Skip to main content

Full text of "Ulrich von Hutten"

See other formats




Google 





This ıs a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before ıt was carefully scanned by Google as part of a project 
to make the world’s books discoverable online. 


It has survived long enough for the copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject 
to copyright or whose legal copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books 
are our gateways to the past, representing a wealth of history, culture and knowledge that’s often difficult to discover. 


Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear ın this file - a reminder of this book’s long journey from the 
publisher to a library and finally to you. 


Usage guidelines 


Google ıs proud to partner with lıbraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the 
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken steps to 
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying. 


We also ask that you: 


+ Make non-commercial use of the files We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for 
personal, non-commercial purposes. 


+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google’s system: If you are conducting research on machine 
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text ıs helpful, please contact us. We encourage the 
use of public domain materials for these purposes and may be able to help. 


+ Maintain attribution The Google “watermark” you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find 
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it. 


+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just 
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users ın other 
countries. Whether a book is still in copyright varies from country to country, and we can’t offer guidance on whether any specific use of 
any specific book is allowed. Please do not assume that a book’s appearance ın Google Book Search means it can be used in any manner 
anywhere in the world. Copyright infringement liability can be quite severe. 


About Google Book Search 


Google’s mission is to organıze the world’s information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers 
discover the world’s books while helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the full text of this book on the web 


atihttp: //books.gooqle.com/ 





Google 


Über dieses Buch 


Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen ın den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google ım 
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde. 





Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun Öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, 
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ıst. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann 
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles 
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist. 


Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die ım Originalband enthalten sind, finden sich auch ın dieser Datei — eine Erin- 
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat. 


Nutzungsrichtlinien 





Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse 
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese 
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch 
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen. 


Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien: 


+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese 
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden. 








+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen 
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen 
nützlich ıst, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen 
unter Umständen helfen. 











+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über 
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sıe das Wasserzeichen nicht. 


+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, 
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA 
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer ın anderen Ländern Öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist 
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig 
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es ın jeder Form und überall auf der 
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben. 


Über Google Buchsuche 





Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google 
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen. 


Den gesamten Buchtext können Sie ım Internet unterlhttp: //books.google.comldurchsuchen. 











PP- 2T3- 298 “x —7 


— 











PP 273 208 ar —7 








Ulrich von Yutten. 


Erier Theil. 








— ANFORS 
ON un] | 
Fa RN \ - 


(SET 


} i [ 1 {1 J } 
— — 
* — 


——— 


— 


Das Mecht ber leberfe 


Kung ins Aranzöftfche und Englifche behält ſich 
ber Derfaffer vor. 





Vorrede. 


Wer Ulrich Hutten's Leben ſchreibt, der könnte ſich 
die Vorrede eigentlich erſparen. Denn daß Hutten 
eine tüchtige Lebensbeſchreibung verdiene, wird Nie⸗ 
mand laͤugnen, und Daß eine der vorhandenen genüge, 
Niemand behaupten wollen. 

Das Beite, was wir an befondern Schriften 
über den Nitter haben, tft fehon weit tiber hundert 
Jahre alt. Es ift des gelehrten Hildburghäufer Pros 
feſſors Jakob Burdhard lateiniſche Abhandlung über 
Ulrich Hutten’s Schidfale und Verdienſte, die in drei 
Theilen von 1717—1723 erfchtenen iſt. Sie ift das 
Beite, ſofern fie das Gründlichfte und für ihre Zeit Boll 
ſtaͤndigſte ift, auf das in Betreff der biographiſchen 





VI Vorrede. 


und Fiterarhiftorifhen Data jeder neue Bearbeiter 
immer wieder zurüdtommen muß. Aber für den 
Geift und die Bedeutung Hutten's war in dem da- 
maligen Deutfchland fein Berftändniß. Neben jeinem 
Eifer für die Reformation ift es Doch hauptfächlich 
der gute lateinifhe Stil und die fehönen Sentenzen, 
was Burkhard an ihm zu fchäben weiß. 

In das Licht der neuen Zeit wurde Hutten zu= 
erit durch Herder gerüdt, in einer Abhandlung, Die 
im Deutfchen Merkur des Jahres 1776 erfhien. Es 
war eine Fadelbeleuhtung in Herder’8 Art, die we⸗ 
niger Belehrung als Anregung gab. Insbefondere 
war au zu einer Sammlung von Hutten’s Schriften 
aufgefordert. 

Magenfeil, damals Brivatgelehrter in Kauf: 
beuren, unterzog.fich diefem Gefchäft und gab als eriten 
Theil im Jahr 1783 Hutten’d Briefe heraus. Da- 
mit aber blieb das Unternehmen, aus Mangel an 
Zheilnahme von Seiten des Publicums, jteden. 

Dagegen wirkte die biographifche Anregung fort. 
Als ein Wiederhall des Herder'ſchen Rufes ijt die 
Schrift über Hutten von dem jüngeren Schubart, er- 





Borrebe. vi 


fhienen 1791, zu betrachten. Bei. Töblichfter Ge- 
finnung und mander feinen Beobachtung fehlt e8 dem 
Berfaffer doch allzu merflih an Kenntniß des Stoffes: 
ſelbſt die eigenen Schriften feines Helden hat er bei 
Weitem nicht alle vor ſich gehabt. 

Dazu hatte, zerftreut und zum Theil felten, wie 
fie nod immer waren, der Preußifche Legationsſecre⸗ 
tär zu Nümberg auch nicht die günftige Gelegenheit, wie 
der Göttinger Profeffor Meiner, welchem die dortige 
Bibliothek und gelehrte Berbindungen das Material 
ziemlich vollitändig zur Stelle fchafften, während lang- 
jährige Uebung in derartiger Schriftitellerei ibm die 
Berarbeitung deijelben erleichterte. Nach diefer Seite 
ift Daher feine 1797 erfchienene Biographie Ulrich's 
von Hutten ein fchägbares Buch, wenn ihm aud 
Wärme der Empfindung, Friſche und Schmelz der 
Daritellung, fehlen. Dazu kam, daß ein bis dahin 
verichollenes Jugendwerk Hutten’s, das auf die Ger 
ihichte feiner Entwicklung ganz neue Lichter warf, 
dem gelehrten Berfafler .erit nach dem Erfcheinen fei- 
nes Buchs in die Hände fiel. | 

Diefe neuaufgefundene Schrift von Hutten, die 





vill Vorrede. 


elegiſchen Klagen wider die beiden Lötze, gab i. J. 
3816 Mohnike in Greifswald mit Ueberſetzung und 
Anmerkungen heraus, und fügte eine Jugendgefchichte 
Hutten's bei, welche, wenn aud einzelne Mißgriffe 
nicht fehlen, doch im Ganzen dur ihre Grümdlichkeit 
der ältern Burckhard'ſchen Arbeit ergänzend an die 
‚Seite trat. 

Die Belebung deutſchen Baterlandsgefühls in 
Folge der Freiheitskriege begünitigte endlich auch das 
Vorhaben einer Sammlung von Hutten’s Schriften, 
mit welchem zulegt Meiners ebenſo, wie früher Wa— 

genſeil, geſcheitert war. | 

| Als Vorarbeit zu einer folhen hatte ſchon 1798 
Panzer in der Schrift: Ulrich von Hutten in litera⸗ 
riſcher Hinficht, ein Verzeichniß aller einzelnen Druck⸗ 
ſchriften deſſelben nach ihrer Entſtehungszeit und ihren 
verſchiedenen Ausgaben geliefert, und ſeine Genauig- 
feit, der freilih Die entfprechende Urtheilskraft nicht 
sur Seite ftand, mochte Feder fih zum Mufter neb- 
men, der fich der Aufgabe unterzog, Hutten's Schrife 
ten geſammelt herauszugeben. 

Statt deſſen drängte fi) dazu, in der unklaren. 





Vorrede. IX 


Aufregung der Zeit, ein Menſch heran, der ohne al 
len Beruf zu dem Werke war. Nur dem Vereine 
gründlichiter Gelehrſamkeit mit gewiffenhafteftem Fleiße 
war die Aufgabe loͤsbar: bei Ernſt Münch boten fi, 
er mochte machen, was er wollte, Unwiſſenheit und 
Bahrläffigkeit die Hände. So fanden ſich durch feine 
von 1821—25 in fünf Bänden erfhienene Samme 
lung von Hutten’d Werfen (1827 brachte ein fechster 
Band die Briefe der Dunkelmänner und andere aͤhn⸗ 
lihe Schriften nad) alle billigen Erwartungen ges 
taufht. Im Zerte die Fehler der alten Ausgaben 
Durch die wetteifernde Liederlichleit von Abichreiber, 
Herausgeber und Eorrecor ins Unglaubliche vermehrt; 
Einleitungen und Anmerkungen gefudelt und ohne 
alle Berläffigfeit; wie flatt der verfprochenen Beſſe⸗ 
rung der folgende Band immer wieder ebenfo jchlecht 
ausfiel als der vorangegangene, hat der Mann zulept 
die Stimme, zu feiner Entfchuldigung zu verlichern, 
was ihn verhindert habe, al8 Herausgeber pünftlicher 
zu fein, ſei eben feine Begeifterung für den Gegen⸗ 
Hand geweſen! 

Doch wäre das Schlechte immerhin für fi 





x Borrebe. 


fhlecht, wenn es nur nicht das Auflommen des Gu—⸗ 
ten hinderte! Stünde nicht die Münd’fhe in allen 
Bibliotheken, wir. hätten längft eine beffere Ausgabe 
von Hutten’3 Werken. Doc fie wird uns nicht mehr 
| lange fehlen, und dießmal liegt die Arbeit in den 
rechten Händen. 
| Die bequemere Weberficht, in welcher auch die 
fchlechteite Gefammtausgabe die Werke eines Schrift- 
ftellers vor Augen legt, hatte die zu erwartende Wir- 
kung, neue Bearbeitungen von Hutten's Leben zu er- 
zeugen, gleichwohl nicht. Was der alte Wagenſeil 
im J. 1823 berausgab, war nur die Umarbeitung 
einer ſchon 1800 im Pantheon der Deutſchen erfchie- 
nenen Skizze, bereichert durch Dasjenige, was unter- 
defien, insbefondere durch Mohnike, an das Licht ge- 
treten war. Das Büchlein von A. Bürd aber (1846) 
ift eingeftändlih eine Compilation, aus dem Beſten 
oder auch Scheinbarften, was Andere über Hutten 
gefagt, muftvifch zufammengefügt. 

Dagegen haben die neueren Forſchungen über 
die Gefchichte der Reformation und der deutfchen Li⸗ 
teratur auch in Hutten’s Stellung, Plane md Wirk⸗ 





Borrede. U 


ſamkeit einen tiefern Einblick gewaͤhrt. Was Gervi⸗ 
nus, was Ranke, in ihren bekannten Werken über ihn 
geben, weist der richtigen Schägung des Ritters den 
Weg. Auf der andern Seite find während der legten 
Jahre noch manche Briefe von Hutten an den Tag 
gefommen, welche über verfchtedenes Einzelne feiner 
Lebensumftände neue Auffchlüffe geben. 

Bon den beiden Aufgaben, die fi hienach 
ftellen: einer neuen Biographie Hutten’d und einer 
neuen Ausgabe feiner Werfe, follte nun allerdings 
eigentlich die Löfung der leßteren vorangehen, um für 
die der eriteren die fichere Grundlage abzugeben. 
Wie oft hat der Berfaffer des nachfolgenden Buches 
während feiner Arbeit gewünfcht, daß ihm doch die 
Ausgabe von Hutten’d Werken, mit welcher Eduard 
Böding in Bonn feit Jahren befchäftigt ift, fehon vor« 
liegen möchte! Aber eine folhe Ausgabe, mit der 
Grimdlichkeit behandelt, welche die Sache fordert, und 
wie wir fie an dem genannten Gelehrten kennen, tft 
natürlich von langer Hand. Bon längerer, als eine 
Lebensbefchreibung fein darf, wenn fie nicht umter der 
Arbeit erfalten fol, — und als fie glüdlichermeife zu 





x Vorrede. 
ſein braucht, wenn der Bearbeiter der neuen Aus— 
gabe feinem biographifchen Collegen fo großmüthig 
unter die Arme greift, wie dieß mir von Böding 
widerfahren if. Seinen ganzen reichen Huttens- 
apparat, beitebend (neben manchem bisher ungedrudten 
oder verfhollenen Stüde) in Eremplaren oder Farfi- 
mile’3 fänmtlicher erſten und einer beinahe lückenloſen 
Reihe der fpäteren Ausgaben von Hutten's Schriften, 
einer Sammlung der Werke derjenigen feiner Zeit- 
genoffen, Die in irgend einem Bezuge zu ihm ftanden, 
wie ‚aller erheblichen Schriften oder Auffäge über Hut: 
ten, — dieß, und was nicht weniger ift, den Schaß 
feines Wiſſens, die Ergebniffe feiner. Forſchungen 
über Hutten und feine Zeit, hat mir Böding mit 
einer Neidlofigkeit, einer Liberalität zur Verfügung 
geitellt, für welche ich meinen Dank felbft ald unge: 
yügend empfinde; weßwegen ich meine Xefer bitte, 
denfelben, wo fie irgend mit mir zufrieden fein wer: 
den, durch den ihrigen ergänzen zu wollen. 
Mebrigend wünſche ich diefem Buche durchaus 
nicht blos zufriedene und günftige, fondern aud recht 
viele unzufriedene Leſer. Was wäre das au für 





Vorrede. xIu 


ein Bud, fiber Ulrih HSutten, mit dem alle Welt zus 
frieden wäre? Möchte doch meine Schrift alle Dies 
jenigen herzlich ärgern, die ihr Held, wenn er heute 
lebte, ärgern würde. Möchten fie den Spiegel zer 
trümmern wollen, aus dem ihr Geficht ihnen fo 
ungefchmeichelt entgegenblidt. Das eben it ja daB 
Schöne an Hutten, daß er Dinge und Berfonen, vor» 
ab Die fchlechten, durchaus beim rechten Namen 
nannte. Eines folhen Mannes Bild kommt in dieſer 
Zeit der Concordate (um von ihren übeln Zeichen 
nur Eines zu nennen) wie gerufen. Des päpitlichen 
Rom Feind war Hutten bis zum letzten Athemzuge; 
er wußte umd wird es uns fagen, warum er ed war. 
Freilich, wie er feinen Zeitgenoffen den Zürfen in 
Kom zeigte, jo würde er heute Rom in mehr als 
Einem proteitantifhen Confiftorium finden. 

Doch tritt er in dieſem erſten Buche noch nicht 
ſogleich im Kampfe gegen Rom vor und. Wir wer⸗ 
den ihn erft feine Schule machen, in Gefechten gegen 
fleinere Reinde zu dem großen Werke feines Lebens 
fih vorbereiten fehen. Das zweite Buch erit wird 
und vor die Mauern der römifhen Troja führen, 





XIV Borrede. 


die er unter den Borderiten beftürmt, um zulegt als ein 
umgefebrter Philoftet auf der Infel am Schlangen- 
biffe hinzufterben. Aber feine Pfeile find unſterblich 
und wo immer in deutfchen Landen gegen Verfinſte⸗ 
riumg und Geiſtesdruck, gegen Pfaffen- und Despoten⸗ 
thum eine Schlacht gewonnen wird, da iſt Hutten's 
Geſchoß dabei geweſen. 


Heidelberg, im Juni 1857. 


Der Verfaſſer. 





Inhalt. 


Erſtes Buch. 
Vorübungen und Kampfſpiele. 





Seite 
Erſtes Kapitel, 
Hutten's Abkunft und Kloſterleben............................ 3 
Zweites Kapitel. 
Univerfitätsjahre. Erſte Freunde............................. 23 
Drittes Kapitel. 
Wanderungen und Abenteuer in Deutfchland .............. . . . . 57 
Diertes Kapitel. 
Ertter Aufenthalt in Italien und Rüdfehr nad Deutfchland...... 91 
Sünftes Kapitel. 
Hans Hutten’6 Ermordung durdy den Herzog Ulrich von Würtem⸗ 
berg, und Ulrich Hutten’6 Agitation gegen den Herzug....... 112 
Sechstes Kapitel. 
Hutten’s zweite Reife nach Italien............................ 147 
Siebentes Kapitel. 
Reuchlin's Kampf mit den Edlnern und Hutten’s Betheiligung an 
demfelben ......................... .................. 1 


Adıtes Kapitel. 
Die Epistolae obscurorum virorum. ............. ....... 231 





XVI Inhalt. 


Seite 

Neuntes Mapitel. 
Hutten's Dichterkrönung und Eintritt in Mainziſche Dienſte. Seine 

Wendung gegen Rom .................................. 274 
Zehntes Kapitel. 

Hutten in Augsburg während und nach dem Reichetage.......... 294 
Eilftes Kapitel. 

Hutten's Krankheit und die Ouaiaf:Eur........csenereee ern. 331 


Zwölftes Kapitel. 
Feldzug und Heiratheplane ...... ............... ......... ... 354 





Erstes Buch. 


Borübungen und Kampfſpiele. 


Sinceriter citra pompam. 
(Redlich und obne Prunk.) 
Hutten’s früherer Babliprudh. 


Strauß, Qutien. I. 1 





Erfies Kapitel. 


—— — — — 


Hutten's Abkunft und Kloſterleben. 
1488 — 1504 (57). 


Da, wo Franfen: und Heflenland zufammenftoßen )), zwiſchen 
rem Vogelsberg, dem Epeflart und der Rhön, an den Ufern 
ter Kinzig und der Salza, hauſte von alten Zeiten ber 
Tas ritterliche Gefchleht der Hutten. Nach der Familien— 
überlieferung bis in das 10. Jahrhundert hinaufreichend 2), 
ericheint e8 in Urkunden feit der zweiten Hälfte des 13.9), 


— —— — — — — — 


1) Ulr. Hutteni Epigramma de se. Ad Caes. Max. Epigramma- 
tum Liber, in Ulrichi de Hutten eq. Germ. Opp. poetica, 1538, 
& 3®; Opp. ed. Münch, I, 169: 

Francia cui patria est, gelidam porrecta sub Arcton, 
Hereyniumque nemus, qua vilifer exit in amnem 
Mogus Rhene tuum, qua Fagina sylva feroces 
Francorum populos vicino dirimit Hesso. 

2) Ulrichi de Hutten eq. Germ. in Ulrichum Wirtenbergen. 
Orat. II. in der Etedelberger Sammlung der Hutten’fchen Schriften, J. 1P; 
Opp. ed. Münch, II, 115: (Francorum natio} cujus non minima pars, 
ITuttenorum familia, annis retro sexcentis sua decora, sun de vestra 
Iaude merita commemorare habet. 

3) Vgl. außer den genealogifchen Werten von Humbracht (Die höchite 
Zierde Deutſchlands, vorgeftellt in ter reichsfreien rheinijchen Ritter: 
shaft. Stammtafeln und Warven, Franffurt 1707) n. 9. insbeſon⸗ 
sere ©. Landau, Die heififchen Ritterburgen und ihre Vefiger (Kaflel 1836), 
iul, 226 ig.: Geſchichte des reicheritterlichen Gefchlechts der ven Hutten. 


Asch in der Allgemeinen Encyklopädie von Erich und Gruber den Art. 
Hatten (Genealogie). 


1* 





4 1. Buch. I. Kapitel. 


und zwar glei von Anfang fo zahleih, daß allerdings 
ein fchon längerer Beftand des Gelchlechtes wahrfcheinlid, 
wird, 

Die Fränkiſche Ritterfchaft, zu welcher die Hutten ſich 
rechneten, war als eine der Fräftigften und Fampftüdhtigften, 
aber auch ftolzeften Genofienichaften in deutichen Landen an- 
erfannt. ) Seit dem Sturze des Hohenftaufifchen Hauſes 
ohne Herzog, wenn aud) der Biſchof von Würzburg diefen Titel 
führte, unter allerlei Heine geiftliche und weltliche Herren ge- 
tbeilt, bot das Sranfenland dem Treiben einer unabhängigen 
Ritterfchaft den geeignetften Spielraum dar. Bon benad)- 
barten Prälaten und Grafen ließ man fid) Aemter und Lehen 
auftragen, machte in Fehdezügen Beute, von deren Ertrage 
man Burgen baute, Güter und Gefälle kaufte, oder Pfand» 
fhaften erwarb, bisweilen auch Klöfter begabte, oder Seel- 
mefien und Jahrstage für Verftorbene ftiftete. Dabei wech— 
felte man nad) Belieben den Dienſt; oft thaten fid, auch 
gegen einen der größern Herren die Ritter unter fi in 
friegerifche Berbindungen zufammen. Diefen freien Dienft- 
verhältniffen zu den benachbarten Landesherren gegenüber er- 
fannte man nur den Kaiſer ald wirklichen Oberherrn an; 
aber Jedermann weiß, wie wenig Das in den Zeiten des 
finfenden Mittelalters zu bedeuten hatte. 


1) Ulr. de Hutten Orat. II in Wirtenbergens. a. a. ©.: Nos 
quoque (Franci; Hutten nennt ſich felbit Francus eques in den Di: 
fichen auf der Rüdfjeite des Titelblatt der angeführten Stedelberger 
Sammlung) annis continuo multis principatum in disciplina militari 
tenuimus. Licet enim citra jactantiam dicere, rem in Germania 
equestrem hodie penes Francos esse maxime. Dagegen war aud) 
der Franconicus fastus bei den Nachbarn fprihwörtlid. S. Epist. 
Bernh. Adelmanni ad Pirckheimerum in Heumanni Documenta li- 
teraria varii argumenti (Altorf 1758), S. 177. Bgl. audy die „ſtolzen 
Franken’ in dem Liebe bei Heyd, Herzog Ulrich zu Würtemberg (Tü- 
bingen 1840), I, 468. 





Die Hutten. 5 


Unter ſolchen Berbältniffen famen aud) die Hutten em⸗ 
por. Bei mäßigen Allodialbefige waren es befonders bie 
Acmter und Lehen, die fie von den Aebten zu Fulda und 
den Grafen von Hanau, den Bifchöfen und Erzbifchöfen von 
Würzburg und Mainz nahmen, wodurch fie ſich aufhalfen. 
Wir finden fie ald Burgmannen und Amtleute, als Räthe, 
Marihälle und Hofmeifter in den Dienften der genannten 
Herren. Einzelne wurden geiſtlich und begegnen uns ale 
Tomberren der Fränfifchen Stifter zu Würzburg, Bamberg, 
Eichſtädt; auch als Abt zu Hersfeld wird zu Anfang des 
14. Jahrhunderts ein Hutten genannt. Doch waren fie im 
Turnier und im Felde mehr ald am Altar in ihrem Elemente. 
Einige haben größere Yeldzüge rühmlid) mitgemacht; weit 
öfter jedoch fehen wir fie in jenen nachbarlichen Raufereien, Feh⸗ 
den genannt, fich tummeln, wobei fie fih im Sengen und 
Brennen, Müftlegen der Dörfer, Wegtreiben der Heer: 
den und Berauben der Kaufleute mit Nichten als die Lepten 
erwieſen. 

Frühzeitig theilte ſich das Hutten'ſche Geſchlecht in meh⸗ 
tere Stämme, die ſich meiſt nach den Wohnſitzen nannten, 
welche die Sprößlinge deffelben, in verjchiedenen Richtungen 
fih ausbreitend, ſich nad) und nach bauten oder erwarben. 
Eo finden wir eine Linie zu Stolgenberg und zu Haufen, 
zu Gronau und zu Stedelberg, zu Trimberg und Arnſtein, 
Birkenfeld und Frankenberg. Uns find bier neben derieni- 
gen Linie, welcher der Held dieſer Lebensbejchreibung anges 
hörte, nur jene wichtig, von denen einzelne Glieder in die 
Lebensgefchichte deſſelben eingegriffen haben. 

Gegen das Ende des 15. und zu Anfang des fols 
genden Jahrhunderts war das Geichlecht der Hutten durch 
zahlreiche Sprößlinge vertreten und von Einfluß und Ge 
wicht im Frankenlande. Ulrich von Hutten zählt nicht weni- 
ger als dreißig feines Namens, welche dem Kaiſer Marimi- 


8 1. Buch. I. Kapitel. 





Gemeinbeſitz ſaͤmmtlicher Hutten’fchen Linien, und diefe faßten 
um die Mitte des Jahrhunderts den Beichluß, auch über die 
Grenzen der Familie hinaus weitere 32 Ganerben, gleichfam 
wie Actionäre, aufzunehmen, welche gegen ein Einfaufögelo 
und einen jährlichen Beitrag das Recht haben follten, ſich 
im vorkommenden alle der Burg als eined Waffenplapes zu 
bedienen. Run müßte man aber die Natur der Fehden jener 
Zeit wenig fennen, um nicht zu wiflen, daß das nicht viel 
Anderes hieß, ald die Burg zum Raubnefte machen: wie ed 
audy die Umgegend gar bald zu empfinden befam. “Der Un⸗ 
fug wurde fo groß, daß der Lehnsherr, der Biſchof Johann 
von Würzburg, ſich bewogen fand einzufchreiten. Im Jahre 
1458 rüdte er mit einem Aufgebote feines Landvolf8 und 
etlichen Rittern vor die Burg, belagerte und eröberte fie, und 
gab fie erft im folgenden Jahre unter befchränfenden Bedin⸗ 
gungen den Ganerben zurüd. Ob dieß oder fpäter der 
Zandfriede den Theilhabern den Befig verleidete: zu Ende 
des Jahrhunderts finden wir nicht blos die weitere ganerb- 
ſchaftliche Verbindung aufgelöft, fondern aud) die Hutten’fchen 
Linien, welche neben dem auf Stedelberg angefiebelten Zweige 
des Gronauer Afted an der Burg Theil hatten, zogen fid) 
zurüd, fo daß die Burg zuletzt Ulrich von Hutten, dem Va⸗ 
ter unjered Nitterd, verblieb, der vergeblich die Vettern zu 
den Unterhaltungsfoften beizuziehen fuchte. ?) 
| Wie ed auf folhen Nitterfigen ausfah und zuging, Fön- 
nen wir aus einer Schilderung unferes Ritters felbft entneh- 
men, deren vornehmite Züge er unftreitig von feiner väter- 
lihen Burg bergenommen hat. Die Gebäulichfeiten wa- 
ren hinter Wal und Mauern zufammengedrängt, und ber 
enge Wohnungsraum noch durch Rüft- und Bulverfammern, 
durch Vieh⸗ und Hunbeftälle befchränft und verbüftert. Die 


1) Landau, a. a. D., S. 201 fg., 307 fg. 





Die Hutten vom Stedelberg. 7 


Marſchalk und fpäter als Hofmeifter !) Frowin von Hutten. 
Racheinander im Vertrauen zweier Erzbiichöfe, hatte er ſich durch 
feine Gewanbtheit in Gefchäften auch bei dem Kaiſer Mari: 
milian beliebt gemacht, der ihn, neben mancherlei Begünfti- 
gungen, zu feinem Rath und Diener von Haus aus ernannte. 
Ohne jelbft gelehrt zu fein, war er doch ein Gönner der Ge⸗ 
(ehrten, wie er an feinem Better Ulrich, und empfänglich für 
hohe und fühne Gedanken, wie er durch feine Verbindung 
mit Sickingen und jeine Vorliebe für Luther bewies. 

Auf Stedelberg ſaß um die Wende des Jahrhunderts 
Ulrich von Hutten, der Bater des gleichnamigen Sohnes, dem 
unfere Lebensbeichreibung gewidmet iſt. Diefe Burg, von ber 
jeßt nur noch wenige Trümmer übrig find, lag auf einen: fteilen 
Berge (woher der Name) ?) in der Landfchaft, welche von ib- 
ren Buchenwäldern Buchau oder Buchonia hieß ?), unfern den 
Duellen der Kinzig, von dem jet Kurheffifchen Städtchen 
Schlüchtern zwei, von Fulda ſechs, vom Maine etwa neun 
Stunden entfernt. Zu Anfang des 15. Jahrhunderts war die 
Stedelburg als Würzburgifches Lehen ein ganerbichaftlicher 


1) In der Epistola ad Evtelvollum de Lapide, vor Hutten's 
Panegyricus in laudem Alberthi etc. (Tubing. 48545), heißt er am Rande 
Marscalchus; aud in einem Actenftüd vom Jahre 1516, das Burdhard, 
a. a. D. ©. 15, anführt, nennt er fih Meinz. Marfchalde. Dagegen 
ericheint er in den Klagfchriften der Fürften gegen Sidingen und deſſen 
Helfer ale Hofmeifter, als Marfchalf aber Kasp. Lerch. Bei Mündh, 
Franz v. Sidingen ıc., II, 223 fg. Wahrſcheinlich rückte Frowin einige 
Zeit nach Eitelmolf's Tode, der die erftere Stelle befleivet hatte, in biefe 
vor. Sonſt vgl. noch Burdhard, l, 96 fg; III, 13 fg. Landau, 
©. 260 fg. 

2) Stedel ober flidel, in der Mundart ber Gegend fo viel ale 
teil, nach Landen, a. a. O., ©. 341. 

3) Fagina sed qua se tellus demittit ad Austrum, 

Exulis Hutteni vivit uterque parens. 
Querel. L. II, Eleg. 10, v. 105 fg. Daher nannte fi Hutten Phagi- 
gena. Opp. ed. Münch, 1, 3. 





8 1. Buch. I. Kapitel. 


Gemeinbefig ſämmtlicher Hutten’fchen Linien, und diefe faßten 
um die Mitte des Jahrhunderts den Beichluß, auch über die 
Grenzen der Familie hinaus weitere 32 Ganerben, gleichlam 
wie Actionäre, aufzunehmen, welche gegen ein Einkaufsgeld 
und einen jährlichen Beitrag dad Recht haben follten, ſich 
im vorfommenden Falle der Burg als eines Waffenplages zu 
bedienen. Run müßte man aber die Natur der Fehden jener 
Zeit wenig fennen, um nicht zu willen, daß das nicht viel 
Anderes bieß, als die Burg zum Raubnefte machen: wie es 
audy die Umgegend gar bald zu empfinden befam. Der Un- 
fug wurde fo groß, daß der Lehnsherr, der Bifhof Johann 
von Würzburg, fich bewogen fand einzufchreiten. Im Jahre 
1458 rüdte er mit einem Aufgebote feined Landvolfd und 
etlichen Rittern vor die Burg, belagerte und eröberte fie, und 
gab fie erft im folgenden Jahre unter befchränfenden Bedin- 
gungen den Ganerben zurüd. Ob dieß oder fpäter der 
Zandfrieve den Theilhabern den Befig verleidete: zu Ende 
des Jahrhunderts finden wir nicht blos die weitere ganerb- 
Ihaftlihe Verbindung aufgelöft, fondern auch die Hutten’fchen 
Linien, welche neben dem auf Stedelberg angefiedelten Zweige 
bed Gronauer Aſtes an der Burg Theil hatten, zogen ſich 
zurüd, fo daß die Burg zuletzt Ulrih von Hutten, dem Va⸗ 
ter unferes Ritters, verblieb, der vergeblich die Vettern zu 
den Unterhaltungsfoften beizuziehen fuchte. 1) 

Wie ed auf ſolchen Ritterfigen ausfah und zuging, fön- 
nen wir aus einer Schilderung unfered Ritters ſelbſt entneh- 
men, deren vornehmite Züge er unftreitig von feiner väter- 
lihen Burg hergenommen hat. Die Gebäulichfeiten wa- 
ven hinter Wal und Mauern zufammengedrängt, und ber 
enge Wohnungsraum noch durch Rüft- und Pulverfammern, 
durch Vieh⸗ und Hundeftälle befchränft und verbüftert. Die 


1) Landau, a. a. O., S. 201 fg., 307 fg. 





ulrich Hutten's · Großvater. 9 


(um Stedelberg wenigftens) magern Felder, von armen Hoͤ⸗ 
rigen mühſelig beftellt, warfen dem Burgherrn eine fpärliche 
Rente ab, während fie Jahr aus Jahr ein die Arbeit und 
Eorge nicht ausgehen ließen. Des Ritterd Beichäftigung war 
die Jagd in feinen Wäldern und das ſchon zu feinem Schuge 
unentbehrliche Kriegshandwerk. Waffen und Pferde waren, 
nähtt den Hunden, fein liebiter Befib, reifige Knechte, ohne 
viel Auswahl angeworben, zum Theil wahre Banditen, feine 
täglihe Umgebung. Ihe Kommen und Gehen, die Pferde, 
Karren, Biehheerden, machten es lebhaft und geräujchvoll auf 
der Burg, wozu auf Stedelberg, nad Hutten’d Schilderung, 
noh das Geheul der Wölfe aud den !benachbarten Wäldern 
fam. !) 

Unter foldyen Umgebungen, in ſolchen Berhältniffen er: 
wuchs ein Fräftiges, aber auch hartes und wildes Geſchlecht. 
Seinem Großvater Lorenz hat Ulrih von Hutten, der den 
Greis ald Knabe noch gefannt hatte, um feiner alterthüm- 
lihen Einfachheit und Mäpigfeit willen in einer feiner Schrif: 
ten ein Denfmal gefeßt. Der Biedermann ließ feinen Pfef: 
fer, Safran oder Ingwer ins Haus, kleidete ſich nur in ein- 
beimiihe Wolle, und eiferte laut gegen die eben zu feiner 
Zeit einteißende Ueppigfeit. Er war erft Hanauiicher Amt- 
mann, dann Fuldaiſcher Rath, hatte aber in jüngern Jahren 
an den Gewalttbaten und Räubereien, welche die Ganerben 
von Stedelberg aus verübten, aud) fein redliches Theil ge: 
kommen. ?) 

Bon feiner Frau, einer geborenen von Thüngen, hatte 
Lorenz Hutten drei Söhne, unter denen der fhon genannte 
Urih der Bater unſeres Ritterd wurde. Diefer ältere Ulrich 


1) U. Hutteni Epist. ad Bilibaldum Pirckheimerum, ed. Burck- 
hard, S. 19 fg. Opp. ed. Münch, III, 79 fg. 

3) De Guaiaci medicina et morbo Gallico, Opp. Ill, 297. 
®sl. Burckhard, De U. de Hutten eg. fatis et mer., III, 11. 





10 L. Bud. 1 Kapitel 


jtand in Hanauiſchen und. Heſſiſchen Dienften, hatte im faifer- 
lichen Heere in Ungarn gefocdhten, war ader auch in Friedens» 
geſchäften von Fürften und Städten vielfady gebraucht wor- 
den. !) Mit feiner Gattin, Dttilia von Eberftein ?), erzeugte 
er. vier Söhne und zwei Töchter, ?) Seinem Charakter nad) 
ericheint er als ein harter, verfchloffener Mann, deſſen ſtarr— 
finniges Beharren auf dem einmal gefaßten Borjage für den 
Sohn verhängnißvoll geworden ift. Dagegen mitt die Mut- 
ter, jo oft der Sohm ihrer gedenkt, im Lichte zarter Weiblid)- 
feit und Mütterlichfeit hervor. Die Unfälle feiner jugend- 
lichen Irrfahrt will er ihr verichwiegen wiflen, um ihr nicht 
nod) mehr Hummer zu machen, ald er ihr Ichon babe machen 
müflen; und bei dem fühnen Wagniß feiner Mannesjahre fal- 


—— — —— 


1) Querel. L. I, Eleg. 10, v. 13 fg.: 
Ille etiam qui me genuit non proelia tantum 
Gessit, honorato perpetuanda stvlo: 
Multae urbes illum rebus petiere gerendis, 
Consilio magnos adjuvat ille duces. 
Exhortat. ad Maximilian, etc., Opp. ed. Münch, 1, 132: 
Nec libi vulgares solvit nigra factio poenas, 
uam laquei infami morle perire sinis. 
Quo pater Huttenus bello tua signa secutus, 
Saepe mihi dixit, quanlus in arma ruas. 
Die nigra factio ift die ſchwarze Schaar des ungarischen „Königs Mat: 
thias Corvinus, mit der er in Defterreich eingefallen war. 
2) U. Hutteni ad Caes. Maximilian. Epigr. Liber. Epigr. de se. 
Opp.. I, 169: 
Cui pater.Huttenus, alque ordine mater eodem 
Gontigit ex equitum .... 
Den Namen geben aus Nitterbüchern Burckhard, II, 11 fa., Mohnite, 
U. Hutten's Iugenbleben (Einl, zu feiner Ausg, der Querelen, Greife— 
wald 1816), S. XXIX, und Sandau, S. 324. 
3) Quorel. Il, 10, v. 107: 
Invenies fratres et forsan ulramque sororem. 
Otho Brunfels, Resp, ad Spongiarn Erasmi, Hutteni Opp. ed. Münch, 
IV, 505: Fratres; Frobenius, Laurentius et Johannes. 


| 





Ulrich Hutten’s Eltern. 11 


ien ihm die SThränen feiner frommen Mutter ſchwer aufs 
Hm. ') 

Bon der Wohlhubenheit feined Vaters macht der Sohn 
in einem feiner Sugendgedichte eine Schilderung, welche frei: 
ih auf den Gontraft mit dem Mangel und Elende, worin 
er jelbft fih eben damals befand, angelegt iſt. Er jpricht von 
mehreren Burgen und Dörfern, zahleeicher Dienerichaft, wahr: 
haft fürftlihem Beſitz.) Dagegen begründet nun zwar Die 
Mittellofigfeit, in welcher er nody bei Lebzeiten ded Va— 
ters ericheint, infofern feine Einwendung, als fie die Folge 
eined zwiichen Beiden eingetretenen Zerwürfnified war. Doc 
befennt Ulrich Hutten fpäter felbft, daß fein väterliched Ver⸗ 
mögen, daß er freilich mit fünf Geichwiltern zu theilen hatte, 
ihm die Mittel nicht gewähren würde, mit dem erforderlichen 
Anftande zu leben. ?) Ueber die fchwere Baulaft der ihm al- 
lein verbliebenen jchadhaften Stedelburg beklagte ſich der alte 
Ulrih wiederholt; doch baute er im Jahre 1509 das noch 
iegt in feinen Trümmern erfennbare Rondel, das auf den 


1) Querel., I, 10, v. 113 fg. Berner die Reime vor dem Ge: 
frägküchlin a iiij. Opp. ed. Münch, V. 162. 
2) Querel., I, 10, v. 17 fg.: | 
Sunt et opes et digna viro posscssio tanto, 


Si videas arces, si consito in ordine villas, 
Jurabis, magni principis esse domos. 
Si comitum turbam, si jura domestica cernas, 
Ile aliquo, dices, fungitur imperio. 
Omnia magna satis cultuque instructa decenti, 
Omnia sunt verbis uberiora meis. 
Bol. Landau, S. 310. 
3) Fortuna, Dialogus Huttenicus, Opp. ed. Münch, Ill, 360: 
Fortuna. Nec a paternis agris et possessionibus tantum redit, 
u possis in studio conquiescere? Huttenus. Tantum forte; sed 
st dignitatem tuear interim, eo aliquid adjice. gl. Epist. ad Bi- 
libald. Pirckheimerum, Opp., Ill, 88 fg. Auch nadı Samerarius war 
er neque opum abundantia... pollens. Vita Ph. Melanchthonis, ed. 
Strobel (Halle 1777), S. 91. 





12 I. Buch. 1. Kapitel. 


Scylußfteine des Thürbogend feinen Namen mit der Jahres- 
zahl eingehauen zeigt. *) 

Es war am: 21. April ded Jahres 1488, Vormittags 
halb 10 Uhr), als dem Nitter Ulrich auf der genannten 
Burg ein Sohn geboren wurde, welchem er feinen eigenen 
Bornamen beilegen ließ. Melanchthon mit feiner Schwäche für 
Aftrologie wollte hernady aus dem Stande der Geftirne in fei- 
ner Geburtöftunde die körperliche Kränklichfeit Hutten’s ableiten: 
ungleich bedeutfamer zeigt fich in der hiftorifchen Conftellation, 
der Gruppirung merfwürdiger Begebenheiten und Geburtd- 
jahre um das feinige her, feine geiftige und gefdyichtliche 
Stellung vorgebildet. Hutten erblicte das Licht der Welt in 
den legten Jahren Kaifer Friedrich's III., mitten unter den 
Bewegungen, welche die Umbildung der Reichsverfaſſung zum 
Zwecke hatten; 33 Jahre nach Reuchlin, 21 Jahre nad) Eras— 
mus, 13 nad Wilibald Pirckheimer, 16 nach Mutianus Rufus, 
8 nad) Erotus Rubianus, 7 nad Franz von Sidingen, 
5 nad) Luther, A nad) Zwingli, in demfelben Jahre mit Eoban 
Heſſe und 9 Jahre vor Melanchthon. Mit allen diefen Män- 
nern hat ihn das Scidfal hernach in Berührung gebradit; 
wäre er nicht Hutten gewelen, fo würde das freilich wenig 
bedeutet haben; aber auch ein Hutten wäre ohne foldye Con— 
ftellation nicht geworden, was er mittelft derfelben gewor- 
den ift. 

Ulrih war der Erftgeborene?); gleichwohl beftimmten ihn 





1) Landau, ©. 189 fg., 207 fg. 

2) So ein Horoffop aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, das fich 
auf der Münchner Hof: und Staatsbibliothek befindet, Cod. Lat. 10667. 
Pal. M. 667, ©. 46, und deſſen Kenntniß ich der Mittheilung Böding'e 
verbanfe. Abweichende Anfichten über Hutten’s Geburtstag f. bei Moh: 
nife, Ulrich Hutten’6 Jugendleben, S. XXI. 

8) Otto Brunfele, der Bekannte von Hutten's letzten Jahren, 
nennt ihn ausbrüdlich primogenitus. Resp. ad Spong., Opp. Hut- 





Hutten im Stift zu Fulda. 13 


bie Eltern für den geiftlidhen Stand, was fonft eher mit nach⸗ 
geborenen Söhnen zu gefchehen pflegte. Vielleicht war ein 
frommer Beweggrund im Geiſte jener Zeit, eine Art von Ge- 
lübde im Spiele; vielleicht daß des Knaben Leibesbeichaffen- 
heit ihn als minder geeignet zum friegerifchen Stammhalter 
eriheinen ließ: denn Ulrich war von feinem und ſchwäch⸗ 
lihem Körperbau. !) Zeigte er dabei frühzeitig einen aufge: 
wedten Kopf, Lernbegierde und Yafjungsfraft, fo lag der 
Gedanke an eine geiftlihe Laufbahn nahe; wie bei dem 
Berhältnig der Familie zu der Abtei Fulda und andern fräns 
füdhen Stiftern der Gedanke, daß dieje Laufbahn ihn zu ho= 
ben Ehren führen werde. So kam es, daß im elften Jahre 
des Knaben, mithin im Jahre 1499, feine Eltern ihn, wie er 
ſelbſt ſich ausdrückte, „aus andädtiger guter Meinung” in 
das benachbarte Stift Fulda brachten, und zwar nicht bloß, 
daß er defien Schule durchlaufe, fondern „mit dem Borfabe, ' 
daß er darin verharren und ein Mönd, fein follte‘'. 2) 

Die Benedictinerabtei Fulda, des Apofteld der Deutichen 
hochberühmte Stiftung, hatte freilich von ihrem alten Glanz 


ieni ed. Münch, IV, 505. Außerdem geht es aus Querel., II, 10, 
v. 119 fg.: 
Nesciat hoc genitor, juvenis quoque nesciat, aevi 
Maxima qui post me tempora frater habet — 

dentlich hervor. Die gegentheilige Annahme von Burdharb, III, 13, 
Reiners, Lebensbefchreibung berühmter Männer aus d. 3. der Wiederherft. 
ve Wiſſ. II, 3, Sagen, Deutichlands rel. u. Lit. Verhaltniſſe im Re: 
frmationszeitalter, I, 244, beruht auf einem falfchen Schluffe aus ber 
oben fogleich zu befprechenden Thatfache. 

1) Corpore admodum pusillo atque debili, fagt Joach. Game: 
tarius, Vit. Melanchth., ed. Strobel, &. 91. Parvus et aeger eram, 
lijt derfelbe in einem Epigramm auf Hutten diefen fprechen, in ben 
Epitaphia illust. viror. Norimb. ap. Fr. Peypus, anno 1531, anges 
führt bei Joh. Frid. Christius De mor., scr. et imag. Ulrici ab 
Butten comment. (Halae 1727), ©. 17. | 

2) Hutten’s Enubtichuldigung wyder etlicher vunwahrhafftigter Außgeben 
von ym ıc., Opp. ed. Münch, V, 442 





14 IJ. Buch. I. Kapitel. 


und Reichthum viel eingebüßt; auch für ihre Schule waren 
die Zeiten des Rhabanus Maurus lange vorüber, wo fie bie 
blühendfte in ganz Deutfchland geweien war. Im Laufe des 
15. Jahrhunderts namentlidy waren Firchliche Anftalten diefer 
Art nicht mehr im Stande, mit der Entwidlung der Zeit. 

Schritt zu halten. Der Lehrer der jungen Leute war zugleich 
Inſtructor der Mönche, und mußte ſich in der erftern Thätig- 
feit durch das letztere Verhältniß nothwendig gehemmt füh⸗ 
(en. 2) Der damalige Abt aber, Johann II, aus dem Gejchlechte 
der Grafen von Henneberg, war ein ftreng kirchlicher Mann, 
der aus den Mauern feines Stiftd alle weltlichen Beichäf- 
tigungen auszujchließen, und feine Untergebenen auf geiftliche 
Uebungen zu befchränfen fuchte. Was Hutten von ihm hielt, 
erhellt deutlich aus der Art, wie er fpäter von ihm fprady 
und nicht ſprach.) Auch außerdem fcheint ed an bildungs- 
“ feindlichen Elementen im Klofter nicht gefehlt zu haben: wenn 
Hutten in der Folge feine wandernde Mufe ermahnt, in Fulda 
fi vor ihrem Feinde Tundalus in Acht zu nehmen ?), jo hatte 
er deffen widrige Gefinnung ohne Zweifel während feines 
eigenen Aufenthalts dafelbft zu erfahren gehabt. Ebenſo dürfen 
wir aber auf der andern Seite wohl annehmen, daß er die 
Geiftlichen, Gebrüder Franz und Georg Morlin, wie auch den 
Peter Arungia, deren Studien und Wohlwollen er nachmals 


— — — — 


1) Displicuit ludus scholasticus, quem nolebant separare a 
praelectionibus monachorum, prout ipse enixe cupiebam, fchreibt 
noch zehn Jahre fpäter der zu biefer Stelle berufene Crotus Rubianus. 
Epist. ad Huttenum, 3. Non. Febr. 1511. Bei Mohnife, Hutten’s Ju⸗ 
gendleben, ©. CLXII. Opp. ed. Münch, I, 105. 

2) Abbati cuidam, fchrieb Hutten von ihm an Jakob Fuche, Opp. II, 
36, und in einer Elegie, wo er ausführlih von Fulda fpricht und 
den Goabjutor ale thatfächlichen Abt höchlich rühmt, gedenft er des wirf- 
lichen Abts, der damals noch lebte, mit feinem Worte. Querel. II, 10, 
v. 135 fg. Pol Mohnike, a. a. O., ©. XXXV. 

