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Full text of "Uhlands schriften zur geschichte der dichtung und sage"

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Al+.xa nd, Kendau . 


uͤhlands Sunen 


zur 


Geſchichte der Dichtung und Sage. 
Siebenter Band. 


—e —— ç — —— 


Stuttgart. 
Verlag der J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung. 
1868. 





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Bucdruderei der 3. G. Gotta’ihen Buchhandlung in Stuttgart. 


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19-34 


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Borwort des Herdusgebers. 


Im Winterhalbjahr 1831 auf 1832 und im darauffolgenden 
Sommer hat Uhland an der Univerfität Tübingen die Sagen- 
geihichte vor einer ungewöhnlich zahlreihen Zuhörerfhaft vor: 
getragen. 

Die BVeröffentlihung von Borlefungsbeften nad) dem Tode 
des Verfaflers ift eine mifslihe Aufgabe, ähnlich wie der Abdruck 
von Privatbriefen, wenn die Schreibenden dazu nicht mehr weder Ja 
noch Nein jagen fünnen. Die volle Verantwortung für den Inhalt 
und insbeſondere für die Form Tann nit dem Verfaſſer, der da- 
mit nicht vor die Leſewelt zu treten beabfichtigte, zugejchoben mer: 
den, aber au nicht dem Herausgeber, der eingreifend zu ändern 
ſich nicht berechtigt fühlte Doch beforge ih nit, daß den in 
vorliegendem Bande veröffentlichten VBorlefungen, wie fie einjt, aus 
dem Munde des Meifters vernommen, auf die Zuhörer eine zün- 
dende und heute nach Jahrzehenden noch unvergefiene Wirkung 
hervorgebracht haben, die warme Theilnahme auch weiterer Kreiſe 
entgehen werde. 

In einzelnen Gapiteln fällt die Darftellung mit den früher, in 
den erften Bänden unferer Sammlung abgevrudten VBorlefungen über 
die Geſchichte der altdeutſchen Poefie zufammen. Zumeilen ift das 
Thema neu überarbeitet; in andern häufigen Fällen weiſt der Ver⸗ 
tafler ausdrücklich auf die früheren Hefte zurüd, in welchen ſich da 
und dort die in unferem früheren Abdrucke auch gewiſſenhaft benügten 
Spuren der jpäteren Überarbeitung fund geben. Es lag in ver 
Natur der Sache, daß diefe wörtlich wiederholten Stellen, zumal 


IV 

folde von größerem Umfang, in der fpäteren Borlefung nicht 
abermals zum Abdruck Tommen konnten und daß der Herausgeber 
ih mit der Verweifung auf die früheren Bände begnügen muſte. 
Sole Stellen, wo der Zuſammenhang unterbroden ift und der 
Leer durch Zurüdgehben auf einen frühern Band die Lücke zu er- 
gänzen bat, find immer durch Sternden (***) bemerklich gemacht. 
Das gleihe Zeichen ift da angewendet, wo Uhland aus fremden 
Merken mehr oder minder umfänglide Mittheilungen in feine Bor: 
träge einfügte. Größere Stellen diefer Art, zumal aus leicht zu— 
gänglihen Werken, find hier, um Raum zu fparen, in der Regel 
nicht abgedrudt worden, fondern einfach durch ein Citat und das 
Zeichen ** erledigt. 

Uhland bat am Rande feines Manuſeripts noch in ſpäteren 
Jahren einzelne litterariſche Hinweiſungen und Bemerkungen ver⸗ 
ſchiedener Art nachgetragen. Ich habe dieſelben, ſoweit ſie mir von 
Intereſſe ſchienen, in den Anmerkungen, in eckige Klammern ge: 
faßt, mit aufgenommen. Was ich ſelbſt oder meine Freunde 
ergänzend oder berichtigend zuzufügen für nothwendig erachtet haben, 
iſt gleichfalls in eckige Klammern eingeſchloſſen, aber immer mit 
der Namensſchiffer des Verfaſſers verſehen. 

Für die Feſtſtellung des Textes und die Anordnung der ein- 
zelnen Abjchnitte dienten bei ver Herausgabe außer dem Original: 
manufcripte des Verfaflerd® die von Hermann Kurz umd von mir 
-in der Borlefung nachgejchriebenen Hefte. 

Zu ©. 234, der Stelle über Bölvis, trägt Liebrecht die Ver: 
weilung auf Bd. 3, ©. 132 ff. nad. 


Tübingen, 26 September 1868. 
A. v. Keller. 





Sagengeſchichte 


der 


germaniſchen und romaniſchen Völler. 


upland, Schriften. VII. 1 


Bu nn 


Einleitung. 


Die Sagengefchichte der germanischen’ und romanifchen Völker ift 
der Gegenftand ver Vorlefungen, die ich für das beworftehende Semefter 
eröffne. Einleitende Bemerkungen zur näheren Beitimmung ber Auf 
gabe, welche hiedurch geftellt ift, fodann über den Weg und die Mittel 
der Löfung, follen uns in ber heutigen Stunde beichäftigen. 

Hafen wir die Aufgabe zunächſt nur äußerlich, fo befteht fie in 
einer gefchichtlichen Darftelung der mündlichen Überlieferungen, die 
bei den genannten Volksſtämmen im Berfolge ber Beiten in Umlauf 
waren. Bon diefer äußern Bezeichnung aber werben wir zur innern 
Bedeutung gelangen, wenn wir ung zu zweien ber angegebenen Merk: 
male die Gegenfäte denken, zu der Sage, der mündlichen ÜÜberliefe- 
rung, bie Ritteratur, den Schriftverkehr, zu den Völkern in ihrer Ge: 
fammtheit die einzelnen Berfaffer beitimmter Werke. Der litterarifchen 
Ausbildung und dem Hervortreten jchriftftellerifcher Perfönlichkeit gebt 
überall ein Zeitalter volksthümlicher Überlieferung voran. Diefe ver: 
ſchiedenen Buftände find Erzeugnis und Ausbrud der innern Geſchichte 
des geiftigen Völkerlebens. So lang alle Kräfte und Richtungen des 
Geiftes in der Poefe gefammelt find, blüht das Reich der lebenbigen 
Gage; jo bald die geiftigen Thätigfeiten fich nach verfchievenen Seiten 
der Erkenntnis zu fondern beginnen, entfaltet fi die Litteratur. Die 
Erfindung der Schrift an fich ift es keineswegs, was eine fo weſent⸗ 
liche Veränderung herborbringt; diefe Erfindung felbit ift nur das Werk 
des für fie erwachſenen geiftigen Bebürfnifjes. Allerdings aber wird 
die Schrift das Mittel, woburd der Antheil der Einzelnen an bem 
geiftigen Gejammtleben und den gefonverten Richtungen desſelben zur 
Erſcheinung kommt und in immer fchärferen Individualitäten ſich 


4 


ausprägt. Und fo beſteht auch umgekehrt die Sage nicht bloß in Ermang- 
lung des noch unerfundenen Buchſtabens, ſondern weil für biefen noch 
gar Fein Bebürfnis vorhanden ift, weil die Bilderfchrift poetifcher Ge- 
ftaltungen ihn gar nicht vermiffen läßt. Eben damit ergiebt ſich aber, 
daß die Sage im Großen und Ganzen auch wirklich nur eine poetifche 
fein Tann; denn wo das Wort weder für abftraltes Denken zugebilvet, - 
noch dur die Schrift feftgehalten ift, Tann eine geiftige Mittbeilung, 
eine dauernde Überlieferung nicht anders gedacht werben, als mittelft 
der Anſchauungen der Einbildungskraft. Selbſt gefchichtliche Thatfachen 
müjten als bloße Gedächtnisfache frühzeitig erlöfchen, wenn fie nicht 
durch poetifche Kräfte, durch Phantafie und Gemüth, gehoben und fort: 
während aufgefriicht würden. Die Sage ber Völker ift biernach weſent⸗ 
lich Volkspoeſie; alle Volkspoeſie aber ift ihrem Hauptbeftande nad 
fagenhaft, ſofern wir unter Sage die Überlieferung durch Erzählen, 
das epiſche Element der Poefie, zu verfteben pflegen. Denn wenn ſchon 
auch der Volfspoefte feine der poetifchen Grundformen völlig fremb ift 
und fie in ihrem urjprünglichften Zuftand die verſchiedenen Dichtformen 
ungetrennt in ſich jchließt, jo kann fie doch immer nur durch Geftalt 
und Handlung, durch das epiſch Anfchauliche, nachhaltigen Beſtand 
gewinnen. 

Das Wejen ver Volls: und Sagenpoefie fol uns zwar eben erft 
durch die gefchichtliche Ausführung felbft in volleres Licht treten; doch 
ſcheint e8 angemeflen, uns über das bisher Aufgeftellte durch einige 
weitere Andeutungen zu verftänbigen. 

Der Drang, der dem einzelnen Menſchen inwohnt, ein geiftiges 
Bild feines Weſens und Lebens zu erzeugen, iſt auch in ganzen Völ⸗ 
tern, als folchen, ſchöpferiſch wirffam und es ift nicht bloße Redeform, 
daß die Möller dichten. Eben in dieſem gemeinfamen Herborbringen 
haftet” der Begriff der Volklspoeſie und aus ihrem Urfprung ergeben ſich 
ihre Eigenjchaften. 

Wohl Tann auch fie nur mittelft Einzelner fi) äußern, .aber bie 
Perſönlichkeit der Einzelnen ift nicht, wie im ber Dichtkunſt litterarifch 
gebildeter Zeiten, vorwiegend, ſondern verſchwindet im allgemeinen 
Bollscharatter. Auch aus ben Beiten ber Volksdichtung haben ſich bes 
rühmte Sängernamen erhalten und, two biefelbe noch jest blüht, wer⸗ 
den beliebte Sänger namhaft gemacht. Meiſt jedoch find die Urheber 


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ber Sagenlieder unbelannt ober beftritten, und die Genannten felbft, 
auch wo die Namen nicht ind Mythiſche fich verlieren, erfcheinen überall 
nur als Vertreter der Gattung, die Einzelnen ftören nicht die Gleich 
artigleit der poetifchen Maſſe, fie pflanzen das Überlieferte fort und 
reihen ihm das Ihrige nach Geift und Form übereinjtiimmend an, fie 
führen nicht abgefonderte Werke auf, fondern fchaffen am gemeinjamen 
Bau, der niemals bejchlofien ift. Dichter von gänzlich hervorſtechender 
Eigenihümlichleit können bier Schon darum nicht als dauernde Erſchei⸗ 
nung gedacht werben, weil die mündliche Fortpflanzung der Poeſie das 
Eigenthümliche nad der allgemeinen Sinnesart zufchleift und nyr ein 
allmähliches Wachsthum geftattet. Vornehmlich aber läßt ein innerer 
„Grund die Überlegenheit der Einzelnen nicht auflommen. Die allge: 
meinfte Theilnahme eines Volkes an Lieb und Eage, wie fie zur Er 
zeugung einer blühenden Bollöpoefie erforderlich ift, findet nothwenbig 
dann fatt, wenn die Poefie, wie zuvor bemerkt wurde, noch ausſchließ⸗ 
lich Bewahrerin und Ausfpenderin des geſammten geiftigen. Beſitzthums 
if. Eine bedeutende Abftufung und Ungleichheit ber Geiftesbilbung 
it aber in diefem Jugendalter eines Volfes nicht mohl geventbar; fie 
kann erft mit der vorgerüdten künſtleriſchen und wiſſenſchaftlichen Ent: 
widlung eintreten. Denn wenn auch zu allen Zeiten die einzelnen 
Naturen mehr oder weniger begünftigt erfcheinen, bie einen gebend, 
die andern empfangend, bie geiftigen Anregungen aber das Geſchäft 
der Eoleren find, jo muß doch in jenem einfacheren Zuftanbe bie poetifche 
Anſchauung bei Allen lebendiger, bei den Einzelnen mehr im Allge: 
meinen befangen gedacht werben. Indem bie geiftigen Richtungen nod) 
ungeſchieden find, haben ſich audy ver Eigenthümlichleit noch Feine be: 
fondern Bahnen eröffnet; das künſtleriſche Bewuſtſein fteht noch nicht 
den Stoffe gegenüber, darum auch feine abfichtlihe Manigfaltigkeit 
ber Geftaltung; der Stoff felbft, im Gefammtleben des Volles feſt⸗ 
begründet, durch lange Überlieferung geheiligt, gibt feiner freieren Will- 
kühr Raum. Und fo bleibt zwar die Thätigleit ber Begabteren unver: 
loren, aber fte mehrt und fördert nur unvermerkt das gemeinfame Ganze. 

Allerdings kann auf keiner Stufe der poetifchen Litteratur, felbft 
nicht bei dem fchärfften Gepräge bichterifcher Eigenthümlichkeiten, der 
Bufammenhang des Einzelnen mit der Gefammtbildung feines Volles 
völlig verläugnet werden. Exfcheinungen, bie in Nähe und Gegenwart 


6 





ſchroff auseinander ftehen, treten in der Ferne der Seit und des Raumes 
in größere Gruppen zufammen und dieſe Gruppen felbjt zeigen unter 
jih einen gemeinfchaftlichen Charakter. Stellt man ſich fo dem ge: 
jammten poetifchen Erzeugnis eines Volles gegenüber und vergleicht 
man es nad außen mit den Gefammtleiftungen andrer Völker, fo be 
trachtet man dasſelbe ala Nationalpoefie; für unfern Zweck war es um 
den innern Gegenfat zu thun, um die Vollöpoefie in ihrem Verhält⸗ 
nifje zur dichterifchen Berjönlichkeit. 

Die Volkspoeſie lebt, wie gezeigt worden, nur in mänblichem Bor: 
trage. Das nun, daß ihre Gebilde lediglich mitteljt der Phantaſie und 
des angeregten Gemüthes durch Jahrhunderte getragen werden, beivährt 
biefelben als probchaltig. Was nicht Mar mit dem inneren Auge ger _ 
haut, was nicht mit regem Herzen empfunden werben fanı, woran 
follte das fein Tafein und feine Dauer Inüpfen? Die Echrift, bie 
auch das Entfeelte in Balfam aufbewahrt, die Aunftform, die auch 
dem LZeblofen den Echein de3 Lebens leiht, find nicht vorhanden. Auch 
niht Wort und Tonweife, im Gedächtnis feitgehalten, können das 
Michtige retten; denn das fchlichte Wort ift in jenen Zeiten feine Schön- 
beit für fi, es lebt und ftirht mit feinem Gegenftande; bie einfache 
Tonweife, wenn fie felbft Dauer haben fol, muß urſprünglich einem 
Zebendigen gedient haben. Je feſter und lebenövoller jene ächten Ge 
bilde baftehn, um fo weniger Tann dad Scheinleben in ihrem Kreiſe 
auflommen und geduldet werben. , 

Worin liegt aber der Gehalt und die Kraft, vermöge - deren fie 
durch viele Gefchlechter unvertilgbar fortbeftehen? Ohne Zweifel darin, 
daß fie bie Grundzüge des Volkscharakters, ja die Urformen natur⸗ 
Träftiger Menfchheit, wahr und ausdrucksvoll vorzeichnen. Glaubens: 
anfichten, Naturanſchauungen, Charaktere, Leivenfchaften, menſchliche 
Berhältnifje treten bier gleichjam in urweltliher Größe und Nadtheit 
hervor; unbermitterte Bildwerke, gleich der erhabenen Arbeit des Ur: 
gebirgs. Darum kann auch gerade ven Beiten, welche durch gefcllige, 
fünftlerifche und wiſſenſchaftliche Verfeinerung folden urfprünglichern 
Zuftänden am fernften und frembeften ftehen, der Rüdblid auf dieje 
lehrreich und erquidlich fein; fo ungefähr, wie der gröfte der römifchen 
Geichichtfchreiber aus feinem welken Römerreih in die frifchen ger 
manifhen Wälder, auf die riefenhaften Geltalten, einfachen Sitten 








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und gefunden Charalierzüge ihrer Bewohner, vorhaltend und weiſſagend 
hinüberzeigte. | 

Wenn wir uns bier die Vollöpoefie nach ihrem vollſten Begriffe 
gedacht haben, fo ift doch Leicht zu erachten, daß fie in ihrer geſchicht⸗ 
lichen Erſcheinung bei verſchiedenen Völkern, nach Gehalt und Umfang, 
in fehr manigfachen Abftufungen und Übergängen fi darſtelle. Wie 
das Leben jedes Volles wirb auch das Bild dieſes Lebens, die Poefie, 
beichaffen fein. Ein Hirtenvolk, in deſſen einfame Gebirgthäler ber 
Kampf der Welt nur fernher in dumpfen Widerhallen eindringt, wird 
in feinen Liedern und Ortsſagen die beſchränkten Verhältniſſe ländlichen 
Lebens, die Mahnungen ber Naturgeifter, die einfachiten Empfindungen 
und Gemüthözuftände niederlegen; fein Geſang wird ibpllifch-Iyrifch 
austönen. Ein Volk dagegen, das ſeit unvorbenklicher Beit in welt- 
geſchichtlichen Schwingungen fick bewegt, mit gewaltigen Scidjalen 
fämpft und große Erinnerungen bewahrt, wird auch eine reiche Dich- 
tung, voll mächtiger Charaktere, Thaten und Leidenſchaften, aus ſich 
erichaffen, und wie fein Leben meitere Kreiſe zieht und größere Zu⸗ 
fammenhänge bildet, wie fich in ibm ein höheres Walten mit jtärleren 
Zügen offenbart, fo werden auch feine poetifchen Überlieferungen ſich 
zum Cyelus einer großartigen Götter: und Helvenfage verlnüpfen und 
ausdehnen. Bei bemfelben Volk aber wird man bie eigentliche Volls⸗ 
poefie in dem Maaße zurüdweichen fehen, in welchem bie Litterarijche 
Bildung und die mit ihr verbundene Herrichaft dichterifcher Perſönlich⸗ 
keit vorſchreiten. Gedeihen und Abfterben der Volfspoefie hängt überall 
davon ab, ob die Grundbedingung berjelben, Theilnahme bes geſamm⸗ 
ten Volles, feft ftebe oder verfage; ziehen die ebleren Kräfte fich von 
ihr zurüd, dem Schriftenthbum zugewandt, fo verfinft fie nothwendig 
in Armuth und Gemeinheit. 

Wir haben die Sage der Völker als Volkspoeſie und zwar als 
eine in Geltalt und Handlung darſtellende Poefie bezeichnet. Hiedurch 
ergibt fih und für die Sagengefchichte weſentlich der poetifche Gefichtds 
punft und eben damit auch. vie Verſchiedenheit unfrer Aufgabe von 
derjenigen, welche fich die Verfafler der befannteften mythologiſchen Ge⸗ 
ſchichtwerke geſetzt haben, Görres in feiner afiatifchen Mytbengeichichte, 
Creuzer und Baur in ihren Darftellungen der Symbolit und Mythos 
Iogie der alten Völler, Mone in ver Gejchichte des Heidenthbums im, 


\ 


8 


nördlichen Europa haben fich vorzugsweife die Glaubensforfhung, bie 
vorchriftliche Religionsgeichichte, zum Gegenitande genommen. So wenig 
nun eine Aufgabe die andere aufbebt, fo ergibt ſich doch mit dem ver⸗ 
ſchiedenen Standpunkt und Zwecke, bier dem poetifchen, dort dem relis 
gionsgefchichtlihen, auch eine bebeutende Verſchiedenheit in der Ab: 
„grenzung ber zu bearbeitenden Gebiete und in der Geltung ber vor: 
liegenden Stoffe. Die Mythengeſchichte in der angegebenen Bedeu⸗ 
tung bat nur diejenigen Sagen in ihren Bereich zu ziehen, in benen 
eine Glaubensanſicht entweder unmittelbar zum Ausdrud Tommt oder 
doch aus ihren Wirkungen zu erkennen ift; der Sagengeichichte in unfrem 
Sinne fallen alle Überlieferungen anheim, welche das Lehen ver Völker, 
in göttliden und menfchlicden Beziehungen, geiftig zurüdfpiegeln. Wenn 
jomit bie Sagengeſchichte allerdings auch die religiöfe Mythenwelt in 
fih aufnimmt und deshalb das Mythologiſche nur einen ergänzenden 
Theil ihres ausgebehnteren Gebietes auszumachen fcheint, jo kommt 
doch auf der andern Seite in Betracht, daß fie fich gerade ba zurückzieht, 
wo die Mytbenforfhung am lebhafteften andringt, da wo ber nadte 
Glaubensfag, das Philoſophem, das in den Bildern liegt, das ent- 
hüllte Myſterium beroortreten will, vor ber priefterlichen Lehre, deren 
Geheimnis den Glaubensforſchern fo bebeutfam ift, die aber, auch ohne 
den Gebrauch der Echrift, zu ber vollsmäßigen Sagenpoefie nicht 
weniger im Gegenfate fteht, als bie litterariſch⸗wiſſenſchaftliche Beſonde⸗ 
rung fpäterer Beiten. Strebt die Mythengefchichte durch alle die bunten 
Entfaltungen der Dichterfabel nach philofophifcher "Einheit, fo vergnügt 
fih die Sagengefchichte, wie wir fie aufgefaßt, an ber reichften poetifchen 
Manigfaltigkeit; find nach der Anficht philoſophiſcher Mythenforſcher 
die Götterlehren der beibnifhen Völker nur Verdunklungen einftiger 
reiner Uffenbarung, nur Trümmer eine gemeinfamen Urſyſtems 
(Scelling, Gottheiten von Samothrace S. 30. 87), und fol bie 
wiffenfchaftlide Mythologie durch alle Trübung und Zerftüdlung jene 
reine und ganze Erkenntnis erfchauen ober erahnen lafien, jo mag es 
fich doch auch in poetifcher Richtung der Mühe lohnen, jene Offenbarung 
der göttlichen Schöpferkraft, die im Geift und Gemüthe ber Menfchen 
unverfieglich fortwirkt, in ihre lebendigen Bilbungen, wie bie volls- 
mäßigen Sagentreife fie barbieten, zu verfolgen. Iſt es verbienftlich, 
Die Gedanken, die in den Mythen verborgen find, rein zu ermitteln 








9 


und in ihren Bufammenbängen barzulegen, fo dürfen doch auch bie 
poetifchen Geftaltungen als foldhe nicht vernachläſſigt werden, d. h. 
fofern fich in ihnen unmittelbar der innere Gehalt ausfpricht, wie aus 
dem Auge die Seele blidt, fofern es eben auf biefe Ungetrenntheit ber 
Idee und der Ericheinung ankommt, ohne welche die Idee bes Weſens 
und die Erſcheinung des Geiftes entbehren müfte. Während num ber 
mythologiſchen Anficht, wo fie ſich allzu einfeitig ausgebilvet hat, bie 
Bötterwelt felbft, ſobald fie fih aus dem lUnbegrenzten und Unge⸗ 
heuren zu geftalten anhebt, ſogleich verdächtig wirb, die Heldenſage, 
das Epos aber nur für eine vermenfhlichte geſunkene Bötterfage gilt !, 
ſo beginnt das poetiſche Intereſſe ber Sagengeſchichte gerade da, tvo 
aus dem Hintergrunde des Unendlichen die Geſtalten hervorſpringen, 
und es fteigt in dem Maaße, als ſich die Schöpfungen vervielfältigen, 
es findet fi) am volllommenften befriebigt, da vo Himmel und Erbe, 
Gottliches und Menfchliches, geftaltenreich und bewegt, zu einem vollen 
Leben in einander greifen. 

Soviel über Sage und Sagengefchichte im Allgemeinen. Welche 
befonbre Arten der Überlieferung in ben Bereich ber letztern fallen, 
werden wir gleich nachher berühren, wo von der Anordnung des ge: 
ſchichtlichen Vortrags zu fprechen ift. 

Zur Beftimmung unfrer Aufgabe gehört aber hauptſächlich noch, 
daß wir und über fie als eine Sagengeſchichte der germaniſchen und 
romaniſchen Völker erklären. 

Es iſt die nationale Stellung, von der aus wir unſern Kreis be⸗ 
ſchreiben. Das deutſche Volk hat eine reiche, zum umfaſſenden epiſchen 
Cyklus ausgebildete Heldenſage und neben dieſer noch hat es manigfache 
andre Sagenbildungen angeſetzt. Aber das vorhandene felbft weit ung 
auf Vieles hin, mas einft vorhanden var und was dem auf und Ge 
fommenen zur Erllärung dienen ſollte. Dieſes gilt beſonders in Be: 
ziehung auf den mythiſchen Beftand der Sagen. Suchen wir Ergän- 
zung und Aufllärung, jo müflen wir unfern Geſichtskreis auf diejenigen 
Völker erweitern, die fi) uns durch Sprachverdandtichaft ala Glieder 
bed großen germaniſchen Gefammtftammes bewähren. So nun zeigt 
fh uns vorzüglich bei den Völkern des flandinaviichen Nordens eine 


1Mone I, 827. 


- 


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gemeinfame Götterlehre, dort noch ganz und Klar, bei und zertrümmert 
und verbleidht, eine gemeinfame Heldenſage und, auch mo die Sagenäjte 
ſich ſcheiden, der gemeinfchaftliche Urfprung. Überhaupt aber wird 
. uns jebeö der politifch untergegangenen oder noch blühenven germanifchen 
Völker, fofern von den erftern überhaupt nähere Kunde geblieben ift, 
wechfelfeitige Beziehungen für die Kenntnis volfsthümlicher Überliefe> 
rung eröffnen. Damit erftredt fich unſre geſchichtliche Forſchung und 
Darftellung über die Geſammtheit der Völker des germaniſchen Sprach 
und Volksſtammes. 

Mas aber die romanischen Volker betrifft, d. h. diejenigen, deren 
Spraden aus der Bermifchung ber altlateinifchen mit andern, vorzüglich 
germanischen Idiomen hervorgegangen find, jo bat bei ihnen, mit den 
Einflüffen der germanischen Eroberungen überhaupt, auch die Sagenpoejie 
der Eroberen, wenn gleich diefe die Sprache der Beliegten annahmen, 
fih wirkſam und fruchtbar erwieſen, und foweit dieſes der Fall iſt, follen 
darum auch fie in den Kreis unfrer Aufgabe gezogen werben. 

Bon den nichtgermaniihen Volksſtämmen, welche vor oder nad 
den Germanen ſich in europäifchen Ländern angefiebelt haben, find 
befonder8 ber keltiſche und der ſlaviſche durch reichere Sagendichtung 
ausgezeichnet; ihre Sagen bieten auch, wie es nicht bloß die Nachbar: 
ſchaft, fondem auch die weitere Verwandtſchaft aller europäiſchen Stämme 
mit ſich bringt, manche Beziehung zu ber germaniſchen dar; aber die 
Aufgabe zu einer europäifchen Sagengefchichte auszubehnen, würde mir 
fhon die Unbelanntichaft mit ben leltiſchen und flavifhen Sprachen 
verbieten. Soweit jedoch in Frankreich und England die Mythen und 
Sagen ber ältern keltiſchen Einwohner mit den germanifchen fich vers 
bunden und vermengt haben, werben auch fie, nach Maßgabe ber 
zugänglichen Mittel, in Betracht gezogen werben. 

Über den Weg zur Löfung der Aufgabe, wie fie im bisherigen 
geſtellt wurde, über die Anoronung der gefchichtlichen Darftellung, füge 
ih Weniges bei, da fi) das Verfahren doch nur am Gegenftande felbft 
erproben kann. 

Bor Allem bringt e3 ber entwidelie Begriff der Sage mit ſich, 
daß wir ſie von der Litteratur völlig ablöſen. Nicht als ob unterlaſſen 
werden dürfte, überall die litterariſchen Quellen und Hülfsmittel anzu⸗ 
geben, aus denen und durch welche die Kenntnis der Sage zu ſchöpfen 


11 


if. Aber das Schriftwerk als foldyes, das einzelne Gedicht, als Kunft: 
ganzes, der jeweilige Verfafler und Drbner find ung nicht von mefents 
lichem Intereſſe, fie gehen uns nur in fo weit an, als uns bie nähere 
Belanntichaft mit ihnen Merkmale für die kritiſche Würdigung der 
vollsmäßigen Echtheit der in Schrift gefaßten Sage darbietet. Der 
poetifche Stil, die Eprade, bie äußere Kunftform find ung eben fo 
wenig für fih von Belang. Eine Aufzeihnung und Behandlung, 
weiche das gröfte technijche Ungeſchick verräth, Tann ung wichtiger fein, 
ald die künfileriſch lobenswertheite Bearbeitung; jene läßt vielleicht, 
eben wegen Unvermögens bes Verfaſſers, felbit etwas zur Sache zu 
thun, den urfprünglichen Eagenbeitand viel unverletzter, ala bie ge: 
ſchicktere Hand des felbftthätigen Bearbeiterd. Dichter, ald Individuen 
von eigenthümlicher Perfönlichleit, Tommen nad) dem, was über das 
Wefen der Volkspoeſie gejagt worden, hier nicht vor; handeln wir von 
den Etinnmen, durch welche der poetifche Geift der Völler m Eang 
und Eage fi ausfpradh, fo kann nur von ganzen Klaſſen der Sänger 
und Sagenerzähler die Rebe fein. Überall muß unſer Befireben dahin 
geben, die Eage aus allen Formen, in die fie eingefangen ift, mieber 
frei und flüfiig zu machen, fie tem beiveglichen Elemente, in dem fie 
geworden und gewachſen tft, zurüdzugeben. 

Wo in den vorhandenen ESchriftventmälern die Sage ſchon in 
großen und echten Geftaltungen vorliegt, werden davon Auszüge und 
Umriffe gegeben werben, mit Weglaflung alles deſſen, was fi Un: 
weſentliches ober Fremdartiges beigemijcht bat. Am beften wirb immer 
die Sage jelbft jprechen. Freier muß gelondert und verknüpft werden, 
wo Beitanbtheile verjelben Sage in mehreren, oft nad Beit und Sprache 
getrennten Denkmälern auseinander liegen. Endlich find oft nur ein 
zeine, faft verjunlene und erlofchene Überrefte und Andeutungen vor: 
handen, welche doch, wenn jebe leifere Spur verfolgt, wenn alles Ber: 
freute emfig gelammelt wird, unverhofft zu bebeutendern mythiſchen 
und fagenbaften Verbindungen anfchiwellen. | 

Den Auszügen und Sombinationen follen dann Erläuterungen und 
Betrachtungen über Gelchichte und Bedeutung ber Sagen und Sagen» 
kreiſe nachfolgen. 

Mit der Götterfage, dem Mythus im engeren Sinne, wird da, 
wo eine foldhe in größern und erkennbaren Zügen vorliegt, der Anfang 


12 


gemacht werben. Daran reiht fich die Helbenfage, der epiſche Cyklus. 
Drtsfagen, Geſchlechtsſagen, 'fonftige vereinzelte Sagen von mythiſchem 
oder geichichtlichem Anſtrich werben ver Götters und Helbenjage zur 
Ergänzung und Beltätigung dienen können, oder von dort ihre Erklä⸗ 
rung erhalten. Balladen, epifch-Iyrifche Volkslieder, werben bald als 
die einfachen Typen größerer Dichtungen, bald als rhapſodiſche Bruch 
ftüde verlorener Lieverfreife oder als halb unkenntlich gewordene Um⸗ 
wandlungen älterer Mytben und Sagen, unfre Aufmerkjamleit in An- 
ipruh nehmen. An manden Orten werden wir aber aud in den 
Volksballaden fich eigene und neue Sagenkreife „geringeren Umfangs 
bilden fehen. Manches endlih, was Mythus und Epos in feiter 
Geftaltung, beitimmter Bedeutung, georbnetem Zuſammenhang unter 
gefchichtlichen Namen und örtlicher Bezeichnung aufführen, wirb uns 
das Märchen in kindlichem Spiel, in phantaftifcher Auflöfung, namen⸗ 
und beimatlos, twiebergeben. 

Aber nicht bei jedem Volke werben uns alle dieſe Arten der Über: 
lieferung, Götterfage, Heldenfage, Oris⸗ und Geſchlechtsſage, Ballade, 
Märchen, in fo vollftänviger Folge zu Gebot ftehen. Ofters werben 
wir erſt aus der Heldenfage auf bie untergegangene Götterwelt zurüd- 
fchließen müflen oder nur noch aus Lolalfagen, Volksliedern, Märchen 
den erfterbenden Nachhall vollerer Sagenllänge vernehmen. 

Das Ganze unſrer geichichtlichen Darftelung ordnet fich in zwei 
Haupttheile, deren erſter die Sagengeſchichte der germaniſchen, ber 
zweite die ber romanifchen Völker behandeln wird. Jeder der beiben 
Haupttheile zerfällt dann, nach ven Völkern, bie ihm angehören, in 
untergeorbnete Abjchnitte. 

Die Litteratur der Quellen und Hülfsmittel wird je bei ben be 
fondern Abichnitten, bei ven Sagenfreifen und einzelnen Sagen, ans 
gegeben werben. 

Allgemeinere Litterarnotigen am Schluſſe diefer Einleitung bei⸗ 
zufügen, bin ich darum nicht im Stande, weil mir Feine umfafjenbere 
Sagengefchichte in dem anggeigten Sinn beiannt iſt. Am nädjiten 
noch eignet ſich bieher die ſchon erwähnte Geſchichte des Heidenthums 
im nördlichen Europa von F. J. Mone, 2 Theile, Leipzig und Darm⸗ 
ftabt 1822 (au als 5ter und Gter Theil der creuzeriſchen Symbolik 
und Mythologie der alten Völker). Mones Standpunkt ift aber ganz 


13 


der religionsgeſchichtliche und erſtreckt fi in dieſer ausfchlieklichen 
Richtung aud auf bie finnifchen, ſlawiſchen und keltiſchen Völker⸗ 
ftämme. 

Eben der Umftand, daß bie von mir betretene Bahn erft verfucht 
werben muß, wird auch zur Folge haben, daß ich die große Mafje des 
für eine folhe Sagengeſchichte nöthigen Materials auf das erſte Mal 
weder jo vollftändig noch fo burchgearbeitet werde geben können, als 
es bei längerer Bearbeitung nad) meinen eigenen Anforberungen ges 
ſchehen follte. 


Erfter heil. 
Sagengeſchichte der germaniſchen Völker. 


Erfter Abſchnitt. 
Uordiſche Sage. 


Die Völker des ſtandinaviſchen Nordens, Norweger, Jsländer, 
Schweden und Dänen hatten in der ältern Zeit eine gemeinſchaftliche 
Eprade, die norbifche, tunga norreena. Dieje lebt, nachdem fie ſich 
bei den Übrigen in Mundarten geipalten und ausgebildet, wozu aller: 
dings ſchon ältere Verfchiedenheiten den Keim enthalten mochten, im 
heutigen Isländiſchen fort. Ebenſo hatten dieſe Völker gemeinſame 
Götter: und Helvenfage, an der mohl jedem fein befondrer Antheil zu: 
fommen mag, die aber doch in ein großes Ganzes verſchmolzen ift und 
"deren Denkmäler in jener altnorbifhen ober isländiſchen Sprache ver: 
faßt find; noch bei der jpätern Trennung der Sprachen läßt fi in 
Volksliedern und Volksſagen die einftige Gemeinjchaft erfennen. 

Den Isländern gebührt vorzugsweiſe das Verdienſt, die gemein: 
fame Sage aufgefaßt, gefammelt, bewahrt und aufgezeichnet zu haben; 
und diefe Bemühungen find wohl auch nicht ohne Einfluß auf die 
innere Geftaltung der Lieber und Sagen geblieben. Es wird darum 
nicht unpaflend fein, einiges über die befondern Berhältnifie, wodurch 
das Heine Inſelvolk in diefe Wirkſamkeit verjegt wurde, voranzuſchicken. 

Die Inſel Island, von Schneegebirgen ftarrend, baumlos ber 
Iharfen Winde wegen, von Heerben beieibet, die des Schmudes der 
Hörner entbehren, von Treibeis umlagert, auf dem ber Bär von Grön- 
land berunterfhwimmt, nah Wintern und Nächten (wie der Norben 





15 


überhaupt), ftatt Eommern und Tagen, bie Zeit meſſend, fcheint freilich 
nicht zum Garten der Poefte gefchaffen zu fein. Aber wie dort oft die 
Eisrinde kracht und ber Hella Flammen wirft, wie aus den ftarren 
Sümpfen fievende Qucllen hoch auffpringen, fo hat auch die Poeſie 
dem Eife getrogt und begreiflih ift, daß der gewaltige und’ ernfte 
Charakter der nordiſchen Natur ſich der norbifchen Poeſie mittheilen mufte. 

Gegen das Ende des neunten Jahrhunderts wurbe Island von 
Norwegen aus bevöllert. Harald Echönhaar, ein Häuptling im ſüd⸗ 
lichen Norwegen, warb, wie bie Sage melbet, um eine Jungfrau, bie 
ihm ihre Hand nur um den Preis zuficderte, wenn er das ganze Nor- 
wegen, welches damals unter eine große Zahl Heiner Könige vertheilt 
war, fih unteriverfen würde. Da gelobte Harald, fein Haar nicht 
eber zu fchlichten oder zu fchneiben, bis er bes ganzen Landes Meifter 
wäre. Er löfte fein Gelübde und warb Gründer eines norivegifchen 
Reiches. Die Stammhäupter aber und andere freie Männer, bie bes 
Exoberers Herrichaft nicht ertragen wollten, wanderten aus. Biele 
fuchten ihre Zuflucht auf Island und fo entftand bier ein Freiſtaat, 
ber fich bis über die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts ungbhängig 
erhielt. Das Chriftenthum wurde um das Jahr 1000 auf Island 
eingeführt. | 

Se weniger das, neue Baterland den Einwanderern barbot, um 
fo mehr waren fie zu reger Kraftanftrengung aufgeforbert und auf 
geiftigen Zebensgenuß bingetviefen. Viehzucht und Fifchfang genügten 
ihnen nicht, fie durchſtrichen das Meer, erit ala Seeräuber, bald auch 
ala Kaufleute. Wer nicht fremde Lande gefehen Hatte, galt nichts in 
der Heimath. Es war ein Sprichwort: „albern ift das heimische Kind“. 
Hinwider Iud die Ruhe eines achtmonatlihen Winters ein, das Er: 
fahrene in ber Erinnerung aufzufaflen, geiftig zu verarbeiten, erzählend 
mitzutbeilen. In der äußern Abgeichievenheit warb das innere Leben 
tege und die Lieder ertönten auf Island, eben wie dort nur in den 
falten und finftern Winternädhten der Echwäne lieblicher Gefang ge: 
hört werven fol. Götter und Helden traten im Liebe leuchtend berbor; 
was dem einzelnen Mann, was einzelnen Geſchlechtern, was dem ganzen 
Volke Dentwürbiges begegnete, was auf land, was im ganzen 
Norden Erhebliches fich ereignete, warb in ver Sage aufbewahrt. 8 
land war dem übrigen Norden als ein Spiegel gegenübergeftellt und auch 


16 


von manchem ferneren Lande ficlen Bilder hinein. Bon Jsland giengen 
die Elalden aus, die an ben Königähöfen der nordiſchen Reihe und 
der weltlichen Inſeln fangen. 


1. Götterfage. 


Hauptquellen: Die beiden Eben. 

Die ättere oder Sämunds -Edda it eine Sammlung von Götter- umd 
Helbenliedern, muthmaßlich durch Samund Sigfuflon, einen isländiichen Geiſt⸗ 
tichen, vor 1182 veranflaltet. Außer der großen Ausgabe, die zu Kopenhagen 
in 8 Onartbänden, 1787 bis 1828 (der dte Band enthält zugleich das mytho⸗ 
Logifche Lericon) erſchienen, ift befonders die Handausgabe von Raſk und Afze 
lius, Stodholm 1818, 8, zu bemerien. [Reue Ausgaben von Mund, Liming, 
Möbius. 8.) 

Dentfche Überfegung von Studach, Nürnberg 1829, 4. 1te Abth. (Mecenf. 
von Wachter in Ien. Lit. 8. Mai 1831. Nr. 89 bis 91), Legis, Gräter u. a. 

Die jüngere Edda des Snorre Sturlefon, Lagmann auf land, der 1241 
ermordet wurde, ift ein Lehr⸗ und Handbuch der norbiichen Poefie, das in 
profaoifhen Auszügen zufammenftellt, was die ältern, noch vorhandene und 
verloren gegangene Lieder von den Böttern gefungen. 

Nach der Husgabe von Nefenius, Kopenhagen 1665, 4, if fie von Naff, 
Stodholm 1818, 4, vollftänbiger und kritiſcher herausgegeben. [Neu Kopen- 
hagen 1848 bis 18652. R.] Nach der dänifchen Überfehuug von Myerup ift fie 
ins Deutfche übertragen von U. Rühs, Berlin 1812. 

[Beide Edden im Auszug liberfegt von Simrod. 8.) 


Umriß der Gdötterjage. 


Am Anfang der Zeit war nichts, nicht Sand noch See, nicht 
fühle Wogen, nicht grünes Gras, nirgends Erde, noch Himmel oben, 
nur der gähnende Abgrund (Ginnunga:gap, Chaos). Aber lange vor 
der Erde war Niflheim geſchaffen, die Nebelwelt; in ihrer Mitte fließt 
der Quell Hpergelmir und aus ibm ſtrömen zwölf Flüffe, die Elivagar 
beißen. Wenn dieſe foweit von ihrem Urfprung kommen, baß das 


Gift, das mit ihnen floß,. verhärtet, fo wird daraus Eis, und Schichte 


ſchiebt fih auf Scichte in Binnungagap. So warb deſſen nörblidhe 
Gegend voll von Eis und Froſt, voll Sturmes und Unwetters. Südlich 


0; TE — — —— 


17 


aber iſt eine andre Welt, Muſpell, Muſpelheim/ heil und heiß, flammend 
und brennend; ihr Herrſcher Surtur, der Schwarze, ber einſt die ganze 
Melt mit Feuer verzehren wird. Bon den Feuerfunken nun, die aus 
Mufpelheim herüberflogen, war ber ſüdliche Theil von Ginnungagap 
warm, hell und milde, wie mwinditille Luft. Und als der Hauch der 
Wärme dag Eis traf, ſchmolz es und floß in belebten Tropfen niever 
und daraus warb eined Mannes Bild, der Rieſe Imer. Er mar böfe, 
wie alle feine Ablümmlinge. Zunächſt nad Ymer entitand aus dem 
aufgethauten Eife die Kuh Aubumbla, die mit vier Milchſtrömen aus 
ihren Eutern den Rieſen nährt, Diefer fchlief und fiel in Schweiß, 
da erwuchs unter feinem linken Arm ein Mann und eine Frau, und 
fein einer Fuß zeugte mit dem andern einen Sohn. Daher ſtammt 
das Geſchlecht der Hrimthurfen, Frofiriefen. Die Kuh Audumbla aber 
beledite die mit Reif belegten Saljfteine und am erften Tag entftanden 
aus den Steinen Menfchenhanre, am zweiten ein Haupt und am 
dritten ein ganzer ſchöner und Fräftiger Mann, Bur genannt. Sein 
Sohn war Bör, der mit Beftla, der Tochter des Joten Bölthor, drei 
Söhne zeugte, Odin, Vili und Be, die Beherricher des Himmels und 
der Erde. Börs Söhne erfchlugen Ymern und in feinem Blut ertrant 
dad ganze Geſchlecht der Hrimthurſen, einen ausgenommen, Bergelmer, 
der mit feiner Frau in einem Boot ſich rettete, der Stammvater neuer 
Rieſengeſchlechter. Die drei Götter aber, Börs Söhne, brachten ben 
erichlagenen Ymer mitten in Ginnungagap; aus feinem Fleiſche ſchufen 
fie die Erbe, aus ben Knochen Berge, aus dem Haare Wald, aus dem 


Blute, das feinen Wunden enifloffen war, das Meer, rings um die 


Erbe, aus der Hirmjchanle den Himmel, aus dem Hirne die ſchweren 
Wollen” Funken und Strahlen, die von Muſpelheim ausgeworfen 
waren, feßten fie als Geftirne an und unter den Himmel. Der Nadıt 
und dem Tage, der Sonne und dem Monde beftimmten fie ihren Lauf. 
Die Nacht fährt heran mit dem Nofle, welches Hrimfari (Neifmähne) 
beißt und jeden Morgen mit dem Schaume feines Gebiſſes die Erbe 
betbaut, Das Roſs des Tages heißt Skinfaxi (Olanzmähne), denn 
Zuft und Erde leuchten von feiner Mähne. Als aber die Sonne 
ſüdlich auf die kühlen Steine ſchien, da keimten aus dem Grunde grüne 
Gewächſe. 

Unter die vier Ecken des Himmels ſetzten die Götter vier Zwerge: 
. Apland, Schriften. VI. 2 


18 


DR, Weit, Süd, Nord. Am nörblicden Ende deöfelben ſitzt der Ibtte 
Hräfvelg (Leichenſchlinger) in Molergeftalt. Wenn er mit feinen Flügeln 
weht, fo geht der Mind aus über die Erbe. Zu Außerft an den Ufern 

des erdumkreiſenden Meeres erhielten die Rieſen Land. Gegen fie ift 
von innen ringsumber eine Wehr errichtet aus den Augenbrauen Ymers. 
Dieß ift Midgard, außerhalb ift Utgard; erfteres die Welt der Götter 
und Menfchen, letzteres, befonbers gegen Norden, bie ber Rieſen⸗ 
gefchlechter. 

Die Schöpfung der Menfchen aber geſchah alfo. Da Bra Söhne 
am Ufer giengen, fanden fie zwei Hölzer, Aſt und Embla (Eiche und 
Eller) und ſchufen Menfchen baraus. Der erfte, Odin, gab ihnen Geift, 
der andre Berftand, der britte Blut und Farbe. Von Aſk und Embla 
ftammt das Menfchengefchledht, das feine Wohnung in Midgard erhielt. 

Mitten in der Welt aber bauten fidh die Götter eine Burg, die 
Asgard genannt ward. Denn das Göttergefchleht, das von Dbin 
ftammt, bat den Namen Wen. Diejes Gefchledht ver Afen ift hell und 
ſchön. Der höchſte der Aſen ift Odin ſelbſt. Er herrſcht über alle 
Dinge. Allvater heißt er, weil er aller Götter und Menichen Vater 
if. Die andern Götter, jeber wie er Macht bat, dienen ihm, tie 
Kinder einem Vater. Wenn er auf feinem Hochſitze Hlidſtjalf thront, 
fo ſieht er über die ganze Welt und jchaut jebes Menfchen Thun. Auf 
feinen Schuliern fiken zwei Raben, Huginn und Muninn (Gebanfe 
und Gedächtnis), die ihm ins Ohr fagen Alles, was fie hören und 
ſehen. Er läßt fie jeden Tag die Welt umfliegen und zur Mittagszeit 
kommen fie wieder zurüd, Cr hat nur ein Auge, das andre liegt im 
Brunnen ber Weisheit. Wenn er zum Kampfe zieht, trägt er den 
Goldhelm und führt den Speer Gungnir, der immer trifft. Seine 
Gemahlin ift Yrigg, die das Schickſal ver Menſchen kennt, obgleich fie 
e3 Teinem offenbart. Thor, Odins Sohn, der erfte nad dem Vater, 
ift der ſtärkſte aller Götter und Menfchen. Er fährt in einem Wagen 
mit zwei Böden befpannt. Drei Kleinove hat er: den Hammer, vor 
dem die Niefen zittern und ber in feine Hand zurüdfliegt, wohin er 
ihn geworfen bat; den Gürtel, durch den feine Kraft verdoppelt wird, 
wenn er ihn um ſich fpannt; die Eifenhandichuhe, momit er den Hammer 
faßt. Sein meiftes Geſchäft ift der Kampf mit den SHrimthurfen. 
Odins zweiter Sohn ift Baldur der Gute, der von Schönheit glänzt, 


a 


» 39 


den Alle lieben und loben. Er ift der mildeſte, meijefte und berebtefte 
der Alien. Seine Urtheile fann Niemand ändern. Nichts Unreines 
darf in feiner Wohnung fein. Sein Sohn ift Forfeti, der Schlichter 
alles Streites, vom dem Alle, die fich in jchwierigen Sadıen an ihn 
wenden, ausgeföhnt hinweg geben. Niörd, der dritte Aſe, herricht über 
den Gang bes Windes und ftillt Meer und Feuer. Ihn ruft man auf 
der See und bei ver Fifcherei an. Er kann Reichthum und Überflu 
verleihen. Seine Frau, Stabi, liebt dagegen das Gebirg, mo fie, auf 
Schrittſchuhen fahrend, mit ihrem Bogen die Thiere verfolgt. Njörds 
Kinder find Freyr und Freya. Jener, der Sohn, gebietet über Regen 
und Sonnenfcein und die Fruchtbarkeit der Erbe. Ihn muß man 
anrufen um gutes Jahr und Frieben. Er ift auch der Reihen Schutz⸗ 
gott. Seinen Wagen zieht ein Eber, Gullinburfti, der in ber Luft 
und auf dem Meere, Tag und Nacht, dabinfahren Tann; mag es noch 
fo dunkel fein, des Ebers goldene Borften geben Helle genug. Freya, 
die Tochter, tft die verebrtefte der Afinnen, die vornehmſte nach Frigg. 
Eie wird um das Glück der Liebe angeflebt. Sie ift eine Freundin 
der Lieber und erhört gerne, die fie anrufen. Mit ihrem golbnen 
Halsichmude, Brifing, fährt ſie auf einem Wagen, der von zwei Katzen 
gezogen wird. Ihr Gemabl, Dir, ift fern vom ihr gezogen, ihn fucht 
fie und bie Thränen, die fie um ihn meint, find roth wie Gold. Kühn 
und tapfer ift Tor. Er waltet über den Sieg in der Schlacht, darum 
müfjen bie Kriegsleute ihn anrufen. Zur Verſöhnlichkeit unter ben 
Menfchen trägt er wenig bei. Einhändig ift er, feit er die Kühnheit 
hatte, feine Hand dem Wolfe Fenrir in den Rachen zu fteden. Bragi 
ift ein Meifter in der Dichtkunſt, der Skalden erfter; nach ihm wird 
die Dichtlunft Bragur genannt. Seine Frau ift Idun. Sie verwahrt 
die Apfel, wovon die Götter fpeifen, wenn fie anfangen zu altern; 
bavon werden fie alle wieder jung. Als Idun einit entführt war, 
wurden die Götter alt und graubanrig. Die Afın Saga trinkt jeden 
Tag mit Odin aus golonen Schaalen. Der Götter Bote ift Hermodr, 
Odins Sohn, ihr Wächter aber Heimball, von neun Jungfrauen ge: 
boren, mit Golbzähnen. Diefer wohnt am Ende des Himmels, um 
vor den Rieſen die Brüde Bifröft zu wahren, die von der Erbe zum 
Himmel geht und die wir Regenbogen nennen. Er bedarf weniger 
Schlaf als ein Vogel, fieht bei Nacht ſo gut ald am Tage, hundert 


20 


Meilen weit, und hört Gras und Wolle wachſen. Sein Horn, Gjallar⸗ 
born, wird in allen Welten gehört. Noch werben Andre ben Aſen 
und Alinnen beigezäblt, darunter Loki, der Rieſenſohn, der Berleumber 
der Aſen, eine Schande für Götter und Menſchen. Er ift von fehönem 
Ausſehen, aber böfen und unbeftändigen Sinnes. Bor Andern ift er 
liftig und behend. Er gibt den Aſen ſtets verberblichen Rath und hat 
fie oft in fchlimme Verlegenheit gebracht, oft aber half er ihnen wieber 
durch feine Schlaubeit. Er hat Schuhe, womit er in ber Luft und im 
Meere fchreiten Tann. Er bat mit der Riefin Ungurbobi drei unge 
beure Weſen erzeugt: den Wolf Fenrir, der einft Odin verſchlingen 
wird, die Erdſchlange, Jörmungand, die, mitten im Meere liegend, 
alle Länder umſpannt und ſich in den Schweif beißt, ſodann Hel, die 
Todesgöttin, von wildem und furchtbarem Ausſehen, halb blauer, halb 
menſchlicher Farbe, zu deren unterirdiſcher, hochumhegter Wohnung 


die geſandt werben, die vor Alter und an Krankheiten geſtorben ſind. 


Meineivige, Meuchelmörver, Ehebrecher kommen nah Naftrönd, ein 
abjcheuliches Gebäube, fern von der Sonne, aus Schlangen gewoben, 
welche Gift nach innen fpeien, fo daß die Bewohner in Giftftrömen 
waten. 

Im Himmel aber find viel herrliche Wohnungen. Jedes ber vor 
nehmften Aſen hat feinen eigenen Saal. Valhall, Odins weiter, leuch⸗ 
tender Saal, nimmt Diejenigen auf, die im Streit und auf dem Wahl- 
plage gefallen find. Ste beißen dann Einberiar. Valhalls Dad ift 
mit golbenen Schildern belegt. Die Ballen blinten von Gold. Auch 
die Wände find rundum mit Schildern, ftatt mit Teppichen, gefchmüdt 
und mit Speerichäften getäfelt. Abends erhellen blanfe Schwerter den 
Saal, fo daß es keiner andern Erleuchtung bedarf. Dort fpeifen bie 
Einheriar vom Fleiſche des Ebers Sährimnir, der jeden Tag gelockt 
wird und am Abend wieder ganz ifl. Aus dem Euter der Ziege 
Heidrun, die das Laub von den Ziveigen des Baumes Lärad frißt, 
fließt foviel: Meth, daß alle Einheriar vollauf davon zu trinken haben. 
Odin ſelbſt bebarf Feiner Speife, da ihm Wein zum Trank und zur 
Speife dient. Das Eſſen, das auf feinen Tiſch Tommt, gibt er feinen 
beiven Wölfen, Geri und Freki. eben Morgen rüften ſich die Ein 
heriar, geben hinaus in den Hof, Tämpfen und tödten einander; aber 
um die geit des Mahles reiten fie wieber alle heim zum Saale, ſitzen 


21 


einträchtig am Trinktiſch und trinfen Bier mit. den Afen, das ihnen 
die Ballyrien bringen. Die Ballyrien find Jungfraun, die Odin zu 
jevem Kampf ausfendet. Sie reiten hin, um bie Schlacht zu lenken, 
über den Sieg zu gebieten und ben Männern den Tod zu mählen. 


‚Sie weben Gewebe der Schlacht mit Schwertern und bluttriefenben . 


Speeren. In Balhall aber dienen fie und walten bes Bechers. 

Der Götter heiligfte Stelle, wo fie täglich Gericht halten, ift bei 
der Eiche Yggdrafill. Ihre Zweige breiten fich über Die ganze Welt aus 
und reichen hinauf über den Himmel, Drei Wurzeln hat fie, deren 
eine zu den Aſen und den Menſchen, bie andre zu den Hrimtburfen, 
die dritte zu Niflheim und zum Brunnen Hvergelmir, der voll Schlangen 
ift, fich erftredt. Bei der mittlern Wurzel ift Mimirs Brunnen, worin 
Weisheit und Berftand verborgen find. Der Eigner des Brunnens tft 
voll Weisheit, weil ex. jeden Morgen daraus trinkt. Einmal Tam 
Allvater dahin und verlangte einen Trunk, der ihm aber nicht eher 
gewährt warb, bis er ein Auge zum Pfande fehte. Bei der Wurzel 
aber, die zu ben Aſen gebt, ift Urds Brunnen, ber ſehr Beilig ift. 
Zwei Schwäne ſchwimmen darin und an ihm wohnen die drei Normen 
Urd, Berbandi und Stuld (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft), welche 
der Menfchen Lebenszeit beftimmen und die Runen des Schickſals 
zeichnen. Taäglich befprengen fie bie Eiche mit dem Waſſer des Brunneng, 
damit fie nicht verborre noch verfaule. Mehr Drangfal duldet dieſe 
Eike, als Sterblihe wiſſen; vier Hirfche laufen in ihren Zweigen 
umber und beißen die Knofpen ab, an der Seite modert fie, an ber 
Wurzel, die zu Niflbeim geht, nagt der Drache Nidhöggr. Dben fibt 
ein Aar, ber viele Dinge weiß, zwiſchen feinen Augen ber Habicht 
Veburfölnir; das Eichhorn Ratatbskr aber läuft am Baume auf und 
ab und trägt des Adlers Worte der Schlange zu. 

Außer den Göttern (Ajen), den Riefen (oten) und den Menfchen 
find noch andre Geſchlechter: die Banen, die Alfen, die ſich in Licht: 
alfen und Schwarzalfen tbeilen; letztere werden auch gleichbedeutend 
mit den Zivergen genommen, die zuerit als Würmer in des Urriefen 
Ymers Fleiſche zu Leben anftengen, nachher aber mit Willen der Götter 
Berftand und Menichengeftalt erhielten. 

Der Kreis der Afen felbft bat ſich zum Theil durch Vermiſchung 
mit Vanen und Joten gebildet. Das Leben der Götter in Asgard ift 


A 


= 


N 


nicht von Anfang fo geivefen und mwirb auch im Laufe ber Zeiten vers 
gehen. Als Asgard noch auf Erben ftand, mar ein goldnes Alter bes 
Friedens, bis jene Bermifchunger vorgiengen. Odin ſchleuderte ben 
Speer unter das Boll und das warb ber erfte Krieg auf Erben. Wohl 
werben die Ungeheuer, bon denen den Göttern Berberben broht, ge: 
bunden, aber fortwährend ertönen die Weiffagungen bes Weltunter 
gangs, der Götterbämmerung, Ragnaröf. 

Noch ift zwar die Macht der Götter gefichert, jo lang Baldur der 


‚Gute lebt, Odins fchöner und milber Sohn. Doc Balbur jelbft hat 


viele Träume, daß fein Leben in Gefahr fei. Als er fie den Alten 
erzählt, halten fie Rath darüber und es wird beichloffen, ihm Sicher: 
beit gegen jede Gefahr zu verſchaffen. Frigg, feine Mutter, nimmt 
biernac einen Eid von Feuer, Wafler, Eifen und andern Metallen, 
Steinen, der Erde, den Bäumen, Krankheiten, giftigen Schlangen, 
Vögeln und andern Thieren, daß fie Baldurn nicht fehaben erben, 
Da diefes feftgejeßt und Allen befannt gemacht ift, ergeben ſich die 
Alen damit, daß fie ihn vorm in die Verfammlung ftellen, wo einige 
auf ihn fchießen, andre nah ihm bauen, wieder anbre mit Steinen 


nad) ihm werfen; und was fie auch thun, er hat keinen Schaben davon, 


We Loki dieſes fiebt, verbrießt es ihn; in Geftalt eines Weibes begibt 
er fi zu Frigg und forjcht fie aus, ob denn alle mögliche Dinge ger 
ſchworen, Baldurs zu fhonen. Yrigg antwortet: „Es wächſt ein Tleiner 
junger Baum weitlih von Balball, Mifteltein genannt; er ſchien mir 
zu jung, um ihn in Eid zu nehmen.” Loki zieht nun den Mifteltein 
aus und geht dann damit zur Verfammlung. Der blinde Hödr, einer 
ver Afen, fteht zu äußerſt im Kreiſe. Ihn redet Loki an und fragt: 
Warum fchiegeft du nicht auf Baldurn? Hödr antwortet: ch fehe nicht 
und hab’ aud) Feine Wehr. Ich will dir zeigen, wo er fteht, und fchieße 
dann auf ihn mit diefer Gerte! Hödr nimmt Mifteltein und ſchießt 
nah Lokis Anweifung auf Baldurn. Der Schuß durchbohrt dieſen 
und er fällt tobt zur Erde. Sprachlos ftehen die Aſen umber, dann 
brechen fie in Thränen aus. Als fie wieder mehr zur Beſinnung ge 
Tommen, fragt Frigg, wer von den Afen ihre Gunft gewinnen und zu 
der Unterwelt reiten wolle, um zu verſuchen, ob er Balburn finden 
Zönne, und dann Hel Löfegelb zu bieten, falls fie ihn zurüd nad 
Asgard Tommen laſſen wolle. Hermod der Schnelle, Odins Sohn, 





23 


übernimmt diefe Botichaft. Auf Odins Roſſe Sleipnir reitet er Hin. 
Die Ajen nehmen Baldurs Leiche und bringen fie zur See. Sie fol 
auf einem Schiffe verbrannt werden. Balburs Roſs wird mit allem Ger 


‚Ihrer zum Scheiterhaufen geführt. Nanna, Balburs ran, vergeht vor 


Gram und ihre Leiche wird mit des feinigen verbrannt. Thor hat den 
Sceiterhaufen mit feinem Hammer geweiht und Odin darauf feinen 
Boldring Draupnir gelegt, von bem fortan in jeder neunten Nacht acht 
gleich Ichöne Ringe tropfen. Hrimthurſen und Bergriefen jelbft find 
bei dieſer Leichenfeier in großer Anzahl gegenwärtig. Indeſs reift Her: 
mob neun Rädkte durch dunlle und tiefe Thäler und erblickt kein Licht, 
bis er zum Fluſſe Gjoll kommt und über die Gjallarbrüde reitet, die 


mit fchimmerndem Bolde belegt if. Modgudur, eine Jungfrau, welde 


die Brüde bewacht, fragt ihn nad Namen und Geſchlecht. Sie fett 
binzu: Geſtern, da fünf Schaaren tobter Märmer über die Brüde ritten, 
donnerte fie nicht fo fehr, als jetzt unter bir allein, auch haft bu Teine- 
Todtenfarbe; warum reiteft du auf ber Bahn ber Todten? Hermod 
antwortet: Sch juche Baldurn; haft bu etwas von ihm in dieſen Ge 
genden gefeben? Sie jagt ihm, daß Balbur über bie Brüde geritten 
fei; nörblich hinunter gebe ver Weg zu Hel. Da reitet Hermod foeiter 
fort, bis er die Umzäunung erreicht, bie Held Wohnung umgibt. Hier 
fleigt er vom Roſſe und fpannt ben Gurt feiter, ſetzt fich wieder auf 
und gibt ihm die Sporen. Das Roſs ſetzt über bad Geheg. Hermod 


“reitet darauf zum Saale, fteigt ab und geht hinein, wo er Balbum, 


feinen Bruder, auf ber vornehmften Stelle figen fiebt. Er bleibt bie 
Nacht über. Um Morgen verlangt er von Hel, daß fie Balburn mit 
ibm heim reiten laſſe, ihr vorftellenp, welche Trauer um ihn bei ben 
Alen fei. Hel antivortet, es mwürbe jetzt ſich zeigen, ob Balbur fo 
allgemein geliebt fei, ale man fage; denn wenn alle Dinge in ber 
Melt, Iebenvige und Ieblofe, ihn beweinen, fol er Erlaubnis erhalten, 
39 den Aſen zurückzulehren; dagegen aber foll ex bei Hel bleiben, 
wenn Jemand Einwendung mache oder nicht weinen wolle Hermod 
reitet heim nad Asgard und verlünbigt, was er gejehen und gehört. 
Die Aſen ſenden jeht Boten über bie ganze Welt aus und forbern 
auf,-Baldum aus Hels Gewalt. zu meinen, Alle thun es, Menschen, 
Thiere, Erbe, Steine, Bäume und alle Metalle, wie. noch biefe Dinge - 
weinen, wenn fie aus bem Froft in. die Wärme kommen. Als bie 


24 


Boten nad) wohl verridhtetem Gejchäft zurüdlehren, finden fie in einer 
Höhle ein Niefenweib, das Thök heißt. Sie bitten auch biefes, Bals 
burn zu beweinen. Das Weib aber antwortet: Mit trodnen Augen 
weint Thök über Balburs Tod; weder im Leben, noch im Tode batt’ 
ich Gutes von ihm; Hel behalte ihren Raub! Man glaubt, daß biefe 
Thok Niemand anders als Loki var, ber ben Aſen fo vieles Übel 
- zugefügt, So bleibt Balbur in der Unterwelt; Loki aber mwirb von 
den Afen gefangen und über brei Felſenſpitzen feitgebunben. Eine 
giftige Schlange wird über ihm aufgehängt, damit ihm das Gift ber 
jelben auf fein Angeficht niedertxopfe. Seine Frau Sigyhn ſitzt neben 
ihm und hält ein Gefäß unter. Wenn biefes voll ift und fie es hin⸗ 
mwegträgt, tropft ihm indeſſen das Gift ins Geficht, wobei er fich fo 
ſtark windet, daß die ganze Erbe bebt; unb bieß ift die Urfache des 

Erdbebens. Dort liegt er fo in Banden bis Nagnaröf, 

Dem Weltbrande voran geht eine böfe Zeit. Brüber töbten Brüder, 
Berivandte lämpfen mit Verwandten. Dann kommt Fimbulvetr (ver 
große Winter), der aus drei intern, ohne einen Sommer bazivifchen, 
beſtoht. Beilgeit und Schwertzeit, Sturmzeit -und Wolfzeit, ehe bie 
Welt fällt. Bei den Joten kräht der feuerrotbe Hahn, bei ben Aſen 
der goldgelbe, in Hels unterirdiſchen Sälen der rußfarbige. Der ges 
feffelte Wolf Fenrir beult. Alle Bande brechen, Loki wird frei. Die 
Erde bebt, die Zwerge feufgen am Felſenthore, Yggdraſil ſtöhnt und 
bebt. Das Meer ſchäumt fiber feine Ufer, denn die Midgardsſchlange 
wilthet und ſucht das Land. Da erhebt fi) Heimbal und bläft ing 
Stallarhorn, daß es in allen Welten gehört wird, und ruft die Götter 
zum Rampfe. Odin fpricht vergebens mit Mimers Haupte. Der Aoler 
ſchreit und gerreißt Leichen, bie Woge brauft und das Schiff Naglfar, 
das aus den Nägeln der tobten Menfchen gemacht ift, wird los und 
vom Niejen Hrymr gefteuert. Der Himmel aber fpaltet fih, Mufpels 
‚Söhne kommen reitenb heraus, von Surtur angeführt, dem Allver: 
‘brenner, ver von Yeuerflammen umgeben ift und befien Schwert heller 
als die Sonne leuchtet. Unter ihnen bricht die Himmelsbrüde Bifröft. 
Loki vereinigt fih mit Held Söhnen, Hrymr mit allen Riefen, um am 
allgemeinen Streite Theil zu nehmen. Alle Aſen waffnen ſich. Alle 
Einherien in Valhall ziehen aus mit ihnen. Zuvörderſt reitet Odin 
mit Goldhelm, Harniſch und Speer. Auf ber unermehlichen Ebene 


— 1 


25 


Bigrid beginnt ber legte Kampf. Der Wolf verfehlingt Obin; aber 
Vidar, fein Sohn, der ſchweigende ftarle Afe, rächt ben Vater. Heimball 
und Loft tödten einander. Freyr fällt durch Surtur. Thor tödtet die 
Erdſchlange, aber er fällt, von ihrem Gift erftidt. Zuletzt ſchleudert 
Surtur Feuer über die Welt, die Sonne ſchwärzt fih, die Erde finkt 
in3 Meer, vom Himmel fallen die Sterne, um den Weltbaum raft bes 
Feuers Dualm, mit dem Himmel felbft fpielt die flammende Lohe. 
Aber aus dem Meere fteigt von Neuem eine grüne, fchöne Erbe, 
die Waſſer fallen, ver Adler fängt Fiſche auf den Bergen. Korn wächſt, 
ohne gefät zu werben. Balbur, Höbr und andre ber Aſen erfcheinen. 
Sie feßen fih zufammen und fprechen von voriger Bei. Auch ein 
Menichenpaar hat ſich geborgen, von Morgenthau genährt, Lif und 
Liftbrafin. Bon ihnen ftammen die neuen Gefchledhter. Die Sonne 
bat eine Tochter geboren, jchön wie die Mutter, deren Bahn fie wandelt. 


% 


an 


In den allgemeinern Zufammenbang ber nordiſchen Götterlehre, 
welcher hier im Umriſſe gegeben worden, fallen noch manche beſondre 
Sagen, worin mehr die einzelnen Götter in ihrem eigenthümlichen 
Weſen und Wirken berbortreten. Dieſe mweitern Sagen werden wir 
nachher Bei der Erläuterung des Ganzen benützen. 

Als die Quellen, nad) denen die obigen Auszüge gemacht und bie 
noch weiter folgenden zu geben find, baben wir bereits bie beiben 
Eoden benannt. Bon der Beichaffenbeit diefer Quellen ift hier Einiges 
anzufügen. Die ältere, ſämundiſche Edda enthält 16 heidniſch⸗mytho⸗ 
logifche Lieder. Sie find in der in altnorbifcher Dichtlunft herkömm⸗ 
lichen Weiſe der Allitteration oder bes Stabreims abgefaßt, noch nicht 
aber in den verwideltern Formen ber ausgebildeten Skaldenkunſt. Die 
Berfaffer find, wie bei aller älteften Boefie, unbelannt, obgleich fonit 
ſchon vom neunten Jahrhundert an nicht leicht ein erheblicyeres Skalden⸗ 
lied gefunben wird, deſſen Verfafler nicht auch dem Namen nach bes 
kannt gewejen wäre (Geier 192). Die einzelnen Eddalieder verbreiten 
fih bald mehr über den größern Zufammenhang der Schöpfung und 
Bötterwelt, jo beſonders Bölufpa, die Weifjagung ver Wole; bald 
find fie mehr auf beſondre Theile und Ereigniſſe ber Göttergeſchichte 


— 


26 


N 
gerichtet; faſt durchaus ift fchon der Rahmen des Gebichtes ein mythi⸗ 
fcher; Götter, Rieſen, Zwerge, Wolen treten felbft, in Rebe und Hand 
Yung, weifjagend, lehrend, in Streitgefprädh und Räthſelfrage auf, Alles 
in gebrängten Nebefäten, in raſchen und oft fchroffen Zufammen- 
ftellungen. Die jüngere, profaifche Edda, Enorros Edda, gibt in ihren . 
beiden mythologiſchen Abfjchnitten, gleichfalls in Yorm von Geiprächen 
mythiſcher Perjonen, ausführliche, mehr abfichtlich geordnete Berichte über 
diefe ganze Mythenwelt, auf die Grundlage der alten Sagen und Lieber, 
aus benen häufig Strophen eingeflodhten find. An biefen mythologts 
ſchen Haupitheil der jüngeren Edda fchließt fi) noch die Skalda, eine 
Belehrung über die biehteriichen Umifchreibungen und Benennungen, 
nebſt einer Überficht der Versarten der isländiſchen Dichtkunſt u. f. w., 
wobei dann zur Erflärung der aus Mythus und Gage entnommenen 
Bilder und Namen auch verſchiedene mythiſche und ſagenhafte Erzäbs 
lungen eingefügt find. Die gefammte jüngere Edda ift fomit eine 
isländiſche Poetik, fie gibt dad Mythologiſche für den Gebrauch ber 
Dichterfprache ; denn auch nach ber Einführung des Chriftenthumsd fuhr 
man im Norben fort, ſich für die Dichtkunſt der heidniſch⸗mythiſchen 
Bilder und Namen zu bebienen. Der Zweck eines ſolchen Unterrichts 
brachte e3 mit fi, daß auch wirklich aus der Duelle ber alten Sagen 
und Lieder gefchöpft murbe, aber in der Anorbnung, in Paraphraſe 
und Erläuterung konnte bier allerdings auch chriftliche Anfiht hin und 
wieder einwirken. 

Über die Echtheit der eddiſchen Gbtterlehre iſt Vieles verhandelt 
worden. Überecht, möchte man ſagen, iſt ſie genommen von dem erſten 
deutſchen Überſetzer der jüngeren Edda, J. Schimmelmann (Stettin 
1778. 4). Er ſieht die Edda für die älteſte Überlieferung an, die dem 
ganzen „europäifchceltiichen” Volle bei deſſen erftem Auszug aus Afıen 
mitgegeben tworden, für ein Gottesbuch, eine Weiſſagung und bie ältefte 
göttliche Offenbarung, welche die ganze Lehre von Gott, der Dreieinig⸗ 
feit, dem Mefliad, dem Antichrift u. ſ. w. enthalte. Hinwieder ift fie 
für etwas zum bloßen Spaß Gebichtetes erklärt von F. Adelung: Über 
nordiſche Literatur, Geſchichte und Mythologie, in Veckers Exrholungen, 
1797. I. Später trat vorzüglic Fr. Rühs als entfchievener Gegner 
der Echtheit auf. Er bat feine Überfegung der jüngern Edda (Berlin 
1812) vorzüglich unternommen, um in einer ihr beigefügten Abhand⸗ 


27 


lung „von ber norbiihen Mythologie“ (S. 120 ff.) feine Anfichten 
hierüber auszuführen. Er behauptet darin, was unter dem Namen, 
nordiſche Mythologie auf und gefommen, fei niemald Glaube des Volle 
geweſen, ja nur einem äußerft unbeträchtlichen Theil nach in bemfelben 
begründet. Die Meinungen des Bolls "haben nur ben erften Keim 
bergegeben, der auf das freifte und manigfaltigfte ausgehilbet worden. 
Der Bollsglaube ftehe fogar mit den myibifchen Vorftellungen im Wider _ 
ſpruch. Überall feien chriſtliche Ideen hinzugelommen, auch rabbinifch 
eabbaliftiiche. Dann ſei auch die griechtfch-römifche Mythologie benützt 
worden, theils unmittelbar, theil® durch Vermittlung der Angeljachfen. 
Der Hauptſache nach feien die nordiſchen Mythen zur Lehre und zum 
Beiſpiel für junge Dichter beftimmt und zum Scherz, zur Beitverfürzung 
erfunden, brauchbar als poetifcher Stoff, als Verzierung der Gedichte, 
um jo mehr, als bie isländiſchen Dichter es für einen Borzug gehalten, 
dem großen Haufen dunkel, nur den Eingeweibten verſtändlich zu fingen. 
Die Vermiſchung des Chriftlichen mit dem Heibnifchen lafſe fih in Sagen 
und Liedern nachweiſen. Schon vor ver Verkündigung des Chriften- 
thums im Norben habe zwiſchen Ehriften und Heiden ein genauer Ber 
kehr Statt gefunden. Die Heiden haben die neue Religion zur Be 
reicherung ihrer armen vaterländiichen Götterlehre benützt. Die Bekehrer 
feien ihrerſeits geneigt geweſen, das Alte bem Neuen zu verfnäpfen, 
fie haben in den alten Vorftelungen Punkte aufgefucht, um auf den: 
felben ein neues Gebäude aufzuführen. Eben weil jene Mythen ſpäter 
entftanden, weil fie nie Glaube des Volks geweſen, fondern nur er: 
funden worden, um in ber Dichtkunſt zur poetischen Farbengebung zu 
dienen, babe die Geiftlichkeit fie gebulbet, ja, felbft dichtend, fich ihrer 
bevient, fie erweitert und vermehrt. Auch werben bie alten Götter 
meift in einem Tomifchen oder verächtlichen Lichte dargeſtellt. Es komme 
demnach biefer Mythologie keine andre Bebeutung zu, als die jebe 
einzelne Mythe in ſich trage, ald Hervorbringung eine mehr oder 
minder glüdlichen Dichters. Vergeblich ſeien von jeher die Verſuche 
geiwefen, fie mit den Mythen ber älteften und entfernteften Völler in 
BZufammenbang zu bringen, ober fie als Glieder eines Syſtems zu 
ertlären. 

Gegen dieſe Anficht erhob fih P. €. Müller, vorzüglich in fol 
gender Schrift: 


28 


Über die Achtheit der Aſalehre und den Werth der Suorroijchen Edda, 
von P. E. Müller. Ans der däniſchen Handfchrift aberſebt von L. ©. Sander. 
Kopenhagen 1811. 

Er macht darin vorzüglich geltend, die Kenningar (ein Stück der 
Skalda) enthalten eine Sammlung poetiſcher Umſchreibungen und Benen⸗ 
nungen Odins, Thors, Balders, Freyrs und der übrigen Aſen, ſo wie 
auch Lokis, dann der Gottinnen Frigg, Sif, Idun, ferner der Welt, der 
Erde, des Meer3 u. ſ. w., belegt durch ungefähr 500 Bruchſtücke von 
etwa 80 namentlich aufgezählten Dichtern, melde gröftentbeil®, ge⸗ 
ſchichtlichen Quellen zufolge, vom 9ten bis gegen das Ende bes 18ten 
Jahrhunderts gelebt haben. Diefe Bruchftüde, je aus 4 bis 8 Zeilen, 
etlihe aus mehreren Strophen beftehend, feien voll von mythiſchen 
Anfpielungen und deuten auf biefelben Mythen bin, welche ber erite 
mythologiſche Theil der Edda profaifch darſtelle. Hieraus folge, daß 
auch die lehtern nicht willkürlich erbichtet feien, man müſte denn jene 
500 als Mufter der poetifchen Sprache ausgehobenen Lieberftellen, in 
ihrer fragmentarifhen Geftalt, bei aller Verſchiedenheit des Inhalts, 
des Tones und Versbaus, und binwieder bei ber gröften Gleichheit 
derjenigen, welche unter demjelben Namen angeführt werben, ſämmtlich 
für unecht erllären, mas ein böchft unmahrfcheinliches Gewebe von 
Betrug und Lügen vorausſetzen würde. 

An diefer Streitfache haben beſonders noch die Brüder Grimm, 
als Verfechter der Echtheit, Theil genommen: 

W. C. Grimm, Necenfion der mülleriſchen Schrift in den SHeibelberger 
Jahrbüchern der Litteratur, 1811. Nr. 49. 50. Auch fon in der Abhandlung: 
Über die Entflehung der altdeutfchen Poeſie und ihr Berhältwis zu ber nordie 
fen, in den Studien, 1808. Il. ©. 221 fi. 

J. Grimm, Recenfion von Rühs Edda in der Leipziger Litteratur- Zeitung, 
1812. Mr. 287. 288. 

Wie könne, wird weiter angeführt, überhaupt von einer Erfindung 
. der Mythologie gerebet werden, two noch die Spuren von dem Cultus 
der alten Götter fichtbar feien, wo in fo vielen Sagen unb Geſängen 
fie uns entgegentreten? Niemals fei eine neue Mythologie erfunden 
morben, fo wenig al3 eine neue Sprache. Welche Geifter Tönnten auch 
fo gebichtet haben, daß fie unbewuft mit ben erft fpät nachher in 
Europa befannt gewordenen Mythen der älteften und entfernteften 


29 


Bölfer überrafchend zufammentreffen! Der erfte und mwichtigfte Beweis 
der Echtheit fei der innere. An fich felbft, kraft des ihnen inwoh⸗ 
nenden Geiftes, ſeien die Gefänge der ältern Edda und die Mythen 
der jüngern die ſicherſten Quellen. 

Neuerlich hat Geijer im erſten Theil ſeiner Geſchichte von SEchweden 
(S. 185 ff.) die Frage über die Echtheit ber nordiſchen Mythologie ſehr 
befriedigend abgehandelt. Er führt den Beweis ihrer Echtheit aus dem 
Bufammenhange der Götterfage mit dem Ganzen ber Litteratur und 
Bildung des alten Nordens. 

Die innere Lebenskraft diefer Götterfage und der eben erwähnte 
weitere Zufammenbang find auch die entfcheivendften Gründe der Echt⸗ 
beit. Unfer fernerer Gang durch die Sagenwelt der germanifchen Völker 
wird und au die Mythen der Edda in ihrer vollsthumlichen Geltung 
bewährt zeigen. 

Im Ganzen wird die Frage von der Ehtheit der nordiſchen Götter 
lage von den neueren Litteratoren für abgemacht angefehen. Sie rebuciert 
fih nur noch auf die Kritil einzelner Stellen der Edden, bei denen 
man die Spur einer fpätern, chriftlihen Anficht zu bemerken glaubt. 
Gleichwohl glaubte ich diefe Streitfrage nicht umgehen zu dürfen, da 
man leicht in ältern, ſonſt verbienftlichen Schriften auf Anfichten ftoßen 
kann, welche den, ber mit den Momenten biejes Streites nicht befannt 
wäre, irre machen könnten. Die Spaltung der Meinungen wäre wohl 
auch niemals in ſolchem Grabe eingetreten, wenn zu ber Beit, ba ber 
Streit fi) erhob, die mythiſchen Gefänge ber ältern Edda fchon in der 
Bollftändigkeit herausgegeben geweſen wären, in ber fie jeßt vorliegen. 

Was die neueren Forfcher ernfilicher beichäftigt, iſt die Frage über 
die Bedeutung diefer Mythologie; und biefe Frage wird man auch 
noch lange nicht für erledigt anfehen dürfen, bis in das Einzelnfte der 
Bilder und Sagen wohl niemal3. 

Se länger und näher man bie nordiſchen Mythen betrachtet, um 
fo mehr machen fie den Eindrud eines großartigen und finnvollen 
Ganzen. Es ift auch auf ihre Erklärung ſchon viel Scharffinn und 
Gelehrjamkeit verwendet worden. Eine bebeutenbe Schwierigfeit liegt 
in ber etumologifchen Deutung der Namen. Denn davon überzeugt 
man fi bald, daß die Namen ber mythiſchen Berfonen und Gegen 
fände nicht biftorifche find, fondern Bezeichnungen aus Weſen und 


30 . 


Eigenfchaft. Darum müften wir auch über Letzteres durch eine richtige 
Etymologie vielfach verftänvigt werden. Einige Namen, deren Beben: 
tung völlig Har ift, find in obigem Auszuge als ſolche bemerklich ge: 
macht worden. Wenn ed aber bei den meiften entfchieden ift, daß fie 
Sachbezeichnungen find, und man nur häufig zwifchen verfchiedenen, für 
möglich angefehenen Bebeutungen ſchwankt, fo darf auch auf die gleiche 
Bewandtnis bei den übrigen, noch nicht erllärten, geichloffen werben. 
Aber auch geborne Isländer, die ſich eifrig mit Commentierung ber 
Edden beihäftigt, haben doch noch Vieles und darunter mande der 
erbeblichiten Namen unentziffert gelaflen over doch nicht genügend auf: 
gehellt. J. Grimm gibt in der Vorrede zu den deutſchen Rechtsalter: 
thümen (S. XVII) Hoffnung, daß er auf ähnliche Weife mie dieſe 
(alfo ausgedehnt auf den ganzen germanifchen Völkerſtamm), auch bie 
Gefchichte des heibnifchen Glauben? der Deutfchen bearbeiten werde. 
Durch einen ſolchen Spracforfcher dürften wir allerdings erwarten, 
in jener eiymologifchen Erllärung beträchtlich weiter geführt zu werben. 

Aus der fehr umfangreichen Litteratur der nordiihen Mythen⸗ 
erflärung mache ich folgende neuere Schriftfteller nambaft: 

Finn Magnufen, ans einem islänbifchen Geſchlechte, der vorziiglich in 
folgenden drei Werten für die Erflärung der flandinaviihen Mythologie mit 
großem Fleiße gearbeitet hat: in feiner bänifchen Überfekung und Erklärung 
der ältern Edda, 4 Bände, Kopenhagen 1821 bis 1823; in feiner, gleichfalls 
Dänisch gejchriebenen Eddalehre, 4 Bände, Kopenhagen 1824 bis 1826; ſodann 
in: Priscæ veterum Borealium Mythologie Lexicon, auctore Finno Mag- 
nugen. Havnie 1828. 4. 

Mone in der angeführten Geſchichte des Heidenthums im nördlichen Eu- 
vopa. Theil 1. Leipzig 1822. ©. 309 ff. 

F. Münter, Gefchichte der Einführung des Chriſtenthums in Dänemark 
und Norwegen. Leipzig 1823. (Muh als Iter Theil feiner Kirchengeichichte 
von Dänemark und Norwegen.) 

E. G. Geijer, Geſchichte von Schweden, Theil 1, ſchwediſch, Upſala 1825. 
Hievon eine deutſche Überfegung auch unter dem befondern Titel: Schwedens 
Urgeſchichte, Sulzbach 1826. 

Die verfchievenen Richtungen dieſer Schriftfteller Infien ſich Yunlich 
dahin bezeichnen, daß bei Finn Magnufen die phyſiſche, bei Done die 

philoſophiſche und bei Münter die hiſtoriſche Mythendeutung vorherrſcht. 

Börres macht in feiner Mythengeſchichte der aſiatiſchen Welt, aus 


31 


Anlaß der verfchiebenartigen Erflärungen ber perfifchen Mythenlehre, 
die ſehr beachtenstvertbe Bemerkung (S. 237): | 
„Jede Erklärungsart hat ihre eigene wahre Seite, durch deren Hervorheben 


‚ fe im ganzen Umfange wahrſcheinlich gemacht werben mag; jede aber muß 


vieles fallen laſſen, was fie nicht aufnehmen kann, und daraus läßt fich dann 
jedesmal ihre Widerlegung führen. Die eigentliche Wahrheit ift, daß die Lehre 
jeibft alle zufammen, nnd keine von allen ift; daß fie darftellt die ganze Natur- 
anſicht, chronologiſch, aſtronomiſch, phyſiſch, geographiſch, hiſtoriſch und philo- 
jophiſch, ſo weit ſie die damalige Welt erkannt; daß ſie aber keineswegs ein 
einzelnes Moment ſelbſt, bis zur höchſten Sonderung und Schärfe getrieben, 
für ſich ergreift, eine Scheidung, die nur ſpäterer Zeit eigenthümlich fein kaun.“ 


In ähnlichem Sinne ftellt Geier (S. 284) feiner Erflärung den 


. Sag voran, die Mythologie der Norvländer, wie die anbrer Völlker, 


enthalte alte Borftellungen über bie Geſchichte der Natur, über bie 
Geſchichte der Menſchen und Religionen, enblich über die Gejchichte des 
Volkes ſelbſt, und daß fie dieß alles in einander und auf einmal bar: 
ftelle, jei e8 gerade, was das mythiſche Zeitalter der Geſchichte bezeichne. 
Rach den angegebenen drei Gefichtspuntten gejonbert, nimmt er dann die 
Erklärung vor. Beſonders aber ift noch anzurühmen, vaß, Geijer auch 
einen von manchen Mythenerklärern allzuſehr vernachläßigten Geſichts⸗ 
punkt gewürdigt bat, den poetiſchen. Nicht als ob er dieſem gleichfalls 
einen bejondern Abfchnitt gewidmet hätte, was auch nicht vonnöthen war, 
da bie poetifche Betrachtungsweiſe ſich beffer durch das Ganze äußert. 
Nur beiläufig in einer Note fteht, zunächſt in Beziehung auf hie natur 
geichichtlichen Deutungen Finn Magnufens, folgende inhaltreiche Be⸗ 
merkung (S. 290): 

„Sicherlich findet fich bier, wie in allen Mythologieen, eine phyſiſche Be⸗ 
deutung., Nur muß man bedenten, daß fie nicht die einzige ift, und daß unter 
andern auch deshalb alle Erklärung aus dieſem oder einem andern befondern 
Geſichtspunkt nicht glüden kann u. ſ. w. Überhaupt wird feine Mythologie durch 
die bloß allegorifche Erflärungsart erfchöpft, weil keine bloß durch Allegorie ent- 
fanden if. Die meifl dem Verſtande ongehörige Handlung, welde zu einem 
gegebenen Begriffe ein Bild fucht, ift eine ganz andre, viel abftractere und un- 
fruchtbarere Tätigkeit, als diejenige, deren lebendigem Schooße dieſe alten Bilder 
entgnollen. Hier ift nicht Das Bild zum Begriffe gelommen. Im Gegentheil 
hat der Begriff vom Anfang als Bild beſtanden. Diefe unanflöslihe Berſchmel⸗ 
zung des Begriffes und Wildes in den Mythologieen mag immer den allegoriſchen 


32 


Erklärer zur Berzweiflung bringen; bloß durch fie aber haben dieſe Bilder 
ihre Selbfftändigleiv erhalten, lebten, bewegten fi), erzeugten in manig⸗ 
faltigen Combinationen andre Bilder aus fih, nicht nach den Geſetzen bes be- 
rechnenden Berftandes, fondern nah dem VBeblirfniffe und Gefallen der unbe 
wuft ſchaffenden Einbildungsfraftl. Daraus folgt nicht, daß diefe Bilver nicht 
aus mehr als Einem Gefihtspunft eine Bedeutung im Ganzen haben können; 
aber dieſe verträgt ſich ganz gut mit ber Selbſtſtändigkeit der Bilder, ja fie 
Spricht fi) poetifh um jo Träftiger aus, je ungefuchter die Bebeutung erfcheint.“ 


Bei allen den gelehrten und geiftreihen Bemühungen, melde von 
den genannten und andern Forfchern des nordiſchen Alterthums zur 
Erklärung der Götterfage vorgenommen worben find, kann es gleich 
wohl, fo wie die Sache jet noch ſteht, Keinem, der von diefer My⸗ 
thologie zu handeln hat, erlafjen fein, die Deutung auf feine eigene 
Weife, nach dem felbftempfangenen Eindruck zu verfucden, mag er damit 
viel oder wenig zu leiften hoffen. Denn wie viel man auch den Bor: 
gängern verbanten mag, jo werben boch über einen fo verwidelten und 
vieldeutigen Gegenftand nicht wohl zwei nach allen Theilen überein; 
ſtimmen. Ein folder Berfuch fol nun auch im Folgenden gemacht 
werben, jedoch nur infoweit alö die Aufbellung des Ganzen durch eine 
überfichtliche Anordnung besjelben nad feinen größern Gruppen und 
bervorftechendern Geftalten zu erreichen ift. 

Eine alles Einzelne durchdringende Erforſchung und Erklärung dieſer 
Mothologie, welche Überhaupt nur auf etymologifchem und eregetifchem 
Wege auszuführen märe, würde füglich für fich allein einen Semeftral: 
curſus ausmachen. 

Es iſt die Sage der Sagen, mit der wir begonnen, die Sage vom 
AN, die bildliche Geſchichte vom Werben, Beſtehen und Tünftigen Unter: 
gange der Welt und aller Kräfte, die in ihr wirken. 

Das Erxfte, mas aus dem Nichts auffteigt, zu beiden Seiten bes 
leeren Abgrunds Ginnungagap, ift der Gegenſatz von Niflheim (Nebel: 
welt) und Mufpelheim (noch nicht etymologifch erklärt), von Waſſer und 
Teuer, Kälte und Wärme, Dunkel und Licht, Nord und Süd. Aus 
dem Bufammentreffen diefer entgegengefeßten Elemente gehen erft vie 
unorganifchen, dann die organischen Bildungen hervor. Stamm ber 
unorganifchen ift der Urriefe Ymer, aus beffen Leib und Glievern ber 
Weltbau geformt wird. Die organifhen Bildungen werben von ber 


33 


Kuh Audumbla, felbft einem Urtypus des Organifchen, aus den Salz: 
fteinen berborgeledt. Bur, das erfte, vollkommnere organifche Weſen, 
das auf dieſe Weile entfteht, ift ber Stammtater ber Götter, welche 
den Weltbau aus dem Rieſenleibe aufführen und barein aus Bäumen 
die Menſchen erfchaffen und begeiftigen. 

Aber wie aus der gegenfeitigen Bindung jener beiben Elemente 
das AU erſchaffen ift, ſo wird es dur die Wieberauflöfung biefes 
Bandes Fünftig zerftört; Niflheims und Mufpelheims entbundene Mächte 
brechen los und zgertrümmern den Weltbau; erft der große Winter 
(Fimbulvetr), der Winter von drei Wintern, dann ber verzehrende 
Weltbrand. Die Götter felbft, wie file im Ganzen der Weltfchöpfung 
geworben, find auch nur Mächte in der Zeit und mit der Enibinbung 
der Gegenſätze, aus deren Vermittlung das MWeltganze und fie felbft 
hervorgegangen, müſſen auch fie wieder untergehn. (Wie die Ajen regin, 
Mächte, genannt werben, jo heißt das Weltende ragna-rök, der Mächte 
Dämmerung ober VBerberben. Lex. myth. 382. 392. Bergl. Gramm. 1, 
473. 533.) | 

Dieb die materielle Seite des Weltganzgen; aber durch dasſelbe 
zieht auch ein lebendiger Geift; moher aber der Geift ftamme, von io 
er den Göttern, denen er inwohnt und die ihn felbjt mieder den 


 Menfchen einhauchen, zugelommen, darüber ift nicht? ausgefprochen. 


Nun beiagt zwar bie jüngere Edda bei der Schöpfung des Urrieſen 
aus dem thauenden Eife!: 

Da wurden die Tropfen belebt durch die Kraft deſſen, der bie Hitze dahin 
fandte, und war eines Mannes Geftalt, der Amer genannt ward. 

Mone bemerkt (1, 316) zu diefer Stelle: 

Warum die Begenfähe zur Bereinigung getäufcht (eine der Etymologieen 
von ginnunga) werden, das ift ein Geheinmis, an welches die nordiſche Reli⸗ 
gion den Glauben an den einen, unbegveiflichen Gott anfnüpfte Durch feine 
Kraft wird die Hitze gejendet, durch ihn die Gegenfähe getäuſcht, durch ihn 
befommen die Tropfen Leben, darum ift er ber Unbegreifliche, der über alle 
Welt erhaben ift, der nie ftirht, weil er nie geboren wurde. Es ift bas eine 
große und herrliche Idee von Gott, welche der hriftlichen völlig gleich kommt. 

1 Edda Resen. Demes. IV. D. 3: ba kviknudu Droparne aff krapte 
Dess er til sende hittann, og var Manns Lyknide, og er s& nefindur 
Ymer.’ [Ed. hafn. 1848. 1, 42, &.] 

Uhland, Schriften. VII. .3 


34 


. 
— — 





Allein der Satz, auf welchem hiebei der Nachdruck liegt, „daß die 
Tropfen ſchöpferiſch belebt worden, durch die Kraft deſſen, der die 
Hitze geſandt“, findet ſich nur in der proſaiſchen Edda, nicht in den 
älteren Eddaliedern von der Schöpfungsgeſchichte. Iſt er aber auch 
nicht bloß eine fpätere Erläuterung, jo wird er doch am einfachften- 
auf Surtur bezogen, den Herricher von Mufpelheim, ber auch einft von 
da ausfährt mit Muſpells Söhnen und die Welt mit euer zerftört. 
Zwar ift nun diefer Surtur eben als der unfichtbare und unbegreifliche 
Gott ausgelegt worden, von dem der Demiurg Ddin nyr eine Ema- 
nation fei (F. Magnufen, Lex. myth. ©. 4523. Mone felbft nimmt es 
nicht jo; 1, 451); mit Recht hat aber Geijer (S. 280”) dagegen an- 
geführt, daß Suriur, der Echwarze, beim legten Kampfe die böfen 
Weſen Loli, Fenrir u. ſ. w. zu Genoſſen babe, aljo feine höhere Offen⸗ 
barung ber Gottheit felbft fein könne. Als Gebieter von Mufpelheim 
ift er augenſcheinlich nur der Elementargeift der Feuerwelt. 

Um das geiftige Element diefer mythiſchen Weltihöpfung und fein 
Verhältnis zum materiellen beftimmter zu erfennen, ijt es nötbig, auf 
die verfchiedenen Weſenklaſſen, die in ihr bedeutend berwortreten, näher 
einzugehen und fie in ihrer charakteriftifchen Erfcheinung und Wirkſam⸗ 
feit zu verfolgen. Es find ihrer fechferlei: Soten, Vanen, Aſen; 
Schwarzalfen, Lichtalfen, Menſchen; von diefen find wieder nad) Mones 
paflender Claffification (1, 110) ven Soten die Schwarzalfen ober 
Zwerge, den Banen bie Lichtalfen, den Afen die Menjchen zuzuibeilen; 
der Natur nach gleichartig, aber in verfchiebenem Maaße ver Madıt 
und Höbe. 

In diefen breierlei Hauptllafien zeigen ſich wieder bie bei ber 
Weltihöpfung wirkſam geweſenen Gegenfähe und ihre verſchiedenen 
Bindungen. Am nädften gegen Niflheim, vie Welt der Kälte und 
Finſternis, auf der Norbfeite, ſtehen die Joten, am nächſten ‚gegen 
Mufpelbeim, die Wärme: und LZichtwelt, auf der Sübfeite, die Vanen, 
von deren Entftehung die bier offenbar fragmentarifche Echöpfungsfage 
zwar nichts meldet, deren ganze Erſcheinung aber ihnen jene Stellung 
anmweilt; in der Mitte zwiſchen Nord und Süd fteben die Afen. Syn 
ähnen liegt die volle Bindung aller entgegengefeßten Kräfte. Sie er: 
den auch wirklich Bönd (Bande) und Höpt (Hafte) genannt (Lex. myth. 
43. 139). Doc} lege ih auf ſolche vieldeutige Benennungen, aus denen 


-» 
man nur allzu Berfchiebenartiges ſchon bewieſen hat, Leinen Werth. 
. Bir müflen uns in ber Mythendeutung an die Harfte Erſcheinung, an 
Dild und Handlung, balten. Bei dieſer Probe werben uns aber bie 
Aſen wirklih in jener bindenden Mitte fi) erweifen. Zugleich wird 
fi und zeigen, daß, wie in Joten und Vanen das Materielle, die 
Naturkraft, fo in den Aſen das Ideelle, die Geiſtesmacht, vorherrſcht, 
aljo eben fie das geiftige Element des Weltganzen darftellen. 

Wir folgen nun diefen drei Wefenarten, deren Unterſchiede mir 
bisher nur im Allgemeinften angegeben, in ihr beſondres Leben und 
in ihre einzelnen bebeutendern Geftaltungen. Die Grundverjchiedenbeit 
der drei Arten werden wir im Ganzen unverrüdt finden; aber wie in 
der Natur felbft die manigfaltigften Miſchungen und Übergänge ftatt: 
finden, fo wird auch bie in den mythiſchen Bildern ſchaffende Einbil- 
dungslraft jelbftändige Geftalten und Charaktere von manigfacher 
Zufammenjeßung der Eigenfchaften ins Leben rufen; und ſowie das 
geiftige Element fih in Bild und Handlung verfinnlicht, jo werben mir 
es hinwieder die materiellen Beſtandtheile der erjchaffenen‘ Welt geiftig 
belebend ergreifen ſehen, und zwar in der Art, daß die phufilchen Ge: 
walten und Gegenjäte zu ethiſchen erhoben werben. 

Zuerft alfo vom Geſchlechte der Joten (Jötun, Bl. Jötnar)! Sie 
ftammen, wie wir wiffen, von dem Urriefen Dmer. So wie biejer im 
nördlichen Theile von Ginnungagap, dem leeren Abgrunbe, in bem 
Theile, der, Niflheim zunächſt, voll von Eis und Froft, voll Sturmes 
und Unwetters ift, und wohin die belebenden Funken aus Mufpelheim 
den mweiteften Weg zu maden hatten, aus Eisſchichten erwachlen ift, 
jo find aud feine Ablömmlinge fortwährend Hrimthurfen, Eisriefen, 
Bewohner des rauhen, unfruchtbaren Gebirge, Bergriejen (bergrisar). 
Ihr Wohnfig, Jötunheim, ift ihnen außerhalb der von Afen und 
Menjchen betvohnten Bezirke, in Utgard, angewiefen. Aber beftändig 
bedrohen ſie, die Reiflalten (hrimkalldr, pruind frigidus, Beiwort 
der Soten), als feindliche Wintermächte, die Mittelmelt und längſt 
würden in ihr feine Menfchen mehr wohnen (Edd. IL, 146), wenn nicht 
bie Aſen, die Erhalter der Welt, einen Bändiger, eine Sommerkraft, 
gegen fie ausjenveten, den Donnergott Thor, den ftärkften der Götter, 
defien Hammer Mijölnir (Bermalmer) der Riefen Schreden ift. Gegen 
biefe materiellften Naturkräfte muß derjenige der Ajen kämpfen, ber 


36 


unter ihnen jelbft der unbeholfenfte, ungeijtigfte tft, aber den Gürtel 
der Kraft (Megingjardir) um die Lenden trägt. (Lex. myth. 623 f.) 

In dieſer Eigenſchaft, als Wintermächte, als die Gegner Thors, 
find uns die Joten in einer Reihe von Erzählungen dargeſtellt, von 
denen ich Einiges aushebe, da fie und am beiten den Blid in bie 
Niefenwelt eröffnen 1. 

Süngere Edda S. 206 fi. Bräter Nordiſche Blumen S. 98 ff. *** 

In der jüngern Edda heißt es einmal (Rühs S. 185): „Keiner iſt 
ſo kundig, daß er alle Großthaten Thors erzählen könnte; ich kann 
deren ſo viele berichten, daß der Tag nicht hinreichen würde, um Alles 
zu ſagen, was ich weiß.“ Die vielen Geſchichten, welche hier gemeint 
ſind, beziehen ſich ohne Zweifel alle auf Thors Kämpfe mit dem Rieſen⸗ 
geſchlechte. Außer den Abenteuern bei Utgardloki und Thrym ſind auch 
wirklich noch verſchiedene Abenteuer dieſer Art in den Edden erzählt: 
Thors Fiſchfang mit dem eisbartigen Rieſen Hymir, wobei er die un⸗ 
geheure Midgardsſchlange mit einem Ochſenkopf anködert und aus dem 
Meer emporzieht, den Rieſen aber über Bord wirft; fein ſiegreicher 
Zweikampf mit dem Rieſen Hrungnir, der ein viereckiges Herz von Stein 
bat, auch einen ſteinernen Kopf, einen Steinſchild und eine Steinkeule, 
die Thors getvorfener Hammer in Stüde jchlägt, woher alle Schleif: 
Steine fommen u. |. w. 

Man ift darüber einverftanden, daß in dem gröften Theile dieſer 
Sabeln der bald mehr, bald minder glüdliche Kampf des Sommers mit 
dem Winter, die fich beſtändig die Wage halten, vargeftellt ift. In 
den Abenteuern mit Utgarblofi ift Thor im Nachtheil, einer feiner 
Böde wird binfend, feine gemaltigften Hammerfchläge auf des Riefen 
Haupt dringen doch nicht dur, feine und feiner Gefährten Kraft: 
anftrengungen in den Wettlämpfen, jo ungeheuer fie find, erringen 
doch nicht den Sieg; es ift die Winterzeit,. wo der Donnergott nichts 
vermag, mo feine Schläge fruchtlos fallen, im fernen Utgarb, im 
äußerften Winterreiche richtet auch der ftarfe Thor nichts aus, Befler 
fteht feine Sache im Thrymsliede. Er erwacht aus dem Schlafe, wäh: 
rend teflen ihm die Winterriefen den Hammer geftohlen; viefe ver- 
langen die ſchöne Freya, eine Sommergöttin, die fie ftet3 ben Afen zu 


1 [Ausführlihere Behandlung in den Sagenforfhungen Th. 1. 8.) 


37 - ’ 

entreißen trachten. Da kommt Thor, als Freya verhüllt, der Tonner in 
der Frühlingswolke, feine Augen flammen unter dem Schleier und fein 
Hammer fährt zerfchmetternd auf des Niefen Haupt. An der Grenze 
Des Jotenreiches, bei den Steingehegen (Griötänagardar), an der Grenz: 
ſcheide der Jahrszeiten, beſteht er auch als Sieger den Zweikampf mit 
dem Steinrieſen, von deſſen ſchwerem Fall er faſt ſelbſt erdrückt wird. 

So klar aber dieſe Verhältniſſe im Ganzen ſind, ſo ſchwierig iſt 
die Erklärung der einzelnen Umſtände. 

Hören wir 3. B., wie Mone den zuerſt vorgetragenen Mythus von 
Thors Zuge zu Utgarblofi in das Einzelne deutet, 8. I, 407 ff.!*** 

Es ift nicht zu beftreiten. daß die Allegorie des Ganzen, ber 
Gegenfag und Kampf der Winter: und Sommermächte, auch in ben 
Einzelheiten durchblicke und daß die Mythendeutung fih anzuftrengen 
babe, die allegorifchen Beziehungen, fomweit es ohne Zwang gejchehen 
fann, zu verfolgen; wenn z. B. Thialfi, der Reifegefährte des Donner: 
gottes, zugleich ein behender Wettläufer ift, fo fordert er allerdings zu 
‚der Forſchung auf, ob nicht fein Rame ihn als Strahl, Winditoß, als 
irgend eine den Donner begleitende raſche Naturerfcheinung bezeichne 
und dann auch in feiner Schweſter Nöfloa ein ähnliches Phänomen zu 
finden fei. Ebenſo wenig ift zu miskennen, daß aud die Raturmythen 
‚im größern Bufammenbang der Eddalehre geiftigere Verbindungen an: 
fnüpfen. Aber eine ſolche Menge und bunte Miſchung phyſiſcher unb 
philofophifcher Beziehungen in der einen Erzählung würde mir gerabe 
die Hauptſache, die Entftehung einer Tebendigen und für ſich anſchau⸗ 
lihen Sagendichtung, völlig unerflärbar machen. Gewifs Niemand, 
ala der gelebrte Ausleger felbit, Hat jemals in der ergeklichen Rieſen⸗ 
geichichte all diefen Sinn entveden können, und doch find diefe Natur: 
mythen ohne Zweifel einft bei den Syahresfeften der ſtandinaviſchen 
Völker gejagt und gejungen ‚worden; namentlih der Mythus von dem 
als Freya verkleideten Thor bewährt feine vollsmäßige Verbreitung 
dadurch, daß er noch bis in neuere Zeit, wie wir fpäter ſehen werben, 
ala nordiſches Volkslied fortgevauert hat. Wenn Mone in ber be 
ſprochenen Sage einen recht auffallenden Beweis findet, wie man alle 
Weſen im nordiſchen Glauben als perfonificierte Ideen anſehen müfle, 
jo unterliegt zwar die ſinnbildliche Befchafferiheit diefer Weſen über: 
haupt keinem Ziveifel, aber daß Sommer und Winter fi bie Herr- 


38 


ſchaft ftreitig machen, ift noch Teine bebeutfame Idee, es ift eine höchſt 
einfache Thatjache, und der Mythus wäre ein fehr gehaltlofer, menn 
er feinen Zwed hätte, als unter allerlei Verhüllungen jene Thatfadye 
burchicheinen zu laſſen. Sein Berbienft beruht vielmehr darin, daß er 
das naturgefchichtliche Faktum in einer Reihe belebter Geftalten, in einer 
epijch beivegten Handlung, darzuftellen weiß. Es ift der poetiſche Ge- 
fihtspunft, den ich früher mit Geijers Worten angedeutet habe, ber 
‚und zum volleren Berftändnis diefer Sagen leiten muß. Sie find in 
ihren Grundzügen allegorifch, auch die Bilder haben big auf einen ge: 
wiflen Grab dieſe Eigenfchaft; aber ohne daß ſich eine beftimmte Grenz⸗ 
ſcheide ziehen ließe, beginnen fie ihr felbftändiges Leben zu entivideln 
und den allegorifchen Umriß mit freien Schöpfungen auszufüllen. Es 
ftehen fih im fraglihen Mythus zwei Gewalten gegenüber, bie eine 
riefenhaft, ftarr und fteinern, die andre gebrungen, raſch und ſchlagend. 
Anftrengung und Widerftand in ihrem SKampfe, auf beiden Seiten 
maaßlos, darzuftellen, war die Aufgabe der Poefie. Sie that es mit 
Hülfe aller Bilder des Ungeheuren, die in biefen Kreis fielen. Thor 
trinkt das Meer zur Ebbe, er lüpft bie Erbfchlange, er beugt dem 
Alter kaum ein Knie, Alles Ausdrud feiner furdtbaren Kraft, ohne 
daß es irgend einer entferntern Beziehung bebürfte; Thialfi, fer er 
Wetterftrahl oder Gewitterfturm, wird nur von Hugi, dem Gedanken, 
im Wettlauf überholt, wieder nur Ausdrud der äußerſten Schnelligleit, 
ohne daß man nöthig hätte, den in der materiellen Rieſenwelt fremb- 
artig fcheinenden Gedanken für den Gedanken des Gemüths, nicht der 
Bernunft, zu erklären. Erkennen wir in biefer ganzen Mythenwelt 
nicht die frei waltende Kraft der Phantafie, fo entgeht uns ihr Beftes 
und Eigenthünilchſtes, und übrig bleibt ung, als Frucht alles auf: 
gewenbeten Scharffinns, nichts, als ber Bodenſatz naturgefchichtlicher 
Binjenwahrbeiten und zweifelhafter Philoſopheme, die für unfre Zeit 
durchaus keinen ſpekulativen Werth haben können. 

Ich habe mich bei dieſem Beiſpiel etwas länger verweilt, weil es 
beſonders tauglich ſchien, einige früher nur im Allgemeinen geäußerte 
Anſichten über die Auslegung der Mythen zu erläutern. 

Auf die Seite der Winterrieſen, zum Jotengeſchlecht überhaupt, 
werben noch weiter gezählt: die Nacht (Nött); Agir, der Herrſcher bes 
Meeres, und feine Gemahlin, Ran; Hräfvelgr, der Adlerrieſe, der am 


39 


Ende des Himmels (am Norbpol) figt und durch den Schwung feiner 
ungeheuren Flügel den Wind verurfadht, ber fiber die Waſſer fährt, 
Leichenſchlinger, weil er die Menfchen im Seefturme verderbt; dann der 
Wolf Fenrir und die Mingardöfchlange, von denen nachher mehr; auch 
Hel, die Todesgöttin in Niflheim, deren unterirbifher Saal Elvidnir 
(nimbos sive procellas late accipiens, Lex. myth. 150%) heißt, ihre 
Schüfſel Hungr, ihr Meſſer Sulte (Verſchmachten), ihr Knecht Ganglati, 
ihre Magd Ganglöt (die Trägen, Säumiggehenden) u. f. w. 

Das Jotengeſchlecht überhaupt ift nicht bloß ein winterliches, das 
jährlich vom Donnergotte belämpft wird, wie mir e8 bisher betrachtet; 
es ift aud ein der ganzen Weltordnung feinbliches, das ſtets den großen 
Bau zu brechen droht, dad von den Aſen mit Mühe gebänbigt wird 
und deſſen Jahreskämpfe nur das Vorfpiel des einftigen Welt: 
kampfes find. 

Insbeſondre kommen biebei der Wolf Fenrir und die Midgarb- 
Schlange in Betracht. Die Deukung Fenrirs ift noch fehr unficher; 
bald nimmt man ihn für das unterirbifche Feuer, bald für den Rachen 
der Finſternis. Ihn haben die Ajen mit dem Bande Gleipnir ges 
bunden, wobei er dem kühnen Tor, dem Schlachtengott, der ihm zum 
Pfande der Sicherheit die Hand in den Schlund geftedt, dieſe abge- 
biffen. Beim Weltlampfe fährt er mit aufgefperrtem Rachen bervor,. 
fo daß der Unterliefer die Erde, der Oberliefer den Himmel berübtt. 
MWöre Raum, würd’ er ihn noch meiter aufjperren. Bon ibm wird 
Ddin verfchlungen, der Afe Vidar ſetzt ihm ben Fuß auf den untern 
Kiefer, die Hand an den oben und zerreißt ihn fo. 

Ibrmungandr, die Midgarbfchlange, welche die ganze Erde um: 
gürtet, wird für dad Toben und Branden des Meeres angefehen, das 
ſtets über die Ufer hereinzubrechen ftrebt. Dit diefem Ungeheuer hat 
Thor Schon auf fernen Zügen in das Riefenland Manches zu Tchaffen 1. 

Sn Allem, was wir bisher erörtert, hat ſich uns das Geichlecht 
der Joten nur als das mnterielle Böfe dargeftellt. In Loki, der zuleßt 
genannt wurde, wird es num auch in das ethifhe Gebiet Übertreten. 

Loli ericheint in doppelter Eigenfchaft, als Utgarda-Loli und als 
Aſa⸗Loki. In der erften Eigenſchaft, ala König in Utgarb, dein Reiche . 

1 [3 kürze hier und vermweife auf bie fpätere Behandlung im Mythus 
von Thor ©. 168 fi. 8.) 


40 


der Winterriefen, haben wir ihn hinreichend kennen gelernt. Als Aſa⸗ 
Loft, Loki in der Geſellſchaft der Afen, wird er der Vater der Lüge, 
der Götter und Menſchen Schande genannt. Es darf uns nicht irren, 
daß wir in Thor Übenteuern bei Utgardlofi einen andern Loki in 
Thors Begleitung fanden; Beide find doch im Grunde nur ein Weſen, 
das perfonificierte Böfe, dort in phyſiſcher, hier in fittlicher Beziehung. 
So beftimmt das Jotengeſchlecht auf einer Seite die Schwerkraft 
der Materie darftellt, jo wird ihm auf anbrer Seite gleichwohl Weis- 
beit zuerlannt, Selbſt Mimir, in deſſen Brunnen Weisheit verborgen 
ift, wohnt unter derjenigen Wurzel der Weltefche, die zu ben Eisrieſen 
gebt. Die Geheimniſſe, die in ben Tiefen ber Natur verborgen liegen 
und beren Kenntnis ben Göttern felbft nöthig ift, wurden ben perſoni⸗ 
ficierten Raturtvefen als Weisheit zugeichrießen, und ba die Riefen, als 
die erfte Schöpfung, älter find, als die Götter, jo mufte ihnen auch 
die Kunde von ben älteften urmweltlichen Dingen vorzugsweiſe zulommen. 
Die Wole, welche im Eddaliede vom Anfang und Ende der Welt fingt, 
ift von den Soten ber Urwelt auferzogen und unterrichtet. Andre Lieder 
zeigen und bie Ajen im Wettlampfe mit Riefen und Zwergen über 
koſsmogoniſche und andre mythologiſche ragen ; foviel aber die Natur: 
wejen willen, fo ziehen fie doch gegen die Götter den Kürzern. Im 
Eddaliede Bafthrubnismal, eben einem ſolchen Wettgeipräche zwiſchen 
Odin und bem meisheitberühmten Joten Bafthrubnir, weiß diefer langhin 
auf jede Frage Beicheid; als er aber zuleßt befragt wird, was Odin 
- Seinem Sohne Baldur, ehe biefer auf den Scheiterhaufen gelegt warb, 
ins Ohr gefagt, jo muß er fich überwunden geben. Die Spike liegt 
biebei wohl nicht bloß darin, daß Niemand das heimlich zugeraunte 
Wort vernommen haben konnte, fondern im Inhalte des Wortes felbit. 
Diefer war, wie man ſehr wahrjcheinlich annimmt, die Zuficherung des 
Auferfiehens in ber wiebergebornen Welt. Bon diefer MWiebergeburt 
bat zwar der Riefe jelbit zu jagen gewuſt, aber das Wort ber Be: 
lebung, die Zofung der Fortdauer, mufte ihm, als in ber Materie 
befangen, ein Geheimnis bleiben. Die Naturweisheit des Joten ver: 
ſtummt vor ber geiftigern des Aſen. 
Sowie aber den Naturweſen, als perjönlich belebten, Verftand 
beigemeflen wird, jo werben fie, nad einer nod näheren Forderung 
- der Einbilvungstraft, auch mit Willen begabt. Die feindfeligen 


41 


Äußerungen der Naturkräfte werden zum abſichtlichen Werke ver Bos- 
beit und Tüde, Uigarbloli wirb zum Aſaloki, feine geiftigere Entfaltung 
bringt ihn in die Gemeinſchaft der Aſen. Niemals aber verläugnet ſich 
jener urjprünglide Zuſammenhang, die alte Jotennatur, und in dem, 
was von Loli gemelbet wird, durchlreuzen ſich immer die beiverlei Ge: 
ftaltungen des einen, bösartigen Weſens. 

Die etymologifche Bedeutung des Namens Loki iſt nicht befriebi« 
gend audgemittelt. Wir haben wenig geivonnen, wenn wir hören, daß 
2ofi 1) cingens, circundans, occludens, 2) finiens, finem imponens, 
eoncludens beveuten könne. Ihn, wie auch dem Wolfe Fenrir ge: 
ſchehen ift, für das unterirbifche, vullanifche Feuer zu erllären, weil, 
nach der jüngern Edda, feine Irampfhaften Rindungen, als er gebunden 
ift, das Erbbeben verurfachen, ift für feine ganze Erfcheinung unzu: 
veichend; in Utgard, jeiner phyfifchen Heimath, läßt er nichts von ber 
Natur des Erdfeuerd an fi) bliden, bei den Aſen wirkt er mehr mit 
dem Geifte und überhaupt tritt er felbft nicht fo, mie feine Finder, 
als einzelne zerſtörende Naturgewalt hervor. 

Auf ber Seite der Joten nemlich beurkundet er fich insbeſondre 
auch durch Abſtammung und Nachkommenſchaft. Sein Vater ift der 
Riefe Farbauti, feine Mutter wird Laufey, auch Nal, genannt, Bon 
ſeiner Frau, Sighn, bat er zwei Söhne, Narfi und Nari; mit ber 
Rieſin Angurbodi (Sorgen:, Unheilverkünderin) hat er bie drei Unge⸗ 
beuer, den Wolf Fenrir, die Midgarbsfchlange und Hel erzeugt. 

Bei den Aſen iſt er von jchönem Ausjehen, er beweilt ſich ihnen 
dienftwillig, beſonders wo etwas durch Lift ausgeführt werben fol, wie 
er denn, als Dienerin des zur Freya verfleiveten Thor, bie Joten felbit 
betzügen hilft. Zum Theil aber leiftet er auch foldhe Dienfte nur ge: 
zwungen, wenn man ihn über verrätheriſches Einverftändnid mit dem 
Jotengeſchlechte zur Verantwortung ziehen will. Überhaupt ift er auch 
im Kreiſe der Aſen ihr binterliftiger Feind und bringt fie, wo er Tann, 
in Gefahr, in Schaden und Schmach. Mit den giftigſten Schmähreben 
überhäuft er fie bei einem Gaſtmahl in den Hallen Ägirs, des Meer: 
herrſchers, wovon ein befondres Eddalied handelt; nur wor Thors 
Sammer zieht er ſich dort zurüd. Das gröfte Unheil aber, das er 
über die Afen bringt, ift der Tod Baldurs des Guten. Wie er durch 
feine Ränke diefen Tod veranlagt, wie er, als Rieſenweib, verhindert, 


42 


daß Baldur aus Hels Sälen zurüdgeiveint wird, und wie er dafür bie 
Ragnarök auf den Felſen gebunden liegt, ift früher erzählt worden. 
Die Erllärung des Mythus von Baldurs Tode wird uns nachher be: 
fonders beichäftigen. Hier kommt und nur das in Betracht, mie Loft, 
der als Fürft der Winterriefen, als Utgarblofi, ven ftarfen Thor zum 
Gegner hatte, nun als Loki unter den Aſen, als Lügenvater und Trug- 
ftifter, fich den reinften und beften der Götter, Baldurn, zum Wider: 
fpiel genommen und wie, nachdem er dur deſſen Tod has geiftig: 
fittliche Weltgeſetz gelöft hat, nun auch alle die roben und wilden 
Naturkräfte unaufbaltiam bereinbrechen und er felbft, ber vergeblich 
gefeflelt war, mit ihnen zum Werke der Zerftörung heramzieht. 

Den Joten ftammverwandt find die Schwarzalfe ober Zwerge. Sie _ 
erhielten ihr Leben zuerſt im Fleifche des Urriefen Ymer, wo fie Würmer 
waren. Die Götter verliehen ihnen Berftand und menſchliche Geftalt. 
Aus Ymers Fleifh und Knochen find Erde und Berge geihaffen, darum 
mohnen aud die Ziverge fortwährend in Felſen und unter der Erbe. 
Auch Tie gehören fomit der Nachtſeite an und die jüngere Edda fagt, - 
fie ſeien fchwärzer als Pech. Das Licht der Sonne verfcheudht fie, denn, 
vom Aufgang berfelben erreicht, werden fie in Steine verwandelt. 
Niefen und Zwergen ift das Unbeimliche und Dunkle der unermefjenen 
Naturgewalt gemeinfam; aber bie Winterriefen wirken roh und zer: 
ftörend, die untertrdiichen Zwerge geheim und kunſtreich. Alle bie 
munberbaren Erzeugniffe, die aus dem dunkeln Echooß der Erde, aus 
bem Sinnern der Berge berborfommen, find das Werk der Biverge. 
Daran zeigen fie den ihnen von den Göttern verliebenen Verſtand. 
Häufig werden fie als kunſtreiche Schmiebe dargeftellt und aus ihrer 
Eſſe find die beiten Kleinode der Götter hervorgegangen. Doc dienen 
fie Göttern und Menfchen meift nur durch Gewalt oder Kift gezivungen 
und darum liegt auch in ihrem Wefen etwas Treulofes und fyeind« 
liches, das fie auf die Seite der Soten ftellt. Ihr Treiben veranfchau: 
licht fih in folgendem Mythus der jüngern Edda, bei Rühs Seite ' 
248 bis 251. *** 

Es würde zu weit führen, wenn mir verjuchen mwollten, alle bie 
Kleinode zu erflären, melde bier von den Zwergen verfertigt werben. 
Letzteres Tann auch überhaupt ſchon für die Bezeichnung der Funftreichen 
Arbeit gelten. Nur den Punkt, von welchem die ganze Erzählung 


⸗ 


43 


ausgeht, hebe ich hervor, weil ſich uns hier im Treiben ber Zwerge ein 
Seitenftüd zu Thors Riefenlämpfen barbietet. Sift, die Göttin mit 
den ſchönen Haaren, des Donnergott® Gemahlin, erklärt fich Leicht, 
wenn auch die etymologiſche Bedeutung nicht erhoben ift, als die fommer: 
lihe Saatflur, das Erntefeld. Loki, vom Gefchlechte der Winterriefen, 
bat der Göttin alle Haare abgefchnitten, has Feld des Echmudes bes . 
raubt, Aber der gewaltige Thor, die Sommerfraft des nächften Jahrs, 
zwingt ihn, ber beraubten Sif wieder goldene Haare berbeizuichaffen. 
Bon den Schwarzalfen muß Loki diefe erlangen, von ben bunleln, 
unterirdifchen Mächten, melde die neue Saat leimen laflen und her: 
vortreiben. Die Winterriefen hat Thor gebändigt und die Erdgeiſter 
müflen Sif8 goldene Haare weben. 

Wir kommen zu der zweiten bebeutendern Weſenklaſſe unſres My: 
tbenkreifes, den Banen (Vanir). &3 ift ſchon bemerkt worben, daß 
von ihrer Entftehung die Schöpfungsgelchichte ſchweigt. Aber ihre 
ganze Erſcheinung weiſt ihnen ihre Stelle deutlih genug an. In dem: 
- jenigen Theile tes leeren Raumes, Ginnungagap, melcher fühlich gegen 
- Mufpelheim, die Lichts und Feuerwelt, lag, mar es von den unten, 
welche dortber kamen, warm, bel und milde, wie mwindftille Luft. 
Sowie nun auf der entgegengejeßten, nörblichen Seite aus dem ſchwer 
auftbauenden Eife das Niefengefchlecht hervorgieng, fo ift anzunehmen, 
daß auf der Sübfeite die weiter herüberftrömende Thauung fich mit der 
Märme aus Wufpelheim zu einer andern fonnigen Schöpfung band, 
zum @efchlechte der Banen, für deren Urfprung uns fonft eine Züde 
bleibt und deren Ericheinung überall warm und licht hervortritt. Aber 
auch fie find einfeitige Naturfräfte, nur daß leicht begreiflich die Riefen, 
ala Geburten der Kälte und Finſternis, für feindliche, die Banen, als 
Kinder des Lichts und der Wärme, für freundliche Weſen angefehen 
wurden. Die bindende und erhaltende Kraft der Aſen, die und in der 
Mitte ſteht, hat denn auch mit jenen weit mehr zu kämpfen, ala mit 
diefen. Doc ift allerdings die Spur eines frühen Kampfes, den die 
Ajen auch mit den Banen zu beftehen hatten, vorhanden, denn e3 wird 
gemelvet?, melche Geifel fie einander gegenfeitig gegeben haben. Die 


1 (Bgl. Mythus von Thor S. 5. 8) 
2 Vol, jüngere Edda S. 239. 


AA 


zeritörenden Feuergewalten brechen erft am Ende ber Tage mit Surtur 
aus Mufpelheim hervor. Auch von den Vanen wird gejagt, daß fie- 
weiſe feien, Vieles wiſſen, ohne daß fie darum zu den geiftigern Weſen 
zu rechnen find; wir haben unter der Weisheit, die ven Joten beige- 
mefjen wird, die Kunde der Natur und der urmweltlichen Dinge ver: 
ftanden; auf äbnlihe Art wird auch die Weisheit der Vanen nur für 
das umfaffende Schauen, das ihnen als Lichtivefen zufommt, zu 
nehmen jein. 

Meine Auffaffung der Vanen weicht von den auch unter ſich bes 
deutend verſchiedenen Anfichten der neueren Erflärer ab. Finn Mag: 
nufen hält fie für Mächte des Luftfreifes, der Erdatmoſphäre, Mone 
erflärt fie für „den reinen Geift“ (1, 371 unten). Die nähere Ber 
trachtung aber wird ung zeigen, daß fie einerfeits viel zu phyſiſch und 
äußerlich Wohlfahrt und Gedeihen gebend erfcheinen, um für reingeiftige 
Weſen gelten zu können, und baß fie anderſeits fich zu fehr ing Ge- 
fühlöleben fteigern, um nur als atmofphärifche Mächte bezeichnet werben 
zu bürfen. Geier (S. 298) feßt die Banen, als Waflergötter, den 
Alen, als Yeuergöttern, entgegen; aber diefer Annahme widerſpricht bie 
lichte, jonnige Erfcheinung der Banen. 

Zum Gejchlechte der Banen, wenn glei in die Gemeinfchaft der 
Aſen aufgenommen (mie von der andern Seite der Jote Loki), gebören 
vorzüglih: Njörd, defien Kinder Freyr und Freya, dann Heimball. 

Niörb (Njördur) herrſcht in Noatun, der Waffergegend. Er regiert 
den Lauf des Windes und ftillt Meer und euer. Ihn ruft man auf 
Seefahrten und beim Fiſchfang an. Er verleiht Reichthum. Seine Frau 
heißt Stabi, die Tochter des Rieſen Thiaſſi. Sie wollte wohnen, wo 
ihr Vater wohnte, auf den Gebirgen in Thrymheim. Nidrd hingegen 
wollte ſich an der See aufhalten. Sie wurden baber einig, neun 
Nächte auf den Gebirgen und dann drei in Noatun zuzubringen. Aber 
da Niörb von Thrymheim nad Noatun zurüdlam, fang er: 


Mid bin ich der Berge, 
Nicht lange war ich dort, 
Nur neun Nächte, 
Der Wölfe Heulen 
Schien mir widrig 
Gegen der Schwäne Lieb. 


Da fang Slkadi: 
Nicht konnt’ ich fchlafen 
Am Strande ber See 
Bor der Vögel Geſchrei; 
Mir ſcheuchte den Schlummer, 
Vom Meere Tehrend, 
. Allmorgen die Möve. 


Da zog Stabi zurüd nad den Bergen und wohnt in Thrymheim. 
Sie läuft oft auf Schrittfchuhen mit ihrem Veoen nach Thieren (jüngere 
Edda 185 f.). 

Zum Jotengeſchlechte gezählt fanden wir den Meerherrſcher ÄAgir 
und den Rieſenadler Hräſvelgr, den Leichenſchlinger, der über die Waſſer 
fährt. Dieſe ftellen die furchtbare und gewaltſame Natur des Meeres 
dar. Njörd dagegen ſtillt das Ungeſtüm ber Winde und Wogen, er 
ſchützt bie friedlichen unb fruchtbaren Beichäftigungen bes Seelebens, 
die Schifffahrt und den Fifchfang, darum ift er auch ein Geber des 
Reichthums. ALU dieß fegenveiche Wirken übt er al3 ein Herricher ber 
milderen Natur und Jahreszeit. Sehr bezeichnend ift hiefür der Gegenſatz 
im Wechjelgefang mit feiner Gattin Stabi. Sie, die vom Riefengefchlecht 
entiprofien ift, liebt das wilde Gebirg, wo die Wölfe heulen, mo fie 
auf Schrittichuhen über den Schnee hin jagt; ihm, dem freundlichen 
Banen, ift das Uferland, die bewohnte Gegend, angenehm. Die neun 
Nächte, welche die Ehegatten von fo verichiedener Neigung in Thrum- 
beim zubringen, bat man wohl mit Recht auf die neun winterlichern 
Monate des Nordens, die drei Nächte, die fie in Noatun wohnen, auf 
die drei jommerlichen, dem Seeverlehr günftigen, gebeutet. 

Bon Nijörb ift gefagt, daß er in Banaheim auferzogen und ben 
Aſen von den Banen verföhnungsmwetrie zu Geifel gegeben worden fei, 
am Ende ber Zeit aber werd' er zu ben Banen zurüdlehren; und bieß 
ſcheint ihn eben auch als bloße Naturkraft, den geiſtigen Aſen gegen⸗ 
über, zu bezeichnen. 

Freyr, Njörds Sohn, läßt noch heller und wärmer die ſchöne 
Jahreszeit aufgehn. Er fährt in der Luft und über Meer mit dem 
Eber, deſſen goldene Borſten jedes Dunkel erhellen. Er wird der beſte 
der Götter, der von Niemand Gehaßte, genannt. Er herrſcht über 
Regen und Sonnenſchein und über die Früchte der Erde, ihn ruft man 


- 


46 


um gute Jahre und Frieden an, auch er waltet über den Reichthum 
der Menſchen. Aber während Njörd durch Schifffahrt und Fiſcherei 
Reichthum gibt, ſo ſegnet und bereichert Freyr durch die Fruchtbarkeit 
der Erde. Ihn zeigt uns in ſeinem eigenthümlichſten Weſen folgendes 
Lied der ältern Edda „Skirners Fahrt“ (Gräter ©. 234 ff.).*** 

Gerdur!, die ſchöne Tochter des Winterrieſen, von deren weißen 
Armen Erd’ und Luft erglängen, ift die befchneite, eiöbebedte Erbe; 
die dunkle, fladernde Flamme um fie ber, da3 Nordlicht; die tobenven 
Hunde, die Winterftürme. Zu ihr kommt Freyrs Bote Skirnir (der 
Heiniger, Klärer), die helle Yrüblingsluft, mit Freyrs fcharfem, ſchim⸗ 
merndem Schwerte, dem Frühlingsſtrahl. Der Bann, den Slkirnir über 
fie ausfpricht, daß fie, wenn fie nicht der Werbung folge, ewig einfam, 
finfter und unfruchtbar bei den Eisriefen wohnen müſſe, ift für fich 
klar. Sie bietet endlich den Eiskelch voll des alten Meths, das Eis 
beginnt zu thauen; jie verfpricht den Früblingsgott im lauen, Inofpen- 
den Haine zu umarmen und er harrt ſehnſuchtsvoll dem verbeißenen 
Tag entgegen. Der Nächte, die er harren muß, find wieder neun, auf 
die Wintermonate bezüglich. 

Wir haben früher gejeben, wie Aſathor, der ſtarke Donnergott, 
die Riefen zermalmt; bier jehen wir den Vanen Freyr feine milbere 
Gewalt anwenden. Die jüngere Edda fagt, im letzten Streite werde 
Freyr mit Surtur kämpfen und die Urſache feines Todes werde dann 
der Mangel des Schwertes fein, das er Skirnirn gegeben. Freyr, ber 
milde Frühlingsgott, geht freilich waffenlos auf. in ber Flamme bes 
Weltbranves. 

Die ſommerliche Befruchtung der Erde ift und in Freyr als eine 
Brautwerbung, als der Sieg der Sehnſucht und Liebe, dargeftellt. 
Waltet aber er über das Werben und Wachſen, fo kommt uns in feiner 
Schweſter Yreya der Reiz bes Frühlings zur Erfcheinung. Darum zeigt 
fh aud in ihr beitimmter noch, als bei Freyr, und von ber unorgas 
niihen Natur auf die organifche und in das fühlende Gemüth über: 
getragen, die Berbindung von Frühling, Sehnſucht und Liebe. Wenn 
ih mich für diefe Weſen aus dem Vanengeſchlecht vorzugsweiſe bes 


1 Gymir, Gerdurs Vater, wirb gleichbedentend mit dem Meeresgotte Ägir 
genoinmen; vgl. Lex. myth. 1375. Her. ©. Str. 40. 42, 


47 


Wortes Frühling beviene, während bie germanifchen Völler für bie 
ſchöne gebeihliche Jahreszeit überhaupt den Gefammtnamen Eommer 
gebrauchten (vgl. Grimm, Rechtsalt. 823. Lex. myth. 743), fo will 
ih damit nur das bezeichnen, dab uns Freyr und Freya biefe Sommer: 
zeit fo recht in ihrer belebenbften Anregung, in ihrem frijcheften Glanze 
vor Augen ftellen. Die Verbindung bes Frühlings und der ſehnſüch⸗ 
tigen Liebe, phyſiſch begründet und zum Seelenzuftande gehoben, zieht 
fih durch die ganze ältere Poeſie und bat ihren reichſten Ausbrud im 
Minnefange des Mittelalterd erlangt. Aber auch in der Sagendichtung 
werden wir diefen Zug verfolgen Tönnen, ja es mwirb fi uns ber 
Minnefang jelbft nur als eine Iyrifch entfaltete Frühlings: und Liebeö« 
ſage ergeben. Freya nun, Frühlings: und Liebesgöttin zugleich, zeigt 
und noch ganz biejen- urfprünglichen Zufammenhang; nad Urfprung 
und Verwandtſchaft, ald Vanin, gehört fie entſchieden ber Raturfeite 
an; dad Phyſiſche, Geſchlechtliche, waltet in ihrer Erſcheinung fichtbar 
vor, aber zugleich jcheinen die Farben der leuchtenden Schönheit, ber 
blühenden Sehnfucht hindurch und es dürfte dieſes leicht noch in höhe 
rem Grabe der Fall jein, wenn uns, bei der Unvollitändigfeit ber. 
mötbifchen Überlieferungen, nicht gerade bon ihr einige der fchönften 
und bebeutungsvolliten Züge nur angebeutet wären. 

Freya, die fchöne Tochter Njörds, aus Banaheim, aber im Kreiſe 
der Afinnen eine der angefebenften, fährt bald, gleich ihrem Bruder 
Freyr, mit einem glänzenden, golbborftigen Eber, Hildiſpini, den bie 
Zwerge verfertigt, bald mit einem Geipann von Katzen, beren Bes 
deutung ungweifelhafter ift, als die des Eberd, Wie der Rieſe Thrym 
fie als Löfegeld für Thors Hammer verlangt, wie fie ſich darüber ent 
rüftet, daß ihr der große Briſingſchmuck entzweibricht, wie dann Thor, 
ftatt ihrer verkleidet, nach Jötunheim fährt, iſt früher erzählt und babei 
Freya als Frühlingsgöttin, welche die Eigriefen fletö den Bewohnern 
ber Mittelmelt zu entreißen juchen, erklärt worden. So hat audh-ber 
Riefe Hrungnir, als er einft nah Asgard Fam, alle Götter zu tübten 
gebroht, ausgenommen Freya und Sif, die er mit fich nehmen werde, 
und Freya war bie Einzige, die ihm einfchenfen durfte (jüngere Edda 
243). Nach einer mweitern Sage von ähnlicher Bebeutung bat fich ein 
Sote zum Lohn eines Bauwerks, dad er den Aſen leiften fol, Freya 
und obendrein die Sonne und den Mond ausbebungen; durch Lokis 


48 


Lift, den die Afen als Anftifter des Unheil hart bedrohen, und zulegt 
dur Thors Hammerichlag wird die Göttin vor dieſer VBergabung zu 
ben Winterriefen gerettet. Auch ihr berühmtes Halsgefchmeide, Bri- 
fingr, Brifingamen (fammeum s..igneum monile, Iæx. myth. 37) 
ift offenbar der glänzende Echmud des Yrüblings, defien voller Reiz 
in ihr zur Anfchauung kommt. Von der Eriwerbung biefes Geſchmeides, 
das ihr auch einft Loki, der Jotenſohn, entivendet, aber Heimball, ber 
Bane, zurüdholt, iſt ein befondrer Mythus, obgleich anthropomorphiftifch 
entftellt, in der fonft hiftoriichen Saga von Dlaf Tryggbhaſon aufbehalten. 
Freya fiebt eimft vier Zwerge in ihrer unterirdiſchen Wohnung einen 
wunderſchönen goldenen Halsſchmuck ſchmieden. Bol Verlangend bar: 
nad, bietet fie den Zwergen Gold, Silber und andre Koftbarleiten 
dafür, aber fie bebürfen all deſſen nicht und mollen das Kleinod um- 
feinen andern Preis ablaflen, als um die äußerfte Gunft der Göttin. 
Sie willigt ein und jeder ber vier Zwerge bringt ihr den ihm gehörigen 
oder von ihm verfertigten vierten Theil des Schmuckes. Wir finden in 
diefer Erzählung auffallende Ähnlichkeit mit derjenigen, mie Siſs goldene 
Haare von den Schiwarzalfen bereitet werben. Bebeuten biefe die gol- 
bene Ernte, fo ergibt fi Freyas Gefchmeide, gleichfalls von den Mächten 
ber Tiefe gefertigt, als der Frühlingsſchmuck der blühenden Erbe. Die 
vier Stüde bed Brifingamen fcheinen ebenfo viele Abfchnitte der Früh⸗ 
Iings- und Sommerzeit, etiva Monate, zu bezeichnen. Da die fchöne 
Zeit des Zahres vergänglich ift, fo muß auch ber Banengöttin (Vana- 
dis, Vanagod, Lex. myth. 799) eine Zeit ver Trauer und der Sehn: 
Sucht kommen; nicht bloß, daß fie ihres Geſchmeides beraubt wird, auch 
ihr Gemahl, Odr, zieht weite Wege bon ihr, fie aber weint ihm nad 
und ihre Thränen find rothes Gold. Ihn zu fuchen, reift fie unter 
fremden Böllern. Gerade von diefem fchönen Mythus ift uns nur die 
kurze Meldung übrig. Über Odr können mir, im Geifte dieſer Dich 
tungen, nur foviel errathen, daß er eine Sommerfraft fei, von ber 
Freyas eigener Beitand abhängt; ob die Sehnjuchtäthränen, womit fe 
ihn wieder ber zu weinen fucht, der goldene Früblingsregen feien, Tann 
nur gemuthmaßt werden. Bon diefem Goldiveinen heißt fie die thränen⸗ 
thöne Göttin (grätfagra god, Sn. Edd. 119. Dea lacrymando 
pulchra, Lex. myth. 79°). Gie hat‘ zwei Töchter, Hnofs und Ger 
ſimi, und wie an ihr felbit Alles fchön und leuchtend ift, felbft die 


49 


Thränen, fo. jollen aud die Namen dieſer Töchter zur Bezeichnung 
glänzender Kleinode gebraudt werben (Lex. myth. 78). 

Diele Göttin des Frühlingsreizes und der Frühlingsſehnſucht ijt 
nun auch diejenige, die von Verliebten angerufen wird und ber Liebes⸗ 

geſãnge (mpnssungr,, Sn. Edd. 29) wohlgefällig find. 

No wirb in einem der Eddalieder von ihr gefagt, daß ihr Saal 
Folkvangr Beiße und fie jeben Tag die eine Hälfte ber Tobten (halfen 
val) erlieje, Odin die anbre. Die jüngere Edda erweitert biefes fo, 
daß, wo fie zur Schlacht veite, fie mit Din ſich in bie Gefallenen 
bälftig theile. Es widerſtreitet aber dem ganzen Weſen Freyas, ſie 
für eine Schlachtgöttin anzunehmen, und wir werden über die Stelle 
Des Eddaliedes, melde zu vielfachen Auslegungen Anlaß gegeben bat, 
wohl erft aus den ſpätern Bollsfagen- einigen Aufichluß erlangen. 

Zu den Vanemn findet man noch Heimdalln gezählt (Finn WM. 
Edd. II, 110), den Wächter der Himmelsbrücke. Die lichte Erfcheinung 
diefer Götterbrücke mag es auch fein, was ihn dem Banengeichledht 
eignet, und feine Geburt von neun Müttern könnte fih auf die manig: 
fachen Farben und Tarbenübergänge des Regenbogens beziehen. Im 
Übrigen ift das vieldeutige Wefen dieſes Gottes noch wenig aufgehellt 
und wir haben um fo mehr ben Verluſt eines ihm befonvers gewid⸗ 
meten Liedes, wovon nur wenige Beilen noch übrig find, zu bebauern 
(Lex. myth. 146°). 

Den Banen untergeorbnet find die Lichtalfe (Liösslfar). Denn 
von Freyr befagt ein Eddalied (F. Magn. Edd. I, 169), daß ihm bie 
Götter am Morgen ber Tage Alfbeim zum Zahngeld (at tannfd) ges 
geben haben. Diefe Wohnung der Alfe kann aber in Verbindung mit 
Freyr nur die der Lichtalfe fein. Sonft heißt es von letztern, daß fie 
liter als die Sonne ſeien und in ben höchſten, füblichen Himmeln 
wohnen (Lex. myth. 4). Diefe Lichtweſen im meiten, blauen Ather 
(Vidbläinn) find aber zu burchfichtig und fchwebend, ale daß fie be⸗ 
träcdhtlih in die mythiſche Handlung eingreifen könnten. Wie die 
Schwarzalfe mit den Joten ber bunleln Erbe, fo gebören die Lichtalfe 
mit den Banen dem Licht und der Luft an. Die Banen find in Ge 
ftalt, Charakter und Handlung getreten, während bie Lichtalfe ohne 
beftimmtere Perſönlichkeit elementarifch umherſchweben. 

Das dritte der mythiſchen Hauptgefchlechter find yi Aſen (Äs, 

Uhland, Schriften. VI. 


so 


Meir). Ihr Stammvater war Bur. Burs Eohn Bör erzeugte mit 
einer Riefentochter die drei Söhne: Dbin, Bili und Be, melde den 
Urrieſen erſchlugen, deſſen Blut zum Meere ward; aus feinem Körper, 
den fie mitten in Ginungagap gebracht, bildeten fie die Erde und das 
Himmelögewölb, in biefes fegten fie als Geftime die Funken und 
Strahlen aus Mufpelbeim, oroneten die Zeit, ſchufen Biverge aus ben 
Würmern in Ymers Fleifhy und Menfchen aus den Baumbölzern, 
walteten dann über ein goldenes Alter, belämpften, als biefes unter: 
gegangen, die feindlichen Naturkräfte, welde, nur zeitlich gebänbigt, 
einft zum Berberben der Afen losbrechen werden. Der Wohnſiztz dieſer 


ift die Burg Asgard, in der Mitte der Welt, über das Irdiſche erhöht.‘ 


So erfcheinen die Afen überall bildend, verbinden, ordnend, er 
haltend inmitten der Echöpfung. Sie verbinden in. ihrem Weltbau ben 
Eisſtoff aus Niflheim mit den Feuerfunfen aus Mufpelfeim. Eie 
nüpfen felbit Verwandtſchaft mit Joten und Banen und nehmen Ab: 
kömmlinge dieſer Gelchlechter in ihre Gemeinſchaft auf; fie haben unab⸗ 
läſſig zu kämpfen mit dem barten Sotenftamm und verftehen fich leicht 

. mit dem weichen Vanengeſchlechte. Vom Streite mit dieſen erfahren 

wir faft nur durch die Friedensſchlüfſe. 
| Der geichloffene Kreis der Aſen ift in der Zwölfzahl gebacht, ebenfo 
die Afinnen. Aber bei dem Reichthum ber mythiſchen Geftaltenbilbung 
tritt Überzähligkeit ein, fo daß man aud bie Zwölfzahl verſchieden 
befegt findet. Es werben auch zwölf Säle, jeber die beſondre Woh⸗ 
nung einer Gottheit, aufgezählt, und man bat in biefen Eälen die 
zwölf Zeichen des Thierkreifes, zwölf Sonnenhäufer, zu finden geglaubt, 


| 


und darnach auch die Inhaber derfelben in ebenjo viele Monatsgötter - 


abgetheilt. So forgfältig und Funftreih man aber alles dieſes abge- 
meflen bat, fo ift es boch nicht zu einer überzeugenden Anſchaulichkeit 
erhoben und wir müſſen vorderhand die Göttergeftalten noch frei ihre 
Bahnen wandeln lafien. 

Der Gbtter beiligfte Stätte ift bei der Eiche Yggdraſill. Dorthin 
reiten fie jeven Tag über die Himmelsbrüde zu Rathsverſammlung und 
Gericht. Die Zweige dieſer Eiche verbreiten fich über die ganze Erde 
und zeichen über den Himmel, ihre Wurzeln erftreden ſich nach ver- 
ſchiedenen Weltreihen. An ben Zweigen wird fie von Hirfchen benagt, 
an ber tiefften Wurzel von Schlangen, an ber Seite fault fie. Aber 





51 


durch die Nomen mit dem Wafler aus Urds Brunnen täglich beiprengt, 
grünt fie fort und fort. Beim Einbruche des Weltendes erbröhnt und 
erbebt fie und Flammen fchlagen um fie ber. Es foll nicht verſucht 
werben, bie manigfaltigen Bilder, bie fich um biefe heilige Eiche her⸗ 
drängen, im Einzelnen zu beuten. Aber in den größeren Zügen, in 
ihrer Ausbreitung über das AU, in ihrer Stellung zwiſchen zehrende 
- und nährende Gewalten, in der Pflege der Beitgöttinnen, tft fie em 
wohl verftänbliches Bild des Weltbeftanbes, des Alllebens in ber Beit. 
Sie wird auch die Alternährende (vid aldurnara, Sem. 9 [Bölufp. 587) 
- genannt. 

Nicht umfonft rathen und richten nun die Aſen täglich unter biefem 
Weltbaume, ift ihnen dieſes bie erfte und beiligfte Stätte; denn in 
biefem Gericht, in dem mwaltenden Geſetze, rubt das Beitehen ber Welt. 

Was aber die Alen jo in die Mitte des Weltlebens ftellt, was 
fie zu der Macht erhebt, welche die widerſtreitenden Kräfte bindet und 
beherrſcht, das ift der Gef. Wir haben Soten und Vanen ihrem : 
urjprüngliden Weſen nad als entgegengefehte Naturfräfte bargeftellt. 
Soweit ſich aber an ihnen eine Erhebung ins geiftige Leben fund gab, 
fanden wir fie in den Kreis der Aſen aufgenommen. Nunmehr aber 
ift von den Afagöttern zu bandeln, fofern fie von Soten und Vanen 
verſchieden find, und hier werden fie fih uns ala weſentlich geiftige 
Mächte offenbaren, wenn gleich, fowie die Naturkräfte fich ihnen an- 
näberten, jo auch fie an jene anfnüpfen und eben in diefe Annähe⸗ 
rungen und Übergänge vie Möglichkeit der Bindung und Vermittlung 
der phyſiſchen Kräfte durch die geiftigen gelegt zu jeim fcheint. 

Mir betrachten zu dem bemerkten Zwecke, wie bei ben beiben 
andern Hauptftämmen, nun auch im Gefchlechte der reinen Aſen die 
bevdeutendften Geftalten und Charaktere, einzeln oder nach ben Gruppen, 
in welche fie der Mythus zufammenftellt. Ä 

Zuerft von Bragi, Idun und Saga. Der Aſe Bragi ift der erfte 
der Stalden. Nach ihm heißt die Skaldenkunſt Bragr und die fih am 
beften auf geivanbte Rebe verftehen, Bragurleute (bragr karla eda 
qvenne 1, Sem. Edda 29). Bei den Mahlen ber Götter macht er den 
Sprecher und ein Theil der jüngerm Edda: Bragis Reden (Brage 

1 {Die richtigere Dentung diefer Worte wäre: die Krone der Männer oder 
Frauen. Bgl. Sigurdargv. 3, 15. Snorr. Ed. I, 98. 8.) - 


. 52 


roedur) bezeichnet ſich als auf die Erzählungen Bragid bei einem folchen 
©elage gegründet. Ex. gibt dort dem Meergott Ägir, ver bei den Afen 
zu Gaft ift, über die alten Göttergeſchichten Aufichluß. Es wird felbft 
einmal bemerkt, daß er beim Schmaufe vom Getränk erhitzt geweſen. 
Bragis Gemahlin ift Idun, die in einem Gefäße die Apfel bewahrt, 
von denen fie geniehen, wenn fie zu altern anfangen; dann werben fie 
wieder verjüngt und dieſes dauert bis zur Götterbämmerung. Daß die 
Genoſſin des Dichtergottes die Äpfel der Verfüngung trägt, ift ein 
Mythus, deſſen getitige Deutung fih am nädhften legt: bie Macht ber 
Poefie, dem hinſchwindenden Leben in ihren Gefängen ewige Jugend 
zu erhalten. Allein eben dieſe Bebeutung, welche fih am erften auf- 
drängt, iſt nicht die urfprünglide; wir müſſen Idun zunächſt ben 
Naturmptben anreiben und erft dadurch, daß ihr ein Aje die Hand 
bietet, .ift fie vergeiftigt geworden. Idun flammt auch aus dem Alfen: 
gefchlechte, fie wird fogar zu den Kindern Ivalds, eines Biverges, ge: 
rechnet, und von ihr erzählt die jüngere Edda ©. 236 ff. Folgendes: *** 

Diefen Mythus erllärt Finn Magnufen, Lex. ar 00 fi: 
folgendermaßen: 


Idun galt urſprünglich fiir die gelindere Zeit des Jahres, oder die heitere 
und warme Luft, welche Blumen und Früchte hervortreibt und durch welche 
die ganze Natur mit den göttlichen Geiftern, ihren Negierern, jährlich wieder 
jung zu werben ſcheint. Dieß geſchieht, wenn ihre Äpfel, worunter Sterne 
gemeint zu fein foheinen, verzehrt, d. 5. zur Frühlings⸗ und Sommerzeit ver- 
ſchwunden find; in der Sprache ber Dichter hieß dieſes, daß die Götter felbft 
von ihnen genoffen hätten. Daher ihre blühende Jugend im Frühling, ihre 
männliche Stärke im Sommer und Herbfl. Beim Herannahen des Winters 
aber erfcheinen die Sterne der Nacht wieder im nörblichen Slima. Thiaſſi, der 
riefenhafte Dämon des Winters, ergreift Lolin, den Genius des elementari- 
ihen und irdiſchen Feuers, und zwingt ihn, Idun dutch das Vorweiſen irbi- 
fcher Früchte aus Asgard d. 5. in die winterliche Rieſenwelt zu verloden, 
umd fo wird fie von Thiaffi mitfammt den himmlischen Apfeln geraubt, von 
denen fi) jet Die untern oder winterliden Mächte nähren und ſtärken, während 
die Götter, welche die beffern Naturkräfte regieren, zu altern und zu ergrauen 
beginnen. Diefer ihr Zuftand dauert und verfchlimmert fi den Winter fiber, 
bis jener Winterriefe, auf dem beeiften Ocean feflgebalten, Idun gehörig zu 
bewachen vergißt. Dann macht fih Loki mit Hülfe Freyas, ber Göttin ber 
Fruchtbarkeit und Wärme, und in ihrem Yallengewand auf und entführt Idun 


53 


wieder, die in eine Schwalbe, das Symbol des Frühlings, verwandelt if. Der 
Zod Thiaffis, der Idun oder die Frühlingsluft verfolgte, bezieht fi auf den 
Untergang des Winters in ten Flammen ter Eonne.” 

Auch Mone läßt bier durchaus bie phufifche Deutung vormwalten, 
1, 394 bis 96.*** 

Trautvetter (Sterndeutige Auffchlüffe über die Eoda und die deutſche 
Heldenſage, Iſis 1820. IX. S. 605) bemerkt: 

Die goldenen Äpfel [der Idun] find die lichten Tage, bie im Geröf ab» 
gebiffen werden. ” 

Es zeigt fich bier abermals, wie bedenklich die Erklärung bis in 
die einzelnften Umftände der mythiſchen Erzählung fe. So meit aber 
find wir mit der Bilberfprache der norbifchen Mythologie bereit bes 
fannt geworben, daß wir im Ganzen, mit Finn Magnufen und Dione, 
in ber Entführung Iduns und ihrer Apfel zu den Niefen leicht wieder 
eine der Raturmytben von bem beftändigen Kampfe der Sommer: und 
Mintermächte erfennen. Daß der Jote Loki es ift, ber Idun dem 
Riefen Thiaffi zuführt, daß fie in Geftalt einer Schwalbe zurüdehrt, 
daß ber nacheilende Sturmriefe. feine Adlerſchwingen verjengt, al dieſes 
find Bilder, welche in den Kreis jener Naturmythen einfchlagen. Idun 
erhält jomit allerdings eine phufiiche Bebeutung, fie reiht ſich den Na: 
turmächten des Frühlings und Sommers an, fle ift die verjüngende 
Kraft des wiederkehrenden Lenzes. Somit würden dur) den Genuß: 
ihrer Gaben zunächſt diejenigen Götter verjüngt, die mir auch als 
Naturlräfte nachgewielen haben, die vom Banengefchledht. Aber fchon 
darin, daß gejagt wird, fo geh’ es mit der Berjüngung der Götter fort 
bis zum Weltuntergang, erweiſt fich eine größere, mwelterhaltende Kraft, 
und ift auch hierin Idun noch phyfiſch zu nehmen, fo reiht fie nun 
einem Aſen die Hand und zwar dem Gotte der Dichtkunſt. Damit 
berechtigt fie allerbings, was erft Naturſymbol, Bild ber ſich immerfort 
im Frühling erneuenden Welt war, nun aud als. geiftiges Sinnbild 
anfzufaflen, ala Sinnbild des nie alternden Geiſteslebens der göttlichen 
Alen, verwandt jener geiftigen Jugend, bie ewig im Gefange blüht. 

Saga wirb zu ben Afinnen gezählt und wäre nad Finn Magnufens 
Bermuthung (Lex. myth. 200***, 4069) mit Idun identifch oder doch 
nahe befreunbet. Die Gründe für die Identität find nicht ſehr ein⸗ 
leuchtend, aber allerdings kann dieſe Göttin mit Bragi und Idun 


! 


54 


füglich zuſammengeſtellt werden. Saga hieß im Norden jede Geſchichts⸗ 
erzählung, hiſtoriſche oder ſagenhafte, ein Unterſchied, der urſprünglich 
gar nicht beſtand. Die als Aſin perſonificierte Saga wohnt im Saale 
Söckvabeckr (Sinke- oder Senkebach), über den die kühlen Wellen ber: 
raufchen; bort trinten Odin und Saga: jeden Tag fröhlich zuſammen 
aus goldenen Schaalen. 1 


Odin heißi Allvater 2, weil er der Götter und Menſchen Vater iſt. 
Auch der Altervater, der Vater der Zeiten (aldafavpr), wird er ge 
nannt. Er ift der oberite ber Aien, er waltet über alle Dinge und 
die andern Götter dienen ihm, nachdem Jeder Macht hat (Sn. Edu. 23). 
Einer feiner Namen tft Fjölnir, der Vielfache, Manigfaltige (multi- 
formis, Lex. myth. 72); und in Wahrheit ift auch feine Erfcheinung 
und Wirkſamkeit fo manigfaltig, daß man von ihm in den alten Lie⸗ 
bern gegen 200 Namen aufzählen fann. (Ebendaſ. 269**: Odini nostri 
apud veteres po&tas occurrentia nomina ducenta fere enumerare 
possemus.) 

Soll viefes vielgeitaltige und allumfaflende Weſen in feiner Ein- 
heit ergriffen werben, fo fcheint das Näthlichite, von dem Punkt aus: 
zugeben, auf den uns ber bisherige Weg ber Betrachtung geführt hat. 
Wir ſtehen im Kreife der Aſen, unter denen Odin ber erfte iſt. Bon 
ihm und feiner Gemahlin Yrigg ftammt das Geſchlecht der Afen, er 
führt in ihrer Verfammlung den Vorſitz und zieht an ihrer Spite zum 
Gtreite, fie dienen ihm, wie Kinder dem Vater (In. Edd. 23). 

Hat fi und nun bisher die geiftige Ratur der Aſen bargethan, 
fo ift zu erwarten, daß in biefem ihrem Oberhaupte bie geiftige Aſen⸗ 
kraft fih im vollſten Maße äußern merbe. 

Odin figt auf feinem Hochſitze Hlidſtjalf, von wo er alle Heime 
(Weltreviere) überfhaut und die Töne aus der unterften Tiefe bört 
(Bdd. rhythm. 895). Auf feinen Achfeln figen die beiden Raben Hugin 
und Munin, die ihm alles Neue ins Ohr fagen, was fie jehen und 


1 [Hier fehlen im Manufcript einige Blätter. Die letzten Worte babe ich 
aus meinem nachgefchriebenen Hefte ergänzt. Kerner wurden abgehandelt: 
Balds, Hödr, Nanna, Yorfeti; Thör mit Mövi und Magni, feinen Söhnen; 
Tor, Bivar. 8] . 

2 Edd. rbythm. 466. 48. 154. Sn. Edd. il. 





55 

bören; denn jeden Tag fenvet er fie aus, die ganze Welt zu umfliegen, 
und dadurch erhält er Kunde von vielen Dingen. Die Namen biefer 
Naben, Gedanke und Gedächtnis, zeigen ſchon, daß er mit dem Geifte 
die Welt umkreiſt. Wenn die Midgardsſchlange ſich, als materielles 
Spotentvefen, um die Erde fchließt, fo umſchwebt Odin [geiftigt mit ges 
flügelten Gedanken die Welt. Als Wanderer zieht er aus, um bie 
Weisheit des Rieſen Bafthrubnir zu erforfchen, reitet in die Schatten: 
welt, um Hel wegen Baldurs zu befragen. Um einen Trunk aus dem 
Weisheitbrunnen hat er fein Auge zum Pfand gegeben. Mimirs 
Brunne wird hier für das Meer, Ddins barem gefenltes Auge für - 
den nächtlichen Untergang der mwinterliden Sonne, und Odin felbft für 
einen Sonnengott angejeben. Auch fein leuchtendes Auge ift Die Sonne. 
Dafür fpricht fein Name Baleygr, das Flammenauge. Er iſt einäugig, 
weil Die Sonne bie eine ift; aber er ift nicht felbft die Sonne, fonbern 
nur fein Auge, ald Symbol feines lichten göttlichen Geiſtes. Das 
andre bat er in die Tiefe hinabgefentt, in ven Duell der Naturweis⸗ 
beit; im Gegenſat zur geiſtigen der Afen ift fie Erbtheil des Rieſen⸗ 
geſchlechts, zu dem auch Mimir gehört. 

Auch in menfchlichem Weſen wandelt Odin umher, um alle Geime 
zu Iennen. Beſonders kommt ihm die Runenkunde zu. (fiber die Runo⸗ 
Ingie dgl. W. Grimm, über deutfche Runen. Göttingen 1821. - ©. 
Brumjulfsfon, Periculum runologicum. Kopenhagen 1825. Geijers 
ſchwediſche Geſchichte Th. I, 6.4. Studach, Sämunds Edda 1, 38 ff.) 
Die von Studach bier erwähnte Sammlung von Schwurlievern und 
Bannfprüden ift ohne Zweifel diefelbe, die fich jeht in den Händen von 
Etubad befindet und worüber Studach fih in einem Briefe an einen 
Mürttemberger äufert, daß er durch diefe Magie die wahre Bedeutung 
der Runen gefunden babe, wodurch alles Bisherige über den Haufen 
"falle, was über die Runen gefchrieben worden, folglich auch über bie 
Eddalieder. Wenn er diefen Probierftein an die Edda lege, werde ihm 
auf einmal Alles Kar. Studach mag fich in der erſten Freude über 
feine Erfindung etwas geteuſcht haben. Ohne Nüdficht darauf muß 
die Erlläjrung mit den vorhandenen Mitteln verfucht werben und gewiſs 
wird die Anſchauung ber mythiſchen Bilder felbft die Grundlage ber 

1 [Die in Klammern gefeite Stelle ift ans meinen nachgeſchriebenen Heften 
ergänzt. K.] 


56 


Erklärung bleiben müſſen, wenn auch das Runenweſen ein größeres 
„Gewicht für die Mythendeutung erlangen wird, als ihm bisher zu ge⸗ 
bühren ſchien. 

Im Kreiſe der Aſen ſelbſt finden wir Odin in naher Berührung 
mit ſolchen Weſen, die wir bereits als bie unberkennbarſten Perſoni⸗ 
fikationen geiſtiger Thätigkeiten kennen gelernt haben, Saga und Bragi. 
Auf fein Verhältnis gu Idun bezieht ſich das räthſelhafte Eddalied: 
Odins Rabenzauberlied, Hrafnagaldur Odins.) Mit Saga trinkt er 
jeden Tag fröhlich aus goldnen Schaalen, und damit iſt wohl nichts 
Andres beſagt, als daß er es ſei, von dem Saga geiſtig erweckt und 
belebt wird. Auch der Slaldengott Bragi verdankt ihm ben “Trank der 
Begeifterung. Bon der Erlangung biefes Tranks gibt die jüngere Edda 
eine ſehr abenteuerliche Erzählung, auf deren Inhalt ſich aber auch ein 
Stüd des Eddaliedes Havamal bezieht, j. Edda ©. 289. bis 242. *** 

Es läßt fich denlen, wie ſehr ein fo räthſelhafter Mythus die Des 
mühungen der Nusleger in Anfpruch genommen bat. ch verfuche auch 
hier nicht, das Einzelne zu entziffern, ſondern beichränte mich auf einige 
Grundzüge. Der erfte Keim und Anſatz bes wunderbaren Getränke, 
der in Koaſir! perfonificiert ift, bildet ſich aus, der zum Zeichen des 
Friedensſchluſſes gefchehenen Vermiſchung des Speicheld der Aſen und 
der Banen. Liegt: in den Vanen bie mohltbätige, ertvärmende, Frucht 
treibende Naturkraft, in ben Afen aber die geiftige Belebung, jp muß 
ein Erzeugnis ber Ausflüfle von Beiden ein ſolches fein, in dem bie 
Kraft der Natur zum Geifte gefteigert erſcheint. Die Getränfe, die wir 
bildlich geiftige nennen, find Herborbringungen der warmen, fonnigen, 
vanenhaften Natur und das Geifterwedenbe, das fie in fich tragen, 
mufte der mythenbildenden Phantafie auch wirklich für eine geiftige, 
von den Aſen kommende Beimtichung gelten. Zinn Magnufen, der, 
‘wenn aud aus andern Prämiflen, eben bie Anficht bat: Si Qvaser, 
ut eonjeeimus, cerevisiam ac alios inebriantes potus, vegetabilibus 
ortos, siguificef u. ſ. w, (Lex. myth. 271*; vgl. Edd. rh. 51, 35), beruft. 
fi zu Unterftügung derſelben ſehr paſſend auf eine Stelle der Halfs 
Saga (Cap. 1. ©. 26), wo Dbin zur Bereitung bes beften Bieres 

1 Über die ruſſiſchen Geträuke Mjöd nnd Kwas findet fi Nachricht in 
A. Ermans Reife um die Erbe, durch Norbafien Band 1. Berlin 1838, nad 
ben Jahrbüchern für mifienfchaftliche Kritik, Januar 1834, Sp. 46. , 





97 


! 

feinen Epeichel als Gährmittel beigebe. Die Sageuſielle fpricht aber 
auch noch in den beſondern Umftänden für dasjenige, was ich über das 
Verhältnis der Ajen und Banen in dieſer Sache bemerkt babe. Es 
wetteifern dort zwei Frauen, welche das befte Bier zu Stande bringe; 
die eine thut ein Gelübbe zu Freya, die andre zu Odin und biefer 
verhilft ihr durch das erwähnte Gährmittel zum Siege. Freue, die 
Banin, konnte nur für gefunde, nährende Stoffe haften, der Aſe Odin 
gab die geiftige Gährung. Wie nun Kvaſir und fein Blut bei Zwergen 
und Rieſen umgetrieben werben, bis zuletzt der herrliche Meth in Sut- 
tungs Felshöhle verfchlofien liegt, darüber läßt ſich, nach der Analogie 
der uns ſchon belannten Mythen, wenigſtens foniel errathen, daß damit 
die Schickſale des den unterirbifchen und winterlichen Mächten. über: 
gebenen Keime ‚gemeint feien!. Aber nicht den Riefen und Zwergen . 
gehört bieler edle Scha auf bie Dauer an; die Yen, die dazu das 
Beite getban, haben aud auf ihn das nächſte Anrecht und Odin felbit 
fährt hinab, ihn, wie er nun geworden, zurädzubolen. Nicht Thors 
Hammer, noch Freyrs glänzendes Schwert, noch Freyas Hingebung, 
noch Lokis Jotenliſt genügt dießmal dem Werke, der Afenvater jelbit 
muß es mit Schlangenflugheit vollführen, weil es ſich nicht um eine 
Raturgabe, fondern um einen geiftigen Erwerb handelt. Aud der Name 
des Gefäfles, worin biefes Getränke bewahrt wird, bezeichnet deſſen 
Eigenſchaft: Odrörir (Odroerir, ingenii motor aut excitator, Lex. 
myth. 379%). Diefen Meth gab Odin den Aſen und den Dichtern, 
von ihm wohl trinkt er mit Saga; wenn Odrörir verfchloffen tft, jo 
wird die Nunenweisheit der Afen irre (Finn M. Edd. UI, 219. 231. 
Edd. rh. 88); ein Trunk bes Toftbaren Metbes, aus ihm gejchöpft, 
macht in Weisheit blühen, wachſen und gebeihen, ein Wort zeugt dann 
Worte mit dem andern, ein Werl mit dem andern Werke. (Edd. rh. 
‚3°. Finn M. II, 139.) So ergibt fi denn, daß dieſer Mythus 
nicht bloß phyſiſch von der Entftehung berauſchender Getränke hanbelt, 
fonvern daß der bilblihe Trank den Duell der Begeilterung, ber in 
Wort und Werk fruchtbaren Erregung des geiftigen Lebens bedeutet; 
auch liegt der Gedanke nicht fern, daß dieſer wunderbare Quell aus 
der Wechfelwirtung der vom Geifte durchdrungenen Natur und des von 

ber Natur erfrifchten Geiftes entjpringe. | 


I Bgl. Finn Magnufen, Edda III, 158. 


m 


1) . 

Mit der Eriverbung des Dichtertrankes ift uns Odin aus der 
Weisheit des Willens ſchon bedeutend in das Gebiet des ſchaffenden 
und wirkenden Geiftes übergetreten. „Allvater wirft” (orkar), hebt 
eined der Eddalieder an (Hrafngald. O. Edd. rh. 86. Finn M. I, 
218), und im Gegenfaße damit heißt es teiter: „Alfe unterfcheiden 
(sKilja), Vanen wiſſen (vita)“. Bon der Weisheit diefer Naturweſen 
war früher die Rebe. 

Nachdem wir bisher an Odin sunächft nur das geiftige Weſen 
darzuthun fuchten, fo ift nun auch das Wirken feines Geiftes weiter 
zu verfolgen. 

Die drei Eöhne Börs, Din, Vili und Be, bauten aus bem Leibe 
des von ihnen erfchlagenen Urriefen und aus den Funken von Muſpel⸗ 
beim Himmel und Erde. Wieder geben dann drei Aſen zufammen, 
Ddin, Hänir und Lodur, und riefen die Mienfchen ind Leben (Bölufp. 
17. 18). | 

Bis drei lamen 

Aus der Berfammilung 
Mächtige, liebenbe 
Afen zum Ufer; 
Fanden am Laute, 
Wenig vermögenb, 
Aſt und Embla, 
Schickſalsloſe. 


Geiſt (Avnd) uicht hatten fie, 

Hatten Berftand (Oth) nidt, 

Blut noch Geberte (Lä, Leti), 

Noch jhöne Farbe (Lito). 

Geift gab Odin, _ 
Sinn gab Hänir, 

Blut gab Lodur 

Und ſchöne Yarbe. 


Sonft finden wir die Ajen auch in der Dreizahl durch hie Welt 
zeiiend und dann find es: Odin, Loli und Hänir (Sn. Edd. 80. 135). 


/ 1 Studach I, 12, 33: Dihin gab die Seele, aund, das Unſterbliche bes 
Menſchen, in welcher Bebeutung dad Wort fi) bis auf heute in Skandinavien 
erhalten hat und die nicht erft Später in dasſelbe eingetragen worden ifl. 





59 


Nach einer Bemerkung Geijers (268, 10a) ſoll auch ftatt Lodur, welcher 
nur eben bei der Erfchaffung der Menſchen genannt wird, Loptr vor⸗ 
fommen, welches ein Name Lokis ift. In einem der Eddalieder erinnert 
auch Loki den Odin daran, wie fie am Morgen ber Tage Blut zu⸗ 
fammen miſchten, Blutbrüderfchaft. ſchloſſen. Sowie aber der Joten⸗ 
john Loki unter die Afen aufgenommen ift, fo war Hänir, der andre 
Gefährte Dvins, einft den Vanen zum Geifel gegeben, und es Tönnte 
hiernach in jener Dreibeit wieder die durch den Aſen Odin feftgehaltene 
Bindung der Gegenfähe des Joten⸗ und Vanengeſchlechts vermuthet werben. 
Im Übrigen find die Namen und Weſen Bili und Be, wie Odins 
Genoffen beim Weltbau heißen, Hänir und Lodur, wie fie bei ber 
Menſchenſchöpfung genannt find, noch viel zu wenig ins Klare geſetzt, 
als daß über ihren beſondern Antheil eine unzweifelhafte Anficht geltend 
gemacht werben könnte; und eben damit ift auch erne fefte Beftimmung 
der dreierlei Göttergaben, womit Aſt und Embla ausgeftattet wurden, 
noch fehr ſchwierig. 

Soviel aber leidet keinen Zweifel, daß Odin, deſſen Name auch 
unveränderli durchlaͤuft, als der erſte und oberſte unter den Dieien 
auftritt und daß auch ſeine Gabe, nennen wir ſie Lebenshauch, Geiſt, 
Seele, ſich als vie geiſtig weſenhafteſte und lebendigſte hervorſtellt. 

Was Odin feinen Söhnen gebe, ſagt und auch mehr im Einzelnen 
ein andres Eddalied (Hindiu-Ijod, Str. 3. Edd. rh. 113): 


Sieg giebt er Eühnen, 
Erlihen Reichthum, 
Nede den Edeln, 
Witz den Männern, 
Fahrwind den Seglern, 
Gang den Skalden, 
» Aber Mannpeit 
. Daunen Reden. 


Bir ſehen, Din, der den Afen den Trank der Begeiftigung ge 
holt, der den Menſchen lebendigen Geift gegeben, gibt auch Alles, was 
das Leben rüftig bewegt. Wie der Fahrwind die Segel ſchwellt und 
Wellen über die Meeresfläche treibt, fo haucht Odin allaufregend in bie 
Belt der Götter und Menfchen-und als der Geiſt des lebendigſten 
Lebens ift er auch weſentlich ein Gott des Kampfes. 


60 
i 


Ter Beitand der Welt beruht auf einer Bindung widerſtrebender 
Kräfte. Mit den Vanen haben fich, die Aſen nur verglichen, mit den 
Soten find fie in fortwährenden Kampfe begriffen. Die furdhtbarften 
Ungeheuer dieſes Gefchlecht3 muften durch Gewalt oder Lift gebunden 
werden und mit den Winterriefen „hauert ber jährliche Krieg. Zur 
Bändigung und Bekämpfung dieſer feindlihen Mächte hat. ſich Odin 
mit einer Schaar ſtarker Sprößlinge umgeben, welde, damit ihnen 
 Stärle gegen materielle Gewalten zum Erbtheil würbe, mit ber Erbe 

und mit Riefenweibern erzeugt find. Tyr, der Kühne, hat bie Hand 
in den Rachen bes Wolfes geftredt, Thor mit feinen Söhnen ift uner: 
müblich, die Rieſen nieverzufchmettern. Wohl war einft ein Goldalter 
(gullaldr, Sn. Edd. 15), wo die Aſen fröhlich auf golpnen Tafeln 
ſpielten (dd. rh. 2, 8 f. 10, 61). Wohl ift in Baldur, einem andern 
Sohne Odins, von andrer Mutter, dem reinften, beiten ber Aſen, eine 
Herrfchaft des Gefeßes und der Sitte aufgegangen, welche, fo lange fie 
jelbit beftebt, auch das Weltganze im Beftann erhält. Aber Balbur 
felbft hat ahnungsvolle Träume, daß fein Leben in Gefahr fei, und 
alle Weifjagungen beitätigen ed. Umſonſt wird die Ratur in Eid ge 
nommen, ber Keim ber Empörung bleibt doch in ihr haften. Se tiefer. 
Dbin in den Abgründen ber Rieſenweisheit forſcht, um fd fichrer nur 
‘ erhält er die Kunde, daß’ die gefeflelten Mächte, die immerfort an 
ihren Banden rütteln, auch dieſe wieder brechen. werben. Baldurs 
geiſtiges Reich, in ber Zeit und in ber materiellen Welt gegründet, ift 
gleich dieſen vergänglihd. Der Geift jelbit bat, um die Materie zu 
binden, ſich vielfach mit diefer vermifhen müſſen. Schon Odin felbft 
und feine Brüder, die Orbner der Welt und die Echöpfer der Menfchen, 
find aus der Verbindung Börd mit der. Niefentochter Beftla hervor: 
gegangen. Das Golvalter währte nur, big die Weiber aus Jötun⸗ 
heim famen (Edd. rh. 2, 8. Sn. Edd. 15). Din felb und anbre 
Aſen verbanden fi) mit Riefenweibern. Nicht bloß die freundlichen 
Vanen wurden in bie Gejellihaft der Aſen aufgenommen. Auch der 
Sote Loki, mit dem Dbin am Morgen der Tage ſchon Blutbrüderichaft 
gefchloffen, war in ihren Kreis ‚eingetreten und mufte hier, als das 
fittliche Böje, auch die höchfte Blüthe des Ajenreiches, Baldurs ſittliche 
Herrfchaft, untergraben und zerftören., 
War fonac dem Geilte in ber von ihm gebauten . Melt Feine 





61 


dauernde Stätte bereitet, jo mujte er ſteis wehrhaft und lampfrüſtig 
fein, fein Werk in ver Zeit zu fchirmen, ſtets weg: und Ichlachtfertig, 
den legten, großen Streit zu beſtehen und aus der zufammenftürzenden 
Welt, in feinem Weſen unverfümmert und durch den Kampf felbft ge: 
kräftigt und geläutert, zu einem neuen, höheren Daſein durchzubrechen. 
Diefe raftlos ftrebende, Tampfgerüftete Kraft des Geiftes, die Bürg: 
ſchaft feiner Nichtgebundenheit in Zeit und Materie, ift in Odin zur 
Darftellung gekommen. Valhall (Valhavll, Valhöll), Odins leuchtende 
Halle, tft denn aud ein Waffen: und Helvenfaal. Das Dad ift mit 
goldenen Scilven belegt, die Wände find mit Schilden, ftatt mit 
Zeppichen, geihmüdt, und Abends dienen blanke Schwerter zur Er: 
leuchtung. Der Name dieſes Saales befagt wörtlid: Halle der Ge- 
fallenen, Erſchlagenen (valr, strages). Denn die, melde im Kampfe 
gefallen find oder ſich freimillig den Tod gegeben haben, fahren zu 
Odin. Die auf dem Bette fterben, Tommen zu Hel3. dunkeln Sälen. 
Odin bat den Menfchen den Geiſt eingehaucht, er nimmt ihn zurüd; 
aber ihm, dem kämpfenden Gotte, find nur die Fräftigen Geifter ge- 
vecht, denen das irdiſche Leben eine Echule des Stampfes war. Diefe, 
in Valhall aufgenommen, , heißen Einberien (Einheriar). Sie jpeifen 
von dem Eber Sährimnir, der jeden Abend wieder ganz ift, und trinfen 
den unverſieglichen Meth aus ven Eutern der Biege Heidrun. Odin 
jelbft genießt nur Wein und gibt die Speife feinen Wölfen Geri (vorax) 
und Freki (ferox, avidus, Lex. myth. 775). Dieje find Sinnbilder 
der Schlacht, wie dann mwohl auch die Naben auf des Gottes Schul: 
tern. Die Einberien reiten jeden Morgen getwaffnet auf den Hof, be: 
fämpfen und tödten einander; zur Zeit des Mahles aber fehren fie 
unverleßt zurüd und die Valkyrien reichen ihnen das Trinkhorn. 
Balkyrien (Valkyria, Blur. Valkyriur, von valr, strages, und 
kjöra, köra, eligere, Tobtenfürerinnen, Lex. myth. 528°. 535°), 
auh Odins Sungfraun (Odins meyar) genannt, find, ihrem Namen 
gemäß, die Wejen, melde Odin augfendet, um die Tobten zu wählen, 
um die Helden, welche für Valhall reif find, zum Tod in der Schlacht 
zu beſtimmen. Sie werben bald in größerer, bald in Kleinerer Zahl 
benannt und ihre Namen beziehen fih, foweit fie erklärt find, fait 
durhaus auf Kampf und Kampflärm. Ihre Erjcheinung ift kriegeriſch, 
fie reiten unter Schilden. Das Reiten der Valkyrien ift eim Zeichen 


62 


nahenden Kampfes, felbft bei den Göttern; die Weiſſagerin in ber 
Bölufpa fingt, unmittelbar bevor fie auf Baldurs Tod lömmt, mit 
bem ber Friede der Welt zur Neige geht, Bolgendes!: 

Sie ſah Valtyrien, 

Weither kommend, 

Bereit zu reiten 

Zum Göttervolke. 

Skuld den Schild hielt, 

Den andern Skögul, 

Gunnr, Hildr, Gavndul 

Und Geirſkavgul. 

Nun ſind gemeldet 

Herjans Jungfraun, 

Bereit zu reiten 

Auf's Feld, Ballyrien. 

Dieſe Kriegsjungfrauen walten über Sieg und Tod, in Valhall 
aber ſind ſie die Schenkinnen. 

In jener Eigenſchaft, als Lenkerinnen des Schlachtgeſchicks, find 
fie vorzüglich in einem Liede dargeſtellt, das die Nialsſaga (Havn. 1809. 
II, 4) aufbewahrt bat. ch hebe dasſelbe aus, weil es als das aus— 
drudvollfte Gemälde biefer mythifchen Wefen angeführt zu werben pflegt. 
Gräter, Nord. Blum. 270 ff. *** 

Mit Recht hat jevodh Finn Magnufen bemerkt (Lex. myth. 5325), 
daß in diefem, der chriftlihen Zeit angehörigen Liebe die Vallyrien 
einfeitig und nicht mehr rein im Geiſte des heidniſchen Alterthums 
dargeitellt feien: 

Christianismo huc introducto Bellone ille, una cum reliquo Deorum 
coetu, malis tantum ac foedissimis deemoniis sunt adscripte. Bona nulla 
piis indulgere eredebantur, at e contrario meras calamitates, infortunie, 
cwdes ac sanguinolentas retinuerunt functiones. 

In andrem Lichte, in .einer viel geiftigern Wirkfamleit, werben 
uns die Balkyrien in der norbifchen Helvenfage erfcheinen, two ihr Weſen 
erft zur vollen Entwidlung kommt. 

Aber auch bier fhon, in ber Götterfage. find fie nicht bloß blutige 
Schlachtgöttinnen. Sie haben den höhern Beruf, die Heldengeifter für 


1 Edd. rh. 4, 24 fellt diefe Strophe in andern Zufammenhang. 


- 


‘63 , 
— — 


Odins Halle zu Füren. Ihn felbft werben twir in ben Helbenfagen un: 
mittelbar über Kampf und Sieg gebieten und fogar in bas irbifche 
Schlachtgewühl nieverfteigen jehen. Davon hat er auch in den mythi⸗ 
fhen Liedern die Namen: Heervater (auch Herjan), Balvater, Siegvater. 

Den Triegeriihen Bölfern des Norbens war Kampf und Krieg 
die Blüthe des Fräftigften Lebens. Darum Tonnte auch das Leben bei 
Odin unter feinem ausbrudsvolleren Bilde dargeftellt werden, als unter 
dem des irbijchen Heldenthums. Erwägen wir aber, was zubor über 
Odins ganze geiftige Natur ausgeführt worden, fo Tann und nicht mebr 
zweifelhaft bleiben, daß das Mahl in feiner Halle jenem mythiſchen 
Tranle der Begeifterung verwandt, daß die Kampfſpiele der Einherien 
gleichfalls nur bildlicher Ausdruck der fortwährenden geiftigen Kampf. 
übung feien. Wie zur Herbitzeit die Strichvögel fi) zum Wegzuge 
fammeln, um in gefchlofjener Schaar ben meiten Flug über Länder 
und Meere, durch Wollen und Stürme, ausdauern zu fönnen, ‚jo 
fammelt Odin um fi) die Geifter, bie er ausgeſandt und die fich Fräftig 
erprobt haben, zum großen Heerzug aus der untergehenden Zeitwelt. 
Noh in Balhall ftärkt und übt er fie unabläffig, und je größer bie 
Zahl ift, Die zu ihm fährt, um fo befler fteht die Sache des Geiles. 
Im Liebe Grimnismal heißt es (Edd. rh. 43, 23): 

Fünfhundert Thüren 
“ Und vierzig brüber 
Glanb' ih in Balhall. 
Adthundert 1 Einherjen - 
Gehn vor ans jeder, 
Wenn fie fahren dem Wolf entgegen. 

Die jüngere Edda fagt noch befonders: 

Eine große Menge ift da, und weit Mehrere werben ihrer noch werben, 
und doch mögen es nicht zu viele fein, wenn der Wolf Fenrir fommt. Jüngere 
Edda 198 und Sn, Edd. 41 f. 

In einem fpätern Skaldenliede auf den Tod Erichs Blutart freut 
fih Odins Herz, als die Helden von der Erde zu ihm kommen, und 
in einem ähnlichen Geſange heißt es: 

1 Lex. myth. &. 56***: Numerus ille [432000] ad zodiaci ac anni 
divisiones et mundan® ztstis annorum seriem p. p., certum habuit re- 
spectum, et variis igitur modis in Chaldeorum, Indorum, Sinensium et 
pl. vetustissimam mythologiam est receptus. 


64 


Da ſprach Göndul, 

Auf ihren Speer gelehnt: 

Nun gedeiht der Götter Sache, 
Da ſie Hakon 

Mit großem Heere 

Heim zu ſich geladen 1.⸗ 

Brit nun wirklich die lang verkündete Beit des Weltlampfes 
herein, dann mappnet fi) Odin felbit; den Goldhelm auf dem Haupte, 
mit der ſchönen Brünne angethban, den Speer Gungnir ſchwingend, 
reitet er den Ajen und Einberien voran zu der weiten Ebene Vigrid, 
wo der Kampf ſich erhebt. Er felbit wird vom Molfe verichlungen 
und aud die andern ftreitbarften Götter gehen unter. Aber auch bie 
Ungeheuer find erlegen, der Kampf ber Götter, zu melden Odin 
alle geiftigen Kräfte mit ſich fortgeriffen, war nicht fruchtlos und 
aus den Trümmern des Weltbaus fteigt eine neue, verjüngte Welt 
empor. 

Über Odin ift noch zu bemerken, daß, wenn auch die etymologi⸗ 
Then Ableitungen feines Namens von édr, Subſt. (ratio, intellectus) 
oder von Ödr Adj. (insanus, furens, Lex. myth. 3789), was auf 
feine ftürmifche Kampfnatur zu beziehen wäre, fich nach Feiner Seite 
ftihhaltig bewähren follten, doch auch Teine andre feftgeftellt ift, welche 
jeinem geiftigen Wefen, wie wir e8 aus dem ganzen mythiſchen Zu: 
fammenbang entwidelt, entgegen wäre. Zwar bat man ihn phufiich 
für den Gott des Himmels oder des Luft angenommen, vorzüglich aus 
dem Grunde, weil Srigg, die Mutter Erde, feine Gemahlin ſei. Allein 
eben diejer Umjtand iſt nicht nur unerwieſen, fondern Frigg wird fogar 
der Erde entgegengeftellt, indem fie, in den bichterifchen Benennungen 
der Skalda, die Nebenbuhlerin Jörds, der Erde, beißt, mit welcher 
Odin auch Söhne erzeugt bat, die in die Reihe derjenigen gehören, 
welche wir als bie Starken unter den Aſen bezeichnet haben, wogegen 
aus der Ehe mit Frigg ein Sohn ganz anbrer Art, Baldur ver Gute, 
hervorgegangen ift. Frigg ift nicht die Erde ſelbſt, ſondern bie Tochter 
ver Erde, Förgynd. Im Übrigen tritt ihre Weſen fo wenig deutlich 
hervor, daß ich ihr unter den Weltalten des Aſenkreiſes keine befonbre 
Darftellung widmen konnte. Die in ihrem Gefolge aufgezählten Afınnen, 


1 Sagabibl. II, 374. Münter 453. 





65 


vie ich gleichfalls nicht beſonders aufgeführt babe, neigen ſich theils 
mehr zur phyſiſchen, theild mehr zur ethiſchen Bebeutung. 

Wir haben, wie den Joten bie Zwerge oder Schwarzalfe und ben 
Banen die Lichtalfe, fo den Aſen die Menfchen zugeorbnet. Bon dieſen 
fol’ jeboch hier nicht eigens noch gehandelt werden. Soweit fie in die 
Götteriwelt reihen, haben fie fich uns bereits in der geiftigen Berbin- 
dung nit Odin berausgeftellt, ihr befonbrer Mythus aber ift die Helben- 
fage, der unfre nächſte Abtheilung gewidmet fein wird. 

Der bisherige Durchgang durch die verſchiedenen Weſenklaſſen der 
nordiſchen Götterlehre war darauf berechnet, das Verhältnis des gei- 
ftigen Elements biefer Mythologie zum phyſiſchen beftimmter erkennen 
zu lernen. Der Erfund war der, daß mitten zwiſchen bie widerſtre⸗ 
benden Raturgewwalten aus unbelannter Quelle eine geiftige Kraft bindend 
und orbnend eintrat, daß fie in der phyſiſchen Schöpfung, die aus biefer 
Bindung herborgieng, zugleich ein geiftiges Reich gründete und dieſes 
auch, nachdem es in ber Beitfchöpfung nicht mehr beftehen konnte, durch 
den Untergang berfelben in ein höheres Dafein zu retten fuchte. 

Die Götter in der Zeit find als foldde von befchränkter Macht. 
Am Brunnen unter der Weltejche wohnen die drei Nornen, durch ihre 
Namen ſchon als Bergangenheit (Urd), Gegenwart (Berbandi) und 
Zukunft (Stulb) bezeichnet. Sie beitimmen Lebenszeit und Gefchid der 
Menichen, aber auch die Götter vermögen nichts über fie. „Allvater 
wirkt,“ jagt das Lied, „Normen weiſen“ (visa nornir, Edd. rh. 88). 
Die Götter, in der Beit wirlend, find den Beitgöttinnen verfangen. 

Räthſelhaft ift der Geift in die erfchaffene Welt herabgeftiegen; in 
eine lichtere, aber doch wieder räthſelhafte Ferne tritt er über nach dem 
Weltuntergange. Die mythiſchen Berlünbungen von ber neuen ober 
verjüngten Welt fiimmen nicht in allen Punkten überein. Hören wir 
darüber die jüngere Edda S. 233 f.! *** 

Daß in diefer neuen Welt, bie wohl nur eine Verjüngung und 
Berllärung der alten ift (von ver Welteſche war auch nur gefagt, daß 
die Lohe um fie ber geſchlagen), Feine der rohen Naturgewalten wieder 
auftaucht, daß felbft Die Vanengötter verſchwunden find (Freyr war 
Schon beim Kampfe ſchwertlos), daß Baldur der Gute und fein ſchuld⸗ 
Iofer Mörder verſöhnt erfcheinen, al dieſes past wohl zu unjern 
früheren Erörterungen. Warum aber von ben Aſen felbjt nur bie 

Npland, Schriften. VI. 6 


66 


genannten wieder auftreten, warum Obins felbft nicht mehr gedacht wird, 
ob aud) diefer, nachdem aller Kampf aufgehört, feine Bahn vollendet, 
ober ob er völlig geiftig ins Unfichtbare ſich erhoben Bat, auf biefe 
und andre Fragen wird ſich nichts Entſcheidendes antworten laſſen. 
Eben darin liegt aber aud die Möglichkeit, diefe Götterlehre, je nach 
ber individuellen Auffafjung, höher oder tiefer in ber religidjen Geltung 
zu ftellen. Gerade die Strophe der Völufpa, die einer höhern Anficht 
die günftigfte wäre, wird, weil fie fi) nur in ben Bapierbanbichriften 
der ältern Edda findet, von Einigen für unecht gehalten (F. Magnujens 
Edda I, 691). 

Da tomnıt der Mächtige 

Bu der Götter Rath, 

Stark von oben, 

Der tiber Alles waltet. 

Urtheile fpricht er, 

Streit befänftigt er, 

Stiftet heiligen Frieden, 

Gibt Heilige Sakung, 

Die dauern wird, 

Soviel jedoch bleibt unter allen Borausfehungen gewiſs, daß durch 
dieſe Mythenwelt eine mächtige Ahnung des Unendlichen, des über 
die Zeitmächte erhabenen Göttlichen, ein lebendiger Hauch bes unver⸗ 
gänglichen Geiſtes hindurchzieht. 

Wir haben im Bisherigen die Erklärung der nordiſchen Götterfage 
leviglih aus ihrem eigenen, inneen Zufammenbange nach dem phufi- 
ſchen und geiftigsfittlichen Geſichtspunkte verſucht. Es ift nun noch 
von ihrer hiſtoriſchen Beziehung zu ſprechen. 

Die Meinungen in dieſer Hinſicht find auf Jahrhunderte hin durch 
Dasjenige beftimmt worben, was Snorre Sturlefon, in ber erften 
Hälfte des 13ten Jahrhunderts, in feine norwegiſche Königsgejchichte, 
die Heimskringla, über die Einwanderung ber Afen im Norden aufge: 
nommen bat. 

Die Heimstringla (von den Worten, mit denen Re anhebt, kringla 
heimsins, orbis terrarum, jo genannt) ift zu Stodholm 1697, 2 Bde Fol. 
und jpäter in 6 Foliobänden, Kopenhagen 1777 bis 1826, herausgegeben. 


1 Edd. rh. 9; vgl. Hyndl. Str. 41. 


67 


Snorro ſelbſt ſetzte dieſes Werl aus ſchon vorhandenen ſchriftlichen | 


Eagan der hiſtoriſchen Klaſſe zufammen. Der Eingang besfelben, bie 


Inglingnfaga, jedoch ift noch wirklich fagenhafter Natur und für ımfre - 


Zwecke find hier die 13 eriten Capitel von Belang, deren Abfaffung 
Müller dem Snorro felbft zufchreibt, tuogegen Geier (S. 323 ff.) ber 
Meinung ift, daß er auch fie ſchon in ber vor ihm gelegenen Ynglinga- 


faga vorgefunden babe. hr Inhalt ift diefer: (Cap. 1.) Auf der’ 


Nordſeite des fchwarzen Meeres erftredt fi das große oder kalte 
Schweden (Bvipiöd). Der nördliche Theil desfelben liegt ungebaut vor 
Froft und Kälte In biefem Schweden find große Lanpftriche mit 
mancherlei Völlern und Zungen. Da find Niefen und Ziverge, au 
Schwarze Leute und allerhand twunberlihe Bölfer, fowie Thiere und 
Drachen von furdtbarer Größe. Bon den Norbgebirgen fließt durch 
Edyweben der Strom, ber mit Recht Tanais heißt, vordem Tanaqpisl 
oder Banagvisl genannt, und fich ins ſchwarze Meer ergießt. Das 
Zand zwiichen feinen Armen hieß Banaland over Banaheim (Vana- 
beimur). Er trennt die Welttheile; ber gegen Oſten heißt Afin, ber 
gegen Weiten Europa. (Cap. 2.) Das Land in Aſien, öſtlich des 
Tanagvisl, war Afaland ober Aſaheim (Asa-heimur) genannt. Die 
Hauptftadt dieſes Landes hieß Asgard; barin war ein Häuptling (Höf- 
dinge), der Odin (Odinn) genannt war; auch war daſelbſt eine große 
DOpferftätte. Zwölf Hauptpriefter, Diar! oder Drottnar genannt (Divi 
s. Domini), follten dort über Opfer und Urtheil walten und ihnen 
ſollte alles Bolt Dienft und Verehrung erbieten. Odin war ein großer 
Kriegamann (Hermadur), auch weit umber gelommen, und hatte fi 
viele Reiche unterworfen. Er mar fo flegreih, daß er jede Schlacht 
gewann; und fo kam e3, daß feine Leute glaubten, ihm allein gebühre 
überall der Sieg. Wenn er feine Männer in ven Krieg ober auf andre 
Fahrten außjandte, war fein Gebrauch, ihnen feine Hände auf das 
Haupt zu legen und den Segen zu geben; dann glaubten fie glüdlich 


zu fahren. Auch pflegten feine Leute, wo fie zur See oder auf bem 


Lande in Nöthen tvaren, feinen Namen anzurufen und davon glaubten 
fie ſtets Abhülfe zu erlangen; darum fchien ihnen aller ihr Troft bei 
ihm zu fein. Er fuhr oft fo weit fort, daß er viele Jahre ausblieb. 


1 Diar heißen bie Afengötter Hrafnagald. Od. 18. Bdd. rh. 91a. 


+ 


\ 68 


(Gap. 3.) Dbin hatte zwei Brüber, Be und Bilir, Diefe beherrſchten 
‚ die Reiche, fo lang er abweſend war. Einmal war er jo lange auß- 
geblieben, daß die Aſen nicht mehr an feine Heimkehr glaubten; ba 
tbeilten fich. die Brüder in fein Erbe und eigneten fih beide feine Ge- 
mahlin zu. Bald nachher kam Odin zurüd und nahm feine Frau 
wieder zu fih. (Gap. 4.) Odin fuhr mit Heeresmacht gegen bie Banen, 
aber diefe .waren. wohl gerüftet und mehrten ihr Sand. Der Sieg 
wechſelte und fie verheerten einander gegenfeitig die Zänder. Als das 
beiden entleibet war, beitimmten fie eine Zuſammenkunft, machten 
Frieden und gaben einander Geifel. Die Banen gaben ihre trefflichiten 
Männer bin, Njörd den Reichen und feinen Sohn Freyr; die Aſen 
“dagegen Einen, der Häner hieß, und von dem fie fagten, daß er wohl 
zu einem Häuptling tauge. Er war ein ſehr geoßer und ſchöner Mann. 
Mit ihm fandten fie den, der Mimer hieß, einen fehr weiſen Mann. 
Die Banen aber gaben dagegen Denjenigen, ber unter ihnen der Weifefte 
war und Koafir bie. Ale Häner nah Banaheim Tam, warb er 
fogleih zum Häuptlinge gemadt. Mimer gab ihm in Allem feinen 
Rath ein. Wenn aber Hänir ſich in Gericht und andern Verſamm⸗ 
Iungen befand, wobei Mimer nicht zugegen war, und bann ſchwierige 
Sachen vor ihn gebracht wurden, antwortete er immer das Nemliche: " 
Mögen Andre rathen! Da merkten die Banen, daß fie beim Taufche 
von den Afen bintergangen worden; darum enthaupteten fie Mimern 
und fandten fein Haupt den Aſen. Odin nahm es und falbte e3- mit 
Kräutern gegen die Yäulnis, fang Beſchwörungen darüber und bewirkte 
dadurch, daß es mit ihm ſprach und ihm viel geheime Dinge offen- 
barte. Njörd und Freyr wurden von Obin zu Opferprieitern beftellt 
und waren nun Diar unter den Xen. Njörds Tochter Freya war 
Opferprieiterin, fie lehrte zuerft bei ven Aſen ven Bauber, welcher 
Seid hieß und bei den Vanen üblih war. Als Niörb noch bei dieſen 
war, hatte er feine Schwefter zur Frau, mie es dort gejeglich war. 
Ihre Kinder waren Freyr und Freya. Bei den Aſen aber war es 
verboten, fo nah in die VBerwandtichaft zu heirathen. (Gap. 5:) Große 
Gebirgöfetten erftreden fi) von Rorboft nach Südweſt und fcheiben 
das große Schweden von andern Reichen. Nicht ferne ſüdlich von 
diefem Gebirg ift Türkland gelegen, wo Odin große Befigthümer hatte. 
Zu der Beit zogen die römifchen Häuptlinge weit durch die Welt umber 








69 
und bradten alle Völker unter ſich. Biele Fürſten flohen vor biefem 
Unfrieden von ihrem Eigenthum. Odin, als ein zulunftlundiger Mann, 
mwufte voraus, daß feine Nachkommen auf der Norbfeite der Welt 
wohnen follten. Da fehte er feine Brüder Be und Vilir über Asgarb; 
er aber zog von dannen und mit ibm alle Diar und vieles Boll; 
zuerft fuhr er weftlih nad Gardareich, dann üblich nach Sarland, 
Er Hatte viele Söhne, die er über die von ihm eingenommenen Reiche 
in Eazland zu Beichügern fehte. Dann zog er norbwärts zum Meere 
und nahm feinen Wohnfig auf einer Inſel, jett Odinsey auf Fünen. 
Dann fanbte er Gefion nörblih über ven Sund, um Land aufzufuchen. 
Sie kam zu Gylfi, der ihr ein Pflugland gab. Drauf 308 fie nad) 
Jötunheim und hatte dort vier Söhne von einem Joten. Diefe brachte 
fie in Ochſenhäute (bra beim i yxna liki), fpannte fie vor den Pflug 
und 309 fo das Land, das ihr Gylfi gegeben, hinaus auf das Meer, . 
weitwärts gegen Odinsey; das heißt nun Seeland und. da wohnte fie 
fortan. Skjöldur, Odins Sohn, nahm fie zur Frau und fie wohnten 
in Hlebra. Dort aber, wo das Land berauögerifien worden, blieb ein 
See zurüd, der Lögur (der Mälarfee) heißt und in biefem See liegen 
die Buchten gerabe jo, wie in Seeland die Landſpitzen. (Dafür wird 
eine Strophe Bragis des Alten angeführt.) Als nun Odin erfahren, 
daß öftlih bei Gylfi fruchtbare Länder feien, zog er dahin und machte 
mit Gylfi einen Vergleich. Denn Gylfi jah ein, daß er keine Kraft 
bätte, den Aſen zu wiberfiehen. Odin und Gylfi verjuchten einander 
in Künften der Täuſchung, die Ajen hatten aber ftetö bie Oberhand. 
Odin nahm feinen Wohnfig am Lögur, an der Stätte, die jeht alt 
Sigtun (forno Sigtuner) heißt. Er richtete dort ein großes Heiligthum 
und Opfer ein (hof oc blot), nad der Aſen Gewohnheit. Die Lände⸗ 
seien, deren er ſich dort bemächtigte, ließ er Sigtun nennen. Auch ben 
Brieftern des Heiligthums (Hofgodonom) gab er Wohnftätten: Niörb 
wohnte in Noatun, Freyr zu Upfala, Heimball zu Himinbjörg, Thor 
zu Thrubvangr, Balbur zu Breibablil. Ihnen allen gab er gute 
Wohnſitze. (Cap. 6.) Als der Ale Odin in die Norblande kam und 
mit ihm die Diar, begannen und. übten fie, wie man wahrhaft be 
richtet, mandherlei Künfte, welche die Menfchen lange nachher geübt 
" Haben. Odin war der gepriefenfte von Allen und von ihm, ald dem 
Kundigften, empfiengen fie alle dieſe Künſte. Die Urfachen dieſer großen 


70 


Verehrung waren folgende: er mar von fo ſchöner und anfehnlicher 
‚ Geftalt, daß, wenn er bei feinen Freunden ſaß, Allen das Herz lachte. 
War er aber im Heere, fo erſchien er feinen Feinden fehr furdtbar. 
Denn er konnte Ausfehen und Geftalt wechſeln, mie er mollte. Eine 
andre Urfache war die: er ſprach fo fertig und gut, daß Allen, die es 
anbörten, das allein. das Wahre däuchte. Alles ſprach er in Verſen 
(hendingom), gleidy dem, mas man jeht Sfalofhaft (Skaldscapur) 
heißt. Er und feine Briefter heißen Liederſchmiede (liodasmider), denn 
diefe Kunft kam durch fie in Nordlanden auf. Odin wuſte auch zu 
bewirten, daß in der Schladt feine Yeinve blind wurden, ober taub, 
oder verzagt, und daß ihre Waffen nicht fchärfer, als Gerten, ſchnitten. 
Seine Kriegsleute fuhren ohne Harnifch und waren rafend, mie Hunde 
oder Wölfe, biffen in ihre Schilde und waren ftärler als Bären oder 
Stiere; fie erfhlugen die Leute und weder Feuer noch Eijen vermochte 
etwas über fi. Das nennt man Berſerkergang (Berserks gangur). 
(Cap. 7.) Ddin wechſelte die Geftalt, dann lag fein Körper mie fchla- 
fend ober tobt, er aber war Vogel oder Thier, Fiſch oder Schlange, 
und fuhr in einem Augenblid in ferne Lande, in feinen ober Andrer 
Angelegenheiten. Er konnte au mit bloßen Worten euer Töfchen, 
das Meer. Stillen und den Wind nad Gefallen drehen. Auf feinem 
Schiffe, Slidbladner genannt, fuhr er Über große Meere und man 
fonnte das zufammenwideln, wie Tuch. Odin hatte Mimers Haupt 
bei fih, das ihm viele Neuigkeiten aus andern Weltgegenben fagte. 
Manchmal erwedte er todte Menichen aus ber Erde und feßte fich unter 
Grabbügel; daher warb er Draugabrottinn (Herr der Gefpenfter) oder 
Haugadrottinn (Here der Hügel) genannt. Er hatte zwei Raben, die 
er an Menjchenrede gewöhnt hatte. Sie flogen meit durch bie Länder 
und fagten ihm viel Neues; dadurch wurde er überaus kundig. Afle 
diefe Künfte lehrte er durch Runen und Zauberlieder, wovon die Aſen 
Zauberſchmiede (galdrasmider) genannt find. Dbin verftand die Kunſt, 
welcher die meifte Kraft beimohnt und die er jelbft übte, fte beißt Seid. 
Durch fie wuſte er das Schichkſſal der Menfchen und andre zufünftige 
Dinge, aud vermochte er damit, Menſchen zu töbten, Unglüd over 
Krankheit über fie zu bringen, ihnen Berftand und Kraft zu nehmen 
und Andern zu geben. Mit diefem Zauber wollten fi, feiner entſetz⸗ 
lichen Folgen wegen, bie Männer nicht abgeben, und nur bie Göttinnen 





71 


lernten ihn. Odin wuſte von allen Schägen, wo fie verborgen lagen, 
und er Fonnte Lieber, melde vor ihm Erde, Berge, Felſen und Grab 
bügel aufſchloſſen. Mit bloßen Worten band er Die, melde darin 
mohnten, gieng ein und nahm, was er wollte. Durch foldhe Zauber: 
kräfte warb er fehr berühmt, feine Feinde Fürchteten ihn und feine 
Freunde vertrauten auf ihn. In den meiften feiner Künſte unterrichtete 
er die Opfervorſteher und fo wurden fie ihm bie Nächften in allem 
MWiffen und Zauber. Viele Andre lernten wieder von Diefen und das 
durch wurde die Zauberei weit verbreitet und blieb lang im Gebraudhe. 
Die Leute opferten Odin und den zwölf Häuptlingen, nannten fie ihre 
Götter und glaubten lange Zeit an fie u. ſ. w. (Cap. 8.) Ddin gab 
feinem Lande bie Geſetze, welche zuvor bei den Aſen beftanden hatten. 
Er fegte feſt, daß alle Todten follten verbrannt und ihr Eigenthum 
mit ihnen auf den Scheiterhaufen gelegt werben. Denn er fagte, jeder 
würde mit foviel Habe nah Valball (til Valhallar) fommen, als er 
auf dem Scheiterhaufen gehabt hätte; auch follte er deſſen genießen, 
was er felbft in die Erde gegraben. Die Aſche folle man in bie See 
tragen oder in die Erde graben, und über angejebenen Männern Grab: 
hügel zur Erinnerung aufmerfen, auch Allen, die eine männliche That 
verübt, Bautafteine errichten. Diefer Gebrauch twurde lange nachher 
beibehalten. Hierauf folgt die Anorbnung dreier Jahresopfer, dann 
(Cap. 11) Odins VBermählung mit Stade, welche vorher Njörds Frau 
war und mit der Odin, nebft andern Söhnen, den Sämingur zeugte, 
den Stammvater norwegifcher Häuptlinge. Bon Odins Tode wird erzählt 
(Sap. 10): Din ftarb an Krankheit (vard sott daudur) in Schweden. 
Als er dem Tobe nahe war, ließ er fich mit Speeresfpite zeichnen und 
eignete ſich alle waffentodte Männer zu; er fagte, daß er nach Godheim 
fahren und dort feine Freunde wohl empfangen werbe. Nun dachten bie 
Schweden, er wäre in das alte Asgard gelommen und lebe dort ewiglich. 
Da begann man von Neuem Odin zu verehren und anzurufen. Auch 
glaubten die Schweden, baß er fich zeige, wenn große Kriege bevorſtehen. 
Da gab er den Einen Sieg, die Andern Iud er zu ſich, und beibes hielt 
man für ein gutes 2008. Odins Leichnam wurde fehr ehrenvoll ver 
brannt. Sie hatten den Glauben, daß je höher der Rauch in die Luft 
aufftiege, um jo herrlicher der, dem das Brennen gelte, ſich im Himmel 
befinde, und um fo reicher, je mehr Habe mit ihm verbrannt würde. 


72 


Dieß die Gefchichte von Odins irdiſchem Reiche; auf ähnliche Weife 
wird dann noch von feinen Nachfolgern Njörd und Freyr erzählt, unter 
denen die Schweden Frieden und gute Jahre hatten und melde fie 
darum für die Geber dieſes Segens hielten; auch wie Freyr das große 
Opferhaus zu Upſala erbaut und ausgeſtattet, auch dahin feinen Hauptſitz 
verlegt, und wie von ihm, ber mit einem andren Namen Yngwi hieß, 
die Ynglinger ftammen, aus welchem Geſchlecht in ber Folge der Zeit 
die norwegiſchen Könige. hervorgiengen. Endlich von Freya, die alle 
andre Götter überlebte, von ihrem Mann Odur und ihren Töchtern 
Hnoſs und Gerfemi; aud wie Freyr nad feinem Tode als Jahres⸗ 
und Friedensgott verehrt wurde. 

Der Inhalt dieſer dreizehn erſten Capitel der Inglinga⸗Saga, nebſt 
einigen kürzern Stellen der däniſchen Geſchichte des Saxo Grammaticus 
(aus der zweiten Hälfte des 12ten Jahrhunderts), worin Odin und bie 
übrigen Afen gleichfalls für Zauberer gelten, die fih den Götternamen 
angemaßt und ihren Sig bald in Byzanz (Asgard), bald in Upfala 
baben !, machen die Grundlage zu der hiſtoriſchen Anficht der norbifchen 
Mythen, die fich bei vielen Gelehrten feftgejeßt hat. 

Smöbefondre bat der dänische Gefchichtfchreiber Suhm dieſer An- 
fiht auf Iangehin neuen Anhalt gegeben. In feinem Bude: Om Odin 
og den hedniske Gudelsere og Gudstieneste udi Norden, Kopenhagen 
1771, 4, it ein eigenes, ausführliches Capitel der Betrachtung Odins 
als Menfchen gewidmet (S. 69 ff). Er nimmt, nad dem Vorgange 
des norwegischen Geſchichtforſchers Schöning, brei hiſtoriſche Ddine an 
welche nach einander zu beftimmten Zeiten vor oder nach Chrifii Geburt 
als Religionsftifter oder Reformatoren in den Norben eingeivanbert. 
Denn ba mit den in der Hauptfache für hHiftorifh angenommenen Bee 
richten Snorros und Saros die Gefchlechtöregifter der angelfächfifchen 
Könige, welche gleihfall® zu Odin auffteigen, und jo manche anbre 
Geſchichtsdaten in Einklang gebracht werben muften, fo Fonnte man 
chronologiſch mit einem Odin nicht ausreichen. 

Diefe Annahme mehrerer ganz oder zum Theil geichichtlicher Dbine 
iſt denn aud den Gelehrten ſehr geläufig geworden. So fagt 5. B. 
Friedrich Schlegel in feinen Vorlefungen über die Gefchichte ber alten und 


1B. J, S. 18 bis 15. 8. 11,&.64f. 8. VI, S. 166. 





13 


neuen Bitteratur (gehalten 1812, in feinen ſämmtlichen Werken Band I, 
Wien 1822, ©. 247): 

Wir müffen uns den Obin denken als einen Fürſten, Eroberer, Helden, 
der zugleich Dichter war, und als folder durch weifſagende Geſänge in der 
@ötterlehre manches veränderte und ermenerte, entweder allein ober zugleich mit 
andern zu demfelben Zwecke mitwirlenden Brieftern, Sehern und Dichten, und 
der als Stifter, zwar nicht einer nenen Götterlehre, aber doch einer neuen 
Epoche derfelben, als Held und Seher, dem auch große Zauberkraft und Kunſt 
beigelegt ward, nachgehends felbft vergättert worden if. 

Sodann (ebendafelbft ©. 249): 

Den manigfaltigen Angaben und zum heil verworrenen Sagen und 
ſich wiberflreitenden Meinungen von dem jüngern, unzweifelhaft hiſtoriſchen 
Odin ließe fid) wohl noch mit der meiften Wahrfcheinlichkeit die VBermuthung 
unterlegen, daß derfelbe von den Gothen, deren Wohnfite fi bis in die 
Grenzen von Aften erflredten (aus Afien fjelbft wäre die Einwanderung des 
ältern Odin gefchehen), ausgegangen fei; vielleicht zu der Beit, als aud das 
Chriſtenthum fon Anhänger bei ihnen zu finden begann, womit doch wohl 
nicht alle zufrieden fein mochten, jo wenig als mit dem fteten Hinbrängen in 
das römiſche Land und Leben, wodurch die väterliche Eitte nothwendig ver- 
drängt werden mufte; daß mithin Odin, als Held und Ylıft, als Sänger, 
Scher und Prieſter, Anhänger und Erneuerer ber alten Götterfage und norbi- 
jhen Myſterien, zurüd: nad dem innern Norten und Germanien gezogen jei, 
dort in Altfachien ein Reich geftiftet, endlich aber in Schweden feine Helden⸗ 
laufbahn beſchloſſen habe. 

Ein Anhänger der mehreren Divine, Thore u. |. w. und ein ers 
Härter Vertreter der hiſtoriſchen Anficht ift unter ben Neueren vor 
züglid Münter in der angeführten Geſchichte des Chriftentbums in 
Dänemartd und Norwegen (Leipzig 1823. Auch SKirchengefchichte von 
Daänemark und Norwegen, Th. h). Man findet in dieſem Werke, 
deſſen fonftige Berbienfte ich nicht zu fchmälern gemeint bin, unter der 
Aufichrift „Sharakteriftil Odins“ eine ausführliche Porträtichilderung 
des Lehten der Odine (6, 72 ff.), deren Ergebnis nad den Worten - 
bes Verfafiers nichts andrea ift, als „das Bild eines feigen und liftigen 
Gauklers.“ Beſonders wird (unter Beziehung auf eine Schrift von 
Abrahamſon: Thor und Odin, Skandinab. Muf. 1802. Heft ID) dem. 
verfchmittten Odin der rebliche Charakter des wackern Thor gegenüber: 
geftelt. Da beißt es u. A. (S. 79): 


7A 


Odins Charakter erfheint im unglnftigen Lichte, wenn ber Charakter 
Thors mit den fhönften Farben gemalt wird. Er Hilft zwar allen in der Roth, 
aber ungerufen und bloß um ſich geltend zu machen. Gaukelei und leerer 
Schinmer begleiten ihn überall. - Thor Hingegen fieht allein aufs Nützliche, 
und hilft nur, wo er um Hülfe angerufen wird; dann aber auch ebeimäibig 
und ohne Vergeltung zu begehren. 

Es verfteht fih, daß der Verfaſſer biemit nur die Anfichten der 
alten Standinavier ausfprechen will, aber unvermerkt geräth er in eine 
wahrhaft biographifche Darftellung. 

In diefe biftorifche Sicherheit kam ein bedeutender Bruch, als 
P. E Müller fi) der nordischen Sagengeſchichte bemächtigte. Von 
feinen Berbienften um biefe wird mehrfach zu fprechen Gelegenheit 
fein. Hier zunächſt Tommt uns folgende Schrift in Betracht: Critisk 
Undersögelse af Danmarks og Norges Sagnhistorie eller om tro- 
veerdigheden af Saxos og Snorros Kilder. (Beſonders abgedrudt aus 
den Schriften der k. däniſchen wiſſenſchaftlichen Geſellſchaft.) Kopen: 
hagen 1823. 4. 

Müller gebt allervingd auch vom geſchichtlichen Standpunkt aus, 
aber ſeine unbefangene und kenntnisreiche Kritik führt ihn zu dem, nach 
meiner Anſicht, geſundeſten Urtheil über die ausgehobenen Capitel der 
Ynglingaſaga. Es beſteht weſentlich in Folgendem (S. 185 ff.): 

Was bier [in den dreizehn erften Capiteln der Ynglingaſaga] von 
den Aſen gejagt wird, können wir auf drei Elafjen zurüdführen: 1) Nach⸗ 
richten, welche zugleich in ben Enden gefunden werben [Müller meift viefe 
im Einzelnen nad]; 2) Nachrichten, die in den Edden übergangen find: 
von Ddins Reife, Mimers Haupt, Pdins Heirath mit Stabi: 3) Be 
merlungen, wodurch diefe Nachrichten an Zeit und Ort gebunden und da⸗ 
durch an die Geſchichte geknüpft find, daß Odin zuerft öftlih vom Tanais 
wohnte, daß er aus Furcht vor den Römern nad dem Norden zog. 
* Mas die erfte Claſſe diefer Nachrichten betrifft, fo können wir über 
ihre Quellen oder ihre biftorifche Bedeutung nicht ungewiſs fein; denn 
was wir hier als Gejchichte leſen, finden wir in den Edden als Dichter: 
mythe!. Da nun die alten Dichter, deren Verſe wir übrig haben, 
gröſtentheils vor Snorro lebten; da die mythiſche Einkleidung dieſer 


1 Das Meiſte hat ums auch ſchon an belannte Mythen erinnern können, 
Andres wird die Heldenfage deutlicher bervorftellen 3. B. die Berſerker. 


75 


Greigniffe das unverfennbare Gepräge höheren Alters trägt, ale bie 
biftorifche, und es unzweifelhaft iR, daß die Afen im alten Norden als 
Götter verehrt wurben, fo müflen mir bie Anſchauungsweiſe ber Edden 
vom Weien der Afen für die urſprüngliche, Snorros für die abgeleitete 
annehmen. Durd die gründlichſten Unterfuchungen ift hinreichend be» 
wiefen, daß die Afen, gleichwie die Götter der meiften andern Völker⸗ 
fämme, ihrem Urfprung nah nicht als hiſtoriſche Perfonen, ſondern 
als perfonificierte Naturgötter, deren meifte Thaten nur fombolifche 
Bedeutung haben, zu betrachten find. Diefe Betrachtungsiweile, eine 
Folge der Forſchungen fpäterer Zeiten, konnte nicht diejenige Snorros 
fein. Er mufte (nach den Begriffen feiner Beit) die alten Götter ent- 
weder für Teufel oder für Menfchen anſehen. Für böfe Geifter konnte 
er fie nicht anfehen wollen, da er als isländifcher Dichter fie fo oft in 
feinen Verſen aufführte und von diefen Stammwätern das Geſchlechts⸗ 
regifter der nordiſchen Könige ſowohl, als fein eigenes, berleitete. Ber 
trachtete er fie dagegen als Menſchen, jo erhielt feine Geſchichte der 
norwegiſchen Köntge die erwünſchteſte Volftänbigfeit; fie fonnte beginnen 
mit den älteften Stummpätern, von denen man gehört hatte, und mit 
der Stiftung der Verfafſung und Religion in den nordifhen Staaten. 
Bon dieſer hiſtoriſchen Auslegung der Mythen aber war e3 wieder eine 
Folge, daß Snorro hier nicht Zeugnisftellen von Skalden anführen 
fonnte, bie durchaus nicht auf biefe Weife ihrer Götter gedacht katten; 
weshalb gerade in den 13 erften Sapiteln, welche lauter Dichtermythen 
umfaflen, nur zwei Berfe vorkommen (wovon ber eine die Fabel von 
der Entftehung Seelands betrifft, welche Snorro aus poetifcher Incon⸗ 
ſequenz unter das Übrige, das Hiftorifch auöfehen follte, gebracht 
batte u. ſ. w.). Gewiſs hätte er mehrere Skaldenverſe angeführt, wenn 
er in ihnen ausbrüdliche Befräftigung feiner Meinungen von ber Afen 
Riederlafjung in den norbifchen Reichen gefunden hätte Da alfo diefe 
Nachrichten von des Nordens älteften Königen nur unrichtige Erklärungen 
norbifcher Mythen find, können fie nicht Quellen für die alte norbifche 
Geſchichte fein, fondern lediglich Beiträge für die Behandlung ber 
nordifhen Mythologie. Gilt diefes von den Nachrichten über die Aſen, 
deren Quellen wir Tennen, fo haben wir Grund, dasſelbe binfichtlich der 
wenigen andern Nachrichten anzunehmen, die ein ähnliches mythifches Ger 
präge haben, beren Quellen wir aber nicht mehr nachweiſen können u. f. w. 


76 

Was fobann die Nachrichten über bie Gegend, woher Odin nit 
feinem Gefolge in den Norden einmanberie, und die Seit, da Dieſes 
geihah, anbelangt, fo tragen fie kein mythiſches Gepräge und find von 
dem Gefchichtfchreiber für völlig zuverläfiige Züge der älteften Gefchichte 
Skandinaviens angejehen worden. Inzwiſchen Tann Suorros Zeugnis 
über das, was ſich ungefähr 1800 Jahre vor feiner eigenen Lebenszeit 
zugetragen, an und für fich jelbft feinen Werth haben. Er kann aud 
keinerlei beftimmte Außerung hierüber bei irgend einem alten Stalven 
gefunden haben; denn der Mann, der im Folgenden fich fo beflifien 
‚zeigt, Alles, was zweifelhaft fein fonnte, mit Beugnifien der Stalden 
zu belegen, würde dieſes bei den twichtigften Stüden ber älteften Ge: 
ſchichte nicht verfäumt haben. Wir find fogar befugt, anzunehmen, 
bag nad dem, wie wir die Beichaffenheit der alten Sagen im Allges 
meinen und ber nordiſchen im Beſondern kennen, die Staldengefänge, 
welche zu Snorros Zeit noch im Gebächtnis des Volkes waren, nicht 
einmal folche beſtimmte biftorifche Nachrichten enthalten konnten. Alle 
Cagengefchichte lehrt una nemlih, daß, wenn das Andenken an einen 
Kriegszug oder eine Wanberung fich burch eine lange Reihe von Ge 
fchlechtern fortpflanzgen fol, Diefes nicht in der "Form eines kurzen 
biftorifchen Berichtes gejchehen, ſondern ſich an Begebenheiten Inüpfen 
muß, die einen dauernden Eindrud hinterlaſſen. Sollten alfo zu Enorros 
Zeit alte Erinnerungen an die Reife der Afen vom Tanais und beren 
Beranlaffung vorhanden geweſen fein, fo bürften auch Mythen von ihren 
Kriegen mit den Römern und den Abenteuern der Reife nicht gefehlt. 
haben. Wir fönnen mit Sicherheit behaupten, daß weder zu Snorros 
Zeit, noch überhaupt feit der Einführung bes Chriſtenthums ſolche 
Sagen in Umlauf waren, denn wir haben allzu viele Bruchftüde von 
Skaldenliedern aus dem 9, 10 und 11 Jahrhundert, um nicht von ben 
Edden zu reden, übrig, als daß mir nicht in foldhen eine Spur fo 
merkwürdiger Mythen gefunden haben follten. Die Gründe, aus welchen 
verſchiedene neuere Schriftfteller mit Fug die orientalifche Herkunft ber 
Stanbinavier behaupten, find aus der Vergleihung der Sprachen und 
ber zeligiöfen Meinungen gefhöpft, welche Snorro nidt im Stande 
war anzuftellen. Es jcheint daher nichts Andres übrig zu bleiben, als 
daß wir annehmen, Snorro fei buch den Gefichtspunft, von welchem 
er die alten Sagen betrachtet, auf dieſe Außerungen gebracht worden, 


71 


und daß e3 nicht etwas war, was er won Andern gehört hatte, fonbern 
was er jelbft burch feine Forſchung herausgefunden zu haben glaubte. 
Wir können foger mit Wahrfeheinlichleit angeben, was ibn in feiner 
Forſchung geleitet haben kann. Jornandes ſowohl als Paulus Diaeonus 
find ihm mahrfcheinlicher Weife befaunt geweſen. Diele beide Schrift- 
fteller fchiden geographiſche Bemerkungen voraus unb beginnen darauf 
die Gefchichte des Volles, die fie beichreiben wollen, mit der Erzählung 
feiner älteften Wanderungen. So macht es auch Gnorw. Aber jme 
Schriftfieller, die in den von nörblichen Volksſtaͤmmen geftifteten Reichen 
lebten, konnten es dabei beruhen laſſen, daß fie die Stammväter vom 
Norden kommen ließen. Snorto, der im Rorden ſelbſt lebte, mufte 
ein andres Baterland für dieſes Stammvolk ſuchen. Zwar konnte bie 
Neigung der Schriftſteller des Mittelalters, die Herkunft ber Völler zu 
verherrlichen, indem man fie von den Trojanern ober anbern berühmten 
Kationen bes Altertbums berleitete, eine Neigung, bie fi) aud zu den 
Islaͤndern verbreitet bat, nicht wohl dem Geſchmackee des befonnenen 
Geſchichtſchreibers zuſagen, aber ſchon die Namen Aſen und Asgarb 
muſten ihn darauf führen, an Afien als ihr Vaterland zu denken. 
Run Schreibt Jornandes Cap. 5, daß der Tanais, ber von den riphäi⸗ 
Shen Bergen, dem Ende ber befannten Welt, nieberfalle, vie berühmte 
Grenze zwifchen Europa und Aſien fei; in dem iften Sapitel der Heims⸗ 
kringla aber bemerft Snorro nicht allein, daß der Tanais ben einen 
Drittbeil der Welt von dem andern trenne, fondern außerdem, daß 
biefer Fluß von Bergen komme, welche außerhalb ber beivohnten Länder 
liegen. Er fügt noch weiter hinzu, daß ber Fluß mit Recht Tanais 
heiße. Diejes muſte auf eine Beichaffenheit des Ylufies zielen, melde 
den Namen rechtfertigte. Welche Beichaffenheit es war, kann uns nicht 
zweifelhaft fein; denn es wird beigefügt, er habe vordem Tanaapisl ober 
Banagqvisl geheißen; aber der eine diefer Namen kommt eben jo wenig, 
als der andre, bei ixgend einem alten Schriftfteller vor. Das Ganze trägt 
Dagegen bad Gepräge etymologifcher Conjectur. Tanais konnte leicht zu 
Tanagvisl werben, Tanaqpisl aber fchien ungefähr basjelbe wie Vana⸗ 
quisl zu. fein; und ba dieſes Wort den Fluß der Vanen bezeichnen Tonnte!; 
- 1 Biden Halborfens Lex. isl. II, 1845: Qufsl, ramus arboris, fluminis 
u. ſ. we; darum muß denn aud Banaheim zwifchen den Äſten bes Strames, 
i Vanaquislom, dat. plur., liegen. 


f 


78 


fo war damit zugleich ver Name des Fluſſes erklürt und die Stelle be 
ſtimmt, wo bie Banen wohnten und von deren Nachbarſchaft die afiati- 
then Männer außgegogen waren, welche Odin anführtel. Die andre 
Äußerung Snorros, daß Odin durch die Eroberung der Römer auszu⸗ 
mwanbern veranlagt worden fer, erläutert Müller ſodann noch aus theolo⸗ 
giſchen und genealogiſchen Combinationen dieſes Geſchichtſchreibers. 

Dieſen mir in der Hauptfadhe ganz einleuchtenden Ausführungen 
Müllers habe ih nur Folgendes beizufügen. Es handelt ſich hier nicht 
von ber allgemeinen Frage über die Herkunft der germanifchen Völker 
aus dem Diten und über bie Verwandtſchaft der nordiſchen Götterlehre 
mit den Mythologieen ber aſiatiſchen Vollsſtämme, fonbern davon, ob 
in den mythiſchen Sagen des Nordens fich beftimmte Hinweifungen auf 
biftorifche Perſonen und Ereigniffe, namentlih auf die Einwanberung 
einer aſiatiſchen Priefterenlonie und ihrer Lehre ermitteln lafien. Nun 
kann aber ſoviel mit ziemlicher Sicherheit behauptet werben, daß Alles, 
was zum Behuf einer foldhen Annahme von den Darftellungen Saros 
und Snorrds an bis ‚zu ben gelehrten Ausführungen der neueren 
Schriftiteller vorgebracht worden, gänzlich ungeſchrieben wäre, wenn 
nicht in den nordiſchen Mythen ſelbſt die Götter Aſen genannt wären, 
und ihr Wohnſitz Aſsgard, die Burg der Aſen. Allein eben das, daß 
dieſer Anklang, der zu ſo weit greifenden Folgerungen geführt hat, auch 
wirklich auf etymologiſcher Identität beruhe, daß die Aſen (ds, BI. 
sesir) ſprachbegrundet Aſiaten (ſolche nennt Hervar. S. ©. 411, Asia- 
menn) ſeien, unterliegt erheblichen Zweifeln. Jornandes Histor. Goth. 
©. 86 f. fagt von ben Gothen: 

Proceres suos, quorum fortuna vineebant, non puros homines, sed 
semideos, id est Anses vocavere. 

Diejes gothiſche ans num fällt, wie in der Bedeutung (numen, 
deus), jo auch ſprachlich zufammen mit dem norbifchen Äs, wie 
Grimm (Grammatik I, 286) gezeigt bat. (Wie dieſes As, eesir, fo 
würde jenes ans, anzeis, althd. ans, enft lauten.) Grimm bringt - 
mehrere analoge Fälle bei, mo das gothiſche und altbochbeutiche an 
dem altnorbifchen A entipriht (Gramm. II, 429): Gothiſch ans 

1 Einzuſchieben wäre Hier noch, daß Snorros großes Schweden (Svipiod 
bin mikla) nichts anders if, als das alte Seythie magna, wie auch Geiler 
826 näher nachgewiejen bat. 


79 


(trabe) masc. altn. As masc. trabs, .dst (amor, goth. ansts), bäs 
(stabulum, goth. banst), g&s (anser, altbb. fans) u. ſ. w. Bon dem 
althv. ans flammen manche Eigennamen: Anfesgis, Ans⸗helm u. f. w. 
und in folchen bleibt zutveilen auch das n hinweg: As⸗ulf, As⸗pirin, 
As-pirin, fem. (Orammı. II, 447). Durch biefen etymologifch ber 
gründeten Zufammenbang find wir auf einmal weit von den Afiaten 
entrüdt, die Afen find uns einfach Götter, und wenn wir fie wieder 
an Afien anknüpfen wollten, jo müfte zuvor erft fprachlich nachgewieſen 
fein, daß das profobifch kurze as in Afia mit dem gothifchen ans und 
bem nordiſchen gebehnten As zufammenfallen könne. Nicht befier fteht 
es mit dem ebbilchen Idafelde, welches man gleichfalls zum phrugifchen 
Idaberge zu verjeen, keinen Anftand genommen bat. Idavöollr ift in 
ben Edden der Play, wo die Aſen im Golbalter ſich verfammelten und 
wo fie auch näch dem Weltbranbe fich wieder finden werben (Lex. myth. 
195 f.). Nach Biörn Haldorſens Lex. isl. ©. 426 beißt aber Idavöllr, 
m. nicht? andres, als: viretum, ein grüner Plat (ebd. idiar v. iflar, 
f. pl. viror prati, Wiefengrün, idie-gresnn , viridis, floridus). Mebrere 
andre norbijch -etymologiiche Ableitungen gibt Finn Magnufen a. a. O. 

Das menschliche Dafein Odins und ber übrigen Aſen, als hiſtoriſcher 
Berfonen, fällt uns nad allem bisherigen gänzlich hinweg und bie 
afiatifche Abftammung der nordiichen Gdtterlehre Tönnen wir wenigſtens 
nicht auf dem ‚angegebenen Wege für erwieſen ober erweisbar halten. 

Es ſchien nöthig, von diefen nach unfrer Anfiht verfehlten Be 

fitebungen ausführlicher zu fpxechen, weil ihre täuſchenden Ergebniſſe 
ſitch in der Litteratur der nordiſchen Alterthumskunde jo jehr ausgebreitet 
und fo feft eingewurgelt haben, daß man auch ba, wo die Irrthumer, 
- von benen früher ausgegangen wurde, erkannt find, doch noch ihre une 
vertilgbaxe Spur finden Tann. 

Dieß ſcheint mir felbft in Geijers fonft jo gehaltreihen Unter: 
fuchungen der Fall zu fein. Er beiennt fih in ber Hauptſache zu 
Müllers Anfiht, wonad die Erzählung der Ynglingaſaga nicht für 
ein hiſtoriſches Zeugnis gelten Tann (6. 327), und am Ende hat bach 
auch er einen durch die mithribatifchen Kriege veranlaßten Zug Odins 
im Jahrhundert vor Chriftus (S. 377. 365). Die Ausführung aber, 
die ihn dahin leitet, gebt von ber Behauptung aus (S. 328),. betrachte 
man die Angaben der Inglingafoga an und für fih, fo müſſe man 


80. 

zugeben, daß fie bloß vollgültige Zeugen von der Vorftelungsart ihres 
Verfafiers feien und durchaus nicht für die Sache felbft zeugen können, 
fofern dieſe nicht auf andre Art könne beiwiefen werben; follte jedoch 
ein ſolcher Beweis gegeben werben können, fo wäre e8 in ber That viel 
fonverbarer, wenn ein bloßer glüdlicher Zufall dieſe Übereinftimmung 
zwifchen dem wahren Verhältniffe und ven isländiſchen Erzählungen 
beiwerfitelligt hätte, als anzunehmen, baß in biefen eine wirfliche, wenn 
auch dunkle und misverſtandene Erinnerung von der Begebenheit fich 
erhalten babe. 

Gegen dieſe Boransf etzung iſt einzuwenden, daß, wenn man ſich 
einmal von der Zuſammenſetzung des Berichtes der Ynglingaſaga aus 
menſchlich umgewandelten Göttermythen einerſeits und willkührlichen 
gelehrten Combinationen anderſeits überzeugt hat, dieſer Bericht auch 
durch keinen anderartigen Beweis haltbar werben könne. Der andre 
Beweis bliebe doch immer ein neuer, für ſich beftehender, der von jener 
in fih unbaltbaren Erzählung weder Beftätigung erhalten, noch fie be 
ftätigen könnte. Über die neue Beweisführung Geijers Toll nun zwar 
hier nicht abgeurtheilt werben, da wir fie doch nicht füglich in ihrem 
ganzen Gange verfolgen können. Aber jedenfalls beweift fie nur Völker⸗ 
züge, die biftorifche Vorftellung von Din und den übrigen Aſen aber, 
als Priefterlönigen und Religionsftiftern oder Religionsneuerern, iſt auch 
bier als gültig vorausgejegt und verdankt doch ihren Urfprung wieder 
nur der Ynglingaſaga und den ähnlichen Anfichten Saros. 

Das echte Weſen Odins und ber Afen kann nur aus den unge 
trübten Mythen felbft entnommen werden und hier find fie Perfonifi« 
Tationen phyſiſcher und geiftiger Kräfte. So wenig als Odin ein ein 
äugiger Menfch war, fo wenig war er ein Menſch überhaupt; er iſt 
menfchlich zu nehmen in Teinem andern Sinne, als fofern er eine Idee, 
ein Erzeugnis bes menfchlichen Geiftes und eine potenzierte menjchliche 
Geiſteskraft tft. 

Das Ganze der norbifchen Götterlehre bildet einen Gebanfenfreis 
und in biefem felbit, von innen heraus müflen bie nationalen und ge 
ſchichtlichen Einflüffe erlannt werben, denen man wirklich Glauben beis 
meſſen fol. 

Ein. Andres, als jene biftorifche Verlbrperung des Mythus, iſt die 
Bildungsgeſchichte des mythiſchen Ideenkreiſes. Selbſt die hiſtoriſchen 








81 


Odine haben ihre Bedeutung nur ale Urheber und Vertreter verſchiedener 
Entwicklungen der Glaubenslehre. 

