacht befragt, folche vor dem Neuinond wider⸗
rathen. Davon jagt Cäfar de beil. gall. B. I, Cap. 50:
Cum ex taptivis quæreret Cesar, quamobrem Ariovistus prelio non
decertaret, hanc reperiebat causam, quod apud Germanos ea consuetudo
esset, ut matres familias sortibus et vaticinationibüus declararent, utrum
prelium committi ex usu esset, nec ne; eas ita dicere: non esse fas-
Germanus superare, si ante novam lunam prelio contendissent. (Bgl.
Germania €. 11.)
Die Art der Wahrjagung diefer meifen Frauen gibt Plutarch im
Leben Cäſars an: fie fchauten in die Wirbel der Ströme, merkten auf
die Kreiſe und das Raufchen der Bäche und fangen daraus bie Zukunft.
Die Geltung ber beutichen Seberinnen war fo verbreitet, daß felbft
römische Kaifer fie hochhielten. Sueton im Vitell. Cap. 14:
Suspectus et in morte matris fuit, quasi ewgr® preberi cibum pro-
hibuisset: vaticinante Catta muliere, cui velut oraculo acquiescebat, ita
demum firmiter imperaturum, si superstes parenti extitiseet.
Bon Domitian wird in Excerpt. e Dion. ©. 761 erzählt, wie er
einen König der Semnonen, des ſueviſchen Hauptftammes, und Pie
Jungfrau anna, melde nach Veleda ala Weiffagerin aufgetreten,
ehrenvoll empfangen habe.
Bon all den gefchichtlichen Beifpielen aber zeigt fich an feinem jo
Har und beziehungsreih das Verhältnis jener heilig geachteten Frauen,
als an der eben genannten Beleva, von der Tacitus im angeführten
Gap. 8 ſpricht:
4%
Vidimus sub divo Vespasiano Veledam 1, diu apud plerosque numinis
loco habitam,
und von der er in den Hiftorien (®. IV und V) ausführlicher handelt
Die Nachrichten, die er von ihr und dem mit ihr verbundenen Helden
Civilis gibt, liefern uns, wenn fie zufammehgeitellt werben, ein merl:
“würbiges Bild germanifchen Lebens und Glaubens,
Der Bataver Civilis, aus Töniglihem Stamm entjproffen (Hist. IV,
13: regia stirpe), verjammelt feine Landesgenofien im heiligen Haine,
bei nächtlichen Mahl und läßt fie ſchwören, das och der Römer ab:
zuwerfen (B. 4, Cap.‘ 14).
Civilis primores gentis et promptissimos vulgi, specie epularum,
sacrum in nemus vocatos, ubi nocte ac letitia incalnisse videt, a laude
gloriaque gentis orsus, injurias et raptus et cetera servitii mala enumerat.
&. 15: Magno cum assensu auditus, barbaro ritu et patriis exsecrationibus
universos adigit. g
Aus Wäldern und Hainen werben bie Feldzeichen, Gebilde wilder
Thiere, hervorgeholt:
C. 22: Hinc veteransrum cohortium signa, inde depromptis silvis
Jlucisque ferarum imagines, ut cuique genti inire' prelium mos est.
Germania C. 7: Effigiesque et signa qu&dam, detracta lucis, in
preelium ferunt.
Civilis ſelbſt thut, als er zuerft die Waffen ergreift, nach altem
germaniichem Brauch, das Gelübde, ſich die röthlichen Haare machen
zu laſſen, bis er einen Sieg erfochten:
8. IV, C. 61: Civilis barbaro voto, post copta adversus Romanos
arma, propexum rutilatumque crinem, patrata demum cede legionum,
deposuit, |
Bon diefem germanifchen Gebrauche, barbaro voto, ber befonders
bei den Katten im Echwange war, ſpricht Tacitus umftändlicher in
der Germania Cap. 31:
Et aliis Germanorum populis usurpatum rara et privata cujusque
audentia, apud Chattos in oonsensum vertit; ut primum adoleverint,
erinem barbamque summittere, nec nisi hoste ce80, exuere votivum ob-
ligatumque virtuti oris habitum. Super sanguinem et spolia revelant
frontem, seque tum demum pretia nascendi retulisse, dignosque patria
1 Stat., Sylv. Velede; Dio Case. 1. c. (67, 5) usra epv Beindar.
491
ae parentibus ferunt. Ignavis et imbellibus manet squalor. . Fortissimus
quisque ferreum insuper annulum (ignominiosum) id genti, velut vinculum
gestat, donec se cæde hostis absolvat.
Die Bataver, denen Eivilis angehörte, maren den Ratten ſtamm⸗
verwandt: B. IV, Cap. 12: Batavi, doneo trans Rhenum agebant,
pars Cattorum. (Bgl. Germania Cap. 29.)
. Im nordiihen Mythus bat der Gott Bali nicht die Hände ge
wafchen, noch das Haupt gelämmt, bevor er ven Tod feines Brubers
Baldur, gerächt (Völufpa Str. 38. Edd. Seem. 6. Vegt. Qv. Str. 16.
Ebenv. 95. Hyndl. I. Str. 28. Ebend. 117. Über die Sitte vgl.
Mascou I, 127. R. 1. 491. N. 28. U, 182. Nr. 45).
Dem Helden Civilis zur Seite nun fteht Veleda, eine Jungfrau
vom Volke der Brukterer, weit umher mädtig und nach germanifcher
Sitte verehrt; fie hat den Deutichen Heil, den Legionen Berberben ges
weillagt und aus ber Erfüllung dieſes Ausfpruches erwächſt ihr Anfehn:
8. IV, &. 61: Ea virgo, nationis Bructer&, late imperitabat: vetere
apud Germanos more, quo plerasque feminarum fatidicas et augescente
superstilione arbitrantur deas. Tuncque Veled® auctoritas adulevit: nam
prosperas Germanis res et excidium legionum predixerst. (Bgl. B. V,
C. 25: Germanorum feminas.)
‘hr wird der gefangene Legat Lupercus zum Geſchenke beftimmt,
ihr von den römischen Schiffen, welche bei nächtlichen Überfall auf dem
Rhein erbeutet worden, dad mit dein Fähnlein des Prätors, die Lippe
binauf, zugeführt. (B. IV, Cap. 61. B. V, Cap. 22.) Civilis und
Veleda werben ftet3 zufammen genannt. Ihnen jchidt man Gefandte '
mit Gefchenlen zu, um Bünbniffe bei ihnen zu feftigen; doch ift es
nicht geftattet, die Jungfrau zu jehen, fie wohnt hoch auf einem Thurme,
ein Auserwäblter ihrer Verwandtſchaft iſt der Vermittler ihrer gött⸗
lihen Ausiprüche:
B. IV, ©. 65: Agrippinenses respondent: Arbitrum habebimus
Civilem et Veledam, apud quos pacta sancientur. Sic lenitis Tencteris,
legati ad Civilem et Veledam missi cum donis, cuncta ex voluntate
Agrippinensium perpetravere. Sed coram adire alloquique Veledam, ne-
gatam; arcebantur aspectu, quo venerationis plus inesset. Ipsa edita in
tarre; delectus e propinquis [vgl. ®. IV, €. 24] consulta responsaque,
ut internuntius numinis, portabat.
A492
— — — — —
Späterhin jedoch ſcheint Veleda von ihren Landsleuten (vielleicht
von Civilis ſelbſt) den Römern als Preis des Friedens ausgeliefert
worden zu fein (Hist. V, 25). Die verlorenen Bücher der Hiftorien
enthielten ohne Zweifel ihr Ende (Paſſow 94), Daß fie in römijche
Gefangenfchaft gerieth, zeigt noch eine hingeworfene Außerung des
Statiug, Sylve 8. 1, Cap. 4, V. 90: Captiveque preces Velede
u. |. wm. (Vol. Ruhs 259). Auf die Gefangene und nah Rom Ge
führte mag fich wohl auch der Ausdruck des Tacitus (Germania Cap. 8)
beziehen: Vidimus |sc. nos Romani] sub divo Vespastano ! Vele-
dam, diu apud plerosque numinis loco habitam; da fonft, erwähnter
maaßen, feine Spur vorhanden ilt, daß er jemals felbit in Deutfchland
geweſen. |
Bei: den Völlern des heidniſchen Nordens fanden wir gleichfalls den
Glauben herrſchend, daß die weibliche Seele ein Harer Spiegel höherer
Dffenbarungen fei. Sie hatten ihre Bolen oder Weiflagerinnen, die noch
in ber biftorifchen und chriftlicken Zeit in großem Anſehen erfcheinen.
Sagenhafter iſt die Erfcheinung der Valkyrien, der Sungfrauen Odins,
die er ausjendet, um die Geſchicke der Schlacht zu Ienlen und bie
Todten zu füren, wovon fie eben ven Namen haben (valr, strages;
kjöra, eligere), Sie walten über Sieg und Tod, in Valball aber
reichen fie den Einberien das Trinkhorn. Bald ftellen fie ſich ala völlig
mythiſche Wejen dar, bald aber auch, in den beroifhen Liedern und
Sagen, find fte irdiſche Jungfrauen, von Odin befeelt, die den ſchlum⸗
mernden Heldengeift der Jünglinge meden, ihren Günftlingen Rath und
Lehre geben und in der Schlacht ſchirmend fie umſchweben. Helmge
ihmüdt, Flammen auf der Lanzenjpige, leuchtend durch die Nacht, auf
Molkenroffen, kommen fie durch die Luft geritten, auch ale Schwäne
raufchen fie daher; überall nehmen fie den Flug, der einer bloß getjtigen
Gegenwart am nächiten kommt. Die berühmteften Sagenhelden haben
ihre Valkyrien; Sigurds Balkyrie ift Brynhild, Helgis Svava u. |. w.
Erwägt man nun die genaue Verbindung des Helden Civilis mit der
göttlich verehrten, Trieglenfenden Jungfrau Veleda, jo legt fich ver
Gedanke nahe, daß, nad germanifchen Begriffen, fie die Valfyrie des
batavischen Helden gewefen ſei.“ Die Bölfungafaga erzählt (Cap. 32),
1 Bol. Ruhs 52.
2 [Bgl. Schriften I, 182 f. 8] '
493 -
daß Sigurd, als er bei den Verwandten Brynhilds veriveilte, einft
feinem entflogenen Habicht auf einen hohen Thurm nachſtieg und unver:
muthet durch ein Yenfter besfelben Brynhilden felbft erblidite, mie fie in
ein goldenes Gewebe feine vollbrachten Thaten wirkte Man mill in
diefet Erzählung, wovon die Eddalieder nichts enthalten, einen jpätern
-BZufag, im Gefehmade der Nitterbichtung, erkennen. Gleichwohl ift ein
altnorbifcher Anlaß nicht durchaus abzuftreiten, wenn man fich bier in
Brynhild die ſchickſalwebende Valkyrie denkt; und auf ähnliche Weife
ericheint auch Veleda in einem Thurme (edita in turre), und einer ihrer
Verwandten (eleetus e propinquie)- verkündet ihre Rathſchläge (con-
sulta responsaque, ut internuntius numinis, portabat). In dem Be
freiungstriege des Civilis liegen einft die Heere, nach hartnädigem Kampfe
den Tag der Entſcheidung erwartend, ſich nächtlich gegenüber. Bei ven
Germanen, erzählt der Gejchichtichreiber, ward die Nacht mit lautem
Geſange bingebradht:
Histor. 8. V, Cap. 15: Nox apud barbaros cantu aut clamore, nostris
per iram et minas «cta.
Sollte nun in diefer erwartungsvollen Nacht die ſchickſalskundige
Lenkerin des Krieges nicht vor die Seele der Tapfern getreten, nicht
in ihren Liedern gefeiert worden fein? mochte nicht, wenn die Lüfte
raufchten oder das Gewölk erglänzte, die Gegenwart Veledas, der Val
kyrie des gepriefenen Civilis, geahnt werben?
Die Schrift des Tacitus über Germanien theilt fih in ber Art in
zwei nicht völlig gleiche Hälften, daß er in den vordern 27 Gapiteln
vom Urjprung und den Sitten der Germanen im Allgemeinen, in ben
weitern 19 Capiteln von den beſondern Völkerſtämmen hanvelt. Doc
ift diefe Scheivung, was unfern Gegenftand betrifft, nicht fo ftzeng
"Durchgeführt, daß nicht z. B. Cap. 9 von den Iſisopfern, alö bei einem
Theile der Sueven üblich, die Rede wäre. Einer meiteren Gottheit,
welche gleichfalls bei einem Theil der Sueven, demjenigen nemlid, der -
fi) mebr ins abgelegene Germanien (Cap. 41: in seoretiora Germanie)
erftrede, verehrt fei, wird Cap. 40 ausführlicher gedacht. Nachdem hier
diefe ſueviſchen Stämme, Langobardi, Reudigni, Aviones, Anglii,
Varini, Eudoses, Suardones, Nuithones, aufgezählt worden, heißt es
von ihnen:
=
494
— nn mn — — — —
Nec quiequam notabile in singulis, nisi quod in commune Nerthum,
id est, Terram matrem, colunt, eamque intervenire rebus hominum, in-
vehi populis arbitrantur. Est in insula Oceani castum nemus, dica-
tumque in eo vehiculum, veste contectum, attingere uni sacerdoti con-
cessum. Is adesse penetrali deam intelligit, vectamque bubus feminis
multa cum veneratione prosequitur. Leti tunc dies, festa loca, quæ-
cungue adventu hospitioque dignatur; non bella ineunt, non arma sumunt;
clausum omne ferrum; pax et quies tunc tantum nota, tuno tantam
amata, donec idem sacerdos satiatam conversatione mortalium deam templo
reddat. Mox vehiculum et vestes, et, si credere velis, numen ipsum
secreto lacu abluitur. Servi ministrant, quos statim idem lacus haurit
Arcanus hinc terror sanctaque ignorantie, quid sit illud, quod tantum
perituri vident.
Für den Namen ber Gottheit, von der dieſes Capitel ſpricht, Bat
Paſſow (S. 64) die Lesart Nerthum als bie echte der Hanbfchriften
wiederhergeſtellt. (Bol. Rechtsalterth. 268. J. Grimm, Göttingifche
Anzeigen 1830. N. 28. ©. 272.) Herthum und, um das Wort mit
dem folgenden Terram matrem noch befjer in Einklang zu bringen,
Herthem find bloße Conjecturen. In der Erklärung von Nerthus aber
fiimme ich denjenigen bei, welche darin den Gott Niörb des norbis
chen Mythus erkennen!. (Das gejchlofiene deutſche & entſpricht auch
fonft dem norbilchen iö; iörd, ahd. örda; biörn, mh. bir. Gramm.
II, 352.) Wer zuerft diefe Anficht aufgeftellt, weiß ich nicht anzu:
geben. In neuefter Zeit findet man fie bei Kufahl (die Gefchichte
der Deutſchen bis zur Gründung der germanifchen Reiche im weftlichen
Europa, Th. 1. Berlin 1831. ©. 75. 413 f.) und zwar barauf be
gründet, daß Nidrd mie Nerthus als die Gottheit des Friedens, der
Eintracht und des Überfluffes gefeiert worden. Diele allgemeine Ahn⸗
lichkeit Tann jedoch viel fpecieller bargethan werden, wie ich es im
Folgenden verjuce.
Geht man von jener bezeichnenden Stelle bei Taritus aus, daß die
Gottheit Nerthus zu gewiſſen Zeiten von ihrem Priefter auf einem mit
Kühen beipannten Wagen umbergeführt werde und daß alsdann überall
Friede und feftliche Freude herrſche,
1 [Bgl. Grimms beutjche Mythelogie S. 197. 230 f. Maack in pfeiffers
Germania 4, 409. 8.]
485
— — — ——
(læti tune dies, feste loca, qumcungue adventu hospitioque dignatur;
non bella ineunt, non arma sumunt; clausum omne ferrum; pax et
quies tunc tantum nota, tunc tantum amata),,
⸗
jo vergegenwärtigt uns dieß die alten, nordiſchen Sagen von einer
goldenen Friedenszeit.
Sn Dänemark hieß diefelbe Frodis Friede (Fröda-fridur); denn
der Herricher dieſes Friedensalters war der Lethrafönig Frodi, eben
davon auch Friedfrobi (Fridfrödi) genannt, Bon diefem Frodisfrieden ift.
in der norbifchen Sagengeichichte [oben ©. 99 ff. 8.] ausführlich gehandelt
worden. Ich hebe bier nur aus, mas für unjern jetzigen Zweck nötbig if.
Kein Mann [jagt die Skalda Bn. Edd. &. 146] fügte da dem andern
- Schaden zu, mochte er auch den Mörder feines Vaters oder Brubers, los ober
gebunden, vor fi finden. Da war aud kein Dieb oder Räuber, fo daß ein
Golbring lang auf Jalangursheida [in Jütland] lag.
Man hat dann, auf gelehrterem Wege, ben Frieden unter Frodi mit
dem unter Kaifer Auguftus, während deſſen Chriftus geboren wurde,
für gleichyeitig angenommen. Beachtenswerth ift aber insbeſondre noch,
was Saxo (Hist. Dan. B. V, ©. 144) vom Herumführen dieſes Königs
nad feinem Tode meldet. (Er unterjcheivet mehrere Dänenlönige bes
Namens Frotho, unter denen berjenige, welchen bie nachfolgende Stelle
betrifft, der britte ift; wir haben aber geſehen, baß ihrer mehrere in dem
mythiſchen Charakter des Friedenskönigs zufammenfallen.)
Hie Frothonis toto orbe clarissimi regis excessus fuit. Hujus egestis
visceribus salitum corpus triennio proceres asservandum curabant, pro-
vinciarum defectionem vulgato regis exitu formidantes, mortemque ejus
ob hoc maxime clam exteris esse cupientes, ut vitee simulatione propagati
jampridem imperii terminos tuerentur, pristinaque ducis autoritate sub»
nixi, consuetam a subjectis pensionem elicerent. Deportabatur itaque ab
eis exanimum corpus, ut jam non funebri lecto, sed regali vehiculo
gestari videretur, tanquam invalido seni nec satis virium compoti id
muneris a milite deberetar.. Tantum magnificentie etiam extincto ab
amicis tributum est.
So zeigt ſich uns zwifchen Nerthus und dem fagenhaften Sönige
Frodi eine doppelte Beziehung: beide find friebebringende Weſen und
beide werden auf einem Wagen unter dem Volle umbergeführt. Der
Erzählung Saros vom Herumführen der Leiche Frodis liegt ohne Zweifel
496
die Erinnerung an einen alten Gebrauch der heidniſchen Zeit zu Grunde;
daß man durch ſolche Täufchung das Reich zufammenzuhalten und bie
Entrihtungen der Untertbanen ferner beizutreiben beabfichtigt babe,
trägt das Gepräge fpäterer Erflärung einer Feierlichleit, deren Einn
nieht mehr verftanden wurde. Auch fcheint Saro felbft zu fchmanfen,
indem er am Ende mehr auf eine dem Könige damit ertviefene Ehre
hindeutet.
Ganz Ähnliches aber, was in däniſcher Sage vom Könige Frodi,
wird in ſchwediſcher vom Gotte Freyr berichtet, ob gleich auch hier ber
Bott zum Menjchen umgewandelt erjcheint.
, Eine der drei Hauptllafien norbifcher Götterweſen bilben die Banen,
die freundlichen Naturkräfte des Lichtes und der Wärme, und damit
die Geber der Fruchtbarkeit und des Reichthums, überhaupt aller äußern
Wohlfahrt. In die Gemeinſchaft der geiltigern Afen find fie nur auf:
genommen, nicht gleichen Urſprungs mit biefen. Auf der andern Ratur:
feite aber ftehen ihnen bie Jdten, die Mächte der Yinfternis und Kälte,
gegenüber. Die vanifchen Hauptgötter nun find Njörd und deſſen
Kinder, Freyr und Freya.
Freyr insbeſondre maltet, wie bie profaiiche Edda fagt (Sn. Edd.
28), über Regen und Sonnenfcein und damit über die Erdgewächſe;:
er ift gut anzurufen um \Sahresfegen und, Frieben.
Die Inglingafaga (der vorderſte Theil der Heimskringla, des im
13ten Jahrhundert von Snorro Sturlefon in altnorbifher Sprade
zufammengetragenen Geſchichtwerks über den Urfprung und die Ge
Ichichte der norwegiſchen Könige) macht die Götter des Nordens über:
baupt zu irdiſchen Herrfchern. So läßt fie über Schweden, nach Dbin
und Ridrd, den Sohn bes leßtern, Freyr, herrichen. (Der Gott Freyr
wurde in Schweben beſonders verehrt und bon ihm leiteten bie Upſala⸗
fönige, nad feinem Beinamen Ingvi Hnglinger genannt, ihren Ur:
fprung ab.) Im 12ten Cap. dieſer Saga nun wird von Feeyr u. A.
gejagt (I, 12): |
Er war ſehr geliebt und ein Geber guter Jahre, wie fein Bater. In
feinen Tagen begann Frodis Friede; da war auch gute Beit in allen Landen.
Die Schweden rechneten das Freyrn zu und er war um fo viel mehr verehrt,
als andre Götter (godin), da in feinen Tagen das Boll des Landes reicher,
als vorher, durch Frieden und Jahresſegen war. Freyr ward krank und als
497
jeine Krankheit zunahm, wurden fie zu Mathe, wenige Leute zu ihm kommen
zu laffen. Sie bauten einen großen Hügel und machten eine Thlire dran und
drei Fenſter. Ws nun Freyr todt war, trugen fie ihn heimlich in den Hügel
und fagten den Schweben, er. lebe noch, und verwahrten ihn dort drei Winter,
Alle Schatung aber brachten fie in den Hügel; zum einen Fenſter hinein das
Gold, zum andern das Silber und zum dritten die Kupfermünzen; da war
gutes Jahr und Friede. (Cap. 13.) Als aber nun alle Schweden wuften, daß
Freyr tobt war und gutes Jahr und Friede beftand, glaubten fie, e8 wiirde
fo Hleiben, fo lange Freyr in Schweden wäre, wollten ihn nicht verbrennen,
nannten ihn den Gott ber Welt und opferten ihm alle Zeit hernach um Jahr⸗
gewächs und Frieden. _
(Auch Frodi hat, nad dänischer Volksſage, große Schäbe in feinem
Grabhügel und um feinen Hals hängt eine Goldkette, deren andres
Ende um des Königs Beben befeftigt ift. Thiele, danske Folkeſ. D. 1.
Kopenhagen 1819. ©. 20 f. 166.)
Wie aber Frodi noch immer im Wagen umbergeführt wurde, jo
geichah es auch Freyrn.
Davon findet ſich bei der Saga des Königs Olaf Tryggvaſon (des
Belehrers von Norivegen am Schluffe des 10ten Jahrhunderts eine merk
würdige Erzählung folgenden Inhalts (Sagabibl, III, 264 ff., deutſch
in Bragur Il, 143 ff.):
Gunnar Helmingr, ein Norweger, den man eines Todſchlags wegen fälſch⸗
lich im Berdacht hatte, entfloh deshalb aus feinem Baterlande nad) Schweben.
Hier wurde dazumal viel geopfert, bejonders dem Freyr. Der Höfe Geiſt ſprach
aus dem Götzenbilde. Das Bolt glaubte, Freyr fei lebendig, und verfchaffte
ihm das fchönfte Mädchen zur Frau. Sie ftand dem Gotteshaufe vor und
Allem, was dazu gehörte. Zu ihr nahm Gunnar feine Zuflucht, fie war ihm
gewogen, bemerkte jedoh, daß Freyr nicht mit Freundesaugen auf ihn fab.
Sie ließ ihn erft drei Tage bleiben, diefe wurden zu vierzehn, und je länger
Gunnar blieb, um fo befier war er gelitten. Endlich gejtattete fie ihm, den
Winter iiber zu verweilen und mit Freyr auf Gaftgebote auszuziehen; denn
Freyr wurde "umbergeführt, um gutes Jahr zu ſchaffen. Freyr und feine
Frau faßen im Wagen und ihr Dienftvolf gieng an deſſen Seite, Als fie nun
einen weiten Weg über's Gebirge machten, fiel ftarfes Unmetter ein. Gunnar
blieb beim Wagen, das übrige Gefolge zerfireute fi. Nachdem er eine Beit
lang die Ochſen geführt hatte, warb er müde, fette fi) in den Wagen und ließ
die Thiere feibft gehen. Bald darauf fagte die Frau zu ihm: „Thu' dein Ge
ſchäft, oder Freyr kommt über dichl!“ Gunnar gehorchte, als er aber wieder
Upland, Gäriften. VI. 32
498
mibe war, fagte er, er wolle Freyrn ſchon empfangen, wenn biefer Aber ihn
fime Da fprang Freyr vom Wagen und fie begannen zu ringen. Gunnar
merlte bald, daß er erliegen müffe, und that das Gelübde, zum rechten &lauben
zurüdzufehren und Vergleich mit König Dlaf zu fuchen, wenn er diefen Unheld
zu überwinden im Stande fe. Sogleich begann Freyr zu mwanten, der böfe
Geiſt fuhr aus dem Bilde und die leere Geftalt blieb zurüd, welche Gunnar
in Stüde ſchlug. Er hieß nun die Frau wählen; entweder wiirde er fie bier
fiten laffen, oder fie follte ihn für Freyr ausgeben. Sie wählte das Letztere.
Gunnar zog nun Freyrs Kleidung an und fo famen fie in's bewohnte Land.
Die Leute fahen es flir einen großen Beweis von Freyrs Macht an, daß er
in ſolchem Wetter über's Gebirg gekommen war und daß er gehen und trinken
konnte. Den ganzen Winter über ſprach Freyr nur wenig, außer mit feiner
Frau, er wollte eine Opferthiere fir ſich fchlachten laſſen und kein andres
Opfer annehmen, als Gold und Silber, gute Kleider und andre Koftbarfeiten.
Bald erfuhr man, daß Freyrs Frau in gejegnieten Umftänden fei, und man
hatte großes Gefallen an dieſem Gotte, indem zugleih der Winter gut war
und Alles fi zu einem günftigen Jahre anließ. Das Gerücht von Freyrs
Macht kam auch zu Dlaf Tryggvafon, der viel nachdachte, was wohl dahinter
fteden möchte Eines Tags ließ er Gunnars Bruder Sigurd holen, erzählte
diefem, wie er Verdacht Habe, daß Gunnar Freyrs Rolle ſpiele; Sigurd folle
zu feinem Bruder reifen und ihn zur Rückkehr überreden, die er num ficher
antreten könne, da man wiffe, wer den Todtſchlag verübt habe Sigurd voll
führte den Auftrag des Könige. Gunnar entfloh alsbald mit feiner Frau umd
feinem Gelde. Die Schweden fetten ihnen nad, verirrten ſich aber und fo kam
Gunnar mit feiner Frau zu König Olaf, wo beide ſich taufen ließen.
Legt man in biefer Erzählung zurecht, was befonders die bei ben
riftlichen Bekehrern gangbare Anficht, wonach die Götter des heidni—
chen Alterthums leibhafte Teufel waren, Fabelhaftes eingemifcht hat,
fo läßt fich daraus doch ein unverwerfliches Bild vom Dienfte Freyrs
in der legten Zeit des norbifchen Heiventhbums entnehmen. Auch fonft
ergeben die hiftorifchen Sagan, daß man dem Freyr opferte, um ein
gutes Jahr zu erhalten, und daß nicht bloß Männer, ſondern aud
Frauen dem Tempelbienite desfelben vorftanven; Opferpriefterinnen diefes
Gottes werben bejonders genannt (Sagabibl. Il, 267 f.).
Faßt man aber Alles zujammen, was wir biäher über Freyr bei-
gebracht, fo zeigt fich bei ihm die Ähnlichkeit mit dem Dienfte von
Nerthus noch viel auffallenver, als bei dem Dänenkönige Frodi. Was
Taritus von ber fuebifchen Gottheit jagt, eamque intervenire rebus
299
hominum, invehi populis arbitrantur, gilt ganz auch von Freyr.
Wie diefer mit jeiner Priefterin, fo zieht ‚der Priefter mit Nerthus vor
Heiligthum (penetrali, templo) aus; der Wagen, der die Gottheit trägt,
ift im Norden mit Ochjen beipannt, bei Tacitus bubus feminis. Freyr
wird ben Winter über auf Galtgeboten umherbewirthet; leeti tunc dies,
festa loca, quscungue adventu hospitioque dignatur, beißt e3 von
Nerthus. Diefe Feſteszeit über herrichte ein Gottesfriede: non bella
ineunt, non arına sumunt, clausum omne ferrum, pax et quies tunc‘
tantum nota, tunc tantum amata; welches ganz der Beichreibung von
Frodis Frieden entipricht. Die Schweden aber, jagt die Inglinga-Saga,
rechneten diefen Frieden Freyrn zu. Auch fonft beißt es von dieſem, daß
er bes Friedens walte. Im Frieden Tann auch nur aller ver Segen ge:
beihen, deſſen Geber er ift. Die norbifchen Sagen jelbjt von einer golbenen
Friedenszeit mögen jenem feierlichen, in beitimmten Perioden (alle brei
Jahre) ftattgefundenen Umbherführen der fegensreichen Gottheit, während
deſſen wirklich ein Gottesfriebe herrichte, ihren Urfprung verdanken.
Neben dem, was in den Erzählungen von Nerthbus und Freyr zus
fammentrifft, zeigt ſich allerdings auch Einiges nicht Ähnliche. Was
Tacitus vom Wafchen der Gottheit im geheimen See berichtet, ift an
fih keine Verſchiedenheit, die nordiſchen Berichte ſchweigen nur davon.
Bedeutender ericheint, daß Nerthus ausdrücklich als eine Göttin (dea,
Terra mater) bezeichnet wird. Allein auch diefer Umftand wird fein
entſcheidendes Hindernis fein, wenn mir erwägen, daß Tacitus bier
von Völkern fpricht, deren Gebiete fich nach feinem Ausdruck (Cap. 41)
in secretiora Germanis erjtreden, von denen alfo nur dunklere Kunde
durchdringen mochte, daß die beveutende Rolle, welche auch in jener
nordiſchen Erzählung die Priefterin fpielt, ihn leicht verführen Tonnte,
die Briefterin zur Göttin und den Gott zum Priefter umzuwandeln,
und dieß um fo eher, als ein Römer, der von einer Gottheit des
Jahresſegens fprechen hörte, biefe fich in römischer Anſicht am ebeften
al3 eine weibliche Terra mater zu denlken geneigt fein mujte, daß end:
lich im Namen Nerthus ſogar noch die männliche Wortform übrig ge:
blieben ift, welche ven Bereinigern des Textes fo viel zu Schaffen machte,
und daß eben diefe jcheinbare Anomalie fih durch unfre Annahme fo
natürlich erklärt. |
Der Name Nertbus felbft trifft, nad Dbigemn, zufammen mit dem
500
norbiichen Njörd (Niördr). Diefer ift zwar nicht ibentifh mit Freyr,
aber er ift deſſen Vater, er gehört berfelben Klaſſe an, ift der Stamm
der Vanengötter. Bon feiner Regierung jagt die Inglinga-Saga Gap. 11
faft das Nemliche, wie von der feines Sohnes:
In feinen Njörds] Tagen war durchaus guter Friede und Sahresfegen
jeder Art, fo reichlih, daß die Schweden deshalb glaubten, Njörd walte über
das Jahr und über das Blüd der Menſchen.
Man trank Njörds und Freyrs Becher für gutes Jahr und Frieden
(Suhm, Od. 337 u.). Es war ein isländiſches Sprichwort: „reich wie
Njörd“ (Tex. myth. ©. 252). Daß einer feiner Beinamen, den
die Skalda aufführt, Vagnagud, curruum s. vehiculorum numen
war, was auf ähnliches Umberführen, wie bei Freyr, deuten Tönnte,
laſſe ich dabingeftellt fein. (Ebend. 253°). Ob nun im Nerthus des
Tacitus eine Berwechslung des Vater mit dem Sohne ftattgefunden,
oder ob in früherer Zeit oder bei andern Völkerſtämmen ein ähnlicher
Cultus für Njörd, wie der uns befanntere von Freyr ftattgefunden,
läßt fich freilich nicht mit Sicherheit entſcheiden. Da übrigens Njörd
im altnorbifhen Mythus der Geber desjenigen Reichthums ift, der vom
Meere, von Schifffahrt und Fifchfang herrührt, wie er denn in Noatun,
der Waflergegend, am Seeſtrande wohnt, wo er ven Lauf des Windes
regiert und das Meer ftillt, fo darf doch nicht unbemerkt bleiben, daß
der Hain von Nerthus auf einer Meerezinfel ift (in insula Oceani)
und nachher die Gottheit in einem See gebavet wird (secreto lacu
abluitur).
Über die Lage diefer Inſel! ift viel gerathen worden: das bänifche
Geeland, der Mälarjee in Schweren, die Inſel Rügen u. |. m. Sie
wird wohl, mie die untergegangene Atlantis, niemals wieder entbedt
erben.
Litterarifch ift bier noch anzuführen:
Hertha und über die Religion der Weltmutter im alten Teutſchland. Bon
6. Karl Barth. Augsburg 1828.
1 [Bgl. 8. Maad, die Inſel der Nerthus, ein hiſtoriſch⸗ antiquariſcher Ber-
ſuch, in Bfeiffers Germania 4, 385. Er ſucht die Inſel in der Oftfee; es jei
die einft von Feſtlande abgeriffene Oftede Holfteing, die damals mit der Inſel
Fehmarn zuſammenhieng. 8.)
501
Der Berfafler bemerkt (S. 2), daß er fih der weiblichen Form
Hertha nur als einer unfrer Redeart entſprechenden Abänberung bes
biene, indem nach ber beftimmten Erklärung bes Tacitus die Bebeutung
felbft nicht zweifelhaft fei. Der Plan der Schrift ift fehr wett angelegt
und ber Berfafler ſelbſt gibt die Gedankenreihe berjelben im Vorwort
S. XI ff. fo an: *** Abgefehen von manchen gewagten Verbindungen
und unbhaltbaren Etiymologieen, melde in ber Ausführung dieſes
Planes zu Hülfe genommen werben, fällt uns ſchon die Grundlage
besjelben hinweg, wenn wirklich, wie wir zu zeigen verſucht, Nerthus
mit Njörd für identiſch anzufehen ift. In biefem und ber ganzen
Götterllafle, deren Haupt er ift, den Vanen, erfennen wir zwar Natur:
wejen, aber keineswegs die Natur im Verein der höchften phyſiſchen
und geiftigen Kraft. Die Fülle der geiftigen Kraft lebt in ven Aſen.
Einige weitere Gottheiten, deren Tacitus gedenkt, find wenigſtens
anzuführen, wenn wir auc nichts zu ihrer Erklärung zu fagen wiſſen.
Annal. 8. I, Gap. 50. 51 erzählt er, wie Germanicus die Marfen (in
Weitphalen) bei einem nächtlichen Feſtmahle überfiel (etenim attulerant
exploratores festam eam Germanis noctem ac solemnibus epulis
ludieram). Auf 50 Meilen weit wurde das Land mit Feuer und
Schwert verwüftet (profanea simul et sacra et celeberrimum illis gen-
tibus templum, quod Tanfane vocabant, solo equantur, Cap. 52).
Bon diefer Göttin Tanfana kommt fonft nirgends etivas vor. Es ift
felbft bezweifelt worden, ob ber Name den Ort over die Gottheit bes
zeichne (vgl. Mone Il, 18), Grimm nimmt Letzteres an (Einleitung
XLIV I), Ein göttliches Brüberpaar wird Germania Cap. 43 namhaft
gemacht:
Apud Nahanarvalos [al. Naharvalos, ein Volk im innerſten Germanien]
antique religionis lucus ostenditur; presidet sacerdos muliebri ornatu;
sed deos, interpretatione romana, Castorem Pollucemque memorant; ea
vis numini, nomen Alcis; -nulla simulacra, nullum peregrin® supersti-
tionis vestigium; ut fratres tamen, ut juvenes venerantur.
Meder im nordiſchen Mythus, noch fonjt in germaniſcher Sage,
findet ſich eiwas den hier gejchilderten Götterweſen oder dem angegebenen
1 [Bgl. Grimms deutihe Mythologie ©. 70. 236. 256. 1062. Grimms
Heinere Schriften 2, 247. 8.)
502
—
Namen derjelben Entſprechendes (vgl. Mone I, 25).1 Was endlich
Gap. 45 von der Verehrung der Mater Deüm bei den Aftyern ge
meldet wird, laflen wir zur Seite, da Tacitus dieſes Volk der Sprache
nad) als ein nichtgermanifches bezeichnet: Ingua britannicse propior.?
Mehreres berichtet diefer Schriftftellee noch von gottesbienftlichen
Einrichtungen und Gebräuden der Germanen, fo Cap. 7 und 11 bon
der Gewalt ihrer Priefter, Cap. 10 von ihren Aufpicien, Cap. 39 von
dem beiligen Haine der Semnonen; allein für unfern Zived hatten wir
und auf Dasjenige zu beichränten, was auf die Beichaffenbeit des
Göttermythus ſelbſt hinwies. Nicht beſonders erwähnt Tacitus des
Glaubens der Germanen an die Fortdauer nad dem Tode, eines
‚Glaubens, welcher der odiniſchen Lehre wefentlih if. Wohl aber be
merken fonft römische und griechiiche Echriftfteller der Kaiferzeit an den
Deutichen verfchiedener Stämme als herborftechende Züge, wie fie Ber
ächter des Todes, Vergeuder ihres Lebens gewefen, wie fie den Tod
in der Schlacht für ruhmvoll, den auf dem Krantenlager für ſchmählich
gehalten, wie fie in Greifenalter oder Krankheit ihre Verwandten um
Schleuniges Ende gebeten, wie fie den gepriefenen Tod von eigener Hand
der Gefangenfhaft vorgezogen, tie fie verftümmelt fortgefodhten und
noch im legten Augenblide troßig umbergejchaut, und als Urſache folder
Erfcheinungen wird angeführt, daß dieſe Barbaren eine Fortbauer nad)
dem Tode, eine Wiederkehr in das Leben geglaubt haben. Am bün-
digſten drüdt dieß Lucan in folgender Stelle aus, die fich jedoch auf
die nördlichen Völker überhaupt, namentlich auch die galliichen bezieht
(Pharsal. I, 457):
BEER certe populi, quos despicit Arctos,
Felices errore sao, quos ille timorum
Maximus haud urget, leti metus; inde ruendi
In ferrum mens prona viris animeque capaces
Mortis, et ignavum reditur& parcere vite.
1 Paſſow S. 115: Alcis, Hec numina intelligere videtur Timæus
Sieulus, apud Diodor. Sic. 4, 56 de Tyndaridis narrans, eos in precipuo
apud Celtas ad Oceanum honore fuisse” Nomen Alcis Antonius, interp.
vernac. p. 186 recte derivare videtur e Slavico Holczy, pueri. Bgl.
Gr. III, 428: goth. alhe, templum, [Grimms deutſche Mythologie S.57. 8.)
2 Beziehen fih etwa die forme aprorum auf vanifche Gottheiten, Freija,
Freyr? Die Äftyer werden als aderbauend geſchildert.
503
Die Spuren der Götterfage laſſen fich bei Tacttus nicht ganz bon
denen der Heldenfage ausſcheiden. Den Hercules fanden wir bald mit
den Hauptgöttern Mercur und Mars durch Opfer verehrt (Cap. 9),
bald alö den eriten aller tapfern Männer befungen (Cap. 3). An ver
legtern Stelle wird auch des Ulyſſes gedacht: -
Ceterum et Ulixem quidam opinantur longo illo et fabuloso errore
in hanc Oceanum delatum, adisse Germanie terras, Asciburgiumque, quod
in ripa Rheni situm hodie incolitur, ab illo constitutum nominatamque
[Hier hat eine der älteften Ausgaben, und die ihr folgen, eine Lücke, in welcher
der von Ulyffes diefer Stadt gegebene Name geftanden haben follte] aram
quin etiam Ulixi consecratam, adjecto Laertee patris nomine, eodem loco
olim repertam, monumentaque et tumulos quosdam, grecis litteris in-
scriptos, in confinio Germanie Rhetieque adhuc exstare. Qus neque
confirmare argumentis, neque refellere in animo est: ex ingenio suo quis-
que demat vel addat fidem.
Mit diefem Verweiſen auf unfere eigene Einficht find wir freilich
in einer fo dunkeln Sache wenig gefürbert. Es handelt ſich übrigens
an diefer Stelle, ihrer ganzen Faſſung nach, nicht wie anderwärts bon
einer germanijchen, römiſch gedeuteten Sage, ſondern von einer ger .
lehrten Meinung einiger Berichteritatter, melde Tacitus vor ſich hatte
(quidam opinantur). Der Stabt Azciburgium am Niederrhein geichieht
auch Histor. B. IV, Cap. 33 bei den Kriegen des Civilis, ſowie von
Ptolemäus, Erwähnung; was aber die Gelehrten veranlaßt haben
mochte, ihre Gründung dem UAlyſſes zuzufchreiben, würde ſich ohne
Zweifel durch den Namen erllären, den er verfelben gegeben haben ſoll
und der nun in der angezeigten Lücke ausgefallen if. Anſiedlungen
und Denkmäler der Helden, die ſich aus der zerftörten Troja flüchteten
oder von ber Eroberung nach Haufe Fehrten, glaubten die Alten überall,
zu finden; namentlich mollten fie Altäre, von Alyſſes errichtet, auch
an andern Drten entvedt haben ühs 138 bis 141). Spätere Ausleger
haben Asciburg mit Aögard, der norbiichen Afen: ober Götterburg,
und den Ulices, Odyſſeus, Utis mit dem meitgefahrenen Odin für gleich
beveutend gehalten; allein abgefehen davon, daß bier gar feine ger-
manifche Sage erweislich vorliegt, jo heißt Asciburgium etymologijch
nichts anders als Ejchenburg, von asc masc. ahd., (askr, altn.)
fraxinus, Eiche; auch in der Bebentung „Schiff“, ein aus Ejchenholz
u 504
— —
gezimmertes Fahrzeug (Grimm, Grammatik II, 448. III, 437. I, Ein
leitung XL. Bol. Ruhs 140 f. Mone I, 9 f.).
Wie einbeimifche, germanifche Helden in Sang und Sage über
giengen, davon gibt Tacitus ein Beifpiel an Armin!, dem Befreier
Germaniens, von welchem er, Annal. B. II, Gap. 88 verfichert: cani-
turque adhuc barbaras apud gentes. Dasfelbe war vielleicht auch mit
Civilis, dem Freunde Belevas, der Fall, der von Tacitus (Hist. 8. IV,
Gap. 61) inclitus fama genannt wird und in beflen eigenem Heere bie
Nacht mit Gefang bingebracht wurde (Hist. B. V, Gap. 15).
Es ergab fi) aus dem Bisherigen, daß die Germanen von ihren
Göttern und Helden gefungen haben. Den Gott Tuifto und deſſen
Sohn Mannus, ihre Stammpäter, feierten fie durch Lieber (Cap. 2:
celebrant carminibus antiquis, quod unum apud illoes memori® et
annalium genus est). Den Hercules befangen fie, wenn fie zur Schlacht
auszogen (Cap. 3: ituri in preelia canunt). Auch Arminius lebte bei
ihnen im Gejange fort (Ann. l. c. caniturque adhuc barbaras apud
gentes). Über den Echlachtgefang wird jener Erwähnung des Singens
von Hercules Cap. 3 unmittelbar Folgendes beigefügt:
Euisse apud eos et Herculem memorant, primumque omnium virorum
fortium, ituri in prolia, canunt. Sunt illis hæc quoque carmina, quoram
relatu, quem barditum vocant, accendunt animos, futureque pugne for-
tunam ipso cantu augurantur; terreni enim trepidantve, prout sonuit
acies; nec tam voces ille, quam virtutis concentus videstur. Affectatur
preecipue asperitas soni et fractum murmur, objectis ad os scutis, quo
plenior et gravior vox repercussu intumescat.
Die Worte „Sunt illis heee quoque carmina“ u. |, w. Tönnen auf
zweifache Weife genommen werben. Entweber: dieſe (die Gefänge von
Hercules) find ihnen auch diejenigen, welde fie zur Schlacht felbft
fingen; oder: fie haben auch (außer den Liedern von Hercules) noch
andre, derjenigen Art, wodurch fie den Muth entzünden; jene, die von
1 Grimm, Gr. I, 1te Ausg. Einl, XXXIX.: „Arminius durch Hermann,
Ariovistus durch Ehrenfeft zu erklären, ift nicht beffer, als Canninefates durd)
Caninchenfänger. “ Ebend.: „Sodann muß man fie [die germanijchen Böller-,
Orter⸗ und Perfonennamen bei den Alten] durchgehends nicht aus der fpätern
Sprade, fondern aus den älteften einheimifchen Denkmälern behutſam erlän-
tern, wobei das Studium der althochdeutfchen Eigennamen in den Urkunden bei
6ten bis Iten Jahrhunderts große Hülfe gewährt.“
305
Hercules, fingen fie auf dem Wege zur Schlacht, ituri in preelis, bie
ambern beim Anbruce der Schlacht und während biefer felbit. Die
letztere Erklärung, wonach von einer verſchiedenen Art ber Lieber bie
Rede ift, wird gewöhnlich angenommen und ift wohl auch die unge
zwungenere. Aber auch hiebei wird die Verfchiedenheit nicht ſowohl auf
den inhalt zu beziehen fein (denn auch diefe Echlachtgefänge, da fie
doch nicht ala bloßes Schlachtgeſchrei bezeichnet find, werben von Göttern
und Helden gehandelt haben), als auf die Art des Vortrags, auf den
relatus, quem barditum vocant. Diejer follte ein möglichft voller und
ftarler Klang fein, für die Genofjen ermuthigend, den Feinden Schreden
erregend; ihn zu veritärfen, wurden die Schilde ala Refonanz gebraudit.
Der Klang felbft war der Mefler der Kampffreußigkeit im Heere:
terrent enim trepidantve, prout sonuit acies; es waren nicht bloße
Stimmen, fondern Zufammenflänge des kriegeriſchen Muthes: nec tam
voces ille, quam virtutis concentus videntur.
In der Beichreibung des batavifchen Krieges kommt nicht bloß
jener nächtliche Gefang im Heere des Civilis wor, defien wir früher ers
mähnten (Hist. V, 15: nox apud barbaros cantu aut clamore acta),
Sondern auch der Gefang in der Schlacht felbft, wie er den Schlacht:
zuf der Nömer übertönt (Hist. 8. IV, Cap. 18):
Ut virorum cantu, feminarum ululatu, sonuit acies; nequaquam par
a legionibus cohortibusgue redditur clamor.
Desfelben gedenkt Tacitus auch ſchon früher, bei den innern Kämpfen
zwilchen den Parteien des Otho und Bitellius, wo germaniſche Hülfs-
truppen auf leßterer Seite an dem vergeblihen Sturme auf Placentia
(Piacenza) Theil nehmen, Histor. B II, Cap. 22:
Ingerunt desuper [von ben Mauern] Othoniani pila, librato magis et
certo ictu, adversugs temere subeuntes cohortes Germanorum, cantu truci
et, more patrio, nudis corporibus, super humeros scuta quatientium.
Was den Namen betrifft, womit Tacitus diefen germanischen
Schlachtgejang bezeichnet und zwar ala mit einem bei ihnen felbft ge:
bräudlichen, quem barditum vocant, fo ift die Lesart barditum
zweifelhaft. Paſſow hat fie zwar, als in mehreren Hanpdfchriften vor-
fommend, in den Tert aufgenommen, vermuthet aber in ber Note, daß
die fonft in den alten Ausgaben gebrauchte Lesart baritum die richtigere
306
feil. Denn auch andre römische Schriftfteller, Vegetius (de re milit. 29)
und Ammianus Marcelinus habes nicht barditus, ſondern barritus.
Das Wort, das fie als ein ftrategifch hergebrachtes gebrauchen, wird
ausbrüdlich ein von ben ‚Barbaren entlehntes genannt und ber bamit
bezeichnete Schlachtruf fo gefchilbert, daß er von leiferem Gemurmel
allmählich anichmelle:
Amm. Marc. Rer. gest. B. XVI, €. 12: Barritum civere vel maximum,
qui clamor ipso fervore certaminum & tenui susurro exoriens paullatim-
que adulescens ritu extollitur fluctuum cantibus illisorum.
(Es ift hier nicht von den Alemannen, fondern von den Cornutis
et Bracatis auf römifcher Seite die Rebe.)
Das barbarifche Wort wird fogar von dieſem Gejchichtichreiber als
römischer Schlachtruf im Gegenjate des germanifchen gebraudyt. Bon
‚ einer Schlacht der Römer gegen die Gothen in Thracien meldet er
B. XXXI, Cap. 7:
"Et Romani quidem voce undique Martia concinentes, a minore solita
ad majorem protoli, quam gentilitate appellant barritum, vires validas
erigebant. Barbari vero majorum laudes clamoribus stridebant inconditis:
interque varios sermonis dissoni strepitus leviora proslia tentabantur.
(Aljo bier das Heldenlieb im Kampfe ſelbſt. Vgl. noch B. XX VI,
Cap. 8. Rühs ©. 144). .
Eine fichere deutfche Etymologie des Wortes weiß ich nicht anzu:
geben; die Beziehung auf Bar, was in der Sprache der Meifterfänger
ein Lied beveutete (vgl. Aretins Beiträge IX, 1161, 51: Ein par u. ſ. w.),
ilt fehr zweifelhaft. J. Grimm, Rechtsalterthümer ©. 876. 855 er
innert an das friefiiche baria, im gerichtlichen Gebrauche: manifestare,
clamare, lagen durch Ruf oder Schrei. Die Lesart barditus hat be
ſonders Denjenigen zugelagt, die darauf ein beutiches Bardenweſen zu
. begründen hofften. Barden (Bardi, Baodol) heißen in den Quellen
überall nur die Sänger der Gallier, aljo eine von ben Germanen
völlig verichievenen Volksſtammes. Sie werden von Ammianus War:
cellinus als eine eigene, von den Druiden und Euhagen unterjchiedene
Klaſſe unterrichteter Männer bezeichnet (B. XV, Cap. 9):
Et Bardi quidem fortia virorum illustrium facta heroicis composita
versibus cum dulcibus lyr&e modulis cantitarunt.
1 [Anders W. Wadernagel, Leſebuch 4, 9. .R.] -
507
Daß nun auch die Germanen ihre Sänger hatten, ift Mar, aber
weder daß diefe Barden hießen, noch daß fie eine Faftenartige Klaſſe
bildeten, was felbft bei ihren Prieftern nicht erweislich iſt.
Das Ergebnis, das ſich aus den bisher erörterten Nachrichten der
alten Schriftfteller ziehen läßt, ift Türzlich folgendes: die Völker des
alten Germaniens hatten Lieder von Göttern und Helden; unter ben
Gottheiten, welche genannt werben, zeigen fi Anklänge an kosmo⸗
goniſche Weſen, an Aſen⸗ und Banengötter bes Nordens; Mercur bietet.
beſonders mittelft der Gelübbe, wodurch ihm und dem Mar ganze
Heere zum Opfer geweiht werben, eine nähere Beziehung zum norbifchen
Odin bar, und eine gleiche zeigt Nerthus felbjt dem Namen nad zum
flandinavifhen Njörd; unbeftimmtere oder gar keine Verwandtſchaft ers
gibt ſich Hinfichtlich der übrigen Gottheiten, deren die zömischen Schrift
fteller erwähnen. Tacitus jagt, Germania Cap. 45:
Trans Suionas [diefe bewohnen ihm, nad der Meinung der meiften Er-
klärer, ben füblichen Theil des jegigen Schwebens, ben er jedoch für eine Inſel
des Oceans anfteht, Paſſow 116] alind mare, pigrum ac prope immotum:
quo cingi eludique terrarum orbem hinc fides, quod extremus cadentis
jam solis fulgor in ortus edurat, adeo clarus, ut sidera hebetet; sonum
insuper [al. immergentis u. f. w.] audiri, formas deorum et radios capitis
aspici, persuasio adjieit.
So verliert fi dem Tacitus die germanische Welt nach dem Norden
bin in räthjelhafte Töne und Glanzbilder. Man glaubt in feiner Be⸗
ſchreibung die Erfcheinungen des Norblichts zu erkennen. Reiſende im
höhern Norden erzählen von dem munderfamen Spiel der Lichter und
Zaute bei diefem Phänomen!. Auf ähnliche Weife erahnen wir in den
Berichten der Germania nur fern hinaus die Sagenklänge und die
bauptumglänzten Geſtalten bes nordiſchen Götterhimmels (formas deorum
et radios capitis).
Mas wir aber von germanischem Götterweſen aus den Nachrichten
der Römer wenig über die Grenzen der Bermuthung entmwideln Tonnten,
1 Baflow 116: Sonum insuper audiri] Accepit heec Schlezerus, Hist.
univ. septentr. p. 139 de fulgoribus borealibus, explicuitque e narrationi-
bus per Lapponiam peregrinantium, precipue Monnerii, qui simillima de
mira colorum coruscatione deque inaudito quodam strepitu inter hec
pheenomena observato tradiderunt,
508
das erhält nun größeres Gewicht, wenn wir bamit Die einheimifchen
Nachrichten zufammenhalten, melde am weiteſten in die Beit der Be
kehrung der heibnifchen Germanen oder noch über biefelbe hinaufreichen;
und bier tritt ung zwar wieder nicht eine gejtaltete Götterfage entgegen,
aber wir hören jebt bei verjchiedenen deutſchen Volksſtämmen und aus
verſchiedenen Gegenden bes deutichen Landes ausgefprochene Götternamen,
welche mit denen der norbifchen Hauptgottbeiten ibentifch find.
Die bedeutendften Zeugniffe von diefer Seite follen nun gleichfalls
angeführt werben.
Wir befigen in altnieberbeuticher Mundart eine Abſchwörungsformel,
wohl noch aus dem 8ten Jahrhundert, die fogenannte Abrenuntiatio
dieboli, welche mahrjcheinlich den befehrten Sachſen zu jchwören auf:
“erlegt wurde (Gramm. 1, Einleitung LXV, 2. Mehrfach gebrudt,
namentlich in Eccard. Franc. or. I, 4401). Aus ihr erlernen wir,
welchen Hauptgöttern die Belehrten bei ver Taufe zu entjagen hatten;
die Hauptitelle lautet fo:
Ec forsacho allum diaboles wercum and wordum, Thunaer ende Wo
den ende Saxnote ende allum them unholdum, the hira genotas sint d. h.
ih fage ab allen Tenfelswerfen und Worten, Donner und Moden und Sarnote
und allen den Unholden (böfen Geiftern), die ihre Genoffen find.
Unter den Götterweſen, die hier genannt werben, find die beiden
erften vollfommen Mar: Thunaer? ift in Wort und Bedeutung basfelbe
mit dem norbifchen Donnergotte Thor. (Gramm. III, 353: Donar,
Thunar, drüden in abb. und fächfifher Mundart nicht nur den
donnernden Gott, fondern auch den Schall feines Wagend am Himmel
aus, der Donner ift darum masc. Im Altn. bat ſich das verkürzte
pörr (ftatt bonr, wie ds für ans) nur ala Eigenname, nicht mehr für
die Naturerfcheinung erhalten, die durch die fem. pruma und skrugga
bezeichnet wird. Den Dänen dauert das Compofitum torden fort, den
Schweden tordön, gleihfam Thori fragor.) Woden in altfächfifcher
und angelſächſiſcher Form, Wuotan (als fränkischer Eigenname? Gramm. I,
Einleitung S. L. Mone II, 150, N. 149. Wotan, um 887 und 889
Trad. Fuld.) in althochdeutſcher, ift, nach der Analogie des fonftigen
1 [W. Wadernagels deutſches Leſebuch 1d, 19. Miüllenhoffs Deutmäler
©. 153. 435. Heyne, altnieverbeutfcehe Denkmäler S. 85. 8.]
2 %. Grimm (Götting. Anz.) vermuthet Thunare.
509
.
—
” I
Wechſels der Munbarten- ver ſtandinaviſche Odin. Schwierigkeit iſt
allein bei Saxnote. Es find verſchiedene Deutungen biefes Wortes,
das nad dem Zufammenbang, in dem es fteht, offenbar einen britten
Gott bezeichnet, verfucht worden (ſächſiſchem Odin, fächfiichem Ge:
folge, Berfammlungen der Sachſen u. f. w.; vgl. Mone II, 150 f.
Geijer ©. 358 f. Leo, Od. 68). J. Grimm widerlegt (in der Recenſion
von Geijerd ſchwediſcher Geſchichte, Götting. gel. Anz. St. 56, 5 April
1828, ©. 549) einige der früheren Erflärungen und gibt feine eigene
dahin:
Sarndt iſt wörtlich Schwertgenoß (althochdeutſch Sahskindz)1, far war
den Sachfen ein kleines Schwert und fie führen ſelbſt den Namen daher. Unter
dem Schwertgenoß kann aber fein andrer heidniſcher Gott gemeint fein, als der
altnorbifhe Freyr, d. h. der altfähfiihe Froho, angelfächfiich Frea, gothiſch
Frauja. [Alles in der Bedeutung von Herr, dominus, deffen Feminin freyja,
altbochveutih fröwa, frouwa, rau, ®r. Ill, 320, 2. 335.) Dem Freyr
legt die Edda das beſte Echwert bei und läßt es ihn in großer Bebrängnis
weggeben, fo daß er e8 nachher vermiffen muß (Snorra Edda ©. 40. 41).
Nun aber bat nautr? im Altnordifchen gerade die Bedeutung eines vormaligen
Beſfitzers und Freyr könnte treffend den Beinamen Sarnautr, Sverbnautr
führen, obgleih wir ihn aus altnordiſcher Duelle nicht nachzuweiſen wiſſen. Bei
den Sachſen mag er fi) länger behauptet haben, die angelfächfifchen Geſchlechts⸗
reihen nennen ausprüdlich einen Searneat, Searntt. Ohne Zweifel war e8
angemefien, baß die Abrenuntiationsformel die drei vornehmften und verehrteften
Götter Thunar, Woden und Froho (Thor, Ddin, Freyr) anflihrte, 3
Soviel von den Altfachjen. Bei ihren Stammverwandten, den
Angeljachien, finden wir Woden ala den Stammpater der Königsge⸗
Schlechter genannt. Beda (+ 731), Hist. eccles. ed. Smith ©. 53
(Leo 66):
Duces eorum fuisse perhibenter primi duo fratres Hengist et Horsa
n. ſ. w. Erant autem filii Victogisli, cujus pater Vitta, cujus pater Vecta,
cujus peter Voden, de cujus stirpe multarum provinciarum regium genus
originem duzit.
1 Bgl. Man. II, 57a, 3 f. vſterſahs, Otte?
2 Thor heißt in einem Skaldenbruchſtücke (Skald. 102) hafra-niötr, ca-
prorum possessor , Lex, myth. 188.
3 [Bgl. J. Grimms deutſche Mythologie S. 184. K.]
510
(Gerade wie wir im Norden die Töniglichen Helbengefchlechter ihren
Urfprung von Odin ableiten fahen).
Daß von den Friefen die Götter Wodan, Thor, Forſeti (defien
Heiligthum auf der Inſel Helgoland Yorfetesland war) verehrt wurden,
bezeugen die alten Lebensbeſchreibungen der Belehrer dieſes Volkes, ver
Heiligen Willibrord, Wulframn, Liudger (Acta sanctor.). Der Friefen
könig Radbot z0g feinen Fuß aus dem Taufbeden zurück, ala er hörte,
daß feine ungetauften Vorfahren nicht im Parabiefe feien; lieber wollte
er mit ihnen bei Wodan bleiben. Aber nicht bloß bei Völkern bes
nieberdeutfchen Sprachftammes, auch bei ben Langobarden, die wir zum
hochdeutſchen zählten, und zu oberft im ältern Deutfchland geſchieht ber
Verehrung dieſes Gottes ausdrüdlide Erwähnung Paulus Diaconug,
jelbft ein Langobarbe, in der 2ten Hälfte des Sten Jahrhunderts er
zählt in der Geſchichte feines Volks (B. I, Cap. 8. 9) die Sage, wie
dasſelbe von Wodan und defien Gemahlin Frea (Freya, ftatt Frigga),
den Namen erhalten. Wir werden diefe Sage fpäter, an ’bver Spike
andrer langobarbifcher anführen. Paulus erklärt fie für eine Tächerliche
Fabel (ridieulam fabulam, und weiter: hc risu digna sunt et pro
nihilo habenda), aber fie macht fih fo fehr geltend, daß er ihr, fo un
gläubig er ſich anläßt, doch ihr Recht muß mwiberfahren Iafien, und er
fügt noch die allgemeinere Bemerkung hinzu:
Wodan sane, quem adjecta littera Guodan dixerunt, ipse est, qui
apud Romenos Mercurius dicitur, et ab universis Germanis gentibus ut
deus adoratur; qui non circa hec tempora, sed longe anterius, nec in
‘ Germania, sed in Grecia fuisse perhibetur.
Endlich aud am Ufer des Zürcherjees fand der Belehrer Columban
in der erſten Hälfte des Tien Jahrhunderts das Volk verfanimelt, um
dem Wodan ein Opfer zu bringen. Jonas, der kurze Zeit nach dem
Tode jenes Heiligen das Leben desſelben fchrieb (Vita s. Columbani,
. Mabillon, Acta sanct. 3, II, ap. Sur, ad d. 21 Nov. Leo, Od. 12),
erzählt davon:
“ Deinde perveniunt ad locum [eben am Züricdhfee], quem peragrans vir
Dei non suis placere animis ait, sed tamen ob fidem in eis ferendam inibi
paulisper moraturum se spopondit. Sunt enim inibi vicine gentes Sue-
vorum. (Quo cum moraretur et inter habitatores loci progredereiur, reperit
eos sacrificium profanum litare velle, vasgue magnum, quod valgo cupam
17
..
.‘.hı TI vi I 7 de 18
511
vocant, quod viginti et sex modios, amplius minusve, capiebat, cerevisia
plenum in medio habebant positum. Ad quod vir Dei accessit et sci-
scitatur, quid de illo fieri vellent. Illi ajunt, deo suo Wodano, quem
Mercurium vocant alii, se velle litare. Ille pestiferum opus audiens, vas
eminus sufflat, miroque modo vas cum fragore dissolvitur et in frusta _
dividitur, visque rapida [cum fragore] cerevisiee prorumpit: manifesteque
datur intelligi, diabolum in eo vase fuisse occultatum, qui per profanum
litatorem caperet animos sacrificantium.
Was wir nun auch von dem Wunder halten mögen, baß der
heilige Columban mit feinem bloßen Hauche die vom Teufel befefjene
Bierkufe gerfprengt, die Erzählung überhaupt von einem dem Woban
in biefer Gegend gebrachten Opfer fann, auch des Wunderbaxen vent-
Heivet, dennoch wohl beftehen. Sie erinnert wieder an norbifche Sagen,
wonach Odin, dem alles Begeifternde und ver Dichtertrant felbft zu
verbanfen ift, auch beim Brauen des Bieres angerufen, oder ihm und
andern Göttern ein Opfer dieſes Getränkes gelobt wird (Sagabibl. II,
449. DI, 272. gl. II, 244).
Die Gelehrten find, auch in neuefter Zeit, darüber verſchiedener
Meinung, ob aus den angeführten und andern Zeugniſſen eine all-
gemeinere ober eine auf beitimmte Volksſtämme befchräntte Verbreitung
der Odinslehre unter den Bewohnern des eigentlichen Deutſchlands zu
folgern fei. Kufahl führt in einem befondern Anhang zum Theil I
feiner Gefchichte der Deutichen (Berlin 1831) S. 446 ff. die Gründe
für die Allgemeinheit diefe® Glaubens aus, wogegen Heinrich Leo den
odiniſchen Dienjt außer Sachſen auf einige Stämme in den Alpen und
an den Alpen einſchränkt (in einer Abhandlung im Hermes B. 35, Cap. 2,
1831 „Was ift für die deutfche Gejchichte in der legten Zeit gejchehen?
und was thut auf dem dadurch genommenen Standpunkte bejonvers
Neth?“ 2ter Art. Schon früher hat fich der Verfafjer mit dieſem Gegen:
ftande befchäftigt in einer Schrift: Über Odins Verehrung in Deutſch⸗
land. Erlangen 1822. Vgl. Mone U, 193, N.). Ohne daß wir auf
das Einzelne diefer Unterfuhungen eingehen, mag uns vorläufig die
aus dem Obigen getvonnene Beobachtung genügen, daß zur Zeit der
Belehrung der-Deutfchen Wodan an ven entgegengejeßteiten Punkten
Deutichlandg, am Norbfeeftrande und in der Nähe der Alpen, alfo,
wenn auch nicht allgemein, boch in fjehr weiter Ausdehnung, verehrt
’
X
512
wurde und daß fich unter den Völkern, die ibn anriefen, ſolche be
finden, welche bereits in der Germania des Tacitus genannt ſind:
Longobarden und Frieſen (wenn wir auch von den Sueven abſehen,
weil es bei dem Opfer am Zürcherſee nur heißt: sunt enim inibi vi-
eine gentes Suevorum). Sind wir nun dadurch um fo näher berechtigt,
die römiſchen Nachrichten vom Glauben der Deutfchen mit jenen ein
heimiſchen in Verbindung zu feßen, fo gewinnen die innern Beziehungen,
bie wir zwifchen ven Götterivefen bei Tacitus und denen bes norbifchen
Mythus gefunden haben, eine äußere Betätigung durch die nun aud)
in Deutſchland ſelbſt aufgefundenen entjprechenden Götternamen. Bes
merkenswerth ift dabei insbefondre, daß der am meiften genannte Wodan
in den ausgehobenen Stellen ſowohl, als in andern (melde Kufabl
a. a. O. beibringt), regelmäßig zugleich durch Mercurius überſetzt wird
(Wodan, qui apud Romanos Mercurius dieitur, Paul. Diac. a. a. ©.).
Diefe Stellen [jagt derſelbe Schriftfteller S. 447] find um fo gemwichtiger,
da in feiner derjelben die Gleichheit des Woden und Diercur erft bewiefen, fon-
dern als allgemein zugegeben nur angeführt wird. Es ift alfo in biefem Falle
vollfonimen gleichgültig, ob die Verfafler derfelben die Regeln der Biftorifchen
Kritit kannten und befolgten oder nicht. Sie hatten bloß eine weit verbreitete
Meinung zu wiederholen, und hierzu beturften fie nur ihres Gebächtniffes.
Jenes „deorum maxime Mercurium colunt® bei Tacitus, Ger:
mania Cap. 9, das wir aus innern Anzeigen auf Odin bezogen, be
glaubigt fi) alfo in der gleichen Beziehung auch durd den fpäteren
Sprachgebrauch: Wodan sive Mercurius. Wollte man aber auch an
nehmen, daß biefe Zufammenftellung erfi aus ber Benennung der
‚ Wochentage entftanden fei (vgl. Kufahl 448, 2. Lex. myth. 313 f.
Geijer 292, 4. Saro Gramm. B. VI, ©. 155), fo liegt doch ander
ſeits gerade in den deutſchen Namen einiger biefer Tage ein weiteres
bebeutjames Zeichen für die große Verbreitung einer mit dem Norben
gemeinjamen Götterverehrung auch über das eigentliche Deutſchland.