3) Querel., a. a. O., v. 155 fg- 





Hutten im Etift zu Fulda. 15 


bei Erwähnung Fulda's rühmt"), eben während jeiner Klofter: 
jahre von Dieter Seite fennen gelernt hatte. Kenner und 
Gönner der auffommenden befiern Literatur war Hartmann, 
Yurggraf von Kirchberg, den im Jahre 1507 der Abt Johann zu 
jinem Coadjutor beftellte, bis er nad) deſſen Tode im Jahre 1513 
jein Nachfolger. wurde: in den Jahren, die Hutten in Fulda 
zubrachte, war er freilidd Ganonicus in Mainz; doch kam er, 
wie aus Briefen erhellt, vorübergehend auch fchon damals 
nah Fulda, und konnte bier die Bekanntſchaft des aufitre- 
benden Knaben und Zünglingd machen, der fpäter mit fo viel 
Rärme von ihm fprad). 2) 

As Ulrich von Hütten in feinem elften Jahre mit der 
Beſtimmung zum Mönchsftande nach Yulda gebracht wurde, 
bette er fich nicht widerlegt, da er, nad) feinem eigenen Aus⸗ 
trade, das Verftändniß noch nicht hatte, daß er hätte willen 
mögen, was ihm nütz und gut und wozu er gefchidt wäre”. 
Wie er aber allmählig ſich felbft und das Leben befier fennen 
lernte, wollte ihn „bedünken, er wüßte feiner Natur nad in 
einem andem Stande Gott befler zu gefallen und der Welt 
ehrharer zu dienen.) Der Abt gab ſich alle Mühe, ihn zum 
wirklichen Eintritt in den Orden zu bewegen. Seinen Eltern 
eröffnete er die glänzenpften Ausjichten für den Sohn, um 
Ah ihrer Mitwirfung zu verjichern. Aber ein vortrefflicher 
un? vielgeltender Dann hatte des Jünglings Beſtimmung 
beſer erfannt, und jchüßte ihn gegen folche Zudringlichkeiten. 

Dieß war der Ritter Eitelmolf vom Stein, und er hat 
nicht nur auf Hutten’d Leben fo viel Einfluß gehabt, fondern 
Mau für jene ganze Zeit und ihren Culturzuſtand eine jo 
vorbildliche Geftalt, daß wir von ihm ausführlicher reden 





1) Querel. a. a. O., v. 149 fg. 
2) Ebend., v. 135 ig. Vgl. Mohnife, a. a. D,, S. XXXIX fg. 
2) gutten’e Enndtſchuldigung, Opp., V, 442. 





— u— 


16 I. Buch. I. Kapitel. 


müflen. Einem edeln Geſchlechte in Schwaben entiproffen, 
war Eitelwolf erſt zu Schlettftant durch Craft Udenheim un- 
terrichtet worden, dann ber eben aufgefommenen Eitte gemäß 
nah Italien gegangen, wo Philipp Beroaldus zu Bologna 
fein Lehrer im Lateinifchen wurde. Kaum daß er hernad 
auch das Griechiſche angefangen hatte, wurde er von feiner 
Familie zurüdgerufen, was er lebenslänglidy beflagte. Heim⸗ 
gefehrt trat er in die Dienfte des Kurfürften Johann Cicero 
von Brandenburg und wurde von diefem ſowohl als von fei- 
nem Sohne und Nachfolger Joaͤchim I. zu den widhtigften 
Staatögefhäften gebraudt. Die Stiftung der Univerfität zu 
Frankfurt a. d. O. durch den Letztern war vorzugsweiſe fein 
Werl. Beſonders folgenreihh war fein Berbältniß zu dem 
Markgrafen Albrecht, dem jüngern Bruder Joachim's, den fein 
Umgang vorzüglich mit der Neigung für Die humaniſtiſchen 
Studien erfüllt zu haben ſcheint, durdy die er fih nachher ale 
Erzbifhof von Magdeburg und Mainz auszeichnete, wo er 
dann alsbald den alten Freund in feine Dienite 309. 
Eitelwolf hatte fih zur Lebensaufgabe gemacht, was das 
mald noch neu war: die Thätigfeit in hohen Staatsämtern 
mit wiſſenſchaftlicher Beichäftigung zu verbinden. Mit dem 
ganzen Gewichte feiner PBerfönlichkeit und Stellung trat er 
dem rohen, centaurifchen Wefen der Mehrheit des damaligen 
Adels, ihrem Borurtheil gegen feinere Geiftesbildung entgegen. 
Er war der Gönner aller Gelehrten, und hat viele großmü- 
thig unterſtützt. Ein Gelehrter falle ihm nie zur Laſt, hatte 
er einft einem folchen zur Antwort gegeben, der feinen Ein- 
tritt bei ihm entfchuldigen zu müffen glaubte. Briefe, Zu⸗ 
ſchriften von wiſſenſchaftlichen Männern zu erhalten, machte 
ihn glücklich.) Es Fam vor, daß er einen vornehmen Hof- 


1) Sie latinifirten und gräciiirten feinen Namen, indem fie ihn 
Iteluolphus, wol auch Ololycus (OAdAuxos) de Lapide nannten. 





Eitelwolf vom Stein. 17 


mann, der ihm eine wichtige Rachricht bringen wollte, warten 
ließ, bi8 er ein Gedicht Hermann’s von dem Buſche, das 
ihm eben zu Handen gefommen war, wiederholt durdygelefen 
hatte. Als Hutten einmal mit ihm von „Leuten unfers 
Standes’ ſprach, fragte er: Welches Standes? des gelehrten 
oder des Ritterftandes? denn wir gehören beiden an. Die 
Bücher nannte er Die andere Art von Waffen, und hatte felbft 
zu Pferde immer vergleichen bei fi. Unter den Alten fchäste 
er Livius, Virgil und Lucan befonderd; von den zeitgenöffis 
ſchen Größen war ihm feine fremd. Den lebhafteften Antheit 
nahm er an Reuchlin's Kampfe mit den Eölner Finfterlingen, 
die er Capnionsläuſe zu nennen pflegte. Kam ihm eine neue 
Schrift von Erasmus zu Geſichte, fo ging ihm frifche Hoff: 
nung für Deutfchland auf. Einſt erfuhr er, Erasmus fei mit 
Reuchlin und Hermann von dem Bufche in Frankfurt a. M.: 
eig reist er dahin, um fie mit allen Anhängern der neuen 
Richtung, die dafelbft zu finden wären, zu einem Sofratiichen 
Gaftmahle zu laden: als ein Anfall von Steinfchmerzen ihn 
darniederwarf und das Vorhaben vereitelte. Am andern Morgen 
tiste Erasmus ab: Eitelwolf fonnte ed Hutten lange nicht 
verzeihen, daß er ihn davon nicht zeitig in Kenntniß gefept 
hatte. Befonders viel hielt Eitelwolf auf die Belehrungen der 
Gedichte. Ein märfifcher Ritter wollte ihn einft vor einer 
Verſammlung durch die Bemerkung befchämen, er fei ja nicht 
alt genug, um fi der Sache, von welcher die Rede, erinnern 
zu innen. Alter, erwiderte ihm Eitelwolf, ihr mögt wohl im 
Gedaͤchtniß haben, was feit vierzig Jahren oder etwas Darüber 
ſich zugetragen hat: id} hingegen auch Das, was vor zwei⸗ oder | 
dreitaufend Jahren. Ueberhaupt fprady er, nad) Art der Alten, \ 
gen in Eentenzen und Epigrammen. Als Einer berichtete, 
der Venezianifche Krieg fei trefflich befchrieben worden, erwie- 
derte er: Ich wollte lieber, er wäre glüdlich geführt worden. 
Die Tugend führt in die Höhe; Unglüd erprobt den Mann; 
2 


Strauß, Hutten. 1. 





18 I. Buch. I. Kapitel. 


man muß auf die Umſtände der Zeit und auf den Ruf bei 
‚der Nachwelt fehen: das waren Sprüche, die er häufig im 
Munde führte. ) 

Wir werden auf Eitelwolf vom Stein in Hutten’8 Lebens 
gefchichte noch öfter zurücdzufommen Beranlaflung haben: hier 
ift e8 zum erftenmale, daß er als fein guter Genius ericheint. 
Während feiner Brandenburgifchen Dienftzeit muß er einmal 
in Fulda und der Umgegend geweſen fein, den jungen Hutten 
fennen gelernt, und fi für ihn zu interejfiren angefangen 
haben. Die Bemühungen des Abts, denfelben durch Ueber⸗ 
vedung und Verſprechungen, die insbefondere auf die Eltern 
berechnet waren, für den Möndhsftand zu gewinnen, crregten 
feine Beſorgniß. Er warnte die Eltern, den Sohn nicht zu 
einem Schritte zu bereden, der ihn fpäter gereuen Fännte; zu 
dem Abt aber ſprach er: Du wollteft ein ſolches Talent zu 
Grunde richten? 2) ein Wort, das die Geichichte dem Eitelwolf 
jo wenig vergeffen wird, als der danfbare Hutten es jemals 
vergefien hat. Auf Hutten’d Bater übrigens fcheint die Wars 
nung Eitelwolf's nur fo weit Eindrud gemacht zu haben, als 
er den Schn nicht geradezu mit tem Anfinnen, Profeß zu 
thun, übereilte: von dem einmal gefaßten Beſchluß über 
die Lebensbeftimmung deſſelben ging der ftarrfinnige Mann 


.— — nn — — * 


1) 2gl. über Eitelwolf Hutten's ihm gewidmeten Nekrolog in der 
Epistola ad Jac. Fuchs, in der Steckelberger Sammlung der Schriften 
gegen Herzog Ulrih von Würtemberg, C. und Opp. ed. Münch. II, 
34 fg. Berner die Iufchrift an Eitelmolf ver Hutten's Panegyricus 
in Jaudem Alberthi (Tubing. 1515), Opp. I, 272. &. aut Burck- 
hard, Germ. eques humanitatis propugnator, p.59 fg.; Mohnife in 
feiner Ausgabe der Oucrelen, &. 428 fg.; Erhard, Gefchichte des Wic- 
deraufblühens wiffenichaftlicher Bildung, III, 230 fg. 

2) Non passus est, quamquam splendida, ut ibi, conditione 
oblata olim, persuaderi meis, ut in religionem quandam praccipi- 
tarent me. Et Abbati cuidam, id agenti, Tune hoc, ait, ingenium 
perderes? Epist. ad Jac. Fuchs, p. 36. 





Yutrien’s Flucht aus Fulda. 19 


niht ab. So mußte der Sohn fich jelbft helfen. Der Ge- 
danke der Flucht ftieg in ihm auf. 

Gleichſam vorbildlich fteht in dem Jugendleben verfchie- 
dener zur freien Entwidelung und zur Befreiung Anderer 
berufenen Menichen eine folhe Flucht. Der Drud beengender 
Berhältnifie fpannt und fleigert die inwohnende Kraft; ein 
ſtarker Wille nimmt das Schickſal in die eigene Hand; die 
gefiel wird geiprengt: und damit hat der Charafter und das 
fernere Leben fein bleibendes Gepräge erhalten. So bei Schiller, 
jo bei Hutten: verwandten Seelen, nicht allein durch diefen 
Zug. Wenn wir nur für Hutten’d Flucht auch die Aufzeicy- 
nungen eines Streicher hätten. 

Mann Hutten’d Entfernung aus Fulda erfolgte, -läßt 
ich aus einer jpätern Aeußerung deflelben ungefähr beftim- 
men. In einem Schriftftüde, das im Februar 1515 geprudt, 
vielleicht jedocdy jchon gegen dad Ende des vorhergehenden Jahres 
geichrieben ift, Ipricht Hutten von den Mühen und Arbeiten, 
denen er ans Liebe zu den Wiſſenſchaften bereits feit zehn Jah⸗ 
ren unter den heftigſten Schidjalsjtürmen in Deutfchland und 
Italien ſich unterzogen habe ?): diefe Schidfalsftürme brachen 
mit jeiner Flucht aus dem Klofter über ihn herein, welche 


— — — — — — — 


1) Ad clarissimum eq. Eytelvolphum de Lapide etc. Praefatio 
a der Schrift: In Jaudem Rev. Alberthi Archiep.. Ulrichi de Hutten 
vo. Panegyricus (Tubing. mense Febr. 1515). A iij; Opp. I, 275: 
. laborum, quos annis jam decem turbulentissimis fortunae tempe- 
satibus per Germanianı jan simul ac Italiam amore literarum ex- 
haus. Wenn Hutten in einem Briefe vom Ausgang October 1518 
(Epist. ad Pirckheimerum, p. 4, Burckh. II, 71, Münch.) von 
JWuodecim annorum peregrinatione jpricht, fo in nicht vom Datum 
des Briefe an zurüd zu rechnen, was auf das I. 1506 führen würbe, 
indern vom Schluſſe feiner Reifen mit der Zurüdfunft aus Italien im 
Ecmmer 1517; was, die runde Zahl genau genommen, bas J. 1505 
gibt. Die Art, wie Meiners, a. a. O., S. 7, Anm., den Widerfprud) 
en wollte, halte ich für willkürlich. 
2% 





20 1. Buch, L Kapitel, 
7 in das Jahr 1504 oder 5, das 16. oder 17. feines 





‚zu fegen waͤre. 
nr Schritt wie dieſer wird nicht leicht ohne den Beirath 
Bertrauter 1 befchlofien, ohne die Beihülfe von Mitwiffen- 
tt. Gamerarius nennt in diefer Rolle den Crotus 
us, einen eund Hutten’s, von dent bald aus- 
de * fein wird. Er habe dieſem, wenn nicht 
Rath) h zur Sucht gegeben, doch bei der Ausführung 


£ oder. vielmehr Ausftudirter auf der ‚Univer- 
il t: bie Borausiegung eines Befuchs in Fulda, wo 








Ali) us Camerarii Vita Melanchthonis, ed. Strobel, p. 89: 
ler ‚Hutteno cum Croto Rubiano singularis usus a prima 





— quo autore vel certe adjutore reliquit ille contubernium 
Fuldanum, im quod paene puer, magis disciplinae quam religionis 
causa datus essel. Daß Gamerar mit jener Motiz über Groms in 
bemjelben Athem eine durch Hutten's eigenes Zugeſtändniß widerlegte 
Angabe —— ben Zweck feines Klofleraufenthalts verbindet, hat auch gegen 
ie erfiere Zweifel erregt (Mohnife, Hutten's Jugendleben, S. LI fg., 
Ann). Schwerlich mit Recht. Jene Abſchwachung bes Motive von Hutten's 
Eintritt in das Stift Fulda ift ganz in Camerar's Melanchthoniſch 
t er Art, Um ja feinen Schatten auf Hutten wegen feiner Flucht 
und auf Grotus als den Gehülfen berfelben zu werfen, entfernt er forg: 
fältiger als genau jeben Schein, als hätte Erſterer eine Verpflichtung zum 
Bleiben gehabt. So werben wir unten einen Fall finden, wo Camerar 
als die Urfache, warum zwei ihm gleich) werthe Männer (Eoban Hefe 
und Wilibald Pirdheimer) nur wenig Berker gehabt, die Kränflichkeit 
des Ginen angibt, während er ſehr wohl wußte, baf ein wirfliches Zer— 
wuͤrfniß zwiſchen Beiben ſtattgefunden hatte. Gerade dieſes ſchonende Weſen 
aber läßt vielmehr ſchließen, daß, wenn Camerar dem ihm auch nach feinem 
Tode noch; fehr. werihen Grotus etwas nachſagte, was ihm von einem 
eil der Zeitgenoffen verdacht werden fonnte, er es nicht ohme geichicht: 
Grund gethan haben wird, Da er nun überbieß jene Motizen tiber 
bei Erwähnung eines Beſuchs mittheilt, den er ein Jahr nach 
deſſen Tode bei Grotus gemacht, und ber Geſpräche, die fie damals über 
ben verftorbenen Freund geführt haben: fo liegt die Vermuthung nahe, 
daß eben damals Grotus jenen Zug aus dem Anfange feiner Befanntichaft 
mit Hutten mitgetheilt habe. 








Hutten’s Flucht aus Fulda. 21 


ihre Bekanntſchaft entftanden; und der Fluchtplan entworfen 
worden wäre, bat Feine Schwierigfeit. Daß Crotus von 
früher Jugend an fein vertrauter Freund gewefen, bezeugt 
Hutten felbft ); in Bezug auf feine Flucht aber erwähnt er 
feiner, vielleicht um ihm feinen Verdruß zu machen, nicht, ſon⸗ 
dern jagt nur, als er zu der Einficht gefommen, daß er nicht 
für das Kloſterleben tauge, „habe ex fi, noch ehe er durch 
Profeß oder Gehorfam verbunden oder verftridt gewefen, da⸗ 
raus gethan, um andern Dingen, bie zu verweilen er ſich 
geihicter geachtet, nachzugehen‘. ®) 

Den Punkt mit dem Profeß hebt er deswegen befonders 
hervor, weil feine Gegner ihn gern als entlaufenen Mönch 
brandmarkten, der bereit abgelegte Gelübde gebrochen habe. 
Lezteres ftellt Hutten nicht allein feierlich in Abrede, fondern 
fordert auch feine Feinde fo nachdrücklich auf, ihn, wenn fie 
fönnen, Lügen zu ftrafen, ihm den Abt, Prior, Propft oder 
Dedanten zu nennen, unter dem er Profeß gethan, oder der 
ihn eingefegnet habe, was doch bei einer Sache, die mitten 
in Deutſchland vorgegangen, noch möglich fein müßte: daß 
wir an der Wahrheit feiner Berfiherung nicht zweifeln fönnen. 
Benn es der Regel nad) ging, fo war ja auch der Sechszehn⸗ 
jährige noch zu jung zur Ablegung der Kloftergelübde. Der 
iltfame Umftand, daß Hutten fünf Jahre fpäter in der Greifs⸗ 
waldifhen UniverfitätSmatrifel als Clericus Herbipolensis 
eingefhrieben wurde, erklärt fich vielleicht daraus, daß er in 
feiner damaligen hülflofen Lage fich gern für einen Geiftlichen 
halten fieß, um defto eher Unterftügung zu finden. ®) 


— — — 


— — 


1) Epist. ad Jacobum Fuchs, Opp. ed. Münch, 11, 38: .. de 
Croto Rubiano, quicum mihi (ut scis) a primis usque annis consue- 
tndo fuit singularis. 

2) Enndtſchuldigung u. f. w., Opp. V, 442. 

3) Mohnike, Hutten’s Jugendleben, S. L. CXIV fg. 





22 I. Buch. I. Kapitel. 


Nicht lange nachdem auf diefe Weile Hutten aus dem 
Klofter zu Fulda in die Welt entflohen war, flüchtete ſich 
zu Erfurt Luther aus der Welt in das Klofter. Wie bezeich- 
net diefer Gegenfag Natur und Beftimmung beider Männer. 
Der Eine will fich unter Menfchen umtreiben, der Andere mit 
Gott ind Weine kommen. Zwar erfennt dieſer fpäter den 
falfhen Weg und verläßt das Klojter: ohne jedoch feiner 
Denk» und Handeldweife das dort erhaltene Gepräge wieder 
abthun zu können. Bei aller Breite und Großartigfeit feines 
fpätern Wirfend blieb Luther eine ftreng in ſich zufammen- 
gefaßte, aber auch eine geiltliche, dadurch gebundene und ver: 
büfterte Perfönlichfeit: während Hutten eine weltliche, ritter- 
liche, freie, jelbft im Unglück heitere, aber freilih auch unftäte 
und in ihrem Thun fich vielfach übernehmende Ratur ijt. 





Zweites Kapitel. 


Univerfitätsjaßre. Erfte Freunde. 
1505 — 1508. 


— 


Schtiften: Erſte Verfuche in Epigrammen und kleinen Elegien. 





Dej Hutten in den Jahren zwiſchen ſeiner Flucht aus dem 
Kloter und dem Antritt feiner Reiſe in den Norden drei 
Univerfitäten, nämlid Erfurt, Cöln und Frankfurt a. d. ©. 
befnht hat, und zwar Die zulegt genannte zulegt, fteht fen. 
Ober aber von Fulda aus zuerft nady Erfurt oder nach Göln 
gegangen fei, iſt und bleibt zweifelhaft. 

Für Cöln ſtimmt der ſchon genannte Zeitgenofje und per: 
fönlihe Bekannte von Hutten und Crotus, Joachim Camera⸗ 
tius.) Allein derfelbe Berichterftatter fommt unmittelbar dar: 
nad auf Hutten's italiänifche Reife zu fprechen 2): da doch zwi⸗ 
[hen Hutten's Cölner Aufenthalt und diefe Reife verſchiedene 
längere Aufenthalte an andern Orten fallen. Daher wird neuer: 


— — 


1) Vita Melanchth., p. 89: ... reliquit ille (Huttenus) contu- 
bernium Fuldanum, ... et Coloniam Agrippinam ad optimarum ar- 
tum et literarum studia percolenda profectus est. 

2) Unmittelbar nach dem PVorigen führt Bamerar fort: Postea venit 
in Italiam etc., womit aber niht das Falſche gefagt if, daB Hutten von 
Göln aus, fondern nur daß er fpäter nach Italien geyange.ı fei. 





22 I. Buch. I. Kapitel. 


Nicht lange nachdem auf diefe Weile Hutten aus dem 
Klofter zu Fulda in die Welt entflohen war, flüchtete fich 
zu Erfurt Luther aus der Welt in das Klofter. Wie bezeich- 
net diefer Gegenfat Natur und Beftimmung beider Männer. 
Der Eine will fi unter Menfchen umtreiben, der Andere mit 
Gott ind Reine kommen. Zwar erfenut dieſer fpäter den 
falfhen Weg und verläßt das Klofter: ohne jedoch feiner 
Denk: und Handeldweife das dort erhaltene Gepräge wieder 
abthun zu fönnen. Bei aller Breite und Großartigfeit feines 
fpätern Wirfens blieb Luther eine ftreng in ſich zufammen- 
gefaßte, aber auch eine geiftliche, dadurd) gebundene und ver: 
büfterte ‘PBerfönlichfeit: während Hutten eine weltliche, ritter 
liche, freie, felbft im Unglück heitere, aber freilich auch unftäte 
und in ihrem Thun fich vielfach übernehmende Natur ift. 





Hutten in Coln. 25 


eigenen Angabe des Legtern (auf die wir zurüdfommen) ge- 
wis. Die natürlichfte Borausfegung wäre dabei, daß Beide 
auch zu gleicher Zeit und in Gefellfchaft dahin gereist jeien. 
Run ipricht aber Erotus in einem Briefe an Luther fo, als 
ob er zur Zeit von deffen Eintritt in das Auguftinerflofter, 
der in den Sommer 1505 fällt, in Erfurt anmwefend geweſen 
wäre.) Hutten’d Flucht aus Fulda aber fiele, feinen oben 
beigebrachten Ausdruck genau genommen, wo nicht in das 
3.1504, doch ſchon in ten Anfang des folgenden. Ging 
er nun zunächft nach Erfurt zu Crotus, fo ‚erlebten fie hier 
kuther's Eintritt in das Kloſter; ging er aber nach Eöln, 
io müßte Crotus zunächit noch eine Zeit lang in Er— 
fürt zurüdigeblieben fein, wenn wir nicht Hutten's Flucht fo 
tief in das 3. 1505 herabrüden wollen, daß Crotus ihn be⸗ 
gleiten, und jenes Luther betreffende Ereigniß fchon vorher 
in Erfurt erlebt haben konnte. Erfurt zu verlaflen, mochten 
fh im Sommer 1505, falls Hutten ſchon das Jahr vorher 
dahin gefommen war, Beide, war er nad) @öln voraudge- 
gangen, Crotus, durch die Peft bewogen finden, welche um 
tie Emtegeit jenes Jahres daſelbſt ausbrach, und Lehrer wie 
Ehüler bis zum folgenden Frühjahre vertrieb. *) 

Ad den Zweck von Hutten’d Reife nad Cöln gibt Ra- 
merarins das Studium „der beften Künfte und Wiflenfchaf- 
im" an. So bezeichnete man damals, im Gegenſatze zu der 
alten Echolaftit, die humaniftifchen Studien; bonis literis 
operam dare hieß, Latein und Griechiſch aus den claffifchen 


— 


nn 


1) Epistola Croti Rubiani ad Lutherum, Bonon. 16 Cal. Nov. 
1519. Monumenta piectatis et literaria, I, 16: Luther habe fich in's 
Krier begeben, e nostro consortio, tristissimo tuo discessu. 

2) €. De recessu Studentum ex Erphordia tempore pestilentiae 
Eobani Hessi Francobergii Carmen heroicum, extemporaliter con- 
matum. Mit cınem Bild des Anszuge auf dem Titelblatt. 





26 1. Buch. IL Kapitel. 


Schriftftelleen beider Sprachen lernen, und Gelhmad, Stil 
und Denfart nady ihnen bilden. Wenn wir dafür, da wir 
den Ausdruck: gute Wifjenfchaften, im Deutfchen nidht haben, 
bisweilen fchöne Wiflenfchaften jagen werden, jo kann dieß 
im Zufammenhang unfrer Erzählung nicht wohl ein Miß— 
verſtaͤndniß erweden. Nun könnte man fi) aber wundern, 
wie die beiden jungen Leute diefe beſſern Wiſſenſchaften gerade 
in Eöln fuchen mochten, wo doch, wie fich wenige Juhre her⸗ 
nah in dem Reudlin’ihen Streite auswied, die Scholaftif 
und mittelalterliche Finfterniß noch ihre feftefte Burg batten. 
Nicht umfonft lagen hier zu St. Andreas Albertus Magnus, 
bei den Minoriten Duns Scotus in ihren Gräbern: noch im⸗ 
mer herrſchte auf den Kathedern durch einen Arnold von 
Tungern, einen Conrad Kollin, denen der Kepermeilter Jakob 
Hochſtraten als furchtbare Macht zur Seite ftand, die fcho- 
laftiihe Lehrart, in deren Dienft auch Drtuinus Gratius 
feine zu Deventer erhaltene philologiihe Bildung geftellt 
hatte. Doc felbft in Coͤln regte fich in jener einzigen Zeit 
das neue wiflenfchaftliche Leben. Gedeihen zwar konnte es 
an einem Orte, der ſchon damald unter einem für Geifted- 
bildung ungünftigen Geftirne ftand, nicht: einer nach dem ans 
dern wurden die Vertreter der bumaniftifhen Richtung ver- 
trieben: fo Johann Cäfarius, Hermann von dem Bufche, Pe: 
ter von Ravenna, Rhagius Xefticampianus; doch wahrfcein- 
(ih hielt fi eben damals der Leßtere noch an der Univerſi⸗ 
tät. Seltfamer Weiſe zog übrigens auch die Cölniſche Scho- 
(aftif wenigſtens den Altern der beiden Studiengenoſſen an, 
auf den wir, da fein Lebensfaden von jet an mit dem un: 
ſres Helden verfchlungen bleibt, an diefer Stelle näher ein- 
geben müflen. 

Johann Jäger war in dem Thüringiſchen Dorfe Dorn- 
beim, unweit Arnftadt, muthmaßlich um das Jahr 1480, ge- 
boren. Er fcheint geringer Leute Kind geweſen zu fein: we- 





Greundichaft mit Crotus Rubianus. 27 


nigſtens hat er als Knabe Ziegen gehütet. Gleichwohl den 
Studien beitimmt, gab er fich erft der Icholaftiihen Richtung 
bin, die er fpäter durch feinen Wis vernichten half. Bald je- 
doch ging auch ihm das neue Licht des Humanismus auf. 
Kicht unwahrfcheinlih, daß, neben Maternus Piſtoris in Er- 
furt, Mutianus Rufus, der geiftreiche Domberr in dem be- 
nachbarten Gotha, auf diefe Wiedergeburt Einfluß hatte. ') 
Zum äußern Zeichen derfelben wandelte er jeinen deutſchen 
Ramen Jäger erft in den lateiniſchen Venatorius, dann in 
den griechifchen Erotus um, wozu er ald Bezeichnung feines 
Heimatorted Rubianus fügte. 2) Als er mit Hutten in Göln 


Y) In feinen Briefen ift es wenigftens, daß wir Die oben gegebenen 
Taten über das Leben des Grotus finden. Auf ein Schreiben des Leptern, 
in welchem er, wie Mutian (Epist. 121) fi ausprüdt, multiplicem in 
se ipso metamorphosin demiratur. Creatus sum. inquit, etlınicus: 
mox regeneratus in balneo religioso. Eram Jezher: nunc sum Cro- 
tus. Capras pavi: nunc Capellam habeo — auf biefes Schreiben 
antwortet ihm Mutian Epist. 305 (in Tentzelii Supplement. Hist. 
Gothanae. Jena 1701, p. 151, aus dem Manufeript der Frankfurter 
Bibliotbef, wovon bald hernach): Facete Crotus meus. Tunc enim 
prudens et sanctus tibi videbare, cum adhuc Jeger et Dornheim 
esses. Tunc placebant Doctor sanctus irrefragabilis, Dr. subtilis, 
Heag von Gaw, Heng von Arimar, Hentz auß Hefien, Arnold von Thun: 
gern et id genus phanatici. Postquam vero renatus es, et pro Jeger 
rotus, pro Dornheim Rubianus salutatus: ceciderunt et aures prae- 
longae et cauda pensilis u. f. f. (wie dem Apulejus, da er vom @iel 
wieder zum Menichen wurde). Cum autem evasceris scopulos. e Syr- 
tibus cnataveris, in portu naviges, facile cognoscis, quam miseri 
sint. qui nondum barbariem exuerunt. Nunc felix et beatus, cui 
bonos autores evolvere contigit. 

2) In einem Elogium zu dem 1507 getrudien Gedicht Cobans: 
De laulibus Gymnasii Erford. nennt er fih Jo. Dornheim, Venato- 
rus. Crotus (obne Zweifel von xpordw, klappern, abgeleitet) gebraucht 
Qutten in bem Carmen exhortatorium ad Maximilian. Opp. I. 122. 
ar Bezeichnung eines Jägers, wie es bei Golumella das Geftirn die 
Cchügen bebeutet. Bei der Bildung des Wortes Rubianus oder -canus 
ft rubus für einen Dornſtrauch genommen, während es ben Brombeer: 
rauch bezeichnet, der freilich au) Dornen genng hat. 





98 I. Bud. 11. Kapitel. 


feine Studien fortfegte, war diefe Umkehr wenigftens noch 
nicht vollendet. Er war noch ein Verehrer Arnolv’8 von 
Tungern und feiner fcholaftifhen Meifter, lernte mit dem 
jüngern Freunde, woran dieſer ihn fpäter ſcherzend erinnerte, 
mit Eyllogismen bligen, opponiren, afjumiren, refponbiren, 
pro und contra argumentiren, kurz alle die dialektifchen Fech⸗ 
terfünfte damaliger Philofophie und Theologie. Bald aber 
wurden diefe Dinge für Crotus zum Spiel: er mußte die 
Lehrer trefflich nachzuahmen, und machte fo fchon in Eöln die 
Vorftudien zu den Briefen der Dunfelmänner. D) 

Erotus war ein Menfc von bedeutender Begabung und 
großer Lichenswürdigfeit. Sein Haupttalent war der Witz. 
Sich über die Thorheiten der Menfchen Iuftig zu machen, 
fein liebfted Treiben. ?) Wie mußte dieß bei dem jungen 
Hutten zünden, in dem gleichfalls ein deutfcher Lucian ver: 
borgen lag. Freilich war die Richtung, die fittlihe Grund⸗ 
lage diefed Talents bei Beiden eine verſchiedene. Bei Hutten, 
fo wie er fpäter fi entwidelte, war dem Berfehrten gegen- 
über das Lachen nicht das Letzte, fondern der Zorn. Er fah 
in den Mißbräuchen, die er verfpottete, nicht blo8 das Thö⸗ 
richte, fondern mehr noch das Verberblihe. Des Grotus 
eigentliche Klement war eben das Lachen felbfl. Er ließ 


1) Hutteni Epist. ad Crotum, vor dem zweiten Nemo, Opp. ed. 
Münch, H, 308: Quanquam tu solitus sis imitari qui nos olim do- 
cuerunt Colonienses, et syllogismis fulminare, ac si quando pro- 
vocareris, alacriter congredi, opponcre, assumere, respondere, con- 
clusiones sustinere bis triginta nonnunquam, arguere pro et con- 
tra etc. 

2) Lepidus, facetus, nennen ihn feine Sreunde, f. Epist. Mu- 
tiani 143, 805, 813. Der Berf. der Epistola Anonymi ad Crotum 
Rubeanum, ed. Olearius (Arnstadiae 1720', fchreibt ihm eine natura iro- 
nica zu und nennt ihn ironicissimus. Omnia ridentis carmina redde 
Groti, fagt Eoban Sylv. L. III, Opp. farragines duae (Francof. 1564", 
p. 436. 





Grotus Rubianus. 29 


fih über die Schäden. dieſer närriihen Welt feine grauen 
Haare wachſen. Auch einen fogenannten ſchlechten Wig vers 
ihmähte er nit. Mit diefer ftetd aufgeweckten Laune mußte 
er der angenehmfte Gefellichafter fein. Den Mann aller 
Stunden nennt ihn Mutian. Aber eben dieler ältere und 
ernftere Mann fpricht von Erotuß mit einer Zärtlichkeit, welche 
beweilt, daß er zugleid höchft jchägbare moraliſche Eigen- 
ihaften an ihm kannte. Er fchildert ihn ald redlichen Mann, 
aufrichtigen und treuen Freund, von der fanfteften Gemüths⸗ 
art und einer Anziehungskraft, die felbit einen Hüftfranfen 
zu einer Reife zu ihm in Bewegung ſetzen könnte. !) Keinem 
ging in der Zolge die Mißhandlung des ehrwürdigen Reuch- 
lin von Seiten der Cölner Finfterlinge mehr zu Herzen; 
felbR für Luther empfand er eine Zeit lang Begeilterung: doch 
bier liefen die Grenzen feiner äfthetiichen, quietiftiichen Na⸗ 
nur, die er wol einmal überfpringen, doch nicht für die Dauer 
hinter ſich laſſen fonnte. 

Der Altersvorfprung von beiläufig acht Jahren und dag, 
als Hutten es anfing, von ihm in der Hauptfache vollendete 
afademifche Studium befähigten den Grotus, in manchen 
Stüden den Lehrer und Mentor des jüngern Freundes zu 
mahen. Daß in Erfurt diefes Verhältnig zwifchen ihnen 
flattgefunden, bezeugt Hutten felbit 9); wenn alfo ihr Eölner 
Aufenthalt früher fällt, fo Hatte e® fich wohl fchon hier fo ges 
ftaltet. Wer außerdem in @öln Hutten’d Lehrer geweſen, 
läßt fi nur vermuthen. Des Rhagius Schüler nennt er fich 
fpäter ſelbſt.) Da wir aber das Jahr der Vertreibung die 
ſes Mannes aus Eöln nicht genau wiſſen, fo läßt fih auch 


1) Mutiani Epist. (Mspt.) 820, 361, 864, 477. 

2) Shen ©. 24. 

3) In der Ueberfchrift feines Gedichts in laudem Marchiae, von 
dem weiter unten bie Rede werben wird. 





30 1. Buch. I. Kapitel 


nicht mit Sicherheit feftfegen, daß Hutten ſchon bier fein 
Schüler geweien if. Johann Rhagius war zu Sommerfelo 
(daher Aesticampianus) in der Oberlaufig etwa um 1460 
geboren, und hatte jeine philologiihe Bildung erft in Kra— 
fau, dann in Bologna erhalten. Nachdem er in Rom von 
dem Papſte felbft den Dichterlorbeer empfangen, fich hierauf 
einige Zeit in Paris aufgehalten, trat er nacheinander an 
verfchiedenen Orten Deutſchlands als Lehrer auf. In Eöln 
lad er unter Anderm über Plinius. Er war ein durch fitt- 
liche Würde, wie durch Gelehrfamfeit, ausgezeichneter Mann: 
ven Wiedererweder der erftorbenen Latinität nennt ihn Mus 
tin; Eitelwolf vom Stein begrüßte ihn ald ehrwürdigen Va— 
ter, und Eoban Heſſe wollte ein mäßiges Mahl, in feiner 
Geſellſchaft genoſſen, nicht mit einer Göttertafel vertaufchen. *) 
Weiter mag Hutten bei Jakob Gouda gehört haben, der 
Theolog und Poet zugleicdy war, und deſſen elegifdyes Talent 
er ſpäter rühmte,. 2) Auch mit Remaclus aus Florenz, dem 
Verfaſſer von Epigrammen und Amoren, fpäter Faiferlichemn 
Gebeimfchreiber, und mit einem der drei Brüder Ganter, 
muthmaßlich dem jüngiten, Jakob, der gleihfalls Dichter war, 
jcheine Hutten ſich damals befreundet zu haben. °) 

Als die Stüge der Humaniftenpartei in Göln erfehein 
in Hermann Buſch's und Reuchlin's Händeln der Graf Her- 
mann von Nuenar, oder Neuenar *), von deffen Stammſchloß 


1) Mutiani Epist. 343 ig. Hutteni Epist. ad; Jac. Fuchs, Opp. 
ed. M. 11,36. Eobani Hessi Sylvae L. IV, Opp. farrag. duae (Francof. 
1664) p. 463. Wal. aud) Agrippae ab Nettesheym Opp. (Lugd. ap. 
Beringos fratres 1600), Epist. L. VII, 26, p. 363; Mohnife, U. Hutten's 
Klagen, ©, 446 fg.; Erhard, Geſchichte des Wiederaufbl. IH, 287. 

2) Querel, IT, 10, v. 181 fo. Auch in ben Epist. obse. viror. 
wird er als Poct erwähnt. Bol. Mohnife, a. a. DO, ©, 493 fg. 

3) Querel. II, 10, v. 185 fa. und Mobnife, a. a. D, 

4) Daher humanifirt: Neaetius, ober de nova aquila. 





Literarifche Bekanntſchaften. 31 


in der benachbarten Ahrgegend noch fchöne Trümmer zu ſehen 
nd, Canonicus und nachher Dompropft dafelbft, in fpätern 
Jahren auh mit Hutten in freundfchaftliher Verbindung. 
Ob aber diefe Schon damals ſich gefnüpft hatte, ift deßwegen 
zweifelhaft, weil in einer Elegie aus dem Jahr 1510, in 
weißer Hutten feine Muſe bei den ihm befannten Huma- 
nifien die Runde machen läßt ?), des Grafen von Nuenar 
feine Erwähnung gefchieht. So haben wir an den Engländer 
Richard Erocus, der zehn Jahre fpäter in Leipzig die griechifche 
kiteraur emporbrachte, aus diefer legten Zeit zwei Briefe von 
Hutten, die ein vertrauted Verhältniß vorausfehen, während 
wir aus den Briefen der Dunfelmänner wiflen, daß Crocus 
nd früher in Eöln aufgehalten hatte 2): ob jedoch zu gleicher 
Kit mit Hutten, ift nicht zu entfcheiden. Mit bejonderer 
Zänlihfeit gebenft diefer in der eben angeführten Elegie des 
Und Fabricius aus Eoblenz, den ihm, ald er jene Gegen— 
ten durchwandert, die freundliche Pallas zum Studiengeno- 
ien gegeben habe. Arbeit und Raſt, ja das ganze Leben fei 
ihnen gemeinſchaftlich geweſen; endlich habe das Scidfat, 
kınen Etudien feindfelig, fie getrennt. Mit diefem hat nun 
Huren ohne Zweifel, wenn auch die Befanntichaft in Eo- 
benz ſich angelponnen haben follte, fofert in Cöln ftubirt. 
Er war ein philologifch gebildeter Jurift, der fpäter feine 
Selle am Kurtrierichen Hofe bejonderd auch zur Aufipürung 
rerborgener Handichriften von Glaffifern und Kirchenvätern 
zu benugen wußte. ?) 
Tie Vermuthung liegt nahe, daß die Wanderung den 
Rhein hinauf, welche in dem genannten Gedichte Hutten jei- 





1) Tie ſchon mehrmals angeführte und noch öfter anzuführente 
1 Gtegie des 2. Buchs der Duerelen. 

2) Epist. obsc. viror. II, im Carmen rithmicale tes M. Schlauraff. 

3) Querel. a. a. O., v. 189 fg. und Mehnife, ©. 497 fg. 


% 


30 I. Boa IL Kaptte! 


nicht mit Sicherheit feitjegen, daß Hutten chen bier fein 
Scüler geweien iſt. Johann Rhagius war zu Sommerfeld 
(daher Aesticampianus) in der Oberlaufig etwa um 1460 
geboren, und hatte jeine philologifche Bildung erft in Kra- 
fau, dann in Bologna erhalten. Nachdem er in Rom von 
dem Bapite felbft den Dichterlorbeer empfangen, fich hierauf 
einige Zeit in Paris aufgehalten, trat er nacheinander an 
verfchiedenen Orten Deutſchlands als Lehrer auf. In Eöln 
(a8 er unter Anderın über Plinius. Er war ein durd fitts 
liche Würde, wie durch Gelehrfamtfeit, ausgezeichneter Mann: 
den Wiedererweder der erjtorbenen Latinität nennt ihn Mus 
tian; Citelmolf vom Etein begrüßte ihn als ehrwürdigen Bas 
ter, und Eoban Hefle wollte ein mäßiges Mahl, in feiner 
Gejellfchaft genoffen, nicht mit einer Göttertafel vertaufchen. ') 
Weiter mag Hutten bei Jakob Gouda gehört haben, der 
Theolog und Poet zugleih war, und defien elegifched Talent 
er jpäter rühmte. 2) Auch mit Remaclus aus Florenz, dem 
Berfaffer von Epigrammen und Amoren, fpäter kaiſerlichem 
Geheimfchreiber, und mit einem der drei Brüder Ganter, 
muthmaßlich dem jüngiten, Jakob, der gleichfalls Dichter war, 
ſcheint Hutten ſich damals befreundet zu haben. °) 

Als die Stüge der Humaniftenpartei in Coln erfcheint 
in Hermann Buſch's und Reuchlin's Händeln der Graf Her⸗ 
mann von Nuenar, oder Neuenar *), von deſſen Stammſchloß 


u — — ———— 22— 


1) Mutiani Epist. 343 ig. Hutteni Epist. ad Jac. Fuchs, Opp. 
ed. M. 11,36. Eobani Hessi Sylvae L. IV, Opp. farrag. duae (Francof. 
1564) p. 463. Bgl. audy Aprippae ab Nettesheym Opp. (Lugd. ap. 
Beringos fratres 1600), Epist. L. VH, 26, p. 363; Mobnife, U. Hutten’e 
Klagen, S. 446 fg.; Erhard, Geſchichte des Wirderaufbl. III, 287. 

2) Querel. II, 10, v. 181 fg. Auch in ben Epist. obsc. viror. 
wird er als Port erwähnt. Bol. Mohnife, a. a. O., ©. 493 fg. 

3) Querel. II, 10, v. 185 fg. und Mohnike, a. a. O. 

4) Daher humanifirt: Neaetius, cter de nova aquila. 


ne gg —— — — — — 





Literariſche Velanntſchaften. 31 


in der benachbarten Ahrgegend noch fchöne Trümmer zu ſehen 
find, Banonicus und nachher Dompropft dafelbft, in fpätern 
Jahren auch mit Hutten in freundfchaftliher Verbindung. 
Ob aber dieſe ſchon damals fich gefnüpft hatte, ift deßwegen 
welelhaft, weil in einer Elegie aus dem Jahr 1510, in 
welcher Hutten feine Muſe bei den ihm befannten Huma⸗ 
nifen die Runde machen läßt !), des Grafen von NRuenar 
feine Erwähnung gefchieht. So haben wir an den Engländer 
Richard Erocus, der zehn Jahre fpäter in Leipzig die griechifche 
&iteratur emporbrachte, aus diefer legten Zeit zwei Briefe von 
Hutten, die ein vertraute PVerhältniß vorausfehen, während 
wir aus den Briefen der Dunfelmänner wiflen, daß Erocus 
nd früher in Cöln aufgehalten hatte 2): ob jedoch zu gleicher 
Zeit mit Hutten, ift nicht zu entſcheiden. Mit bejonderer 
Jäntlichfeit gedenkt diefer in der eben angeführten Elegie des 
Ulrich Fabricius aus Eoblenz, den ihm, als er jene Gegen- 
den durchwandert, die freundliche Pallas zum Studiengenof- 
ien gegeben habe. Arbeit und Naft, ja das ganze Leben fei 
ihnen gemeinichaftlich geweien; endlich habe das Scidfal, 
kinen Etudien feindfelig, fie getrennt. Mit diefem hat nun 
Hutten ohne Zweifel, wenn auch die Bekanntſchaft in Eo- 
blenz fi) angeiponnen haben follte, fofort in @öln ſtudirt. 
Er war ein philologifch gebilveter Juriſt, der fpäter feine 
Stelle am Kurtrierichen Hofe befonders auch zur Auflpürung 
verborgener Handichriften von @laffifen und Kirchenvätern 
zu benugen wußte. ?) 
Die Bermuthung liegt nahe, daß die Wanderung den 
Rhein hinauf, welche in dem genannten Gedichte Hutten feis 


1) Die ſchon mehrmals angeführte und noch vfter anzuführende 
10 Elegie des 2. Buchs der Querelen. 

2) Epist. obsc. viror. II, im Carmen rithmicale des M Schlauraff. 

3) Querel. a. a. O., v. 189 fg. und Mohnike, S. 497 fg. 





32 I. Buch. I. Kapitel. 


ner elegifhen Mufe als Theil einer Rundreife in Deutjch- 
land vorfchreibt , er felbft um dieſe Zeit von Cöln aus ge- 
macht babe. Ob er jedoch alle Diejenigen, bei welchen er 
feine Elegie anflopfen beißt, um fie zum Beiftand für fich 
aufzurufen, ſchon damals perfönlich kennen gelernt babe 2), 
ob er nicht bei Manchen nur auf den allgemeinen Antheil 
rechne, den fie al8 Humaniften an ihm nehmen müßten, 
fheint uns noch fehr dem Zweifel unterworfen. Für ficher 
halten wir eine, ſchon vor der Abfaffung jener Elegie (1510), 
mithin wahrfcheinlich in jener Zeit auf einer Reife geichlofiene, 
perfönliche Bekanntſchaft nur da, wo Hutten einer ſolchen 
ausdrüdlich gedenft. 

Die erſte Station auf jener muthmaßlichen Rheinreife, 
Coblenz, die Heimat des Fabricius, ift fhon erwähnt. In 
Mainz werben die beiden Greſemunde als Juriſten und Poe⸗ 
ten genannt, aber nicht, wie fofort bei Wimpheling, perfön- 
liche Verbindung angedeutet. Zunächſt bei Speier, heißt es 
von diefem Leptern, bewohne er, mit Wenigem zufrieden, ein 
enge Haus. Nur um Heiliged bemühe er fi; Alles, was 
er jchreibe, fei erjprießlich; viel verbanfe ihm die deutiche Ju⸗ 
gend, aus der er immer Manche durch feine Gelehrſamkeit 
an fich ziehe; auch ihm felbft, Hutten, haben jeine Ermah⸗ 
nungen oft genügt. Dabei Eönnte man freilich möglicher: 
weife auch an Belehrung durch feine Schriften ober durch 
Briefe denfen: Doch möchte Die Schilderung feiner Wohnung 
für eigene Anfchauung ſprechen. Eben um die Zeit, in ber 
Hutten ihn Fennen gelernt haben mag, gab Wimpheling zu 
einem Streite Veranlaſſung, der ein Vorſpiel des Reuchlini⸗ 
hen Handels werben ſollte. In einer um das Jahr 1505 


1) v. 189—218 (oder 228). 
2) Wie Mohnife vermuthet, Hutten'’s Jugendleben, S. LXXVI, 
Anm. 