Die nordiſche Mythologie macht num allerdings ein fo durchge⸗ 
'arbeitetes, umfang: und geftaltenreiches Ganzes aus, daß wir nur eine 
allmäbliche, ftufenmeife Ausbilbung zu biefem vollen Ganzen annehmen 
Sonnen. Es ergeben fich fomit für die innere Bildungsgeichichte zwei 
Hauptfragen, die über ven Urfprung und die fiber bie ftufentveife Ent« 
widlung diefer Mythologie. : 

Die Frage über den Urfprung geht hauptſächlich darauf hinaus, 
ob fie ala ein Ableger ber uralten afiatiichen Religionsſyſteme anzu: 
fehen ſei, welcher mit der Bevölkerung des Nordens von Dften ber 
zugleich dahin verpflanzt worden. 

Es kann in einer Sagengefchichte, wie wir fie unternommen haben, 
am Menigften davon die Rede fein, ben mweltgefchichtlichen Zufammen: . 
hang zwiſchen den Mythenkreiſen der verichiebenen Völlerftämme ver: 
lãugnen zu wollen, und es find auch wirklich fchon bedeutende Überein- 
ſtimmungen der nordischen Mythen mit den aftatifchen bargethan worden. 
Finn Magnufen bat befonders in feiner Eddalehre hierüber vieles Ein: 
zelne beigebracht, und mehr im Großen zeigt fih die Berwanbtichaft in 
der Reihenfolge der Religionsfofteme, welche Görres in feiner Mythen⸗ 
gefchichte der afiatiichen Welt aufgeführt und mit einem Umriß der 
norbifhen Glaubenslehre beilofien hat. Aber auch das ift nicht zu 
miskennen, daß die nordiſche Mythologie in fich felbftändig daſteht und 
daß es zu ihrem Verftändnis feines Suchens nad außen bebarf; und 
dieß ift auch ver Grund, warum ich das Auffteigen gu den Religionen 
des Orients und die ganze Vergleihung nad) außen nicht zum Bereich 
unfrer fonft ſchon fehr umfangreichen Aufgabe rechne, mogegen wir in 
einem fpätern Falle, wo das Germanifche nicht aus fich ſelbſt genügend 
erflärt werben kann, allerdings zum Ausblid in die orientalifche Mythen» 
welt gendtbigt fein werden. 

Bei jener VBollftändigkeit in ſich bat aber auch die ſtandinaviſche 
Mythologie ein Mimatifches und nationales Gepräge, wodurch fie jo 
alt und tief bei den nörblichen Völfern gewurzelt erfcheint, daß wir 
auch von biefer Seite nicht mehr im Stande find, das Erbtheil, das 
fie von ber Wiege der Völler mitgebracht, von ber Ausbildung, bie fie 


im Norden ſelbſt erlangt bat, zu unterſcheiden. Die Eiswelt Niflheim, 
Uhland, Schriften. VI. 6 


82 


bie einheimischen Bilder des Ungeheuren, Wölfe, Erpichlange, Rieſen⸗ 
abler und fo manches Andre, was wir beiläufig berührt baben, ver: 
feßt uns in bie eigentbümliche Natur der Nordwelt. Geijer bemerkt 
war (©. 383), es ſei nicht recht begreiflich, wie in der Götterlehre ber 
Nordbewohner die böje Bebeutung des Nordens überhaupt bie vor⸗ 
herrſchende fein Tönnte, wenn die Zehre felbft zuerft in den Umgebungen 
einer norbiichen Natur entftanden wäre. Allein hierauf wird ſich Leicht 
entgegnen laflen, daß auch im höchiten Norden doc wieder eine Nord⸗ 
und eine Sübfeite fei, eine Sommer und eine Winterhafde, ja daß 
gerade bier Sommer und Winter fich im fchroffften Wechſel gegenüber: 
fteben. Aber auch abgefehen von jenen Bildern des fchärfften nordiſchen 
Gepräges, auf die etwa darum weniger Gewicht gelegt werben möchte, 
weil der odiniſche Glaube auch unter den beutfchen Völkern außerhalb 
Skandinaviens verbreitet war, weht durch dieſen Odinsglauben jener 
gewaltige Geift der Kühnheit und des Kampfes, der ben germanifchen 
Stämmen in fo beſondrem Maße eigentbümlich war. 

Mas fodann, nächſt der Frage über den Urfprung, bie ftufenmweife 
Entwicklung bes norbifchen Myihenkreiſes betrifft, jo glaubte ich fchon 
in ber früheren Darftelung den Gang dieſer Entwicklung bauptfächlich 
darin nachweifen zu Tünnen, daß fih auch bie urfprünglich phyſiſchen 
Kräfte mehr und mehr in ben Bereich des geiftigen Lebens fteigern, bie 
Banen in bie Gemuthswelt, die Joten in das fittlich Böfe Weniger 
babe ich mich bis jet mit derjenigen Vorſtellungsweiſe befreunden 
können, nach welcher je ein Beftanbtheil des jehigen Müutbenganzen 
fih in fchichtenartigen Anjäten über den andern geichoben bat. Diele 
Anficht fteht im Zuſammenhange mit ber von ben mehreren Odinen 
oder Prieftescolonieen; jede derſelben ſoll ein neues veligiöfes Element 
binzugebracht und über die früheren geltend gemacht haben. So rechnet 
Münter zu der Religion vor den Zeiten des lekten Odins inäbefonbere 
den Naturdienft des riefenhaften Utgarblofi, des gefürchteten Wolfes 
Fenrir, der Midgarbsfchlange u. |. w. (S. 35). Geijer läßt nad ein 
ander breierlei mythiſche Geſchlechter zus Herrichaft kommen, morunter, 
wenn ich ihn richtig aufgefaht babe, das erfte die Joten find, das 
zweite in Thor, dem Belämpfer der Joten, und das dritte in Odin 
vertreten if. Er beruft fidt dafür auf eine Stelle des Saxo, ver bei 
Anlap einer Riefengefchichte folgende Meinung äußert (8. I, ©. 9): 


83 


Nosse operte pretiam est, triplex quondam Mathematicorum genus 
inauditi generis miracula discretis exercuisse prestigiis. Horum primi 
fuere monstruosi generis viri, quos Gigantes antiquitas nominavit, hu- 
mane magnitudinis habitum eximia corporum granditate vincentes. Se- 
cundi post hos, primam physiculandi solertiam obtinentes, artem possedere 
Pythonicam. Qui quantum superioribus habitu cessere corporeo, tantum 
vivaci mentis ipgenio prastiterunt. Hos inter gigantesque de rerum 
summa bellis certabatur assidnis, quoad Magi victores giganteum armis 
genus subigerent, sibique non solum regnandi jus, verum etiam divini- 
tatis opinionem consciscerent,. Horum utrique, per summam ludificandorum 
oeulorum peritiam, proprios alienosque vultus variis rerum imaginibus ad- 
umbrare callebant, illicibusque formis veros obscnrare conspectus. Tertii 
vero generis homines, ex alterna superiorum copula pullulantes, auctorum 
suorum nature nec corporum magnitudine, nec artium exercitio respon- 
debant. His tamen apud delusas. prestigiis ınentes divinitatis accessit 
opinio. Neg mirandum, si prodigialibus eorum portentis adducta bar- 
baries in adulterine religionis cultum concesserit; cum Latindrum quo- 
que prudentiam pellexerit talium quorundam divinis honoribus celebrata 
mortalitas.. Hzc ideirco tetigerim, ne, cum prestigia portentave per- 
scripsero, lectoris incredula refragetur opinio. 


Auf dieſe Stelle irgend eine mythiſche Beriovenabtheilung zu gründen, 
halte ich für ſehr bedenklich. Saxo zeigt bier offenbar eine jehr getrübte 
Einficht in das Innere der ſkandinaviſchen Mythologie und es ift ihm 
vielmehr darum zu thun, fi vor der Anerlennung ber beibnifchen 
Gotterweſen zu verwahren und fie, wie Snorro, in ber Eigenſchaft von 
Bauberern und Betrügern in fein Geſchichtbuch aufnehmen zu können. 

Auch nach Vollsftämmen theilt Geijer die Beſtandtheile des nor- 
diichen Mythenkreiſes ab, fo daß die Joten den finnischen Ureinwohnern 
Skandinaviens und ihrem Glauben entfprechen, die Vanen ben wendi⸗ 
fchen Böllern an ber Dftfee (S. 387, 7), die Alen den eingewanderten 
Gothen. (Über die Frage von der Stammeinheit der flandinavifchen 
Gothen mit den Volkern der oſt⸗ und weſtgothiſchen Reiche, moraus 
Geier jo Manches deduciert, wird bei der gotbifchen Helbenfage zu 
ſprechen jein.) 

Aus dem Kampfe ber celigionen verſchiedener Völker, welche 
Religionen unter fich ſelbſt elementariſch verſchieden find, läßt Geijer 
den jetzigen Complex der nordiſchen Mythologie hervorgehen. Das 


84 


Ergebnis der hierauf gerichteten Forſchung bat er in folgendem (5. 296 
bis 300) nievergelegt.**” 

Sch laſſe biebei pas Einzelne beruben, worin meine Auffaffung 
der mythiſchen Geftalten eine andre ift, 3. B. in Beziehung auf bie 
Natur der Banen; ich gebe auch zu, daß einzelne, und nicht unerbeb: 
liche Erfcheinungen, wie namentlich Thor ala Afe, fich fchmwieriger in bie 
Anlage des Ganzen einorvnen, und ich könnte mir ohne foldhe Ring 
zeichen mehrfacher Anfäte ein Gewächs, wie der norbifche Mythencyklus, 
gar nicht denken, indem eine Mythologie niemals, wie ein ſpekulatives 
Spftem, aus einem reinen und gleichartigen-Guffe fertig hervorgehen 
ann. Dennoch aber vermag ich der völfer: und religionögefchichtlichen 
Scheidung bes mythiſchen Zufammenbanges in der Art, wie Geijer fie 
vornimmt, nicht beizutreten. Sie würde mix bie nordiſche Mythologie 
nicht erklären, ſondern auflöfen. Die Joten, Vanen, Aſen haben mir 
überhaupt Teinen Beſtand mehr, wenn fie von einander getwennt werben. 
Wenn in einem mythologiſchen Ganzen Feuer und Waflerfräfte gegen: 
einander fpielen, fo folgt daraus noch gar nicht, daß dieſes Ganze aus 
dem Kampfe einer euerreligion mit einer Waſſerreligion entftanden 
ſei. Der Kampf der Elemente liegt fo offen vor dem Auge, das in 
die Natur blidt, daß es ganz einfach ift, ihn auch in jeber mythiſchen 
Weltanſchauung von vorn herein gegeben zu finden. Sowie in ber 
Mythologie, die wir dargeftellt haben, der Weltbau aus ben burch den 
Geift gebundenen phyſiſchen Gegenſätzen auffteigt, fo kann ich mir auch 
die Entftehung des nordiſchen Mythenbaus nicht ohne das urfprüngliche 
Zuſammenwirken der verichiebenen Elemente benten, und fobalb biefe 
durch hiftorifche Sonberung aus einander gerifien werben, fo bricht mir, 
wie in Ragnaröf, das ganze mythologiſche Weltgebäube zufammen. 

Der Betrachtung der norbiihen Mythen von phyſiſcher, etbifcher 
und biftorifcher Seite könnte noch die vom poetischen Geſichtspunkt aus 
beigefügt werben. Ich glaube jeboch, daß nach diefer Seite die mythi⸗ 
ſchen Bilder ſich durch ihre eigene Erfcheinung, in ber fie nach den 
Quellen dargeftelli wurben, geltend machen müſſen. Vergegenwärtigen 
wir und die verfchiebenartigen Geftalten, das ftarre wilde Sotenge 
Schlecht, die Winterriefen mit dem Eisbart, dem breiedigen Hergen von 
Stein und dem fteinernen Haupte, das Thors Hammer fpaltet, den 
Sturmadler, deſſen Flügelihlag das Meer aufwühlt, den gähnenden 


85 


Rolf Fenrir und die erbumfpannende Niefenfchlange, den auf bie 
Felſen gebundenen Loli, von deſſen Krümmungen die Erbe bebt, dann 
die freundlichen Banen, Njörd, der das Lieb der Schwäne am Meeres: 
firande liebt, Freyr, der von Odins Hocfite nach der Riefenjung- 
frau fchaut, von deren weißen Armen Land und Luft erglänzen, Freya 
mit dem leuchtenden Halsſchmuck, goldene Sehnfuchtsthränen weinend, 
enblih ben geiftigen Ajenftamm, Odin mit dem Sonnenauge, den 
reinen, glänzenden Baldur mit den weißblumigen Brauen, Idun mit 
den Äpfeln ver Berjüngung, Bragi und Saga, bie vom Tranke ber 
Begeifterung getrunten, das‘ waffenleuchtende Valhall mit der ganzen 
Heldenſchaar ftreitbarer Aſen und Einherien, die Valkyrjen, die Schlacht: 
tobten wählend und den Einherjen das Trinkhorn reichend, benfen mir 
ung dieſe manigfaltigen Geftalten nicht als tobte Standbilder aufgeftellt, 
fondern als lebendige Charaktere in rege Handlung geſetzt, dieſe Hand» 
lung jelbft ein großartiges Weltganzes von der Entftehung aller Dinge 
aus den Urelementen bis zum Untergange des Alls und dem Wieder⸗ 
aufgrünen des verfengten Weltbaumes, unter dem bie Nornen einft ber 
Zeit und des Geſchickes walteten, in biefe Haupthandlung aber episodiſch 
wieder bie charakteriftiichen Abenteuer der einzelnen Götterweſen ver 
flochten, Thors Befuche im Riejenland, Skirnirs Brautwerbung, Odins 
Fahrt nach dem Dichtertranke u. ſ. w., Abenteuer, in denen Thor, 
Loki und fo fort in der feiteften inbivibuellen Charalterzeichnung auf-- 
treten, fühlen wir über biefem beivegten Leben immerfort die ſchwüle 
Ahnung des von dumpfen Stimmen aus der Tiefe verfündeten Unter: 
ganges ſchweben und ſehen wir doch, wie es zu jeder vollftänbigen 
Weltvarftellung gehört, durch den Ernft des Ganzen aud den Scherz 
und die ergekliche Zaune fpielen, bliden wir auf alles Diefes auch nur 
flüchtig zurüd, fo wird uns bie nordiſche Mythologie, in poetifcher Hin⸗ 
fiht, als ein wohlgeglievertes !, geftaltenreiches Epos der Götterwelt ſich 
darſtellen. 


I Die Anerlennung dieſes poetiſchen Ganzen auch bei Fr. Schlegel a. a. O. 
S. 254 bis 256. 


86 


2. Heldenſage. 


Die Stelle, welche die Menſchen in der mythiſchen Weltanſchauung 
des Nordens einnehmen, iſt bereits bei der Götterſage angezeigt worden. 
Sie ſind, vermöge ihrer geiſtigen Natur, den Aſen zugeordnet, von denen 
fie Leben und Geiſt empfiengen. Odin, der Vater der Götter und 
Menſchen, jammelt in Valhall die rüftigen, kampferprobten Geifter, und 
eben biefe in ihrem irdiſchen Stampfleben find die. Helden. Dieſem 
deutfchen Worte entſprechen in ven norbifchen Liedern und Sagen. (vgl. 
So. Edd. 195) die Benennungen: Rede (reckr), Hilding (hildingr, 
Sohn der Hilbur, des perfonificierten Krieges), Heermann (hermadr), 
Heerlönig (herkonüngr), auch einfach König (konüngr); denn eben die 
Königsgefchlechter, die Durch Tapferkeit herrſchen, find die Heldenſtämme, 
welche ihre Abkunft von den Göttern und zwar meift von Odin felbft, 
als ihrem gemeinfamen Stammpater, herleiten. (Die Stiftung der ver- 
ſchiedenen Stände wirb Heimdalln zugefchrieben, in der Einleitung zum 
Rigsmäl) Dem Angeführten gemäß ift auch Ddin derjenige unter ben 
Böttern, der am Deveutenbften entweder unmittelbar, ober burch feine 
Dienerinnen, die Ballyrien, in das Leben und die Schichſale ber Helden 
hereingreift. 

Hat uns nemlid die Götterfage mit den Verhältnifien ver Men- 
fchen vom Standpunkte der Göttermelt aus befannt gemacht, erfuhren 
wir dort, zu welchem Gott oder welcher Göttin um dieſe oder jene Gabe 
und Segnung ber Anruf und die Gelübbe der Menfchen emporfteigen, 
faben wir bie von der Erde Abgerufenen in Odins Valhall, ober in 
Freyas Follvang, oder in Hels bunfle Säle aufgenommen, die zu 
Einherien erhobenen aber fortan am himmlifchen Leben und den Welt: 
fämpfen der Götter Theil nehmen, fo werben wir nun umgelehrt in 
der Heldenfage die Einwirkungen der Götter und diefe ſelbſt in das 
irdiſche Menfchenleben hernieberfteigen fehen. So bilvet die Heldenſage 
einen ergängenden Theil des mythiſchen Weltfoftems, und je höherem 
Altertum die zu ihr gehörenden Lieder und Sagen entfprungen find, 
um fo harmonifcher verbinden fie ſich mit den Göttermythen nad} Gegen: 
“Stand, Geift und äußerem Gepräge zum großen, himmlifches und irdi⸗ 
fches Leben umfaflenden Weltganzen. 

Es hat fih aud in Anwendung auf deutiche und norbifche Eagen- 


& 


87 


geichtchte Die Neigung geäußert, in ber Helbenfage nur eine vermenſch⸗ 
lichte, getrübte und geſunkene Gbtterſage zu erfennen. So behauptet 
Mone, Creuzers Symbolif und Mythologie im Auszuge von Mofer 
©. 897 f.: 

Heldenfagen waren im Heidenthum der Bollsglanben Dem efoterifchen, 
priefterlichen gegenüber] und beſtanden in Göttergeſchichten, aufgefaßt nach 
menſchlichen Berbältniffen; Geburt, Thaten und Tod der liberirdifchen Weſen 
murden darin erzählt und überliefert. (Vgl. Mone, Geſch. I, 827. II, 122.) 

Allerdings nun finden wir in der Geſchichte ver Sagen häufig 
auch den Hergang, daß die Gottermythen menſchlich umgeftaltet were 
den, nit etwa bloß in gelehrter Abficht, wie im obigen Beifpiele 
ber Heimskringla, fondern im Wege vollgmäßiger Sagenentwidlung, 
wovon gleich nachher Fälle angeführt werden follen. Aber jener Her: 
gang ift keineswegs der allgemeine ober vorherrſchende. Wo überhaupt 
die Sage zu einer vollen Ausbilbung gelangt ift, merben wir bie höhere 
und die irdiſche Welt, Göttliches und Menfchliches, gleichzeitig beftehen 
und manigfach in einander greifen fehen. Auch die Heldenfage ift dann 
nicht ohne Götter, immer zeigt fie im Hintergrunde den Götterhimmel, 
und bie einzelnen Göttergeftalten treten freundlich oder feinplich wirkend 
in die irdifche Handlung ein; aber eben nur aus dem gleichzeitigen Vor⸗ 
handenſein zwei verſchiedener Welten Tann diefes Verhältnis hervorgehen. 
Sp bilden Götterfage und Helvenjage zufammen ein Ganges, aber fie 
find nicht identiſch. 

Sie flir iventifch zu nehmen, verleitete vorzüglich bie Ühereinftim- 
mung, bie zwifchen beiden beſteht. Man fand in ber Darftellung irbis 
{cher Geſchichten mikrokosmiſch diefelben Ideen und Geſetze waltend, die 
im Nakrokosmus der Göttermelt und bes allgemeinen Weltlebens ſich 
offenbarten. Allein ein Widerſpruch, ein ben Zuſammenhang güttlicher 
und menfchlicher Dinge aufhebender Misllang wäre gar nicht gedenk⸗ 
bar, ba ja die jeweiligen Borftellungen von den Göttern in benfelben 
Geiftern lebendig waren, in denen die Heldendichtungen ihre Pflege 
fanden. Die Heldenfagen find ver geiftige Ausdrud bes Vollslebens, 
fie können fo wenig als das Vollsleben ſelbſt, außer Verhältnis mit 
dem Glauben ver Volker gebucht werben. Wenn aber Mone bie weitere 
Überzeugung ausfpricht (I, 321), „wie fehr die großen Glaubensfäge 
ben Charakter ber teutichen [germaniſchen] Völker gebilvet und beren 


88 

Geſchichte geftaltet haben;” fo wird dieß nur mit der Beſchränkung 
angenommen werben Tünnen, daß zwiſchen bem Glauben ber Böller 
und ihrem Charakter, der zugleich ihre Gefchichte beftimmt, eine Wechſel⸗ 
wirkung ftatt finde, daß allerbings die odiniſche Glaubenslehre auf 
den Charakter und bie Unternehmungen ber germaniichen Böller ans 
vegend eingewirkt, daß aber auch zum voraus ſchon ver Tampfrüftige, 
thatkräftige Geiſt diefer Volker dem Odinsglauben fein eigenthüämliches 
Gepräge gegeben habe. Diefelbe Wechfelmirtung aber, wie zwiſchen ber 
Glaubenslehre und dem Völterleben, finden wir ſehr natürlich auch 
zwifchen ber poetifchen Geftaltung beider, zwiſchen der Götterfage und 
der Helbeninge. 

Die beveutendften Quellen und Hülfsmittel für bie Kenntnis ber 
norbifchen Helvenfage find folgenve: 

1. Die beiden Ebben, und zwar in ber ältern die auf die mythi⸗ 
ſchen Gefänge folgenden Helbenliever, nad der jetzt gewöhnlichen Abs 
theilung 20 an der Zahl, aus den der deutſchen Poefie mit der nor 
diſchen gemeinfamen Sagenkreifen von Bölund, den Völfungen und 
Niflungen. Aus ber jüngern Edda ober vielmehr der ihr angehängten 
Stalda gehören hieher einige Sagen und ein vollftändiges Lied, Grotta- 
fang, bie zur Erklärung poetifcher Ausbrüde der Skaldenſprache beis 
gebracht find. Die Litteratur ber Edden ift ſchon bei ber Götterfage 
angegeben worden. 

2. Die nichthiftorifchen isländifchen Sagan. 

Wie in die Gbtterwelt Bragi und Saga aufgenommen find, fo 
wurbe im Norben und vorzugsweife wieder von den Isländern neben 
ber Skaldenkunft au die Erzählung in ungebundener Rebe fleißig be 
trieben. Eine ſolche Erzählung größeren Umfangs hieß Saga (eine 
fürzere nannte man Thättr) 1; ein in Erzählungen wohl erfahrener Mann 
hieß Sagenmann (Sagnamadr, auch Fræedimadr; at freda, erudire). 
Der Charakter der Sagan mar entiveber vorwiegend ein gefchichtlicher, 
foweit in ihnen Begebenheiten aus der Zeit ber Bebauung Islands in 
der zweiten Hälfte des Hten Jahrhunderts, oder ber zunädft vorher 
gegangenen und der nachfolgenden Zeit, erzählt wurden, ober ein, im 
engern Sinne, ſagenhafter, mythiſch-poetiſcher, fofern die Erzählung. 


4 Sagabibl. IT, 493. 


2) - 


ſich beſonders auf die Altern, vorgefchichtlichen Erinnerungen aus dem 
norwegischen Heimathland und dem übrigen Norden eritxedte. Die Sagan 
wurden in der Bollsverfammlung und an Königshöfen vorgetragen, 
fie waren an langen Winterabenden bie Unterhaltung der in ber ge 
meinſchaftlichen Stube vereinigten Hausgenoſſenſchaft, wie fie es auf 
Island noch jest find. Auch diefe Sagenerzählung hatte fich gewiſſer⸗ 
maaßen zur Kunft ausgebildet, fie hatte in Stil und Form ein eigen: 
thümliches Gepräge erhalten. Waren die mythiſchen und heroiſchen 
Skaldenlieder nicht jelten von kurzen Einleitungen und Zwiſchenſätzen 
in Profa begleitet, fo find befonbers die älteren Sagan häufig mit 
Berfen durchwoben und hatten in ven Liebern ihre Grundlage ober ihren 
Stützpunkt. Niebergeichrieben wurden die Sagan feit dem 12ten jahr: 
hundert. Sie wurden nicht fchriftlich verfaßt, ſondern giengen jchon 
volllommen fertig in die Schrift über. Mündlih und namenlos, wie 
alle voflamäßige Überlieferung, haften fie fih berangebilvet und ihre 
Übertragung in Schrift glich, nach Geijers Ausprud, dem Abpflüden 
einer reifen Frucht. 

Über dieſen Gegenftand geben Aufſchluß und Nachweifung: 

B. €. Müller, Über den Urfprung und Verfall. der isländiſchen Hiſtorio⸗ 
graphie n. ſ. w. aus dem Dänifchen überſetzt von 2. C. Sander. Kopenhagen 
18313. Derfelbe in den Einfeitungen ver Sagabibliothel. Geijer, a. a. O. 
Cap. 5, 6.155 fi. 


Wenn nün gleich auch die hiftorifchen Sagan noch manche fagen- 
bafte Züge aufgenommen haben, jo geben uns doch hauptfächlich die 
vorgeichichtlichen, mythiſch⸗poetiſchen an. Von dieſen iſt neuerlich fol- 
gende Sammlung. veranftaltet worden, die ich ftatt aller einzelnen 
Ausgaben anführe ſogl. Möbiug Catalog. libr. island. ©. 33 ff. 8.]: 


Fornaldar Sögur Nordrlanda eptir gömlum handritum ütgefnar af 
C. C. Rafn. 3 Bände. Kaupmannahöfn 1829 ff. 

Eine dänifche Überfegung diefer Sagenflaffe: Nordiske Kempe- Historier 
efter islandske Haandskrifter fordanskede ved C. C. Rafn. 8 Bände. 
Kjöbenhavn 1821 bis 1826. 

Reue Ausgabe, mit der Sammlung der tsländiffgen Originale parallel 
laufend, doch mit einzelnen Ansnahmen: Nordiske Fortids Sagaer, efter den 
udgivne islandske eller gamle nordiske Grundskrift oversatie af C. C. 
Refn. 8 Bände. Kopenhagen 1829 bis 1880. 


pP” \ 


% 


Ans Deutiche find nur diejenigen Sagen vollftändig überſeht, welche 
zu dem ben Deutfchen mit dem Norden gemeinfamen Bolſungen⸗ und 
Niflungenchklus gehören: 

Nordiſche Heldenromane, überſetzt durch F. H. v. d. Hagen. 5 Bändchen. 
Breslau 1814 fi. 

Als Hülfsmittel ift beveutend: 

Sagabibliothek med Anmerrkninger og indledende Afhandlinger, af 
P. E. Müller. 3 Bände. Kjöbenhavn 1817 His 1820. 

Diefes ſchätzbare Werk gibt Auszüge aus den islandiſchen Sagan 
mit litterariſchen Notizen und ſagengeſchichtlichen Unterſuchungen. Für 
unſern Zweck gehört vorzüglich der zweite Band, der das eigentlich Sagen⸗ 
hafte umfaßt, während die beiden andern Bände mehr hiſtoriſchen In⸗ 
halts ſind. Ins Deutſche übertragen iſt nur der erſte Band: 

Sagaenbibliothek des ſtandinaviſchen Alterthums von P. E. Milller, aus 
ter däniſchen Handſchrift überſetzt von K. Lachmann, Berlin 1816. [B. 2, bear- 
beitet von ©. Lange. Frankfurt a. M. 1832. K.) \ 

3. Saros dänische Geſchichte: 

Saxonis Grammatici Historie Danic® Libri XVI, e recensione Ste- 
phenü u. f. w. ed. C. A. Klots. Lipsie 1771. 40, 

Über ihn und fein Wert: 

Die Profegomena von Klotz, wo befonders auch das Biographifche zu finden. 
P. €. Müllers Abhandlung über die Quellen der 9 erften Bücher Saros und 
ihre Glaubwilrdigleit, in der angeführten Critisk Undersögelse af Danm. og 
Norg. Sagnhist. Geijer, a. a. D. Gap. 5, ©. 205 fi. 

Kloß, Proleg. S. 6: Apprime vero conveniebat Saxoni Grammatici 
nomen, quo illa, quam mediam vulgo appellant, etas virum literarum 
ingenuarum et liberalium scientia instructum ornabat, 

Saxo, zugmannt Grammaticus, ein bänifcher Geiitlicher, wahr: 
ſcheinlich Probft der Kirche zu Roeskild, fchrieb fein Geſchichtwerk in 
der zweiten Hälfte des 12ten Jahrhunderts, auf die Aufforderung des 
Erzbiſchofs Abfalon zu Lund, Seine Aufgabe erftredte ji auf den 
ganzen Umfang des damaligen Dänenreihd, die Inſeln, Sütland, 
Schonen. Der Reihthum vorgefchichtlicher Überlieferungen, der ihm zu 
Gebote. ftand, war fo groß, daß die Hälfte feines Werks, die neun 
eriten Bücher, vie bis über ben Anfang bes 10ten Jahrhunderts veichen, 
noch faft durchaus der Sage anheimfällt. Dadurch ift feine Arbeit eine 


91 


. 


reiche Fundgrube für die norbifche Sagengeſchichte geworden. Eie ber 
ruht auch in biefer vordern Hälfte großentheils auf Liedern und Bolls- 
fagen und die vielen verfificterten Stellen, die er überall eingefireut hat, 
find offenbar Überfegungen alter, einheimilcher Gefänge, was auch noch 
für einzelne Fälle beſtimmt nachgewiefen werden kann. Ex braucht geme 
zu feiner Gewähr Ausbrüde, wie: veteres tradunt, antiquitas per- 
hibet, vulgaris opinio, vulgaris sententia u. f. iv. (@eijer ©. 206 f.) 
Die Leiſtungen der Isländer waren ibm nicht unbelannt; da er aber 
auf eigenem, bänifchem Boden bie nollsmäßigen Überlieferungen aufs 
nahm und ſanmelte, jo wird burch ihn nicht nur Manches, was bie 
Seländer geben, beftätigt, ergänzt ober in anderer Ausbilbung ber ein, 
zelnen Sagen bargeftellt, ſondern es erhält auch ber nordiſche Sagen⸗ 
That überhaupt durch ihn einen bebeutenden Zuwachs merkwürbiger 
Kunden, welche nur in feiner Aufgeichnung noch vorhanden find. Zwei 
Umftände tbun feinem Werke, in VBergleihung mit den islänbifchen 
Dentmälen, Eintrag. Der eine ift, daß Saro lateinifch fchrieb und 
zwar in einem rhetoriſch gezierten und phraſeologiſch gebehnten Stile. 
Wie anders aber, in eigenthümlicher, einheimifcher Farbe, würde Alles 
vor uns ftehen, wie fehr müften wir in ber unmittelbaren Anſchauung 
altnordifcher Boefie und Sage bereichert fein, wenn Saxo, gleih ben 
Söländern, die mündliche Überlieferung ohne den Zwiſchentritt einer 
fremden Sprache in Schrift gefaßt hätte? Dennoch liegt nicht bloß in 
diefen Überlieferungen felbft eine fo unvertilgbare Kraft ihres urfprüng: 
lien Weſens, ſondern es fand fich auch glücklicher Weile bei Saro 
fo viel nationaler und poetifcher Sinn, daß wir auch durch die fremb- 
astige Scheidewand hindurch noch lebhaft von dem Geifte nordiſcher 
Spgendichtung ergriffen werben. Der andere nachtheilige Umftand ift, 
daß Saro die Sagen vom Standpunkte der Geſchichtſchreibung aus auf 
faßte. Sie fellten für hiſtoriſche Berichte gelten, follten in paſſende 
Zeitfolge und örtlihe Stellung, in eine wohlgeorbnete Reihe bänifcher 
Könige zufammengefügt werben. Während nun in ben vorgeichichtlichen 
isländiſchen Sagan jede Sage, in gänzlich unbefangener Auffaſſung, 
vollſtaͤndig zugleich. und. in ſich abgeſchloſſen, gegeben ift, fo muſte Saro 
für feinen Zweck ſichten und orbnen, trennen unb verbinden. Alles 
biefes geſchah zum Nachtheil der Sage, ohne darum der Geſchichte Vor⸗ 
theil zu bringen. Er verfuhr nicht ohne leitende Grunde, die wir 


« 


nur nidt für baltbare anerkennen werden, z. B. wenn er die Rieſen⸗ 
geſchichten voranftellt, nach der Anſicht, daß Rieſen in der älteſten Zeit 
den Norden bewohnt haben. Aber bei all Dieſem verfälſcht er doch nie 
mals die Sage. Davor bewahrte ihn eine fromme Vorliebe für dieſe 
vaterländifchen Altertblimer und eben jener poetifche Sinn, ben mir 
ihon an ihm gerühmt haben und aus dem allein auch das Werk in 


ſolcher Sagenfülle hervorgehen konnte (vgl. Undersög. 6). Allerdings aber 


find wir nun auch nicht durch Saros hiftoriſche Auffaſſung und chrono⸗ 
logiſche Anordnung gebunden, ſondern wir lafien frei ven Maaßſtab der 
Sage walten, wir ſondern, was nur äußerlich zuſammengeſtellt iſt, und 
wir verbinden wieder, mas, nad) Saxos Zeitrechnung weit auseinander 
gerüdt, vermöge innerer Verwandtſchaft zufammengehört. Durch feine 
redliche Weife bat auch Saro dieſes Verfahren ſelbſt erleichtert. Er: 
jcheinen manche feiner Erzählungen nicht mehr fo in echter mythiſcher 
Geftalt, wie in den isländifchen Aufzeichnungen, fo it dieſes nicht einer 
Fälſchung von feiner Seite beizumeſſen, fonbern dem Umftanbe, baß 
in bem früher chriſtlich gewordenen und allen äußern Einflüffen näher 
ausgeſetzten Dänemark, vielleicht auch bei weniger feiten und geregelten 
Formen der’ Überlieferung, die Sagen im Bollsmunde felbft, aus dem 
Saro fie aufnahm, fchon manigfache Umwandlung erfahren hatten. 
Daß Saro, wie früher erwähnt wurde, Odin und andre Aſen als 


hiſtoriſche Perſonen behanbelt, mag auf benfelben Gründen beruben, 


welche in. Snorros Heimskringla dieſelbe Behandlungsweiſe veranlapt 
hatten. Aber auch die Ericheinung zeigt ſich bei Saxo, daß in der 
Volksſage ſelbſt ſchon ber Gdttermythus ſich menſchlich umgeſtaltet hatte. 
Ich gebe die Beiſpiele hievon, bevor ich zur eigentlichen Heldenſage über⸗ 
gebe, in welcher, nach ben obigen allgemeinen Bemerkungen, dieſer Her 
gang keineswegs ald ber vorherrſchende zugeftanden tuerben Tonnte. 

Ob Sars den Mythus fchon in der Vollksſage vermenihlidht nor: 
fand oder felbft erft ihn an Perfonen, bie ihm für biftoriiche galten, 
anfnüpfte, kann in dem zumächft folgenden Falle noch für zweifelhaft 
angeſehen werben. 

Wir haben in der Götterfage den Wechſelgeſang kennen gelernt, 
worin der Bane Ridrb und feine Gemahlin Stabi, aus dem Noten 
geſchlecht, nach dieſer Verſchiedenheit ihrer Naturen auch ihre verſchiedene 
Reigung ausſprechen. Niörb ift müde der Berge, wo ihm ber Wölfe 


= 


\ 4 93 


Heulen widrig fchien gegen der Schwäne Lieb. Sladi konnte nicht 
fchlafen am Strande des Meeres. vor dem Geſchrei der Seewögel, jeben 
Morgen wird fie von der Möve gewedt (j. Edda 186). Bei Saro nun 
(B. 1, ©. 21) wirb von dem achten Dänenlönige Habbing, befien ganze 
Geſchichte übrigens höchſt ſagenhaft lautet, erzählt, ex habe, nachbem er 
mehrere Jahre untriegerifch dem Feldbau obgelegen unb dem Seeweſen 
entfrembet geblieben, ſich zulegt felbft folgenbermaßen angellagt: 
Quid moror in latebris opacis, 
Collibus. implicitus scruposis, 
Nec mare more sequor priori? 
Eripit ex oculis quietem 
Agminis increpitens lupini 
Stridor et usque polum levatus 
Questus inutilium ſerarum 
Impatiensque rigor leonum u. f. w. 
Officiunt scopuli rigentes u. ſ. w. 
Mentibus eequor amare suetis. 
Nam freta remigiis probare 
Officii potioris esset, 
Mercibus ac spoliis ovare u. f. w. 
ZRquoreis. inhiare lucris, 

- Quam salebras nemorumgue flexus 

Et steriles habitare saltua. 
Seine Gemahlin aber, die Das Leben in Yeld und Wald geliebt und 
dem frühen Rufe der Seevögel abbolb geweſen, babe fich jo geäußert: 
Me canorus angit alis immorantem littori 
Et soporis indigentem garriendo aoneitat u. |. w. 
Neo sinit pausare noctu mergus alte garrulus 
Auribus fastidiosa delicatis inserens u. |. w. 
Tutius sylvis fruendum dulciusque censeo u. |. w. 

Mir haben bier eine offenbare Paraphrafe des alten mythiſchen 
Liedes; wie aber Saro dazu gelommen, es dem bänifchen Königspaare, 
fo misverftanden, in den Mund zu legen, ob ihm dazu fchon in ber 
volf3mäßigen Überlieferung Anlaß gegeben war oder ob er durch eine 
gelehrte Combination darauf geführt worben, ift ungewiſs. 

Sichrer dürfen wir in einem andern Falle annehmen, daß er ben 
Böttermythus ſchon in der Vollsfage epiich zugebilbet antraf. Wir 


94 

erinnern und, wie bie j. Edda ben Tob bes göttlichen Baldurs durch den 
blinden Höbr, dieſe entfcheidende Kataftrophe des Welt: und Götter 
lebend, und die dafür von Bali, Baldurs Bzuber, genommene Rache 
darftelt. In Saros tem Buche finden wir Hödem wieber als einen 
König über Dänemark und Schweden, Hother, von dem Folgendes ge- 
melbet wird (B. 3, ©. 53 ff.): Hother, Hodhrods Sohn, erwuchs 
in der Pflege des norwegischen Königs Gevar. Er war nicht bloß in 
allen Leibesübungen Träftig und gewandt, auch in jeder Art des Saiten: 
ſpiels war er unübertroffen. Er verftand, damit jede frohe oder ſchmerz⸗ 
lihe Stimmung, jede milde ober heftige Bewegung der Seele hervor⸗ 
zurufen. Nanna, Gevars Tochter, warf ihre Neigung auf den viel: 
begabten Züngling. Einft aber fah Balbur, ein Sohn Odins, die 
Jungfrau im Babe. Ihre glänzende Echönheit entflammte in ihm bie 
beftigfte Leivenfchaft und er beichloß, fich Hothers, der feinen Wünfchen 
im Wege ftand, mit dem Schwerte zu entledigen. Um biefelbe Zeit 
verirste Hother auf der Jagd im Nebel und Tam in dad Gemad ge 
wiſſer Waldjungfraun, bie ihn mit feinem Namen grüßten. Auf fein 
Befragen, wer fie feien, erwiderten fie, durch ihre Lenkung werde bas 
Gefchi der Kriege beftimmt, oft feien fie, Niemand ſichtbar, in ber 
Schlacht gegenwärtig und jchaffen ihren Freunden heimliche Hülfe. Auch 
wuften fie von Balders Leidenſchaft für Nanna und ermahnten Hothern, 
jenen, als einen Halbgott, nicht mit Waffen zu reizen. Nachdem 
Hother biefed vernommen, ſah er auf einmal, zu jenem Erftaunen, 
das Gemad mit den Jungfraun verichwunben und fich ſelbſt unter 
freiem Himmel daſtehend. | 

Ignorabet enim, quæ circa se gesta fuerant, ludibrium tantum in- 
aneque prestigiosarum artium extitisse commentum. 

Indem man einmal die Zauberei anerfannte, hatte man überall 
für die geichichtliche Anficht gewonnenes Spiel. Hother begab fich 
bierauf ſogleich zu Gevar und warb um deſſen Tochter. Der König 
äußerte, daß er Hothern fehr gerne begünftigen würde, wenn ex nicht 
den Born Balbers fürchtete, ber fich zubor fchon mit ber gleichen Bitte 
an ihr gewendet. Balder fei felbft vor Eifen feft, doch geb’ eö em 
engvertwahrtes Schwert, mit dem allein Balber getöbtet werben könne. 
Im Beſttze besjelben, fowie eines wunberbare Stärle verleihenden 
Halsbands fei ber Zwerg (sylvarım Satyrus) Wimring Mittel 


\ j 95 ” 

der Anweiſungen Gevars zwingt Hother dem Biverge die beiden Kleinode 
ab, Balder kam nun gewaffnet zur Freimerbung in Gevars Land. 
Dieſer hieß ihn Nannas Gefinnung felbft erforſchen. Ihre Antwort 
fiel dahin aus, Daß ihr eine Verbindung zwifchen Göttern und Sterb- 
lichen nicht paſſend ſcheine. Es fand hierauf ein Seetreffen zwiſchen 
Hotber und Balder ſtatt. Menichen ftritten bier gegen Götter. Yür 
Balder lämpften Dbin und Thor und die heiligen Götterfchaaren. 
Hother jedoch, mit einem eifenfeften Schlachtgewand umgürtet, brach in 
die bichteften Schlachtbaufen der Götter und wüthete, jo viel ein Erden⸗ 
fohn gegen Tiberirbifche vermochte. Aber auch Thor zerfchmetterte mit 
dem Schwung feiner Keule unmiberftehlih Schilder und Helme. Der 
Sieg wäre den Göttern geivorden, hätte nicht Hother, als fchon fein - 
Heer zu weichen begann, den Griff der Keule abgehauen. Dieſer Waffe 
beraubt, ergriffen die Götter plöglich die Flucht: 

Inimieum opinioni esset, nisi fidem antiquitas faceret, deos ab homi- 
nibus superäri. Deos antem potius opinative, quam naturaliter dicimue. 
Talibus namgue non natura, sed gentium more, divinitatis vocabulum 
damus. 

Bon der Flucht Balders zeugt noch der Name des Hafens. (Testis 
belli portus Balderi fugam vocabulo refert.) anna wurde nun 
Hothern zu Theil, doc war damtt ber Krieg. nicht beendigt. In einer 
andern Echlacht war Balder der Sieger; feinem bürftenben Heere ließ 
er einen Duell aus der Erde fpringen. Auch baran haftet noch fein Name: 

Novos humi latioes, terram altius rimatus, aperuit. Quorum erum- 
pentes scatebras sitibundum agmen hianti passim ore captabat. Eorundem 
vestigia, sempiterno firmata vocabanlo, quanquam pristina admodum sca- 
turigo desierit, nondum prorsus exolevisse ereduntur. 

Lex. myth. ©. 29: Fous Balderi ibi memoratus, danice Baldersbrönd 
(inter Havniam et Roskildiam situg), id nomen hodie retinet. 


Balder wurde jedoch von Gefpenftern, welche Nannas Geſtalt an- 
nahmen, zur Rachtzeit fo fehr gequält, daß ex Tran! wurde und nicht 
mehr zu Zube geben konnte. Er muſte fich deshalb eines Wagens ber 
dienen. Gleichwohl Ichlug er Hothern noch emmal, Diefer floh nad 
Sätlanb, wo aud er einem Orte den Namen gab: 

Qui cum in Jutiam concessisset, vicum, in quo manendi usum habuit, 
nomine suo nuncupandum curavit. 


% 


Nachher begab er fi, feines Unglücks müde, ganz allein in eine 
Wildnis in Schweden. Auf dem Gipfel eines hoben Berges pflegte er 
dort dem rathfragenden Volle Beſcheid zu geben. Im unwegſamen 
Walde kam er einft in eine Höhle, welche von benjelben Jungfraun 
bewohnt murbe, bie ihn einft mit dem unverleßbaren Kleide beichenkt 
batten. Er Hagte fie an, daß es ihm nicht ergangen, wie fie ihm ver: 
fprochen hätten. Die Yungfraun bemerften, daß auf beiden Seiten 
gleich viele gefallen feien, und ficherten ihm den Sieg zu, wenn er eine 
töftliche Speife, die zur Mehrung der Kräfte Balders erdacht wäre, 
hinwegzunehmen vermöchte. Hieburch fand ſich Hother von Neuem zum 
Kampf ermuthigt. Es warb abermals eine Schlacht geliefert, ver, bei 
ziemlich gleichem Verluft auf beiden Seiten, vie Nacht ein Ende machte. 
Um bie dritte Nachtwache gieng Hother heimlih aus, um die Feinde 
auszufundichaften. Da ſah er aus Balders Lager drei Sungfraun kom⸗ 
men, welche die geheimnispolle Speife trugen. Er verfolgte fie eilig, 
denn die Spuren im Thaue verrietben ihm ihren Weg, bis zu ihrer 
Wohnung. Auf ihre Frage, wer er fei, nannte er fih einen Harfner 
(eitharedum), und als fie ihm ein Saitenfpiel darboten, ſchlug er 8 
in den liehlichften Klängen an. Die Sungfraun (nympbee) hatten brei 
Schlangen, deren Eiter fie in Balder Speije zu miſchen pflegten. 
Damit waren fie eben befchäftigt. Die Eine wollte fchon Hotbern von 
diefer Speife mittheilen, als die Altefte erflärte, Balder werde gefähr- 
bet, wenn man bie Kraft feines Feindes mehre. Der Gaft gab jedoch 
vor, er fei nicht Hother, fondern ein Begleiter Hotherd. Hierauf 
ſchenkten ihm die JZungfraun huldreich einen fchönen, fiegträftigen Gürtel, 
Auf dem Rüdwege begegnete er Baldern, vertvundete biefen und ftredte 
ihn halbtodt nieder. Balder fühlte fein Ende nahe, aber, durch den 
Schmerz der Wunde aufgereizt, erneuerte er am folgenden Tage bie 
Schlacht. Er ließ fih in diefelbe tragen, um nicht im Gezelt eines 
unrühmlichen Todes zu fterben. In der folgenden Nacht fab er im 
Schlafe 1 Hel (Proserpina) vor ſich ftehen, die ihm verfündigte, daß 
fie ihn am kommenden Tag umarmen werde. Die Weiflagung bes 
Traumgefichts war nicht leer. Nach Verfluß von drei Tagen erlag 
Balder dem Schmerz der Wunde. Sein Heer beſtattete ben Leichnam 


1Bgl. Hrolfs S. Cap. 5. 


9 


koniglich und erhob barüber einen Grabhügel. Dieſen wollten, wie 
Saxo hinzuſetzt, zu feiner Zeit (vigente veteris sepulture fama) 
einige Männer, in ber Hoffnung, Schäße barin zu finden, zur Nachts 
zeit aufgraben, entfloben aber, von plöglichem Schrei ergriffen; denn 
es ſchien ihnen auf einmal vom Gipfel bes fteilen Berges ein gewaltig 
rauſchender Strom berabzuftüizen und fich über das Felb zu ergießen. 
Niemand magte fortan fi an dem Hügel zu vergreifen 1. 

Sazo erzählt hierauf noch weiter, wie Odin, nachdem er die Wahr 
fager über bie Rache für Baldern befragt, mit Rinda, ber Tochter des 
Nuffenlönigs, einen Sohn erzeugte, ber bier Bous genannt wird und 
welchem Hother in der Schlacht unterlag; eine Erzählung, welche mehr, 
ala das Vorhergehende, ven mythiſchen Charakter erhalten bat. 

Die Geſchichte Balders und Hothers aber, wie Saro fie aufge 
nommen bat und wie ich fie,, mit Weglaffung manches ganz Fremd⸗ 
artigen, mitgetheilt habe, ift allerdings ein verwanbelter Gottermythus 
in ber Art, wie Done bie ganze Helvenfage betrachtet wiflen will. Die 
Identität im Ganzen mit dem Inhalte ver Edda ift volllommen beuts 
lich und auch die einzelnen mythiſchen Züge fcheinen vielfach binburd; 
fo Baldurs fchivere Träume, Odins Yulunftfrage bei den Soten, Now 
nen und Ballyrien, obwohl hier vermengt, bie Götterfpeife mit den 
Schlangen, die an Suttungs Meth, den Din als Schlange geholt, 
erinnert. Sa es mögen bier durch bie Bollafage manche, in den Edden 
nicht überlieferte Züge des Mythus aufbehalten fein. Die epiſche Aus 
malung, vie Antnüpfung an Örtlicleiten, fpricht überall bafür, baß 
Saxo wirflih aus der Bollsfage geihöpft babe. Er verhält fich fat 
leivenb gegen bie Überlieferung und macht nur bie nöthigften Anmer⸗ 
Jungen, um ſich gegen den Glauben an die alten Götter zu verwahren, 
Zugleich aber fehen wir auch, wie ber Mythus feine urfprüngliche Be 
deutung verloren bat, bie busch Feine neue, ihm unterlegte Grundidee 
erſetzt worden ift, unb wie bamit auch das Einzelne, wenn auch nicht 
vhne poetifche Anklänge, ohne Anhalt und Haren Bujfammenbang auss 
einanberläuft. Eben darum habe ich diefe Ergählung nicht In ben Kreis 


1 Fim Magnufen erwähnt, Lex. myth. S. 29, daß man den Grab⸗ 
bügel Balders in ber Folge bei dem Dorfe Ballerup (oder Dalderup) und einen 
andern zu Tune in Seeland zeigte. | 

Npland, Sqhriften. VI. 7 


8 


der reinen Heldenſage eingereiht, ſondern nur als einen ber möglichen 
Übergänge des Göttermythus zur Heldenſage bemerklich gemacht. 

Saro berichtet in feiner Borrede (S. 69) 1, in Bleding ziehe fich 
längs eines Yelsfteigs, der vom Suüdmeer nah den Einöben Wärenbs 
führe, eine in den Fels gehauene, zwiſchen zwei Linien über Höhen 
und Tiefen fortlaufende Runeninſchrift. König Waldemar, ber ihre 
Bedeutung zu wiflen wunſchte, babe Leute dahin gefanbt, um biefe 
Buchſtaben auf Stäbe abzuzeichnen; dieß fei aber ohne Erfolg geblieben, 
weil das Ausgehauene theils verjchlittet, theils durch bie Wanbelnden 
abgetreten geweſen ſei. So ift auch in ber Sagenzeihe, bie ſich durch 
Saxos Werk Hinzieht, manches alte Leichen am Pfade ber Jahr⸗ 
hunderte verwilcht unb ausgetreten, Andres aber von dieſer wunder 
baren Bilverfchrift werden wir noch ſcharf und verftändlih zu Tage 
treten jeben. 

Die Heldenfagen, deren bebeutenbere jet nach ben angegebenen 
Quellen dargeftellt werben follen, tbeilen wir in zwei Klafien: 

A. ſolche, die dem ſtandinaviſchen Norben eigenthümlich find; 

B. diejenigen, welche der norbilchen Sagenpoeſie mit ber deutfchen, 
wenn auch nach verichtebenen Geftaltungen, gemeinfam zugehören. 

Diefe Abtheilung wird uns fpäter zur Verleihung der beutichen 
Heldenſage mit der nordiſchen dienlich fein. Die nordiſche Sage ſelbſt 
fest alle die verfchiebenen Kreife, die fie in fich aufnimmt, burch einen 
gemeinjamen Helbenuater in Verbindung. Diefer ift Halfdan ber Alte. 
Bon ihm, ber jelbft von Odin ſtammt, melden Lieb und Sage (F. Magn. 
Edd. IH, 12 f. Edd. So. 190. Fortids S.U, 3f.): ex that im Mitt: 
winter ein großes Opfer, daß er 300 Jahre in feinem Königthum leben 
möchte; die Antwort ber Gdtter aber Inutete dahin, er Tolle nicht mehr, 
als eine Mannes Alter leben, aber in 800 Jahren folle Fein unbe 
rühmter Mann und Tein Weib aus feinem Stimme hervorgehen. Seine 
erſten 9 Sohne, die alle gleich alt waren, wurben jo beräimt, daß 
ihre Ramen in allen Gefängen als Ehren und Rönigenamen gebraucht 
wurben; Teiner von ihnen hatte Kinder und fie fielen alle auf einmal 
im Kampfe. Neun andere Söhne, die er nach jenen hatte, waren alle 
Heerlönige und nad ihnen und ihren Nachlommen find alle die Helben- 


1 Bel. Saro 8. VII, ©. 212, 2. 





99 


geſchlechter benannt, die in den Helbenfagen auftreten, 3. B. von Näfil 
die Niflunger, von Bubli die Bublunger u. ſ. w. 
Wir folgen aber der vorbemerkten Eintheilung. 


A Eigenthämlih nordifhe Heldenfagen. 
1. Frodi ber Frichfame, 
Thiele, d. Yollf. L 6. 21. W. Grimm, d. Amen, 252 ob. 


Die Stalba enthält unter den Kenningar (poetifchen Bezeichnungen) 
Folgendes (Sn. Edd. ©. 146 ff. [Edda Snorra Sturlusonar. ‘Hafn. 
1848. I, 374. Simrocks Erda ©. 347. 8.)): 


„Barum wird das Gold Frodis Mehl genannt? Davon if die Sage 
die: Stjöld Hieß der Sohn Odins, von bem die Skjöldunger flammen. Er 
hatte Sig und Herrfchaft in den Landen, die jebt Dänemark genannt werben 
amd damals Gotland hießen. Skjölds Sohn hieß Fribleif, der nach ihm über 
die Lande herrſchte. Fridleifs Sohn hieß Yrodi, er nahm das Königthum nad 
feinem Bater, zu der Zeit, da Kaifer Auguftus Yrieden in der ganzen Welt 
fiftete. Damals ward Chriſtus geboren. Weil nun Yrodi der mächtigſte aller 
Könige in Nordianden war, fo ward ihm tn der ganzen däniſchen Zunge biefer 
Friede zugeiproden und nennen die Norbmänner dieß Frodisfrieden!. Kein 
Mann fügte da dem Andern Schaden zu, mochte er auch den Mörder feines 
Baters oder Bruders?, los oder gebunden, vor fi finden. Da war auch fein 
Dieb oder Räuber, jo daß ein Golbring lang anf Kalangursheibed lag. König 
Frodi fandte Einladung (heimbod) nad) Schweben an König Yiölnir; da kaufte 
er zwei Mägde (ambättir, Sclavinnen), welche Fenja und Menja hießen; fie 
waren groß und ſtark. Zu der Zeit gab es in Dänemark zwei Miühlfteine 
von folder Größe, daß Niemand ſtark genug war, fie umzutreiben; anch 
hatten dieſe Mühlen die Eigenſchaft, daß auf ihnen gemahlen wurde, was 
der Mahlende vorfagte Solche Mühle hieß Grottid. Hengiljapte iſt der 
genannt, der dem König Yrodi die Mühlen gab. Frodi ließ die Mägde zu 
den Mühlen geben und bieß fie da Gold und Frieden und Heil für ihn 


1 Fröda-frid. 

2 Bol. Grimm, Rechtsalt. 400. 

3 Geijer &. 399, N. 8: Jalangr lag in Jutland; vgl. Sarı ©. V. 
4 Grotta f. mola. 


100 


mahleni. Er geftattete ihnen nicht länger Ruhe noch Schlaf, als fo lang ber 
Kuduf ſchwieg oder fie ein Lieb fingen mochten (hljöd mätti qveda), Ea wird 
gefagt, daß fie da das Lieb fangen, welches Grottafang genannt wird; und ehe 
fie ausgefungen, mahlten fie Frodin ein Heer, fo daß in der Nacht der Seelönig 
Möfingr kam, Frodin erſchlug und große Beute nahm. Da war ber Frodisfriede 
vorbei. Möfingr nahm Grotti mit fi), fowie auch Fyenja und Menja, und hieß fie 
nun Salz mahlen; um Mitternacht fragten fie, ob Möfingr nicht des Salzes 
fatt habe (leiddiz); er aber hieß fie fortmahlen. Da mahlten fie noch kurze 
Friſt, bis das Schiff unterſank; und im Meere blieb dort ein Gtrubel, wo die 
See durch die Muhlſteinlöcher gefallen war, da ward die See ſalzig. 


Ran find gekommen 
Zu Königs Haufe. 
Zwo Zulunftlundge, 
Fenja und Menja. 
Sie find bei Frobi, 
Fridleifs Sohne, 
Mäcdıtge Mägde, 

Zu Dienft gebunden, 


Bur Mühle wurden 
Sie hingeleitet, 

Des grauen Steines 
Gang zu lenken. 

Nicht gönnt’ er Beiden 
Naft noch Ruhe, 
Bevor er hörte 

Den Sang der Mägde. 


Sie ließen heulen 
Die laute Mühle, 
Mit Armen treibend 
Die raſchen Steine, 
Nod hieß er weiter 
Die Mägde mablen. 


1 Nieberd. Liederb, 106: 
je vern in jennem Frauckryken, 
dar licht ein Möle ftolt, - 
de malet alle Morgen 
dat Säluer, dat rote Goldt. 





10 


Sie fangen und ſchwangen 
Rauſchende Steine, 

Bis Frodis Dienſtvolk 
Zumeiſt entſchlafen. 

Da ſang das Menja, 

Der Mühle waltend: 
„Reich mahlen wir Frodin, 
Mahlen ihn felig 

In Gutes Fülle, 

Auf der Freudenmuhle. 


Er ſitz' anf Schatze, 

Er ſchlaf' auf Daunen, 
Er wach' in Wohlfein! 
Wohl iſt's gemahlen, 
Da ſchuld' auch Keiner 
Dem andern Schaden, 
Noch bau’ ihm Böfes! 
Nicht ftift er Todſchlag, 
Nicht hau’ ex darım 
Mit ſcharfem Schwerte, 
Fänd' er gefeffelt 

Des Bruders Mörder!“ 


Da ſprach nit Frodi 
Ein Wort vor diefem: 
„Richt Ichlafen ſollt ihr, 
Ihr und ber Kuckuk, 
Richt länger, denn ich 
Ein Lied mag fingen.” 


„Richt warft bu, Frodi, 
Dir, jelbft vorſchanend, 
Du Gernerebner, 

Da du uns Fauftefl. 

Du ſahſt auf Kräfte, 
Du fahft auf Ausfehn, 
Doch nad der Abkunft 
Hieltſt du nit Frage.“ 





102 


Hart war Hrungnir 
Und hart fein Vater, 
Doch war Thiaffi 
Stärler, als Beide, 
Idi und Aurnir 
Sind uns befreundet, 
Sind unſres Baters, 
‚ Bergriefen, Brüder. 


Nie wär’ euch Grotti 
Bom Berg gelommen, 
No jener harte 
Stein aus der Erbe; 
Noch mahlte fo . 
Bergrieſentochter, 
Wär ihr Geſchlecht 
Nicht deſs mitwiſſend. 


Neun Winter waren 
Bir Zaubermägde 
Stark aufgewachſen 
Unter der Erde. 

Jung ſchickten wir uns 
Bu großem Werke, 
Wir rildten felber 

Den Fels vom Orte, 


Bir wälzten Steine 
Um’s Haus des Wiefen, 
Daß rings die Erde 
Davon aufbebte. 

So fhwangen wir 

Den vollenden Fels, 
Den ſchweren Stein, 
Daß Männer ihn griffen. 


Bir aber fürder 

Im Schwedenreiche, 

Bir Zukunftakundge, 
Durch's Boll hinſchritten. 


103 
Sättigten Düren N 
Brachen Schilde, 
Giengen durch's Heer, 
Das graugepanzerte. 


Stürzten den Führer, 
Stärkten den Andern, 
Brachten bem guten 
Guttorm Hüullfsvoll. 
Raſt war keine 


Bor Feindes Falle. 


Hort trieben wir’s 

In jenen Jahren, 

Daß wir in Kämpfen. 
Weitkundge wären. 

Da fchürften wir 

Mit ſcharfen Speeren 
Blut aus Wunden 

Und rötheten Schwerter. 


Nun find wir kommen 
Zu Königs Haufe, 
Erbarmungslos 

Zu Dienſt gebunden. 
Kies ſchmerzt bie Sohlen, 
Die Glieder Kälte. 

Dem Feinde mahlen wir, 
Trüb iſt's dei Frodi. 


Die Hand ſoll ruhen, 
Der Stein mag ſtehen! 
Gemahlen hab’ ich 
Mein Tagewerk.“ 
„Nicht ſei den Händen 
Haft vergönnet, 

Eh’ vollgemahlen 

Es Frodin däucht. 


Hände werden halten 
Harte Schwerter, 


104 


DBluttriefende Waffen. 
Wach' auf, Frodi, 
Bad’ auf, Frodi, 
Willt du lanſchen 
Unſern Sängen 

Und Zuknunftſagen! 
Feur ſeh' ich breunen 
Der Burg im DOften; 
Schlachtkuündend wachet 
Die Warnungsflamme. 
Ein Heer wird kommen 
Hieher im Fluge, 

Dem König wird es 
Die Burg verbrennen. 


Nicht wirb dir bleiben 
Der Stuhl von Ledra, 
Die goldnen Ringe, 
Die Königsfeine. 
Faſſen wir Mägde 

Die Mandel jhärfer! 
Wir find geborgen 

Bor dieſem Blutbad.“ 
„Mächtig mahlte 
Meines Vaters Tochter; 
Sah reif zum Tode 
Der Männer Manchen. 
Es fprangen die großen 
Stüten der Mühle, 
Die eifernen, fernhin. 
Mahlen wir fürder!“ 
„Mahlen wir fürber! 
Drias Sohn, 


Abkimmling Halfdans, 


Wird Frodin rächen, 
Wird feiner Mutter - 
Sohn und Bruder 
Geheißen werben; . 
Beide wien wir’. . 


165 


Die Mägbe mahlten, 
Brauchten die Kraft, 
Die Jungfraun tobten 
Sm Jotenmuthe. 
Da barft die Mandel, 
Ziel um die Schaale, 
Da fprang ber ſchwere 
Stein in Stücke. 


Bergriein, die eine, 

Sprach dieß Wort: 
„Gemahlen iR Frodin, 

Jetzt mögen wir enden, 
Genug nun ſtanden 

An der Mühle die Mägde.“ 1 


Diejes räthielhafte Lieb ift doch ſchon ohne nähere Erklaͤrung wohl 
geeignet, einen beftimmten poetifchen Einbrud herborzubringen. &3 ver» 
kündigt in duſtrem, abnungsuollen Geſange ben nahen Umſchwung bes 
zum Übermanfe gefteigerten Glückes. König Frodi iſt ein norbifcher 
Polykrates. Solche unmittelbare Eindrücke konnten auch die fchon früher 
vorgetragenen Mythenlieder hinterlaſſen und es liegt eben darin bas 
poetische Weſen diefer Mythenwelt. Aber wie wir dort doch immer noch 
zu einer befondern Deutung ber bichterifchen Bilder hingezogen wurden 
und biefe Deutung ben poetiſchen Eindruck keineswegs aufbob, vielmehr 
die lebendige Einheit der Idee und bes Bildes recht fühlbar machte, 
fo ift nun aud) die befonbere Erklärung bes Mühlenlieves zu verjuchen. 
Dasſelbe wird übrigens weientlic; durch bie ihm in ber Stalba voran⸗ 
geſchickte profaifche Erzählung ergänzt. Denn wenn auch biefe fih als 
von einem chriftlichen Berfafler niebergeichrieben bezeichnet, fo gibt doch 
mur fie den Mythus im vollftänvigen Umriffe, wie 3. B. das Lieb nichts 
vom Wahlen des Goldes und nachher des Salzes befagt. Es ift Häufig 
der Fall, daß die alten Lieder nur gewiſſe, befonbers anregende 


3 Befonders heransgegeben ift obiges Lieb, Grottasaungr, in Thorlacii 
Antiquitatt. boreal. observatt. miscellan. Spec. V. Havn. 1794, mit Les- 
arten, lateinifcher und däniſcher Überfegung, aber ohne Commentar. Deutich 
überfeßt von Bräter in Idunna und Hermode u. ſ. w. 1812. N. 52. Bgl. 
Möbins, Catalogus libr. isl. ©. 91. Yiinings Edda ©. 484 fi 8) - 


> 


106 


Momente ver Sage hervorheben, und das Mühlenlieb fcheint fogar anders 
feit3 über den Kreis des ihm zu Grunde liegenden Mythus, zum Nach⸗ 
theil des letztern, hinauszutreten. 

Die Löfung des Raͤthſels dürfte einfach dieſe fein: die Mühle im 
Ganzen ift das Meer, die Mühlfteine find Felsufer, Klippen, Riffe, 
Scheeren, die Mühlmägbe find die Wellen; König Frodi hat diefe Mägde 
in feinen Dienft gelauft, er hat fich das Meer durch Schifffahrt dienſt⸗ 
bar gemacht; fie mahlen ibm Gold, das Meer, bie Seefahrt bereichert 
ihn; er läßt die Mägde nicht länger raften, als von einem Kuckulsruf 
zum andern, er fett bie Seefahrt nicht aus, ala den Winter über, von 
einem Sommer zum andern 1; aber die ihm erft Glüd gemahlen, 
mablen ibm nun feindlichen Überfall, Bas Meer, das ihn reich ges 
macht, bringt auch den Seelönig her, ber Frodin erichlägt und feine 
gefammelten Schäße raubt; der Seelönig nimmt die Mühle und bie 
Mühlmägde mit fi, ihm müflen fie Salz mablen, er waltet nun frei 
auf dem Meere, wühlt die falzigen Wellen um; die Magde fragen ibn 
um Mitternacht, ob er nicht Salzes genug habe, es aber heißt fie fort- 
mablen, ver kede Seeheld? befährt auch noch im finftern, nordiſchen 
Winter das Meer; da mablen die Mägbe, bis das Schiff unterfinkt 
und die Mühlfteine den Meeresftrudel bilden, er bußt feine Kechheit mit 
dem Untergang im ftürmifchen Meere. 

Dieje Deutung ift nun aber auch noch den Hauptzügen nach in 
den mythiſchen Vorſtellungen, ver Naturanſchauung und ben Sitten bes 
Nordens nachzuweiſen. 

Daß die Mühle überhaupt das Meer bedeute, iſt von Finn Mag⸗ 
nufen (Lex. myth, 237 f, Edd. IV, 258 f.) fehr einleuchtenb darge⸗ 
than. Die Phantafie der Norbländer betrachtete bie beivegte Ser als 
eine große Mühle, worin der Meerfand gemahlen werde. Der bänifche 
Konigaſohn Amleth, deilen fagenhafte Geſchichte Saxo (B. III, ©. 71 f.) 
erzählt, ſtellt ſich verrückt und ſpricht allerlei wunderliche Dinge, welche 
jedoch unter dieſem Scheine einen richtigen Siam verbergen. 

Ita astutiam veriloquio permiscebat, ut nec dictis veracitas deesset, 
nec äcuminis modus verorum’judicio [indicio] proderetür. 


1 gl. Hrolfs 8. 6. 12. Herr. 8. 6. 3. 
2 Was ein Seelönig fei, |. Ungliugaſaga Gap. 84. 








107 


Eine ſolche Doppelrede ift mın auch, daß ex einſt, ald x am See⸗ 
fixande vorbeifommt, bad Sanb des Dünen, das man ibm für Mehl 
ausgibt, als von den Meeresftürmen gemablen bezeichnet: 

Arenarıım quoque preteritis ckivis, sabulam perinde ac farra aspioere 
jassus, eadem albicantibus maris procellis permolite esse respondit. Lau- 
dato a comitibus responso, idem a se prudenter editum asseverahet.. 

Daher heit auch in: dem Bruchſtücke eines Skaldenliebes, das bie 
Slalda aufbewahrt bat (Sn. Edd. 126. [Hafn. 1848. 1, 324]), das 
Neer die Mühle, in der einft neun Mühlmädchen Amlobin Uferſand 
gemahlen. Zum Beweife, daß noch im Anfang des 18ten Jahrhunderts 
bei den dänischen Bauern ſolche Vorftellungen und Redeweiſen üblich 
waren, führt Finn Magnufen aus einer Iateinifchen Handſchrift von 
Eorterup, der zu dieſer Zeit fchrieb, eine Stelle folgenven Inhalts an: 

Roh jetzt if der Bewegung des Meeres der Name einer Mühle nicht 
jo weit entzogen, daß er nicht noch heutzutage von unfern Bauern gebraucht 
wäre. Wenn biefe bei hellem und ruhigen Himmel, Morgens oder Abends, 
die Bellen des Meeres lauter als gewöhnlich rauſchen hören, fo prophezeien 
fie nit mit Unrecht einen baldigen Stuem, mit ben Worten: „Wir Triegen 
bald Unwetter, es mablt ſo im Meere“. Und man muß gefieben, daß biejes 
Rauſchen im Meere den Ton von Mühifteinen, bejonders von Handmühlen, die 
ſtark umgeſchwungen werden, fo teufchend darftelle, daß man das Eine vom 
Andern ſchwer unterfcheiden würde. 


Das Wort Malftrom, womit noch im Norben ein Mesresftrubel 
bezeichnet wird, ift gleichfalls hieher zu rechnen. Noch einem alten noch 
ungebrudten Beifage, ber ſich in einigen Hanbfchriften der Skalda findet, 
ſoll das Schiff des Seelönigs in der Bucht von Petland (heutzutage 
Pentland⸗Frith, der Sund, der Schottland von den Orladen fcheibet), 
untergegangen fein, wo fodann ein gefährlicher Malſtrom entſtanden. 

Sp überzeugend mir nun Finn Magnufens Beweiſe für die Deus 
tung der Mühle als das Meer überhaupt ericheinen, jo Tann ich doch 
feine weitere Anficht nicht theilen, daß das Mehl, welches Frodin ge: 
mahlen worden, für Golbfand zu nehmen fei. Dieſes konnte im Nor⸗ 
den und auch fonft beim Meere wenig in Betracht kommen. Das Gold 
iR mir im Allgemeinen ber Reichthum, ven Schifffahrt und Seemacht 
theils durch Handelsverkehr und Fiſchfang, theils durch den nicht für 
unrũhmlich angeſehenen Seeraub und die den alten Skandinaviern 


108 


berfönmlicde Brandſchatzung fremder Yferlänber herbeiſchafften. Wir 
wiffen, daß Niörb, der über ven Gang des Windes herrfcht und das Meer 
ftillt, den man auf der See und bei ber Fiſcherei anzuft, alto derſelbe 
Gott, der über bie Seefahrt und bie gute Fahrzeit waltet, auch der 
Geber des Reichthums und Überflufles ift (J. Ebda ©. 188. [Hafn. 
1848. 1, 92]). Und in ber angeführten Liederfielle aus Saxo (B. I, 
©. 21 [Ausg von Müller 1, 54]): findet ber König Habbing wegen 
diefer Bortheile, die dad Meer abwirft, für befler, zu ihm zurückzu⸗ 
kehren: 

Nam freta remigiis probare 

Officii potioris esset, 

Mercibus ac spoliis evare, 

re aliens [fremdes Goſd] sequi loeello, 

Zquoreis inhiare lucris, _ 

Quaın salebras nemorumgque flexus 

Et steriles habitare saltus. 


Die Mühle heißt Grotti, was Stein zu bebeuten ſcheint (Lex. 
myth. 475%: Grottin-tanna, dentes saxeos gestans); fie heißt fo in 
Beziehung auf die zwei ungeheuren Mühlfteine. Wie Grotti vom Berge 
getwälzt worben, fchilbert das Lied in mächtigen Zügen. Es mag hie 
bei die Vorftellung zu Grunde liegen, daß die Uferfelfen, die Klippen 
und Scheeren, an denen das Meer ſich mahlend und raujchend bricht, 
vom Gebirge herabgerollt feien. Ste find lotgerifſene Stüde der Ge 
birgswelt. In der Tiefe bes Meeres verurfachen ihre Klüfte den 
Malfirom. 

Endlich die riefenbaften Mühlmägde, Menja und Yenja, haben 
wir für die Wellen erflärt; in ihnen ift die Bewegung bed Meeres gegen 
das Geſtein perfonificieri, ihr Gefang, die rauſchende Stimme bes 
Meeres, ertönt erſt fanfter, dann ſchwillt er flürmifcher an. Sie find 
dienfibar, wie der Menſch fi die Elemente dienfibar macht, fie mahlen 
Frodin, was er wünfcht; aber fie find auch unbändig und treulos, mie 
das Element, fie mahlen ihm Verdetben. (Die Sandmühle ft im nor 
bifchen Altertum die gewöhnlide Sflavenarbeit.) Menja und- Fenja 
ftammen vom Sotengeichledhte, denn dahin, wie und aus der Götter: 
fage befannt ift, gehören alle bie wilden und rohen Naturgewalten. 
Hrungnirn, den Steinriefen, den Thor zerſchmettert, Thiaffin, der Idun 








109 


geraubt, u. A. nennen fie ihre Verwandte. Ihr Vater, deſſen Ramen 
fie nicht angeben, ift vermuthlich Agir, der Meereögott vom Joten 
ſtamme; die Wellen werben fonft ÄAgirs Töchter genannt. Die Niefen: 
töchter, die unter ver Erde genährt waren, vermögen allein, Grotti vom 
Haufe des Niefen herzumälgen, daß die Erbe davon erbebt; ſei es, daß 
fie ala Ströme des Gebirges die Yelfen herabrollen oder fie ala für 
mifche Brandung vom Ufer Iosreißen. Sie ziehen nach Schweden, dem 
guten Guttorm zu Hülfe, durchbrechen das Feindesheer, ſpalten Schilve 
und röthen Schwerter; mit Unrecht hat man fie deshalb zu Valkyrien 
gemacht; der Kampf, an dem fie, die Meeresivellen, Theil nehmen, 
it eine Seefchladht, die zu Guttorms Gunſten ausfällt. In Beziehung 
auf diefen Sagenbelven weiß ih nur das anzuführen, daß bei Saro 
(B. 1,©.8f. Steph. 9f. [Müller I, 34]) ein Guthorm, Haddings 
Sohn, vorkommt !, der bei Rieſen in Schweden erzogen und fpäter König 
in Dänemark wird. Wie Fenja und Menja dem Guttorm geholfen, 
fo mablen und fingen fie au den Fühnen Seelönig Myfing zu Yrobis 
Berverben heran. Aber auch jenen felbft verfenten fie zuletzt im Mal: 
ſtrome. 

Die poetiſchen Bilder, in denen der nordiſche Mythus ſpricht, find 
in der Folge zu eigentlichen Räthſeln geworden. Dieſe Eigenſchaft hat 
ein chriſtlicher Grottaſang, den ich hier zur Vergleichung aushebe. Hängt 
er auch nicht geſchichtlich mit dem heidniſchen zuſammen, ſo kann er 
Doch unſrer Erklärungsweiſe zur Unterſtützung gereichen. *** 

Aretin, Beiträge zur Gedichte und Litteratur u. ſ. w. B. IX. Miinchen 
1807. ©. 1163 bis 1166. DBgl Done, Quell u. Tori. I, 114. Wolff, 
Hiftorifche Bollzlieder S. 75 bis 78. Seem. Edd. 127, 57. [Les chants de 
861 par Bergmann. Straßburg 1858, ©. 116 f. 8] " 
69 viel zur Erläuterung bes Müuhlenliedes für fih. Dasſelbe fteht 
aber in genauer Berbindung mit Frodis Frieden, von welchem außer 
der Einleitung, die dem Grottafang in ber Stalda vorangebt, auch 
amberwärts Lieb und Sage fprechen. Die Götter hatten ihr Golbalter 
und fo bat aud den Menſchen einft das ihrige gehlüht. Bald in ber 
Zukunft, halb in ver Vergangenheit wird, wie im Mythus anbrer 
Böller, Jo auch im norbifchen, die felige Zeit gefucht, die niemals im 


4 Bgl. Möinichen, Nord. Folks Overtra ©, 148, u | 


110 


die Gegenwart tritt. In ver Bölufpa (F. Magnuſen, Edd. ©. 33. Str. 19) 

wird geſagt: Den Mord weiß fie 
In der Welt den erfien, 
Da fie Gullveig 
Durchbohrten mit Speeren, 
In des Hohen Halle 
Sie dreimal brannten, 
Die dreimal geborne, 
Doch lebt fie noch. 
Heidur hieß man fie, 
Bo fie zu Haus kam, 
Das trüigriiche Weib, 
Bähmte fie Wölfe, 
Seidkünſte kannte fie 
Stets verlodte fie 
Übles Boll u. ſ. w. 
Odin ba auswarf x 
Unter Boll den Speer. 
Das weiß fie den Kriegsmord 
In der Welt den erften. 
Geheg ber Afaburg 
Ward da gebrochen, 
Krieg ahnıten die Vanen, 
Über das Feld fie fuhren. 

Diefe Stelle, deren Erflärung allerdings mandes Schwierige hat 
und bie von Einigen auf die Kriege ber Götter felbit bezogen wird, 
laͤßt wenigſtens fo viel deutlich werden, wie aus dem Golde, aus dem 
Übermanfe des Glüdes felbft, das Unheil hervorgeht. 

Sonft berichten die Sagen 1 über die irdiſche goldene Zeit noch 
Folgendes: 

Die Imglingafagn erzählt von ber Regierung des für einen 
Schwedenfönig genommenen Niörb (Cap. 11. Heimskringl. 1, 15 f.): 

In feinen Tagen war burdaus guter Friede und Jahresſegen jeder Art, 
fo reichlich, daß die Schweden deshalb glandten, Njörd walte iiber das Jahr 
und über das Glück der Menſchen. 

1 ®gl. Helgagqvida Hundingsbana 1, Edd. Sem, 151, 13: Fröda frid. 
Saro ©. 1%, 2 [Müller 1, 240). 


111 . 


Ebendafelbſt (Gap. 12. I, 12 [16]) wird von feinem Sohne und 
Rachfolger Freyr geſagt: 

Er war ſehr geliebt und ein Geber guter Jahre, wie fein Bater n. |. w. 
In feinen Tagen begann Frodis Friede (Fröda fridar), da war auch gute 
Beit in allen Landen. Die Schweden redineten das Freyrn zu und er mar 
um fo viel mehr verehrt als andre Gotter, da in feinen Tagen das Bolt des 
Landes reicher als vorher durch Frieden und SJabresfegen war u. |. w. I[S. 16.] 
Freyr ward Trank und als feine Krankheit zunahm, wurben fie zu Rathe, 
wenige Leute zu ihm lommen zu laffen. Sie bauten einen großen Hügel und 
madten eine Thüre dran und drei Fenſter. Als nun Freyr todt war, trugen 
fie ihn heimlich in den Hügel und ſagten den Schweden, er lebe noch, und ver⸗ 
wahrten ihn dort drei Winter. Alle Schatzung aber brachten ſie in den Hügel; 
zum einen Fenſter hinein das Gold, zum andern das Silber und zum dritten 
die Kupfermünzen; da war gutes Jahr und Friede. [Cap. 18.) Als aber nun 
alle Schweden wuſten, daß Freyr tobt war und gutes Jahr und Friede ber 
Rand, glaubten fie, e8 würde fo bleiben, fo lange Freyr in Schweden wäre, 
und wollten ihn nicht verbrennen, nannten ihn den Gott der Welt und opferten 
ihm alle Zeit hernach um Jahrgewächs und Frieden. 


Ferner (Cap. 14. I, 13 f. [(S. 17)): 

Fiölner, der Sohn Ungpifreyrs, waltete hernach fiber die Schweden und 
Npfala-Gut; er war reich und hatte Frieden und gute Jahre (arsell oc frid- 
sel). Damals war Friedfrodi (Fridfrödi) zu Ledra; zwiſchen ihnen fand 
gutes Bernehmen und gaftfreundlide Einladung flat. Als nun Fiblner zu 
Frodin nad Seeland fuhr, ward Hier ein großes Gaflmahl angerichtet und 
weit in den Landen umber dazu eingeladen. Frodi Hatte ein großes Haus und 
darein war eine große Kufe gemacht, viele Ellen hoch und aus großen Zimmer⸗ 
bölzern zufammengefügt. Diefe Kufe ftand im Untergeſchoſſe und darüber war 
ein Boden, zwiſchen den Dielen aber eine Öffnung, wodurch man aus ber 
Rufe, die voll Methes war, ſchöpfen konnte. Da ward fehr Hark getrunken u. |. w. 


As bierauf Füölner in ber Nacht aufgeftanden war, fiel ex, von 
Schlaf und Trunk betäubt, in die Methiufe 1 und ertrand, „in winbftillem 
See,” wie der beigefügte Vers eines Staldenlieves jagt. 

Saro hat ſechs Dünenfönige, bie den Namen Frotho (Frodi) führen, 
und unter mehrere berjelben find Züge vextheilt, welche offenbar der 
einen Sage von Friedfrodi gehören. Bon Frotho I, Haddings Sohne, 


1 BL. Cap 8.1,6.4 9. V, S. 14. 


112 


berichtet Saxo (B. II, ©. 25 f. fi, 61 Müler]) 1, als Frotho ge 
funden, daß der Schaf feines Vaters durch Kriege aufgezehrt jei, und 
er nicht getwuft, wie ex fein Kriegsvolk erhalten folle, ſei er durch ben 
Aufruf eines herzulommenden Mannes ermutbigt morben (tali eubenntis 
indigens carmine ooneitatur). Diefer Aufruf in Inteiniichen Berfen, 
von denen man bei Saro immer annehmen darf, daß fie alten ein⸗ 
heimiſchen Liedern oder Zieberitellen entfprechen, bebt fo ar: 

"Insula non longe est premollibus edita clivis, 

Collibus era tegens et opimte conscia prede. ' 

Hic tenet eximium, montis POossessor, acervum, . 

Implicitus gyris serpens, crebrisque reflexus 

Orbibus, et caude sinuosa volumina ducens, 

Multiplicesque agitans spiras virusque profundens u. f. w. 


Der Mann gibt hierauf auch Anweilung, tie dieſer goldhütende 
Drache bezwungen werben könne. Frotho fol feinen Schilb und ben 
ganzen Leib mit Stierhäuten bebeden, dadurch werde er vor dem bren- 
nenden Eiter, den das Ungeheuer ausfpeie, und vor deflen giftigem Biſſe 
verwahrt fein. Die Schuppenhaut des Drachen troße zwar jeder Waffe, 
aber am Bauche fei eine Stelle, wo das Schwert einbringen Tönne. 
Frotho fährt nun ganz allein auf bie Inſel über, greift den Drachen 
an, als diefer von der Tränke nad) feiner Höhle zurückkehrt, und erlegt 
ihn auf bie angegebene Weile. Der gefundene Schat macht den König 
fehr veih. Bon eben diefan Frotho meldet Saxo nachher noch (DB. IL, 
©. 37 [1, 79 Müller): 

Nec pretereundum, Frothonem contusie commolitisque auri frag 
minibus cibos respergere solitum, quibus adversum familiares veneflcorum 
insidias uteretur. 

Unter diefen Golbfplittern, mit denen Frotho feine Speiſe beſtreut, 
erkennt man leicht den misverſtandenen Dichterausbrud vom Golde, als 
Frodis Mehl, Menjas Reibwerk (Menio neit, intrimenta eris, Lex. 
myth. 2374). 

Ein nachfolgender Frotho Il wird (B. V, S. 127 [1, 296 Müller]) 
als Geſetzgeber geſchildert und unter ſeinen Satzungen findet bie 


1 Ganz Ähnliches ei Sarı 8. VI, e. 158 von Seile, Bol. and 
3. VII, ©. 1%. - x 


113 


einer goldenen Friebenszeit wohl anflehenbe, dah Riemanb feine Gabs 
ſeligkeiten unter Schloß und Niegel verwahren ſolle. 

Presterea sanxit, ne quis rem famfliarem seris mandare presumeret, 
duplum ex fireo regis amissorum pretium recepturus. Quam si quis 
arcarum ciaustris observandam duxisset, aurem libres regi debitor fieret. 

Noch weiteres hieher Einſchlagende wird von eben dieſem beitten 
Frotho an einer fpätern Stelle angeführt (B. V, ©. 138 [1, 247 
Müller]): | 

Victor Frotho, pacem per omnes gentes reficere cupiens, ut unius-“ 
cujusque rem familiarem a farum incursu tutam prestaret otiumque regnis 
post arma assereret, armillam unam in rupe, quam Frothonis petram 
nominant, alteram apud Wig provinciam, habita cum Norvagiensibus 
coneione, defixit, edictee a se innoventie experimentum daturas; subductis 
iisdem, in omnes regionis presides animadvertendum minatus. Itaque 
summo cum pr&fectorum periculo aurum absque custodis, mediis affixum 
wiviis, magnum avaritie irritamentum extabat, opportana rapine preda 
plena cupiditatis ingenia provocante. Btatuit idem, ut navigantes repertis 
ubicumqgue remis licite fruerentur. Amnem vero transituris usum equi, 
Quem vado prozimum reperissent, liberum esse conoessit. Eodem de- 
scendendum fore constitnit, quum priores ejus pedes solum attingerent, 
postremos adhuc unda sublueret. Talinm siquidem commodorum bene- 
fieia potius humanitatis, quam injariee nomine censenda credebet. Cesterum 
reum capitis fieri, qui superato amne equi usum longius expeiere pr®- 
sumpsisset, ingtituit. Juseit etiam, ne quis dem vel arcam seris obfir- 
matam haberet, aut rem ullam claustrorum custodia contineret, triplicem - 
amissorum restitutionem promittens. Preterea tantum alieni cibi in com- 
mestus assumi fas esse, quantum uni can» sufficeret, promulgabat, 
Quam si quis in capiendo mensuram excederet, furto obnoxius haberetur. 


Dem Könige der Friedenszeit werben bier jene milden Beſtim⸗ 
- mungen zugefchrieben, die in den germanischen Rechtsalterthümern unter 
mancdherlei Geftalt vorlommen, wonach dem Wanderer überall das 
Nöthigfte zu feinem Fortlommen und feiner Erfrifhung geftattet wird 
und bie Eigenthumsrechte durch die dringendſten Forderungen ber Menſch⸗ 
lichkeit beſchränkt find 2. 


1 Andre Satungen ©. 131 [246 Müller]. 
2 Bol. Grimm, Rechtsalt. 400 His 402. 948. 249. 209, wo die Fälle 
Saros nicht angemerkt find. 
Nplamd, Schriften. VIL 8 


414 


Auf Fieben Jahre wird dieſer exfte Friede des dutten Frothos an⸗ 
gegeben (ebend. [1, 248 Müller]), 08 folgt aber ſpater noch ein Aojahriger 
(B. V, S. 143 f. [1, 264 Mäller] ): 

Annisqua tricenis ab omni hellorum Rogotio tamperatum ost, Quo tam- 
pore eunctis pene terris eximia fortitudinis laude -danicnn nomen inclarnit, 

Auch bier wieder heißt es 11, 256 Müller]: 

Denique in Jutia, tasquamı in cspite regni sui, magni ponderis auream 
armillam triviis affigi curavit, edictee a se innocentis experimentum tama 
insignis predee documento daturus u. |. w. Tanta siquidem Frothoniane 
majestatis aucteritas erat, ut etiam aurum, rapine expositum, perinde 
ac firmioribus claustris obeitum tueretur. 

(In der Eage, wie bie Skalda fie erzählt, ift e3 mehr ber un: 
ſchuldige Sinn der Menfchen dieſes Beitalters, was ben Golbring weg⸗ 
zunehmen abhält.) 

Wie in der Skalda wird nun aud von Saxo biefe Geiebenägeit 
mit der Geburt bes Heilands in Verbindung gefekt: 

Per idem tempus publicee salutis auctor, mundum petendo, servan- 
dorum mortalium gratis mortalitatis habitum ampleeti sustinuit, cum jam 
terre, sopitis beilorum incendiis, serenissimo tranquillitatis otio fruerentur. 
Creditam est, tam profas® pacis amplitudinem ubique wqualem nec ullis 
orbis pertibus interruptam, non adeo terreno principatui, quam divino 
ortui famulatam fuisse, eotlitusque gestum, ut inusitatum- "Vomporis bene 
fielam preesentem temporum testaretur autorem. | 

Nach diefes Frothos Tode murbe fein Leichnam von den Großen 
des Reichs noch drei Jahre aufbewahrt (wie die Inglingafaga von Freyr 
erzählt) und auf einem Wagen geführt [1, 256 Müller]: . 

Deportebatur itaque ab eis exanimum corpus, ut jam non funebri 
lecto, sed regali vehiculo gestari videretur, tanquam invalido seni nec 
satis virium compoti id muneris a militibus deberetur. Tantum magni- 
ficentie etiam extincto ab amicis tributum est. 

Zuletzt wird er bei einer Brüde in Seeland Töniglich beftattet: 

Secus Weram, Sialandie pontem, regio funere tumulavere corpus, 
sffirmantes, Frothonem eo loci mortis ac busti copiam exoptasse, ubi 
regni ejus pristantissima haberetur provincia. 

(Der Sinn dieſes Begrabens bei der Brüde ift wohl ein anderer; 
entweder bezieht es fich auf den durch Frodis Frieden geficherten Verkehr 1, 

1 Bol. die Sagungen vom Schiffer und Wanderer. 





113 


ober, was wahrſcheinlicher, auf ven durch maunche Inſchriften von 
Nunenſteinen bewieſenen Gebrauch, ſich zum Gedächtnis eine Brücke 
zu ſtiften, was man mit den religibsmythiſchen Vorſtellungen von ber 
Giallarbrũcke in Verbindung bringt.) Das Andenken an Frothos IH 
fegenzeiche Regierung wurde nad) Saxos weiterem Berichte (B. VI, 
©. 145 [1, 258 Müller]) noch befonbers dadurch geehrt, daß die Dünen 
denjenigen zu jeinem Nachfolger beftimunten, des em wurdiges Loblieb 
auf den Gingegangenen dichten ivürbe. Auch bier hatte Sato wieder 
eine alte Lieberftelle vor ſich. Er ſagt: 


Tune’ quidam Hisrnus, denice admodum poesis peritus, ut elaritatem 
viri imsigni dietorum monumento prosequeretur, premii magnitudine con- 
citatas, more suo barbarum oondidit metrum. Cujus intellectum quatuor 
versiculis editum in hwc verba transcripsit [„transcripsi* Müller]: 

Frotbonem Dani, quem longum vivere vellent;, 
Per gua defanctum rure tulere diu. 
Principis boc summi tumulatum oespite corpus, 
Zithere sub liquido nada recondit humus. 
Quo carmine edito, auctorem Dani diademate munerati sunt, 


Sp geht Friebfrobi in ven Geſang auf, wie jein golbenes Red 
der Poefie entiprungen if. Der Name biefes Friedens⸗ und Geſetze⸗ 
Rifters felbft ift wicht unbebentfam: frödr heißt weile, vielwiſſend. Es 
ergibt fih aus ben angeführten Berichten, daß von Frodi zum Theil 
das Nämliche erzählt wird, wie von Freyr, daß feine irdiſche Herrichaft 
mit dem göttliden Walten Njörds und Freyrs zufammengeflellt und 
verwechjelt wird. Der norwegiſche König Dlaf Tryggbaſon, der am 
Ende des 10ten Jahrhunderts die Einführung des Chriſtenthums in 
feinem Reiche durchſetzte, fagt nach der. von ihm handelnden hifturiichen 
Saga (die auch der Hauptjache nach einen Theil ber Heimskringla auss 
macht), in einer Anrede an die Thrander (Throndheimer), worin er 
gegen den dem Freyr getwibmeten Dienft eifert und ber dreifachen 
Schatzung zum Grabhügel erwähnt, u. U. auch das: den Jahresſegen 
und ben Frieden, ben die Schweden bem Freyr zugelchrieben, hätten 
die Dänen ihrem König Yrodi dem Friebfamen zu Dante, gerechnet 
(Lex. myth. 96°). Das Herumführen des todten Frothos auf dem 
Wagen (bei Saro) erinnert daran, daß nach berfelben Dlaf-Tryggvafons- 
Saga das Bilb Frehrs, deſſen Stelle zuweilen aud ein Ichenviger 


116 


Menſch einnimmt, zu gewifler Zeit durch das Land geführt wird, um 
ihm Jahresfegen zu bringen, zu welcher Fahrt ohne Zweifel die weißen 
Pferde gebraucht wurden, die man in feinem Heiligthbum hegte. Daß 
der ſchwediſche Fjölnir mit Frodi in Verkehr gefekt wird, erklärt ſich 
leicht ſchon aus dem Namen des Yijölnir, den Manche für den exiten 
hiſtoriſchen Schwedenlönig annehmen. Yiölnir ift eine Ableitung von 
Köl, viel; auch Odin wird Fiölnix genannt, was wir von feiner viel: 
geftaltigen Erſcheinung verflanden; bei ben ſchwediſchen Fjblnix ſcheint 
mehr die Fülle des irdiſchen Segen? gemeint zu fein. In biefer geht 
er auch unter, im mindftillen Methſee!. Menja und Fenja, wie fie 
Frodin Gold und Glüd gemahlen, jo mablen fie au ihm und feinem 
Frieden den Untergang. Hiebei aber tritt in der Sage, wie bie Skalda 
fie profaifch gibt, eine Geftalt nur dunkel im Hintergrunde auf, die im 
Liede vergefien iſt. Dort beißt e8: Sengiljapte ift der genannt, ber 
dem König Yrodi die Mühlen gab. Hengikjaptr oder Hengiljöptr ift 
aber einer von den Namen Odins (ore sive barbitio pendulo aut de- 
misso preditus; vgl. Stägrani, Siäskeggr. Lex. myth. 3695). Und 
fein Anderer ald Odin ift wohl auch jener subiens indigena, der nad) 
Saxos Erzählung Frothon zur Erwerbung des Dracenbortes aufruft. 
Diefes plögliche Ginzutreten Odins in unſcheinbarer Geftalt wirb uns 
in den folgenden Sagen noch öfters begegnen. Und fo erflärt ſich's 
auch, warum im Hyndluliede von Odin gejagt ift, er gebe ben Würs 
digen Gold (Edd. F. Magn. III, 8 f. [Str. 2]). Er gibt aber das 
Gold nicht zum Segen, jonbern zur Anftiftung des Streits (Frotho foll 
damit fein Kriegövolf unterhalten), wie er einft ben Speer zuerft aus 
gervorfen und die Banen, die Frucht⸗ unb Friebensgötter, über bas 
Feld fuhren. So fteht felbft im Hintergrunde ber Friedensſage ber 
Tampfaufregende Gott, der uns fchon im weiteren Verlauf der Helden⸗ 
fage immer beutlicher hervortreten mirb. 


2. SHerbär und Heibrek. 
Fornaldar Bögur I, 409 ff. - Nordiske Fortids Sagaer I, 377 ff. 
Spafrlami, ein Ablümmling Odins, König in Garbareih (Ruß: 
land), vitt auf die Jagd aus und feßte einem Hirfche nach, den er nicht 


1 [Säriften 6, 422.ff. 8.) Bgl. Die Schweiz in ihren Ritterhurgen I, 118. 





117 


eher, als am Abenb bes nächften Tages erreichte. Er mar darüber fo 
weit in ben Wald Hineingeritten, daß er nicht wuſte, wo er wäre. 
Bei Sonnenuntergang ſah er einen großen Fels, bei dem zwei Zwerge 
ftanden. Dieſe zauberte er mit dem Maaleifen 1 heraus und ſchwang 
das Schwert über fie. Da baten fie, ihr Leben löfen zu dürfen. Der 
eine nannte ſich Dyrin, der andere Dralin?. Da Spafrlami mufte, 
daß fie die kunſtreichſten aller Zwerge waren, legte er ihnen auf, ihm 
ein fo vortrefflides Schwert zu fertigen, als fle irgenb vermöchten. 
Griff und Mittelftüd follten von Gold fein, Scheide und Gehäng mit 
Gold beichlagen. Dieſes Schwert follte niemals brechen noch often, 
Eifen und Stein wie Tuch fchneiven und in Schlacht und Einzellampf 
immer ben Sieg haben. Damit follten fie ihr Leben Iöfen. Am be 
ſtimmten Tage Iam hierauf Spafrlami zum Felſen; die Zwerge gaben 
ihm das Schwert, das wunderſchön war. Aber als Dvalin am Gin« 
gang bes Selten ftand, ſprach er: „Diefes Schwert, Spafurlami, fol 
eined Mannes Tod fein, jo oft es gezogen wird, und mit ihm follen bie 
drei gröften Nivingawerle 3 verübt werben; es foll auch bein Tob 
werben.” Da bieb Spafurlami nad dem Zwerge, bad das Schwert 
in den Felſen ſchnitt; ber Zwerg aber lief in venfelben hinein. Svafur⸗ 
lami führte nun biefes Schwert und hieß es Turfing; er trug ed im 
Schlacht und Einzellampf und hatte ſtets den Sieg. Einſt aber fiel 
der Berferler Arngrim auf dem Seezug (viking) mit einem großen 
Heer in Svafrlamis Reich und fie trafen fich im Zweilampf. Arngrim 
hatte einen Schild mit großen Eifenplatten; in biefen hieb Spafurlami 
und ſchnitt ihm ganz durch, fo daß das Schwert in ber Erbe feft ſtand. 
Da ſchwang Arngrim fein Schwert und fchlug des Königs Hand ab, 
nahm hierauf Tyrfing und fpaltete damit Soafurlamin. Mit großer 
Beute und mit Epnör, ber Tochter bes Exfchlagenen, zog er heim nach 
der Inſel Bolm und hielt Brautlauf (brüdkaup) mit Eyvör. Sie 
hatten zwölf Söhne, beren ältefter Anganthr hieß, ber eilfte und zmölfte 


1 [Forn. 8. 1, 414] med mälajärni, einem mit magifiher Infcheift ver⸗ 
fehenen &ifen; mäl Rebe, Gang. 

2 Dvalin heißt auch einer der vier Zwerge, welche Freyas Halsihmud 
geſchmiedet. [Xgf. Völusp. 11. 14. Hävamäl 144. Fafnism, 13. Hrafna- 
gald. 24. 2] " 

8 Ntdings-verk, parrieidium, immane et infame flagitium. 


118 


hießen Hadding. Diefer beiber Arbeit war gleich der Eines von ben 
andern, Angantyr aber verrichtete zweier Männer That; er. war einen 
Kopf höher, als die andern. Alle waren fie große Berjerler. In jungen 
Sabren ſchon fuhren fie auf Kriegszüge aus. Es waren mur die zwölf 
Brüder auf einem Schiff, aber oft hatten fie mehrere Schiffe auf ber 
Kriegsfahrt. Ihr Vater hatte auf feinen Zügen die berühmteften Waffen 
erobert; Tyrfing gab er Angantyrn. Wenn fie allein mit ihren Leuten 
waren und ber Berjerfergang über fie fam, giengen fie an das Land 
und bieben in Steine oder Bäume. Denn einmal war ihnen in biefem 
Buftande das Unheil begegnet, daß fie ihre Mannen tübteten und ihre 
Schiffe zerftörten. In jedem Kampfe waren fie fiegreih und dadurch 
weit berühmt gemorven. Auf Bolm begab es fih eines Julabends, 
dag man Gelübde zum Bragibecher that (at Bragar fulli). Auch Arns 
grims Söhne thaten dieß. Hiörvard, ber vierte der Brüder, gelobte, 
die ſchöne Ingiborg, Tochter des Schwedenkönigs Yngwi zu Upfala, zu 
eriwerben; würde fie ihm nicht, jo wol’ er im Kampf um fie fallen. 
Sm Frühling madten nun alle zwölf Brüder die Fahrt nach Upſala 
und traten vor ben Tiſch des Königs Yngwi, neben bem feine Tochter 
faß. Hjörvard trug feine Werbung vor, fand aber einen Mitbewerber 
an Hialmar, einem Kämpfer des Könige. Ingiborg entichied für dieſen, 
denn Arngrims Söhne wären übel berüchtigt. Hjörvard forberte nun 
Hjalmarn zum Holmgang, jüblic auf Sames. Am beftinunten Tage 
erwartete Hjalmar mit feinem Kampfgenofien Orvarodd auf Samsd bie 
zwölf Berſerker, die mit blutigen Waffen und bloßen Schwertern ans 
Land ftiegen. Sie hatten bereit die ganze Mannſchaft auf den beiden 
in der Bucht Tiegenden Schiffen ihrer Gegner erſchlagen. Hialmar nahm 
es mit Angantyrn allen auf, weil biefer das Schwert Tyrfing führte, 
das wie Sonnenftrablen leuchtete, Odd mit ben eilf anbern Brüdern 
nach einander; dieß galt für das Geringere. Hjalmar und Angantyr 
wiejen einander nad Valhall, fie Kämpften fo heftig, daß fie bis zu 
den Knieen in den Boden traten; ihre Schwerter Ioberten wie Flammen 
und bon ihrem Kampf erbebte die Erbe; aus Mund und Nafe gieng ihnen 
Rauch. Auch Odd begann feinen Kampf mit ben andern Brüdern. 
Zuerſt fiel Hjörvard von feinen Streichen. Als die andern es fahen, 
bißen fie in die Schilvränder und der Schaum ftand ihnen vor bem 

Munde. Zunächſt fiel Hervard; .bei feinem. Galle tobten die Verſerker, 








119 


ftrediten die Zungen, Intrfchten die Zähne und brüllten wie raſende 
Stiere, daß es in ben Felſen wieberhallte. Dem britten, Seming, bieb 
Odd faft alles Fleifch von den Knochen. Als er mit ven Eilfen fertig 
war, war auch Angantyr gefallen. Hjalmar aber ſaß auf einem Hügel, 
leichenblaß. Odd gieng zu ihm unb fang: 

Was if das, Hialmar? 

Haft Farbe gewechſelt, 

Dich ſeh' ich müde 

Von manchen Wunden. 

Dein Helm iſt zerhauen, 

Die Brünne gebrochen; 

Nun gebt’3 zur Neige 

Mit deinem Leben. 
Hjalmar: | - 

Schszehn Wunden, 

Berichligte Brinne; 

Schwarz if mir's vor Augen, 

Nicht feh’ ich zum Gange. 

Mich traf zum Herzen 

Vom Schwert Angantyrs 

Die ſcharfe Spite, , 

In Gift gehärtet. 


Funf Höfe hatt’ ich 
Umber im Lande; 

Doch mich verdroß es, 
Dort zu weilen. 

Nun werd’ ich Tiegen, 
Des Lebens Iebig, 

Bom Schwert zerhauen, 
Hier auf Sams. 


Hausdiener trinken 
Meth in der Halle 
Bei meinem Bater. 
Manchen müdet 

Des Bieres Fulle; 
Mich quält des Eifens 
Spur auf dem Eiland. 


120 


Sch ſchied vou ber weißen 
Königstodter 

Auf Agnafits 

Außerſtem Ende. 

Bahr ift das Wort, 
Das fle mir fagte, 
Nimmer würd' id 
Wiederkehren. 

Zeuch von der Hand mir 
Den rothen Goldring, 
Bring ihn der jungen 
Ingiborg! 

Trauern wird ſie, 
Treuen Muthes, 

Daß ich nicht kehre 
Nach Upſala. 


Ich ſchied von der Schönen 
Süßen Sange, 
Freudig fuhr ich 

Oſtlich mit Soti. 

Die Fahrt beeilt' ich 

Und zog zum Streite, 
Zum letztenmal 

Bon lieben Freunden. 


Ein Rabe fleugt 

Vom hohen Baume, 
Nach ihm von Oſten 
Zumal ein Adler. 

Den letzten Adler 
Werd' ich nun ſättgen, 
Ihn werd' ich tränken 
Mit meinem Blute. 


Nach dieſem ſtarb Hjalmar. Odd blieb die Nacht über dort. Am 
Morgen trug er die Berjerler alle zufammen und begann bann einen 
Hügel aufzumerfen. Die Bewohner des Eilands führten nad feiner 
Anweifung große Bäume herbei und warfen Steine und Sand barauf. 
€3 warb ein großes und feftes Werl, Odd arbeitete baran einen halben 


121 


= 


Monat. Dann legte er die Berferler mit ihren Waffen darein unb 
warf den Hügel zu. Hjalmars Leiche trug er auf das Schiff und führte 
fie nad Schweden. Die Königstochter zerſprang alabald vor Leid und 
beide wurden in einen Hügel gelegt, 

Angantyr batte kurz vor feinem letzten Kampfe den Karl Bjartmar 
in Aldeigjaburg beſucht und deſſen Tochter Svafa geheirathet. Sie ge⸗ 
bar nach ſeinem Tode ein großes und ſchönes Mädchen. Manche riethen, 
man ſollte das Kind aus der Welt ſchaffen, denn es könne kein Weibes⸗ 
ſiun in ihm fein, wenn es ſeines Vaters Stamme nachſchlage. Bjart-⸗· 
mar aber ſagte: „E3 ziemt mir, Arngrims Söhnen nach Vermögen zu 
helfen; es wird fich zeigen, wenn biefes Sind zu feinen Jahren fommt, 
daß Arngrims Söhne nicht gänzlich tobt find; denn ich glaube, daß 
von ihm große Geſchlechter und geivaltige Männer ausgehen werben.” 
Das Kind wurde dann mit Wafler übergofien unb Hervör genannt. 
Es erwuchs bei dem Jarl und war flark, wie ein Knabe. Hervör ge 
wöhnte fih mehr, Bogen, Schild und Schwert zu gebrauchen, als zu 
nähen und ftiden. Sie that auch öfter Böſes als Gutes, und als ber 
Jarl fie barüber zurechtwies, lief fie in bie Wälber binaus, machte ſich 
da eine Hütte und erfchlug Menſchen, um fich ihrer Habe zu bemäch⸗ 
tigen. Als der Jarl biefes hörte, zog er mit feinem Heer in den Wald 
und nahm Herbör gefangen. Doc töbtete fie viele feiner Kriegsleute, 
eb’ ex ihrer habhaft wurde. Sie hielt fi nun wieder eine Zeit lang - 
bei ihm auf. Als ihr aber einft von Arbeitsleuten, denen fie Tibles 
zugefügt, ihre verbächtige, ihr bisher verborgene Abkunft vorgeworfen 
worden war und fie hierauf von Bjartmar erfahren hatte, daß ihr 
Bater Angantyr auf Samsd begraben liege, gelüftete fie'3, ihre hin⸗ 
gefahrenen Blutsfreunde zu befuchen und beren Schäte zu heben. In 
Mannskleidern und Waffen zog fie fort, begab ſich zu Bilingern ! und 
nannte fih Hjdrvarb, wie einer ihrer Vatersbrüder. Als bald nachher 
der Häuptling ber Schanr farb, übernahm fie die Führung berjelben. 
Diefer Hjdrvard verbeerte nun mweitum bie Lande und fteuerte zuletzt 
nad Samsd. Hiörvarb verlangte, and Land zu geben, wo man im 
Hügel reihen Fund zu geivarten hätte. Seine Leute fprachen alle da» 

1 Vikingr, pirsta, qui in sinubus pro‘ tempore delitescit, ut pre- 


detur, a vik, zecassus, Bugt. viking, f. piraties, Shbuei. Bikn, 
Lex. isl. II, 436, . 


122 


⸗ 





gegen, denn dort giengen täglich fo große und Böfe Geiſter um (mein- 
veettir), daß es da ſchlimmer am Tage ſei, als anderwärts bei Nacht. 
Doch wirkte Hjörvard endlich aus, daß man Anker warf. Cr ſelbſt 
nahm ein Boot und ruderte ans Land, eben zur Zeit des Sonnen⸗ 
untergangs. Am Lande traf er einen Mann, der vie Heerde hutete. 
„Du biſt unbefannt bier auf der Inſel, fprach- der Mann; geh heim 
mit mir! hier fronimt es feinem Menſchen, nach Sonnenuntergang außen 
zu fein.“ Hjörvard ſprach: „Sag mir, wo Hjdrvards Hügel find!” 
Der Mann antwortete: „Du bift übel gefahren, daß du zur Nachtzeit 
um das fragft, wornach Wenige am Mittag fragen mögen; denn ein 
brennendes Feuer fpielt darüber, ſobald die Sonne niedergeht.“ Als 
Hjbrvard fich dennoch entichloflen zeigte, die Hügel zu beſuchen, jagte 
der Hirte: „Ich ſehe, daß du em muthiger Mann bift, obgleich un 
bebacht; ich will die meine Halskette geben, wenn du mir heimfolgſt.“ 
„Kein, ſprach Hjorvard, und wenn bu mir Alles gibſt, was du haft, 
fo ſollſt du mich nicht aufhalten.” Aber als die Sonne niebergegangen 
war, hötte man einen ſtarken Donner anf der Inſel und die Hügel 
feuer Hammten in die Luft. Da erfchrad der Hirte. Hidrvarb jang: 
Nicht Taf uns forgen 
Um fol @etöfe, 
Und flammt' auch Teuer 
Um all das Eilaub! 
Laß nicht je leicht 
Uns Furcht erfaffen 
Bor todten Reden! 
Reben wir weiter! 
Der Hirte: 
Thöricht däucht mir, 
Der dahin geht, 
Einfamer Mann 
Im graufen Dunkel. 
‘Feuer fährt um, 
- Hügel öffnen fi, 
Erd' und Moor brennt; 
Laß uns enteilen! 
Der. Hirte lief nun. beim gum Hofe und blickte nidyt mehr um. 
Hervör aber fah, tie die Hügelfeuer außen auf dem Eiland brannten 


183 


— 


und ſchritt furchtlos dahin, wie in einem dunklem Nebel, bis fie zu 
ben Berjerlerhügeln kam. Da wandte fie ſich zum gröften berjelben 
und fang: . 

Wach' auf, Angantyr! _ 

Dich weder Heroör, 

Einzige Tochter 

Bon dir und Svafa. 

Gib aus dem Hügel 

Die ſcharfe Waffe, 

Die Spafrlamin 

Zwerge ſchmiedeten! 


Hiorvard, Hervard, 

Hraui, Angantyr! 

Euch alle weck ich - 
Unter Baldeswurzeln, 

Mit Helm und Harniſch 

Und ſcharfen Schwertern, 

Mit ſchmucken Schilden 

Und rothen Speeren. 


Wohl ſeid ihr worden, 

Arngrims Söhne, 
Mächtge Kämpfer, 

Zu Staub verwandelt, 

Da keiner kommt 

Bon Eyvirs Söhnen, 

Mit. mir zu reden 

In Munarvang. 


Hibrvard, Herpard, 
Hrant, Angantyr! 
Se mög’s end allen 
Da drinne wihlen, 
Als ob ihre fchliefet 
Am Ameishaufen, 
Gebt ihr das Schwert nicht, 
Das Schmiedwerk Doalins! 
Nicht ziemt Grabgeiftern 
- Solch thenre Waffe. 


124 


Da fang Angantyr: 


Hervor, Tochter! 

Was rufſt du ſo 

Mit Schreckensworten? 
Fahr' du zum Übel, 
Raſendgewordne, 
Sinnberaubte! 
Irredenkend 

Weckeſt du Todte. 


Nicht Vater begrub mich 
Noch andre Freunde; 
Dit nahmen Tyrſing 
Die Zween, die lebten. 
Eines der Beiden 
. Ward e8 zuletzt. 
Hervör: 
Nicht ſagſt du Wahrheit; 
So laß ein Gott 1 dich 
Heil im Hügel, 
So wie du nicht haſt 
Tyrfing drinne! 
Träge biſt du, 
Erbe zu laſſen 
Dem einzgen Kinde. 


Da öffnete fi der Hügel und es war anzufehn, ald wäre euer 
und Flamme rings barum. Da fang Angantyr: 


Gefallen ift Helgrind, 2 

Dffen die Hügel, 

AU if in euer 

Der Strand zu ſchauen. 

Alles ift außen 

Dem Auge fihtbar; 

Eil’ du, wenn du kannſt, 
⸗ Zu deinen Schiffen! 


1 Äss, 
2 Helgrind, ®1. Helgrindur, Hels Gatter, die Pforte ber Unterwelt. 


Hervör: 


Angantyr: 


Herbör: 


125 





Richt brennet ihr fo, 
Nächtliche Yeuer, 

Daß ih vor euren 
Flammen mich feheute. 
Richt zittert Des Mädchens 
Muthiges Herz, 

Sieht and den Todten 
Sie in der Thüre ſtehn. 


Dir fag’ ich, Hervör 
Gorch' du darauf, 
Weiſe Tochter!), 
Was da werden ſoll. 
Tyrfinge wird dir, 
Ob du mir glaubeft, 
AU dein Geſchlecht 


WVerderben, o Jungfrau! 


Einen Sohn wirft du haben, 
Der alsdann fol 

Tyrfing tragen, 

Der Kraft vertrauen. 

Heidrek wird ihn 

Heißen das Bolf, 

Den Gewaltigftien 
Unter'm Strahlengelt. 


Euch bezaubr' ich, 
Grabesgeifter, 

Daß ihr alle 
Darnieberlieget, 

Kodte bei Todten, 

Im Schlafe mobernd, 
Gibſt du, Angantyr, 
Nicht aus dem Hügel 

Den Feind der Schilde mir, 
Hialmars Törter. 


Angantyr: 


Servör: 


Angantyr: 


Hervör: 


Angantyr: 


126 


Nicht Menſchen gleich du, 
Junges Mädchen ⸗ 
Die um Grabhügel 
Waukt zur Nachtzeit, 

Mit gelerbtem Speer 

Und gothſchem Schwerte, 
Mit Helm und Harnifch, 
Bor ber Halle Thlir. 


Ein Mann bebünft’ ich 

Die meiften Menſchen, 

Als eure Säle 

Zu ſuchen ich fuhr. 

Rei’ mir aus dem Hügel, 
Das Brünnen haſſet, 
Der Zwerge Schmiebwert! 
Nicht frommt dir's zu hehlen. 


Mir liegt unter Schultern 
Hialmars Tödter, 

All iſt es außen 

Umwallt von Feuer. 

Kein Mädchen kenn' ich 
Über der Erbe, 

Das wagte, die Waffe 
In Hände zu nehmen. 


Ich will's wahren, 
In Hände nehmen 
Das ſcharfe Schwert, 
Hab’ ich's nur einmal. 
immer fürdt’ ich 
Brennendes Ferer; 
Die Lohe legt ſich, 
Neig' ich mich drüber. 


Thoöricht, Hervbr, 


Biſt bu, bei Sinnen, 


427 
Offnen Auges 
In’s Feur gu flürgen.. . 
Lieber geb’ ich 
Schwert aus dem Hügel 
Dir, junges Mädchen! 
Kann dir's mit weigern. 
Da ward das Schwert aus dem Hügel geworfen in Hervörs Hand. 
Hterauf fang fie: 





Wohl thateft du, 

Sohn der Bilfinger, _ 

Daß du mir gabeft 

Das Schwert aus dem Hügel. 

Beſſer, o Held, 

Bediinkt mich diefes, 

Als alles Norweg 

Eigen zu haben. 
Angantyr: 

Wenig weiſt du, 

Thörichtes Weib, 

Ungllichſelges, 

Was dich freuen fol. 

Tyrfing wird dir, 

Ob vu mir glaubeſt, 

All dein Geſchlecht 

Verderben, p Jungfrau! 


Gehen will ich 

Zu der Brandung Roſſen. 
Die Heldentochter 

Iſt guten Muthes. 
Wenig furcht' ich, 

Du Sohn der Fürften, 
Was meinen Söhnen 
Künftig zu Theil wird. 


Hervör: 


Angantyr: 
Du wirft es haben 
Und. lange hegen; 
Halt im Hulfte 
Hjakmars Tödter! 


128 


Greif nit an die Eden! 
@ift iſt im beiben. 
Dieb Schwert ift übler, 
As andres Unheil. 


Fahr wohl, Tochter! 
Schnell noch geb’ ih dir 
Zwölf Männer Leben, 
Ob du es glaubefl, 

Stärke, Schwungkraft!, 

All das Gute, 
Was Arngrins Söhne 
Burüdeließen. 

Herbör: 

Wohnt ihr Alle 
(Fort drängt e8 mid) 
Heil in Hligeln! 
Bon binnen fahr’ id. 
Wohl bedünkt' ich mich 
Am Ziel des Lebens, 
AS mid die Feuer 
Rings umloderten. 

Sie gieng bierauf zum Strande nieder und ala es tagte, ſah fie, 
daß die Schiffe fort waren. Die Bilinger waren vor dem Gebonner 
und ben Feuern auf der Inſel erichroden. Hervör blieb auf Samsö, 
bis ein andres Schiff fie aufnahm. | 

Der nun folgende Theil ver Saga erzählt die Erfüllung des auf 
dem Schwerte Tyrfing haftenden Fluches in Hervörs Gefchlechte. Diele 
vermählt ſich mit Höfund, dem Sohne des Königs Godmund in Bläfis- 
völl, einem fabelhaften Lande. Sie hat von ihm zwei Söhne, Angan⸗ 
tyr und Heidrek, wovon der erftere bem milden Vater, ver lektere dem 
wilden, ftreitluftigen Sinne ber Mutter nachichlägt. Da Heibrel am 
Hofe feines Vaters blutigen Streit anftiftet, wird er veriviefen. Der 
Vater gibt ihm gute Räthe, die Mutter das Schwert Tyrfing auf ben 
Weg, mit dem er in Berſerkerwuth ven Bruder, der ihm das Geleite gab, 
erichlägt. Bon den Lehren des Vaters thut er immer das Gegentheil, 


1 afl oc eljun. 


129 


mad, wenn er gleih ein mädtiger König in Neibgotland 1 wird, 
doch zuletzt feinen Untergang berbeiführt. Die drei Nidingswerle, bie 
dem Schwerte angewünfcht find, gehen in Heidreks Schidfal in Er⸗ 
Füllung: das exfte derſelben ift der Brubermord an Angantyr, das 
zweite, daß Heidrel in Reidgotland Schwäher und Schwager mit Tyr⸗ 
fing erſchlägt, das dritte, daß er felbft von treulofen Sinechten im 
Schlafe damit erfehlagen wird. Auch die Gefchichte von Heidreks Sohne, 
der wieder Angantyr beißt, wird beigefügt; aber immermehr verliert 
ſich die Erzählung vom alten Sagengrund in willkührliche Erbichtung. 
Als reiner, urfprünglicher Sagenbeftand ift nad Müllers Annahme 
(Sagabibl. II, .566 f.) faft nur noch Dasjenige anzufehen, was oben 
ausführlicher mitgetheilt worden, der Kampf auf Samsö und Hervörs 
Todtenbefhtwörung. Hier hat fich die Überlieferung noch in den vielen 
Lieverftrophen einen feften Anbalt bewahrt: Das eddiſche Hindluliod 
zählt die Berſerler, Arngtims und Eyvörs Söhne, auf, bie wie Ylams 
men über das Land fuhren (Edd. rh. 116. %. Magn. Edd. III, 15 
[Str. 23]). Bon den zwölf Söhnen Arngrims und Dfurad (Eybör) 
und ihrem Streit auf Samsd mit Hialmar und Orvarodd (Hialmerus 
atque Arvaroddus) meldet auch Saxo (B. V, S. 140 f. Bol. Müller, 
_ Sagnhist. 70 bis 72), im Einzelnen bald übereinftimmend und fogar näher 
erflärend, bald abweichend, wie es überall die lebendige Volksſage mit 
fih bringt. Roc im 17ten Jahrhundert hatten fich bei den Samsdern 
Iofafe Erinnerungen von Orvaroddshügel und den Brübergräbern er⸗ 
halten (Müller a. a. D. 567). Ausführlicher, als felbft in der Her 
vörsfaga, ift eben dieſer Kampf in bie befondere Saga von Orvarodd 
(€. 14 in Fornald. S. II, 210 ff. €. 28 in Fort. S. II, 188 ff.) 
aufgenommen. 

Die Hervörsfaga in ihren Alteften Beftanbtheilen ift die großartigfte 
Darftellung jener maaßloſen Lebenskraft, die dem riefenbaften Helden⸗ 
thume des Nordens eigentbümlich if. Arngrims zwölf Söhne maren 
Berſerker. Der Berferler und ber fie plöglich ergreifenden Wuth, des 
Berferlerganges (berserks-gängr, Biörns Lex. isl. I, 74), geichieht 
in den nordiſchen Sagen vielfah Meldung. Der Name bezeichnet 
wörtlih: bis aufs Hemd oder Unterkleid bloße, im Gegenfah ber 


1 Das Skandinavien gegenüberliegende Feſtland in Pommern, Preußen. 
Upland, Schriften. VII. 9 


130 


Gepanzerten (ber, baar, bloß; serkr, toga, tunica, it. indusium, ebv. II, 
238; berserkr, indusio tantum, non lorica indutus, ebd. I, 73). Beim 
Eintritt jenes Zuftands, ben und auch die Hervörsſaga beſchreibt, 
Inirfchen die Berferler mit den Zähnen, beißen in die Scilve, ver- 
Ichlingen glühende Koblen, laufen durch loderndes Teuer, rennen ohne 
Panzer (woher eben ber Name) in den Streit, toben in ihrem Blut: 
durft gegen die eigenen Genofjen, weshalb fie auch beim Ausbruch des 
Anfalls in Bande geichlagen werben. Für den Urheber bes Berjerker- 
ganges wurde, mie wir aus ber früher angeführten Stelle der YUnglinga⸗ 
faga wiſſen (©. 6), Odin angejeben, der Beiveger alles Kampflebens 1. 
Übrigens gedenken auch geſchichtliche Sagan der Berſerkerwuth, die als 
ein Unheil für ven damit Befaßten betrachtet warb (Sagabibl. I, 149. 
Vatnsdäl. S. Auch I, 38. Vgl. fonft Saxo B. VII, ©. 189. 190. 
Paulus Diac. I, 20. Lex. myth. 477), und noch das isländiſche 
Ghriftenrecht von 1123 (Jus eoclesiast. vetus ed. Thorkelin. Bavn. 
et Lips. 1776. Cap. XVI. ©. 78 f.) erflärt ba, wo es gegen bie Über: 
bleibfel des Heidenthums eifert, ſowohl die Berſerker ſelbſt, als bie 
jenigen, welche nicht den Wüthenden zu bändigen fi bemühen, für 
rechtlos. Es iſt auch an ſich nicht unglaublid, was in einer neueren 
Schrift (Menzel, Geſch. d. Deutichen I, 10) hierüber geäußert wird, daß 
in Zeiten vorwiegender Körperfraft das Übermaaß aufgeregter Lebens- 
fülle fich zu augenblidlicher Raſerei fteigern konnte. 

Ein ſolches Berſerkergeſchlecht, zwölf Brüder, liegt nun, in wüthen- 
dem Kampf erichlagen, im Grabhügel auf Samsö. Aber bie über 
ſchäumende Kraft raftet auch unter dem Boden nicht, fie ſchlägt zur 
Nachtzeit in Ylammen aus, daß bie ganze Inſel zu brennen fcheint, 
und läßt fih im Donnergetöfe vernehmen; ber Hirte flieht dem Hofe 
zu, ohne fich umzufehn, und die Seefahrer ſtoßen erſchreckt vom Stranbe. 
Nur eine Tochter jenes Geſchlechts, in ber die angeftammte Natur alle 
Schranken ber Weiblichleit gefprengt bat, das Weib zum Manne ge 
fteigert ift, jchreitet in Helbenrüftung furchtlos burch jenes heimiſche 
Element und fingt das Beichwörungslieb, das die Grabgeifter aufweckt. 
Ihr wird das Zauberſchwert berausgewworfen, Werkzeug und Wahr: 
zeichen jener ungebänbigten Kampfwuth, bie ihren Fluch in, ſich trägt. 

1 Bgl. Sn. Edd. ©, 66. 162 (die Strophe: Fullavflug u. |. w. vgl, Lex. 
mytir 635 *). 


131 


Kein Gold liegt in jenem Hügel begraben; aber Stärke, Schwung, 
Lebenskraft von zwolf Männern ließen Arngrims zwölf Söhne zurüd 
und vererben folches Gut zugleich mit dem Schwerte. Hervör will dieſes 
haben, wenn es aud ihrem ganzen Gefchlechte fichres Verderben brobt. 
Die Erfüllung ſäumt nicht und auch die Nidingswerke, die Schanbthaten, 
fönnen für das Werkzeug des blinden Zornes nicht ausbleiben. Heibref, 
Gervörs jüngerer Sohn, erwächſt, vermöge feiner Berferlernatur, zum 
Führer diefes Schwerte. Die Mutter reicht es ihm zum Abſchied und 
fo Tann er ven Befonnenen Ratbichlägen, die ihm ber mildere Vater 
mitgab, niemal& Gehör leihen; das erfte Nidingswerk, das mit Tyrfing 
verübt wird, ift Heidreks Brudermord, das letzte fein eigener Tod von 
Knechteshand. Die Grundidee der ganzen Sage liegt offenbar barin, 
wie die ungemeflene unb ungezügelte Kraft fich felbft verzehrt. Der 
Mittelpunkt, in dem Vergangenes und Künftiges zufammenreichen, und 
der entſprechendſte, phantafiereichite Ausdruck diefer tragischen Anficht 
des norbiichen Kampflebens ift das große Nachtgemälbe der Beſchwörung 
auf Samsö. 

Aus den Geſchichten von Heibref, Hervörs Sohn, ift noch Yolgen- 
des auszuheben (C. 15): Als Heidrek in Neidgotland berrfchte, mar 
dort ein mächtiger Herfe (Unterhäuptling, satrapa), Namens Geft 1, 
zugenannt ber Blinde. Er war böfe und gewaltthätig Dem König 
Heidrek hatte er die Schagung vorenthalten und deshalb beſtand große 
Feindſchaft zmifhen ihnen. Der König fandte ihm Botfchaft, er folle 
iommen und fich dem Spruce bes Gerichtes unterwerfen; wo nicht, 
fo folle vie Schlacht entfcheiden. Keines von beiden gefiel dem Herſen 
md er befehloß, dem Odin zu opfern, daß dieſer ihm helfen möchte. 
Eines Abends fpät warb nun an die Thüre geflopft; vor ihr ftand ein 
Mann, der fih gleichfalls Geft nannte. Es entfpann fidh ein Geſpräch, 
in welchen ber Herfe Geft dem Fremden feinen Kummer offenbarte. 
Der Fremdling erbot fih, ftatt feiner zum König zu ziehen. Sie 
wechjelten Ausfehn und Gewand und der Frembling Geft machte ſich 
auf den Weg nach Yarheim, dem Site des Königs. Hier trat er in 
die Halle und grüßte ven König. Diefer fchwieg und ſah zornig auf 
den Ankömmling. „Willſt du, ſprach er, dich dem Uxtheile meiner 

1 Bei Saxo 8. V, S. 135 lommt ein Gestiblindus, Gothorum rex, vor, 
doch ohne bemwrfbare Beziehung zu ber Erzählung ber Hernörsfaga. 


132 


rechtöfundigen Männer unterwerfen?“ Geft fragte hierauf, ob es nicht 
mehrere Weiſen gebe, fich zu löſen. „Es gibt deren, antwortete ber 
König; du follft Räthſel aufgeben, die ich nicht erratben Tann, und bir 
damit Frieden erfaufen.” Geſt zog dieſes dem Gerichtswege vor. Es 
wurden nun zwei Stühle berbeigebracht, auf die fie ſich nieberließen, 
‚ und bie Leute waren in frober Erwartung, weiſe Worte zu bören. 
Geſt legte hierauf dem König eine Reihe von Rätbjeln vor, die Heidrek 
alle errietb. Die letzte dieſer Fragen jeboch mar die uns fchon beiannte, 
was Odin Balburn ins Ohr gefagt, bevor biefer auf den Scheiterhaufen 
getragen ward. „Niemand kann das willen, als bu felbit“, rief ber 
König zormentbrannt, entblößte dad Schwert Torfing und wollte nad 
Geft bauen. Aber dieſer verwandelte fich plöglich in einen Fallen und 
entflog durch's Fenſter. Nur die Schwanzfevern traf das Schwert und 
ſeitdem ift der Falle hinten geftußt. 

Diefe Räthſel und ihre Löſung ſammt dem Schluffe, wie Geft als 
Falke davonfliegt, bilden ein, der Saga einverleibtes Lieb non 66 
Strophen (Getspeki! Heidreks Kongs, Räthſelweisheit König Heidreks). 
Die Profaerzählung fügt noch hinzu, Einer vom Hofgefinde, ber zu 
gegen geweſen, babe vom Schwerte fallen müſſen; Obin aber habe noch 
über den König ausgerufen, teil er ven Frieden, ben er zwiſchen ihnen 
geſetzt, ſelbſt gebrochen, fo follen bie fchlechteften Knechte ihm ven Tod 
geben. Müller, der die Herbörsfage in ihrer jebigen Zufammenfeßung 
dem 13ten Jahrhundert zufchreibt, ohne jedoch einerſeits ben Altern 
Sagengrund, anderſeits verfchievene noch fpätere Zuſätze zu miskennen, 
bemerft über das Näthfellied insbeſondere, daß bie poetiſchen Auf 
löſungen, da fie nur in einer einzigen Abſchrift gefunden werden, ein 
fpäteres Produkt zu fein fcheinen, die Räthfel felbft aber älter, ala die 
proſaiſche Erzählung; auch fie jevoch enthalten jo wenig Charakteriftifches 
und ‚gleichen fo ſehr dem Wiße fpäterer Zeiten, daß fie eher dem 1dten, 
als dem 10ten Jahrhundert (der heidniſchen Zeit), angehören. Der 
Nahmen eines ſolchen Liebes ift nun allerdings geeignet, fortwährend 
Zufäbe in ſich aufzunehmen, und fo mögen auch bie in Getſpekli zuſam⸗ 
mengereibten NRätbjel verſchiedenen Zeiten ihren Urſprung verbanten. 

1 Gestr, geäspeki |. Vafpr. m. Str, 19. Sem. Edd. ©. 88. Finn 
M.Edd. I, 88; speki f. sapientie, Lex. iel. II, 317a, heißt auch die Weis- 
heit, welche. Sigurd von Brynhild lernen will; vgl, Grimm, Heldenſ. 892 u. 


133 


Aber nicht nur tragen mehrere einzelne das klare Gepräge alterthüm⸗ 
licher Raturanfchauung oder enthalten beftimmte mythiſche Beziehungen, 
ſondern es gibt fih auch in der Anlage des Ganzen ber mythiſche 
Zufammenbang zu erkennen. "Einzelne der bemerkten Art find 3. 2. 


folgende. 
Str. 3: Gef: 


Heidrel: 


Str. 5: Belt: 


Heidrek: 


Von Hauſe fuhr ich, 
Bon Haufe reift’ ich, 
Sah Weg auf Wege; 
Weg war unten, 
Weg war oben, 
Weg allerwegen. 
Heibrel, König, 
Rath du das Näthiell 


Out ift dein Räthſel, 

Geh der Blindel 

Errathen ift es. 

Bogel flog oben, 

Fiſch ſchwamm unten, 

Du giengſt auf der Brücke. 


Was war das Trinken, 

Das ich geſtern trank? 

Nicht Wein noch Waſſer, 

Meth noch Bier, 

Noch Mus irgend. 

Doch gieng ich durſtlos dannen. 
Heidrek, König, 

Rath du das Räthſel! 


Gnt ift dein NRäthiel, 

Geſt der Blinde! 

Errathen ift es. 

Du giengſt in der Some, 
Bargft di im Schatten, 
Than flel im Thale, 

Da nahmft du dir 


134 


Des Nachtthaues, 
Kühlter dir fo die Kehle. 


Str. 27: Geſt: 
Der ift der Einfame, 
Der fchläft in der Afche, 
Bon Steinen gemadt? 
Baterlos, mutterlos, 
Der Schadengierige, 
Friftet er dort fein Alter. 
Heibrel, König, 
Rath du dag Räthſel! 


Heidref: 
Gut ift dein Nätbjel, 
Geſt der Blinde! 
Errathen iſt es. 
Aſche nährt Feuer, 
Auf dem Heerde verborgen, 
Erzeugt von Steinen. 


Str. 29: Geſt: 
Wer iſt der Dunkle, 
Der liber den Boden fährt, 
Waſſer und Wald verichlingt? 
Stürme jcheut er, 
Männer niemals, 
Mit der Sonne rehtet er. 
Heibrel, König, 
Kath du das Räthſel! 
Heidref: 
But ift dein Räthſel, 
Geft der Blindel 
Erratben ift e8. 
Der Nebel hebt fi 
Bon Gymirs 1 Lager, 
Hüllet den Himmel ein, 
Tödtet den Schein 


1 Gymir wird öfters mit AÄgir, dem Meeresgotte, gleich genommen, Lex. 
myth. 137 6. 


135 


Der Gefpielin Dyalins, 1 
Flieht nur Yornjots? Sohn. 
Str. 39: Geft: 
Wer find die Mädchen, 
Die viele zuſammen gehn, 
Nach des Baters Beſtimmung? 
Haben bleiche Haare, 
Weißfaltige Schleier, 
Kein Mann bhütet fie. 
Heidrek, König, 
Rath du das Räthſel! 
Heidrek: 
Gut iſt dein Räthſel, 
Geſt der Blinde! 
Errathen iſt es. 
Gymir hat ſie, 
Die weiſen Töchter, 
. Erzeuget mit Ran. 
Wogen und Wellen 
Sind fie geheißen; 
Kein Mann bütet fie. 
Str. 47: Geſt: | 
Der find die Bränte, 
Auf Brandungsflippen 
Die Bucht Hin fahrend? 
Hart Bett fie Haben, 
Die Weißgefchleierten, 
Nicht fpielend bei ftiller See. 


Heidrel, König, 
Rath du das Räthiel! 
Heibrel:: 
Gut ift dein Räthſel, 
Geh der Blindel 
Errathen iR es. 


Wogen und Wellen 


1 Dvalins leika, vgl. Biörns Lex. isl. II, 21a. Finn Magnufens Lex. 
myth. 49. 
2 Kar, der Wind, ein Sohn des Niefenvaters Fornjotr. 


136 


Und alle Branbungen 
Lagern zuletzt ſich 

Auf Scheeren und Klippen, 
Verlaſſen bei ſtiller See. 


‚Dieſe zuletzt angeführten und noch mehrere ähnliche Räthſel, deren 
Gegenſtand die Meereswellen find, veſtätigen uns noch mehr die Deutung 
der Mägde im Mühlenlied. Überall find die Naturkräfte in Perſon 
und Handlung geſetzt. Ganz mythologiſch ift ein weiteres Rätbfel, das 
vorlegte, Str. 61. | 

Geit: 

| Ber find die Bwei, 
Die zu Thinge fahren? 
Drei Augen haben fie 
Beide zufammen, 
Zehen Füße, 
Einen Schweif, 
So fahren fie über die Lande. . 

Die Löfung ift: der einäugige Odin, der auf feinem achtfüßigen 
Roſſe Sleipniv durch die Luft fährt. 

Was am Schluffe vom abgeftutten Schwanze des Fallen erzählt 
wird, erinnert an einen Ähnlichen Zug in der jüngern Edda (S. 226 
Rühs [S, 70 Rask]). Die Aſen wollen Lokin fangen, als den Stifter 
des Morbes an Baldur; Loki hat fi) aber, als Lachs verwandelt, in 
einen Waflerfall geflüchtet. Dort ergreift ihn enblih Thor, aber der 
Fiſch gleitet ihm in der Hand, fo daß er ihn erft am Schwanze recht 
erfaßt. Aus diefer Urſache ift der Lachs hinten ſpitz. Diefe Art, bie 
auffallende Geftalt der Naturweſen aus befonbern Ereignifien zu er 
Hören, ift im Gebiete der Sagen berlönmmlich (vgl. Bidrner S. 525, 
Schluß des ©. 6). 

Neben den einzelnen mythiſchen Beziehungen zeigt nun aber auch 
die ganze Anlage des Räthjellieves unverkennbare Ähnlichkeit mit meh⸗ 
seven Mythenliedern ver Edda. Im Vafthrudnismal insbeſondere be 
ſucht Odin als Wanderer unter dem Namen Gangradr (gressum mo- 
derans s. dirigens, Lex. myth. 109) den Rieſen Vafthrudnir, um 
defien Weisheit zu erfunden. Sie legen einander gegenfeitig Räthfel- 
fragen vor, bis zulegt der Rieſe den Gott an derſelben Frage eriennt, 





137 - 

mit der auch Geiſpeki jchließt. Grimnismäl, in dem Dbin unter dem 
Namen Grimnir (personatus, ebd. 128) zu dem König Geirröd Tommt, 
Vegtamsquida, wo er als Vegtamr (vie adsuetus, ebd. 544) eine Völe _ 
in der Unterwelt befragt, Alvismäl, ein Geſpräch zwiſchen Thör und 
. dem Zwerg Alois, tragen mehr ober weniger basfelbe Gepräge. Nur 
betreffen die Fragen der Müthenliever die Götterwelt und die Welt: 
ſchickſale, während die Räthſel Gefts ſich mehr auf Naturbilder und 
menschliche Dinge beziehen; bort erforfcht Odin die alten Urmächte, bier 
prüft er den einzelnen Menſchen; die Löſung aber, woburd er fh als 
der Inhaber der göttlichen Weisheit zu erfennen gibt, ift in beiden 
Fällen diefelbe. Die Näthjel, wie Getſpeki fie aufgibt, find gewiſſer⸗ 
maaßen die Vorjchule zu jenem tieferen und umfaſſendern Wiſſen. Wie 
dort das Feuer, der Nebel, vie Wellen u. ſ. w. perfonificiert und bes 
lebt werben, fo liegt bier die gefammte Glaubenslehre in einem großen 
Bufammenbange von Perfonifilationen und Handlungen verhüllt. An 
jenen einzelnen Bildern wirb der Sinn eingeübt für diefe ganze Weife ber 
Auffaffung, von ihnen empfängt er den Schlüffel zum innern Heiligthum. 
- Sowie wir das mythiſche Ganze durchaus als ein poetifch geftaltetes 
und belebtes kennen gelernt haben, fo find auch dieſe vereingelten Räthſel, 
wenigftens bie beflern und alterthümlichern unter ihnen, poetifche Bilder, 
die, auch wenn bie Löfung gefunden ift, noch als lebendige Anfchauungen 
anziehend bleiben; eine Probe, bie wir auch jeßt noch an das Räthiel, 
fofern man es zu den Dichtarten rechnen foll, anzulegen haben. 

Die einleitende Erzählung zu unfrem Räthfellieve, von dem reit- 
gotländifchen Herfen, der Geht der Blinde gebeißen haben ſoll, kann id) 
nicht für urfprünglich anjeben. Der Name Geft (Gaft) pafst nur auf 
den als Wandrer anlommenden Dbin (mie bie ähnlichen Gangräd, 
Begtam), nicht auf den Herjen, der zu Haufe bleibt; und ber Beiname 
des Blinden (Gestr blindi), für den Herjen unerllärt, eignet fich gleich 
falls für den einäugigen Din. Der irbifch umherwandelnde Gott prüft 
den getwalttbätigen König Heibrel, den Beſitzer des Zornichwertes, ber 
Berſerkerwaffe, und überführt ihn, wie im Mythenliede den Riefen 
Bafthrudnir, ale in höherer Weisheit unerfahren. 

Noch öfter wird uns auf dem Wege durch das Sagenreich die Er⸗ 
ſcheinung Odins, als forfchenden und viellundigen Wanderers, bes 
genen. (Bol. Widſith, Grimme Helomf. 875.) . 


138 


3. Hrolf Krali. 


Sage Hrolfs Konungs Kraka, Fornaldar Sögur 8. I, 1 ff. Fort. 8.1, 
1 fi. (Bodvar Biarkes 8. Sagabibl. Il, 524 f.) Skalda, Snorra Edda ©. 150 
bis 154 [Rafll. Ynglinga Saga C. 32 bis 34. Sapı, Gr. 2. II, ©. 37 
bis 58. 8. VII, ©. 184 ff. [log]. Müller, Sagabibl. II, 493 bis 535. 
Müller, Sagnhift. 25 bis 36. 193. 246. 


Grolf Kraki wird von Saro als der 18te Dänenkönig aufgeführt 
und. ala Erbauer des bäntichen Königsfitzes Lethra (S. 431), So 
wie fein Gedächtnis auf uns gelommen, erſcheint er durchaus als 
Sagenheld; doch ift darum fein einftiges gefchichtliches Dafein nicht 
abzuftreiten; Müller fett vasfelbe in das Ende bes 6ten und den An- 
fang des Tten Jahrhunderts (Sagabibl. H, 522). Er war einer der 
fagenberühmteften Helben des Nordens und von feinen Thaten, con- 
spicuis probitatis operibus, fagt Saro (S. 38), quorum eximium 
fulgorem omnis evi memoria specioso laudum preeconio celebrat. 

Die töländifhe Saga von ihm und feinen Kämpen (köppum 
hans; kappi, heros, athleta, Biörn® Lex. isl. I, 442 4) ift eine der 
ausgeführteften. Gleichwohl bietet Saxo Mehreres zur Ergänzung bar 
und zeugt auch durch die Abweichungen, wie verbreitet und vielfach 
behandelt biefe Sagen waren. Die Inglingafaga, welche davon nur foviel 
berührt, als mit ihrem Gegenftanve, ven Geſchichten der alten Upſala⸗ 
Tönige, in Verbindung ftanb, beruft fi dabei (C. 33) auf eine be 
fondere Sköldungaſaga; Sköldunge hießen eben die von Skjöld abge 
leiteten Dänenklönige. 

Hrolfs Sage ift fo angelegt, wie wir in der Folge bie meiften größern 
Sagenbildungen zugefchnitten finden werben. Ein junger Rönigshelb 
fammelt um fich einen Kreis der trefflichften Reden, gewöhnlich in der 
Zwolfzahl, und vollführt dann mit ihnen gewaltige Thaten, bis fie in 
einem letten, großen Kampfe gemeinfam untergehen. In einem ſolchen 
Sagenganzen lafien fi drei Haupttheile unterfcheiben: in ben erften 
fallen die Erzählungen von der Abftammung des Haupthelden, von 
den Gelchiden, die auf feinem Stamme ruhen, von feiner früheren 
Jugend, fodann ähnliche Berichte von feinen künftigen Genoffen, 


1 Leire, jetzt ein ſeeländiſches Dorf. 





139 


und mie fie zuleßt Alle, oft durch heftige Kämpfe, zu unzertrennlicher 
Genoſſenſchaft zufammengeführt werden; ber zweite Haupttheil umfaßt 
die fiegreichen Züge der jo verbundenen Heldenſchaar; ber Tritte den 
gemeinfamen Untergang. Je burchgebilbeter die Sage ift, um fo fühl: 
barer zieht fih durch das Ganze eim innerer Bufammenbang, eine 
bewegende Grundidee. Die tünftliche Einheit des Epos 1, vermöge 
weicher die Geichichte gleich in der Mitte gefaßt, das Vorhergegangene 
aber mittelft episodiſcher Erzählungen nachgeholt und eingereiht wirb, 
ift dem einfachern Aliertbum fremd und mar wohl auch nicht die uns 
fprüngliche Weife des homeriſchen Epos. 

Die Hrolfsſaga nach jenen drei Beftanbibeilen vollftänbig darzu⸗ 
ftellen, würde uns zu meit führen. Die Borgefchichten von Hrolfs 
Eltern und Ahnen, vom Uriprung und ben früheren Schidfalen feiner 
Reden machen einen unverhältnismäßigen Theil bes Ganzen aus und 
ed ericheinen darunter in ſich abgeichlofiene Sagen ohne nothiwenbigen 
Zufammenhang mit dem Folgenden. Sch werde daher nur bei bem 
verweilen, was ſich näher auf und um ben Haupthelden concentriert 
und babei zwar bie isländiſche Saga zu Grunde legen, überall aber 
die erheblichern Ergänzungen aus Saros Erzählung eintragen, die 
gerade in dieſen mwefentlihern Theilen ausführlich und lebendig ift. 

Die Saga beginnt mit den Königsbrübern Halfdan, Hrolfs Groß. 
vater, und Frodi, vemjelben, von dem das Mübhlenlied handelt, unter 
Andeutung biefer Verwanbtichaftsverbältnifie, aber fonft mit abmweichens 
den Umftänden (Sn. Edd. 1502). Frodi überfällt feinen Bruder, bem 
er die Herrichaft über Dänemark misgönnt, verrätherifch und läßt ihn 
umbringen; aber Halfvans Söhne Helgi und Hroar, mweldhe von treuen 
Freunden verborgen wurben, rächen, als fie herangewachſen, den Tod 
ihres Vaters an Frodi. Diefe Geſchichten erzählt Saro, zum Theil 
mit andern Namen und Nebenumftänvden, von feinem Frotho V, ben 
er erft lange nad Hrolf Kraki ſetzt (®. VII, S. 184 bis 186). Es 
pafien überhaupt folche Gewaltthaten nicht gut für den Frodi ber 
Friedenszeit. Helgi, der bierauf König in Dänemark wird, beirathet 
unwiſſend feine eigene Tochter Yrſa, die er einft mit einer ſächſi⸗ 
ſchen Königin erzeugt. Die Frucht dieſer Ehe ift Hrolf, der Held 

1 Horaz de arte poet. ®. 185 bis 150. 

2 Bol. Sagabibl, 2, 496. 498. 


140 


der Saga. Yrſa, die fih nach Entdeckung der wahren Verhältniſſe 
von Helgi getrennt, wird nachher, gegen ihre Neigung, mit bem 
Schwedenlönige Adils zu Upfala vermählt. Als einft Helgi um Yrſas 
willen bortbin gelommen, läßt ihn Adils, nad fcheinbat freundlicher 
Aufnahme, auf dem Rückweg überfallen und Helgi erliegt ber Über: 
macht. Ihm folgt im Dänenreiche fein und Yrſas Sohn Hrolf. Bevor 
aber die Saga ganz auf diefen übergeht, gibt fie bie befontern Ge 
Schichten des Kämpen Spipbag, ber zuerit dem Könige Adils dient und 
dann, mit feinen Brüdern, von Hrolfs Ruhme gelodt, zu dieſem zieht, 
und noch ausführlicher die des ſtarken Bödvar Bjarki! und feiner 
Brüber, deſſen Yahrt gleichfalls am Ende nach dem Hofe zu Ledra geht. 

König Hrolf war durch Tapferkeit, Großmuth und Freigebigkeit 
vor allen Königen berühmt geworden. Darum fammelten fih um ihn 
die gröſten Kämpfer des Nordens (C. 22. 23. 31. Fort Sag. 1, 41. 
44, 59 u.). Das Lob feiner Freigebigkeit verfünbigt beſonders aud 
Sam (©. 41): j 

Perunt autem, illum, quicquid prestare posceretur, prime suppli- 
cationi prompta liberalitate tribuere solitum, nec unquam ad secundam 


- petentis vocem distulisse rogatum. Siquidem precum iterstionem muni- 


firentie velocitate precurrere, quam beneficium tarditate notare maluit, 
Qu® res ei maximam athletarum frequentiam conciliavit. Pleramque enim 
virtus aut premiis pascitar, aut laudibus incitatur. 

Es findet fih auch in den lateinischen Verſen bei Saxo, bie wie 
immer Überfegung und Paraphrafe nordiſcher Lieder find, eine Erzäh⸗ 
lung, von ber in der Saga nicht? vorlommt, von dem Siege Hrolfs 
über den reichen und geizigen Rorik (©. 47 f.). Dieſer, der: Gold 
über Heldenruhm und Freunde fchäßte, ließ, als er von Hrolf gedrängt 
war und wegen feiner Kargheit Feine Kriegsleute aufzuftellen hatte, 
al fein lang gejammeltes Gold vos die Thore feiner Stadt auöfchütten, 
um bamit die Feinde abzuhalten. Uber er verlor Gold und Leben 
zugleih; Hrolf vertheilte Die ganze, veiche Beute feinen Kriegsgefährten: 

een nee profuit hosti 
Census iners, quem longo avidus cumulaverat wvo. 
Hunc pius invasit Rolvo, summasque peremti 

Cepit opes, inter dignos partitus amicos, 


1 8gl. Lex. myth, S. 481. 





141 


Quicquid avara manas tantis congesserat annis; 
Irrumpensque opulenis magis, quam fortia, castra, 
Prebuit eximiam soeiis sine sanguine predam. _ 
Cui nil tam pulchrum fuit, ut non funderet illud, 
Aut charum, quod non sociis daret, era favillis 
Assimilans, famaque annos non ſœnore mensus. 


Zugleich aber wird von feiner Tapferleit gejagt [S. 48]: 
Tam prceps in bella fuit, quam concitus amnis 


In mare decurrit, pugnamque capessere promptus, 
Ut cervus rapidum bifido pede tendere cursum. 


Aus dem erften Theile der Saga nun, den Borgefchichten, bebe 
ich aus, wie Bödvar Bjarli, nachher der ausgezeichnetfte von Hrolfs 
Reden, zu deſſen Hofe kommt (C. 33 bis 36). In biefen früher Aben⸗ 
teuern herrſcht noch die gute Laune vor; weiterhin wird Inhalt und 
Ton der Erzählung immer ernſter und tragifcher. 

Bödvars Bater Björn, ein norivegifcher Königsfohn, war durch 
böfen Zauber feiner Stiefmutter bei Tag in einen Bären vertvanbelt 
und erhielt nur bei Nacht wieder menfchliche Geſtalt. Seine Söhne 
hatten übernatürlihe Stärke. 

Eines Tags war ftarles Unwetter und Böbvar warb auf feiner 
Fahrt nad) Lebra ganz burchnäßt, fein Roſs fchritt mübe unter ihm im 
böfen Wege. Schon war die Nacht eingebrochen, als es ven Fuß an 
einen Abhang ſtieß. Bödvar fiieg ab und fand ein Bauerbaus, mo 
er willig aufgenommen ward, Er fragt viel um Hrolfs und feiner 
Kämpen Heldenwerte, auch ob es noch weit zu dem König ſei. „Nein, 
fagte der Bauer, dahin tft nur ein kurzer Weg; mwillft du zu ihm 
ziehen?“ Bobvar bejabte das. „Dort, fuhr der Bauer fort, wirft du 
wohl aufgenommen werben; denn ich febe, daß du ein großer und 
ſtarker Mann biſt, und bort trifft du auch anſehnliche Männer.” 
Darüber begann das alte Bauerweib laut zu weinen. „Warum weinft 
du, armes Weib?” fragte Böbvar.. Sie antwortete: „Wir haben einen 
Sohn, der Hötte heißt. Der gieng eined Tags zur Burg, um ſich zu 
vergnügen, aber bes Könige Männer foppten ihn, wobei er fich fehr 
übel befand; nachher nahmen fie ihn und febten ihn in einen Beiner- 
baufen, und das ift num ihr Zeitvertreib während des Mahles, daß 
fie, fowie ein Bein nach dem andern abgeefien ift, es nach ihm werfen. 


142 


Dft, wenn es ihn trifft, Bat er davon großen Schaben, und ich weiß 
jetzt nicht, ob er noch lebt oder tobt iſt; aber von meiner Gaftwillig: 
feit gegen dich hoffe ich, du werbeft mir damit vergelten, daß bu lieber 
kleine als grofje Beine nad ihm wirfft, wenn er noch nicht tobt iſt.“ 
„Ich werde thun, wie bu mich bitteit, antwortete Bödvar, und das 
bedünkt mich nicht fo ſehr mannlich, Leute mit Beinen zu werfen ober 
Kinder und Geringe zu quälen.“ „Da thuft bu wohl dran, fagte 
die Alte, denn beine Hand feheint mir jo ſtark, dab ich gewiſs weiß, 
er würde deine Würfe nidst aushalten können, wenn du ihn nicht 
fchonen wollteſt.“ Bödvar z0g hierauf weiter nach Ledra (til Hleidar- 
gards), wo der König feinen Sit hatte. Hier führte er fein Roſs in 
ben Stall neben die beiten Pferde des Königs, ohne Jemand darum 
zu fragen. Darauf gieng er in die Halle, wo nur Wenige zugegen 
waren. Er ſetzte fich zu äußerit, und ala er eine Leine Weile da ge 
ſeſſen, börte er etwas poltern in einer Ede ber Halle. Er ſah dahin 
und. warb gewahr, daß eine Hand aus einem großen Beinechaufen 
hervorlam; bie Hand war ganz ſchwarz. Bödvar gieng bin und fragte, 
wer in dem Beinhaufen fi. Die Antwort lautete mit ſchwacher 
Stimme: „Hött heiß’ ich, lieber Bölki!“ „Warum bift-bu hier? was 
machſt du?“ „Ich mache mir eine Schildburg!, Lieber Bökli!“ „Er: 
bärmlich bift du in deiner Schildburg,“ rief Bödvar, ergriff ihn und 
zog ihn aus dem Beinhaufen hervor. Hött fchrie laut auf: „Trachteſt 
du mir nad dem Leben? thu das nicht! du haft mir meine Schiluburg 
zujammengebrochen; ich hatte fie eben fo hoch um mich aufgeführt, 
daß fie mich vor allen euern Würfen beichirmt hätte, und doch war 
fie noch nicht in dem Stand, in ben ich fie bringen wollte.” „Nicht 
folft vu, verfetste Bodvar, fernerbin Schildburgen zu bauen brauchen.” 
Hött weinte und ſprach: „Willſt du mich denn töbten, lieber Bölkit“ 
Bödvar bieß ihn nicht fo laut fchreien und trug ihn aus ber Halle 
nach einer nahen Waflerftätte; da wuſch er ihn vom Wirbel bis zur 
Zehe, gieng dann mieber zu feinem vorigen Sitze und ſetzte Hött neben 
fich; diefem war aber fo bange, daß er am ganzen Leibe zitterte, obs 
gleich er merken konnte, daß biefer Mann ihm helfen wollte. Es ward 
nun Abend und die Leute kamen in bie Halle. Hrolfa Kämpen faben 


1 Skjaldborg, scutorum testado, Lex. isl. 264 b. Schiledach. 


143 


nun, daß Hött auf einer Bank Platz genommen hatte,’und ber Mann, 
der ihn dahin geſetzt, fchten ihnen fehr breift zu fein. Hött warb übel 
zu Muth,. ald er feine alten Belannten ſah, und fo lieb ihm ſein 
Lehen war, wollte er wieber in den Beinhaufen fahren, um vor ihren 
Würfen befler gefichert zu fein. Bödvar aber hielt ihn feſt. Die Hof 
leute trieben nun wieder ihren alten Brauch und warfen zuerft Tleine 
Beiner nah Bödvar und Hött. Bödvar that, ala bemerkt’ er es nit; 
Hött dagegen war fo bange, daß er weder Speife noch Trank anrührte, 
denn er fürchtete jeden Yugenblid, tobtgetworfen zu merben. „Sieber 
Bokki, rief er, jet wird ein großer Knochen auf dich gezielt, der wird 
unfer Berberben werben.” Bödvar hieß ihn fill fein, hielt feine hohle 
Hand entgegen, faßte jo den Knochen, dem ein ganzes Lenvenbein 
mitfolgte, und ſandte ihn auf den, ber geivorfen hatte, mit folder 
Gewalt zurüd, daß eö des Mannes Tod war. Nach Saro, der auch 
diefe Gefchichte berührt S 41), drehte ihm ber Wurf nur den 
Kopf um. 

Frontem ejus in oeeipnt reflexit idemque loco frontis intoreit, trans- 
versum hominis animum vultus obliquitste mulctando. 

Großer Schredten Tam über das Hofgefind und das Gerücht lief 
hinauf zu König Hrolf und feinen Kämpen, daß ein Mann, der etwas 
Ungewöhnlichem gleich fehe, in die Halle gekommen fei und einen 
jener Hofleute getöbtet habe und daß fie ihn nun wieder töbten laſſen 
wollen. Der König fragte, ob der Hofmann unſchuldig getöbtet wor⸗ 
den. „So gut als unſchuldig“, antworteten ſie; aber die Wahrheit 
kam nun doch an den Tag. Da ſagte König Hrolf: „Weit davon, 
dag man dieſen Mann töbten ſollte. Ihr habt wieder euer Unweſen 
getrieben, unſchuldige Zeute mit Beinen zu werfen, was mir zur 
Unehre gereicht und euch zu großer Schande. Ich habe davon früher 
oft geſprochen, ihr aber habt auf meine Worte nicht geachtet. Es muß 
kein geringer Mann ſein, den ihr angegriffen habt; ruft ihn her zu 
mir!“ Bödvar gieng nun vor ben König und grüßte ihn anſtändig. 
Der König fragte nach feinem Namen. „Hötts Frieden (Hattargrida ?) 
nennen eure Hofleute mich, fonft heiß ich Bödvar.“ „Welche Buße 
willft du mie für meinen Hofmann geben?“ „Wie er that, jo geſchah 

1 Bl. Saro B. V, S. 108 u. 8. VI, S. 178. 

2 Höttr, pilens. Grid, n. pl. pex, securitas. 


144 


ihm." „Willſt du mein Dann werben und feinen Pla einnehmen?“ 
"Richt Sag’ ich „Nein“ dazu, mer Mann zu fein; aber ich will mid 
darum keineswegs von Hött trennen, fondern wir Beibe follen näher 
bei bir figen, als Jener ſaß; ſonſt ziehen wir Beibe fort.“ Der König 


- fagte: „Obſchon ih an Hött wenig Ehre für mich ſehe, fo will ich doch 


nicht die Speife an ihm Sparen.” Bödvar gieng nun mit Hött zu dem 
Site, der ihm gefiel. 

Ein weiteres Abenteuer ift, wie Bodvar feinen Schübling Träftigt. 
Er bat ein Ungethüm (bei Saro ift es ein Bär) erfchlagen, das bes 
Königs Heerben verheert, und läßt nun ben verzagten Hött, den er mit 
fih genommen, vom Blute bes Thieres trinlen und von deſſen Her 
eflen. Davon wird Hott ſtark und fühn. Der König gibt ibm fein 
Schwert Gullinhjalti (Goldenheft) und 'beftimmt, dab er darnach fortan 
Hjalti heiten fol. 

Sp viel aus den Borgefchichten; den mittlern, zweiten Theil ber 
Saga bildet König Hrolf und feiner nun vollzählig verfammelten 
Kämpfer Fahrt nach Schweden. Bon diefem Zuge gibt die Skalda 
(Sn. Edd. 150 bis 154) einen kurzen Bericht, um zu erklären, warım 
man in der Dichterfpradhe das Gold Krafis Saat oder Saat von 
Fyrisvellir nenne. Vollſtändiger ift die Hrolfsſaga (C. 38 bis 46). 

Eines Tags hielt König Hrolf ein herrliches Mahl und alle feine 
Kämpen faßen bei ihm in feinem Königsſaale. Da blidte ex nad 
beiden Seiten und ſprach: „Mächtige Stärke ift bier gefammelt in 
eine Halle.“ Weiter fragte er Bödvarn, ob er fol einen König 
fenne, der folche Kämpen babe. Bödvar fagte, er kenne feinen. „Aber 
ein Ding tft, fehte er hinzu, das eure Tönigliche Ehre mindert.” König 
Hrolf fragte, was das je. „Das fehlt euch, Herr, daß ihr nicht 
euer Batererbe in Upfala verlangt habt, das euch euer Schwager König 
Adils unrechtmäßig vorenthält.“ König Hrolf antwortete: „Eine 
ſchwierige Sache wird das fein, biefes Erbe zu fuchen, denn Adils ift 
ein zauberkundiger, ſchlauer und dabei graufamer Mann, ber ſchlimmſte, 
mit dem man zu jchaffen haben Tann. Aber du erinnerft mich, daß 
ih an dieſem geizigen und verrätherifchen Könige meines Vaters Tod 
zu rächen babe; darım wollen wie das gefährliche Unternehmen wagen.“ 
Darauf rüftete fih König Hrolf zu diefer Reife mit hundert Männern, 
außer feinen zwölf Kämpen. Sie Inmen auf ihrer Fahrt zu einen 








145 


Bauer, ber vor der Thüre ſtand und fie alle zu fi einlud. Der 
König fagte: „Haft du auch das Vermögen dazu? denn wir find nicht 
wenige, wenn wir beifammen find.” Der Bauer lachte: „Hab ich 
doch mandmal nicht wenigere Männer dahin Tommen feben, mo ich 
gemweien bin! es fol eu nicht an Trank noch Andrem mangeln, was 
ihr die Nacht über braucht.“ „Wir mollen’3 verſuchen,“ fprach der König. 

Ihre Rofle wurden nun fogleich in gute Pflege genommen. „Was ift 
dein Name?” fragte ver König. „Hrani! nennen Einige mich,“ mar 
die Antwort. Sie wurben jo wohl aufgenommen, daß fie an Feine 
gaftfreiere Stätte hätten Tommen können. Der Bauer war ſehr munter; 
fie mochten fragen, was fie wollten, fo antwortete er fehr wohl auf 
Alles, und fie erkannten ihn für den weileften Mann, den fie jemald 
getroffen. Sie legten ſich nun fchlafen, konnten es aber nicht, indem 
es fie jo fehr fror, daß ihnen die Zähne klapperten. Da fprangen fie 
auf und zogen über fi), was fie befommen konnten, ausgenommen 
allein Hrolfs zwölf Kämpen, welche bloß die Kleider anbehielten, bie 
fie zuvor angehabt; doch fror e3 fie alle die Nacht über. Am Morgen 
fragte ver Bauer, wie fie geſchlafen. „Wohl,“ antivortete Böbvar; 
worauf der Bauer zum König fagte: „Ich weiß, daß es beinen Hof 
männern in der Schlaflammer etwas Fühl vorgefommen ift; es war 
auch fo; aber nicht dürfen fie glauben, alle die Führlichkeiten aushalten 
zu können, womit euch König Adils in Upfala verſuͤchen wirb, wenn 
ſchon das ihnen fo beſchwerlich ſchien. Willft du darum, Kerr, mit 
dem Leben davon kommen, fo jende die Hälfte deiner Schaar wieder 
beim! denn es ift nicht die Menge, die den Ausfchlag zum Siege über 
König Adils geben wird.” Der König folgte dem Rathe und ritt 
bierauf mit der andern Hälfte feines Weges weiter. Als es Abend 
warb, lag ein anbrer kleiner Bauerbof vor ihnen und fie glaubten, 
denjelben Bauer wieder zu erkennen, ber fie Die vorige Nacht beherbergt 
batte, was ihnen fehr wunderlih vorlam. Der Bauer empfieng fie 
wieder jehr wohl und fragte nur, warum fie fo oft kommen. Sie 
legten fich ſchlafen, machten jedoch abermals auf, indem fie ein fo un- 
leivlicher Durft befallen hatte, daß fie faum mehr die Zunge beivegen 
fonnten. Sie ftanden daher auf und eilten zu einer großen Kanne 


1 Der Name Rani bei Saro B. VII, S. 222. 
Upland, Schriften. VII. 10 


146 





mit Wein, an ber fie fich erlabten. Am Morgen fagte der Bauer 
Hrani: „Wenig Ausdauer foheinen mir die Männer zu haben, bie 
Nachts zu trinken brauchen; härtere Proben werdet ihr auöftehen, 
wenn ihr zu König Adils kommt.“ Ein flarles Unwetter fiel ein, fie 
blieben darum ben Tag über und nun ſtand bie dritte Nacht bevor. 
Am Abend wurbe Feuer vor ihnen aufgemadt und nun kam es denen, 
bie am euer faßen, vor, als würd' e8 ihnen zu heiß um bie Hänbe, 
weshalb die Meiften von den Pläben auffprangen, die ihnen der Bauer 
angemwiejen, ausgenommen König Hrolf und feine Kämpen. Da fagte 
des Bauer: „Noch müßt ihr, Herr, eine Auswahl in eurer Schaar 
machen, und ift das mein Rath, daß Keiner die Fahrt fortſetze, als 
thr und eure zwölf Kämpen; nur in biefen Fall ift einige Hoffnung 
eurer Wiederkehr, im andern nicht.“ „So großes Vertrauen, erwi⸗ 
berte Srolf, hab’ ich zu dir gefaßt, Bauer, daß ich deinem Rathe folgen 
will.” Sie blieben drei Nächte dort, worauf ber König mit feinen 
zwölf Kämpen meiterritt, die ganze übrige Schaar aber zurückſandte. 
Jene kamen nach Upfala und ritten zu Königs Adils Halle. Diefer 
fieß fie jcheinbar wohl aufnehmen, befahl aber glei), daß man ihren 
Nofien im Stalle Mähnen und Schweife abjchneiden folle. Die Helben 
zogen in die Halle ein; jeder hatte einen Habicht auf ver Achfel figen, 
König Hrolf den feinigen, der Habrok (der Hochgehoste) hieß. Hrolf 
gieng nicht vorn in der Reihe, da fein Kämpe Spipdag, dem der ſchwe⸗ 
difche Hof befannt war, geratben hatte, nicht merken zu laſſen, meldhes 
der König ſei. König Adils ſaß auf dem Hochſitz, aber es war ein 
ſolches Dunkel um ihn, daß man fein Angeſicht nicht deutlich fehen 
fonnte. Er fidherte den Bäften fein Geleite zu, in der Halle waren 
gleichwohl Fallgruben angebracht und Hinter den Wanbbehängen ſtürzten 
Gemappnde hervor, wurden aber von Htolf und feinen Kämpen haufen 
weife niedergeſtreckt. König Adils fchwoll vor Zorn auf feinem Hochſitz, 
ftellte fi) nun aber, als märe der Angriff gegen feinen Willen ge 
fcheben, und begrüßte fie als feine Freunde. Er ließ ein Langfeuer in 
der Halle anzünden. Auf beiven Seiten desſelben fanden lange Bänke. 
Hroff mit feinen Kämpen, beftänbig die Waffen in den Händen, faß 
auf der einen Seite, Adils mit feinen Hofleuten auf der andern, und 
fo Sprachen fie mit einander. Adils ließ das Feuer immer ftärler an⸗ 
fchüren; er hatte gehört, daß Hrolf ein Gelübde gethan, weder Teuer 








147 


noch Eiſen zu fliehen, und wollte ihn nun dahin bringen, daß er ent- 
weder verbrennen ober fein Gelübbe brechen müfte. Die Bänfe, worauf 
Adils und die Seinigen faßen, waren bereit weiter hinausgerüdt 
worden. Als nun bie Flamme ſchon die Kleider der Gäſte angriff, 
riefen Bödvar und Svipdag: 

Mehren wir das Feuer 

In Adils Burg! 

Hrolfs Kämpen ergriffen nun jeder einen von denen, bie das 
Feuer anfchürten, und warfen fie baren, daß fie zu Aſche verbrannten. 
Damm warfen fie ihre Schilde auf das Feuer, liefen über die brennen 
den Schilde und König Hrolf ſprach: 

Nicht flieht das Feuer, 
Der darüber läuft. 

König Adils war durch Zauber entflohben. (So muß der Hergang 
aus Vergleihung der Eaga mit’der Erzählung der Skalda bergeftellt 
werben; in jeber für fich ift Einiges unklar.) 

Ile, Adils Gemahlin, Hrolf Mutter und Schwelter, hatte in- 
deſs die Ankunft der Fremden erfahren; fie gieng zu Hrolf und begrüßte 
ihn freundlich. Auch beftellte fie einen Mann Namens Böggr Zum 
beſondern Dienfte der Bäfte Als Böggr vor König Hrolf kam, fagte 
er: „Diefer Mann iſt mager und etwas ſchmal (kraki!) von Angeficht; 
it das euer König?" König Hrolf fagte darauf: „Einen Namen baft 
du mir nun gegeben, der feft an mir hängen wird; aber was gibft bu 
mir zur Namenfefte (at nafufesti)?" Vöggr antwortete: „Dazu babe 
ich gar nichts, ich bin ein armer Mann.” „So muß ber geben, ber 
zu geben hat,“ fprach der König, zog einen Goldring von feiner Hand 
und gab ihn dem Manne. Vöggr fagte: „Heil dir, König, für dieſe 
toftbare Gabel“ Hrolf erwiderte: „Vöggr ift mit Wenigem vergnügt.“ 
Hierauf ſprach Vöggr, indem er feinen einen Fuß auf die Bank fegte: 
„Das feierliche Gelübde thu' ich bier, daß ich dich rächen iverbe, wenn 
ich dich überlebe und wenn du von Menfchen überwunden wirft.“ Der 
König veriehte: „Das iſt fchön von dir; aber doch find Andre bier, 
auf die man nicht minder vertrauen darf.” Das ſahen fie nun, daß 
diefer Mann hold und treu war in dem Wenigen, was er vermochte; 
aber fie meinten, es fei auch nur wenig, was er außrichten könnte. 


i Hrolfr kraki, Hrolfus tener. Lex. isl. 1, 473. 


148 


Diefe Geſchichte mit Vöggr, die im Verlauf der Sage bebeutend wird, 
it in der Stalda auf dieſelbe Weife erzählt. Saxo, der fie auch mit 
befondrem Wohlgefallen aufgenommen bat, gibt eine etwas verſchiedene 
Erflärung des Namens und einen weitern, eigentbümlichen Zug (S. 42 f.): 

Hoc loci quiddam memoratu jucundum operi inseratur. Adolescoens 
quidam, Woggo nomine, corpoream Rolvonis magnitudinem attentiori 
contemplatione scrutatus, ingentique ejusdem admiratione captus, per- 
contari per Judibrium copit, quisnam esset iste Krage, quem tanto 
statur® fastigio prodiga rerum natura ditasset, faceto cavillationis genere 
inusitstum proceritatig habitum prosecutus. Dicitur enim lingua danica 
krage trancus, cujus semictsis ramis fastigia conscenduntur, ita. ut pes 
precisorum stipitum obsequio, perinde ac scale beneficio nixus, sensim- 
que ad superiora provectus,. petit celsitudinis compendium assequatur. 
Quem vocis jactum Rolvo perinde ac inclytum sibi cognomen amplexus, 
urbanitatem dicti ingentis armille dono proseguitur. Qua Woggo dex- 
teram excultam extollens, leva per pudoris simulationem post tergum 
reflexa [vgl. Saro B. VIII, ©. 256 unten], ridiculum corporis incessum 
prebuit, prefatus exiguo letari munere, quem sors diutine tenuisset 
inopie. Rogatus, cur ita se gereret, inopem ornamenti manum nullogque 
eultus .beneficio gloriantem, ad aspectum reliqus verecundo paupertatis 
rubore perfundi dicebat. Cujus dicti calliditate consentaneum priori mu- 
nus obtinuit. Siquidem Rolvo manum, que ab ipso occultebatur, exemplo 
religuee in medium accersendam curavit, Nec Woggoni rependendi bene 
ficii cura defuit. Siquidem arctissima voti nuncupatione pollicitus est, si 
Rolvonem ferro perire contigerit, ultionem se ab ejus interfectoribus 
exacturum. Nec prstereundum, quod olim ingressuri curiam proceres 
famulatus sui principia alicujus magn® rei voto principibus obligare s0- 
lebent, virtute tirocinium &uspicantes. 

Sn der Naht kam König Adils vor das Haus, wo bie Gäfe 
Ichliefen, mit einem. großen Heer und legte Feuer an. Die Helden 
wollten nicht fd elend umkommen und rannten fo gewaltig gegen bie 
Wand des feften Haufes an, daß fie hindurdhbrachen!. Draußen erhob 
fih nun ein harter Kampf. Während besfelben fam Hrolfs Habicht 
von der Burg bergeflogen und fette fi) auf des Königs Achfel, ſich 
fo gebervend, als ob er fich eines großen Siege zu rühmen hätte. 
Auch fand man nachher, daß er alle Habichte des Königs Adils 


1 Bol. Saro 8, IV, ©. 142. 


149 


getöbtet hatte, Nicht minder fiegreich Tämpfte fein Herr; König Adils 
war verſchwunden und feine Leute, die noch aufrecht waren, baten um 
Frieden. Hrolf und feine Kämpen giengen hierauf wieber in bie Halle; 
ex ſetzte fih auf ven Hochſitz und bie Kämpen auf die Königebanf, 
Als fie nad) ihren Roffen ſehen ließen, zeigte fich, wie diefe zugerichtet 
waren. Indeſs kam die Königin Yrſa in die Halle, beflagte, daß 
ihr Sohn nit jo aufgenommen worden, wie fie es wünſchte, und 
rieth ihm, nicht länger bier zu verweilen, denn Adils ziehe aus ganz 
Schweben Kriegsvoll zufammen. „Hier, fuhr fie fort, ift ein Silber: 
bom, das ich dir geben will, darin alle die beiten Ringe des Königs 
verwahrt find, auch ber, welcher Spiagris 1 heißt und ben er über alle 
andern ſchätzt.“ Ste gab ihm damit fo viel Gold und Silber, daß es 
feine Schätung zuließ. Darauf ließ fie zwölf Roſſe vorführen, alle 
von rother Farbe, und ein fchneeweißes, das König Hrolf felbft reiten 
follte. Es waren die beiten Pferde des Königs Adils. Auch Schilde, 
Helme und Kleiver gab fie. ihnen, da das Feuer ihre Kleider und 
Waffen verzehrt hatte. Hernach ftiegen fie zu Roſſe und König Hrolf 
nahm liebreich Abjchied von feiner Mutter. Sie nahmen ihren Weg 
von Upfala nieder nach Fyrisvöll (Ebene bei Upfala). Da fah König 
Hrolf vor fi auf dem Wege einen großen Golbring funkeln und der 
Ring erllang, als fie über ihn hinritten. „Der tönt fo laut, weil er 
ungerne allein ift, ” rief der König und warf einen von feinen Gold: 
ringen zu jenem auf den Weg mit den Worten: „Das fol man von 
mir jagen, daß ich das Gold nicht aufbebe, wenn es auch auf dem 
Wege liegt, und auch Feiner meiner Mannen fich erfühnen fol, es auf 
zubeben; denn es ift bieher geworfen, um unjre Fahrt aufzuhalten.” 
Sie gelobten ihm das und indem hörten fie Hörmerllang von allen 
Eden und wurben gewahr, daß eine zahllofe Schaar ihnen nadjagte. 
„Diefe reiten ſtark hinter uns her, fagte Bödvar, und ed wäre mir - 
lieb, wenn fie mit uns zu fchaffen hätten.” „Lafjen wir das!“ ant- 
wortete der König; „fie follen fchon felbjt anhalten.” Damit ftxedte er 
feine Hand nach dem Hom aus, worin das Gold war und das Beigabı 
auf dem Nitte trug. Er fäte nun Gold meithin auf dem Wege über 
ganz Fyrisvöll, jo daß. der Weg wie Gold funfelte. Da fprangen die 


i Lex. isl. II, 355: Sviar, m. pl. [Gen. Svia] Sueci. Sviarfki, n. 
Suecia. Ebendaſ. I, 308: Gris, m. porcellus, porculus, Gris. 


150 


Rachſetzenden von ben Pferden, haſchten nach dem Golde und fchlugen 
fih darum. Als König Adils das ſah, kam er faft von Sinnen und 
verwies feinen Leuten, daß fie das Geringere aufrafften und das 
Größere entwiſchen ließen. „Diefe Schmach wird in alle Lande aus 
geben, daß ihr zwölf Männer vor einer jo zahlloſen Menge entlommen 
ließet, die ich aus allen Gauen Schwedens zufammengezogen.” Künig 
Adils eilte nun Allen voran, denn er war ber Bornigfte, und bie 
Menge folgte ihm nad. Als König Hrolf ihn zunächſt hinter fich fah, 
nahm er den Ring Sviagris hervor und warf ihn auf den Weg. So: 
bald Adils den Ring erblickte, ſprach ex: „Holder, als ih, war dem 
König Hrolf, mer ihm biefes Kleinob gab; jet aber foll es mein fein 
und nicht König Hrolfs.“ Hierauf ftredite er den Speerichaft nach dem 
Ringe, aber indem er ben Spieß in die Öffnung besfelben ſtach, bog 
er ſich ſtark auf dem Pferde. Hrolf warb das gewahr, wandte fein 
Roſs ſchnell um und fprach: „Schweingebogen 1 hab ich nun ben, der 
der Schweden mächtigſter iſt. Indem nun Abils den Speerfchaft und 
damit den Ring an fich zieben wollte, hieb ihm Hrolf die ganze Hinter- 
feite hinweg mit feinem Schwerte Stöfnung, dem beften aller Schwerter, 
die in Nordlanden getragen worden. König Adils mufte in dieſem 
fchlimmen Buftande heimkehren; Hrolf aber nahm wieder ben Ring 
Spiagris. Sp trennten fie ſich für dieſes Mal und man bat Feine 
Sage davon, daß fie nachher wieder zufammentrafen. 

Saxo, der überhaupt über den ſchwediſchen Zug andre Sagen vor 
ſich hatte, ba er in vielen Umftänden abweicht, erzählt die Demüthi- 
gung bes Könige Adils fo (S. 41 [1, 86 Müller)): 

Videns igitur Atislus donatum Rolvoni torquem inter alia auri in- 
signia relictum, intimum avaritiee sue pignus curiosius contemplatus, ut 
preedam exeiperet, affıxis humo genibus cupiditati majestatem inclinare 
sustinuit. Quem Rolvo tollend® pecunie gratia pronum demissumque con- 
spiciens, propriis prostratum muneribus risit, perinde ac cupide repeten- 
tem, quod callide tribuisset. 

König Hrolf und feine Kämpen ritten ibres Weges meiter. Als 
die Nacht einfiel, Tamen fie zu einem Hof; vor der Thüre ſtand der 


1 ©ebogen, wie ein Schweingrüden (svinbefgda ek nu Pann, sem 
Svianna er rikastr) [S. 93. K.]. Wortipiel des Nachbarhafſes; wohl and 
Anfpielung auf Sviagris, nad) dem Schweine, dem Ferkel, gebogen. . 


151 


Bauer Hrani, der ihnen alle Gaftfreiheit erbot und bemerkte, baß ihre 
Fahrt nicht viel anders ausgefallen fei, als er vorausgeſagt. „Hier 
find Waffen, die ich dir geben will,“ fagte Hrani weiter. „Furcht⸗ 
bare Waffen find das,” fagte der König Es war Schild, Schwert 
und Brünne Hrolf wollte fie nicht annehmen; barüber warb Hrani 
zornig und es fchien ihm damit große Unehre geſchehen zu fein. „Nicht 
bift du immer fo weile, wie bu bir däuchſt“, ſprach er. An Nacht⸗ 
berberge war nun nicht mehr zu denken, fie ritten ohne Abfchied fürber, 
obgleich die Nacht fehr finfter war. Noch waren fie nicht weit gelommen, 
als Bodvar Bari anhielt und ſprach: „Zu ſpät befinnen ſich Unkluge; 
fo gebt es jet mir; es ahnt mir, daß mir nicht weislich gehandelt 
haben, indem wir uns jelbft den Sieg verjagten.” König Hrolf fagte: 
„Dasſelbe ahnet mir; dieſer Mann mag Din der Alte geivefen fein, 
und in Wahrheit er war einäugig.”“ „Laßt uns fchnell umkehren, 
fagte Spipbag, dab wir Gewiſsheit erhalten!” Sie ritten nun zurüd, 
aber da war Hof und Bauer verſchwunden. Nun zogen fie ihres 
Weges und.Tamen mwieber nah Dänemark. Den Rath gab Böbvar 
dem Konig, daß er von der Zeit an nicht viel in Kampf ziehen follte, 
denn e3 fei zu befürdhten, daß er fortan nicht mehr fo fiegreich fein 
werbe, wie zuvor. „Das Schichſal rathet. über jedes Mannes Leben, 
fagte der König, (und nicht jener böſe Geiſt).“ „Dich möchten wir zuletzt 
verlieren, erwiberte Bödvar, wenn wir zu walten hätten; aber ich babe 
ſchwere Ahnung, daß in Kurzem große Ereignifie über uns alle kommen 
werben.” Bon dieſer Fahrt nach Schweden wurden fie jehr berühmt. 

Dieß der Hauptinhalt defien, was wir nach der obigen Eintheilung 
al3 den zweiten mittlern Theil der Saga zu betrachten haben. Die 
bangen Ahnungen am Schluſſe besfelben geben im britten Theil in 
Erfüllung (C. 47 bis 52). 

Geraume Zeit ſaßen jet König Hrolf und feine Kämpen im 


Frieden in Dänemark. Niemand griff fie an; alle Könige, die Hrolf . 


fih ſchatzpflichtig gemacht, blieben in Gehorfam und bezahlten, was 
ihnen auferlegt war. So that auch Hidward, Hrolfs Schwager. 
König Hrolf hatte eine Halbſchweſter, Skuld, die fein Vater Helgi mit 
einer Alfın (älfkona, ©. 15) erzeugt hatte. Ste war mit dem Unter: 
könig Hjörvard vermählt (C. 23) und konnte nicht ertragen, daß ihr 
Gemahl ihrem Bruder Schabung entrichten follte. Dieſes Joch abzu- 


152 


werfen, reizte fie ihren Gemahl auf und feinen Zweifeln hielt fie 
entgegen, wie König Hrolf felbft ahne, daß ber Sieg von ihm gewichen 
ſei. Skuld war fehr.liftig und, vermöge ihres Urſprungs, eine große 
Zauberin. Unter dem Vorwand, dem Könige die Schaung zu brin« 
gen, die er für brei Jahre hatte zufammen kommen laflen, fuhren 
Skuld und Hjöward mit einem großen Heere nach Ledra. In ihrem 
Gefolge waren Alfe, Normen und unzählige andre böfe Weſen. Skulds 
Bauberkunft wuſte den ganzen Anfchlag zu verhüllen. Es war bie 
Zeit des Julfeſtes; der König hatte zur Feier dezfelben große Anftalten 
getroffen und feine Männer tranken ſtark den Julabend, als Stulb 
und Hidrvard ihre Zelte vor Ledra auffchlugen. Viele Wagen waren, 
ftatt der Schagung, mit Waffen und Rüftzeug angefüllt. Denjelben 
Abend war Hjalti vor die Burg gegangen, um feine Geliebte zu be 
fuchen. Er ſah, daß das Feld rings um die Burg mit geiwaffneten 
Schaaren befegt mar, gieng darauf vor die Halle, wo König Hrolf 
und feine Kämpen faßen, und rief: „Wach auf, König! Tinfriebe ift 
vor der Burg; Kampf ift nöthiger, als fchöne Frauen zu halfen; menig 
wird das Gold in der Halle vermehrt werben burch deiner Schmefter 
Schatung.” Seinen Genoſſen rief Hialti zu: „Laßt uns des Königs 
Heer führen, der nie an uns gejpart bat! Takt uns unfre Gelübbe 
erfüllen, den berrlichften König, der in Norblanden ift, zu vertheidigen! 
In allen Landen fol man hören, daß mir ihm Waffen und Heerfleiber 
und fo viel andre Wohlthaten vergolten, wie wir fchulbig find. Große 
Vorzeichen find vorausgegangen und es kann gefchehen, daß König 
Hrolf zum lettenmale mit feinen Kämpen und Hofmännern trinkt. 
Auf nun, ihr Kämpen alle, und waffnet euch!” Auf fprangen die 
Kämpen alle, auch König Hrolf fprang auf; doch ſprach er furchtlos: 
„Holt uns ben beften Trank! wir ſollen erft trinfen und fröhlich fein 
und dann zeigen, melde Männer Hrolfs Kämpen find; ftreben wir 
darnach, daß unfre Mannheit im Gedächtnis fei! Sagt Hjörvard 
und Skuld und ihren Mannen, daß wir uns fröhlich trinfen, eb mir 
die Schakung empfangen!” Wie ver König gebot, jo geſchah ed. Als 
fie nun getrunfen, fprang König Hrolf vom Hochſitz auf und mit ihm 
zogen alle jene Kämpen aus, Bödvar Bjarlin ausgenommen. Ihn 
fahen fie nirgends, was fie jehr wunderte, und fie befürchteten, er fei 
gefangen oder erfchlagen. Draußen erhob fih nun ein ſchrecklicher 


153 


Kampf und ber Boden warb mit Leichen bereit. Da ſprach Hialti: 


 „Brünnen find viele zerihlagen und Waffen entzweigebrochen, Helme 


zerhauen und manch ‚Leder Reiter vom Roſſe geftoßen; aber unfer König 
iſt noch friſchen Muths, er iſt fo fröhlich, wie ba er faß und tranf; 
er ſchwingt fein Schwert mit beiven Händen, zwölf Männer Städde 
Scheint er zu haben, manch tapfern Mann bat er gefällt und nun fol 
Hjörvard feben, daß das Schwert Stöfnung beißt und laut in ihre 
Hirnſchaalen fingt (gnestr)!* Denn das war bie Art Sköfnungs, 
daß es laut auflang (kvad vid hatt), wenn es auf Knochen traf. In 
dieſem Kampfe ſahen Hidrwarb und feine Mannen, daß ein großer 
und ftarter Bär dicht vor König Hrolf bergieng. Hieb⸗ und Schuß 
waffen glitten ohne Wirkung an ihm ab, er ftürzte Männer und Roſſe 
nieder und zermalmte die Leute mit Klauen und Zähnen, fo daß ſich 
ein klägliches Geheul in Hjörvards Heer erhob. Hialti ſah fi um 
und vermifste noch immer feinen Freund Bödvar. Da lief er zurück 
zu ber Königähalle und bier jah er Bödvarn ganz müßig fiten. „Auf, 
Bodvar Bjarki! rief er, over ich verbrenne bad Haus und dich mit; 
das ift eine Hauptichande für einen Kämpen, wie du bift, baß ber 
König fich für uns in Gefahr fegen fol.” Bödvar ſtand auf, em 
feufzte und fpradh: „Richt darfft du mich fchreden, Hjalti! nicht zaghaft 
bin ich und bin bereit, mitzuzieben; als ich jung war, floh ich weder 
Feuer noch Eifen; Feuer hab ich nicht oft verfucht, aber Eifen hab’ ich 
manchmal ausgehalten. Hier aber haben wir gegen größere Wunber 
zu flreiten, als je zuvor. Du aber, Hjalti, bift mit deinem Bornehmen 
dem König nicht zu jo großem Dienfte geweſen, wie du glaubft; denn 
fo weit war ed nun faft gefommen, daß man nicht wuſte, zu wem ber 
Sieg fih wenden würde. Keiner, als du ober ber König, wär im 
Stande getvefen, mich herauszurufen, jeden Andern würd' ich erfchlagen 
haben. Seht aber nahet, mas werden fol, fein Rath Tann helfen, 
und ich fage dir, daß ich jebt dem König weniger frommen mag, al? 
bevor du mich riefeft.” Bödvar gieng nun hinaus zum Kampfe; ba 
verſchwand der Bär und der Kampf warb fchwieriger für Hrolfs 
Schaar. Denn die Königin Skuld, bie in einem fchwarzen Belt auf 
ihrem Zaubergerüfte (seidbjall) faß, hatte nicht mit ihren Künften 
herankommen Tönnen, fo lange der Bär in Bödvars Heere war. Seht 
fam aus ‚Hjörbarbs Heer ein ungebeurer, wolfgrauer Eber, aus befien 


154 


Borken Pfeile flogen und Hrolfs Hofmänner haufenweiſe töbteten. 
Bodvar Biarli Tümpfte wie raſend, feine Arme waren blutig bis zu 
den Achſeln und Leichen Ingen ring: um ihn aufgehäuft. Aber fo 
viele Feinde er und andre Kämpen Hrolfs erfchlugen, fo wurde bodh 
Giobrvards und Stulps Heer niemals dünner. Da ſprach Böbvar: 
„Hier fteben die Todten wieder auf und ſtreiten gegen uns; ſchwer iſt's, 
gegen Tobte (vid drauga) zu Tämpfen.” Auch Hjalti ſprach: „Dünkt 
es mir/ gleich, daß ich viel Volles erfchlage, vermag ich doch nicht alle 
bie Hiebe zu vergelten, die ich empfange; boch will ich mich nicht fparen, 
wenn wir heute Abend in Valhall follen zu Gafte fein.“ - Wieder 
fagte Bödvar: „In zwölf großen Schlachten hab’ ich gelämpft, aber 
nicht Schwing’ ich jetzt mein Schwert freubig tie zubor. Dem König 
Hibrvard bieb ih Hand und Fuß weg, ein zweiter Hieb Tpaltete feinen 
Rüden und er athmete nicht mehr; aber jebt ftreitet er jo rüftig, als 
zuvor. Hier find fo viele und gewaltige Männer aus allen Eden ber 
Welt zufammengelommen, daß man ben Kampf nicht gegen fie aus 
halten Tann. Aber Odin kann ich nicht unter ihnen erfennen, und 
boch zweifl ich nicht, daß er bier unter uns ſchwebt, ber treulofe Sohn 
Herjans; könnte mir ihn Jemand zeigen, ich wollt’ ihn zermalmen, wie 
einen Andern, ben Geringften und Elenveften.” Hialti jagte: „ Nicht 


ift das Schiefal leicht zu beugen.” König Hrolf wehrte fi mannlih, 


man brang hart auf ihn ein und bie ausgefuchteften Männer des feind⸗ 
lichen Heeres fchlugen einen Kreis um ihn. Stuld war nun felbft 
auch zum Kampfe gelommen und trieb ihre Ungeheuer gegen Hrolf an, 
denn ſie ſah, daß feine Kämpen ihm nicht nahe waren. Das war 
eben, was Bodvarn und andre Kämpen ſchmerzte, daß fie ihrem Herrn 
nicht Hälfe bieten konnten; denn fie waren jetzt ebenfo begierig, mit 
ihm zu fterben, wie fonft mit ihm zu leben, als fie in ihrer Jugend⸗ 
blüthe ſtanden. Alle Hofmänner König Hrolfs waren num gefallen und 
die meiften feiner Kämpen waren töbtlich verwundet. . Da erhöb ſich ein 
folches zauberhaftes Ungewitter, daß fie alle, Einer über den Anbern, 
ftürzten. Run fiel auch König Hrolf. Aber auch König Hjdrvarb und fein 
ganzes Heer war gefallen; nur einige Böſewichte blieben mit Skuld übrig. 
Doc fand auch fie ihren Untergang durch ein Heer, das Bödvars Brüder 
mit Hülfe' der Königin Yrja zufammengebracht hatten und deſſen Haupt 
anführer Böggr war. Über König Hrolf warb ein Hügel aufgeworfen 








155 


und fein Schwert Stöfnung an feine Seite gelegt; auch für jeden feiner 
Kämpen warb ein Grabbügel aufgetvorfen und Waffen barein gelegt. 
Und enbet hier die Saga vom König Hrolf Kraki und feinen Kämpen. 

Aber gerade diefer letzte und bebeutenbfte Theil der Saga bebarf 
mweientlich der Ergänzung durch die Darftellung Saxos. | 

Bei ibm feiert Hrolf die Ankunft Hiarthwars und Sculdas durch 
ein großes Gaftmahl. Die Fremden (Sueones) halten fich jehr nüchtern 
und in der Nadıt, al3 die Dänen im tiefen Schlafe liegen, holen fie 
die Waffen hervor, die fie verftohlener Weile, ſtatt des Tributs, mit 
gebracht; fie dringen dann in bie Burg und überfallen die Schlaf 
trunfenen. Den meilten Raum bei Saro nehmen jedoch die wieberholten 
Aufrufe Hjaltos an Biarco und des Lehtern Antworten ein, durchaus 
in lateinifchen Hexametern. Daß babei ein heimilches Lieb zu Grunde 
liege, wirb dießmal ausbrüdlich gejagt (©. 52): . 

Hanc maxime exhortationum seriem ideirco metrica ratione compe- 
gerim, quod earundem sententiaram intellecstus, danici cujusdam carminis 
compendio digestus, a compluribus antiquitatis peritis memoriter usurpatur 1. 

Zuerft ruft Hialto vor Biarcos Gemach u. A. (©. 44): 

Diseutiant somnum proceres, stupor improbus abeitl u. |. w. 

Non ego virgineos jubeo cognoscere ludos, 

Nec teneras tractare genas, aut dulcia nuptis 

Oscula conferre u. |. w. 

Non liquidum captare merum u. ſ. w. 

Evoco vos ad amara magis certamina Martis u. ſ. w. 

Quisquis amicitiam regis colit, arma capessat! 

Biarco, des an diefem Auf erwacht, mwedt feinen Diener (cubi 
cularium suum Scalcum, mas für fich fchon Knecht heikt, Grimm, 
Rechtsalterth. S. 302) und heißt ihn Feuer aufmachen: 

Surge puer, crebroque ignem spiramine pascel u. |. m. 

Proderit admota digitos extendere fiamma, 

Quippe calere manu debet, qui curat amicum u. |. w. 

(Das Lebtere Scheint ein nordiſches Sprüchwort zu fein.) Wieder 
mahnt Hialto, dem Könige feine Wohlthaten zu vergelten: 

1 Müller (Sagnhift. 34) hat librigens ausgeführt, daß Saro zwei ver- 
jchiedene Lieder unmittelbar an einander gereiht habe, wovon eines ben Aufruf 
Hialtos au den zögernden Bjarki, das andre ihre Wechjelreden in der Schlacht 
enthalten haben müffe, entfprechend der Darftellung der Saga. 


156 


Duloe est, nos domino pero&pta rependere dona ı. f. w. 
Enses theutonici, galew armillsque nitentes, 
Loric® talo immissee, quas contulit olim 
Rolvo suis, memores acuant in prwelia mentes ı. |. w. 

. . vultuque sub illo 
Ducamas tristes, quo dulces hausimus annos. 
Omnia, que poti temulento prompsimus ore, 
Fortibus edamus animis, et vota sequamur 
Per summum jurata Jovem superosque potentes u. ſ. w. 
Nemo enses tergo excipiat: pugnacia Bemper 
Pectora vulneribus pateant. Certamina prima 
Fronte gerunt aquile et rapidis se rictibus urgent 
Anteriore loco; species vos alitis eequet 
Adverso nullam metuentes corpore plagam. 

Nachdem Hjalto felbft eine große Nieberlage unter den Feinden 
angerichtet, kommt er zum brittenmal vor Biarcos Schlafgemacd und 
ruft ihm Vorwürfe und Drohungen zu [S. 47]: 

Ut quid abes, Biarco? num te sopor occupat altus? 
Quid tibi, queso, more est? aut exi, aut igne premeris. 
Elige quod prestat, eis concurrite mecum | 

lgne ursos arcere licet, penetralia flammis 

Spargamus, primosque petant incendia postes! 

Die, melde dem König treuer ergeben feien, heißt Hialto feft zw 
fammenftehn und erinnert fie, wie Rolf die Schäge Roriks unter feine 
Kriegögefährten vertheilt, wie folches oben angeführt worden!. Er 
ſchließt diefen Aufruf (©. 48): 

Quid clausis agitur foribus, quid pessula valvas 
Juncta seris cohibent? etenim jam tertia te vox, 
Biarco, ciet, clausoque jubet procedere tecto. 

Nun erhebt ſich Biarco: 

Quid me Rolvonis generum ?, quid, bellice Hialto, 
Tanta voce cies? u. |. w. 


1 $n dieſem dritten Aufruf iſt Rolf ef noch lebend, dann als ſchon gefallen 
angenommen. 

2 Gener Tann bier nur Schwager heißen; Biarki hatte nad) Saxos eigener 
Erzählung Rolfs Schweſter Ruta zur Gemahlin erhalten. Nach der Hrolfs- 
Saga aber (&. 87) war es des Königs Tochter Drifa. 





— — — — — —— 


157 


Er mahnt jetzt felbft zum verzweifelten Racelampf (mad ſchon 
zum zweiten Liebe zu gehören fcheint) : 

In tergum redeant clypei, pugnemus apertis 
Pectoribus, totosque auro densate lacertos, 

» Armillss dextr® excipiant, quo fortius ictus 
Collibrare queant et amarum figere vulnus! 

Die Goldringe, die fie von der Freigebigleit des Königs, tie 
namentlich Hialto, an Arm und Hand tragen, follen dazu dienen, bie 
Wucht der Hiebe zu verftärten, womit fie ihren nun gefallenen Herrn 
rächen. 

Nemo pedem referat, certatim quisque subire 

Hostiles studeat gladios hasiasque minaces, 

Ut charum uleiscamur herum. Super omnia felix, 

Qui tanto sceleri vindictam impendere possit ı. |. w. 

Es folgen weitere Wechjelveden Hialtos, Biarcos und feiner Ge 
mahlin Ruta, während des Kampfes, ähnlich denen in ber Saga. 
Hialto geftebt [S. 51 Klok. I, 106 Müller]: 

Et nunc, Biarco, viges, quanquam eunctatior quo 
Extiteris » damnamque more probitate repensas. 

Biarco fragt Rutan: 

Et nanc ille ubi sit, qui vulgo dicitur Othin, 
Armipotens, uno semper contentus ocello? 
Die mihi, Ruta, precor, usquam si conspicis illum |! 

Hierauf Ruta: 

Adde oculum propius et nostras prospice chelas 1, 
Ante sacratarus victriei lumina signo, 
Si vis presentem tuto cognoscere Martem. 


1 Chels, znin, Krebsiheere, and Klaue; bier Fingernägel, Finger? 
Finn Magnufen, Lex. myth. S. 805: Pro more superstitiosorum Islandorum 
et pl. qui spectra se videre posse opinantur, quam chele (Plinii auctoritate) 
brachis, hic autem proprie in latus reflexa denotent, Sic ingeniose diffi- 
cilem hune locum explicarunt Stephaniug et Br. Svenonius n. ſ. w. [Müller 
zum Saro 1, 106: Accedens pröspice sub alis meis, per aperturam inter 
brachia mea et latera intende oculos. Vgl. ebendaf. 2, 99 big 101. 8.] Auch die 
Stelle von Orvar Odd wird angeführt. Das Beichen wird für Thors Hammer 
ertlärt, der alle dämoniſche Augenbiendung vertreibe. Bgl, Müllers Sagn⸗ 
bifl. 35 u. 


158 


Odin wirb Biarcon erft fidhtbar, indem biefer unter Autas Hand 
oder Arm bin fieht und über feine Augen ein Zeichen macht. Daß 
man auf foldhe befondere Weiſe zum Anblid fonft unfichtbarer Weſen 
gelangen Tonnte, zeigt auch eine Stelle in der Saga von Orvarodd 
. (8. 38). Diefer wird in einer Schlacht, wo Bauberivefen gegen ihm 
ftreiten, biefelben erft gewahr, als ihn ein Mann mit Namen Hal _ 
unter feine Hand ſehen beißt; unter biefer Hand fchießt er dann auch 
feine Pfeile dahin ab. 

Biareo erwidert: 

8i potero horrendum Frigge spectare maritum, 
Quantumcunque albo clypeo sit tectus et altum 
Flectat equum, Lethra nequaquam sospes abibit: 
Fas est belligerum bello prosternere divum. 
Enblich vevet er noch einmal feinen Freund Hialto an: 
Ad caput extincti moriar ducis obrutus, ac tu 
Ejusdem pedibus moriendo allabere pronus, 
Ut videst, quisquis congesta cadavera lustrat, 
Qualiter acceptum domino pensavimus aurum. 
Preeda erimus oorvis, aquilisque rapacibus esca, 
Vesceturque vorax nostri dape corporis ales. 
Sic belli intrepidos proceres occumbere par est, 
DUlustrem socio complexos funere regem. 

Dur das biöherige gibt uns Saxo über ben Inhalt der islän- 
diſchen Saga mehr nur einzelne lebendige Züge und läßt uns überhaupt 
das alte Lied, das als Grundlage beiber Erzählungen zu betrachten 
ift, vollftändiger erfennen. Nothwendiger Schlußftein des Ganzen iſt 
dagegen, was Saro noch von Vöggrs Rache meldet. Hievon ift bie 
Erzählung der Saga eine fehr verkümmerte: Hidrbvar iſt in ber 
Schlacht gefallen und Böggr ift der Anführer eines Heeres, das nad 
ber gefammelt worden, um an Skuld Rache zu nehmen 1. Den echten 
Schluß des tragifchen Heldenfpield bat aber offenbar nur Saro in 
Holgendem : 

Bon Rolfs Heere war Niemand mehr übrig, ald Woggo, der 
einft, als ihm Rolf zur Namenfefte den goldnen Armring gegeben, ben 
Tod des Königs zu rächen gelobt hatte. Hiartwar ſaß fröhlich" beim 


1 Srolfs ©. €. 52 bezieht fi) auf ein Fröda Pättr. 


159 


Siegesmahl und äußerte feine Verwunderung, daß von fo vielen 
Kriegern Rolfs fich Feiner durch Flucht over Gefangenfchaft gerettet babe. 
Er klagte das Schickſal an, daß es ihm nicht einen Einzigen ber treuen 
Männer übrig gelafien, deren Dienft ihm ſelbſt jo erwünſcht fein 
würde. Als man ibm nun Woggon vorführte, war er darüber, mie 
über ein werthes Geſchenk, erfreut und fragte, ob jener ihm dienen 
wolle. Dem Bejahenden bot er das bloße Schwert. Woggo wies bie 
Spitze zurüd und verlangte das Heft. So fei e8 Nolfs Sitte getvefen, 
wenn er feinen Kämpen das Schwert gereicht. (Olim namque se re- 
gum clientele daturi tacto gladii capulo obsequium polliceri sole- 
bant, fügt Saxo erläuternd bei; über dad Schwören auf den Schwert 
Inopf vgl. Grimm, Rechtsalt. 166.) Woggo faßte nun das Heft und 
fieß die Spike durch Hiartwarn, die Rache erfüllend, die er bem 
König Rolf angelobt. Dann bot er freudig feine Bruſt den auf ihn 
einftürzenden Kriegäleuten Hiartivard dar. Sp warb das Siegesmahl 
zur Leichenfeier: 

Clarım ac semper memorabilem virum, qui, voto fortiter expleto, 
mortem sponte complexus suo ministerio mensas tyranni sanguine maon- 
lavit. Neque enim oceidentium manus vivax animi virtus expavit, cum 
prins a se loc», quibus Rolvo assueverat, interfectoris ejus cruore resperss 
cognosceret. 

Mas die Sage von Hrolf Kraki, von ber Beit an, wo feine Käm⸗ 
pen zuerſt ſich in feiner Halle fammeln, bis dahin, wo fie alle mit ihm 
‚untergehen, zur Einheit verbindet, ift die in Hrolfs Charakter voran 
ftehende Eigenfchaft der Milde, der königlichen Freigebigfeit. 

hm, der immer auf bie erfte Bitte gewährt, der nichts für fich 
behält, find feine Gegner auch durch Charakterverichiedenbeit entgegen: 
gelegt: jener Rorik, deſſen in ven Verſen bei Saro gedacht wird, ber 
keine Bertheiviger hatte, weil er allein über feinem Golde brütete, und 
der dann all dieß Gold vor die Thore der Stabt fchütten mufte, wo 
e3 Hrolf den Seinigen 'austheilte; dann ber geizige König Adils im 
Schweden, ber vor dem Ringe Spiagris ſchweingebogen twird, während 
Hrolf dem klingenden Ring auf dem Wege einen andern zur Gefell: . 
haft hinwirft und weithin über Fyrisvöll Gold ausfät, wie einft 
feines Ahns Bruder Frodi Gold gemahlen hatte. Die gewaltigften 
Kämpen der Nordlande bat der Ruf von Hrolfe Milde zu ihm geführt; 


"160 


die Waffen, mit denen er fie ausftattet, brauchen fie in feinem Dienfte; 

die Golbringe, die er an ihren Arm geftreift, machen ihren Schwert 
Schlag gewichtiger im Kampfe für ihn; ber, den er zur Namenfefte be 
ſchenkt, ftatt von ihm beichenkt zu werden, wird fein Räder; ben 
Wein, den er ihnen fo fröhlich zutrank, wergelten fie mit ihrem Blute, 
und mie fie mit ihm lebensfroh in ber gaftlichen Halle ſaßen, fo liegen 
fie draußen auf der Wahlftätte tobt zu Haupt und Füßen ihres erſchla⸗ 
genen Könige. | | 

Mildingr ift in ver Skaldenſprache eine bichteriihe Benennung 
für König. (Sn. Edd. 190. Mildingr, largitor, auch audmildingr, 
femildingr; mildi, f. munificentia; mildr, largus, Lex. isl. 77 ff. 
audr, m. opes, divitie; f&, n. pecunia; jene3 unbewegliche, biejes 
fahrende Habe.) Durch alle germanifche Sagenkreiſe eriheint dieſe Milde, 
die unbegrenzte Freigebigkeit des Herrn gegen feine Reden, als eine 
nothwendige Eigenschaft jedes echten Heldenkönigs. Das Verhältnis 
wird aber dadurch keineswegs zu einem gemeinen Zohnbienfte. Es ift 
ein gegenfeitiges rüdhaltlofes Hingeben bes Beten, was jeber hat; ber 
König part nicht feinen Reichthum, die Reden ſparen nicht ihre Kraft 
und ihr Leben; jo hörten wir es in den Aufrufen Hjaltis und Bjarkis 
und fo ergibt es die ganze Handlung der Hrolfsfagee Wenn aber in 
andern Sagen bie Fönigliche Freigebigkeit mehr nur als einzelner Be- 
ſtandtheil hervortritt, fo können wir bie Geſchichte von Hrolf und feinen 
Kämpen als die eigentlichfte Sage der Königsmilde bezeichnen. Er iſt 
der Milding der Mildinge und feine ganze Heldenbahn funkelt vom 
auögeftreuten Golbe. 

So viel vom Grundgevanten des Ganzen. Im Beſondern erfordert 
das eingewobene Mythiſche einige erläuternde Bemerkungen. Auch in dieſer 
Sage waltet Odin. Als der Bauer Hrani (rani, m. rostrum, Rüſſel, 
Lex. isl, 193« ) beberbergt er den König Hrolf und fein Gefolge auf 
dem Zuge nad Upſala. Auf Hrolfs Zweifel, ob er fie Alle aufnehmen 
könne, entgegnet er lachenb: „Nicht wenigere Männer hab ich manch⸗ 
mal kommen fehen, da wo ich geweſen bin“ (E. 39), Damit ift un- 
vertennbar fein Heldenſaal Valhall angebeutet, wohin bie Einberien 
in zabllofer Menge zu ihm kommen. Wie fodann Hrani die Ausbauer 
der Gefährten Hrolfs mit Kälte, Durft und Feuer prüft, darin zeigt 
fi) ganz der kampfwerbende Gott, der die Helden erzieht und fräftigt; 





161 


L) 


und von bemfelben Geifte zeugt der’ kühne Rath, den er dem Könige 
gibt, erſt die Hälfte feiner Schaar und dann Alle bis auf die zwölf 
erlefenen Rämpen zurückzuſenden, inbem er von den wenigen Geprüften, 
nicht von ben Vielen, die in ber Prüfung nicht beftanden, fein Heil 
zu erwarten habe. Minder Har ericheint fowohl in der Saga, als bei 
Saxo, das nachherige Verhältnis der. Helden zu Odin. Diefer wirb 
baburch gegen fie aufgebracht, daß fie fein Waffengefchen? nicht as: 
nehmen wollen, entzieht ihnen fortan den Sieg und Tämpft ſelbſt in 
der legten Schlacht im Heer ihrer Feinde. Dabei läßt nun bie Saga 
(6. 47) den König äußern: „E3 hilft nieht, nad ihm ſdem verſchwun⸗ 
denen Hrani, in dem er felbft Odin vermutbet bat] zu fuchen, denn 
es if ein böfer Geil.” Und ferner: „Das Schickſal waltet über jebes 
Mannes Leben und nicht jener böfe Geiſt.“ Auch meldet die Saga 
- weiterhin (©. 48): - 

Davon hat man keine Nachrichten, daß Künig Hrolf ober feine Kämpen 
jemals den Böttern follten geopfert haben; vielmehr glaubten fie au ihre eigene 
Macht und Stärke. Denn zu der Beit war der heilige Glaube noch nicht hier 
in Morblanden verkündigt und die, welche im nördlichen Theile der Welt 
wohnten, hatten nur wenig Erlenchtung fiber ihren Schöpfer. 

Im Rampfe ſelbſt (C. 51) ſchilt Bjarki auf den ſchlechten unb 
treuloſen Herjans⸗ Sohn (Herjan, imperator, dux, devastator, Lex. 
myth. 155, iſt aber ein Name Odins ſelbſt) und droht, dieſes giftige 
Weſen wie eine junge Maus zu zerdrücken. Endlich (C. 52) folgt 
noch die Fromme Betrachtung: 

Und es ging nun, wie zu erwarten war, fagte Meifter Gmalterus, DaB 
Menfhenträfte jolchen Zenfelskräften nicht widerſtehen können ohne @ottes Bei- 
fand; und das Eine verhinderte deinen Sieg, König Hrolf, daß du keine Er- 
leuchtung über deinen Schöpfer hattefl. 

Wer diefer Meifter Gualterus oder Walther war, weiß man nicht; 
Müller (IL, 518 ff.) vermuthet in ihm einen fremben Geiftlichen, dem 
der Sagafchreiber einmal von Hrolfs Niederlage erzählt haben mochte. 
Aus allem Bisherigen aber ergibt ſich, daß die isländiſche Saga, bie 
in ihrer jeßigen Form und Zuſammenſetzung nad Müllers Annahme 
(il, 522) nicht älter ift, als aus dem 14ten Jahrhundert, die heibni- 
ſchen Vorftellungen mit hriftlichen vermengt bat. Saro, ver ein volles 
Jahrhundert älter iſt, berichtet nichts vom Bauer Hrani, mohl aber 

Ublen», Schriften VI. 11 - 


® 


162 


die Drohung Bjarkis gegen Odin. Soll nun das Echte vom Unechten 
geſchieden werben, fo ift e8 allervings ber mythiſchen Vorftellung ge 
mäß, ben Untergang ber bisher fiegreichen Helden als eine Folge befien 
dayuftellen, daß Ddin, der Siegvater, wie einer feiner Namen lautet, 
fih von ihnen abgewendet. Die bloße Nichtannahme des Waffen: 
geſchenks fcheint zwar Tein ganz genügender Grund diefer Ungunft zu 
fein; wohl mdglih aber, daß hiebei irgend ein fagenhafter Zug ver 
wilcht worden. Als: unechter Zuſatz ift zu betrachten, daß Hrolf Dbim 
einen böjen Geift nennt und daß er und feine Kämpen niemals den 
Gottern geopfert, fondern auf eigene Kraft vertraut haben follen. 
Leute von diefer Gefinnung lommen zwar in mehrern andern Sagan 
vor und aus folchen ift wohl auch Die Sache hieher übertragen. Aber 
in unfrer Saga entftebt hiedurch ein: offenbarer Widerſpruch, denn 
Hrolf und feine Helden glauben gar ſehr an Odin; fobalb fie 

en, daß Hrani fein Andrer, al3 der einäugige Odin, geweſen, fuchen 
fie den Weg zu ihm zurüd, und als fie ibn nicht mehr finden, äußert 
Biarli die Beforgnis, daß nun ber Sieg vom Könige gewidhen; im 
letzten Kampf aber ruft Hjalti feinem Freunde zu, heut Abend mer 
‚den fie in Valhall zu Gafte fein. Dieſe Züge haben echt norbifches 
Gepräge, und mas mit ihnen im Wiberfpruche fteht, muß zurückgewieſen 
werden. Dahin aber find Bjarkis Drohungen gegen Odin nicht zu 
rechnen, in benen ſich der Troß der Verzweiflung ausfpricht; ber Kampf 
der Helden gegen die Götter findet fi auch im Epos andrer Voller. 
Daß endlich Dbin felbft in der Schlacht erfcheint und denen, die fonft 
feine Günftlinge waren, Werberben bringt, wird uns nod mehrmals 
in der nordiſchen Helbenfage vorfommen und kann uns nicht befrem: 
den, ba wir aus der Götterfage wiflen, wie Odin nad den Seelen 
der Tapfern dürftet und wie die Helden, auf welcher Seite fie fallen, 
doch bei ihm in Balball zufammentommen. 

Erläuterung heiſcht ferner Bbdvar Bjarkis Zögern bein: Begink 
des Iekten Kampfes, wodurch die Aufrufe Hjaltis an ihn veranlaßt 
find. Weder Saro noch die Saga erklärt fich hierüber ausdrücklich 
beide laſſen bier ein gewiſſes Geheimnis walten, aber dennoch ergibt 
ih, beſonders aus der Iehtern, folgender Zufammenhang. So lange 
Biarfi unbeweglich zu Haufe bleibt, kämpft der wüthende Bär vor 
dem König ber und bringt Zerftörung in das feimbliche Heer; fobalb 





168 


aber Bjarli, durch Hjaltis wieberholte Mahnung “gewedt, ſich zum 
Kampf erhebt, ift der Bär verfchwunben und bie Kraft des Helden 
vermag ihn nicht zu erfeken. Darum jagt Böbvar zu Hialtin: „Du 
bift dem König durch dein Vornehmen nicht zu fo großem Dienfte ge 
weien, wie du glaubft; ich fage bir mit Wahrheit, daß ich jet dem 
König Hrolf weniger Hülfe fchaffen kann, als bevor bu mic, abriefeft.“ 
Die Löfung Fiegt darin, daß Bödvar Bjarki, nah ber Sprache bes 
Rorbene, bamramr war (hamr, exuvie, cutis; ramr, fortis, robus- 
tus; hamramr, immani v. brutali robere pollens, Lex. isl. 1, 126; 
eigentlich: ftark durch Annahme einer andern Haut, Geſtalt). Es be 
Rand nemlich der Glaube, daß bie Menſchenſeele in andre Geſtalten 
übergeben und in ihnen mit vermebrter Kraft wirken lünne So lang 
nun die Seele außen war, lag der Körper fill umb- burfte nicht 
aufgeftört werden. Mit mern folches vorgegangen war, ber bieß 
bamramr (Sagabibl. II, 516. Sagnhist. 35). Wie wir bereits im 
der Götterfage manche foldhe Bertvanblungen in Xhiergeftalt vorgefun⸗ 
ven haben, fo werben wir auch in der Heldenſage noch auf viele 


Roten. Bjarkis Verwandlung in einen Bären hängt zufammen mit 


der angeführten Gabel, wonach fein Bater Björn in einen folden 
war verzaubert worden. Ob Biarlis Kampf in Bärengeftalt zu biefer 
Erdichtung vom Schidfal feines Vaters Anlaß gegeben babe, wie 
Müller annimmt, ober ob bie umgelehrte Entwidlung der Sage ſtatt⸗ 
gefunden, wird fih kaum emticheiven laſſen. So lang Biarki mit 
dãmoniſchen Kräften kämpft, find Skulds Zauber unwirtfam; ſobald 
es aber duch Hijallis Mahnungen in den ruhenden Körper zurüd: 
gerufen ik, brechen dieſe Zauber mit ihrer ganzen verderblichen Macht 
hervor. 
Stuld ſelbſt, von Hrolſs Vater mit einer Alfin erzeugt, ſcheint 

in den vorhandenen Überlieferungen einige Verdunklung erfahren zu 
haben. Es befriedigt nit ganz, wenn Müller (Sagabibl. II, 508) 
in der Erzählung von ihrem unbeimlichen Urſprung nur das Mittel 
findet, ſich ihren bösartigen Charakter zu erflären. Wenn bie Saga 
(8. 48) Mfe und Romen in Slulds Gefolge bringt, fo verräth bieß 
bereit3 ein flarles Misverſtehen ver mythiſchen Weſen. Skuld (future) 
beißt bie jüngfte der drei Rornen, aber auch eine ber himmlischen 
Balkyrien wird fo genannt (Lex. myth. 435). Da nun in der Hrolfs⸗ 


164 


fage Dbin auf ber Seite Skulds im Kampf erfcheint, fo mag wohl 
auch Hrolfs Halbichwefter, mit dem Valkyriennamen Stulb, uriprüng 
lich eine ſolche Tampfluftige Dienerin Odins geivefen fein. 

Daß dem Mythiſchen und Sagenhaften in den Überlieferungen 
von Hrolf und feinen Kämpen ein biftorifcher Beitand unterliege, haben 
wir früher anerlannt. Da jedoch Feine reingefchichtliche Duelle vor 
handen ift, jo Tann auch bier keine Bergleichung zwifchen Geichichte und 
Sage angeftellt werden. Die Berechnung Müllers (Sagabibl. I, 523), 
wonad er die Lebenszeit Hrolf Krakis in das Ende des G6ten und ben 
Anfang des 7ten Jahrhunderts ſetzt, beruht hauptſächlich auf ber Kö⸗ 
nigsreihe des Ynglingatal, des alten Skaldenliedes vom ſchwediſchen 
Konigsſtamme, worauf die Ynglingaſaga gebaut iſt und in dem auch 
König Adils aufgezählt wird, 

Viel höher hinauf, als die Hrolfsfaga in ihrer jehigen Geftalt 
und als Saxos Erzählung, ziehen fi die Epuren der fagenhaften 
Überlieferung von Hrolf Krali. Ein paar Dienfchenalter nad Hrolfs 
Tode wurbe fein Gedächtnis von ber fchönen Tochter bes ſchwediſchen 
Königs Hjbrvar getrunken (nglingaf. C. 41: at Rolf minni krakaz 
Sagabibl. U, 520). Staldenverfe aus dem 10ten Jahrhundert ent 
balten fchon bie poetiſche Benennung bes Goldes als Sant ober 
Frucht von Fyrisvöll und werben zum Beleg biefür in ber Stalda 
beigebracht (Sn. Edd. 153 f. Sagnhist, 30). Wie ein Ysländer im 
10ten Jahrhundert Hrolfs Grabbügel aufbrach, deſſen Schwert Skof⸗ 
nung und Hjaltis Streitagt herausnahm, aber Biarlis Schwert dem 
Arme des Todten nicht entwinben konnte, wie dann Hrolfs Schwert 
durch mehrere Gefchlechter gieng und jelbft eine Wallfahrt nach Nom 
mitmachte, erzählen bie biftorifchen Sagan ber Isländer (Sagabibl. IL, 
520 f.). Am lebenbigften aber murbe das Gedaächtnis dieſes Sagen 
Bnige und feiner Kämpen im Sabre 1030, am Morgen vor der 
Schlacht bei Stifleftab erneut, in welcher ber norwegiſche König Diaf 
“der Heilige feinen Tob fand. Damals wurde das alte Bjarkamal 
(Bjarlislied) gefungen, ohne Zweifel dazfelbe, welches dem leiten 
Theile der Hrolfefaga und der Erzählung Saxos, den wir ausdrücklich 
auf ein altes einheimilches Lieb vertweifen hörten, zu Grunde liegt. 
Die Saga König Olafs des Heiligen, wie fie einen Theil von Snorros 
Heimskringla ausmacht, erzählt ©. 220 (I, 770 ff): 


165 


Bei Tagesanbruch erwachte der König. Noch ſchien es ihm zu früh, das 
Heer zu wecken. Da fragte er, wo der Skalde Thormodr wäre. [Sonft bor- 
modr Kolbrunar skald.] Dieſer war in der Nähe und fragte, was der König 
von ihm wolle, Der König ſprach: „Sag uns ein Lieb her!" Thormod erhob 
fih und fang fo laut, daß man es im ganzer Heere vernahm. Er fang das 
alte Biarlamal, das fo anhebt [folgen die 2 erſten Strophen]. Da erwachte 
das Heer, und als das Lied gefungen war, banlten ihm die Männer da- 
für und nannten das Lied „ber Krieger Weckeſang [huskarla hvöt; hvöt, 
n, pl. incitamente, Lex. isl. I, 412]”. Der König dankte ihm gleichfalls und. 
gab ihm einen Golbring von einer halben Mark. Thormod dankte für die Gabe 
and ſprach: „Wir haben einen guten König, aber das Tann Niemand wiflen, 
wie lang er leben wird. So ift nun das meine Bitte, daß wir uns nicht jchei- 
den, lebend oder tobt.” 

Man glaubt, in diefen Worten das Nachgefühl von Hrolfs und 
feiner Kämpen treuer Genofienichaft, wovon Das Lieb fang, zu ver - 
fpüren. Thormod folgte auch feinem König im Tode. (Merkwürdig 
ift die Erzählung feines Todes G. 146.) 

Die Bruchitüde, die uns vom Bjarlamal übrig find, beſtehen 
aus den beiden Anfangöftrophen in ber Heimskringla und drei meitern 
Strophen nebft zwei Strophenfragmenten, welche die Skalda aufbe 
wahrt bat, zufammengebrudt hinter der Hrolfsſaga in Rafns Ausgabe 
und Überſetzung. Sie Iauten fo: 

Der Tag iſt erftanden, 

Des Hahns Gefieder rauſcht, 
Zeit if, die Märmer 

Bur Arbeit zu weden. 
Wachet und wachet, 

Ihr trauten Freunde, 
All ihr gewaltigen 

Feinde Adils! 

Har, der hartgreifende, 
Hrolf, der Schutze, 
Stammedle Männer, 

Die Flucht nicht kennen, 
Nicht weck' ich zu Wein euch, 
Noch zu Weiberlofen, 

Wei’ euch zu hartem 
Hildursſpiele. 


» 166 


Der milde König 

Gab feinen Mamıen 
Fenjas Arbeit, 

Fafnirs Lager, 

Glafirs Glanzlaub, 
Granis Bürde, 
Dranpnirs theuren Schweiß, 
Des Warmes Daunen. 
Austheilte Hilmir 1, 

Die Männer eınpflengen 
Sifs Haupthaar, 

Eis der Hände 2, 
Oddursbuße, 

Freyas Bähren, 

Des Fluſſes Fener, 
Glauzworte Idis 3. 

Der Kriegsfürft erfreute 
Biele Männer mit 
Thiaſſia Erbtheil; 
Geſchmückt giengen wir, 
Der kühne Häuptling 
Schenkte den Tapfern 
Des Rheines Rotherz, 
Zank der Niflungen. 


So werd’ ihn malmen 
Die der ſchwärzlichte 
Betrüger des Waldbärs 
Den Wandbewohner. 


Geueigt ift auf Jörds Haar [Gras] 
Hrolf der Großmüthige. 


(Sp jpielen durch ein folches Lied immer auch die andern Sagen 
hindurch und erfrifchen ihr Andenken.) 


i Rex, galeatus. 

2 Das Gold: Feuer der Hände. 

8 Als die Niefen Thiaffi, Idi und Gang ihres Baters Erbe thellten, 
maaßen fie das Gold, indem fie immer anf einmal fo viel nahmen, als Jeder 
im Munde halten konnte. 


167 


4. Nelf und feine Reden. 


Saga af Hälfi ok Hälfserekkum in Fornald. Sög. II, 23 fi. Nord. Fort. 
Sag. IL, 21 fj. Arwidsson, Sv. Fornsänger I, 10 bis 12. 


Diefe norwegische Sage ift ein Seitenftüd zu ber däniſchen von 
Hrolf und feinen Kämpen, doch von viel geringerem Umfang. Die 
8 exften Gapitel enthalten Vorgeichichten, die wir hier übergehen und 
mit dem Inhalt bes Yten beginnen. 

König Hiörleif von Rogaland in Norivegen hatte von feiner Ge: 
mahlin Hild zwei Söhne, wovon ber ältere Hidrolf, der jüngere Half 
hieß. Der Bater fiel auf der Vikingsfahrt, die Mutter aber heira- 
thete nachher ben König Asmund, der nun Hidrleif3 Söhne aufzog. 
Als Hiörolf acht Winter alt war, rüftete er fih, auf Kriegsfahrten 
auszuziehen. 

Er nahm alle Schiffe, die er befommen konnte, kleine und große, 
neue und alte, auch was er von Leuten fand, Freie oder Unfreie. Sie 
hatten allerlei Dinge zu Waffen, Stangen und Steden, Knüttel und 
Halen. Darım nennt man ſeitdem Alles, was unbequem ift, Hidrolfö 
Zeug (Hjörölfskeeri). Als er nun zum Kampfe mit Vilingern kam, ver: 
ließ er fih auf die Menge feiner Mannſchaft. Aber da fie unerfahren 
und waffenlos waren, blieben ihrer Viele und Andre flohen. So fam er 
zur Herbftzeit zurüd und warb für einen geringen Mann geachtet. Im 
Frühling darauf war Half, der jüngere Bruder, zwölf Winter alt und 
fein Mann war jo groß ober fo ftark, wie er. Auch er bereitete fich nun 
auf Kriegsfahrt. Er hatte ein neues und wohl ausgerüſtetes Schiff, 
Bon dem beiden Söhnen des Jarls Alf! in Hörbaland, Welche beide Stein 
bießen, war der ältere, achtzehnjährige, des jungen Königs Rathgeber. 
" Niemand follte mitfahren, der jünger oder unerfahrener, als er felbit, 
‚ wäre. Im Hofe lag ein großer Stein; wer den nicht aufzuheben ver: 
mochte, burfte nicht mitfahren; auch Keiner follte dabei fein, ber ſich 
jemals fürdhtete, oder bange Worte ſpräche, oder Wunden halber das 
Geſicht verzöge. Man fuchte in eilf Landſchaften, bis man zwölf aus: 
gewählte Männer fand. In Allem aber waren es breiunbbreikig, bie 
an Bord giengen. Am erften Abend, da fie im Hafen anlegten, fiel 
ftarter Regen. Da hieß Stein beden (tjalda, tentorium figere). Der 


1 Bgl. Hyndl. 8. Str. 13 [12, 8). Finn Magnufens Edd. III, 12. 








168 


König erwiderte: „Willſt du noch Häufer deden, wie daheim?“ Bon 
da an nannten fie Jenen Innſtein (inni n. domus; aber audy inn, in’ 
intro). Den Tag darauf ruberten fie bei fcharfen Unwetter an einer 
Landſpitze vorbei. Auf diefer fland ein Mann, der mitzufahren ver 
Iangte. Der König bieß ihn an ber Gteuerftange ftehen bis zum Abend. 
Jener fagte, das fei wohl gefprochen, fo ſei er dem König nahe ge 
ſtellt. (Wortſpiel: styri, n. clavus, gubernaculum; at styra, guber- 
nare, regere.) Diefer Mann war Stein der jüngere; er warb bar 
nach Utſtein genannt (dt, foras)1. Sie hatten befonvere Kämpfergeſetze 
gemacht. Eines war, daß Keiner ein Schwert, länger. als eine Elle, 
haben follte; fo müfle man nah auf den Mann gehn. Sie ließen fi 
Sage (kurze, breite und dicke Schwerter) machen, bamit bie Hiebe 
größer würden. Seiner von ihnen hatte minder Stärke, ala zwölf 
mittlere Männer. Ihre Wunden durften fie nicht eher verbinden, als 
zur felben Stunde bes folgenden Tags. Niemals nahmen fie Frauen 
ober Kinder gefangen mit. Sie fuhren weit umber in den Landen 
und hatten immer Sieg Achtzehn Sommer war König Half auf 
diefen fiegreichen Fahrten. Ihre Sitte war, ftetd vor ben Lanbfigen 
zu liegen; auch dedten fie nie ihre Schiffe und niemals ließen fie vor 
dem Sturme die Segel herab. Sie wurden Halfs Reden denannt 
(Älfsrekar) und niemals hatte ex mehr, als 60, auf feinem Schiffe. 

König Half fuhr nach feinem Reiche vom Kriegszuge heim. Da 
hatten fie einen großen Sturm auf dem Meere; ihr Schiff konnte nicht 
mehr ausgefchöpft (duch Schöpfen erleichtert) werben. Da warb be 
fchloffen, zu loofen, wer über Borb fpringen folltee Doch deſſen bes 
durft' e8 nicht, denn Jeder drängte fich, vor feinen Genofien über Borb 
zu fpringen, und wenn fie hinausfprangen, fagten fie: „Stroblos ifl’s 
überm Schifferand” (d. b. bovenlos; die Zimmerboben waren häufig mit 
Stroh beitreut). 

Als nun König Half nad Hördaland kam, zog König Asinund 
(fein EStiefvater) ihm entgegen, untergab ſich ihm und ſchwur ihm ben 
Eid; auch lud er Half und die Hälfte feiner Mannen zum Mahle. 
Am nächſten Morgen wollte Half fi dahin aufmachen und bie Hälfte 
feiner Leute bei dem Schiffe zurüdlaffen. Da widerrieth es Innſtein, 

1 Bgl. Jomsvik. S., Sagabibt. III, 63 f. 70 f. Saro Bud VID 
S. 184. 





169 


vor Asſsmunds Truge warnend; Half aber glaubte, feinem Verwandten 
trauen zu bürfen. Ihre Wechſelreden find in Liebesform in die Saga 
aufgenommen. Daraus Folgendes: 
Innſtein: 
Dir iſt worden 
Gram nun Odin, 
Daß du auf Aſsmund 
Feſt vertranef. . 
Er wird uns Allen 
Trug anftiften, 
Wenn du nicht weife 
Vorſicht braucheſt. 
Der König: 
Dich luſtet ſtets 
Nach Worten der Angſt, 
Nicht wird der König 
Frieden brechen. 
Gold wird uns werben, 
Dazu Kleinobe 1, 
Rothe Ringe, 
Bon feinen Höfen, 


Galf, mir träumte 
Kath du Solches 21), 
Daß Feur um unfre 
Männer fpielte; 
Übel war's, 
Sich draus zu retten. 
Kannft du, König, 
Den Traum mir deuten ? 
Der König: | 
Um die Schultern Hirren 
Den Schanrmeiftern, 
- Den Königsmannen, 
Goldne Brümmen. 


1 Ok gersimar. 
? Hygdu at slikul Wie im Getſpeli: hygg Bü at gätul 


Innſtein: | 


Der König: 


Innſtein: 


Der König: 


470 


Das mag auf Achſein 
Der Edlingafreunde 
Licht aufleuchten, 

Als bränne Feuer. 


Noch träumte mir 

Bum zweitenmalfe: 

Mir ſchien auf Achſeln 
Fer zu brennen. 

Nicht dünkt mir das 
Heil zu verbeißen. 
Kannſt du, König, 

Den Traum mir deuten? 


Wohl geb’ ich Jedem 
Helm und Brunne 

Der kühnen Jilngliuge, 
Die mir folgen, 

Das wirk aufleuchten, 
As bränne Feuer 

Den Königsmannen 
Auf breiten Schultern. 


Das träumte mir 

Bum drittenmale, 

Bir fein gefunten 

In Meerestiefe. 
Das mag gewaltgen 
Sammer kinden. 

Kannſt du, König, 

Den Traum mir deuten? 


Bu lange hör’ ich 

Auf Thorenrede. 

Nichts Liegt, das -fag’ ich, 
Unter Solchem. 

Laß du Niemand 

Fürder hören 

Deine Träume 

Bon diefem Tag an! 


174 , 


Innſtein: 
Folgt, ihr Hrokr!, 
Ihr Heerlönge, 
Meinen Worten! 
Folg' and, Utſtein! ” 
Gehn wir alle 
Auf vom Gtrande, 
Nicht gehorchend 
Den Klnig dießmal) 
Utitein: 5 
, Den König laflen wir 
Streng gebieten 
Über das Bolt 
Und unfre Fahrten! 
Wagen wir, Bruder, 
Wie ihm bedfintet, 
Unſer Leben 
Mit kühnem Führer! 


Gefolgt Hat der König 
Auf Fahrten draußen 
Meinen Näthen 

So mandies mal. 

Nun ſeh' ich: nichts mehr, 
Was ih rebe, 

Bil er beachten, 

Seat beim wir kamen. 

König Half gieng nun mit der Hälfte feiner Mannſchaft zu König 
Asmunds Hofe. Sie trafen große VBerfammlung und es warb em 
prächtige Mahl gehalten. In ver Nacht aber legte Asmund Feuer 
an die Halle, wo Half und jene Reden fchliefen. Zwei verjelben er⸗ 
wachten nad) einander von Rauch und Flamme, legten ſich aber ruhig 
wieder hin. Auch ‚König Half erwachte, weckte Wie Seinigen und bieß 
fie fich wappnen. Gie liefen nun (wie Hrolfs Kämpen) gegen bie Wand 
und durchbrachen fie. Draußen aber fielen fie vos de ibemnaqht Als 
ber König gefallen war, fang Innſtein: 


1 Bwei Brüder biefed Namens, Grote der Weiße und Orote der Sawarx, 
Söhne des Herſen Hamund, waren in Halfs Geſolge. 


Innftein: 


172 . 


Hier ſah ich alle, 
Gleich an Küͤhnheit, 
Einem folgen, 

Dem Konigsſohne. 
Treffen wir froh uns, 
Die Hingefahrnen! 
Nicht if leichter 
Leben, als Sterben. 

Auch die Reden Halfs, die beim Schiffe geblieben twnren, kamen 
zum Kampf und ein großer Theil von ihnen fiel. Bis zur Nacht währte 
ber Streit und bevor Innſtein fiel, fang er: 

Odin wir haben 
Übles zu lohnen, 
. Der ſolchen König 
Des Siegs beraubte, 


Draußen hab’ ich 
Achtzehn Sommer 
Gefolgt dem Kühnen, 
Den Speer zu färben. 
Nicht will ich andern 
Hänptling haben, 
Streitbegiergen, \ 
Will alt nicht werben. 
Hier muß Innſtein 
Bur Erde finten, 
Mutdig zum Haupte 
Des Heerfilhrers. 

Das follen Kämpen 
Sagbar machen, 

Daß Half, der König, 
Lachend farb. 