Vom Dienftag fagt I. Grimm, Rechtsalterth. 818:
Die echtbochdeutfche Benennung ift die unter dem Boll in Schwaben er-
haltene ziestag, zistig, ahd. ziestac gl. blas. 76a, in noch Älterer Form mahr-
ſcheinlich zuuwestat, zinstac, genau bem agf. tivesdäg, engl. tuesday. frieſ.
tysdag, altn. tysdagr, tyrsdagr, ſchwed. tisdag, dän. tirsdag entipredhend
und wörtlich dies Martis [Zag des Kriegsgotts Tyr] bebeutend, weil Mars
513
ahd. Ziu, agſ. Tiv, altn. Tyr Heißt, goth. Tius (= lat. deus), fein Tag alſo
tivisdags beißen würbe. Hin und wieder erjcheint auch in Oberdeutichland für
BZistag Binstag, wodurch die vermuthete Verderbnis des Dienstag aus Diestag
beftärkt wird.
Der Mittwoch, dies Mercurii, heißt isländiſch Odinsdagr, däniſch,
normegifch und ſchwediſch Onsdag, angelfähfiih Vodnesdäg, englifch
Wednesday, niederländiſch Woensdag (Lex. myth. 1. c.); in ober:
deutfcher Mundart fcheint nur Gonftag vorzulommen (Rechtsalterth.
818). Deutlich ift der Name BDonnexstag, Dies Jovis, isländiſch
pörs dagr. vänifch, norwegiſch, ſchwediſch Torsdag, angelſächſiſch pu-
noresdäg, engliſch thursday, niederländiſch donderdag, ahd. donares⸗
tac (Gramm. I1,-488). Schwieriger iſt der Freitag, dies Veneris; altn.
ſchon freyu-dagur (Tag der Freija) und friä-dagr, däniſch, ſchwediſch
fredag, angelſächſiſch frigedäg, niederländiſch vrydag, ahd. frie-dag,
frige-dag (Gramm. II, 488. Lex. myth. 84. Schmeller I, 110). Db
nun diefe Wochentage jchon zur heibnifchen Zeit fo benannt gemefen
feien, ift ftreitig (Gründe dafür bei Geijer 1, 292 f., N. 4. War
es aber wirklich nicht der Fall, fo fann doch wohl Feine andre Abſicht
‚angenommen werden, als die römischen Götternamen mittelft ber ihnen
entiprechenden beutichen wiederzugeben.
Die deutſche Wochentagbenennung [jagt Schmeller, bayr. Wörterb. I, 321]
ift ein feltfames Gemiſch. In Sonn und Diondtag reine fogenannte Planeten-
namen. Im Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freytag fcheinen die Pla-
netennamen, als Namen von römifchen Göttern, in die ber ihnen nach ihren
Artributen Ähnlichften deutfchen tiberjett zu fein. Der Samstag flammt durch's
Lateinifche vom Hebrätfhen [Sabbatstag].
Jene Überfegungen der römischen Götternamen für einen dem
Worte nad täglichen Gebraud) des Volles waren nun jedenfall nur
dann verftänblich, wenn die Götter, deren Namen an die Stelle der:
felben Zamen, auch wirklich in Deutfchland einft allgemein befannt waren.
Spuren einer deutſchen Götterfage und zwar einer den beutfchen
Völkern, oder doch einem beträchtlichen Theile derſelben mit dem ffan-
dinavifchen Norden gemeinjamen Götterſage, Tonnten durch die bisherige
Bufammenftelung der Nachrichten römischer Echriftfteller mit denen aus
der Zeit des Übergangs der deutfchen Völker zum Chriſtenthum aller:
dings nachgewieſen werden. Cie werben uns zum Anhalt dienen, um
Uhland, Schriften. VI. . 33
914
—
an ſie die weitern Überreſte des deutſchen Mythus anzureihen, die ſich
uns aus der Betrachtung der Heldenſage ergeben werden und bie ſich
in den Volksſagen des Mittelalters und ſogar noch in denen der
neueſten Zeit erhalten haben.
Einige Alterthumsforſcher haben geglaubt, daß in dem ſogenannten
Weſſobrunner Gebet doch noch ein, wenn auch chriſtlich umgewandeltes
Bruchſtück eines kosmogoniſchen Gedichts aus dem deutſchen Heidenthum
auf uns gekommen ſei. Dieſes althochdeutſche Sprachdenkmal, aus der
zweiten Hälfte des 8ten Jahrhunderts (Gramm. I, Einleitung LIV)
beftebt in nicht mehr ala 17 allitterierenden Langzeilen und gehört fomit
zu ven feltenen Urkunden des Stabreimd in bochbeutiher Mundart.
Die Handſchrift, in ber es fteht, befand fich in der Benebiftinerabtei
Weſſobrunn in Oberbaiern, moher .es den Namen hat, und kam von
da in die Münchner Bibliothef, Herausgegeben und commentiert ift es
mehrfach:
Brüder Grimm, die beiden älteſten deutſchen Gedichte aus dem Bten Jahr⸗
hundert: das Lieb von Hildebrand und Habubrand und das Weißenbrumner
Gebet u. |. w. Caſſel 1812. 4.
Maßmann, Erläuterungen zum Weffobrunner Gebet u. ſ. w. Berlin 1824.
Wackernagel, das Weflobrunner Gebet und die Wefjobrunner Gloffen.
Berlin 1827. Koberfteing Grundriß S. 29. [Vierte Ausgabe, 1847. I,
83.1 8]
Dasjelbe beginnt damit:
Wie nicht Erde war, noch Himmel (Afhimil, Aufhimmel), nicht Baum noch
Berg, nicht Stern, noch Sonne ſchien, noch Mond leuchtete, noch das Meer
war; da num nichts war, Ende noch Wende, da war doch der eine allmäch⸗
tige Gott und mit ihm göttliche Geifter u. ſ. w.
Diefer Anfang bat Ähnlichkeit mit dem der Echöpfungsgefchichte in
dem Eddaliede Völufpa, wo gleichfalls gefagt wird, wie in der Frübe
der Zeiten nit Sand war, noch See, nicht fühle Wogen, wie nicht
Erde gefunden ward, noch Aufhimmel (upphimin) u. ſ. w. Da nun
die auf den poetiichen Anfang folgende Betformel, oder die zweite Hälfte
des deutfchen Gedichts auch der Sprache nach weniger fließend und
dichteriſch, als die erfte, erfcheint, fo ift gemuthmaßt worden, daß jener
1 [Spätere Ausgaben: W. Wadernagels Lefebuch 19, 61 f. Müllenhoffs
Dentmälerr S. 1. K.)
-515
vordere Theil ein heidniſcher Nachllang fei, daß der altveutfche Dichter
nicht eine hriftlide Schilderung der Schöpfung, ſondern vielleicht noch
eine altbeibnifche vor fi), oder in Gedanken gehabt habe. Da man ,
jedoch die nicht minder einleuchtende Ähnlichkeit mit dem Anfang ber
moſaiſchen Schöpfungsgeſchichte und noch andrer Kosmogonieen wohl
bemerkte, ſo konnte hier freilich nur vermuthet werden.
In dem ſeit Anfang dieſes Jahrs vom Freiherrn von Aufſeß
herausgegebenen Anzeiger für Runde bes deutſchen Mittelalters ©. 11 f.
wird von einem ähnlichen, gleichfalls ftabgereimten althachbeutfchen Ges
dichte des Iten Jahrhunderts, welches Türzlich freilich nur als größeres
Bruchſtück von Schmeller in Münden wieder aufgefunden worden und
das er in einer dortigen Zeitfchrift mitzutheilen gevente!, Notiz gegeben.
Das Gedicht handle vom Weltuntergange und zwar zum Theil in Aus
drüden, welche vorchriftlicher Zeit und Anſchauung anheimfallen, 3. B.
Mufpilli (in der Edda Muspell, Muspellsheimr, die Feuerregion, deren
Funken bei der Schöpfung das Eis geſchmolzen und von der auch bie
Berftörung der Welt durch Feuer ausgehen fol). Diefes Wort Mu
ſpilli babe der Herausgeber zum Titel gewählt. Auch in der gleich⸗
fall von Schmeller unter dem Titel Heliand (Münden 1830) heraus:
gegebenen altfächfifchen, font fogenannten Evangelienharmonie in Stabs
reimen begegnet diefer etymologiſch noch unerllärte Ausdrud, in der
Form mutspälli (H8l. 79, 24. 133, 4. Gramm. III, 394) 2.
Wir verlaflen nun diefe dunklern mythiſchen Gebiete, um zu den
vollern Geltaltungen der beutichen Heldenſage überzugeben.
— — nn —
2. Heldenſage.
Der Heldenſage der deutſchen Völker war es nach ber Belehrung
diejer letern zum Chriftenthbume nicht mehr möglich, mit der alten heib-
1 Meue Beiträge zur vaterländifchen Geſchichte, Geographie und Statiſtik,
herausgegeben von Buchner und Zierl. B. J. H. 3. München 1882. ©. 89 bis
118: Nuspili von Schmeller.] [Ren oft, zulettt von Wadernagel, Lejebuch 1,
75 fi. Müllenhoffs Denkmäler ©. 4 8]
2 Mimirberh, Annalista Saxo ad ann. 1188, bei Eccard, Scriptor. rer.
- germ. T. I. -
516
—
niſchen Götterſage auf ähnliche Weiſe, wie es im ſpäter bekehrten flan-
dinaviſchen Norden geſchehen konnte, fortwährend ein Weltganzes aus
zumachen und ſo in ſchriftlicher Auffaſſung bis auf unſre Zeit durchzu⸗
dringen. Sie löſte ſich von der Gotterwelt ab, ſtrebte jedoch nur um
fo emfiger dahin, die einzelnen heroiſchen Sagen und die beſondern
Sagentreife der verſchiedenen deutfchen Vollsftämme zu einem immer
größern epifchen Ganzen zu fammeln und zu verfchmelgen, während um
gelehrt im Norden die Sagen und Sagenkreije unter fid) weit mehr
vereinzelt blieben und nur in dem Zuſammenhang mit der Götterfage
ihre gemeinfame Bindung fanden.
Wir theilen nun unfre Darftellung der deutſchen Heldenfage in ber
Art ab, daß mir zuerft den größern epifchen Cyklus, ſoweit derſelbe
wirklich zu Stande gelommen tft, betrachten, fobann von den übrigen
Helvenfagen handeln, welche für ſich vereinzelt ftehen geblieben find ober
einen größern Kreis zu bilden nur verjucht haben.
A. Der größere Sagenfreis, die eykliſche Heldenjage
(Aufzählung der deutichen Heldengebichte und ihrer Ausgaben, aud
der beutjchenorbifchen Quellen, vgl. vie Geichichte der deutſchen Poeſie
. im Mittelalter [Schriften I, 30. K.]). **
1In der Betrachtung des epiſchen Cyklus werde ih nun den Gang
nehmen, daß ich zuerft den Inhalt der deutſchen Dichtungen, ba id
folchen nicht als befannt voraugfegen darf, im Umriß darlege, ſodann
denjelben nach feiner gejchiehtlichen Entwidlung und inneren Bedeutung
erläutre.
1. Inhalt der Heldenfage im Umriß. u
ch werde mich hiebei zunächſt auf den Beitand der aufgezäblten
einheimifchen SHelvenliever beſchränken, die deutſch-nordiſchen Quellen
aber erſt für die nachfolgende Erläuterung gebrauchen. Darum werde
ich die verwifchten Verbindungen ber Lieber unter ſich bier noch nicht
herzuftellen, das Lückenhafte noch nicht zu ergänzen ſuchen; eine Ahnung
1 [Faft diefelben Worte wie Schriften I, 29. 8.)
“
I
517
des Bufammenhangs wird ſich von felbit ergeben. Auf der andern
Seite ift der Hauptzweck der mitzutheilenden Auszüge, daß u. |. m, *** 1
II. Erklärung der cykliſchen deibenfegr.
Die Alten pflegten u. ſ. iv, *** 2
Bon den zahlreihen Schriften u. f. wm. ***3
Wenn die Heldenjage, in ihren Hauptbilvern qufgeftellt, einzelner
fühlbarer Lüden uneradtet, beim erften Anblid den Eindruck eines
compalten Ganzen zu machen geeignet ift, jo zeigt doch eine nähere Bes
trachtung bald die Fugen manigfadher Zufammenfegung, die Merkmale
verjchiedenartiger Beſtandtheile. Damit ergibt fi für die Erklärung
durdhgreifend ein doppeltes Geſchäft, einerfeits den Verband des Ganzen
in feine verſchiedenen Elemente aufzulöfen, anderfeitö wieder den Gang -
ihrer allmählichen Verbindung zum Ganzen nachzuweiſen. Angebeutet -
haben mir biefe Doppelte Aufgabe zum voraus, indem mir einen Ge:
ſammtcyklus mit drei in ihm begriffenen befondern Helbenfreifen vorge:
bildet haben, Am ziwedmäßigjten jedoch mirb die .erläuternde Forſchung
den Weg einichlagen, daß fie zuerjt Dasjenige erfaßt, mas fich zunächit
dem Blide darbietet, dann aber von der offenern Oberfläche zu dem
tiefer Liegenden binabfteigt und fo das Ganze, fondernd und verbinbend
zugleich, zu durchdringen ftrebt. Dieſem gemäß:
1. Erflärung von geſchichtlicher Seite.
Die Fragen, welche ſich bei der Betrachtung unfrer Sagenbilber
vor allen aufprängen, möchten dieſe jen®: Führen die gefchichtlichen
Namen, die geogmphifchen Bezeichnungen, melde dem Verſtändnis die
erfte Handhabe zu reichen fcheinen, mirklich auf einen innern Zuſammen⸗
bang der Sage mit biftorifchen Perjonen und Ereignifjen? ift bie
1 [Der Berfafler weift hier zurüd auf ein früberes Heft, über’ die Geſchichte
der deutſchen Poefie, wovon die betreffende Stelle im Iten Bande der Schriften,
©. 31 ff. zum Abdruck gelommen if. 8.]
2 [Hier ift zurück verwiefen auf die Stelle Schriften I, 88 f. von den
Worten: „Die Alten pflegten” u. |. w. bis „verftärkt: werden.“ K.]
I [Schriften I, 90 f. von den Worten: „Bon den n zahlreichen Schriften“
n. ſ. » bis „manches Belehrende finden.“ 2
4 (Bgl. Schriften I, 89. 8.)
4,
518
Dichtung aus dem Grunde ver Geſchichte entfprofien ober hat fie ihrer
ſeits fich des gefchichtlichen Stoffes bemächtigt? wie Dachte man hierüber
in den Zeiten felbft, in welchen die Sage lebendig war?
Mas ung in der Heldenfage u. f. wo, *** 1
2. Erllärung von mythiſcher Seite,
Die Ermittlung des Mythiſchen in der Heldenfage kann ſich uns
nicht darauf beichränten, daß wir Götter und andre Fabelweſen, bie
fich in ihr ergreifen laffen, gefonvert herausſtellen und beleuchten. Biel:
mehr fragt e3 fi) darum, ob in dem ganzen Sagencyklus oder je in
den einzelnen größeren Streifen desjelben die Spuren mythiſcher, Gött⸗
liches und Menfchliches umfaſſender Weltanfchauung nachgewieſen werben
können. Nur auf ſolchem Wege dürfen wir hoffen, des vorgefchichtlichen
idealen Sagenbeftandes der durch die angeführten hiftorifchen Momente
bloß feinen Durchgang genommen, wenn aud nur annäherungsieife
vollftändig habhaft zu werden. Daß aber jener vorgeſchichtliche Beftand
nicht für den ganzen Cyklus fih auf ein gemeinfames, mythiſches
Spftem zurüdführen laffe, wird dem forfchenden Auge bald bemerklich.
Darum werben wir uns die Betrachtung zum voraus erleichtern, wenn
wir mit Rüdfiht auf die ſchon bisher beobachtete Abtheilung der Helden⸗
geichlechter zweierlei Mythenkreiſe unterjcheiden ,
1) den deutſchnordiſchen, melchem die Nibelungen: und bie Hege
lingenfage angehören;
2) den gothifchen, dem die Amelungenfüge eigen iſt
1. Deutſchnordiſcher Aythenkreis.
a. Nibelungenſage.
Dieſer Sagenkreis iſt ein gemeinſchaftlicher Beſitz Deutſchlands und
des ſtandinaviſchen Nordens. Da nun die nordiſche Geſtaltung desſelben
das mythiſche Gepräge viel ſchärfer bewahrt hat, ſo iſt es nöthig, zu
ihr zurüdzugreifen. Sie iſt zwar bereits in ber ſtandinaviſchen Eagen-
1 [Hierher gehört der ganze Abſchnitt „Weichichtliches und Urtliches”.
Schriften I, 91 bis 138. 8.)
2 [BgL Schriften I, 138 ff. &.]
519
gefchichte dargelegt worden, es wird jedoch, beſonders für Diejenigen,
welche an. ven Borlefungen bes vorigen Semefters nicht Theil nahmen,
angemefien fein, von dieſer norbifchen Darftellung auch bier einen ges
drängten Umriß zu geben, gegenüber den kürzlich mitgetheilten Auss
zügen der deutichen Lieder. "
Die Hauptquellen der norbifchen Darftellung, jo weit fie uns bier
berührt, find die Lieber der ältern Edda und bie isländiſche Völ⸗
fungafaga. Was wir im deutſchen Cyflus Nibelungenfage nennen,
beißt im Norden Böljungenfage, indem fich hier Alles vorzugsweiſe auf
den Helden Sigurd (Siegfried) und fein Geichledt, den Stamm ber
Bölfunge, bezieht.
Der Umriß der Völfungenfage ift diefer 1: ***
Diefe norbifche Geftaltung der gemeinfamen Sage nun tft durchaus
vom odiniſchen Mythus getragen und durchdrungen. Odin ſelbſt greift
vom Anfang bis zum Ende thätig ein und feine Dienerin, die Valkyrie
Brynhild, ift eine der handelnden Hauptperfonen. Wir haben Din als
den weltbewegenden Geift kennen gelernt, als den Vater der Heldenge
Schlechter und ven Erreger der Heldenfeelen, nach denen er ſtets begierig
ift, als den Anftifter des irdiſchen Streites, der Vorſchule jenes größeren,
in weldem am Enbe ber Zeiten die kämpfenden Geifter burch ben
Untergang der materiellen Welt zu einem höheren Dafein burchbrechen.
So nun erweift fi) Din durch den ganzen Verlauf der Sage von ben
Völfungen. Er ift der Stammoater diefes Geſchlechts, das ohne Zweifel
diefem göttlichen Urfprung die Unverletzbarkeit durch Gift und das jcharfe
leuchtende Auge verdankt, vor dem der Mörder Sigurds zurüdichridt
und felbft die Roſſe fcheuen, die Svanhild zertreten -follen. Odin ge
leitet feinen Sohn Sigi in die Welt hinaus und verhilft ihm zu Heer
ſchiffen; Rerin ſendet er den befruchtenden Apfel; in den Baumftamm
in Wölfungs Halle ftößt er das herrliche Schwert, da nur Sigmund,
Völſungs Sohn, berauszuziehen vermag ; dieſes Schwert wird Die Urſache
des blutigen Zwiftes unter den Blutsverwandten, tie folder von
biefem Kampfgott auch in andern Sagen erregt wird. immer wieder
1 [Hier folgen die ſchon früher mitgetheilten Abfchnitte: 1. Sigurds Ahnen;
vgl. oben S. 287. 2. Der Hort; Schriften B. I, 81. 3. Sigurd; B. I, 82.
4. Atlis Gaſtmahl; B. 1, 85. 5. Svanhild und ihre Brüder; B. I, 86.
VII, 298. 8]
-
320
erjcheint Odin in feiner” gewohnten irdiſchen Verhüllung als einäugiger,
langbärtiger Greis mit hberabhängendem Hut und umgefchlagenem Mantel.
So tritt er auch dem alten Sigmund in ber legten Echladht entgegen
und ſchwingt auf ihn den Speer, an dem das trefflishe, Schwert, einfi
feine Gabe, zerfpringt. Er holt den alten Helden aus dem Schlacht⸗
gewühle zu fich, wie in einer andern früher angeführten Sage ven greifen
König Harald Hyldetand. Wieder tritt er auf an der Spitze von
Sigurds Geſchichten. Mit den Afen Hänir und Loft, denfelben, mit
denen er die eriten Menſchen erichaffen (wenn Lodr mit Loki gleichbe⸗
beutend genommen wird) und mit denen er in einem noch jet gang.
baren färdifchen Volksliede wirkſam tft, wandelt er durch die Welt und
auf diefem Gange werben die Geſchicke langer Geſchlechtsreihen beftimmt.
Odin legt bei der Sühne für Dttur zu dem übrigen Golde ben Ring,
auf dem der Fluch haftet, daß er den Befitern des Schatzes Berberben
bringt. (Die Buße für getöbtete Menfchen und Thiere buch Be
ihüttung derſelben, zwar nicht mit Gold, aber mit rothem Weizen,
kommt auch fonft in den norbifchen und deutſchen Rechtsalterthümern
vor, f. Grimm, Rechtsalterth. 668). Außer Hreibmarn, bem erften
Empfänger des Goldes, und feinem Haufe, verzehrt jener Fluch die
drei Gejchlechter der Volſunge, Budlunge und Giufunge. Diefes ent:
spricht dem nordiſchen Weltmpthus, wonach Gold ben Krieg in die
Welt gebracht bat. Damals warf Odin den Speer aus und fo ward
ver erfte Volksſtreit. Odin hilft dann weiter dem jungen Sigurb das
Roſs Grani wählen, das von Sleipnir ftammt. Aus den Stüden bes
Schwertes, das Odin einft in den Baum ftieß, wird Sigurds treffliches
Schwert Gramr gefchmiedet, womit er feinen Vater rädht und den
Lindwurm erfchlägt. Auf Sigurbs Fahrt zur Vaterrache läßt ſich Odin
in das Schiff aufnehmen, ftillt das Ungewitter und gibt dem Jüng⸗
linge Kampflehren, namentlich von der Teilfürmigen Schladhtorbnung,
bie auch Harald Hyldetand von ihm erlernt. Als Sigurd auf der
Heide den Lindwurm erwartet, fommt tieder Odin und räth ihm,
mehrere Gruben zu maden, damit das Blut ablaufe. Die Vallyrien,
wie wir willen, find bie Jungfraun Odins, melde ven ſchlummernden
Heldengeift der Königsſöhne wecken und ſchützend im Kampfe fie um:
ſchweben. Odin bat die Valkyrie Brynhild, teil fie einem Anbern,
als feinem Günftlinge, Sieg verlieh, in Zauberſchlaf verſenkt und
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beftimmt, daß der ihren Schlaf breche, den nichts erſchrecken könne. Dieſer
ift Sigurd, den fie Weisheit-Ichrt und zwiſchen Ruhm und Vergeſſen⸗
heit wählen heißt. Sigurds Gefchid ift von nun an ungertrennlid an
Brynhild gefnüpft, und als er, vom Zaubertranke betäubt, eine Weile
ihrer vergißt, heiſcht fie ihm zurüd, indem fie felbft feinen Tod anftiftet.
Diefer frühzeitige Tod wird in langer Reihe blutiger Thaten durch den
völligen Untergang des Giufungengefchlechtes gerächt und als die letzten
dieſes Stammes, Hamdir und Sörli, nicht mit Waffen zu verlegen find,
kommt nochmals der einäugige Greis und räth, fie mit Steinwürfen
zu tödten.
Bergleihen wir nun u. |. m. 1***
Sm? Allgemeinen finden wir das Mythiſche, das in ber norbifchen
Darftellung vollitändig zufammengreifend und bedeutungsvoll erfcheint,
in ber beutfchen mangelhaft, zerftreut, in MWiberfprüche und Misver⸗
ftänbnifje verwidelt. Der größere Zufammenhang im heibnifchen Glauben
ift aufgelöft, Odin, im Norden ber Schlußftein des Ganzen, völlig vers
ſchwunden.
Es bewährt ſich hiedurch, daß die Betrachtung der Sage von
mythiſcher Seite ſich zuvörderſt an die nordiſche Geſtaltung berjelben ..
halten muß. Allerdings fteht nun dieſe in voller Übereinſtimmung mit
der gefammten mythiſchen und ethifchen Anficht des Nordens, wie folche
fih fonft in der ſtandinaviſchen Götter: und Heldenfage ausdrückt, und
e3 ift in der nordischen Sagengeichichte angedeutet worden, daß in Feiner
dahin gehörigen Eagenreihe Odin fo vom Anfang bis zum Ende thätig .
eingreife und damit das Einzelne zum Ganzen verbinde, mie in ber
Völfungenfage. Gleichwohl zeigt ſich dem fchärferen Hinblid auch hier
die Nothwendigkeit einer fortgeſetzten Sonderung. Es genügt nicht,
daß wir den Geſammicyklus nach den drei Heldengeſchlechtern, Ame⸗
lungen, Nibelungen und Hegelingen, abgetheilt und nun zunächſt die
Nibelungen: over, nach nordiſcher Bezeichnung, die Volſungenſage zum
Gegenſtande beſondrer mythologiſcher Erforſchung gemacht haben. Auch
ſie muß, wenn wir zu ihrem mythiſchen Kerne gelangen wollen, noch
weiter zerſetzt werden. Die Verbindung verſchiedener Sagen geſchah im
1 [Übgebrudt in den Schriften I, 155 bis 158. *]
2 (Schriften I, 158. 8.]
522
Norden vorherrſchend auf dem Wege, daß biefelben genealogiich im
Fortſchreiten von einem Gliede der Abflammung zum andern angereiht
wurden, wogegen im beutichen Epo3 die Bufammenreihung mehr in die
Breite, gleichzeitig und ſeitenverwandt fich bewerkſtelligte. Jener Weg
in abfteigender Linie ift nun auch für die innwärtige Sonderung der
nordiſchen Völfungenfage rückwärts einzufchlagen. Zum voraus haben
wir die Anknüpfung derſelben an Ragnar Lodbrok, durch deſſen Ber
mählung mit Aslög!, einer angeblichen Tochter Sigurds von Brynhild,
weggelafien, da fie, im Widerſpruch mit dem echten Sagenbeitanbe,
nur zur Verherrlichung eines norbifchen Königsſtammes dienen follte.
Allein auch dasjenige Sagenglied, welches wir im obigen Umriß mit
der Rubrik: Svanhild und ihre Brüder ?, bezeichnet haben, muß abge
. löſt werben, als urfprünglid zu einem andern Sagenkreiſe gehörig.
Gudrun, Sigurds und dann Atlis Witte, will, nachdem fie an Letzterem
ben Tod ihrer Brüder graufam gerächt, ſich ſelbſt im Meere verſenlen,
aber die Wogen heben fie empor und tragen fie zum Lande bes Königs
Jonakur, von dem fie Mutter dreier Söhne wird. Mit diefen und ihrer
Galbſchweſter Svanhild, der Tochter Gudruns von Sigurd, werben
wir in die Gefchichten des Königs Jörmunrek (Ermenrich) verfegt und
in der That ift die VBölfungenfage an einem ihr völlig fremden Strande
angefhwommen. Daß nun Spanhild und ihre Brüder wirklich im
Amelungentreife ihre rechte Heimath haben, foll bei ver Betrachtung
bes gothiſchen Mythus nachgewiefen werden. Hier, bei der Bölfungen-
fage, poftulieren wir einftweilen bie Ablöfung.
Aber noch weiter ift diefes abfondernde Verfahren erftredit morben.
Auch Ali (Eyel, der Hunnenkönig) und bie burgundifchen Königsbrüder
follten fih von ber eigentlichen Bölfungen: und Riflungenfage aus
ſcheiden. W. Grimm bat bemerkt, daß in denjenigen Eddaliedern, welche
nad Form und Darftellung als die älteften erfcheinen, Atli auch nicht
ein einzige mal König von Hunaland genannt werde, daß in ihnen
vielmehr Hunaland das Erbe der Bölfunge fei, deshalb auch Sigurd
vorzugsweiſe der huniſche heiße und in einigen Fällen huniſch fichtbar
in allgemeinem Sinne für deutſch gebraucht fei (Heldenfage 6, 2); für
I (Schiften I, 87 f. K.]
2 [Schriften I, 86 fe 8.)
523
Ali fei darum bie Beziehung auf den hiſtoriſchen Attila, den König
der Hunnen, bier noch unbebentlich zu läugnen. Der Name, althoch⸗
deutſch Azilo, Ezilo, fei freilich derfelbe, aber ſonſt ſtimme nichts, ja
es bleibe noch ungewif®, ob wir Hunni und Hänar für ein und das
felbe Wort zu balten haben u. f. w. (ebend. 9. Bol. 10, 2). Eıft
fpäter jei Hunaland, Siegfried Heimath, als das biftorifche Hunnen-
reich nach Dften verlegt und dem Ebel zugetbeilt worden (ebenv. 345.
Bol. 11, 1). Auf ähnliche Weife glaubt Lachmann (Kritit der Sage
von den Nibelungen im rheinifchen Mufeum für Philologie, Geſchichte
und griechiſche Philoſophie, herausgegeben von Niebuhr und Brandis,
im 3ten Jahrgang, Aten Heft, Bonn 1832, ©. 435 ff.), daß der in der
eigentlichen Nibelungens oder VBölfungenfage gelegene Name Gunther,
Gunnar, den Anlaß gegeben habe, ven geſchichtlichen Burgundenkönig
Gundahar mit ihr zu verbinden (S. 25. 30).
E3 bat fi und nun allerbings bei der vorhergegangenen Ber
trachtung der Sage von geichichtlicher Seite die Verſchiedenheit ergeben,
daß mir für denjenigen Theil berfelben, welcher zunächſt Siegfrieds
Leben und Tod betrifft, feine haltbare Anknüpfung an biftorifche Per⸗
jonen und Ereignifje aufzufinden wuften, wogegen fi für den andern
Theil, ver die eigentliche Nibelungenoth, ven Untergang ber Burgunden
an Etzels Hofe, umfaßt, die Beziehung auf die hiſtoriſch beglaubigte
Bertilgung des burgundifhen Gunthikar und feines Geſchlechts durch
die Hunnen unter Attila, fowie auch auf die Königsnamen des bur⸗
gundifchen Geſetzes, fehr nahe legte., Erwägen wir zugleich, daß ein
mythiſcher Charakter, ſelbſt nach der norbifchen Darftellung, ſich vor⸗
zugsweiſe und wejentlih nur in jenem vordern Theil der Sage bes
merklich mache, fo fpricht alle Wahrfcheinlichkeit dafür, daB bie borges
ſchichtliche mythiſche Sigurbsfage erjt im Verlauf ihrer weitern Ent
wicklung in jene hiſtoriſchen Elemente eintrat. Bindungsmittel fonnte
der gemeinfame Name Guntber, Gunnar, fein; dieſer ift auch ein alt
nordifcher und ſelbſt einer von den vielen Beinamen Odins (Lex. myth:
369 beilicosus, pugnax-; ahd. fund,‘ altn. gunn, pugna. Gramm. II,
457). War Gunther, Gunnar, in der urfprünglidden Sage der Name
eines der Schwäger Sigurds und der Verräther an ihm, fo reibten ſich.
die übrigen burgundifchen Königsnamen Gibica (Gibich, Giuki), Godo⸗
mar (Guttormr), Gislahar (Gifelher) leicht mit an. Hagen, Högni,
924
dagegen, ver feinen biftorifchen Anklang findet, blieb aus ber alten
Siegfriedsſage fteben. Für fi) allein zwar würde die Namengleichbeit
noch Feine Verbindung zu bewirken vermodt haben; aber einestheils
mochte das biftorifche Ereignis der Vertilgung des burgundiſchen Königs⸗
ftammes durch die Hunnen fi in der Überlieferung bereits‘ fagenbaft
berangebilvet haben, anderntheils lag eine nähere Beranlafjung, beide
Sagen zu verbinden, nad Lachmanns Bemerkung (S. 25) in der fühl:
baren Unvollitändigfeit der Nibelungenfage, fobald fie mit der durch
feine Rache vergoltenen Ermordung eines Helden durch feine Schwäger
endigte, wenn wir nicht anders annehmen, daß ein Rachefampf aud
bier fchon vorhanden war und die entfprechenve geichichtlihe Sage an
ſich zog.
Fragen wir nun nach dem mythiſchen Beſtande der von jenem
hiſtoriſchen Anwachs wieder abgelösten Völfungen» oder Nibelungen
ſage, ſo bieten ſich hier, wie für die Betrachtung von mythiſcher Seite
überhaupt, verſchiedene Anſichten der Forſcher dar. Sie theilen fi) haupt
ſächlich nach zweierlei Richtungen. In der einen wird angenommen,
daß die Heldenſage dem Hauptinhalte nach menſchliche Verhältniſſe dar
ſtelle, wenn gleich in ihrem Zuſammenhang mit dem Göttlichen und
Ubernatürlichen. Nach der andern Richtung wird die Heldenſage für
eine menſchlich umgewandelte Götterfage angejehen. Zu Gunften ver erftern
Anficht ſpricht ſich W. Grimm aus. Er unterjcheidet Götter: und Helden:
jage und weiſt der erflern vorzugsweiſe die Betrachtung des Überfinn,
lichen, der lehtern die Verherrlichung irdiſcher Ereignifie an (Helvenf.
336). Über das Wunderbare im deutſchen Epos fagt er ©. 398 f.:
Geringfügig ift es nicht ! u. ſ. wm. ***
In befondrer Bezichung auf die Siegfriedsſage äußert Grimm
©. 336: Wenn Siegfried zugleich Dietrich ift u. f. m. ***
Die Einmiſchung der brei Aſen am Eingang der Sagen von
Sigurd hält Grimm für einen nordiſchen Zufag, für eine Einfchiebung,
denn was fie thun und was fie fich müfjen gefallen lafien (die Löſung
ihrer Häupter durch das Zivergegolb), fei fo wenig göttlich, daß eben
fo leicht, ſelbſt ſchicklicher, ſterbliche Menfchen an ihren Pla treten
würden (©. 384 f.).-
I [Bgl. Schriften I, 210 f. K.]
- 55
Die entgegengejegte Anficht, welche Grimm in Obigem anbeutet,
das Aufgehen der Heldenfage im Göttermythus, ift befonders von Done
und 9. v. d. Hagen hervorgeftellt worden. ,
Mone, Einleitung in das Nibelungenlied. Heidelberg 1818.
(Otnit, herausg. von Mone. Berlin 1818. Einleitung.)
Mone, Geſchichte des Heidenthums im nördliden Europa.
H. v. d. Hagen, Die Nibelungen: ihre Bebeutung für die Gegenwart und
flir immer. Breslau 1819.,
Diefen beiden Echriftftelern ift Siegfried gleichbeveutend mit
Baldur und der Nibelunge Noth mit Ragnaröf, dem Weltbrande der
norbiihen Mythologie, was freilich die ungetrennte Nibelungenfage
vorausſetzt (Mone, Einleitung in das Nibelungenlid ©. 77. Ge
fchichte des Heidenthums II, 326 f. 330. Moſers Auszug 918 f.
Hagen, die Nibelunge 37. 60 f. 68).
Der norbifche Mythus von Baldur ift diefer1: -
Baldur der Gute, Odins Sohn, ift der mildeſte und weiſeſte
der Ajen. Ihn lieben und loben Alle. Seine Urtbeile kann Niemand
umitoßen. Er glänzt von Echönheit, nichts Unreined darf in feiner
Wohnung fein. So lang er lebt, ift die Macht der Götter gefichert.
Do Baldur felbft hat ſchwere Träume, daß fein Leben gefährdet fei.
Frigg, feine Mutter, nimmt darum einen Eid von Elementen, lebenden
. und leblojen Weſen, daß fie Baldurn nicht ſchaden werden. Hierauf
vertrauend ergeben fi die Afen damit, daß fie Baldurn vorn in bie
Berfammlung ftelen, wo einige auf ihn hauen, andre nad ihm Schießen
ober mit Steinen werfen; und mas fie auch thun, er hat feinen Schaden
davon. Als Loki, der Stifter alles Böſen, der Verräther unter ben
Alen, diejes fieht, verbrießt e8 ihn; in Geitalt eines Weibes erforfcht
er Frigg, ob denn alle mögliche Dinge geſchworen, Baldurs zu fchonen.
Frigg antwortet, weſtlich von Balhall wachſe ein Heiner junger Baum,
Miiteltein genannt; er hab ihr zu jung gefchienen, um ihn in Eib zu
nehmen. Loki zieht nun den Mifteltein aus und geht damit zur Ber-
fammlung. Der blinde Aſe Höbr fteht zu äußerft im Kreiſe. Ihn
fragt Loki, warum er nicht auch auf Baldurn fchieße. Hödr antwortet:
„Ich jehe nicht und hab’ audy Feine Waffe.” „Sch will dir zeigen, wo
1 [Eine ausführlihere Darftellung desſelben ift ſchon oben ©. 22 fi.
gegeben. 8.]
\
526
ex ſteht,“ erwibert Loli, „und fchieß dann auf ihn mit dieſer Gerte!“
Höre nimmt Mifteltein und fchießt nad) Lokis Antveifung auf Baldurn.
Der Schuß durchbohri diefen und er fällt tobt zur Erbe. Sprachlos
ftehen die Afen umber. Nanna, Baldurs Frau, vergeht vor Gram
und ihre Leiche wird mit ber feinigen auf den Echeiterhaufen gelegt.
Vergeblih find die Verſuche der Aſen, Baldurn aus Hels dunkeln
Wohnungen zurüdzugewinnen, und unaufbaltiam bricht nun aud ihr
Verbderben herein. Sie fallen im Kampfe mit den entfefjelten Unge
heuern und die Welt lodert in Flammen auf. Sn der wiedergeborenen
Melt geht auch, Baldur neu hervor.
Diefer Mythus von Baldur bietet fich zweifacher Deutung, pbuftfcher
und ethiſcher, dar. Phyſiſch wird Balbur für einen Sonnengott er
klärt, fowohl für die Sommerfonne, als für die Sonne des Weltjahrs,
fo daß alſo fein Tod einestbeild die Sommerfonnenwende, das ab-
nehmende Licht, anderntheild das Neigen ber ganzen erfchaffenen Welt
zu ihrem Ende bezeichnen würde. Ethiſch zeigt fich in ihm das er⸗
baltende Maaß und Gefeß, mit defien Aufhebung alle zerſtörende Ge
walten entbunden werben. Auch eine Verbindung und Wechfelbeziehung
diefer beiverlei Auffafjungen kann gedacht werden. Das Nähere jedoch
gehört in die norbifhe Mytbengefchichte.
Die Ähnlichkeit nun, welche zwifchen dem Tode Baldurs durch den
blinden Hödur und dem dadurch berbeigeführten Götteruntergang und
Weltbrande einerfeit und anderſeits der Ermordung Siegfrieds durch
Hagen (Guttorm) und dem bierauf folgenden Bertilgungstampf im
brennenden Saale bemerkt wurde, hat veranlaßt, den Gott und den
Helden, den Mythus und die Sage, entiveber für identifch anzunehmen,
ober biefelbe Idee dort makrokosmiſch, hier mikrokosmiſch ausgebildet,
dort den Urmythus, bier deſſen heroifch-epifche Einkleidung zu erkennen.
H. v. d. Hagen fagt (die Nibelungen ©. 37):
In ihrer älteften uns übrigen Geftaltung, befonders ber eddaiſchen Allitte⸗
rationslieber, find fie [die Nibelunge]) noch durd Abſtammung und Einwürkung
der Götter ganz in die Wöttergeichichte verwachſen und eine heroiſche Wieder-
bolung 1 des Grundmythus darin. Aber es läßt fi) darthun, daß auch bei
uns Giegfrieds Leben und Tod, die Klage und der Nibelungen Roth nichts
anders iſt, al$ das Leben und der Tod Baldurs des Guten, der lintergang
1 &. 86: die heroifche Berlörperung desjelben.
— ..eus — —
527
aller Goͤtter in der Götterbämmerung, alſo jener unker mancherlei Namen und
Geftalten überall vorkommende Urmytäus von Leben, Tod und Wiebergeburt,
von Schöpfung, Untergang und Wiederlehr ber Beiten und Dinge überhaupt.
Mone erklärt in der Einleitung in das Nibelungenlied S. 771
Siegfried für ein Weſen mit Baldur. Später, in der Gefchichte des
nordeuropäifchen Heidenthums (Il, 326) äußert er:
Da der Weltbrand durch den Untergang der Völker fih im Leben erfülite,
ſo mufte diefer in der Anficht des Volfes viefelbe Urſache haben, wie jener;
nun war Baldurs Ermordung der Uriprung des Weltendes, daher denn in
der Heldenfage auf die Ermordung Sigfrids die Nibelungen Noth folgt. .
Negifter 585: Sigfrit ift Ballder.
Es hat ſich ſonderbar gefügt, daß Mone, fonft der entſchiedenſte
Bertheibiger der mythiſchen Deutung, in jeiner neueften, zuvor ange:
führten Abhandlung über die Heimath der Nibelungen ebenfo vor:
wiegend den Weg der gejchichtlichen Erklärung verfolgt hat, mährend
umgelehrt Lachmann, der die mythologiſchen Hypotheſen Mones und
Hagens eifrig belämpfte, neuerlich in der ſchon erwähnten Kritik ber
Sage von den Nibelungen in dieſer gleichfalls eine Götterfage (24, 2)
und in Siegfried einen dem nordiſchen Baldur ähnlichen Gott (22) ges
funden hat, obgleich allerbings in behutfamerem Gange der Forfchung.
Die Hauptzüge diefer neuen Forſchung find folgende:
©. 12 fe? Bon den Wolfungen wird ung nichts ala Mythiſches erzählt,
und felbft in den Namen Wolfung und Nibelung ift fchon ein bebentungsvoller
Gegenſatz. Vols fir Pracht und Stolz hat fich in der nordifhen Sprache er-
halten: in Deutſchland weifet mir J. Grimm die Namen Wolsbraht 3 und
Weliſunc nach (tradit. fuld. 2, 216. Schannat N. 496. Meihelbed N. :40).
Davon Bolfängar, angelſächſiſch Bälfingas, das Geſchlecht der Herrlichkeit. Da⸗
gegen Nibulunga, Niflingar, die Nebellinder, wozu fi) das Eubflantivum
Nifl wieder aus der nordiſchen Sprache verloren hat, die es jedoch in mytho⸗
logiſchen Ableitungen noch bewahrt u. ſ. w. Damit, daß die Wolfunge Kinder
der Herrlichkeit find, flimmen die glänzenden Wolfungenaugen Sigurds und in
den Anhängen der norbifhen Sage auch feiner Nachkommen liberein, [jowie
überhaupt] ihre wunderbaren übermenjchlichen Eigenichaften und X haten u. |. w.
1 Bgl. Geſchichte des Heidenthums IE, 330.
2 [Lachmanns Anmerkungen zu den Nibelungen ©. 339. 8.]
8 ahd. peraht, Iucidus, Gr. II, 556 und beraht, Schmeller I, 19.
528
——
Nachdem Lachmann hierauf verſchiedene Anzeigen hervorgehoben,
nach welchen Siegfried in den verſchiedenen Darſtellungen der Sage
als in einem Verhältnis der Dienſtbarkeit befangen erſcheint, entwickelt
er weiter:
©. 17 f. [342]. Beachten wir, daß in der Mythologie des Nordens Niſſheimt
und Niflhel der Talte Theil der Erde und die Wohnung der Berftorbenen ge
nannt wird, beachten wir daneben, daß, wenn bie nordiihe Sage zuerft deu
Schatz in der Gewalt der Zwerge fein läßt, die ſüddeutſche nicht ohne Ber
wirrung außer Glinther und feiner Umgebung auch die erften Herren des Schatzes
zu andern Nibelungen macht, die Siegfried zum Theil erichlägt, jo wirb man
fhwerlih noch zweifeln, jene und diefe find von einem Gefchlechte, und dies
Geſchlecht ift ein bermenfchliches, aus dem dunkeln neblichten Todtenreich, ihnen
gehört ter Schab und fie befommen ihn zurüd.
So iſt den Sinn von Siegfried Sage deutlich und einfach. Er bat das
Gold gewonnen, das den dunkeln Geiftern zugehört, durch deſſen verderblichen
Beſitz er in igre Knechtſchaft gerathen iſt. Bei aller Herrlichkeit, die es ihm
gewährt, ift er der Unterwelt verfallen: er muß vie firahlenve Zungfran nic
für fish, fondern feinem Herrn, dem König des Tedtenreichs, gewinnen und ihm
durch den Ring der Vermählung weihen: das Gold kehrt zu den Unterirdiſchen
in die Tiefen des Rheins zurück.
S. 20 [343]. Die Ausführung haftet an dem Satze, daß das Gold, oßgleid
begehrungswürdig, doc in die Gewalt der unterirbiichen Mächte bringt u. |. w.
Noch weiter aber ſucht Lachmann darzuthun, daß hier nicht Helden,
fondern Götterweſen handeln.
Der Name Sigofrid [jagt er ©. 22 f.] findet vor dem Ende bes Tien
Jahrhunderta fi nirgend, woraus man wohl jchließen darf, er fei in heidni⸗
cher Zeit Name oder Beiname eines Gottes geweien. Nehmen wir dies am,
fo denkt man bei ihm natürlich fogleih an den nordiſchen Balbur, als einen
Gott, der ebenfalls geitorben ift: und dieſe Vergleihung (die aber feine rohe
Identification fein fol) ergibt, in dem mythiſchen Ausbrud fiir den Tod beiber
Bötter, fogar noch eine Möglichkeit, den fonft unerlärlichen Mörder Siegfrieds,
Hagano, für die [urjprüngliche] Sage zu retten, Baldur wird von dem blinden
Hödr mit der Miftel erfehoffen: Hagano, der einäugige Mörder Siegfrieds, hat
feinen Namen von dem ftehenden Dorn (hagan), weshalb er in Eckehards
Waltharius manu fortis auch spinosus Hagano genannt wird und O paliure,
virens foliis, ut pungere possis. Seine Perſon ift offenbar mehr, als beroifch.
Nah der nordifhen Sage foll er ein Niflung fein und Hniflüngr heißt fein
Ephn: nad der deutſchen ift fein Bater ein Alb (Bilfinaf. Cap. 150. 365) u. |. w.
529
Danach zeigte denn die Fabel, nicht mehr wie ein Held, ſondern wie ſelbſt
ein herrlicher leuchtender Gott, ein Gott des Friedens durch den Sieg, nicht
ungeſtraft die geheimnisvollen Wächter im kalten nördlichen Todtenreiche morden
und das Bold der nächtlichen Götter dem Drachen rauben darf. Er gewinnt
durch den Raub zwar Reichthum und wunderbare Kräfte, aber er kommt auch
in die Gewalt der Dämonen. Er muß ihre Bundesbruder werben, fi) mit
ihrer Schwefter vermählen, für den König des Nebelreihs mit dem Werkzeug
der Unterwelt die umftrahlte Valkyrie aus den Flammen bolen, in des Königs
Geſtalt ihren Widerfiand bezwingen: durch den Ring aus dem Schatze ver-
mählt er fich mit ihr, aber fie wird nicht feine, fondern feines Herrn Braut:
er ift tobt, vom Tobesdorn, dem Sohn des Schredens, erflochen.
Dbne auf diefe verfchiedenen Auffaffungen ver Nibelungenfage_ im
Einzelnen einzugeben, gebe ich meine Meinung darüber kürzlich mit
Yolgendem:
Grimms Anficht, wonach Götter: und Heldenſage unterſchieden
werden müflen, balte ih im Allgemeinen für bie richtige, Göttermelt
und Menschenleben zufammen bilden das Ganze einer mythilchen Welt
anſchauung. Aber in ver Ausführung felbit ſcheint mir Grimm dieſen
größern Zuſammenhang zu menig zu beachten und fich zu jehr auf die
Betrachtung der einzelnen Erfcheinungen des Wunberbaren zu be
ſchränken. Insbeſondre Tann ich, aus fpäter anzuführenden Gründen,
nicht damit einveritanden fein, wie er Odin und bie übrigen Aſen aus
der Nibelungenfage entfernen will. Die Gleisbitellung Siegfrieds mit
Baldur, bei Mone und v. d. Hagen, würde, als völlige Identification,
in jener. Vermiſchung von Götter: und Heldenfage beruhen, gegen die
fih Grimm mit Recht erflärt. Aber auch die analogiiche Zuſammen⸗
jtelung, ale Makrokosmus und Mikrokosmus, als heroiſche Wieder:
bolung des Göttermythus, findet ihren Gegengrunb in der Eigenthüm⸗
lichkeit der nordiſchen Glaubenslehre ſelbſt. Das Berhältnig der Götter
zu den Menichen, alſo zum voraus ber Unterjchied zwiſchen beiden, -
dann die Erweckung der Helden durch Odin, die Steigerung des irdiſchen
Kampfes zum künftigen in Gemeinfchaft ver Götter, dieſes Yortichreiten,
diefe, Ahftufungen find ber nordiſchen Anficht weſentlich. Sigurd Tann
nicht Baldur fein, er wird erft durch die Vallyrie zu Odins Hallen
gezogen; der Niflunge Kampf, wenn er auch urjprünglich zur Sage
gehörte, iſt nicht Ragnarök, denn die Helden fahren vom irbilchen
Uhland, Schriften. VII. 34
% 530 .
Kampfe zu Odin auf, um dann erft mit ihm, als Einherien, am Welt-
Tampfe Theil zu nehmen. So rebuciert fih uns die Gleichftellung
zwifchen Göttermythus und Heldenfage auf eine allerdings nothwendige
Verbindung unb Übereinftimmung beider.
Lachmanns an fi fcharffinnige und mehrfadh anregende Aus
führung ift mir hauptſächlich darum nicht überzeugend, meil fie einer:
feits ſich an die nordifche Mythologie anfchließt, anderfeits einen uns
unbelannten deutſchen Mythus aus Muthmaßungen aufbaut. Sieg:
frieb ift nicht Baldur, aber ein, biefem ähnlicher deutſcher Gott Sigo-
frid, Hagen nicht Hödur, aber doch mit biefem gleichartig, Die Nibe:
unge werben wirklich mit dem norbifchen Reihe der Finfternis und
Kälte, Niflbeimr, Niflhel, in Beziehung geſetzt, aber doch bilden fie in
ihrem Gegenſatze zu den Bölfungen ein Verhältnis, von dem man nicht
abfieht, wie e3 in das zu Tage liegende Syitem der norbifchen Mytbo-
Iogie und der ihm eigenthümlichen Weſenklaſſen eingereiht werben ſoll.
Vrynhild hört auf, als Valkyrie bedeutend zu jein, fie wird eine ſtrahlende
Sungfrau, deren mythiſcher Charalter nirgends begründet ift, Die
Aſen Odin, Hänir und Loki follen weichen, um den neuen Götfern
Sigofrid und Hagen Raum zu geben. Aber dürfen wir das Altbe
feftigte für das noch gänzlich Muthmaßliche aufgeben?
Um bei foldyer Manigfaltigkeit der Anfichten, wenn nicht zu einer
vollftändigen Erklärung, doch zu einem möglich feften Anhalte zu ge
langen, glaube ich die Ünterfuchung auf folgende zivei Fragpunkte zurüd:
führen zu müſſen:
1) Iſt der von ihren fpätern Anwüchſen abgelösten Nibelungen⸗
ſage, fo wie fie dann in nordiſcher Darſtellung erſcheint, der odiniſche
Mythus nur äußerlich angeeignet, oder iſt ihre innere Bedeutung in
ihm begründet?
2) Zeigt auch die deutſche Darſtellung dieſer gemeinſamen Sage
noch unvertennbare Merkmale des urfprünglichen Zufammenhangs mit
demfelben Mythus?
In erfterer Beziehung ift bereit dargethan worden, wie das
Mythiſche in der nordiſchen Darftellung durchaus der odiniſchen Glaubens-
anficht entfpreche, wie folche ſich anderwärts in ſtandinaviſcher Götter:
und Heldenfage barlegt. Allein eben daraus, daß Odin auch über den:
jenigen Theil des nunmehrigen Sagenverbandes binauswirkt, welchen
531
wir als urſprünglichen Beſtand der Vöolſungen⸗ oder Nibelungenſage ab-
geſondert haben, könnte geſchloſſen werben, der Norden habe feine
@ötterwweien dem Ganzen nur als herlömmlicdhe mythiſche Ausftattung
angehängt. In demjenigen Sagengliebe zwar, welches ben Untergang
der Giukungen an Atlis Hofe begreift, ift nichts Odiniſch⸗Mythiſches
zu bemerken, dagegen im legten, das den Tob ber Söhne Gubrung er
zählt und das wir feinem rechten Bufammenhange nad einem andern,
dem gothiſchen Sagenkreife vindicieren mujten, tritt der alte, einäugige
Odin noch am Schlufe hervor und räth, mie Hambir und Sörli ge
töbtet werben können. Die nordiſchen Quellen ſelbſt miſchen einzelne
mythiſche Züge nicht in gleichem Maaße bei. So gräbt Sigurb in ben
Eddaliedern eine einzige Grube, über die der Drache hinkriechen fol,
während in der Völfunga- Saga Odin eingeführt wird, um dem Jüng⸗
linge zu rathen, daß er noch andre Gruben zum Schuße gegen Fafnirs
Blut grabe (W. Grimm, Helvenfage 382 f.). Da num auch bei
andern Drachenlämpfen, welche Saro (von Frotho B. U, ©. 26, vom
Fridlev B. VI, ©. 153. Bel. B. VO, ©. 195) erzählt, Din, ben
Helden berathend, eintritt, fo Fönnte in der Völfunga- Saga fich dieſer
Bug nur als ein Hergebrachted wiederholt haben. AU dieſes aber ent
hebt uns nicht der Erforfchung, ob der Mytbus im Innern der Sage
- bafte. Denn wäre Lehteres der Fall, jo müften wir das Beftreben
natürlich finden, die fpätern Anhänge der urfprüngliden Sage mit
diefer auch in mythiſcher Hinficht, wäre es auch mehr nur äußerlich, in
Einklang und Zuſammenhang zu bringen. Den eigentlichen Kern ber.
Sage bilden nun die Gejchide Sigurds, der Dracenlampf und die Er
werbung des Hort3, fein Verhältnis zu Brunhild, fein gewaltfamer
Tod. (Sn letzter Hinficht ift Lachmann ©. 21 abweichender Meinung.)
Bom Horte nun und dem darauf haftenden Fluche haben W. Grimm
und Lachmann die Erſcheinung der brei Ajen, Odin, Hänir und Loki,
als norbifhen Zuſatz wieder abzutrennen verſucht; ber Erftere, weil er
das, was bie Afen bier thun und erleiven, nicht für göttlich und fie
an diefer Stelle leicht und fchidlicher durch fterbliche Menfchen erfehbar
fand (Helvenjage 384 f.); Leterer, weil dieſe Erzählung nicht mit ber
deutfchen Sage flimmt (wovon nachher) und weil er ben Helden Sigo-
frid felbft zum Gott erhebt. Auf dieſe Zweifel ſoll im Folgenden, jo-
weit es nicht ſchon geicheben, geantwortet werben. Es trägt aber auch)
\
532
pofitiv jene Verbindung der Götter mit dem Horte fo entidjieden das
Gepräge ältefter mythiſcher Anfchauung, fie macht ein Bedeutungsvolles
fo nabe fühlbar, daß gerade bier durch unbegrünbete Trennung ber
tiefere Sinn zerftört werben könnte Will fi uns biefer auch nicht
mehr völlig enthüllen, fo wird doch jo viel deutlich, daß bie mächtige
Wirkung des Goldes auf die menfchlichen Geſchicke nicht ohne bie Götter
eintreten follte. Ein Unrecht ift von biejen felbft gefchehen, burch ben
töbtlichen Wurf auf Ditur. mar war Dttur in feiner Verwandlung
unfenntlih und der Wurf geihah durch Loki, der aud in der Götter:
welt, feiner Ablunft nach nicht zu den Afen gehörig, ftet3 das Böfe
fliftet. Aber auch die ſchuldloſen Aſen muften fi) dem Rechte fügen,
das die Buße des Mordes erheifcht. Hreidmar verlangt, daß ber Ge
tödtete, wie in andern Fällen mit Waizen, fo’ bier, wo Götter bie
Thäter find, mit Gold befchüttet werbe, und fie find nun genöthigt,
das verberbliche Gold den unterirdiſchen Mächten zu entreißen. So if
das Verhältnis der Götter, welche fich dem unterwerfen, was nach den
Begriffen des Alterthums unantajtbares Geſetz it, Fein jo unmwürbiges,
wie Grimm es anfteht, noch hätten fo meitgreifende Geſchicke lediglich
in menfchlichen Handlungen ihren Anfang nehmen bürfen. Wollte man
aber dennoch die Götter in ber Art bier befeitigen, daß man annähme,
diefer Mythus von der Einführung des Goldes unter die Sterblichen
fei ein allgemeinerer, nicht urſprünglich an die Sigurdsſage gefnüpfter,
fo liegt doch in diefer ein andrer, von ihr untrennbarer und zugleid
im eigenften Weſen des odinifchen Mythenkreiies haftender Beſtandtheil,
die Valkyrie Brynhild. Nirgends, als in der odiniſchen Kampflehre,
waltet die Balkyrie, und wollten wir Brynhilden dieſer Eigenfchaft ent
kleiden, ihr auch fo den Panzer vom Leibe ſchneiden, fo würbe aller innere
Zufammenhang der nordiſchen Fabel ſich auflöfen. Ein ſolches Weſen
höherer Art muß Sigurds erſte und unter allen Verdunklungen unver:
tilgbare Liebe fein, wenn der nur von ihm ausführbare Ritt durch die
Flamme, wenn ver Gegenſatz Brynhilbs zu ber menſchlichern Gudrun,
wenn die Wiebervereinigung Sigurds und Brynhilds im | Tobe Sinn
und Bedeutung bebalten jollen.
Dieß find die Hauptmomente, warum ich glaube, daß die Nibelungen:
ſage fich in der nordiſchen Darftellung den odiniſchen Mythus nicht bloß
äußerlich angeeignet bat, fondern innerlich mit demſelben zufammenbängt.
V nn ww.»
333
Fragen wir nun aber
2) ob auch die deutſche Darſtellung noch einen ſolchen urſprüng⸗
lichen Zuſammenhang mit vemfelben Mythus erkennen laffe, jo wird
uns bie folgende Erörterung auch bier auf dasſelbe Ergebnis führen.
Es ift unter den neueren Forſchern darüber fein Zweifel mehr, daß bie
Ablunft der Ribelungenfage, ſoweit ſich folche verfolgen läßt, in Deutſch⸗
land zu fuchen fe. Die norbifchen Quellen felbft weifen auf beutfchen
Uriprung hin, wie früher in ber ſtandinaviſchen Sagengefchichte ausge:
führt worden. Ein auswärtige® Land, bald Hunaland, bald Frakland
(Frankenland) genannt, ift dag Gebiet der Bölfunge, und wenn es
aud nicht an Örtlihen Anknüpfungen an den Norven fehlt, fo brängt
Doch die Sage für ihre bedeutendſten Ereigniffe immer mieber nad
dem Süden, nad Frantenland und dem Rheine hin. Die Namen
Nibelung und Siegfried find auch geichichtlich am früheſten als fränkiſche
beurfundet. ft aber die Sage überhaupt aus Deutfchland nad) dem
Norden getvandert, jo tritt und num die früher umftänvlid begründete
Thatfache hinzu, daß Odin, Wodan, auch von deutſchen Völfern ver:
ebrt wurde. Der odiniſche Mythus hatte alſo für diefe Sage auch auf
deutſchem Boden zum voraus nichts Frembartiges; ja es konnte eben
im gemeinfamen Mythus der Anlaß ihrer frühen und vollitändigen Ein
bürgerung im Norden zu fuchen fein. Warum aber die heibnifchen
Mythen in den deutſchen Liedern und Sagen überhaupt abgeſchwächt
und ausgetilgt wurden, während fie in den norbifchen Denfmälern ſich
ungetrübt erhielten, warum in jenen bejonbers Odins Erſcheinung gänze
lich wegfiel, davon ift der Grund leicht einzufehen. Abjeit3 der Völker:
züge, unberlihrt von ver Nachbarfchaft römischer Bildung, unerreicht vor⸗
nehmlich von den Fortichritten des Chriftenglaubens und allen in feinem
Gefolge gehenden Umwandlungen ver Verfaffung und Sitte, war Stan:
dinavien feiner eigentbümlichen Entwidlung den langen Zeitraum hin
durch überlaffen, während deſſen die deutſchen Völker der Reihe nach
jenen mächtigen Einflüffen unterlagen. Sechs Jahrhunderte vergiengen
von der Verbreitung des Chriftentbums unter den Oftgothen bis zum
Siege desſelben in Norwegen und Island. Was urfprünglich vielen
Volkern germanischen Stammes gemeinfam war, muſte doch bei den
Bewohnern des Nordens ſich in feftefter und ſchärfſter Geftaltung aus
prägen. So wurben denn die norbilchen Götter zwar auch aus Hainen
934
-
und Tempeln vertrieben, aber ihre Hochſitze blieben ihnen in dem Ge
biet einer böchft eigenthümlich ausgebilbeten Skaldenkunſt. Die Dichtung
bielt dort noch lange feit, wozu der Glaube fich nicht mehr befennen
durfte. Die chriftliden Skalden reihten fi) an die vorchriftlichen ala
Glieder einer fortlaufenden Kette und entnahmen fortwährenn dem
heidniſchen Mythus und der damit zufammenhängenben Heldenſage
Bilder, dichterifche Benennungen und Umjchreibungen. Zu diefem: Be
bufe blieben auch die alten Lieder und Sagen in ihrem bordhriftlichen
Weſen erhalten unb der muthmaßlide Sammler der Götter: und
Heldenlieder der ältern Edda am Anfang bed 12ten Jahrhunderts, der
Isländer Sämund, war ein chriftlicher Geiſtlicher.
Als die erften, einzelnen Glaubensboten nad dem Norden aus
giengen, war die chriftliche Kirche längſt in der eifrigften Verehrung
der deutfchen Völker begründet. Selbft der. friegerifche Sinn war bei
diefen durch die Kämpfe mit den Belennern des Islams, mit ſlaviſchen
und normännifchen Heiden, zur Olaubenöbegeifterung erwachſen. Eine
zahlreiche, feit in fich verbundene Geiftlichleit war ſtets wachſam, bie
Üiberbleibfel heidniſcher Meinungen und Gebräuche zu rligen und aus
zurotten. Den Beherrichern des mächtigen Frankenreichs war die Aus—⸗
breitung des Chriſtenthums Staatsflugheit und Eroberung; mit dem
Schwerte bekehrten fte und in der Taufe ließen fie fich hulbigen. Die
Sachſen waren das lebte deutſche Volk, welches fein Heidentbum und
feine Freiheit gegen die fränkiichen Machthaber vertheidigte; nach mehr
als dreißigjährigem Kampf lehrte Karl fie, wie eine päbftliche Bulle
Sagt, das fanfte Joch des Heilands tragen, die wilden Kerzen mit dem
Schwerte zähmend (corda ferocie ferro perdomans). Auch diefes ge
ſchah noch 200 Jahre eher, als die Volfeverfammlung in Island (am
Schluſſe des 10ten Jahrhunderts) durch Beichluß das Chriftentbum ans
‚nahm, ſelbſt da noch mit Vorbehalt nicht öffentlicher Verehrung ver
alten Götter (Münter S. 541).
' Was im chriftlich bekehrten Deutfchland überall zuerft weichen
mujte, waren begreiflich die Namen der großen Götter. Wodan (din),
dem mit Thunar und Sarnote (Thor und Freyr) in der Abſchwörungs⸗
formel widerfagt war, durfte auch nicht mehr an der Spike ber Helden
lieder genannt werden. Abgewanbt von den Göttern der Vorzeit, all:
mählig berfelben vergeflend, hatte man dennoch die heimiſche Helden:
4
535
fage, dieſes uralt geiftige Erbgut des Volles, nicht aufgegeben; man
erhielt und hegte fie, intem man in ihr das Menſchliche, auch für
die neuen Berbältnifie Gültige hervorhob und ausbilbete.
Neben ven Hauptgofiheiten der alten Glaubenslehre war die Natur
bon einer Menge untergeorpneter Elementargeifter erfüllt. Diefe find
auch dem Chriftenthbum nicht gewichen, wenn gleich der Klang der
Kirchengloden ihnen zumiber tft, und noch jet auch in ber beutichen
Vollefage nicht gänzlich untergegangen. Bon den chriftlichen Bes
fehrern u. f. m. 1 ***
Es ergibt ſich ung aus dem Bisherigen einestheils, daß das Nichts
vorhandenſein Odins und anderer Götter in der jeßigen Geftaltung ber
deutichen Nibelungenjage keineswegs zu der Annahme berechtige, als
wären fie niemals in ihr vorhanden geweſen, da fich genügende Gründe
ihres Verſchwindens darbieten und da denn doch unläugbar die götter:
Iofe Exwerbung des Hortes, die Nichtbegründung des auf ihm haftenven
Fluches eine in der nordiſchen Darftellung wohl ausgefüllte Lüde fühl
bar maden; anderntheild, auf melde Weife fich gleichwohl auch in
unfrer Nibelungenfage noch Überrefte des Mythiſchen erhalten haben.
Davon könnten in ihr noch weitere Spuren nachgewieſen werben, 3. 2.
die mweifjagenden Meermeiber des Nibelungenliebed. Allein hier iſt uns
von vorzüglichem Belange, darthun zu können, daß, wenn glei Odin
felbft aus dem beutichen Liede verſchwunden ift, dennoch fein Mythus
noch unverlennbar in demfelben durchfcheine. Zeugin dieſes vormaligen
mythiſchen Zuſammenhangs ift uns abermals die Vallyrie Brynhild.
Sie fteht in ihrer wunderbaren Stärke und Furchtbarkeit vereinzelt und
unerflärt, während fie, ala Valkyrie betrachtet, einem größeren und
bedeutfamen Verbande fich einyeibt. Auf ihr früheres Verhältnis zu
Siegfried, wenn gleich folches in den Hintergrund getreten, ift doch noch
bingewiefen, da er, ala Gunther die Fahrt nach ihr unternehmen will,
zum voraus von ihr zu fagen weiß und fie ihn fogleich erkennt und
auszeichnet (Nibelungenlied 3. 1834 f. 1659. 1689 ff.). Ihr geheimer
Anſpruch auf ihn, der Wechſel von Liebe und Haß, der dem Helven
zum Verberben wird, erfordern eine tiefere Begründung, wie fie in den
norbifchen Quellen gegeben ift; gleiche Folgen laflen auch bier auf gleich⸗
1 [Hier greift die Darftellung auf das in*den Schriften I, 158 gefagte zuriid
und es ift der Abſchnitt von S. 158 bis 162 hier einzufügen. 8]
536
artigen Vorgang Ichließen und in ber Billinenfage, welche hauptſächlich
nach deutſchen Überlieferungen erzählt, ift Siegfrieds erſter Beſuch bei
Brünhild nicht vergefien, obichon in roher und unzufammenbängenber
Darftelung (Cap. 148. UI, 86. Sagabibl. II, 212), Wenn uns bie
Macht des Hortes ohne Götter nicht einleudten wollte, fo kann uns
noch weniger bie Triegerifche Jungfrau, von bloß Lörperlicher Stärke, ohne
die geiftige Höhe der Vallyrie, von genügender Bebeutung fein. So er
weiſt fih uns, in deutſcher wie in norbifcher Darftellung, die Nibelungen⸗
_ fage im innern Zuſammenhange mit der odiniſchen Glaubenslehre.
b. Hegelingenfage.