Reifen und Befanntfchaften. 33 


herausgegebene Schrift flellte er, ver felbft nicht ohne Vor⸗ 
liche für das inftenlerleben war, die Säge auf, daß die 
Weisheit nicht an der Kutte hafte, Daß ed auch im weltlichen 
Stande verdiente Gelehrte gegeben habe, ja die gelehrteften 
Theologen felbft nicht Mönche, fondern Weltgeiftliche gewefen 
feien, wie insbefondere der h. Auguftin mit Unrecht zu ven 
Eremiten oder Mönchen geredjnet werde. Das nahmen die 
Mönche, vor Allen die Auguftiner, gewaltig übel, fie fchrieben 
gegen Wimpheling und verflagten ihn beim Papſte. Er ver: 
theidigte fi, und, wie das geht, nun bewies er ſchon, daß 
die Reden an die Einftedler, auf welche feine Gegner fich 
hauptſaͤchlich beriefen, gar nicht von Yuguftin fein. Doc 
wendete er fich zugleich mit unbedingter Unterwerfung an den 
Bapft Julius I., und mit Hülfe bedeutender Bürjprecher, wie 
Eonrad Peutinger u. A., gelang ed, die Borladung nah Rom 
zu bintertreiben. ) 

In derielben Gegend, fährt Hutten in jenem poetifchen 
Wegweijer fort, halte fih auch Wolfgang Angft auf, der 
einft der Seinige gewefen fei, d. h. mit dem er Damals, oder 
bei einer andern Gelegenheit vor dem 3. 1510, Freundſchaft 
geichloffen habe. Die Briefe der Dunfelmänner führen ihn 
in Hagenau (den Wimpheling in Schlettftadt) auf, wo er in ber 
Druderei des Thomas Anshelm, wie fpäter bei Siheffer in 
Mainz, das Geſchaͤft eines Correctors beforgt zu haben fcheint; 
ein gelehrter und witziger Mann, der auch mit Erasmus in 
Berbindung ftand. 2) Ob Hutten den Verfafler ded Narrens 
ſchiffs, Sebaftian Brant in Straßburg, deilen der Wegweifer 


1) S. Erhard, Welch. des Wiederaufblühens wit. Bildung. ıc. 
l, 428 fg. VBgl. aud) „Epist. obsc. viror. I, Jo. de Schwinfordia 


0. Gratio. 
2) gl. Epist. obse. viror. II, Carmen rithmicale etc. Mohnife, 


Hutten’s Klagen, S. 517 fg. und den Artifel: Angft, in Erſch und Gru⸗ 
vers Allg. Encyklop. 
Strauß, Sutten. I. 3 





3 1. Buch. U. Kapitel. 


ferner gedenft, damals perfönlich kennen gelernt hat, ift wies 
der zweifelhaft; noch weniger wagen wir es, dieſem weiter 
Iandeinwärtd nad) Stuttgart und Tübingen zu Johann Reuch⸗ 
fin und Heinrich Bebel zu folgen; fondern wir fehren mit 
ihm nad) Cöln zurüd, wo übrigens feines Bleibens nicht 
mehr lange fein follte. 

Nur Eine Frage drängt fid) noch auf, ehe wir mit ihm 
weiter ziehen: woher nämlich Hutten während feiner afabe- 
mifchen Jahre die Mittel zu feinem Unterhalte genommen 
habe? Seit feiner Flucht aus Yulda hatte der Vater die 
Hand von ihm abgezogen. Des Sohnes eigenwilliger Schritt 
durchfreugte die -Xebensplane, die er für denfelben entworfen 
hatte, und feste ihn, bei der vieljährigen Verbindung der Fa⸗ 
milie mit der Abtei, in Verlegenheit. Wir wiffen aud) nicht, 
ob er den Aufenthalt des Sohnes fogleich erfuhr; vielleicht 
hielt es diejer, um nicht mit Gewalt zurüdgeholt zu werben, 
für gerathen, fi) eine Zeit lang verborgen zu halten. Der 
Vater aber dachte ihn am wirkffamften zur Rüdfehr zu nöthis 
gen, wenn er ihn ohne Unterftübung ließ. Wenn Ulrich 
Hutten fpäter an feinen Vettern, Frowin und Ludwig, die 
Sreigebigfeit rühmte, mit welcher fie feine Studien unterftüßt 
haben ?), jo hatten fie hiezu fchon damals alle Veranlaflung. 

Es ift eine annehmbare Vermuthung verfchiebener Bios 
graphen unfered Ritters 2), daß die Vertreibung des Rhagius 
Aeſticampianus aus Cöln ihn (wie audy Crotus) veranlaßt habe, 
diefe Univerfität zu verlaflen, und dem verehrten Lehrer 
nachzuziehen. Diefen finden wir im April 1506 zu Frank: 
furt a. d. O. bei der Einweihung der Univerſität gegenwär⸗ 
tig, an der ihm ein Lehrftuhl übertragen war. Daß nun 


® 
1) Epist. ad Marquard. de Hatstein, Opp. ed. M. Il, 15 fg. Ad 
Eytelvolphum de Lapide, vor bem Panegyr. Opp. Il, 275. 
2) Wie Burckhard's III, 22; Mohnife's S. LXXV fg. 





Wanberung nach Erfurt. 35 


Husten nicht unmittelbar von Göln aus eben dahin ging 
. , ’ 
jonbern vorher einen längern Aufenthalt in Erfurt machte 
(wenn wir diefen nicht vor den zu Eöln fegen, und den fpd- 
tern Erfurter Aufenthalt als einen kurzen Beſuch betrachten 
wollen), könnte man verfuchsweife daraus erklären, daß viel- 
leicht zwifchen der Vertreibung des Rhagius aus Eöln und 
der Eröffnung der Frankfurter Univerfität ein Zeitraum inne 
lag, lang genug, um Hutten die Benutzung der Erfurter 
Hochſchule während deflelben möglich zu machen. Welchen 
Weg Hutten von Eöln nad) Erfurt genommen, wiſſen wir 
nicht; möglich wäre es freilich, daß er dur das Münſter⸗ 
land gereift wäre und bei diefer Gelegenheit einen Theil der 
Iiterarifchen Befanntichaften gemacht hätte, die er fpäter da 
gehabt hat !): doch läßt fich, bei dem Mangel beitimmter Nach⸗ 
richten, bierüber nichts feſtſetzen. 

Die im Anfange des 15. Jahrhunderts geftiftete Erfur⸗ 
ter Univerfität genoß bis in den Anfang des folgenden hins 
ein eined Anfehens in Deutfchland, daß, wie Luther fich ein- 
mal ausdrüdte, alle andern dagegen als Feine Schügenfchulen 
galten. Die erften zehn Jahre des 16. Jahrhunderts waren 
tie legten ihrer Blüthe, welcher fofort der Ausbruch bürgers 
liher Unruhen in der Stadt für immer ein Ende made. 
Unter ten Erfurter PBrofefloren hatten Jodocus Trutvetter und 
Bartholomäus Ufingen als Dialeftifer im alten Style Ruf; 
ald Humanift war Maternus Piftorid von Verdienſt *): für 
Hutten's Entwidlung jedoch war Erotus, ber feine freund- 
ihaftliche Lehrthätigkeit hier fortfegte, waren ein talentvoller 
Mitfchüler und ein hochgebildeter Privatgelehrter, deren Be: 
fanntichaft er machte, wichtiger als alle Profeſſoren. 


1) Wie Mohnife vermuthet, S. LXXVI fg. | 
2) Bgl. über die Erfurter Berhältniffe Jürgens, Luther von feiner 
Gerurt bis zum Ablaßſtreite (Leipzig 1846), I, 319 fg. 355 fg- 
BL 


306 I. Buch. II. Kapitel. 


Nicht lange vor Hutten, zu Anfang des Jabres 1509 9), 
war aus Frankenberg in Heflen, wo er den Unterricht des 
Jakob Horläus genofien hatte, der 17Tjährige Eoban Helle 
nah Erfurt gefommen, und mit ihm ſchloß nun Hutten bie 
zweite jener afademifchen Jugendfreundfchaften, welche, gleich 
der mit Erotus, ihn durch das Leben begleiten follte. Wenn 
Erotus vor Hutten etwa act Lebensjahre voraushatte, fo 
war Eoban in demfelben Jahre mit ihm, nur drei Monate 
früher, zu Bodendorf in Heflen geboren. 2) Sein Vater war 
ein Dienftmann ded benachbarten Klofterd Haina, deflen Ra- 
men nicht feftfteht, der aber dem Sohne, von einem in der 
Umgegend verehrten Heiligen, den Vornamen Eoban fchöpfte. 
Diefem feßte der Sohn in der Folge ftatt des Gefchlechte- 
namens den Heimathnamen Hessus nad), und mit Bezug fo- 
wohl auf ven Sonntag, an dem er geboren, ald auf den Sonnen: 
und Dichtergott, deflen Diener er war, den Namen Helius voran. 
Schon in dem Knaben hatte ſich das Dichtertalent in bezeichnender 
Weife angekündigt. Als einft Horläus ihm und einigen beffern 
Schülern die Aufgabe geftelt hatte, den Tert aus dem Evan- 
gelium Johannis: Ego sum lux mundi, qui sequitur me, non 
ambulut in tenebris — in lateinifchen Verſen wiederzugeben, 
bemerfte der junge Eoban fogleih in den legten Worten 
den halben PBentameter, und brachte in kurzer Frift eine fo 


1) Diep geht aus der Dedication feiner Schrift De laudibus et 
praecon. Gymnasii Erphord. vom J. 1507 hervor, wo Coban fagt, er 
fei, den laufenden eingerechnet, ſchon drei Sommer und zwei Winter im 
Erfurt gewefen, während er ſich zugleich politioris literaturae tirun- 
culum nondum quadrilustrem nennt. Sonſt vyl. Joach. Camerarii 
Narratio de Eobano Hesso (Norimbergae 1553); Loſfius, Helius Eo⸗ 
ban Heſſe und feine Zeitgenofien (Gotha 1797); Diohnife, ©. 399 fg. 
Erhard, II, 287 fa. 

2) Daher nannte er fi) bisweilen Tragocomensis. Wenn er fidh 
andere male Francobergius fchrieb, fo war dieß, wie wenn Ortuinus 
Gratius Daventriensis hieß, von dem Orte der Schulbildung. 


m — — 





Eoban Heſſe Hutten's Freund. 37 


ſchwungvolle Umſchreibung des Tertes zu Stande, daß der 
Lehret erſtaunte und von da an die größten Hoffnungen von 
dem Schuͤler faßte. Diefer fchrieb nun immerzu und quälte 
den Eehrer und Andere mit der Zumuthung, ihm feine 
Verſe zu corrigiren. "Auch in Erfurt machte fi) Eoban bald 
durh gelungene Dichtungen befannt: befchrieb die Auswan⸗ 
derung der Studenten aus Anlaß der Peft des Jahres 1505), 
enm Studentencrawall bes Jahres 15062), fang das Lob 
der Erfurter Univerfität >), und verfuchte fich nacheinander in 
Pyllen, Heroiben, epifchen, elegifchen und Iyrifchen Gedichten 
ale Art.) Schon damals fagte Erotus von ihm, er fei 
a Jahren ein Knabe, an dichterifcher Kunft ein Greis 5); 
der ehrwürdige Mutian rief ihm den Vers zu, der dem Eos 
ban lebendlänglich wie ein Drafel theuer blieb: 
Heſſiſcher Knabe, der Stolz wirft du des heiligen Duelle), 

und in Kurzem galt er nicht allein in Deutichland, fondern 
au im Auslande, für den erften neuern Dichter.) Wenn 


1) ©. oben ©. 25 Anm. 2. 
2) De pungna [sic] Studentum Erphordiensium cum quibus- 


dam conjuratis nebulonibus Eobani Hessi Francobergii Carmen. 
Expressum in alma Universitate Erphordiensi typis Vuolfli Sturmer 
a0. 1506. Hier am Anfang ber Erzählung ber Vers: Baccho indul- 
gebant consueto more Studentes. 

3) De laudib. et praeconiis... Gymnasii litteratorii apud Er- 
phordiam Eobani Hessi Francöbergii, ejusdem litterariae commani- 
pulationis alumnuli, Juvenis Ephebi Carmen. succisivis horis de- 
ductum. Am Ende: Formatum Typico Charactere Erphordie apud 
Nagistros Vuolphii Sturmer diligentia, Anno Christi M. D. VII. 

4) ©. tie Eammlung: Hel. Eobani Hessi Operum farragines 
duae. (Halae Suev. 1539, auch Francof. 1564). 

5) Qui puer est annis, carminis arle senex. Vor dem Carmen 
de laud. 

6) Hesse puer, sacri gloria fontis eris. Camerar. Narr. de Eob. 
B 5%. Später wünfchte Eoban nur, daß Mutian jegt von ihm fagen 
möchte: Hesse vir, aeternae nomina laudis habes. Tentzelii Suppl. 


1. 2. 69. 
7) Mutian nennt ihn Epist. 393 summum aetatis nostrae et 





38 I. Buch. I. Kapitel. 


die humaniftifch erneuerte Latinität in Erasmus ihren Pro⸗ 
ſaiſten hervorgebracht hatte, fo hatte fie nun in Eoban ihren 
. Boeten. War Jener der moderne Eicero, fo war Diefer Vir⸗ 
i gil und Ovid. Die letztere Vergleihung ift in fofern nicht 
blos Phrafe, als Eoban mit diefem Römer die Leichtigkeit 
gemein hat, die Verſe nur fo hinzuſchütten; weswegen von 
ihm gefagt wurde, er fei der einzige Poet, der feine Berfe 
zugleich mache und fchreibe. Coban war aber nicht blos ein 
glüdlicher Dichter, fondern auch ein fleißiger und tüchtiger 
Gelehrter: feine Vorleſungen an den Hochſchulen zu Erfurt 
und fpäter zu Marburg, wie in der Zmifchenzeit feine Lehr- 
thätigfeit an dem Rürnberger Gymnaſium, wurden hochge- 
(hist; von Job. Lange und Joachim Camerarius lernte 
er Griechiſch, und überfebte in der Folge den Theokrit 
und die Jliad in lateinifhe Herameter, wie auf Luther’s 
und Melanchthon's Antreiben die Palmen in lateinifche 
Diftichen. 

Dabei war Eoban ein Menſch von der feltenften Gut» 
herzigfeit. in großer, fchöner, wohlgebautr Mann, mit 
prädhtigem Bart und martialifhem Geſichtsausdruck (Albrecht 
Dürer pflegte zu fagen, wenn er ihn nicht fännte, und ein 
Bild von ihm zu fehen befäme, würde er es für das eines 
Kriegsmannes halten) ein ausgezeichneter Fechter, Tänzer, - 
Schwimmer und leider auch Trinfer, Künfte, zu deren Aus- 
bildung ein mehrjähriger Aufenthalt an dem Hofe des Bi- 





quasi divinum poetam; Ep. 463 fagt er, doclissimus quisque Ger- 
manorum erfenne ihm lauream primanı, imo, quod majus est, Chri- 
stianorum poetarum palmam et praestantiae coronam zu; er fei ein 
Tibull und Ovid, ja mehr ale Beide; hunc tuum Virgilium dicito, 
ſchreibt er Ep. 464 an ben Abt Hermann von Fulda. Und Coban felbft 
fgreibt naiv an Gamerar: Ex Anglia mihi scribitur, ibi quoque me 
haberi poetam horum temporum summum. VBgl. Erasmi Epp. vom 
18. Mai 1519 (nicht 18) und bef. vom 19. Oct. 1519. 





Eoban Heſſe. 39 


ſchofs Hiob zu Niefendburg an ber Weichſel ihm die befte Ge- 
legenheit geboten hatte, war er zwar raich und derb, aber 
arglos wie ein Kind. Nichts war ihm mehr zuwider, ale 
Berfleinerung Anderer, und er duldete nicht, daß in einer 
Gegenwart von Abweienden übel gefprochen wurde. Lift 
und ſelbſt Borficht waren ihm fremd; Doppelt weh that es 
ihm daher, wenn er fih, was häufig vorfam, zum Beften 
gehalten fah. Bei fpärlihem Einkommen, wachiender Fami⸗ 
lie (wir greifen bier der Zeit vor) und feiner poetiſchen Sorg- 
Iofigkeit für alles Oekonomiſche, ging es ihm ſtets knapp, 
biöweilen wirklich elend; aber nie verlor er den heitern 2e- 
bensmuth. Patientia! pflegte er fich bei widrigen Begegniffen 
zugurufen. Mit einer Frau, vor der feine Freunde ihn ges 
warnt, die ihm feine Mitgift, nicht einmal diejenige, welche 
er am füglichften erwarten konnte, dagegen einen unleivlichen 
Schwiegervater und liederliche Schwäger zugebracht hatte *), 
lebte er bald ganz frienlih und vergnüglich. 2) 


1) Mutian Epist. 422 fagt von ihr: dicitur esse praeflorata et inops 
maleque dotata. Und Brotus fehrieb fogar: si tria fulmina in manu 
haberem, primum excuterem in uxorem Eobani, nasutam et defor- 
mem: secundum in sectam Hochstratianam: tertium mihi in usum 
aliquem necessariam reservarem. Mutiani Ep. 470. 

2) Das Epigramm des Jacob Micylius, Sylvar. IV, 330. Epita- 
phium Annae et Hedingis, conjugum Eobani Hessi, wonach er zwei 
Frauen, alfo mit der, die ihn überlebt hat, nacheinander deren brei ge: 
habt hätte, fteht, auf unfern Eoban bezogen, nicht blos mit dem Stil: 
ſchweigen über dergleichen Todesfälle und Wechfel in feinen zahlreichen 
Briefen, fondern auch mit der Darfielung Camerar's, ja des Micyll 
felbR in dem Üpicedion anf Eoban (vor deſſen Epistolae familiares) 
in entichievenem Widerfpruh. Das Epigramm muß eine falihe Ueber: 
ſchrift haben. Bielleiht war eine Namensähnlichkeit Veranlaflung : es 
gab ſowol Hefle, die nicht Eobane, ale Bobane, die nicht Hefle waren. 
Möglich aber war eine ſolche Verwechslung, da die Sammlung ber Syl- 
vae erft nach Micylls Tode durch feinen Sohn zum Theil aus verwor: 
renen Papieren des väterlichen Nachlafles rebigirt worden if. 





40 1. Buch. II. Kapitel. 


Wir haben zahlreiche Briefe von Eoban ?), welche zu den 
gemüthlichften, herz: und temperamentvollften gehören, die aus 
jener Zeit übrig find. Ganz Briefe, durchaus perfönlic, 
nichts Studirtes, Alles Stimmung und Eingebung ded Yus 
genblidd. Darunter eine Menge Zettel an Freunde, die im 
gleichen Orte wohnen, Einladungen zum Baden, zum Mittags 
efien um 10, zum Abendeſſen um 4 Uhr auf ein paar Fiſche 
mit Knoblauch, ein Stud Wildpret, das er geichenft befom- 
men, gewürzt durch ein heiteres Geſpraͤch. Es kommt vor, 
daß er einen Freund zugleich als Gaft zum Eſſen und um 
ein Darlehen von 2%. bitte: Da Coban das Bier als ein 
ſchaͤdliches Gebräu fcheute, fo hielt er fi) defto mehr an den 
Wein. Nichts ermunterte ihn fo fehr zum Hortfahren in dem 
frommen Werfe feiner Pialmenüberfegung, als daß fein Er- 
furter Maͤcenas, der reiche Arzt und Bergwerkbefiger Georg 
Sturz, ihm jedesmal einen Krug Wein vorfepte, fo oft er ihm 
“eine neue Nummer brachte. Oft erbittet er fi) von diefem 
auch etwas von feinem Wermuthwein, um nad) dem geftrigen 
Raufche fein Fönigliches Haupt wieder in den Stand zu fegen. 
Denn aus Anlaß einer Aeußerung Reuchlin’s, der fein Hessus 
durch Esonv, d. h. König, gedeutet hatte, hieß er nun im Kreife 
feiner Freunde Rex, und mit diefem Königemantel weiß er 
fih fortan in feinen Briefen aufs Drolligfte zu brapiren. 
Er gebietet den Freunden ald König, warnt fie mögen ihn 
nicht nöthigen, den Tyrannen herauszufehren, grüßt von feiner 


1) Zuerft nach Eoban's Tode Hat fein Freund, Joh. Draco, eine 
Eammlung ieiner Epistolae fainiliares in 12 Büchern (Marburg, bei Ege⸗ 
nolf 1543) herausgegeben ; dann Camerarius nach einander, wie er die Briefe 
wieder auffand oder von Befannten erhielt, vier Sammlungen Eobanifcher 
und anderer zeitgenöffiicher Briefe, Die erften in Verbindung mit feiner 
Narratio de Eobano Hesso (Norimb. 1553), dann ale Libellus alter, 
tertius und novus, Epistolas etc. continens (Lips. 1557, 1561, 1568) 
erfcheinen laffen. 





Eoban Hefle. 41 


Königin, berichtet von ben Prinzen (reguli), datirt feine Briefe 
aus der armen Königsburg, verlangt eine Salbe für feine 
föniglihe Nafe, die der Wein etwas roth zu färben ange: 
fangen hatte. Wenn er dann aber für einen Freund, einen 
Rothleivenden fich verwendet, fo find feine Briefe voll des 
theilnehmendſten Eiferd; ein Schreiben von ihm an Reuchlin 
atmet die ehrlichfte Gefinnung der Verehrung und Liebe; an 
Luther und feiner Sache wie an Hutten bing er lebensläng- 
Ih mit der reinften Begeifterung. In feiner poetifchen Kö⸗ 
aigtrolle hatte ſich Eoban einen Herzog (dux) beigefellt, in 
der Perſon des Peter Eberbach, eines Förperlich fchwächlichen, 
aber geiftwollen und liebenswürdigen jungen Mannes, welcher, 
Nr Sohn eines Erfurter Arztes, dafelbft Die Rechtögelehrfam- 
tat, mit Vorliebe jedoch die fchönen Wiflenfchaften, ſtudirte, 
hiter Italien bereiste und in dem Thüringifchen Humani- - 
Kenkreife eine ausgezeichnete Stellung einnahm. *) 


— 


N 6. Erhard, 11, 286 fg. In Betreff Eoban’s fann ich hier un: 
mglih eine literariiche Mißhandlung ungerügt laflen, die in unfern Tas 
va an ihm verübt worden iſt. In Deinhardſtein's Schaufpiel Hans 
Eds tritt ale Nebenbuhler bes Nürnberger Meifterfängers ein eitler 
Gr und elender Boet auf, und diefer Tropf heißt Coban Heffe. Zwar 
vd er als reicher Augsburger Patricier bezeichnet, eine öfonomifche wie 
geellichaftliche Stellung, von welcher der hiftorifche Eoban weit entfernt 
za: aber wer weiß von biefen nähern Umftänden? Es ift einmal Eoban 
beje ber Poet, der als eine lächerliche und verächtliche Figur aufgeführt 
ar, Auf Vorwürfe bin, die ihm ſchon früher darüber gemacht worden 
a ſein scheinen, hat Deinhardflein in einer neuen Auflage feines Drama 
4 Eoban Heſſe einen Eoban Runge gemacht. Allein, wie es zu gehen 
rlegt, wenn man eine Unthat gut machen will, daß es ſchon zu fpät iſt, 
"ging es auch hier. Bereits hatte der twadere Lortzing, dem eine ges 
mu Kenntniß der gefchichtlichen Verhältniſſe nicht zuzumuthen tar, 
af Deinhardtein's Berantwortung in feiner gleichnamigen Oper dem 
Gotan Heſſe die gleiche lächerliche Rolle zugeteilt. Sei es Unwifienheit 
ever Aabrläfhgkeit: der dramatiſche Dichter zeigt fich unwerth feines hohen 

fe, wenn er einen ber trefflichiten Männer unferer Vorzeit dem le: 
senden Geſchlechte als Garicatur nor Augen ſtellt. 





42 I. Buch. II. Kapitel. 


Der eigentlibe Herricher in dieſem Kreife jedody war 
nicht Eoban, er war überhaupt nicht in Erfurt felbft zu fin- 
den, fondern in dem drei Meilen davon entfernten Gotha, in 
ber Perfon des fchon öfters erwähnten Mutian. Conrad 
Mudt oder Muth, der ſich als Mutianus latinifirte und von 
feinen röthlichen Haaren fi) nody den Beinamen Rufus zulegte, 
war etwa um 14721) zu Homburg in Heflen geboren, wo 
fein Vater, einem edeln Gefchlechte angehörig, ein obrigfeitli- 
ches Amt befleivete. Auch er war aus der Schule des Alerander 
Hegius in Deventer, der fruchtbarften Humaniftenpflanzfchule 
jener Tage, hervorgegangen, und hatte fih dann üblichermaßen 
zur Weiterbildung und zum Studium der Rechtöwifienichaft 
nad Italien begeben. Zurüdgefehrt, diente er eine Zeit lang 
am hejfifchen Hofe, wo fein Bruder das Kanzleramt verwal⸗ 
‚tete. Bald jedoch wurde er des Hof⸗ und Geſchaͤftslebens 
überbrüffig: ein zweiter Bruder von ihm war Exrzbiſchöflich 
Mainzifcher Küchenmeifter zu Erfurt, der verfchaffte ihm durch 
feine Verwendung ein Canonicat in Gotha. Hier lebte er 
feit 1503 2) in wiflenfchaftliher Muße, in der er fich fortan 
durch feinen noch fo lockenden Antrag mehr ftören ließ. Sein 
neuer Landesherr Friedrich der Weife lernte ihn Fennen und 
ſchaͤtzen. Mutian’d Empfehlung brachte den jungen Spalatin 
an die wichtige Stelle des Crziehers für den Kurprinzen 
Johann Friedrich. Politiſche Verbrecher, die hingerichtet wer⸗ 
den ſollten, wurden auf ſeine Verwendung hin begnadigt. 


1) Epist. 313, der zwar ohne Datum, doch den vorangehenden und 
nachfolgenden Briefen nach wahrſcheinlich aus dem 3. 1514 ift, bezeichnet 
er fich ale A2jährig. 

2) In einem tiefer unten anzuführenden Briefe an Friedrich den 
Weifen aus dem Jahre 1525 fagt er, daß er nunmehr 22 Jahre in Gotha 
lebe, und ein Brief Mutian's vor der Schrift Concordia Curatorum: 
Fratrum mendicantium (in Böding’6 Samınlung), ift noch datirt Ex 
Bononia Kal. Jun. Anno Christi MCCCCGij. 





Mutianus Rufus. 43 


Oregentwürfe legte nıan ihm zur Begutachtung vor. Als die 
anfehnliche Stelle eines Propftes an der Allerheiligenkirche zu 
Wittenberg durch Henning Goͤde's Tod erledigt war, ließ der 
Kufürf fie dem Mutian anbieten. Mutian empfahl ven 
Juſns Jonas, und der erhielt die Stelle. Höchftens eine 
feine Pfründe, die ihm fein Gefchäft machte, nahm er noch 
an, um Geld zu Bücheranfäufen zu gewinnen. Denn damit 
und mit literariſcher Gaftfreundfchaft ging fein mäßiges Ein- 
kommen auf.) Es war die Zeit, wo die geprudten Ausga⸗ 
ben der lateinifchen und griechifchen Elaffiker eben erſt anfin- 
gen, bei Aldus in Venedig und fonft in Italien zu erfcheinen 
und noch ziemlich theuer waren: Mutian war bei Weiten 
nicht im Stande, fi Alles, was er wünfchte, felbft anzus 
ſchaffen; feine Freunde, vor Allem der Eifterzienfer Heinrich 
Urban, Verwalter des Georgenthaler Hofs in Erfurt, theilten 
ihm von ihren Einfäufen mit. Als er einft durch einen folchen 
Freund Eicero, Lucrez, Curtius u. a. Autoren zugleich befam, 
meinte er vor Freuden. Die italiäntfchen Kriege jener Jahre 
bedauerte er hauptfächlich deßwegen, weil fie den Verlagsar: 
tifeln Italiens die Alpenpäfle fperrten. Wenn er ihm Feine 
Bücher ſchicken Fönne, bittet er den Erotus, folle er ihm wes 
nigſtens die Titel mittheilen, fchon diefe machen ihm Freude. 
Nichts beflagte er fchmerzlicher, al8 fo manchen Tag ohne gute 
Bücher zubringen zu müflen. ?) 

Bei allem Reichthum feines Wiſſens und aller Ueberle— 
genbeit feiner Einficht hatte Mutian eine Abneigung gegen 
Schriftftellerei. Briefe fchrieb er gern und viele, und eine 
beträchtliche Anzahl ift uns, zum Theil noch ungedrudt, auf: 


1) Epist. 63: Sacerdotia propter libros peto. Cetera non desunt. 
Epist. 465: Tenuis est mihi res familiaris, sed admodumı laeta libe- 
ralitas, quod docti hospites una voce testantur. 

2) Epist. 83, 305, 521. VBgl. Tentzelii Supplem., p. 268. 





44 l. Bud. 1. Kapitel. 


behalten. ) Wenn Coban’sd Briefe die herzlichften aus jenen 
Jahren find, die Erasmifchen die gelehrteften und zierlidyften, 
fo find die des Mutian die geiftreichften. Bisweilen werben 
fie durch Kürze dunfel, nie ermüden fie durch Weitfchweifig- 
feit, felbft in den gelehrten Abfchweifungen nicht, in bie fie 
fich ftellenweife verlieren. Mandymal theilt Mutian den Freuns 
den ein Epigramm oder fonft ein Feines Poem nicht ohne 
Selbftgefälligfeit mit; aber er ift fehr ungehalten, wenn Einer 
fih einfallen läßt, etwas davon druden zu lafien. Befragte 
man ihn über die Gründe diefer Abneigung gegen die Deffent- 
lichkeit, fo erwieberte er, feine Sachen feien ihm nie gut genug, 
darum wolle er fidy lieber an Anderer Thorheit ergehen. Er 
fand es beveutfam, daß Sofrated und Ehriftus auch nichts 
Schriftliche Hinterlaffen haben. Er war überzeugt, das Befte 
was wir willen, tauge für die Menge nicht. Daher fuchte 
er nicht, wie Erasmus und Reuchlin, durch gedrudte Schrifs 
ten auf das gemifchte Publicum, fondern durch mündliche und 
briefliche Belehrung auf einen engeren Kreis zu wirken. Nichte 


1) Die Branffurter Stadtbibliothef befißt einen Codex manuscrip- 
tus Mutianifcher Briefe, Flein Ouart, eine fchöne, wie es fcheint früh⸗ 
zeitig genommene Abfchrift. Unten auf bem erflen Blatte flieht: Bibl. 
Acad. Herbipolensis. Der (von einer fpitern Hand numerirten) 
Briefe find es 522, wovon jedoch drei beppelt vorfommen und hins 
wiederum eine Zahl zweimal gelegt if. Sie find größtentheild an 
den ſchon genannten Heinrich Urban, Oeconomus, bisweilen auch 
Cellarius oder quaestor urbicus coenobii in valle S. Georgjii, 
manche aber auch an Spalatin, B. Eberbach, Grotus, Soban u. N. 
gerichtet, auch einzelne Briefe von Andern daruntergemifcht. Auszüge 
daraus hat der herzoglich Sächfifche Hiftoriograph Tengel, von dem auch 
eine handfchriftlihe Notiz vorn in den Coder eingeflebt if, in feinen 
Supplementis Historiae Gothanae (Sena 1701) drucken laffen, und ver: 
ſchiedene Briefe auch aus andern Sanımlungen beigefügt. Es finden 
fi) nämlich auch fonft zeritreut, 3. B. in den früher angeführten Ca⸗ 
merariihen Sammlungen, einzelne Briefe von Mutian. Unfere Eitate, 
wo nichts Anderes bemerft ift, beziehen fih auf den God. Msptus., und 
ba die Briefnumern bei Tentzel die gleichen find, auch auf deflen Auszüge, 
fo weit fie reichen. 





Mutianus Rufus. 45 


machte ihm größere Freude, fagt Camerar, als zu hören, daß 
Junge Leute fi mit Eifer den humaniftifchen Studien wid- 
meten, und Solchen pflegte er alle Förderung, die in feinen 
Kräften fand, angedeihen zu laſſen, fie gaftfrei, fo wenig er 
auch im Ueberfluß lebte, bei fih aufzunehmen. ?) 

Hinter der Domfiche zu Gotha ftand fein Haus, das 
er fi) nady eigenem Gefchmad eingerichtet hatte. Ueber dem 
Eingange fah man auf einer Heinen Tafel die Infchrift: BEATA 
TRANQVILLITAS. 2) Als Gegenftüd hatte er einft, als es 
ihm gelungen war fi aus dem heffifchen Dienfte loszuma⸗ 
hen, auf die Thüre feiner Kanzlei die Worte gefchrieben: 
VALETE SOLLICITVDINES. Oeffnete fi} die Pforte, fo lud 
eine zweite Infchrift: BONIS CVNCTA PATEANT zur Selbft- 
prüfung ein, ob man auch folhen Zutrittd würdig fei. An 
den Wänden der Zimmer fah man die Wappen erprobt ge- 
fundener Freunde: den Storh Spalatin’s, des Crotus rie- 
menummwundene Hörner, Eoban's vom Lorbeerftraud in Die 
Bolten fteigenden Schwan. In dem Hausherren trat dem 
Anfommling die edelfte Manned- und fpäter Greijengeftalt 
entgegen; jein Benehmen aus Würde und Freundlichkeit 
gemifcht, fein Geſpraͤch voll gediegenen Wiſſens, reifer Einficht 
und anmuthigen Scherzee. ?) 

Dft gab er den jungen Leuten, die ihn befuchten, Auf- 
gaben, bald zur augenblidlichen Löſung, bald zur fchriftlichen 
Ausarbeitung, die er nachher verbefierte.e So machten fie 
einmal der Reihe nach aus dem Stegreife Verfe auf den ver- 


1) Narratio de Eobano Hesso B4P. Zum Webrigen vgl. Epist. 1, 
145. 

2) Sogar in einem notariellen Acte finden wir Mutian’s Haus fu 
genannt, Epist. 483. 

3) ©. in Tentzelii Suppl., I, 2, p. 5 fg. die Stelle aus dem 
Reitegedichte des Euricius Cordus. Val. Hutten’s Brief an Jafob Buchs, 
Opp. Il, 39. Auch Jac. Micylli Hodoeporicon, in beffen Sylvaeı I, 
209, der Ausgabe ex officina Petri Brubachii 1564. 


46 I. Buch. II. Kapitel. 


ftorbenen Dichter Conrad Eeltes. Ein andermal gab er ſei⸗ 
nem Heinrich Urban auf, etwas zum Lobe der Armuth zu 
fchreiben, dem Spalatin aber legte er die Frage vor: wenn 
doch Chriftus allein der Weg, die Wahrheit und das Leben 
fei, wie denn fo viele hundert Jahre vor feiner Geburt bie 
Menſchen daran geweien? ob fie an der Wahrheit und dem 
Heile gar feinen Antheil gehabt haben? Er wolle ihm einen 
Fingerzeig zur Löfung geben, fchrieb er ihm dann. Die Reli- 
gion Chrifti hat nicht erft mit feiner Menfchwerbung anges 
‚fangen, fondern ift fo alt als die Welt, als feine Geburt aus 
dem Bater. Denn was ift der wahre Ehriftus, der eigentliche 
Sohn Gottes, Anderes, ald, wie Paulus fagt, die Weisheit 
Gottes, mit welcher er nicht allein den Juden in einer engen 
ſyriſchen Landſchaft beimohnte, fondern auch den Griechen, 
den Römern und Deutfchen, fo verfchieven auch ihre religiöfen 
Gebräuche waren. ?) 

Auch über Die Bibel, insbefondere die Evangelien, hatte Mus 
tian helle Blicke, die fich aber zum Theil mit wunderlichen Grillen 
mifchten. Bon dem Unterfchiede eroterifcher und efoterifcher Lehr: 
art ausgehend, meint er, die Verfaſſer der evangelifchen Ges 
ichichte Haben manches Geheimniß in Räthfel und Gleichniffe ein» 
gehüllt. Wie Apulejus und Aejop fabeln, fo auch die heilige 
Schrift ver Juden. Dahin rechnet er das Buch Hiob, dahin die 
Gefchichte des Jonas, deſſen Wunder er durch die Ausfunft [öst, 
der Walfiſch fei ein Bad mit einem folchen Schilde, der Kürbis 
aber ein Badehut geweien. Das ift lächerlich, jet er ſelbſt hinzu. 
Doc id) habe noch fpaßhaftere Dinge, die auf Lateiniſch sacra- 








1) Epist. 36: Non incepit Christi religio cum illius incarnatione, 
sed fuit ante omnia secula, ut prima Christi nativitas. Quid enim 
aliud est verus Christus, verus Dei filius, quanı, ut Paulus inquit, 
sapientia Dei, quae non solum affuit Iudaeis in angusta Syriae re- 
gione, sed Graecis et Italis et Germanis, quanquam vario ritu reli- 
giones observarentur. 





Mutianus Rufus. 47 


ments, Griechiſch Myſterien heißen, von denen id} nichts fagen 
werde. Dahin gehört aud die Meußerung Mutian’s, in der’ 
Reinung der Muhammedaner, daß Chriftus nicht ſelbſt ge- 
treuzigt worden ſei, fondern Einer, ber ihm ähnlich gefehen, 
Rede eine geheime Weisheit. Zwar deutet er es zunächft auf 
Ghriki Stillſchweigen vor Pilatus, da des Menfchen wahres 
34 die Seele fei, welche durch das Wort ſich Fundgebe: doch 
behält er offenbar die Hauptfache noch zurüd, denn er bricht 
sit den Worten ab, er wolle hier nicht ausfagen, mas Ge: 
kimnig bleiben müſſe. ?) 

Es war etwas Neuplatonifches in den Ideen diefer Hu⸗ 
maniſten, das fie mit ihren Sprachkenntniſſen in Italien ge⸗ 
belt hatten. Es ift nur Ein Gott, ſchreibt Mutian feinem 
Uran ein andermal, und Eine Göttin. Aber es find viele 
Geftalten und viele Namen. Jupiter, Sol, Apollo, Mofes, 
Chris, Kuna, Ceres, Proferpina, Telus, Maria. Aber 
hüte ich, das auszubreiten. Man muß ed in Schweigen 
hällen, wie Eleuſiniſche Myſterien. In Sachen der Religion 
muß man fich der Dede von Fabeln und Räthfeln bedienen. 
Tu, mit Jupiter’s, d. h. des beften und größten Gottes, Gnade, 
verachte ftille die Kleinen Götter. Wenn ich Jupiter fage, 
meine ich Ehriftus und den wahren Gott. Tod, genug von 

tiefen allzu hohen Dingen. 2) 

Wie dem Mutian von diejer wohl noch etwas nebeligen 
Höhe herab das damalige Kirchenwefen erfchienen fein möge, 
läßt ſich Denfen. Den Rod, fchreibt er, und den Bart, und die 
Vorhaut (Chrifti) verehre ich nicht: ich verehre den lebendigen 
Gott, der weder Rock noch Bart trägt, auch Feine Vorhaut 
auf Der Erde zurüdgelaflen hat. Die Baftenfpeifen nannte er 
Thorenipeifen, die Bettelmöndye Futtentragende Unthiere; ver 


1) Epist. 1, 62, 68. 
2) Epist. 116. 





48 l. Buch. U. Kapitel. 


warf die Ohrenbeichte, die Seelenmeflen; die Stunden, die er 
- mit dem Altardienfte zubrachte, betrachtete er als verlorene 
Zeit. In feinem Haufe war es, wo Erotus feine Ichärfften 
Witze in diefer Richtung losließ, wo er Die Meile eine Kos- 
mödie, die Reliquien Knochen vom Rabenftein, den Horas 
gefang in der Kirche ein Hundegeheul, in den Häufern der 
Domberren ein Summen nit von Bienen, fondern von 
faulen Drohnen nannte. Ganz im Geſchmacke des Crotus 
war es hinwiederum, wenn Mutian am Magdalenentage über 
dieje magna lena ſich allerhand Scherze erlaubte. ?) 

Doch ed war keineswegs blos dieſes Fritiih Negative 
oder das philologifh Formelle, überhaupt nicht ein bloßes 
Wiſſen, was Mutian in feinen jungen Sreunden zu pflanzen 
ſuchte. Wir wandeln, fehreibt er, einen engen und fteilen 
Pfad: eng, weil nur Wenige mit und nad) beſſerm Wiſſen und 
mildern Sitten ftreben; fteil, fofern zur Kenntniß der lateini- 
fhen Sprache, und, was damit zufammenhängt, dem wahren 
Gute der Seele, Niemand ohne Mühe gelangen kann. Wir 
ftreben nad) Gerechtigkeit, Mäßigkeit, Geduld, Eintracht, Wahr⸗ 
beit und einmüthiger Freundſchaft. Daher übte Mutian über 
die ihn verbundenen Jünglinge moraliſch faft noch mehr ale 
wifienjchaftlich eine heilfame Zucht. Seine Ermahnungsbriefe 
an den talentvollen und fenntnißreichen, aber eiteln, aumas 
Benden und ausjchweifenden jungen Rechtögelehrten Herbord 
von der Marthen find voll reifer fittlicher Weisheit, die ſich 
nicht felten in ächt Sofratifche Ironie hüllt. Er duldete Feine 
Entzweiungen unter den jungen Leuten, die fid) zu ihm bielten. 
Ceinen Tadel durften fie ihm nicht übel nehmen. Ich weiß 
euch zu fchelten, fchreibt er, und euch zu verzeihen. Ihr Eönnt 
mich nicht beleidigen, al8 wenn ihr mir nicht folgen wollt, 


1) Epist. 154, 175. 277, 278. 366, 403. 500. Epistola Anonymi 
ad Crotum Rubeanum etc. ed. Olearius, p. 14 fg. 








50 1. Bud. 1. Kapitel. 


Daß Mutian, wie auf Eoban und Spalatin, auf “Peter 
Eberbach, Euricius Cordus u, A., die zu verfchiedenen Zeiten 
bei ihm aus⸗ und eingingen, fo auch auf den jungen Ulrich 
Hutten Eindrud gemacht und Einwirkung ausgeübt hat, wiſ⸗ 
fen wir aus deſſen eigenem Zeugniß. Unweit Erfurt, fagt 
er in der von und fchon oft angeführten, fünf Jahre nad 
diejer Zeit gefchriebenen Elegie, lebt Rufus friedlich nur ſich 
felbft, ob er wohl Keinem zu weichen, feinen Kampf zu ſcheuen 
nöthig hätte. 

Ihn fragt Erotus um Rath und Hefius erwählt ihn zum Führer; 

Mir auch hat gar oft feine Belehrung genügt !) 
Mutian feinerfeitd bewunderte Hutten's Talent; aber fein un« 
geftümes Feuer, feine Neizbarfeit, waren dem Liebhaber ber 
beata tranquillitas unheimlich.) Daher hatte fi Hutten 
in der Folge mehrmals über die Schweigfamfeit des verehrten 
Mannes, mit dem er gern fleißig Briefe gewechfelt hätte, zu 
beffagen. Weberhaupt vor den Poeten im engern Sinn, den 
Dichtern vom Handwerf, fhlug Mutian doch hin und wieder 
das Kreuz. Ihre Sefbftgefälligfeit mißfiel ihm, und daß fie 
ſich nichts fagen laffen wollten.) Eoban ſchien ihm noch 


1) Querel. II, 10, 89 fg. 
Passibus hinc aliquot, spatio sejunctus iniquo, 
Tranquillam vitam ducere Rufus aınat. 
Ipse sui totus: sed enim nec cedere cuiquam 
Aptus, ut ex quovis praemia Marte petat. 
Gonsulit hunc Crotus, doctoremque eligit Hessus, 
Nonnihil et crebro profuit ille mihi. 
2) Epist. 517: Acer et vehemens Ulricus Hultenus et magnus 
' poeta: sed talis, ut levissimo dicto irritari possit. Parcant mihi ista 
ingenia, se mihi praeferant. Cupio et patior vinci ab illis, Nun- 
quam gloriae studui. 
3) Mutiani Epist. 517. Hutteni Epist. ad Eobanum Hessum 
et Petrejum Aperbacchun. Opp. ed. Münch, II, 220. In einem 
Briefe vom 15. März 1515 (Epist. 451) erflärt übrigens Mutian, einer 





Hutten in Frankfurt a. d. ©. 51 


der Beite zu fein, der nur durch feine wilde Trinflaune dem 
würdigen Alten bisweilen unbequem wurde. }) 

Wer fonft noch zu Hutten’d Erfurter Kreife gehörte, iſt 
nicht fiher, auf feinen Fall vollftändig, befannt. Er fagt, 
mit alien Poeten, welche damals am Orte gemwefen, fei er in 
Berbindung gekommen.) Rambaft aber macht er außer 
Crotus und Eoban nur noch einen Temonius, der mit wun⸗ 
derbarem &rfolge die gleihen Studien treibe, und mit nicht 
geringem Talente begabt fei. An ihn hat auch Eoban ale 
ehemaligen Studiengenofien drei Gedichte gerichtet, aus wels 
chen wir erjehen, daß er aus Thüringen gebürtig war, und jpäs 
ter eine Reife nach Rom gemadıt hat.) Daß Hutten nicht, 
wie Crotus, in Erfurt aucd Luther fennen lernte, ift, wenn 
er erfi von Eöln aus dahin fam, natürlich, da Luther damals 
bereit8 in das Klofter getreten war. 

Hutten’® Zwifchenaufenthalt zu Erfurt ging mit der Er⸗ 
Öffnung der Frankfurter Univerfität, an weldye er den von 
ihm hochverehrten Rhagius berufen wußte, zu Ende. In 
einem, ohne Zweifel 1506 gedichteten, wenn auch erft 1507 
gerudten Gedichte beflagt Eoban den bevorftehenvden Abgang 


Aufforderung Eoban's und: Hutten’s zur Wieberanfnupfung des Brirf: 
wechſels nicht widerſtehen zu können. 

1) Mutiani Epist. 318. Joach. Camerarii Narratio de Eobano 
Hesso B 5b. Weber Mutian ift, auch wo man ihn fannte, nicht immer 
richtig geurtheilt worden. Wenn Grhard (Geſchichte des Wiederaufblü- 
bens wiſſenſchaftlicher Bildung, II, 278) ihm in VBergleihung mit Reuchlin 
eine Rillere, furchtiamere und bejchränftere Denfart zuichreibt, fo erhellt aus 
tem Bisherigen, wie wenig das leßtere Beimort auf Mutian paßt. Ranfe 
Dentiche Geſchichte im NRei.s Zeitalter, I, 268) nennt Mutian einen 
Slim jener Zeit. Treffend von Seiten der Foͤrderung, die beide Männer 
einer anfitrebenden Poetenjugend angebeihen ließen: aber wo bleibt bei 
den nenern Gegenbilde Mutian's geiftige Meberlegenheit? 

2) Querel. II, 10, v. 75 fo. 

3} Ebendaſ. v. 87 fg. Operum H. Eobani Hessi farrag. duae 
(Francof. 1564) Syiv. I, 860. 361, 454. 


4* 





52 I. Bud. I. Kapitel. 


| feines Herzensfreundes Hutten nach Sranffurt I), und biefer 
felbft hat der im Yebruar des letztern Jahres erfchienenen 
Beichreibung der Feftlichfeiten zur Einweihung ber Univerfi- 
tät ein Gedicht beigegeben, auf deſſen Titel er ſich einen 
Schüler ded Johann Rhagius Aefticampianus nennt. Auch 
von dieſem jelbft findet ſich ein Gedicht in derfelben Schrift: fo 
daß alfo Lehrer und Schüler um diefe Zeit, d. h. wahrfchein- 
lich fchon bei der Eröffnung der Hochſchule, in Frankfurt ges 
genwärtig geweien find. Ob aber Hutten’d Schülerverhältnig 
zu Rhagius fih fchon von Cöln herfchrieb, oder erft in 
Frankfurt fich gebildet hatte, ift, wie jchon oben bemerft, nicht 
auszumachen. 