Gunnlbd, die Mutter der beiden Steine, kam in der Nacht auf 
die Wahlftatt und fuchte nach ihren Söhnen. Sie fand Innſtein tobt 
unb Utſtein ſchwer verwundet. Sie brachte diefen heim nach ihrem Hofe 
und beilte ihn heimlich. Nachher 309 ex nad Dänemark zu feinem Ber 
wandten, König Eyftein. Hrok der Schwarze hatte viele große Wunden. 
Er gieng in ber Nacht und kam zu einem armen Bauern, bei dem er 


173 


blieb, bis feine Wunden verbunden waren. Nachmals kam er zum König 
Hall in Schoonen (& Skäney). 

Bon vielen beiben geretteten Halfsrecken, Uiften und Hrok bem 
Schwarzen, erzählt die Eaga noch weiter. 

Utftein hielt ſich bei König Eyftein in Dänemark auf. Der Rath: 
geber dieſes Königs, Ulf der Rothe, hatte acht Söhne, treffliche Kmpen 
und fehr neibifch auf Uiftein. Beim Trintgelag kam es mit ihnen zum 
Zanke. Der Anlaß waren Utfteins Geſänge von Halfs Falle und ber 
Hoffnung auf Rade an Asmund. Uiftein gieng mit allen acht zum 
Kampfe. Er fang: 

us Söhne fahren 
Ans, zu lämpfen, 

Act Yünglinge 

Gegen ein Haupt. 

Stein wird nicht fliehen, 
Ob ihm auch folge 

Biel geringre 

Schaar zum Kampfe. 


Half, tränmte mir, 
Trieb mich, zu fireiten, 
Berbieß, der Kühne, 

? Mir zu folgen. 
Mir war der König 
Gut im Traume, 
Wo wir die Kämpfe 
Halten follten. 


Der Kampf begann und Yiften erſchlug alle Söhne Ulfs. Dann 
gieng er ein vor den König und fang: 


Run bin ich fommen, 
uif zu fagen, 

Daß feine Söhne 
Erichlagen liegen. 
Willſt du, Eyfein, 
Laß ihrer mehr noch 
Im Kampfe prüfen 
Der Sperre Sohn! 


174 


Eyftein: 
Selbft verbeut ſich's 
Golden zu prüfen. 
Halfs Reden find - 
Meifter non Allen. 
Dich weiß ih der Männer 
Allererfien, 
Einzig tapferften, 
Der du acht aufwogft. 

Utftein: 

Alle wollt’ ‚ich 

Eyfleins Mannen 
Des Schwertes fättgen 
Sonder Dtübe, 
Wenn folh Wert mir 
Nöthig dünkte 
Dder zuvor wir 


Feinde wären. 


Kraft lüftet Keinen 

Mit mir zu prüfen. 

Mir ward, dem Jüngling, 

Alter beftimmt. 

Herz hab’ ich 

Hart in der Bruft, 

Wie mir’s in der Jugend 
> Ddin bildete. 


Hrok der Schwarze, Hamunda Sohn, mar bei König Hali in 
Scoonen. Halis Tochter hieß Brynhild. Um fie. hatte ber König 
Svend (Sveinn) der fiegreiche geworben, König Halt aber fie ihm ver: 
fagt. Da gelobte Svend, des Mannes Tob zu werben, ber Brynhild 
beirathete, und jo auch ihres Vaters.” Hebinn hieß ein Jarl König 
Hakis und Vifill deſſen Sohn. Diefer warb auch um Brynhild und 
fie warb ihm unter dem Bebinge zugelagt, daß er das Land gegen 
Svend fchirmte. Hrok der ſchwarze hielt ſich dort unbelannt auf und 
war in feinem Anfehn. Er ſaß nur auf.dem Gaftfig. Es geichah nun 
eine® Tags, daß die Hofleute auf bie Jagd auszogen, die Frauen aber 


175 . 


in den Nußwald. Die Königstochter Brynhild fah da einen Mann an 
einer Eiche ſtehen. Sie hörte, wie er fang: 

Run will jagen 

Hamunds Sohn, 

Welchen Geſchlechts wir 

Brüder waren. 

Wohl war mein Vater 

Biel ein beſſerer, 

Kühnerer Habicht, 

Als Hakis Kämpen. 

Mit Keinem dürfte \ 

Bifill ſich meſſen, 

Der nur Hamunds 

Heerben biäktete, 

Keimen ſah ich dort 

Der Schweinebirten 

Mutblofern, - ° 

As Hedinns Erben. 


Mir war das Leben 
Viel ein beſſeres 
In Halfs Gefolge, 
Des herrlichen Konigs. 
Ale waren wir F 
Eines Rathes, 
Zuhren art Heerſahrt. 
In alle Lande. 
Half ſah ich hauen 
Mit beiden Händen, 
Nicht hatte der Konig 
Den Schild vor der Bruſt. 
Kein Mann findet, . 
Tährt er auch weitum, 
Höhere Herzen 
" Ind musbnollere. 

Den Tod nicht ſchenen 
Hieß er die Fuͤnglinge, 

’ Noch Angfimorte 
Jemals ſprechen; 


1776 


‚Keiner follte 


Er zählt bierauf 
Schließt die Reibe mit 


Dem Kühnen folgen, 

Der nicht des Königs 

Schichal theilte. 

Richt ſtöhnen ſollten, 

Wenn anch im Angriff 

Hart verwundet, 

Des Königs Freunde, 

Noch ihre Wunden 

Binden laflen 

Bor gleicher Tagszeit 

Des andern Tages. 

Richt Bande hieß er 

Im Heere brauchen, 

An keiner Ebfran 

Unbill üben, 

Zeglihe Jungfrau ' 

Um Mitgift Tanfen, 

Mit jchönem Golbe 

Nah Rath des Vaters. 

Nie waren fo viele 

Männer auf Schliten, 

Dog wir zur Flucht 

Uns wenden mochten, 

Ob wir auch minbre 

Mannſchaft hatten, 

So daß Eilfe 

Auf Einen trafen. 

die Halfsrecken, namentlich rühmend), auf und 
ſich: 

Nimmer erjchien ich 
In ſolcher Schaar 
Ausgeartet 

Von meinem Geſchlechte. 
Mich benannten fie 
Der Männer raſcheſten, 
Denn Jeder fuchte 
Den Ruhm des Anden. 











4177 


Nicht lebte fo lange 

Der Landgebieter, 

Als er verdient 

Durch tapfre Thaten. 
Zwölf Winter alt 
Begann er die Heerfahrt, 
Dreißig war er 

Bei feinem Tode. 


Solches lehrt mich, , 
Wenig zu ſchlafen 
Manche Nächte 

Und viel zu wachen, 
Daß mein Bruder 
Drennen follte, 

Lebend, im Feuer, 

Mit des Königs Reden. 


Der Tag war mir 

Auf diefer Erbe 

Der Tage bunfelfter, 

Wie Männer wiffen u. ſ. w. 


AU meine Trauer 
Wurde leichter, 

Wenn Half, den König, 
Ich rächen könnte; 

So, daß ih Asmund 
Mit Schwertes Schärfe, 
Mit blankem Eifen 

Die Bruft zerfpaltete. 


Gerät foll werben 

Half der Tapfre, 

Weil fie den Kühnen 

Im Frieden mordeten u. ſ. w. 


Da ſoll man pritfen 
Und prüfen laſſen, 
Bem ich mit Spenb 
Bufammentreffe, 
nhland, Sqhriſten. VII. 12 


178 


Wer da im Kampfe 
Sieger werke, 
Hamunds Sohn 
Oder Halis Kaͤmpen. 


Das fing' ich jetzt 

Der ſchmucken Jungfrau, 
Daß ih um Brynhild 
Werben möchte, 

Wit’ ich das Eine, - 
Daß fie wollte 

Hrok lieben, 

Hamunds Sohn. 


Rimmer fand ich, 

So weit ih fuhr, . 
Holdere Jungfrau, 
As Halis Tochter; 
Sie ift in Allem, 

Wie ich es wünſchen mag. 
Hier din?’ ich mir jetzt 
In Halis Reiche 
Verſtoßen zu ſein 

Bon allem Volle. 
Allen gibt man 
Drinnen Sibe 
Halbınal lieber, 

As Halfe Reden. 


Brynhild erzählte ihrem Vater, mas fie gehört hatte, und .fagte, 
daß einer von Halfs Reden hieher gelommen fein müfle. Als ver König 
das erfahren, führte er Hrok zum Hochfig und nahm ihn mit der gröften 
Liebe auf. Hrok der ſchwarze erhielt nun die Königstochter Brynhild. 
Im nächſten Frühling z0g er mit feinem Heere gegen Svend den fieg: 
haften und es fam zwiſchen ihnen zur Schladt. Svend fiel und Hrof 
fam fiegreich zu König Halı zurüd, Den Sommer darauf zogen König 
Haki und Hrof der ſchwarze und mit ihnen König Eyſtein und Utſtein 
mit Heeresmacht nad) Norwegen und hielten eine Schlacht gegen König 
Asmund, darin er umkam. 


179 


Das letzte Gapitel des Saga (E. 17) berichtet noch kürzlich von 
Halle Nachlommen. 

Diefe Saga von Half und feinen Reden bat ein höchſt einfach 
altertbümliches Gepräge. Sie beſteht großentheild aus Liedern !, bie 
Profaerzählung ift ſehr gebrängt, in kurzen Sägen. Sie ift faft nur 
bad Band, wodurd die Liederſtellen verfnüpft werden, und fagt zum 
Theil dasſelbe, mas diefe enthalten. Beſonders bildet das letzte, gröfte 
Lied Hrols des ſchwarzen ven Kern des Ganzen. Müller nimmt an, 
daß fie im 11ten Jahrhundert aus den damals im Umlauf befinblichen 
Liedern zufammengefett und im 13ten nievergefchrieben worden. Den 
König Half felbft fett er in das 8te Jahrhundert (Sagabibl. II, 455 
bi8 457). Die Berechnung wird dadurch begünftigt, daß diefe Saga 
fh mehrfach an andre, mehr hiftorifche Sägan anlehnt. ft hiernach 
Half jünger als Hrolf, fo zeigt ſich doch in der jegigen Abfafjung ihrer 
Sagan das umgelehrte Verhältnis. Die von Hrolf ift neuer und ver 
widelter. Beide Helden mit ihrem Gefolge werben gerne zuſammen⸗ 
genannt, wie fie denn auch manche Ähnlichkeit darbieten. Auch von 
Half findet fich ein vichterifcher Ausdruck der Staldenfprache » der Panzer 
hieß Half Kleider (ebend. II, 453). Während aber bei Hrolf die 
Königemilde das Charakteriftifche ausmacht, fo ift es bei Half und 
feinen Reden mehr die Härte, die Kühnheit und Ausbauer, womit fie 
allen Gefahren und Befchwerden des Krieges und ber Seefahrt troßen. 
Auch in Halfs Saga können wir die drei epifchen Abtheilungen unter: 
ſcheiden: die Vorgefchichten von feinen Ahnen und feinem ältern Bruder 
- Hiörolf, deflen Ungeſchick einen hervorhebenden Gegenfaß zu dem tüd): 
tigen Wefen des jüngern Bruders bildet; dann die fiegreichen Fahrten 
mit den um ihn verfammelten zwölf Reden; endlich der gemeinfame 
Untergang durch Asmunds Berrath. Die Rade, die niemals aus: 
bleiben darf und in manchen Sagen einen weitern Haupttheil ausmacht, 
folgt auch hier nicht unmittelbar, wie in der Hrolfs-Sage. Es gehen 
noch zwei befondre Erzählungen von zwei übriggebliebenen Halfäreden 
boran. Diefe Erzählungen ftehen aber in einem innern Zufammenbang 
mit der Haupthandlung. Es gehört zu dem Schönſten dieſer Saga, 

I Kann der Stalde Bragi, der &. 17 vorkommt, nach dem, was fonft von 


ihm bekannt ift, als derjenige angefehen werben, ber diefe Geſchichten in Lieber 
gebracht? 


180 


wie dev Heldentönig in ber Seele feiner beiven umherirrenden Reden, 
fortlebt. Dur einen Traum von ihm findet Uiftern fi ermuthigt 

. umd geftärkt, den Kampf mit acht Gegnern zu beſtehen. Hrok, im Walb 

an der Eiche ſtehend, fingt den ganzen Heldenlauf feines gefallenen 

Königs und die legten furchtbaren Gefchide, die ihm noch immer in ber 

Nacht Feinen Schlaf vergönnen. Kaum aber haben bie beiden die Gunſt 

der Könige erworben, bei denen fie Zuflucht gefunden, fo führen fie Die 

Macht verfelben zum Rachezug und fänftigen fo den Schmerz, ben fie 

tief in der Seele getragen. 


5. Bribihief. 


Fridbj6fe 1 Saga ens frekna, Fornald. Sög. II, 61 fi. Nord. Fornt. 
Bag. II, 59 ff. Sagabibl. II, 458 fi 


Über die Lanbichaft Sögni (Sygnafylki) in Norwegen herrſchte 
König Beli. Auf der Weſtſeite ber Bucht (jetzt Sognefjord, einer der 
tief ind Land einſchneidenden, ſchmalen Meeresarme im füblichen Nor 
wegen, oberhalb Bergen) lag ein großer Hof, Balburshag genannt. 
Hier war Friedensſtätte (gridastadr) und ein großes Opferhaus (hof), 
umgeben mit einer hohen, Umzäunung (skidgardr), Viele Götter 
waren bort, doch warb am meiften Balbur verehrt. Die Stelle warb 
fo heilig gehalten (af heidnum mönnum), daß bort weder Menfchen 
noch Thiere beichäbigt werben durften; auch durften da nicht Männer 
mit Frauen zufammenlommen. Diefe Seite, wo König Beli waltete 
hieß Syrftrand (Syretrönd). Jenſeits der Bucht aber, dem Königafike 
gegenüber, lag ber Hof Framnes, wo ber Herje Thorftein Bilingsfon 
wohnte. Diefer hatte den britten Theil bes Reichs zu verwalten und 
‚ war des Königs ftärffter Beiftand. Jedes dritte Jahr bielt er dem 
König ein Foftbares Gaftmahl, die zwei andern Jahre hielt der König 
das Mahl für Thorftein. König Beli warb ſchwach von Alter und 
ſtarb. Ihm folgte bald auch Thorftein. Diefer hatte befohlen, daß 


i Fridpjöfr, Frieddieb; 6. 10, S. 92: 
Ds het ek Fridpjöfr, 
er ek för med vikfngum ı. ſ. w. 
Da hieß ich Frieddieb, 

- As ich fuhr mit Bilingern. 


181 


— — — — — 


man feinen Grabhũgel am Ufer der Bucht, dem bes Königs gegenüber, 
aufwerfen folle, fo daß fie einander beunrftehende Ereigniſſe zurufen 
fönnten. Beide hatten fterbend ihren Söhnen empfohlen, das gute 
Bernehmen der Väter fortzufeken. Der König hinterließ zwei Söhne, 
Helgi und Halſdan, und eine Tochter Ingibjörg. Helgi wurde frübr 
zeitig ein großer Opferer (blötmadr), aber auf beide Brüder hielten 
die Leute wenig. Ingibjörg, die Schöne genannt (hin fagre), war 
nad dem Tode ihrer Mutter einem guten Bauer in Sogne, Namens 
Hilding, übergeben worben, der fie wohl und forgfältig aufzog. Bei 
ibm ward auch Fridthjof, Thorfleind Sohn, erzogen. Dieſe beiden 
Pfleggeſchwiſter (fostrsyskin) übertrafen alle andern Kinder. Fribtbiof, 
der Zapfre (hinn freekni) zugenannt, mar durch Stärke und Geſchick⸗ 
lichleit ausgezeichnet und Jedermann münjchte ihm Gutes. Sein Vater 
Thorftein hatte ein Schiff, das Ellidi hieß, mit hohem gebognem Kiel 
und etfenbeichlagnem Borbe, für fünfzehn Ruderer auf jedem Borb ein 
gerichtet. Fridihjof aber war jo ſtark, daß er Ellidi im Vorbertheil mit 
zwei Rudern von dreizehn Ellen Länge ruberte, während für jedes 
anbre Ruder zwei Männer nöthig waren. Dieſes Schiff und ein Gold⸗ 
zing, desgleichen Feiner in Norwegen gefunden wurde, waren die gröften 
Koftbarleiten, die Fridthjof von feinem Vater erbte Er war nun 
angejebener, als die Königsföhne; diefe hatten nur die Königsehre vor 
ihm voraus. Darüber faßten fie Haß und Misgunft gegen ihn und 
achteten nid darauf, daß ihr Vater fie ermahnt batie, an den ge 
prüften Freunden feftzubalten. Sie glaubten zu bemerken, daß ihre 
Schweſter Ingibjörg und Fridthjof Neigung zu einander hätten. Als 
fie nun einft auf Framnes -bei einem überaus ſtattlichen Gaſtmahl 
waren, ſprachen Imgibjörg und Fridthjof viel zufammen. Die Königs 
tochter fagte zu ihm: „Du haft einen guten Goldring.“ „Wahr ift 
das,” antwortete Frivibjof, Darnach zogen bie Brüber beim und ihre 
Misgunft wuchs. Bald darnach wurde Fridthjof ehr trübfinnig. Sein 
Pflegbruder Björn! fragte nach der Urſache. „Sch denke darauf, erwi⸗ 
. derte Fridtbjof, um Ingibjorg zu werben, und wenn gleich von gerin« 
gerer Würde, als ihre Brüder, bin ich doch nicht minber mächtig.” 
„Thun wir fol” fagte Björn. Fridthjof fuhr nun mit. einigen 


1 Bgl. Saxo 8. VIH, ©. 223: Biorn e vico Soghni. 





188 


Männern zu den Brübern. Dieſe faßen auf dem Hügel ihres Waters. 
Fridthjof brachte feine Werbung vor, die Könige aber antworteten: 
„Das ift nicht ſehr verftändig geworben, baß wir unfre Schweſter 
einem Mann ohne Würbe geben follten; wir fchlagen das gänslich ab.“ 
Fridthjof verfehte: „Da ift mein Geſchäft bald abgethan, und zur 
Vergeltung iverb’ ich euch fortan niemals Hülfe leiften, wenn ihr auch 
deren bebürftet.“ Sie fagten, daß fie fih darum menig befümmezten. 
Fridthjof aber fuhr heim und warb wieder heiter. 

Hring, ein mächtiger aber ſchon bejahrter Fylkekbnig über Hringu 
reich, gleichfalls in Norwegen, hatte gehört, daß Bells Söhne mit 
Fridthjof gebrochen. Da hielt er es nicht für ſchwierig, über fie zu 
fiegen, und ließ fie aufforvern, ihm Schatzung zu entrichten, ober et 
würbe ein Heer in ihr Reich führen. Ste rüfteten fich gegen ibn; als 
fie aber fanden, daß ihre Mannichaft nur gering war, ſandten fie den 
Bauer Hilding zu feinem Pflegfohne Fridthjof um Hülfe Pribtbief 
fat eben mit Björn beim Schacdhipiel (at hnefatafli; hnefi, m. pugnus). 
Er ſchien nicht auf Hildings Rebe zu achten und gab nur verftedter 
Weiſe, indem er im Spiele fortfuhr, zu verfteben,. daß er den rothen 
Stein (Ingibjörg) angreifen und den Brübern überlaflen würde, ſich 
an den König (König Hring) zu machen. Die Königäbrüber zogen num 
aus, ließen aber zuvor Ingibjörg mit acht Frauen nach Baldurshag 
Bringen und glaubten, daß Fridthjof nicht fo dreift fein mürbe, ihre 
Schwefter dort aufzufuchen, da Niemand diefe Stätte zu entweihen 
wagte. Sobald fie aber fort waren, zog Fridthjof feine Feierlleider 
an, legte den Goldring an feine Hand und ließ das Schiff Ellidi vor 
sieben. Biden fragte: „Wohin follen wir ſteuern?“ Fridthjof: „Nach 
Baldursbag, zur Kurzweil mit Ingibjörg.“ Bidm: „Das ift nicht 
väthlich, Götter gegen ſich aufzubringen.” Fridthjof: „Darauf will ic 
e3 wagen; Ingibjörgs Huld acht’ ich mehr, als Baldurs Zorn.“ Sie 
ruderten hierauf über die Bucht und giengen auf nach Baldurshag und in 
Ingibjbrgs Wohngemach. Sie ſaß dort mit acht Jungfrauen und ber 
Gäfte waren auch acht. Alles war mit Seide unb koftbarem Gewebe 
behängt. SIngibjörg fand auf und ſprach: „Warum bift du jo kühn, 
Fridthjof, ohne Erlaubnis meiner Brüder hieher zu kommen und fo bie 
Götter gegen dich zu erzürnen?“ „Wie dem ei,“ antwortete Fridtbjof, 
„deine Liebe acht' ich mehr, als der Götter Zorn.“ Ingibjörg: „Du 





188 


four bier willlommen fein und alle beine Gefährten!“ Sie lich ihm 
Hierauf an ihrer Seite nieberfiden und trank ihm den beiten Wein zu; . 
fo ſaßen fie und vergnügten ih. Da ſah Ingibjörg den Golbring an 
feiner Hand unb fragte, ob ex dieß Kleinod (gersemine) zu eigen babe. 
Fridihjof beiahte das und fie lobte ben Ring fehr. „Den Ring will 
ih dir geben,“ ſprach Fribthjof, „wenn bu gelobft, ihn niemals weg⸗ 
zugeben, fondern mir ihn zu fenden, wenn bu ihn nicht mehr 
baben wilft, und biermit follen wir einander Treue zuſichern.“ Se 
verlobten fie ſich und wechſelten bie Ringe Yridihjof war oft im 
Baldershag bei Nacht; täglich Tam er dahin und .vergnügte fich mit 
Ingibjbrg. | 
Helgi und Halfpan hatten ven König Hring verhöhnt, es wär 
ihnen eine Schande, fi mit einem Manne zu fchlagen, der fo alt fei, 
daß er nicht ohne Beiftand aufs Pferd kommen koͤnne. Seht aber 
Iam er ihnen mit ſolcher Übermacht entgegen, daß fie ſich ihm ohne 
Schwesiftreich unteriwerfen und ihm ihre Schwefter, Ingibjörg die Schöne, 
zur Gemahlin verfprechen muften. Sie zogen bierauf mit ihrem Heere 
zurüd und waren übel mit ihrer Fahrt zufrieden. Als Fridthjof ihre 
Antunft nahe. glaubte, Sprach er zur Köntgstochter: „Wohl und Schön 
habt ihr uns aufgenommen und Balbur, unfer Wirth (bondi), Bat 
und nicht gezürnt; aber wenn ihr wißt, daß eure Brüber heimgelommen, 
fo breitet eure Leinwand über den Dijarfaal (dis, Pl. disir, dea) 
aus! denn er ift der höchſte im Hofe und wir können das von unfrem 
Hof aus fehen.” Hierauf fuhr Fridthjof heim; am nächſten Morgen 
aber gieng er zeitlich hinaus, und als er zurüdlam, fang ex: 
Verkünden will ich 
Unfern Kämpen, 
Daß es aus ift 
Mit Tyreudenfahrten; 
Nicht follen die Männer 
Bu Schiffe gehn, 
Nun find die Linnen 
\ Zur Bleihe fommen. 


Als König Helgi erfahren, was vorgegangen war, ſprach ex: „Wun⸗ 
derſam wär’ es, wenn Balbur jeden Hohn von Fridthjof dulden follte; 
er fol uns Vergleich bieten oder aus dem Lande geiviefen werben.“ 





184 


Da fie ihn nicht anzugreifen wagten und zur Mitgift ihrer Schweſter 
Mittel nöthig hatten, fo verlangten fie von Fridthjof zum Vergleich, 
baß er von den Drfneyen (ben orlabifchen Inſeln) bie Schatzung ein 
fordre, die ihnen feit ihres Waters Tode nicht bezahlt worben fei. 
Fridthjof gieng den Vergleich ein, aus Achtung für die bingegangenen 
Bäter, doch unter dem Bebing, daß al fein Eigenthum indefs in Frie 
den gelafien werde. Dieß wurde mit Eiden angelobt. Er bereitete ſich 
nun zur Fahrt und wählte fi tapfre Männer zu feinem Geleite. Es 
waren ihrer achtzehn, die an Bord bes Schiffes Ellidi giengen. Als 
fte aber abgefahren waren, ließ König Helgi den Hof Framnes ver 
brennen und berief zwei Zauberweiber, Heidi und Samglöm, die einen 
folden Sturm über Fridthjof und feine Gefährten ſenden follten, daß 
fie alle im Meer umlämen. Die Weiber beftiegen den Zauberftuhl (hjall) 
mit ihren Zaubern und Beſchwörungen. 

Fridthjof mar ſchon außerhalb der Bucht von Somi, als fid 
Icharfes Wetter und großer Sturm erbob, die Eee gieng ſehr hoch und 
das Schiff ſchoß gewaltig fort. Da fang Fridthjof: 


Schwimmen Tieß ih von Sogni 
Das dunkle Wellenrofs; 
Die Braut faß ſorgvoll 
Mitten in Baldurshag. 
Hoch anf fchänmet das Dieer, 
" Heil doch fei den Bräuten, 
Die uns Liebes gönnen, 
Ob auch Ellidi finte! 


Biörn fagte: „Gut wär's, menn bu jeht auf Andres bächteft, als 
von den Mädchen in Balburshag zu fingen.” Als ein neuer Stoß 
kam, fang Fribtbjof: 

Das war vormals 
Auf Framnes, 

Daß ich hinruderte 
Zu Angibjörg. 

Jetzt ſoll ich fegeln 
Am kalten Sturme 
Und vorwärts laſſen 
Das Langthier laufen. 





185 


Als nachher das Schneegeiköber jo ſtark wurbe, dah man nidht von 
einem Ende des Schiffes zum andern ſehen konnte und bie See über 
Bord ſchlug, fang Fridthjof: 

Helgi Täßt die Wegen, 
Die fhaumgemähnten, wachſen. 
Nicht iſts, wie da wir kilſaten 
Die Braut in Balburshag. 
Ungleich find mir gunſtig 
Ingibjörg und der König. 
Lieber wollt’ ich der Lichten 
Glück der Liebe danken. 

„Das mag fein,” fagte Björn, „daß fie dir Beßres gönnt, als 
dir jet zu Theil wird.” Nun fchlugen große Wogen über fie und fie 
mujten alle im Schöpfraum ftehen. Fridthjof fang: 

Stark trinkt mir zu die Woge; 
Wohl feufzt Sie, wenn ich finfe 
Am Schmwänemeer, im Often, 
Wo Lein lag auf der Bleiche. 

„Glaubſt du,” fagte Björn, „daß die Mädchen in Sogni viele 
Thränen um dich werben fallen laſſen?“ „Das denk' ich gewiſs,“ 
anttwortete Fridthjof. Auf's Neue wuchs das Unwetter an, fo daß bie 
Meeresiwogen, die gegen das Schiff anraufchten, mehr Gebirgen, als 
Wellen, ähnlich fchienen. Da fang Fridthjof: 

Ich jaß auf Polftern 
In Baldurshag, 
Sang, was ich wulfte, 
Der Künigstochter. 
Nun ſoll ich ſicher 
Hans Bett betreten, 
Ein Andrer aber 
Ingibjörge. ” 

Da kam eine große Woge und warf vier Männer über Borb, bie 
alle in den Abgrund ſanken. „Run ift zu erwarten,” ſprach Fridthjof, 
„DaB Einige unfrer Männer zu Ran fahren werben; und wir werben 
nicht als rechte Abgefandte ericheinen, wenn wir dahin kommen, wir 
bereiten uns denn rajch; mir jcheint rätblih, daß jeder Mann etwas 
Gold bei fih habe.“ Da zerbieb er den Ring von Ingibjörg 


186 


(hringinn Ingihjergar-naut), vertheilte bie Städe unter feine Gefährten 
und fang: 

Der Ring fei zerhauen, 

Den Halfdans reicher Bater, 

Den. golbrotben, hatte, 

Bevor uns Ägir aufnimmt! 

Gold foll man ſehn an Wäften, 

Denn wir Herberge fuchen 

In Rans Sälen mitten; 

So ziemt es ſchmucken Reden. 


Mitten durch die Dunkelheit des Sturmmetterd ſah Fridthjof, daß 
fih ein großer Walfifch rings um das Schiff gelegt hatte, auf befien 
Rüden zwei Zauberweiber fahen. Er vermuthete fogleich, daß ihnen 
König Helgi durch dieſe Weiber den Sturm angerichtet habe und daß 
fie jet einem Lande nahe gelommen fein müflen, dur den Wallfiſch 
aber an ber Landung verhindert werben follen. Bjöm trat hierauf 
an's Steuer, Fridthjof aber ergriff eine Gabelftange (fork), fprang auf 
das Vorbertheil und fang dem Schiffe Ellivi zu, denn dieſes hatte bie 
Eigenfhaft, daß es Menſchenrede veritand: 

Heil dir, Ellibil 

Lauf du auf Wogen! 
‚Den Bauberinnen 

Brich Zähn' und Stirne, 
Kinnbacken und Kiefer 
Dem böjen Weibe! 
Brich beide Ziße 

Diefer Here! 


Darauf ſchoß er die Gabel nach ver einen Hamläuferin (hamhley- 
punni, Zäuferin in frember Geftalt), aber Ellidis Spite traf den Rüden 
der andern‘, und fo marb Beiden der Rüden gebrochen; der Wallfifch 
taudjte unter unb ward nicht mehr gefeben. Da begann bad Wetter 
fich zu fänftigen, das Schiff aber war nah’ am Sinken. Fridthjof rief 
jeme Männer auf und hieß fie ſchöpfen. Björn fagte: „Das ift ver 
gebliche Arbeit.” Fridthjof aber fang: 

Nicht dürft ihr, Freunde, 
Den Tod fürchten. 


187 


Zeigt euch freudig, 
Rafche Reden! 

Dos ja willen 
Meine Träume: 
Noch foll nie werden 
Sngibjörg. 


Da Ichöpften fie das Schiff und waren nun dem Lande nahe ge: 
kommen. Doc abermald warf ſich Unmetter ihnen entgegen. Fridthjof 
ergriff noch zwei Ruder am Vorbertheil des Schiffes und ruberte auf's 
Stärkſte. Da Härte ſich's auf und fie fahen, daß fie vor Effiafund an- 
gelommen maren, mo fie nun landeten. Das Schiffsvolk war jehr 
ermattet. Fridthjof aber mar noch fo rüftig, daß er adıt Männer ans 
Ufer trug, Björn trug zwei und Asmund einen. Da fang Fribtbiof: 


Ich trug auf 

Zur Teuerftätte 

Miüde Männer, 

Bom Schneefturm matte 
Nun hab’ id) das Eegel 
Auf Sarıd gefett. 
Schwer iſt's, zu ringen 
Mit Dreeresfärfe. 


Der Zarl Angantyr auf Effin, wo Fridthjof an's Land gieng, hatte 
die Getvohnheit, daß er, wenn er trank, einen Mann vor das Fenſter 
feiner Trinkftube figen ließ, der gegen den Wind ausfchauen und Wache 
halten mufte. Diefer Wächter tran? aus einem Thierhorn, und wenn 
es leer war, bot er's zum Fenfter herein und es warb ihm ein andres 
gefüllt. Hallvard hieß der Mann, der Wache hielt, ala Fridthjof lan: 
dete. Er ſah diefen beranfahren und fang: 


Männer feh’ ich fchöpfen, 
Im ſtarken Sturme, 
Sechs auf Ellidi, 

Und ſieben rudern. 
Wohl gleicht der Kühne 
Am Vorberliele 
Fridthjof dein tapfern, 
Die Ruder zwingt er. 


188 





Und als nun Hallvard fein Horn ausgetrunten, warf er es zum 
Senfter herein und fagte der Schenkin, die zu trinken brachte: 
Nimm du vom Eftrid), 
- Schönwandelnde Schenkin, 

Hallvards Trinkhorn, 
Das umgeſtürzte! 
Eturmmüde Männer 
Seh' ich im Meere, 
Hulfbedürftig 

Zum Hafen ſtrebend. 

Der Jarl hieß Hallvard hinausgehn und die Fremden gaſtlich 
empfangen, wenn es Fridthjof, ſeines Freundes Thorſtein Sohn, fer 
Da ſprach ein Mann, Namens Atli, ein großer Viking: „Nun ſollen 
wir erproben, was gefagt ift, daß Fridthjof das Gelübbe getban, Keinen 
zuerſt um Frieden zu bitten”. Es waren ihrer zehn, lauter böfe -undb 
babgierige Männer, die auch oft Berjerkergang giengen. Als diefe auf 
Fridthjof trafen, fagte Atli: „Wende bih nun gegen uns, Fridthjof! 
Adler, die auf uns ftoßen, follen fih mit uns krallen; jet kannſt bu 
dein Wort erfüllen und nicht um Frieden reden.“ Fridthjof manbte 
ſich gegen ihn und fang: 

Rimmer follt ihr 
Gebeugt uns jehen 
Dder angftooll, 
Ihr nfelbärte! 2 
Eh’ ich um Frieden 
Bitte, fchreit’ ich 
Allein zum Kampfe 
Mit euch zehen. 

Da kam Hallvarb hinzu und fagte: „Das will der Jarl, daß ihr alle 
willflommen feib und Niemand Streit an euch fuchen fol." Der Jarl 


1 [Fornald. 8. 2, 82:) pᷣvi öndverdir skulu ernir klöast med okkr; ſo 
Hialto, bei Saro 8. II, ©. 46: 
.. Certamina prima 
Fronte gerunt aquile et rapidis se rictibus urgent 
Anteriore loco: species vos alitis equet u, ſ. w. 
agl. B. V, ©. 105: Anterius alites certant. Müller, Sagnhiſt. 57, Rote. 
2 Eyarskeggjar. 


4189 


nahm Fridthjof und feine Gefährten wohl auf, fie blieben bei ihm ben 
Winter über und waren fehr von ihm geehrt. Ich weiß,“ fagte Aus 
gantyr zu Fridthjof, daß bu hieher geſandt bift, um Schatzung zu holen, 
und darauf kamn ich bir gleich die Antwort geben, daß König Helgi 
keine Schatzung von mir erhalten wird; aber du follft bon mir zur 
Gabe fo viel empfangen, als du wünfcheft, und magft bu das Schakung 
beißen, wenn bu willſt, oder anders, wenn dir's lieber iſt!“ Fridthiof 
nahm ed an und im Frühling fuhr er ab von ven Orkneyen, nad 
berzlichem Abfchied von Angantyr. Hallsard fuhr mit ihm. 

Indeſs hatte fich daheim in Norwegen manderlei begeben. Fram⸗ 
nes war abgebrannt. Die Schweitern, bie den Sturm erregt, waren 
beide mitten in der Beſchwörung vom Zauberftuhle geftürzt und hatten 
beide den Rüden gebrochen. Im Herbit kam König Hring nad Sogn, 
um Hochzeit zu halten. Es ward ein Gaftmahl angeftellt, bei dem er 
Bermählung mit Angibjörg tranl. „Woher baft du dieſen koſtbaren 
Ring,“ Sprach er zu ihr, „den du an deiner Hand trägft?“ Sie fagte, 
ihrem Water hab’ er gehört. „Der ift von Fridthjof (Fridhjöfs nautr),* 
verſetzte König Hring; „nimm ihn alsbald von der Hand! denn nicht 
ſoll dir's an Gold fehlen, wenn du nah Alfheim kommſt.“ Da gab 
fie den Ring Helgis Frau und bat fie, ihn Fribtbiof zu geben, wenn 
diefer zurückläme. König Hring zog nun beim mit feiner Frau und 
war ihr mit großer Liebe zugethan. 

Als Fridthjof nah Framnes zurückkam, ſprach er: „Dieß Haus 
iſt ſchwarz getvorben und bier haben nicht Freunde gewaltet“. Weiter 
lang er; 

Bormals tranlen wir 
Auf Yramnes, 

Nüftge Jünglinge, 
Mit meinem Vater. 
Berbrannt nun ſeh' ich 
AU die Wohnung; 
Königen hab’ ich 
Übles zu Ihnen. 


Fridthjof erflärte nım, daß er zuerſt die Schatung obliefern wolle. 


Sie ruberten über bie Bucht nach Syrſtrand. Hier erfuhren fie, daß 
bie Könige in Baldurshag beim Opfer (at disablöti) feien. Dahin 


190 


giengen nun Fridthjof und Björn, die Andern aber hießen fie indeſs 
alle Schiffe, die in der Nähe waren, zerhauen. Yribtbjof trat allein 
in die Thüren von Baldurshag: Björn mufte außen Wache halten. 
Im Difarfanle fand Fridthjof nur menige Leute; die Könige waren 
dort beim Opfer und faßen beim Trinken. euer brannte auf dem 
Eftrih, dabei faßen ihre Frauen unb mwärmten die Götter, einige 
falbten fie und trocineten fie mit einem Tuche. Fridthjof trat vor 
König Helgi und ſprach: „Willſt du jet die Schagung empfangen?“ 
Damit ſchwang er den Beutel, worin das Silber war, Helgin auf die 
Naſe, jo daß ihm zwei Zähne ausfuhren und er auf dem Hochſitz in 
Unmacht ſank. Halfdan ergriff ihn, fo daß er nicht ind Feuer fiel. 
Fridthjof fang: 

Nimm du die Schatzung, 

“ BVoltögebieter, . 

Mit den Vorberzähnen, 

Wenn's dir genug if! 

Silber findft du 

Im Grunde des Beutels, 

Das Björn und ih 

Dir eingetrieben. 


Wenige Leute waren im Saale, denn bie Meiften tranlen an einer 
andern Stätte. Als nun Fridtbjof hinausgehen mollte, fah er ven 
koſtbaren Ring an der Hand von Helgis Yrau, die eben Baldum am 
Feuer wärmte. Fridthjof griff nach dem Ringe, biefer aber wear feit 
an ber Hand und fo zog er fie das Eftrih entlang nah der Thür. 
Darüber fiel Baldur ins Fener. Halfbans Frau griff eilig nach Jener, 
ba fiel auch der Gott, den fie gewärmt hatte, ins Feuer. Die Lobe 
ſchlug nun in beide Götter, die zum voraus gefalbt waren, und von 
da auf in das Dad, fo daß das Haus in Flammen ftand. Fridthjof 
aber erhielt den Ring, eh’ er hinausgieng. Dann kehrte ex mit Björn 
zur Bucht zurüd, Helgi, nachdem er fich erholt, und Halfdan eilten 
mit ihrem Gefolge nad. Fridthjof und die Seinigen waren aber fchon 
an Bord und ließen ihr Schiff wiegen. Die Schiffe Helgis fand man 
zerhauen. Diefer warb panz rafend; er fpannte feinen Bogen, legte 
einen Pfeil auf die Sehne und wollte nah Fridthjof mit folder Kraft 
ſchießen, daß beibe Bogenenben zufammenbrachen. Als Fridthijof dieſes 











191 


ſah, ergriff es zwei Ruder auf Ellife und zog fie fo far! an, baf 
beide in Stüde giengen. Dazu fang er: 

Ich tüfste die junge 

Ingibjörg, 

Belis Tochter, 

Sn Baldurshag. 

So follen Ruder 

Auf Eflidi 

Beide brechen, 

Die Helgis Bogen! . 

Der Wind ſtrich vom Lande, fie fpannten die Segel und fuhren rafch 
von dannen. Fridthjof beſchloß nun, nicht mehr in Norwegen zu bleiben, 
fondern auf Vilingsfahrt auszuziehen. Nach feiner Abfahrt hielten bie 
Könige Thing, erklärten ihn landesverwieſen und zogen all fein Eigen: 
thum an fih. Halfdan nahm feinen Sit auf Framnes, wo er wieber 
einen Hof aufbaut. Auch Baldurshag ftellten fie wieder ber. Das 
war Helgin das Schlimmfte, daß die Götter verbrannt waren. 
Fridthjof erwarb fih auf feinen Fahrten Reichthum und Ruhm. 

Er vertilgte Übelthäter und graufame Bilinger, aber Bauern und 
Kaufleute ließ er in Frieden. Nah drei Jahren legte er gegen ben 
Winter oſtwärts in einer Bucht an und fagte feinen Kriegsleuten, daß 
er hier ans Land gehen und den. König Hring und Ingibjörg befuchen 
wolle, um ihre Liebe mit anzufeben; am Anfang bes Sommers follen 
fie ihn hier wieder abholen; auf den erften Sommertag werd' er ein- 
treffen. Als ein alter Salzbrenner 1 verkleidet und verlarvt gieng er 
allein an Hrings Hof. Der König fand Gefallen an ihm und behielt 
ihn den Winter über, bemerkte jedoch, daß er für den Ning, ben er 
an der Hand trage, lange Salz gebrannt haben müfle Die Königin 
fprach wenig mit ihm. Einjt als der König und Ingibjörg über einen 
zugefrorenen See fuhren, brach das Eis unter ihnen; Fridthjof aber 
lief Hinzu und riß den Wagen mit den Pferden heraus. » Als ver Früh: 
ling kam und ber Wald ergrünte, zog ber König eines Tags mit feinen 
Hofleuten aus, um fich am jchönen Ausjehen des Landes zu vergnügen. 
Er kam mit Fridthjof im Walde fern ab von andern Menfchen. Hier 
wollte er ſich ein wenig fchlafen legen. Fridthjof rieth ihm, lieber 


1 Bol. Saro 3. VI, ©. 149, 1. 


N 


192 


nad Haufe zu kehren. Der König aber legte fich nieber und fchlief 
feft ein. Fridthjof faß neben ihm, zog fein Schwert aus ber Scheibe 
und warf ed weit von ſich. Bald barauf erhob fih der König und 
ſprach: „War das nicht fo, Fridtbjof, daß dir Manches in ben Sinn 
kam, bem bu doch wohl widerſtandeſt? du ſollſt darum bei uns hoch 
angeſehen ſein. Ich erkannte dich am erſten Abend, da du in die 
Halle tratſt, und nicht ſobald ſollſt du von uns ſcheiden. Etwas Großes 
mag ‘bir bevorſtehn.“ Als nun Fridthjof fortreiſen wollte, gab es 
König Hring nicht zu: er fühle fein Ende nahe; Fridthjof ſoll nad 
feinem Tode Ingibjörg haben und, bis feine Söhne erwachſen wären, 
das eich verwalten. So geihah e8 auch. Helgi und Halfdan führten 
ein Heer gegen Fridthjof, aber Jener warb getöbtet und Diefer mujte 
fih unterwerfen. Rachdem Yribthjof den Söhnen Hrings das Reich 
ihres Vaters übergeben, war er felbit Sylfelönig 1 über Sogni und 
Halfdan ‘war fein fchagpflichtiger Herfe. 

Diefe Saga, deren jetzige Abfafiung Müller (Sagabibl, II, 461) 
dem Stile nad in das Ende des 13ten oder den Anfang des 14ten 
Jahrhunderts fett, hat einen von ben bisher abgehandelten verſchiedenen 
Charakter. Sie ift idyllenhaft in ber Darftellung des einfachen, häus⸗ 
Tichen Lebens an ben Höfen der norbifchen Fylkekönige, Herſen, Jarle; 
fie ift romanartig in der tätigen Durchführung der Liebesgeſchichte 
zwifchen Fridthjof und Ingibjörg. Das Myihifche dagegen greift viel 
weniger bebeutfam ein, als in ben biöherigen Sagen. Zwar ift un 
ein Blick eröffnet in Agirs und Rand tiefe Säle, wohin die Helben 
nur goldgefhmüdt eingehen wollen. Diefe Weſen treten aber nicht 
jelbft in die Handlung ein, wie etwa im Mühlenliede die Wellen, fonft 
auch Ägirs oder Rans Töchter genannt, als riefenhafte Mühlmägde 
bervortreten. Ferner ift zwar diefer Eaga die befonbre Verehrung 
Baldurs eigentbümlich, aber auch dieſer greift nicht, wie bisber fein 
Bater Odin, lebendig in das Ganze; nur fein tobtes Bild wird gefalbt 


1 In Rorwegen gab e8 eine große Anzahl unabhängiger Gebieter von be 
ſchränkter Macht, Fyllekösnige genannt, fylki, rn. provincia, tractus terre, 
bis in ber Zten Hälfte des Iten Jahrhunderts Harald Schönhaar ih nad und 
nad alle Übrige Stämme unterwarf und Gründer eines norwegiihen Reiches 
wurde, das auf einem Lehensverhältnis beruhte. Ruhs, Handb. d. Geſch. d. 
Mittelalters 768 f. 


193 
und gewaͤrmt unb geht zuleit im Teuer auf. Diefer Mangel an 
mythiſcher Belebung wird auch nicht durch die Wärme der Empfindung 
im Liebesverhältniffe Fridthjofs und Ingibjörgs vergütet. Es bericht 
bierin, nach unfrer Gefühlsweife, einige Trockenheit. In ber ftarlen 
Ratur der altnordiſchen Poefie liegt es, daß fie der Empfindung nur 
in großartigen und gewaltſamen Berhältniffen Luft geben fann. Dex 
Treuebund Hrolfd und Halfs mit ihren Kämpen, wie er fich im lebten, 
gemeinfamen Kampf und über biefen hinaus bewährt, bietet weit mehr 
kräftig Rührendes dar, als Frivtbiofs und Ingibjörgs unglüdliche Liebe. 
Das eigenthümlichft Schöne ber Fribthjofsfaga berubt vielmehr in ber 
unerfchütterlichen Yreudigleit des Helden. Als den Kern bes Ganzen 
betrachte ich die trefflich durchgeführte Sturmfcene (C. 6). Sie ift am 


reichſten mit Lieberftrophen ausgeſtattet, worauf auch Diefe Saga haupt: . 


fächlich ſich zu gründen fcheint (Sagabibl. II, 461). Das Liebesleben in 
Baldurshag war mit wenig Klang und Farbe bargeftellt, vielleicht war 
auch davon urfprünglich wenig Andres erzählt, als was Fribtbjof auf dem 
Meere fingt. Exft im Gebraus. der einftürgenden Wogen mwirb die Ems 
pfindung wach und das echt nordiſche Liebeslied ift ein Gefang im Sturme. 

Den mytbifchen Gehalt des Fridthjofsſaga flellt Bone weit höher, 
als mir es möglich iſt. Bol. I, 298 bis 290. *** (Beli heißt in ber 
Bölufpa ein Niefe, ven Freyr töbtet, der alfo mit Balbur nicht 
einerlei fein Tann. Altheim, worauf Done mythiſche Bedeutung legt, 
hieß aud eine Gegend bed alten Norwegens zwiſchen ben Strömen 
Gotelv und Romelv. Lex. myth. 3a. Bögubr. €. 6; vgl. 6.10.) Das 
Ergebnis dieſer ganzen Ausführung Mones, daß die Fridthjofsſaga 
eine Glaubenöfehde zwiſchen Licht: und Waflervienern enthalte, fällt 
zufammen, wenn man erwägt, daß Fridthjof keineswegs als ein be 
fondrex Verehrer der Meeresgötter Agir und Ran erſcheint. Er bat 
mit ben ungejtümen Meeresgewalten lediglich zu kämpfen. Björn jagt 
einmal im Verſe (C. 7, ©. 83), wie fie achtzehn Tage lang am Schiff 
ausfchöpfen muften, als’ Rans Kinder (die Wellen) den Meertreter 
(das Schiff) ermüdeten. Agir und Ran, allervings vom Jotengeſchlechte, 
fielen auch eben darum, wie bei bes Götterfage gezeigt morben, bie wilbe 
Natur des Elementes dar. Um günftige Schifffahrt wird Niörb, ber 
Bane, angerufen. Die Sage bietet überhaupt Fein inneres Verhältnis, 


lemen irgend eingreifenben Gegenfat zwiſchen Balbur und den Reeres⸗ 


Upland, Sqriften. VIl. 13 | 


194 


göttern dar; Erſterer hätte ben Letztern dafür nur verbunden fein Tönnen, 
daß fie dem Zerftörer feines HeiligthHums fo viel Drangfal antbun. Auch 
der ſchöne, nachbarliche Freundesverkehr zwifchen den Vätern, die fid 
gegenfeitig zum Mahle laden unb noch von den Grabhügeln aus über 
den Sund fich beiprechen tollen, zeugt von keinem Glaubenzftreite. Bei 
dieſer Beichaffenheit der mythologischen Hypotheſe in ihren Grundlagen 
wird es feiner nähern Erörterung der einzelnen Umſtände bebürfen. 
Für unwahrſcheinlich halte ich zwar keineswegs, daß Balbur in 
dieſer Sage urfprünglich mehr innere Bebeutung gehabt, jeboch Zeine 
elementarifche, fondern eine ethiſche. Wir baben in Balbur, bem 
ſchönſten, lichteften der Aſen, ben Gott ber fittlihen Güte und Rein⸗ 
beit Tennen gelernt; feine Gattin Nanna ift nad) Mones eigener Er: 
Märung (I, 430) die jungfräulide Unſchuld; in Baldurs bimmlifcher 
Wohnung Breibablit (late fulgens), dem glängendften ber Götter: 
fäle, kann nichts Unreines befteben, und fo ift auch das irdiſche Bal⸗ 
durshag der Saga vor aller Gewalttbat und Unreinheit gefreit. Aber 
biefe ſagenhafte Freiſtätte ſelbſt könnte urfprünglich bloß mythiſche 
Symbolik geweſen, oder, wenn auch im Norden wirklich einſt ein ſolches 
Heiligthum beſtand, dieſes nur als die äußere Darſtellung einer Idee, 
eines ſittlichen Baldurstempels zu betrachten fein. Eine ſolche ideale 
Deutung wird jelbft buch den Wortfinn einiger erbeblicherer Namen 
begünftigt. Baldurshagi (hagi m. pascuum, Lex. isl. I, 819, sep- 
tum; vgl. Grimm, Gramm. II, 457) ift das Gehege ber reinen Sitte, 
wie auch das Heiligthum der Saga mit einem hohen Baune (skidgardr) 
umbegt if. In dieſe ſchützende Freiftätte ift bie Jungfrau gebracht, 
deren Name Ingibjörg wenigſtens nach feiner zweiten, beutlichen Silbe 
(björg, f. tegmen, refugium, Gramm. II, 486) wohl bieher pafst; ift 
aber in ber erften, zweifelbaftern Silbe ein urſprüngliches y (ü) mit 
einem ſtärkern i verwechielt, eine Verwechslung, bie überhaupt in ber 
iBländifchen Ausfprache herkömmlich ift (Gramm. I, 284, mit Bezug 
auf Raft), fo dürfte fih als Sinn des ganzen Worts ergeben: Jugend⸗ 
Schuß, geborgene Jugend (Yngi, n. juventus, obsol. nisi in com- 
positis, hier Ingis-? Biden II, 489; Jngia, juvenescere, Lex. myth. 
©. 6065, yngi, m. juvenis; ynga, f. virgo). Fridthjof endlich, der 
Frieddieb, wäre Derjenige, der bie Friedensſtätte (dort war gridastadr, 
grid, o..pax, securitas, fridr, m. pax), das Heiligthum der Unschuld 





195 


und Sitte, beſtiehlt. Allen, jo wie bie isländiſche Eaga jet bes 
ſchaffen tft, weiſt auch ihr Altefter Beſtandtheil, bie Liederſtrophen, 
nirgends beſtimmter auf ein lebendiges Eingreifen des Mythus von 
Baldur hin. | 

Manche der bisher erörterten Mythen und Sagen find von andern, 
beſonders däniſchen Dichtern, Ohlenſchläger u. A., poetifch bearbeitet 
worben. Beſonders aber hat neuerlich die ſchwediſche Bearbeitung ber 
Fridthjofsſaga durch Ef. Tegner verdienten Beifall gefunden und durch 
preifache Überfegung ins Deutfche 1 auch unter ung große Verbreitung 
erlangt. Wenn nun gleich felbftändige poetiihe Behandlungen ber 
alten Sape nicht in den Kreis unfrer Aufgabe fallen, fondern der Ge 
Ichichte ber neuern Poefie angehören, fo jol ihnen doch da, wo fie 
etwas zur Erläuterung unſres Gegenftandes beitragen können, nicht 
abfichtlich aus dem Wege gegangen werden. Tegner bat in ver alten 
Saga offenbar dasfelbe vermifst, mas auch wir außzuftellen fanden, 
indem wir einestheild den Mangel an Wärme ber Empfindung und 
des Colorits in der Darftellung von Fridthjoſs und Ingibjörgs Liebe 
und anberntheil3 den Abgang der mythiſchen Belebung bemerklich machten. 
Erfteres jedoch bezeichneten wir mehr nur als einen Mangel nad) ber 
Gefühlsweiſe unferer Zeit. Eben darum aber mufte der neuere Dichter, 
wenn er auch im Ganzen dem Gange ber Saga ziemlich getreu folgt, 
bier feinen Stoff mit erhöhter Empfindung durchdringen und demgemäß 
auch mit reicherem Yarbenglanze ſchmücken. Die mythiſche Begeiftigung 
durfte zwar nur mittelft einer Idee herbeigeführt werben, welcher eine 
allgemeinere, auch für unfere Zeit gültige Wahrheit und Bebeutung zus 
fommt; hiebei fam aber allerdings zu Statten, daß ber Mythus von 
Baldur gerade derjenige ift, der vor allen andern Theilen ber norbifchen 
Mythologie der chriftlichen Anſicht am meiften zufagt. Auf diefe beiden 
Punkte bat fi nun auch mefentlich Tegners poetifche Thätigfeit ger 
richtet. In Beziehung auf ben erftern Punkt, bie Steigerung des Ge 
fühls, fcheint mir die Zöfung der Aufgabe minder volllommen gelungen, 


1 [&. v. Helwig 1826, 1844, 1853, Mohnile 1826, 1842, 1854, 1862, 
Schley 1826, Mayerhoff 1835, Janſen 1841, Minding 1842, 1846, Berger 
1843, 1854, 1859, 1866, Wollheim 1845, Heinemanıt 1846, 1862, Hart⸗ 
mann 1846, v. Leinburg 1855, 1865, A. Niendorf 1856, Lobedanz 1862, 
Simrod 1863, Biehoff 1865, 2. Freytag 1867. Kurz.) 


1% 


nicht ſowohl darum, weil ber Held zumeilen doch allzu fentimental 
wird (3. B. im 4ten Gef. Über]. von Amal. v. Helmig ©. 34: 
Grin fleiget die Erb’ aus der Hülle von Schnee, 
Und die Draden ſchwimmen auf blauer See, 
Der junge Degen 
Schaut träumend zum Mond nur, auf Waldes Wegen. 
oder im Tten Gel. ©. 50: 
So lang die Sonn’ in warmer Feier 
Mit Purpurglanz das Thal erfüllt, 
Wie rofig der Geliebten Schleier 
Des Buſens Blumenwelt umbüllt, 
So lang ir’ einfam ih am Strande, 
Bon reger Sehnſucht Pein verzehrt, 
Und fchreibe ſeufzend dort im Sande 
Den theuern Ramen mit dem Schwert, 
jondern bauptfählich darin fcheint mir ein Misftand zu fiegen ,‚ daß 
Tegner neben biefer modernen Gefühlsmweife doc) auch von der altnor: 
diſchen Heldenkraft nichts aufopfern wollte und jogar hierin noch Einiges, 
was die Saga nicht enthielt, beifügte. Im 16ten Gel. (S. 144)- droht 
Biörn, dem König Hring, wenn Fridthjof nicht wieder von deſſen Hofe 
zurüdfomme, den Blutabler zu fchneiven, eine barbarifche Sitte, dem 
lebenden Gefangenen den Rüden in der Form von Wblerflügeln auf: 
zuſchneiden, bie wohl fonft in nordiſchen Sagen vorkommt, aber nicht 
in der Fridthjofsſaga. Dann, im 17ten Gef. vom Gelag an König 
Hrings Hofe (S. 149): 
Und tüchtgen Julrauſch nahm ſich 
Ein Jeder mit vom Schmaus; 
wovon gleichfalls die Saga nichts enthält. Der 18te Geſang, Vikinger 
Recht, fo mandes Schöne aud er enthält, zeigt boch vielleicht am 
deutlichften die ungleichartige Zufammenjegung. Vgl. ©. 136 bis 140.*** 
Ein großer Theil der Vikingerſatzungen, welche den vorbern Theil 
dieſes Geſangs ausmachen, find der Fridthjofsſaga fremd, vielmehr der 
Saga von Half und feinen Reden entnommen und tragen ganz ben 
Iräftigen Charakter diefer Saga. Daran reiht fih dann aber in ber 
zweiten- Hälfte ein ſchwärmeriſcher Liebestraum, wie ihn Halfs Reden 
niemals träumten, denen nur ihr gefallener Heldenkönig kampfmahnend 
im Traume erjhien. Die Zufammenftellungen des Nordens und 


197 


N 


Südens, in der malerifchen Poeſie der Neuern fo beliebt, find überhaupt 
der innern Haltung und dem gleichmäßigen Charakter der Dichtungen, 
dem Arbeiten aus einem Stüde, nicht fehr günftig. 

Die Idee, wodurch Tegner das, was wir bie inythiſche Belebung 
nannten, zu erjeßen fucht, ift Hauptfächlich im Schlußgefang, in folgenden 
Worten bes Priefters an Fridthjof, in dem von ihm zur Sühnung feiner 
That neu aufgebauten Baldurstempel, fchön ausgeſprochen. ©. 185 f.: 
Ein jedes Herz hat feinen Balbur u. |. m.*** Dann noch bie Anknüpfung 
an das Chriftlihe S. 188 f.: Was mar bie Meinung u. |. m. *** Auch 
bon dieſer idealen Hebung bed Ganzen ftedhen die vorangeführten: Züge 
norbifchen Ungeftims und finnlicher Kraftäußerung zu merklich ab. 

Diele Bemerkungen follten dazu dienen, die bedeutenden Schwierig. 
leiten der poetifchen Erneuerung der alten Sagenwelt zu veranſchau⸗ 
lichen, keineswegs aber die dichteriſchen Schönheiten des tegneriſchen 
Werkes zu verfümmern. 

Mit der Fridthjofsſaga fteht in Verbindung die Saga borsteins 
Vikingssonar (Fornald. Sög. 1, 381 f., Fortids 8. II, 310 ff.) 
Diefelbe handelt vom Vater und Großvater Fridthjofs und wäre darum 
vor der Saga von ihm anzuführen geweſen, wenn fie überhaupt als 
eine echt altertbümliche und nicht vielmehr als em erſt im 14ten Jahr» 
hundert zur Fridthjofsſaga gebichtetes Seitenſtück zu betrachten mäte 
(Sagabibl. II, 594 f.), weshalb wir uns auch nicht bei ihr verweilen. 
Der Fall ift nicht jelten in der Sagengefchichte, daß die Väter der 
Helden eigentlih ihre Söhne, d. h. die Erzählungen von den Vätern 
neuer, al3 die von den Söhnen, und erft durch diefe veranlaßt find. 


6. 


Im genealogifhen Verhältnis der Abftammung ftehen folgende 
vier norwegifche Sagenhelden: Ketil Häng, Grim Lodinfinn, Orvarodd 
und An, der Bogenfpanner. Bon jedem berfelben iſt eine islänbifche 
Saga vorhanden: Saga Ketils Hzengs, Saga Grims Lodinkinna, 
Örver-Odäs Saga, Äns Saga Bogsveigis 1, ſämmtlich im 2ten Band 
ber zafnifchen Fornaldar Sögur und bemfelben ber bänifchen Über⸗ 
ſetzung. Sagabibl. II, 525 ff. 


1 At sveigia, flectere, curvare. 


n 


18 


Da jedoch in diefen fänmtlihen Sagan nicht ſowohl organifche 
Sagenbildungen, als willkührlich zufammengereihte Abenteuer enthalten 
find, wenn auch neben den neuern Erbichtungen manches Altfagenbafte 
bervortritt und die norbifche Farbe im Ganzen vorhanden ift, fo mag 
es, bei der Menge bes noch zu verarbeitenden Stoffes, genügen, bie 
ſelben litterariich angegeben zu haben. 

Nur eine Sttuation, die und noch in anbern Sagenkreifen mehr: 
fach begegnen wird, der Kampf bed Vaters mit dem Sohne, ohne daß 
Einer den Andern kennt, bebe ich aus der lebten berfelben, von An, 
dem Bogenfpanner, hervor (C. 7, ©. 251 ff. [Schriften I, 165.ff. K. ]. 

Weitere, hier nicht benannte, minder erhebliche und noch weniger 
auf altertbümliche Überlieferung gegründete Sagan, größern und ge 
ringern Umfangs, find in Müllers Sagabibliothei, beſonders den lebten 
Abtbeilungen bes 2ten Bandes, verzeichnet. 

Die bisher bargeftellten Heldenſagen berubten zunädft auf t#län- 
diſchen Quellen, auf einigen Erzählungen der jüngern Edda, zumeift 
aber auf den altnordiſchen Sagan; bei einigen wurden Saros- Berichte 
‚zur Ergänzung ober Bergleihung benügt. Die nun weiter folgenden 
Sagen finden ſich entweder bei Saro allein oder doch bei ihm am voll: 
ftändigften und lebenbigften erzählt, jo daß umgekehrt isländiſche Nach⸗ 
richten bier nur auf ähnliche Weife angewendet werben, wie früher 
Saxo für die Sagan. 

7. Habbing. | 
Saro 8. I, S. 9 fi. Miülter, Sagnhift. 20 bis 24. Lex. myth. 296 f. 


Die Erzählungen von Habbing (Hadingus), dem Sohne Grams, 
dem Sten in Saros dänifcher Königsreihe, nehmen ven größern Theil 
feines erften Buches ein. Die Urfache, warum er diefen Helden unter 
die älteften Dänenkönige verſetzt, ift, nad Müllers Bemerkung (&. 24), 
ohne Zweifel in der uns ſchon befannten Anficht Saros zu ſuchen, 
wonach er für bie erften Bewohner des Nordens die Niefen und für 
die nächſten nad diefen die für Götter gehaltenen Zauberer erklärt. 
Beide Klaſſen aber, Riefen und Götter, ſpielen in Haddings Gefchichten. 
Ex wird bei Riefen erzogen und von Odin geſchützt, beleibigt die Götter 
und ftiftet zur Sühne dem Gotte Fro (Freyr) ein Opfer, bejucht bie 
Unterwelt u. |. w. Der mythiſche Charakter dieſer Erzählungen und 


19 


die vielen eingeftreuten Verſe mweifen auf hohes Altertbum bin und bie 
Manigfaltigkeit der Abenteuer läßt auf eine ziemlich umfaflende Hab» 
dingsſaga ſchließen. Aber mehreres Räthſelhafte im Einzelnen und 
der unklare Zufammenbang des Ganzen gibt zu erkennen, daß bie 
Überlieferungen, wie Saro fie vorfand, ſchon fehr an Berbunklung 
und Berrifienbeit litten. Sch gebe darum auch nur einige Züge, bie uns 
inbefondre Odins irbifches Walten noch weiter vergegentwärtigen können. 

(S. 12 5.) Des Sünglings Habbing, ber verlafien umberirrte, 
auf Rache für feinen erichlagenen Bater finnend, nahm fich ein alter, 
einäugiger Mann an und verband ihn auf feierliche Weife mit bem 
Bilinger (pirata) Lifer: 

Siquidem icturi fedus veteres vesligia sua mutui sanguinis asper- 
sione perfundere consueverant, amicitiarum pignus alterni cruoris com- 
mercio firmaturi. 

Dieß war, was man im Norden föstbreedre-lag 1, Pflegbrüberbund, 
nannte. Der Name bat feinen Urfprung von dem fchon früher er: 
wähnten genauen Verhältnis ziwifchen denjenigen, welche bei bemfelben 
Pfleguater erzogen waren. Cin ähnliches, ja noch engeres Band knüpf⸗ 
ten auch Solche, bie fich nicht auf diefe Art fchon nahe ftanden, mit: 
telft der von Saxo angebeuteten finnbilplihen Handlung. Dean jchnitt 
nemli lange Rafenftüde auf, befeitigte fie an ben Enden in ber Erbe, 
richtete fie auf und ſtützte fie mit einem Spieße; bann traten Diejenigen, 
welche den Bund eingeben wollten, darunter, verwundeten fich, ließen 
ihr Blut zufammenfließen und vermifhten es mit Erbe, fielen fofort 
auf die Kniee und ſchwuren bei ven Göttern, Einer des Andern Tob 
zu räcden, wie Brüder (nad dem Geſetze der eigentlichen Blutöver: 
wandtſchaft), worauf fie ſich die Hände reichten und fortan Pflegbrüder 
hießen. Durch ein ſolches Bündnis mit dem Bilinger Lifer ſucht der 
einäugige Greid den Jüngling Hadding zu ſtützen. 

Liſer und Habbing befriegten nun zufammen Lolern ?, den Häupt- 
Img der Kurländer (Curetum tyrannum), wurden aber von ihm über: 
wunden. Den fliehbenden Hadding brachte der vorerwähnte Greis auf 
feinem Roſſe nad) feiner Wohnung, erquidte ihn durch ein Föftliches 

i Föstro, nutrire; föstr, n. educatio, nutricatus. Brœdra, gen. pl. 
von brödir, frater. Lag, n. lex, jus, societas, fedus. [Schr. L, 139. 269 ff. &.] 

2 Geijer ©. 208, N. 10 will in diefem Loler Lokin finden, 


200 
Getränk und verhieß ihm davon einen Zuwachs feiner Korperkraft. 
Dabei verkündete er dem Jüngling Folgendes im mahnenden Liede 
(eujus augurii monitum hujusmodi carmine prabavit): Hadding 
werde vom verfolgenden Feind ergriffen werden, um ihn gefeſſelt zu 
halten und den wilden Thieren vorzuwerfen; dann ſoll er ſeine Wächter 
mit mancherlei Erzählungen überhäufen und, wenn fie eingeſchlafen, 
ſeine Bande ſprengen. Hierauf ſoll er mit ganzer Kraft einen 
Löwen angreifen, der die Gefangenen zu zerfleiſchen pflege. Wenn er 
dieſen mit dem Schwerte durchbohrt, ſoll er das warme Herzblut des⸗ 
ſelben trinken und das Herz verzehren, davon werd' ihm neue, gewal⸗ 
tige Stärke zulommen. Er, der Beraiber, werde felbft die Wächter 
in Schlaf ſenken und darin fefthalten. Nach Diefem brachte der Alte 
den Süngling auf dem Pferde zur vorigen Stelle zurüd, Hadding, 
der durch die Öffnung des Gewandes, mit dem er bedecktt war, ſchüch⸗ 
tern hinausblickte, ſah, wie das Rofs über dem Meere bineilte; auf 
des Alten Warnung aber wandte er die erftaunten Augen von bem 
ſchauderhaften Wege. Er wurde nachher wirklich von Lokern gefangen 
und Alles ergieng, wie ihm voraus verfünbigt war. 

(S. 20.) Als fpäterhin Hadding einem gewiſſen Thuning, der ihn 
mit einer Hülfsſchaar von Biarmiern (Biarmeland, Permien, bie Gegend 
am weißen Meer und ver Divina, deren Bewohner für ſehr zauberfundig 
galten) befriegen wollte, entgegenzog und mit feiner Flotte Norwegen 
porüberfuhr, jah er am Ufer einen Greis, der eifrig mit dem Gewand 
winkte, daß man an der Küfte anfahren folle. Habbing nahm ihn an 
Bord, obgleich feine Gefährten nicht wollten, daß man fich bamit ver- 
weile. Er empfieng nun won biefem Frembling die Antweifung zu einer 
neuen, feilförmigen Schlachtorbnung. Im Kampfe ſelbſt ftellte ber 
Greis fih hinter die Reihen, zog aus ber Tafche, die ihm vom Nacken 
bieng, einen Bogen, der anfangs Hein erichien, bald aber fi; weiter 
ausbehnte, und legte an bie Sehne zehn Pfeile zugleich, die, mit kräf⸗ 
tigem Schuß auf die Feinde gefchnellt, eben fo viel Wunden bobrten. 
Die Biarmier führten durch BZauberlieber ungeheure Regengüfle bexbei, 
aber ver Greis vertrieb burch Sturmgemwölf den Regen. Habbing fiegte 
und der Alte fchied, indem er ihn-ermahnte, glänzende Kriegszüge den 
submlofen, ferne den nahen vorzugiehen, und ihm ben Tod, nicht 
durch Feindesgewalt, ſondern durch eigene Hand, weiſſagte. 





201 


Auh in dieſer Sage erjcheint Odin als Erwecker und Kräftiger 
junger Helden. Denn baß ber einäugige Greis Odin fei, wenn er auch 
nirgends genannt wird, Tann uns nach feinem ähnlichen Auftritt in 
andern Sagen nicht zweifelhaft fein. Er ftiftet die Blutbrüberfchaft 
zwiſchen Habbing und Lifer, diefen Bund zu Heldenwerl und Blut: 
rache. Der Jüngling, ver auf Baterradhe ſann, mar ihm befonders 
genehm. Auf feinem Rofje, dem achtfüßigen Sleipnir, bringt er den - 
Süngling aus der Schlacht nad, feiner Wohnung, nad Walhall, und 
erfrifcht ihn dort mit einem köſtlichen Tranfe (suavissime cujusdam 
potionis beneficio), worunter wir den begeifternden Euttungsmeth, 
den Odin den Zivergen abgeivonnen, zu verftehen haben. Der Löwe, 
von deſſen Herzen und Herzblut Hadding nad Odins Rathe genießen 
fol, ift hier etwas frembartig; in ber Hrolfsfage wird Ähnliches mehr 
nordiſch von einem Bär erzählt. Überhaupt will die doppelte Stärkung 
burch den Göttertrank und durch Thierblut nicht recht fo nahe zufammen- 
paflen, beides mag in ber urjprünglichen Geftalt der Sage weiter aus 
einander gelegen fein. Schön' iſt, wie ber Jüngling unter dem Mantel 
bervorlaufcht und auf die fchauberhafte Bahn des Roſſes berabfieht; 
hier erweift fich völlig der durch die Luft hinſchwebende Sleipnir. Als 
Erfinder und Lehrer der Feilfürmigen Schlachtordnung, die man wegen 
ihrer Ahnlichleit mit der Form eines Schweinslopfes Svinfylking (fyl- 
king, F. acies) nannte, wird uns Odin noch ferner Begegnen. Als 
Theilnehmer an der Schlacht fanden wir ihn aud in der Hrolfsfage. 
Daß enblih ter Günftling Odins eines gewaltfamen Tobes ſterbe, 
ift nicht anders zu erwarten,. ba er ohne eine ſolche Todesart nicht 
nach Walhall kommen könnte. 


8. Reguer. 
Sarı B. U, S. 29 bis 32. 38. Milller, Sagnhiſt. ©. 26. 


Diefe Erzählung reiht ſich infofern an die vorige von Hadding an, 
als in ihr eine Tochter dieſes Helden auftritt; aud bat fie gleichfalls 
mythiſches Gepräge und ift mit Verſen durchwoben. Vielleicht war jie 
der größern Haddingsſaga, deren einftiges Vorhandenſein wir vermuthet 
haben, angehängt. 

Thorild, die Wittwe des Schwedenkönigs Hunding, haßte ihre 


202 


— 


jungen Stiefſöhne, Regner und Thorald, auf das Außerſte, würdigte 
ſie zum Hirtendienſt herab und ſuchte, ſie in mancherlei Gefahren zu 
verwickeln. Da machte ſich Svanhvit (Suanhuita, Schwanweiß), bie 
Tochter Haddings, mit ihren Schweſtern, die fie fich zum Gefolge 
nahm, nach Schweden auf, um den Untergang jener edeln Sprößlinge 
abzuwenden. Sie fand die beiden Jünglinge, welche zur Nachtzeit die 
Heerden hüten muſten, von mancherlei geſpenſterhaften Weſen um⸗ 
ſchwärmt; ihren Schweſtern, bie von den Pferden ſteigen wollten, ver⸗ 
bot fie dieſes, indem fie ben Geſpenſterſpuk folgendermaaßen (tali poe 
matis sono) fhilberte: 


Monstra quidem video, celerem captantia saltum, 
Corpora nocturnise precipitare locis. 
Bella gerit deemon, et iniquæ dedita rixe 
Militat in mediis turba nefanda viis. 
Effigie spectanda truei portenta feruntur, 
Hecque hominum nulli rura patere sinunt, 
Agmina, preeipiti per inane ruentia cursu, 
Hac nos progressum sistere sede jubent. 
Flectere lora monent, sacrisque absistere campis, 
Arvaque nos prohibent ulteriora sequi. 
Trux lemurum chorus advehitur, precepsque per auras 
Carsitat et vastos edit ad astra sonos. 
Accedunt Fauni Satyris, Panumque caterva 
Manibus admixta militat ore fero. 
Silvanis coeunt Aquili, Jarveque nocentes 
Cum Lamiis callem partieipare student, 
Saltu librantur Furie, glomerantar eisdem 
Larve, quas Simis Fantua juncta premit, 
Calcandus pediti trames terrore redundat, 
Tutius excelsi terga premantur equi. 


Zu wünfchen wäre, baß uns Statt ber römiſchen Namen biefer Spul: 
geifter die entiprechenden norbilchen Benennungen der Theilnehmer an 
diefem nächtlichen Reigen erhalten wären, wiewohl wir einige berfelben, 
Alfer, Veettir u. ſ. w., vermuthen können. 

Regner, der ältere der Königsſöhne, tritt berzu und bemerkt, daß 
man fie nicht auch für Gefpenfter halten folle, fie ſeien Hutknechte über 
die Tönigliche Heerde und weil fich diefe verlaufen, während fie ihre Spiele 


203 


getrieben, haben fie aus Furcht vor der Züchtigung nicht zu ihrem Herrn 
heimzukehren gewagt. Als jedoch Spanhpit den ſchönen Jüngling ſchär⸗ 
fer betrachtete, ſprach fie: „Von Königen, nicht von Knechten, ſtammſt 
du, das verräth mir der leuchtende Glanz deiner Augen.“ Sie rieth 
ben Jünglingen, eiligſt von dieſem unheimlichen Wege zu weichen, da⸗ 
mit ſie nicht dem nächtlichen Spuke zur Beute würden. Regner, ſeines 
ſchlechten Aufzugs ſich ſchämend, erwiderte, nicht immer ſei Knechtes⸗ 
ſtand von Mannheit entblößt und oft ſei vom grauen Kleid (atra veste) 
eine ſtarke Hand umſchloſſen. Er ſelbſt fürchte keine geſpenſtiſche Macht, 
mit einziger Ausnahme des Gottes Thor, mit deſſen Stärke nichts 
Menſchliches noch Göttliches verglichen werden könne. Vergebens ſuche 
die Jungfrau, feinen Muth wankend zu machen. Svanhyvit bewunderte 
die Entfchloffenheit des Jünglings und indem von ihrer jungfräulichen 
Geftalt das Dunkel wid) und ein wunderbarer Lichtglanz fich über fie 
verbreitete, bot fie Regnern ala Brautgefchent ein herrliches Schwert 
dar, mit dem er die Nachtgeipenfter befämpfen Tünne und das er aud) 
in Zulunft ala Held würdig gebrauchen folle. Diefe Ermahnungen 
fand Saro gleichfalls in Liedesform vor (coaptato rhythmorum canore) 
und gibt fie wieder in lateinifchen Diſtichen. Regner kämpft nun die 
ganze Nacht hindurch mit diefem Schwerte gegen die Ungethüme; denn 
nicht paſſend erfcheint ed, nach dem Vorigen, wenn Saro auch dieſen 
Kampf der Jungfrau zufchreibt, die ja dem Königsjohne eben dazu 
das Schwert gegeben: 
In gladio, quo monstra tibi ferienda patebunt, 
Suscipe, rex, sponse munera prima tue! 

Am Morgen fand man das Feld mit mancherlei Larven bebedt 
und darunter auch Thorilds, der böfen Stiefmutter, Geftalt, mit vielen 
Wunden; fie wurden alle auf einem großen Scheiterhaufen verbrannt. 
Negner ward nun König von Schweden und die Retterin Svanhvit 
feine Gemahlin. 

Noch wird weiter, zum Theil weniger Mar, erzählt, wie der Dänen: 
fönig Frotho, Syanhvit3 Bruder, darüber aufgebracht, daß fie ohne 
jeine Buftimmung ſich vermählt, ihr in Schweden eine große Schlacht 
geliefert habe, mie er, nad) dem ungünftigen Ausgang derſelben, bei 
Nacht ein Boot beftiegen, um Gelegenheit zu finden, die feindlichen 
Schiffe zu burchbohren, wie aber Svanhvit, die gleichfalls nächtlicher 





204 
Weile allein umbergefchifft, ihn darüber ergriffen und zum Frieden 
beivogen. Als in der Folge Regner geftorben, fei ihm feine Gemahlin 
in Kurzem aus Kummer um ihn nachgefolgt (S. 38). 

Auch die Eage von Regner und Evanhvit fällt ganz in den odi⸗ 
niſchen Mythenkreis. Svanhyit ift eine irdiſche Valkyrie. Wir finden 
auch in einem der heroiſchen Eddalieder (dem von Bölund) eine Val: 
fyrie Svanhvit zugenannt und diefed mar überhaupt darum ein ges 
eigneter Valkyrienname, weil dieſe Wefen öfters in Echwangeftalt er 
fcheinen. hr Beruf, ala Dienerinnen Odins, ift beſonders auch ber, 
die noch Schlummernde Kraft jugendlicher Helvenfühne zu wecken. Wir 
werben noch fernere Beifpiele finden, mie bie leuchtende Erſcheinung 
der Balfyrie den hindämmernden Jüngling aufruft, wie er von ‘ihr 
das wunderbare Heldenſchwert empfängt und mit ihr durch unzertrenn⸗ 
liche Liebe verbunden wird. Die Valkyrien reiten durch die Luft, im— 
mer in ber Mehrzahl, daher heißt es, daß Svanhvit ihre Schweftern 
zum Gefolge genommen babe (sororibus in famulitium sumfis); fie 
verbietet ihnen, abzufteigen; auf ihren LZuftrofien fchmebend, erweiſen 
die Valkyrien auch fonft ihre fchügende Gegenwart gegen bömonifche 
Mefen, die ihren Günftlingen zu ſchaden drohen. Das nächtliche Umber: 
ſchweifen Svanhvits, auf dem fie ihrem Bruder Frotho begegnet, der 
die Echiffe durchbohren will, mag gleichfalls urſprünglich eine ſolche 
Balfyrienfahrt geweſen fein. Da von den Valkyrien jpäterhin aus: 
führlich zu handeln ift, fo babe ich bier nur fo viel angedeutet, als zur 
Erflärung der Heinen Eage zunädft nöthig war. Die böfe, burd) 
fhäblichen Zauber wirkende Stiefmutter ift in Sagen und Märchen 
herkömmlich. Die Auszeichnung der von ben Göttern ftammenben 
Königsgefchlechter durch den Augenglanz werben wir anderwärts noch 
in auffallendern Zügen wiederfinden 1. 

Die Sage von Regner und Svanhyit ift auch in der Darftellung 
Saxos noch von unverfennbarer poetifher Schönheit. Aus der un 
heimlihen Geſpenſternacht leuchten erſt ahnungsvoll die Augen des 
Königsſohns und fteigt dann die lichtglänzende Geftalt der jungfräu⸗ 
Iihen Valkyrie auf; und fo durchdringt auch ber inwohnende Glanz 
ber Sage noch immer bie werbunfelte Überlieferung. 


1 [Schriften I, 224. 8.) 





. 205 


9. Amleth. 
Saro B. II, ©. 68. 8. IV, &. 87. Müllery Sagnhiſt. 42 bis 44. 


Rorik, König von Dänemark, übertrug nach dem Tode Gervendills 
deflen Söhnen, Horvendill und Fengo, die Nachfolge in der Statt: 
halterjchaft über Jütland. Horvendill vollführte ala Seeheld jo gewal⸗ 
tige Thaten und ließ bavon dem König fo veiche Beute zufommen, daß 
er deſſen Tochter Geruth zur Gemahlin erhielt, mit ber er einen Sohn, 
Amleth, erzeugte. Solch hohes Glück ſeines Bruders entzündete Neid 
und Haß in Fengos Bruſt. Er ſann auf Nachſtellungen, und als ſich 
Gelegenheit ergab, vollbrachte er mit blutiger Hand den Brudermord. 
Zu dieſer Gewaltthat geſellte er noch die ehebrecheriſche Verbindung 
mit der Wittwe des Getödteten. Den Mord beſchönigte er damit, daß 
derſelbe zur Rettung Geruths vor dem Haß und Jähzorn ihres Ge: 
mahls gefchehen fei. Amleth, des Ermorbeten Sohn, der diefem Treiben 
zujah und feinem Oheim verbächtig zu werben fürdhtete, ſuchte, ſich 
durch den Schein des Blöbfinns zu ſichern. Schmutzig und entftellt 
gieng er umher; was er ſprach und that, hatte das Gepräge beg Aber: 
witzes. Manchmal ſaß' er am Herbe, Tehrte die Kohlen mit den Hän⸗ 
den zufammen und ſchnitzte krumme Stäbchen von Holz, bie er dann: 
am Teuer härtete und mit Widehraken verfah; diefe Stäbchen fammelte 
und verwahrte er forgfältig. Wenn man ihn fragte, was er damit 
wolle, gab er zur Antwort, er forge für fcharfe Gefchoffe zur Vater 
race. So viel darüber gelacht wurbe, jo erregte doch die Gefchidlich 
feit, die er bei biefer Handarbeit zeigte, den Verdacht ber klügern Ber 
obachter. Dieſe glaubten nun, die entſcheidendſte Probe werde die fein, 
wenn fie ihn an einfamer Stelle mit einem Mädchen von ausgezeich⸗ 
neter Schönheit zufammenführten; dem euer der Liebe werde die Ver 
ftelung weichen. Zu diefem Zwecke follten Einige vom Hofe mit dem 
Süngling abwegs in den Wald reiten. Unter ben Begleitern war aber 
zufällig ein Milchbruder (collacteus) Amleths, der ihn warnte. Am: 
leth wuſte jelbft ſchon, woran er war. Gleich als man ihn zu Pferde 
fteigen hieß, fette er fich verkehrt auf dazjelbe und zäumte e8 beim 
Schweif auf. Bei dieſem ſonderbaren Ritte ſtießen ſie im Geſträuch 
auf einen Wolf; als die Begleiter dieſen für ein Füllen ausgaben, 
bemerkte Amleth, allzu wenig ſolche laufen (militare, ohne Zweifel das 


⁊ 





\ | 


206 


— — — — — 


doppelſinnige herja, heerfahrten und verheeren) in Fengos Heerde, 
womit er verſteckt genug ben Beſitzthümern feines Oheims Übles an- 
wünſchte. Sie kamen am Meeresufer vorbei, wo das Steuerruder 
eines geſtrandeten Schiffes lag; Amleths Gefährten verſicherten, ſie 
hätten ein Meſſer von ausnehmender Größe gefunden. „Man muß 
auch einen großen Schinken damit ſchneiden“, bemerkte Amleth, wor: 
unter er das Meer verſtand. Als ſie nachher auf Dünen trafen und 
man ihm das Sand als Mehl zeigte, gab er zur Antwort, die Stürme 
bes Meeres haben es weiß gemahlen. Die Begleiter lobten feine Ant: 
port und er verficherte, daß fie mit Verſtand gegeben jei. Nicht min: 
der fchlau und behutſam benahm fih Amleth in der Zufammenfunft 
mit dem Mädchen, in dem er eine Pflegſchweſter wiederfand. 

Da auch diefer Verſuch der Ausforfchung fehlgeichlagen war, fo 
vieth einer der Freunde Fengos ein andres Mittel an; Fengo jolle ſich 
unter dem Vorwand eined dringenden Gefchäfts entfernen, Amleth 
aber unterdeſſen allein mit feiner Mutter in ein Gemad) eingefchlofien 
werben, nachdem man zuvor für einen Mann gejorgt, der ohne Beiber 
Wiffen an einer verborgenen Stelle das Geſpräch derfelben belaufce. 
Dem Ohre ver Mutter werde ber Sohn, ivenn er etwas zu fagen habe, 
Diefes unbevenklich eröffnen, ihrer Treue fich ungefcheut anvertrauen. 
Der Nathgeber felbft erbot fich zum Dienfte des Horchers. Fengo gab 
dem Borfchlage feinen Beifall und entfernte fi unter dem Vorgeben 
einer weiten Reife. Der aber, der ven Rath ertbeilt, hatte fih in 
dem Gemace, morin Amlethb mit feiner Mutter verfchloffen wurde, 
unter Stroh (stramento) verftedt. Amleth wuſte fi auch gegen biefe 
Nachftellung zu helfen. Einen Lauſcher argwohnend, lief er zuerft nad) 
jeiner angenommenen, tbörichten Weife umher, krähte wie ein Hahn, 
fhlug die Arme, wie Flügel, auf und nieder und ſchwang fi in 
wiederholten Sprüngen auf dem Stroh, um zu erforfchen, ob Jemand 
darunter verborgen ſei. Als er nun etwas unter feinen Füßen fpürte, 
ftach er mit dem Schwert hinein und durchbohrte fo den Horcher. Den 
Leihnam brachte er hinaus, zerhieb ihn in Stüde und warf ihn fo 
den Schweinen vor. Dann kehrte er in dad Gemach zurüd. Als nun 
die Mutter den Wahnwis des Sohnes heftig zu bejammern begann, 
bub er an, ihr ftrenge Vorwürfe darüber zu machen, daß fie mit dem 
Mörder ihres Gemahls in ſchamloſer Verbindung lebe, ſagte ihr, daß 





207 


er nicht ohne Grund den Schein der Thorbeit angenommen, da Der 
jenige, ber feinen Bruder gemorbet, unzweifelhaft auch gegen feine 
Bertvandte wüthen würde, daß er den Entjchluß der Vaterrache un⸗ 
verrüdt in der Seele trage und nur den gelegenen Zeitpunkt erwarte; 
gegen ein finftres und hartes Gemüth bebürfe es tieferer Anſchläge. 
Ihr aber fei es überflüffig, des Sohnes Unverſtand zu beflagen, ba 
fie mit mehr Recht ihre eigene Schande beweinen follte; übrigens werde 
fie zu jchweigen willen. Durch den Stachel foldher Reben erwedte er 
in ber Mutter das Gefühl ver Pflicht und das Andenken der früheren 
Liebe. _ 

Fengo konnte bei ferner Zurückkunft nichts über feinen Kundſchafter 
erfragen, denn die Auskunft, "welche Amletb gab, daß er von ben 
Schweinen verzehrt worben jet, wurde nur belacht. Da er gleichwohl 
feinen Stiefjohbn immer mehr des Truges verdächtig hielt, aber aus 
Scheue vor dem Großvater bed Sünglings, dem König Rorik, und vor 
der Mutter ihn nicht felbft aus dem Wege zu räumen mägte, beichloß 
er, fih zu diefem BZivede des Königs von Britannien zu bebienen. 
Amleth wurde dahin gefandt; vor feiner Abreife aber gab er feiner 
Mutter auf, die Halle mit einem nehartigen Gewebe zu befleiven 
(textilibus aulam nodis instruat) und nad Jahresfriſt fcheinbar fein 
Begängnis zu feiern; auf biefelbe Zeit werd’ er zurückkommen. Mit 
ibm reisten Zwei vom Hofgefinde Fengos, die auf Holz gejchnittene 
Runen mit fi führten, woburh dem König der Briten bie Ermor- 
bung bes ihm zugeichidten Jünglings aufgetragen wurde. Dieſe Runen 
las Amleth, als feine Begleiter jchliefen, fchabte fie ab und fette an 
ihre Stelle andre, worin der Auftrag ber Tödtung gegen bie beiden 
Gefährten umgewandt und der König zugleich erſucht murbe, feine 
Tochter dem Eugen Sünglinge, der ihm geſandt werde, zur Ehe zu 


‚geben. 


In Britannien angelommen überreichten die Gefandten ihre Rus 
nenbotichaft. Der König’ ließ fich nichts merken und nahm fie gaft- 
freundlich auf. Beim Mahle verichmäbte Amleth, zum Erftaunen Aller, 
Tran? und Speife des Föniglichen Tifches. Um die Urjache davon zu 
erkunden, ließ der König in der Nacht die Geſpräche der Gäfte belau- 
chen. Auf Befragen feiner Begleiter äußerte Amleth, das Brot babe 
nach Blut gefchmedt und das Getränt nach Eifen. Er fügte Hinzu, 


208 


der König habe Inechtiihe Augen und die Königin habe in ihrem Be 
nehmen Ciniges von den Sitten einer Magd gezeigt. Der König, dem 
Dieſes binterbracht wurde, ftellte Nachforſchung an und es fand ſich, 
daß das Getraide zu dem Brot auf einem Schlachtfeld gewachſen, das 
mit Gerfte (farre) vermifchte Waſſer aber aus einer Quelle geſchöpft 
var, in ber werroftete Schwerter audgegraben wurden. Nach der Er 
zählung Andrer (alii referunt) fol das Getränf, ver Meth, einen 
Todtengeruch gehabt haben, weil die Bienen vom Fett eines Leichnams 
genoſſen hatten. Weiter erfuhr der König durch das Geftänbnis feiner 
Mutter, daß er der Sohn eines Leibeigenen fei, fowie fih au ergab, 
daß feine Gemahlin von einer Gefangenen geboren war. Indem er 
nun in den Iharffinnigen Beobachtungen Amkeths (vgl. die Sagen von 
Merlin) einen übermenſchlichen Geift verebrte, nahm er feinen Anftand 
mehr, feine Tochter ihm zur Ehe zu geben. Die beiden Begleiter aber 
ließ er, nach dem vermeintlichen Begehren feines Freundes, am folgen: 
den Tage auffnüpfen. Amleth, der ſich hiedurch beleibigt anftellte, 


erhielt noch vom König Gold zur Sühne, welches er nachher ſchmelzen 


und in bohle Stöde gießen ließ. 

Nachdem er ein Jahr dort geblieben, nahm er Urlaub zur Rüd: 
fehr in fein Vaterland; von allem Reichthum bes königlichen Schatzes 
aber führte er nichts mit fih, als die mit Gold gefüllten Stäbe. So- 
wie er Jütland erreichte, nahm er wieder die alte lächerliche Weife 
an. Mit Schmuß bebedit trat er in das Haus, mo eben feine Leichen: 
feier gehalten murbe, zum gröjten Erſtaunen Aller, indem ſich das 
Gerücht von feinem Tode verbreitet hatte. Zulebt löste fi der Schreden 
in Gelächter auf. Als man ihn nun auch nad) feinen Begleitern fragte, 
wies er feine Stäbe vor und fagte: „Hier iſt der Eine und hier der 
Andre." Statt der Getöbteten zeigte er die für fie empfangene Buße. 
Hierauf gefellte er fi, um bie Heiterkeit der Gäfte zu vermehren, den 
Schenken zu und verrichtete fein Amt mit vielem Eifer. Damit fein 
weites Gewand ihn nicht im Gehen hindern möchte, umgürtete er bie 
Hüfte mit einem Schwerte, das er abfichtlich öfters-entblößte und füh 
damit die Fingerfpigen vertvundete. Die Umftehenden ließen deshalb 
durh Schwert und Scheide einen eifemen Nagel fchlagen. Nachdem 
er nun den eveln Gäften fo lange mit Trinken zugeſetzt, bis fie Alle 
ſchlafend in der Halle umberlagen, fchien ihm bie Zeit zur Ausführung 





209 


feines Vorhabens gelommen zu fein. Die von feiner Mutter gewobene, 

nehartige Wandbedeckung ließ er berabfallen, ſchlug fie über die Schla- 
fenden ber und ſchürzte fie mittelft der Irummen Stäbchen, die er einft 
gefertigt, fo unauflöslich zufammen, daß Keiner von Denen, die dar⸗ 
unter lagen, mit aller Anftrengung wieder aufguftehen vermochte. Dann 
warf er Feuer in bad Haus, die Ylamme griff weit um und verzehrte 
bie Königshalle.mit Allen, die barin noch im tiefen Schlafe lagen oder 
vergeblich fih zu erheben ftrebten. Hierauf gieng er in das Schlaf: 
gemach, wohin Fengo früher gebracht worden war, und vertaufchte das 
Schwert, das an deſſen Lager bieng, mit bem feinigen. Nun medte 
er den Oheim mit dem Rufe, feine Hofleute gehen im Feuer unter, 

Amleth fei hier, mit feinen Krummftäbchen bewaffnet und begierig, für 
den Tod jeines Vaters die Strafe zu vollziehen. Fengo ſprang auf; 

indem er aber vergeblich das vernagelte Schwert zu ziehen fich abmühte, 
fiel er unter Amleths Streichen. 

Auch bier iſt Saxo voll vom Lobe des Rächers (©. 78): 

Fortem virum æternoque nomine dignum, qui etultitiæ commento pru- 
denter instructus, ®ugustiorem mortali ingenio sapientiam admirabili 
ineptiarum simulatione suppressit, nee solum proprit salutis obtentum 
sb astutis mutuatus, ad peterne quoque ultionis copiam eadem ductum 
prebente ‚pervenit. Itaque et se solerter tntatus, et parentem strenue ul- 
tus, fortior an sapientior existimari debeat, incertum reliquit. 


Ein zweiter Theil ver Sage erzählt nun (8. IV) die meitern 
Schickſale Amleths, der durch allgemeinen Zuruf an bie Stelle feines 
Oheims erhoben wird. Auf einem Schilde läßt, ex feine ganze Ge 
fchichte bis zum Vollzug der Vaterrache abbilden. Bon feinem Schwäher, 
ber einft mit Fengo die Verpflichtung eingegangen, je Einer des An- 
dern Tod zu rächen, wird er binterliftiger Weife auf eine gefährliche 
Werbung um die fchottifche Königin Hermutrub ausgeſchickt, bie alle 
ihre Freier umbringen läßt. Nach manchen Abenteuern und Kriegs: 
thaten fällt er endlich in Jütland in einer Schladht mit dem Dänen: 
Lönige Viglet. Saro bemerkt am Schlufle (S. 87): Insignis ejus sepul- 
tura ac nomine campus apud Jutiam extat. 

Die Sage von Amleth, in der Geftalt, wie fie von Saro gegeben 
wird, verfündet fih durch ihre breite Ausführlichkeit, romanhafte Aus: 
ſchmückung und gejuchte Spitfindigleit ala eine ſolche, die nicht 

Nhland, Gcriften. VII. 14 


210 


unmittelbar aus dem frifhen Duell vollsmäßiger Überlieferung geſchöpft 

ft Es find ihr auch Feine Verje, das gewöhnliche Zeichen alterthüm⸗ 
licher Grundlage, einverleibt. Sobann find zwar zwei i#länbifche 
Sagan von Amleth vorhanden, allein beide find nur mehr ober we 
niger frei nach Saxo bearbeitet (Sagnhiſt. S. 42,06. Sagabibl. III, 
480°). Unter foldden Umftänden möchte ver norbifche Urſprung dieſer 
Erzählung um fo zweifelhafter erjcheinen, als fie wirklich auffallende 
Ahnlichkeit mit griechifcher und römischer Sage zeigt. Diefe Sagen- 
verwandtihaft iſt namentlich in folgender Schrift nachgewieſen: 

Bibliothek der Novellen, Märchen und Sagen, herausg. von Echtermener, 
Henfchel und Simrock; auch mit dem befondern Titel: Quellen des Shalfpear, 
in Novellen, Märchen und Sagen. 3 Thle. Berlin 1881. 

Th. I, ©. 69 ff. ift der vordere Theil der Sage, joweit fie nemlich 
mit Shakeſpeares Hamlet in Beziehung fteht, aus Saxo überfeht. Im 
Th. III, der zugleich K. Simrods Anmerkungen und Erläuterungen 
zu den in fänmtlichen drei Theilen enthaltenen Erzählungen enthält, 
wird von ber Sage von Amleth (S. 162 bis 170) u. a. Folgendes aus: 
geführt: ©. 164 ff. *** ze 

Diefer Ähnlichkeiten, befonders mit der Sage vor Brutus 3, und 
der jegigen, nichtalterthümlichen Beichaffenheit der Amlethſage uner⸗ 
achtet fehlt es ihr dennoch nicht an Anzeigen einer einheimischen Wurzel, 
Bon Dänemark, mo fie felbft ihre Heimath annimmt, ausgegangen, 
mag fie von isländiſchen Sagenmännern, bie fich bei fremben Stoffen 
immer größere Willkührlichkeit erlaubten, frei behanbelt worden und fo 
wieder Saron zugelommen. fein. Müller vermuthet (Sagnhiſt. 44), 
daß Saro fie von dem Jsländer Arnold, den er fonft als einen Ge 
währsmann anführt, erhalten haben könne. Borzüglich aber bemeift 
das Brucftüd eines alten Stalvenliebes, in der Skalda (Sn. Edd. 126) 
aufbewahrt, die frühe Belanntichaft des Nordens mit der Amlethfage; 


1 Livii Histor. 8. L, 6. 56: Comes his additus L. Junius Brutue, Tar- 
quinia sorore regis natus, juvenis longe alius ingenio, quam cujus simu- 
lationem irduerat u. |. w. Ergo ex industria factus ad imitationem stultitie, 
quum se suaque pred& esse regi sineret, Bruti quoque haud abnuit oogno- 
men: ut sub ejus obtentu cognominis liberator ille populi Romani animus, 
latens opperiretur tempora sua. Is tum ab Tarquiniis ductus Delphos, ludi- 
brium verius, quam comes, aureum baculum, inclusum corneo cavato ad id 
baculo, tulisse donum Apollini dicitur, per ambeges effigiem ingenii sui, 





211 


dort wird, wie fehon zum Grottafang angemerki worden, bad Meer 

die Mühle genannt, in der einft neun Mühlmäbchen Amlodin! Ufer . 

fand gemahlen, bezüglich auf die Antwort Amleths, als man ihm ben 
Meerjand für Mehl ausgab. Auf örtliche Volksſage deutet Saro felbft; 
wenn er fagt, daß noch ein Feld in Zütland durch Amleths Begräbnis 
und Namen audgezeichnet fei, und noch in neuerer Zeit gibt es eine 
Amlethsheide bei Biborg in Sütland (Sagnhiſt. 43). Das Triebrad 
im Haupttheil der Sage ift auch ein echt norbilches, die Vaterrache; 
und die goldgefüllten Stäbe find, meines Erachtens, nicht weniger 
finnreih und eigenthümlih angebracht, als in der Sage von Brutus; 
Amleth trug in denfelben das Wergeld für die beiden getöbteten Ge 
führten (nach germanischen Begriffen gab es nur Erſatz, nicht Strafe, 
für die Töbtung) und er fonnte darum, die Stäbe vorzeigend, mohl 
fagen: Hic et unus et alius est. An ein eigentliches Entlehnen ber 
einen Sage au2 der andern ift ſonach faum zu denken und die Frage 
fällt mehr jener allgemeinen, wunderbaren Sagenvertwandtichaft zwiſchen 
den verſchiedenſten Völfern anherm. 

Shafefpeare, der den Stoff zu feinem Hamlet zunächſt au® einem 
ältern Trauerfpiel gleichen Inhalts und einer englifhen Novelle, welche 
ben tragijchen Erzählungen des Franzoſen Belleforeit entnommen mar, 
gefchöpft zu haben fcheint (Quell. d. Shakeſp. III, 162), wobei jeboch 
immer Saros Erzählung zu Grunde lag, hat auch aus diefer mehrere 
beveutende Situationen feines Werkes bervorgebilvet: Amleths Pfleg⸗ 
fchwefter, durch die er verfucht werben fol, ift Opbelia; der Laufcher, 
der erftochen wird, Polonius, und die Strafrebe, die Amleth an feine 
Mutter richtet, hat auch ber große Dichter nicht verfhmäht. Aber bei 
all der, von Simrod bezeichneten Verfchiedenheit in. der Antvenbung 
des Wahnwitzes, athmet doc ſchon durch das Snnerfte der alten Am⸗ 
lethfage eine Ahnung von dem büfterhumoriftifchen Geifte bes Shake⸗ 
fpearifchen Trauerfpield. Jene. Proben des Scharffinns, die Amleth 

1 Amblodi, m., qv. lodandi vid ambl, vir inaniter satagens, Pfufcher. 
ambl, n. labor assiduus, vagus, ideligt Arbejde nden synderlig Feerdig- 
hed :og Fremgang, Fusken. At loda, herere, henge ved. gl. Sagnh. 
44 f. Angelf. emelli. Es kann fi) auf die krummen Stäbchen beziehen, bie 
Amleth für Gefchoffe verfertigt. Eine der igländifhen Sagarı heißt Amballes 


Saga. Bgl. Hamballe, Schmeller II, 197. Haimpel, hempeln, Pfuſcharbeit 
machen u. ſ. w. ebend. 


212 


bei dem brittiichen König ablegt, find noch ſchon nicht mehr, wie Simrod 
annimmt, bloße Beweiſe ber Sinnenfhärfe. Es zeigt ſich darin 
jene unfelige Gabe, der Gewinn bitterer Erfahrungen, in allen Gegen 
ftänden das Faule, Schlechte, Hinfällige zu witten und aufzufpüren, 
im Getränfe den Roft, in der Speife den Tobtengerud), im Honig ben 
Moder, in den Augen bes Königs und den Gebärben der Königin bie 
Inechtifche Natur. Damit ift auch Shakeſpeares Hamlet gequält (5.155): 

Wie ekel, ſchaal und flach und unerfprießlich 

Scheint mir das ganze Treiben diefer Welt! 

Pfuil pfui darüber! 'S if ein wüſter Garten, 

Der auf in Samen ſchießt; verworfues Unkraut 

Erfullt ihu gänzlich. 

Ein andermal (S. 211)3 

Es ſteht in der That fo übel um meine Gemüthslage, daß bie Erde, 
dieſer treffliche Bau, mir nur ein kahles Borgebirge ſcheint; feht ihr, dieſer 
herrliche Baldachin, die Luft, dieß wadre ummölbende Firmament, dieß maje 
ftätifche Dach, mit goldnem Feuer ausgelegt, kommt es mir doch nicht anders 
vor, als ein verpefteter Haud von Dünften! Welch ein Meiſterwerk ift ber 
Menſchl mie edel durch Vernunft! wie unbegränzt an Fähigleiten! in Geſtalt 
und Bewegung wie bebeutend und wunberwilrdig! im Handeln wie ähnlich einem 
Engel! im Begreifen wie Ahnlich einem Gott! die Bierbe der Welt! das Bor 
bild der Lebendigen! Und doch, was ift mir biefe Oninteffenz von Staube? 

Endlich (©. 288): 

Wir mäſten alle andre Kreaturen, um uns zu mäflen, unb uns ſelbſt 
mäften wir für Maden. Der fette König und ber magre Bettler find nur ver- 
ſchiedene Gerichte; zwey Schüfſeln, aber für eine Tafel. Das ift das Ende 
vom Liede. Jemand könnte mit den Wurm fifchen, der von einem König 
gegeffen hat, und von dem Fiſch effen, der ben Wurm verzebrte. 

Diefer Hamlet bat recht den bittern Honig der Sage eingelogen; 
bie alte Sage ift pa erfaßt, wo fie den tiefiten Anklang gab. Diefe 
Durchdringung und Bergeiftigung des innerften Kerns, diefe Erneuerung 
von innen beraus ift das bichterifche Verfahren beim Gebrauch alter 
Sagenitoffe. Bei einem foldden können dann auch alle bloß zufälligen 
Außerlichleiten wegfallen und in Shakeſpeares Hamlet finden wir ganz . 
das Coftüm und die Sitten eines Hofes aus der Zeit bes Dichters, 
ganz den Stand der geiftigen Bildung zu biefer Zeit. So gibt aud) 
Herber (in dem Aufjag Iduna in den Horen, 1796, B. V, Heft 1, 


213 


bem beften wohl, was über die Anwendbarkeit der norbifchen Mythologie 
in der deutichen Dichtkunſt gejagt worben) ven Gebrauch diefer Mythen 
zu, wenn erft Idunas Apfel fie verjünge. 

Böthe Hatte gleichfalls die Abficht, die Sage von Amleth nad 


Saro frei zu behandeln (Quellen u. ſ. w. III, 173). 


m 


10. Ups. 1 


Sr 8. IV, ©. 98 bis 96, 87. Svenonis Aggonis filii (Svend Aagefens, 
ans dem 12ten Jahrhundert, er war gleichzeitig mit Saxo, ben er E.V, ©. 56 
feinen contubernalis nennt, und ſchrieb um oder nach 1186. Langeb. I, 48) 
compendiossa regum Danise historia, in 2angebel, Seriptor. rer. danic, T.L 
Hafo. 1772. Fol. Gap. I. IL ©. 45 bis 47, Müller, Sagnhiſt. 46 bis 50. 


Der Dänenlönig Wermund war alt geworden und hatte das Augens 
licht verloren. Ihm mar erft in’ vorgerüdtem Alter ein Sohn geboren 
worden, der zwar alle Sünglinge von gleichen Jahren an Körpergröße 
überragte, aber von flumpfem Geifte zu fein ſchien. Er verhielt: fid 
ftumm, lachte niemal® und nahm an feinem Spiele Theil (S. 87). 
So hatte Wermund an ihm Feine Stüße und auch feines Volles An: 
fehn mar ſehr gefunten. Denn es batte fich ereignet, daß zwei bäs 
nifche Sünglinge, die Söhne des Jarls von Schleswig (Sleswicensium 
preefecti, S. 87), mit dem fchwebifchen Könige, der ihren Vater ge 
tödtet hatte, Zwei gegen Einen fämpften, war nur jo, daß der eine 
Bruder, als dem andern ber Todesſtreich drohte, fich nicht mehr halten 
fonnte und herzueilend den König erihlug (S. 92): 

Quo facto plus opprobrii, quam laudis contraxit, quod in juvando 
fratre statutas duelli leges solvisset, eidemque utilius quam honestius 
opem tulisse videretur. 

Diefer Stand der Dinge veranlaßte den König von Sachſen?, 
Geſandte an Wermund abzuorbnen, die ihn aufforbern follten, das 


1 [Bgl. zu diefem Abſchnitte Schriften I, S. 294. 295, 416. K. Simrod, 
Beowulf, das ältefle deutſche Epos, überſetzt umd erläutert. Stuttgart und 
Augsburg 1859. 8. ©. 167. 168. Saros Erzählung ift die Quelle von 
Uhlands im Jahre 1804 entflandener, im Jahre 1814 umigearbeiteter Ballade 
„Der blinde König“ in: Gedichte, zweiundfünfzigſte Auflage. Stuttgart 1868, 


” 8 ©. 201 bis 203. -$.] 


2 Bei Sven. Agg. ift es Alamannorum Rex, auch Imperator. 


N 


214 


Reich, das er wegen Alters und Blindheit nicht mehr verwalten Tönne, 
ihrem Herrn abzutreten. Hab’ er aber einen Sohn, der mit dem bes 
Sachſenkönigs zu kämpfen wage, fo fol das Reich dem Sieger zufallen. 
Wermund feufzte tief auf und fagte, mit Unrecht werd’ ihm fein Alter 
vorgeworfen, denn nicht dadurch fei er zu feinem Ungläd fo alt ge 
worden, daß er in feiner Jugend den Kampf gefürchtet. Selbft jet 
noch -fei er bereit, den angetragenen Zweilampf mit eigener Hand aus: 
zufechten. Die Gejandten. erklärten, daß ihr König fich nicht der Schmach 
ausſetzen werde, mit einem Blinden zu kämpfen. Beſſer werbe die Sache 
durch die Söhne ausgemacht. Da ſprach auf einmal, zum Eritaunen 
der Dänen, Wermunds ftummer Sohn Uffo 1 und verlangte von feinem 
Bater die Erlaubnis, den Gefanbten zu antworten. Wermund fragte, 
wer biefe Erlaubnis von ihm begehre, und ald man ihm eriviberte, 
fein Sohn Uffo, beflagte er, daß nicht bloß die Fremden, fondern aud 
feine eigenen Diener feines Unglüds fpotten. Als aber Jene auf ihrem 
Worte beharrten, ſprach er, es fteh’ ihm frei, wer es auch fer, feine 
Meinung vorzubringen. Da ſprach Uffo zu den Geſandten, es fehle 
tweber dem König an einem Sohne, noch dem Reih an Beichügern; 
er fei entfchloffen, nicht bloß den Sohn ihres Königs, fondern auch 
einen weitern Kämpfer, den er fih aus den Tapferften des Sachſen⸗ 
volkes wählen möge, zu beftehen. Die Gejandten lachten der eiteln Ruhm⸗ 
rede. Drt und Zeit des Kampfes wurden jedoch jogleich verabrebet. 
Mach dem Abgang der Gejandten lobte Wermund den Kühnen, 
der die Antwort gegeben, und verficherte, daß er lieber Diefem, wer 
er auch fei, al3 dem übermüthigen Feinde, fein Reich abtreten werde. 
Als aber Alle betheuerten, daß es fein Sohn fei, hieß er ihn näher txeten, 
um mit den Händen zu prüfen, mas ihm die Augen verjagten. Als 
er dann an der Größe der Gliedmaaßen und ben Zügen des Gefichts 
feinen Sohn erkannte, fragt’ er diefen, warum er fo lange ftumm ges 
blieben?. Uffo antwortete, bisher fei er mit Denen, bie feinen Vater 
beihüßt, zufrieden geweſen; jetzt erſt, mo fie von den Drohungen ber 
Fremden bevrängt gefchienen, hab’ er zu ſprechen für nöthig gehalten. 


1 Bei Sven. Agg. zuerft Uffi (hie Alium genuit Uffi nomine), dann 
immer Uffo; er if ſprachlos bis in fein SOftes Jahr. 

2 Bei Sven. Agg. ©. 46 fagt Wermund, nachdem er den Sohn betaflet: 
Talem me memini in flore extitisse javentutis. 


215 


Auf die meitere Frage, warum er lieber Zwei, als Einen, zum Kampfe 
gefördert, gab er den Grund an, damit die Befiegung des Schweden⸗ 
königs durch Zwei, welche den Dänen zur Schmach gereichte, durch die 
That eines Einzigen aufgeiwogen und jo der Volksruhm bergeftellt 
würde. Wermund hieß nun feinen Sohn vorerft den Gebrauch der 
Waffen erlernen, deren er noch ungewohnt ſei. Man brachte Waffen 
berbei, aber Uffos breite Bruft zerfprengte die Ringpanzer und man 
Ionnte feinen finden, der ihm weit genug mar. Zuletzt, ald er auch 
den feines Vaters zerrig, ließ Wermund venfelben auf der linten Seite, 
bie der Schild dedte, auffchneiden und mit einer Spange beiten. Auch 
“ mehrere Schwerter wurden gebradt, aber, fo wie Uffo fie ſchwang, 
brachen fie in Stüde. Der König hatte ein Schwert von ungewöhn- 
licher Schärfe, pas Skrep genannt war (skreipr, lubricus, glatt, Lex. 
isl. 1I, 279); nicht galt für fo hart, daß es nicht vom erften Streiche 
besjelben geipalten würde. Weil er der Kraft feines Sohnes nicht ver 
traute und es feinem Andern gönnte, hatte Wermund dieſes Schwert 
längft in die Erde vergraben 1. Er ließ ſich auf das Feld zu der von 
ihm bezeichneten Stelle führen, 309 bad Schwert heraus und reichte es 
feinem Sohne. Diefer fand es von Alter gebrechlich und zerfrefien; 
er fragte deshalb, ob er es auch, wie die vorigen, prüfen dürfe. Wer⸗ 
mund eriviberte, wenn biefes Schwert auch von ibm durch Schwingen 
zertrümmert würde, fo wäre feines mehr übrig, das der Kraft feines 


Armes entfpräche. Bei fo zweifelhaften Erfolg foll er lieber von ber \ 


Probe abftehen. 

Man zog nun zum verabrebeten Kampfplatz. Diejer mar auf 
einem von den Armen des Eiderftromes gebildeten Eiland, fo dab man 
nur zu Schiffe dahin kommen konnte. Uffo fand fi allein dort ein, 
ber Sohn des Sachſenkönigs in Begleitung eines durd Stärke ausge 
zeichneten Kämpen. Die beiberjeitigen Ufer waren mit Schauluftigen 
angefült. Wermund hatte fi auf den äußeriten Rand der Brüde 
(in extreme pontis parte) geftellt, um, wenn fein Sohn bejiegt würde, 


i Sven. Agg. C. 11, ©. 46: Ad tumulum itaque ducatum postulavit, 
in quo prius mucronem experientissimum occulisverat. Et mox inter- 
signiis per petrarum notas edoctus, gladium jussit efiodi prestantissimum. 
Quem illico dextra corripiens, bic est, eit, fill, quo numerose triumphavi 
et qui mihi infallibile semper tutamen extitit. 


— — - — _ 


216 


im Strome unterzugehen!. Uffo, von Zweien angegriffen und feinem 
Schwerte midtrauend, mehrte bie Schläge Beiber mit dem Schild ab, 
um erft zu beobachten, welcher ver gefährlichere fei, und kann biefen 
menigftens mit einem Streiche zu treffen. Wermund, welcher glaubte, 
fein Sohn lafie fih aus Schwäche die Schläge der Gegner fo gebulbig 
gefallen, neigte fid) mehr und mehr über ven Rand des Brüde, um, 
wenn fein Sohn verloren wäre, fih in bie Tiefe gu ſtürzen. Uffo reizte 
feine Gegner noch durch Zurufen auf. Als ihm nun ber Kämpe näher 
fam, fpaltete ex ihn mit dem erften Schwertftreiche mitten durch. Da 
rief Wermund erfreut: „Sch höre den Klang meines Schwertes.“ Man 
fagte ihm, was gefchehen, und er 309 fich mwieber vom Rande zurüd. 
Auf gleiche Weiſe traf Uffo den Königsſohn mit ber andern Schneide 
bed Schwertes, „ch höre zum zweitenmal den Klang des Schwertes 
Skrep“, vief Wermund aus. Als man ihm nun den Doppelfieg feines 
Sohnes verkündigte, liefen ihm vie Freudenthränen aus ben blinden 
Augen. Die Sachſen zogen beſchämt mit ihren Leichnamen zurüd und 
bie Dänen empfiengen jauchzend Uffon, der ihre Ehre’ hergeftellt. 


Das gefchichtliche Dafein Wermunds und Uffos wird durch ander ' 


wärtigE Anzeigen beglaubigt, ohne daß jedoch die Zeit desſelben genau 
beftimmt werben könnte (Müller S. 49). Wie es aber mit dem hiſto⸗ 
reichen Gehalt der Überlieferung befchaffen fein möge, in poetifcher 
Hinficht bat fich diefelbe zu einem ber anziehendften Bilder unter denen, 
die von Saro aufbewahrt find, abgerundet. Ohne mythiſche Beimifchung 
ift das Ganze innerlih, vom Gemüthe, belebt und in einfachen, aus⸗ 
drucksvollen Situationen anſchaulich gemadt. Es kommt im vielen 
Sagen vor, daß ber Held in feiner Jugend bumpf und träg erjcheint, 
bis auf einmal der rechte Augenblid der That den ſtillgenährten Helben- 
geift zur Flamme weckt. Aber die Zujammenftellung bes flummen 
Sohns mit dem blinden Vater ift unfrer Sage eigenthümlich; Jenem 
geht die Sprache auf, nachdem Diefem das Augenlicht verdunkelt iſt. 
Schön und ſicher iſt die Haltung des blinden Greiſes durchgeführt; ben 
Verlauf des Kampfes, dem er nicht mit den Augen folgen Fann, 


1 Ebb. ©. 47: Teutonieis ergo ultra fluminis ripam in Holsatis con- 
sidentibus, Danis vero citra amnem dispositis, Rex pontie in medio sedem 
elegit, quatenus, si unigenitus occumberet, in fluminis se gurgitem pra- 
eipitaret u. |. w. 





EG 


217 
erfennt er atı dem altvertrauten Klange feines Schwertes Sirep. Auch 
das, daß ein Heldenſchwert feinen eigenen lang hat, wie ber Menich 
feine Stimme, findet ſich fonft in den Sagen; aber bier, auf ven alter⸗ 
blinden König angewandt, wird diefer Zug eindringlicher und bebeute 
famer. 

Saro bedauert, daß er von den mweitern Thaten Uffos, ber nad 
feinem Bater König geworden und den auch Mehrere Olavus, Man- 
sueti cognomine (in einer nordiſchen Königäreihe Ole hin Litilleti !, 
Müller 47) benennen, nichts zu fageh wiffe (E. 96): 

Cojus zequentes actus vetustatis vitio solennem fefellere notitiam. 
Sed credi potest, gioriosos eorum processus extitisde, quorum tam plena 
laudis principie fuerint. 

Den Grund diefer Vergeſſenheit fucht er in Folgenbem: 

Tam breri factorum ejns prosecutione animadverto, quod illustrium 
gentis nostre virorum splendorem scriptorum penuria jaudi memoriseque 
subtrazerit. Quod si patriam hanc fortuna latino quondam sermone 
donasset, innumers danicorum operum volumina tererentur. 

Hätte Dänemark früher gelehrte Geſchichtſchreiber in Iateinifcher 
Sprache haben können, dann möchten wir allerdings von Uffos Thaten 
und Schidjalen wahrer und vollftändiger unterrichtet fein, dann aber 
hätten wir auch nicht die poetiſche Vollsfage, die Saron ſelbſt Mehreres 
zu willen begierig macht. Diefe Sage ift mit den Freudenthränen 
Wermunds über den Sieg feines Sohnes und feines Schwertes in fich 
geichlofien und bedarf keiner weitern Geſchichtfolge. 


11. Asmund. 
Saxo ©. V, ©. 136 f. Sagnhist. 69 f. Sagabibl. II, 610. 617. 


Aamund, der Sohn bes Königs AIR von Hebemarfen (Hetmarchia, 
in Norwegen), verierte ſich einft auf der agb von feinem Gefolge. 
Er kam fo tief in die Wildnis, daß er enblich fein Roſs verlor und 
ihm feine Kleider abriflen; feine Nahrung waren Waldſchwämme. Sp 
gelangte er zuleßt zu ber Wohnung des Königs Biorn (Biorno) von 
Pig (in Wik provincia). Mit dieſes Königs Sohne Asvit lebte er 
einige Zeit zufammen und fie fchlofien den Bund der Freundfchaft mit 


1 Litillatr, humilis, demüthig, beſcheiden, herablafiend, Lex. isl. II, 366. 


218 


den Schmure, daß ber, melcher ben Anbern überlebte, fich mit bem 
Geftorbenen begraben laſſen ſollte. Asvit ftarb an einer Krankheit 
und wurde mit Roſs und Hund in einen Grabhügel 1 beftattet (terreno 
mandatur antro). Aömund, dem Schwure getreu, ließ fich lebendig 
mitbegraben; etwas Speife gab man ihm mit. Damals Tam der Schwer 
denkönig Eril auf einem Kriegszug in jene Gegend. Als die Schweben 
den Grabhügel faben, 'vermutheten fie Schäbe darin und erbracden 
ihn mit Kärſten. Es öffnete fi) vor ihnen eine Höhle (specus) von 
größerer Tiefe, als fie erwartet hatten. Um dieſe zu burchforfchen, 
war es nötbig, daß fih Einer am Seile binabließe. Das Loos traf 
ginen der rüftigften Jünglinge. Kaum war biefer in einem Korbe, ber 
am Seile hieng, binabgelafien, fo warf Asmund ihn heraus und fireg 
felbft in den Korb. Den Obenſtehenden gab er fobann das Leichen 
zum Aufziehen. Sn der Hoffnung auf einen großen Schab zogen Jene 
den Korb zurüd; als fie nun aber die unbelannte Geftalt vor ſich ev 


blidten, glaubten fie, der Todte ſei wiedergekehrt, warfen das Seil _ 


binweg und entfloben voll Schredens; denn Asmund ſah Teichenblaß 
und blutig aus, Er bemühte fi), die Fliehenden zurüdzurufen, fie 
fürchten fi) vor einem Lebenden. König Exit Tam felbft Hinzu und 
war befonders über das blutige Angeficht des Erftandenen verwundert. 
Der Beicheib, den Aamund gibt, ift von Saro in lateiniſche Berfe ge 
bracht, in denen der fchauerliche Refrain wiederkehrt: 

Quid stupetis, qui relictum me colore cernitis? 

Obsolescit nempe vivus omnis inter mortuos. 


Der Inhalt feines Berichtes ift, daß Asvit in jeder Nacht wieder auf: 
gelebt ſei, zuerft das Roſs, dann den Hund verzehrt, zulekt aber 


1 [Bgl. Kunftblatt Nr. 77, 25 Sept. 1834. ©. 308: „Alterthlimer. Im 
Kirchſpiel Norop, an der Norbfeite von Fyen, in Dänemark, Hat man einen 
Rieſenhligel aufgegraben und darin ein Niefenzimmer (SJetteftue) oder eine Grab» 
fammer gefunden, deren Boden und Seitenwände aus ſchweren gehauenen Feld⸗ 
einen beftanden, und die jo geräumig war, daß vier Perfonen aufredht darin 
figen fonnten. Der einzige Aſchenkrug, der darin war, beftand aus Thon, und 
er fiel zufammen, als er an die Luft fam. Als etwas Ungewühnliches bemerkte 
man babei, daß er rechts vom Eingange, und alfo nicht gegen Often, fondern 
gegen Süden fland. In der Nähe jene Grabhligels befinden- fich noch mehrere, 
die wahrſcheinlich gleichen Alters mit ihm find und die man nächſtens ebenfalls 
unterſuchen wird. “] 


219 
\ 


Asmund jelbft angegriffen und ihm das Tinte Ohr abgerifien habe. Er 
jedoch habe dem Unhold das Haupt mit dem Schwerte abgefchlagen 
„und den Leib mit einem Pfahle durchbohrt. Bon ſolchem furdhtbaren 
Ringen fei er blntig. J 
Es gibt von dieſem Asmund eine isländiſche Saga: Egils und 
Asmunds Saga, die zu Upſala 1693 im Druck erſchienen iſt und in 
den 3ten Band der rafniſchen Sammlung altnordiſcher Sagan aufge⸗ 
nommen werden ſoll!. Einen Auszug daraus enthält die Sagabibl. 
II, 610 ff. Das Mitbegraben wird hier auf ähnliche Weiſe, wie bei 
Saxo, erzählt, im Übrigen aber ift dieſe Saga fo höchſt abenteuerlich 
(3. DB. der Pflegbruder, mit dem fih Asmund begraben Täßt, ift hier 
Aron, ein Sohn des Königs Rodgan in der Tartarei), daß man bie 
furze Erzählung bei Saro leicht” für die ältere und echtere erkennt. 
Ihr liegt ohne Zweifel ein von ihm übertragenes Lieb zu Grunde. 
Daß der Pflegbrüderbund fich bis zu der Verbindlichkeit des Über: 

lebenden erftredte, fich mit dem früher Berftorbenen begraben zu laſſen, 
kommt zwar fonft in keiner Sage vor, aber es liegt darin doch nur 
eine folgerichtige Durchführung und Steigerung ber Begriffe von ben 
Berpfliditungen jened Bundes (vgl. Sagnhiſt. 69). Die Pflegbrüber 
Ihwuren, Einer des Andern Tod zu rächen; davon nun liefern felbft 
die mehr hiftorischen Sagan Beifpiele, daß, wenn ber Überlebende nicht 
im Stande war, bie Rache zu vollführen, er ſich auf die Nachricht vom 
Tode des Freundes felbit entleibte; Asvit war aber nicht von Feindes⸗ 
band gefallen, fondern an Krankheit geftorben, darum mochte bier auch 
nicht ein gewaltfamer Tod Asmunds paſſend fcheinen, denn fonft wäre 
der eine der Brüber zu Hel, der andre nad) Valhall zu Odin gefahren. 
Dad nun, daß der fiechtobte Asvit eine Beute Hels geworben, beren- 
Wohnungen im dunkeln, feinvfeligen Niflheim find, macht ihn auch 
zum bösartigen Gefpenfte, mit dem ber Lebende blutig ringen muß. 
Es beißt davon im Liebe bei Saxo: 

Nescio quo stygii numinis ausu 

Missus ab inferis spiritus Asvit - 

Seevis alipedem dentibus edit, 

Infandoque canem prebuit ori. 


1 [Ft daſelbſt S. 365 bis 407 abgebrudt. Der Bte Band ber Fornaldar 
sögur Nordrlanda trägt die Jahrszahl 1830. 8&.] 





220 


— — — — —ñ—n— 


Nec contentus equi vel canis esü, 
Mox in me rapidos transtulit ungues 
Discissaque geua sustulit aurem. 

Daß man foldde Grabgefpeniter, um fie unſchädlich zu machen, noch⸗ 
mals tödtete, indem man bie Leichname zu Aiche verbrannte, ihnen bas 
Haupt abhieb oder einen Pfahl durch die Bruft fchlug, findet fih aud 
fonft in den nordishen Eagan. Bei dem in den Vollsfagen ber ſlavi⸗ 
ſchen Völker fo häufig vorkommenden Vampyrismus, an ben überhaupt 
Asvits blutgierige Erfeheinung erinnert, wird derſelbe Gebrauch an 
gewandt. 


12, Fridlev. 


Saro 8. VI, &. 146 bis 154. Bgl B. IV, S. 98 f. Müller, Sagm 
hiſt. 75 f. | 
Was und von biefem einft fagenberühmten Dänenlönige allein 
noch bei Saro aufbewahrt ift, fönnen wir nur als Brucftüde eines 
ehemals vorhandenen größeren Sagenverbandes, einer umfaſſendern 
Fridleifsſaga, betrachten. Saro unterſcheidet zwar zwei däniſche Könige 
mit dem Namen Fridlev, aber das Wenige, was er von dem ältern 
berjelben, am Echlufie ded-4ten Buchs, berichtet, wird, wie Müller 
©. 75 bemerkt, der Hauptfache nach vemfelben angeeignet werben können, 
bon dem das 6te Buch umftändlicher handelt. 

Bon dieſen Sagenbruchftüden heben wir Folgendes aus: 

In Norwegen lebten zwölf Brüder, Tampfrüftige Sünglinge, auf 
einer Felsburg mitten in einem reißenden Strome. Bon ihren Ramen 
verzeichnet Saro folgende (nam ceetera vetustas abstulit): Gerbiorn, 
Gunbiorn, Armbiorn (Ambiorn?), Stenbiom, Esbiorn (Asbiorn), 
Thorbiom und Biorn. Der Strom fiel vom hohen Gebirg herab, 
brach fich raufchend und ſchäumend Bahn burch bie Felfen und ba, wo 
er aus den Klüften breiter hervorſtrömte, bildete er das fchroffe Feld: 
eiland, auf welchem die Veite fand. Eine Zugbrüde verband fie mit 
dem Ufer. Der Lauf des Stromes war fo gewaltig, daß ihn fein 
Roſs durchſchwimmen konnte außer einem, welches Biorn befaß unb 
das allein die Kraft batte, ſich durch den Strudel zu ringen. Biorn 
batte auch einen Hund von furchtbarer Wilpheit, der es öfters mit zwölf 
Männern aufgenommen hatte. Caro bemerkt tabei: 


221 


Sed quoniam tradite magis quam cognite referuntur, fidem arbiter 
penset. Hæe siguidem, ut accepi, deliciarum quondam loco habita. 

Der Hund hiltete font die Heerden bes Riefen Offot. (Unter den 
Riefenbenennungen, welche die Skalda aufführt, kommt auch der Name 
Oföte, al. Ofote, vor, Sn. Edd. 2110 und in einem Anhang zur Dlaf 
Tryggvaſons Saga, dän. Tiberf. III, 195, wird gleichfalls des Rieſen 
Dfotan erwähnt, Sagnhiſt. a. a. D.) Die zwölf Brüder hatten fich 
durch Bezwingung von Riefen und andre Siege berühmt gemacht und 
durch große Beute bereichert. Sie hatten, als fie von ihren fonftigen 
Rampfgenofien verlaflen worden, jenes Stromeiland befeftigt und ſich 
von ba aus durch Raub und andere Gewaltthat weitum furchtbar ges 
madt. Haldan, ber Sohn und Nachfolger Erils, des däniſchen Statt- 
halters in Schweben, hatte ſich nicht vor ihnen in feinem Lande halten 
lönnen und rief baher ben däniſchen Königsfohn Fridlev, der noch felbft 
von feinem väterlichen Erbe verbrängt war, zu Hülfe Fridlev Fam 
mit kriegeriſchem Gefolge nach Norwegen und trieb die Brüder. in ihre 
Defte. Bei viefem eiligen Rückzuge muſten fie ein treffliches Roſs 
(Biorns) über der Zugbrücke dahintenlaſſen. Run ließ Fridlev verkin: 
digen, daß dem, der einen ber Brüder erlege, deſſen Leihnäm mit 
Gold aufgemogen werben ſolle. Einige feiner Kämpen gelobten ihm, 
darnach zu fireben, und fegten ihr eigeneß Leben zum Pfande, wenn 
fie nicht die abgefchlagenen Häupter der Räuber zurüdbrächten. Fridlev 
bieß fie fich noch gedulden und begab fich- in der Nacht mit einem ein⸗ 
zigen Begleiter zum Strome: 

Ne enim alienis, quam propriis viribus, instructior videretur, auxi- 
lium virtute precurrere statuit. 

Sein Begleiter fam um (vermuthlich weil fein Pferd dem Strome 
weichen mufte, nach Saros Erzählung hätte ihn Fridlev felbft mit 
Steinen umgebradt); Fridley aber taufchte mit dem Betöbteten bie 
Kleider, damit, wer ben Leichnam fähe, ben König verunglüdt glau⸗ 
ben möchte. Das Pferd des Begleiters beſprengte er mit Blut; fo 
follte es, ins Lager zurückkehrend, feinen Tod beftätigen. Hierauf gab 
ex dem erbeuteten Rofie die Sporen und trieb es mitten durch bie 
Wirbel. Auf dem Eiland angelangt, erftieg er den Wall und gieng 
leiſen Trittes nach dem Gebäube, wo die Brüder fröhlich beim Schmaufe 
faßen, busch den reißenden Strom ſich völlig gefichert glaubend. Er 


222 u 
———— —— — — 


blieb unter dem Thürgewölbe ſtehen und hörte, wie Biorn erzählte, 
ee hab’ im Traum ein Thier aus hen Wellen fteigen geſehen, das, 
büftre Flammen fpetend, die ganze Burg in Brand geitedt habe. Es 
ſei daher räthlicher, die Inſel zu durchſuchen, als fich jo völlig forglos 
zu verhalten. Sie erhoben fih nun, ſuchten umber und fanden das 
Roſs, auf dem Fridlev übergeſetzt Batte; indem fie nicht zweifelten, daß 
diefes feinen Reiter abgetvorfen, freuten fie fich über den Untergang 
ihres Feinded. Inzwiſchen war auch das Pferd, welches Yridlen mit 
Blut beſprützt hatte, im Lager feiner Kämpen angeiprengt. Sie eilten 
nad dem Strome, fanden ben Leichnam und hielten ihn, in dem glän- 
zenden Gewande, Für bie von ben Fluten hergeſchwemmte Leiche des 
Könige. Entrüftet hierüber drängten fi) bie, welche ven Räubern den 
Tod geſchworen hatten, an das abjehüflige Ufer, und ihnen folgten bie 
Andern, von gleicher Begierde beieelt, den König zu rächen ober zu 
fterben. Als Fridlev diefes ſah, ließ er plötzlich die Fallbrüde herab, 
nahm feine Streiter auf und die jämmtlichen Brüber wurben mit dem, 
Schwert aufgerieben, Biorn allen ausgenommen. Ihn ließ Fridlev 
von feinen Wunden heilen und nahm ihn zu feinem Genofien an (sub 
sacre obtestationis pignore collegam adscivit). 

Nachdem Frivlev fich des väterlichen Reiches in Dänemark bemäch⸗ 
tigt hatte, ſchickte er, auf den Rath der Seinigen, Gefandte nad) Nor 
wegen, bie für ihn um bie Tochter bes dortigen Königs Amund werben 
ſollten. Eines derjelben, Namens Froco, wurde auf der Überfahrt 
von den Fluten verfchlungen, wobei fich ein wunderbares Zeichen ergab. 
An der Stelle, wo er verfunten war, drang mitten aus dem Strubel 
Blut hervor und färbte das ganze Meer purpurroth. König Amund, 
ber. von Fridlevs Vater Frotho Manches zu leiven hatte, wies darum 
bie Gejandten ſchnöde von fih. Frogerth aber, die Königstochter, bie 
durch Fridlevs Thatenruhm für ihn eingenommen war, machte ihren 
Vater darauf aufmerkſam, daß dad munberbare Ausfehen des Meeres, 
deſſen Wellen fih plöglih in Blut verwandelt, Norwegen eine große 
Niederlage beveuten müfje. Vergeblich jedoch ſandte Fridley zum zwei⸗ 
tenmal feine Boten. Amund ließ dieſe hinrichten. Nun führte Fridlev, 
in Begleitung Haldans und Biorns, feine Flotte nach Norwegen. 
Amund kam mit ber feinigen entgegen. Frocaſund (auf ben ertrunfe 
nen Froco bezüglich) hieß die Bucht, in die beide Geſchwader einliefen. 


223 

In der Nacht gieng Fridley auf Kundſchaft aus; Da börte er in ber 
Luft ein ungewohntes Raufchen, und als er emporfah, vernahm er 
aus ber Höhe den Gefang dreier Schwäne: | 

Dum mare verrit Hythin rabidosque intersecat sstus, 

Auro verna bibit et lactea pocla ligurit. 

Optima conditio servi, cui rege creatus 

Obsequitur, temere mutatis sortibus, hæres. 

Dann fiel ein Gürtel aus der Luft, auf dem fich Runen befanden, 
die dem Liede zur Erflärung dienten. Ein Niefe Hythin nemlich hatte 
den Eohn des Königs von Telemarlen (Thialamarchiee) über dem 
Knabenſpiele meggeraubt und, indem er fich besfelben als feines Ru⸗ 
derers bediente, fuhr er eben auf einem Boote bei Frivlen vorbei. Diefer 
reiste nun durch einen Schmähgefang ben Riefen zum Kampfe, worin 
er demfelben Hand und Fuß abbieb und den gefangenen Königsſohn 
befreite. Nachdem er fi in ber Höhle des Rieſen mit Schäten be 
Inden, ließ er fi) damit von dem Jüngling noch in der Nacht zu feinen 
Schiffen zurüdrudern. Auf dieſer Fahrt fang er ein Lied über bie 
vollbrachte That, welches in Saroz Überfegung damit fehließt: 

Ergo leves totoque manus conamine nisi 
Rimemur mare, castra prius classemque petentes, 
Quam roseum liquidis Titan caput exserat undis: 
Ut cum rem rumor vulgaverit, atque Frogertha 
Noverit egregio partam conamine predam, 
Blandior in nostrum moveat presordia votum. 

Am folgenden Tage wurde zwifchen ibm und Amund eine große 
Schlacht, theild zu Lande, theils zur See geliefert. Biorn half ſeiner ſchon 
mwantenden Schaar wieber auf, indem er feinen ungebeuren Hund los ließ. 
Amund Tam in der Schlacht um. Einer feiner Kampfgenofien war An der 
Bogenichüge (Auo [b. 5. Ano], cognomento sagittarius). Gegen biejen 
legte Biorn eben einen Pfeil auf vie Sehne, als ihm An mit feinem 
Pfeile die Sehne entzweiſchoß. Gin zweiter Pfeil fuhr zwiſchen Biorns 
beiden Fingern durch und ein dritter traf Biorns Pfeil. Damit wollte 
der treffliche Bogenfchüte nur zeigen, daß er gegen den Mann ſelbſt 
wohl vermöchte, mas er gegen deſſen Geſchoß vermocht. Aber unge: 
ſchreckt dadurch fehritt Biorn dennoch dem Kampfe mit An enigegen, 
Beide giengen verwundet daraus hervor. Nachher aber murben fie bie 





224 


beften Freunde. Frogerth wurde) nach dem Tod ihres Vaters, dem 
Sieger zu Theil. 

Aus einer andern Verbindung batte Fridlev einen Sohn ODlav. 
Er mwünfchte deſſen künftiges Schickſal zu erfahren: 

Mos erat antiquis, super futuris liberorum eventibus Parcarum ora- 
cula consultare. Quo ritu Fridlevus Olavi filii fortunam exploraturus, 
nuncupatis solenniter votis, deorum ædes precabundus accedit, ubi intro- 
specto sacello teruas sedes totidem nyınphis oceupari cognoseit. 

Die eine diefer Schickſalsgottinnen verlieh dem Anaben ſchöne Geftalt 
und die Gunſt der Menſchen, die zweite die Tugend der Yreigebigfeit, 
bie dritte aber, die von misglinftigerem Sinne war, ſuchte den Ge 
ſchenken ihrer Schweiter entgegen zu mirken und fügte die Eigenſchaft 

rer Sparfamleit Hinzu. So geſchah es, daß Dlav, zwilchen hiefen 
widerſtrebenden Gaben getheilt, zulekt von ber Kargheit feinen Beinamen 
davontrug. , 

Sn dem erften diefer Sagenbruchſtücke; von ben zwölf Brüdern 
auf dem Felseiland, haben wir eine von ben epifchen Vorgeſchichten, 
wie der Hauptheld der Eage fich feine Kampfgenofien durch den Kampf 
jelbft gewinnt. Fridlev Inüpft bier ven einzigen überlebenden aus ber 
Zahl jener Brüder, Biorn, unzertrennlih an fi) und verbindet fid 
den Schweden Haldan, für den er biefes Abenteuer unternommen. Die 
Felsburg mitten im reißenden Steome, der vom Gebirge fällt und aus 
den tiefen Schluchten Tchäunend hervorbricht, ift, in wenigen Zügen, 
ein gutes Landſchaftbild aus der wilden norwegiſchen Natur. Aus 
dem Felſenneſt und burch die Waſſerſtrudel muß fich Fridleo den beften 
feiner Waffenbrüber herausholen. Biorn und Halden kämpfen nachher, 
in der großen Schlacht gegen Amund, getreulich auf feiner Seite. Das 
Borzeichen diefer Schlacht, mie ſich vom Blute bes verfunfenen Froco 
das ganze Meer röthet, finden ivir, nach jener wunderbaren Sagen 
verwandtſchaft zwiſchen ven entfernteiten Völkern, von der wir auch in 
der Amlethsſage ein Beifpiel hatten, wenn gleich auf verſchiedene Weiſe 
angewandt, in einem neugriechiichen Vollsliede bei Fauriel (B. II) 
wieder. Es lautet nah W. Müllers Überfegung (II, 11) fo: 

Ein Mägdiein will auf Reifen gehn u. f. m. *** 

Die Färbung des ganzen Meeres durch das Blut eines Menfchen 

üt der Sage mit dem Liebe gemeinfam. Aber finnreicher erjcheint fie 


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225 


' 


allerbings in letzterem, wo fie nicht ala Vorbedeutung eintritt, ſondern 
wo bie gekraͤnkte Unfchuld durch die ganze entrüftete Natur um Rache 
ruft und ber verübte Frevel fich fo unverlöfchlich verfündet. Die brei 
Schwäne, die Nachts aus ber Luft berabfingen, find Vallyrien, bie 
dem von dem Niefen Hythin in Dienftbarleit herabgegogenen konige 
finde den Retter erwecken. 

Die Erzählung von dem Bogenichügen An erinnert. an das, was 
wir aus beflen eigener Saga, von dem Wettſchießen zwiſchen ihm und 
feinem Sobne, beigebradit. 

Die drei Parcen, welche Friblev über das Schidfal jeines Sohnes . 
Olav befragt, find die Normen des norbifchen Mythus, von beren Gin 
wirken auf menjchlihe Verhältniffe bei einer der folgenden Sagen aus 
führlicher zu handeln fein wird. 


Sm Tten Buche Saros tft eine Reihe kurzer Liebesgeichichten zu: 
fammengeftellt, von derjenigen Art, melde nachher den Gegenftand 
vollamäßiger Balladen ausmachte. Die meiften berfelben gründeten fich 
auch, mie bie eingemifchten Verſe anzeigen, auf ältere Lieder. 

Müller (Sagnbhift. 106; vgl. 120) bemerlt, daß Saxo biefe im 
Volksgeſang überlieferten Erinnerungen aus alten Zeiten, welche doch 
felbft feine Zeitbeftimmung enthielten, nicht unabſichtlich gegen das Ende 
des mythiſchen Zeitraums nad einander einrüden mochte, wo es ihm 
eben an andrem Stoffe zur Ausfülung bes Übergangs fehlte. 

Diefe Sagen find folgende: 


13. Other nud Syrith. 
Saro 8. VII, &. 192 His 194. Müller, Sagnhiſt. 98 f. 


Syrith, die Tochter des dänischen Königs Syvald, wurde ihrer 
Schönheit wegen von vielen Freiern gejucht, ſchlug aber niemals gegen 
einen die Augen auf. Sie erbat fich auch von ihrem Vater, nur Dem 
folgen zu dürfen, ver fie bewegen könnte, ihn anzubliden. Othar, ber 
thatenberühmte Sohn des Vikings Ebbo, mar einer ber eifrigften Ber 
werber; allein auch ex mujte abziehn, ohne der geſenkten Augen Meifter 
zu werben. Auch ein Niefe verjuchte fih an ihnen, und da ed ihm 

nhland, Schriften. VIE. 15 


[} 226. 

eben fo wenig gelang, fo raubte er die Jungfrau mitfammt den nieber- 
gefchlagenen Augliedern und führte fie in bie tiefen Gebirgsfchluchten. 
AB Othar dieſes erfuhr, durchftreifte er nad ihr das Innerſte bes 
Gebirgs, fand fie, erfchlug den Riefen und zog mit ihr von dannen. 
Der Niefe hatte mit großer Sorgfalt die Schönen Haare der Jungfrau 
fo feft und manigfach in einander geflochten, daß fie kaum mehr an- 
ders, als mit dem Schwerte, entwirrt werden zu können fchienen. 
Vergeblich bemühte ſich Othar auch jet, den Blid Syriths auf fich zu 
lenken. Sie wandte fih von ihrem Retter ab und irrte längere Zeit 
in ber Einöde umber, bis fie zu der Hütte eines riefenhaften Wald 
weibes kam. Diefem mufte fie bie Biegen hüten und erft wieber durch 
Dthars Hülfe wurde fie von folder Dienftbarleit befreit. Saro gibt 
bier ein Lieb in fapphilchen Strophen, worin Dthar die Schöne auf: 
fordert, lieber ihm zu folgen und ſich freundlich zu erweifen, als bie 
Biegenheetde ihrer trogigen Gebieterin zu weiden. Das Lieb fchließt fo: 

Ad lares hinc te statuam paternos 

Et pie letam sociebo mwatri, 

Si semel blandis agitate votis 

Lumina pandas. 
- Quam tuli claustris toties gigantum, - 
Confer antiquo meritum, labori, 
Et, graves rerum miserata nisus, 
Parce rigoril - 

Aber unbemweglich blieben Syriths Wimpern verfchloflen und Saxo 
kann ſich nicht enthalten, auszurufen: 

Quantee porro pudieitie seculi illius feeminas extitisse putemus, que 
ne ad levem quidem oculorum motum maximis amatorum irritamentis 
adduci potuerunt! | 

Nachdem auch diefe zweite Rettung die Schöne nicht zu rühren ver: 
mocht, kehrte Othar beihämt und gekränkt zu feinen Schiffen zurück. 
Syrith irrte wieder weit in den Felfen umher und Fam endlich durch 
Zufall in das Haus Ebbos. Sie gab ſich, entblößt wie fie war, für bie 
Tochter armer Leute aus. Othars Mutter jedoch bemerkte, des ärm⸗ 
lichen Anzugs unerachtet, das edle Weien ber Fremden, räumte ihr 
den Ehrenfit ein und behielt fie gaftfreunblidh bei ſich. Othar jelbft 
kam Binzu und fragte, warum die Jungfrau ihr Geſicht mit bem 


227 


Schleier bebede. Er hatte fie aber wohl erkannt und beichloß, fie ger 
nauer ‚zu erforfchen. Darum ftellte er fi an, als mollte er fidh mit 
einer Andern vermählen, und Syrith mufte zum Brautgemad) Teuchten. 
Als nun das Licht, das fie trug, faft abgebrannt war, jo daß die 
Flamme ihr immer näher auf die Finger fam, hielt fie doch die Hand 
unbeweglich und fchien nicht? von der Hige zu empfinden. (Vol. Fär. 
Dv. 300). Erft als Othar fie ermahnte, für ihre Hand zu forgen, 
Schlug fie auf einmal die Augen mit einem zärtlihen Blide gegen ihn 
auf. Da hielt fogleich der ervichtete Brautgang inne und Syrith ſtand 
ala Braut an Bithars Seite. 

Müller harakterifiert diefe Sage fo: 

„Sie hat viel poetifche Haltung. Eine Idee liegt der ganzen romantijchen 
Einkleidung zu Grunde; die weihliche Berſchämtheit wird auf eine fehr einfache 
Weiſe fymbolifiert und der Knoten mit Feinheit geldft, indem das Mädchenherz, 
welches der Dankbarkeit, dev Furcht und dem Zwange wiberfianden, fich zulekt 
von der weibliden Eiferfucht hinreißen läßt.” 

Als Eiferfucht fcheint mir aber Die Bewegung, die in Syriths Herzen 
vorgeht, nicht ganz richtig bezeichnet zu werben; es iſt mehr das ſchmerz⸗ 
liche Gefühl, daß fie den wohlbegründeten Anſprüchen Othars auf ihre 
Ziebe und der eigenen geheimen Reigung für ihn allgu lange fein Gehör 
gegeben und daß dadurch für Beide ein ſchönes Glück verfäumt fei; in 
dieſes quälende Gefühl verſunken fommt ihr noch einmal Othars freund 
lid) marnende Stimme zu, da ift der Bann geldit, in dem ihre jungfräu- 
liche Scheu fie feitgehalten hatte, und ob es auch zu ſpät ſei, fchlägt fie 
die lange geichloffenen Augen auf und öffnet rüdhaltlos den Blick in 
ihr Innerſtes. 

Die ſchöne Sage, über die Saro ein altes Lieb vor ſich hatte, 
ift nicht ganz unverkümmert auf uns gefommen. Die Entführung durch 
den Riefen wurbe auf verfchievene Weife erzählt (opinantur alii u. f. w.) 
und es ift hierin, wie bei den Abenteuern in der Wilbnis, nicht Alles 
Har und vollſtändig. Die Hauptzüge jedoch, fomweit fie zur Darlegung 
und Entwicklung der innern Zuftände nothwendig waren, find uns 
unverwifcht erhalten. 

Eine, wenn auch verbunfelte Spur der Verbreitung diefer Sage 
findet fich in der früher erwähnten isländischen Saga von Egil und 
Asmund; dort nennt ſich Asmund, der fih mit feinem Freunde 





’ 228 
— — 


begraben ließ, einen Sohn Ottars, Königs in Halogaland, und Sigrids, 
einer Tochter des Jarls Ditas in Yütland (Sagabibl. II, 611). 


14. Alf und Alvild. 
Saro 8. VH, S. 1% f. Müller, Sagnhiſt. 100 f. 


Sigar, König in Dänemark (Syvalds Sohn und Syriths Bruder), 
hatte drei Söhne, Syvald, Mf und Alger und eine Tochter, Sygne. 
Unter den brei Brübern war Alf der ausgezeichnetite an Muth und 
Geftalt. Er trieb fih auf Vikingsfahrten um. Seine Loden waren 
pon ſolchem Lichtglang, daß man meinte, er babe Haare von Silber. 
Zu derfelben Zeit hatte Syvard, König in Getland, eine Tochter, 
mit Namen Alvild, welche ſtets verfchleiert gieng. Ihr Vater, der fie 
eng verſchloſſen hielt, Hatte zwei Schlangen (viperam anguemque) 
von ihr aufziehen laſſen, welche, mit ihr großgetvachten, fie beimachen 
follten. So Tonnte nicht leicht Jemand zu ihrem Frauengemade durch⸗ 
dringen. Wer es aber verſuchte und nicht ausführte, dem ließ ber 
König das Haupt abjchlagen und auf einen Pfahl fteden. Mf, Sigars 
Sohn, tagte den Verfuch, der ibm um fo ruhmvoller fchien, je ge 
fährlicher er war. Um die Wuth ber Thiere noch mehr gegen fich zu 
reizen, umgürtete er fi) mit einem blutigen Felle; bem einen fließ er 
einen glübenden Stahl in den Rachen und das andre erlegte er mit 
einem Speerwurf. Als er aber den bebungenen Giegespreis, . Alvilds 
Hand, verlangte, erwiderte ber König, nur der könne fein Eidam wer⸗ 
ben, für den fich feine Tochter aus freier Wahl entſchiede. Alvild, bie 
den tapfern Freier rühmte, erfuhr von ihrer Mutter Heftige Vorwürfe 
über dieje weibliche Schwäche. Da vertaufchte fie die Frauentracht mit 
männlicher und wandte fich dem Friegeriichen Seeleben zu. Mit einem 
Gefolge von Yungfraun, die denſelben Entichluß ergriffen, kam fie zu 
einer Schaar von Bilingern, bie. eben ihren Führer im Kriege verloren 
hatte. Ihrer Ichönen Geftalt wegen wurde fie von diefen (wie Hervör) 
zum Haupt erforen und führte nun viele Helbenthaten aus. Einft kam 
Alf auf jeinen Seefahrten in eine ſchmale Bucht an der finnifchen Küſte, 
wo eben aud Alvild mit ihren Schiffen eingelaufen war. Sie ließ 
ungefäumt das heranlommende Geſchwader angreifen. Die Dänen be 
wunberten bie ſchöne Geftalt und Haltung ihrer Gegner. Die Seeſchlacht 





begann. Alf iprang vorn auf Alvilds Schiff und ſtreckte von eimem 
Ende zum anbern Alle nieder, die ihm Wiberftand leifteten. Da fchlug 
Borlar, Alfs Kampfgenofie, Alvilden den Helm vom Saupte und nun 
zeigte fih, daß hier nicht mit Waffen zu kämpfen jet (oseulis, non _ 
armis, agendum esse). So hatte nun Alf unverhofft Die getroffen, 
bte er zu Land und Meer, unter taufend Gefahren, unermäblich gefucht 
hatte. Alvild kehrte zur Frauentracht zurück und warb Alfe Gemahlin. 
Auch Borkar erwählte ſich eine ihrer Gefährtinnen. | 

Obſchon e3 auch dieſer Sage nicht an fchönen Bügen ſchit, ſo iſt 
fie doch weniger innerlich und gleichmäßig durchgebildet, als die vor 
hergehende von Dibar und Syrith. Befonbers ift fie vornherein etwas 
verwirrt. Verſe bat Saro hier nicht angebracht und fcheint alfa auch 
fein Lieb benützt zu haben. 


15. SHagbarth und Sygne. 

Sar 8. VI, ©. 197 bis 205. Ynglinga 8. 6. 25. 27. Müller, 
Sagnhif. 101 bis 104. Svenska Folkvis. I, 137 bis 147. Udv. Danske 
Vis. II, 2 bis 18. 402 ff. Grimm, Altdän. Heldenl. 98 ff. 509 bis 517. 
[Grundtvig, Danmarks gamle Folkev. 1, 258 fj. 2, 256. 8, 791 ff. Liebrecht.] 
Geijer, Schwed. Urgeſch. 222 f. 5. 415. (Landndma 256.) Kormaks 8. 
12. 16: Hagbards Bild. Bgl Hoffmanns Fundgr. I, 375: hagebart, larva? 

Am Anfang des Frühlings trafen Alf und fein Bruber Alger auf 
der Vilingefahrt mit den Söhnen des noriwggifchen Königs Hamund, 
Helwin, Hagbarth und Hamund, zufammen. Es ward eine Seefchlacht 
geliefert, in ber fich beide Theile fo jehr exichöpften, daß fie Frieden 
zu fchließen gemötbigt waren. Hagbarth zog mit Sigars Söhnen nad 
Dänemark, ſprach dort ohne Willen derfelben ihre ſchöne Schwefter 
Sygne und gewann ihre Liebe. Amar hatte Hildigifl, ein vornehmer 
Deutſcher, um fie geivorben. Aber fie fand an ihm nichts, als fchöne 
Geftalt und glänzende Haare; an Hagbarth, der von zauberem 
Ausſehen war, rühmte fie bie Tapferkeit. Ihre Hußerungen hier: 
über bat Saxo in Berfe gebracht (tali concentu usa perhibetur). 
König Sigar, Sygnes Vater, hatte zwei alte Männer zu Rathgebern, 
die Brüder Bölvis und Bilvis!. Diefe waren von fo verfchiebener 


1 Lex. iel.: Böl, n. calamitas, erumna. Bil, n. momentum, interstitium 
temporis v. loci. Vis, sapiens, pradens. Edd. Hafa. GL T. I, ©. 432: 


0 
Sinnesart, daß ber eine, Bilvis, Feinde zu verföhnen pflegte, ber 
andere, Bölvis, Freunde zu entzweien bedacht war. An ven letztern 
wandte ſich Hilbigifl, ber es nicht verſchmerzen Ionnte, daß ihm Hag- 
barth vorgezogen wurde. Er verlodie den blinden Greis (luminibus ca- 
ptum) durch Geſchenke, zwiſchen Sigars und Hamunds Söhnen Feind: 
Schaft zu ſtiften. Bolvis verläwmbete die Iehtern bei Sygnes Brübern 
unb verficherte, biefelben haben niemals treue Bundnis gehalten und 
Tönnen nur durch Krieg gebändigt werben. Sp wurde der Friebe ge 
brodden, Helwin und Hamund mwurben in Abtvejenheit ihres Bruders 
Hagbarth von Alf und Alger bei dem Hafen Hamunbäfjorb (apud 
portum, qui sinus Hamundi dieitur) angegriffen und famen um. Gag: 
barth, der fpäter mit ganzer Kraft hinzulam, rächte feine Brüder mit 
dem Untergang von Sigars Söhnen. Hildigifl entlam mit einer Wunde 
auf der Hinterfeite. Ob nun glei Hagbarth Sygnes Brüdern den 
Tod gebracht, fo wagte er Doch, allein, in Weibertracht, fie aufzufuchen, 
ihrer Treue feft verfichert. Er gab fih für eine ftreitbare Dienerin ! 
feines Bruders Hakon, eines berühmten Seehelden, aus, welche von 
biefem mit Botichaft an König Sigar gefandt fi. Man nahm ihn 
in das Frauengemach ber Königstochter auf; die Mägbe aber, bie 
ihn beim Fußbad bebienten, äußerten ſich über die Rauhheit feiner 
Hände und Füße befrembet. Da erwiberte er, in Hakons Dienfte geh’ 
e3 nicht befier, mo man über Steine und Dorme meite Reifen machen, 


„Barlviss, in fem. -vis, adj. dirus, infanstus, prodigiosus, certam malum 
portentans vel adferens. Bavi-visir draümar. Veg. I. 8. var. c. conf. 
Harb. XXI. 3.“ Bgl. Grimm, Edda S. 90: Blindr inn baulvisi. Hröm. 
Greips. 8. C. 1: Bildr, Voli. C. 4 init. €. 5. 6. 7. 6. 8: Blindr hinn 
illi, Hagall. & 9, 6. 10: Karllinn Blindr er hèt Bavis. Bgl. Schwelle 
IV, 15 u. 187 f. IV, 278 a. v. Bapfen. I, 168. J. Grimm, d. Mythol. 
265 [b 441]. 672: blinde belien (Schmeller IV, 187). Cromek, Remains 
212 f.: Billie Blin. 330. (gl. Motherwell LXIX, 21. Minstrelsy, 5 ed. II, 
52. Nyerap IV, 158 fi. Sv. Folkv. II, 56. 59. 219 f.) Zweifache Fylgien 
in einer isl. Saga. Leo, Altfächf. und angeli. Sprachproben, Halle 1838, 
©. 18: „V& villad böon bilevite u. ſ. m.“ ©. 110: „bilevit, adj. billig, 
einfach, gutmüthig; bilevitnis, Billigleit.“ Neues Jahrbuch ber berlinifchen . 
Geſellſch. f. d. Sprache u. Alterthumskunde II, 64 f. Wackernagels Leſebuch 
1861. I, 1236. Tafnadıtfpiele S. 255. 1468. 8.] 
1 Bsl. Heig. qv. Hund. II, Str. 3. Edd. Beem. &. 159. 








23 


Waffen und Ruder unit führen müfle. Auch diefe Rebe ift in 
Berfen, z. 2.: 


Quid miri, tenerum nobis durescere subtel n. f. w. 
Cui plantas toties subjecte relisit arena, 
Et vepres medium corripuere gradum? 
Nunc saltu nemus experior, nunc ®@guora cursu, 
Nune mare, nunc tellus, nunc iter unda mihi’u. f. w. 
Nec colus aut calathi, sed cæde madentia tela 
Officium nostre composuere manus. 


Es folgen nun, gleichfalls in Berfen, die Geſpräche ber Liebenven 
in der Nacht. Hagbarth fragt, wozu Sygne entjchlofien fei, wenn ihr 
Bater ihn, der ihre Bruder getödtet, ergreifen und binrichten laflen 
würbe. Sygne verfichert, daß, melden Todes auch ihr Beliebter fter- 
ben follte, fie fi dem nemlichen weiben werde. Hagbarth wurde bon 
den Mägden verratben und nach tapfrer Gegenwehr von ben Dienern 
des Königs gefangen. Man hielt Gericht über ihn, wobei Bilvis ans 
rieth, lieber von den Dienften des Helden Gebrauch zu machen, als 
graufam gegen ihn zu verfahren. Da kam Bolvis Hinzu und erflärte 
den Rath für ungebörlg, durch ben die gerechte Ahndung bes Königs 
für den Tod feiner Söhne und die Schmad ferner Tochter gehemmt 
werben follte. Dieſer Anficht ftimmte die Mehrheit bei, Hagbarth wurde 
zum Tode verurtheilt und der Pfahl, an den er gehängt werben follie, 
aufgeridhtet. Die Königin reichte dem Verurtheilten ein Trinkhorn, 
aus dem fie ihn mit bittern Worten zur Lebe trinken hieß: 


Nunc, insolens Hagbarthe, 
Quem morte dignum concio 
Adjudicavit omnis, 
Sitis fugande gratia 
Ori dabis bibendum 
Sceypho liquorem corneo ı. f. mw. “ 
"Audacibus labellis 
Lethale liba poculaum, 
Quo potus infororum 
Mox applicere sedibus, 
. Ituras in reclusem 
Ditis severi regiam, 








- Patibuleque corpus, 
Orco daturus spiritam! 
Der junge Held ergriff das Trinfgefäß und vergalt die herbe Rede 
der Königin, indem er fi des Todes ihrer Söhne rühmte. 
Hac gustum capiam manu supremum u. ſ. w. 
Qua natos tibi sustuli gemellos. 
dam non elysios inultus axes, 
Non impune truces adibo manes, 
- Nam nostro prius hos peracta nisu 
Clades tartareis reclusit antris. 
Hæc vestro maduit oruore dextra, 
Hec proli teneros ademit annos a. |. w. 
Infelix genitrix et orbs natis 
Sublatum tibi nulla reddet taa, 
Nec tempus redimet diesve quevis 
Demptum lethifero rigore pignus. 
Damit warf er dad Trinkhorn auf die Königin und begoß fie mit 
dem Tobestranfe. 

.Indeſs fragte Sygne ihre weinenden Dienerinnen, ob fie ihr in 
dem, was fie vorhabe, Gejellichaft zu leiften wagen. Jene gelobten, 
jedes Loos mit ihr zu theilen. Hierauf erflärte Sygne den Entichluß, 
dem. Geliebten im Tode zu folgen und, ſowie das Zeichen gegeben fei, 
das Frauengemach in Flammen zu fteden und fi mit den Schleiern zu 
echängen. Alle ftimmten ein und fie trank ihnen den Becher zu. Hang: 
barth wurde, um gehängt zu werben, nach einem Berge geführt, ber 
nachmals von ihm den Namen erhielt (qui postmodum ab ipso vocs- 
bulum traxit), Er wollte die Treue feiner Geliebten erproben und hieß 
die Schergen erft nur feinen Mantel aufhängen, indem e8 ihn vergnüge, 
feinen naben Tod vorerft im Bilde zu fehen. Man willfahrte ibm; bie 
aufgeftellte Wächterin aber glaubte, Hagbarth fei gerichtet, und verfüns 
digte dieß den Sungfraun. Diefe ftedten ſogleich das Gemach in Brand, 
ftießen die Schemel unter den Füßen hinweg und ließen fich von den 
Schleiern erwürgen. Als Hagbarth das Frauengemad der Königsburg 
in Flammen fah, äußerte er mehr Freude über die Treue feiner Ge: 
liebten, als Trauer über feinen nahen Tod. Er forberte die Umftehen; 
den auf, feinen Tod zu befchleunigen. Auch dieß in einem Liebe Chu- 
jusmodi carmine), woraus folgendes: 





Oeyus, 0 jarenes, correptus im aera tollar, 
Dulce mihi, nupta, est post «tus fata mori. 

Aspicio erepitus et tecta rubentia flammis, 
Pollicitusque diu paeta revelat ameor u. f. w. 

Felix, qui tanto[-ta?] merni consorte juvari, 
Nec male tartareos solud adire deos u. |. w. 

Axis uterque juvat, gemino celebrabitur orbe, 
Una animi requies, par in amore fides, 


Alsbald wurde das Urtheil vollitredt. Zur Beglaubigung ber 
Sage aber beruft ſich Saro auf örtliche Anzeigen: 

Et ne caiquam antiquitatis vestigia prorsus exolevisse eredantar, 
predicte rei fides presentibns locorum indiciis exhibetur, quum et Hag- 
berthus pago vocabalum extinctus intulerit, nec longe a Sigari oppido 1 
locus pateat, ubi’ plano paululum agger elatior veteris fundi instar pro- 
tuberantis humi specie demonstrat. Sed et quidam Absaloni ? trabem se 
eo loci repertam vidisse narravit, qnam agrestis vomere glebam rimatus 
offendit. 

Das Weitere, wie Halo, Hagbarths Bruder, Rache nimmt ® 
u. ſ. w., können wir bier übergehen. 

Was Hagbarth fterbend gemweiffagt, daß feine und Sygnes treue 
Liebe im Gedächtnis der Menſchen leben werde, ift reichlich in Erfül: 
lung gegangen. Seine der alten Sagen bat ſich in fo andauernder und 
weitverbreiteter Erinnerung erhalten, als dieſe. Die ältern Lieder, aus 
denen Saxo ſchöpfte, find zu einer Vollsballabe geworben, die noch bie 
in die letzte Zeit in bänifcher und ſchwediſcher Sprache auf fliegenden 
Blättern umgeht. Wie ſchon Saro Ortlicleiten anführt, um ben 
Schauplatz ber Ereigniſſe feſtzuſtellen, ſo machten fih Jahrhunderte hin⸗ 
durch und noch jeßt die drei norbifchen Reiche, Dänemark, Schweden 
und Norwegen, und in biefen wieber bie einzelnen Landſchaften, jenen 
Schauplag ftreitig. Überall findet man Ortſ haften, Höfe, Hügel, 
Duellen, -Eichen, Steine nad den Berfonen der Erzählung benannt 
und das Bolt weiß die Bedeutung der Namen aus Lied und Gage zu 


1 Sigarfied in Gecland. 

2 Dem Probſt in Roeskild und nachherigen Biſchof in Lund, auf deſſen 
Aufforderung Saro fein Werl verfaßte. 

3 Darnnter die Sage vom wandeluden Walde B. VII, S. 204. 


234 


erflären. Davon Mehreres ſeiner Zeit bei den Balladen und Dirt 
jagen des Nordens. 

Hier mag nur noch angebeutet werben, was von den Erwäh⸗ 
nungen diefer Sage der früberen-Beit, felbft noch weit über Saxo 
hinauf, angehört. In Thiodolfs Ynglingatal, diefem im Oten Jahr: 
hundert verfaßten Stalvenliede, der Grundlage der Inglingafaga, heißt 
bereitö der Galgen das Roſs von Sygnes Manne, auch Sigars Rofs; 
und ähnliche Ausvrüde finden ſich bei ven fpäteren Skalden. Abwärts 
aber deuten zunädft nach Saro das isländiſche Landnamabok, vom 
Anfang des 13ten Jahrhunderts, und bie Stalda auf den Inhalt 
der Sage. 

Diefe bat auch wirklich fo ergreifende Situationen, daß man ſich 
ihre lebenskräftige Fortdauer wohl erllären Tann. Veränderungen hat 
ſie allerdings erfahren, dem nordiſch Alterthümlichen hat ſich in der 
Ballade das Ritterliche beigemiſcht und jene gewaltige Wechſelrede zwi⸗ 
ſchen Hagbarth und der Königin, die ihm den Todesbecher reicht, iſt 
nur bei Saxo noch vorhanden. 

Unter dem haderſtiftenden Bölvis, der blind bezeichnet wird, würde 
ich den einäugigen Dbin zu finden glauben (ber fich einft auch Bölverf 
nennt), wenn nicht die Deutung bed andern Rathgebers, Bilvis, 
Schwierigleit machte. 


16. Halfden. 


[(Dieſer Abſchnitt der Borlefungen wird hier unterdrückt, weil Ubland bie 
Sage von Halfdan neu in den Sagenforſchungen 1, 192 (Schriften 6, 110) fi. 
abgehandelt hat, zum heil mit wörtficher Benügung feines Heftes für bie 
Borlefungen. 8] . 


u 17. Harald Hylbetanb. 


Sapo ©. VII, &, 212. 8. VIII, &. 227. Sagnhist. 106 bis 119. 
Sögubrot, Fornald. Sög. I, 361 ff. Fort. Sag. I, 83 ff. (befonvers C. 1 am Ende. 
4. 7618 9.) Das Sagabruhftüd von alten Königen in Dänemark und Schweden 
it in feiner gegenwärtigen Geftalt nicht älter, als aus dem 14ten Jahrhundert. 
Sagabibl, Il, 484 ff. Beier, Schwer. Geſch. I, Cap. 10. ©. 444 bis 52. 


Nah Saro ift Harald Hyldetand der Sohn Haldans und Guriths. 
Das isländiſche Sagabruchſtück dagegen gibt ihm ganz anbre Eltern, 


Hrärek und Auda. Die letztere Angabe fiimmt auch mit andern nor 
diſchen Zeugnifien überem und ift daher unbedenklich der Angabe Saros 
vorzuziehen, der, um feinen Königsreihen Zuſammenhang zu geben, ſich 
manche genealogiſche Willkühr erlaubt, während .er mit bem innen 
Beftande der Sagen gewiſſenhaft verfährt. 

Den Beinamen Hyldetand erflärt Saxo (©. 212) bavon, daß ihm 
zwei ausgeftoßene Zähne unerwartet durch anbre erſett, dadurch aber 

ſeine Bahnreihe hervorſtehend geworden. 

Quorum jaeturam postmodam insperata molarium eruptio sarciebet. 
Hie eventus Hyldetand ei eognomen imposait: quod eum quidam ob emi- 
nentem dentium ordinem assecntum affirmant. 

Sögubrot C. 1 bemerkt von ihm das befondere, daß feine Vorder⸗ 
zähne groß und goldfarbig geweſen feien. 

Sonft wirb der Name auch Hilvetanb (Hilditavnn, Edd. Sem. 
117%) gefchrieben und in biefee Form leitet ihn Geijer (444,7) von 
Hilldr, Krieg, ab; man habe Haralds hervorſtehende Zähne auf feine 
kriegeriſchen Eigenſchaften gebeutet. 

Harald mar von ausgezeichnet ſchöner und hoher Geſtalt, auch 
allen feinen Mtersgenofien an Stärke überlegen; dazu war ihm von 
Odin, deflen Ausiprud er das Leben verbantte, die Gunſt geworden, 
daß Fein Eifen ihn verlegen Tonnte. Dafür batte ex die Seelen ber 
von ihm Erſchlagenen Dbin verheißen. In einer Schlacht in Rorivegen 
ſchritt er ohne Harniſch, mit einem Purpurrod befleivet und mit einer 
golddurchwobenen Binde um die Haare, mehr feftlich als Triegeriich an: 
getban, vor feinen Schaaren her dem Feind entgegen. Alle Geſchoſſe, 
bie auf ihn gerichtet waren, fielen machtlos von ihm ab. So gieng er 
aus dem Kampfgewühl unverlegt ala Sieger hervor. 

Bor einem Kriege gegen bie Schweden erfchien ihm ein großer, 
einäugiger Greis, mit haarigem Mantel. Derfelbe nannte ſich Odin, 
behauptete, fehr kriegskundig zu fein, und lehrte ihn die Feilfärmige 
Schlachtordnung (svinfylking, f.), ſowie auch die Anordnung eines 
Seetreffens. Mittelft diefer Belehrungen trug Harald den Sieg bavon. 
Auf feinen vielen Heerfahrten gewann er fi) unter den Befiegten felbft 
treffliche Kämpen, andre z0g der Ruf feiner Thaten an. Wer beim 
Fechten mit der Wimper zudte, wenn auch der Hieb ſchon die Augen⸗ 
brauen berührte, warb fogleich aus feiner Umgebung verwieſen. Da 


s 


236 


teine Macht weder zu Lande noch zu Waſſer mehr ſich gegen Harald 
und feine Krieger wagte, fo trat ein vieljähriger Friebe ein, in welchem 
der König alterte. Er hatte feinem Schweſterſohne Ringe (Sigurd 
Hring) deſſen väterlihes Reich Schweben übertragen. Gin getvifler 
Bruno 1, Haralds innigfter Bertrauter, trug alle geheimen Botfchaften 
zwilchen ben beiden Königen bin und her. Dieſer wurbe auf einer 
folhen Botichaftäreife vom Strome verfchlungen. Da nahm Odin 
defien Namen und Geftalt an und wuſte durch trügerifche Ausrichtungen 
die Bande ‚der Fyreundfchaft und Vertuandtichaft zwiſchen ben Beiben zu 
lbſen. Der von ihm im Stillen gefchürte Haß fchien endlich nicht mehr 
ohne öffentlichen Ausbruch befriedigt werden zu können. Sie kündigten 
einander Krieg an und fieben Jahre follen mit den Rüftungen zu bem 
großen Kampfe bingegangen fein. 

Es gibt Welche, bemerkt Saro, bie behaupten, Harald babe nicht ans 
Misgunft oder Eiferſucht um die Herrſchaft den Krieg unternommen, ſondern 
freiwillig uud abſichtlich den Anlaß zu feinem eigenen Untergange geſucht. 

Denn da er wegen ſeines Alters und ſeiner Strenge auch dem 
Volke laſtig geworden, babe er, um feinem vergangenen Leben gemäß 
zu enbigen, den Tod in der Schlacht dem auf den Krankenbette vor⸗ 
gezogen. Um aber feinen Ted mehr zu verberrlihen und mit größerem 
Geleite zur Unterwelt zu geben, babe er bie großen Nüftungen auf 
beiden Seiten veranftaltet, übrigens jelbft gewünſcht, daß Ring Sieger 
bleibe. . 

Die Geſchichte dieſes Kriegs bat, nach Saxos weiterer Angabe 
- [&. 220], Starlatber, der felbft eine vorzügliche Säule der Schlacht 

‚war, in beimifcher Weife (d. h. im Liebe) verfaßt: 

Historiam belli suetici Starcatherus, qui et ejusdem prelii preci- 
puum columen erst, primus danico digessit eloquio, memorim magis, 
quam literis traditam. Cujus seriem, ab ipso pro more patrio vulgariter 
editam digestamque, latialiter complecti statnens, inprimia prestantisei- 
mos utriusque partis proceres recensebo. Neqne enim mihi multitudinem 
complectendi cupido incessit, quam ne pr&cise quidem numerus capit. 

E3 werben nun wirklich die auögezeichnetften Streiter auf beiden 
Seiten in langer Reihe aufgezählt. Sie fammeln fi, in verſchiedenen 


1 Lex. isl. 1, 1166: Bruni, m. ustio, urigo, it. incendium , ot. 
Brändelje; it. Btand, brändende Ild; it. Ildavaade. 


237 


Waffengattungen geübt, nit nur aus allen flanvinavifchen Reichen, 
fondern aud aus andern Ländern, befonders deutichen und ſlaviſchen. 
Stolden und Schildjungfrauen befinden ſich darunter, auch Helden, bie 
fonft in der Sage belannt_find. Bon mehreren Kämpfern Haralds 
wirb bemerlt, daß er fie (wie wir früher von Hrolf Kraki gehört) durch 
goldgefhmüdte Schwerter und reichen Kriegslohn ſich einft verbunden 
babe (S. 222): \ 

Horum omnium clientelam rex liberali familiaritafe coluerat. Nam 
primis apud ipsum honoribus habiti, cultos auro gladios opimaque belloram 
preemia perceperunt. 

Der Kampfplat mar zum voraus verabrebet, auf dem Yelbe Bra- 
valla (& Bravelli)1 am Meerbufen Bravik in Dftgotland. (Saro ©. 
227 nennt biefen Krieg bellum bravicum; auch ift 8. VIII, ©. 235 
die Rede von bravellinis tropheis, fonft aber walten bei ihm Mis— 
verfländnifle über bie Örtlichkeit vor, Geijer 448.) Haralds Flotte war 
fo zahlreih, daß man von Seeland nad Schoonen auf den Schiffen 
wie über eine Brüde gehen konnte. Aber auch feines Gegners Schiffs: 
rüftung war fo bebeutend, daß bie Segel den Blid auf dad Meer 
verbauten (prospectumque pelagi explicata malis carbasa pre- 
struebant). 

König Ring war zuerſt mit Lande und Seemacht am verabredeten 
Plate angelommen und hatte feine Schanren geordnet. Als das däniſche 
Heer beranzog, hieß er die Seinigen fih ruhig verhalten, bis fie 
ſehen, daß König Harald feinen Schladhtwagen beftiegen habe; leicht 
werde ein ‘Heer, von einem Blinden geführt, zufammenfallen. In⸗ 
deffen orbnete Bruno, an Haralds Statt, die Schlachtreihen in Keil: 
form. Der alterblinde König ftand auf dem Wagen und erhob feine 
Stimme, fo laut er Tonnte, feine Schaaren anzufeuern. Die ungeheure 
Schlacht begann nun. Saxos Derftellung wird bier fehr emphatifch 
(S. 225): 

Deinde canentibus lituis summa utrinque vi conseritur bellum. Cre- 


deres, repente terris ingruere celum, sylvas camposque subsidere, mi- 
sceri omnia, antiquum rediisse chaos, divina pariter et humana tumul- 


1 Brövellir, jett Bräwalle, 5. Mognujens Edda, hiftor. Reg. IV, 302. 
gt. III, 286. 


238 


tuosa tempestate confundi, cunctaque simul in perniciem trahi. Nam ubi 
ad teli jactum perventum, intolerabilis armorum stridor incredibili cunete 
fregore complevit. Vapor vulnerum repentinam calo nebulam intendebet, 
dies effusa telorum grandine tegebatur. 


Die Thaten einzelner Kämpen und Schildjungfraun werden nam- 
baft gemacht. An der Spike ber dänischen Keiloronung focht der Friefe 
Ubbo, den einft Harald, da er ihn, als feinen Gegner, nicht mit 
Waffen bezwingen konnte, von feinen Kriegäleuten mit Händen fangen 
lieb und ihm bann, um ihn für feinen Dienft zu gewinnen, feine 
Schweſter zur Ehe gab (B. VII, ©. 214). Ubbo erihlug zwanzig 
erlefene Kämpfer des ſchwediſchen Heeres, eilfe wurden von ihm vers 
wundet. Zuletzt erlag er felbit, da Niemand mehr “fich mit ihm ins 
Handgemeng wagte, ben wetteifernden Pfeilſchüſſen dreier Bogenichligen 
aus Telemarken. Hundert und vier und vierzig Pfeile hafteten in ber 
Bruft des Kämpfenben, bevor er entlräftet fein Knie zur Erde neigte. Da 
erit brach das Verberben über die Dänen em, hauptſächlich durch den 
_ Andrang der norwegifchen Bogenſchützen. | 
Der blinde Harald entnahm aus dem traurigen Gemurmel ber 

Seinigen, daß ſich das Glüd auf die Seite des Feindes gewanbt habe. 
Er hieß Brunon, der aus Hinterlift den Dienft des Wagenleiters ver- 
ſah, beobachten, wie Ring fein Heer georbnet habe. Halblachend ant- 
wortete Bruno, ber Feind kämpfe in Keilordnung (corniculata acie, 
Doppelkeil auf eine Grundlage geftüt). Beſtürzt und erftaunt hierüber 
fragte der König, von wem Ring biefe Weife der Heerſchaarung erlernt 
babe, da doch Din, der Erfinder und Meifter derjelben fei (diseipline 
hujus traditor atque repertor) und von ihm Niemand, als Harald 
jelbft, in diefer neuen Kriegskunſt ‚unterrichtet worden. Als Bruno 
bierauf ſchwieg, gemahnte es den König, derſelbe ſei Din, und ber 
ibm einft befreunbete Gott babe, um ihm jet zu helfen ober die Hülfe 
zu entziehen, ſolche Geftalt angenommen. Da begann er denjelben an 
zufleben, daß er ven Dänen, denen er font gnädig fich erzeigt, auch 
dießmal den Sieg verleihen möge; auch verſprach er, die Seelen ber 
Gefallenen dem Gotte zu weihen. Bruno aber, unbemwegt durch bieje 
Bitten, warf plöglic den König aus dem Wagen, ftieß ihn zu Bo 
den, entriß dem Fallenden die Keule und zerfehmetterte ihm damit das 
Haupt. | 





239 


Um den Wagen des Königs lagen unzählige Beihname, fo daß fie 
über die Räder und bis zur Deichlel ragten. Denn im Heere Rings 
waren gegen 12000 erlejene Kämpen (proceres) erlegt worden, auf 
Haralds Seite aber außer dem übrigen Kriegsvolf(preeter popularium 
stragem) gegen 30000. 

Sobald Ring den Tod Haralds erfahren hatte, ließ er das Zeichen 
zur Aufbör des Schlacht geben. Er ſchloß Frieden mit ben Yeinben, 
die ihren Führer verloren hatten. Hierauf hieß er die Schweben ımter 
den Haufen der Erſchlagenen Haralds Leichnam auffuchen. Gin balber 
Tag mufte darauf verwandt werben. Als man enblich ben Leichnam 
fammt ber Keule gefunden, veranftaltete Ring eine königliche Leichen 
feier. Er ließ das. Pferd, worauf ex felbft ſaß, am den Wagen bes 
Königs fpannen, fchmüdte es mit goldenen Deden und weihte es ſo 
dem Tobten. Unter feierlidhen Gelübden flehte er, daß Harald mit 
biefem Pferde feinen Todesgenoſſen zur Schattenwelt voranziehen und 
bei dem Gotte derfelben Freunden und Feinden frieblihe Site bereis 
ten möge. 

Inde vota nuncupet adjicitque precem, uti Haraldus, eo vectore usus, 
fati consortes ad .tartara antecederet atque apud prestitem Orci Plutonem 
sociis hostibusque placidas expeteret sedes. S. 227. 8.] 

Sodann ließ er einen Scheiterhaufen errichten und befahl ben Dä⸗ 
nen, das vergoldete Schiff ihres Königs in die Flammen zu werfen. 
AS nun das Fener den. darauf gelegten Leichnam verzehrte, gieng Ring 
unter den trauernden Kämpen umber und forberte fie alle dringend 
auf, Waffen, Gold und was fie Beftes hätten, zur Ehre eines fo hoch⸗ 
verdienten Königs dem Sceiterhaufen zu übergeben. Die Aſche des 
verbrannten Leichnams hieß er nad Lethra bringen und dort mit Roſs 
und Waffen Föniglich beftatten. Indem er durch ein fo ehrenvolles 
Begängnis feinem Obeim das legte Recht widerfahren ließ, gewann er 
fi die Gunft der Dänen, bie nun unter feine Herrſchaft gebracht waren. 
(Et hie quidem belli bravici finis.) 

Das isländische Sagabruchſtück, welches nicht nur in ber Haupt: 
fache, ſondern jelbft in der Aufzählung der einzelnen Streiter mit Saxo 
zufammentrifft, ergibt gleichwohl beſondre ober abweichende Büge, von 
denen wir Einiges auöheben. | 

Harald Hilvetand hatte anverthalbhundert Jahre zurüdgelegt und 


| 20 
⸗ 
u 


konnte nicht mehr geben. Bilfinger fielen überall in ſein Reich ein. Da 
ſchien es feinen Freunden, daß es dem Lande bei fo geſchwächter Gern 
ſchaft übel gebe, und Manche meinten auch, er wäre nun alt genug. 
Einige Große des Reichs wollten, als der König im Badgefäſſe ſaß, 
Zweige darüder legen und darauf Steine werfen, um ihn im Babe zu 
erträufen. Er wuſte ihnen aber noch zuvorzukommen und beichloß,, eines 
königlichen Todes zu ſterben. Run veranftaltete er den Krieg mit fer 
nem Verwandten, dem Schwebenkönig Ring. 

Das Mytbifche ift bier verwiſcht. Bruni iſt ein Häuptling Haralds, 
ben Diefer das Heer ordnen läßt. Doc verwundert ift der König au 
bier, daß die Keilordnung, von der er glaubte, dag Niemand, ale er 
und Dbin, fie Tonne, von feinem Gegner angewandt worden. Er wird 


, von Bruni mit ber Keule erichlagen, ohne daß man den Grund biejer 


That erführe. Beim Leichenbegängnis läßt Ring den König Harald 
"in bemfelben Wagen und mit bemjelben Pferde fahren, die er in ber 
Schlacht hatte, und führt ihn: jo in ben aufgeworfenen Grabbügel; 
das Pferb wird nachher getöbtet. Auch gibt König Ring den Sattel, 
worauf er felbft geritten, feinem freunde Harald und Heißt ihn nun, 
wie er am liebften wolle, nah Valhall reiten over fahren. Ringe und 
Waffen werden nicht in die Flamme, ſondern in ben Hügel geivorfen. 
Die Schlachtordnung, wie der Rüffel in ber Bruft ftedt, lernt man aus 
dem Sagabruchftüd deutlicher Tennen, als bei Saxo. 

Jenes bat auch eine Erzählung eigen von dem ſchwediſchen Käm⸗ 
pen Soknar⸗Soti, der von der Schildjungfrau Vebjörg eirien Hieb über 
die Wange erhält, woburd ihm ber Kiefer entzweigeſchnitten und bas 
Kinn abgejchlagen wird; er weiß ſich aber zu helfen, er nimmt ben 
Bart zwilchen die Zähne und hält fo fern Kinn feſt. 

Das Brucftüd bemerkt (C. 9), diefe Schlacht fei fo heftig und 
hartnädig geweien, daß in allen alten Sagan erzählt werbe, wie Teine 
Schlacht in Norblanden eine jo große und herrliche Auswahl gewaltiger 
Kämpen aufmeifen könne!. Auf ähnliche Weife äußert ſich die Her 
vörsſaga bei kurzer Erwähnung der Bravallafchlacht. 

Nach Müllers Unterfuchungen (Sagnbift. 119) würbe dieſe Schlacht 
nach den Andeutungen, welche vie Biftorifchen Sagan ber Isländer 


1 Bgl. Regn. Lodbr. S. C. 2 zu Anfang. 





2341 


enthalten, gejchichtlich in die exfte Hälfte des achten Jahrhunderts, um 
730 , zu feßen fein. 

Dat Saxos Erzählung auf einem alten Liebe beruhe, iſt nicht nur 
von ihm felbft bezeugt, jondern ergibt ſich auch aus ber noch durch⸗ 
aus in den zujammengereibten Kämpfernamen beſtehenden Allitteration, 
ſowie aus dem poetiſchen Schwunge, der beſonders in ber angeführten 
Etelle vom Beginne der Schlacht berriht. Was aber die beftimmtere 
Angabe Saros betrifft, als wäre ber heldenhafte Skalde Starlather 
fein Gewährsmann, fo wird hierbon bei der nachfolgenden Starkadrs⸗ 
fage beſonders die Rede fein. Der Beriht in Sögubrot geht ohne 
Zweifel von derfelben Quelle aus, aber nur mittelbar, nicht mehr aus 
der näheren Belanntichaft mit dem alten Liebe felbft. 

Für unfre Zmede ift die Sage von Harald Hylvetand beſonders 
durch ihren mythiſchen Beſtandtheil bedeutend. Wenn in mandhen ber 
bisherigen Sagen nur der Schatten Odins an uns vorüberftreift, To 
erſcheint in jener Odin leibhaftig in voller Geftalt und Thätigkeit; ja 
e3 erwächſt hieraus auch Demjenigen Beglaubigung, mas wir dort oft 
nur vermuthend und anbeutenb bemerken fonnten. Odin, der nach den 
Eeelen der Tapfern bürftet, weiht fich den jungen Helten Harald 
durch wunderbare Gabe, läßt fich aber dafür die Seelen der von ihm 
Erfchlagenen geloben. Er ftiftet, ala Bruni, Zwietracht unter ben 
Verwandten, um ben großen Kampf herbeizuführen. Er will nicht, 
daß fein gealterter Günftling ruhmlos zu Hel fahre; mit großem Ge 
folge von beiden Heeren foll er in Valhall eingehn (denn jo bat Sö— 
gubrot richtig, mas Saro ad inferos überfegt). Odin felbit gibt dem 
blinden Könige den Keulenfchlag, durch den er'zu Valhalls Ehre er: 
hoben wird. Warum aber Odin all den irbifchen Kampf errege und 
fo gierig auf die Seelen der Helden fahnde, ift uns aus ber Götter: 
lage befannt. Und die Schilderung der Bravallaſchlacht felbft, in ber 
nach Saxos Worten Göttliche und Menfchliches in wildem Sturme 
fih zu vermengen, Beides zufammen ind PVerberben gezogen zu 
werden und das alte Chaos wiederzukehren fcheint, dieſe wahrſchein⸗ 
lich aus entſprechenden Stellen des alten Liebes entnommene Schil⸗ 
derung erinnert und an jenen legten Kampf, in den Odin Aſen und 
Einherien führen wird und für den ihm der Exrprobten niemals 
genug find. 

Upland, Säriften. Vi. 16 


[4 


242 


18. &tarlabr, 1 
Saro B. VI, S. 154 bi8 188. VII, ©. 194. 208. 219. VII, ©. 220. 
‘295. 227 f. 230 bis 236. (Olo ®. VI, S. 215 bis 219. 3. VIIL, &. 228. 227 f.) 
Sagnhiſt. 76 bis 96. 111. 113. 115. (Dlo 110 f.) Edda Seemund. 161. 1645 
(Starkedr). Sögubrot &. 9. (Fornald. 8. I, 388: Starkadr und Störkudr.) 
Nornagest. S. C. 7. 8 im Anf. (Starkadr Störverksson). Hervar..8. 6, 1. 
(Starkadr). Halfs 8. €. 1 bis 4. (Vikarr). Gautrel? und Hrolfs S. ©. 8 bis 7. 
Sagabibl. II, 580 f. 584 bis 587. Bol. Suhm, om Odin ©. 62 bis 54. Lex. 
myth. 315 f. Egils und Asmunds ©. Sagabibl. II, 614. 616. Ynglinga S. 
C. 25 (Starkadur hinn gamle). C. 29 (Ali hinn frokni) Sn. Edda 301 
(Starkadr gamli), 268 (Starkadar lag). 208 (Ali), 108, vgl. Lex. myth. 
©. 636 Note. ©. 649 Note. Fornmanna S. III, 200 f. (Starkadr in der Hölle.) 


Diefes Helden wirb in Sagen und Liedern des Nordens häufig ge 
dacht. Bon ven zahlreichen und manigfachen Überlieferungen, bie über 
ihn im Umlauf geweſen fein müflen, findet fich jedoch nur noch bei Saro 
ein größerer Vorrath erhalten. Allein wenn gleih Saros Berichte Ge: 
burt und Tod bes Helden umfaſſen und überhaupt ſehr reichhaltig find, 
jo kommen doch nicht bloß bei ihm felbft Andeutungen nun verfchollener 
Abenteuer vor, ſondern e8 zeigt'auch feine ganze Behandlungsweiſe, daß 
er nicht eine zufammenhängenbe Starfabrsfaga vor ſich hatte, fonbern 
aus zerftreuten Liedern und Volksſagen ſchöpfte. (Vgl. Sagnhift. 84.) 
Es liegt dieß auch, wie fich mweiterhin ergeben wird, gewiſſermaßen in 
der Eigenthümlichleit des Sagenhelven. Außerdem kann wirklich Einiges, 
was Saro unvollftändig oder undeutlich gibt,. von andrer Seite ergänzt 
und befier aufgehellt werben. Die Sagen von Starfather, welche Saro 
aufgenommen bat, ziehen ſich theild in ausführlidern Darftellungen, 
theild in fürzern beiläufigen Meldungen, von andern Geſchichten unter: 
brochen, durch das 6te, Tie und Ste Bud. Wir werben, indem mir 
fie durch Ausfcheivung des daztwifchengetretenen Fremdartigen zuſammen⸗ 
rüden, und an die von Saxo beobachtete Folge derfelben halten, da fie 
im Ganzen als die richtige erjcheint. Die gefammte Reihe zerfällt aber 
von felbft in einzelne Rhapſodieen, die wir auch als ſolche unterfcheiben 
und mas je in einer Abtheilung aus andern Quellen ergänzt werben 
ann, fogleich beifügen. Bon dem Zuſammenhang und der Bebeu: 
tung des Ganzen ſoll dann zum Schlufie gehandelt werben. 


1 [Bgl. die Sagenforfhungen I, 176. Schriften 6, 101 ff. 8.] 


243 


1. Starladrs Urfprung und vorbeſtimmtes Schickſal. 


Bei Saro im 6ten Buche wird Starkadr, Storverks Sohn, zuerft 
eingeführt, indem er, von einem Schiffbrudy allein gerettet, zu dem 
dänischen Könige Frotho, Fridlevs Sohne, kommt und von diefem gaft- 
frei aufgenommen wird. Er verteilt hier einige Zeit als Hausgenofle 
des Königs, wird von Tag zu Tag ehrenvoller ausgezeichnet, zulekt 
mit einem fchönen Fahrzeuge beichentt und auf Bilingsfahrt aus⸗ 
geſandt. 

Hiezu fügt nun Saro einige allgemeinere Bemerkungen über die 
Perſon Starkaders; derjelbe habe an Körper und Geift gewöhnliche 
Sterblihe überragt, fein Ruhm fei fo weit verbreitet geweſen, daß noch 
jet das ehrenvollfte Gedächtnis feiner Thaten und feines Namens fort- 
beſtehe. Denn nicht bloß in Dänemark (apud nostros) hab’ er durch 
feine Heldenwerke fich verherrlicht, ſondern auch in allen Landichaften 
der Schweden und Sachſen fich leuchtende Denkmäler geftiftet. Er fol 
in derjenigen Gegend entfproflen fein, melde an Schweden im Dften 
grenze und in der jett Efthen und andere barbarifche Völker ihre weiten 
Wohnſitze Haben. Ein fabelhafter Volksglaube aber (fabulosa et vul- 
garis opinio) habe über feinen Urfprung ungereimte Dinge erbichtet. 
Denn Einige erzählen, er fei von Riefen entjproffen und diefe Abftam- 
mung babe fih durch eine ungewöhnliche Anzahl von Händen fund ges 
geben. Der Gott Thor habe ihn von diefem Überfluffe befreit und 
ihm vier berfelben ausgerifien, jo baß mit den zwei noch Übrigen ber 
vorher riefenhafte Körper auf menschliches Maaß zurüdgeführt wor⸗ 
den ſei [S. 155]: 

Tradunt enim quidam, quod, a gigantibus editus, monstruosi ge- 
neris habitum inusitata manuum numerositate prodiderit, asseruntque, 
Thor deum quatuor ex his affiuentis nature vitio procreatas elisis ner- 
vorum compagibus avaulsisse atque ab integritate corporis prodigiales di- 
gilorum eruisse complexus, ita ut, duabus tantum relictis, corpus, quod 
ante in gigantes granditatis statum effluxerat ejusque formam informi 
membrorum multitudine representabat, postmodum meliore castigatum 
simulacro brevitatis human® modulo caperetur. 


(Der Gott Thor dürfte in dieſem, wie in andern Fällen, dem 
Stile Saros, unbeſchadet der Deutlichleit, wohl auch einige überzäh⸗ 
lige Schreibfinger ausreißen.) 


244 


Im Eingang der Hervörsfaga (EC. 1) geſchieht eines Starkadrs 
Erwähnung (fein Vater wird Störfoibr, nach anderer Lesart Storvirkr, 
Fornald. 8. I, 412, genannt), der von ben Thuflen abftammt und 
ihnen an Stärke und Weſen gleicht; er hat acht Hände und haut mit 

‚vier Schwertern zugleih. Bon Thor wirb er getöbtet. Es ift dieß 
offenbar der Nemliche, deſſen Abfunft von den Niefen Earo meldet; 
nur zeigen fih in der Saga andere, verbunfelte Überlieferungen 
von ihm. 

Bebeutender ift, was eine andere iSländifhe Saga, die von Gau: 
tret und Hrolf, hieher Bezligliches enthält, Diefe Saga, die ih nur 
in Müllers Auszügen (Sagabibl. II, 614. 616. Sagnbift. 80 f.) kenne 
(die Ausgabe Upfala 1664 ift felten und unvollftändig, der Zte Band 
der rafnifchen Sammlung, darin fie fteben ſoll, noch nicht zugänglich), 
gehört ihrem fonftigen Inhalt nad) zu den fpätern, aber gerade was 
fie von Starfabr meldet, beruht, wenn auch nicht mehr in urfprüng- 
licher Form erhalten, doch auf altem Sagengrunbe. 

Dbin batte, unter dem Namen Hrosharsgrani, Starkadrn erzogen. 
Einft träumte Letzterem (diefe Einkleivung gibt fi) als eine jpätere 
zu erfennen), daß ihn fein Pflegvater an eine abgelegene Gtelle im 
Walde führte, wo eilf Aſen faßen, die Hrosharsgrani ald bin 
grüßten. Sie follten Starkadrs Schidjal beitimmen. Thor, der ihm 
als einem Niefenfohne ungünftig war, verweigerte ihm Naclommen: 
ſchaft; Odin gab ihm drei Menfchenalter; Thor fagte, er folle in jedem 
ein Nidingswerke! vollführen. Odin beftimmte ihm die beiten Waffen, 
Thor verfagte ihm Landbeſitz; Odin ſchenkte ihm Reichthum anderer 
Art, Thor legte Hinzu, daß er doch niemals genug haben folle.. Odin 
gab ihm Sieg in jevem Streit, Thor fügte bei, daß er in jedem eine 
tiefe Wunde davon tragen folle; Odin gab ihm Skaldenkunſt, Thor 
ließ ihn feine eigenen Lieber vergeflen; Odin machte ihn beliebt bei den 
Mächtigen, Thor verhaßt beim Volke. Die Aſen beitätigten beiberlei 
-Beitimmungen und biefe bewähren fich denn auch in den nachfolgenden 
Schickſalen des Helden. 


1 Drei Nidingswerle haften auch auf dem Schwerte Tyrfing. Herr. 
S. C. 2. 


" 245 


2. Starladrs erſtes Nidingswerl. 


Die Alten erzählen (tradunt veteres), jagt Saro, daß Starkadr 
in der Erwürgung des norwegifchen Könige Vikar der Gunſt ber 
Götter die Erftlinge feiner Frevelthaten dargebracht (in Wicari Nor- 
vagiensium regis jugulo deorum favori facinorum suorum principia 
dedicasse). Odin wollte, daß biefer Vikar durch klägliche Hinrichtung 
untergehen folle, und da er dieß nicht offen ausführen wollte, verherr⸗ 
lichte er Starkadrn, der zuvor Thon durch ungewöhnliche Körper: 
größe ausgezeichnet war, durch tapfern Geift und Liederkunſt, damit 
derfelbe zum Dante dafür fich feiner Abficht gegen Bilar um fo be 
reitioilliger eriwiefe. Er hatte Starkadrn auch darum mit drei Mens 

ihenaltern begabt, damit dieſer in ſolchen Urheber eben fo vieler Ni: 
dingswerke (totidem exeerabilium operum auctor) würde. Starkadr 
begab fih zu Bilar und barg den Verrath unter dem Scheine des Ge 
horſams. Sie zogen zufammen auf Bilingsfahrt. Als ihnen nun einft 
der Wind lange jo jehr entgegen war, daß fie den größern Theil des 
Jahres ftille Tiegen muften, beſchloſſen fie, die Götter mit Menfchen- 
blut zu fühnen. Das Todesloos wurde geworfen und fiel auf den 
König. Da fhlang Starkadr ein Weidenband um den Hals Vikars, 
als follte er nur auf einen Augenblid zum Scheine die Strafe erleiden. 
Aber der Knoten übte fein Recht und erbroffelte den Hängenden. Statt 
zu helfen, entriß Starkadr dem noch Zudenden mit dem Schwerte den 
Neft des Athems. Denn, feßt-Saro hinzu, die Meinung: foheint mir 
nicht der Erwähnung werth, wonach bie weichen Weiben fich plötzlich 
zum Eiſenbande bärteten. 

Auch die Gautreks- und HrolfsSaga Inüpft den Verrath gegen. 
Vikar unmittelbar an die Beftimmung der Schidfale Starkadrs. Diefer 
bat fein Traumgeficht eben in der Nacht, ala das Loos den König ge- 
teoffen. Nachdem die VBerfammlung der Aſen ſich getrennt, fordert 
Ddin zur Borgeltung feiner Gaben von Starkabrn, daß biefer ihm 
Vilarn fende, und gibt demfelben einen Spieß, der nur ein Rohr 
Rengel zu fein ſcheint. Am nächften Morgen läßt Bilars Schiffsvolk 
fich an, als fol’ er Odin geopfert werden; aber durch Zauber wird das 
Spiel zum Ernfte und das Rohr, womit Starkadr ihn berührt, wird 
zum Speere, der des Königs Herz durchbohrt. 


Sn 


246 


Müller bemerkt, daß der Schickſalsrath der Ajen in der urſprüng⸗ 
lichen Sage gleich bei der Geburt Starkadrs werde ftattgefunden haben. 
Da jedoch Saro und die Saga in ber Anknüpfung biefes Götterrathes 
an das erite Nidingswerk übereinftimmen, fo lann auch wohl die Auf 
faffung der Sage angenommen iverben, daß Odin fich bes riefenhaften 
Starkadrs erſt bemächtigt, nachdem Dieſer ſchon jo gewaltig herange 
wachen. Im Nidingswerke an Vilar muß der von Odin Begabte dem 
Gotte fein erftes Opfer bringen. 

Über Vikar felbft aber müflen wir noch eine andere isländiſche 
Quelle beiziehen, bie früher dargefiellte Saga von Half und Halfe 
Reden. In den Vorgeſchichten berfelben, welche wir damals bei Seite 
ließen, wird Folgendes erzählt: 

Alfrek, König in Hördaland, deffen Gemahlin Signy hieß, Hatte eimen 
Hofmann, mit Namen Koll. Diefer folgte dem König norbwärts nach Sogn 
und fagte ihm viel von ber Schönheit Geirhilds, der Tochter Drifs. Denu er 
hatte fie beim Brauen gefehen und äußerte nun, daß er fie dem Könige zur 
Ehe wünſchte. Höttr 1, der eigentlih Odin war, kam nun zu Geirhild, da fie 
mit der Leinwand befhäftigt war. Er nahm mit ihr die Abrebe, daß König 
Alfrek fie zur Ehe haben, fie aber ihn ſelbſt in Alleın anrufen folltee Der 
König fah fie, zog mit ihr heim und hielt denfelben Herbſt mit ihr Hochzeit. 
Allein er Tonnte nicht beide Frauen behalten, ihrer Uneinigkeit wegen. Da 
fagte er, daß er bie behalten wolle, welche das befte Bier gebrant haben würde, 
wenn er von der Fahrt zuriidläme ie metteiferten mın im Branen. Signy 
rief Freya an und Geirhild Hött. Diefer gab flatt der Bähre feinen Eipeichel 
bei und fagte, daß ex für feine Hülfe Haben wolle, maß zwiſchen Beirhild und 
der Rufe fei; uud ihr Dier befland die Probe. Da ſprach Alfrel: 

Mert auf, Geirhild! 

Gut ift dieß Bier, 

Wenn ihm nicht folgen 

Andre Gebrechen. 

Hangen jeh’ ich 

An hohem Galgen 

Deinen Geboren, 

Berkauft an Odin. 
In demſelben Halbjahr ward Bilar geboren, Sohn Alfreks und Geirhilds. 
(€. 1.) 

1 Höttr, Hut, von dem tief ins Geſicht gehenden Gute, mit dem Odin 
gewöhnlich in feiner irdiſchen Erſcheinung auftritt. 


247 


Was Alfeel in der Liebeöftraphe feinen Sohne werfiagt, über 
defien Tod die Halfsſaga nichts enthält, bringt nachher Din, inbem 
er fein Anrecht auf Bilar geltend macht, durch Starladrs erftes Ni⸗ 
dingswerk in Erfüllung. 


3. Starladrs Kriegsfahrten. 


Starladr nahm Vikars Schiff und verband fi mit Bemo, dem 
tapferften der dänifchen Vikinger. Diefe beiven Fahrtgenoſſen hielten fo 
auf Mäßigkeit, als eine Hauptftühe der Tapferkeit, daß fie fih niemals 
den Gelagen der Trunlenen bingaben. Sie bezwangen weit umber bie 
Länder. Bei einem Einfall in Rußland hatten die Einwohner, um fie 
aufzuhalten, ihnen Fußeifen gelegt. Die Dänen aber befeftigten Hölzer 
unter die Sohlen und fchritten jo über das Hemmnis hinweg. Sie 
verfolgten den rufſiſchen Fürften in die Wälder und erlangten Bier fo 
große Beute, daß Feiner anders, ala mit Gold und Silber beladen, 
zu den Schiffen zurückkam. Nah Bemos Tob wurbe der tapfere Star 
kadr von biarmifhen Kämpen in Genoſſenſchaft aufgenommen, bei 
denen er viele dentwürbige Thaten verrichtet. Dann begab er fi 
nah Schweden, wo er bei den Söhnen Freyrs (cum filiis Fro, den 
Ynglingern, dem ſchwediſchen Königsgefchlechte, das feinen Urfprung 
bon Freyr herleitete ?) fieben Jahre feierte. Zur Zeit der Opfer in 
Upſala aber wurden ihm die weibiſchen Tänze, bie Spiele der Gaukler 
und das Geflingel der Schellen zum Ele. 

Quod apud Upsalam sacrificiorum tempore constitutus, effeeminatos 
corporum motus, scenicosque mimorum plausus ac mollia’nolarum cre- 
pitacula 2 fastidiret. 

Er verfügte fich deshalb zu dem däniſchen Häuptling Halo (ad 
Haconem, Danie tyrannum),. Mit diefen machte ex eine Fahrt nad 
Irland, mo damals Huglet König war. Obgleich im Befi eines reis 
hen Schatzes war Huglet doch fo geisig, daß er, als er einft Schuhe 
verfchentte, die Riemen zurüdbehielt. Bei dieſer Kargheis gegen Ehren 
leute war er nur gegen Spielleute und Gaufler (mimos ac jocula- 
tores) freigebig. In der Schlacht zwiſchen Huglet und Halo nun verlieh 


1 Bl. Saro B. VIII, ©. 223. 
2 ®gl. Svensk. Folkwis. I, XLVI. 


. 248 


aM dieſes nichtswürdige Wolf zitternd die Reiben und vergalt bie 
Wohlthaten des Königs mit ſchändlicher Flucht. Nur. zwei tapfere 
Kämpen, Gegath und Soibdav, vertheibigten bie Echäte ihres Herrn, 
warfen fi) allein der feindlichen Menge entgegen und fochten für ein 
ganzes Heer. Gegath ſchlug Hakon, ter auf ihn eindrang, eine ſolche 
Wunde in die Bruft, daß bie Leber geftreift wurde. Auch Starkadr 
erhielt von Gegath eine tiefe Kopfwunde. Er verficherte nachher im 
Liebe (in quodam carmine), daß er nie eine fchmerere empfangen, 
weil fie niemals fi ſchloß, wenn gleich äußerlich die Haut das geipal: 
tene Haupt zufammenbielt. Nachdem Huglet befiegt und gefallen 
war, ließ Starkadr, fo viel der Gaufler gefangen wurden, mit Rutben 
ftreichen. Der königliche Scha zu Dublin (apud urbem Dufflinam) 
wurde dem Kriegsvolke preisgegeben. Er war jo groß, daß man an 
feine forgfältige Theilung dachte. 

Nach diefem wurde Starkadr mit dem flavifchen Fürften Win ab: 
geihidt, um dem Abfall der öftlichen Völker Einhalt zu thun. Sie 
lämpften gegen die Heere ber Kuren, Semgallen und zuleßt aller Völ⸗ 
fer im Dften und erfochten ruhmvolle Siege. In Rußland war der 
Kämpe Wifinn, der den Felſen Anafial bewohnte, die Geiſel naber 
und ferner Lanbichaften. Er raubte die Frauen der angefehenften 
Männer. Denn er hatte nichts zu fürchten, weil fein bloßer Blid alle 


Waffen ftumpf madte. Starfabr, der hievon gehört, machte fich auf, ° 


den Frevler zu beftrafen. Im Kampfe mit Wiſinn „bebedte er fein 
Schwert mit einem bünnen Felle, machte jo den Zauber unwirfjam und 
erlegte den Gegner. Nachher überwand er bei Byzanz den Rieſen 
Tanna im Ringlampf und zwang ihn, fremde Länder aufzufuchen. 
Auch nad) Polen drang er und befiegte im Ziweilampf einen Kämpen, 
den die Dänen (nostri) Waſon!, die Deutfchen aber Wilzga nennen. 
Inzwiſchen fannen die Sachſen, die fi der Dänenkönig Frotho zins⸗ 
bar gemacht hatte (Sago ©. 154), auf Abfall. Da fie feine Schladt 
gegen ihn wagten, jo fchlugen fie einen Zweilampf vor. Sie wählten 
dazu bie Beit, da fie den gefürchteten Starkadr auf Kriegsfahrten ab» 
wejend wuſten. Dieſer kam jedoch eben recht zurüd, um den Kampf 
für den König zu befteben, der ihn einjt als Schiffbrüchigen auf: 


1 &,. 285: Inde_dedi letho Wazam u. f. w. 





’ 


249 


7 


genommen. Die Sachſen hatten dem Kämpen Hama (Heime?), ber kei 
ihnen für ven fiegberühmteften galt, verfprochen, wenn er ſich dem 
Streit unterzöge, ihn mit Gold aufzuwägen. Die erlorenen Streiter 
wurden von beiben Seiten mit friegeriichem Gefolge auf die Kampf: 
ftätte geführt. Hama verachtete feinen greifen Gegner und wählte ben 
Ringlampf. Auch führte er einen folden Fauſtſchlag auf Starlaben, 
daß Diefer, auf die Knie geftüst, den Boben mit bem Sinn berührte. 
Sein Schickſal ließ ihn aber nicht befiegt werben, er erhob fidh, ent: 
blößte das Schwert und hieb Haman mitten durch. (Complures agri 
[dieß würde nit zu Thors Borbeftimmung paflen] sexagenaque 
mancipia vietorie pretium extitere.) Den Sachſen wurde noch ftrens 
gerer Zins auferlegt. 

Die Thaten Starkadrs, die wir in diefer Abtheilung zuſammen⸗ 
gefaßt haben, find in Saros Gtem Buche faft ebenfo ſummariſch, ohne 
belebtere Darftellung, nach einander aufgezählt, wie fie hier. wiederge⸗ 
geben worden. Es läßt fih hieraus fließen, daß Saro felbft ent- 
weder feine ausführlichen Sagen darüber vor fich gehabt, oder fo aben- 
teuerliche, baß er fie feinem Werke nicht einverleiben modte. Da er 
jeboch in leßterem Punkte fonft nicht fo ftreng verfährt, fo ift die erftere 
Annahme um fo wahrfcheinlicher, ala er uns auch wirklich die Beichafs 
fenbeit feiner Duelle errathen läßt. Am Sten Buche (S. 234 f.) läßt 
er Starlabrn in lateinifchen Berfen die bedeutendern Thaten, die er in 
feinem langen Leben vollbracht, der Reihe nach nambaft machen. Alle 
find nur furz berührt und es findet fidh Einiges darunter, was nicht 
Schon im 6ten Buche erzählt war. Auch bier hatte er, wie gewöhnlich, 
ein altes Lied zu Handen. Lieber diefer Art, in welchen ein Held am 
Biele feines Lebens auf die ausgezeichnetſten Begegnifle desſelben zurück⸗ 
blickt, kommen in der norbifchen Poefte mehrere vor. Aus demjenigen 
nun, weldes Starlabın beigelegt war, nahm Saxo die beutlicheren 
Momente in die Erzählung bes éten Buches, ber wir gefolgt find, auf, . 
die übrigen begnügte er ſich, zugleich mit jenen, in ben lateiniſchen 
Berfen des Sten Buches raſch vorüberzuführen. Für Einiges jedoch 
mochten ihm noch anderwärtige Überlieferungen zu Gebot ftehen; fo 
namentlich über Starkadrs Genofjenfhäft mit Halo, Es erhellt nicht 
recht, wie Saro fih das Verhältnis viefes Hako, den er (S. 157) 
Danise tyrannum nennt, zu dem für gleichzeitig angenommenen Dänen» 





250 


konige Frotho gedacht babe. Mehrere Generationen nachher, im Tten 
Buche (S. %03), finden wir auch Starladrn bei Halo, dem Sohne 
des norwegiſchen Königs Hamund, dem Bruder Hagbartkä, den König 
Sigar aufhängen . ließ. Als Halo den Tod feines Brubers rädıen 
will, verläßt ihn Starlabr, weil ex früher von dem alten Sigar Gaft 
freundichaft genofien hatte. Daß aber dieſer Hako, Hamunds Sohn und 
Hagbarths Bruber, identiſch fei mit dem Halo des 7ten Buches, in 
defien Gefolge Starkadr den Zug gegen ven König Huglet in Irland 
mitmacht, gibt. Saxo felbit zu erkennen, indem ex jo anknüpft: 

Hako, Hamundi filins, quum in ultionem fratrum arma ab Hyber- 
niensibus in Danos translaturus videretuz, ab u. ſ. w. Starkatbero u. ſ. w. 
deseritur. 

Saro bat ſich Hier, wie öfters, in feine Königsreihen verwidelt, 
den Beſtand der Sage jedoch ungelränit gelafien. Dieß zeigt ung bie 
Bergleihung deſſen, was die Ynglingaſaga von ber Verbindung Stars 
kadrs mit Halo, nordiſch Haki, berichtet. Im 2öften Gap. berjelben 
wird der Zug des Seelönigs Hali mit feinem Bruber Hngbarbr und 
dem alten Starladr (Starkadur hinn gamle) gegen König Hugleilr 
(Saxos Hugletus), der nur gegen Gaukler und Spielleute freigebig 
war und bei dem allein die Kämpen Spipbagr und Geigadr (Gegathus 
et Suibdavus) flanden, in der Hauptſache mit denſelben Zügen erzählt, 
wie bei Saxo. Nur ift Hugleil nicht König im entlegenen Irland, 
jondern im näheren Schweben 1, was wir auch für das Urſprüngliche 
anſehen dürfen. Hakli fiegt und wird Slönig in Schweden. Er tar, 
nad) all diefem, ein fagenberühmter Seelönig, Anführer von Bilingern, 
von dem auch Sago, außer dem Angeführten, noch Mehreres zu ſagen 
weiß. In feinem Dienft, ala Schildiungfrau, gab ber verkleidete Hag- 
barth vor, die rauhen Hände und Sohlen sshalten zu haben. Gr 
hatte (Ynglingaſaga Gap. 25), wie jeber Sagenlönig, zwölf Kämpen bei 
. ip und darunter mar Starlabr?. In Schwehen faßte gr zwar auf einige 

1 Bgl. Geiler ©. 414 f. Saro B. IV ©, 97, 2. 

2 Diefer jogt päter ©. 178: 

Undecim quondam proceres eramus 
Regis Haconis studium secuti. 
Hic prior Helgo Gegathus resedit 
Ordine coone. 
Bl. 8. VII, ©. 194. 


251 


— — — — — 


Zeit auch als König eines Feſtlandes Fuß, aber am Ende feines Lebens 
lehrte er in jein voriges Element zurüd, wie biefelbe Gaga (Gap. 27) 
erzählt. Zwei Söhne des alten Konigsgeſchlechts lieferten ihm auf 
Fyrisvöll eine Schladt. Er blieb Sieger, hatte aber jo große Wun- 
den empfangen, daß er ſah, jein Leben neige fi) zum Ende. Da ließ 
er ein Schiff mit Leihen ber Erſchlagenen und mit Waffen belaben, 
das Steuer zu recht legen unb die Segel aufziehen, dann auf dem 
Schiffe einen großen Sckiterhaufen errigten und anzünden. Der fter 
bende Hali wurde auf den Scheiterhaufen gelegt. Der Wind biies 
vom Lande und das brennende Schiff fuhr mit vollen Segeln in die 
offene See. Das war lange nachher allkundig!. 


4. Starfadrs erfte Hofreife. 


König Frotho in Dänemark, bei dem einft Starkadx ald Schiff 
brüdiger ehrenvolle Aufnahme gefunden und dem er burd) ben jieg: 
reihen Zweikampf mit dem fächfiichen Kämpen Hama gelohnt hatte, 
gieng in Abwefenbeit des Helden auf Hägliche Weife unter. Die Sachſen⸗ 
fönige (reguli) Syerting und Hanev fannen darauf, die ihnen auferlegte 
Dienftbarkeit abzufchütteln. Hanev griff offen zu ven Waffen. Aber 
Frotho führte jein Heer über die Elbe und Hanen fiel bei Hanover, 
das nad ihm benannt ift (apud vicum Hanofra, taliter ab eo nun- 
cupatum). Sperting dagegen verheblte feinen Groll und war auf Ber: 
rath bedacht. Saro hält ihn durch den rühmlichen Zweck nicht für 
entſchuldigt. 

Nam etsi patrite libertatem querere perutile videbatur, ad hanc tamen 
dolo ae proditione contendere non Jicebat. 


Sperting wollte den Rönig Frotho, den er zum Gaftmahl em- 
pfangen, durch angelegte euer verderben, wurde aber felbft noch 
von Frotho erreicht und fo fielen fie Einer von des Andern Schwerte, 

Frothon folgte fein Sohn Ingell (Angjald) im Reiche nad. Diefer 
überließ fih gänzlih der Trägheit und Schwelgerei; die Waffen ließ 
er ruhen und dachte nicht darauf, feinen Vater zu vächen. Er ließ 


1 Allfregt; alfreegan — clarescere; vgl. Lex. isl. I, Ya. 2525: frægia 
== celebrare, laudare. 


52 


fih fogar von den Söhnen Evertings, welche dadurch die Rache bon 
fid) abwenden wollten, die Schweſter verfelben zur Ehe geben. Seine 
eigene Schwefter, Helga, wulte ein Goldſchmied, von unebler Herkunft, 
durch Schmeicheleien und Heine Geſchenke für fich zu gewinnen. Denn 
feit dem Tode bed Vaters war fie ohne Auffiht und Bormund. Stars 
ade, der fi) damals bei dem ſchwediſchen Könige Haldan befand, hatte 
durch Erzählung ber Wanderer bievon Kunde erhalten und beichloß 
fogleich, den Übermuth des Goldſchmieds zu beftrafen und ber ver⸗ 
waisten Tochter Frothos beffen Verbienfte um ihn zu vergelten. Eilig 
durchzog er Schweden, trat in das Haus bes Goldſchmieds und ſetzte 
ſich zunächſt der Thüre, indem er mit einem tief bereingehenden Hute 
fein Gefiht verbarg. Der Goldſchmied hieß ihn gleich hinausgehn und 
mit den Bettlern die übrigen Broden verzehren. Der Greis aber blieb 
mit verhaltenem Grimme fiten und wollte den Muthwill des Gold⸗ 
ſchmieds näher Tennen lernen. Diefer trug koſtbare Gewande, mit 
Biberfellen gefäumt und mit Gold verbrämt, auf feinen Schuhen 
olänzten Edelfteine und um feine Haare wanden fich leuchtende Bänder. 
Starfadr ſah nun mit an, mie Sener fein Haupt in den Schooß ber 
Königstochter nieberlegte und fie ihm mit ihren zarten Händen bie 
Loden fchlichten mufte. Bald jedoch warnte fie ven Zubringlichen vor 
dem Greis an der Thüre, der mit forfchendem Auge umbherblide und 
in dem fie Starfabın vermuthe. Der Goldſchmied aber eriwiderte, nie 
werde der Held, den fie fürdite, in fo bettelhaftem Aufzug erfcheinen. 
Da warf Starladr zornentbrannt die Verbüllung ab und griff ans 
Schwert. Der erfchrodene Goldſchmied mufte fich nicht zu rathen; die 
Thüre zu fuchen, an ber jein Feind faß, war fo gefährlih, als ihn 
innerhalb des Haufes zu erwarten. Endlich zog er die Flucht vor; als 
er aber über bie Schwelle eilte, hieb ihm der Alte, zu ſchmählicher 
Strafe, die Sittheile auf. Als fih fofort die Hausgenofienfchaft 
ftaunenb und klagend um ben Verwundeten fammelte, ließ ſich Star⸗ 
kadr in bittrer Hohnrede aus. Saxo hat bier ein altes Lieb in eine 
lange Reihe Iateinifcher Herameter übertragen. Darin erzählt Starlahr 
den ganzen Hergang, rügt den Übermuth des Goldſchmieds und ermahnt 
die Königstochter, ihrer Ahnen eingeben? zu fein. Unter den Schmieben 
felbft macht ex einen Unterſchied; Funftreich zwar, aber von weicherer 
und zaghafter Sinnesart feien die Goldſchmiede; tüchtiger und hand⸗ 


e 


253 | 


fefter jeien, wie er felbft einſt erfahren, Diejenigen, welche Schwerter 
und andre Waffen jchmieben: 

ER me judice prestant, 

Qui gladios et tela viris ad prelia cudunt 

Ingenioque animos produnt et corda rigore 

Oficii signant ausumque labore fatentur. 

Die Erfahrung, auf die er fih hier nur beiläufig bezieht (ietus 
ab his quondam), wird etwas näher in dem jchon erwähnten jpätern 
Liede bezeichnet, worin er bie bebeutenveren Ereignifie feines Lebens 
zufammenfaßt. Dort ergibt ſich, jedoch ohne Angabe des eigentlichen 
Anlaſſes, daß er einft von den Schmieden in Telemarlen wohl zer 
bämmert worben (B. VIU, ©. 234): 

Pe Post hec Thelemarchos 
Aggressus, caput inde tuli livore craentum, 
‚ Quassum malleolis armisque fabrilibus ictum. 
Hic primum didiei, quid ferraments valerent 
Incudis, quantumve animi popularibus esset. 

Nah der Hohn: und Strafrede Tehrte Starfadr nah Schweben 

zurüd und lag in König Haldand Dienfte unabläflig den Waffen ob. 


5. Starkadrs zweite Hofreife 


Helga, Frothos Tochter, lebte, nach den Lehren, die fie von 
Starlabr empfangen 1, in ftrenger, jungfräulider Sitte. Um fie wollte 
ber Noriweger Helgo werben. Er beftieg ein Schiff, deſſen Segel mit 
Gold geihmüdt und an einem vergolveten Mafte mit purpurfarbigen 
Tauen befeitigt waren. König Ingell willigte in das Begehren bes 
Freier, wenn er dafür einen Kampf wagen wolle. Helgo erklärte fich 
dazu bereit. E3 waren nemlich damals auf Seeland neun Söhne eines 
Herzogs (ducis cujusdam) von großer Stärfe und Kühnbeit. Der 
ältefte derſelben, Anganter, war gleichfalls Bewerber um bes Königs 
Schwefter und als fie nun Helgon zugejagt war, forberte er dieſen 
zum Rampfe. 

Die Zeit des Kampfes wurde auf den Tag nad ber Hochzeit 
feſtgeſetzt. Helgo war jedoch in großer Beforgnid, denn er follte, wie 
es ſchien, gegen alle neun Brüder kämpfen. Da er fich jedoch hiezu 

1 Diefe waren ſehr handgreiflich. 


oo 


nitht beftimmt verbindlich gemacht hatte, fo vieth ihm feine Braut, 
Starkadrn berbeizubolen, ber ftet den Hülfshebürftigen gewärtig zu 
fein und durch feine Zwiſchenkunft jchlimmen Fällen eine glückliche 
Wendung zu geben pflege. Helgo madıte fi mit weniger Begleitung 
nad Schweden auf. Als er vor Upſala angelommen, ſchickte er Einen 
in die Stabt voraus, der Starkadrn mit höflihem Gruße auf bie 
Hochzeit der Tochter Yrotdos laden follte Starkadr ſah ben Boten 
zornig an und erwiderte, eine fo thörichte Einladung würde nicht un- 
geftraft bleiben, wenn nicht feines theuern Frotho in ber Wotfchaft 
gedacht worden wäre; benn man jcheine ihn für einen Roffenreißer 
oder Schmarozer zu halten, der dem Geruche fremder Küchen nachlaufe. 
Auf diefe Antwort begab ſich Helgo felbft in die Königsburg, grüßte 
den Alten im Namen der Tochter Frotbos und erbat fi) ihn zum 
Genofien des verabrebeten Kampfes. Da wurde Starkadr freunblid, 
fagte feine Hülfe zu und bieß Helgon mit feinen Begleitern nad 
Dänemark zurüdreifen. Er ſelbſt machte fich erft fpäter auf den Weg 
und lief (si famse credi fas est) fo geſchwind, daß er in einem Tage 
fo weit fam, als Jene in zwölfen gelommen maren, und gleidjzeitig 
mit ihnen vor der Halle Ingells eintraf. Die Tifche waren fchon mit 
Hochzeitgäften bejeht, unter denen fich au die neun Tampfluftigen 
Brüder befanden. Sie verhöhnten den Frembling, merkten aber bald, 
daß er Derjenige fei, der zum Beiftand Helgos aus ber Ferne kommen 
follte. In der Hochzertnacht hielt Starfabr vor der Brautlammer Wache, 
indem er ſein Schwert ftatt des Riegels der Thüre vorfchob. Als aber 
ber Tag graute und ber Bräutigam fich verfpätete, wollte Starladr 
ihn nicht aufwecken, fondern machte ſich fill von bannen, um allein 
den Kampf für ihn zu beftehen. Er gieng nad) dem Felde Roliung 
und feste fih an einen Bergabbang, dem Wind und Schneegeftöber 
entgegen. Aber als ob Frühlingsluft wehe, zog er fein Kleid aus 
(tune ac si verna cœli temperies aspiraret, depositas veste, demen- 
dis operam pulicibus dabat), Den Burpurmantel, den ihm Helga 
geſchenkt hatte, warf er in die Dorne. Die neun Kämpen zogen auch 
heran, lagerten fich aber auf die entgegengejeßte, windſtille Seite bes 
Berges und machten ein Feuer auf. Als fie Starfabrn nicht fahen, 
ichiten fie Einen auf den Berg, um von bort nach deflen Ankunft 
auszuſchauen. Der Kundfchafter erflieg die Höhe und ſah nun am 





25 


Abhange den alten Mann, ber bis zu den Schultern eingeſchneit war, 
Auf die Frage, ob er ber fei, ber den verabrebeten Kampf ausfechten 
wolle, antwortete Starladr bejahend. Seht kamen aud die Andern 
und fragten, ob er fie alle zugleich oder einzeln zu belämpfen gelonnen 
fi. Er wählte den Kampf mit Allen auf einmal und biefer beganır 
nun. Sechs derjelben ſtreckte Starkadr niever, ohne felbft verwundet 
zu werben; auch bie drei Übrigen gefellte er ihren Brüdern bei, aber 
bon ihnen wurde er mit fiebenzehn Wunden fo zugerichtet, daß ihm 
die Gebärme aus dem Leibe biengen. Ermattet und von Durft gequält 
kroch er auf den Knieen nach dem nahe rieſelnden Bache. Aber in das 
Bett biefes Baches war Anganter niebergeitredt worden und das ftrös 
mende Blut beöfelben röthete weithin das Waſſer. Starkadr wollte 
lieber verſchmachten, als aus vielem Bache trinken. Als feine Kraft 
faft verzehrt war, lehnte er fich hinſinkend auf einen Felsſtein und 
noch zu Saxos Zeit ſah man die Oberfläche dieſes Steines ausgeböhlt, 
wie wenn fich ein Liegender darin abgebrüdt hätte: 

Ego autem hanc imaginem humana arte elaboratam reor, cum veri 
fdem excedere videatur, insecabilem petree duritiam ita cerw mollitiem 
- imitari potuisse, ut solo innitentis conlactu humane sessionis speciem 

representaret habitumque perpetue concavitatis indueret. 1 ” 

Ein Mann, der zu Wagen vorbeilam, ſah Starkadrn am ganzen 
Leibe vol Wunden und fuhr mit Staunen und Grauen näber hinzu. 
Er fragte, was ihm zum Lohne würde, wenn er diefe Wunden heilte. 
Starkadr aber fragte erft nach Beruf und Abkunft des Mannes, und 
ala er hörte, daß e3 ein Büttel fei (preeconis partibus fungi), wies 
er ihn nicht bloß mit Verachtung von fi, ſondern überhäufte ihn noch 
mit Schmähworten, daß er den Schaben der Armen fih zum Gewinn 
sechne, im Ausfundfchaften und Anklagen fein Geſchäft juche unb jede 
Unſchuld anſchwärze. Nachdem Diefer fih entfernt hatte, kam ein 
Andrer, der gleichfalls feinen Dienſt anbot und auf die Frage über 
feinen Stand erflärte, daß er eine Leibeigene zur Ehe habe und, um 
fie frei zu maden, ihrem Herrn Felbarbeit verrichten müfle. Auch 


1 Anders erzählt es Starkadr ©. 285: 
Teste loco, qui, me stomacho linquente, peresus, 
Non parit arenti redivivum cespite gramen. 


256 


diefen würdigte Starkadr nicht, Hülfe von ihm. anzunehmen. Nach 
ihm kam ein Weib bahergegangen, das ſich auf die gewöhnliche Frage 
als eine Magd zu erkennen gab, die an ber Hanbmühle arbeite. Star 
kadr fragte fie weiter, ob fie ein Sind babe, und als fie es bejahte, 
hieß er fie nach Haufe geben und, ftatt feine Wunden zu beilen, ihrem 
weinenden Töchterlein die Bruft geben. Enblid fuhr ein SYüngling 
heran, der au, als er den Greis erblidte, hinzutrat, um ihm zu 
helfen. Auf Befragen, wer er ei, nannte er fi den Sohn eines 
(freien) Bauern, welcher felbft auch den Landbau treibe.. Starkadr 
Iobte die Abfunft des Jünglings und erkannte feinen Beruf für ben 
ehrwürbigften, ba derjelbe Feinen andern Erwerb kenne, ald ben er 
fih im Scheiße des Angefichts verfchafft. Das Leben des Landbauers 
fei dem gröften Reichthum vorzuziehen, da es zwiſchen glänzendem und 
niedrigem Looſe die glückliche Mitte halte. Zum Lohne für den Liebes⸗ 
dienft beftimmte er dem SZünglinge ben zwifchen die Dorne geivorfenen 
Mantel. Der Bauernfohn gieng nun and Werk, brachte die ausge 
tretenen Eingeweide wieber an ihren Drt und band fie mit Weiben 
ein. Hierauf nahm er den Greis auf feinen Wagen und führte ihn 
voll Ehrerbietung nad der Königsburg. 

Unterbefien war Helga in großer Sorge um ihren jungen Gemahl. 
Sie mwujte, daß Starkadr, ſobald er nach Befiegung ver Kämpen zyrüd: 
komme, Helgon, der ſich aus Weichlichfeit verfäumt, zur Strafe ziehen 
mwerbe. Sie rieth nun dem Gemabl, ſich tapfer zu mehren, da Star⸗ 
kadr die Mannhaften zu fchonen, die Feigen zu baflen pflege. Kaum 
war Starlabr vor ver Königsburg angelangt, fo fprang er, den Schmer; 
feiner Wunben nicht achtend, wie ein Geſunder vom Wagen und erbrad 
mit einem Fauftfchlag die Thüre des Brautgemachs. Auch Helgo fprang 
auf, ſchwang fein Schwert und traf Starkadrs Stimme. Als er aber 
zum zmweitenmal bauen wollte, lief Helga mit vorgehaltenem Schilde 
dazwiſchen. Der Schild wurde von Helgos Schwertitreich bis zur Mitte 
durchgehauen. Starkadr lobte diefe Brobe von Helgos Tapferkeit und 
ließ ihn nun ungefährbet. So hatte‘ Helga zugleich ihren Gemahl ge 
rettet und ihren Wohlthäter geichirmt. Bevor noch Starkadrs Wunden 
auögeheilt waren, eilte er nach Schweben zurüd, um bort, nachdem 
König Haldan von Empörern ermorbet worden, deflen Sohn Syvard 
in die väterliche Herrichaft einzufehen. 


257 


6. Starkadrs dritte Hofreife. 


Noch immer war filr den Tob Frothos Feine Rache genommen. 
Sein entarteter Sohn Ingell hatte fich vielmehr mit den Mörbern bes 
Baters enge befreundet. Der Unwille bierliber veranlakte Starfabrn 
zum dritten Gange nad) Dänemark. Er nahm eine große Laft Koblen 
auf den Rüden und wenn die Leute, die ihm begegneten, ihn fragten, 
was er damit tolle, antwortete er, er wolle dem froftigen König In⸗ 
gell einheizen (Ingelli regis hebetudinem ad acuminis habitum car- 
bonibus se perdueturum astrutit). Den ganzen Weg legte er rafchen 
Laufes, mie in einem Atbem, zurüd. Sin der Halle Ingells nahm er 
ben Ehrenſitz ein, den ihm die Könige des vorigen Jahrhunderts überall 
eingeräumt hatten. Als die Königin fah, daß ein Mann in ſchmutzigen 
md zerlumpten Kleidern fih obenan auf die Toftbaren Polſter zu ſetzen 
ertühnt habe, fchmälte fie auf ihn als einen Unverſchämten und bieß 
ihn diefen Pla verlaffen. Er gehorchte zwar ſchweigend, konnte aber 
doch feinen Siugrimm nicht ganz verhehlen. Im Aufftehen drückte ex 
jo ftarf gegen die Wand, daß das Gebälk erzitterte und ben Einfturz 
drohte. Er lieh fich nun im äußerften Theil ver Halle niever. König 
Ingell kam von der Jagd zurück und betrachtete aufmerkſam den Alten, 
der nicht vor ihm aufftand. An ber finftern Stirne, den ſcharfen 
Augen, den rauhen Händen unb den Narben auf der Vorderfeite des 
Körpers erkannte er Starkadrn. Seiner Gemahlin verwies er ihr 
Benehmen und bieß fie diefen Mann, den ihm einft fein Vater zum 
Pfleger gegeben, auf bas Freumdlichſte bewirthen. Abends beim Mahle, 
dad der König mit Svertings Söhnen, feinen Schwägert, einnahm, 
wurden die ausgeſuchteſten Speifen aufgetragen. Ingell lud Starfaben 
deingenb ein, fich nicht früher dem Mahle zu entziehen. Der Greis 
aber verſchmähte ven ſchwelgeriſchen Überfluß und verlangte einfache 
Bauernkoft. Auf die Frage, warum er fo finfter die Gaftfreiheit des 
Königs von fich weile, ertwiverte er, um den Sohn Frothos, nicht um 
einen Schlemmer zu finden, fei er nad Dänemark gelommen (S. 174). 
Saro äußert fich hiebei fehr erbittert über den verberblichen Einfluß 
der deutſchen Üppigfeit auf den Norden [S. 172]: 

Postquam se enim [Ingellus] Teutonie moribus permisit, effoeminate 


ejus lascivie succumbere non erubuit, Ex cujus sentina in patrie nostre 
Uhland, Säriften. Vils 17 


258 

fauces hand parva luxurie nutrimenta fluxerunt. Inde enim splendi- 
diores 'mens®, lautiores culin®, sordida ooquorum ministeris, varieque 
farciminum sordes manavere. Inde licentioris cultus usurpatio a ritu 
patrio peregrinata est, Itaque regio nostra, que continentiam in se 
tanguam naturalem aluit, luxum a finitimis depoposcit, Cujus Ingellus 
illecebra captus, injurias beneficiis rependere erubescendum non duxit, 
Neque illi misera parentis clades cum aliguo amaritudinis suspirio obver- 
sata est. 