Die zu biefem Kreife gehörigen Sagen, mie fie in bem beutfchen
Heldengedichte von Gudrun zufammengefaßt -find, haben, nad; unfrer
früheren Ausführung, ihren örtliden Anhalt an ben nieberfächftichen
und friefifchen Nordſeeküſten. Auch ein Frute von Dänemark tritt darin
“ aufl; Frodi, Frotho aber ift in dänischer Sage ein in das Mythiſche
übergehender Königename, Wirklich auch läßt fich ein Theil der Hege⸗
lingenfage, gewiflermaßen der Mittelpunkt derſelben, als ein gemein
Ichaftlicher, deutichsnorbifcher, und zwar im Odinsglauben beruhender
Mythus nachweilen. Im deutichen Liede läßt Hettel, König zu Hege
lingen, durch feinen Neffen Horand Hilden, die Tochter des Königs
Hagen von Irland, zu Schiff entführen, der beleivigte Bater eilt nad
und e3 erhebt fich eine blutige Schlacht am Strande. Dieſer Theil des
Gubrunliedes ift auch in altnordiſcher Überlieferung, und zwar hier in
offenbar urfprünglicherer Geftalt, vorhanden. In der flandbinavifchen
Sagengefchichte find die verfchiedenen norbifchen Darftellungen der Sage
von Hildur dargelegt und erörtert worden. Sch hebe hier diejenige aus,
in ber ſich die ältelte mythiſche Bebeutung am reinften erhalten bat.
Sie findet fi in der Skalda (Sn. Edd. ©. 163 ff.), zur Erklärung
verichiebener, diefer Sage entnommener Dichterausdrücke. Die Erzählung
der Skalda lautet jo: König Högni hatte eine Tochter u. |. m. 2 ***
Bon den Namen Hildur ausgehend, haben wir diefe Sage folgender:
maßen erllärt: Die Wurzel hild u. |. m. 3 ***
I Auch bei Saro ift Frotho ILL mit Hithin zuſammengebracht.
2 [Bgl. oben ©. 278 f. 8.]
3 [Das weitere |. oben ©. 282 fi. 8.)
537
— —
Ganz im Geiſte des Odinsglaubens gibt die Sage ein Bild des
nimmer raſtenden irdiſchen Kampfes, ver, durch Odins Dienerin Hildur
immer neu angefacht, fortdauert bis Ragnarbk, wo ber Hiadninge
Streit im großen, allverzebrenden Weltlampfe aufgeht.
Diefe mythiſche Sage nun ift im deutichen Gedichte nur noch in
wenigen Zügen zu erlennen, aber doch in foldhen, welche die urſprüng⸗
liche Identität genugfam verbürgen. Die nordiſchen Namen ber Haupt
perfonen, Hildur, Högni, Hebin, Hjarranbi, entſprechen ven deutſchen
Hilde, Hagen, Hettel, Horand. Auch die Berhältnifie, in denen fie zu
einander ftehen, und der Verlauf der Ereigniffe find in der Hauptſache
die gleichen. Hildur ift dort Högnis Tochter, wie bier Hilde Hagen;
ihr Freier, der fie dort ſelbſt entführt, hier entführen läßt, ift beide⸗
mal berjelbe, norbifch Hebin, deutſch Hettel. Unweſentlich ift die Ab⸗
weichung, daß Hjarrandi nur als Hedins Bater genannt wird, während
Horand, Hetteld Neffe, für ihn die Braut. hinführt. Die Nacheile des
Vaters mit Schiffmacht und die blutige Schladht nach der Landung ift
beiden Darftelungen gemeinjam; der Sinn der nordiſchen (mie eine
weitere Erzählung bei Sazro zeigt) ift der, daß Högni und Hedin gegen-
feitig einander töbten; in der beutfchen werben Hettel und Hagen nur
verwundet. Hier aber verfühnen fie fich zulegt und von dem Erwecken
der gefallenen Kämpfer durch Hilbur ift nur darin eine Spur geblieben,
daß Hilda den Helden Wate, der durch ein wildes Weib zum Arzte ge
worden, fußfällig erbittet, ihren Vater und bie übrigen Verwundeten
zu beilen (Bubrun 8. 2115 ff.).
Läge ung nicht die nordiſche Geftalt der Sage zur Vergleichung mit
der beutfchen vor, jo würden wir allerdings in biefer den einftigen
mythiſchen Beſtand nicht mehr zu entdeden im Stande fein. So aber
find wir berechtigt, anzunehmen, "daß die tiefere Bedeutung einjt auch der
deutichen Sage nicht gefehlt habe, und es,muß uns diefer Fall in der
Anſicht beſtärken, daß auch anderwärts manches Mythiſche in der älteren
deutichen Sagenbildung vorhanden geweſen fei, mo es jett nicht mehr
ober nur in leiferen Spuren zu bemerken ift. Die Hegelingenjage, wie
fie in dem Gudrunsliede des 13ten Jahrhunderts auf uns gelommen
ift, bat, ftatt des mythiſchen, durchaus ein ritterliches Ausjehen ange:
nommen. Echter mochte fie noch in berjenigen Geftalt vorliegen, auf
welche ein deutſches erzäblendes Gedicht des 12ten Jahrhunderts, bes
j 538
Pfaffen Lambrecht Alexander, anfpielt (Helbenfage 380). Aber auch ſchon
ein viel älteres angelſächſiſches Gedicht (ebend. 329 f.) erwähnt der
Heodeninge (nord. Hjabninge) und des lieberkundigen Heorrenda (Hier
randi), entiprechenb dem herrlichen Sänger Horand unfres Gudrun⸗
liedes, auf den auch fonft in mittelhochdeutſchen Gedichten‘ angefpielt
wird (ebend. 331).
Soviel nom deutſchnordiſchen Mythus in Nibelungen und Hege
lingenfage. Odin, ven wir hier nur noch unfichtbar walten fanden,
wird fich und weiterhin, felbft bis zum heutigen Tag, in deuticher Volks
fage lebendig erteilen.
2. Gethifger sder parfiſch · gothiſcher Mythenkreis.
Amelungenſage!.
Haben ? und nun nach dem bisherigen erſt die perſiſchen Sagen
von Ruſthm und Asfendiar in den Stand geſetzt, den verworrenen
Abenteuern unfrer MWolfdietrichälieder eine beftimmte Anorbnung zu
geben, und bat fi auch im Einzelnen der Tagfahrten eine unverkenn⸗
bare Ahnlichkeit auf beiden Seiten gezeigt, hat fi uns dann mieber
erſt in der perfiihen Glaubenslehre 8 eine tiefere mütbifche Begründung
des in beiverlei Sagen gleidhartig vorlommenden Wunderbaren ergeben
und erweist ſich und damit perfifche Sage und perſiſcher Mythus über
haupt als eine Quelle für die Erläuterung unſres gothiſchen Fabel⸗
kreiſes, jo müſſen wir uns berechtigt finden, nun auch anderwärtigen,
bisher noch nicht berührten Übereinftimmungen zwifchen dem iranifchen
Helvdenbu und ber deutichen Amelungenfage ein größeres Gewicht bei-
zulegen; und felbft auf folde Fälle, wo das Zujammentreffen fonft
wohl aus einer allgemeinern, in ber gleichen Entwicklungsſtufe ver:
fchiedener Völker natürlich begründeten Gleichartigleit ihrer Sagen er:
Härt werden fönnte, Tann nun audy die einmal nachgewiejene befondre
Verwandtſchaft angewendet werden.
1 [Hier verweift der Verfaffer auf die ältern Hefte. Es gehört hierher der
Abſchnitt Schriften I, 172 „die Erklärer der Heldenfage” u. |. w. bis ©. 200. 8.)
2 [Bgl. Schriften I, 201. 8.]
3 [Über die perſiſche Glaubenslehre vergleiche man namentlich auch die Licht-
volle Entwillung von Mar Dunder in feiner Gefchichte des Altertfums II.
Dritte Auflage. Leipzig 1867. 8 5.)
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539 “
Bebeutendere Übereinftimmungen ber beiberjeitigen Sage find na
mentlich noch folgende:
1) Rai Kawus, deſſen Gefangenſchaft in Maſenderan wir erzählt 1,
hatte ſich mit einer Nichte des Schahs von Turan, Afrafiab, melde
nad Iran geflohen war, vermählt und mit ihr einen Sohn, Sijaweſch,
erzeugt, welchen Ruſthm erzog. Sijaweſch wurde nachher durch die Ränfe
feiner Stiefmutter Sudabeh gendtbigt, fih nach Turan zu begeben, wo er
Afrafiabs Tochter Ferengis zur Ehe und zwei Länder zur Mitgift erhielt.
Aber bald wurbe der Argwohn des Schahs gegen feinen Eidam aufgeregt -
und er ließ biefen graufam ermorben. Auch gegen bie ſchwangere
Ferengis, feine Tochter, müthete er. Da trat Biran, fein Bezier, ind |
Mittel, nahm Ferengid mit fi nach Cothen und übergab fie feiner
Gattin zur Pflege. Görres, Heldenbuch von Iran II, 37 bis 39, ***
Diefer Chosrew, ber bei ben Hirten erwädft, ift ber Cyrus ber
griechiſchen Gefchichtichreiber, von deſſen Kindheit wir ähnliche Erzäh⸗
Iungen bei Herodot (B. I, Cap. 107 ff.) und Zuftinus (B. J, Cap. 4 5)
finden. Der mediſche König Aftyages ift durch Träume und Traums
deutungen vor dem Kinde gewarnt worden, das feine Tochter Mandane,
die mit dem Berfer Cambyſes vermählt ift, gebären würde. Als nun
diefes Kind, der Knabe Eyrus, zur Welt kommt, befiehlt ver König
feinem vertrauten Diener Harpagus, dasſelbe zu tödten. Harpagus
übernimmt den Auftrag; im Gedanken aber, daß nach dem Tode bes
ſchon bejahrten Aftyages beflen Tochter, die Mutter, in der Herrichaft
folgen werde, ſucht er fih dadurch vor Gefahr zu ſchützen, daß einer
von des Aſtyages Leuten der Mörder werben fol. Er ſendet nad
einem Rinberhirten des Königs, Mitradates, der im Gebirge mit einem
Weibe lebt, das, nad) Herodots Worten „auf griechiſch Kyno und auf
miediſch Spalo hieß, denn der Hund heißt bei ven Medern, Spala.“
Dem Hirten befiehlt Harpagus im Namen bes Königs, das Kind auf
dem Bebirg in die wildeſte, mit wilden Thieren angefüllte Einbde bin-
aulegen, damit e3 je eher je lieber umlomme; wofern er es leben lafle,
ſoll er jelbft des jchmählichiten Todes ſterben. Das Weib des Hirten
aber, das eben von einem todten Kind entbunden worden, beivegt ibn,
dieſes auszuſetzen und ihr dafür das fchöne, lebende Kind zur Pflege
1 [Schriften I, 180. 191. 8]
540
zu laflen. So wird Eyrus gerettet. Bon dieſer Erzählung Herobots
ift die bei Juſtinus in einigen Umftänden verichteben. Der Hirte bat
‚bier das konigliche Kind bereit3 ausgefeht; auf Bitten feines Weibes
aber Tehrt er in den Wald zurüd, um es ihr zu bringen. Er finbet
ed bafelbft, wie eö won einer Hünbin gefäugt wird, die es bor twilben
Xhieren und Vögeln vertbeibigt. Bon Mitleid ergriffen, trägt er das
Knäblein zu feinen Hürben und die Hündin folgt ängſtlich nad. Die
Hirtenfrau ernährt nun basfelbe ftatt bes ibrigen. Es wird, nicht recht
deutlich, hinzugeſetzt:
Nutrici Bpaoos postea nomen fait, quia canem Perse sic vocant,
Poer deinde, cum inter pasiores esset, Cyri nomen accepit.
Kenophon, in deflen Cyropädie, nach ben beſondern Sweden des
Bud, diefe Sagen zur Seite gelafien find, bemerkt doch, wie Cyrus
frühzeitig in den Gefängen ber Barbaren gefeiert worden und noch ge
feiert werde. Auf Gefänge beruft fih auch Firbufi (am Eingang der
2ıften Sage bei Görres, II, 40):
So if denn die Rebe von Sijaweſch geendet, und wir beginnen bie
andere von Keychosrew in der Weiſe, wie jener Sängerkmann es gefungen.
Überaus ähnlich diefen früheften Geſchicken Chosrews, Cyrus, find
nun wieder die Wolfdietrichs, nach der Darftellung bei Kafpar von
der Rohn 1. Hier läßt Hugbietrich, Rönig zu Konftantinopel, feinen
bierjährigen Sohn Dietrich, der ibm als das Kind eines böfen Geiftes
verbächtigt wird, durch Puntung (Berchtung) von Meran, den er nur
durch Bedrohung mit feinem und feines ganzen Geſchlechtes Tode dazu
bewegt, Nachts binwegtragen, damit es im Walde getöbtet iverbe.
Aber Puntung bat Mitleid mit dem Finde, legt er an einem Wald:
Brunnen nieber und beobachtet es. Da kommen wilde Schweine, Bären,
Hirſche und eine große Schaar von Wölfen zu bem Brunnen, um
daraus zu trinlen. Die Wölfe ſetzen fih um das Kind und hüten es.
Nun erkennt Puntung, daß es nicht vom Böſen flammen könne, und
entſchließt fich, es zu retten,
Str. 48. Er ſprach: du pift genefen
von den wolffen wunderlich,
darumb bein nam fol weſen
hinfür Wolfdieterich.
1 [Bgl. Schriften I, 191. 8]
u.
\ 541
Er übergibt es einem im Walde wohnenden Wilbener (Jäger) und
deſſen Weibe, die es für das ihrige ausgeben müſſen. Nacd der Dar
ftellung im gebrudten Heldenbuche wirt der neugeborne Knabe, den
feine Mutter, um ihn zu verbergen, in den Burggraben binabgelafien,
bon einem Wolfe meggenommen und in feine Höhle getragen, ben
ungen zur Speiſe. Weil aber diefe noch Hein und blind find, bleibt
Das Kind unverfehrt, bis ed am andern Morgen von feinem Groß
vater, König Walgund, auf der Jagd gefunden wird. Wolfpietrich
wird es dann getauft, weil man es bei den Wölfen gefunden.
Die Übereinftimmung diefer Sage in der erftern Darftellung mit
denen von Cyrus, Chosrew, bebarf Feiner fpeciellern Nachweiſung. Das
Schwanken hinſichtlich des beſchirmenden Thieres zwiſchen Hündin und
Wolf gemahnt an die Sprachverwandtſchaft von Wolf und Welf, Welp,
ahd. hualf, catulus (Gramm. III, 329 1). u
(Vgl. noch die Sage “von Odipus; auch die Ausfehung Sals,
Helvdenbud von Stan I, 72, und bie mandherlei Welfenfagen. Das
gegen hat die Erzählung von Hugdietrich und Hiltburg einigen Anklang
in ber von Sam und Salfer, Heldenbuh von Iran 1, 77 ff., ven
Eltern Ruſthms.)
Wie Chosrem nachmald den im Kampfe gefallenen Biran einbal-
famieren und herrlich beftatten läßt, Heldenbuch von Iran II, 1985,
Malcolm I, 52, hat gleichfalls Ähnlichkeit mit Wolfdietrichs Benehmen
bei feines Meiſters Grabe, gedr. Heldenbuch Bl. 143, Kaſpar von der
Röhn Str. 311 ffı
2) Die Ermordung Sijaweſchs, des Vaters von Keychosrew, hat
eine lange Reihe blutiger Rachekriege zwifchen Iran und Turan zur
Folge. Zulegt unterliegt Zuran, der Schah Afrafiab fällt in die Hände
Chosrews, der nun an der Spike des iranifchen Heered fteht, und
diefer vollzieht felbft das Rachewerk; Heldenbuch von Fran Il, 232
(30fte Sage):
Keychosrew gieng nım mit ſcharfem Schwerte auf ihn dar, das Herz mit
bitterem Haffe erfüllt; und wie Afrafiab ihn alſo gerüftet zu ſeinem Verderben
exblidte, da fprac ex: „Diefen leiden Tag hab' ich längf ſchon im Tranme
gejehen, jetzt iſt der Schleier. des Geheimnifjes zerriffen, und es werde, was
werden fol!” Dann rief er mit einmal: „Verruchter! fcheuft du dich nicht, den
1 [Bgl. Liebrecht in Pfeiffer Sermania 11, 172. 8.]
+42
eigenen Großvater zu töbten? ſprich! womit magſt du bie Unthat beſchönigen?
Da zählte der Schah noch eimmal alle feine Verbrechen von Anfang ihm auf,
wie er zwei Häupter aus dem Königsgefchlechte und fo viele Unjchuldige ge
morbet, ja felbft des befferen Bruders nicht‘ geſchont; wie oft ex trenlos und
bundbrüchig an Iran gehandelt und wie hart er die Iranier bebrängt; „jeht
aber naht der Lohn all deiner böfen Thaten, und dir wird, was bu verdient.”
Da bat Afrafiab, daß er noch einmal nur die Mutter ihn ſehen laſſe; ver
Schah aber verweigerte ihm fein Geſuch, gieng anf ihn los und hieb ihm mit
dem Schwerte das Haupt ab. Kerfimes aber [ver einft Afrafiabs Todesbefehl
an Sijaweſch vollſtreckt Hatte] üibergab er dem Henker und dieſer bieb ihn in
Stüde.
(Aftyages fällt nad Herodot und Juſtinus zwar aud in die Ge
fangenfchaft feines Enkel Cyrus, auf den damit auch die Herrichaft
über Medien übergeht, aber am Leben gefchieht ihm nichts zu Leibe,
Herobot 1, 130. Juſtin I, 6.) .
Jene langen Verwandtenkriege nun und das Ende Afrafiabs bieten
Beziehung zu einem andern Theile des Amelungenkreifes dar, zu ben
Eagen von Dietrih von Bern und Ermenrih, Diefer wüthet, wie
Afrafiab, gegen feine nächſten Blutsverwandten, felbft gegen feinen
einzigen Sohn, und die älteften fagenhaften Meldungen von feinem
Tode erinnern gleichfalls an ven des. Schahs von Turan.
Jornandes 1 (um 552) erzählt de rebus geticis Gap. 24:
Ermanaricus, rex Gothorum, licet multarım gentium extiterit trium-
phator, Roxolanorum ſa. Rosomonorum, Rasomonorum, Rosomorum]
gens infida, que tunc inter alias illi famulatum exhibebat, tali eum
nanciscitur occasione decipere.e Dum enim quandam mulierem Sanielh
fa. Sonilda, Suanibildam, Sunihil] nomine, ex gente memorata, pro
mariti fraudulento discessu, rex furore commotus, equis ferocibus illi-
gatam, incitatisque cursibus, per diversa divelli prescepisset, fratres ejus
Sarus et Ammius germane obitum vindicantes, Ermanariei latus ferro
petierunt, quo vulnere saucius, tegram vitam corporis imbecillitate con-
traxit,
Um dann aber dieſes Sagenhafte mit den geichichtlichen Nachrichten
vom Tode des gothiſchen Ermanarils einigermaßen auszugleichen, wonach
berjelbe, verzweifelnd, ben gewaltigen Einbruch der Hunnen aufzuhalten,
1 [Bgl. Schriften 1, 118. 8.)
vu. uy — 1 Li 4 ur L, 2
543
fih felbjt den Tod gab (zufolge bes gleichzeitigen Ammianus Mar:
cellinus, rer. gest. 8. 31, Gap. 3), jagt Jornandes weiter:
Ermanaricus tam vulneris dolorem, quam etiam incursiones Hunno-
rum, non ferens, grandevus et plenus dierum, centestno decimo anno
vitee su defunctus est. (MW. Grimm, Helden‘. 1 f.)
Sn den Hauptzügen nun, wenn aud nicht allem Einzelnen, ftimmt
die Sage bei Jornandes mit der vorangeführten Darftellung der Edda⸗
lieder, wonach Sörli und Hamdir (Sarus et Ammius) dem Jörmunrel
Hände und Füße abbieben, weil er ihre Schweiter Swanhild von den
Pferden hatte zertreten lafien. Hiemit trifft auch die Erzählung Saxos,
Hist, Dan. ®. VIII, S. 242 f. 1 vom Tode feines Dänenkönigs ar:
merieus ? zufammen. Daß aber diefe Sage auch in Deutjchland gang-
bar war, zeigen die Erwähnungen derjelben in Chroniken. des Mittel:
alters. Im Chronicon Quedlinburgense aus dem Ende des 10ten und
Anfang des 11ten Jahrhundert? (Leibnitz, Beript, rer. Brunsv. II, 237)
‚wird gemelbet:
Ermenarici regis Gothorum a fratribus Hernido et Serila et Adaocro
quoram patrem interfecerat, amputatis manibus et pedibus, ut dignus, .
erat, occisio. (Helden. 32.)
(Hier alfo würde, wenn nicht patrem irrige ve Ledart iſt für sororem,
Vaterrache geübt, wie beim Tode Afrafiaba.)
Auch das Chronicon Urspergense, vom Anfang bes 12ten Jahr:
hunderts, fett bei Erwähnung von Ermenrichd Tode durch die Brüder
Sarus und Ammius, nad) Jornandes, hinzu:
Qui vulgariter [d. h. in deutſcher Bollsjage] Sarelo et Hamidiecus di-
cuntur.
Die Vilkinaſaga Cap. 374 ſchließt Ermenrichs Laufbahn mit einer
furchtbaren Krankheit, in welcher er halb tobt hinſchmachtet, nachdem
man ihm zu feiner Heilung vergebli den Leib aufgefchnitten hatte
(Heldenjage 188), und das deutſche Gedicht von Dietrich! Flucht enthält
bloße Andeutungen von einem fchredlichen Tode Ermenrichs, wodurch
Gott defien Untbaten gerächt habe.
Bei aller Berfchiedenheit in ben manigfachen ! ' Überlieferungen
fommen nun doch die perfiiche und germanifche Sage in größeren Zügen
1 Bol, Saxo 112, 2. 114, 1. 107, 2.
3 [Bgl. Schriften I, 306. 8.]
=
544
überein: Afrafiab iſt, wie Ermenrich, der treuloſe Anſtifter ber langen,
verderblichen Kriege, er hat ſeine nächſten Verwandten, namentlich ſeinen
Eidam Sijaweſch, gegen den er Argwohn gefaßt hatte, ermordet und
gegen deſſen Gattin, feine eigene Tochter Ferengis, gewüthet, wie auch
Ermenrich an ſeinen Blutsfreunden und, nach Jornundes, an dem
Weibe Sanielh pro mariti fraudulento discessu ſeine Wuth ausließ;
beide Wüthriche erreicht zuletzt die Rache durch das Schwert von Ans
gehörigen der Ermorbeten; SKerfimes, der einft Afrafiabs blutige Be
fehle vollzogen, wird in Stüde zerhauen, mie in der gothifchen Sage
Ermenrich felbft. |
3) Wie Afrafiabs und Ermenrichs Ende ſich gleicht, fo verſchwin⸗
den auch ihre Gegner, Chosrew und Dietrich von Bern, auf ähnliche
Meile aus der Welt.
Keychosrew, ber feinem Großvater Rey Cawus im Reihe von Iran
gefolgt war und eine rubmbolle, meitverbreitete Herrfchaft begründet
hatte, verfiel im fechzigften Jahre feiner Regierung (Malcolm I, 54; er
lebte 90 Jahre) in grübelnden Zieffinn. Es kam vie Furcht über ihn,
“er Tönnte, ba er mutterhalb von turanijchem Gefchledht ftamme, dem
verruchten Afrafiab gleich werden und Unbeil verüben auf Erden. Er
lag in eifrigem Gebete vor Gott und im Traum verfündigte ihm Serufch,
ber, mächtige Ized, unter deſſen Obhut die Erbe fteht, daß feines Bleibens
nicht länger hienieden fein folle. „D Schah, ſprach er, baft bu aus
diefer Welt verlangt, dein Verlangen tft erhört; bu ſollſt nicht Länger
weilen in der Finfternis.” Keychosrew beftellte nun fein Rei, be
Schentte feine Getreuen und nahm Abſchied von allen. Dann gieng er
nach dem Gebirge. Vgl. Heldenbud von’ Iran II, 243 f. 31fte Sage
(die Sage von der Verſchwindung Key Chosreivs):
Der Schah aber hub fi von damen, und gieng am Gebirge hinauf bis
zu feiner Höhe, mit ihm waren die Großen, Ruſthm und Sal und Kuders
und Giw, Peicher, Kuſthehem, Ferbers und Thus, und fie verweilten mit ihm
alle zufammen eine Woche auf dem Berge, Biel Bolfs lief zu; mehr als Kun-
derttaufend, Männer und Weiber, famen aus Iran meinend zu ihm, bag ganze
Gebirge war voll Wehllage: „Was ift dir, o Schah, doch begegnet? wir wollen
ja Erde fein deinem Pferde u. ſ. w. Alle wollen wir im Feuerhanſe ohne
Unterlaß beten zu Gott, daß er dich uns wiederſchenkt.“ Der Fürſt ſprach:
„Warum wollt ihr weinen, daß mir Heil widerfährt? liber das Gute ſoll man
nicht trauern; feid freudig vielmehr, und dankt Alle Gott, daß er meine Bitte
545
—
erbört! Jetzt aber kehrt wieder zur Heimath! denn lang ift ver Weg, ohne
Waffer und Baum, nicht gangbar fo vielem Bolle.” Sie thaten mit ſchwerem
Herzen, wie er geboten; auch Deſthan, Ruſthm und Kuders Tehrten zuriüd,
aber Thus, Giw, Kerlin, Peſchen, Ferbers wollten ihn nicht verlaffen und
zogen mit ihm hinaus in die Wüfte.
Einen Tag und eine Nacht giengen fte fort, dann lagerten fie fich bei einer
Duelle und aßen und legten dann fich nieder zur Ruhe. Er fprad dann zu
ihnen: „Heute Nacht wird's enden; forfcht nicht viel nach mir, und ſuchet nicht!
denn ihr werdet mich nicht wiederfinden, der Morgen wird mir die Beit des
Scheidens fein.” In der Nacht wuſch er Körper und Haupt in ber Ducle.
Dann fagte er den Begleitern ein ewiges Lebewohl, dann ſprach er: „Laßt euch
rathen und kehrt nach meinem Hingang eilig zurück aus diefem Sande! wollet
nicht bleiben, und wenn es Moſchus aus den Wollen regnetel denn ein heftiger
Wind wird vom Gebirge herabbraufen, daß die Bäume vor ihm ſtürzen, und
Schnee wird Alles bededen, alfo, daß ihr den Weg nicht mehr findet.” Wie
die Sonne aufgieng, da wurde er den Augen der Edlen.unfihtbar. Sie giengen
hinaus in die Wüfte, ihn zu fuchen, und forſchten nad ihm auf allen Wegen,
aber fie fanden ihn nit. Wie Sinnloje und mit weinenden Augen lamen fie
wieder zur Quelle zurüd. Sie faßen dort in großer Trauer; da fchlug Ferbers
vor, noch eine Weile dort zu ruhen und fi mit Speife zu ftärlen, und fie
ſprachen von dem Unerhörten, was fie gejehen, daß lebendig einer zu Gott ge-
gangen. Sie führten darüber manderlei Reden und aßen dann und fchliefen.
Da hub fi ein gewaltiger Sturm und es fiel ein dichtes Schneegeflöber und
bededte die Erbe weit umher alfo hoch, daß die Lauzenfchafte der Edlen nicht
mehr fihtbar waren; fie blieben, man weiß nicht wie, unter dem Schnee. Eine
Weile arbeiteten fie, um wieder Luft zu gewinnen, und gruben unter der Dede;
am Ende entgieng ihnen bie Kraft und fie gaben den Geiſt auf. Drei Tage
aber waren Sal und Ruſthm und Kuders im Gebirge gegangen; da aber jene
nicht wieberlehrten, da beichloffen fie umzulehren und auf allen Wegen nad
ihnen ſuchen zu laffen. Sie giengen darum hinaus in die Wuſte und forjchten
auf allen Pfaden und Wegen; endlich fanden fie die Helden erftorben unter dem
Schnee, und Thränen ftürzten aus den Augen Aller, denen der betrübte Anblid
zu Theif wurde. Und fie beitatteten die Todten und errichteten ihnen ein Mal,
Malcolm (Hiftory of Persia I, 54, 2) bemerkt !:
Einige Schriftfteller behaupten, Kai Chosrew fei nicht todt, fordern ver-
borgen, und die Tradition erhebe ihn zum Rang eines Propheten, der wieder
erjcheinen werde. j . -
1 Malcolm 1. c.: Kei Khoosroo lived ninety years, and reigned sixty.
He was a prince of the highest qualities, and his name is still cherished
Upland, Schriften. VIL. 35
N
546
Vom Ende Dietrichs von Bern gibt es verichiedene Sagen 1. Sie
werden uns fpäter in anbrer Verbindung bejchäftigen. Hier hebe ich
nur diejenige aus, welche ſich ber eben angeführten von Chosreiv am
meiften nähert. Sie fteht 'im profaifchen Anhang unfres gebrudten
Heldenbuchs [S. 11, 18 meiner Ausg. 8.]. Ein großer Streit gejchieht
vor Bern, darin alle Helden, die in der Welt find, erfchlagen werben,
ausgenommen Dietrich von Bern: |
Do kam ein Tleiner zwerg und ſprache zuo im: „Berner, Berner, du jolt
mit mir gan.” Do ſprach der Berner: „Wo fol ih hin gan?“ Do ſprach der
zwerg: „Du folt mit mir gan; dyn veich iſt nit me in difer welt.“ Aljo gieng
der Berner hyn wege und weyſz nyemant wo er fummen if; ob er noch in
leben ober tobt ſy, weyſz nyemant warliden da von zuo reden.
Die deutfche Überlieferung ift freilih nur ein balbverjchollener
Klang gegenüber der ausgeführten perfifchen Erzählung, und ftatt Se
ruſchs, des mächtigen Schußgeiftö der Erbe, ift hier in ver Weife des
ſpätern deutſchen Mythus ein Heiner Zwerg der Abrufende. Aber das
Verſchwinden des Helden im Gebirge (denn darauf deutet auch in ber
deutfchen Sage der Zwerg oder Bergelfe, vgl. Etzels Hofhaltung Str.
132, Dietrich8 Dracenlämpfe in der mwüften Rumeney 2), den Unter:
gang feiner Genoffen auf der Helvenbahn und die Möglichkeit, daB
er noch am Leben jet, finden wir auf beiden Seiten gleichmäßig.
4) In den Kriegen zwilchen Iran und Turan Tommt es wieder⸗
holt vor, daß die auserlefeniten Helden auf beiden Seiten, darunter
bie Heerführer felbft, in der Eilfe oder Zwölfzahl einander zum Einzel:
fampfe ausforbern und fo das Geſchick des Heerzugs entſchieden wirb.
(Heldenbucdh von Iran II, 185 bi? 190. 176 ff. 28fte Sage: „Der Kampf
ber zwölf Neden.“) Görres vergleicht dieß mit den Zwölffämpfen
Dietrich und feiner Reden in den deutſchen Rofengartenlievern (ebenb.
I, CLXXV. CCXVI COXXXVI Auch ein gewaltthätiger Ferge
I, 55; vgl. 57, 2. I, CCXVU f). Wir lafien diefe und andre ent
by his countrymen. Some authors [Zeenut-ul-Tuarikh] state, that he is
not dead, but concealed [ghaib is the persian phrase, and is applied to such
of their prophets as they believe are not dead, but will reappear]; and the
tradition elevates this monarch into ihe rank of a proplet, .
1 [gl Schriften I, 203. K.]
2 (gl. Schriften I, 181. 206. 8]
547
ferntere Beziehungen auf ſich berufen und faflen aus ber Gefchichte
jener Kriege nur noch den einen Kampf Ruſihms mit feinem unerlannten
Sohne Sehrab auf 1. Sehrab war von Ruſthm in Turan mit ber
Tochter eines dortigen Fürften erzeugt. Er hatte bis in fein Jünglings⸗
alter feinen Bater noch nie gefehben. Da vernahm er, daß ber Helb
in die Ungnabe des Schah Cawus gefallen war. In der Abficht, dem
Bater nüglich zu fein, in freubiger Hoffnung, ihn nun zum erftenmale
zu jeben, ftellte fi) Sehrab an die Spite eines turanifchen Heeres, das
ihm Afrafiab gerne gab, und brad in ran ein. Rey Cawus ftand
ihm mit dem einigen gegenüber. Die Erzählung Ferduſis beginnt mit
folgender Einleitung: Heldenbuch von Stan, I, 225 ff. 18te Sage:
Die Sage vom Kampfe Ruſthms mit feinem Sohne Sehrab. „Seht
laßt und hören” u. |. w.*** Dann ©. 261: „Sehrab aber gieng
heraus” u. |. w. (mit einigen Auslaffungen) bi3 262: „mögliche
Dinge”. *** Zuletzt noch bie Klage der Mutter, ©. 269: „Human
eilte” u. |. w. bis 271, zu Ende, ***
Sm deutfcher Heldenbichtung treffen wir ſchon am Shhlluſſe bes
Sten Jahrhunderts auf das fragmentarifche Lied von Hildebrand und
Habubrand in Stabreimen. 2 *** j
Zwiſchenein tritt bier das Gedicht bon Biterolf und feinem Sohne
Dietleib, aus dem 13ten Jahrhundert. 3 ***
Endlich ift ver Kampf Hildebrands mit feinem Sohne 4 als Volkslied
noch auf fliegenden Drudhlättern des 16ten und felbft des 17ten Jahr
hunderts im Umlauf gewefen. Es lautet (Grimm, Hildebr. ©. 53): ***
Hildebrand, der mit feinem Herren zu den Hunnen in’s Elend gegangen,
wii, nachdem endlich die Stürme fich verzogen, zu Lande, d. 5. beim, nad
Dern, reiten, wo er feine Frau, Uten, zurldgelaffen.
Die durchlaufende Ähnlichkeit der verſchiedenen Darftellungen auf
perfifcher und deutſcher Seite ift in die Augen fallend. 5 ***
1 [Die Darftellung biefer Sage fällt zum Theil wörtlich zuſammen mit ber
in ®. I, 164 f. gegebenen, weshalb ich Hier kürze. 8.)
2 [n. ſ. w. Bol. Schriften I, 167. Grimm, Hildebr. S. 7 f. 8)
8 (Schriften I, 167. 48. 8.)
4 [Schriften I, 168. 8]
5 [Weitere Ausführung wie.in den Schriften I, 168 fi. 8.)
"548
Fir 1 die bisher bargelegte Übereinſtimmung ver perfiichen Helben-
fage mit dem gothifchen Beftanbtheile der deutfchen, dem Amelungen:
freife, läßt fich eine dreifache Weife der Erflärung denken. Diefe Über
einftimmung könnte vorerft in dem allgemeinen Typus ber menjchlichen
Natur, der ſich im Epos aller Völfer bis zu -einem gewiſſen Grade
gleichmäßig ausprägt, ihre Erllärung finden; fie könnte zweitens aus
einer äußern, mündlichen oder fchriftlichen Entlehnung, mittelft welcher
das eine Volk ſich die Sage des andern angeeignet hätte, berborge
gangen fein; würde aber Feine biejer beiven Erllärungsarten ausreichend
erfunden, jo müfte drittens die alte Stammverwandtichaft, eine vor⸗
gefchichtlihe Mythen: und Sagengemeinfchaft der beiden Bölfer als
Grund der Übereinftimmung angenommen werben.
Es ift nun in erfter Hinficht nicht zu beftreiten, daß unter den
ausgehobenen Ähnlichkeiten ſolche Situationen vorfommen, welche in
ben einfacdhern Berbältniffen des alten Volkslebens beruhen und überall
wieberfehren können, two unter den gleichen Bedingungen bes gefelligen
Bildungsftandes die Menfchen in Haß und Liebe zufammentreffen.
Dabın mag vor Allem der Kampf des Vaters mit dem Sohne zu rechnen
jein. Er wiederholt fi noch mehrfah in andern Sagen und Eagen
kreiſen. In der nordiſchen Sagengefchichte haben mir die entſprechende
Scene aus der norwegifchen Saga von An, dem Bogenfchüben?, an
geführt. Aber auch außerhalb des germaniihen Sprachſtammes, bei
dem flavifchen und dem Feltifchen findet fich diefer Kampf, felbit in ein
zelnen Umſtänden zutreffend.
Beim erfleen, im ruſſiſchen Heldenliede: Fürft Wladimir und deſſen Tafel
runde. Alt⸗Ruſſiſche Heldenlieder. Leipzig 1818. ©. 75 ff. Vom Kampfe
Iljais von Murom mit feinem Sohne.
Gäliſch in Oiſians Gedichten, von Ahlwarbt, B. III. Leipzig 1811.
©. 29 bis 38. (In dem Liede Kanthon.)
Iriſch in: Reliques of irish Poetry u. ſ. w. by Miss Brooke. Dublin
1789. 4 (Conloch; The lamentation of Cucullen ©. 3 ff. 9 ff. in eng-
lifcher Überfegung; ©. 265 ff. 269 fi. die irifchen Originale.) Po6sies de Marie
de France u. ſ. w. ®. I, ©. 358 ff. Lai de Milon, Kampf des Vaters mit
dem Sohne [überjesst von W. Herk, Marie de France S. 161. 8.].
1 [Bgl. Schriften 1, 170. 8.)
2 [Bgl. oben S. 197 f. Schriften I, 165 fi. K.]
549
Wir jehen davon ab, daß auch in Beziehung auf diefe Vollsſtämme
eine uralte Sagengemeinfchaft nicht undenkbar wäre und daß bie ruffiichen
Sagenlieber ſich wirklich Manches aus ben beutfchen angeeignet zu haben
jeheinen, wir räumen in biefem Falle die Möglichkeit einer freien Er⸗
zeugung ber gleichartigen Sage bei verfchievenen Völkern volltommen ein,
Aber diefe Möglichkeit kann ung nicht für ſolche Fälle einleuchten, wo
die Berhältniffe veriwidelter, mo die einzelnen Situationen nur aus
einem größeren Zufammenhange. verftändlich find. So trafen wir es
"bei den Wolfvietrichslievdern, deren einzelne, den perfiichen ähnliche
Abenteuer auch nur in den größeren Verbindungen des perfiichen Mythus
‚ und Epos Anorbnung und Bebeutung, felbft nur in der afiatifchen
Natur klimatiſchen Anhalt fanden. War aber biemit einmal die bes
fondre Berwanbtichaft in größeren Zügen bargethan, fo wurbe viele
allerdings auch für folche Ähnlichkeiten mabrfcheinlicher, bie ſich fonft
wohl aus dem allgemeinen Sagentypug hätten erklären laſſen. Es darf
und auch hiebei nicht irre machen, wenn bas Ähnliche doc) wieber ſehr
verſchieden zugetheilt und dem Ganzen eingeordnet iſt, wenn die Thaten
und Geſchicke Wolfſdietrichs bald denen Key Chosrews, bald Ruſthms
und Asfendiars entfprechen, wenn umgelehrt Chosrew zu den ver:
ſchiedenen Dietrichen der deutfchen Sage, Ruſthm bald zu Wolfdietrich,
bald zum alten Hildebrand Beziehung darbietet. Schah und Pehlvan
des Orients, König und Meifter der deutſchen Lieder, muſten nach der
Verſchiedenheit der nationalen Sitten ihre Stellen manigfach vertauſchen.
Rufthm und Asfendiar ſelbſt find, wie ſchon früher bemerkt wurde, für
die Fahrt der ſieben Tagreiſen ſagenhaft identiſch und ſo werden wir
auch in Dietrich von Bern den wiedergebornen Wolfdietrich erkennen.
Immer aber bleiben die Grunbverhältniffe die nemlichen, der Kampf
des Lichthelven gegen die Mächte der Finſternis, das Rettungswerk,
wodurch er die Kinder des Lichtreichs aus der Haft der finftern Ge⸗
walten erlöſt.
Gerade dieſe Freiheit der gegenſeitigen Sagengeſtaltung iſt es nun
auch, was zweitens eine eigentliche Entlehnung der einen Sage aus
der andern nicht annehmbar macht. Zwar wenn wir auf das Wolf
dietrichslied zurückgehen, bei dem unfre Unterfuchung begonnen, fo fcheint
1 [Schriften 1, 172. 8]
550
dieſes felbft Auf eine äußere, und zwar im Wege bes Schriftverlehrs vor-
gegangene Aneignung binzumeiien. Am Eingang ber Gebichte von
Hug: und Wolfvietrih, worin überhaupt öfters des „Buchs“ erwähnt
wird, fteht eine ausführliche Nachricht zur Gefchichte diefes Werks, welche
jeboch in ben verſchiedenen Handfchriften etwas abweichend lautet. In ˖
dem SKlofter zu Tagemunt (Tagemunben, BDageminde) fei ein Bud
gefunden worden, das manches Jahr dort. gelegen. Nachher fei es,
auf durch Baierland, dem Biſchof von Einitet (alter Drud: Eyſtet)
geſandt worden, ber ſich bis zu feinem Tode daran vergnügt. Wenn
er verbroffen geweſen, habe er fich die Weile mit den feltiamen Wundern
verkürzt, die in dem Buche gefchrieben waren. Nach feinem Tode babe
es fein Capellan 'gelefen .und dann an feinen Arm genommen und in
das Frauenkloſter zu fante Walpurg zu Einftat (Einftette) getragen.
Mertent von dem buch[e], wie es fich zerbreittet bat u. ſ. w.
Die Abtiffin fand gleichfalls großes Gefallen an dem Buche:
Sü fattz fir ſich zwen meiſter
Do [die] lert ft ez durch ein hubſchait,
Die fundent dijen don darzuo,
Sie brohtten ez in die Kriftenheit
fa. Daz fie daran fundent gefchriben
Daz brahten ſü in die criftenheit]
Nabe und ferne
Fuoren ſü in bie land,
Sü fungenz und feitenz,
Da von wart ez bekant.
[a. Do von wart dis buoch befant] u. ſ. w.
G. v. d. Hagen, Grundriß S. 8 f. Grimm, Heldenſ. 228 f.)
Was nun dieſe Angaben im Einzelnen betrifft, ſo iſt zuvörderſt
das Kloſter Tagemunt (Tagemunden, Dageminde), wo das Buch zuerſt
aufgefunden und von wo es nach Baiern herauf gebracht worden, noch
nicht ausgemittelt. Der Biſchof zu Einſtett (Eyftet), der nun das Bud)
erhält, ift offenbar der von Eichftäbt, mo auch ein bekanntes Frauen:
Hlofter, der b. Walburg geweiht, fich befand. Die Äbtiſſin dieſes Klofters
lehrt dann das Buch die beiden Meifter des Gefanges, fie jagt es ihnen
bor, weil fie entiweder des Leſens überhaupt, ober boch des Lateins,
“ wenn bad Buch in ſolchem gefchrieben angenommen wird, unfundig
951
waren; und fie finden nun „biefen Ton” dazu, bringen es in bie epilche
Geſangsweiſe und -verbreiten e3 fo mit Singen und Sagen in die Lande.
Was an diefen Angaben Wahres fei, wird Riemand beitimmen
tönnen. Es iſt an ſich wohl möglich, daß bie ſchon aufgegeichnete Sage
aus ber Schrift wieder in den Gejang übergegangen. Aber wenn nicht
angenommen wird, daß die Umfehung des Buchs in die Gejangsiveife
auch gleich wieder niebergefchrieben morben, wovon nichts erwähnt ift,
fo wäre, was auf und gelommen, doch nur die enblihe Aufzeichnung
ber burch die wandernden Sänger verbreiteten Überlieferung und ſomit
die Nachricht von der Sagenquelle felbjt eine fagenbafte. ,
Was uns bie Annahme nicht geftattet, daß etwa ein perfiſches
Gebiht aus dem Drient nad dem Abendlande mitgebracht und bier
in Latein übertragen worden, aus welchem lateinifchen Buche dann bie
deutſchen Sänger den Stoff ihrer Lieder von Wolfdietrich empfangen
und nun biefe Fabel in Deutſchland bekannt gemacht haben, das ift.
bie frühzeitige Verbreitung, geſchichtliche und örtliche Anknüpfung, die
lebendige vollsmäßige Ausbildung biefer Sagen im beutichen Epos.
Das alte Hildebrandslied vom Schluffe des Sten Jahrhunderts ſetzt bes
zeitö einen größern Zufammenhang ber Amelungenfage voraus, es fteht
am Ende der Sagenreibe, an deren Spige der mythiſche Wolfpietrich
zu ſetzen ift, und die noch ältern angelfächfifchen Gebichte, vielleicht
fhon aus dem 7ten Jahrhundert, bezeichnen in ihren Anspielungen
gleichfalls ſchon einen foldhen ausgebilveten Zuſammenhang der gothifchen
Enge. Und wie follte eine Überfegung aus dem Perſiſchen zu ben
gotbifhen Namen und Geichichten gelommen, wie ein jo mechaniſch Er⸗
borgtes in die freiefte Trieblraft der deutichen Sagenpoefie übergegangen
fein? Umgelehrt aber eine Einwirkung germanifcher Sagendichtung auf
die perfiiche anzunehmen!, würde allem ſonſt belannten biftoriichen
Bildungsgange mwiderftreben; und wenn gleich Firduſis Heldenbuh um
zwei Sahrhunderte jünger ift, als unfer beutiches Hildebrandslied, To
bat er ja fein Werk aus ältern Königsbüchern und Überlieferungen
bearbeitet. „
So bleibt ung wirflich nur bie dritte Erklärungsweiſe übrig. Auf
beiden Seiten verliert fich der Urfprung der Sage in unbeftimmte Ferne.
1 [Schriften I, 170. 8]
502
Nur in diefer Zeitenferne, nur in einem uralten gemeinfamen Mythen⸗
und Sagenbeftanve, nicht in dem Abdruck eines ſchon ausgeprägten per:
fiichen Epos in bem germanifchen ober umgelehrt, kann der gefchichtliche
Grund der Übereinftimmung zwar nicht urkundlich nachgewieſen, aber
mit gutem Fug erichlofien werden. Was wir vorangeftellt, daß die
Verwandtſchaft der Sprachen zum voraus auch bie der Sagen glaublidy
mache, bat fi) uns im Berfolge der Unterſuchung beftätig. So wenig
- wir aber bis dahin vorbringen Tönnen, wo fih die Spradäfte ge
fpalten, fo wenig bis zur einftigen Ungefchievenheit der Sagen.
Über die Entwidlung der Amelungenjage felbft nun aus ihrem
frübern mythiſchen Charakter ift noch Einiges anzufügen. Wie ſich uns
die perfifche Heldenſage einestheild mehr mythiſch⸗ſymboliſch in ben
Kämpfen der Lichthelden mit den Ausgeburten Ahrmans, anderntheils
mebr epijch- biftorifch in den Kriegen Irans und Turans erivies, und.
wir jenen eritern Charakter als ben ältern, vorbildlichen erkannt haben,
fo wiederholt fi) uns dasſelbe in der gothifhen Sage. Die Haupt
gedichte diefer Kreife, die von Wolfdietrich, Rother und Dietrich von
Bern, find in den Grundzügen einerlei.1 Alle die drei Helden kämpfen
und dulden für die Rettung ihrer gefangenen Dienftmannen. Wolf
bietrich aber muß noch Drachen belämpfen und Zauber mander Art
überwinden, das Wunberbare ift in feinen Abenteuern vorherrſchend,
er ſteht als mythiſcher Held obenan. Auch das Verhältnis des Königs .
zu den eilf Dienftmannen, die gegenfeitige, Alles opfernde Treue und
der endliche Sieg verfelben, tritt bier noch in einem volllommen abge
sundeten Bilde voll echter, ftarler, inniglebendiger Züge hervor. Durch
al die bunten Verwicklungen, bie fih im Laufe ber Zeiten angeſetzt
haben, erjcheint doch immer das einfachgroße Grundbild, der Blid bleibt
auf das Biel gebeftet und das Nebenwerk ift leicht abzulöjen. Rother
fteht zu feinen zwölf gefangenen Boten, wie Wolfdietrich zu feinen
Dienftmannen. Er nennt fi fogar Dietrih; dem getreuen Berchtung,
dem Meifter Wolfdietrichs, entfpriht ſchon in der Wurzelfilbe bes
Wortes der alte Berther des Rothersliedes, ein Name, der auch. einem
von Wolfdietrichs Dienftmannen, einem der Söhne Berchtungs, ange
hört. Berchtung und Berchter find beide Herren von Meran.? Eigen
1 [Schriften I, 201. ®]
2 [Schriften I, 24. 8]
553 -
thümlich find die drei Harfenfchläge, wodurch Rother fich den Seinigen
zu erlennen gibt. Urfprünglicher jedoch und bauptfächlicher befteht im
Wolfvietrich jener Treuebund, während im Notherälieve bie Braut⸗
werbung fich eindrängt, zu ber Berchters Söhne nur die Boten find.
Drachenlämpfe dagegen und Baubereien find bier weggefallen. Ein
wiedergeborner Wolfdietrich ift nun auch Dietrich von Bern; er iſt ed
in demjenigen Theile feiner Gefchichten, in welchen noch bie unbermijchte
Amelungenfage heraustritt, wie er, um feine fieben gefangenen Mannen
zu retten, von Land und Herrfchaft weicht. An der Spike dieſer Sieben
ftebt Berchtram von Pola,! der all feinen Schatz dem Gebieter hingeben
wil, in Namen und Wefen ibentifh mit Berdtung und Bertber.
Auch von Dietrich von Bern werben zwar Drachenkämpfe erzählt und -
in der Willinenfage (Helden. 236), wie in einer bänifchen Ballade
vom Lindwurmkampfe werben ihm Thaten zugefchrieben, die fonft dem
Wolfvietrih angehören; jene mythiichen Kämpfe find aber, bezeichnend,
daß fie einer ältern Geftaltung der Dietrichsſage angehören, in bes
Berners frühe Jugend hinaufgerüdt und aus dem Verhältnis zu feinen
Dienftmannen gänzlich hinausgefchoben. In diefem hat das Menſch⸗
liche?, die epifche Charakterifiil über dag Wunderbare, die mythiſche
Symbolit, gefiegt. Ahrmann und feine Diwes wandeln nicht mehr in
Schlangengeftalt, fondern treten in menfchlicher Tüde- zu Tag, mie ja
in der perfilchen Sage felbft der turanifche Afrafiab und feine Genoſſen
an ihre Stelle getreten find. Welche Schwierigleiten die Beziehung
des geſchichtlichen Ermanarich auf den Ermenrich der’ Heldenfage habe,
wenn fie gleich ſchon von Jornandes gemacht wird, ift früher erwähnt
worden. Aber ein mythiſcher Anklang macht ſich hörbar, wenn ich auch,
da mir die etymologiſche Geltung der Hauptfilbe im perfiichen Ahrman
nicht befannt tft, nichts weiter daraus bemeifen kann. (Die gothiſche
Form von Ermenrih wäre Airmanareiks; vgl. Grimm Gramm. 1,
43 f. ). ***
Für unfre Anfiht, nach welcher die Wolfvietrichöfage vermöge
ihres mythiſchen Charakters an die Spite der Amelungenfage zu ftellen
ift, die Sagen von Dietrih von Bern aber als epiſche Entwidlung jener
1 (Schriften I, 98 f. 304. .]
2 [Bgl. Schriften I, 201 f. 8.)
3 [Weitere Ausführung |. Schriften I, 202. R.]
554
zu betrachten find, zeugen auch die geſchichtlichen und örtlichen Durch
gänge. Die Wolfdietrichslieder fpielen noch hauptſächlich in Konflantis
nopel, Griechenland, dem Küftenlande Meran, obgleih aud fie ſchon
durch Dinit an Stalien angelnüpft werden; das Rotherslied theilt
fi zwiſchen Italien und Konftantinopel; in den Geſchichten Dietrichs
von Bern aber bat fi die Sage ganz und gar nach Überitalien
gejogen, wie der gothiſche Volksſtamm felbft immermehr vom Dften
herankam.
Auf Dietrich von Bern haben ſich die alten gothiſchen Über
lieferungen berabgejentt, in feinem Kreife haben fie epifche Entfaltung
‚ amd ausgebildete Charakteriftil gewonnen, durch ihn find fie mit den
Etammfagen anbrer Völker in Berbindung getreten.
Solche Sagenverbindungen konnten auch wirklich erft in größerem
Umfang vollzogen werben, nachdem die mythiſchen Elemente bereit3 mehr
in den Hintergrund getreten waren. Der odiniſche und ber parfiſch⸗
gothiſche Mythus ftehen auch wirklid (einiger Beziehungen unerachtet,
welde die Siegfriedsſage zur perfiichen geftattet) jo weit auseinander,
daß ich zwiſchen ihnen feine ungezwungene Vermittlung, feine ein-
leuchtende gemeinfame Grundlage anzugeben wuſte. Wenn es aber
auch möglich wäre, eine ſolche aufzufinden, jo war doch jedenfalls bie
Einwirkung der beiberfeitigen Glaubenslehren auf die Region der Helben-
ſage überaus verichieden. Im perftichen Helbenwefen jest fi) aus dem
religidfen Syfteme der beftimmtefte Dualismus, der Gegenjak des Lichtes
und der Finfternis, des Guten und Böfen, der Kampf des Neinen
mit dem Unveinen fort. Die obinifche Glaubensanſicht dagegen ergreift
im Helbenthume die ungefchievene Kraft; gut und böfe ift nur ein Ber
bängnis, unvermwüftliche Tapferkeit ein Verbienft; aus beiben Heeren,
bie ſich im Kampfe vernichten, fahren bie Helden zu Odin; ein Gegen:
fa ift nur zwiſchen ihnen und den Feigen, Siechtobten, nicht mit
Speeresipite Gezeichneten, welche Hel in ihre dunkeln Wohnungen ziebt,
bie aber eigentli gar nicht in das Helvdenliev aufgenommen werben.
Diefer Charakter bes obdinifchen Heldenthums, den ich in ber flan-
dinavifchen Sagengeichichte näher zu begründen fuchte, tritt nun eben
auch in den nordiſchen Darftellungen des gemeinfamen Sagenkreiſes am
entjchiebenften zu Tage, und es mag hiebei an die frühere Bemerkung
erinnert werben, wie auch der gothifche und ber norbifche Sprachftamm
555 '
— — —
im Schema der großen germaniſchen Sprachverwandiſchaft an den beiden
äußerften Enden ftehen (Grimm Gramm. Aufl. I, B. 1, S. L.
Wie nun die, in ihren mythiſchen Grundlagen fo weit getrennten
Helbenfagen fich dennoch zum epiſchen Cyllus zufammengearbeitet haben,
muß fi und auf andern Wegen der Betrachtung ala den bisherigen,
welche meift nur zur Sonderung führten, ergeben.
8. Erflärung der cykliſchen Heldenfage von ethiſcher Seite. 1
Weder vom geichichtlichen, noch vom mythiſchen Stanbpuntt fonnte
fih uns das Weſen der deutſchen Heldenfage, wie fie jest vorliegt,
völlig erfchließen. Das Gejchichtliche fanden wir nur in Durchgängen
und Umrifien erfennbar, das Mythiſche verdunkelt und misverftanden.
Gleichwohl ift dieſe Helbenfage nicht als verwittertes Denkmal after
Volksgeſchichte ober untergegangenen Heibenglaubens ftehen geblieben,
fie ift im längft bekehrten Deutichland Tebendig fortgewachſen, im 13ten
Jahrhundert in großen Dichtwerken aufgefaßt worden, bat nod lange
nachher in ver Erinnerung des Volles gebaftet und Spricht noch jetzt
verftänblich zum Gemüthe. Dieß ſetzt voraus, daß fie unabhängig von
ihren biftorifchen Elementen und von ben beftimmten Glaubenslehren,
mit denen fie urfprünglich zufammenhieng, fortwährend in den Vor: _
ftelungen des deutichen Volles vom rechten und Träftigen Leben, vom
Großen und Eveln, fowie von den Gegenfäten, die damit im Kampfe
ftehen, geiwurzelt und fi) im Einflange mit diefen Vorftellungen weiter
entwidelt babe. Derfelbe Geift, dasfelbe Gemüth, die fich im Leben
und der Sitte der deutſchen Stämme von ihrem erften Erjcheinen an
bis zum Ablaufe der mittlern Zeit fund gaben und die Grundzüge bes
Volkscharakters bildeten, haben fich auch in unſrer epiſchen Vollkspoeſie
ausgeprägt. Die Nachweiſung dieſes Gemeinſamen in Leben und Liede,
die Begründung des Epos im Ganzen des Volfälebend und der Voll
fitte iſt es nun, was ich unter der Erflärung ber Heldenfage von ethilcher
Seite verſtehe. Es wird ſich dabei zeigen, wie aus ber allgemeinen
Begründung auch das Einzelne in Geftalten und Ereignifien oft in auf
fallenver Übereinjtimmung zwiſchen Wirklichkeit und Gebicht hervorgeht,
1 (Schriften I, 211. 8]
p |
556
— — ——— —
ohne daß wir für ſolche Ähnlichkeiten im Einzelnen einen eigentlich ges
ſchichtlichen Zuſammenhang anzunehmen genöthigt ober befugt mären.
Allein die Geſchichte ſelbſt ift ja nicht bloß Außeres Ereignis, fondern
theils in Thaten ein Erzeugnis bes Volfögeiftes, theils durch äußere
Einwirkungen, die er in fich verarbeitet, eine Entwidlung besjelben.
Staatenbildungen u. |. im. 1 ***
Die deutfche, cykliſche Helvenfage ift in ber bisherigen Ausführung
von drei Seiten erflärt worden‘, von gefchichtlicher, mythiſcher und etbifcher.
Die beiden erftern Erklärungsweiſen haben und zur Trennung geführt,
zur Auflöfung des Sagenganzen in feine urfprüngli von einander
unabhängigen Beftandtheile, in die befondern Sagenkreiſe der verſchie⸗
denen Volksſtämme, in die Anfäte aus verſchiedenen Epochen der Ges
Ihichte, in die weit aus einander tretenven Unterlagen verfchienener
möthifch-religiöfer Syfteme. Die Erflärung von ethifcher Seite dagegen
hat uns auf die Verbindung diefer manigfachen Beſtandtheile zur Ein
beit des epifchen Cyklus Hingeleitet. Die geichichtlihen Beziehungen
waren zum voraus mehr nur äußerlich, die Bebeutung des Mythiſchen
war verbunfelt, und fo konnte das Gemeinfame in Lebensanficht und
Sitte der deutfchen Völker ungehindert die Verſchmelzung der urfprüng-
lich gejonverten Elemente bewirten. Der poetifche Trieb, ber in ber
Sagenbildung thätig ift, arbeitet überall darauf hin, das Vereinzelte
zu immer meiteren Kreiſen lebendig zu verfnüpfen; das Bindemittel
.aber, vie befeelende Einheit, war hier in jener ethifchen Idee der Treue
gegeben. Am nächſten haben fich die Helbenkreife der Amelunge und
der Nibelunge auf die angezeigte Weife verbunden; die Hegelinge haben
mehr für fi) ihren Kreis abgefchlofien. Jedes einzelne Lied zeigt auch
die Fäden, wodurch es mit dem größeren Ganzen zufammenbängt, das
eben aus der Gefammtheit aller hervorgeht. Die umfaflenpften Com⸗
pofitionen find, außer dem Gubrunglieve, welches die zum Hegelingen-
treife gehörenden Sagen einfchließt, die Willinenfage und das Nibe⸗
Iungenlied. Erftere ſammelt um Dietrich von Bern, als ihren Mittel-
punkt, die gröfte Zahl ber Sagenhelden und ift fo an Reichhaltigfeit
bes Stoffes dem Nibelungenliev überlegen. Letzteres dagegen hat bie
1 (Hier ift auf die älteren Hefte verwiefen, welche Schriften I, 214 bis
347 zum Abdrud gelommen find. 8.]
4
557
innere organifche Sagenverbindung in ber fittlichen Idee am voll:
Tommenften zu Stande gebracht. Auch äußerlich tragen unfre veutfchen
Heldenliever das Gepräge eines gemeinfamen epifchen Stils und in
einem großen Theile berjelben herricht die Gemeinfchaft des epifchen
Verſes, der vierzeiligen Strophe, die ala Nibelungenvers hinreichend
befannt if. ⸗
In einzelnen dieſer epiſchen Gedichte ſind die Namen der Dichter,
wahre oder ſelbſt ſagenhafte, angegeben. Allein dieſe Autorſchaft kann
ſich nur auf die jeweilige Auffaſſung der Sage im einzelnen Dicht⸗ oder
Schriftiwerle beziehen, der eigentliche Sagenbeftand ift dag Erzeugnis ber
dichtenden Kraft des gefammten Volles in dem Sinne, wie wir früher
das Weſen der Volkspoeſie dargelegt haben. Die vorzüglichen Drgane
der Bildung und Verbreitung biefer epifchen Volkspoeſie aber waren
ohne Zweifel die wandernden Sänger, deren wir das ganze Mittelalter
hindurch fo häufig erwähnt finden. Auch das Sagen wird berlümmlich
neben dem Singen genannt, ohne daß jedoch eine jo beftimmt ausge,
bildete Form der bloßen Erzählung, wie in den Sagan des Nordens, -
auch für Deutichland nachgewielen werben Fünnte.
B. Nichtceykliſche Heldenſagen!.
Neben dem umfaſſenden Cyklus deutſcher Heldenſage, welcher bis—⸗
her den Gegenſtand unſrer Betrachtung ausgemacht hat, ſind noch viele
heroiſche Sagen vorhanden, welche gleichfalls bei den deutſchen Völkern
erwachſen ſind, auch an Perſonen und Ereigniſſe der deutſchen Geſchichte
ſich anlehnen, aber ſich entweder nur zu beſchränkteren Verbindungen
abgeſchloſſen haben, oder nur als Überreſte früher beſtandener Sagen⸗
kreiſe auf uns gekommen, oder als Verſuche größerer Sagenbildungen
ſtehen geblieben ſind, oder auch völlig vereinzelt daſtehen.
Gerade weil jener epiſche Cyklus auch urſprünglich geſonderte
Sagenkreiſe an ſich zog und zum größeren Ganzen ſammelte, weil er
für feine Ausbildung bie dichtende Kraft im Volke vorzugsweiſe in An-
ſpruch nahm, konnten diejenigen Sagen, welche nicht in diefe Verbin-
dung eingiengen, fich weniger gebeihlich erhalten, erheben und entfalten.
1 (Bgl. Schriften I, 456. 8.]
—
558
Wir wählen nun aus bem Vorrathe biefer nichtehlliſchen Tiber
lieferungen biejenigen aus, welche durch den fagenhaften Inhalt felbft,
ober doch durch die Berfonen und Begebenheiten, auf bie fie fich be
ziehen, beſondre Aufmerkſamkeit verbienen. Duellen find biefür die
älteften Gejchichtbücher der verſchiedenen beutichen Vollsſtämme, welche
beſonders in ihren vordern Theilen der Sage noch vollen Spielraum
zu lafien pflegen, dann Reimchronilen und Gebichte des Mittelalters
und fpätere Aufzeichnungen der mündlichen Vollsſage.
Vieles Vereinzelte ift in der Sammlung deutſcher Sagen von ben
Brüdern Grimm treu nach den Quellen, ohne eigene Zuthat oder Ber
Ichönerung, zufammengeftellt.
Vorzüglich geht uns hier der zweite Band an, worin die an Ge
ſchichtliches fich anlnüpfenden Stamm: und Gelchlechtsfagen gefammelt
find, während der erfte Theil mehr für bie noch in |päterer Zeit gang-
baren mythiſchen Überlieferungen, die ung weiterhin befchäftigen werben,
von Wichtigkeit iſt.
Die älteren ber bier auszuhebenden Sagen athmen noch ben Geift
ber epifchen Dichtung und geftatten ſelbſt Antnüpfungen an die größere
Helvenfage; bie jpäteren nehmen immer mehr entweder das Gepräge des
Phantaftifhen ober umgekehrt einen gefchichtlichen Charakter an, eine
Sonderung von Elementen, die im eigentlichen Epos verſchmolzen find.
IL Sagen ber Hernler 1, 9%
IL Sagen ber Laugobarden. *
II. Sagen ber Thüringer, *%*
IV. Karolingiſch⸗-fränliſche Sagen ?.
Bon der fränkifh-burgundifhen Siegfrieds: und Ribelungenfage
iſt beim größeren Cyllus gehandelt worden. Ein ſchon ſeit dem 7ten
Jahrhundert (Grimms Heldenjage ©. 87) verbreiteter Glaube leitet bie
Abkunft der Franken von Troja ber und diefe Trabition ift nament
lich auch auf Hagen von Tronje angewandt, Waltharius 3. 28:
1 (Hier folgt die Darftellung mie Schriften I, 458 bis 506. Bon einzelnen
Abſchnitten Hat ſich noch eine weitere Ausführung vorgefunden, aus welcher bier
das Wefentliche mitgetheilt wird. K.) \
2 [Bgl. Schriften I, 470. 4.)]
x
359
veniens de germine Troje. (Bgl. W. Grimm, Altbänifche Helben-
lieder, Balladen u. |. m. Anhang ©. 431 bis 440: „Über die Sage
von der trojaniichen Abkunft der Franken.“)
Eine lange Reihe fabelhafter Frantenlönige dieſer trojanifchen Ab⸗
ftammung ift in den angeblichen Geſchichtbüchern Waſthalds und Hunis
balds aufgeführt, von deren einftigem Vorhandenfein wir aber nur durch
die Auszüge Kenntnis haben, welche der Abt Trittenheim zu Anfang
des 16ten Jahrhunderts (1514) daraus gemadt hat:
De origine gentis Francorum compendium Johannis Trittenhemii
abbatis, ex duodecim ultimis Hunibaldi librie, quorum sex primos Wast-
haldus conscripsit, ab introitu Sicambrorum ad partes Rheni in Germa-
niam. (In Schardii Rerum Germanicarum Scriptt. Gießen 1673, ©. 143 f.
Schon früher in Trittenheims Schriften. Eine Abhandlung von Görres über
Hunibald fteht in Schlegel8 Deutſchem Mufenm. 1)
Der fchtwierigen Prüfung biefes Erzeugniſſes tönen wir una um
fo eher entheben, als jedenfalls die Mittheilungen Trittenbeims von
lebendigem Sagenbeftanve fehr wenig durchblicken laſſen.
Aus der Zeit des meromwingifchen Königsflammes zeigt fi) nur
fparfame Sagenbildung. (Einiges in Grimms deutſchen Sagen I,
72 ff.) Aber wie mit Karl den Großen eine neue Ara der Gefchichte
beginnt, fo entfaltet fih auch ein neues Wachsthum der Helvendichtung.
Ihren epilchen Kreis hat zwar diefe karolingiſche Helbenfage nicht in
deutfcher, ſondern in norbfranzöfifcher Poeſie gebilvet und dieſes Epos
wird uns erft in der romanischen Sagengefchichte näher in Betracht
fommen.
Karl der Große hatte ſich der alten deutfchen Heldenlieder treulich
angenommen, laut der befannten und vielbefprochenen Stelle in Egin:
harts Vita Caroli magni, Cap. 29:
Item barbara et antiquissima carmina, quibus veterum actus et bella
canebantur , scripsit memorieque mandavit. (Grimm, Heldenf. 26 f.
Mone, DOuellen und Forſchungen I, 259.)
Dennoch follte er dafür nicht in der ihm angeborenen, ſondern in
einer fremden Sprache, der franzöfiihen, den vollen Dank der Poeſie
empfangen. Dieje Erfcheinung läßt ſich wohl erflären. In Gallien war
die Macht des fränkifchen Stammes, aus welchem Karl hervorgegangen ;
I [Botthafts Bibliotheca historica medii evi, Berlin 1862, ©. 652. 8.]