In feinen Marken eine Univerfität zu ftiften, hatte fchon 
Kurfürft Johann Cicero beabfichtigt; fein Sohn und Nach—⸗ 
folger Joachim J, von feinem Lehrer, Dietrih von Bülow, 
Biſchof von Lebus, und feinem Rathe, Eitelwolf von Stein, 
ermpntert, führte den Gedanfen aus, und am 26. April 1506 
wurde die neue Anftalt feierlich eröffnet. Der genannte Diet: 
rih v. Bülow war ihr erfter Kanzler, Conrad Wimpina, der 
ſich hernach als Gegner Luther’ befannt machte, ihr erfter 
Rector, Publius Bigilantius Bacillarius Arungia der erſte 
Decan der philofophifchen Bacultät. 2) Leßterer, den Eitelwolf 
von Stein den beredteften Deutfchen nannte, den er nie ge: 
nug hören Fönne ), wie der von Eitelmolf gleichfalls hoch⸗ 
geſchätzte Rhagius, mögen auf fein Betreiben berufen wor⸗ 
den fein. Außer ihnen lehrte noch Hermann Trebelius in 


1) Pergis abhinc, tua te exspectat Francfordia vatem. Sn dem 
ſchon früher erwähnten Epigramm in der Schrift: De laudibus Gym- 
nas. Erphord. 

2) S. Becman, Hist. univ. Francof. ad Od.; Mohnife, Hutten's 
Zugendleben, S. LXXXVII fg. 

3) Hutteni Epist. ad Jac. Fuchs, Opp. ed. M., II, 36. 





Qutten in Frankfurt a. b. O. 53 


Frankfurt, den Hutten feinen Landsmann nennt ?), während 
er felbft ſich bald als Notianus (von Natza?), bald als Isena- 
censis bezeichnet. Mit ihm war Hutten zugleich durch Freund⸗ 
haft verbunden; aber auch Bigilantius muß ihm fehr gut 
geweien fein, wie wir aus der Wärme fehen, mit welcher 
beide Männer einige Jahre fpäter bei einer Unbill, die ihrem 
ehemaligen Schüler widerfuhr, ſich deſſelben angenommen 
haben. Trebelius war zugleich der Führer zweier jungen 
Pommerſchen Epelleute, Johann und Alerander von der Often, 
die, wie fo Biele damals, mit dem Rechtsſtudium das ber 
Humanitätswiffenfchaften verbanden, mit Hutten fowohl, als 
dem Erfurtifchen und fpäter dem Wittenbergifchen Kreife in 
enge Verbindung traten und an dem Kampfe mit den ſcho⸗ 
laſtiſchen Tunfelmännern den lebhafteften Antheil nahmen. ?) 
Auch noch mit einem andern Bommer, Balentin Stoientin, 
der damals unter feine Studiengenoffen zu Frankfurt zählte, 
war Hutten in Freundſchaft und Brüderfchaft verbunden. ?) 
Für Hutten’8 Unterhalt mag jegt außer feinen ſchon ges 
nannten beiden Vettern, vielleicht auf Eitelwolf's Empfehlung, 
auch Markgraf Albrecht von Brandenburg etwas gethan has 
ben, da Hutten ihm in der Folge nachrühmte, er habe ihn, 
ſchon che er Erzbifchof und Cardinal geworden, unterftüßt. *) 
Anh der Bifchof von Lebus erwies fih, Hutten’s fpäterer 
Verſicherung zufolge, als feinen väterlichen Gönner, und 
nahm ihn gegen den Haß der unwifienden Menge (von dem 





l) Querel. II, 10, v. 27 fg. 

2) An den ältern Often, der felbft auch Dichter war, hat Eoban 
IM Dden "gerichtet, Sylv. IV, 470, 473. Dgl. übrigens Mohnife, 
Gatten’ s Klagen, ©. 406 fg. und in ben Epist. obsc. virorum II das 
Kiftgeiht des M. Schlauraff. 


3) Querel. I, Eleg. 6. Ad Valentinum Stoientin. 
4) De Gusiaci medicina et morbo Gall. Praef. Opp. III, 248. 





54 1. Buch. Tl. Kapitel. 


wir nicht willen, wodurch fih Hutten Ddenjelben zugezogen 
hatte) in Schuß. *) 

Daß der 18jährige Hutten zu Frankfurt im Jahre 1506 
den erften philofophiichen Grad erhalten habe, wird von 
Schriftftellern der nächften Bolgezeit gemeldet. ?2) Das wäre 
aber nicht der eined Magifters, wie man gewöhnlich angibt, 
fondern der eined Baccalaureus geweien; und damit, daß 
Hutten nur diefen unterften Grad erlangt bätte, ließe es fidh 
auch am eheften vereinigen, daß er in der Yolge immer ale 
ungrabuirt erfcheint und ſich felbft mit Vorliebe fo darftellt. ®) 
Doch bleibt die ganze Sache mehr als zweifelhaft. 

In diefe Zeit nun, in Hutten's 18.—19. Jahr, fallen 
zwar ſchwerlich die erften poetifhen Verſuche, die er gemacht 
hat, aber die erften, die uns aufbehalten find. Es find ihrer 
drei: die Elegie an Eoban*), die er noch in Erfurt, das 
Lobgediht auf die Mark), das er in Frankfurt, muthmaßlich 


— . — — — — 


1) Querel. II, 2, Ad D. Theodoricum de Bulow etc. v. 7 fg. 
Ile tibi scribit quem tu vice judicis aequi 
Texisti indoctae plebis ab invidia. 

2) Guolphg. Justus, omn. Academiar. erectiones etc. (Francof. 
ad V. 1554) bei Burdhard, III, 22 fg.; Mohnife, ©. XC. Cyriacus 
Spangenberg im Adelsfpiegel, II, fagt fol. 46 unbeflimmt, Hutten habe 
gradum angenommen, wobei am Rande M. fteht; fol. 140® heißt es 
beflimmter primum gradum in philosophia. Dagegen fommt in Bec: 
manns notitia univ. Francof. und der dazu im Auctarium wieder abs 
gedruckten Schrift des Bigilantius über die Ginweihung der Univ. von 
Hutten’s Promotion nichts vor. 

3) Praefat. zum Nemo, Opp. II, 311. Epist. obsc. virorum I. 
M. Jo. Krabacius. Freilich wird in erfterer Stelle ausdrücklich auch das 
Baccalaureat von Hutten abgelehnt. 

4) Hinter Eoban's Schrift: De laudibus Gymnas. Erphord. 1507. 
deren Titel oben Kar. Il angegeben, fieht: In Eobanum Hessum, viva- 
cissimi ingenii adolescentem Ulrichi Hutteni Elegia. N 

5) Publii Vigilantii —1 Axungie ... ad Ill. principem 
Joachimum . . Franckphordiane urbis ad Oderam et Gymnasii litte- 
Tarii introductionis ... descriptio. Am Ende: Exaratum in offlcina .. 





Hutten's erſte Dichtungen. 55 


im Jahre 1506, ſchrieb, und eine poetiſche Ermahnung zur 
Tugend !), welche er der von Rhagius beſorgten und im Jahre 
1507 gedrudten Ausgabe der Tafel des Cebes beifügte. 
Sämmtlidy alfo Fleinere Beigaben zu größern Schriften von 
Freunden und Lehrern, wie fie in jenen Zeiten üblich waren: 
die erſte von 18, die zweite von 20, die dritte von 28 Diftichen. 
In allen dreien zeigt ſich im Iateinifchen Ausdruck und Vers⸗ 
bau eine fchöne Fertigkeit. Härten, Ungeſchicklichkeiten fehlen 
nicht, aber fie kommen gegen den Wohllaut und Yluß des 
Ganzen faum in Betraht. Bon claffifhen Namen und Bei- 
ipielen fteht dem jungen Poeten ein erklecklicher Vorrath zu 
Gebote. Den Boden der Marf vergleiht er in Abficht 
der Fruchtbarkeit, und zwar noch zu feinem Bortheil, mit 
dem von Gargara (mas zugleih eine flarfe Gabe des 
Idealiſirens beurfundet); ihre Rinder der Zahl nach mit dem 
Sand im Joniſchen Meere; die Oder an Fiſchreichthum mit 
dem Tanais, Dronted, Zanthus, Tiber, Eridanus und Cap: 
fter zugleih. Der Gedankengang entwidelt ſich ſchicklich, ob- 
wohl ohne firenge Dispoſition. Was die Gefinnung betrifft, 
ſo zeigt fich in dem erften diefer Gedichte warmes Gefühl für 
Freundſchaft und neidloſe Anerkennung eines ebenbürtigen 
Talents; im zweiten Liebe zur Wiffenichaft als dem jchönften 





Conradi Baumgardt . . Franckph. ad Oderam 1507, Idibus Fe- 
bruarije. Born ein Epigramm von Rhagius, hinten drei Gedichte, eine 
von Joachim v. Bülow, das mittlere mit der Meberfchrift: Udalricus 
Huttenus phagigena Johannis Rhagii Aesticampiani discipulus ad 
lLeciorem. Das Hutten’fche Gedicht ift wieder abgebrudt bei Burckhard, 
MM, % fg.; Mohnite, Jugendl. ©. CLXIX fg-, Opp. ed. M. I, 5 fa. 

U. Bauer, S. 2 fg. 
1) Tabula Cebetis, philosophi Socratici, cum Jo. Aesticampiani 
epistola. Hinten: Impress. Francphord. per... Nic. l.amperter et 
. Murrer. anno 1507. $Hierauf: Ulrici Hutteni adolescentis de 


virtute elegiaca exhortatio. Wieder abgedrudt bei Mohnife, S. CLXXI 
bie CLXXIV, Opp. 1, 7 fg. 





56 ‚ L. Bud. 11. Kapitel. 


Lebensſchmuck (aus Gelegenheit der in den Marken geftifteten 
Untiverfität); im dritten eine ernfte fittliche Lebensanficht. *) 
Aber das eigenthümliche Gepräge von Hutten's Geiſte trägt 
noch keins derſelben. 

Rah allen Seiten hatte der Jüngling feine Lehrjahre 
wohl benügt: um aber zum Manne, zum Meifter heranzu⸗ 
‚reifen, hatte er erft die Wanderjahre anzutreten, mußte ber 
Widerſtand des Lebens die ganze Kraft feined Geiſtes und 
MWillend zum Bewußtſein bringen und in Thätigfeit feßen. 


1) So glei der Eingang: 
Ipse ego, dum variae meditor discrimina sortis, 
Dum dubias vitae difficilesque vias, 
Diversasque adeo curas hominumque labores: 
Ingemit et tristi mens mihi corde dolet. 





Drittes Kapitel. 


Banderungen und Abenteuer in Deutſchland. 
1509 - 1512. 


Scqriften: Querelarum libri duo. De arte versificandi liber unus. 
Ad Maximilianum Caes. exhortatio. De non degeneri 
Germanorum statu heroicum. U. Hutteni Viennam intrantis 
carmen. 


Haren war ein unruhiger Get.) Wanderluft lag tief in 
feiner Ratur. Er hatte das Bedürfniß, die Welt nicht blos 
aus Büchern kennen zu lernen. Städte und Länder zu fehen, 
Denfhen aller Art zu beobachten, fich unter ihnen umzu⸗ 
treiben, mit ihnen zu meflen, dazu empfand er einen unwi⸗ 
derſtehlichen Trieb. Selbft die Verwicklungen, Stürme, Ge⸗ 
fahren eines ſolchen Lebens reisten ihn®) ale ein fühnes 
Spiel, defien Gewinn ihn lodte, ohne daß der mögliche Ver⸗ 
luſt des Einfages ihn fchreden konnte. Er hatte auch Ehr- 
gi. Er wollte etwas beveuten in der Welt: da fah er 
wohl, daß er fidh mit ihr einlaffen müſſe. Was einem Mus 





l) Animum irrequietum et versatilem fchreibt er ſich felbft zu. 
Epist. ad Bilib. Pirckheimerum, Opp. ed. Münch, III, 78. 

2). a. O., ©. 71: An ego possem... priusquam expertus 
essem istas mundi turbas, istos olfecissem tumultus, in hos me 
secessus, hoc tranquillum recondere? 





58 1. Bud. II. Kapitel. 


tian gfüdfelige Ruhe war, erfchien ihm ald ruhige Dunkel⸗ 
heit, von der er nichts wiflen wollte. *) 

Mit Selbftgefühl fpriht Hutten mehr ald einmal von 
diefem Drange. Während Andere die lieben Eltern und die 
heimifhe Scholle nicht verlaffen mögen, habe er das behag: . 
liche Leben, das er daheim hätte führen fönnen, dem Wun- 
fche geopfert, fremde Länder zu befuchen, um felbft etwas zu 
werden und duch Thaten feinem Namen Dauer zu verfchaf- 
fen. Darin babe er zu Borbildern die weileften Männer der 
alten Welt, einen Pythagoras und “Plate. Und was denn 
auch für einen frifhen jungen Menfchen mehr Reiz haben 
fönne? Ich, befennt er, wohne nirgends lieber als überall, 
meine Heimath ijt allerorten. 2) Es war etwas vom fahren» 
den Ritter in Ulrich Hutten. 

So litt e8 ihn denn auch auf den afademifchen Bänfen 
zu Frankfurt nicht allzu lange. Wie lange, wiflen wir freilich 
nicht genau. Wenn er im Yrühling des Jahres 1510 von 
einem Jahre ſpricht, daß er für die Freunde verfchollen ſei ®), 
fo fcheint feine Abreife von Frankfurt in das Frühjahr 1509 
zu fallen. Und im Spätjommer deflelben Jahres treibt er 
franf und mittellos an die Pommerſche Küſte. Wie kam 
das? Wo hatte er fih in der Zwijchenzeit aufgehalten, um: 
. getrieben ? 

Den Mann, defien Schüler fih Hutten um dieſe Zeit 


1) A. a. O., ©. 78: ferre haec natura, haec aetas, domesticum 
situm, tranquillam obscuritatem, vel omnino non potest, vel adhuc 
non potest. 

2) Querelarum L. I, Eleg. X, v. 27 fg.... 

Nusquam habitare magis quam me delectat ubique: 
Undique sunt patriae rura domusque meae. 
3) Querelar. L. II, Eleg. VI, ad J. Crotum Rub.. v. 9 fg. 
Huic nihil hoc tolo semoti scripsimus anno „ 
Ignaro, quae me nutriat ora vagum. 





Hutten's Wanderung nach dem Norden. 59 


mit Borliebe nannte, Johann Rhayiıs, finden wir in jenem 
Jahre auch ſchon nicht mehr in Frankfurt, jondern in Leip⸗ 
ig.) Die neue Hochſchule an der Oder fchlug bald von 
Anfang eine Richtung ein, welche den Abfihten und Erwar⸗ 
tungen bed Mannes, der zu ihrer Gründung vor Allen mit- 
gewirkt hatte, wenig entſprach. Mehr als einmal geftand in 
der Folge Eitelwolf von Stein, er bereue diefe Mitwirkung, 
da er jehen müfle, wie die neue Univerjität, ftatt, feiner Ab⸗ 
jicht nach, mit humanijtifch gebildeten Männern, mit unwiſ—⸗ 
ſenden Menfchen des alten Schlaged beiekt jei.2) Zwar 
Trebelius und Vigilantius waren noch dort geblieben: mög- 
li jedoch, daß der veränderungsluftige Hutten, der auch 
ſonſt Verdrießlichkeiten gehabt zu haben fcheint ?), mit feinem 
Hauptlehrer von bannen zog. Was ihn aber fo weit in den 
Rorden führte, was er auf der Oſtſee wollte, darüber gibt es 
nur Bermuthungen, deren wir und, wo fie auf feinem feften 
Boden beruhen, am liebften entfchlagen. Die in Frankfurt 
geichloffene Bekanntſchaft mit den jungen Pommern, von der 
nen zwei noch dafelbft weilten, und nur Einer (Val. Stoien- 
tin) vielleicht jchon damals in feine Heimath zurüdging oder 
jurüdgegangen war, reichte doch für fich Jchwerlich hin, der 
Reiſeluſt Hutten’s gerade diefe Richtung zu geben. 

Ebenjo wenig, wie über die Beweggründe, wiflen wir 
über die Stationen und die einzelnen Begebenheiten diefer un: 
glüdlichen Reife *), bis zu dem übeln Ausgang der Fahrt auf 


1) Bal. Mohnife, U. Hutten's Klagen, ©. 449. Ums Jahr 1510 
wußte ihn auch Hutten in Leipzig, f. Querel. L. II, Eleg. X. v. 65 fg. 

2) Ulrichi Hutteni epist. ad Jac. Fuchs, in ber Stedelberger 
Ausg. der Schriften gegen Herzog Ulrih, C 3. Opp. ed. Münch. 
il, 37. 

3) S. oben ©. 53 fe. 

4) Daß fie dieß gleich von vorn herein war, erhellt aus Querelar. 
L. I, Eleg. VIli. Ad Eobanum Hessum, v. 13 fg.: 


06 I. Buch. IN. Rapıtel. 


der Ditjee. Und ſeltſam, aud) diefer Seefahrt gedenft Hut: 
ten felbjt nicht ausbrüdfich, fondern nur des mannichfachen 
Ungemachs einer Wanderung zu Lande, welche auf dieſen 
Unfall folgte. Joachim Vadian ift es, der und zwei Jahre 
fpäter berichtet, wie Hutten zu ihm und andern Freunden 
nah Wien gefommen, und von ihnen al8 vielgeprüfter Ulyfs 
fe® mit Auszeichnung empfangen worden fei. Auf ihr Ber 
langen habe er ihnen dann die Abenteuer feiner Reife der 
Ordnung nad erzählt, wie er auf dem deutfchen Ocean, ben 
er berührt, die Wuth der Scylla erfahren habe, fofort am 
nächften Ufer in die Hände der Eyflopen gefallen fei u. |. w. ') 
Ob nun wohl in diefer Darftellung Vadian's auch weiterhin 
Manches augenfcheinlih in die Formen der Odyſſee gegof- 
fen ift, fo dürfen wir doch nicht fo weit gehen, audy was von 
dem Unfall zur See gefagt wird, blos für eine der homeriſchen 
Parodie zulieb vorgenommene Einfleidung zu halten: um fo 
weniger, da Hutten felbft um jene Zeit, wenn auch nur im 
Allgemeinen, neben den Gefahren zu Lande auch von foldhen 
zu Wafler fpricht, die er durchgemacht habe. 2) Worin nun 


— —— 


Quae tacite nostras secuerunt tempora mentes, ' 
Omnia sunt nigris inficienda notis. 

Tota mihi morbo peregre traducta fameque, 
Tota mihi in foeda condita pauperie. 

1) Joach. Vadiani ad G. Gollimitium Epistola. Bor Hutten’s ad 
Max. Caes. exhortatio, wieder abgedrudt bei Mohnife, U. Hutten’s Ju⸗ 
gendleben, S. CLXIII; H. Opp. ed. Münch, I, 112:... quum.. 
ordine narrasset, quam peregrinatio sua, experiendi gratia instituta, 
aerumnis referta fuerit, quamque in Germanico etiam Oceano, quem 
attigit, Scyllaeam rabiem expertus, ad proxima litora in Cyclopum 
manus inciderit.... . 

2) In Hutteni Viennam intrantis Carmen, nach ber Exhort. ad 
Max. Caes., wiederabgedr. in H. Opp. ed. Münch, I, 139: 

Plurima passus aquis, et terra plurima passus. 
Als H. diefes Gedicht ſchrieb, war er, feit feinem Pommerſchen Aben- 
teuer, an fein Meer mehr gefommen. 





Abenteuer und Unfälle auf der Reife. 61 


aber diefer Unfall beftand, ob nur in einem Sturm, oder ob 
das Schiff firandete u. f. f., wiflen wir wieder nicht. 

Es ift eine Hägliche Geftalt, in welcher unfer Ritter am 
Ufer der Oſtſee und wieder begegnet. Er war gänzlich mit- 
tello®, und überdieß jchwer Franf. Er bettelte fih durch das 
Land, Hopfte an arme Bauerhütten, um ein Stüd Brot und 
ein Rachtlager, mußte aber mehr als einmal, abgewiefen, im 
Greien den harten Boden zum Pfühle nehmen. Umwege zu 
machen, um nach der Sitte führender Studiofen bei Gelehr- 
ten Unterfchleif und Zehrung zu ſuchen, verboten ihm unab- 
läffig fly erneuernde Krankheitsanfälle. 7) 

Dieje Krankheit bejchreibt Hutten im folgenden Jahre, 
wo fie noch immer fortbauerte, als ein viertägiged Fieber, 
das ihn aufs Außerfte geſchwächt und abgemagert hatte, in 
Berbindung mit einer oder mehreren eiternden Wunden. 2) 
Fragen wir: woher die Wunden? fo fpricht Hutten von einer 
garftigen Seuche, an der er (im Jahre 1510) ſchon feit Iawei 
Jahren leide, und die, ftatt abzunehmen, immer heftiger 
werde.) An welder Kranfheit Hutten fpäter litt, iſt be- 


1) Querel., L. II, Eleg. VII, v. 21 fg. 
Ore cibum petii peregrinas pauper ad aedes, 
Nec puduit luteas sollicitare casas. 
Ante fores somnum gelida sub nocte petivi, 
Vix raro surdas jussus inire domos. 
Rebus egens, pressusque gravi miser omnia fehri, 
Paene eadem vitae cura necisque fuit. 
More viros nostro potuissem quaerere doctos: 
Impediit coeptam pestis amara viam, 
Et quoties volui, toties magis illa furebat etc. 
2) Querel. L. I, Eleg. I, v. 9 fg., 41. Eleg. II, v. 28, Eleg. V, 
v. 91. Eleg. IX, v. 85. L. I, Eleg. IV, v. 20. 
3) Querel. L. I, Eleg. IV, v. 31 fg.: 
Bis fera cessit hiems, toties aestate peracta, 
Et valetudo manet quae fuit ante mihi... 
Foedaque crescendo est viribus aucta lues. 





62 1. Bud. TI. Kapitel. 


fannt. Es ift wie die Kehrfeite feiner begeifterten Thätigkeit 
für die Ideen der Neuzeit, daß er an der eigenthümlichen 
Peft diefer modernen Zeit als einer ber Erften litt und zu 
Grunde ging. Eiternde Wunden, befonderd eine fiftelartige 
in der Seite, befchreibt er fpäter ganz wie jchon bier ale 
Symptome feiner Krankheit ): das viertägige Fieber mochte 
ſich auf der Reife hinzugefellt haben. Seine Erkranfung an 
jener Seuche fiele der obigen Zeitangabe zufolge in das Jahr 
1508, wo fidy Hutten wahrfcheinlicy noch in Frankfurt a. d. O. 
befand. Ausführlicher über diefen Punft zu handeln, werden 
wir fpäter Gelegenheit nehmen. 

Mühfelig fchleppte fich der hülflofe und franfe Wande⸗ 
rer endlic nach Greifswald, wo Die Hochſchule ihn Beiftand 
hoffen ließ. Er wandte ſich an die Lehrer derfelben (die zwar 
ſämmtlich nur befcheidene Lichter waren) ?): und wirklich 
fchrieb ihm der Rector, Prof. jur. Heinrih Budow, in Ans 
betracht feiner gänzlidhen Mittellofigfeit, unentgeltlidy in Die 
UniverfitätSmatrifel ein.) Ein Datum ift nicht beigefügt: 
weil aber Hutten der Biertlegte der im Sommerhalbjahr Eins 
gefchriebenen ift, jo nimmt man wohl nicht mit Unrecht an, 
dag feine Ankunft und Meldung gegen den Herbit (d. 3. 1509) 
bin erfolgt fei. 

Palo fand ſich auch für die weiteren Bedürfniſſe Rath. 
ine der angeſehenſten Yamilien der Stadt fchien an dem 
unglüdlichen Jüngling Antheil zu nehmen. Henning Lötz, 





1) De Guaiaci medicina et morbo Gallico, Opp. ed. Münch, 
111. 252, 314 fg., vgl. mit Querel. L. I. Eleg. IV, v. 68. 

2) Darauf bezieht fich vielleicht in dem Carmen rithmicale Ma- 
gistri Schlauraff, ım gmeiten Theile der Epistolae obscurorum viro- 
ram, der Ausdrud: Et ini ad Gribswaldianı, quae habet modicam 
vompaniam. 

3) Bei Mohnife, Hutten’s Jugendleben, 8. CXIV: Ulricus Huttenus, 
poeta. clericus Herbipolensis (f. oben Kap. I; gratis intitulatus, quia 
spoliatus omnibus bonis. 





Hutten in Greifswald. Die Löpe. 63 


ordentlicher Profeflor des Rechts, zugleich Canonicus der Col⸗ 
legiatfirye zu St. Nicolai und Generalofficial des Biſchofs 
von Camin zwifchen der Swine und der Oder, nahm ihn in 
fein Haus auf. Ein reiher Mann; fein Bater, Wedeg Löp, 
war Bürgermeifter, und pflegte, vermuthlid, ald Kaufmann, 
die Frankfurter Meſſe zu beziehen. ) Der Profeſſor interefs 
firte fich entweder wirklid für den jungen Poeten, oder wollte 
doch Das Anfehen davon haben. Er Hleidete ihn, wahrjcheins 
lich aus den Borräthen feined Waters, und ftredte ihm Geld 
vor. Auch war die Behandlung Anfangs ganz freundlich; ' 
Hutten fonnte ed nicht beſſer wünſchen. Allmälig aber än: 
derte fi) die Stimmung. Man ließ den Gaft im Haufe die 
frühere Gefälligfeit vermifen, der Hausherr erichwerte ihm 
den Zutritt, herrichte ihn mit hochmüthigen Worten an, oder 
machte fi) wohl auch über fein fchöngeiftiges Treiben luftig. 2). 
Ein Freund, den Hutten mittlerweile am Orte gewonnen . 
hatte, Urich Pavonius (Bau), warnte ihn vor dem Manne: 
den doch Hutten, wie er verfichert, durch Duldung zu ent: 
waffnen hoffte. ) 

Hätten wir nun auch von der Lötiſchen Seite einen Be⸗ 
üüht, wie wir ihn nur von der Huttenfchen haben, fo würde 
und die Bergleichung beider wohl mandyed erflärende Mittel: 
glied an die Hand geben. Hutten war zu feiner Zeit feines 
Lebens das Lamm, wie er fich hier darftellt. Wir können 
niht wiffen, ob nicht auch in dem Benehmen des poetiichen 
Riners Manches war, was den Profeſſor verdrießen fonnte. 
Hutten jelbit ftellt den Zorn deſſelben als eine Art von Ei- 





1) Der Sohn heißt Querel. L. II, Eleg. VII, v. 77: Utraque 
jüra docens et tanto Consule natus. Die Stelle von der Meile fin: 
M äh Ouerel. L. I, Eleg. VII, v. 67 fg.; die weitern Notizen bei 
Rohnike, a. a. O. S. CXV fg. und U. Hutten's Klagen, ©. 358 fo. 
2) Querel. L. II, Eleg. VIII, v. 41 fg. 
3) Querel. L. I. Eleg. VII. 


64 . I. Bu. II. Kapitel. 





ferfucht auf feine Ueberlegenheit an Kenntniflen dar. 1) Al 
einem Juriften vom alten Schlage fcheint dem Manne hu 
maniftifche Bildung fremd geweſen zu fein *): allein hier frag 
fih eben, ob der junge Poet ſich immer enthalten haben wirt 
bie Blößen, die jener gab, empfindlich zu berühren. Wi 
ſich dieß verhalten haben mag: genug, die Sache Fam f 
weit, daß Hutten einfah, das Beſte fei, zu geben. Ru: 
wollten aber die Löße erft ihre Vorſchüſſe wiebererftattet ba 
ben. ?) Hatte ihnen der entblößte Ankömmling, wie er m 
erlaubtem Ehrgefühle gerne that, Manches von der Wohlha 
benheit feines Vaters und feiner Verwandten vorgefprocher 
fo mochten fie bei ihren Gaben gleich Anfangs auf Erfat 
wohl auch auf reiche Gegengefchenfe, gerechnet haben. Ode 
war es erft bie feitdem eingetretene Erbitterung, was fie z 
biefer Forderung veranlaßte. Hutten fuchte ihnen begreiflic 
zu machen, daß gerade, wenn ed ihnen um Bezahlung 3 
thun, e8 das Klügſte fei, ihn ziehen zu laflen: vielleicht gı 
linge e8 ihm, anderswo fein Glüd zu machen und fie dan 
zu befriedigen; wozu ihm hier die Mittel immer fehlen wir 
den. *) Geſetzt, Daß ed bei diefer Gelegenheit erft an den Ta 
fam, daß Hutten, von feinem Bater aufgegeben, von bieft 


1) Querel. L. I, Eleg. V, v. 153 fg.: 
Sed, quia nil didicit, quia nil nisi turpia callet, 
Non patitur, doctos secum habitare viros. 
Vgl. Eleg. X, v. 55. In der voranflehenden Epistola ad Sedecin 
viros Gymnasii Rostochiensis nennt vr ihn geradezu aemulus. 
2) Hermanni Trebelii Notiani ad Henningum Loetz pro poe 
Hutteno admonitio elegiaca, hinter den Querelen v, 40 fg.: 
Doctor es, et poteris vix tria verba loqui: 
Grammaticae ignoras prima incunabula .. 
3) Querel. L. II, Eleg. VII. v. 63 fg. 
Una salus abiisse fuit: sed et ille vetabat 
Jure suo, ut sumto debitor acre fui. 
4) Querel. L. I. Eleg. II, v. 6 fg. 








Abreife und Ueberfall. 65 


Seite nichts zu erwarten habe, fo war eine ſolche Entdedung 
wenig geeignet, Die Stimmung feines Wirthes zu verbefiern. 
Enih, erzählte er uns, habe dieſer feinen Vorſtellungen 
nahgegeben, und er mit deſſen Wiſſen und Willen ſich zur 
Ahreiie vorbereitet. Aber wir erfahren von ihm zugleich, daß 
Heming Löp fpäter in Abrede ftellte, feine Einwilligung ges 
geben zu haben. !) 

Es wur mitten im Winter, wahrſcheinlich in den legten 
Lagen des Decembers 2), 1509, als Hutten Greifswald ver: 
ließ, um nach Moftod zu wandern. Die Kälte war ftreng, 
ale Vaſſer, felbft dad Meer an der Küſte, gefroren. Es war 
feine Kleinigkeit für den noch feineswegs von jeiner Krank: 
beit Geheilten, in ſolcher Jahreszeit einen Weg von 12 Mei- 
en zu Fuße zurüdzulegen: doch in der Hoffnung, auf der 
Redienburgifchen Univerfität eine beſſere Aufnahme zu finden, 
pilgere er munter zu. Gerade ging er über einen gefrornen 
Eumpf an einer MWeidenpflanzung bin, als auf einmal Rei⸗ 
ter and den Büſchen brachen und mit dDrohender Stimme ihm 
Halt zuriefen. Es waren Lötziſche Diener, -die ihm bedeute: 
ien, wenig Umstände zu machen, und ihnen Alles zu geben, 
was er habe. An Widerſtand war nicht zu denfen, fein 
Bitten und Flehen war vergebens, fie zogen ihm die wär: 
menden Dberfleider ab, und einer jegte ihm, wenn er nicht 
ſchwiege, die Hellebarde auf die Bruſt. Der alte Wedeg wollte 
die Kleider zurück haben, zu denen er wahrſcheinlich ven Zeug 


— — — — — — — — 


l) Querel. II, Eleg. VII, v. 65 fy.: 
Saepe tamen monitus, tandem discedere jussit, 
Et notum est, abitus sponte tulisse meos. 
LI, Eleg. V. v. 83: 
Nunc tamen ille negat, dum pro se plurima fingit.. 
2) Querel. L. I, Eleg. Il, v. 1 fg. Vgl. Mohnife, U. Hutten's 
Jugendleben, ©. CXVIII. Die weitere Erzählung iR hauptſächlich aus 
Querel. L. 1. Eleg. Il, und L. I, Eleg. VIII zuſammengeſtellt. 


traup, Hutten. 1. 5 





66 I. Buch. HI. Kapitel. 


gegeben. ) Aber nicht genug. Der arme Mufenfohn trug 
ein Kleines Bündelchen, in das er, nebft etlichen Büchern, auch 
eigene Dichtungen zufammengefchnürt hatte. Das koͤnne fie 
doch nicht reich machen, meinte er, und wollte ed an fidy bes 
haften: auch dad nahmen ihm die Schergen ab. Und zum 
Schaden den Spott fügend, tröfteten fie ihn, wenn er den 
Leuten eins vorfinge, werden fie ihm ſchon andere Kleider 
fchenfen. 

Halb nadt wanderte er weiter: in welchem Zuſtande er 
in Roftod anfam, läßt fid) denfen. In einer elenden Her⸗ 
berge fanf er auf das Siechbette, da Kälte und Blöße alle 
feine Uebel verichlimmert hatten. Mittel, fich Pflege und Er⸗ 
quidung zu verfchaffen, hatte er feine. Nach und nad ließ 
er den Profefioren der Univerfität, ließ er vornehmen Studi⸗ 
renden, Kunde von feiner Noth, Proben feines Talents, zus 
fommen. Aufmerffamfeit, Theilnahme, blieben nicht aus. 
Ecbert Harlem, von feiner niederländifchen Geburtöftadt fo 
genannt, Profeſſor der Philofopbie und Regens der Burfe 
zur Himmeldpforte, fuchte ihn auf und nahm ihn in fein 
Haus. ?) Er lebte als Junggeſelle; ein gelehrter und recht⸗ 
Ihaffener Mann,’ der aud) Andern außer Hutten hülfreich war.?) 
Das war fein Lög: feinen Gaft hielt er fo, daß Vadian 


— 


1) Dieß erhellt aus den Worten des Trebelius, Ad lectorem de 
duobus Lossiis, vor den Querel. v. 3 fg.: 
Res taınen haec potius nati est, quia perfidus ille 
Insidiis vatem deprimit innocuunı. 
At genitor, quia fert spolium, describitur una... 
Rah L. I, Elee. V, v. 73 fg. hätte der Alte den ganzen Anichlag aus⸗ 
gedacht. 

2) Dieß und das Folgende aus der an ihn gerichteten Elegie, L. I, 
Eleg. IV. Bgl. das ihm gewibmete Tetraftihon XI vor den Duerelen, 
und in den Epist. obscuror. viror. II den Brief des M. Ph. Mesue. 

3) So ſechs Jahre ſpäter dem armen Voeten Habus, Mohnife, Huts 
ten's Jugendleben, ©. CXX fg., Klagen, S. 370 fg. 





Hutten in Roftod. 67 


Hutten'6 Quartier bei ihm mit dem des Ulyſſes bei Kalypſo 
vergleihen konnte. ') Er forgte für Arznei und Pflege, und 
gab dem Mittellofen Geld in die Hand. In feinem Haufe, 
an feinem Tifche, fing Hutten an, wieder aufzuleben. Auch 
andere Brofefioren erwielen fi ihm günftig; ein Kreis von 
Etwditenden fammelte fih um ihn, denen er fhönwiflenfchaft- 
lie Vorträge bielt.?) Er fam ordentlih in die Mode zu 
Roſtock; man hieß ihn nur den neuen Poeten ®); bereits fchien 
ed der Mühe werth, ihn zu beneiden. *) 

Rum fühlte er fich audy wieder im vollen Befige feines 
Talents. Ja, er fühlte fich zum erftenmale darin. Ter kurze 
Zeitraum feit dem Antritt feiner nordiſchen Reife war für ihn 
reih an Erfahrungen geweſen. Mit zweiundzwanzig Jahren 
war vom Jüngling zum Manne gereift. Was aber das 
Enfheidende war: die Spige diefer Erfahrungen war eine 
empöͤrende Unbill, eine offene Gewaltthat gegen ihn gewefen, 
die feine ganze Entrüftung hervorrufen mußte und zugleich 
fein Talent entbinden folte. Die Hebamme von Hutten's 
Seife war der Zom. Seine Werke feigen an Bedeutung 
in dem Berhältniß, als die Gegenftände feines Zornes be- 





1) Auf ihn bezieht ſich die Stelle in dem Batianifchen Briefe, Hutteni 
Opp. ed. Münch, I, p. 113: Deinde. quemadmodum circa ea loca 
a Calypso quodam exceptus, fotus, et curatus cum diligentia 
verit. 


2) Ad Sedecimviros Gymnas. Rostoch., vor den Duerelen: 
Seripsi itaque iis diebus. quos apud vos humanas literas professus 
sum, Elegias quasdanı. Vgl. Querel. L. Il, Eleg. Ill: Ad auditores 
08 Rostochienses. 

3) Querel. L. II, Eleg. 1, v. 25 fg.: 

Ecce mihi tantos jam dudum impendit honores 
Rostochium, ut vates dicar in urbe novus. 
Intenditque meo ingenio sitibunda Juventus, 
Doctrinasque novas turba frequenter adit. 
4) Querel. L. If, Eleg. V: In Philopompum quendam. 
5 * 





68 1. Buch. IM. Kapitel. 


deutender werden, dieſer felbft reiner wird. Was Hutten dieß- 
‚mal bervorbrachte, waren die lagen gegen Wedeg und Henning 
Lög, oder die Loffter, wie er fie im lateinifchen Verfe nannte. !) 
Diefe Schrift nimmt auf der eben angedeuteten Stufenleiter 
zwar die unterfte, aber eine wejentliche Stelle ein, als bie 
erfte, welche das volle Gepräge des Hutten’ichen Geiftes trägt. 
Seine bisherigen Berfuche hätte auch ein anderer begabter 
Mufenfohn jener Tage machen fönnen: die Duerelen gegen 
die Loffier fonnte nur Ulrich Hutten jchreiben. 

Die Schrift befteht aus zwei Büchern, jedes von zehn 
Elegien, die zum Theil von größerem Umfange find. 2) Bor- 
angeſchickt ift, von 15. Juli (1510) datirt ®), eine profaifche 
Zueignung an fechszehn Profeſſoren der Roſtocker Univerfität, 
die fofort noch jeder einzeln in einem ihm beſonders gewid⸗ 
meten Tetraftihon gepriefen werden. 

In der erjten Elegie jodann, gleichſam der Einleitung, 
flagt der Dichter den Göttern, insbefondere dem leidenskun⸗ 
digen Ehrijtus, fein Unglüd, und fordert fie zur Rache gegen 
Denjenigen auf, der jo Unmenjchliches an ihm verübt habe. — 
Die zweite Elegie enthält die Erpofition: fie erzählt die Fre: 
velthat des Loſſius (facinus Lossii); die anfchaulichen Züge 
unfrer obigen Darftellung find größtentheild aus ihr entlehnt. — 
Die dritte und vierte Elegie find Hülfsgefudhe: eins an den 


1) Ulrichi Hutteni equestris ordinis poetae in Wedegum Loetz 
Consulem Gripesualdensem in Pomerania, et fillum eius Henningum 
Vtr. Juris doctorem Querelarum libri duo pro insigni quadam iniu- 
ria sibi ab illis facta. Hinten: Excussa sunt haec Francophordii 
cis Oderanı per Joannen: Hanaw ... 1510. Neu herausgegeben mit 
Ueberfegung, Einleitung und Erläuterungen von Mohnike: Ulrich Hutten's 
Klagen u. f. f. Greifswald 1816. 

2) Die 5. Glegie des erften Buches Hat 160, die 10. des zweiten 
278 Berfe. 

3) Ex officina mea literaria Rostochii Idibus Julii. 





Hutten's Klagen gegen bie Löße. 69 


jungen Grafen Eberftein zu Raugarten, der damals zu Roftod 
ftudirte, das andere an den Gollegiaten und Profeflor der 
Philoſophie Joachim Rigemann gerichtet. Ohne Zweifel find 
diefe beiden Gedichte, wenn fie auch hier verbeflert erfcheinen 
mögen, an bie bezeichneten Perſonen von Hutten um die 
Zeit geſchickt worden, als er noch hülflos in der Herberge lag. 
Daß das legtere wenigftend nicht ohne Erfolg war, fehen 
wir aus dem für Rigemann beftimmten Tetraftihon. — In 
der fünften Elegie verflagt Hutten die Xöge bei ihrem Lan⸗ 
desherrn, dem Herzog Buslav X., deflen Frieden fie gebros 
chen haben, und deflen Diener fie vielleicht beftechen möchten: 
wobei er von Bater und Sohn, als Rechtsverdrehern, Ehe⸗ 
brechern u. dgl. ein wenig frhmeichelhaftes Bild entwirft und 
ihre Beftrafung fordert. — Die fechöte Elegie ift das Begleit- 
fchreiben zur vorigen, an Hutten's Sranffurter Univerfitätöfreund 
Balentin Stoientin, der unterdeß Serretär ded Herzogs von 
Pommern geworden war, und nun bei ihrer alten Yreunds 
und Brüderfchaft gebeten wird, die Klagfchrift feinem Herrn 
zu übergeben und bei ihm zu befürworten. — In der fieben- 
tn Elegie ſchickt der Dichter feine Mufe an feinen Better 
und Wohlthäter Ludwig von Hutten, mit der Kunde von 
der ihm widerfahrenen Mißhandlung. Er zeichnet ihr den 
Weg vor, den fie zu nehmen habe bis zu deſſen Schloß un⸗ 
weit des Mains, fchildert die ritterlichen Lebungen, in wels 
den fie ihn antreffen, die Theilnahme, mit welcher er die 
Nachricht von Ulrich's Unfall aufnehmen werde. Mit Selbft: 
gefühl läßt er feine Mufe von dem hochangeſehenen Better als 
den Stolz ded Hutten'ſchen Geſchlechts bezeichnet werden. !) 
Sein eigentliched Begehren nun aber an denſelben iſt Acht 
ritterlich und Acht Huttenifh. Ludwig foll nämlih dem al- 
tm Lotz, wenn diefer auf die Frankfurter Meſſe ziehe, die 


1) v 29: ... nostrae gloris gentis. 





10 I. Buch. I. Kapitel. 


Straßen verlegen, ihn niederwerfen, und zwar nicht umbrins 
gen, da bieß nicht rathfam fei, fondern nur einthürmen: Die 
Strafe wolle dann er, Poet, felbft an ihm vollziehen. ) — 
Die achte Elegie ift an Hutten’d Greifswalder Freund Ulrich 
Pavonius, der ihn vor Henning 2ög gewarnt hatte, Die neunte 
an Niklas Marfchalf gerichtet, der ihn, fals der Widerpart 
fi) ruhig verhielte, von weitern Yeinpfeligfeiten abmahnte. 
Aber Loſſius ftelle ihm noch immer nad und möchte ihn 
gern um's Leben bringen. — Die zehnte ift die Schlußelegie 
an den Lejer 2), in welcher der Dichter über feine Herkunft, 
feine Perfönlichkeit und feinen Lebensplan Auskunft gibt. Er 
fchildert die MWohlbabenheit ſeines Vaters, das behagliche 
Leben, dem er aus Lern⸗ und Reifebegier den Rüden gewendet 
habe: und ftellt damit das träge Pruffen des Loffius in Eon- 
traf. Für den Augenblid freilich habe das launiſche Glüd 
ihm Alles genommen, bis auf feinen Geiſt und Muth: auch 
diefe möchte Loſſius gern vernichtet ſehen. 

Zum zweiten Buche ift die erfte Elegie das Vorwort: 
noch Fönne er nicht ſchweigen, denn Loffius, aufgebracht darü⸗ 
ber, daß Hutten zu Roftod in Ehren gehalten werde, ſuche 
nun auch fein Talent und feinen Ruf anzugreifen, und feinde 
Jeden an, der ihm gut fei. — Insbeſondere ſei derfelbe, 
führt die dritte Elegie aus, über den Beifall wüthenp, ven 
Hutten bei feinen Zuhörern finde: die fih nichts darum 
fümmern und brav lernen follen. — In der zweiten Elegie 


1) v. 66 fg.: 
Tempus enim notum est, pater huc quoque Lossius ibit: 
Tu preme servatas obsidione vias. 
Ceperis, includes: neque enim confodere cautum est: 
De sumto poenas ipse poeta Feret. 
2) Ad Lectorem. 
Lossius hic meus est, haec est ınjuria, lector' 
Jam potes in causa certior esse mea. 





Hutten’s Klagen 71 


bringt fich Hutten feinem alten Gönner, dem Biſchof Dietrich 
von Bülow, in Erinnerung; in der vierten fpricht er feinem 
Wirthe, Ecbert Harlem, feinen Danf aus; in der fünften 
hält er einem Neider und Widerfacdher, den er Philopompus 
xennt'?), dad warnende Beilpiel des Loffius vor; in der fies 
benten fegt er einem fo eben verftorbenen Wohlthäter, Jakob 
Bayer (Bauer) ein Denkmal; die neunte ift an den Juriſten 
Johann Lobering, der Hutten’d Sache ald Rechtsanwalt übers 
zommen hatte, gerichtet. In der fechsten Elegie wendet ſich 
ver Dichter an feinen alten Lehrer und Bertrauten, Crotus 
Rubianus, in der achten an den Herzensfreund Eoban Heſſe: 
an jenen mit einer kürzeren Andeutung, an biefen mit einer 
mbtährlihen Erzählung der Loffifhen Unthat, an Beide mit 
ver Bitte, gegen feinen unverföhnlichen Yeind und Verfolger 
meer auch etwas zu fehreiben, oder doch dad, was er 
gegen denſelben gejchrieben habe, ihm nicht zu verargen. 
dich in der Schlußelegie (10.) an die deutfchen Poeten 
macht Hutten feinen Handel mit Loffius zur gemeinfamen 
Sache aller deutichen Humaniften. Zu dem Ende fchidt er 
keine elegifche Muje auf eine Rundreiſe im Baterlande, und 
läßt fie bei allen Gelehrten der neuen Richtung, Meiftern und 
Gejellen, einſprechen, um ihr Mitgefühl, wenn auch nicht 
ihre Mitwirkung, für das mißhandelte Glied ihres Ordens 
tege zu machen. | 
Dieſer Gemeingeift, dieje Solidarität unter den freien ' 
und ihönen Geiftern jener Zeit, war nicht blos ein Wunfh 
Hutten's, fondern fie beftand in der Wirklichkeit. Wenige 
Jahre jpäter, fo zeigte fie fich glänzend in Reuchlin's Handel 





1) Rohnife vermuthet (Klagen, S. 390, 486), es fei damit jener 
dilemann Heuerling gemeint, defien Neid einige Jahre vorher den Her: 
man von dem Buſche ans Noſtock vertrieben, und an welchem biefer 
durch vie 53 Epigramme feines Oestrus Rache genommen hatte. 