Die Königin, die nun Alles anwenden wollte, den Zorn bes 
Alten zu befchwichtigen, a0g von ihrem eigenen Haupte eine Binde 
von wundervoller Arbeit und legte fie auf Starkadrs Schooß. Er aber 
warf ihr die Binde in's Geficht, indem er es für fchmählich anfah, 
daß ſein mit Narben bevedies, des Helms gewohntes Haupt folch 
weibiſchen Schmud tragen follte. Durch feine Schmeichelei Tieß er das 
blutige Bild der Niederlage feines Freundes Frotho aus feiner Seele 
verdrängen. Noch einen meitern Berfuch machte gleichwohl die Königin, 
den finftern Gaft aufzubeitern. Ein kunſtreicher Flötenſpieler follte 
mit feinen weichen Tönen den Zürnenden befänftigen. Aber bald bes 
merkte Jener, daß er mehr einer Bilvfäule, als einem Menichen, vor 
fpiele. Zuletzt warf Starladr ein abgenagtes Bein dem Pfeifer in’s 
Geficht, jo daß ihm aller Blas aus den vollen Baden fuhr (muneris 


das Vorſpiel größerer Nieberlagen (cujus leesio futuras coenee clades 
ominata est, mie im Nibelungenliev). Starkadrs zornige Augen ver 
viethen längft den innern Sturm (occultam animi procellam aperta 
luminum swvitia testatus), er fonnte nicht ertragen, daß Frothos 
Mörder die Tifchgenofien feines Sohnes waren, und er ftimmte nun 
ſelbſt, ftatt des Flötenfpielers, mit ſtarker Stimme ein Lied aus andrem 
Ton an. (Deinde in ampliorem histrionis sugillationem mox citan- 
dum carmen subtexuit.) Dieles Lieb gibt Saro, nur einmal burd 
wenige Beilen proſaiſcher Erzählung unterbrochen, in 70 ſapphiſchen 
Strophen. 

Starlabr verlangt in bemfelben, daß die unkriegeriſche Jugend 
dem tapfern Alten feine Ehre gebe. Bei Frotho fei er ſtets obenan 
geſeſſen, jet weile man ihn in den Winkel und er gleiche dem Fiſch 
unterm Waſſer. 


259 





— — 


Cedat imbellis vetulo juventus 

Et senis crebros veneretur annos! 

In viro forti numerosa nemo 
Tempora culpet u. ſ. w. 


Quando Frothonis comes ennotabar , 

Militum semper medius resedi, 

Æde sublimis, procerumgque primus 
Prandia duxi, 


Sorte nunc versa melioris wevi, 

Angulo claudor simuloque piscem, 

Qui vago captat latebram recursu 
Abditus undis. 


Er erinnert fih feiner trüben Ahnungen, als er zulekt von 
Frotho ſchied [S. 175 f.]: 
Proxime quando, Frotho, te reliqui, 
Mente presaga didici, quod armis 
Hostium certe periturus esses, 
Maxime regum. 
Cumque rus longum tererem viator, 
Prescius mentem gemitus subibet, 
Qui, quod hinc esses mihi non videndus, 
Omine finxit. 


Mär’ er zugegen geweſen, als ver treulofe Gaftfreund dem König 
nach dem Leben getrachtet, fo würd’ er entiweber feinem Heren im Tobe 
gefolgt oder deſſen Rächer geworden fein. Er rügt hierauf die Schwel- 
gerei und Feigheit Ingells, in dem er vergeblich den Sohn Frothos 
gejucht. Aber wenn auch der Sohn entartet fei, jo werde doch er nicht 
dulden, daß des Königs Erbe den Fremden zum Raube werbe. Da 
erzittert die Königin und reicht bem zürnenden Greife, was fchon früher 
erzählt war, ihre Hauptbinbe bin, die er ihr mit Unwillen zurüdwirft 
und im lauten Gejange fortfährt (clara rursum voce recinuit). Er 
beißt fie den meibifchen Schmud ihrem Gemahle ſchenken und wirft ihr 
vor, daß fie vemfelben die üppigen beutichen Bräuche zugebracht. Sie 
kredenze demjelben ven Wein in Schanlen und lafje das gefottene Fleifch 
noch an zweiten Feuer braten. Damit vergleicht er die raube Mäpßigfeit 
der Könige und Helden voriger Zeit [S. 178]: 


260 


Fortium crudus cibus est virorum, 

Nec reor lautis opus esse mensis, 

Mens quibus belli meditatur usum 
Pectore forti. 

In Frothos und Hakos Tagen haben fie nichts Gekochtes geſpeiſt. 
Trocknes Widder⸗ und Eberfleiſch und harte Rinden haben ihren Hunger 
geſtillt. Kein Meth, ſondern Bier ſei getrunken worden, nicht aus zier⸗ 
lichen Krügen, ſondern aus dem Faſſe. Damals habe man auch nicht 
für den erſchlagenen Vater Geldbuße angenommen. Jetzt muß er beim 
Staldenſange für den Sohn feines königlichen Freundes erröthen [S. 179]: 

Unde cum regum tituli canuntur 
Et ducum vates memorant triumphos, 
Pallio vultum pudibundus abdo 
Pectore tristi. 
Cum tuis nil eniteat tropheis, 
Quod stylo digne queat annotari; 
Nemo Frothonis recitatur hares 
Inter honestos. 

Immer fchärfer werben des Greijes Stachelreden. Den, ber feinen 
Vater nicht zu rächen tage, werde man leicht hinſchlachten, wie ein 
Zidlein oder ein Lamm. Ein Sohn Svertings werde Dänemark erben. 
Der Anblick dieſer Königin, ber Tochter Spertings, im Glanz be 
Goldes und der Ebelfteine, baran Ingell fich mweibe, ſei den Getreuen, 
die ber vorigen Zeit gedenken, ein brennender Vorwurf; nur bie Rache 
an Frothos Mördern könne noch Starladrs Herz erfreuen: 

Dum gravem gemmis nitidamque cultu 
Aureo gaudes celebrare nuptam, 
Nos dolor probro sociatus urit 

Turpia questos u. ſ. w. 


Nam secus, quam tn, scelus estimamus 
Hostium, quos nunc veneraris; unde 
Prisca noscenti facies molesta est 

Temporis hujus. 
Re magis nulla cuperem beari, 
Si tui, Frotho, juguli nocentes 
Debitas tanti sceleris viderem 

Pendere posnas. 





261 


König Ingell lieh anfangs dem Strafliede Starkadrs nur ein 
halbes Ohr, aber immermebr ergriff ihn die gewaltige Mahnung, bis 
er zulegt, von Schaam und Zorn erglühend, vom Site ſprang und 
das Schwert gegen die Söhne Evertings entblößte Gegen fie und 
ihr Gefolge erhob er den Kampf der Rache und erichlug die Mörber 
feines Vaters (erubescendumque convivium egregia crudelitate mu- 
tavit u. f. w. aliguanto speciosius eruore, quam mero, calices im- 
buens). Nah vollbrachter That hob Starfabr, der tapfer mitgeholfen, 
abermals ein Lied an, worin er vom König Abſchied nimmt, ihm zu 
diefer Bewährung feines erwachten Heldengeiſtes glüdwünjcht und fidh 
der vollen Rache um Frothon erfreut. Zuletzt hält er jein eigene® 
Kampfleben der verweichlichten Zeit zum Spiegel vor und wünſcht fich, 
folddem gemäß, auch ven Waffentod [S. 183]: 

Ast ego, qui totum concusesi cladibus orbem, 
Leni morte fruar? placidoque sub astra levandus 
. Funere, vi morbi defangar vulneris expers? 

Müller (Sagnhiſt. 85) meint, daß Starladr in der urfprünglichen 
Sage alle die Geſchäfte, die ibm Saro für die brei Gänge nad Däne 
mark anweift, auf einmal verrichtet haben werbe, die Beitrafung des 
Goldſchmieds, den Kampf für Helge und bie Erweckung Ingelld. Es 
ift dieß möglich, obgleich Saxo ſchon drei abgejonderte Darftellungen 
vor fich gehabt haben mag. Aber anders müften wir, bei Müllers 
Annahme, die Ereignifie ordnen. Zum zweiten Gang wird Starkadr 
durch Helge, der ihn in Schmeben auffucht, eingelaven, unb da feine 
Antwort, wonach er nicht als Hochzeitgaft, wohl aber zum Kampf 
ericheinen will, ſich als ein echt fagenhafter Zug zu erfennen gibt, jo 
müjte dieje Einladung vorangeftellt werden. Die Züchtigung bes Gold: 
ſchmieds und die Bewerbung Helgo8 können aber auch nicht wohl gleich 
zeitig gedacht werben, und ba nun Saro noch einer Schweiter Helgas, 
Aa, erwähnt, von ber er font nichts zu erzählen weiß, jo mochten 
wohl die beiven Abenteuer, welche jet Helgan allein zugewieſen find, 
früher unter die zwei Schmweftern vertbeilt geweſen jein. 


7. Starladrs zweites Nidingswert. 


Für jedes der brei Menfchenalter, welche Odin Starkaben verlieben, 
ift ihm von Thor ein Nidingswerk beſchieden. Da er an Ingells Hofe 


262 


als ein Greis erjcheint, der von ben Königen und Helben des ver: 
gangenen Jahrhunderts fpricht, fo haben wir ihn wenigſtens am Schlufle 
des zweiten Alters befindlihd und fomit aud das zweite Nidingäwerf 
und vollbracht zu denken. Worin ſolches beftanden, ift nirgends aus- 
drücklich befagt; aber aus einer, obgleich erft fpäteren Meldung Saros 
läßt fih mit Wahrfcheinlichkeit entnehmen, daß eine fchmähliche Feld 
flucht für diefes zweite Schanbmal gegolten habe. Im Tten Bude 
(S. 194) erzählt Saro, zwilchen dem Dänenkönige Syvald (dem 
Bater jener Syrith mit den nievergefchlagenen Augen), den Saro erft 
als den fünften ndh Ingell aufführt, und dem Schweden Regnald 
babe eine Schlacht in Seeland ftattgefunden. Beide haben bie erlefenften 
Kämpen um fi verfammelt gehabt. Nachdem man fi) aber drei Tage 
binburch gefchlagen und die Tapferkeit ver Kämpfenden auf beiden Seiten 
den Sieg noch immer ſchwankend erhalten, fo fei endlich Othar (Syriths 
Gemahl) mit grölter Todesverachtung in die dichteſten Reihen der Feinde 
eingevrungen, habe ben Führer derjelben, Regnald, mitten unter feinen 
Tapferften erfchlagen und fo plöglich den Sieg für die Dänen entfchieben. 
Diefe Schlacht ſei durch die Feigheit der gröften Helden ausgezeichnet 
gewefen; vierzig berfelben auf ſchwediſcher Seite haben die Ylucht em 
griffen, unter diejen vorzüglich der fonft unerfchütterliche Starkadr: 

Insigne hoc prelium maximorum procerum ignavis fuit. Adeo si- 
quidem rei summa perhorruit, ut fortissimi Sueonum quadraginta terga 
fuge dedisse dicantur. Quorum precipuus Starcatherus, nulla szvitis 
rerum aut periculorum magnitudine quati solitus, nescio qua nunc obre- 
pente. formidine sociorum fugam sequi, quam spernere, pr=optavit. Cre- 
diderim hunc metum ei divinis viribus injecetum, ne supra humanam for- 
titudinem virtute sibi preditus videretur. Adeo nihil perfecti mortaliam 
felicitas habere consuevit. 


Kann diefer panifche Schrecken, ber plöglich über den Helden ge 
fommen, wirklich nicht anders erflärt werben, als daß er durch gött 
liche Einwirkung erregt worden, jo läßt fich leicht hierin eines ber von 
Thor über Starkadrn verhängten Nidingswerke erratben. Saro fekt 
noch hinzu, die feloflüchtigen Kämpen haben ſich in die Kriegsgenofſen⸗ 
Schaft des Vikings Hako begeben. 

Tunc hi omnes maximi piratarum Haconis, quasi quædam belli reli- 
quise ad eum delapse, coımmilitium amplectuntur. 





263 


Hiedurch beftätigt fich zugleich, daß dieſes zweite Nidingswerk viel 
böber hinauf in der Zeit zu rüden fei. Denn jchon viel früher fanden 
wir bei Saxon felbft Starlabın mit Hakon verbunden und im Straf: 
liede an Ingelln iſt ihm dieſe Verbindung eine Erinnerung aus alten _ 
Zeiten. Die genenlogifhe Anordnung der Sagen hat hier Saron aber: 
mals in Widerſprüche verwickelt. Ob Dihar, vor dem er Starkadrn 
flieben läßt, in ber urfprüngliden Sage als foldher genannt geweſen 
fei, erfcheint fehr zweifelhaft. Othars fagenhaftes Dafein ift mit der 
Erwerbung Syriths mohl abgefchloflen. War einmal Starkadrs wunder⸗ 
bare Flucht ſagenkundig, fo konnte, ohne daß der Hauptzug verloren 
gieng, bald der, bald jener Helv ald der fiegreihe Gegner benannt 
werden. 

Müller (Sagnhift. 90) bemerkt, es fei nur eine rhetoriſche Bezeich⸗ 
nung der Tapferfeit eines Helden geweſen, daß felbft Starkadr vor 
ihm geflohen. Immer müften wir jedoch hiebei die Begründung in 
der Sage von Starkadr felbit annehmen. Daß übrigens der Ruhm, 
Starladın in die Flucht getrieben zu haben, nicht auf einen Helben- 
namen bejchränft blieb, zeigt, die Nornageft3faga, aus bem 14ten Jahre 
hundert. Hier wird jener Ruhm dem Helden Sigurb beigemeflen. Es 
erzählt nemlich der fabelhafte Wandrer Nornageft (8. 7. Fort. ©. 1. 
306. Fornald. S. I, 330 f.): In einer Schladt der Gjukunge, ber 
Schwäger Sigurbs, mit Gandalf Söhnen fah man im Heere der 
letern einen großen und ftarfen Mann, der Männer und Roſſe nieber- 
ſchlug und mehr einem Soten, als einem Menfchen, glich. Sigurd 
gieng ihm mit einigen Andern entgegen, doch waren die Meiften nicht 
ſehr aufgelegt dazu. Auf Sigurds Behragen nannte fih der Mann 
Starkadr, Storverksſohn, aus Fenhring in Norwegen. Sigurd er: 
widerte, er babe von Starkadrn gehört, aber meift nur Böfes; ſolche 
Männer dürfe man nicht für meitere Übelthaten aufiparen. Nachdem 
nun auch Sigurd ſich genannt, fuchte Starkadr zu entlommen, aber 
Sigurd eilte ihm nad, ſchwang das Schwert Gram in die Luft und 
fieß ihn mit dem Heft auf's Gebiß, daß ihm zwei Stodyähne aus: 
fuhren; das mar ein ſchmählicher Hieb. Sigurd hieß da das Ungethüm 
(mannhundinn) abziehen; „ich aber, fett der Erzähler Nornageft hinzu, 
nahm den einen ber Stodzähne mit, ber wiegt fieben Ore (aura) und 
hängt jetzt an einem Glodenfeil zu Lund in Dänemark, fürwitzigen 





264 


Leuten zur Schau.” Nah Starkadrs Flut loben auch Ganbalis 
Söhne. 

So wechſeln in der Erzählung dieſer Flucht Namen und Neben- 
umftände, aber der gemeinfame Typus mar ohne Zweifel Starkadrs 
sweiteh Nidingswerk. 


8. Starkadr in der Bravallaſchlacht. 


In dieſer berühmten Nordlandsſchlacht focht Starkadr auf ſchwe⸗ 
diſcher Seite unter den Vorderſten (prior in acie). Es werden bei 
Saxo (B. VII, ©. 225) und in Sögubrot (Kap. 9. Fort. ©. 1, 354 
bis 356), nicht ganz übereinftimmend, die Kämpen bes dänischen Heeres, 
darunter auch eine Schilvjungfrau, namhaft gemacht, melde von Stars 
kadrs Hand fielen oder verwundet wurden. Der legte, den er erichlug, 
war der Däne. Haki. Uber von diefem batte ex felbft ſchwere Wunden 
empfangen; die Zunge hieng ihm zum Harnifch heraus, der Naden 
war ibm balb burchgehauen, fo daß man in die Höhlung ſah, und ein 
Finger abgeichlagen. In ſolchem Zuftand verließ er das Schlachtfeld 
und die Haffende Halswunde fchien nicht mehr vernarben zu wollen. 
Diefe und andere Einzellämpfe ſowohl, als die Gefchichte des ganzen 
Krieges, bat, nad Saros Verſicherung (S. 220), Starfabr in vater 
ländifher Sprache berichtet [ogl. oben S. 236. &.]: 

Historiam belli suetici Starcatherus, qui et ejusdem prelii precipuum 
columen erat, primus danico digessit eloquio, memorie magis, quam 
litteris traditam. Cujus seriem, ab ipso pro more patrio vulgariter edi- 
tam digestamque, latialiter complecti statuens,_inprimis prasstantissimos 
utriusque partis proceres recensebo u. f. w. 

(&. 225) Starcatherus, qui belli hujus seriem sermone patrio primus 
edidit u. |. w. commemorat ı. |. w. declarat u. |. w. testatur u. f. w. 


Auch Sögubrot nennt einmal Starkadrn ald Zeugen (Fornald, 
S. I, 384: sem Störkudr inn gamli segir). 

Daß Saron unmittelbar, dem Sagabruchſtücke wenigftens mittelbar, 
ein norbifches Lieb zu Grunde liege, in welchem Starkadr als in eigener 
Perſon ſprechend eingeführt war, und daß namentlich bei Saro in ben 
allitterierenden Namen der Kämpfer fowohl, als im poetifchen Schtwunge 
der Beichreibung das Skaldenlied durchblide, wenn er gleich hier nicht 
ausdrücklich der Worte carmen, ceeinit u. bgl. fich bevient, ift bei 





265 


der Sage von Harald Hyldetand dargethan worden. Daß Saxo Star⸗ 
kadrn als Skalden anerkannte, erhellt aber nicht bloß aus der Erzählung 
im 6ten Buche, daß Odin ihn als Dichter verherrlicht babe (S. 156: 
condendorum carminum peritia illustravit, womit die Gautreka⸗ und 
Hrolfs-Saga übereinftimmt), jondern auch aus einer Stelle bes Sten 
Buchs (©. 233), wo Saro Starlabın jo anreden läßt: 

Unde venis, patrias solitus scriptare poesee u. |, w. 

Quove ruis, danicæ vates promptissime Muse? 

Bon feiner Theilnahme an der Bravallaſchlacht jagt Starkadr eben 

dort (S. 235), in der Aufzählung feiner Thaten: 

Er semperque manebit 

Nostra bravellinis virtus conspecta tropheis. 


— 


9. Starkadrs drittes Nidingswerk. 


Dieſes iſt der Mord an König Olo, wie ihn Saro nennt und 
ihm ben Beinamen Vegetus gibt (S. 219); in den islänbiichen Sagan: 
Äli hinn freeknii (Sögubr. €. 8. Fornald. S. I, 381. Nornag. S. €, 
8. Fornald. 8. I, 331. Yngling. S. C. 29. I, 31). Bon ihm fcheint 
eine eigene Saga vorhanden gemwejen zu fein (Sagnhist. 111); Sago 
wenigftend weiß von ihm manderlei Sagenhaftes? zu erzählen. Sein 
Dio ift ein Sohn Sivarbs und Schwefterfohn Harald Hyldetands. Er 
bringt feine Jugend in Norwegen zu, bezwingt frühzeitig zwei gefähr⸗ 
liche Räuber in Telemarlen, erlämpft ſich eine Braut und erlegt die 
Feinde feines Vaters. Bon al Diefem, mas Saxo im 7ten Buche 
(S. 215 bis 19), zum Theil mit eingeftreuten Verſen, ausführlicher be 
zichtet, bebe ich nur das aus, was nähere Beziehung zur Sage von 
Starkadr barbietet. 

ODlo hatte jo blikende Augen, daß er bie Tapferften mit dem 
bloßen Blicke ſchreckte (adeo visu efferus erat, ut quod alii armis, 
ipse oculis in hostem ageret ac fortissimum quemque vibrante lu- 
minum acritate terreret), Nun gab es damals zwei übermüthige 


1 Frekinn, frekn, strenuus, fortis, Lex. isl. I, 2526. So aud 
Frotho, cognomento Vegetus, 8. IV, ©. 97. Hyndlal. St. 14: Äli var 
&br öflgastr manna. 

2 8. VI, ©. 213: Qu® de ejus operibus memori®e sant prodita 
uf. m. 





266 


Sungfraunräuber, die Brüder Scati und Hialli. (Scatus et Hiallus). 
Sie hatten auch Eja, die Tochter des wermeländiſchen Königs Dlav 
zum Raube beftimmt und ließen dem Vater jagen, wenn er fie babor 
bewahren wolle, jo müfle er fich jelbit oder einen Andern zum Kampfe 
mit ihnen ftellen. Als Olo dieß erfuhr, freute er fi) der Gelegenheit 
zum Etreite. In Bauerntracht trat er in König Dlavs Halle. Er 
fette fih unter die Lebten, fah das ganze Haus in Trauer, rief ben 
Sohn bes Königs näher zu ſich und befragte ihn um die Urſache. Als 
ihm nun Diejer die Bedrängnis feiner Schwefter fund gab, fragte DIo 
weiter, was Dem zum ohne beftimmt fei, ber fich für die Jungfrau 
wage. Der König, bierüber von feinem Sohne befragt, anttvortete, 
feine Tochter fei er ihrem Beichirmer zu geben bereit. Diefe Worte 
madten Dlon noch begieriger auf den Kampf. Die Königätochter aber 
hatte die Gewohnheit, die Gefichter der angelommenen Gäfte, mit vor 
gebaltener Leuchte binzutretend, aufmerkſam zu betradhten, um aus 
ihren Zügen den Charakter und die Herkunft der Fremden zu errathen, 
worin ihr eine große Fertigkeit zuerkannt wurde. Als fie nun mit 
forſchendem Blicke vor Dion getreten war, wurde fie von ver Schärfe 
feiner Augen fo getroffen, daß fie faft leblos nieberfant. Zweimal 
wiederholte fie. den Verſuch mit gleihem Erfolge. Der König fragte 
um den Grund biefer Erfeheinung, worauf Eſa erflärte, ber fcharfe 
Blid des Gaſtes habe fie niebergeworfen, fie erfenne baran, daß er 
von Königen ftamme und, wenn er den Sieg davon trage, ihrer Um⸗ 
armung würdig fei. Der Gaft, deſſen Geficht vom Hute bevedit war, 
wurde nun von Allen gebeten, vie Verhüllung abzumerfen. Er ent 
blößte die Stirne und Alle beivunderten feine Schönheit. Licht er 
glänzten feine Locken, aber die jchredenden Augfterne deckte er mit den 
Wimpern. Hoffnung und Freude berrfchten nun auf einmal an dem 
vorber jo trüben Gelage. Indeſs kamen Hialli und Scati mit zehen 
Dienern heran und riefen ftürmifch den König zum Kampfe, wenn er 
nicht fogleich feine Tochter herausgebe. Alsbald nahm Olo ihre Aus: 
forderung an, gieng mit ihnen zum Streite und ftredte allein, mit 
jeinem Schwerte Logthi!, alle Zwölfe nieder. Der Kampfplatz mar 
eine Inſel mitten im See, unweit eines Fleckens, der noch jet nad) 


1 Sn. Edd. 214a unten unter den sverbs-heiti: lavgpir. Heimskr. 
3. I, ©. 99: lögdis wid, der Schild, nah 8. af Nidli ©. 66, Note. 


267 


den beiben erfchlagenen Brüdern benannt ift (unde non longe vieus 
abest, qui cladis hujuscemodi monimentum, Hiallıi et Scati fratrum 
vocabula conjunctim referens, prebet). Dlo erhielt die Königstochter 
zum Siegespreife. 

Nachmals erfuhr er, daß fein Vater Sivarb von dem Fylkekonige 
Thoro (a Thorone regulo) durch deſſen Häuptlinge Tofto und Leotar 
hart bedrängt werde. Da machte er ſich mit einem einzigen Diener, 
der Weiberfleiver trug, nach Thoros Königsburg auf. Ste hatten ihre 
Schwerter in hohle Stäbe verborgen und Olo felbft trat, als ein alter 
Mann verftellt, in bie Halle. Hier gab er vor, er fei bei Sivard 
Bettlerfönig (egentium regem 1) geweſen und durch ben Hab bes 
Königsfohnes Olo vertrieben worden. Alsbald begrüßten ihn die Hof: 
Ieute als König, beugten ihm die Kniee und ftredten ihm ſpottweiſe 
die Hände (zur Huldigung) dar. Er hieß fie dieſer Verpflichtung nad: 
fommen, 308 das Schwert aus dem Stabe und gieng auf den König 
los. in Theil half nun Olon, an der einmal gelobten Treue feft- 
baltend, Andre kehrten fich hieran nicht und ftanden zu Thoron. So 
erhob ſich ein Hausfrieg, in welchem der König umlam. Sein Häupt- 
ling Leotar gab, tödlich verwundet, dem Sieger DIo den Beinamen 
des Tapfern (Leotarus, lethaliter saucius, vietorem Olonem tam 
ingenio vividum, quam acrem operibus judicans, vegeti cognomine 


ı Saxonis Grammatici Historie danic® libri XVI. Stephanus Johannis 
Stephanius recognovit notisque uberioribus illustravit. Sorte, 1644. %ol. 
. Nott, in 1. VII, S. 166 (zu ©. 142, 8. 16): Se Egentium Regem fuisse] 
Nescio an alijs nationibus in usu sit tam anguste (si dis placet) majestatis 
dignitas. Nobis Egentium Rex dicitur Staader Konge, qui fere omnibus 
in urbibus regnum apud nos posside. Is homo plerumque esse solet 
provectæ statis, albicante barba et capillo, qui longum secum ducens 
mendicorum agmen, ad fores divitum excubat, tandemque opim& ciborum, 
vel interdum pecunie, predä receptä, eam inter subditos ex quo distri- 
buit. Sceptri loco ingentem baculum sive contum gestat, quo murmur 
tamultuantis plebecule compesecit.“ Die Bueignung des Stephanus Johannis 
Stephanins ift datiert: Sore, prid. Non. Januar. Anno Messie 1645. 
Ritson, anc. engl. metr. romanc. III, 313: 

j Of beggers mo than sexti, 
Horn seyd, Maister am y 
And aske the the mete u. f. w. 
W. Scotts Sir Tristrem 346, Note. The fratern. of vagab, 3. 





268 


donavit.) Zugleich aber mweifiagte er, Olo werde, nad dem Beifpiel 
des Trugs, den er an Thoro geübt, durch Verrath ber Seinigen um 
fommen. Mit diefen Unglüdsworten verſchied er. Dlo bradte nun 
feinem Bater den Frieden, erhielt von ihm bie Meeresberrichaft und 
rieb fiebenzig Seelönige (maritimos reges) auf. Sein Ruhm führte 
ibm viele tapfre Kämpen zu.- Unter biefen war aud Starkadr, ben 
er höchſt ehrenvoll aufnahm, beiten Dienft ihm aber zum Unheil warb. 

Weiterhin wird Dlo, fowohl bei Saro (8. VII, ©. 223 ff.), 
als in Sögubrot (a. a. D.), als Hülfögenofie Sigurd Hrings in der Bra 
vallaſchlacht genannt. Er hatte fieben Könige in feinem Gefolge, ſowie 
auch den Helden Starkadr. Saro macht ihn, nach Harald Hyldetands 
Untergang in dieſer Schlacht, zum Nachfolger vesfelben auf dem Königs: 
fite von Lethra. Durch Grauſamkeit wurde er aber jo verhaßt, daß 
zwölf Häuptlinge ſich gegen fein Leben verſchworen. Da fie aber ber 
eigenen Kraft mistrauten, fo dungen fie dazu Starfaben. Dieler be 
Ichloß, den König im Babe zu erfchlagen. Als er aber eintrat, fielen 
Olos funfelnde Blide jo jcharf aufihn, daß ex, von Schredien gelähmt, 
ben Fuß unbielt. | 

Itague qui tot ducum, tot pugilum arma protriverat, unius inermis 
viri aciem ferre non potuit. 

Die jedoch, feines Blickes fich bewuſt, bebedite jein-Geficht, biek 
Starfaden näher kommen und fagen, was er bringe. Denn die lange, 
vertraute Genofjenfchaft ließ Feinen Verdacht in ihm auflommen. Star: 
kadr aber ſprang mit bloßem Schwerte hinzu, burchbohrte den König 
und traf ihm noch den Hals, als er fich aufraffen wollte. Hundert 
und zwanzig Pfund Goldes waren Starladrs Sold. Nachmals aber 
war er fo von Schaam und Reue Über diefe That ergriffen, daß er, 
wenn berfelben gedacht wurde, fich der Thränen nicht enthalten konnte. 
Einige von denen, bie ihn aufgeftiftet hatten, erfchlug er zur Rache für 
jein eigenes Verbrechen. 

Als eine Nidingsthat Starkadrs bezeichnet auch die Nornageſtſaga 
(€. 8), daß er den König Ali (al. Armöd!) im Bad erfchlug, und 
zwar als eine folche, die feiner ſchmählichen Flucht nachgefolgt.. Diefen 
Todſchlag für das dritte und letzte der ihm vorbeftimmten Nidingswerke 


1 Bgl. Sagnhiſt. 83. Fornald. 8. III, 406. [Schriften I, 224 fi. 2.) 


| 


269 


anzunehmen, begründet fi auch dadurch, daß derſelbe in naher Ver 
bindung mit jenem eigenen Tode ſteht, wie bie folgenne Abtheilung 
ergeben wirb. 

Die Inglingafaga (C. 29) erwähnt gleichfalls, als einer befannten 
Sache, daß Starfadr Alin getöbtet. Aber die perfönlichen Verhältnifie 
Alis find hier andre, ala bei Saxo. Ali der Tapfere (Ali hinn frokni), 
bes bänifchen Frivleifs Sohn, kommt mit feinem Heere nach Schiweben, 
befiegt den bortigen König Aun in mehren Schlachten, nöthigt ibn 
aus feinem Heiche zu fliehen und ift dann felbft fünf und zwanzig 
Sabre lang König in Upfala, bis Starkadr der Alte ihn tobtichlägt. 
Saro fcheint nicht bloß andern Überlieferungen gefolgt zu fein, fondern 
auch feinen Olo abfichtlich in andre Verwandiſchaftsverhältniſſe verſetzt 
zu haben, um mit ihm feine däniſche Königsreihe auszufüllen. 


10. Starkadrs Top. PN 


Diejer legte Theil der Sage ift einzig durch Saxos Erzählung im 
8ten Buche (S. 230 unten bis 236) auf und gekommen. 

Starkadr war von Alter müde und an den Augen ſchwach ges 
worden. Das Leben war ihm entleibet, aber er wollte nach einer fo 
Triegerifchen Laufbahn nicht eines unblutigen Tobes fterben. Er wünfchte 
fih, von irgend einem freigebornen Manne erichlagen zu merben. 
(Adeo quondam rei bellice deditis 'morbo oppetere probrosum 
existimatum est.) Um fih nun Einen zu erfaufen, ber ihn todtſchlüge, 
trug er das Gold, das er flir den Mord an Olo empfangen hatte, an 
feinen Hals gehängt. Er glaubte von biefem Blutgelbe den beften Ge 
braudy zu machen, wenn er dadurch gegen fich ſelbſt einen Rächer Olos 
erweckte. Mit zwei Schwertern umgürtet unb auf zwei SKrüdenftäbe 
ſich ftügend, wankte er umber. Ein Mann vom Bolfe meinte, zwei 
Schwerter feien einem Greife überflüflig, und bat Starkadrn zum 
Spotte, ihm eines berfelben zu fchenfen. Starkadr hieß ihn näher 
kommen und zeigte, daß er noch des Schwertes Meifter fei, indem er 
Genen mitten durchhieb. Dieß fah ein gewifler Hather, deſſen Vater 
Lenno einer bon denen tar, welche Starfabr einft (olim), weil fie ihn 
zur Ermordung DIos aufgeftiftet, in feiner Reue erichlagen batte. 
Hather war eben mit Rofien und Hunden in der Jagd begriffen, er 
bielt an und hieß zwei feiner Gefährten, um dem Alten Furcht ein 





270 


zujagen, ſpornſtreichs auf ihn anfprengen!. Sie thaten es. Als fie 
aber dicht an ihm wieder umwandten und enteilen wollten, traf er fie 
fo mit feinen Stäben, daß fie ihren Muthwillen mit dem Tobe büßten. 
Erſchrocken über diefen Anblid flog Hather zu ‘Pferde herbei, fah num, 
daß es Starladr war, und fragte ihn, ob er nicht fein Schwert um 
einen Wagen vertaufchen wolle. Der Greis erfannte wegen feiner 
blöden Augen ben Süngling nicht und fprach feinen Unwillen über den 
Spott desfelben in einem Liebe aus. (Itaque carmen, quod indi- 
gnationis sus magnitudinem patefaceret, in huno subtexuit modum.) 
Es folgt nun ausführliche Wechfelrede zwiſchen Starkadr und Hather 
in Inteinifhen Hexametern. Zuerſt beflagt Starkadr die Hinfälligkeit 
des Alters: 


Ut sine regressu pronas agit-alvens undas, 
Sic ætas hominum, cursim labentibus annis, 

Irreditura fluit; preceps ruit orbita fati, 

Quam generat, finem rerum factura, senectus, 

Illa oculos hominum periter gressusque relidit, 

Eripit 08 animumque viris, fameqne nitorem 

Paulatim premit et claros oblitterat actus u. f. w. 
Seinen eigenem Zuſtand ſchildert er fo: 

Ipse ego, quam noceat, didici, damnosa vetustas, 
Visu ®eger, vocis modulis et pectore raucus u. f. w. 
Jamque minus vegetum corpus fulcimine tutor, 
Flaccida subjectis innixus membra becillis. 

Lucis inops, moderor vestigia fuste gemello 

Et virge monstrante sequor compendia callis, 
Stipitis auspicio potius, quam lumine, fisus. 

Nemo mei curam celebrat, nec in agmine quisquam 
Solamen veterano adhibet, nisi forsan Hatherus 
Assit et infracti rebus succurrat amici. 


Zum Lobe dieſes Hathers, deſſen Gegenwart er noch nicht ahnt, 
läßt er nun Mebreres folgen, rühmt deſſen Freigebigleit und Tapferkeit 
und ſchließt hieran die Erinnerung an fein eigenes Triegerifches Leben. 

Hierauf hebt Hather an (hujusmodi carmen habuit): 


1 Bgl. Dietrich, Rufſiſche BVollsmährchen S. 66 f. 








271 


Unde venis, patrias solitus scriptare poeses, 
Iofßrmo dubium suspendens stipite gressum ? 
Quove ruis, danic vates promptiesime Muse? 
Roboris eximii cassus decor excidit omnis, 
Exulat ore color, animoque amota voluptas, 
Destituit fauces vox et raucedine torpet. 

Ut ratis assiduo fluctu quassata fatiscit, 

Sic longo annorum cursu generata senectus 
Triste parit funus u. f. w. 

Quis vetuit te, note senex, juvenilibus uti 
Rite jocis, agitare pilam, morsa nuce vesci? 1 

Hather räth nun dem Greife, wie zuvor ſchon angebeutet war, 
ein Schwert zu verlaufen und fi dafür Wagen und Pferd anzu: 
ſchaffen, da ihn feine alten Beine nit mehr tragen wollen. Er laufe 
ja doch Gefahr, daß man ihm das unnäge Schwert entreiße und gegen 
ihn ſelbſt wende: 

At si forte caves cassum venundare ferrum, 
Ereptus tibi te perimet, ni veneat, ensis. 

Starkadr ereifert fih heftig gegen den Unbelannten, der, ftatt 
dem lichtberaubten Wanderer fi) zum Führer anzubieten, ihn verhöhne. 
Lieber wol’ er zu Fuße gehn, als fein Schwert einem Unwürdigen 
abtreten: 

Nempe pedes gradiar, nec turpiter' ense relicto 
Externam mercabor opem u. ſ. w. 

Qua probitate petis indignum viribus ensem ? 
Haud latus hic imbelle decet dextramque bubulei 
Agrestem soliti calamo deducere Musam u. f. w. 

Damals, jo fährt er fort, würbeft bu mich nicht des Schwertes 
zu berauben verſucht haben, als in der Schlacht von der Wucht meiner 
Streiche entweder die Klinge mir in ber Hand zerbrach ober meine 
Feinde nieberftredte: 

“Aut gladium fregit manus, aut obstantia fudit, 
Hec gravitas ferientis erat u. ſ. w. 

Und nun folgt jene, ſchon früher erwähnte Aufzählung feiner bes 

beutendften Thaten. 


1 Bgl. Halfs 8. C. 16 zu Anf. 


” 272 


Endlich erfährt er, daß Hather, Lennos Sohn, ber fei, mit dem 
er ſpreche. Diefen, als einen Yüngling von edler Abkunft, forbert er 
auf, ihn, den Mörder feines Vaters, zu erfchlagen und bietet Hathern 
dafür das Gold, das er einft von Lenno empfangen: 

Preeteres, Hathere, privavi te patre Lenno, 

Hanc mihi, queso, vicem referas, et obire volentem 
Sterne senem jugulumgue meum pete vindice ferro, 
Quippe operam clari mens percussoris adoptat, 
Horret ab ignava fatum deposcere dextra. 

Sponte pia legem fati precurrere fas est; 

Quod nequeas fugere, hoc etiam anticipare licebit. 
‘Arbor alenda recens, vetus excidenda; minister 
Nature est, quisquis fato coonfinia fandit 

Et sternit, quod stare nequit. Mors optima tunc est, 
Quum petitur, viteeque piget, quum funus amatur, 
Ne miseros casus incommoda proroget zetas. . 

Hather milligte ein, duch das Gold und die Begierde, feinen 
Bater zu rächen, angereizt. Nun bot ihm Starkadr haftig fein Schwert 
dar und bog feinen Naden bin. Auch ermahnte er Hathern, mannbaft 
das Wert zu vollbringen, und verficherte ihn, wenn er gleich nach dem 
Streiche zwiſchen Haupt und Rumpf Springe, werd' er feft vor allen 
Waffen werben. Hather ſchwang kräftig das Schwert und Starfahrs 
abgefchlagenes Haupt bik noch in die Erbe, 

Quod corpori avulsum impactumgue terre, glebam morsu carpsisse 
fertur, ferocitatem animi moribundi oris atrocitate declarans. 

Den Sprung zwiſchen Haupt und Rumpf hatte Hather unterlaflen, 
aus Furcht, von dem ftürzenden Riefenförper erbrüdt zu werben, wie 
es ihm auch zugebacht jein mochte. Er ließ Starkadrn auf dem Felde 
Raaliung begraben (in campo, qui vulgo Raaliung dieitur). Es iſt 
dieß dasſelbe, auf dem ber Held im Kampfe für den neubermäblten 
Helgo die neun Brüder erfchlagen hatte (dort Roliung, S. 167). 

So war Alles in Erfüllung gegangen, was Dbin und Thor, 
Jener günftig und Diefer feindlih, Starkadrn vorbeftimmt hatten: er 
batte mehrere Menichenalter durchlebt und in jevem ein Nidingswerk 
vollführt; Landbeſitz konnte er nicht behaupten, denn er zog unſtät 


1 Bgl. Grimm, Edda ©. 108, Str. 20. [Helg. Hund. 2, 25. 2.] 


— — — —— 


273 


umber; an guten Waffen und reicher Beute fehlte es ihm nicht, aber 
er hatte doch nicht genug und darum nahm er das Gold für den Mord 
an Olo; fiegreich war er im Kampfe, aber jebesmal trug er eine um: 
beilbare Wunde davon; als Stalde war er berühmt und im Straf: 
gefang an Ingell bewährte er die Macht feines Liebes; davon jedoch, 
daß er feine eigenen Lieder vergeflen, kommt nicht3 weiter in ben vor⸗ 
handenen Überlieferungen vor; bei den Mächtigen war er beliebt, denn 
immer finden mir ihn in ber Genoſſenſchaft berühmter Land⸗ und Sees 
fönige; daß er dem Bolle verhaßt fein follte, wenn er gleich den freien 
Bauernftand für den ehrwitrbigften erflärt, darauf Tann fein Abenteuer 
mit ben Schmieden in Telemarlen, wovon er jagt: 
Hic primum didici, quid ferramente valerent 
Incudis, quantumve animi popularibus esset; 

dann der Spott, ben er im Alter erfuhr, bezogen werden. Inwiefern 
nun aber dieſe VBorbeftimmungen erft aus dem Charakter und ben 
Schidfalen des Helden, wie fie in der Vollsſage hervortraten!, abs 
ftrabiert worben feien over umgekehrt die Sage fi aus jenen Vorbe⸗ 
ſtimmungen weiter entwidelt babe, läßt fich nicht mehr mit Sicherheit 
entſcheiden. Wahrſcheinlich hat beiberlei Wirkung ftattgefunden, jo daß 
die ſchon vorhandenen Sagen von Starkadrn auf jene Formeln zurüd: 
geführt, dann aber diefe mieder zur Abrundung und Vollendung bes 
Sagentreijes fruchtbar gemacht murben. 

Mas den gefchichtlicher Grund anbetrifft, jo gefchieht zwar auch 
in mehr biftorifchen Sagan der Isländer Starkadrs kurze Erwähnung, 
namentlih im Landnamabok wird Starkadr der Alte ala Skalde bei 
König Frodi und feinem Sohne Ingjald genannt (Sagnbift. 90 ff.). 
Aber von einer eigentlichen Vergleichung urkundlicher Berichte mit ben 
ingenbaften kann auch bier nicht bie Rede fein. Auch die Lieder, welche 
Saro in lateinische Verje übertrug und worin Starkadr als in eigener 
Perſon Iprechend eingeführt war, ſowie die ihm zugejchriebenen Stropben 
in ber Gautreks⸗ und Hrolfs-⸗Saga und in ber Skalda, die eine bes _ 
ſondere Versart nach ihm Starkadarlag nennt, können ihm nicht als 
urkundlicher Nachlaß vindiciert werben; dieſes Skaldenthum gehört mit 

zu der Sage und ift nicht mehr oder weniger hiſtoriſch, als dieſe über: 


1 Bol. Sagnhiſt. 84. 
Uhland, Säriften. VII. 18 


274 


haupt. Vgl. Sagnhiſt. 88. 91. 93 f. 115. Da fi Starkadrs Leben 
durch mehrere Menfchenalter zieht, jo hat man, um bie Hiftorifche Mög: 
Yicheit zu retten, Mehrere besfelben Namens aus verſchiedenen Zeiten 
angenommen, eine vielgebrauchte Auskunft, die für bie gefchichtliche 
Zurechtſetzung der Sagen allerdings die leichtefte, aber in der Regel 
auch die unftatthaftefte iſt. (Wal. Sagnhift. 91 f.) 

Fehlt e8 aber auch diefer Sage nicht an einem gefchichtlichen An- 
halt, jo war fie doch, foweit wir ihre Spur verfolgen können, Tängft 
der poetifchen Sagenbilbung anheimgefallen. Davon zeugt das Mythifche, 
das ſich ihr eng vermoben bat!. Was Saro angibt, daß Starlabr in 
der Gegend entiprofien fein folle, melde an Schweben im Dften gränge 
und jebt von Efthen und andern barbariſchen Bölfern weithin bewohnt 
werbe, ift von Müller (S. 77 f.) überzeugend dahin erflärt morben, 
daß unter diefer Gegend urfjprünglich nichts Andres, als Sötunbeim, 
die Heimath der Riefen, zu verfteben fei, welche man, nachdem übers 
haupt der Mythus mehr biftorifchegeographiich aufgefaßt wurde, in jene 
norböftlichen Landftriche verlegte. Damit ftimmt dann auch vollfonmen 
überein, was Saro und die Sagan fonft von Starkadrs riefenhafter 
Abkunft und Geftalt melden?. Storverkr, der Name feines Vaters, 
wird in der Skalda (Sn. Edd. 2095) unter den poetiichen Benennungen 
für Jote aufgeführt und in der Saga von Gautrel und Hrolf wird 
es als der erite Anlaß zu Thors Yeindichaft gegen Starlabr bargeftellt, 
daß die Mutter des letztern einen fchlechten Riefen dem Ajathor vor: 
gezogen habe (Sagnbift. 77 f.). Sol übrigens, auch unter der Ber 
dunflung, welche ver Mytbus bier, wie in andern Fällen, erlitten 
haben mag, die urfprüngliche Bedeutung diefes Zufammentwirkens der 
jotifchen Abkunft mit den Einflüflen Odins und Thors ermittelt werben, 
fo fcheint es diefe zu fein: ein norbifcher Heros follte geſchaffen werden 
aus der verbundenen Natur des Rieſen⸗ und bes Afengeichlechtes. Die 
jotifche Abftammung gab Starlabın das Übermaaß Zörperlicher Fülle 
und Kraft, von den Afen empfieng er ben Heldengeift, aber diefen in 
zmweifacher Eigenfchaft und Richtung. bin, der Heldenpater, gab den 
Schwung, die höhere Belebung jener Riefentraft, Thor, der, zwar 

1 Bgl. noch Sagnhiſt. 89: Rotho. Diefer Name kommt auch bei Saro 
&. 207 unten vor. 

2 [Bgl. Sagenforfhungen I, 185 ff. Schriften 6, 106 ff. 8.) 


275 





Bekämpfer der Joten, body felbft zwilchen ihnen und den Aſen halb⸗ 
riefenbaft inne fteht?, gab ihren Misbraud und Auswuchs, die rühm- 
lichen Thaten ftammen von Din, die Nibingswerle von Thor. . Aus 
diefer Mifhung wird allerdings Fein Tugenbipiegel, aber die Sagen» 
dichtung gibt und ein wahrhaftiges Bild des norbilchen Heldenthums 
im Guten und im Böfen. Allein auch in Beziehung auf die Nidings⸗ 


werke muß bier, einex fpäteren Ausführung vorgreifend, bemerkt werden, 


daß in altnorbifcher Anſchauungsweiſe ſolche Frevel weniger für jelbft- 
verjchulbet, als für ein von höherer Macht verhängtes Unheil galten 
(wie bei der Töbtung Bilars ſich beſonders berborftellt) und daß fie 
daher nicht jomohl den Eindrud des Abſcheus, als den tragiichen bes 
Mitleids mit der jo zum Schnählichen getriebenen Helbentraft, hervor⸗ 

brachten. 
So ift uns denn Starfabr im Edeln, wie im Gewaltfamen, ber 
Typus des nordilchen Helden und die Sage von ihm bat fich folgerecht 
in diefem Sinne ausgebilbet. Seine riefenhafte Natur ist Ianglebig 
Durch Jahrhunderte; mie ein Eisriefe fißt er eingefchneit bis an bie 
Schultern, die tiefften Wunden werben ihm gejchlagen, das Eingemweibe 
hängt ihm aus dem Leibe, dennoch bleibt er unvertilgt, und wenn er 
tobesmatt darniederfinkt, drückt er noch feine ganze Geftalt in den 
harten Felsitein. Als blinder, abgelebter Greis ftredit er die Beleidiger 
mit den Krüden nieder. Sein abgefchlagened Haupt beißt in die Erbe, 
und wenn in einem ber heroifchen Eddalieder (F. Magn. Edd. III, 302; 
- vgl. 297), als des grimmigften der Helven, eines Königs Starkadr 
gedacht wird, deſſen Rumpf ſich noch fchlug, ala das Haupt fort war, 
fo ift dieß fagenhaft derſelbe Rieſenſohn. 

Aber auch dem Geifte nach wandelt er ungebeugt durch viele 
Zeiten. Er ift immer alt und hat davon bei Snorro den Beinamen 
hinn gamli (Sagnhift. 92), wie Halfdan, aber in anbrer Bedeutung, 
als diefer, wenn auch beide fich in Einzelnem nahe kommen. Halfdan 
ift der Alte, alö der gemeinfame Stammvater aller Königsgeichlechter; 
Starkadr ftellt das Urbild eines höhern, firengern Heldenthums dar, 
wie es ftet3 nur in der Vergangenheit gedacht wurde. Emft und 
mäßig, ein abgefagter Feind der Gaukler und der Schlemmer, den 


1 Bgl. Rechtsalterth. 349, 1. 


⸗ 





276 


Ruf zum Feſte verſchmähend, dem zum Kampfe willig, ift er em 
Schreden der geſunkenen, vertweichlichten Gegenwart. So figt er, eine 
furchtbare Erfcheinung aus verſchwundenen Tagen, an der Thüre bes 
üppigen Goldſchmieds umb an Ingells ſchwelgeriſchem Königsmahle. 
Hier fingt er, wie anders man zu Hakos Zeiten gelebt, und facht ben 
verglimmenven Funken des Helvengeiftes von Neuem an. Aber aud) 
eine Warnung ift er jedem neuen Menſchenalter burch ein Nidingswerk, 
daß auch die Fräftigfte Natur nicht vor dem Falle ficher fei, ſowie bie 
unbeilbaren Wunden, bie er aus jedem fiegreichen Kampfe davonträgt, 
den Übermuth des Sieges bämpfen. Immer wieder bei andern fagen- 
berühmten Helden kehrt er auf feinem weitjchreitenden Gang durch bie 
Sahrhunderte ein, denn wo ber alte Helbengeift lebt, da ift Starkadr. 
So liegt es im Wefen feiner Sage, daß fie andre Sagen an fi 
Mmüpft und in fi aufrollt. Es gibt in ihr feine Anachronismen, weil 
fie der ganzen Helvenzeit angehört, und mas von ihr ausgeſondert 
werben Tann, fofern es nicht urjprünglich mit ihr verbunden war, ge 
bührt ihr dennoch vermöge ihrer natürlichen Entwicklung. Zu dieſen 
fpätern Aneignungen mag allerbings bie Bravallaſchlacht zu rechnen 
fein, welche fon in die Morgendämmerung ber Geſchichte fällt. Aber 
wie hätte in diefer berühmteften Schlacht des Nordens Starkadr fehlen 
bürfen? Sn ihr bat ſich noch einmal alle Helbenfraft der Norblande 
gefammelt; fchiverer verwundet, ala jemals, geht Starkadr aus ihr, 
feine Bahn neigt fich jebt zum Ende, da faßt er noch zum Letzten im 
großen Staldenlieve das Bilb der verfinfenden Heldenwelt auf und beut 
e3 den kommenden Altern hinüber. 

Sp erſchien auch die Sage von Starkadr al? die paſſendſte, vie 
Reihe der dem Norden eigenthüümlichen Heldenſagen zu befchließen. 


Bd. Deutſch-nordiſche Heldenjagen. 


Die Stammvermandtichaft der Völfer des ſtandinaviſchen Nordens 
mit den deutishen im engern Sinne verläugnet ſich aud in der Sage 
nicht. Dieſes Verhältnis kann zwar erft erörtert werben, wenn aud 
die entfprechende deutſche Sage dargeftellt fein wird. Um aber die Ber: 
gleihung zum woraus anzubahnen, ſchien es räthlich, von den Helben- 
fagen des Norden? zuerft diejenigen aufzuführen, bei benen eine 


277 


Gemeinſchaft mit beutfcher Sage entweder überhaupt nicht beftanden bat 
oder doch nicht mehr in beiberfeitigen Dentmälern nachgewieſen merben 
fann, wenn auch jchon noch, wie in der Sage von Starladr, die Spuren 
eines früheren Sagenverkehrs fich bemerklich machen; ſodann aber, in 
der nun folgenden Klaſſe, die meitern zufammenzuftellen, melde ber 
norbiichen Sagenpoefie mit ber beutichen gemeinfchaftlich angehören 
und noch jetzt in ihren beiberfeitigen Geftaltungen verglichen werden 
fönnen. Das urfprüngliche Anrecht wird ſich bald mehr auf beutjche, 
bald mehr auf nordiſche Seite zu neigen fcheinen. Aber au da, wo 
man für deutfchen Urſprung entfcheiven muß und die norbifcheg Über: 
fieferungen felbft auf deutfche Duelle hinweiſen, wird man body meift 
die norbifche Darftellung, in BVergleihung mit der jetzigen beutfchen, 
für die ältere und echtere anerfennen und auf die erftere zur Erklärung 
der Ießteren zurüdgehen müflen. Gerade diefe Sagen waren au im 
Norden fo völlig eingebürgert, fo früh verarbeitet und allbefannt, fo 
genan in die älteſte Skaldenſprache verwoben und, was noch wichtiger 
it, fie hängen fo innerlich mit dem odiniſchen Mythus und dem Geifte 
der ganzen norbifchen Sagenpoeſie zufammen, daß wir fie durchaus 
nicht von dieſer ausſcheiden können, vielmehr den allgemeinern Erfund 
der Betrachtung norbifcher Helbenfagen erft dann zweckmäßig erheben 
werden, wenn auch dieſe zweite Klaſſe verjelben abgehandelt jein wird. 
Läßt fich Übrigens, jenes innern Zufammenbangs unergehtet, in ben 
deutſchnordiſchen Heldenjagen theilmeife eine geiftigere Durchbildung bes 
merten, als in denen der erſten Klafle, jo werben wir dieß eben als 
bie Folge der unvordenklichen und vielfeitigen Beichäftigung ber ger 
maniſchen Völker mit diefen Sagentreifen zu betrachten haben. 

An die eigentlich beutfchnorbiihen Sagen haben fi) aber im 
Norden mehrere andre, in ihm jelbft ermachfene angefchlofien, durch 
die ex jenen gemeinfamen Beſitz ſich näher zu verbinden und anzueig: 
nen getrachtet bat. Auch folche werden wir, dieſes Zuſammenhangs 
wegen, der zweiten Klafie einreihben. Auf der andern Seite ſcheiden 
wir nicht bloß bier, jondern von ber Darftellung der norbifchen Helden 
lage überhaupt, Dasjenige aus, was erft von ber eigenthümlich beut- 
Ihen Geftaltung der gemeinfamen Sage fpäter in den Norben herüber 
gefommen ift. Dieſes gilt außer Einigem bei Saro, hauptſächlich von 
der umfangreichen Vilkinaſaga oder Dietrichäfage, welche, wenn gleich 


278 

iSlänbifch verfaßt, doch nach ihren eigenen Angaben auf deutfchen Über: 
Lieferungen beruht und in der Hauptfache ganz auf die Seite der beutjchen 
Ausbildung des gemeinfchaftlichen Sagenfreijes fällt. Ihr Inhalt dient 
wejentlih zur Ergänzung der deutichen Heldenfage, für die nordiſche 
werden wir nur Einzelned daraus beizuziehen haben. 

Nah diefen Erläuterungen beginnen mir bie angegebene zweite 
Reihe norbifcher Heldenſagen. 


1. Hilbur. 


Skalda, Sn. Edd. ©. 163 bis 165. Sörla Bättr (Saga af Hedni ok 
Högna), Fornald. 8. I, 389 fi. Fort. 8. I,'361 ff. &agabibl. II, 570 fi. 
Saro 8. V, ©. 122 bis 135. Sagnhiſt. 67 f. Lex. myth. S. 157 bis 60. 


Die Skalda fagt bei den Dichterausprüden für Schlacht: Die 
Schlacht wird genannt der Hjabninge Sturm oder Schlagregen und fo 
heißen die Waffen der Hjadninge Feuer oder Webzeug. Davon Yautet 
die Sage 1 alfo: König Högni hatte eine Tochter mit Namen Hildur. 
- Diefe nahm der König Hebin, Hiarrandis Sohn, zur Beute, als ihr 
Vater auf einer Berfammlung abmejend war. Sobald Högni hörte, 
daß man in fein Reich eingefallen und feine Tochter weggeführt, fuhr 
er mit feinem Heergefolge Hebin nach, der, wie er erfahren, norbwärts 
die Küften entlang gefegelt war. Als er aber nad Norwegen Tam, 
hörte er weiter, Hebin fei nach dem meftlichen Meere gefegelt. Högni 
verfolgte denfelben bis zu den Drfneyen, und als er bei ber Inſel 
Haey (jebt Hoy) anfam, mar dort kaum zuvor Hebin mit feinem Kriegs⸗ 
volf angelangt. Hildur begab fih zu ihrem Bater und bot ihm von 
Seiten Hedins einen Halsſchmuck zur Söhnung, zugleich aber fagte fie 
ihm, daß Hebin zum Gtreite bereit fei und Högni bon ihm feine Scho⸗ 
nung zu erwarten habe. Högni antwortete feiner Tochter unfreunblic, 
und als fie nun zu Hedin zurüdfem, ſagte fie Diefem, Högni wolle 
feine Söhnung, und hieß ihn ſich zur Schlacht rüften. So thaten fie 
auch Beide, fliegen and Land und fchaarten ihre Striegsleute. Da 
rief Hedin noch feinen Schwäher um Frieden an und bot ihm vieles 
Gold zur Buße. Högni erwiderte: „Zu fpät bieteft du das, wenn bu 


1 (Bl. Schriften 8. I, S. 88. .] 


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Frieden wünfdelt, denn jet hab’ ich mein Schwert Dainsleif 1 gezogen, 
das von Zwergen geichmiebet und, fo oft es entblößt ıft, eines Man 
nes Tod wird; nimmer hört e3 dann zu bauen auf und feine Wunde 
heilt, die es gefchlagen.” Da antwortete Hein: „Das Schwert haft 
du in der Hand, aber nicht den Sieg; gut ift das Schwert, das feinem 
Herren Heil bringt.” Nun erhoben fie die Schlacht, die der Hjabninge 
Kampf (Hjadninga-vig ?) genannt wird, und fchlugen ſich den ganzen 
Tag, am Abend aber giengen die Könige auf ihre Schiffe. Hildur aber 
gieng in der Nacht auf die Walftatt und weckte durch Zauber alle die 
Erichlagenen auf. Den folgenden Tag giengen die Könige wieder auf 
ben Kampfplag und erneuerten die Schlacht zugleich mit allen Denen, 
die den, Tag zuvor gefallen waren. Dieſer Kampf mährte Tag für 
Tag in der Weile fort, daß alle Gefallene, fowie alle Waffen und 
Schilde, die auf der Walftätte lagen, (Nachts) zu Steinen wurden; 
wenn e3 aber tagte, ftunden alle Todte wieder auf und kämpften, und 
alle Waffen waren wieder brauchbar. Sin Liedern ift gejagt, daß bie 
Hiadninge jo fortfahren werden bis Ragnaröl ®. 

Es folgen bierauf in der Skalda einige Strophen, melde ber 
Skalde Bragi der Alte in feinem Liebe auf den Dänenkönig Ragnar 
Lodbrok nad diefer Sage gebichtet babe. Darin wird gejagt, daß bie 
Schlacht der Hjabninge, mit Andrem, auf einem Schilde dargeftellt 
geweſen fer, den der König dem Stalven gegeben; auch wie die trug: 
finnende Hildur den Halsſchmuck Högnin vergeblich angeboten und ber 
Anfang der Schlacht wird befungen. 


1 Lex. myth. 158: i. e. res (vel artiicium) a Daino relicta. 

2 Lex. myth. 158: Nomen gentilitium Hiadningar, ab illo virili Hödin 
alioguin derivandum. gl. Kräkumdl &. 13: fyrir Hedninga vägi. 

3 Kunſtblatt 1834. Zul. Nr. 59. S. 285: Kunflverein in München. Die 
Geiſterſchlacht, Sarton, von Wild. Kaulbach. „Attila, König der Hunnen, 
liefert, nad) einer alten Sage aus ben Fragmenten des Damasrius, den Rö- 
mern vor den Thoren Roms eine breitägige, blutige Schladt. Es wird von 
beiden Seiten mit folder Erbitterung gefochten, daß am Ende des dritten Tags 
fein Hunne und Römer mehr lebt. Mit Anbruch der Nacht erwachen fie vom 
kurzen Zodesichlafe, heben fi von der Erde und beginnen in der Luft den 
Kampf von Neuem.” Dieß war das vom Geh. Rath v. Klenze dem Kunſtler 
übergebene Programm, nad welden er ihm ein Bild ausführen folle; die 
vollendete Zeichnung ift die oben genannte Geifterfchlacht.] 





280 


Viele von diefer Sage ausgehende Berennungen bes Kriegs und 
ber Kriegswerkzeuge kommen auch fonft in ber Skaldenſprache vor; 
außer den. Eingangs erwähnten: die Waffen Hilburs Eteine, das 
Schwert Hildurs Flamme, der Panzer Hildurs Rinde, Kriegsleute 
Högnis Boll. Beim Anbruhe der Schlacht von Stifleftab fingt ber 
Stalde Sizur: Bald wird Hedins Weib fommen (Lex. myth. 159%. Saga⸗ 
bibl. DI, 574 f.). 

Ausführlicder, als die kurze Erzählung der Skalda, ift die islän⸗ 
diſche Saga von Hedin und Högni; aber die alte mythiſche Sage bat 
in biefer fpätern Behandlung ihr uriprüngliches Gepräge verloren 
‚amd ift mehr in ber Art ritterlich mährchenbafter Abenteuer umgewan⸗ 
delt und ausgefponnen. Hebin ift bier ein Yürft aus Serlland (dem 
: Sande der Saracenen), der aber doch feine Fahrten bis Dänemark 
erftredt. Die Anftifterin des Streites ift nicht Hildur, ſondern ein 
räthjelhaftes weibliches Weſen, Göndul (ein Valkyrienname), das Heben 
wiederholt im Walde, auf einem Stuble ſitzend, antrifftl. Bei der an- 
gegebenen Beichaffenheit diefer Saga kommt uns viefelbe nicht umftänd» 
licher in Betradt. Nur der Schluß ift für die Sagengefchichte merk: 
würdig. 

(€. 9) Dlaf Tryggpafon [dev bekannte König in Norwegen, der gegen 
das Ende des 10ten Jahrhunderts die Einführung des Chriftenthums nicht 
ohne Liſt und Gewalt durchjette] lam im erften Jahre feiner Regierung zur 
Inſel Ha umd legte dort eines Abends an. Auf diefer Inſel pflegten fonf 
jedesmal in der Nacht die Wachtmänner zu verſchwinden, fo daß Niemand 
wufte, was aus ihnen geworden. var Ljomi 1 follte nun diefe Nacht Wache 
halten. Als alle auf den Schiffen eingefchlafen waren, zog er all fein Waffen⸗ 
gewand an und nahm fein Schwert, das früher Jarnſtjöld gehabt und defien 
Sohn Thorſtein Ivarn gegeben hatte, und gieng anf die Inſel. Da fah 
er einen Dann gegen fi) kommen, hochgewachſen, ganz blutig und von tran- 
rigen Ausfehn. Spar fragte den Mann um feinen Namen. Derſelbe nannte 
fih Hebin, Hiarandis Sohn, aus Serfland. „Ah muß dir fagen,* fette er 
hinzu, „das Berfhwinden der Wachtmänner ift mir und Högnin, Halfdans 
Sohne, zuzurechnen, denn wir und unsre Leute find fo unheilvollem Schidjal 
unterworfen, daß wir Naht und Tag kämpfen müflen und dieß fon viele 
Menſchen alter währt. Hildur, Högnis Tochter, fitt da und fieht zu, Obin 


1 Liömi, m. splendor. 


- 281 


aber bat ums dieß auferlegt und daß uns nichts Andres erlöjen könne, als 
werm irgend ein Ehriftermann mit uns kämpft; dann foll der, ven er erfchlägt, 
nicht wieder aufftehn und fo Jeder feines Unheil ledig werden. Nun will ich 
dich bitten, daß du mit uns zum Kampfe geheſt, deun ich weiß, daß du ein 
guter Ehrift biſt, ſowie au, daß dem Könige, dem du dieneft, viel Glückes 
folgt; mir jagt mein Sinn, daß uns von ihm und feinen Mannen etwas Gutes 
widerfahren wird,“ var willigte ein, mit ihm zu gehen. Darüber wurde 
Hein froh und fprad: „Du ſollſt dich hüten, gegen Högni vorzugehn, und 
ebenjo, mid vor Högni zu erlegen, denn es fteht in feines Menſchen Macht, 
Högnin zu erjchlagen, bevor ich tobt bin, da er Zauber in den Augen hat 
(eegishjälm { augum) und Niemand fchont. Darum iſt das einzige Mittel, 
daß ich. ihn von vorn befämpfe und du ihm von hinten bie Todeswunde gibft, 
denn leicht ift dir's, mich zu tödten, wenn ih auch am längften von uns Allen 
lebe.” Sie giengen hierauf zum Kampfe und var fah, daß Alles fich fo ver- 
hielt, wie Hebin ihm gejagt hatte. Er trat Hinter Högnin, hieb ihn ins Haupt 
und fpaltete ihn bis in die Schultern herab. Da fiel Högni tobt nieder und 
Rand feitbem nie wieder auf. Hernach erfchlug Ivar alle die Männer, die im 
Kampfe waren, und zulett Hedin, und es war ihm eine leichte Sade. Dann 
gieng er zu den Schiffen zuriid und da mar es taghell. Der König, dem er 
Alles erzählte, war zufrieden mit feiner That und fagte, er habe viel Glüd 
gehabt. Beim Tage giengen fie nun ans Sand und dahin, wo der Kampf 
flattgefunden hatte, fahen aber feine Spur von dem, was vorgegangen war; 
das Blut jedoch jah man an Ivars Schwerte zum Wahrzeichen, und niemals 
mehr verfäwanden die Wachtmänner. Der König fuhr nad Diefem heim in 
fein Reich. 

Auch Saro bat die Sage von Hildur gefannt. Bei ihm follte fie, 
ſoweit es thunlich war, mehr eine hiftorifche Haltung annehmen. Er 
bat fie (B. V, ©. 132 bis 135) unter feinen britten Frotho eingereibt. 
Hithin ift ihm ein norwegiſcher Fylfelönig (rex aliquante Norvagien- 
sium gentis), der fih mit 150 Schiffen der Flotte Frothos anſchließt. 
Nachher hat er ein Liebesverftändnis mit Hilda, der Tochter des jüt: 
länvifchen Königs Hogin (Hogini Jutorum reguli), einer ſehr geprie- 
jenen Jungfrau. Beide waren, auf das bloße Gerücht, für einander 
entbrannt. Als fie fih aber das erftemal zu fehen befamen, Tonnte 
Keine den Blid vom Andern abwenden. Hithin und Hogin zogen 
zufammen auf Bilingsfabhrt; dieſer mufte noch nicht, daß jener feine 
Tochter liebe. Hithin mar viel Heiner als Hogin, aber ſehr jchön. 
Bald aber verlobte ihm Hogin feine Tochter, und fie ſchwuren fich, 


2893 


Einer des Andern Tod zu rächen. Sie eroberten zufammen für Fre 
tho bie-orlabifchen Inſeln (Hithino quoque et Hogino Orcadum tro- 
phea cessere). In der Folge wurde Hithin bei Hogin angeſchwaͤrzt, 
daß er mit befien Tochter vor der Verlobung verbotenen Umgang ge 
habt habe, quod tunc immane cunctis gentibus facinus habebatur. 
Hogin glaubte der falfchen Anklage und griff mit der Flotte feinen 
Eidam an, wurde aber von ihm gefchlagen. Frotho, deſſen Friede durd 
diefen Streit gebrochen war!, ſuchte die Beiden auszuföhnen; als 
aber Hogin beharrlih feine Tochter zurüdverlangte, orbnete er einen 
Zweikampf, als da2 einzige Mittel der Entſcheidung, an. In bielem 
wurde Hithin ſchwer verwundet; Hogin aber, der ihn hätte töbten 
tönnen, hatte Mitleid mit feiner Jugend und Schönheit. Sieben Jahre 
nachher erhoben fie bei der Inſel Hithinsd 2 wieder einen Kampf und 
fielen von den Wunden, die fie ſich gegenfeitig beibrachten. Hilda fol, 
aus Sehnſucht nach ihrem Gemahl, bei Nacht die Beifter der Erſchla⸗ 
genen zu erneutem Kampfe durch Zauberliever erwedt haben. 

Ferunt, Hildam tantu mariti cupiditate flagrasse, ut noctu inter- 
fectorum manes, redintegrandi belli gratia, carminibus excitasse credatur. 

In dieſem Lebten iſt allerbings ver weſentliche Beſtandtheil ter 
Sage erhalten, obgleich die Angabe, daß Hilda aus Liebe zu Hithin 
die Todten zum Kampf erweckt babe, auf offenbarem Misverftändnis 
beruht, fowie auch der Grund bes Zwiſtes, daß Hogin die Verführung 
feiner Tochter, nachdem fie bereis mit feinem Willen an Hithin ver 
mäblt war, an diefem habe rächen wollen, nicht einleuchten Tann. 

Bon der mährchenhaften Auffaflung in der isländiſchen Saga und 
der verſuchten biftorifchen bei Saro finden wir und auf bie mythiſche 
der Stalda, als die echtere, zurückgewieſen. 

Die Wurzel hild in der Bebeutung von Kampf, Schlacht (pugne) 

183.7, ©. 134: Itaque statam a Frothone pacem internum labefacta- 
verat bellum. ®gl. Helg. Qv. H. B. I. Str. 18. Edd. Sem. S. 151: 
eleit Fr6da frid fjanda & milli,. Edd. Havn. 8. I, ©. 62. 29 bemerkt zu 
biefer Stelle: Pax frothoniana pleonasmo poetico pro pace hic ponitar. 
Ein ähnlicher Ausdruck mochte Saron veranlaffen, die Sage von Hilda unter 
jeinen Frotho III einzureihen. Frute auch im deutſchen Gudrunliede. 

3 Hiddinsee iſt der Heutige Name einer im baltifchen Meere, bei Rügen, 
gelegenen Infel; Hedinsei kommt auch im erſten Lied von Helgi Hundingsb. 
vor. Edd. Havn. II, 67, 45. 877. 





283 


ift der altnordiſchen Sprade mit der angelfächfifchen und ber alt 
hochdeutſchen gemein. Doch findet fie ſich meift nur in Bufammen- 
feßungen, befonder3 der Eigennamen. Wo das Wort fiir fich ftebt, 
nordiſch Hildr, angelfächftfeh Hilde, bezeichnet es ben weiblich perſoni⸗ 
ficierten Kampf, die Bellona des germaniſchen Nordens; und dieſer 
Begriff Tiegt dann wieder den vielen weiblichen Namen mit der Enbung 
auf bild, bilt zu Grunde (Grimm, d. Gramm. II, 461 f. 499. Lex. 
isl. I, 359): Brynhiſdr loricata Bellona; Geirhildr, Vikars Mutter, 
hastata B.; Grimhildr larvata B. Auf folde Perfonification gründen 
fich die poetiſchen Ausbrüde der Eddalieder: Hildurs Spiel für Kampf, 
Hildur wecken für den Kampf erheben. Hildur erfcheint aber, ihrem 
Weſen gemäß, auch ala eine von den Ballyrien ber Götterwelt, deren 
Namen, wie ſchon erwähnt worden, fi) meift auf Kampf oder Kampf: 
lärm beziehen. In der Völufpa (Edd. Sem. 45. Str. 24) reitet fie 
in der Schaar diefer Dienerinnen Odins fampfverfündend daher und 
im Grimnismal (ebend. 45°. Str. 36) reicht fie mit den andern das 
Trinfhorn den Einherien. Den Balfyrien der Götterwelt aber ent: 
Iprechen irdiſche, die, gleichfalls in Odins Dienfte, Kampf erregen und 
bes Kampfes walten, ober dieſe letztern find eben die der Götterwelt, 
nur in menſchlicher Verwandlung, wie aud Odin felbft zur Erbe herab- 
ſteigt. So ift die Valkyrie Hildur, als Tochter Högnis und Gemahlin 
. Hebins, die Stifterin des Streiteö zwiſchen biefen Beiden, gerade wie 
in. der Sage von Harald Hylvetand Odin felbft ald Bruni zwiſchen 
den Blutöverwandten zwiſterregende Trugbotichaft trägt 1. Selbft die 
Tobten noch erwedt Hildur zu immer erneuter Schlacht. Aber wie 
meift das Dämonifche, ift diefer Kampf ein nächtlicher und bei Tage 
werben Streiter und Waffen zu Stein; denn fo wird es nad) Andeu—⸗ 
tung der isländifchen Saga und Saxos richtiger gefaßt werden, wenn 
gleich die Stalda den Streit bei Tage dauern und die Verfteinerung 
bei Nacht eintreten läßt. Auch jonft werden im nordiſchen Volksglau⸗ 
ben Zwerge und andre unbeimlihe Weſen, wenn fie fih vom Stral 
der Sonne überraſchen lafjen, in Steine verwandelt. Irgend eine 

1 Anch Göndul, wie die Streitfiifterin in der isländiichen Saga heißt, iſt 
ein Vallyrienname. Bgl. Sagnhift. 68. 

2 Alvismsl Sir. 36. Finn Magımien, Edda 2, 36. Helg. Qv. Hat. 
Sk. Str. 29. 30. Völs. Qv. h. forn. Str. 38, 





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auffallende UOrtlichleit, ein Feld mit feltfam umbergeftreuten Stein: 
maſſen, mochte der Phantafte das Bild einer folchen verfteinerten Wabl: 
ftätte barbieten. 

Finn Magnufen ſucht der Sage von Hildur, wie überall, eine phy- 
fiiche Bebeutung zu unterlegen. 

Lex. myth. &. 158: Mihi eluceseit, totam hanc fabulam physico- 
allegoriess (uti plerasqve alias eddicas) esse originis, qrum de diei cum 
noete, vel lueis cum tenebris qvotidianu certamine revera sermo sit. Tune 
astra cozlestia (Einherorum modo) statis qvotidie horis dimicant, evanes- 
cunt vel disparent et iterum denuo resuscitari videntur etc. qv& singula 
enodare mira relationis hic exhibite et sine dubio depravatee cunfusio 
vetat, qvum prius de heroum nocturno sed mox postea de diurno certamine 
serio logvatur. 

Durch etymologiſche Deutung der Namen ſucht zwar Finn Magnu- 
jen diefe Anficht näber zu begründen; es wird fich aber nicht leicht Fe 
mand überzeugt finden, der nicht in das ganze Syſtem der phufifchen 
Müythenauslegung dieſes Schriftjtellers eingeht. Hildur, die Hauptper: 
fon der Sage, gehört, nach obiger Ausführung, allzu deutlih dem 
Kampfleben ber odiniſchen Glaubenslehre an, als daß uns bier bie 
phyſiſche Erklärung Platz greifen könnte. Näher fcheint mir ed Müller 
(Sagnbhift. 58) zu treffen, der in jenem fortwährenden Kampfe ein Bilb 
der unverföhnlichften Feindfchaft erkennt. Nur glaube ich, daß diefes 


nicht auf den befondern Fall ber Feindſchaft zwiſchen den Königen Högni 


und Hedin zu beſchränken iſt, ſondern daß die Sage in allgemeinerer 
Bedeutung ein Bild des nimmer raſtenden, irdiſchen Kampfes gibt, 
der, durch Odins Dienerin Hildur immer neu angefacht, fortdauert bis 
Ragnarök, mo der Hjadningen Streit im großen, allverzehrenden Welt: 
kampfe aufgeht. 

Die fpäter hinzugelommene Erzählung, wie bei Dlaf Tryggbafons 
Ankunft auf Haey, noch vor dem Ende der Welt, der gefpenftifche 
Kampf geftillt wird, hat für unfre Auffaffung gleichfalls ihren guten 
Sinn: der Botſchaft des Chriftenthums, der Lehre des Friedens und 
ber Verſöhnung, meicht ber odiniſche Kampffturm . Wenn aber Ivar 
auch nur mit dem Schwerte die kämpfenden Geſpenſter zur Ruhe bringt, 


1 Odin Hat dieß ung auferlegt (Odinn befir Betta lagit a oss), läßt die 
Saga S. 406 den nachtwandelnden Hebin fprechen. 


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fo ift dieß ganz in ber Weiſe feines Königs und Meifterd, der auch 
mit gewaltiamen Mitteln ver Religion bed Friedens die Bahn brad). 

Auf deuticher Seite entipricht der Sage von Hilbur ein Theil des 
Heldengebichtes Gudrun. [Schriften I, 451 f. 8.] 


2. Bölnndr. 


Völunder-gvida, Edd. Sem. 133 fi. Vilkina Saga C. 19 bis 30 (edit. 
Peringskiold. Holm. 1715. Fol. S. 37 bis 77). Sagabibl. II, 154 ff. Lex. 
‚ myth. ©. 578 bis 88, Art.: Völundr. [Veland le forgeron. Dissertatien 
sur une tradition du moyen äge, avec les textes islandais, anglo -saxons, 
anglais, allemands et frangais-romans qui la concernent. Par G. B. 
Depping et Francisque Michel. Paris, Didot, 1833.] [Simrod3 Edda, 
1864, ©. 141. 8.] 


Der Inhalt des Eddaliedes von Völund und ber proſaiſchen Eins 
leitung besjelben ift folgender: 

Br. Grimm, Lieder d. alt. Edda, Überf. S. 3 ff. *** 

(Zu ©, 7.: „Lachend bob er ſich auf in die Luft u. ſ. w.“ Hier 
ift aus ber Bilfinenfage Cap. 30 zu erläutern, daß Völundr durd 
feinen Bruder Egill, der ein trefflicher Bogenſchütze war, fich große 
und Leine Federn von Vögeln allerlei Art verfchafft und daraus eine 
Flieghaut verfertigt hatte, in der ex wie ein Geier ausfah.) 

Völundr, angelfähfiih Veland, ſchwediſch und däniſch Velent, 
engliſch Wayland, deutſch Wieland, iſt der Dädalus der nördlichen 
Völker. Seine Sage hat auch unverkennbare Ähnlichkeit mit der von 
Düdalus, welcher gleichfalls mittelft Fünftlicher Flügel der Gefangen 
ſchaft entflieht. Wie der Name des Dädalus im griechiichen Alterthum 
zur Bezeichnung der fünftlichften Arbeiten gebraucht murbe, fo hieß jenen 
Böllern jedes kunſtreiche Waffenftüd oder Prunkgeräthe Wielands Werk, 
Noch jekt wird in Island ein ausgezeichneter Schmied Völundr ges 
nannt (Lex. myth. ©. 587. Lex. isl. ©. 464; Völundr, m. Deedalus, 
en Zufindlonftner). 

Schon die angegebenen Formen bed Namens in verſchiedenen 
Spracden deuten darauf, wie verbreitet berielbe war. Nicht bloß im 
ſtandinaviſchen Norden, aud bei den Angelſachſen, den fpätern Eng: 
ländern und Schottländern, in Deutichland und Norbfranfreich war er 


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mohlbelannt. Wir werben daher dieſem fagenhaften Schmiede noch 
mehrfach auf dem Gange durch die Sagengeſchichte begegnen und fein 
Gedächtnis da und bort örtlich angelnüpft finden. Was den Norden 
betrifft, fo heftet die Volksſage dasſelbe noch jekt an verichiedene 
Stellen in Schweden und Sütland, wie fpäter bei den Ortsfagen 
gezeigt werden fol. Im Eddaliede wird Nidub, bei dem Bölundr 
feſtgehalten iſt, als Herr der Niaren (Niära-drottin, wie man glaubt, 
im beutigen Nerife in Schweden) bezeichnet. Die Profaeinleitung nennt 
Volundrn und feine Brüder Söhne des Finnenfönigs; das Lieb felbft 
befagt nichts hievon und es ift darum nicht unwahrfcheinlich, daß bie 
innen an die Stelle der Alfe getreten find, zu deren Genoflenfchaft 
Völundr im Liede felbft gezählt wird. Er heißt: Älfe liödi (Alforum 
popularis), visi Älfa (dux, rex Alforum). Diefe mythiſche Verwandt 
ſchaft aber erflärt fich leicht, da wir aus ber Götterfage wiſſen, daß 
die Schwarzalfe Tunftreihe Schmiebe find, von denen alle Götterfler- 
node herrühren. Schwieriger ift e8, den mythiſchen Grund ber Ber 
bindung des alfifchen Bölundr und feiner Brüder mit den drei Bally: 
rien überzeugend anzugeben. Da jedoch Odin insbefondre auch als 
der Geber treffliher Waffen erfcheint, wie das Hynbluljod Str. 2 von 
ihm jagt: 

Hermodurn gab er 

Helm und Bränne, 

Sigmundum aber 

Ein Schwert zu nehmen; 
und mie er auch Starkadrn bei ber Schiejalsbeftimmung die beften 
Waffen zutbeilt, jo Tann es nicht auffallen, jene Dienerinnen, die 
Balfyrien, mit den Waffenjchmieden in Verkehr treten zu ſehen. Diele 
nehmen überhaupt in ber Helbenfage eine bebeutende Stelle ein und 
wir haben gehört, wie Starfabr fie rühmt, unerachtet er von ihren 
Hämmern übel zugerichtet worben iſt. Wo die Waffen fo vieles galten 
und ihnen fo wunderbare Eigenfchaften beigelegt wurden, muſte auch 
der Waffenſchmied eim angejehenes Glied der Gejellfhaft fein. Bon 
Völundr beißt es ausdrücklich im Liebe, daß er felbft das Schwert, 
das ihm Nidud nahm, künſtlich geihärft und gehärtet babe, und 
auch fonft nennt ihn die Sage als den Meifter ber vorzüglichkten 
Waffen. 


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Außer dem, was die Bilfinenfaga ausführlich erzählt, find auf 
deutfcher Seite nur einzelne fürzere Meldungen von Wieland vorhan⸗ 
den; doch laſſen dieſe nicht zweifelhaft, daß einft mehr von ibm geſagt 
und gefungen wurbe. Am meiften wird er als Vater bes Helden 
Wittich genannt, der in ben beutfchen Gedichten eine bebeutenbe 
Rolle fpielt. 


3. Die Völfunge. 


Die beroifchen Lieder der Edda, mit Ausnahme des Bölundslieds, 19 nad) 
der Eintheilung der rasliichen Ausgabe. Völsüngs Saga, Fornald. S. 1, 118 ff. 
Fort. 8.1,107 ff. Über]. durch v. d. Hagen. Breslau 1815. Nordiſche Helden- 
romane, Ates Bochen. Sagabibl. II, 36 fi. 


1. Sigurbs Ahnen. 


Sigi war ein Sohn Odins. Er töbtete einen fremden Knecht, im 
Zorne darüber, daß diefer es ihm in ber Thierjagd zuvorgethan. 
Darım hieß man ihn Wolf im Frieden (varg I v&um?) und er mochte 
nun nicht länger im Lande bleiben. Sein Vater Odin geleitete ihn 
eine weite Strede, bis er ihn zu Heerichiffen gebracht hatte. Sigi zog 
nun auf Kriegsfahrten mit der Mannſchaft, die ihm fein Vater beim 
Abfchied gegeben hatte. Er war fiegreih im Kampfe und gewann ſich 
endli Land und Reid. Er jchloß eine anjehnliche Heirath und wurde 
ein mächtiger König über Hunaland (ftatt deſſen beißt in ben profais 
ſchen Bwilchenfägen der Eddalieder das Reich der Bölfunge Frakland, 
Franken, Grimms Heldenfage S. 34). Im feinem Alter wurde er von 
den Brüdern feiner Yrau überfallen und erjchlagen; aber fein Sohn 
Rerir nahm blutige Rache. Rerirs Ehe war lange finverlos; er und 
feine Gemahlin baten die Götter um einen Erben. Da ſandte Odin 
einen befruchtenden Apfel; ſechs Winter hindurch gieng die Königin mit 
einem Sohne, der zulegt von ihr gefchnitten und Völſungr genannt 
wurde. Völſungr folgte feinem Bater im Reiche über Hunaland und 


ı Völs. S. & i fe Hyndl. Li. Str. 2. 235. [Schriften ©. I, 
S. 141f 8) . 

2 Lex. isl. II, 4116: vargr { veum, qui effusione innocui sanguinis 
pacem vel fidem asylorum violat. Vergr, m. lupus. Ebd. 4155: ve, n. pl. 
jura asyli, sanctitas juridica. 


war fieghaft in allen Schladiten. Er hatte zehn Söhne und eine 
Tochter. Der ältefte Sohn hieß Sigmunbr, die Tochter, Sigmunds 
Zwillingsichweiter, Signy. König Völfung ließ eine ftattlihe Halle 
bauen; mitten darin ſtand ein großer Apfelbaum, deſſen Bineige über 
das Dach hinausragten unb dasſelbe beichatteten, während der Stamm! 
in der Halle wurzelte. 

Als nun Signy, gegen ihre Neigung, mit Siggeir, König von 
Gotland, vermählt wurde und die Gäfte Abends an den Feuern um: 
berjaßen, trat ein Mann in die Halle, ver von Ausſehen Allen unbe 
fannt war. Er war groß, alt und einäugig, gieng baarfuß, Batte 
einen niedrigen Hut auf dem Haupt, einen gefledten Mantel über ſich 
und Leinhofen um die Beine gebunden. In der Hand trug er ein 
Schwert, das er entblößte und bis an das Heft in den Baumftamm 
ftieß. Alle fcheuten fich, ihn zu begrüßen; er aber ſprach: „Wer diefes 
Schwert aus dem Stamme zieht, der foll es von mir zur Gabe haben; 
er wird felbft erproben, baß er nie ein beſſer Schwert in der Hand 
trug.” Hierauf gieng ber alte Mann aus ber Halle und Niemand 
wufte, wer er war ober wohin er gegangen. Die Männer flanden 
nun auf und beeiferten fi, das Schwert herauszuziehen; aber feinem 
rüdte das Eifen von der Stelle. Zulekt trat Sigmundr, Völſungs 
Sohn, hinzu und zog das Schwert auß dem Stamme, als wär’ es 
[08 vor ihm gelegen. Siggeir, fein Schwager, wollte e3 ihm dreifach 
mit Gold aufwägen. Sigmundr aber fagte: „Du Tonnteft es nicht 
minder nehmen, denn ich, wenn es dir zu tragen ziemte.” Daraus 
erwuchſen Zwietracht und Verrath unter den Verwandten; König Böl 
fung fiel in blutiger Schlacht gegen feinen Eidam Siggeir, feine Söhne 
murben umgebracht und einzig Sigmundr mit Hülfe feiner Schwefter 
Siany gerettet. Mit biefer felbft erzeugte er, ohne fie zu Tennen, einen 
Sohn Sinfjötli; nur ein Abfömmling des Völſungenſtanimes von 
Vater⸗- und Mutterfeite war dem Werk der Rache getvachfen. Bevor 
e3 aber dazu kam, hatten Sigmundr und Sinfjötli mancherlei Drangfal 


1 & wurde Branditod (Branstokk) genannt; Rafn glaubt, deshalb, weil 
nm ihn das Feuer aufgemacht wurde; eine andre Lesart ift: Barnstokk, Kinder 
ftamm; Brandr, m. bat doppelte Bedeutung: torris, Brand, und ensis, 
Schwert, Klinge, Schwertflamm aber wärbe zu ver nachfolgenden Erzählung 
gut pafien. 


zu beſtehen. Sie Tiefen lange, zu Wölfen verzaubert, im Walde 
umber, fie wurden in einen-Hügel eingemauert und mitten zwifchen 
ihnen war ein großer Feldftein eingejebt, fo daß fie einander nur 
hören könnten. Aber Signy hatte ein Schwert mit hinabgeworfen; 
die Spite desfelben ſtieß Sinfiötli über dem Felſen hindurch und Sig- 
mundr 309 fie an fih; fo durchſägten fie ben Felfen- zwiſchen ihnen, 
wie gefungen wirb: 

Sie fägten mit Macht 

Den mächtigen Fels, 

Sigmundr mit dem Schwerte 

Und Sinfiätli. 

As fie befreit waren, legten fie Feuer an Siggeird Halle und 
webrten ihm den Ausgang. Signy, bie ihnen bisher geholfen und felbit 
ihre Kinder non Siggeir ihnen geopfert hatte, folgte nicht ihrem Ruf, aus 
der Halle zu geben, ſondern ließ fich freudig mit ihrem Gemahl verbrennen. 

Diefe grauenhaften Geidhichten, melde die Saga ausführli er⸗ 
zäblt, habe ich bier nur kurz berührt; fie berubten, wie ber angeführte 
Vers zeigt, auf nun verlosenen Liedern und ftehen nun in ber nadten . 
Proſa roher da, als fie urfprünglich befchaffen fein mochten. Über 
Sigmundr hebe ich jedoch noch Dasjenige aus, was fein Verhältnis zu 
Odin ergänzt. 

Als Sigmundr ſchon alt war, bielt er eine Schlacht mit König 
Lingoi; Träftig bieb er noch durch das Heer der Feinde, die Arme‘ 
blutig bis zur Achſel. Da trat ihm ein Mann entgegen, mit niebrem 
Hut und blauem Rod, einäugig, einen Speer auf ihn ſchwingend. 
Sigmundr hieb mächtig dagegen, fein Schwert traf auf den Speer 
und zeriprang in zwei Stüde. Sein Glüd war gewichen und er fiel 
mit dem meiſten ‘Theile feines Heeres. Hidrbis, feine Frau, gieng in 
der Nacht auf die Walftatt, fand ihn dort liegend und fragte, ob ex 
noch zu heilen jei.. Der Held wollte nicht gebeilt ſein; Dbin wolle, 
daß er fürder fein Schwert ziehe, feit dieſes bier gerbrochen ; die Schwert: 
ftüde follen für den Sohn bewahrt werden, ben Hjördis unter dem 
Herzen trage; er felbft werbe jet die Blutsfreunde feben, bie voran 
gegangen. 

Sigmundss berühmtefte Söhne (außer Sinfiötlin, der noch vor 
des Baters Tode umlam) find Helgi, mit Borghilbr, Sigurd, mit 

Uhpland, Schriften. VII. 19 





200 " 


* —. 


v4 





Hidrdis erzeugt. Mit diefen Beiden fpaltet fi) der Sagenflamm, der 
im Völfungenhaufe wurzelt, in zwei große Afte. 


2. Helgi. 

Helga-qvida Hatfnga-Skada. Helga-qvida Hundings-bana 1. II 
Völsünga-qvida hin forna. Sinfjötla-lok. Edd. Seem. 140 bis 171. (Simrods 
Edda, 1864, S. 148 fi. 8.] Völs. Saga C. 8 f. (v. d. Hagen €. 15 his 17). 
Saga af Hromundi Greipssyni, Fornaldar Sögur II, 363 ff. Fort. 8. II, 
291 fi. Sagabibl. II, 49 bis 53. 545 fi. Saro B. UI, S. 37 f. Sagnhift. 26. 
(Schriften I, 148. 8.] 


Helgi erfcheint in breimaligem Leben. Zuerſt als Sohn Hör 
vards, Königs in Norwegen, und Sigurlinns, der Tochter bes Königs 
von Spavaland. Stumm und namenlos figt der Jüngling am Hügel. 
Neun Valkyrien reiten daher und die herrlichfte darunter, Svava, des 
Königs Eylimi Tochter, ruft ihn mit dem Namen Helgi aus feinem 
dumpfen Schweigen auf. Zur Namenfefte entvedt fie ihm cin wuns 
derbares Schwert. Er vollführt damit manch Helbenwerf und rädt 
an Hrobmarn den Tob feines Muttervaters. Svava fehirmt ihn oft 
in Scladten. Helgi erfchlägt auch ben Joten Hati, den Räuber 
vieler Bräute, als er auf einem Felſen faß. Hrimgerbr, Hatis Tochter, 
wollte dafür in der Nacht Helgis Schiffe verderben. Aber leuchtend 
unterm Helme ritt Svava vor ihren Gefährtinnen ber, die Wollen 
roſſe jchüttelten fih, und aus ihren Mähnen tropfte Thau im bie 
Thäler und Hagel auf die hohen Bäume. So blieb die Flotte ge 
fhüßt. In der folgenden Nacht Fam Hrimgerbr wieder und verlangte 
Helgin fih zum Buhlen, zur Buße für Hatis Tod. Aber fie ward 
mit Rebe bingehalten, bis ber Tag aufleuchtete und fie zum Stein 
bild verwandelte. Sie ftand nun ein Habenzeichen (hafnar-mark) in 
Hatisbucht (Hata-firdi). (Hievon erflärt fih ber Beiname Helgis: 
Hatinga - skadi, Schade, Berberben der Hatinge, des Geſchlechts 
Hatis.) Helgi und Spava verlobten fih und liehten einander ſehr. 
Während aber Helgi auf Kriegsfahrten umberzog, war Hebin, fein 
Bruder von andrer Mutter, daheim in Norivegen. ALS diefer am Jul 
abend allein aus dem Walde heimgieng, begegnete ihm ein Zauber: 
mweib, das auf einem Wolfe ritt und Schlangen ftatt der Bügel hatte. 
Sie bot ihm ihre Begleitung an, er aber fagte nein dazu. Da fprad 


291 
fie: „Das follft bu entgelten bei Bragid Becher (at Bragar-fulli)”!, 
Denfelben Abend wurden Gelühbe getban. Die Männer legten ihre 
Hände auf den Sühneber und gelobten zum Becher Bragis. Hebin 
gelobte, Svava, Eylimis Tochter, die Geliebte feines Bruders, heim- 
zuführen. Darüber befiel ihn aber foldde Reue, daß er auf milden 
Wegen binauslief in die Sühlande, wo er auf feinen Bruber Helgi 
traf. Diefem erzählte ex, ſchuldbewuſt, mas gefchehen; Helgi aber 
teöftete ihn und verfieherte, die Zrinigelübde werben wahr werben, 
denn Helgi abnte feinen nahen Tod in dem ihm bevorftebenden Kampfe. 
Wirklih fiel er in der Schlacht mit Alfe, dem Rächer feines Vaters 
Hrobmar. Todeswund beſchied Helgi feine Braut auf die Walftatt 
und bat fie, nicht zu weinen, fondern feinem Bruder Hedin fich zu 
vermählen. Aber Spava hatte gelobt, nimmermehr einen andern zu 
umfangen, unb Hebin gieng hinweg, den ebeln Bruder zu rächen. 
Helgi und Spava follen wiebergeboren jein (Helgi ok Svava er 
sagt at veri endrborin). | 
Miedergeboren wird Helgi im Stamme der Völſunge, als ein 
Sohn Sigmundrs von Borghild. Nacht war’3 in der Burg bei feiner 
Geburt, die Normen famen, woben nnd befeitigten die goldnen Schickſals⸗ 
fäden unterm Mondesſaale; er follte der berühmteite der Könige werben. 
Eine Nacht alt, ftand er jchon in der Brünne und die Raben auf dem 
Baume riefen ſich freudig zu von fünftiger Beute. Wie ein Ulmbaum 
wuchs er auf unter den Freunden. Kurz ließ fein Vater ihn auf Kampf 
warten. Fünfzehn Jahre war er alt, als zwiſchen den Königen Sig: 
mund und Hunding Unfrieve ausbrach. Hunding jchidte Männer aus, 
um Helgin bei feinem Pflegvater Hagall aufzugreifen. Helgi fonnte 
ſich nicht anders retten, als daß er bie Kleiber einer Magd anzog und 
an die Hanbmühle trat. Sie ſuchten, aber fanden ihn nit. Da 
ſprach Blindr,; der Unbeilvolle (Blindr inn baul-visi): „Scharf find die 


1 Dättr of Ragnars son. Fornald. S. I, 345: at Bragar-fulli,. Solche 
Gelübde auf den Bragisbecher am Julabend kamen ung ſchon in der Hervörs- 
ſaga €. 4 vor, wo Hiörvard auch gelobte, ſich eine Königstochter zu erwerben, 
Der Süihneber war Freyrn geweiht und noch jett ftellen die fchwebiichen Bauern 
am erfien Weihnadhtabend einen aus Mehl gemachten Eher, der Julegalt ge 
nannt wird, auf den Tiſch. Edd. Havn. 8. II. Glosse. &, 793. Lex. myth. 
449. Herr. 8. 6. 14. 


292 


Augen von Hagalls Magd; nicht ift geringer Art, die an der Mühle 
fteht, die Steine brechen, die Mühle zeripringt; hart ift des Konigs⸗ 
ſohns Schickſal, der Gerfte mahlt. Beſſer ziemte diefer Hand Schwer 
tesgriff, als Mühlenwalze.” Dennoch entlam Helgi durch die Klugheit 
Hagalls. Er zog dann m bie Schlacht und erfchlug den König Hun⸗ 
ding, wovon er Helgi Hundingstöbter (Hundings-bani) genannt wurde. 
Auch Alf und Eyolf, Hundings racheſuchende Söhne, exlagen ibm. Nach 
der Schlacht jaß er unter dem Aolerfteine nieder. Da brach ein Licht 
hervor, daraus Blitze fuhren, bebelmte Valkyrien erichienen, blutbe 
ſprutzt, Flammen auf den Spießen. Vom Rofie ſprach Sigrun, Hög⸗ 
nis Tochter, die wiedergeborne Svava, dem Höbbrobb hab’ ihr Vater 
fie verheißen, dem müfle fie Helgi ablämpfen. Helgi fubr nun aus 
gegen Hödbrodd, ein Seefturm überfiel ihn und er bieß die Segel nur 
noch höher aufziehn, Blige ſchlugen in bie Schiffe; da kam Sigrun 
mit ihren Gefährtinnen durch die Züfte und das Unwetter legte fic. 
Sn der Schlacht, die darauf beginnt, ſchwebt fie ſchützend bernieder 
und wünſcht ihm Heil, als Hödbrodd gefallen. Aber in vberfelben 
Schlacht bleibt auch Sigruns Bater mit dem einen feiner Söhne. 

(Das Übrige nach der grimmiſchen Überfegung ©. 28 bis 32 ***.) 

Bon diefen Karalievern (käru-ljsdom) tft nichts auf uns gelom⸗ 
men. Aber aus der unter den Quellen angeführten Saga von Hro 
mund Greipfon C. 7 können wir, durch die Verwirrung und Entftel- 
lung hindurch, welche bier die alten Überlieferungen erfahren haben, 
ungefähr fo viel vom Inhalt der verlorenen Lieber erraten Vergl. 
Schriften I, 144. 154. K.]: 

Sn der neuen Wiebergeburt fchmebt die Valkyrie als Kara !, 
Halfdans Tochter, in Schwansgeftalt, ſchirmend über Helgin (Helgi 
hinn freekni), der in einer Schlacht, die auf dem Eife des Vänerſees 
gehalten wird, auf der Seite der Halbinge (al. Hadding, ©. 373) 
fiht. Sn der Hite des Kampfes ſchwingt Helgi das Schwert fo body, 
baß er Karan töbtlich trifft. Die Valkyrie ſinkt herab, Helgis Heil iſt 
gewichen und das Haupt wirb ihm gefpalten. ? 


ı Lars, al. Cara, ©. 372. 
2 [Die folgenden Abſchnitte wurden nad ber früheren Darftellung der 
deutſchen Heldenfage vorgetragen. Schriften I, 82 fi. 8] 





293 


$ Sigurd. 


Er ift der andre bedeutende Aft des Völfungenftammes, Sigmundrs 
Sohn von Hiördis. In Dänemark lebte ihr junger Sohn Sigurd, 
den fie nad Sigmunds Falle geboren. Die Sage von ihm holt aber 
weiter aus. [Bergl. Schriften I, 82. 8.] 


4. Atlis Gaſtmahl. 
[B. I, 8. 8] 


5. Spanhild und ihre Brüder. 
[B. I, 86. &.] 


6. Aslaug. 
[8. I, 87. 8) 


Die Sage von den Bölfungen ift diejenige, in welcher ſich die 
alte Sagengemeinfchaft der ffandinavifchen und deutfchen Völker auf 
norbifcher Seite im gröften Umfange darlegt. Was wir nun bier, 
im Gebiete der norbifchen Heldenfage, über dieſes gemeinfchaftliche 
Sagengut zu erörtern haben, bezieht fih auf zwei Fragpunkte, 

1) was die nordiſchen Quellen jelbft über die Heimath vieler Sage 
ausfprechen oder anbeuten, 

2) in welchem Zuſammenhang dieſelbe ihrer innern Bedeutung 
nach mit dem Ganzen der altnorbifchen Sagenpoefie ftebe. 

Sn erfterer Beziehung ergibt fich zuvörderſt, daß eine Sage von 
jo manigfadher PVerzweigung, von fo vielen genenlogifchen Ketten: 
gliedern nad gejonderten Hauptpartieen betrachtet werden müfje, mie 
wir foldhe ſchon in der Darftellung des Inhalts bemerflih gemacht 
baben. Die Vorgeſchichten von den Ahnen bes Bölfungengefchlechts, 
von Sigmund und feinem Sohne Sinfjötli, haben fih zwar nicht in 
deutfchem Helvenlied erhalten, wohl aber werben mir bei ven Angels 
jachfen ihre Spur! finden. Hier ift auh Sigmund nit Völſungs 
Sohn, fondern er beißt richtiger ſelbſt Wälfing, der Sohn Wälſes, 
denn die Enbungen auf -Ung, -ing, bezeichnen die Abftammung und 
an ber Spige der Bölfunge muß alſo ein Ahnherr Völſi geftanden fein 
(Grimm, Helden]. 16. Finn Magnufen, Edd. 1V, 325). Sigi, bes in ber 


1 [Bgl. J. Urimm in Haupts Zeitſchrift für deutfches Altertfum I, 2 
41. 8) 


294 


VBölfungenfage ald Sohn Odins obenan geftellt wird, jollte ohne Zweifel 
dazu dienen, ben berühmten Namen in dieſem Geichlechte, welche mit 
der Hauptfilbe Sig: beginnen (Sigmund ‚Signy, Sigurd), eine Wurzel 
zu geben. Sigis urjprüngliche Heimath, aus ber fein Vater Dbin 
ihn zu den Heerichiffen führt, ift nicht benannt; aber das Land, worin 
er feine Herrfhaft und feinen Stamm begründet, nennt die Saga 
Hunaland. Htemit ift jedenfalls ein nichtſtandinaviſches Land bezeichnet. 
In demfelben Reiche folgt in britter Generation Sigmund nad und 
von diefem fagt bie ältere Edda, in ber kurzen Proſaerzählung von 
Sinfjdtlis Ende: „Sigmund, Völſungs Sohn, war König in Frank 
Iand (& Fraklandi)“. Damit übereinftimmenb bejagt die, wenn gleich 
erft fpäter binzugelommene Vorrebe zur jüngern Edda: „Der dritte Sohn 
Odins ift genannt Siggi (al. Sigi), fein Sohn Berir (al. Rerir, 
Jerer) 1. Ihre Borbäter herrfchten_über das Land, das jet Frank 
Iand (Frakland) genannt wird, und von ba ift das Geſchlecht ges 
kommen, das man Völſunge nennt” ?. Die ältefte nordiſche Duelle 
alfo, die ſämundiſche Edda, gibt dem Bölfungenftamme fränkifche 
Abkunft. 

Im Norden erſt auf dieſen Stamm gepfropft erſcheinen die Sagen 
von Helgi. Sie ſtehen mit der Volſungenſage in keiner nothwendigen 
Verbindung und können leicht von ihr abgelöſt werden. Daß fie aber 
dem Urſprunge nach dem Norden eigenthümlih waren, kann darum 
nicht behauptet werden. Wir merden auch im beutichen Liebe Nach: 
Hänge davon aufweilen können. Die Ortlichkeiten find meift unbe 
flimmte, allgemein gehaltene; nur theilweife ift wirklich ſtandinaviſche 
Anknüpfung verfucht worden. Beſonders aber zeigt das breimalige 
Erſcheinen Helgis unter verfchievenen äußern Verhältniſſen, mährend 
fih doch der innere Beitand der Sage immer als derjelbe erfennen 
läßt und felbjt einzelne Namen und Nebenumftände von einer Ber: 
wandlung in die andre übergegangen find, daß dieſe Sage längft eine 
heimath⸗ und berrenlofe war, die darum leicht aud an andre ange 





1 Vols. 8. S. 116: Rerir (al. Reri, Berir, Beirir). Raſt äußert zur 
Eddavorrede (S. 14, 7) die Bermmthung, daß am ridhtigften Velsi ober Völsi 
gelejen werden möchte, und die vielerlei Lesarten deuten allerdings auf Gor- 
ruption. 

2 Sn. Edd. 14. 


ſcheben werben konnte!; und fo wurbe Helgi auch in einer feiner 
Erfcheinungen dem fagenberühmten Bölfungengefchlechte angereiht. Seine 
und feiner Valkyrie mehrmalige Wiederkehr hörten wir zwar ald Wieder⸗ 
geburt bezeichnen, aber dieß wird nicht in den Liedern felbft, fondern 
nur in der ihnen angehängten Profa gejagt und ift nur ein Verſuch, 
bie verfchiebenen und doch ſämmtlich in ber Überlieferung befeftigten 
Darftellungen der Sage zu erklären. Die Wiedergeburt ift nur eine 
poetifche derjelben Sage in mehrfacher äußerer Geftaltung. Eine eigent- 
liche Wiedergeburt, ein wieberholtes Erdenleben bingegangener Menſchen 
finden wir in feiner andern nosbifchen Sage; ein ganz Andres ift bie 
Erneuung der Welt und das Aufleben der Götter und Menſchen nad) 
dem Weltbrande (vgl. Mone I, 465). 

Im weitern Berlauf der Bölfungenfage wird zwar Sigurd nach 
Dänemark gezogen, wo ſeine Mutter ſich mit dem König Alf in zweiter 
Ehe vermählt und er nun ſeine Erziehung erhält. Aber doch wird er, 
von feiner Herkunft, ber ſüdliche (hinn sudreni,. Helden. ©. 5) 
genannt und bald drängt die Sage wieder ihrer Heimath zu. Sigurd 
zieht grüne Wege. hinaus fürlich nad Frankland (sudr til Fracland, 
Edd. Seem. 1915. 193) und an den Rhein zu König Gjuli, wo er 
auc feinen Tod findet. Fern außerhalb des Nordens ift dann auch 
ber Sit des Königs Ali gedacht, auch wenn man für biefen die Ber 
ziebung auf den Hunnenlönig Attila nicht als urfprünglich gelten Jäßt. 
Fürder wendet ſich die Sage in pas Gothenreich des Königs Jörmunrek 
Ermanarich), und menn fie zulegt mit Aslög ſich wieder im Norden 
anbeftet, fo gehörte dieß jo wenig zu ihrem echten Beftanbe, daß es 
vielmehr dem ausprüdlichen Zeugnis der Eddalieder widerfpricht, nad - 
welchen zwifchen Sigurd und Brynhild das Schwert lag. Wenn ihnen 
nun doch am Schlufle ver Bölfungafaga eine Tochter, Aslög, zuges 
ihrieben wird, fo geſchah dieß bloß um ein nordiſches Konigsgeſchlecht 
zu verherrlichen, indem man es an die Helbenfage anlnüpfte, wie nad 
ber bei ber Sage von Ragnar Lodbrok näher erhellen wird. 

Das hohe Alter der Eddalieder dieſes Kreifes, welche in der Ge 
ftalt, in welcher fie vor uns liegen, großentheild bem Sten Jahrhundert 
angehören, ‚aber fich wieder auf ältere Gefänge berufen, die man mit 


I Müllers Sagabiblioth. II, 49 bis 58, Grimm, Helvenf. 846. 





296 

Wahrſcheinlichkeit ins 6te Jahrhundert verfegen kann (Heldenf. ©. 4), 
fobann das mythiſche Gepräge dieſer altnordiſchen Darftelung konnte 
früher leicht auf die Anficht führen, daß biefer Sagenkreis, von welchem 
weber jo alte noch fo alterthümlich ausgeprägte veutfche Denkmäler 
übrig find, nicht von Deutichland aus, fondern eher aus einer ben 
germaniſchen Volksſtämmen gemeinfamen Sagenquelle dem Rorben zu 
gelommen jei. 

Die neuen Forſchungen, vorzüglich die von W. Grimm, in feinem 
Werk über die beutiche Heldenfage, führen gleichwohl davguf, daß bie 
Bölfungenfage ihrem Hauptbeftande nach eine fränkifche ſei, allmählich 
aber durch gothifche und burgunbifche, fowie durch einbeimifch norbifche 
Sagen erweitert. Hinweifungen, die für biefe Anficht aus den norbifchen 
Quellen felbft fi) ergeben 1, babe ich im Bisherigen ausgehoben; bie 
weitere Ausfuhrung aber muß auf die Betrachtung ber deutlichen Helben- 
ſage ausgeſetzt werben. 

Ein zweiter Fragepunkt iſt uns nun der, in welchen Zuſammen⸗ 
bang bie dem Norden nicht urſprünglich angehörige Völſungenſage 
dennoch ihrer innern Bedentung nach mit dem Ganzen ber nordiſchen 
Sagenpoefie getreten ſei. 

Das Beſtreben, dieſe Sage dem Norden örtlich und genealogiſch 
anzueignen, bat ſich uns ſchon im Obigen herausgeftellt. Erheblicher 
aber iſt die innere Aneignung, vermöge welcher dieſer ganze Sagenkreis 
auf den odiniſchen Glauben begründet, von ihm durchdrungen und um⸗ 
ſponnen wurde. Selbſt in keiner eigentbüümlich nordiſchen Sagenreihe 
ift Odin jo vom Anfang bis zum Ende thätig, wie in dieſer. Er iſt 
felbft der Stammovater der Bölfungn. Dem göttlichen Urſprung ver 
dankt ohne Zweifel dieſes Geflecht die Unverlegbarkeit durch Gift und 
das fcharfe leuchtende Auge, das durch jeve Verwandlung binburd- 
fcheint, vor bem ber Mörder Sigurbs zurüchkſchrickt und ſelbſt die Roſſe 
ſcheuen, die Svanhild zertreten jollen. Odin geleitet feinen Sohn Sigi 
in die Welt Hinaus und verhilft ihm zu Heerfchiffen; Rerin fenbet er 
den befruchtenden Apfel; in ven BVaumſtamm in Völfungs Halle ftößt 
er das herrliche Schwert, das nur Sigmund berauszuziehen vermag; 
dieſes Schwert wird bie Urſache bes blutigen Zwiſtes unter den Bluts 


1 BgL noch Eagabibl. II, 120, 





291 


verwandten, tie wir folden auch fonf von biefem Kampfgotte erregt 
fanden. Immer wieber erfcheint Odin in feiner bedannten irdiſchen 
Berbüllung als einäugiger, langbärtiger Greis mit berabhängendem 
Hut und umgeſchlagenem Mantel. So tritt er auch dem alten Sig. 
mund in ber lehten Schladyt entgegen ımb ſchwingt auf ihn den Speer, 
an dem das trefflihe Schwert, einft feine Gabe, zeripringt. Er halt 
ben alten Helden aus dem Schlachtgewühle zu fich, wie in anbrer Sage 
ben greifen Harald Hyldetand. Auch in ben dem Völfungenftamme 
angefügten Helgisſagen maltet Odin, theils burch feine Dienerinnen, 
die Valkyrien, die bier in leuchtender Erſcheinung auftreten, theils 
unmittelbar, indem er Dagın, ber ihm für Baterrache opfert, feinen 
Speer zur Rache an Helgi leibt. Dagr erwibert feiner Schwefter, bie 
ihn deshalb verwünſcht: „Dbin allein ift Schuld an allem Unheil, er 
warf Zwiſt unter Verwandte.” Aus den Sälen Odins ehrt Helgi 
Rachts zurüd in den Grabbügel; aber wenn ber Hahn das Siegerboll, 
die Einberjen, weckt, weitet er zurüd über die Regenbogenbrüde Bifröft. 
Wieder erſcheint Odin an ber Spike von Sigurds Geſchichten. Mit 
ben Alien, Hänir und Loli, venfelben, mit denen er bie erſten Menichen 
geihaffen (wenn Lodr mit Loki gleichbeveutend genommen wird), wandelt 
er durch die Welt und auf diefem Gange werben die Geſchicke langer 
Geſchlechtsreihen beftimmt. Dbin legt bei ber Sühne für Ditur zu dem 
übrigen Golde den Ring, auf dem der Fluch haftet, daB er ven Ber 
filern des Schatzes Verderben bringt 1. Odin hilft dann dem jungen 
Sigurd das Roſs Grani wählen, bad von Sleipnir ſtammt. Aus deu 
Stüden des Schwertes, das Odin einft in den Baum ftieß, wird Si, 
gurds treffliches Schwert Gramr gefchmiebei, womit er feinen Bater 
raͤcht und den Lindwurm erfhlägt. Auf Sigurds Fahrt zur Vaterrache 
ht fh Odin in das Schiff aufnehmen, ſtillt das Ungewitter und 
gibt ihn Kampflehren, namentlich von ber feilfürmigen Schlachtordnung, 


1 Die Buße fir geiöbtete Menſchen uud Thiere durch Beſchüttung derſelben, 
zwar nicht mit Gold, aben mit rothem Weizen, kommt auch fonft in ben beut- 
ſchen und norbiichen Rechtsalterthiimern vor, 3. B. nach im Wendhager VBauern- 
recht in Schaumburg (a. 1731): „Den getöbteten Hund foll man bei bem 
Schwanz aufhangen, daß ihm die Nafe auf die Erde ftehet und fol mit rothem 
Weizen begoffen werden, bis er bebedt ift, das foll fein Beſſerung fein.” Grimm, 
Rechtsalterth. 668. [Schriften I, 218. 8.] 





208 

die auch Harald Huldetand von ihm erlernt. Als Sigurb auf ber 
Heide den Lindwurm erwartet, Tommt wieder Odin und räth ihm, 
mehrere Gruben zu machen, damit das Blut ablaufen könne !. Din 
bat die Valkyrie Brynhild, weil fie einem Andern, als feinem Günft- 
linge,-den Sieg verlieh, in ben Zauberfchlaf gejentt und beftimmt, daß 
der ihren Schlaf breche, den nichts erſchrecken könne. Diefer ift Sigurh, 
ben fie Weisheit lehrt und zwiſchen Ruhm und Vergeſſenheit wählen 
heißt. Sigurbs frühzeitiger Tod wird in langer Reihe blutiger Thaten 
durch den völligen "Untergang bes Gjukungengeſchlechtes gerächt, und 
als die leten biefes Stammes, Hambir und Sörli, nicht mit Waffen 
zu verlegen find, fommt nochmals ber einäugige Greis und räth, fie 
mit Steinwürfen zu tödten. 

Inwiefern auch bie beutfche Darftellung ber Sage, bauptfächlich 
im Nibelungenlieve, noch bie einflige Begründung im Ddinsglauben 
durchblicken laſſe, wird erft bort zu erörtern fein. Aber fo viel ergibt 
fih aus den angeführten Zügen, daß die Völſungenſage, wenn auch 
von Deutfchland eingewandert, doch mit der gejammten mythifchen unb 
ethifchen Anficht des Nordens, wie biefe ſich fonft in ver ſtandinaviſchen 
Götter: und Helbenfage ausbrüdt, in volle Übereinftimmung ge 
treten iſt. 

Die frühe und feſte Embürgerung der Bölfungenfage im Norben 
erweift ſich auch in der großen Anzahl bichterischer Ausdrücke, Die von 
ben älteften Skalden an ihr entnommten find. Die jüngere Edda gibt 
einen gedrängten Umriß der Sage, um zu erllären, warum bas Gold 
Otterbuße (otrgjöld), der Aſen Löſegeld, Granis Bürbe u. dgl. ge 
nannt wird. In den Bruchſtücken bes alten Bjarkamal fanden wir 
gleihfalls mehrere daher’ ftammende Bezeichnungen bes Goldes: Ya 
nirs Lager, Rheinerz u. |. wm. So hießen auch die Steine Hamdirs 
und Sörlis Berverben, der Panzer Hamdirs Hemd u. |. m. (Sagabibl. 
II, 376 bis 78). 

Den bisher bargeftellten deutichsnorbifchen Sagen veiben wir num 
noch zwei weitere an, welche zwar im Norden felbft erwachſen, aber 
mit der Völfungenfage nahe verbunden und zu ven weitern Aneignungen 
derjelben zu rechnen find. 


1 Bol. Saro B. II, ©. 25. B. VI, S. 153, 1. 





2% 


4. Ragnar Lodbrok. 


Saga af Ragnari onúngi Lodbrök 6k sonum hans, Fornald. 8. I, 
234 fi. Fort. 8.1, 219 ff. (v. d. Hagen, nord. Helbenromane, 5btes Bändchen). 
Kräkumsl , hinter obiger Saga an beiden Orten; and befonders von Rafn 
herausgegeben unter dem Titel: Kräkumäl u. f. w. efter en gammel hidtil 
ubenyttet Skindbog og flere Haandskrifter med dansk, latinsk og fransk 
Overseettelse, Varianter og tilhörende Undersögelser samt kritiske og phi- 
lologiske Anmerrkinger udgivet af C. C. Rafn. Kopenhagen 1826. pattr 
af Ragnars sonum, Fornald. 8. I, 343 ff. Fort. 8.1, 317 fi. Völs. Saga 
6. 43. Saxo 8. IX, ©. 259 bis 274. Sagabibl. II, 464 ff. 94 bis 97. Sagnhift. 
150 bis 167. Geijer I, 452 bis 502. 


Herrubr, ein mächtiger Jarl in Gotland, hatte eine Tochter mit 
Namen Thora, zugenannt Borgarbjörtr (Burghirſch, Hirſch in der Burg), 
weil fie alle Frauen fo ſehr an Echönheit übertraf, als der Hirich 
andre Waldthiere. Der Jarl liebte diefe Tochter ſehr, er Lieb ihr in 
ver Nähe der Königshalle ein Frauengemach bauen und mit einer Ber: 
zäunung umbegen. Jeden Tag ſchickte er ihr etwas zum Ergetzen und 
jo ließ er ihr Einmal auch eine Feine Schlange (yngorm) von beſondrer 
Schönheit bringen. Thora fand daran Gefallen, fette dieſelbe in ihre 
Lade und legte ihr Gold unter. Bald aber wuchs der Lindwurm ſehr, 
zuſammt bem Golde unter ihm; er hatte nicht mehr Raum in der Lade 
und lag nun im Ring um diefelbe her; endlich hatte er auch in ber 
Stube nicht mehr Raum und immer mehrte ſich zugleich das Gold; da 
legte ex fih außen um die Frauenftube, fo daß Kopf und Schweif zus 
‚ Iammenreichten. Niemand wagte jeßt mehr, dahin zu fommen, al3 der 
Mann, der ihm Futter brachte, wozu jedesmal ein Ochſe nöthig mar. 
Dem Jarl fchien das ein großer Übelftand und er gelobte (beim Bragis- 
becher, nad) Pättr af Ragn. son. ©. 345), feine Tochter dem Manne, 
wer er auch wäre, zu geben, ber den Wurm erlegte; das Gold unter 
biefem follte die Mitgift fein. Diefe Nachricht gieng weit umher, aber 
Niemand wagte fi) an den großen Wurm. Damals herrjchte über 
Dänemark Sigurd Hring, berühmt durch den Sieg in ber Bravalla- 
ſchlacht. Sein Sohn Ragnar, in früher Jugend ſchon ein großer 
Krieggmann, hörte von dem Gelübde des Jarls. Er ließ fich einen 
Munderlihen Anzug maden, Hoſen und Mantel von zottigem Felle 





300 


(bat eru lodbrekar! og lodkäpa), in Pech gelotten und bann ge 
bärtet. Im Sommer fteuerte er nad) Gotland und legte in einer heim- 
lichen Bucht an, nicht weit vom Site des Jarls. Fruhmorgens gieng 
er in der erwähnten Kleivung, mit ber er fich noch im Sande wälzte, 
und einen großen Spieß in der Hand, allein von den Schiffen. Bom 
Speereifen hatte ex zuvor die Nägel ausgezogen. Als er bei ber Burg 
des Jarls ankam, lag noch Alles im tiefen Schlafe. Er gieng ſogleich 
auf den Lindwurm los, ſtach nad ihm mit dem Speere und zog biefen 
wieder an ih. Zum ziweitenmal ſtach er ten Lindwurm in den Rüden; 
berfelbe Trümmte fih fo gewaltig, daß das Speereifen vom Scafte 
Iosgieng und das ganze Frauengemach von feinem Todesfampf erzitterte. 
Ragnar wandte fi zum Weitergehn ; da traf ihn ein Blutftrabl zwischen 
die Schultern, aber feine Kleidung befehügte ihn vor Schaden. Die 
Frauen ervachten von dem Lärm und famen heraus. Thora ſah da 
einen großen Mann hinweg gehn und fragte um feinen Namen. Rag- 
nar antwortete mit einer Liebesftrophe, worin er ſich freute, nur fünf 
zehn Winter alt, ven Erdfiſch, ven Haidelachs, getroffen zu baben. 
Er gieng nun fort, indem er das Eifen in der Bunde ließ, den Schaft 
aber mit fih nahm. Thora mwufte nicht, ob biefer hochgewachſene 
Süngling von Menfchenftamm fei oder nicht. Der Jarl lieb hierauf 
nad Thoras Rath eine Volksverſammlung berufen und zugleich ver 
fündigen, daß derjenige, welcher behauptete, dem Wurme die Todes: 
munde gegeben zu haben, feinen Schaft mit fi) bringen ſolle. Auch 
Ragnar und jeine Kriegsleute famen von den Schiffen zu biefer zahl- 
reichen Verfammlung, lagerten fih aber etwas abſeits von den Andern. 
Da erhob fih der Jarl, gebot Stille und forberte den, der den Schaft 
zum Speereifen hätte, das in der Wunde geblieben war, auf, ſolchen 
vorzuweiſen und ben berbeißenen Lohn zu empfangen. Das Speer: 
eifen wurde nun in ber Berfammlung umbergetragen, aber Niemand 
hatte den rechten Schaft dazu. Enplih fam man auch zu Ragnarn 
und bei ihm pafste Eifen auf Schaft. Man fah nun, daß ex ben 
Lindwurm erlegt, und von biefer That wurde er berühmt über ben 
ganzen Norden. Er warb hierauf um Thora und der Jarl nahm 


v 


1 [Fornald. 8. I, 288. 8.} Lod n. villositas, hirauties; lodinn hirtas, 
villosus. Broök £. femorale, breekur f. pl. bracce. 


301 


fein Begehren wohl auf. Mit einem großen Gaftmahl wurde die Hochzeit 
gefeiert 9. 

Bon Thora hatte Ragnar zwei Söhne, Erik und Agnar; da fiel 
fie in Krankheit und ftarb. Ragnarn gieng ihr Tod fo zu Herzen, daß 
er nicht in feinem Reiche bleiben wollte, fondern wieder auf Kriegs: 
fahrten auszog. 

Eine Sommers ſteuerte er mit feinen Schiffen nach Norivegen, 
um dort Freunde zu befuden. Am Abend legten fie in einem Heinen 
Haven an, in ber Nähe eines Hofeß, der Spangarheidi hieß. Den 
Morgen darauf giengen die Speisknechte (matsveinar) nach dem Fleinen 
Hofe, um Brot zu baden. Sie baten die alte Hausmutter, bie ſich 
Grima nannte, ihnen behülflich zu fein. Sie entgegnete, ihre Hände 
feieh zu ſteif dazu, aber ihre Tochter Kraka (kräka Krähe) werde bald 
nach Haufe fommen. Kraka war am Morgen draußen, um Schafe 
zu hüten, und als fie fah, daß viele große Schiffe angefahren, wuſch 
fie fih, obgleich das alte Weib ibr das verboten hatte, um zu vers 
hindern, daß man ihre Schönheit nicht wahrnehme, denn fie war das 
fhönfte aller Weiber und ihr Haar fo lang, daß es bis auf die Erbe 
herabfiel, glänzend wie die fchönfte Seide. Als die Knechte Feuer auf 
gemacht hatten, kam Kraka beim. Sie erftaunten über der Schönheit 
des Mäbchens und wollten nicht glauben, daß es die Tochter ver hä. 
lichen Alten fei. Kraka Inetete nun den Teig und die Knechte fiengen 
an, das Brot zu baden; aber ihre Augen waren immer auf Kraka ge 
richtet, fo daß fie darüber das Brot verbrannten. Nach vollbrachten 
Gefchäfte kehrten fie zu den Schiffen zurüd, geftanden aber, daß fie 
niemals fo fchlecht gebaden und dafür Strafe verdienen. Der König 
fragte um die Urſache und fie fpracdhen nun von Krakas unübertreff: 
liher Schönheit. Ragnar bemerkte, fie ſei doch gewiſs nicht jo ſchön, 
als Thora, geweſen. Jene verficherten, daß fie Thoran nichts nachgebe. 
Der König beichlog nun, nach Kraka zu fenden, und wenn biefelbe 
nicht fo ſchön gefunden werde, wie die Knechte behaupten, follen fie 


1 Zur Erklärung des Beinamens jagt Saro B. IX, ©. 262: Cujus cul- 
tum rex [Herothus] curiosius contemplatus, quum hirtum atque hispidum 
animadvertisset, precipue tamen occidu& vestis horrorem, maximeque 
incomptam braccarum speciem eludens, Lodbrogh eum per ludibrium 
sagnominavit. 


302 ⸗ 


geftzaft werben. Ben Boten gab er auf, wenn ihnen Krafa wirklich 
fo ſchön erfcheine, fie mitzubringen, aber fie ſoll weder befleibet noch 
unbelleidet, weder geipeiit noch ungefpetit fein, weder allein kommen 
noch einen Menſchen bei fich haben !. Die Abgejandten zogen num nad 
dem Hofe, fanden die Ausfage der Knechte wahrhaft und richteten ihre 
Botfchaft aus. Kraka veriprah, am folgenden Tage zu kommen. Sie 
gieng dann auch wirklich zu den Schiffen und zwar fo, wie der König 
verlangt hatte. Statt der Kleiver hatte fie ein Fiſchernetz um fid 
gewidelt und über dieſes ließ fie ihre langen, goldglänzenden Haare 
fallen, ftatt der Speife hatte fie an einem Lauch gefchmedt und keinen 
Menſchen ließ fie fich folgen, aber Grimas Hund. Der König fand 
großes Gefallen an ihr und bat fie, mit ihm zu ziehen. Sie wollte 
nur dann einwilligen, wenn er hei ber Zurüdfunft von feiner Fahrt 
noch desfelben Sinnes wäre. Er bot ihr Thoras goldgenähtes Gewand, 
fie weigerte fih aber, e3 anzunehmen: 

Sie nennen mid nur Krala 

Und in kohlſchwarzen Kleidern 

Treib’ ih auf fleingem Boden 

Die Geißen längft der See bin. 

Ragnar holte fie auf der Rüdfahrt ab. Bon dem Bauer und 
feinem Weibe nahm fie unfreundlicden Abſchied, da fie mufte, daß 
jene ihren Pflegvater Hetmir umgebracht hatten. Nach der Ankunft in 
Ragnars Reiche wurbe bei einem feftlichen Gaftmahl Willlomm und 
Hochzeit zugleich getrunfen. 

Der erite Sohn dieſer Ehe erhielt, ala man ihn mit Waſſer begof, 
den Namen Ivar. Er war beinlog; wo Knochen fein follten, waren 
nur Knorpel. Doch ragte er an Wuchs über alle feines Alters, er 
mar der Iehönfte von Ausjehen und von ungemeinem Berftanbe. 

Ihm folgten drei Brüder: Björn, Hpitjerf und Rögnvald. Wohn 
die Sünglinge giengen, ließ ber beinlofe Ivar, ber nicht geben Tonnte, 
fih auf Stangen tragen; ihn wollten fie in allem ihrem Bornehmen . 
zum Rathgeber haben. Er rieth ihnen, ihren Vater um Schiffe und 
Kriegsmannſchaft zu bitten. Ihrem Wunſch wurde entfprochen, fie 
fuhren aus und hatten überall Sieg. Da rieth Ivar, zu befrer Prüfung 


1 Bl. Geijer ©. 454 u. 


303 


ihrer Tapferkeit dahin zu ziehen, wo fie die Übermacht gegen ſich 
hätten. Sie zogen nun gegen Hoitabär (in Schleswig), eine große, 
ſtarkbevolkerte Opferftätte. Spar ließ ſich auf einem Schilde in bie 
Schlacht tragen und ſchoß getwaltig mit dem Bogen. Rögnvald, ber 
bei ven Schiffen bleiben follte, gönnte feinen Brüdern den Kampfruhm 
nicht allein, zog ihnen nad, fiel aber im Streite. Jene eroberten den 
feften Ort und machten reiche Beute. 

Ragnar felbft Tieß fih auf einem Befuche bei dem ſchwediſchen 
König Eyftein zu Upfala bereben, daß ihm deſſen ſchöne Tochter, die 
ihm am eriten Abend geſchenkt (d. b. Tredenzt) hatte, beſſer anftände, 
als die Tochter des Bauern. Er verlobte ſich mit jener, aber die Ber: 
mählung follte verfchoben werden. Allen feinen Begleitern verbot er, 
bei der Zurückkunft nad Dänemark, bei Tobeöftrafe, von dem Ver: 
Iobnis zu Sprechen. Als ihn aber Krafa fragte, mas er Neues bringe, 
und er nichts Solches zu wiſſen vorgab, fagte fie ihm die Neuigfeit 
von feiner Verlobung. „Wer hat dir das erzählt?“ ſprach Ragnar. 
„Behalten follen deine Mannen Leib und Glieder, fuhr fie fort, denn 
feiner von ihnen bat mir das gefagt; aber bu mirft gefehen haben, 
daß damals drei Vögel auf dem Baume neben dir faßen; dieſe fagten 
mir die Nachricht. Aber das bitte ich, daß du nicht ausreiſeſt, dieſe 
Heirath zu vollziehen, denn ich will dir nun erzählen, daß ich eines 
Königs, nicht eines armen Bauerd Tochter bin; mein Vater war ein 
fo berühmter Mann, daß nicht feinesgleichen gefunden warb, meine 
Mutter aber die ſchönſte und weiſeſte der Frauen, deren Name in 
dauerndem Gedächtnis Ieben wird, jo lange die Welt ſteht.“ Sie ers 
öffnete ihm nun, daß fie eine Tochter von Sigurd dem Fafnirstöbter 
und Brynhild, Bublis Tochter, ſei. Ragnar fand unmwahricheinlich, 
daß die Tochter diefer beiden Kraka beißen und in folder Armuth, wie 
dort auf Spangarheibi, aufgewachſen fein follte. 

„Davon zeugt die Saga (saga er til pess)“, erwiberte fie und 
erzählte nun Alles, wie Sigurd und Brynhilb auf dem Gebirg zu: 
fammengetroffen, wie ihr rechter Name Aslög ſei und wie fie zu dem 
Bauer gelommen. Sie fette hinzu: „Das Kind, das ich unterm Herzen 
trage, wirb ein Knabe fein und an ihm wird man bas Beichen finden, 
daß es ſcheint, als ob eine Schlange um fein Auge liege; geht die 
in Erfüllung, fo bitte ich dich, nicht nach Schweden zu zieben, um 





304 


dich mit König Eyfteins Tochter zu vermählen; fchlägt es aber fehl, 
fo zeuch, wohin bu willſt! Ich wünſche, daß diefer Knabe nad) meinem 
Vater genannt werde, wenn, wie ich hoffe, dieſes Ehrenmal in feinem 
Auge gefunden wird.” Bald hernach wurbe ber neugeborne Sohn in 
die Halle getragen und in Ragnars Mantelihoß (ok lagdr 1 skikkju- 
skaut Ragnars) gelegt. Als der König dad Kind betrachtete, fragte 
man ihn, wie es heißen follte. Da fang er: 

Sigurd fol man ihn heißen, 

So wird er Schlachten kämpfen u. |. w. 

Bon Odins Stamm ber erfle 

Sol diefer Sohn genannt fein; 

Den Wurm bat er un Auge, 

Den jener Sigurd aufrieb. 

Darauf zog er einen Golbring von der Hand, gab ihn bem Knaben 
zur Namenfefte und fang dann Weiter: 

Mau fieht an keinem Knaben, 
AS einzig nur an Sigurd, 

Im Augenfteine mitten 

Die Schlang’ in Ringen liegen; 
Drum foll vom Augenwurme 
Der Sohn das Beiwort haben. 

(Sigurd hieß davon: Schlang im Auge, ormr { auge.) Nagnar 
aber Stand von der Fahrt nah Schweben ab. 

Anders erzählt Saxo (B. IX, ©. 263 f.) den Anlaß des Bei 
namens. Syvard, ein Sohn Regner Lodbrogs (wie es jcheint von 
Thora, ©. 262) hatte in ver Schlacht eine große Wunde erhalten und 
die Ärzte verzweifelten an feiner Heilung. Da trat ein alter Mann 
von erftaunlicher Größe an das Lager des Kranken und verjpradh, ihn 
fogleih zu heilen, wenn er die Seelen Derjenigen, die von feinen 
Maffen fallen würden, feinem Retter weihen wolle (si sibi illorum, 
quos armis oppressurus foret, animas dedicasset), Auch verſchwieg 
der Mann feinen Namen nit und fagte, er werde Roftar geheißen - 
(Rostarum 1 se diei subjunxit), Syvard milligte ein. Der Greis 

1 Auch 8. II, ©. 62 nennt fih Odin Rosterum. Lex. isl: Rosta, £. 
tumultus. Lex. myth. S. 309: Nomen Röstarr sive Rostar pugnacem 


sive beiligerum significat, ab eddico-poötico vocabulo rosta (pugna) deri- 
vandum. Rosta insuper (et originitus quidem) signißcavit procellam, 


305 


betaftete nun die Wunde und machte fie alsbald vernarben. Zuletzt warf 
er Staub in Syvards Augfterne, wovon plößlich Flecken entftanden, 
welche die gröfte Ähnlichkeit mit Würmern hatten. Eine alte Frau, 
welche das Getränt beforgte, fiel bei dieſem fchredlichen Anblid leblos 
nieder. Syvard erhielt davon den Beinamen Schlangenauge. 
Postremo pupillas ejus pulvere perfundens [senex] abiit. Qui maculis 
repente coortis eximiam vermiculorum similitudinem obetupescentibus oculis 
ingeneravit. Crediderim, hujus mirsculi auctorem futuram juvenis sevi- 
tiam evidentiori lumiaum testimonio prodere voluisse, ne perspicacior 
corporis pars sequentis vile presagio vacua maneret. Quem anus, qu& 
potionibus ejus prwerat, vermiculatas ore notas pre&ferre conspiciens, in- 
usitato juvenis horrore permota subito lapsu decidens, lingui animo cogpit. 
Quo evenit, ut Syvardo serpentini oculi vulgatum late cognomen accederet. 


Der Schwebenlönig Eyftein, befien Tochter Regnar verfchmähte, 
wurde nun fein Feind. Regnars Söhne erfter Ehe, Erif und Agnar, 
zogen mit Heerichild nach Schweden, wurden aber überwältigt. Agnar 
fiel im Kampfe, Erik wurde gefangen. Eyſtein bot ihm Frieden und 
feine Tochter an, aber Erif wollte feine Buße für feinen Bruder nehmen 
und bat nur für feine Begleiter um Frieden und für fi um eine be 
jondre Tobesart. 

Er ließ Spieße in die Erde fteden und ſich auf die Spiben ber " 
jelben legen. So endete er, nachdem er zubor gefungen: 


Nie ftarb, fo weit ich denke, 

Der Sprößling eines Königs 

Auf gleich Toftbarem Bette 

Zum Frühmahl für die Raben u. ſ. m. 


Weiſt du, wenn aus dem Haupte 
Sie mir die Augen baden, 

So lohnen fie mir übel, 

Wie ich fie fonft gefüttert. 


1 &8 fcheint dies eine eminente Weife zu fein, fi) wit Speeresfpike zu 
zeichnen; oder Tiegt ber Nachdruck darin, daß Erik (Eirikr) über alle andre 
Befallene erhaben fterben wollte? Hierauf deutet Bättr ©. 348 f.: Hefi hann 
svYä upp yfir allan valinn u. f. w. Mun ek efstr ä val deyja u. ſ. w. 
Ok d6 hann sv& uppi yfir valnum. Doch auch: upp & spjöte oddu- 
aum u. |. w. | 


Uhland, Schriften. VII. - 90 


306 


Seinen Mannen batte ex einen Ring von feiner Hand zugeimorfen, 
den fie feiner Stiefmutter Aslög bringen jollten. Diefe war allein 
daheim, als die Boten anfamen. Sie zögerten drei Tage, vor fie zu 
treten. Als fie endlich vor ihren Hochſitz kamen, hatte fie ein Leintuch 
auf den Knieen und bie Haare gelöft, um fie zu fchlichten. Die Männer 
brachten ihre Botfchaft vor und einer fang bas Lied, das Erik gefungen 
batte, als er ihr den Ring: jandte. Da ſahen fie, daß fie Thränen 
fallen ließ, aber dieſe waren wie Blut anzufehen und hart, wie Hagel 
Üdrner; daB war das erfte und lettemal, daß man fie weinen fab. 
Als Hierauf ihre eignen Söhne, var und feine Brüber, heimgekommen 
waren, trat fie zu ihnen in bie Halle. Sie erzählten ihr den Fall ihres 
Sohnes Rögnvald, aber gefaßt ſprach fie: 

Rögnvald im Männerbiute 
Hat Schildesrand geröthet. 
Furchtlos fuhr er zu Odin, 
Der erſte meiner Söhne. 

Run erzählte fie ihnen den Tod der Stiefbrüber unb forderte fie 
zur Race auf. Spar aber äußerte Scheue, nicht vor den Menfchen, 
fonbern vor dem Zauber 1, der dem König Eyſtein zur Hülfe fei. Ber 
geblich ertwieverte Aslög, wenn ihre Söhne gefallen wären, würben 
Erik und Agnar nicht ein Halbjahr mit der Rache gewartet haben. 
Schon wollte fie ohne Hoffnung weggehen, als ber dreijährige Sigurd, 
der mit ihr gelommen mar, zu fingen anbob, baß über drei Nächte die 
Fahrt zur Rache ausgerüftet fein folle. Da änderten die Brüder ihren 
Sinn und ließen ihre Schiffe ind Meer, wenn fie glei aus dem Eife 
gehauen werden mujten. Aslög jelbit 308 unter dem Namen Ranbalin 
(die Schilbtragende, vgl. Geijer 457, 4) an der Spike des Heeres, dad 
ben Landweg nahm. König Eyftein fiel in der Schlacht. 

Spar und feine Brüder, denen nun auch Sigurd Schlangrim-Auge 
fih anfchloß, richteten fortan ihre Kriegsfahrten nach dem Süden. Sie 
famen bi3 zur Burg Luna (in Etrurien) und beichloffen, nicht abzu: 
lafien, bis fie die berühmte Romaburg (til Romabörgar) erreicht hätten. 
Sie wuften aber nicht, wie weit ver Weg dahin noch war. Da kam 
ein alter, graubaariger Mann zu ihnen, der auf ihr Befragen fagte, 

1 Eine zauberhafte Kuh, Sibilja, deren Gebrüll fein Heer aushalten konnte, 
dergleichen auch früher zu Hviteby. 


307 


er fei ein Bettler (stafkarl) und habe fein ganzes Leben bie Länder 
durchwandert. Bon biefem verlangten fie, daß er ihnen fage, wie meit 
noch der Weg von bier nad) Romaborg jei. Der Wandrer antivortete: 
„Ich kann euch etwas zum Zeichen jagen; ihr Tünnt bier dieſe Eiſen⸗ 
fehube anfehen ?, die ich an ven Füßen babe; fie find jet alt und bie 
andern, die ich auf dem Rüden trage, find durchgelaufen; als ich aber 
von Romaborg mengieng, band ich dieſe burchgelaufenen, die ich jekt 
auf dem Rüden babe, an meine Füße, und auf dem Wege von bort 
bin ich ſeither geweſen.“ Da fanden bie Brüder, daß fie die Fahrt 
nad) Rom (til Röme at fara) aufgeben müflen, und fuhren mit ihrem 
Heere zurüd. 

Als Ragnar von den Thaten Jeiner Söhne hörte, wollte er auch 
nicht ruhig fiken, ſondern beſchloß, einen Angriff auf England zu 
machen. Er ließ dazu, gegen Aslögs Rath, nur zwei, aber ungewöhn⸗ 
lich große Schiffe bemannen, damit man jagen fönne, er habe England 
mit zwei Schiffen erobert; follte ihm aber der Sieg nicht zufallen, fo 
fer es für feinen Ruhm beffer, je weniger Schiffe er mitgebracht. As⸗ 
lög begleitete ihn zu den Schiffen, und ehe fie fich trennten, reichte fie 
ihm, zur Bergeltung für das Gewand, bad er ihr einft gegeben, ein 
Dberfleid und fang dazu: 

Dir gönn’ ich diefes tiefe 

Gewand, das nicht genäht ift; 

Es ift mit Heilesmilnfchen 

Gewirkt aus feinen Fäden. - 
Nicht wird dich Schneide beißen, 
Nicht wird dir Wunde bluten 

In diefem heilgen Hemde; 

Den Göttern ward's geweihet. 

Ragnar fteuerte nun nach England, aber feine beiden Schiffe 
wurden vom Sturme gegen das Land geworfen und zerjchmettert. Doc 
kam das Heer unbeichädigt an ben Strand. Ragnar ſchritt in die 
Schlacht gegen den engliſchen König Ella, in der Hand den Speer, 
mit dem er ven Lindwurm vor Thoras Saal erftochen, ftatt der Brünne 
dag Kleid von Aslög, fonft feine Schirmmaffe, als den Helm auf dem 
Haupte. Dennoch ſchadete ihm weder Pfeilſchuß noch Schwerthieb. 


1 Lex. isl. sköemidr, calcearius, Stomager. 


308 


Niemand bielt vor ihm Stand; dennoch fiel fein ganzes Heer vor ber 
Übermadt der Feinde, er felbft wurde zwiſchen Schilde eingefchloffen 
und gefangen. Auf die Frage, mer er fei, antwortete er nicht. Da 
fagte König Ella: „Diefer Mann muß auf härtere Probe geſetzt werben, 
wenn er nnd nicht jagen will, wer er if. Man fol ihn in einen 
Schlangenhof (ormgard) werfen und da eine Zeit lang figen laſſen. 
Sagt ex aber feinen Namen und können wir und überzeugen, daß er 
Ragnar fei, fo foll er auf's bexeitefte aufgenomnien werden.” Man 
führte nun Ragnarn dahin, aber er ſaß lange unb Feine Schlange 
bängte fih an ihn. Da hieß e8: „Das ift ein tüdtiger Mann, Waffen 
hafteten heute nicht auf ihm und nun können ihm bie Schlangen nicht 
ſchaden.“ Als König Ella Dieſes hörte, befahl er, ihm das Oberkleid 
abzuziehen. So gefchah es und nun hängten fi) ihm die Schlangen 
auf allen Seiten an. Da fang Ragnar: 

Ein und fünfzig Schlachten 

Schlug ich, vielderiihmte; 

Manchem Manne fligt’ ich 

Leids auf meinen Fahrten. 

Nimmer dacht' ih, Würme 

Bürben zum Tod mir werben. 

Bieles aber ergebet, 

Das man am mindfien glaubte. 


Grungen 1 würden die Ferkel (Friſchlinge), 
Wuüſten fie Noth des Ebers. 
Mich bewältigt der Schlangen 
Biß, die mich umziſchen, 
Nagen mit ihrem Stachel, 
Haben mich ansgefogen. 
Bleich Tieg’ ich bei Würmen, 
Bald wird enden mein Leben. 
So verſchied er. König Ella mwufte nun, daß es Ragnar ivar, 
und fanbte nun Boten aus, um befien Söhnen die Nachricht von ihres 


i Grydja mundu grisir, 
ef galtar hag vissi. 
Al. Grina mundi grisir, 
ef galta böl vissu a. |. w. 


309 

Vaters Tobe zu bringen und auszukundſchaften, wie fie ſolche aufs 
nehmen würden und was er von ihnen zu befahren hätte. Als bie 
Boten zur dänifchen Königsburg kamen und in bie Trinkhalle traten, 
lag Spar auf dem Hodfike, Sigurd Schlangim-Auge und Hvitſerk der 
raſche (hrati) ſaßen beim Brettipiel (at hneftafli) und Björn Eifenfeite 
(jarnstda) fchiftete einen Speerichaft auf dem Boden ber Halle. Die 
Abgejandien kamen vor Spar und fagten, daß fie engliſche Männer 
feien, welche König Ela gefhidt, um ihnen ben Tob ihres Vaters 
Ragnar zu verfünden. Sigurd und Hvitſerk lieben nun bas Breit 
fallen und gaben genau auf die Erzählung Adt. Biörn ftanb auf 
dem Boden ber Halle und ſtützte ſich auf feinen Speeridaft 1. Sekt 
fragte Ivar genauer nad) den Umſtänden bes Todes und die Boten 
erzählten nun Alles, wie es zugegangen, von ber Zeit an, da Ragnar 
nad England kam, bis da er fein Leben ließ. Als aber bie Erzählung 
daranf Tamm, wie er geingt: „rungen werben bie Ferkel,” griff Björn 
mit feiner Hand fo feſt um ben Speerſchaft, daß fih die Spur ein, 
brüdte, wo die Hand gefaßt hatte, und als fie ihren Bericht fchlöffen, 
Ihwang er den Speer fo beftig?, daß biefer in zwei Stüde fprang; 
Hvitſerk hielt einen Brettftein, den er geichlagen, in der Hand und 
drückte ihn fo feft, daß ihm das Blut aus allen Nägeln fprang; Sigurb 
Schlang-im-Auge fchabte fi den Nagel mit einem Meſſer und horchte 
fo geipannt auf, daß er nicht auf ſich achtete, bis ihm das Mefler im 
Beine ftand. Ivar aber fragte auf das Genauefte nach Allem, und 
fein Geſicht wurbe bald roth, bald bleih, feine Haut ſchwoll ganz auf 
von dem Grimm in feiner Bruft. Hoitfer? äußerte zuerft, die Rache 
könne nun fogleih beginnen an König Ellas Boten. var fagte, das 
fol nicht geichehen, fie jollen im Frieden fahren und, wenn fie etwas 
bedürfen, werd’ er es ihnen verichaffen. Die Boten fuhren nun zurück 
und König Ella meinte, als er ihre Meldung angehört, vor Spar habe 
er fich zu fürchten ober vor einem. Der Erfolg bewährte dieß. Gegen 
feinen Rath beeilten, fi bie Brüder, den Vater an Ella zu rächen, 
wurden aber von Diefem gefchlagen. Spar ſelbſt ließ fi unterwürfig 
an und erbat fi von Ella fo viel Land, als er mit ciner Ochſenhaut 

1Saro B. IX, ©. 273: Syvardus vero, eodem nuntio accepto n. ſ. m. 


hastile, quod forte in manu habebat, altius pedi stupefactus immersit. 
2 Yüzdiste Oväber 300. Saro ©. 19. 


+‘ 





310 


umfpannen Zönnte, die ex bann in dünne Riemen ſchnitt und auf ber 
damit umgogenen Stelle bie Stadt London (Landänaborg; im pätir 
©. 858 Jörvill, York) erbaute. Nachdem er fih ba feftgefeht und Ellas 
Anhänger von ihm abmwenbig gemacht, ließ er dieß feine Brüber wifien, 
welche nun mit einem großen Heere kamen, Ellan befiegten und ge 
fangen nahmen. Nah Ivars Rath wurde ihm ber Abler gefchnitten. 
Ivar berrichte nun in England; er befahl auf feinem Zobtenbette, baf 
man ihn da beftatten folle, wo fein Reich feindlichen Überfall am 
meiften auögefeht ſei, denn er hoffte, baß dann bie Landenden nicht 
fiegen würden. | 

Hvitſerk kam auf einer Kriegdfahrt im Dften in. Gefangenjchaft 
und wählte fih ven Tob, daß er auf einem Haufen bon Köpfen er 
Schlagener Männer verbrannt werden follte. Aslög befang feinen Tob. 
Sonſt ift von ihre nur noch gefagt, daß fie eine alte rau wurde. Bon 
Sigurd Schlangim-Auge aber ftammte ein großes Geſchlecht. Seine 
Tochter hieß Aslög, die Mutter von Sigurd Hidetr. Diefer war Vater 
der Ragnhild, der Mutter Harald Härfagre, des erften Königs über 
ganz Rorwegen. 

Diele Sage. ift Durch den zu ihr gehörenden Tobesgefang Ragnars 
eine der berühmteften geworben und muß daher in dieſer Verbinbung 
ausführlicher erörtert werden. 

Die Saga legt dem fterbenden Ragnar im Schlangenhofe nur zwei 
Siedesſtrophen bei, in deren exfterer er feiner 51 Schlachten kurz en 
wähnt. Saxo dagegen (B. IX, ©. 272) gedenkt einer umfafjendern 
Aufzählung aller feiner Thaten, die auch mit der Stelle von den Friſch⸗ 
lingen ſchloß: 

Cujus adeso jecinore, cum cor ipsum funesti carnificis loco coluber 
obsideret, omnem operum suorum cursum animosa voce recensuit, au- 


periori rerum contextui hane adjiciens clausulam, si sucule verris suppli- _ 


einm scirent, haud dubio, irruptis haris, affliotum absolvere propererent. 
Quo dicto Hella adhuc nonnullos filiorum ejus vivere interpretatus, qui- 
escere carnifices amoverique viperas jubet. Cumque satellites peragende 


jussionis gratis accurrissent, Regnerus imperium regis funere suo pre - 


cesserat. 


Wir haben nun auch noch einen altnorbifchen Tobesgefang unter 
dem Ramen Kralumal (Krafas Rede), „das auch Einige Lodbrokslied 


311 


nennen (er sumir kalla Lodbr6kerkvidu),” in 29 Strophen, welcher 
mebrfältig herausgegeben und in viele Sprachen überſetzt! ift. N 
Sn dieſem Liebe führt der ſterbende Ragnar die ganze Reihe feiner 
Helvdenthaten vorüber. Sämmtliche Strophen, mit Ausnahme der legten, 
beginnen refrainartig: 
Wir bieben mit dem Schwerte. ? 
Der Kampf mit dem Lindwurm ift auch hier das erfte Heldenwerk: 


1. ir bieben mit dem Schwerte. 
Es war nicht allzu lange, 
Daß wir nad Botland giengen, 
Zum Mord des Erubenfundgen; 
Dort ward zur Braut mir Thora. 
Da ich den Aal der Haide 
Durchbohrt, warb ich geheißen 
Lodbrok fortan von Kämpen. 
Ich flach den ſtarken Erdwurm 
Mit lichter Stahleszunge. 


2. Wir hieben mit dem Schwerte. 
Jung war ich, da wir gaben 
Oſtlich im Oreſunde (i Eyrasundi) 
Ein Mahl dem giergen Wolfe. 
Dort, wo die harten Eifen 
Auf hohe Helme fangen, 

Da ward gelbfüßgen Vögeln 
Der Azung viel bereitet. 

Ägir war angefchwollen, 
Ran water’ im Walbinte u. f. w. 


4. Wir bieben mit dem Schwerte. 
Erfreut warb Hedins Gattin, 
Da wir Helfinger fandten 
Hein nach den Sälen Herjans u. |. w. 


Im ähnlichen Bildern der Skalbenſprache, aber ohne charakteriftiſche 
Züge, werben die mweitern Kämpfe befungen. Dann gegen den Schluß: 


1 [BgL Möbins, Catalogus librorum islandicorum ©, 133 f. K.] 
2 Hjuggu ver med hjörvi. 


312 


24. Wir hieben mit dem Schwerte. 
Das hat ih mir erwielen, 
Daß wiz dem Schichſal folgen; 
Niemand entweicht der Norne. 
Wohl dacht' ich nicht, daß Ella 
Des Alters Biel mir fee, 
Da ih Blutfalken (Raben) äzte, 
"Den Borb zum Strande treibend. 
Wohl gaben wir den Wölfen 
Ihr Theil in Scotlands Buchten. 


25. Wir hieben mit dem Schwerte. 

- Das ſchafft mir immer Freude, 
Daß Baldurs Baterd Bänte 
Bereit ich weiß zum Trinkmahl. 
Bald werden Bier wir trinten 
Aus krummen Schäbelbäumen 1. 
Nicht fchmerzt der Tob den Helden 
In Fiölnirs bebrem Haufe; 

Nicht tret’ ich mit dem Worte 
Der Angſt zu Biprirs? Tiſche. 


26. Wir hieben mit dem Schwerte. 
Jetzt würden Aslögs Söhne 
Hier alle mit den ſcharfen 
Schwertklingen Hiſdur wecken, 
Wenn fie nur Kunde hätten 
Bon aller meiner Drangfal, 
Wie eine Schaar von Schlangen, 
Giftvollen, mich verzebre. 
Die Mutter gab ich ihnen, 
Die Muthige geboren. 


1 Diefe Stelle ift früher fo misverftanden worden, 3. B. in Gräters Über 
jegung, Nord. Bl. ©. 19, als tränken die Helden in Balhall ans den Schä- 
dein ihrer gefallenen Feinde. Sie trinken aber nur aus Thierbörmern, aus 
Krummbäumen der Hirnſchaalen, aus den gebogenen Gewächſen ber Thiertöpfe, 
or bjügvidum hausa GSagabibl. II, 479). Bitgr, curvus; vidr m. arbor; 
haus m. cranium. 

2 Lex. myth, 564: Vidrir, Viprir, tempestatis dator, moderator vel 
effector. j 


313 


27. Wir hieben mit dem Schwerte. 
Es neigt ſich Karl gum Ende, 
Grimm bdränget mich die Natter 
Im Saal des Herzens niftend; 
Das hoff’ ih, bald wird Ella 
Bon Bidrirs Reis durchbohrt fein. 
Die Söhne werden fchwellen ? 
Ob ſolchem Tod des Baters; 
Nicht werten biefe Rafchen 
In träger Ruhe zögern. 


28. Wir bieben mit dem Schwerte. 
Zu ein und fünfzig Schlachten 
Hab’ ich das Heer geführet, 

Zum Pfeilgeving? entdietend. 
Jung röthet’ ich die Spike 

Und nie fam mir zu Simen, 
Mich würd’ ein anbrer König 
In Kampfesruhm bewältgen; 
Jetzt laden mich die Aſen 
Und nicht erſchreckt der Tod mich. 


29. So winfch’ ich denn, zu enden, 
Heim laden mich die Difen 4, 
Die mir von Herjans Hallen 
Herabgeſandt hat Odin. 
Froh werd' ich Bier mit Aſen 
Dort auf dem Hochſitz trinken. 
Ab find des Lebens Stunden 
Und lachend werd' ich ſterben 5. 


Die Anlage biefes Liedes, daß ein Selb unmittelbar vor bem Tode 
ſeine Thaten und Erlebniffe aufzaͤhlt, ift in norbifchen Sagen herlümms 

lich. Wir fanden den Nachklang eines ſolchen Liedes, das Stadlabrn 
zugeſchrieben var, in ben Inteinifchen Verſen Saxos (B. VIIL ©. 234 f.); 

1 Der Speer. ' 

2 Wie die Saga von Ivarn meldet. 

8 Fieinpings bodi; fleinn, m. spiculpm. 

4 Goͤttinnen; bier wohl Valkyrien. 

5 Lesjandi skal ek deyja. 


_ 


314 


andre ähnlicher Art find unter deu Namen von Ärvarodd und Asbjörn 
Prudi aufbehalten, welch Iekterer das feinige fingt, während ihm bie 
Därme aus dem Leibe gewunden werben. (Örvar-Odds Saga, Fornald. 
8. II, 301 ff. Fortivs Sag. II, 236 ff. Yortäl. om Orm GStorolfsf., 
bei Dlaf Tryggo. S., Oldnord. Sag. IH, 192 ff. Vgl. hiezu Grimm, 
Rechtsalth. 519 f. 690, 4.) „Lachend fterben” ift ebenfallö eine wieder⸗ 
kehrende Bezeichnung des ungebrochenen Heldenmuthes. So börten wir 
bei Saro von Hrolf Kraki rühmen: 
Ridendo excepit lethum mortemque cachinno 
Sprevit et elysium gaudens successit in orbem u. f. w. 

(Sago B. II, 49 f. Bol. 42.) Auch Högni lacht, ald man ihm 
das Herz ausfchneibet (Völs. 8. €. 37). 

Die Benennung des Liedes Krakumal kann fo gedeutet werben, 
baß angenommen wurde, Kraka (Aslög) habe dasſelbe auf den Tob 
ihre Gemahls dichten Iaflen, wie 3. B. noch ein Staldengefang vor 
handen ift, den die normwegifche Königin Gunhild, um bie Mitte des 
- 10ten Jahrhunderts, zu Ehren ihres auf der Bilingsfahrt nach Eng: 
land gefallenen Gemahls, Erich Blutart, abfaflen ließ (Sagabibl. IL, 
373 ff.). Es werben aber aud in den islaͤndiſchen Sagan Aslsg felbft 
manche Lieberftropben in ben Mund gelegt, namentlich (Ragn. L. S. 
€. 19) die auf ben Tod ihres Sohnes Hpitferf, und es wäre baher 
auch möglich, daß ein Trauergefang Aslögs (ähnlich den Eddaliedern 


Godrünar-Harmr, Gudruns Trauer, und Oddrünar-Grätr, Dbbruns 


Meinen) unter dem Namen Krakumal vorhanden war und diefer Name 
auf Ragnars Todesjang Übergieng, welch Iebtern man fogar in einer 
Handſchrift als Bjarfamal bezeichnet findet (Fornald. S. 1, 282, 3. 300, 1). 
Als Grundlage oder Anhalt der Sagen von Ragnar, wie es fonft mit 
Liedern ber Fall iſt, kann diefer Gefang nicht betrachtet werben, denn 
es zählt die einzelnen Ereigniffe nur ſummariſch auf und ſtimmt weder 
mit ben islänbifen Sagen, noch mit den Erzählungen Saros genau 
überein. Aud bat man barin nicht bloß die Spur eines cheiftlichen 
Verfafiers bemerkt (der Kampf beißt Str. 11 Odda! messa, Mefle der 
Speeripiten, was jedoch Rafn, Fort. ©. 1, 281, 4 für einen ver 
ächtlichen Seitenblid auf das Chriftentbum, Geijer ©. 459, N. 


1 Oddr, cuspis, muero, telum. . 


315 


möglicherwveife für eine fpätere Anderung ftatt des Str. 17 vorkommenden 
Odda senna !, Hader der Speere, erflärt), ſondern man bat auch 
Sprade und Stil bes Liebes neuer gefunten, jo bag Müller (Saga- 
bibL II, 480) dasfelbe dem 11ten oder 12ten Jahrhundert zufchreiben 
zu Fönnen glaubt. Diefes würde jeboc frühere Gelänge von Ragnar 
und feinen Söhnen und jelbft einen Tobesgefang in älterer Form 
keineswegs ausfchließen. Wir haben auch wirklich, als das ältelte 
Denkmal, in der Skalda noch ein Brucftüd eines Ehrenliedes auf 
Ragnar übrig, das der Stalde Bragi der Wie im Yten Jahrhundert 
verfaßt bat (Sagabibl. II, 473. 75. 77. Bel. Fort. S. 1, 327). 

Es würde uns zu weit führen, bie unter fi) manigfach abwei⸗ 
chenden, aber doch in Hauptzligen zufammentreffenben Sagequelten, 
bie größere und die Türzere Saga, Kralumal und Saxo, im Einzelnen 
gegeneinander zu halten oder auf die bier mögliche Bergleihung mit 
den norbifchen Gefchlechtöregiftern und namentlich auch mit ben aus⸗ 
mwärtigen Berichten der alten Annaliften Englands, Irlands, Frankreichs 
u. |. w. einzugeben; in der lebtern, biftorifhen Beziehung find von 
Müller und Geijer ausführliche und jorgfältige Erörterungen angeftellt 
worden. Wir beichränfen uns auf Dasjenige, was vom Stanbpunft 
der Sagengeſchichte aus für die Charakteriftil der Überlieferungen von 
Ragnar Zobbrof und feinen Söhnen wefentlich erjcheint. 

Die Anläffe diefer Überlieferungen, fo fagenhaft auch letztere noch 
geftaltet find, ſtehen doch nur ein Jahrhundert vor dem Beginn ber 
islãndiſchen Gejchichtichreibung und mittelft jener möglichen Bergleichumg 
auswärtiger Berichte fallen- ſchon merklich die Lichter ter Geſchichte 
berein (Sagabibl. II, 476. Sagnh. 166. Geijer 502). Die norbifchen 
Genealogieen ſetzen Ragnars Lebenszeit gegen bas Ende des Sten Jahr: 
bundert3 und fie verdienen Glauben, da hier die Erinnerung von 
der hellen geichichtlichen Zeit aud nur um wenige Glieder zurüdzugeben 


brauchte und auf folde Stammliften große Aufmerkſamkeit verwendet 


wurde, aud bier deren mehrere, von einander unabhängige in ber 
Hauptfache übereinftimmen (Sagabibl, 474 f. Sagnh. 160 ff. Geijer 
500 u.). Die Namen mehrerer feiner Söhne, wie fie in der Sage an 
gegeben find, findet man bei ben fremden Annaliſten als diejenigen 


1 Senna, f. lis, altercatio. 








316 


furchtbarer normännifcher Seefahrer, die an den Küſten ber weſtlichen 
Länder Verheerungen anrichteten und Eroberungen machten, auch zum 
Theil mit der ausdrücklichen Bezeichnung als Söhne Lodbroks und mit 
fonftigen der Sage entſprechenden Umständen. Aber eine Schwierig 
feit, welche den Geſchichtsforſchern viel zu fchaffen macht, liegt darin, 
daß diefe Lodbroksſöhne nach den dhronologifchen Angaben der Anna⸗ 
Iiften faft ein Jahrhundert fpäter auftreten, ala der burch bie isländi⸗ 
fchen Stammtafeln conftatierte Nagnar Lobbrof, dem bie norbifche Sage 
gleichnamige Söhne zufchreibt. Man bat viefen biftorifchen Widerſpruch 
mebrfach zu Iöjen gejucht, inbem man zwei Könige bed Namens und Ber 
namens Ragnar Lodbrok, den einen im Bten, ben andern im Bten Jahrhun⸗ 
dert, annahm, oder in ben angeblichen Söhnen Lobbrofs Enkel desjelben 
vermuthete (Sagabibl. IL, 476. Sagnhiſt. 166), ober in ber norbifchen Gage 
felbft den Einfluß der auswärtigen Quellen gewahrte (Geijer 199). Der 
legtgenannte Schriftſteller findet gleichwohl am Ente dod nur im Weſen 
der Sage die Löfung diefer Verwicklungen. Er bemalt u. A. (©. 498): _ 


Wenn auch die Conjectur ven zwei Königen Ragnar Lodbrok, wie fie 
gewöhnlich aufgeftellt worden ift, verworfen werben muß, fo ift doch unflreitig 
wahr, daß die Thaten mehrerer Helden auf den einzigen Ragnar Lodbrok üßer- 
getragen worden find, und die Ähnlichkeit der Namen hat dazu beigetragen, daß 
man von ihm zu [in] fo verfehtedenen Zeiten redete, daß fie ein Menſchenleben 
nicht faffen konnte. 

(&. 500 f.) Die Verwirrung in der Geichichte einer blutigen Leit umd 
der Umftand, daß der Schauplag der Thaten außerhalb des Nordens lag, 
mufte nothwendig Berfchiebenheiten in den Berichten erzeugen; und wir haben 
jhon bemerkt, daß im Norden felbft verſchiedene Behandlungen der Ragnart- 
ſaga eriftierten. Nur in den poetiichen Hauptzügen ſtimmen alle überein: eine 
friegeriichen Königs und Helden Tod auf fremder Küfte und die für ihn gefibte 
Race. Diefer poetiide Ragnar Lodbrok des Nordens ift ohne Zweifel auch 
der wirkliche und nimmt in der Zeit wahrſcheinlich den Play ein, den die alten 
Geſchlechtsregiſter ihm gegen das Ende des achten Jahrhunderts anmweifen. 
Sage und Geſang aber haben ſich feiner Geſtalt bemächtigt und ihn einerfeits 
in Verbindung mit den Älteren Helden der Borzeit gebracht, anbrerfeits feinen 
Namen in vergleihungsweife neuere Beiten durch einen Rachekrieg herunter 
gefegt, der während ber mehr als: hundertjährigen Plünderzüge der Bilings⸗ 
ſchaaren auf allen Küften Europas leicht immer von Neuen erzählt werben 
konnte. Auf ihnen wurde der Echeiterhaufen angezündet, in welchem das 


317 


norbifche Heibenthum mit biutiger Haferei feine letzten Kräfte opferte, indem es, 
wie vormals Oden, die Ehre nad) dem Tode nad) der Höhe der Flamme be 
rechnete; und in flärleren Bilbern Tonnte diefer, auch in feinem Untergange 
noch gefährliche Geift nicht dargeftellt werben, als in diefem Ragnar, der feine 
Thaten befingt, während Schlangen ihm am Herzen nagen, als in feinen 
Söhnen, von denen der eine ſcharfe Spieße zu feinem Todtenbette wählt, ein 
anderer fich auf einem Scheiterhaufen aus den Köpfen erfchlagener Feinde ver- 
brennen läßt, ein dritter befichlt, feinen Grabhligel an der Küſte feines Reiches 
zu errichten, die dem Angriff am meiften ausgefett ſei. 


Diefe Auffaflung der Ragnarsſage ift ſchön und richtig zugleich, 
fofern wir letztere wirllich an ven Schluß der heibnifchen Sagenperiobe 
zu ftellen haben; aber in der Sage für fich betrachtet liegt die Beben: 
tung bed untergebenden Heibentbums auf feine andre Weife, als in 
andern, früheren Sagen, worin nicht minder, dem Geift bes obinifchen 
Glaubens gemäß, bie ungebänbigte Kraft fich felbft verzehrt und ber 
Held mit Laden ftirbt. 

Was die Sage von Nagnar und feinen Söhnen als auf dem 
Übergange ber Sagenzeit in die gefchichtliche befindlich charakterifiert, 
iſt mehr ihre formelle Beichaffenheit, als ihre innere Bedeutung. Die 
Greignifie, aus denen fie zufammengefeht ift, Ragnars Heirathen, feine 
und feiner Söhne Kriegsthaten und letzte Schickſale, find nicht ſowohl 
zu einem poetiſchen Ganzen abgerundet, als in einer hiſtoriſchen Folge 
an einander gereibt; die gefehichtlichen Thatſachen, wie fie nun aud 
durch äußere Zeugnifie beftätigt werden, find nicht mehr völlig in 
Poeſie aufgegangen, fondern haben ſich nur in bie poetifche Darftellung 
gefteigert. So kann jener höchft lebenbigen Scene, wie Ragnars Söhne 
die Botichaft feines Todes aufnehmen, die wahrhafte Thatſache zu 
Grunde liegen, daß Ragnars Tod feine Söhne zum Rachezug aufregte. 

Auf der andern Seite hängen dieſe Überlieferungen, außer durch 
die eben erwähnte Steigerung und poetiſche Belebung des Wirklichen, 
noch durch andre Beziehungen mit der Sagenwelt zufammen. Sagen: 
haft ift das Zufammenrüden hiſtoriſch von einander entfernter Berfonen, 
unb jene Anficht, daß unter Lodbroks Söhnen Lodbrokliden überhaupt, 
Abkommlinge Lodbroks, zu verftehen feien, bat in ber Sage jelbft den 
Umftand für fi, daß fie ihm eine fo große Anzahl von Söhnen 
zufdweibt, weiche gleichzeitig mit dem Vater auf Kriegsfahrten aus⸗ 





| 318 
ziehen (von Thora: Erik, Agnar; bon Aslög: war, Björn, Hvitſerk, 
Nögnvald, Sigurd, und bei Saro noch aus einer britten Verbindung: 
Ubbo). Mehrere Theile der Ragnarsfage find aber auch noch ganz in 
ben älteren Mythus getaucht. Dahin gehören: Ragnars Drachenkampf, 
Aslögs und ihres Sohnes Sigurb Anknüpfung an die Bölfungenfage, 
endlih Ragnars Tod im Schlangenhofe. Zu den beiden erftern Dich 
tungen ſcheinen zunächft bie Beinamen ber Helden, unter denen fie be- 
rühmt waren, ohne daß man einen die Phantaſie befriebigenden Grund 
dafür anzugeben wujte, den Anlaß gegeben zu haben. Ragnars Bei- 
name 2obbrof (braccis hirsutis indutus) follte nicht etwa bloß aus 
einer beiondern Liebbaberei besfelben in jeiner Kleivung, fondern auf 
eine des Helden würdigere Weile erklärt werden und bafür ſtanden 
aus dem alten Sagenſchatze die Graählungen zu Gebot, wie ein Helb, 
der zum Kampfe mit einem Dracden gebt, fich vor beflen Gift und 
Flamme durch einen Anzug von Fellen fchügt, was Saro fchon vor 
Ragnar Lobbrof zweimal, zuerft von feinem Frotho I (B. II, ©. 25), 
dann von Fridlev (B. VI, ©. 153, 1), zu melden wufte.. Sigurd, 
Kagnars Sohn, mar unter dem Beinamen Schlang⸗im⸗Auge (ormr ? 
auga) belannt. Daß man über die Bebeutung diejes Beinamens zweifel⸗ 
baft war, ergibt ſich aus dem boppelten Verſuche, benfelben zu erklären. 
Saxo (B. IX, ©. 263 f.) erzählt, daß Roftar (Odin), der den wunben 
Helden geheilt und fich dafür bie Seelen ver von ihm Exfchlagenen 
verheißen laſſen, die Augſterne besfelben mit Staub beftxeut babe und 
daraus wurmãhnliche Flecken entſtanden feien. Die i#ländifche Saga 
Dagegen läßt (C. 8) dadurch, daß um ober in Sigurds Auge eine Schlange 
zu liegen fcheint, die Ausfage feiner Mutter, daß fie eine Tochter Si⸗ 
gurbs des Schlangentöbters von Brynhild fei, beglaubigen. Es if 
bereitö bemerkt morben, daß auch lediglich auf dem Gebiet ber Sage 
eine Tochter Sigurbs von Brynhild nicht angenommen werden Zönne. 
Muller (Sagabibl. II, 477 f.) ſucht dieſen frembartigen Zufag auf 
biftorifchem Wege zu erklären; die Huge Kraka, welde fih auf ben 
Grund ihrer niedrigen Herkunft vom Volle geringgeſchätzt gefehen und 
nahe daran getvejen, verftoßen zu werden, babe, vielleicht jogar mit 
Ragnars Wiffen, durch jene Angabe, die in dem zufälligen Umſtand 
‚mit des Sohnes Augen ihren Anlaß gefunden, fich zu behaupten ge 
ſucht. Die Schwierigkeit, daß doch fchon „damals die allgemeine 


“Meinung den Bölfungen Sigurd viel höher binaufgefeßt haben müffe, um 


319 


⸗ 


ein · ſolches Borgeben zu glauben, ſucht Müller zu beſeitigen, indem er 
annimmt, daß die Sage ſpäterhin aus dem Stammbater einen wirk⸗ 
lichen Vater gemacht haben könne. Einfacher ſcheint mir, der phan⸗ 
taſtiſchen Namendeutung, die hier doch einmal eingetreten iſt, freies 
Spiel zu laſſen. Sie konnte fich bald mehr auf den Namen Sigurd 
werfen, ben Ragnars Sohn mit dem Bölfungenhelpen gemeinfam hatte 
unb moburd) er fich diefem in der Abſtammung anzureiben fchien, bald 
mehr auf den Beinamen, der dann Wieder verſchiedene Beziehungen 
darbot; einmal die befonbre auf den Schlangentöbter Sigurd, wie fie 
in einer Lieberfiropbe der Saga angegeben tft (C. 8): 

Den Burm hat er int Auge, 

Den jener Sigurd aufrieb 1; 
ſodann die allgemeinere auf den fcharfen, fehneidenden Blid überhaupt, 
wie fie der Erzählung Saros zu Grunde zu liegen fcheint, mo die alte 
Frau vor Schreden über den Anblid zu Boben ftürzt. Sazro felbft 
bemerkt dabei: 

Crediderim, hnjus miraculi auctorem futuram juvenis seevitiam evi- 
dentiori luminum testimonio prodere voluisse u. |. w. 

Der Urheber des Wunders aber iſt Dbin, dem, als dem Gotte 
der Helden, die Begabung mit dem Schrediendauge ? wohl beigemeflen 
wird; und wieder eignete fich hiedurch der junge Sigurd in das Vol⸗ 
fungengeichledt, das, von Dbin ftammend, die feharfen Augen zum 
Abzeichen hatte. Diefe allgemeinere Beziehung, wonach ber Beiname 
ormr 1 auga nicht? Andres hieß, als „der mit dem fcharfen, ftechenven 
Auge”, balte ich für die urfprüngliche; die Verbindung desſelben mit 
dem Ramen Sigurd, den Ragnars Sohn von dem Großvater Sigurd 
Hring (Geijer 452) ererbt hatte, führten dann zu der Antnüpfung an 
die VBölfungenfage. Beltätigt wird diefe Anficht noch dadurch, daß es 
in den Eddaliedern von Helgi auch von einem fcharfen furdhtbaren 
Schwerte heißt, ihm liege der Schreden in ber Spite, und eine blutige 


1 beim er ormr i auga, 
er annan l&t. svelta. 
2 Helg. Qv. HB. Il, Str. 2. Edd. Sem. 158 f.: Hvass ero augo 1 
Hagais PYjo u. ſ. w. Völs. 8. €. 80: augn Sigurdar voru svä enör 1. |. w. 
„(onar, celer, acer). 


320 


Schlange Längft der Schneide, fowie das Schwert ſelbſt Blutichlange 
(blödormr) genannt wird (Helg. @v. Hat. Sk. Str. 9. Helg. Qv. HB. 
I, Ste. 8. Grimm, Edda 34). Die ftechende Schredensichlange ſteckt im 
fcharfen Schwerte, wie im fcharfen Helbenauge !. 

Bon Kraka⸗Aslög, als einer Tochter Sigurbs und Brunhilbs, ex 
mwähnt Saxo nichts ausdrücklich. Spuren biefer Sage ſcheint jedoch auch 
er vor fich gehabt zu haben. Die zweite Gemahlin Ragnars beit ihm 
Suanlogha, (Doc ift ihm Syvard, serpentini oculi coguomine, nicht 
ihr, fondern Thoras Sohn, B. IX, ©. 268. 271. Bel. 262 u) 
Geijer (©. 454, 7) vermuthet in Spanloga einen Schreibfehler für As 
Ioga, Aslaug. Mir jcheinen darin die Namen ziveier Töchter, bie 
man dem Bölfungen Sigurb zufchrieb, Syanbild von Gudrun umd 
Aslaug von Brynhild, verfchmolzen zu fein. Im Übrigen hat Saro 
die eigenthümliche Sigurdsſage, obgleich fie ihm ſchwerlich unbelannt 
war, von feinem Werke ausgeichlofien, wahrſcheinlich weil er he für 
eine beutiche anſah. 

Entſchieden fagenhaft ift enblih Ragnars Tod im Schlangenhofe. 
Daß Ragnar Lodbrok in England eines gewaliſamen Todes geftorben, 
mag immerhin ala biftorifche Thatſache befteben und man findet davon 
auch in dem englifchen Chroniken Erwähnung, obſchon gleichfalls mit 
ſagenhaftem Anftrich (Geijer 474 f.); aber daß er den Schlangen vor 
geworfen worden und bier fterbenv feine Thaten gelungen babe, if 
ein Erbtheil alter Fabel. Die Bölfungenfage, auf die fchon einmal 
der Blick gerichtet war, bot auch biefür ein Vorbild im Tode Gun: 
nars, ber, ebenfalld von Schlangen verzehrt, die Harfe, weil ihm bie 
Hände gebunden find, mit den Füßen ſchlägt. Nach ver Nornageſts⸗ 
fagn (€. 2) gab es ein befondres Lieb: Gunnars-slagr (Gunnars 
Harfenfchlag; vgl. Olafsen om Nordens gamle Digtekonst S. 262. $ 26: 
Slagr, en Vise som synges elter Slag og Tact), welches jetzt verloren 
ift. Zwar kam im vorigen Jahrhundert ein Lieb dieſes Namens in 
altnoxbifcher Dichtweife, ein Tobesgefang des von den Gchlangen 
bebrängten Gunnars, auf Island zum Borfchein und wurde von 
Mebreren für alt und echt angeſehen; bie darüber angeftellten Nach⸗ 

1 Edd. Havn. II, 34, 21: Sic de Skeggii nobilis Islandi gladio, ma 
gieis item viribus insigni legimas, quod genius angvicalum referens, 
yrmlingr, et in capulo latens quandoque sese conspieiendum stiterit, 


. 321 


forfchungen aber laſſen feinen gegründeten Zweifel übrig, daß basfelbe 
von Gunnar Paulſen, einem isländiſchen Geiftlihen, der im Jahr 
1785 ftarb, gedichtet ſei!. 

Es ift zwar allervings eine gelungene Nachahmung des Stils ber 
beroifchen Eddalieder, aber die Unechtheit verräth ſich ſchon baburd, 
daß es gar nichts Neues gibt, fondern alle feine Anfpielungen auf 
Mythus und Sage fi in den vorhandenen Quellen nachweiſen Iafien, 
in denen der Dichter ſich wohl bewandert zeigt. (Anreven, wie die in 
Str. 23 an die Harfe, fommen wohl auch nicht in alten Liedern vor.) 
Der Inhalt des alten Gunnarsflagr konnte nun im Wejentlichen nicht 
wohl ein andrer fein, als der des Krakumal, Aufzählung der Thaten 
und Geſchicke des mit ungebrochenem Muthe fterbenden Helden. Wo» 
bin aber diefer Tod im Schlangenhofe mit, dem Gefange des Sterbenben 
urfpränglich gehört habe, in die VBölfungen: oder in die Ragnarzfage, 
kann nicht zweifelhaft erjcheinen, wenn man erwägt, daß berjelbe hier 
mit Überlieferungen verbunden ift, die ſchon an ber Grenze ber Ge 
ſchichte Fiegen, bort aber mit einer uralten Sage, ber das Wunderbare 
noch durchaus natärlich ift, in harmoniſchem Zufammenbange ftebt. 

Als Seitenftül der Todesgejänge können bier die zwar nur noch 
aus hriftlicher Zeit vorhandenen, aber ohne Zweifel einem älteren Typus 
entſprechenden Stalvenliever von der Aufnahme ber Helden in Balball 
(Sagabibl. II, 373 ff. Heimskringla I, 163 ff. Häkonar Saga Adal- 
steinsföstra C. 33. Münter ©. 436 ff. 451 bis 455; vgl. 441) beige 
bracht werben. 


6. Nornageſt. 

"Bögupättr af Norna-Gesti, Fornald. S. I, 311 ff. Fort. 8. I, 289 fi. 
(Anfang des 14ten Jahrh. Sagabibl. II, 120. Sagabibl. II, 108 fi. Olaf 
Tryggvasons Saga &. 70. (Heimskringla I, 288 f.) Sagnhift. 227. Kong 
Diaf Tryggvafons Saga u. |. w. overſ. af Rafn. II, 137 ff. C. 201 ff.: Von 
Spend und feinen Söhnen. (Auch mit dem Titel: Oldnordisle Sagaer u. f. w. 
overf. af C. C. Rafn. B. II. Kiöbenh. 1827. Der erfte 8. 1826). Gagabibl. 
II, 222 bis 97. 


Als König Olaf Tryggvaſon ſich einft zu Trondheim aufhielt, kam 
eines Nachmittags ein, Mann zu ihm und grüßte ihn anſtändig. Der 


1 Edd. Hafn. II, prefet. XXIV bis XXVII. Edd. Sem. 274, 1. 
Uhland, Schriften. Vi. 21 


N 


322 





— 


König nahm denſelben wohl auf und fragte, wer er ſei. Jener nannte 
ſich Geftr!. „Gaſt follft du bier fein, jo wie du heißeft,“ fagte ber 
König. Geftv eriwiverte: „Wahrhaft fage ich bir meinen Namen, Her! 
aber gerne möcht’ ich dein Gaft fein, wenn es geftattet iſt.“ Der König 
fagte, das ftehe ihm frei. Da aber fchon der Tag fich neigte, wollte 
ex nicht weiter mit Geft fprechen, ſondern eilte zum Abendſang (Beiper), 
gieng nachher zu Tiſch und dann zur Ruhe. In biefer Nacht wachte 
der König auf und las im Bett feine Gebete, während die andern 
Männer in derſelben Halle (i pvi berbergi) fchliefen. Da bedäuchte 
ihn, als Täme ein Alf oder ein anbres Weſen in bad Haus, obſchon 
alle Thüren verjchlofjen maren; derjelbe trat vor jebes Mannes Lager 
und zulegt zum Bette befien, der zu äußerft fchlief.” Da bielt ex an 
und ſprach: „Erftaunlih ſtarke Schlöfler find bier vor leerem Haufe: 
auch ift der König nicht fo weile, wie die Leute glauben, die ihn für 
den Werften balten, da er jetzt fo feft ſchläft.“ Darnach verſchwand 
der Alf durch die verfchloflenen Thüren. Frühmorgens fandte der König 
feinen Diener (ekösvein), um zu erfunden, wer bie Nacht in jenem 
Bette gelegen. Es zeigte fih, daß es der Gaft war. Der König ließ 
ihn vor ſich rufen und fengte nad feiner Herkunft. Jener antwortete: 
„Thordr hieß mein Bater, zugenannt Thingbite (bingbitr; bitr, acer, 
ecerbus, acutus), ein Däne von Geſchlecht; er wohnte auf dem Hofe 
Gräningr in Dänemark.” „Ein wackrer Mann bift du“, fagte der König: 
Geſtr war fühn in Worten, größer, als die meiften andern Männer, 
ftar und doch ziemlich bei Jahren. Er bat den König, länger an 
feinem Hofe bleiben zu dürfen. Der König fragte, ob er getauft fei. 
Geftr erwiberte, er ſei primfignet ? (mit dem Kreuzeszeichen vorerft be 
zeichnet), aber nicht getauft. Hierauf fagte der König, Geftr könne wohl 
bei feinen Hofleuten bleiben; doch fol’ er nicht lange bier verweilen, 
ohne fich taufen zu laſſen. Der Alf aber hatte vom Schlofje geſprochen, 
weil Geſtr fih Abends wie andre Chriften bekreuzte (signdi sik), aber 
doch noch ein Heide war. „Übft du irgend eine Kunft aus?“ fragte 
der König weiter. Geftr fagte, er fpiele die Harfe und erzähle Sagan 
(leika hörpu edr segja sögur) den Leuten zur Kurzweil. Hierauf 
der König: „Übel thut König Svend (Sveinn), daß er ungetaufte 
1 Gestr, m. hospes, advena. 
2 at primsigna, prima signatione erucis christianum initiare, 


323 


“ Männer aus feinem Keiche durch. die Lande fahren läßt.” „Nicht iſt 
das dem Dänenkönige aufzurechnen”, verjegte Geſtr, „denn ich 308 
Iange Seit vorher aus Dänemark fort, ehe Kaifer Otto Danavirk 
verbrennen ließ und den König Harald Gormsſon und Hakon Blotjarl 
zwang, das Chriftentbum anzunehmen.” 
Über viele Dinge wurde Geftr vom Könige befragt und wuſte 

wohl und weislich Bejcheid zu geben. Es war, tie man fagt, im 
dritten Jahre der Regierung König Dlaf3 (aljo im Yahr 998), daß 
diefer Geftr zu ihm kam. (Geſchenke aus Gläſisvöll 2.) Kurz vor ber 
Julzeit fam Ulfe ber Rothe, der den Sommer über in bed Königs 
Geſchäften ausgeweien war, um nun bei ihm, wie gewöhnlich, ven 
Hochwinter zuzubsingen. Unter andern Koftbarleiten, welche Ulf dem 
König mitbrachte, war ein kunſtreich genrbeiteter Golbring, der Hnis 
tudr hieß. Er hatte vormals dem Könige Halfe gehört, von dem bie 
Halfsreden benannt find. Am achten Tage des Juls gab Ulf dem 
König diefen Ring. Der König dankte für die Gabe und alle bie 
treuen Dienfte, die ihm Ulfr ftet3 erwiefen. “Der Ring gieng weit um 
im Saale, wo die Männer tranlen. Einer zeigte dem Anbern den 
King und Kleiner glaubte noch fo gute Gold gejehen zu haben, als 
das an Hnitud war. Zuletzt fam er an bie Bäftebanf und an ben. 
neuangelommenen Geftr. Diejer ſah den Ring an und gab ihn dann 
“ quer über die Hand, womit er das Trinkhorn hielt, zurüd. Er machte 
wenig daraus, ſprach nicht von dem Kleinod und fuhr im kurzweiligen 
Geſpräche mit feinen Nachbarn fort. Ein Schenfe an der Gäftebant 
fragte nun: „Bedünkt euch wohl um ven Ring?” „Sehr wohl”, ers 
widerten fie, „nur dem neuangelommenen Gafte nicht, er findet nichts 
daran und feheint fih nicht auf folche Dinge zu verftehen.“ Der 
Scente gieng nun vor den König und fagte ihm bie Reben der Gäſte. 
Der König aber ſprach: „Geſtr mag mehr willen, als ihr meint; ex 
fol morgen zu mir fommen und mir irgend eine Saga erzählen.” Die 
Gäfte fragten nun weiter, ob Geſtr ſchon irgendwo fo gutes, ober 
beſſres Gold geſehen habe. Er bejahte das. Darüber lachten die Hof 
leute jehr. „Du muft mit und metten”, jagten fie, „daß du gleich 
gutes Gold gejeben, fo daß bu es beweifen fannit; darauf follen wir 

1 Virki, n. vallum, munitio. 
2 (5. H. v. d. Hagen, nordiſche Heldenromane 5, 120, &.)] 


324 


vier Mark Silbers fegen, du aber dein Mefier und beinen Gürtel, und 
der König foll entſcheiden.“ Geſtr gieng die Wette ein und bamit enbigte 
fich ihr Geſpräch. Dann nahm er die Harfe und ſchlug fie wohl und Tange 
den Abend über, fo daß Alle mit Luft zubörten. Am beften fchlug er 
Gunnarsflag und zulegt das alte Lied von Gubrund Trug (Gudrt- 
narbrögd 1 hinu fornu), das die Leute nicht zuvor gehört hatten; ? nad 
dieſem giengen fie fchlafen. Am andern Tage, nad Meſſe und Früh— 
mahl, follte der König über die Wette richten. Er ſprach zu Geſtr: 
„set bift Du ſchuldig, etwas Gold vorzuweiſen, wenn bu welches 
haft.” Gefte griff nun nad einem Beutel, den er bei fich hatte, knũpfte 
ihn auf und madte etwas baraus los, was er dem König reichte. 
Dieſer fah, daß es ein Stüd von einer Sattelfpange (af södulhringju) 
und ſehr gute Gold war. Er bieß nun aud den Ning Hnitub vor 
holen, hielt die Spange mit dem Ringe zufammen und fprad: „Sm 
Wahrheit fcheint mir dasjenige beßres Gold, was Geftr vorgewieſen 
bat, und fo wird es noch Mehrern vorkommen, wenn fie es anjehn.“ 
Viele beftätigten den Ausfpruch des Königs, worauf er dem Gafte das 
Wettgeld zuerfannte. Geftr aber ſprach: „Behaltet euer Gelb! ich bevarf 
deſſen nicht; aber mettet nicht mehr mit unbefannten Männern, benn 
ihr wißt nicht, ob ihr nicht Einen vor euch habt, der mehr gehört und 
gefeben, ala ihr! und euch, Herr, danf ich für den Spruch.“ Der 
König erwiderte: „Nun will id, daß du fageft, woher du dieſes Gold 
erhalten.” Hierauf Gefte: „Wenn ich euch erzähle, wie es mit dem 
Golde gegangen, fo vermuthe ich, daß ihr noch andre Sagan zugleid 
bören wollet.“ „Das mag fein,“ fagte der König, „daß bu recht ver 
mutheſt.“ 

Geſtr begann nun feine Erzählung damit, wie er ſüdwärts nad 
Frankland (i Frakkland) zog, um Königsfitte kennen zu lernen. Dort 
erwuchs bei König Halfrek der junge Sigurd, Sigmunds Sohn.- Geſtr 
begab fich in deſſen Dienfte und mar babei, wie Reginn ihn zur 
Tödtung Fafnirs auf Onitaheive aufrezte Er war auf mit auf 
Sigurb8 Zuge gegen Hundings Söhne und wurde damals Nornageftr 
genannt. Ebenſo nahm er fpäter an der Kriegfahrt Sigurbs und feiner 
Schwäger, der Gjufungen, gegen Gandalf Söhne Theil, wobei jene 

1 Brögd, n. pl. dolus, impostura. 

2 Bol. Färöiste Qväder, Indledn. 41 f. 


325 


ihmählihe Flucht Starkadrs vorfiel, ven der wir in befien Sage ex 
zählt. Geftr nahm einen ber beiden Badenzähne mit fi, die Sigurb 
Starkadrn auögeftoßen, benfelben, der jegt im Glodenjeile zu Lund 
hängt. Bald nachher hörten fie yon Starkadrs Nidingswerk, mie ex 
den König Ali im Bad erjchlagen. Eines Tags begab es fich, daß 
Sigurd auf dem Wege zu einer Zuſammenkunft in einen Sumpf ritt 
und das Roſs Grani jo Fark fich binaufarbeitete, daß der Bruftgurt 
entziweigieng und die Spange nieterfiel. Als Geſtr ſah, wo fie im 
Schlamme bervorglübte, hob er fie auf und reichte fie Sigurd, dieſer 
aber ſchenkte fie ihm, und das war bie Golbfpange, die Geftr hier vor⸗ 
gewiefen. Sigurd fprang vom Hoffe, Geftr aber ftreichelte und wuſch 
es, wobei er einen Lod aus deſſen Schweife nahm, zum Beichen ſeiner 
Länge. Geftr wies nun dem Könige Diaf auch biefes Pferdshaar vos 
und es war 7 Ellen lang. „Bergnüglich“, ſprach der König, „bebünlen 
mich deine Sagan.“ Alle lobten Geſtrs Erzählungen und feine Tüchtigkeit. 
Der König wollte, daß er noch viel mehr von ven Begebniffen feiner 
Freunde melde, und Geſtr erzählte nun viel Kurzweiliges bis zum 
Abend. Am folgenden Morgen ließ der König ibn mwieder rufen und 
fprach zu ihm: „Nicht kann ich fo recht aus deinem Alter kommen, wie 
du jo alt fein fönneft, um bei dieſen Ereigniffen gegenwärtig geweſen 
zu jein; darum erzähle nun eine andere Saga, bamit wir über dieſe 
Dinge -befler aufgellärt werden!“ „Das wuſte id) voraus,“ verjehte 
Geſtr, „daß ihr noch andre Sagan von mir würbet hören wollen, wenn 
ich euch von dem Golde gejagt.” Geftr erzählte nun weiter, wie ex 
wieder norbwärt® nad Dänemark gezogen und ſich da, nach feines 
Vaters Tode, auf feinem Erbe niedergelaſſen. Bald nachher hab’ ex 
Sigurds und der Gjulungen Tod erfahren. Auf des Königs Frage, 
wie Sigurd gejtorben, erzählt er nun auch davon und willfahrt auch 
noch der Bitte ber Hofleute, ihnen zu fingen, was Brynhild nad 
ihrem Zobe gelungen, Es ift dieß das Lied von Brynhilds Todesfahrt, 
das weniger vollftändig auch in der Völſungenſaga flieht und fi) dem 
Kreiſe der Eddalieder von Sigurd anſchließt. Geſtrs Erzählung gibt 
überhaupt einen Abriß ber Sigurdsſage, mit eingeſtreuten Liederſtrophen, 
im Ganzen mit der Völſungenſaga übereinſtimmend, aber doch auch 
mit mehrerem Eigenthümlichen. 

Koh immer mehr wollen die Hoflente von dieſen Gejchichten 


326 


bören. Der König aber meint, daß ed nun dabon genug fei, fragt 
jedoch weiter: „Warft du bei Lobbrofs Söhnen?“ „Kurze Zeit war 
ich bei ihnen,“ jagte Geftr; „ich kam zu ihnen, als fie nach Roma- 
borg zu ziehen gedachten.“ Es folgt nun die Geſchichte von dem 
Wanderer mit den burchlaufenen Eiſenſchuhen, der fie zur Umkehr 
. beranlaßt. König Olaf bemerkt darüber, das müfle ein Geift, von 
Gott gefandt, geweſen fein, der fie fo ſchnell ihren Entſchluß zu ändern 
bewogen babe, um nicht bie heiligfte Stabt Rom ihren Verheerungen 
auszufehen. 

Noch fragte der König den Fremdling: „Bei welchem der Könige, 
zu denen bu gelommen, bat e3 bir am beften gefallen?“ Geftr ant 
wortete: „Am meijten Freude fand ich bei Sigurb und den Giufungen; 
bei Lodbroks Söhnen aber fonnte man am meiften leben, wie man 
wollte; bei Erik in Upfala war am meiften Glück; aber von allen 
vorgenannten Slönigen wandte Harald Schönhaar den gröften Eifer 
auf Hoffitten. Ich mar auch bei König Hlöbver (Ludwig?) in Sapr 
land und ba wurde ich primfignet, denn ich konnte anders nicht dort 
fein, weil jehr auf bas Chriſtenthum gehalten wurbe, und da bebünlte 
mich am allerbeſten.“ 

Nachdem Geſtr dem Könige auf feine Fragen noch Bieles erzählt, 
fprach er zuleßt: „Sch muß euch nun auch melden, warum ich Norna⸗ 
geſtr genannt bin. ch murbe bei meinem Vater an bem Orte, der 
Gräningr beißt, aufgezogen. Er war reich an Geld und hielt ſtattliche 
Wohnung. Da fuhren im Lande weiſſagende Weiber, die man Bölen 
nannte, umher und fagten den Leuten ihr Alter voraus; darum lub 
man fie zu fich, ftellte ihnen Gaftmähler an und bejchenkte fie beim 
Abſchied. Mein Vater that auch fo, fie famen zu ihm mit großer Be 
‚gleitung und follten mein Schifal weiſſagen. Ich lag in der Wiege 
und über mir brannten zwei Kerzenlichter. Cie ſprachen da zu mir, 
e3 folle mir großes Glück zu Theil werden, weit mehr, als meinen 
Eltern und Verwandten oder andern Häuptlingslöhnen im Lande. Diefer 
Weiber waren drei. Die jüngfte Norne glaubte fi) von ben beiden 
andern zurückgeſetzt, meil fie bei einer fo wichtigen Weiflagung nicht 
von ihnen befragt morben war. Es war auch eine Schaar unrubiger 
Leute da, die fie von ihrem Sitze ftießen, fo daß fie zur Erbe fiel. 
Darüber wurde fie ſehr aufgebradht und rief ben andern laut und 








327 


zornig zu, fie möchten mit biefen guten Weiflagungen einhalten. „Ich 
will ihm das zittheilen“, rief fie, „daß er nicht länger Ieben fol, als 
die Kerze brennt, die neben dem Knaben angezündet iſt.“ Da nahm 
die ältefte Völe die Kerze, Idichte fie aus und hieß meine Mutter fie 
verwahren und nicht eher anzünden, als an meinem letzten Lebenstage. 
Darnach zogen die Weiffagerinnen fort, banden die junge Norne und 
führten fie jo mit fi; mein Vater aber gab ihnen beim Abſchied reiche 
Geſchenke. Als ich erwachſen mar, gab mir meine Mutter dieſe Kerze zu 
verwahren und ich habe fie noch bei mir.” Der König fragte hierauf: 
„Warum fuhreft du jeßt hieher zu uns?“ Geftr antwortete: „Ich er- 
wartete von euch irgend ein Glüd, da ihr vor mir von guten und 
weifen Männern fehr gerühmt worden ſeid.“ Der König fagte: „Willſt 
du jebt die heilige Taufe empfangen?“ Geftr erwiberte: „Das will 
ih thun nach eurem Rathe.“ So geihah au, der König nahm ihn 
in feine Gunft auf und machte ihn zu feinem Hofmann. Geſtr war 
fehr gottesfürdhtig und folgte wohl den Königäfitten, auch fonft war 
er bei den Leuten beliebt. Eines Tags fragte der König ihn: „Wie 
lange wilft du noch leben, wenn es auf dich anfommt?" Gefte ant- 
wortete: „Kurze Zeit fortan, wenn Gott jo will.” Weiter fprach ber 
König: „Wie wird es nun gehen, wenn du beine Kerze vorholſt?“ 
Geſtr nahm die Kerze aus feinem Harfengeftell. Der König hieß fie 
anzünden, und da dieß gefchehen, brannte fie raſch. „Wie alt bift du 
jegt?” fragte der König. „Dreihundert Winter,” war die Antwort, 
„Alt bit du,” fagte der König. Geſtr legte fih nun nieder und bat 
um die Olung. Der König lie fie ihm geben, und als es gefchehen, 
war wenig von ber Kerze noch unaufgebrannt. Man fand nun, daß 
der Tod ihm nahte und im Augenblide, da die Kerze verbrannt war, 
ftarb auch Geſtr. Allen ſchien fen Tod merfwürbig; ber König 


hielt auch viel auf feine Sagan und hielt für wahr, was Geſtr von 


feinem Alter erzählt hatte. Hiemit fchließt die Erzählung von Nor: 
nageſtr. 

Fragen wir nun, wer der räthſelhafte Alte war, der Jahrhunderte 
hindurch bei und mit den heidniſchen Sagenkönigen umherzog, dann ſich 
primſignen, taufen und am Ende mit der letzten Olung verſehen ließ, 
ſo muß noch einmal der alte Odin genannt werden. Den Beweis 
geben ung andre Sagan nahe zur Hand. Snorros Heimskringla 





(1, 288 f.) enthält im Gap. 70 der Dlaf: Truggenfonsfaga folgende 
Erzählung: 

Es ift gejagt, daß, als König Dlaf beim Gaftgebot auf Angvalbsnäs war, 
eines Abends ein alter Mann zu ihm kam, der einen herabhängenden Hut auf 
hatte und einäugig war; er ſprach fehr verftändig und wuſte von allen Landen 
zu fagen. Der König hatte großes Gefallen an feinen Reden und fragte ihn 
nad vielen Dingen, der Gaſt aber (gesturinn) wuſte auf alle Fragen zu ant- 
worten und der König jaß lange den Abend über bei ihm. Er fragte den 
Mann, ob er wife, wer der Augwald geweien, von dem die Landipite und 
der Drt den Namen babe. Der Gaft wuſte hierüber wohl Beſcheid zu geben 
und bezeichnete auch den Grabhügel diefes alten Königshelden. Solches und 
viel Andres berichtete er dem König Olaf von den Königen voriger Zeit und 
andern alten Geſchichten. Als fie nım weit in die Nacht beifammen gefeffen 
waren, erinnerte der Biſchof den König, daß es Zeit wäre, fchlafen zu geben, 
mas aud der König that. Sobald er aber entkleidet war und fich niedergelegt 
hatte, fette fih der Gaſt auf den Schemel vor feinem Bette und ſprach noch 
lange mit ihm und ein Wort fchlug das andre. Da fagte der Bifchof zum 
König, num wär’ es Beit, zu fchlafen. Der König that dem gemäß und der 
Gaſt gieng hinaus. Bald hernach erwachte der König, fragte nad) dem Gaſte 
und befahl, ihn wieber berzurufen. Den Gaſt aber fand man nirgends. Am 
Morgen darauf ließ der König den Koch und den Schenken rufen und fragte 
fie, ob irgend ein unbelannter Dann zu ihnen gelommen fe. Sie antworteten, 
als fie die Speife zubereiten follten, fei ein Mann zu ihnen gekommen und 
babe gejagt, fie richten fchlechtes Fleisch für den Tifch des Königs zu; dann 
hab’ er ihnen zwei feifte Ochjenfeiten gegeben und dieſe haben fie mit dem am- 
dern Fleiſche gefotten. Der König hieß Alles zufammen wegwerfen, diefer Gaß 
ſei fein Menſch geweſen; es müfle Obin gemeien fein, an ben bie Heiden lange 
geglaubt. Auch fitgte ex hinzu, Odin folle nie mehr foweit kommen, ihn zu 
betrügen. 

Dennoch ift c8 dem munderlichen Gafte gelungen, noch dem Rad 
folger diefes Königs, Dlaf dem Heiligen (bis 1030) nahe zu kommen. 
Sm Leben des letztern finden fi) davon zwei Erzählungen (Sagabibl. 
II, 116 ff): 

Eines Abends, als König Dlaf auf Sarpsborg faß, fım ein ımbelannter, 
wohlgewachfener Mann zu ihm und nannte ſich Tole-Xolefen, einen Sohn ven 
Tokeſen dem Alten. Diefer Tole war ftilfe, trank nicht viel und wurde wohl 
gelitten; er war fehr verfländig und der König fand Unterhaltung daran, ihm 
zuzuhören. Eines Tags fragte der König ihn, wie alt er fei. Der Ram 


⸗ 





829 


antwortete, es ſei ihm beſtimmt, zwei Menfchenalter zu leben, unb die Beit fei 
num bald vorbei. Olaf fagte, da werd’ er fi wohl ber Könige Half und 
Hroff Krali erinnern können. Jener erwiberte, er jei bei beiden gemweien; und 
der König fragte weiter, welcher von Beiden der kühnſte geweſen. Tole er⸗ 
zählte nun, als ex weit umber gereift, die gröften Häuptlinge zu befuchen, 
fei er auch zu König Hrolf gelommen und babe fi) den Winteraufenthalt bei 
ihm erbeten. Der König habe geantwortet, er Targe nicht mit feiner Speife, 
und babe ihm feinen Pla da angewiefen, wo er Einen von Sige wegbringen 
könne; doch habe der König den Andern verboten, nicht mit dem Fremden zu 
ringen. Toke fei num zuerft zu Bödvar Bjarki gegangen, Hab’ ihn an ben 
Händen genommen, feine Fliße gegen ten Bankſchemel geftemmt und mit aller 
Macht gezogen. Bjarki ſei roth und bleich geworden, aber nicht von ber Stelle 
gerüdt. Hjaltin den Hochgemuthen (hugpradi) habe er bis an das Ende 
der Bank gebracht, aber nicht weiter; Hvitſärk den Scharfen aber und bie 
Übrigen hab’ er vom Plate aufgezogen und fich über fie gejeht. Dort habe er 
nun den Winter zugebradht und ſich auf's Allerbefte befunden. Im Eommer 
reifte er weiter und kam zum König Half, der ihm auf dieſelbe Weife, wie 
Hrolf, feinen Sig anwies. Er rüdte nun zuerſt an Utftein Jarl, dann an 
Snfein, Hrod dem Schwarzen, Björn, Bard und allen den Übrigen, ohne 
einen Einzigen von der Etelle zu bringen, und muſte fich zu unterft ſetzen. 
König Olaf fragte, ob er getauft fer. Toke antwortete, ex ſei prümfignet, aber 
nicht getauft, weil er beftländig zwiſchen Chriſten und Heiden umher gereift, 
doch glaube er an den weißen Chriſt und fei zu König Dlaf gelommen, um 
etwas mehr von demſelben zu hören. Tole wurde barauf getauft und flarb im 
weißen Kleidern. 

Die andere Erzählung, denjelben König betreffend, ift dieſe: 

Kurz, nachdem Dlaf der Heilige Aftrid, die Tochter des Schwedenksnigs, 
geheirathet hatte, zog er zum Gaſtgebot nach der Landſchaft Bigen. Da kam 
eines Abends ein unbelannter Mann zu ihn, den Hut auf dem Kopf, bärtig 
und häßlich; er nannte fi Gef. Als der König zu Bette gieng, rief er den 
Mann zu fi) und fragte ihn, ob er irgend etwas zur Kurzweil wiſſe. Geſt 
war weile und von Mihner Rede, er erzählte viel von den alten Königen. Dann 
fragte er den König Dlaf: „Welcher von den Königen der alten Zeit möchten 
du am liebſten gewefen ſein, wenn die Wahl bei dir fände?“ „Sch möchte 
fein Heibe gewefen ſein,“ antwortete Dlaf, „weber ein König, noch ein anbrer 
Mann.” „Das ift richtig,” fagte Geſt, „du Hättefk nicht Urſache, zu wünſchen, 
daß du ein Andrer wärefl, als du biſt; aber ich frage nur, welchen von ben 
alten Königen du am liebften gleichen möchteſt.“ Olaf antwortete: „Dem 
König Hrolf Krali; doch fo, daß ich dabei ein Chriſt bliebe.” „Barum,“ 


v 


330 


fragte Geht, „möchtet du nicht Tieber dem Könige gleichen, der in jebem Eireite 
den Sieg hatte, der in allen Yertigleiten fo erfahren war, daß Keiner ihm 
gleichkam, der Andern Sieg verleihen konnte und zu fingen verfland, wie Anbre 
zu reden 12“2 Da erhob fi) Olaf tm Bette, nahm das Gebetbuch, das neben 
ihm lag, und wollte es Geſt an den Kopf fhlagen. „Du ſelbſt,“ rief er, „möchte 
ich zulebt fein, du ſchlimmer Odin!“ Es wird gejagt, daß Ger verfhwand; 
König Diaf aber lobte Gott. 


Es fällt in die Augen, daß dieſe vier Erzählungen, die fi) auf 
zwei verſchiedene Könige vertheilen, nur viererlei Darftellungen und 
Ausbildungen derfelben Sage find. Wirklich können wir aud ihre 
gemeinfame Grundlage in der ältern, heidniſchen Sagendichtung, morauf 
Ichon der Name Odin binbeutet, nachweiſen. 

Die Hervörsiaga erzählt, wie wir früher (Nr. 2) beigebracht, im 
16ten Capitel Folgendes: 


Als Heidrek, Hervbrs Sohn, in Reidgotland herrſchte, war bort ein mäch⸗ 
tiger Herje, mit Namen Geſtr, zugenannt der Blinde Er hatte dem König 
Heidrek die Schatumg vorenthalten und Diefer ließ ihm deshalb entbieten, er 
ſolle kommen und ſich dem Spruche des Berichtes unterwerfen; wo nicht, fo 
folle die Schlacht entſcheiden. Keines von beiben gefiel dem Herfen und er be 
ſchloß, dem Odin zu opfern, damit der ihm helfe. Eines Abends fpät wurde 
nun an die Thüre geflopft; vor ihr Hand ein Mann, der fih gleichfalls Geſtr 
nannte. Sie fragten einander um bie gangbaren Neuigkeiten und der Herfe 
Get. eröffnete dem Fremden feine Noth. Dieſer erbot fih, flatt feiner zum 
König gu ziehen. Eie wechſelten Ausjehen und Gewand und der Fremdling Get 
machte fi auf den Weg nach Aarheim, dem Site bes Königs. Hier trat er 
in die Halle und grüßte den König. „Wit du,“ fprach Lebterer zirnend, 
„dich dem Urtheile meiner rechtslundigen Männer unterwerfen?“ Geſt fragte 
bierauf, ob es nicht mehrere Weifen gebe, fi) zu löſen. „ES gibt deren,“ 
erwiberte der König; „du ſollſt Räthſel aufgeben, die ich nicht erratben Tann, 
und dir bamit Frieden erfaufen.” Geſt z0g dieſes dem Gerichtswege vor. Es 
wurden nun zwei Stühle herbeigebracht, auf die fie fich niederließen, und bie 
Leute waren in frober Erwartung, weile Worte zu hören. 

Geſt Iegte Hierauf dem König eine Reihe nen Räthſeln vor, die Heidrel 
alle krrieth. Die letzte diefer ragen jedoch war die, was Odin Baldurn ins 
Ohr gejagt, bevor Diefer auf den Scheiterhanfen getragen ward. „Riemaud 
fon das willen, als du ſelbſt,“ rief der König. zornenibrannt, entblößte das 


1 Bgl. Grimm, Altdamiſche Heldenl. S. XVII. 


331 


ſchwert Tyrfing und wollte nach Geſt hauen. Uber Diefer, der eben Odin 
war, vermanbelte fich plöglich in einen Fallen und entflog durch's Fenſter. 
Die Rätbfel und ihre Loſung enthält das der Hervorsſaga einverleibte 
Zieb: Getspeki Heidreks konungs, NRäthjelweisheit König Heidreks. 
Mehrere dieſer Räthſel tragen, wie damals (S. 132 ff.) gegeigt murbe, 
das Gepräge altertbümlicher Naturanſchauung ober beziehen ſich auf 
beftimmte mythologiſche Gegenftände. Es bat und aber auch vie 
ganze Anlage des Raͤthſelliedes unverkennbare Ähnlichkeit mit mehreren 
Müytbhenliedern der Edda gezeigt, in melden Odin ala Wandrer unter 
den Namen Gangrabr (gressum moderans s. dirigene), Grimnir 
(pereonatus), Vegtamr (vie adsuetus), bald einen König, bald einen 
Niefen, bald eine Völe in der Unterwelt auffucht, um Räthielfragen 
vorzulegen, Weisheit zu prüfen und zu erkunden; nur daß bie Fragen 
der Mütbenliever die Götterwelt und die Weltſchickſale betreffen, bie 
Näthfel Geſts aber mehr mit Naturbildern und menſchlichen Dingen 
fich beihäftigen. Zugleich ift bemerkt worden, daß ber Name Geftr 
nur auf ven, als Wandrer ankommenden Odin (mie die Ähnlichen 
Gangradr, Begtamr), nicht auf den Herjen, der zu Haufe bleibt, 
pafien und der Beiname des Blinden (Gestr blindi), für den Herjen 
unerflärt, ſich gleichfalls für den einäugigen Odin eigne. [Schr. 6, 805. 8.]. 
Auf diefer alten, tief in den Mythus hineinrei denden Grundlage 
beruhen nun die Erzählungen von demjenigen Geſtr, der zu ben Ks 
nigen Dlaf fam und in denen ber wunderbare Gaſt ala Odin entweder 
ausprüdlich genannt ober doch nach dem dargelegten Zufammenbange 
leicht zu erfennen ift. Geſts Erzählungen betreffen zwar meift nur bie 
Heldenfagen der heibnifchen Zeit; allein über feinen nächtlichen Ges 
Iprächen mit dem Könige liegt em gewifies Geheimnis und dem from 
men Bifchof ericheinen dieſe Unterhaltungen feines Herrn bedenklich. 
Der alte Odin verfucht fih mit feinem heidniſchen Wiflen nun auf 
noch an ben chriftlicden Königen und bie Bedeutung ber mythiſchen Sage 
hat fi) nun dahin gewendet, daß Erinnerungen und Anmwanblungen 
des Heidenthums, in der Perſon Dbins, ſich an jenen Belchrern bes 
Nordens felbft verfuhen. Man muß dabei vor Augen haben, daß bie 
alten Götter, von denen man ſich abkehrte, darum doch nicht für bloße 
Geſchöpfe der Einbildungskraft erflärt wurden, fondern für böje Geifter, 
welche fich die Herrichaft über die Menſchen angemapt hatten und fort 


332 
während darnach trachteten. Dieb Ing nicht nur ber Denkweiſe der Be 
kehrten am nächften, fonbern e8 war auch die Anficht ver Kirche. Der 
Pabſt Nicolaus I fehrieb im Jahre 858 an Erich, König von Däne 
marl: Desine ergo idola colere et desmonibus jam servire desiste! 
Ompes enim dii gentium, dicente Psalmista, deemonia (Münter 
©. 579). [Schiften 1, 158 f. 8.) 

Die einfachfte und damit der alten Anlage am vächſten kommende 
unter den viererlei Erzählungen ik offenbar die zulegt vorgetragene, 
wenn fie glei auf den fpätern König, Dlaf den Heiligen, bezogen ift. 
Bier fragt Geft, der, wie Odin immer, mit Hut und langem Bart 
erfchienen, den König am Ende, warum er nicht am liebften dem Kö⸗ 
nige gleichen möchte, ber ftetö den Sieg felbft hatte und Andern fchenten 
Tonnte, ber in Feiner Fertigleit erreicht war, ber ſprach, wie Anbre 
fangen. Damit nähert ſich die Sage am meiften jenen alten Wett: 
geſprächen über Glaubensſachen. Der Schluß aber ift ganz entſprechend 
dem von Getipefi, nur daß der König nad Odin, den.er beim Namen 
nennt, nicht mit dem Schwerte, fondern chriftlicher mit dem Gebetbuche 
ſchlägt. 

Dieſer Darſtellung zunächſt ſteht die des Olaf⸗Tryggvaſonsſaga. 
Hier weiſt das Bedenken bes Biſchofs über die Unterredungen des 
Königs mit dem Unheimlicen, einaugigen Gafte, wenn auch gleich fie 
Anfangs nur von den alten Königen handelten, noch auf die rechte 
Bedeutung bin. Der König merkt au am Ende felbft, dab es Odin 
geivefen, ber ihn betrügen wollen. Nur daß Odin Fleiſch zur Küche 
liefert, erjcheint als ein fremdartiger Zuſatz. 

Dagegen hat in der Nomageftsfaga und in ber erſten Erzählung 
von Dlaf dem Heiligen die Sage eine gang andre Richtung erhalten, 
indem fie zu einer Belcehrungsgefchichte geworben ift. In beiben Dar 
ftellungen wird ber primfignete Gaſt bei dem frommen Könige getauft, 
bleibt dann an dem criftlichen Hofe und ftirbt den Tod des Ghriften. 
Die Berichte aus der Heidenzeit aber find mehr nur ein Gegenftend 
ber gejelligen Unterhaltung, ald daß fih in ihnen ein beftimmter 
Gegenſatz zu dem. neuen Glauben äußerte. Die Erzählung von Dlaf 
bem Heiligen ift übrigens auch in ber veränderten Richtung, bei der 
Odin, ſonſt ‚die Hauptperfon, ausfällt, noch kurz und einfad. Die 
Nornageltfaga hingegen verbreitet fi ausführlih in biefer, dem 


338 


urfprünglichen Sinne entfrembeten Richtung und fügt noch weitere Sagen: 
beftanbtbeile Hinzu. 

Dabin gehört beſonders Dasjenige, mas den Gaft zum Rornageft 
madt, die Beftimmung feines Alters und Geſchicks durch die drei an 
feiner Wiege erjcheinenden Weiffagerinnen und die Abhängigkeit feiner 
Lebensdauer von der verhängnisvollen Kerze. Auffallend iſt hiebet 
die Ähnlichkeit mit der griechifhen Sage von Meleager. Diefer war 
noch wenige Tage alt, ald die drei Parcen (Moiren) zu dem Bette 
feiner Mutter traten. Die eine verlünvigte, er werde tapfer, die 
andre, er werde großmütbig fein; die britte, er werde fo lange leben, 
als ver eben jett auf dem Herbeoliegende Brand vom Feuer nicht ver⸗ 
zehrt fei. Seine Mutter bob diefen Brand forgfältig auf. Als fie 
aber in der Folge erfuhr, daß Meleager ihre Brüder erichlagen habe, 
eilte fie im Drang der Rache mit dem Brande nad dem Feuer und 
ließ ihn von bemfelben verzehren. Meleager ftarb nun fchriell hinweg 1. 
Ob diefe Sage etwa auf gelehrtem Wege nad dem Norden gelommen, 
oder ob Nornageftö Kerze der natürlichen Bergleichung zwiſchen dem 
fterbenden Menfchen und einer erlöjhenden Ylamme die Entftehung 
verdankt (Sagabibl. II, 115), mag dahingeftellt bleiben. Iſt aber 
diefer Beftandtheil ver Sage auch von außenher gefommen, fo bat er 
doch in den altnordiſchen Vorftellungen einen Anhalt gefunden. Den 
griechiſchen Moiren entiprechen die ſtandinaviſchen Nornen. Diefer 
Name, die jüngfte Norne (hin Yngsta nornin), wird in der Saga 
wenigſtens einer der weiffagenden Frauen gegeben. Wir willen aus 
der Götterlehre, daß die brei großen Normen die Zeit» und Schidjals- 
göttinnen des Nordens find, die, am Urbarbrunnen wohnend, jeden 
Tag die Weltefche begießen. Wenn von ihnen diejenigen unterſchieden 
werden, welche fich bei eines Kindes Geburt einfinden und ihm Lebens: 
zeit und Geſchick zutheilen, fo find dieß im Grunde nur verichiebene 
Äußerungen berfelben Macht, die bald das Schidfal der Welt, bald 
das ber einzelnen Menjchen beftimmt. So hörten mir, mie bei des 
Bölfungen Helgi nächtlicher Geburt die Nornen erichienen, ihn begabten, 
der Fühnfte und befte der Könige zu werben, goldne Schickſalsfäden 
woben und fie mitten unterm Monbesfanle feftigten. Daß nun biefe 


1 Nitſch, Mytholog. Wörterbud) 1881 fe nach Apollodor und Hygin. 


334 


Gedankenweſen in der Art in die Wirklichkeit traten, daß man irdiſchen 
Weiffagerinnen im norbifhen Alterthum den Namen Nornen beilegte, 
dafür weiß ich außer der Nornageſtsſaga keinen Beleg anzuführen, In 
diefer jeboch wird den brei Grauen an Geftd Wiege noch ein andrer 
Rame, Bölen (völvar), gegeben, unter dem auch nach anderwärtigen 
Beugnifien weiſſagende Weiber im Norden zu finden waren. Bivar 
bat auch der Göttermythus feine Völen, Balan, wie feine Nornen; 
wenn dieſe die Zeit und das Schiefal weben, fo verfündigen es bie 
Balan; fie weiffagen von den Weltfchidfalen und deuten bie Träume, 
bon denen die Himmlifchen geängftigt werben. Aber auch irbifcher 
Weife, noch in chriftlicher Zeit, ziehen Völen umber und werben über 
die Zukunft des Landes oder ber Einzelnen befragt. Eine der hiſto⸗ 
rigen Sagan, die von Erik dem Rothen, gibt eine genaue Beſchrei⸗ 
bung einer ſolchen irbifchen Völa ! (Finn Magn. Edd. I, 6 bis 102). 
Thorkild, Häuptling der norwegiich:isländifchen Anfiedler auf Grin 
- land, fuchte bei einer ſolchen Beſcheid. Da heißt es denn: 

„Die Weiffagerin Thorbjörg, genannt die Heine Vala, pflegte zur Winter 
zeit auf Saftgeboten umberzuziehn, wozu fie von denen eingeladen war, welche 
Luft Hatten, fi über ihr künftiges Schidfal zu unterrichten. Da Thorlkild 
einer der Bornehmften im Lande war, fo ſchien ihm obzuliegen, Kunde barüber 
zu fuchen, wann die damals herrſchende Theuerung aufhören werde. Gr Ind 
aljo die Weiffagerin ein, nachdem er Alles aufs Prächtigfte zugerüftet, wie man 
einen ſolchen Gaſt zu empfangen pflegte. Ein Sit wurde für fie auf eme 
Erhöhung zugerichtet und darauf lag ein Polfter, mit Hühnerfedern gefüllt. 
Inzwiſchen wurde ein Dann ausgejchidt, um ihr entgegenzugehen, und mit 
ihm kam fie am Abend in folgendem Aufzug an: fie trug einen blanen Mantel, 
von oben bis unten mit Steinen beſetzt, ein Band von Glasperlen um ben 
Hals, eine Müte von ſchwarzem Lämmerfell, mit weißem Katenfell gefüttert. 
In der Hand hatte fie einen Stab mit Meffiugbeichläg und einem mit Steinen 
beſetzten Knopf. Um den Leib trug fie einen hunnifchen Gürtel, wovon eine 
große Taſche nieberhbieng, in der ihr Baubergeräth verwahrt war. Sie hatte 
Schuhe von rauchem Kalbleber, mit- langen Riemen und Kupferknöpfen feige 
macht. Ihre Handſchuhe waren außen von ſchwarzem Pelze, inwendig von 


1 Wie fie Walter Scott nicht forgfältiger geben könnte, ber auch felbft im 
Piraten eine Thetländifhe Norma aufführt. gl. Lex. myth. 269. 

2 Bol. Sagabibl. I, 298 f. 368. II, 494. 531. 610. Niflunge Gaga 
C. 328. ©, 25. 


335 


— — —ze eu 


weißem Katzenfell. Sie wurde von Allen ehrerbietig begrüßt, beantworteie aber 
dieſe Grüße fo, wie es, nad ihrem Dafürhalten, Jedem der Anweſenden be⸗ 
ſonders gebührte. Thorkild ſtellte ſich auf ihre rechte Seite und führte ſie zu 
dem erhöhten Sitze; auch bat er fie, das Hans und die Leute des Hauſes in 
Augenfchein zu uehmen. Sie fprach nur wenig, Am Abend wurben die Tifche 
gededt umd folgende Speifen ihr vorgejet: füßer Brei von Geißmild und ein 
Gericht von den Herzen verichiebener Thiere. Sie bediente ſich eines Meffing- 
Löffels und eines Meſſers, deſſen Schaft von Wallfiſchzahn, mit Kupfer beichla- 
gen war; die Spite aber war abgebrochen. Nachdem die Tiſche fortgenommen 
waren, trat Thorkild vor und fragte fie, was fie um das Haus und die hier 
verfammelten Leute bedünke, ſowie auch, wie bald fie ihn über die Dinge be 
lehren könne, worüber fie befragt und was fie Alle gerne zu wiffen wünfchten. 
Sie antwortete, das lönne nicht vor dem nächſten Tage gejchehen, nachdem fie 
erft eine Nacht im Haufe zugebracht. Frühmorgens (nah Andern: gegen den 
Abend des folgenden Tags) wurde Alles fo zubereitet, wie die magischen Vor⸗ 
richtungen es erbeifchten. Sie begehrte, daß einige Frauensperſonen dabei einen 
Geſang fingen follten, der Vardlokur (Wachtkreis oder Kreisgefang) genannt 
werde, aber es fand ſich Niemand, der ihn konnte. Als man nun ausfandte, 
um eine folhe Frauensperſon aufzufuchen, fagte Gudrid, ein anmwefendes junges 
Mädchen: „Ich bin weder eine kluge Frau, nod eine Weiffagerin; aber meine 
Amme Halldis lehrte mich doch in Island einen Sang, der benfelben Ramen 
bat.” Thorkild antwortete: „Da kannſt du mehr, als wir glaubten.” Sie 
fagte: „Diefer Sarıg und die dazu gehörenden Geberden find von. der Art, daß 
ich fie nicht ausführen kann, da ich eine Chriftin bin.” Thorbjörg erwiberte: 
„Hierin kannſt du uns unbeforgt dienen, ohne daß dein Glaube Gefahr Läuft.“ 
Inmittelſt ließ Thorfid Alles in Stand feten, mas zu ber Feierlichkeit erfor- 
deriih war, und bat Gudrid infländig, dem Begehren zu entiprechen, fo daß 
fie fi) auch endlich bewegen ließ. Xhorbjörg fette fich da auf den Zauberſtuhl, 
umgeben von einem Kreife von Frauen; Gudrid aber trug den Sang mit fo 
ſtarker und Harer Stimme vor, daß die Anweſenden zugeftanden, fie hätten nie 
zuvor einen fo fhönen Gefang gehört. Die Wahrfagerin war auch fehr wohl . 
damit zufrieden, dankte ihr und gab zu verftehen, daß fie jetzt viel erfahren 
habe fiber den Gang der Krankheit und der Witterung. „Jetzt,“ jagte fie, „it 
mir Bieles geoffenbart, wovon weder ich, noch Andre zuvor wuſten. Die 
gegenwärtige Hungersnoth wird nicht fange dauern, Überfluß an Allem wird 
mit dem Frübjahre zurückkehren; felbit die Krankheiten, welche diefe Gegend ge 
plagt Haben, werden bald ganz verjhwinden. Dir, Gudrid, will ich den Dienft 
vergelten, ben bu uns erwiejen haſt, denn dein Schidjal, das ich jet fehr 
genau kenne, ift herrlicher, als irgend Jemand jett glauben möchte. Hier in 


336 


! 


Grönland wirft du mit einem fehr anfehnlihen Manne verbeirafhet werben; 
diefe Ehe wird jedoch nicht lange dauern, da es beftimmt ift, daß du nad 3% 
Iand zurücdtehreft und die Stammmutter eines zahlreichen und blühenden Ge⸗ 
ſchlechtes werbeft, welches von herrfihem Glanz umſtrahlt werben foll. Yet 
wünſch' ich Dir, meine Tochter, alles Gute und fage dir Lebewohl.“ Hierauf 
giengen Alle, ver Eine nad) dem Andern, hin zu der Wahrfagerin und fragten 
über das, was ever befonders von zukünftigen Dingen zu wiflen wänfchte, 
- woranf fie deutliche Antwort abgab. Bald wurde fie nad einem andern Hofe 
in derfelben Abficht eingeladen. Da kam (der Hrifliche) Thorbjörn zurück, denn 
er hatte fich mwegbegeben, weil er bei ber Ausübung eines folchen heibnifchen 
Aberglaubens nicht zugegen fein wollte. Die Witterung beſſerte fich vollfommen 
mit dem berannahenden Frühjahr, wie Thorbiörg vorausgefagt hatte. 

Die wichtigfte Veränderung aber, welche die Sage von Geftr in 
der Nornageſtsſaga und der ihr verwandten Erzählung von Dlaf dem 
Heiligen erfahren bat, bleibt immer die, daß fie, wie fchon bemerkt, 
zu einer Bekehrungsgeſchichte geworben ifl. Daß Geftr mit den alten 
heidniſchen Königen befannt war, kommt auch in ben beiben andern 
Darftellungen vor; aber daß er nun ben chriſtlichſten König des Nordens 
auffucht, um bei ihm getauft gu werben und chriftlich zu fterben, damit 
‚gebt die Sage in eine neue Bedeutung über, welche gleichwohl in ihr 
nicht fo tief aufgefaßt ift, als in folgender, der ältern (vorinorroifchen) 
Saga von Dlaf Tryggvaſon angehöriger Erzählung (K. Dlaf Tryggvaſ. 
Saga, overf. af Rafn II, 137 ff., €. 201: Om Svend og hans Sön 
Sind): . ' 

Es findet fich in Büchern geſchrieben, daß in des Jarls Halon Sigurds- 
fohns Tagen nördlich oben in Throndheim ein Dann mit Namen Svend Iebte. 
Er war rei und von vornehmem Geſchlecht, fill und ſanftmüthig daheim, 
aber flreitig und flolz gegen jeine Obern, wenn ihm Etwas misbehagte. Er 
opferte den heidniſchen Göttern, nad feiner Eltern und Berwandten Gebrauch, 
wie alle Leute damals in Norwegen thaten. Er Hatte auf feinem Hofe ein 
großes und anjehnliches Götterhaus; darin waren viele Götterbifper, aber doch 
verehrte Svend am meiften Thor; er fland auch in Freundſchaft mit Halon 
Jarl, wie andre Opferer. Seine Söhne hießen Spend und Find, Spend 
glich feinem Bater in Sinnesart, Find aber war fehr eigenfinnig und zänkiſch, 
miſchte fi oft in Andrer Bwiftigfeiten und ſprach hoch herab, manchmal aber 
jo ſchweigſam, daß man nit ein Wort aus ihm Heransbringen konnte, tiber 
haupt in feiner Denkweiſe jehr wunderlich. Man traute ihm darum nicht viel 
Berfiand zu. Er hielt auch wenig auf ihren Glauben, denn wenn er, was 


337 


jelten geſchah, in feines Vaters Götterhaus kam, pries er die Götter nicht, 
fordern fpottete ihrer bei jedem Wort, nannte fie fchieläugig und befläubt und 
fagte, fie können Andern nicht helfen, da fie nicht fo viel Kraft hätten, fich ſelbſt 
den Staub abzuwiſchen. Oft ergriff er fie und warf fie von ihren Plätzen; 
fein Bater aber fagte ihn, daS werde feinem Glück im Wege ftehen, daß er ſich 
fo ſchlecht gegen fie benehbme, da doch Thor fo viele und preismertbe Thaten 
verrichtet, durch Berge gefahren, Felſen entzwei gebrochen, Odin aber Über dem 
Siege der Männer gewaltet. Find antwortete: „Da gehört geringe Kraft Dazu, 
Steine und Felsftide zu zerbrechen und derlei Arbeit auszuführen, oder Sieg 
zu geben, wie Odin, dur Trug und nicht durch Kraft; mich aber bedünlt, daß 
der mädtig ift, der im Anfang die Berge hergeſetzt bat, die ganze Welt und 
das Meer; was wiflet ihr von dem zu fagen?” Davon wufte der Bater nicht 
viel zu erzählen. Eines Winters um Julzeit, da die Leute zum Trinktiſch ge 
kommen waren, fagte Find: „Weit umber werden nım biefen Abend Gellibde ge 
than, an Orten, wo nicht beffer zu fein ift, als bier; nun thu' ich das Gelübde, 
daß ich dem Könige dienen werde, der der Höchſte und in jeder Hinficht Andern 
vorzuziehen iſt.“ Das deuteten die Leute verſchieden. Einige jagten, Hakon Jarl 
fei der vornehmfte Häuptling in norbifchen Landen und dem werde Find dienen 
wollen. Find fagte, er wife wohl zu unterjcheiden zwifchen einem König und einem 
Sarl. Andre, die itbler gegen ihn gefinnt waren, fagten, er zeige feinen Un⸗ 
verfiand in diefer Antwort, wie im Gelübde felbf. Nach dem Zul rüftete ſich 
Find zur Abreife. Sein Bater fragte ihn, wohin er gebenle. Sind fagte: „Das 
weiß ich nummermehr, wohin ich fahren werde; aber auffuchen will ich einen 
König, dem ich zn dienen gedenke und doch allein auf die Weife, daß ich mein 
Gelübde nad) jeder Hinficht erfülle.“ Er fragte dann, ob fein Bruder Svend 
mit ihm ziehen wolle. Diefer wollte nit. „Das ift auch gut,“ ſagte Find, 
„daß du den Bater behilflich fein willt, über unfrer Habe zu machen, bis ich 
zurfidfomme.” Der Bater fagte: „Wünſcheſt du, daß ich dir einige Männer 
zum Gefolge und Geld mit auf die Reife gebe?” „Nein, gar nicht,“ antwortete 
Zind, „dein nicht würde ich Berftand haben, fiir mehrere Männer zu forgen, 
da ich nicht Verſtand habe, fiir mich ſelbſt zu forgen, wie Manche jagen und 
ih nicht läugne, daß es wirklich der Fall fe.” Darnach zog Find fübwärts 
den obern Weg durch die Upkande und kam nach Wigen, von wo er mit einem 
Schiffe nad Dänemark reiſte. Sobald er den Fuß an's Land geſetzt, gieng er 
allein vom Schiffe fort nad) den Wäldern, in denen er lang umherirrte. End⸗ 
lich kam er heraus zu einer Stelle, wo er emen Hirten traf. Sie fetten fich 
uieber und fpradhen mit einander. Find fragte, ob bewohnte Gegend in der 
Nähe fe. Der Hirte bejahte das. Daranf fragte Find, ob der Hirte mit 
ihm Die Kleider wechfeln wolle. Diefer war gerne bereit und fie thaten nım fo. 
Npland, Schriften. VII. 22 


338 


„Was ift bier in die Kleiver gebunden ?* fagte Find. „Das nennen wir Chriſten 
ein Kreuz,“ war die Antwort. „Biſt du ein Chriſt?“ fragte Find, „und was 
it e8 damit, wenn man ein Chriſt iſt?“ Der Hirte erzählte ihm davon, was 
er wuſte; aber Find erzählte ihm dagegen von Thor ımb Obin und ihren 
, Thaten, Der Hirte fagte: „Bald glaube ih, du willfi mich in ver Rebe irre 
machen; aber beffer ift, du geheft zu unſrem Biſchof, der nicht weit von hier 
it, denn bei ihm wirft du nicht mit Geſchwätz allein zurecht Tommen und er 
wird did) tiber dem Glauben deutlicher befcheiden können, als ich.“ Kind fagte: 
„Was iſt das, fo ihr Biſchof nennt? ift e8 ein Menſch, oder ein andres Thier?“ 
Der Hirt antwortete: „Noch wird beine Rebe nicht klüger; entweder bift du eim 
großer Thor oder ein läppifcher Menſch, oder du Hift nicht fo einfältig, als du 
dich anläßſt; Biſchof nennen wir den Leiter and Vorſteher des heiligen Chriſten⸗ 
thums.“ Find fagte, zu diefem wolle er vor Allem geben. Er kam demnächſt 


zum Biſchof und grüßte ihn. Der Biſchof fragte, wer er fei. Er fagte, er fei 


ein Norweger. „An wen glaubft du?” fragte der Bifchof. Find antwortete: 
„An Thor und Odin, wie andre Norweger.“ „Das ift ein ſchlechter Glaube,“ 
fagte dev Biſchof, „und ich werde dich einen andern, beflern Glauben lehren 
laffen.” Find verfetste: „Das weiß ich erſt, wenn ich ihn höre, ob diefer Glaube 
mir beffer vorfommt; und warum willſt du diefen Glauben mich lehren laſſen 
und mir ihn nicht ſelbſt weiſen?“ Der Bifchof übergab ihn einem Priefter, der 
ihn den Glauben lehren follte. Aber Find verwidelte Alles vor dem Prieſter, 
fo daß diefer nichts ausrichten konnte und dem Biſchof fagte, diefer Mann jei 
fo einfältig und ihm fo fchwer etwas beizubringen, daß man auf feine Weile 
mit ihm voranlommen könne. „Mir fcheint diefer Mann nicht ſowohl einfältig, 
als wunderlich,“ fagte der Bifchof und begann, ihn num felbft zu untermeifen und 
ihm von den Wunderwerken-des allmächtigen Gottes zu erzählen. Endlich jagte 
Find: „Das ift ganz anders, als ich zuvor hörte, daß feine Götter fo mächtig 
feien, als Thor und Odin; aber jetzt entnehme ich das befonvers ang beimen 
Worten von diefem Chriſt, den du verkündeſt, daß jeder Menſch, fo viel er 
wollte, ihm entgegen thun mochte, fo lange er auf der Welt war; aber nad 
feinem Tode wurde er jo berühmt, daß er in die Hölle einfiel und der heid⸗ 
niſchen Götter Häuptling Thor band, und nachher fonnte fein böfer Geift (Bätte) 
vor ihm Stand halten; darum ſcheint mir, daß er ber König if, dem ich zu 
dienen gelobt babe, höher und heiliger, größer und mächtiger, als alle andre 
Könige, und darım werd’ ich hinfort an ihn glauben und ihm dienen, wie 
ihr mich Iehret.” Der Bifchof fagte: „Das if ganz richtig, nach dem Begriffe, 
den du von Gott gefaßt Haft, und nun zeigt es fich, wie ich fagte, daß du viel 
verflänbiger bift, als du dich auläßſt.“ Find wurde ba getauft und hielt feinen 
Glauben wohl und blich einige Zeit in Dänemart. 