560
einem großen Theile von Deutſchland war Karl feindlich entgegenge
treten, und dann war im Mutterlande eben jene uralte heimifche Helben-
ſage fchon vorhanden und feſtbegründet. Sowie die Heroen berfelben,
die längft in wunderbarer Größe umberwandelten, dem jüngern Helden,
fo glänzend er in ber Geſchichte aufgetreten, die Anerkennung in ber
Poeſie erſchweren mochten, fo ftand auch er feinerfeits zu gewaltig da,
um in ihrem Kreife eine untergeorbnete Stelle einzunehmen. Darum
brach er fich eigene Bahn, ba, wo neue Bilbungen ber Sprache und
des Gefanges fich eröffneten.
Gleichwohl fehlt es auch auf deutſchem Boden keineswegs an eigen:
tbümlichen Überlieferungen von Karln dem Großen!, nur baß fie feinen
vollen Sagencyflug zu Stande gebracht haben.
Mit? der Gründung bes deutſchen Königs: und Kaiferthrones zeigen
fih überhaupt die neuerftehenden Sagen im Gegenfate der größern
und unter fich verfchlungenen Nationalfagen aus der ältern Zeit mehr
und mehr vereinzelt, auf das herrſchende Haus, auf einzelne Könige
oder mächtige Fürften, oft faft anefvotenartig, befchräntt, oder mehr
genealogifch ſich fortpflanzend, als in epifcher Erweiterung fich aus-
breitend. Es erjcheint daher angemefjen, die mweitern Sagen in ber
Ordnung der nad einander folgenden Kaiferhäufer aufzuführen, auf
ähnliche Weife, wie man auch die Geſchichte dieſer Zeiten abzutheilen
pflegt. Sie halten mit der Geſchichte Schritt, wie an gewiſſen Orten
bei feftlihen Umzügen je neben einem ernten Manne ein fingenver
Knabe bergebt.
Zuerſt alfo deutfch:Tarolingifche Sagen und zwar von Karln dem
Großen ſelbſt.
Es ift bei den Überlieferungen ver Langobarden 3 bemerkt worben,
daß, ſowie die untergehenden Heruler und Gepiden in die Iangobarbifche
Sage aufgenommen wurden, fo die Langobarden, nachdem fie ſelbſt den
Franken unter Karl dem Großen unterlegen, in die Sage der letztern.
Die Untergang des langobardiſchen Reiches betreffen die vier nächſt⸗
folgenden Sagen:
1 [Schriften II, 91. 8.)
2 [Schriften I, 471. $.]
3 (Schriften I, 462. 8.]
561
1. Der eiferne Karl. Aus dem etwas ſchwülſtigen Stile der latei⸗
nifchen Chronik ift die Sage von den Brüdern Grimm (Deutfche Sagen 1,
112.f.) überjegt 1: ***
2. Der lombarbiihe Spielmann. .
3. Karl vor Pavia.
4. Adelgis.
5. Karl nad) der Kaiſerchronik.
6. Die Legende von Karls Streit vor Regensburg.
7. Karla Heimkehr aus Ungerland.
8. Karls Ned. ?
Wenn gleih Karl der Große auch in eigenthümlich beuticher
Überlieferung ala Kriegsheld und Heibenbefehrer gefeiert ift, fo bat
fih doch, mie fchon erwähnt, dieſe beroifchslegendenhafte Seite nur
in ber altfranzöſiſchen Poefie zum vollen Epos, ausgebildet. Aber
noch u. ſ. w. ***
9. Kaiſer Karl im Berge.
War Kaifer Karl gleich zu Grabe gebracht worden, fo beftanb doch
. viele Jahrhunderte hindurch der Volksglaube, daß er unterirdiſch fort
lebe, bis zur künftigen Wiederkehr feines Reiches 4. An verfchiedene
Örtlichleiten knüpfte ſich diefe Sage.
Zu Nürnberg auf der Burg fol Karl der Große fi in den tiefen
Brunnen verwünfcht haben und fich bafelbft aufhalten. Sein Bart ift
durch den Steintifch gewachſen, vor welchem er fit (Deutfche Sagen I, 28).
Bei Fürth, unweit Nürnberg, fteht mitten in grüner Wieſe ein fonber
barer kahler Sanbhügel.
„Im Jahre 1678 aber hat fi der Berg einem Nürnberger Kaufmann
aufgetban, welder Karln den Großen tief unten an einem Tiſche fiten und
ſchlafen gefunden, daß fein Bart ſehr breit fiber den Tiſch hingewachſen fei; fein
Kriegsheer aber wurbe abfeits, wie im Felde neben ihm gelagert, vermerkt.“
(Maßmanns bayerifche Sagen S. 8, nach Prätorius Alectryomantia, Franl·
furt 1680.)
1 [Schriften II, 91 ff. &.]
2 (Schriften II, 96, 4]
3 [Schriften II, 9. 8.)
4 Bgl. O. 2%. B. Wolff, hiſtoriſche Vollalieder ©. 182, 3
Uhlandb, Schriften. VII. 86
362
Befonderd auch bat Karl feinen Aufenthalt im Unteröberge bei
Salzburg. Bon den Wundern im Innern dieſes Berges gibt es ein
Volksbuch, das, mit der Ortsbezeichnung Briren, auch auf unfern
Märkten verkauft wird. Nach einer Handichrift des 17ten Jahrhunderts
iſt dasfelbe mit Vergleihung anbrer Exemplare und Unterfuchungen
über die Sage fürzlich neu herausgegeben worden: „Bayerifche Sagen,
mitgetheilt und gefchichtlich beleuchtet von H. F. Maßmann. Ites Bänd-
hen. München 1831,” auch mit dem bejonvern Titel: „Der Unter:
berg bei Salzburg.“
Inm Unteröberge fit Kaifer Karl mit golbner Krone auf tem
Haupt und dem Scepter in der Hand. Auf dem großen Walferfelde
ward er verzüdt ! und bat noch ganz feine Geftalt behalten ?, ***
Sn dem von Maßmann zu Grunde gelegten Exemplar wird dieß
vom Kaifer Friedrich erzählt, deſſen Name allmählich an vie Stelle bes
älteren Karl eingetreten zu fein fcheint 3,
1 Bgl. Kaſpar von der Röhn, Herzog Ernit, Str. 50: Der kayſer
[Friedrich] hie verzudet ward,
3 [Weiteres Schriften II, 95 fe K.] Grimms deutſche Sagen I, 33.
3 [Bgl. Ergänzungsblätter zur jenaiſchen allgemeinen Fitteraturzeitung 1833,
Nr. 21. Schluß der Anzeige von: Die Ritterburgen von Gottfhalt. 1 6888.
Sp. 164: „135. Deefenberg bey Warburg, an der Diemel, im preußilchen
Fürftentfume Paderborn“ u. f. w. ©. 330 fonnte auf die Übereinfimmung
der Bollsfage, nach welcher der mit ben Seinen in den Deefenberg gebannte
Kaifer Karl der Große dort an einem fteinernen Tiſche fißen ſoll, durch ben
ihm der Bart bis auf die Füße gewachſen fei u. |. w., mit dem befannten Mähr-
hen von Kaijer Friedrich auf dem Kiffhäufer hingewieſen werben. So glauben
auch die Anwohner des letzten Berges, daß derjelbe, ebenjo wie jener, die Witte
rung vorherverlündige, was man in folgende Reime eingefleidet hat:
Steht Kaifer Friedrich ohne Hut,
Iſt das Wetter ſchön umd gut;
Iſt er mit dem Hut zu fehn,
Wird das Wetter nicht beſtehn.
&. Alb. Ritteri Lucubratiuncula II de alabastris schwarzburgicis (1732.
4.) ©. 13. Nach den Blättern fir litterarifche Unterhaltung 1834. Jan. Wr. 1.
©. 3 find die Nachträge zu Gottſchalks Nitterburgen in den Ergänzungsblättern
zur jenaifchen allgemeinen Litteraturzeitung 1833, Nr. 16 bis 21 von Hefe,
der auch eine Monographie über die Rothenburg in Thliringen, wie es fcheint,
in den Schriften des thüringifch-fächfifchen Vereins zur Erforfchung des Alter-
thums gegeben.] [Bgl. Schriften I, 501. K.]
563
‚Wie Kaiſer Karl in der früher vorgetragenen Sage von feiner
Heimkehr aus Ungerland im Dome zu Aachen auf dem Stuhl ſitzend
geſehen wurde, jo fit er nun fchlummernd im Berge. Aber auf die
jelbe Weife war er auch nad) den Geſchichtſchreibern wirklich in die Gruft
geſetzt.
Von der Beiſetzung dieſes Kaiſers in der von ihm erbauten Haupt⸗
kirche zu Aachen meldet die Chronik des Mönchs von Angouleme:
Corpus ejus aromizatum est, et in sede aurea sedens positum est in
curvatura sepulcri, ense aureo accinctum, Evangelium aureum tenens in
manibus n. ſ. w. Vestitum ęst corpus ejus vestimentis imperialibus ı. ſ. w.
Sceptrum aureum et scutum aureum, quod Leo papa consecraverat, ante
eum posita sunt dependentis, et clausum et sigillatum est sepulcrum ejus,
Hahn I, 88.
Kaiſer Otto III ließ im Jahr 1000 dieſes Grabgewölbe öffnen,
nach der Erzählung in Ademari chronicon:
Otto imperator per somnium monitus est, ut levaret corpus Caroli
Magni imperatoris, qui Aquis humatus erat, sed vetustate oblitterante
ignorabatur locus certus, ubi quiescebat, et peräcto triduano jejunio, in-
ventus est eo loco, quem per visum cognoverat imperator, sedens in aurea
cathedra intra arcuatam speluncam, infra basilicam beate Marie ,. coro«
natus corona ex auro et gemmis, tenens sceptrum et engem ex auro
purissimo, et ipsius corpus incorruptum inventum est, quod levatum po
pulo demonstratum est. Solium ejus aureum imperator Otto direxit regi
Botisclavo pro reliquiis s. Adalberti martyris u |. w (Hahn, a a. O.
Bgl. Deuticde Sagen II, 178.)
“ Roifer Friedrich I ließ das Grab abermals öffnen und bie Gebeine
Karla herausnehmen und in einen Kaften legen.
Wir ſehen hier das leibhafte Vorbild zu dem fehlummernben Raifer
in ber Berghöhle.
Bei den im Münfter zu Aachen ftattgehabten Kaiferfrönungen wurbe
ber noch jetzt dort aufgeftellte Marmorftuhl gebraucht, auf welchem Karl -
im Grabe gefeflen jein foll (bei den Annaliften aurea sedes, cathedra),
und unter den früher in Aachen aufbewwahrten, aber im Jahre 1794
von da nach Wien abgeführten Krönungsziexden befand ſich das Schwert
Karls und fein mit goldenen Buchftaben auf Pergament gefchriebenes
Evangelienbuh (Quix, Biftorifch :topographifche Beichreibung der Stadt
Aachen. Köln und Aachen 1829. ©. 22 f. 29 f.)
NS
964
Wenn wir in jener Weile ber Beftattung Karls des Großen einen
äußern Anhalt zu den Volksſagen bemerkt haben, welche wir nachher aud)
von ben hohenſtaufiſchen Yriedrichen und zwar noch mit weiten Um-
ftänvden erzählt finden werben, fo hat doch biefes Yortleben der alten
Helden 5i3 zum Erwachen für künftige große Ereignifje gewiſs nicht
minder einen innern mythiſchen Grund, der fi uns gleichfalls erft
fpäter nahe legen wird,
- Bei Karl dem Großen insbeſondere aber laſſen fih dieſe Sagen
mit denen von feinem Rechte in Verbindung fegen. Die Böller
legen ihre Träume von einer golbenen Zeit des Friedens und ber
Gerechtigkeit bald in die Vergangenheit, bald in die Zulunft; Karls
Reich war längft hingeſchwunden, aber man boffte auf deſſen einftige
Wiederkehr.
Es ließen ſich zu den bisher enäblten noch andre, der Be
achtung nicht unwerthe Sagen, Karin den Großen betreffend, anführen,
z. B. die befannte von Eginharb und Emma (nad dem Chronicon
Laurishamense in Grimms beutichen Sagen II, 125 ff.), von Karln
und Elegaft (Grundriß 171. Mufeum für altveutiche Litteratur und
Kunft I, ©. 226 ff. nach einem altholländiſchen Reimbuche); das bis⸗
berige wird jedoch genügend zeigen, wie Karl auch in eigenthümlic
beutfcher Überlieferung von legendenhafter, heroiſcher und felbft mythi⸗
icher Seite gefeiert wurde. Auch in deutſchen Landen jprang von
ihm überall die Aber der Sagenbichtung, mie vom Odenberg in Heflen
erzählt wird, daß dort vom Huffchlage feines Roſſes ein ftarker Duell
entiprungen ſei (Mone, Geſchichte des beidenthums im nörblichen Eu⸗
ropa II, 155).
V. Sagen aud ben Zeiten ber ſächſiſchen und der fränftihen Kaifer 1.
Unter den Fräftigen Gefchlechtern ver Dttone und ber Salier finden
wir wieder eine vegere und umfaſſendere Sagenbildung in der Art wirk
fam, daß eine Reihe von PBerfonen und Ereignifien, bie fich in ber
Geſchichte ein Jahrhundert hindurch folgen, in der Handlung und ben
Charakteren eines größeren Gebichtes gefammelt und aufgegangen find.
1 [Schriften I, 472. 8]
965 .
Diefes war nur dadurch möglih, daß jene ganze Periode über in ber
Geſchichte ſelbſt gleichartige Beftrebungen malteten, die ich mit wenigen
Zügen zum voraus bezeichne. Die deutfchen Könige waren, um bie
Macht ihres Haufes und die Kraft ihrer Herrfhaft zu heben, unabläflig
darauf bedacht, fich zugleich der Gewalt, welche die großen Reichsämter
darboten, zu verfihern. Mittel zu dieſem Zwecke fuchten fie vorzüglich
darin, daß fie die Hergogthümer und andre beveutende Würben auf
Glieder ihres Haufe übertrugen oder burch Vermählungen an biefes
knüpften. Hierin lag aber auch der Keim der Eiferfuht und Zwietracht
unter den nächſten Verwandten felbft, die fih auf ſolche Weife in ben
verſchiedenen Intereſſen der Oberherrlichkeit und Vaſallenſchaft gegen
übergeftellt waren. Statt daß die Provinzen dem Könige näher ver
bunden wurden, indem fein Sohn, Bruder, Schwager, Eivam über
fie gefet war, wurden vielmehr dieſe feine Angehörigen ihm durch ihre
Stellung nicht minder entfremdet, als es frühere verbrängte Fürſten⸗
geichlechter gewejen waren. Eine meitere Duelle des Familienzwiſtes
ergab fih dann noch in der Unbeftimmtbeit des Exrbfolgerechtes, das
bier mit dem Wahlrechte, dort mit der jeweiligen Macht des Stärlern
in Wage ſtaud. Die Zerwürfniffe, die aus ſolchen Urfachen zwiſchen
hochgeftellten und nahe verwandten Berfonen ertvuchfen, waren an fich
Schon geeignet, Aufmerkfamfeit und Theilnahme zu erweden. In fie
waren aber auch die Völker jelbft, thätig und leivend, verflochten. Sang
und Sage, die Organe der Volksſtimmung, mujten von dieſen manig⸗
fachen Bewegungen und Verwicklungen um fo lebhafter angeregt werben,
als es überall auch mächtige Perſönlichkeiten waren, die auf biejer
tragifhen Weltbühne auftraten. Die berrfchende Gewalt ift zu ver«
fchiebenen Seiten bald mehr in die Ideen, bald mehr in die Perfonen
gelegt. Im deutichen Mittelalter war Lehteres der Fall. Ein hinter
berantiwortlihen Reichsverwaltern ftehender Fürſt, der für feinen Theil
gut oder böfe, fähig oder unfähig fein Tünnte, ein unperjönlicher Träger
ftantsrechtlicher Ideen, wäre der Anſchauungsweiſe jener Beit völlig
unzugänglich geweſen 1. Sie verlangte einen König von Mark und Bein,
von fichtbarer hoher Geftalt, dem der Geiſt aus den Augen leuchtete,
1 Die Ideen von Reich und Kirche waren nicht im Volle lebendig, fie
waren römiſche.
366
— — — — —
Darum war Deutſchland ein Wahlreich; zwar vererbte ſich die oberfte
Gewalt meift Iangehin in demſelben Stamm, aber ein foldyes Königs
geſchlecht war ſelbſt eine Berjünlichkeit; Fonnte biefe nicht: mehr genügen,
fo trat, vermöge des Wahlrechts, ein anbres an feine Stelle!. So
kam es denn, daß wir in den Raiferhäufern des Mittelalter überall
auf hervorſtechende, im Guten und im Böfen Träftige Perfönlichfeiten
treffen, auf foldhe, die wohl auch befähigt waren, Phantafie und Ge
müth der Beitgenoflen für Lied und Sage anzuſprechen.
Die Sage nun, in der fich fächfiiche mit fränfischer Kaifergefchichte
in dem angegebenen Charafter beiver zum poetifchen Ganzen verfchmolgen
bat, iſt die noch jebt ala Volksbuch im Umlauf befinvliche Erzählung
von Herzog Ernſt. Ich werde diefer Sage eine ausführlicyere Erörte:
zung widmen, weil fie durch folche Bereinigung biftoriicher Perſonen
und Ereignifle aus verſchiedenen Eporhen und bei der Möglichleit, Ge
ſchichte und Dichtung bier genauer zu vergleichen, in das Weſen ber
Sagenbilbung aus geſchichtlichen Elementen manigfach aufklärenden Ein⸗
blick darbietet?,
1 Behſe, das Leben und die Zeiten Kaiſer Ottos bes Großen, Dresden
1829, bemerkt hierüber S. 6 Folgendes: „So groß war bie Liebe der deut⸗
fen Stänme für ihre Ehre, daß fie zwar freiwillig uud gern einem durch
glänzende Tugenden weithin über alle ſich erhebenden Fürſten fich untergeben
modten, eine Zeit lang wohl aud, der großen Thaten eingedenk, die ein
früherer Herriher unter ihnen verrichtet, feine, obwohl weniger ausgezeichnete
Nachkommen als Könige tiber ſich dulbeten, immer aber doch endlich, wenn bie
Schwäche und Untüchtigleit derfelben zu unrühmlich hervortrat, fi der mehr
drüdenden Herrſchaft entledigten und einen berühmten Mann aus einem neuen
Geſchlechte zum Könige ſetzten, damit biefer ihren Angelegenheiten mit einem
neuen fräftigeren Geifte vorſtehe.“ (Bgl. 7, 1 u. 286.) Aſchbach, in der
Recenfion von Kufahls Geichichte der Deutfhen TH. I, in den Jahrbüchern für
wiſſenſchaftliche Kritif, Mai 1832, Nr. 95, Sp. 756 jagt: „Übrigens, werm
man nicht fophiftifch" iiber dag Wort Demokratie ftreitet, fo war bei den alten
Deutſchen offenbar eine reine Demokratie, jo lange die Arimannie oder Frie⸗
dens⸗ und SKriegsgenofjenichaft der Freien, die Grundlage der germanijchen
Stammverfaffung, befland. Bon ihr wurden aus ber Mitte der Freien die
Züchtigften zu Anführern erwählt und bei den Völkerſchaften, welche Könige
hatten, aus ben tüchtigſten Anführern der König, Tacitus Germania 6. 7:
Reges ex nobilitate, duces ex virtute sumunt.“
2 [Schriften I, 479. K.
567
Die Sage von Herzog Emft ift in mehrfache Bearbeitungen vor: _
handen:
1) Die ältefte, von der etwas auf uns gelommen, gehört noch
dem 12ten Jahrhundert an. Bon ihr haben fih nur zwei Bruchſtücke,
auf zwei Pergamentblättern, mit 89 Turzen NReimzeilen erhalten; ber»
ausgegeben in H. Hoffmanns Yundgruben für Gefchichte deutſcher Sprache
und Litteratur, Theil I. Breslau 1830. ©. 228 ff. Der Zeit nad
Tönnten biefe Überrefte einen Theil derjenigen Darftellung ausgemacht
haben, welcher in einem Schreiben des Grafen Berthold von Andechs
an den Abt Rupert von Tegernfee vom Jahr 1180 erwähnt ift, worin
der Graf an den Abt die Bitte ftellt:
Rogo, concedas mihi libellum teutonicum de Herzogen Ernesten, donee
velocius scribatur mihi, quo perscripto continuo remittetur tibi. Be,
Thes, Anecd. [2. 6. K.] Th. II, ©. 13.
Allein die niederveutfchen Formen, melde in dieſen Bruchſtüden
vorkommen, weiſen wenigſtens das Exemplar, zu dem ſie gehörten, einer
andern Gegend an.
2) Ein lateiniſches Gedicht, in Hexametern, von einem Monche
Odo dem Erzbifchof Albert von Magdeburg, der 1199 zu dieſer Würbe
gelangte, zugeeignet und, nach den darin vorlommenben Anfpielungen
auf die Zeitumftände, auch um diejelbe Beit verfaßt. Es fteht mit ber
Aufichrift „Ernestus seu carmen de varia Ernesti Bavariss ducis
fortuna, auctore Odone, libri VIII“ gebrudt in Martene, Thesaur.
nov. anecdotor. T. III, ©. 308 bis 376.
3) Bon einem zwar vollftändigen, aber noch ungebrudten beut-
ſchen Gedichte dieſes Inhalts hat Docen (Mufeum für altdeutſche
Zitteratur und Kunft. B.2. Berlin 1811. ©. 254 ff.) nad) einer Wiener
Hoſchr. Nachricht gegeben und einzelne Stellen mitgetheilt. Nach dieſen
Proben ift es nicht wohl noch ins 12te Jahrhundert hinaufzufeßen, mie
man geiban bat.
4) Ein anderes mittelhochveutfches Gedicht des 13ten Jahrhunderts
in 5560 kurzen Reimzeilen, vollftändig abgedrudt in ben Deutichen
Gedichten des Mittelalters, herausgegeben von v. d. Hagen unb
Büfching. B. 1. Berlin 1808.
5) Im Heldenbuche Kafpars von ber Röhn, um 1472, findet
ſich gleichfalls ein Herzog Ernſt, in 54 breigehnzeiligen Strophen, als
968
Abkürzung eines größeren Liebes, welches ber Benrbeiter vor ſich
hatte, Es find auch alte Drude, aus dem 16ten Jahrhundert, eines
Liebes von Herzog Ernft in derfelben Bersart, aber in größerer Strophen:
zahl, vorhanden, in denen vielleicht dasjenige Gedicht noch übrig ift,
welches Kafpar von der Röhn abgekürzt bat. (Bel. v. d. Hagen, Em
Teitung zum Herzog Ernft S. XIX.) Nach folder ſtrophiſchen Behand⸗
lung wurde biefe Strophe, die fonft auch des Berners Weiſe hieß
(Sigenot und Eden Ausfahrt find Darin gebichtet), Herzog Ernſts Ton,
Herzog Ernſts Weife, genannt.
6) Endlich das profaifche Volksbuch von Herzog Ernft, auch fchon '
in alten Druden vorhanden und noch jet auf unjern Märkten im
Verkehr, ift nicht eine Auflöfung eines ältern veutichen Gebichts, ſon⸗
dern Überfegung aus einer noch ungebrudten Inteinifchen Brofa (Hagens
Grundriß ©. 184).
Eine nähere Charakteriftit diefer verfchievenen Bearbeitungen der
Sage gehört nicht zu unjrem Bivede. Sie liegen auch alle beträchtlich
über die Zeit hinaus, in ber ſich die Sage zuerft aus der Gefchichte
entwideln mufte, indem bie Älteften erft an den Schluß des 12ten Jahr⸗
bunderts fallen.
Sm Hauptbeftande ber Sage ftimmen fie jedoch ſämmtlich überein.
Ich gebe diefelbe in einem Auszuge des unter Numer 4 angeführten,
bollftändig abgebrudten Gedichts aus dem 13ten Jahrhundert 1. ***
Es find ohne Zweifel vorzüglich die Wunder der abenteuerbollen
Kreuzfahrt, welche diefer Erzählung eine fo große Verbreitung in mehr
fachen Bearbeitungen und ſelbſt noch eine Fortdauer in unfern Tagen,
mittelft des Volksbuchs, verichafft haben. Hier befchäftigt ung mehr
die beutiche Sage, in welche jene Reifenbenteuer und das auf gelehr⸗
tem Wege binzugelommene Wunberbare eingelegt worden.
Den Grundbeitand der Sage bildet eine Gruppe von fünf Per
foren: der mächtige Kaiſer Dtto; deſſen zmweite Gemahlin, die fchöne
und tugenbreiche Adelheid, Wittive bes Herzogs von Baiern; Adelheids
Sohn erfter Ehe, der junge Herzog Ernft, der erft beim Kaifer, feinem
Stiefvater, in höchſter Gunft fteht, dann aber, als fih Neid und
Verleumdung ziwifcheneingevrängt, vom Kaifer geächtet, bekriegt und
1 [Der Inhalt ganz wie Schriften I, 479 ff. N.)
569
vom Lande zu weichen genöthigt wird; der Pfalzgraf .Heinrich, bes
Kaiſers Schweiterfohn, eben der Verleumder und Stifter des Unbeils,
der aber durch Ernſts gemwaltfame That feinen Lohn empfängt; ber
Graf Wetzel, Ernft3 treuer Kampfgenofie und unzertrennlicher Ge:
fährte auf feinen Irrfahrten. Die Handlung, zu welcher dieſe fünf
Hauptperfonen verflochten find, befteht in den Störungen bes freund:
lihen Berhältnifies zwifchen dem Kaiſer und feinem Stieffohn, in
den Kämpfen und Gemalttbaten, welche daraus bervorgehn, in ben
Drangfalen und Heldenwerken ber geächteten Freunde und.in der end»
lichen Wiederaufnahme des Vertriebenen in die Hulb bes Stiefvaters
durch die Fürſprache der Mutter.
Fragen wir aber nach der geſchichtlichen Unterlage, ſo weiſen uns
ſchon die Namen auf eine für die Einficht in den Gang der Sagenbildung
merkwürdige Vermiſchung verſchiedener Beſtandtheile bin, in welche ſich
dem Forſchenden jene Gruppe der handelnden Perſonen und die eine
Handlung felbft.wieber auflöſt. Die Namen Dito, Adelheid, Heinrich,
gehören der ſächſiſchen Kaifergefchichte und auch wieder verichiedenen
Momenten diefer an, die Namen Emft und Wetzel der ſaliſch⸗fränkiſchen.
Und fo verhält es fi auch in der Sache felbft; eine Folge der Zeit
und den Perfonen nach getrennter, aber in Geift und Weſen gleich»
artiger Gejchichten aus der Periode des jächfiichen und des fräntifchen
Kaiſerhauſes hat fih durch die bindende Kraft der Sagenbichtung zur
einzigen, fcheinbar Gleichzeitige® umfaflenden Handlung verfchmolgen.
Ich verfuche nun, dieſen Hergang Har zu machen, indem ich bie
verſchiedenen geichichtlichen Situationen und Ereigniffe, aus welchen fich
die Sage herausgebilvet, nach einander auffübre und bei jeber folchen
biftorifchen Abftufung bemerfe, was von ihr in das jagenhafte Ganze
übergegangen, das in dem Gedichte von Herzog Ernſt vor uns liegt.
1. Otto I und fein Bruder Heinrich.
Dtto I, aus dem Haufe Sachen, buch einftimmige Wahl der
Fürften zum deutfchen Throne berufen, empfieng am 8 Auguft 936 im
Dome zu Aachen unter lautem Zurufe des Volles die feierliche Königs⸗
weihe. Nach ver Tirchlihen Feier ſetzte fich der neue König im Palaft
an ben marmornen Tiſch zum Krönungsmahle nieder. Die Herzoge
des Reichs, jeber in feinem Erzamte, verjahen dabei den Dienſt. Mit
570
Töniglicher Yreigebigleit wurden fie von Otto begabt und man fchieb
in laufrer Freude. Aber die beitre Eintracht, die bei dieſem Feſte den
König und die Fürften verbunden hatte, war von furzer Dauer. Unter
den vier Neichöbeamten, die ihm beim Krönungsmahle gevient, war
nicht einer, ber nicht ſelbſt oder deifen Nachkommen nicht, früher oder
fpäter, das Schwert gegen den König Dtto erhoben hätten. Auch feine
Brüder, Danlmar und Heinrich, ließen fich nach einander in dieſe
Empörungen bineinziehen. Der lebtere, Heinrich, ift ung bier von
befondrer Bedeutung. Otto und Heinrich waren Söhne aus ber zweiten
Ehe Heinrichs 1, des Vogelftellers, mit Mathilden, einer Tochter des
ſächſiſchen Grafen Dietrih, vom Stamme Wittekinds. Das Leben
biefer ausgezeichneten Frau, wie e8 auf Befehl ihres Urenkels, des
überfrommen Heinrichs II, bejchrieben wurde, ftellt fie, dem Getfte
diefer Zeit gemäß, im Licht einer Heiligen dar, verhehlt aber doch aud
nicht die menfchlihen Züge mütterliher Schwäche. Ahr zweiter Sohn
Heinrich war von vorzüglider Schönhett, er trug den Namen des
Baters, ihn liebte die Mutter vor ihren übrigen Söhnen und ihn
wünfchte fie, nach dem Tode des Vaters, auf dem Throne zu feben.
Ihrer Hoffnung jchmeichelte der Umftand, daß der ältere Otto vor der
Erhöhung des Waters, ihr Liebling Heinrich aber, wenn gleich ber
jüngere, in der Königspfalz geboren war. Allein je mehr ihn bie
Mutter verzärtelte, um fo härter traf ihn das Geſchick. Über ber
Leiche des Gemahls ermahnte zwar bie Königin ihre Söhne, ſich nicht
um weltliche Herrlichleit zu entzweien, deren Hinfälligleit fie hier vor
Augen Hatten. Aber der Samen der Eiferfuht mar ausgeftreut und
als Otto den Scepter empfieng, trug Heinrich den Stachel im Herzen.
Wenige Jahre nachher verſchworen fi die Herzoge Eberharb in
Franken und Gifelbert von "Lothringen, Schwager des Könige, gegen
diefen. Heinrich, deſſen ehrgeizigem Gelüfte nach ber Krone gejchmeichelt
wurde, nahm Theil an dem Aufftand. Aber die Verjchivorenen, die
ihr Heer bei Andernach über den Rhein ſetzten, wurden von den Freun⸗
ben des Königs, unter denen beſonders der heſſiſche Graf Kuno jid
Ruhm erwarb, überfallen 1; beide Herzoge Tamen um und Heinrich,
1 Bol. Ranke I, 2, 37. 90 big 98. 939. Eberhards von Mimen bejungene
unglüdliche Schlacht bei Eresburg gegen den Sachſenherzog Heinrich 912. Hahn
II, 10, a. Ranke I, 2, 24.
571
deflen hochfahrende Hoffnungen mit einem Schlage vernichtet waren
(Vehſe ©. 126), entfloh nah Frankreich. Doch bald bemüthigte er
fih vor feinem königlichen Bruder, gelobte fortan Treue und erhielt
von ihm Bergebung und fogar die Belehnung mit dem erledigten Her:
zogthum Lothringen. Dieſes geichah im Jahr 939. Aber fchon im
folgenden Jahre wurde Heinrich von feinen neuen Untergebenen -vers
drängt und der König ſah fich veranlaßt, das Herzogthum anders zu
vergeben. Heinrich ftiftete eine neue Verſchwörung an und zwar eine
ſehr gefährliche, gegen das Leben des Königs binterliftig gerichtete.
Diejer jedoch wurde noch zur'rechten Zeit gewarnt, die Verbundenen
fielen in feine Gewalt und die meiften derfelben büßten ihr Verbrechen
mit dem Tode. Nur Heinrich, der Urheber des Anſchlags, rettete fich
abermals durch die Flucht. Nachdem er eine Zeit lang unftät in feinem
verlorenen Herzogthum ‚Lothringen umbergeirrt, juchte er, ber vielen
Drangfal müde, von neuem die Gnade des ſchwerbeleidigten Brubers.
Sn Begleitung einiger Bilchöfe, die er um ihre Verwendung ange:
fprochen hatte, Tam er eines Tags unerwartet, mit bloßen Füßen, als
ein Büßender, vor den König und warf fich vor ihm nieder. Dieſer
wollte zwar den Gebemüthigten Tein Leides thun, Tieß ihn jeboch nad
der Pfalz Ingelheim bringen und dort, bis auf ruhigere Entjchließung,
bewachen. 1
Bis zum Ende des Jahrs 941, im welchem zur Ofterzeit die Der:
ſchwörung ausbrechen follte, ſaß Heinrich dort gefangen. Der König
aber Fam nah Frankfurt am Main, um bier das Weihnachtsfeſt zu
begeben. Da gelang es Jenem, zur Nachtzeit feiner Haft zu’ entfliehen.
In der Frühe des Chriftfeftes, vor Tagesanbruch, mar König Otto im
Dome zu Frankfurt beim Gottesdienſte gegenwärtig, er hatte all feinen
koſtbaren Schmud abgelegt und war mit einem einfachen Gewanbe be-
kleidet, um ihn ertönten bie feierlichen Hymnen dieſer heiligen Nacht.
Da trat mit nadten Sohlen, des Winterfroftes unerachtet, ver unglüd:
liche Heinrich in die Kirche und warf fich vor dem Altare mit dem An-
geficht auf die Erbe. Fromme Gefühle Tamen über den König, er war
eingeben! bes Feſtes, am welchem vie Engel der Welt ven Frieden
1 [Bgl. W. v. Giefebrecht, Geſchichte der dentſchen Kaiferzeit. Braun-
ſchweig 1860. I, 572. 1863. I, 276 f. K.]
[4
.
972
fangen; ihn esbarmte feines veumüthigen Bruders und er gewährte
demfelben volle Verzeihung. Einige Zeit nachher verlieh er ihm bas
Herzogtbum Baiern und fortan beftand unter den Brüdern die unge
ftörtefte Eintracht. Ausdrücklich wird noch verfidhert, daß Ottos milde
Gefinnungen gegen feinen ftraffälligen Bruder durch Ermahnung und
Vermittlung ihrer heiligen Mutter Mathilde angeregt worden jeien.
Ziehen wir nun aus dieſen urkundlichen Gejchiehten den Erfund
für unfre Sage, fo zeigt ſich ber hiſtoriſche Dtto I bier in demſelben
Berhältniffe zu feinem jüngern Bruber Heinrich, in welchem nad dem
Gedichte der gleichnamige Kaiſer zu feinem Stieffohne Ernft fteht. Beibe,
Heinrih und Ernſt, müflen, nach vereitelter Unternehmung, vom Lande
weichen. Bon erfterem fagt Wituchind (Annel. B. II, ©. 649 [bei Perk
8, 447. 8.]): Henricus autem fugiens regno cessit u. |. w. und weiter⸗
bin: recordatus est [Otto rex] multis laboribus fatigati fratris.. Schon
bier boten fich Anläſſe dar, die Schidfale des landflüchtig umherirrenden
Fürftenfohnes mit wunderbaren Abenteuern auszumalen, wie es beim
Herzog Ernft gefcheben ift. Die Ausfühnung wird dur die Fürſprache
einer den beiden Gegnern gleich nahe geftellten Töniglichen Frau ver
mittelt; bier ift e8 bie Königswittwe Mathilde, die Mutter ber ent:
zweiten Brüber, bort Adelheid, bie Mutter Ermft3 und Gemahlin Ottos.
Der angeführte Annalift melbet, B. Il, ©. 649 [bei Per 3, 447. 8]:
Igitur cum omnia regna coram eo [Ottone] silerent et potestati ipeius
omnes hostes cederent, monitu et interoessione sancte matris ejus recor-
datus est multis laboribus fatigati fratrie, preefecitque eum regno Bajo-
ariorum, u. f. w, pacem et concordiam cum eo faciens, qua usque in finem
fideliter permansit.
Als Herzog von Baiern ift auch Ernſt dargeftellt und er empfängt
nach der Begnabigung dieſes Herzogthum zurück.
Am ftärkften aber tritt die Ähnlichkeit in den befondern Umftänden
der Berfühnungsfcene hervor. Wie im Gedichte Herzog Ernſt bei der
Weihnachtsfeier im Münſter zu Bamberg, wohin er vor Tagesanbruch
in Pilgertracht heimlich gekommen, ſich vor dem Kaiſer niederwirft,
ebenſo Heinrich, als Büßender, bei der gleichen Feier im Dome zu
Frankfurt [Ranke II, 2, 52].
Contin. Regin., Pertz, Monum. I, &. 619: A. d. 942 rex natalem
Domini Franconofurti celebravit, ubi frater ejus u. |. w. custodiam noctu
/ ; 573
clam aufugiens, antelucano tempore regis eeclesiam adeuntis pedibus
accubuit, et concessa venia, misericordiam, quam precatur, obtinuit.
Wenn es nach diefer Stelle ſcheinen Tönnte, ala hätte Heinrich fich
vor feinem Bruder auf deſſen Wege nach der Kirche (ecclesiam
adeuntis) niedergeiworfen, fo ftelt uns ein andres Zeugnis bie Ber
fühnung als wirklich bei der Firchlichen Feierlichkeit felbft vorgegan⸗
gen bar.
Die Nonne Hroswitha 1 zu Gandersheim, die auf Verlangen
Ottos II die Thaten feines Vaters, des eriten Otto, in einem heras
metrifchen Gedichte gefeiert hat, gibt von dem Vorgang in der Kirche
zu Frankfurt die folgende, ſchon im Obigen benützte, malerifche
Schilderung. Nachdem fie von Heinrichs tiefen Reue geiprodgen, fährt
fie fort (Meibom I, 717 f. Reuber ©. 170):
Tendem percerte forti devinctus amore,
Illico poenalem proicit de corde timorem,
Etısüb nocturnis nimium secreto tenebris
Adveniens, in regalem se contulit urbem,
In qua natalem regis celebrare perennis
Rex piis obsequiis cogpit solenniter aptis,
Depositisque suis ornamentis preciosis
Simplicis et tenuis fruitur velamine vestis,
Inter sacratos noctis venerabilis hymnos
Intrans nudatis templi penetralia plantis,
Nec horret hiemis sevum frigus furientis,
Sed prono sacram vultu prostratus ad aram
Corpus frigores sociavit nobile terre:
Sie sic moerentis toto conamine cordis
Optans prestari venie munus sibi dulcis.
Quo rex comperto, victus pietate benigna
Instantisque memor festi cunctis venerandi,
In quo calicole pacem mundo cecinere ı. |. w.
- Condoluit, miserans fratri commissa fätenti,
Atque suam pie gratiolam concessit habendam
NIli cum veni® dilecto munere plene. \
Es ift möglich, daß Hroswitha, melde nach ihrer wiederholten
Verſicherung Feine fchriftliche Berichte vor fich hatte, biefe Begebenheit
1 [Schriften I, 476. 8)
574
— — — — —
bereits durch mündliche Überlieferung einigermaaßen für bie poetiſche
Darſtellung zugebildet gefunden hat. Aber immerhin ſtand fie den Er-
eigniffen noch ziemlich nahe (fie ſchrieb für den Sohn die Geſchichten
des Vaters nieber), und wir finden bei ihr ſchon eine Eceng feftgeftellt,
welche ſich lange nachher, in den Dichiungen vom Herzog Ernſt, den
Hauptzügen nad unverrüdt erhalten bat. Nach dem mittelbochdeutichen
gebrudten Gebichte eilt Ernſts Mutter zur Frühmette des Weihnachts⸗
tages in das Münſter, wohin fie ihn beſchieden hat. Sie Ipricht zu
ihren Frauen: „Ich fehe dort Bilgrime ftehen von über Meer, ich will
zu ihnen gehn und will Frage thun, ob fie irgend wiſſen um meinen
Sohn.” Sie gebt hierkuf mit dem Sohne, den fie aufs Innigſte be
grüßt, zur Seite und belehrt ihn unter vielen Zähren, wie er bes
Kaifers Verzeihung erlangen fol. Dann tritt fie wieder an ihren Stuhl,
. Freude und Sorge ringen mit ihr, mit naflen Augen ruft fie die
Mutter Gotte® an bei den Freuden und der Ehre, die ihr von dem
göttlichen Sohn (der heute zur Erbe fam) geworden. Groß Gebräng
iſt herna im Münſter, als der Biſchof die Mefje fingt und darauf
jo ſüß prebigt, daß Mancher über feine Sünde Zähren vergießt. Auch
den Kaifer bringt er zu großer Andacht. Da dringt Ernjt, nach der
Mutter Lehre, vor den Sitz des Kaifers, fällt ihm zu Füßen und
Spricht mit Demuth: „Herr, ich hab’ wider euch gethan; das vergeht
um Gottes Willen mir armen Mann!” Der Kaifer antwortete: „Dir
fei vergeben! befire Gott dein Leben!” Er hebt ihn auf mit der Hand;
als er aber den fremden Mann recht anfieht und erfennt, da tft ihm
leid, / daß er demſelben Freundſchaft getban, und fein Geficht verfärbt
ſich. Die Fürſten aber, zuvor ſchon von der Mutter gewonnen, treten
alle vor den Kaiſer: „Ihr habt Ernſten ſeine Schuld vergeben; was
ihr ſpracht, das hieltet ihr noch ſtets.“ „Dünkt es denn Allen gut,“
erwidert der Kaiſer, „ſo ſei er ledig dieſer Fährde!“ Des freut ſich
alles Volk und Frau Adelheid iſt der Sühne innig froh.
Verglichen mit obiger Darſtellung bei Hroswitha hat ſich hier die
Scene vorzüglich darin erweitert, daß die vermittelnde Mutter perfön-
lich in fie eingetreten ift. Sjened „monitu et intercessione sancise
matris“ bei Witudind ift in der Sagenvichtung zur lebendigen Ge
ftalt geworden; die fanfte Vermittlerin durfte nicht fehlen im Bilde
der feierlihen Verſöhnung.
975
m — —
So hat ſich uns auf dieſer erſten Stufe von jenen Hauptperſonen
unſrer Sage Kaiſer Otto dem Namen und der That nach geſchichtlich
begründet. Auch das Verhältnis des Kaiſers, hier zu Heinrich, dort
zu Ernſt, die Stellung der beiden Frauen, Mathilde und Adelheid,
iſt ſich in allgemeinern Zügen ähnlich, und beſonders auffallend iſt die
Zuſammenſtimmung in der Kataſtrophe.
Aber noch find uns‘ die Namen Adelheid ſtatt Mathilde, Ernſt
fiatt Heinrich nicht gerechtfertigt und andere Berfonen fehlen noch gänz—⸗
lich. Schreiten wir daher weiter in ber Gefchichtel
2. Otto I und fein Sohn Ludolf.
Zehn Jahre nach Beilegung des Bruderzwiſtes mar ber Erwerb
neuer Macht und erhöhten Glanzes für den König Otto zugleich der
Anfang neuen und meitgreifenden Zwieſpalts, ber wieder von feinem
Haufe ausgieng. Adelheid, die junge Wittwe des Königs Lothar von
Italien, hatte, von ihren Verfolgern auf das Äußerſte gebrängt, bie
Hülfe Ottos angerufen und ihm, der damals Wittiwer war, ihre Hand
zugleich mit ber Herrichaft über Stalien anbieten lafien. Otto folgte
diefem Rufe, warb der Befreier Adelheids, nahm von dem lombarbis
ſchen Reiche Befig und kam im Frühjahr 953 mit feiner neuen Ge:
mahlin nad Deutichland zurüd. Die Königin Adelheid, eine Tochter
des burgundifchen Königs Rudolfs IL, muſte durch glänzende Schön.
beit, edle Eigenfchaften und die wunderbaren Geſchicke, durch die fie
frühe Schon gegangen war, Aller Augen auf fich ziehen. Auch um ihr
Haupt wob ſich in der Folge der Heiligenfchein.
Argwöhniſch ſah aber zu diefer neuen Verbindung Ludolf, Herzog
von Schwaben, der Sohn Ottos aus erfter Ehe mit Editha, einer
engliichen Königstochter. Sein Vater hatte ihn bereitd, mit Zuftimmung
der Reichsfürſten, zum Mitherrfcher und Nachfolger ausrufen laflen
(Vehſe S. 196). Durch die zärtliche Neigung, welche Otto feiner zweiten
Gemahlin zumandte, glaubte ſich der damals zwanzigjährige Lubolf aus
der Liebe des Vaters verdrängt, die er font im vollften Maaße ges
nofien hatte. Er mochte felbft befürchten, daß er, als vor der Thron-
befteigung Ottos geboren, in der Reichsnachfolge zurüdftehen müſſe,
wenn biefem in zweiter Che Söhne geboren würben (Vehſe ©. 204. 212).
Zuerft jedoch warf fich fein bitterfter Groll auf feinen Vatersbruder
376
Heinrich, denfelben, der ſich früher wiederholt empört, feit feiner lebten
Begnabigung aber Ditos unbeſchränktes Vertrauen und nun auch das
der Königin erworben hatte (Bebfe S. 204). Zuvor ſchon waren Zubolf
und Heinrich über die Grenzen ihrer Herzogthümer, Schwaben und
Baiern, in Streit geratbhen. Seht, nachdem die Eiferfucht immer heftiger
entbrannt war, verband ſich Ludolf mit dem gleichfalls unzufrienenen
Eidam des Königs, Herzog Konrad von Lothringen, und dem Erz⸗
. bifchofe Friebrih von Mainz, um gegen Heinrich Ioszubrechen und,
wenn der König fich des lettern annähme, auch ihm bie Spike zu
bieten. Bor den König nach Mainz beichteven, gaben zwar Ludolf und
Konrad vor, daß ihre Rüftung nicht gegen ihn gerichtet jei, äußerten
jedoch ungeſcheut ihr Vorhaben, den Herzog Heinrich zu greifen, wenn
er zum Dfterfeft am königlichen Hoflager zu Ingelheim fich einfinde.
Nachdem fie in Folge ihrer Weigerung, auf dem Reichötage zu
Fritzlar zu erfcheinen, in bie Reichsacht und ihrer Herzogthümer vers
Iuftig erllärt worden waren, brach im Sommer 953 bie offene Fehde
aus. Im Berlaufe derſelben bemächtigte ſich Ludolf ber feften Stäbte
bes Baiernherzogs, namentlich der Hauptſtadt Regensburg, welche fortan
der Mittelpunft des Kampfes wurbe und breimal von Seiten des Königs
harte Belagerung erfuhr. Die Empdrer fcheuten fich nicht, felbft die
wilden Schaaren der Ungarn zu ihrer Hülfe nad) Deutichland zu rufen.
Zuletzt jedoch mufte Regensburg ſich ergeben, und als die Heere fi
an der Iller zu einer neuen entſcheidenden Schlacht gegenüberflanden,
wurde ein Stillitand dahin vermittelt, daß Lubolf auf einem Reichs:
tage zu Fritzlar fich ftellen folle, um des Töniglichen Ausſpruchs zu
gewarten. Als nun in der Zwiſchenzeit, im Herbft 954, Dito zu
Sonnenveld (Vehſe S. 229) in Thüringen der Jagd oblag, erichien
Zudolf, der ihm nachgezogen, baarfuß und warf fich vor ihm nieber.
Der Vater zuerft und dann alle Anweſende wurden vom Flehen des
seuigen Sohnes zu Thränen gerührt. Lubolf wurbe begnabigt, das
Herzogthum Schwaben jeboch erhielt er nicht zurüd.
Auf gleiche Weife, wie in ber früheren Berwidlung feinen meu
teriſchen Bruder Heinrich, fteht Kaiſer Dito in dieſer zweiten feinem
wiberipenftigen Sohne Ludolf gegenüber. An feiner Seite ericheint nun
auch, wie im Gedichte, feine ziveite Gemahlin Abelheid, deren Ramen
wir bisher noch vermifsten. Aber die gefchichtliche Adelheid iſt Ludolfs
577
Etiefmutter und, wenn auch unverfchuldet, Gegenftand feines Grolles.
Die Königin Adelheid der Cage dagegen ift die Yürbitterin des Sohnes
beim Stiefvater. In diefer fagenhaften Adelheid Iebt offenbar bie
hiſtoriſche Mathilde fort, deren Thätigleit in Vermittlung und Fürſprache
ung befannt ift; ein ftärlerer glänzender Frauenname bat die Stelle
eines früheren eingenommen. Ludolf ift von feinem Bater zum Reichs⸗
nachfolger beftimmt?, und die Beforgnis, in dieſer Nachfolge beein»
trächtigt zu werden, reizt ihn auf; Ernft hatte von feinem Stiefvater,
als er gleichfalls noch in deſſen voller Liebe ftand, diefelbe Beftimmung
erhalten. Vorzüglich aber weiſt und die Gefchichte nunmehr auch den
Verläumber und Zwietrachtftifter Heinrih, wie er im Liede lebt und
mit eben diefem Namen, auf. Dort heißt er Pfalzgraf, bier ift er
Herzog von Baiern; dort des Königs Neffe, bier fein jüngerer Bruber.
Derjelbe Heinrich, der in der erften Geichichte der Aufrührer und Ge
ächtete war, alfo in der nemlichen Stellung, mie nachher Ludolf und
im Gedichte Emft, fich befand, nimmt nun einen Standpunlt ein, auf
welchem Sage und Geichichte in feinem Namen zufammentreffen. Witis
chind a. a. O. fagt u. A.:
Chuonradus u. f. w. unumque cum eo sentiens filius regis Luidulfus,
suspectum super hac caussa Henricum frairem regis habentes, quasi an-
tiqua stimulatum invidia devitaverunt eum. Henricus autem sciens adoles-
centem maternis destitutum suffragiis, contemtui eum cœpit habere, in
tantum, ut a convitiis ei quoque non parceret.
Der Baiernherzog Heinrich wird zwar nicht von dem gekränkten
Zubolf erjchlagen, wie der Pfalzgraf Heinrich des Gedicht vom Herzog
Ernst bei deſſen kühnem Eindringen in die Kaiferburg zu Speier. Aber
das melden die Annalen, daß Ludolf und Konrad offen gedroht, den
Herzog Heinrich zu greifen, wenn er ſich zur Dfterfeier zu Ingelheim,
auch einer rheinischen Königspfalz, einfinden würde. Beſonders nod)
ftimmen des Hiftorifchen Zubolf und des fagenhaften Ernft Kriege
gegen den Kaifer darin überein, daß beivemal bie belagerte Stabt
Regensburg der Mittelpuntt des Kampfes if. Ludolfs enbliche Be⸗
1 Witihind 8. VIII, a. a DO. ©. 651 [bei Pert, Monum. V. Ser. 3,
451. 8.]: Post excessum Edidis regine omnem amorem maternum trans-
fadit rex in unicum fllium suum Liudulfum factoque testamento creavit
eum regem post se.
upland, Scriften. VI. 37
578
gnadigung geht nicht ſo feierlich in der Kirche vor, wie bei Heinrich und
Ernſt, aber doch wirft auch er ſich als Büßender, mit bloßen Füßen,
vor dem beleidigten Vater und Könige nieber. !
Wir haben hiernach in diefer zweiten biftorischen Schichte ben Ramen
Adelheid, einer weiteren Hauptperfon des Gedichts, dann Namen und
volle Geftalt des Zankſtifters Heinrich, nebit der Belagerung Regen:
burgs, urkundlich aufgefunden. Kaijer Otto fteht fortwährend an feiner
Stelle und der Sohn Ludolf entfpricht dem Stieffohne Ernft.
8. Otto I und fein Better Heinrid.
Dtto U, der Sohn Ottos I von Adelheid und deſſen Nachfolger
im Reiche, hatte mancherlei Unruhe von feinem Better, dem Herzog
Heinrich in Baiern, dem Sohne besfelben Heinrichs, der fich einft gegen
Otto 1 empört und dann mit Ludolf in Zwieſpalt geratben war.
Streitigkeiten zwifchen den Herzogen von Schwaben und Baiern, Dito,
dem Sohne Lubolfs, und dem erwähnten zweiten Heinrich, gaben aud
zu diefen Unruhen Anlaß. Der Kaifer Dtto begünftigte ven Herzog von
Schwaben; zu dem Baiernberzog Heinrich aber hielt ein anderer Heinrich,
ber jüngere? genannt, ein Sohn Bertholds, vom Gefchlecht der früheren
baitifchen Herzoge, von ber Mutter ber aber gleichfallE mit bem
ſächſiſchen Königsftamme (vgl. Vehſe S. 433) verwandt, fobann ber
Bifchof Heinrich von Augsburg (Sohn des Grafen Burkard, Vita Udal-
rici ©. 28). Jene beiden Heinriche 3 ergriffen die Waffen gegen ben
Kaifer, muften fih aber bald unterwerfen und wurden im Jahre 978
in’ Elend verwiefen (Hahn I, 113 f.). Der ſchwäbiſche Herzog
ODtto erhielt zu feinem bisherigen auch das Herzogthum Baiern. Erſt
nad) feinem Tode im Jahre 982 empfieng der vertriebene Heinrich das⸗
jelbe zurüd (Hahn II, 114). Bon diefer Ausföhnung nun handelt
ein ohne Zweifel gleichzeitiges Gebicht,5 in welchem lateinifche mit
deutſchen Reimzeilen feltfam verflocdhten find. Sein Inhalt ift diefer:
1 Bol. Grimms Rechtsalterthlimer S. 7183 f.
2 minor, Hahn II, 118; janior, ebenvaf. 114.
3 [Bgl. Edhriften I, 475. 8.]
4 Hermannus Gontractus bei Piftorius, Regensburg 1726, S. 267, zum
Jahr 982: „Heinricusgue ducatum Bajoarie recepit.* Bet Ditmar von Merfe
burg, bei Zeibnig I, 347 zum Jahr 978: Henricas minor exilio Bolutus n. f. w.
5 [Bgl. Schriften I, 382. 478 ff. K.]
579.
Zum Kaifer Otto (er war Kaijer feit 967, Dtto I dagegen, der 962 bie
Kaifertrone empfangen, war zur Zeit der Begnadigung feines Bruders Hein»
rich, 942, noch) lange nicht Kaifer) tritt ein Bote und ruft ihn auf: „Was
ſitzeſt du, Otto, unfer guter Kaifer? Hier ift Heinrich, bein königlicher Better,“ 1
Da fteht Otto auf, geht ihm entgegen mit mandem Mann und eınpfängt ihn
nit großen Ehren. „Willlommen Gott und mir,“ fpricht der Kaifer, „ihr
Heinriche, ihr beiden Gleichnamigen, und eure Gefährten!” Nachdem Heinrich
den Gruß erwidert, faffen fie einander bei der Hand und Otto führt ihn in
das Gotteshaus, mo fie Gottes Gnade anrufen. Nach vollbrachtem Gebete
führt ihn Otto in den Rath, mit großen Ehren, und überträgt ihın, was er
da Hatte, anfer dem Königsrechte, des auch Heinrich nicht begehrt. Da ftand
alle Berathung unter dem treuen Heinrich. Was Otto that, das rieth alles
Heinrih, und was er ließ, rieth auch Heinrich. Da war Keiner, dem nicht
Heinrih in Allem Recht gethan hätte.
Das Webicht ? ift gebrudt in Edarb3 Veterum Monument. Qua-
ternio, Leipzig 1720, und neuerlich nah W. Wackernagels kritiſcher
Herftellung in H. Hoffmanns Fundgruben für Gefchichte deutfcher Sprache
und Litteratur Th. I, Breslau 1830, ©. 340 f. Es beitehbt aus 36
kurzen Neimzeilen, wovon je eine lateinifche und eine deutfche zufammen:
reimen, in folgender Art:
Tunc surrexit Otdo
ther unfar keiſar guodo,
perrexit illi obviam
inde vilo manig man
et excepit illum
mit michilon eron.
Diefes fonderbare Stüd rührt ohne Zweifel vor einem Geiftlichen
auf der Seite des Herzogs Heinrich her, der durchaus in das vortheil⸗
haftefte Licht geftellt ift. Auch die Sprache verläugnet basfelbe nicht
als ein gleichzeitige® mit dem Ereignifje, von dem es handelt; fie zeigt
übrigens niederbeutfche Formen.
Was die hiftorifche Beziehung desſelben betrifft, jo bat ber erfte
Herausgeber Edarb es auf Kaifer Otto 1V gebeutet und fomit in das
1 bruother hero, wie faterro patruus (Schmeller I, 638), bier etwa:
bruotberero, bruotherro? Grimm II, 138. [Mülenhoffs Denkmäler &. 25.
304. 8.)
2 Zur Erklärung desfelben vgl. Grammatik II, 570. ”
580
Jahr 1209 verlegt. Daß dieſe Beitbeftimmung ſchon der Sprache nad
gänzlich unpaſſend ſei, ift jegt allgemein angenommen. Aber auch die
neuern Forſcher, Docen in Hormayız Ardiv, 1823, ©. 532. X. Grimm,
Grammatik 1te Aufl. 1, LX. Hoffmann, Fundgr. 1, 16. 341 und Lad»
mann, über die Leiche S. 12, Note 23, haben ihm eine, nach meiner
Anficht, unrichtige Anwendung gegeben. Sie beziehen es auf die Ver:
fühnung Ottos I mit feinem Bruder Heinrih im Jahre 941, wovon
wir unter N. 1 gehandelt. Allein viefer Beziehung iwiberfpricht ber
inhalt des Liebes. Bon minder weſentlichen Umſtänden abgefehen,
führt dasfelbe zwei Heinriche ein, welche vor ben Kaiſer Dtto treten.
Diefer ſpricht:
Wilicumo Heinride,
ambo vos equivoci u. |. m.
Zwei diefes Namens, welche an dem Ereigniffe unter Otto I Theil
genommen hätten, können aber nicht nachgemwiefen werden. Lachmann
fagt zwar: „Der andere Heinrich ift der Sohn Herzog Geifelbertö von
Lothringen.” Diefer Heinrich aber, ein Schmefterfohn Dttos I, war
im Jahr 491 noch unmündig und fommt bei den Zwiſtigkeiten und der
Ausföhnung diefes Königs mit feinem Bruder nirgends vor. Dagegen
werben in ben Hänbeln unter Otto II, auf bie ich das Lied beziehe,
die darein verwickelten beiden Heinriche mit demfelben Ausbrude wie
im Gebichte zufammen genannt.
Vito 8. Udalrici C. 28: Heinricus filius Hainrici et æquivocus ejus,
filius Perhtoli ad colloquium imperatoris vocati sunt u. |. w. Peracto
itaque colloquio Heinricus et equivocus ejus in exilium missi sunt.
Für die Sage vom Herzog Ernft erläutern fich zwar auf biejer
dritten gefchichtlichen Stufe nicht weitere Hauptperjonen; dennoch durfte
diefelbe nicht Überfprungen werden. Wir finden bier wieder unter
den Namen Dtto und Heintih, mie im erften ber ausgehobenen
Fälle, den Zwiejpalt und die endliche Ausſöhnung eines beutjchen
Königs mit einem feiner nächſten Blutöverwandten, auch einem Baiern:
berzoge; e3 find die Söhne, an denen fich wiederholt, was mit ben
Vätern geſchah. Nach dem halblateinifchen Liede, das noch ziemlich
biftorifche Haltung hat, wird auch diesmal der Friede in der Kirche
befiegelt: |
581
Conjunxere manus;
ber leida in [Otto Heinrichen] in thaz godes Bus;
petierunt ambo |
thero godes genathono u. |. w.
Ereigniffe und Situationen, die fich fo, felbit unter gleichen Namen,
von Generation zu Generation in der deutichen Kaifergefchichte erneuerten,
fonnten auch in der Sage fortwährend denfelben Typus anfrifchen.
Dtto II ift aber auch noch durch eine befonbere Bezeichnung an unfer
mittelhochbeutfches Gebicht von Herzog Ernit gefnüpft. Er hatte den Bei-
namen der Rothe, rufus. (Chronographus Saxo ad a. 974: „Se-
dente... in paterni regni solio... Ottone secundo, ab habitu faciei
agnomine ruſo.“ Hahn II, 104.) Der Kaifer im eben erwähnten
Gedichte wird nun gleihfalld an zwei Stellen der rothe Kaifer Otte
genannt (V. 1337. 1368), während er doch als Gemahl Adelheid
und durch andere, früher eniwidelte Verbältnifie fih als Otto I dar⸗
ftelt. Auch anderwärts in fächfiichen Kaiferfagen finden wir biefe
beiden Dttone, Vater und Eohn, Tür einen genommen. Es waltet
bierin berfelbe Bang der Eagenbildung, vermöge deſſen wir zuvor ſchon
Mathilden als Adelheid wieder erftehen ſahen und nun auch Heinrich,
Ottos I Bruder, und Ludolf, feinen Sohn, zum Herzog Ernſt umge:
wandelt jehen werben.
4. Konrad U und fein Stieffohn Ernft.
Ein anderes Gefchlecht deutſcher Könige ftieg herauf, das fränfifche
oder falifhe. An der Epite besjelben ftand Konrad II, der Salier.
Feſt und raftlos wirkte auch er darauf hin, die Macht feines Hauſes
und damit feine Herrichergewalt zu mehren und zu ftärlen. Er war
vermählt mit Gifela, der Wittive des Herzogs Ernft von Echwaben, die
als die ausgezeichnetfte Frau ihrer Zeit gepriefen wird. Sie hatte aus
erfter Ehe einen Sohn, der gleich dem Bater Ernit hieß und deſſen Nach:
folger im Herzogthum Schwaben war. Um das erledigte Erbe bes
Königreih8 Burgund entzweite fich der junge Fürſt mit feinem mäch⸗
tigen Stiefvater. Er griff zu den Waffen, aber bald in dieſem uns
gleichen Kampfe von feinen Bafallen verlaffen, mufte er ſich unbedingt
dem Kaiſer ergeben und wurde von diefem auf dem Felsſchloſſe Gibichen⸗
382
ftein eingeferkert. Einzig Graf Werner (Wecilo !) von Kyburg war
ihm treu geblieben, vertheibigte drei Monate lang feine Veſte Kyburg
gegen den Kaifer und irrte, als diefe nicht länger zu halten war, ge⸗
ächtet umher. Auf Fürfprache feiner Mutter Gijela wurde Ernft nach
zweijähriger Gefangenſchaft wieder freigelafien. Er jollte nun in das
Herzogthbum Baiern eingefeßt werden, unter der Bedingung, daß er
ſchwöre, Wernern, ben Anftifter der Unruhen, wenn diefer ſich in feinem
Gebiete betreten ließe, feftzunehmen und auszuliefern. Ernft aber wollte
lieber auf das Herzogthum verzichten, al3 den Freund verratben. Ihn
fchredite nicht, daß Reichsacht und Kirchenbann über ihn ausgefprochen
wurde. Mit Wernern und wenigen Andern ſetzte er ſich, in der Wild⸗
nid des Schwarzwalds, auf die Burg Falfenftein, deren Trümmer noch
in ber Gegend von Wolfach zu ſehen find. Dort aufgefucht und ges
drängt, fiel er in verzweifelndem Kampfe zugleich mit Wernern und Bielen
der Eeinigen. Auf der Inſel Reichenau wurbe er, nachbem der Bann von
ihm genommen war, begraben. Dieß ereignete fi im Jahre 1030.
Die Schickſale des Herzogs Ernft, die wechfelfeitige aufopfernde
Treue der beiden Freunde und ihr gemeinfamer Tod, wie hiernad bie
Geſchichte fie beurfundet, bieten dem Gemüthe jo viel Ergreifendes bar,
daß man ihren frühzeitigen Übergang in Lieb und Eage ſich wohl er:
Hären Tann. Cine biftorifhe Hauptquelle ift die Erzählung Wippos
(Wippo de vita Chunradi Salici imp. bei Piftorius, Script, Rerum
Germanicarum 8. I. $rantfurt 1607. ©. 421 ff.), der ala Capellan
Konrads II und in einem deſſen Sohne zugeeigneten Werke keineswegs
die Partei diefer Gegner feines Gebieter3 nahm, und doch verläugnet
fih auch bei ihm nicht das Gefühl für dieſes großartige Beispiel der Treue.
Es ift auch nicht zu zweifeln, daß diefe Geſchichten urfprünglich ſelbſt⸗
ftändig gejagt und gefungen worden. Aber derfelbe Bildungstrieb, ver:
möge deſſen ſich im größeren epifchen Cyllus jo manigfahe Sagen
und Sagenkreife zum Ganzen verbunden, äußerte auch bier noch ferne
Wirkſamkeit und fpielte dieſe ſaliſch-fränkiſche Sage mit der ottonijchen,
1 Mecilo, wie der Name ſchon bei Wippo, dann auch in Odos lateiniſchem
Gedichte lautet, ift das Diminutiv von Werinhere, Werinharius, wie er bei
Hermannus Gontractus u. a. heißt. gl: „quidam monachus |[Tegerns.]
Werinherus, qui a quibusdam causa civilitatis Weczil dicebatur.* Kugler,
de Werinhero ©. 25.
383
deren ſtufenweiſe Bildung wir bisher verfolgten, zufammen. Der Anlaß
und Heftpunkt diefer Verknüpfung lag darin, daß die Stellung Ernſts
zu feinem Stiefoater Konrad und feiner Mutter Gifela in der Haupt:
ſache die nemliche war, wie ſchon auf jener erften Stufe die Stellung
bes fächfiichen Heinrichs zu feinem Zöniglihen Bruder Dito und feiner
Mutter Mathilde. Aber die Verknüpfung gieng nicht ohne bebeutende
Einbuße auf Seiten der ſaliſchen Sage vor fid.
Ich babe die Eage vom Herzog Ernſt nicht darum zum Gegen:
ftande genauerer Erforfchung gemacht, als ob ich ihren dichterifchen Werth,
wie fie jetzt vorliegt, jo beſonders hoch anfchlüge, fondern meil fie mir
für die Einficht in die Werkſtätte der Sagenbildung vorzüglich Iehrreich
zu fein ſchien. Die mahrhafte Gefchichte des Herzogs Ernſt fteht offen-
bar größer da, als die nunmehrige Sagendihtung. Die Gejchichte bot
zivei lebendige Hauptmomente dar, welche gewiſs auch von Anfang im
Volksgeſang aufgefaßt waren, bie aufopfernde Treue der beiden Freunde
und die Stellung Gifelad zwiſchen dem Gemahl und dem unglüdlichen
Eohne. Ernft und Wecilos gegenfeitige Treue, wie dieſer allein aus:
hält, als der Herzog von allen andern Vaſallen verlaflen ift und im
Kerker liegt, mie er feine Burg fo lang ale möglich vertheibigt und
nachher geächtet umberfchweift, wie dann aber Ernft ihm metteifernd
vergilt, wie er um Wecilos willen ein Herzogthum ausfchlägt, Acht und
Bann auf fih nimmt, und wie endlich der Tod im Kampfe die beiden
Freunde vereinigt; dieſer erſte gefchichtliche Hauptmoment ift unverkenn⸗
bar der dichterifch bedeutendſte. Aber er ift ver Sagenverlnüpfung zum
Opfer gebracht worden, und nur noch die Spur, wie er einft lebendiger
in ver Eage getvaltet, bat fich noch darin erhalten, daß Herzog Ernit
und Graf Wetzel als unzertrennliche Gefährten im Kampf und auf der
Irrfahrt erfcheinen. Der ältere, ottonifche Sagengrund blieb unvertilgt
und behauptete die Oberhand über den fpäteren Anwuchs. Jene ältere
Sage ſchloß mit ber Berfühnung und fo fiel die tragifche Kataſtrophe
der Ernitöfage hinweg. Das Gemeinfame der beiden Sagen jchlug in
ihrer Verbindung vor, und diefes lag für die Ernſtsſage in dem ziveiten
der. angeführten Hauptmomente, in der Stellung Giſelas zwifchen Ges
mahl und Sohn, deren Entfprechendes in der ottonifchen Sage und ge
nügend belannt ift. In den Namen Adelheid trat, wie früher Matbilbe,
jo nun Gifela ein. Die Mutterliebe, wie fie unermüblih wach und
384
thätig ift, dem bebrängten Sohne fein hartes Schidjal zu erleichtern
und die Verfühnung des unfeligen Zmiejpalt3 herbeizuführen, und mie
fie zulegt, nach manchem bittern Jahre, freudig gerührt, ihr Friedens:
wert zum Ziele gebracht fieht, diefe Fromme Wutterliebe ift auch wirklich
im Gedichte von Herzog Ernft mit vieler Innigkeit aufgefaßt und durch⸗
geführt und eben hierein fee ich den hauptfädhlichen poetiichen Gehalt
diefes Gedichte. Indem die urfprängliche Ernſtsſage fich nunmehr auf
dieſes zweite Moment bejchräntte, bricht fie, mit den Berichten ber
Annaliften verglichen, ſchon beim Jahre 1024, alfo 6 Jahre vor Ernits
Tode, ab, nemlich bei feiner erften Auflehnung gegen ven König und
der Vermittlung biefer Fehde burch feine Mutter.