12 1. Buch. 11. Kapitel. 


mit den Eölnern. Zugleich gibt und dieſe Elegie gleichlam 
eine bumaniftifhe Statiftif des damaligen Deutjchlande. ') 
Im Medlenburgifhen zeigt fie uns den Geichichtichreiber und 
Dichter Nikolaus Marfchalf; in Danzig die Gelehrten Chris 
ftoph Suchten und Eberhard Verber; in Frankfurt a. d. D. bie 
und fchon befannten Freunde Hutten’s, Vigilantius und Tre⸗ 
belius mit den beiden Dften; im Brandenburgifchen ſonſt 
noch Eitelmolf ven Stein; in Schlefien Lorenz Eoroin und 
Sigmund Fagilucus (Buchwald); in Böhmen den vielgepries 
jenen Mäcenas, Bohuslav von Haflenftein, mitjfeinem Freunde, 
dem Dichter Johann Sturnus (Staar); in Wittenberg Bals 
thafar Phacchus (Fach), Spalatin, fammt den beiden Poeten 
Sibutus und Shrulius; in Leipzig Rhagius Aefticampianus und 
Hieronymus Emfer; bei und in Magpeburg die Dichterin Niſa 
und den Dichterpatron Caſpar Steinbed; in Erfurt Erotus 
Rubianus, Eoban Hefe und Temonius; in Gotha Mutianus 
Rufus; in Würzburg den Abt Trithemiud. Am Speflart 
werden Gapella und Hopfo aufgeluchtz in Fulda der Coadjutor 
Hartmann von Kirchberg, mit den Brüdern Franz und Georg 
Morlin und Petrus Arungia begrüßt; in Heflen Rivius; in 
Weftfalen Rudolf Lange und Hermann von dem Buche, jener 
einer der Väter, diejer einer der eifrigften Apoftel des Humanis⸗ 
mus, mit ihren Gehülfen Murmellius und Montanus; in Eöln 
Jakob Gauda, Remaclus und Ganter; in Goblenz und weiter 
rheinaufwaͤrts die fchon erwähnten Greſemunde, Sabricius, Wim⸗ 
pheling, Angft, Seb. Brant und Jac. Locher (Philomuſus); iu 
Schwaben endlidy Heinrich Bebel und Johann Reudlin. Man 
fieht: Nürnberg, Augsburg, Wien, fallen noch nicht in den Ger 


D 
Ve rn — —— 


1) Ueber die im Zolgenden genannten Gelehrten find zu vergleichen 
die biographifchen Grläuterungen Mohnife's hinter feiner Ausgabe der 
Klagen; ferner H. A. Erhard, Gefchichte des Wiederaufblähens wiſſen⸗ 
fhaftlicher Biltung, vornehmlich in Teutfchland ıc. (Magdeburg 1897— 
32), I. 








74 1. Buch. TI. Kapitel. 


nad) einem von ihm unterdeß zu Wolgaft gefundenen’ zweiten 
Gremplare, mit Ergänzungen aus dem Göttingifchen, eine neue 
Ausgabe veranftaltet. !) 

Während Hutten im Rorben folche Abenteuer beftand, 
war er unter feinen Freunden im mittlern Deutſchland ver- 
(holen. Ein Brief von Crotus Rubianus hatte ihn ver 
gebend in Sachſen und Branfen, der Marf und Bommern 
aufgefuht. 2) Einmal wollte verlauten, er lebe geplündert in 
Braunfchweig. ?) Erft aus den gebrudten Duerelen erfuhr 
man etwas Genaueres über fein Schidfal. Crotus erhielt 
das Büchlein von Mutian zum Gefchenfe. Gegen Ende des 
Jahres 1510 hieß ed, Hutten beabfichtige, in Frankfurt a. d. D. 
al8 Lehrer aufzutreten: ihn zu hören, ging ein junger Menſch, 
Ramens Johann Weiger, dahin ab, dem Erotus einen zweiten 
Brief an den Yreund mitgab. So viel war richtig, Hutten 
war mittlerweile von Roftod abgegangen, und die Freunde, 
die er in Frankfurt wußte, zogen ihn an *): aber am Schluffe 
des Jahres befand er ſich in Wittenberg und ſchickte bald 
darauf feinen jungen Verehrern an der Ober, den beiden Öften, 
ftatt feiner dad Gedicht von der Versfunft, das er auf ihren 
Wunſch verfaßt hatte, zu. " 

Hatten die Elegien gegen die Löge nur wenig Verbreitung 
gefunden, fo fand Hutten’d „heroiſches“, d. h. in lauter Heras 


1) S. Mohnike, Ulrih Hutten’s Jugendleben, ©. CXXXII fg. Jept 
find im Banzen ſechs Exemplare des urfprünglichen Drucks befannt. 

2) Querel. L. IL, Eleg. VI, v. 17 fg. ®gl. Croti Rubiani Epist. 
ad Hultenum, bei Mobnife, Hutten's Jugendleben, ©. CLVIL fg. Hut- 
teni Opp. ed. Münch, I, 101. 

3) .. quodam rumore monebamur, te vivere in urbe Brunonis 
spoliatum. Dieß und die folgenden Notizen f. in dem angef. Briefe 
des Crotus. 

4) Ad. Jo. et Alex. de Osthen, vor Hutten’e ars versif. Opp. 
ed. Münch, I, 83: quum .. ego jucundissima vestra consuetudine 
istuc invitarer. 





Hutten's Gedicht von der Bersfunft. 


75 
metern gejchriebened Gedicht von der Kunſt, Verſe zu machen !), 
‚eine um fo weitere. So wenig nämlid ein Gedicht dieſer 
Art, deſſen Inhalt lediglich technifche Regeln, nach unferm 
Geſchmacke ift, fo fehr war ed im Gefchmade jener Zeit. 
Laͤngſt gab es verichiedene ähnliche Werke, unter Andern von 
Jacob Bimpheling. ) Das Hutten’fche machte ſich befonders 
beliebt. In Leipzig und Wittenberg, Nürnberg und Paris 
erlebte ed eine Menge von Auflagen, zum Theil mit Commen- 
taren: es ift Schulbuch geworden. Rad) einer kurzen Einlei- 
tung handelt es erſt von den Buchftaben: Bocalen, Eonfonanten, 
Diphthongen; dann von den Silben, langen und furzen ®); 
bierauf von ben Versfüßen; weiter von den Verdmaßen, wos 
bt aber nur Herameter und Pentameter mit ihren Geſetzen 
und Licenzen zur Sprache fommen. Uebrigens fönnen, macht 
Hutten bemerklich, diefe Regeln nicht Alles umfaflen, ſondern 
wüflen durch Leſen der Dichter ergänzt werden. Ueberhaupt 
braucht der angehende Poet viel Studium: in Philofophie, 
Raturfunde, Gefchichte u. f. w. Insbeſondere muß er die 
Geſehe der Redekunſt ſich einprägen und den Unterfchied zwi- 
ſchen dichterifcher und rednerifcher Ausdrucksweiſe fich Deutlich 





l) Ulrichi Hutteni de arte versificandi liber unus, heroico car- 
mine, ad Jo. et. Alex. Osthenios, Pomeranos equites. Hierauf ein 
Lebeigramm an den Leſer von einem Philipp Eugelbrecht, der ſich, une 
Übrigens unbefannt, einen Eidbruder Hutten’s (Hutteni conjuratus) nennt. 
An Edinfe: Apud Phacchum, hospitem Wittenbergensem, Id. Febr. 
absolutum .. Exaratum industria .. Wolffg. Monacensis Lipse foclis 
Eier, Weitere Ansgaben f. verzeichnet bei Panzer, Ulrich von Hutten 
in literariicher Hinficht (Nürnberg 1798), ©. 6 fg. Wieder abgedrudt 
ia Urichi Hutteni, eq. Germ. Opera poetica etc. anno 1538, S4 — 
13 m Opp. ed. Münch, I, 83 fg. 

2) De arte metrificandi libellus. 1505. 

3) Hiebei Regeln: 

Quae venit ante aliam vocalis, corripietur: 
Sic via, sic Deus est: fo producitur, usque 
Dum subit r voci, ferem fierique notando. 





76 1. Bud. IL. Kapitel. 


machen. Zuletzt wird noch von allerhand poetifchen Rede⸗ 
figuren und Zierrathen, von Epitheton und Anaphora, Mes 
tapher und Metallage, Transpofition und Diärefi6, Alles 
gorie und Ironie, gehandelt. 

Anziehender als dad Werk felbft ift für und die vorans 
gefchicte Zueignung an die Gebrüder Oſten. i) Sie follen fid 
durch den Spott Derer nicht irren laflen, welche in ihrem 
Studium über die Humanioren hinweg zu angeblich höhern 
Fächern eilen: da doch ohne jene audy in diefen nichts Rechtes 
auszurichten fei. Sein in Eile auf ihr Verlangen gefchrie« 
benes Lehrgediht mögen fie freundlich aufnehmen; obgleich 
faum älter als fie, habe er doch feinen Anftand genommen, 
es für fie zu verfaflen: für junge Lefer fchide fi) ein junger 
Dichter. 

Diefed Gedicht fchrieb oder vollendete Hutten in dem 
Haufe von Balthafar Fachus (oder Phacchus) in Wittenberg, 
wo er fih als Saft uufbielt. Diefer, von dem Städtchen 
Vacha an der Werra fo genannt, war Hutten’s, wie biefer 
felbft fagt, alter und redlicher Breund. Schon in den Due 
relen wird er als ſolcher erwähnt; aus Italien fchrieb ihm 
Hutten i. 3. 1512 einen vertraulichen Brief, und in Briefen 
an Luther und Melanchthon läßt er ihn grüßen. Er gehörte 
dem Erfurt-Gothu-Wittenbergifchen Kreiſe an, fcheint aber, 
wie Peter Eberbach, eine mehr beichauliche als thätige Natur 
gewefen zu fein. 2) 


1) Datirt Ex Wittenburgo prid. Cal. Januarii, novo ineunte anno 
post millesimum et quingentesimum undecimo. 

2) Querel. L. II, Eleg. X. v. 58: 

Phacchus, arnicitiae portio fida meae. 

Epist. ad Phil. Melanchthonem, Steckelberg 2 Cal. Mart. (1520), 
Hutteni Opp. ed Münch, III. 338: Agit istic Balthasar Facchus, 
amicus meus vetus et eximie probus, hominem saluta amanter ex 
me. Vgl. Epist. ad Lutherum, a. a. ©., III, 576; ad Rich. Cro- 
cum, a. a. ©., I, 328; ad Phachum, a. a. D., I, 14. Nach 





78 1.. Buch. IU. Kapitel. 


drohten. Unter ſolchen Umſtaͤnden fam im folgenden Winter 
dem ruheliebenden Crotus ein Brief aus Fulda fehr gelegen, 
der ihn dorthin einlud. Er follte das gedoppelte Amt eines 
Lehrers an der Klofterfchule und eines Inſtructors der Mönche 
übernehmen. Er wünfchte Trennung beider Memter: darauf 
ging man nicht ein; ftellte ihn jedoch übrigens fo gut, beſon⸗ 
ders jein Gönner, der Coadjutor, daß er ſich Halten ließ. 
Bon hier aus erließ er nun an Hutten, der ihm aus 
Wittenberg gefchrieben hatte, ohne weder den einen noch den 
andern von Crotus' frühern Briefen erhalten zu haben, unter 
dem 3. Februar 1511 ein ausführliches Antwortichreiben H, 
das den Freund erft der Fortdauer, ja der Steigerung feiner 
Freundſchaft und Hochachtung verficyert, und ihn dann von 
dem Stande feiner Angelegenheiten in der Heimath, unterrichtet. 
Er habe, fchreibt Crotus, feit er fich in die Fuldiſche Einfams 
feit zurüdgezogen, nichts verfäumt, wovon er habe vermuthen 
fönnen, daß es dem Freunde Vorſchub thun werde: oft habe 
er fowohl mit feinem Vater als mit den ſchwarzen Brüdern 
(den Benebictinern zu Fulda) ehrenvoll von ihm gerebet und 
Fürbitten für ihn eingelegt. Aus feinem Vater, meint Erotuß, 
fei fchwer Hug zu werden. Eo oft derfelbe von dem Sohne 
rede, geichehe es in den verächtlichften Ausdrüden, voll Spott 
über fein Treiben, als achtete er ihn feines Pfennigs werth. 
Auf der andern Seite jedoch made es ihm unverfennbar 
Freude, ven Sohn von Andern gelobt zu hören. Daher bringe 
er auch das Geſpräch fo oft auf ihn, und fange, wenn bie 
Anvdern fertig feien, von vorne an. Daraus glaube er, Erotuß, 
Ichliegen zu dürfen, daß ed dem alten Hutten mit feinem 


1) Epistola Croti Rubiani ad Ulrich. Huttenum, 3 Non. Febr. 
anno 1511. Zuerſt in Monumenta pietatis et literaria, U, 3 fg. 
Wiederabgedrudt bei Mohnife, S. CLVT fg., und in Opp. Hutteni ed. 
Münch, I, 100 fg. Leider ift der Tert in üblem Zuflande und wartet 
auf Böcking's Emendationen. 





80 J. Buch. I. Kapitel. 


Vorher aber ſollte er jenen Verſuch machen; wozu der Freund 
ihn hiemit ermahne und einlade. 

Um feiner dringenden Geldnoth abzuhelfen, hatte fi 
Hutten, der feined Vaters Starrfinn kannte, mit feder Zu: 
verfiht an das Kloſter felbft gewendet, dem er entfprungen 
war. Er hatte einen jungen Mann feiner Belanntichaft, 
Zonarius (Gürtler) mit Namen ®), nah Fulda geichidt, mit 
Briefen, in denen für den Ball, daß man ihn jetzt von jener 
Seite werfthätig unterflügen würde, jeine Rückkehr in's Kloſter 
in Ausficht geftellt gemwejen fein muß. Die Väter ließen ihm 
durch Erotus ganz freundlid antworten; auch für fich ver 
ficherte diefer, daß die Mönche, befonderd der Abt und der 
Coadjutor, dem Flüchtling wohl wollen, viel auf ihn halten 
und von ihm hoffen: aber Geld brachte der Bote feine zu: 
rüd. Die Eugen Väter wollten nicht die Geprellten fein: er 
möge nur erft feinem Berfprechen nachkommen, liegen fie ihm 
fagen, fo wollen fie für feine Studien aufs Beite forgen. *) 

So wenig aber die geiftlichen Herren zu Fulda auf Hut 


1) quem quidam non satis perite Cinxium nominavit, fegt Gro: 
tus hinzu. Ein GSpigramm Hutten's ad Fabium Zonarium Chrysopo- 
litam (aus Ingolftadt), studiosissimum adolescentem, fteht hinter ber 
erften Ausgabe des Nemo, und ift wieder abgedrudt bei Burdharb, De 
Ulrichi de Hutten fatis et meritis, III, 43, und Opp. Hutteni ed. 
Münch, II, 117. Gin Brief von ihm an Vadian, ex castris Boio- 
rum apud Budam, octavo Septembris (o. 3.), in welchem er Hutten 
feinen familiaris nennt, ſteht in den handfchriftlichen Literae miscellaneae 
der Badianifchen Bibliothek in St. Gallen, Ton. XI, No. 280. Später 
ericheint berfelbe Fabius Zonarius, der mittlerweile Dr. Med. geworden 
war, als Reudlinift und PVerfafier von Rhnthmen gegen die Gölner im 
Style der Epistolae obscurorum virorum. S. Laurentii Behaim Epist. 
ad Bilib. Pirckheimerum, 9. Febr. 1518, in Documenta literaria .. 
cura Jo. Heumanni (Altorfii 1758), p. 261 fg. 

2) Quod vero nihil aeris tradiderint Zonario, .. debes tu su- 
spicari. Verentur circumspecti patres, ne illudantur: ajunt, ubi 
fidem servaveris, optime de tuo studio literarum velle consu- 
lere. 





82 I. Bach. III. Kapitel. 


Auch in Leipzig nämlich, wie in Coͤln, ſaß die alte Scholaftif 
noch fehr feſt, und wehrte fidy mit allen Kräften gegen ben 
auffommenden Humanismus. 

Wie dem fei: von langer Dauer könnte dießmal Hutten’6 
Aufenthalt in Leipzig auf feinen Fall geweſen fein; denn nach⸗ 
dem er am 13. Februar noch zu Wittenberg fein Gedicht 
von der Verskunſt vollendet hatte, -erbliden wir ihm bereit® 
im Sommer !). deflelden Jahres auf der Landflraße durch 
Böhmen und Mähren nach Wien. Und zwar im Fläglichften 
Aufzuge und in der äußerften Dürftigfeit ®): alfo ohne Unter⸗ 
ftügung von Seiten feines Baterd. Es fcheint, er hatte ſich 
noch nicht zu dem Verfprechen herbeigelaflen, ſich dem Rechtoſtu⸗ 
dium widmen zu wollen, das nicht blos ihm, fondern auch 
dem Freunde Crotus als ein trauriged Studinm erichien. ) 
“Ganz fo elend übrigens ging ed dem Wanderer nur bis Ol⸗ 
müs in Mähren. Hier wurde er durd den gelehrten Propft 
Auguftin, der fchon des Konrad Gelted Freund geweſen war, 
bei dem trefflichen Biſchof Stanislaus Thurzo eingeführt. 
Diefer, gleich feinen Bruder Johann, dem Bifchof von Bres⸗ 
lau, ein Berehrer ded Erasmus und Förderer der auflebenden 


— 


gewöhnlich in das J. 1511, ſ. Mohnike, a. a. O., S. 449. Echard, 
III, 290. 

1) Vadian in ter Epist. ad G. Collimitium vor Hutten's Exhor- 
tatio ad Max. Opp. ed. Münch, I, 112, fchreibt am 12. Jan. 1512, 
superioribus mensibus fei Hutten nach Wien gefoınmen, und aus einem 
Driefe von Peter Eberbach aus Erfurt vom 4. Trtober 1511 (Literse 
miscellan.. Tom. I, No. 10. Mipt. ver Vadianiſchen Bibl. in Et. Ballen) 
erhellt, Daß er damals ſchon wieder von da abgereist war. 

2) Epist. Vadiani ad Collimitiunm, a. a. ©.: Hutten habe in Wien 
erzählt, quemadmodum ete. Rursun vero, Mercurio suo ita insti- 
gante, per saltuosa Boheniae, pannosus et naufragio squalens, in 
Moraviam illam .. ut cası pervenerit .. Wobei allerdings die Odyf⸗ 
ſeiſche Parodie nicht außer Acht zu Laffen. 

95) Hutteni Epist. ad Crotum. vor ber zweiten Ausgabe des Nemo, 


Opp. ed. Münch, II, 310. 





84 1. Buch. II. Kapitel, . 


Sie hörten mit Theilnahme und Bewunderung zu und glaub 
ten, einen andern Dulder Odyſſeus vor ſich zu fehen. Unter 
ſolchen Geſpraͤchen griff Hutten in den YBufen und zog etliche 
Blätter heraus, die mit Verſen befchrieben waren: es fei ein 
Gedicht auf den Kaifer Marimilian, fagte er, das er wäh: 
rend der legten Tage unter den Beichwerlichfeiten der Reife 
geichrieben habe; fie mögen urtheilen, was daran fei. Den 
Freunden, wie fie ed von den Sibyllinifchen Blättern zufam- 
menlafen, gefiel die Erfindung fo gut, daß fie eine "Abfchrift - 
nahmen und diefe als ein Buch zufammenbinden ließen, bis 
nach Hutten's Abreife, zu Anfang des folgenden Jahres, Va⸗ 
dian ſich entichloß, daffelbe in den Drud zu geben. Er wib- 
mete es dem Georg Eollimitius (Tannftetter), Profefior der 
Mathematif und Medicin und Bicefanzler der Liniverfität, 
der dem jungen Dichter während feines Wiener Aufenthaltes 
viel Wohlwollen bewiefen hatte. ?) 

Das Aufmahnungsgedicht an den Kaifer Marimilian zum ' 
Kriege gegen die Benezianer bezeichnet einen wichtigen Punkt in 
Hutten’8 Entwidlung. Bon den theild perfönlicgen, theils lite⸗ 
rariichen Intereften, denen feine bisherige Schriftftellerei gewid⸗ 
met war, wendet er ſich jegt den Angelegenheiten ded Baterlandes 
zu. Er fühlt und bethätigt fich nicht mehr blos als Mitglied der 








Duerelen jagt er nur, daß ihm die Loffiichen Schergen unter Drohungen 
den Spieß auf die Bruſt geſetzt, nicht, daß fie ihn wirflich verwundet 
haben. Entweder war alfo Hutten bei einer andern Gelegenheit verwundet 
worden, oder es waren, was Vadian ſah, zugeheilte Schäden von jeiner 
Krankheit. 

1) Ad divum Maximilianum Caes. Aug. F. B. bello in Venetos 
euntem Ulrici Hutteni eq. Exhortatio. Am Schlufle: Viennae Pan- 
noniae apud Hieronymum Vietorem et Joannem Singrenium. Mense 
Januario, Anno 1512. Bgl. Banzer, Hutten in literarifcher Hinflcht, 
©. 11 fg. Wieberabgebrudt in Ulrichi Hutteni eq. Germ. Opera poe- 
tica etc. Anno 1538, E8— GT, u. Opp. ed. Münch, I, 112 — 138. 
Badian’s vorgedructer Brief auch bei Mohnife, Ulrich Hutten's Jugend: 
leben, S. CLXII fg. 





3 1. Buch. - HI. Kapii. 


Hier greift dad Gedicht von Hutten ein. Nachdem bie 
Venezianer — das ift der Hauptgedanke — fih im Glüd 
übermüthig gezeigt, und den Kaiſer vielfach beleidigt haben, 
fole man ihnen jegt, da fie den Frieden juchen, dieſen nicht 
gewähren, da es ihnen nur um Stift, fich zu verſtärken, zu 
thun ſei. Dabei wird Das Herkommen und Yuflommen der 
Venezianer in dad gehäffigite Licht geftellt: worin ſich eines- 
theild die Stimmung der Zeit gegen ‚den lange ertragenen 
venezianifchen. Uebermuth, theils aber auch der Widerwille un- 
ferd armen Nitterd gegen eine Republik reichgewordener Kauf: 
leute ausjpricht, deflen er ſich, auch den deutſchen Reichöftäbten 
gegenüber, lebenslänglich nicht ganz hat entfchlagen fönnen. 

Die Idee des Kaiſerthunms faßt der ritterliche Dichter in 
“ ihrer ganzen mittelalterlichen Höhe, doch nicht ohne die ver- 
änderten Zeiten in Betracht. zu ziehen. Eigentlih und von 
Rechts wegen ift dem Kaiſer die- ganze Welt unterthan, und 
infofern ftünde es ihm allerdings beſſer an, gegen die Türfen 
zu ziehen, Afien und Aegypten zu erobern u. f. f. Doch da 
ihn das Geſchick in engere Grenzen eingeichlofien babe, möge 
er immerhin Das geringere Lob zu gewinnen fuchen, Das ber 
Sieg über die Venezianer ihm .veripredhe. ) Dazu bedürfe 
er feiner fremden Hülfe: wenn bie deutichen Stämme (weich: 
: jofort einzeln rühinend aufgezählt werden) zu Ihm ſtehen, fe 
fei er jedem Feinde gewachlen. Darum, jolle er ſich nich 
länger verhöhnen laſſen, ſondern endlich einmal losſchlagen. 

Das Gedicht, das Hutten felbit in einem vorangefchidter 
Epigramm als eine Jugendarbeit bezeichnet, der hoffentlich reis 


Imperii dieta in Augusta Vind. 41d. April. 1510. Dieſe Rede bilde 
in gewiſſer Beziehung das proſaiſche Vorbilt zu Hutten's Gericht. 
1) p. 123, bei Mund: 


Nune, cum te in modicos titulos fortuna releget, 
‚Laus est.a media summa adeunda tibi. . 





‚Qutten’s Gericht, dad die Deutſchen nicht entartet. 87 


jere Frͤchte folgen werden, iſt zu weitſchweifig und nicht 
ohne Wiederholungen: aber durchdrungen von Vaterlands⸗ 
gefühl, und ſtellenweiſe auch der Form nach ſehr gelungen. 
Das Bild von dem Adler (mit Anfpielung auf das Reichs⸗ 
wappen), der öfterd prüfend und wie ſich befinnend die Flügel 
eatialtet und Die Klauen ſtreckt, ehe er wirklich loshricht ih, 
iR äht poetiſch; und ebenfo ächt repnerifch der Schluß, wo, 
nachdem alle Gründe für den Krieg entwidelt, und zur Ver: 
herrlichung des fünftigen Siegs in Profa und Verfen bereits 
die Federn eines Erasmus und Crotus, Busch und Eoban 
befrllt find, es zuletzt, ald wäre bie Heberredung gelungen, 
keit, Alles möge fich freuen: 
Seht, Maximilian zieht gegen Venedig zu zeid ) 
Indem Hutten anfing, ſich mit dieſen Verhältniſſen zu 
beſchäftigen, mußte ihm der Widerſpruch auffallen, welcher 
reihen dem kiterarifchen. Zuſtande des deutſchen Baterlandes, 
vr bis daher jein Augenmerk gemwefen war, und der politi- 
Ken Stellung deflelden obwaltete. Fand er in erfterer Hin- | 
kht Deurfchland in raichem -Emporblühen begriffen, jo war : 
& in der andern unläugbar tief heruntergefommen; dort war 
Urs zu hoffen, bier viel zu fürchten. Wie ſich Hutten Dielen 
Biderfpruch damals auszugleichen fuchte, zeigt und ein Gedicht, 
das um jene Zeit entitanden zu fein fcheint, da Vadian e6 
kin Ausgabe der Aufmahnung an Kaifer Marimilian beis 
gefügt hat. Es iſt Das Gedicht, in welchem Hutten zu bewei- 
kn juht, daß die damaligen Deutſchen, mit dem Ruhm ihrer 
Berfahren verglichen, -nody keineswegs entartet heißen fön- 
a.) Zu diefem Behufe macht er zuvoͤrderſt auf das ge- 


— — 


)p. 130. a. a. O.. 

2) p. 138: Jamı Venetos bello Maxmilianus adit. 

3) YQuod ab illa antiquitus Germanorum clariludine nandum 
degenerarint nostrates, Ulr. Hutteni eq. Heroicum. Hinter der Ex- 


— 


88 I. Buch. IH. Kapitel. 





fchichtliche Geſetz aufmerkſam, wornach auf die Periode der 
friegerifchen Kraft bei einem Volke vie der friedlihen Cultur 
zu folgen pflege. Deutichland fei jegt in der legteren begriffen: 
Wiflenfchaften und Künfte, Handel und Gewerbfleiß blühen, 
das einft unfrucdhtbare Land fei allenthalben trefflich angebaut; 
dabei die Sitten, einige Anftedung von Italien und insbes 
fondere von Rom aus abgerechnet, noch rein und unverdorben. 
Die vorangegangene deutiche Kraftperiode aber fei mindeſtens 
ſehr einfeitig geweien. Muͤſſen doch die bildungseifrigen Enfel 
die Großthaten ihrer Vorfahren aus fremden (tömifchen) Ge⸗ 
fhichtfchreibern zufammenlefen, da unfre Friegerifchen Alten 
wohl Thaten zu thun, aber nicht zu befchreiben verftanden 
haben. Verftünden nun die jegigen Deutfhen nur, fremde 
Thaten zu beichreiben, ohne felbit etwas Großes thun zu 
fönnen, fo wäre das freilich nur die umgefehrte Ginfeitigfeit. 
So ſchlimm jedoch ftehe es mit ihnen nody fange nicht. Wär 
ren fie, bei aller ihrer Bildung, nicht nody immer ein krie⸗ 
gerifches Volf, warum denn Niemand wage, fie innerhalb 
ihrer Gränzen anzugreifen? warum fih alle Nationen um 
die Deutfchen als Kriegslehrmeifter und Mitfämpfer bewerben? 
Und ein Zeichen von Herunterfommen, von Erfchlaffung, fei 
ed doch auch gewiß nicht, daß während dieſer lebten Zeit bie 
Deutfchen zwei Erfindungen gemacht haben, denen weder das 
Alterthum noch das jegige Italien etwas an die Seite zu 
fegen habe: die des Schießpulvers und des Bücherdrude, 

Noch ein Feines Gedicht fügte Badian feiner Ausgabe 
der Aufmahnung an Marimilian bei: Hutten’s Gruß an Wien 
bei feinem intritt in diefe Stadt.) Daß er, nachdem er 


hortatio ad Max. in ber Wiener Ausgabe von 1512. In veränderter 
Geſtalt wieber abgedrudt in Ulrichi Hutteni eg. Germani Opera poe- 
tica etc., Anno 1538, H, d—7, und in Opp. ed. Münch, I, 24848. 

1) U. Hutteni Viennam intrantis carınen, tatirt Ex contubernio 
Vadiani, Marii et Aperbacchi, Opp. ed. Münch, I, 139 fg. 


rn 





Hutten's Gruß an Wien. 89 


unter mancherlei ®efahren beinahe ganz Deutichland durdy- 
wandert 7), erft jegt nad) Wien fomme, möge ihm diefes nicht 
übel nehmen; hätte ed von ihm abgehangen, würde er gerne 
vor Allem Wien befucht haben. Allein das Schidfal, defien 
Rufe er folgen müfle, habe ihn zum Wandern und Dulden 
befimmt. Um fo wobler werde ihm jet die Erholung in 
Wien thun, wo er endlih Ruhe und gute Tage zu finden 
hoffe. *) 

Daß Hutten in Wien einen längern ‚Aufenthalt beabs 
ſichtigt habe, was in diefen Worten deutlich liegt, würde auch 
and einer Erzählung in den Briefen der Dunfelmänner ers 
hellen, wenn diefe, wie fehr wahrfcheinlich, auf ihn bezogen 
werden duͤrfte. Hier erinnert fich nämlid der M. Johann 
Krabacins aus Nürnberg, zur Zeit ald er in Wien geweien, 
fi einmal ein Gefell aus Mähren gefommen, von dem «6 
geheißen, er fei ein Poet, auch habe er Verſe geichrieben und über 
die Verskunſt lefen wollen, und doc, fei er weder Baccalau- 
ud noch Magifter, überhaupt nicht graduirt gewefen. Der 
damalige Rector, Magister noster Hedmann, aus Franfen, 
ein cifriger Mann und Feind aller Poeten, habe Einfprache 
gethan; aber der Gefell fei fo anmaßend gewefen, daß er fich 
daran nicht gefehrt habe. Run habe der Rector den Stus 
deuten verboten, die Lectionen des Poeten zu befuchen. Da 
li der Gefell ihm aufs Zimmer geftiegen, habe ihm übers 
mithige Reden gegeben und ihn fogar geduzt. Der Menſch 
fi dahergekommen wie ein Krieger, mit einem Hut auf dem 
Keyf und einem langen Mefler an der Seite. Der Rector 
ae nach den Stadtknechten geſchickt, um ihn in's Carcer 
führen zu laſſen; aber Bekannte, die derſelbe in der Stadt 





l) Pene pererratis quot habet Germania terras .. 


2) Si licet atque hoc fata sinunt data, vivere tutum, 
Et reliquas tecum composuisse moras. 





90 1. Bud. III. Kapitel, 


gehabt, haben fih in’d Mittel geichlagen. !) Wirtüch w 
Johann Heckmann eben im J. 1511 Rector der Wien 
Univerfität 2); in dem Geſellen aber, ver aus Mähren fomu 
metra macht und über die artem metrificandi lefen will, ob 
graduirt zu fein, daherkommt wie Einer, der in den Kri 
zieben will und den Nector duzt, glauben wir unſern Hut 
nicht zu verfennen. 

Ob dieſe Schwierigkeiten, vie ſich ſeiner atademiſch 
Thaͤtigkeit entgegenſtellten, oder was ſonſt feinen Aufenthe 
in Wien abkürzte: genug, ſchon im Spätherbft 1511 w 
ſchwindet Hutten aus Liefer Stadt ?), und im Brühling b 
nächften Jahres erfcheint er in Italien. 


- — |——n 





1) Epistolae obscurorum virorum, I, Ep. 29. M. Jo. Krabaci 
Ortuino Gratio. Auch ſchon Erhard, II, 272, 885 hat dieſe Geſchi— 
auf Hutten bezogen. 

2) . Denis, Wiens Buchdrudergeichichte, ©. 53. 

3) Daß er am 12. Januar 1512 fehon längere Zeit von Wien ı 
- gegangen war, erhellt aus Vadian's Brief an Gollimitius unter bief 
Datum, Hutteni Opp., I, 112 fg. Wenn aber ſchon am 4. Octol 
1511 ber inzwilchen heimgekehrte Eberbach von Erfurt aus an Vadi 
ſchreibt: Mutianus meus et Spalatinus et Huttenus si hujus nun 
(durch den er feinen Brief ſchickt) copiam habuissent, salutassent- ı 
amantissimum Vadianum (Lit. miscellan., T. I, No. 10, Mfcpt. | 
Vadianiſchen Bibl. in St. Gallen), fo folgt daraus zwar nicht, d 
Hutten "damals in Erfurt geweſen (Spalatin und Matian wären ja aı 
nicht dort), wohl aber, daß auch er nicht mehr in Wien bei Vadian w 





Diertes Kapitel. 


Erker Aufenthalt in Italien und Rückkehr nah. 
Deutſchland. 


1512 — 1514 (?). 





Gäriften: Epigrammata ad Caes. Maximilianum. In tempora Julii 
Satyra. Nemo. Vir bonus. In laudem Alberti Archiep. 
Mog. Panegyricus. i 


.f ächtes Mitglied ded Humaniftenordend hätte ſich Hutten 
kam betrachten dürfen, obne nach dem Beifpiele fo vieler 
Borgänger die Wallfahrt in das Heimathland des Humanis- 
ud gemacht zu haben; wo überdieß auch für das Nedhte- 
ſadinm, zu welchem ihn der Vater drängte, die meifte För- 
berung zu finden war. 

Ueber den Weg, den Hutten nahm, ijt nichts befannt;. 
aber um die Mitte des April traf er in Pavia ein, wo er in 
de That, des Vaters Wunfche fih fügend, das Rechtöftudium 
in Angriff nahm. Er hörte Vorleſungen bei dem berühmten 
Ihrsiehrer Jaſon Maynus, aus denen ihm jedoch. fpäter 
mr noch das ſpaßhafte Mißverftännnig eines Mitzuhörers 
eimürdig war.) Doch nahm er daneben aud im Grie— 


) Epist. ad Crotum Rubianum, vor ber zweiten Ausgabe des 
Nemo. Opp. ed. Münch, II, 309 fg.: Ex his quendam novi in- 





* 


1. Buch. IV. Kapitel. 























92 


hhiſchen Unterricht, wobei Aegidius Rem aus S j 
Mitfcbüler war. ) Aber mit feiner Gefundheit fund 6 6 
er hinfte, da in Folge feiner Krankheit die Beine 
fchwüre und Auswüchfe ſchmerzhaft, und befonders das | | it 
beinahe unbrauchbar geworden war, Nod, hielten — | 
zofen die Lombardei; aber wenige Tage vor Hutten's Ankunft 
war in der mörderifhen Schlacht bei Ravenna der fran PIE 
Feldherr, Gaſton de Foir, ſiegreich, doch unerjeglich, 9 je 
(11. April 1512): und nun drangen, vom Papfte : 
und vom Kaiſer zugelafien, 20,000 Schweizer in vos 
Im Juli, als Hutten faum ein Vierteljahr feinen Stut 
obgelegen hatte, rüdten fie vor Pavia. Die Franzoſen juc 

es zu behaupten und hielten den jungen Ritter, der i hnen 
er als Unterthan des Kaifers, verdächtig fein mochte, 2 “ 
ganze Tage in einem engen Gemache belagert. Noch day 

am Fieber leidend, hielt er fi für einen verlorenen Man. 


1 
Da dichtete er ſich die wm Bi 
Lebte, von Webeln zu Sand, Uebeln zu Waſſer verfolgt: 
Wurde von Galliſchem Schwert graufam das Beben gerauht 
I“ ‚ von Gefahren umringt, wich nicht vom Dienfte ber Muſen, 27 








Der, zum Iammer gezeugt, ein unglüdieliges Leben we 
Hier liegt Hutten's Gebein. Ihm, der nichts Arges —— * 
* dann war es erwünſcht, daß er fo zeitig erlag. 


Grabſchrift:) —9— 
War vom Geſchick ihm beſtimmt, nur Unglüdsjahre zu (hauen, a 
Und fo qut er's vermocht, ſprach er im Liede ſich aus. BT 





—— — | 
signem asinum quod mihbi videtur; quod ipsi, ICtum) ), qui aliqu 
simul audientibus nobis Papiae illud juris columen Jasonem, cum x 
praelegeret et multis citatis autoribus subjiceret: et Altar | 
et sequaces, conversus ad proximum, quaesivit, quis ille esset Sı 
quaces? Putabat enim, ex Glossatoribus uni Sequaces nomen 
1) Epist. ad Bilibaldum Pirckheimerum, ed. Burckhard, p. 

Opp. ed. Münch, Ill, 96: Augustensis Egidius Remus, —— 
Papiae olim studui, tunc, quum uno sub magistro Graecarum lite— 
rarum studio initiaremur. \ 

2) So in bem gleich anzuführenden Briefe an Fachus Vermehrt, 











Hutten in Kriegenoth. 93 


Endlih mußten die Franzoſen die Stadt räumen, die 
Schweizer drangen ein, aber Hutten's Lage wurde darum 
icht befier. Die Schweizer, die in ihm einen Mitfämpfer 
der Franzoſen ſahen, plünderten ihn aus und ichleppten ihn 
elend herum, bis es ihm endlich gelang, fich mit dem Verluft 
eines Theiled von dem Wenigen, das ihm noch geblieben war, 
lodzukaufen. In Bavia, wo nun Getümmel und Blutver- 
gießen, Hunger und Peſt würheten, war für ihn fein längeres 
Veiben: fo wanderte er noch im Juli nach Bologna, wo er 
einen fchönen Kreis von Gelehrten fand. Aber er brauchte 
ven Arzt, und der Meft ieiner Mittel war bald erichöpft. 

Das Bisherige ijt der betrübte Inhalt eined gemüthlichen, 
ja mitunter launigen Schreibens aus Bologna vom 21. Au— 
gut an den Wittenberger Gaftfreund Balthafar Fachus.) 
Daß Hutten ihm kurz jchreibe, geichehe nicht, als ob er auch 
von dem Freunde nur einen kurzen Brief haben wollte, jon- 
dern lediglich, weil die Lieberbringer fich bejchwert meinen, 
wenn man ihnen große Briefe mitgebe. Im Gegenteil jolle 
dachus ihm. recht ausführlich über Alles fchreiben, wovon er 
denen könne, daß es ihm interefiiren werde. Was ihn betreife, 
ſo ahme er immer noch den Bulcan nad, und zwar noch 

bxchentend ärger, als wie der Freund ihm fürzlich gefeben; er 

wie nicht, folle er e8 dem Schickſal, oder vielmehr feiner 
Unsorfihtigfeit zufchreiben, da er fich im zarten Alter zu wenig 
geichont habe. Dennoch wüniche er fih Glück, auf dem Wege 
den ſchönen Wiſſenſchaften jo Manches gefunden zu baben, 
nag er am wenigſten geſucht. Wie ed denn nun aber dem 





aber, wie dieß mit dergleichen Sachen fo gerne geht, nicht verbeflert, fin: 
it üh dieſes Evitaphium in Hutten's Epigrammen an Kaiſer Mar 
ee Obsessus a Gallis cum salutem desperasset. Opp. ed. Münch, 
- 186. 

l) Epist. ad Phachum. Bonon. 12 Cal. Sept. Opp. et Münch, 
IM ie. 


u7) 









m Buch. IV. Raviter, 


Freunde gebe? Ob er fich entſchloſſen habe, en 
die Tonfur zu nehmen? oder ob er, nad) — 


einen Brief, doch nicht blos von drei oder vier W | 
derſelbe an gewöhnliche Bekannte zu fchreiben —— 


literariſchen Hervorbringungen. Durchaus find es 


und einer der vertrauteften Rathe des Kaifers, ale 
- Gejandter an den Papit Julius I, der den Frieden mit Bert 
























Antwort, eben Fachus bleibe? Sirauf folgt — v 
getheilte Erzählung von Hutten’s Erlebuiffen in Italien; dan m 
ver Schluß, daß er num bald in Bologna von dem | Brei De 


halten hoffe. 
Die Briefe Hutten’8 (von denen bieß egentich d 
ift, der und begegnet; das Biöherige waren Dedicafi 


bilden einen weſentlichen und höchſt ſataer — = r 


nz 


Briefe; niemals, wie jo oft die Erasmiſchen, Sonelen a ei 
die Mutianifchen, bloße Stylübungen oder | 
proben. An Gemüth und Laune ftehen fie ven E 

nabe, vor denen fie aber, je weiter wir im eben 4 

vorrüden, um jo mebr das Gepräge feiner dränge = 
fraft und fortreißenden Ueberredungsgabe voraus —— 

Um dieſe Zeit kam Matthäus Lang, Biſchof-von Gurt 
nedig vermitteln wollte, durch Bologna. Die Jtaliäner, ii 
ihrer Art, überhäuften Den vermeinten Friedensboten mit R 
den amd Gedichten. Da wollten die Deutjchen in Der 
den Schein nicht haben, als wäre unter ihnen Keiner im 
Stande, etwas Aehnliches zu machen, und forderten de en 
Hutten auf, etwas zu Diefem Zwede zu fchreiben. Hutten 
verftand ſich dazu und verfaßte ein Lobgedicht, das nun abe 
geichrieben und prächtig gebunden dem faiferlichen Gefandiem 
überreicht wurde, Der jevody nahm es mit einer Gleichgül— 
tigfeit auf, die dem jungen Poeten fehr empfindlich war. 
Dennoch machte ex den Verſuch, auf gewichtige Empfehlungen 

ort, unter das Gefolge des Biſchoſs (ven gleich darauf 





96 I. Buy. IV. Kapitel. 


find, wie er ſelbſt fagt !), an verfdiedenen Orten und zu 
verichiedenen Zeiten entflanden, veranlaßt durch _Borgänge, 
deren einige er miterlebte, andere von britten Perſonen ers 
fuhr; ein Theil ericheint als gleichartig und wohl auch gleich 
zeitig mit dem noch in Deutichland entftandenen Aufmabs 
nungsgedicht an Marimilian; ein anderer mag in Pavia und 
Bologna, vor, während und nad Hutten's Kriegerleben ges 
Dichtet worden fein; ja einzelne Stüde find erft während fei- 
ned zweiten italiänifchen Aufenthalts hinzugefügt worven.?) 
So folgt dad Büchlein dem wechſelnden Gange des fich hin- 
ziehenden Kriege, und bringt und Siege und Niederlagen, 
Hoffnung und Furt, Gewinn und Berluft von Städten und 
Landichaften, die Knüpfung und Löfung von Bünpniffen, zur 
lebendigften Anjchauung. | 

Marimilian, dieß ift der Inhalt der Eingangsepigramme, 
für feine verborbene Zeit zu mild und friedliebend, möge 
andern Sinnes werden. Indeß ift feine Friedensliebe nicht 
Mangel an Muth: wie fein endliches Losbrechen beweist. 
Sofort werden wir vor Padua ?), mitten in den Kampf ger 


1) Praefat. ad Max. Caes. p. 167 bei Münd): Sunt epigram- 
mata varie, diversis locis ac temporibus, in tuas sc. victorias, aut 
ut quodque objectum est, quod vel ipse vidi, quibusdam enim in- 
terfui, vel aliorum relatione gestum cognovi. 

2) Dieß erhellt daraus, dag Heben Etüde ber Sammlung im Re- 
vember 1516 von Goban Hefle ald Hutteni Epigrammata nuper ex 
Urbe Roma missa veröffentlicht find. Nach Rom aber fam Yurten er 
auf feiner zweiten italiänijchen Reife i. 3. 1516. 

3) In obsidione Patavina aeger. De se in obsidione Patavina.p. 173 
fg. bei Münch. Daß man bei diefer von Hutten mitgemachten Belagerung 
Paduns an dic berühmte des Jahres 1509 dachte, wo e& ter perfönlich an⸗ 
weiente Kaiſer den VBenezianern unter Pitigliano vergeblich abzugewinnen 
fuchte, war die Urfache, warum frühere Biographen Hutten’s (wie Burck⸗ 
bard, II, 69 fg.) Dielen fchon in jenen Jahren, mithin im Ganzen drei⸗ 
mal, in Italien fein liegen. Dagegen bat Meinere (&. 12 Anm.) 
richtig nachgewieſen, daß obige Epigramme fid auf das Jahr 1513 ber 





98 L- Bud. IV, Kapitel, 





muth des Hahns, der fid) über den Adler dünfe, aber einft 
noch berupft heimfehren werde, wirb in verjchiedenen Wen- 
dungen verfpottet. Auch hier folgen die Epigramme den Schwans 
fungen des Kriegsglüds. Die Franzofen haben Mailand; 
werben zurüdgefchlagen; unter gräulichen Unwetter räumen 
fie die Lombardei. Endlich erlebt man das: Lebercafchende, 
daß Hahn und Froſch (oder Löwe, d. h. Venedig), die 
fid) bis dahin tödtlich befämpft hatten, gegen den. Adler 
ſich verbünden (März 1513). Aber die Berbindung iſt zu 
unnatürlich und der Gegner zu gewaltig, als daß fie J— 
günſtigen Erfolg verſprechen dürfte. 


Die Bewerber um bie Herrſchaft über Italien,) 


Drei ummerben mic jept (Italia klagt's dem Apollo), 

Midrige Freier zumal: Venedig, ber Deutfche, der Franke, 

Der voll Trug, ber Andre voll Wein, der Dritte voll Hochmuth 
Mus es denn fein, fo bevenfe mich doch mit erträglicem Joche. — 
Stets treulos, erwiebert ber Gott, ift Venedig; ber Franfe 

Stets hochmüthig; der Deutfche nicht immer betrunfen: ſo wähle! 


Das Merkwürdigfte für Hutten’s weitere Entwidlung ft 
num aber, daß gegen den Schluß die Epigramme ſich wider den 
Papſt richten.) Noch im Jahre vor Hutten’s Ankunft in 
Stalien war Papſt Julius U, als Krieger in jenen Gegenden 
gewefen, hatte die Belagerung von Mirandola perfönlich ges 
leitet, und war in bie eroberte Stadt mit dem Schwert in 
der Hand auf einer Sturmleiter eingeftiegen. Er war, wenn 


1) Qui et quales imperium Italiae ambiant, p. 214, Münd. 
Der weiblichen Perfonification Italiens, die er anderswo in Anwenbung 
bringt, und der Borftellung ber übrigen Völfer als Freier, bie fih dar— 
aus von felbft ergibt, bedient fi Hutten hier nicht. Sie muß ihm nicht 
eingefallen fein; denn das Epigramm gewinnt durch fie. Ich konnte feim 
Bedenken haben, fie aus andern Hutten’fchen Gebichten in dieſes zu 
übertragen, fofern id; es in ber Mote cingefland. 

2) Bon S. 220 an: De Julio II. P. M. orbem Christianum im 
arma concitante. De gladio Juli. De Juli perlidia, u. f. f. 


u ee en m 





Epigramme auf den Papfl. 99 


auch nicht der einzige Urheber, doch der Lenker der Kriege 
jmer Zeit: der Widerfpruch zwifchen der geiftlichen Beftim- 
mung und der weltlichen Stellung des Paftthums war nie 
greller bervorgetreten. Daß Hutten dem Schauplage der 
duch ihm erregten Kriege fo nahe fam, deren verheerende 
Folgen ') aus unmittelbarer Erfahrung fennen lernte, war von 
großer Wichtigkeit. Julius U. und jein Wirken war es, 
wodurch ihm über das Papftthfum überhaupt die Augen ger 
öffnet wurden. Statt eine Hirten ein Wolf, flatt der 
Sclüflel Petri mit dem Schwerte Pauli bewaffnet, aber nicht, 
um, wie der Apoftel, davon zu fallen, fondern Andere damit 
m fällen.) Nun wendet fi) aber Hutten auch gegen die 
Sitten des Papfted, gegen feinen Ablaß- und Bullenhandel, 
die Ausbeutung Deutichlands von Seiten des päpftlichen Hofs. 
Er, der ih in Stahl hüllt — fo befchreibt er ihn ?) — durch 
Bart und Haar ſchrecklich anzuſehen, mit dem wilden Auge 
unter der trogigen Stirn, mit furdtbar drohender Miene, 
der mit Schwert und Geſchoß zu Land und zu Wafler die . 
Llter mordet, und die Fürften in Krieg verwidelt; er, daß 
Verderben der Welt, die Peft des Dlenfchengefchlechts, deſſen 
Irkeit Tod, deffen Erholung die fchändlichfte Ausfchweifung 
it; er, in allen Stüden Chrifto und Petro unähnlidh: was 
hut oder was hat er noch, das des päpftlichen Namens 
würdig wäre? 
Bon Iulius' Ablaß. ’) 


Bie doch die giäubige Welt der Krämer Julius anführt, 
Welcher den Himmel verkauft, den er doch ſelbſt nicht befigt. 