839 


Nachher (5. 208) zog er auch zum König Olaf Tryggbaſon und ſtarb bei 
dieſem. Der König ließ ihn zum Tode bereiten und ſtand ihm ſelbſt mit Sorg⸗ 
falt bei. 

Diefe Erzählung, in ihrer gegenwärtigen Yorm ſchwerlich älter, 
als aus dem 14ten Jahrhundert, fcheint auf geichichtlichem Grunde zu 
“ beruhen (Sagabibl. III, 226), wenn gleich die Darftellung ins Sagen: 
Bafte jpielt und bie heibnifche Götterverebrung nad ſpätern, chriſt⸗ 
lichen Begriffen allzu roh aufgefaßt fein mag. Daß nun eben dieſe 
oder eine Ähnliche Erzählung, wenn auch nur mittelbar, der Sage von 
Geſtr die veränderte Richtung gegeben habe, wodurch fie zur Belehrungs: 
geſchichte geworden if, kann nicht geradezu behauptet werden. Aber 
jo viel iſt gewiſs, daß die chriftlicde Richtung erft bier ihr rechtes und 
Hares Ziel erreiht. Odin, ber fi) nod in ber zweiten Erzählung von 
Dlaf dem Heiligen als ben größten ber Könige rühmt, muß weichen 
und es tritt ein höherer, heiligerer König hervor, deſſen Dienſte jett 
der Sohn des Nordens zuziebt. 

Die Sage von Nornageſt war die geeignetjte, die Reihe ver bisher 
dargeftellten norbifchen Helbenfagen zu bejchließen. In ihr und den zu 
ihr gehörigen Erzählungen gehen noch einmal bie berühmteften der.alten 
Helben, Hrolf Kraft mit feinen Kämpen, Half und feine Reden, Stars 
fadr, die Völfungen, Ragnars Söhne, im Zauberfpiegel vorüber und 
der Heldenvater Odin verſchwindet als ein unheimlicher Nachtgeift. 


Wir lafien nun im Rückblick auf diefe Sagenreibe einige allge 
meinere Bemerlungen folgen: 

1) über das Verhältnis ver Heldenjage zur Götterfage; 

2) über den gemeinjchaftlidhen Charakter beider; 

3) über die Organe biefer ſtandinaviſchen Sagendichtüng. 


1. Über dad Verhältnis der Heldenfage zur Götterſage. 


Wir haben die Helvenfage vom Anfang als einen ergänzenden 
Theil des mythiſchen Weltganzen bezeichnet. Die Götterfage belehrt 
uns über die Schöpfung der Menſchen unb über ihren_Buftand nad 
dem Tobe, bie Heldenfage zeigt uns das Berhältnis zwiſchen Göttern 


840 


und Menichen während des irdiſchen Daſeins. Wir find der Bebeutung - 


ber höhern Mächte nur balb verfidert, fo lang wir diefe nicht in 
ihrer Einwirkung auf die menfchlihen Dinge erfennen, und umgelehrt 
wird uns die irbifhe Erſcheinung jener höhern Wefen ein Räthſel 
bleiben, wenn uns nicht der Blick nach dem Götterhimmel geöffnet if. 
Vergegenwärtigen wir ung bie mythiſchen Beitandtheile der bisher 
dargeitellten Heldenfagen, jo ermeift ſich weit vorberrfchend die Wirk⸗ 
famfeit Odins. Die Menſchen find, wie früher dargethan wurbe, ver- 
möge ihrer geifligen Natur ben Aſen zugeorbnet. Der oberite und 
geiftig Iebenvigfte ber Aſen aber, ber gemeinfame Vater der Götter 
und Menjchen, tft Odin und mit ihm ftehen barum auch die erregteiten, 
rüftigften Menfchengeifter, die Helden, im manigfachſten Berfehr. 
Es ift jedoch angemefien, etwas näher auf die Erfcheinung der 
verfchiedenen mythiſchen Wefenarten in der Heldenfage einzugehen. 
Die Banen mit ben ihnen zugeoroneten Lichtalfen, die freund: 
lihen, fonnigen Naturfräfte des Lichtes, der Wärme, der Fruchtbar⸗ 
feit, Tönnen im gewaltig bewegten Heldenleben feine bebeutende Stel- 
lung einnehmen. Sie walten über die rubigern Buftände des Feld⸗ 
baus, des Fiſchfangs, der friedlichen Schifffahrt, des ehelichen Lebens. 
Sie werden mehr durch feftliche Jahresopfer verehrt, ald im Helben- 
fange gefeiert. Njörds und Freyrs konnten wir faft nur in ber Sage 
von Frodis Frieden erwähnen, deſſen goldene Zeit, nach der Ynglinga⸗ 
faga, in Schweden ihrem. Einflufle verdankt wurde. Niörd, der im 
Frühling das Meer öffnet, ift wohl auch ven feefahrenden Helden nütz⸗ 
lich; aber fie bauen auch, menn’s drauf anfommt, die eingefrornen 
Kiele aus dem Eis, wie Ragnars Söhne, und fpannen mitten im 
Sturme die Segel noch höher auf, wie Helgi und Sigurd. Starkadr 
will nicht länger bei den Söhnen Freyrs (cum filiis Fro, Saro 157; 
vgl. 223), den Ynglingen, ruhig liegen, weil ihn bie weibifchen Tänze 
der Gaufler und das Geflingel ver Schellen bei den Opferfeiten zu 
Upfala anwidern. (Vgl. noch Saro 18 f.) Wenn Sigurd in einem 
Eddaliede (Brynh. Qv. II, Str. 24; Edd. Sem. ©. 219) Freyrs 
Freund (Freys vinr 1) genannt wird, fo mag dieß eine Bezeichnung 
1 Edd. Harn. II, 222, 25: Freys vinar Freyi amieci i. e. diis dilecti. 
Edd. F. Magn. IV, 68: Freyrs Yndlings. E. O, Vens. Bgl. Grimm, 
Edda 252. [Simrods Edda ©. 216. &.] 





341 
feiner leuchtenden Schönheit fein. Freyja wird zugleich mit Frigg 
einer Frau von ber andern in Kindeswehen zur Hülfe gewünſcht 
. (Oddr. Gr. Str. 8; Edd. Seem. 240). Als Liebesgöttin erjcheint fie 
gar nicht; der Helden Liebe find die Valfyrien. 

Beträchtlicher greifen in die Helbenjage bie Soten ein und bie ihnen 
verwandten Schwärzalfe. Wie bie Aſen mit ben Joten und Hrimthurfen 
in beftändigem Kriege begriffen find, jo liegt auch den Helden durch 
fo viele Sagen hindurch die Belämpfung ber Riefen ob. Wie bie 
Winterriefen Freyan und Idun aus Asgard entführen, fo find auch 
die Riefen der Heldenfage ſtets darauf aus, ſchöne Erbentöchter, könig⸗ 
The Jungfraun, zu rauben und nad ihren Felshöhlen im Gebirge 
wegzufchleppen. Die Helden aber find unermüdlich, ihnen bie Toftbare 
Beute abzulämpfen; fie befreien die Sprößlinge edler Geſchlechter, die 
in die Dienftbarkeit der Niefen gefallen find; fo Fridlev den telemars 
kiſchen Königsfohn, der dem Riefen Hytbin ala Ruderknabe dient, fo 
Dihar bie fpröbe Syrith, die dem riefenhaften Walbweibe die Biegen 
hüten muß. Hier ift es nun nicht ein Kampf der Sommerfräfte gegen 
die Wintermächte, wohl aber der ebleren Helvdenfraft gegen bie rohe, 
fittenlofe Gewalt, und immerhin ſtehen auch ſchon in biefem irbifchen 
Streite die Helben, die Bötterfühne, auf der Seite der welterbaltenden 
Alien. Dasfelbe zeigt fih im Kampfe ber Helden mit Lindwürmern und 
andern Ungeheuern. Aber wie der Götter Verderben anhebt, als drei 
gewaltige Thurfenmäbchen aus Jotunheim. kommen (Bölufpa Str. 8), 
fo ſuchen auch auf der Erde Rieſenweiber die Helden zu verloden (in 
den Sagen yon Habding und Helgi). Die Riejen, überhaupt die Ges 
waltthätigen, bie von ben Helben belämpft werden, find häufig ala 
Berjerker dargeftellt. Vom Rieſenſtamme kommt jenes rafende Ber 
ſerkergeſchlecht der Hiefür bedeutſamſten Hervörsſage, Arngrim und 
feine zwölf Söhne, die auf Samsd fielen, die Befiter und Vererber 
des Wuthichwertes Tyrfing, an dem drei Nidingswerke haften, und fo 
ſtammt auch Starkadr, felbft das Werkzeug dreier Nidingsthaten, von 
Riefen ber. Zwar bezeichnet die Ynglingaſaga (GC. 6 fin.) das 
Kriegsvolk Odins ala Berferler, und der odiniſche Kampfgeift. bietet 
allerdings Beziehungen zum Berferlergange dar; aber va die An: 
deutung biefer Saga, in welcher Odin durchaus menfchlih und ges 
Ihichtlih genommen ift, durch Fein anderweites mythiſches Zeugnis 


342 
beftätigt wirb, vermöge beflen Dbin als Urheber ber Berſerkerwuth zu 
betrachten wäre, fo erben wir dieſe richtiger, nach Anweiſung ber 





Helvenfagen, auf die Seite der maßlofen, ungebändigten Rieſenkraft 


fetten. Selbft eines der mythiſchen Eddalieder (Harbarz-1j6d &tr. 35. 
Edd. Seem. 78°, F. Magn. Edd. II, 149. 161 f.) nennt die Riefen- 
und Bauberweiber Berjerkerbräute (brüdir berserkja), nimmt fomit 
Berſerker mit Joten gleichbedeutend. 

Zunm Jotengeſchlechte gehören, nach der Götterfage, auch bie wil⸗ 
den Meeresgetvalten. Agir, ver Meeresgott, und feine Gemahlin Ran 
werben öfters in den Sagenlievern genannt, Fridthjof Schlägt im 
Seefturme feinen Ring in Stüde und vertheilt dieſe unter feine Ge 
fährten, damit man Gold an ihnen ſehe, wenn Ägir fie aufnehme und 
fie in Rans Sälen Herberge fuchen (Fornald. 8. II, 78). Aud von 
Rans Kindern (Ränar j6d, ebenbaf. 83, 1; jöd, n. proles, foetus), 
den Wellen, die den Meertreter, das Schiff, ermüben, fingt Yribtbiof. 
Helgis Schiffe will gleichfalls Agirs Tochter umſtürzen und die ſchützende 
Valkyrie entiwindet das Konigsſchiff Rans Händen (Helg. Qv. HB. I, 
Str. 29. 30. Edd. Seem. 153). Noch perfönlidyer aber treten in ber 
Sage von Frodi biefe Gewalten in Handlung. Die Mühlmägde Menja 
und Fenja, die bald Gol und Glück, bald Sand und VBerberben 
mahlen, find, wie gezeigt worden, ebenfalls die Wellen, Agirs Töchter. 
Zwar wird ihre Bater nit genannt, aber fie ftammen vom Riefen 
geichlechte, nennen Hrugnirn, den Steinriefen, den Thor zerjchmettert, 
und Thiaffin, der Idun geraubt, ihre Verwandte und mahlen tobend 
in Jotenmuth (f jötun-m6di, Sn. Edd. 150°). 

Hel, vie Beherricherin des Talten, unterirdiſchen Tobtenreiches, 
gehört Ihon als Tochter Lokis zum Jotenſtamme. Bon ihr gefanbt if 
jenes biutgierige Grabgefpenft des ftechtobten Asvit 

(Nescio quo stygli numinis ausu j 

Missus ab inferis spiritus Asrit u. |. w. ), 
mit welchem Aamund, ber fidh freiwillig mitbegraben ließ, ringen muß. 
(Bol. noch Gudrünarhv. Str. 19: Seem. Edd. 268% und Helreid 
Brynh.) Loki ſelbſt ericheint ald Utgardsloki, als König der Niefen- 
welt, in verjchiedenen Sagen, bie wir jedoch erft nachher, bei ben 


1 Sıpp 8. V, S. 137. 


— 





343 


Mähren, anführen werben; ala Aſaloki aber, als das aus der phyfi⸗ 
fchen Beziehung in die ethiſche gefteigerte Böfe, wandert er mit ben 
Ken Dbin und Hänir über die Erbe und bringt zum Löfegelb für ben 
von ihm tobigeworfenen Ditur den Fluchring, der zwei Brübern zum 
Tod und acht Königen zum verderblichen Zwiſte werben foll (Sigurd. 
Qr. H, Str. 5. Edd. Seem. 181), ein Fluch, ber fih im tragifchen 
Gefchide der Bölfungen und Niflungen erfällt. 

Die den Joten verwandten Schwarzalfe oder Zwerge find in ber 
Götterfage beichäftigt, herrlihe Kunftwwerle, Thor? Hammer, Obins 
Speer, Freyas Halsſchmuck, Sifs goldne Haare u. dgl. zu ſchmieden. 
Wenn aber biefe von den Unterirdiſchen verfertigten Gegenftände fi) 
vorzüglich auf Raturerfcheinungen beziehen, jo finden wir in der Helden: 
fage die Schwarzalfe im Befite folder Schäge, die auf bas bewegte 
Menichenleben Einfluß haben. Sie find die Inhaber der in der Erbe 
verborgenen Erze, des Eifens, aus dem fie Schwerter von wunder: 
baren Gigenichaften jchmieden, des Goldes, das den Menſchen fo er: 
wünfcht ala gefährlich if. Diefe Werke und Befigihümer geben fie aber 
nur gezivungen heraus und rächen ſich für den erlittenen Zwang durch 
Auflegung des Fluches auf das ihnen Entriſſene. So beften in ber 
Hewörsſage die Ziverge Dyrin und Drvalin an dad Schwert Zyrfing 
drei Nidingswerle. So verwünſcht in der Völfungenfage der Zwerg 
Andvari das Bold, das ihm abgebrungen wird, daß es den Befitern 
zum Verderben werde. Auch bie tüdifchen Schmiede Reigin und Bölund 
find alfifher Natur. 

Von den Xen, im Gegenſatze der vaniſchen und jotiſchen Götter, 
berührt Hänit nur in ber vorbemerkten Erdenwanderung mit Din 
und Loli die Heldenfage, Bragi nur infofern, als bei feinem Becher 
am Sjulabend von den Helden folgenreiche Gelübde abgelegt werben. Die 
Bedeutung Jcheint die zu fein, baß bie Thaten angelobt werben, die einft 
im ben Belang übergeben, in den Runen verzeichnet. werben jollen, die, 
wie Brynhild den Sigurd lehrt, auf Bragis Zunge ftehen (Brynh. 
Qrv. I, Str. 17. Edd. Sem. 196). Baldurs Geſchichte ift zwar bei 
Soro (8. III) und wohl auch ſchon in den Überlieferungen, die er 
vor fih hatte, anthropomorphiſtiſch ala Heldenſage behandelt; wir 
muſten aber diefelbe gänzlich in die Bötterfage zurückweiſen. Ob Balbur . 
mit Sigurd identiſch zu nehmen fei, wie mehrfach behauptet worden, 


344 


und auf diefe Art doch ber Gott fih zum Helden umgetvanbelt babe, 
wird bei ber deutſchen Sage zu erwägen fein. (Vgl. Lachmann, Arit. 
d. Sage v. d. Nib. 22 [Schriften I, 172. 209 f. 8.].) Dab aber 
dieſer Gott in der Fridthjofsſage, wo er jet nur noch im befriebeten 
Baldurshag als bölzernes Standbild aufgeftellt ift, einft mehr innere 
Bedeutung gehabt, als Wächter heiliger Sitte und Reinheit, fanden 
wir bei der Erörterung jener Sage nit unwahricheinlich. 
Unzmeifelbafter tritt Thor heraus. Er waltet in der Sage von 
Halfoan, dem Ahn der Königsgefchledhter. Dieſer wird Thors Sohn 
genannt und ihm Hilft Thor die Felsitüde vom Berge wälzen, wodurch 
das Heer feiner Feinde zerichmettert wird. Der Beiname Bierggram, 
den Halfdan von biefem Ereignis erhielt, dem er ed, nad Saro, auch 
verdanten joll, für Thors Sohn gehalten worben zu fein, war auch 
ein Name bes Donnergottes ſelbſt. Wie diefer mit dem furdhtbaren 
Hammer Mijölnir die Eis- und Steinriefen zermalmt, jo fchlägt auch 
Halfdan bald mit einer ausgerifienen Eiche, bie er fich als Keule zu 
richtet, bald jelbft auch mit einem ungehenern Hammer (mires granditetis 
malleo, Saro ©. 190) Riefen und Berjerker nieber; und wie Thor 
burch den Schlag feines Hammers Freyan aus ber Gewalt der Joten 
rettet und nach Asgard zurüdführt, fo befreit ber Lämpfenve Halfban 
bie gefährbeten Königstöchter und wahrt die königlichen Helbenflämme, 
die unter feiner Obhut ftehen, vor ber Bermifhung mit dem rohen 
Rieſengeſchlechte. Nach andrer Seite offenbart fih Thor in der Sage 
von Starlabr, bei deſſen Schickſalsbeſtimmung er im Gegenfate zu 
Odin fteht. Odin theilt dem Helden das Heilbringende und Rühm⸗ 
Ische zu, Thor das Unheil und bie. Nibingewerte. Als Beweggrund 
diefer Ungunft wird in einer ber hieher bezüglichen Sagan angegeben, 
dag die Mutter Starkadrs einen Niefen bem Aſathor vorgezogen, und 
fchon die Abftammung dieſes Helden- vom Sotengefthledht überhaupt 
Stellt ihn auf die Seite ber von Thor Gehaßten. Allein der Gegenfat 
zwiſchen Odin und Thor ift ein allgemeinexer; er wird uns gleich 
nachher in einer andern Sage begegnen und felbft eines ber mythiſchen 
Eddalieder, Harbarzljod, ift ein Streitgefang ber beiden Aſen. Man 
bat hierin die Spur verfchievener Götterverehrungen, bie zum Ganzen 


1 Sagenforſchungen I, 196 f. Edriften 6, 112 f. 2] 


345 


ber. norbifchen Mythologie ſich gefchichtlich, zum Theil widerſtrebend, 
verbunden, oder den Streit zweier Selten zu bemerfen geglaubt, wie 
man benn auch eihnographilc die Verehrung Thors vorzugsweiſe den 
Norwegern, Freyrs den Schweden, Dbins den Dünen zugefchieben hat. 
Gleihwohl Tann der fraglide Gegenſatz auch ohne eine folge, mehr 
äußerlidie Sonberung erklärt werden. Sind einmal bie Aſen unter ſich 
als Perfonificationen mehrfacher Kräfte und been unterjchieben, fo 
find eben bamit auch Abflufungen und Gegenſätze im Sinnen bes 
Afenkreifeö gegeben, Wenn wir in ben Afen überhaupt den wirkenden 
Geiſt erlannten, fo erſchien uns doch in diefer Wirkſamleit Odin als 
ber geiftigfte, Thor als der, welcher der Materie am nächſten fteht. 
Sr Tämpft gegen die Materiellftien Naturmäcdte und bat barum auch 
zu ihnen die meifte Beziehung, iſt felbft der Thurfenbafte unter ben 
Aſen und feine Mutter ift die Erde. Diefe Verſchiedenheit zwiſchen 
Thor und Obin äußert fi denn auch barin, daß fie Starlabın auf 
fo entgegengejegte Weife begaben; von Dbin empfängt der Helb bie 
geiftige Belebung, von Thor wird er nur in ber ihm als Riefenjohne 
angebornen wilden Natur beftärft. 

Bon allen Alen aber und von allen Weſen Ber Gbtterwelt über: 
haupt äußert Odin weit die mädtigfte und allgemeinfte Wirkung im 
der Heldenſage. Bir haben Türzlich erſt nachgeiviefen, wie er in ber 
Bölfungenfage vom Anfang bis zum Ende durchſchreitet. Auf ähnliche 
Weite Tönnten wir durch dem gröſten Theil der übrigen Sagenreihe 
feine Spur verfolgen, die auch immer an Ort und Stelle angezeigt 
worden ift. Für den Überblid ift es jedoch zwedgemäß, fein Auftreten 
- und Wirken unter allgemeineren Geſichtspunkten aufzufafien. - 

Seine Erſcheinung ift von der Art, dag mir ihn leicht erfannt 
baben, auch wo er gar nicht ober nicht wit bem Namen Odin genannt 
war i, Eimängig, alt und bärtig, in Hut und Mantel gehüllt, tritt 
er unerwartet und ungelannt in die Königöhalle, oder fteht plötzlich an 
der Seite des einfamen Heldenfohnes, ober verlangt vom Borgebirge 
aus in das vorüberſegelnde Schiff aufgenommen zu werben. Auch 
diefe irbifche Erfcheinung fteht in Übereinfimmung mit feinem gött 
liden Weſen; einäugig ift er, weil er fein anbres Auge um einen 


8 [BgL die zum Theil gleihlautende Ausführung ®. I, ©. 188. 8.) 


\ 





346 


Trunt aus Mimirs Weisheitäbrunnen zum Pfanbe geſetzt; alt ericheint 
er als der Vater ber Götter und Menſchen; verhüllt und unter anbern 
Namen gebt er auch in ber Götterwelt aus, die Weisheit ber Riefen 
und ber unterirdifhen Bolen zu erfunden. Auf feine Berhüllung, wie 
auf feine Wanderungen überhaupt, beziehen ſich auch verſchiedene feiner 
Namen, wie die im Eddaliede Grimnismal aufgezählten (Str. 47. 48. 
Edd. Seem. 465): Sidhöttr (mit bem tief hereingebenben Hute, mit 
bem auch die Helden, Olo, Starladbr u, ſ. w. ihr Geficht verbergen), 
Sidfleggr ? (mit dem tief herabhängenden Barte), Grimr, Grünnir? 
(der Verlarvte). Auf längere Zeit nimmt er au die Geftalt irgend 
eines beftimmten Menſchen an, fo diejenige bed im Strome verum 
glüdten Bruni, des Rathgebers Harald Hyldetands. Als ein Bauer, 
Hrani 8, bewirthet er den König Hrolf Kraki und auch als Geftr in 
ber Herbörsfage wird er ein Bauer (bondi) genannt. . 

So wie wir Din in ber Goͤtterſage von ziveterlei Seiten betrachtet, 
als den Forſchenden und Kundigen unb ala den Wirkenden und Kämpfen: 
ben, fo Stellt. er ſich auch in feiner irdiſchen Tchätigleit nach beiberlei 
Beziehungen dar. In der erftern tritt er als Geftur auf, legt den 
Könige Heidrek Räthſel vor, oder verſucht nod ala Nornageſt die chriſt⸗ 
lichen Könige, ſingt und ſagt die Kunden aus ber alten Heldenzeit. 
Gr, der in Asgerb mit Saga ans goldnen Schaalen trinkt, iſt auf 
Erden jelb ein Sagenerzähler und twie er Bragin den Dichtertrant 
verichafft und felbft zu fingen verfieht, wie Andre zu reden, fo verleiht 
‚er auch Starkadrn bie Babe ver Slalbenlunſt. 

Noch viel manigfadher aber ift feine irdiſche Wirkſamkeit in ber 
andern Beziehung, als Kampf» und Heldengott. Ex wird felbft Stamm 
vater kriegeriſcher Gehchlechter, und unerstüblich gebt er darauf aus, 
Helben zu erwecken und auszwrüften, Zwietracht und Kampf anzuftiften. 
Er ftößt das herrliche, aber flreiterregende Schwert in den Baumſtamm 
des Volſungenhauſes, iheilt Starladrn gute Waffen zu, hilft bem 


1 Lex. isl. sidr, laxus, demissus, lang, ſid; höttr, m. pileus; skegg, 
n. barba. [Simrods Edda ©. 21. 292. K.] 
2 Lex. mytlı. 128: Grimnir (personatus vel galeatus). Ebd. Grimarr, 
Grimar, personatns a 26 grima, persoma, galea.. ©. 130: Grimr, grimer, 
personatus, velatus. 

9 Rani, m. rostrum, in spec. huie. 


347 


Sigurd das befte Roſs auswählen, beräth ihn und Frothon oder Fridlev 
beim Dradenlampfe, bringt den flüchtigen Habbing auf bem Roſſe 
Sleipnir hoch über dem Meere nach Balball und ftärlt ihn mit Götter 
fpeife, lehrt Habbing !, Sigurd, Haralb Hyldetand und deſſen Gegner 
Hring die Teilfürmige Schlachtordnung, prüft ald Bauer Hrani bie 
Kämpen Hrolfs, die auf feinem Hofe eingelehrt, dur Froft, Feuer 
und Durſt, er hat Halfs Reden Utftein in ber Jugend das harte Herz 
in ber Bruft gebilvet (Fornald. 8. II, 51). Die Balfyrien 2, feine 
Dienerinnen, ſendet er den Sünglingen zu, um ben Helbengeifi in 
ihnen anzufadden. Er jelbft trägt ald Bruni zwiſchen verwandten Kö⸗ 
nigen zwiſterregende Botichaft bin und wider. Er maltet aber auch 
über die Blutrache, die der Duell fo vieler, von Gefchlecht zu Geſchlecht 
fortwuchernder Gewaltthaten ift; ihm opfert Dagr für Baterracdhe und 
Odin leiht dann felbft bem Sünglinge den Speer zum Tode feines 
Schwagers Helgi; im die Buße für Ottur legt er, mittelft des beige 
fügten Fluchrings, den Keim neuen Zwiſtes, der, in Morb und Radye 
fih fortwälzend, die Heldenftämme verfchlingt. Sm der Schladt er 
Scheint er bald hülfreich, bald feinen eigenen Günſtlingen verberblich. 
Sn Haddings Kampfe gegen die Biarmier ftellt er ſich hinter bie 
Reiben, zieht aus der Tafche, die ihm vom Naden hängt, einen Bo- 
gen, der anfangs Hein erfcheint, bald aber weit fich dehnt, und legt 
an die Sehne zehn Pfeile zugleich, die, mit Yräftigem Schuß in bie 
Feinde geichnellt, ebenfoniet Wunden bohren. Die Biarmier führen 
durch Zauberliever ungeheure Megengüfje herbei, aber per Greis ver: 
. treibt durch Sturmgewölt den Regen. In Hrolf Kralis letztem Streite 
fieht Bjarki, wenn er Rutan unterm Arme durchblickt, den ſchreck⸗ 
lichen Odin mitten im Schladjtgewähl auf hohem Roſs, mit weißem 
Schilde bevedt. Dem greifen Sigmund ſchwingt Dbin in der Schlacht 
den Speer entgegen, an dem das Böllungenichwert zeripringt, und 
nım fällt auch der fonft von dem Gotte begünftigte Held. In der 
Bravallaſchlacht ift Odin Haralds Wagenführer und erichlägt den alten 
König mit defien eigener Keule.‘ Nicht bloß auf einzelne Helden ift 
des Gottes Abſehen gerichtet, er läßt fi) von denen, bie er begabt 


1 [Bgf. Schriften I, 188 ff. 8.) 
2 [Sariften I, 141. 8] 





as 
und auszeichnet, wie von Harald Hyldetand und von Sigurd Schlang⸗ 
imauge, für deſſen Heilung, die Seelen aller von ihnen Erſchlagenen 
verheißen, er weckt eine Welt von Kämpfern und rafft fie heerweiſe 
dahin. Als Odin den Speer unter's Volk auswarf, hörten wir die Völe 
fagen (Bölufpa Str. 28), da erhub fi in ter Welt der erſte Kriegs 
mod. Darum hatte auch Frodis golones Friedensalter auf der Erde 
feinen Beſtand und Hengifjapte (ter mit dem berabhängenvden Barte) 
war es, ber Frodin bie verberbliche Mühle gab. Roc aus ber ge 
fchichtlichen Zeit, in der Saga von Styrbjörm, der gegen das Ende 
des t0ten Jahrhunderts lebte, wird folgender ſagenhafte Bug erzählt: 


Der Schwedentönig Erik Hatte fih zwei Tage hindurch mit Styrbjürn, 
feinem Brudersſohne, gefchlagen. In der folgenden Nacht gieng er zu Odins 
Heiligthum und gab ſich jelbit Hin, indem er, wenn er fiegen würde, feinen 
Tod in zehn Fahren angelobte Kurz daranf nahte fih ihm ein Mann mit 
tiefem Hut und gab ihm einen NRobrftengel, den er Über das feinbliche Heer 
hinſchießen und dabei fprechen folle: „Odin will euch alla” Erik folgte der 
Weiſung; Blindheit ſchlug die Feinde, ein Bergfall zermalmte einen Theil der⸗ 
jelden. Styrbiörns dänifche Streitgenofien flohen und erlangten ihr Geſicht erß 
wieder, als fie außerhalb des Raumes waren, fiber ben der Rohrftengel him- 
fuhr. Styrbjörn, der ftehen geblieben, ward mit allen den Seinigen erjchlagen 
(Sagabibt. III, 142. 144 f.). 


So fährt Odins Speer fortwährend über gange Heere bin, und 
nicht bloß, um ben alten Harald zu holen, bat Odin die Bravalla⸗ 
ſchlacht angeftiftet;. ein langes, zahlloſes Gefolge von Helden follte ber 
gefallene König mit fich nad) Valhall einführen aus dieſer berühmteften 
Schlacht des Nordens, deren Beichreibung an ven lebten, allverfchlin 
genden Weltlampf mahnt. Die Übereinftiimmung der Heldenfage in 
ihren mythiſchen Beftandtheilen ‚mit der Bötterfage erweiſt fich beſon⸗ 
vers binfihtlih Odins in der Art, wie ſich beibe gegenleitig erläutern 
und ergänzen. Wir haben in ber Götterſage das Weſen und Wirken 
Dbins vorzugsweiſe als ein geiftigeö darzuthun verfucht und num zeigt 
uns auch die Heldenfage kaum irgend einen Zug, ber auf eine phy⸗ 
filche Bebeutung dieſes Gottes hinweiſen möchte (der erbeblichfte, welcher 
fo gefaßt werben könnte, ift in der Sage von Hadding das Vertreiben 
bes bergezauberten Regenguſſes durch Sturmgewölk); dagegen bezieht 
ſich überall das eingreifendſte und klarſte Wirken des Gottes auf 


349 


menſchliche Geiſtesregung und Leidenſchaft. Die beiberlei Richtungen, in 
denen Odin auf Erben, wie früher in ber Götterwelt, thätig iſt, bie 
Prüfung der Geifter und die Erwedung der Thatlraft, können auch 
füglich in dem einen Begriffe ber geiftigen Anregung zujammengefaßt 
werben. Umgelehrt aber wird und basjenige, mad in den irdiſchen 
Erſcheinungen Odins widerſprechend und rätbielbaft ſich barftellen 
mochte, durch den Rückblick auf ſein höheres, himmliſches Leben erklärt 
und ausgeglichen. Es iſt überall der gleiche Grund, warum er Helden 
und Heldenſtämme pflegt, waffnet, wunderbar begabt, warum er fie 
anfeindet, aufreizt, verberbt. Er bürftet nach Seelen der Tapfern, 
darum ſucht er die Häufer der ‚Helden auf, erziebt und rüftet ihre 
Söhne zur Tapferkeit, ftiftet große Kämpfe, darin fie ſich bewähren 
fönnen; er will nur Solche, die im Streite gefallen find over freis 
willig ſich mit Speeres Spike gezeichnet haben. Seine Günftlinge 
müfjen ihm die Seelen ihrer Erfchlagenen geloben, ihnen felbft gibt er 
Heldenruhm und furzes Leben, oder, wenn fie gealtert find, erbarmt 
er fi ihrer und rafft jelbft fie gewaltſam hin. Aber nicht die leere 
Luft am Tode der Tapfern treibt ihn, er bedarf ihrer, doch eben nur 
ihrer, der Rampferprobten, und diefer Tann ihm nie zu viel werben zu 
jenem gröften ‚ ungeheuren Sampfe, welcher der Welt und ven Göttern 
felbft den Untergang droht. 

Wie Odin felbft, fo bebürfen auch feine Dienerinnen, die Valkyrien, 
zur vollen Darlegung ihres Weſens der Heldenfage; ja, wenn wir die 
geiftigere Bedeutung Odins in der Götterwelt zu ſuchen haben, fo laſſen 
die Balkyrien 1 ihre höhere Natur erft in ihrem irdiſchen Wirken voll- 
ftäntig leuchten. Auch fie find bier, wie Odin felbit, auf zweifache 
Weile thätig: fie lehren Weisheit, wie Brünhild den Sigurd Runen 
lehrt, und fie rufen zu Heldentbaten auf; aber auch bier fällt Beides 
in dem einen Beftreben zufammen, die dämmernde Sünglingsfeele mit - 
geiftigem Feuer zu durchflammen, 2 

Es genügt nicht, den Urfprung der Sage von den Valkyrien in 
Naturerfcheinungen, in Luftgefichten, zu ſuchen. In der Poeſie aller 


1 (Bgl. Schriften I, 150 ff. 8.) | 
2 [Die nachfolgende Stelle des Manuſcripts wiederholt meift wörtlich den 
I, 151 ff. abgebrudten Abſchnitt. Ich gebe daher bier die Stelle abgekürzt. 8.] 


850 


Böller wird ben Bögeln ein geiftiges Leben beigelegt und es ik 
nütlich, ihre Sprache zu verftehen, twie Sigurb von ihnen gewarnt und 
über die Zufunft belehrt wird, wie Aslaug von ihnen die Verlobung 
Ragnars in Schweden erfährt. Odin jelbit läßt feine Raben 1, Hugin 
und Munin, Gedanke und Gebädtnis, alſo völlig geiftiger Natur, 
täglich die Welt umkreifen, um ibm Kunde von allen Dingen heimzu⸗ 
bringen. Der Liebling der Sagen aber ift der Schwan. 

[Blätter für litterarifche Unterhaltung Nr. 294, 20 Det. 1832: 

Vielfach benutzt iſt Die fchöne Sage, baß der Schwan feine Seele im 
ſchönen Geſängen von fi) hauche und dann flerbe. Minder bekannt bürfte 
folgende Notiz tiber den wirfliden Schwanengejang jein, die ſich ebenfalls im 
der isländischen Reiſebeſchreibung von Dlaffen und Bovelfen I, 34 findet. Der 
Schwanengefang, melden fie, if in ben langen, dunkeln Winternächten anf 
Island eine angenehme Erſcheinung. Die Schwäne durchſtreifen um bie 
Mitternachtsftunden haufenweiſe die Luft und erfüllen diefelbe mit Tönen, die 
denen der Bioline gleichen. Es pflegt nur ein Schwan auf einmal zu fingen; 
fobald feine Tanggehaltenen Klänge verfloffen, beginnt ein anderer und fo fahren 
ſie lange Zeit im Wechfel fort. Diefer Schwanengefang bebeittet meiftens Than- 
wetter und ift fomit bei hartem Froſte den armen Jelandern auch in anderer 
Hunt tröſtlich und ee , 

Der norbifcien Sage zit hiemach das aler, Bit Gegnbte 
weiblihe Weſen durch den, Zauber der Liebe für die mädhtigfte Er 
wedung bes Helbengeiftes und die Gegenwart besfelben wird auch in 
‚weiter Entfernung in glänzenden und Iuftigen Naturerfcheinungen ger 
ahnt. In der finftern Nacht ſchwebt Helgis Valfyrie um das Schiff 
ihres Helden und entringt es den Riefenweibern, in der Schlacht ſchwebt 
fie fchirmend über ihm; Thorild 2 erfcheint leuchtend in der Nacht dem 
Königsfohne Regner, der als Hirtenjunge dienen muß, und reicht ihm 
ald Brautgabe das fiegreihe Schwert zum Kampfe mit den Nacht⸗ 
geipenftern. Aber auch über das Ervenleben hinaus währt die Ber: 
bindung, die Valkyrie erhebt fich wieder in ihr himmlifches Dafein, in 
dem fie ung, bevor wir fie ala Heldenbraut Tennen lernten, nur in 
den allgemeinen Zügen einer Kriegsgöttin erfchienen war, und wie fie 


1 (Bgl. Schriften I, 146. 8] 
2 [Bgl. Schriften I, 225. 8.) 


351 


—— — 


bier unten den Helden erweckt und begeiftigt hatte, fo reicht fie ihm 
nun in Balball, dem Sanle des Geifterbaters, das Horn mit bem 
Tranfe der göttlichen Begeifterung. \ 
€8 bat fih uns bei dieſem Durchgang ber Heldenfage in ihrem 
Verhältnis zur Götterfage die Übereinftimmung beider unter fi er 
wieſen. Diefer Zufammenhang ift allerbings in den Überlieferungen, 
wie fe auf uns gefommen find, manigfach getrübt, aber je mehr wir 
dad Ganze in's Auge faſſen, um fo mehr erhellen fich auch dieſe ge⸗ 
trühten Partieen und treten mit bem Übrigen in Einklang Was in 
ber profaifchen Erzählung der jüngern Edda oder in der breitern Aus 
führlichfeit der Sagan geſunken ober faljch gewendet ift, kann meift 
mit Hülfe der älteren Lieber in feine rechte Höhe und Bedeutung ber: 
geſtellt werden. 





2. Über den gemeinſchaftlicen Charatter ber Götter und Helbenfage. 


Das Berbältnis zwilchen Götter: und Heldenfage des Nordens ift 
im Bisherigen objectiv betrachtet worden. Wir fanden, ivie beide ſich 
wechleljeitig erklären und ergänzen, wie bie irdiſche Geichichte mit dem 
Meltleben, das menschliche Geſchick mit dem Schidjal der Götter zu: 
fammengreift und ſich darin vollendet. Diefe objective Übereinftimmung. 
wird ung aber als eine nothwendige ericheinen, ‚wenn wir erwägen, 
daß jenes Weltganze ein Bild der Welt ift, wie fie in ber Anſchauung 
ber Völker fich bargeftellt hat, bei denen die fo zufammenhängende 
Sage lebendig war. Eben damit aber ergibt fich, neben ber objectiven 
Übereinftimmung, ein noch tiefer greifenber fubjectiver Charakter, ber, 
im innerften Bildungszuftande diejer Völker begründet, dag Erzeugnis 
ihrer Weltanfchauung im Ganzen und Einzelnen, in Inhalt und Form, 
durchdringt und ausprägt. Soll diefer gemeinjame, fubjective Cha- 
salter mit einem Worte bezeichnet werden, fo ift es ber des Naturs 
kräftigen. Die Naturkraft herrfcht in Götters und Heldenfage der alt- 
nordiſchen Völker, wie fie in ihrem innern und äußern Leben geherrſcht 
bat. Ihre Götterlehre ift Naturreligion, fofern wir hierunter eine 
ſolche Religionzform verftehen, in der von den Gegenfäten zwiſchen 
Ratur: und Sittengeſetz, Nothwendigkeit und Freiheit, bie exftere 
Seite, die bes Naturgeſetzes und der Nothivendigfeit, wenn nicht aus⸗ 





352 


ſchließlich, doch vorwiegend ausgebilbet ift 1. Keineswegs aber exfiredt 
fih der Naturcharakter der nordiſchen Bötterlehre fo weit, daß er in 
gleicher Weife auch auf ben Gegenſatz zwiſchen Natur und, Geil, 
zwilchen dem Pbufiichen, Materiellen, und dem Geiftigen, Idealen, 
anwendbar wäre. Denn der Geift ift in ihr allerbings Über die Materie 
geftellt, er durchſpäht, bekämpft und bändigt fie; aber er wirft mehr 
Träftig, als fittlich, er iſt felbft eine Naturkraft, die der Nothwendig⸗ 
feit folgt, ex ift nicht durch fittliche Freiheit in fich beitimmt und über 
fih jelbft gehoben. Der Naturcharalter der norbifchen Glaubenslehre 
ift alfo näher dahin anzugeben, daß in ihr die materielle und bie 
geiftige Natur unter dem gleichen Geſetze der Nothwendigkeit ftehen. 
Wenn nun gleich beibe unter fi im Kampfe begriffen find, fo find 
‚ fie gleichwohl durch die gemeinfame Unterorbnung noch nahe verbunden. 
Dieje Bindung ift eine bebeutende Schranke des Geiftes und gereicht 
dem ethifchen Werthe ber norbifhen Götterlehre zum Nachtheil, aber 
fie erhält auf der andern Seite dem Materiellen geiftige Belebung und 
dem Geifte, ſoweit ihm zu walten vergönnt ift, lebendige Geftaltung 
und hieraus erwächſt die poetifche Naturfraft der nordiſchen Mythologie. 

Die Anſchauung der Natur felbft tft vermöge biefer Yelthaltung 
des Geiſtes in der Materie eine durchgreifende Perfonifilation. Das 
poetifche Gefühl unfrer Zeit betrachtet die Natur vorzugsmeife maleriſch, 
landſchaftlich; der Geift, den wir in ihr ahnen, umjchwebt fie, mie ein 
zarter, farbiger Duft; das Auge des Norblänvers aber heftete fich auf 
das Gebirg, bis die befchneiten Felsthürme menſchliche Geberbe an: 
nahmen und der Eis⸗ oder Steinriefe ſchweren Trittes herangewandelt 
kam; es verfentte fich in den Glanz der Frühlingsflur oder des Sommer: 
feldes, bis Freija mit dem leuchtenden Halsſchmuck oder Sif mit bem 
wallenden Golphaar hervortrat. Diefe Naturwejen, einmal in's Leben 
gerufen, traten nun auch unter fih, jedes nad feinem perfünlichen 
Charakter 2, in Handlung und fo vichteten fich jene manigfachen Ratur: 
mythen der Epda, deren Sinn wir niemals dur philofophifche Ab- 
ftraltion, fondern nur wieder mit demjelben naturbelebenven Blide 


1 gl. Baur, Symbolit und Mythologie I, 148 f. 

2 In der nordiſchen Mythologie find nicht ſowohl, wie bei den Griechen, 
die Ideen plaſtiſch ansgebildet, als vielmehr die Naturerfcheinungen begeiftigt 
and damit ins Unbegrenzte anfgelöft. 


353 


erreichen werben, ber ihnen das Dafein gab. Wären jene jotifchen 
und vanifchen Götter bloße Allegorieen der Natur geweſen, fo hätte 
man fih ihrer auch als folder bewuſt fein müflen und fie hätten 
dann niemals ber Gegenftand religiöfer Scheue und Berehrung fein 
fönnen; aber da die Natur in ihnen lebendig und perfönlich wurde, 
verehrte man in ihnen ben in ber Natur waltenden Geift, wenn auch 
nur in feinen einzelnen Richtungen und Äußerungen. 

War aber fo die finnliche Erfcheinung in gewiſſem Maaße belebt 
und begeiftigt, jo wurde auf ber andern Seite ber Geift durch ma: 
terielle Gebundenpeit beichräntt und binfällig. Dbin, ver kämpfende 
Geift, und Baldur, der mild erhaltende, waren gerade fo perfonificiert 
und ſinnlich Heftaltet, wie jene Naturweſen, und traten infoferne mit 
ihnen auf gleiche Linien. Sie find damit, wie jene, der Zeit und 
ihren Gefeben, der Nothwendigkeit und der Vergänglichleit in der Zeit, 
unterivorfen. Mächtig ift Allvater, aber die Rornen, die Beitgöttinnen, 
weifen (Hrafnag. Od. Str. 1. Edd. Sem. 88); die Aſen haben ihre 
Nornen, wie die’ Alfe und bie Zwerge (Fufn. M. Str. 13. Edd. Sem. 
188). Der Meth, von dem die Götter trinken, ift gemifcht aus ftoff 
artigen und geiftigen Beſtandtheilen. Balbur felbft, vorzugsweiſe der 
Ethiſche unter den Afen, wiegt doch Natur» und Sittengefeg auf einer 
Mage, darum ift auch fein Reich ein vergängliches und er finkt felbft 
zu Hel hinab. 

Derjelbe Naturcharalter zieht fih nun auch in beiden Richtungen 
durch die Heldenfage. Menjchliches Leben bringt bier auch in die übrige 
Natur ein; die Sprache ber Vögel wird verftanden und umgekehrt 
horcht das Element dem Zauberliede; bie menfchlicde Seele fährt in 
jede Thiergeftalt. Alle Erfcheinung hat tieferen Sinn, barum ift jedes 
Traumbild bedeutungsvoll und nichts Exrhebliches gefchieht, mas nicht 
durch Träume vorgebildet wäre. Sind aber die Götter im Banne der 
Natur befangen, wie viel mehr bie Ervenbewohner? Die ungeheure 
Körperkraft, zu der bie Helden heranwachſen, mit der fie bie Schredien 
der Natur, die Gewalt des Meeres und bie Ungethüme des Waldes 
befämpfen, brängt in ihnen felbft bie Herrichaft des Geiftes zurüd. 
Sie fteigert fich bis zur blinden Berferferwuth. Der Zauber, dem bie 
Ratur gehorcht, beberrfcht auch die Menichenfeele und vermag ben 


Menfchen zum rafenden Wolfe umzufchaffen. Ein Baubertrant bringt 
Ubland, Schriften. VI. 23 


354 


geihworene Eibe in Vergeſſenheit und nöthigt zu anbrer Liebe: Mo—⸗ 
tive, bie überall in den Heldenfagen fo bedeutend wirken, haben ent 
ſchieden phyſiſche Grundlage; jo das Forterben der edleren Ratur in 
beftimmten Gejchlechtern, vorzüglich aber die Blutrache, die inſtinkt⸗ 
artige Nötbigung, lediglich twegen bes gleichen Blutes, ohne Nüdfidht 
auf das fonftige- Hecht der Sache, ven erichlagenen Verwandten ge 
waltfam zu rächen. Unter den Lehren, welche Brynhild dem Sigurd 
gibt, findet fi) die: „Traue niemals den Verheißungen befien, dem 
bu. den Bruder erfchlagen over den Bater gefällt! der Wolf ftedt im 
jungen Sohne, ward er au mit Gold erfreut” (Brynh. Qv. 1, Str. 36. 
Seem. Edd. 198 [= Sigrdrif. 35. .8.]). Die Buße, das Wergeld, ift ber 
erſte Verfuch einer gerichtlichen Ausgleichung, aber in ber alterthüm⸗ 
lihen Anſicht der Heldenfage ift es edler, das Löſegeld zu verſchmähen 
und Blut mit Blut zu fühnen. Leiht doch Odin felbft feinen Speer 
zur Baterrache und auch im Kreiſe der Afen will Bali feine Hände 
nicht waſchen, noch jein Haupt kämmen, bebot er den Mörber feines 
Bruders Balbur auf ven Scheiterhaufen gebracht. Auch jede innigere 
Freundſchaft aus freier Wahl nimmt durch bie feierliche Bermifchung 
des Blutes im Pflegbrüberbunde bie Geftalt ber eigentlichen Bluts⸗ 
freundschaft an [vgl. 1, 259 f. 8]. Bor Allem aber äußert fich die 
Herrihaft der Nothwendigkeit darin, daß bie böje That, wenn auch 
ein Grund zur Rache, doch nicht eine Sache der Zurechnung, fondern 
ein Unglüd für den ift, der fie verübt. Nicht bloß das Lebensalter 
und andres Geſchick ift dem Helden durch die Nornen vorbeftummt, 
auch die That ift ihm zum voraus zugetheilt. Die Nidingswerke find 
eine unfelige Gabe der Götter bei feiner Geburt oder haften an feinem 
Schwerte. Helgi findet feine Schuld an feinem Bruder Hebin, ber, 
von einem Rieſenweibe verwünjcht, ihm bie Braut zu rauben gelobte. 
Nachdem Gudruns Söhne ihren Bruder erfehlagen, entichulbigt fi 
Hambdir, daß ihn die Difen (Nornen?) dazu gereizt haben (Hamdism. 
Str. 39. Edd. Seom. 273). Der lud, der in der Völfungenfage auf 
das Löfegold gelegt ift, wirkt in langer Reihe von Frevel und Rache 
bis zur völligen Bertilgung der Gefchlechter fort. Liebe und Haß, 
Treue und Verrath, walten ohne Verbienft und Verſchuldung mit ber 
Nothwendigkeit und Unbewuſtheit des eingepflanzten Naturtriebs. Über: 
einftimmenb biemit iſt bemerkt worden, daß jelbft im norbifchen Rechte 





ww u 1 Mm —— 


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355 


Schuld und Zufall, beide im Begriff eines unvermeidlichen Schichſals 
zuſammentreffend, nicht immer unterfchieden werben (Schilbener, Guta⸗ 
Lagh d. i. der Inſel Gothland altes Rechtsbuch u. |. wm. Greifswald 
1818. ©. 190 f. R. 152). Man darf fih darum auch nicht wundern, 
daß bie Lehrweisheit im Havamal, ſowie der Unterricht Brynhilds 
mehr Klugheitsregeln, als Sittenſprüche, mehr hülfreiche Runen, als 
Lehren der Tugend, enthält. 

So wie aber die materielle Natur bald im Übermanf ihrer elemen: 
tarifchen Gewalten fih ungeftüm und furdtbar entlavet, bald wieder 
freundlich und ftillerbaben fich darftellt und ihre Segnungen ausfpenbet, 

exicheint auch in jenen Helbvenfeelen neben dem Gewaltfamen bag 
Edle und Hohe. Es verläugnet fich nicht, daß das unbewuſte Wirken 
der menſchlichen Natur mit dem Sittengefeß in feinem unauflösbaren 
Widerſpruche fteht, daß die unverborbene Natur, wie im Kinde, fo im 
Jugendalter ver Völler, ihre eigenen, friichlräftigen Tugenden hervor: 
treibt. Während in geiftig gebilvetern Zeiten die fittliche Freiheit fi 
vorzüglih im ftrengen Exrnfte gegen die meichlidhen und üppigen Weis 
gungen betbätigt, jo nimmt bort die natürliche Neigung felbft ihre bee _ 
fländige, willenskräftige Richtung auf das Ernfte, Strenge, Harte und 
dann, allertings im Übermaaß, auf das Graufame und Blutige. Diefe 
norbifchen Helven find unbarmberzig, aber fie find es zunächft gegen 
ſich jelbft; ein Menfchenleben gilt ihnen wenig, aber fie ſparen auch 
ihr eigenes nicht. Wenn Starkadr die Üppigen Sitten an Angels Hofe 
ftraft, fo tritt er ſchon unter ein neues Gefchledht ein; aber er felbft 
ift der Held der alten Zeit, der fi) am Wintermorgen auf die Sturm 
feite feßt und fi bis zu den Schultern einjchneien läßt, der jeine 
furdhtbaren Wunden Keinem zu verbinden gibt, der ihm ein Schlechter 
dünkt. Unter den Kämpfen des Zornes und Hafles zeigen fih dann 
auch Liebe und Treue in ihrer vollen Kraft, ja fie blühen mandmal 
in wunderbarer Zartheit auf, mie eine Waflerlilie auf fturmbemwegter 
See. Gudrun ſitzt über Sigurbs Leiche, fteinharten Herzens, und kann 
nicht weinen; da wird Das Tuch, das ihn bebedie, weggeſchwungen, 
fie ſchaut einmal auf ihn, ihre Wange röthet fih, ein Regentropfen 
rinnt nieder auf ihre Kniee; Brynhild fticht fi das Schwert in bie 
Bruft, um mit dem geliebten Helden, den fie felbft erfchlagen ließ, den 
Sceiterhaufen zu theilen; wenn Sigrun weint, bann fallen blutige 


356 \ 

Tropfen auf Helgis kalte Bruft im Grabhügel; Hagbarth eilt freubig 
zum Galgen, als er Sygnes Kammer brennen fieht; dem greifen König 
Wermund rinnen Freubentbränen aus den blinden Augen, als er ben 
fiegreihen Klang feines Schwertes Skrep in ber Hand feines Sohnes 
bört 1; und welcher Wettlampf ver Treue im Untergange Hrolf Krafis 
mit feinen Kämpen! Auch die mildern Tugenden fehen wir in biefem 
Könige herborleuchten; er gewährt ftets auf die erfte Bitte, feine gaſt⸗ 
liche Halle ift immer offen und vom erbeuteten Golde behält er nichts 
für fih; darum nennt auch ihn der chriftliche Dlaf auf Geſts Frage, 
welchem von den alten Königen er am liebiten gleichen möchte. 

Es geht auch in diefer Heldenzeit die Sage von dem golbnen 
Friedensalter, das einft unter König Frodi geblübt. Damals berrichte 
Geſetz und Recht, Keiner hätte den Mörder feines Baterd oder Bruders 
angetaftet,. mochte er ihn los oder gebunden vor ſich finden, und ein 
Golbring lag lange unberührt am Wege. Aber dieſe Friedenszeit ift 
längft von der Erde verſchwunden, wie Baldurs Reich bei den Göttern. 
Hildur weckt unabläfjigen Kampf bis zur Gdtterbämmerung; unabwend⸗ 
barer Fluch haftet auf den ebelften Helvdenjtämmen. Das Gefühl dieſes 
unauflöslichen Bannes verbreitet über die ganze Helvenjage einen 
büftern, tragiſchen Ernſt. Es ift eine tiefe Sehnſucht nach Befreiung, 
bie nicht auf Erben, jondern von und bei den Göttern erwartet wird, 
die all den irbifchen Kampf verhängt haben, ber jelbft eine höhere Be 
deutung und Weihe erlangen fol. Der greife Starkadr, vom Fluch 
feiner Nidingswerke gebeugt, trägt das Gold, das er dafür empfangen, 
am Halje, zum Lohne dem, der ihn zu Odin fendet. Aus dem ſchwülen 
Leben bliden die Helden freudig dem Tod entgegen, fie ſehen Valhall 
offen und fterben lachend. Auch dort noch wartet” ihrer Kampf, aber 
ein größerer, in Gemeinfchaft der Götter. Auch dieje find noch in den 
Schranken der Zeit gefangen, aber ver letzte Kampf aller Geifter, ber 
Untergang ihres Dafeins im Endlichen, ift auch ihre gemeinfante Be 
freiung. In der neuen Welt ift alles Übel verschwunden und Baldur 
wiebergelehrt (Völufpa Str. 62. Seem. Edd. 10). 

So finden wir in ber Götter: und Helbenfage des Nordens zwar 
den Naturcharalter im Guten wie im Böfen vorherrfchend, aber das 


1 [®gl. 1,29. 8] 


357 


Sehnen uud Streben des Geiſtes nach fittlicher Freiheit Tann dennoch 
in ihr nicht verlannt werben. 


3. über die Organe der nordiſchen Sagenbichtung. 


Geijer I, 170 bis 180. 247 bis 257. 260. Mone I, 285 bis 287. 
243 bis 249. ‘ 


Es ift in der Einleitung zu unſrer Sagengefchichte bemerkt morben, 
daß, wenn e3 fi) von den Stimmen handle, durch welche der poetifche 
Geift der Völker fih in Sang und Sage ausgefprocdhen, nicht von 
Individuen, fondern nur von ganzen Klaflen der Sänger und Sagen: 
erzähler die Rebe fein könne. Fragen mir nad jolden Organen ber 
norbifchen Sagendichtung, fo ftellen ſich dreierlei dar: Priefter, Stalben, 
Sagenmänner. 

Priefter: und Sängerfchulen, mit faftenmäßiger Ausbildung, laffen 
fih im flandinavifchen Norden nicht nachweiſen. Man bat allerdings 
in demjenigen, was die Inglingafaga von Dbin und feinem Gefolge 
melbet, den Beweis folder Einrichtungen gefucht; allein dba wir mit‘ 
der geihichtlihen Auffaflung der Aſen in diefer Saga überhaupt nicht 
übereinftimmen Tonnten, fo vermögen wir ihr Zeugnis auch für bas 
Prieftertwefen nicht anzuerfennen. Geiftliches und weltliches Anfehen 
waren im Norben vereinigt. Der König, der Häuptling, ber Vorfteher 
jedes Bezirks verſahen die priefterlichen Verrichtungen !. Auch einzelne 
Landbeſitzer hatten ihre eigenen Gotteöhäufer. Nirgends erfcheint ber 
Priefter (godi) und fein Amt (godord) als etwas von andern Ständen 
Abgeſchloſſenes. Natürlih ift aber, daß die Vorfteher des Gottes: 
dienftes, auch vorzugsweiſe in bie Kenntnis ber Götterlehre eingeweiht, 
die Bewahrer und Ausbilder, Lehrer und Erflärer der hierauf bezüg- 
lihen Sagen und Gefänge waren, daß in ihrer Lehrweisheit die Götters 
mythen ihre tieffte und geiftigfte Bebeutung hatten. Inſofern können 
wir die mythologiſchen Eddalieder allervings als priefterliche Dichtung 
bezeichnen. 

Weltlicher war der Beruf der Stalden. Aber Stalde war SYeber, 
der die Fähigkeit hatte, zu bichten und zu fingen. Bon dieſer Allges 
meinheit bes Gejanges zeigt fich wohl auch die Spur noch darin, daß 


1 Wie Halfdan in der Fridthjofs- Saga. 





358 


! 


an ben bewegtern Stellen ber Sagan die Rede fo bäufig in den Bers 
übergeht, ohne daß man behaupten Tönnte, dieß feien nur Überbleibiel 
einer ältern durchaus verfificierten Darſtellung. Das zur Bezeichnung 
diefer gehobenen Rede gebräuchliche Wort qveda bedeutet fingen fo: 
wohl als ſprechen (Dlaffen 8 9. Geijer 174, 7). Die Stalbichaft 1 war 
eine freie Gabe der Götter, fie ftand nit im Bann eines befonvern 
Standes. Könige und Helden fingen, wie jever Andre im Volle. Die 
jenigen aber, welche fi in der Kunſt auszeichneten und fie zu ihrem 
eigentlichen Berufe machten, begaben ſich in bie Dienfte ber Könige 
und Häuptlinge, oder zogen an ihren Höfen umber, wo ihnen ber 
Ehrenfit eingeräumt und reichluher Lohn zu Theil wurde. Ihr Ge 
fang bildete fich immer fünftlicher und fchwieriger aus, und wenn fie 
feine Schule ausmachten, jo fchufen fie fich doch eine eigene, bilder 
reiche Dichterfprache, einen beftimmten Kunftftil. Eine ausführlichere 
Darftellung dieſes Skaldenweſens gehört nicht zu unfrer Aufgabe. Die 
heroiſchen Sagenliever ftammen nicht von biefer höfiſchen Skaldenkunſt. 
Während und von ber zweiten Hälfte des Yten Jahrhundert? an die 
Namen ber berühmteften Skalden und von ben meiſten berfelben Lieber 
ober Lieberbruchftüde, großentheild zum Ruhm ihrer Gönner und beren 
Gefchlechter, übrig find, worin eine Menge von Dichterausdrücken aus 
den Heldenfagen entlehnt ift, jo ift doch von Teinem ber eigentlichen 
Sagenlieder der Urheber befannt; fie gehören dem altertbümlich em: 
fachern, volksmäßigern Staldengefange an. Zwar wird Starkadr als 
Dichter mancher Lieber von feinen eigenen Thaten, von feiner Theil: 
nahme an der Bravallaſchlacht u. |. m. genannt und Saro hat mehrere 
derfelben in lateiniſche Verſe übertragen, aber dieſe Autorfchaft Star: 
kadrs gehört felbft mit zur Sage. Auf melde Weile aber durch den 
Geſang der Stalden geichichtliche. Ereignifle in die Poefie übergiengen, 
davon fann ung ein fpäteres Beifpiel, aus der erften chriftlichen Zeit, 
eine Anbeutung geben. In der Schlacht bei Stifleftab, im Jahr 1030, 
in der Dlaf ber Heilige fiel und vor deren Anbrucd das alte Bjarka⸗ 
mal gelungen wurbe, waren drei Stalden in des Königs Gefolge. Er 
rief fie in den Kreis von Schilden, welche feine ftärfften und mutbig: 
jten Männer um ibn fchloffen, und fagte zu den Skalden: „Hier follt 


1 Skäldskapr, m. = poesis. 


359 J 


ihr ſein und ſehen, mas ſich Merlwürdiges begibt, fo daß ihr dazu 
der Sage Andrer nicht bebürft; denn euch geziemt es, hernach davon 
zu fagen und zu dichten.” Zwei von ihnen fielen an tes Königs Seite. 
Der britte fang, töbtlich verwunbet, noch zu Dlafs Preiſe, bevor er 
fh den Pfeil aus bem Herzen zog und verſchied (Geijer 173 f.). 

Zu dem Bilverreichtfum der fpätern Skaldenſprache finden ſich 
übrigens doch ſchon in den ältern mythiſchen und fagenhaften Liedern 
die Keime. Es ift diefefbe Bilplichkeit, die das Weſen der Mytben im 
Ganzen ausmacht, auf den einzelnen Ausdruck angewandt; zwiſchen 
Beidem mitten ‚inne liegen jene Bilverräthfel im @etipeli und in ber 
Amlethafage. \ 

Sagenmann enblid; (sagnamadr, freedimadr; froedi, n. doctrina, 
ecientia; at froda, erudire) hieß ein in Erzählungen wohl erfahrener 
Mann. Einen folden nennt ſich Geft, der fo viel von ben alten 
Königen zu erzählen weiß, bei Dlaf Tryggvaſon. Auch die Sagem 
erzählung mar Tein abgefchloflenes Gewerbe, obgleich auch fie ſich auf 
gewiſſe Art zur Kunſt gefteigert hatte. Hievon ift im Allgemeinen jchon 
früher gehandelt worden und ich hebe nur noch zum Beweiſe ber 
Vollsmaßigkeit dieſer Sagenerzählung einzelne Büge aus, welche Geijer 
S. 175 bis 179 zufammengeftellt hat.’ ** 

Es bewährt fi durch all Dieles, daß Sagenlied und Sagen⸗ 
erzählung im Norden wahrhaft und im beften Sinne vollemäßig waren, 
nicht auf Stände oder Schulen beichräntt, aber auch den Ebelften im 
Bolle zu tbätiger Theilnahme und zum Genufle zugänglich. 


2‘ 


3. Balladen, Ortsfagen, Mährchen. 


Wir faflen in diefer lebten Abtheilung ber nordiſchen Sagen: 
gefchichte diejenigen Sagenbildungen zujfammen, welche, nachdem ber 
große Mythenkreis der Götter: und Heldenſage durch das Chriſtenthum 
gebrochen war, entweber, von bemfelben abgelöſt und mit veränderter 
Form, fich im Bolt erhalten baben, oder aus dem Grunde der ums 
geivandelten Zeit neu hervorgegangen find. Zwar gehören auch bie 
bisher benügten Auffoflungen der Sage großentheila der chriftlichen 





360 


Zeit an, wie die ſeit dem Anfang bes 13ten Jahrhunderts nieder 
gefchriebenen mythiſchen Sagan und Saros bänifche Geſchichte; aber in 
ihnen hersfcht dennoch Zuſammenhang, Geift und Gepräge ber ältern 
Periode vor. Wir befanden uns in ben beiven biöberigen Abtheilungen 
auf dem Gebiete bes altnordiſchen Heidenthums, in der jeßigen treten 
wir in das chriſtliche Mittelalter des Nordens über; und fo wenig für 
jedes Einzelne die Grenze fcharf gezogen werben kann, jo manigfad 
bie Übergänge find, fo befteht gleichwohl ver charakteriſtiſche Unterfchied 
im Größern und Ganzen. Auch lebt zwar ein bebeutenver Theil der 
Sagenpoefie, die wir jetzt barzuftellen haben, noch beutzutag im Wunde 
des Volkes, aber fie berubt doch weſentlich im Charakter des norbifchen 
Mittelalters... So viel zur vorläufigen Verftändigung über den Inhalt 
diefer Abtbeilung im Allgemeinen! Die befonvdern Bezeichnungen 
(Ballade, Ortsſage, Mährchen) follen in der Darftellung der hiedurch 
bezeichneten Klaſſen ihre Erläuterung erhalten. 


1. Balladen. 


Diefes fremden Wortes glaube ich mich doch am zweckmäßigſten 
zu bebienen, um bie Volkslieder jagenhaften Inhalts aus derjenigen 
Periode, in welche wir jet übergetreten find, zu bezeichnen. Die ein: 
heimifchen Benennungen find däniſch vise (Weile, Lied), kjssmpevise 
(Kämpenlied, Helvenlieb), ſchwediſch visa, isländiſch qvedi, n. (Sang), 
rimur (Reime), und fo auch färdiſch qveli, rujme, auch taattur, 
letzteres zur Bezeichnung einzelner Theile größerer Lieber, oder aud 
neuerer Gefänge (Fär. Qv. 15). Wollten wir aber, diefem entfprechend, 
gleichfall8 allgemeinere Benennungen, Sagenlieber, Helbenlieber, Volls⸗ 
lieder, gebrauchen, jo wäre ung bie gemeinte Liederllaffe nicht genug: 
fam, mit einem Worte von den altnorbischen, gleichfalls fagenhaften, 
heroiſchen, vollamäßigen Gefängen unterfchieden. Balladen aber hießen 
zunächſt die jchottifchen und englifchen Sagenliever aus der mittlern 
Beit, welche zu den norbifchen berfelben Periode fo nabe Beziehung 
darbieten, und das Wort ift burch jene zu einem allgemein verſtänd⸗ 
lihen SKunftausbrude zur Bezeichnung von Sagenlievern in der Weife 
der nördlichen Völker des Mittelalterd geworben. 

Sammlungen norbifcher Volksballaden find folgende: 


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or ⸗ 


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Lg Ze En 2 Zen Z Sue 7 Be 7 zn 2. 


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» 361 


Levninger af Middel- Alderens Digtekunst. Heft I. Kopenhagen 1780. 
U ebend. 1784. Das Uſte Heft diefer däniſchen Lieder if von Saudvig, das 
2te von Nyerup herausgegeben. 

Udvalgte Denske Viser fra Middelalderen efter A. 8. Vedels og P. 
Syvs trykte Udgaver og efter haandskrevne Samlinger udgivne pas ny 


_af Abrahamson, Nyerup, og Rahbek. 5 Xheile. Kopenhagen 1812 bis 14. 


Bom dten Theil an find nur die beiden leßtern Herausgeber genannt, ber te 
gibt die alten Tonweiſen und litterariſche Abhandlungen. 

Udvalg af Danske Viser fra Midten af det 16de Aarhundrede til he- 
nimod Midten af det 18de, med Melodier, i Forening med P. Rasmussen 
udgivet af N. Nyerup. En Fortseitelse af de i Aarene 1812—14 udgivne 
Kjeempeviser. 2 Theile. Kopenhagen 1821. 

[Danmarks gamle Folkeviser , udgivne af Bvend Grundtvig. 8 Bände. 
Kopenhagen 1868. 1856. 2.) 

Altdänifche Heldenlieber, Balladen und Märchen, überfegt von W. G. 
Grimm. Heidelberg 1811. 

Svenska Folk-Wisor, utgifne af E. G. Geijer och A. A. Afzelius, 
3 Bände Stodholm 1814 bis 1816. Mit Melodieen. i 

[Aus neuerer Beit find aud noch bie Sammlungen von Arwidsfon und 
Landſtad zu erwähnen. H.] 

Schwediſche Volksharfe, mit einer Beilage von Norränaliedern und Melos 
dieen von J. 2%. Studach. Stochholm 1826. Darin 24 ſchwediſche Bollsliever, 
bauptfähfih nach obiger Sammlung. 

Rordenfaal, eine Sammlung ſchwediſcher Vollslieder, mit Begleitung bes 
Pianoforte, nid den alten Geſangweiſen bearbeitet. 2 Hefte. Berlin 1827. 
(Herausgegeben von dem ſchwediſchen Tonkünſtler U. F. Lindblad, 9 Lieber, 
meift in obiger Sammlung und überfegt von Frau v. Helwig.) 

Bollglieder der Schweden. Aus der Sammlung von Geijer und Afzelius. 
Bon G. Mohnile. B. I. Berlin 1830. (565 Numern). 

Feröiske Qveder om Sigurd Fofnersbane og hans At. Med et An- 
hang.. Samlede og oversatte af H. Ch. Lyngbye Med en Indledning af 
P. E. Müller. anders 1822, 

[P. 3. Willagen, altisländifche Volksballaden und Heldenlieber der Färinger. 
Bremen 1866. 8.] 

[Germanifche Bollslievder der Borzeit. In den Bersmaßen der Dri⸗ 
ginale fibertragen von Roſa Warrens. Hierher gehören Band I, ſchwediſche 
Boltsfieder, Band II, daäniſche Volkslieder, Band IV,. norwegiſche, islän- 
diſche, färöiſche Vollslieder der Borzeit. Leipzig und Hamburg 1856 bis 
1866. 9] 





362 . 


Diieſelbe Gemeinfchaft, melde in Beziehung auf bie alte Götter 
und Heldenfage unter den Völkern des ſtandinaviſchen Nordens beftanben 
batte, beftand auch für die Balladenbichtung, felbft nachdem bie Mund⸗ 
arten der gemeinfamen altnorbifchen Sprache fich zu gejonderten Sprachen 
immer beflimmter ausgefchieven hatten. Bon norwegifchen und von 
iBlänbifchen Volfsliebern fonnte zwar feine Sammlung bier nambaft 
gemacht werden. Mohnife (1, 165) erwähnt einer im Jahr 1821 zu 
Chriftiania erſchienenen Sammlung: Norrzeena, en Samling af Forsög 
til norske Netionalsange, mit der Bemerkung jedoch, daß er nicht 
fagen könne, ob biefelbe ala Borläuferin einer größern Sammlung 
norwegischer Volkslieder zu betrachten fei. Wirklich find es, wie ſchon 
‚ der Titel anzeigt, lauter neugebichtete Lieber, und zwar ſolche, bie aus 
Anlaß eines für den beften norwegiſchen Nationalgefang ausgeſetzten 
Preiſes von mehreren Berfaflern eingelommen waren. ' 

Dennoch ift Fein Zweifel darüber, daß die alten Vollsballaden 
auch in Norwegen verbreitet waren und auch dort noch eine Sammlung 
berfelben veranftaltet werden könnte; einzelne berjelben find in ber 
Mundart diefes Landes gebrudt. Eine Sammlung islänbifcher, vom 
Sabre 1665, findet fih auf ber Univerfitätsbibliothef zu Kopenhagen. 
(Abo. d. Bif. V, 72 bis 76. Vol. Für. Quäder 36 f.) Die Lieber ſelbſt 
verlegen bie Ortlichfeit der Handlung in die verſchiedenen flandinawifchen 
Länder und weiſen bamit auf gegenfeitigen Austaufch bin. Wenn nun 
glei ihre Heimath nicht in einem einzelnen biefer Zänber geſucht 
werben barf, fo ift doch ſehr glaublich, daß der vorzügliche Anſtoß zu 
diefer fpätern mittelalterlihen Weile von Dänemark musgegangen, 
als demjenigen Lande, welches der neuen, chriſtlichen Bildung am 
nächſten zugänglich war 1. Damit flieht dann auch in Übereinflimmung, 
daß bie ber ältern Götter: und Helvenfage entnommenen Beftanbtheile 
diefer Balladendichtung hauptjächlih im höhern Norden, auf ben 
Färden, gepflegt wurben. Zu einem gemeinfamen Ganzen aber find 
biefe in den verfchiedenen Norblanden gefungenen Bolläliever insbe⸗ 
ſondre noch dadurch verſchmolzen, daß überall an bie Stelle des alten 
Stabreims und des auf ihn gegründeten Versbaus der romaniſche End⸗ 


[4 


1 Bgl. C. Molbech: Bemserkninger over vore danske Folkeviser fra 
Middelalderen. Kopenhagen 1828. ©. 40 f. 65. 


363 
J 
reim mit feinen epifchen Formen und beigefügten Kehrreim (däniſch 
und ſchwediſch omqväd, färdifch stevi, niurlefi) getreten iſt. 

Die früheften, reichhaltigften Aufzeihnungen und Sammlungen 
folcher Bolfsballaden fanden in Dänemark ftatt. Die banbfchriftlichen 
bänifchen Lieberbüicher, welche von der Mitte des 16ten Jahrhunderts 
beginnen, find von Nyerup (Udo. d. Vif. V, 17 ff.) verzeichnet. Sie 
befanden fi, wie die eingefchriebenen Ramen zeigen, meift im Beſitze 
weiblicher Hände und eines dieſer Liederbücher bat die Form eines 
Herzens. Auch zu ber erften gedruckten Sammlung gab eine Frau den 
Anlaß, die Königin Sophie von Dänemark. Sie wurbe im Jahr 1686 
auf ver Inſel Hven, wo fie Tycho Brahes aſtronomiſche Werkzeuge 
und Vorrichtungen befichtigt hatte, einige Tage burh Sturm aufges 
halten und erfuhr, daß ein Freund Brabes, ber Geſchichtsforſcher 
Anders Sörenſön Vedel, alte däniſche Lieder gefammelt babe. Sie 
zeigte große Luft, diefelben zu Iefen, und Vedel eignete ihr, jedoch erft 
fünf Jahre nachher (Ribe 1591), einhundert derjelben im Drude zu. 
Aus feinem Nachlaß erfchien, Kopenhagen 1657, eine weitere Samm⸗ 
lung unter dem Titel: Tragica oder alte däniſche biftorilche Liebeslieder 
(Elskoffs Viser), fämmtlid von tragiſchem Ausgang. Die erfte vedeli- 
fche Sammlung vermehrte Peter Syv mit einem zweiten Hundert und 
gab fie jo, Kopenhagen 1895, in den Drud. Dieſe ſwoiſchen Kämpfer 
meifen (keempeviser) wurden 1739, 1764, 1787, wieder aufgelegt un 
find in Dänemark gewiſſermaßen zum VBolfebuche geworden. Manche 
Lieder wurden auch auf einzelnen, fliegenden Blättern verbreitet. Die 
neueſte, vollftändiafte Sammlung (von Abrahamſon, Nyerup und Rabe 
bef) mit ihren Nachträgen ift zuvor fchon angemerkt worben. leid) 
wohl fcheint auch durch fie ber braudbare Vorrath noch keineswegs 
erſchöpft zu fein. Nach einer Bemertung von Molbed) (a. a. D. ©. 113) 
hatte J. M. Thiele, der Herausgeber einer Sammlung däniſcher Bolds: 
fangen, eine neue, forgfältige Reviſion aller in Kopenhagen belannter, 
bandichriftliher Sammlungen alter, bänifcher Volkslieder (neben einer 
bisher ganz unbelannten und unbenüsten Sammlung von Dbenfe) bes 
gonnen und feine Unterfuchungen hatten bereits (1823) das Reſultat 
gegeben, daß in diefen Sammlungen über 250 bis jetzt ungedruckte und 
in die nyerupifche Sammlung nicht aufgenommene Lieber fich finden. 
Wollte man num von diefer Anzahl fogar %/,, als des Druds nicht 





364 


würdig, veriverfen, fo mürben doch 100 ungebrudte Stücke übrig 
bleiben, bexen Herausgabe zu münfchen wäre. 

Wie in Dänemark biefe mittelalterliche Weife am frübeften gereift 
war, fo bot fie auch am früheften ihre Erzeugniſſe der Sammlung bar 
und lief am ebeiten Gefahr, von neuer litterariicher Bildung verbrängt 
zu werden. Deflen ungeachtet war auch für bie neuefte Sammlung 
die lebendige. Überlieferung im Volksgeſange noch nicht verfiegt und 
aus biefem allein fonnten bie alten Tonmweifen aufgenommen werben. 
Sm Schweden fehlt ed zwar auch nicht ganz an banbfchriftlichen Samm- 
[ungen vom 16ten Jahrhundert an (Sv. Folkv. IIL, 250 f.; die frübefte 


Jahrzahl ift 1572), und Manches wurde aud in dieſem Lande auf - 


Flugblättern verbreitet. Eine gebrudte Sammlung gab es aber nicht 
vor der oben angeführten, 1814 bis 16 von Geijer und Afzelins heraus: 
gegebenen. Auch verdankten diefe Sammler ihr Meiftes und Beftes 
ber mündlichen Überlieferung, vorzüglich durch Frauen, und bie vor 
handenen brei bandichriftlichen Sammlungen wurden ihnen fogar erft 
während ber Herausgabe bekannt, für die fie nur Varianten baraus 
benügten. - 

Das Fortleben ber Lieber im Vollsmunde zog ſich immer. weiter 
nad) dem Norden zurüd, aber diefe Duelle bat fi fo rein erhalten, 
daß bie erft jet in Schweben aufgezeichneten Lieber fich zum Theil 
urfprünglicher eriveifen, als wie fie im 16ten Jahrhundert in Dänemarl 
aufgefchrieben wurben, und daß bie ſchwediſchen Herausgeber die münd- 
lichen Überlieferungen in ber Regel ben Drudhblättern vorzogen. Auch 
fanden fie in den nörblicdern Provinzen Schwedens, dem eigentlichen 
Norrland, nicht nur reihe Ausbeute, fondern auch faft durchaus den 
erbieften und beften Text der Lieder. Im Übrigen betrachten auch fie 
mit diefer erften, gebrudten Sammlung den Reichthum des alterthüm: 
lichen Bollögefanges in ihrem Vaterlande noch lange nicht für erichöpft. 

Am fpäteiten wurden die färdifchen Volfsliever aufgefchrieben und 
in den Drud gegeben. Die erfte handſchriftliche Sammlung ift von 
ben Jahren 1781 und 1782, bie erfte gebrudte von 1822, deren Titel 
oben angegeben murbe. Aber gerade auf dieſen entlegenen Inſeln 
haben fich Lieber des älteften Urfprungs, mythiſche und folche, Die der 
Helbenjage von den Bölfungen angehören, bis heute münblich fortge 
pflanzt. Die lettern find beſonders beliebt unb werben vorzugsweiſe 


365 


zum Reihentanze gefungen; auf fie beſchränkt fich auch meift bie ge 
drudte Sammlung. 

So Bieles nun von dem alten Liederſchatze der nordiſchen Völker 
nod nicht zur allgemeinen Kenntnis gebracht ift, wie es denn bemerkter⸗ 
maaßen noch ganz an gebrudten Sammlungen noriwegifcher und islän- 
difcher Vollslieder fehlt, fo ift dennoch ber bereit3 zugängliche Vorrath 
beträchtlich genug, um uns aud von biefer Periode der Sagenpoefie 
ein umfang» und geftaltenreihes Bild zu geben. Denn Sagenlieder, 
Balladen, find diefe zahlreichen Vollögefänge; eine beſondre Lyrik hat 
ſich noch nicht ausgeichieben. 

Wir gehen nun dieſen poetiichen Gejammtbefi ber norbifchen 
Völker in der mittlern und neuern Zeit in der Folge durch, daß Mir 
mit benjenigen Liedern beginnen, welche ſich zunächſt ber Altern Götter 
und Heldenſage anreiben, jobann die aus dem Geiſt und den Sitten 
des Mittelalters hervorgegangenen betrachten und mit denen, melche 
den Übergang zur geſchichtlichen Darftellung bilden, den Befchluß machen. 

Bon den altnorbiihen Mythenliedern, wie fie in ber Edda noch vor: - 
handen find, ift nur eines vollftändig in die neuere Form übergegangen, 
das Lied von Thrym (Thrymsqpida, auch Hamars:Heimt, Edd. Sem. 
70 ff.), welches bei der Götterfage vorgetragen und erläutert murbe. 
Es erzählt, wie Thor feinen verlornen Hammer von dem Riefen zuxück⸗ 
erlangt, indem er, verfleivet als Freya, melde ber Rieſe Thrym für 
die Zurückgabe des Hammers zur Braut verlangt, in Gefellichaft des 
ala Dienerin verfleiveten Loli zum Riefenlande ziebt und, als ber 
Hammer zur Heiligung des Verlöbniffes berbeigebracht wird, mit bem: 
felben den Riejen Thrym und al fein Gefchlecht zerſchmettert. Wir 
haben darin einen Naturmythus erkannt, den Sieg des feiner Waffe 
wieder mächtigen Donnergottes über die Winterriefen, welche fletö bar: 
nach trachten, die fhöne Sommergdttin Freya den Wien zu entreißen. 
Als ſchwediſche, norwegiſche und dänische Ballade hat fich dieſes uralte 
Lied erhalten. Gebrudt ift in neuerer Zeit nur die ſchwediſche und 
dänische Behandlung. Erſtere ift bie alterthümlich einfachere. Sie fteht 
im 8ten Heft der ftodholmifchen Zeitfchrift Iduna (2te Auflage 1824) 
und verdeuticht in Mohnikes Volksliedern der Schweden (I, 172 ff.). 
Thor heißt hier Thorkar (Thorkarl; karl, Mann; nortvegijch Torekal), 
Loli Lole Lewe (Edd. Sem. 73. Ham. H. Str. 22: Loki, Lau- 





366 


foyjar sonr), Freya Frogenborg, der Niefe Trolltram (der Troll 
Thrym; troll n., i8l, tröll, Rieſe, Zauberer, Dämon). Das Lieb lautet 
nach Mohnikes Überfehung fo: 

Thorkar fit auf feinem Site u. |. w. *** 

Im bäntichen Liebe (Nyerup, Ubv. II, 188 fi. 1) wirb Thor 
Tord af Hafsgaard (Asgard) genannt, Loki, Tords Bruder, Lolke 
Lejemand, Freyja Fridlefsborg und der Rieſe Tosſe⸗Greve (toese, 
Dummkopf; eigentlich purs, puss isl. Rieſe, Rieſengraf, Rieſenhäupr⸗ 
ling). Hier möchte Jungfrau Fridlefsborg lieber einen Chriſtenmann 
heirathen, als den widrigen Trold, und fie richten, nicht den Vruder 
Thord, fondern ihren alten Bater als Braut zu. Die Jungfrau 
fügt: 


Da wollen wir nehmen ben alten Bater, 
So wollen wir bürften jein Haar; 
Führen wir ihn zum Nordgebirg, 
Stellen als Braut ihn dar! 

Die Braut ißt fünfzehn Ochfenleiber, dreißig Schweinfeiten und 
fiebenbundert Brote; zwölf Laften Bier trinkt fie aus, fo daß ber 
Bräutigam die Hände ringt und gerne den Hammer bergeben will, 
wenn er nur ihrer los wird. Nicht bloß gegen das Eddalied, fonbern 
auch gegen die ſchwediſche Darftellung ift hier Vieles entftellt und über 
trieben. Ob und wie weit nun in biefen Ummanblungen noch ein 
Berftändnis der urfprünglichen Bebeutung geblieben fei, erfcheint zwei⸗ 
felbaft; doch zeigt fich im jchwebifchen Liebe die Spur des rechten Ber 
ftändnifjes, wenn Jungfrau Frogenborg „die Schöne Sonne” genannt 
wird. Aber jedenfalls betwährt fich die poetifche Kraft der alten My 
tbenbildung darin, daß, fogar bei verlornem Sinne des alten Mythus, 
bie Geftalten und Situationen felbftändig noch Jahrhunderte hindurch 
als beluftigendes Mährchen fortleben konnten. 

Völlig mythiſcher Natur, wenn gleich feinem der noch vorhandenen 
altnordiſchen Geſänge entiprechend, find ferner einige der färdifchen 
Volkslieder. Dahin gehört ohne Zweifel ein hanvfchriftlices, von dem 
nur der Titel befannt ift: Odin vor Asgaard u. f. w. (Für. Qu. Indl. 
16: „Ouin ür Aasgörum [Odin fra Asgaard], ogſaa kaldet Frigvin ? 


1 Ebendaſ. II, 226 der Anfang der normwegifchen Berfion. 
2 BgL Für. Qv. 284, 165. 





367 


Maaleja‘). Dagegen ftehen in der gedruckten Sammlung bie zwei 
folgenden, die ich in Überfegung gebe: 


Strymners Reim (Skrujmali- Rujma 1). 


Es war an einem Morgen friih 2, 
Des ich mich wohl entfinne, 

Der Bauer gieng zum Walde fort, 
Sucht’ Apfel und Eicheln drinne. 


Da zog der Regen finfter auf, 
Die Sonne ſank hinunter, 

Da wandte ſich der Bauersmann 
Zur Heimath raſch und munter. 


Da zog ber Regen finfter auf, 

Es ſank der Tag zum Abend, 
Der Bauer lief fo froh und friſch, 
Nach feiner Heimat trabenh. 


Da ward es in der Wolfe licht , 
Und lit ward's auf den Wegen, 

Der Bauer fah, wie Skrymner ihm 

Gar mächtig ſchritt entgegen. 


Wohl aus der Erde Strymmer flieg, 
Durch Odins I Gabe kräftig, 

“ Trug in der Hand das. Hiegelbrett 4 
Und ſchritt heran gefchäftig. 
Trug in der Hand das Biegelbrett 
Bon weißem Eifenbeine, 
Die Würfel aber waren da 
Aus Bold von Harem Scheine, 


Der Riefe war von ftarler Art, 

Bon der die Argen flammen. 

Er ſprach: „Sig nieder, lieber Freund, 
Und fpielen wir zuſammen!“ 


1 [&,. 480 bei Lyngbye. 8.) 

2 Al. Zeiertag, halgjin Deä, 

3 Ouvans. 

4 Tijil Talv, eigentlich Spielbrett von Ziegelftein, wahrſcheinlich aus Plätt- 
hen verfchiedener Farbe, bier aber allgemeiner, da das Brett von Elfenbein if. 


368 


Der Bauer ſprach: „O nein, o nein! _ 
Dir kann das nicht gebühren. 

Ich Hab’ das Breitſpiel nie gelernt, 
Ich weiß fein Spiel zu führen.“ 


„Du muft mit mir zum Brettſpiel bier, 
Und fpielft du fonft auch feines, 
Nicht ſoll's dich Toften Haus noch Hof, 
Dein Haupt nur oder meines.” 


Der Baner ftand auf grünem Grund, 
Begann, auf Rath zu finnen; 

Da zog er an die Sieghandfchuh 1, 
So dacht' er zu gewinnen. 


Der Bauer ſetzte fih zum Spiel, 

Wie jehr davor ihm banzgte; 

Doch gieng das Brettipiel jo zum Schluß, 
Daß er den Sieg erlangte. 


Wohl fpielten dieſe Männer nicht 
Um Haus noch Hof im Brette; 
Des Rieſen Leib und Leben fland, 
Sein Haupt und Hals zur Wette. 


„Im Brett haft du gewonnen mid, 
Du magft dem Glück wohl preifen, 
Doch laß mid) löfen jet mein Haupt, 
Somie du felhft magft weiſen!“ 


„Willſt du dir löſen Haupt und Hals, 
Sollſt du zuerft mir rüften 
Gut Bier und Wein und Eichelſchwein, 
All was mid mag geläften. 


1 Sijurshanskar, vermuthlih Handſchuhe, die durch Runen gefeit waren; 
folde Siegrunen wurden aud) auf das Heft des Schwertes eingefchnitten (Grimm, 
Ebd. 214. Edd. Havn. 195), wie Brynhild den Sigurd lehrt. Es gab and 
Sieghelme, Siegkleider (sejerskleeder, Udv. d. Vis. IV, 243) d. 5. gefeflete 
Baffenrüfung. Berzaubernder Schlag mit Wolfhandſchuhen (med Ulfhandske) 
fonmt in Hrolfs 8. €. 25 (Fornald. S. I, 50) vor. Handski, m. chi- 
rotheca. 


Du ſollſt mir ſetzen in den Hof 

Eine Burg, eine breit’ und lange, 
Und Bier und Wein und Reben brin, 
Eine Burg vom erften Range, 


Am Grunde fol ein Eftrich fein 

Und Ziegel auf den Binnen, - 

Das Dad fei von dem blauften Blei, 
Das irgend zu gewinnen. 


Der Efirih auf dem Grunde fei 
Bon weißem Marmelfteine, 

Der Dachſtuhl von Cypreſſenholz, 

Die Band von Elfenbeine. 


Da fol man Herrenbetten fehn, 
Das Bettgeftell von Cedern, 
Die Laken und die Deden all 
Gefüllt mit Fönirfedern. 

Da foll man Herrenbetten fehn, 
Gefüllt mit Schwanendaunen, 
Bededt mit Purpurtüchern all 
Und Goldftoff, zum Erftaumen, 


Ein koſtbar Beden fei auch dort, 
Gefüllt mit edlem Tranle, 
Daß, wer davon getrunfen hat, 
Sein Lebtag nie erfrante. 


Ka, Niemand foll da werben frant, 
Bevor er ſelbſt will fterben. 

Und fchaffft du das nicht Alles ber, 
Hau’ ich dein Haupt zu Scherben. 


Da fol au Trank und Speife ſelbſt N 
Sich auf die Tifche tragen.” 

Dem Rieſen ift fein Leben lieb, 

Muß „ja“ zu Allen jagen. 


Der Bauer halft fein liches Weib 
Am Abend beim Empfange: 
„Run wird man feben, wie ich bald 
In Wird’ und Reichthum prange.“ 
Uhland, Sqhriften. VII. 24 





370 


—ſ een 


Da hob das Weib zu weinen an 
Und ſprach mit Angſt und Beben: 
„Wohl ſchied der Rieſe ſo von dir, 
Es koſtet dich dein Leben.“ 


Der Bauer ſchlief da ruhig ein 

In ſeines Weibes Arme. 

Der Rieſe ſucht und ſammelt Gold, 
So mid’ und ſchwer von Harme. 


Auf See und Sand fuhr Skrymner um, 
Auf Bergen und in Klingen, 

Setzt in des Bauern Hof die Burg 

Mit all den koſtbarn Dingen. 


Er bracht' ihm in die Halle dann, 

Gar ſtattlich zugerüſtet, 

Gut Bier und Wein und Eichelſchwein 
Und was ihn ſonſt gelüftet u. ſ. w. 


Es wiederholt ſich nun, faſt mit denſelben Worten, die Aufzäh—⸗ 
lung alles deſſen, was der Bauer verlangt hatte. 


Frühmorgens, als der Bauersmann 
Zum Walde wollte gehen, 

Da ſah er eine große Burg 

Bor ſeiner Thüre ſtehen. 


Der Bauer ſah die ſchöne Burg, 
Er war ſo friſch und munter, 
Der Rieſe ſtand und klemmte ſich 
Die Schenkel ſchier herunter. 


Der Bauer ſtand auf grünem Grund, 
So fett und wohl gediehen. 

Man führt’ ihn in die fhöne Burg, 
Da muft’ ihn Sorge fliehen. 


“ Der Bauer halſt fein liebes Weib 
Am Abend zum Empfange: 
„Zehn Könge gibt es oder zwölf, 
Die überrag' ich lange.” 


371 


— — 


Der Bauer war ſo friſch und froh, 
Mild gegen Seinesgleichen; 

Zehn Könge gibt es oder zwölf, 
Die ihm an Wohlſtand weichen. 

Die Hausfran war an Kindern reich 
Und rothem Scharlachtuche 

Doch war ihr bang, daß Skrymner nicht 
Den Tod des Bauern fuche. 

Der Bauer hatte draus und drin, 
Was ihm fein Herz erfrente. 

Doch mild’ ift meine Zunge jet, 
Kurzweil genug für heute! 


Das Seitenftüd zu diefem Liebe heißt: 
Lotis Sage (Loka Thaattur) 1, 


Der Rief' und der Bauer fpielten, wie vor, 
Der Riefe gewann und der Bauer verlor. 2 
„Ich hab’ getragen den Sieg davon, 

Nun will ich haben deinen Sohn. 

Den Sohn will ich haben von dir, 

Wenn du ihn nicht kannſt bergen nor mir.“ 
Da ruft der Bauer Knechte zmei: . 
„Ladet ihr Odin 3 mir herbei! 

Wär Odin, Wialönig, Bier, 

Und hälfe, dich zu verbergen, mir!" 

„Ih wollte, mein Odin käme heran 

Und wilſte, wo man verbergen Tann.“ 
Bevor fie halb geiprochen das Wort, 
Stand Odin vor dem Tifche bort. 

„Hör du, Odin! ich rede zu bir; 

Du follft verbergen den Knaben mir.“ 


1 [&. 500 bei Lyngbye. K.] 

.? Risin vann o Bondin vajg. Bgl. Udv. d. Bil. IV, 122 ff.: 
Den Ungersvend han tabte 
Og Jomfruen hun vandt. 

9 Ouvin, 





1 Höner. 


372 - 


Odin fuhr mit den Knaben aus, 
Bauer und Bäurin traurten zu Hans. 


Odin hieß einen Ader mit Macht 
Wachſen und reifen in einer Nacht. 


Odin hieß den Knaben nun 
Mitten im Ader fih unterthun, 


Mitten in eine Ühre hinein, 
Mitten in's Gerſtenkorn fo Hein. 


„Bleib da drinn und forg nicht mehr! 
Wenn ich rufe, komm zu mir ber! 


Bleib da drinn und hab nicht Graus! 


Wenn ich rufe, fo komm heraus!“ 


Skrynmers Herz if hart, wie Horn; 

Er nimmt den ganzen Arm voll Korn. 

Er vafft den Arm voll Korns an fi 

Und hält ein Schwert fo fürdhterlid. 

Er hält iu der Haub ein fchneibend Schwert, 
Damit er ben Knaben zu baum begehrt. 

Da ift der Knab' in Angft und Graus, 
Doch das Körnlein fpringt von der Fanſt heraus, 
Da ift der Knab' in Sorgen fehr, 

Doch Odin ruft ihn zu ſich Ber. 

Odin fährt mit dem Knaben davon 

Und bringt ven Bauersienten den Sohn. 
„Hier ift dein Erbe wieder zu Haus; 

Mit meinem Berfted ift es nun aus.“ 

Da heißt der Bauer Knechte zwei: 

„Rufet ihr Hänern ! mir berbei!“ 

„Ich wollte, mein Häner käme heran 

Und wüſte, wo man verbergen kann.” 


Bevor fie halb geiprodhen das Wort, 
Stand Häner vor dem Tiſche dort. 


1 Lokkji. 


373 


„Hör du, Häner! ich rede zu bir; 

Du ſollſt verbergen den Knaben mir.” 
Häner fuhr mit dem Knaben hinaus, 
Bauer uud Bäurin trauxten zu Hans. 
Häner gieng auf dem grünen Grund, 
Drei Schwäne flogen da über den Sund. 
Bon DOften flogen da Echwäne brei 
Und feßten ſich Hänern nahebei. 
Häner heißt den Knaben nım 

In die Macdenfeder ſich unterthun. 
„Bleib da drinn und forg nicht mehr! 
Wenn ich rufe, fomm zu mir ber. 


_ Bleib da drinn und hab nit Graus! 


Wenn ich rufe, fo fomm heraus!“ 
Skrymmer lief auf dem griünen Grund, 
Drei Schwäne flogen da über den Sum. - 


Er ftrauchelt und fällt auf feine Knie, 
Den vorderfien Schwan boc fängt er hie 


Den vorderftien Schwan doch fieng er ein 
Und ſchlug ihm den Hals von dem Schulterhein. 


Da war der Knab in Angſt und Graus, 
Doch die Feder flog vom Naden heraus, 
Da mar der Knab’ in Sorgen fehr, 
Doch Häner ruft ihn zu fich ber. 

Höner fuhr mit dem Knaben davon 

Und brachte den Banersleuten den Sohn: 
„Bier iR bein Erbe wieder zu Haus; 
Mit meinen Berfied iR es nun aus.“ 
Da ruft der Bauer Knechte zwei: 

„Ladet ihr Lofin 1 mir herbei!“ 

„Ih wollte, mein Loli käme heran > 
Unb wüfte, wo man verbergen kann.“ 


274 


— 


Bevor fie Halb geiprodhen das Wort, | 
Stand Loki vor dem Tiſche dort. 


„Du weilt gar nichts von meiner Roth; 
Sirynmer will meines Sohnes Tod. 


Hör du, Lolil ih rede zu bir; 
Du ſollſt verbergen den Knaben mir! 


Berbirg ihn wohl uud behult' ihn dann, 
Daß ihn der Niefe nicht fangen kann!“ 


„Soll ic; den Sohn verbergen bir, 
So ſchaff du, was von nöthen mir! 


Ein Bootbaus 1 ſollſt du Laffen haun, 
Bevor du mich magft wieder ſchaun. 


Ein weites Genfer mad barein! 
u Die Stäbe follen von Eifen fein.” 


Loli fuhr mit dem Knaben aus, 
. Bauer und Bäurin traurten zu Haus. 


Loft gieng hernieber zum Strand, 
Wo die Schüte ſchwamm vor dem Land. 


Loli rudert zum änßerften Yang; 
So if gefagt im alten Geſang. 


Loli fpricht nicht viele Wort, 
Angel und Stein wirft er über Bord. 


Angel und Stein zu Grunde fuhr, 
Bald zog er Butten auf an der Schnur. 


Einen zog er und 309 wohl zwei, 
Dem dritten bracht’ er mit Roth herbei. 


1 Nest. Solche Schuppen, wo bie Boote verwahrt wurden, finb etwas 
oben auf dem Lande, ober auf Klippen, wo die Wellen nicht wohl hinreichen 
toten, angebracht. Sie haben gemöhnlich ein Fenſter oder eine Öffnung auf 
der Landfeite, damit, wenn die Brandung ſtark wird, ein Mann bineinkriechen 
und die Boote feflbinden kann, damit fie nicht weggeſchwemmt werden, was 
doch zumeilen bei ſtarkem Sturme gejchehen kamm. Etwas Befonbres find nun 
bier die in der Offnung fefigemadhten Eifenftangen. Weit mufte bie Öffnung 
fein, wenn der Niefe, wie nachher geichieht, verjuchen follte, hindurchzukonnnen. 
Für. Du. 510, Note. 


375 


Loli heißt den Knaben nun 

Im Rogenlorne ſich unterthun. 

„Bleib da drinn und ſorg nicht mehr! 
Wenn ich rufe, fomm zu mir ber! - 
Bleib da drinn und hab nicht Graus! 
Wenn ich rufe, fo komm heraus!“ 

Lofi rubert wieder zum Land, 

Der Rieſe flieht vor ihm auf dem Sand. 
Der Niefe ſprach zu Loli fchnell: 

„Wo wareft du heute Nacht, Geſell?“ 
„Ruh nicht Hab’ ich und nirgends Stand, 
Schweifen muß ih um Meer und Land.“ 
Der Riefe ſtößt fein Boot hinaus, 

Loft ruft: „Hei! wel ein Braus!“ 
Loki ruft dem Rieſen zu: 

„Beſſer führen wir, ich und du.“ 

Der Rieſe nimmt das Steuer zur Hand, 
Loki rudert hinaus vom Land. 

Loft rudert fort und fort, 

Das Eifenboot will nicht vom Drt. 

Loki rief dem Rieſen zu: 

„Beſſer ffänd’ ih am Steuer, als du.“ - 
Als zu den Rudern der Riefe griff, 
Fuhr in die weite See das Schiff. 
Skrynmer rudert mit langem Arm, 

Loft ſchafft id am Stener warın. 
Skrymmer rudert zum äußerfien Yang, 
So tft gefagt im alten Geſang. 

Der Riefe ſpricht nicht viele Wort‘, 
Angel und Stein wirft er liber Bord. 
Angel und Stein zu Grunde fuhr, 

Bald 308 er Butten auf an der Schnur. 
Einen zog er und zog wohl ziei, 

. Dear dritten bracht’ er mit Noth herbei. 


376 


Loki ſprach fo trügeriſch: 

„Rieſe, gib du mir dieſen Fiſchl“ 
Der Rieſe gab zur Antwort: „Nein! 

Kein, mein Loki! der wird nicht bein.” 

Hielt den Fiſch mit den Knieen vorn, 

Zählt' im Rogen jegliches Korn. 

Jegliches Korn, das im Rogen hängt, 

Zählt er, damit er den Knaben fängt. 

Da war der Knab’ in Angſt und Graus; 
Doch das Korn glitt zwifchen ber Yauft heraus. 
Da war der Knab' in Sorgen ſehr, 

Doch Loki ruft ihn zu ſich her. 

„Sit hier nieder, hinter mich! 

Laß nicht den Rieſen erbliden dich! 

Du muft laufen fo leicht auf dem Land, | 
Daß du die Spur nicht drückſt in den Sand.” 
Der Rieſe rudert zuriid zum Land, 

Grabe gegen den weißen Sant. 


. Der Wiefe rubert bem Lande zu, 

Loki drehet das Boot im Nu. 
Der Riefe Hößt das Boot an den Strand, 
Der Knabe fpringt jo leicht auf das Land. 
Der Rieſe fieht ih um auf dem Land, 
Der Knabe ſteht vor ihm auf dem Sand. 
Der Knabe lief jo leicht über's Land, 
Er drüdte die Spur nicht ein in ben Sand. 
Der Rieſe lief jo ſchwer auf dem Land, 
Er ſank bis zu den Knien iu den Sand, 
Der Knabe lief mit aller Macht 
Durch's Boothaus, das fein Vater gemacht. 
Durch's Boothaus, das fein Vater ließ baum, 
Folgt ihm der Miefe mit gutem Vertraun. 
Der Niefe blieb im Fenſter bangen 
Und zerbrad die Stirn an den Eifenftangen. 








377 


gef, ruſtig binterbrein, 
Hieb ab dem Niefen das eine Bein. 
Dem Wiefen war das nur Aurzweil, 
Die Wunde war gleich wieber heil. 
Lofi, ruſtig Hinterbrem, 
Hieb ab dem Rieſen das andre Bein. 
Er hieb ihm ab das andre Bein 
Und warf e8 zwiſchen Stod und Stein. 
Dem Knaben war es ein luſtig Spiel, 
Wie da der Rieſe zuſammenfiel. 
Loki fuhr mit dem Knaben davon 
Und brachte den Banersleuten den Sohn: 
„Hier ift dein Erbe wieder zu Haus, 
Mit meinem Berfted ift es nun aus. 
Mit meinem Berfted iſt's abgemacht, 
Ich hab deine Sad zum Ende gebradt. 
Ich Hab gehalten, was ich geſchworn; 
Nun hat der Niefe fein Leben berlorn.“ 

Gine Erllarung biefer beiden Lieder iſt in ber gebrudten Samm⸗ 
kung nicht gegeben. Sie kann jedoch, den Hauptzügen nad, wenig 
Schwierigkeit haben, nachdem wir einmal wit ber Bilberkhrift der 
nordiſchen Naturmythen belannt geworden find. Im Liebe ppm wieder⸗ 
erlangten Hammer beſiegt der Aſe Thor den Winterrieſen Thrymr. 
Sn einem früher vorgetragenen Mythus ber jüngern Edda haben wir 
Thorn in feinen Wettlämpfen bei Utgardsloki im Nachtheil gefunden 
und ſchon auf dem Wege dahin bat ex allerlei Abenteuer mit dem 
Riefen Strymmir gehabt, in defien Handſchuh er eine Nacht über Her 
berge genommen, der ihm ben Speifefad zugeſchnürt und an befien 
Haupt er jeine Hammerfchläge erfolglos verſucht. In beiden Mythen 
bat fih uns ein Kampf ber Sommer: und Winterfräfte bargeftellt, 
dort, im Liebe vom Hammer, zum Bortheil, bier, auf der Fahrt zu 
Nigarblofi, zum Nachtheil des Donnergottes. Bon ähnlicher Bebeu« 
tung find nun die beiden färdifchen Lieber; nur daß bier nicht ber 
gewaltige Aje mit dem Winterriefen kämpft, fondern der unmächtige 
Bauer mit ihm fpielt, aljo die Entſcheidung den Schickſalsmächten 


378 


anbeimgibt. Im erften Liebe geivinnt ber Bauer, er fpielt mit Sieg 
handſchuhen, es ift ein Sommerlied; im zweiten verliert er, der Winter 
briht an. Wenn die Eddamythen in der Götterwelt im allgemeineren 
MWeltleben ſich beivegen, jo jehen wir bier, in ben Bollölievern, ben 
Wechſel der Jahreszeiten, mehr idylliſch, in feinem Einfluß auf das 
ländliche, bäuerliche Leben vorgebilbet. 

Betrachten wir von biefem Geſichtspunkt aus die beiden Lieber 
einzeln! Im erften beißt ber Riefe Skirujmsli. Nach einer Anmerkung 
des Herausgebers bebeutet dieß im Färdiſchen ein Geipenft; isländiſch 
skrimel, m. (Lex. isl. U, 281a monstrum), ein Ungeheuer, Mis⸗ 
geichöpf; mweiter aber wirb beigefügt, ein geborner Yärder, der Pfarrer 
Schröter auf Suberde, bemerfe nad Tradition, daß dieſes Lied ten 
Gefpenfternamen (Skrujmsli Rujma), ftatt des Altern Skrymners ! 
Riim, zur Zeit ber Mönche erhalten habe, wo es bei Strafe zu fingen 
verboten geweſen; eö werde auf Färde als ein Überreft bes Heiden 
thums angefehen 2. Diefem gemäß habe ich auch in der Überfegung 
den Namen Skrymner gebraudht, woburd uns ter Rieſe des Liebes 
mit Strymnir? des Eddamythus identiſch wirt. Dieß ift er aber auf 
abgejehen vom Namen. Sein Auffteigen auf der Erbe beim Heran 
ziehen der dunkeln Regenwolke und beim Anbruch bes Abends verkündet 
ihn deutlich genug als eine ber twinterlidden und: finftern Erdmächte 
Das: Brettfpiel, wozu er den Bauern auffordert, Tommt auch ſonſt 
in ben ‚Sagen und Liebern bes Nordens vor. Nach der Bölufpe 
fpielten die Aſen in ihrem Goldalter dieſes Spiel (tefldo, Bölufpa 
Str. 8. Edd. Sem. ©. %; at tebla, alea vel latrunoulis ludere, 
fpille Brätfpil, Lex. isl. I, 87230) und in der neuerſtandenen Belt 
werben fie ihre wunderſamen Golbtafeln (gullnar töflur) im Grafe 
wiederfinden (Völufpa Str. 61. Edd. Seem. S. 10). Sollte wirklich 
dieſes Götterfpiel, mie es erflärt worben ift, die Bewegung ber 


I Bl. Grimm, Altdän. Heldenl. &. 503 ob. Sagabibl. IE, 618 ff. 

2 Für. Dv. 480. 

9 Lex. myth. 630, Note: „Nomen Skrymir aut est vertendum a) gran- 
disonus, b) fabulosus, jactabundus, c) deformis vel monstrosus aut etiam 
d) deformans.“ Bol. 434. Lex. isl. II, 283b: „Skrymnir, m. gigas grandi- 
sonas, en Jette; a skrum.“ Ebend. 283a: „Skrum, n. figmentum, nuge 
Sfabder, Oppdigtelje, Praleri.“ 


n 


379 
Geftirne bebeuten, fo wäre das au auf unfer Lien anwendbar, denn 
ber Lauf der Geftirne beftimmt den Sieg ber Jahreszeit. In ben 
Balladen werben wir weiterhin Beifpiele finden, wie um Leben und 
Ehre Goldtafel geipielt wird, oder ver König das Spiel enticheiden 
läßt, ob er feine Tochter dem Freier geben fol. In unfrem erſten 
Liede nun gewinnt ber Bauer; der Erbriefe it ihm verfallen und muß 
berbeifchaffen, was Jener verlangt, vor Allem die Yülle von Trank 
und Speife, Bier und Wein und Eichelichwein, dann bie ftattliche 
Burg voll behaglicher und Foftbarer Dinge, die am Morgen in bes 
Bauern Hofe fteht: Fett und mwohlgebiehen ſteht er felbft da. Damit 
ift der Segen und Reichthum bezeichnet, den die fruchtbare Jahreszeit 
dem Bauern bringt; fte fchafft ihm Leibesnahrung, baut und füllt fein 
Haus. Die Bauersfrau ift gefegnet mit Kindern, denn, wie das fol 
gende Lieb zeigt, find auch wieder die Erdfrüchte bes Bauern Kinder. 
Die Frau bat aber immer bange, daß der Niefe body noch über ben 
Bauern Meifter werde, und dadurch Intipft ſich dieſes Lied an bas 
zweite. Daß aber erfteres wirklich jo, von dem Siege ter beflern 
Sabreszeit verftanden worden, dafür ſpricht noch insbefondre der sa 
reim, mit dem es gejungen wird: 
Der Winter weicht, der Sommer fommt, 
Die Erde wird fo milde, 
So ſchön Gewächs ergrünet im Gefilde. 

Und wenn e3, nach der einen Verſion ber erften Strophe, ein 
beiliger Tag ift, an dem der Bauer ausgeht und das Spiel gewinnt, 
fo mag wohl dieſes Lieb zur Feier eines beftimmten Fefttags im Yrübe 
jahr gefungen und getanzt worden fein. Zwar ſcheint es auf eine 
vorgerüdtere Zeit hinzuweiſen, daß der Bauer in ven Wald gebt, um 
Apfel und Eicheln zu finden; allein wenn man auch nicht barauf ver⸗ 
zichten mäfte, in ber jeweiligen Form einer ſolchen Dichtung alle ein- 
zelne Züge mit ber Bedeutung bes Ganzen in bolllommener Über: 
einftimmung zu finden, jo Tönnte doch hier noch immerhin die Erklä⸗ 
rung ftattfinden, baß damit die Begierbe des Bauer nach den Früchten 
des Jahres bezeichnet fei. 

Im zweiten Liebe geivinnt ber Niefe, und ber Bauer fol ihm 
einen Sohn ausantiworten, entweder zur Löfung feines Hauptes, mie 
im erften Liebe der Riefe das feinige löſen muß, ober weil er benfelben 











380 


auf das Spiel geſetzt hatte. Der Bauernfohn beveutet, wie ſchon be 
rührt worden, den Segen des Jahres, dem ber Winterriefe ein Biel 
jet. Aber wenn glei der Rieſe vorerft das Epiel geivonnen, fo iR 
ex doch feines Pfandes noch nicht ſicher; jener Jahresſegen trägt in 
fich den Keim neuer Tünftiger Früchte. Dieſer Keim fteht unter ver 
Dbhut ver Götter, die der Bauer zu Hülfe ruft. Es iſt nicht ber 
kämpfende Donnergott Thor, an den er fi) wendet, denn jebt iſt 
Thors Hammer jelbit von den Riefen hinweg genommen. Auch der 
milde Freyr, wenn gleich Geber der Fruchtbarkeit, ift jet, in ben 
Wintermonaten, machtlos. Die fchaffenden Götter müſſen Hier in's 
Mittel treten. Wie nach der Voluſpa (Str. 18. Edd. Sem. 3) bei 
ber Weltihöpfung Odin, Hänir und Lodur die Baumflämme zu Men 
ſchen beleben, wie dann an der Spitze der Sigurböfage Odin, Hänir 
und Aſaloli auf ihrer Wanderung durch die Welt den Keim Hünf: 
tiger Geſchicke pflanzen, fo fchreiten bier, auch in der Dreyabl, Din, 
Hanir und Loki nach einander hülfreih ein, denn es gilt bier, die Un- 
vertilgbarkeit des in die Natur gelegten fchöpferiichen Triebes zu be 
währen, das dürre Saatlom für neue Ernten lebendig zu erhalten, 
pen gefährbeten Keim aus ber flarren Hand des Winterriefen zu retten. 
Am meiften fällt das Bild mit der Sache felbft zufammen in ber erften 
Hettung durd Odin, mo der Bauernfohn mitten im Kornfeld, mitten 
in der Ähre, mitten im Gerſtenkorne felbft verborgen ift und, als ber 
Rieſe den Arm voll Getreides zufammenrafft, eben biefes Heine Korn 
ihm aus der Fauſt fpringt. Aber auch die entfliegende Feder des ge: 
tößteten Schwan ! und das entgleitende Rogenkorn bes gefangenen 
Fiſches find unverkennbare Sinnbilder des unerlöfchlichen Lebenskeimes 
und vielleicht noch beſondrer Begiehungen fähig; ja fie ſcheinen ben 
Mytbus auf einen größern Kreis des Naturlebens zu erweitern. Der 
Rieſe ſelbſt muß zuletzt in ber Verfolgung bes Bauernjohnes untergehn, 
denn fowie der Keim gerettet ift, bat bie Wirkfamleit ver Winter: 
mächte aufgehört. Die Art aber, tie ber Riefe umkommt, iſt, bier 
aur im ländlichen Bilde, biefelbe, wie wir in einem früheren Mythus 
einen Andern diefes Geſchlechts auf der Verfolgung abgefangen jahen; 
ber Rieſe Thiaſſi verfolgt Idun, die er geraubt hatte und die ihm als 


4 Über den Schwan vgl. Troil 116. 


381 


Schwalbe von Loki wieder entführt wurbe, in @eftalt eines blers; 
auf der Mauer von Asgard aber fchießt er in das Yeuer, das Die 
Ken anzlinden, verfengt feine Schwingen und wird getötet. 

Die zwei färdiſchen Volkslieder find nach dem biöberigen eine Er: 
gänzung der altnorbifchen Mythen. Im zweiten kommt twieberbolt ber 
Ausbrud vor: „So ift in altem Liebe gejagt” (Str. 60. 67: So eer uj 
ſodnun Fröji sagt); will man aber diefes bloß für eine berfömmliche 
Formel betrachten, fo ift gleichwohl nicht zu zweifeln, baß ber alter 
tbümliche Inhalt einft auch in der alten Liebesform vorhanden geiwejen 
ſei. Zudem Zönnen dieſelben nicht wohl auf ben Färben ſelbſt ent 
ftanben fein, da bier ber Getreivebau, auf den fie ſich beziehen, ſtets 
unbebeutend war (Für. Div. 7); basfelbe ift der Fall mit Island 
(Zroil 36), und der Inhalt biefer Lieder mag daher ſchon ein Erb: 
theil aus dem norwegiſchen Heimatblande fein. Er bat fich, des hohen 
Alters uneracdhtet, in dem Maaße rein erhalten, daß feine Bebeutung 
noch wohl durchſchaut werben Tann, aber in der äußern Ausſtattung 
zeigt ſich der Einfluß mittelalterliher Romantik. Die prächtige Burg, 
die der Bauer verlangt, mit elfenbeinernen Wänden und Dachiverl 
von Cyprefſenholz und von Reben umrankt, die Betten mit Burpur: 
beden und Phönixfedern u. |. w. find offenbar folche Tpätere Ausmalung; 
früher mochte ber Bauer mit einem neuen bölgernen Langhaus und 
einer tüchtigen Bierkufe darin zufrieden fein. 

In den biöher erösterten Lieben traten noch bie großen Götter 
Thor, Din, Hänir, Loli, wenn auch zum Theil mit entfiellten Aus 
men, auf. Bon ihnen findet ſich auch in ben ber Heldenfage entnom⸗ 
menen Balladen noch einige Spur. Aber fonft waren es gerabe biefe 
höhern Mächte, welche bie neue Lehre am menigften bulden mochte, 
und auf das Abfingen jener färdifchen Lieder mytbiichen Inhalts joll 
in früheren Beiten eine Gelbbuße gelegt geweſen jein (Kür. Qu. 20 f.). 
Dagegen bat fi ver Bollsglaube eine andre mythiſche Weſenklaſſe 
nicht entfremben laflen, die fortwährend unmittelbar aus ber umgeben, 
den Ratur zu ihm ſprach. Es find dieß die untergeorbneten Elementar⸗ 
geifter, die Mfe der altnordiſchen Mythologie, die.nun in ben Bal⸗ 
laden als Elfen fortleben und gerade in diefer |pätern Dichtung mit 
befondrer Liebe eigenthümlich ausgebildet worden find. (Altnord. Alfr, 
PL. Alfar; ſchwed. elf, Pl. elfar, woneben häufig der weibliche Blur. 


elfvor; bän, elv, BI. elve, in Zufammenfegungen heutzutag ellefolk, 
ellekone, ellekonge, ftatt elvefolk u. ſ. w.; aus welchem ellekonge 
durch Misverſtändnis die unrichtige deutiche Überſetzung Erllönig ext 
ſprungen ift, ba der Name des Geiftes mit dem des Baumes Erle, 
bän. elle, altnord. elni, alnus, nichts zu fchaffen bat. Grimm, ir. 
Eifenm. LXI). 

Es ift allen befanntern Raturzeligionen gemein, daß in ihnen 
. eine Menge folder untergeorbneter Geiſter lebt und webt, welche bald 
unfihtbar und leife geahnt die Natur erfüllen (ebend. LIII), bald in 
Iuftigen Erſcheinungen berbortreten, dem Menfchen in freundlicher oder 
feindlicher Gefinnung ſich nahend. Man faßt biefes Geiſterweſen bei 
den neuern Volkern am beiten unter dem, ihrer vielen gemeinfamen 
Namen der Elfen zujammen. Es ift neuerlich eine bejonbre Mytho⸗ 
logie der Feen und Elfen von einem Engländer (Keightley) erjchienen, 
in’3 Deutfche überfegt von D. L. B. Wolff, 2 Theile, Weimar 1828. 
Das Grünblichfte aber ift eine Abhandlung der Brüder Grimm über 
die Elfen, welche fie der bon ihnen herausgegebenen Überjegung iris 
ſcher Elfenmährchen, Leipzig 1826, als Einleitung vorangeftellt haben. 

Wenn man erwägt, wie dieſes Geifterreich in übereinftimmenden 
Hauptzägen bei Völkern verfchiedenen Stammes und fonft auch bebeus 
tend verjchienener Glaubenslehre ſich ausgebreitet hat, fo erlennt man ın 
ihm das urjprünglichfte und allgemeinfte Element ver mythilchen Natur: 
anſchauung, aus dem dann erft die eigenthümlichen Göttergeftalten jever 
. befondern Mythologie aufgetaucht find. Wurden diefe durch die Herr⸗ 
ſchaft einer neuen Lehre zerftört, fo trat die Auflöſung in jenes freiere 
Element wieder ein. Die luftigen Elementargeifter jchlüpften den exor: 
cifierenden Bekehrern zwiſchen ven Fingern durch und fie werben aud 
nicht weichen, fo lange die Völker. noch mit einiger Einbildungskraft 
die Ratur anfchauen, beren wunderbares Leben fie umgibt. 

Was nun den Rorben betrifft, jo unterjcheibet Die Eddalehre Licht: 
alfe und Schwarzalfe oder Zwerge, Naturgeifter bes Lichts und ber 
Finſternis, Bewohner der leuchtenden Himmelsgegenden und ber bun- 
feln Erde (ebend. LXI f.). Mit voller Strenge war diefe Unterſchei⸗ 
dung vielleicht niemals durch alle Mythen und Sagen burchgeführt, 
aber in den Volksliedern, bei denen wir jetzt ftehen, ift fie gänzlich 
aufgelöſt, die heiderlei Arten find überall verwechſelt, ihre äußern 


Kennzeichen, ihre guten und böjen Eigenschaften manigfach vermifcht, 
und eben biefe zweideutige Natur ift bier, wie in ben entiprechenven 
Liedern und Sagen andrer Völker, ein berborftehender Zug bes Elfen: 
weſens geworben (ebend. LXII f. LXXXIX). 

Der Elfenname, den wir als allgemeinfte Bezeichnung gebrau- 
chen, weicht übrigens für die bejondern Arten elfiicher Weſen zahl: 
reichen andern Benennungen. Wir veranfchaulicden uns nun biefes 
Elfenreih in feinen bemerkenswertheſten Erfcheinungen durch die Lie 
der ſelbſt. | 

Erft nur abnungsvoll, halb im Traume ſieht man die Elfen in 
einem Liede, das befonders durch Herders Überfegung aus dem Dä: 
nifchen, in den Stimmen ber Böller ©. 446, befannter geworben iſt 
(Udv. d. Bil. I, 234. 385. Grimm 156. 521. Zuf. 55 u.) Auch 
ſchwediſch ift es vorhanden (Sv. III, 170 bis 174). Hier nach Herber: 


Elfenhöh. 
Ich legte mein Haupt anf die Elfenhöh' u. ſ. w.*** 


Die Elfen, wie ſie hier erſcheinen, ſind, was man in Schweden 
Högfolk, Hũugelvolk nennt, d. h. ſolche, die in Anhöhen ober in ben 
großen nordiſchen Grabhügeln wohnen (Sv. III, 158). Auf einen ſol⸗ 
chen hat fich der junge Gefell im Liede niedergelegt und befindet ſich 
darum ganz im Luftkreiſe des Elfenzaubers. Nicht ſo glücklich, als er, 
den der Hahnenſchrei eben zur rechten Zeit rettet, iſt ein Andrer, von 
dem eine gleichfalls durch Herder übertragene däniſche Ballade meldet. 
Auch ſchwediſch und isländiſch findet fie ſich vor, wie immer in ſolchen 
Fällen, mit mancherlei Veränderungen. (Udv. d. Viſ. I, 236. 386 f. 
Isländ. Grimm 91. 508. Sv. III, 158. 162. Mohnike 49. 208.) 
Nach Herder (ebend. 452): | 


. Herr Dlof. 
Serr Dlof reitet ſpät und weit u. ſ. w. 7% 


Der Elfenfchlag, der dem Ritter DIof zum Verberben wird, kommt 
auch fonft in den Sagen vor (Grimm, ir. Elfm. CI f., 2). Aber 
auch freundlicher, wenn gleich immer gefährlich, erfcheint das Höhenvolk 
im Liede vom Nitter Tynne. " 


384 


Ritter Tynne (däniih Tönne). 


Schwediſch Sv. I, 32. 127. Dänifh Udv. d. Bil. I, 281. 390. Hier, 
foweit es für das Elfenweien von Intereſſe, nad dem Schwediſchen, wo das 
Lied alterthümlicher lautet. Es ift and von Mohnike I, 98 fiberfett. 


Das war der Nitter Tonne, 

Wollt ſchießen den Hirſch und die Hinde, 
Da ſah er Ulfa, des Zwerges Tochter, 
Unter grimender Linde. 


Und das war Ulfa, des Zwerges Tochter, 
Zur Dienerin ſprach ſie behende: 
„Du ſollſt nach meiner Goldharfe gehn, 
Daß ich den Ritter zu mir wende!“ 
Sie ſchlug die Goldharfe den erſten Schlag, 
Der mochte ſo lieblich klingen, 

Die wilden Thier' in Feld und Wald 
Vergeſſen, wohin fie wolln ſpringen. 
Sie ſchlug die Goldharfe den zweiten Schlag, 
Der mochte ſo lieblich klingen, 
Der Graufalk, der auf dem Zweige ſaß, 
Er breitet aus ſeine Schwingen. 


Sie ſchlug die Goldharfe den dritten Schlag, 
Der mochte ſo lieblich klingen, 

Der kleine Fiſch, der ſchwamm in der Flut, 
Bergißt, wohin er will ſchwimmen. 


Hier blühte die Au, hier belaubte ſich's all, 
Das mochte der Runenſchlag walten; 

Ritter Tynne ſein Roſs mit dem Sporne ſtach, 
Er konnte ſich nicht mehr halten. 


Und das war Ritter Tynne, 

Bon feinem Roſs er ſich ſchwinget, 

So geht er zu Ulfa, des Zwerges Tochter, 

All unter grünender Linde. 

„Ihr fitzet Hier, meine Jungfrau ſchön, 
Über alle Lilien eine Roſe; 

Euch fieht niemals ein irdiſcher Mann, 
Den nicht füftet, um euch zu koſen.“ 


385 


„Schweigt fill, ſchweigt fill, Ritter Tynne, 
Mit eurem Liebeswerben! 

Ich Hab’ mich einem VBerglönig verlobt, 
Einem König über alle Zwerge. 


Mein Bräutigam fittt im Berge drinn, 
Goldtafel fpielt er im Berge, 

Mein Bater ftellt feine Kämpen im Kreis 
Und Heidet in Eifen die Zwerge. 


Meine Mutter fit im Berge drinn, 
Und Eegt das Gold in den Schrein, 

Ich ſchlich mich heraus eine Heine Weil‘, 
Zu [lagen die Goldharfe mein.” 


Und das war Ritter Tonne, 

Klopft fie auf die rofige Wange: 
„Warum nicht antworteft du befler mir, 
Herzfiebfte, nad) der ich verlange?“ 


„Nicht beffer kann ich antworten euch, 
Kann ſelbſt darüber nicht walten. 

Ich hab’ mich einem Berglönig verlobt, 
Das Gelübde muß ich ihm Halten.” 


Und das war Thora, bes Zwerges Frau, 
Sch zur Bergthüre hinaus, 
Da ward ihr zu ſehn, mie Ritter Tynne 
Saß unter ber Finde draus. 


Und das war Thora, des Ywerges Frau, 
Sie war fo emft und firenge. 

„Was Haft du draußen im Walde zu thun? 
Hieher find nicht beine Bänge. 


Biel beffer wärſt bu im Berge brinn 
Und legteft Gold in den Schrein, 
As daß du fiel im Roſenwald 
Und ſchlägſt die Golbharfe dein. 


Und beffer wär du im Berge drinn 

Und nähteft dein Brautkleid zu Ende, 

Rs zu fchlagen unter Linde den Runeuſchlag, 

Der des Chriſtenmanns Herz zu bir wende.“ 
Uhland, Särlften. VI. 25 


386 





Und das war Ulfe, des Zwerges Tochter, 
Sie geht in den Berg zuband, 

Ihr nach geht Ritter Tynne 

In Scharlah und Pelzgewand. 


Und das war Thora, des Zwerges Fran, 
Den Golpftuhl rüdt fie heran, 
So ſenkt fie Ritter Tonne in Schlummer, 
Bis daß da krähte der Hahn. 


‚ Und das war Thora, des Zwerges Frau, 
Fünf Aımebäcder nimmt fie zur Hand, 
So Töft fie ihn aus den Runen, 
Worein ihre Tochter ihn band. 


„Und hört ihr, Ritter Tynne! 

Nun habt vor den Runen ihr Frieden; 

Das will ich euch fagen in Wahrheit: 

Meiner Tochter feid ihr nicht beſchieden“ u. |. w. 


Da gab fie ihm ein nenes Seid, 
Mit Gold und Perlen beftedt, 
Und jede Naht im Kleide war 
Mit edeln Steinen bebedi. 


Da ˖ gab fie ihm ein Roſa fo gut, 

Einen neuen Sattel jofort: 

„Nie jolft du nad dem Wege fragen, 
Dein Roſs findt immer den Ort.“ 

Und das war Ulfa, des Zwerges Tochter, 
Roc immer war er ihr werth. 

Sie gab ihm einen neuen Speer 
Und dazu ein gutes Schwert, 

„Nie wirft du flreiten einen Streit, 
Daß du des Siegs entbehref; 

Nie wirft dur jegelm auf der See, 
Dog du zum Strand nicht kehreſt“ u. ſ. w. 

Was hier von ber alten Ballade gegeben worden, ift nur etwa 
die Hälfte des Ganzen, fo viel nemlich das Leben und ben Haushalt 
des elfiſchen Bergvolkes betrifft. Drinnen im Berge ift Alles mit 
Erzen beichäftigt. Die Bergkönige ſpielen Bolbtafel ober Heiden ihre 


- 





N 


387 


Mannſchaft in Eifen, die Zwergfrau legt Gold in den Schrein. Die 
ſchöne Tochter aber Tchleicht fich hinaus und fchlägt den Goldklang ber 
Harfe an, um den Ritter zu bezaubern. Nachdem biefer auf dem 
Goldſtuhl gefchlummert, wird er von den Runen entbunden und erhält 
zum Abfchied wunderbare Waffen und herrliche Kleinode. Das Lieb 
erzählt aber noch außerdem, wie bie Zwergfrau dem Ritter vertraut, 
daß fie von Chriften geboren und in den Berg geftohlen fei, wie fie 
ihm, zum Erſatz für Ulfa, die ihm nicht werben lann, ihre Tönigliche 
Schweftertochter beftimmt und mie fie ihn eben dazu jo wohl ausrüftet, 
bamit er diefe, die an einem fremben Hofe feftgehalten ift, in ritter- 
lihem Kampfe befreien Tönne, was er dann auch rühmlich ausführt. 
Diele Geſchichten aber Tönnen, wenigſtens in der Ausführlichkeit, mit 
der fie jetzt erzählt find, nicht urfprünglidh zur Fabel gehört haben und 
es weichen auch gerab in dieſem Theile bes Liedes die ſchwediſche 
und die dänifche Überlieferung hauptfächlich von einander ab. 

Was bier nur kurz berührt ift, daß auch der Bergkönig jelbft 
berauslommt, ‘um ſich unter den Töchtern der Menfchen eine Braut 
zu holen, ift der Gegenftand eines andern ſchwediſchen Liedes, das in 
mehrfachen Berfionen vorliegt. Die vollftändigfte ift dieſe: 

Der Berglönig. 

(Sv. II, 22. Sonft audy den Bergtagna, die Berggefangene, 8v. I, 1, 
11, 201. Die Verbreitung diefes Bollsglaubens in Schweden zeigt ſich and 
darin, daß man eigene Worte- für foldhe Entführungen in den Berg bat: 
bergtagen, Adj. in den Berg genommen, von tage, nehmen; bergtagning, 
Subſt., die Wegnahme in den Berg). 

Stolz Margaret hatt’ einen Bater fo rei, 
Der war König über fieben Königreich. 
Un die Jungfrau freiten der Grafen zwei, 
Sie aber wollte noch bleiben frei. 

Um die Jungfrau freiten der Fürſten vier, 
Doc keiner der viere gefiel noch ihr. 

Um die Jungfrau freiten Könige fieben, 
Doc feiner von allen wollt’ ibr belieben. 


Berglönig fragt feine Mutter um Rath, 
Wie er am beiten ſtolz Margaret faht. 


388 


„Wie viel denn willſt du geben mir, 

Daß fie ſelbſt ſoll kommen zum Berge dir?“ 
„Dir will id) geben das rotbefte Gold 

Und all deine Kiften mit Pfennigen voll.“ 
Eines Sommtagmorgens, da ſollt' es geſchehn, 
Stolz Margaret wollte zur Kirche geht. 

Und all wie fie gebt, ober ſtehen bleibt, 

AU näher es fie zum Berge treibt. 

Sie geht um den Berg dreimal im Kreis, 

Da Öffnet fi eine Thüre leis. 

Stolz Margret hinab durch die Bergthilr fteigt, 
Berglönig ihr framblich die Augen neigt. 

Er nahm die Jungfrau auf feine Knie 

Und mit Golbringen verlobt’ er fie. 

Er nahm fie in feinen Arm jo hol, 

Gab Königswürd' ihr und Krone von Gold. 
So war fie im Berg acht volle Jahr, 

Bis fie zwei Söhn' und ein Mägblein gebar. 
Und als fie acht Jahre gewefen aus, 
Berlangte fie nad) ihrer Mutter Haus. 
Bergkönig ſprach zu den Knechtlein zwein: 
„Spannt ihr vor ben Wagen bie Grauroſſ' ein!“ 
Stolz Margaret trat zur Bergtbiir hinaus, 
Da weinten die Heinen Kinder gubans. 
Berglönig nahm in die Arme fie hold, 

So hob er fie auf den Wagen von Gold. 
„Und Hör’ du, Knechtlein, umd merk dir's genau! 
Bum Hof ihrer Mutter führ' du die Frau!“ 
Stolz Margaret ab vor der Thüre ſteigt, 

Und die Mutter ihr freundlich die Augen neigt. 
„Und mo benn bift bu geweſen fo lang?“ 
„Ich macht’ auf der Blumenau einen Gang.“ 


„Was foll denm die Hand’ in deinem Haar? 
Sp tragen fih Frauen und Mütter flirwahr.“ 


389 


„Wohl Hab’ ich die Haube zum Schmuad mir gewählt, 
Berglönig ifi mir verlobt und vermählt. 

Im Berge war ich die vollen acht Jahr, 

Wo ich zwei Söhn’ und ein Mägdlein gebar. 
Wohl hab’ ih zwei Söhn' und ein Töchterlein, 
Das wird die herrlichfte Imgfrau fein.“ 

„Stolz Margaret, hör' und laß mich verſtehn, 
Kann ich folgen dir heim und bie Kindlein ſehn?“ 
Bergkönig ein durch die Thüre fchritt, 

Und Margaret fiel zur Erde damit. 

„Und ſtehſt du num bier und klagſt über mich 
Und wendeſt nicht wieder zum Berge dich? 

Und ſtehſt du nun bier und Hagft dein Geſchick 
Und kommſt nit von felbft zum Berge zurück?“ 
Er flug fie auf Die rofige Wang: 

„Wohlauf, deine Kindlein warten ſchon lang” u. ſ. w. 
Berglönig fie anf die Arme bob 

Und in den vergüldeten Wagen ſchob. 

„Und hör du, Knechtlein, und mer! dir's genau! 
Zum Berge follft du führen die Fran.” 

Stolz Margaret trat zur Bergthur ein, 

Da freuten fo ſehr fi die Kinder Hein. 

„Es ift nicht werth, daß ihr meiner euch freut. 
D wär’ ich nicht eure Mutter noch heut!“ 

Das eine brachte den Stubl von Gold: 

„Meine traurige Mutter, bier ausruhen wollt!“ 
Das zweite bracht ein gefülltes Horn, 

Das dritte legt’ drein ein verglildetes Korn. 

Und den erfien Trunk, den fie tranl im Saat, 
Vergaß fe Himmel und Erde zumal. - ' 
Und den zweiten Trumk, ven fie trank im Saal; 
Bergaß fie Bott und fein Wort zumal. 

Und den dritten Trunk, den fie trank im Saal, 
Bergaß fie Schweiter und Bruber zumal. 





3% 


So vergaß fie beide, Schweſter uud Bruder, 
Doch nimmer vergaß fie die trauernde Mutter. - 

Derielbe Berlehr, wie mit ben Berggeiftern, beftebt auch zwiſchen 
den Chriftenleuten und den Waflergeiftern; die Lage und Beichaffenheit 
bes Landes enticheidet, welche Art biefer Naturweſen bormwalte Was 
im ſchwediſchen Berglande vom Berglönig gefungen wird, bas iſt im 
Dänemark auf den Meermann angewandt. Vergleichen wir die bänifche 
Berfion der eben vorgetragenen fchiwebifchen Ballade! 


Agnes und der Meermann. 

Agnes auf ihrem Söller fund, 

Strads tauchte der Meermann aus dem Grund. 

„Und hör’ du, Agnes, wie ich es mein! 

Willſt du meine Herzallerliebfte jein?“ 

„D ja! o ja! das will ich zurftund, 

Wenn du mit mich nimmft auf des Meeres Grund.” 

Er ſtopft' ihr wie Ohren, er ftopft’ ihr den Mund, 

So führt’ er hinab fie zum Meeresgrund. 

Sie waren zufammen acht volle Jahr, 

Sieben Söhne fie ihn gebar. 

Agnes faß an der Wien’ und fang, 

Da hörte fie Englands Glockenklang.“ 

Agnes gieng vor den Meermann zu flehn: 

„Und- dürft’ ich wohl in die Kirche gehn?“ 

„Zur Kirche laß ich dich gerne fein, 

Wenn du wieder kommſt zu den Kindern Hein.“ 

Er ftopft’ ihr die Ohren, er ſtopft' ihr den Mund, 

So führt’ er empor fie auf Englands Gruud. ” 

Agnes trat in die Kirchthilr ein, 

Ihre Mutter alsbald hinterdrein. 

„Und bör du, Agnes! antworte mir wahr! 

Wo bift du gewejen acht volle Jahr?“ 

„Ich bin im Meeresgrunde geweſen, 

Mit fieben Söhnen vom Meermann genejen.” 
1 Agnete og Havmanden, Udr. d. Vis. I, 313, 394. 





391 





— 


„Und was gab er dir für die Ehre zunor, 

Da er zn feiner Braut dich erfor?“ 

„Er bat mir gegeben ein gut Goldband, 

Kein prächtigers glänzt an der Königin Hand.“ 
Und der Meermann trat zur Kirchthür ein, 
Da drehten die Bilder ſich insgemein. 

Gein Haar wer wie das lauterfie Gold, 

Seine Augen waren fo forgenvoll I. 

„Und hör du, Agnes! verweil nicht mehr! 
Deine Kinder verlangen nad) dir fo jehr.“ 
„Laß fie verlangen, fo lang umd fo fehr! 
Dorthin fomm* ih doch nimmermehr.“ 

„Und dent an die großen und denk an die kleinen 
Und die Heinften, die in der Wiege weinen!“ 
„Nimmer denk sch der großen noch der Heinen, 
Noch der Heinften, die in der Wiege weinen.” 

In der ſchwediſchen Berfion muß bie Frau zum Berge zurüd, 
fühlt ſich aber mitten unter ihren Kindern unglüdlid; bier kehrt fie 
nicht wieder und trennt fich noch ſchneidender von den Kindern. Beide⸗ 
mal ift diefe Verbindung der Chriftentöchter mit den bämonifchen Weſen 
unbeilbringend, und darum wird fie im ſchwediſchen Liede der ftolgen 
Margaret zur Strafe, bie vorher zwei Grafen, fünf Zürften und fieben 
Könige verſchmaht hatte. 

Der gute Meermann ift gewöhnlid am Ende ver Betrogene, fo 
in einem andern, gleichfalls in verfchievenen Überlieferungen, däniſch 
und ſchwediſch, vorhandenen Liede. Hier die eine ber dänifchen Ver⸗ 
fionen, nah Grimm (©. 201) 2: 

Es wohnt eine Frau in Dänemark u. ſ. w.*** 


Jamieſon, der feiner Sammlung fchottifcher Balladen eine Über: 
fegung dieſes altvänifchen Liedes beigefügt bat, macht die Bemerkung, 
der Meermann ſei ein ehrlicher Teufel und im Grunde der befte Chrift 
von allen breien geweſen (Sv. IH, 139). 


it frydefuld’? 
2 U. d. Bil. I, 218 bis 233. 884. 


392 


Auch unter dem Namen der Ned (ſchwed. Necken, unfer Nize) 
Iommt der Waſſerdämon vor. Als folder geht er wieber auf Braut: 
werbung aus in folgendem fchmebifchen Liebe, das auch in däniſchen 
Balladen variiert ift. Nach Mohnikes Überfehung I, 128: 

Der Ned, 
Der Ned er gebt anf dem ſchneeweißen Sand n. |. w. 


Die Macht der Harfe, die den Ritter in den Berg verlodt, Tann 
aber auch dem Ned feine Beute wieder entreißen, wie ein weiteres 
ſchwediſch⸗däniſches Lieb erzählt. Mohnike I, 57: 

Der Harfe Kraft.? 
Der Geſell er geht und fpielet im Freien u. |. m." 

Aud von der Meerfrau (Hafsfrun, ſchwed.) handeln mehrere Sieber. 
Ein ſchwediſches (Sv. III, 148 ff.) erzählt, wie ber Bruber bie von 
ihr geraubte Schwefter zurüderlangt. Wie der Meermann ben Jung 
fraun, fo ift fie den Zünglingen gefähr. So in folgender Überlieferung 
aus Uppland (Sv. I, 110 ff.): 

Hear Dlof fattelt fein granes Pferd, 

Nach der Meerfrau Hofe der Ritter fährt. 

Herr Diof ritt, fein Golbfattel ffoß, 

Herr Olof er ſinkt in der Meerfran Schooß3 m. |. wm. 
„Willkommen, willlommen, jung Olof, mir! 
Fünfzehn Jahr erwart’ ich dich bier. 

Do wo bift du geboren, wo außgeritten? 

Wo find dir deine Hofkleider gefchnitten ?“ 

„Bon des Kailers Hof bin ich ausgeritten; 

Da find mir meine Hoffleiver gefchnitten. 

Dort hab ich den Vater und dort die Mutter, 
Dort hab ich Schwefter, dort hab ich Bruder. 
Dort hab ich Wiefe, dort hab ich Feld, . 
Dort ſteht mein Brantbett ſchon beftellt. 


1 Sv. IN, 127. I, 160. Cine däuiſche Bariation bei Herber, Stimmen 
der Böller ©. 450. 

2 Sv. III, 140. Ubv. d. if. I, 826. 395. 

3 Sköt, fonft sköte, n. Schooß; sköt, m. aber auch eine Art Neb. 


393 


Dort weilet die Braut, bie getrene, wir, 

Mit ihr will ich Ieben und fterben mit ihr.“ 

„Und hör, Ritter Olof! komm, folg mir herein! 

Aus filberner Kanne trin? Tauterften Bein! 

Wo biſt du nun geboren? wo ansgeritten? 

Wo find dir deine Hoflleider. gejchnitten?“ 

„Hier bin ich geboren, hier ausgeritten, 

Hier And mir meine Hoflleiver geſchnitten.“ 

„Wo haſt du num Vater? wo haft du nun Mutter? 

Und wo Haft du Echwefter? und wo haft du Bruher?* 

„Bier hab ich Vater, Hier hab ich Mutter 

Und Bier hab ih Schwefter und bier Hab ich Bruder.“ 

„Wo haſt du nun Wiefe? wo haft du nun Feld? 

Wo ftehet dein Brautbett ſchon beftellt?* 

„Wo weilet die Braut, die getreue, dir, 

Mit der du willſt Ieben und fterben mit ihr?” 

„Hier hab ich meine Wiefe, Hier hab ich mein Feld, 

Hier iſt mein Brautbett ſchon beftellt. 

Hier weilet die Braut, die getreue, mir; 

Mit dir will ich leben und fterben mit dir!” 
Der Zaubertrant, der hier den Ritter DIof feine wahre Heimath ver _ 
geften lehrt, ift derfelbe, von dem auch ſtolz Margaret nach ihrer Rückkehr 
in den Berg getsunfen und über dem fie Himmel und Erbe, Gott und 
fein Wort, Schwefter und Bruder vergißt, nur die trauernde Mutter nicht, 

Du ben Vollölievern von den Waflernigen gehört noch bie ſchwe⸗ 

diſche Ballade vom jungen Magnus, den die Meerfrau lockt. Sie ift 
in mehreren Berfionen vorhanden, bie zum Theil in das ſchwediſch⸗ 
bänifche Lieb vom Jüngling auf dem Elfenhügel übergehen. Eine ders 
felben aber nimmt beftimmte Beziehung auf ein gejchichtliches Ereignis, 
das im Lichte des Bollaglaubens bargeftellt if. Herzog Magnus, ber 
jüngfte Sohn Guſtavs I (erfte Hälfte des I6ten Jahrhunderts), brachte 
als ſchwachfinnig feine leuten Lebensjahre auf dem Herrenhofe Kungs- 
bro und dem Schlofle Vadſten in Oftgotland zu. Davon befagt nod 
vie allgemeine Tradition, ex ſoll eines Tags, bezaubert von ber Schön 
beit der Meerfrau, die ihm von ber See wintte, fich über Hals und 


394 


Kopf aus dem Fenfter in das Wafler geftürzt haben, aber unbefchäbigt 
von feinen Wächtern wieder aufgefangen worden fein und dann erzählt 
haben, wie ihn zwei emporgehobene Arme in feinem Falle leicht aufge 
faßt. Bon ihm fingt nun die bemerkte Verfion der Ballade, wie er aus 
dem Fenſter des Schlofies die ſchöne Meerfrau fieht, wie ihn dieſe mit 
mancherlei Berbeißungen zu ſich Iodt und, als er fich weigert, ihn 
mit Wahnſinn bedroht. Wahrſcheinlich ift ein älteres Lieb dem wirt 
lichen Vorfall anbequemt, dann aber auch ber hiftorifche Name auf bie 
anbern Verfionen des Liedes übertragen worben (Sv. IIL 168 bis 174. 
178 bis 180). 

Doch ift der Name Magnus auch fonft in den Ballaven zu Haufe 
und es könnte darin zum Voraus ein Anklang gelegen fein, ber bie 
Volksdichtung mit dem Ereignis verband. 

Nachdem wir dieſe Bilver aus dem Elfenleben in bunter Reibe 
vorübergeführt, ftellt fi das Bebürfnis heraus, diefelben unter allge: 
meinere Gefichtspuntte zu fammeln. Das Verhältnis des Elfenweſens 
zum Syſtem der altnorvifchen Mythen ift bereit beiprochen worden; 
aus der Auflöfung bed letzern hat fich jenes entbunben und frei ent 
mwidelt. Um jo nötbiger ift es, fich darüber Rechenſchaft zu geben, 
wie biefes Elfenreich im lebendigen Berftändnis des Volles, in feinem 
innern Bebürfnis haftete. 

Die Ratur iſt ein Wunder auch für ſolche Zeiten, welche tiefer 
in. die Gründe ihrer Erfcheinungen eingebrungen und ihrer Kräfte in 
höherem Grade Meifter geworden find; mie viel wunderbarer muß fie 
dem jugendlichern Alter der Völker fich barftellen, welche die Erfcheis 
nungen ber Ratur mit frifhen Sinnen Beobachten, ohne die Urſachen 
derfelben entwäthfeln zu können, welche ven Wirkungen ver Raturkräfte 
viel ſchutzloſer ausgejeht find und dieſe nicht durch fich felbft, fonbern 
nur durch perfönliche Tüüchtigleit zu befämpfen wiflen! Die mangelnte 
Kenntnis der Gefehe und Urfachen wird durch die Phantaſie erfegt und 
das Wirken ber Elemente geftaltet fich nach ter Weile der menfchlichen 
Ratur. Hiemit erhält dasſelbe Perfönlichleit, wird nach Menfchenart 
in Charakter. und Handlung gefett. Immer aber liegt das Gefühl 
des Unergründlichen im Hinterhalt, immer erfcheint die Natur vertraut 
zagleih und grauenhaft. Die Natur ift auch wirflich getreu zwar und 
verläflig in ihrem großen Gange, aber ungetreu im ihren Wechſeln. 


395 


— — — — — — — — 


Das Gebirg, der weite Wald haben ihre ſtille große Einſamkeit, ihre 
abnungsvollen Zauberftimmen 1, aber fie haben auch ihre wilden Ge 
walten und plößlihen Schreden. Der Klare Strom, der ruhige Meeres- 
ſpiegel Ioden den Schiffer vom Strand und den Schwimmer zum Babe, 
aber plöglich erheben fie ſich wogend im Sturme over ziehen in ver- 
borgene Wirbel hinab. Dadurch wird ber Charakter der in ben Liedern 
perfonificierten Elemente, der Berg: und Meerelfen, nothwendig em 
zweideutiger; fie find bald licht, mild und anlodend, bald büfter, zor⸗ 
nig und verberblih. Im ausgebildetern Syftem der ältern Mythologie 
haben fich die wohlthätigen und verberblichen Naturkräfte mehr dualiſtiſch 
abgeichieden; jetzt, nach ber Aufhebung jenes ˖ Syſtems, ericheinen fie 
vorzugsmeife in ihrer Miſchung und Doppelfeitigfeit. 

Die Handlung, in welche fie treten, ift im Ganzen eine einfache, 
den verfchiebenen Elementen gemeinfame. Der Menſch wird von ben 
Raturgeifiern angezogen, überrafcht und hingenommen; bald bleibt er in 
ihrer Gewalt, bald wird er aus derjelben befreit. Die Phantaſie für ſich 
erklärt ſchon alle dieſe Bezauberungen, Entführungen und Rettungen 
und bie Bilder, unter melden fie dargeftellt find. Ein poetifcher Blick 
in den Grund des Meeres oder in die Schachte des Gebirgs ſchmückt 
und bevöllert diefe geheimnisvollen Tiefen; die elfifchen Geftalten fteigen 
herauf und hinab; aber, wie der Menſch überall ein Menſchenherz fudht, 
fo findet auch mancher Hinabgezogene dort ein Geſchwiſter oder ein Ge 
Iiebtes wieder, das ihm zum Troft und zum Heile wird. Wenn uns aber 
auch ſchon der Drang der Phantafie und des Gemüths zur Erklärung 
ausreicht, fo ift doch nicht zu zweifeln, daß auch Erfahrungen aus bem 
Leben mitunterliegen. In wenig gebauter Gegend, bei meit zerftzeuten 
Wohnungen und ungebabnten Wegen, in der einfamen Wilbnis des 
Waldes und Felsgebirgs, an milden Strömen und auf bem unfteten 
Meere mufte den Naturmächten  mandes Opfer anheimfallen. Ba 
findet man auf der Brüde die golbgeipangten Schuhe ber Yungfrau, 
die der Ned hinabgerifien, und im Waflerfall ihren Leichnam . Mit 
Bleicher Wange fommt Olof zu feiner Mutter beim, nachdem er ben 


s Das Echo heißt im Isländiſchen und Färöiſchen die Rede der Zwerge, 
der Bergelfen. Lex. isl. 1, 160: Dvergmäl, n. echo. Fär. Oväb. 464, 17. 
468, W. 470, 9. 

2 Bl. Vilk. 8. 6. 29. ©. 84. 





396 


Elfenſchlag empfangen, und wieder auf andre Weile ſahen mir ben 
wahnwigigen Herzog Magnus aus der Geſchichte in die Yabel ge 
zogen. 

Ein vorzüglicher Grund der großen Vorliebe für das Elfenweſen 
lag aber auch in dem eigenthümlichen Charalter, den das Chriſtenthum 
in der Lehre der Bekehrer und ihrer Nachfolger angenommen batte und 
bei dem ein bebeutenbes Bebürfnis der Phantafie und des Gemütbz 
unbefriebigt blieb. Überall wurbe der einige Gott weit mehr in ber 
Eigenſchaft des Erlöfers, als in der des Schöpfere, verfündigt; über: 
al murden die Wunder und Myfterien ver Berfühnung und Eelig 
madhung vorangeftellt, die der Erſchaffung und Erhaltung der Welt 
blieben auf fi beruhen. Die Sehnſucht, in der Ratur das Göttliche 
zu erkennen, war die Grundlage der alten Naturreligion und murbe 
von biefer emfig genährt und gehegt. Diefem Verlangen kam die neue 
Lehre, jo wie fie behandelt wurbe, auf Teine Weife entgegen; die höl 
zernen Heiligenbilber drehten fich um, wenn der Ned in die Kirche trat. 
Nur als böfe Dämone wurden die Naturgeifter im Kirchenglauben ge: 
dulbet. Ein fo tief gepflangtes Bebürfnis nahm fich aber dennoch fein 
Recht und die fehmerzlich gefühlte Lücke wurde mit einem Überrefte des 
heidniſchen Raturglaubens, mit dem Elfenleben, ausgefüllt; dieſes wurde 
ſogar, da auf der andern Seite fo Vieles von dem alten Göttertveien 
weggefallen war, mit beſondrer Neigung und reichem poetifhem Triebe 
ausgebildet. 

Man kann felbft für unfre Beit noch die Frage aufwerfen, 
nicht die Religionslehre ſich zu ausſchließlich von der Natur ab auf a 
Unſichtbare gewendet babe und dadurch zwiſchen ber Religion und ber 
Poefie, der die Natur und das äußere Leben unentbehrlich find, eine 
unerfprießlihe Trennung beftehe, welche wegfallen würde, wenn man 
den Dffenbarungen des Göttlichen in der fichtbaren Welt eine vollere 
Anerlennung widerfahren liebe. 

In ben bisher burchgegangenen Volksballaden waren es haupt 
fächlich Die allgemeinern Naturwefen, bie Elemente, welche bejeelt und 
geftaltet wurden. Aber dieſe Bejeelung äußert fi noch weiter und 
durchgreifenver; auch in Bäumen und Thieren wurd eine fühlende Seele 
gefuht, und wenn die Elementargeifter, fo nahe fie dem Menfchen 
rüden, doch immer etwas Außermenfchliches, Dämoniſches, behalten, 


397 


was fie an bie alte Gbtternatur antnäpft, fo legt nun der Menſch 
binabwärts in bie andern Gefchöpfe feine eigenen Vermögen, Empfin- 
dungen und Leidenſchaften. So liegt wirklich eine weitere beträchtliche 
Zahl von Liedern vor uns, welche von ſolchen Berwandlungen handeln. 
Dergleichen find uns aud in ber Götter und Heldenſage vorgelommen, 
wo ber mit der Macht, ſich zu verwandeln, begabte hamramr 1 beißt. 
Sn den Ballaven find fie meift durch Verzauberung, befonterd von 
einer böfen Stiefmutiter, herbeigeführt. 
Wir beginnen -mit der Linde, nach einen ſchwediſchen Liebe, Sv. 

III, 114. Ich babe für. die Überfegung noch die Varianten einer 
andern, von den Herausgebern beigebrachten fragmentariſchen Aufzeich 
nung, fowie einige von Nyerup mitgetheilte Strophen einer bänifchen 
Berfion, Udv. d. Bif. V, 25 f., benützt. 

Die Jungfrau geht in den Roſenwald, 

Da fieht eine grünende Linde fie bald. 

„Da ſtehſt du, Linde, fo ſchön und fo hold, 

Und Blätter trägft du, fie gläuzen, wie Gold.“ 

‚Was rübınft bu mich jo? Das verlohnet ſich nicht; 

Dein iſt ja das Glück, das mir Armen gebridt. 

Du figeft da drinne, wärmf Hand bir und Yuß, 

In Zweig und in Wurzel bier frieven ich muß. 

Es kommen hie Freier und freien um dich, 

Die Zimmerleut’ fommen, beſichtigen mid. 

Bur Altartreppe werd' ich zerjpellt, 

Bo mander Sünder aufs Knie hin fällt. 

Zu einem Betſtuhl werd' ich zeriägt, 

Drauf mande Sünbrin die Hände legt.“ 

„D liebe Linde, dieweil du kannſt fprechen, 

Mag nichts in der Welt dir den Kummer brechen ?“ 

„D nichts im der Welt kann ben Kummer mir brechen, 

AS König Magnus, Könnt’ ich ihm Sprechen.“ 

Und die Jungfrau feste fich nieder und fchrieb: 

„Wer trägt mir den Brief Hin? wer thut mir's zu Tieb ?“ 


1 (Schriften I, 182 f. 8] 


398 
Strads flog hernieder ein Falle fo gran: 
„Ich trage den Brief nad) des Könige: Bau.” 
Der Falke den Brief in die Klauen nahm 
Und zum Könige Magnus geflogen kanı. 
Der König nahm ihm den Brief aus der Klan, 
Las haſtig und las jedes Wörtlein genan. 
„Nun fattelt mir Rrads meinen Renner fo rotb, 
Daß ich reit’ und befrei’ meine Braut aus ber Noth!” 
König Magnus rannt’ anf dem rothen Roſs, 
Geſchwinder ein Theil, als der Falle fchoß. 
Auf die Kniee warf fi der König flolz 
Und küſtte die Jungfrau im Lindenbolz. 
König Magnus fiel vor der Jungfrau Fuß 
Und küſst' auf die Lindenwurzel den Kufs. 
König Magnus den Stamnı mit den Armen umfchlang, 
Bis fo ſchön eine Jungfrau der Lind’ entiprang. 
Er bob die Jungfrau wohl auf fein Roſs; 
So ritt er wit ihr nad dem Königsſchloß. 
Er ſetzte fie auf fein Kniee fofort, 
Gab ihr Goldkron' und Berlöbniswort. 

Aber nicht bloß die Linde tft eine verzauberte Jungfrau, auch die 
Nachtigall, die auf der Linde fingt. Davon ift ein auf ſchwediſchen 
und bänifchen Slugblättern, mit Ausnahme der fprachlichen Verſchieden⸗ 
beit, gleichlautendes Lied vorhanden (Sv. II, 67. Ubo. d. Bif. I, 250. 
388 1): 

Die Nachtigall. 
Ich weiß wohl, wo ba fleht ein Schloß; 
Das ift fo wohl gezieret 
Mit Siüber und mit rothem Gold, 
Bon Quadern aufgeführet. 
Und vor dem Schloß flieht eine Lind’ 
Mit fhönen, grünen Blättern, 
Darin wohnt eine Nachtigall, 
Läßt ihre Stimme ſchmettern. 


1 Bgl, Niederd. Liederb. Nr. 66. 


399 


Ein Ritter kam geritten her 

Und Taufchte dem Gefange. 

Zur Stunde war’s der Mitternacht, 
Berwundert Bielt er lange. 


„Run hör du, Heine Nachtigall! 

Ein Lieb noch mögf Du fingen! 

Deine Yebern laß’ ich beichlagen mit Gold, 
Um den Hals dir Perlen fchlingen.“ 


„as follen Federn mir von Gold, 
Die dir fo wohl gefallen? 

In der Welt bin ich ein Vogel wilb 
Und fremb den Leuten allen.” 


„Biſt du in der Welt ein Bogel wilb 

Und fremd den Leuten allen, 

Dich quält wohl Hunger, Froſt unb Schnee, 
Auf breiten Weg gefallen?” 

„Mi quält nicht Humger, quält nicht Schnee, 
Der fällt auf breite Wege; 

Mid quält wohl eine Sorge mehr, 

Die ih fo heimlich: pflege. 


Zwifhen Berg und tiefem Thal 

Die ſtarken Ströme treiben; 

Doch wer bat einen treuen Syreund, 
Wird unvergeffen bleiben. 


Wohl hatt’ ich einen Liebſten mir, 
Einen Nitter, kühn und bieder; 
Stiefmutter warf das plötlich um, 
Es war ihr all zuwider. 


Sie ſchuf mi zu einer Nachtigall, 

Hieß durch die Welt mich flreifen, 

Meinen Bruder zu einem Wolf fo grimm, 
Hieß ihn im Walde fchweifen. 

Strada fuhr er in den Wald hinein, 
Richt joe er Heil erfahren, 

Solang er nicht ie Herzblut trank; 

Das ward nach fieben Jahren. 


400 


Da wollte fie ih eines Tags 

Im Nojenwald ergeben; 

Mein Bruder fah’s und Tieß wicht ab, 
Boll Grimms nad) ihr zu fpähen. 
Ergriff fie bei dem Tinten Fuß 

Mit ſcharfen Wolfesflanen, 

Niß aus ihr Herz und trank ihr Blut; 
Da war er beil zu ſchauen. 


Ich bin ein Meiner Vogel noch 
’ Der fliegt in Wäldern, weiten, 

Mein Leben ift fo kummervoll, 

Zumeift in Winterszeiten. 


Doch dank ich Gott, der mich erwedt, 
Daß ih die Zunge rühre. 

In fünfzehn Jahren ſprach ich nicht, 
Wie ich Geipräd hier führe. 

Ich fang nur immer anf dem Zweig 
Mit Nachtigallenflage, 
Und nirgenb# fanb ih befiern Ort 
Als in dem grünften Hage.” 

„Nun bör, de Heine Nachtigall, 

Und thu, wie ih dir meldel 

Am Winter fi’ in meinem Baur, 
Am Sommer fleug zu Felde!“ 

„Hab, ſchöner Nitter, Dank daflir! 
Doch hilft's nicht meiner Plage; 
Stiefmutter hat's verboten mir, 

So lang ich Federn trage.“ 

Die Nachtigall beſann ſich noch, 

Der Ritter hielt nicht ſtille, 

Denn bei dem Fuß ergriff er ſie, 

So war es Gottes Wille u. ſ. w. 


Er nimmt fie mit fich heim in fein Gemach, wo fie fich in mehrere 
Thiere, zum Löwen unb Bären, zus Schlange und zum Lindwurm 
umwandelt unb erft, als ber Ritter biefem mit einem Beinen Meſſer 
Blut gelafien, als Jungfrau, klar wie eine Blume, vor ihm ſteht. 


% 


\ 401 
Sie entdedt ihm nun weiter, daß fie eine Tochter des Könige von 
Egyptenland fei, und er erkennt nun in ihr feine Schweitertochter. 

Diefer Schluß hat etwas Fremdartiges; auch fprechen andre Ans 
zeichen dafür, daß diefe Ballade aus Deutſchland nach dem Norben 
gelommen ſei. Die Eingangsftropbe, von dem mwohlerbauten Schloffe, 
fommt in deutfchen Liedern vor und bie mwörtliche Üibereinftimmung bes 
dänischen und ſchwediſchen Tertes, die auch beide gedruckten Blättern 
entnommen find, verräth ein gemeinjchaftliches Original. ft fie aber 
auch vom verwandten Deutſchland gekommen, fo hat fie fi) Doch ganz 
in die Vorſtellungsweiſe der nordischen Balladendichtung eingefügt. Die 
Verwandlung ded Bruder? in einen Wolf, überhaupt bem Norden 
gangbar, findet ſich auch in der einen Aufzeichnung des Liebes bon ber 
Linde und noch in andern Stüden. Auch in ber griechifchen Sage ift 
Philomele eine verwandelte Jungfrau und hat graufame Geſchicke zu 
Hagen. 

Der Nachtigall wurde fanfte Klage beigelegt, Schauerliches heftete 
fih an die finftre Erjcheinung des Haben ober des Geierd. Vom Val⸗ 
raben oder Nachtraben, in deſſen Geftalt Dämone oder verzauberte 
Menſchen umberflogen, wurde mandjes gefagt und gefungen. Er ließ 
fich die Kinder, noch vor ihrer Geburt, verheißen und holte oder zeichnete 
fie dann auf graufame Weife. Hier das Lieb vom Balraben, nad 
Grimms Überfegung (S. 79 ff. Bel. 150 ff. Udv. d. Viſ. I, 186 ff. 
Bol. ebend. 295 ff. 318. 394): 


Der König und unfre junge Königin u. ſ. w. *** 


(Zwei Brüder, als Roſs und Rabe, befreien bie Schwefter, bie 
dann wieder die beiden durch Kuſs erlöft, Udv. d. Bif. I, 319 bis 25. 
394 f. Sv. 2, 194 bis 200.) 

Das Wild des Waldes leiht zu manden Berivandlungen feine Ge- 
ftalt. Durch Runen verwandelt fi in bänifcher Ballade ein Ritter 
zum Hirſche, fpielt im Hofe der Jungfrau, bie er entführen will, und 
lodt fie fo in den Wald hinaus (Udo. d. Bil. I, 258. 389. Vgl. I, 
327 u.). Zur Hindin und noch Andrem wird eine Jungfrau von ihrer 
Stiefmutter in einem dänifchen Liede verwandelt, das in verjchiedenen 
Berfionen aufgezeichnet ift (Nyerup I, 246 bis 249. 241 bis 245; auch 
zum Vogel, 387). 

nhland, Schriften. VII. 26 





„Mein Bater ritt hinauf ins Sand, 
Um eine Roſe zu werben, 

Da fand er fo ein leivig Weib, 
Bor dem muft’ ich verderben. 


Die erfte Nacht in des Vaters Haus 
Bar fie mir Mutter, die gute; 

Die zweite Nacht da ward fie mir 
Stiefmutter, die böggemuthe. 


Ich faß an meines Baters Tiſch, 

Ich fpielte mit Braden und Winden, 
Da kam Stiefmutter gegangen raſch, 
Mein Glüd, das muſte da jhwinden. 


Mein ſchönes Glück, das Gott mir gegönnt, 
Stiefmutter ſah es ungerne, 

Sie ſchuf mih um in ein ſcharfes Schwert 
Und hieß mich fahren fo ferne. 


Am Tage nahm der Ritter mid um, 

Da hieng id an feiner Seite, 

Bei Nacht, da lag ich ihm unterm Haupt, 
Ich war ihm fein Tiebft Geleite. 


Mein gutes Glück, das Gott mir gegönnt, 
Stiefmutter ſah es ungerne, 

Sie fhuf mid zu einer Heinen Scheer 
Und hieß mi fahren fo ferne. 


Am Tag war ich in der Jungfrau Hand, 
Da fchnitt ich am weißen Leine, 

Bei Nacht, da fchlief ich in ihrem Gemach, 
In einem vergüfbeten Schreine. 


Das gute Glück, das Gott mir gegönnt, 
Stiefmutter ſah e8 ungerne, 

Sie ſchuf mich zu einem Hirfchlein um, 
Sie hieß mich fahren fo ferne. 


Sie ſchuf mich zu einer Hindin um, 
Sie wuſte fo manche Tide, 

Meine fieben Beipielen zu Wölfen grau, 
Die follten mid) reißen in Stüde. 


403 


Meine fieben Gefpielen, bie waren mir gut, 
Die blieben von mir fo ferne. 

Das gute Glück, das Gott mir gegönnt, 
Stiefmutter ſah eg ungerne. 


Herr Heinrich dient an des Königs Hof, 

Er ift jo ſchön ein Ritter, 

Der trauert’ um mid) wohl Tag und Nacht, 
Die Sorge war ihm fo bitter.“ 


Herr Heinrih nimmt den Bogen zur Hand, 
Sf traurig zu Walde gegangen, 

Da fpielt eine Hindin vor ihm ber, 

Wills Gott, jo wird er fie fangen. 


Und als die Hindin er erjagt, 
Fällt vor dem Roſſe fie nieder, 
Und wirft von fih die Hirfheshaut 
Und wirb zur Jungfrau wieder. 


Er nennt fie feines Herzens Traut, 
Hält fie fo feſt umwunden. 

„Gelobt jei Gott im Himmelreich! 
Ich babe dich Hier gefunden. 


Ich Hab’ bier feine Dienerin 

Und feinen Knecht zur Seiten; 

So bredden wir felbft das Tindenlaub, 
Ein Brantbett zu bereiten“ u. ſ. w. 


Weiter läuft ein Königsfohn, von der Stiefmutter zum Bären 
verzaubert, auf Dalbyheide. Der Bär zerreißt Ochfen und Pferde auf 
der Weide, und einen Bauer, ber mit ihm ringt, erwürgt er; dann 
kaͤmpft ein Ritter mit ihm vier Tage lang, wird aber zuletzt vom Bären 
niebergeworfen. Doch will der Bär ihm das Leben fchenten, wenn er 
das Eifenband zu löſen vermöge, das die Stiefmutter jenem um ben 
Hals gebunden. In jolden Ringen lag, wie aus andern Sagen er: 
beilt, eben bie geheime Kraft, moburd bie Thierhaut fich dem Menfchen 
anſchloß (vgl. Grimm, Heldenſ. 388). Der Ritter macht das Kreuz 
über den Bären und davon zeripringt dad Band. Der erlöite Königs- 
ſohn gibt feine Schweiter dem Befreier zum Lohne (Nyerup I, 182. 


404 


— — 





398. Grimm 300). In der Saga von Hrolf Kraki fanden wir ſchon 
die Verwandlung eines Königsſohns zum Bären, durch den Haube 
feiner Stiefmutter, deren Liebesanträge er zurückgewieſen hatte; es war 
dieß Bidm, Bödvar Bjarlis, eines der Kämpen Hrolfe, Bater, ſchon 
durch feinen Namen für diefe Verwandlung beftimmt. 

Endlich der fabelhafte Lindwurm (Lindormen) hat gleichfall® unter 
feiner Schuppenbaut einen Königsjohn verftedt. Er kommt auf die 
Hausflur der Jungfrau, nöthigt fie durch Berzauberung, ihm zu folgen, 
und wird durch einen Kuſs von ihr erlöft. Es erhebt ſich über ihnen 
ein Königsbau und fie wird die Braut des jungen Königs (Udv. d. 
Viſ. I, 255. 388. Sv. III, 121 bis 126). Diefe Erlöfung durch den Kuſs 
kam fchon bei ver Linde vor und findet fich auch fonft in den norbifchen 
Balladen, wie in den Sagen andrer Völler, es ift ein Gegenzauber ver 
Liebe, der Treue, des Mitleids. 

Die Verwandlungen, von denen biöher die Rede war, wurden, 
wie in den Liedern ſelbſt angeveutet ift, hauptſächlich durch Runen 
zauber bewirkt. Der Ritter, der fich in einen Hirfch verwandelt, um 
die Jungfrau hinauszuloden, jagt (Nyerup I, 260, 1): 


Kann ih nit Jungfrau Uſalill 
Mit fchöner Rede fahn, 

So werd' ih fie betrügen, 
Wenn die Rune mir Helfen Tann. 


Bei der Darftellung Odins, der für den Stifter der Runen galt, 
ift bemerkt worden, daß man unter diefen die Schriftzeichen des Nor 
dens verftand, welche durch Bauberliever zu magiſchem Gebraude ge 
weiht werben fonnten. Aber auch die Zaubergefänge felbit wurden Runen 
genannt! und in dem Liebe vom Ritter Tynne heißt das bezaubernde 
Harfenfpiel der Zivergtochter Runenfchlag und der Ritter wird aus ben 
Runen, in bie er durch dasſelbe gebunden ift, durch Hülfe von Runen 
büchern wieder gelöft. 

Aller Zauberglaube beruht auf dem Gefühle ber Abhangigkeit von 
Kräften, deren Wirken ein unbegriffenes iſt und eben darum auch für 
ein grenzenloſes angeſehen werden kann. Wo noch nicht der forſchende 


1 Geijer 111. 116. 


405 


Geiſt erwacht iſt, der die wirkenden Kräfte nach innen auf ihr letztes, 
nicht weiter erklärbares Geſetz zurückzuführen ſtrebt, da wird nach außen 
eine Formel geſucht, welche, die Sinne treffend, unmittelbar das Ge⸗ 
heimnis in ſich ſchließt. Solche ſinnliche Formeln ſind die Runen, als 
magiſche Buchſtaben und Geſänge. Folgerecht wird daher die Runen⸗ 
kunde denjenigen Weſen zugeſchrieben, welche Perſonifilationen der un⸗ 
begriffenen Naturmächte ſind, wie in dem vorerwähnten Liede von der 
Tochter des Bergkönigs und in dem von der Elfenhöh, wo die Elfen 
verſprachen, den Ritter Olof ſtarke Runen (ramme Runer, Nyerup I, 
235. Val. ebend. 280°) zu lehren. Der Runenzauber vermag auch alle 
jene manigfachen Berwandlungen zu bewirken, benn fein Geſetz bes 
natürlihen Organismus bat noch beftimmte Grenzen gezogen. Am 
wenigften aber darf und befremden, die auch der gereiftern Forſchung 
wunderbaren, geiftigfinnlichen Wirkungen ber Liebe und der Mufif in 
das Licht des Zaubers geftellt zu finden. Folgen wir nun ben Liedern 
auch durch diefe Erfcheinungen des Runen: und Zauberweſens! 

Eine Art von Inbegriff des Runenzaubers gibt nachftebendes 
dänifches Lied (Nyerup I, 308 f. 393): . 


Auf Dovrefield m Norge, 
Lagen die Kämpfer ohn' Sorge. 
Wer aber foll führen unfre Runen, wenn wir nicht felber können? 
Wohl kühne Kämpfer, zwölf an der Zahl, 
Der Königin Ingeborg Brlder zumal. 


Der Erſte wandte den Wind mit der Hand, 
Der Andre brachte den Strom zum Stand. 


Der Dritt' unter’$ Waffer fuhr, wie ein Yıld, 
Dem Bierten fehlte nie Speif auf dem Tiſch. 


Der Fünfte ſchlug Goldharfenfpiel, 
Daß Alle, dies hörten, das Zangen befiel. 


Der Sechste das Goldhorn blies fo laut, 
Daß Keiner e8 hörte, dem nicht gegraut. 


1Fär. Ov. 286, 46 fi. Bgl. 226, 22 f. 138, 28. 140, 32 f. 240, 57 
big 59. 285. 286, 173. 298. 


406 


Der Siebente tanzt’ auf dem wogenben Meer, 
Der Achte gieng unter der Erd’ einher. 

Der Reunt’ alle Thier' im Walde band, 

Den Behnten nie der Schlaf überwand. 


Der Eilfte band den Lindwurm im Gras, 
Ja all, was er wollte, gleich hatt’ er das. 


Der Zwölfte war von folddem -Berftand, 
Er muft’, was geſchah im frembeften Land. 
Ich ſag' euch das zu wahrem Bericht, 
Ihrs Gleichen findt man in Norweg nidt. 
Ich will euch fagen mit einem Wort, 
Ihrs Gleichen findt man an feinem Ort. 
Wer aber ſoll führen unfre Runen, wenn wir nicht felber können? 


Daß die zmölf Brüder dem Runenzauber alle diefe Künfte ver 
dantten, ergibt fchon ber Kehrreim. Doc ift eine Art.und Wirkung 
dieſes Zaubers ihnen nicht befonders zuerkannt, die in andern Balladen 
fpielt. Es ift dieß das Werfen der Runen, um zur Liebe zu zwingen. 
Wer die rechten Runen in das Kleid einer Jungfrau zu werfen weiß, 
an den iſt fie durch unwiberftehlichen Zauber gebannt. Davon handeln 
befonvers zwei dänische Lieder. In dem einen wirbt Herr Peter fünf 
volle Winter um die fchöne Mettelill; fie mweift ihn zurüd, meil er ihren 
Bruder nicht darum fragen will. Da fchreibt er die ſtarken Runen und 
wirft fie ihr ins Gewand. Blut fpringt ihr aus den Nagelmurzeln 
und Thränen fallen auf ihre Wange Er fteigt zu Schiff und fegelt 
nach feiner Heimath. Aber fie verzehrt fih drei Winter lang in Sehr 
fucht nach ihm. Da geht fie mit bloßem Haupt und baarfuß von ihres 
Vaters Hofe. Nur ein treues Mädchen, die Kleine Kirſten folgt ihr. 
Sie befteigen ein Boot, Mettelil führt das Steuer und Kirften rubert. 
So fahren fie über die meite See, zum Lande Peters, der die Geliebte 
freudig willkommen beißt und nun mit ihr die Vermählung feiert 
(Nyerup I, 303 ff. Vgl. Grimm 169. 324). Im andern Liebe will 
Ritter Stig die Heime Kirften, die gegen ihn hartgefinnt ift, gleichfalls 
durch Runenwerfen an fich fefieln. Abends beim Gelage wirft er feine 
Runen nad ihr aus, fehlt aber und fie fallen der Schwefter. des Königs 
ind Gewand. Bon nun an ift diefe an ihn gebunden und der König 





, 407 


gibt fie ihm zur Gemahlin (Nyerup I, 295 ff.). Auf was dieſe Wurf: 
runen eingeichrieben waren, erhellt nicht. 

Poetiſcher und ein Gegenftand vieler fchönen Lieber iſt die magifche 
Gewalt, welche die Töne auf das menſchliche Gemüth und über die Natur 
ausüben. Geſang, Harfe und Horn zeigen fi) auf ſolche Weiſe zauber: 
kräftig. Am geringften werden wir bie Wirkung der Muſik anfchlagen, 
daß fie in den Schlaf verfenten fann. Aber mie der eine ber Kämpen 
auf Doprefjeld den Runen verbantt, daß er niemals vom Schlafe be 
mältigt wird, fo gibt e8 auch umgelehrt einen Zauber, der den Schlaf 
- berbeiführt. Dieß in ber dänischen Ballade vom gefangenen Ritter, nach 
Grimm ©. 130 f. (Nyerup IV, 43 ff. 345 f. Bol. Sao ©. 12 f.): 

Auf Lindholms Haus u. $. m.*** 

(Sclafrunen, Sövneruner, Nyerup III, 179. Vgl. auch Odins 
Schlafdorn.) | 

Sin der Sage von Hadbing, bei Saro (B. I, ©. 12, nord. Helden]. 
Nr. 7; oben S. 198 ff.), wird dem Erzählen, wornnter jedoch Sagen- 
Lieder verftanden fein können, eine ähnliche Wirkung beigelegt, die ſich 
damit als eine magifche barftellt, daß Odin felbft dabei feinem Günſt⸗ 
ling zur Befreiung aus der Gefangenfchaft behülflih fein wil. Er 
fagt zu dem jungen Helden Habbing: . 

ren at tu 
Custodes variis rerum narratibus imple. 
Cumque sopor dapibus funetos exceperit altus, 
Injeetos nexus et vincula dira relide u. f. w. 
lpse struam votis aditum, famulosque sopore 
Conficiam et lenta stertentes nocte tenebo. 


Am mächtigften aber wirkt die Muſik ala Liebeszauber. Unter den 
runentundigen Brüdern auf Dovrefjeld mar auch einer, der in das 
vergüldete Horm (Lur, bier Schlachthorn) blies, daß Allen, die es 
hörten, davor graufte Aber auch eine andre, anziehende Zauberkraft, 
ganz diefelbe, wie das Runenwerfen, hat der Klang des goldnen Horms 
(Lyd, isl. Lüdr, m. buceina, tuba, Valdhorn, Trompet, Luur, 
Biörn Halb. Lex. is). Il, 45°). Davon eine bänifche Ballade, Grimm 
©. 173 (Nyerup II, 53 ff.): 

Herr Peter und Herr Oluf u. ſ. wm. ** 








408 


— — — — — 


Der tragiſche Ausgang zeigt, wie dieſer Zauber der Mufil, da 
wo er felbft die Sitte bricht, für einen unbeilvollen Zwang angejehen 
wurde. Vom Klang der Golbharfe findet fich ähnlihe Wirkung in 
einem andern dänischen Liede von Herzog Heinrih und Jungfrau 
Malfred (Nyerup IV, 134 fi. Grimm 135). Die Wirkung dieſes 
Klangs wird fogar gleichbebeutenb mit Liebesſchmerz überhaupt genom 
men. Sn einem bänifchen Liebe wird eine trauernbe Jungfrau gefragt 
(Nyerup III, 254. Grimm 243):- - 


Hört ihr, Heine Kirften, was bleicht euch die Wange fo viel? 
Bon was habt ihr das empfangen, von Harf- oder Pfeifenfpiel? 


Jede Kluft des Standesunterſchieds ſchwindet wor der Macht ber 
Töne.. 

Biel gefungen ift in Schweden ein Lied, wie der König burch ben 
Gefang eines Hirtenmäbchens (vallpige, vallkulla).bezaubert wird (Sv. 
III, 44 bis 59): 

Klein Hirtenmäbdhen zur Weide zieht, 

Sie finget jo hell vor den Biegen ihr Lied. 

Und der König erwacht im hoben Gemach: 
„Was fingt für ein lieblicher Vogel mich wach?” 
Das ift ja Fein Vogel, es dünket euch nur; 

Das Mädchen treibet die Ziegen zur Flur. 


Und der König fpriht zu den Anappen ziveen: 
„Das Mädchen bittet ihr, vor mich zu gehn!“ 
Sie liefen zum Hirtenmädchen binaug: 

„Gefällt dir's, zu kommen in Königeshaug ?” 


„Wie kann ich hinein vor ten König gehn, 
Bor dem König im grauen Wallmar ſtehn?“ 


„zen König befümmert dein Kleid nicht fehr; 
Dein Weidlied zu hören, verlanget ihn mehr.“ 


Und der König fprad zu den Mägden zuhand: 
„Nehmt ab ihr das graue Wallmargewand!“ 


Sie nahmen ihr ab das Wallmargemwand 
Und reichten ihr Zobel und Marder zuhand. 


Da gieng fie ben hohen Gemache zu 

Mit Seidenzwidel und Goldſpangſchuh. 

Das Mädchen tritt gor den König ein 

Und er heißt mit den Augen fie willfomm fein. 
„Run, Hirtenmäbchen, bein Lied fing mir! 

Einen feidenen Frauenrock geb’ ich Dir.“ 

„Ein feidener Frauenrock taugte mir fchlecht; 

Die Zicklein zu weiden, das ift mir gerecht.“ 
„Nun, Hirtenmädchen, dein Lieb fing mir! 

Ein Schiff auf dem Meere, das geb’ ich dir.“ 
„Ein Schiff auf den Meere, das taugte mix fchlecht; 
Die Zicklein zu hüten, dag ift mir gerecht.“ 

„Run, Hirtenmäbchen, dein Lieb fing mir! 

Mein halbes Baterreich geb’ ich dir.“ 

„Dein halbes Baterreich taugte mir jchlecht; 

Die Zidlein zu hüten, das ift mir gerecht.“ 

„Run, Hirtenmäbdhen, dein Lieb fing mir! 

Meine Treu, meine Ehre, die geb’ ich dir.“ 
„Deine Treu, deine Ehre geziemen nicht mir; 
Do wohl kann id fingen mein Weidlied vor dir.“ 
Eie erhub einen Sang, fte erhub wohl zween, 

Da begann das Schiff auf dem Meere zu gehn. 
Und als fie den vierten, den fünften begann, 

Da tanzte der König und jeglicher Mann. 

„Und was mir gelobt ift, das laß num geichehu; 
Und laß du gu meinen Bidlein mid) gehn!“ 

„Und was dir gelobt ift, das foll dir geihehn,; - 
Doch nimmermehr folft mit den Zidlein du gehn.” 
Und Mägd’ und Fräulein, bie frausten ihr Haar 
Und der König reicht ihr die Goldkron' dar. 


Diefes beliebte Lieb wird mit manigfachen Veränderungen gefungen. 
Die bezaubernde Sängerin iſt mitunter ein Mühlmädchen (qvarnpiga, 
©. 53), das an der Handmühle mahlt, was wir fchon öfters als ein 
Geichäft der Unfreien Iennen gelernt haben. Der erwachende König 








410 

glaubt in andern Verfionen, ftatt des Tieblich fingenden Vogels, fein 
vergolbetes Horn (5. 49), oder feine Goldharfe (S. 53. 55. 58) zu 
vernehmen. Wenn aber in einer Überlieferung das Hirtenmäbchen wir 
lih die Harfe fpielt (S. 50), fo ift das ein unpaflender Zuſatz, da 
"für fie nur das Weiblied fich eignet und das Wunderbare nur um fo 
ſtärker berbortritt, wenn es durch den einfachen Hirtenfang bewirkt 
wird. Auch die Anerbietungen des Könige, wodurch er das Mädchen 
zum Singen beivegen will, find verfchieven geftellt und gefteigert; ın 
einigen Verfionen bietet er, bevor, er fich ſelbſt gefangen gibt, noch 
feinen beften Diener und feinen jüngften Bruber an (©. 51. 59. 56 f.). 
Ebenso find die Wirkungen des Hirtenfanges mehrfach variiert. Erft 
lacht und jpielt fein Herz, dann ift es dem Weinen nahe. Nicht 
bloß er und feine Hofleute fangen zu tanzen an, fondern auch Halm 
und Holz. Selbft die Todten erftehen aus ihren Gräbern (S. 51. 
54. 56 f.). Ich bin bier der einfachften Darftellung gefolgt, vie ſich 
für den idylliſchen Charakter des Liedes am beſten zu ſchicken fchien. 
Mehrere der angegebenen Wirkungen der Mufif find Gemeingut dieſer 
Balladendichtung. Die Nöthigung zum Tanze kommt auch bei ben 
Brüdern auf Dovrefjeld vor, deren fünfter die Goldharfe fchlägt, daß 
Alle tanzen, die darauf hören. 

Wie im ſchwediſchen Liede der König, fo Tann in einem bänifchen 
die Königin der Lodung der Töne nicht wiberftehen. Nah Grimm 
134 (Nyerup IV, 100): 

Der König der fitet in Ribe u. |. w. *** 


Die Eiferfuht des Königs, die hier nur leid angebeutet wird, 
nimmt einen verberblichen Ausbruch, als ein andermal die Königin vom 
Klang eines Hormes (Lur) bezaubert wird; gleichfalls in däniſchem Liede, 
Grimm 84 (Nyerup I, 356 ff.): 

Algrev bläft in das Hörnlein fein u. |. w. *** 


Auch bei andern Völfern findet fih die Cage von dem Ritter und 
Sänger, deſſen Herz der Geliebten von dem eiferfüchtigen Gemahl vor: 
gelegt wird. 

Der Klang bes Hornes und der Harfe, der fich im bisherigen 
hauptſächlich als ein verlodender erwiefen hat, kommt aber noch m 
andrer Bebeutung und Wirkung vor, ala Botſchaft und Hülferuf, in 


\ 


411 


großen Nöthen an Entfernte gerichtet. Es Tehrt in den Balladen häufig - 
wieder, daß einer Schönen von dem, der ihre Ehre gefräntt hat, eine 
Harfe gegeben wird, um barauf zu fpielen, wenn fie forgenvoll fei 
(Sv. I, 52, 1. 58, 5. 61, 4. 226, 6. III, 91, 8. 92. Nyerup IV, 
105 f.). Dieß hat nicht fowohl den Sinn, daß fie ſich mit dem Saiten: 
jpiele erheitern und tröften ſoll, fondern fie erhält damit ein Pfand, 
daß es ihr in der dringendften Noth (Sv. II, 222,7: i nöd; fonft ges 
wöhnlich sorgefull) nicht an Hülfe fehlen werde. Wird dann die Harfe 
angeichlagen, fo bringt ihr Klang auch in die Ferne bin an Ohr und 
Herz deſſen, der fie zurüdließ, und mahnt ihn an feine Pflicht. Diefer 
Zug, der ſonſt mehr nur beiläufig erfcheint, ift in folgendem ſchwedi⸗ 
ſchen Liede, das auch in abweichender dänifcher Überlieferung vorlommt, 
zum Hauptinhalte geworben, Sv. II, 90 ff. (Nyerup IV, 104 ff.): 

Rofilia fitt in der Kammer dort, | 

Die Thränen fallen ihr fort und fort. 

Rofilias Frau, fie trat herein: 

„So verweint die Augen? was mag bir fein?“ 

„Ich mag wohl weinen die Augen mir rotb; 

Ich hörte wohl neulich, mein Liebfter fei tobt.“ 

„Und börteft du neulich, bein Liebſter fei tobt, 

Bor mir’s zu verſchweigen, das that dir nicht noth.“ 

„Die Wahrheit kann ich verjchweigen nicht mehr; 

König Dlof hat abgelodt meine Ehr'.“ 

„Und Iodte der König die Ehre dir ab, 

Sag’ an mir, was er zur Buße dir gab!“ 

„Er gab mir eine Harfe von Gold, _ 

Die in großem Kummer ich fpielen ſollt'.“ 

„Und lodte König Olof die Ehre’von dir, 

So nimm, was du haft! zeuch ferne von mir!“ 

Kofllia legt in den Schrein ihr Bold, 

Andeis ihr jo manche Thräne entrolit. 

Rofilia geht in den Rofenwald, 

Zu raften aber gelftet fie bald. 

Rofilia nahm ihre Harfe von Gold, 

Auf der im Kummer fie fpielen wollı. 





412 
König Dlof aus dem FYenfter ſah, 
Roſilias Harfe vernahm er da. 
„Nun hör’ ich meine Harfe von Gold, 
Die im Kummer Roſilia ſpielen ſollt'.“ 
Roſilia zum Hofe des Königs geht, 
Wo außen ein kleiner Knappe ſteht. 
„Du Knappe, hör, was ich ſage dir! - 
Iſt der König daheim? das fag du mir!“ 
„König Dlof er fitst im obern Geſchoß, 
Ihn kümmert fo dürftige Maid nicht groß.“ 
Rofilia geht vor den König ein 
Und er heißt mit den Augen fie willkomm fein. 
König Dlof die blauen Bolfter ſtreicht: 
„Roſilian gelüſtet's zu ruhen vielleicht.“ 
„O nicht bin ich müde, o nicht iſt mir ſchwach; 
Für dich erlitt ich viel Kummer und Schmach.“ 
„Schtift du um mich viel Kummer und Hohn, 
Zweifle nicht, zweifle nicht! ich vergüt’ es bir ſchon.“ 
Er ſetzte fie auf ſein Knie fofort, 
Gab Goldkron' ihr und Verlöbniswort u. |. w. 


Es berrjcht auch in den Liedern biefer Art ein reines Gefühl für 
die Sitte. Denn wenn gleich auch hier noch jenes dem altnorbijchen 
Naturglauben eigenthümliche Princip der Nothwendigkeit mwaltet und 
daher die Verführte, als einem unwiderſtehlichen Zauber folgend, jeder 
Zurechnung enthoben fcheint, fo fühlt fie ſich dennoch entwürbigt und 
übergibt fih, im Lieb von ber Wette Peter und Olofs, felbft den 
Flammen. Und fo ift e8 auch ſchön, daß dbiefelbe Harfe, die das 
Werkzeug der Verlodung war, aus der Hand des Verführers in bie 
der Verführten übergeht und bier eine herzergreifende Stimme mir, 
die ihn mahnt, fein Unrecht wieder gut zu machen. 

Den Harfenihlag in der Noth, ver in meite Kerne dringt, fanben 
wir auch Schon in ber Helbenfage. Gunnars Harfenſchlag im Schlangen: 
bofe wird von feiner Geliebten Oddrun weit über den Sund hin ge 
hört; fie eilt ihm zu Hülfe, Zommt aber zu fpät. Das Eddalied 


413 


— — —— — — t— 


„Oddruns Klage” lautet hierüber jo (Str. 27 bis 29. Edd. Sæm. 243. 
$: Magn. Edd. IV, 138 [Simrod ©. 245. 8.]): 


Herrlich der Fürſt 
Die Harfe ſchlug, 
Er meinte das, 
Der hochgeborne König, 
> Daß ih kommen 
Zu Hilf ihm könnte. 
Her von Hlesey 
Konnt’ ich es hören, 
- Mie die ftarfen 
Saiten erſchollen. 
Die Dienerinnen 
Hieß ich bereit fein, 
Des Königs Leben 
Wollt’ ich behüten. 
Die Fähre ließen wir 
\ Sundüber fließen, 
Bis ih ſah alle 
Höfe Atlis. 


Auch Ragnar Lodbroks Todesſang iſt ein folcher Nothruf, der feine 
Söhne, wenn nicht mehr zur Hülfe, doch zur Rache mahnt. Selbft 
noch aus ber Bruft der Tobten ertönt ein mächtiger Klang in folgen: 
dem ſchwediſchen Liede (Sv. III, 16 ff. I, 81 ff. ebend. I, 86 ff. Fä⸗ 
rdiſch vgl. Für. Qv. V, 1. 348, R.): 


Es war ein König in Engelland, 

Bwo Töchter hatt’ er im Jungfraunftand. 
Die Schweiter fo zu der Schweiter ſprach: 
„Komm, laß uns geben dem Strande nad!” 
Die Jüngſte war wie die Sonne Har, 

Die ültſte ſchwarz, wie bie Erde, war. 

Die Jüngſte gieng vor, die Loden im Flug, 
Die Ältſte gieng nach mit heimlichem Trug. 


Die Jüngſte gieng vor, fo wohlgemuth, 
Die Ältſte ſtieß ſie hinab in die Flut. 


414 


Da firedte fle aus die fchneeweiße Hand: 
„O liebe Schweiter, du hilf mir ans Land! 
O liebſte Schwefter, du Hilf mir ans Land! 
Dir will ich geben mein roth Goldband.“ 
„Dein Goldband wird mir nicht entgehn, 
Nie jour du auf grüner Erde mehr ſtehn.“ 
„D liebe Schwefter, hilf mir aus der Flut! 
Ich gebe dir meine Goldkrone fo gut.“ 
„Deine Goldkron' wird mir nicht entgehn, 
Nie ſollſt du auf grüner Erde mehr ftehn.“ 
„D liebſte Schwefter, ans Land Hilf mir! 
Meinen jungen Bräutigam geb’ ich bir.“ 
„Und nimmer beif’ ich zum Lande bir; 
Dein junger Bräutigam wird doch mir.“ 
Die Schiffer ruderten aus vor Tag, 

Sie fanden die Jungfrau im Wellenfchlag. 

- Sie fanden die Jungfrau, weiß wie Schnee, 
Und zogen fie facht an den Strand ber See, 
Ein Spielmann, der des Weges kam, 

Die Jungfrau zu einer Harfe fih nahm. 

Das Bruftbein nahm er zum Geftell, 

Die Harfe Hang fo Tieblih und heil. 

Und er nahm der Jungfrau Finger fo fein, 
Die mujten die Harfenfchrauben ihm fein. 

Und er nahm auch ihr gofpgelbes Haar, 

Das ftatt der Harfenjaiten ihm war. 

Die ſchmucke Harf’ auf den Arm er nahm 

Und zum Hochzeithaufe gegangen Tan. 

Er ſpielt' im Königshauſe fie dort. 

„> horch, meine Braut, auf der Harfe Wort!” 
Und im erften Schlage gab fie ben Laut: 
„Mein rothes Golbband trägt die Braut.” 

Und im zweiten Schlage gab fie den Laut: _ 
„Der Bräutigam war mein Berlobter fo traut.“ 


415 
Und im dritten Schlage den Laut fie gab: 
„Meine Schweiter ftieß mich ins Meer hinab.“ 
„Zerſchlagt mir die Harf’ an einem Stein! 
Sie Hang mir den Tod in dag Herz hinein.” 


In den meiften Überlieferungen diefes Liedes wird dasſelbe mit den 
Mythen von den Waflergeiftern in Verbindung gebracht, indem an bie 
Etelle des Spielmanns, der die wunderbare Harfe baut, der Ned ein: 
tritt, den auch fonft die Volksſage zu einem mufilalifchen Wefen madıt. 

Das Horn wird gleichfalls nicht bloß verlodend, fondern auch zum 
Hülferuf gebraudt. Da es von den Rittern auf Jagd und Fahrt ge: 
tragen wird, fo iſt es ohnehin beftimmt, in mancherlei allen bie 
Lofung zu geben. Aber in ber gröften Noth wirkt e8 auch auf über: 
natürliche Weife und in die Ferne hinaus auf die inniger Befreundeten. 
Es Tann Biefür ein bänifches Lied angeführt werden, nah Grimm 
207 f. (Nyerup IV, 31 ff.): 

Stolz Signild ließ brauen u. ſ. w. ** 


Im Übrigen erſcheint dieſer Nothruf durch das Horn in den Sagen 
andrer Völker eingreifender und bedeutſamer, wie namentlich in der 
fränkiſchen von Roland. | 

Nicht bloß über Seineögleichen übt der Menfch in den nordiſchen 
Volksliedern dur die Muſik den mächtigiten Zauber aus; dasſelbe 
Mittel, wodurch die -Naturgeifter ihn bewältigen, wendet er gegen fie 
zurüd, und in folden Fällen äußert dasjelbe von beiden Seiten feine 
wundervollften Wirkungen. Wenn Ulfoa, die Zivergtochter, den Runen: 
ſchlag auf der Goloharfe fchlägt, da vergeflen bie Thiere des Waldes, 
wohin fie fpringen, die Fifche der Flut, wohin fie ſchwimmen wollen, 
der Fall auf dem Zweige breitet die Flügel aus, die Wieje blüht und 
Alles belaubt ih. Wenn die Jungfrau der Elfenhöh’ ihr Lied anbebt, 
da hält der gewaltige Strom inne, die Filche fpielen mit ihren Floßen, 
die Vögel im Walde beginnen zu zwitſchern. Und fo umgelehrt, wenn 
der Bräutigam die vom Ned, hinabgezogene Braut durch Harfenichlag 
zurüdbeifcht, da fpielt er die Vögel vom Zweige, die Rinde von der 
Birke, daS Horn von der Stirne des Stier, den Thurm von der 
Kirche und zulegt die Braut aus den Wellen auf jeine Kniee (Nyerup 
I, 328. Sv. III, 144 f. 147). Es Scheint fich bier in den Balladen 





416 





etwas zu ergänzen ‚ was in den Gbitermythen verloren if. Wenn 
unter den ielterhaltenden Aſen Jedem fein Theil zugewieſen ift, wo 
durch er den zerftörenden Kräften entgegenwirkt, fo mögen wohl bie 
Runen auf der Zunge Bragis, des Staldengottes, (Finn Magnufen, 
Edd. IV, 47) durch Harmonie die Welt beberrfcht haben. 

Es ift noch eine Art des Zaubers übrig, bie in den Balladen ihre 


Macht äußert, die Beſchwörung der Todten. Diefe gefchieht ſchon in- 


der Götterwelt durch Zauberliever und Runen. Odin kömmt als Veg— 
tamr (Vegt. qv. Str. 9. 10. Edd. Seem. 94. Finn Magnufen Edd. II, 
254 f.) vor Held Pforte, wo eine Völe begraben liegt, da fingt er 
Baubergefänge und legt Stäbe (Runen) an (lagdi & stafi), und nun 
muß ſich die Todte erheben, die, vom Schnee bejchneit, vom Regen 
gefchlagen und vom Thau benetzt, lange dort gelegen war. So wedt 
auch- in der Heldenfage Hervör durch Zaubergefang ihren Vater im 
Grabhügel und zwingt ihn, das Schwert Tyrfing heraus zu werfen. 
Ähnliches nun kommt in den Volksliedern vor. So in dem bänifchen 
Helbenliede von Drm, der einem Riejfen die Tochter des Dänenfönigs 
abfämpfen will, Grimm ©. 41 f. (Nyerup-I, 55 ff. 64 ff. 375 bie 378): 
Es war fpät zur Abendzeit u. ſ. m. *** 

Bol. Für. Qu. 368 bis 375. | 

Dann in der dänischen Ballade von Svedger, ber zu einer gefähr: 
lihen Brautfahrt von der Mutter im Grabe feine Ausrüftung verlangt, 
Grimm ©. 168 f. (Nyerup I, 252 ff. 389): 

Hier fittt ihr, alle meine guten Dann u. |. w. *** 


Aber außer dieſen heroifchen Beichwörungen gibt es in ven Balla⸗ 
den noch einen andern Zauber, der die Tobten aud dem Grab er- 
weckt, ‘die Klagen und Thränen der Zurüdgebliebenen; ein Zauber, ber 
wieder an den Nothruf der Harfe erinnert. 


Aage und Elfe. 


(Nyerup I, 210 ff. 381 bis 388. Grimm ©. 73 f. 505 bis 507. 8v.1,298. 
II, 204 ff.) . 
Das war der Nitter Aage, 
Ritt über die Inſel weit, 
Verlobte fih Jungfrau Elfe, 
So eine holde Maid. 


417 


Berlobte fi Jungfrau Elſe 
Mit Gold, fo manchem Bund, 
Den Monatstag nad) diefem 
Lag er im ſchwarzen Grund. 


Da war der Jungfrau Elſe, 
Ihr Herz von Sorge wund, 
Das hörte Ritter Aage 

Tief unter ſchwarzem Grund. 


Auf ſteht der Ritter Aage, 
Trägt ſeine Bahre mit, 

Er wankt nach ihrer Kammer: 
Mit mühenollem Schritt. 


Klopft an mit feinem Sarge, 
Weil man fein Kleid ihm nahm. 
„Steh auf, du Jungfrau Elfe, 
Schleuß auf deinem Bräutigam!“ 


Da ſprach die Jungfrau Elfe: 
„Nicht öffn' ich Thür noch Thor, 
Nennft du nicht Jeſu Namen, 
Wie du gelonnt hievor.“ 


„Steh auf, du Jungfrau Eilſe, 
Schlenß auf nur Thür und Thor! 
Wohl nenn’ ih Jeſu Namen, 
Wie ich gekonnt hievor.“ 


Auf ſteht die Jungfrau Eife, 
Schließt auf ihr Kämmerlein, 
Mit Thränen auf der Wange 
Läßt fie den Todten ein. 


Sie nimmt den Kamm von Golde, 
Kämmt ihm fein gelbes Haar; 
So manches Haar fie fchlichtet, 

- &o viel der Thränen war. 


„Sag an, herzliebfter Aage, 

Wie iſt's in deinem Grab? 

Die iſt's im ſchwarzen Grunde, 

Da man dich grub hinab?“ 
Utzlaubd, Schriften. VI. 27 





418 


„Jedmal, daß du dich freueft 
Und leicht iſt dein Gemüth, 
Da ift mein Grab dort unten 
Umbängt mit Rofenblüth. 


Jedmal, daß du dich grämeft 
Und fchwer dir ift zu Muth, 

Da ift mein Sarg dort unten 
Gefüllt mit dickem Blut. 


Nun kräht der Hahn, der rothe, 
Und nun muß ih vom Ort, 
Zur Erde müffen die Todten, 
Da muß auch ich mit fort. 


"Nun kräht der Hahn, der fehwarze, 
Da muß ich flugs hinab, 

Sich öffnet des Himmels Pforte, 
Da muß ich in mein Grab,“ 


Auf ſteht der Ritter Aage, 
Trägt feine Bahre mit, 

Sp wanket er zum Kirchhof 
Mit mühenolem Schritt, 


Das that die Jungfrau Elfe, 

Ihr Herz war voll von Sram, 
Wohl durch den Wald, den finftern, 
Folgt fie dem Bräutigam, 


Und als fie aus dem Walde 
Zum Kirchhof kommen wer, 
Da falbte dem Ritter Yage 
Sein ſchönes gelbes Haar. 


Und als er von dem Kirchhof 
Die Kirche gieng entlang, 
Da falbte dem Ritter Aage 
Seine rojenrothe Wang. 


„Run hör’, du Jungfrau Elſe! 
Herzliebfte, Iaß den Sram! 
Du weine niemals wieder 

Um deinen Bräutigam! 


419 - 


Sieh auf, ſieh auf zum Himmel, 
Do manches Sternlein flieht! 
Daran wirft bu erkennen, 

Wie bald die Nacht vergeht.“ 


Da ſah fie auf zum Himmel, 
Sah all die Sternlein ftehn. 
Zur Erb’ entwich der Todte, 
Sie konnt’ ihn nicht mehr jehn. 


Heim gieng die Jungfrau Eife, 
Ihr Herz von Sorge wund, 
Den Monatstag nad dieſem 
Lag fie im ſchwarzen Grund. 


Diefe Ballade zeigt nahe Beziehung zu dem Eddaliede von Helgi 
und Sigrun. Diefe ift binausgegangen in den Grabhügel ihres Ge 
mahls, da jagt fie zu ihm: „Dein Haar, Helgi, ift reifburcäbrungen, 
überall bift du von Blutesthau benebt, eisfalt find deine Hände; wie 
Tann ich jemald dir Sühne fchaffen?” Helgi antwortet: „Du allein, 
Sigrun, bift ſchuld, daß Helgi fo vom blutigen Leivesthau bemekt ift; 
du goldgeſchmückte weinteſt bittre Zähren, ehe du ſchlafen giengft u. f. w.; 
jede ift blutig auf meine Bruft gefallen, vie eiskalte, ſchmerzbedrungene.“ 
Ehe der Hahn Salgofnir das Siegervolt, die Helden in Valhall, weckt, 
muß Helgi bahin zurückkehren. Es find zwei mythiſche Hähne, ber 
Ichönrotbe ‚mit dem Goldkamm bei den Aſen, ber rußfarbe in ber 
Unterwelt; dieſe krähen auch in der Ballade als rother und ſchwarzer 
Hahn (Edd. F. Magn. I, 45 f.), wenn glei bier Jefu Namen ge 
nannt wird und der Todte in der Kirche begraben liegt. 

In nachfolgendem Liebe wird ver Chriftengott felbit in die Hand⸗ 
lung gezogen (Nyerup I, 205 ff. 899 f. Grimm 147 ff.) !: 

Dyring ritt fiber die Inſel meit, 

Eine fhöne Jungfrau er ſich freit. 
Zufammen waren fie fieben Jahr, 
Dis fie ſechs Kindlein ihm gebar. 


1 Zwei ſchwediſche Verſionen des Liedes, welche die Macht der Thränen 
noch flärfer hervorheben, Sv. III, 33 bis 89. 





420 


Da kam der Tob in biefes Land 

Und brach die Lilie mit feiner Han. 
Dyring ritt über die Inſel weit, 

Eine andre Jungfrau er fich freit. 

Heim führte die Braut der Bräutigam, 
Doch fie war Allen bitter und gram. 

Da fie num fuhr auf den Hof daher, 

Da flanden die Kinder und weinten fehr. 
Die Kindlein ftanden fo traurig dort, 

Sie ftieß mit ihrem Fuße fie fort. 

Sie gab den Kindlein nit Bier noch Brot, 
Sprad: „Ihr follt leiden Hunger und Noth.“ 
Nahm ihnen die blauen Polſter neu, 
Spread: „Ahr follt liegen auf bloßer Streu.“ 
Wachslichter, die großen, löſchte fie aus: 
„Ihr ſollt nun liegen im dunkeln Haug.” 
Die Kindlein weinten zur Abendflund, 
"Das hörte die Mutter im tiefen Grund. 
Das hörte, die unter ber Erbe war. 

„Bu meinen Kindlein muß ich fürwahr.“ 
Sie gieng vor unfern Herrn zu fiehn: 

„Und darf ich zu meinen Kindlein gehn?“ 
Ste bat den Herren und bat fo lang, 

Bis daß er ihr erlaubte den Gang. 

„Doch ehe der Hahn kräht, hebe Dich fort! 
Richt länger ſollſt du verweilen dort.“ 

Da bob fie auf ihr mldes Gebein, 

Die Mauer riß und der Marmorftein. 

Und als fie gieng ben Ort hinan, 

Da heulten die Hunde die Wollen an. 

Und als fie kam zu bes Hofes Thor, 

Da ftand die Ältite Tochter davor. 

„Was ftebft du Bier, liebe Tochter mein? 
Und wie denn geht's den Geſchwiſtern dein?“ 


421 


„Du bift doch meine Mutter nicht, 

Meine Mutter war fo ſchön und licht. 
Meine Dintter war weiß mit Wangen roth, 
Doch du bift bleih, als wäreft du tobt.” 
„Wie ſollt' ich ſchön doch fein und Licht? 
Todt war ich und bleih ward mein Geht. 
Wie ſollt' ich weiß doch fein und roth? 

So lange bin ich geweſen tobt.” 


Und als fie trat in die Stube hinein, 
Da flanden mit Thränen die Kinder Hein. 


Das eine fie fämmt und dem andern fie flicht 
Und das dritte fie hebt und das vierte fie richtt. 
Das finfte nahm fie mit folder Luft, 
Als ob fie ihm geben wollte die Bruft 1. 
Sie fagte zum Äfteften Töchterlein:: 
„Den Bater bitte zu mir herein!“ 
Und als ex berein in die Stube kam, 
Da ſprach fie zu ihm in Hitterem Bram: 
„Ich ließ zurück wohl Bier und Brot, 
Meine Kindlein leiven von Hunger Roth. 
Ich ließ zurfid die Polſter nen, 
Meine Kinder liegen auf bloßer Streu. 
Wachslichter ließ ich dir, große, nad, 
Meine Kinder liegen in dunleln Gemach. 
Und muß id öfter zu ihnen gebn, 
Das wird dir nit zum Glüde geſchehn. 
Nun krähet der Hahn, der rothe, 
Bur Erde muß jedes Todte. 
Nun krähet auch der ſchwarze Hahn, 
Des Himmels Thor ift aufgethan. 

- Run träbet auch der weiße Hahn, 
Nicht länger ich verweilen kann u. ſ. w. 


1 Bel. H. Schreiber, Taſchenbuch für Gelqhichie und Alterthum in Süd⸗ 
dentſchland. 1839. ©. 826. 


422 
Der dritte weiße Hahn, der bier ericheint und dem fo gut als den 
andern feine mythiſche Stelle gebührt, mag bem hellen Reiche ber Banen 
und Lichtalfe angehören, wie die beiven andern bem Aſen⸗ und Joten⸗ 
reiche. 
Zwei weitere däniſche Balladen, bie ich bier gleichfalls mittheile, 
gehören fchon mehr dem Geſpenſterweſen bes chriftlichen Mittelalters 
an; boch zeigen auch fie noch den ſtufenweiſen Übergang. 
Hedebys Geſpenſt. 
(Nyerup I, 201 ff. Grimm 296.) 
Ich ritt am Abend über Land, 
Mein Roſs ih in die Schlinge band. 
Ich legte mein Haupt an den Hligelrain, 
So gerne wollt’ id da Ihlafen ein. 
Und als mich der erfte Schlaf befieng, 
Der todte Mann zu mir hergieng. 
„Und bift du eiuer von meinem Geſchlecht, 
Soüft führen du meine Sad’ im Recht. 


Nah Hedeby follft du hingehn, 
Da wohnen mir Blutsfreunde zehn. 


Da bat auch gewohnt mir Bater und Mutter, 
Dazu auch Schweſter und lieber Bruder. 
Da wohnt Hein Ehriftel, mein ſchönes Weib, 
Und die verrieth meinen jungen Leib. 

Mit ihren fünf Weibern fie das thät, 

Sie erftidten mi im Seidenbett. 

Sie bargen im Bündel Heu mich dort 

Und führten zur wilden Heide mich fort. 

Der Gefell, den fonft ich hielt fo werth, 

Er reitet nun mein gutes Pferd. 


Mit meinem Meffer ißt der Dieb 
Und liegt bei meinem holden Lieb, 


Sitt mir am breiten Tiſche dort, 
Berhöhnt meine Kinder mit hartem Wort. 


423 


Gibt ihnen fo ein Meines Brot, 
Berfpottet fie, weil ihr Bater tobt. 


Mit meinen Hunden reitet er bin 

Und jagt mir die Thier’ im Walde drinn. 
Und jagt er mir eins-den Forſt hinab, 
So wedt er mi anf in meinem Grab. 
Doch komm’ ich einmal zu ihm hinein, 
Da foll ihm übel zu Muthe fein. 


Denn bier aud Feine Beſchwörung mehr, aud nicht die durch bie 
Thränen, obwaltet und Feine jonftigen mythifchen Züge hervortreten, 
fo ift e8 doch noch immer ein norbifches Motiv, das Begehren ber 
Mordbuße, was den Todten beraustreibt; der Blutöverwanbte, dem 
ex erjcheint, ſoll feine Sad’ im Rechte führen, d. 5. die Morbllage 
erheben. Anders nun im folgenden letzten Stüde diefer Art, auch aus 
dem Dänifchen (Nyerup I, 215 ff. 383 f.): 

Das war Herr Morten von Vogelſang, 
Er ritt in den grünen Wald; 
Da kam ein Siechthum über ihn 
An einen Morgen jo bald. 
Todt reitet Herr Mosten von Bogelfang. 


Zur Kirche gab er das rothe Gold, 
Zum Klofter gab er fein Pferd, 
Da legten fie mit Sang und Klang 
Herrn Mortens Leich' In die Erd”, 


Das war der junge Folmer Skjöt, 

“ Er ritt über Berg und Thal, 
Nach reitet ihm Morten von Bogeljang, 
Spräd’ gerne mit ihm einmal. 


„Nun Hör du, junger Folmer Stjötl 
Halt an und fprid mit mir! 

Sch ſchwör' bei meinen Chriftenglauben, 
Keinen Schaden füg’ id dir.” 


„Nun Hör du, Morten von VBogelfang, 
Was ift zu reiten dir noth? 

Nicht länger, als feit geftern, iſt's, 
Man ſcharrte dich ein für todt. 


424 


Sch reite nicht um Klage bier, 
Noch daß ih Spruch erlang', 

Ich reit' um ein kleines Ackertheil, 
Man ſchwur's zu Vogelſang. 


Ich reite nicht um Hader hier 

Und nicht um Gold und Geld, 
Ich reit um ein kleines Ackertheil, 
War zweier Waiſen Feld. 


Sag ihr, der ſchönen Frau Mettelill, 
Sobald du dort zu Gaſt, 

Sie gebe zurück das Ackertheil, 

So wird meiner Seele Raſt! 


Sag ihr, der ſchönen Frau Mettelill, 
Hat fie nicht Glauben dazu, 
Droben vor der Kammerthür 
Da ſtehen meine Nachtſchuh! 


Droben vor der Kammerthür, 

Wo meine Nachtſchuh ftehn, 

Das wird geihehn vor Mitternadit, 
Man wird voll Bluts fie fehn.” 


„Herr Morten, reitet nun hinweg! 
Ruht aus eur mid Gehein! 

Ich ſchwör euch: dieſes Adertbeil 
Soll rückerſtattet ſein.“ 


Schwarz waren ſeine Habichte 

Und ſchwarz war auch ſein Hund 

Und ſchwarz war all des Herren Bolt, 
Das ihm folgte dur Waldesgrund. 


Dank Habe die fchöne Frau Mettelill! 
Sie war fo treu dem Gemahl, 

Sie gab zurüid das Adertbeil, 

Da war die Seel’ aus der Qual. 


Diefer Grabgeift wird ganz in der Art, wie der Gefpenfterglaube 


fih noch heutzutag hauptſächlich äußert, durch Gewifiensangft umge 
trieben. Ex fucht nicht, wie noch das Gefpenft von Hebeby, Rechtsſtreit 


425 


und Urtbeil, er will vielmehr zurüderftattet wiflen, mas er bei Lebr 
zeiten vor dem Gericht ungeredhterweife ven Waifen abgenommen. 

So haben die alten mythiſchen Borftellungen ihre allmähliche Um⸗ 
wanblung in ben neuern Bollaglauben vollenvet. 

Nachdem zuerft das Verhältnis der Volksballaden zur Götterſage 
exdrtert worden, fo ift nun auch von ihrer Beziehung zur Heldenſage 
zu handeln. Manches von dem, was in den altnorbifchen Liedern und 
Sagen gefungen und gejagt war, ift in die Form der Balladen über 
gegangen und bat fi) jo zum Theil noch bis auf den heutigen Tag 
im lebendigen Vollsgeſang erhalten. Im beträchtlichften Umfang ift 
dieß mit foldden Sagen der Fall, die wir als dem Norden mit Deutſch⸗ 
land gemeinjame bezeichnet haben. Dahin gehören 11 färöifche Lieber, 
bie den Hauptbeftand der gebrudten Sammlung ausmachen, meift von 
bebeutenver Stropbenzahl, fo daß eines derfelben bis auf 220 Strophen 
anfteigt. Sie find Buuptjächlic dem Sagenkreis entnommen, den mir 
in den Sagan von den Völſungen, Nornageft und Ragnar Lodbrok 
bargeftellt fanden. Ein großer Theil derfelben, der, vom Tobe Gig 
munds anbebend, die Thaten und Geſchicke Sigurbs, Brynhilds, ber 
Gjukungen und Atlis umfaßt, bflvet ein nicht nur durch Versart und 
Stil, fondern auch durch ausbrüdliche Anknüpfungen am Schluffe der 
einzelnen Lieber zufammenhängendes Ganzes. Hiezu kommen bann bie 
Lieder non Ragnar und Aslög (Assla), der angeblichen Tochter Sigurbs 
und Brynhilds, und von Nornageft, ſodann noch einige, in denen ein: 
zelne Abenteuer Sigurds und Birgars, Vealants Sohnes, mit Rieſen 
und Zwergen erzäblt ſind. Es zeigt fich in dieſen Liedern eine Mi: 
ſchung ber nordiſchen und beutichen Darftellung des gemeinfchaftlichen 
Sagenkreiſes. Die von Sigurd und den Gjukungen over Niflungen 
ftimmen bis zu Sigurds Tod in der Hauptjache mit ber norbifchen 
Bölfungenfage und den Eddaliedern; von dba aber, jenen Morb mit 
eingeſchloſſen, halten fie ſich mehr an die, auf deutfcher Überlieferung 
berubende Bilfinafaga Ragnar und Nornageft fallen wieder den entſpre⸗ 
chenden norbiichen Sagan anheim, Birgar aber ben beutfchen Quellen. 
Auf den Färden felbft war eine allgemeine Sage, daß bie bortigen 
Gefänge von eimem alten, in Leder gebundenen Buche herſtammen, 
welches auf die Inſel Sandö mit einem isländiſchen Schiffe, das dort 
geftsanvet, gelommen ſei. Das Buch fei jo groß getvelen, daß es bie 


% 


426 


volle Laſt eines Pferbes auf der einen Seite feine® Tragfatteld aus 
gemacht. Der Kehrreim eines färdifchen Liedes hebt an: „Ein Neim 
ift von Island kommen, gefchrieben im Buch fo breit” (Far. Qu. 
553, 5). Die Nachforſchungen der Gelehrten nach diefen Buche find 
jedoch vergeblich geweſen und die Inſelbewohner befiten überhaupt feine 
fchriftliche Aufzeichnungen ihrer vielen Lieber, fondern dieſe haben ſich 
durchaus mündlich vererbt. Der jetige färdifche Dialekt iſt auch fo ab- 
weichend von dem islänbifchen, daß ein Gebrauch isländiſch aufgefchrier 
bener Lieber, ohne eine eigentliche Umarbeitung, nur in längft ver 
gangener Zeit hätte eintreten können. Es mögen diefe und andre 
Sagenliever auf den Färden, fo gut als auf Island, ein altes Erb: 
theil aus dem gemeinfamen, normwegifchen Heimathlande fein, aber durch 
innere und auswärtige Einwirkungen manigfach eriveitert und umge: 
manbelt (Fär. Op. Indl. 13. 38, 40). Der Einfluß deutfcher Über: 
lieferung erflärt fi ala ein mittelbarer durch den Verkehr mit den 
andern norbiichen Ländern; doch könnte audy Einiges unmittelbar durch 
die auf Suberd beftandenen Nieberlaffungen der Hanſeſtädte eingeführt 
worden fein (ebend. 36). 

So beliebt die Lieder dieſes Helbenkreifes bei den Bewohnern jener 
entlegenen Sinfeln find, fo machen fie doch den Einprud, daß fie ihrem 
Lebenselemente zu weit entrüdt find. Man findet in ihnen einzelne 
Spuren der altnorbifchen Dichterfprache, 3. B. wenn das Gold nod 
Malmaring (Malm aa Rhin, Rheinerz, 126 f.), ein Held oder König 
Mjelingur (Mildingr, 180, 130), Hilmar (Hilmir, 204, 188), ver 
Drache, den Ragnar erlegt, Ura-Bej, eine Fifchart (320, 28), ge 
nannt wird. (Vol. 89, 2. 135, 18. 194 u.). Bon folden Ausbrüden 
fagen aber die Färöer jelbit: „Wir find dieſes Wortes nicht mächtig” 
(219, N.). Es zeigt ſich auch an einzelnen Stellen poetijcher Schwung, 
3. B. wenn ein Lieb beginnt: „Auf dem Meere brechen fich viel wilde 
und jähe Wogen”, um damit die Ausfahrt eines Helden anzufündigen 
(101), oder wenn von ber ſchönen Brynhild gejagt wird, die Sonne 
fchein’ auf fie mit Schatten (128, 3. Vgl. 227, 21). Allein au 
dieß find eben nur Einzelheiten und im Ganzen herrſcht eine gewiſſe 
Trockenheit, welche überall eintreten muß, mo die überlieferte Poefie 
nicht fortwährend aus ihrer Lebensquelle getränft wird. Das innere 
Verſtändnis des Mythus und des Heldenthums ift verfiegt und mand« 


427 


mal bleibt von den Heldendharafteren nur bie riefenhafte Geftalt und bie 
rohe Gemwaltthat übrig. Keines dieſer Helvenliever fommt ven früher 
vorgetragenen zwei mythiſchen Etüden, vom Spiele Skrymners mit 
dem Bauer, an poetifchem Werthe gleich; Tebtere haben fich wohl eben 
dadurch fo lebendig erhalten, daß fie in ben Kreis der ländlichen Wirth: 
fchaft, in den Bereich der eigenen Anfchauungen und Bebürfnifje ein 
greifen. Aus gleichem Grund ift auch unter den Liedern der Helven- 
fage dasjenige das eigenthümlichite und belebtefte, welches fich mehr 
zum Soylliichen binneigt, indem ed Brautwerbung und Hochzeitfeier fo 
fchildert, wie fie dem Bewohner der Färden anftändig und ftattlich er: 
fcheinen mochten. 

Es ift dieß das Lied von Ismal (Ujsmal). Sein Inhalt fällt in 
den Umfreis der Bölfungenjage, ohne daß jedoch diefe in ihren anders 
wärtigen Darftellungen etwas Entfprechendes darböte. Dem Helden 
Sigurd wird hier eine Schwefter Spanild Sonnenliht (Suola Ljaume), 
gegeben, um melde Ismal, der berühmte Kämpe (frefji kjempa), 
wirbt. Beim Hochzeitmahl fieht Sigurd Brynhilden, die eine der Brauts 
jungfraun ift-und an bie fih fortan fein Schickſal knüpft. Bon 8: 
mal und feiner Werbung wiſſen weder die Ebdaliever noch die Vol⸗ 
fungafaga. Svanhild beißt ihnen die Tochter Sigurds von Gudrun. 
Auch pafst die einfache Weife, wie fih Sigurd im Jsmalsliede in 
Brynhild verliebt, nicht recht. für das heroiſche Weſen des Drachen: 
töbterd und feiner Valkyrie, eben barum aber um fo befier für ben 
ländlichen Gefang färdifcher Inſelbewohner, welchem denn auch biefer 
epiſodiſche Zufat zur Heldenfage, wenn nicht feinen Urfprung, doch 
feine harakteriftiiche Ausbildung verdankt. ch habe hiernach auch gerade 
dieſes Lieb zur Probe der färöiſchen Balladen der bemerkten Klaſſe ge 
wählt, dasſelbe aber, feines größern Umfangs wegen, in Proſa über: 
tragen. 

Ismals Lied. 
(Fär. Ov. 100 ff. Bgl. Indl. 27 f.) 

1. Auf dem Meere bricht fih manche jäühe Woge. Ismaln kam es zuerft 
in den Sim, feinen Knecht Hermund aufzubieten. 

2. Bir wollen reiten in des Königs Hof, um Hjalpreis Tochter zu werben. 

3. Mitten im Grashof wechjelt er fein Kleid (skin) und fo bereit gebt er 
in die hoben Hallen ein. 


428 


4. Wo König Hialprek am Tiſche faß mit fünfhundert Mannen. 

5. Ismal flieht auf der Halle Boden: mit filberbefuopftier Mütze; feine 
Wangen find roth, wie Hummerflauen, feine Augen blan, wie eine Taube. 

6. Ismal ſteht auf der Halle Boden und trägt feine Werkung vor. „Ski 
beglüdt, tapfrer König! gib beine Tochter mir!“ 

7. Lange faß der König und fann auf Kath, wie er Ismaln follte mit 
Hohn antworten. 

8. „Die Jungfrau hat einen rafchen Bruder, er Heißt Sigurb ber 
namenkundige. Ständ’ er bir zur reiten Hand, er däuchte wohl dein 
Meifter.*- 

9, Das war Spanild Sonnenlicht, fie gieng ein in die Halle. Sowie 
fie Ismaln mit Augen jah, gewann fie Gunft zu ihm. 

10. Lange ſaß der König und fann darauf, wie er Jamalu follte mit 
Sul antworten. 

11. Da antwortete Hialpret, der König, all ohne Sorge: „Dir geb’ ih 
meine Tochter jetzt und dazu den Hochzeittrunf.“ 

12. Zamal fteht auf der Halle Boden, gürtet fid und wendet ſich; verlobt 
ſich Svanhilden Sonnenlicht; Hjalpret, der König, läßt ſchenken. 

13. Ismal ſteht auf der Halle Boden, für alle Dinge weiß € er Beſcheid. 

„Wie foll ih den Sigurd zu meinem SHochzeitfefte Taden?“ 

14. Da antwortete Hjalprel, der reiche König: „Ich weiß dir keinen andern 
Rath, als du ladeſt ihn ſelber.“ 

15. Jamal ſprang auf fein gutes Roſs, fort ritt er in ven Wald; da 
begegnet’ ihm Sigurd, Sigmunds Eohn, mitten auf feinem Wege. 

16. Das ift mir für wahr gefagt, er war nicht gar freundlid. 

17. Ismal fteht auf dem grünen Feld, für alle Dinge weiß er Beſcheid. 
„Dich bitt’ ih, Sigurd, zu meinem Hochzeitfeſte.“ 

18. Antwortete Sigurd, Sigmunds Cohn, er fit auf raſchem Roſſe: 
„Woher des Tandes ift die Braut, die du dir, Ismal, gefreit?” 

19. „König, Hjalprek ift ihr Vater, Frau Hjordys ihre Mutter; das if 
mir für wahr gejagt, du feift der Jungfrau Bruder.” 

20. „Haft du meine Schweſter gefreit und mich nicht drum gefragt, fo 
flag’ ih di mit Kmütteln lahm; dir geblihrt kein andres Recht.“ 

21. „Wohl hab’ ich deine Schmefter gefreit und dich nicht drum gefragt. 
Doch eh du mid mit Knütteln lähmſt, biet’ ich dir ein andres Recht. 

22. Wohl hab’ ich deine Schwefter gefreit, nicht aber wuſt' id um bi. 
Eh bu mich mit Knütteln lähmſt, foll deine Etirne ſchwitzen.“ 

23. „Haft du meine Schwefler gefreit, die fittfamfte der Jungfrauen, hör 
du, Ismal, rafcher Kämpe, follft du mir Heldenarbeit vollbringen!“ 


429 


— 


24. Antwortete Ismal, der raſche Held, gewachſen fiber alle Kämpen: 
„Wie Heißt das erſte Wert, das du mir auflegen willſt?“ 

25. „Hier vorm in dem grünen Wald, da liegen der Würme ſechs; alle 
muſt du fie mir erjchlagen, eh du vor den Brautjchemel trittſt. 

26. Hier vorn in dem grünen Wald, da Tiegen der Würme zwölf; alle 
muſt du fie mir erfchlagen, eh du das Brautgemadh betrittfl.” 

27. „Hier vorn in dem grünen Wald, da liegen der Würme zween; ſag' 
du mir, Sigurd, Sigmunds Sohn! wie lang find fie denn?“ 

28. „Der eine ift achtzehn Ellen lang, der andre dreiundzwanzig; mein 
ganzes Heer ift Zeuge, daß ich dir die Wahrheit ſage.“ 

29. „IR der eine achtzehn Ellen lang und der andre breiundzwanzig, fo 
bin ich des flarfen Samfons Sohn und fürdhte mir nicht davor.“ 

30. Alle die Wurme ſchlug er da, das dunkt ihm Feine Noth. Finna fpie 
Eiter auf ihn, daß er nicht von hinnen konnte. 

31. Das war Sigurd, Sigmunds Sohn, er ritt heim nach dem Hofe. 
Außen ſtand Svanild Sonnenlicht. 

82. Sigurd gieng in die Burg, groß ift feine Kraft; er fett fich auf ven 
Hodfit, daß all Pie Burg erzittert. 0 

83. „Bflegen fo, Bater, höfiſche Männer ihre Xöchter binzugeben, 
fo wollt’ ich, bein Halsbein wär’ in fieben Stüde gefchlagen von meiner 
Fauſt.“ 

34. Hervor trat Svanild Sonnenlicht, die ſittigſte aller Frauen. „Haft 
du, Sigurd, den Rath erdacht, Ismaln Heldenwerk aufzulegen?“ 

85. „Geh bu fort aus meinen Augen! ich will dich nicht anhören; nicht 
ziemt das meinem guten Schwert, in Weiberblut es zu tauchen,“ 

36. Das war Svanild Sonnenlicht, fie begann fo fehr zu weinen. Wieder 
fragte Sigurd, warum fie fih fo gebärbe. 

87. „Geh du fort ans meinen Augen! weine nicht Länger diegmal! Der 
Mann ift würdig feiner Maid, und nicht iſt er ſchwächer, denn ich.“ 

88. Sigurd fprang auf fein gutes Roſs, er trägt das Helbenfchwert, fo 
reitet er nach dem Walde fort, feiner Schwefter zu Liebe. 

89. Ismal Kiegt auf dem grünen Grund, feft im Eiter des Wurmes. Froh 
ift er, da er Granis Hufe treten hört. 

40. Ismal Tiegt auf dem grünen Grund, fe in des Wurmes Blut. Froh 
if er, da er Granis Hufe ſtampfen hört. 

41. Sigurd nimmt ihn in den Sattel umb fürchtet flir Jomals Wunden; 
im feiner Tafche jucht er nach Salbe, um fie einzureiben. 

42. Sigurd nimmt ihn in den Sattel, führt ihn beim zu den Hallen: 
„Rimm bier, Syanild Sonnenlicht! heil’ dr den Kümpen!“ 


430 ' 


43, Sie heilt! ihn einen Tag, fie heilt’ ihn zwei; der vierten Woche erſten 
Tag fuhr er in die blaue Brünne. 

44. Der vierten Woche erftien Tag fuhr er in die neue Brünme; fie führt 
ihn in die Hallen ein; fo freundlich war er anzujehn. 

45. Da rüfteten fie das Hochzeitmahl; kein Mangel war da; achtzehn 
Burgen waren geladen, zwölfhundert Mann aus jeder. 

46. Da rüfteten fie das Hochzeitfeft, bald war Alles verfammelt; achtzehn 
Burgen waren gelaben und dort war audy der König von Frankreich (Kongur 
eäv Frans). 

471. Ismaln fehlten nicht die Brautmänner; ;ur rechten Hand gieng König 
Hjalpref, zur linken Gunnar der Held. 

48. Svanilden fehlten nicht ſchmucke Brautfrauen; zur rechten Hand gieng 
Gunild, Budlis Gemahlin, zur linken Grimild, Gjnkis. 

49. Svanilden fehlten nicht ſchmucke Brautjungfrauen; zur rechten Hand 
gieng Brinild, Budlis Tochter, zur linken Gurin (Gudrun), Gjufis. 

50. Da war ein Mann, der die Harfe ſchlug, genannt Orvur⸗Oddur; 
Hialmar Kappi und Sigurd waren Brautführer. 

51. Da waren dreißig Krüge von Eilber und manche Silberfhaale Da 
lief e8 über in des Königs Halle, als Alles bereit geftellt war. 

52. Da waren breißig Scüffeln von Silber, neugefchmiedet waren alle. 
Sigurd fteht auf der Halle Boden und erzählt von raſchen Kämpen. 

53. So flierte da Sigurd auf Brynhilds Rede, er brach über dem Tiſche 
bie vergüldete Methſchal' entzwei. 

54. Getrunlen war diefe Hochzeit. Die Leute waren fo fröhfich, wie bie 
Bögel, die auf dem Zweige figen, ſich des lichten Tages freuen. 

55. Dreißig Kerzen waren angezündet und vierzig Fackeln brannten; fie 
geleiteten dieſe reiche Braut die erfte Nacht zum Lager. 

56. Dreißig Kerzen waren angezündet und Wachslichter dazu. König 
Hialpref und all jein Gefind geleitete fie zum Schlafhaufe. 

57. Die Orgel ward im Hof getreten, Harfen ſchlug man in Menge. 
König Hialprek und all fein Geſind' geleitete fie zum Lager. 

58. Getrunten war dieſe Hochzeit und luflig war ihr Leben. Beide giengen 
zu einem Lager, Ismal und fein Weib. 

59. Getrunfen war diefe Hochzeit, beides, wohl und lange. So mander 
Hofmann war dabei, als Federn in Vogelichwinge. 

60. Getrunken war dieſe Hochzeit und fo hab’ ich’s vernommen. Dam 
fubr Jeder, der geladen war, Heim zu dem Seinen. 

61. Nun fol das Lied aufhören, nicht länger fing’ ich diefesmal. Run 
jol anheben eine andre Mähr, faßt ihr fie ins Gedächtnis! 


431 


— — — — — 


— ⸗ 


Die deutſch-nordiſche Sage von Sigurd und den Niflungen bat 
fih auch, zugleich mit den Überlieferungen von Wolfvietrih, Dietrich 
von Bern und feinen Helen, in einer anjehnlichen Reihe altbänifcher 
Balladen ausgeprägt. (Sämmtlih im Iten Bande der Nyerup-Rah— 
befifchen Sammlung und voranftehend in Grimms Überjegung.) Der 
Schauplatz vom Berrath an den Niflungen bat fih aus dem Hunnen: 
reiche, Hunaland, auf die Kleine Inſel Hven im Sunde zurüdgezogen. 
Diefe däniſchen Lieder fallen jedoch gröftentheild auf die Seite der 
deutihen Sagengeftaltung und entfprechen fomit nicht der Völſunga⸗, 
fondern der Bilfinafaga. Inſofern berühren fie und, nach dem fchon bei 
den Heldenjagen angenommenen Plane, bier nicht näher. Einige wenige 
folgen den. norbifchen Quellen und erzählen, ziemlich entftellt, die Ge⸗ 
Ichichten Sivards, Brynilds und ihrer Tochter Svanelil (Aslög. ©. 
Nyerup I, 132 ff. Udvalg af danske Vifer fra 16—18 Aarh. II, 199 ff. 
Bol. auch Nyerup II, 172 ff). Im Ganzen gilt von den dänifchen, diefem 
Sagentreife zugebörenden Ballaven vasfelbe, was zum Nachtheil der 
färöifchen gefagt worden. Sie find, neben dem gefuntenen Stil, aud 
noch zerrifiener und vermwirrter, als dieſe. Dieſe Helden find überaus 
rieſenhaft und ungebärdig. Sie fallen daburd mehr und mehr ins 
Zuftige und Scherzhafte und aus der fich hiemit natürlich ergebenden 
Parodie ift ein Lieb hervorgegangen, in welchem fie, willlührlich zu: 
fammengerafft, zu einer gigantischen Hochzeit verfammelt find. 