Wippo zum Jahr 1024 Sagt:
Eodem tempore, hoste pacis diabolo suadente, Ernestus dux Ale-
mannie, Chuno dux Francie, Fridericus dux Lotharingorum cum aliis
plerisque contra regem Chuonradum consenserunt, et multa molientes,
multas munitionues incassum preparantes, nihil nisi calamitatem futuram
assecuti sunt; quos omnes rex Chuonradus parvi pendens, iter suum in
Italiam.cum copiis destinavit; sed dux Ernestus, humiliter iter ejus pro-
secutus usque Augustam Vindelicam, interventu matris sus regine et
fratris sui Heinrici adhuc parvuli aliorumque principum multum renuente
rege vix in gratiam ejus receptus est.
Hier, glaube ich, ift der. Punkt, mo die Ernftefage mit der otto⸗
niſchen, mit den ähnlichen Verföhnungsfcenen in biefer, ſich berührte
und zufammenjchmolz, dabei aber ihren tragischen Schluß hinter fich ließ.
Sehen wir von dem ab, was auf ſolche Weife verloren gieng, fo
ift gleichwohl nicht zu miskennen, daß in jener Gruppe, von der wir
ausgiengen und die wir nun aus fo manigfachen Entwidlungen heran⸗
gebildet fanden, noch immer ein großartiges deutfches Geſchichtbild vor
uns ſteht. In den Hallen des alten Domes, wo die Priefterfchaft Weih⸗
nachthymnen anftimmt, ragt in einfachem Gewande bed ernften, ftrengen
Kaiſers hohe Geftalt; vor ihm, am Altare, wirft ſich ein Mann in Pilger:
tracht nieder, in Kämpfen und Mühen früh gealtert und faft unkenntlich
geworden; an befien Seite fteht der treue Genofje feiner Drangfale,
auch jetzt bereit, jeve Wendung ber Dinge mit ihm zu tragen und durch⸗
zulämpfen; die Mutter aber beugt fich herein, die fürbittenden Hände
gefaltet. Auch die Fürften des Reichs, im Halbfreis umher, zeigen
585
— — — — —
ihre vermittelnde Theilnahme, und erwartungsvoll drängt ſich die Volks⸗
gemeinde. Den Verläumder aber, den Anſtifter des Unheils, und
ſeinen blutigen Tod deckt längſt der breite Grabſtein auf dem Boden
der Kirche.
Gerade, daß der aaiſer zugleich Otto I, Otto II und Konrad II,
Bater, Sohn und Urenkel ift, der fnieende Pilger Heinrih, Lubolf und
wieder Heinrich und Emft, die fürbittende Yrau Mathilde, Adelheid,
Gifela, daß in den fteben gebliebenen unter dieſen Namen verfchiedene
geſchichtliche Epochen fich Treuzen, daß der trügerifche Heinrich der ſäch⸗
ſiſchen, der treue Wecilo der fränkiſchen Kaifergefchichte angehört, eben
damit ift das Geſchichtbild ein ideales, es ftellt den Geift und Cha»
rakter einer langen, vielbewegten Zeitperiobe dar.
Der gefchichtliche und früher im Volksgeſange gefeierte Ernſt Ent
allerdings in der Sage, in welcher fich jo viele Zeitereigniffe aufgerollt,
an feiner fittlich-tragifchen Erſcheinung verloren; aber doch mar die
Nachwirkung derjelben fo mächtig, daß er der ottonischen Eage, indem
fie ihn und feinen Freund in fi aufnahm, feinen Namen aufprüdte,
daß fie nun als die Eage vom Herzog Emft fortlebt.
Ernft verehrt am Ziele feines Irrſals dem Kaifer den leuchtenden
Edelſtein, den er bei der Fahrt durch den hohlen Berg aus dem Felſen
gerifien und ber, fortan ein Kleinod in der Reichskrone, als der einzige
feiner Art der Waiſe! genannt wird (vgl. Nechtsalth. 923. Grammatik
IH, 379, 2). BDiefem Steine legt Odo, der Verfafler des Tateinischen
Gedichtes, die wunderbare Eigenfchaft bei, daß er auf dem rechten
Scheitel fitend das Bild des römischen Reichs zurüdftrale (B. VII,
©. 375): |
Hujus mira satis virtus, si sederit equo
Vertice, Romani [jam] splendet imagine regni.
So bat doch zulegt der Sagenheld Ernft in die alte Kaiſerkrone
den weltfpiegelnden Kryſtall der Poefie gefeßt, in welchem alle jene
weiten Räume deutfcher Gefchichte fich abjtralen.
Es ift bereitö erwähnt worden, daß die wunderbaren Reifenbenteuer
nicht im Munde des Volkes, fondern auf gelehrtem Wege in die Eage
von Herzog Ernft gelommen feien, durch Litterarifche Bekanntſchaft mit
1 Bol. Minnefinger Man. I, 15a, 5. 1026, 3. 1276, 3. II, 188a
Pfälzer Hd. 357, Bl. 196.
386
— — — —
demjenigen, was ſchon die Alten, namentlich Plinius und Solinus,
dann die fabelhaften Geſchichten Alexanders des Großen, von den Wundern
des Morgenlandes berichten. Dieſe gelehrte Beimiſchung erklärt ſich leicht,
indem wir wiſſen, daß die Eage namentlich auch in den Klöſtern Be
arbeiter fand. Die erfte Epur eines deutſchen Herzogs Ernft fanden
wir im Klofter Tegernfee; der Mönch Odo bearbeitete fie in Iateinifchen
Herametern unb auch die mittelhochdeutſchen Gedichte berufen. fih auf
eine lateinifche Duelle. Erbeblicher ift ung bie Frage, ob auch noch
weiterhin, namentlich aus der hobenftaufifchen Beit, gefchichtliche Beſtand⸗
theile in die Ernftsfage aufgefaßt worden jeien, ob fie fomit bis in
das dritte Kaifergefchlecht vorfchreite. Nur ganz äußerlich ift die An-
lehnung, wenn in dem Meiftergefange des 15ten Jahrh., wie ihn Kaſpar
von der Röhn gibt, der Kaifer, Ernſts Stiefvater, Friederich beißt,
ein hobenftaufifcher Königsname. Erſt zu unterfuchen ift noch das bloß
bandichriftlich vorhandene Gedicht von Heinrich! von Braunſchweig, wel⸗
ches einestheild mit der Sage von Heinrich dem Löwen, anberntheild mit
der von Herzog Ernſt Ähnlichkeit haben foll (Grundriß 540, 184 ff.
Docen, Sen. Litteraturzeitung 1810, NR. 109, Ep. 267 f. 277). Bors
zügli aber hat man in Ernſts kecker Gewaltthat, wie er feinen bos⸗
baften Anſchwärzer, ven Pfalsgrafen Heinrich, im Gemade des Kaifers
auffucht und erfchlägt, wie der Kaifer felbit nur durch fchnelle Flucht
dem Schwerte des Zürnenden entrinnt, eine poetiihe Nachbildung des
Königsmordes gemuthmaßt, welchen der Pfalzgraf Otto von Wittelg-
bach im Jahre 1208 an dem Hohenftaufen Philipp verübte, indem er
wirklich auf ganz ähnliche Weiſe in Philipps Gemach auf der Altenburg
bei Bamberg eindrang.
Godefridus monachus coloniensis, Anneles colon. maximi: „Cum Phi-
lippus solus in quodam lobio cum episcopo spirensi et aliis duobus, sc.
camerario et dapifero suo, remansisset, ille nefarius homo [Otto Pala-
tinus?] cum sedecim militibus armatis adveniens introitum petiit. Qui
1 [Sol wohl heißen Reinfrit von Braunſchweig. Das Gedicht von dem
braunſchweigiſchen Herzog Heinrih dem Löwen hat ſchon 1828 Maßmann in
feinen Dentmälern I, 123 fi. herausgegeben, wie Echriften I, 503 gefagt
if. Über Reinfrit von Braunſchweig vgl. die Monographie K. Gödekes.
Hanover 1851. 8.]
2 [Bgl. Münchner Liederhoſchr. 52a: Dux Philippus moritur Palatini
gladio.]
587
cam jusseu regis intromissus fuisset, gladium latenter de manu cnjusdam
armigeri tulit, et quasi regem salutalurus accessit, quem cum audacter
in caput ejus vibrasset, uno ictu cum interfecit. Quo statim mortuo,
episcopo spirensi se occultante, alios duos in eum irruentes fortiter vul-
neravit et mox egressus adscenso equo cum suis fugere capit. (Hahn IV,
76. Raumer Ill, 139 bis 145.)
Vergleichen wir biemit die Erzählung von Ernſts That in der
älteften, noch vorhandenen Tarftellung, den poetiſchen Bruchſtücken in
Hoffmanns Fundgr. I, 230 (Erneft de helit gut u. f. w.), fo ift bie
Übereinftimmung allerdings auffallend. Wollen wir aber diefelbe nicht
überhaupt entweder für zufällig oder in der Art eines folchen Unter:
nehmens beruhend annehmen, fo Tann doch feinen Falls das «Gebicht
aus der Gefchichte vom Ende Philipps geborgt haben, denn die Bruch—
ftüde find älter, fie ftammen noch aus dem 12ten Jahrhundert, während
die Ermordung Philipps in das Jahr 1208 fällt.
In der ſächſiſchen und fränkiſchen Kaifergefchichte zeigt fich zwar
keine Thatſache, die dem Gewaltſtreiche Ernſts entſpräche. Nur das
iſt ſchon früher angeführt worden, daß Ludolf und Konrad dem Kaiſer
drohten, den Herzog Heinrich, wenn er an den Hof in der Pfalz Ingel⸗
heim Täme, gewaltfam zu greifen. Dagegen mochten ſchon ältere
Tarolingifhe Eagen cinen foldhen Zug barbieten, 3. B. wenn in ber
Eage von den Heimonskindern Reinold dem Könige Ludwig, im Ans
geficht feines Vaters, des Kaiſers Karl, das Haupt abfchlägt; 1 hn-
liches im Roman von Hüon von Borbeaur. Eine fagenhafte Über:
lieferung dieſer Art Tonnte ſich ald That da anfcliegen, wo die Ge:
fdyichte nur eine Drohung kennt. Kann nun aber bier der Grund ber
Enge nicht in einem geichichtlichen Ereigniffe nachgewiefen werben, jo
erhebt fih umgekehrt die Möglichkeit, daß die Eage auf die wirkliche
That hingewirkt habe. Heinrich von Andechs, Markgraf von Zftrien,
der als Anftifter der von Otto von Wittelöbach verübten Frevelthat
betrachtet und deshalb geächtet wurde, und deſſen gleichfalla in dieſe
Sache verwidelter Bruder, der Bifchof Egbert von Bamberg, waren
Eöhne eben jened Grafen Berthold, der im Jahr 1180 das beutjche
1 Über die aufrührifhen Grafen Ernft und Werner unter Ludwig dem
Deutfhen ſ. Annales Fuldens. zu den Jahren 861. 865. 866 bei Freher
S. 27. 30. 31. Pertzs Mon. I, 343 bis 415. 8]
388
Büchlein von Herzog Ernft fih vom Abte des Kloſters Tegernfee zur
Abfchrift erbeten hatte. Das Gebicht mar fomit ohne Zweifel im Haufe
Andechs vorhanden und märe nun die Muthmaßung zu gewagt, daß
eine Fabel, melde damals fo beliebt war, dem Markgrafen Heinrich
und feinem Mitverfchmorenen, Dtto von Wittelsbach!, zum aufregenden
Vorbild diente, nach welchem fie den eigenen kecken Anichlag faßten 2?
So hätte die Sage zwar aud das dritte Kaiferhaus ergriffen, aber
nicht zu poetifcher Geftaltung, fondern rückwirkend auf die Gefchichte.
Über die Eagen und Gedichte von Herzog Emit ift ſchon manig-
fach verhandelt und dabei auch das Geſchichtliche erörtert morben.
Namentlich find anzuführen:
Görres, die deutihen Bolksbücher. Heidelberg 1807. S. 83 bie 85.
Ebendesſelben Anzeige dieſes Buchs, Heidelberger Jahrbücher 1808. 9.11.
©. 411 bis 413.
V. d. Hagen, Einleitung zum Herzog Ernft, in den deutſchen Gedichten
des Mittelalters. 8. I. Berlin 1808.
Docen, Beurtheilung diefer Sammlung in Schellings Allgem. Zeitfchrift.
8.1. 9.2. Nürnberg 1813. ©. 281 bis 264
Ebenderſelbe, zur Litteratur und Kritik altveutfcher Gedichte Mujeum für
altdeutſche Litteratur und Kunſt. B. 11. Berlin 1811. ©. 245 fi.
Ich habe diefe Vorarbeiten benützt, aber das Einzelne in einen
vollern Zufammenhang der Eagenentwidlung zu bringen gefucht.
Außer diefer umfaſſenden Eage find aus der fächfifchen und
fränfifchen Kaiferzeit noch manche, mehr vereinzelte vorhanden, deren
ih noch einige anführe, und zwar ſolche, bie ſich den Gefchichten ber
und bereit fagenhaft befannten Kaifer, Ottos I und UI und Konrads II,
angebeftet haben.
Kurzbold 3, ***
Es ift fehr zu bedauern, daß und Eckehard (geft. um 1036) von
1 Dtto von Wittelsbach wollte Anfangs Gertrud, die Nichte jener beiden
Brüder, heirathen. Naumer III, 145, 1.
* In einer Urkunde Dttos IV werden beide zufammen genannt interfectores
regis Philippi marchio Histrie et Otto Palatinus u.|.w. Raumer III, 144, 2,
[2te Aufl. 2, 667. 8.]
3 [8 bleibt Hier manches weg, was ſchon Schriften I, 472 f. wörtlich
gleichlautend abgebrudt if. K.]
589
biefem kühnen Sonderling nicht mehr erzählt oder gar die Lieber er:
halten Bat, melde won ihm gejungen wurden. Hätten wir biefelben
noch, jo würden fi wohl auch die Sonderbarfeiten poetifch erklären,
wie bei Immo.
Daß fih die Überlieferungen von Kuno Kurzbold zu Eckehards
Zeit, vor Ablauf eines vollen Jahrhunderts von ben gefchichtlichen
Creignifien, fchon beträchtlich fagenhaft geftaltet batten, ergibt fich
fhon daraus, daß bier in die Tage Heinrich I hinaufgerüdt wird,
was fich unter feinem Sohne Otto I begab. Der Untergang der auf
rühriſchen Herzoge bei Breyfih nächſt Andernach fällt in die Beit der
Zwietracht Ditos I mit feinem Bruder Heinrich, in welchem Zufammen-
bange wir früher davon Meldung thaten.
Otto mit dem Barte 1. ***
Sage von Kaifer Heinrich III? ***
Mehrere andere fagenhafte Überlieferungen aus der Zeit der Ottone
und der Salier find im 2ten Bande der grimmiſchen Sammlung zu
finden. Bon manden find nur noch Spuren übrig, welche zu verfolgen,
bier zu umftänblich fein würde, wenn gleich auch fie beweiſen, wie
geihäftig diefe ‘Periode des deutſchen Mittelalters noch war, die Ge:
fchichte in Sang und Eage aufzufaflen.
VI Sagen aus der Zeit der Hohenftanfen.
1. Friedrih von Schwaben 3. ***
2. Der verlorene Kaifer Friedrid.
Ähnliche Sage, wie die vom Fortleben und der einftigen Wieber-
kehr Karla des Großen, wird auch vom Kaiſer Friedrich, obgleich wieder
mit befondern Umftänden, erzählt. Welcher ver zwei berühmten Hoben-
ftaufen dieſes Namens dabei gemeint fei, läßt fich nicht immer be
ftimmt unterfcheiven; bald neigt die Überlieferung fich mehr zum Einen,
bald mehr zum Andern, bald gehen fie in fagenhafter Einheit auf. Das
1 [Ecpriften I, 478. 8.)
2 [Das Manufcript diefes Abfchnittes fehlt. Nah dem in der Vorlefung
nachgefchriebenen Hefte ift die bei Grimm, deutſche Sagen 2, 177 nad) Gott-
fried von Biterbo erzählte Sage gemeint. K.)
8 [Nach dem frühern Hefte, Schriften I, 481 fi. 8.]
590
Lebensende Beiber trat unter Verhältniſſen 'ein, welche die Anknüpfung
einer folchen Sage begünftigten. Yriebrich der Erfte fam auf der ſtreuz⸗
fahrt im fernen Often um (1190) und die Annaliften ſelbſt weichen in
der Erzählung von feinem Tode manigfad von einander ab (Raumer
II, 436 f.); um fo freieres Epiel hatte hier die lebendige Volksſage.
Auch Friedrich II ſtarb fern vom deutſchen Heimathlande, in Apulien
(1250. Raumer 1V, 261), nachdem ihn längft der päbftlihe Bann
aus der Gemeinfchaft der chriftlichen Kirche verftoßen hatte. Johann
von Winterthur, ein Chronikichreiber aus ber erften Hälfte des 14ten
Sabrhunderts, ? verbindet mit der Nachricht vom Tode biefes Kaifers
folgendes Sagenhafte (Joh. Vitodurani Chronicon in Leibnig® Ac-
cessiones historie, ©. 14):
Fridericus imp. quondam sic anathematizatus et imperialis honoris
apice privatus .. . sepultus apud Fodiam tam occulte, quod multi per
annos XL vadiabant eum vivere, venturum in proximo in manu robusta.
Alii famant, quod ad exhortationem suorum astronomorum Earopam
reliquerit et ad partes terre longinquissimas per mare et per terram cum
suis familiaribus et servitialibus dudum ante mortem suam devenerit, ne
mala sevissima incurreret sibi imminentia, astrologorum suorum in astris
certam per cognitionem, si reimaneret; qui recedens ultra. non apparuit
in terra. j
Wie verbreitet im 14ten Jahrhundert der Glaube vom Verſchwin⸗
den, Fortleben und der Wiederkunft Kaifer Friedrichs war, und
zwar in fichtliher Anwendung auf Friebrich II, davon ſprechen weitere,
und zwar poetifche Zeugniſſe aus dem gedachten Jahrhundert,
Dahin ohne Zweifel gehört ein vorn herein nicht mehr vollſtändi⸗
ges deutfched Gedicht vom Kaifer Friedrich in der Heidelberger Papiers
Hd. 844 (Willen ©. 544). Der Berfafler vesfelben nennt fih am
Schluſſe Oswalt 2. Dabei fteht die Jahrzahl 1478, welche jedoch nur auf
1 Fohannes Bitoduranus fagt im prooemium ©. 4: Exordium autem
narrationis mes assumere cogitavi ab Innocentio tertio illius nominis papa
et a Friderico imperatore secundo hujus nominis, qui non longe mea
meorumque progenitorum tempora antecesserunt. Sein Chronicon geßt,
foweit es vorhanden, bis zum Jahr 1277, ſoll fi aber nad) Leibnits pre-
fatio bis 1348 erftredt haben. [Bgl. C. F. v. Stälin wirtembergifche Ge⸗
ſchichte. Stuttgart bei Cotta 1856. 3, 4. 8]
2 [Vgl Schriften I, 495. 8.]
591
die Zeit dieſer Abfchrift zu beziehen ift. Zu Königsberg in Ungarn, fagt
der Verſaſſer, babe er dieſes Werk vollbracht. Das vorhandene Bruch
ſtück betrifft hHauptfächlich den Verkehr des Kaiſers Friedrich mit dem fabel:
baften Prieſter Johann in Indien und ihre gegenfeitigen Gefchente.
Der Kaijer empfängt namentlich ein Kleid, von Salamandern gewoben,
das man im euer wäſcht; eine Flaſche vom Wafler des Wunder:
brunnens, welches allezeit Geſundheit und Kraft gibt; davon fol der
Kaifer ein Jahr und drei Monate lang jeden Tag nüchtern trinten,
fo bleibe er gefund und lebe darnach 300 Jahre und 3 Monate; fo:
dann einen Yingerring mit Ebelfteinen von wunderbarer Straft, bes
ſonders der, daß wer den Toftbarften dieſer Steine in der Hand ver-
ſchloſſen Hält, dadurch unfihtbar wird.
Dieſer Haupttheil des Gedichte, für welchen der Verfafler ſich auf
ein lateinifches Buch beruft, geht uns für die eigenthümlich beutfche
Sage nicht näher an. Dagegen ift nun am Schlufle eine Erzählung
in Verbindung geſetzt, die fih, nach ausdrücklichem Verfichern des Ver:
fafjers, auf mündliche Volksſage gründet.
Der edle Kaifer Friedrich behielt jene drei Kleinode forgfältig bis
zu der Beit, da ihn der Pabft Honorius in den Bann that, ihn von
der Gemeine der Chriftenheit ausſchloß und die Fürften, bie dem Reiche
geihmworen, ihrer Eide ledig ließ. In melde Stadt nun der Kaifer
ritt, vermied man, fo lang er darin war, Gotted Amt, las Teine
Meile und fang feine Tagzeit. Einft nun zur Ofterzeit, um nicht die
Chriftenheit in dieſer heiligen Feier zu irren, bereitete fich der Kaifer
auf die Jagd. Niemand von den Jägern wuſte feinen Muth nod
Sinn. Er legte das Toftbare Gewand an, das ihm aus Indien geſandt
war, nahm darunter die Flaſche vom Wunderbrunnen und beitieg ein
gutes Roſs. Etliche Herren ritten mit ihm. Als er fern in den Wal
gelommen, nahm er feinen Ring mit dem unfichtbar machenden Ebel:
ftein in die Hand und verſchwand vom Jagen. Seitdem ſah man ihn
nimmermehr 1.
Alfo ward der hochgeporn
Keifer Friderich do verlorn.
1 [Andere Darftellungen ſ. bei Adelung, Altdeutiche Gedichte in Rom II,
197. Bgl. Graffs Diutisca III, S. 367.]
1 Niwan?
2 dürren?
3 Des?
392
Wo er darnach ye hin Fam,
Oder ob er den end do nam,
Das Lund nyemand gejagen mir,
Dder ob yne die wilden fir
Breffen habn oder zerifien,
Es Tan die warheit nyemand willen,
Oder ob er noch lebentig ſy,
Der gewiſſen ſin wir fry
Und der rechten warheit;
Ne doch iſt uns geſait
Bon pawren ſolh mer,
Das er als ein waler
Sich oft by yne hab laſſen ſehen
Und hab yne offenlich verjehen,
Er ſüll noch gewaltig werden
Aller romſchen erden,
Er ſüll noch die paffen ſtoren
Und er wol noch nicht uf horen
Noch mit nichten laſſen abe
Nur! er pring das heilge grabe
Und dar zuo das heilig lant
Wider in der Criſten hant,
Und wol ſines ſchiltes laſt
Hahen an den dorren 2 aſt.
Das ich das für ain warheit
Sag, das die pauren haben geſeit,
Das 8 nym ich mich nicht an,
Wan ich ſin nicht geſehen han.
Ich han es auch zuo kein ſtunden
Noch nyndert geſchribn funden,
Wan das ichs gehort han
Bon den alten pauren an wan.“
Aber das der hochgeborn
Keifer Fridrih wurd verlorn
4 äne wän, ohne Fehl, ausgemadt. Wigalois 744.
393
Alfue 1 und aud alba
Das fagt die romſch Beronica, 2
Da von ih8 wol gejagen tar
Und geſchriben offenbar,
Daß ley noch die paffen
Daran nicht mogen geftraffen u. f. w.
Daß bier Friedrich II gemeint fei, erhellt fchon aus der Nennung
bes Pabſtes Honorius als besjenigen, der ihn mit dem Banne bes
legte, worunter Honorius III, der von 1227 bis 1241 auf dem päbft-
lihen Stuhle ſaß, zu verfteben ift (Raumer II, 507), dann aber auch
daraus, daß ber Kaiſer, von dem erzählt wird, als Gegner einer ſich
zu viel anmaßenden Priefterfchaft erſcheint. Mochte man von Karls des
Großen Wiederkehr die Herftellung meltlihen Friedens und Rechts fich
veriprechen, von biefem Friedrich erwartete man, baß er noch einft „bie
Pfaffen ftöre” 3, ihre Verberbnis und ungebührliche Gewalt breche und
durch Befreiung des heiligen Landes und Grabes 4 der Gründer einer
neuen, gereinigten Kirche werde, was mit ber bee vom taufenbjährigen
Reiche, die im Mittelalter fehr gangbar ivar, zufammenzuhängen fcheint.
Der Verfaſſer des Gedichts brüdt fich hierüber vorfichtig aus, er gibt
es als eine Sage der alten Bauern, für die er nicht ſelbſt einftehen will.
Noch deutlicher find diefe Anfichten in einem Meifterlieve ausge
fprochen, das wahrscheinlich aus der Mitte des 14ten Jahrhunderts ber:
ſtammt. Docen, Kritifche Beichreibung einer Sammlung alter Meiſter⸗
gefänge in einer Hbf. des 15ten Jahrhunderts (in der Bibliothek zu.
Münden), in Aretins Beiträgen zur Gefchichte und Litteratur B. IX.
Münden 1807. ©. 1133 f.
So menig diejed Lied durch feine meifterfängerifche Form und bei
dem fichtbaren Verfall der Sprache ſich empfehlen Tann, fo ift es doch
durch feinen inhalt hier beachtenswertb. Es verlündet die Nähe einer
Zeit, in weldyer um zwei Häupter der Chriftenheit, die fich wider ein-
ander ſetzen, großer Streit über alle Lande fi) heben wird. Gewalt:
ı Atfo?
2 Romiſch cronica?
3 ftoren, verjagen; Benele zu Wigalois und Boner.
4 Ähnliches doch auch ſchon von Karl dem Großen; Willen, Krenzzlige I,
76. R. 81.
Uhland, Schriften. VII. 38
594
that, Raub und Brand werben toben. ft dann der Krieg jo groß
geworben, daß Niemand mehr ihn ſtillen Tann,
So kumpt fi Kayſer Friderich, der her und auch der milt,
Er vert dort ber durch Gotes willen,
An einen dürren pawın fo bendt er feinen fchilt.
Dann geſchieht die Fahrt über Meer; Mann und Weib heben
fih rafch dahin, mo ihnen Gott fein Reich geben wird. Friede und
Freude wird dann in den Landen herrſchen. Der dürre Baum grünt
und Inofpet, daran der Kaifer feinen Schild aufgehängt. . Gemonnen
wird das heilige Grab und nimmer Schwert darum gezogen. Alle
Rechte bringt diejer Kaifer wieder. Alle heibnifche Reiche werben ihm
untertban; ver Juden Kraft legt er darnieber, ohne allen Wiberftand:
Und aller pfaffen meifterjchafft [d. H. legt er nieder];
Doz fibend teil wirt auch kawm beftan.
Dy clofter di zuftort er gar der furft gar hochgeborn.
Er gibt dy nunnen zu ber e,
Daz fag ich euch furwar,
Sy miüffen ung pamwen wein und forn;
Bann daz geihiht, jo kumen ung gute jar.
Wir fehen, mie frühzeitig Gedanken in prophetifcher Sprache wal:
teten, die erft gegen zwei Jahrhunderte fpäter fi) in der Wirklichkeit
geltend machten 1.
An den Schluß des 15ten oder in den Eingang bes 16ten Jahr:
bunderts fällt die Abfaflung eines ehmaligen Volksbuchs?. Das Büd-
lein nimmt zwei Drudbogen in 40 ein.
Die angegebene Zeit der Abfafjung des Buchs in feiner jegigen
Geftalt ift aus einer Erwähnung Marimilians I, als vermaligen
Kaiſers, zu entnehmen.
Dasjelbe erzählt mehreres Fabelhafte von einer Belagerung und
Eroberung der Stadt Jeruſalem durch Friedrich I, wobei befonders ein
bairiſcher Herzog Edart fich auszeichnet; ſodann von einjähriger Ge
fangenjchaft dieſes Kaiſers bei einem heibnifchen Sultan, und zulegt
1 Bgl. auch Kaſpar von der Röhn, Herzog Emit, Str. 50: „Der tapfer
[Friedrich] hie verzudet ward.” [BgL oben S. 562. $.]
2 [Näheres darüber Schriften I, 499. $.]
11 ..
595
noch, mas und bier näher berührt, von feinem Verfchiwinden und feiner
fünftigen Wieberlehr 1. ***
Die Sage ift bier ebenſo beſtimmt an Friedrich I gefnüpft, als im
früheren Falle an Friedrich IL Das öfters erwähnte Aufhängen des
Schildes bei der Wiederkehr des Kaifers bezieht fih auf die alte
deutiche Sitte, vermöge welcher die Aufrichtung des Herrenfchilves das
feierliche Symbol der Gegenwart des Fürften im Heer oder im Gerichte
geweſen zu fein fcheint (J. Grimm, Rechtsalth. 956. 851 f. 425).
Es ift ſchon früher bemerkt worden, daß die von Maßmann heraus»
gegebene, dem 17ten Jahrhundert angehörende Handichrift des Volks⸗
buchs vom Untersberge bei Salzburg dem Kaiſer Friedrich beilege, was
die gewöhnlichen Drude vom Kaifer Karl melden. Da heißt es dann
u. a., obgleich etwas verwirrt, ©. 60 bis 62: Der Mönch u. f. w. ***
Beſonders auch an alte Kaiferburgen bat fich die Sage vom ver:
Iorenen Kaifer Friedrich geheftet, wie die von Karln an die Burg von
Nürnberg. Im Schloß zu Kaiferslautern hängt Kaifer Friedrichs Bett
an u. f. m. ***1
8. Heinrid der Löwe?.*x
4. Die Habsburger. ***
3. Spätere Bolksfage.
Wir haben die deutſche Sagengeſchichte bis jetzt in zwei Abthei-
Iungen abgehandelt:
1) Ältefte Spuren der deutſchen Götterfage [S. 473. 8.];
2) Heldenfage [S. 515. K.], die fi uns wieder in chklifche und
nicht cykliſche abtheilte.
Die frühe Bekehrung der deutſchen Völker löste bei ihnen den
volleren Umfang ihrer einftigen Götterſage und wir konnten von biefer
ſchon in älterer Zeit nur halberlofchene Spuren aufweiſen. In reichern
Entfaltungen zeigte fih uns die Heldenſage, bis auch ihre Bildungs»
1 [Schriften I, 501. &.]
2 (Schriften I, 503. 8.)
8 [Schriften I, 505. K.)
596
— — —
kraft mit dem Zeitalter der Hohenſtaufen allmählich verſiegte. Darum
hat aber doch die Sage nicht gänzlich aufgehört, auch noch weiterhin
im Volke zu leben. Von ſolcher ſpätern Volksſage, nach der wir dieſe
dritte Unterabtheilung benennen, haben wir zuvor ſchon Einzelnes auf
ältere Sagenhelden, 3. B. Karln den Großen, die ſchwäbiſchen Fried⸗
riche, erläuternd und ergänzend zurückbezogen. Wir hätten auch für
ſie dieſelbe Rubrik gebrauchen können, wie für die entſprechende dritte
Abtheilung ber nordiſchen Sagengeſchichte: Balladen, Ortsſagen, Mähr⸗
chen. Da jedoch eine ſpeciellere Ausführung nach dieſen dreierlei Klaſſen
innerhalb der zugemeſſenen Zeit nicht mehr möglich iſt, ſo beſchränke
ich mich darauf, die allgemeiner zugänglichen Quellen namhaft zu machen
und bloß einige bedeutendere Partieen dieſer ſpäteren Volksſage näher
zu beleuchten.
Litterariſch alſo bemerken wir:
1. Balladen, kürzere deutſche Sagenlieder, in ihrer jetzigen Geſtalt
meiſt aus dem 1bten und 16ten Jahrhundert herrührend, aber zum
Theil auch noch im Munde des Volles befinvlid. Gegen die Fülle
derartiger Lieder, wie fie bei den Völkern des ſkandinaviſchen Nordens
vorliegt, exfcheinen freilich die Überrefte unſrer früheren Balladendich—
tung fehr dürftig. Dennoch glaube ich, daß ein emfiges Verfolgen des
alten Volksgeſangs, in Flugblättern des 16ten und 17ten Jahrhunderts,
in bandfchriftlichen und gebrudten Liederfammlungen der genannten
Beit und der noch fortdauernden mündlichen Überlieferung des Volkes
felbjt, bejonders in abgelegenern Gebirgs- und Waldgegenven, noch
Manches zu Tage fördern und aud unſern Vorrath anfehnlidyer ge-
ftalten könne.
Für jest find hauptfächlich folgende Sammlungen anzuführen:
Des Knaben Wunderhorn, alte deutjche Lieder, geſammelt von A. v. Arnim
und Brentano, 3 Bände. Heidelberg 1806 bis 1808.
So wenig diefe Sammlung kritiſchen Anforderungen genügt, ba
fie Altes und Neues, Echtes und Unechtes mwillführlih zuſammenmiſchi,
jo war fie doch nicht bloß für eine forgfältigere Beachtung der alten
Volkslieder anregend, fondern ift auch, namentlich für die balladen⸗
artigen, noch immer bie veichhaltigite.
Alte teutſche Bolfslieder in der Mundart des Kuhländchens. Herausge-
geben und erläutert von J. ©. Meinert. B. I. Wien und Hamburg 1817.
897°
Das Kuhländchen ift ein kleines Hirtenland auf der Echeide zwiſchen
Mähren und Schlefien, zu erfterem gehörig. Dort wohnt ein beutfcher
Menſchenſchlag mitten inne zwifchen ſlaviſchen und ungarifchen Nachbarn.
Es haben fich daſelbſt viele alte Volkslieder erhalten, wovon Meinert
einen Theil in der dortigen Mundart, echt und unentftellt, heraus:
gegeben hat. Zu bedauern tft, daß die Sammlung beim erften Bande
ftehen blieb.
2. Drtsfagen, d. 5. ſolche Volksſagen, melde, außer und neben
den größern und vollftändigern Bildungen der Eagendichtung, kurz und
vereinzelt daſtehen und meift an beftimmte Örtlichfeiten, an Berge und
Seen, an Felſen und Quellen, Kirchen und Burgtrümmer u. ſ. m.
gebannt find, in beftimmten Gemeinden und Familien ihren Sig haben.
Von den, was frühere, meift provinzielle Sammlungen folder
Volksſagen Echtes und Erheblicheres enthielten und was fonft Der:
artiges in ältern Echriften zerftreut lag, findet fich die reichite Zuſam⸗
menftellung in dem oft angeführten Buche der Brüder Grimm: Deutjche
Sagen !, beſonders dem erften Theile. (Der zweite umfaßt mehr die
geichichtlihen, an die Heldenſage fich anjchließenven.)
3. Märchen, pbantaftiiche Erzählungen, noch jebt in der münd-
lichen Überlieferung des Volles, beſonders zum Vergnügen der Find:
lichen Einbildungstraft gangbar, zum Theil Auflöfungen oder Verwand⸗
lungen alter, feiterer Mythen und Sagen.
Auch hiefür haben die Brüder Grimm das Beſte gethan in ihren:
Kinder- und Hausmährden. 3 Bände. Berlin 1819 bis 1822. [Dritte
Auflage 1856. &.]
Diefe bedeutendſte Sammlung bat, vorzüglich aus dem Munde des
befliihen Landvolks, einen vorher nicht geahnten Reichthum beutfcher
Mährchen an’z Licht gebracht. In der Einleitung und den Anmerkungen
finden fi beſonders auch die nachweisbaren Beziehungen zu Mythus
und Heldenjage angezeigt. Eine reichhaltige, vergleichende Litteratur des
Mährchenwefens bei den verfchievenen Volksſtämmen gibt der dritte Theil.
Soviel über den Beftand der fpäteren deutſchen Volksſage im
Allgemeinen. Derfelbe ift übrigens mit jenen drei Rubrifen nicht eben
für erjchöpft anzuſehen. Zu befonbrer Erörterung hebe ich zuerft zwei
1 [Neue Auflage. Berlin 1866. &.]
998
durch ihre mythiſche Grundlage vorzugsweiſe beachtenswerthe Über⸗
lieferungen hervor, bie vom Venusberg und die vom müthenden Heere,
fodann noch eine "dritte, feherzhafter Natur, von den Echilbbürgern
(Schwabenftreichen).
1. Der Venusberg !.
In fliegenden Blättern des 16ten und 17ten Jahrhunderts war
folgende Ballade viel verbreitet, die auch fonft mehrfach abgebrudt ift,
3. B. nad) einem Nürnberger Flugblatt in Gräters Bragur, B. VII
Breslau 1812. ©. 186 ff.; nad Kornmanns Venusberg im Wunder:
born 1, 86 und anbern Sammlungen. Niederdeutſch, fliegendes Blatt
vermuthlich von 1581, Schellers Bücherkunde ©. 479, XVI. Eie lautet
fo (nach dem Tert im Bragur mit einigen Lesarten des andern): Run
wil ih u. f. w. (f. die Vorlefung über die beutfche Dichtfunft im 1Hten
und 16ten Jahrhundert.) ?***
Wie hoch hinauf im 16ten Jahrhundert die Drude diefer Ballade
verfolgt werden Fönnen, tft mir nicht befannt. Aber fchon der trodne
Stil und die harte Form derſelben laflen vermutben, daß fie in folcher
Geftalt nur Umarbeitung eines ältern beweglichern Bollögefanges ſei.
Wirklih finden wir auch fchon im erften Viertel des 16ten Jahr
hunderts fprichwörtlich des „alten Tanhäuſers“, alſo doch wohl im
Gegenfaß einer neueren Faflung, erwähnt. Aventin (Johann Thurn
mayer aus Abensberg, geft. 1534) überjegt in feiner Grammatik von
1517: eandem canis cantilenum, fingft gleich den alten Danhaufer.
Derfelbe, in ver bairifchen Chronik (Frankfurt 3 1580. Bl. 33) mad,
nach feiner Weifet, die Fabelhelden gefchichtlich einzureihen, den Dan-
beufer zu einem von den Griechen Thanaufes genannten König ber
Gothen 5, ***
In einem „Ihönen Dialogus“ 8 zweier Iuthrifcher Bauren,, Kuntz
und Srig, über das Verhalten der Hochichule zu Tübingen gegen Luther
ı [Bgl. Schriften II, 229 fi. 8]
2 [Schriften II, 588. Bollslieder I, 761. K.)
3 [Bgl. Potthaſts Bibliotheca medii wvi ©. 153. 8.)
4 [Bol Schriften I, 120 f. 8.)
5 [Das weitere gleichlautend wie Schriften II, 280. 8.)
6 [Bgl. Schriften II, 508. 9.)
599
(einer Flugſchrift auf der Stuttgarter Bibliothek o. O. u. J. mit Blei⸗
ftift 1522, dem Inhalt nach wenigſtens vor 1532), wird ber daſige
Profeflor der Theologie Jacob Lemp ein „alter danheüſeriſcher Eſel“
genannt und noch weiter heißt es:
Du weiſt wol, das die alten patres ſchlecht gelert feind, dann fie wiſſen
nit von dem zierlichen Latein Giceronis unnd Bergilii zu jagen, darumb ſchmeckt
in nicht dann das fie gelernet haben, und fo fie nur den alten Danheifer ge-
lernet haben, künden fie auch den Erasmum und ander gelert nitt verfteen.
Der Pabft Urban, der am Schlufie des Liebes, obgleich nicht in
allen Druden desfelben, al® der vierte bezeichnet wird, hatte von -
1262 bis 1264 den päbftlichen Stuhl inne. So weit hinauf können wir
freilich weder das Lied noch die darin erzählte Fabel nachweifen; aber
daß diefe Schon um die Mitte des 15ten Jahrhunderts gangbare Volls-
fage. war, ergibt das auf fie gegründete Gedicht Hermanns von Sachfen⸗
beim, die Mörin 1, welches 1453 verfaßt ift. ***
In diefer allegorifchen Dichtung unſres Landsmanns (fein Gefchlecdht
nannte fi von Groß⸗-Sachſenheim bei Vaihingen an der Enz), melde
ihren Namen von einer darin eine bebeutende Rolle fpielenden Mohrin
hat, mwirb ber Dichter auf einem einfamen Gang im Walde an ben
wunderbaren Hof der Königin Venus entführt, wo er für mancdherlei
Untreue, die er fih in der Liebe zu Schulden fommen ließ, vor Gericht
ftehen muß. Der Tanhäufer, ein Ritter aus Frankenland, trägt bier
im Reiche der Venus, als Gemahl verfelben, die Krone; wie er dahin
gelommen, wird vermuthlich als befannt vorausgejeht. Das Innere
bes Benusberges ift nur kurz und geheimnisvoll angedeutet: ein ewiger
Mat blüht in ihm, er ift voll Goldes und edeln Geſteins; Frauen,
Nitter, Zwerge ergeben fi darin mit Singen, Tanz und Eaitenjpiel;
alle Meifter der Philofophei möchten die Wunder dieſes Berges nicht
ermeflen.
Am Hofe der Königin Venus befindet fih, nad der Mörin, auch
ber treue Edart, von welchem, als dem getreuen Meifter und Warner
der Harlunge, wir bei der cykliſchen Helvenfage gehandelt haben?. Bon
1 Bgl. BL. 15. [Die Stelle ift gebrudt in den Schriften II, 221. Die
weitere Ausführung über die Mörin ftimmt zum Theil wörtlich mit dem II,
220 fi. gegebenen, weshalb ich hier Türze 8.)
2 [Bgl. Schriften 1, 245 f. II, 231. &.]
600
ihm fagt der profaifhe Anhang bes Heldenbuchs (Hagenau 1509,
Bl. 212 [Stuttgart 1867, ©. 3. R.J):
Mar vermeinet auch, ber getreu Edarte ſey noch vor fraw Fenus berg, und
fol auch do beiyben biß an ben jungften tag, und mwarnet alle, die in den berg
gan möllen.
ob. Agricola feht in feinen deutfhen Sprichwörtern (die erfte
vollftändige Ausgabe erfchien zu Zwickau 15291) BL 243 die Fabel vom
Thannheufer, die er, übereinftimmend mit der Ballabe, kurz anführt,
gleihfalls mit der Sage und dem Sprichwort vom treuen Edart in
Verbindung:
Nun haben die Teutfchen ires trewen Edharts nit vergefien, von dem fie
jagen, er fie vor dem Venusberg unnd mwarne alle leut, fie folten nit in dem
berg gehn u, |. w. Dieweil nun der Thannheufer alſo mit leib und feel ver-
borben ift, jagen die Teutſchen, der trew Eckart fie vor dem berg und warne
die leut, fie follen nit hinein gehen, es möcht ihnen ſonſt ergehn wie bem
Thannheuſer. (VBgl. Anentin 88 f.)
Wie ſehr die Sage vom Venusberg im 15ten und 16ten Jahr⸗
“ hundert bejonders auch in unfrer Gegend vollsmäßig verbreitet war,
mögen noch einige weitere Anführungen darthun 2, ***
Sole Berzauberungen machen auch den Inhalt ſchwediſcher und
dänischer Volkslieder aus (befonders bie von Ritter Tunne, Sv. Folkv.
I, 32. 127, der felbft im Namen mit Tanhäufer anklingt; däniſch
Zönne, Udv. d. Bil. 1, 281. 390 [vgl. oben ©. 384. R.]) und eben
dahin gehört urſprünglich das Lied vom Tanhäufer. Davon bin ich
Durch eine mir, nebit der Melodie, mitgetheilte Aufzeichnung des⸗
felben überzeugt worden, wie e3 noch vor Kurzem im Entlebuch, im
Kanton Luzern, vom Volke gefungen worden. Hier fängt das Lied
fo an: Wele gro8 wunder fchauen wil.3 *** (Der Lange-Tanz, darin
fih Alle, die tanzen wollen, nach der Reihe anfaflen, kommt auch bei
den Dithmarſchen vor, Viethens Beichreibung und Geſchichte des Lan⸗
des ©. 107. 4)
1 (Bol. Schriften II, 281, Anm. 2. 9.)
2 [ES folgt nun die Ausführung wie B. II, 232 fi. &.]
3 (Bgl. Volfglieder I, 770. Schriften II, 234. 8]
4 [Bgl. Schriften II, 398 f. 5.)
601
Gerade fo heben bie däniſch⸗ſchwediſchen Elfenlieder an; das von
Oluf (Udo. d. Bil. I, 2379):
Herr Oluf reitet aus fo weit,
Bu laden feine Hochzeitlent,
Da tanzen vier und da tanzen mehr,
Eiflönigs Tochter die Hand firedt her.
„Willlomm, Herr Dluf! laß fahren die Eil
Und tritt mit mir in ben Zanz eine Weil’ IT"
Der das vom Elfenhügel (ebenv. I, 2342):
Ich legte mein Haupt auf die Elfenhöh',
Meine Augen begannen zu finten,
"Da kamen gegangen zwei Jungfraun vor,
Die thäten mir lieblich winken.
Die eine, die firich mir die weiße Wang’,
Die andre flüftert’ in's Ohr mir:
Steh auf, du ſchöner junger Knab,
Wilt du erheben den Tanz hier! "%*
Am Schluſſe des letztern Lieves heißt es:
Hätr Gott nicht gemacht mein Glück fo gut,
Daß der Hahn geichlagen die Flügel,
Gewiſs wär’ ich geblieben dort 3
Bei den Elfen im Eifenbügel u. |. w. ***
Der Tanhäufer aber bleibt wirklich im Venusberge, der uns in
diefer Zufammenftellung gänzlich als ein Elfenhügel erfcheint.
Im Entlebucher Liebe heißt übrigens die Elfenkönigin nicht Venus,
fondern Frau Frene!; ob durch bloße Entftelung oder im Nachklang
eines deutſch⸗mythiſchen Namens, Tann ich nicht entfcheiben. Dieſes Lieb
1 [Bgl. oben ©. 383. K.)
2 [®gl. oben ©. 383. K.]
3 Ebd. I, 236: Vist var jeg blevet i Elvehöj, Alt hos de Elvegvinder.
Sv. III, 171: Sä hade jagh soffvit i berget den natt, Alt hoos dhe Elfve-
qvinnor.,
. 4 Bgl. das Brena⸗Beutlinsloch, Schwabs ſchwäbiſche Alb S. 146. Der
Feigenbaum des Entlebucher Liebes ift auch ein Elfenbaum, vgl. Einleitung zu
den irifhen Mährchen ©. LXXVII, 3. Brenelis- Bärtli heißt einer der drei
Gipfel des Glärniſch, ſchneelos.
5 [Bgl. 3. Grimm, Deutfche Mythologie ©. 283. 1212. 9.)
602
ift aud, des ſtark verfümmerten Reimes unerachtet, durchaus leben-
diger in der Darftellung, als die gebrudten Danhäuferslieder. Schon
der Anfang, die Aufforderung, in ben grünen Wald binauszugeben,
wenn man rechte Wunder fchauen wolle, tft viel poetiſcher, als jener:
Nun wil ich aber [al. ichs frölich] heben an,
Bom Danbeüfer zu fingen u. f. w.
Sp mag fih und denn im fchmweizerifchen Vollsgefange noch ein
Überreft des alten Tanhäufers, deſſen Aventin und der Tübinger Dia-
logus gedenken, erhalten haben, während wir in ben Druden des
16ten Jahrhunderts nur eine fpätere Überarbeitung vor uns haben 1.
Wenn nun gleich die Sage vom Ritter Tanhäufer noch unzweifel⸗
haft im Zufammenhange mit dem Elfenmythus fteht, fo waltet doch
darin fchon jene mittelalterliche Anficht, nach welcher die Elfen teuf:
lifche, dem Chriftenmanne nach Leib und Seele gefährliche Weſen find.
Doc ift der grünende Bannftab felbft ein poetifches Bild, zu dem fih im
Schwure des Agamemnon bei feinem Herricherftab (Ilias I, 233 big 39)
und im Steden Aarons (4 Moſ. 17; vgl. Wernhers Maria ©. 75 ff.
bei Otter S. 41 bei Feifalik. K.) uralte Seitenftüde zeigen.
Wie e8 aber gelommen, daß in den beutichen Hügeln ftatt ber
einheimifchen Elfenweſen die römijche Göttin Venus ihren Hof aufge
ſchlagen, läßt fidh ohne bejondre Schwierigkeit erflären. Yrau Venus
gehört zu den wenigen mythologiſchen Namen, welche den Dichtern bes
Mittelalters aus der Poefie der alten Welt zugelommen find. Den
PMinnejängern ift fie eine allegorifche Berfonification, wie in der eigenen
Sprade Frau Minne Vom 14ten Yahrhundert an nahm auch für
die erzählende Poeſie die allegorifche Darftellung immer mehr überhand.
Die Allegorie mujte der längſt untergegangenen mythiſchen Symbolik
zu einigem Erjaße dienen. Dennoch jollten auch die neuaufgelommenen
allegorifchen Figuren nicht ganz des heimiſchen Boden? und Colorits
entbehren. Man fette fie mit Überreften alter, verbunfelter Sage in
Berbindung und gab dieſer felbft damit neue Bedeutung. Diejes Ber:
fahren wird beſonders anſchaulich in einem bandfchriftlichen Gedichte
bes 13ten Jahrhunderts „der [Tugenden] Schatz“ (Heibelb. Hpf. 313,
eine Sammlung allegorifcher Erzählungen von der Minne aus dem
1 Ahnliche Erfahrungen mit den nordifchen Volkslicdern.
603
14ten und 15ten Jahrhundert). Ich gebe daher eine kurze Anzeige
feines Inhalts !. ***
Hermann von Sachſenheim, dem, wie ich aus mehreren Gründen
glaube, bei feiner Mörtn dieſes ältere Gedicht zum Vorbilde gebient,
bat die Bereinigung der verfchiebenen Elemente meit nicht fo glüdlich
zu Stande gebracht. Bei ibm greifen altfagenhafte Perfonen, ber ge:
treue Edart und der Tanhäufer, mehr in die Handlung ein, aber die
Allegorie weiß fich ihrer nicht recht zu bemächtigen.
Sowie nun die Frau Venus der Minnefänger allmählich aud in
bie volksmäßigeren Liebesliever eintrat, jo waren allegorifhe Erzäh—⸗
lungen der angeführten Art wohl geeignet, dem Namen ber römischen
Liebesgättin in die mythiſche Ballade Eingang zu verichaffen.
Nom jelbft hatte feinen Venusberg?. Ein Schriftfteller der römi⸗
ichen Raiferzeit, Äthicus, fagt in feiner Cosmographie bei Beichreibung
des Laufes der Tiber:
Hic [Tiberis fluvius] iterum insulam facit inter portam [portum?] urbis
et Ostiam civitatem, ubi populus romanus enm prefecto urbis, vel con-
sule, castrorum celebrandorum canssa egreditur solennitate jucunda.
Insula vero, quam facit intra urbis portum et Ostiam civitntem, tantæ
viriditatise amenitatisgne est, ut neque eestivis mensibus, neque hiemalibus
pasture admirabiles herb® deficiant: ita autem vernali tempore rosa, vel
ceteris floribus adimpletur, ut pre nimietate rui odoris et floris insula
ipsa Libanus alme Venerig nuncupetur.
(Diefe Stelle fand ich angeführt in Wernsdorfs Procemium zum
Pervigilium Veneris, welches er als einen für dieſe Feier beſtimmten
Shorgefang® betrachtet, Poetee latini minores, curav. J. Ch. Werns-
dorf. 8. DI. Altenburg 1782, ©. 431 f.)
Hier alfo ein römifcher Venusberg, Libanus alme Veneris; der
ſyriſche Libanon war der Göttin heilig, fie hatte auf demſelben einen
berühmten Tempel und ver Name biefes Berges war nun auf die
rojenblühende Tiberinfel, auf der (nad Wernsborfs Annahme) ihr
Frühlingsfeft gefeiert wurde, übertragen worden. (Ebendaſ. ©. 435.)
1 [Das weitere ift B. IL, 236 bis 239 gedruckt. 8.)
2 Alterthumszeitung 1816. Nr. 20. ©. 78. Benusberg in Stalien.
3 [Über diefes Gedicht vgl. Jahrbücher für wiffenfchaftlihe Kritil. Nr. 5.
Auli 1832. Sp. 40.]
604
Ob zwiſchen diefen Venusbergen der alten Welt und denen unfrer
Fabel irgend eine Beziehung anzunehmen ſei, ift freilich jehr zweifelhaft.
Ebend. S. 432: Plane mihi persuasum habeo, Veneralia hoc loco
describi, et ludos, qui ils diebus agebantur, castra vocatos esse u. |. w.
Castra autem vocabantur hi Iudi, quod in nemore multis tabernaculis
positis, vel casis ex fronde myrtea plexis, agebant, qui Veneralia cele-
brabant.
©. 435: Rem denique conficit ASthicus, quum insulam Ostie Libanum
alme Veneris appellatam dicit. Hec enim appellatio quum indicet, eam
insulam quasi dedicatam Veneri fuisse, eo magis etiam probat, ludos Veneri
in ea celebratos esse, eosque forte ritibus e Syria Libanoque petitis, ubi
Venus passim multa licentia colebatur, procedente tempore auctos esse.
Equidem odorum tautum florumque caussa Zthicus ait insulam ti-
berinam nomen Libani Veneris accepisse, tamen et cultam ibi Venerem
esse eo ritu, quo in Libano solebat, ex eodem recte colligitur, Libanum
Syrie sacrum Veneri, et perpetuo ejus cultu frequentatum fuisse, ut
plures Nonni locos taceam, in primis testatur Orpheus, hymno 54 in Ven.:
El 60 deu Basilua, nald ynyovda apodunp,
Elrs nal svAıBavov Zuping Sdog auyınolsusg.
Celebre templum Veneris in Libano memorant Luciauus, de Dea Syria,
p. 753 Tomi Ill. edit, Basil., et Sozomenus Hist. eccles. lib. II, cap. 5.
Unde Libanitidis nomen ei dat Lucianus, orat, adversus indoctum, Tom.
i, p. 754. Colebatur autem Venus in Libano a feminis ejus sacerdotibus,
ibi habitantibus, quotidiana festaque saltatione, quod Barthius, Advers.
VII, 21, recte colligit e Musi de Hero et Leand. versu 48:
Ovds yuyn rıg Zumuvev dvl arolissdı Kudnpov,
Ov Aıßavov Hvoevroz dvl arapuyeddı Yopadar.
Et cum Venerem perpetuis saltationibus gaudere dicat Orpheus, hymno
quem diximus, hoc magis etiam choreas et saltationes Veneri in tiberina
insula celebratas, eamque propterea Libanum Veneris appellatam arbitror.
Für den Dichter Florus, der unter Habrian lebte, vermuthlich
iventifch mit dem Hiftorifer, findet Wernsborf die meifte Wahrjcheinlich:
feit, als Verfaſſer des Pervigilium Veneris fprecyend, ©. 450.
2. Das wüthende Heer.
Es gibt eine Sage!, daß man mit einem Steinwurf in gewiſſe
Wafler den heiterften Himmel trüben und ein gewaltig Ungemwitter mit
1 [2 Kön. 7,6 f. Yngl. 8. €. 10.)
605
.
— — — —
Sturmwind und Schloſſen erregen könne; ſo haben wir in einem noch
jetzt gangbaren Worte den Wurf, den alten Odin zu wecken mit dem
ganzen Sturmzuge der Walküren und Einherien. Wir haben früher
im Norden dem Gotte nachgeſpürt von ſeinem unſcheinbaren Wandel
im grauen Mantel und niedrigen Hute bis wo er im leuchtenden Gold⸗
helm dem Götterkampfe voranzieht; auch unter uns noch geht er umher,
nur unkenntlicher und tiefer verhüllt.
Es iſt ein ſprichwörtlicher Ausdruck, den wir beſonders von einem
Trupp lärmender Knaben gebrauchen: „das Muotisheer.“ Auch hört
man die Redensart: „fahren, wie das heilige Heer.“ Stalder, Schwei⸗
zeriſches Idiotikon II, 227 hat das Wort „Mutti⸗Seer für Lärm, Rumor.
(Schſ.)“, unrichtig abgeſetzt. Näher rückt der Sache Schmid in ſeinem
ſchwäbiſchen Idiotikon [S. 391. 8.]:
S muotes Heer, ein wildes, Schrecken erregendes Geheul und Getöſe in
der Luft bei Nacht, vermuthlich das Geſchrei wilden Gevögels, SW. u. a. O.
fonft das wüthende Heer, der wilde Jäger genannt u. ſ. w.
Handichriftliche Pfarrbefchreibung der Parochie Pfullingen von Dia:
conus Meyer, 1828, wo, wie billig, auch die örtlihen Sagen auf
genommen find:
Die Heergaffe (von der alten Landftraße, die hier hindurch 309, fo ge
nannt). Eine Sage leitet indes ihren Namen ber von dem Mutes⸗ (Wutes-,
Wudes⸗, Wudand-, Wodans-, dem fogenannten wilden:) Heere, das oft und
noch ungefähr vor 100 Jahren durch fie herab gezogen fein fol. Das Tofen
und Toben war damals fo entjeßlih, daß Alles in den Häufern zitterte und
bebte, und wer fi) auf der Straße treffen ließ, der wurde von dem böfen Feinde
mit fortgeriffen. (In den andern Straßen wurde nicht$ davon verſpürt 1.)
Unſre ſchwäbiſche Mundart hat in diefem, ohnehin der Bedeutung
nach nicht mehr verftandenen Worte das W mit dem M vertaufcht,
Mutes⸗ ftatt Wutes:Heer, wie mir ftatt wir, mo ftatt wo ꝛc.
Wir finden uns aljo zunädft auf das fogenannte wüthenve Heer
hingewieſen, das neuerlich im Freifchüg über die Bühne zieht. Die
vielen Volksſagen bievon find gefammelt in: Deutiche Sagen, berauzg.
1 [Auf dem Schwarzwald jagt man das Wuotesheerr. Mit dem Wuote, als
einem Dämon, fehredt man die Kinder. Frau Holle fährt mit dem Wuotesheer,
fie wird ungefähr als die Mutter des Wuote betrachte. Mündlich. Bol.
Thomaf., de vagant. scholast. $ 64.]
606
— ——— — —
von den Br. Grimm. Tb. I. Berlin 1816. Bon ältern Schriften,
die im wüthenden Heere Teufel und Teufelsſpuk fehen, bemerke ich
Hilfherd Diss. de exereitu furioso, wovon mir jedoch nur eine Über
ſetzung zugänglid war: Hilfehers Euridfe Gedanfen vom wütenden
Heere. Dresden und Leipzig 1702. Francisci, Hölliſcher Proteus.
Nümberg 1708. LVII. ©. 529 bis 46: Das wütende Heer. Sch gebe
bier die, foviel mir befannt, ältefte Beichreibung besfelben in Joh.
Agricolad deutfchen Sprichwörtern, 1534:
Es ift gewiffe fage, daB zu Eißleben und im ganken land zu Mansfeld
das wiithende Heer (aljo haben fie es genennet) fürliber gezogen ſei, alle jar
auff den Faßnacht⸗Dornstag, und die leut feind zugelauffen, und haben darauff
gewartet, nicht anderft, als folt ein großer mächtiger Keyfer oder König fürliber
ziehen. Bor dem bauffen ift ein alter man bergangen, mit einem weißen flab,
der bat fich felb8 den trewen Eckhart geheiffen; diſer alt man hat die leut heißen
auß dem weg weichen, hat auch etliche leut heißen gar heim gehen, fie würden
jonft Schaden nemen. Nach difem man haben etliche geritten, etliche gangen, und
feind leut gejehen worden, die newlich an den orten geftorben waren, auch der
eins theil® noch lebten. Einer bat geritten auff einen pferdt, mit zweyen füfſen,
der ander ift auff einem rad gebunden gelegen, und das rad ift von im ſelbs
umbgelauffen. Der dritt hat einn jchendel über die achjel genoinmen, und bat
gleich ſehr gelauffen. Ein ander hat keinen kopff gehabt, unnd der ftud ohn maffen.
Ferner Cruſius in feiner ſchwäbiſchen Chronik zum Jahr 1544 !:
Quidam alii fuerunt, scholastici rudes, perditzeque spei, qui in humeris
parvum reticulum flavum gestabant, tanquam cappam. Hi se appellabant
volaticos vel erraticos scholasticoe. Fingebant apud rusticos et homines
simplices, se in monte Veneris fuisse, mira vidisse, scire, que essent,
quæ fuissent, que ventura essent u. |. w. se potestatem habere in Furias
vel exercitum furiosum, in quo essent omnes infantes non baptizati,
omnes in pugnis c&si, Omnes ecstatici, in quorum corpora animæ, que
evolassent, non rediiseent u. |. w. (gl. I, 15.)
In Kirchhofs Wendunmuth (einer Sammlung „höflicher, züchtiger
und luftiger Hiftorien, Schimpfreven und Gleichnüſſen“, Frankfurt
1563) wird von einem edlen Staubenhünlein, der Rechenberger genannt,
verichiebenes Gejpenfterhaftes erzählt, namentlich, wie er einmal Nachts
mit feinem Knechte auf den Yang gelauert.
Bl. 756 f.: „Die Naht vergieng u. ſ. w.“ **
ı II, 653. [Schriften U, 233. $.]
607 .
Den ausgehobenen Stellen 1 aus dem 16ten Jahrhundert zufolge
zeiten im wüthenden Heere tobte Männer, befonbers foldhe, die in der
Schlacht oder fonft gewaltfam umgefommen find. Bei Agricola: „und
find leut gefehen worden, die newlich an den orten geftorben;“ bei
Cruſius: „omnes in pugnis cœsi;“ bei Kirchhof ift dem Nechenberger
für das nächſte Jahr, wo er erftochen werden foll, fchon das ledige
Roſs vorbehalten. Diefes nächtliche Reiten ver Todten geftattet nun
aud ähnliche, ältere Berichte hieher zu ziehen, wenn gleich babei bes
wüthenden Heeres nicht ausdrücklich erwähnt ift.
Das Chronicon Urspergense erzählt zum Jahr 1117:
Emicho comes a militibus Frideriei ducis oceiditur;
Und zum Jahr 1123:
In pago wormaciensi videbatur per aliquot dies non modica et
armata multitudo equitum euntium et redeuntium et quasi ad placitum
colloquium nunc hic nunc illic turbas facere, circa nonam vero horam
cuidam monti, quo et exiisse videbantur, se reddere. Tandem quidam de
incolis regionis illius non sine magno timore hujusmodi tam prodigiose
concioni crucis signaculo munitus appropinguat. Mox quandam ex illis
oecurentem sibi persovam per nomen omnipotentis domini nostri mani-
festare causam populi, qui sic apparuerit, adjurat. Cui ille inter cetera,
„non sumus,“ inquit, „ut putatis, fantasmata, nec militum, ut vobis
cernimur, turba, sed anim& militum interfectorum; arma vero et habitus
atque equi, quia nobis prius fuerant instruments peccandi, nunc nobis
sunt materia tormenti et vere totum ignitum est, quod in nobis cernitis,
quamvis id vos corporelibus oculis discernere non possitis.“ In hujus
modi comitatu dicitur etiam Emicho comes ante paucos annos Occisus
apparuisse et ab hac pona orationibus et elemosyuis se posse redimi
docuisse.* (Maßmanns B. Sagen 1,5 f. Hilſcher 27 f.)
Die Sache hat bier einen mönchiſchen Anftrich erhalten, die ges
fpenftifche Schaar ift aber augenfcheinlih das Nemliche, was Kirchhof
„das mütende heer auß der hellen” nennt.
Auch der alte Sagenheld, Dietrich von Bern, erjcheint wieder auf
folhe Weile. Die Annalen des Möndyes Gotfrid von Köln bejagen
zum Jahr 1197 (Freherus, Germanicarum rerum Seriptores I, 262):
1 (Stahl, Weſtphäliſche Sagen 62: Wittii Historia Westphalie ©. 613
bis 616. Motherwell 80 aus Matthäus Paris.)
608
— — —
Eodem etism anno quibusdam juxta Mosellam ambulantibus apparuit
phantasma mire magnitudinis in humana forma, equo nigro insidens.
Quibus timore perculsis, id, quod videbatur, ad eosdem audacter acce-
dens, ne pertimescant hortatur, Theodoricum quondam regem Veronz se
nominat, et diversas calamitates et miserias superventuras romano imperio
denuntiat. Hæc et alia plura cum eisdem contulit, et ab eis recedens,
equo quo sedebat Mosellam transivit, et ab vculis eorum evanuit. (Bgl.
W. Grimm, Heldenfage ©. 49.)
(E3 folgte unmittelbar darauf der Tod Heinrichs VI und die
Kämpfe der ©egenlaifer, jene Zerrüttung, in der Walther von der Vogel:
weide die Vorboten des Weltgerichtö zu erfennen fcheint.)
Die Erfcheinung Dietrichs von Bern auf dem ſchwarzen Roſſe
kann zwar mit den Erzählungen von feinem Verſchwinden in Verbin:
dung gefeßt werden, ift aber bier in jene Borftellungen vom Umreiten
der Todten eingetreten.
Das müthende Heer wird auch die wilde Jagd! genannt, denn es
läßt fih auch tie Jagdgefchrei und Hundegebell nächtlich vernehmen.
Der Führer desfelben aber, der wilde Jäger, führt örtlich verfchiedene
Namen: Hadelberg, Robenftein, Davensberg u. |. m. Auch ein weib⸗
liches Weſen, Frau Holle, zieht voran ?,
Sn G. Schwabs „die Nedarfeite der ſchwäbiſchen Alb“, Stuttgart
1823, findet fih als bter Anbang ©. 312 ff. die Belchreibung
einer ber beveutendern Höhlen unſeres Landes, eine BViertelftunde von
Onftmettingen, Balinger Oberamts, die unter dem unfcheinbaren
Namen Linkenboldslöchle in der Umgegend befannt ift. Davon geht
die Vollsfage, „daß das muthige Heer (der Teufel) in biefer Höhle
baufe” und daß man fich beim Beſuch der Höhle „nor dem Linken
bold gehörig ſchützen müſſe.“ Der Verfaſſer der Beichreibung bemerkt
hiebei:
Der Linkenbold kommt auch im Schwarzwald und im Harzgebirge (hier
unter dem Namen Leinbold) als Anführer des Mutbesheeres vor.