1) Unter Andern eben für die Stadt Bologna. S das Epigr. &. 223: 
Jılium, de statu urbis Bononiensis. 
2) €. 221: ' 
Quem gladio decet occidere, haud occidere, Pauli. 
3) Descriptio Juli, p. 225. 
4) De indulgentiis Julii, ibid. 


7* 





100 1. Buch. IV. Kapitel. 


Biete mir feil, was bu haſt! Wie ſchamlos iſt's, zu verfanfen, 
Was, o Julius, bir eben am meiften gebricht. 

Kämen bie Riefen zurüd: um Jupiter wär’ es gefchehen; 
Sulius gäbe fürwahr ihnen zu Kauf den Olymp. 

Aber fo lang’ im Himmel ein Anderer herrſchet und bonnert, 
Stell' ih um himmliſches But nimmer als Käufer mich ein. 


Don dbemfelben. 


Dreimal hab’ ich mir nun die Freuden bes ewigen Lebens, 
Und was weiter ih faum wagte zu hoffen, erfauft. 

Dreifach hab’ ich dafür den Schein mit bem Namen empfangen, 
Und mit dem Siegel in Wachs: aber nur Namen uub Schein. 

Dreifach war ich ein Thor: denn wer may hoffen, zu Faufen, 
Bas, wer’s etwa befipt, ficher verlaufen nicht mag; 

Wollt’ er’s jeboch, fo könnt’ er es nicht verlaufen. Der Himmel 
Steht um den einzigen Preis redlichen Wandels zu Kauf. 

Dann wie lächerlich auch, ale bebürfte das himmliſche Leben 
Irdifcher Zeugen, bafür Siegel verlangen und Brief! 


Auch eine Satire auf die Zeiten von Julius, die mit 
den Epigrammen erft 1519 erfchien, ift wohl im Zuſammen⸗ 
hange mit denfelben entftanden. ?) 


Wie? der menfchliche Geiſt, ein Funke des göttlichen Lichtes, 
Bon Bott felber ein Theil, läͤßt ſo durch Wahn ſich verblenden? 
So fi verfinftern? Kein höherer Strahl zerftreute den Irrthum? 
Sulins, diefer Bandit, den fämmtliche Laſter befleden, 

Er verfcglöfle den Himmel nad Willfür Diefem, und fchlöffe 
Senem ihn auf? Sein Winf befeligte oder verdammte? 


Muth, Landsleute, gefaßt! Ermannen wir ung zu dem Glauben, 
Daß wir das göttliche Keich durch rebliches Leben erwerben; 

Daß nur eigenes Thun, und nicht der heiligfle Vater, 

Heilig uns macht; daß Tugenb allein den Himmel uns aufſchließt, 
Nicht der Schlüffel Gewalt, mit benen ber Romiſchen Gaufler 
Klappert, und fo das Bolf, das arme, betrogne, fi nachzieht. 


Auch Andern war an diefem Julius, deſſen Eriegerifche 


1) In tempora Julii Satyra. Wiederabgedruckt in Ulrichi de Hut- 
ten eq. Germ. opera poetica, anno 1538 E 7, und Opp. ed. Münch, 
I, 267 fg. 





102 1. Buch. IV. Kapitel. 


und Kirche damals in der Wirklichkeit waren, mit ihrer ur 
fprünglihen Beltimmung, zur Anfchauung fommt. Da bie 
nad Petrus fih nur um fo weniger zur Deffnung der Pforte 
berbeiläßt, fo erflärt Julius den Himmel in Belagerungs- 
fand und hofft, ihn mit Hülfe der 60,000 Kriegerfeelen, 
welche aus den von ihm erregten Kriegen in der nächflen 
3eit berüberfonmen werden, in Kurzem zu erobern. Der 
ausgefperrte Julius machte auch Luthern Freude !), und Era 
mud wurde, zu feinem großen Verdruß, für den Verfaſſer 
gehalten. 2) Auch Hutten hat man das Gefpräd ſammt dem 
Gebete für Julius zugefchrieben. Allein beide Stüde haben eine 
glättere, gelindere Rhetorik, ald Hutten's Schriften ähnlicher 
Art. Und auf dem Titel des Dialogs ift der wahrfcheinfidhe 
Berfaffer angedeutet: nämlich Yauftus Andrelinus aus Forli, 
ein Dichter, der unter dene Schuge Ludwig's XI. von Frank⸗ 
reich land; wie denn auch die Polemik des Geſpraͤchs gegen 
Julius mehr vom franzöfifchen al8 vom deutſchen Stand: 
punfte auögeht. °) 

Im Jahre 1513, während Gutten’s Aufenthalt in Sta 
lien, erſchien auch, fo viel wir wiffen zum erftenmal, eine 
Dichtung von ihm unter dem Titel: Der brave Mann *®), 
begleiten von einem feltfamen allegorifchen Bilde, deſſen Aus: 


1) Luther's Briefe ıc. herausgegeben von de Wette, I, 230. 

2) Erasmus Thomae Moro, Laur. Campegio und öfter, |. Erasm 
Epistolae onınes (Lugd. Batav. 1706), p. 437. 1534. 

8) F. A. F. ift Faustus Andrelinus Foroliviensis. Bgl. Burd: 

hard, II, 302 fg. Meiners, Lebensbefchreibungen berühmter Männer am 
ben 3eiten der Wiederherſt. der Wiſſ., II, 87. Wagenfeil, Ulrich v. Hut: 
ten, ©. 246. Münd, Opp. Hutteni, VI, 417 fg. 
4) Ulrichi Hutteni, ex e«questri ordine adolescentis, carmer 
emunctissimum .. Vir bonus. $inten: Impress. per Jo. Knappun 
Erphordiae anno... 1513. Id. Augusti. Wieberabghr. mit dem Bilb 
in Opera poet. 1538 S—S 4; bei Mohnife, U. Hutten’s Jugendleben 
& CLXXV—XXX; Opp. ed. Münch, I. 157-60. Bgl. Panzer 
S. 21 fg. 





Hutten's Gedicht: Der brave Mann. 103 


legung dad Gericht if. Das Bild ſtellt einen Mann vor, 
defien mit weiten Ohren verfehener Kopf auf einem langen 
gewundenen Schlangen oder Schwanenhalfe fist: das foll 
bedeuten, Daß der brave Mann lieber hört als redet. Aus 
feinem Munde geht ein Lilienzweig und ein Schwert: jener die 
wohlthätigen Wirkungen feiner Rede, dieſes die gerechte 
Strenge anzudeuten, Die er, wo gute Worte nicht fruchten, 
m Anwendung bringt. Vorn auf der Bruft figt ihm ein 
Löwenktopf, dad Sinnbild des Muthes; der eine Fuß if 
eine Bärentabe, das Zeichen der Beftändigfeit; die rechte 
Hand hält einen gefchlofienen Beutel, während vie linke 
Geld andftreut: d. h. Sparfamfeit und Breigebigfeit, jede 
zur rechten Zeit. Reben diefen allegorifchen Zügen erins 
nert dad Gedicht durch feine moralifhen Gemeinfprüde an 
das Jugendgedicht von der Tugend, und wenn wir auf dem 
Titel den Beiſatz adolescens erwägen, der fich feit jener Zeit 
auf Hutten’d Schriften nicht mehr findet (er war ja auch im 
Jahre 1513 bereits 25 Jahre alt), fo wird ed wahrfcheinlich, 
daß wir bier eine Reliquie aus frühern Tagen vor uns haben, 
welche die Erfurter Freunde damals zum Drude beförderten. 

Noch etwas vorher war der Niemand zum erftenmal 
im Drud erfchienen ): wir wiflen nicht, ob dieſer glüd- 
liche Wurf dem Dichter noch in Deutfchland, oder während 
- feine® Wufenthalts in Stalien, gelungen if. Daß es ein 
folcher war, wußte QHutten wohl: daher nahm er die Arbeit 





1) Erſte Ausgabe: Ulrici Hutteni Nemo. Tarunter Bilbniß des 
Nemo, und unter diefem: Joannis M. Herbipolitae in persona Nemi- 
nis Hexastichon. $Hinten: Expressum Erffordie in edibus Stribilite 
(ohne Jahr). Mon Böding nebfl zwei Wittenberger Abdrücken von 1516 
und 1518 aufgefunden. Bis dahin war bie ältefte befannte Ausgabe ein 
zu Deventer im 3. 1613 erfchienener Nachdruck ©. Banzer, S. 77 fg. 
Bieberabgedr. bei Burdhard, II, 39—43. Opp. ed. Münch, l, 
19-52. 





104 I. Buch. IV. Kapitel. 


fpäter wieder auf, und ließ fie in erweiterter Geftalt noch 
einmal erfcheinen. Wir fparen ein Mehreres über diefelbe bis 
dahin auf, um vorerft mit Hutten nach Deutfchland zurüds 
zufebren. 

Genauered wiſſen wir über dieſe Rüdreife nicht, außer 
dag wir fie mit überwiegender Wahrfcheinlichkeit in das Jahr 
1514 feben fönnen. Auch wohin fi Hutten nad) feiner 
Rückkehr zunächft gewendet habe, ift ungewiß. Da er dem 
Wunfche feined Vaters in Bezug auf das Rechtöftubium, fo 
weit die Umftände es erlaubten, genuggetban hatte, follte 
man denfen, nach Haufe: ficher jedoch erfcheint er auf ber 
väterlihen Burg erft im Juli 1515, nachdem ein Familien⸗ 
unglüd den Zufammenhalt zwifchen den einzelnen Gliedern 
derſelben verftärkt hatte. Wann aber immer diefe Annäbe 
rung ftattgefunden habe: die Aufnahme, die Hutten bei ben 
Seinen fand, war nichts weniger als erfreulih. Statt nad 
der vieljährigen Abwefenheit, den weiten Reifen und zahllo⸗ 
fen Befchwerden, die er erduldet, den Zurüdfehrenden freund 
ih in der Heimath willfonımen zu heißen, fahen ihn wit 
wenigen Ausnahmen, unter die wir jedenfalls feine gute Mut⸗ 
ter werben zählen dürfen, jeine Angehörigen (fo berichtet 
er felöft) wie den verlorenen Sohn an, der es verdiene, zu 
den Schweinen und Trebern verwiefen zu werden. Da er 
feinen Titel mitbrachte, fchien er feine Zeit verloren zu haben. 
Auf die Frage eines Dritten, wie man den Heimgekehrten 
zu betiteln habe, gab einer feiner Verwandten zur Antwort, 
er fei noch nichts. Durch den Vorwand, daß er ja nichts 
gelernt habe und nichts fei, wußte man es zu beichönigen, 
daß man ihn bisher hatte darben laſſen, und auch ferner 
nichts für ihn that. ) 


1) U. Huttenus ad Crotum Rubianum, vor ber zweiten Ausgabe 
bes Nemo, Opp. poet. 1538, Q 6; Opp. ed. Münch, II, 306 fg.:.- 





Berhältniß zu Main. 105 


Doc; fchienen ſich von einer andern Seite ber Ausſich⸗ 

ten zu eröffnen. Markgraf Albrecht von Brandenburg, des 
Kurfürften Joachim jüngerer Bruder, war im Jahre 1513 
zum Erzbiſchof von Magdeburg und Apminifttator von Hals 
berftabt, im Jahr darauf überdieß zum Erzbifhof von Mainz 
gewählt worden, und hatte nun den Ritter Eitelwolf von 
Stein, Hutten’8 Beichüger fhon von Fulda ber, aus den 
Brandenburgifhen Dienften in die feinigen herübergezogen. 
Eitelwolf fiedelte als Kurerzbifchöflicher Hofmeifter, Vicedom 
des Rheingaus und Stadtpräfert nad Mainz über, und ge 
dachte feine neue Stellung hauptfächlich zum Beften der wie 
derauflebennen Wifienfchaften zu benugen. Was ihm an ber 
Oder mißlungen war, follte ihm, fo hoffte er, an den Ufern 
ded Rheins, unter einem jungen Fürften, den er felbft zum 
Liebhaber der neuen Richtung in der Wiflenfchaft hatte her⸗ 
anbilden helfen, gelingen. Die Mainzer Hochſchule, die fchon 

kit dem Jahre 1477 als Stiftung des Erzbifhofs Diether 

von Iſenburg beftand, gebacdhte er in einer Weile zu res 

fermiren, daß fie ihreögleichen in Europa fuchen follte. Die 

untenglichen Lehrer follten abgefchafft, die tüchtigften Mäns 

ar von allen Seiten herangezogen werden. An Mitteln 





80, qui post tot annorum meam per Europam peregrinationem, 
lot aditis periculis,, tot exhaustis calamitatibus, nullis non aerumnis 
ictas cum tandem ad meos rediissem, quid aliud sperare de- 
bui, uam homines, longa mei expectatione fessos, advenienti oc- 
Gssiuros, obviis manibus excepturos, blanda aliqua praefatione 
slulstum amplexaturos, gratulaturos incolumitati meae, probatu- 
"6, quod cum patriis Musis rediissem in gratiam ? At paucioribus 
cane fuerunt haec, quam reperli sunt, qui me accusarent etiam. 
enim fama praecesserat, quibus studiis quam operam impen- 
Itaque reprehendere me omnes, ac frustra laborasse et 

apus perdidisse dicere... Et hanc quidem impegerunt mihi cul- 
X esset, quod duritiet suae praetextum obtenderent. Bgl. 

. 8311. 9 





106 I. Buch. IV. Kapitel. 


fonnte es, bei Eitelwolf's Einfluß auf den freigebigen Kur: 
fürften, nicht fehlen; auch gedachte er fein Privatvermögen 
dabei nicht zu fchonen. Er ſchwärmte für Diefe Idee. Main 
mit feiner Univerfität follte der Sig der gelehrten Muße ſei⸗ 
ned Alters fein, wenn ed ihm einft gelänge, aller Hojämter 
entledigt, nur den Studien und den Gelehrten zu Teben. 
Ihm leuchtete Mutian’d Beiſpiel vor, deflen er oft im @e 
fpräche mit Bewunderung zu gevenfen pflegte. ) 

Dabei dachte er gleid, von Anfang ganz beſonders and 
an Hutten. Der Einzug des neuen Erzbifchufs in feine Re 
fidenz, der am 8. November 1514 ſtattfand, wäre, meinte er, 
eine hübfche Gelegenheit für den jungen Poeten, demfelben 
eine Probe feines Talente zu geben und fich feiner Gunft zu 
verfichern. Er veranlaßte feinen Schügling, einen Panegyri⸗ 
cus auf das Ereigniß zu dichten, den Hutten, obwohl unter 
ungünftigen Umftänden (von denen wir nichts Näheres wife 
fen), doch rafch zu Stande brachte. 2) Daß er fein Gedicht 
nach dem Berlangen feines Gönner gleih auch druden laſ⸗ 
fen follte, ging ihm fchmwerer ein. So fehr er in der Zueig⸗ 
nung an denfelben ?) feinen Bedenklichfeiten die Wenbungg 
gibt, als bezögen fie fi nur auf die Mangelhaftigfeit feinem” 
Arbeit, fo fieht man doch, er fürchtete zugleich den Vorwuri 


1) Hutteni epist. ad. Jac. Fuchs, in der Stedelberger Sammlung: 
feinee Schriften gegen Herzog Ulrich C2, 36, Opp. ed. Münch, IL, 
38 fg. j 

2) In lauden reverendissimi Alberthi Archepiscopi Mogun- 
tini Ulrichi de Hutten Panegyricus. Darunter Albrecht's Wappen. 
Hinten: Tubingae apud Thomam Anshelmum Badensem. Mens 

Februario anno 1515. Bgl. Panzer, S. 23 fg. Opp. poet. 1538. 
 N—0Q3. Opp. ed. Münch, Hi, 276—310. 

3) Ad clarissimum equitem Eytelvolfum de Lapide, Suevum, 

Magistrum Curiae et civitatis Moguntinae Praefectum, Ulrichi de 


Hutten eq. in Panegyricun sequentem Praefatio. Bei Münd, 
S. 272—75. 





f] 


Hutten's Panegyricns auf Erzbifchof Albrecht. 107 


der Schmeichelei. Aber er hielt es für erlaubte nicht nur, 
fondern gebotene Politif der Vertreter einer beſſern Literatur, 
die Großen auch durch Huldigungen, die fie weniger ſchon 
verdienten, als verdienen follten, zu ihrer Partei herüberzus 
ziehen. ) Daß einem Fürſten von der Bedeutung Albrecht's 
von Mainz ein Mann wie Eitelwolf zur Seite geftellt war, 
betrachtete Hutten ald eine beſondere Gunft der Götter für 
die Sache der Aufflärung. Beläge Deutfchland viele feines- 
gleichen, meint er, fo wäre es am Ende mit der Barbarei, 
und wir brauchten und nicht mehr vor andern Nationen un- 
ferer felbft zu fchämen. Seinen Standesgenoſſen insbefondere 
ſtellt er den gelehrten Ritter?) ald Mufter vor. Bei diefer Ge⸗ 
legenheit leert er über deren Centauriſche Sitten, ihren dum- 
mm Adelſtolz und ihre brutale Verachtung aller Bildung 
veht fein Herz aus. Wo ein junger Adeliger von Talent 
K& mit liberalen Studien befafle, der werde von ihnen ale 
en Entarteter, feiner Ahnen Unwerther, verachtet und ver: 
fpettet; wodurch ſchon Mancher von dem bereits betretenen 
beſem Wege fich wieder habe abfchreden faffen. Und fo un: 
wiſend und ungebildet fie feien, fo halten fie doch ſich allein 
fir die Etügen und die Hoffnung des Vaterlandes, und mei⸗ 
nen, alle Gefchäfte daheim und auswärts follten ausſchließ— 
id durch ihre Hände gehen. 

Das Gedicht felbft ftellt im Eingange die feitliche Freude 
der Mainzer beim Einzuge ihres neuen Fürften dar, welchem 
Map zu machen, zwei Erzbifchöfe fchnell hinter einander ha⸗ 
ben erben müflen. Schon beim Ableben des alten Brans 
denhurgiſchen Kurfürften Albrecht Achilles fei die trauernde 





I) Vgl. Hutteni Epist. ad Bilib. Pirckheimerum, Burdhard, I, 
6; Opp. ed. Münch, III, 77. 


2) Doctus eques nennt er ihn in dem Briefe an Jacob Fuche, 
Opp. ed. Münch, II, 31. 





108 I. Buch. IV. Kapitel. 


Germania von Mars durch die Hinweifung auf die drei Eu 
fel getröftet worden, welche ihr den Großvater dereinft er 
festen follten: Joachim und unfer Albrecht von Brandenburg 
und Caſtmir von Ansbach; die fofort als Kinder, doch ber 
reits mit den Spuren ihrer Fünftigen Eigenthümlichkeit, ans 
ſchaulich vorgeführt werden. Zur Feier von Albrecht's Regie 
rungsantritt nun bat der Vater Rhein fämmtliche deutſche 
Flußgoͤtter zu einer Yeltverfammlung eingeladen. Er felbh 
im Feierſchmucke fährt auf feinem Strome dem Fürften ent- 
gegen: von feinen Schultern wallt ein weiter föftlicher Man: 
tel, in welchen die Nymphen die ganze deutſche Gefchichte 
eingewoben haben. Bon diefer wird nun ein Abriß gegeben, 
und zwar ganz im Gbibellinifchen Sinne: die Hobenftaufen 
werden hochgepriejen, das Verfahren der Paͤpſte gegen fie, 
wenn auch mit Rüdficht, getabelt; daß aber Carl IV. fi 
vom PBapft aus Rom weijen ließ, erfcheint dem Dichter ale 
das Aeußerfte der Schmach. Des Rheinftromd Anrede an 
den neuen Kurfürften, welche nun folgt, enthält neben den 
fhönen Worten auch gute Lehren, die von dem fürfllichen 
Füngling mit verfchämtem Erröthen und erhabenen Borfägen 
aufgenommen werden. Demnaͤchſt entwirft der Dichter von 
Albrecht's Perfönlichkeit eine Schilderuug, in weldyer er ihn 
als einen Hercules am Scheidewege die Tugend wählen läßt, 
und den Bifchöfen jeiner Zeit ald Muſter der pflichttreuen 
Thätigfeit im geiftlihen und Negentenberufe, der Mäßigung 
und Sittfamfeit, der Wohlthätigfeit und Liebe zu Kunft und 
Wiffenfchaft darftellt. 

Beide, der befungene Fürſt ſowohl, als der Edelmann, 
dem dad Gedicht zugeeignet war, nahmen es freundlich auf. 
Letzterer wollte e8 nicht als Danf für bereits erwiefene Wohl⸗ 
thaten, fondern als Berpflichtung zu neuen gelten laflen; 
denn was er biöher für Hutten gethan, fei gefchehen, um 
feine Freundfchaft zu gewinnen, mithin durch dieſe bereite 


110 Il. Buch. IV Kapitel. 


nicht wohl jchweigen; was ihn jegt wie Ipäter in manche 
Verdrießlichkeit verwidelte. ) Don dem Erzbijchof fcheint er 
ſchon damals mit einzelnen Dienftaufträgen betraut worden 
zu fein. ?) 

In Mainz war e8 auch, wo Hutten die erfte Bekannt⸗ 
haft mit Erasmus machte, der im Sommer 1514 von Enge 
land nach Bafel und im erften Frühling des folgenden Jahre®& 
wieder von da nad) England zurüdreiste. >) Auf diefer Rüdreife 
fprach er ihn dann wieder in Frankfurt am Main. *) Das war 
bazumal, al, wie ſchon früher gelegentlidy erwaͤhnt wurbe, zu⸗ 
gleih Reuchlin und Hermann von dem Buche dafelbft waren. 
und Eitelmolf dahin reifte, um den ausgezeichneten Männern. 
ein Sofratifches Gaftmahl zu geben: woran ihn jedoch ein 
Krankheitsanfall hinderte. Yür Hutten war die Bekanntſchaft 
mit Erasmus ein Ereigniß, wie fie ed im Leben Eoban’> 
und jeded Humaniften jener Zeit war, dem fie zu The 
wurde. >) Galt er doch, wie er es auch war, für den Mei— 


1) Epist. ad Jac. Fuchs, a. a. O., und ad Mich. de Sensheym,. 
Opp. ed. M., Il, 58 fg. 

2) In Erphurdianus antiquitatum veriloquus (Menckenii scerip— 
tor. rer. Germ., Il, 525, 529, 532) erfcheint im Jahre 1514 ein Udal- 
richus de Hutten oder Hotten als Mainzifcher Diener. An letzterer 
Stelle wird erzähle, es fei eines Tags über einen &. Buſenbach in Er⸗ 
furt Gericht gehalten worden, aber nicht gelungen, ihn zu überweifen. 
Dum autem iret (ins Gefängniß zurüd) auditum est a multis, quod 
missus de Moguntia Ulrichus de Hotten fremens ac furibundus 
dixerit: oportet te sententia mori, et si haberes longitudinem turris. 

3) Erasmi Spongia etc. in Hutteni Opp. ed. Münch, IV, 481: 
.. cum Moguntiae primo colloquio mecum fabularetur. Die Beits 
beſtimmung ergibt fi) aus den Daten und Angaben der Erasmifchen 
Briefe der Jahre 1514 und 1515: freilich bedürfen jene Daten theilweiſe 
ter. Berichtigung. 

4) Erasmus, a. a. O., 482: Post menses complures iterum me 
convenit Francofordiae. 

5) Bal. Joach. Carnerarii Narratio de Eobano Hesso. Norimb. 
1553, B 6®. 





Belanntfchaft mit Erasmus. Gitelwolf's Tob. 111 


ſter und das Haupt der ganzen Richtung, dem insbeſondere 
auch Hutten, wie er ſelbſt ſich ausdrückt, eine wahrhaft re⸗ 
ligiöſe Verehrung widmete.) Ein Briefwechſel wurde ange⸗ 
knüpft, und Meiſter und Jünger freuten ſich Einer des Ans 
dern, ohne zu ahnen, wie fie einft noch fo hart wider eins 
ander ftoßen follten. 

Unterbefien mußte Hutten etwas für feine Gefunbheit 
thun. Im Frühling 1515 ging er nach Ems, und es jcheint 
jein Plan gewefen zu fein, wenn er durch den Gebraudy der 
warmen Quellen leidlich hergeftellt wäre, unverweilt die Reife 
sach Italien anzutreten, wo er mit feinem Freunde Jacob 
Fuchs, Domherrn zu Bamberg und Würzburg, zufammenzus 
treffen hoffte. Aber eben in feine Emfer Eur fiel ein gedop⸗ 
pelter harter Schlag. An einem und demfelben Tage des 
Mai erfuhr er den Tod feines Gönners Kitelwolf von 
Stein, und die Ermordung feined Vetters Hand von Hut- 
ten durch den Herzog Ulrich von Würtemberg. 

Eitelwolf hatte ſchon einige Jahre an Steinbefchwerben 
gelitten. Die Aerzte wußten feinen Rath, als den, welden 
der taſtloſe Mann am wenigften befolgen mochte: ſich in 
der Arbeit zu fchonen. Er war noch nicht funfzig Jahre alt, 
als er unterlag. Hutten fühlte tief den Verluſt eined Gön- 
ud, in dem er zugleich einen ebeln und weifen Mann vers 
Ehrte, und feste ihm in dem Senpfchreiben an Jacob Fuchs, 
dem wir fchon früher die meiften Angaben über Eitelwolf 
entnommen haben, ein ſchönes Denfmal. ?) 

— — — — 


l) U. Hutteni cum Erasmo Rot. Expostulatio. Opp. ed. Münch, 

2) Ulrichus de Hutten, eq. Germ., Jacobo Fuchs, ecclesiarum 

ensis et Herbipolensis Canonico, amico, S. Mog. Id. Jun. 

kino Dni 1515. Bor den Schriften gegen Herzog Ulrich, Gtedelberger 

dug. B 4 fg. itelwolf betrifft die zweite Hälfte des Briefe; die erfle 
de Crnordung des Hans Hutten. 


— — — — 2 - 


Fünftes Kapitel. 


Sans Hutten’d Ermordung durh ben Herzog Mlried 
von Würtemberg, und Ulrich Hutten's Agitation gegen 
den Herzog. 


1515 (—1517). 


Schriften: Verſchiedene Sendſchreiben und Reden über den Gegenfland. 


Den andern Unfall, die Ermordung feine Vetter 1), berich⸗ 
tete der Mainzifche Domherr Marquard von Hatftein an je 


1) Hauptquelle für die Gegenflände diefes Kapitels if bie Samm⸗ 
Iung mit dem Titel: Hoc in volumine haec continentur: Ulrichi Hut- 
teni, eq., Super interfectione propinqui sui Joannis Hutteni, eG, 
Deploratio etc. etc. Ad lectorem: Res est nova, res est atrox & 
horrenda, dispeream nisi legisse voles. Vale. Sinten: Hoc U. de 
Hutten eq. Germ. Invectivarum cum aliis quibusdam in tyrannum 
WVirtenpergensen opus excusum in arce Stekelberk an. 1519 mense 
Septembri. Abgebrudt in Opp. ed. Münch, II, 12—212. Womit ;u 
vergl.: De expulso et restituto duce Wirtembergensi Viricho habita 
oratio Marpurgi a Nicolao As. Barbato, in Schardii Op. hist, IL 
1284—1300 ; Sattler’s Geſchichte Würtembergs unter ben Herzogen, I, 
Beilagen, ©. 83 fg.; die Urkunden in I. Ghr. Frhn. v. Aretin’s Bel 
trägen zur Geh. und Lit., IV, 885 fg., und befonders bie anf umſich⸗ 
tiger Quellenforſchung beruhende Darftellung 2. $. Heyd's, Herzog Alrich 
zu Würtemberg (Tübingen 1841), I, 384 fg. 





Haus Hutten und Herzog Ulrich von Würtemberg. 113 


nen Freund und Schwager ’) Ulrih nah Ems. Wir erin- 
nern und jenes Ludwig von Hutten, dem wir oben als einem 
der Häupter der Familie und als Wohlthäter des von feinem 
Bater verftoßenen Ulrich begegnet find. Er hatte felbit, neben 
einer Tochter, vier Söhne; einen der jüngeren von biefen 
hatte er, nachdem derjelbe dem Kaifer im Felde gedient, an 
den Hof des Herzogs Ulrich von Würtemberg gegeben, mit 
dem er in freundlihem Vernehmen ftand, und den er bald 
darauf durch ein Darlehen und durch Aufbringung einer 
Reiterhülfe gegen den armen Conrad ſich noch weiter ver- 
pflichtete. Auch den Tübinger Vertrag zwilchen dem Herzog 
und feinem Lande hatte er, als Abgejandter des Biſchofs 
von Würzburg, vermitteln helfen. 

Hans war der Liebling des alten Vaters, und fein Wun⸗ 
der: war er doch ein angenehmer, frifcher Junge, hübſch von 
Sicht und wohlgebaut von Gliedern, im Lauf und Tanz, 
im Singen und Echwimnen, Reiten und Lanzenrennen der 
Erke unter feinen Genofien, ſtets wohlaufgelegt, ſelbſt unter 
eruſten Gefchäften. Ein junger Ritter diefer Art wur für 
einen jungen lebensluftigen Fürſten wie Herzog Ulrich ein 
Bund: er machte ihn zu feinem Stallmeifter; in Wald und 
Geld, wie daheim bei Trunf und Spiel, hatte er ihn an 
fin Seite; bald waren fie unzertrennliche Gefellen. Aber 
Ne famen fich allzunahe, und berührten ſich in einem Puntte, 
wo das Zuſammentreffen gefährlidy ift. 

Das Glück des jungen Franken ſchien vollends gemacht, 
wie er die fchöne Urfula 2) Thumbin als Ehegemahl hein- 





l) afinis, in tem befannten weiten Sinne: Frowin's von Hutten 
deuftau war eine geb. v. Hatflein, f. Landau, Heſſ. Ritterb. IIT, 274. 
2) Den Dornamen gibt der Zeitgenoffe, Kilian Leib, Prior zu Rebs 
def, in jeinen Annalen zum 3. 1515, in Aretin's Beiträgen zur Geſch. 
m ei, VII, 682. 
Strauf, Hutten. L 8 


| ED — 





114 1. Bud. V. Rapitel, us 
führte. Ihr Vater, en ek —— | 






erfte Mann am Würtembergifchen Hofe: für ihn hatte Her 
zog Ulrich das Erbmarſchallamt gegründet, ihm erft zu Stute 
gart ein Haus, dann aus feinen Bfälifchen Eroberungen das 
Schloß Stettenfels mit dem Dorfe Gruppenbach verliehen. 
Galt der Vater beim Herzog viel, fo war diefem auch bie 
Tochter nicht gleichgültig. Schon als junger Menſch warer 
oft in das Haus gewandelt, das er'feinem Marfchaff gefcyentt 
hatte, und hatte fid) befonders gern im Brauenzimmer auf 
gehalten, wo er mit der Tochter feine Scherze trieb. Auch 
nach ſeiner Verheirathung hatte er dieſe Beſuche um fo weniger | 
eingeftellt, je weniger feine ſtolze und zänfifche Sabine, ihm von 
der Politif ald Gemahlin aufgebrängt, thun mochte, ober auch 
fonnte, feine Neigung zu gewinnen. Nun aber war die reis 
zende Thumbin (i. I. 1514, drei Jahre nad) des Herzogs 
Bermählung) die Frau feines Stallmeifters geworben, 
Das junge Ehepaar führte noch feine eigene Wirthſchaft, 
fondern wohnte vorerft im Haufe der Schwiegereltern, wohin 
der Herzog noch immer feinen Wandel behielt. Das war 
nun aber doch bevenflih. Der Herzog wurde zudringlich; 
der junge Ehemann machte ihm Vorftellungen: und num ver 
gaß fich der Teidenfchaftliche Fürft fo weit, daß er jeinem 
Stallmeifter zu Füßen fiel, und ihn mit ausgefpannten Ur 
men um Gotteswillen bat, zu geftatten, daß er feine eheliche 
Hausfrau lieb haben möge, denn er fünn, woll und ws | 
nicht laſſen. 

Wie ſchwer verzeiht ein Fuͤrſt Demjenigen, vor dem er 
fi) gedemüthigt hat, um fo ſchwerer, wenn an der Demütbi- 
gung der Stachel des Lächerlihen haftet. Was half es, ſich 
von dem Diener Stillfehweigen über biefe Scene verfpredyen 
zu laffen: bald war fie Niemandem am Hofe mehr ein Ge⸗ 
heimniß, und der Herzog ſah ſich dem Spotte bloßgeſtellt. 
Einerſeits fonnte man es dem jungen Hutten nicht verargen, 













































Sans Hutten und Herzog Ulrich von Würtemberg. 115 


wenn er von dem Borgefallenen da und dorthin Mittheilung 
machte. In feiner bedenklichen Lage brauchte er guten Rath. 
Um den wandte er ſich an feinen erfahrenen Bater. Der 
meinte, das Sicherſte wäre, der Sohn fagte feinen Dienft 
auf, ritte heim, und ließe fich die Frau dann durch den 
Schwiegervater nachſchicken. Freilich würde das viel Nach⸗ 
rebe geben. Ein Ausweg wäre, wenn ihm fein Schwäher 
ein Amt fern vom Hofe auswirken fönnte, wo dann zu 
hoffen wäre, daß es dem Herzog „ausichwigen” würde. 
Urach freilih, wohin ihn diefer als Obervogt hatte fegen 
wollen, war als halbe Refidenz zu jenem Zwecke untauglich, 
und daher aud, von ihm ausgefchlagen worden. Während 
der junge Hutten nad dem Rathe feined Schwähers, der 
einen Brudy zu vermeiden wünfchte, noch zugumarten vorzog, wie 
der Herzog fich ferner halten würde, kam es zu Yuftritten. Hans 
hatte, wie feine Yamille nachher felbft zugeftand, von ber 
Sache, außer mit Bater und Schwiegervater, noch mit Ulrich's 
Schwager, dem Herzog Heinrich von Braunfchweig, mit dem 
jener nicht zum Beten ſtand, ferner mit Brüdern, Bettern 
und Freunden gefprochen. Ueber foldyen Verrath, wie es ihm 
erſchien, ftellte der Herzog den Diener zur Rede, und ſprach 
von ihm bei Fürften und Herren, Edeln und Unebeln, als 
von einem treulofen, verrätheriichen Fleiſchboͤſewicht *), der, 
menfchlich zu reden, fo übel an ihm gefahren als Judas an 
unferm Herrn Gott. Jett fand Hans Hutten doch gerathen, 


1) Aus dem Mißverftande biefes Ausbruds, in Verbindung mit dem 
Behreben, den Lanbesfürften weiß zu wachen, ifl, übrigens erft 150 Jahre 
sach der That, das Mährchen erwachfen, das nicht nur Gattler, fons 
ven auch Gpittler noch nacherzählt (Geſchichte Wirtembergs, 1788, 
&. 107 fg.), «als Hätte zwifchen Hans und ber Herzogin Gabine ein 
frifliches Berhältnig beſtanden, ber Herzog feinen Trauring an Hanfen’s 
Finger gefunden m. ſ. f. ©. dagegen Heyd, a. a. D., ©. 398 fg. 
Amerkung. 

8* 


116 l. Buch. V. Kapitel. 


den Herzog um feinen Urlaub zu bitten; aber Diefer gewährte 
denfelben nicht: würde doch Hand ohne Zweifel fein Weib 
mit fortgenommen haben, und überbieß hatte er fi geäußert, 
wenn er in Ungnaden wegfäme, wolle er Urfady fagen, daß 
der Herzog feines Fürſten und Ehren werth ſei. JIept ſchickte 
der Vater Hutten feinen älteften Sohn Ludwig zum Herzog, 
mit der Bitte, Hanfen zu einer Yamilienbefprehung nach 
Franfen reiten zu laflen. Der Herzog fagte nicht Ja und 
nicht Nein; nach der Behauptung der Hutten’fchen hätte ar 
Hanfen durch mündliche und fchriftliche Einladungen zum 
Bleiben fiher gemacht; daß er am Abend vor der ſchrecklichem 
That ihn noch bei Tiiche gehabt, ift wohl nur von der ge= 
wöhnlichen Hoftafel zu verftehen. 

Auf den folgenden Tag d) war ein Ritt nad) Böblingere 
angelegt: und hier behaupten die Hutten'ſchen, Ulrich babe 
Hanfen in gnädigem Schein mitreiten heißen, da wolle ex 
mit ihm wegen feines fernern Bleibens handeln und ihre 
dann zum Beſuch feines Vaters Urlaub geben; während be== 
Herzog im Gegentheil behauptet, Hans fei, von ihm unaufs 
gefordert und von Andern gewarnt, im Trug und Poch mit 
geritten. Das Leptere hat um fo weniger Wahrfcheinlichkeit, 
da er ohne Harnifh und ohne andere Wehr als einen Degen, 
„auf einem Fleinen unachtbaren Pferdlin‘ erfchien, während der 
Herzog gepanzert und fonft wohlgerüftet war. Unterwegs ſchickte 
diefer die Begleiter voraus, hieß dann, als fie in einen Walp 
gefommen waren, aud) feinen Diener zurüdbleiben, und wens 
bete fih nun gegen den ehemaligen Liebling, der jeßt Der 


1) Als den Tag der Morbthat geben die Würtembergifchen Geſchicht⸗ 
fehreiber übereinflimmend den 8. Mai 1515 an. Tas Datum: Nonis 
Maji, d. 5. 7. Mai, in Hutten’s Brief an Marquard von Hatflein auf 
bie erfle Nachricht von der That (in der angef. Sammlung A 2b), muß 
alfo wohl irrig fein. 








Ermordung Hans Hutten’s durch den Herzog. 117 


Gegenftand feines grimmigften Haſſes war. Ob er dieſen 
hier, wie bie Hutten’fchen ihn befchuldigen, mit Roß, Hars 
nifh und Gewehr „überrifcht” und ungewarnt angegriffen 
habe, oder, wie er felbft verfichert, ihm zuvor angefchrien, fich 
feine® Leib und Lebens zu wehren, macht bei dem Vortheil, 
den die vollftändige Rüftung dem Herzog über jeinen faft 
wehrlofen Gegner gab, nur einen geringen Unterfchied. Ein 
erdentlicher Zweikampf war es auf feinen Fall; auch wid 
der Angegriffene zurüd (fein Hut wurde nachher entfernt von 
dem Leichnam aufgefunden), und von den 7 Wunden, unter 
denen er fiel, waren ihm 5 von hinten beigebradt. Dem 
Morde fügte der Herzog nody eine Schmady bei. Er fchlang 
dem Todten einen Gürtel um den Hals, und befeftigte den⸗ 
ſelben an einen Degen, den er zu feinen Häupten in ben 
Boden ſtieß. Das follte das Hängen bedeuten, das der Ent- 
kelte durch feine Bubenſtücke verdient habe. Das fürftliche 
Jagdgefolge fand den Leichnam; der Herzog Heinrich von 
Braunfchweig hob ihn auf, mahnte den Bruder des Erſchla⸗ 
gem zu fchleuniger Heinifehr, und forgte für das Begräb- 
niß. Die Angehörigen wünfchten hernadh, den Leichnam aus⸗ 
graden und in der Samiliengruft beifegen zu dürfen: der Her- 
308 verweigerte es. 

Bon ſolchem Echlage betroffen, fühlten ſich die Hutten’s 
ſchen als Kamille und ale Angehörige eined mächtigen Stan» 
des. Ein Fürft hatte einen vom Adel ermordet und bes 
ſchimpft: daran entzündete fich der ganze Groll, der feit dem dro⸗ 
benden Anwachfe der Fürftenmacht in der Ritterfchaft Fochte. 
Ahhehn Grafen und Edle, die in des Herzogs Dienften 
Kanten, fagten ihm diefe auf. Man ſchlug an das Schwert 
und griff zur Feder: zur legtern vor Allen auch Ulrich Hut⸗ 
in, den, neben dem Familien und Standesintereffe, zugleich 
die [höne Gelegenheit reizte, fich fchriftftelerifch hervorzuthun. 
Di Familie hielt alsbald eine Zufammenfunft; bei der aber 





118 * * I. Bud. V. Kapitel. ——u— 





feld, vieleicht um feine Badecur nicht zu unte 
ein Trauergedict über den jämmerlichen Untergang feines 


wanbeen?), und von Mainz aus erlicß.er fobann, umter dem 


29. Juni, ein Troftfchreiben an den Vater des Ermorbeten. 


Beide Arbeiten fönmen wir eg "Probeftüde nennen, Fr 


welchen Hutten feinen bumaniftiichen Eurfus cum laude ab⸗ 
ſolvirte. Zeigt das eine, daß er feinen Cicero und Senera, 
den Troftbrief des Servius Sulpicins an den Erftern mit einge 
ſchloſſen, fich gründlich eingeprägt hatte: fo befundet das andere 
ein ebenfo vertrautes Studium des Dichters, welder den - 
früh dahingerafften Daphnis und Marcellus befang. Bon allen 
Seiten vernehme er, führt Ulrich) dem alten — u Ge⸗ 
müthe, daß dieſer den Tod feines Sohnes mit ſo wenig daſ— 
fung trage. Das befremde ihn. Won den zwei Stüden, die 
zur Tapferkeit gehören: im Unglück nicht kleinmüthig, — 
im Glücke nicht übermüthig zu werden, habe jener das £ 
tere, welches doch das Schwerere fei, bisher vollftändig ge 
feiftet: wie es fomme, daß er es an dem Leichtern fehlen 
Und nun wird eine Reihe von Troftgründen vorgeführt, die 
zum Theil wahr und natürlich, zum Theil aber auch fchul 
mäßig und froftig find. Daß er durch diefen Todesfall nicht 


— fei, da er no mehr blühende Kinder um E 
Te ” 









75 \ 


1) Epist. ad Jac. Fuchs, vom 13, Juni, Opp. ed. Münch, I, 
32: Nam conventui proxime habito non interfui. 

2) Ulrichi de Hutten, eq. Germ,, in miserabilem Joannis Hut- 
leni, gentilis sui, interitum deploratio, In ber Stedelberger, Samm⸗ 
fung A383 — B 3". Opp. ed. Münch, I. 19-27. Dafi bie 
ratio zuerft verfaßt war, iſt daraus zu fchließen, daß ihrer bereits in 
Epist. ad Jac. Fuchs vom 13. Juni gebacht wird, während Die con- 
solatoria erſt vom 29, befielben Monats batirt ift. | ‚MW 

3) Ulrichi de Hutten, eq. Germ,, ad Ludovichum de Hutten, 

, auratum, super interemptione Alii consolatoria. Stedelberger 
Aug, QA-DA® Opp. ed. Münch, II, 2353. u — 










| 
tive er 
Br 


— en _ Fa 








120 I. Bud. V. Kapitel. 


Franken aufgefordert, eine Unthat, die keineswegs blos bie 
Hutten angehe, mit den Waffen zu rächen: eher werde bie 
Seele ded Ermordeten feine Ruhe haben, als bis feinen 
Grabhügel das Blut feines Mörders benebe. 

Das Bepürfniß der Hutten’fchen Familie, jebt für Einen 
Mann zu ftehen, und die befondre Brauchbarfeit Ulricy’e, 
wo ed neben und vor dem Schwerte der Feder beburfte, 
fcheint jebt aud, feinen Vater umgeftimmt zu baben. Im 
Juli reitet Ulrich fhon in der Heimath umher, um für ſei⸗ 
nen Alten Schulden einzutreiben, und am erften Auguſt dar 
tirt er einen Brief aus Stedelberg. ) Während jener Ritte 
aber, und dann auf der väterlichen Burg, verfaßte er feine 
erfte Rede gegen den Herzog von Würtemberg. ?) In diefen 
Tagen hatten die Hutten’fhen an den Würtembergifchen Lande 
tag, der eben beifammen war, ein Schreiben erlaſſen, in wel⸗ 
chem fie diefen erfuchten, die Handlung ihres Herzogs zu bes 
ftrafen,, fonft würden fie ſich genöthigt fehen, die Sache über 
all auszubreiten und jedermänniglid um Beiltand anzures 


— — — — — — 


Sola relicta thoro. tum vix gustata voluptas 
Occurrit, raptique joci, interruptaque cursu 
Gaudia praccipiti, et nondum satiata cupido. 
.. . . Sic moestus adenıpta 

Affligit se turtur ave fletuque fatigat 

Et querulo frangit gemitu, solusque relicto 
Considit nido desertisque involat umbris, 
Amissa lugens socia, nec jam appetit ullos 
Ultra concubitus, nudoque per arida ramo 
Prospicit, et turbante sitim restinguit ab unda. 

1) Ex arce nostra Steckelbergk Cal. Augusti. Datum des Briefe 
an Michael v. Sensheym , in der Stedelb. Samml. D 6. 

2) In dem Brief an Sensheym: Vagabar enim hinc inde, ut 
qui paternas aliquas raliones exigerem. Quo factum, ut majorem 
hujus orationis, si meretur dici, partem in equo et itinerando com- 
posuerim: reliqua in sylvis et illa nostra arce, nullis plane studlis 
obnoxia. 





Bewegungen ber Hutten’fchen. 121 


fa.) Diefem Gefuche nöthigenfalld gewaltfamen Nachdruck 
in geben, hatten fie auf den naͤchſten Montag eine Zuſam⸗ 
menfanft der Familie in ihren verfchievenen Zweigen nad) 
Speier, Windsheim, Friedberg und Anſpach, ausgefchrieben. 
Ob Uri dabei erſchien, willen wir nicht; ebenfo wenig, 
weihen Antheil er an der Abfaffung des Ausfchreibend Lud⸗ 
wig Hutten’® in das Reich, das zwar erft fpäter ausgegeben, 
dech um dieſe Zeit entftanden ift, gehabt haben mag. ?) Ge⸗ 
wis it nur fo viel, daß feine erſte Rede gegen den Herzog 
zur eme redneriſche Ausführung dieſes Actenftüdes if. Ins» 
befonbre iſt die Darftellung des Gefchichtlichen, des Verhälts 
niſes zwilchen dem Herzog und Hand Hutten, in beiden 
Ecriften die gleiche. 

Man erwartete, daß Herzog Ulridy vom Kaifer vor Gericht 
geladen werden würde ®), und fo componirte nun Hutten feine 
Re fo, wie wenn er vor Kaljer und Reich als Kläger 
gegen den Herzog auftreten wollte. Er entichuldigte bei einem 
ver freunde, an bie er fpäter Abfchriften verfchichte, Die Un⸗ 
velllemmenheit feiner Arbeit damit, daß er fi im Buche der 
Anfiagereden früher nie geübt, und nun überdieß ohne Bücher 
und ohne die gehörige Ruhe habe arbeiten müflen *): allein 
daß er die Gatilinarien und Verrinen und Philippiken gründs 
lich ſudirt, in Saft und Blut verwandelt hatte, zeigt Diefe 
wie die folgenden Reden über denfelben Gegenftand zur Ge- 
mie. Rein, um Anklagereden zu fchreiben, brauchte Hutten 





l) Schreiben vom 8. Juli. Bei Hemd, a. a. D.. ©. 401. 