Heldenhodzeit. 
(Udv. d. Bif. fra 16—18 Aarh. II, 173 fi Grimm 63 ff.) 


Das war der Graf Herr Guncelin, 
er Sprach zur Mutter fein: 
„Ich will reiten hinauf ind Land 
und verjuchen die Mannheit mein.” 
Wohl auf vor Tag! wir fommen wohl über die Heibe. 


„Willſt du reiten hinauf ins Land 
und machſt mir das belannt, 

So will ich dir geben dein gutes Roſs, 
der graue Karl genannt. 


So will ih dir geben den grauen Karl, 
. dein Rofs von raſchem Lauf. 


432 . 


Nie darf du Schnallen den Sporn an den Yuß, 
nod binden den Helm bir auf. 


Keinen Kämpfer du achten darfft, 
vor feinem darf dir graun, 
Bevor du auf einen Kämpfer triffft, 
man nennt ihn Iver den Dlann. 


Das war der Graf Herr Guncelin, 
er reitet an grüner Halb’; 

Er begegnet dem Tleinen Tilventin, 
den er halten heißt alsbald. 


„Willkommen, junger Zilventin! 

‚wo haft du die Nacht geruht?“ 

„Ich hab’ gerubt auf Bratensborg, 
wo man Feuer baut aus dem Hut.” 


Das war der Graf Herr Guncelin, 
er blidt unterm Helm fo roth: 

„Türwahr, dur Heiner Tilventin, 
du ſprichſt deinen eignen. Tod.“ 


Das war der Graf Herr Guncelim, 
ber ſchnell ſein Schwert auszog, 
Er hieb den Heinen Tilventin, 
daß der in Stüde flog. 


So ritt er fort nad) Bratensborg, 
Er ſtieß ans Thor den Schaft: 
„Iſt irgend hier ein Kämpfer drin, 
der fechten mag mit Kraft?“ 


Das war der Held, Herr ver Blau, 
der aus nad Weften ſchaut'; 

„Nun Hilf mir Ufi und Asmer Grib! 
Ich höre Kämpferlaut.“ 


Das war der Held, Herr Iver Blau, 
der aus nach Oſten ſchaut': 
„Hilf, Otthin, mir, ſo gut du kannſt! 
Herr Guncelin ruft ſo laut.“ 
1 Alf und Aſe? 


433 


— 


N 


Das war der Graf Herr Guncelin, 
Den Helm warf über der Selb; 

Das börte die liebfte Mutter fein 
Biel Meilen über Feld. 


Die Frau erwacht um Mitternacht 
und ſprach zu ihrem Herrn: 

„So walte nur der höchſte Gott 
über unjern Sohn in ber Fern'!“ 


Den eriten Ritt und den erflen Stoß 
(fie waren Helden zur Hand) 

Stab Guncelin Haren ver Blau 
und warf ihn weit auf's Land. 


„Hör du, Graf Herr Guncelin! 
willſt du mich Lafjen leben, 
Ich hab’ wir eine Braut verlobt 
und die will ich dir geben.” 


„Richt mrit der Brant, die dir verlobt, 
will ich die Hände fügen; 

Gib mir Salenta, die Schweiter bein! 
jo aß ih mir genügen.“ 


Sie richteten die Hochzeit zu, 
fie konnt' nicht beſſer fein; 
So viel e8 kühne Kämpfer gab, 

jo viele Iuden fie ein. 


Sie Iuden Bidrich, Verlands Sohn, 
ſtark Dietrich au von Bern, 

Sie Iuden Holger den Dänen ein, 
dieweil er flritt jo gern. 

Sie Iuden Sivard, den rafchen. Geſelln, 
daß vor der Braut er reite; 

Der Riefe Langbein ſitzen ſoll 
dem Bräutigam zur Seite 

Sie Inden den Meifter Hildebrand, 
der trug bie Fackel voraus; 

Ihm folgten au die Kämpfer zwölf, 
die tranfen und machten viel Braus. 

ublandb, Säriften. vu. 


434 
Folqvard der Spielmann kam dahin; 
ihm tranken die Kämpfer Beſcheid; 
Dahin kam König Sigfred Horn, 
fich ſelber zu Angſt und Leid. 


Da ſollte die ſtolze Frau Grimild 
die Braut bereiten zum Mahl; 

Sie ließ ihr die Hände mit Eifen beichlagen 
und die Finger umfdymieden mit Stahl. 


Frau Gunde Hette fam dahin, 
die im Nordgebirge hauſt; 

Sie trank wohl und fie tanzie wohl, 
verftand mohl, wie man ſchmauſt. 


Da war gekommen Frau Brynial, 
zu ſchneiden der Braut das Eſſen; 

Ihr waren ſieben Magde gefolgt 
und unter die Kämpfer geſeſſen. 


Sie führten die Brant in die Kammer ein, 
zu halten den Morgenſchmaus; 

Cie aß da auf vier Tonnen Brei, 
der ſchmeckt' ihr überaus. 


Achtzehn Schweinfeiten nahm fie dazu 
und fechzehn Ochjenruden, 

Trank dazu fieben Tonnen Bier, 
dann fieng fie an zu fchluden. 


Sie führten die Braut zum Saale Hin, 
da baufchte fo fehr ihr Gewand, 

Sie hieben, um fie zu bringen hinein, 
wohl fünfzehn Elln von der Wand. 


Sie führten die Braut zur Brautbank Hin 
und festen fie nieder jo facht; 
Die Brauthank war von Marmorſtein, 
die zerfprang bis zur Erde mit Macht u. |. w. 


Die junge Braut von der Brautbanf jprang, 
die Hände ftredte fie aus, 

Der Riefe Langbein fprang zu ihr 
und tanzte mit ihr durch's Haus. 


"435 
Da tanzte der Tiſch unb da tanzte die Bauk, 
der Reihn gieng von Ribe bis Slie; 
/ Der Heinfte Mann, der im Tanze war, 
hielt fünfzehn Elin unterm Knie u. |. mw. 


€3 fehlt hier nur nody Sivarbs Aufzug in einem. andern Liebe, 
imo diefer Held mit einer ausgerifienen Eiche am Gürtel tanzt und ber 
König ausruft: „Sivarb bringt und den Sommer herein!“ (Nyerup I, 
14. Grimm 30 f.) | 

Wenn die färöifche Hochzeit mehr noch einen idylliſchen Anftrich 
bat, jo hat wie däniſche einen entſchieden grotesken. 

Die ſchwediſchen Vollslieder erftreden fich nicht über diefen deutſch⸗ 
nordiihen Sagenkreis. \ 

Aber auch noch andre, mehr einzeln ftehende Heldenfagen des Nor⸗ 
dens, die wir früher in ihrer. ältern Geftalt vorübergeführt haben, find 
in den fpätern Bollögefang durchgebrungen. Im Berzeichnis der noch 
ungebrudten färöifchen Lieder laſſen ſich mehrere Helden telänbifcher 
Sagan bemerien; fo wird eines von Half Ende namhaft gemadyt 
(Sagabibl. II, 453). Der in der Hervörsſaga dargeftellte Kampf Hiel⸗ 
mars und OÖOrvarodds mit ben Berferlern auf Samss ift, unter halb 
fenntlidyen Namen, in eine dänische Ballade umgewandelt (Ryerup J, 
139 ff.) und von Hervörs Todtenbeihtwörung finden fich gleichfalls An- 
Hänge im dänifchen und färöischen (Bär. Dv. 368 bis 375) Volksgeſange. 
Schwediſch und däniſch ift endlich die tragiiche Geſchichte Hagbarths 
und Sygnes (oben S. 229) in Balladenform viel verbreitet (Svenska 
Folk-wisor I, 137 fj. Habor och Signild. Nyerup III, 1 ff. Hafbur og 
Signe. Vgl. 1V, 47). Sie hat an Kraft der Darftellung verloren und 
bedeutfame Züge eingebüßt; ein fchöner Zug ift dagegen binzugelommen. 
Als des Königs Kriegsleute den maffenlofen Hafbur doch nicht über: 
wältigen können, gibt die falfche Dienerin den Rath, ihm die Hände 
mit einem Haare Signilds zu binden; das werde er nicht entzwei reißen. 
Sie binden ihn mit zwei berfelben und fie tft ihm zu lieb im Herzen, 
als daß er ihre Haare zerrifie. 

Auch von ſolchen Heldenjagen, bie wir nicht mehr in ihrer älteren 
Darftellung vergleichen können, baben fich Überbleibfel in ven Balladen _ 
erhalten, wenn gleich in zerriffener und verbunfelter Geftalt. So Ribolts 
Drachenkampf, Nyerup I, 144 ff. 388; dann das felbft rätbjelbafte 


436 


Lieb, defien Held, in däniſcher Verſion Sven Vonved, in ſchwe⸗ 
diſcher Sven Svanehvit genannt, Räthfelfragen, an die des Getipeli 
erinnernd, aufgibt, Nyerup I, 83. 379. Grimm 227. 387. Svenska 
Folk-wisor II, 138 u. a. m. 

Schön die feither betrachteten Lieber, wenn gleich dem Grunbftoffe 
nad von altnorbifchen Mythen und Heldenfagen ftammend, haben doch 
in Form und Darftellung und felbft in veränderter Bedeutung bie 
Einflüffe des chriftlihen Mittelalters gezeigt. Eine weitere zahlreiche 
Klafie aber ift aus dem Leben und ven Sitten bes Mittelalters felbft 
auch dem Stoffe nach hervorgegangen oder hätte doch ebenfo wohl daraus 
hervorgehen können; denn keineswegs läßt ſich in jebem einzelnen Falle 
über ben Urfprung entfcheiden, da im imittelalterlichen Leben felbft die 
neuaufgelommenen Vorftelungen und Gebräude überall noch mit ben 
‚ältern, im Heidenthum wurzelnden vermifcht maren. 

_ Die zahlreichen Lieber der bemerkten Klafie find von manigfacen 

inhalt und verſchiedenem Werthe. Borberrichend ericheinen, was den In: 
halt betrifft, vie Liebesabenteuer, Brautwerbungen, Entführungen, Wetten 
und Kämpfe der Rebenbuhler, Treue und Untreue, bald in beiterer, bald 
in tragifcher Entwidlung. Es möchten fich auch diefe manigfachen Leben® 
bilder großentheild auf gewiffe Grundtypen zurüdführen lafien. Ohne 
jedoch eine ftrengere Eintheilung vorzunehmen, hebe ich nach beiben 
Seiten, des Ernftes und bes Scherzed, einige Geratiesiie Stücke 
geringeren Umfangs bervor. 

Mehr noch an den Geift des ältern Nordens mahnt das büftre 
ſchwediſche Vohlslied von Sven im Rofengarten 1 (Sven i Rosengärd, 
. 8v. II, 2 ff. in 2 Berfionen, Mohnike ©. 3 ff): 

Wo bift du gemwefen fo lange, 
Sven im Rofenhain ? 
„Ich bin im Stall geweſen, 
Liebe Mutter mein!“ 
Ihr harret mein fpät, doch ich fomme niemals. 
Was find deine Kleider fo blutig, 
Spen im Rojenhain? 

1 Bol. Schröter, Finniſche Runen. Upfala 1819. S. 125 fj. Sven, Jung 
geſell, junger rafcher Mann; dann Knappe, Edelmann; aber auch Eigenname. 
Wie Morten von Bogeljang. 


437 


„Das weiße Fohlen ſchlug mich, 
Liebe Mutter mein!“ 

Was if dein Hemd fo blutig, 
Spen im Rofenhain? 

„Meinen Bruder hab’ ich gemordet, 
Liebe Mutter mein!“ 


Wohin nun deines Weges, 

Sven im Rofenhain? 

„Das Land muß ich nun räumen, 
Liebe Mutter mein!” 


Bann wirft du wieder fommen, 
Spen im Rofenhain ? 

„Wann der Nabe bleichet, 

Liebe Mutter mein!” 


Bann bleihet denn der Rabe, 
Sven im Roſenhain? 
„Bann der Granftein 1 ſchwimmet, 
Liebe Mutter mein!“ 
Ihr barret mein fpät, doch ich fomme niemals. 


Das Schwimmen des Granttfteind, bier, in älterer Anficht, der 
Ausdruck unmöglicher Wiederkehr, unverſöhnlicher Schuld, ift, nicht 
unbebeutfam, in der chriftlichen Legende möglich geworden. Ein andre 
ſchwediſches Lied bezeichnet damit die Erſcheinung eine® Engels (Sv. 
H, 233): 

Bas nimmer ich ſah, hab' gefehen’ ich. itt, 
Daß der Grauftein ſchwimmt und ver Mann darauf fißt. 

Und im färöifchen St. Jakobsliede (Fär. Qu. 520 ff.) Ichifft diefer 
Heilige auf einem Steine über das Meer nah Garfialand (Spanien), 
wo er den König befebrt, indem er deſſen Sohn, der vor fünfzehn 
Sahren in dem Meeresgrund verjunfen, wieder ind Leben ruft. So 
hätte durch die Wunder der Friedensbotſchaft auch dem landflüchtigen 
Sven noch der Grauftein ſchwimmen können. 

Verwandt mit dem Tone ber vorigen Ballade ift folgende gleich 
falls ſchwediſche (Sv. III, 107 ff.): 


1 Grästen, auch gräberg, grauer Yelsflein, Granit. 


« 





Höreſt du, Schweſter Anna? 

Haſt du nicht Luſt zu vermählen dich bald? 
„Nicht hab' ich noch zu vermählen mich Luſt, 
Will leben als Jungfrau mit ſtolzer Bruſt.“ 
Höreſt du, Schweſter Anna? 
Was für ein Grauroſs, thu mir fund, 

Das geftern vor deiner Thüre ftund? 


„Das war kein Pferd, war Graurojs feins, 
Meiner engliihen Schafe war's wohl eins.“ 
Höreft du, Schwefter Anna? 

Was war das für ein vergüldter Speer, 
Der blinkte von deinem Fenſter her? 


„Richt war ein vergüldter Speer im Haus; 
Die Some, fie ſchien wohl ein und aus.“ 
Höreft du, Schweiter Anna? 

Was waren das für Kinder Mein, 

Die geftern gemeint in der Kammer dein? 
„Kein weinend Kind ich drinnen hielt, 

Auf meiner Orgel hab’ ich gefpielt.” 

Höreſt du, Schweiter Anna? 

Kennft du wohl diefe Manneshand, 

Die hängt an meinem Sattelband ? 

„Gott grade dir, Bruder Olof! 

Meinen Kindlein haft du gethan groß Leid, 
Nahmft ihren Bater von meiner Seit.” 


Der Typus diefes nordſchwediſchen Liebes Tehrt im Volksgeſange 
mehrerer Völker wieder; in ſüdſchwediſchen, ſowie in ſüdnorwegiſchen, 
dänifchen und deutfchen Verfionen ift ihm eine fcherzhafte Wendung ge: 
geben. Nur im höhern Norden und in Epanien hat das Lieb feinen 
ftrengen Ernſt bewahrt; dort aber ift e8 der Bruder, bier der Gemafl, 
der die gekränkte Ehre des Haufes zu rächen hat. 

Tragiſchen Ausgang nimmt ein großer Theil der Entführungs: 
geſchichten. Es wird in das Recht und in bie Ehre eines Haufes einge: 
griffen und die wehrhaften Glieder desſelben laffen dieß nicht ungeahndet. 
Die gemeinfame Anlage vieler Balladen ift bie: eine Jungfrau wird 


> 


— 


verlodt, mit einem Bitter zu entfliehen; fie ruhen in einem Walde aus, 
aber fchon eilen ihnen die Bermandten der Entführten nad und es er 
hebt fih ein Kampf, der Allen zum Verderben oder zur Trauer endigt. 
Zum Wufter bievon ein fchmebifches Lieb, das in mehrfachen, auch 
dänischen Verſionen vorkommt (Sv. II, 7 ff. Vgl. I, 5 ff. HI, 76 ff. 
Nyerup III, 353 ff. 438 f. Grimm 119 ff. 518. Nyerup II, 327 ff. 


439 


- — — 


435 f. Grimm 74 ff.): 


1 Stolts.Hilla lilla eyr s& vildt i sömmen sin. Mohnile I, 34: Hilka 
lilla hanbthiert fo wilb im Schlaf! Söm m. Rath, Saum, Nätherei; somn m. 


Schlaf. 


Klein Hilla fit in der Kammer dort, 

Die Thränen fallen ihr fort und fort. 
Gleich kam die Kunde zur Königin: 

Klein Hilla näht in die Irre bin 1. 

Die Königin achſelt den Mantel blau, 

So gieng zu Mein Hillas Kammer die rau. 
Schlug Hillan auf bleihhlühende Wang’, 
Daß ihr das Blut auf den Vorhang fprang. 
„O gnädige Königin, ſchlagt nicht fo hart! 
Ich bin doc, wie ihr, von Königes Art.” 
Klem Hilla Hopft auf das Kiffen blau: 
„Gefällt hier zu ruhn meiner gnädigen Frau? 
O gnädige Königin, feget euch ber! 

Ich will euch erzählen mein Leid fo fchmer. 
An des Baterß Hofe, da gieng es mir gut, 
Sieben Ritter hielten mich täglich in Hut. 
Mein Bater fo mohl meiner Ehre pflag, 
Zween Ritter dienten mir jeden Tag. 

Der eine, der Herzog Magnus hieß, 

Nach meiner Gunft fich gelüften ließ. 

Der andre hieß Herzog Hillebrand, 

Des Königes Sohn von Engelland. 


Und das war Herzog Hillebrand, 
Mit ihm muſt' ich entfliehn aus dem Lad. 


h) 


Er Sattelte da fem Rofis fo grau 
Und bob mid; hinauf vor des Vaters Bau. 


Und als wir gelommen zum Roſenwald, 
Da verlangte der Herzog zu ruhen fo bald. 


Er legte fein Haupt in meinen Schooß 
Und jchlief einen Schlummer fo forgenlos. 


Hillebrand, Hillebrand, den Schlaf Taß fein! 
Ich böre Bater und Brlider mein. 


Hillebrand, Hillebrand, wach auf, wach auf! 
Ich keun' ihre Grauroſſ' am raſchen Lauf. 


Hillebrand nimmt mich in den Arm und ſpricht: 
Klein Hilla, nenn’ meinen Namen nicht 1! 


Da flug er in dem borderften Reihn 
Meine Brüder ſechs und den Bater mein. 


Dann traf er in der zweiten Schaar 
Meinen jüngften Bruder mit goldgelbem Haar, 


O Hillebrand, Hillebrand, ſtill dein Schwert! 
Mein jängfter Bruder iſt Tods nicht werth. 


Nicht hatt’ es ausgeſprochen mein Mund, 
Todwund lag Hillebrand auf dem Grund. 


Hillebrand er ftreicht fein blutiges Schwert: 
„Und wärf du nicht Hilla, des wäreſt bu werth.“ 


Mein Bruder faßt’ an der Lode mich drauf, 
So band er mid an den Sattelfnauf. 


So Hein war feine Wurzel gewiſs, 
Die ein Stitd nicht von Hillas Fuße riß. 


Da war auch gewiſs fein"Bmeig jo Hein, 
Der ein Stüd nicht geriffen von Hillas Bein. 


1 In der verwandten dänifchen Ballade „Herr Ribolt“ Heißt es (Myerup III, 
880): Du nevn mig ikke tildödel (Bal. Nyerup III, 486. Grimm 507. 
8v. 1, 11. OD, 194) Diefes Tobtnennen (ſchwediſch dödnämna) berußte auf 
dem Glauben, daß bie Kraft eines im Streit oder andrer Unternehmung Be 
griffenen geläbmt werde, wenn man feinen Namen nenne, wie beim Rad 
wanbier, 


441 





Und als wir famen um erfien Thor, 
Meine traurige Mutter ſtaud danor. 

Da wollte mein Bruder ermürgen mich, 
Meine Mutter wollte verlaufen mid. 

Sie verlauften mich fiir eine Glode neu, 
Die hängt in Mariä Kirchengebäu. 

Als die Mutter hörte der Glocke Klang, 
Das traurige Herz ihr in Stüde fprang.“ 
Kein Hilla ſchloß ihre Rede hie, 

Da fiel fie todt vor der Königin Knie. 

In diefem Liebe ift die tragifche Kataftrophe der Entführung fehr 
vollftändig ausgeführt. Der Vater und ſechs Brüder der Jungfrau 
werben auf der Verfolgung vom Entführer erfchlagen. In der Angft 
um ben legten, fiebenten Bruder, dem fie das Leben erflehen will, ruft 
fie den Geliebten beim Namen und wird ihm dadurch zum Verberben. 
Der gerettete Bruber nimmt nun an ihr die Rache für das Geſchehene; 
die Mutter beftimmt ihn zwar, daß die Jungfrau nicht getöbtet, ſondern 
um eine Glode verlauft werde, aber beim Klang dieſer Glocke bricht 
das Mutterherz. Endlich wird die Verkaufte von ihrer eigenen Erzäh⸗ 
lung all dieſes Unheils fo ergriffen, daß fie ſich damit jelbft zum Tode 
genannt hat. 

Nicht fo gewaltfamer Art find die Ereignifle im folgenhen ſchwedi⸗ 
fihen Liebe. Hier verzehrt fich ein ſtille duldendes Herz im geheimen 
Kummer: 

(Sr. 1U, 30 ff. Val 27 fi. 175 fi) 
Pflegbruder ſprach zum Pflegbruber fein: 
„Wird mir Hein Chriftel, ſchön Schwefter dein ?” 
„Kein Ehriftel-fie it noch fo jung und klein, 
Goldkrone möcht’ ihr zu ſchwer noch fein.” 
„Und wenn fie jo Hein und fo jung aud wär, 
Auf's Jahr fol fie tragen Goldkrone fo ſchwer.“ 
Sie hoben die Braut in den Sattel da, 
Zwei Knappen des Königs ritten ihr nah. 


1 Gier könnte noch: Pehr Tyrsons döttrar i Vänge, Br. III, 198 fi. 
eingerlidt werben. 


442 





Sie führten die Braut auf den Kirchhof bar, 
Goldgewirkt die Kleider, goldgeflochten das Haar. 


Sie führten die Braut in die Kirche bin, 
Ihr rollen die Thränen auf Wangen und Kinn. 


Sie führen zum Brautftuhl fie zur Stund', 
Ihre Thränen, die rollen fo dicht auf den Grund. 


„Und Herr Gott Vater, hör du mein Gebet! 
Nimm bin mich, fo lang noch der Wald grün fteht!“ 


Pfingfttag war's, da dieß Gebet fie erhub, 
Mittfommertag, da man das Grab ihr gruß. 


Sie Iegten Fein Ehriftel wohl auf die Bahr, 
Gott? Engel ftanben da rings in der Schaar. 


Sie trugen die Leich' auf den Sand fo weiß, 
Gotts Engel die fangen vor ihr mit Fleiß. 


Sie legten die Leich’ in den ſchwarzen Grund, 
Das Goldfreuz ftedten Die, Engel zur Stund. 


In andern Verfionen biefes Liebes ift ber hier verichtwiegene Grund 
der Abneigung gegen die Tönigliche Heirath als ein chriftlich: frommer 
bezeichnet: die Jungfrau fehnt ſich nach den Freuden bes Himmelkt, 


nicht nach einer trdifchen Krone. 


Den traurig:ernften Liedern mögen nun auch einige luftigen Tone 


gegenüberfteben. 


Sm den mythiſchen Volkeliedern der Färder ſahen wir den Bauer 
mit dem Rieſen um den Sieg der Jahreszeit im Goldbrett ſpielen. 
Ein viel und manigfach gefungenes fchmebifches Lied erzählt, wie ber 
Heine Matrofe mit der Königstochter Goldwürfel fpielt. Im Däniſchen 


ift der Spielende ein Neitersjunge. 
(Sv. II, 37 bis 47. Nyerup IV, 122 fi. 351 f. Grimm 414 ff.) 


Die Jungfrau faß im Obergeſchoß, 
Gold wob ins Kleid fie ein. 
Da kam ein Meiner Bootsmann 
Und gudte da herein. 
Doch fie fpielten, fie fpielten Goldwürfel. 


443 


„Und hör du, Meiner Bootsmann, 
Mas ich will fagen dir! 

Lüſtet Dich, zu fpielen 

Goldwürfel mit mir?“ 


„Und wie denn fol ich fpielen 
Goldwürfel mit dir? 

Ich hab’ ja fein rotbes Gold 
Einzufeßen hier.“ 


„Se du nur beine Jade, 
Die graue je nur frei! 
Dagegen will ich ſetzen 
Hier Goldringe zwei.“ 


Und bei dem erſten Goldwürfel, 
Der auf das Spielbrett rann, 
Berlor der Heine Bootemann 
Und die ſchöne Jungfrau gewann. 


„Und hör du, Heiner Bootsmann, 
Bas ich will fagen dir! 

Lüftet dich, zu ſpielen 

Goldwürfel mit mir?* 


„Und wie denn foll ich fpielen 
Goldwärfel mit dir? 

Ich bab’ ja fein rothes Gold 
Einzujeßen bier.“ 


„Sek du nur deinen alter Hut, 
Seh nur den grauen ein! 
So ſetz ich meine Goldkrone; 
Gewinnſt du fie, ift fie dein.” 


Und bei dem zweiten Golbwürfel, 
Der auf das Spielbrett rann, 
Berlor der Heine Bootsmann 
Und die ſchöne Jungfrau gewanı. 


„Und hör du, Heiner Bootsmann, 
Was ih will jagen dir! 

Lüftet Dich, zu fpielen 

Goldwürfel mit mir?” 


444 


„Und wie denn ſoll ich fpielen 
Goldwürfel mit dir? 

Ich hab ja kein rothes Gold 
Einzufegen bier.“ 


„Seh du nur beine Strümpfe 
Und filbergefpangte Schuh! 
Sp fe ih meine Ehre 

Und meine Treu dazu.” 


Und bei dem britten Golbwürfel, 
Der anf das Spielbreit rann, 
Berlor die jhöne Jungfrau 

Und der Heine Bootsmann gewann. 


„Und hör du, Heiner Bootsmann, 
Heb du dich fchnell von mir! 

Ein gehend Schiff auf dem Meere, 
Das will id geben dir.“ 


„Ein gehend Schiff auf dem Meere, 
Das nehm’ ich, wo ich kann; 

Doc Haben will ih die Jungfrau, 
Die ih mit Gofbwürfel gewann.“ 


„Und Hör du, Heiner Bootsmann, 
Heb du dich ſchnell von mir! 

Ein Hemd, gefäumt mit Seide, 
Das will ich geben bir.” 


Ein Hemd, gefäumt mit Seide, 
Das nehm’ ich, wo ich kann; 
Doch Haben will ih die Jungfrau, 
Die ich mit Golbwiirfel gewann.“ 


„Und hör du, Heiner Bootsmann, 
Heb du dich ſchnell von mir! 
Mein Königreich zur Hälfte, 

Das will ih geben dir.” 

„Dein Königreid) zur Hälfte, 

Das nehm’ ich, wie ich kann; 
Doch haben will ich die Jungfrau, 
Die ih mit Golbwärfel gewann.“ 


445 


Die Jungfrau geht in die Kammer, 
Sie Frauft ihr goldgelb Haar. 
„Bnab’ Bott ob Liefer Heirath! 
Die geht nicht hoch fürwahr.“ 
Der ‚Bootsmann gebt auf dem Eſtrich, 
Er fpielt mit feinem Schwert. 
„Dir wird fo gut eine Heirath, 
Als irgend du biſt wertb. 
Ich bin wohl nicht ein Bootsmann, 
Ich dünkt' es fo dir nur; 
Ich bin der befte Königsjohn, - 
Der je von England fuhr.” 
Dod fie fpielten, fie fpielten Goldwürfel. 

Wie wir für die tragiichen Entführungsgefchichten einen gemein: 
famen Typus bemerkt haben, fo gibt es auch einen ſolchen für eine 
anfehnliche Zahl ergeblicher Brautwerbungs⸗ und Hochzeitabenteuer. 
Hier wird gewöhnlich dem Bräutigam von einem Anbern, ber ältere 
over befiere Anfprüche hat, die Braut noch am Hochzeitabenb weggehafcht. 
Ähnliche Anlage zeigte ſich ſchon in den Helbenfagen, namentlich in 
denen von Halfdan. Auf eigentbümliche Weife'ift jenes Thema in folgender 
Däntfcher Ballade behandelt (Nyerup IV, 254 ff. Grimm 137 ff.): 
Das war an einem Samflag, 

der Regen fiel fo laut. - 
Das war Tyge Hermandfen, 
follte Holen feine Braut. 

Herr Tyge flieht zum Fenſter hinaus, 
wie die Bäche fo firömend laufen: 
„Da ritt’ ich doch mir felber zur Dual, 
fo theuer die Braut mir zu laufen. 

Hör du, Rilans Benditfön! 
dein Nofs bat lange Bein’; 
Ich Bitte dich bei dem allmächtigen Gott: 
Hol du die Braut mir herein!“ 
Antwortet Nilaus Benbitfön, 
antwortet ein Wort für fih: 
„Soll ich dir Holen bie junge Braut, 
. da find’ ih wohl einen Schlich.“ 


446 


Und das war Nilaus Benbitfön, 
ber ritt der Braut zu Gruß; 

Sie breiteten Eeid’ und Zindel grün 
all vor feines Rofſes Fuß. - 


Sie kleideten fi in Seide 
und auch in Goldſtoffkleid, 
So ritten fie zur Kirche 
al mit der fhönen Maid. 


Die Braut flieht vor der Kirchenthür, 
wie eine Roſe jo licht; 

Sie bat, nad dem Waffer auszufehn, 
ob der Bräutigam fonıme noch nicht. 


Antwortet Nilaus Benditfön, 
darf fi nicht lange befinnen: 

„Er wagt fi heut nicht über den Bad, 
weil die Ströme fo heftig rinnen.“ 


Sie fetten die Braut auf die Brautbank Hin, 
mit Züchten und mit Sitten, 

Sie fahen all nad dem Waffer aus, 
ob der Bräutigam komme geritten. 


Da ſchenkten fie Beides, Bier und Meth, 
wohl in der Silberjchaale; 

Es neigte ſtark zum Abend hin 
und gieng zu End mit dem Mahle. 


Sie hoben da die junge Braut 
wohl auf das Brautbett hoch, 

Da faß fie wohl drei Stunden lang, 
der Bräutigam jäumte noch. 


Die Priefter ftanden vor'm Brautbett 
und fangen auf's Allerbefte. 

„as fol noch werben mit diefer Braut? 
der Bräutigam fehlt beim Feſte.“ 


Herzu gieng Nilaus Benbitfön, 
feine Schuhe warf er fort: 

„So will ich ſelbſt der Bräutigam fein, 
ich geb’ ihr Treu und Wort” 


447 


- Da tranten fie das Brautgelag 
und machten fi) gute Zeiten, 
Außer Tyge Hermandfen, 
durft’ über den Bad) nicht reiten. 


An einem Mittwoch 1 war es num, 
das Waſſer begann zu fallen; 

Herüber fam Tyge Hermandfen 
mit feinen Brautmannen allen. 


Er fam wohl in das Hochzeithaus 
und zu dem fchönen Feſte; 

Da ſprach fogleih die junge Braut: 
„Kehrt heim, ihr fpäten Säfte!“ 


„Hör du, folge Sidſelill, 

das Hab’ ih nun mit dir, - 
Daß du dich verlobt einem Andern 

und übel gefpielt mit mir!” 


„Hör du, Tyg Hermandſen! 
das konnteſt du ſelbſt dir fagen, 
Daß ich nicht wollte ſolchen Gefelln, 
der in Regen ſich nicht mag wagen. 


Wärſt du ein rechter Bräutigam 
und hätteſt mich lieb und wert, 
Du hätte gebrochen die Welle blau 
mit deinem blanlen Schwert.“ 


„Da will ih in ein Klofter gehn 
und will ein Mönd da werben; 
Und wiß du, ftolge Sidſelill! 
dur ſiehſt mich nimmer auf Erden.“ 
„Führt doch dein Weg dich bier vorbei, 
wenn fill die Bäche dir jcheinen, 
Hab’ ich dann Käfe, mehr als zwei, 
geb’ ih in den Sad dir einen.” 
Den Lieben von Entführungen gab die Vervielfältigung der 
Nonnenklöfter eine neue Richtung. Dom Klofterraub wurde Manches 
1 Odensdag, Onsbag. 


448 


gejungen. Eine beitre Ballade vieler Klafie, die in ſchwediſcher und 
bänifcher Verſion gebrudt ift, gebe ich bier nad) erſterer: 


(Svenska Folk-visor I, 179. Mohnite I, 17 ff. Nyerup IV, 261 ff. 366) 


Herr Karl vor feine Pflegmutter trat, 
er gieng um Rath fie an: 

„Wie mag ich die fhöne Jungfrau wohl 
mir aus dem Klofter fahn ?“ 


„Leg du dich Frank, leg du dich todt, 
leg du dich auf die Bahr! 

So kannſt du die ſchöne Jungfrau wohl 
dir holen ohne Fahr.“ 


Da traten die Kleinen Diener ein, 
fie waren gefleidet in Blau. 

„Will die ſchöne Jungfrau zur Leichenftub’ gehn? 
bort fiegt ‚Herr Karl zur Schau.” 


Da traten die Heinen Diener ein, 
fie waren gelleidet in Roth. 

„Wil die ſchöne Jungfrau zur Leichenftub’ gehn? . 
dort Tiegt Herr Karl und ift tobt.“ 


Da traten die Heinen Diener ein, 
fie waren gekleidet in Weiß. 

„Will die fchöne Jungfrau zur Leichenftub’ gehn, 
Herren Karl betrachten mit Fleiß?” 


Die Jungfrau vor ihre Pflegmutter trat, 
um Rath fie anzugehn. 

„Ach! kann ih hinab in die Leichenftud”, 
Herrn Karl auf der Bahre zu ſehn ?“ 


„Und nicht will ich dir geben ben Rath 
und aud nicht fag’ ich „nein“; 

Doch gehſt du Heut Abend zur Leichenſtub', 
leicht magft bu betrogen fein.” 


Und die Jungfrau ein zur Thüre geht, 

fie glänzt wie die Sonn aus der Nadıt. 
Herr Karl, der hat ein falſches Herz, 

das liegt auf der Bahr’ und lacht. 


449 - 


Und die Jungfrau zu feinem Haupie tritt, 
flieht an fein krauſes Haar: 
„Ach! als du bier noch lebteſt, 
wiie lieb und werth ih bir war!“ 
Und die Jungfrau zu feinen Füßen tritt, - 
hebt auf den weißen ein: 
„Ach! ala du Bier noch lebteſt, 
warft bu der Herzliebfte mein.“ 
Und bie Imigfrau zu der Thlire gieng, - 
bot ihren Schweſtern Gutnacht; 
Herr Karl, der auf der Bahre lag, 
fprang auf und ergriff fie mit Macht. 
„Tragt aus meine Bahre wieder 
und fchenfet Met und Wein! ' 
Morgen ſoll meine Hochzeit fein 
mit der Hergallerliebften mein.” 
Das waren die Klofternonnen, 
fie laſen im Buche dort. 
„Das war ein Gottesengel, 
nahm unfre Schwefter fort.“ 
Und alle Kloflernonnen, 
fe fangen Jede für ſich: 
„Chriſt geb’, dag ein foldher Engel 
binnehme mich und dich!“ 

So fchließen uns die Engel, wie zuvor bie Reihe ernfter und weh⸗ 
möäthiger Lieder, nun aud) die der heitern und ſcherzhaften. Dort fangen 
fie der Jungfrau, deren Herz vor Kummer gebrochen, zu Grabe und ſetzten 
ein golvenes Kreuz auf ihre Begräbnizftätte, bier jollen fie die Nonnen 
aus den Kloftermauern in's frifche Leben zurüdführen. Neben ben 
heidniſchen Naturgeiftern hat fich eine Schaar hriftlicher Lichtalfe hervor⸗ 
geftellt; die Phantafie und das Gemüth juchen unermüdlich und überall 
befreundete Genien. 

Nach der angenommenen Stufenfolge ift nun zulett noch von ben: 
jenigen Balladen zu reden, welche ven Übergang des fagenhaften Vollks⸗ 
lieds zur geichichtlichen Darftellung bilden. 

Es find viele nordiſche Balladen vorhanden, welche unzweifelhaft 

Upland, Schriften. VII. 29 


450 


oder muthmaßlich fich auf. biftorifche Perfonen und Ereigniſſe beziehen. 
Die dänischen find im 2ten Bande der Nyerup-Rahbeliichen Samm- 
lung zufammengefaßt und in Grimms Überfeßung gegen das Ende ger 
ftellt; in der ſchwediſchen Sammlung ift den Stüden: diefer Art bie 
zweite Wbtheilung jebes Bandes eingeräumt. Eine fichre Grenze zwiſchen 
ſolchen Stüden, die auf geichichtlicher Grundlage beruhen, und andern, 
die aus freierer Auffaflung des Lebens beruorgegangen, Tann freilich 
nicht gezogen werben. Es finden hier die manigfachſten Vermittlungen 
ftatt. Noch weniger kann die hiftorifche Kritik auf bie einzelnen Züge 
jedes Liedes erftredit werben, denn nicht leicht fteht eine urkundliche 
Detailgefchichte zur Vergleichung. So gründet fih die Ballade von 
Arel und Valborg höchſt wahrfcheinlich auf ein wirkliches Ereignis des 
13ten Jahrhunderts, von dem aber die Gefchichte ſchweigt und das in 
der Volksſage ſich dichteriich zugebilvet hat. (Dieje vielverbreitete Bal⸗ 
lade, vermuthlich norwegischen Urfprungs, da die Begebenbeit Norwegen 
angehört, fteht dänifch bei Nyerup III, 257 ff. 425 ff. Grimm 357 ff. 
637 ff., fchwebifch in Svenska Folkwisor I, 148 ff. Dur Olen⸗ 
ſchlägers Trauerfpiel find Areld und Valborgs Geſchicke auch in Deutid- 
land allgemein befannt geworden.) Überhaupt gehören die Lieder diefer 
Klaſſe ja nur infofern in unfern Bereich, als in ihnen wirklich noch 
die bildende Kraft der Sagenpoefie fich äußert. 

Vorzüglich beachtenswerth ift in dieſer Hinficht die Erfcheinung, dab 
auch jet noch, im Laufe des norbifchen Mittelalters, gefchichtliche Cha⸗ 
raltere und Begebenheiten dieſer Zeit felbft zu umfaflendern Sagen 
bildungen menigftens die Anſätze entwickelt haben, in der Art, daß 
mehrere Lieber fi zu emem Cyklus zufammenreihen. Zwei folder 
Liederkreiſe treten in den däniſchen Balladen zu Tage, der erfte von 
der Königin Dagmar, des zweite von Marft Stig und jenen Töchtern. 
Mit diefen beiden fchließen wir denn auch den Durchgang durch bie 
nordiſche Ballabenpoefie. 

Auf die Königin Dagmar beziehen fi fünf in innexem Zuſammen 
bang ſtehende däniſche Lieder (Nyerup II, 70 bis 98. 349 big 355. Grimm 
337 bis 354. 585 ff.). Das erfte derfelben gebe ich bier in Überſetzung 
die Übrigen im Auszug: 

König Waldemar und Herr Strange 
fiten tiber dem breiten Tiſch, 


- 


451 





-. — — 


Sie beginnen zuſammen zu reden 
manch Wort ſo fröhlich und friſch. 
Da ſegelt Herr Strange nach Königin Dagmar. 


„Herr Strange, hör, was ich ſage dir! 
ſollſt fahren vom Lande mir aus, 
Soüf führen mir vom böhmiſchen Land 
die junge Braut in mein Haus.“ 


Da fprad Herr Strange Ebbefün, 
Wollt’ Auges Wort nicht fparen: 

„Sol ich ausreifen in’s böhmiſche Land, 
wer foll da mit mir fahren?“ 


„Nimm mit dir den jwigen Herrn Limbek 
und Herrn Oluf Lykke vor allen! 

Nimm auch den reichen Herren Peter Glob 
und welche dir fonft gefallen! 


Nimm du den Biſchof von Seeland mit! 
er ift fo gelehrt ein Dann. 

Nimm auch Herrn Albert von Effilsd, 
der die Worte wohl fügen Tann!” 


Das war der junge Herr Strange, 


er gieng hinab an den Strand, 
Ihn geleitete König Waldemar felbft 
mit mandhem Danne von Stand. ' 


Sie fegelten über die ſalzge See 
und fuhren der Wochen drei, 2 

So nahe fie konnten der böhmiſchen Grenz’, 
fie waren fo fröhlich und frei. 


Sie ſtrichen die Segel, fie warfen die Anker, 
fie eilten das Land hinan; 

So ſchön war dieſe Herrenſchaar, 
Herr Strange der vorderſte Mann. 


Und als fie ein Stück gelommen in's Land, 
da ſchickten fie Botfchaft voraus, 

Zu melden dem König von Böhmenreich, 
von wem fie ihm kämen zu Haus. 





452 


Sie hätten mit ihm zu fprecden "geheim, 
das fei er beftens gebeten. 

Da warb auf die Erde Seide gebreitet, 
vor den König follten fie treten. 


„Heil fei end, König von Böhmenland! 
Ihr ſeid ein Yürft mit Ehren. 

König Waldemar bat uns ausgefandt, 
Eure Tochter fiir ihn zu begehren.” 


„Ihr Herrn, nehmt Waſſer und Handtuch hier 
und fetet zu Tiſch euch nieber! 

Ihr feid willlommen in unfren Land, 
wir emtbieten euch Gutes binwieber.” 


Der König geht in’s Obergeichoß 
und hält mit der Königin Rath. 

„Bon Dänemark ift eine Botſchaft kommen, 
die um unfere Tochter bat.” 


„Bil König Waldınar von Dänemarfl, 
will unfjre Tochter er haben, 

Wir geben fie ihm, dem mächtigen Mann, 
und dazu viel köſtliche Gaben.” 


Sie legten ihr an das rothe Gold, 
Geleiteten fie zum Saal; 

Herr Strange, der Nitter, fland auf vor ihr 
und die andern Herren zınnal, 


Sie ſchlugen ihr über die Seide blau 
und führten zum Saale fie ein, 

„Hier mögt ihr fehen das Fräulein ſelbſt 
in Zucht und in Sitten fein.“ 


Sie brachten herein das Schachipielbrett, 
das Spiel von Golde fo rein; 

Herr Strange follte [pielen mit ihr 
und reben mit ihr allein. 


Sie fpielten das Spiel von rothem Gold, 
und als fie das britte vollbracht, 

Da hatte Herr Strange gewonnen die Brant 
in König Waldemars Macht. 


453 


Es neigte zum fpäten Abend fchon, 

- da gieng zum Ende die Wette. 

Herr Strange, der Ritter weil’ und Hug, 
follte führen die Braut zu Bette. 


Sie führten das Fräulein zum Hochzeitbett 
und der Ritter faß darauf; 

Herr Strange mit großer Chr’ und Zudt 
ftand gegen dem Yräulein auf. 


„Sagt nun, Herr Strange, die Wahrheit mir 
auf eure Ehr’ und Treul 

Iſt euer König in Dänemark 
Beides ſchön und getreu?“ 


Antwortet’ ihr Herr Strange ba, 
ſah auf zur Sonne dabei: 

„Fürwahr der König von Dänemart 
it ſchöner, als meiner zwei.“ 


Da ward auf die Erde Seide ‚gelegt, 
fie führten das Fräulein vom Strand, 

Sie bot ihren lieben Eltern Gutnacht, 
fo wollten fie fahren vom Land. 


Das war der König von Böhmenland, 
er gab feiner Tochter Die Lehre: 

„Und wenn bu kommſt nach Dänemark bin, 
fo den?’ auf Zucht und auf Ehre! 


Gottsfürchtig, tugendlich, fromm und gut, 
des beffeiße dich fort und fort! 

Das theile mit allen, die unterthan bir! 
fo wirft du ihr Hoffen und Hort.” 

Da trieben die Herren das Schiff vom Land, 
fie waren fo fröhlich und frei. 

Sp fegelten fie nad) Dänemarl 
nicht voll der Monate zwei. 


Die milde Königin Dagmar kam 
vor Mands an das Land, 

Da warf der König von Dänemark 
fein Roſs herum auf dem Sand. 





454 


„Sagt mir, Herr Strange Ebbefön, 
eh’ näher wir kommen dem Land! 

Wer ift der bdreifte, tolle Geſell, 
der reitet auf weißem Sand ?“ 


„Seid willkomm, edle Königin, 
und redet davon fat! 

Das ift König Waldmar von Dänemark, 
bat dreier Reiche Macht. 


Meirte gute, gnäbge Frau Dagmar, 
mit dem Fürſten iſt's fo geftalt, 
Er Hat der Burgen und Velten viel, 

bat dreier Reiche Gewalt.“ 


„Nun ſchäm' di, Strange, ſchäm' du bidy, 
der alſo lügen kann! 

Iſt das der König von Dänemark? 
Einäugig dünkt mich der Mann.“ 


„Hört ihr das, meine ſchöne Jungfrau! 
er ift ein Held zur Hand, 

Hat wiedergewonnen zu Dänemart 
dag ganze nordelbiſche Land. 


Er if ein Mann und ein weifer Fürſt, 
er blickt auf die Feinde fo Ted, 

Sie fliehen vor ihm nah OR und nach Weſt, 
wenn fein Born fie jaget in Schreck. 


Ber Larıd und Leben wagen will, 
mit Kriegsſpiel fich ergetzen, 

Iſt er ein Fürſt von Muth und Blut, 
muß ſchon ein Aug' drauf ſetzen. 


Hört ihr das, meine ſchöne Jungfrau? 
ihr mögt euch wahrlich freun. 

Euch wird, fo lang ihr leben mögt, 
nie diefe Fahrt gereun. 


J 


Und auch, ſo lang ihr leben mögt, 
will ich euch Dienſt bewähren, 
Und aller Adel in Dänemark, 
er ſoll euch lieben und ehren.“ 


455 





So tranten fie ihr Hochzeitfeft 
zu einer guten Stund. 

Der Fürſt und die Fürſtin liebten wohl 
einander von Herzensgrund. 


Da freute fi wohl Groß und Klein, 
da freute fih Arm und Neid, 

Da freuten fi von Herzensgrund 
Bürger und Baur zugleich. 


Sie kam mit Frieden, kam ohne Bejchwer, 
Dem Bauer Troſt zu ermweifen; 

Hätt’ Dänemark allzeit ſolche Blumen, 
man follte fie ehren und preifen. 


Allen, foviel in Dänemark warn, 
benahm fie wohl manche Klage; 
So lange fie lebt' auf der Erde bier, 
da batten fie gute Tage. 
Da jegelt Herr Strange na Königin Dagmar. 


Das zweite Lied erzählt, wie die Königin Dagmar, ber elterlichen 
Lehren eingebent, fih von ihrem Gemahl gleih zur Morgengabe ers 
bittet, daß er feinen Mutterbrubex, den Biſchof Waldemar, den er 
Ihon in's zmölfte Jahr gefangen hielt, losgebe, auch alle übrigen Ger 
fangenen aus den Eifen befreie und den Bauern alle Pflugpfennige 
erlaße. 

Das dritte enthält die Prophezeiung einer Meerfrau, welche ber 
Königin das Geſchick ihrer Söhne verkündigt, auch daß fie felbft an der 
Geburt des dritten Sohnes jterben möchte. Die Königin entläßt die 
Unglüdsprophetin reich beſchenkt und biefe ruft ihr noch aus den 
Wellen zu: 

Am Himmelreich follft du bauen und leben; , 
Da wird dir erſt Ruh und Stille gegeben. 


Das vierte Lied zeigt die Königin auf dem Sterbelager. Sie hat 
fi) nichts vorzumwerfen, als daß fie am Sonntag ihre Seivenärmel ein» 
gefchnürt. Abermals bittet fie den König für die Gefangenen und Fried» 
Iofen; auch eröffnet fie ihm ben Wunfch, daß er. nach ihrem Tode die 

Heine Ghriftel und nicht Berngerd von Portugall, die bittre Blume, 


456 


heirathen möge. Dann hört fie die Bloden bes Himmelreichs läuten 
und verlangt hin zu den Seelen. In Ringfteb wirb fie begraben. 
Tas fünfte Lieb befagt, wie der König ſich dennoch mit Berngerb 

vermählt. Diefe ift gänzlih das Wiberfpiel von Dagmar. Sie ver 
langt zur Morgengabe, daß ber König das ganze Land mit einem’ Eijen- 
band umziehen lafie: r 

„Lieber Herr, was der Bauer wohl mehr bebarf, 

Als ein Fenſter, eine Thür und’eine Senfe jcharf? 

Was braucht ein Bürger in's Haus dazu, 

Hat er zwei Ochſen und eine Kuh? 

Welche Banerfrau gebiert einen Sohn, 

Soll mir geben ein Loth ſchön Gold davon. 

Aber bringt fie ’ne feine Tochter zur Welt, 

Soll fie mir geben die Hälft' von dem Gelb.“ 


Dagmar aber erfcheint ihrem Gemahl im Traum und ermahnt ihn, 
fih nicht von Berngerd bethören zu laſſen. Diefe kommt bald hernach 
um, und um fie fieht man Feine Thräne fließen. 

Die biftoriichen Perſonen biefes Liebercyflus find: Waldemar I 
ober der Siegreiche, der im Anfang bes 13ten Jahrhunderts regierte, 
feine erfte Gemahlin Margareta, Tochter des Königs, von Böhmen, die 
im Sabre 1212 ftarb, und ihre Nachfolgerin Berengaria, eine por 
tugiefifche Königstochter. Auch einzelne Thatfachen ber Lieber Infien fih 
geichichtlich nachweifen und gewiſs ift das einfach⸗ſchöne Bilb der milden 
Königin Dagmar aus gejchichtlicher Wahrheit hervorgegangen. Aber 
auch die Dichtung bat ihr Blumen in ben Todtenkranz gewunden und 
Ihon ihr Lievername Dagmar ift ein poetiſcher: Tagjungfrau (alt 
däniſch maar, isländiſch meer, Jungfrau). Die Lichtalfe waren Kinder 
des Tags (vgl. Lex. myth. 43). Bon Waldemars Werbung um fie 
ift auch ein färdifches Lieb vorhanden (Färdifte Qväder 556,9; vgl. 
470,93) und in Schweben hat man auf fie, wenigſtens durch den Kehr⸗ 
reim, das Lied bezogen, in welchem die Mutter aus dem Grabe kömmt, 
um jbre von der Stiefmutter mishandelten Kinder zu pflegen (Aye 
rup 1, 399 f.). 

Ter zweite Cyklus biefer Art, von Marſt (Marſchall) Stig und 
feinen Töchtern, erinnert an ben Gang der antiken Tragödie. Er 


’ 


457 


begreift 8 bis 9 Lieber, theilmeife von ziemlichem Umfang (Nyerup 2, 

115 bis 162. 369 bis 367. 1, 310. 393. Grimm 89 bis 409. Thiele 1, 
41. 2,56. 59. Svenska Folk-visor IIL, 40 ff.). Ihr Inhalt iſt kürzlich 
diefer: „König Erich Glepping fendet feinen Marſchall Stig auf Kriegs⸗ 
fahrt aus und entehrt indefien die fchöne Frau besjelben gewaltſam. Als 
Stig, bei feiner Heimkehr, diefes erfahren, raftet er nicht, bis er feine 
Hausehre gerächt hat. Er überfällt den König, als biefer einſt in einer 
Bauernicheune übernachtet, und ermorbet ihn jämmerlid. Dann fucht 
er feine Sicherheit auf einer hoben, feiten Burg.” Vom Tode bes 
Marſchalls handelt Fein Lieb beſonders. Wir fehen nur feine Töchter 
beimatblos umberisten. Davon folgendes Lied, bei Grimm ©. 400: 


Marſt Stig hat zwei Töchter ſchön ı. f. w. *** 


In einem meitern Liebe wird die vielgefungene Sage, wie ber 
Meermann eine Jungfrau wegführt, auf eine der Töchter Stigs ange 
wandt, vermuthlich um auszubrüden, wie fie ſpurlos von ber Erbe vers 
ſchwunden. Die legten Lieder handeln von Ranild, der den König an 
Stig verratben, und deflen Hinrichtung. Die gejchichtlichen Ereigniſſe, 
welche diefen Liedern zu Grunde liegen, fallen gegen den Schluß bes 
13ten Jahrhunderts. 

Wenn v3 zur Überficht und Erläuterung nöthig war, die norbis 
ſchen Ballaben, wie im Bisherigen gefchehen, nad ihren verſchiedenen 
Klafien und Stufen abzutbeilen, jo liegt doch anderſeits gerade darin 
wieber ein bejonverer Reiz dieſer reichen Vollzbichtung, daß alle viele 
verſchiedenen Arten, mythiſche, heroifchriefenbafte, romantifche, traurigen 
und ſcherzhaften Inhalts, Biftorifche, fich in bunter Manigfaltigkeit ver 
weben, und es bildet ſich jo aus allen zufammen eine poetifhe Welt 
vol frifcher, lebendiger Geftalten und doch von dem zauberischen Dufte 
bes Wunderbaren umflofien. 

Wenn es fchon bei den ältern Sagen und Liebern vergeblich war, 
nach den Urhebern zu fragen, fo kann davon bei biefen Vollsballaden 
noch weniger die Rebe fein.‘ Selbft das Tunftmäßigere Staldenthum 
bat aufgehört, wir finden nur bie und da wieder bie wandernden 
Spielleute. Bon ihnen mochte mande jener ernften und ergeßlichen 
Brautwerbungen bei den Hochzeitfeften, von benen die Weber felbit jo 
Vieles melden, gefungen werben. Im Ganzen aber Tann doch nur um 


> 


458 

Volke felbft Urſprung, Verbreitung und Ausbildung biefes Ballaben- 
weſens gejucht werben, jo jedoch, daß Feiner der verſchiedenen Stände 
des Volks auszuschließen ift, indem namentlich ein großer Theil ber 
Lieder ſich allzu ſehr im ritterlichen Leben bewegt, als daß nicht ber 
Adel, der ja auch Feine böhere Bildung Tannte, thätigen Antheil ge 
nommen baben folltel, So waren ja auch die älteften fchriftlichen 
Sammlungen ein Beſitzthum abelicher Fräulein. Daß die Färöer ihre 
Balladen, und am liebften bie von Sigurd und feinem Gefchlecht, zum 
Reihentanze fingen, ift früher bemerkt worden. Es ift damit mimifcher 
Ausdruck des Inhalts der Lieber verbunden und wenn es in einem ber’ 
felben an die Stelle fommt, wo die Helden gewaltig baherjprengen, fo 
wird der Tanz felbft zum bonnernden Galopp (Färdifle Oväber €. 
411, N.). Sene großen Tänze in ben hellen Sommernädten bes 
Nordens, von deren verführerifchen Klängen die Balladen jelbft jo 
Manches erzählen, waren wohl auch eine vorzügliche Pflegftätte vieles 
Gejanges. 


2. Ortsſagen. 


Diefe Rubrik ift in der ſkandinaviſchen Sagengefchichte mehr nur 
‚ anzuzeigen, als auszuführen. Wir begreifen unter berfelben diejenigen 
Volksſagen, welche, außer und neben ben volleren Kreifen des Mythus, 
ber Heldenfage, ver Balladenvichtung, kurz und vereinzelt daftehen und 
meift an beftimmte Ortlichleiten gebannt find. In den norbifchen Ländern, 
wie überall, haften an Bergen und Seren, an Yelsftüden von auf 
fallender Form, an Quellen, Grabhügeln, Kirchen, Burgtrümmern u. ſ. f. 
mancherlei Überlieferungen, vie dem vorüber Wandernden, wie das 
Echo im alten Gemäuer, einfilbig abgebrochene Stimme geben. Sie 
find oft ganz einzeln und örtlich aus beſondern, natürlichen oder ardr 
teftonifchen Geftaltungen hervorgegangen oder follen ven Ortsnamen 
zur Erflärung dienen; oft aber find fie auch Iofale Antnüpfungen des 
allgemeinern Volksglaubens und der volleren Sagen, die dadurch eimer 
beftimmten Gegend vertrauter und einheimifcher werden. Umgekehrt 
aber haben auch die größern Sagenkreiſe ſolche örtliche Merkwürdig⸗ 


1 IVgl. Ferdinand Wolf, über die Frage: In welchen Kreiſen find die jetzt 
fogenannten Boltsballaden entftanden? (Vorwort zu „Schwediſche Volkslieder 
der Vorzeit, Übertragen von R. Warrens,” Leipzig 1857. 8.) 9.) 


. 459 
feiten in fi aufgenommen. So weiß die Götterfage davon, wie die 
Afın Gefion mit einem Ochfengefpann aus SYötunheim ein Stüd Landes 
in Schweden herausgepflügt und in das Meer verfeßt hat, woraus bie 
Inſel Seeland geworben iſt, deren Landipigen ganz den Buchten bes 
Mälarjees entiprechen, welcher an der Stelle des ausgerifienen Land» 
ftüdes entitanden. So wird in der Helbenjage von Starkadr erzählt, 
wie er, von Wunden ermatiet, auf einen Felsſtein hinſank und diefem 
feine Geftalt einvrüdte, welche Saro noch felbft gejehen (Sazo B. VI, 
©. 167 f.). Auf der andern Seite ift gleichfalls fchon erwähnt worden, 
wie vielfach die Sagen von Hagbarth und Sygne, vom Schmiede Bör 
Iund u. |. w. ſich in örtlicher Tradition angelnüpft finden; das Gleiche 
gilt von der Gejchichte Axels und Balborgs und andern in den Balladen 
befungenen Ereignifien. Beſonders auch haben fich die untergeordneten 
dämoniſchen Weſen, die in ver Balladendichtung eine fo bebeutenve 
Rolle fpielen, überall in den Ortsſagen angefievelt. Die Elfen ber 
Hügel, die Zwerge, der Ned, die Meerfrau, treiben auch bier ihren 
Spuk. Mit dem allgemeinften Namen heißen fie Trolle oder Trolde 
(t3ländifch travil, trölln., in der Edda jedes jotnifche, bögartige Wefen, 
Lex. myth, 474 ff.; ſchwediſch troll n.; däniſch trold, en), fo jeboch, 
daß. fie bei biefem Namen mehr in ihrer feindfeligen Natur und in 
bäßlicher Geſtalt gevacht werben, daher er auch wieder vorzugsweiſe 
auf Wald: und Erbgeifter angewandt wirb (vgl. Nyerup I, 175 ff. 
Arndt II, 8). Eigenthümlich ift noch der Ortsſage der Hausgeift, 
der Niſſe, der im einzelnen Hofe und Haufe, bald hülfreich, bald neckiſch, 
fein Weſen treibt; denn je mehr fi die Sage örtlich einengt, um fo 
häuslicher werben aud die Dämone. 

Die Ortsfagen haben ihren bebeutenbften Werth in der Sagenge- 
fhichte da, wo aus ihnen erft auf das einftige Vorhandenſein und bie 
Beichaffenheit verlorener Mythen⸗ und Sagenkreiſe zurüdgefchloflen 
werden muß ober wo fie nur noch fragmentarifch und unklar vorhandenen 
größern Sagen zur Ergänzung und Erläuterung gereichen können. Ihre 
Bedeutung finkt aber, wo bie größern Sagenkreiſe felbft noch im ganzen 
Zufammenhang und in reicher Fülle zu Tage liegen. Letzteres ift nun, 
mehr als irgendivo, bei den neuern Völkern, in ber norbifchen Sagen: 
poefie der Ball, die ung das Syſtem einer vollſtändigen Götterfage, dann 
eine bielverzweigte Heldenfage und zuletzt noch eine üppig wuchernde 


‚460 


Balladendichtung ausgebreitet hat. Je mehr die Sagengeſchichte, wie 
wir ſie von Anfang aufgefaßt haben, ihr Abſehen auf die poetiſche Ge⸗ 
ftaltung richtet, um fo weniger iſt ihr nad der ergiebigen “Ausbeute, 
welche die bisher betrachteten Kreife darboten, eine ſparſame Nachleſe 
unter den vereinzelten Ortsſagen erforderlich. Denn wenn aud aus 
diefen wirklich Einiges von verfchollener, älterer Sage hergeftellt werben 
könnte (3. B. aus den Überlieferungen von Spend Felding, Nyerup 
150 bis 66. 96 ff. 388 ff. Vgl. Thiele I, 40. II, 64. IV, 16. Grimm 
©. 316), fo würden und doch folche fpecielle Bemühungen bier zu meit 
führen. \ | 

Ich beichränte mich daher auf die Angabe der hauptfächlichen Hülfs⸗ 
mittel, die bei näherer Beichäftigung mit biefer Sagenflafie zu be 
nützen find. 

Die einzige reichhaltigere Sammlung ift: 


Danske Folkesagn, samlede af I. M. Thiele; 2 Theile over 4 Sanmm⸗ 


lungen, Kopenhagen 1819. 1823. 


[Über Sagen und Mährchen aus Dänemark. Bon Steffens.“ 
. Sn Büfchings „der Deutfchen Leben, Kunft und Wiſſen im Mittelalter“. 
B. U, Breslau 1819, ©. 183 bis 91. Hauptſächlich nur über Walde 
mars Jagd, nach Thiele] 

Mebreres über einzelne dänifche Sagen findet fih in ben An⸗ 
merfungen zu ber Nyerup » Rahbekifchen Lieberfammlung Vgl. aud 
Overtro hos den danske Almue (af R. Nyerup) in dem Zeitblatt: 
Dagen for 1822. N. 291 bis 94. 297. 299. 

Eine Sammlung jehwebiicher Vollsfagen wird ſchon feit längerer 
Zeit von Betterfiröm erwartet. Bis jebt muß man fih an bas hal 
ten, was ſich in E. M. Arndts Reife durch Schweden im Jahre 1804, 
4 Theile, Berlin 1806, befonvers im Bten Theil ©. 7 bis 21, fodann in 
ben Einleitungen und Anmerkungen zu einzelnen Xiebern der Sammlung 
von Geijer und Afzelius, namentlih den Zauber: und Elfenlievern des 
Sten Bandes, auch in Geijers Geſchichte von Schweden zerftreut findet. 


In der Ausgabe ber färdifchen Volkslieder ift gleihfalld Ein⸗ 


zeines von dieſen Eilanden angemerkt, auf denen man fegar noch neuen 
lich ein Sagenbrudftüd von den Söhnen Ragnar Lobbrofs aus dem 
Munde des Volls bat aufzeichnen können, gebrudt in ber Einleitung 


461 
zum 1ten Banbe ber Nordiske Fortids Sagaer, overs. af C. C, Rafn. 
Kopenhagen 1829. XV bis XVII. 

Sammlungen norwegiſcher und isländifcher Ortsſagen find gleiche 
falls noch vorhanden. 

Um übrigens auch von dieſer Sagenklafie eine Probe zu geben, 
wähle ich ein ſolches Stüd, in dem fi) noch Erinnerungen aus bem 
alten Götterglauben, mit chriſtlichen Vorftellungen wunderlich vermifcht, 
erhalten haben. 

Sn Nyerups Schrift Über die bänifchen und norwegiſchen Volks⸗ 
bücher (Almindelig Morskabeleening i Danmark og Norge igjennem 
. Aarhundreder. Beskreven af Rasmus Nyerup. Kjöbenhavn, forlagt 
af Brödrene Thiele 18161) ift, als das einzige, dem Norden felbft ent 
ftammende, noch gangbare Vollsbüchlein (S. 243 bis 247) das von dem 
Alten oder Trold des Höjbergs verzeichnet. Dem däniſchen Büchlein liegt 
aber ohne Zweifel ein ſchwediſches zu Grunde, ba bie Ortlichleit der 
Sage in Schweden liegt. Nyerup gibt davon folgenden Auszug ?: *** 


3. Mährchen. 


Die in ber münblichen Überlieferung der Völker gangbaren Märchen 
find ihrem Hauptbeftande nach phantaftifche Auflöfungen folder Mythen 
und Sagen, deren urfprüngliche Bebeutung verloren ift®, deren Bilder 
aber noch immer die Einbilbungstraft vergnügen lönmen und, wie em 
fliegender Sommer, ſich leicht und glänzend umberipinnen. 

Schon in der ältern nordiſchen Sage findet fich Verſchiedenes dieſer 
Art. Man findet in isländifchen Sagan und bei Saro abenteuerliche 
Erzählungen von den Fabellanden Utgarblofis, Geirröds und God⸗ 
mund3, in deflen Lande Odainsakur, der Unfterblichleitänder, liegt, mo 
Kranke gefund, Alte wiever jung werben und Niemand dem Tob unter: 
liegt (Lex. myth. 294 f. Vgl. Nyerup II, 327 f. Grimm ©. 507, 3. 

Kong Dlaf Tryggvaſ. S. af Rafn D. III, 121 ff. 155 ff.). Dahin 
gehört auch die noch ungebrudte Huldaſaga, wovon in ber Sagabibl. I, 
363 ff. ein Auszug gegeben ift. 


1 Dimifches Vollsbuch von Königin Dagmar? Grimm, Altvänifche Lieder 
©. 586. 

2 [Der Auszug fehlt im Manuſcript. 8.) 

3 Bel. Baur, Symbolif und Mythologie I, 53 f. 





462 


— — — —— — — 


[7 


Sm den Balladen, befonvers denen, hie das Elfenreich betreffen, 
ift noch Mehreres im angegebenen Sinne mährchenhaft geworden. Ein 
größerer Vorrath eigentlicher Mährchen, wie wir ſolchen 3. B. in den 
deutfchen Lieder und Hausmährchen, gelammelt von.den Brüdern Grimm, 
befiten, ift.im Norden nicht vorhanden. Die Brüder Grimm haben 
im 3ten Bande der gebachten Sammlung (Berlin 1822), wo fie die 
Zitteratur der Mährchen bei den verfchiebenen Wölfen mit großer Um 
ficht abhanveln, aus Dänemark und Schweben nur Weniges, und aud 
dieſes meift mit Deutichland gemeinfam, zu verzeichnen gewuſt (II, 
405 bis 408 1). 

Die Erklärung liegt wieder nahe. Wo fo vieles Poetifche und 
Sagenhafte noch, wie namentlich in ben nordischen Vollksliedern, in 
fefterer Geftalt vorhanden ift, da ſchwimmt weniger in mährchenhafter 
Auflöfung umber. Ganz folgerichtig zeigt ſich uns in der Sagenge 
fchichte die Erjcheinung, daß, während zu oberft im Norben eine reiche 
und unverfehrte Götter: und Heldenfage daſteht, das phantaftifche 
‚Mährchen aber fi) wenig entwidelt hat, jo umgefehrt, auf der füb- 
lichften Spige des germaniſch-romaniſchen Sagengebiet3, in Unter: 
italien, wo Mythus und Epos längft erlojchen find, das Mährchen jene 
gedeihlichſte Blüthe getrieben bat. 

Sch ſchließe hiemit die Vorlefung für dieſes Semefter. Es bat fid 
freilich bald gezeigt, daß in der vorgeftedten Beit ver Umfang einer 
Sagengejchichte der germanifchen und romantischen Völker nicht werde er 
Ihöpft werden können, und fo ift ftatt ihrer nur eine Sagengeſchichte 
bes fHandinavifchen Nordens zu Stande gelommen, während die der 
übrigen Völker auf dad Sommerhalbjahr ausgeſetzt werden muß. Allen 
auch für fich bildet die norbifche Sage ein fo vollitändiges und wohl abge 
fchlofjenes Ganzes, wie e8 bei feinem andern Volle, das in unfre Auf: 
gabe fällt, wieder zu finden iſt. Sein andres hat eine vollſtändig er- 
haltene Gdtterfage aufzumweifen; bei allen andern muß erfi aus ber 
Helvenjage, ober noch weiter unten aus Balladen, Ortsſagen, Mährchen 
der verlorene oder verjunfene Mythus ſoweit möglich bergeftellt,- er 
rathen und erahnt werben. 

1 [S. 322 der Ausgabe von 1856. Bol. Islenzk Aöfintyri, söfnud af 
M. Grimssyni og F. Arnasyni. Reytkjavik 1852. R.] 


wenn d . 


— — — 


Sagengeſchichte der germanifhen und romaniſchen 
Völker, 


Zweite Hälfte!. 
Borbemerkungen. 


Als ich am Anfang bes Winters bie. Vorlefungen über die Sagen: 
-gefchtchte der germanischen und romanischen Völker eröffnete, mar es 
meine Abficht, die Aufgabe im Laufe eines Semefterö zu löfen. Bald 
jedoch zeigte ſich, daß, bei der großen Maſſe des zu verarbeitenden 
Stoffes, entweder vom vollftändigen Ganzen nur ein Umriß gegeben 
werden könnte oder zu einer ausgeführteren Darftellung die Zeit bes 
Vortrags auögedehnt werden müſte. ich zog das Lebtere vor. Denn 
es handelte fich bier, wie in aller Gefchichte der Boefie, davon, bie 
Bildungen ver fchaffenden Dichtkraft nicht bloß Außerlich anzuzeigen, 
fondern fie und ben Gang ihrer Entwidlung fo viel möglich zu einer 
vollen und unmittelbaren Anfchauung zu bringen. Nach diefer aus⸗ 
gebehntern Anlage reichte das vorige Semefter nur für die Sagenge 
fchichte ber Völker des ſtandinaviſchen Nordens aus. Sowie jedoch biefe 
nordifche Sagengeſchichte in fich ein organifches Ganzes ausmadhte, fo 
werde ich darauf bedacht fein, daß aud die Sagenbildungen berjenigen 
Völker, zu welchen wir jebt vorſchreiten, für fich verftänblich und in ſich 
abgerundet ericheinen mögen. 

Was ich über den Begriff einer Sagengefchichte in ber allgemeinen 
Einleitung vorangeſchickt babe, will ich bier nicht ausführlich wiederholen. 
Es kann im Wefentlichen auf folgende Säte zurüdgeführt merben: 


1 [Auf einem Umſchlag des Mannfcripts betitelt Uhland dieſe Abtheilung 
fo: Deutfche und Franzöftiche Sagengefchichtee Sommerhalbjahbr 1882. 8.) 


464 


4 


Sm Leben der Völker gibt es eine Zeit, in welcher alle Kräfte 
und Richtungen bes Geiftes in der Poeſie gefammelt find!. Glaube, 
Lehrweisheit, Gefchichte, alle Seiten und Anterefien des beivegten Lebens 
prägen fi) dann in bichterifchen Geftaltungen aus. Diefe Geftaltungen, 
mit dem Ideenreichthum der Böller erfüllt, von ihrer Phantafie ge 
Schaffen, mit ihrem Gemütbe bejeelt, tragen die Gewähr ihres Beſtandes 
in fi; fie können nicht untergehn, fo lang fie in berjelben Geiftes 
fiimmung Aufnahme finden, aus ber fie entiprungen find. Diele 
lebendige Bilderfchrift haftet unmittelbar und ficher in Phantafie und 
Gemüth, fie bedarf nicht der Erhaltung durd den todten Buchftaben. 
Ihr genügt volllommen die mündliche Mittheilung dur) Singen und 
Sagen, ja biefe Art der Überlieferung, als die Iehenvigite, fagt ihr am 
beiten zu. Die Schrift findet feine Anwendung, nicht etwa bloß, weil 
fie nicht: erfunden, fondern weil fie kein Bebürfnis ift; denn weſſen 
der menjchliche Geift bebarf, das erfindet ee. Runen waren im Rorben 
lange befannt, ohne daß man ſich ihrer zur Aufzeichnung der Lieber 
und Sagen bebiente. Erſt wenn ber Gebanle vom Bilde, Lehre und 
Geſchichte von ber Poefier fich ablöfen, wenn die geiftigen Fähigkeiten 
und Richtungen fich ausfcheiden, muß auch zur Buchſtabenſchrift ge 
griffen werben. Dann weicht die mündliche Überlieferung, die Sage, 
der fchriftlichen, der Litteratur. Erſt in biefer treten dann auch, für 
die Poeſie felbft, Dichtercharaltere, fchriftftelleriiche Individualitäten, 
bervor. In jener jugendlichen Sagenzeit, bei ber Ungeſchiedenheit der 
geiftigen Vermögen und Entwidlungen, ift der Bildungsſtand jebes 
Bolles überhaupt mehr ein allgemeiner, gleichartiger; die münblide 
Überlieferung insbefondre aber loft jede individuelle Weife in der ge 
meinfamen auf, der begabtefte Einzelne mehrt nur unvermerlt ben 
geiftigen Gefammtbefit, der berühmtefte Sängername ift felbft nur ein 
fagenhafter, und wenn wir nad den Dichtern fragen, fo Tann zulekt 
doch nur das Volt im Ganzen genannt werden. Aus ihm erzeugt und 
wandelt fi) die Sagenpoefie in einem natürlichen und allgemeinen 
Wachsthum, wie ein taufendflämmiger Urwald immerfort in fich ver 
mittert und aus feinen eigenen Samen iwieber auffteigt. 

Die Sagengeichichte nun ift und die gefchichtliche Darftellung jener 


1 [Bol Schriften I, 25. VII, 1 fi. 8) 


465 


vorlitterarifchen, in münblicher Überlieferung erwachſenen Bollspoefie. 
Sie unterſcheidet fi uns eben-bamit, nad Abficht und Umfang, fo: 
wohl von der Mythengeſchichte, als von der poetifchen Zitteraturge 
ſchichte. Die Mythengeſchichte, wie fie neuerlich mit befondrer Vorliebe 
ausgebildet worden ift, befchäftigt ſich mit den religiöfen Überlieferungen 
der heidniſchen Völker und gebt auf die poetifchen Sagen nur-in ſoweit 
ein, als fie zur Erläuterung der Glaubensanfichten beitragen; ihr Stand» 
punkt ift der religionsgefchichtliche; Die Sagengeſchichte, in unfrem Sinne, 
erftredt fih über alle Traditionen, melde das Leben der Bölfer, in 
göttlihen und menſchlichen Beziehungen, dichteriſch geftaltet zurück⸗ 
fpiegeln, fie gebt mejentlih vom poetiſchen Gefichtspunft aus. Die 
poetische Litteraturgeichichte verkehrt in Schriftbentmälern, in Geifteser- 
zeugniflen, welche da anfangen, wo die mündliche Überlieferung aufhört; 
ihr ift die Kunftform des Werkes, die Eigenthümlichkeit des Verfaflers 
von großem Belang; der Sagengeſchichte dagegen gilt dag Schriftwert 
nur als Mittel, der alten Überlieferung habhaft zu werben, nur ala 
Saflung des tiefquellenden Sagenborms; ihr fommen Form und Ber: 
fafler nur in fofern in Betracht, als von ihnen auf die reinere ober 
getrübtere Echtheit des Inhalts zu fchließen ift; fie bat weniger mit 
einzelnen Dichten, als mit größeren Klafjen von Eängern und Er: 
zäblern zu Schaffen. Im Übrigen pflegt die Sage noch lange Zeit neben 
der Litteratur einherzugehen. Während ein Theil des Volles fich der 
gelebrtern Bildung zugewandt bat, bleibt ver andre noch an bem alten 
Zieber: und Sagenfchage hängen. Aber freilih je mehr edlere Kräfte 
fi) der Pflege diefes vollgmäßigen Befiges entziehen, um fo bürftiger 
wird er fein Dafein friften. 

Nach diejen Hier kurz zufammengefaßten Anfichten unternahm ich 
e2, die Sagengejchichte der germanischen und romanifchen Völker für 
den alkademiſchen Vortrag zu bearbeiten. Sie jollte in zwei Haupttheile 
zerfallen, die Sagengejchichte der germanifchen Völker und die der ros 
manifchen, der erftere Haupttheil wieder in zwei Abſchnitte, nordiſche 
und deutſche Sage. Nur der erjte Abjchnitt des erſten Theil tft im 
vorigen Semefter vorgetragen worden, bie Sagengeſchichte der Völker 
des ffandinavifchen Nordens, Der große Sagenreichthum viefer Völker 
bat uns fo lange feftgehalten. Sie haben einen Beſitz voraus, deſſen 


fih Feiner ber Übrigen, in den Bereich unfrer Darftellung fallenden 
Uhland, Schriften. VII. 30 


466 


Bollsftämme rühmen kann, eine in uralten Denkmälern erhaltene Götter 
fage, ein in den Hauptzligen vollftänbiges mythologiſches Syftem, das 
auch für den weitern Berfolg unfrer Aufgabe von Bedeutung tft. 

Zunähft fommen wir nun an den zweiten Abfchnitt des erſten 
Theils, oder der germanischen Sagengeſchichte, an die deutfche Sage. 
Über ihr Verhältnis zu ben übrigen Abtbeilungen ber ganzen Dar 
ftellung ift Einiges vorläufig zu erinnern. 

Sch habe gleich anfänglich in ver allgemeinen Einleitung bemerkt, 
"daß es die nationale Stellung jet, von der aus wir unfern Kreis be 
fchreiben. Die Sagenpoefie des eigenen Volles und Baterlandes follte 
fih uns erjchließen. Allein je weiter mir in das Altertbum derfelben 
eindringen, um fo unzulänglicher erfcheint es, ſich auf die Grenzen 
des jetzigen deutſchen Sprachgebiet3 einzufchränfen. Der Gefichtäfreis 
muß fi) auf alle diejenigen Völker erweitern, die ſich und durch Sprach⸗ 
verwandtſchaft ala Glieder des großen germanifchen Gefammtftammes 
bewähren. Darunter nehmen bie Völker des ſkandinaviſchen Nordens 
eine ‚vorzüglihe Stelle ein; gemeinfame Götter: und Heldenfage ver 
bindet fie mit unjern deutſchen Vorfahren und in ihren Denkmälern 
erfcheint Vieles noch ganz und klar, was bei uys zerftüdelt und balb 
erloſchen ift, wie hauptjächlich die odinifche Glaubenslehre. So muften 
wir uns aufgeforbert finden, ihre Sagengeichichte zur Vorbereitung für 
die deutſche herbeizuziehen. Diefe nordifche Sagenwelt bildet aber in ſich 
einen jo reichen und lebendigen Zufammenhang, daß wir, einmal auf 
fie verwieſen, fie nicht anders, als in ihrem vollen Beſtande darzu⸗ 
ftellen für geeignet hielten. Nach andrer Seite greift der Einfluß ger 
maniſcher Sagenpoeſie auch auf die romanischen Völker hinüber, d. h. 
auf diejenigen, deren Sprache aus ber Bermilchung der altlateinifchen 
mit andern, vorzüglich germantichen Idiomen herborgegangen ift; und 
foweit ein ſolcher Einfluß ſich offenbart, foll auch die Sage dieſer 
Völker Gegenftand unfrer Betrachtung fein. Indem wir alfo jetzt von 
der nordiſchen Sage zur deutſchen übergeben, bie romanijche aber in 
der Ausficht behalten, treten wir in die Mitte unfrer Aufgabe. So 
rein aus einem Stüde, jo vorherrſchend in unmittelbarer Darftellung, 
wie es bei der norbiichen Sage möglih war, Tann bie beutfche nicht 
behandelt werben. Sie ift zu vielverzweigt, in ben vorhandenen Auf 
zeichnungen entweber zu lückenhaft, ober zu manigfach getrübt und 


167 


umgewandelt, al® daß nicht bier wielmals der weniger anziehende Weg 
mübfamer Forſchung, kritiicher Prüfung, fleißigen Sammelns und 
Sichtens eingeihlagen und verfolgt werden müfte Wir Tönnten es 
auch zum voraus nicht erivarten, daß uns das Bild unfrer alten Sagen⸗ 
dichtung fo leicht und unverkümmert zufalle, denn über wenige Länder 
haben fo manigfade Schickſale und Bildungswechſel ihre Furchen und 
Gleiſe gezogen, als über die deutſche Erbe. 





Zweiter Abſchnitt. 
Dentfche Sage. 


‚ Bir haben unter dem Geſammtnamen Germanen, germaniſch einen 
großen Stamm ſprach⸗ und fittenverwandter Völker zufammengefaßt, 
der fih uns dann wieder in zwei Hauptäfte, den norbifchen und den 
deutfchen geipalten hat. Da binfichtlich diefer Benennungen zum Theil 
ein verſchiedener Gebrauch ftatt findet, jo wird bier Einiges zu ihrer 
Erläuterung zu fagen fein. J. Grimm bedient fi in feinen groß 
artigen, den ganzen Völkerſtamm umfaflenden Werken, der beutfchen 
Grammatit und den deutſchen Rechtsalterthümern, der Bezeichnung 
beutfch. eben in dieſem allgemeinften Sinne. SHierüber erflärt er fi 
in der Einleitung zu Theil I, Ausg. 1 (Göttingen 1819) ver Gram- 
matik, S. XXXVI folgendermaßen: 

Ich beviene mich, wie jeder fieht, des Ausdrucks „deutſch“ allgemein, fo 
daß er aud die norbifhen Sprachen einbegreift. Viele würden das Wort 
„germaniſch“ vorgezogen und unter feine Allgemeinheit da8 Deutſche und Nor⸗ 
diſche als das Beſondere geftellt haben. [So machen wir die Eintheilung.] 
Da indeflen norbiiche Gelehrte neuerdings förmliche Einſprache dawider thun, 
daß ihr Volksſtamm ein germaniſcher ſei, fo foll ihnen die Theilnahme an diefem 
feit der Römerzeit ebrenvollen Namen jo wenig aufgedrungen werben, als der 
von ihnen vorgefdhlagene 1 allgemeine „gothiſch“ gebilligt werden kann. Die 
Gothen bilden einen fehr beftimmten Stamm, nach dem man ımmöglidy andere 
Stämme benennen darf. Deutſch bleibt dann die einzige allgemeine, fein ein- 
zelnes Voll bezeichnende Benennung u. |. w. Jeder allgemeine Rame bat für 


1 gl. Rask,, Undersögelse om det gamle Nordiske eller Islandske 
Sprogs Oprindelse. Kopenhagen 1818. S. 70 bis 72. 


469 
gewifie Beiten und Länder etwas Unpaſſendes, allein bie Geſchichte bedarf feiner 
einmal. Wo es auf den bejondern Unterſchied ankommt, verfteht man fie 
obnebem. 

Grimm misbilligt fonad den Ausdrud germaniſch als den allge 
meinen nicht, er fann aber für feine Zwecke auch den Ausdruck deutfch, 
in diefem weiten Sinne, wohl gebrauchen, da er im Einzelnen immer 
die befondern Sprach⸗ und Bolleftämme gothiſch, altſächſiſch, alt» 
norbifch u. f. im. benennt. Für unfern Zmed aber kam e3 hauptſäch⸗ 
lich darauf an, einen Collectivnamen zuerft für die fämmtlichen ſprach⸗ 
und ſtammverwandten Völker, mit Einfchluß der norbifchen, fobann 
einen andern für alle übrigen, im Gegenſat zu ben leßtern, zum Ges 
brauche zu haben, und dazu fchienen die Ausbrüde germaniſch und deutſch 
die tauglichften. 

Bom Uriprung des Namens Germanen befagt Tacitus Germania 
Cap. 2 Folgendes: 

Ceterum Germanie vocabulum. recens et nuper additum: quoniam, 
qui primi Rhenum transgressi Gallos expulerint, ac nune Tungri, tunc 
Germani vocati sint. Ita nationis nomen, non gentis i evaluisse paulatim, 
ut omnes primum a victore ob metum, mox ab se ipsis invento nomine 
"Germani vocarentur 2, 


Sp wäre aljo der befondre Name zu einem allgemeinen für alle 
bie ftammverwandten Nationen geworben und als ein ſolcher Collectiv⸗ 
name wird er auch überhaupt von den römischen Schriftftellern gebraucht. 
Tacitus rechnet aber auch noch insbeſondre die Sutonen, deren Gebiete 
(Germ. Cap. 44: Suionum eivitates) nach feiner Beichreibung - offenbar 
flandinavifches Land find (wie auch Geijer I, 64 f. annimmt), aus 
drüclich zu den Germanen (nec ut apud ceteros Germanos). Der 
Gebrauch diejes Wortes, wonach wir auch die norbifchen Völker darunter 
begreifen, ift ſonach in fehr alter Autorität begründet. Tiber die Eiy- 
mologie besfelben ift zwar fchon viel gerathen, aber noch nichts Schlagen» 
des beigebracht worden. Grimm felbft äußert hierüber Teine entfchiedene 
Meinung (Gramm. II, 448. 412). 


- 


1 Gens tanquam genus singulas nationes tanquam natas sive filias 
complectitur. Annal. Il, 1. Germ. 88, 
2 Bgl. Paſſows Annot. S. 87. 





470 


— — — — — 


Der Ausdruck deutſch kommt erſt ſeit dem Anfang des dHten 
Jahrhunderts in Urkunden, Gloſſen, bei Annaliſten und andern 
Schriftſtellern vor, meiſt in Anwendung auf die Sprache (lingua 
theudieca, theodisca; doch auch in einer Gloſſe des gedachten Jahr⸗ 
bunberts: thiudisca liudi, Germani, Schmeller I, 406. II, 523). 
Belege vom älteften Gebrauch dieſes Wortes findet man gejammelt 
bei Fr. Rübs, Ausführliche Erläuterungen der 10 erften Capitel ver 
Schrift des Tacitus über Deutfhland S. 103 fi. Mone II, 6 bie 8, 
Schmeller, Bayeriſches Wörterbuch‘ I, 406 8. v. deutſch. Dasſelbe 
wird auf Völker der hochdeutſchen und der niederbeutfhen Mundart, 
vorzüglich auf Franken, aber auch auf Sachſen und Andere bezogen, 
nicht aber auf bie nordiſchen Stämme, und es eignet fi daher ganz 
für die beſchränktere Golleftiobebeutung, in ber wir es nehmen. 
Etymologiſch hat man es fonft meiſtens als Adjectiv von thiot, alt: 
hochdeutſch Masc. und Neutr., goth. biuda, fem. gens, populus, ab 
geleitet: tbiodisc, thiudisc, gentilis, popularis (Schmeller a. a. D.) 
Gegen dieſe Ableitung erflärt fih Grimm, Gramm. I, 108. Bol 
103. 1069 1, 

Ob die bei den römischen Schriftftellern vorkommenden Namen 
Teutones, teutonicus, für einen bejondern germanifchen Stamm, Teuto- 
burgum, mit unſrem thiutise, im etymologiſchen Zuſammenhang ftehe, 
ift noch unausgemadit. Vgl. Gramm. I, 163. Schmeller a. a. D. 
Rühs 102 f.? 

Wichtiger, als die Namen, ſind uns die innern Beziehungen der 
allgemeinen Stammverwanbtichaft ſowohl, als hinwider ber linealen 
Sonderung aller der Völker, die unter jenen Collectionamen germaniſch 
und deutſch begriffen find. Sowie in der Sprachgemeinichaft die vor 
zügliche Gewähr der Stammverwanbtichaft liegt, fo find dann auch bie 
Mundarten das ficherfte Merkmal für die Abtheilung der großen ger 
manifchen Familie in ihre Hauptſtämme. Diefe Sprachverhältniſſe hat 
Grimm folgendermaßen in großen Zügen vorgezeichnet (in ber ange: 
führten Einleitung ©. 2 f.): 


1 [Später Bat er fie entfchieden angenommen. Vgl. Geſchichte der deutfchen 
Sprade ©. 789. 8.] 
2 [Bgl. Grimms Geſchichte der deutihen Sprache S. 790. 8.) 


„»y- . — m 


471 


Man ſieht, daß die Gothen und die ihnen näher verbundenen Stämme, 
namentlich die Gepiden, Heruler und Vandalen, einen Gegenſatz in Sprache 
und Geſchichte zu den Longobarden, Baiern, Burgunden, Alemannen und 
Franken bildeten. Einem dritten Hauptſtamm gehören die Sachſen, Weſtphalen, 
Frieſen und Angeln an und vermitteln wiederum die Berbindung mit dem 
vierten Hauptſtamm, nämlich dem norbifchen. Freilich iſt es ſchwer oder un⸗ 
möglich, dieſes Reſultat im Einzelnen auf die verſchiedenen Namen und Wohn⸗ 
fie der dentichen Völker des 1ten und 2ten Jahrhunderts anzumenden [vgl. 
XLill]; wir befiterf aus jener frühen Zeit faft nur Nachricht von der Sprache 
des zweiten Hauptſtamms (Alemannen, Katten, Sueven u. f. w.). Und wie 
viele einzelne Völkerſchaften dürfen gar nicht in Anfchlag gebracht werden, wenn 
man nicht willlürfich das Dunkele zu dem Helleren ordnen will! Im Ganzen 
aber bleibt die Sache nichts deſto weniger begründet und wird e8 zumal durch 
die feit dem 8ten Jahrhundert aus der Ungemwifsheit tretende Sprachgeſchichte 
des zweiten (hochdeutſchen) und dritten (niederdentihen) Hauptſtamms. Was 
fih fpäter feft und natürlich zeigt, muß ſchon früher fo beftanden haben. 
Durch forgfältige Bergleihung der Sprachunterſchiede mit Geſchichte, Sitte und 
Sage der Älteren Zeit werden wir auch manches Einzelne befeftigen lernen, 
das jetzo noch abgerifien erjcheint. 


Die vier Sprachſtämme der germanifchen Völker, welche die Grund: 
lage der fpäteren Entwidlungen ausmachen, find hiernach biefe: 

1. der gothifche: Gothen, Gepiden, Heruler, Banbalen; 

2. der hochdeutſche: Longobarden, Baiern, Burgunden, Alemannen, 
Franken; und nad fpäterer gengraphifcher Beitimmung: Schwaben, 
Baiern, Oftreih, Schweiz, Elfaß, Franken, Thüringen (Oberſachſen), 
Heflen, Oberrhein 1; 

3. ber nieberbeutfche: Sachſen, Weſtphalen, Friefen, Angeln und, 
von diefen Völkern ausgegangen, die Angelfachfen; nad) Tpäterer Geo» 
graphie: Sachſen (Niederfachfen), Engern, Weit: und Oſtphalen, Nieder 
rhein (Niederlande); das Verhältnis der englifchen Sprache und Sage 
Iaffe ich bier noch ausgefegt fein; 

4. der norbifche: Island, Norivegen, Schtweben, Dänemarf. 

. Die vier großen Hauptſtämme ftehen [nad Grimms weiterer Darlegung 
©. LI] unter einander in mehrfachen Verhältnis. So ftehen der erfte (gothifche) 
und zweite (hochdeutſche) in unleugbar näherer Berwandtichaft gegenilber dem 


1 Ebendaj. ©. LII. LV. LXIX. 





an 472 

dritten iederdeutſchen) und vierten (nordiſchen). Den UÜbergang zwiſchen 2 
Gochdentſch) ind 3 (Niederdeutſch) vermitteln die Franken; zwiſchen 3 (Nieder⸗ 
deutſch) und 4 Mordiſch) Frieſen und Angeln; zwiſchen 1 (Gothiſch) und 2 
Gochdeutſch) vermuthlich die Quaden, Markomannen u. ſ. w; zwiſchen 1 
(Gothiſch) und 4 Mordiſch) läßt ſich gar kein Mittelglied erkennen; aber die 
große Bollkommenheit, worin ſich in dieſen beiden bie alte Sprache geſchicht⸗ 
lich erhalten hat, vermittelt die wichtigſten Berührungspunkte. In anderer 
Nüdfiht darf man auch die drei erfien Stämme (den gotbifchen, hochdent- 
jhen und nieberbeutfchen) dem einzigen vierten (bem nordiſchen) entgegen 
ftellen u. |. w. ü | 


Diefem Ichtern Gegenfag der Sprachſtämme entſpricht denn aud 
unfre Abtheilung der germanifdhen Sagengefhichte in nordifche und 
deutſche. Db nun aber in Beziehung auf das Verhältnis dieſer vier 
Hauptftämme bie Sagenforichung dasſelbe Rejultat liefern werde, welches 
die Sprachforichung ergeben bat und das ich am beiten mit Grimm 
eigenen, präciien Worten mitzutheilen glaubte, darüber will ich dem 
Gange der Unterſuchung nicht vorgreifen. Das jedoch mag ſchon zum 
voraus angebeutet werden, daß die beiden Außerften, der erfte (gothifche) 
und der vierte (norbifche) Hauptitamm, welche Grimm binfichtlich der 
Sprade durd fein Mittelglied verbunden findet, ſich aud in der Sage 
entichieven gegemüberftehen. 

Die verfchtevenen Klaſſen der Sagendichtung, die und in Be 
tracht kommen, find in ber allgemeinen Einleitung nad) folgender 
Reihe aufgezählt worden: Götterfage, Helvenfage, Ortsſage, Ballade, 
Mährchen. 

Dieſem Schema ſind wir, der Hauptſache nach, in der Darſtellung 
der nordiſchen Sage gefolgt und werden es nun auch auf die deutſche 
anwenden. Bei dieſer jedoch tritt gleich der damals erwähnte Fall ein, 
daß die Götterſage nicht mehr, wie in den Eddaliedern und ber pro 
fatfchen Edda des Nordens, in reichen mythiſchen Dentmälern vor uns 
ausgebreitet liegt, ſondern daß wir die lebendigern Zeichen ihres einfti« 
gen Daſeins wirklich erft in den folgenden Sagenklaſſen zu fuchen haben. 
Der erſten Unterabtheilung biefes zweiten Abſchnitts können wir daher 
nicht, wie der des erften, die Rubrik „Götterſage“ geben, fondern nur 
die befcheibnere: . 


-“ 


473 


— — — — 


1. Älteſte Spuren ber deutſchen Götterſage. 


Spuren der alten Götter nur finden wir auf deutſchem Boden ein⸗ 
gedrückt, während wir im ſtandinaviſchen Norden ihre lebendigen und 
vollen Geftalten wandeln jahn. 

Ein umfaffendes und den wifjenichaftlichen Anforberungen ber 
jetzigen Zeit genügenbes Werk über deutſche Mythologie befiken mir 
nicht. Biel Verbienftliches hat auch in diefem Fache: Mones Gefchichte 
des Heibenthbums im nördlichen Europa. 2 Theile, Leipzig und Darm 
ſtadt 1822. (Der vordere Theil des 2ten Bandes betrifft die Religion 
des beutfchen Bölferftammes.) Aber die mythologifch: philofophiichen 
Hypotheſen und Gombinationen des Berfaflers machen Vorficht beim 
Gebrauche diefes Werkes nöthig. 

J. Grimm bat in der Vorrede zu feinen beutjchen Rechtsalter⸗ 
thümern (Göttingen 1828. XVII) Hoffnung gegeben, daß er auf 
ähnliche Weile verarbeiten werde, was-er zu der Gefchichte des heibni- 


ſchen Glaubens der Deutichen gejammelt habe. Eine Arbeit über dieſen 


Gegenftand, in derjelben Weife ausgeführt, mie die Rechtsalterthümer, 
läßt das Trefflichfte eriwarten!. Schon jet gibt das ebengenannte 
Werk, ſowie auch die beutjche Grammatik, manchen lehrreichen Beitrag 
zur Kenntnis des deutfchen Mythus. 

Einzelne hieher einſchlagende Abhandlungen werde ich je bei i ihrem 
bejondern Gegenftande nambaft machen. 

Die älteiten Nachrichten von einiger Erheblichleit über den Glauben 


und bie Götterverehrung der alten Deutſchen geben und bie römischen 


Geſchichtſchreiber und unter diefen vorzüglich Tacitus in feiner Schrift: 
de situ, moribus et populis Germanie. Ich werde diefe Schrift, als 
die reichhaltigfte der auf und gelommenen, für die Betrachtung deſſen, 
was uns überhaupt die alten Schriftftellee vom Glauben unſrer Bor: 
fahren melden, zum Anbalt nehmen und die hieher bezüglichen Stellen 
berfelben, ſoweit ich es im Stande bin, fortlaufend mythologifch com- 
mentieren. Ich bebiene mich dabei der 2ten Ausgabe von %. Paſſow, 
Breslau 1817, welche die verſchiedenen Lesarten fehr vollfländig angibt 


1 [Jakob Erimms deutjche Mythologie ift zuerfi 1885, wieder 1844 er- 
ſchienen. 8.] 








474 


und auf die urfprünglien, aus den bloßen Conjecturen, zurüdzu 
führen bemüht iſt. (Vgl. Gramm. I, Einl. XXXIX.) Die neufte 
größere Ausgabe ver Werke des Tacitus von Walther ift noch nit 
biö zu den Heineren Schriften vorgeſchritten. 


Zur Litteratur der Germania, in Beziehung auf die Alterthümer des 
beibnifchen Glaubens, find anzufübren: F. NRihs, Ausführliche Erläuterung 
der zehn erflen Kapitel der Schrift des Tacitus über Dentihland. Berlin 
1821. (Rühs wollte unter dem Titel „das alte Germanien“ eine ausführliche 
Erläuterung der Echrift des Tacitus, als Beitrag für die Bearbeitung der 
deutſchen Alterthlimer überhaupt geben, wurde aber dur den Tod unter⸗ 
brochen.) 

Ammon und Bäumlein, Teutſche Alterthümer der Mythologie und Sprache 
oder mythologiſch⸗- etymologiſcher Kommentar zu Tacitus Schrift de situ, 
moribus et populis Germanie. Tübingen 1817. 

Die Germania des Tacitus, überfett und in vollsthümlicher, dentid> 
rechtlicher und geographifch-hiftorifcher Hinficht erfäntert von Bülau, Weiske 
und von Leutſch, Leipzig 1828 (mehr räfonnierend, als forfchend). 


€3 bat über der älteften Gefchichte unfres Volles ein bejonbres 
Geſchick gewaltet, Gerade biejenigen Gefchichtbücher römischer Schrift: 
fteller, worin bie ausführlichiten Nachrichten über Germanien und feine 
Völker gegeben waren, find nicht auf uns -gefommen, So haben wir 
den Verluft derjenigen Bücher von Livius Gefchichtiwerfe zu bebauem, 
in welchen die Striege Cäſars am Rheine und die des Drufus in Deutſch⸗ 
land beichrieben waren. Das 104te namentlich enthielt, wie noch ber 
Epitomator anzeigt, eine Beichreibung der Lage Germaniens und ber 
Sitten feiner Bewohner. Der ältere Plinius war im Traumgefichte von 
Drufus aufgefordert worden, feine Thaten der Vergeſſenheit zu entreißen, 
und ſchrieb hierauf -20 Bücher über die Sriege der Romer mit den 
Germanen. Er war, als er das Werk anfteng, jelbjt in Deutfchland, 
und feine Naturgeſchichte zeigt, daß er pon diefem Lande genaue Kennt⸗ 
nid batte. Aber jene 20 Bücher find verloren und basjelbe iſt der 
Hal mit noch andern hieher bezüglichen Schriften römischer Autoren 
(Bredows Germania ©. 55 f. Rübz ©. 36 ff. 40 f.). Dagegen hat 
fih uns bon Tacitus außer dem, was er in den Annalen und Hiftorien 
bon deutſchen Sachen meldet, in dem Heinen Bude über Germanien, 
nah Rühs treffender Bezeichnung (S. 59), das vollkommenſte und 


lebenbigfte Gemaählde eined zu den barbariichen gezählten Volles er 
halten, das wir aus dem gangen Altertum befigen. In bemfelben ift 
wohl aud das Wefentlichfte aus den verlorenen Schilderungen zufammen- 
gefaßt, es iſt bei geringem Umfang überaus inhaltreich und aus feinem 
: gebrängten Kerne tft ſchon gar Vieles entwidelt worden und kann noch 
immer Weiteres entwidelt werben, wie auch für unfern Gegenftand im 
_ Folgenden verfucht werben fol. 

Tacitus jchrieb dieſes Buch, nach den Anzeigen, melde das 37te 
Capitel an die Hand gibt, im Sabre 98 oder 99 nad Chriſti Geburt 
(Bredow S. 49. Rũhs 56). Er war, nad allen Umſtänden, nie felbit in 
Germanien (Bredow 54. Rühs 55). Aber was ihm die Schriften feiner 
Borgänger, die Erzählungen feiner Landsleute, die dort geweſen waren, 
und wohl aud die Germanen jelbft, die er in Rom zu beobachten Ge: 
legenbeit hatte, für feine Arbeit darboten, hat er gewiſs Har und treu 
aufgefaßt, wenn er gleich von feinen Quellen fchmeigt. Dem, was ihm 
bon außen zugieng, kam ein inneres Berftändnis entgegen; er var dem 
germanifchen Weſen mit fichtlicher Liebe zugewandt; in biefem mochte 
ihn ein Verwandtes anfprechen mit jener alten, einfachen Römertugend, 
deren Bild er, mitten in feinem verborbenen Beitalter, unerlöfchlich 
in der Seele trug. Die Abficht, dem welken Römerreiche das Bio 
eines an feinen Grenzen ftehenven gefunden und naturfräftigen Volles 
entgegenzuhalten, läßt ſich nicht verlennen. Aber man ift viel zu weit 
gegangen, wenn man darum fein Buch als eine Satire bezeichnet und 
gewiſſermaaßen eine willführliche Conftruction bes germanischen Lebens 
darin gefucht hat. Je mehr den germanifchen Alterthümern in neuerer 
Zeit nad) verſchiedenen Richtungen eine gründliche Erforichung aus ben 
einheimifchen Quellen zu Theil geworben ift, um jo vollftändiger hat 
fi) durch die Vergleihung mit diefen die Olaubwürbigfeit der Angaben 
des Tacitus in den bebeutenbften Zügen bewährt. Es ift allerdings 
zu unterfcheiden, was er ala Thatfache gibt und was er zur Erklärung 
oder Würdigung einer ſolchen als jeine Anficht beifügt. Dort, in ben 
Thalſachen, werden wir ihn glaubhaft finden ober er wirb und wenig⸗ 
ftens einen Anhalt bieten, feine Angaben nach unfrer fonftigen Kennt 
nis zurechtzulegen und zu ergänzen; hier, in ben Anfichten, werden wir 
ung durch ihn nicht für gebunden erachten, aber doch auch hiebei feinen 
hellen Blid bemerken können. Aber nicht bloß im Einzelnen liegt bie 





476 " 


— — —— — — 


Wahrheit ſeiner Darſtellung, ſie liegt im Geiſte des Ganzen. Derſelbe 
Hauch, der noch jetzt wohl Manchen anweht, der aus der Fremde zum 
deutſchen Heimathlande wiederkehrt, dieſes Gefühl des Reinen und 
Friſchen, des Wohlwollens und der Milde, weht uns aus der Ger: 
mania des Tacitus entgegen. Er hat auch nicht bloß rüdwärts die 
Beobachtungen feiner Vorgänger in fi aufgenommen, er bat jelbft 
vorwärts, in die Zukunft gefchaut. 

Als Drufus feinen letzten Zug bis an die Ufer ver Elbe erftredte, 
da erichien ihm, wie Dio Caſſius (LV, 1) erzählt, ein Weib von über: 
menschlicher Größe- und rief ihm zu: „Wohin ftrebft bu, Unerfättlicher? 
Es iſt dir nicht beftimmt, dieß alles zu fchauen. Zeuch von binnen! 
denn das Ende deiner Thaten und beines Lebens fleht dir bevor.” 
(Rühs 29.) Auch Tacitus hat diefe Erfcheinung der gewaltigen Germania 
gejehen, hat fie verftanden und gedeutet. Er fagt Cap. 33, nachdem 
er bon einem innern Kriege germanifcher Völker berichtet: 

Maneat, quæso, duretque gentibus, si non amor nostri, at oerte 
odium sui! quando in urgentibus imperii fatis nihil jam prestare fortuna 
majus potest, quam hostium discordiam. "Und C. 37: Quippe regno Ar- 
sacis acrior est Germanorum libertas. 

3 8 geſchah damals, wie gleichfalls Tacitus am Schluffe des 13ten 
Buchs der Annalen (Capitel 58) berichtet, daß ber ruminalifche Baum, 
der einft die Kindheit des Remus und Romulus gejchirmt hatte, in 
den Zweigen erftarb und im Stamme verdorrte. Man nahm dieß für 
ein bedeutungsvolles Vorzeichen. Zwar ſchlug biefer Baum noch ein- 
mal aus, aber die erfterbende alte Welt ergrünte nicht wieder. Ein 
andrer Fräftiger Lebensbaum erwuchs in den deutjchen Wäldern und 
weit mehr, ala Tacitus jelbft ahnen mochte, lag in bem, was er von 
dem Weſen, den Einrichtungen und Sitten ber germanifchen Völker melbet, 
ber Keim einer neuen Weltgefchichte und fo auch einer neuen Boefie. 

Wir gehen nun alfo, in Ermanglung reicherer mythiſcher Denkmäler, 
bie einzelnen Stellen der Germania, die ſich auf germanischen Mythus 
beziehen, commentierend durch, und zwar in der Art, daß wir jedes⸗ 
mal bemerfen, mas etwa in ber norbifchen Bötterfage Entſprechendes 
gefunden wird, Der Berfuch der Vergleihung wird vielleicht am Ans 
fang unfruchtbar erjcheinen, aber doch am Ende zu einem überzeugen: 
deren Ergebnis führen. 


477 


6. 2. Celebrant carminibus antiquis, quod unum apud illoe memoriee 
et annalium genus est, Tuisconem [al. Tuistonem), deum terra editum, 
et fliam Mannum, originem gentis conditoresque. Manno tres filios 
assignant, e quorum nominibus proximi Oceano Ingtevones, medii Her- 
minones, ceteri Istevones vocentur. Quidam, ut in licentia vetustatis, 
plures deo ortos pluresque gentis appellationes, Marsos, Gambrivios, 
Suevos, Vandalos sffirmant: eaque vera et antiqua nomina. Ceterum 
Germani® vocabulum recens et nuper additum. 

Das 2te Sapitel, in welches Tacitus diefe germanifche Stamm: 
fage aufgenommen’ hat, ftellt zuerft die Anficht auf, daß die Germanen 
Ureinwohner (indigene) ſeien, unvermifcht mit andern, eingetwanderten 
Völkern. Den Gründen für diefe Anftcht wird die eigene Überlieferung 
der Germanen angereihbt. Betrachten wir aber diefe Sage genauer, 
fo fcheint fie nicht bloß auf ven Urfprung des bejtimmten Volkes, 
fondern auf die Schöpfungsgefchichte überhaupt fich zu beziehen. Zuifto, 
der obenan geftellt ift, wird ein Gott genannt; über bie Etymologie 
des Namens felbft wage ich feine Vermuthung 1. Deutlicher ift Tuiftos 
Sohn Mannus; das Wort Mann bezeichnet in der älteften Sprache mehr 
homo, als mas. „Als fpäter für homo das aus dem Adj. mannisks 
geleitete mannisco, mennisco, mensche auflam, Tonnte das Simpler 
mehr den Begriff mas ausprüden” (Gramm. III, 318 f.). Jener Man- 
nus?, der Sohn Tuiftos, ift ſonach noch ein fehr allgemeines, mehr 
fosmogonisches, als nationales Weſen. Erſt von feinen Söhnen follen 
die drei Volksſtämme Ingävones, Herminones, Iſtävones? benannt jein. 
Diefe Völlernamen auf perfönliche zurüdgeführt, würden tenigftens 
zwei Namen der Söhne des Mannus annehmlich hervortreten: Ingo 
und Hermin. Ingo entſpricht dem altnorbifchen Dngi (m. juvenis; 
vgl. Gramm. II, 364). Hermin jcheint ſich noch langehin als ein 
Göttername zu bewähren; bie Formen airmun, airman? goth., ahd. 
&rmun, örman, irmin, altnordiſch iörmun, zumeilen mit vorgejeßter 
Spirans h (nad Grimms Ausdrud: „dunkles Sinnes, vieleiht Name 


1 (Bol. Wadernagel, Gloffar zum altdeutichen Lejebuch, Bafel 1889, u. d. W. 
zwifch. Zeuſs, die Deutfchen und die Nachbarſtämme S. 22. 72. Grimm, Ge 
ſchichte der deutſchen Sprade ©. 467. 775. 791. &.] 

2 Bol. Maßmann, Wefjobr. Geb. 21 bis 24. 

3 Bol. Grimms Gramm. I, 1te Ausg. 1819. Einleitung XLIIL Done 2, 
5. [Grimms Geſchichte der deutichen Sprache S. 467. 768. 775. &.] 


478 


— — — — — 


eines Gottes?” Gramm. II, 448), immer in Zuſammenſetzungen voran- 
ſtehend, brüden den Begriff des Großen, Umfafienden aus, 3. B. abe. 
irmin-got (Hildebrand 25), irman-stl (altissima columna, colossus, 
Hoffmanns althochd. Gloſſ. 18, 30), altf. irmin-diot (genus humanum, 
vgl. Hildebrand 11), agf. Sormen-cyn (genus humanum), öormen-grund 
(terra), altn. iörmun-gandr (serpens maximus, die ungeheure Mit: 
gardsſchlange der norbifchen Mythologie; vgl. Lex. myth. 214), iör- 
mungrund (terre). Auch in vielen Eigennamen: Hermun-duri, Tae.; 
goth. Afrmana-reiks (Ermanaricus); ahd. Irmindrüt, Irmangart u. f.m.! 
Am unklarften bleibt der den Iſtävonen zu unterlegenve Perſonen⸗ 
name. Scheint nun nah dem Bisherigen auch die Dreitheilung nad 
den Söhnen des Mannus noch im allgemeinern Weltmythus zu be 
ruhen, fo ergibt doch die weitere Meldung des Gejchichtfchreibers, wie 
immer mehrere germanifche Völker (Marſen, Gambrivier, Sueven, 
Bandalen) ihren bejondern Antheil an dem göttlichen Urſprung des 
Gefammtvolfes verlangten und darum, außer jenen breien, mehrere 
Götterfühne (plures deo orti) angenommen mwurben, eben damit aber 
die Stammfage ihre kosmogoniſche Bebeutung einbüßte. 

Bleiben wir bei jener älteren Geftalt der Sage ftehen, fo zeigt 
fh, zwar nicht im Wortlaute der mythiſchen Namen, aber im genen 
logiſchen Schema eine unverfennbare Ähnlichkeit mit den kosmogoniſchen 
Götterivefen der ſkandinaviſchen Mythologie. Der erbgeborne Gott 
Tuiſto (deus terra editus), fein Sohn Mannus und wieder deſſen drei 
Söhne, die Stammpäter der Germanen, finden ihr Entſprechendes im 
dem nordiſchen Buri (generans), der von der Kuh Aubhumla aus 
den Sahjfteinen geledt wird, deſſen Sohne Bör (gnatus), und bes 
Letztern drei Söhnen Odin, Vili und Be, melde die Welt bilveten 
und orbneten und die Menjchen erfchufen (Sn. Edd, 7. Seem. Edd. 1, 4). 

In beiden Mythen zeigt fich zuerft eine einfache Zeugung und dann 
eine breifache; in beiden geht das organifche Urweſen aus dem unor⸗ 


1 Gramm. II, 448 (zu irmin-diot): Wie wenn germani hiermit zu⸗ 
ſammenhienge, nämlich kein comp. von ger-man wäre (©. 412 f.), fordern 
ein Derivatum germ-an (oben ©. 1756)? Freilich findet fi} weber hermani 
noch germunduri, aber der Kehlanlaut kann bei verſchiedenen Vollsſtämmen 
von ber Ausſprache und dem Ohr der Römer verfchieden aufgenommen 
worden fein. 


” 479 


ganifchen Stoffe, „der Gott” aus der Erde oder nem Salafteine berbor; 
in vollkommener Menfchengeftalt (allr madr) entipringt Buri, ber Götter: 
vater, und fo darf und aud ber Name Mannus, Menſch, nicht abs 
halten, ihn und feine Söhne für Götterweſen zu nehmen. 

Mir befinden uns bier überhaupt im Gebiete der VBermuthungen 
und Andeutungen, und fo mag auch noch folgende Stelle aus den 
Annalen des Tacitus (B. XI, Cap. 57) angeführt werben, worin ' 
von ber Heilighaltung der Salgquellen bei den Germanen die Rebe ift: 

Eadem sestate inter Hermunduros Cattosque certatum magno prolio, 
dum flumen, gignendo sale fecundum, et conterminum, vi trahunt, super 
libidinem cuncta armis agendi, religione insita, eos maxime locos pro- 
pinquare eœlo, precesque mortalium a deis nusquam propius andiri; inde, 
indulgentia numinum, illo in amne illisgue silvis salem provenire, non 
ut alias apud gentes, eluvie maris arescente unda, sed super ardentem 
arborum struem fusa, ex contrariis inter 86 elementis, igne aique aquis 
concretum. Sed bellum Hermunduris prosperum, Cattis exitiosius fuit. 
(gl. Plinii Hist. nat. ). XXXI, c. 89.) 


Daß in dem vorlegten Sate auf die Entftehung des Salzes aus 
"dem Zufammenwirken zweier entgegengejeßter Elemente, des Feuers und 
des Waflers, ein befondrer Werth gelegt ift', würbe (wie ſchon Mone 
1I, 27; vgl. I, 318 oben bemerkt bat) gefucht und ſpielend erjcheinen, 
wenn Tacitus hierin feine eigene Meinung und nicht vielmehr, wie 
der relative Stil ergibt, die religidfe Anſicht (religionem insitam) ber 
Germanen dargelegt hätte. Nun wiſſen wir aus der nordiſchen Mythos 
logie, daß die ganze Weltichöpfung aus dem Gegenſatz und der Bindung 
widerftreitenber Elemente hervorgieng. Die gefrormen Ströme aus Rifls 
beim, der Heimath der Kälte und Finfternis, werben durch die Feuer⸗ 
funken aus Muſpelheim, dem Reiche der Wärme und des Lichtes, zum 
Schmelzen gebracht. : Aus den belebten Tropfen entjtehen dann unor- 
ganifche und organische Bildungen, der Urriefe Ymer, die Kuh Aud⸗ 
humla. Diefe let aus den Salafteinen den vollendeten Organismus, 
Buri; die Salzfteine felbjt aber ericheinen jchon als ein teicherer, aus 
jener Wechſelwirkung der Elemente erzeugter Stoff. Ein Anklang ähn- 
licher Sagen nun läßt ſich in ben angeführten Worten vernehmen: 
indulgentia numinum salem provenire ex contrarüs inter se ele- 
mentis, igne atque aquis, eonoretum. Die religiöfe Meinung aber von 


480 


dem zwiſchen ben beiden Völkern ftreitigen Salzflufſe (eos maxime locos 
" propinquare colo, precesque mortalium a deis nusquam propius 
audiri) würde in norbiicher Anficht fi) dahin beftimmen, daß an dieſen 
heiligen Drten fortwährend die Werkftätte jener elementariichen Belt: 
ſchöpfung offen ftehe. 

Merkwürdig ift insbefondre noch, daß Tacitus der Stammfage der 
Germanen, die wir zu einer fosmogonifchen erweitern zu dürfen glaubten, 
ausdrücklich als einer durch alte Lieder überlieferten gedenkt: 

Celebrant carminibus antiquis, quod unum apud illos memoris et 
annslium genus est, Tuistonem, deum terra editum, et fllium Mannum, 
originem gentis conditoresque. 

Alfo ſchon im älteften Germanien gab es eine Götter: und 
Schöpfungsfage in Liebern, wie eine foldhe fpäter in den Mythenliedern 
der Edda fich erhalten hat. 

Gehen wir von den Spuren kosmogoniſcher Sagen zu den be 
jondern Gottheiten über, welche, nad) der Meldung der alten Schrift- 
fteller, von den Germanen verehrt wurden, fo ftellt ſich ung ver Zeit 
nach die furze Nachricht voran, welche Cäfar (de bello gallico 1. VI, 
cap. 21) von der Götterverehrung der Germanen, im Gegemjaße zu 
derjenigen der Gallier gibt: 

Germani u. f. w. neque Druides habent, qui rebus divinis presint, 
neque sacrificiis student. Deorum numero e08 solos ducunt, quos cernunt 
ei quorum opibus aperte juvantur, Solem et Vulcanum et Lunam; reliquos 
..ne fama quidem acceperunt. 

Ich verjuche nicht, den genannten drei Naturgottheiten entfprechenbe 
aus der nordiſchen Mythologie gegenüber zu ftellen. In diefer findet 
fih zwar Sol, die Sonnengdttin, und ihr Bruder Mani, der Mond, 
ſowie auch ein bejondrer Feuerdämon Logi. Allein alle diefe Weſen 
nehmen Feine auögezeichnete Stelle ein. Sieht man aber Hauptgötter 
berbei und madt mit Mone (II, 29) den Sol Gäfars zum Odin, ben 
Vulkan zum Thor und die Luna zur Frigg, fo fehlt es hiefür an aller 
näheren Begründung. Cäſar war von dem Neligionswefen ber Ger 
_manen offenbar fehr unvolllommen unterrichtet, ivie er denn auch nur 
kurze Zeit in Deutſchland verweilt hatte. Wenn er die kurze Erwäh 
nung ihrer Götter unmittelbar an die Behauptung anreibt, daß die 
Deutfchen weder Druiden haben, die dem Gottesdienfte vorftehen, noch 


481 


fi) viel mit Opfern abgeben, fo deutet er eben damit einen Grund 
feiner mangelhaften Kenntnis an. Er kam gerade Denjenigen nicht 
näher, bie ihm über die Glaubenslehre der germanifchen Völker hätten 
Aufichluß geben lönnen. Eine priefterliche Kaſte, nach Art der galli- 
ſchen Druiden, hatte fi zwar bei den Germanen nicht ausgebildet, 
aber die Nachrichten des Tacitus zeigen zur Genüge, daß es auch bei 
ihnen weder an Prieftern, noch an Opfern fehlte; und fo gibt uns 
dieſer Schriftfteller auch von ihren Göttern wenigftens ſoweit genauere 
Kunde, dab wir fie nicht auf einen fo rohen Naturbienft befchräntt fehen, 
wie Cäſar annehmen will. Daß mährend der Zeit, welche zwiſchen 
beiden Schriftftellern inne liegt, hierin eine weſentliche Veränderung _ 
vorgegangen, ift nicht glaublih. Tacitus! beruft ſich mehrmals auf 
alte Überlieferungen diefer Völker. Seine genauern Anzeigen beruhen 
auf der ſeit Cäſars Tagen erweiterten Bekanntſchaft mit ihrem ein» 
beimifchen Leben; fie müfjen ung daher auch in der weitern Verfolgung 
der germanifchen Götterfage leiten. Er berichtet Germania Cap. 9: . 

Deorum maxime Mercurium colunt, cui certis Jiebus humanis quoque 
hostiis litare fas habent. Herculem ac Martem concessis animalibas pla- 
cant. Pars Suevorum et Isidi sacrificat. Unde causa et origo peregrino 
sacro, parum comperi, nisi quod signum ipsum, in modum liburne 
figuratum, docet advectam religionem. Ceterum nec cohibere parietibus 
deos, neque in ullam humani orie speciem assimilare, ex magnitudine 
coelestium arbitrantur. Lucos ac nemora consecrant, deorumque nomini- 
bus appellant secretum illud, quod sola reverentia vident,. 

Bier germanifche Gottheiten, Mercur, Hercules, Mars und fie, 
find uns bier genannt, aber auch wirklich bloß genannt und zwar mit 
fremden, römischen Namen (interpretatione romana, wie Tacitus felbit, 
Germania Gap. 43 diefe Umnennung bezeichnet), die und nur ganz im 
Allgemeinen auf die Eigenfchaften dieſer Götterweſen (ea vis numini, 
eben.) jchließen lafjen. Am meiften verehrt fol Mercur gemwefen fein, aber 
gerade der Gott dieſes Namens ift in der alten Mythologie ein ſehr 
vieljeitiges Wefen. Fragt fih nun, melde feiner Prädikate in der ent: 
Iprechenden germanischen Gottheit wiedergefunden wurven, fo mag uns 
hiebei ein andrer römischer Schriftfteller zu Hülfe kommen. Cäſar hat 
auf ähnliche Weife bei den Galliern eine vorzügliche Verehrung des 


1 Bgl. Mone II, 30. 
Uhland, Schriften. VI. 31 


j - 482 

Mercurius bemerkt und er gibt die befondern Merkmale an, vie zu 
diefer Annahme zu berechtigen fdhienen. Er fagt _(de bello gallico 
3. VI, Cap. 17): 

Deum maxime Mercuriam ! colunt. Hujus sunt plurima simulacra; 
hunc omnium inventorem artium ferunt, hunc viarum atque itinerum 
ducem, hunc ad qumstus pecuni® mercaturasque habere vim maximam 
arbitrantur. 

Seten wir nun bei Tacitus die gleiche Anſchauungsweiſe voraus 
und erwägen fir, was von den angegebenen Merkmalen auf einen 
germanifchen Mercur paſſen würde, fo werben wir und vorzüglich nur 
. auf eines berjelben vertiefen finden. Als einflußreih auf Geldgewinn 
und Kaufmannſchaft Tann Mercur bei einem Volke nicht gebacht werben, 
das Tacitus Cap. 5, mit Ausnahme der Grenzbeiwohner, noch auf den 
Tauſchhandel beſchränkt fand (interiores simplieius et antiquius per- 
mutatione mercium utuntur) und von dem er Gap. 26 bemerft: 


Fenus agitare et in usuras extendere, ignotum. 


Als dux viarum et itinerum möchte Mercur gleichfalls wenig in 

einem Lande zu ſchaffen haben, von dem wieder Tacitus (Cap. 5) fagt: 

Terra, etsi aliquando specie differt, in universum tamen aut silvia 
horrida, aut paludibus fosda. 

(Auf die eigentlichen Völkerzüge feheint ber Straßengott Mercur 
feine Beziehung darzubieten und mit der Srminftraße ift e8 eine fehr 
zweifelhafte Sache; vgl. v. d. Hagen, Irmin 33 bis 35. Grimm, Irmen⸗ 
ſtraße 35.) 

Bebeutfamer dagegen ift uns diejenige Bezeichnung Mercurs, melde 
Cäfar voranftellt: hune omnium inventorem artium ferunt. Waren 
auch die Künfte der Germanen nicht viele und ausgebildete, jo bat doch 
jeves Volt relativ feine Kunſtfertigkeiten, und eine geiſtige Erregung 
der Germanen erhellt fhon aus dem, was Tacitus von ihren Liedern 
meldet. Dachte fi nun Tacitus, wie Cäfar, den Mercur, ben verebr: 
teften der germanischen Götter, ald den Erfinder aller Künfte, fo ift be: 
achtenswerth, daß auch ber oberfte der Aſen, Odin, vorzugsweiſe bad 
geiftige Wirken darftellt und für den Geber und Anreger aller höhern 


1 gl. Ammian. Marcell. 8. XVI, €. 5. 


483 


— — — — — 


Fähigleiten gilt. Ex, hat den begeiſternden Dichtertrank herbeigeſchafft; 
Hermes erfand die Lyra und lehrte den Apoll fie ſpielen; ih wird auch 
befonder8 die Gabe der Wohlredenheit zugefchrieben. Odin ift ber 
Stifter der Runen, Mercur hat aus dem Fluge der Kraniche die Bud; 
flaben erfunden. (Hygin, Nitſch 1363*.) Ein Eddalied (Hindlu -Ijod, 
Str. 3 [bei Simrod ©. 131. K.] hörten wir von Odin fagen: 

Sieg gibt er Söhnen, \ 

Etlichen Reichthum, 

Rede den Edeln, 

Witz den Männern, 

Fahrwind den Seglern, 

Sang den Skalden, 

Aber Mannheit 

Manchem Recken. 


In der bisher beſprochenen Stelle bemerkt Tacitus noch, daß dem 
Mercur an gewiſſen Tagen auch Menſchenopfer gebracht werden dürfen, 
und an einem andern Orte (annal. B. XIII, €. 57), bei ver Erzählung 
des ſchon erwähnten Krieges der Hermunduren und der Hatten um ben 
heiligen Salzfluß, wird gleichfalls des Mercurius auf folgende Weife 
gebadht: | | 

Sed bellum Hermunduris prosperum, Cattis exitiosius fuit, quia 
victores diversam aciem Marti ac Mercurio sacravere, quo voto equi, viri, 
cuneta vicia oceidioni dantur [traduntur]. Et mine quidem hostiles in 
ipsos vertebant. 


‚ Die Erklärung diefer Stelle ift nicht ohne Schwierigkeit. Der 
natürlichſte Sinn fcheint aber der zu fein: die Sieger, die Hermuns 
buren, hatten das entgegengeſetzte Heer, diversam aciem, dem Mars 
und Mercur zum voraus geweiht, als Opfer für ben Sieg, den ihnen 
dieſe Götter zutheilen würden, angelobt; zwar möchte biebei ftatt bes 
Perfects sacravere das Plusquamperfect sacraverant erwartet werden; 
allein Tacitus iſt im Gebrauch ber Zeitformen nicht beſonders ftreng 
und das gleich folgende quo voto weist auf ein foldyes vorhergegangenes 
Gelübde hin, vermöge deflen Alles, was unter den Sieg fällt, cuncta 
vieta, Männer und Roſſe, niedergemadt wird, oceidioni dantur. 
Diefes Präfens dantur zeigt zugleich, daß hier von etwas auch fonft 
Vorkommendem, von einem germanischen Gebrauche die Rebe iſt. Im 





484 
letzten Satze (et mine quidem hostiles in ipsos vertebant) iſt das 
legte Wert neutral, für vertebantur gebraucht; die Drohungen ber 
Feinde wandten ſich auf fie felbft zurüd, womit wohl nichts Andres 
befagt wird, als daß bie Katten ihrerfeits durch ein ähnliches Ge 
lübde biefes Verfahren ber fingenben Hermunduren hervorgerufen 
hatten. 

Daß dem Odin, ie andern norbiichen Göttern, zu gewiſſen Zeiten 
oder bei befondern Anläffen auch Menfchenopfer gewidmet wurden, könnte 
mehrfach nachgeiwiefen werden. Wir halten uns jedoch ganz an jenes 
charakteriſtiſche occidioni dare. Odin, der nad Obigem alle geiftige 
Thätigfeiten der Menjchen anregt, iſt insbeſondre auch der Erreger des 
Kampfes. Denn auf was ift der Geilt der Völker auf diefer jugend: 
lichen Bildungsſtufe eifriger gerichtet, als -auf Kampf und Krieg? Din 
ijt der Gott der Heere und der Geber des Siegs, er heißt Heerbater 
und Siegvater. In Schlachten ijt er felbft gegenwärtig, mie Tacitus 
Cap. 7 auch von dem Gotte der Germanen jagt: quem adesse bellan- 
tibus eredunt. Odin ift Erfinder und Lehrer der keilförmigen Schlacht: 
ordnung, welche wieder die ber Germanen ift, Cap. 6: acies per 
cuneos componitur, und Hist. 8, V, Gap. 16: Civilis haud porrecto 
. agmine, sed cuneis adstitit. Aber auch nad} feiner höhern Stellung 
im Weltleben, wie mir fie in der norbifchen Götterlehre dargethan haben, 
ift Odin ein- Kampfgott. Er ift felbft der fämpfende Geift, der am 
Ende ver Beiten burch den Untergang ber materiellen Welt zu einem 
höheren Dafein durchbrechen fol. Zu diefem letten, gröften Kampfe 
fammelt er um fi) die im irdifchen Streit erprobten Helden als Ein: 
berien in Valhall; fie leben auch dort in beftänbiger Kampfübung, bie 
zu dem Tage, da er an ihrer Spite zur Schlacht auszieht. Er dürfte 
nad den Seelen ber Tapfern, denn ihrer wird ihm nie genug zum 
furchtbaren Weltftreit. Darum läßt er ſich auch von feinen Günftlingen 
die Seelen ihrer Erfchlagenen geloben. Hievon geben die norbijchen 
Sagen mehrfach Zeugnis. Der Dänenkönig Harald Hyldetand iſt durch 
die Gunſt Odins unvermundbar durch Eifen. Dafür bat er dem Gotte 
die Seelen derjenigen gelobt, die durch fein Schwert fallen würden. 
Saro Gramm., Hist. Dan. 8. VII, ©. 212: Animas quippe ei [Othino], 
quas ferro corporibus ejecisset, pollicitus est. Haralo fällt als Greis 
in der bon Odin angeftifteten, im Norden fagenberühmten Bravalla- 


485 
ſchlacht durch einen Keulenſchlag des Gottes felbit, nachdem in biefer 
Schlacht eine ungeheure Anzahl von Helden auf beiden Seiten umge 
Tommen tft. Der feindliche Heerführer, Sigurd Ring, Haralds Neffe, 
läßt die Leiche des Erſchlagenen auffuchen, ſchirrt fein eigenes Schlacht- 
roſs an den Wagen Haralds, weiht es diefem und fleht, daß er, feinen 
Todesgenofien damit voranziehend, Freunden und Feinden glüdliche ' 
Wohnſtätten erbitte. Ebendaſ. B. VIII, ©. 227: Inde vota nuncupat, ad- 
jieitque precem, uti Haraldus, en vectore usus, fati consortes ad tar- 
tara antecederet, atque apud presstitem Orci Plutonem sociis hosti- 
busque placidas expeteret sedes. Ebenfo erzählt Saxo B. IX, ©. 263, 
wie Odin zu dem fehmervermunbeten Siward (Eigurd, Ragnar Lod⸗ 
broks Sohne) getreten und ihm Heilung verfprochen, si sibi illorum, 
quos armis oppressurus foret, animas dedicasset. Am nächiten aber 
auf den Fall bei Tacitus, mo für einen Sieg in der Feldſchlacht das 
ganze feindliche Heer dem Gotte geweiht wirb, paſst eine Erzählung ber 
isländiihen, dem Hauptinhalte nach hiftorifchen Saga von Styrbjörn, 
einem ſchwediſchen Königsſohne vom Ende des 10ten Jahrhunderts. Nach 
dem Auszuge, den Peter Er. Müller (Sagabibl. IU, 142, gl. 144 f.) 
von dieſer Saga gibt, hatte Styrbjörn fich zwei Tage hindurch, in der 
Gegend von Upfala, mit feinem Oheim, dem Schwebenlönige Erik, ges 
jchlagen. Als die Nacht wieder die kämpfenden Heere trennte, opferte 
Styrbjörn, dem es unglüdlich ergangen war, dem Gotte Thor. Dies 
felbe Nacht ging Erik zum Heiligthum Odins und gab fich felbft bin, 
am den Sieg zu erhalten, indem er femen Tod nach zehen Jahren ans 
gelobte. Kurz darauf nahte fih ihm ein Mann mit tiefhereinhängendem 
Hute (dieß ift gewöhnlich die irbifche Erfcheinung Odins) und gab ihm 
einen Roßrftengel, den er über das feindliche Heer hinfchießen und dabei 
ſprechen jolle: „Odin will euch alle haben!” Erik folgte der Weifung; 
Blindheit fehlug das Heer der Feinde, ein Bergfall zermalmte einen 
Theil desfelben. Styrbjörns dänische Streitgenoffen flohen und erlangten 
ihr Geficht erft wieder, als fie außerhalb der Strede fich befanden, über 
die der Nohrftengel gefahren war. Styrbjörn, der, auch erblinvet, 
fteben geblieben, wurde mit allen feinen Kriegern erichlagen. Dieß 
Speerwerfen über ein feinvliches Heer, wodurch dasſelbe dem Pers 
derben geweiht wird, kommt auch fonft im Norden vor (Sagabibliothel 
III, 145. Rechtsalterth. 59, 29) und hat wohl fein mythiſches Vorbild 


486 
darin, daß Odin am Ende des golpnen Alter, zum erften Heerftreite 
den Speer auswarf (Völufpn 28. Edda Seem. 5). 

Die nordiiche Sage und die Stelle bei Tacitus Tommen ſich wechſa⸗ 
ſeitig erllärend entgegen. Zur Vollſtändigkeit jener gehört es offenbar, 
daß Erik nicht bloß fih, nach Ablauf von 10 Jahren, fondern, wie 
die Hermunduren, das ganze feindliche Heer, wenn ihm ber Sieg würde, 
dem Gotte weiht, und deſſen iſt der Speerwurf das Beiden. Die ans 
geführten Gelübde Haralds und Sivards, welche die Seelen aller ihnen 
Unterliegenvden dem Odin verfprechen, dienen zur Beftätigung. Auf der 
andern "Seite erhält die Erzählung bes Tacitus nicht nur ihr unver 
Iennbares Gegenbild in der nordifhen Sage, fondern es wird nun aud 
erflärlih, wie Mercur, der Erfinder aller Künfte nah Cäſars Be 
zeihnung, nun auf einmal, gegen ben römiſchen Begriff von ihm, auch 
als Schlachtengott erfcheinen kann; denn ift Mercur Odin, fo vereinigt 
ja dieſer beiverlei Eigenfchaften in fi und eben auf Odin paſst auch 
der ſchon bemerkte Umftand, melcher wieder nicht der römifchen Anficht 
von Mercur entnommen fein kann, daß er von allen Göttern am böchften 
verehrt wird (deorum maxime Mercurium colunt). 

Das Gelübde der Hermunduren war aber nicht bloß an Mercur, 
fondern auch an Mars gerichtet (diversam aciem Marti ac Mercurio 
‘ sacravere), SHierüber ließen ſich nun verjchiebene Vermutungen auf: 
ſtellen. Sat nicht etwa jenes Zuſammentreffen der Eigenſchaften bes 
Mercur und des Kampfgottes in Odin den Tacitus irre gemacht und 
veranlaßt, den einen Gott doppelt, den Odin als Mars und Mercur 
zu bezeichnen? denn auffallend iſt doch, daß derſelbe Schriftſteller, den 
wir im Iten Capitel der Germania den Mercur als den verehrteſten der 
germanifchen Götter herborftellen hörten, an einem andern Drte den 
gleichen Vorrang dem Mars einräumt. Histor. B. IV, Sap. 64 läßt 
er einen Gefandten ver ZTencterer fo zu den ſtammverwandten Agrippt 
nenſern fprechen: Rediisse vos in corpus nomenque Germanie, com- 
munibus deis, et preecipuo deorum Marti grates agimus. Dder bürfen 
wir ein Misverſtändnis in ber Art vermutben, daß, da das Gelübde 
beiderjeitig mar, die Hermunduren nicht dem Mars und Mercur zugleich, 
jondern fie dem einen, die Katten aber dem andern Gotte das Opfer 
zugefagt, wie in ber norbiichen Erzählung Styrbjörn dem Thor opfert 
und Erik fi an Odin wendet und wie auch fonft in den Sagen bes 


487 


— — — —— — — 


Nordens Odin und Thor einander gegenüberſtehen? Solche Fragen mögen 
ſich in Beziehung auf die beſondre Stelle der Annalen allerdings auf: 
drängen, aber immerhin bleibt Mars als ein weiterer, von Mercur 
unterfchiedener Gott beftimmt genug herausgeſtellt. | 

Im 9ten Capitel ver Germania, wovon wir ausgegangen, beißt 
ed, nachdem von Mercur, al3 dem verehrteften der Götter, die Rebe 
war: Herculem ac Martem concessis animalibus placant. Auch ber 
Norden bat neben bem Heer: und Siegvater Dvin noch einen befondern 
Kriegsgott, Tyr, einen Sohn Odins. In Ermanglung näherer Ber 
gleihungspunlte muß jedoch dahingeſtellt bleiben, ob vieler für ben 
Mars des Tacitus anzunehmen fei. (Vgl Mone II, 29.) Ebenſo⸗ 
wenig läßt fi über den Hercules jagen, ben dieſer Hiſtoriker bier als 
den zweiten in der Reihe germanijcher Götterweien aufführt. Er ges 
denkt desſelben ſchon Cap. 3: 

Fuisse apud eos et Herculem memorant, primumgue omnium virorum 
fortium, ituri in pralis, canunt; 
wo jedoch Hercules mehr in der Eigenfchaft eines Helden (viri fortie), 
als eines Gottes erjcheint. Seiner gefchieht ferner Cap. 34 Erwähnung, 
nad der Beichreibung des Gebiet3 der Friefen: 

Ipsum quin etiam Oceanum illa tentavimus, et superesse adhuc Her- 
culis columnas, fama vulgavit; sive adiit Hercules, seu, quiequid ubique 
magnificum est, in claritatem ejus referre consensimus, Nec defuit 
audentia Druso Germanico: sed obstitit Oceanus, in se simul atque in 
Herculem inguiri. Mox nemo tentavit: sanctiusque ac reverentius visum, 
de actis deorum credere, quam scire. 

Endlich Annal. B. U, Cap. 12 finden wir einen dem Hercules 
heiligen Wald in der Wefergegend: 

Cesar [Germanicus] transgressus Visurgim indicio perfuge cognoseit 
delectum ab Arminio locum pugn®: convenisse et alias nationes in sil- 
vam Herculi sacram ausurosque nocturnam castrorum Oppugnationem. 

Daß Tacitus den Hercules bald als Heros und bald als Gott 
bezeichnet, mag im antilen Mythus beruhen, nach welchem der Heros zum 
Lohne feiner Thaten unter die Götter aufgenommen wurbe. Ihm würde 
unter den nordilchen Göttern am nächiten Thor, der ftärkfte der Aſen!, 


1 Bgl. Mone II, 30. 


488 

verwandt fein, der, gleich ihm, Niefen und Ungeheuer bezwingt und 
mit dem furchtbaren Hammer, wie Hercules mit ber Keule, — 
der ſeine Fahrten in das fernſte Utgard, die Heimath der Eis- und 
Steinrieſen, erſtreckt und von dort nach der großen Erdſchlange in das 
Meer hinausrudert. Daß die Sagen vom germaniſchen Hercules lebendiger 
Art waren, läßt fi) aus ber beſondern Angabe ſchließen, wonach von 
ihm gefungen, und zwar beim Borjchritt in die Schlacht gefungen wurde, 
Cap. 3: Ituri in preelia canunt. Im Ganzen aber ift es für uns nicht 
minder jchwierig, als für Drufus, dem Hercules nachzuſpüren. 

Auch der Iſis, welche noch im Cap. 9 genannt wird, vermögen wir 
nit den Echleier zu lüften. Tacitus bemerft, daß ein Theil ver 

Sueven ihr opfre und fügt hinzu: | 
| Unde causa et origo peregrino sacro, parum comperi, nisi quod 
signum ipsum, in modum liburne [eines liburnifchen, dalmatiſchen Schiffes] 
fguratum, docet advectam religionem. 

Nur ein gottezdienftliches Eymbol, in Form eines Echiffes, das an 
das jogenannte navigium Isidis 1 erinnerte, fcheint dem Tacitus oder dem 
Erzähler, dem er folgte, die ägyptiſche Göttin zugeführt zu haben; denn 
Götterbilder, woraus eine Ähnlichkeit hätte entnommen werben fönnen, 
waren, nach der unmittelbar angehängten Bemerkung, bei den Germanen 
nicht gebräudlih. Konnte nun Tacitus Urſache und, Urfprung der Ber: 
ebrung diefer vermeintlich fremden Göttin nicht erfahren, fo find mir 
nicht im Stande, ihr wirkliches Weſen zu erfennen. Das angegebene 
Symbol bietet Feine deutliche Beziehung zu einer der befannten Göttinnen 
bes Nordens dar. (Vgl. Rühs 284 f. Mone II, 31.) Überhaupt aber 
ift-felbft der Verfuch, für Gottheiten, von denen jo wenig Näheres be 
lagt wird, Beziehungen zur norbifhen Mythologie anzufnüpfen, nur 
dann für gerechtfertigt anzufehen, wenn ſich wirklich ſchon bei andern 
auffallendere Apnlichkeiten ergeben haben. Diefes war nad dem Bi 
berigen am meiften zwiſchen dem Mercur des Tacitus und dem Alien 
DObin\ver Fall. 

Dahin rechnen wir nun noch weiter, mas Germania Cap. 8 von 
ber religiöſen Verehrung der Frauen gemeldet wird: 

1 Nitſch, Mytholog. Wörterb. 11686: „Diefes Feſt [navig. Is.] war eine 
feierliche Proceffion, wodurch man bei der Wiedereröffnung der Schiffahrt der 
Göttin daß erfte Schiff weihete.“ 


— 


- 489 
‚ Inesse quin etiam sanetum aliquid et providum putant [feminis]; nec 
aut cunsilia earum aspernentur, aut responsa negligunt. Vidimus sub 
divo Vespasiano Veledam, diu apud plerosque numinis loco habitam, sed 
et olim Auriniam et complures alias venerati sunt; non adulatione, neo 
tanquam facerent deas. | 


Viele Stellen der Alten beftätigen dieſen Glauben ber Germanen 
an vie höhere Begabung ber Frauen. Derfelbe erweiſt feinen Einfluß 
in den wichtigften Unternehmungen der germanischen Völker. Die ge 
Ichichtlichen Zeugniffe beginnen bei den blutigen Weifjagerinnen ber 
Simbern, welche Strabo im 7ten Buch feines geographifchen Werkes 
befchreibt. Sie fchreiten vor zu den Frauen im Heere Ariovifts, die, 
um ben Beginn ver Schlacht befragt, folche vor dem Neuinond wider⸗ 
rathen. Davon jagt Cäfar de beil. gall. B. I, Cap. 50: 


Cum ex taptivis quæreret Cesar, quamobrem Ariovistus prelio non 
decertaret, hanc reperiebat causam, quod apud Germanos ea consuetudo 
esset, ut matres familias sortibus et vaticinationibüus declararent, utrum 
prelium committi ex usu esset, nec ne; eas ita dicere: non esse fas- 
Germanus superare, si ante novam lunam prelio contendissent. (Bgl. 
Germania €. 11.) 


Die Art der Wahrjagung diefer meifen Frauen gibt Plutarch im 
Leben Cäſars an: fie fchauten in die Wirbel der Ströme, merkten auf 
die Kreiſe und das Raufchen der Bäche und fangen daraus bie Zukunft. 
Die Geltung ber beutichen Seberinnen war fo verbreitet, daß felbft 
römische Kaifer fie hochhielten. Sueton im Vitell. Cap. 14: 


Suspectus et in morte matris fuit, quasi ewgr® preberi cibum pro- 
hibuisset: vaticinante Catta muliere, cui velut oraculo acquiescebat, ita 
demum firmiter imperaturum, si superstes parenti extitiseet. 


Bon Domitian wird in Excerpt. e Dion. ©. 761 erzählt, wie er 
einen König der Semnonen, des ſueviſchen Hauptftammes, und Pie 
Jungfrau anna, melde nach Veleda ala Weiffagerin aufgetreten, 
ehrenvoll empfangen habe. 

Bon all den gefchichtlichen Beifpielen aber zeigt fich an feinem jo 
Har und beziehungsreih das Verhältnis jener heilig geachteten Frauen, 
als an der eben genannten Beleva, von der Tacitus im angeführten 


Gap. 8 ſpricht: 


4% 


Vidimus sub divo Vespasiano Veledam 1, diu apud plerosque numinis 
loco habitam, 
und von der er in den Hiftorien (®. IV und V) ausführlicher handelt 
Die Nachrichten, die er von ihr und dem mit ihr verbundenen Helden 
Civilis gibt, liefern uns, wenn fie zufammehgeitellt werben, ein merl: 
“würbiges Bild germanifchen Lebens und Glaubens, 

Der Bataver Civilis, aus Töniglihem Stamm entjproffen (Hist. IV, 
13: regia stirpe), verjammelt feine Landesgenofien im heiligen Haine, 
bei nächtlichen Mahl und läßt fie ſchwören, das och der Römer ab: 
zuwerfen (B. 4, Cap.‘ 14). 

Civilis primores gentis et promptissimos vulgi, specie epularum, 
sacrum in nemus vocatos, ubi nocte ac letitia incalnisse videt, a laude 
gloriaque gentis orsus, injurias et raptus et cetera servitii mala enumerat. 
&. 15: Magno cum assensu auditus, barbaro ritu et patriis exsecrationibus 
universos adigit. g 

Aus Wäldern und Hainen werben bie Feldzeichen, Gebilde wilder 
Thiere, hervorgeholt: 

C. 22: Hinc veteransrum cohortium signa, inde depromptis silvis 
Jlucisque ferarum imagines, ut cuique genti inire' prelium mos est. 

Germania C. 7: Effigiesque et signa qu&dam, detracta lucis, in 
preelium ferunt. 

Civilis ſelbſt thut, als er zuerft die Waffen ergreift, nach altem 
germaniichem Brauch, das Gelübde, ſich die röthlichen Haare machen 
zu laſſen, bis er einen Sieg erfochten: 

8. IV, C. 61: Civilis barbaro voto, post copta adversus Romanos 
arma, propexum rutilatumque crinem, patrata demum cede legionum, 
deposuit, | 

Bon diefem germanifchen Gebrauche, barbaro voto, ber befonders 
bei den Katten im Echwange war, ſpricht Tacitus umftändlicher in 

der Germania Cap. 31: 
Et aliis Germanorum populis usurpatum rara et privata cujusque 
audentia, apud Chattos in oonsensum vertit; ut primum adoleverint, 
erinem barbamque summittere, nec nisi hoste ce80, exuere votivum ob- 
ligatumque virtuti oris habitum. Super sanguinem et spolia revelant 
frontem, seque tum demum pretia nascendi retulisse, dignosque patria 


1 Stat., Sylv. Velede; Dio Case. 1. c. (67, 5) usra epv Beindar. 


491 


ae parentibus ferunt. Ignavis et imbellibus manet squalor. . Fortissimus 
quisque ferreum insuper annulum (ignominiosum) id genti, velut vinculum 
gestat, donec se cæde hostis absolvat. 

Die Bataver, denen Eivilis angehörte, maren den Ratten ſtamm⸗ 

verwandt: B. IV, Cap. 12: Batavi, doneo trans Rhenum agebant, 
pars Cattorum. (Bgl. Germania Cap. 29.) 
. Im nordiihen Mythus bat der Gott Bali nicht die Hände ge 
wafchen, noch das Haupt gelämmt, bevor er ven Tod feines Brubers 
Baldur, gerächt (Völufpa Str. 38. Edd. Seem. 6. Vegt. Qv. Str. 16. 
Ebenv. 95. Hyndl. I. Str. 28. Ebend. 117. Über die Sitte vgl. 
Mascou I, 127. R. 1. 491. N. 28. U, 182. Nr. 45). 

Dem Helden Civilis zur Seite nun fteht Veleda, eine Jungfrau 
vom Volke der Brukterer, weit umher mädtig und nach germanifcher 
Sitte verehrt; fie hat den Deutichen Heil, den Legionen Berberben ges 
weillagt und aus ber Erfüllung dieſes Ausfpruches erwächſt ihr Anfehn: 

8. IV, &. 61: Ea virgo, nationis Bructer&, late imperitabat: vetere 
apud Germanos more, quo plerasque feminarum fatidicas et augescente 
superstilione arbitrantur deas. Tuncque Veled® auctoritas adulevit: nam 
prosperas Germanis res et excidium legionum predixerst. (Bgl. B. V, 
C. 25: Germanorum feminas.) 


‘hr wird der gefangene Legat Lupercus zum Geſchenke beftimmt, 
ihr von den römischen Schiffen, welche bei nächtlichen Überfall auf dem 
Rhein erbeutet worden, dad mit dein Fähnlein des Prätors, die Lippe 
binauf, zugeführt. (B. IV, Cap. 61. B. V, Cap. 22.) Civilis und 
Veleda werben ftet3 zufammen genannt. Ihnen jchidt man Gefandte ' 
mit Gefchenlen zu, um Bünbniffe bei ihnen zu feftigen; doch ift es 
nicht geftattet, die Jungfrau zu jehen, fie wohnt hoch auf einem Thurme, 
ein Auserwäblter ihrer Verwandtſchaft iſt der Vermittler ihrer gött⸗ 
lihen Ausiprüche: 

B. IV, ©. 65: Agrippinenses respondent: Arbitrum habebimus 
Civilem et Veledam, apud quos pacta sancientur. Sic lenitis Tencteris, 
legati ad Civilem et Veledam missi cum donis, cuncta ex voluntate 
Agrippinensium perpetravere. Sed coram adire alloquique Veledam, ne- 
gatam; arcebantur aspectu, quo venerationis plus inesset. Ipsa edita in 
tarre; delectus e propinquis [vgl. ®. IV, €. 24] consulta responsaque, 
ut internuntius numinis, portabat. 


A492 


— — — — — 


Späterhin jedoch ſcheint Veleda von ihren Landsleuten (vielleicht 
von Civilis ſelbſt) den Römern als Preis des Friedens ausgeliefert 
worden zu fein (Hist. V, 25). Die verlorenen Bücher der Hiftorien 
enthielten ohne Zweifel ihr Ende (Paſſow 94), Daß fie in römijche 
Gefangenfchaft gerieth, zeigt noch eine hingeworfene Außerung des 
Statiug, Sylve 8. 1, Cap. 4, V. 90: Captiveque preces Velede 
u. |. wm. (Vol. Ruhs 259). Auf die Gefangene und nah Rom Ge 
führte mag fich wohl auch der Ausdruck des Tacitus (Germania Cap. 8) 
beziehen: Vidimus |sc. nos Romani] sub divo Vespastano ! Vele- 
dam, diu apud plerosque numinis loco habitam; da fonft, erwähnter 
maaßen, feine Spur vorhanden ilt, daß er jemals felbit in Deutfchland 
geweſen. | 

Bei: den Völlern des heidniſchen Nordens fanden wir gleichfalls den 
Glauben herrſchend, daß die weibliche Seele ein Harer Spiegel höherer 
Dffenbarungen fei. Sie hatten ihre Bolen oder Weiflagerinnen, die noch 
in ber biftorifchen und chriftlicken Zeit in großem Anſehen erfcheinen. 
Sagenhafter iſt die Erfcheinung der Valkyrien, der Sungfrauen Odins, 
die er ausjendet, um die Geſchicke der Schlacht zu Ienlen und bie 
Todten zu füren, wovon fie eben ven Namen haben (valr, strages; 
kjöra, eligere), Sie walten über Sieg und Tod, in Valball aber 
reichen fie den Einberien das Trinkhorn. Bald ftellen fie ſich ala völlig 
mythiſche Wejen dar, bald aber auch, in den beroifhen Liedern und 
Sagen, find fte irdiſche Jungfrauen, von Odin befeelt, die den ſchlum⸗ 
mernden Heldengeift der Jünglinge meden, ihren Günftlingen Rath und 
Lehre geben und in der Schlacht ſchirmend fie umſchweben. Helmge 
ihmüdt, Flammen auf der Lanzenjpige, leuchtend durch die Nacht, auf 
Molkenroffen, kommen fie durch die Luft geritten, auch ale Schwäne 
raufchen fie daher; überall nehmen fie den Flug, der einer bloß getjtigen 
Gegenwart am nächiten kommt. Die berühmteften Sagenhelden haben 
ihre Valkyrien; Sigurds Balkyrie ift Brynhild, Helgis Svava u. |. w. 
Erwägt man nun die genaue Verbindung des Helden Civilis mit der 
göttlich verehrten, Trieglenfenden Jungfrau Veleda, jo legt fich ver 
Gedanke nahe, daß, nad germanifchen Begriffen, fie die Valfyrie des 
batavischen Helden gewefen ſei.“ Die Bölfungafaga erzählt (Cap. 32), 

1 Bol. Ruhs 52. 

2 [Bgl. Schriften I, 182 f. 8] ' 


493 - 
daß Sigurd, als er bei den Verwandten Brynhilds veriveilte, einft 
feinem entflogenen Habicht auf einen hohen Thurm nachſtieg und unver: 
muthet durch ein Yenfter besfelben Brynhilden felbft erblidite, mie fie in 
ein goldenes Gewebe feine vollbrachten Thaten wirkte Man mill in 
diefet Erzählung, wovon die Eddalieder nichts enthalten, einen jpätern 
-BZufag, im Gefehmade der Nitterbichtung, erkennen. Gleichwohl ift ein 
altnorbifcher Anlaß nicht durchaus abzuftreiten, wenn man fich bier in 
Brynhild die ſchickſalwebende Valkyrie denkt; und auf ähnliche Weife 
ericheint auch Veleda in einem Thurme (edita in turre), und einer ihrer 
Verwandten (eleetus e propinquie)- verkündet ihre Rathſchläge (con- 
sulta responsaque, ut internuntius numinis, portabat). In dem Be 
freiungstriege des Civilis liegen einft die Heere, nach hartnädigem Kampfe 
den Tag der Entſcheidung erwartend, ſich nächtlich gegenüber. Bei ven 
Germanen, erzählt der Gejchichtichreiber, ward die Nacht mit lautem 
Geſange bingebradht: 


Histor. 8. V, Cap. 15: Nox apud barbaros cantu aut clamore, nostris 
per iram et minas «cta. 


Sollte nun in diefer erwartungsvollen Nacht die ſchickſalskundige 
Lenkerin des Krieges nicht vor die Seele der Tapfern getreten, nicht 
in ihren Liedern gefeiert worden fein? mochte nicht, wenn die Lüfte 
raufchten oder das Gewölk erglänzte, die Gegenwart Veledas, der Val 
kyrie des gepriefenen Civilis, geahnt werben? 

Die Schrift des Tacitus über Germanien theilt fih in ber Art in 
zwei nicht völlig gleiche Hälften, daß er in den vordern 27 Gapiteln 
vom Urjprung und den Sitten der Germanen im Allgemeinen, in ben 
weitern 19 Capiteln von den beſondern Völkerſtämmen hanvelt. Doc 
ift diefe Scheivung, was unfern Gegenftand betrifft, nicht fo ftzeng 
"Durchgeführt, daß nicht z. B. Cap. 9 von den Iſisopfern, alö bei einem 
Theile der Sueven üblich, die Rede wäre. Einer meiteren Gottheit, 


welche gleichfalls bei einem Theil der Sueven, demjenigen nemlid, der - 


fi) mebr ins abgelegene Germanien (Cap. 41: in seoretiora Germanie) 
erftrede, verehrt fei, wird Cap. 40 ausführlicher gedacht. Nachdem hier 
diefe ſueviſchen Stämme, Langobardi, Reudigni, Aviones, Anglii, 
Varini, Eudoses, Suardones, Nuithones, aufgezählt worden, heißt es 
von ihnen: 


= 


494 


— nn mn — — — — 


Nec quiequam notabile in singulis, nisi quod in commune Nerthum, 
id est, Terram matrem, colunt, eamque intervenire rebus hominum, in- 
vehi populis arbitrantur. Est in insula Oceani castum nemus, dica- 
tumque in eo vehiculum, veste contectum, attingere uni sacerdoti con- 
cessum. Is adesse penetrali deam intelligit, vectamque bubus feminis 
multa cum veneratione prosequitur. Leti tunc dies, festa loca, quæ- 
cungue adventu hospitioque dignatur; non bella ineunt, non arma sumunt; 
clausum omne ferrum; pax et quies tunc tantum nota, tuno tantam 
amata, donec idem sacerdos satiatam conversatione mortalium deam templo 
reddat. Mox vehiculum et vestes, et, si credere velis, numen ipsum 
secreto lacu abluitur. Servi ministrant, quos statim idem lacus haurit 
Arcanus hinc terror sanctaque ignorantie, quid sit illud, quod tantum 
perituri vident. 

Für den Namen ber Gottheit, von der dieſes Capitel ſpricht, Bat 
Paſſow (S. 64) die Lesart Nerthum als bie echte der Hanbfchriften 
wiederhergeſtellt. (Bol. Rechtsalterth. 268. J. Grimm, Göttingifche 
Anzeigen 1830. N. 28. ©. 272.) Herthum und, um das Wort mit 
dem folgenden Terram matrem noch befjer in Einklang zu bringen, 
Herthem find bloße Conjecturen. In der Erklärung von Nerthus aber 
fiimme ich denjenigen bei, welche darin den Gott Niörb des norbis 
chen Mythus erkennen!. (Das gejchlofiene deutſche & entſpricht auch 
fonft dem norbilchen iö; iörd, ahd. örda; biörn, mh. bir. Gramm. 
II, 352.) Wer zuerft diefe Anficht aufgeftellt, weiß ich nicht anzu: 
geben. In neuefter Zeit findet man fie bei Kufahl (die Gefchichte 
der Deutſchen bis zur Gründung der germanifchen Reiche im weftlichen 
Europa, Th. 1. Berlin 1831. ©. 75. 413 f.) und zwar barauf be 
gründet, daß Nidrd mie Nerthus als die Gottheit des Friedens, der 
Eintracht und des Überfluffes gefeiert worden. Diele allgemeine Ahn⸗ 
lichkeit Tann jedoch viel fpecieller bargethan werden, wie ich es im 
Folgenden verjuce. 

Geht man von jener bezeichnenden Stelle bei Taritus aus, daß die 
Gottheit Nerthus zu gewiſſen Zeiten von ihrem Priefter auf einem mit 
Kühen beipannten Wagen umbergeführt werde und daß alsdann überall 
Friede und feftliche Freude herrſche, 


1 [Bgl. Grimms beutjche Mythelogie S. 197. 230 f. Maack in pfeiffers 
Germania 4, 409. 8.] 


485 


— — — —— 


(læti tune dies, feste loca, qumcungue adventu hospitioque dignatur; 
non bella ineunt, non arma sumunt; clausum omne ferrum; pax et 
quies tunc tantum nota, tunc tantum amata),, 

⸗ 


jo vergegenwärtigt uns dieß die alten, nordiſchen Sagen von einer 
goldenen Friedenszeit. 

Sn Dänemark hieß diefelbe Frodis Friede (Fröda-fridur); denn 
der Herricher dieſes Friedensalters war der Lethrafönig Frodi, eben 
davon auch Friedfrobi (Fridfrödi) genannt, Bon diefem Frodisfrieden ift. 
in der norbifchen Sagengeichichte [oben ©. 99 ff. 8.] ausführlich gehandelt 
worden. Ich hebe bier nur aus, mas für unjern jetzigen Zweck nötbig if. 

Kein Mann [jagt die Skalda Bn. Edd. &. 146] fügte da dem andern 
- Schaden zu, mochte er auch den Mörder feines Vaters oder Brubers, los ober 
gebunden, vor fi finden. Da war aud kein Dieb oder Räuber, fo daß ein 
Golbring lang auf Jalangursheida [in Jütland] lag. 

Man hat dann, auf gelehrterem Wege, ben Frieden unter Frodi mit 
dem unter Kaifer Auguftus, während deſſen Chriftus geboren wurde, 
für gleichyeitig angenommen. Beachtenswerth ift aber insbeſondre noch, 
was Saxo (Hist. Dan. B. V, ©. 144) vom Herumführen dieſes Königs 
nad feinem Tode meldet. (Er unterjcheivet mehrere Dänenlönige bes 
Namens Frotho, unter denen berjenige, welchen bie nachfolgende Stelle 
betrifft, der britte ift; wir haben aber geſehen, baß ihrer mehrere in dem 
mythiſchen Charakter des Friedenskönigs zufammenfallen.) 

Hie Frothonis toto orbe clarissimi regis excessus fuit. Hujus egestis 
visceribus salitum corpus triennio proceres asservandum curabant, pro- 
vinciarum defectionem vulgato regis exitu formidantes, mortemque ejus 
ob hoc maxime clam exteris esse cupientes, ut vitee simulatione propagati 
jampridem imperii terminos tuerentur, pristinaque ducis autoritate sub» 
nixi, consuetam a subjectis pensionem elicerent. Deportabatur itaque ab 
eis exanimum corpus, ut jam non funebri lecto, sed regali vehiculo 
gestari videretur, tanquam invalido seni nec satis virium compoti id 
muneris a milite deberetar.. Tantum magnificentie etiam extincto ab 
amicis tributum est. 


So zeigt ſich uns zwifchen Nerthus und dem fagenhaften Sönige 
Frodi eine doppelte Beziehung: beide find friebebringende Weſen und 
beide werden auf einem Wagen unter dem Volle umbergeführt. Der 
Erzählung Saros vom Herumführen der Leiche Frodis liegt ohne Zweifel 


496 


die Erinnerung an einen alten Gebrauch der heidniſchen Zeit zu Grunde; 
daß man durch ſolche Täufchung das Reich zufammenzuhalten und bie 
Entrihtungen der Untertbanen ferner beizutreiben beabfichtigt babe, 
trägt das Gepräge fpäterer Erflärung einer Feierlichleit, deren Einn 
nieht mehr verftanden wurde. Auch fcheint Saro felbft zu fchmanfen, 
indem er am Ende mehr auf eine dem Könige damit ertviefene Ehre 
hindeutet. 

Ganz Ähnliches aber, was in däniſcher Sage vom Könige Frodi, 
wird in ſchwediſcher vom Gotte Freyr berichtet, ob gleich auch hier ber 
Bott zum Menjchen umgewandelt erjcheint. 

, Eine der drei Hauptllafien norbifcher Götterweſen bilben die Banen, 
die freundlichen Naturkräfte des Lichtes und der Wärme, und damit 
die Geber der Fruchtbarkeit und des Reichthums, überhaupt aller äußern 
Wohlfahrt. In die Gemeinſchaft der geiltigern Afen find fie nur auf: 
genommen, nicht gleichen Urſprungs mit biefen. Auf der andern Ratur: 
feite aber ftehen ihnen bie Jdten, die Mächte der Yinfternis und Kälte, 
gegenüber. Die vanifchen Hauptgötter nun find Njörd und deſſen 
Kinder, Freyr und Freya. 

Freyr insbeſondre maltet, wie bie profaiiche Edda fagt (Sn. Edd. 
28), über Regen und Sonnenfcein und damit über die Erdgewächſe;: 
er ift gut anzurufen um \Sahresfegen und, Frieben. 

Die Inglingafaga (der vorderſte Theil der Heimskringla, des im 
13ten Jahrhundert von Snorro Sturlefon in altnorbifher Sprade 
zufammengetragenen Geſchichtwerks über den Urfprung und die Ge 
Ichichte der norwegiſchen Könige) macht die Götter des Nordens über: 
baupt zu irdiſchen Herrfchern. So läßt fie über Schweden, nach Dbin 
und Ridrd, den Sohn bes leßtern, Freyr, herrichen. (Der Gott Freyr 
wurde in Schweben beſonders verehrt und bon ihm leiteten bie Upſala⸗ 
fönige, nad feinem Beinamen Ingvi Hnglinger genannt, ihren Ur: 
fprung ab.) Im 12ten Cap. dieſer Saga nun wird von Feeyr u. A. 
gejagt (I, 12): | 

Er war ſehr geliebt und ein Geber guter Jahre, wie fein Bater. In 
feinen Tagen begann Frodis Friede; da war auch gute Beit in allen Landen. 
Die Schweden rechneten das Freyrn zu und er war um fo viel mehr verehrt, 
als andre Götter (godin), da in feinen Tagen das Boll des Landes reicher, 
als vorher, durch Frieden und Jahresſegen war. Freyr ward krank und als 


497 

jeine Krankheit zunahm, wurden fie zu Mathe, wenige Leute zu ihm kommen 
zu laffen. Sie bauten einen großen Hügel und machten eine Thlire dran und 
drei Fenſter. Ws nun Freyr todt war, trugen fie ihn heimlich in den Hügel 
und fagten den Schweben, er. lebe noch, und verwahrten ihn dort drei Winter, 
Alle Schatung aber brachten fie in den Hügel; zum einen Fenſter hinein das 
Gold, zum andern das Silber und zum dritten die Kupfermünzen; da war 
gutes Jahr und Friede. (Cap. 13.) Als aber nun alle Schweden wuften, daß 
Freyr tobt war und gutes Jahr und Friede beftand, glaubten fie, e8 wiirde 
fo Hleiben, fo lange Freyr in Schweden wäre, wollten ihn nicht verbrennen, 
nannten ihn den Gott ber Welt und opferten ihm alle Zeit hernach um Jahr⸗ 
gewächs und Frieden. _ 

(Auch Frodi hat, nad dänischer Volksſage, große Schäbe in feinem 
Grabhügel und um feinen Hals hängt eine Goldkette, deren andres 
Ende um des Königs Beben befeftigt ift. Thiele, danske Folkeſ. D. 1. 
Kopenhagen 1819. ©. 20 f. 166.) 

Wie aber Frodi noch immer im Wagen umbergeführt wurde, jo 
geichah es auch Freyrn. 

Davon findet ſich bei der Saga des Königs Olaf Tryggvaſon (des 
Belehrers von Norivegen am Schluffe des 10ten Jahrhunderts eine merk 
würdige Erzählung folgenden Inhalts (Sagabibl, III, 264 ff., deutſch 
in Bragur Il, 143 ff.): 

Gunnar Helmingr, ein Norweger, den man eines Todſchlags wegen fälſch⸗ 
lich im Berdacht hatte, entfloh deshalb aus feinem Baterlande nad) Schweben. 
Hier wurde dazumal viel geopfert, bejonders dem Freyr. Der Höfe Geiſt ſprach 
aus dem Götzenbilde. Das Bolt glaubte, Freyr fei lebendig, und verfchaffte 
ihm das fchönfte Mädchen zur Frau. Sie ftand dem Gotteshaufe vor und 
Allem, was dazu gehörte. Zu ihr nahm Gunnar feine Zuflucht, fie war ihm 
gewogen, bemerkte jedoh, daß Freyr nicht mit Freundesaugen auf ihn fab. 
Sie ließ ihn erft drei Tage bleiben, diefe wurden zu vierzehn, und je länger 
Gunnar blieb, um fo befier war er gelitten. Endlich gejtattete fie ihm, den 
Winter iiber zu verweilen und mit Freyr auf Gaftgebote auszuziehen; denn 
Freyr wurde "umbergeführt, um gutes Jahr zu ſchaffen. Freyr und feine 
Frau faßen im Wagen und ihr Dienftvolf gieng an deſſen Seite, Als fie nun 
einen weiten Weg über's Gebirge machten, fiel ftarfes Unmetter ein. Gunnar 
blieb beim Wagen, das übrige Gefolge zerfireute fi. Nachdem er eine Beit 
lang die Ochſen geführt hatte, warb er müde, fette fi) in den Wagen und ließ 
die Thiere feibft gehen. Bald darauf fagte die Frau zu ihm: „Thu' dein Ge 
ſchäft, oder Freyr kommt über dichl!“ Gunnar gehorchte, als er aber wieder 

Upland, Gäriften. VI. 32 


498 


mibe war, fagte er, er wolle Freyrn ſchon empfangen, wenn biefer Aber ihn 
fime Da fprang Freyr vom Wagen und fie begannen zu ringen. Gunnar 
merlte bald, daß er erliegen müffe, und that das Gelübde, zum rechten &lauben 
zurüdzufehren und Vergleich mit König Dlaf zu fuchen, wenn er diefen Unheld 
zu überwinden im Stande fe. Sogleich begann Freyr zu mwanten, der böfe 
Geiſt fuhr aus dem Bilde und die leere Geftalt blieb zurüd, welche Gunnar 
in Stüde ſchlug. Er hieß nun die Frau wählen; entweder wiirde er fie bier 
fiten laffen, oder fie follte ihn für Freyr ausgeben. Sie wählte das Letztere. 
Gunnar zog nun Freyrs Kleidung an und fo famen fie in's bewohnte Land. 
Die Leute fahen es flir einen großen Beweis von Freyrs Macht an, daß er 
in ſolchem Wetter über's Gebirg gekommen war und daß er gehen und trinken 
konnte. Den ganzen Winter über ſprach Freyr nur wenig, außer mit feiner 
Frau, er wollte eine Opferthiere fir ſich fchlachten laſſen und kein andres 
Opfer annehmen, als Gold und Silber, gute Kleider und andre Koftbarfeiten. 
Bald erfuhr man, daß Freyrs Frau in gejegnieten Umftänden fei, und man 
hatte großes Gefallen an dieſem Gotte, indem zugleih der Winter gut war 
und Alles fi zu einem günftigen Jahre anließ. Das Gerücht von Freyrs 
Macht kam auch zu Dlaf Tryggvafon, der viel nachdachte, was wohl dahinter 
fteden möchte Eines Tags ließ er Gunnars Bruder Sigurd holen, erzählte 
diefem, wie er Verdacht Habe, daß Gunnar Freyrs Rolle ſpiele; Sigurd folle 
zu feinem Bruder reifen und ihn zur Rückkehr überreden, die er num ficher 
antreten könne, da man wiffe, wer den Todtſchlag verübt habe Sigurd voll 
führte den Auftrag des Könige. Gunnar entfloh alsbald mit feiner Frau umd 
feinem Gelde. Die Schweden fetten ihnen nad, verirrten ſich aber und fo kam 
Gunnar mit feiner Frau zu König Olaf, wo beide ſich taufen ließen. 

Legt man in biefer Erzählung zurecht, was befonders die bei ben 
riftlichen Bekehrern gangbare Anficht, wonach die Götter des heidni— 
chen Alterthums leibhafte Teufel waren, Fabelhaftes eingemifcht hat, 
fo läßt fich daraus doch ein unverwerfliches Bild vom Dienfte Freyrs 
in der legten Zeit des norbifchen Heiventhbums entnehmen. Auch fonft 
ergeben die hiftorifchen Sagan, daß man dem Freyr opferte, um ein 
gutes Jahr zu erhalten, und daß nicht bloß Männer, ſondern aud 
Frauen dem Tempelbienite desfelben vorftanven; Opferpriefterinnen diefes 
Gottes werben bejonders genannt (Sagabibl. Il, 267 f.). 

Faßt man aber Alles zujammen, was wir biäher über Freyr bei- 
gebracht, fo zeigt fich bei ihm die Ähnlichkeit mit dem Dienfte von 
Nerthus noch viel auffallenver, als bei dem Dänenkönige Frodi. Was 
Taritus von ber fuebifchen Gottheit jagt, eamque intervenire rebus 


299 
hominum, invehi populis arbitrantur, gilt ganz auch von Freyr. 
Wie diefer mit jeiner Priefterin, fo zieht ‚der Priefter mit Nerthus vor 
Heiligthum (penetrali, templo) aus; der Wagen, der die Gottheit trägt, 
ift im Norden mit Ochjen beipannt, bei Tacitus bubus feminis. Freyr 
wird ben Winter über auf Galtgeboten umherbewirthet; leeti tunc dies, 
festa loca, quscungue adventu hospitioque dignatur, beißt e3 von 
Nerthus. Diefe Feſteszeit über herrichte ein Gottesfriede: non bella 
ineunt, non arına sumunt, clausum omne ferrum, pax et quies tunc‘ 
tantum nota, tunc tantum amata; welches ganz der Beichreibung von 
Frodis Frieden entipricht. Die Schweden aber, jagt die Inglinga-Saga, 
rechneten diefen Frieden Freyrn zu. Auch fonft beißt es von dieſem, daß 
er bes Friedens walte. Im Frieden Tann auch nur aller ver Segen ge: 
beihen, deſſen Geber er ift. Die norbifchen Sagen jelbjt von einer golbenen 
Friedenszeit mögen jenem feierlichen, in beitimmten Perioden (alle brei 
Jahre) ftattgefundenen Umbherführen der fegensreichen Gottheit, während 
deſſen wirklich ein Gottesfriebe herrichte, ihren Urfprung verdanken. 
Neben dem, was in den Erzählungen von Nerthbus und Freyr zus 
fammentrifft, zeigt ſich allerdings auch Einiges nicht Ähnliche. Was 
Tacitus vom Wafchen der Gottheit im geheimen See berichtet, ift an 
fih keine Verſchiedenheit, die nordiſchen Berichte ſchweigen nur davon. 
Bedeutender ericheint, daß Nerthus ausdrücklich als eine Göttin (dea, 
Terra mater) bezeichnet wird. Allein auch diefer Umftand wird fein 
entſcheidendes Hindernis fein, wenn mir erwägen, daß Tacitus bier 
von Völkern fpricht, deren Gebiete fich nach feinem Ausdruck (Cap. 41) 
in secretiora Germanis erjtreden, von denen alfo nur dunklere Kunde 
durchdringen mochte, daß die beveutende Rolle, welche auch in jener 
nordiſchen Erzählung die Priefterin fpielt, ihn leicht verführen Tonnte, 
die Briefterin zur Göttin und den Gott zum Priefter umzuwandeln, 
und dieß um fo eher, als ein Römer, der von einer Gottheit des 
Jahresſegens fprechen hörte, biefe fich in römischer Anſicht am ebeften 
al3 eine weibliche Terra mater zu denlken geneigt fein mujte, daß end: 
lich im Namen Nerthus ſogar noch die männliche Wortform übrig ge: 
blieben ift, welche ven Bereinigern des Textes fo viel zu Schaffen machte, 
und daß eben diefe jcheinbare Anomalie fih durch unfre Annahme fo 
natürlich erklärt. | 

Der Name Nertbus felbft trifft, nad Dbigemn, zufammen mit dem 


500 


norbiichen Njörd (Niördr). Diefer ift zwar nicht ibentifh mit Freyr, 
aber er ift deſſen Vater, er gehört berfelben Klaſſe an, ift der Stamm 
der Vanengötter. Bon feiner Regierung jagt die Inglinga-Saga Gap. 11 
faft das Nemliche, wie von der feines Sohnes: 

In feinen Njörds] Tagen war durchaus guter Friede und Sahresfegen 
jeder Art, fo reichlih, daß die Schweden deshalb glaubten, Njörd walte über 
das Jahr und über das Blüd der Menſchen. 


Man trank Njörds und Freyrs Becher für gutes Jahr und Frieden 
(Suhm, Od. 337 u.). Es war ein isländiſches Sprichwort: „reich wie 
Njörd“ (Tex. myth. ©. 252). Daß einer feiner Beinamen, den 
die Skalda aufführt, Vagnagud, curruum s. vehiculorum numen 
war, was auf ähnliches Umberführen, wie bei Freyr, deuten Tönnte, 
laſſe ich dabingeftellt fein. (Ebend. 253°). Ob nun im Nerthus des 
Tacitus eine Berwechslung des Vater mit dem Sohne ftattgefunden, 
oder ob in früherer Zeit oder bei andern Völkerſtämmen ein ähnlicher 
Cultus für Njörd, wie der uns befanntere von Freyr ftattgefunden, 
läßt fich freilich nicht mit Sicherheit entſcheiden. Da übrigens Njörd 
im altnorbifhen Mythus der Geber desjenigen Reichthums ift, der vom 
Meere, von Schifffahrt und Fifchfang herrührt, wie er denn in Noatun, 
der Waflergegend, am Seeſtrande wohnt, wo er ven Lauf des Windes 
regiert und das Meer ftillt, fo darf doch nicht unbemerkt bleiben, daß 
der Hain von Nerthus auf einer Meerezinfel ift (in insula Oceani) 
und nachher die Gottheit in einem See gebavet wird (secreto lacu 
abluitur). 

Über die Lage diefer Inſel! ift viel gerathen worden: das bänifche 
Geeland, der Mälarjee in Schweren, die Inſel Rügen u. |. m. Sie 
wird wohl, mie die untergegangene Atlantis, niemals wieder entbedt 
erben. 

Litterarifch ift bier noch anzuführen: 

Hertha und über die Religion der Weltmutter im alten Teutſchland. Bon 
6. Karl Barth. Augsburg 1828. 


1 [Bgl. 8. Maad, die Inſel der Nerthus, ein hiſtoriſch⸗ antiquariſcher Ber- 
ſuch, in Bfeiffers Germania 4, 385. Er ſucht die Inſel in der Oftfee; es jei 
die einft von Feſtlande abgeriffene Oftede Holfteing, die damals mit der Inſel 
Fehmarn zuſammenhieng. 8.) 


501 


Der Berfafler bemerkt (S. 2), daß er fih der weiblichen Form 
Hertha nur als einer unfrer Redeart entſprechenden Abänberung bes 
biene, indem nach ber beftimmten Erklärung bes Tacitus die Bebeutung 
felbft nicht zweifelhaft fei. Der Plan der Schrift ift fehr wett angelegt 
und ber Berfafler ſelbſt gibt die Gedankenreihe berjelben im Vorwort 
S. XI ff. fo an: *** Abgefehen von manchen gewagten Verbindungen 
und unbhaltbaren Etiymologieen, melde in ber Ausführung dieſes 
Planes zu Hülfe genommen werben, fällt uns ſchon die Grundlage 
besjelben hinweg, wenn wirklich, wie wir zu zeigen verſucht, Nerthus 
mit Njörd für identiſch anzufehen ift. In biefem und ber ganzen 
Götterllafle, deren Haupt er ift, den Vanen, erfennen wir zwar Natur: 
wejen, aber keineswegs die Natur im Verein der höchften phyſiſchen 
und geiftigen Kraft. Die Fülle der geiftigen Kraft lebt in ven Aſen. 

Einige weitere Gottheiten, deren Tacitus gedenkt, find wenigſtens 
anzuführen, wenn wir auc nichts zu ihrer Erklärung zu fagen wiſſen. 
Annal. 8. I, Gap. 50. 51 erzählt er, wie Germanicus die Marfen (in 
Weitphalen) bei einem nächtlichen Feſtmahle überfiel (etenim attulerant 
exploratores festam eam Germanis noctem ac solemnibus epulis 
ludieram). Auf 50 Meilen weit wurde das Land mit Feuer und 
Schwert verwüftet (profanea simul et sacra et celeberrimum illis gen- 
tibus templum, quod Tanfane vocabant, solo equantur, Cap. 52). 
Bon diefer Göttin Tanfana kommt fonft nirgends etivas vor. Es ift 
felbft bezweifelt worden, ob ber Name den Ort over die Gottheit bes 
zeichne (vgl. Mone Il, 18), Grimm nimmt Letzteres an (Einleitung 
XLIV I), Ein göttliches Brüberpaar wird Germania Cap. 43 namhaft 
gemacht: 

Apud Nahanarvalos [al. Naharvalos, ein Volk im innerſten Germanien] 
antique religionis lucus ostenditur; presidet sacerdos muliebri ornatu; 
sed deos, interpretatione romana, Castorem Pollucemque memorant; ea 
vis numini, nomen Alcis; -nulla simulacra, nullum peregrin® supersti- 
tionis vestigium; ut fratres tamen, ut juvenes venerantur. 

Meder im nordiſchen Mythus, noch fonjt in germaniſcher Sage, 
findet ſich eiwas den hier gejchilderten Götterweſen oder dem angegebenen 


1 [Bgl. Grimms deutihe Mythologie ©. 70. 236. 256. 1062. Grimms 
Heinere Schriften 2, 247. 8.) 


502 


— 


Namen derjelben Entſprechendes (vgl. Mone I, 25).1 Was endlich 
Gap. 45 von der Verehrung der Mater Deüm bei den Aftyern ge 
meldet wird, laflen wir zur Seite, da Tacitus dieſes Volk der Sprache 
nad) als ein nichtgermanifches bezeichnet: Ingua britannicse propior.? 
Mehreres berichtet diefer Schriftftellee noch von gottesbienftlichen 

Einrichtungen und Gebräuden der Germanen, fo Cap. 7 und 11 bon 
der Gewalt ihrer Priefter, Cap. 10 von ihren Aufpicien, Cap. 39 von 
dem beiligen Haine der Semnonen; allein für unfern Zived hatten wir 
und auf Dasjenige zu beichränten, was auf die Beichaffenbeit des 
Göttermythus ſelbſt hinwies. Nicht beſonders erwähnt Tacitus des 
Glaubens der Germanen an die Fortdauer nad dem Tode, eines 
‚Glaubens, welcher der odiniſchen Lehre wefentlih if. Wohl aber be 
merken fonft römische und griechiiche Echriftfteller der Kaiferzeit an den 
Deutichen verfchiedener Stämme als herborftechende Züge, wie fie Ber 
ächter des Todes, Vergeuder ihres Lebens gewefen, wie fie den Tod 
in der Schlacht für ruhmvoll, den auf dem Krantenlager für ſchmählich 
gehalten, wie fie in Greifenalter oder Krankheit ihre Verwandten um 
Schleuniges Ende gebeten, wie fie den gepriefenen Tod von eigener Hand 
der Gefangenfhaft vorgezogen, tie fie verftümmelt fortgefodhten und 
noch im legten Augenblide troßig umbergejchaut, und als Urſache folder 
Erfcheinungen wird angeführt, daß dieſe Barbaren eine Fortbauer nad) 
dem Tode, eine Wiederkehr in das Leben geglaubt haben. Am bün- 
digſten drüdt dieß Lucan in folgender Stelle aus, die fich jedoch auf 
die nördlichen Völker überhaupt, namentlich auch die galliichen bezieht 
(Pharsal. I, 457): 

BEER certe populi, quos despicit Arctos, 

Felices errore sao, quos ille timorum 

Maximus haud urget, leti metus; inde ruendi 

In ferrum mens prona viris animeque capaces 

Mortis, et ignavum reditur& parcere vite. 


1 Paſſow S. 115: Alcis, Hec numina intelligere videtur Timæus 
Sieulus, apud Diodor. Sic. 4, 56 de Tyndaridis narrans, eos in precipuo 
apud Celtas ad Oceanum honore fuisse” Nomen Alcis Antonius, interp. 
vernac. p. 186 recte derivare videtur e Slavico Holczy, pueri. Bgl. 
Gr. III, 428: goth. alhe, templum, [Grimms deutſche Mythologie S.57. 8.) 

2 Beziehen fih etwa die forme aprorum auf vanifche Gottheiten, Freija, 
Freyr? Die Äftyer werden als aderbauend geſchildert. 


503 


Die Spuren der Götterfage laſſen fich bei Tacttus nicht ganz bon 
denen der Heldenfage ausſcheiden. Den Hercules fanden wir bald mit 
den Hauptgöttern Mercur und Mars durch Opfer verehrt (Cap. 9), 
bald alö den eriten aller tapfern Männer befungen (Cap. 3). An ver 
legtern Stelle wird auch des Ulyſſes gedacht: - 


Ceterum et Ulixem quidam opinantur longo illo et fabuloso errore 
in hanc Oceanum delatum, adisse Germanie terras, Asciburgiumque, quod 
in ripa Rheni situm hodie incolitur, ab illo constitutum nominatamque 
[Hier hat eine der älteften Ausgaben, und die ihr folgen, eine Lücke, in welcher 
der von Ulyffes diefer Stadt gegebene Name geftanden haben follte] aram 
quin etiam Ulixi consecratam, adjecto Laertee patris nomine, eodem loco 
olim repertam, monumentaque et tumulos quosdam, grecis litteris in- 
scriptos, in confinio Germanie Rhetieque adhuc exstare. Qus neque 
confirmare argumentis, neque refellere in animo est: ex ingenio suo quis- 
que demat vel addat fidem. 


Mit diefem Verweiſen auf unfere eigene Einficht find wir freilich 
in einer fo dunkeln Sache wenig gefürbert. Es handelt ſich übrigens 
an diefer Stelle, ihrer ganzen Faſſung nach, nicht wie anderwärts bon 
einer germanijchen, römiſch gedeuteten Sage, ſondern von einer ger . 
lehrten Meinung einiger Berichteritatter, melde Tacitus vor ſich hatte 
(quidam opinantur). Der Stabt Azciburgium am Niederrhein geichieht 
auch Histor. B. IV, Cap. 33 bei den Kriegen des Civilis, ſowie von 
Ptolemäus, Erwähnung; was aber die Gelehrten veranlaßt haben 
mochte, ihre Gründung dem UAlyſſes zuzufchreiben, würde ſich ohne 
Zweifel durch den Namen erllären, den er verfelben gegeben haben ſoll 
und der nun in der angezeigten Lücke ausgefallen if. Anſiedlungen 
und Denkmäler der Helden, die ſich aus der zerftörten Troja flüchteten 
oder von ber Eroberung nach Haufe Fehrten, glaubten die Alten überall, 
zu finden; namentlich mollten fie Altäre, von Alyſſes errichtet, auch 
an andern Drten entvedt haben ühs 138 bis 141). Spätere Ausleger 
haben Asciburg mit Aögard, der norbiichen Afen: ober Götterburg, 
und den Ulices, Odyſſeus, Utis mit dem meitgefahrenen Odin für gleich 
beveutend gehalten; allein abgefehen davon, daß bier gar feine ger- 
manifche Sage erweislich vorliegt, jo heißt Asciburgium etymologijch 
nichts anders als Ejchenburg, von asc masc. ahd., (askr, altn.) 
fraxinus, Eiche; auch in der Bebentung „Schiff“, ein aus Ejchenholz 


u 504 
— — 
gezimmertes Fahrzeug (Grimm, Grammatik II, 448. III, 437. I, Ein 
leitung XL. Bol. Ruhs 140 f. Mone I, 9 f.). 

Wie einbeimifche, germanifche Helden in Sang und Sage über 
giengen, davon gibt Tacitus ein Beifpiel an Armin!, dem Befreier 
Germaniens, von welchem er, Annal. B. II, Gap. 88 verfichert: cani- 
turque adhuc barbaras apud gentes. Dasfelbe war vielleicht auch mit 
Civilis, dem Freunde Belevas, der Fall, der von Tacitus (Hist. 8. IV, 
Gap. 61) inclitus fama genannt wird und in beflen eigenem Heere bie 
Nacht mit Gefang bingebracht wurde (Hist. B. V, Gap. 15). 

Es ergab fi) aus dem Bisherigen, daß die Germanen von ihren 
Göttern und Helden gefungen haben. Den Gott Tuifto und deſſen 
Sohn Mannus, ihre Stammpäter, feierten fie durch Lieber (Cap. 2: 
celebrant carminibus antiquis, quod unum apud illoes memori® et 
annalium genus est). Den Hercules befangen fie, wenn fie zur Schlacht 
auszogen (Cap. 3: ituri in preelia canunt). Auch Arminius lebte bei 
ihnen im Gejange fort (Ann. l. c. caniturque adhuc barbaras apud 
gentes). Über den Echlachtgefang wird jener Erwähnung des Singens 
von Hercules Cap. 3 unmittelbar Folgendes beigefügt: 

Euisse apud eos et Herculem memorant, primumque omnium virorum 
fortium, ituri in prolia, canunt. Sunt illis hæc quoque carmina, quoram 
relatu, quem barditum vocant, accendunt animos, futureque pugne for- 
tunam ipso cantu augurantur; terreni enim trepidantve, prout sonuit 
acies; nec tam voces ille, quam virtutis concentus videstur. Affectatur 
preecipue asperitas soni et fractum murmur, objectis ad os scutis, quo 
plenior et gravior vox repercussu intumescat. 

Die Worte „Sunt illis heee quoque carmina“ u. |, w. Tönnen auf 
zweifache Weife genommen werben. Entweber: dieſe (die Gefänge von 
Hercules) find ihnen auch diejenigen, welde fie zur Schlacht felbft 
fingen; oder: fie haben auch (außer den Liedern von Hercules) noch 
andre, derjenigen Art, wodurch fie den Muth entzünden; jene, die von 


1 Grimm, Gr. I, 1te Ausg. Einl, XXXIX.: „Arminius durch Hermann, 
Ariovistus durch Ehrenfeft zu erklären, ift nicht beffer, als Canninefates durd) 
Caninchenfänger. “ Ebend.: „Sodann muß man fie [die germanijchen Böller-, 
Orter⸗ und Perfonennamen bei den Alten] durchgehends nicht aus der fpätern 
Sprade, fondern aus den älteften einheimifchen Denkmälern behutſam erlän- 
tern, wobei das Studium der althochdeutfchen Eigennamen in den Urkunden bei 
6ten bis Iten Jahrhunderts große Hülfe gewährt.“ 


305 


Hercules, fingen fie auf dem Wege zur Schlacht, ituri in preelis, bie 
ambern beim Anbruce der Schlacht und während biefer felbit. Die 
letztere Erklärung, wonach von einer verſchiedenen Art ber Lieber bie 
Rede ift, wird gewöhnlich angenommen und ift wohl auch die unge 
zwungenere. Aber auch hiebei wird die Verfchiedenheit nicht ſowohl auf 
den inhalt zu beziehen fein (denn auch diefe Echlachtgefänge, da fie 
doch nicht ala bloßes Schlachtgeſchrei bezeichnet find, werben von Göttern 
und Helden gehandelt haben), als auf die Art des Vortrags, auf den 
relatus, quem barditum vocant. Diejer follte ein möglichft voller und 
ftarler Klang fein, für die Genofjen ermuthigend, den Feinden Schreden 
erregend; ihn zu veritärfen, wurden die Schilde ala Refonanz gebraudit. 
Der Klang felbft war der Mefler der Kampffreußigkeit im Heere: 
terrent enim trepidantve, prout sonuit acies; es waren nicht bloße 
Stimmen, fondern Zufammenflänge des kriegeriſchen Muthes: nec tam 
voces ille, quam virtutis concentus videntur. 

In der Beichreibung des batavifchen Krieges kommt nicht bloß 
jener nächtliche Gefang im Heere des Civilis wor, defien wir früher ers 
mähnten (Hist. V, 15: nox apud barbaros cantu aut clamore acta), 
Sondern auch der Gefang in der Schlacht felbft, wie er den Schlacht: 
zuf der Nömer übertönt (Hist. 8. IV, Cap. 18): 

Ut virorum cantu, feminarum ululatu, sonuit acies; nequaquam par 
a legionibus cohortibusgue redditur clamor. 


Desfelben gedenkt Tacitus auch ſchon früher, bei den innern Kämpfen 
zwilchen den Parteien des Otho und Bitellius, wo germaniſche Hülfs- 
truppen auf leßterer Seite an dem vergeblihen Sturme auf Placentia 
(Piacenza) Theil nehmen, Histor. B II, Cap. 22: 

Ingerunt desuper [von ben Mauern] Othoniani pila, librato magis et 
certo ictu, adversugs temere subeuntes cohortes Germanorum, cantu truci 
et, more patrio, nudis corporibus, super humeros scuta quatientium. 


Was den Namen betrifft, womit Tacitus diefen germanischen 
Schlachtgejang bezeichnet und zwar ala mit einem bei ihnen felbft ge: 
bräudlichen, quem barditum vocant, fo ift die Lesart barditum 
zweifelhaft. Paſſow hat fie zwar, als in mehreren Hanpdfchriften vor- 
fommend, in den Tert aufgenommen, vermuthet aber in ber Note, daß 
die fonft in den alten Ausgaben gebrauchte Lesart baritum die richtigere 


306 


feil. Denn auch andre römische Schriftfteller, Vegetius (de re milit. 29) 
und Ammianus Marcelinus habes nicht barditus, ſondern barritus. 
Das Wort, das fie als ein ftrategifch hergebrachtes gebrauchen, wird 
ausbrüdlich ein von ben ‚Barbaren entlehntes genannt und ber bamit 
bezeichnete Schlachtruf fo gefchilbert, daß er von leiferem Gemurmel 
allmählich anichmelle: 

Amm. Marc. Rer. gest. B. XVI, €. 12: Barritum civere vel maximum, 
qui clamor ipso fervore certaminum & tenui susurro exoriens paullatim- 
que adulescens ritu extollitur fluctuum cantibus illisorum. 

(Es ift hier nicht von den Alemannen, fondern von den Cornutis 
et Bracatis auf römifcher Seite die Rebe.) 

Das barbarifche Wort wird fogar von dieſem Gejchichtichreiber als 
römischer Schlachtruf im Gegenjate des germanifchen gebraudyt. Bon 
‚ einer Schlacht der Römer gegen die Gothen in Thracien meldet er 
B. XXXI, Cap. 7: 

"Et Romani quidem voce undique Martia concinentes, a minore solita 
ad majorem protoli, quam gentilitate appellant barritum, vires validas 
erigebant. Barbari vero majorum laudes clamoribus stridebant inconditis: 
interque varios sermonis dissoni strepitus leviora proslia tentabantur. 

(Aljo bier das Heldenlieb im Kampfe ſelbſt. Vgl. noch B. XX VI, 
Cap. 8. Rühs ©. 144). . 

Eine fichere deutfche Etymologie des Wortes weiß ich nicht anzu: 
geben; die Beziehung auf Bar, was in der Sprache der Meifterfänger 
ein Lied beveutete (vgl. Aretins Beiträge IX, 1161, 51: Ein par u. ſ. w.), 
ilt fehr zweifelhaft. J. Grimm, Rechtsalterthümer ©. 876. 855 er 
innert an das friefiiche baria, im gerichtlichen Gebrauche: manifestare, 
clamare, lagen durch Ruf oder Schrei. Die Lesart barditus hat be 
ſonders Denjenigen zugelagt, die darauf ein beutiches Bardenweſen zu 
. begründen hofften. Barden (Bardi, Baodol) heißen in den Quellen 
überall nur die Sänger der Gallier, aljo eine von ben Germanen 
völlig verichievenen Volksſtammes. Sie werden von Ammianus War: 
cellinus als eine eigene, von den Druiden und Euhagen unterjchiedene 
Klaſſe unterrichteter Männer bezeichnet (B. XV, Cap. 9): 

Et Bardi quidem fortia virorum illustrium facta heroicis composita 
versibus cum dulcibus lyr&e modulis cantitarunt. 


1 [Anders W. Wadernagel, Leſebuch 4, 9. .R.] - 


507 


Daß nun auch die Germanen ihre Sänger hatten, ift Mar, aber 
weder daß diefe Barden hießen, noch daß fie eine Faftenartige Klaſſe 
bildeten, was felbft bei ihren Prieftern nicht erweislich iſt. 

Das Ergebnis, das ſich aus den bisher erörterten Nachrichten der 
alten Schriftfteller ziehen läßt, ift Türzlich folgendes: die Völker des 
alten Germaniens hatten Lieder von Göttern und Helden; unter ben 
Gottheiten, welche genannt werben, zeigen fi Anklänge an kosmo⸗ 
goniſche Weſen, an Aſen⸗ und Banengötter bes Nordens; Mercur bietet. 
beſonders mittelft der Gelübbe, wodurch ihm und dem Mar ganze 
Heere zum Opfer geweiht werben, eine nähere Beziehung zum norbifchen 
Odin bar, und eine gleiche zeigt Nerthus felbjt dem Namen nad zum 
flandinavifhen Njörd; unbeftimmtere oder gar keine Verwandtſchaft ers 
gibt ſich Hinfichtlich der übrigen Gottheiten, deren die zömischen Schrift 
fteller erwähnen. Tacitus jagt, Germania Cap. 45: 

Trans Suionas [diefe bewohnen ihm, nad der Meinung der meiften Er- 
klärer, ben füblichen Theil des jegigen Schwebens, ben er jedoch für eine Inſel 
des Oceans anfteht, Paſſow 116] alind mare, pigrum ac prope immotum: 
quo cingi eludique terrarum orbem hinc fides, quod extremus cadentis 
jam solis fulgor in ortus edurat, adeo clarus, ut sidera hebetet; sonum 
insuper [al. immergentis u. f. w.] audiri, formas deorum et radios capitis 
aspici, persuasio adjieit. 

So verliert fi dem Tacitus die germanische Welt nach dem Norden 
bin in räthjelhafte Töne und Glanzbilder. Man glaubt in feiner Be⸗ 
ſchreibung die Erfcheinungen des Norblichts zu erkennen. Reiſende im 
höhern Norden erzählen von dem munderfamen Spiel der Lichter und 
Zaute bei diefem Phänomen!. Auf ähnliche Weife erahnen wir in den 
Berichten der Germania nur fern hinaus die Sagenklänge und die 
bauptumglänzten Geſtalten bes nordiſchen Götterhimmels (formas deorum 
et radios capitis). 

Mas wir aber von germanischem Götterweſen aus den Nachrichten 
der Römer wenig über die Grenzen der Bermuthung entmwideln Tonnten, 


1 Baflow 116: Sonum insuper audiri] Accepit heec Schlezerus, Hist. 
univ. septentr. p. 139 de fulgoribus borealibus, explicuitque e narrationi- 
bus per Lapponiam peregrinantium, precipue Monnerii, qui simillima de 
mira colorum coruscatione deque inaudito quodam strepitu inter hec 
pheenomena observato tradiderunt, 


508 


das erhält nun größeres Gewicht, wenn wir bamit Die einheimifchen 
Nachrichten zufammenhalten, melde am weiteſten in die Beit der Be 
kehrung der heibnifchen Germanen oder noch über biefelbe hinaufreichen; 
und bier tritt ung zwar wieder nicht eine gejtaltete Götterfage entgegen, 
aber wir hören jebt bei verjchiedenen deutſchen Volksſtämmen und aus 
verſchiedenen Gegenden bes deutichen Landes ausgefprochene Götternamen, 
welche mit denen der norbifchen Hauptgottbeiten ibentifch find. 

Die bedeutendften Zeugniffe von diefer Seite follen nun gleichfalls 
angeführt werben. 

Wir befigen in altnieberbeuticher Mundart eine Abſchwörungsformel, 
wohl noch aus dem 8ten Jahrhundert, die fogenannte Abrenuntiatio 
dieboli, welche mahrjcheinlich den befehrten Sachſen zu jchwören auf: 
“erlegt wurde (Gramm. 1, Einleitung LXV, 2. Mehrfach gebrudt, 
namentlich in Eccard. Franc. or. I, 4401). Aus ihr erlernen wir, 
welchen Hauptgöttern die Belehrten bei ver Taufe zu entjagen hatten; 
die Hauptitelle lautet fo: 

Ec forsacho allum diaboles wercum and wordum, Thunaer ende Wo 
den ende Saxnote ende allum them unholdum, the hira genotas sint d. h. 
ih fage ab allen Tenfelswerfen und Worten, Donner und Moden und Sarnote 
und allen den Unholden (böfen Geiftern), die ihre Genoffen find. 

Unter den Götterweſen, die hier genannt werben, find die beiden 
erften vollfommen Mar: Thunaer? ift in Wort und Bedeutung basfelbe 
mit dem norbifchen Donnergotte Thor. (Gramm. III, 353: Donar, 
Thunar, drüden in abb. und fächfifher Mundart nicht nur den 
donnernden Gott, fondern auch den Schall feines Wagend am Himmel 
aus, der Donner ift darum masc. Im Altn. bat ſich das verkürzte 
pörr (ftatt bonr, wie ds für ans) nur ala Eigenname, nicht mehr für 
die Naturerfcheinung erhalten, die durch die fem. pruma und skrugga 
bezeichnet wird. Den Dänen dauert das Compofitum torden fort, den 
Schweden tordön, gleihfam Thori fragor.) Woden in altfächfifcher 
und angelſächſiſcher Form, Wuotan (als fränkischer Eigenname? Gramm. I, 
Einleitung S. L. Mone II, 150, N. 149. Wotan, um 887 und 889 
Trad. Fuld.) in althochdeutſcher, ift, nach der Analogie des fonftigen 


1 [W. Wadernagels deutſches Leſebuch 1d, 19. Miüllenhoffs Deutmäler 
©. 153. 435. Heyne, altnieverbeutfcehe Denkmäler S. 85. 8.] 
2 %. Grimm (Götting. Anz.) vermuthet Thunare. 


509 


. 


— 


” I 

Wechſels der Munbarten- ver ſtandinaviſche Odin. Schwierigkeit iſt 
allein bei Saxnote. Es find verſchiedene Deutungen biefes Wortes, 
das nad dem Zufammenbang, in dem es fteht, offenbar einen britten 
Gott bezeichnet, verfucht worden (ſächſiſchem Odin, fächfiichem Ge: 
folge, Berfammlungen der Sachſen u. f. w.; vgl. Mone II, 150 f. 
Geijer ©. 358 f. Leo, Od. 68). J. Grimm widerlegt (in der Recenſion 
von Geijerd ſchwediſcher Geſchichte, Götting. gel. Anz. St. 56, 5 April 
1828, ©. 549) einige der früheren Erflärungen und gibt feine eigene 
dahin: 

Sarndt iſt wörtlich Schwertgenoß (althochdeutſch Sahskindz)1, far war 
den Sachfen ein kleines Schwert und fie führen ſelbſt den Namen daher. Unter 
dem Schwertgenoß kann aber fein andrer heidniſcher Gott gemeint fein, als der 
altnorbifhe Freyr, d. h. der altfähfiihe Froho, angelfächfiich Frea, gothiſch 
Frauja. [Alles in der Bedeutung von Herr, dominus, deffen Feminin freyja, 
altbochveutih fröwa, frouwa, rau, ®r. Ill, 320, 2. 335.) Dem Freyr 
legt die Edda das beſte Echwert bei und läßt es ihn in großer Bebrängnis 
weggeben, fo daß er e8 nachher vermiffen muß (Snorra Edda ©. 40. 41). 
Nun aber bat nautr? im Altnordifchen gerade die Bedeutung eines vormaligen 
Beſfitzers und Freyr könnte treffend den Beinamen Sarnautr, Sverbnautr 
führen, obgleih wir ihn aus altnordiſcher Duelle nicht nachzuweiſen wiſſen. Bei 
den Sachſen mag er fi) länger behauptet haben, die angelfächfifchen Geſchlechts⸗ 
reihen nennen ausprüdlich einen Searneat, Searntt. Ohne Zweifel war e8 
angemefien, baß die Abrenuntiationsformel die drei vornehmften und verehrteften 
Götter Thunar, Woden und Froho (Thor, Ddin, Freyr) anflihrte, 3 

Soviel von den Altfachjen. Bei ihren Stammverwandten, den 
Angeljachien, finden wir Woden ala den Stammpater der Königsge⸗ 
Schlechter genannt. Beda (+ 731), Hist. eccles. ed. Smith ©. 53 
(Leo 66): 

Duces eorum fuisse perhibenter primi duo fratres Hengist et Horsa 
n. ſ. w. Erant autem filii Victogisli, cujus pater Vitta, cujus pater Vecta, 
cujus peter Voden, de cujus stirpe multarum provinciarum regium genus 
originem duzit. 


1 Bgl. Man. II, 57a, 3 f. vſterſahs, Otte? 

2 Thor heißt in einem Skaldenbruchſtücke (Skald. 102) hafra-niötr, ca- 
prorum possessor , Lex, myth. 188. 

3 [Bgl. J. Grimms deutſche Mythologie S. 184. K.] 


510 


(Gerade wie wir im Norden die Töniglichen Helbengefchlechter ihren 
Urfprung von Odin ableiten fahen). 

Daß von den Friefen die Götter Wodan, Thor, Forſeti (defien 
Heiligthum auf der Inſel Helgoland Yorfetesland war) verehrt wurden, 
bezeugen die alten Lebensbeſchreibungen der Belehrer dieſes Volkes, ver 
Heiligen Willibrord, Wulframn, Liudger (Acta sanctor.). Der Friefen 
könig Radbot z0g feinen Fuß aus dem Taufbeden zurück, ala er hörte, 
daß feine ungetauften Vorfahren nicht im Parabiefe feien; lieber wollte 
er mit ihnen bei Wodan bleiben. Aber nicht bloß bei Völkern bes 
nieberdeutfchen Sprachftammes, auch bei ben Langobarden, die wir zum 
hochdeutſchen zählten, und zu oberft im ältern Deutfchland geſchieht ber 
Verehrung dieſes Gottes ausdrüdlide Erwähnung Paulus Diaconug, 
jelbft ein Langobarbe, in der 2ten Hälfte des Sten Jahrhunderts er 
zählt in der Geſchichte feines Volks (B. I, Cap. 8. 9) die Sage, wie 
dasſelbe von Wodan und defien Gemahlin Frea (Freya, ftatt Frigga), 
den Namen erhalten. Wir werden diefe Sage fpäter, an ’bver Spike 
andrer langobarbifcher anführen. Paulus erklärt fie für eine Tächerliche 
Fabel (ridieulam fabulam, und weiter: hc risu digna sunt et pro 
nihilo habenda), aber fie macht fih fo fehr geltend, daß er ihr, fo un 
gläubig er ſich anläßt, doch ihr Recht muß mwiberfahren Iafien, und er 
fügt noch die allgemeinere Bemerkung hinzu: 

Wodan sane, quem adjecta littera Guodan dixerunt, ipse est, qui 
apud Romenos Mercurius dicitur, et ab universis Germanis gentibus ut 
deus adoratur; qui non circa hec tempora, sed longe anterius, nec in 
‘ Germania, sed in Grecia fuisse perhibetur. 


Endlich aud am Ufer des Zürcherjees fand der Belehrer Columban 
in der erſten Hälfte des Tien Jahrhunderts das Volk verfanimelt, um 
dem Wodan ein Opfer zu bringen. Jonas, der kurze Zeit nach dem 
Tode jenes Heiligen das Leben desſelben fchrieb (Vita s. Columbani, 
. Mabillon, Acta sanct. 3, II, ap. Sur, ad d. 21 Nov. Leo, Od. 12), 
erzählt davon: 

“ Deinde perveniunt ad locum [eben am Züricdhfee], quem peragrans vir 
Dei non suis placere animis ait, sed tamen ob fidem in eis ferendam inibi 
paulisper moraturum se spopondit. Sunt enim inibi vicine gentes Sue- 
vorum. (Quo cum moraretur et inter habitatores loci progredereiur, reperit 
eos sacrificium profanum litare velle, vasgue magnum, quod valgo cupam 


17 


.. 


.‘.hı TI vi I 7 de 18 


511 


vocant, quod viginti et sex modios, amplius minusve, capiebat, cerevisia 
plenum in medio habebant positum. Ad quod vir Dei accessit et sci- 
scitatur, quid de illo fieri vellent. Illi ajunt, deo suo Wodano, quem 
Mercurium vocant alii, se velle litare. Ille pestiferum opus audiens, vas 
eminus sufflat, miroque modo vas cum fragore dissolvitur et in frusta _ 
dividitur, visque rapida [cum fragore] cerevisiee prorumpit: manifesteque 
datur intelligi, diabolum in eo vase fuisse occultatum, qui per profanum 
litatorem caperet animos sacrificantium. 


Was wir nun auch von dem Wunder halten mögen, baß der 
heilige Columban mit feinem bloßen Hauche die vom Teufel befefjene 
Bierkufe gerfprengt, die Erzählung überhaupt von einem dem Woban 
in biefer Gegend gebrachten Opfer fann, auch des Wunderbaxen vent- 
Heivet, dennoch wohl beftehen. Sie erinnert wieder an norbifche Sagen, 
wonach Odin, dem alles Begeifternde und ver Dichtertrant felbft zu 
verbanfen ift, auch beim Brauen des Bieres angerufen, oder ihm und 
andern Göttern ein Opfer dieſes Getränkes gelobt wird (Sagabibl. II, 
449. DI, 272. gl. II, 244). 

Die Gelehrten find, auch in neuefter Zeit, darüber verſchiedener 
Meinung, ob aus den angeführten und andern Zeugniſſen eine all- 
gemeinere ober eine auf beitimmte Volksſtämme befchräntte Verbreitung 
der Odinslehre unter den Bewohnern des eigentlichen Deutſchlands zu 
folgern fei. Kufahl führt in einem befondern Anhang zum Theil I 
feiner Gefchichte der Deutichen (Berlin 1831) S. 446 ff. die Gründe 
für die Allgemeinheit diefe® Glaubens aus, wogegen Heinrich Leo den 
odiniſchen Dienjt außer Sachſen auf einige Stämme in den Alpen und 
an den Alpen einſchränkt (in einer Abhandlung im Hermes B. 35, Cap. 2, 
1831 „Was ift für die deutfche Gejchichte in der legten Zeit gejchehen? 
und was thut auf dem dadurch genommenen Standpunkte bejonvers 
Neth?“ 2ter Art. Schon früher hat fich der Verfafjer mit dieſem Gegen: 
ftande befchäftigt in einer Schrift: Über Odins Verehrung in Deutſch⸗ 
land. Erlangen 1822. Vgl. Mone U, 193, N.). Ohne daß wir auf 
das Einzelne diefer Unterfuhungen eingehen, mag uns vorläufig die 
aus dem Obigen getvonnene Beobachtung genügen, daß zur Zeit der 
Belehrung der-Deutfchen Wodan an ven entgegengejeßteiten Punkten 
Deutichlandg, am Norbfeeftrande und in der Nähe der Alpen, alfo, 
wenn auch nicht allgemein, boch in fjehr weiter Ausdehnung, verehrt 


’ 


X 


512 


wurde und daß fich unter den Völkern, die ibn anriefen, ſolche be 
finden, welche bereits in der Germania des Tacitus genannt ſind: 
Longobarden und Frieſen (wenn wir auch von den Sueven abſehen, 
weil es bei dem Opfer am Zürcherſee nur heißt: sunt enim inibi vi- 
eine gentes Suevorum). Sind wir nun dadurch um fo näher berechtigt, 
die römiſchen Nachrichten vom Glauben der Deutfchen mit jenen ein 
heimiſchen in Verbindung zu feßen, fo gewinnen die innern Beziehungen, 
bie wir zwifchen ven Götterivefen bei Tacitus und denen bes norbifchen 
Mythus gefunden haben, eine äußere Betätigung durch die nun aud) 
in Deutſchland ſelbſt aufgefundenen entjprechenden Götternamen. Bes 
merkenswerth ift dabei insbefondre, daß der am meiften genannte Wodan 
in den ausgehobenen Stellen ſowohl, als in andern (melde Kufabl 
a. a. O. beibringt), regelmäßig zugleich durch Mercurius überſetzt wird 
(Wodan, qui apud Romanos Mercurius dieitur, Paul. Diac. a. a. ©.). 
Diefe Stellen [jagt derſelbe Schriftfteller S. 447] find um fo gemwichtiger, 
da in feiner derjelben die Gleichheit des Woden und Diercur erft bewiefen, fon- 
dern als allgemein zugegeben nur angeführt wird. Es ift alfo in biefem Falle 
vollfonimen gleichgültig, ob die Verfafler derfelben die Regeln der Biftorifchen 
Kritit kannten und befolgten oder nicht. Sie hatten bloß eine weit verbreitete 
Meinung zu wiederholen, und hierzu beturften fie nur ihres Gebächtniffes. 
Jenes „deorum maxime Mercurium colunt® bei Tacitus, Ger: 
mania Cap. 9, das wir aus innern Anzeigen auf Odin bezogen, be 
glaubigt fi) alfo in der gleichen Beziehung auch durd den fpäteren 
Sprachgebrauch: Wodan sive Mercurius. Wollte man aber auch an 
nehmen, daß biefe Zufammenftellung erfi aus ber Benennung der 


‚ Wochentage entftanden fei (vgl. Kufahl 448, 2. Lex. myth. 313 f. 


Geijer 292, 4. Saro Gramm. B. VI, ©. 155), fo liegt doch ander 
ſeits gerade in den deutſchen Namen einiger biefer Tage ein weiteres 
bebeutjames Zeichen für die große Verbreitung einer mit dem Norben 
gemeinjamen Götterverehrung auch über das eigentliche Deutſchland. 

Vom Dienftag fagt I. Grimm, Rechtsalterth. 818: 

Die echtbochdeutfche Benennung ift die unter dem Boll in Schwaben er- 
haltene ziestag, zistig, ahd. ziestac gl. blas. 76a, in noch Älterer Form mahr- 
ſcheinlich zuuwestat, zinstac, genau bem agf. tivesdäg, engl. tuesday. frieſ. 
tysdag, altn. tysdagr, tyrsdagr, ſchwed. tisdag, dän. tirsdag entipredhend 
und wörtlich dies Martis [Zag des Kriegsgotts Tyr] bebeutend, weil Mars 


513 


ahd. Ziu, agſ. Tiv, altn. Tyr Heißt, goth. Tius (= lat. deus), fein Tag alſo 
tivisdags beißen würbe. Hin und wieder erjcheint auch in Oberdeutichland für 
BZistag Binstag, wodurch die vermuthete Verderbnis des Dienstag aus Diestag 
beftärkt wird. 

Der Mittwoch, dies Mercurii, heißt isländiſch Odinsdagr, däniſch, 
normegifch und ſchwediſch Onsdag, angelfähfiih Vodnesdäg, englifch 
Wednesday, niederländiſch Woensdag (Lex. myth. 1. c.); in ober: 
deutfcher Mundart fcheint nur Gonftag vorzulommen (Rechtsalterth. 
818). Deutlich ift der Name BDonnexstag, Dies Jovis, isländiſch 
pörs dagr. vänifch, norwegiſch, ſchwediſch Torsdag, angelſächſiſch pu- 
noresdäg, engliſch thursday, niederländiſch donderdag, ahd. donares⸗ 
tac (Gramm. I1,-488). Schwieriger iſt der Freitag, dies Veneris; altn. 
ſchon freyu-dagur (Tag der Freija) und friä-dagr, däniſch, ſchwediſch 
fredag, angelſächſiſch frigedäg, niederländiſch vrydag, ahd. frie-dag, 
frige-dag (Gramm. II, 488. Lex. myth. 84. Schmeller I, 110). Db 
nun diefe Wochentage jchon zur heibnifchen Zeit fo benannt gemefen 
feien, ift ftreitig (Gründe dafür bei Geijer 1, 292 f., N. 4. War 
es aber wirklich nicht der Fall, fo fann doch wohl Feine andre Abſicht 
‚angenommen werden, als die römischen Götternamen mittelft ber ihnen 
entiprechenden beutichen wiederzugeben. 

Die deutſche Wochentagbenennung [jagt Schmeller, bayr. Wörterb. I, 321] 
ift ein feltfames Gemiſch. In Sonn und Diondtag reine fogenannte Planeten- 
namen. Im Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freytag fcheinen die Pla- 
netennamen, als Namen von römifchen Göttern, in die ber ihnen nach ihren 


Artributen Ähnlichften deutfchen tiberjett zu fein. Der Samstag flammt durch's 
Lateinifche vom Hebrätfhen [Sabbatstag]. 


Jene Überfegungen der römischen Götternamen für einen dem 
Worte nad täglichen Gebraud) des Volles waren nun jedenfall nur 
dann verftänblich, wenn die Götter, deren Namen an die Stelle der: 
felben Zamen, auch wirklich in Deutfchland einft allgemein befannt waren. 

Spuren einer deutſchen Götterfage und zwar einer den beutfchen 
Völkern, oder doch einem beträchtlichen Theile derſelben mit dem ffan- 
dinavifchen Norden gemeinjamen Götterſage, Tonnten durch die bisherige 
Bufammenftelung der Nachrichten römischer Echriftfteller mit denen aus 
der Zeit des Übergangs der deutfchen Völker zum Chriſtenthum aller: 


dings nachgewieſen werden. Cie werben uns zum Anhalt dienen, um 
Uhland, Schriften. VI. . 33 


914 


— 


an ſie die weitern Überreſte des deutſchen Mythus anzureihen, die ſich 


uns aus der Betrachtung der Heldenſage ergeben werden und bie ſich 


in den Volksſagen des Mittelalters und ſogar noch in denen der 
neueſten Zeit erhalten haben. 

Einige Alterthumsforſcher haben geglaubt, daß in dem ſogenannten 
Weſſobrunner Gebet doch noch ein, wenn auch chriſtlich umgewandeltes 
Bruchſtück eines kosmogoniſchen Gedichts aus dem deutſchen Heidenthum 
auf uns gekommen ſei. Dieſes althochdeutſche Sprachdenkmal, aus der 
zweiten Hälfte des 8ten Jahrhunderts (Gramm. I, Einleitung LIV) 
beftebt in nicht mehr ala 17 allitterierenden Langzeilen und gehört fomit 
zu ven feltenen Urkunden des Stabreimd in bochbeutiher Mundart. 
Die Handſchrift, in ber es fteht, befand fich in der Benebiftinerabtei 
Weſſobrunn in Oberbaiern, moher .es den Namen hat, und kam von 
da in die Münchner Bibliothef, Herausgegeben und commentiert ift es 
mehrfach: 

Brüder Grimm, die beiden älteſten deutſchen Gedichte aus dem Bten Jahr⸗ 
hundert: das Lieb von Hildebrand und Habubrand und das Weißenbrumner 
Gebet u. |. w. Caſſel 1812. 4. 

Maßmann, Erläuterungen zum Weffobrunner Gebet u. ſ. w. Berlin 1824. 

Wackernagel, das Weflobrunner Gebet und die Wefjobrunner Gloffen. 
Berlin 1827. Koberfteing Grundriß S. 29. [Vierte Ausgabe, 1847. I, 
83.1 8] 

Dasjelbe beginnt damit: 

Wie nicht Erde war, noch Himmel (Afhimil, Aufhimmel), nicht Baum noch 
Berg, nicht Stern, noch Sonne ſchien, noch Mond leuchtete, noch das Meer 
war; da num nichts war, Ende noch Wende, da war doch der eine allmäch⸗ 
tige Gott und mit ihm göttliche Geifter u. ſ. w. 

Diefer Anfang bat Ähnlichkeit mit dem der Echöpfungsgefchichte in 
dem Eddaliede Völufpa, wo gleichfalls gefagt wird, wie in der Frübe 
der Zeiten nit Sand war, noch See, nicht fühle Wogen, wie nicht 
Erde gefunden ward, noch Aufhimmel (upphimin) u. ſ. w. Da nun 
die auf den poetiichen Anfang folgende Betformel, oder die zweite Hälfte 
des deutfchen Gedichts auch der Sprache nach weniger fließend und 
dichteriſch, als die erfte, erfcheint, fo ift gemuthmaßt worden, daß jener 


1 [Spätere Ausgaben: W. Wadernagels Lefebuch 19, 61 f. Müllenhoffs 
Dentmälerr S. 1. K.) 


-515 


vordere Theil ein heidniſcher Nachllang fei, daß der altveutfche Dichter 
nicht eine hriftlide Schilderung der Schöpfung, ſondern vielleicht noch 
eine altbeibnifche vor fi), oder in Gedanken gehabt habe. Da man , 
jedoch die nicht minder einleuchtende Ähnlichkeit mit dem Anfang ber 
moſaiſchen Schöpfungsgeſchichte und noch andrer Kosmogonieen wohl 
bemerkte, ſo konnte hier freilich nur vermuthet werden. 

In dem ſeit Anfang dieſes Jahrs vom Freiherrn von Aufſeß 
herausgegebenen Anzeiger für Runde bes deutſchen Mittelalters ©. 11 f. 
wird von einem ähnlichen, gleichfalls ftabgereimten althachbeutfchen Ges 
dichte des Iten Jahrhunderts, welches Türzlich freilich nur als größeres 
Bruchſtück von Schmeller in Münden wieder aufgefunden worden und 
das er in einer dortigen Zeitfchrift mitzutheilen gevente!, Notiz gegeben. 
Das Gedicht handle vom Weltuntergange und zwar zum Theil in Aus 
drüden, welche vorchriftlicher Zeit und Anſchauung anheimfallen, 3. B. 
Mufpilli (in der Edda Muspell, Muspellsheimr, die Feuerregion, deren 
Funken bei der Schöpfung das Eis geſchmolzen und von der auch bie 
Berftörung der Welt durch Feuer ausgehen fol). Diefes Wort Mu 
ſpilli babe der Herausgeber zum Titel gewählt. Auch in der gleich⸗ 
fall von Schmeller unter dem Titel Heliand (Münden 1830) heraus: 
gegebenen altfächfifchen, font fogenannten Evangelienharmonie in Stabs 
reimen begegnet diefer etymologiſch noch unerllärte Ausdrud, in der 
Form mutspälli (H8l. 79, 24. 133, 4. Gramm. III, 394) 2. 

Wir verlaflen nun diefe dunklern mythiſchen Gebiete, um zu den 
vollern Geltaltungen der beutichen Heldenſage überzugeben. 


— — nn — 


2. Heldenſage. 


Der Heldenſage der deutſchen Völker war es nach ber Belehrung 
diejer letern zum Chriftenthbume nicht mehr möglich, mit der alten heib- 


1 Meue Beiträge zur vaterländifchen Geſchichte, Geographie und Statiſtik, 
herausgegeben von Buchner und Zierl. B. J. H. 3. München 1882. ©. 89 bis 
118: Nuspili von Schmeller.] [Ren oft, zulettt von Wadernagel, Lejebuch 1, 
75 fi. Müllenhoffs Denkmäler ©. 4 8] 


2 Mimirberh, Annalista Saxo ad ann. 1188, bei Eccard, Scriptor. rer. 
- germ. T. I. - 








516 


— 


niſchen Götterſage auf ähnliche Weiſe, wie es im ſpäter bekehrten flan- 
dinaviſchen Norden geſchehen konnte, fortwährend ein Weltganzes aus 
zumachen und ſo in ſchriftlicher Auffaſſung bis auf unſre Zeit durchzu⸗ 
dringen. Sie löſte ſich von der Gotterwelt ab, ſtrebte jedoch nur um 
fo emfiger dahin, die einzelnen heroiſchen Sagen und die beſondern 
Sagentreife der verſchiedenen deutfchen Vollsftämme zu einem immer 
größern epifchen Ganzen zu fammeln und zu verfchmelgen, während um 
gelehrt im Norden die Sagen und Sagenkreije unter fid) weit mehr 
vereinzelt blieben und nur in dem Zuſammenhang mit der Götterfage 
ihre gemeinfame Bindung fanden. 

Wir theilen nun unfre Darftellung der deutſchen Heldenfage in ber 
Art ab, daß mir zuerft den größern epifchen Cyklus, ſoweit derſelbe 
wirklich zu Stande gelommen tft, betrachten, fobann von den übrigen 
Helvenfagen handeln, welche für ſich vereinzelt ftehen geblieben find ober 
einen größern Kreis zu bilden nur verjucht haben. 


A. Der größere Sagenfreis, die eykliſche Heldenjage 


(Aufzählung der deutichen Heldengebichte und ihrer Ausgaben, aud 
der beutjchenorbifchen Quellen, vgl. vie Geichichte der deutſchen Poeſie 
. im Mittelalter [Schriften I, 30. K.]). ** 

1In der Betrachtung des epiſchen Cyklus werde ih nun den Gang 
nehmen, daß ich zuerft den Inhalt der deutſchen Dichtungen, ba id 
folchen nicht als befannt voraugfegen darf, im Umriß darlege, ſodann 
denjelben nach feiner gejchiehtlichen Entwidlung und inneren Bedeutung 
erläutre. 


1. Inhalt der Heldenfage im Umriß. u 


ch werde mich hiebei zunächſt auf den Beitand der aufgezäblten 
einheimifchen SHelvenliever beſchränken, die deutſch-nordiſchen Quellen 
aber erſt für die nachfolgende Erläuterung gebrauchen. Darum werde 
ich die verwifchten Verbindungen ber Lieber unter ſich bier noch nicht 
herzuftellen, das Lückenhafte noch nicht zu ergänzen ſuchen; eine Ahnung 


1 [Faft diefelben Worte wie Schriften I, 29. 8.) 


“ 


I 


517 


des Bufammenhangs wird ſich von felbit ergeben. Auf der andern 
Seite ift der Hauptzweck der mitzutheilenden Auszüge, daß u. |. m, *** 1 


II. Erklärung der cykliſchen deibenfegr. 


Die Alten pflegten u. ſ. iv, *** 2 

Bon den zahlreihen Schriften u. f. wm. ***3 

Wenn die Heldenjage, in ihren Hauptbilvern qufgeftellt, einzelner 
fühlbarer Lüden uneradtet, beim erften Anblid den Eindruck eines 
compalten Ganzen zu machen geeignet ift, jo zeigt doch eine nähere Bes 
trachtung bald die Fugen manigfadher Zufammenfegung, die Merkmale 
verjchiedenartiger Beſtandtheile. Damit ergibt fi für die Erklärung 
durdhgreifend ein doppeltes Geſchäft, einerfeits den Verband des Ganzen 
in feine verſchiedenen Elemente aufzulöfen, anderfeitö wieder den Gang - 
ihrer allmählichen Verbindung zum Ganzen nachzuweiſen. Angebeutet - 
haben mir biefe Doppelte Aufgabe zum voraus, indem mir einen Ge: 
ſammtcyklus mit drei in ihm begriffenen befondern Helbenfreifen vorge: 
bildet haben, Am ziwedmäßigjten jedoch mirb die .erläuternde Forſchung 
den Weg einichlagen, daß fie zuerjt Dasjenige erfaßt, mas fich zunächit 
dem Blide darbietet, dann aber von der offenern Oberfläche zu dem 
tiefer Liegenden binabfteigt und fo das Ganze, fondernd und verbinbend 
zugleich, zu durchdringen ftrebt. Dieſem gemäß: 


1. Erflärung von geſchichtlicher Seite. 


Die Fragen, welche ſich bei der Betrachtung unfrer Sagenbilber 
vor allen aufprängen, möchten dieſe jen®: Führen die gefchichtlichen 
Namen, die geogmphifchen Bezeichnungen, melde dem Verſtändnis die 
erfte Handhabe zu reichen fcheinen, mirklich auf einen innern Zuſammen⸗ 
bang der Sage mit biftorifchen Perjonen und Ereignifjen? ift bie 


1 [Der Berfafler weift hier zurüd auf ein früberes Heft, über’ die Geſchichte 
der deutſchen Poefie, wovon die betreffende Stelle im Iten Bande der Schriften, 
©. 31 ff. zum Abdruck gelommen if. 8.] 

2 [Hier ift zurück verwiefen auf die Stelle Schriften I, 88 f. von den 
Worten: „Die Alten pflegten” u. |. w. bis „verftärkt: werden.“ K.] 

I [Schriften I, 90 f. von den Worten: „Bon den n zahlreichen Schriften“ 
n. ſ. » bis „manches Belehrende finden.“ 2 

4 (Bgl. Schriften I, 89. 8.) 


4, 


518 


Dichtung aus dem Grunde ver Geſchichte entfprofien ober hat fie ihrer 
ſeits fich des gefchichtlichen Stoffes bemächtigt? wie Dachte man hierüber 
in den Zeiten felbft, in welchen die Sage lebendig war? 

Mas ung in der Heldenfage u. f. wo, *** 1 


2. Erllärung von mythiſcher Seite, 


Die Ermittlung des Mythiſchen in der Heldenfage kann ſich uns 
nicht darauf beichränten, daß wir Götter und andre Fabelweſen, bie 
fich in ihr ergreifen laffen, gefonvert herausſtellen und beleuchten. Biel: 
mehr fragt e3 fi) darum, ob in dem ganzen Sagencyklus oder je in 
den einzelnen größeren Streifen desjelben die Spuren mythiſcher, Gött⸗ 
liches und Menfchliches umfaſſender Weltanfchauung nachgewieſen werben 
können. Nur auf ſolchem Wege dürfen wir hoffen, des vorgefchichtlichen 
idealen Sagenbeftandes der durch die angeführten hiftorifchen Momente 
bloß feinen Durchgang genommen, wenn aud nur annäherungsieife 
vollftändig habhaft zu werden. Daß aber jener vorgeſchichtliche Beftand 
nicht für den ganzen Cyklus fih auf ein gemeinfames, mythiſches 
Spftem zurüdführen laffe, wird dem forfchenden Auge bald bemerklich. 
Darum werben wir uns die Betrachtung zum voraus erleichtern, wenn 
wir mit Rüdfiht auf die ſchon bisher beobachtete Abtheilung der Helden⸗ 
geichlechter zweierlei Mythenkreiſe unterjcheiden , 

1) den deutſchnordiſchen, melchem die Nibelungen: und bie Hege 
lingenfage angehören; 

2) den gothifchen, dem die Amelungenfüge eigen iſt 


1. Deutſchnordiſcher Aythenkreis. 


a. Nibelungenſage. 


Dieſer Sagenkreis iſt ein gemeinſchaftlicher Beſitz Deutſchlands und 
des ſtandinaviſchen Nordens. Da nun die nordiſche Geſtaltung desſelben 
das mythiſche Gepräge viel ſchärfer bewahrt hat, ſo iſt es nöthig, zu 
ihr zurüdzugreifen. Sie iſt zwar bereits in ber ſtandinaviſchen Eagen- 


1 [Hierher gehört der ganze Abſchnitt „Weichichtliches und Urtliches”. 
Schriften I, 91 bis 138. 8.) 
2 [BgL Schriften I, 138 ff. &.] 


519 


gefchichte dargelegt worden, es wird jedoch, beſonders für Diejenigen, 
welche an. ven Borlefungen bes vorigen Semefters nicht Theil nahmen, 
angemefien fein, von dieſer norbifchen Darftellung auch bier einen ges 
drängten Umriß zu geben, gegenüber den kürzlich mitgetheilten Auss 
zügen der deutichen Lieder. " 

Die Hauptquellen der norbifchen Darftellung, jo weit fie uns bier 
berührt, find die Lieber der ältern Edda und bie isländiſche Völ⸗ 
fungafaga. Was wir im deutſchen Cyflus Nibelungenfage nennen, 
beißt im Norden Böljungenfage, indem fich hier Alles vorzugsweiſe auf 
den Helden Sigurd (Siegfried) und fein Geichledt, den Stamm ber 
Bölfunge, bezieht. 

Der Umriß der Völfungenfage ift diefer 1: *** 

Diefe norbifche Geftaltung der gemeinfamen Sage nun tft durchaus 
vom odiniſchen Mythus getragen und durchdrungen. Odin ſelbſt greift 
vom Anfang bis zum Ende thätig ein und feine Dienerin, die Valkyrie 
Brynhild, ift eine der handelnden Hauptperfonen. Wir haben Din als 
den weltbewegenden Geift kennen gelernt, als den Vater der Heldenge 
Schlechter und ven Erreger der Heldenfeelen, nach denen er ſtets begierig 
ift, als den Anftifter des irdiſchen Streites, der Vorſchule jenes größeren, 
in weldem am Enbe ber Zeiten die kämpfenden Geifter burch ben 
Untergang der materiellen Welt zu einem höheren Dafein burchbrechen. 
So nun erweift fi) Din durch den ganzen Verlauf der Sage von ben 
Völfungen. Er ift der Stammoater diefes Geſchlechts, das ohne Zweifel 
diefem göttlichen Urfprung die Unverletzbarkeit durch Gift und das jcharfe 
leuchtende Auge verdankt, vor dem der Mörder Sigurds zurüdichridt 
und felbft die Roſſe fcheuen, die Svanhild zertreten -follen. Odin ge 
leitet feinen Sohn Sigi in die Welt hinaus und verhilft ihm zu Heer 
ſchiffen; Rerin ſendet er den befruchtenden Apfel; in den Baumftamm 
in Wölfungs Halle ftößt er das herrliche Schwert, da nur Sigmund, 
Völſungs Sohn, berauszuziehen vermag ; dieſes Schwert wird Die Urſache 
des blutigen Zwiftes unter den Blutsverwandten, tie folder von 
biefem Kampfgott auch in andern Sagen erregt wird. immer wieder 


1 [Hier folgen die ſchon früher mitgetheilten Abfchnitte: 1. Sigurds Ahnen; 
vgl. oben S. 287. 2. Der Hort; Schriften B. I, 81. 3. Sigurd; B. I, 82. 
4. Atlis Gaſtmahl; B. 1, 85. 5. Svanhild und ihre Brüder; B. I, 86. 
VII, 298. 8] 


- 


320 


erjcheint Odin in feiner” gewohnten irdiſchen Verhüllung als einäugiger, 
langbärtiger Greis mit hberabhängendem Hut und umgefchlagenem Mantel. 
So tritt er auch dem alten Sigmund in ber legten Echladht entgegen 
und ſchwingt auf ihn den Speer, an dem das trefflishe, Schwert, einfi 
feine Gabe, zerfpringt. Er holt den alten Helden aus dem Schlacht⸗ 
gewühle zu fich, wie in einer andern früher angeführten Sage ven greifen 
König Harald Hyldetand. Wieder tritt er auf an der Spitze von 
Sigurds Geſchichten. Mit den Afen Hänir und Loft, denfelben, mit 
denen er die eriten Menſchen erichaffen (wenn Lodr mit Loki gleichbe⸗ 
beutend genommen wird) und mit denen er in einem noch jet gang. 
baren färdifchen Volksliede wirkſam tft, wandelt er durch die Welt und 
auf diefem Gange werben die Geſchicke langer Geſchlechtsreihen beftimmt. 
Odin legt bei der Sühne für Dttur zu dem übrigen Golde ben Ring, 
auf dem der Fluch haftet, daß er den Befitern des Schatzes Berberben 
bringt. (Die Buße für getöbtete Menfchen und Thiere buch Be 
ihüttung derſelben, zwar nicht mit Gold, aber mit rothem Weizen, 
kommt auch fonft in den norbifchen und deutſchen Rechtsalterthümern 
vor, f. Grimm, Rechtsalterth. 668). Außer Hreibmarn, bem erften 
Empfänger des Goldes, und feinem Haufe, verzehrt jener Fluch die 
drei Gejchlechter der Volſunge, Budlunge und Giufunge. Diefes ent: 


spricht dem nordiſchen Weltmpthus, wonach Gold ben Krieg in die 


Welt gebracht bat. Damals warf Odin den Speer aus und fo ward 
ver erfte Volksſtreit. Odin hilft dann weiter dem jungen Sigurb das 
Roſs Grani wählen, das von Sleipnir ftammt. Aus den Stüden bes 
Schwertes, das Odin einft in den Baum ftieß, wird Sigurds treffliches 
Schwert Gramr gefchmiedet, womit er feinen Vater rädht und den 
Lindwurm erfchlägt. Auf Sigurbs Fahrt zur Vaterrache läßt ſich Odin 
in das Schiff aufnehmen, ftillt das Ungewitter und gibt dem Jüng⸗ 
linge Kampflehren, namentlich von der Teilfürmigen Schladhtorbnung, 
bie auch Harald Hyldetand von ihm erlernt. Als Sigurd auf der 
Heide den Lindwurm erwartet, fommt tieder Odin und räth ihm, 
mehrere Gruben zu maden, damit das Blut ablaufe. Die Vallyrien, 
wie wir willen, find bie Jungfraun Odins, melde ven ſchlummernden 
Heldengeift der Königsſöhne wecken und ſchützend im Kampfe fie um: 
ſchweben. Odin bat die Valkyrie Brynhild, teil fie einem Anbern, 
als feinem Günftlinge, Sieg verlieh, in Zauberſchlaf verſenkt und 


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521 


beftimmt, daß der ihren Schlaf breche, den nichts erſchrecken könne. Dieſer 
ift Sigurd, den fie Weisheit-Ichrt und zwiſchen Ruhm und Vergeſſen⸗ 
heit wählen heißt. Sigurds Gefchid ift von nun an ungertrennlid an 
Brynhild gefnüpft, und als er, vom Zaubertranke betäubt, eine Weile 
ihrer vergißt, heiſcht fie ihm zurüd, indem fie felbft feinen Tod anftiftet. 
Diefer frühzeitige Tod wird in langer Reihe blutiger Thaten durch den 
völligen Untergang des Giufungengefchlechtes gerächt und als die letzten 
dieſes Stammes, Hamdir und Sörli, nicht mit Waffen zu verlegen find, 
kommt nochmals der einäugige Greis und räth, fie mit Steinwürfen 
zu tödten. 