1 „Die wilde Fart, der wilde Jäger, Heren, Geſpenſter.“ Schmeller L,
566. Schweizeriſch Türſt (wilder Jäger)“ u. ſ. w. Ebendafelbft I, 458. Stal-
der I, 329.
2 Bol. Sammlung fir altdeutſche Litteratur und Kunft Heft I, S. 43 ff.
Narrenbuch S. 394 f.
609
Der berühmtefte unter biefen gejpenftiichen Heeresführern, der noch
von Zeit zu Zeit in den Zeitungen ſpukt, ift der fchon genannte Ritter
vom Rodenftein.
Sm Odenwalde, feitwärts ber Bergftraße, 5 Stunden von Darm:
ftadt, Liegen, mit Epheu und wilden Roſen umwachſen, die Mauern
der verfallenen Burg Rodenſtein. Sieben Biertelftunden davon fieht
man die wenigen Überrefte des alten Schloffes Schnellerts. Bon bier
zieht der Nodenfteiner, wenn ein Krieg bevorfteht, bei grauender Nacht
aus, mit Roſs und Wagen, mit Heer und Hunden, in Iuftigem Getös
und ‘Jagen, hörbar, aber nicht fichtbar, bis nad dem Rodenfteine.
Man hört ihn durch eine beftimmte Hofraite und Scheune des Dorfes
Oberfainsbach feinen Zug nehmen. Wenn e3 fih zum Frieden anläßt,
kehrt er in gleichem Zuge, doch ruhiger und ftiller, zur Burg Schnellerts
zurüd. Che Napoleon im Frühjahr 1815 landete, hatte ſich die Sage
verbreitet, der Rodenſteiner fei wieder in die Kriegäburg gezogen. (Grimm,
deutfche Sagen I, 244 ff.) Noch in diefem Jahre hat fih die Eage
wieder gerührt. Das Frankfurter deutfche Journal enthielt Folgendes:
Aus dem Odenwalde, im Merz 1832. Der Glaube u. f. w. (Schmä-
bifcher Merkur 7 April 1832.) ***
Es ift über diefe Sage eine beſondre Schrift erfchienen: Der Burg:
geift auf Robenftein oder ber Landgeilt im Odenwalde. Eine alte
Volksſage. Yrankfurt am Main 18161.
Der Berfafler, der fich in der Vorrede dem Gefpenfterglauben im
Allgemeinen geneigt erklärt und die Geiftergejchichte im Odenwalde wenig⸗
ſtens einer ernften Unterfuhung werth erachtet (S. 43), wilb zmar das
wüthende Heer ober ben wilden Jäger nicht mit jenem Landgeiſte ver:
wechſelt willen (S. 37. 39), allein er wird dem größern Sagenzuge
nicht wiberftreben können. Seine Schrift enthält die protokollariſchen
Aufnahmen, welche bei dem gräflich erbachifchen Amte Reicheleheim in
den Jahren 1743 bis 1764 über ſolche Auszüge ftatigefunden. Darin
fommt aller Heer- und Jagdlärm (S. 24) dur die Lüfte ziehend,
gerade jo vor, wie in den Sagen vom mwüthenden Heer und ber wilden
Jagd. Befonders ift, megen des Nachfolgenden, eine Angabe des Leonh.
Hübner von Brensbach vom 20 Dec. 1758 auszuheben (S. 20):
1 Bol. auch: Das wilde Heer im Odenwalde, oder der Burggeift auf
Rodenſtein. Romantiſche Boltsmährchen der Pfälzer; von Poſer. Mannheim 1822.
Ubland, Schriften. VI. 39
610
Borzeiten folle fi) diefer Geift auch in Grumbach (eine Stunde von
Schnellert) vor einem Haus, worin ehedeflen ein Schmied gewohnt, gemelbet
haben und gemeiniglich allda die Pferde beichlagen laſſen.
In der Abhandlung „über die Elfen”, melde bie Brüber Grimm
den von ihnen überfegten Iriſchen Elfenmährchen, Leipzig 1826, vor:
geiegt haben, S. LXXXIV, wird das mwüthende Heer, die wittbenden
Jäger (?), für den Umzug der Elfen um Weihnachten, wenn die Sonne
am tiefiten gefunfen ift, angenommen. Dabei wird bemerkt, der Aus
drud felbft („das wüthende Heer”) fei alt, denn der Dichter Reinfrieds
von Braunschweig (BI. 4 5) fage: „er raufchet wie das wüthende Heer,“
und in einer Erzählung Ruodigers (Königsb. Hbf.) ſchwöre Einer „bei
dem müthenden Heer.”
Allerdings ift in dem Elfenweien, in der Maſſe ver die Natur
erfüllenden untergeorbneten Geifter, Manches aufgegangen, was vorher
in befondrer mythiſcher Geftaltung beftanven hatte. Aber wo fich ein
Solches noch ausfcheiden läßt, wo die Geftalt der größern Götter noch
durchicheint, da dürfen wir nicht bei jener allgemeinern und niebrigern
Geifterwelt fteben bleiben. Wenn mir die Elfen in der borbergegangenen
Sage, vom Benueberg, in ihr Recht einzufeßen verfucht haben, fo gilt
es bier, einem höheren Weſen basfelbe zu thun. %. Grimm hat felbft
(Götting. gel. Anz. 1828, St. 56 1) bemerflich gemacht, daß der fcan-
dinavifche Odin bei den Sachſen unter dem Namen Woden, bei Hodk
deutfchen unter dem von Wuotan verehrt worden. Wie nun in dem
Gedichte „Reinfried von Braunfchweig” die vorermähnte Stelle buch⸗
ftäblich IYaute, ift mir unbefannt. Aber in der Erzählung Ruodegers
gejchieht der Schwur, jo wie die Stelle in H. von der Hagen Grundriß
©. 344 fteht: bi Wutungis ber; aljo nicht beim wüthenden Heer,
fondern beim Heere Wutungs, eines perfönlichen Weſens. Ferner in
dem Liebe von Heinrich dem Löwen (biefer fol auch unter Reinfrieb von
Braunſchweig gemeint fein ?), welches aus einer Handichrift ber öffent-
lichen Bibliothel zu Stuttgart, von 1474, in Maßmanns Denimälern
deutfcher Sprache und Litteratur, Heft I, Münden 1828, Str. 66,
©. 132 beginnt:
1 Grammatit I, 315. 40. 57 bis 59. 290. II, 156. 171. Bgl. Mone
ll, vı.
2 [Bgl. oben ©. 586. K.)
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Bon Brlinecwid der fürft und herre
Bolt fi aber fürbaß gan
Da qwam er under daz woden ber
Dae bie böffen geifte ir wonüg han u. f. w.
Wir haben aljo für das wüthende Heer, wie man es jeht zu
fchreiben pflegt, für das Muotes: oder Wuotes: Heer der Volksſprache
in diefen Altern deutſchen Gedichten ein Wutungs⸗- und Woben: Heer,
offenbar das Heer Wuotans, Wodens, Odins. Dafür bat e8, außer
Andern, auch fchon Hilfeher in der angeführten Schrift genommen.
Folgen wir diefem Zuge weiter nad dem Norven, fo treffen wir noch
auf deutſchem Boden, in Medlenburg, das rechte Wort. Unter den
dortigen Bauern fand man noch in der Mitte des lebtverfloffenen Jahr:
hunderts viele Sagen von Wodes Jagd, womit fie um Weihnachten
die Kinder fchredten. Sie pflegten auch ehedeſſen einen Beinen Theil
des Getreidefeldes ungefchnitten zu lafien, tanzten darum und fangen:
„ode, Wode, hohl dienen Rofie nu Voder!“ (Frank, Alt und neues
Medlenburg, 1753. ©. 571) Weiterhin in Dänemark erfcheint die
wilde Jagd unter den Namen König Waldemar, König Abels, bes
Brudermörders, Palnatoles oder des Palnajägers. Auch bier zieht der
wilde Jäger näctlich, wie Rodenftein, von einer Stätte zur andern,
durch beftimmte Bauerhöfe und über deren Dächer hin. (Thiele, Danſke
Folkeſagn. D. I. Kiöbenhaun 1819. ©. 89 bis 97. II, 63.) Auch bier
wird Folgendes erzählt:
Der Palnajäger holt jede Neujahrenacht drei Hufeifen auf der einen oder
der andern Schmiebwerkftätte der Inſel Fyen und die Schmiede vergeffen nicht,
diefelben fertig für ihn auf dem Amboß liegen zu laffen, denn er legt jedesmal
drei Hufbeichläge von Gold an die Stelle der eifernen. Kommt er aber und
findet die Hufeifen nicht vor, jo verjet er den Anıboß anderswohin, wie er
einft dem Schmiede zu Korup feinen großen Amboß auf einen Kirchthurm ſetzte.
(Thiele IV. 1823. ©. 24 f.)
Seten wir über den Sund, fo erzählt Geijer (Svea Rikes Häfder
Tb. I, Upfala 1825, ©. 268):
In Schonen wird noch ein Getös in der Luft, das man zumeilen an
November⸗ und Decemberabenden hört, Odins Jagd genammt, nad Nilsfon,
Scandinavifhe Fauna II, 106, welcher diefes Geräufch von irgend einer gegen
Süden ziehenden Seevögelart berleitet.
1 [%. Grimm, Deutſche Mythologie, zweite Ausgabe I, ©. 140 bis 143. 9.]
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Derſelbe führt (ebendaſ. aus Loccenius, Ant. Sveogoth. C. 3 an,
man ſage bei einem nächtlichen, unbekannten Lärm, wie von Roſſen
und Wagen, Oden fahre vorbei.
Schon Weſtphalen, Monumenta inedita rerum germanicarum,
prescipue eimbricarum 1 et megapolensium bemerkt B. 1 (Leipzig
1739), Pref. ©. 58:
Inde paromia apud Germanos et Suecos? nata, nec hodie deleta: bie
Wode ziehet, Oden kommt vorbey.
Derfelbe B. IV (Leipzig 1745), Preefat. ©. 210 f.:
Cultum et memoriam nominis ejus [Othini] ex plurimis conjectionibus
produnt dies quartus Wodanstag u. f. w. strepitus Wodani, qui a Ger-
manis dieitur Wütensheer, exercitus Wodani, de cnjus equis (Odensleestar)
rustici hodieque mira fingunt teste Arrhenio de Templo Upsala p. 9.
Aus Nortvegen endlich meldet eine Königs-Saga, die in die Mitte
des 13ten Jahrhunderts gefegt wird, kurz vor dem Friedensſchluſſe
zwischen Philipp und Inge (im Jahr 1208) habe ſich Odin in Geftalt
eines Reiters einem Schmiete gezeigt und Hufbeichläge für fein Pferd
verlangt, auch dabei erzählt, daß ey jebt das Land (Norivegen) ver:
laſſen wolle, um fih nach Schweden zu begeben (mo damals blutige
Bürgerkriege ausgebrochen waren). Der Sagafchreiber fügt binzu
(Müllerd Sagaenbibl. III, 427 f.):
Der Schmied hat diefes benjelben Winter dem Könige Philipp erzählt,
und Einer, der es mit anhörte, hat es uns wiedererzählt.
Greifen wir nun zu den Liedern ber Edda zurüd, fo heißt es in
dem mythiſchen Geſange Völufpa, bie Weisfagung der Wöle, Str. 24:
Sie [die Wöle] ſah Walküren fernher fommen, verordnet zum Folke der
Götter zu reiten; Skuld trägt den Schild, Skögul die audre, Gunnr, Hifhr,
Göndul und Geir-Stögul. Nun find Herjang Odins] Mädchen aufgezählt, die
Walküren, verordnet zu reiten liber die Erbe. (Edd. I, 42 f.)
Diefes Reiten der Walfüren ift das erfte Vorzeichen von Balders
nahendem Tod und von dem lebten großen Götterfampfe.
Im zweiten Lieve von Helgi, dem Wölfungen, fpricht die Magd
1 Cimbriſch heißt ihm: Holftein, Schleswig, Jütland.
2 Heimskringla, Yngl. S. 6. 10: Auch glaubten die Schweden, daß er
[Odin] fi) zeige, wenn große Kriege bevorftehen.
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Sigruns, als fie am Abend zum Grabhügel des Helden gegangen und
nun Helgi mit vielen Männern baherreitet:
„IR das Blendwerk nur, was mir zu ſehen dünkt, oder ift e8 Götter⸗
dämmerung? Reiten todte Männer, wo ihr eure Hoffe mit Sporen treibt?
oder ift den Helden Heimfahrt erlaubt?“ Helgi antwortet: „Nicht ift Blend-
wer! nur, was bir zu ſehen bünft, noch ift Weltende, obgleich du uns fchaueft
und wir unjre Roſſe mit Sporen treiben, noch ift den Helden Heimfahrt er-
laubt.“ (Grimm I, S. 113 ff. Edda II, 307 fi. [Simrod ©. 175. &.])
Alſo das nächtliche Reiten der Todten, die aus den Sälen Odins
kommen und Morgens zurüdlehrend ihre bleihen Roſſe den gerötheten
Luftſteig treten lafjen, wird auch hier als ein Zeichen des Weltendes,
des großen Götterkampfes angeſehen. Es find Einherien, die bei Odin
in Walhall wohnen, aus deſſen Thoren fie sinft zum letzten Streit
ausfahren (Edda I, 174). Voran reitet dann Dbin, mit Golbhelm,
Harnifd und Speer (jüngere Edda 228).
Und nun reiben fih an folden Zug auch jene reitenden Tobten
der deutſchen Sagen an, Emicho, der mit der gewappneten Schaar aus
‚dem Berge und dahin zurüd reitet, mie Helgi zum Grabhügel, u. A. m.
Selbit das einjtige Hervorgehn der deutſchen Kaijer zum letzten Kampfe
kommt biebei in Erinnerung, und der verhbängnisvolle Baum mit dem
dürren Aſte, an ben fie ihren Schild aufhängen, mahnt an die Welt:
eiche Yggdraſill, darunter der Aſen Dingftätte, an welcher täglich große
Mühfal zehrt und die im lebten Sturme zittert, doch ftehen bleibt.
Jene Kaiferfagen freilich tragen längſt dag Gepräge chriſtlicher Vor⸗
jtellungen.
Bemerkenswerth iſt, daß im normännifchen Franfreih und Eng⸗
land das wilde Heer milites Herlikini, familia Helliquinii hieß, wie
es noch jet franzöfifh chasse Hellequin, chasse Hennequin, ges
nannt wird, vielleicht aus alten Erinnerungen von der norbilchen Hei:
math an die Sage von des todten Helgi nächtlichen Ausritt 1.
So haben wir, in Sprache und Vorſtellung, von dem unverftan:
denen Wortgebrauch durch die noch lebende Volksſage bis zum Zufammen:
bang und der Bedeutung in der obinischen Glaubenslehre, von unſrer
nächften Umgebung, der fehwäbifchen Alb und dem Schwarzwalde,
1 Chasse Hennequin, Tristan le Voyageur II, 350 f. Roquefort,
Glossaire I, 746 s. v. Hellequin. Minstrelsy, 5 ed. 11, 127 bis 130.
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durch den Odenwald und das nördliche Deutichland, über die däniſchen
Inſeln nad Schweden und Norwegen die Epuren bed Wuotansheeres
nachweifen fönnen; beim Schmiebe zu Grumbad im Dbenwalbe, bei
dem auf der Inſel Fyen und zulegt bei dem nortwegifchen, bat ber
friegbringende Odin fein Roſs Sleipner befchlagen laſſen, in Medien:
burg aber ließ man diefem fein Futter auf dem Felde ftehen. Was
das nächtliche Geräufch jei, bei dem man an jenen Heereöjug, jene
wilde Jagd gedacht, ob nächtlihe Stürme, ob Zugvögel, ob die foge
nannten Stimmen aus der Höhe u. f. w., laſſen wir unentichieden; bie
Natur hat mande braufende Stimme, die in der dunkeln Nacht wunder:
barer und fchredhafter vernommen wird. Aber noch jett, wenn nächtlidy
der Wald raufcht und zerriffenes Gewölk vorüberjagt, hören wir. uner:
kannt, jenen gewaltigen Geift über uns hinfahren, der einft germanifche
Völker wie Meeresmogen aufgewühlt und umgetrieben hat.
8. Die Shildbürger (Die Shmwabenftreide!,)
Das Fomifche Element der Sagenpoefie haben wir bisher nur ins
fomeit berührt, als dasſelbe ſich Eagenbildungen von erniter Richtung
beigemifcht hatte Schon in die norbifche Götterfage fanden wir es
aufgenommen, namentlich in die Abenteuer Thors und Aſalokis im
Riefenlande. Die deutſche Helvenfage hat uns Charaktere vorgeführt,
welche, wenigſtens im Verlaufe der Zeit, humoriftifhes Gepräg er:
halten hatten, den Mönch Ilſan, den alten Meifter Hildebrand. Auch
unter den Kaiferfagen fand fich Einiges diefer Art. Manche von ben
jcherzbaften Erzählungen ber Dichter des 13ten und 14ten Jahrhunderts
mögen auch aus einheimifcher Volksſage hervorgegangen fein, während
ein größerer Theil aus altfranzöfiihen Mähren entlehnt if. Wenn in
1 Boners Edelftein, S. 220, 8. 55 f. Gouchsperk. Freidank, der im
Jahr 1229 fein gnomologiſches Wert beendigte: Wifiu wort unt tumbiu ıverc,
din habent die von Gouchesbere. [W. Grimm in (8.)] Göttingifche gelehrte
Anzeigen 76ſtes St., 12 Mai 1832, S. 760, in der Anzeige von: Le Pantcha-
Tantra, ou les cing ruses, fables du Brahme Vichnou- Sarma; aventnres
de Paramarta et autres contes, le tout traduit pour la premiere fois sur
les originaux indiens; par M. abbé J. A. Dubois. 415 Seiten in 8. Paris,
"53. ©. Melin, 1826: „Die Abenteuer des Paramarta find indiſche Schwaben-
ftreihe.” Buchan I, 260, 3 f. Stahl, Weftphäliihe Sagen 34 ff.: der Hid.
Th. Wright, Early Mysteries S. 93 bis 106.
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den Heldengebichten der Mönch Ilſan nur eine Nebenrolle fpielt, fo _
traten weiterhin geiftliche Perfonen als die Helden befonbrer Schwank⸗
bücher auf. Ein ſolches war fchon im 13ten Jahrhundert das Gedicht
vom Pfaffen Amis, von dem, obwohl aus fremder Duelle, Mehreres
berichtet wird, mas nachher von Eulenspiegel erzählt wurde. (Gebrudt
in: Coloczaer Cober altveutfcher Gedichte, herausgegeben von Mailath
und Köffinger, Peſth 1817, und neuerlih in Benekes Beiträgen zur
Kenntnis der altveutichen Sprache und Litteratur, 2te Hälfte, Göt-
tingen 1832.) Geſchichtliche Perfonen geiſtlichen Standes, welche zu
tomifchen Sagenhelden erhoben wurden, find der Pfarrherr von Kalen⸗
berg aus dem 14ten und Peter Leu, von Schwäbiſch Hall, Helfer bes
Priefters zu Weſtheim, aus bem 15ten Jahrhundert (beive Schwanf:
bücher in H. von der Hagen Narrenbuch, Halle 1811). Aber auch aus
ber Mitte des Volkes felbft erftanden Iuftige Perfonen. Der Bauer
Morolf (Marcolph) zwar, der feinen ungefchlachten Wit gegen die hobe
Weisheit des Königs Salomon in Wettgefpräcen mißt, ftammt ur:
ſprünglich aus dem Drient her und war den europäifchen Völkern bes
Mittelalters gemeinfam. (Das deutſche Gebicht, mahrfcheinlich des 14ten
Jahrhunderts, iſt gebrudt in H. von der Hagen und Büſchings Deutichen
Gedichten des Mittelalters, B. 1. Berlin 1808. Als profaifches Volks⸗
buch war Marcolph im 16ten Jahrhundert in Umlauf gebracht; Görres
Volksbücher 188 ff.) Deutfches Gewächs dagegen find Eulenfpiegel und
Klaus Narr, Erfterer iſt durch das noch gangbare Vollsbuch, das feine
Streiche erzählt, hinreichend belannt 1. Klaus Narr ift eine geſchicht⸗
lihe Perſon? im legten Biertel des 1dten und ber erften Hälfte des
16ten Jahrhunderts.
Wir belaſſen es bei einer ſummariſchen Anzeige dieſer einzelnen
poſſenhaften Charaktere und handeln zum Schluß unſrer deutſchen Sagen⸗
geſchichte noch etwas ausführlicher von denjenigen Volksſagen, welche
darauf abzielten, der ergetzlichen Thorheit irgendwo auf deutſchem Boden
ihren beſondern Sitz, ihr eigenes Reich zu begründen. Den Vorzug,
hiefür erleſen zu fein, ſchoben ſich die verſchiedenen deutſchen Stämme
wechſelſeitig zu und zurück und jeder ſuchte denſelben wenigſtens einem
1 [Schriften II, 561. K.)
2 [Schriften II, 562. &.] .
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einzelnen Orte feines Gebietes zuzuweiſen. Beſonders wohl bedacht
aber war bei diefem Wettftreite unfer auch hierin gejegnetes Schwaben:
land, fo daß man fich über die ganze Art der hier in Betracht kommen⸗
den Schwänle am leichteften durch das eine Wort „Schwabenftreiche”
verftändlich macht.
Die ältefte Spur von ſolchen mag Dasjenige fein, was wir bei
den Sagen der Heruler von der Flucht dieſes von den Langobarden
auf? Haupt gefchlagenen Bolles erzählen hörten. Paulus Diaconus
(de gestis Langobardorum,, 8te8 Jahrhundert, B. I, €. 20 1) berichtet
davon Yolgendes:
Über die Schaaren der Hernler aber, wie fie, da und dorthin zerftrent,
entflohen, kam folher Born des Himmels, daß fie die blühenden Flachafelder
(viridantia camporum lina cernentes) fir ſchwimmbare Waſſer aufaben und,
indem fie die Arme zum Schwimmen augbreiteten, non den Schwertern der
Feinde graufam erjchlagen wurden.
Mag die Abficht diefer herulifch-Iangobarbifchen Sage zunächſt auch
nur die geweſen fein, die große, zur völligen Berblendung geivorvene
Beitürgung ? der fliehenden Heruler auszubrüden, fo finden wir doc
das Gleiche, lange nachher, von den fieben Schwaben und den Edhilb-
bürgern als einen ihrer Thorenftreiche erzählt. (Vgl Narrenbuh 493.
Bollsbüchlein 128 f. 1713.)
Im 10ten Sahrhundert erfcheinen bereit bie Schwaben, wie fie
überall den Vorſtreit hatten, an ver Spitze lächerlicher Geſchichten.
jedoch in der Art, daß fie felbft die Schälfe find. In Eberts Über-
lieferungen zur Geſchichte, Litteratur und Kunft der Bor: und Mitwelt,
2.1, St. 1, Dresden 1826, find aus einer im 10ten Jahrhundert
geichriebenen Pergamenthandfchrift der Wolfenbüttler Bibliothek mehrere
Iateinifche Gedichte mit übergefchriebenen meiſt deutichen Benennungen
der Tonweiſen befannt gemadt, welche, wie neuerlihd Lachmann
1 Auch in Aimoins Ercerpten aus Baulus, 8, DI, C. 13. Deutfhe Sagen
I, 88. [Bgl. Schriften I, 460 f. W. Wadernagel in Haupts Zeitjchrift für
deutjches Alterihum 6, 258. 8.)
2 Bgl. Grimms Geſchichte der deutfchen Eprade ©. 459.
3 9. Sad, Kemptener Ausgabe I, 947a: hänfen weyLer — Galgen?
4 [Meuer Abdrud in Mülenhoffs und Echerers Denkmälern beutider
Boefie und Profa ©. 28. 311. 8.]
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gezeigt hat, derjenigen freieren Versart angehötten, die man in ber alt:
deutſchen Dichtlunft mit dem Namen ber Leiche bezeichnete. Unter jenen
lateiniſchen Stüden befinden fich zwei von geringem Umfang, melde
hieher einichlagen. Das eine, mit der Überfchrift: Modus Florum,
bebt an (©. 79):
Mendosam quam cantilenam ago
puerulis commendatam dabo,
qno modulos per mendaces risum
auditoribus ingentem ferant.
Der Anhalt aber ift diefer:
Ein König hatte eine ſchöne Tochter, deren Freiern er die Bedingung vor-
legte, es ſolle fie Derjenige heimführen, welcher fo lügen könne, daß der König
mit eigenem Munde ihn als Lügner anerfennen müſſe. Alsbald bob der
Schwabe an: „Ich war allein auf die Jagd gegangen und hatte einen Hafen
erlegt. Ich löſ' ihm den Kopf mit der Haut ab. Als ih nun den abge
ſchnittenen Hafenfopf mit der Hand aufhebe, fließen aus feinem linken Obre
bundert ſchefflige Maaß Honig, und wie ich das andre berühre, quillen ebenfo
viel Goldmünzen heraus; dieſe bind’ ich in die Haut ein. Als ich aber ven
Hafen zerlege, find’ id im äußerſten Schwanzende einen Königlichen Brief ver-
ftedt, welcher bekräftigt, daß der König mein Leibeigener fei.* "Lüigenwerf!’
ichrie da der König, ‘der Brief und du So hatte der Schwabe den König
betrogen und ward deffen Tochtermann.
Das zweite diefer Etüde des 10ten Jahrhunderts, überjchrieben:
Modus Liebine1, fchreibt die Gefchichte vom Schneekind, melche Tpäter,
im 13ten Jahrhundert, in franzöfifcher und beutfcher Erzählung vor:
kommt, gleichfallg einem Schwaben zu. Am Eingang ſteht ein ähn⸗
liher Aufruf, wie beim vorigen (S. 80):
Advertite, omnes populi, ridiculum, et audite, quomodo Suerum
mulier et ipse illam defr[a]udaret.
Ein Kaufmann von Konftanz (Constantie civis Suevulus) fam nad einer
zweijährigen Fahrt über Meer in die Heimath zurück und fand unerwartet auf
dem Arme feiner Frau einen Heinen Erben. Sie vertraute dem erftaunten
Gemahl, fie babe einft in den Alpen ihren Durft mit Schnee geftillt und fei
davon fruchtbar geworden. Nah fünf Jahren und drüber machte der Kauf
mann wieder eine Seefahrt und nahm den Kuaben mit fi. Jenſeits des
1 [Müllenhoff, Denkmäler S. 29. 312. Uhlands Schriften III, 220. 321. &.]
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Meers verkaufte er denfelben um 100 Pfund. Bei der Rüdlehr meldete er
feiner Frau, fie jeien dur den Sturm auf eine Sandbank geivorfen worden
und bier habe die Sonne fo heftig gebrannt, daß der Schneefohn zerſchmolzen:
Sic perfidam Suevus conjugem deluserat,
sic fraus fraudem vicerat,
nam quem genuit nix, recte hunc sol liquefecit. .
Anders, längft nicht mehr im Charakter der Hugen Schälfe, finden
wir die Schwaben 500 Sahre fpäter, in den Schwänfen des 16ten
Jahrhunderts, "dargeftellt. Zwiſchen inne muß Manches liegen, was
den Übergang vermittelt 1.
Bon dem Hauptabenteuer der 7 oder 9 Schwaben fteht die ältefte,
mir befannte Erzählung in Kirchhofs Wendunmuth; Yrankfurt 1563,
Bl. 2819 bis 283°, €. 274 [I, 318 bei Oſterley. 8.]2.
Bon neun Schwaben ein Hiftori.
Neun Schwaben, liſet man im buch der alten ungefchehenen ding, wolten
auch die welt erfaren und unfers Herrgotts roch zu Trier, darnach flirter das
heiligthumb zu Ach bejuchen unnd ablaß holen. Damit fie nun defto ficherer
wandelten, jaben fie für gut an, daß fie einen ftarden unnd langen ſpieß
machen liefien, daran fie alle neun, der küneſt unnd mannlicheft geharneft zu-
vorderft gienge. Diſe ire reiß begab fih aber im Julio oder Hewmonat, unnd
als fie eins tags ein fehr weiten weg gezogen, darzu auch nod gar fern ins
dorff, da fie die nacht bleiben musten, beiten, unnd im dundelen über ein
wifen oder matten giengen, flog der groſſen rojsfeffer oder hurnuffeln eine
nit weit von inen binder einer ftauden unnd brumlet feindtlih. Darumb ber
vorderſt erſchrack, daß er den jpieß fchier bett fallen laſſen [und einen heim⸗
lichen ftreichen ließ]; ſprach zu feinen gefellen: „Lofend, loſend! Bott! ich hör
ein trummel.“ Die anderen fagten, es wer inen auch aljo, [unnd ber zu
nechft nad) dem vorderſten an der reig war, entpfieng den geftand deß blint-
leihen feines gejellen in die naſen und ſprach: „Etwas ift one zweiffel vor-
handen, denn ich ſchmeck das pulffer und die zindftrid“] Im hui begunb der
geharniſchte zu fliehen, fprang liber ein zaun, do lag ongefer noch ein rechen
(denn es betten daſelbſt die leut den tag heuw gemachet), darauff trat er, daß
ihn der ftiel auff die nafen flug: „DO wei omei,“ ſchrey er, „niem mid)
1 Langebel, Scriptores rerum danicarum I, 70:
Swevia promissa percepta[o?] munerafe?] frangit,
Vitat turpe loqvi, qvia nobilis atgve superba.
Charakteriſtik vieler Länder und Volksſtämme.
2 Ein Lied gleichen Zuhalts |. im Wunderhorn II, 445.
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gefangen! ich gib mich.” Die anderen bupfften alle einer ober den andern ber-
nad, und rufften: „Gibflu dich, jo gib ich mich auch.“ Leblich wurden fie
gewar, daß fie betrogen waren, unnd damit fie derhalben nit gefpeiet würden,
verſchwuren fie undereinander, ſtillzuſchweigen, biß fo lang einer das maul
auffıhet. Der andern gefahr, die inen zu handen kam, mag bie erſte nit ver-
glichen werden; denn nach etlihen tagen trug fie ir weg durch das bradhfeld
und faß ein haß in der fonnen, fih mit den vordern lauffen umb den kopff
bugende. Dieſen erfahen fie, blieben zu berabtichlagen, was Hierinnen das
wenigft geferliche wer, beftehen. Einer auß inen ſprach gant gehertzt (etliche
wöllen, es fei der hinderſte geweſen): „NRageneurle! gang anher, Rageneurle!“
„O Gott!” fagt der vorderft, „wenn du bie ftiindeft, da ich ftand, du würdeſt
mit nichten fagen: "Rageneurle, gang anher?“ Hub in dem an fich zu ſegnen
mit dem heiligen creut, ruft Gott umb hilff an, und zum letfien, als nichts
heiffen wolt, daß der Haß außm weg kem, fchrey er aus groffer furdt: „Hau
hurlehau, bau Hau!“ Bon diefer ſtimm erfchrad der haß und lieff darvon.
Der te aber ſprach: „Nun fihe ich, das ein hurlehau beffer dann taufent
Gotthelff if.” Fürter, nach dem fie yetzund an die Mofel, ein moficht ſtill und
tieff waffer, kamen, darüber nit vil bruden gemacht, fondern an mehrern orten
man fih muß in fchiffen überführen laffen, und dieweil fie deffen unberichtet,
rufften fie zu einem mann, der yenfeit bei wafjers fein arbeit volnbracht, wie
man binüber kommen möchte. Derjelbig verflund von wegen ber weite, aud)
der fpra halben nit, was fie wolten, und fragt auff fein trieriiche ſprach:
„Wat, wat?“ das ift: was, was? So meineten fie, er fagte, fie jolten waten,
und hub an der vorderft hinüber zu gehen. Er vermochte aber e3 nit gar lang,
umb des fhlams und der tieffe willen, antreiben, fiel hinunder und ertrand.
Als die andern diſes Hut, den der wind an das ufer auff yener ſeiten ge-
triben, ſahen, und ein froſch darbey ſaß und quadet „Wat, wat, wat,“ das
eben lautet wie fie das maul in diefem wort vnd dergleichen weit auflperren,
hielten fie es darfür, ir gefell ruffet inen, ſich hernacher zu machen, verfiunden
e3 wol, unnd fagten undereinander: „Ran ex liberhin waten, warumb wir nit
auch?“ Unnd find alfo alle neun ertrunden, und durch unverftand der fprad)
und den leidigen froſch yemerlich umbgebracht.
Es jein dSchwaben Hierdurch nit gſchmecht,
In frölichleit es jo bingeht.
Ein yeder gfellt im ſelber baß,
Andre willen von im aud maß.
Drumb wer nit auch wil ſchimpff verftahn,
Der foll vorhin vom ſchimpffen lan;
Allweg findt yeder feinen mann.
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— — — nt
Nicht bloß mit dem Haſen und dem Spieße, auch mit den gelben
Füßen und mit der Nuß! wurden die Schwaben geneckt. Auch hievon
berichtet Kirchhof im Wendunmuth, BI. 218. Nr. 199 [I, 244 bei Oſter⸗
ley. 8.]. Ein Schwab und ein Schweizer treffen fi im Elfaß, auf dem
Wege von Schlettſtadt nach Straßburg, und wandern zufammen.
Wie diefe zwen alfo bey eim waſſer hergiengen, erınanet einer den andern,
ein gricht frebs zu fahen. Der Schwab aber fieng fröjch für krebs, und fo
offt er einen-erwütfchet, jahe er: „Lug, Uli (fo hieß der Schweiter) ! ich hab
wider oinen mit oim gelben bainle.“
tem auff dem meg fand ohngeferd der Schwab ein feiten oder caflanean,
die Hub er auff und ſprach mit freuden: „Lug, Uli, lug! ein ſchöns und guts
nüßle, das ift in ein läderle gneiet.“ Der Schweiter bſahe e8 eigentlich und
jagt mit groffem verwundern: „Bugden gugden, das ift by Gotts chrüz ein
finer ſchnider gſyn unnd Hat. gar ein Jubers nödeli chönnen machen.“ Meinet,
oben das ort gegen ftil geflanden wer bie naht, da das lederlin wer zugenehet.
Hollender, die fein butter effen u. ſ. w. #**
(Ein langes Berzeichnis diefer Art vgl. Eſchenburgs Denkmäler
©. 417.) Dem Schwaben fehen wir bier einen andern Landsmann, den
Schweizer, beigefellt und fo war überhaupt der Scherz keineswegs auf
die Schwaben befchräntt. Kirchhof weiß auch von drei Baiern ein artiges
Abenteuer zu erzählen (C. 200. BI. 219 f. [I, 246 bei Ofterley. K. P.
„Bon den Heflen und irem Nammen“ bat er ebenfalls ein beſondres
Gapitel (BI. 2485 ff. [I, 280 bei Ofterley. K.]), worin er jedoch, felbft
ein Helle, nicht recht mit der Eprache herausrüdt, vielmehr feine Lands⸗
leute bigig gegen Dasjenige vertheidigt, was man ihnen aufmute.
Fiſchart, der berühmte deutſche Humorift in der zweiten Hälfte bes
16ten Jahrhunderts, ift voll von nediihen Anfpielungen nad allen
Theilen des deutſchen Landes.
Nicht unbeachtet darf bleiben, daß die Erzählungen der Schwaben:
ftreiche großentheild von Schwaben jelbft ausgegangen zu fein fcheinen;
vgl. Volksbüchlein 169. Bon einigen, die am früheſten in Bebels, unfres
Landsmanns, Facetiis zu finden find und von da zu Kirchhof und An«
bern übergiengen, wird nachher bejonders die Rede fein. Noch neuerlich
bat ein Schwabe, Aurbader in Münden, „ein Boltsbüchlein,”
1 Bauli, Schimpf und Ernft. 1535. 81.16. Schwaben, Nüffe [Echau-
Ipiele des Herzogs H. 3. v. Braunſchweig S. 306. 868 f. H.]
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Münden 1827, ohne feinen Namen, ausgehen lafien, in welchem ein
beträchtlicher Abfchnitt den Abenteuern der 7 Schwaben gewidmet ift. Die
Compofition, die Darftelung und auch fonft Vieles vom Inhalt ift
allerdingd eigene Arbeit des Herausgebers, aber auf alte Volksſage
gebaut. Eines der Capitel iſt überfchrieben (S. 127): „Wie unfre
Schwaben dur das blaue Meer ſchwimmen, ohne zu erjaufen;” dieß ift
in der Hauptjache jenes blühende Leinfeld der Heruler, und zwar, nad
befondrer Berficherung (S. 171), aus mündlicher Volksſage entnommen.
Kunftreih bat, um zum 16ten Jahrhundert zurüdzufehren, Hang
Sachs drei Schwänke der beiprochenen Art in einem Meiftergefange
zufammengeftellt, welchen Götz in feiner Auswahl aus deſſen Gedichten,
2tes Bändchen, Nürnberg 1829, ©. 104 ff. nach einer alten Hand-
jehrift herausgegeben hat. In jeder der drei Strophen, aus welcher Zahl
häufig das meilterfängerifche Lied befteht, ift je ein beutfcher Volks⸗
ftamm, Franke, Schwabe und Baier, mit einem thörichten Dietum auf:
gezogen, alle drei Dicta aber find dadurch zur Einheit verbunden, daß
fie ſämmtlich, als von einem gemeinfamen Nationalinterefie, vom
Trinken handeln:
Nun Hört artlicder ſchwänke drey u. f. w. ***
So traten Thoren aus verjchiebenen deutfchen Gauen an den
Schwabenſpieß. Es fam aber darauf an, eine wenigſtens ibeale Eins
beit des närrifchen Deutfchlands zu begründen, und dieſe fam gegen den
Schluß des 16ten Jahrhunderts in dem Buche von den Scilobürgern
glücklich zu Stande. Die ältejte, befannte Ausgabe dieſes Buches ift:
Der Sciltbirger, wunderſeltzame, abentheurliche, unerhörte und bißher
unbeſchriebene Geſchichten und Thaten der Schiltbürger in Miſnopotamia durch
M. Aleph, Beth, Gimaul, Paul Brachfeld, 1697. Marrenbuch 440 f.) 1
Die Geſchichte iſt durch verſchiedene Fortſetzungen erweitert worden
und hat ſich in mehrfachen nachfolgenden Ausgaben, die zum Theil
auch den Titel des Lalenbuchs führen, im Wolfe verbreitet. In etwas
erneuerter Schreibart fteht fie in H. von der Hagen Narrenbuch, wo auch
die Litteratur angegeben ift, womit bie lehrreiche Recenfion in ber
1 Über das dänifche, eigentlich jütländifche, wie es fcheint, erſt in dem
1700er Jahren zufammengetragene, Bollsbudh: Bereining om de vidtbekjendte
Molboers vise Gjerninger og dappre Bedrifter ſ. Nyerup, Morstabsläsning.
1816. S. 274 bis 277. Bgl. Narrenbud 492 f. [Schriften II, 564 f. 8]
622
Leipziger Litteraturzeitung 1812, ©. 1282 bis 1301 (von Grimm) zu
vergleichen ift. Koberftein ©. 129 [Ate Aufl. I, 441 ff. K.Jj. Ein Theil
der darin enthaltenen Erzählungen ift in den Volksmährchen von Peter
Lebrecht (Tieck, Th. 3) bearbeitet.
Die Anlage des Buchs, welche, wie mehreres Andere, etwas von
gelehrter Hand verräth, ift folgenbe:
Die Einwohner des Dorfes Schilde (ein jetiges Städtchen Schilda liegt in
Oberſachſen; Narrenbuch 440) ſtammten von einem griechiichen Weiſen ab und
waren durch ihre eigene Weisheit fo berühmt, daß fie überall Hin von Königen
und Fulrſten berufen wurden, welche ihren Rath benüten wollten. Weil aber über
diefer Abweſenheit das Hausweſen zu Grunde gieng, fo wurden fie von ihren
Weibern dringend zurückberufen, und damit fie nicht wieder ihrer Weisheit
wegen nad auswärts abgefordert werden möchten, beichloffen fie, fich mit
Macht auf die Thorheit zu werfen. Sie bringen es hierin wirklich jehr weit,
obgleich noch lange bie leidige Weisheit, wie ein alter, abgeftiimmelter Weiden-
baum, immer wieder ausfchlagen will (S. 92). Durch eine Reihe der felt-
famften Streiche fteigert fich aber ihre Narrheit bis dahin, daß fte in Berfol-
gung eines ihnen höchſt gefährlich fcheinenden Maushundes (einer Katze) ihr
ganzes Dorf durch Feuer zerftören und dann fi) in der Welt zerftreuen, wodurch
ihr Geſchlecht ſich aller Orten verbreitet hat.
Bon den närrifchen Streichen dieſes mwunderlichen Völfchens mögen
folgende zur Schau ftehen, wobei ich beſonders wieder ſolche berüd-
fihtigt babe, die fich als ſchwäbiſches Bundescontingent nachweifen
lafien: Der Kudud, ©. 193 f.*** Der Krebs, ©. 199 big 202. **
Die erfte diefer beiden Gefchichten 1, nebjt einer andern, gleichfalls
in den Schilbbürgern vorkommenden, ift bereit$ in unſres Bebels, bald
nach 1506 zufammengetragenen Facetiis B. I, ©. 52 f., und zwar von
ben Nachbarn ſeines Geburtsorts, den Bauern von Mundingen bei
Ehingen, erzählt. Ebenpafelbft (B. III, S. 175) findet fidh die zweite
Anefoote vom Krebs, doch mit fehlender Spite, wieder auf einen
Schneiber zu Munbdingen angewandt. Narrenbud ©. 433 bi 436. Aus
Bebels Facetüs famen fie in Kirchhof Wendunmuth (BI. 268° bis
2695. 284).
1 Bu unterſuchen wäre überhaupt noch das nad Pfifters Notizen im der
ft. Privatbibliothek befindlihe Danufcript: Augustani Tunger, procuratoris
curiee constantiensis, ad Eberhardum com. de Wirtemberg Faceti® latine
et germanicz, 1486, mit artigen Federzeichnungen. [Es ſcheint verloren. K.]
623
a a ——
Die meiſten Schwänke der Schilbbürger find ohne Zweifel altüber-
lieferte, wie dieß eben won einzelnen gezeigt worden; aber unverkennbar
ift in diefem Büchlein die Hand eines bis jetzt unbefannten Meifters
über fie gelommen, der fie zu einem mwohlgefälligen Ganzen georbnet,
oder, wenn etwa jchon ein früher Zufammentrag vor ihm Tag, dieſem
die rechte und volle Geftaltung gegeben hat. Es ift ein Guß ber
ruhigen, ſchalkhaft feierlichen und doch bis in das Einzelfte lebendigen
Darftelung. Natürlichleiten fehlen bier jo wenig, als in andern Schriften
jenes Zeitraums, aber es werhehlt ſich auch nicht ein feiner, ftill und
tief beobachtender Geift. Ein folcher bewährt ſich in der Aufgabe bes
urfprüngliden Ganzen, wie in ihrer Löfung. Diefe Aufgabe war nicht
etwa bloß, die Kleinftädterei und Pfahlbürgerei (vgl. Narrenbuch S. 426)
zu parodieren, vielmehr bie wunderbare Miſchung von Weisheit und
Thorheit in der menfchlichen Natur überhaupt darzulegen. Narrheit
und Verſtändigkeit (ver fchlaue und der thörichte Schwabe) find bier,
wie Zettel und Eintrag, mit ficherer Hand zu einem ergeblichen Gewebe
verfchlungen!. Wie fich im beroifchen Nibelungenliede die verſchiedenen
beutfchen Helbenkreife zu einem gleichmäßigen Ganze verfchmolzen, fo
haben wir in ben Schildbürgern das Nibelungenliev ver beutfchen
Schwabenftreiche.
1 [Schriften II, 565. 8.]
Bweiter heil.
Zur romanifchen Sagengejchichte.
Es mar meine Abficht, mit der germanifchen Sagengejdjichte die
der romanischen Völker, d. h. derjenigen, deren Sprachen aus ber Ber:
mifchung der altlateinifchen mit andern, vorzüglich germanifchen Idiomen
hervorgegangen find, infoweit zu verbinden, ala bei diefen Volkern, mit
den Einflüflen der germanifchen Eroberungen überhaupt, auch die
Sagenpoefie der Eroberer ſich wirkſam und fruchtbar eriviefen bat. Die
Völker, melche hiebei, in größerem oder geringerem Maaß, in Betracht
famen, find bie des jeßigen Frankreichs, der britiichen Inſeln, ver
iberifchen und italiichen Halbinſel. Der germanifche Antheil an ber
Sagendichtung diefer Völker iſt allerdings von fehr verjchiedener Art.
Bald find fie felbft, der romanifierten Sprache unerachtet, noch vor:
wiegend germanifche geblieben und haben auch ihrer neuentwidelten
Sage dieſen Charakter aufgeprägt, bald haben fie bei mehrerer natio:
naler Entfremdung doch germanifche Sagen und gemeinfame Sagenftoffe
in fih aufgenommen, bald haben fie folche nur mittelbar, durch andre
romanische Völker, erhalten, bald endlich ift in ihnen nur eine allge
meinere und entferntere Nachwirkung germanischen Weſens bemerkbar
geblieben. Näher war die germanifche Verwandtſchaft der englifchen
und franzöfiichen, entfernter. die der Spanischen und italifchen Sagen.
Nachdem ung jet nur fehr wenige Zeit noch übrig ift, welche der
romanischen Sage überhaupt gewidmet werben kann, fo ftand ich in
der Wahl, ob ich diefe übrigen Stunden eher der englifchen oder ber
franzöfiihen Sagengefchichte, ſoweit möglich, beftimmen follte Für
eritere, die englifche und die des benachbarten Südſchottlands ſprach,
daß es fich bier von Völkern handelte, bei denen die germanifche Art
625
vorherrfchend und deren Sprache, des normannifchen Einfluffes unerachtet,
im Grund eine germanifche blieb, daher auch J. Grimm in feine
deutfche Grammatik bie engliiche Sprache mitaufgenommen hat. Die
angelſächſiſche Periode fällt ohnehin in unvermifchtem Sprachbeftande
noch gänzlih auf germanifche Seite. Wäre von Anfang an bezweckt
geivefen, einzig die germanifche Sagengefchichte darzuftellen, fo wären
auch angeljächfiiche, englifche und ſüdſchottiſche Sagen am natürlichften
zu ihr geſchlagen worden. Sollten aber die vermifchten Sprachen eine
beſondre Abtheilung, als romanische Sagengefchichte, ausmachen, fo ſchien
es von Intereſſe, auf ihrer Seite einestheild noch das germanifche,
anberntheild das romanifche Element vorwiegend beobachten zu können.
Gleichwohl entſchied ich mich dafür, die noch übrige Frift der fran-
zöfifchen Sage einzuräumen; nicht bloß, weil für die englifch:fchottifche
doch nur eine fummarifche Überficht noch möglich geweſen wäre, fondern
vorzüglih, weil ich wenigſtens an einem vorherrſchend tomanifchen
Sprach⸗ und Volksſtamme die germanifche Nachwirkung zeigen zu
fönnen mwünjchte.
Franzöſiſche Sage.
Die beveutendern Sagenbildungen, die fih in norbfranzöfilcher
Sprache (zum Unterfchied der provenzaliichen) geftaltet haben, laſſen
fih auf drei verfchievdene Kreife zurüdführen:
1) den fränfifchen,
2) den normannilchen,
3) den keltiſchen.
Bon unfrem germanifchen Standpunkt aus haben wir es nur mit
den beiden erftern zu thun, d. 5. mit denjenigen Sagenbildungen, welche
unter dem vorwaltenden Einfluß und auf dem nationalen Sagengrunde
der fräntifhen und ſkandinaviſchen Eroberer Gallien? zu Stande ge
fommen find. Der dritte, Teltifche Kreis, wohin vorzüglich die Dich:
tungen vom König Artus und feiner Tafelrunde gehören, bat feine
Heimath in denjenigen Gegenben, in melde ſich altgalliiche Sprache und
Sage, von frübern römifhen und nachherigen germanischen Ein:
wirkungen verdrängt, zurüdgezogen hatte, nemlich in der Bretagne und
auf den gegenüberliegenden britifchen Landenden, in Kornwallis und
Upland, Schriften. VI. 40
626
Wallis. Zwar ift auch diefer Sagenfreis von den romanifierten Ror-
mannen mit Vorliebe bearbeitet worden, aber ſchon in einem mittel:
alterlicheritterlichen Sinne, wobei weber der urfprüngliche Geift der
feltifchen Mythen, noch das ältere germanifche Weſen mehr obivaltet.
Wir beichränfen uns fomit auf bie zwei erfigenannten Kreiſe, den
fräntifchen und ben normannifchen, und machen uns auch bei diefen
nicht ſowohl mehr vie abhandelnde Erörterung, als die unmittelbare
Darftellung der bedeutendſten Geftalten zur Aufgabe.
L Fränkiſcher Sagenkreis.
Es hat ſich in altfranzöſiſcher Sprache ein großer epiſcher Cyllus
gebildet, der ſich um Karln ven Großen! als feinen Mittelpunkt be
wegt. Die dahin gehörenden vielen und umfangreichen Gedichte ſind
noch weit zum gröſten Theile ungedruckt. Erſt in neueſter Zeit hat
ſich ihnen in Frankreich ſelbſt eine anerkennendere und thätigere Theil⸗
nahme zugewandt. Bei ſolchen Umſtänden gibt es auch noch keine
irgend befriedigende, litterariſch-ſagengeſchichtliche Darſtellung dieſes
epiſchen Kreiſes. Yür jetzt iſt über denſelben, obwohl zum Theil mehr
hinſichtlich der Übertragungen und Umarbeitungen ver altfranzöfifchen
Dichtwerlke in andre Sprachen, in folgenden Schriften Auskunft zu finden:
Dippoldt, Leben Kaifer Karls des Großen. Tübingen 1810; in der Beil.
D: Boefie und Sagen von Karl dem Großen.
Görres, die teutſchen Vollsbücher. Heidelberg 1807, S. 99 ff., aus Anlaß
des Volksbuchs von den Heimonskindern.
F. 8. Bal. Schmidt, Über die italiänifchen Heldengedichte aus dem Sagen⸗
freis Karls des Großen. Berlin 1820.
Derſelbe in der Recenfion von Dunlop, History of fiction, Wiener Jahr-
biicher der Litteratur 1825. Bd. 81.
Paris, in der Einleitung zu feiner nachher anzuführenden Ausgabe des
Romans: Berte aus grans pies. Paris 18322,
„Über das altfranzöfifche Epos“ habe ich in der Zeitfhrift „bie
Mufen,” herausgegeben von Fouque und Neumann, Berlin 1812, eine
Abhandlung eingerüdt, worin ich von ben Gebichten dieſes Heldenkreiſes
1 über Charlemaines vgl. Grammatif II, 320.
2 [Bgl. weiter meine Ausgabe des Karlmeinet, Stuttgart 1858, ©. 852 f.
Histoire po&tique de Charlemagne, par Gaston Paris. Paris 1865. R.]
627
— — — — —
Nachricht gab, ſoweit mir ſolche vorzüglich aus altfranzöſiſchen Hand⸗
ſchriften der Pariſer Bibliothek bekannt geworden waren.
Ausgaben einzelner Gedichte oder größerer Bruchſtücke aus ſolchen
werde ich bei ver Aufzählung der Dichtungen felbft namhaft machen.
Der Umfang vdiefer Tarolingifhen Heldenſage ift nach den allge:
meinften Umriſſen biejer 1:
Nachdem Karl, in früher Jugend dur die Ränke feiner Stiefs
brüber von feinem Erbe verftoßen und in bie Dienfte eines farazeni-
ſchen Königs in Spanien eingetreten, fich den väterlichen Thron wieder
erfämpft hat, muß er fi) in Kriegen mit Auswärtigen und mit miber:
fpenftigen Bafallen zwölf Genoſſen durch Streit gewinnen, die ihm
fortan als geharniſchte Apoftel zur Seite ftehn, um mit ihm die Sache
der Chriftenheit auszufechten. Sie ziehen zum heiligen Grabe und durd)
eine Glorie, die im Tempel über ihren Häuptern erfcheint, werden fie
als Streiter Gottes anerkannt und geweiht. Als foldhe Tämpfen fie in
vielfachen Feldzügen gegen die heibnifchen Sachſen und gegen die Un-
gläubigen in Spanien, bis fie endlich, nach vielen wunderreichen Thaten
und Schiefalen, durch den Judas Ganelon verrathen, im Thale Ronces
val, in den Pyrenäen, gemeinfamen Helden: und Märtyrertop erleiden.
Karl felbft und Einige aus der Zahl bleiben zwar am Xeben, doch nur
um Jene zu rächen, zu verberrlichen und zeitlebens zu betrauern. An
diefen Kern des Epos aber fchließen ſich in auffteigenver Linie, zu Pipin
und Karl Martel, und in abfteigender zu Karla Nachfolgern und den
Nachlommen feiner Helden, fowie in Nebenztweigen, noch viele andre
Heldengeſchichten an.
. Dieb der Umfang der Sage. Den Zufammenhang der zahlreichen
und manigfaltigen Gedichte bilben innerlich: der alterthümliche Helden:
geift, nicht mehr mythiſch⸗rieſenhaft, zumeilen ſchon ritterlicher Galanterie
zugeneigt, aber voll beroifcher Freudigkeit; der religiöfe Nimbus, ber
die Helden umgibt; die durchgehende Charakteriftif der bebeutenberen
unter ihnen: Karls ruhige, zumeilen ftarre, mehr leitende als ſelbſt⸗
thätige Haltung; des Herzogs Naimes von Baiern bevächtiges Alter und
weiſer Rath; Rolands achilleifches Feuer und feine innige Waffenbrüber-
Ihaft mit dem beitern Olivier; Ganelons Falfchheit und Tüde; endlich
1 [Bgl. Fouques Mufen. Berlin 1812. 3, 68 f. 8]
628
der Helden gemeinjfamer Untergang und das. vorabnende Hindeuten
darauf in den meiften Gebichten, welche noch die früheren Abenteuer
darftellen; äußerlich aber: die leid förmigleit eines epiſchen Stils und
beftimmte Versarten 1.
Es find der legtern zweierlei: ein jechöfüßiger (der altfranzöfifche
Alerandriner) und ein fünffüßiger, beide von jambifcher Hebung. Eine
beliebige, größere oder Fleinere Reihe ſolcher Verszeilen auf den gleichen
Keim, mandmal mit einem kurzen Nachſchlag am Ende der Reihe,
bildet je eine Strophe.
Die Berfafler oder Anordner biefer altfranzöfiichen Gedichte in
ihrer jegigen Geftalt find, wohl mit meniger Ausnahme, Geiftliche.
Mehrere derfelben nennen ſich. Aber fie beziehen fi, wenn aud
mandmal im Widerfpruche, auf den jchon herkömmlichen Volksgeſang
ber Jongleurs, und fie felbft noch beftimmen ihre Arbeiten ausdrücklich
für den Geſang. Nicht die Erfindung der Sagen, fonvern die Ber:
einigung und Ausbildung der rhapfodiichen Geſänge zu größeren Com:
pofitionen war bier, wie andermärts, das Geſchäft Derjenigen, welche
das Epos in Schriftwerfe auffaßten.
Was nun die einzelnen Dichtungen betrifft, jo werde ich diefelben,
fomweit mir ihr Inhalt wirklih aus altfranzöfifchen Quellen befannt ge-
worden ift, bier aufzählen und bebeutendere Partieen ausführlicher hervor:
heben. Ich nehme dabei den Gang, daß ich nicht die Beitfolge der jeweili-
gen Abfaflung zum Leitfaden nehme, ſondern den Verlauf der fagenhaften
Gefchichte ſelbſt, wie die Helden, welche Karls Genoſſenſchaft bilden, ſich
nach einander um ihn, als ihren leuchtenden Mittelpunkt, fammeln, tie
fie ihren Charakter und ihre Thatfraft bald mehr einzeln, balb zus
ſammenwirkend zum gemeinfamen Heldenwerk entwideln; ivie die freudige
Heldenwelt ihrem tragifchen Untergang entgegenfchreitet 2.
1. Königin Berte.
Li romans de Berte aus grans pies, précédé d’une dissertation sur
les romans des douze pairs; par Paulin Paris. Paris 1832. Zugleich mit
1 [Bgl. Fouques Mufen 3, 79. 8]
2 [Ausführlihe Inhaltsangaben der altfranzöfifhen Dichtungen aus dem
fräntifhen Sagentreije finden fih im 22 Bande der Histoire litteraire de la
France H.]
629
-— — — — — —
der Bezeichnung: Romans des douze pairs de France. No. 1. Alſo der Au⸗
fang zu einer beabſichtigten Folge herauszugebender Gedichte dieſes Cyklus,
über den auch die Einleitung manches Bemerfensmwerthe enthält 1.
Der Berfafler dieſes altfranzöfifchen Gedichts in Alerandrinern der
porangegebenen Art ift Adenes, zugenannt le Roi (vermuthlich roi des
menestrels), der in der zweiten Hälfte des 13ten Jahrhunderts Iebte,
jo daß ſolches, diefer Zeit der vorliegenden Abfaffung nad, zu den
ipätern gehört. Es enthält die Gefchichte der Mutter Karl des Großen,
die Verfolgungen, welche fie durch eine ftatt ihrer, al Gemahlin bes
Königs Pipin, unterjchobene Dienerin zu erleiden bat, und ihre enb-
liche Wiebereinfegung. Die Darftelung ift nicht ausgezeichnet, ‘aber
doch anziehendb in demjenigen Theile des Gedichts, welcher die Flucht
der verfolgten Berta dur den unmwegjamen Wald von Mans und
ihren Stillen Aufenthalt in einem abgelegenen Waldhaufe, wo fie uner:
fannt einer frommen Familie mit weiblichen Arbeiten dient, faft idylliſch
erzählt. Dieſe Gefchichte ift, wenn aud in den bejondern Umftänven
beträchtlich abweichend, doch in Hauptzügen gleichartig mit der deutſchen
Erzählung, melde, mie früher angeführt wurde, Aretin unter dem
Titel: „Ältefte Sage über die Geburt und Jugend Karla des Großen,
Münden 1803” herausgegeben bat ? und worin der Schauplah nad
Baiern verlegt ift.
Die Zeit, wo Berte fpann, ift noch in Frankreich ſprichwörtlich
(Roman de Berte ©. IV) und an den alten Kirchen bajelbft findet
man häufig die Figur der reine pedauque, ohne Zmeifel eben ber
Königin Berte mit den großen Füßen, die zur Enthüllung des Betruges
dienen, deilen Opfer fie jo lange war (ebendaf. ©. 11 bis V. 104 f.
198). Bertha, Berchta, heißt auch bei den Annaliften die Mutter Karls
(Aretin a. a. D. 67).
Sn diefem Gedichte kommt bereits einer der nachmaligen zwölf
Genofien Karls, Naimes, der Sohn des Herzogs von Baiern, mit
1 [E3 find von der Sammlung 18 Nummern in 12 Bänden erfdienen.
über Berte aus grans piés vgl. Schweglers Jahrbücher der Gegenwart 1843,
S. 86 f. 8]
2 (Bol. Blätter für litterariſche Unterhaltung 1840. Dec. Nr. 866. S. 1477
bis 1479. Mones Anzeiger 1885. Sp. 421 bis 423.] [Sommer in Haupts
Zeitfchrift für deutjches Altertbum 2, 387. 8.)
630
13 Gefährten zum König Pipin nad Angers, um fich von ihm zum
Nitter Schlagen zu lafien und ihm feine Dienfte anzubieten, die auch
gerne angenommen werben (ebenvaf. S. 143 bi8 145).
2. Karls Jugend.
Eine Folge des Gerichts von Adenes bildet ein nody ungebrudier
Roman 1 in derfelben Versart, von Girart d'Amiens, in der Parifer
Handſchrift Nr. 7188. Derfelbe macht auf Hiftoriihe Glaubwürdigkeit
Anſpruch und ift ein Verfuch, die Begebenheiten Karls des Großen in
ein Ganzes zu bringen. Nur ftellenmeife bat biefer Roman epifches
Leben; das erfte Buch ift das erheblichite und macht die Auffindung
älterer Gedichte von Karls Jugendjahren, die hier ohne Zweifel zu
Grunde liegen (vgl. Les enfances Charlemagne, Roman de Berte
©. 189, N.), wünfchenswertb. Im zweiten Buch findet fich eine gute
Episode, wie Karl auf einer Jagd bei Vannes zum erjtenmal feinen,
nachher jo berühmten Neffen Roland trifft, der ale Knabe fchon als
rüftiger Jäger im Walde ftreift und des Königs Waibleute, die er für
Wilddiebe hält, übel zurichtet. (Gedruckt beim Yierabras ©. 156 bis
158.) Den inhalt des Sten Buchs werben wir befler nach einem ältern
Gedicht am Schlufje geben.
Über der Geburt und erften Jugend Karla felbft ſchwebt ein ge:
wiſſes Geheimnis. Eginhard, der als Zeitgenofje und Geheimfchreiber
des Kaiferd doch für unterrichtet angenommen werden follte, fagt de
vita Caroli Magni Cap. IV:
De cujus nativitate atque infantia vel etiam pueritie, quia neque
scriptis aliquid usque declaratum est, neque quisgquam modo superesse
inveritur, qui borum se dicat habere notitiam, scribere ineptum judicans,
ad actus et mores cewterasque vite illius partes explicandag ac demon-
strandas, omissis incognitis, transire disposui.
Man bat diefe Äußerungen nicht mit Unrecht etwas räthſelhaft
und rüdhaltig gefunden (Aretin a. a. D. 70 bis 73). Je mehr aber
Karla frühere Lebenszeit in Halbdunkel gehüllt blieb, um fo freieres
Spiel war der Sagendichtung gelaſſen. |
1 [Fonques Mufen 3, 66. Vgl. Karlmeinet S. 853 f. Bartſch über Karl⸗
ment S. 1 ff. 8]
631
8. Agolant.
Ein Fragment dieſes Gedichts, von 1338 Verszeilen, nebft mehrern
kleinern, hat Immanuel Beller in feiner Ausgabe des Fierabras (Berlin
1829) abdruden laſſen, nach einer Pergamenthandfchrift im Befite H.
von der Hagen (S. LIII ff.). Über Handfchriften auf den franzöfifchen
Bibliothelen habe ich keine Notiz1. Jedoch rechnet Paris, der Heraus:
geber des Romans von Berta, in ber Einleitung zu diefem (S. XXXII?)
den Agolant zu den älteften und echteften Gebichten, die ſich auf die
Epoche Karla des Großen felbft beziehen. Das Heldenthbum Karls und
feiner Genoſſen erfcheint hier in feiner erften Blüthe. Der König felbft
rüftet fich mit feinen herrlichen Waffen und befteigt fein herrliches Roſs,
deflen Schritt von den Goldſchellen am Reitzeug heller, ald Harfe ober
andre Spiel, erflingt; er gleicht einem Engel, der vom Himmel berab:
gelommen, nicht einem irdiſchen Ritter (Fierabras 163). Der Jüngling
Roland wird bier erft zum Ritter geichlagen und der Herzog Naimes
von Baiern, der ſonſt als greifer Neftor auftritt, ift bier noch in ber
vollen Kraft und Schönheit des Mannes, obgleich nicht minder als ber
Beionnene bargeftelt. Den Hauptinhalt bes Gebichts, fo weit man
folden aus den Bruchftüden erſehen kann, madt ein großer Kampf,
den Karl gegen den farazenifchen König Agolant, der ihm mit unges
heurer Heeresmacht in fein chriftliches Neich gefallen, fiegreich befteht.
Der Schauplat des Kampfes ift eine Ebene am Fuße des hohen und
rauhen Berges Aipremont. In dem gebrudten, größern Fragmente
find die beiden Heere zu beiden Seiten dieſes Gebirge gelagert und
e3 ift daran gelegen, erjt wechſelsweiſe die Stärle des Gegners kennen
zu lernen, bevor zur Schlacht gefchritten wird. Hier nun, wo ed auf
Heldenmuth und Klugheit zugleich ankommt, wirb Herzog Naimes, der
fonft mehr als Berather erfcheint, Fräftig handelnd eingeführt. “Die
Abenteuer, die er biebei zu beftehen hat, find in dem erwähnten Frag:
ment erzählt und ich gebe den Inhalt desfelben, foweit er ſagengeſchicht⸗
Ih von Belang ift:
1 [Bgl. meine Romvart S.1f. K.]
2 „Quant aux po&mes dont l'époque precise de Charlemagne fournit
le cadre, les plus anciens et les plus authentiques sont Agolant, ou les
Sarracins chasses d’Italie,“
632
König Karl fpricht vor feinen verfanunelten Helden: „Seht bier Aſpre⸗
mont, über den wir ziehen müffen, um die Sarazenen zu fchlagen! Für gut
halt’ ich, wenn auch ihr e8 gut findet, daß Einer von uns fi rüfte, Aſpre⸗
mont zu befteigen und das Heer unfrer Feinde zu ſchätzen“ Die Franken
ſchweigen, Keiner wagt, ſich bervorzuftellen. Zum zweitenmal fragt Karl, wer
es unternehmen wolle. Keiner will der Erfte fein, bis Ogier der Däne feinen
Mantel auffnüpft und fich vor dem König auf das Knie nieberläßt: „An eurem
Hofe, ruft er, if kein Nitter, der beffer als ich Bote fein könnte, laßt euch's
nicht verdrießen, edler Königl Ich will flir eu) auf Afpremont fleigen, und
treff' ih Hiamon (Agolants Sohn) oder den ſtolzen Agolant jelbft, fo werd’ id)
ihn zu fragen wiffen, warum er euer Land euch ftreitig made.” „Dgier 1,
ſpricht Karl, tritt zurück! nicht begebr’ ich dein.” Nach einander erheben ſich
mehrere Helden und bitten, unter Anführung ihrer Würden und Berdienfle,
dag der König fie ausfende. Karl meist Alle zurüd und ſpricht zulegt: „Laßt
euch's nicht verbrießen, ihr Herrn! Keinen hohen Bafallen, der Land zu ver«
walten bat, will ich den Heiden fenden; die Treulofen möchten ihn tödten. Aber
ift bier fein armer Nitter, der fich feines Leibes zu helfen weiß, der etwas ver-
mag, wenn's Noth thut?“ Da erhebt ſich der gute Gefell Richier, der Sohn
des Grafen Berengier, noch unvereheliht. Bor dem König läßt er fi) auf's
Knie: „Herr! ſpricht er, ich bin ein Ritter, der nicht Land noch Erbe zu ver-
walten. bat; wollt ihr fol einen Armen ausfenden, ich bin’, der euch helfen
will.” „Freund, erwibert Karl, ich heiß e8 gut; kommſt du wohl und Heil
zurüd, jo werd’ ich dir beinen guten Lohn geben, dein ganz Geſchlecht foll des
genießen.” Als Herzog Naimes dieß hört, der den Züngling erzogen und zum
Nitter gemadt, zürnt er. Schon reicht der König Richiern den Brief hin, da
tritt Naimes vor den König und fpridht fo laut, daß man es wohl hört: „hr
habt, Herr, ſchlimmem Rathe geglaubt. Richier ift wader und von großer
Tugend; ich habe fein wohl gepflegt, darıım thut mir's leid.” „Birne nicht!