2) &s ift abgebrudt in Aretin’s Beiträgen zur Gefch. und it., IV, 

409; womit zu vergl. die Bemerfungen von Heyd, a. a. D., 
6. 

3) Epist. ad Mich. de Sensheym: . . deinde (fei von ihm aus⸗ 
Kufeitet worben) in occisorem (quandoquidem judicium paratur) 

0. 

4) In der Epist. ad Mich. de Sensheym. 





122 1. Buch. V. Kapitel, 


feine Bücher. Wenn er Troftbriefe, Trauergedichte verfaßte, 
war er nicht in feinem Felde und arbeitete nur ſchulmaͤßig: 
/ bei der Invective half ihm der eigenfte Genius, und er lie 
ferte Werke, die fi) den Vorbildern, deren Nachahmung fe 
nicht verläugnen, zugleich ebenbürtig zur Seite fielen. Rein 
heit der Sprache und der rednerifchen Kunſtform bat natür 
ih der Römer voraus: aber Geiſt und Redefülle, die Gabe, 
alle Umftänve fih zu Nube zu machen, den Feind zu ſchla⸗ 
gen, niederzufchmettern, den Hörer zu rühren und fortzureißen, 
hat Ulrich von Hutten gegen den Würtembergifchen Herzog 
nicht minder als Cicero gegen Catilina und Clodius bewiefen. 

Wir können noch genau beobadjten, wie ſich das Thema 
in Hutten’s Geiſte allmaͤhlig entwidelt hat. Schon in bem 
früheften Briefe, den er in der Sache fchrieb, an ven Main 
zer Domherrn Marquard von Hatftein, durch welchen er bie 
erfte Nachricht von dem Vorfall erhalten hatte, find ale 
Hauptpunfte feiner fpätern Darftellung, doch nod in embrye⸗ 
nifhem Zuftande, enthalten. Das Verbrechen neu, unerhört, 
gehäuft; der Ermordete unfchuldig, Mufter jeder Tugend: 
wird irgend eine Rache genügen? werden nicht die Hutten 
alle, nicht ſaͤmmtliche Fränfifche Ritter, ja ber ganze bentfche 
Adel, gegen den Mörder fih erheben? Und was treibt dieſer 
jegt? bereut er, oder niht? Was endlih ift vom Kaifer zu 
hoffen? wird er ftrafen? wird er fhonen? Dieß, neben dem 
Dedauern mit dem unglüdlihen Vater, worin das Trauer 
gedicht und der Troftbrief feimen, ift fchon in jenem erflen 
Schreiben in fürzefter Form enthalten. ntwidelter erfcheint 
derſelbe Inhalt hierauf in dem Briefe an Jacob Fuchs.) 
Hier finden ſich ſchon die Grundzüge der Gefchichtserzählung; 


1) Der Brief an Hatflein ift (angeblih) vom 7. Mai; ber am 
Buchs vom 13. Juni; der an Sensheym, dem er die fertige erſte Rebe 
überfchickt, vom 1. Auguſt. 





Hutten's erfie Rebe wider Herzog Ulrich. 123 


a6 Treiben des Verbrechers, das Verhalten des Kaifers, Die 
öffentliche Stimmung, die Liebenswürbigfeit des Gefallenen, 
bie Berbienfte feines Vaters um den Herzog, find ſchon reb- 
nerifcher ausgeführt: es bedarf nur noch eines Schritte, fo 
find wir in der 
Erſten Rede.) Rad) einem etwas fpielenden Eingange 
über das Mißverhältniß jedes Ausdrucks zu dem Verbrechen, 
dad den Gegenftand feiner Rebe bilden folle, nimmt Hutten 
ed die Teilnahme der Richter in Anfpruch, indem er ihnen 
ven greifen Bater, die trauernden Brüder, die jammernde Schwer 
ſer die verlaffene Gattin des Gemorbeten, hinter ihnen die ganze 
Hatten ſche Berwandtichaft, Die gefammte Fränfifche Ritterfchaft, 
als gegenwärtig vor Augen ftellt. Im Gegenfage dazu malt 
er fodann, gleichfalls wie wenn er anmwefend wäre, den Ber: 
brecher, an deſſen Händen und Gefichte man nody das un⸗ 
ſculdige Blut feines Schlachtopfers zu bemerken glaube, aus 
defen jet noch wilden und fchredlichen Mienen abzunehmen 
M, wie graͤulich, wie gar feinem Menfchen mehr ähnlich, 
er bei Verübung der That felbft ausgefehen haben möge. 
a, die That, über welche hier gerichtet werden folle, 
Mi die ſchrecklichſte, unmenfchlichfte, graufamfte, bie, feit 
4 Renfchen gebe, verübt worden; der Angeflagte unter Allen, 
wele die Erde trage, der Bermorfenfte, Abfcheulichfte, Bos⸗ 
baftefe; fein Verbrechen ein Inbegriff aller Verbrechen, mit 
kinem Ramen vollftändig und erfchöpfend zu bezeichnen. 
Sofort wird zur Gefchichtserzählung übergegangen. Das 
kemdlihe Verhaltniß des alten Ludwig Hutten zu Herzog 
Urich; die Yufopferung, welche darin lag, daß er ihm feinen 
chen Sohn überließ; defien Wohlververhalten und treue 





1) Urichi de Hutten, eq. Germ., in Ulrichum WVirtenpergensem 
prima. Gtedelberger Sammi. E—H3. Opp. ed. Münch, II, 
R. 





124 I. Buch. V. Kapitel, 


Dienfte, vom Herzog felbft anerfannt; die Vertraulichkeit zwi⸗ 
ihen Beiden; die weitern Berbinblichfeiten, welche Sanfen’s. 
Vater dem Herzog auferlegt; dad Vertrauen, welches er and 
darin zeigt, daß er dem Sohn erlaubt, aus des Herzoge 
Lande und Hofe ein Weib zu nehmen. Hier bat nun abe 
die Erpofition eine feltfame Lüde. Daß der Herzog mit bie 
fer Srau ein Verhältniß gehabt oder gefucht, und hieran das 
gute Vernehmen zwiſchen Herrn und Diener ſich zerſtoßen 
habe, davon wird fein Wort gefagt. Dielelbe Lücke finden 
wir in dem Ausfchreiben Ludwig Hutten’d. Es mochte im 
Intereffe der Frau, deren Sache die Hutten’fchen damals 
nody nidyt von der ihrigen trennten, gerathener fcheinen, von 
biefem kitzlichen Punfte lieber zu fchweigen. Freilich wird 
ohne denjelben alles Folgende unerflärlih. Der Redner wie 
der Verfaſſer des Ausfchreibend mochten ſich auf bie allges 
meine Kunde verlaffen, aus welcher Hörer oder Lefer ſich bie 
Lücke ausfüllen fonnten. Auch jegt, heißt es weiter, habe 
dee Herzog den jungen Hutten Feine Ungnade (worüber 
merken laflen. Als diefem auf des Vaters Einberufung ver 
Urlaub verweigert worden, haben es die Seinigen als ein 
Zeichen von Zuneigung genommen, als ob fi der Herzog 
nicht von ihm trennen fönnte. Auch Ludwig Hutten erlaubt 
fi) in dem Ausichreiben diefen gefchichtöwidrigen Zug; wäh 
rend er fpäter felbft befannte, daß damals längft zwiſchen 
ihm und feinem Sohne über des Herzogs bebrohlicye Leiden⸗ 
haft Briefe gewechfelt waren. Im Zujammenhange damit 
werden wir aud) von den fo lebhaft ausgemalten Zügen, wie 
der Herzog fich geftellt habe, ald wollte er Hanfen mit feinem 
Bruder heimzieben laflen, nur folle er vorher nody ein Stück 
Wegs mit ihm reiten, auch möge er nur ohne Waffen kom⸗ 
men, ed gehe ja nicht weit, und der Weg fei fiher u. 1. f., 
auch von diefen Zügen werden wir nur fo viel als thatfächlich 
fefthalten dürfen, daß in ded Herzogs Benehmen nichte lag, 





Erſte Rede wider Herzog Ulrich. ‚125 


was Hanfen’8 Beforgniß erregt hätte. Davon abgefehen aber 
uud als rhetoriſches Kunftwerf betrachtet, iſt die Darftellung, 
wie dee Herzog den unglüdlichen Jüngling durch freundliche 
Rede ſicher uud wehrlos macht, während er felbit fich indgeheim 
waffnet; wie er dann draußen erft die Begleiter einen nady dem 
andern fortfchickt, dann, einen Ort für fein Verbrechen ſuchend, 
ey und quer durdy die Felder reitet, endlidy den wilden 
Bald zum ſichern Mordſchauplatze auserficht; hier ſich von 
feinem Diener Sattelgurt, Sporen und Zaum fefter fchnallen 
löft, während fein erlefenes Schlachtopfer das Roß des Die- 
vis halten, mithin zu feinem eigenen Morde helfen muß; 
beruf dann der Meordangriff, der ungleihe Kampf, die 
Kiskandlung des todten Körpers; zuletzt nad dem Morde 
der grauſenhafte Anblick des wie von Yurien gejagten Ver⸗ 
brechers, dad Staunen der Leute feines Gefolges, ale er 
ſich weder zu ihnen findet, bis endlich das ledige blutbe- 
Wipte Pferd des Gemordeten ihnen das Raͤthſel ſchrecklich 
lt: dieſe Darftellung ift durch Anjchaulichfeit und ergrei- 
fade Gewalt ein Meiſterſtuͤck der Redekunſt. 

Demnähft beginnt der zweite Theil der Rede, deſſen 
Aufgabe ift, auf den Grund des dargelegten Thatbeftandes 
de Richter zur DVerurtheilung des Angeklagten zu bewegen. 
Dis ausgezeichnete Verbrechen fordert eine ausgezeichnete 
Stufe: Leben um Leben: und da das Recht für Alle gleich 
kin muß, fo darf von feiner Ausnahme, feinem Standes⸗ 
verreihte die Rede fein.) Neben dem Recht aber kommt 
no das Gemeinwohl in Betracht. Auch außer und vor die- 
fe Unthat hat fich Herzog Ulrich von Würtemberg als einen 
geneinſchäͤdlichen Regenten erwielen; hat erft neulich durch 


— 
— — 


l) F4: Quare, cum aequabile omnibus jus statui oporteat, 
ui insuetum, nihil ex praerogativa decerni petimus. In hoc om- 
2 versstur actio: pereat qui perdidit, jure qui injuria. 





126 L Buch. V. Kapitel. 


feine Verſchwendung einen Bolfsaufftand (des armen Conrad) 
hervorgerufen und dann mit Grauſamkeit unterbrädt: bie 
braven Schwaben verdienen, von einem foldyen Wütherich ber 
freit zu werden. Ginge ihm nun vollends feine That an 
Hans Hutten ftraflos bin, fo wäre e8 um Ordnung us 
Sitte im Reiche, um den guten Ramen der beutfchen Nation 
im Auslande, gefchehen. Wer fo etwas gethan hat, von dem 
ift, wofern er nicht unſchaͤdlich gemacht wird, fortan alles 
Schlimmfte zu befürchten. Und bier ergeht ſich nun der Red 
ner in argen Hyperbeln gegen feinen Feind. Er konnte ihn 
fhwarz genug machen, auch wenn er bei der ‘Porträtähnlide 
feit blieb, und einmal nimmt er zu foldyer Charakteriftif einen 
ganz guten Anlauf. Wenn er von Herzog Ulrich fagt, der 
felbe habe die Leidenſchaft zur Führerin feines Lebens gewählt 
ftetö habe bei ihm bie Vernunft der Begierde weichen mäf 
fen; weder in Worten noch in Werfen habe er je ein Mit 
telmaß eingehalten; wo er etwas angegriffen babe, fei er en⸗ 
weder zu weit gegangen, oder auf halbem Wege ftehen ge 
blieben; nie habe er feine Schwäche, nie die Veränderlichheit 
des Glücks bedacht, nie ſich rathen laflen; feine Feinde habe 
er zu gering angefchlagen, feine Freunde umgebracht: mit 
diefen Zügen war der Herzog, wenn auch grell, doch nicht 
eben unwahr gezeichnet. Das war aber dem Redner nit 
genug. Er flellt feinen Gegner ald den Inbegriff aller 
Sclechtigfeit dar ), als einen Beind nicht blos des ganzen 


1) ©. Asclepii Barbati orat. de expulso et restituto duce VVir- 
tenbergensi Vliricho, bei Schardius, II, 1288: Quicquid odium, in- 
vidia, malevolentia, et affinis caesi dolor comminisci potuere, Phe- 
laridas, Agathocleas, Atreas .. . omnium immanissimorum imma- 
nes furores et furias, omnium crudelitates et ferocias in unum 
congessit, compegit, coacervavit . .. . poeta, cujus laudarim equi- 
dem ingenium, probarim inventionem, amplexus sim eruditionem: 
si non dolori nimium dedisset etc. p. 1298: Tu. . personam sub- 





Erſte Hebe wider Herzog Ulrich, 127 


menfchlichen Geſchlechts, fondern der Ratur ſelbſt. „Du 
Schandfled des Schwaͤbiſchen Namens“, redet er ihn an, „ewige 
Schmach deines Bolfs, durch Frechheit, Frevel, Wuth, Grau⸗ 
ſamkeit, Treulofigkeit, Undankbarkeit, Bosheit, Unmenfchlich- 
keit für alle Jahrhunderte gezeichnetes Scheufal, du haft über 
die Gränzen menfchlicher Sitte hinaus gerast. Gewetteifert 
haſt du um jeden Gräuel. Nichts lag dir am Herzen, als 
wie du durch einen Inbegriff aller Verbrechen alle Böfen, die 
jemal6 geweſen, übertreffen mögeſt.“ Herzog Ulrich war ein 
junger Fürft, wie fie zu fein pflegen, wenn Einer, wie er, 
wit wilder Natur, mangelhafter Erziehung, im fechszehnten 
Jahre zur Regierung fommt: roh, toll, hochmüthig, rachgie⸗ 
%; aber ein reine® Ungeheuer, wozu Hutten ihn macht, 
war er fo wenig al& irgend ein Menfch ein foldhes ift; in 
feiner Wildheit lag doch eine Willenskraft, und, um nur an 
Eines zu erinnern, wie feltfam wäre es geworden, wenn 
unfer Rebner zwölf Jahre länger gelebt, und denfelben Fürs 
fen, den er durch dad Schwert feines Mundes hatte vers 
jagen helfen, nach feiner Wiederherftellung als einen überzeugs 
tm Borfechter der Reformation, mithin in benfelben Reiben 
gefunden hätte, in welchen zulegt auch Hutten geftritten 
hatte? 
Als Gegenftäd zu dem Zerrbilde des Herzogs wird nun 
6 dem ermordeten Hans, dem wadern, fröhlihen, harm⸗ 
leſen @efellen, ein Ideal der BVortrefflichkeit. Zu jeder Tu⸗ 
gend hatte er den fichern Grund gelegt. Er war nicht blos 
der Erſte in jedem Kampfe, fondern auch, wenn er gefiegt 
halte (um mit dem Dichter zu reden) „nicht im Mindften 
kl": kein Wunder, daß der Ruf eines fo feltenen Jüng⸗ 





Sleig, eamque tyrannide induis, ut sic vestitsm et deformatam 
quam laceres et proscindas. 





128 I. Bu. V. Kapitel. 


lingd, nad) des Redners Verſicherung, alsbald dur gam 
Deutfhland drang, daß Jedermann ihn fehen wollte, ein 
allgemeined Werben um feine Freundſchaft, ein Wetteiſer in 
feinem Lob entftand! Bon höchfter Wirkung ift e8 dann aber, 
wie der Redner den Echatten des Grmorbeten felbft fprechen 
läßt: fanfte Vorwürfe gegen feinen Mörder, den er fo ge 
liebt; die Bitte an denfelben, feinen Leichnam der trauernben 
Samilie herauszugeben; ein Lebewohl an das theure Bater- 
land, für das zu leben und zu fterben fein hödhfter Gedanke 
gewefen, an den Vater, die Brüder, den ganzen Fraͤnkiſchen 
und deutichen Adelsftand. 

Eine Bemerkung dürfen wir hier nicht unterbrüden, weil 
uns die Betrahtung von Hutten's größern, namentlich che 
torifchen Werfen öfters auf diefelbe zurüdführen wird: baf 
in diefem zweiten Theile der Rede, feit der Faden der Ge 
ſchichtserzaͤhlung abgeriflen ift, eine feite Dispofition vermißt 
wird. Schon fattfam erledigte Punfte werben noch einmal 
aufgenommen, Beifpiele, Wendungen wieverholen ſich, man 
hat nicht immer das Gefühl, vorwärts, fondern bisweilen, 
im Kreiſe zu geben. Es hängt dieß mit der Art zufammen, 
wie Hutten arbeitete. Es war immer viel Leidenfchaft, viel 
Raturgewalt dabei. Gedanken und Worte drängten fich zu, 
und wurden wohl im Allgemeinen einem gewiflen Plane 
bienftbar gemacht, tummelten ſich aber im Einzelnen mit vier 
ler Freiheit durd) einander. Hutten's Denfen war ein rhetori⸗ 
ſches, Fein logiſches: ſchwerlich hat er je nach einem vorher durch⸗ 
dachten Schema gearbeitet, fondern er überließ ſich der Strö⸗ 
mung feiner Gedanfen; fo, felbft fortgeriffen, riß er Andere 
fort. Und nie verfehlt er, zu vechter Zeit wieder einzulenfen, 
am gehörigen Orte die nöthigen Einfchnitte anzubringen, ges 
gen den Schluß alle Kraft der Gedanken und ber Worte 
noch einmal zufammenzufafien. So auch bier. In kurzem 
Veberblide werden noch einmal alle Hauptgedanfen der Rebe 








Erſte Rede wider Herzog Ulrich. 129 


‚vorübergeführt, und auf den Grund derfelben bei Kaiſer und 
Fürften auf die Berurtheilung des Schuldigen angetragen. 
Oder vielmehr, verurtheilt fei er fchon, den Alles meine, Nie⸗ 
mand mehr grüße, Riemand anrede, den Alle hafien und felbft 
die Riedrigften verachten, Niemand der Berzeihung, Jedermann 
der Beftrafung wertb halte: übrig fei nur noch, das in der 
That ſchon gefälte Verdammungsurtheil auch mit Worten 
auszufprehen. Was die geforderte Strafe betrifft, fo deutet 
Hutten wiederholt die Todesftrafe an ); doch zeigt er fich ein 
andermal nicht abgeneigt, auch mit lebenslänglichem Gefäng- 
niß fich zufrieden zu geben. *) 
Diefe Rede, wie aud, die folgenden über denfelben Ge⸗ 
genſtand, lieg Hutten für jegt noch nicht Druden, jondern 
er und feine Standesgenofien breiteten fie in Abfchriften aus. 
Sie wirften doch. Auch der Herzog erfuhr davon, und es 
wäre dem Redner fchlecht gegangen, wenn er in deſſen Hände 
gefallen wäre. 2) Aber vom Kaifer war ein ernftliches Eins 
Mreiten gegen den fchuldigen Fürſten faum zu erwarten. 
Ran weis, wie kümmerlich fih damals die Kaiſermacht in 
Dentihland aufrecht erhielt. Ohne ausreichende eigene Hülfe- 
auellen, an den guten Willen der verfchiedenen Reichsſtaͤnde 
gebunden, nun auch in auswärtige Kriege verwidelt, mußte 





1) Außer der oben angeführten Stelle nody G: Atıue haec sola 
Bobis spes, solus hic timor est, aut occiso isto, aut per te (den 
Silk) servato. 

2) G 3b: Hinc abducendus es in coecam aliquam et subterra- 
Kam domum, ubi te non contingat illius solis lumen, qui se tuis 
sceleratissimis sceleribus pollui putat, ubi situ ac paedore confectus 
lm vitam finias, quae diis immortalibus odıosa, humano generi 
Pefniciosa est. 

3) Bilibaldi Pirckheimeri epist. ad Hutt. vom 22. Juni 1517. 
Opp. ed, Münch, II, 340: Scribis, te non extra periculum esse: et 
fe quidem. Novit enim ille tyrannus, te orationes acerbissimas 
Mm conscripsisse. Aſclep. Barbatus, a. a. O. ©. 1288, fteflt dieß 
Rt ix Abrede. 

Strauß, Sutten. 1. J 





130 1. Bud. V. Kapitel. 


ed Marimilian’d Bolitif fein, einen Stand durch den andern 
im Schach zu halten; feinen zu mächtig werben, aber aud 
feinen ganz fallen zu laflen; fi) einzelne zu verpflichten, um 
fie gegen andere gebrauchen zu fönnen. So hatte er fi 
diefen Ulrich eigentlich als Gefchöpf herangezogen; hatte bie 
Abfegung feines Oheims, die Ausfchliegung feines geiſtesver⸗ 
wirrten Vaters von der Regierung genchmigt, ihn dann ver 
den Jahren mündig gefprocdyen, feine Eroberungen im Pfälzer 
- krieg ihm beftätigt, endlich feine Nichte, Sabine von Baier, 
ibm zur Ehe gegeben. Begreiflih wollte er dieſen Einfak 
nicht durch fcharfes Einfchreiten gegen einen Fürſten, auf deſ⸗ 
fen Danf er rechnete, verlieren. So nahm er denfelben, als 
er gleihh nah der an Hans Hutten verübten That zu ibm 
(wahrfcheinlid nad) Augsburg) geritten Fam, nicht nur mit 
der tröftlichen Verficherung auf, ihn nicht verlaffen zu wollen, 
fondern lud ihn auch bald nachher zu der Doppelhochzeit feiner 
Enfel (derdinand und Maria) nad) Wien. In der Hutten'⸗ 
fhen Sache aber beftellte er Pfalz und Würzburg als Ber 
mittler, einen Vergleich herbeizuführen. Es follte eine Erkla⸗ 
rung abgegeben werden, in welcher Hans von Hutten als 
unbefchuldigt und redlich anerkannt, die an ihm verübte That 
als ein Unfall dargeftellt würde, in den der Herzog aus higl- 
gem Gemüth gerathen, welcher daneben dem alten Hutten 
zur Ergeglichfeit feines entleibten Sohnes 10,000, und zu 
Seelmefien 2000 Fl. zu bezahlen hätte. Wer weiß, ob fi 
die Hutten’fchen nicht fehon damals in Diefer ober einer aͤhn⸗ 
lihen Weife hätten abfinden laflen, wenn nicht durch ein 
weiteres Mißgeſchick, das den Herzog betraf, ihre Stellung 
eine vortheilhuftere geworden wäre. 

In der Nacht des 24. November 1515 entfloh biefem 
eine Gemahlin, um fih in den Schug ihrer Brüder, ber 
Baiernherzoge, zu begeben. Das fchon vorher geloderte Ehe 
band zwilchen Beiden war durch die Erfchütterungen, welche 








132 A. Buch. "Vi Kapitel 


fahren, bis fie ihn unfhädli gemacht haben werben. Sie 
werden noch fo lange zuwarten, bid er an ber Spige ine 
Heeredmadht ihres Berichtes ſpotten werde; denn bereits ftehe 
er mit den Schweizern und mit Frankreich in Unterhandlung 
Alſo haben fie mit ihrem Urtheilsfpruch und deſſen Vollſtreckung 
fich zur beeilen. „Noch hat er ſich nicht verftärft: überfallet 
ihm unverfehens. Er ift in die Grube geftürgt: decket ihn zu, 
In die Schlingen von Gefeg und Recht ift er verftricht: Haltet 
ihn. feft, erwürget ihn. Laſſet ihm nicht fich loswickeln. Gebet 
ihm nicht Zeit, aufzuathmen und ſich zu fammeln. Zwar 
fei der Verbrecher in feinem eigenen Innern ſchon gemug 
gerichtet. „Denn, fagt der Redner, „ſo ſchlau er ed verbergen 
mag, führt er doch das allerunglüdfeligite Leben, Kein Ber- 
trauen, nichts als Furcht. Immer ift er in Sorgen. Alles 
ift ihm verdächtig. Die Freunde, wenn er ſolche hat, hält 
er für Heuchler. Er fürchtet jeden Erfolg. Bei jedem Ge— 
räufche zittert er. Nie glaubt er Vorficht genug angewendet 
zu haben, Er verftedt fih unter dem Haſſe der Seinigen, 
und unter dem Unwillen Aller tritt ver hervor, Sich felbit 
würde ex trauen, wenn er allein fein könnte, : Aber and fo 
bat er Feine Raft. Im Wachen wie im Traume folge ihm 
feine Strafe. Bor feinen Augen ſchweben die Geſtalten feiner 
Berbrechen. Er nagt fih im Innern, jagt: nad), außen, An 
dere verachten ihn; er jelbit verzweifelt an ſich Umringt it 
er von einem Heere von Schhreden.  Belagert von dem füge 
lichen Andenken: feiner Webelthaten, Die Wellen ‚der Sorge 
treiben ihn um, die Brände feiner Schandthaten zehren ibn 
aus.” Dieſe an dem Verbrecher fich bereits von felbit voll 
ziehende Strafe entbinde aber die Richter ihres: Amtes nicht, 
Ihre Aufgabe fei, ihn unſchädlich zu machen, und dieß fünne 
nur durch jeine Hinrichtung gefchehen. Wenn Kaifer und 
Fürften zaubern, follen die Unterthanen des Uebelthäterd fi 
rühren. „Auf, ihr Schwaben, ergreifet die freiheit, nach der 








134 1. Buch. V. Kapitel. 


doch nicht enthalten, fondern fie geichlagen babe: fo werben 
wir dieſe Klagen des Mannes über bie junge Yrau glaublid 
finden, wenn wir wiflen, daß fie noch als Dreiundfunfzig: 
jährige gegen ihren Bruder in einer Erbfchaftsfache ſich fe 
wuüthend bezeigte, daß dieſer fie einfperren und einige Monat 
fiten lieg.) Den Umftand, daß der Herzog zwei feine 
Diener, die fich ehrenfränfende Aenßerungen über Sabin: 
erlaubt Hatten, dem Kaiſer herauszugeben ſich weigerte, und 
Sabinens Behauptung, fie habe fich bei Ulrich ihres Lebens 
nicht mehr ficher gewußt, dreht der Redner zu dem Bormurfe 
zufammen, der Herzog habe fie umbringen wollen, um ihr, 
wenn fie ftumm gemacht wäre, die entehrendften Dinge nad): 
zufagen. Iſt diefe Verknüpfung abenteuerlich, fo ift die Un 
deutung ausländifcher Lafter, denen der Herzog ergeben gewes 
ſen ), durch feine hiftorlihe Spur beftätig. Hutten felbR 
geftand, in jeinen Ulrichsreden fich der herkömmlichen red» 
nerifchen Freiheit bedient, es mit der gefchichtlichen Wahrheii 
der einzelnen Züge nicht immer genau genommen zu haben. ® 


1) ©. Heyd, a. a. ©., I, 386 fo. 


2) I: Atque utinam perpetuo lateant quaedam, aut saltem ad 
exterarum gentium notitiam non perveniant, quae iste flagitia, qua 
turpitudines, quae ignota prius Germaniae flagitia admisit. Ubi 
si ea dicere vellem, quae iste audire posset, ego citra pudori 
mei jacturam loqui non possum: quantas, Germani, tragoedias mo- 
verem, quam novarum improbitatum spurcissimam faciem osten- 
derem? Bgl. nody in der vierten Rede die Stelle über den junge 
Thumb, P3: quo tu puero primum, et adolescente paulo post, quo- 
modo usus sis, quid ad hoc negotium pertinet? Unb T: Ac milk 
dicere, quomodo habueris tuam uxorem, .. quae cum .. tuam per- 
versam libidinem ac turpitudinem ferre non posset . . adempt 
tibi est. In den Ausfchreiben Sabinens und ihrer Brüder, bei Aretin 
IV, 385 fg., findet fich feine Beſchuldigung diefer Art. 


3) Das Geftändnig bezieht fih zwar zunaͤchſt auf die vierte Rebe 
Laur. Behaim Epist. ad Bilib. Pirckheimer., bei Heumann, Document 











136 1. Buch. V. Kapitel, 


mit Baiern, fi zur Selbfthülfe rüfleten. Im September 
ftanden fie mit nahezu 1200 Pferden zu Wemdingen. Aber 
Herzog Ulrich blieb auch nicht müffig. "Während er eine 
Widerlegung des Hutten’fchen Ausfchreibens abfaffen ließ, bot 
er feine Unterthanen auf, fchrieb an die mit ihm in Einung 
ftehenden Fürften, Herren und Städte um Zuzug, und trat 
auch mit den Eidgenofien in Unterhandlung. So ließ fid 
Alles zum Kriege an): und bier fällt nun Ulrich Huttew’s 
Dritte Rede ein, die zwar, wie fchon die zweite, fpäter ver 
faßt, aber fo componirt ift, wie wenn fie etwa zu Anfang 
Septemberd 1516 gehalten wäre. 2) | 

Was er, der Redner, den Fürften vorbergefagt, fei ein: 
getroffen: der jüngft noch von Allen verlaftene, von Angſt 
geiagte Verbrecher ftehe ihnen jept in kriegeriſcher Rüftung 
gegenüber. Als ächter Gatilina fchide er fi an, den Brand, 
den er entzündet, Durch den Ruin des Vaterlandes zu Löfchen. 
Noch ftehe es in des Kaiferd und der Fürften Macht, ihn 
durch ihren Spruch zu entwafnen: wenn fie das Verdam⸗ 
mungsurtheil über ihn ausfprechen, werden die Banditen, bie 
fit) um ihn geichnart, fich verlaufen, man werde ihn fangen, 
binden und zur Strafe führen fönnen. Aber es fei die höchſte 
Zeit, die dringendfte Nothwendigkeit. Nicht als ob fie, bie 
Hutten, ſich nit im Nothfalle getrauten, auf eigene Hand 


1) Zu dem Bisherigen vgl. Heyd, a. a. O., ©. 481 fg., 449 fg. 

2) Ulrichi de Hutten etc. oratio terlia, Stedelberger Sammlung, 
L4®—0O. Opp. ed. Münch, II, 122—40. Sie iſt, wie auch fchon die 
zweite, in Italien, ohne Zweifel in Bologna, verfaßt, |. Ep. Jo. Cochlaei- 
ad Bilib. Pirckheimerum, Bonon. 25. Mart. 1517; bei Heumann, Do- 
cum. lit., p.19: Huttenus .. composuit orationes acerrimas more- 
que veteri accusatorias in ducem illum Wirtenbergensem. für bie 
dritte Rede geht dieß außerdem aus ber Erwähnung der discissa bucca 
(Nd, wovon weiter unten) hervor; für die zweite daraus, daß fie Gabi. 
nens Flucht vorausſetzt, welche erft nach Hutten's abermaliger Abreife 
nach Italien vor fid) ging. 








138 I. Bu, V. Kapitel. 


als eine ebenfo wohlbedachte, wie wohlberechtigte, ganz auf 
fi. Es fei kein Mord, fondern die rehtmäßige Hinrichtung 
eines Webelthäterd geweien. Unter ven Uebelthaten bes jungen 
Hutten wird vor Allem hervorgehoben, daß er dem Herzog 
über feine gelobte und handgegebene Trene treulos und brüdhig 
geworben fei. Worin und wiefern, wird nicht gefagt. Ferner 
habe er den Herzog bei hohen und niedern Standeöperfonen 
hart und hoch verunglimpft; insbefondre über ihm erpichtet, 
als hätte er fich unterftanden, ein ehrenreich Frauenbild, löbs 
lichs, ehrlichs Stammens, Namend und Herkommens, die 
ſich gegen ihn und maͤnniglich loͤblich, ehrlich und wohl ges 
halten (das wäre eben Hanſens Frau), an ihren fraͤulichen 
Ehren: ſchwächen, und fie zu Vollbringung feines unges 
bührlihen Willend durch Drohung mit Schlägen und Miß- 
handlung nöthigen zu wollen. Auch von wiederholten Bor 
halten, die der Herzog dem jungen Ritter wegen feines pflicht« 
widrigen Benehmens gemacht, und dem bald reumäthigen, 
bald trogigen Bezeigen deſſelben, ift die Rede. Wie wenig 
biefe Urfachen zureichten, die That des Herzogs zu ent- 
ſchuldigen, fühlte der Concipient feines Ausſchreibens (nach 
Hutten's Vermuthung der Würtembergifche Kanzler Gregos 
rius Lamparter) felbit; daher deutete er noch „etlich namhaftig 
Artikel an, in denen Hand von Hutten ſchaͤndlich, böslich, 
untreulicdy gegen den Herzog gehandelt, die er aber zu Ehren 
und Verſchonung anderer hohen und niedern Standes Perfonen 
vorbeigehen wolle“. 

Doch gefegt, Hand war ein Verbrecher: wie war denn 
fein Mord eine Hinrihtung? Es war ein feltiamer Einfall, 
wer ihn aud) gehabt haben mag, wie man bier dem Herzog 
zu helfen fuchte. Nachdem fein Schladhtopfer gefallen war, 
hatte diefer, wie erzählt worden, am Yuße eines Baumes 
einen Degen in den Boden geftoßen, und daran einen um 
den Hald des Ermordeten gefchlungenen Gürtel feftgefnüpft. 





Unsfchreiben bes Herzogs und Antwort ber Hutten'ſchen. 139 


Schwerlid hatte er dabei urſprünglich eine andere Abficht, ale 
denſelben als Einen, der das Hängen verdient hätte (wie er 
igm auch vorher gefagt haben will), zu befchimpfen. Run 
fiel aber ibm oder einem feiner Rathgeber ein, daß, nad 
den Bräuchen des Wehfäliichen Gerichts, in den Baum, an 
weichem der Schuldige aufgehenkt wurde, als Zeichen, daß es 
nach gerichtlichem Verfahren gefchehen, ein Meſſer geftedt zu 
werden pflegte. Ulrich war, wie bie meiften Yürften jener 
Zeit, Vreifchöffe des heimlichen Gerichts: freilich hatte er ſechs 
Jahre vorher ſich und feine Untertanen durch den Kaifer von 
demſelben befreien laſſen; freilich mußte, nad den Geſetzen 
defielben, der Hinrichtung ein Spruch des Gerichts voran» 
gehen, mußten bei der Vollſtreckung mehrere Freiſchoͤffen zu⸗ 
gegen fein; gefchweige daß Einer in eigener Sache den Kläger, 
Richter und Henker zugleich machen durfte.) Immerhin: 
Herzog Ulrich erflärte jebt, er habe an Hand Hutten ale 
wiſſender Freifchöff, gemäß den Rechten der freien Stühle 
beimlicher Gerichte, gehandelt. 

Die Verſchweigungen, Winfelzüge und Unglaublichkeiten 
dieſer herzoglichen Schugfchrift waren fo grell, fo handgreif- 
li, daß eine Duplif von Seiten der Hutten’fchen nicht lange 
auf fich warten ließ.) Ueber das Berhältniß des Herzogs 
zu dem Weibe ded Ermordeten hatten fie bisher gefchwiegen ; 
der Herzog in feinem Ausfchreiben hatte die Sache nur 
geheimnißvoll ablehnend berührt. Jetzt gingen die Hutten’- 
[hen mit der Sprache heraus. Sie brachten einen Brief- 
wechfel Hanſens und feines Schwähers mit dem alten Hutten 
zum Borfchein, welcher die Verführungsverfuche des Herzogs 





1) ©. Sep, a. a. D., ©. 445 fg. 

3) Derer von Hutten gebrudtes Anusfchreiben wider Herzog Ulrichen 
zu Eirtemberg. Bom 22. Sept. 1516. Gattler, a. a. O., Beil. 86, 
©. 312—27. H. Opp. ed. Münch, p. 238 - 68. 





140 150 1-Bud, V. Kapitel. Tr ST 


außer Zweifel jegte; fie enthüllten die verhängnißvolle Seen 
des berzoglichen Fußfalls. Aus feinem andern Grunde, fageı 
fie, habe ‚der Tyrann, wie fie ihm nennen, „den fromme) 
unſchuldigen Menfchen ermordet, als damit er fürber jeim 
halb unverhindert fein böfe Begierd mit feiner ehlichen Haus 
frau defterbaß zu Wege bringen möchte. — 

Mittlerweile ſchien auch der alte Kaiſer doch endlich Ern 
machen zu wollen. Der endloſen Ausflüchte, des unbeugſa 
men Trotzes von Seiten Ulrich's müde, ſprach er am Abend 
des 11. October die Acht gegen ihn aus. Die Baiern un 
die Hutten ſtanden unter den Waffen; der Kaiſer konnte di 
Acht durch fie vollziehen laſſen: im Gegentheil aber unterfagt 
er dieß. Er wollte den Krieg vermieden wiſſen, und der wär 
ausgebrochen, denn aud Herzog Ulrich ftand in voller Rü 
ftung bei- Göppingen. Ihm befreundete Unterhändler, befon 
ders der ſchon früher genannte Matthäus Lang, Cardinal um 
Biſchof von Gurk, ſchlugen ſich ins Mittel: fo wurde ei 
Tage nach ver Adhtserflärung diefe durch den Blaubeurer Bar 
trag aufgehoben, und der Herzog unter: ſehr leidlichen. Bedin 
gungen wieder in all feine Würden eingefept. Ludwig Hutter 
der den Vertrag zu Augsburg unterzeichnete, mußte ſich nu 
doch mit einer Geldſumme abfinden laffen, die nidyt einme 
der Herzog ihm, jondern die Würtembergifche Landichaft z 
Handen des Kaiſers bezahlen follte, der, fie feiner Verfügun 
vorbebielt. ?) La 7T 

Man kann ſich denken, wie aufgebracht Ulrich Hutte 
über dieſen Vertrag war, In feiner dritten Rede, die mac 
der Aufrihtung deſſelben gefchrieben ift, hat er ihm gan 
ignerirt. Er ignorirte ihn noch einmal in feiner vierten, DI 


1) Es waren 27,000 FL, worin, außer der Ergetzlichleit und de 
Seelmeflen, auch noch eine Entſchädigung der Hutten wegen aufgelaufı 
ner Kriegsfoften begriffen war. Send, aa. D., ©: 465 far 





140 1. Buch. V. Kapitel, 


außer Zweifel fegte; fie enthüllten die verhängnißvolle Scene 
des herzoglichen Fußfalls. Aus feinem andern Grunde, Tagen 
fie, habe der Tyrann, wie fie ihn nennen, ‚den frommen 
unfchuldigen Menjchen ermordet, al8 damit er fürder feint 
halb unverhindert fein böfe Begierd mit feiner ehlichen Haus⸗ 
frau deſterbaß zu Wege bringen möchte”. 

Mittlerweile fchien auch der alte Kaifer doch endlich Emm 
machen zu wollen. Der endlofen Ausflüchte, des unbeugſa⸗ 
men Troges von Seiten Ulrih’8 müde, ſprach er am Abende 
des 11. October die Acht gegen ihn aus. Die Baiern und 
die Hutten fanden unter den Waffen; der Kaifer konnte die 
Acht durch fie vollziehen laſſen: im Gegentheil aber unterfagte 
er dieß. Er wollte den Krieg vermieden wiflen, und der wär 
ausgebrochen, denn aud Herzog Ulrih ftand in voller Rü 
ftung bei Göppingen. Ihm befreundete Unterhändler, befon 
ders der ſchon früher genannte Matthäus Lang, Cardinal und 
Bifhof von Gurk, fchlugen fih ins Mittel: jo wurde elf 
Tage nach der Adıtderflärung diefe durch den Blaubeurer Ber 
trag aufgehoben, und der Herzog unter fehr leiblichen Bebin- 
gungen wieder in all jeine Würden eingefeßt. Ludwig Hutten, 
der den Vertrag zu Augsburg unterzeichnete, mußte fih nun 
doch mit einer Geldſumme abfinden laffen, die nicht einmal 
der Herzog ihm, jondern die Würtembergifche Landſchaft zu 
Handen des Kaiſers bezahlen follte, der fie feiner Berfügung 
vorbehielt. *) 

Man kann ſich venfen, wie aufgebradht Ulrich Hutten 
über diefen Vertrag war. In feiner dritten Rede, die nad 
der Aufrichtung deſſelben gefchrieben ift, hat er ihn gan 
ignoritt. Gr ignorirte ihn noch einmal in feiner vierten, bie 


1) &s waren 27,000 Fl., worin, außer der @rgeplichfeit und den 
Seelmefien, auch noch eine Entichädigung der Hutten wegen aufgelaufe 
ner Rriegefoflen begriffen war. Heyd, a. a. O., ©. 465 fe. 





Hutten’s vierte Rede wider Herzog Ulrich. 141 


noch fpäter, nach feiner zweiten Rüdfehr aus Stalien, im 
Auguft 1517 zu Bamberg verfaßt if.) Er Eonnte dieß um 
fo füglicyer, da jener Bertrag die Geftalt der Dinge nur einen 
Augenblid verändert zu haben ſchien. “Der Herzog brach den- 
felben fogleih, fiel dem Hauptbeiſtande feiner entflohenen- 
Gemablin, Dietrid Spät, und dem Tochtermann Ludwig's 
von Hutten, Zeifolf von Roſenberg, in ihre Schlöffer und 
Dörfer; die Landfchaft weigerte fich, die Entichädigungsfumme 
für die Hutten’fchen zu bezahlen; der Kaifer erneuerte die 
Adhtserflärung, die Parteien die Rüftungen: und Alles ftand 
wieder wie zuvor. ®) 

Wie Hutten’d erfte Rede dem erften, fo geht nun bie 
vierte?) dem zweiten Ausfchreiben der Hutten’fchen zur Seite, 
und fteht, wie dieſes, der Rechtfertigungsfchrift des Herzogs 
entgegen. Sie tft die umfangreichfte von Hutten's Reden wi⸗ 
der den ledtern, ob fie gleich in wenigen Tagen eilig zufam- 
mengefchrieben wurde. War doch das herzoglihe Manifeft 
wie gemadt, um von Hutten kritiſch und dialektifch zerfebt 
zu werden. Er nennt es ein ctenftüd, in dem nichts zus 
fammenhänge, Alles ſich gegenfeitig aufhebe. Fürs Erfte . 
fimme nicht zufammen und verrathe ſich dadurch als un- 
wahr, was das herzogliche Ausichreiben von dem Benehmen 
des jungen Hutten fage. Er folle vom Bewußtſein feiner 
Uebeltbaten fo zerfniricht geweien fein, daß er mehr als ein- 
mal habe fterben oder ins Elend wandern wollen: und doch 


1) Epist. Laurentii Behaim ad Bilib. Pirckheimerum (Bambergae) 
21. Aug. 1517, bei Heumann, Docum. lit., p. 257: (Huttenus) confecit intra 
paucos dies et quartam contra D. Wirtenberg. invectivam, et qui- 
dem acrem. Suasi, ut post publicationem ejus se bene, ut circum- 
spectus, custodiat, ne sibi, quod et Ciceroni, quod absit, contingat. 

2) ©. Heyd, a. a. D., ©. 493 fg. 

3) U. de Autten, eq. Germ., in Ulrichum VVirtenbergen. oratio 
quarta. Gtedelberger Sammlung, O—T 2. Hutteni Opp. ed. Münch, 
I, 141—86. 





142 L. Bud. V. Kapitel. 


wieber gegen ben Herzog gepocht und feiner gefpottet haben. 
Bor jenem legten Ausritte folle er vor dem Herzog gervarnt 
gewefen fein, feine drohende Miene felbft geſehen haben: und 
Doch unbewaffuet mit ihm geritten, allein bei ihm geblieben 
fein. Was fein Vergehen betreffe, fo fage der Mörder immer 
nur, er habe die Treue gebrochen, fei meineidig geweien. Aber 
worin? wodurch? damit möge er doch endlich herausrüden. 
Ebenfo voll innerer Widerſprüche fei, was ber Herzog von 
feinem eigenen Benehmen ſage. Wenn Hans Hutien ein 
Verbrecher war, warum ließ er ihn nicht öffentlich durch An⸗ 
dere richten und hinrichten? Wozu brauchte e8 ben einfamen 
Wald, und wozu eigener Handanlegung? Wenn «6 eine 
Hinrichtung war, was brauchte er den Hinzurichtenden an- 
aufchreien, er folle fich feines Lebens wehren? Eine Hinrich⸗ 
tung ift kein Kampf, und ein Kampf feine Hinrichtung. Ends 
lich, wenn er fi unfchuldig und Hanfen mit Recht umge 
bracht wußte, warum ließ er dem Vater deſſelben durch feine 
Mitteldmänner eine Geldfühne nebſt Ehrenerflärung für den 
Getoͤdteten anbieten? Die Berufung auf dad Recht der Weſt⸗ 
fälifchen Gerichte war ohnehin leicht zurüdzumeifen. 

Die Krau betreffend, waren in dem zweiten Ausfchreiben 
der Hutten’fchen nur des Herzogs Anlaͤufe brieflich belegt, 
und dem Morde die Abficht vefielben untergefiellt, deſto eher 
feine Reidenfchaft befriedigen zu Finnen: ob fie aber in dieſe 
Abſicht eingegangen, war nicht gefagt. Dieß thut num Ulrich 
Hutten in feiner vierten Rede, nachdem er es fchon in der 
zweiten angebeutet hatte.) Er nennt Hanfens Weib die He 
lena dieſes Kriegs, belegt fie mit den fehimpflichften Ramen *) 


EEE me = —— 


I) Orat. II, 110, bei Muͤnch (von Sabine): pellicom passa eam, 
quam mariti sui sanguine quaesitam omnes scirent. 


2) Turpissima moecha, detestabile scortum. 








144 1 Bud. V. Kapitel. 


daß er nichts gelernt hätte. 2) Durch Hutten und feine lite- 
rarifchen Freunde werde er und feine Thaten nach Berbienft 
fortleben. „Ich beneide dir deinen Nachruhm, du Henker, 
fpricht der Redner ihn an: „man wird ein Jahr nad bir 
benennen, wird deiner Unthat einen Tag zueignen. Die Nady- 
welt wird leſen, es fei Einer in dem Jahre geboren, in wel- 
dem du Deutfchland mit unauslöfchlier Schmach befledt 
haſt. Du wirft in den Kalender fommen, Schurke. Du 
wirft die Geſchichte bereihern. Deine That ift unfterblich, 
dein Rame für alle Folgezeit merkwürdig: du haft erreicht 
was du wollteſt.“ Freilich eine Heroftratifche Unfterblichkeit: 
aber für die Wünfche eines Ungeheuers ein ganz entfprechen- 
des Ziel. 

Zur Ausmalung der Berworfenheit feines fürftlichen Geg⸗ 
ners hatte diefer dem Redner um die Zeit der Abfaflung feiner 
vierten Rede reichlich neuen Stoff gegeben. Kaum durch den 
Blaubeurer Vertrag wieber ficher geftellt, hatte er, gereizt, wie er 
nım war, angefangen, mit Foltern und Hinrichtungen gegen 
die Männer zu wüthen, welche ihr Land vor der Beſchaͤdi⸗ 
gung durch einen unbändigen Fürſten mittelft eines Regiments 
hatten fchligen wollen, das den Herzog eine Zeit lang befei- 
tigt und bleibend befchränft haben würde. 2) Aber ausdrüd- 
liche Erwähnung durfte Hutten von diefen neuen Graufam- 
feiten nicht hun, da er feine Rebe in einen frühern Zeitpunft 
verlegte. So fchildert er nur im Allgemeinen das Innere 
feines Gegners als ein Labyrinth, aus deſſen Krümmungen 
und Falten immer neue Gräuel ſich entwideln. Wenn er 
etwas Boͤſes unterlaffe, jo fei er nur zu feig ed auszuführen. 
Hätte er fo viel Muth als übeln Willen, fo würde er längft 


1) Quanti emeres, nil didicisse me. 
2) S. Süd, a. a. O. Dierter Abfchnitt. Drittes Kapitel: Des 
Herzogs Rache, ©. 475 fg. 