Bergleihen wir nun u. |. m. 1*** 

Sm? Allgemeinen finden wir das Mythiſche, das in ber norbifchen 
Darftellung vollitändig zufammengreifend und bedeutungsvoll erfcheint, 
in ber beutfchen mangelhaft, zerftreut, in MWiberfprüche und Misver⸗ 
ftänbnifje verwidelt. Der größere Zufammenhang im heibnifchen Glauben 
ift aufgelöft, Odin, im Norden ber Schlußftein des Ganzen, völlig vers 
ſchwunden. 

Es bewährt ſich hiedurch, daß die Betrachtung der Sage von 
mythiſcher Seite ſich zuvörderſt an die nordiſche Geſtaltung berjelben .. 
halten muß. Allerdings fteht nun dieſe in voller Übereinſtimmung mit 
der gefammten mythiſchen und ethifchen Anficht des Nordens, wie folche 
fih fonft in der ſtandinaviſchen Götter: und Heldenfage ausdrückt, und 
e3 ift in der nordischen Sagengeichichte angedeutet worden, daß in Feiner 
dahin gehörigen Eagenreihe Odin fo vom Anfang bis zum Ende thätig . 
eingreife und damit das Einzelne zum Ganzen verbinde, mie in ber 
Völfungenfage. Gleichwohl zeigt ſich dem fchärferen Hinblid auch hier 
die Nothwendigkeit einer fortgeſetzten Sonderung. Es genügt nicht, 
daß wir den Geſammicyklus nach den drei Heldengeſchlechtern, Ame⸗ 
lungen, Nibelungen und Hegelingen, abgetheilt und nun zunächſt die 
Nibelungen: over, nach nordiſcher Bezeichnung, die Volſungenſage zum 
Gegenſtande beſondrer mythologiſcher Erforſchung gemacht haben. Auch 
ſie muß, wenn wir zu ihrem mythiſchen Kerne gelangen wollen, noch 
weiter zerſetzt werden. Die Verbindung verſchiedener Sagen geſchah im 


1 [Übgebrudt in den Schriften I, 155 bis 158. *] 
2 (Schriften I, 158. 8.] 





522 


Norden vorherrſchend auf dem Wege, daß biefelben genealogiich im 
Fortſchreiten von einem Gliede der Abflammung zum andern angereiht 
wurden, wogegen im beutichen Epo3 die Bufammenreihung mehr in die 
Breite, gleichzeitig und ſeitenverwandt fich bewerkſtelligte. Jener Weg 
in abfteigender Linie ift nun auch für die innwärtige Sonderung der 
nordiſchen Völfungenfage rückwärts einzufchlagen. Zum voraus haben 
wir die Anknüpfung derſelben an Ragnar Lodbrok, durch deſſen Ber 
mählung mit Aslög!, einer angeblichen Tochter Sigurds von Brynhild, 
weggelafien, da fie, im Widerſpruch mit dem echten Sagenbeitanbe, 
nur zur Verherrlichung eines norbifchen Königsſtammes dienen follte. 
Allein auch dasjenige Sagenglied, welches wir im obigen Umriß mit 
der Rubrik: Svanhild und ihre Brüder ?, bezeichnet haben, muß abge 
. löſt werben, als urfprünglid zu einem andern Sagenkreiſe gehörig. 
Gudrun, Sigurds und dann Atlis Witte, will, nachdem fie an Letzterem 
ben Tod ihrer Brüder graufam gerächt, ſich ſelbſt im Meere verſenlen, 
aber die Wogen heben fie empor und tragen fie zum Lande bes Königs 
Jonakur, von dem fie Mutter dreier Söhne wird. Mit diefen und ihrer 
Galbſchweſter Svanhild, der Tochter Gudruns von Sigurd, werben 
wir in die Gefchichten des Königs Jörmunrek (Ermenrich) verfegt und 
in der That ift die VBölfungenfage an einem ihr völlig fremden Strande 
angefhwommen. Daß nun Spanhild und ihre Brüder wirklich im 
Amelungentreife ihre rechte Heimath haben, foll bei ver Betrachtung 
bes gothiſchen Mythus nachgewiefen werden. Hier, bei der Bölfungen- 
fage, poftulieren wir einftweilen bie Ablöfung. 

Aber noch weiter ift diefes abfondernde Verfahren erftredit morben. 
Auch Ali (Eyel, der Hunnenkönig) und bie burgundifchen Königsbrüder 
follten fih von ber eigentlichen Bölfungen: und Riflungenfage aus 
ſcheiden. W. Grimm bat bemerkt, daß in denjenigen Eddaliedern, welche 
nad Form und Darftellung als die älteften erfcheinen, Atli auch nicht 
ein einzige mal König von Hunaland genannt werde, daß in ihnen 
vielmehr Hunaland das Erbe der Bölfunge fei, deshalb auch Sigurd 
vorzugsweiſe der huniſche heiße und in einigen Fällen huniſch fichtbar 
in allgemeinem Sinne für deutſch gebraucht fei (Heldenfage 6, 2); für 


I (Schiften I, 87 f. K.] 
2 [Schriften I, 86 fe 8.) 


523 


Ali fei darum bie Beziehung auf den hiſtoriſchen Attila, den König 
der Hunnen, bier noch unbebentlich zu läugnen. Der Name, althoch⸗ 
deutſch Azilo, Ezilo, fei freilich derfelbe, aber ſonſt ſtimme nichts, ja 
es bleibe noch ungewif®, ob wir Hunni und Hänar für ein und das 
felbe Wort zu balten haben u. f. w. (ebend. 9. Bol. 10, 2). Eıft 
fpäter jei Hunaland, Siegfried Heimath, als das biftorifche Hunnen- 
reich nach Dften verlegt und dem Ebel zugetbeilt worden (ebenv. 345. 
Bol. 11, 1). Auf ähnliche Weife glaubt Lachmann (Kritit der Sage 
von den Nibelungen im rheinifchen Mufeum für Philologie, Geſchichte 
und griechiſche Philoſophie, herausgegeben von Niebuhr und Brandis, 
im 3ten Jahrgang, Aten Heft, Bonn 1832, ©. 435 ff.), daß der in der 
eigentlichen Nibelungens oder VBölfungenfage gelegene Name Gunther, 
Gunnar, den Anlaß gegeben habe, ven geſchichtlichen Burgundenkönig 
Gundahar mit ihr zu verbinden (S. 25. 30). 

E3 bat fi und nun allerbings bei der vorhergegangenen Ber 
trachtung der Sage von geichichtlicher Seite die Verſchiedenheit ergeben, 
daß mir für denjenigen Theil berfelben, welcher zunächſt Siegfrieds 
Leben und Tod betrifft, feine haltbare Anknüpfung an biftorifche Per⸗ 
jonen und Ereignifje aufzufinden wuften, wogegen fi für den andern 
Theil, ver die eigentliche Nibelungenoth, ven Untergang ber Burgunden 
an Etzels Hofe, umfaßt, die Beziehung auf die hiſtoriſch beglaubigte 
Bertilgung des burgundifhen Gunthikar und feines Geſchlechts durch 
die Hunnen unter Attila, fowie auch auf die Königsnamen des bur⸗ 
gundifchen Geſetzes, fehr nahe legte., Erwägen wir zugleich, daß ein 
mythiſcher Charakter, ſelbſt nach der norbifchen Darftellung, ſich vor⸗ 
zugsweiſe und wejentlih nur in jenem vordern Theil der Sage bes 
merklich mache, fo fpricht alle Wahrfcheinlichkeit dafür, daB bie borges 
ſchichtliche mythiſche Sigurbsfage erjt im Verlauf ihrer weitern Ent 
wicklung in jene hiſtoriſchen Elemente eintrat. Bindungsmittel fonnte 
der gemeinfame Name Guntber, Gunnar, fein; dieſer ift auch ein alt 
nordifcher und ſelbſt einer von den vielen Beinamen Odins (Lex. myth: 
369 beilicosus, pugnax-; ahd. fund,‘ altn. gunn, pugna. Gramm. II, 
457). War Gunther, Gunnar, in der urfprünglidden Sage der Name 
eines der Schwäger Sigurds und der Verräther an ihm, fo reibten ſich. 
die übrigen burgundifchen Königsnamen Gibica (Gibich, Giuki), Godo⸗ 
mar (Guttormr), Gislahar (Gifelher) leicht mit an. Hagen, Högni, 


924 


dagegen, ver feinen biftorifchen Anklang findet, blieb aus ber alten 
Siegfriedsſage fteben. Für fi) allein zwar würde die Namengleichbeit 
noch Feine Verbindung zu bewirken vermodt haben; aber einestheils 
mochte das biftorifche Ereignis der Vertilgung des burgundiſchen Königs⸗ 
ftammes durch die Hunnen fi in der Überlieferung bereits‘ fagenbaft 
berangebilvet haben, anderntheils lag eine nähere Beranlafjung, beide 
Sagen zu verbinden, nad Lachmanns Bemerkung (S. 25) in der fühl: 
baren Unvollitändigfeit der Nibelungenfage, fobald fie mit der durch 
feine Rache vergoltenen Ermordung eines Helden durch feine Schwäger 
endigte, wenn wir nicht anders annehmen, daß ein Rachefampf aud 
bier fchon vorhanden war und die entfprechenve geichichtlihe Sage an 
ſich zog. 

Fragen wir nun nach dem mythiſchen Beſtande der von jenem 
hiſtoriſchen Anwachs wieder abgelösten Völfungen» oder Nibelungen 
ſage, ſo bieten ſich hier, wie für die Betrachtung von mythiſcher Seite 
überhaupt, verſchiedene Anſichten der Forſcher dar. Sie theilen fi) haupt 
ſächlich nach zweierlei Richtungen. In der einen wird angenommen, 
daß die Heldenſage dem Hauptinhalte nach menſchliche Verhältniſſe dar 
ſtelle, wenn gleich in ihrem Zuſammenhang mit dem Göttlichen und 
Ubernatürlichen. Nach der andern Richtung wird die Heldenſage für 
eine menſchlich umgewandelte Götterfage angejehen. Zu Gunften ver erftern 
Anficht ſpricht ſich W. Grimm aus. Er unterjcheidet Götter: und Helden: 
jage und weiſt der erflern vorzugsweiſe die Betrachtung des Überfinn, 
lichen, der lehtern die Verherrlichung irdiſcher Ereignifie an (Helvenf. 
336). Über das Wunderbare im deutſchen Epos fagt er ©. 398 f.: 
Geringfügig ift es nicht ! u. ſ. wm. *** 

In befondrer Bezichung auf die Siegfriedsſage äußert Grimm 
©. 336: Wenn Siegfried zugleich Dietrich ift u. f. m. *** 

Die Einmiſchung der brei Aſen am Eingang der Sagen von 
Sigurd hält Grimm für einen nordiſchen Zufag, für eine Einfchiebung, 
denn was fie thun und was fie fich müfjen gefallen lafien (die Löſung 
ihrer Häupter durch das Zivergegolb), fei fo wenig göttlich, daß eben 
fo leicht, ſelbſt ſchicklicher, ſterbliche Menfchen an ihren Pla treten 
würden (©. 384 f.).- 


I [Bgl. Schriften I, 210 f. K.] 





- 55 

Die entgegengejegte Anficht, welche Grimm in Obigem anbeutet, 
das Aufgehen der Heldenfage im Göttermythus, ift befonders von Done 
und 9. v. d. Hagen hervorgeftellt worden. , 

Mone, Einleitung in das Nibelungenlied. Heidelberg 1818. 

(Otnit, herausg. von Mone. Berlin 1818. Einleitung.) 

Mone, Geſchichte des Heidenthums im nördliden Europa. 

H. v. d. Hagen, Die Nibelungen: ihre Bebeutung für die Gegenwart und 

flir immer. Breslau 1819., 
Diefen beiden Echriftftelern ift Siegfried gleichbeveutend mit 
Baldur und der Nibelunge Noth mit Ragnaröf, dem Weltbrande der 
norbiihen Mythologie, was freilich die ungetrennte Nibelungenfage 
vorausſetzt (Mone, Einleitung in das Nibelungenlid ©. 77. Ge 
fchichte des Heidenthums II, 326 f. 330. Moſers Auszug 918 f. 
Hagen, die Nibelunge 37. 60 f. 68). 

Der norbifche Mythus von Baldur ift diefer1: - 

Baldur der Gute, Odins Sohn, ift der mildeſte und weiſeſte 
der Ajen. Ihn lieben und loben Alle. Seine Urtbeile kann Niemand 
umitoßen. Er glänzt von Echönheit, nichts Unreined darf in feiner 
Wohnung fein. So lang er lebt, ift die Macht der Götter gefichert. 
Do Baldur felbft hat ſchwere Träume, daß fein Leben gefährdet fei. 
Frigg, feine Mutter, nimmt darum einen Eid von Elementen, lebenden 
. und leblojen Weſen, daß fie Baldurn nicht ſchaden werden. Hierauf 
vertrauend ergeben fi die Afen damit, daß fie Baldurn vorn in bie 
Berfammlung ftelen, wo einige auf ihn hauen, andre nad ihm Schießen 
ober mit Steinen werfen; und mas fie auch thun, er hat feinen Schaden 
davon. Als Loki, der Stifter alles Böſen, der Verräther unter ben 
Alen, diejes fieht, verbrießt e8 ihn; in Geitalt eines Weibes erforfcht 
er Frigg, ob denn alle mögliche Dinge geſchworen, Baldurs zu fchonen. 
Frigg antwortet, weſtlich von Balhall wachſe ein Heiner junger Baum, 
Miiteltein genannt; er hab ihr zu jung gefchienen, um ihn in Eib zu 
nehmen. Loki zieht nun den Mifteltein aus und geht damit zur Ber- 
fammlung. Der blinde Aſe Höbr fteht zu äußerft im Kreiſe. Ihn 
fragt Loki, warum er nicht auch auf Baldurn fchieße. Hödr antwortet: 
„Ich jehe nicht und hab’ audy Feine Waffe.” „Sch will dir zeigen, wo 

1 [Eine ausführlihere Darftellung desſelben ift ſchon oben ©. 22 fi. 

gegeben. 8.] 


\ 


526 


ex ſteht,“ erwibert Loli, „und fchieß dann auf ihn mit dieſer Gerte!“ 
Höre nimmt Mifteltein und fchießt nad) Lokis Antveifung auf Baldurn. 
Der Schuß durchbohri diefen und er fällt tobt zur Erbe. Sprachlos 
ftehen die Afen umber. Nanna, Baldurs Frau, vergeht vor Gram 
und ihre Leiche wird mit ber feinigen auf den Echeiterhaufen gelegt. 
Vergeblih find die Verſuche der Aſen, Baldurn aus Hels dunkeln 
Wohnungen zurüdzugewinnen, und unaufbaltiam bricht nun aud ihr 
Verbderben herein. Sie fallen im Kampfe mit den entfefjelten Unge 
heuern und die Welt lodert in Flammen auf. Sn der wiedergeborenen 
Melt geht auch, Baldur neu hervor. 

Diefer Mythus von Baldur bietet fich zweifacher Deutung, pbuftfcher 
und ethiſcher, dar. Phyſiſch wird Balbur für einen Sonnengott er 
klärt, fowohl für die Sommerfonne, als für die Sonne des Weltjahrs, 
fo daß alſo fein Tod einestbeild die Sommerfonnenwende, das ab- 
nehmende Licht, anderntheild das Neigen ber ganzen erfchaffenen Welt 
zu ihrem Ende bezeichnen würde. Ethiſch zeigt fich in ihm das er⸗ 
baltende Maaß und Gefeß, mit defien Aufhebung alle zerſtörende Ge 
walten entbunden werben. Auch eine Verbindung und Wechfelbeziehung 
diefer beiverlei Auffafjungen kann gedacht werden. Das Nähere jedoch 
gehört in die norbifhe Mytbengefchichte. 

Die Ähnlichkeit nun, welche zwifchen dem Tode Baldurs durch den 
blinden Hödur und dem dadurch berbeigeführten Götteruntergang und 
Weltbrande einerfeit und anderſeits der Ermordung Siegfrieds durch 
Hagen (Guttorm) und dem bierauf folgenden Bertilgungstampf im 
brennenden Saale bemerkt wurde, hat veranlaßt, den Gott und den 
Helden, den Mythus und die Sage, entiveber für identifch anzunehmen, 
ober biefelbe Idee dort makrokosmiſch, hier mikrokosmiſch ausgebildet, 
dort den Urmythus, bier deſſen heroifch-epifche Einkleidung zu erkennen. 
H. v. d. Hagen fagt (die Nibelungen ©. 37): 

In ihrer älteften uns übrigen Geftaltung, befonders ber eddaiſchen Allitte⸗ 
rationslieber, find fie [die Nibelunge]) noch durd Abſtammung und Einwürkung 
der Götter ganz in die Wöttergeichichte verwachſen und eine heroiſche Wieder- 
bolung 1 des Grundmythus darin. Aber es läßt fi) darthun, daß auch bei 
uns Giegfrieds Leben und Tod, die Klage und der Nibelungen Roth nichts 
anders iſt, al$ das Leben und der Tod Baldurs des Guten, der lintergang 


1 &. 86: die heroifche Berlörperung desjelben. 


— ..eus — — 


527 


aller Goͤtter in der Götterbämmerung, alſo jener unker mancherlei Namen und 
Geftalten überall vorkommende Urmytäus von Leben, Tod und Wiebergeburt, 
von Schöpfung, Untergang und Wiederlehr ber Beiten und Dinge überhaupt. 


Mone erklärt in der Einleitung in das Nibelungenlied S. 771 
Siegfried für ein Weſen mit Baldur. Später, in der Gefchichte des 


nordeuropäifchen Heidenthums (Il, 326) äußert er: 


Da der Weltbrand durch den Untergang der Völker fih im Leben erfülite, 


ſo mufte diefer in der Anficht des Volfes viefelbe Urſache haben, wie jener; 


nun war Baldurs Ermordung der Uriprung des Weltendes, daher denn in 
der Heldenfage auf die Ermordung Sigfrids die Nibelungen Noth folgt. . 
Negifter 585: Sigfrit ift Ballder. 


Es hat ſich ſonderbar gefügt, daß Mone, fonft der entſchiedenſte 
Bertheibiger der mythiſchen Deutung, in jeiner neueften, zuvor ange: 
führten Abhandlung über die Heimath der Nibelungen ebenfo vor: 
wiegend den Weg der gejchichtlichen Erklärung verfolgt hat, mährend 
umgelehrt Lachmann, der die mythologiſchen Hypotheſen Mones und 
Hagens eifrig belämpfte, neuerlich in der ſchon erwähnten Kritik ber 
Sage von den Nibelungen in dieſer gleichfalls eine Götterfage (24, 2) 
und in Siegfried einen dem nordiſchen Baldur ähnlichen Gott (22) ges 
funden hat, obgleich allerbings in behutfamerem Gange der Forfchung. 

Die Hauptzüge diefer neuen Forſchung find folgende: 

©. 12 fe? Bon den Wolfungen wird ung nichts ala Mythiſches erzählt, 
und felbft in den Namen Wolfung und Nibelung ift fchon ein bebentungsvoller 
Gegenſatz. Vols fir Pracht und Stolz hat fich in der nordifhen Sprache er- 
halten: in Deutſchland weifet mir J. Grimm die Namen Wolsbraht 3 und 
Weliſunc nach (tradit. fuld. 2, 216. Schannat N. 496. Meihelbed N. :40). 
Davon Bolfängar, angelſächſiſch Bälfingas, das Geſchlecht der Herrlichkeit. Da⸗ 
gegen Nibulunga, Niflingar, die Nebellinder, wozu fi) das Eubflantivum 
Nifl wieder aus der nordiſchen Sprache verloren hat, die es jedoch in mytho⸗ 
logiſchen Ableitungen noch bewahrt u. ſ. w. Damit, daß die Wolfunge Kinder 
der Herrlichkeit find, flimmen die glänzenden Wolfungenaugen Sigurds und in 
den Anhängen der norbifhen Sage auch feiner Nachkommen liberein, [jowie 
überhaupt] ihre wunderbaren übermenjchlichen Eigenichaften und X haten u. |. w. 


1 Bgl. Geſchichte des Heidenthums IE, 330. 
2 [Lachmanns Anmerkungen zu den Nibelungen ©. 339. 8.] 
8 ahd. peraht, Iucidus, Gr. II, 556 und beraht, Schmeller I, 19. 


528 


—— 


Nachdem Lachmann hierauf verſchiedene Anzeigen hervorgehoben, 
nach welchen Siegfried in den verſchiedenen Darſtellungen der Sage 
als in einem Verhältnis der Dienſtbarkeit befangen erſcheint, entwickelt 
er weiter: 

©. 17 f. [342]. Beachten wir, daß in der Mythologie des Nordens Niſſheimt 
und Niflhel der Talte Theil der Erde und die Wohnung der Berftorbenen ge 
nannt wird, beachten wir daneben, daß, wenn bie nordiihe Sage zuerft deu 
Schatz in der Gewalt der Zwerge fein läßt, die ſüddeutſche nicht ohne Ber 
wirrung außer Glinther und feiner Umgebung auch die erften Herren des Schatzes 
zu andern Nibelungen macht, die Siegfried zum Theil erichlägt, jo wirb man 
fhwerlih noch zweifeln, jene und diefe find von einem Gefchlechte, und dies 
Geſchlecht ift ein bermenfchliches, aus dem dunkeln neblichten Todtenreich, ihnen 
gehört ter Schab und fie befommen ihn zurüd. 

So iſt den Sinn von Siegfried Sage deutlich und einfach. Er bat das 
Gold gewonnen, das den dunkeln Geiftern zugehört, durch deſſen verderblichen 
Beſitz er in igre Knechtſchaft gerathen iſt. Bei aller Herrlichkeit, die es ihm 
gewährt, ift er der Unterwelt verfallen: er muß vie firahlenve Zungfran nic 
für fish, fondern feinem Herrn, dem König des Tedtenreichs, gewinnen und ihm 
durch den Ring der Vermählung weihen: das Gold kehrt zu den Unterirdiſchen 
in die Tiefen des Rheins zurück. 

S. 20 [343]. Die Ausführung haftet an dem Satze, daß das Gold, oßgleid 
begehrungswürdig, doc in die Gewalt der unterirbiichen Mächte bringt u. |. w. 


Noch weiter aber ſucht Lachmann darzuthun, daß hier nicht Helden, 
fondern Götterweſen handeln. 


Der Name Sigofrid [jagt er ©. 22 f.] findet vor dem Ende bes Tien 
Jahrhunderta fi nirgend, woraus man wohl jchließen darf, er fei in heidni⸗ 
cher Zeit Name oder Beiname eines Gottes geweien. Nehmen wir dies am, 
fo denkt man bei ihm natürlich fogleih an den nordiſchen Balbur, als einen 
Gott, der ebenfalls geitorben ift: und dieſe Vergleihung (die aber feine rohe 
Identification fein fol) ergibt, in dem mythiſchen Ausbrud fiir den Tod beiber 
Bötter, fogar noch eine Möglichkeit, den fonft unerlärlichen Mörder Siegfrieds, 
Hagano, für die [urjprüngliche] Sage zu retten, Baldur wird von dem blinden 
Hödr mit der Miftel erfehoffen: Hagano, der einäugige Mörder Siegfrieds, hat 
feinen Namen von dem ftehenden Dorn (hagan), weshalb er in Eckehards 
Waltharius manu fortis auch spinosus Hagano genannt wird und O paliure, 
virens foliis, ut pungere possis. Seine Perſon ift offenbar mehr, als beroifch. 
Nah der nordifhen Sage foll er ein Niflung fein und Hniflüngr heißt fein 
Ephn: nad der deutſchen ift fein Bater ein Alb (Bilfinaf. Cap. 150. 365) u. |. w. 


529 


Danach zeigte denn die Fabel, nicht mehr wie ein Held, ſondern wie ſelbſt 
ein herrlicher leuchtender Gott, ein Gott des Friedens durch den Sieg, nicht 
ungeſtraft die geheimnisvollen Wächter im kalten nördlichen Todtenreiche morden 
und das Bold der nächtlichen Götter dem Drachen rauben darf. Er gewinnt 
durch den Raub zwar Reichthum und wunderbare Kräfte, aber er kommt auch 
in die Gewalt der Dämonen. Er muß ihre Bundesbruder werben, fi) mit 
ihrer Schwefter vermählen, für den König des Nebelreihs mit dem Werkzeug 
der Unterwelt die umftrahlte Valkyrie aus den Flammen bolen, in des Königs 
Geſtalt ihren Widerfiand bezwingen: durch den Ring aus dem Schatze ver- 
mählt er fich mit ihr, aber fie wird nicht feine, fondern feines Herrn Braut: 
er ift tobt, vom Tobesdorn, dem Sohn des Schredens, erflochen. 


Dbne auf diefe verfchiedenen Auffaffungen ver Nibelungenfage_ im 
Einzelnen einzugeben, gebe ich meine Meinung darüber kürzlich mit 
Yolgendem: 

Grimms Anficht, wonach Götter: und Heldenſage unterſchieden 
werden müflen, balte ih im Allgemeinen für bie richtige, Göttermelt 
und Menschenleben zufammen bilden das Ganze einer mythilchen Welt 
anſchauung. Aber in ver Ausführung felbit ſcheint mir Grimm dieſen 
größern Zuſammenhang zu menig zu beachten und fich zu jehr auf die 
Betrachtung der einzelnen Erfcheinungen des Wunberbaren zu be 
ſchränken. Insbeſondre Tann ich, aus fpäter anzuführenden Gründen, 
nicht damit einveritanden fein, wie er Odin und bie übrigen Aſen aus 
der Nibelungenfage entfernen will. Die Gleisbitellung Siegfrieds mit 
Baldur, bei Mone und v. d. Hagen, würde, als völlige Identification, 
in jener. Vermiſchung von Götter: und Heldenfage beruhen, gegen die 
fih Grimm mit Recht erflärt. Aber auch die analogiiche Zuſammen⸗ 
jtelung, ale Makrokosmus und Mikrokosmus, als heroiſche Wieder: 
bolung des Göttermythus, findet ihren Gegengrunb in der Eigenthüm⸗ 
lichkeit der nordiſchen Glaubenslehre ſelbſt. Das Berhältnig der Götter 
zu den Menichen, alſo zum voraus ber Unterjchied zwiſchen beiden, - 
dann die Erweckung der Helden durch Odin, die Steigerung des irdiſchen 
Kampfes zum künftigen in Gemeinfchaft ver Götter, dieſes Yortichreiten, 
diefe, Ahftufungen find ber nordiſchen Anficht weſentlich. Sigurd Tann 
nicht Baldur fein, er wird erft durch die Vallyrie zu Odins Hallen 
gezogen; der Niflunge Kampf, wenn er auch urjprünglich zur Sage 
gehörte, iſt nicht Ragnarök, denn die Helden fahren vom irbilchen 

Uhland, Schriften. VII. 34 





% 530 . 
Kampfe zu Odin auf, um dann erft mit ihm, als Einherien, am Welt- 
Tampfe Theil zu nehmen. So rebuciert fih uns die Gleichftellung 
zwifchen Göttermythus und Heldenfage auf eine allerdings nothwendige 
Verbindung unb Übereinftimmung beider. 

Lachmanns an fi fcharffinnige und mehrfadh anregende Aus 
führung ift mir hauptſächlich darum nicht überzeugend, meil fie einer: 
feits ſich an die nordifche Mythologie anfchließt, anderfeits einen uns 
unbelannten deutſchen Mythus aus Muthmaßungen aufbaut. Sieg: 
frieb ift nicht Baldur, aber ein, biefem ähnlicher deutſcher Gott Sigo- 
frid, Hagen nicht Hödur, aber doch mit biefem gleichartig, Die Nibe: 
unge werben wirklich mit dem norbifchen Reihe der Finfternis und 
Kälte, Niflbeimr, Niflhel, in Beziehung geſetzt, aber doch bilden fie in 
ihrem Gegenſatze zu den Bölfungen ein Verhältnis, von dem man nicht 
abfieht, wie e3 in das zu Tage liegende Syitem der norbifchen Mytbo- 
Iogie und der ihm eigenthümlichen Weſenklaſſen eingereiht werben ſoll. 
Vrynhild hört auf, als Valkyrie bedeutend zu jein, fie wird eine ſtrahlende 
Sungfrau, deren mythiſcher Charalter nirgends begründet ift, Die 
Aſen Odin, Hänir und Loki follen weichen, um den neuen Götfern 
Sigofrid und Hagen Raum zu geben. Aber dürfen wir das Altbe 
feftigte für das noch gänzlich Muthmaßliche aufgeben? 

Um bei foldyer Manigfaltigkeit der Anfichten, wenn nicht zu einer 
vollftändigen Erklärung, doch zu einem möglich feften Anhalte zu ge 
langen, glaube ich die Ünterfuchung auf folgende zivei Fragpunkte zurüd: 
führen zu müſſen: 

1) Iſt der von ihren fpätern Anwüchſen abgelösten Nibelungen⸗ 
ſage, fo wie fie dann in nordiſcher Darſtellung erſcheint, der odiniſche 
Mythus nur äußerlich angeeignet, oder iſt ihre innere Bedeutung in 
ihm begründet? 

2) Zeigt auch die deutſche Darſtellung dieſer gemeinſamen Sage 
noch unvertennbare Merkmale des urfprünglichen Zufammenhangs mit 
demfelben Mythus? 

In erfterer Beziehung ift bereit dargethan worden, wie das 
Mythiſche in der nordiſchen Darftellung durchaus der odiniſchen Glaubens- 
anficht entfpreche, wie folche ſich anderwärts in ſtandinaviſcher Götter: 
und Heldenfage barlegt. Allein eben daraus, daß Odin auch über den: 
jenigen Theil des nunmehrigen Sagenverbandes binauswirkt, welchen 


531 


wir als urſprünglichen Beſtand der Vöolſungen⸗ oder Nibelungenſage ab- 
geſondert haben, könnte geſchloſſen werben, der Norden habe feine 
@ötterwweien dem Ganzen nur als herlömmlicdhe mythiſche Ausftattung 
angehängt. In demjenigen Sagengliebe zwar, welches ben Untergang 
der Giukungen an Atlis Hofe begreift, ift nichts Odiniſch⸗Mythiſches 
zu bemerken, dagegen im legten, das den Tob ber Söhne Gubrung er 
zählt und das wir feinem rechten Bufammenhange nad einem andern, 
dem gothiſchen Sagenkreife vindicieren mujten, tritt der alte, einäugige 
Odin noch am Schlufe hervor und räth, mie Hambir und Sörli ge 
töbtet werben können. Die nordiſchen Quellen ſelbſt miſchen einzelne 
mythiſche Züge nicht in gleichem Maaße bei. So gräbt Sigurb in ben 
Eddaliedern eine einzige Grube, über die der Drache hinkriechen fol, 
während in der Völfunga- Saga Odin eingeführt wird, um dem Jüng⸗ 
linge zu rathen, daß er noch andre Gruben zum Schuße gegen Fafnirs 
Blut grabe (W. Grimm, Helvenfage 382 f.). Da num auch bei 
andern Drachenlämpfen, welche Saro (von Frotho B. U, ©. 26, vom 
Fridlev B. VI, ©. 153. Bel. B. VO, ©. 195) erzählt, Din, ben 
Helden berathend, eintritt, fo Fönnte in der Völfunga- Saga fich dieſer 
Bug nur als ein Hergebrachted wiederholt haben. AU dieſes aber ent 
hebt uns nicht der Erforfchung, ob der Mytbus im Innern der Sage 
- bafte. Denn wäre Lehteres der Fall, jo müften wir das Beftreben 
natürlich finden, die fpätern Anhänge der urfprüngliden Sage mit 
diefer auch in mythiſcher Hinficht, wäre es auch mehr nur äußerlich, in 
Einklang und Zuſammenhang zu bringen. Den eigentlichen Kern ber. 
Sage bilden nun die Gejchide Sigurds, der Dracenlampf und die Er 
werbung des Hort3, fein Verhältnis zu Brunhild, fein gewaltfamer 
Tod. (Sn letzter Hinficht ift Lachmann ©. 21 abweichender Meinung.) 
Bom Horte nun und dem darauf haftenden Fluche haben W. Grimm 
und Lachmann die Erſcheinung der brei Ajen, Odin, Hänir und Loki, 
als norbifhen Zuſatz wieder abzutrennen verſucht; ber Erftere, weil er 
das, was bie Afen bier thun und erleiven, nicht für göttlich und fie 
an diefer Stelle leicht und fchidlicher durch fterbliche Menfchen erfehbar 
fand (Helvenjage 384 f.); Leterer, weil dieſe Erzählung nicht mit ber 
deutfchen Sage flimmt (wovon nachher) und weil er ben Helden Sigo- 
frid felbft zum Gott erhebt. Auf dieſe Zweifel ſoll im Folgenden, jo- 
weit es nicht ſchon geicheben, geantwortet werben. Es trägt aber auch) 


\ 


532 


pofitiv jene Verbindung der Götter mit dem Horte fo entidjieden das 
Gepräge ältefter mythiſcher Anfchauung, fie macht ein Bedeutungsvolles 
fo nabe fühlbar, daß gerade bier durch unbegrünbete Trennung ber 
tiefere Sinn zerftört werben könnte Will fi uns biefer auch nicht 
mehr völlig enthüllen, fo wird doch jo viel deutlich, daß bie mächtige 
Wirkung des Goldes auf die menfchlichen Geſchicke nicht ohne bie Götter 
eintreten follte. Ein Unrecht ift von biejen felbft gefchehen, burch ben 
töbtlichen Wurf auf Ditur. mar war Dttur in feiner Verwandlung 
unfenntlih und der Wurf geihah durch Loki, der aud in der Götter: 
welt, feiner Ablunft nach nicht zu den Afen gehörig, ftet3 das Böfe 
fliftet. Aber auch die ſchuldloſen Aſen muften fi) dem Rechte fügen, 
das die Buße des Mordes erheifcht. Hreidmar verlangt, daß ber Ge 
tödtete, wie in andern Fällen mit Waizen, fo’ bier, wo Götter bie 
Thäter find, mit Gold befchüttet werbe, und fie find nun genöthigt, 
das verberbliche Gold den unterirdiſchen Mächten zu entreißen. So if 
das Verhältnis der Götter, welche fich dem unterwerfen, was nach den 
Begriffen des Alterthums unantajtbares Geſetz it, Fein jo unmwürbiges, 
wie Grimm es anfteht, noch hätten fo meitgreifende Geſchicke lediglich 
in menfchlichen Handlungen ihren Anfang nehmen bürfen. Wollte man 
aber dennoch die Götter in ber Art bier befeitigen, daß man annähme, 
diefer Mythus von der Einführung des Goldes unter die Sterblichen 
fei ein allgemeinerer, nicht urſprünglich an die Sigurdsſage gefnüpfter, 
fo liegt doch in diefer ein andrer, von ihr untrennbarer und zugleid 
im eigenften Weſen des odinifchen Mythenkreiies haftender Beſtandtheil, 
die Valkyrie Brynhild. Nirgends, als in der odiniſchen Kampflehre, 
waltet die Balkyrie, und wollten wir Brynhilden dieſer Eigenfchaft ent 
kleiden, ihr auch fo den Panzer vom Leibe ſchneiden, fo würbe aller innere 
Zufammenhang der nordiſchen Fabel ſich auflöfen. Ein ſolches Weſen 
höherer Art muß Sigurds erſte und unter allen Verdunklungen unver: 
tilgbare Liebe fein, wenn der nur von ihm ausführbare Ritt durch die 
Flamme, wenn ver Gegenſatz Brynhilbs zu ber menſchlichern Gudrun, 
wenn die Wiebervereinigung Sigurds und Brynhilds im | Tobe Sinn 
und Bedeutung bebalten jollen. 

Dieß find die Hauptmomente, warum ich glaube, daß die Nibelungen: 
ſage fich in der nordiſchen Darftellung den odiniſchen Mythus nicht bloß 
äußerlich angeeignet bat, fondern innerlich mit demſelben zufammenbängt. 


V nn ww.» 


333 

Fragen wir nun aber 

2) ob auch die deutſche Darſtellung noch einen ſolchen urſprüng⸗ 
lichen Zuſammenhang mit vemfelben Mythus erkennen laffe, jo wird 
uns bie folgende Erörterung auch bier auf dasſelbe Ergebnis führen. 

Es ift unter den neueren Forſchern darüber fein Zweifel mehr, daß bie 
Ablunft der Ribelungenfage, ſoweit ſich folche verfolgen läßt, in Deutſch⸗ 
land zu fuchen fe. Die norbifchen Quellen felbft weifen auf beutfchen 
Uriprung hin, wie früher in ber ſtandinaviſchen Sagengefchichte ausge: 
führt worden. Ein auswärtige® Land, bald Hunaland, bald Frakland 
(Frankenland) genannt, ift dag Gebiet der Bölfunge, und wenn es 
aud nicht an Örtlihen Anknüpfungen an den Norven fehlt, fo brängt 
Doch die Sage für ihre bedeutendſten Ereigniffe immer mieber nad 
dem Süden, nad Frantenland und dem Rheine hin. Die Namen 
Nibelung und Siegfried find auch geichichtlich am früheſten als fränkiſche 
beurfundet. ft aber die Sage überhaupt aus Deutfchland nad) dem 
Norden getvandert, jo tritt und num die früher umftänvlid begründete 
Thatfache hinzu, daß Odin, Wodan, auch von deutſchen Völfern ver: 
ebrt wurde. Der odiniſche Mythus hatte alſo für diefe Sage auch auf 
deutſchem Boden zum voraus nichts Frembartiges; ja es konnte eben 
im gemeinfamen Mythus der Anlaß ihrer frühen und vollitändigen Ein 
bürgerung im Norden zu fuchen fein. Warum aber die heibnifchen 
Mythen in den deutſchen Liedern und Sagen überhaupt abgeſchwächt 
und ausgetilgt wurden, während fie in den norbifchen Denfmälern ſich 
ungetrübt erhielten, warum in jenen bejonbers Odins Erſcheinung gänze 
lich wegfiel, davon ift der Grund leicht einzufehen. Abjeit3 der Völker: 
züge, unberlihrt von ver Nachbarfchaft römischer Bildung, unerreicht vor⸗ 
nehmlich von den Fortichritten des Chriftenglaubens und allen in feinem 
Gefolge gehenden Umwandlungen ver Verfaffung und Sitte, war Stan: 
dinavien feiner eigentbümlichen Entwidlung den langen Zeitraum hin 
durch überlaffen, während deſſen die deutſchen Völker der Reihe nach 
jenen mächtigen Einflüffen unterlagen. Sechs Jahrhunderte vergiengen 
von der Verbreitung des Chriftentbums unter den Oftgothen bis zum 
Siege desſelben in Norwegen und Island. Was urfprünglich vielen 
Volkern germanischen Stammes gemeinfam war, muſte doch bei den 
Bewohnern des Nordens ſich in feftefter und ſchärfſter Geftaltung aus 
prägen. So wurben denn die norbilchen Götter zwar auch aus Hainen 





934 


- 


und Tempeln vertrieben, aber ihre Hochſitze blieben ihnen in dem Ge 
biet einer böchft eigenthümlich ausgebilbeten Skaldenkunſt. Die Dichtung 
bielt dort noch lange feit, wozu der Glaube fich nicht mehr befennen 
durfte. Die chriftliden Skalden reihten fi) an die vorchriftlichen ala 
Glieder einer fortlaufenden Kette und entnahmen fortwährenn dem 
heidniſchen Mythus und der damit zufammenhängenben Heldenſage 
Bilder, dichterifche Benennungen und Umjchreibungen. Zu diefem: Be 
bufe blieben auch die alten Lieder und Sagen in ihrem bordhriftlichen 
Weſen erhalten unb der muthmaßlide Sammler der Götter: und 
Heldenlieder der ältern Edda am Anfang bed 12ten Jahrhunderts, der 
Isländer Sämund, war ein chriftlicher Geiſtlicher. 

Als die erften, einzelnen Glaubensboten nad dem Norden aus 
giengen, war die chriftliche Kirche längſt in der eifrigften Verehrung 
der deutfchen Völker begründet. Selbft der. friegerifche Sinn war bei 
diefen durch die Kämpfe mit den Belennern des Islams, mit ſlaviſchen 
und normännifchen Heiden, zur Olaubenöbegeifterung erwachſen. Eine 
zahlreiche, feit in fich verbundene Geiftlichleit war ſtets wachſam, bie 
Üiberbleibfel heidniſcher Meinungen und Gebräuche zu rligen und aus 
zurotten. Den Beherrichern des mächtigen Frankenreichs war die Aus—⸗ 
breitung des Chriſtenthums Staatsflugheit und Eroberung; mit dem 
Schwerte bekehrten fte und in der Taufe ließen fie fich hulbigen. Die 
Sachſen waren das lebte deutſche Volk, welches fein Heidentbum und 
feine Freiheit gegen die fränkiichen Machthaber vertheidigte; nach mehr 
als dreißigjährigem Kampf lehrte Karl fie, wie eine päbftliche Bulle 
Sagt, das fanfte Joch des Heilands tragen, die wilden Kerzen mit dem 
Schwerte zähmend (corda ferocie ferro perdomans). Auch diefes ge 
ſchah noch 200 Jahre eher, als die Volfeverfammlung in Island (am 
Schluſſe des 10ten Jahrhunderts) durch Beichluß das Chriftentbum ans 
‚nahm, ſelbſt da noch mit Vorbehalt nicht öffentlicher Verehrung ver 
alten Götter (Münter S. 541). 

' Was im chriftlich bekehrten Deutfchland überall zuerft weichen 
mujte, waren begreiflich die Namen der großen Götter. Wodan (din), 
dem mit Thunar und Sarnote (Thor und Freyr) in der Abſchwörungs⸗ 
formel widerfagt war, durfte auch nicht mehr an der Spike ber Helden 
lieder genannt werden. Abgewanbt von den Göttern der Vorzeit, all: 
mählig berfelben vergeflend, hatte man dennoch die heimiſche Helden: 


4 


535 


fage, dieſes uralt geiftige Erbgut des Volles, nicht aufgegeben; man 
erhielt und hegte fie, intem man in ihr das Menſchliche, auch für 
die neuen Berbältnifie Gültige hervorhob und ausbilbete. 

Neben ven Hauptgofiheiten der alten Glaubenslehre war die Natur 
bon einer Menge untergeorpneter Elementargeifter erfüllt. Diefe find 
auch dem Chriftenthbum nicht gewichen, wenn gleich der Klang der 
Kirchengloden ihnen zumiber tft, und noch jet auch in ber beutichen 
Vollefage nicht gänzlich untergegangen. Bon den chriftlichen Bes 
fehrern u. f. m. 1 *** 

Es ergibt ſich ung aus dem Bisherigen einestheils, daß das Nichts 
vorhandenſein Odins und anderer Götter in der jeßigen Geftaltung ber 
deutichen Nibelungenjage keineswegs zu der Annahme berechtige, als 
wären fie niemals in ihr vorhanden geweſen, da fich genügende Gründe 
ihres Verſchwindens darbieten und da denn doch unläugbar die götter: 
Iofe Exwerbung des Hortes, die Nichtbegründung des auf ihm haftenven 
Fluches eine in der nordiſchen Darftellung wohl ausgefüllte Lüde fühl 
bar maden; anderntheild, auf melde Weife fich gleichwohl auch in 
unfrer Nibelungenfage noch Überrefte des Mythiſchen erhalten haben. 
Davon könnten in ihr noch weitere Spuren nachgewieſen werben, 3. 2. 
die mweifjagenden Meermeiber des Nibelungenliebed. Allein hier iſt uns 
von vorzüglichem Belange, darthun zu können, daß, wenn glei Odin 
felbft aus dem beutichen Liede verſchwunden ift, dennoch fein Mythus 
noch unverlennbar in demfelben durchfcheine. Zeugin dieſes vormaligen 
mythiſchen Zuſammenhangs ift uns abermals die Vallyrie Brynhild. 
Sie fteht in ihrer wunderbaren Stärke und Furchtbarkeit vereinzelt und 
unerflärt, während fie, ala Valkyrie betrachtet, einem größeren und 
bedeutfamen Verbande fich einyeibt. Auf ihr früheres Verhältnis zu 
Siegfried, wenn gleich folches in den Hintergrund getreten, ift doch noch 
bingewiefen, da er, ala Gunther die Fahrt nach ihr unternehmen will, 
zum voraus von ihr zu fagen weiß und fie ihn fogleich erkennt und 
auszeichnet (Nibelungenlied 3. 1834 f. 1659. 1689 ff.). Ihr geheimer 
Anſpruch auf ihn, der Wechſel von Liebe und Haß, der dem Helven 
zum Verberben wird, erfordern eine tiefere Begründung, wie fie in den 
norbifchen Quellen gegeben ift; gleiche Folgen laflen auch bier auf gleich⸗ 

1 [Hier greift die Darftellung auf das in*den Schriften I, 158 gefagte zuriid 
und es ift der Abſchnitt von S. 158 bis 162 hier einzufügen. 8] 


536 


artigen Vorgang Ichließen und in ber Billinenfage, welche hauptſächlich 
nach deutſchen Überlieferungen erzählt, ift Siegfrieds erſter Beſuch bei 
Brünhild nicht vergefien, obichon in roher und unzufammenbängenber 
Darftelung (Cap. 148. UI, 86. Sagabibl. II, 212), Wenn uns bie 
Macht des Hortes ohne Götter nicht einleudten wollte, fo kann uns 
noch weniger bie Triegerifche Jungfrau, von bloß Lörperlicher Stärke, ohne 
die geiftige Höhe der Vallyrie, von genügender Bebeutung fein. So er 
weiſt fih uns, in deutſcher wie in norbifcher Darftellung, die Nibelungen⸗ 
_ fage im innern Zuſammenhange mit der odiniſchen Glaubenslehre. 


b. Hegelingenfage. 


Die zu biefem Kreife gehörigen Sagen, mie fie in bem beutfchen 
Heldengedichte von Gudrun zufammengefaßt -find, haben, nad; unfrer 
früheren Ausführung, ihren örtliden Anhalt an ben nieberfächftichen 
und friefifchen Nordſeeküſten. Auch ein Frute von Dänemark tritt darin 

“ aufl; Frodi, Frotho aber ift in dänischer Sage ein in das Mythiſche 
übergehender Königename, Wirklich auch läßt fich ein Theil der Hege⸗ 
lingenfage, gewiflermaßen der Mittelpunkt derſelben, als ein gemein 
Ichaftlicher, deutichsnorbifcher, und zwar im Odinsglauben beruhender 
Mythus nachweilen. Im deutichen Liede läßt Hettel, König zu Hege 
lingen, durch feinen Neffen Horand Hilden, die Tochter des Königs 
Hagen von Irland, zu Schiff entführen, der beleivigte Bater eilt nad 
und e3 erhebt fich eine blutige Schlacht am Strande. Dieſer Theil des 
Gubrunliedes ift auch in altnordiſcher Überlieferung, und zwar hier in 
offenbar urfprünglicherer Geftalt, vorhanden. In der flandbinavifchen 
Sagengefchichte find die verfchiedenen norbifchen Darftellungen der Sage 
von Hildur dargelegt und erörtert worden. Sch hebe hier diejenige aus, 
in ber ſich die ältelte mythiſche Bebeutung am reinften erhalten bat. 
Sie findet fi in der Skalda (Sn. Edd. ©. 163 ff.), zur Erklärung 
verichiebener, diefer Sage entnommener Dichterausdrücke. Die Erzählung 
der Skalda lautet jo: König Högni hatte eine Tochter u. |. m. 2 *** 

Bon den Namen Hildur ausgehend, haben wir diefe Sage folgender: 

maßen erllärt: Die Wurzel hild u. |. m. 3 *** 

I Auch bei Saro ift Frotho ILL mit Hithin zuſammengebracht. 

2 [Bgl. oben ©. 278 f. 8.] 

3 [Das weitere |. oben ©. 282 fi. 8.) 





537 
— — 

Ganz im Geiſte des Odinsglaubens gibt die Sage ein Bild des 
nimmer raſtenden irdiſchen Kampfes, ver, durch Odins Dienerin Hildur 
immer neu angefacht, fortdauert bis Ragnarbk, wo ber Hiadninge 
Streit im großen, allverzebrenden Weltlampfe aufgeht. 

Diefe mythiſche Sage nun ift im deutichen Gedichte nur noch in 
wenigen Zügen zu erlennen, aber doch in foldhen, welche die urſprüng⸗ 
liche Identität genugfam verbürgen. Die nordiſchen Namen ber Haupt 
perfonen, Hildur, Högni, Hebin, Hjarranbi, entſprechen ven deutſchen 
Hilde, Hagen, Hettel, Horand. Auch die Berhältnifie, in denen fie zu 
einander ftehen, und der Verlauf der Ereigniffe find in der Hauptſache 
die gleichen. Hildur ift dort Högnis Tochter, wie bier Hilde Hagen; 
ihr Freier, der fie dort ſelbſt entführt, hier entführen läßt, ift beide⸗ 
mal berjelbe, norbifch Hebin, deutſch Hettel. Unweſentlich ift die Ab⸗ 
weichung, daß Hjarrandi nur als Hedins Bater genannt wird, während 
Horand, Hetteld Neffe, für ihn die Braut. hinführt. Die Nacheile des 
Vaters mit Schiffmacht und die blutige Schladht nach der Landung ift 
beiden Darftelungen gemeinjam; der Sinn der nordiſchen (mie eine 
weitere Erzählung bei Sazro zeigt) ift der, daß Högni und Hedin gegen- 
feitig einander töbten; in der beutfchen werben Hettel und Hagen nur 
verwundet. Hier aber verfühnen fie fich zulegt und von dem Erwecken 
der gefallenen Kämpfer durch Hilbur ift nur darin eine Spur geblieben, 
daß Hilda den Helden Wate, der durch ein wildes Weib zum Arzte ge 
worden, fußfällig erbittet, ihren Vater und bie übrigen Verwundeten 
zu beilen (Bubrun 8. 2115 ff.). 

Läge ung nicht die nordiſche Geftalt der Sage zur Vergleichung mit 
der beutfchen vor, jo würden wir allerdings in biefer den einftigen 
mythiſchen Beſtand nicht mehr zu entdeden im Stande fein. So aber 
find wir berechtigt, anzunehmen, "daß die tiefere Bedeutung einjt auch der 
deutichen Sage nicht gefehlt habe, und es,muß uns diefer Fall in der 
Anſicht beſtärken, daß auch anderwärts manches Mythiſche in der älteren 
deutichen Sagenbildung vorhanden geweſen fei, mo es jett nicht mehr 
ober nur in leiferen Spuren zu bemerken ift. Die Hegelingenjage, wie 
fie in dem Gudrunsliede des 13ten Jahrhunderts auf uns gelommen 
ift, bat, ftatt des mythiſchen, durchaus ein ritterliches Ausjehen ange: 
nommen. Echter mochte fie noch in berjenigen Geftalt vorliegen, auf 
welche ein deutſches erzäblendes Gedicht des 12ten Jahrhunderts, bes 


j 538 


Pfaffen Lambrecht Alexander, anfpielt (Helbenfage 380). Aber auch ſchon 
ein viel älteres angelſächſiſches Gedicht (ebend. 329 f.) erwähnt der 
Heodeninge (nord. Hjabninge) und des lieberkundigen Heorrenda (Hier 
randi), entiprechenb dem herrlichen Sänger Horand unfres Gudrun⸗ 
liedes, auf den auch fonft in mittelhochdeutſchen Gedichten‘ angefpielt 
wird (ebend. 331). 

Soviel nom deutſchnordiſchen Mythus in Nibelungen und Hege 
lingenfage. Odin, ven wir hier nur noch unfichtbar walten fanden, 
wird fich und weiterhin, felbft bis zum heutigen Tag, in deuticher Volks 
fage lebendig erteilen. 


2. Gethifger sder parfiſch · gothiſcher Mythenkreis. 


Amelungenſage!. 


Haben ? und nun nach dem bisherigen erſt die perſiſchen Sagen 
von Ruſthm und Asfendiar in den Stand geſetzt, den verworrenen 
Abenteuern unfrer MWolfdietrichälieder eine beftimmte Anorbnung zu 
geben, und bat fi auch im Einzelnen der Tagfahrten eine unverkenn⸗ 
bare Ahnlichkeit auf beiden Seiten gezeigt, hat fi uns dann mieber 
erſt in der perfiihen Glaubenslehre 8 eine tiefere mütbifche Begründung 
des in beiverlei Sagen gleidhartig vorlommenden Wunderbaren ergeben 
und erweist ſich und damit perfifche Sage und perſiſcher Mythus über 
haupt als eine Quelle für die Erläuterung unſres gothiſchen Fabel⸗ 
kreiſes, jo müſſen wir uns berechtigt finden, nun auch anderwärtigen, 
bisher noch nicht berührten Übereinftimmungen zwifchen dem iranifchen 
Helvdenbu und ber deutichen Amelungenfage ein größeres Gewicht bei- 
zulegen; und felbft auf folde Fälle, wo das Zujammentreffen fonft 
wohl aus einer allgemeinern, in ber gleichen Entwicklungsſtufe ver: 
fchiedener Völker natürlich begründeten Gleichartigleit ihrer Sagen er: 
Härt werden fönnte, Tann nun audy die einmal nachgewiejene befondre 
Verwandtſchaft angewendet werden. 


1 [Hier verweift der Verfaffer auf die ältern Hefte. Es gehört hierher der 
Abſchnitt Schriften I, 172 „die Erklärer der Heldenfage” u. |. w. bis ©. 200. 8.) 

2 [Bgl. Schriften I, 201. 8.] 

3 [Über die perſiſche Glaubenslehre vergleiche man namentlich auch die Licht- 
volle Entwillung von Mar Dunder in feiner Gefchichte des Altertfums II. 
Dritte Auflage. Leipzig 1867. 8 5.) 


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539 “ 

Bebeutendere Übereinftimmungen ber beiberjeitigen Sage find na 
mentlich noch folgende: 

1) Rai Kawus, deſſen Gefangenſchaft in Maſenderan wir erzählt 1, 
hatte ſich mit einer Nichte des Schahs von Turan, Afrafiab, melde 
nad Iran geflohen war, vermählt und mit ihr einen Sohn, Sijaweſch, 
erzeugt, welchen Ruſthm erzog. Sijaweſch wurde nachher durch die Ränfe 
feiner Stiefmutter Sudabeh gendtbigt, fih nach Turan zu begeben, wo er 
Afrafiabs Tochter Ferengis zur Ehe und zwei Länder zur Mitgift erhielt. 
Aber bald wurbe der Argwohn des Schahs gegen feinen Eidam aufgeregt - 
und er ließ biefen graufam ermorben. Auch gegen bie ſchwangere 
Ferengis, feine Tochter, müthete er. Da trat Biran, fein Bezier, ind | 
Mittel, nahm Ferengid mit fi nach Cothen und übergab fie feiner 
Gattin zur Pflege. Görres, Heldenbuch von Iran II, 37 bis 39, *** 

Diefer Chosrew, ber bei ben Hirten erwädft, ift ber Cyrus ber 
griechiſchen Gefchichtichreiber, von deſſen Kindheit wir ähnliche Erzäh⸗ 
Iungen bei Herodot (B. I, Cap. 107 ff.) und Zuftinus (B. J, Cap. 4 5) 
finden. Der mediſche König Aftyages ift durch Träume und Traums 
deutungen vor dem Kinde gewarnt worden, das feine Tochter Mandane, 
die mit dem Berfer Cambyſes vermählt ift, gebären würde. Als nun 
diefes Kind, der Knabe Eyrus, zur Welt kommt, befiehlt ver König 
feinem vertrauten Diener Harpagus, dasſelbe zu tödten. Harpagus 
übernimmt den Auftrag; im Gedanken aber, daß nach dem Tode bes 
ſchon bejahrten Aftyages beflen Tochter, die Mutter, in der Herrichaft 
folgen werde, ſucht er fih dadurch vor Gefahr zu ſchützen, daß einer 
von des Aſtyages Leuten der Mörder werben fol. Er ſendet nad 
einem Rinberhirten des Königs, Mitradates, der im Gebirge mit einem 
Weibe lebt, das, nad) Herodots Worten „auf griechiſch Kyno und auf 


miediſch Spalo hieß, denn der Hund heißt bei ven Medern, Spala.“ 


Dem Hirten befiehlt Harpagus im Namen bes Königs, das Kind auf 
dem Bebirg in die wildeſte, mit wilden Thieren angefüllte Einbde bin- 
aulegen, damit e3 je eher je lieber umlomme; wofern er es leben lafle, 


ſoll er jelbft des jchmählichiten Todes ſterben. Das Weib des Hirten 


aber, das eben von einem todten Kind entbunden worden, beivegt ibn, 
dieſes auszuſetzen und ihr dafür das fchöne, lebende Kind zur Pflege 


1 [Schriften I, 180. 191. 8] 


540 


zu laflen. So wird Eyrus gerettet. Bon dieſer Erzählung Herobots 
ift die bei Juſtinus in einigen Umftänden verichteben. Der Hirte bat 
‚bier das konigliche Kind bereit3 ausgefeht; auf Bitten feines Weibes 
aber Tehrt er in den Wald zurüd, um es ihr zu bringen. Er finbet 
ed bafelbft, wie eö won einer Hünbin gefäugt wird, die es bor twilben 
Xhieren und Vögeln vertbeibigt. Bon Mitleid ergriffen, trägt er das 
Knäblein zu feinen Hürben und die Hündin folgt ängſtlich nad. Die 
Hirtenfrau ernährt nun basfelbe ftatt bes ibrigen. Es wird, nicht recht 
deutlich, hinzugeſetzt: 

Nutrici Bpaoos postea nomen fait, quia canem Perse sic vocant, 
Poer deinde, cum inter pasiores esset, Cyri nomen accepit. 

Kenophon, in deflen Cyropädie, nach ben beſondern Sweden des 
Bud, diefe Sagen zur Seite gelafien find, bemerkt doch, wie Cyrus 
frühzeitig in den Gefängen ber Barbaren gefeiert worden und noch ge 
feiert werde. Auf Gefänge beruft fih auch Firbufi (am Eingang der 
2ıften Sage bei Görres, II, 40): 

So if denn die Rebe von Sijaweſch geendet, und wir beginnen bie 
andere von Keychosrew in der Weiſe, wie jener Sängerkmann es gefungen. 

Überaus ähnlich diefen früheften Geſchicken Chosrews, Cyrus, find 
nun wieder die Wolfdietrichs, nach der Darftellung bei Kafpar von 
der Rohn 1. Hier läßt Hugbietrich, Rönig zu Konftantinopel, feinen 
bierjährigen Sohn Dietrich, der ibm als das Kind eines böfen Geiftes 
verbächtigt wird, durch Puntung (Berchtung) von Meran, den er nur 
durch Bedrohung mit feinem und feines ganzen Geſchlechtes Tode dazu 
bewegt, Nachts binwegtragen, damit es im Walde getöbtet iverbe. 
Aber Puntung bat Mitleid mit dem Finde, legt er an einem Wald: 
Brunnen nieber und beobachtet es. Da kommen wilde Schweine, Bären, 

Hirſche und eine große Schaar von Wölfen zu bem Brunnen, um 
daraus zu trinlen. Die Wölfe ſetzen fih um das Kind und hüten es. 
Nun erkennt Puntung, daß es nicht vom Böſen flammen könne, und 
entſchließt fich, es zu retten, 

Str. 48. Er ſprach: du pift genefen 
von den wolffen wunderlich, 
darumb bein nam fol weſen 
hinfür Wolfdieterich. 
1 [Bgl. Schriften I, 191. 8] 


u. 


\ 541 

Er übergibt es einem im Walde wohnenden Wilbener (Jäger) und 
deſſen Weibe, die es für das ihrige ausgeben müſſen. Nacd der Dar 
ftellung im gebrudten Heldenbuche wirt der neugeborne Knabe, den 
feine Mutter, um ihn zu verbergen, in den Burggraben binabgelafien, 
bon einem Wolfe meggenommen und in feine Höhle getragen, ben 
ungen zur Speiſe. Weil aber diefe noch Hein und blind find, bleibt 
Das Kind unverfehrt, bis ed am andern Morgen von feinem Groß 
vater, König Walgund, auf der Jagd gefunden wird. Wolfpietrich 
wird es dann getauft, weil man es bei den Wölfen gefunden. 

Die Übereinftimmung diefer Sage in der erftern Darftellung mit 
denen von Cyrus, Chosrew, bebarf Feiner fpeciellern Nachweiſung. Das 
Schwanken hinſichtlich des beſchirmenden Thieres zwiſchen Hündin und 
Wolf gemahnt an die Sprachverwandtſchaft von Wolf und Welf, Welp, 
ahd. hualf, catulus (Gramm. III, 329 1). u 

(Vgl. noch die Sage “von Odipus; auch die Ausfehung Sals, 
Helvdenbud von Stan I, 72, und bie mandherlei Welfenfagen. Das 
gegen hat die Erzählung von Hugdietrich und Hiltburg einigen Anklang 
in ber von Sam und Salfer, Heldenbuh von Iran 1, 77 ff., ven 
Eltern Ruſthms.) 

Wie Chosrem nachmald den im Kampfe gefallenen Biran einbal- 
famieren und herrlich beftatten läßt, Heldenbuch von Iran II, 1985, 
Malcolm I, 52, hat gleichfalls Ähnlichkeit mit Wolfdietrichs Benehmen 
bei feines Meiſters Grabe, gedr. Heldenbuch Bl. 143, Kaſpar von der 
Röhn Str. 311 ffı 

2) Die Ermordung Sijaweſchs, des Vaters von Keychosrew, hat 
eine lange Reihe blutiger Rachekriege zwifchen Iran und Turan zur 
Folge. Zulegt unterliegt Zuran, der Schah Afrafiab fällt in die Hände 
Chosrews, der nun an der Spike des iranifchen Heered fteht, und 
diefer vollzieht felbft das Rachewerk; Heldenbuch von Fran Il, 232 
(30fte Sage): 

Keychosrew gieng nım mit ſcharfem Schwerte auf ihn dar, das Herz mit 
bitterem Haffe erfüllt; und wie Afrafiab ihn alſo gerüftet zu ſeinem Verderben 
exblidte, da fprac ex: „Diefen leiden Tag hab' ich längf ſchon im Tranme 
gejehen, jetzt iſt der Schleier. des Geheimnifjes zerriffen, und es werde, was 
werden fol!” Dann rief er mit einmal: „Verruchter! fcheuft du dich nicht, den 


1 [Bgl. Liebrecht in Pfeiffer Sermania 11, 172. 8.] 


+42 


eigenen Großvater zu töbten? ſprich! womit magſt du bie Unthat beſchönigen? 
Da zählte der Schah noch eimmal alle feine Verbrechen von Anfang ihm auf, 
wie er zwei Häupter aus dem Königsgefchlechte und fo viele Unjchuldige ge 
morbet, ja felbft des befferen Bruders nicht‘ geſchont; wie oft ex trenlos und 
bundbrüchig an Iran gehandelt und wie hart er die Iranier bebrängt; „jeht 
aber naht der Lohn all deiner böfen Thaten, und dir wird, was bu verdient.” 
Da bat Afrafiab, daß er noch einmal nur die Mutter ihn ſehen laſſe; ver 
Schah aber verweigerte ihm fein Geſuch, gieng anf ihn los und hieb ihm mit 
dem Schwerte das Haupt ab. Kerfimes aber [ver einft Afrafiabs Todesbefehl 
an Sijaweſch vollſtreckt Hatte] üibergab er dem Henker und dieſer bieb ihn in 
Stüde. 

(Aftyages fällt nad Herodot und Juſtinus zwar aud in die Ge 
fangenfchaft feines Enkel Cyrus, auf den damit auch die Herrichaft 
über Medien übergeht, aber am Leben gefchieht ihm nichts zu Leibe, 
Herobot 1, 130. Juſtin I, 6.) . 

Jene langen Verwandtenkriege nun und das Ende Afrafiabs bieten 
Beziehung zu einem andern Theile des Amelungenkreifes dar, zu ben 
Eagen von Dietrih von Bern und Ermenrih, Diefer wüthet, wie 
Afrafiab, gegen feine nächſten Blutsverwandten, felbft gegen feinen 
einzigen Sohn, und die älteften fagenhaften Meldungen von feinem 
Tode erinnern gleichfalls an ven des. Schahs von Turan. 

Jornandes 1 (um 552) erzählt de rebus geticis Gap. 24: 

Ermanaricus, rex Gothorum, licet multarım gentium extiterit trium- 
phator, Roxolanorum ſa. Rosomonorum, Rasomonorum, Rosomorum] 
gens infida, que tunc inter alias illi famulatum exhibebat, tali eum 
nanciscitur occasione decipere.e Dum enim quandam mulierem Sanielh 
fa. Sonilda, Suanibildam, Sunihil] nomine, ex gente memorata, pro 
mariti fraudulento discessu, rex furore commotus, equis ferocibus illi- 
gatam, incitatisque cursibus, per diversa divelli prescepisset, fratres ejus 
Sarus et Ammius germane obitum vindicantes, Ermanariei latus ferro 
petierunt, quo vulnere saucius, tegram vitam corporis imbecillitate con- 
traxit, 


Um dann aber dieſes Sagenhafte mit den geichichtlichen Nachrichten 
vom Tode des gothiſchen Ermanarils einigermaßen auszugleichen, wonach 
berjelbe, verzweifelnd, ben gewaltigen Einbruch der Hunnen aufzuhalten, 


1 [Bgl. Schriften 1, 118. 8.) 


vu. uy — 1 Li 4 ur L, 2 


543 


fih felbjt den Tod gab (zufolge bes gleichzeitigen Ammianus Mar: 
cellinus, rer. gest. 8. 31, Gap. 3), jagt Jornandes weiter: 

Ermanaricus tam vulneris dolorem, quam etiam incursiones Hunno- 
rum, non ferens, grandevus et plenus dierum, centestno decimo anno 
vitee su defunctus est. (MW. Grimm, Helden‘. 1 f.) 

Sn den Hauptzügen nun, wenn aud nicht allem Einzelnen, ftimmt 
die Sage bei Jornandes mit der vorangeführten Darftellung der Edda⸗ 
lieder, wonach Sörli und Hamdir (Sarus et Ammius) dem Jörmunrel 
Hände und Füße abbieben, weil er ihre Schweiter Swanhild von den 
Pferden hatte zertreten lafien. Hiemit trifft auch die Erzählung Saxos, 
Hist, Dan. ®. VIII, S. 242 f. 1 vom Tode feines Dänenkönigs ar: 
merieus ? zufammen. Daß aber diefe Sage auch in Deutjchland gang- 
bar war, zeigen die Erwähnungen derjelben in Chroniken. des Mittel: 
alters. Im Chronicon Quedlinburgense aus dem Ende des 10ten und 
Anfang des 11ten Jahrhundert? (Leibnitz, Beript, rer. Brunsv. II, 237) 


‚wird gemelbet: 


Ermenarici regis Gothorum a fratribus Hernido et Serila et Adaocro 


quoram patrem interfecerat, amputatis manibus et pedibus, ut dignus, . 


erat, occisio. (Helden. 32.) 
(Hier alfo würde, wenn nicht patrem irrige ve Ledart iſt für sororem, 
Vaterrache geübt, wie beim Tode Afrafiaba.) 

Auch das Chronicon Urspergense, vom Anfang bes 12ten Jahr: 
hunderts, fett bei Erwähnung von Ermenrichd Tode durch die Brüder 
Sarus und Ammius, nad) Jornandes, hinzu: 

Qui vulgariter [d. h. in deutſcher Bollsjage] Sarelo et Hamidiecus di- 
cuntur. 

Die Vilkinaſaga Cap. 374 ſchließt Ermenrichs Laufbahn mit einer 
furchtbaren Krankheit, in welcher er halb tobt hinſchmachtet, nachdem 
man ihm zu feiner Heilung vergebli den Leib aufgefchnitten hatte 
(Heldenjage 188), und das deutſche Gedicht von Dietrich! Flucht enthält 
bloße Andeutungen von einem fchredlichen Tode Ermenrichs, wodurch 
Gott defien Untbaten gerächt habe. 

Bei aller Berfchiedenheit in ben manigfachen ! ' Überlieferungen 
fommen nun doch die perfiiche und germanifche Sage in größeren Zügen 

1 Bol, Saxo 112, 2. 114, 1. 107, 2. 

3 [Bgl. Schriften I, 306. 8.] 


= 


544 


überein: Afrafiab iſt, wie Ermenrich, der treuloſe Anſtifter ber langen, 
verderblichen Kriege, er hat ſeine nächſten Verwandten, namentlich ſeinen 
Eidam Sijaweſch, gegen den er Argwohn gefaßt hatte, ermordet und 
gegen deſſen Gattin, feine eigene Tochter Ferengis, gewüthet, wie auch 
Ermenrich an ſeinen Blutsfreunden und, nach Jornundes, an dem 
Weibe Sanielh pro mariti fraudulento discessu ſeine Wuth ausließ; 
beide Wüthriche erreicht zuletzt die Rache durch das Schwert von Ans 
gehörigen der Ermorbeten; SKerfimes, der einft Afrafiabs blutige Be 
fehle vollzogen, wird in Stüde zerhauen, mie in der gothifchen Sage 
Ermenrich felbft. | 

3) Wie Afrafiabs und Ermenrichs Ende ſich gleicht, fo verſchwin⸗ 
den auch ihre Gegner, Chosrew und Dietrich von Bern, auf ähnliche 
Meile aus der Welt. 

Keychosrew, ber feinem Großvater Rey Cawus im Reihe von Iran 
gefolgt war und eine rubmbolle, meitverbreitete Herrfchaft begründet 
hatte, verfiel im fechzigften Jahre feiner Regierung (Malcolm I, 54; er 
lebte 90 Jahre) in grübelnden Zieffinn. Es kam vie Furcht über ihn, 
“er Tönnte, ba er mutterhalb von turanijchem Gefchledht ftamme, dem 
verruchten Afrafiab gleich werden und Unbeil verüben auf Erden. Er 
lag in eifrigem Gebete vor Gott und im Traum verfündigte ihm Serufch, 
ber, mächtige Ized, unter deſſen Obhut die Erbe fteht, daß feines Bleibens 
nicht länger hienieden fein folle. „D Schah, ſprach er, baft bu aus 
diefer Welt verlangt, dein Verlangen tft erhört; bu ſollſt nicht Länger 
weilen in der Finfternis.” Keychosrew beftellte nun fein Rei, be 
Schentte feine Getreuen und nahm Abſchied von allen. Dann gieng er 
nach dem Gebirge. Vgl. Heldenbud von’ Iran II, 243 f. 31fte Sage 
(die Sage von der Verſchwindung Key Chosreivs): 

Der Schah aber hub fi von damen, und gieng am Gebirge hinauf bis 
zu feiner Höhe, mit ihm waren die Großen, Ruſthm und Sal und Kuders 
und Giw, Peicher, Kuſthehem, Ferbers und Thus, und fie verweilten mit ihm 
alle zufammen eine Woche auf dem Berge, Biel Bolfs lief zu; mehr als Kun- 
derttaufend, Männer und Weiber, famen aus Iran meinend zu ihm, bag ganze 
Gebirge war voll Wehllage: „Was ift dir, o Schah, doch begegnet? wir wollen 
ja Erde fein deinem Pferde u. ſ. w. Alle wollen wir im Feuerhanſe ohne 
Unterlaß beten zu Gott, daß er dich uns wiederſchenkt.“ Der Fürſt ſprach: 
„Warum wollt ihr weinen, daß mir Heil widerfährt? liber das Gute ſoll man 
nicht trauern; feid freudig vielmehr, und dankt Alle Gott, daß er meine Bitte 


545 





— 


erbört! Jetzt aber kehrt wieder zur Heimath! denn lang ift ver Weg, ohne 
Waffer und Baum, nicht gangbar fo vielem Bolle.” Sie thaten mit ſchwerem 
Herzen, wie er geboten; auch Deſthan, Ruſthm und Kuders Tehrten zuriüd, 
aber Thus, Giw, Kerlin, Peſchen, Ferbers wollten ihn nicht verlaffen und 
zogen mit ihm hinaus in die Wüfte. 

Einen Tag und eine Nacht giengen fte fort, dann lagerten fie fich bei einer 
Duelle und aßen und legten dann fich nieder zur Ruhe. Er fprad dann zu 
ihnen: „Heute Nacht wird's enden; forfcht nicht viel nach mir, und ſuchet nicht! 
denn ihr werdet mich nicht wiederfinden, der Morgen wird mir die Beit des 
Scheidens fein.” In der Nacht wuſch er Körper und Haupt in ber Ducle. 
Dann fagte er den Begleitern ein ewiges Lebewohl, dann ſprach er: „Laßt euch 
rathen und kehrt nach meinem Hingang eilig zurück aus diefem Sande! wollet 
nicht bleiben, und wenn es Moſchus aus den Wollen regnetel denn ein heftiger 
Wind wird vom Gebirge herabbraufen, daß die Bäume vor ihm ſtürzen, und 
Schnee wird Alles bededen, alfo, daß ihr den Weg nicht mehr findet.” Wie 
die Sonne aufgieng, da wurde er den Augen der Edlen.unfihtbar. Sie giengen 
hinaus in die Wüfte, ihn zu fuchen, und forſchten nad ihm auf allen Wegen, 
aber fie fanden ihn nit. Wie Sinnloje und mit weinenden Augen lamen fie 
wieder zur Quelle zurüd. Sie faßen dort in großer Trauer; da fchlug Ferbers 
vor, noch eine Weile dort zu ruhen und fi mit Speife zu ftärlen, und fie 
ſprachen von dem Unerhörten, was fie gejehen, daß lebendig einer zu Gott ge- 
gangen. Sie führten darüber manderlei Reden und aßen dann und fchliefen. 
Da hub fi ein gewaltiger Sturm und es fiel ein dichtes Schneegeflöber und 
bededte die Erbe weit umher alfo hoch, daß die Lauzenfchafte der Edlen nicht 
mehr fihtbar waren; fie blieben, man weiß nicht wie, unter dem Schnee. Eine 
Weile arbeiteten fie, um wieder Luft zu gewinnen, und gruben unter der Dede; 
am Ende entgieng ihnen bie Kraft und fie gaben den Geiſt auf. Drei Tage 
aber waren Sal und Ruſthm und Kuders im Gebirge gegangen; da aber jene 
nicht wieberlehrten, da beichloffen fie umzulehren und auf allen Wegen nad 
ihnen ſuchen zu laffen. Sie giengen darum hinaus in die Wuſte und forjchten 
auf allen Pfaden und Wegen; endlich fanden fie die Helden erftorben unter dem 

Schnee, und Thränen ftürzten aus den Augen Aller, denen der betrübte Anblid 
zu Theif wurde. Und fie beitatteten die Todten und errichteten ihnen ein Mal, 

Malcolm (Hiftory of Persia I, 54, 2) bemerkt !: 

Einige Schriftfteller behaupten, Kai Chosrew fei nicht todt, fordern ver- 
borgen, und die Tradition erhebe ihn zum Rang eines Propheten, der wieder 
erjcheinen werde. j . - 

1 Malcolm 1. c.: Kei Khoosroo lived ninety years, and reigned sixty. 
He was a prince of the highest qualities, and his name is still cherished 

Upland, Schriften. VIL. 35 


N 


546 


Vom Ende Dietrichs von Bern gibt es verichiedene Sagen 1. Sie 
werden uns fpäter in anbrer Verbindung bejchäftigen. Hier hebe ich 
nur diejenige aus, welche ſich ber eben angeführten von Chosreiv am 
meiften nähert. Sie fteht 'im profaifchen Anhang unfres gebrudten 
Heldenbuchs [S. 11, 18 meiner Ausg. 8.]. Ein großer Streit gejchieht 
vor Bern, darin alle Helden, die in der Welt find, erfchlagen werben, 
ausgenommen Dietrich von Bern: | 

Do kam ein Tleiner zwerg und ſprache zuo im: „Berner, Berner, du jolt 
mit mir gan.” Do ſprach der Berner: „Wo fol ih hin gan?“ Do ſprach der 
zwerg: „Du folt mit mir gan; dyn veich iſt nit me in difer welt.“ Aljo gieng 
der Berner hyn wege und weyſz nyemant wo er fummen if; ob er noch in 
leben ober tobt ſy, weyſz nyemant warliden da von zuo reden. 

Die deutfche Überlieferung ift freilih nur ein balbverjchollener 
Klang gegenüber der ausgeführten perfifchen Erzählung, und ftatt Se 
ruſchs, des mächtigen Schußgeiftö der Erbe, ift hier in ver Weife des 
ſpätern deutſchen Mythus ein Heiner Zwerg der Abrufende. Aber das 
Verſchwinden des Helden im Gebirge (denn darauf deutet auch in ber 
deutfchen Sage der Zwerg oder Bergelfe, vgl. Etzels Hofhaltung Str. 
132, Dietrich8 Dracenlämpfe in der mwüften Rumeney 2), den Unter: 
gang feiner Genoffen auf der Helvenbahn und die Möglichkeit, daB 
er noch am Leben jet, finden wir auf beiden Seiten gleichmäßig. 

4) In den Kriegen zwilchen Iran und Turan Tommt es wieder⸗ 
holt vor, daß die auserlefeniten Helden auf beiden Seiten, darunter 
bie Heerführer felbft, in der Eilfe oder Zwölfzahl einander zum Einzel: 
fampfe ausforbern und fo das Geſchick des Heerzugs entſchieden wirb. 
(Heldenbucdh von Iran II, 185 bi? 190. 176 ff. 28fte Sage: „Der Kampf 
ber zwölf Neden.“) Görres vergleicht dieß mit den Zwölffämpfen 
Dietrich und feiner Reden in den deutſchen Rofengartenlievern (ebenb. 
I, CLXXV. CCXVI COXXXVI Auch ein gewaltthätiger Ferge 
I, 55; vgl. 57, 2. I, CCXVU f). Wir lafien diefe und andre ent 


by his countrymen. Some authors [Zeenut-ul-Tuarikh] state, that he is 
not dead, but concealed [ghaib is the persian phrase, and is applied to such 
of their prophets as they believe are not dead, but will reappear]; and the 
tradition elevates this monarch into ihe rank of a proplet, . 

1 [gl Schriften I, 203. K.] 

2 (gl. Schriften I, 181. 206. 8] 


547 


ferntere Beziehungen auf ſich berufen und faflen aus ber Gefchichte 
jener Kriege nur noch den einen Kampf Ruſihms mit feinem unerlannten 
Sohne Sehrab auf 1. Sehrab war von Ruſthm in Turan mit ber 
Tochter eines dortigen Fürften erzeugt. Er hatte bis in fein Jünglings⸗ 
alter feinen Bater noch nie gefehben. Da vernahm er, daß ber Helb 
in die Ungnabe des Schah Cawus gefallen war. In der Abficht, dem 
Bater nüglich zu fein, in freubiger Hoffnung, ihn nun zum erftenmale 
zu jeben, ftellte fi) Sehrab an die Spite eines turanifchen Heeres, das 
ihm Afrafiab gerne gab, und brad in ran ein. Rey Cawus ftand 
ihm mit dem einigen gegenüber. Die Erzählung Ferduſis beginnt mit 
folgender Einleitung: Heldenbuch von Stan, I, 225 ff. 18te Sage: 
Die Sage vom Kampfe Ruſthms mit feinem Sohne Sehrab. „Seht 
laßt und hören” u. |. w.*** Dann ©. 261: „Sehrab aber gieng 
heraus” u. |. w. (mit einigen Auslaffungen) bi3 262: „mögliche 
Dinge”. *** Zuletzt noch bie Klage der Mutter, ©. 269: „Human 
eilte” u. |. w. bis 271, zu Ende, *** 

Sm deutfcher Heldenbichtung treffen wir ſchon am Shhlluſſe bes 
Sten Jahrhunderts auf das fragmentarifche Lied von Hildebrand und 
Habubrand in Stabreimen. 2 *** j 

Zwiſchenein tritt bier das Gedicht bon Biterolf und feinem Sohne 
Dietleib, aus dem 13ten Jahrhundert. 3 *** 

Endlich ift ver Kampf Hildebrands mit feinem Sohne 4 als Volkslied 
noch auf fliegenden Drudhlättern des 16ten und felbft des 17ten Jahr 
hunderts im Umlauf gewefen. Es lautet (Grimm, Hildebr. ©. 53): *** 

Hildebrand, der mit feinem Herren zu den Hunnen in’s Elend gegangen, 
wii, nachdem endlich die Stürme fich verzogen, zu Lande, d. 5. beim, nad 
Dern, reiten, wo er feine Frau, Uten, zurldgelaffen. 


Die durchlaufende Ähnlichkeit der verſchiedenen Darftellungen auf 
perfifcher und deutſcher Seite ift in die Augen fallend. 5 *** 


1 [Die Darftellung biefer Sage fällt zum Theil wörtlich zuſammen mit ber 
in ®. I, 164 f. gegebenen, weshalb ich Hier kürze. 8.) 

2 [n. ſ. w. Bol. Schriften I, 167. Grimm, Hildebr. S. 7 f. 8) 

8 (Schriften I, 167. 48. 8.) 

4 [Schriften I, 168. 8] 

5 [Weitere Ausführung wie.in den Schriften I, 168 fi. 8.) 


"548 


Fir 1 die bisher bargelegte Übereinſtimmung ver perfiichen Helben- 
fage mit dem gothifchen Beftanbtheile der deutfchen, dem Amelungen: 
freife, läßt fich eine dreifache Weife der Erflärung denken. Diefe Über 
einftimmung könnte vorerft in dem allgemeinen Typus ber menjchlichen 
Natur, der ſich im Epos aller Völfer bis zu -einem gewiſſen Grade 
gleichmäßig ausprägt, ihre Erllärung finden; fie könnte zweitens aus 
einer äußern, mündlichen oder fchriftlichen Entlehnung, mittelft welcher 
das eine Volk ſich die Sage des andern angeeignet hätte, berborge 
gangen fein; würde aber Feine biejer beiven Erllärungsarten ausreichend 
erfunden, jo müfte drittens die alte Stammverwandtichaft, eine vor⸗ 
gefchichtlihe Mythen: und Sagengemeinfchaft der beiden Bölfer als 
Grund der Übereinftimmung angenommen werben. 

Es ift nun in erfter Hinficht nicht zu beftreiten, daß unter den 
ausgehobenen Ähnlichkeiten ſolche Situationen vorfommen, welche in 
ben einfacdhern Berbältniffen des alten Volkslebens beruhen und überall 
wieberfehren können, two unter den gleichen Bedingungen bes gefelligen 
Bildungsftandes die Menfchen in Haß und Liebe zufammentreffen. 
Dabın mag vor Allem der Kampf des Vaters mit dem Sohne zu rechnen 
jein. Er wiederholt fi noch mehrfah in andern Sagen und Eagen 
kreiſen. In der nordiſchen Sagengefchichte haben mir die entſprechende 
Scene aus der norwegifchen Saga von An, dem Bogenfchüben?, an 
geführt. Aber auch außerhalb des germaniihen Sprachſtammes, bei 
dem flavifchen und dem Feltifchen findet fich diefer Kampf, felbit in ein 
zelnen Umſtänden zutreffend. 

Beim erfleen, im ruſſiſchen Heldenliede: Fürft Wladimir und deſſen Tafel 
runde. Alt⸗Ruſſiſche Heldenlieder. Leipzig 1818. ©. 75 ff. Vom Kampfe 
Iljais von Murom mit feinem Sohne. 

Gäliſch in Oiſians Gedichten, von Ahlwarbt, B. III. Leipzig 1811. 
©. 29 bis 38. (In dem Liede Kanthon.) 

Iriſch in: Reliques of irish Poetry u. ſ. w. by Miss Brooke. Dublin 
1789. 4 (Conloch; The lamentation of Cucullen ©. 3 ff. 9 ff. in eng- 
lifcher Überfegung; ©. 265 ff. 269 fi. die irifchen Originale.) Po6sies de Marie 
de France u. ſ. w. ®. I, ©. 358 ff. Lai de Milon, Kampf des Vaters mit 
dem Sohne [überjesst von W. Herk, Marie de France S. 161. 8.]. 


1 [Bgl. Schriften 1, 170. 8.) 
2 [Bgl. oben S. 197 f. Schriften I, 165 fi. K.] 


549 


Wir jehen davon ab, daß auch in Beziehung auf diefe Vollsſtämme 
eine uralte Sagengemeinfchaft nicht undenkbar wäre und daß bie ruffiichen 
Sagenlieber ſich wirklich Manches aus ben beutfchen angeeignet zu haben 
jeheinen, wir räumen in biefem Falle die Möglichkeit einer freien Er⸗ 
zeugung ber gleichartigen Sage bei verfchievenen Völkern volltommen ein, 
Aber diefe Möglichkeit kann ung nicht für ſolche Fälle einleuchten, wo 
die Berhältniffe veriwidelter, mo die einzelnen Situationen nur aus 
einem größeren Zufammenhange. verftändlich find. So trafen wir es 


"bei den Wolfvietrichslievdern, deren einzelne, den perfiichen ähnliche 


Abenteuer auch nur in den größeren Verbindungen des perfiichen Mythus 


‚ und Epos Anorbnung und Bebeutung, felbft nur in der afiatifchen 


Natur klimatiſchen Anhalt fanden. War aber biemit einmal die bes 
fondre Berwanbtichaft in größeren Zügen bargethan, fo wurbe viele 
allerdings auch für folche Ähnlichkeiten mabrfcheinlicher, bie ſich fonft 
wohl aus dem allgemeinen Sagentypug hätten erklären laſſen. Es darf 
und auch hiebei nicht irre machen, wenn bas Ähnliche doc) wieber ſehr 
verſchieden zugetheilt und dem Ganzen eingeordnet iſt, wenn die Thaten 
und Geſchicke Wolfſdietrichs bald denen Key Chosrews, bald Ruſthms 
und Asfendiars entfprechen, wenn umgelehrt Chosrew zu den ver: 
ſchiedenen Dietrichen der deutfchen Sage, Ruſthm bald zu Wolfdietrich, 
bald zum alten Hildebrand Beziehung darbietet. Schah und Pehlvan 
des Orients, König und Meifter der deutſchen Lieder, muſten nach der 
Verſchiedenheit der nationalen Sitten ihre Stellen manigfach vertauſchen. 
Rufthm und Asfendiar ſelbſt find, wie ſchon früher bemerkt wurde, für 
die Fahrt der ſieben Tagreiſen ſagenhaft identiſch und ſo werden wir 
auch in Dietrich von Bern den wiedergebornen Wolfdietrich erkennen. 
Immer aber bleiben die Grunbverhältniffe die nemlichen, der Kampf 
des Lichthelven gegen die Mächte der Finſternis, das Rettungswerk, 
wodurch er die Kinder des Lichtreichs aus der Haft der finftern Ge⸗ 
walten erlöſt. 

Gerade dieſe Freiheit der gegenſeitigen Sagengeſtaltung iſt es nun 
auch, was zweitens eine eigentliche Entlehnung der einen Sage aus 
der andern nicht annehmbar macht. Zwar wenn wir auf das Wolf 
dietrichslied zurückgehen, bei dem unfre Unterfuchung begonnen, fo fcheint 


1 [Schriften 1, 172. 8] 


550 


dieſes felbft Auf eine äußere, und zwar im Wege bes Schriftverlehrs vor- 
gegangene Aneignung binzumeiien. Am Eingang ber Gebichte von 
Hug: und Wolfvietrih, worin überhaupt öfters des „Buchs“ erwähnt 
wird, fteht eine ausführliche Nachricht zur Gefchichte diefes Werks, welche 
jeboch in ben verſchiedenen Handfchriften etwas abweichend lautet. In ˖ 
dem SKlofter zu Tagemunt (Tagemunben, BDageminde) fei ein Bud 
gefunden worden, das manches Jahr dort. gelegen. Nachher fei es, 
auf durch Baierland, dem Biſchof von Einitet (alter Drud: Eyſtet) 
geſandt worden, ber ſich bis zu feinem Tode daran vergnügt. Wenn 
er verbroffen geweſen, habe er fich die Weile mit den feltiamen Wundern 
verkürzt, die in dem Buche gefchrieben waren. Nach feinem Tode babe 
es fein Capellan 'gelefen .und dann an feinen Arm genommen und in 
das Frauenkloſter zu fante Walpurg zu Einftat (Einftette) getragen. 
Mertent von dem buch[e], wie es fich zerbreittet bat u. ſ. w. 
Die Abtiffin fand gleichfalls großes Gefallen an dem Buche: 
Sü fattz fir ſich zwen meiſter 
Do [die] lert ft ez durch ein hubſchait, 
Die fundent dijen don darzuo, 
Sie brohtten ez in die Kriftenheit 
fa. Daz fie daran fundent gefchriben 
Daz brahten ſü in die criftenheit] 
Nabe und ferne 
Fuoren ſü in bie land, 
Sü fungenz und feitenz, 
Da von wart ez bekant. 
[a. Do von wart dis buoch befant] u. ſ. w. 
G. v. d. Hagen, Grundriß S. 8 f. Grimm, Heldenſ. 228 f.) 
Was nun dieſe Angaben im Einzelnen betrifft, ſo iſt zuvörderſt 
das Kloſter Tagemunt (Tagemunden, Dageminde), wo das Buch zuerſt 
aufgefunden und von wo es nach Baiern herauf gebracht worden, noch 
nicht ausgemittelt. Der Biſchof zu Einſtett (Eyftet), der nun das Bud) 
erhält, ift offenbar der von Eichftäbt, mo auch ein bekanntes Frauen: 
Hlofter, der b. Walburg geweiht, fich befand. Die Äbtiſſin dieſes Klofters 
lehrt dann das Buch die beiden Meifter des Gefanges, fie jagt es ihnen 
bor, weil fie entiweder des Leſens überhaupt, ober boch des Lateins, 
“ wenn bad Buch in ſolchem gefchrieben angenommen wird, unfundig 





951 

waren; und fie finden nun „biefen Ton” dazu, bringen es in bie epilche 
Geſangsweiſe und -verbreiten e3 fo mit Singen und Sagen in die Lande. 

Was an diefen Angaben Wahres fei, wird Riemand beitimmen 
tönnen. Es iſt an ſich wohl möglich, daß bie ſchon aufgegeichnete Sage 
aus ber Schrift wieder in den Gejang übergegangen. Aber wenn nicht 
angenommen wird, daß die Umfehung des Buchs in die Gejangsiveife 
auch gleich wieder niebergefchrieben morben, wovon nichts erwähnt ift, 
fo wäre, was auf und gelommen, doch nur die enblihe Aufzeichnung 
ber burch die wandernden Sänger verbreiteten Überlieferung und ſomit 
die Nachricht von der Sagenquelle felbjt eine fagenbafte. , 

Was uns bie Annahme nicht geftattet, daß etwa ein perfiſches 
Gebiht aus dem Drient nad dem Abendlande mitgebracht und bier 
in Latein übertragen worden, aus welchem lateinifchen Buche dann bie 
deutſchen Sänger den Stoff ihrer Lieder von Wolfdietrich empfangen 
und nun biefe Fabel in Deutſchland bekannt gemacht haben, das ift. 
bie frühzeitige Verbreitung, geſchichtliche und örtliche Anknüpfung, die 
lebendige vollsmäßige Ausbildung biefer Sagen im beutichen Epos. 
Das alte Hildebrandslied vom Schluffe des Sten Jahrhunderts ſetzt bes 
zeitö einen größern Zufammenhang ber Amelungenfage voraus, es fteht 
am Ende der Sagenreibe, an deren Spige der mythiſche Wolfpietrich 
zu ſetzen ift, und die noch ältern angelfächfifchen Gebichte, vielleicht 
fhon aus dem 7ten Jahrhundert, bezeichnen in ihren Anspielungen 
gleichfalls ſchon einen foldhen ausgebilveten Zuſammenhang der gothifchen 
Enge. Und wie follte eine Überfegung aus dem Perſiſchen zu ben 
gotbifhen Namen und Geichichten gelommen, wie ein jo mechaniſch Er⸗ 
borgtes in die freiefte Trieblraft der deutichen Sagenpoefie übergegangen 
fein? Umgelehrt aber eine Einwirkung germanifcher Sagendichtung auf 
die perfiiche anzunehmen!, würde allem ſonſt belannten biftoriichen 
Bildungsgange mwiderftreben; und wenn gleich Firduſis Heldenbuh um 
zwei Sahrhunderte jünger ift, als unfer beutiches Hildebrandslied, To 
bat er ja fein Werk aus ältern Königsbüchern und Überlieferungen 
bearbeitet. „ 

So bleibt ung wirflich nur bie dritte Erklärungsweiſe übrig. Auf 
beiden Seiten verliert fich der Urfprung der Sage in unbeftimmte Ferne. 


1 [Schriften I, 170. 8] 





502 


Nur in diefer Zeitenferne, nur in einem uralten gemeinfamen Mythen⸗ 
und Sagenbeftanve, nicht in dem Abdruck eines ſchon ausgeprägten per: 
fiichen Epos in bem germanifchen ober umgelehrt, kann der gefchichtliche 
Grund der Übereinftimmung zwar nicht urkundlich nachgewieſen, aber 
mit gutem Fug erichlofien werden. Was wir vorangeftellt, daß die 
Verwandtſchaft der Sprachen zum voraus auch bie der Sagen glaublidy 
mache, bat fi) uns im Berfolge der Unterſuchung beftätig. So wenig 
- wir aber bis dahin vorbringen Tönnen, wo fih die Spradäfte ge 
fpalten, fo wenig bis zur einftigen Ungefchievenheit der Sagen. 

Über die Entwidlung der Amelungenjage felbft nun aus ihrem 
frübern mythiſchen Charakter ift noch Einiges anzufügen. Wie ſich uns 
die perfifche Heldenſage einestheild mehr mythiſch⸗ſymboliſch in ben 
Kämpfen der Lichthelden mit den Ausgeburten Ahrmans, anderntheils 
mebr epijch- biftorifch in den Kriegen Irans und Turans erivies, und. 
wir jenen eritern Charakter als ben ältern, vorbildlichen erkannt haben, 
fo wiederholt fi) uns dasſelbe in der gothifhen Sage. Die Haupt 
gedichte diefer Kreife, die von Wolfdietrich, Rother und Dietrich von 
Bern, find in den Grundzügen einerlei.1 Alle die drei Helden kämpfen 
und dulden für die Rettung ihrer gefangenen Dienftmannen. Wolf 
bietrich aber muß noch Drachen belämpfen und Zauber mander Art 
überwinden, das Wunberbare ift in feinen Abenteuern vorherrſchend, 
er ſteht als mythiſcher Held obenan. Auch das Verhältnis des Königs . 
zu den eilf Dienftmannen, die gegenfeitige, Alles opfernde Treue und 
der endliche Sieg verfelben, tritt bier noch in einem volllommen abge 
sundeten Bilde voll echter, ftarler, inniglebendiger Züge hervor. Durch 
al die bunten Verwicklungen, bie fih im Laufe ber Zeiten angeſetzt 
haben, erjcheint doch immer das einfachgroße Grundbild, der Blid bleibt 
auf das Biel gebeftet und das Nebenwerk ift leicht abzulöjen. Rother 
fteht zu feinen zwölf gefangenen Boten, wie Wolfdietrich zu feinen 
Dienftmannen. Er nennt fi fogar Dietrih; dem getreuen Berchtung, 
dem Meifter Wolfdietrichs, entfpriht ſchon in der Wurzelfilbe bes 
Wortes der alte Berther des Rothersliedes, ein Name, der auch. einem 
von Wolfdietrichs Dienftmannen, einem der Söhne Berchtungs, ange 
hört. Berchtung und Berchter find beide Herren von Meran.? Eigen 

1 [Schriften I, 201. ®] 

2 [Schriften I, 24. 8] 


553 - 


thümlich find die drei Harfenfchläge, wodurch Rother fich den Seinigen 
zu erlennen gibt. Urfprünglicher jedoch und bauptfächlicher befteht im 
Wolfvietrich jener Treuebund, während im Notherälieve bie Braut⸗ 
werbung fich eindrängt, zu ber Berchters Söhne nur die Boten find. 
Drachenlämpfe dagegen und Baubereien find bier weggefallen. Ein 
wiedergeborner Wolfdietrich ift nun auch Dietrich von Bern; er iſt ed 
in demjenigen Theile feiner Gefchichten, in welchen noch bie unbermijchte 
Amelungenfage heraustritt, wie er, um feine fieben gefangenen Mannen 
zu retten, von Land und Herrfchaft weicht. An der Spike dieſer Sieben 
ftebt Berchtram von Pola,! der all feinen Schatz dem Gebieter hingeben 
wil, in Namen und Wefen ibentifh mit Berdtung und Bertber. 
Auch von Dietrich von Bern werben zwar Drachenkämpfe erzählt und - 
in der Willinenfage (Helden. 236), wie in einer bänifchen Ballade 
vom Lindwurmkampfe werben ihm Thaten zugefchrieben, die fonft dem 
Wolfvietrih angehören; jene mythiichen Kämpfe find aber, bezeichnend, 
daß fie einer ältern Geftaltung der Dietrichsſage angehören, in bes 
Berners frühe Jugend hinaufgerüdt und aus dem Verhältnis zu feinen 
Dienftmannen gänzlich hinausgefchoben. In diefem hat das Menſch⸗ 
liche?, die epifche Charakterifiil über dag Wunderbare, die mythiſche 
Symbolit, gefiegt. Ahrmann und feine Diwes wandeln nicht mehr in 
Schlangengeftalt, fondern treten in menfchlicher Tüde- zu Tag, mie ja 
in der perfilchen Sage felbft der turanifche Afrafiab und feine Genoſſen 
an ihre Stelle getreten find. Welche Schwierigleiten die Beziehung 
des geſchichtlichen Ermanarich auf den Ermenrich der’ Heldenfage habe, 
wenn fie gleich ſchon von Jornandes gemacht wird, ift früher erwähnt 
worden. Aber ein mythiſcher Anklang macht ſich hörbar, wenn ich auch, 
da mir die etymologiſche Geltung der Hauptfilbe im perfiichen Ahrman 
nicht befannt tft, nichts weiter daraus bemeifen kann. (Die gothiſche 
Form von Ermenrih wäre Airmanareiks; vgl. Grimm Gramm. 1, 
43 f. ). *** 

Für unfre Anfiht, nach welcher die Wolfvietrichöfage vermöge 
ihres mythiſchen Charakters an die Spite der Amelungenfage zu ftellen 
ift, die Sagen von Dietrih von Bern aber als epiſche Entwidlung jener 

1 (Schriften I, 98 f. 304. .] 

2 [Bgl. Schriften I, 201 f. 8.) 

3 [Weitere Ausführung |. Schriften I, 202. R.] 


554 


zu betrachten find, zeugen auch die geſchichtlichen und örtlichen Durch 
gänge. Die Wolfdietrichslieder fpielen noch hauptſächlich in Konflantis 
nopel, Griechenland, dem Küftenlande Meran, obgleih aud fie ſchon 
durch Dinit an Stalien angelnüpft werden; das Rotherslied theilt 
fi zwiſchen Italien und Konftantinopel; in den Geſchichten Dietrichs 
von Bern aber bat fi die Sage ganz und gar nach Überitalien 
gejogen, wie der gothiſche Volksſtamm felbft immermehr vom Dften 
herankam. 

Auf Dietrich von Bern haben ſich die alten gothiſchen Über 
lieferungen berabgejentt, in feinem Kreife haben fie epifche Entfaltung 


‚ amd ausgebildete Charakteriftil gewonnen, durch ihn find fie mit den 


Etammfagen anbrer Völker in Berbindung getreten. 

Solche Sagenverbindungen konnten auch wirklich erft in größerem 
Umfang vollzogen werben, nachdem die mythiſchen Elemente bereit3 mehr 
in den Hintergrund getreten waren. Der odiniſche und ber parfiſch⸗ 
gothiſche Mythus ftehen auch wirklid (einiger Beziehungen unerachtet, 
welde die Siegfriedsſage zur perfiichen geftattet) jo weit auseinander, 
daß ich zwiſchen ihnen feine ungezwungene Vermittlung, feine ein- 
leuchtende gemeinfame Grundlage anzugeben wuſte. Wenn es aber 
auch möglich wäre, eine ſolche aufzufinden, jo war doch jedenfalls bie 
Einwirkung der beiberfeitigen Glaubenslehren auf die Region der Helben- 
ſage überaus verichieden. Im perftichen Helbenwefen jest fi) aus dem 
religidfen Syfteme der beftimmtefte Dualismus, der Gegenjak des Lichtes 
und der Finfternis, des Guten und Böfen, der Kampf des Neinen 
mit dem Unveinen fort. Die obinifche Glaubensanſicht dagegen ergreift 
im Helbenthume die ungefchievene Kraft; gut und böfe ift nur ein Ber 
bängnis, unvermwüftliche Tapferkeit ein Verbienft; aus beiben Heeren, 
bie ſich im Kampfe vernichten, fahren bie Helden zu Odin; ein Gegen: 
fa ift nur zwiſchen ihnen und den Feigen, Siechtobten, nicht mit 
Speeresipite Gezeichneten, welche Hel in ihre dunkeln Wohnungen ziebt, 
bie aber eigentli gar nicht in das Helvdenliev aufgenommen werben. 
Diefer Charakter bes obdinifchen Heldenthums, den ich in ber flan- 
dinavifchen Sagengeichichte näher zu begründen fuchte, tritt nun eben 
auch in den nordiſchen Darftellungen des gemeinfamen Sagenkreiſes am 
entjchiebenften zu Tage, und es mag hiebei an die frühere Bemerkung 
erinnert werben, wie auch der gothifche und ber norbifche Sprachftamm 


555 ' 
— — — 


im Schema der großen germaniſchen Sprachverwandiſchaft an den beiden 
äußerften Enden ftehen (Grimm Gramm. Aufl. I, B. 1, S. L. 

Wie nun die, in ihren mythiſchen Grundlagen fo weit getrennten 
Helbenfagen fich dennoch zum epiſchen Cyllus zufammengearbeitet haben, 
muß fi und auf andern Wegen der Betrachtung ala den bisherigen, 
welche meift nur zur Sonderung führten, ergeben. 


8. Erflärung der cykliſchen Heldenfage von ethiſcher Seite. 1 


Weder vom geichichtlichen, noch vom mythiſchen Stanbpuntt fonnte 
fih uns das Weſen der deutſchen Heldenfage, wie fie jest vorliegt, 
völlig erfchließen. Das Gejchichtliche fanden wir nur in Durchgängen 
und Umrifien erfennbar, das Mythiſche verdunkelt und misverftanden. 
Gleichwohl ift dieſe Helbenfage nicht als verwittertes Denkmal after 
Volksgeſchichte ober untergegangenen Heibenglaubens ftehen geblieben, 
fie ift im längft bekehrten Deutichland Tebendig fortgewachſen, im 13ten 
Jahrhundert in großen Dichtwerken aufgefaßt worden, bat nod lange 
nachher in ver Erinnerung des Volles gebaftet und Spricht noch jetzt 
verftänblich zum Gemüthe. Dieß ſetzt voraus, daß fie unabhängig von 
ihren biftorifchen Elementen und von ben beftimmten Glaubenslehren, 


mit denen fie urfprünglich zufammenhieng, fortwährend in den Vor: _ 


ftelungen des deutichen Volles vom rechten und Träftigen Leben, vom 


Großen und Eveln, fowie von den Gegenfäten, die damit im Kampfe 


ftehen, geiwurzelt und fi) im Einflange mit diefen Vorftellungen weiter 
entwidelt babe. Derfelbe Geift, dasfelbe Gemüth, die fich im Leben 
und der Sitte der deutſchen Stämme von ihrem erften Erjcheinen an 
bis zum Ablaufe der mittlern Zeit fund gaben und die Grundzüge bes 
Volkscharakters bildeten, haben fich auch in unſrer epiſchen Vollkspoeſie 
ausgeprägt. Die Nachweiſung dieſes Gemeinſamen in Leben und Liede, 
die Begründung des Epos im Ganzen des Volfälebend und der Voll 
fitte iſt es nun, was ich unter der Erflärung ber Heldenfage von ethilcher 
Seite verſtehe. Es wird ſich dabei zeigen, wie aus ber allgemeinen 
Begründung auch das Einzelne in Geftalten und Ereignifien oft in auf 
fallenver Übereinjtimmung zwiſchen Wirklichkeit und Gebicht hervorgeht, 


1 (Schriften I, 211. 8] 


p | 


556 


— — ——— — 


ohne daß wir für ſolche Ähnlichkeiten im Einzelnen einen eigentlich ges 
ſchichtlichen Zuſammenhang anzunehmen genöthigt ober befugt mären. 
Allein die Geſchichte ſelbſt ift ja nicht bloß Außeres Ereignis, fondern 
theils in Thaten ein Erzeugnis bes Volfögeiftes, theils durch äußere 
Einwirkungen, die er in fich verarbeitet, eine Entwidlung besjelben. 
Staatenbildungen u. |. im. 1 *** 

Die deutfche, cykliſche Helvenfage ift in ber bisherigen Ausführung 
von drei Seiten erflärt worden‘, von gefchichtlicher, mythiſcher und etbifcher. 
Die beiden erftern Erklärungsweiſen haben und zur Trennung geführt, 
zur Auflöfung des Sagenganzen in feine urfprüngli von einander 
unabhängigen Beftandtheile, in die befondern Sagenkreiſe der verſchie⸗ 
denen Volksſtämme, in die Anfäte aus verſchiedenen Epochen der Ges 
Ihichte, in die weit aus einander tretenven Unterlagen verfchienener 
möthifch-religiöfer Syfteme. Die Erflärung von ethifcher Seite dagegen 
hat uns auf die Verbindung diefer manigfachen Beſtandtheile zur Ein 
beit des epifchen Cyklus Hingeleitet. Die geichichtlihen Beziehungen 
waren zum voraus mehr nur äußerlich, die Bebeutung des Mythiſchen 
war verbunfelt, und fo konnte das Gemeinfame in Lebensanficht und 
Sitte der deutfchen Völker ungehindert die Verſchmelzung der urfprüng- 
lich gejonverten Elemente bewirten. Der poetifche Trieb, ber in ber 
Sagenbildung thätig ift, arbeitet überall darauf hin, das Vereinzelte 
zu immer meiteren Kreiſen lebendig zu verfnüpfen; das Bindemittel 
.aber, vie befeelende Einheit, war hier in jener ethifchen Idee der Treue 
gegeben. Am nächſten haben fich die Helbenkreife der Amelunge und 
der Nibelunge auf die angezeigte Weife verbunden; die Hegelinge haben 
mehr für fi) ihren Kreis abgefchlofien. Jedes einzelne Lied zeigt auch 
die Fäden, wodurch es mit dem größeren Ganzen zufammenbängt, das 
eben aus der Gefammtheit aller hervorgeht. Die umfaflenpften Com⸗ 
pofitionen find, außer dem Gubrunglieve, welches die zum Hegelingen- 
treife gehörenden Sagen einfchließt, die Willinenfage und das Nibe⸗ 
Iungenlied. Erftere ſammelt um Dietrich von Bern, als ihren Mittel- 
punkt, die gröfte Zahl ber Sagenhelden und ift fo an Reichhaltigfeit 
bes Stoffes dem Nibelungenliev überlegen. Letzteres dagegen hat bie 


1 (Hier ift auf die älteren Hefte verwiefen, welche Schriften I, 214 bis 
347 zum Abdrud gelommen find. 8.] 





4 


557 


innere organifche Sagenverbindung in ber fittlichen Idee am voll: 
Tommenften zu Stande gebracht. Auch äußerlich tragen unfre veutfchen 
Heldenliever das Gepräge eines gemeinfamen epifchen Stils und in 
einem großen Theile berjelben herricht die Gemeinfchaft des epifchen 
Verſes, der vierzeiligen Strophe, die ala Nibelungenvers hinreichend 
befannt if. ⸗ 

In einzelnen dieſer epiſchen Gedichte ſind die Namen der Dichter, 
wahre oder ſelbſt ſagenhafte, angegeben. Allein dieſe Autorſchaft kann 
ſich nur auf die jeweilige Auffaſſung der Sage im einzelnen Dicht⸗ oder 
Schriftiwerle beziehen, der eigentliche Sagenbeftand ift dag Erzeugnis ber 
dichtenden Kraft des gefammten Volles in dem Sinne, wie wir früher 


das Weſen der Volkspoeſie dargelegt haben. Die vorzüglichen Drgane 


der Bildung und Verbreitung biefer epifchen Volkspoeſie aber waren 
ohne Zweifel die wandernden Sänger, deren wir das ganze Mittelalter 
hindurch fo häufig erwähnt finden. Auch das Sagen wird berlümmlich 
neben dem Singen genannt, ohne daß jedoch eine jo beftimmt ausge, 


bildete Form der bloßen Erzählung, wie in den Sagan des Nordens, - 


auch für Deutichland nachgewielen werben Fünnte. 


B. Nichtceykliſche Heldenſagen!. 


Neben dem umfaſſenden Cyklus deutſcher Heldenſage, welcher bis—⸗ 
her den Gegenſtand unſrer Betrachtung ausgemacht hat, ſind noch viele 
heroiſche Sagen vorhanden, welche gleichfalls bei den deutſchen Völkern 
erwachſen ſind, auch an Perſonen und Ereigniſſe der deutſchen Geſchichte 
ſich anlehnen, aber ſich entweder nur zu beſchränkteren Verbindungen 
abgeſchloſſen haben, oder nur als Überreſte früher beſtandener Sagen⸗ 
kreiſe auf uns gekommen, oder als Verſuche größerer Sagenbildungen 
ſtehen geblieben ſind, oder auch völlig vereinzelt daſtehen. 

Gerade weil jener epiſche Cyklus auch urſprünglich geſonderte 
Sagenkreiſe an ſich zog und zum größeren Ganzen ſammelte, weil er 
für feine Ausbildung bie dichtende Kraft im Volke vorzugsweiſe in An- 
ſpruch nahm, konnten diejenigen Sagen, welche nicht in diefe Verbin- 
dung eingiengen, fich weniger gebeihlich erhalten, erheben und entfalten. 


1 (Bgl. Schriften I, 456. 8.] 


— 





558 

Wir wählen nun aus bem Vorrathe biefer nichtehlliſchen Tiber 
lieferungen biejenigen aus, welche durch den fagenhaften Inhalt felbft, 
ober doch durch die Berfonen und Begebenheiten, auf bie fie fich be 
ziehen, beſondre Aufmerkſamkeit verbienen. Duellen find biefür die 
älteften Gejchichtbücher der verſchiedenen beutichen Vollsſtämme, welche 
beſonders in ihren vordern Theilen der Sage noch vollen Spielraum 
zu lafien pflegen, dann Reimchronilen und Gebichte des Mittelalters 
und fpätere Aufzeichnungen der mündlichen Vollsſage. 

Vieles Vereinzelte ift in der Sammlung deutſcher Sagen von ben 
Brüdern Grimm treu nach den Quellen, ohne eigene Zuthat oder Ber 
Ichönerung, zufammengeftellt. 

Vorzüglich geht uns hier der zweite Band an, worin die an Ge 
ſchichtliches fich anlnüpfenden Stamm: und Gelchlechtsfagen gefammelt 
find, während der erfte Theil mehr für bie noch in |päterer Zeit gang- 
baren mythiſchen Überlieferungen, die ung weiterhin befchäftigen werben, 
von Wichtigkeit iſt. 

Die älteren ber bier auszuhebenden Sagen athmen noch ben Geift 
ber epifchen Dichtung und geftatten ſelbſt Antnüpfungen an die größere 
Helvenfage; bie jpäteren nehmen immer mehr entweder das Gepräge des 
Phantaftifhen ober umgekehrt einen gefchichtlichen Charakter an, eine 
Sonderung von Elementen, die im eigentlichen Epos verſchmolzen find. 


IL Sagen ber Hernler 1, 9% 
IL Sagen ber Laugobarden. * 
II. Sagen ber Thüringer, *%* 
IV. Karolingiſch⸗-fränliſche Sagen ?. 


Bon der fränkifh-burgundifhen Siegfrieds: und Ribelungenfage 
iſt beim größeren Cyllus gehandelt worden. Ein ſchon ſeit dem 7ten 
Jahrhundert (Grimms Heldenjage ©. 87) verbreiteter Glaube leitet bie 
Abkunft der Franken von Troja ber und diefe Trabition ift nament 
lich auch auf Hagen von Tronje angewandt, Waltharius 3. 28: 


1 (Hier folgt die Darftellung mie Schriften I, 458 bis 506. Bon einzelnen 
Abſchnitten Hat ſich noch eine weitere Ausführung vorgefunden, aus welcher bier 
das Wefentliche mitgetheilt wird. K.) \ 

2 [Bgl. Schriften I, 470. 4.)] 


x 


359 
veniens de germine Troje. (Bgl. W. Grimm, Altbänifche Helben- 
lieder, Balladen u. |. m. Anhang ©. 431 bis 440: „Über die Sage 
von der trojaniichen Abkunft der Franken.“) 

Eine lange Reihe fabelhafter Frantenlönige dieſer trojanifchen Ab⸗ 
ftammung ift in den angeblichen Geſchichtbüchern Waſthalds und Hunis 
balds aufgeführt, von deren einftigem Vorhandenfein wir aber nur durch 
die Auszüge Kenntnis haben, welche der Abt Trittenheim zu Anfang 


des 16ten Jahrhunderts (1514) daraus gemadt hat: 


De origine gentis Francorum compendium Johannis Trittenhemii 
abbatis, ex duodecim ultimis Hunibaldi librie, quorum sex primos Wast- 
haldus conscripsit, ab introitu Sicambrorum ad partes Rheni in Germa- 
niam. (In Schardii Rerum Germanicarum Scriptt. Gießen 1673, ©. 143 f. 
Schon früher in Trittenheims Schriften. Eine Abhandlung von Görres über 
Hunibald fteht in Schlegel8 Deutſchem Mufenm. 1) 

Der fchtwierigen Prüfung biefes Erzeugniſſes tönen wir una um 
fo eher entheben, als jedenfalls die Mittheilungen Trittenbeims von 
lebendigem Sagenbeftanve fehr wenig durchblicken laſſen. 

Aus der Zeit des meromwingifchen Königsflammes zeigt fi) nur 
fparfame Sagenbildung. (Einiges in Grimms deutſchen Sagen I, 
72 ff.) Aber wie mit Karl den Großen eine neue Ara der Gefchichte 
beginnt, fo entfaltet fih auch ein neues Wachsthum der Helvendichtung. 
Ihren epilchen Kreis hat zwar diefe karolingiſche Helbenfage nicht in 
deutfcher, ſondern in norbfranzöfifcher Poeſie gebilvet und dieſes Epos 
wird uns erft in der romanischen Sagengefchichte näher in Betracht 
fommen. 

Karl der Große hatte ſich der alten deutfchen Heldenlieder treulich 
angenommen, laut der befannten und vielbefprochenen Stelle in Egin: 
harts Vita Caroli magni, Cap. 29: 

Item barbara et antiquissima carmina, quibus veterum actus et bella 
canebantur , scripsit memorieque mandavit. (Grimm, Heldenf. 26 f. 
Mone, DOuellen und Forſchungen I, 259.) 

Dennoch follte er dafür nicht in der ihm angeborenen, ſondern in 
einer fremden Sprache, der franzöfiihen, den vollen Dank der Poeſie 
empfangen. Dieje Erfcheinung läßt ſich wohl erflären. In Gallien war 
die Macht des fränkifchen Stammes, aus welchem Karl hervorgegangen ; 


I [Botthafts Bibliotheca historica medii evi, Berlin 1862, ©. 652. 8.] 


560 

einem großen Theile von Deutſchland war Karl feindlich entgegenge 
treten, und dann war im Mutterlande eben jene uralte heimifche Helben- 
ſage fchon vorhanden und feſtbegründet. Sowie die Heroen berfelben, 
die längft in wunderbarer Größe umberwandelten, dem jüngern Helden, 
fo glänzend er in ber Geſchichte aufgetreten, die Anerkennung in ber 
Poeſie erſchweren mochten, fo ftand auch er feinerfeits zu gewaltig da, 
um in ihrem Kreife eine untergeorbnete Stelle einzunehmen. Darum 
brach er fich eigene Bahn, ba, wo neue Bilbungen ber Sprache und 
des Gefanges fich eröffneten. 

Gleichwohl fehlt es auch auf deutſchem Boden keineswegs an eigen: 
tbümlichen Überlieferungen von Karln dem Großen!, nur baß fie feinen 
vollen Sagencyflug zu Stande gebracht haben. 

Mit? der Gründung bes deutſchen Königs: und Kaiferthrones zeigen 
fih überhaupt die neuerftehenden Sagen im Gegenfate der größern 
und unter fich verfchlungenen Nationalfagen aus der ältern Zeit mehr 
und mehr vereinzelt, auf das herrſchende Haus, auf einzelne Könige 
oder mächtige Fürften, oft faft anefvotenartig, befchräntt, oder mehr 
genealogifch ſich fortpflanzend, als in epifcher Erweiterung fich aus- 
breitend. Es erjcheint daher angemefjen, die mweitern Sagen in ber 
Ordnung der nad einander folgenden Kaiferhäufer aufzuführen, auf 
ähnliche Weife, wie man auch die Geſchichte dieſer Zeiten abzutheilen 
pflegt. Sie halten mit der Geſchichte Schritt, wie an gewiſſen Orten 
bei feftlihen Umzügen je neben einem ernten Manne ein fingenver 
Knabe bergebt. 

Zuerſt alfo deutfch:Tarolingifche Sagen und zwar von Karln dem 
Großen ſelbſt. 

Es ift bei den Überlieferungen ver Langobarden 3 bemerkt worben, 
daß, ſowie die untergehenden Heruler und Gepiden in die Iangobarbifche 
Sage aufgenommen wurden, fo die Langobarden, nachdem fie ſelbſt den 
Franken unter Karl dem Großen unterlegen, in die Sage der letztern. 
Die Untergang des langobardiſchen Reiches betreffen die vier nächſt⸗ 
folgenden Sagen: 


1 [Schriften II, 91. 8.) 
2 [Schriften I, 471. $.] 
3 (Schriften I, 462. 8.] 


561 


1. Der eiferne Karl. Aus dem etwas ſchwülſtigen Stile der latei⸗ 
nifchen Chronik ift die Sage von den Brüdern Grimm (Deutfche Sagen 1, 
112.f.) überjegt 1: *** 

2. Der lombarbiihe Spielmann. . 

3. Karl vor Pavia. 

4. Adelgis. 

5. Karl nad) der Kaiſerchronik. 
6. Die Legende von Karls Streit vor Regensburg. 
7. Karla Heimkehr aus Ungerland. 

8. Karls Ned. ? 

Wenn gleih Karl der Große auch in eigenthümlich beuticher 
Überlieferung ala Kriegsheld und Heibenbefehrer gefeiert ift, fo bat 
fih doch, mie fchon erwähnt, dieſe beroifchslegendenhafte Seite nur 
in ber altfranzöſiſchen Poefie zum vollen Epos, ausgebildet. Aber 
noch u. ſ. w. *** 

9. Kaiſer Karl im Berge. 

War Kaifer Karl gleich zu Grabe gebracht worden, fo beftanb doch 
. viele Jahrhunderte hindurch der Volksglaube, daß er unterirdiſch fort 
lebe, bis zur künftigen Wiederkehr feines Reiches 4. An verfchiedene 
Örtlichleiten knüpfte ſich diefe Sage. 

Zu Nürnberg auf der Burg fol Karl der Große fi in den tiefen 
Brunnen verwünfcht haben und fich bafelbft aufhalten. Sein Bart ift 
durch den Steintifch gewachſen, vor welchem er fit (Deutfche Sagen I, 28). 
Bei Fürth, unweit Nürnberg, fteht mitten in grüner Wieſe ein fonber 
barer kahler Sanbhügel. 


„Im Jahre 1678 aber hat fi der Berg einem Nürnberger Kaufmann 
aufgetban, welder Karln den Großen tief unten an einem Tiſche fiten und 
ſchlafen gefunden, daß fein Bart ſehr breit fiber den Tiſch hingewachſen fei; fein 
Kriegsheer aber wurbe abfeits, wie im Felde neben ihm gelagert, vermerkt.“ 
(Maßmanns bayerifche Sagen S. 8, nach Prätorius Alectryomantia, Franl· 
furt 1680.) 


1 [Schriften II, 91 ff. &.] 

2 (Schriften II, 96, 4] 

3 [Schriften II, 9. 8.) 

4 Bgl. O. 2%. B. Wolff, hiſtoriſche Vollalieder ©. 182, 3 
Uhlandb, Schriften. VII. 86 


362 


Befonderd auch bat Karl feinen Aufenthalt im Unteröberge bei 
Salzburg. Bon den Wundern im Innern dieſes Berges gibt es ein 
Volksbuch, das, mit der Ortsbezeichnung Briren, auch auf unfern 
Märkten verkauft wird. Nach einer Handichrift des 17ten Jahrhunderts 
iſt dasfelbe mit Vergleihung anbrer Exemplare und Unterfuchungen 
über die Sage fürzlich neu herausgegeben worden: „Bayerifche Sagen, 
mitgetheilt und gefchichtlich beleuchtet von H. F. Maßmann. Ites Bänd- 
hen. München 1831,” auch mit dem bejonvern Titel: „Der Unter: 
berg bei Salzburg.“ 

Inm Unteröberge fit Kaifer Karl mit golbner Krone auf tem 
Haupt und dem Scepter in der Hand. Auf dem großen Walferfelde 
ward er verzüdt ! und bat noch ganz feine Geftalt behalten ?, *** 

Sn dem von Maßmann zu Grunde gelegten Exemplar wird dieß 
vom Kaifer Friedrich erzählt, deſſen Name allmählich an vie Stelle bes 
älteren Karl eingetreten zu fein fcheint 3, 


1 Bgl. Kaſpar von der Röhn, Herzog Ernit, Str. 50: Der kayſer 
[Friedrich] hie verzudet ward, 
3 [Weiteres Schriften II, 95 fe K.] Grimms deutſche Sagen I, 33. 
3 [Bgl. Ergänzungsblätter zur jenaiſchen allgemeinen Fitteraturzeitung 1833, 

Nr. 21. Schluß der Anzeige von: Die Ritterburgen von Gottfhalt. 1 6888. 
Sp. 164: „135. Deefenberg bey Warburg, an der Diemel, im preußilchen 
Fürftentfume Paderborn“ u. f. w. ©. 330 fonnte auf die Übereinfimmung 
der Bollsfage, nach welcher der mit ben Seinen in den Deefenberg gebannte 
Kaifer Karl der Große dort an einem fteinernen Tiſche fißen ſoll, durch ben 
ihm der Bart bis auf die Füße gewachſen fei u. |. w., mit dem befannten Mähr- 
hen von Kaijer Friedrich auf dem Kiffhäufer hingewieſen werben. So glauben 
auch die Anwohner des letzten Berges, daß derjelbe, ebenjo wie jener, die Witte 
rung vorherverlündige, was man in folgende Reime eingefleidet hat: 

Steht Kaifer Friedrich ohne Hut, 

Iſt das Wetter ſchön umd gut; 

Iſt er mit dem Hut zu fehn, 

Wird das Wetter nicht beſtehn. 
&. Alb. Ritteri Lucubratiuncula II de alabastris schwarzburgicis (1732. 
4.) ©. 13. Nach den Blättern fir litterarifche Unterhaltung 1834. Jan. Wr. 1. 
©. 3 find die Nachträge zu Gottſchalks Nitterburgen in den Ergänzungsblättern 
zur jenaifchen allgemeinen Litteraturzeitung 1833, Nr. 16 bis 21 von Hefe, 
der auch eine Monographie über die Rothenburg in Thliringen, wie es fcheint, 
in den Schriften des thüringifch-fächfifchen Vereins zur Erforfchung des Alter- 
thums gegeben.] [Bgl. Schriften I, 501. K.] 


563 





‚Wie Kaiſer Karl in der früher vorgetragenen Sage von feiner 
Heimkehr aus Ungerland im Dome zu Aachen auf dem Stuhl ſitzend 
geſehen wurde, jo fit er nun fchlummernd im Berge. Aber auf die 
jelbe Weife war er auch nad) den Geſchichtſchreibern wirklich in die Gruft 
geſetzt. 

Von der Beiſetzung dieſes Kaiſers in der von ihm erbauten Haupt⸗ 
kirche zu Aachen meldet die Chronik des Mönchs von Angouleme: 

Corpus ejus aromizatum est, et in sede aurea sedens positum est in 
curvatura sepulcri, ense aureo accinctum, Evangelium aureum tenens in 
manibus n. ſ. w. Vestitum ęst corpus ejus vestimentis imperialibus ı. ſ. w. 
Sceptrum aureum et scutum aureum, quod Leo papa consecraverat, ante 
eum posita sunt dependentis, et clausum et sigillatum est sepulcrum ejus, 
Hahn I, 88. 

Kaiſer Otto III ließ im Jahr 1000 dieſes Grabgewölbe öffnen, 
nach der Erzählung in Ademari chronicon: 

Otto imperator per somnium monitus est, ut levaret corpus Caroli 
Magni imperatoris, qui Aquis humatus erat, sed vetustate oblitterante 
ignorabatur locus certus, ubi quiescebat, et peräcto triduano jejunio, in- 
ventus est eo loco, quem per visum cognoverat imperator, sedens in aurea 
cathedra intra arcuatam speluncam, infra basilicam beate Marie ,. coro« 
natus corona ex auro et gemmis, tenens sceptrum et engem ex auro 
purissimo, et ipsius corpus incorruptum inventum est, quod levatum po 
pulo demonstratum est. Solium ejus aureum imperator Otto direxit regi 
Botisclavo pro reliquiis s. Adalberti martyris u |. w (Hahn, a a. O. 
Bgl. Deuticde Sagen II, 178.) 

“ Roifer Friedrich I ließ das Grab abermals öffnen und bie Gebeine 
Karla herausnehmen und in einen Kaften legen. 

Wir ſehen hier das leibhafte Vorbild zu dem fehlummernben Raifer 
in ber Berghöhle. 

Bei den im Münfter zu Aachen ftattgehabten Kaiferfrönungen wurbe 
ber noch jetzt dort aufgeftellte Marmorftuhl gebraucht, auf welchem Karl - 
im Grabe gefeflen jein foll (bei den Annaliften aurea sedes, cathedra), 
und unter den früher in Aachen aufbewwahrten, aber im Jahre 1794 
von da nach Wien abgeführten Krönungsziexden befand ſich das Schwert 
Karls und fein mit goldenen Buchftaben auf Pergament gefchriebenes 
Evangelienbuh (Quix, Biftorifch :topographifche Beichreibung der Stadt 
Aachen. Köln und Aachen 1829. ©. 22 f. 29 f.) 


NS 


964 


Wenn wir in jener Weile ber Beftattung Karls des Großen einen 
äußern Anhalt zu den Volksſagen bemerkt haben, welche wir nachher aud) 
von ben hohenſtaufiſchen Yriedrichen und zwar noch mit weiten Um- 
ftänvden erzählt finden werben, fo hat doch biefes Yortleben der alten 
Helden 5i3 zum Erwachen für künftige große Ereignifje gewiſs nicht 
minder einen innern mythiſchen Grund, der fi uns gleichfalls erft 
fpäter nahe legen wird, 

- Bei Karl dem Großen insbeſondere aber laſſen fih dieſe Sagen 
mit denen von feinem Rechte in Verbindung fegen. Die Böller 
legen ihre Träume von einer golbenen Zeit des Friedens und ber 
Gerechtigkeit bald in die Vergangenheit, bald in die Zulunft; Karls 
Reich war längft hingeſchwunden, aber man boffte auf deſſen einftige 
Wiederkehr. 

Es ließen ſich zu den bisher enäblten noch andre, der Be 
achtung nicht unwerthe Sagen, Karin den Großen betreffend, anführen, 
z. B. die befannte von Eginharb und Emma (nad dem Chronicon 
Laurishamense in Grimms beutichen Sagen II, 125 ff.), von Karln 
und Elegaft (Grundriß 171. Mufeum für altveutiche Litteratur und 
Kunft I, ©. 226 ff. nach einem altholländiſchen Reimbuche); das bis⸗ 
berige wird jedoch genügend zeigen, wie Karl auch in eigenthümlic 
beutfcher Überlieferung von legendenhafter, heroiſcher und felbft mythi⸗ 
icher Seite gefeiert wurde. Auch in deutſchen Landen jprang von 
ihm überall die Aber der Sagenbichtung, mie vom Odenberg in Heflen 
erzählt wird, daß dort vom Huffchlage feines Roſſes ein ftarker Duell 
entiprungen ſei (Mone, Geſchichte des beidenthums im nörblichen Eu⸗ 
ropa II, 155). 


V. Sagen aud ben Zeiten ber ſächſiſchen und der fränftihen Kaifer 1. 


Unter den Fräftigen Gefchlechtern ver Dttone und ber Salier finden 
wir wieder eine vegere und umfaſſendere Sagenbildung in der Art wirk 
fam, daß eine Reihe von PBerfonen und Ereignifien, bie fich in ber 
Geſchichte ein Jahrhundert hindurch folgen, in der Handlung und ben 
Charakteren eines größeren Gebichtes gefammelt und aufgegangen find. 


1 [Schriften I, 472. 8] 


965 . 


Diefes war nur dadurch möglih, daß jene ganze Periode über in ber 
Geſchichte ſelbſt gleichartige Beftrebungen malteten, die ich mit wenigen 
Zügen zum voraus bezeichne. Die deutfchen Könige waren, um bie 

Macht ihres Haufes und die Kraft ihrer Herrfhaft zu heben, unabläflig 
darauf bedacht, fich zugleich der Gewalt, welche die großen Reichsämter 
darboten, zu verfihern. Mittel zu dieſem Zwecke fuchten fie vorzüglich 
darin, daß fie die Hergogthümer und andre beveutende Würben auf 
Glieder ihres Haufe übertrugen oder burch Vermählungen an biefes 
knüpften. Hierin lag aber auch der Keim der Eiferfuht und Zwietracht 
unter den nächſten Verwandten felbft, die fih auf ſolche Weife in ben 
verſchiedenen Intereſſen der Oberherrlichkeit und Vaſallenſchaft gegen 
übergeftellt waren. Statt daß die Provinzen dem Könige näher ver 
bunden wurden, indem fein Sohn, Bruder, Schwager, Eivam über 
fie gefet war, wurden vielmehr dieſe feine Angehörigen ihm durch ihre 
Stellung nicht minder entfremdet, als es frühere verbrängte Fürſten⸗ 
geichlechter gewejen waren. Eine meitere Duelle des Familienzwiſtes 
ergab fih dann noch in der Unbeftimmtbeit des Exrbfolgerechtes, das 
bier mit dem Wahlrechte, dort mit der jeweiligen Macht des Stärlern 
in Wage ſtaud. Die Zerwürfniffe, die aus ſolchen Urfachen zwiſchen 
hochgeftellten und nahe verwandten Berfonen ertvuchfen, waren an fich 
Schon geeignet, Aufmerkfamfeit und Theilnahme zu erweden. In fie 
waren aber auch die Völker jelbft, thätig und leivend, verflochten. Sang 
und Sage, die Organe der Volksſtimmung, mujten von dieſen manig⸗ 
fachen Bewegungen und Verwicklungen um fo lebhafter angeregt werben, 
als es überall auch mächtige Perſönlichkeiten waren, die auf biejer 
tragifhen Weltbühne auftraten. Die berrfchende Gewalt ift zu ver« 
fchiebenen Seiten bald mehr in die Ideen, bald mehr in die Perfonen 
gelegt. Im deutichen Mittelalter war Lehteres der Fall. Ein hinter 
berantiwortlihen Reichsverwaltern ftehender Fürſt, der für feinen Theil 
gut oder böfe, fähig oder unfähig fein Tünnte, ein unperjönlicher Träger 
ftantsrechtlicher Ideen, wäre der Anſchauungsweiſe jener Beit völlig 
unzugänglich geweſen 1. Sie verlangte einen König von Mark und Bein, 
von fichtbarer hoher Geftalt, dem der Geiſt aus den Augen leuchtete, 


1 Die Ideen von Reich und Kirche waren nicht im Volle lebendig, fie 
waren römiſche. 


366 


— — — — — 


Darum war Deutſchland ein Wahlreich; zwar vererbte ſich die oberfte 
Gewalt meift Iangehin in demſelben Stamm, aber ein foldyes Königs 
geſchlecht war ſelbſt eine Berjünlichkeit; Fonnte biefe nicht: mehr genügen, 
fo trat, vermöge des Wahlrechts, ein anbres an feine Stelle!. So 
kam es denn, daß wir in den Raiferhäufern des Mittelalter überall 
auf hervorſtechende, im Guten und im Böfen Träftige Perfönlichfeiten 
treffen, auf foldhe, die wohl auch befähigt waren, Phantafie und Ge 
müth der Beitgenoflen für Lied und Sage anzuſprechen. 

Die Sage nun, in der fich fächfiiche mit fränfischer Kaifergefchichte 
in dem angegebenen Charafter beiver zum poetifchen Ganzen verfchmolgen 
bat, iſt die noch jebt ala Volksbuch im Umlauf befinvliche Erzählung 
von Herzog Ernſt. Ich werde diefer Sage eine ausführlicyere Erörte: 
zung widmen, weil fie durch folche Bereinigung biftoriicher Perſonen 
und Ereignifle aus verſchiedenen Eporhen und bei der Möglichleit, Ge 
ſchichte und Dichtung bier genauer zu vergleichen, in das Weſen ber 
Sagenbilbung aus geſchichtlichen Elementen manigfach aufklärenden Ein⸗ 
blick darbietet?, 


1 Behſe, das Leben und die Zeiten Kaiſer Ottos bes Großen, Dresden 
1829, bemerkt hierüber S. 6 Folgendes: „So groß war bie Liebe der deut⸗ 
fen Stänme für ihre Ehre, daß fie zwar freiwillig uud gern einem durch 
glänzende Tugenden weithin über alle ſich erhebenden Fürſten fich untergeben 
modten, eine Zeit lang wohl aud, der großen Thaten eingedenk, die ein 
früherer Herriher unter ihnen verrichtet, feine, obwohl weniger ausgezeichnete 
Nachkommen als Könige tiber ſich dulbeten, immer aber doch endlich, wenn bie 
Schwäche und Untüchtigleit derfelben zu unrühmlich hervortrat, fi der mehr 
drüdenden Herrſchaft entledigten und einen berühmten Mann aus einem neuen 
Geſchlechte zum Könige ſetzten, damit biefer ihren Angelegenheiten mit einem 
neuen fräftigeren Geifte vorſtehe.“ (Bgl. 7, 1 u. 286.) Aſchbach, in der 
Recenfion von Kufahls Geichichte der Deutfhen TH. I, in den Jahrbüchern für 
wiſſenſchaftliche Kritif, Mai 1832, Nr. 95, Sp. 756 jagt: „Übrigens, werm 
man nicht fophiftifch" iiber dag Wort Demokratie ftreitet, fo war bei den alten 
Deutſchen offenbar eine reine Demokratie, jo lange die Arimannie oder Frie⸗ 
dens⸗ und SKriegsgenofjenichaft der Freien, die Grundlage der germanijchen 
Stammverfaffung, befland. Bon ihr wurden aus ber Mitte der Freien die 
Züchtigften zu Anführern erwählt und bei den Völkerſchaften, welche Könige 
hatten, aus ben tüchtigſten Anführern der König, Tacitus Germania 6. 7: 
Reges ex nobilitate, duces ex virtute sumunt.“ 

2 [Schriften I, 479. K. 


567 


Die Sage von Herzog Emft ift in mehrfache Bearbeitungen vor: _ 
handen: 

1) Die ältefte, von der etwas auf uns gelommen, gehört noch 
dem 12ten Jahrhundert an. Bon ihr haben fih nur zwei Bruchſtücke, 
auf zwei Pergamentblättern, mit 89 Turzen NReimzeilen erhalten; ber» 
ausgegeben in H. Hoffmanns Yundgruben für Gefchichte deutſcher Sprache 
und Litteratur, Theil I. Breslau 1830. ©. 228 ff. Der Zeit nad 
Tönnten biefe Überrefte einen Theil derjenigen Darftellung ausgemacht 
haben, welcher in einem Schreiben des Grafen Berthold von Andechs 
an den Abt Rupert von Tegernfee vom Jahr 1180 erwähnt ift, worin 
der Graf an den Abt die Bitte ftellt: 

Rogo, concedas mihi libellum teutonicum de Herzogen Ernesten, donee 
velocius scribatur mihi, quo perscripto continuo remittetur tibi. Be, 
Thes, Anecd. [2. 6. K.] Th. II, ©. 13. 

Allein die niederveutfchen Formen, melde in dieſen Bruchſtüden 
vorkommen, weiſen wenigſtens das Exemplar, zu dem ſie gehörten, einer 
andern Gegend an. 

2) Ein lateiniſches Gedicht, in Hexametern, von einem Monche 
Odo dem Erzbifchof Albert von Magdeburg, der 1199 zu dieſer Würbe 
gelangte, zugeeignet und, nach den darin vorlommenben Anfpielungen 
auf die Zeitumftände, auch um diejelbe Beit verfaßt. Es fteht mit ber 
Aufichrift „Ernestus seu carmen de varia Ernesti Bavariss ducis 
fortuna, auctore Odone, libri VIII“ gebrudt in Martene, Thesaur. 
nov. anecdotor. T. III, ©. 308 bis 376. 

3) Bon einem zwar vollftändigen, aber noch ungebrudten beut- 
ſchen Gedichte dieſes Inhalts hat Docen (Mufeum für altdeutſche 
Zitteratur und Kunft. B.2. Berlin 1811. ©. 254 ff.) nad) einer Wiener 
Hoſchr. Nachricht gegeben und einzelne Stellen mitgetheilt. Nach dieſen 
Proben ift es nicht wohl noch ins 12te Jahrhundert hinaufzufeßen, mie 
man geiban bat. 

4) Ein anderes mittelhochveutfches Gedicht des 13ten Jahrhunderts 
in 5560 kurzen Reimzeilen, vollftändig abgedrudt in ben Deutichen 
Gedichten des Mittelalters, herausgegeben von v. d. Hagen unb 
Büfching. B. 1. Berlin 1808. 

5) Im Heldenbuche Kafpars von ber Röhn, um 1472, findet 
ſich gleichfalls ein Herzog Ernſt, in 54 breigehnzeiligen Strophen, als 


968 


Abkürzung eines größeren Liebes, welches ber Benrbeiter vor ſich 
hatte, Es find auch alte Drude, aus dem 16ten Jahrhundert, eines 
Liebes von Herzog Ernft in derfelben Bersart, aber in größerer Strophen: 
zahl, vorhanden, in denen vielleicht dasjenige Gedicht noch übrig ift, 
welches Kafpar von der Röhn abgekürzt bat. (Bel. v. d. Hagen, Em 
Teitung zum Herzog Ernft S. XIX.) Nach folder ſtrophiſchen Behand⸗ 
lung wurde biefe Strophe, die fonft auch des Berners Weiſe hieß 
(Sigenot und Eden Ausfahrt find Darin gebichtet), Herzog Ernſts Ton, 
Herzog Ernſts Weife, genannt. 

6) Endlich das profaifche Volksbuch von Herzog Ernft, auch fchon ' 
in alten Druden vorhanden und noch jet auf unjern Märkten im 
Verkehr, ift nicht eine Auflöfung eines ältern veutichen Gebichts, ſon⸗ 
dern Überfegung aus einer noch ungebrudten Inteinifchen Brofa (Hagens 
Grundriß ©. 184). 

Eine nähere Charakteriftit diefer verfchievenen Bearbeitungen der 
Sage gehört nicht zu unjrem Bivede. Sie liegen auch alle beträchtlich 
über die Zeit hinaus, in ber ſich die Sage zuerft aus der Gefchichte 
entwideln mufte, indem bie Älteften erft an den Schluß des 12ten Jahr⸗ 
bunderts fallen. 

Sm Hauptbeftande ber Sage ftimmen fie jedoch ſämmtlich überein. 
Ich gebe diefelbe in einem Auszuge des unter Numer 4 angeführten, 
bollftändig abgebrudten Gedichts aus dem 13ten Jahrhundert 1. *** 

Es find ohne Zweifel vorzüglich die Wunder der abenteuerbollen 
Kreuzfahrt, welche diefer Erzählung eine fo große Verbreitung in mehr 
fachen Bearbeitungen und ſelbſt noch eine Fortdauer in unfern Tagen, 
mittelft des Volksbuchs, verichafft haben. Hier befchäftigt ung mehr 
die beutiche Sage, in welche jene Reifenbenteuer und das auf gelehr⸗ 
tem Wege binzugelommene Wunberbare eingelegt worden. 

Den Grundbeitand der Sage bildet eine Gruppe von fünf Per 
foren: der mächtige Kaiſer Dtto; deſſen zmweite Gemahlin, die fchöne 
und tugenbreiche Adelheid, Wittive bes Herzogs von Baiern; Adelheids 
Sohn erfter Ehe, der junge Herzog Ernft, der erft beim Kaifer, feinem 
Stiefvater, in höchſter Gunft fteht, dann aber, als fih Neid und 
Verleumdung ziwifcheneingevrängt, vom Kaifer geächtet, bekriegt und 


1 [Der Inhalt ganz wie Schriften I, 479 ff. N.) 


569 


vom Lande zu weichen genöthigt wird; der Pfalzgraf .Heinrich, bes 
Kaiſers Schweiterfohn, eben der Verleumder und Stifter des Unbeils, 
der aber durch Ernſts gemwaltfame That feinen Lohn empfängt; ber 
Graf Wetzel, Ernft3 treuer Kampfgenofie und unzertrennlicher Ge: 
fährte auf feinen Irrfahrten. Die Handlung, zu welcher dieſe fünf 
Hauptperfonen verflochten find, befteht in den Störungen bes freund: 
lihen Berhältnifies zwifchen dem Kaiſer und feinem Stieffohn, in 
den Kämpfen und Gemalttbaten, welche daraus bervorgehn, in ben 
Drangfalen und Heldenwerken ber geächteten Freunde und.in der end» 
lichen Wiederaufnahme des Vertriebenen in die Hulb bes Stiefvaters 
durch die Fürſprache der Mutter. 

Fragen wir aber nach der geſchichtlichen Unterlage, ſo weiſen uns 
ſchon die Namen auf eine für die Einficht in den Gang der Sagenbildung 
merkwürdige Vermiſchung verſchiedener Beſtandtheile bin, in welche ſich 
dem Forſchenden jene Gruppe der handelnden Perſonen und die eine 
Handlung felbft.wieber auflöſt. Die Namen Dito, Adelheid, Heinrich, 
gehören der ſächſiſchen Kaifergefchichte und auch wieder verichiedenen 
Momenten diefer an, die Namen Emft und Wetzel der ſaliſch⸗fränkiſchen. 
Und fo verhält es fi auch in der Sache felbft; eine Folge der Zeit 
und den Perfonen nach getrennter, aber in Geift und Weſen gleich» 
artiger Gejchichten aus der Periode des jächfiichen und des fräntifchen 
Kaiſerhauſes hat fih durch die bindende Kraft der Sagenbichtung zur 
einzigen, fcheinbar Gleichzeitige® umfaflenden Handlung verfchmolgen. 

Ich verfuche nun, dieſen Hergang Har zu machen, indem ich bie 
verſchiedenen geichichtlichen Situationen und Ereigniffe, aus welchen fich 
die Sage herausgebilvet, nach einander auffübre und bei jeber folchen 
biftorifchen Abftufung bemerfe, was von ihr in das jagenhafte Ganze 
übergegangen, das in dem Gedichte von Herzog Ernſt vor uns liegt. 


1. Otto I und fein Bruder Heinrich. 


Dtto I, aus dem Haufe Sachen, buch einftimmige Wahl der 
Fürften zum deutfchen Throne berufen, empfieng am 8 Auguft 936 im 
Dome zu Aachen unter lautem Zurufe des Volles die feierliche Königs⸗ 
weihe. Nach ver Tirchlihen Feier ſetzte fich der neue König im Palaft 
an ben marmornen Tiſch zum Krönungsmahle nieder. Die Herzoge 
des Reichs, jeber in feinem Erzamte, verjahen dabei den Dienſt. Mit 


570 


Töniglicher Yreigebigleit wurden fie von Otto begabt und man fchieb 
in laufrer Freude. Aber die beitre Eintracht, die bei dieſem Feſte den 
König und die Fürften verbunden hatte, war von furzer Dauer. Unter 
den vier Neichöbeamten, die ihm beim Krönungsmahle gevient, war 
nicht einer, ber nicht ſelbſt oder deifen Nachkommen nicht, früher oder 
fpäter, das Schwert gegen den König Dtto erhoben hätten. Auch feine 
Brüder, Danlmar und Heinrich, ließen fich nach einander in dieſe 
Empörungen bineinziehen. Der lebtere, Heinrich, ift ung bier von 
befondrer Bedeutung. Otto und Heinrich waren Söhne aus ber zweiten 
Ehe Heinrichs 1, des Vogelftellers, mit Mathilden, einer Tochter des 
ſächſiſchen Grafen Dietrih, vom Stamme Wittekinds. Das Leben 
biefer ausgezeichneten Frau, wie e8 auf Befehl ihres Urenkels, des 
überfrommen Heinrichs II, bejchrieben wurde, ftellt fie, dem Getfte 
diefer Zeit gemäß, im Licht einer Heiligen dar, verhehlt aber doch aud 
nicht die menfchlihen Züge mütterliher Schwäche. Ahr zweiter Sohn 
Heinrich war von vorzüglider Schönhett, er trug den Namen des 
Baters, ihn liebte die Mutter vor ihren übrigen Söhnen und ihn 
wünfchte fie, nach dem Tode des Vaters, auf dem Throne zu feben. 
Ihrer Hoffnung jchmeichelte der Umftand, daß der ältere Otto vor der 
Erhöhung des Waters, ihr Liebling Heinrich aber, wenn gleich ber 
jüngere, in der Königspfalz geboren war. Allein je mehr ihn bie 
Mutter verzärtelte, um fo härter traf ihn das Geſchick. Über ber 
Leiche des Gemahls ermahnte zwar bie Königin ihre Söhne, ſich nicht 
um weltliche Herrlichleit zu entzweien, deren Hinfälligleit fie hier vor 
Augen Hatten. Aber der Samen der Eiferfuht mar ausgeftreut und 
als Otto den Scepter empfieng, trug Heinrich den Stachel im Herzen. 

Wenige Jahre nachher verſchworen fi die Herzoge Eberharb in 
Franken und Gifelbert von "Lothringen, Schwager des Könige, gegen 
diefen. Heinrich, deſſen ehrgeizigem Gelüfte nach ber Krone gejchmeichelt 
wurde, nahm Theil an dem Aufftand. Aber die Verjchivorenen, die 
ihr Heer bei Andernach über den Rhein ſetzten, wurden von den Freun⸗ 
ben des Königs, unter denen beſonders der heſſiſche Graf Kuno jid 
Ruhm erwarb, überfallen 1; beide Herzoge Tamen um und Heinrich, 

1 Bol. Ranke I, 2, 37. 90 big 98. 939. Eberhards von Mimen bejungene 
unglüdliche Schlacht bei Eresburg gegen den Sachſenherzog Heinrich 912. Hahn 
II, 10, a. Ranke I, 2, 24. 


571 





deflen hochfahrende Hoffnungen mit einem Schlage vernichtet waren 
(Vehſe ©. 126), entfloh nah Frankreich. Doch bald bemüthigte er 
fih vor feinem königlichen Bruder, gelobte fortan Treue und erhielt 
von ihm Bergebung und fogar die Belehnung mit dem erledigten Her: 
zogthum Lothringen. Dieſes geichah im Jahr 939. Aber fchon im 
folgenden Jahre wurde Heinrich von feinen neuen Untergebenen -vers 
drängt und der König ſah fich veranlaßt, das Herzogthum anders zu 
vergeben. Heinrich ftiftete eine neue Verſchwörung an und zwar eine 
ſehr gefährliche, gegen das Leben des Königs binterliftig gerichtete. 
Diejer jedoch wurde noch zur'rechten Zeit gewarnt, die Verbundenen 
fielen in feine Gewalt und die meiften derfelben büßten ihr Verbrechen 
mit dem Tode. Nur Heinrich, der Urheber des Anſchlags, rettete fich 
abermals durch die Flucht. Nachdem er eine Zeit lang unftät in feinem 
verlorenen Herzogthum ‚Lothringen umbergeirrt, juchte er, ber vielen 
Drangfal müde, von neuem die Gnade des ſchwerbeleidigten Brubers. 
Sn Begleitung einiger Bilchöfe, die er um ihre Verwendung ange: 
fprochen hatte, Tam er eines Tags unerwartet, mit bloßen Füßen, als 
ein Büßender, vor den König und warf fich vor ihm nieder. Dieſer 
wollte zwar den Gebemüthigten Tein Leides thun, Tieß ihn jeboch nad 
der Pfalz Ingelheim bringen und dort, bis auf ruhigere Entjchließung, 
bewachen. 1 

Bis zum Ende des Jahrs 941, im welchem zur Ofterzeit die Der: 
ſchwörung ausbrechen follte, ſaß Heinrich dort gefangen. Der König 
aber Fam nah Frankfurt am Main, um bier das Weihnachtsfeſt zu 
begeben. Da gelang es Jenem, zur Nachtzeit feiner Haft zu’ entfliehen. 
In der Frühe des Chriftfeftes, vor Tagesanbruch, mar König Otto im 
Dome zu Frankfurt beim Gottesdienſte gegenwärtig, er hatte all feinen 
koſtbaren Schmud abgelegt und war mit einem einfachen Gewanbe be- 
kleidet, um ihn ertönten bie feierlichen Hymnen dieſer heiligen Nacht. 
Da trat mit nadten Sohlen, des Winterfroftes unerachtet, ver unglüd: 
liche Heinrich in die Kirche und warf fich vor dem Altare mit dem An- 
geficht auf die Erbe. Fromme Gefühle Tamen über den König, er war 
eingeben! bes Feſtes, am welchem vie Engel der Welt ven Frieden 


1 [Bgl. W. v. Giefebrecht, Geſchichte der dentſchen Kaiferzeit. Braun- 
ſchweig 1860. I, 572. 1863. I, 276 f. K.] 


[4 





. 


972 


fangen; ihn esbarmte feines veumüthigen Bruders und er gewährte 
demfelben volle Verzeihung. Einige Zeit nachher verlieh er ihm bas 
Herzogtbum Baiern und fortan beftand unter den Brüdern die unge 
ftörtefte Eintracht. Ausdrücklich wird noch verfidhert, daß Ottos milde 
Gefinnungen gegen feinen ftraffälligen Bruder durch Ermahnung und 
Vermittlung ihrer heiligen Mutter Mathilde angeregt worden jeien. 

Ziehen wir nun aus dieſen urkundlichen Gejchiehten den Erfund 
für unfre Sage, fo zeigt ſich ber hiſtoriſche Dtto I bier in demſelben 
Berhältniffe zu feinem jüngern Bruber Heinrich, in welchem nad dem 
Gedichte der gleichnamige Kaiſer zu feinem Stieffohne Ernft fteht. Beibe, 
Heinrih und Ernſt, müflen, nach vereitelter Unternehmung, vom Lande 
weichen. Bon erfterem fagt Wituchind (Annel. B. II, ©. 649 [bei Perk 
8, 447. 8.]): Henricus autem fugiens regno cessit u. |. w. und weiter⸗ 
bin: recordatus est [Otto rex] multis laboribus fatigati fratris.. Schon 
bier boten fich Anläſſe dar, die Schidfale des landflüchtig umherirrenden 
Fürftenfohnes mit wunderbaren Abenteuern auszumalen, wie es beim 
Herzog Ernft gefcheben ift. Die Ausfühnung wird dur die Fürſprache 
einer den beiden Gegnern gleich nahe geftellten Töniglichen Frau ver 
mittelt; bier ift e8 bie Königswittwe Mathilde, die Mutter ber ent: 
zweiten Brüber, bort Adelheid, bie Mutter Ermft3 und Gemahlin Ottos. 
Der angeführte Annalift melbet, B. Il, ©. 649 [bei Per 3, 447. 8]: 

Igitur cum omnia regna coram eo [Ottone] silerent et potestati ipeius 
omnes hostes cederent, monitu et interoessione sancte matris ejus recor- 
datus est multis laboribus fatigati fratrie, preefecitque eum regno Bajo- 
ariorum, u. f. w, pacem et concordiam cum eo faciens, qua usque in finem 
fideliter permansit. 

Als Herzog von Baiern ift auch Ernſt dargeftellt und er empfängt 
nach der Begnabigung dieſes Herzogthum zurück. 

Am ftärkften aber tritt die Ähnlichkeit in den befondern Umftänden 
der Berfühnungsfcene hervor. Wie im Gedichte Herzog Ernſt bei der 
Weihnachtsfeier im Münſter zu Bamberg, wohin er vor Tagesanbruch 
in Pilgertracht heimlich gekommen, ſich vor dem Kaiſer niederwirft, 
ebenſo Heinrich, als Büßender, bei der gleichen Feier im Dome zu 
Frankfurt [Ranke II, 2, 52]. 

Contin. Regin., Pertz, Monum. I, &. 619: A. d. 942 rex natalem 
Domini Franconofurti celebravit, ubi frater ejus u. |. w. custodiam noctu 


/ ; 573 


clam aufugiens, antelucano tempore regis eeclesiam adeuntis pedibus 
accubuit, et concessa venia, misericordiam, quam precatur, obtinuit. 


Wenn es nach diefer Stelle ſcheinen Tönnte, ala hätte Heinrich fich 
vor feinem Bruder auf deſſen Wege nach der Kirche (ecclesiam 
adeuntis) niedergeiworfen, fo ftelt uns ein andres Zeugnis bie Ber 
fühnung als wirklich bei der Firchlichen Feierlichkeit felbft vorgegan⸗ 
gen bar. 

Die Nonne Hroswitha 1 zu Gandersheim, die auf Verlangen 
Ottos II die Thaten feines Vaters, des eriten Otto, in einem heras 
metrifchen Gedichte gefeiert hat, gibt von dem Vorgang in der Kirche 
zu Frankfurt die folgende, ſchon im Obigen benützte, malerifche 
Schilderung. Nachdem fie von Heinrichs tiefen Reue geiprodgen, fährt 
fie fort (Meibom I, 717 f. Reuber ©. 170): 

Tendem percerte forti devinctus amore, 

Illico poenalem proicit de corde timorem, 

Etısüb nocturnis nimium secreto tenebris 

Adveniens, in regalem se contulit urbem, 

In qua natalem regis celebrare perennis 

Rex piis obsequiis cogpit solenniter aptis, 

Depositisque suis ornamentis preciosis 

Simplicis et tenuis fruitur velamine vestis, 

Inter sacratos noctis venerabilis hymnos 

Intrans nudatis templi penetralia plantis, 

Nec horret hiemis sevum frigus furientis, 

Sed prono sacram vultu prostratus ad aram 

Corpus frigores sociavit nobile terre: 

Sie sic moerentis toto conamine cordis 

Optans prestari venie munus sibi dulcis. 

Quo rex comperto, victus pietate benigna 

Instantisque memor festi cunctis venerandi, 

In quo calicole pacem mundo cecinere ı. |. w. 
- Condoluit, miserans fratri commissa fätenti, 

Atque suam pie gratiolam concessit habendam 

NIli cum veni® dilecto munere plene. \ 


Es ift möglich, daß Hroswitha, melde nach ihrer wiederholten 
Verſicherung Feine fchriftliche Berichte vor fich hatte, biefe Begebenheit 


1 [Schriften I, 476. 8) 


574 


— — — — — 


bereits durch mündliche Überlieferung einigermaaßen für bie poetiſche 
Darſtellung zugebildet gefunden hat. Aber immerhin ſtand fie den Er- 
eigniffen noch ziemlich nahe (fie ſchrieb für den Sohn die Geſchichten 
des Vaters nieber), und wir finden bei ihr ſchon eine Eceng feftgeftellt, 
welche ſich lange nachher, in den Dichiungen vom Herzog Ernſt, den 
Hauptzügen nad unverrüdt erhalten bat. Nach dem mittelbochdeutichen 
gebrudten Gebichte eilt Ernſts Mutter zur Frühmette des Weihnachts⸗ 
tages in das Münſter, wohin fie ihn beſchieden hat. Sie Ipricht zu 
ihren Frauen: „Ich fehe dort Bilgrime ftehen von über Meer, ich will 
zu ihnen gehn und will Frage thun, ob fie irgend wiſſen um meinen 
Sohn.” Sie gebt hierkuf mit dem Sohne, den fie aufs Innigſte be 
grüßt, zur Seite und belehrt ihn unter vielen Zähren, wie er bes 
Kaifers Verzeihung erlangen fol. Dann tritt fie wieder an ihren Stuhl, 
. Freude und Sorge ringen mit ihr, mit naflen Augen ruft fie die 
Mutter Gotte® an bei den Freuden und der Ehre, die ihr von dem 
göttlichen Sohn (der heute zur Erbe fam) geworden. Groß Gebräng 
iſt herna im Münſter, als der Biſchof die Mefje fingt und darauf 
jo ſüß prebigt, daß Mancher über feine Sünde Zähren vergießt. Auch 
den Kaifer bringt er zu großer Andacht. Da dringt Ernjt, nach der 
Mutter Lehre, vor den Sitz des Kaifers, fällt ihm zu Füßen und 
Spricht mit Demuth: „Herr, ich hab’ wider euch gethan; das vergeht 
um Gottes Willen mir armen Mann!” Der Kaifer antwortete: „Dir 
fei vergeben! befire Gott dein Leben!” Er hebt ihn auf mit der Hand; 
als er aber den fremden Mann recht anfieht und erfennt, da tft ihm 
leid, / daß er demſelben Freundſchaft getban, und fein Geficht verfärbt 
ſich. Die Fürſten aber, zuvor ſchon von der Mutter gewonnen, treten 
alle vor den Kaiſer: „Ihr habt Ernſten ſeine Schuld vergeben; was 
ihr ſpracht, das hieltet ihr noch ſtets.“ „Dünkt es denn Allen gut,“ 
erwidert der Kaiſer, „ſo ſei er ledig dieſer Fährde!“ Des freut ſich 
alles Volk und Frau Adelheid iſt der Sühne innig froh. 

Verglichen mit obiger Darſtellung bei Hroswitha hat ſich hier die 
Scene vorzüglich darin erweitert, daß die vermittelnde Mutter perfön- 
lich in fie eingetreten ift. Sjened „monitu et intercessione sancise 
matris“ bei Witudind ift in der Sagenvichtung zur lebendigen Ge 
ftalt geworden; die fanfte Vermittlerin durfte nicht fehlen im Bilde 
der feierlihen Verſöhnung. 


975 


m — — 


So hat ſich uns auf dieſer erſten Stufe von jenen Hauptperſonen 
unſrer Sage Kaiſer Otto dem Namen und der That nach geſchichtlich 
begründet. Auch das Verhältnis des Kaiſers, hier zu Heinrich, dort 
zu Ernſt, die Stellung der beiden Frauen, Mathilde und Adelheid, 
iſt ſich in allgemeinern Zügen ähnlich, und beſonders auffallend iſt die 
Zuſammenſtimmung in der Kataſtrophe. 

Aber noch find uns‘ die Namen Adelheid ſtatt Mathilde, Ernſt 
fiatt Heinrich nicht gerechtfertigt und andere Berfonen fehlen noch gänz—⸗ 
lich. Schreiten wir daher weiter in ber Gefchichtel 


2. Otto I und fein Sohn Ludolf. 


Zehn Jahre nach Beilegung des Bruderzwiſtes mar ber Erwerb 
neuer Macht und erhöhten Glanzes für den König Otto zugleich der 
Anfang neuen und meitgreifenden Zwieſpalts, ber wieder von feinem 
Haufe ausgieng. Adelheid, die junge Wittwe des Königs Lothar von 
Italien, hatte, von ihren Verfolgern auf das Äußerſte gebrängt, bie 
Hülfe Ottos angerufen und ihm, der damals Wittiwer war, ihre Hand 
zugleich mit ber Herrichaft über Stalien anbieten lafien. Otto folgte 
diefem Rufe, warb der Befreier Adelheids, nahm von dem lombarbis 
ſchen Reiche Befig und kam im Frühjahr 953 mit feiner neuen Ge: 
mahlin nad Deutichland zurüd. Die Königin Adelheid, eine Tochter 
des burgundifchen Königs Rudolfs IL, muſte durch glänzende Schön. 
beit, edle Eigenfchaften und die wunderbaren Geſchicke, durch die fie 
frühe Schon gegangen war, Aller Augen auf fich ziehen. Auch um ihr 
Haupt wob ſich in der Folge der Heiligenfchein. 

Argwöhniſch ſah aber zu diefer neuen Verbindung Ludolf, Herzog 
von Schwaben, der Sohn Ottos aus erfter Ehe mit Editha, einer 
engliichen Königstochter. Sein Vater hatte ihn bereitd, mit Zuftimmung 
der Reichsfürſten, zum Mitherrfcher und Nachfolger ausrufen laflen 
(Vehſe S. 196). Durch die zärtliche Neigung, welche Otto feiner zweiten 
Gemahlin zumandte, glaubte ſich der damals zwanzigjährige Lubolf aus 
der Liebe des Vaters verdrängt, die er font im vollften Maaße ges 
nofien hatte. Er mochte felbft befürchten, daß er, als vor der Thron- 
befteigung Ottos geboren, in der Reichsnachfolge zurüdftehen müſſe, 
wenn biefem in zweiter Che Söhne geboren würben (Vehſe ©. 204. 212). 
Zuerft jedoch warf fich fein bitterfter Groll auf feinen Vatersbruder 


376 


Heinrich, denfelben, der ſich früher wiederholt empört, feit feiner lebten 
Begnabigung aber Ditos unbeſchränktes Vertrauen und nun auch das 
der Königin erworben hatte (Bebfe S. 204). Zuvor ſchon waren Zubolf 
und Heinrich über die Grenzen ihrer Herzogthümer, Schwaben und 
Baiern, in Streit geratbhen. Seht, nachdem die Eiferfucht immer heftiger 
entbrannt war, verband ſich Ludolf mit dem gleichfalls unzufrienenen 
Eidam des Königs, Herzog Konrad von Lothringen, und dem Erz⸗ 
. bifchofe Friebrih von Mainz, um gegen Heinrich Ioszubrechen und, 
wenn der König fich des lettern annähme, auch ihm bie Spike zu 
bieten. Bor den König nach Mainz beichteven, gaben zwar Ludolf und 
Konrad vor, daß ihre Rüftung nicht gegen ihn gerichtet jei, äußerten 
jedoch ungeſcheut ihr Vorhaben, den Herzog Heinrich zu greifen, wenn 
er zum Dfterfeft am königlichen Hoflager zu Ingelheim fich einfinde. 

Nachdem fie in Folge ihrer Weigerung, auf dem Reichötage zu 
Fritzlar zu erfcheinen, in bie Reichsacht und ihrer Herzogthümer vers 
Iuftig erllärt worden waren, brach im Sommer 953 bie offene Fehde 
aus. Im Berlaufe derſelben bemächtigte ſich Ludolf ber feften Stäbte 
bes Baiernherzogs, namentlich der Hauptſtadt Regensburg, welche fortan 
der Mittelpunft des Kampfes wurbe und breimal von Seiten des Königs 
harte Belagerung erfuhr. Die Empdrer fcheuten fich nicht, felbft die 
wilden Schaaren der Ungarn zu ihrer Hülfe nad) Deutichland zu rufen. 
Zuletzt jedoch mufte Regensburg ſich ergeben, und als die Heere fi 
an der Iller zu einer neuen entſcheidenden Schlacht gegenüberflanden, 
wurde ein Stillitand dahin vermittelt, daß Lubolf auf einem Reichs: 
tage zu Fritzlar fich ftellen folle, um des Töniglichen Ausſpruchs zu 
gewarten. Als nun in der Zwiſchenzeit, im Herbft 954, Dito zu 
Sonnenveld (Vehſe S. 229) in Thüringen der Jagd oblag, erichien 
Zudolf, der ihm nachgezogen, baarfuß und warf fich vor ihm nieber. 
Der Vater zuerft und dann alle Anweſende wurden vom Flehen des 
seuigen Sohnes zu Thränen gerührt. Lubolf wurbe begnabigt, das 
Herzogthum Schwaben jeboch erhielt er nicht zurüd. 

Auf gleiche Weife, wie in ber früheren Berwidlung feinen meu 
teriſchen Bruder Heinrich, fteht Kaiſer Dito in dieſer zweiten feinem 
wiberipenftigen Sohne Ludolf gegenüber. An feiner Seite ericheint nun 
auch, wie im Gedichte, feine ziveite Gemahlin Abelheid, deren Ramen 
wir bisher noch vermifsten. Aber die gefchichtliche Adelheid iſt Ludolfs 


577 


Etiefmutter und, wenn auch unverfchuldet, Gegenftand feines Grolles. 
Die Königin Adelheid der Cage dagegen ift die Yürbitterin des Sohnes 
beim Stiefvater. In diefer fagenhaften Adelheid Iebt offenbar bie 
hiſtoriſche Mathilde fort, deren Thätigleit in Vermittlung und Fürſprache 
ung befannt ift; ein ftärlerer glänzender Frauenname bat die Stelle 
eines früheren eingenommen. Ludolf ift von feinem Bater zum Reichs⸗ 
nachfolger beftimmt?, und die Beforgnis, in dieſer Nachfolge beein» 
trächtigt zu werden, reizt ihn auf; Ernft hatte von feinem Stiefvater, 
als er gleichfalls noch in deſſen voller Liebe ftand, diefelbe Beftimmung 
erhalten. Vorzüglich aber weiſt und die Gefchichte nunmehr auch den 
Verläumber und Zwietrachtftifter Heinrih, wie er im Liede lebt und 
mit eben diefem Namen, auf. Dort heißt er Pfalzgraf, bier ift er 
Herzog von Baiern; dort des Königs Neffe, bier fein jüngerer Bruber. 
Derjelbe Heinrich, der in der erften Geichichte der Aufrührer und Ge 
ächtete war, alfo in der nemlichen Stellung, mie nachher Ludolf und 
im Gedichte Emft, fich befand, nimmt nun einen Standpunlt ein, auf 
welchem Sage und Geichichte in feinem Namen zufammentreffen. Witis 
chind a. a. O. fagt u. A.: 

Chuonradus u. f. w. unumque cum eo sentiens filius regis Luidulfus, 
suspectum super hac caussa Henricum frairem regis habentes, quasi an- 
tiqua stimulatum invidia devitaverunt eum. Henricus autem sciens adoles- 
centem maternis destitutum suffragiis, contemtui eum cœpit habere, in 
tantum, ut a convitiis ei quoque non parceret. 

Der Baiernherzog Heinrich wird zwar nicht von dem gekränkten 
Zubolf erjchlagen, wie der Pfalzgraf Heinrich des Gedicht vom Herzog 
Ernst bei deſſen kühnem Eindringen in die Kaiferburg zu Speier. Aber 
das melden die Annalen, daß Ludolf und Konrad offen gedroht, den 
Herzog Heinrich zu greifen, wenn er ſich zur Dfterfeier zu Ingelheim, 
auch einer rheinischen Königspfalz, einfinden würde. Beſonders nod) 
ftimmen des Hiftorifchen Zubolf und des fagenhaften Ernft Kriege 
gegen den Kaifer darin überein, daß beivemal bie belagerte Stabt 
Regensburg der Mittelpuntt des Kampfes if. Ludolfs enbliche Be⸗ 


1 Witihind 8. VIII, a. a DO. ©. 651 [bei Pert, Monum. V. Ser. 3, 
451. 8.]: Post excessum Edidis regine omnem amorem maternum trans- 
fadit rex in unicum fllium suum Liudulfum factoque testamento creavit 
eum regem post se. 

upland, Scriften. VI. 37 


578 





gnadigung geht nicht ſo feierlich in der Kirche vor, wie bei Heinrich und 
Ernſt, aber doch wirft auch er ſich als Büßender, mit bloßen Füßen, 
vor dem beleidigten Vater und Könige nieber. ! 

Wir haben hiernach in diefer zweiten biftorischen Schichte ben Ramen 
Adelheid, einer weiteren Hauptperfon des Gedichts, dann Namen und 
volle Geftalt des Zankſtifters Heinrich, nebit der Belagerung Regen: 
burgs, urkundlich aufgefunden. Kaijer Otto fteht fortwährend an feiner 
Stelle und der Sohn Ludolf entfpricht dem Stieffohne Ernft. 


8. Otto I und fein Better Heinrid. 


Dtto U, der Sohn Ottos I von Adelheid und deſſen Nachfolger 
im Reiche, hatte mancherlei Unruhe von feinem Better, dem Herzog 
Heinrich in Baiern, dem Sohne besfelben Heinrichs, der fich einft gegen 
Otto 1 empört und dann mit Ludolf in Zwieſpalt geratben war. 
Streitigkeiten zwifchen den Herzogen von Schwaben und Baiern, Dito, 
dem Sohne Lubolfs, und dem erwähnten zweiten Heinrich, gaben aud 
zu diefen Unruhen Anlaß. Der Kaifer Dtto begünftigte ven Herzog von 
Schwaben; zu dem Baiernberzog Heinrich aber hielt ein anderer Heinrich, 
ber jüngere? genannt, ein Sohn Bertholds, vom Gefchlecht der früheren 
baitifchen Herzoge, von ber Mutter ber aber gleichfallE mit bem 
ſächſiſchen Königsftamme (vgl. Vehſe S. 433) verwandt, fobann ber 
Bifchof Heinrich von Augsburg (Sohn des Grafen Burkard, Vita Udal- 
rici ©. 28). Jene beiden Heinriche 3 ergriffen die Waffen gegen ben 
Kaifer, muften fih aber bald unterwerfen und wurden im Jahre 978 
in’ Elend verwiefen (Hahn I, 113 f.). Der ſchwäbiſche Herzog 
ODtto erhielt zu feinem bisherigen auch das Herzogthum Baiern. Erſt 
nad) feinem Tode im Jahre 982 empfieng der vertriebene Heinrich das⸗ 
jelbe zurüd (Hahn II, 114). Bon diefer Ausföhnung nun handelt 
ein ohne Zweifel gleichzeitiges Gebicht,5 in welchem lateinifche mit 
deutſchen Reimzeilen feltfam verflocdhten find. Sein Inhalt ift diefer: 

1 Bol. Grimms Rechtsalterthlimer S. 7183 f. 

2 minor, Hahn II, 118; janior, ebenvaf. 114. 

3 [Bgl. Edhriften I, 475. 8.] 

4 Hermannus Gontractus bei Piftorius, Regensburg 1726, S. 267, zum 
Jahr 982: „Heinricusgue ducatum Bajoarie recepit.* Bet Ditmar von Merfe 
burg, bei Zeibnig I, 347 zum Jahr 978: Henricas minor exilio Bolutus n. f. w. 

5 [Bgl. Schriften I, 382. 478 ff. K.] 








579. 


Zum Kaifer Otto (er war Kaijer feit 967, Dtto I dagegen, der 962 bie 
Kaifertrone empfangen, war zur Zeit der Begnadigung feines Bruders Hein» 
rich, 942, noch) lange nicht Kaifer) tritt ein Bote und ruft ihn auf: „Was 
ſitzeſt du, Otto, unfer guter Kaifer? Hier ift Heinrich, bein königlicher Better,“ 1 
Da fteht Otto auf, geht ihm entgegen mit mandem Mann und eınpfängt ihn 
nit großen Ehren. „Willlommen Gott und mir,“ fpricht der Kaifer, „ihr 
Heinriche, ihr beiden Gleichnamigen, und eure Gefährten!” Nachdem Heinrich 
den Gruß erwidert, faffen fie einander bei der Hand und Otto führt ihn in 
das Gotteshaus, mo fie Gottes Gnade anrufen. Nach vollbrachtem Gebete 
führt ihn Otto in den Rath, mit großen Ehren, und überträgt ihın, was er 
da Hatte, anfer dem Königsrechte, des auch Heinrich nicht begehrt. Da ftand 
alle Berathung unter dem treuen Heinrich. Was Otto that, das rieth alles 
Heinrih, und was er ließ, rieth auch Heinrich. Da war Keiner, dem nicht 
Heinrih in Allem Recht gethan hätte. 

Das Webicht ? ift gebrudt in Edarb3 Veterum Monument. Qua- 
ternio, Leipzig 1720, und neuerlich nah W. Wackernagels kritiſcher 
Herftellung in H. Hoffmanns Fundgruben für Gefchichte deutfcher Sprache 
und Litteratur Th. I, Breslau 1830, ©. 340 f. Es beitehbt aus 36 
kurzen Neimzeilen, wovon je eine lateinifche und eine deutfche zufammen: 
reimen, in folgender Art: 

Tunc surrexit Otdo 

ther unfar keiſar guodo, 
perrexit illi obviam 

inde vilo manig man 
et excepit illum 

mit michilon eron. 

Diefes fonderbare Stüd rührt ohne Zweifel vor einem Geiftlichen 
auf der Seite des Herzogs Heinrich her, der durchaus in das vortheil⸗ 
haftefte Licht geftellt ift. Auch die Sprache verläugnet basfelbe nicht 
als ein gleichzeitige® mit dem Ereignifje, von dem es handelt; fie zeigt 
übrigens niederbeutfche Formen. 

Was die hiftorifche Beziehung desſelben betrifft, jo bat ber erfte 
Herausgeber Edarb es auf Kaifer Otto 1V gebeutet und fomit in das 


1 bruother hero, wie faterro patruus (Schmeller I, 638), bier etwa: 
bruotberero, bruotherro? Grimm II, 138. [Mülenhoffs Denkmäler &. 25. 
304. 8.) 

2 Zur Erklärung desfelben vgl. Grammatik II, 570. ” 


580 


Jahr 1209 verlegt. Daß dieſe Beitbeftimmung ſchon der Sprache nad 
gänzlich unpaſſend ſei, ift jegt allgemein angenommen. Aber auch die 
neuern Forſcher, Docen in Hormayız Ardiv, 1823, ©. 532. X. Grimm, 
Grammatik 1te Aufl. 1, LX. Hoffmann, Fundgr. 1, 16. 341 und Lad» 
mann, über die Leiche S. 12, Note 23, haben ihm eine, nach meiner 
Anficht, unrichtige Anwendung gegeben. Sie beziehen es auf die Ver: 
fühnung Ottos I mit feinem Bruder Heinrih im Jahre 941, wovon 
wir unter N. 1 gehandelt. Allein viefer Beziehung iwiberfpricht ber 
inhalt des Liebes. Bon minder weſentlichen Umſtänden abgefehen, 
führt dasfelbe zwei Heinriche ein, welche vor ben Kaiſer Dtto treten. 
Diefer ſpricht: 

Wilicumo Heinride, 

ambo vos equivoci u. |. m. 


Zwei diefes Namens, welche an dem Ereigniffe unter Otto I Theil 
genommen hätten, können aber nicht nachgemwiefen werden. Lachmann 
fagt zwar: „Der andere Heinrich ift der Sohn Herzog Geifelbertö von 
Lothringen.” Diefer Heinrich aber, ein Schmefterfohn Dttos I, war 
im Jahr 491 noch unmündig und fommt bei den Zwiſtigkeiten und der 
Ausföhnung diefes Königs mit feinem Bruder nirgends vor. Dagegen 
werben in ben Hänbeln unter Otto II, auf bie ich das Lied beziehe, 
die darein verwickelten beiden Heinriche mit demfelben Ausbrude wie 
im Gebichte zufammen genannt. 

Vito 8. Udalrici C. 28: Heinricus filius Hainrici et æquivocus ejus, 
filius Perhtoli ad colloquium imperatoris vocati sunt u. |. w. Peracto 
itaque colloquio Heinricus et equivocus ejus in exilium missi sunt. 


Für die Sage vom Herzog Ernft erläutern fich zwar auf biejer 
dritten gefchichtlichen Stufe nicht weitere Hauptperjonen; dennoch durfte 
diefelbe nicht Überfprungen werden. Wir finden bier wieder unter 
den Namen Dtto und Heintih, mie im erften ber ausgehobenen 
Fälle, den Zwiejpalt und die endliche Ausſöhnung eines beutjchen 
Königs mit einem feiner nächſten Blutöverwandten, auch einem Baiern: 
berzoge; e3 find die Söhne, an denen fich wiederholt, was mit ben 
Vätern geſchah. Nach dem halblateinifchen Liede, das noch ziemlich 
biftorifche Haltung hat, wird auch diesmal der Friede in der Kirche 
befiegelt: | 


581 


Conjunxere manus; 

ber leida in [Otto Heinrichen] in thaz godes Bus; 
petierunt ambo | 

thero godes genathono u. |. w. 


Ereigniffe und Situationen, die fich fo, felbit unter gleichen Namen, 
von Generation zu Generation in der deutichen Kaifergefchichte erneuerten, 
fonnten auch in der Sage fortwährend denfelben Typus anfrifchen. 
Dtto II ift aber auch noch durch eine befonbere Bezeichnung an unfer 
mittelhochbeutfches Gebicht von Herzog Ernit gefnüpft. Er hatte den Bei- 
namen der Rothe, rufus. (Chronographus Saxo ad a. 974: „Se- 
dente... in paterni regni solio... Ottone secundo, ab habitu faciei 
agnomine ruſo.“ Hahn II, 104.) Der Kaifer im eben erwähnten 
Gedichte wird nun gleihfalld an zwei Stellen der rothe Kaifer Otte 
genannt (V. 1337. 1368), während er doch als Gemahl Adelheid 
und durch andere, früher eniwidelte Verbältnifie fih als Otto I dar⸗ 
ftelt. Auch anderwärts in fächfiichen Kaiferfagen finden wir biefe 
beiden Dttone, Vater und Eohn, Tür einen genommen. Es waltet 
bierin berfelbe Bang der Eagenbildung, vermöge deſſen wir zuvor ſchon 
Mathilden als Adelheid wieder erftehen ſahen und nun auch Heinrich, 
Ottos I Bruder, und Ludolf, feinen Sohn, zum Herzog Ernſt umge: 
wandelt jehen werben. 


4. Konrad U und fein Stieffohn Ernft. 


Ein anderes Gefchlecht deutſcher Könige ftieg herauf, das fränfifche 
oder falifhe. An der Epite besjelben ftand Konrad II, der Salier. 
Feſt und raftlos wirkte auch er darauf hin, die Macht feines Hauſes 
und damit feine Herrichergewalt zu mehren und zu ftärlen. Er war 
vermählt mit Gifela, der Wittive des Herzogs Ernft von Echwaben, die 
als die ausgezeichnetfte Frau ihrer Zeit gepriefen wird. Sie hatte aus 
erfter Ehe einen Sohn, der gleich dem Bater Ernit hieß und deſſen Nach: 
folger im Herzogthum Schwaben war. Um das erledigte Erbe bes 
Königreih8 Burgund entzweite fich der junge Fürſt mit feinem mäch⸗ 
tigen Stiefvater. Er griff zu den Waffen, aber bald in dieſem uns 
gleichen Kampfe von feinen Bafallen verlaffen, mufte er ſich unbedingt 
dem Kaiſer ergeben und wurde von diefem auf dem Felsſchloſſe Gibichen⸗ 


382 

ftein eingeferkert. Einzig Graf Werner (Wecilo !) von Kyburg war 
ihm treu geblieben, vertheibigte drei Monate lang feine Veſte Kyburg 
gegen den Kaifer und irrte, als diefe nicht länger zu halten war, ge⸗ 
ächtet umher. Auf Fürfprache feiner Mutter Gijela wurde Ernft nach 
zweijähriger Gefangenſchaft wieder freigelafien. Er jollte nun in das 
Herzogthbum Baiern eingefeßt werden, unter der Bedingung, daß er 
ſchwöre, Wernern, ben Anftifter der Unruhen, wenn diefer ſich in feinem 
Gebiete betreten ließe, feftzunehmen und auszuliefern. Ernft aber wollte 
lieber auf das Herzogthum verzichten, al3 den Freund verratben. Ihn 
fchredite nicht, daß Reichsacht und Kirchenbann über ihn ausgefprochen 
wurde. Mit Wernern und wenigen Andern ſetzte er ſich, in der Wild⸗ 
nid des Schwarzwalds, auf die Burg Falfenftein, deren Trümmer noch 
in ber Gegend von Wolfach zu ſehen find. Dort aufgefucht und ges 
drängt, fiel er in verzweifelndem Kampfe zugleich mit Wernern und Bielen 
der Eeinigen. Auf der Inſel Reichenau wurbe er, nachbem der Bann von 
ihm genommen war, begraben. Dieß ereignete fi im Jahre 1030. 

Die Schickſale des Herzogs Ernft, die wechfelfeitige aufopfernde 
Treue der beiden Freunde und ihr gemeinfamer Tod, wie hiernad bie 
Geſchichte fie beurfundet, bieten dem Gemüthe jo viel Ergreifendes bar, 
daß man ihren frühzeitigen Übergang in Lieb und Eage ſich wohl er: 
Hären Tann. Cine biftorifhe Hauptquelle ift die Erzählung Wippos 
(Wippo de vita Chunradi Salici imp. bei Piftorius, Script, Rerum 
Germanicarum 8. I. $rantfurt 1607. ©. 421 ff.), der ala Capellan 
Konrads II und in einem deſſen Sohne zugeeigneten Werke keineswegs 
die Partei diefer Gegner feines Gebieter3 nahm, und doch verläugnet 
fih auch bei ihm nicht das Gefühl für dieſes großartige Beispiel der Treue. 
Es ift auch nicht zu zweifeln, daß diefe Geſchichten urfprünglich ſelbſt⸗ 
ftändig gejagt und gefungen worden. Aber derfelbe Bildungstrieb, ver: 
möge deſſen ſich im größeren epifchen Cyllus jo manigfahe Sagen 
und Sagenkreife zum Ganzen verbunden, äußerte auch bier noch ferne 
Wirkſamkeit und fpielte dieſe ſaliſch-fränkiſche Sage mit der ottonijchen, 


1 Mecilo, wie der Name ſchon bei Wippo, dann auch in Odos lateiniſchem 
Gedichte lautet, ift das Diminutiv von Werinhere, Werinharius, wie er bei 
Hermannus Gontractus u. a. heißt. gl: „quidam monachus |[Tegerns.] 
Werinherus, qui a quibusdam causa civilitatis Weczil dicebatur.* Kugler, 
de Werinhero ©. 25. 


383 


deren ſtufenweiſe Bildung wir bisher verfolgten, zufammen. Der Anlaß 
und Heftpunkt diefer Verknüpfung lag darin, daß die Stellung Ernſts 
zu feinem Stiefoater Konrad und feiner Mutter Gifela in der Haupt: 
ſache die nemliche war, wie ſchon auf jener erften Stufe die Stellung 
bes fächfiichen Heinrichs zu feinem Zöniglihen Bruder Dito und feiner 
Mutter Mathilde. Aber die Verknüpfung gieng nicht ohne bebeutende 
Einbuße auf Seiten der ſaliſchen Sage vor fid. 

Ich babe die Eage vom Herzog Ernſt nicht darum zum Gegen: 
ftande genauerer Erforfchung gemacht, als ob ich ihren dichterifchen Werth, 
wie fie jetzt vorliegt, jo beſonders hoch anfchlüge, fondern meil fie mir 
für die Einficht in die Werkſtätte der Sagenbildung vorzüglich Iehrreich 
zu fein ſchien. Die mahrhafte Gefchichte des Herzogs Ernſt fteht offen- 
bar größer da, als die nunmehrige Sagendihtung. Die Gejchichte bot 
zivei lebendige Hauptmomente dar, welche gewiſs auch von Anfang im 
Volksgeſang aufgefaßt waren, bie aufopfernde Treue der beiden Freunde 
und die Stellung Gifelad zwiſchen dem Gemahl und dem unglüdlichen 
Eohne. Ernft und Wecilos gegenfeitige Treue, wie dieſer allein aus: 
hält, als der Herzog von allen andern Vaſallen verlaflen ift und im 
Kerker liegt, mie er feine Burg fo lang ale möglich vertheibigt und 
nachher geächtet umberfchweift, wie dann aber Ernft ihm metteifernd 
vergilt, wie er um Wecilos willen ein Herzogthum ausfchlägt, Acht und 
Bann auf fih nimmt, und wie endlich der Tod im Kampfe die beiden 
Freunde vereinigt; dieſer erſte gefchichtliche Hauptmoment ift unverkenn⸗ 
bar der dichterifch bedeutendſte. Aber er ift ver Sagenverlnüpfung zum 
Opfer gebracht worden, und nur noch die Spur, wie er einft lebendiger 
in ver Eage getvaltet, bat fich noch darin erhalten, daß Herzog Ernit 
und Graf Wetzel als unzertrennliche Gefährten im Kampf und auf der 
Irrfahrt erfcheinen. Der ältere, ottonifche Sagengrund blieb unvertilgt 
und behauptete die Oberhand über den fpäteren Anwuchs. Jene ältere 
Sage ſchloß mit ber Berfühnung und fo fiel die tragifche Kataſtrophe 
der Ernitöfage hinweg. Das Gemeinfame der beiden Sagen jchlug in 
ihrer Verbindung vor, und diefes lag für die Ernſtsſage in dem ziveiten 
der. angeführten Hauptmomente, in der Stellung Giſelas zwifchen Ges 
mahl und Sohn, deren Entfprechendes in der ottonifchen Sage und ge 
nügend belannt ift. In den Namen Adelheid trat, wie früher Matbilbe, 
jo nun Gifela ein. Die Mutterliebe, wie fie unermüblih wach und 


384 


thätig ift, dem bebrängten Sohne fein hartes Schidjal zu erleichtern 
und die Verfühnung des unfeligen Zmiejpalt3 herbeizuführen, und mie 
fie zulegt, nach manchem bittern Jahre, freudig gerührt, ihr Friedens: 
wert zum Ziele gebracht fieht, diefe Fromme Wutterliebe ift auch wirklich 
im Gedichte von Herzog Ernft mit vieler Innigkeit aufgefaßt und durch⸗ 
geführt und eben hierein fee ich den hauptfädhlichen poetiichen Gehalt 
diefes Gedichte. Indem die urfprängliche Ernſtsſage fich nunmehr auf 
dieſes zweite Moment bejchräntte, bricht fie, mit den Berichten ber 
Annaliften verglichen, ſchon beim Jahre 1024, alfo 6 Jahre vor Ernits 
Tode, ab, nemlich bei feiner erften Auflehnung gegen ven König und 
der Vermittlung biefer Fehde burch feine Mutter. 

Wippo zum Jahr 1024 Sagt: 

Eodem tempore, hoste pacis diabolo suadente, Ernestus dux Ale- 
mannie, Chuno dux Francie, Fridericus dux Lotharingorum cum aliis 
plerisque contra regem Chuonradum consenserunt, et multa molientes, 
multas munitionues incassum preparantes, nihil nisi calamitatem futuram 
assecuti sunt; quos omnes rex Chuonradus parvi pendens, iter suum in 
Italiam.cum copiis destinavit; sed dux Ernestus, humiliter iter ejus pro- 
secutus usque Augustam Vindelicam, interventu matris sus regine et 
fratris sui Heinrici adhuc parvuli aliorumque principum multum renuente 
rege vix in gratiam ejus receptus est. 


Hier, glaube ich, ift der. Punkt, mo die Ernftefage mit der otto⸗ 
niſchen, mit den ähnlichen Verföhnungsfcenen in biefer, ſich berührte 
und zufammenjchmolz, dabei aber ihren tragischen Schluß hinter fich ließ. 

Sehen wir von dem ab, was auf ſolche Weife verloren gieng, fo 
ift gleichwohl nicht zu miskennen, daß in jener Gruppe, von der wir 
ausgiengen und die wir nun aus fo manigfachen Entwidlungen heran⸗ 
gebildet fanden, noch immer ein großartiges deutfches Geſchichtbild vor 
uns ſteht. In den Hallen des alten Domes, wo die Priefterfchaft Weih⸗ 
nachthymnen anftimmt, ragt in einfachem Gewande bed ernften, ftrengen 
Kaiſers hohe Geftalt; vor ihm, am Altare, wirft ſich ein Mann in Pilger: 
tracht nieder, in Kämpfen und Mühen früh gealtert und faft unkenntlich 
geworden; an befien Seite fteht der treue Genofje feiner Drangfale, 
auch jetzt bereit, jeve Wendung ber Dinge mit ihm zu tragen und durch⸗ 
zulämpfen; die Mutter aber beugt fich herein, die fürbittenden Hände 
gefaltet. Auch die Fürften des Reichs, im Halbfreis umher, zeigen 


585 


— — — — — 


ihre vermittelnde Theilnahme, und erwartungsvoll drängt ſich die Volks⸗ 
gemeinde. Den Verläumder aber, den Anſtifter des Unheils, und 
ſeinen blutigen Tod deckt längſt der breite Grabſtein auf dem Boden 
der Kirche. 

Gerade, daß der aaiſer zugleich Otto I, Otto II und Konrad II, 
Bater, Sohn und Urenkel ift, der fnieende Pilger Heinrih, Lubolf und 
wieder Heinrich und Emft, die fürbittende Yrau Mathilde, Adelheid, 
Gifela, daß in den fteben gebliebenen unter dieſen Namen verfchiedene 
geſchichtliche Epochen fich Treuzen, daß der trügerifche Heinrich der ſäch⸗ 
ſiſchen, der treue Wecilo der fränkiſchen Kaifergefchichte angehört, eben 
damit ift das Geſchichtbild ein ideales, es ftellt den Geift und Cha» 
rakter einer langen, vielbewegten Zeitperiobe dar. 

Der gefchichtliche und früher im Volksgeſange gefeierte Ernſt Ent 
allerdings in der Sage, in welcher fich jo viele Zeitereigniffe aufgerollt, 
an feiner fittlich-tragifchen Erſcheinung verloren; aber doch mar die 
Nachwirkung derjelben fo mächtig, daß er der ottonischen Eage, indem 
fie ihn und feinen Freund in fi aufnahm, feinen Namen aufprüdte, 
daß fie nun als die Eage vom Herzog Emft fortlebt. 

Ernft verehrt am Ziele feines Irrſals dem Kaifer den leuchtenden 
Edelſtein, den er bei der Fahrt durch den hohlen Berg aus dem Felſen 
gerifien und ber, fortan ein Kleinod in der Reichskrone, als der einzige 
feiner Art der Waiſe! genannt wird (vgl. Nechtsalth. 923. Grammatik 
IH, 379, 2). BDiefem Steine legt Odo, der Verfafler des Tateinischen 
Gedichtes, die wunderbare Eigenfchaft bei, daß er auf dem rechten 
Scheitel fitend das Bild des römischen Reichs zurüdftrale (B. VII, 
©. 375): | 

Hujus mira satis virtus, si sederit equo 
Vertice, Romani [jam] splendet imagine regni. 

So bat doch zulegt der Sagenheld Ernft in die alte Kaiſerkrone 
den weltfpiegelnden Kryſtall der Poefie gefeßt, in welchem alle jene 
weiten Räume deutfcher Gefchichte fich abjtralen. 

Es ift bereitö erwähnt worden, daß die wunderbaren Reifenbenteuer 
nicht im Munde des Volkes, fondern auf gelehrtem Wege in die Eage 
von Herzog Ernft gelommen feien, durch Litterarifche Bekanntſchaft mit 

1 Bol. Minnefinger Man. I, 15a, 5. 1026, 3. 1276, 3. II, 188a 
Pfälzer Hd. 357, Bl. 196. 


386 


— — — — 


demjenigen, was ſchon die Alten, namentlich Plinius und Solinus, 
dann die fabelhaften Geſchichten Alexanders des Großen, von den Wundern 
des Morgenlandes berichten. Dieſe gelehrte Beimiſchung erklärt ſich leicht, 
indem wir wiſſen, daß die Eage namentlich auch in den Klöſtern Be 
arbeiter fand. Die erfte Epur eines deutſchen Herzogs Ernft fanden 
wir im Klofter Tegernfee; der Mönch Odo bearbeitete fie in Iateinifchen 
Herametern unb auch die mittelhochdeutſchen Gedichte berufen. fih auf 
eine lateinifche Duelle. Erbeblicher ift ung bie Frage, ob auch noch 
weiterhin, namentlich aus der hobenftaufifchen Beit, gefchichtliche Beſtand⸗ 
theile in die Ernftsfage aufgefaßt worden jeien, ob fie fomit bis in 
das dritte Kaifergefchlecht vorfchreite. Nur ganz äußerlich ift die An- 
lehnung, wenn in dem Meiftergefange des 15ten Jahrh., wie ihn Kaſpar 
von der Röhn gibt, der Kaifer, Ernſts Stiefvater, Friederich beißt, 
ein hobenftaufifcher Königsname. Erſt zu unterfuchen ift noch das bloß 
bandichriftlich vorhandene Gedicht von Heinrich! von Braunſchweig, wel⸗ 
ches einestheild mit der Sage von Heinrich dem Löwen, anberntheild mit 
der von Herzog Ernſt Ähnlichkeit haben foll (Grundriß 540, 184 ff. 
Docen, Sen. Litteraturzeitung 1810, NR. 109, Ep. 267 f. 277). Bors 
zügli aber hat man in Ernſts kecker Gewaltthat, wie er feinen bos⸗ 
baften Anſchwärzer, ven Pfalsgrafen Heinrich, im Gemade des Kaifers 
auffucht und erfchlägt, wie der Kaifer felbit nur durch fchnelle Flucht 
dem Schwerte des Zürnenden entrinnt, eine poetiihe Nachbildung des 
Königsmordes gemuthmaßt, welchen der Pfalzgraf Otto von Wittelg- 
bach im Jahre 1208 an dem Hohenftaufen Philipp verübte, indem er 
wirklich auf ganz ähnliche Weiſe in Philipps Gemach auf der Altenburg 
bei Bamberg eindrang. 

Godefridus monachus coloniensis, Anneles colon. maximi: „Cum Phi- 
lippus solus in quodam lobio cum episcopo spirensi et aliis duobus, sc. 
camerario et dapifero suo, remansisset, ille nefarius homo [Otto Pala- 
tinus?] cum sedecim militibus armatis adveniens introitum petiit. Qui 

1 [Sol wohl heißen Reinfrit von Braunſchweig. Das Gedicht von dem 
braunſchweigiſchen Herzog Heinrih dem Löwen hat ſchon 1828 Maßmann in 
feinen Dentmälern I, 123 fi. herausgegeben, wie Echriften I, 503 gefagt 


if. Über Reinfrit von Braunſchweig vgl. die Monographie K. Gödekes. 
Hanover 1851. 8.] 


2 [Bgl. Münchner Liederhoſchr. 52a: Dux Philippus moritur Palatini 
gladio.] 


587 


cam jusseu regis intromissus fuisset, gladium latenter de manu cnjusdam 
armigeri tulit, et quasi regem salutalurus accessit, quem cum audacter 
in caput ejus vibrasset, uno ictu cum interfecit. Quo statim mortuo, 
episcopo spirensi se occultante, alios duos in eum irruentes fortiter vul- 
neravit et mox egressus adscenso equo cum suis fugere capit. (Hahn IV, 
76. Raumer Ill, 139 bis 145.) 

Vergleichen wir biemit die Erzählung von Ernſts That in der 
älteften, noch vorhandenen Tarftellung, den poetiſchen Bruchſtücken in 
Hoffmanns Fundgr. I, 230 (Erneft de helit gut u. f. w.), fo ift bie 
Übereinftimmung allerdings auffallend. Wollen wir aber diefelbe nicht 
überhaupt entweder für zufällig oder in der Art eines folchen Unter: 
nehmens beruhend annehmen, fo Tann doch feinen Falls das «Gebicht 
aus der Gefchichte vom Ende Philipps geborgt haben, denn die Bruch— 
ftüde find älter, fie ftammen noch aus dem 12ten Jahrhundert, während 
die Ermordung Philipps in das Jahr 1208 fällt. 

In der ſächſiſchen und fränkiſchen Kaifergefchichte zeigt fich zwar 
keine Thatſache, die dem Gewaltſtreiche Ernſts entſpräche. Nur das 
iſt ſchon früher angeführt worden, daß Ludolf und Konrad dem Kaiſer 
drohten, den Herzog Heinrich, wenn er an den Hof in der Pfalz Ingel⸗ 
heim Täme, gewaltfam zu greifen. Dagegen mochten ſchon ältere 
Tarolingifhe Eagen cinen foldhen Zug barbieten, 3. B. wenn in ber 
Eage von den Heimonskindern Reinold dem Könige Ludwig, im Ans 
geficht feines Vaters, des Kaiſers Karl, das Haupt abfchlägt; 1 hn- 
liches im Roman von Hüon von Borbeaur. Eine fagenhafte Über: 
lieferung dieſer Art Tonnte ſich ald That da anfcliegen, wo die Ge: 
fdyichte nur eine Drohung kennt. Kann nun aber bier der Grund ber 
Enge nicht in einem geichichtlichen Ereigniffe nachgewiefen werben, jo 
erhebt fih umgekehrt die Möglichkeit, daß die Eage auf die wirkliche 


That hingewirkt habe. Heinrich von Andechs, Markgraf von Zftrien, 


der als Anftifter der von Otto von Wittelöbach verübten Frevelthat 
betrachtet und deshalb geächtet wurde, und deſſen gleichfalla in dieſe 
Sache verwidelter Bruder, der Bifchof Egbert von Bamberg, waren 
Eöhne eben jened Grafen Berthold, der im Jahr 1180 das beutjche 


1 Über die aufrührifhen Grafen Ernft und Werner unter Ludwig dem 
Deutfhen ſ. Annales Fuldens. zu den Jahren 861. 865. 866 bei Freher 
S. 27. 30. 31. Pertzs Mon. I, 343 bis 415. 8] 


388 


Büchlein von Herzog Ernft fih vom Abte des Kloſters Tegernfee zur 
Abfchrift erbeten hatte. Das Gebicht mar fomit ohne Zweifel im Haufe 
Andechs vorhanden und märe nun die Muthmaßung zu gewagt, daß 
eine Fabel, melde damals fo beliebt war, dem Markgrafen Heinrich 
und feinem Mitverfchmorenen, Dtto von Wittelsbach!, zum aufregenden 
Vorbild diente, nach welchem fie den eigenen kecken Anichlag faßten 2? 
So hätte die Sage zwar aud das dritte Kaiferhaus ergriffen, aber 
nicht zu poetifcher Geftaltung, fondern rückwirkend auf die Gefchichte. 

Über die Eagen und Gedichte von Herzog Emit ift ſchon manig- 
fach verhandelt und dabei auch das Geſchichtliche erörtert morben. 
Namentlich find anzuführen: 

Görres, die deutihen Bolksbücher. Heidelberg 1807. S. 83 bie 85. 

Ebendesſelben Anzeige dieſes Buchs, Heidelberger Jahrbücher 1808. 9.11. 
©. 411 bis 413. 

V. d. Hagen, Einleitung zum Herzog Ernft, in den deutſchen Gedichten 
des Mittelalters. 8. I. Berlin 1808. 

Docen, Beurtheilung diefer Sammlung in Schellings Allgem. Zeitfchrift. 
8.1. 9.2. Nürnberg 1813. ©. 281 bis 264 

Ebenderſelbe, zur Litteratur und Kritik altveutfcher Gedichte Mujeum für 
altdeutſche Litteratur und Kunſt. B. 11. Berlin 1811. ©. 245 fi. 


Ich habe diefe Vorarbeiten benützt, aber das Einzelne in einen 
vollern Zufammenhang der Eagenentwidlung zu bringen gefucht. 

Außer diefer umfaſſenden Eage find aus der fächfifchen und 
fränfifchen Kaiferzeit noch manche, mehr vereinzelte vorhanden, deren 
ih noch einige anführe, und zwar ſolche, bie ſich den Gefchichten ber 
und bereit fagenhaft befannten Kaifer, Ottos I und UI und Konrads II, 
angebeftet haben. 

Kurzbold 3, *** 

Es ift fehr zu bedauern, daß und Eckehard (geft. um 1036) von 


1 Dtto von Wittelsbach wollte Anfangs Gertrud, die Nichte jener beiden 
Brüder, heirathen. Naumer III, 145, 1. 

* In einer Urkunde Dttos IV werden beide zufammen genannt interfectores 
regis Philippi marchio Histrie et Otto Palatinus u.|.w. Raumer III, 144, 2, 
[2te Aufl. 2, 667. 8.] 

3 [8 bleibt Hier manches weg, was ſchon Schriften I, 472 f. wörtlich 
gleichlautend abgebrudt if. K.] 


589 


biefem kühnen Sonderling nicht mehr erzählt oder gar die Lieber er: 
halten Bat, melde won ihm gejungen wurden. Hätten wir biefelben 
noch, jo würden fi wohl auch die Sonderbarfeiten poetifch erklären, 
wie bei Immo. 

Daß fih die Überlieferungen von Kuno Kurzbold zu Eckehards 
Zeit, vor Ablauf eines vollen Jahrhunderts von ben gefchichtlichen 
Creignifien, fchon beträchtlich fagenhaft geftaltet batten, ergibt fich 
fhon daraus, daß bier in die Tage Heinrich I hinaufgerüdt wird, 
was fich unter feinem Sohne Otto I begab. Der Untergang der auf 
rühriſchen Herzoge bei Breyfih nächſt Andernach fällt in die Beit der 
Zwietracht Ditos I mit feinem Bruder Heinrich, in welchem Zufammen- 
bange wir früher davon Meldung thaten. 

Otto mit dem Barte 1. *** 

Sage von Kaifer Heinrich III? *** 

Mehrere andere fagenhafte Überlieferungen aus der Zeit der Ottone 
und der Salier find im 2ten Bande der grimmiſchen Sammlung zu 
finden. Bon manden find nur noch Spuren übrig, welche zu verfolgen, 
bier zu umftänblich fein würde, wenn gleich auch fie beweiſen, wie 
geihäftig diefe ‘Periode des deutſchen Mittelalters noch war, die Ge: 
fchichte in Sang und Eage aufzufaflen. 


VI Sagen aus der Zeit der Hohenftanfen. 
1. Friedrih von Schwaben 3. *** 
2. Der verlorene Kaifer Friedrid. 


Ähnliche Sage, wie die vom Fortleben und der einftigen Wieber- 
kehr Karla des Großen, wird auch vom Kaiſer Friedrich, obgleich wieder 
mit befondern Umftänden, erzählt. Welcher ver zwei berühmten Hoben- 
ftaufen dieſes Namens dabei gemeint fei, läßt fich nicht immer be 
ftimmt unterfcheiven; bald neigt die Überlieferung fich mehr zum Einen, 
bald mehr zum Andern, bald gehen fie in fagenhafter Einheit auf. Das 


1 [Ecpriften I, 478. 8.) 

2 [Das Manufcript diefes Abfchnittes fehlt. Nah dem in der Vorlefung 
nachgefchriebenen Hefte ift die bei Grimm, deutſche Sagen 2, 177 nad) Gott- 
fried von Biterbo erzählte Sage gemeint. K.) 

8 [Nach dem frühern Hefte, Schriften I, 481 fi. 8.] 


590 





Lebensende Beiber trat unter Verhältniſſen 'ein, welche die Anknüpfung 
einer folchen Sage begünftigten. Yriebrich der Erfte fam auf der ſtreuz⸗ 
fahrt im fernen Often um (1190) und die Annaliften ſelbſt weichen in 
der Erzählung von feinem Tode manigfad von einander ab (Raumer 
II, 436 f.); um fo freieres Epiel hatte hier die lebendige Volksſage. 
Auch Friedrich II ſtarb fern vom deutſchen Heimathlande, in Apulien 
(1250. Raumer 1V, 261), nachdem ihn längft der päbftlihe Bann 
aus der Gemeinfchaft der chriftlichen Kirche verftoßen hatte. Johann 
von Winterthur, ein Chronikichreiber aus ber erften Hälfte des 14ten 
Sabrhunderts, ? verbindet mit der Nachricht vom Tode biefes Kaifers 
folgendes Sagenhafte (Joh. Vitodurani Chronicon in Leibnig® Ac- 
cessiones historie, ©. 14): 

Fridericus imp. quondam sic anathematizatus et imperialis honoris 
apice privatus .. . sepultus apud Fodiam tam occulte, quod multi per 
annos XL vadiabant eum vivere, venturum in proximo in manu robusta. 
Alii famant, quod ad exhortationem suorum astronomorum Earopam 
reliquerit et ad partes terre longinquissimas per mare et per terram cum 
suis familiaribus et servitialibus dudum ante mortem suam devenerit, ne 
mala sevissima incurreret sibi imminentia, astrologorum suorum in astris 
certam per cognitionem, si reimaneret; qui recedens ultra. non apparuit 
in terra. j 

Wie verbreitet im 14ten Jahrhundert der Glaube vom Verſchwin⸗ 
den, Fortleben und der Wiederkunft Kaifer Friedrichs war, und 
zwar in fichtliher Anwendung auf Friebrich II, davon ſprechen weitere, 
und zwar poetifche Zeugniſſe aus dem gedachten Jahrhundert, 

Dahin ohne Zweifel gehört ein vorn herein nicht mehr vollſtändi⸗ 
ges deutfched Gedicht vom Kaifer Friedrich in der Heidelberger Papiers 
Hd. 844 (Willen ©. 544). Der Berfafler vesfelben nennt fih am 
Schluſſe Oswalt 2. Dabei fteht die Jahrzahl 1478, welche jedoch nur auf 


1 Fohannes Bitoduranus fagt im prooemium ©. 4: Exordium autem 
narrationis mes assumere cogitavi ab Innocentio tertio illius nominis papa 
et a Friderico imperatore secundo hujus nominis, qui non longe mea 
meorumque progenitorum tempora antecesserunt. Sein Chronicon geßt, 
foweit es vorhanden, bis zum Jahr 1277, ſoll fi aber nad) Leibnits pre- 
fatio bis 1348 erftredt haben. [Bgl. C. F. v. Stälin wirtembergifche Ge⸗ 
ſchichte. Stuttgart bei Cotta 1856. 3, 4. 8] 

2 [Vgl Schriften I, 495. 8.] 


591 


die Zeit dieſer Abfchrift zu beziehen ift. Zu Königsberg in Ungarn, fagt 
der Verſaſſer, babe er dieſes Werk vollbracht. Das vorhandene Bruch 
ſtück betrifft hHauptfächlich den Verkehr des Kaiſers Friedrich mit dem fabel: 
baften Prieſter Johann in Indien und ihre gegenfeitigen Gefchente. 
Der Kaijer empfängt namentlich ein Kleid, von Salamandern gewoben, 
das man im euer wäſcht; eine Flaſche vom Wafler des Wunder: 
brunnens, welches allezeit Geſundheit und Kraft gibt; davon fol der 
Kaifer ein Jahr und drei Monate lang jeden Tag nüchtern trinten, 
fo bleibe er gefund und lebe darnach 300 Jahre und 3 Monate; fo: 
dann einen Yingerring mit Ebelfteinen von wunderbarer Straft, bes 
ſonders der, daß wer den Toftbarften dieſer Steine in der Hand ver- 
ſchloſſen Hält, dadurch unfihtbar wird. 

Dieſer Haupttheil des Gedichte, für welchen der Verfafler ſich auf 
ein lateinifches Buch beruft, geht uns für die eigenthümlich beutfche 
Sage nicht näher an. Dagegen ift nun am Schlufle eine Erzählung 
in Verbindung geſetzt, die fih, nach ausdrücklichem Verfichern des Ver: 
fafjers, auf mündliche Volksſage gründet. 

Der edle Kaifer Friedrich behielt jene drei Kleinode forgfältig bis 
zu der Beit, da ihn der Pabft Honorius in den Bann that, ihn von 
der Gemeine der Chriftenheit ausſchloß und die Fürften, bie dem Reiche 
geihmworen, ihrer Eide ledig ließ. In melde Stadt nun der Kaifer 
ritt, vermied man, fo lang er darin war, Gotted Amt, las Teine 
Meile und fang feine Tagzeit. Einft nun zur Ofterzeit, um nicht die 
Chriftenheit in dieſer heiligen Feier zu irren, bereitete fich der Kaifer 
auf die Jagd. Niemand von den Jägern wuſte feinen Muth nod 
Sinn. Er legte das Toftbare Gewand an, das ihm aus Indien geſandt 
war, nahm darunter die Flaſche vom Wunderbrunnen und beitieg ein 
gutes Roſs. Etliche Herren ritten mit ihm. Als er fern in den Wal 
gelommen, nahm er feinen Ring mit dem unfichtbar machenden Ebel: 
ftein in die Hand und verſchwand vom Jagen. Seitdem ſah man ihn 
nimmermehr 1. 

Alfo ward der hochgeporn 
Keifer Friderich do verlorn. 


1 [Andere Darftellungen ſ. bei Adelung, Altdeutiche Gedichte in Rom II, 
197. Bgl. Graffs Diutisca III, S. 367.] 


1 Niwan? 
2 dürren? 
3 Des? 


392 


Wo er darnach ye hin Fam, 
Oder ob er den end do nam, 
Das Lund nyemand gejagen mir, 
Dder ob yne die wilden fir 
Breffen habn oder zerifien, 

Es Tan die warheit nyemand willen, 
Oder ob er noch lebentig ſy, 
Der gewiſſen ſin wir fry 

Und der rechten warheit; 

Ne doch iſt uns geſait 

Bon pawren ſolh mer, 

Das er als ein waler 

Sich oft by yne hab laſſen ſehen 
Und hab yne offenlich verjehen, 
Er ſüll noch gewaltig werden 
Aller romſchen erden, 

Er ſüll noch die paffen ſtoren 
Und er wol noch nicht uf horen 
Noch mit nichten laſſen abe 
Nur! er pring das heilge grabe 
Und dar zuo das heilig lant 
Wider in der Criſten hant, 

Und wol ſines ſchiltes laſt 

Hahen an den dorren 2 aſt. 

Das ich das für ain warheit 
Sag, das die pauren haben geſeit, 
Das 8 nym ich mich nicht an, 
Wan ich ſin nicht geſehen han. 
Ich han es auch zuo kein ſtunden 
Noch nyndert geſchribn funden, 
Wan das ichs gehort han 

Bon den alten pauren an wan.“ 
Aber das der hochgeborn 

Keifer Fridrih wurd verlorn 


4 äne wän, ohne Fehl, ausgemadt. Wigalois 744. 


393 


Alfue 1 und aud alba 

Das fagt die romſch Beronica, 2 

Da von ih8 wol gejagen tar 

Und geſchriben offenbar, 

Daß ley noch die paffen 
Daran nicht mogen geftraffen u. f. w. 

Daß bier Friedrich II gemeint fei, erhellt fchon aus der Nennung 
bes Pabſtes Honorius als besjenigen, der ihn mit dem Banne bes 
legte, worunter Honorius III, der von 1227 bis 1241 auf dem päbft- 
lihen Stuhle ſaß, zu verfteben ift (Raumer II, 507), dann aber auch 
daraus, daß ber Kaiſer, von dem erzählt wird, als Gegner einer ſich 
zu viel anmaßenden Priefterfchaft erſcheint. Mochte man von Karls des 
Großen Wiederkehr die Herftellung meltlihen Friedens und Rechts fich 
veriprechen, von biefem Friedrich erwartete man, baß er noch einft „bie 
Pfaffen ftöre” 3, ihre Verberbnis und ungebührliche Gewalt breche und 
durch Befreiung des heiligen Landes und Grabes 4 der Gründer einer 
neuen, gereinigten Kirche werde, was mit ber bee vom taufenbjährigen 
Reiche, die im Mittelalter fehr gangbar ivar, zufammenzuhängen fcheint. 
Der Verfaſſer des Gedichts brüdt fich hierüber vorfichtig aus, er gibt 
es als eine Sage der alten Bauern, für die er nicht ſelbſt einftehen will. 

Noch deutlicher find diefe Anfichten in einem Meifterlieve ausge 
fprochen, das wahrscheinlich aus der Mitte des 14ten Jahrhunderts ber: 
ſtammt. Docen, Kritifche Beichreibung einer Sammlung alter Meiſter⸗ 
gefänge in einer Hbf. des 15ten Jahrhunderts (in der Bibliothek zu. 
Münden), in Aretins Beiträgen zur Gefchichte und Litteratur B. IX. 
Münden 1807. ©. 1133 f. 

So menig diejed Lied durch feine meifterfängerifche Form und bei 
dem fichtbaren Verfall der Sprache ſich empfehlen Tann, fo ift es doch 
durch feinen inhalt hier beachtenswertb. Es verlündet die Nähe einer 
Zeit, in weldyer um zwei Häupter der Chriftenheit, die fich wider ein- 
ander ſetzen, großer Streit über alle Lande fi) heben wird. Gewalt: 


ı Atfo? 
2 Romiſch cronica? 
3 ftoren, verjagen; Benele zu Wigalois und Boner. 
4 Ähnliches doch auch ſchon von Karl dem Großen; Willen, Krenzzlige I, 
76. R. 81. 
Uhland, Schriften. VII. 38 


594 





that, Raub und Brand werben toben. ft dann der Krieg jo groß 
geworben, daß Niemand mehr ihn ſtillen Tann, 

So kumpt fi Kayſer Friderich, der her und auch der milt, 

Er vert dort ber durch Gotes willen, 

An einen dürren pawın fo bendt er feinen fchilt. 


Dann geſchieht die Fahrt über Meer; Mann und Weib heben 
fih rafch dahin, mo ihnen Gott fein Reich geben wird. Friede und 
Freude wird dann in den Landen herrſchen. Der dürre Baum grünt 
und Inofpet, daran der Kaifer feinen Schild aufgehängt. . Gemonnen 
wird das heilige Grab und nimmer Schwert darum gezogen. Alle 
Rechte bringt diejer Kaifer wieder. Alle heibnifche Reiche werben ihm 
untertban; ver Juden Kraft legt er darnieber, ohne allen Wiberftand: 

Und aller pfaffen meifterjchafft [d. H. legt er nieder]; 
Doz fibend teil wirt auch kawm beftan. 

Dy clofter di zuftort er gar der furft gar hochgeborn. 
Er gibt dy nunnen zu ber e, 

Daz fag ich euch furwar, 

Sy miüffen ung pamwen wein und forn; 

Bann daz geihiht, jo kumen ung gute jar. 

Wir fehen, mie frühzeitig Gedanken in prophetifcher Sprache wal: 
teten, die erft gegen zwei Jahrhunderte fpäter fi) in der Wirklichkeit 
geltend machten 1. 

An den Schluß des 15ten oder in den Eingang bes 16ten Jahr: 
bunderts fällt die Abfaflung eines ehmaligen Volksbuchs?. Das Büd- 
lein nimmt zwei Drudbogen in 40 ein. 

Die angegebene Zeit der Abfafjung des Buchs in feiner jegigen 
Geftalt ift aus einer Erwähnung Marimilians I, als vermaligen 
Kaiſers, zu entnehmen. 

Dasjelbe erzählt mehreres Fabelhafte von einer Belagerung und 
Eroberung der Stadt Jeruſalem durch Friedrich I, wobei befonders ein 
bairiſcher Herzog Edart fich auszeichnet; ſodann von einjähriger Ge 
fangenjchaft dieſes Kaiſers bei einem heibnifchen Sultan, und zulegt 


1 Bgl. auch Kaſpar von der Röhn, Herzog Emit, Str. 50: „Der tapfer 
[Friedrich] hie verzudet ward.” [BgL oben S. 562. $.] 
2 [Näheres darüber Schriften I, 499. $.] 


11 .. 


595 


noch, mas und bier näher berührt, von feinem Verfchiwinden und feiner 
fünftigen Wieberlehr 1. *** 

Die Sage ift bier ebenſo beſtimmt an Friedrich I gefnüpft, als im 
früheren Falle an Friedrich IL Das öfters erwähnte Aufhängen des 
Schildes bei der Wiederkehr des Kaifers bezieht fih auf die alte 
deutiche Sitte, vermöge welcher die Aufrichtung des Herrenfchilves das 
feierliche Symbol der Gegenwart des Fürften im Heer oder im Gerichte 
geweſen zu fein fcheint (J. Grimm, Rechtsalth. 956. 851 f. 425). 

Es ift ſchon früher bemerkt worden, daß die von Maßmann heraus» 
gegebene, dem 17ten Jahrhundert angehörende Handichrift des Volks⸗ 
buchs vom Untersberge bei Salzburg dem Kaiſer Friedrich beilege, was 
die gewöhnlichen Drude vom Kaifer Karl melden. Da heißt es dann 
u. a., obgleich etwas verwirrt, ©. 60 bis 62: Der Mönch u. f. w. *** 

Beſonders auch an alte Kaiferburgen bat fich die Sage vom ver: 
Iorenen Kaifer Friedrich geheftet, wie die von Karln an die Burg von 
Nürnberg. Im Schloß zu Kaiferslautern hängt Kaifer Friedrichs Bett 
an u. f. m. ***1 

8. Heinrid der Löwe?.*x 


4. Die Habsburger. *** 


3. Spätere Bolksfage. 


Wir haben die deutſche Sagengeſchichte bis jetzt in zwei Abthei- 
Iungen abgehandelt: 

1) Ältefte Spuren der deutſchen Götterfage [S. 473. 8.]; 

2) Heldenfage [S. 515. K.], die fi uns wieder in chklifche und 
nicht cykliſche abtheilte. 

Die frühe Bekehrung der deutſchen Völker löste bei ihnen den 
volleren Umfang ihrer einftigen Götterſage und wir konnten von biefer 
ſchon in älterer Zeit nur halberlofchene Spuren aufweiſen. In reichern 
Entfaltungen zeigte fih uns die Heldenſage, bis auch ihre Bildungs» 


1 [Schriften I, 501. &.] 
2 (Schriften I, 503. 8.) 
8 [Schriften I, 505. K.) 


596 


— — — 


kraft mit dem Zeitalter der Hohenſtaufen allmählich verſiegte. Darum 
hat aber doch die Sage nicht gänzlich aufgehört, auch noch weiterhin 
im Volke zu leben. Von ſolcher ſpätern Volksſage, nach der wir dieſe 
dritte Unterabtheilung benennen, haben wir zuvor ſchon Einzelnes auf 
ältere Sagenhelden, 3. B. Karln den Großen, die ſchwäbiſchen Fried⸗ 
riche, erläuternd und ergänzend zurückbezogen. Wir hätten auch für 
ſie dieſelbe Rubrik gebrauchen können, wie für die entſprechende dritte 
Abtheilung ber nordiſchen Sagengeſchichte: Balladen, Ortsſagen, Mähr⸗ 
chen. Da jedoch eine ſpeciellere Ausführung nach dieſen dreierlei Klaſſen 
innerhalb der zugemeſſenen Zeit nicht mehr möglich iſt, ſo beſchränke 
ich mich darauf, die allgemeiner zugänglichen Quellen namhaft zu machen 
und bloß einige bedeutendere Partieen dieſer ſpäteren Volksſage näher 
zu beleuchten. 

Litterariſch alſo bemerken wir: 

1. Balladen, kürzere deutſche Sagenlieder, in ihrer jetzigen Geſtalt 
meiſt aus dem 1bten und 16ten Jahrhundert herrührend, aber zum 
Theil auch noch im Munde des Volles befinvlid. Gegen die Fülle 
derartiger Lieder, wie fie bei den Völkern des ſkandinaviſchen Nordens 
vorliegt, exfcheinen freilich die Überrefte unſrer früheren Balladendich— 
tung fehr dürftig. Dennoch glaube ich, daß ein emfiges Verfolgen des 
alten Volksgeſangs, in Flugblättern des 16ten und 17ten Jahrhunderts, 
in bandfchriftlichen und gebrudten Liederfammlungen der genannten 
Beit und der noch fortdauernden mündlichen Überlieferung des Volkes 
felbjt, bejonders in abgelegenern Gebirgs- und Waldgegenven, noch 
Manches zu Tage fördern und aud unſern Vorrath anfehnlidyer ge- 
ftalten könne. 

Für jest find hauptfächlich folgende Sammlungen anzuführen: 

Des Knaben Wunderhorn, alte deutjche Lieder, geſammelt von A. v. Arnim 
und Brentano, 3 Bände. Heidelberg 1806 bis 1808. 

So wenig diefe Sammlung kritiſchen Anforderungen genügt, ba 
fie Altes und Neues, Echtes und Unechtes mwillführlih zuſammenmiſchi, 
jo war fie doch nicht bloß für eine forgfältigere Beachtung der alten 
Volkslieder anregend, fondern ift auch, namentlich für die balladen⸗ 
artigen, noch immer bie veichhaltigite. 

Alte teutſche Bolfslieder in der Mundart des Kuhländchens. Herausge- 
geben und erläutert von J. ©. Meinert. B. I. Wien und Hamburg 1817. 


897° 


Das Kuhländchen ift ein kleines Hirtenland auf der Echeide zwiſchen 
Mähren und Schlefien, zu erfterem gehörig. Dort wohnt ein beutfcher 
Menſchenſchlag mitten inne zwifchen ſlaviſchen und ungarifchen Nachbarn. 
Es haben fich daſelbſt viele alte Volkslieder erhalten, wovon Meinert 
einen Theil in der dortigen Mundart, echt und unentftellt, heraus: 
gegeben hat. Zu bedauern tft, daß die Sammlung beim erften Bande 
ftehen blieb. 

2. Drtsfagen, d. 5. ſolche Volksſagen, melde, außer und neben 
den größern und vollftändigern Bildungen der Eagendichtung, kurz und 
vereinzelt daſtehen und meift an beftimmte Örtlichfeiten, an Berge und 
Seen, an Felſen und Quellen, Kirchen und Burgtrümmer u. ſ. m. 
gebannt find, in beftimmten Gemeinden und Familien ihren Sig haben. 

Von den, was frühere, meift provinzielle Sammlungen folder 
Volksſagen Echtes und Erheblicheres enthielten und was fonft Der: 
artiges in ältern Echriften zerftreut lag, findet fich die reichite Zuſam⸗ 
menftellung in dem oft angeführten Buche der Brüder Grimm: Deutjche 
Sagen !, beſonders dem erften Theile. (Der zweite umfaßt mehr die 
geichichtlihen, an die Heldenſage fich anjchließenven.) 

3. Märchen, pbantaftiiche Erzählungen, noch jebt in der münd- 
lichen Überlieferung des Volles, beſonders zum Vergnügen der Find: 
lichen Einbildungstraft gangbar, zum Theil Auflöfungen oder Verwand⸗ 
lungen alter, feiterer Mythen und Sagen. 

Auch hiefür haben die Brüder Grimm das Beſte gethan in ihren: 

Kinder- und Hausmährden. 3 Bände. Berlin 1819 bis 1822. [Dritte 
Auflage 1856. &.] 

Diefe bedeutendſte Sammlung bat, vorzüglich aus dem Munde des 
befliihen Landvolks, einen vorher nicht geahnten Reichthum beutfcher 
Mährchen an’z Licht gebracht. In der Einleitung und den Anmerkungen 
finden fi beſonders auch die nachweisbaren Beziehungen zu Mythus 
und Heldenjage angezeigt. Eine reichhaltige, vergleichende Litteratur des 
Mährchenwefens bei den verfchievenen Volksſtämmen gibt der dritte Theil. 

Soviel über den Beftand der fpäteren deutſchen Volksſage im 
Allgemeinen. Derfelbe ift übrigens mit jenen drei Rubrifen nicht eben 
für erjchöpft anzuſehen. Zu befonbrer Erörterung hebe ich zuerft zwei 


1 [Neue Auflage. Berlin 1866. &.] 


998 


durch ihre mythiſche Grundlage vorzugsweiſe beachtenswerthe Über⸗ 
lieferungen hervor, bie vom Venusberg und die vom müthenden Heere, 
fodann noch eine "dritte, feherzhafter Natur, von den Echilbbürgern 
(Schwabenftreichen). 


1. Der Venusberg !. 


In fliegenden Blättern des 16ten und 17ten Jahrhunderts war 
folgende Ballade viel verbreitet, die auch fonft mehrfach abgebrudt ift, 
3. B. nad) einem Nürnberger Flugblatt in Gräters Bragur, B. VII 
Breslau 1812. ©. 186 ff.; nad Kornmanns Venusberg im Wunder: 
born 1, 86 und anbern Sammlungen. Niederdeutſch, fliegendes Blatt 
vermuthlich von 1581, Schellers Bücherkunde ©. 479, XVI. Eie lautet 
fo (nach dem Tert im Bragur mit einigen Lesarten des andern): Run 
wil ih u. f. w. (f. die Vorlefung über die beutfche Dichtfunft im 1Hten 
und 16ten Jahrhundert.) ?*** 

Wie hoch hinauf im 16ten Jahrhundert die Drude diefer Ballade 
verfolgt werden Fönnen, tft mir nicht befannt. Aber fchon der trodne 
Stil und die harte Form derſelben laflen vermutben, daß fie in folcher 
Geftalt nur Umarbeitung eines ältern beweglichern Bollögefanges ſei. 
Wirklih finden wir auch fchon im erften Viertel des 16ten Jahr 
hunderts fprichwörtlich des „alten Tanhäuſers“, alſo doch wohl im 
Gegenfaß einer neueren Faflung, erwähnt. Aventin (Johann Thurn 
mayer aus Abensberg, geft. 1534) überjegt in feiner Grammatik von 
1517: eandem canis cantilenum, fingft gleich den alten Danhaufer. 
Derfelbe, in ver bairifchen Chronik (Frankfurt 3 1580. Bl. 33) mad, 
nach feiner Weifet, die Fabelhelden gefchichtlich einzureihen, den Dan- 
beufer zu einem von den Griechen Thanaufes genannten König ber 
Gothen 5, *** 

In einem „Ihönen Dialogus“ 8 zweier Iuthrifcher Bauren,, Kuntz 
und Srig, über das Verhalten der Hochichule zu Tübingen gegen Luther 


ı [Bgl. Schriften II, 229 fi. 8] 

2 [Schriften II, 588. Bollslieder I, 761. K.) 

3 [Bgl. Potthaſts Bibliotheca medii wvi ©. 153. 8.) 
4 [Bol Schriften I, 120 f. 8.) 

5 [Das weitere gleichlautend wie Schriften II, 280. 8.) 
6 [Bgl. Schriften II, 508. 9.) 


599 


(einer Flugſchrift auf der Stuttgarter Bibliothek o. O. u. J. mit Blei⸗ 
ftift 1522, dem Inhalt nach wenigſtens vor 1532), wird ber daſige 
Profeflor der Theologie Jacob Lemp ein „alter danheüſeriſcher Eſel“ 
genannt und noch weiter heißt es: 

Du weiſt wol, das die alten patres ſchlecht gelert feind, dann fie wiſſen 
nit von dem zierlichen Latein Giceronis unnd Bergilii zu jagen, darumb ſchmeckt 
in nicht dann das fie gelernet haben, und fo fie nur den alten Danheifer ge- 
lernet haben, künden fie auch den Erasmum und ander gelert nitt verfteen. 

Der Pabft Urban, der am Schlufie des Liebes, obgleich nicht in 
allen Druden desfelben, al® der vierte bezeichnet wird, hatte von - 
1262 bis 1264 den päbftlichen Stuhl inne. So weit hinauf können wir 
freilich weder das Lied noch die darin erzählte Fabel nachweifen; aber 
daß diefe Schon um die Mitte des 15ten Jahrhunderts gangbare Volls- 
fage. war, ergibt das auf fie gegründete Gedicht Hermanns von Sachfen⸗ 
beim, die Mörin 1, welches 1453 verfaßt ift. *** 

In diefer allegorifchen Dichtung unſres Landsmanns (fein Gefchlecdht 
nannte fi von Groß⸗-Sachſenheim bei Vaihingen an der Enz), melde 
ihren Namen von einer darin eine bebeutende Rolle fpielenden Mohrin 
hat, mwirb ber Dichter auf einem einfamen Gang im Walde an ben 
wunderbaren Hof der Königin Venus entführt, wo er für mancdherlei 
Untreue, die er fih in der Liebe zu Schulden fommen ließ, vor Gericht 
ftehen muß. Der Tanhäufer, ein Ritter aus Frankenland, trägt bier 
im Reiche der Venus, als Gemahl verfelben, die Krone; wie er dahin 
gelommen, wird vermuthlich als befannt vorausgejeht. Das Innere 
bes Benusberges ift nur kurz und geheimnisvoll angedeutet: ein ewiger 
Mat blüht in ihm, er ift voll Goldes und edeln Geſteins; Frauen, 
Nitter, Zwerge ergeben fi darin mit Singen, Tanz und Eaitenjpiel; 
alle Meifter der Philofophei möchten die Wunder dieſes Berges nicht 
ermeflen. 

Am Hofe der Königin Venus befindet fih, nad der Mörin, auch 
ber treue Edart, von welchem, als dem getreuen Meifter und Warner 
der Harlunge, wir bei der cykliſchen Helvenfage gehandelt haben?. Bon 


1 Bgl. BL. 15. [Die Stelle ift gebrudt in den Schriften II, 221. Die 
weitere Ausführung über die Mörin ftimmt zum Theil wörtlich mit dem II, 
220 fi. gegebenen, weshalb ich hier Türze 8.) 

2 [Bgl. Schriften 1, 245 f. II, 231. &.] 





600 


ihm fagt der profaifhe Anhang bes Heldenbuchs (Hagenau 1509, 
Bl. 212 [Stuttgart 1867, ©. 3. R.J): 

Mar vermeinet auch, ber getreu Edarte ſey noch vor fraw Fenus berg, und 
fol auch do beiyben biß an ben jungften tag, und mwarnet alle, die in den berg 
gan möllen. 

ob. Agricola feht in feinen deutfhen Sprichwörtern (die erfte 
vollftändige Ausgabe erfchien zu Zwickau 15291) BL 243 die Fabel vom 
Thannheufer, die er, übereinftimmend mit der Ballabe, kurz anführt, 
gleihfalls mit der Sage und dem Sprichwort vom treuen Edart in 
Verbindung: 

Nun haben die Teutfchen ires trewen Edharts nit vergefien, von dem fie 
jagen, er fie vor dem Venusberg unnd mwarne alle leut, fie folten nit in dem 
berg gehn u, |. w. Dieweil nun der Thannheufer alſo mit leib und feel ver- 
borben ift, jagen die Teutſchen, der trew Eckart fie vor dem berg und warne 
die leut, fie follen nit hinein gehen, es möcht ihnen ſonſt ergehn wie bem 
Thannheuſer. (VBgl. Anentin 88 f.) 