ſpricht Karl; kehrt er zurück, fo wird ihm wohl gelohnt.“ „Richter, fpricht
Naimes weiter, ift ftolz und kühn, wie ein Löwe; Teicht erhebt er übeln Zank
mit den Heiden; da braucht man Sinn, Maaß und Bernunft, das fchlägt Hoch⸗
‚mütbige und Treulofe nieder; darum thut mir’s leid.“
Richier geht in’s Zelt, fi) zu waffnen, dann fleigt er zu Roſs, nimmt den
1 Bon der Kindheit Ogiers des Dänen, ber uns bier zuerft auftritt, Handelt
ein befondres, noch ungebrudtes Gedicht desfelben Adenes, der den Roman von
Berte abgefaßt bat. [La chevalerie Ogier de Danemarche par Raimbert
de Paris, poöme du XIIe sitcle in 2 Bänden, Paris 1842, 8. Man vgl.
hierüber V. U. Huber in der „neuen jenaifchen allgemeinen fitteraturzeitung“
1844, Nr. 95 bis 100. H.]
633
— nn —
Schild mit dem Löwen und reitet dahin mit Karls Briefe, bis er zum Aſpre⸗
mont fommt. Hit’ ihn Gott, der die Welt erfchaffen! Bald wird er in Angſt
und Noth fein. Schon erſchant ihn vom Fels herab ein Greif; Flügel hat
diefer, einen Speer lang; vom Genid zum Schweife mißt.er 30 Fuß, vom
Schnabel zur Stine drei; feine Augen find roth wie glühende Kohlen; die Laft
eines Eſels wär’ er zu tragen ſtark genug; wenn er fliegt, jo raufcht es weit-
bin. Im Gebirge find feine Junge, durch die Wüfte fuchen fie Nahrung. Als
der Greif Richiern daherreiten fieht, fommt er jählings auf ihn angeflogen und
ſchlägt ihn mit den Flügeln fo gewaltig auf den Schild, daß nicht Gurt nod)
Sattel hält und der Ritter auf den Sand geworfen wird. Bevor er wieder
auf den Füßen ſteht, hat der Greif fein aragonifch Roſs gepadt, reißt ihm
Leber und Lunge ſammt allem Gedärm aus und bringt e8 feinen Jungen auf
den Berg. Richier erhebt ſich zornvoll, zieht fein Echwert, um Rache zu neb-
men, aber der Bogel ift ſchon auf dem Felsgipfel. „Gott! ruft Richier, bei
. deinem heiligen Namen, wie kann ich über Ajpremont fommen, nun ich mein
Roſs verloren? mit großer Gewalt fchießen die Bergwaffer daher. Und wie ſoll
ih umlehren zum Lager Karla? Allzu fehr fürcht' ich den Herzog Naimes; auf
immer wird’ id darum gefhmäht fein.” Da geht er dem Berge zu, wo bie
Waſſer vom Felſe fallen. Er wirft fi) hinein, aber die Flut reißt ihn abwärts
und e8 wäre fein letter Tag geweſen, hätt’ er nicht mit beiden Händen einen
Strauch ergriffen und fich zurück an's Ufer geſchwungen. Traurig fteht er wieder
vor feinem todten Rofs, und wie er auffchaut, flieht er die Vögel von Ajpremont
herabfliegen, Habichte, Geier und andre, deren dort die Fülle if. Sie lommen
in großer Zahl fiber das todte Nofs, ihn Telbft aber faßt an der Ferſe ein böfer
Ecorpion und reißt ihm den Sporn vom Fuße. Da fieht er, daß hier fein
Heil für ihn ift, und kehrt um, mag er wollen oder nicht. Als er zum Zelte
des Herzogs Naimes gelommen und erzählt, wie ihm's gegangen, fpricht Diefer
vol Unwillens: „Eine Memme hab’ ich in dir erzogen, nicht Haft du Dich zum
Aſpremont gewagt; nimmer warft du dort, feiger Schelm!" Dann nimmt er
Rihiern den Brief des Königs, waffnet fih eilig feläft, nimmt den Speer in
bie Fauſt und befleigt fein ſtarles Roſs Morel. Seine Mannen begleiten ihn
eine Strede und ſcheiden weinend von ihm. Als Karl es hört, if er ſehr un⸗
gemuth. „Zieht Naimes dahin, fo wird mein Herz nie wieder froh und un⸗
berarhen werd’ ich fortan fein.“
Naimes reitet gegen Ajpremont, da fängt es ſtark zu fchloffen an, Schnee
bededt den Hals feines Roſſes, es friert ihn durch den Harnifh und er ift maß
bis zur Ferſe. So reitet er zwei Meilen weit an dem tiefen und wilden Waffer
bin, das Richiern fortgeriffen; er fieht die Eisſchollen darin treiben und findet
weder Brücke noch Steg. Da wird er unmuthig, gibt feinem Roſſe die Sporen
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und fprengt hinein. „Heil’ge Maria, ruft er, jungfräulice Königin, errette mid
und mein Roſs!“ Er langt am Yelsufer au und fleigt vom Roſſe, das zittert
und vom Eife zerfeßt if. „Morel, fpricht er, nie gab es ein Thier von deiner
Tüchtigkeit; gibt Gott, daß wir wieberlehren, nie ſollſt du verkauft oder verfeßt
werden.” Nachdem er eine Weile gerubt und fein Rofs bemitleidet, das durch
diefen Strudel gefetst, fieht er zu feiner Rechten, einen Steinwurf entfernt, eine
Höhle und in ihr eine große, gelammte Schlange, die wohl ſeit zwei Jahr⸗
hunderten bier geniftet. Sie wirft in dunkler Nacht fo helles Licht won ſich,
als wären zehen Kerzen angezlindet, vermöge eines edeln Steine, den fie im
Haupte trägt. Kommt irgend ein Thier dort zur Tränke, fo erwürgt fie es.
Sie fieht den Herzog und kriecht ſachte heran. Er hält den Schild vor und
jlägt ihr mit einem ungebeuren Hiebe den Kopf vom Leibe. Dreimal fpringt
fie noch auf und wirft Flammen Naimes fieht den Edelſtein und ſchlägt ihn
aus ihrer Stirne. Nachdem er ihn im Strome gewaſchen, betrachtet er ihn in
der Hand und die Augen funfeln ihm von dem Glanze. Dann fiedt er das.
Kleinod zu fi, reinigt auch fein vergiftetes Schwert im Wafler und reitet weiter
den fteilen Felshang hinan. Bald aber fchießt der Greif, der Nichiers Roſs
getöbtet, auch auf ihn herab, faßt fein Roſs Morel mit den Krallen, hebt es
fammt dem Weiter drei Schub hoch über den Boden empor und läßt es auf
den Sand zuritdfallen, Aber Naimes figt feſt im Sattel, fchwingt fein Schwert
und haut dein Greif beide Beine ab. Sie bleiben in ber Pferbsmähne, neben
dem Sattelbogen, hängen; fie find von dem Umfang, daß eines zwei volle Kannen
Weines faßte. Der Held nimmt fie mit fih, um fie Karln zu zeigen. Wer
dem Liede nicht glauben will, gehe nad Compiegne! dahin hat Naimes fie ge-
ſchickt. Der wunde Greif fliegt nach dem Berg und mälzt eine ſolche Schnee
maffe herab, daß fie nahezu Mann und Rofs umgeftürzt hätte. Noch einmal
fiebt Naimes fi um, da gewahrt er den Sporn Richiers und nur noch die
Gebeine feines Roſſes. „Heiliger Gott! ruft er aus, mit großen Unrecht hab’
ih dem Ritter geſchmäht.“ Als der Herzog auf ber Höhe des Aſpermonts an⸗
gefommen, ift e8 dunkle Nacht. Er läßt fi unter einem Baume zwifchen zei
Felſen nieder, den Speer neben fih. Aber er weiß nicht, wo er ſich gelagert.
Eine Bärin hat dort ihr Junges zurüdgelafien. Es ftlirmt und fchloßt, Naimes
ift ganz durchnäßt. Morel nagt die Nacht über an feinem Zaume. „Groß Mitleid,
fagt Naimes, hab’ ich mit dir; fänd’ ich dir Futter zu kaufen, kein Gold follte
mich dauern. Mad’ uns Gott ein andermal beffere Freude! Dießmal find wir an
einem Orte geherbergt, wo wir beide wenig @emach haben.” Der Herzog ſtellt
feinen Schild gegen Wind und Hagel; wohl bedarf er feines Mantels, er
zittert vor Froft, kaum hofft er den Tag mehr zu erleben und zuft inbrünftig
zu Gott. Da gebenlt er auf einmal des edeln Eteins, den er der Schlange
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— — — — —
abgewonnen, und holt ihn hervor. Der Stein wirft ſolche Helle umher, als
wären zehen Kerzen angezündet. Morel ſieht es und ſcharrt mit dem Fuß, er
meint, man hab’ ihm Futter gebracht. Auch Naimes fühlt fi von dem An⸗
blick gänzlich neu belebt und bat weder Hunger noch Durft mehr. Aber neben
fich fieht er nun auch den jungen Bär, faßt ihn ſogleich mit beiden Yäuften
und fohmettert ihn gegen die Felswand. Endlich bricht der Dlorgen an; aber
nun lehrt auch die Bärin zuriid, mit offnem Rachen geht fie auf den Herzog
los. Den Schild am Halſe, kümpft biefer gegen fie und fchlägt ihr mit einem
Streihe zwei Füße ab. Indeſs Tommen noch zwei Bären und ein Leopard
daher, fehen das Roſs und jeder ift gierig darnad). Aber fein Herr eilt ihm
- zu Hülfe und wird mit den beiden Bären fertig, während Morel jelbft mit
feinen Hufen dem Leopard Kiefer und Hirnſchale zerichmettert. „Morel! ruft der
Herzog, an bir ift fo jchöner Beiftand; hundert Flilche dem, der jemals von dir
wiche!” Doc ſchon erblidt er im Grund eines Thales drei Löwen, da hat er
der Sache genug, wijcht fein Schwert ab, ſchüttelt Schnee und Hagel vom ver-
goldeten Sattel und reitet beim Aufgang der Sonne die andre Seite des Bergs
hernieber. Da fieht er weithin über die Ebne Agolants großes Heer und auf
dem Strome (Far) feine Sciffrüftung.. Er bört die Roſſe wiehern ımd bie
Jagdhunde bellen. Er ſieht Gezelte, Kriegszeug, Dromedare, fieht Agolants
Belt mit dein leuchtenden, goltmen Adler und auf einem Wagen den Götzen
Mahomet, vor dem fie ſich anbetend nieberwerfen. „Bott, Richter der Welt,
ruft er da, ſchirme den Kaifer Karl!”
Soweit diefer Auszug. Das gebrudte Fragment erzählt noch, wie
Naimes mit einem farazenifchen Fürften, der gleichfalls auf Kundſchaft
ausgeritten ift, einen Kampf beiteht und mie er, ohne fich zu nennen,
die Botſchaft des Kaiferd an Agolant ausrichtet und was er fonft im
Lager der Ungläubigen erfährt. Bis zur Rückkehr reicht dasſelbe nicht.
Der Schauplazt dieſer Epifode ift die Bergicheive der Alpen bei
Nizza (franzöfiih Nice; Rise?), mo aud ein Ort Afpremont liegt, wie
im Gedichte der Gebirgspafs heißt. Karl fommt von Rom ber, ber
Pabft ift in feinem Lager, die Sarazenen liegen auf der franzöfiichen
Gebirgäfeite, an den Ufern des Bar (Far), der ſich unfern in’ Meer
ergießt. Dürfte man vom poetiſchen Gehalte des Bruchſtücks auf den
des ganzen Gedichts fchließen, jo wäre dieſer nicht gering anzufchlagen.
Die Charaktere find wohl gezeichnet und die fabelhafte Gebirgswelt ift
ganz die, wo der Fels ftürzt und über ihn die Flut, und wo in Höhlen
der Drachen alte Brut hauft. Sagengefchichtlich beachtenswerth ift aber
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— - —
insbeſondere noch, daß wir hier in den Abenteuern des Herzogs Naimes
denfelben Typus mieberfinden, der fih uns in den Zügen Ruſthms
und Asſsfendiars durch die Wüfte und, übereinftimmend damit, in den
Fahrten Wolfdietrichs dargelegt hat 1.
4. Die Belagerung von Biane?.
Bon dem Roman de Viane, der die Geſchichte diefer Belagerung
enthält, ift ein großes Etüd, von 4060 Berjen, nad) der von mir aus
einem Parifer Coder genommenen Abfchrift in den Zugaben zu Bellers
Ausgabe des Fierabras (XI ff.) abgedrudt. Nähere Nachricht von
diefem Roman und Überfegungen daraus habe ich in der angeführten
Abhandlung über das altfranzöfifche Epo83 und deren Beilage gegeben.
Derfelbe bildet zwar in fih ein Ganzes, iſt aber doch zugleidy
organischer Theil eined großen Geſchlechtsgedichts, das fi), wie es
ſcheint, durch fieben Abtheilungen hindurchzieht und von Generation zu
Generation fortfchreite.. Im Eingang bezieht jich der Dichter, der fich
Bertranz nennt, un gentil clere qui ceste chanson fist, auf ein altes
Bud) in der Abtei St. Denis, woher auch andre Gedichte dieſes Kreiſes
ihre Nachrichten haben wollen, in welchem er Belehrung über die fränki⸗
ſchen Hauptgefchlechter (gestes?) gefunden. Das erfte und vornehmite
ift das des Königs, das zweite das von Doon von Mainz, mächtig,
veih und tapfer, nur leider nicht von großer Treue; aus biefem gieng
der Verräther Ganelon hervor; das dritte ift das des Garin von Mont:
glaive und aus dieſem entiprangen nur meife und Hochherzige Helden.
Diefen Stamm will der Dichter verherrlihen. Die erfte Abtheilung
der Gedichtreihe, der Roman von Biane, handelt von dem Stamm:
vater Garin, von deſſen Eöhnen Girart, Rainier u. |. w. und befons
ders von der Belagerung, welche Girart durch den Kaifer Karl, mit
dem er in großen Zwieſpalt gerathen, in der Stadt Biane erleidet,
wobei Roland und Olivier, jener Karls, dieſer Girarts Neffe, kämpfend
den Bund fchliegen, ver bis an ihr Ende dauert. Aus der Beſchrei⸗
bung dieſes Kampfes, in welchem zwei Haupthelden der Tarolingifchen
1 [Schriften I, 183 ff. 8.)
2 Bienne, an der Rhone.
3 [Fouque, Muſen 8, 68 fl. K]
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— — — ——
Genoſſenſchaft zuſammentreffen, theile ich Einiges nach meiner Über⸗
ſetzung mit.
Zum beſſern Verſtändnis und zur Kenntnis der Anlage des Ganzen
ſchicke ich Folgendes voran:
Girart iſt ſchon ſieben Jahre lang vom Kaiſer belagert. Ihm ſind ſeine
Brüder, namentlich Rainier von Genua in Begleitung ſeines Sohnes Olivier
und feiner Tochter Alde (Aude), zu Hülfe gezogen. Im Heere Karls befinden
fi defien Neffe Roland, Herzog Naimes von Baiern u. A. m. Über einen
Fallen Rolands, welchen Olivier aufgefangen, geratben diefe Jünglinge zuerft
in Hader. Es folgen verſchiedene Nitterfiiide von beiden und andre Gefechte.
Einmal ift die ſchöne Alde mit andern Frauen aus der Stadt gelommen, um
dem Kampfe zuzufehen, Roland ergreift fie und will fie wegführen, fie wird ihm
aber von ihrem Bruder wieder abgejagt. Olivier begibt fidh in des Kaifers
Zelt, um Friebensvorfchläge zu machen, welche jedoch ſchnöde zurückgewieſen
werden; worauf Dlivier den Roland auf die Ahoneinfel unterhalb Viane zum
Zweikampf fordert. Die Verabredung wird dahin getroffen, daß, wenn Roland
überwunden wird, der Kaifer abziehe, wenn Olivier unterliegt, Herzog Gerhard
Biane Üibergeben und das Land räumen müfje Beim Weggehen Oliviers erhebt
fih Zank und blutiger Streit zwifchen ihm und den Rittern des Kaifers. Die
Vianer kommen ihm zu Hülfe und e8 beginnt eine allgemeine Schladht. Die
Bianer werden mächtig gedrängt; Girart bläft das Horn zum Nüdzug, faßt
Dliviers Zügel, damit diefer nit im Gefecht zurüdbleibe, und eilt mit feiner
Schaar in die Stadt zurüd. Diefe wird nun nom Heere Karls beftürmt, aber
von den Innern tapfer vertheidigt. Die ſchöne Aide felbft tritt an die Zinne
und wirft einen Stein herab, wodurch der Helm eines Stürmenden zerjplittert
wird. Roland erblidt fie und will nicht gegen Frauen ftürmen. Cr läßt ſich
mit ihr in ein Gefpräc ein, während deffen Olivier ausfällt und im Heere der
Belagerer großen Schaden anrichtet. Karl befiehlt den Rückzug und nedt feinen
Neffen Roland mit diefer unzeitigen Unterhaltung. (Die Überfegung diefer Scene
babe ih in meine Gedichtfammlung aufgenommen.) In der Naht träumt es
dem Kaifer, wie fein Habicht mit einem Falken, der aus der Stadt hergeflogen,
heftig kämpfe, wie aber zufett die Vögel Frieden machen und fich fchnäbeln.
Ein weiſer Meifter deutet e8 auf den Zweilampf der Jünglinge. Olivier rüftet
fh in aller Frühe. Ein alter Jude, Joachim, ift gutmüthig genug, ihn mit
vortrefflichen Waffen (morunter ein Halsberg, welchen Äneas vor Troja erobert
bat) auszuftatten, ob er gleich von Dlivier nicht wenig genedt wird. Die Waffen
werden jedoch zuvor vom Biſchof eingejegniet. Olivier reitet, Girarts3 Abmahnung
unerachtet, von dannen, läßt fih auf die Inſel überſetzen und ſtößt dreimal in's
Horn. Roland, höchlich erfreut, rüſtet fich gleichfalls und gürtet das gute
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Schwert Durandart um. Vergeblich räth ihm ber Kaifer ab, der Dfiviers fo
wenig, als Rolands Schaden wünſcht. Roland ſchwimmt auf feinem Rofje zum
Eiland über. Noch einmal erfücht ihn Dlivier, den Bianern beim Kaifer Frieden
zu werben, die ſchöne Alde fol ihm dafür zum Danke werben. Aber der trogige
Roland will fih die Stadt zuſammt der Jungfrau mit dem Schwert erringen.
Da rennen fie gegen einander an, zertrlimmern fi) die Schilde und brechen die
Speere. Sofort greifen fie zu den Schwertern. ‚Beide Roſſe werben zuſammen⸗
gehauen und die beiden Helden kämpfen zu Fuß. Als Alde vom Yenfter aus
ihres Bruders Roſs gefällt fieht, gebt fie zur Kapelle hinab und betet für ihm
und feinen Gegner. Bon den Mauerzinnen find Olivier Berwandte, vom
andern Ufer Karl und die Seinigen Zufchauer des Bweilampfs.
Weiter möge nun das Lied fprechen (Fouques Muſen IV, 126 ff.)!
Auf der Vianer Inſel, auf dem Sand u. f. m. **
(Str. 16 bis: „diefe® Land.“ 18: „Der Herzog’ Roland.” 19. 20. 21. 2.
24. 32 bis 86 nebft proſaiſchem Schluffe.)
5. Karls Pilgerfahrt.
Bon der Bilgerfahrt Karla des Großen und feiner zwölf Genoſſen
nach Jeruſalem und ihrer Heimfehr über Conſtantinopel handelt, fo viel
fih aus den zugänglichen Notizen erſehen läßt, ein banbjchriftliches
altfranzöfiches Gebicht im britifchen Mufeum. Man hat dasſelbe wohl
zu hoch hinauf ins 11te Jahrhundert gefeht (Roquefort de l’&tat de la
po6&sie france. ©. 206 bis 208. 480 1). Auch eine ber altfranzöfiichen
Handichriften der Berner Bibliothek (MNum. 570: vers sur Charlemagne)
fcheint desſelben Inhalts zu fein.
In Ermanglung dieſer ältern, noch ungedrudten Gebichte muß und
ein noch in neuerer Zeit gangbarer franzöfifcher Vollsroman, den ich
jedoch auch in einer Papierhandfchrift der Parifer Bibliothel (Nr. 7548)
getroffen, hier Dienfte leiften:
Histoire u. |. w. de Gallien Restaure, file du noble Olivier u. |. w.
A Lons-le-Saunier 1807. 40,
Am Anfang diefes Buches, welches in ber Geſchichte ſeines Haupt:
helden Galien jelbft fehr unbedeutend und eine bloße Nachahmung
1 [Heransgegeben: Charlemagne, an anglo-norman poem of the twelfth
century, now first published by Francisque Michel. London 18386. Dar
nach dentſch in meinen altfranzöfiihen Sagen, Tübingen 1839. I, 26 ff. 8]
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— — — — —
ſonſtiger Dichtungen von den zwölf Pairs iſt, ſteht eine Erzählung der
Reiſe nach Jeruſalem und Conſtantinopel, welche offenbar andern und
älteren Urſprungs und an deren Inhalt das übrige Machwerk erſt
ſpäter angefponnen worden iſt. Der Gang dieſer einleitenden Erzäb-
ung iſt folgender!:
Nachdem Karl der Große ſich viele Länder und Städte unterworfen hatte,
beſchloß er, mit ſeinen Genoſſen das heilige Grab zu beſuchen und zugleich den
König Hugo zu Conſtantinopel lennen zu lernen, der ihm als der reichſte und
mädhtigfte Herrfcher gepriefen worden war.
Als die frommen Helden in Jerufalem angelommen, giengen fie ftrads auf
den Tempel des heiligen Grabes zu, fanden aber die Thüren mit ftarfen eifer-
nen Riegeln verſchloſſen. Karl richtete ein Gebet an die Mutter des Heilands
und alsbald öffneten fi die Pforten ohne Zuthun einer Menſchenhand. Sie
traten andädhtig in den Tempel ein und fanden zwölf foftbare Stühle, in Mitten
berfelben aber einen dreizehnten, der an Schönheit alle übrigen übertraf. Es
war derjenige, auf welchen Chriftus felbft fich gefett, nachdeın er von Tode
zum geben auferftanden. Jeder der zwölf Genoffen fette fi auf einen der
Stühle und ver König auf den mittelften. Dann danften fie allzufammen dem
Herrn für die Gnade, daß er fie an diefen heiligen Ort gelangen ließ. In
diejen Tempel trat ein Chrift, der zu Jeruſalem wohnte. Er betrachtete den
Kaifer und ſah, daß von deſſen Antlitz eine leuchtende Helle ausgieng, die dem
Stral der Sonne gli) und den ganzen Tempel mit Glanz erfüllte. Eilig lief
der Ehrift zum Patriarchen von Jerufalem, um zu fagen, was er gejehen. Der
Patriarch, ſehr erftaunt hierüber, ließ alle Diener der Kirche berufen und ſich
in Loftbaren Feſtſchmuck leiden, worauf er mit ihnen in andächtigem Zuge nad
dem Xempel gieng. Der Kaifer und die zwölf Genoffen erhoben fi von ben
Stühlen und ließen fid) vor dem Patriarchen nieder. Diefer ſah nun aud die
fonnenhelle Klarheit, die vom Munde Karls ausgieng, hob ihn mit der Hand
auf und fragte, woher er und feine Leute wären und was fie fuchten. Karl
antwortete, er fei König von Frankreich und habe feinen Neffen Roland, den
Grafen Olivier und andre Herren bei fi; fie feien in dieje Land gekommen,
um das heilige Grab zu ehren, in welches der Leichnam des Heilands gelegt
worden. Da nahm fie der Patriarch ſehr ehrenvoll auf und bewirthete fie vier»
zehn Tage lang in Jeruſalem. Karl ftellte hierauf an den Patriarchen das
Erſuchen, daß es diefem gefallen möchte, ihm welche von den heiligen Reliquien
zu geben, zu deren Ehre er fchöne Kirchen und Klöfter ftiften wolle, wein er
Der Anfang des Vollsbuchs ſtimmt mit dem des alten Gedichts, Roque⸗
fort a. a. O. ©. 480.
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m — — —
nach Frankreich zurückgelange. Hierauf erwiderte der Patriarch, er thue das
ſehr gerne; denn er wuſte wohl, wenn er ſie nicht gutwillig geben würde, ſo
würde man fie ihm mit Gewalt abnehmen. Er gab ihnen nebſt Mehrerem
die Schüffel, worauf der Heiland Fiſche gefpeilt, den Gürtel der heiligen Jung»
frau und etwas von ihrer koftbaren Milch, auch den Arın des Beiligen Eimcon.
Mit dem Segen des Patriarchen begaben die Pilger fi auf den Rückweg. Sie
- famen an mehrere Ströme, aber die Heiligthlimer, die fie mit fi führten,
äußerten folche Kraft, daß fie ohne Brliden oder Fähren liberfegen fonnten. Wo
fie durchzogen, wurden Blinde jehend und Krumme gerad. In einem großen
Walde kam ein zahllofes heibnifches Heer gegen die dreizehn Pilger angerückt.
Roland getraute fi, es mit Allen aufzunehmen, jo lang er Durandal in der
Hand und feinen Genoffen Ofivier an der Seite habe. Der Herzog Naimes
von Baiern aber bielt dieß fiir bedenklich und rieth, den Herrn anzuflehen, daR
er den Reliquien rettende Macht verleihbe. So gejchah es, und als Nolarıd allein
auf die Heiden einbauen wollte, flanden fie alle zu Steinen und Felſen ver-
wandelt vor ihm, worauf er fich Tobpreifend niederwarf. Am Ausgange des
Waldes kamen fie auf eine Wieje, woſelbſt fie ein präctiges, buntes Zelt er-
bliden, mit einem großen goldnen Knopfe, auf welchem ein koſtbarer Karfunfel
befeftigt war, der ein blendendes Licht von fi) warf. Nachdeni Karl es eine
gute Weile betrachtet, ritt er darauf zu und fragte, wem es gehöre. Ein Mann,
der am Eingange des Zeltes erfchien, antwortete, dem König Hugo von Con-
ftantinopel, e8 wohnen aber darin deffen Schweinhirten, melde Schweine zu
Zaujenden zu hüten haben, und wenn der Monat Auguft herangelommen, erhalte
jeder zmölfhundert Scheffel Getreides. Karl vermunderte fi) hierüber ſehr und
fragte, ob er die herannahende Naht in dieſem Zelte zubringen könne. Der
Schweinhirt erflärte, daß er fie jehr gerne bewirthe, uud wenn ihrer Hundert
wären, jo würden fie Brot, Wein und Fleiſch aller Arten zur Genüge finden.
Karl und die zwölf Genoffen fliegen nun ab. Roland aber ſprach: „Wahrlich,
mein Oheim, wenn man in Frankreich wilfte, daß wir im Haus eines Schmwein-
Hirten Herberge genommen, man könnt’ eg ung zum Vorwurf maden.” „Neffe,
laß dag!“ erwiderte der Kaijer; „dag Haus eines reihen Schweinhirten ift wohl
fo viel werth, als das eines armen Ritters.“ Der Schweinhirt bat Ogiern den
Dänen, das Amt des Haushofmeifters zu übernehmen. Sie wurden trefilich
bewirthet und nahmen am Morgen Abſchied. Diefen Tag kamen fie zum Rinder-
hirten des Königs Hugo, der dem König Karl den Bügel hielt, worüber Roland
jehr late, und fie in feinem noch geräumigern Zelte in Gold- und Silber
geihirren bemwirthete. Tags darauf fprachen fie bein Schaafhirten ein und es
ergieng ihnen nicht minder gut. Roland ſprach: „Wenn König Hugo ebenfo
wohl mit Helmen, Schilden und Speeren verjehen ift, als mit Schweinen,
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— -
Rindern und Schafen, fo können ihm alle Fürften der Welt nichts anhaben.“
Auf der Weiterreife, beim Herabfteigen von einem Berge, begegneten fie einem
inngen Boten, der raſch daherlief. Karl fragte ihn, wer er fei. „Herr! ich bin
ein Bote des Königs Hugo; ſeht an meinem Gürtel die goldne Büchſe, darin
ic die Briefe trage, wenn ich für ihn Boten gehe!” „Sag mir! wo ift König
Hugo?“ ſprach Karl weiter; „mich verlangt, ihn zu ſehen.“ „Herr! er ift in
einem Thale diesſeits Gonftantinopel, wo er den Pflug führt, wie er von Jugend
auf gelernt hat.” Karl ſprach zu feinen Gefährten: „Das hab’ ich noch nie
gebört, daß ein König Pflüger war.” Nachdenklich zogen fie weiter, bis fie
den König Hugo fanden, wie er einen Pflug, der von Gold und Silber und
mit Edelfteinen eingelegt war, im Felde führte; die Stiere, die den Pflug zogen,
hatten Halfter von feinem Gold und mit Berlen bededt. Auf feinem Hute trug
der König eine Perle von ungemeiner Größe, die im Sonnenlichte herrlich er-
glänzte, auch Hatte er ein fchönes, koſtbar aufgezäuntes Maulthier. Diefer
König Hugo war kein Freund der Jagd, weder mit Hunden, noch mit Stoß-
vögeln; feifte Ochjen und Schweine waren feine gröjte Freude. Die Hirten
hatten mehr Gewalt an feinem Hof, als die Evelleute. Er hielt fein Land in
gutem Frieden, ließ gutes Recht verwalten, war milde gegen Jedermann und
geliebt von feinem Volle. Die Pilger begrüßten den König und er nahm fe
freundlih auf. Er beftieg fein reichgeſchmücktes Maulthier und führte fie nad)
Sonftantinopel in feine Burg, deren Pracht feine Zunge erzählen kann. Die
Mauern waren von Albafter und die Pfeiler von Elfenbein. Die beiden Söhne
des Königs und feine jchöne Tochter Jacqueline famen den Gäften entgegen.
Dlivier verliebte fich fo fehr, daß er bei dem wohlbejegten Mahle nichts genoß,
fondern ganz in Gedanken da ſaß. Roland, dem er die Urjache diejes Benehmens
geftand, fagte lachend: „Ihr feid ein rechter Pilger, der ihr vom heiligen Grabe
kommt und euch an fchöne Frauen hängt." Zur Nachtruhe wurden fie in einen
Saal mit prädtigen Betten geführt, in welchen ſich ein hohler Marmorpfeiler
befand und darin ein Mann, der aufhorchte, was die Franken ſprächen, um es
dem König Hugo zu berichten. Sie legten fich nieder, aber Karl konnte nicht
fchlafen und ſprach zu den zwölf Genoffen: „Ihr Herren, ich bitt' euch, etwas
zu fagen, was zum Laden ift, denn ich fanıı nicht einfchlafen.” Roland er-
widerte: „An euch ift es, ein Iuftiges Geſpräch anzuheben.“ Karl begann nun:
„Der König Hugo ift fehr rei und mädhtig und hat uns wohl aufgenommen,
aber er hat keinen Dann an feinem Hofe, dem ich nicht, wenn er feinen Hals-
berg umgethban und fein Haupt mit zwei Helmen von gutem Stahl gewaffnet
hätte, diefelben doch mit einem Streiche meines Schwertes durchhiebe.“ Als der
Kundichafter Diefes hörte, ſprach er bei fih: „Ha, Karl! große Thorbeit begieng
König Hugo, dich zu beherbergen.” Karl hieß Hierauf den Roland ſprechen
Uhland, Scriften. VII. 41
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und diefer fagte: „Morgen werd’ ich mein Horn mit folder Macht blajen, daß
die ganze Stabt fiber den Haufen fällt, und kommt mir König Hugo in den
Weg, fo werd’ ih ihm den Bart verfengen.“ „Wehe mir!“ ſprach der Horcher;
„wenn Roland thut, was er ſagt, fo muß ich ſterben. Berwilnfcht ſei die Stunde
feiner Geburt, da durch ihn die Stadt fallen ſoll.“ Nach Roland ſprach Olivier:
„Ihr Herrn, ich rühme mich nicht; aber hätt’ ich die ſchöne Jacqueline in mei⸗
nen Armen, ich kliſsſte fie fünfzehn für ein Dal.” Der Laufher im Pfeiler
dachte in feinem Herzen, Dlivier wäre der Mann dazu, bie Zochter des Königs
zu entführen, feiner Pilgerfehaft unerachtet. Hierauf hob Ogier an: „ch vers
ſprech' euch, ihr Herren, daß ich morgen den großen Pfeiler im Eaale Hier zer-
brechen und das ganze Haus erſchüttern werde.” Da fieng der Mann im Pfeiler
zu weinen an: „Ad, mein Gott! was foll ich thun? der böfe Feind bat mid)
in diefen Pfeiler geſteckt; könnt ich entwifchen! um alles Gold der Welt würd’
ich nicht hieher zurückkehren.“ Die Heide kam an Bernard. „Morgen frühe,“
ſprach er, „werd' ich dieſen Palaft einwerfen, und wenn ih ihn fallen jehe,
werd’ ich einen ſchönen Sprung thun, jo daß ich unbeſchädigt heraus komme.“
„Und ich,“ ſprach der Laufcher, „werde davon laufen, fobald fie eingefchlafen
find.“ Weiter rühmte fi Aimery: „Mit einer Hand werd’ ich den großen
Stein aufheben, der im Hofe liegt, und ihn mit folher Gewalt gegen die Mauer
des Palaſtes fchleudern, daß ih 30 Authen davon abwerfe.” Der Kumdichafter
ſprach, zitternd vor Angſt: „Das laſſe Gott nicht geichehen, daß ein fo fefter
und reicher Palaft befehädigt werde! Der milſt' ein guter Wirth fein, der euch
mehr, als eine Nacht, beherbergte.” Auch Ganelon that feine Rede: „Morgen,
wenn wir im Saale find und König Hugo trinkt und ißt, werd’ ich ihm einen
ſolchen Streih auf den Hals verfeßen, daß ich ihm das Kehlbein breche.“ Ganz
leife jprach der Kundfchafter: „DO! welch ein Berräther bift du! durch dich wird
eines Tags noch große Übelthat verübt werben; von Keinem ber Andern hab’
ih fo graufame Rede gehört.” Herzog Naimes ließ fich hierauf vernehmen:
„Gäbe mir König Hugo drei Ringpanzer anzuziehen, jo alt und verlebt ich bin,
ich wollte 15 Ruthen Höher fpringen, als die Burgmanern, dann mich auf die
Erde legen, ausftreden und fo ſtark wieder auffpringen, daß die drei Panzer
zerbrächen, wie dürres Stroh.” „Wer hätte gedacht,“ fprach ber Horder, „daß
diefer Graubart ſolche Stärke hätte, der Doch wohl feine 120 Jahre alt it! Auf
der ganzen Welt gibt e8 feine Leute, wie diefe, oder die jo fchrediiche Dinge
zu vollbringen vermöchten, wie dieſe von ſich ausſagen.“ Der Erzbifchof Zurpin
begann jett: „Ich werde morgen alles Wafler des Stromes, der hier vorüber⸗
fließt, in die Stadt hereinleiten, jo daß die Leute in ihren Häufern ſchwimmen.“
Hierauf der Späher: „Heiland der Welt, geftatte du nicht ſolchen Tsrevell“
Gerard von Mondidier ſprach: „Gäbe mir König Hugo drei Hoffe und würden
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dieſe in eine Reihe Hinter einander geftellt und wär’ ich int die brei ſchwerſten
Harnifche gewappnet, fo wollt’ ich vom erften Roſs auf das dritte fpringen, ohne
das zmeite zu berühren, und von dem großen Sprung, ben ich auf das Rofſs
tbäte, follten ihm die Gebeine zufammenbredhen, und wär’ e8 das allerftärkfie
im ganzen Lande des Königs Hugo.“ Der Horher war hierüber höchſt er-
faunt: „Bei Gott! der König Hugo bedarf feines ſolchen Reitknappen.“ Nach
Diefem ſprach Rihard von der Normandie: „Ließe König Hugo die 6 ſtärkſten
Männer der Stadt wappnen, wie irgend ihn gelüftete, und dann eine Kufe mit
fiedendem Blei füllen, und würden die ſechs Gewappneten mir auf den Hals
gepadt, jo wollt’ id ganz nadt in die Kufe und wieder heraus jpringen, ohne
daß mich das Blei brühte, den Sechſen aber müjte von diefem Eprunge das
Herz im Leibe vor Angft berften.” „Mein Gott!” brach der Laufcher aus, „ich
glaube, diefe Leute find aus Stahl geſchaffen.“ Noch ſprach Garin: „Bevor
der Morgen anbricht, werd’ ich alle Steine des Palaſtes in den Wald hinaus
ſchleudern, jo daß fein Hirih, Eber noch andres Wild vor meinen Würfen am
Leben bleibt.” Der Kundſchafter ſprach leiſe: „Sterbe der taufendfachen Todes,
ber euh den Weg bieher gezeigt!" Zum Scluffe ſprach Beranger: „König
Hugo nehme die ſechs beften Stahlflingen, die er finden kann, und ftede fie
halb in die Erde, jo werd’ ich mit bloßen Füßen auf die Epiten fpringen und
fie abbrechen, ohne mich zu verwunden.“ Roland und Ogier bemerkten: „Wir
werden unſre guten Schwerter nicht dazu hergeben.“
Der Schlaf fam nun über die Helden; da jchlich fich der Kundfchafter aus
dem hohlen Pfeiler und hinterbrachte dem König Hugo die angehörten Geſpräche.
Diefer gerieth in großen Born und betheuerte, er würde fie Alle aufhängen
lafien, wenn fie nicht in Erfüllung brächten, weſſen fie fich gerühmt. Diejen
Beſcheid eröffnete er ihnen felbft zum Morgengruße. Als ihn aber Karl anſah,
wandte’ er fih um und ſprach leife: „Heilige Jungfrau, welch ein Pilgrim! Ich
bin Halb todt von feinem Blicke; mein Herz ift jo davon erfchüttert, daß ih in
ſechs Monaten nicht wieder hergeftellt fein werde.” Er ließ nun durch die ganze
Stadt die Sturmgloden läuten und es fammelten fih iiber 30,000 wehrhafte
Männer gegen die 13 Pilgrime. Dieſe thaten Wunder der Tapferleit und ver-
goffen Blut in Strömen. Da forderte König Hugo fie nochmals auf, ihre Vor-
fäte zur Ausführung zu bringen. Sie vermaßen fi zwar abermals, daß fie
das wohl im Stande wären, befanden fi aber doch in Berlegenheit. Sie
giengen Meffe zu hören und Karl betete inbränftig um Hülfe Kaum war fein
Bebet zu Ende, fo erjhien ihm ein Engel vom Himmel und verfündigte, daß
alle die Reden in Erfüllung gehen würden; „aber,” fette er hinzu, „laß bir
nicht mehr beigehen, dergleichen Dinge zu fprechen!“ Karl meinte vor Rüh⸗
sung und Alle dankten dem Himmel für biefen Troft. Aimery ergriff nun den
644
— -.-..-- — —
Stein, der im Hofe lag und ben 30 Pferde nicht von der Stelle gebracht Hätten.
Mit einer Hand hob er denfelben auf und warf damit wirklih 30 Ruthen von
der Dauer ab (non par 8a force, mais par la volonte de Dieu). Sofort
machte fih Erzbiſchof Turpin an's Werk, warnte jedoch zuvor die Leute, aus
der Etabt zu gehen, wenn fie nicht alle ertrinfen wollten. Er fticg ſodann auf
die Binne des Palaftes, machte den Segen über den Strem und nöthigie ihn,
dur die Stadt zu fließen. Da hatte König Hugo genug, bat nur infländig,
den Strom wieder in fein altes Bett zu wenden, erließ alle weiteren Broben
und fette. feine Krone auf das Haupt Karls des Großen. Die ſchöne Jacque⸗
line wurde mit Olivier verlobt und am neunten Tage traten die Pilger ihren
Rückweg nad Frankreich au. “
Wir fehen in diefer Dichtung eine feltfame Mifchung von Schwank
und Legende. Der Himmel felbjt muß Wunder thun, um die Auf:
fchneibereien ber prahleriſchen Franken wahr zu machen. Der Ernit des
germanifchen Helvenlieves hat eine bedeutende Umwandlung erfahren.
Und dennod trägt die Erzählung ein unverkennbar altertbümliches Ge:
präge, wie denn auch das Gedicht von ber Reife nach Conftantinopel
für das älteſte franzöfiiche Schriftdenkmal dieſes Sagenkreiſes angeſehen
wird. Die Meinung von einer Wallfahrt Karls des Großen war früh—⸗
zeitig verbreitet. Nur 150 bis 160 Jahre nad) feinem Tode findet fidh
die Sage von feinem Zuge nad Gonftantinopel und Serufalem ſchon
in einer lateinischen Mönchschronik (Perg, Monum. II, 730). Um das
Volk zum erften Kreuzzuge aufzuregen, wurde (1095) vorgegeben, Karl
der Große fei von den Todten auferfianden, um an die Spite des
Dolls Gottes zu treten:
Ekkeh. de 8. exped. Hieros. S. 519: Inde fabulosum illud confictum
est de Carolo Magno quasi de mortuo in id ipsum resuscitato. (Willen L
76, 81.)
Petrus Tudebodus, der als Augenzeuge die Eroberung und Grün:
dung bes Reichs Serufalem, bis zum Tode Gotfrieds von Bouillon,
in den eriten Jahren des 12ten Jahrhunderts befchrieb, jagt (Petri
Tudeb. hist, in Duchesne, scriptores rerum Franeic. B. IV, ©. 771.
Willen I, Beil. 3, 1):
Una pars Francorum in Hungari& intravit regionem, scilicet Petrus
Heremita et Dux Godefridus et Balduinus frater ejus. Isti potentissimi
milites et alii p!ures, quos ignoro, venerunt per viam, quam jam dudum
Carolus Magnus, mirificus rex Francie, aptari fecit usque Constantinopolim.
645
Weitere Nachweiſungen finden fih in Willens Gefchichte der Kreuz:
züge, B. I, Beil. 1, ©. 3 ff.: „Über ven fabelhaften Zug Karla des
Großen nad) Paläftina.” Bon einem lateinischen Roman dieſes In⸗
halts iſt Nachricht gegeben in dem Auszug einer Abhandlung von
2ebeuf, in der Hist, de l’Acad. des Inseript. B. XXILI.
C. Die vier Aymonsſöhne.
Das altfranzöfifche Gedicht le livre des quatre fils Aymon ift
vollftändig nur in Hanbfchrift vorhanden (Pariſer Handichrift 7182).
Fragmente desfelben, zufammen 1044 Berfe, hat Befler zum Fierabras
(S. I bis XIT) mitgetheilt . Die darin behandelte fagenhafte Ge:
fchichte, in welcher König Karls Kampf mit mwiderfpenftigen Vaſallen
dargeftellt ift, geht in Frankreich noch jett als profaisches Volksbuch
um. Sn Deutichland ift fie gleichfalls durch einen aus franzöſiſcher
Quelle entnommenen Volksroman hinreichend befannt, fo daß ich bei
diefer an fich ſehr werthvollen Sage hier nicht vermeile.
Eine fchöne Charakteriftif derjelben mit litterarifchen Notizen gibt
Görres, Volksbücher S. 100 ff.
7. Fierabras.
Der Roman von Fierabras, provenzalifh. Herausgegeben von Immanuel
Belfer. Berlin 1829. 40,
Dieſes Gedicht, in 5084 alerandrinifchen Zangzeilen, ift zwar nur
in provenzalifcher Spracde vorhanden. Aber ich glaube es in dicfer
Geftalt als aus dem Norbfranzöfiihen in das Provenzalifche übertragen
oder bloß umgefchrieben betrachten zu dürfen. Provenzalifch fteht es
vereinzelt da, während es norbfranzöfifch in den gefammten Cyclus ber
in letterer Sprache vorhandenen karolingiſchen Heldengedichte fich ein»
reiht. Sein fehr anziehenver Inhalt, die Kämpfe und Abenteuer Karls -
1 [Bgl. Schriften II, 84. K.]
2 [Eine ältere Recenfion hat H. Michelant 1862 in der Bibliothek des Titte-
rarifchen Vereins in Stuttgart B. 67 herausgegeben. Bgl. daſelbſt ©. 512. K.)
3 [Die von Uhland ausgefprochene Vermuthung bat fi) beftätigl. Das
altfranzöfifche Gedicht ift num herausgegeben unter folgendem Titel: Fierabras,
chanson de geste, publi&e pour la premiere fois d’apres les manuscrits de
Paris, de Rome et de Londres par MM. A. Kröber et G. Servois. Paris
1860. 12. $.]
646
und feiner Helden mit dem riefenhaften Sarazenenlönige Fierabras und
deflen ſchöner Schwefter Floripar, bildet ebenfalla den Hauptgegenftand
eines franzöfiihen Volksbuchs:
Les conquestes du grand Charlemagne avec les faits et gestes des
douze pairs de France et du grand Fierabras. Troyes 1736.
Es gibt davon ſchon Drude von 1505 u. ſ. f.
Eine deutſche Bearbeitung, gleichfalls in Druden des 16ten Jahr:
hunderts, ift mit veränderter Rechtichreibung aufgenommen in Büſchings
und H. von der Hagen Buch ver Liebe, B. I, Berlin 1809, und dadurch
leicht zugänglich geivorben.
8. Die Shlaht von Ronceval.
Die tragische Kataftrophe der Tarolingifchen Helvenjage, melde
zugleich den poetiichen Höhepunkt derjelben bildet, Tannte man bisher
bauptfächlih nur aus dem apokryphiſchen Buche: Turpini historia de
vite Caroli Magni et Rolandi, gebrudt in Reubers Scriptores rerum
germanicarum. frankfurt 1584 1.
Diefer Inteinifche Roman, welder übrigens ſchon vom Pabſte
Calixtus II im Jahr 1122 als echte, vom Erzbifchof Turpin zu Rheims
ſelbſt niedergefchriebene Gefchichte bejtätigt wurde, ift das ältefte vor:
handene Schriftvenfmal über die legten Gefchide der Zwölfgenoſſenſchaft
und man bat ihn häufig als den Urquell ber Dichtungen des Taro:
lingiſchen Sagentreifes geltend gemadit.
Sch gebe zuerft das Hauptfächliche vom fagenhaften Inhalte dieſes
Buchs, fomweit er das Ende der Helden betrifft 2. ***
Diefer Pſeudo⸗Turpin ift erweislich am Schlufle des 11ten Jahr:
hundert aus Spanien nad) Frankreich gebracht worden. Aber nicht
minder unzweifelhaft ruht defien ſagenhafter Beſtand doch in der Haupt:
ſache auf franzöfifcher Tradition. Man hat auch bisher fchon aus An⸗
fübrungen bei Dufresne (Glossarium ad scriptores med. et inf. latini-
tatis 8. v. Mons Gaudii) von dem Dafein eines handſchriftlichen Roman
de Roncevaux gewuſt. Aber exit ſeit wenigen Monaten ift deflen
Inhalt und Beichaffenheit durch folgende Schrift befannt geworden:
1 [Echriften II, 76. 8.]
2 [Hier weift der Berfaffer zuriid auf das Heft über die deutſche Poefie
des Mittelalter, Schriften II, 79 f. 8.]
647
Dissertation sur le roman de Roncevaux, par H. Monin,
These de litterature ‘soutenue le 23 Juillet 1832. - Paris 1832.
Nach den bier gegebenen Auszügen geftaltet fich die Gefchichte fo 1:
Karl Hat ſechs volle Jahre in Spanien zugebracht und fich das ganze Land
unterworfen, mit Ausnahme von Saragoffa, wo fidh der Sarazenenkönig Marfil
noch hält. Diefer beräth fi in feiner Bedrängnis mit feinen Häuptlingen.
Keiner meiß eine Auskunft zu finden. Endlich erhebt fi Blankardin, der Hiigfte
unter ihnen, und gibt den Rath, Marfil fol dem König Karl einen Boten mit
reihen Geſchenken jenden, Roſſe, Fallen, Zagdhunde, Bären und Lömen,
50 Wagen voll gemünzten Goldes, zum Zeichen der Unterwerfung und Lehns-
treue, die er Karln am Feſte des heiligen Michael ſchwören wolle. Berlange
der Kaifer Geifel, fo joll man ihm deren 15 bis 20 zuſchicken. Hiedurch ficher
gemadt, werde Karl fein Heer aus Epanien zurüdfüihren und jeder feiner Helden
fih in feine Heimath begeben. Blankardin bietet feinen eignen Sohn unter die
Zahl der Geiſel an; beffer, daß Allen das Haupt abgefchlagen werde, als daß
Spanien verloren gebe. Die Heiden rufen: „Der König hat einen guten Rath⸗
geber.” Blanfardin wird felbft mit 9 Gefährten zu Karin nad Cordova ge-
andt und die Sache joweit in’s Reine gebradht, daß nur noch von Karls Seite
ein Botſchafter an Marfil abzugeben hat. Allein noch nie ift ein Abgefandter
lebend vom Hofe des treulofen Heidenlönigs zurückgekommen. Nach einer feier-
tihen Stille erheben fich die Helden Karls und verlangen, abgefdhidt zu werben;
der Herzog Naimes, Dfivier, der Erzbifhof Turpin treten nad einander vor.
Aber Karl will nicht feine beften Ritter dem Tode ausfegen. Die ähnliche
«Scene, wie im Agolant. Endlich jchlägt Roland, welcher felbft beim Heere nicht
entbehrlich ift, feinen Stiefvater, Ganelon von Mainz, vor. Die Sranfen rufen
einftimmig, daß es keinen Tauglichern gebe, und Karl genehmigt den Vorſchlag.
Aber Ganelon fürchtet den Tod, er ift voll Ingrimms gegen Roland und ſchwört,
fih zu rächen. Dur Karls Drohungen wird er genöthigt, mit Blaukardin
abzuziehen, nachdem er no Sohn und Neffen ven Freunden empfohlen, die
das fchöne Frankreich (la douce France) wiederfehen werben. Schon auf dem
Wege weiß Blankardin die Stimmung Ganelons zu benügen. Am Hofe Marfils
wird Ganelon dur den Haß gegen Roland, durch Habgier und Todesfurcht
zum ſchändlichen Verrathe bewogen. Er gibt Marfiln die Weifung, die Nachhut
1 Roncisvals ift Roncesvalleg, Ort auf der fpanifchen Grenze, auf dem
Porenäenpaffe nah Pampelona. [Das Gedicht ift feither öfters heraufgegeben,
zuerft von Francisque Michel, Paris 1837, von Jean Louis Bourdillon 1841,
von Theodor Müller 1851 und 1863, deutſch in meinen altfranzöfiihen Sagen
B. 1, von Wilhelm Herk 1861. 8.)
648
der heimfehrenden Kranken heim Übergang über die Pyrenäen anzugreifen. Hier
werde er unfehlbar die zwölf Genofien trefien, und wenn Karl dieje verliere, fei
feine Macht für immer gebroden. Dit Geſchenken beladen lehrt Ganelon zu
feinem Herrn, berichtet ihm, daß Marfil die Bedingungen angenommen, und
bringt ihm 20 Geiſel. Alsbald wentet der alte Kaifer fein Heer nach Frank⸗
reich zurück. Auf dem Zuge hat er unheilverlündente Träume. Das Heer
fommt am Fuße des Gebirges an und Roland erhält den gefährlichen Auftrag,
die Nachhut zu führen. Er entzieht fich nicht, ob er glei, der Drohungen
Banelons eingeben, feinen Tod vorausficht. Karl zieht mit dem Heere durch
die Engpäffe; als die Franken fih tem Land ihres Königs nähern, da gedenfen
fie der Kinder und der Greife daheim und können ſich der Thränen nicht er-
wehren. Am fchwerften ift Karln das Herz. Herzog Naimes fieht, daß er weint,
und fragt um die Urfache. Der Kaifer erzählt, wie ihm geträumt babe, daß
ihm die Lanze in ber Fauſt zerbrochen fei; er deutet dieß auf die Gefahr feines
Neffen Roland. Diejer ift indefs mit 20000 Erlefenen, die fonft tie Vorhut
ausmachten, im Gebirge zuriidgeblieben, bei ihm Olivier, Turpin nnd andre
der tapferften Helden.
Schön und hell geht der nächte Morgen auf, der Morgen des Schlacht⸗
tag8 von Roncevaur. Als die Sarazenen anrüden und Dlivier Berg und Thal
mit Feinden bebedi fieht, fordert er zu wiederholten Malen feinen Freund
Roland auf, das Horn Dlifaut zu blafen, deflen Schall der Kaifer hören und
ihnen zu Hülfe eilen werde. Beharrlich weigert fi Roland deffen, fein Oheim
fol nit mit ihm bemüht und Frankreich nicht durch feine Zaghaftigkeit ge-
Ihmäht fein. Nicht das Horn, dag Echwert foll erklingen.
Schwing Hautecler! fo ſchwing' ih Durandal,
Mein gutes Schwert, das mir gefchentt von Karin;
Und bleib’ ich tobt, kann fprechen, wer's vernahm:
„Dieß Schwert trug eines tapfern Mannes Hand.“
Der Kampf beginnt und nad) vielen Heldenthaten find tie Franken zuletzt
durd die Überzahl erdrückt. Roland felbft fühlt ſich erſchöpft und will endlich
in's Horn floßen, nun will aber Olivier nichts mehr davon wiffen und wiederhelt
in bittrem Hohn über Rolands frühere Weigerung, die nun der Franken Ber-
derben fei, die Gründe, welche diefer ſelbſt gebraucht:
„Freund Olivier! i fo fpricht Roland, der Held,
Der Kampf ift hart, wie du an dir erfährft;
Ich ſtoß' in's Horn, wenn du genehm es hältft“.
Sprad Olivier: „Darum wärft du gefhmäht
1 (Bei Hertz S. 68 ff. 8)
649
Und all dein Stamm er wäre drum entehrt.
Dei dem, der an dem Kreuze ward gequält,
Und wär’ ung noch vergönnt die Wiederkehr,
Nie würde Schwefter Alte dir vermäßlt,
In ihren Armen lägft du nimmermehr“ u. f. wm.
Der Erzbifchof, der ihren Streit bemerft,
Hat ſchon den guten Renner angefprengt,
Kommt auf fie zu und weifet fie zurecht:
„Bein ew'gen Gott, dem Richter aller Welt,
Ereifert euch, ihr Freunde, nicht fo jehr!
Der Auf des Hornes frommt uns jett nicht mehr,
Wir fterben heute, jede Hülf’ ift fern,
Zu weit ift Karl, die Umkehr viel zu fpät.
Und dennoch, kämen unfre Franken her,
Den Heiden würde bintiger Entgelt.
Bemweinen wird’ ung Todte mancher Held,
In kühle Erde würden wir gejentt,
In einen fihern Friedhof eingebegt,
Wo uns das Thier der Wildnis nicht verzehrt.”
Dlivier ſpricht: „Das heiß’ ich mohlgerebt.
Sa, mein Gefelle Roland, floß in's Horn!
Karl wird e8 hören an der Alpen Thor, ,
Da wird zurüd er führen aü fein Voll.
Wohl finden fie ung bingeftredt und todt,
Doc werden fie bejammern unjre Roth.
Wohlan, fo blas dein Horn mit vollem Stoß!“
Roland bläjt dreimal mit folder Gewalt, daß ihm das Hirm mirbelt und
die Halsader reißt; Blut fpringt ihm aus dem Munde. Berg und Thal Hallen
wieder. Die Sarazenen fchreden auf und Karl hört 15 Meilen weit, am Aus-
gang der Engpäffe, den Schall. Ganelon ſucht ihn irre zu machen; um einen
einzigen Hafen blaje Roland den ganzen Tag das Horn. Herzog Naimes be
merkt, Roland habe nie in's Horn geftoßen, wenn nicht große Noth geweſen.
Karl läßt umverweilt fein Heer ummenden, aber zu ſpät. Indeſs hat Roland
nur noch 50 Nitter, mit denen er ungeheure Niederlage anrichte. Bon ben
Führern des Heers find no Zurpin und Olivier bei ihm übrig. Aber ber
Letstere bat bereits eine tödtliche Wunde empfangen. Da wirft er fi) nochmals,
um Rache zu nehmen, in die dichteften Haufen der Feinde Mitten im Ge⸗
dränge trifft er auf Roland und baut gewaltig auf deffen Helm, ohne ven
Freund zu Tennen.
650
„Herr Olivier, fo ruft der Held Roland,
Mein trauter Freund, warum mir biefen Schlag?“
Olivier hört's; zweimal erjeufzt er da,
Kein Wort kann fprechen er vor tiefem Harn.
Er neigt ſich liber feines Roffes Hals.
„Dlivier, ipriht Roland zum zweiten mal;
Bon deinem Echlag ift mir das Ente nah.
Sprid, mein Gejell, ob du mit Fleiß es thatft!
Noch war mir ja von dir nicht widerfagt.
Ich Hin Roland, dem ftets fo lieb du warſt.“
Drauf Dlivier: „Gefell, nun glaub’ mir bag!
Sch ſeh' dich nicht, fo fehe Gott dich an!
Wohl fürcht' ich, daß mein Schwert dich töbtlich traf.
Ich bitt' um Gott, daß du did mein erbarmſt.“
Da haben fich die Beiden feit umbalit,
Doch werden fie getrennt durch Gottes Macht,
Daß fie einander lebend nie mehr fahn.
Dlivier merkt, daß ihn der Tod umfäht,
Daß ihm die Augen aus dem Haupt ſich drehn,
Da fteigt er ab von feinem guten Pferd.
Er legt auf feinen Schild fi) morgenwärts,
Legt auf fih nieder Hautecler, dag Schwert.
Bon Zeit zu Beit er auf die Bruft fi Schlägt,
Dann faltet er die Hände zum Gebet,
Daß Gott zum Paradies ihn laffe gehn.
Dann fegnet er den Kaifer, feinen Herin,
Und aud das fchöne Frankreich jegnet er,
Bor allen Roland, feinen Kampfgejelln.
Drei grüne Halme nimmt er von der Erd’
Und braucht fie für das Liebesmahl des Herrn.
Sein Leib ift auf dem Boden ausgeitredt;
Die Engel Gottes ſchweben zu ihm her
Und führen mit Gejang hin feine Seel.
Bald find nur noch Roland und Turpin am Leben, aber diefem ift bereits
das Roſs getöbtet. Da hört man zum erftenmale die Schlahthörner des fränki⸗
ſchen Hauptbeeres, das in's Gebirge zurüdgelehrt if. So oft Roland wieder
einen gewaltigen Schlag gethban hat und die Sarazenen darüber eine Weile
ftugen, hört man diefen Hörnerfchall näher und näher. Schon vernimmt man
Monjoie, den Schlachtruf der Franken. Da wiffen die Sarazenen, daß fie das
651
Feld nicht mehr behaupten fünnen. Nur Roland foll noch erliegen. Sie ſchleu⸗
dern auf ihn Speere und Wurfgefchoffe aller Art. Sein Schild wird durd-
löchert, fein Helm zerichmettert, fein Halsberg durchbrochen; fein Roſs, an 20
Stellen ſchwer getroffen, fällt todt unter ihm nieder. Da entfliehen fi. Roland
geht über die Wahiftätte hin und fucht feine todten Freunde, er trägt fie auf
den Armen vor den wunden Erzbiſchof hin, der fie fegnet und ein Gebet über
fie ſpricht. Auch den Leihnam Oliviers hat er unter einer Fichte, neben einem
wilden Roſenſtrauche, gefunden, tridt ihn an feine Bruſt und bringt ihn zu
Turpin. Als diefer ihn gefeguet,
Da Ipriht Roland: „Olivier, mein Gefell!
Du warft der Sohn des guten Graf Rainier,
Der wohl die Mark verwaltet und das Lehn.
Nicht gab es beffern Nitter in der Welt,
Den Feinden zu zertrümmern Schild und Epeer,
Die Panzerringe weit zu fireun umher
Und zu erhöhen einen edeln Herrn.
Warſt Aldens Bruder, die fo Preifes werth,
Mit der ich feiern ſollt' das Hochzeitfeft.
Bon diefer Heirath muß ich ab nun ftehn;
Zu fterben ziemt mir; Niemand wender’8 mehr.
Schön’ Alde, o wie liebte dich mein Herz!“
Roland finkt befinnungslos bin. Erzbifhof Zurpin nimmt das Horn Dli-
fant und will darein, zu Rolands Erfriihung, an einem Bad) im Thale Waffer
ſchöpfen. Aber eh’ er dahin gelangt, bricht ihm der Tod das Herz. Roland
erwacht noch einmal, aber auch fein Tod ift nahe. linter einer breiten, gri-
nenden Fichte ftehen vier Felsfteine An einem von diefen will er fein Schwert
Durandart zerfehlagen, damit es in feines Schlechten Hand falle Aber das
Schwert fpaltet den Fels durch und durch. Unfern ift eine tiefe, giftige Duelle,
aus der nie ein Menſch getrunken, der nicht auf der Stelle todt niedergefallen
wäre. Sn diefe wirft nun Roland fein Schwert. Das Lied nimmt die Leute
der Gegend zu Zeugen, daß das Schwert noch dort ift und bis zum Ende ber
Zeiten dort fein wird. Hierauf legt der Held fi unter einen Baum, wendet
fein Angeficht gegen Spanien hin, denkt nach, wie viele Länder er erobert, denkt
an das ſchöne Frankreich und an feine Landslente, da kann er ſich der Thränen
night enthalten. Zuletzt betet er inbrünftig um Vergebung feiner Sünden.
Den rechten Handjchuh beut zu Gott er Hin
Und unter feinen Arm den Helm er ninmt,
Die Hände faltet er, ter Tod faßt ihn.
Da hat ihm feine Engel Gott gejchidt,
Den beilgen Gabriel und andre viel,
Die tragen feine Seel’ in's Paradies.
Wie dann Karl mit dem Frankenheere heranlommt, wie er an den Sara⸗
cenen ſchwere Race nimmt, wie die Todten beflagt und beftattet werden, wie
über Ganelon firenge® Gericht ergeht, all Diefes wird noch ausführlich im
Gedicht erzählt. Wir fchließen aber mit dem, was den Kern desjelben ausmacht.
Vergleiht man die Darftellung im Pſeudo-Turpin mit der des
Roman de Roncevaur, fo ergibt fih, daß dort mehr das Iegenden-
hafte, bier mehr das beroifche hervortritt, daß dort beftimmte geiftliche
Zwecke obwalteten, hier das freie Intereſſe der Poeſie. Hat auch der
Iateinifche Roman die Grundzüge nicht verwifcht, fo fchmebt doch nur
über dem Gebichte jene tragifche, bis zur Tovestrunfenheit gefteigerte
Stimmung. Bol ahnungsfchwerer Träume zieht Karl voran; feines
Todes zum voraus ficher, hält Roland die Nachhut; munderfam ertönen
die fchauerlichen Klänge des Hornes Dlifant. Solche Rufe und Klänge,
die in der gröften Noth auf übernatürliche Weife in große Ferne hinaus
auf die Befreundeten wirken, find und auch in der norbiichen Sage
bemerflich getworden. Das lebte Zufammentreffen Rolands und Oli⸗
viers im Kampfgetümmel, wo der Tobesnebel die Augen des Lebtern
ſchon fo umwölkt, daß er blindlings den unzertrennlichen Freund fchlägt,
ift das Hußerfte des düſtern Echlachtgemälbes,
Die normanniſche Reimchronif des Robert Wace (Roman de Rou
II, 214 f.2) vom Enve des 12ten Jahrhunderts berichtet in ber Er:
zählung der Schlacht von Hajtings, welche im Jahr 1066 für Wilhelm
den Eroberer den Befit Englands entſchied, daß den erften Streich auf
Seiten der Normannen ein Ritter mit Namen Taillefer führte, der vor
dem Herzog berritt und mit lauter Stimme von Karl, Roland und
Dlivier und den andern Helden fang, die in Ronceval ftarben:
Taillefer, ki mult bien cantout,
Sor un cheval, ki tost alout,
Devant li dus alout cantant
De Karlemaine e de Rollant
E d’Oliver e des vassals
Ki morurent en Renchevals.
1 [Der Vorname Robert ift unrichtig. H. Bgl. unten ©. 661. 8.)
2 [Hert, Rolandglied S. V. &.]
653
Kampficenen, wie die ausgehobenen des Romans von Ronceval,
waren wohl geeignet zum Schlachtgefange. Fällt auch die jetzige Ab-
fafjung des Gedicht um Vieles fpäter, fo lebten doch die Helbenbilber
felbft ſchon längft in der franzöfiihen Volkspoeſie.
Die Schlaht von Ronceval, wenn fie gleih an ven Schluß ber
Tarolingifchen Helvenfabel fällt, war doch ohne Zmeifel eine der Haupt:
grundlagen ihrer Entwidlung. Diele tragifche Handlung hat vorzugsweiſe
das Eindringliche, was im Gemüthe haftet. Von ihr aus griff man auf
die früheren Thaten Rolands und Oliviers zurüd, fpann ihre Jugend»
abenteuer und Heldenfahrten poetiih aus. Aber auch für die hiſtoriſche
Anknüpfung zeigt fich gerade bier ein Haltpunkt, während fonft bei
diefem Sagentreife die gejchichtlichen Nachweifungen fo dürftig ausfallen.
Eginhard, der Zeitgenoffe Karls, meldet in feiner Lebensbeichrei-
bung diejes Kaiſers (de vita et gestis Caroli M. bei Reuber ©. 5.
[E. 9. Pertzs Monum. II, 447. K. ]:
Hispaniam quam maximo poterat belli apparatu [Carolus] aggreditur,
saltuque Pyren&i superato, omnibus quæ adierat oppidis atque castellis
in deditionem acceptis, salvo atque incolumi exercitu revertitur, preeter
quod in ipso Pyrenei jugo vasconicam perfidiam parumper in redeundo
contigit experiri. Nam cum agmine longo, ut loci et angustiarum situs
permittebat, porrectus iret exercitus, Vascones in summi montis vertice
positis insidiis (est enim locus ex Oopacitate sylvarum, quarum maxima est
ibi copia, insidiis ponendis opportunus) extremam impedimentorum parteın,
et eos, qui, novissimo agmine incedentes, subsidio pr&cedentes tuebantur,
desuper incursantes, in subjectam vallem dejiciunt: consertoque cum eis
prelio, usque ad unum omnes interfciunt: ac direptis impedimentis,
noctis benefieio, qu& jam instabat, protecti, summa cum celeritate in
diversa disperguntur. Adjuvabat in hoc facto Vascones et levitas armorum
et loci, in quo res gerebatur, situs. Econtra Francos et armorum gravitas
et loci iniquitas per omnia Vasconibus reddidit impares. In quo prelio
Eghartus [al. Eggihardus], regie mens® prepositus, Anshelmus, comes
palatii, et Rutlandus [al. Hruotlandus, Hrodlandus, Hrollandus, Ruod-
landus, Rotlandus, Monin a. a. ©. ©. 77], britanniei littoris [al. limitis]
prefectus, cum aliis pluribus interficiuntur.
Daß hier der Überfall von den Basken gefchieht, in der Sage
dagegen von den Sarazenen, denen auch der Tpanifche Feldzug gegolten
hatte und die überall in dieſem Gedichtlreife die Hauptgegner ber
654
Franten find, iſt eine unmefentliche Verſchiedenheit. Aber der unge
fährvete Heimzug des Hauptbeerd, der Untergang der Nachhut und in
ihr mehrerer der Hof- und Reichsbeamten Karls, unter denen der bre
tagnifche Grenzgraf Hruotland befonders genannt ift, dieß find Mo:
mente, in denen der Gefchichtfchreiber und die Gebichte zufammenftimmen.