Wie ſehr die Sage vom Venusberg im 15ten und 16ten Jahr⸗ 
“ hundert bejonders auch in unfrer Gegend vollsmäßig verbreitet war, 
mögen noch einige weitere Anführungen darthun 2, *** 

Sole Berzauberungen machen auch den Inhalt ſchwediſcher und 
dänischer Volkslieder aus (befonders bie von Ritter Tunne, Sv. Folkv. 
I, 32. 127, der felbft im Namen mit Tanhäufer anklingt; däniſch 
Zönne, Udv. d. Bil. 1, 281. 390 [vgl. oben ©. 384. R.]) und eben 
dahin gehört urſprünglich das Lied vom Tanhäufer. Davon bin ich 
Durch eine mir, nebit der Melodie, mitgetheilte Aufzeichnung des⸗ 
felben überzeugt worden, wie e3 noch vor Kurzem im Entlebuch, im 
Kanton Luzern, vom Volke gefungen worden. Hier fängt das Lied 
fo an: Wele gro8 wunder fchauen wil.3 *** (Der Lange-Tanz, darin 
fih Alle, die tanzen wollen, nach der Reihe anfaflen, kommt auch bei 
den Dithmarſchen vor, Viethens Beichreibung und Geſchichte des Lan⸗ 
des ©. 107. 4) 


1 (Bol. Schriften II, 281, Anm. 2. 9.) 

2 [ES folgt nun die Ausführung wie B. II, 232 fi. &.] 
3 (Bgl. Volfglieder I, 770. Schriften II, 234. 8] 

4 [Bgl. Schriften II, 398 f. 5.) 


601 


Gerade fo heben bie däniſch⸗ſchwediſchen Elfenlieder an; das von 
Oluf (Udo. d. Bil. I, 2379): 

Herr Oluf reitet aus fo weit, 

Bu laden feine Hochzeitlent, 

Da tanzen vier und da tanzen mehr, 

Eiflönigs Tochter die Hand firedt her. 

„Willlomm, Herr Dluf! laß fahren die Eil 

Und tritt mit mir in ben Zanz eine Weil’ IT" 
Der das vom Elfenhügel (ebenv. I, 2342): 

Ich legte mein Haupt auf die Elfenhöh', 

Meine Augen begannen zu finten, 

"Da kamen gegangen zwei Jungfraun vor, 

Die thäten mir lieblich winken. 

Die eine, die firich mir die weiße Wang’, 

Die andre flüftert’ in's Ohr mir: 

Steh auf, du ſchöner junger Knab, 

Wilt du erheben den Tanz hier! "%* 


Am Schluſſe des letztern Lieves heißt es: 
Hätr Gott nicht gemacht mein Glück fo gut, 
Daß der Hahn geichlagen die Flügel, 
Gewiſs wär’ ich geblieben dort 3 
Bei den Elfen im Eifenbügel u. |. w. *** 
Der Tanhäufer aber bleibt wirklich im Venusberge, der uns in 
diefer Zufammenftellung gänzlich als ein Elfenhügel erfcheint. 
Im Entlebucher Liebe heißt übrigens die Elfenkönigin nicht Venus, 
fondern Frau Frene!; ob durch bloße Entftelung oder im Nachklang 
eines deutſch⸗mythiſchen Namens, Tann ich nicht entfcheiben. Dieſes Lieb 


1 [Bgl. oben ©. 383. K.) 

2 [®gl. oben ©. 383. K.] 

3 Ebd. I, 236: Vist var jeg blevet i Elvehöj, Alt hos de Elvegvinder. 
Sv. III, 171: Sä hade jagh soffvit i berget den natt, Alt hoos dhe Elfve- 
qvinnor., 

. 4 Bgl. das Brena⸗Beutlinsloch, Schwabs ſchwäbiſche Alb S. 146. Der 
Feigenbaum des Entlebucher Liebes ift auch ein Elfenbaum, vgl. Einleitung zu 
den irifhen Mährchen ©. LXXVII, 3. Brenelis- Bärtli heißt einer der drei 
Gipfel des Glärniſch, ſchneelos. 

5 [Bgl. 3. Grimm, Deutfche Mythologie ©. 283. 1212. 9.) 





602 


ift aud, des ſtark verfümmerten Reimes unerachtet, durchaus leben- 
diger in der Darftellung, als die gebrudten Danhäuferslieder. Schon 
der Anfang, die Aufforderung, in ben grünen Wald binauszugeben, 
wenn man rechte Wunder fchauen wolle, tft viel poetiſcher, als jener: 
Nun wil ich aber [al. ichs frölich] heben an, 
Bom Danbeüfer zu fingen u. f. w. 

Sp mag fih und denn im fchmweizerifchen Vollsgefange noch ein 
Überreft des alten Tanhäufers, deſſen Aventin und der Tübinger Dia- 
logus gedenken, erhalten haben, während wir in ben Druden des 
16ten Jahrhunderts nur eine fpätere Überarbeitung vor uns haben 1. 

Wenn nun gleich die Sage vom Ritter Tanhäufer noch unzweifel⸗ 
haft im Zufammenhange mit dem Elfenmythus fteht, fo waltet doch 
darin fchon jene mittelalterliche Anficht, nach welcher die Elfen teuf: 
lifche, dem Chriftenmanne nach Leib und Seele gefährliche Weſen find. 
Doc ift der grünende Bannftab felbft ein poetifches Bild, zu dem fih im 
Schwure des Agamemnon bei feinem Herricherftab (Ilias I, 233 big 39) 
und im Steden Aarons (4 Moſ. 17; vgl. Wernhers Maria ©. 75 ff. 
bei Otter S. 41 bei Feifalik. K.) uralte Seitenftüde zeigen. 

Wie e8 aber gelommen, daß in den beutichen Hügeln ftatt ber 
einheimifchen Elfenweſen die römijche Göttin Venus ihren Hof aufge 
ſchlagen, läßt fidh ohne bejondre Schwierigkeit erflären. Yrau Venus 
gehört zu den wenigen mythologiſchen Namen, welche den Dichtern bes 
Mittelalters aus der Poefie der alten Welt zugelommen find. Den 
PMinnejängern ift fie eine allegorifche Berfonification, wie in der eigenen 
Sprade Frau Minne Vom 14ten Yahrhundert an nahm auch für 
die erzählende Poeſie die allegorifche Darftellung immer mehr überhand. 
Die Allegorie mujte der längſt untergegangenen mythiſchen Symbolik 
zu einigem Erjaße dienen. Dennoch jollten auch die neuaufgelommenen 
allegorifchen Figuren nicht ganz des heimiſchen Boden? und Colorits 
entbehren. Man fette fie mit Überreften alter, verbunfelter Sage in 
Berbindung und gab dieſer felbft damit neue Bedeutung. Diejes Ber: 
fahren wird beſonders anſchaulich in einem bandfchriftlichen Gedichte 
bes 13ten Jahrhunderts „der [Tugenden] Schatz“ (Heibelb. Hpf. 313, 
eine Sammlung allegorifcher Erzählungen von der Minne aus dem 


1 Ahnliche Erfahrungen mit den nordifchen Volkslicdern. 


603 


14ten und 15ten Jahrhundert). Ich gebe daher eine kurze Anzeige 
feines Inhalts !. *** 

Hermann von Sachſenheim, dem, wie ich aus mehreren Gründen 
glaube, bei feiner Mörtn dieſes ältere Gedicht zum Vorbilde gebient, 
bat die Bereinigung der verfchiebenen Elemente meit nicht fo glüdlich 
zu Stande gebracht. Bei ibm greifen altfagenhafte Perfonen, ber ge: 
treue Edart und der Tanhäufer, mehr in die Handlung ein, aber die 
Allegorie weiß fich ihrer nicht recht zu bemächtigen. 

Sowie nun die Frau Venus der Minnefänger allmählich aud in 
bie volksmäßigeren Liebesliever eintrat, jo waren allegorifhe Erzäh—⸗ 
lungen der angeführten Art wohl geeignet, dem Namen ber römischen 
Liebesgättin in die mythiſche Ballade Eingang zu verichaffen. 

Nom jelbft hatte feinen Venusberg?. Ein Schriftfteller der römi⸗ 
ichen Raiferzeit, Äthicus, fagt in feiner Cosmographie bei Beichreibung 
des Laufes der Tiber: 

Hic [Tiberis fluvius] iterum insulam facit inter portam [portum?] urbis 
et Ostiam civitatem, ubi populus romanus enm prefecto urbis, vel con- 
sule, castrorum celebrandorum canssa egreditur solennitate jucunda. 
Insula vero, quam facit intra urbis portum et Ostiam civitntem, tantæ 
viriditatise amenitatisgne est, ut neque eestivis mensibus, neque hiemalibus 
pasture admirabiles herb® deficiant: ita autem vernali tempore rosa, vel 
ceteris floribus adimpletur, ut pre nimietate rui odoris et floris insula 
ipsa Libanus alme Venerig nuncupetur. 

(Diefe Stelle fand ich angeführt in Wernsdorfs Procemium zum 
Pervigilium Veneris, welches er als einen für dieſe Feier beſtimmten 
Shorgefang® betrachtet, Poetee latini minores, curav. J. Ch. Werns- 
dorf. 8. DI. Altenburg 1782, ©. 431 f.) 

Hier alfo ein römifcher Venusberg, Libanus alme Veneris; der 
ſyriſche Libanon war der Göttin heilig, fie hatte auf demſelben einen 
berühmten Tempel und ver Name biefes Berges war nun auf die 
rojenblühende Tiberinfel, auf der (nad Wernsborfs Annahme) ihr 
Frühlingsfeft gefeiert wurde, übertragen worden. (Ebendaſ. ©. 435.) 


1 [Das weitere ift B. IL, 236 bis 239 gedruckt. 8.) 

2 Alterthumszeitung 1816. Nr. 20. ©. 78. Benusberg in Stalien. 

3 [Über diefes Gedicht vgl. Jahrbücher für wiffenfchaftlihe Kritil. Nr. 5. 
Auli 1832. Sp. 40.] 


604 


Ob zwiſchen diefen Venusbergen der alten Welt und denen unfrer 
Fabel irgend eine Beziehung anzunehmen ſei, ift freilich jehr zweifelhaft. 
Ebend. S. 432: Plane mihi persuasum habeo, Veneralia hoc loco 
describi, et ludos, qui ils diebus agebantur, castra vocatos esse u. |. w. 
Castra autem vocabantur hi Iudi, quod in nemore multis tabernaculis 
positis, vel casis ex fronde myrtea plexis, agebant, qui Veneralia cele- 
brabant. 
©. 435: Rem denique conficit ASthicus, quum insulam Ostie Libanum 
alme Veneris appellatam dicit. Hec enim appellatio quum indicet, eam 
insulam quasi dedicatam Veneri fuisse, eo magis etiam probat, ludos Veneri 
in ea celebratos esse, eosque forte ritibus e Syria Libanoque petitis, ubi 
Venus passim multa licentia colebatur, procedente tempore auctos esse. 
Equidem odorum tautum florumque caussa Zthicus ait insulam ti- 
berinam nomen Libani Veneris accepisse, tamen et cultam ibi Venerem 
esse eo ritu, quo in Libano solebat, ex eodem recte colligitur, Libanum 
Syrie sacrum Veneri, et perpetuo ejus cultu frequentatum fuisse, ut 
plures Nonni locos taceam, in primis testatur Orpheus, hymno 54 in Ven.: 
El 60 deu Basilua, nald ynyovda apodunp, 
Elrs nal svAıBavov Zuping Sdog auyınolsusg. 
Celebre templum Veneris in Libano memorant Luciauus, de Dea Syria, 
p. 753 Tomi Ill. edit, Basil., et Sozomenus Hist. eccles. lib. II, cap. 5. 
Unde Libanitidis nomen ei dat Lucianus, orat, adversus indoctum, Tom. 
i, p. 754. Colebatur autem Venus in Libano a feminis ejus sacerdotibus, 
ibi habitantibus, quotidiana festaque saltatione, quod Barthius, Advers. 
VII, 21, recte colligit e Musi de Hero et Leand. versu 48: 
Ovds yuyn rıg Zumuvev dvl arolissdı Kudnpov, 
Ov Aıßavov Hvoevroz dvl arapuyeddı Yopadar. 
Et cum Venerem perpetuis saltationibus gaudere dicat Orpheus, hymno 
quem diximus, hoc magis etiam choreas et saltationes Veneri in tiberina 
insula celebratas, eamque propterea Libanum Veneris appellatam arbitror. 


Für den Dichter Florus, der unter Habrian lebte, vermuthlich 
iventifch mit dem Hiftorifer, findet Wernsborf die meifte Wahrjcheinlich: 
feit, als Verfaſſer des Pervigilium Veneris fprecyend, ©. 450. 


2. Das wüthende Heer. 


Es gibt eine Sage!, daß man mit einem Steinwurf in gewiſſe 
Wafler den heiterften Himmel trüben und ein gewaltig Ungemwitter mit 


1 [2 Kön. 7,6 f. Yngl. 8. €. 10.) 


605 


. 
— — — — 


Sturmwind und Schloſſen erregen könne; ſo haben wir in einem noch 
jetzt gangbaren Worte den Wurf, den alten Odin zu wecken mit dem 
ganzen Sturmzuge der Walküren und Einherien. Wir haben früher 
im Norden dem Gotte nachgeſpürt von ſeinem unſcheinbaren Wandel 
im grauen Mantel und niedrigen Hute bis wo er im leuchtenden Gold⸗ 
helm dem Götterkampfe voranzieht; auch unter uns noch geht er umher, 
nur unkenntlicher und tiefer verhüllt. 

Es iſt ein ſprichwörtlicher Ausdruck, den wir beſonders von einem 
Trupp lärmender Knaben gebrauchen: „das Muotisheer.“ Auch hört 
man die Redensart: „fahren, wie das heilige Heer.“ Stalder, Schwei⸗ 
zeriſches Idiotikon II, 227 hat das Wort „Mutti⸗Seer für Lärm, Rumor. 
(Schſ.)“, unrichtig abgeſetzt. Näher rückt der Sache Schmid in ſeinem 
ſchwäbiſchen Idiotikon [S. 391. 8.]: 

S muotes Heer, ein wildes, Schrecken erregendes Geheul und Getöſe in 
der Luft bei Nacht, vermuthlich das Geſchrei wilden Gevögels, SW. u. a. O. 
fonft das wüthende Heer, der wilde Jäger genannt u. ſ. w. 

Handichriftliche Pfarrbefchreibung der Parochie Pfullingen von Dia: 
conus Meyer, 1828, wo, wie billig, auch die örtlihen Sagen auf 
genommen find: 

Die Heergaffe (von der alten Landftraße, die hier hindurch 309, fo ge 
nannt). Eine Sage leitet indes ihren Namen ber von dem Mutes⸗ (Wutes-, 
Wudes⸗, Wudand-, Wodans-, dem fogenannten wilden:) Heere, das oft und 
noch ungefähr vor 100 Jahren durch fie herab gezogen fein fol. Das Tofen 
und Toben war damals fo entjeßlih, daß Alles in den Häufern zitterte und 
bebte, und wer fi) auf der Straße treffen ließ, der wurde von dem böfen Feinde 
mit fortgeriffen. (In den andern Straßen wurde nicht$ davon verſpürt 1.) 

Unſre ſchwäbiſche Mundart hat in diefem, ohnehin der Bedeutung 
nach nicht mehr verftandenen Worte das W mit dem M vertaufcht, 
Mutes⸗ ftatt Wutes:Heer, wie mir ftatt wir, mo ftatt wo ꝛc. 

Wir finden uns aljo zunädft auf das fogenannte wüthenve Heer 
hingewieſen, das neuerlich im Freifchüg über die Bühne zieht. Die 
vielen Volksſagen bievon find gefammelt in: Deutiche Sagen, berauzg. 


1 [Auf dem Schwarzwald jagt man das Wuotesheerr. Mit dem Wuote, als 
einem Dämon, fehredt man die Kinder. Frau Holle fährt mit dem Wuotesheer, 
fie wird ungefähr als die Mutter des Wuote betrachte. Mündlich. Bol. 
Thomaf., de vagant. scholast. $ 64.] 


606 


— ——— — — 


von den Br. Grimm. Tb. I. Berlin 1816. Bon ältern Schriften, 
die im wüthenden Heere Teufel und Teufelsſpuk fehen, bemerke ich 
Hilfherd Diss. de exereitu furioso, wovon mir jedoch nur eine Über 
ſetzung zugänglid war: Hilfehers Euridfe Gedanfen vom wütenden 
Heere. Dresden und Leipzig 1702. Francisci, Hölliſcher Proteus. 
Nümberg 1708. LVII. ©. 529 bis 46: Das wütende Heer. Sch gebe 
bier die, foviel mir befannt, ältefte Beichreibung besfelben in Joh. 
Agricolad deutfchen Sprichwörtern, 1534: 

Es ift gewiffe fage, daB zu Eißleben und im ganken land zu Mansfeld 
das wiithende Heer (aljo haben fie es genennet) fürliber gezogen ſei, alle jar 
auff den Faßnacht⸗Dornstag, und die leut feind zugelauffen, und haben darauff 
gewartet, nicht anderft, als folt ein großer mächtiger Keyfer oder König fürliber 
ziehen. Bor dem bauffen ift ein alter man bergangen, mit einem weißen flab, 
der bat fich felb8 den trewen Eckhart geheiffen; diſer alt man hat die leut heißen 
auß dem weg weichen, hat auch etliche leut heißen gar heim gehen, fie würden 
jonft Schaden nemen. Nach difem man haben etliche geritten, etliche gangen, und 
feind leut gejehen worden, die newlich an den orten geftorben waren, auch der 
eins theil® noch lebten. Einer bat geritten auff einen pferdt, mit zweyen füfſen, 
der ander ift auff einem rad gebunden gelegen, und das rad ift von im ſelbs 
umbgelauffen. Der dritt hat einn jchendel über die achjel genoinmen, und bat 
gleich ſehr gelauffen. Ein ander hat keinen kopff gehabt, unnd der ftud ohn maffen. 

Ferner Cruſius in feiner ſchwäbiſchen Chronik zum Jahr 1544 !: 

Quidam alii fuerunt, scholastici rudes, perditzeque spei, qui in humeris 
parvum reticulum flavum gestabant, tanquam cappam. Hi se appellabant 
volaticos vel erraticos scholasticoe. Fingebant apud rusticos et homines 
simplices, se in monte Veneris fuisse, mira vidisse, scire, que essent, 
quæ fuissent, que ventura essent u. |. w. se potestatem habere in Furias 
vel exercitum furiosum, in quo essent omnes infantes non baptizati, 
omnes in pugnis c&si, Omnes ecstatici, in quorum corpora animæ, que 
evolassent, non rediiseent u. |. w. (gl. I, 15.) 

In Kirchhofs Wendunmuth (einer Sammlung „höflicher, züchtiger 
und luftiger Hiftorien, Schimpfreven und Gleichnüſſen“, Frankfurt 
1563) wird von einem edlen Staubenhünlein, der Rechenberger genannt, 
verichiebenes Gejpenfterhaftes erzählt, namentlich, wie er einmal Nachts 
mit feinem Knechte auf den Yang gelauert. 

Bl. 756 f.: „Die Naht vergieng u. ſ. w.“ ** 


ı II, 653. [Schriften U, 233. $.] 


607 . 

Den ausgehobenen Stellen 1 aus dem 16ten Jahrhundert zufolge 
zeiten im wüthenden Heere tobte Männer, befonbers foldhe, die in der 
Schlacht oder fonft gewaltfam umgefommen find. Bei Agricola: „und 
find leut gefehen worden, die newlich an den orten geftorben;“ bei 
Cruſius: „omnes in pugnis cœsi;“ bei Kirchhof ift dem Nechenberger 
für das nächſte Jahr, wo er erftochen werden foll, fchon das ledige 
Roſs vorbehalten. Diefes nächtliche Reiten ver Todten geftattet nun 
aud ähnliche, ältere Berichte hieher zu ziehen, wenn gleich babei bes 
wüthenden Heeres nicht ausdrücklich erwähnt ift. 

Das Chronicon Urspergense erzählt zum Jahr 1117: 

Emicho comes a militibus Frideriei ducis oceiditur; 

Und zum Jahr 1123: 

In pago wormaciensi videbatur per aliquot dies non modica et 
armata multitudo equitum euntium et redeuntium et quasi ad placitum 
colloquium nunc hic nunc illic turbas facere, circa nonam vero horam 
cuidam monti, quo et exiisse videbantur, se reddere. Tandem quidam de 
incolis regionis illius non sine magno timore hujusmodi tam prodigiose 
concioni crucis signaculo munitus appropinguat. Mox quandam ex illis 
oecurentem sibi persovam per nomen omnipotentis domini nostri mani- 
festare causam populi, qui sic apparuerit, adjurat. Cui ille inter cetera, 
„non sumus,“ inquit, „ut putatis, fantasmata, nec militum, ut vobis 
cernimur, turba, sed anim& militum interfectorum; arma vero et habitus 
atque equi, quia nobis prius fuerant instruments peccandi, nunc nobis 
sunt materia tormenti et vere totum ignitum est, quod in nobis cernitis, 
quamvis id vos corporelibus oculis discernere non possitis.“ In hujus 
modi comitatu dicitur etiam Emicho comes ante paucos annos Occisus 
apparuisse et ab hac pona orationibus et elemosyuis se posse redimi 
docuisse.* (Maßmanns B. Sagen 1,5 f. Hilſcher 27 f.) 

Die Sache hat bier einen mönchiſchen Anftrich erhalten, die ges 
fpenftifche Schaar ift aber augenfcheinlih das Nemliche, was Kirchhof 
„das mütende heer auß der hellen” nennt. 

Auch der alte Sagenheld, Dietrich von Bern, erjcheint wieder auf 
folhe Weile. Die Annalen des Möndyes Gotfrid von Köln bejagen 
zum Jahr 1197 (Freherus, Germanicarum rerum Seriptores I, 262): 


1 (Stahl, Weſtphäliſche Sagen 62: Wittii Historia Westphalie ©. 613 
bis 616. Motherwell 80 aus Matthäus Paris.) 


608 


— — — 





Eodem etism anno quibusdam juxta Mosellam ambulantibus apparuit 
phantasma mire magnitudinis in humana forma, equo nigro insidens. 
Quibus timore perculsis, id, quod videbatur, ad eosdem audacter acce- 
dens, ne pertimescant hortatur, Theodoricum quondam regem Veronz se 
nominat, et diversas calamitates et miserias superventuras romano imperio 
denuntiat. Hæc et alia plura cum eisdem contulit, et ab eis recedens, 
equo quo sedebat Mosellam transivit, et ab vculis eorum evanuit. (Bgl. 
W. Grimm, Heldenfage ©. 49.) 


(E3 folgte unmittelbar darauf der Tod Heinrichs VI und die 
Kämpfe der ©egenlaifer, jene Zerrüttung, in der Walther von der Vogel: 
weide die Vorboten des Weltgerichtö zu erfennen fcheint.) 

Die Erfcheinung Dietrichs von Bern auf dem ſchwarzen Roſſe 
kann zwar mit den Erzählungen von feinem Verſchwinden in Verbin: 
dung gefeßt werden, ift aber bier in jene Borftellungen vom Umreiten 
der Todten eingetreten. 

Das müthende Heer wird auch die wilde Jagd! genannt, denn es 
läßt fih auch tie Jagdgefchrei und Hundegebell nächtlich vernehmen. 
Der Führer desfelben aber, der wilde Jäger, führt örtlich verfchiedene 
Namen: Hadelberg, Robenftein, Davensberg u. |. m. Auch ein weib⸗ 
liches Weſen, Frau Holle, zieht voran ?, 

Sn G. Schwabs „die Nedarfeite der ſchwäbiſchen Alb“, Stuttgart 
1823, findet fih als bter Anbang ©. 312 ff. die Belchreibung 
einer ber beveutendern Höhlen unſeres Landes, eine BViertelftunde von 
Onftmettingen, Balinger Oberamts, die unter dem unfcheinbaren 
Namen Linkenboldslöchle in der Umgegend befannt ift. Davon geht 
die Vollsfage, „daß das muthige Heer (der Teufel) in biefer Höhle 
baufe” und daß man fich beim Beſuch der Höhle „nor dem Linken 
bold gehörig ſchützen müſſe.“ Der Verfaſſer der Beichreibung bemerkt 
hiebei: 

Der Linkenbold kommt auch im Schwarzwald und im Harzgebirge (hier 
unter dem Namen Leinbold) als Anführer des Mutbesheeres vor. 


1 „Die wilde Fart, der wilde Jäger, Heren, Geſpenſter.“ Schmeller L, 
566. Schweizeriſch Türſt (wilder Jäger)“ u. ſ. w. Ebendafelbft I, 458. Stal- 
der I, 329. 

2 Bol. Sammlung fir altdeutſche Litteratur und Kunft Heft I, S. 43 ff. 
Narrenbuch S. 394 f. 


609 


Der berühmtefte unter biefen gejpenftiichen Heeresführern, der noch 
von Zeit zu Zeit in den Zeitungen ſpukt, ift der fchon genannte Ritter 
vom Rodenftein. 

Sm Odenwalde, feitwärts ber Bergftraße, 5 Stunden von Darm: 
ftadt, Liegen, mit Epheu und wilden Roſen umwachſen, die Mauern 
der verfallenen Burg Rodenſtein. Sieben Biertelftunden davon fieht 
man die wenigen Überrefte des alten Schloffes Schnellerts. Bon bier 
zieht der Nodenfteiner, wenn ein Krieg bevorfteht, bei grauender Nacht 
aus, mit Roſs und Wagen, mit Heer und Hunden, in Iuftigem Getös 
und ‘Jagen, hörbar, aber nicht fichtbar, bis nad dem Rodenfteine. 
Man hört ihn durch eine beftimmte Hofraite und Scheune des Dorfes 
Oberfainsbach feinen Zug nehmen. Wenn e3 fih zum Frieden anläßt, 
kehrt er in gleichem Zuge, doch ruhiger und ftiller, zur Burg Schnellerts 
zurüd. Che Napoleon im Frühjahr 1815 landete, hatte ſich die Sage 
verbreitet, der Rodenſteiner fei wieder in die Kriegäburg gezogen. (Grimm, 
deutfche Sagen I, 244 ff.) Noch in diefem Jahre hat fih die Eage 
wieder gerührt. Das Frankfurter deutfche Journal enthielt Folgendes: 
Aus dem Odenwalde, im Merz 1832. Der Glaube u. f. w. (Schmä- 
bifcher Merkur 7 April 1832.) *** 

Es ift über diefe Sage eine beſondre Schrift erfchienen: Der Burg: 
geift auf Robenftein oder ber Landgeilt im Odenwalde. Eine alte 
Volksſage. Yrankfurt am Main 18161. 

Der Berfafler, der fich in der Vorrede dem Gefpenfterglauben im 
Allgemeinen geneigt erklärt und die Geiftergejchichte im Odenwalde wenig⸗ 
ſtens einer ernften Unterfuhung werth erachtet (S. 43), wilb zmar das 
wüthende Heer ober ben wilden Jäger nicht mit jenem Landgeiſte ver: 
wechſelt willen (S. 37. 39), allein er wird dem größern Sagenzuge 
nicht wiberftreben können. Seine Schrift enthält die protokollariſchen 
Aufnahmen, welche bei dem gräflich erbachifchen Amte Reicheleheim in 
den Jahren 1743 bis 1764 über ſolche Auszüge ftatigefunden. Darin 
fommt aller Heer- und Jagdlärm (S. 24) dur die Lüfte ziehend, 
gerade jo vor, wie in den Sagen vom mwüthenden Heer und ber wilden 
Jagd. Befonders ift, megen des Nachfolgenden, eine Angabe des Leonh. 
Hübner von Brensbach vom 20 Dec. 1758 auszuheben (S. 20): 

1 Bol. auch: Das wilde Heer im Odenwalde, oder der Burggeift auf 
Rodenſtein. Romantiſche Boltsmährchen der Pfälzer; von Poſer. Mannheim 1822. 

Ubland, Schriften. VI. 39 


610 
Borzeiten folle fi) diefer Geift auch in Grumbach (eine Stunde von 
Schnellert) vor einem Haus, worin ehedeflen ein Schmied gewohnt, gemelbet 
haben und gemeiniglich allda die Pferde beichlagen laſſen. 


In der Abhandlung „über die Elfen”, melde bie Brüber Grimm 
den von ihnen überfegten Iriſchen Elfenmährchen, Leipzig 1826, vor: 
geiegt haben, S. LXXXIV, wird das mwüthende Heer, die wittbenden 
Jäger (?), für den Umzug der Elfen um Weihnachten, wenn die Sonne 
am tiefiten gefunfen ift, angenommen. Dabei wird bemerkt, der Aus 
drud felbft („das wüthende Heer”) fei alt, denn der Dichter Reinfrieds 
von Braunschweig (BI. 4 5) fage: „er raufchet wie das wüthende Heer,“ 
und in einer Erzählung Ruodigers (Königsb. Hbf.) ſchwöre Einer „bei 
dem müthenden Heer.” 

Allerdings ift in dem Elfenweien, in der Maſſe ver die Natur 
erfüllenden untergeorbneten Geifter, Manches aufgegangen, was vorher 
in befondrer mythiſcher Geftaltung beftanven hatte. Aber wo fich ein 
Solches noch ausfcheiden läßt, wo die Geftalt der größern Götter noch 
durchicheint, da dürfen wir nicht bei jener allgemeinern und niebrigern 
Geifterwelt fteben bleiben. Wenn mir die Elfen in der borbergegangenen 
Sage, vom Benueberg, in ihr Recht einzufeßen verfucht haben, fo gilt 
es bier, einem höheren Weſen basfelbe zu thun. %. Grimm hat felbft 
(Götting. gel. Anz. 1828, St. 56 1) bemerflich gemacht, daß der fcan- 
dinavifche Odin bei den Sachſen unter dem Namen Woden, bei Hodk 
deutfchen unter dem von Wuotan verehrt worden. Wie nun in dem 
Gedichte „Reinfried von Braunfchweig” die vorermähnte Stelle buch⸗ 
ftäblich IYaute, ift mir unbefannt. Aber in der Erzählung Ruodegers 
gejchieht der Schwur, jo wie die Stelle in H. von der Hagen Grundriß 
©. 344 fteht: bi Wutungis ber; aljo nicht beim wüthenden Heer, 
fondern beim Heere Wutungs, eines perfönlichen Weſens. Ferner in 
dem Liebe von Heinrich dem Löwen (biefer fol auch unter Reinfrieb von 
Braunſchweig gemeint fein ?), welches aus einer Handichrift ber öffent- 
lichen Bibliothel zu Stuttgart, von 1474, in Maßmanns Denimälern 
deutfcher Sprache und Litteratur, Heft I, Münden 1828, Str. 66, 
©. 132 beginnt: 

1 Grammatit I, 315. 40. 57 bis 59. 290. II, 156. 171. Bgl. Mone 


ll, vı. 
2 [Bgl. oben ©. 586. K.) 


611 
Bon Brlinecwid der fürft und herre 
Bolt fi aber fürbaß gan 
Da qwam er under daz woden ber 
Dae bie böffen geifte ir wonüg han u. f. w. 

Wir haben aljo für das wüthende Heer, wie man es jeht zu 
fchreiben pflegt, für das Muotes: oder Wuotes: Heer der Volksſprache 
in diefen Altern deutſchen Gedichten ein Wutungs⸗- und Woben: Heer, 
offenbar das Heer Wuotans, Wodens, Odins. Dafür bat e8, außer 
Andern, auch fchon Hilfeher in der angeführten Schrift genommen. 
Folgen wir diefem Zuge weiter nad dem Norven, fo treffen wir noch 
auf deutſchem Boden, in Medlenburg, das rechte Wort. Unter den 
dortigen Bauern fand man noch in der Mitte des lebtverfloffenen Jahr: 
hunderts viele Sagen von Wodes Jagd, womit fie um Weihnachten 
die Kinder fchredten. Sie pflegten auch ehedeſſen einen Beinen Theil 
des Getreidefeldes ungefchnitten zu lafien, tanzten darum und fangen: 
„ode, Wode, hohl dienen Rofie nu Voder!“ (Frank, Alt und neues 
Medlenburg, 1753. ©. 571) Weiterhin in Dänemark erfcheint die 
wilde Jagd unter den Namen König Waldemar, König Abels, bes 
Brudermörders, Palnatoles oder des Palnajägers. Auch bier zieht der 
wilde Jäger näctlich, wie Rodenftein, von einer Stätte zur andern, 
durch beftimmte Bauerhöfe und über deren Dächer hin. (Thiele, Danſke 
Folkeſagn. D. I. Kiöbenhaun 1819. ©. 89 bis 97. II, 63.) Auch bier 
wird Folgendes erzählt: 

Der Palnajäger holt jede Neujahrenacht drei Hufeifen auf der einen oder 
der andern Schmiebwerkftätte der Inſel Fyen und die Schmiede vergeffen nicht, 
diefelben fertig für ihn auf dem Amboß liegen zu laffen, denn er legt jedesmal 
drei Hufbeichläge von Gold an die Stelle der eifernen. Kommt er aber und 
findet die Hufeifen nicht vor, jo verjet er den Anıboß anderswohin, wie er 
einft dem Schmiede zu Korup feinen großen Amboß auf einen Kirchthurm ſetzte. 
(Thiele IV. 1823. ©. 24 f.) 

Seten wir über den Sund, fo erzählt Geijer (Svea Rikes Häfder 
Tb. I, Upfala 1825, ©. 268): 

In Schonen wird noch ein Getös in der Luft, das man zumeilen an 
November⸗ und Decemberabenden hört, Odins Jagd genammt, nad Nilsfon, 
Scandinavifhe Fauna II, 106, welcher diefes Geräufch von irgend einer gegen 
Süden ziehenden Seevögelart berleitet. 


1 [%. Grimm, Deutſche Mythologie, zweite Ausgabe I, ©. 140 bis 143. 9.] 





612 


— — — — 


Derſelbe führt (ebendaſ. aus Loccenius, Ant. Sveogoth. C. 3 an, 
man ſage bei einem nächtlichen, unbekannten Lärm, wie von Roſſen 
und Wagen, Oden fahre vorbei. 

Schon Weſtphalen, Monumenta inedita rerum germanicarum, 
prescipue eimbricarum 1 et megapolensium bemerkt B. 1 (Leipzig 
1739), Pref. ©. 58: 

Inde paromia apud Germanos et Suecos? nata, nec hodie deleta: bie 
Wode ziehet, Oden kommt vorbey. 

Derfelbe B. IV (Leipzig 1745), Preefat. ©. 210 f.: 

Cultum et memoriam nominis ejus [Othini] ex plurimis conjectionibus 
produnt dies quartus Wodanstag u. f. w. strepitus Wodani, qui a Ger- 
manis dieitur Wütensheer, exercitus Wodani, de cnjus equis (Odensleestar) 
rustici hodieque mira fingunt teste Arrhenio de Templo Upsala p. 9. 

Aus Nortvegen endlich meldet eine Königs-Saga, die in die Mitte 
des 13ten Jahrhunderts gefegt wird, kurz vor dem Friedensſchluſſe 
zwischen Philipp und Inge (im Jahr 1208) habe ſich Odin in Geftalt 
eines Reiters einem Schmiete gezeigt und Hufbeichläge für fein Pferd 
verlangt, auch dabei erzählt, daß ey jebt das Land (Norivegen) ver: 
laſſen wolle, um fih nach Schweden zu begeben (mo damals blutige 
Bürgerkriege ausgebrochen waren). Der Sagafchreiber fügt binzu 
(Müllerd Sagaenbibl. III, 427 f.): 

Der Schmied hat diefes benjelben Winter dem Könige Philipp erzählt, 
und Einer, der es mit anhörte, hat es uns wiedererzählt. 

Greifen wir nun zu den Liedern ber Edda zurüd, fo heißt es in 
dem mythiſchen Geſange Völufpa, bie Weisfagung der Wöle, Str. 24: 

Sie [die Wöle] ſah Walküren fernher fommen, verordnet zum Folke der 
Götter zu reiten; Skuld trägt den Schild, Skögul die audre, Gunnr, Hifhr, 
Göndul und Geir-Stögul. Nun find Herjang Odins] Mädchen aufgezählt, die 
Walküren, verordnet zu reiten liber die Erbe. (Edd. I, 42 f.) 

Diefes Reiten der Walfüren ift das erfte Vorzeichen von Balders 
nahendem Tod und von dem lebten großen Götterfampfe. 

Im zweiten Lieve von Helgi, dem Wölfungen, fpricht die Magd 


1 Cimbriſch heißt ihm: Holftein, Schleswig, Jütland. 
2 Heimskringla, Yngl. S. 6. 10: Auch glaubten die Schweden, daß er 
[Odin] fi) zeige, wenn große Kriege bevorftehen. 


613 


Sigruns, als fie am Abend zum Grabhügel des Helden gegangen und 
nun Helgi mit vielen Männern baherreitet: 

„IR das Blendwerk nur, was mir zu ſehen dünkt, oder ift e8 Götter⸗ 
dämmerung? Reiten todte Männer, wo ihr eure Hoffe mit Sporen treibt? 
oder ift den Helden Heimfahrt erlaubt?“ Helgi antwortet: „Nicht ift Blend- 
wer! nur, was bir zu ſehen bünft, noch ift Weltende, obgleich du uns fchaueft 
und wir unjre Roſſe mit Sporen treiben, noch ift den Helden Heimfahrt er- 
laubt.“ (Grimm I, S. 113 ff. Edda II, 307 fi. [Simrod ©. 175. &.]) 

Alſo das nächtliche Reiten der Todten, die aus den Sälen Odins 
kommen und Morgens zurüdlehrend ihre bleihen Roſſe den gerötheten 
Luftſteig treten lafjen, wird auch hier als ein Zeichen des Weltendes, 
des großen Götterkampfes angeſehen. Es find Einherien, die bei Odin 
in Walhall wohnen, aus deſſen Thoren fie sinft zum letzten Streit 
ausfahren (Edda I, 174). Voran reitet dann Dbin, mit Golbhelm, 
Harnifd und Speer (jüngere Edda 228). 

Und nun reiben fih an folden Zug auch jene reitenden Tobten 
der deutſchen Sagen an, Emicho, der mit der gewappneten Schaar aus 
‚dem Berge und dahin zurüd reitet, mie Helgi zum Grabhügel, u. A. m. 
Selbit das einjtige Hervorgehn der deutſchen Kaijer zum letzten Kampfe 
kommt biebei in Erinnerung, und der verhbängnisvolle Baum mit dem 
dürren Aſte, an ben fie ihren Schild aufhängen, mahnt an die Welt: 
eiche Yggdraſill, darunter der Aſen Dingftätte, an welcher täglich große 
Mühfal zehrt und die im lebten Sturme zittert, doch ftehen bleibt. 
Jene Kaiferfagen freilich tragen längſt dag Gepräge chriſtlicher Vor⸗ 
jtellungen. 

Bemerkenswerth iſt, daß im normännifchen Franfreih und Eng⸗ 
land das wilde Heer milites Herlikini, familia Helliquinii hieß, wie 
es noch jet franzöfifh chasse Hellequin, chasse Hennequin, ges 
nannt wird, vielleicht aus alten Erinnerungen von der norbilchen Hei: 
math an die Sage von des todten Helgi nächtlichen Ausritt 1. 

So haben wir, in Sprache und Vorſtellung, von dem unverftan: 
denen Wortgebrauch durch die noch lebende Volksſage bis zum Zufammen: 
bang und der Bedeutung in der obinischen Glaubenslehre, von unſrer 
nächften Umgebung, der fehwäbifchen Alb und dem Schwarzwalde, 


1 Chasse Hennequin, Tristan le Voyageur II, 350 f. Roquefort, 
Glossaire I, 746 s. v. Hellequin. Minstrelsy, 5 ed. 11, 127 bis 130. 


614 


durch den Odenwald und das nördliche Deutichland, über die däniſchen 
Inſeln nad Schweden und Norwegen die Epuren bed Wuotansheeres 
nachweifen fönnen; beim Schmiebe zu Grumbad im Dbenwalbe, bei 
dem auf der Inſel Fyen und zulegt bei dem nortwegifchen, bat ber 
friegbringende Odin fein Roſs Sleipner befchlagen laſſen, in Medien: 
burg aber ließ man diefem fein Futter auf dem Felde ftehen. Was 
das nächtliche Geräufch jei, bei dem man an jenen Heereöjug, jene 
wilde Jagd gedacht, ob nächtlihe Stürme, ob Zugvögel, ob die foge 
nannten Stimmen aus der Höhe u. f. w., laſſen wir unentichieden; bie 
Natur hat mande braufende Stimme, die in der dunkeln Nacht wunder: 
barer und fchredhafter vernommen wird. Aber noch jett, wenn nächtlidy 
der Wald raufcht und zerriffenes Gewölk vorüberjagt, hören wir. uner: 
kannt, jenen gewaltigen Geift über uns hinfahren, der einft germanifche 
Völker wie Meeresmogen aufgewühlt und umgetrieben hat. 


8. Die Shildbürger (Die Shmwabenftreide!,) 


Das Fomifche Element der Sagenpoefie haben wir bisher nur ins 
fomeit berührt, als dasſelbe ſich Eagenbildungen von erniter Richtung 
beigemifcht hatte Schon in die norbifche Götterfage fanden wir es 
aufgenommen, namentlich in die Abenteuer Thors und Aſalokis im 
Riefenlande. Die deutſche Helvenfage hat uns Charaktere vorgeführt, 
welche, wenigſtens im Verlaufe der Zeit, humoriftifhes Gepräg er: 
halten hatten, den Mönch Ilſan, den alten Meifter Hildebrand. Auch 
unter den Kaiferfagen fand fich Einiges diefer Art. Manche von ben 
jcherzbaften Erzählungen ber Dichter des 13ten und 14ten Jahrhunderts 
mögen auch aus einheimifcher Volksſage hervorgegangen fein, während 
ein größerer Theil aus altfranzöfiihen Mähren entlehnt if. Wenn in 


1 Boners Edelftein, S. 220, 8. 55 f. Gouchsperk. Freidank, der im 
Jahr 1229 fein gnomologiſches Wert beendigte: Wifiu wort unt tumbiu ıverc, 
din habent die von Gouchesbere. [W. Grimm in (8.)] Göttingifche gelehrte 
Anzeigen 76ſtes St., 12 Mai 1832, S. 760, in der Anzeige von: Le Pantcha- 
Tantra, ou les cing ruses, fables du Brahme Vichnou- Sarma; aventnres 
de Paramarta et autres contes, le tout traduit pour la premiere fois sur 
les originaux indiens; par M. abbé J. A. Dubois. 415 Seiten in 8. Paris, 
"53. ©. Melin, 1826: „Die Abenteuer des Paramarta find indiſche Schwaben- 
ftreihe.” Buchan I, 260, 3 f. Stahl, Weftphäliihe Sagen 34 ff.: der Hid. 
Th. Wright, Early Mysteries S. 93 bis 106. 


615 


den Heldengebichten der Mönch Ilſan nur eine Nebenrolle fpielt, fo _ 


traten weiterhin geiftliche Perfonen als die Helden befonbrer Schwank⸗ 
bücher auf. Ein ſolches war fchon im 13ten Jahrhundert das Gedicht 
vom Pfaffen Amis, von dem, obwohl aus fremder Duelle, Mehreres 
berichtet wird, mas nachher von Eulenspiegel erzählt wurde. (Gebrudt 
in: Coloczaer Cober altveutfcher Gedichte, herausgegeben von Mailath 
und Köffinger, Peſth 1817, und neuerlih in Benekes Beiträgen zur 
Kenntnis der altveutichen Sprache und Litteratur, 2te Hälfte, Göt- 
tingen 1832.) Geſchichtliche Perfonen geiſtlichen Standes, welche zu 
tomifchen Sagenhelden erhoben wurden, find der Pfarrherr von Kalen⸗ 
berg aus dem 14ten und Peter Leu, von Schwäbiſch Hall, Helfer bes 
Priefters zu Weſtheim, aus bem 15ten Jahrhundert (beive Schwanf: 
bücher in H. von der Hagen Narrenbuch, Halle 1811). Aber auch aus 
ber Mitte des Volkes felbft erftanden Iuftige Perfonen. Der Bauer 
Morolf (Marcolph) zwar, der feinen ungefchlachten Wit gegen die hobe 
Weisheit des Königs Salomon in Wettgefpräcen mißt, ftammt ur: 
ſprünglich aus dem Drient her und war den europäifchen Völkern bes 
Mittelalters gemeinfam. (Das deutſche Gebicht, mahrfcheinlich des 14ten 
Jahrhunderts, iſt gebrudt in H. von der Hagen und Büſchings Deutichen 
Gedichten des Mittelalters, B. 1. Berlin 1808. Als profaifches Volks⸗ 
buch war Marcolph im 16ten Jahrhundert in Umlauf gebracht; Görres 
Volksbücher 188 ff.) Deutfches Gewächs dagegen find Eulenfpiegel und 
Klaus Narr, Erfterer iſt durch das noch gangbare Vollsbuch, das feine 
Streiche erzählt, hinreichend belannt 1. Klaus Narr ift eine geſchicht⸗ 
lihe Perſon? im legten Biertel des 1dten und ber erften Hälfte des 
16ten Jahrhunderts. 

Wir belaſſen es bei einer ſummariſchen Anzeige dieſer einzelnen 
poſſenhaften Charaktere und handeln zum Schluß unſrer deutſchen Sagen⸗ 
geſchichte noch etwas ausführlicher von denjenigen Volksſagen, welche 
darauf abzielten, der ergetzlichen Thorheit irgendwo auf deutſchem Boden 
ihren beſondern Sitz, ihr eigenes Reich zu begründen. Den Vorzug, 
hiefür erleſen zu fein, ſchoben ſich die verſchiedenen deutſchen Stämme 
wechſelſeitig zu und zurück und jeder ſuchte denſelben wenigſtens einem 


1 [Schriften II, 561. K.) 
2 [Schriften II, 562. &.] . 


— EEE 


616 


einzelnen Orte feines Gebietes zuzuweiſen. Beſonders wohl bedacht 
aber war bei diefem Wettftreite unfer auch hierin gejegnetes Schwaben: 
land, fo daß man fich über die ganze Art der hier in Betracht kommen⸗ 
den Schwänle am leichteften durch das eine Wort „Schwabenftreiche” 
verftändlich macht. 

Die ältefte Spur von ſolchen mag Dasjenige fein, was wir bei 
den Sagen der Heruler von der Flucht dieſes von den Langobarden 
auf? Haupt gefchlagenen Bolles erzählen hörten. Paulus Diaconus 
(de gestis Langobardorum,, 8te8 Jahrhundert, B. I, €. 20 1) berichtet 
davon Yolgendes: 

Über die Schaaren der Hernler aber, wie fie, da und dorthin zerftrent, 
entflohen, kam folher Born des Himmels, daß fie die blühenden Flachafelder 
(viridantia camporum lina cernentes) fir ſchwimmbare Waſſer aufaben und, 
indem fie die Arme zum Schwimmen augbreiteten, non den Schwertern der 
Feinde graufam erjchlagen wurden. 

Mag die Abficht diefer herulifch-Iangobarbifchen Sage zunächſt auch 
nur die geweſen fein, die große, zur völligen Berblendung geivorvene 
Beitürgung ? der fliehenden Heruler auszubrüden, fo finden wir doc 
das Gleiche, lange nachher, von den fieben Schwaben und den Edhilb- 
bürgern als einen ihrer Thorenftreiche erzählt. (Vgl Narrenbuh 493. 
Bollsbüchlein 128 f. 1713.) 

Im 10ten Sahrhundert erfcheinen bereit bie Schwaben, wie fie 
überall den Vorſtreit hatten, an ver Spitze lächerlicher Geſchichten. 
jedoch in der Art, daß fie felbft die Schälfe find. In Eberts Über- 
lieferungen zur Geſchichte, Litteratur und Kunft der Bor: und Mitwelt, 
2.1, St. 1, Dresden 1826, find aus einer im 10ten Jahrhundert 
geichriebenen Pergamenthandfchrift der Wolfenbüttler Bibliothek mehrere 
Iateinifche Gedichte mit übergefchriebenen meiſt deutichen Benennungen 
der Tonweiſen befannt gemadt, welche, wie neuerlihd Lachmann 


1 Auch in Aimoins Ercerpten aus Baulus, 8, DI, C. 13. Deutfhe Sagen 
I, 88. [Bgl. Schriften I, 460 f. W. Wadernagel in Haupts Zeitjchrift für 
deutjches Alterihum 6, 258. 8.) 

2 Bgl. Grimms Geſchichte der deutfchen Eprade ©. 459. 

3 9. Sad, Kemptener Ausgabe I, 947a: hänfen weyLer — Galgen? 

4 [Meuer Abdrud in Mülenhoffs und Echerers Denkmälern beutider 
Boefie und Profa ©. 28. 311. 8.] 


617 


gezeigt hat, derjenigen freieren Versart angehötten, die man in ber alt: 
deutſchen Dichtlunft mit dem Namen ber Leiche bezeichnete. Unter jenen 
lateiniſchen Stüden befinden fich zwei von geringem Umfang, melde 
hieher einichlagen. Das eine, mit der Überfchrift: Modus Florum, 
bebt an (©. 79): 

Mendosam quam cantilenam ago 

puerulis commendatam dabo, 

qno modulos per mendaces risum 

auditoribus ingentem ferant. 

Der Anhalt aber ift diefer: 

Ein König hatte eine ſchöne Tochter, deren Freiern er die Bedingung vor- 
legte, es ſolle fie Derjenige heimführen, welcher fo lügen könne, daß der König 
mit eigenem Munde ihn als Lügner anerfennen müſſe. Alsbald bob der 
Schwabe an: „Ich war allein auf die Jagd gegangen und hatte einen Hafen 
erlegt. Ich löſ' ihm den Kopf mit der Haut ab. Als ih nun den abge 
ſchnittenen Hafenfopf mit der Hand aufhebe, fließen aus feinem linken Obre 
bundert ſchefflige Maaß Honig, und wie ich das andre berühre, quillen ebenfo 
viel Goldmünzen heraus; dieſe bind’ ich in die Haut ein. Als ich aber ven 
Hafen zerlege, find’ id im äußerſten Schwanzende einen Königlichen Brief ver- 
ftedt, welcher bekräftigt, daß der König mein Leibeigener fei.* "Lüigenwerf!’ 
ichrie da der König, ‘der Brief und du So hatte der Schwabe den König 
betrogen und ward deffen Tochtermann. 


Das zweite diefer Etüde des 10ten Jahrhunderts, überjchrieben: 
Modus Liebine1, fchreibt die Gefchichte vom Schneekind, melche Tpäter, 
im 13ten Jahrhundert, in franzöfifcher und beutfcher Erzählung vor: 
kommt, gleichfallg einem Schwaben zu. Am Eingang ſteht ein ähn⸗ 
liher Aufruf, wie beim vorigen (S. 80): 

Advertite, omnes populi, ridiculum, et audite, quomodo Suerum 
mulier et ipse illam defr[a]udaret. 

Ein Kaufmann von Konftanz (Constantie civis Suevulus) fam nad einer 
zweijährigen Fahrt über Meer in die Heimath zurück und fand unerwartet auf 
dem Arme feiner Frau einen Heinen Erben. Sie vertraute dem erftaunten 
Gemahl, fie babe einft in den Alpen ihren Durft mit Schnee geftillt und fei 
davon fruchtbar geworden. Nah fünf Jahren und drüber machte der Kauf 
mann wieder eine Seefahrt und nahm den Kuaben mit fi. Jenſeits des 


1 [Müllenhoff, Denkmäler S. 29. 312. Uhlands Schriften III, 220. 321. &.] 


618 


Meers verkaufte er denfelben um 100 Pfund. Bei der Rüdlehr meldete er 
feiner Frau, fie jeien dur den Sturm auf eine Sandbank geivorfen worden 
und bier habe die Sonne fo heftig gebrannt, daß der Schneefohn zerſchmolzen: 

Sic perfidam Suevus conjugem deluserat, 

sic fraus fraudem vicerat, 

nam quem genuit nix, recte hunc sol liquefecit. . 

Anders, längft nicht mehr im Charakter der Hugen Schälfe, finden 
wir die Schwaben 500 Sahre fpäter, in den Schwänfen des 16ten 
Jahrhunderts, "dargeftellt. Zwiſchen inne muß Manches liegen, was 
den Übergang vermittelt 1. 

Bon dem Hauptabenteuer der 7 oder 9 Schwaben fteht die ältefte, 
mir befannte Erzählung in Kirchhofs Wendunmuth; Yrankfurt 1563, 
Bl. 2819 bis 283°, €. 274 [I, 318 bei Oſterley. 8.]2. 

Bon neun Schwaben ein Hiftori. 

Neun Schwaben, liſet man im buch der alten ungefchehenen ding, wolten 
auch die welt erfaren und unfers Herrgotts roch zu Trier, darnach flirter das 
heiligthumb zu Ach bejuchen unnd ablaß holen. Damit fie nun defto ficherer 
wandelten, jaben fie für gut an, daß fie einen ftarden unnd langen ſpieß 
machen liefien, daran fie alle neun, der küneſt unnd mannlicheft geharneft zu- 
vorderft gienge. Diſe ire reiß begab fih aber im Julio oder Hewmonat, unnd 
als fie eins tags ein fehr weiten weg gezogen, darzu auch nod gar fern ins 
dorff, da fie die nacht bleiben musten, beiten, unnd im dundelen über ein 
wifen oder matten giengen, flog der groſſen rojsfeffer oder hurnuffeln eine 
nit weit von inen binder einer ftauden unnd brumlet feindtlih. Darumb ber 
vorderſt erſchrack, daß er den jpieß fchier bett fallen laſſen [und einen heim⸗ 
lichen ftreichen ließ]; ſprach zu feinen gefellen: „Lofend, loſend! Bott! ich hör 
ein trummel.“ Die anderen fagten, es wer inen auch aljo, [unnd ber zu 
nechft nad) dem vorderſten an der reig war, entpfieng den geftand deß blint- 
leihen feines gejellen in die naſen und ſprach: „Etwas ift one zweiffel vor- 
handen, denn ich ſchmeck das pulffer und die zindftrid“] Im hui begunb der 
geharniſchte zu fliehen, fprang liber ein zaun, do lag ongefer noch ein rechen 
(denn es betten daſelbſt die leut den tag heuw gemachet), darauff trat er, daß 
ihn der ftiel auff die nafen flug: „DO wei omei,“ ſchrey er, „niem mid) 


1 Langebel, Scriptores rerum danicarum I, 70: 
Swevia promissa percepta[o?] munerafe?] frangit, 
Vitat turpe loqvi, qvia nobilis atgve superba. 
Charakteriſtik vieler Länder und Volksſtämme. 
2 Ein Lied gleichen Zuhalts |. im Wunderhorn II, 445. 


619 


gefangen! ich gib mich.” Die anderen bupfften alle einer ober den andern ber- 
nad, und rufften: „Gibflu dich, jo gib ich mich auch.“ Leblich wurden fie 
gewar, daß fie betrogen waren, unnd damit fie derhalben nit gefpeiet würden, 
verſchwuren fie undereinander, ſtillzuſchweigen, biß fo lang einer das maul 
auffıhet. Der andern gefahr, die inen zu handen kam, mag bie erſte nit ver- 
glichen werden; denn nach etlihen tagen trug fie ir weg durch das bradhfeld 
und faß ein haß in der fonnen, fih mit den vordern lauffen umb den kopff 
bugende. Dieſen erfahen fie, blieben zu berabtichlagen, was Hierinnen das 
wenigft geferliche wer, beftehen. Einer auß inen ſprach gant gehertzt (etliche 
wöllen, es fei der hinderſte geweſen): „NRageneurle! gang anher, Rageneurle!“ 
„O Gott!” fagt der vorderft, „wenn du bie ftiindeft, da ich ftand, du würdeſt 
mit nichten fagen: "Rageneurle, gang anher?“ Hub in dem an fich zu ſegnen 
mit dem heiligen creut, ruft Gott umb hilff an, und zum letfien, als nichts 
heiffen wolt, daß der Haß außm weg kem, fchrey er aus groffer furdt: „Hau 
hurlehau, bau Hau!“ Bon diefer ſtimm erfchrad der haß und lieff darvon. 
Der te aber ſprach: „Nun fihe ich, das ein hurlehau beffer dann taufent 
Gotthelff if.” Fürter, nach dem fie yetzund an die Mofel, ein moficht ſtill und 
tieff waffer, kamen, darüber nit vil bruden gemacht, fondern an mehrern orten 
man fih muß in fchiffen überführen laffen, und dieweil fie deffen unberichtet, 
rufften fie zu einem mann, der yenfeit bei wafjers fein arbeit volnbracht, wie 
man binüber kommen möchte. Derjelbig verflund von wegen ber weite, aud) 
der fpra halben nit, was fie wolten, und fragt auff fein trieriiche ſprach: 
„Wat, wat?“ das ift: was, was? So meineten fie, er fagte, fie jolten waten, 
und hub an der vorderft hinüber zu gehen. Er vermochte aber e3 nit gar lang, 
umb des fhlams und der tieffe willen, antreiben, fiel hinunder und ertrand. 
Als die andern diſes Hut, den der wind an das ufer auff yener ſeiten ge- 
triben, ſahen, und ein froſch darbey ſaß und quadet „Wat, wat, wat,“ das 
eben lautet wie fie das maul in diefem wort vnd dergleichen weit auflperren, 
hielten fie es darfür, ir gefell ruffet inen, ſich hernacher zu machen, verfiunden 
e3 wol, unnd fagten undereinander: „Ran ex liberhin waten, warumb wir nit 
auch?“ Unnd find alfo alle neun ertrunden, und durch unverftand der fprad) 
und den leidigen froſch yemerlich umbgebracht. 
Es jein dSchwaben Hierdurch nit gſchmecht, 
In frölichleit es jo bingeht. 
Ein yeder gfellt im ſelber baß, 
Andre willen von im aud maß. 
Drumb wer nit auch wil ſchimpff verftahn, 
Der foll vorhin vom ſchimpffen lan; 
Allweg findt yeder feinen mann. 


620 


— — — nt 


Nicht bloß mit dem Haſen und dem Spieße, auch mit den gelben 
Füßen und mit der Nuß! wurden die Schwaben geneckt. Auch hievon 
berichtet Kirchhof im Wendunmuth, BI. 218. Nr. 199 [I, 244 bei Oſter⸗ 
ley. 8.]. Ein Schwab und ein Schweizer treffen fi im Elfaß, auf dem 
Wege von Schlettſtadt nach Straßburg, und wandern zufammen. 

Wie diefe zwen alfo bey eim waſſer hergiengen, erınanet einer den andern, 
ein gricht frebs zu fahen. Der Schwab aber fieng fröjch für krebs, und fo 
offt er einen-erwütfchet, jahe er: „Lug, Uli (fo hieß der Schweiter) ! ich hab 
wider oinen mit oim gelben bainle.“ 

tem auff dem meg fand ohngeferd der Schwab ein feiten oder caflanean, 
die Hub er auff und ſprach mit freuden: „Lug, Uli, lug! ein ſchöns und guts 
nüßle, das ift in ein läderle gneiet.“ Der Schweiter bſahe e8 eigentlich und 
jagt mit groffem verwundern: „Bugden gugden, das ift by Gotts chrüz ein 
finer ſchnider gſyn unnd Hat. gar ein Jubers nödeli chönnen machen.“ Meinet, 
oben das ort gegen ftil geflanden wer bie naht, da das lederlin wer zugenehet. 

Hollender, die fein butter effen u. ſ. w. #** 

(Ein langes Berzeichnis diefer Art vgl. Eſchenburgs Denkmäler 
©. 417.) Dem Schwaben fehen wir bier einen andern Landsmann, den 
Schweizer, beigefellt und fo war überhaupt der Scherz keineswegs auf 
die Schwaben befchräntt. Kirchhof weiß auch von drei Baiern ein artiges 
Abenteuer zu erzählen (C. 200. BI. 219 f. [I, 246 bei Ofterley. K. P. 
„Bon den Heflen und irem Nammen“ bat er ebenfalls ein beſondres 
Gapitel (BI. 2485 ff. [I, 280 bei Ofterley. K.]), worin er jedoch, felbft 
ein Helle, nicht recht mit der Eprache herausrüdt, vielmehr feine Lands⸗ 
leute bigig gegen Dasjenige vertheidigt, was man ihnen aufmute. 
Fiſchart, der berühmte deutſche Humorift in der zweiten Hälfte bes 
16ten Jahrhunderts, ift voll von nediihen Anfpielungen nad allen 
Theilen des deutſchen Landes. 

Nicht unbeachtet darf bleiben, daß die Erzählungen der Schwaben: 
ftreiche großentheild von Schwaben jelbft ausgegangen zu fein fcheinen; 
vgl. Volksbüchlein 169. Bon einigen, die am früheſten in Bebels, unfres 
Landsmanns, Facetiis zu finden find und von da zu Kirchhof und An« 
bern übergiengen, wird nachher bejonders die Rede fein. Noch neuerlich 
bat ein Schwabe, Aurbader in Münden, „ein Boltsbüchlein,” 


1 Bauli, Schimpf und Ernft. 1535. 81.16. Schwaben, Nüffe [Echau- 
Ipiele des Herzogs H. 3. v. Braunſchweig S. 306. 868 f. H.] 


621 


Münden 1827, ohne feinen Namen, ausgehen lafien, in welchem ein 
beträchtlicher Abfchnitt den Abenteuern der 7 Schwaben gewidmet ift. Die 
Compofition, die Darftelung und auch fonft Vieles vom Inhalt ift 
allerdingd eigene Arbeit des Herausgebers, aber auf alte Volksſage 
gebaut. Eines der Capitel iſt überfchrieben (S. 127): „Wie unfre 
Schwaben dur das blaue Meer ſchwimmen, ohne zu erjaufen;” dieß ift 
in der Hauptjache jenes blühende Leinfeld der Heruler, und zwar, nad 
befondrer Berficherung (S. 171), aus mündlicher Volksſage entnommen. 

Kunftreih bat, um zum 16ten Jahrhundert zurüdzufehren, Hang 
Sachs drei Schwänke der beiprochenen Art in einem Meiftergefange 
zufammengeftellt, welchen Götz in feiner Auswahl aus deſſen Gedichten, 
2tes Bändchen, Nürnberg 1829, ©. 104 ff. nach einer alten Hand- 
jehrift herausgegeben hat. In jeder der drei Strophen, aus welcher Zahl 
häufig das meilterfängerifche Lied befteht, ift je ein beutfcher Volks⸗ 
ftamm, Franke, Schwabe und Baier, mit einem thörichten Dietum auf: 
gezogen, alle drei Dicta aber find dadurch zur Einheit verbunden, daß 
fie ſämmtlich, als von einem gemeinfamen Nationalinterefie, vom 
Trinken handeln: 

Nun Hört artlicder ſchwänke drey u. f. w. *** 

So traten Thoren aus verjchiebenen deutfchen Gauen an den 
Schwabenſpieß. Es fam aber darauf an, eine wenigſtens ibeale Eins 
beit des närrifchen Deutfchlands zu begründen, und dieſe fam gegen den 
Schluß des 16ten Jahrhunderts in dem Buche von den Scilobürgern 
glücklich zu Stande. Die ältejte, befannte Ausgabe dieſes Buches ift: 

Der Sciltbirger, wunderſeltzame, abentheurliche, unerhörte und bißher 
unbeſchriebene Geſchichten und Thaten der Schiltbürger in Miſnopotamia durch 
M. Aleph, Beth, Gimaul, Paul Brachfeld, 1697. Marrenbuch 440 f.) 1 

Die Geſchichte iſt durch verſchiedene Fortſetzungen erweitert worden 
und hat ſich in mehrfachen nachfolgenden Ausgaben, die zum Theil 
auch den Titel des Lalenbuchs führen, im Wolfe verbreitet. In etwas 
erneuerter Schreibart fteht fie in H. von der Hagen Narrenbuch, wo auch 
die Litteratur angegeben ift, womit bie lehrreiche Recenfion in ber 


1 Über das dänifche, eigentlich jütländifche, wie es fcheint, erſt in dem 
1700er Jahren zufammengetragene, Bollsbudh: Bereining om de vidtbekjendte 
Molboers vise Gjerninger og dappre Bedrifter ſ. Nyerup, Morstabsläsning. 
1816. S. 274 bis 277. Bgl. Narrenbud 492 f. [Schriften II, 564 f. 8] 


622 





Leipziger Litteraturzeitung 1812, ©. 1282 bis 1301 (von Grimm) zu 
vergleichen ift. Koberftein ©. 129 [Ate Aufl. I, 441 ff. K.Jj. Ein Theil 
der darin enthaltenen Erzählungen ift in den Volksmährchen von Peter 
Lebrecht (Tieck, Th. 3) bearbeitet. 

Die Anlage des Buchs, welche, wie mehreres Andere, etwas von 
gelehrter Hand verräth, ift folgenbe: 

Die Einwohner des Dorfes Schilde (ein jetiges Städtchen Schilda liegt in 
Oberſachſen; Narrenbuch 440) ſtammten von einem griechiichen Weiſen ab und 
waren durch ihre eigene Weisheit fo berühmt, daß fie überall Hin von Königen 
und Fulrſten berufen wurden, welche ihren Rath benüten wollten. Weil aber über 
diefer Abweſenheit das Hausweſen zu Grunde gieng, fo wurden fie von ihren 
Weibern dringend zurückberufen, und damit fie nicht wieder ihrer Weisheit 
wegen nad auswärts abgefordert werden möchten, beichloffen fie, fich mit 
Macht auf die Thorheit zu werfen. Sie bringen es hierin wirklich jehr weit, 
obgleich noch lange bie leidige Weisheit, wie ein alter, abgeftiimmelter Weiden- 
baum, immer wieder ausfchlagen will (S. 92). Durch eine Reihe der felt- 
famften Streiche fteigert fich aber ihre Narrheit bis dahin, daß fte in Berfol- 
gung eines ihnen höchſt gefährlich fcheinenden Maushundes (einer Katze) ihr 
ganzes Dorf durch Feuer zerftören und dann fi) in der Welt zerftreuen, wodurch 
ihr Geſchlecht ſich aller Orten verbreitet hat. 

Bon den närrifchen Streichen dieſes mwunderlichen Völfchens mögen 
folgende zur Schau ftehen, wobei ich beſonders wieder ſolche berüd- 
fihtigt babe, die fich als ſchwäbiſches Bundescontingent nachweifen 
lafien: Der Kudud, ©. 193 f.*** Der Krebs, ©. 199 big 202. ** 

Die erfte diefer beiden Gefchichten 1, nebjt einer andern, gleichfalls 
in den Schilbbürgern vorkommenden, ift bereit$ in unſres Bebels, bald 
nach 1506 zufammengetragenen Facetiis B. I, ©. 52 f., und zwar von 
ben Nachbarn ſeines Geburtsorts, den Bauern von Mundingen bei 
Ehingen, erzählt. Ebenpafelbft (B. III, S. 175) findet fidh die zweite 
Anefoote vom Krebs, doch mit fehlender Spite, wieder auf einen 
Schneiber zu Munbdingen angewandt. Narrenbud ©. 433 bi 436. Aus 
Bebels Facetüs famen fie in Kirchhof Wendunmuth (BI. 268° bis 
2695. 284). 


1 Bu unterſuchen wäre überhaupt noch das nad Pfifters Notizen im der 
ft. Privatbibliothek befindlihe Danufcript: Augustani Tunger, procuratoris 
curiee constantiensis, ad Eberhardum com. de Wirtemberg Faceti® latine 
et germanicz, 1486, mit artigen Federzeichnungen. [Es ſcheint verloren. K.] 


623 


a a —— 


Die meiſten Schwänke der Schilbbürger find ohne Zweifel altüber- 
lieferte, wie dieß eben won einzelnen gezeigt worden; aber unverkennbar 
ift in diefem Büchlein die Hand eines bis jetzt unbefannten Meifters 
über fie gelommen, der fie zu einem mwohlgefälligen Ganzen georbnet, 
oder, wenn etwa jchon ein früher Zufammentrag vor ihm Tag, dieſem 
die rechte und volle Geftaltung gegeben hat. Es ift ein Guß ber 
ruhigen, ſchalkhaft feierlichen und doch bis in das Einzelfte lebendigen 
Darftelung. Natürlichleiten fehlen bier jo wenig, als in andern Schriften 
jenes Zeitraums, aber es werhehlt ſich auch nicht ein feiner, ftill und 
tief beobachtender Geift. Ein folcher bewährt ſich in der Aufgabe bes 
urfprüngliden Ganzen, wie in ihrer Löfung. Diefe Aufgabe war nicht 
etwa bloß, die Kleinftädterei und Pfahlbürgerei (vgl. Narrenbuch S. 426) 
zu parodieren, vielmehr bie wunderbare Miſchung von Weisheit und 
Thorheit in der menfchlichen Natur überhaupt darzulegen. Narrheit 
und Verſtändigkeit (ver fchlaue und der thörichte Schwabe) find bier, 
wie Zettel und Eintrag, mit ficherer Hand zu einem ergeblichen Gewebe 
verfchlungen!. Wie fich im beroifchen Nibelungenliede die verſchiedenen 
beutfchen Helbenkreife zu einem gleichmäßigen Ganze verfchmolzen, fo 
haben wir in ben Schildbürgern das Nibelungenliev ver beutfchen 
Schwabenftreiche. 


1 [Schriften II, 565. 8.] 


Bweiter heil. 
Zur romanifchen Sagengejchichte. 


Es mar meine Abficht, mit der germanifchen Sagengejdjichte die 
der romanischen Völker, d. h. derjenigen, deren Sprachen aus ber Ber: 
mifchung der altlateinifchen mit andern, vorzüglich germanifchen Idiomen 
hervorgegangen find, infoweit zu verbinden, ala bei diefen Volkern, mit 
den Einflüflen der germanifchen Eroberungen überhaupt, auch die 
Sagenpoefie der Eroberer ſich wirkſam und fruchtbar eriviefen bat. Die 
Völker, melche hiebei, in größerem oder geringerem Maaß, in Betracht 
famen, find bie des jeßigen Frankreichs, der britiichen Inſeln, ver 
iberifchen und italiichen Halbinſel. Der germanifche Antheil an ber 
Sagendichtung diefer Völker iſt allerdings von fehr verjchiedener Art. 
Bald find fie felbft, der romanifierten Sprache unerachtet, noch vor: 
wiegend germanifche geblieben und haben auch ihrer neuentwidelten 
Sage dieſen Charakter aufgeprägt, bald haben fie bei mehrerer natio: 
naler Entfremdung doch germanifche Sagen und gemeinfame Sagenftoffe 
in fih aufgenommen, bald haben fie folche nur mittelbar, durch andre 
romanische Völker, erhalten, bald endlich ift in ihnen nur eine allge 
meinere und entferntere Nachwirkung germanischen Weſens bemerkbar 
geblieben. Näher war die germanifche Verwandtſchaft der englifchen 
und franzöfiichen, entfernter. die der Spanischen und italifchen Sagen. 

Nachdem ung jet nur fehr wenige Zeit noch übrig ift, welche der 
romanischen Sage überhaupt gewidmet werben kann, fo ftand ich in 
der Wahl, ob ich diefe übrigen Stunden eher der englifchen oder ber 
franzöfiihen Sagengefchichte, ſoweit möglich, beftimmen follte Für 
eritere, die englifche und die des benachbarten Südſchottlands ſprach, 
daß es fich bier von Völkern handelte, bei denen die germanifche Art 


625 


vorherrfchend und deren Sprache, des normannifchen Einfluffes unerachtet, 
im Grund eine germanifche blieb, daher auch J. Grimm in feine 
deutfche Grammatik bie engliiche Sprache mitaufgenommen hat. Die 
angelſächſiſche Periode fällt ohnehin in unvermifchtem Sprachbeftande 
noch gänzlih auf germanifche Seite. Wäre von Anfang an bezweckt 
geivefen, einzig die germanifche Sagengefchichte darzuftellen, fo wären 
auch angeljächfiiche, englifche und ſüdſchottiſche Sagen am natürlichften 
zu ihr geſchlagen worden. Sollten aber die vermifchten Sprachen eine 
beſondre Abtheilung, als romanische Sagengefchichte, ausmachen, fo ſchien 
es von Intereſſe, auf ihrer Seite einestheild noch das germanifche, 
anberntheild das romanifche Element vorwiegend beobachten zu können. 

Gleichwohl entſchied ich mich dafür, die noch übrige Frift der fran- 
zöfifchen Sage einzuräumen; nicht bloß, weil für die englifch:fchottifche 
doch nur eine fummarifche Überficht noch möglich geweſen wäre, fondern 
vorzüglih, weil ich wenigſtens an einem vorherrſchend tomanifchen 
Sprach⸗ und Volksſtamme die germanifche Nachwirkung zeigen zu 
fönnen mwünjchte. 


Franzöſiſche Sage. 


Die beveutendern Sagenbildungen, die fih in norbfranzöfilcher 
Sprache (zum Unterfchied der provenzaliichen) geftaltet haben, laſſen 
fih auf drei verfchievdene Kreife zurüdführen: 

1) den fränfifchen, 

2) den normannilchen, 

3) den keltiſchen. 

Bon unfrem germanifchen Standpunkt aus haben wir es nur mit 
den beiden erftern zu thun, d. 5. mit denjenigen Sagenbildungen, welche 
unter dem vorwaltenden Einfluß und auf dem nationalen Sagengrunde 
der fräntifhen und ſkandinaviſchen Eroberer Gallien? zu Stande ge 
fommen find. Der dritte, Teltifche Kreis, wohin vorzüglich die Dich: 
tungen vom König Artus und feiner Tafelrunde gehören, bat feine 
Heimath in denjenigen Gegenben, in melde ſich altgalliiche Sprache und 
Sage, von frübern römifhen und nachherigen germanischen Ein: 
wirkungen verdrängt, zurüdgezogen hatte, nemlich in der Bretagne und 
auf den gegenüberliegenden britifchen Landenden, in Kornwallis und 

Upland, Schriften. VI. 40 


626 


Wallis. Zwar ift auch diefer Sagenfreis von den romanifierten Ror- 
mannen mit Vorliebe bearbeitet worden, aber ſchon in einem mittel: 
alterlicheritterlichen Sinne, wobei weber der urfprüngliche Geift der 
feltifchen Mythen, noch das ältere germanifche Weſen mehr obivaltet. 
Wir beichränfen uns fomit auf bie zwei erfigenannten Kreiſe, den 
fräntifchen und ben normannifchen, und machen uns auch bei diefen 
nicht ſowohl mehr vie abhandelnde Erörterung, als die unmittelbare 
Darftellung der bedeutendſten Geftalten zur Aufgabe. 


L Fränkiſcher Sagenkreis. 


Es hat ſich in altfranzöſiſcher Sprache ein großer epiſcher Cyllus 
gebildet, der ſich um Karln ven Großen! als feinen Mittelpunkt be 
wegt. Die dahin gehörenden vielen und umfangreichen Gedichte ſind 
noch weit zum gröſten Theile ungedruckt. Erſt in neueſter Zeit hat 
ſich ihnen in Frankreich ſelbſt eine anerkennendere und thätigere Theil⸗ 
nahme zugewandt. Bei ſolchen Umſtänden gibt es auch noch keine 
irgend befriedigende, litterariſch-ſagengeſchichtliche Darſtellung dieſes 
epiſchen Kreiſes. Yür jetzt iſt über denſelben, obwohl zum Theil mehr 
hinſichtlich der Übertragungen und Umarbeitungen ver altfranzöfifchen 
Dichtwerlke in andre Sprachen, in folgenden Schriften Auskunft zu finden: 

Dippoldt, Leben Kaifer Karls des Großen. Tübingen 1810; in der Beil. 
D: Boefie und Sagen von Karl dem Großen. 

Görres, die teutſchen Vollsbücher. Heidelberg 1807, S. 99 ff., aus Anlaß 
des Volksbuchs von den Heimonskindern. 

F. 8. Bal. Schmidt, Über die italiänifchen Heldengedichte aus dem Sagen⸗ 
freis Karls des Großen. Berlin 1820. 

Derſelbe in der Recenfion von Dunlop, History of fiction, Wiener Jahr- 
biicher der Litteratur 1825. Bd. 81. 

Paris, in der Einleitung zu feiner nachher anzuführenden Ausgabe des 
Romans: Berte aus grans pies. Paris 18322, 

„Über das altfranzöfifche Epos“ habe ich in der Zeitfhrift „bie 
Mufen,” herausgegeben von Fouque und Neumann, Berlin 1812, eine 
Abhandlung eingerüdt, worin ich von ben Gebichten dieſes Heldenkreiſes 


1 über Charlemaines vgl. Grammatif II, 320. 
2 [Bgl. weiter meine Ausgabe des Karlmeinet, Stuttgart 1858, ©. 852 f. 
Histoire po&tique de Charlemagne, par Gaston Paris. Paris 1865. R.] 


627 


— — — — — 


Nachricht gab, ſoweit mir ſolche vorzüglich aus altfranzöſiſchen Hand⸗ 
ſchriften der Pariſer Bibliothek bekannt geworden waren. 

Ausgaben einzelner Gedichte oder größerer Bruchſtücke aus ſolchen 
werde ich bei ver Aufzählung der Dichtungen felbft namhaft machen. 

Der Umfang vdiefer Tarolingifhen Heldenſage ift nach den allge: 
meinften Umriſſen biejer 1: 

Nachdem Karl, in früher Jugend dur die Ränke feiner Stiefs 
brüber von feinem Erbe verftoßen und in bie Dienfte eines farazeni- 
ſchen Königs in Spanien eingetreten, fich den väterlichen Thron wieder 
erfämpft hat, muß er fi) in Kriegen mit Auswärtigen und mit miber: 
fpenftigen Bafallen zwölf Genoſſen durch Streit gewinnen, die ihm 
fortan als geharniſchte Apoftel zur Seite ftehn, um mit ihm die Sache 
der Chriftenheit auszufechten. Sie ziehen zum heiligen Grabe und durd) 
eine Glorie, die im Tempel über ihren Häuptern erfcheint, werden fie 
als Streiter Gottes anerkannt und geweiht. Als foldhe Tämpfen fie in 
vielfachen Feldzügen gegen die heibnifchen Sachſen und gegen die Un- 
gläubigen in Spanien, bis fie endlich, nach vielen wunderreichen Thaten 
und Schiefalen, durch den Judas Ganelon verrathen, im Thale Ronces 
val, in den Pyrenäen, gemeinfamen Helden: und Märtyrertop erleiden. 
Karl felbft und Einige aus der Zahl bleiben zwar am Xeben, doch nur 
um Jene zu rächen, zu verberrlichen und zeitlebens zu betrauern. An 
diefen Kern des Epos aber fchließen ſich in auffteigenver Linie, zu Pipin 
und Karl Martel, und in abfteigender zu Karla Nachfolgern und den 
Nachlommen feiner Helden, fowie in Nebenztweigen, noch viele andre 
Heldengeſchichten an. 

. Dieb der Umfang der Sage. Den Zufammenhang der zahlreichen 
und manigfaltigen Gedichte bilben innerlich: der alterthümliche Helden: 
geift, nicht mehr mythiſch⸗rieſenhaft, zumeilen ſchon ritterlicher Galanterie 
zugeneigt, aber voll beroifcher Freudigkeit; der religiöfe Nimbus, ber 
die Helden umgibt; die durchgehende Charakteriftif der bebeutenberen 
unter ihnen: Karls ruhige, zumeilen ftarre, mehr leitende als ſelbſt⸗ 
thätige Haltung; des Herzogs Naimes von Baiern bevächtiges Alter und 
weiſer Rath; Rolands achilleifches Feuer und feine innige Waffenbrüber- 
Ihaft mit dem beitern Olivier; Ganelons Falfchheit und Tüde; endlich 


1 [Bgl. Fouques Mufen. Berlin 1812. 3, 68 f. 8] 


628 
der Helden gemeinjfamer Untergang und das. vorabnende Hindeuten 
darauf in den meiften Gebichten, welche noch die früheren Abenteuer 
darftellen; äußerlich aber: die leid förmigleit eines epiſchen Stils und 
beftimmte Versarten 1. 

Es find der legtern zweierlei: ein jechöfüßiger (der altfranzöfifche 
Alerandriner) und ein fünffüßiger, beide von jambifcher Hebung. Eine 
beliebige, größere oder Fleinere Reihe ſolcher Verszeilen auf den gleichen 
Keim, mandmal mit einem kurzen Nachſchlag am Ende der Reihe, 
bildet je eine Strophe. 

Die Berfafler oder Anordner biefer altfranzöfiichen Gedichte in 
ihrer jegigen Geftalt find, wohl mit meniger Ausnahme, Geiftliche. 
Mehrere derfelben nennen ſich. Aber fie beziehen fi, wenn aud 
mandmal im Widerfpruche, auf den jchon herkömmlichen Volksgeſang 
ber Jongleurs, und fie felbft noch beftimmen ihre Arbeiten ausdrücklich 
für den Geſang. Nicht die Erfindung der Sagen, fonvern die Ber: 
einigung und Ausbildung der rhapfodiichen Geſänge zu größeren Com: 
pofitionen war bier, wie andermärts, das Geſchäft Derjenigen, welche 
das Epos in Schriftwerfe auffaßten. 

Was nun die einzelnen Dichtungen betrifft, jo werde ich diefelben, 
fomweit mir ihr Inhalt wirklih aus altfranzöfifchen Quellen befannt ge- 
worden ift, bier aufzählen und bebeutendere Partieen ausführlicher hervor: 
heben. Ich nehme dabei den Gang, daß ich nicht die Beitfolge der jeweili- 
gen Abfaflung zum Leitfaden nehme, ſondern den Verlauf der fagenhaften 
Gefchichte ſelbſt, wie die Helden, welche Karls Genoſſenſchaft bilden, ſich 
nach einander um ihn, als ihren leuchtenden Mittelpunkt, fammeln, tie 
fie ihren Charakter und ihre Thatfraft bald mehr einzeln, balb zus 
ſammenwirkend zum gemeinfamen Heldenwerk entwideln; ivie die freudige 
Heldenwelt ihrem tragifchen Untergang entgegenfchreitet 2. 


1. Königin Berte. 


Li romans de Berte aus grans pies, précédé d’une dissertation sur 
les romans des douze pairs; par Paulin Paris. Paris 1832. Zugleich mit 


1 [Bgl. Fouques Mufen 3, 79. 8] 

2 [Ausführlihe Inhaltsangaben der altfranzöfifhen Dichtungen aus dem 
fräntifhen Sagentreije finden fih im 22 Bande der Histoire litteraire de la 
France H.] 


629 


-— — — — — — 


der Bezeichnung: Romans des douze pairs de France. No. 1. Alſo der Au⸗ 
fang zu einer beabſichtigten Folge herauszugebender Gedichte dieſes Cyklus, 
über den auch die Einleitung manches Bemerfensmwerthe enthält 1. 

Der Berfafler dieſes altfranzöfifchen Gedichts in Alerandrinern der 
porangegebenen Art ift Adenes, zugenannt le Roi (vermuthlich roi des 
menestrels), der in der zweiten Hälfte des 13ten Jahrhunderts Iebte, 
jo daß ſolches, diefer Zeit der vorliegenden Abfaffung nad, zu den 
ipätern gehört. Es enthält die Gefchichte der Mutter Karl des Großen, 
die Verfolgungen, welche fie durch eine ftatt ihrer, al Gemahlin bes 
Königs Pipin, unterjchobene Dienerin zu erleiden bat, und ihre enb- 
liche Wiebereinfegung. Die Darftelung ift nicht ausgezeichnet, ‘aber 
doch anziehendb in demjenigen Theile des Gedichts, welcher die Flucht 
der verfolgten Berta dur den unmwegjamen Wald von Mans und 
ihren Stillen Aufenthalt in einem abgelegenen Waldhaufe, wo fie uner: 
fannt einer frommen Familie mit weiblichen Arbeiten dient, faft idylliſch 
erzählt. Dieſe Gefchichte ift, wenn aud in den bejondern Umftänven 
beträchtlich abweichend, doch in Hauptzügen gleichartig mit der deutſchen 
Erzählung, melde, mie früher angeführt wurde, Aretin unter dem 
Titel: „Ältefte Sage über die Geburt und Jugend Karla des Großen, 
Münden 1803” herausgegeben bat ? und worin der Schauplah nad 
Baiern verlegt ift. 

Die Zeit, wo Berte fpann, ift noch in Frankreich ſprichwörtlich 
(Roman de Berte ©. IV) und an den alten Kirchen bajelbft findet 
man häufig die Figur der reine pedauque, ohne Zmeifel eben ber 
Königin Berte mit den großen Füßen, die zur Enthüllung des Betruges 
dienen, deilen Opfer fie jo lange war (ebendaf. ©. 11 bis V. 104 f. 

198). Bertha, Berchta, heißt auch bei den Annaliften die Mutter Karls 
(Aretin a. a. D. 67). 

Sn diefem Gedichte kommt bereits einer der nachmaligen zwölf 

Genofien Karls, Naimes, der Sohn des Herzogs von Baiern, mit 


1 [E3 find von der Sammlung 18 Nummern in 12 Bänden erfdienen. 
über Berte aus grans piés vgl. Schweglers Jahrbücher der Gegenwart 1843, 
S. 86 f. 8] 

2 (Bol. Blätter für litterariſche Unterhaltung 1840. Dec. Nr. 866. S. 1477 
bis 1479. Mones Anzeiger 1885. Sp. 421 bis 423.] [Sommer in Haupts 
Zeitfchrift für deutjches Altertbum 2, 387. 8.) 


630 


13 Gefährten zum König Pipin nad Angers, um fich von ihm zum 
Nitter Schlagen zu lafien und ihm feine Dienfte anzubieten, die auch 
gerne angenommen werben (ebenvaf. S. 143 bi8 145). 


2. Karls Jugend. 


Eine Folge des Gerichts von Adenes bildet ein nody ungebrudier 
Roman 1 in derfelben Versart, von Girart d'Amiens, in der Parifer 
Handſchrift Nr. 7188. Derfelbe macht auf Hiftoriihe Glaubwürdigkeit 
Anſpruch und ift ein Verfuch, die Begebenheiten Karls des Großen in 
ein Ganzes zu bringen. Nur ftellenmeife bat biefer Roman epifches 
Leben; das erfte Buch ift das erheblichite und macht die Auffindung 
älterer Gedichte von Karls Jugendjahren, die hier ohne Zweifel zu 
Grunde liegen (vgl. Les enfances Charlemagne, Roman de Berte 
©. 189, N.), wünfchenswertb. Im zweiten Buch findet fich eine gute 
Episode, wie Karl auf einer Jagd bei Vannes zum erjtenmal feinen, 
nachher jo berühmten Neffen Roland trifft, der ale Knabe fchon als 
rüftiger Jäger im Walde ftreift und des Königs Waibleute, die er für 
Wilddiebe hält, übel zurichtet. (Gedruckt beim Yierabras ©. 156 bis 
158.) Den inhalt des Sten Buchs werben wir befler nach einem ältern 
Gedicht am Schlufje geben. 

Über der Geburt und erften Jugend Karla felbft ſchwebt ein ge: 
wiſſes Geheimnis. Eginhard, der als Zeitgenofje und Geheimfchreiber 
des Kaiferd doch für unterrichtet angenommen werden follte, fagt de 
vita Caroli Magni Cap. IV: 

De cujus nativitate atque infantia vel etiam pueritie, quia neque 
scriptis aliquid usque declaratum est, neque quisgquam modo superesse 
inveritur, qui borum se dicat habere notitiam, scribere ineptum judicans, 
ad actus et mores cewterasque vite illius partes explicandag ac demon- 
strandas, omissis incognitis, transire disposui. 

Man bat diefe Äußerungen nicht mit Unrecht etwas räthſelhaft 
und rüdhaltig gefunden (Aretin a. a. D. 70 bis 73). Je mehr aber 
Karla frühere Lebenszeit in Halbdunkel gehüllt blieb, um fo freieres 
Spiel war der Sagendichtung gelaſſen. | 


1 [Fonques Mufen 3, 66. Vgl. Karlmeinet S. 853 f. Bartſch über Karl⸗ 
ment S. 1 ff. 8] 


631 





8. Agolant. 


Ein Fragment dieſes Gedichts, von 1338 Verszeilen, nebft mehrern 
kleinern, hat Immanuel Beller in feiner Ausgabe des Fierabras (Berlin 
1829) abdruden laſſen, nach einer Pergamenthandfchrift im Befite H. 
von der Hagen (S. LIII ff.). Über Handfchriften auf den franzöfifchen 
Bibliothelen habe ich keine Notiz1. Jedoch rechnet Paris, der Heraus: 
geber des Romans von Berta, in ber Einleitung zu diefem (S. XXXII?) 
den Agolant zu den älteften und echteften Gebichten, die ſich auf die 
Epoche Karla des Großen felbft beziehen. Das Heldenthbum Karls und 
feiner Genoſſen erfcheint hier in feiner erften Blüthe. Der König felbft 
rüftet fich mit feinen herrlichen Waffen und befteigt fein herrliches Roſs, 
deflen Schritt von den Goldſchellen am Reitzeug heller, ald Harfe ober 
andre Spiel, erflingt; er gleicht einem Engel, der vom Himmel berab: 
gelommen, nicht einem irdiſchen Ritter (Fierabras 163). Der Jüngling 
Roland wird bier erft zum Ritter geichlagen und der Herzog Naimes 
von Baiern, der ſonſt als greifer Neftor auftritt, ift bier noch in ber 
vollen Kraft und Schönheit des Mannes, obgleich nicht minder als ber 
Beionnene bargeftelt. Den Hauptinhalt bes Gebichts, fo weit man 
folden aus den Bruchftüden erſehen kann, madt ein großer Kampf, 
den Karl gegen den farazenifchen König Agolant, der ihm mit unges 
heurer Heeresmacht in fein chriftliches Neich gefallen, fiegreich befteht. 
Der Schauplat des Kampfes ift eine Ebene am Fuße des hohen und 
rauhen Berges Aipremont. In dem gebrudten, größern Fragmente 
find die beiden Heere zu beiden Seiten dieſes Gebirge gelagert und 
e3 ift daran gelegen, erjt wechſelsweiſe die Stärle des Gegners kennen 
zu lernen, bevor zur Schlacht gefchritten wird. Hier nun, wo ed auf 
Heldenmuth und Klugheit zugleich ankommt, wirb Herzog Naimes, der 
fonft mehr als Berather erfcheint, Fräftig handelnd eingeführt. “Die 
Abenteuer, die er biebei zu beftehen hat, find in dem erwähnten Frag: 
ment erzählt und ich gebe den Inhalt desfelben, foweit er ſagengeſchicht⸗ 
Ih von Belang ift: 


1 [Bgl. meine Romvart S.1f. K.] 

2 „Quant aux po&mes dont l'époque precise de Charlemagne fournit 
le cadre, les plus anciens et les plus authentiques sont Agolant, ou les 
Sarracins chasses d’Italie,“ 


632 


König Karl fpricht vor feinen verfanunelten Helden: „Seht bier Aſpre⸗ 
mont, über den wir ziehen müffen, um die Sarazenen zu fchlagen! Für gut 
halt’ ich, wenn auch ihr e8 gut findet, daß Einer von uns fi rüfte, Aſpre⸗ 
mont zu befteigen und das Heer unfrer Feinde zu ſchätzen“ Die Franken 
ſchweigen, Keiner wagt, ſich bervorzuftellen. Zum zweitenmal fragt Karl, wer 
es unternehmen wolle. Keiner will der Erfte fein, bis Ogier der Däne feinen 
Mantel auffnüpft und fich vor dem König auf das Knie nieberläßt: „An eurem 
Hofe, ruft er, if kein Nitter, der beffer als ich Bote fein könnte, laßt euch's 
nicht verdrießen, edler Königl Ich will flir eu) auf Afpremont fleigen, und 
treff' ih Hiamon (Agolants Sohn) oder den ſtolzen Agolant jelbft, fo werd’ id) 
ihn zu fragen wiffen, warum er euer Land euch ftreitig made.” „Dgier 1, 
ſpricht Karl, tritt zurück! nicht begebr’ ich dein.” Nach einander erheben ſich 
mehrere Helden und bitten, unter Anführung ihrer Würden und Berdienfle, 
dag der König fie ausfende. Karl meist Alle zurüd und ſpricht zulegt: „Laßt 
euch's nicht verbrießen, ihr Herrn! Keinen hohen Bafallen, der Land zu ver« 
walten bat, will ich den Heiden fenden; die Treulofen möchten ihn tödten. Aber 
ift bier fein armer Nitter, der fich feines Leibes zu helfen weiß, der etwas ver- 
mag, wenn's Noth thut?“ Da erhebt ſich der gute Gefell Richier, der Sohn 
des Grafen Berengier, noch unvereheliht. Bor dem König läßt er fi) auf's 
Knie: „Herr! ſpricht er, ich bin ein Ritter, der nicht Land noch Erbe zu ver- 
walten. bat; wollt ihr fol einen Armen ausfenden, ich bin’, der euch helfen 
will.” „Freund, erwibert Karl, ich heiß e8 gut; kommſt du wohl und Heil 
zurüd, jo werd’ ich dir beinen guten Lohn geben, dein ganz Geſchlecht foll des 
genießen.” Als Herzog Naimes dieß hört, der den Züngling erzogen und zum 
Nitter gemadt, zürnt er. Schon reicht der König Richiern den Brief hin, da 
tritt Naimes vor den König und fpridht fo laut, daß man es wohl hört: „hr 
habt, Herr, ſchlimmem Rathe geglaubt. Richier ift wader und von großer 
Tugend; ich habe fein wohl gepflegt, darıım thut mir's leid.” „Birne nicht! 
ſpricht Karl; kehrt er zurück, fo wird ihm wohl gelohnt.“ „Richter, fpricht 
Naimes weiter, ift ftolz und kühn, wie ein Löwe; Teicht erhebt er übeln Zank 
mit den Heiden; da braucht man Sinn, Maaß und Bernunft, das fchlägt Hoch⸗ 
‚mütbige und Treulofe nieder; darum thut mir’s leid.“ 

Richier geht in’s Zelt, fi) zu waffnen, dann fleigt er zu Roſs, nimmt den 


1 Bon der Kindheit Ogiers des Dänen, ber uns bier zuerft auftritt, Handelt 
ein befondres, noch ungebrudtes Gedicht desfelben Adenes, der den Roman von 
Berte abgefaßt bat. [La chevalerie Ogier de Danemarche par Raimbert 
de Paris, poöme du XIIe sitcle in 2 Bänden, Paris 1842, 8. Man vgl. 
hierüber V. U. Huber in der „neuen jenaifchen allgemeinen fitteraturzeitung“ 
1844, Nr. 95 bis 100. H.] 


633 


— nn — 


Schild mit dem Löwen und reitet dahin mit Karls Briefe, bis er zum Aſpre⸗ 
mont fommt. Hit’ ihn Gott, der die Welt erfchaffen! Bald wird er in Angſt 
und Noth fein. Schon erſchant ihn vom Fels herab ein Greif; Flügel hat 
diefer, einen Speer lang; vom Genid zum Schweife mißt.er 30 Fuß, vom 
Schnabel zur Stine drei; feine Augen find roth wie glühende Kohlen; die Laft 
eines Eſels wär’ er zu tragen ſtark genug; wenn er fliegt, jo raufcht es weit- 
bin. Im Gebirge find feine Junge, durch die Wüfte fuchen fie Nahrung. Als 
der Greif Richiern daherreiten fieht, fommt er jählings auf ihn angeflogen und 
ſchlägt ihn mit den Flügeln fo gewaltig auf den Schild, daß nicht Gurt nod) 
Sattel hält und der Ritter auf den Sand geworfen wird. Bevor er wieder 
auf den Füßen ſteht, hat der Greif fein aragonifch Roſs gepadt, reißt ihm 
Leber und Lunge ſammt allem Gedärm aus und bringt e8 feinen Jungen auf 
den Berg. Richier erhebt ſich zornvoll, zieht fein Echwert, um Rache zu neb- 
men, aber der Bogel ift ſchon auf dem Felsgipfel. „Gott! ruft Richier, bei 
. deinem heiligen Namen, wie kann ich über Ajpremont fommen, nun ich mein 
Roſs verloren? mit großer Gewalt fchießen die Bergwaffer daher. Und wie ſoll 
ih umlehren zum Lager Karla? Allzu fehr fürcht' ich den Herzog Naimes; auf 
immer wird’ id darum gefhmäht fein.” Da geht er dem Berge zu, wo bie 
Waſſer vom Felſe fallen. Er wirft fi) hinein, aber die Flut reißt ihn abwärts 
und e8 wäre fein letter Tag geweſen, hätt’ er nicht mit beiden Händen einen 
Strauch ergriffen und fich zurück an's Ufer geſchwungen. Traurig fteht er wieder 
vor feinem todten Rofs, und wie er auffchaut, flieht er die Vögel von Ajpremont 
herabfliegen, Habichte, Geier und andre, deren dort die Fülle if. Sie lommen 
in großer Zahl fiber das todte Nofs, ihn Telbft aber faßt an der Ferſe ein böfer 
Ecorpion und reißt ihm den Sporn vom Fuße. Da fieht er, daß hier fein 
Heil für ihn ift, und kehrt um, mag er wollen oder nicht. Als er zum Zelte 
des Herzogs Naimes gelommen und erzählt, wie ihm's gegangen, fpricht Diefer 
vol Unwillens: „Eine Memme hab’ ich in dir erzogen, nicht Haft du Dich zum 
Aſpremont gewagt; nimmer warft du dort, feiger Schelm!" Dann nimmt er 
Rihiern den Brief des Königs, waffnet fih eilig feläft, nimmt den Speer in 
bie Fauſt und befleigt fein ſtarles Roſs Morel. Seine Mannen begleiten ihn 
eine Strede und ſcheiden weinend von ihm. Als Karl es hört, if er ſehr un⸗ 
gemuth. „Zieht Naimes dahin, fo wird mein Herz nie wieder froh und un⸗ 
berarhen werd’ ich fortan fein.“ 

Naimes reitet gegen Ajpremont, da fängt es ſtark zu fchloffen an, Schnee 
bededt den Hals feines Roſſes, es friert ihn durch den Harnifh und er ift maß 
bis zur Ferſe. So reitet er zwei Meilen weit an dem tiefen und wilden Waffer 
bin, das Richiern fortgeriffen; er fieht die Eisſchollen darin treiben und findet 
weder Brücke noch Steg. Da wird er unmuthig, gibt feinem Roſſe die Sporen 





634 
und fprengt hinein. „Heil’ge Maria, ruft er, jungfräulice Königin, errette mid 
und mein Roſs!“ Er langt am Yelsufer au und fleigt vom Roſſe, das zittert 
und vom Eife zerfeßt if. „Morel, fpricht er, nie gab es ein Thier von deiner 
Tüchtigkeit; gibt Gott, daß wir wieberlehren, nie ſollſt du verkauft oder verfeßt 
werden.” Nachdem er eine Weile gerubt und fein Rofs bemitleidet, das durch 
diefen Strudel gefetst, fieht er zu feiner Rechten, einen Steinwurf entfernt, eine 
Höhle und in ihr eine große, gelammte Schlange, die wohl ſeit zwei Jahr⸗ 
hunderten bier geniftet. Sie wirft in dunkler Nacht fo helles Licht won ſich, 
als wären zehen Kerzen angezlindet, vermöge eines edeln Steine, den fie im 
Haupte trägt. Kommt irgend ein Thier dort zur Tränke, fo erwürgt fie es. 
Sie fieht den Herzog und kriecht ſachte heran. Er hält den Schild vor und 
jlägt ihr mit einem ungebeuren Hiebe den Kopf vom Leibe. Dreimal fpringt 
fie noch auf und wirft Flammen Naimes fieht den Edelſtein und ſchlägt ihn 
aus ihrer Stirne. Nachdem er ihn im Strome gewaſchen, betrachtet er ihn in 
der Hand und die Augen funfeln ihm von dem Glanze. Dann fiedt er das. 
Kleinod zu fi, reinigt auch fein vergiftetes Schwert im Wafler und reitet weiter 
den fteilen Felshang hinan. Bald aber fchießt der Greif, der Nichiers Roſs 
getöbtet, auch auf ihn herab, faßt fein Roſs Morel mit den Krallen, hebt es 
fammt dem Weiter drei Schub hoch über den Boden empor und läßt es auf 
den Sand zuritdfallen, Aber Naimes figt feſt im Sattel, fchwingt fein Schwert 
und haut dein Greif beide Beine ab. Sie bleiben in ber Pferbsmähne, neben 
dem Sattelbogen, hängen; fie find von dem Umfang, daß eines zwei volle Kannen 
Weines faßte. Der Held nimmt fie mit fih, um fie Karln zu zeigen. Wer 
dem Liede nicht glauben will, gehe nad Compiegne! dahin hat Naimes fie ge- 
ſchickt. Der wunde Greif fliegt nach dem Berg und mälzt eine ſolche Schnee 
maffe herab, daß fie nahezu Mann und Rofs umgeftürzt hätte. Noch einmal 
fiebt Naimes fi um, da gewahrt er den Sporn Richiers und nur noch die 
Gebeine feines Roſſes. „Heiliger Gott! ruft er aus, mit großen Unrecht hab’ 
ih dem Ritter geſchmäht.“ Als der Herzog auf ber Höhe des Aſpermonts an⸗ 
gefommen, ift e8 dunkle Nacht. Er läßt fi unter einem Baume zwifchen zei 
Felſen nieder, den Speer neben fih. Aber er weiß nicht, wo er ſich gelagert. 
Eine Bärin hat dort ihr Junges zurüdgelafien. Es ftlirmt und fchloßt, Naimes 
ift ganz durchnäßt. Morel nagt die Nacht über an feinem Zaume. „Groß Mitleid, 
fagt Naimes, hab’ ich mit dir; fänd’ ich dir Futter zu kaufen, kein Gold follte 
mich dauern. Mad’ uns Gott ein andermal beffere Freude! Dießmal find wir an 
einem Orte geherbergt, wo wir beide wenig @emach haben.” Der Herzog ſtellt 
feinen Schild gegen Wind und Hagel; wohl bedarf er feines Mantels, er 
zittert vor Froft, kaum hofft er den Tag mehr zu erleben und zuft inbrünftig 
zu Gott. Da gebenlt er auf einmal des edeln Eteins, den er der Schlange 


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— — — — — 


abgewonnen, und holt ihn hervor. Der Stein wirft ſolche Helle umher, als 
wären zehen Kerzen angezündet. Morel ſieht es und ſcharrt mit dem Fuß, er 
meint, man hab’ ihm Futter gebracht. Auch Naimes fühlt fi von dem An⸗ 
blick gänzlich neu belebt und bat weder Hunger noch Durft mehr. Aber neben 
fich fieht er nun auch den jungen Bär, faßt ihn ſogleich mit beiden Yäuften 
und fohmettert ihn gegen die Felswand. Endlich bricht der Dlorgen an; aber 
nun lehrt auch die Bärin zuriid, mit offnem Rachen geht fie auf den Herzog 
los. Den Schild am Halſe, kümpft biefer gegen fie und fchlägt ihr mit einem 
Streihe zwei Füße ab. Indeſs Tommen noch zwei Bären und ein Leopard 
daher, fehen das Roſs und jeder ift gierig darnad). Aber fein Herr eilt ihm 
- zu Hülfe und wird mit den beiden Bären fertig, während Morel jelbft mit 
feinen Hufen dem Leopard Kiefer und Hirnſchale zerichmettert. „Morel! ruft der 
Herzog, an bir ift fo jchöner Beiftand; hundert Flilche dem, der jemals von dir 
wiche!” Doc ſchon erblidt er im Grund eines Thales drei Löwen, da hat er 
der Sache genug, wijcht fein Schwert ab, ſchüttelt Schnee und Hagel vom ver- 
goldeten Sattel und reitet beim Aufgang der Sonne die andre Seite des Bergs 
hernieber. Da fieht er weithin über die Ebne Agolants großes Heer und auf 
dem Strome (Far) feine Sciffrüftung.. Er bört die Roſſe wiehern ımd bie 
Jagdhunde bellen. Er ſieht Gezelte, Kriegszeug, Dromedare, fieht Agolants 
Belt mit dein leuchtenden, goltmen Adler und auf einem Wagen den Götzen 
Mahomet, vor dem fie ſich anbetend nieberwerfen. „Bott, Richter der Welt, 
ruft er da, ſchirme den Kaifer Karl!” 


Soweit diefer Auszug. Das gebrudte Fragment erzählt noch, wie 
Naimes mit einem farazenifchen Fürften, der gleichfalls auf Kundſchaft 
ausgeritten ift, einen Kampf beiteht und mie er, ohne fich zu nennen, 
die Botſchaft des Kaiferd an Agolant ausrichtet und was er fonft im 
Lager der Ungläubigen erfährt. Bis zur Rückkehr reicht dasſelbe nicht. 

Der Schauplazt dieſer Epifode ift die Bergicheive der Alpen bei 
Nizza (franzöfiih Nice; Rise?), mo aud ein Ort Afpremont liegt, wie 
im Gedichte der Gebirgspafs heißt. Karl fommt von Rom ber, ber 
Pabft ift in feinem Lager, die Sarazenen liegen auf der franzöfiichen 
Gebirgäfeite, an den Ufern des Bar (Far), der ſich unfern in’ Meer 
ergießt. Dürfte man vom poetiſchen Gehalte des Bruchſtücks auf den 
des ganzen Gedichts fchließen, jo wäre dieſer nicht gering anzufchlagen. 
Die Charaktere find wohl gezeichnet und die fabelhafte Gebirgswelt ift 
ganz die, wo der Fels ftürzt und über ihn die Flut, und wo in Höhlen 
der Drachen alte Brut hauft. Sagengefchichtlich beachtenswerth ift aber 





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— - — 


insbeſondere noch, daß wir hier in den Abenteuern des Herzogs Naimes 
denfelben Typus mieberfinden, der fih uns in den Zügen Ruſthms 
und Asſsfendiars durch die Wüfte und, übereinftimmend damit, in den 
Fahrten Wolfdietrichs dargelegt hat 1. 


4. Die Belagerung von Biane?. 


Bon dem Roman de Viane, der die Geſchichte diefer Belagerung 
enthält, ift ein großes Etüd, von 4060 Berjen, nad) der von mir aus 
einem Parifer Coder genommenen Abfchrift in den Zugaben zu Bellers 
Ausgabe des Fierabras (XI ff.) abgedrudt. Nähere Nachricht von 
diefem Roman und Überfegungen daraus habe ich in der angeführten 
Abhandlung über das altfranzöfifche Epo83 und deren Beilage gegeben. 

Derfelbe bildet zwar in fih ein Ganzes, iſt aber doch zugleidy 
organischer Theil eined großen Geſchlechtsgedichts, das fi), wie es 
ſcheint, durch fieben Abtheilungen hindurchzieht und von Generation zu 
Generation fortfchreite.. Im Eingang bezieht jich der Dichter, der fich 
Bertranz nennt, un gentil clere qui ceste chanson fist, auf ein altes 
Bud) in der Abtei St. Denis, woher auch andre Gedichte dieſes Kreiſes 
ihre Nachrichten haben wollen, in welchem er Belehrung über die fränki⸗ 
ſchen Hauptgefchlechter (gestes?) gefunden. Das erfte und vornehmite 
ift das des Königs, das zweite das von Doon von Mainz, mächtig, 
veih und tapfer, nur leider nicht von großer Treue; aus biefem gieng 
der Verräther Ganelon hervor; das dritte ift das des Garin von Mont: 
glaive und aus dieſem entiprangen nur meife und Hochherzige Helden. 
Diefen Stamm will der Dichter verherrlihen. Die erfte Abtheilung 
der Gedichtreihe, der Roman von Biane, handelt von dem Stamm: 
vater Garin, von deſſen Eöhnen Girart, Rainier u. |. w. und befons 
ders von der Belagerung, welche Girart durch den Kaifer Karl, mit 
dem er in großen Zwieſpalt gerathen, in der Stadt Biane erleidet, 
wobei Roland und Olivier, jener Karls, dieſer Girarts Neffe, kämpfend 
den Bund fchliegen, ver bis an ihr Ende dauert. Aus der Beſchrei⸗ 
bung dieſes Kampfes, in welchem zwei Haupthelden der Tarolingifchen 


1 [Schriften I, 183 ff. 8.) 
2 Bienne, an der Rhone. 
3 [Fouque, Muſen 8, 68 fl. K] 


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— — — —— 


Genoſſenſchaft zuſammentreffen, theile ich Einiges nach meiner Über⸗ 
ſetzung mit. 

Zum beſſern Verſtändnis und zur Kenntnis der Anlage des Ganzen 
ſchicke ich Folgendes voran: 

Girart iſt ſchon ſieben Jahre lang vom Kaiſer belagert. Ihm ſind ſeine 
Brüder, namentlich Rainier von Genua in Begleitung ſeines Sohnes Olivier 
und feiner Tochter Alde (Aude), zu Hülfe gezogen. Im Heere Karls befinden 
fi defien Neffe Roland, Herzog Naimes von Baiern u. A. m. Über einen 
Fallen Rolands, welchen Olivier aufgefangen, geratben diefe Jünglinge zuerft 
in Hader. Es folgen verſchiedene Nitterfiiide von beiden und andre Gefechte. 
Einmal ift die ſchöne Alde mit andern Frauen aus der Stadt gelommen, um 
dem Kampfe zuzufehen, Roland ergreift fie und will fie wegführen, fie wird ihm 
aber von ihrem Bruder wieder abgejagt. Olivier begibt fidh in des Kaifers 
Zelt, um Friebensvorfchläge zu machen, welche jedoch ſchnöde zurückgewieſen 
werden; worauf Dlivier den Roland auf die Ahoneinfel unterhalb Viane zum 
Zweikampf fordert. Die Verabredung wird dahin getroffen, daß, wenn Roland 
überwunden wird, der Kaifer abziehe, wenn Olivier unterliegt, Herzog Gerhard 
Biane Üibergeben und das Land räumen müfje Beim Weggehen Oliviers erhebt 
fih Zank und blutiger Streit zwifchen ihm und den Rittern des Kaifers. Die 
Vianer kommen ihm zu Hülfe und e8 beginnt eine allgemeine Schladht. Die 
Bianer werden mächtig gedrängt; Girart bläft das Horn zum Nüdzug, faßt 
Dliviers Zügel, damit diefer nit im Gefecht zurüdbleibe, und eilt mit feiner 
Schaar in die Stadt zurüd. Diefe wird nun nom Heere Karls beftürmt, aber 
von den Innern tapfer vertheidigt. Die ſchöne Aide felbft tritt an die Zinne 
und wirft einen Stein herab, wodurch der Helm eines Stürmenden zerjplittert 
wird. Roland erblidt fie und will nicht gegen Frauen ftürmen. Cr läßt ſich 
mit ihr in ein Gefpräc ein, während deffen Olivier ausfällt und im Heere der 
Belagerer großen Schaden anrichtet. Karl befiehlt den Rückzug und nedt feinen 
Neffen Roland mit diefer unzeitigen Unterhaltung. (Die Überfegung diefer Scene 
babe ih in meine Gedichtfammlung aufgenommen.) In der Naht träumt es 
dem Kaifer, wie fein Habicht mit einem Falken, der aus der Stadt hergeflogen, 
heftig kämpfe, wie aber zufett die Vögel Frieden machen und fich fchnäbeln. 
Ein weiſer Meifter deutet e8 auf den Zweilampf der Jünglinge. Olivier rüftet 
fh in aller Frühe. Ein alter Jude, Joachim, ift gutmüthig genug, ihn mit 
vortrefflichen Waffen (morunter ein Halsberg, welchen Äneas vor Troja erobert 
bat) auszuftatten, ob er gleich von Dlivier nicht wenig genedt wird. Die Waffen 
werden jedoch zuvor vom Biſchof eingejegniet. Olivier reitet, Girarts3 Abmahnung 
unerachtet, von dannen, läßt fih auf die Inſel überſetzen und ſtößt dreimal in's 
Horn. Roland, höchlich erfreut, rüſtet fich gleichfalls und gürtet das gute 





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Schwert Durandart um. Vergeblich räth ihm ber Kaifer ab, der Dfiviers fo 
wenig, als Rolands Schaden wünſcht. Roland ſchwimmt auf feinem Rofje zum 
Eiland über. Noch einmal erfücht ihn Dlivier, den Bianern beim Kaifer Frieden 
zu werben, die ſchöne Alde fol ihm dafür zum Danke werben. Aber der trogige 
Roland will fih die Stadt zuſammt der Jungfrau mit dem Schwert erringen. 
Da rennen fie gegen einander an, zertrlimmern fi) die Schilde und brechen die 
Speere. Sofort greifen fie zu den Schwertern. ‚Beide Roſſe werben zuſammen⸗ 
gehauen und die beiden Helden kämpfen zu Fuß. Als Alde vom Yenfter aus 
ihres Bruders Roſs gefällt fieht, gebt fie zur Kapelle hinab und betet für ihm 
und feinen Gegner. Bon den Mauerzinnen find Olivier Berwandte, vom 
andern Ufer Karl und die Seinigen Zufchauer des Bweilampfs. 

Weiter möge nun das Lied fprechen (Fouques Muſen IV, 126 ff.)! 

Auf der Vianer Inſel, auf dem Sand u. f. m. ** 

(Str. 16 bis: „diefe® Land.“ 18: „Der Herzog’ Roland.” 19. 20. 21. 2. 

24. 32 bis 86 nebft proſaiſchem Schluffe.) 


5. Karls Pilgerfahrt. 


Bon der Bilgerfahrt Karla des Großen und feiner zwölf Genoſſen 
nach Jeruſalem und ihrer Heimfehr über Conſtantinopel handelt, fo viel 
fih aus den zugänglichen Notizen erſehen läßt, ein banbjchriftliches 
altfranzöfiches Gebicht im britifchen Mufeum. Man hat dasſelbe wohl 
zu hoch hinauf ins 11te Jahrhundert gefeht (Roquefort de l’&tat de la 
po6&sie france. ©. 206 bis 208. 480 1). Auch eine ber altfranzöfiichen 
Handichriften der Berner Bibliothek (MNum. 570: vers sur Charlemagne) 
fcheint desſelben Inhalts zu fein. 

In Ermanglung dieſer ältern, noch ungedrudten Gebichte muß und 
ein noch in neuerer Zeit gangbarer franzöfifcher Vollsroman, den ich 
jedoch auch in einer Papierhandfchrift der Parifer Bibliothel (Nr. 7548) 
getroffen, hier Dienfte leiften: 

Histoire u. |. w. de Gallien Restaure, file du noble Olivier u. |. w. 
A Lons-le-Saunier 1807. 40, 

Am Anfang diefes Buches, welches in ber Geſchichte ſeines Haupt: 
helden Galien jelbft fehr unbedeutend und eine bloße Nachahmung 


1 [Heransgegeben: Charlemagne, an anglo-norman poem of the twelfth 
century, now first published by Francisque Michel. London 18386. Dar 
nach dentſch in meinen altfranzöfiihen Sagen, Tübingen 1839. I, 26 ff. 8] 


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— — — — — 


ſonſtiger Dichtungen von den zwölf Pairs iſt, ſteht eine Erzählung der 
Reiſe nach Jeruſalem und Conſtantinopel, welche offenbar andern und 
älteren Urſprungs und an deren Inhalt das übrige Machwerk erſt 
ſpäter angefponnen worden iſt. Der Gang dieſer einleitenden Erzäb- 
ung iſt folgender!: 

Nachdem Karl der Große ſich viele Länder und Städte unterworfen hatte, 
beſchloß er, mit ſeinen Genoſſen das heilige Grab zu beſuchen und zugleich den 
König Hugo zu Conſtantinopel lennen zu lernen, der ihm als der reichſte und 
mädhtigfte Herrfcher gepriefen worden war. 

Als die frommen Helden in Jerufalem angelommen, giengen fie ftrads auf 
den Tempel des heiligen Grabes zu, fanden aber die Thüren mit ftarfen eifer- 
nen Riegeln verſchloſſen. Karl richtete ein Gebet an die Mutter des Heilands 
und alsbald öffneten fi die Pforten ohne Zuthun einer Menſchenhand. Sie 
traten andädhtig in den Tempel ein und fanden zwölf foftbare Stühle, in Mitten 
berfelben aber einen dreizehnten, der an Schönheit alle übrigen übertraf. Es 
war derjenige, auf welchen Chriftus felbft fich gefett, nachdeın er von Tode 
zum geben auferftanden. Jeder der zwölf Genoffen fette fi auf einen der 
Stühle und ver König auf den mittelften. Dann danften fie allzufammen dem 
Herrn für die Gnade, daß er fie an diefen heiligen Ort gelangen ließ. In 
diejen Tempel trat ein Chrift, der zu Jeruſalem wohnte. Er betrachtete den 
Kaifer und ſah, daß von deſſen Antlitz eine leuchtende Helle ausgieng, die dem 
Stral der Sonne gli) und den ganzen Tempel mit Glanz erfüllte. Eilig lief 
der Ehrift zum Patriarchen von Jerufalem, um zu fagen, was er gejehen. Der 
Patriarch, ſehr erftaunt hierüber, ließ alle Diener der Kirche berufen und ſich 
in Loftbaren Feſtſchmuck leiden, worauf er mit ihnen in andächtigem Zuge nad 
dem Xempel gieng. Der Kaifer und die zwölf Genoffen erhoben fi von ben 
Stühlen und ließen fid) vor dem Patriarchen nieder. Diefer ſah nun aud die 
fonnenhelle Klarheit, die vom Munde Karls ausgieng, hob ihn mit der Hand 
auf und fragte, woher er und feine Leute wären und was fie fuchten. Karl 
antwortete, er fei König von Frankreich und habe feinen Neffen Roland, den 
Grafen Olivier und andre Herren bei fi; fie feien in dieje Land gekommen, 
um das heilige Grab zu ehren, in welches der Leichnam des Heilands gelegt 
worden. Da nahm fie der Patriarch ſehr ehrenvoll auf und bewirthete fie vier» 
zehn Tage lang in Jeruſalem. Karl ftellte hierauf an den Patriarchen das 
Erſuchen, daß es diefem gefallen möchte, ihm welche von den heiligen Reliquien 
zu geben, zu deren Ehre er fchöne Kirchen und Klöfter ftiften wolle, wein er 


Der Anfang des Vollsbuchs ſtimmt mit dem des alten Gedichts, Roque⸗ 
fort a. a. O. ©. 480. 


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m — — — 


nach Frankreich zurückgelange. Hierauf erwiderte der Patriarch, er thue das 
ſehr gerne; denn er wuſte wohl, wenn er ſie nicht gutwillig geben würde, ſo 
würde man fie ihm mit Gewalt abnehmen. Er gab ihnen nebſt Mehrerem 
die Schüffel, worauf der Heiland Fiſche gefpeilt, den Gürtel der heiligen Jung» 
frau und etwas von ihrer koftbaren Milch, auch den Arın des Beiligen Eimcon. 
Mit dem Segen des Patriarchen begaben die Pilger fi auf den Rückweg. Sie 
- famen an mehrere Ströme, aber die Heiligthlimer, die fie mit fi führten, 
äußerten folche Kraft, daß fie ohne Brliden oder Fähren liberfegen fonnten. Wo 
fie durchzogen, wurden Blinde jehend und Krumme gerad. In einem großen 
Walde kam ein zahllofes heibnifches Heer gegen die dreizehn Pilger angerückt. 
Roland getraute fi, es mit Allen aufzunehmen, jo lang er Durandal in der 
Hand und feinen Genoffen Ofivier an der Seite habe. Der Herzog Naimes 
von Baiern aber bielt dieß fiir bedenklich und rieth, den Herrn anzuflehen, daR 
er den Reliquien rettende Macht verleihbe. So gejchah es, und als Nolarıd allein 
auf die Heiden einbauen wollte, flanden fie alle zu Steinen und Felſen ver- 
wandelt vor ihm, worauf er fich Tobpreifend niederwarf. Am Ausgange des 
Waldes kamen fie auf eine Wieje, woſelbſt fie ein präctiges, buntes Zelt er- 
bliden, mit einem großen goldnen Knopfe, auf welchem ein koſtbarer Karfunfel 
befeftigt war, der ein blendendes Licht von fi) warf. Nachdeni Karl es eine 
gute Weile betrachtet, ritt er darauf zu und fragte, wem es gehöre. Ein Mann, 
der am Eingange des Zeltes erfchien, antwortete, dem König Hugo von Con- 
ftantinopel, e8 wohnen aber darin deffen Schweinhirten, melde Schweine zu 
Zaujenden zu hüten haben, und wenn der Monat Auguft herangelommen, erhalte 
jeder zmölfhundert Scheffel Getreides. Karl vermunderte fi) hierüber ſehr und 
fragte, ob er die herannahende Naht in dieſem Zelte zubringen könne. Der 
Schweinhirt erflärte, daß er fie jehr gerne bewirthe, uud wenn ihrer Hundert 
wären, jo würden fie Brot, Wein und Fleiſch aller Arten zur Genüge finden. 
Karl und die zwölf Genoffen fliegen nun ab. Roland aber ſprach: „Wahrlich, 
mein Oheim, wenn man in Frankreich wilfte, daß wir im Haus eines Schmwein- 
Hirten Herberge genommen, man könnt’ eg ung zum Vorwurf maden.” „Neffe, 
laß dag!“ erwiderte der Kaijer; „dag Haus eines reihen Schweinhirten ift wohl 
fo viel werth, als das eines armen Ritters.“ Der Schweinhirt bat Ogiern den 
Dänen, das Amt des Haushofmeifters zu übernehmen. Sie wurden trefilich 
bewirthet und nahmen am Morgen Abſchied. Diefen Tag kamen fie zum Rinder- 
hirten des Königs Hugo, der dem König Karl den Bügel hielt, worüber Roland 
jehr late, und fie in feinem noch geräumigern Zelte in Gold- und Silber 
geihirren bemwirthete. Tags darauf fprachen fie bein Schaafhirten ein und es 
ergieng ihnen nicht minder gut. Roland ſprach: „Wenn König Hugo ebenfo 
wohl mit Helmen, Schilden und Speeren verjehen ift, als mit Schweinen, 


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— - 





Rindern und Schafen, fo können ihm alle Fürften der Welt nichts anhaben.“ 
Auf der Weiterreife, beim Herabfteigen von einem Berge, begegneten fie einem 
inngen Boten, der raſch daherlief. Karl fragte ihn, wer er fei. „Herr! ich bin 
ein Bote des Königs Hugo; ſeht an meinem Gürtel die goldne Büchſe, darin 
ic die Briefe trage, wenn ich für ihn Boten gehe!” „Sag mir! wo ift König 
Hugo?“ ſprach Karl weiter; „mich verlangt, ihn zu ſehen.“ „Herr! er ift in 
einem Thale diesſeits Gonftantinopel, wo er den Pflug führt, wie er von Jugend 
auf gelernt hat.” Karl ſprach zu feinen Gefährten: „Das hab’ ich noch nie 
gebört, daß ein König Pflüger war.” Nachdenklich zogen fie weiter, bis fie 
den König Hugo fanden, wie er einen Pflug, der von Gold und Silber und 
mit Edelfteinen eingelegt war, im Felde führte; die Stiere, die den Pflug zogen, 
hatten Halfter von feinem Gold und mit Berlen bededt. Auf feinem Hute trug 
der König eine Perle von ungemeiner Größe, die im Sonnenlichte herrlich er- 
glänzte, auch Hatte er ein fchönes, koſtbar aufgezäuntes Maulthier. Diefer 
König Hugo war kein Freund der Jagd, weder mit Hunden, noch mit Stoß- 
vögeln; feifte Ochjen und Schweine waren feine gröjte Freude. Die Hirten 
hatten mehr Gewalt an feinem Hof, als die Evelleute. Er hielt fein Land in 
gutem Frieden, ließ gutes Recht verwalten, war milde gegen Jedermann und 
geliebt von feinem Volle. Die Pilger begrüßten den König und er nahm fe 
freundlih auf. Er beftieg fein reichgeſchmücktes Maulthier und führte fie nad) 
Sonftantinopel in feine Burg, deren Pracht feine Zunge erzählen kann. Die 
Mauern waren von Albafter und die Pfeiler von Elfenbein. Die beiden Söhne 
des Königs und feine jchöne Tochter Jacqueline famen den Gäften entgegen. 
Dlivier verliebte fich fo fehr, daß er bei dem wohlbejegten Mahle nichts genoß, 
fondern ganz in Gedanken da ſaß. Roland, dem er die Urjache diejes Benehmens 
geftand, fagte lachend: „Ihr feid ein rechter Pilger, der ihr vom heiligen Grabe 
kommt und euch an fchöne Frauen hängt." Zur Nachtruhe wurden fie in einen 
Saal mit prädtigen Betten geführt, in welchen ſich ein hohler Marmorpfeiler 
befand und darin ein Mann, der aufhorchte, was die Franken ſprächen, um es 
dem König Hugo zu berichten. Sie legten fich nieder, aber Karl konnte nicht 
fchlafen und ſprach zu den zwölf Genoffen: „Ihr Herren, ich bitt' euch, etwas 
zu fagen, was zum Laden ift, denn ich fanıı nicht einfchlafen.” Roland er- 
widerte: „An euch ift es, ein Iuftiges Geſpräch anzuheben.“ Karl begann nun: 
„Der König Hugo ift fehr rei und mädhtig und hat uns wohl aufgenommen, 
aber er hat keinen Dann an feinem Hofe, dem ich nicht, wenn er feinen Hals- 
berg umgethban und fein Haupt mit zwei Helmen von gutem Stahl gewaffnet 
hätte, diefelben doch mit einem Streiche meines Schwertes durchhiebe.“ Als der 
Kundichafter Diefes hörte, ſprach er bei fih: „Ha, Karl! große Thorbeit begieng 
König Hugo, dich zu beherbergen.” Karl hieß Hierauf den Roland ſprechen 
Uhland, Scriften. VII. 41 


‘ 


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und diefer fagte: „Morgen werd’ ich mein Horn mit folder Macht blajen, daß 
die ganze Stabt fiber den Haufen fällt, und kommt mir König Hugo in den 
Weg, fo werd’ ih ihm den Bart verfengen.“ „Wehe mir!“ ſprach der Horcher; 
„wenn Roland thut, was er ſagt, fo muß ich ſterben. Berwilnfcht ſei die Stunde 
feiner Geburt, da durch ihn die Stadt fallen ſoll.“ Nach Roland ſprach Olivier: 
„Ihr Herrn, ich rühme mich nicht; aber hätt’ ich die ſchöne Jacqueline in mei⸗ 
nen Armen, ich kliſsſte fie fünfzehn für ein Dal.” Der Laufher im Pfeiler 
dachte in feinem Herzen, Dlivier wäre der Mann dazu, bie Zochter des Königs 
zu entführen, feiner Pilgerfehaft unerachtet. Hierauf hob Ogier an: „ch vers 
ſprech' euch, ihr Herren, daß ich morgen den großen Pfeiler im Eaale Hier zer- 
brechen und das ganze Haus erſchüttern werde.” Da fieng der Mann im Pfeiler 
zu weinen an: „Ad, mein Gott! was foll ich thun? der böfe Feind bat mid) 
in diefen Pfeiler geſteckt; könnt ich entwifchen! um alles Gold der Welt würd’ 
ich nicht hieher zurückkehren.“ Die Heide kam an Bernard. „Morgen frühe,“ 
ſprach er, „werd' ich dieſen Palaft einwerfen, und wenn ih ihn fallen jehe, 
werd’ ich einen ſchönen Sprung thun, jo daß ich unbeſchädigt heraus komme.“ 
„Und ich,“ ſprach der Laufcher, „werde davon laufen, fobald fie eingefchlafen 
find.“ Weiter rühmte fi Aimery: „Mit einer Hand werd’ ich den großen 
Stein aufheben, der im Hofe liegt, und ihn mit folher Gewalt gegen die Mauer 
des Palaſtes fchleudern, daß ih 30 Authen davon abwerfe.” Der Kumdichafter 
ſprach, zitternd vor Angſt: „Das laſſe Gott nicht geichehen, daß ein fo fefter 
und reicher Palaft befehädigt werde! Der milſt' ein guter Wirth fein, der euch 
mehr, als eine Nacht, beherbergte.” Auch Ganelon that feine Rede: „Morgen, 
wenn wir im Saale find und König Hugo trinkt und ißt, werd’ ich ihm einen 
ſolchen Streih auf den Hals verfeßen, daß ich ihm das Kehlbein breche.“ Ganz 
leife jprach der Kundfchafter: „DO! welch ein Berräther bift du! durch dich wird 
eines Tags noch große Übelthat verübt werben; von Keinem ber Andern hab’ 
ih fo graufame Rede gehört.” Herzog Naimes ließ fich hierauf vernehmen: 
„Gäbe mir König Hugo drei Ringpanzer anzuziehen, jo alt und verlebt ich bin, 
ich wollte 15 Ruthen Höher fpringen, als die Burgmanern, dann mich auf die 
Erde legen, ausftreden und fo ſtark wieder auffpringen, daß die drei Panzer 
zerbrächen, wie dürres Stroh.” „Wer hätte gedacht,“ fprach ber Horder, „daß 
diefer Graubart ſolche Stärke hätte, der Doch wohl feine 120 Jahre alt it! Auf 
der ganzen Welt gibt e8 feine Leute, wie diefe, oder die jo fchrediiche Dinge 
zu vollbringen vermöchten, wie dieſe von ſich ausſagen.“ Der Erzbifchof Zurpin 
begann jett: „Ich werde morgen alles Wafler des Stromes, der hier vorüber⸗ 
fließt, in die Stadt hereinleiten, jo daß die Leute in ihren Häufern ſchwimmen.“ 
Hierauf der Späher: „Heiland der Welt, geftatte du nicht ſolchen Tsrevell“ 
Gerard von Mondidier ſprach: „Gäbe mir König Hugo drei Hoffe und würden 


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dieſe in eine Reihe Hinter einander geftellt und wär’ ich int die brei ſchwerſten 
Harnifche gewappnet, fo wollt’ ich vom erften Roſs auf das dritte fpringen, ohne 
das zmeite zu berühren, und von dem großen Sprung, ben ich auf das Rofſs 
tbäte, follten ihm die Gebeine zufammenbredhen, und wär’ e8 das allerftärkfie 
im ganzen Lande des Königs Hugo.“ Der Horher war hierüber höchſt er- 
faunt: „Bei Gott! der König Hugo bedarf feines ſolchen Reitknappen.“ Nach 
Diefem ſprach Rihard von der Normandie: „Ließe König Hugo die 6 ſtärkſten 
Männer der Stadt wappnen, wie irgend ihn gelüftete, und dann eine Kufe mit 
fiedendem Blei füllen, und würden die ſechs Gewappneten mir auf den Hals 
gepadt, jo wollt’ id ganz nadt in die Kufe und wieder heraus jpringen, ohne 
daß mich das Blei brühte, den Sechſen aber müjte von diefem Eprunge das 
Herz im Leibe vor Angft berften.” „Mein Gott!” brach der Laufcher aus, „ich 
glaube, diefe Leute find aus Stahl geſchaffen.“ Noch ſprach Garin: „Bevor 
der Morgen anbricht, werd’ ich alle Steine des Palaſtes in den Wald hinaus 
ſchleudern, jo daß fein Hirih, Eber noch andres Wild vor meinen Würfen am 
Leben bleibt.” Der Kundſchafter ſprach leiſe: „Sterbe der taufendfachen Todes, 
ber euh den Weg bieher gezeigt!" Zum Scluffe ſprach Beranger: „König 
Hugo nehme die ſechs beften Stahlflingen, die er finden kann, und ftede fie 
halb in die Erde, jo werd’ ich mit bloßen Füßen auf die Epiten fpringen und 
fie abbrechen, ohne mich zu verwunden.“ Roland und Ogier bemerkten: „Wir 
werden unſre guten Schwerter nicht dazu hergeben.“ 

Der Schlaf fam nun über die Helden; da jchlich fich der Kundfchafter aus 
dem hohlen Pfeiler und hinterbrachte dem König Hugo die angehörten Geſpräche. 
Diefer gerieth in großen Born und betheuerte, er würde fie Alle aufhängen 
lafien, wenn fie nicht in Erfüllung brächten, weſſen fie fich gerühmt. Diejen 
Beſcheid eröffnete er ihnen felbft zum Morgengruße. Als ihn aber Karl anſah, 
wandte’ er fih um und ſprach leife: „Heilige Jungfrau, welch ein Pilgrim! Ich 
bin Halb todt von feinem Blicke; mein Herz ift jo davon erfchüttert, daß ih in 
ſechs Monaten nicht wieder hergeftellt fein werde.” Er ließ nun durch die ganze 
Stadt die Sturmgloden läuten und es fammelten fih iiber 30,000 wehrhafte 
Männer gegen die 13 Pilgrime. Dieſe thaten Wunder der Tapferleit und ver- 
goffen Blut in Strömen. Da forderte König Hugo fie nochmals auf, ihre Vor- 
fäte zur Ausführung zu bringen. Sie vermaßen fi zwar abermals, daß fie 
das wohl im Stande wären, befanden fi aber doch in Berlegenheit. Sie 
giengen Meffe zu hören und Karl betete inbränftig um Hülfe Kaum war fein 
Bebet zu Ende, fo erjhien ihm ein Engel vom Himmel und verfündigte, daß 
alle die Reden in Erfüllung gehen würden; „aber,” fette er hinzu, „laß bir 
nicht mehr beigehen, dergleichen Dinge zu fprechen!“ Karl meinte vor Rüh⸗ 
sung und Alle dankten dem Himmel für biefen Troft. Aimery ergriff nun den 


644 


— -.-..-- — — 


Stein, der im Hofe lag und ben 30 Pferde nicht von der Stelle gebracht Hätten. 
Mit einer Hand hob er denfelben auf und warf damit wirklih 30 Ruthen von 
der Dauer ab (non par 8a force, mais par la volonte de Dieu). Sofort 
machte fih Erzbiſchof Turpin an's Werk, warnte jedoch zuvor die Leute, aus 
der Etabt zu gehen, wenn fie nicht alle ertrinfen wollten. Er fticg ſodann auf 
die Binne des Palaftes, machte den Segen über den Strem und nöthigie ihn, 
dur die Stadt zu fließen. Da hatte König Hugo genug, bat nur infländig, 
den Strom wieder in fein altes Bett zu wenden, erließ alle weiteren Broben 
und fette. feine Krone auf das Haupt Karls des Großen. Die ſchöne Jacque⸗ 
line wurde mit Olivier verlobt und am neunten Tage traten die Pilger ihren 
Rückweg nad Frankreich au. “ 

Wir fehen in diefer Dichtung eine feltfame Mifchung von Schwank 
und Legende. Der Himmel felbjt muß Wunder thun, um die Auf: 
fchneibereien ber prahleriſchen Franken wahr zu machen. Der Ernit des 
germanifchen Helvenlieves hat eine bedeutende Umwandlung erfahren. 
Und dennod trägt die Erzählung ein unverkennbar altertbümliches Ge: 
präge, wie denn auch das Gedicht von ber Reife nach Conftantinopel 
für das älteſte franzöfiiche Schriftdenkmal dieſes Sagenkreiſes angeſehen 
wird. Die Meinung von einer Wallfahrt Karls des Großen war früh—⸗ 
zeitig verbreitet. Nur 150 bis 160 Jahre nad) feinem Tode findet fidh 
die Sage von feinem Zuge nad Gonftantinopel und Serufalem ſchon 
in einer lateinischen Mönchschronik (Perg, Monum. II, 730). Um das 
Volk zum erften Kreuzzuge aufzuregen, wurde (1095) vorgegeben, Karl 
der Große fei von den Todten auferfianden, um an die Spite des 
Dolls Gottes zu treten: 

Ekkeh. de 8. exped. Hieros. S. 519: Inde fabulosum illud confictum 
est de Carolo Magno quasi de mortuo in id ipsum resuscitato. (Willen L 
76, 81.) 

Petrus Tudebodus, der als Augenzeuge die Eroberung und Grün: 
dung bes Reichs Serufalem, bis zum Tode Gotfrieds von Bouillon, 
in den eriten Jahren des 12ten Jahrhunderts befchrieb, jagt (Petri 
Tudeb. hist, in Duchesne, scriptores rerum Franeic. B. IV, ©. 771. 
Willen I, Beil. 3, 1): 

Una pars Francorum in Hungari& intravit regionem, scilicet Petrus 
Heremita et Dux Godefridus et Balduinus frater ejus. Isti potentissimi 
milites et alii p!ures, quos ignoro, venerunt per viam, quam jam dudum 
Carolus Magnus, mirificus rex Francie, aptari fecit usque Constantinopolim. 


645 





Weitere Nachweiſungen finden fih in Willens Gefchichte der Kreuz: 
züge, B. I, Beil. 1, ©. 3 ff.: „Über ven fabelhaften Zug Karla des 
Großen nad) Paläftina.” Bon einem lateinischen Roman dieſes In⸗ 
halts iſt Nachricht gegeben in dem Auszug einer Abhandlung von 
2ebeuf, in der Hist, de l’Acad. des Inseript. B. XXILI. 


C. Die vier Aymonsſöhne. 


Das altfranzöfifche Gedicht le livre des quatre fils Aymon ift 
vollftändig nur in Hanbfchrift vorhanden (Pariſer Handichrift 7182). 
Fragmente desfelben, zufammen 1044 Berfe, hat Befler zum Fierabras 
(S. I bis XIT) mitgetheilt . Die darin behandelte fagenhafte Ge: 
fchichte, in welcher König Karls Kampf mit mwiderfpenftigen Vaſallen 
dargeftellt ift, geht in Frankreich noch jett als profaisches Volksbuch 
um. Sn Deutichland ift fie gleichfalls durch einen aus franzöſiſcher 
Quelle entnommenen Volksroman hinreichend befannt, fo daß ich bei 
diefer an fich ſehr werthvollen Sage hier nicht vermeile. 

Eine fchöne Charakteriftif derjelben mit litterarifchen Notizen gibt 
Görres, Volksbücher S. 100 ff. 


7. Fierabras. 


Der Roman von Fierabras, provenzalifh. Herausgegeben von Immanuel 
Belfer. Berlin 1829. 40, 


Dieſes Gedicht, in 5084 alerandrinifchen Zangzeilen, ift zwar nur 
in provenzalifcher Spracde vorhanden. Aber ich glaube es in dicfer 
Geftalt als aus dem Norbfranzöfiihen in das Provenzalifche übertragen 
oder bloß umgefchrieben betrachten zu dürfen. Provenzalifch fteht es 
vereinzelt da, während es norbfranzöfifch in den gefammten Cyclus ber 
in letterer Sprache vorhandenen karolingiſchen Heldengedichte fich ein» 
reiht. Sein fehr anziehenver Inhalt, die Kämpfe und Abenteuer Karls - 

1 [Bgl. Schriften II, 84. K.] 

2 [Eine ältere Recenfion hat H. Michelant 1862 in der Bibliothek des Titte- 
rarifchen Vereins in Stuttgart B. 67 herausgegeben. Bgl. daſelbſt ©. 512. K.) 

3 [Die von Uhland ausgefprochene Vermuthung bat fi) beftätigl. Das 
altfranzöfifche Gedicht ift num herausgegeben unter folgendem Titel: Fierabras, 
chanson de geste, publi&e pour la premiere fois d’apres les manuscrits de 
Paris, de Rome et de Londres par MM. A. Kröber et G. Servois. Paris 
1860. 12. $.] 


646 


und feiner Helden mit dem riefenhaften Sarazenenlönige Fierabras und 
deflen ſchöner Schwefter Floripar, bildet ebenfalla den Hauptgegenftand 
eines franzöfiihen Volksbuchs: 

Les conquestes du grand Charlemagne avec les faits et gestes des 
douze pairs de France et du grand Fierabras. Troyes 1736. 

Es gibt davon ſchon Drude von 1505 u. ſ. f. 

Eine deutſche Bearbeitung, gleichfalls in Druden des 16ten Jahr: 
hunderts, ift mit veränderter Rechtichreibung aufgenommen in Büſchings 
und H. von der Hagen Buch ver Liebe, B. I, Berlin 1809, und dadurch 
leicht zugänglich geivorben. 


8. Die Shlaht von Ronceval. 


Die tragische Kataftrophe der Tarolingifchen Helvenjage, melde 
zugleich den poetiichen Höhepunkt derjelben bildet, Tannte man bisher 
bauptfächlih nur aus dem apokryphiſchen Buche: Turpini historia de 
vite Caroli Magni et Rolandi, gebrudt in Reubers Scriptores rerum 
germanicarum. frankfurt 1584 1. 

Diefer Inteinifche Roman, welder übrigens ſchon vom Pabſte 
Calixtus II im Jahr 1122 als echte, vom Erzbifchof Turpin zu Rheims 
ſelbſt niedergefchriebene Gefchichte bejtätigt wurde, ift das ältefte vor: 
handene Schriftvenfmal über die legten Gefchide der Zwölfgenoſſenſchaft 
und man bat ihn häufig als den Urquell ber Dichtungen des Taro: 
lingiſchen Sagentreifes geltend gemadit. 

Sch gebe zuerft das Hauptfächliche vom fagenhaften Inhalte dieſes 
Buchs, fomweit er das Ende der Helden betrifft 2. *** 

Diefer Pſeudo⸗Turpin ift erweislich am Schlufle des 11ten Jahr: 
hundert aus Spanien nad) Frankreich gebracht worden. Aber nicht 
minder unzweifelhaft ruht defien ſagenhafter Beſtand doch in der Haupt: 
ſache auf franzöfifcher Tradition. Man hat auch bisher fchon aus An⸗ 
fübrungen bei Dufresne (Glossarium ad scriptores med. et inf. latini- 
tatis 8. v. Mons Gaudii) von dem Dafein eines handſchriftlichen Roman 
de Roncevaux gewuſt. Aber exit ſeit wenigen Monaten ift deflen 
Inhalt und Beichaffenheit durch folgende Schrift befannt geworden: 

1 [Echriften II, 76. 8.] 

2 [Hier weift der Berfaffer zuriid auf das Heft über die deutſche Poefie 
des Mittelalter, Schriften II, 79 f. 8.] 


647 


Dissertation sur le roman de Roncevaux, par H. Monin, 
These de litterature ‘soutenue le 23 Juillet 1832. - Paris 1832. 
Nach den bier gegebenen Auszügen geftaltet fich die Gefchichte fo 1: 
Karl Hat ſechs volle Jahre in Spanien zugebracht und fich das ganze Land 
unterworfen, mit Ausnahme von Saragoffa, wo fidh der Sarazenenkönig Marfil 
noch hält. Diefer beräth fi in feiner Bedrängnis mit feinen Häuptlingen. 
Keiner meiß eine Auskunft zu finden. Endlich erhebt fi Blankardin, der Hiigfte 
unter ihnen, und gibt den Rath, Marfil fol dem König Karl einen Boten mit 
reihen Geſchenken jenden, Roſſe, Fallen, Zagdhunde, Bären und Lömen, 
50 Wagen voll gemünzten Goldes, zum Zeichen der Unterwerfung und Lehns- 
treue, die er Karln am Feſte des heiligen Michael ſchwören wolle. Berlange 
der Kaifer Geifel, fo joll man ihm deren 15 bis 20 zuſchicken. Hiedurch ficher 
gemadt, werde Karl fein Heer aus Epanien zurüdfüihren und jeder feiner Helden 
fih in feine Heimath begeben. Blankardin bietet feinen eignen Sohn unter die 
Zahl der Geiſel an; beffer, daß Allen das Haupt abgefchlagen werde, als daß 
Spanien verloren gebe. Die Heiden rufen: „Der König hat einen guten Rath⸗ 
geber.” Blanfardin wird felbft mit 9 Gefährten zu Karin nad Cordova ge- 
andt und die Sache joweit in’s Reine gebradht, daß nur noch von Karls Seite 
ein Botſchafter an Marfil abzugeben hat. Allein noch nie ift ein Abgefandter 
lebend vom Hofe des treulofen Heidenlönigs zurückgekommen. Nach einer feier- 
tihen Stille erheben fich die Helden Karls und verlangen, abgefdhidt zu werben; 
der Herzog Naimes, Dfivier, der Erzbifhof Turpin treten nad einander vor. 
Aber Karl will nicht feine beften Ritter dem Tode ausfegen. Die ähnliche 
«Scene, wie im Agolant. Endlich jchlägt Roland, welcher felbft beim Heere nicht 
entbehrlich ift, feinen Stiefvater, Ganelon von Mainz, vor. Die Sranfen rufen 
einftimmig, daß es keinen Tauglichern gebe, und Karl genehmigt den Vorſchlag. 
Aber Ganelon fürchtet den Tod, er ift voll Ingrimms gegen Roland und ſchwört, 
fih zu rächen. Dur Karls Drohungen wird er genöthigt, mit Blaukardin 
abzuziehen, nachdem er no Sohn und Neffen ven Freunden empfohlen, die 
das fchöne Frankreich (la douce France) wiederfehen werben. Schon auf dem 
Wege weiß Blankardin die Stimmung Ganelons zu benügen. Am Hofe Marfils 
wird Ganelon dur den Haß gegen Roland, durch Habgier und Todesfurcht 
zum ſchändlichen Verrathe bewogen. Er gibt Marfiln die Weifung, die Nachhut 


1 Roncisvals ift Roncesvalleg, Ort auf der fpanifchen Grenze, auf dem 
Porenäenpaffe nah Pampelona. [Das Gedicht ift feither öfters heraufgegeben, 
zuerft von Francisque Michel, Paris 1837, von Jean Louis Bourdillon 1841, 
von Theodor Müller 1851 und 1863, deutſch in meinen altfranzöfiihen Sagen 
B. 1, von Wilhelm Herk 1861. 8.) 





648 


der heimfehrenden Kranken heim Übergang über die Pyrenäen anzugreifen. Hier 
werde er unfehlbar die zwölf Genofien trefien, und wenn Karl dieje verliere, fei 
feine Macht für immer gebroden. Dit Geſchenken beladen lehrt Ganelon zu 
feinem Herrn, berichtet ihm, daß Marfil die Bedingungen angenommen, und 
bringt ihm 20 Geiſel. Alsbald wentet der alte Kaifer fein Heer nach Frank⸗ 
reich zurück. Auf dem Zuge hat er unheilverlündente Träume. Das Heer 
fommt am Fuße des Gebirges an und Roland erhält den gefährlichen Auftrag, 
die Nachhut zu führen. Er entzieht fich nicht, ob er glei, der Drohungen 
Banelons eingeben, feinen Tod vorausficht. Karl zieht mit dem Heere durch 
die Engpäffe; als die Franken fih tem Land ihres Königs nähern, da gedenfen 
fie der Kinder und der Greife daheim und können ſich der Thränen nicht er- 
wehren. Am fchwerften ift Karln das Herz. Herzog Naimes fieht, daß er weint, 
und fragt um die Urfache. Der Kaifer erzählt, wie ihm geträumt babe, daß 
ihm die Lanze in ber Fauſt zerbrochen fei; er deutet dieß auf die Gefahr feines 
Neffen Roland. Diejer ift indefs mit 20000 Erlefenen, die fonft tie Vorhut 
ausmachten, im Gebirge zuriidgeblieben, bei ihm Olivier, Turpin nnd andre 
der tapferften Helden. 

Schön und hell geht der nächte Morgen auf, der Morgen des Schlacht⸗ 
tag8 von Roncevaur. Als die Sarazenen anrüden und Dlivier Berg und Thal 
mit Feinden bebedi fieht, fordert er zu wiederholten Malen feinen Freund 
Roland auf, das Horn Dlifaut zu blafen, deflen Schall der Kaifer hören und 
ihnen zu Hülfe eilen werde. Beharrlich weigert fi Roland deffen, fein Oheim 
fol nit mit ihm bemüht und Frankreich nicht durch feine Zaghaftigkeit ge- 
Ihmäht fein. Nicht das Horn, dag Echwert foll erklingen. 

Schwing Hautecler! fo ſchwing' ih Durandal, 

Mein gutes Schwert, das mir gefchentt von Karin; 
Und bleib’ ich tobt, kann fprechen, wer's vernahm: 
„Dieß Schwert trug eines tapfern Mannes Hand.“ 

Der Kampf beginnt und nad) vielen Heldenthaten find tie Franken zuletzt 
durd die Überzahl erdrückt. Roland felbft fühlt ſich erſchöpft und will endlich 
in's Horn floßen, nun will aber Olivier nichts mehr davon wiffen und wiederhelt 
in bittrem Hohn über Rolands frühere Weigerung, die nun der Franken Ber- 
derben fei, die Gründe, welche diefer ſelbſt gebraucht: 

„Freund Olivier! i fo fpricht Roland, der Held, 
Der Kampf ift hart, wie du an dir erfährft; 
Ich ſtoß' in's Horn, wenn du genehm es hältft“. 
Sprad Olivier: „Darum wärft du gefhmäht 


1 (Bei Hertz S. 68 ff. 8) 


649 


Und all dein Stamm er wäre drum entehrt. 
Dei dem, der an dem Kreuze ward gequält, 
Und wär’ ung noch vergönnt die Wiederkehr, 
Nie würde Schwefter Alte dir vermäßlt, 

In ihren Armen lägft du nimmermehr“ u. f. wm. 
Der Erzbifchof, der ihren Streit bemerft, 

Hat ſchon den guten Renner angefprengt, 
Kommt auf fie zu und weifet fie zurecht: 
„Bein ew'gen Gott, dem Richter aller Welt, 
Ereifert euch, ihr Freunde, nicht fo jehr! 

Der Auf des Hornes frommt uns jett nicht mehr, 
Wir fterben heute, jede Hülf’ ift fern, 

Zu weit ift Karl, die Umkehr viel zu fpät. 

Und dennoch, kämen unfre Franken her, 

Den Heiden würde bintiger Entgelt. 

Bemweinen wird’ ung Todte mancher Held, 

In kühle Erde würden wir gejentt, 

In einen fihern Friedhof eingebegt, 

Wo uns das Thier der Wildnis nicht verzehrt.” 
Dlivier ſpricht: „Das heiß’ ich mohlgerebt. 

Sa, mein Gefelle Roland, floß in's Horn! 
Karl wird e8 hören an der Alpen Thor, , 

Da wird zurüd er führen aü fein Voll. 

Wohl finden fie ung bingeftredt und todt, 
Doc werden fie bejammern unjre Roth. 
Wohlan, fo blas dein Horn mit vollem Stoß!“ 

Roland bläjt dreimal mit folder Gewalt, daß ihm das Hirm mirbelt und 
die Halsader reißt; Blut fpringt ihm aus dem Munde. Berg und Thal Hallen 
wieder. Die Sarazenen fchreden auf und Karl hört 15 Meilen weit, am Aus- 
gang der Engpäffe, den Schall. Ganelon ſucht ihn irre zu machen; um einen 
einzigen Hafen blaje Roland den ganzen Tag das Horn. Herzog Naimes be 
merkt, Roland habe nie in's Horn geftoßen, wenn nicht große Noth geweſen. 
Karl läßt umverweilt fein Heer ummenden, aber zu ſpät. Indeſs hat Roland 
nur noch 50 Nitter, mit denen er ungeheure Niederlage anrichte. Bon ben 
Führern des Heers find no Zurpin und Olivier bei ihm übrig. Aber ber 
Letstere bat bereits eine tödtliche Wunde empfangen. Da wirft er fi) nochmals, 
um Rache zu nehmen, in die dichteften Haufen der Feinde Mitten im Ge⸗ 
dränge trifft er auf Roland und baut gewaltig auf deffen Helm, ohne ven 
Freund zu Tennen. 


650 


„Herr Olivier, fo ruft der Held Roland, 

Mein trauter Freund, warum mir biefen Schlag?“ 
Olivier hört's; zweimal erjeufzt er da, 

Kein Wort kann fprechen er vor tiefem Harn. 
Er neigt ſich liber feines Roffes Hals. 

„Dlivier, ipriht Roland zum zweiten mal; 

Bon deinem Echlag ift mir das Ente nah. 
Sprid, mein Gejell, ob du mit Fleiß es thatft! 
Noch war mir ja von dir nicht widerfagt. 

Ich Hin Roland, dem ftets fo lieb du warſt.“ 
Drauf Dlivier: „Gefell, nun glaub’ mir bag! 
Sch ſeh' dich nicht, fo fehe Gott dich an! 

Wohl fürcht' ich, daß mein Schwert dich töbtlich traf. 
Ich bitt' um Gott, daß du did mein erbarmſt.“ 
Da haben fich die Beiden feit umbalit, 

Doch werden fie getrennt durch Gottes Macht, 
Daß fie einander lebend nie mehr fahn. 

Dlivier merkt, daß ihn der Tod umfäht, 

Daß ihm die Augen aus dem Haupt ſich drehn, 
Da fteigt er ab von feinem guten Pferd. 

Er legt auf feinen Schild fi) morgenwärts, 
Legt auf fih nieder Hautecler, dag Schwert. 
Bon Zeit zu Beit er auf die Bruft fi Schlägt, 
Dann faltet er die Hände zum Gebet, 

Daß Gott zum Paradies ihn laffe gehn. 

Dann fegnet er den Kaifer, feinen Herin, 

Und aud das fchöne Frankreich jegnet er, 

Bor allen Roland, feinen Kampfgejelln. 

Drei grüne Halme nimmt er von der Erd’ 

Und braucht fie für das Liebesmahl des Herrn. 
Sein Leib ift auf dem Boden ausgeitredt; 

Die Engel Gottes ſchweben zu ihm her 

Und führen mit Gejang hin feine Seel. 

Bald find nur noch Roland und Turpin am Leben, aber diefem ift bereits 
das Roſs getöbtet. Da hört man zum erftenmale die Schlahthörner des fränki⸗ 
ſchen Hauptbeeres, das in's Gebirge zurüdgelehrt if. So oft Roland wieder 
einen gewaltigen Schlag gethban hat und die Sarazenen darüber eine Weile 
ftugen, hört man diefen Hörnerfchall näher und näher. Schon vernimmt man 
Monjoie, den Schlachtruf der Franken. Da wiffen die Sarazenen, daß fie das 


651 


Feld nicht mehr behaupten fünnen. Nur Roland foll noch erliegen. Sie ſchleu⸗ 
dern auf ihn Speere und Wurfgefchoffe aller Art. Sein Schild wird durd- 
löchert, fein Helm zerichmettert, fein Halsberg durchbrochen; fein Roſs, an 20 
Stellen ſchwer getroffen, fällt todt unter ihm nieder. Da entfliehen fi. Roland 
geht über die Wahiftätte hin und fucht feine todten Freunde, er trägt fie auf 
den Armen vor den wunden Erzbiſchof hin, der fie fegnet und ein Gebet über 
fie ſpricht. Auch den Leihnam Oliviers hat er unter einer Fichte, neben einem 
wilden Roſenſtrauche, gefunden, tridt ihn an feine Bruſt und bringt ihn zu 
Turpin. Als diefer ihn gefeguet, 

Da Ipriht Roland: „Olivier, mein Gefell! 

Du warft der Sohn des guten Graf Rainier, 

Der wohl die Mark verwaltet und das Lehn. 

Nicht gab es beffern Nitter in der Welt, 

Den Feinden zu zertrümmern Schild und Epeer, 

Die Panzerringe weit zu fireun umher 

Und zu erhöhen einen edeln Herrn. 

Warſt Aldens Bruder, die fo Preifes werth, 

Mit der ich feiern ſollt' das Hochzeitfeft. 

Bon diefer Heirath muß ich ab nun ftehn; 

Zu fterben ziemt mir; Niemand wender’8 mehr. 

Schön’ Alde, o wie liebte dich mein Herz!“ 

Roland finkt befinnungslos bin. Erzbifhof Zurpin nimmt das Horn Dli- 
fant und will darein, zu Rolands Erfriihung, an einem Bad) im Thale Waffer 
ſchöpfen. Aber eh’ er dahin gelangt, bricht ihm der Tod das Herz. Roland 
erwacht noch einmal, aber auch fein Tod ift nahe. linter einer breiten, gri- 
nenden Fichte ftehen vier Felsfteine An einem von diefen will er fein Schwert 
Durandart zerfehlagen, damit es in feines Schlechten Hand falle Aber das 
Schwert fpaltet den Fels durch und durch. Unfern ift eine tiefe, giftige Duelle, 
aus der nie ein Menſch getrunken, der nicht auf der Stelle todt niedergefallen 
wäre. Sn diefe wirft nun Roland fein Schwert. Das Lied nimmt die Leute 
der Gegend zu Zeugen, daß das Schwert noch dort ift und bis zum Ende ber 
Zeiten dort fein wird. Hierauf legt der Held fi unter einen Baum, wendet 
fein Angeficht gegen Spanien hin, denkt nach, wie viele Länder er erobert, denkt 
an das ſchöne Frankreich und an feine Landslente, da kann er ſich der Thränen 
night enthalten. Zuletzt betet er inbrünftig um Vergebung feiner Sünden. 

Den rechten Handjchuh beut zu Gott er Hin 
Und unter feinen Arm den Helm er ninmt, 
Die Hände faltet er, ter Tod faßt ihn. 
Da hat ihm feine Engel Gott gejchidt, 





Den beilgen Gabriel und andre viel, 
Die tragen feine Seel’ in's Paradies. 

Wie dann Karl mit dem Frankenheere heranlommt, wie er an den Sara⸗ 
cenen ſchwere Race nimmt, wie die Todten beflagt und beftattet werden, wie 
über Ganelon firenge® Gericht ergeht, all Diefes wird noch ausführlich im 
Gedicht erzählt. Wir fchließen aber mit dem, was den Kern desjelben ausmacht. 

Vergleiht man die Darftellung im Pſeudo-Turpin mit der des 
Roman de Roncevaur, fo ergibt fih, daß dort mehr das Iegenden- 
hafte, bier mehr das beroifche hervortritt, daß dort beftimmte geiftliche 
Zwecke obwalteten, hier das freie Intereſſe der Poeſie. Hat auch der 
Iateinifche Roman die Grundzüge nicht verwifcht, fo fchmebt doch nur 
über dem Gebichte jene tragifche, bis zur Tovestrunfenheit gefteigerte 
Stimmung. Bol ahnungsfchwerer Träume zieht Karl voran; feines 
Todes zum voraus ficher, hält Roland die Nachhut; munderfam ertönen 
die fchauerlichen Klänge des Hornes Dlifant. Solche Rufe und Klänge, 
die in der gröften Noth auf übernatürliche Weife in große Ferne hinaus 
auf die Befreundeten wirken, find und auch in der norbiichen Sage 
bemerflich getworden. Das lebte Zufammentreffen Rolands und Oli⸗ 
viers im Kampfgetümmel, wo der Tobesnebel die Augen des Lebtern 
ſchon fo umwölkt, daß er blindlings den unzertrennlichen Freund fchlägt, 
ift das Hußerfte des düſtern Echlachtgemälbes, 

Die normanniſche Reimchronif des Robert Wace (Roman de Rou 
II, 214 f.2) vom Enve des 12ten Jahrhunderts berichtet in ber Er: 
zählung der Schlacht von Hajtings, welche im Jahr 1066 für Wilhelm 
den Eroberer den Befit Englands entſchied, daß den erften Streich auf 
Seiten der Normannen ein Ritter mit Namen Taillefer führte, der vor 
dem Herzog berritt und mit lauter Stimme von Karl, Roland und 
Dlivier und den andern Helden fang, die in Ronceval ftarben: 

Taillefer, ki mult bien cantout, 
Sor un cheval, ki tost alout, 
Devant li dus alout cantant 

De Karlemaine e de Rollant 

E d’Oliver e des vassals 

Ki morurent en Renchevals. 


1 [Der Vorname Robert ift unrichtig. H. Bgl. unten ©. 661. 8.) 
2 [Hert, Rolandglied S. V. &.] 


653 

Kampficenen, wie die ausgehobenen des Romans von Ronceval, 
waren wohl geeignet zum Schlachtgefange. Fällt auch die jetzige Ab- 
fafjung des Gedicht um Vieles fpäter, fo lebten doch die Helbenbilber 
felbft ſchon längft in der franzöfiihen Volkspoeſie. 

Die Schlaht von Ronceval, wenn fie gleih an ven Schluß ber 
Tarolingifchen Helvenfabel fällt, war doch ohne Zmeifel eine der Haupt: 
grundlagen ihrer Entwidlung. Diele tragifche Handlung hat vorzugsweiſe 
das Eindringliche, was im Gemüthe haftet. Von ihr aus griff man auf 
die früheren Thaten Rolands und Oliviers zurüd, fpann ihre Jugend» 
abenteuer und Heldenfahrten poetiih aus. Aber auch für die hiſtoriſche 
Anknüpfung zeigt fich gerade bier ein Haltpunkt, während fonft bei 
diefem Sagentreife die gejchichtlichen Nachweifungen fo dürftig ausfallen. 

Eginhard, der Zeitgenoffe Karls, meldet in feiner Lebensbeichrei- 
bung diejes Kaiſers (de vita et gestis Caroli M. bei Reuber ©. 5. 
[E. 9. Pertzs Monum. II, 447. K. ]: 


Hispaniam quam maximo poterat belli apparatu [Carolus] aggreditur, 
saltuque Pyren&i superato, omnibus quæ adierat oppidis atque castellis 
in deditionem acceptis, salvo atque incolumi exercitu revertitur, preeter 
quod in ipso Pyrenei jugo vasconicam perfidiam parumper in redeundo 
contigit experiri. Nam cum agmine longo, ut loci et angustiarum situs 
permittebat, porrectus iret exercitus, Vascones in summi montis vertice 
positis insidiis (est enim locus ex Oopacitate sylvarum, quarum maxima est 
ibi copia, insidiis ponendis opportunus) extremam impedimentorum parteın, 
et eos, qui, novissimo agmine incedentes, subsidio pr&cedentes tuebantur, 
desuper incursantes, in subjectam vallem dejiciunt: consertoque cum eis 
prelio, usque ad unum omnes interfciunt: ac direptis impedimentis, 
noctis benefieio, qu& jam instabat, protecti, summa cum celeritate in 
diversa disperguntur. Adjuvabat in hoc facto Vascones et levitas armorum 
et loci, in quo res gerebatur, situs. Econtra Francos et armorum gravitas 
et loci iniquitas per omnia Vasconibus reddidit impares. In quo prelio 
Eghartus [al. Eggihardus], regie mens® prepositus, Anshelmus, comes 
palatii, et Rutlandus [al. Hruotlandus, Hrodlandus, Hrollandus, Ruod- 
landus, Rotlandus, Monin a. a. ©. ©. 77], britanniei littoris [al. limitis] 
prefectus, cum aliis pluribus interficiuntur. 


Daß hier der Überfall von den Basken gefchieht, in der Sage 


dagegen von den Sarazenen, denen auch der Tpanifche Feldzug gegolten 
hatte und die überall in dieſem Gedichtlreife die Hauptgegner ber 


654 


Franten find, iſt eine unmefentliche Verſchiedenheit. Aber der unge 
fährvete Heimzug des Hauptbeerd, der Untergang der Nachhut und in 
ihr mehrerer der Hof- und Reichsbeamten Karls, unter denen der bre 
tagnifche Grenzgraf Hruotland befonders genannt ift, dieß find Mo: 
mente, in denen der Gefchichtfchreiber und die Gebichte zufammenftimmen. 

Ein Erzbiſchof Tilpinus von Rheimd war gleichfalls in der Ge: 
fchichte mit Karl dem Großen gleichzeitig und ienigftens die Namen 
Dlivier, Ogier, Naimes u. ſ. w. finden ſich, lateinifch geformt, in Ur- 
kunden bes 8ten Jahrhunderts, als: Ulfarius, Namatus, Oggerus, Aut: 
harius, YAutgarius u. f. w. (Monin a. a. D. 80 unten bis 84. Über 
Autcharius vgl. Leos Dvin ©. 73 oben und die Enge vom eifernen 
Karl!) Ein Hiftorifcher Herzog von Baiern mit einem der franzöji: 
fchen Form Naimes entjprechenden Namen läßt ſich zwar nicht nad: 
meifen; eber läßt fich bei dem unverlennbar aus Zuſammenziehung 
entitandenen Naimes an den in der beuifchen Heldenfage ziemlich dunkel 
vorkommenden Nantwin oder Nentwin von Regensburg (dem alten 
bairifchen Herzogsfige) denfen. Er wird im Dietleibslieve ausdrücklich 
als „berzoge von Beirlant” bezeichnet. (Grimms Heldenfage ©. 137. 
Bol. Gramm. Ill, 367 unten.) 

Über manche Theile diefer Sagendichtung und über einzelne Züge 
derjelben dürfte die Nachforſchung in der Gefchichte den Ähnlichen Er« 
folg haben, wie die Unterſuchung von Rolands Grabe zu Blaye, morin 
man ftatt der erwarteten Rieſenknochen ein Häufchen Gebeine fand, 
welche kaum Fingerslänge batten, gerade wie man beim Nacdgraben 
nad Siegfried Gebeinen zu Worms auf Waller Tam. 

Das Tarolingifhe Epos, deſſen beveutendite Dichtungen, foweit fie 
aus altfranzöfifchen Quellen näher befannt find, im Vorhergehenden 
aufgezähtt mwurben, iſt in einem germanischen Bollsftamme, dem fränki⸗ 
ſchen, erzeugt, aber abgefaßt und auögebildet in einer romanifchen 
Mundart, die aus dem Siege bervorgieng, welchen die Sprache des 
unterworfenen, gebilvetern Volles über diejenige feiner Eroberer davon» 
getragen. Im Vergleiche mit dem alteinheimifchen beutfchen Epos zeigt 
es folgende weſentliche Umwandlungen der Heldendichtung ?: *** 

1 [Bgl. Schriften II, 91. 8] . 


2 [Das Weitere, wie int ber Borlefung iiber Geſchichte der altdeutichen 
Poeſie, Schriften II, 85 f. &.] 


- 


635 





Der Tarolingifhe Sagenfreis hat fih von Frankreich aus der 
italänifchen und ſpaniſchen Poefie mitgetheilt. Ein noch jebt in allen 
Theilen Italiens befanntes Volksbuch, worin mehreres aus dieſem 
Kreife zufammengefaßt ift, find bie Reali di Francis, wovon zu Be 
nedig 1821 eine berichtigte Ausgabe erjchienen iſt 1. *** 

In deutiher Sprache find ſchon vom Echlufle des 11ten Jahr⸗ 
hundert? an mehrere der altfranzöſiſchen Gedichte des. Sagenkreiſes von 
Karl dem Großen bearbeitet worden, beſonders fcheint das um bie 
angeführte Zeit gejchriebene Rolandslied des Pfaffen Kunrat (Schilters 
Thefaurus B. I12) eine Bearbeitung des jett näher befannt gemorbes 
nen Roman de Roncevaur zu fein, ohne daß jedoch diefe Übertragungen 
als eine neue und eigenthümliche Ausbildung dieſes Sagenkreiſes zu 
betrachten wären. Die eigentlich deutſchen, jehr vereinzelten Sagen von 
Karin haben wir an ihrem Orte abgehanbelt. 


II. Rormannifder Sagentreis. 


Die Normandie, die am Anfang des 10ten Jahrhunderts von 
Söhnen des ſtandinaviſchen Norbens erobert worden und babon ben 
Namen erhielt, zeigt auch in den ihr eigenthümlichen Überlieferungen 
noch den altnorbifchen Einfluß. Wir betrachten als foldhe die Sagen 
von Robert dem Teufel und von feinem Sohne, Richard Ohnefurcht. 


1. Robert der Teufel. 


Das altfranzöfiihe Gedicht von ihm, in epifchen Aleranbrinern 
(Diet de Robert le Deable, Roquefort, Glossaire de la langue 
romane II, 779. Paris 1808) ift noch ungebrudt3. Aber noch jetzt 
geht feine fabelhafte Gefchichte in Franfreih als Volksbuch um: La 
terrible et &pouvantable vie de Robert le Diable. A Limoges, 


1 [Das weitere wie Schriften II, 87. R.] 

2 [Schriften II, 88. K.] 

3 [Eine Ausgabe hat Trebutien in Paris 1837 erfcheinen laffen. Darnach 
meine beutfche Erzählung in den Altfranzöfifchen Sagen, Tübingen 1840. 2, 58. 
Bgl. weiter Gräßes Lehrbuch einer allgemeinen Fitterärgejchichte, Dresden 1842. 
2, 2, 2, 628. Eveleftand du Meril, la lögende de Robert-le-diable, in der 
Revue contemporaine 15 Juni 1854. &.] 


656 


— — 





Auch ſpaniſch (Madrid o. J. 40) und engliſch (Altengliſche Sagen und 
Mährchen, nach alten Volksbüchern herausgegeben von Thoms, deutſch 
von Spazier. Bdch. J. Braunſchweig 1830, wo auch in der Ein⸗ 
leitung das altengliſche gedruckte Gedicht bemerkt iſt) war dieſer Volls⸗ 
roman verbreitet 1. 

Hier ein Umriß des Inhalts: 

Herzog Hubert von der Normandie und feine Gemahlin, die Tochter des 
Herzogs von Burgund, find lange kinderlos. AS Die Gebete zum Himmel ohne 
Erfolg bleiben, gelobt die Herzogin das Kind, das ihr werden würde, dem 
böfen Feinde. Sie geneft eined Knaben, bei deffen Geburt ter Himmel fo finfter 
wird, als ob es Nacht wäre; es donnert und blitt, als wäre das Firmament 
offen; die Winde blajen aus allen vier Weltenden; es ift jolche® Stürmen und 
Toben, daß die Häufer heftig erfchüttert werden und große Stüde von ihren 
zur Erde fallen; der Welt Untergang ſcheint gelommen zu fein, Als das Wetter 
fi) wieder aufgeflärt, wird das Kind zur Zaufe gebradyt und Robert genannt. 
Es ift von ungewöhnlich großer Geftalt, und wie es heranwächſt, nimmt es 
auch täglich an Bosheit zu. Wenn es ſich auf der Straße zeigt, rufen die 
andern Knaben einander zu: „Da kommt der böſe Robert. Da kommt der 
mwütbende Robert. Da kommt Robert der Teufel“ und alle entlaufen, um nicht 
von ihm gefchlagen zu werden. Davon blieb ihm fein Lekenlang der Name 
Robert der Teufel. Seinen Lehrmeifter erfticht der Knabe; die Priefter am 
Altare, die Betenden in der Kirche blieben von feinen boshaften Streichen nicht 
verjhont. Als er gegen 18 Jahre alt geworden, hoffen feine Eltern, es werde 
zu feiner Befferung dienen, wenn er zum Ritter geichlagen werde. Letzteres 
geihieht am Pfingftfefte. Aber beim Turnier, das zu diefer Feier angeftellt ift, 
tobt Robert jo furdtbar, daß er, ohne auf Abwehr zu achten, Männer und 
Noffe tödtet. Fortan reitet er im Land umher, beraubt Klöfter und Höfe, ver- 
brennt Gotteshäufer und verübt Jungfrauenraub. Die bewaffneten Leute, welche 
fein Bater ausfhidt, um ihn zu fangen, ſchickt er demfelben geblendet zuräd. 
. Dann läßt er fi im wilden, finftern Walde ein feſtes Haus erbauen, wo er 
mit einer Schaar der verruchteften Raubgejellen feinen Aufenthalt nimmt. Bon 
dort aus fallen fie, wie reißende Wölfe, raubend und mordend über Kaufleute 
und Pilger her und plündern die ganze Umgegend. Einft erfchlägt Robert in 
feiner Wuth fieben fromme Waldeinfiebler, deren heiliges Leben ihm zum Vorwurfe 


1 Tristan le Voyageur III, 25 bis 40. 75 f. 342. Rom. de Rou |, 
404 fi. Görres, Volksb. 216 bis 218. [Das Ausland, 2 April 1834 N. 92. 
©. 868: „Das Schloß Roberts des Teufels.” Ohne Angabe der Duelle und 
unerheblich. ] 


657 
war. Roth vom Blute der Erfchlagenen reitet er aus dem Walde hervor 
und tiber die Felder hin. Als er nun fieht, wie alle Menſchen erfchroden vor 
ihm entfliehen, beginnt er über feine Berworfenheit im Herzen zu erfeufzen. 
Er reitet nach dem Schloffe Darques, wohin, wie ihm ein Schäfer am Wege 
erzählt, feine Mutter, die Herzogin, zu Mittag kommen fol. Er langt am 
Schloßthor an und fpringt vom Pferde; Niemand wagt, ihm entgegenzulommen 
und es zu halten. Da läßt er e8 am Thore fiehen, zieht fein biutiges Schwert 
herans und gebt nad) dem Saale, wo feine Mutter if. Als fie ihren Sohn 
fo, das biuttriefende Schwert in der Hand, kommen fieht, will fie vor ihm 
fliehen. Wie nun Robert fieht, daß die eigene Mutter vor ihm fliehen will, 
ruft er ihr flebend zu, daß fie ftill fliehen möge, nähert ſich ihr reuevoll, legt 
das blutige Schwert vor ihr nieder und beſchwört fie, darauf hinweifend, ihm 
wahrhaft zu fagen, wie es gekommen fei, daß er jo ruchlos geworben. Mit 
bitteren Thränen erzählt die Herzogin, wie es ergangen, und Hagt fich ſelbſt 
aller Schuld an. Robert faßt nun den feſten Entihluß, fein Leben zu beſſern 
und für feine vielen und großen Sünden Buße zu tun. Um Erlaß derjelben 
will er den Weg nah Rom einfhlagen. Er reitet nad einer Abtei, die er 
jonft öfters geplündert hat, und überliefert dem Abte, feinem Verwandten, die 
Schlüffel des Haufes, in welchem bie geraubten Güter liegen, damit fie den 
Beichädigten zurlidgegeben werden. Sein Roſs und fein Schwert, das Werl- 
zeug feiner Miffethaten, läßt er im Klofter zurüd und pilgert allein nad) Rom. 
Beim Hochamt in der Peterslirche drängt er ſich zum Pabfte hin und wirft fich 
ihm bußfertig zu Füßen. Der Pabſt hört fein Belenntnis an, vermweilt ihn 
aber an einen Eremiten, der drei Meilen von der Stadt feine Zelle hat. Robert 
macht fi dahin auf und beichtet dem frommen Manne. In der Nacht erſcheint 
dem Eremiten, der unter Gebeten flir den reuigen Sünder entichlafen, ein Engel 
und verkündet ihm, welche Buße Robert zu erfieben babe, um von feinen 
Sünden Tosgeiproden zu werden. Er müſſe fih flumm und närrifch ftellen 
und dirfe feine andre Speife nehmen, als die er den Hunden entriffen. Syn 
diefem Zuſtande müſſe er jo lange verharren, bis ihm geoffenbart werde, daß 
feine Sünden vergeben feien. Robert unterwirft ſich willig diefer ftrengen Buße, 
die ihm für ſolche Miffethnten eine leichte dünkt. Er begibt fich zurück nach 
Kom an den Hof des Kaifers, läßt fi da als Narren verlachen, macht deu 
Summen, theilt Rabrung und Streu mit den Hunden. So elend lebt er bis 
in das fiebente Yabr. Nun hat der Kaifer eine jchöne, aber von Geburt an 
flumme Tochter. Um fie hat der Seneſchall des Kaiſers mehrmals geworben, 
diefer aber hat fie ihm ſtets verweigert. Darliber erboft, kommt der Seneichall 
mit einem großen Heere Sarazenen angezogen und belageit die Stadt Rom. 
Der Kaifer fanımelt feine Macht und führt fie gegen die Feinde in's Feld. 
Uplanp, Schriften. VII. 49 


658 
Robert, der zu Haufe blieb, gebt, nach feiner Gewohnheit, zu einem fchönen 
Brunnen im Garten des Kaifers, um zu trinfen. Hier findet er ein weißes 
Noſs mit einem vollffändigen Harnifh und eine Etimme vom Himmel befiehlt 
ihm, fi in diefen Harniſch zu waffnen und das Roſs zu befteigen, um dem 
Kaifer mit feinen Bolfe zu Helfen. Robert thut, wie er geheißen ift; des 
Kaifers ftumme Tochter aber, die am Fenſter fteht, fieht es mit an und be 
wahrt es wohl in ihrem Herzen. Bei Noberts Ankunft auf dem Schlachtfelte 
ift eben das Heer des Kaiſers auf das Äußerſte bevrängt, durch feine Zapfer- 
‚teit aber werden die Sarazenen zur Flucht gezwungen. Nach erfochtenen Siege 
reitet Robert unbemerkt vom Heere weg und lehrt zum Brunnen zurüd, wo 
er fi entwaffnet und den Harniſch auf das Roſs legt, welches fogleich ver- 
ſchwindet. Die Kaiferttochter, welche dieſes fieht, verwuntert fi jehr und 
würde Alles erzählt haben, wenn fie fprechen könnte. Der Kaiſer kommt fieges⸗ 
froh zu feinem Palafte zurück. Als bei Tiſche Robert wieder den Narren fpielt, 
bemerft der Kaifer in feinem Geficht eine Echmarre - die Robert in der Schlacht 
erhalten. Er glaubt, die Diener haben während feiner Abwefenbeit den Narren 
geichlagen, und unterfagt das ernſtlich. Hierauf fragt er feine Ritter, ob Einer 
von ihnen fagen fünne, wer der Ritter auf dem weißen Roſſe geweien, der jo 
plöglih in das Feld kam und fo tapfer aushalf. Des Kaijers Tochter bemüht 
ſich vergeblih, zu bezeichnen, daß Robert das geweien fe. Die Belagerung 
Roms durch die non Seneſchall herbeigeführten Sarazenen und die den Sieg 
der Römer entjcheidende Erjcheinung des Ritters auf dem weißen Rojje wieder- 
bolt fich zum zweiten und dritten Male. Als aber nach der dritten Schlacht 
Robert zum Brunnen zurldreiten will, kommen ihm mehrere Ritter nachge- 
iprengt, weichen der Kaifer aufgegeben, auf ihn Acht zu haben. Robert aber 
fpornt fein weißes Roſs und fliegt über Berg und Thal davon. Einer der 
Ritter, der ihm bitig nacheilt, will das weiße Roſs mit feinem ES peere tödten, 
fehlt aber und trifft Moberts Schenkel, in welchem die abgebrochene Epeerfpite 
ſtecken bleibt. Robert kommt umerreicht wieder zum Brunnen, entwaffnet fich, 
und das Nojs verſchwindet abermals mit dem Harniſch. Die Epeerfpite zieht 
er aus und verbirgt fie zwijchen zwei großen Steinen beim Brunnen; auf die 
Wunde legt er Gras und Moos. Auch hievon ift die Tochter des Kaifers vom 
Fenſter aus Zeugin. Nachdem der Kaifer den Hergang jener Verfolgung er⸗ 
fahren, läßt er öffentlidy verfündigen, welcher Ritter mit weißem Roſe und 
Harnijch die Sperripige, mit der er verwundet :;vorden, vorweife und die Wunde 
zeige, der foll die Kuijerstochter zur Frau und das halbe Reich zur Mitgift 
erhalten. Der treulofe Senefchall, der von diefer Bekanntmachung hört, macht 
fih neue Hoffnung, die Kaiferstochter, nad der er fo oft ausgeweſen, unn zu 
gewinnen. Er verſchafft fich ein weißes Roſs und einen weißen Harniſch und 


659 

ſticht fich eine Speerfpige in den Schenkel. Dann reitet er mit prächtigen &e- 
folge nach Rom und gibt ſich dem Kaifer als den unbelannten Netter an, indem 
er zum Beweis Speerjpige und Wunde vorzeigt. Der Kaijer läßt fich tänſchen 
und glaubt, feinen Senefhall bisher rerfannt zu haben. Die ftumme Tochter 
wird gezwungen, fih als Braut zu ſchmücken. Im feierlichen Zuge führt der 
Kaifer felbft die Tiefbetrühte zur Kirche. ALS aber der Priefter das Amt be= 
ginnt und den Senefhall mit der Jungfrau zuſammen geben foll, da hebt fie, 
dur ein Wunder, auf einmal zu fprechen an, entdedt den Betrug des Sene—⸗ 
ſchalls und fagt, daß bier in der Stadt der Dann Iebe, um deffentwillen ihr 
Gott die Sprache gegeben und den fie im Herzen liebe, weil fie feine Tarferkeit 
und Frömmigkit erkannt habe, während Niemand ihren Beihen und Hinden- 
tungen glauben wollte. Sie führt den Pabſt und den Kaifer, ihren Vater, zu 
dem Brunnen und zieht zwifchen den beiden Steinen die Speerfpite hervor, die 
mit dem herbeigebrachten Schafte fi jo zufammenfigt, als wären fie niemals 
entzmei gewejen. Robert wird num aufgesucht, man forjcht nad feiner Wunde, 
aber er bleibt noch immer flumm, fpringt närrifh umber und gibt dem Pabſte 
den Segen. Da erfcheint der Eremit, der ihm die Buße auferlegt. Ihm ift 
in der Naht geoffenbart worden, daß diefe Buße nun zu Ende fei. Er ver- 
fündigt, daß diefer fir ſtumm und närrifch gehaltene Mann jener Robert ſei, 
den man den Teufel nannte, der aber nun einen beffern Namen erhalten und 
Gottes Diener beißen fol; von ihm fei das Land vor den Sarazenen gerettet 
worden und feine Sünden jeien ihm vergeben. Robert wirft ſich auf die Kniee 
nieder, hebt mit lautem Preis umd Danke die Hände zum Himmel auf. Die 
Kaiferstochter wird nun mit dem, den fie lang im Stillen geliebt, feſtlich ver- 
miählt. Er führt fie nach Rouen, wo er, da feitdem fein Vater geftorben, das 

Herzogthum übernimmt, feine Mutter von manigfacher Bedrängnis befreit uud, 
von Armen und Reichen geliebt, mit feiner Gemahlin ein frommes Leben führt 
Sie haben einen Sohn, Richard, der nachher mit Karln dem Großen viel große 
Waffenthaten zur Erhaltung und Ausbreitung des Chriftenglaubens vollbringt. 


Nobert der Teufel lebt in der Normandie noch jet in der Volks— 
jage und jein Gedächtnis hat fich örtlich angeheftet. Das Schloß Ro: 
berts des Teufels heißt ein wildüberwachſenes Burggetrümmer auf einer 
Anhöhe am rechten Ufer der Seine, beim Dorfe Molineaur, unterhalb 
Rouen. Keine gefchichtliche Erinnerung knüpft fih an dieſe Überreſte 
des Alterthums; aber die Sage, wie fie in der ganzen Umgegend gang: 
bar ift, verlegt hieher den einftigen Aufenthalt des furdtbaren Robert 
und den Schauplaß feiner Unthaten. Die Wehllage feiner Opfer ertönt 
aus den unterirbifchen Gemwölben, während er felbft nächtlicher Weile 


660 

die Trümmer ummwanbelt. Bald erjcheint er im Eremitengeivanb, wie 
er begraben worden, mit bloßen Füßen und kahlem Haupt an ber 
Stelle, wo die Unglüdlichen begraben wurden, und am Morgen findet 
man dann die Erve aufgewühlt; bald fchmweift er auf einem nur von 
ihm betretenen Pfade in Geftalt eines von Alter gebleichten Wolfes ! 
umber, blidt traurig nach den Trümmern feiner Burg und erhebt ein 
Hägliches Geheul, das einer Menfchenftimme gleicht. Diefer graue Wolf 
ift noch allen NRachftellungen der Jäger entgangen, obglei er an bie 
offenfte Stelle heraustommt. Eine Abbildung. und Beichreibung ber 
Ruine, mit dieſen Sagen, in: Voyage pittoresque et romantique 
dans V’ancienne France, par Taylor, Nodier et de Cailleux; ber 
Tert ift auch dem erften Theile des Romans: Robert-le-Diable ou le 
Chäteau de Molineaux (traditions normandes, reeueillies et publises 
par Piecide-Justin. B. 1 bis 4. Paris 1823) vorgefekt. 

An der Vorberfeite der Genovevenfirche zu Paris zeigte man che: 
defien einen großen eifernen Ring, von dem bie Sage war, Robert der 
Teufel, von brennendem Fieber gequält, jei in der Nacht zur Abtei 
Sainte-Genevieve gelummen, um durd Berührung der Reliquien dieſer 
Heiligen geheilt zu merben, ber Abt aber habe ſich geweigert, einen 
ſolchen Übelthäter zum Heiligthume zu führen, worauf ihn Robert in 
feiner Wuth an den Eifenring aufgehängt und diefen an der Mauer 
befeftigt habe (Tristan le Voyageur, ou la France au 14 siöcle. Par 
M. de Marchangy. 3. Vi, Paris 1825 bis 1826; bieber B. LII, ©. 342). 

Die Perfon dieſes der Sage fo wohl belannten Herzogs Robert - 


1 [Contes populaires, pr&juges, patois, proverbes, noms de lieux de 
l’arrondissement de Bayeux, recueillis et publies par Frederie Plugnet. 
Deuxiöme 6dition. Rouen, Edouard Fröre, éditeur, libraire de la biblio- 
thöque de la ville, Quai de Paris, No. 45. 1834. 80. S. 14 (Contes po- 
pulaires, Traditions, Usages): Les Lubins. Ce sont des fantömes en forme 
de Joups, qui rödent la nuit, cherchent & entrer dans les cimetidres, et 
du reste sont assez peureux. Leur chef est tout noir et plus grand que 
les autres. Lorsqu’on s’approche, il se dresae sur ses pattes, se met & 
hurler, et toute la troupe disparait en crient: „Robert est mort! Robert 
est mort!“ S. 80 (Patois et Noms Triviaux): Huards, lutins, farfadets; 
& cause des husdes que l'on suppose qu’ils poässent en traversant les 
airs, pendant la nuit. ©. 94: Roberde, l’herbe & Robert: „geranium 
Robertianum.“] 


661 


— 


geſchichtlich aufzuweiſen, iſt noch nicht gelungen. Es gibt zwar eine 
alte Chronik der Normandie (zu Rouen ohne Jahrszahl gedruckt), nach 
welcher, vor der Beſitznahme dieſes Landes durch die ſtandinaviſchen 
Eroberer, Herzoge von Neuſtrien beſtanden, deren erſter, Robert, der 
Vater Roberts des Teufels war. Allein dieſe Chronik iſt noch ſelbſt 
halb ſagenhaft (Tristan le Voyageur III, 26, 1; vgl. Robert le Diable, 
par Pl. Justin I, XVII). 

Ähnliche Büßungen, wie fie dem reuigen Robert aufgelegt werben, 
fommen auch in andern legenvenhaften Erzählungen aus dem Mittel: 
alter vor (vgl. Altengliihe Sagen 1, 6 f). Welches aber auch der 
Urfprung und die urfprüngliche Geftalt der Sage fein mode, fo iſt 
fie doch unter den eigentlihen Normannen vollemäßig geworden und 
ift mit den gleich nachher zu betrachtenden, unverlennbar aus norbifchen 
Erinnerungen erwacjenen Eagen von Richard nicht bloß äußerlich, 
genealogiſch, ſondern auch innerlich, durch denfelben finftern, von nor: 
bifcher Abfunft zeugenden Geift verbunden. Wie die Herzogin das Kind, 
das fie gebären würde, dem Teufel gelobt, fo in der nordiſchen Halfs⸗ 
faga Geirhild das ihrige dem Odin (Sagabibl. II, 449 ob.); und wie 
bei Robert? Geburt der Tag fich verfinftert und der Sturm das Haus 
zu zertrümmern droht, fo fagt das Eddalied von der Geburt Helgis 
des Hundingstödters zu Bralund: „Nacht war in der Burg u. f. io. 
Burgenbruch [zerftörender Sturm] ift in Bralund.” (Raſts Edd. 149°. 
Grimm, Edda 57. Finn M. Il, 273. Afzelius Edda 142.) Roberts 
tobendes Weſen gemahnt an die norbilche Berſerkerwuth. 


2. Rihard Ohnefurcht!. 


Die älteften fchriftlihen Aufzeichnungen der Sagen von ihm gibt 
die normannifche Reimchronik des Robert Wace? vom Schluſſe bes 
12ten Jahrhunderts: Ä 


i Tristan le Voyageur Ill, 79. 88. 366. 

2 [Der Vorname Robert ift Wace fälſchlich von Huet beigelegt worden. Man 
vergleiche iiber den Dichter mein Buch über Ereftien von Troies, Zübingen 1854. 
8. ©. 152.153 und E. du M£ril, La vie et les ouvrages de Wace in Eberts 
und Wolfs Jahrbuch fir romanische und englifche Litteratur, I. Berlin 1858. 
8. S. 1 bis 43. 9) 


662 


Le Roman de Rou et des ducs de Normandie, par Robert Wace, 
podte normand du 12 sitcle, publi& pour la premiere fois par Fred. 
Pluquet. 2 Bände. Rouen 1827. (Rou, lat. Rollo, Hrolf, der Stifter des 
normannifhen Staates in Franfreih; in der Taufe nahm er den Namen 
Robert an.) 


Hier wird von dem britten Herzog der Normandie, Richard I, dem 
Eohne Wilhelms Langichwert und Enkel Rollos, aus der zweiten Hälfte 
des 10ten Jahrhunderts, verſchiedenes Sagenhafte erzählt (1, 278 ff.): 

Richard Hatte nie vor irgend etwas Furcht, er gieng bei Nacht, wie bei 
Tag, umher und traf auf manches Geipenft (fantosme). Well er fo viel bei 
Naht aus war, fagten die Leute, er ſehe fo hell in der Nacht, als Andre am 
Zage. Auf einem folden näctlihen Witte begegnet ihm ein Abenteuer, deſſen 
Erzählung ich aus der altfranzöftihen Reimchronik jo überſetzt habe: Graf Ri- 
hard von der Nermandie u. f. w. (Gedichte, 2te Aufl. S. 409 3ſte Aufl. 
1868. ©. 412 ff. K. J.) *** 


(Ganz Dasfjelbe wird, in deutfcher Sage, vom Junker Rechen: 
berger, deſſen wir beim wüthenden Heere gedacht, in Kirchhofs Wend⸗ 
unmuth Bl. 755 erzählt.) 

Robert Wace läßt noch ein andres Abenteuer folgen, von dem er 
jagt, man würde es kaum glauben, wenn es nicht fo ſehr befannt wäre, 
Er habe es Mehrere erzählen hören, die es von ihren Voreltern gehört. 
Es ift dieß die Geſchichte eines auf einem nächtlichen verliebten Gange 
im Wafler verunglüdten Sacriftans der Abtei Saint Duen, um deſſen 
Eeele ein Teufel und ein Engel ſich ftreiten und den Grafen Richard 
zum Schiedörichter wählen. Diefe Erzählung fteht mit der vorigen in 
der Sammlung meiner Gedichte 1 verdeutſcht. Sie iſt mehr witzig, ala 
fagenhaft. 

Noch zwei andre feltfame Begegniſſe, welche Richard und einer 
jeiner Jäger im Walde hatten, berichtet die Reimchronik (I, 288 big 
292); ich übergehe fie jedoch, weil die Überlieferung bier unklar und 
entſtellt erfcheint. 

Die ſchon erwähnte profaische Chronik der Normandie fol gleich: 
fall3 dergleichen Dinge aus Richards Zeit erzählen (Tristan le Voya- 
geur III, 367). 


1 [58fte Aufl. ©. 414. 8.) 


Am zahlreichiten find feine gefpenftifchen Abenteuer in einem noch 
st im Umlauf befindlichen franzöfifchen Volksroman zufammengeftellt: 


L’histoire de Richard Sans-Peur, duc de Normandie, fils unique de 
obert le diable u. ſ. w. A Troyes o. J. 


Wie dieſer Titel befagt, ift Richard Obnefurdt bier ein Eohn 
tobert3 des Teufeld und der Tochter des Kaifers von Rom. Was 
on ihm erzählt wird, bildet nicht eine einzige, fortlaufende Gefchichte, 
vie die feines Vaters, fondern es find mehr einzelne Abenteuer an- 
Anander gereibt, deren Faden darin befteht, daß die böfen Geiſter, 
yefonders einer mit Namen Brundemor, den furdtlofen Herzog auf 
manigfache Weiſe, jedoch vergeblich, in Schreden zu fegen bemüht find. 
Sch hebe von diefem Gefpenfterfpuf Einiges aus, mas und Weitere 
fagengeichichtliche Beziehungen darbietet. 

Der Teufel Brundemor hat fich gerüihmt, dem Herzog Rihard Furcht ein- 
zujagen. Als nun Diefer allein mit einem Hinblein, das er auf dem Sattel» 
bogen bält, durch einen finftern Wald reitet, fonımt Brundemor mit ınehr als 
10000 Huars (huer, laut rufen), welche filrchterliche8 Geſchrei und Geheul er- 
heben, gerad auf ihn hergefahren. Richard aber erſchrickt nicht im mindeften, 
fondern ruft und fehreit mit ihnen, worüber fie fo in Born gerathen, daß fie 
das Hiindlein zwiſchen feinen Armen zerreißen; ihm felbft wagen fie nicht zu 
berühren. Nachdem Brundemor noch unter verjchiedenen Berwandblungen, wohin 
auch die Geichichte mit dem Todten auf der Bahre zu gehören jcheint (Richard 
Sans Peur ©. 17), das Schrecken vergeblich veirſucht hat, tritt er mit Richard 
in freundlicheres Berhältnig. 

Richard hat fi auf einem Turnier, welches Karl der Große veranftaltet 
hatte, die Gunft Glariffens, der Tochter des Königs von England, durd feine 
Tapferkeit verdient. Auf ihrer Heimkehr durch die Normandie entführt er fic 
ihren Begleitern gewaltſam und vermählt fi mit ihr. Darüber befriegt ihn 
ihr Bater, der König von Engla:d. As Richard zur Schlacht reitet, fieht er 
vor ſich einen ſchwarzen Ritter, der ihm feine Dienfte anbietet, unter der ein- 
zigen Bedingung, daß, wenn er felbft jemals befriegt werde, der Herzog ihm 
die gleiche Hülfe erweife. Richard fagt e8 zu und fragt dann nad) dem Namen 
des Nitters. „Brundemor,“ erwidert diejerz „fürchte dich nicht! Alle werd’ ich 
tödıen, die in der Schlacht auf mich ıreffen.“ Brundemor focht auch jo tapfer, 
daß die Engländer völlig gefchlagen wurden. Nach erlangteın Eiege wiederholte 
Richard fein Berfprechen; fie trennten fih und Brundemor ritt in den Wald 
hinein. Drei Tage nad) der Schlacht wollte Richard einen ſchwanweißen, von 
Teen aufgezogenen Eher jagen und übernachtete zuvor in der Abtei von 


664 


Fescamp. Gegen Mitternacht erfchten ihm ein gewappneter Ritter, in weldyem 
Richard den Brundemer erlannte, und forderte ihn auf, nunmehr feinem Ber- 
fprecden Genüge zu leiften. Der Herzog fland auf, waffnete fih und ritt in 
der Nacht mit Brundemor in den Wald, wo fie zwölf Tampfgerüftete Ritter 
fanden. Es war Burgifer, ein andrer Teufel, der Gegner Brundemors, mit 
feinem Geleite. Ihn follte Richard im Zweikampfe befteben. Er zeigte fich 
bereit dazu und ein bartmädiges Gefecht erhob ſich. Burgifer ſchwang ein fen⸗ 
riges Schwert, zuletst aber ſchlug Richard gegen ihn mit dem Knopfe des fei- 
nigen, in welchen mehrere Reliquien gefaßt waren. Da mufte ſich Burgifer 
ergeben und jo beftand Richard auch diefe Probe feiner Furchtlofigkeit. 

Bon den übrigen Abenteuern find hauptjächlich noch Diejenigen 
beachtenswerth, welche ven geipenftifchen Ritter Hellequin 1 betreffen. 

Als Richard einmal durch den Wald ritt, fah er vor ſich Hafen und Rehe, 
von einem großen Rudel bellender Hunde verfolgt, vorübereilen. Er dachte 
eben, wer wohl ohne feine Erlaubnis in diefem Forfte jagen möge, als er drei 
gewaffnete Ritter vor fich ſah. Alsbald griff er diefe unbernfenen Jäger an 
und flug ſich fo tapfer mit ihnen, daß fie zulett die Flucht ergriffen und ihre 
Hunde im Stiche liefen. Mit verhängtem Bügel rannte Richard ihnen nad, 
im Verfolgen aber gewahrte er einen Tanz von Leuten, die im Kreiſe reihten. 
Da gedachte er des Geſchlechts von Hellequin (de la race de Hellequin), wo-⸗ 
von er fonft reden gehört hatte. 

Diefer Hellequin war von einem alten und berühmten Stamm entiprofien. 
Sn einem bintigen Kriege Karl Martells gegen die Sarazenen, die in Frank⸗ 
reich eingefallen waren, hatte diefer Hitter feine Habe im Dienfte feines Herrn 
verzehrt und felbft ein ſchönes Schloß in der Normandie verlauft, um die Kriegs- 
bebürfniffe anzufchaffen. Nach den Kriege nun ſah er ſich von Allem entblößt 
und fieng deshalb, mit mehreren feiner Verwandten, zu rauben und zu plün- 
dern an. Jedermann rief gegen ihn um Rache zu Gott. Er wurde von einer 
ſchweren Krankheit ergriffen, an der er farb, und war in Gefahr, verdammt 
zu werben. Aber Gott hatte Erbarmen mit ihm, weil er ftet3 gegen die Sara- 
zenen gelämpft und den Chriftenglauben gemehrt hatte; zur Buße jedoch ward 


1 [Über die mesnie Hellequin vgl. Les manuscrits francois de la biblio- 
thèque du roi. Par Paulin Paris. I. Paris 1836. ©. 821 bis 325. Le 
livre des lögendes, par le Roux de Lincy, Paris, Silvestre, 1836. Th. 
Wright, Deposit. of Richard 1I. ©. 58.] [Man vgl. ferner: J. Grimm, 
Deutſche Mythologie, zweite Ausgabe. Göttingen 1844. 8. II. ©. 893. 894, 
W. Menzel, Odin. Stuttgart 1855. 8. ©. 226. 227. F. Liebrecht, Des Ger- 
vafius von Zilbury Otia imperialia. Hannover 1856. 8. ©. 198. 19. 5] 


665 





er vernribeilt, jede Racht mit denen feines Geſchlechts an den Orten umzugehen, 
wo fie Böfes verlibt hatten; meift fand man fie tanzend oder jagen. 

As nun Richard Ohnefurcht den Tanz des Geſchlechtes von Hellequin (de 
la lignee de Hellequin) gewahr worden, fpornte er fein Roſs nach ihnen Hin, 
und als er ihnen nahe war, ah er wunderbare Dinge. Gleich vorn ſah er 
feinen Marſchalk, der vor länger als einem Jahre geftorben war. Richard war 
jehr darüber erftaunt, doch ohne ſich zu fürchten. Auf fein Befragen erklärte 
ihm der Marſchalk, daß er mit denen, die bier am Tanze feien, büßen milſſe. 
Der Herzog verlangte Hellequin felnft zu fpredhen, um ihn megen bes Jagens 


- in feinem Forſte zur Rede zu ftellen. Der Marichalt führte feinen vormaligen 


.; 


Harn zu einem Strauche, worauf Hellequin jaß und breitete ein feidenes Tuch 
auf dem Boden aus, auf welches fich Hellequin nun niederließ. Auf die Frage 
des Herzogs, wegen des Jagens im fremden Forſte, gab er zur Antwort, daß 
dieß ihnen zur Sündenbuße auferlegt fei und fie täglich große Dual erleiden. 
Beim Abſchied gab Hellequin dem Herzog das Seidentuch, welches ſehr koſtbar 
und von umnbegreiflider Hand gewirkt war. Nach feiner Heimkunft fliftete er 
dasfelde als Altartuch in die Liebfrauentirdhe zu Rouen. 


Der Helb diefer wunderfamen Abenteuer ift auch in den karolingi⸗ 
ſchen Sagenkreis verwoben worden, ie wir ſchon bie angeführten Volks⸗ 
bücher von ihm und feinem Bater andeuten hörten. Beſonders im 
Roman von Fierabras Spielt der kühne Richard von der Normandie, 
ala einer von Karla Genofienfchaft, eine bedeutende Rolle. Aber fo 
wenig Karl der Große und ein normannifcher Herzog Richard gleich: 
zeitig waren, da ja die Normannen erft ein Jahrhundert nad) Karls 
Tode fih im nördlichen Frankreich feftfegten, jo wenig gehören ber 
fränfifche und der normannifche Sagenkreis urfprünglich zufammen. Es 
bat nun auch bier jener Trieb der epifchen Sagenbildung gemaltet, 
vermöge deſſen verfchievene Heldenkreiſe fich allmählich zum größeren 
Cyklus verbinden. 

Unverlennbar find die Sagen von Richard Ohnefurcht altes Erb⸗ 
theil der romaniſierten Normannen aus der nordiſchen Heimath. Die 
Geiſterkämpfe überhaupt fanden wir in der nordiſchen Sage zu Hauſe. 
Wie Brundemor dem Herzog in der Schlacht beiſteht und ſich dafür 
einen Gegendienſt bedingt, dieß iſt ganz das Verhältnis des Kampf: 
gottes Odin zu den Helden des Nordens; er bedingt ſich aber die Seelen 
der Erſchlagenen. (Unter dem Namen Bruni nimmt Odin an der 
Bravallaſchlacht als Wagenführer Haralds Theil.) Verdunkelt, in ihrem 


666 


rechten Sinne verkannt, find allerdings die nordiihen Mythen in ber 
normannifchen Überlieferung, aber darum doch noch im Grunde durch⸗ 
Ihaubar. 

Dieb gilt auch von Hellequin. Leicht ergeben fich bier dieſelben 
Anfchauungen, wie in den beutichen Volksſagen von der wilden Jagd, 
von der Wiederkehr der Todten im müthenden Heere!, in Wuotans, 
Odins Fahrt. Was wir die wilde Jagd, das wüthende Heer nennen, 
heißt noch in der Normandie la chasse Hennequin (Hellequin) 
(Tristan le Voyageur II, 350 f.). In England hieß ed, nad) ber 
normanniſchen Eroberung, in lateinifchen Chronifen des Mittelalters: 
Milites Herlikini (Herleurini), familia Helliquinii (Minstrelsy. 5 ed. 
11, 129 f.). Nun ift und bereit3 die deutfche Sage vom wüthenden 
Heere in Beziehung getreten mit dem nächtlichen Reiten des todten 
Helgi und feines Gefolges. In Hellequin, Helliquinius haben mir 
nun aud den wenig umgeformten Namen. Wenn von Hellequin ge: 
fagt wird, er fei aus einem alten und berühmten Gejchlecht entiprungen, 
jo gehörte Helgi zu dem Hervenftamme der Bölfunge, deren Stamm- 
vater Dbin felbit war. Vermiſcht und getrübt ift freilich auch hier der 
alte Miythus. Der Tanz der Leute Hellequins ift ein nordiſcher Elfen- 
tanz; daß fie aber zur Buße ihrer Sünden kämpfen, jagen und tanzen, 
ift Vorſtellungsweiſe des chrijtlichen Mittelalters. 

So find wir, mie früher mit der deutſchen Volksſage, fo nun auch 
mit der franzöfifchen, dahin zurüdgefommen, von wo unfre ganze Dar: 
ftelung ausgieng, zum alten Odin und den Anjchauungen des odini⸗ 
fhen Glaubens. 

Ich fchließe biemit dieſe Vorlefungen, die zwar nicht ganz den 
Kreis ermefjen konnten, den ich mir anfänglich vorgezeichnet hatte, die 
aber doch hinreichenden Stoff darboten, um fih an ihm das Wejen 
und bie weiten Züge der Sagendichtung zu veranjchaulichen. 


1 [Qgl. oben ©. 613. K.] 


. Anhang. 
Einleitung zur Borlefung Über norbifhe Sagenkunde!. 


Zur Einleitung der Borlefungen, die ich heute eröffne, habe ich 
nur Weniges über Gegenftanb und Richtung berjelben voranzufchiden ;, 
denn ich halte für zwedmäßig, ſich baldmöglich in die Sache felbft zu 
verjegen und erſt aus der näheren Belanntichaft mit ihr bie allgemei: 
neren Betrachtungen bervorgehn zu laſſen. 

Die nordifche Sagentunde gehört in den Kreis derjenigen Studien, 
melche fich mit einem längft entfchwundenen, von den Zuftänben der 
Gegenwart äußerft verfchiedenen Zeitalter beichäftigen. E3 mag für 
den erften Anfchein etwas Widerſtrebendes darin gefunden werden, fich 
mitten aus einer vielbewegten Zeit in die auögeftorbene Vergangenheit 
zu verſenken und die Theilnahme für fo Entlegenes in Anſpruch zu 
nehmen, während der nächfte Augenblid unfre Aufmerkſamkeit lebhaft 
anregt. Gleichwohl wird fich bei genauerer Erwägung zeigen, daß die 
Erforfchung eben jener fernen Alter nicht bloß ein Biel gelehrter Wiß⸗ 
begierbe, daß fie vielmehr der Freiheit des Geistes förderlich und ein 
Bedürfnis des tieferen Gemüthes fei. 


t [Iın Sommerhalbjahr 1833 wollte Uhland das Hauptthema der vor- 
ftehenden Borlefungen unter den Titel „Nordiihe Sagenfunde” nad) neuer 
Bearbeitung wieder vortragen. Es ift befannt, daß er am 23 Mai die Ent- 
laffung von feinem Lehramt erhielt. Bon der Vorlefung ift eben nur die Ein- 
leitung neu ausgearbeitet worden, Obgleich diefelbe in den Hauptpunften mit 
der oben ©. 3 ff. 14 ff. gegebenen Einleitung fibereinftimmt, ift doch die Form 
neu und vererelt. Die unveränderte Mittbeilung dieſes letzten von Uhland fiir 
den Lehrftuhl ausgearbeiteten Vortrags wird daher keiner weiteren Nechtferti« 
gung bedürfen, &.] 


668 


Den Geift Tann die vollere Anſchauung verflofiener Zeiten von 
zweifachem Borurtheile frei halten, von der Gebundenheit durch das 
Abgelebte und von der Befangenheit im Gegenwärtigen. Eo Tann eine 
gründliche Kenntnis des Mittelalters nur zu der betvufteren Überzeugung 
führen, daß diefe Beit ihr eigenthümliches Leben abgejchloffen, ihre be 
fondre Aufgabe gelöſt habe; damit aber ftellt fi) ung die Aufgabe der 
eigenen Zeit um fo reiner heraus und der Hinblid auf das Vergangene 
fordert und auf, auch unfrem Berufe frifch und rüftig nachzuſtreben. 
Auf der andern Seite wird uns bie Einſicht in das Weſen früherer 
Perioden wohl ertennen lafien, daß auch fie nicht lediglich die Be 
ftimmung hatten, Steine zu unſrem Bau herbeizufchleppen, daß fie 
wirklich ihr eigenthüümliches Leben lebten, ihren Charakter entwidelten, 
ihre eigenen Werte jchufen, baß jede größere Periode neben ihren be 
fonden Mängeln auch ihre befondern Vorzüge aufzuweiſen bat, bie 
einer folgenden fchon darum, weil fie eine neue ift, nicht wieder in 
diefer Art erreichbar find. Eben in folder Manigfaltigleit der Ent⸗ 
wicklungen äußert fich der unerichöpfliche Reichthum des Weltgeiftes 
und zugleich feine Gerechtigkeit, indem er weber ber Erftgeburt noch 
den Jüngſtgeborenen einen unbedingten Vorrang einräumt, in geiftiger 
Auffaffung ift auch wirklich alles Beitandene und Beſtehende gleichzeitig, 
in ihr tritt das Yerne der Zeit, wie bes Raumes, in die Gegenwart 
und alle die fuccefliven Geftaltungen des Volkerlebens ftellen fich zum 
Gefammtbilde neben einander. 

Auh das Gemüth fühlt fih in die Zeiten vor uns bingezogen. 
Während wir in der Gegenwart für die Zukunft arbeiten, finten wir 
mit jedem Augenblide jelbft in die Vergangenheit hinab; und indem 
wir ſelbſt wünſchen, im Gedächtnis kommender Gefchlechter fortzuleben, 
vernehmen wir auch die Mahnung der hingegangenen, ihrer nicht zu 
vergefjen. Jeder Erventag ftellt und in den Gegenfchein von Ber 
gangenheit und Zulunft, bald fehen wir die mweftlichen Berge von der 
Morgenjonne beleudytet, bald die öftlihen von ver Abendſonne. Das 
ältere Gejchlecht, dad wir zu Grabe tragen, an das fich rückwärts unfre 
frübeften Erinnerungen Inüpfen, ift ung doch wieder vorangeeilt in die 
Zukunft und unſer liebendes Angedenten kann fich bald dem Abfchiebe, 
bald dem Wiederſehen zuwenden. Wollen wir einmal nicht vereinzelt 
ftehen, fühlen wir ung durch ein heiliges Band der gefammten Menſch⸗ 


669 





beit verbunden, warum follte diefes nicht auch die Geſchlechter um⸗ 
fchlingen, welche vor uns gelebt haben? Es fragt fi auch am Ende 
doch nur, mo bie echtefte, Fräftigfte Poefie zu finden fei; das rüdficht- 
lofe Streben nah dem Schönen, nad der wahren Poefie ift auch ein 
Bedürfnis der Gegenwart und hiebei kann felbft die fernfte Vergangen- 
beit nicht ausgejchloflen fein. 

Was und aber in der Kenntnis früherer Zeitalter für Geift und 
Gemüth Befriedigendes liegen Tann, das find doch nicht ſowohl die 
äußern Ereignifje, als wieder das geiftige Leben, deſſen Wirkung und 
Ausdrud jene Ereigniffe felbft find. Gerade nun die älteften, vorge: 
fchichtlichen Zeiten jedes Volkes, diejenigen, bei welchen mir die minbefte 
Stufe geiftiger Bildung vorausfeen möchten, haben ihr Gedächtnis 
einzig und durchaus in idealer MWeife, in der Vollsbichtung, der Sage, 
auf die Nachwelt gebracht. 

Es find dieß die Zeiten, in denen bie menfchlichen Geiſteskräfte 
noch in folder Ungeichiebenheit wirken, daß ihr höheres Erzeugnis nichts 
anderes fein kann, als Poeſie. Geichichte, Glaubens⸗ und Sittenlehre, 
alle in fpäteren Altern fo weit auseinandergehenden Richtungen geiftiger 
Thätigkeit, find hier noch in den Bildern und Klängen bes Liedes zu: 
fammengefaßt. Die Schrift ift nicht erfunden ober doch von keinem 
litterarifchen Gebraude, weil für fie Fein Berürfnis beftebt, weil der 
todte Buchftabe nicht vermifst wird, mo die lebendigen Geftaltungen 
der Phantafie im Gedächtnis haften. Alles iſt bier münbliche Über 
lieferung, Sage. Aber diefe Sage Tann auch nur eine poetifche fein, 
weil, fobald fie aufhörte, durch und auf die Einbildungskraft zu wirken, 
fie damit auch die einzige Gewähr ihrer Dauer aufgegeben hätte. 

Fragen wir nach den Überlieferungen aus der vorgefchichtlichen 
Zeit unſres eigenen, de3 germanifchen Stammes, die doch in unirer 
Sinnedart den meiften Anklang finden dürften, fo eröffnet ſich uns 
allerdings ein weites Gebiet manigfaltiger Sagendichtung. Was jedoch 
das eigentliche Deutfchland betrifft, jo find über feinen Boden fo viel: 
fache Völterzüge bingefchritten, er iſt von jo frühem und verfchieden- 
artigem Anbau umgemwühlt worden, daß die ältefte, heimische Sage ſich 
unmöglid mehr in urfprünglicher Lauterfeit und Vollftändigkeit fort 
pflanzen und in folder zur fchriftlichen Aufzeichnung gelangen konnte. 

Die frühzeitig begonnene Belehrung der deutlichen Völker zum 


670 


Chriſtenthum nahm ihrer angeflammten Sage den religiöfen Grund, 
auf welchem fie erwachſen war, und da fie auch nicht fich eignete, dieſe 
beibnifche Grundlage mit einer chriftlichen zu vertaufchen, fo mujte fie 
ſich gröſtentheils auf menjchliche Verhältnifie zurückziehn und felbft den 
alten Göttermpthus in foldhe umgeftalten, fo daß wir denfelben in ihr 
mehr nur ahnen und durchfühlen, als zu Harer und voller Anſchauung 
bringen können. Hiernach hat fih in Deutfchland zwar eine viel: 
umfaflende Helvenfage, ein großer epifcher Cyklus, gebildet und erhalten, 
aber ohne mehr in Verbindung mit einer .entiprechenden Götterſage das 
volle Weltganze des deutjchen Altertbums darzuftellen. 

Dagegen lag abjeit3 der großen Völkerſtraße und außerhalb des 
Bereich3 der erften Bekehrungen das Ländergebiet des ſtandinaviſchen 
Nordens: Dänemark, Schweden, Norwegen mit den hauptſächlich ven 
legterem aus bevöllerten Inſeln, Island und den Faaröen. Die Be 
wohner diefer Länder bilden einen ber germanifchen Hauptiprachftämme; 
norreena, die nordifche, hieß die Sprache, bie noch über bie heibnifche 
Zeit hinaus ihre gemeinfame war und ſich im Ssländifchen fortpauernd 
erhalten bat, wogegen anderwärts ſich befondre Munbarten ausichieden 
und im Schwebifchen und Däniſchen zu eigenen neuern Epradyen ge 
ftalteten. Bon den übrigen Hauptftämmen germaniicher Zunge fommt 
dem nordiſchen am nächften der niederbeutfche, am entfernteften ſteht 
ihm der gothiſche. Erwägt man nun, daß auch die mythiſchen Beſtand⸗ 
theile der gothifchen Überlieferungen, wie fie in deuticher Heldenfage 
durchſcheinen, die wenigfte Beziehung zu den ffandinaviichen Mythen 
darbieten, daß dagegen die wenn gleich nur ſparſamen Nachrichten von 
den Göttern der alteingefeflenen Germanen und vom Heidenthum ber 
ſächſiſchen Völkerfchaften ihren unverfennbaren Anklang in der norbi« 
fhen Götterfage finden, fo deutet dieß noc weiter darauf hin, im 
Norden die Pfleg⸗ und Zufluchtſtätte derjenigen Sage zu fuchen, welche 
den ältejten germanifchen Anfieblern eigen war, im Gegenfage der in 
der großen Völferwanderung nacgerüdten deutihen Stämme, welde 
vorzugsweile als gothifche bezeichnet werden fünnen. Die Völker des 
ffandinavifchen Nordens find Ureinwohner, foferne menigftens die Zeit 
ihrer Anfiedlung über aller urkundlichen Geſchichte hinaus liegt, und 
jelbft was man aus ihrer Eage für ihre Herlunft aus dem Dften be 
weiſen twollte, beruht, wie ich fpäter zu zeigen verfuchen werde, auf 


671 


Misverftändnifien und gelehrten Deutungen. Die öftliche Abkunft an 
fich fol damit fo wenig verworfen werben, al die gewifjermaßen natur: 
geichichtlihe Thatjache, daß die ſchwächern finnifchen Stämme von ein» 
mandernden germanijchen auf ben äußerften Rand des nordiſchen Feſt⸗ 
landes hinausgedrängt worden. Sevenfalld aber beftand bier feit 
unvordenklicher Zeit und gewiſs Jahrhunderte vor den gejchichtlich be 
fannten Völkerwanderungen ein Sig und Heerd germanischen Weſens, 
das eben auch hier am längften von fremden Einwirkungen unberührt 
fortlebte. Das Chriftentbum, in deſſen Gefolge ſtets aud) die manig- 
fachſten anderwärtigen Einflüffe der Bildung und des Verkehrs fich 
geltend machten, hatte bei den Gothen ſchon im 4ten Jahrhundert und 
bei den Franken zu Ende des dten Eingang gefunten, die Sachen 
waren am Anfang des Iten mit den Waffen belehrt worden, in den 
nordifchen Ländern aber gewann das Chriftentbum erſt feit dem Ende 
des 10ten Jahrhunderts feine feitere Gründung. In ſolch langer Ab- 
gefchlofjenheit des ftandinavischen Nordens fonnte und mujte denn nun 
jenes urgermanifche Weſen, wie im Leben überhaupt, wie in Glauben, 
Recht und Sitte, jo auch im, ibealen Ausdruck des innern und äußern 
Lebens, in der Sagendichtung, fein vollftes und ſchärſſtes Gepräge er: 
langen und bewahren. Die Verbindung des Göttlihen und Menſch⸗ 
lihen, des Mythiſchen und Heroifchen, der Götter: und der Heldenfage 
zu einer vollftändigen Weltanfchauung, die wir in den deutfchen Sagen- 
freifen vermiſſen, ift in den auf uns gelommenen Liedern und Sagen 
des Nordens noch weſentlich unverfümmert vorhanden. Es ift nicht 
zu verfennen und müſte fogar als nothivendig vorausgeſetzt werben, 
daß diefe Sagenwelt ihre beſondre, heimathlich norbifche Färbung an 
fich trage, daß in ihr die Natur des Landes und die Lebensweiſe feiner 
Bewohner nicht ohne Epur geblieben fei, daß fie an Ortliches und 
Gefchichtlihes jener Gegend ſich anfnüpfe. Aber auch davon liegen, 
wie jchon erwähnt, erhebliche Anzeigen vor, daß fie, den größern und 
bedeutfamern Zügen nad, auch andern deutichen Stämmen gemeinfam 
war; und ſelbſt wenn dieß weniger der Fall geweſen wäre, jo würden 
wir doch nur durch fie noch in bie Tiefe des ältejten germanischen 
Geiftes hinabzubliden, nur in ihr noch ein volles fyftematifches Er: 
zeugnis deöfelben zu erfaflen im Stande fein. 

Mir verdanten dieſe im Weientlichften volljtändige Erhaltung der 


672 


nordifhen Sage dem Umftanbe, baß fie noch zur rechten Zeit und unter 
günftigen Verhältniffen aus der mündlichen Überlieferung in die Schrift 
aufgenommen wurde, und zwar ift dieß vorzüglich das Verbienft der 
Isländer. Wie die größern ſtandinaviſchen Ländergebiete dem übrigen 
germanifchen Feſtlande abſeits liegen, fo liegt wieder über jene hinaus 
die Infel Island einfam im Weltmeere. Dieſes rauhe, winterliche Ei 
land, mit Schneebergen, welche Flammen ausiverfen, wurbe gegen das 
Ende des Yten Jahrhunderts von Norivegen aus bevölkert. Damals 
verließen viele der angefehenften normwegifchen Geſchlechter, denen bie 
Alleinherrfchaft des Eroberers Harald Schönhaar unerträglich war, ihre 
Heimath und gründeten auf Island einen Yreiftaat, ver fich bis über 
die Mitte des 13ten Jahrhunderts unabhängig erhielt. Das Chriften- 
thum wurde bafelbft um das Jahr 1000 eingeführt. Die Einwanderer 
hatten ihren geiftigen Beſitz, Lied und Sage des Stammlandes, mit 
fi) herüber genommen und pflegten benfelben bier mit dem beharr⸗ 
lichiten Eifer. So wenig die neue Wohnftätte äußerlich als ein Garten 
der Poefie erjcheinen mochte, fo war fie doch eben in ihrer Abgeſchieden⸗ 
heit, mit ihrer firengen Natur, ihren langen Wintern und Winter: 
nächten wohl geeignet, auf Beichäftigungen und Genüfle des geiftigen 
Lebens binzumeifen. In Island bildete fich eine, zum Theil fehr künfts 
liche Liederbichtung und von bier giengen bie Skalden aus, die an den 
Königehöfen der nordiſchen Reiche fangen; in Jſsland erhielt auch die 
geichichtliche und fabelhafte Erzählung in ungebundener Rebe, die Saga, 
eine eigene Form, in welcher die Isländer aufbewahrten, was fie in 
der Heimath und auf ihren beftändigen Wanderungen im übrigen Nord⸗ 
lande Denkwürdiges felbft erfahren over vernommen hatten. Sn diefer 
emfig eingeübten und entwidelten Form kamen die mündlichen Über: 
lieferungen der fchriftlichen Auffaſſung völlig vorbereitet entgegen. In 
der eriten Hälfte des 12ten Jahrhunderts begann das Sammeln und 
Niederfchreiben der Sagen und Lieder und damit die Begründung einer 
eigenthümlich isländifchen Litteratur. So war ber beeiste Inſelfels im 
Deean dem gefammten übrigen Norden als ein Spiegel gegenüber- 
geftellt, in welchem fich bie Lebensbilder älterer und neuerer Zeit 
abitralten. 

Was bei al Diefem befonderd der älteften mythiſchen und berois 
ſchen Yabelmelt zu Statten kam, ift der bedeutende Umftand, daß die 


Dan 





673 


isländiſche Skaldenkunſt, auch nach der Einführung des Chriſtenthums, 
in ihrer ſchmuckreichen Dichterfprache fich noch überall der Namen und 
Bilder aus dem heibnifchen Götter⸗ und Heldenweſen, ber manigfachften 
Anfpielungen auf folches bediente. Hiedurch mar es fchon technifches 
Bedürfnis, ſich den inhalt der alten Sagenlieder durch fchriftliche Auf⸗ 
zeichnungen und Auszüge fortwährend zugänglich zu erhalten. 

Dieje Bemühungen der Isländer bilden denn auch die Grundlage, 
an melde ſich bie Schriftventmäler und die zum Theil noch im Volke 
lebenden Erinnerungen aus den andern nordifchen Ländern ergänzend 
anſchließen. Die nähere Bezeichnung ber bier nur im Allgemeinften 
angebeuteten Quellen wird je bei den befondern Hauptabfchnitten und 
Unterabtheilungen unfrer Aufgabe erfolgen. 

Die nordiſche Sagenkunde, mie ich dieſe Aufgabe benannt habe, 
d. 5. die quellenmäßige Darftelung und entwidelnde Erläuterung ber 
vorgefchichtlichen und ursprünglich mündlichen Überlieferungen des flan« 
dinavifchen Nordens, wird ſich uns folgendermaßen abtheilen: 

Erfter Abſchnitt: Sage des norbifchen Heidenthums. 

Erfte Abtheilung: Götterjage. 
Zweite Abtheilung: Heldenſage. 

Zweiter Abſchnitt: Spätere Volksſage. 

Für den erſten dieſer beiden Hauptabſchnitte, welcher die heidniſche 
Sage in ungetrübter Echtheit und möglichſt vollſtändigem Zuſammen⸗ 
hang ermitteln und darſtellen ſoll, müſſen wir uns gleichwohl, da alle 
Sammlung und Aufzeichnung erſt in chriſtlicher Zeit ſtattfand, auch 
ſolcher Quellen bedienen, welche nicht ohne den Einfluß chriſtlicher An⸗ 
ſicht geblieben find, oder in welchen das Mythiſche und Sagenhafte 
eine hiſtoriſche Verkleidung erhalten hat; und in ſolchem Falle kommt 
es nur darauf an, das Urſprüngliche aus ſolchen Anwüchſen und Ver⸗ 
hüllungen auszuſcheiden und herzuſtellen. 

Der zweite Abſchnitt dagegen iſt beſtimmt, die Nachwirkung und 
Umwandlung jener heidniſchen Überlieferungen in der fpäteren Volks— 
fage, d. h. in den zahlreichen Volfsballaden, den Mährchen, den ver» 
einzelten Ortsjagen des norbifchen Mittelalterd und der neueren Zeit 
nachzumweifen, und bier gehört die Vermiſchung chriſtlicher Begriffe, 
neueren Aberglaubens, mit den altheibnifchen gerade zum Charakteriſti⸗ 
ſchen. Beiderlei Abſchnitte werden übrigens nicht fo fcharf geſchieden 

Upland, Schriften. VII. 43 








‘674 


fein, daß fich nicht auf beiden Seiten Übergänge ergäben, und nament- 
lich werden wir zu dem erftern, als dem wichtigern, manchmal herüber- 
ziehn, was ſich für feinen Gegenftand auch in der fpäteren Volksſage 
zur Ergänzung oder Erläuterung barbietet. 

Endlich hebe ih noch einige Geſichtspunkte hervor, die mich bei 
der Behandlung des Ganzen leiten werden und daher auch zur vor: 
läufigen Berftändigung dienen können: 

1) Dan bat auf die nordiſche Mythologie, wie auf diejenige andrer 
Völker, mit Vorliebe theils die religionsgeſchichtliche und philoſophiſche, 
theil3 die naturgefchichtliche Betrachtungsweiſe angewandt. Allerdings 
au find in biefen Mythen die Glaubenslehren und Philofopheme 
früherer Alter, es find darin ihre Vorftelungen von der Entftehung 
und dem Bau ver Welt, vom Wirken der Naturfräfte und vom Wechſel 
der Zeiten niedergelegt. Allein unfre Zeit, die im Richte der geiftigften 
Religion erzogen, von den ausgebilvetften philojophifchen Syſtemen 
umgeben und mit den kühnſten Fortichritten der Naturkunde vertraut 
ift, wird doch, fofern fie nicht etwa ihre eigenen been in die alten 
Mythen überträgt, aus diefen, neben dem bloß Biftorifhen Wiſſen, nur 
wenigen Gewinn ziehen, wenn gerade Dasjenige vernachläſſigt wird, 
was jenen Zeiten, der unfrigen gegenüber, am meiften eigenthümlich ift, 
ih meine die völlige Verſchmelzung der Idee mit dem Bilde, die Be: 
geiftigung der Natur und die Verfinnlichung des Gedanken, mit einem 
Morte die Poefie der alten Glaubens: und Naturlehren. Auch für 
unfre ſpecielle Aufgabe ergibt fich ſomit weſentlich der poetifche Stand- 

punkt der Betrachtung. - 
2) Wenn mir gleich weder in den eigentlichen Göttermythen, noch 
jelbft in einem großen Theile der heroiſchen Sagen bes Nordens, eine 
Beziehung auf wirkliche biftorifche Berfonen und Ereignifie anzuerkennen 
vermögen, jo wird boch eine fittengefchichtlidhe Grundlage derſelben 
keineswegs zu beftreiten fein, eben meil alle wahrhafte Volkspoefie 
Ausdrud und Erzeugnis ded ganzen Charakters und Lebens der Völker 
ift. Eine bejondre Ableitung und Entwidlung der norbiichen Sage aus 
dem 2eben, den Schidjalen und Sitten der Nordbewohner wäre jedoch 
Ihon darum bedenklich, weil die Sage felbft älter iſt, als alle gefchicht: 
lich gegebene Zuftände, aus denen wir fie erklären möchten, fo baß die 
legtern wenigſtens ebenfo wohl aus ihr beleuchtet werden Zönnten. Noch 


675 


mehr aber ift es eine bedeutende fagengefchichtliche Thatlache, daß die 
Sage, vermöge ihres poetifchen Beftandes, ihre einmal vorhandenen 
Keime mit eigener Triebfraft zu einer von den äußern Verhältniſſen in 
mancher Beziehung unabhängigen Entfaltung zu bringen pflegt. Diefes 
geiftig felbftändige, innere Leben und Wachsſthum der Eage nun wird 
unfer vorzügliches Augenmerf fein, und wenn wir auch auf norbifche 
Geſchichte und Sitte ſowohl in allgemeinern Andeutungen, als für 
‚einzelne Erläuterungen, Bezug nehmen werden, jo werben wir doc) eine 
durchgeführte Zufammenftellung der Cage mit der Eittengefchichte nicht 
zu unjrer Aufgabe rechnen und felbft Dasjenige, was vom heidniſchen 
Cultus der norbiichen Völker gefchichtlih befannt ift, nur foweit bes 
nügen, als es Aufichlüffe über das innere Wefen der Götterlehre ge: 
währen fann. Eine Zufammenftellung der vorerwähnten Art ift ohne 
Bmeifel nach beiden ‚Seiten nüglich, aber fie wird doch nur mechanisch 
und äußerlich ausfallen können, wenn nicht auch jeder Theil in feinem 
befondern Elemente durchgearbeitet if. Gewiſs wird daher auch eine 
beſoͤndre Behandlung der Sagengefchichte ihren Nuten haben, mie denn 
auch eben fie durch die felbftändige Lebenskraft der Eage hiezu vor: 
züglich geeignet ift; und näher betrachtet ift ja die Sage, mo fie fi 
in größerem Umfang erhalten hat, nicht einmal ein Befonderes, ſondern 
fie gibt ung das Geſammtleben eines gejchichtlih untergegangenen 
Beitalters. 

3) Der poetifhe Standpunkt, den wir im Bisherigen nad) ver: 
ſchiedenen Richtungen geltend machten, enthebt den Gegenftanb unfrer 
Darftelung auch den befondern Gebieten des Litterarifchen und Techni⸗ 
ihen. Dieler Gegenftand ift die Eage jelbft, abgejeben von ber zus 
fälligen Form ihrer jeweiligen Auffaſſung. Die Frage nah Dichtern 
und Verfaſſern ift auf Die Sagenpoefie nicht anwenbbar; das allmähliche 
Wachsthum diefer Poeſie in mündlicher Überlieferung läßt den Antheil 
des Einzelnen an ihr nicht unterfcheiden und fie erjcheint als Erzeugnis 
des gemeinfamen Volksgeiſtes. Werden auch einzelne Sängernamen 
genannt, fo tragen doch dieſe felbft das Gepräge des Sagenhaften. Erft 
im Gebraudhe der Schrift fordern und befeftigen fich Perfönlichkeiten 
und Dichtercharaktere. Da ferner der erfte Urfprung des Sageninhalts 
niemal3 zu erreihen und jeve zugängliche Behandlung veöfelben auf 
ein Früheres, Gegebenes, hinweift, jo fommt auch die Technif der 


676 


--— -- — — — 


älteren ober jüngeren Auffaſſung für die Sagenkunde nicht in beſon⸗ 
dern Betradht. Das Litterarifche und Technifche wird uns daher nur 
infoweit befchäftigen, als einestheild zum Beleg des Vorzutragenden 
und zur Anleitung für eigenes Studium die Bezeichnung der Quellen 
und Hülfsmittel erforberlich ift und anderntheils die Form, in der ung 
der Sagenftoff überliefert ift, bie Zeit der Aufzeichnung und die Be 
fanntfchaft mit den Verhältniffen des Aufzeichners oder Bearbeiters ung 
den kritiſchen Maaßſtab für die größere ober geringere Lauterfeit ber 
Überlieferung an die Hand gibt. Die Sage felbft ift ein Schwebendes, 
Fließendes, das mwir, von jeder beengenden Form abgelöjt, in feinem 
freten Elemente verfolgen müſſen. 


Anhalt. 


Borwort des Herausgebers . . 
Sagengefchhichte der germanifchen und romaniſchen Bölfer 
Einleitung . . 
Erfter Theil. Sagengeſchichte der germaniſchen Boller 
Erſter Abſchnitt. Nordiſche Sage . . 

1. @ötterfage . 

Umriß der Götterfage . 
2. Heldenjage 





A. Eigenthümlich nordiſche Gelenfagen 
1. Frodi der friedfame . . 
2. Hervör und Heidret 

3. Hrolf Krali . . 

4. Half und feine Reden 

5. Fridtbjof . . 

6. Bier norwegiſche Seiten 

7. Hadding . . 

8. Regner 

9. Amleth 

10. Uffo 

11. Asmund 

12. Fridlev . . 

13. Othar ımd Syrith 

14. Alf und Alvild 

15. Hagbarth und Sagne 

16. Halfdan . . 

17. Harald Hyidetaud . 

18. Starkadr 


1. Starkadrs Urfprung und vorbeſtimmies Eat 


2. Starkadrs erſtes Nidingswerl . 
3. Starkadrs Kriegsfahrten 
4, Starkadrs erfte Hofreife . 


678 


Starkadrs zweite Hofreife 
Starkadrs dritte Hofreife 
Starkadrs zweites Nidingswert . 
Starkadr in der Bravallafhladt . 
Starkadrs drittes Nidingswerk 
10. Starkadrs Tod ... 
B. Deutſch⸗ nordiſche bedenſagen 
1. Hildur 
2. Völundre. 
3. Di Bölfunge 
1. Sigurds Ahnen 
. Helgi . 
. Sigurd . . 
. Atlıs Gaftmabhl . 
. Spanbild und ihre Brüder 
. Aslaug .. 
4. Ragnar Lodbrot 
5. Nornageft 
Allgemeinere Bemertungen .. 
1. Über das Berhältnis ber Heldenſage zur Bötterfage. 
2. Über den gemeinfchaftlihen Charakter der Götter- und 
Heldenfage . .. 
3. Über die Organe der nordiſchen Sngmictung . 
3. Balladen, Ortsfagen, Mehr chen 
1. Balladen.. 
Skrymners Reim . 
Lolis Sage . 
Eifenhöh . 
Herr Olof 
Nitter Tynne 
Der Berglönig . 
Agnes und der Deermann . 
Der Ned. . 
Der Harfe Kraft 
Bon der Meerfrau 
Die Linde 
Die Nachtigall . 
Der Rabe 
Nunenzauber 
Bom gefangnen Witter 
Das Hirtenmädcdhen 
Rofilia . 


enmn 


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DB N