Ein Erzbiſchof Tilpinus von Rheimd war gleichfalls in der Ge:
fchichte mit Karl dem Großen gleichzeitig und ienigftens die Namen
Dlivier, Ogier, Naimes u. ſ. w. finden ſich, lateinifch geformt, in Ur-
kunden bes 8ten Jahrhunderts, als: Ulfarius, Namatus, Oggerus, Aut:
harius, YAutgarius u. f. w. (Monin a. a. D. 80 unten bis 84. Über
Autcharius vgl. Leos Dvin ©. 73 oben und die Enge vom eifernen
Karl!) Ein Hiftorifcher Herzog von Baiern mit einem der franzöji:
fchen Form Naimes entjprechenden Namen läßt ſich zwar nicht nad:
meifen; eber läßt fich bei dem unverlennbar aus Zuſammenziehung
entitandenen Naimes an den in der beuifchen Heldenfage ziemlich dunkel
vorkommenden Nantwin oder Nentwin von Regensburg (dem alten
bairifchen Herzogsfige) denfen. Er wird im Dietleibslieve ausdrücklich
als „berzoge von Beirlant” bezeichnet. (Grimms Heldenfage ©. 137.
Bol. Gramm. Ill, 367 unten.)
Über manche Theile diefer Sagendichtung und über einzelne Züge
derjelben dürfte die Nachforſchung in der Gefchichte den Ähnlichen Er«
folg haben, wie die Unterſuchung von Rolands Grabe zu Blaye, morin
man ftatt der erwarteten Rieſenknochen ein Häufchen Gebeine fand,
welche kaum Fingerslänge batten, gerade wie man beim Nacdgraben
nad Siegfried Gebeinen zu Worms auf Waller Tam.
Das Tarolingifhe Epos, deſſen beveutendite Dichtungen, foweit fie
aus altfranzöfifchen Quellen näher befannt find, im Vorhergehenden
aufgezähtt mwurben, iſt in einem germanischen Bollsftamme, dem fränki⸗
ſchen, erzeugt, aber abgefaßt und auögebildet in einer romanifchen
Mundart, die aus dem Siege bervorgieng, welchen die Sprache des
unterworfenen, gebilvetern Volles über diejenige feiner Eroberer davon»
getragen. Im Vergleiche mit dem alteinheimifchen beutfchen Epos zeigt
es folgende weſentliche Umwandlungen der Heldendichtung ?: ***
1 [Bgl. Schriften II, 91. 8] .
2 [Das Weitere, wie int ber Borlefung iiber Geſchichte der altdeutichen
Poeſie, Schriften II, 85 f. &.]
-
635
Der Tarolingifhe Sagenfreis hat fih von Frankreich aus der
italänifchen und ſpaniſchen Poefie mitgetheilt. Ein noch jebt in allen
Theilen Italiens befanntes Volksbuch, worin mehreres aus dieſem
Kreife zufammengefaßt ift, find bie Reali di Francis, wovon zu Be
nedig 1821 eine berichtigte Ausgabe erjchienen iſt 1. ***
In deutiher Sprache find ſchon vom Echlufle des 11ten Jahr⸗
hundert? an mehrere der altfranzöſiſchen Gedichte des. Sagenkreiſes von
Karl dem Großen bearbeitet worden, beſonders fcheint das um bie
angeführte Zeit gejchriebene Rolandslied des Pfaffen Kunrat (Schilters
Thefaurus B. I12) eine Bearbeitung des jett näher befannt gemorbes
nen Roman de Roncevaur zu fein, ohne daß jedoch diefe Übertragungen
als eine neue und eigenthümliche Ausbildung dieſes Sagenkreiſes zu
betrachten wären. Die eigentlich deutſchen, jehr vereinzelten Sagen von
Karin haben wir an ihrem Orte abgehanbelt.
II. Rormannifder Sagentreis.
Die Normandie, die am Anfang des 10ten Jahrhunderts von
Söhnen des ſtandinaviſchen Norbens erobert worden und babon ben
Namen erhielt, zeigt auch in den ihr eigenthümlichen Überlieferungen
noch den altnorbifchen Einfluß. Wir betrachten als foldhe die Sagen
von Robert dem Teufel und von feinem Sohne, Richard Ohnefurcht.
1. Robert der Teufel.
Das altfranzöfiihe Gedicht von ihm, in epifchen Aleranbrinern
(Diet de Robert le Deable, Roquefort, Glossaire de la langue
romane II, 779. Paris 1808) ift noch ungebrudt3. Aber noch jetzt
geht feine fabelhafte Gefchichte in Franfreih als Volksbuch um: La
terrible et &pouvantable vie de Robert le Diable. A Limoges,
1 [Das weitere wie Schriften II, 87. R.]
2 [Schriften II, 88. K.]
3 [Eine Ausgabe hat Trebutien in Paris 1837 erfcheinen laffen. Darnach
meine beutfche Erzählung in den Altfranzöfifchen Sagen, Tübingen 1840. 2, 58.
Bgl. weiter Gräßes Lehrbuch einer allgemeinen Fitterärgejchichte, Dresden 1842.
2, 2, 2, 628. Eveleftand du Meril, la lögende de Robert-le-diable, in der
Revue contemporaine 15 Juni 1854. &.]
656
— —
Auch ſpaniſch (Madrid o. J. 40) und engliſch (Altengliſche Sagen und
Mährchen, nach alten Volksbüchern herausgegeben von Thoms, deutſch
von Spazier. Bdch. J. Braunſchweig 1830, wo auch in der Ein⸗
leitung das altengliſche gedruckte Gedicht bemerkt iſt) war dieſer Volls⸗
roman verbreitet 1.
Hier ein Umriß des Inhalts:
Herzog Hubert von der Normandie und feine Gemahlin, die Tochter des
Herzogs von Burgund, find lange kinderlos. AS Die Gebete zum Himmel ohne
Erfolg bleiben, gelobt die Herzogin das Kind, das ihr werden würde, dem
böfen Feinde. Sie geneft eined Knaben, bei deffen Geburt ter Himmel fo finfter
wird, als ob es Nacht wäre; es donnert und blitt, als wäre das Firmament
offen; die Winde blajen aus allen vier Weltenden; es ift jolche® Stürmen und
Toben, daß die Häufer heftig erfchüttert werden und große Stüde von ihren
zur Erde fallen; der Welt Untergang ſcheint gelommen zu fein, Als das Wetter
fi) wieder aufgeflärt, wird das Kind zur Zaufe gebradyt und Robert genannt.
Es ift von ungewöhnlich großer Geftalt, und wie es heranwächſt, nimmt es
auch täglich an Bosheit zu. Wenn es ſich auf der Straße zeigt, rufen die
andern Knaben einander zu: „Da kommt der böſe Robert. Da kommt der
mwütbende Robert. Da kommt Robert der Teufel“ und alle entlaufen, um nicht
von ihm gefchlagen zu werden. Davon blieb ihm fein Lekenlang der Name
Robert der Teufel. Seinen Lehrmeifter erfticht der Knabe; die Priefter am
Altare, die Betenden in der Kirche blieben von feinen boshaften Streichen nicht
verjhont. Als er gegen 18 Jahre alt geworden, hoffen feine Eltern, es werde
zu feiner Befferung dienen, wenn er zum Ritter geichlagen werde. Letzteres
geihieht am Pfingftfefte. Aber beim Turnier, das zu diefer Feier angeftellt ift,
tobt Robert jo furdtbar, daß er, ohne auf Abwehr zu achten, Männer und
Noffe tödtet. Fortan reitet er im Land umher, beraubt Klöfter und Höfe, ver-
brennt Gotteshäufer und verübt Jungfrauenraub. Die bewaffneten Leute, welche
fein Bater ausfhidt, um ihn zu fangen, ſchickt er demfelben geblendet zuräd.
. Dann läßt er fi im wilden, finftern Walde ein feſtes Haus erbauen, wo er
mit einer Schaar der verruchteften Raubgejellen feinen Aufenthalt nimmt. Bon
dort aus fallen fie, wie reißende Wölfe, raubend und mordend über Kaufleute
und Pilger her und plündern die ganze Umgegend. Einft erfchlägt Robert in
feiner Wuth fieben fromme Waldeinfiebler, deren heiliges Leben ihm zum Vorwurfe
1 Tristan le Voyageur III, 25 bis 40. 75 f. 342. Rom. de Rou |,
404 fi. Görres, Volksb. 216 bis 218. [Das Ausland, 2 April 1834 N. 92.
©. 868: „Das Schloß Roberts des Teufels.” Ohne Angabe der Duelle und
unerheblich. ]
657
war. Roth vom Blute der Erfchlagenen reitet er aus dem Walde hervor
und tiber die Felder hin. Als er nun fieht, wie alle Menſchen erfchroden vor
ihm entfliehen, beginnt er über feine Berworfenheit im Herzen zu erfeufzen.
Er reitet nach dem Schloffe Darques, wohin, wie ihm ein Schäfer am Wege
erzählt, feine Mutter, die Herzogin, zu Mittag kommen fol. Er langt am
Schloßthor an und fpringt vom Pferde; Niemand wagt, ihm entgegenzulommen
und es zu halten. Da läßt er e8 am Thore fiehen, zieht fein biutiges Schwert
herans und gebt nad) dem Saale, wo feine Mutter if. Als fie ihren Sohn
fo, das biuttriefende Schwert in der Hand, kommen fieht, will fie vor ihm
fliehen. Wie nun Robert fieht, daß die eigene Mutter vor ihm fliehen will,
ruft er ihr flebend zu, daß fie ftill fliehen möge, nähert ſich ihr reuevoll, legt
das blutige Schwert vor ihr nieder und beſchwört fie, darauf hinweifend, ihm
wahrhaft zu fagen, wie es gekommen fei, daß er jo ruchlos geworben. Mit
bitteren Thränen erzählt die Herzogin, wie es ergangen, und Hagt fich ſelbſt
aller Schuld an. Robert faßt nun den feſten Entihluß, fein Leben zu beſſern
und für feine vielen und großen Sünden Buße zu tun. Um Erlaß derjelben
will er den Weg nah Rom einfhlagen. Er reitet nad einer Abtei, die er
jonft öfters geplündert hat, und überliefert dem Abte, feinem Verwandten, die
Schlüffel des Haufes, in welchem bie geraubten Güter liegen, damit fie den
Beichädigten zurlidgegeben werden. Sein Roſs und fein Schwert, das Werl-
zeug feiner Miffethaten, läßt er im Klofter zurüd und pilgert allein nad) Rom.
Beim Hochamt in der Peterslirche drängt er ſich zum Pabfte hin und wirft fich
ihm bußfertig zu Füßen. Der Pabſt hört fein Belenntnis an, vermweilt ihn
aber an einen Eremiten, der drei Meilen von der Stadt feine Zelle hat. Robert
macht fi dahin auf und beichtet dem frommen Manne. In der Nacht erſcheint
dem Eremiten, der unter Gebeten flir den reuigen Sünder entichlafen, ein Engel
und verkündet ihm, welche Buße Robert zu erfieben babe, um von feinen
Sünden Tosgeiproden zu werden. Er müſſe fih flumm und närrifch ftellen
und dirfe feine andre Speife nehmen, als die er den Hunden entriffen. Syn
diefem Zuſtande müſſe er jo lange verharren, bis ihm geoffenbart werde, daß
feine Sünden vergeben feien. Robert unterwirft ſich willig diefer ftrengen Buße,
die ihm für ſolche Miffethnten eine leichte dünkt. Er begibt fich zurück nach
Kom an den Hof des Kaifers, läßt fi da als Narren verlachen, macht deu
Summen, theilt Rabrung und Streu mit den Hunden. So elend lebt er bis
in das fiebente Yabr. Nun hat der Kaifer eine jchöne, aber von Geburt an
flumme Tochter. Um fie hat der Seneſchall des Kaiſers mehrmals geworben,
diefer aber hat fie ihm ſtets verweigert. Darliber erboft, kommt der Seneichall
mit einem großen Heere Sarazenen angezogen und belageit die Stadt Rom.
Der Kaifer fanımelt feine Macht und führt fie gegen die Feinde in's Feld.
Uplanp, Schriften. VII. 49
658
Robert, der zu Haufe blieb, gebt, nach feiner Gewohnheit, zu einem fchönen
Brunnen im Garten des Kaifers, um zu trinfen. Hier findet er ein weißes
Noſs mit einem vollffändigen Harnifh und eine Etimme vom Himmel befiehlt
ihm, fi in diefen Harniſch zu waffnen und das Roſs zu befteigen, um dem
Kaifer mit feinen Bolfe zu Helfen. Robert thut, wie er geheißen ift; des
Kaifers ftumme Tochter aber, die am Fenſter fteht, fieht es mit an und be
wahrt es wohl in ihrem Herzen. Bei Noberts Ankunft auf dem Schlachtfelte
ift eben das Heer des Kaiſers auf das Äußerſte bevrängt, durch feine Zapfer-
‚teit aber werden die Sarazenen zur Flucht gezwungen. Nach erfochtenen Siege
reitet Robert unbemerkt vom Heere weg und lehrt zum Brunnen zurüd, wo
er fi entwaffnet und den Harniſch auf das Roſs legt, welches fogleich ver-
ſchwindet. Die Kaiferttochter, welche dieſes fieht, verwuntert fi jehr und
würde Alles erzählt haben, wenn fie fprechen könnte. Der Kaiſer kommt fieges⸗
froh zu feinem Palafte zurück. Als bei Tiſche Robert wieder den Narren fpielt,
bemerft der Kaifer in feinem Geficht eine Echmarre - die Robert in der Schlacht
erhalten. Er glaubt, die Diener haben während feiner Abwefenbeit den Narren
geichlagen, und unterfagt das ernſtlich. Hierauf fragt er feine Ritter, ob Einer
von ihnen fagen fünne, wer der Ritter auf dem weißen Roſſe geweien, der jo
plöglih in das Feld kam und fo tapfer aushalf. Des Kaijers Tochter bemüht
ſich vergeblih, zu bezeichnen, daß Robert das geweien fe. Die Belagerung
Roms durch die non Seneſchall herbeigeführten Sarazenen und die den Sieg
der Römer entjcheidende Erjcheinung des Ritters auf dem weißen Rojje wieder-
bolt fich zum zweiten und dritten Male. Als aber nach der dritten Schlacht
Robert zum Brunnen zurldreiten will, kommen ihm mehrere Ritter nachge-
iprengt, weichen der Kaifer aufgegeben, auf ihn Acht zu haben. Robert aber
fpornt fein weißes Roſs und fliegt über Berg und Thal davon. Einer der
Ritter, der ihm bitig nacheilt, will das weiße Roſs mit feinem ES peere tödten,
fehlt aber und trifft Moberts Schenkel, in welchem die abgebrochene Epeerfpite
ſtecken bleibt. Robert kommt umerreicht wieder zum Brunnen, entwaffnet fich,
und das Nojs verſchwindet abermals mit dem Harniſch. Die Epeerfpite zieht
er aus und verbirgt fie zwijchen zwei großen Steinen beim Brunnen; auf die
Wunde legt er Gras und Moos. Auch hievon ift die Tochter des Kaifers vom
Fenſter aus Zeugin. Nachdem der Kaifer den Hergang jener Verfolgung er⸗
fahren, läßt er öffentlidy verfündigen, welcher Ritter mit weißem Roſe und
Harnijch die Sperripige, mit der er verwundet :;vorden, vorweife und die Wunde
zeige, der foll die Kuijerstochter zur Frau und das halbe Reich zur Mitgift
erhalten. Der treulofe Senefchall, der von diefer Bekanntmachung hört, macht
fih neue Hoffnung, die Kaiferstochter, nad der er fo oft ausgeweſen, unn zu
gewinnen. Er verſchafft fich ein weißes Roſs und einen weißen Harniſch und
659
ſticht fich eine Speerfpige in den Schenkel. Dann reitet er mit prächtigen &e-
folge nach Rom und gibt ſich dem Kaifer als den unbelannten Netter an, indem
er zum Beweis Speerjpige und Wunde vorzeigt. Der Kaijer läßt fich tänſchen
und glaubt, feinen Senefhall bisher rerfannt zu haben. Die ftumme Tochter
wird gezwungen, fih als Braut zu ſchmücken. Im feierlichen Zuge führt der
Kaifer felbft die Tiefbetrühte zur Kirche. ALS aber der Priefter das Amt be=
ginnt und den Senefhall mit der Jungfrau zuſammen geben foll, da hebt fie,
dur ein Wunder, auf einmal zu fprechen an, entdedt den Betrug des Sene—⸗
ſchalls und fagt, daß bier in der Stadt der Dann Iebe, um deffentwillen ihr
Gott die Sprache gegeben und den fie im Herzen liebe, weil fie feine Tarferkeit
und Frömmigkit erkannt habe, während Niemand ihren Beihen und Hinden-
tungen glauben wollte. Sie führt den Pabſt und den Kaifer, ihren Vater, zu
dem Brunnen und zieht zwifchen den beiden Steinen die Speerfpite hervor, die
mit dem herbeigebrachten Schafte fi jo zufammenfigt, als wären fie niemals
entzmei gewejen. Robert wird num aufgesucht, man forjcht nad feiner Wunde,
aber er bleibt noch immer flumm, fpringt närrifh umber und gibt dem Pabſte
den Segen. Da erfcheint der Eremit, der ihm die Buße auferlegt. Ihm ift
in der Naht geoffenbart worden, daß diefe Buße nun zu Ende fei. Er ver-
fündigt, daß diefer fir ſtumm und närrifch gehaltene Mann jener Robert ſei,
den man den Teufel nannte, der aber nun einen beffern Namen erhalten und
Gottes Diener beißen fol; von ihm fei das Land vor den Sarazenen gerettet
worden und feine Sünden jeien ihm vergeben. Robert wirft ſich auf die Kniee
nieder, hebt mit lautem Preis umd Danke die Hände zum Himmel auf. Die
Kaiferstochter wird nun mit dem, den fie lang im Stillen geliebt, feſtlich ver-
miählt. Er führt fie nach Rouen, wo er, da feitdem fein Vater geftorben, das
Herzogthum übernimmt, feine Mutter von manigfacher Bedrängnis befreit uud,
von Armen und Reichen geliebt, mit feiner Gemahlin ein frommes Leben führt
Sie haben einen Sohn, Richard, der nachher mit Karln dem Großen viel große
Waffenthaten zur Erhaltung und Ausbreitung des Chriftenglaubens vollbringt.
Nobert der Teufel lebt in der Normandie noch jet in der Volks—
jage und jein Gedächtnis hat fich örtlich angeheftet. Das Schloß Ro:
berts des Teufels heißt ein wildüberwachſenes Burggetrümmer auf einer
Anhöhe am rechten Ufer der Seine, beim Dorfe Molineaur, unterhalb
Rouen. Keine gefchichtliche Erinnerung knüpft fih an dieſe Überreſte
des Alterthums; aber die Sage, wie fie in der ganzen Umgegend gang:
bar ift, verlegt hieher den einftigen Aufenthalt des furdtbaren Robert
und den Schauplaß feiner Unthaten. Die Wehllage feiner Opfer ertönt
aus den unterirbifchen Gemwölben, während er felbft nächtlicher Weile
660
die Trümmer ummwanbelt. Bald erjcheint er im Eremitengeivanb, wie
er begraben worden, mit bloßen Füßen und kahlem Haupt an ber
Stelle, wo die Unglüdlichen begraben wurden, und am Morgen findet
man dann die Erve aufgewühlt; bald fchmweift er auf einem nur von
ihm betretenen Pfade in Geftalt eines von Alter gebleichten Wolfes !
umber, blidt traurig nach den Trümmern feiner Burg und erhebt ein
Hägliches Geheul, das einer Menfchenftimme gleicht. Diefer graue Wolf
ift noch allen NRachftellungen der Jäger entgangen, obglei er an bie
offenfte Stelle heraustommt. Eine Abbildung. und Beichreibung ber
Ruine, mit dieſen Sagen, in: Voyage pittoresque et romantique
dans V’ancienne France, par Taylor, Nodier et de Cailleux; ber
Tert ift auch dem erften Theile des Romans: Robert-le-Diable ou le
Chäteau de Molineaux (traditions normandes, reeueillies et publises
par Piecide-Justin. B. 1 bis 4. Paris 1823) vorgefekt.
An der Vorberfeite der Genovevenfirche zu Paris zeigte man che:
defien einen großen eifernen Ring, von dem bie Sage war, Robert der
Teufel, von brennendem Fieber gequält, jei in der Nacht zur Abtei
Sainte-Genevieve gelummen, um durd Berührung der Reliquien dieſer
Heiligen geheilt zu merben, ber Abt aber habe ſich geweigert, einen
ſolchen Übelthäter zum Heiligthume zu führen, worauf ihn Robert in
feiner Wuth an den Eifenring aufgehängt und diefen an der Mauer
befeftigt habe (Tristan le Voyageur, ou la France au 14 siöcle. Par
M. de Marchangy. 3. Vi, Paris 1825 bis 1826; bieber B. LII, ©. 342).
Die Perfon dieſes der Sage fo wohl belannten Herzogs Robert -
1 [Contes populaires, pr&juges, patois, proverbes, noms de lieux de
l’arrondissement de Bayeux, recueillis et publies par Frederie Plugnet.
Deuxiöme 6dition. Rouen, Edouard Fröre, éditeur, libraire de la biblio-
thöque de la ville, Quai de Paris, No. 45. 1834. 80. S. 14 (Contes po-
pulaires, Traditions, Usages): Les Lubins. Ce sont des fantömes en forme
de Joups, qui rödent la nuit, cherchent & entrer dans les cimetidres, et
du reste sont assez peureux. Leur chef est tout noir et plus grand que
les autres. Lorsqu’on s’approche, il se dresae sur ses pattes, se met &
hurler, et toute la troupe disparait en crient: „Robert est mort! Robert
est mort!“ S. 80 (Patois et Noms Triviaux): Huards, lutins, farfadets;
& cause des husdes que l'on suppose qu’ils poässent en traversant les
airs, pendant la nuit. ©. 94: Roberde, l’herbe & Robert: „geranium
Robertianum.“]
661
—
geſchichtlich aufzuweiſen, iſt noch nicht gelungen. Es gibt zwar eine
alte Chronik der Normandie (zu Rouen ohne Jahrszahl gedruckt), nach
welcher, vor der Beſitznahme dieſes Landes durch die ſtandinaviſchen
Eroberer, Herzoge von Neuſtrien beſtanden, deren erſter, Robert, der
Vater Roberts des Teufels war. Allein dieſe Chronik iſt noch ſelbſt
halb ſagenhaft (Tristan le Voyageur III, 26, 1; vgl. Robert le Diable,
par Pl. Justin I, XVII).
Ähnliche Büßungen, wie fie dem reuigen Robert aufgelegt werben,
fommen auch in andern legenvenhaften Erzählungen aus dem Mittel:
alter vor (vgl. Altengliihe Sagen 1, 6 f). Welches aber auch der
Urfprung und die urfprüngliche Geftalt der Sage fein mode, fo iſt
fie doch unter den eigentlihen Normannen vollemäßig geworden und
ift mit den gleich nachher zu betrachtenden, unverlennbar aus norbifchen
Erinnerungen erwacjenen Eagen von Richard nicht bloß äußerlich,
genealogiſch, ſondern auch innerlich, durch denfelben finftern, von nor:
bifcher Abfunft zeugenden Geift verbunden. Wie die Herzogin das Kind,
das fie gebären würde, dem Teufel gelobt, fo in der nordiſchen Halfs⸗
faga Geirhild das ihrige dem Odin (Sagabibl. II, 449 ob.); und wie
bei Robert? Geburt der Tag fich verfinftert und der Sturm das Haus
zu zertrümmern droht, fo fagt das Eddalied von der Geburt Helgis
des Hundingstödters zu Bralund: „Nacht war in der Burg u. f. io.
Burgenbruch [zerftörender Sturm] ift in Bralund.” (Raſts Edd. 149°.
Grimm, Edda 57. Finn M. Il, 273. Afzelius Edda 142.) Roberts
tobendes Weſen gemahnt an die norbilche Berſerkerwuth.
2. Rihard Ohnefurcht!.
Die älteften fchriftlihen Aufzeichnungen der Sagen von ihm gibt
die normannifche Reimchronik des Robert Wace? vom Schluſſe bes
12ten Jahrhunderts: Ä
i Tristan le Voyageur Ill, 79. 88. 366.
2 [Der Vorname Robert ift Wace fälſchlich von Huet beigelegt worden. Man
vergleiche iiber den Dichter mein Buch über Ereftien von Troies, Zübingen 1854.
8. ©. 152.153 und E. du M£ril, La vie et les ouvrages de Wace in Eberts
und Wolfs Jahrbuch fir romanische und englifche Litteratur, I. Berlin 1858.
8. S. 1 bis 43. 9)
662
Le Roman de Rou et des ducs de Normandie, par Robert Wace,
podte normand du 12 sitcle, publi& pour la premiere fois par Fred.
Pluquet. 2 Bände. Rouen 1827. (Rou, lat. Rollo, Hrolf, der Stifter des
normannifhen Staates in Franfreih; in der Taufe nahm er den Namen
Robert an.)
Hier wird von dem britten Herzog der Normandie, Richard I, dem
Eohne Wilhelms Langichwert und Enkel Rollos, aus der zweiten Hälfte
des 10ten Jahrhunderts, verſchiedenes Sagenhafte erzählt (1, 278 ff.):
Richard Hatte nie vor irgend etwas Furcht, er gieng bei Nacht, wie bei
Tag, umher und traf auf manches Geipenft (fantosme). Well er fo viel bei
Naht aus war, fagten die Leute, er ſehe fo hell in der Nacht, als Andre am
Zage. Auf einem folden näctlihen Witte begegnet ihm ein Abenteuer, deſſen
Erzählung ich aus der altfranzöftihen Reimchronik jo überſetzt habe: Graf Ri-
hard von der Nermandie u. f. w. (Gedichte, 2te Aufl. S. 409 3ſte Aufl.
1868. ©. 412 ff. K. J.) ***
(Ganz Dasfjelbe wird, in deutfcher Sage, vom Junker Rechen:
berger, deſſen wir beim wüthenden Heere gedacht, in Kirchhofs Wend⸗
unmuth Bl. 755 erzählt.)
Robert Wace läßt noch ein andres Abenteuer folgen, von dem er
jagt, man würde es kaum glauben, wenn es nicht fo ſehr befannt wäre,
Er habe es Mehrere erzählen hören, die es von ihren Voreltern gehört.
Es ift dieß die Geſchichte eines auf einem nächtlichen verliebten Gange
im Wafler verunglüdten Sacriftans der Abtei Saint Duen, um deſſen
Eeele ein Teufel und ein Engel ſich ftreiten und den Grafen Richard
zum Schiedörichter wählen. Diefe Erzählung fteht mit der vorigen in
der Sammlung meiner Gedichte 1 verdeutſcht. Sie iſt mehr witzig, ala
fagenhaft.
Noch zwei andre feltfame Begegniſſe, welche Richard und einer
jeiner Jäger im Walde hatten, berichtet die Reimchronik (I, 288 big
292); ich übergehe fie jedoch, weil die Überlieferung bier unklar und
entſtellt erfcheint.
Die ſchon erwähnte profaische Chronik der Normandie fol gleich:
fall3 dergleichen Dinge aus Richards Zeit erzählen (Tristan le Voya-
geur III, 367).
1 [58fte Aufl. ©. 414. 8.)
Am zahlreichiten find feine gefpenftifchen Abenteuer in einem noch
st im Umlauf befindlichen franzöfifchen Volksroman zufammengeftellt:
L’histoire de Richard Sans-Peur, duc de Normandie, fils unique de
obert le diable u. ſ. w. A Troyes o. J.
Wie dieſer Titel befagt, ift Richard Obnefurdt bier ein Eohn
tobert3 des Teufeld und der Tochter des Kaifers von Rom. Was
on ihm erzählt wird, bildet nicht eine einzige, fortlaufende Gefchichte,
vie die feines Vaters, fondern es find mehr einzelne Abenteuer an-
Anander gereibt, deren Faden darin befteht, daß die böfen Geiſter,
yefonders einer mit Namen Brundemor, den furdtlofen Herzog auf
manigfache Weiſe, jedoch vergeblich, in Schreden zu fegen bemüht find.
Sch hebe von diefem Gefpenfterfpuf Einiges aus, mas und Weitere
fagengeichichtliche Beziehungen darbietet.
Der Teufel Brundemor hat fich gerüihmt, dem Herzog Rihard Furcht ein-
zujagen. Als nun Diefer allein mit einem Hinblein, das er auf dem Sattel»
bogen bält, durch einen finftern Wald reitet, fonımt Brundemor mit ınehr als
10000 Huars (huer, laut rufen), welche filrchterliche8 Geſchrei und Geheul er-
heben, gerad auf ihn hergefahren. Richard aber erſchrickt nicht im mindeften,
fondern ruft und fehreit mit ihnen, worüber fie fo in Born gerathen, daß fie
das Hiindlein zwiſchen feinen Armen zerreißen; ihm felbft wagen fie nicht zu
berühren. Nachdem Brundemor noch unter verjchiedenen Berwandblungen, wohin
auch die Geichichte mit dem Todten auf der Bahre zu gehören jcheint (Richard
Sans Peur ©. 17), das Schrecken vergeblich veirſucht hat, tritt er mit Richard
in freundlicheres Berhältnig.
Richard hat fi auf einem Turnier, welches Karl der Große veranftaltet
hatte, die Gunft Glariffens, der Tochter des Königs von England, durd feine
Tapferkeit verdient. Auf ihrer Heimkehr durch die Normandie entführt er fic
ihren Begleitern gewaltſam und vermählt fi mit ihr. Darüber befriegt ihn
ihr Bater, der König von Engla:d. As Richard zur Schlacht reitet, fieht er
vor ſich einen ſchwarzen Ritter, der ihm feine Dienfte anbietet, unter der ein-
zigen Bedingung, daß, wenn er felbft jemals befriegt werde, der Herzog ihm
die gleiche Hülfe erweife. Richard fagt e8 zu und fragt dann nad) dem Namen
des Nitters. „Brundemor,“ erwidert diejerz „fürchte dich nicht! Alle werd’ ich
tödıen, die in der Schlacht auf mich ıreffen.“ Brundemor focht auch jo tapfer,
daß die Engländer völlig gefchlagen wurden. Nach erlangteın Eiege wiederholte
Richard fein Berfprechen; fie trennten fih und Brundemor ritt in den Wald
hinein. Drei Tage nad) der Schlacht wollte Richard einen ſchwanweißen, von
Teen aufgezogenen Eher jagen und übernachtete zuvor in der Abtei von
664
Fescamp. Gegen Mitternacht erfchten ihm ein gewappneter Ritter, in weldyem
Richard den Brundemer erlannte, und forderte ihn auf, nunmehr feinem Ber-
fprecden Genüge zu leiften. Der Herzog fland auf, waffnete fih und ritt in
der Nacht mit Brundemor in den Wald, wo fie zwölf Tampfgerüftete Ritter
fanden. Es war Burgifer, ein andrer Teufel, der Gegner Brundemors, mit
feinem Geleite. Ihn follte Richard im Zweikampfe befteben. Er zeigte fich
bereit dazu und ein bartmädiges Gefecht erhob ſich. Burgifer ſchwang ein fen⸗
riges Schwert, zuletst aber ſchlug Richard gegen ihn mit dem Knopfe des fei-
nigen, in welchen mehrere Reliquien gefaßt waren. Da mufte ſich Burgifer
ergeben und jo beftand Richard auch diefe Probe feiner Furchtlofigkeit.
Bon den übrigen Abenteuern find hauptjächlich noch Diejenigen
beachtenswerth, welche ven geipenftifchen Ritter Hellequin 1 betreffen.
Als Richard einmal durch den Wald ritt, fah er vor ſich Hafen und Rehe,
von einem großen Rudel bellender Hunde verfolgt, vorübereilen. Er dachte
eben, wer wohl ohne feine Erlaubnis in diefem Forfte jagen möge, als er drei
gewaffnete Ritter vor fich ſah. Alsbald griff er diefe unbernfenen Jäger an
und flug ſich fo tapfer mit ihnen, daß fie zulett die Flucht ergriffen und ihre
Hunde im Stiche liefen. Mit verhängtem Bügel rannte Richard ihnen nad,
im Verfolgen aber gewahrte er einen Tanz von Leuten, die im Kreiſe reihten.
Da gedachte er des Geſchlechts von Hellequin (de la race de Hellequin), wo-⸗
von er fonft reden gehört hatte.
Diefer Hellequin war von einem alten und berühmten Stamm entiprofien.
Sn einem bintigen Kriege Karl Martells gegen die Sarazenen, die in Frank⸗
reich eingefallen waren, hatte diefer Hitter feine Habe im Dienfte feines Herrn
verzehrt und felbft ein ſchönes Schloß in der Normandie verlauft, um die Kriegs-
bebürfniffe anzufchaffen. Nach den Kriege nun ſah er ſich von Allem entblößt
und fieng deshalb, mit mehreren feiner Verwandten, zu rauben und zu plün-
dern an. Jedermann rief gegen ihn um Rache zu Gott. Er wurde von einer
ſchweren Krankheit ergriffen, an der er farb, und war in Gefahr, verdammt
zu werben. Aber Gott hatte Erbarmen mit ihm, weil er ftet3 gegen die Sara-
zenen gelämpft und den Chriftenglauben gemehrt hatte; zur Buße jedoch ward
1 [Über die mesnie Hellequin vgl. Les manuscrits francois de la biblio-
thèque du roi. Par Paulin Paris. I. Paris 1836. ©. 821 bis 325. Le
livre des lögendes, par le Roux de Lincy, Paris, Silvestre, 1836. Th.
Wright, Deposit. of Richard 1I. ©. 58.] [Man vgl. ferner: J. Grimm,
Deutſche Mythologie, zweite Ausgabe. Göttingen 1844. 8. II. ©. 893. 894,
W. Menzel, Odin. Stuttgart 1855. 8. ©. 226. 227. F. Liebrecht, Des Ger-
vafius von Zilbury Otia imperialia. Hannover 1856. 8. ©. 198. 19. 5]
665
er vernribeilt, jede Racht mit denen feines Geſchlechts an den Orten umzugehen,
wo fie Böfes verlibt hatten; meift fand man fie tanzend oder jagen.
As nun Richard Ohnefurcht den Tanz des Geſchlechtes von Hellequin (de
la lignee de Hellequin) gewahr worden, fpornte er fein Roſs nach ihnen Hin,
und als er ihnen nahe war, ah er wunderbare Dinge. Gleich vorn ſah er
feinen Marſchalk, der vor länger als einem Jahre geftorben war. Richard war
jehr darüber erftaunt, doch ohne ſich zu fürchten. Auf fein Befragen erklärte
ihm der Marſchalk, daß er mit denen, die bier am Tanze feien, büßen milſſe.
Der Herzog verlangte Hellequin felnft zu fpredhen, um ihn megen bes Jagens
- in feinem Forſte zur Rede zu ftellen. Der Marichalt führte feinen vormaligen
.;
Harn zu einem Strauche, worauf Hellequin jaß und breitete ein feidenes Tuch
auf dem Boden aus, auf welches fich Hellequin nun niederließ. Auf die Frage
des Herzogs, wegen des Jagens im fremden Forſte, gab er zur Antwort, daß
dieß ihnen zur Sündenbuße auferlegt fei und fie täglich große Dual erleiden.
Beim Abſchied gab Hellequin dem Herzog das Seidentuch, welches ſehr koſtbar
und von umnbegreiflider Hand gewirkt war. Nach feiner Heimkunft fliftete er
dasfelde als Altartuch in die Liebfrauentirdhe zu Rouen.
Der Helb diefer wunderfamen Abenteuer ift auch in den karolingi⸗
ſchen Sagenkreis verwoben worden, ie wir ſchon bie angeführten Volks⸗
bücher von ihm und feinem Bater andeuten hörten. Beſonders im
Roman von Fierabras Spielt der kühne Richard von der Normandie,
ala einer von Karla Genofienfchaft, eine bedeutende Rolle. Aber fo
wenig Karl der Große und ein normannifcher Herzog Richard gleich:
zeitig waren, da ja die Normannen erft ein Jahrhundert nad) Karls
Tode fih im nördlichen Frankreich feftfegten, jo wenig gehören ber
fränfifche und der normannifche Sagenkreis urfprünglich zufammen. Es
bat nun auch bier jener Trieb der epifchen Sagenbildung gemaltet,
vermöge deſſen verfchievene Heldenkreiſe fich allmählich zum größeren
Cyklus verbinden.
Unverlennbar find die Sagen von Richard Ohnefurcht altes Erb⸗
theil der romaniſierten Normannen aus der nordiſchen Heimath. Die
Geiſterkämpfe überhaupt fanden wir in der nordiſchen Sage zu Hauſe.
Wie Brundemor dem Herzog in der Schlacht beiſteht und ſich dafür
einen Gegendienſt bedingt, dieß iſt ganz das Verhältnis des Kampf:
gottes Odin zu den Helden des Nordens; er bedingt ſich aber die Seelen
der Erſchlagenen. (Unter dem Namen Bruni nimmt Odin an der
Bravallaſchlacht als Wagenführer Haralds Theil.) Verdunkelt, in ihrem
666
rechten Sinne verkannt, find allerdings die nordiihen Mythen in ber
normannifchen Überlieferung, aber darum doch noch im Grunde durch⸗
Ihaubar.
Dieb gilt auch von Hellequin. Leicht ergeben fich bier dieſelben
Anfchauungen, wie in den beutichen Volksſagen von der wilden Jagd,
von der Wiederkehr der Todten im müthenden Heere!, in Wuotans,
Odins Fahrt. Was wir die wilde Jagd, das wüthende Heer nennen,
heißt noch in der Normandie la chasse Hennequin (Hellequin)
(Tristan le Voyageur II, 350 f.). In England hieß ed, nad) ber
normanniſchen Eroberung, in lateinifchen Chronifen des Mittelalters:
Milites Herlikini (Herleurini), familia Helliquinii (Minstrelsy. 5 ed.
11, 129 f.). Nun ift und bereit3 die deutfche Sage vom wüthenden
Heere in Beziehung getreten mit dem nächtlichen Reiten des todten
Helgi und feines Gefolges. In Hellequin, Helliquinius haben mir
nun aud den wenig umgeformten Namen. Wenn von Hellequin ge:
fagt wird, er fei aus einem alten und berühmten Gejchlecht entiprungen,
jo gehörte Helgi zu dem Hervenftamme der Bölfunge, deren Stamm-
vater Dbin felbit war. Vermiſcht und getrübt ift freilich auch hier der
alte Miythus. Der Tanz der Leute Hellequins ift ein nordiſcher Elfen-
tanz; daß fie aber zur Buße ihrer Sünden kämpfen, jagen und tanzen,
ift Vorſtellungsweiſe des chrijtlichen Mittelalters.
So find wir, mie früher mit der deutſchen Volksſage, fo nun auch
mit der franzöfifchen, dahin zurüdgefommen, von wo unfre ganze Dar:
ftelung ausgieng, zum alten Odin und den Anjchauungen des odini⸗
fhen Glaubens.
Ich fchließe biemit dieſe Vorlefungen, die zwar nicht ganz den
Kreis ermefjen konnten, den ich mir anfänglich vorgezeichnet hatte, die
aber doch hinreichenden Stoff darboten, um fih an ihm das Wejen
und bie weiten Züge der Sagendichtung zu veranjchaulichen.
1 [Qgl. oben ©. 613. K.]
. Anhang.
Einleitung zur Borlefung Über norbifhe Sagenkunde!.
Zur Einleitung der Borlefungen, die ich heute eröffne, habe ich
nur Weniges über Gegenftanb und Richtung berjelben voranzufchiden ;,
denn ich halte für zwedmäßig, ſich baldmöglich in die Sache felbft zu
verjegen und erſt aus der näheren Belanntichaft mit ihr bie allgemei:
neren Betrachtungen bervorgehn zu laſſen.
Die nordifche Sagentunde gehört in den Kreis derjenigen Studien,
melche fich mit einem längft entfchwundenen, von den Zuftänben der
Gegenwart äußerft verfchiedenen Zeitalter beichäftigen. E3 mag für
den erften Anfchein etwas Widerſtrebendes darin gefunden werden, fich
mitten aus einer vielbewegten Zeit in die auögeftorbene Vergangenheit
zu verſenken und die Theilnahme für fo Entlegenes in Anſpruch zu
nehmen, während der nächfte Augenblid unfre Aufmerkſamkeit lebhaft
anregt. Gleichwohl wird fich bei genauerer Erwägung zeigen, daß die
Erforfchung eben jener fernen Alter nicht bloß ein Biel gelehrter Wiß⸗
begierbe, daß fie vielmehr der Freiheit des Geistes förderlich und ein
Bedürfnis des tieferen Gemüthes fei.
t [Iın Sommerhalbjahr 1833 wollte Uhland das Hauptthema der vor-
ftehenden Borlefungen unter den Titel „Nordiihe Sagenfunde” nad) neuer
Bearbeitung wieder vortragen. Es ift befannt, daß er am 23 Mai die Ent-
laffung von feinem Lehramt erhielt. Bon der Vorlefung ift eben nur die Ein-
leitung neu ausgearbeitet worden, Obgleich diefelbe in den Hauptpunften mit
der oben ©. 3 ff. 14 ff. gegebenen Einleitung fibereinftimmt, ift doch die Form
neu und vererelt. Die unveränderte Mittbeilung dieſes letzten von Uhland fiir
den Lehrftuhl ausgearbeiteten Vortrags wird daher keiner weiteren Nechtferti«
gung bedürfen, &.]
668
Den Geift Tann die vollere Anſchauung verflofiener Zeiten von
zweifachem Borurtheile frei halten, von der Gebundenheit durch das
Abgelebte und von der Befangenheit im Gegenwärtigen. Eo Tann eine
gründliche Kenntnis des Mittelalters nur zu der betvufteren Überzeugung
führen, daß diefe Beit ihr eigenthümliches Leben abgejchloffen, ihre be
fondre Aufgabe gelöſt habe; damit aber ftellt fi) ung die Aufgabe der
eigenen Zeit um fo reiner heraus und der Hinblid auf das Vergangene
fordert und auf, auch unfrem Berufe frifch und rüftig nachzuſtreben.
Auf der andern Seite wird uns bie Einſicht in das Weſen früherer
Perioden wohl ertennen lafien, daß auch fie nicht lediglich die Be
ftimmung hatten, Steine zu unſrem Bau herbeizufchleppen, daß fie
wirklich ihr eigenthüümliches Leben lebten, ihren Charakter entwidelten,
ihre eigenen Werte jchufen, baß jede größere Periode neben ihren be
fonden Mängeln auch ihre befondern Vorzüge aufzuweiſen bat, bie
einer folgenden fchon darum, weil fie eine neue ift, nicht wieder in
diefer Art erreichbar find. Eben in folder Manigfaltigleit der Ent⸗
wicklungen äußert fich der unerichöpfliche Reichthum des Weltgeiftes
und zugleich feine Gerechtigkeit, indem er weber ber Erftgeburt noch
den Jüngſtgeborenen einen unbedingten Vorrang einräumt, in geiftiger
Auffaffung ift auch wirklich alles Beitandene und Beſtehende gleichzeitig,
in ihr tritt das Yerne der Zeit, wie bes Raumes, in die Gegenwart
und alle die fuccefliven Geftaltungen des Volkerlebens ftellen fich zum
Gefammtbilde neben einander.
Auh das Gemüth fühlt fih in die Zeiten vor uns bingezogen.
Während wir in der Gegenwart für die Zukunft arbeiten, finten wir
mit jedem Augenblide jelbft in die Vergangenheit hinab; und indem
wir ſelbſt wünſchen, im Gedächtnis kommender Gefchlechter fortzuleben,
vernehmen wir auch die Mahnung der hingegangenen, ihrer nicht zu
vergefjen. Jeder Erventag ftellt und in den Gegenfchein von Ber
gangenheit und Zulunft, bald fehen wir die mweftlichen Berge von der
Morgenjonne beleudytet, bald die öftlihen von ver Abendſonne. Das
ältere Gejchlecht, dad wir zu Grabe tragen, an das fich rückwärts unfre
frübeften Erinnerungen Inüpfen, ift ung doch wieder vorangeeilt in die
Zukunft und unſer liebendes Angedenten kann fich bald dem Abfchiebe,
bald dem Wiederſehen zuwenden. Wollen wir einmal nicht vereinzelt
ftehen, fühlen wir ung durch ein heiliges Band der gefammten Menſch⸗
669
beit verbunden, warum follte diefes nicht auch die Geſchlechter um⸗
fchlingen, welche vor uns gelebt haben? Es fragt fi auch am Ende
doch nur, mo bie echtefte, Fräftigfte Poefie zu finden fei; das rüdficht-
lofe Streben nah dem Schönen, nad der wahren Poefie ift auch ein
Bedürfnis der Gegenwart und hiebei kann felbft die fernfte Vergangen-
beit nicht ausgejchloflen fein.
Was und aber in der Kenntnis früherer Zeitalter für Geift und
Gemüth Befriedigendes liegen Tann, das find doch nicht ſowohl die
äußern Ereignifje, als wieder das geiftige Leben, deſſen Wirkung und
Ausdrud jene Ereigniffe felbft find. Gerade nun die älteften, vorge:
fchichtlichen Zeiten jedes Volkes, diejenigen, bei welchen mir die minbefte
Stufe geiftiger Bildung vorausfeen möchten, haben ihr Gedächtnis
einzig und durchaus in idealer MWeife, in der Vollsbichtung, der Sage,
auf die Nachwelt gebracht.
Es find dieß die Zeiten, in denen bie menfchlichen Geiſteskräfte
noch in folder Ungeichiebenheit wirken, daß ihr höheres Erzeugnis nichts
anderes fein kann, als Poeſie. Geichichte, Glaubens⸗ und Sittenlehre,
alle in fpäteren Altern fo weit auseinandergehenden Richtungen geiftiger
Thätigkeit, find hier noch in den Bildern und Klängen bes Liedes zu:
fammengefaßt. Die Schrift ift nicht erfunden ober doch von keinem
litterarifchen Gebraude, weil für fie Fein Berürfnis beftebt, weil der
todte Buchftabe nicht vermifst wird, mo die lebendigen Geftaltungen
der Phantafie im Gedächtnis haften. Alles iſt bier münbliche Über
lieferung, Sage. Aber diefe Sage Tann auch nur eine poetifche fein,
weil, fobald fie aufhörte, durch und auf die Einbildungskraft zu wirken,
fie damit auch die einzige Gewähr ihrer Dauer aufgegeben hätte.
Fragen wir nach den Überlieferungen aus der vorgefchichtlichen
Zeit unſres eigenen, de3 germanifchen Stammes, die doch in unirer
Sinnedart den meiften Anklang finden dürften, fo eröffnet ſich uns
allerdings ein weites Gebiet manigfaltiger Sagendichtung. Was jedoch
das eigentliche Deutfchland betrifft, jo find über feinen Boden fo viel:
fache Völterzüge bingefchritten, er iſt von jo frühem und verfchieden-
artigem Anbau umgemwühlt worden, daß die ältefte, heimische Sage ſich
unmöglid mehr in urfprünglicher Lauterfeit und Vollftändigkeit fort
pflanzen und in folder zur fchriftlichen Aufzeichnung gelangen konnte.
Die frühzeitig begonnene Belehrung der deutlichen Völker zum
670
Chriſtenthum nahm ihrer angeflammten Sage den religiöfen Grund,
auf welchem fie erwachſen war, und da fie auch nicht fich eignete, dieſe
beibnifche Grundlage mit einer chriftlichen zu vertaufchen, fo mujte fie
ſich gröſtentheils auf menjchliche Verhältnifie zurückziehn und felbft den
alten Göttermpthus in foldhe umgeftalten, fo daß wir denfelben in ihr
mehr nur ahnen und durchfühlen, als zu Harer und voller Anſchauung
bringen können. Hiernach hat fih in Deutfchland zwar eine viel:
umfaflende Helvenfage, ein großer epifcher Cyklus, gebildet und erhalten,
aber ohne mehr in Verbindung mit einer .entiprechenden Götterſage das
volle Weltganze des deutjchen Altertbums darzuftellen.
Dagegen lag abjeit3 der großen Völkerſtraße und außerhalb des
Bereich3 der erften Bekehrungen das Ländergebiet des ſtandinaviſchen
Nordens: Dänemark, Schweden, Norwegen mit den hauptſächlich ven
legterem aus bevöllerten Inſeln, Island und den Faaröen. Die Be
wohner diefer Länder bilden einen ber germanifchen Hauptiprachftämme;
norreena, die nordifche, hieß die Sprache, bie noch über bie heibnifche
Zeit hinaus ihre gemeinfame war und ſich im Ssländifchen fortpauernd
erhalten bat, wogegen anderwärts ſich befondre Munbarten ausichieden
und im Schwebifchen und Däniſchen zu eigenen neuern Epradyen ge
ftalteten. Bon den übrigen Hauptftämmen germaniicher Zunge fommt
dem nordiſchen am nächften der niederbeutfche, am entfernteften ſteht
ihm der gothiſche. Erwägt man nun, daß auch die mythiſchen Beſtand⸗
theile der gothifchen Überlieferungen, wie fie in deuticher Heldenfage
durchſcheinen, die wenigfte Beziehung zu den ffandinaviichen Mythen
darbieten, daß dagegen die wenn gleich nur ſparſamen Nachrichten von
den Göttern der alteingefeflenen Germanen und vom Heidenthum ber
ſächſiſchen Völkerfchaften ihren unverfennbaren Anklang in der norbi«
fhen Götterfage finden, fo deutet dieß noc weiter darauf hin, im
Norden die Pfleg⸗ und Zufluchtſtätte derjenigen Sage zu fuchen, welche
den ältejten germanifchen Anfieblern eigen war, im Gegenfage der in
der großen Völferwanderung nacgerüdten deutihen Stämme, welde
vorzugsweile als gothifche bezeichnet werden fünnen. Die Völker des
ffandinavifchen Nordens find Ureinwohner, foferne menigftens die Zeit
ihrer Anfiedlung über aller urkundlichen Geſchichte hinaus liegt, und
jelbft was man aus ihrer Eage für ihre Herlunft aus dem Dften be
weiſen twollte, beruht, wie ich fpäter zu zeigen verfuchen werde, auf
671
Misverftändnifien und gelehrten Deutungen. Die öftliche Abkunft an
fich fol damit fo wenig verworfen werben, al die gewifjermaßen natur:
geichichtlihe Thatjache, daß die ſchwächern finnifchen Stämme von ein»
mandernden germanijchen auf ben äußerften Rand des nordiſchen Feſt⸗
landes hinausgedrängt worden. Sevenfalld aber beftand bier feit
unvordenklicher Zeit und gewiſs Jahrhunderte vor den gejchichtlich be
fannten Völkerwanderungen ein Sig und Heerd germanischen Weſens,
das eben auch hier am längften von fremden Einwirkungen unberührt
fortlebte. Das Chriftentbum, in deſſen Gefolge ſtets aud) die manig-
fachſten anderwärtigen Einflüffe der Bildung und des Verkehrs fich
geltend machten, hatte bei den Gothen ſchon im 4ten Jahrhundert und
bei den Franken zu Ende des dten Eingang gefunten, die Sachen
waren am Anfang des Iten mit den Waffen belehrt worden, in den
nordifchen Ländern aber gewann das Chriftentbum erſt feit dem Ende
des 10ten Jahrhunderts feine feitere Gründung. In ſolch langer Ab-
gefchlofjenheit des ftandinavischen Nordens fonnte und mujte denn nun
jenes urgermanifche Weſen, wie im Leben überhaupt, wie in Glauben,
Recht und Sitte, jo auch im, ibealen Ausdruck des innern und äußern
Lebens, in der Sagendichtung, fein vollftes und ſchärſſtes Gepräge er:
langen und bewahren. Die Verbindung des Göttlihen und Menſch⸗
lihen, des Mythiſchen und Heroifchen, der Götter: und der Heldenfage
zu einer vollftändigen Weltanfchauung, die wir in den deutfchen Sagen-
freifen vermiſſen, ift in den auf uns gelommenen Liedern und Sagen
des Nordens noch weſentlich unverfümmert vorhanden. Es ift nicht
zu verfennen und müſte fogar als nothivendig vorausgeſetzt werben,
daß diefe Sagenwelt ihre beſondre, heimathlich norbifche Färbung an
fich trage, daß in ihr die Natur des Landes und die Lebensweiſe feiner
Bewohner nicht ohne Epur geblieben fei, daß fie an Ortliches und
Gefchichtlihes jener Gegend ſich anfnüpfe. Aber auch davon liegen,
wie jchon erwähnt, erhebliche Anzeigen vor, daß fie, den größern und
bedeutfamern Zügen nad, auch andern deutichen Stämmen gemeinfam
war; und ſelbſt wenn dieß weniger der Fall geweſen wäre, jo würden
wir doch nur durch fie noch in bie Tiefe des ältejten germanischen
Geiftes hinabzubliden, nur in ihr noch ein volles fyftematifches Er:
zeugnis deöfelben zu erfaflen im Stande fein.
Mir verdanten dieſe im Weientlichften volljtändige Erhaltung der
672
nordifhen Sage dem Umftanbe, baß fie noch zur rechten Zeit und unter
günftigen Verhältniffen aus der mündlichen Überlieferung in die Schrift
aufgenommen wurde, und zwar ift dieß vorzüglich das Verbienft der
Isländer. Wie die größern ſtandinaviſchen Ländergebiete dem übrigen
germanifchen Feſtlande abſeits liegen, fo liegt wieder über jene hinaus
die Infel Island einfam im Weltmeere. Dieſes rauhe, winterliche Ei
land, mit Schneebergen, welche Flammen ausiverfen, wurbe gegen das
Ende des Yten Jahrhunderts von Norivegen aus bevölkert. Damals
verließen viele der angefehenften normwegifchen Geſchlechter, denen bie
Alleinherrfchaft des Eroberers Harald Schönhaar unerträglich war, ihre
Heimath und gründeten auf Island einen Yreiftaat, ver fich bis über
die Mitte des 13ten Jahrhunderts unabhängig erhielt. Das Chriften-
thum wurde bafelbft um das Jahr 1000 eingeführt. Die Einwanderer
hatten ihren geiftigen Beſitz, Lied und Sage des Stammlandes, mit
fi) herüber genommen und pflegten benfelben bier mit dem beharr⸗
lichiten Eifer. So wenig die neue Wohnftätte äußerlich als ein Garten
der Poefie erjcheinen mochte, fo war fie doch eben in ihrer Abgeſchieden⸗
heit, mit ihrer firengen Natur, ihren langen Wintern und Winter:
nächten wohl geeignet, auf Beichäftigungen und Genüfle des geiftigen
Lebens binzumeifen. In Island bildete fich eine, zum Theil fehr künfts
liche Liederbichtung und von bier giengen bie Skalden aus, die an den
Königehöfen der nordiſchen Reiche fangen; in Jſsland erhielt auch die
geichichtliche und fabelhafte Erzählung in ungebundener Rebe, die Saga,
eine eigene Form, in welcher die Isländer aufbewahrten, was fie in
der Heimath und auf ihren beftändigen Wanderungen im übrigen Nord⸗
lande Denkwürdiges felbft erfahren over vernommen hatten. Sn diefer
emfig eingeübten und entwidelten Form kamen die mündlichen Über:
lieferungen der fchriftlichen Auffaſſung völlig vorbereitet entgegen. In
der eriten Hälfte des 12ten Jahrhunderts begann das Sammeln und
Niederfchreiben der Sagen und Lieder und damit die Begründung einer
eigenthümlich isländifchen Litteratur. So war ber beeiste Inſelfels im
Deean dem gefammten übrigen Norden als ein Spiegel gegenüber-
geftellt, in welchem fich bie Lebensbilder älterer und neuerer Zeit
abitralten.
Was bei al Diefem befonderd der älteften mythiſchen und berois
ſchen Yabelmelt zu Statten kam, ift der bedeutende Umftand, daß die
Dan
673
isländiſche Skaldenkunſt, auch nach der Einführung des Chriſtenthums,
in ihrer ſchmuckreichen Dichterfprache fich noch überall der Namen und
Bilder aus dem heibnifchen Götter⸗ und Heldenweſen, ber manigfachften
Anfpielungen auf folches bediente. Hiedurch mar es fchon technifches
Bedürfnis, ſich den inhalt der alten Sagenlieder durch fchriftliche Auf⸗
zeichnungen und Auszüge fortwährend zugänglich zu erhalten.
Dieje Bemühungen der Isländer bilden denn auch die Grundlage,
an melde ſich bie Schriftventmäler und die zum Theil noch im Volke
lebenden Erinnerungen aus den andern nordifchen Ländern ergänzend
anſchließen. Die nähere Bezeichnung ber bier nur im Allgemeinften
angebeuteten Quellen wird je bei den befondern Hauptabfchnitten und
Unterabtheilungen unfrer Aufgabe erfolgen.
Die nordiſche Sagenkunde, mie ich dieſe Aufgabe benannt habe,
d. 5. die quellenmäßige Darftelung und entwidelnde Erläuterung ber
vorgefchichtlichen und ursprünglich mündlichen Überlieferungen des flan«
dinavifchen Nordens, wird ſich uns folgendermaßen abtheilen:
Erfter Abſchnitt: Sage des norbifchen Heidenthums.
Erfte Abtheilung: Götterjage.
Zweite Abtheilung: Heldenſage.
Zweiter Abſchnitt: Spätere Volksſage.
Für den erſten dieſer beiden Hauptabſchnitte, welcher die heidniſche
Sage in ungetrübter Echtheit und möglichſt vollſtändigem Zuſammen⸗
hang ermitteln und darſtellen ſoll, müſſen wir uns gleichwohl, da alle
Sammlung und Aufzeichnung erſt in chriſtlicher Zeit ſtattfand, auch
ſolcher Quellen bedienen, welche nicht ohne den Einfluß chriſtlicher An⸗
ſicht geblieben find, oder in welchen das Mythiſche und Sagenhafte
eine hiſtoriſche Verkleidung erhalten hat; und in ſolchem Falle kommt
es nur darauf an, das Urſprüngliche aus ſolchen Anwüchſen und Ver⸗
hüllungen auszuſcheiden und herzuſtellen.
Der zweite Abſchnitt dagegen iſt beſtimmt, die Nachwirkung und
Umwandlung jener heidniſchen Überlieferungen in der fpäteren Volks—
fage, d. h. in den zahlreichen Volfsballaden, den Mährchen, den ver»
einzelten Ortsjagen des norbifchen Mittelalterd und der neueren Zeit
nachzumweifen, und bier gehört die Vermiſchung chriſtlicher Begriffe,
neueren Aberglaubens, mit den altheibnifchen gerade zum Charakteriſti⸗
ſchen. Beiderlei Abſchnitte werden übrigens nicht fo fcharf geſchieden
Upland, Schriften. VII. 43
‘674
fein, daß fich nicht auf beiden Seiten Übergänge ergäben, und nament-
lich werden wir zu dem erftern, als dem wichtigern, manchmal herüber-
ziehn, was ſich für feinen Gegenftand auch in der fpäteren Volksſage
zur Ergänzung oder Erläuterung barbietet.
Endlich hebe ih noch einige Geſichtspunkte hervor, die mich bei
der Behandlung des Ganzen leiten werden und daher auch zur vor:
läufigen Berftändigung dienen können:
1) Dan bat auf die nordiſche Mythologie, wie auf diejenige andrer
Völker, mit Vorliebe theils die religionsgeſchichtliche und philoſophiſche,
theil3 die naturgefchichtliche Betrachtungsweiſe angewandt. Allerdings
au find in biefen Mythen die Glaubenslehren und Philofopheme
früherer Alter, es find darin ihre Vorftelungen von der Entftehung
und dem Bau ver Welt, vom Wirken der Naturfräfte und vom Wechſel
der Zeiten niedergelegt. Allein unfre Zeit, die im Richte der geiftigften
Religion erzogen, von den ausgebilvetften philojophifchen Syſtemen
umgeben und mit den kühnſten Fortichritten der Naturkunde vertraut
ift, wird doch, fofern fie nicht etwa ihre eigenen been in die alten
Mythen überträgt, aus diefen, neben dem bloß Biftorifhen Wiſſen, nur
wenigen Gewinn ziehen, wenn gerade Dasjenige vernachläſſigt wird,
was jenen Zeiten, der unfrigen gegenüber, am meiften eigenthümlich ift,
ih meine die völlige Verſchmelzung der Idee mit dem Bilde, die Be:
geiftigung der Natur und die Verfinnlichung des Gedanken, mit einem
Morte die Poefie der alten Glaubens: und Naturlehren. Auch für
unfre ſpecielle Aufgabe ergibt fich ſomit weſentlich der poetifche Stand-
punkt der Betrachtung. -
2) Wenn mir gleich weder in den eigentlichen Göttermythen, noch
jelbft in einem großen Theile der heroiſchen Sagen bes Nordens, eine
Beziehung auf wirkliche biftorifche Berfonen und Ereignifie anzuerkennen
vermögen, jo wird boch eine fittengefchichtlidhe Grundlage derſelben
keineswegs zu beftreiten fein, eben meil alle wahrhafte Volkspoefie
Ausdrud und Erzeugnis ded ganzen Charakters und Lebens der Völker
ift. Eine bejondre Ableitung und Entwidlung der norbiichen Sage aus
dem 2eben, den Schidjalen und Sitten der Nordbewohner wäre jedoch
Ihon darum bedenklich, weil die Sage felbft älter iſt, als alle gefchicht:
lich gegebene Zuftände, aus denen wir fie erklären möchten, fo baß die
legtern wenigſtens ebenfo wohl aus ihr beleuchtet werden Zönnten. Noch
675
mehr aber ift es eine bedeutende fagengefchichtliche Thatlache, daß die
Sage, vermöge ihres poetifchen Beftandes, ihre einmal vorhandenen
Keime mit eigener Triebfraft zu einer von den äußern Verhältniſſen in
mancher Beziehung unabhängigen Entfaltung zu bringen pflegt. Diefes
geiftig felbftändige, innere Leben und Wachsſthum der Eage nun wird
unfer vorzügliches Augenmerf fein, und wenn wir auch auf norbifche
Geſchichte und Sitte ſowohl in allgemeinern Andeutungen, als für
‚einzelne Erläuterungen, Bezug nehmen werden, jo werben wir doc) eine
durchgeführte Zufammenftellung der Cage mit der Eittengefchichte nicht
zu unjrer Aufgabe rechnen und felbft Dasjenige, was vom heidniſchen
Cultus der norbiichen Völker gefchichtlih befannt ift, nur foweit bes
nügen, als es Aufichlüffe über das innere Wefen der Götterlehre ge:
währen fann. Eine Zufammenftellung der vorerwähnten Art ift ohne
Bmeifel nach beiden ‚Seiten nüglich, aber fie wird doch nur mechanisch
und äußerlich ausfallen können, wenn nicht auch jeder Theil in feinem
befondern Elemente durchgearbeitet if. Gewiſs wird daher auch eine
beſoͤndre Behandlung der Sagengefchichte ihren Nuten haben, mie denn
auch eben fie durch die felbftändige Lebenskraft der Eage hiezu vor:
züglich geeignet ift; und näher betrachtet ift ja die Sage, mo fie fi
in größerem Umfang erhalten hat, nicht einmal ein Befonderes, ſondern
fie gibt ung das Geſammtleben eines gejchichtlih untergegangenen
Beitalters.
3) Der poetifhe Standpunkt, den wir im Bisherigen nad) ver:
ſchiedenen Richtungen geltend machten, enthebt den Gegenftanb unfrer
Darftelung auch den befondern Gebieten des Litterarifchen und Techni⸗
ihen. Dieler Gegenftand ift die Eage jelbft, abgejeben von ber zus
fälligen Form ihrer jeweiligen Auffaſſung. Die Frage nah Dichtern
und Verfaſſern ift auf Die Sagenpoefie nicht anwenbbar; das allmähliche
Wachsthum diefer Poeſie in mündlicher Überlieferung läßt den Antheil
des Einzelnen an ihr nicht unterfcheiden und fie erjcheint als Erzeugnis
des gemeinfamen Volksgeiſtes. Werden auch einzelne Sängernamen
genannt, fo tragen doch dieſe felbft das Gepräge des Sagenhaften. Erft
im Gebraudhe der Schrift fordern und befeftigen fich Perfönlichkeiten
und Dichtercharaktere. Da ferner der erfte Urfprung des Sageninhalts
niemal3 zu erreihen und jeve zugängliche Behandlung veöfelben auf
ein Früheres, Gegebenes, hinweift, jo fommt auch die Technif der
676
--— -- — — —
älteren ober jüngeren Auffaſſung für die Sagenkunde nicht in beſon⸗
dern Betradht. Das Litterarifche und Technifche wird uns daher nur
infoweit befchäftigen, als einestheild zum Beleg des Vorzutragenden
und zur Anleitung für eigenes Studium die Bezeichnung der Quellen
und Hülfsmittel erforberlich ift und anderntheils die Form, in der ung
der Sagenftoff überliefert ift, bie Zeit der Aufzeichnung und die Be
fanntfchaft mit den Verhältniffen des Aufzeichners oder Bearbeiters ung
den kritiſchen Maaßſtab für die größere ober geringere Lauterfeit ber
Überlieferung an die Hand gibt. Die Sage felbft ift ein Schwebendes,
Fließendes, das mwir, von jeder beengenden Form abgelöjt, in feinem
freten Elemente verfolgen müſſen.
Anhalt.
Borwort des Herausgebers . .
Sagengefchhichte der germanifchen und romaniſchen Bölfer
Einleitung . .
Erfter Theil. Sagengeſchichte der germaniſchen Boller
Erſter Abſchnitt. Nordiſche Sage . .
1. @ötterfage .
Umriß der Götterfage .
2. Heldenjage
A. Eigenthümlich nordiſche Gelenfagen
1. Frodi der friedfame . .
2. Hervör und Heidret
3. Hrolf Krali . .
4. Half und feine Reden
5. Fridtbjof . .
6. Bier norwegiſche Seiten
7. Hadding . .
8. Regner
9. Amleth
10. Uffo
11. Asmund
12. Fridlev . .
13. Othar ımd Syrith
14. Alf und Alvild
15. Hagbarth und Sagne
16. Halfdan . .
17. Harald Hyidetaud .
18. Starkadr
1. Starkadrs Urfprung und vorbeſtimmies Eat
2. Starkadrs erſtes Nidingswerl .
3. Starkadrs Kriegsfahrten
4, Starkadrs erfte Hofreife .
678
Starkadrs zweite Hofreife
Starkadrs dritte Hofreife
Starkadrs zweites Nidingswert .
Starkadr in der Bravallafhladt .
Starkadrs drittes Nidingswerk
10. Starkadrs Tod ...
B. Deutſch⸗ nordiſche bedenſagen
1. Hildur
2. Völundre.
3. Di Bölfunge
1. Sigurds Ahnen
. Helgi .
. Sigurd . .
. Atlıs Gaftmabhl .
. Spanbild und ihre Brüder
. Aslaug ..
4. Ragnar Lodbrot
5. Nornageft
Allgemeinere Bemertungen ..
1. Über das Berhältnis ber Heldenſage zur Bötterfage.
2. Über den gemeinfchaftlihen Charakter der Götter- und
Heldenfage . ..
3. Über die Organe der nordiſchen Sngmictung .
3. Balladen, Ortsfagen, Mehr chen
1. Balladen..
Skrymners Reim .
Lolis Sage .
Eifenhöh .
Herr Olof
Nitter Tynne
Der Berglönig .
Agnes und der Deermann .
Der Ned. .
Der Harfe Kraft
Bon der Meerfrau
Die Linde
Die Nachtigall .
Der Rabe
Nunenzauber
Bom gefangnen Witter
Das Hirtenmädcdhen
Rofilia .
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DB N