Vierte Mede wider Herzog Ulrich. 145 


Aled um ſich ber gemorbet haben. „Du nichtöwürdigftes 
aller zweibeinigen Geſchöpfe,“ redet er ihn einmal an. „Du 
haft Luft zu allem Böfen und zu nichts Gutem. Du bijt fchlechts 
hin böfe. Welches Glied von dir Einer bewegen, welchen 
Blutstropfen unterjuchen mag: es ift nichts Gutes darin. 
Man muß glauben, die Natur habe in dir cine Werfftätte 
von Vebelthaten bereiten wollen.” 

Gegen einen fo gefährlichen Verbrecher einzufchreiten, fors 
dert Hutten den Kaifer und die Fürſten noch einmal in einer 
ſchwunghaften Schlußrede auf. „Gib uns Gehör, o Kaiſer,“ 
fagt er. „Gib und Gehör, Beichüger der Unſchuld, Erbalter 
ber Gerechtigkeit, der Freiheit Hort, Liebhaber der Frömmig⸗ 
feit. Gib und Gehör, du Nachfolger des Auguftus, Neben- 
buhler ded Trajanus, Herr des Erdkreiſes, Lenker des menſch⸗ 
lichen Geſchlechts. Entferne die allgemeine Furcht. Nette 
was von Deutichland noch übrig if. Rechtfertige dein Zeit 
alter, Deinen Ruf und Leumund. Raäche die Guten, beftrafe 
die Böfen. Die Klage der Waifen, dad Blut der Unfchuls 
digen fchreit zu dir. Er, der Viele gemordet hat, die Uebri- 
gen zu morden trachtet, Allen Verderben bereitet; der den Gat- 
tinnen die Gatten, den Vätern die Söhne, den Freunden ihr 
andere8 Ich, dem gefanımten Deutihland feine Hoffnung, 
feine Erwartung entriffen bat; der Heiligthümer geplündert, 
an Prieſter frevelnde Hand gelegt, Tempel beraubt hat; der 
Deutfchland verkauft, Leben und Gut redlicher Bürger feil 
geboten bat; der jeine Gemordeten dem heimathlichen Begräb- 
niß vorenthält, und verbietet, um unfre Todten zu trauern; 
er, erfinderifch in Grauſamkeit, thatfräftig in Unmenfchlichkeit; 
der Mörder, Bandit, Henfer der Guten, Widerfacher der In- 
ihuld, Feind der Götter und Menfchen: werde zerriffen, zerftüdt, 
zerichmettert, getödtet, vernichtet, dem Schwert, dem Feuer, dem 
Kreuz und Stride preißgegeben. Ihr aber, deutfche Fürſten 
und Männer, reißet endlich aus der Scheide eurer Zögerung 

Strauß, Hutten. 1. 10 





148 I. Buch. VI. Rapitel. 


bahn lag dem alten Hutten für feinen Sohn, nachdem diefer 
die geiftliche verlaffen hatte, im Sinne. Nun hatte aber Ul- 
rich, nad einem furzen Anlaufe, ſchon in Italien ſich wieder 
zu feinen Narrenspofien nugae), wie der Alte ed nannte, 
zurüdgewendet, war nicht als Magifter oder Doctor, fon: 
dern als Nichts, als der Niemand, zurüdgefommen. Seinen 
Adel ſchien er durch die unritierlihen Studien verwirft zu 
haben, und eine andere Auszeichnung hatte er nicht gewon⸗ 
nen. Die Dienfte, weldye für den Augenblick feine fchön- 
geiftige Yeder in dem Streite mit dem Herzog von Würtem- 
berg leiftete, nahm man mit, ohne über feine Studien im 
Allgemeinen die Anficht zu ändern. 

Diefes Nichts und Niemand, das Hutten jebt fo oft 
zu hören oder doch zu empfinden befam, brachte ihm einen 
poetifhen Scherz in Erinnerung, welchen er fchon vor oder 
während feiner erften italiänifchen Reife hingeworfen hatte: 
er fuchte feinen Niemand wieder hervor ?), deſſen Beſprechung 
wir auf diefe Stelle verfchoben haben. Zunaäͤchſt ift dieſer 
Niemand, wie das griehifhe Wort auf dem Titel und fchon 


1) Hutteni Epist. ad Erasmum. Wormat. 24. Oct. 1515 (nidıt 
16, wovon bald mehr), Opp. ed. Münch, Il, 298: Videbis editum a 
me Neminem, carmen non omnino contemnendum forte, in cujus 
Praefatione Tui, ut decuit, memini honorifice.e Da bie erfte Ausgabe 
bes Nemo feine Borrede hat, in dem Brief an Erotus vor der zweiten 
aber diefe Erwähnung fich findet, fo war alfo die neue Ausgabe damals, 
vor Hutten’s zweiter Abreife nach Italien, fchon hergerichtet. Doch ver: 
zog fi die Herausgabe bie nach Hutten's Rüdfehr: f. Epist. ad Julium 
Pfliugk, Augustae Vindelic. 9 Cal. Sept. (1518) hinter der zweiten Aus: 
gabe des Nemo, Opp. ed. Münch, II, 529: Nenio revixit et ad Cro- 
tum mittitur. Diefe zweite Ausgabe hat den Titel: Obric Nemo, da: 
runter das Bildniß des Niemand; Hinten: Impressum Augustae in offi- 
eina Milleriana. Vgl. Banzer, &. 77 fg. Der Tert fammt Vorrede ift 
wieberabgebrudt in Ulrichi Hutteni Opera poetica. Q5P—R 6®: Opp. 
ed. Münch, II, 306—820. 





Umarbeitung des Niemant. 149 


vor der erften Ausgabe ein Epigramım )) anzeigte, der home: 
riſche Ovrıc, mit welhem Odyſſeus den Cyclopen äffte. So 
erfcheint er auch im zweiten Theile des Gedichts als die 
ftehende Ausrede nichtsnugiger Dienftboten: fie mögen zer- 
brochen oder fonft zu Grunde gerichtet haben was fie wollen, 
immer hat es der Niemand gethan.?) Diefem fehr ausge: 
führten befchreibenden Theile ift nun aber, ſchon in der erften 
Ausgabe, ein Fürzerer, mehr epigrammatifcher, vorausgefchict, 
deffien Wi in der Zweideutigfeit befteht, daß der Niemand 
zunächft als wirkliche Perfon erfcheint, von der ganz außer: 
ordentliche, unglaubliche Dinge ausgefagt werben, bis er auf 
einmal ald bloße Verneinung zerplagt. (Der) Niemand war vor 
Erſchaffung der Welt; Niemand fann, Niemand weiß Alles; 
Niemand dauert immer, Niemand ift von Fehlern, von Irr⸗ 
thum frei; Niemand ift in der Liebe weile, Niemand kann 
zweien Herren dienen u. 1. f. 

Tas fo angelegte Gedicht ift in der neuen Ausgabe we- 
fentlich verbeffert und von 48 Diftihen auf 78 vermehrt. 
Dem Ausdrud ift durchweg nachgeholfen, vermittelnde Züge 
angebracht, da und dort fchärfere Lichter aufgefegt, dad Ganze 
feiner und bezüglicher gemacht. Im erften Theile beſonders 
find Verſe eingeihoben, in denen nun der MWig nicht mehr 
blo8 der logische des Umſchlagens einer vermeintlichen Perfon 
in eine bloße Berneinung ift, fondern einen moralifchen oder 
politifhen Stachel befommt. Niemand bringt fich durch reine 
Eitten in der Welt empor; Niemand fegt den gemeinen Ru: 
gen vor den eigenen; Niemand ift fromm und Hofmann zu—⸗ 


— — — — — 


1) Jocus de Nemine ex Odissea Homeri, 7 Diſtichen. Opp. ed. 
Münch, II, 305. 
2) Dum qmaerit, dum nosse cupit (der heimfehrende Herr, wer 
ven Schaden angerichtet habe): Nemo omnia fecit, 
Effiriorque omnis criminis auctor ego. (Erſte Ausgabe.) 





150 L. Buch. VI. Kapitel. 


gleich; Niemand bringt alle Deutfchen unter Einen Hut; 
Niemand wehrt den Türken ab; Niemand kommt dem feuf- 
zenden Italien zu Hülfe und befreit die Stadt des Duirinus 
von der Pfaffenherrfchaftz Niemand wagt.es, die Ueppigfeit 
und den Müffiggang der Geiftlichkeit, Niemand den Papft 
zu tabeln %: das find nicht mehr die harmlofen Witze eines 
jungen Schöngeiftes, jondern Gedanfen eines Mannes, der 
die Welt gejehen und über die menfchlichen Verbältniffe nach⸗ 
gedacht hat. 

Sein perfönliches Anliegen bringt Hutten in dem Ger 
dichte felbft nur in dem Zuge vor, welchen die neue Be- 
arbeitung einfchiebt: Niemand reiche den rechten Studien den 
verbienten Lohn. 2) Diefen Niemand, fagt er in der profai« 
ſchen Widmung an den alten Freund Crotus, mit der er 
bie zweite Ausgabe des Gedichts begleitete, diefen Niemand 
babe er jest, bei feiner Rüdfehr in die Heimath, gefunden. ®) 
Zugleich macht er fi nun aber bier, in die Meinung des 
großen Haufend fcherzhaft eingehend, felbft zum Niemand, 
und was er redet und fchreibt zu Nichts. Der Freund beflage 
fih (in einem und nicht aufbehaltenen Briefe) Darüber, daß 
Hutten ihm ein ganzes Jahr nichts gefchrieben: allein wer 
felbft Nichts fei, wie könne man von dem Etwas verlangen? 
So ſchicke er ihm denn biemit Nichts, und Riemand fei ver 
Ueberbringer. Wolle Erotus wiffen, woher auf einmal dieſer 
Einfall? fo dürfe er fih nur an ihre naͤchſten Erfahrungen 


1) p. 317, Münch: 
Nemo sacerdotum luxum vitamque supinam, 
Nemo audet Latium carpere Pontificem. 
2) Ebendaſ. 
Nemo refert studiis praemia digna bonis. 
8) p. 307: In patria miser inveni Neminem aequum studiorum 
meorum judicem. Illum vide Neminem, qui hoc de se dicit: 
Nemo refert studiis etc. 





Zueignung bes Riemand an Crotus. 151 


erinnern. Beide haben fie den Berfuch gemacht, was Durch das 
eifrigfte Betreiben der beften Studien zu erreichen fei. Erreicht 
baben fie, daß man öffentlich von ihnen fage, fie haben Nichts ges 
lernt und feien Nichts. 1) Dem Freunde fei es hierin noch leid⸗ 
licher gegangen als ihm, der fo, wie oben befchrieben, bei feiner 
Heimfehr empfangen worben fei. Befinde er fich unter feinen 
Rittern, fo zählen fie ibn nicht, und auch die Gelehrten er- 
fennen ihn nicht an. Die Ritter würden ihn gern als ihres⸗ 
gleichen gelten laſſen, wenn er nur nichts gelernt hätte. Die 
Gelehrten aber fehen auf folhe Studien, wie er und Crotus 
fie gemacht haben, mit der äußerften Verachtung berab. 

Im ausſchließlichen Beflge des Wiſſens Dünfen fich jetzt 
befonders die beiden Kaften der Juriften und der Theologen. 
Die Einen fhmwören auf Accurfius, Bartholus und Baldus, 
die Bloffatoren und Commentatoren des Corpus juris; bie 
Andern auf Thomas und Scotus, Albertus und Bonaventura 
mit ihren Quäftionen und Syllogismen. Beide aber feien die 
Pet, die Einen des Rechts und des Gemeinmohls, die Andern 
ber Religion und Theologie. Auf beiden Seiten ſei eine eins 
fache Grundlage durch mafjenhafte Commentare verdeckt, ein 
urſprünglich faßlihes Studium in undurchbringliche Rebel 
gehüllt worden. 

Die Juriften fchießen jegt an den Höfen wie Pilze auf, 
genießen ausfchlieglih die Gunft und theilen die Schäße der 
Fürften. Wenn diefe durd irgend etwas ihren Unverftand 
beweifen, fo fei e8 durch die Begünftigung jener Rabuliften. 
„Als hätte e8 nicht beffer um Deutfchland geftanden, ehe diefe 
Menichen auffamen mit ihren vielen Bücherbänden; dazu⸗ 
mal, als bier (nad) Tacitus) gute Sitten noch mehr galten 


1) p. 306: Periculum fecisti mecum, quid mereantur, qui Op- 
tima studia studiosissime sectati sun. Nempe ut nihil didicisse, 
et ipsi homines nihili dicantur propalam. 





152 I. Buch. VI. Kapitel. 


als anderswo geichriebene Geſetze. Oper ald ob noch jetzt 
nicht jedes Gemeinweſen um fo beffer verwaltet wäre, je weiter 
diefe Sloffatoren davon find. Da fehe nur Einer jene Sadı- 
fen am Baltifchen Meere, wie fie ohne Auffchub und ohne 
Gefährde Recht fprechen, indem fie zwar nicht die genannten 
Geſetzkraͤmer, aber die althergebrachten heimifchen Bräuche 
befragen: während bier eine Sache 20 Jahre zwifchen 36 
Doctoren hängen kann.“ Man flieht: in dem eben damals 
entbrannten Kampfe zwiſchen dem alten deutichen Rechte, das 
ungelehrte ebenbürtige Richter in kurzem mündlihem Verfahren 
‚aus dem Herfommen fchöpften, und dem aus Italien einge- 
wanderten, durch eine gelehrte Zunft verwalteten römijchen, 
ftellte fich der deutſche Ritter auf die Seite des erfteren; wäh- 
rend der Humanift in Hutten das römische Recht wenigfteng 
ungloffirt, die altrömifchen Quellen von dem Wuſte der mit- 
telalterliyen Erflärer gefäubert willen wollte. !) inzig aus 
Rückſicht auf den Wunſch der Seinigen, fährt Hutten fort, 
und aus Aerger über den Hochmuth jener Rabwiften habe er 
früher ſich entichloflen, ihnen ihre Kunftgriffe abzulernen und 
Doctor zu werden, um fih nur Gehör unter ihnen zu ver- 
ſchaffen. Allzuviele Zeit habe er damit nicht zu verlieren 
gefürchtet, da es ſich ja nicht um das Eindringen in ben 
Kern einer Wiffenfchaft, fondern nur um Erwerbung der Fä— 
higfeit gehandelt hätte, mit ven Schalen zu flappern. Diefen 


1) Lesteres war auch der Standpunft Mutian’s, |. Epist. 257. 
Mspt. Francof., wo Mutian von einem Juriften gewöhnlichen Schlages 
fagt: er fei in eadem haeresi, qua totus ordo jurisperitorum. Fastidit 
antiqua. Umbram tenet, non corpus juris.. Verum non te terre- 
ant inepti scriptores. Amiserunt auctoritatem, reclusis Dei gratia le- 
gum fontibus. Gratius ex ipso fonte bibuntur aquaec. Das Be: 
ſtreben eines Ulrich Zaflus und anderer humaniftifch gebildeter Juriſten 
hatte die gleiche Richtung. Dgl. Ulrich Zaftus von R. Stintzing (Bafel 
1857), &. 71 fg. 





Hutten an Grotus. 153 


Plan habe er, im Einverftändnig mit dem Freunde, dahin ab- 
geändert, daß er jegt entfchloffen jei, nicht Doctor zu werden, 
und das Urtheil des großen Haufens zu verachten. 7) 

Kein vortheilhafteres Bild entwirft Hutten in dieſer in- 
haltsreihen Vorrede von den Theologen feiner Zeit. Mit 
Heiterfeit wird der Freund daran erinnert, wie trefflich er einft 
ihre fcholaftifchen Klopffechtereien nachzuahmen verftanden habe. 
Er jelbit, Hutten, habe fie früher oft geärgert, oft ihren 
Hochmuth und ihre Verfeperungsjucht gereizt: jest finde er 
ed Flüger, als nichtsfagender Niemand fid) ihrem Zorne zu 
entzichen. Wie die Vorläufer der Reformation ſchon längere 
Zeit, unterfcheidet auch Hutten von der alten und ächten Theo⸗ 
(logie die feit 300 Jahren aufgefommene fcholaftifche, welche 
die Lehre Ehrifti mit einer Mafle abergläubifcher Gebräuche 
und fchlechter Bücher zugededt habe. Statt mufterhaften Le⸗ 
bens pochen diefe Menfchen auf ihre Kutten und Privilegien; 
während jie die ungefalgenften Gejchöpfe feien, halten fie fich 
für das Salz der Erde; weil fie die Beichte der Fürſten hören 
und die Geheimnifle der Weiblein erforfchen, meinen fie weifer 
al8 alle übrigen Menichen zu fein. Das Gute und wahrhaft 
Ehriftliche, wie die Arbeiten ded Erasmus, fei ihnen zuwider; 
den trefflichen Reuchlin habe vor ihrer Wuth nur der Schuß 
des Kaiſers Marimilian gerettet. Gelinge es ihnen aber, 


1) p. 309. Quod institutum, quid refert, quomodo postea im- 
mutaverim, scribere, cum tu illi interfueris Senatui, quo istud fa- 
ctum est consilium ? p. 315: De me sic habe: certum est, non obse- 
qui his, qui me Doctorem esse volunt. Da die neue Ausgabe des Nemo 
mit dem Briefe an Grotus, wenn dieſer auch ſchon vor der zweiten itas 
liänifchen Reije gefchrieben war, doch erit nach Hutten's Zurüdfunft von 
derjelben im Drud erfchien, fo fünnte diefe Stelle möglicherweife fpäter 
eingefügt, der Entſchluß, nicht Dr. juris zu werdın, erſt gegen das Ende 
des zweiten Aufenthalts in Italien gefaßt, und die Berathung darüber 
vielleicht in Venedig, wo beide Freunde fih damals trafen (wovon unten), 
gehalten worden fein. 





154 I. Buch. VI. Kapitel. 


Einen ald Ketzer zu ergreifen, fo gebe es feine graufamern 
Sieger ald fi. Da ftellen fie fid) ganz an Ehrifli Statt: nur 
von feiner Barmherzigkeit, der vornehmften feiner Eigenſchaf⸗ 
ten, wollen fie nicht wiflen. Und nur gegen Schwache, nur 
wo man fie gar nicht brauche, zeigen fie ihren Eifer: bie 
Türken, oder auch die Böhmifchen Huffiten zu befehren, falle 
Keinem ein; wo ed Gefahr gebe, da ziehen fie fich vorfichtig 
in ihre angeblich fromme Ruhe zurüd. 

Solche Menfchen beherrfchen die Menge, welcher Rang 
und Titel imponiren, welche nicht frage, ob Einer etwas 
wiſſe, fondern ob er Doctor oder Magifter fei. Diefer Mei 
nung, fo ſchließt Hutten feine Zufchrift, fönne Fein wahrhafl 
freivenfender Mann fich fügen; er wenigftend wolle mit Bew 
gnügen für immer Richts bleiben, fich mit dem Yreunde, von 
dem er ein Gleiches vorausfege, bisweilen über die Thorxheii 
der Menichen Iuftig machen, fi aber durch den Ehrgeiz, 
Etwas zu werden, feinen Finger breit von feinem Borhaben 
ablenken laffen. 

Auf der andern Seite jedoch ließ fih der alte Stedel- 
berger von dem Plane, in dem Sohne dereinft noch einen 
einflußreichen Juriſten zu fehen, nicht abbringen. Er öffnete 
ihm, in Gemeinfchaft, wie es fcheint, mit noch andern Fami⸗ 
liengliebern, feine Kaſſe unter der Bedingung, daß er nod 
einmal nad, Italien, und zwar nad) Rom, gehen und fein 
abgebrochenes Rechtsſtudium wieder anfnüpfen folle. ) Aud 
der Erzbiſchof Albredt von Mainz unterftüßte ihn zu biefer 
Reife 2): auch ihm mochte für die Hofftelle, die er dem jungen 





1) Hutteni Epist. ad Erasmum, Opp. ed. Münch, U, 297: Quod 
meum salutare consilium (fi zu Grasmus zu begeben) intervertä 
importuna meorum liberalitas: liberalitatem enim vocant, quod dis- 
cendis legibus sumptum elargiuntur, atque ob id nunc Romam 
mittor. 

2) Wie aus folgender, von Burdhard NM, 15 fg. mitgetheilten Ur: 





Hutten's zweite Reife nach Italien. 155 


Ritter nad feiner Wiederkunft zugedacht hatte, eine juriflifche 
Borbildung wünfchenswerth erjcheinen. So hatte wenige 
Jahre vorher der Biſchof Hiob von Riefenburg den Jugend- 
freund Hutten’s, Eoban Hefe, nachdem er ihn eine Zeit lang 
an feinem Hofe gehabt und lieb gewonnen, zum Zwecke des 
Rechtsſtudiums nach Leipzig gefchidt, um ihn fpäter deſto 
befier und ehrenvoller in feinen Gefchäften verwenden zu kön⸗ 
nen. Unter der ältern Generation der Humaniften war biefe 
Verbindung des juriftifhen Studiums mit dem philologifchen 
nicht ungewöhnlich gewefen. Das letztere gab noch Feine bürs 
gerliche Eriftenz: da nahm man das erftere zu Hülfe. So 
war Johann Reuchlin fchwäbifcher Bundesrichter; Conrad 
Mutian fchrieb ſich Dr. des päpftlidden Rechts, und Wilibald 
Pirdheimer galt für einen ebenfo großen Juriften als Philo⸗ 
logen. Die jüngern Männer diefer Richtung aber wollten 
fi zu folder Verbindung nicht mehr bequemen. Sie vers 
juchten es, ihr Leben auf die Humanitätäftudien allein zu 
begründen; was fie nachher nicht felten zu bereuen hatten. 
So verfaufte Eoban eines fchönen Morgens die juriftifchen 
Bücher, die ihm fein Bifhof zum Studium in Leipzig ange 
ichafft hatte, und ging nad Erfurt zurüd, um ſich ausfchließ- 
lich den ſchoͤnen Wiffenfchaften zu widmen. Aber es ging 
ihm da bald fo Fnapp, daß er, um fih und feiner Yamilie 
Brod zu fchaffen, einmal Medicin zu ftudiren anfing. 

So fam es jetzt auch Hutten ſchwer an, fi dem Wunfche 


funde erhellt. „Ich Frowin von Hutten, Meinz. Marfchalde, befenne, als 
der ıc. Albrecht sc. dem veften Vlrich von Hutten, meinem Bettern, gnebig 
zugefagt bat, ime zu vollfürung feines angefangenen ſtudiums in hoher 
faule 200 fl. zu flewer zu geben, daß demnady der ıc. Conrad Ruder, 
Canonicus zu Afchafenburg, Secretari, in abweien des Gammerfchreis 
bers, mihr an denfelben 200 fl. auff mein bitt 50 fl. gereicht Bat, bie ih 
auch furber geb. meinem Better, als ex in Welfchlanb gezogen ifl, übers 
lifert Han. die Magdalenae 1516. 





156 I. Buch. VI. Kapitel. 


der Seinigen zu fügen; doch machte er fi) im Herbft 1515 
mit mehreren Begleitern auf den Weg. Gerne wäre er über 
Bafel gereist, um den Erasmus wieder zu fehen, der fidh 
eben dort befand; doc, feine Gefährten zogen eine andere 
Straße vor, und fo fehrieb er zu Worms, in der Herberge, 
unter dem Lärmen der Gaͤſte, einen Brief an denfelben, in 
welhem er feine Verehrung für den erhabenen Meifter in 
begeifterten Worten ausfpradh. ) Er betrachte es als ein 
Unglüd, daß ihn die VBerhältmiffe von Erasmus entfernt halten, 
dem er fo innig wie Alcibiaded dem Socrates anhängen 
möchte; in der That fei ja Crasmus der deutſche Socrates, 
babe ſich um die Bildung des deutfchen Volks nicht minder 
als diefer um die des griechiichen verdient gemacht. Ob er 
das Glück haben würde, einem folhen Manne zu gefallen, 
wife er freilich nicht; aber ihm zu dienen wäre er wohl 
nicht ganz unmerth gewefen, und dem Erasmus würde es 
nicht zur Unehre gereicht haben, wenn ein beuticher Ritter 





— — —— — — — 


1) Dieſer Brief (Des. Erasmi Epist. omnes Lugd. Bat. 1706, 
Appendix No. LXXXVI, p. 1573 fg. H.Opp. ed. Münch, II, 297 fg.) 
trägt das Datum: Wormatia XXIV Octobris anno MDXVI. Run ift 
aber ein Brief Hutten’s an Nic. Gerbellius aus Bologna vom 31. Juli def: 
felben Jahres 1516 datirt (Opp. ed. Münch, II, 295 fg.). War alſo Hutten 
fhon zu Ende Juli 1516 in Bologna, fo wäre feine Anweienheit zu 
Worms im October befielben Iahres nur fo zu erklären, daß er, wie 
H. H. Füßli (Ulrich v. Hutten. Im Schmweizerifchen Mufeum, 5. Jahr: 
gang, 1789, S. 601) ſich ausdrückt, auf kurze Zeit einen Sprung nad) 
Deutfchland zurück gethan hätte. Allein ein noch fo furzer Sprung biefer 
Art wird undenkbar durch die Borrefpondenz des Cochläus (in Heumann's 
Documenta literaria), der in einer Reihe von Briefen aus Bologna von 
September 1516 bis in den Sommer des folgenden Jahres hinein Hutten’s 
ale eines in dieſer Stadt Anweſenden gedenkt. Was alſo ſchon Chr. ©. 
Müller (Epistolae II U. ab Hutten ad Rich. Crocum etc. Lips. 1801) 
zu beweiſen fuchte, aber, weil er die Eochläifchen Briefe nicht beizog, nur 
wahrſcheinlich machen konnte, it auf diefe hin ganz ficher: daß ber 
Wormſer Brief an Erasmus im October 1515, nicht 1516, gefchrie: 
ten iſt. 





Yutten an Erasmus. 157 


mit Treue und Eifer ſich feinem Dienfte gewidmet hätte. 
Beſonders Griechifch hätte er zu feinen Füßen lernen mögen; 
er babe im Sinne gehabt, zu ihm zu reifen, ihn vielleicht 
nach England zu begleiten, und würde dieſes Verhältnig nicht 
nur dem Hofleben, zu dem er zu feinem Leidweſen berufen 
fei, fondern auch der Reife nach Italien vorgezogen haben, 
wohin ihn die läftige Yreigebigfeit der Seinigen des Rechts: 
ſtudiums wegen fchide. Käme aber Erasmus etwa nad 
Stalien, fo würde er fi durch nichts abhalten Laflen, aus 
dem juriftifchen Kerfer, in welchen die Seinigen ihn verbannen, 
zu ihm zu eilen. Nachdem er fodann noch feines Niemand 
und der ehrenvollen Erwähnung ded Erasmus in der Bor: 
rede (d. b. in dem Brief an Crotus) gedacht, auch jeine 
Gefundheit betreffend gemeldet hat, daß er von dem Zittern 
und dem Yußübel ganz geheilt fei, bittet er fchlieglich den 
Erasmus um eine Empfehlung an einen gelehrten Großen 
in Rom, dem er aber nicht Stallfnechtödienfte, jondern lites 
rarifhe Handreihung zu thun hätte. 1) 

Auf welchem Wege Hutten nad) Rom reidte, und was 
ihm unterwegs begegnete, wiflen wir nicht, wenn wir nicht 
der Bermuthung Statt geben, daß uns in einem ber Dunkel» 
männerbriefe feine Meiferonte aufbehalten fei 2); eine Vermu⸗ 


— — — —— —— 


1) Scribens Romamı commendabis me alicui ex literatis, cui 
non mulos scabanı aut equos fricem, sed inter libros assideanı. 
Jenes war nicht felten die Karriere der von Hutten fpäter fo fehr bes 
fämpften Gurtifanen, d. h. deutfcher Geiftlichen, bie in jungen Jahren 
nah Rom gingen, und ſich da zu ben elendeften Hofdienften bequemten, 
um bernach mit ber Anwartfchaft auf deutfche Kirchenftellen, und natürlich 
zugleich mit durchaus ultramontaner Gefinnung, zurüdzufehren ine 
Scene, die er mit einem ſolchen Romanus mulio hatte, erzählt Hutten 
in der Epist. ad Mich. de Sensheym, Opp. II, 58 fg. Auf dieſes 
Derhältnig bezog fi auch das Wort des Cardinals Gajetan in Augsburg: 
Quantos stabulariocs Romani habemus! . Trias Romana, Hutteni 
Opp. ed. Münch, III, 433. 

2) Dieb wäre der Brief des Guilhelmus Lamp, Art. Mag., im 


158 1. Buch. VI. Kapitel. 


thung, die wirflid) Vieles für fih hat. Auch wann er in 
Rom ankam, wiſſen wir nicht genau: da Badian, der mit 
ihm in brieflichem Verkehre fand, von einem Sommeraufent- 
halte Hutten’d in Rom fpridht, fo mag man feine Ankunft 
in das erſte Fruͤhjahr 1516 feßen. 


— — — m — — 





zweiten Theile der Epistolae obscurorum virorum, und dieſem zufolge 
die Route (denn bie Reife von Göln an, womit der Brief anfängt, fiele, wes 
nigftens bis Mainz, ale zur Fiction gehörig, wie eine Menge Nebenumſtände 
der Reife, weg): Worms (hinter Worms ein Angriff bewaffneter Schnapps 
haͤhne, vielleicht Sickingiſcher Reiter, der damals mit Worms in Fehde lag. 
Bon Worms durch Regen und Schnee nad) Augsburg; Landsberg; 
Schongau; (von Hier durch entiehliche Wege na) Iunsbrud(wo ber 
Kaifer mit vielen Fürften und Edeln, Hofleuten und Kriegern ſich befand); 
über den Brenner (Schnee und Kälte); Trient (hier friegerifche Rüfung 
und Zuzug nad) Berona, da es heißt, der Kaifer wolle Venedig befriegen: 
vgl. Hutten’s nachher in Rom geichriebenes Epigramm, Opp. I, 177, 
Pasquillus überfäärieben: Pugnaces revolant aquilae, vidi ipse vo- 
lantes, Et tota horribiles spargere ab Alpe minas); Berone; (auf 
bem weitern Wege längerer Aufenthalt, um nicht ben Venezianern in 
die Hände zu fallen, die man nachher bei) Mantua (von Brescia aus 
f&hießen hörte); Bologna (wo die Reilenden ben Papft mit dem König 
von Frankreich treffen, die gerade im December 1515 dort eine Zufams 
menfunft hatten, vgl. Hutten’s Epigramın De conventu Bononiensi, 
Opp. ed. Münch, I, 193); Florenz; Siena; Montefiascone; 
(ibi bibimus optimum vinum, quale non bibi in vita mea, et inter- 
rogavi hospitem: quomodo vocatur illud vinum? Respondit, quod 
est lachryma Christi; tunc dixit socius meus: utinam Christus 
vellet etiam flere in patria nostra. Bon ba in zwei Tagen nach) Rom. 

Meine Gründe zu der Bermuthung, daß uns in diefem Briefe Hut 
ten's Reiferoute aufbehalten fein möchte, find diefe: 1) daß er Mitverfaſſer 
bes zweiten Theile der Epist. obscuror. v. fei, wird, wie wir nachwei⸗ 
fen werden, mit Grund angenommen. Dabei werben ihm insbefon- 
bere diejenigen Briefe zugeichrieben, welche eine genauere Locallenntniß 
von Italien vorausfeßen; was bei einer foldyen Reiferoute unftreitig ber 
Gall if. 2) Daß es nun aber feine eigene Route fei, die er uns bier 
gibt, wird daraus wahrfcheinlich, daß eine ber erfien Stationen (Worms, 
und von dba bie Abweichung von der Richtung auf Bafel), Ziel (Rom) 
und Zeit (Spätherbft und Winter 1515) beider Reifen diefelben find, 
und daß bie Faiferlicden Rüftungen, welche M. Lamp bei Trient fah, auch 
Hutten gefehen zu haben verfichert. 





x © Rönifche Eindräde. 159 


Den Eindrud, welchen das päpftlide Rom auf Hutten 
machte, hat er in mehreren Epigrammen auögelprochen, bie 
er von Rom aus an Crotus Rubianus nad) Deutfchland 
fchidte.?) Gleich das erfte lautet: 

Alfo ſah ich fie denn, Roms halbzertrümmerte Mauern, 
Bo mit dem Heiligen man felber den Bott auch verkauft. 

Sah den erhabenen Priefter, o Freund, mit dem heiligen Rathe, 

Und in verlängertem Zug bie Garbinäle geichaart. 
Schreiber fo viel und Troß ber überfläffigen Menfchen, 
Die mit den Pferden zugleich wallend der Purpur bedeckt. 

Thätig die Einen im ſchandbaren Werf, die Anderen leibend, 
Unter dem heiligen Schein fröhnend der wildeften Luft. 

Andre fobann, bie ſelbſt auch den Schein bes Guten verfchmähen, 
Und mit erhobener Stimm Gitte verhöhnen und Zucht. 

Welche mit Luft ſchlecht find und mit Vollmacht; ach, und in berem 
Joch das teutonifche Bolf leider fo willig ſich fügt. 

Sie handhaben Berbot und Erlaubniß, fchließen und öffnen, 

Und wie es ihnen beliebt, theilen den Himmel fie aus. 
Römerinnen, und Römer nicht mehr; voll Ueppigfeit Alles, 
Alles, wohin du auch blickſt, voll der verworfenften Luft. 

Und das Alles in Rom, wo Curius einft und Metellus 
Und Pompejus gelebt: o ber veränderten Zeit! 

Drum dem Verlangen entfage, mein Freund, nad) der heiligen Roma: 
Römifches, welches du fuchft, findeft in Rom bu nicht mehr. 


Roh flärker drückt ſich Hutten über die Verfäuflichkeit 
aller Dinge in Rom, insbefondere über dad Ablaßwefen, in 
einem andern Epigramme aus ?): 


Auf, ihr Männer, wohlauf! legt Hand an, lebet vom Raube, 
Mordet, vom heiligen Gut ftehlet, verleßet das Recht. 

Eure Rede fei Bräul und euer Handeln Berbredhen; 
Waͤlzt euch im Pfuhle der Luft, leugnet im Himmel den Bott. 

Bringet ihre Geld nah Rom, fo fein ihr die rechtlichſten Leute: 
Ingend und Geligfeit fauft und verlauft man zu Rom. 

Ja, auch künftig Berruchtes zu thım, erfauft man zu Rom fi: 
Drum, wenn ihr toll, fo feid gut ; wenn ihr verfländig, feld ſchlecht! 


1) Ulrichi ab Hutten ad Crotum Rubianum de statu Romano 
Epigrammata ex Urbe missa. Opera poetica 1588, E 8° — ET. 
Opp. ed. Münch, I, 257 — 64. 

2) Opp. ed. Münch, I, 258: Omnia Romas pecunia redimi. 





160 1. Buch. VI. Kapitel. 


Und im Hinblid auf den ihm bejonderd nahe liegenden 
Fall in Mainz, deſſen Yinanzen durch den Pallienfauf bei 
mehreren ſchnell aufeinander eingetretenen Erledigungen des 
erzbifhöflihen Stuhls ) zerrüttet waren, ruft er): 

Euer Bifchof if todt. Landsleute, nun braucht ihr ein neues 

Pallium: zahlt nur! um Gold gibt es ber Simon von Rom. 


Aber du felber, fo lang Deutſchland fein Hirn und fein Aug Bat, 
Biete getroft zum Verfauf Pallien, Simon von Rom! 


Gin ähnlicher Stoßſeufzer fteht unter den früher von und 
betrachteten Epigrammen an den Kaiſer Marimilian, und 
fünnte, da jene Epigramme erft nady Hutten’s zweiten italiä⸗ 
nifchen Aufenthalt im Drud erfchienen find, aus dieſer Zei 
ſtammen °): " 


Mann do fommt es dahin, dag Deutichlandse Augen fich öffnen, 
Ginzufehen, wie ganz Rom es zur Beute gemacht? 
Wann doch fommt es dahin, dag um Gold man bleierne Yullen 
Anderen Völkern vielleicht, nur. nicht dem deutichen, verkauft? 
Oper wird fo wie jegt bein Teutfchland, müchtiger Kaifer, 
Immer ein Spott nur fein für das beraubente Rom? 
Nein! das Scepter des Reihe, und des Reichs Hauptflubt und de 
Melt, Rom, 
(Wahrheit rev ich, und kanun anders nicht reden) ift bein. 


Nach und nad machte Hutten in Rom allerlei literari: 
Ihe Bekanntichaften. Zwar mit Paul Bombafius, an den 
ihm Erasmus ein Empfehlungsichreiben mitgegeben hatte (ei 
ftand als Serretär im Dienfte eined Cardinals), geitaltete fid 
fein näheres Verhältniß. Daß aber die Verehrung für Eras: 


1) Berthold von Henneberg + 1504. Jatob von Liebenſtein +:1508 
Uriel von Gemmingen F 1514. Unter ihnen hatte Jakob fterbend feinen 
Tod hauptſächlich mit Rückſicht auf feine armen Unterthanen beklagt, bi 
nun ſchon wicder ein Pallium zu bezahlen haben werben. G. Chr. Joan- 
nis, Rer. Mogunt., Vol. I, 817. 

2) p. 250. De quodanı mortuo episcopo, ad Germanos. 

3) p- 227. Ad Caesarem de Germaniae statu. 








Belanntfcheften ik: Som. 161 


mu, die er äußerte, defien Schriften, die er in neuen Aus⸗ 
gaben mitbrachte und vorzeigte, ihm manden Gelehrten in 
— zum Freunde gemacht haben, wie er ſpaͤter an Erad⸗ 

mus fchrieb *), ift ſchwerlich als bloße Compliment für ” 
fen zu betrachten. 

Ein eigenthümlicher Bereinigungepunft der Boeten. zu 
Rom war in jenen Jahren ein Garten in ber Nähe ver 
Trajansſaͤule, der einem Deutfchen, Joh. Coritins aus Trier, 
gehörte. Der reihe Mann wur zugleich ein Liebhaber: ber 
Wiſſenſchaften und ein Mäcenas ber Gelehrten. In Grass 
mus’ Briefen wird feiner freumblich gedacht, und als es galt, 
Reuchlin's Händel zu defim Bunften zu Ende zu bringen, 
wurde er als Mittelsmann gebraucht. ) Alljahrlich am Tage 
der heil. Anna ®) ließ er von den zu Rom befindlichen Dich« 
tern in feinem Garten einen poetifchen Wettlampf zum Lobe 
der genamnten Heiligen, ihrer Tochter (Maria) und ihres 
Enkels halten, deflen Früchte, wie es fcheint, auf dem Alter: 
der Heiligen niedergelegt und gefammelt wurden. Auch Hut 
ten bat diefem Altar ein halbes Dutzend Epigranime gewlb⸗ 
met.%) Ihr Inhalt ift zum größern Theil der Preis dieſer 


1) U. Hutteni Epist. ad Erasmum.. Bambergae 21 Jul. 1817. 
Opp. ed. Münch, Il, 342: Omnibus Romae doctis ostendi Adagio» 
rum opus in Germania iterum excusum et locupletstum, Moriem 
item, et quidquid tui studio attuleram. Quae mihi causa fult ami- - 
citiae multorum bonorum. 

2) Des. Erssmi Epist. omnes. Lugd. Bat. 1706, p. 754, 808. 
Cochlaei Ep. ad Bilibald. bei Seumann, Docum. liter., p. #9. 

8) Dieß if der 26. Juli. Un diefem Tage ſelbſt übrigens kann 
Öutten, der laut des Briefe an Gerbel (Opp. II, 295 fg.) ſchon mehrere 
Tage vor dem legten Juli 1516 von Rom zuräd in Bologna war, nicht 
mehr in erflerer Stadt gewefen fein. 

4) Ulrichi ab Hutten equitis Germ. pro ara Coritiana, quae 08 
Romae, Epigrammata. us einer I. 3. 1528 von Bloffius Pallabins 
Beraudgegebenen Sammlung: Coryciana in Ulrichi 
Hutteni Opera poetica, 1838 EI — ee. Opp. ed Mnach, Ih 

& Hatien. 1: 11 





162 I. Bu. VI Rapitel. 


- fehönen Stiftung des Vaters Coritius; doch wird auch dem 
Haufe Eolonna um feiner ſtets Faiferlichen Geſinnung willen 
Lob gefpendet; einmal fleht der vielgeprüfte Wanderer Großs 
mutter, Mutter und Sohn um Heilung feines kranken Fußes 
an. Es war alfo das Uebel, von dem fi Hutten vor fels 
ner Abreife aus Deutichland geheilt meinte, von Neuem aus» 
gebrochen. Dieß fehen wir aud aus einem der aus Rom 
an Erotuß gejendeten Epigramme, deſſen Inhalt une freilich 
feltfam dünfen mag. Es befand fi zu Rom ein fpanifcher 
Bifchof, der in dem Rufe fland, die Luſtſeuche, gegen bie 
man damals nod) vergeblich ein Rapdicalmittel fuchte, Heilen 
zu koͤnnen. An diefen wendet ſich nun Hutten, und bittet. 
ihn bei der Verbindung zwifchen Deutfchland und Spanien, 
bei den gemeinfchaftlihen Göttern und den Rechten der Gaſt⸗ 
freundfchaft, um feinen Beiftand. Aus dem übrigen Körper 
fei die Seuche gewichen; nur in der Ferſe halte fie ſich noch: 
der Prälat möge fie vollends austreiben; da er es Fönne, 
möge er fi von dem deutſchen Süngling nicht vergebene 
bitten lafien. ?) 


251—53. Mit dem guten Goricius nahm es aber noch ein betrübtes Ende. 
Als i. 3. 1527 die Eaiferlichen Truppen Rom eroberten, gerieth er in ihre 
Gefangenſchaft, verlor feine Güter, und durch den Verrath des Maurers, 
ber ihm fein Gelb Hatte vergraben helfen, auch diefes. In aͤußerſter Dürfs 
tigfeit wanderte er nad) Verona, wo ihn der bifchöfliche Goadintor eine 
Zeit lang unterhielt, und ftarb endlich, von Kummer aufgerieben, auf: 
bem Wege in feine Heimath. S. Bayle, Dictionnaire d. Art. 

1) Ad quendam Romae Episcopum, insignem medicum. Opera 
poet. 1538 E 6». Opp. ed. Münch, I, 262 fg. 

Urbe frequens tota te, prodit, Episcope, rumor, 
Posse pudendagrae pestis obesse malo. 


Deseruit reliquum morbi contagio corpus: 
Mansit in extrema calce relicla lues. 

Tu potes effreni medicinam opponere morbo, 
Tu potes haerentes pellere relliquias. 

Ne sine, te frustra juvenis Germanus adoret: 
Sed, quoniam potes, his artibus affer opem. 





Krankheit und Händel. 163 


Dod aud an Anfechtungen anderer Art follte e8 uns 
ferem Ritter nicht fehlen. Rad einer Andeutung in feiner 
vierten Ulrichsrede hätte ein Abgeſandter des Würtembergi- 
fen Herzogs in Rom Anjchläge gegen ihn gemacht; wie 
ihn auch hernach, als er in Bologna ſich aufhielt, Wilibald 
Pirckheimer vor Mördern warnen zu müflen glaubte, bie 
der Herzog gegen ihn dingen fönnte. 7) Wie viel hieran war, 
ift nicht mehr auszumachen: eine wirkliche Gefahr aber kam 
ihm von andrer Seite und hing mit einer Veränderung in 
der politifchen Welt zufammen. 

Seit dem alternden Marimilian in Franz I. von Frank 
reich ein junger feuriger Fürft entgegengetreten war, hatten 
fi) die Verhältniffe Italiens aufs Neue bedenklich geftaltet. 
Gleich in feinem erften Sommer war Franz über die Alpen ges 
zogen, um das von feinem Vorgänger eingebüßte Mailaͤndi⸗ 
fhe wiederzugewinnen,; was ihm aud in der Schlacht bei 
Marignano (13. und 14. September 1515), wenige Wochen, 
ehe Hutten feine zweite Reife nad Italien angetreten hatte, 
gelungen war. Nun rüftete aber der Kaifer; Hutten (bie 
Route des Dunkelmanns als die feinige betrachtet) hatte auf 
feiner Herreife um Trient und Verona ſchon Alles in Frieges 
rifeher Bewegung gefunden, und bei Mantua das Gefhüs 
der Venezianer feuern gehört. Wenn auch der jebige Papft, 
gleich jeinem Vorgänger, die Kriegsflamme fchüren half, Ho 
fah Italien jchredlihen Tagen entgegen. Dieß ift der In⸗ 
halt von Hutten’d ‘Prognofticon auf das Jahr 1516 an Papft 
Leo X. 2), eines Fleinen Gedicht in Herametern, das um 


1) Orat. IV in Wirtenbergensem, Stedelb. Sammlung, Q 4°; 
Opp. ed. Münch, II, 165. B. Pirckheimeri Epist. ad Hutten. U. H. 
Opp. ed. M., 11, 340. 

2) Ad Leonem X. P. M. Carmen in prognosticon ad annum 


11° 





164 1 Buch. "VI. Kapitel) 


diefe Zeit entftamden fein muß. Aſtrologiſch wie politifch, 
wird ausgeführt, deuten alle Zeichen auf Krieg und Verder⸗ 
den für Italien; der Kaifer, Frankreich und Venedig aufs 
Neue in Waffen: da möge der Papft von den Göttern Scho- 
mung und Frieden erflehen, damit die Chriftenheit ihre Kräfte 
gegen die Türfen wenden, dad heilige Sand und Grab wieder 
erobern fönne, 

Im Brühling 1516 rüdte der Kaiſer in die Lombardei ein, 
aber nur, um, von den Franzoſen getäufcht, und vom Gelde 
wie gewöhnlich im Stiche gelaffen, bald wieder abzuziehen. 
Da durfte er für den Spott von Seiten der Jtaltäner nicht 
forgen. Man verhöhnte ihn in den Theatern, es erfchienen 
Pasquille und Garicaturen auf ihn. Man malte ihn auf 
einem Krebſe teitend, mit der Unterſchrift? Tendimus in La- 
tium. Man zündete bei hellem Tage Licht, und ftellte ſich an, 
den Kaifer zu ſuchen. Befonders aber die Franzofen in Ita— 
lien entwidelten bei dem Kriegsglüd ihres jungen Königs 
ihren ganzen Uebermuth.) Diejen Berhältnifien widmete 
Hutten mehrere Epigramme, die er, wie e8 ſcheint, an Eo- 
ban Hefe fchidte, der fie zu Ende d. 3. 1516 als Beilage 
zu zwei weiter unten au befprechenden Dichtungen druden ließ ), 


ar 
1516. In der — — ber Febris, Mogunt. s. a. und der Quart— 
ausgabe der Aula, Nugsb, 17. Sept. 1513; dann in U. Hutteni Opera 
poetica, 1538 D2; Opp. ed. Münch, II, 267 fa. 

1) Hulteni Epist. ad Nic. Gerbellium, Bonon. 2 Cal. Aug. 
1516. Opp. ed. Münch, II, 296: Immodica est per totam fere Ita- 
liamı Gallorum superbia. Dii faxint, Germanos nos esse memine- 
rimus. 

2) Zu Hutten's Epist. Italiae und Heſſens Responsio Maximiliani: 
Addita sunt Hutteni de eadem re Epigrammata aliquot nuper ex 
urbe Roma missa. &s find 9 Stüde: Huttenus ad Pasquillum (1, 
176 bei Münd). Pasq. Romanis (p. 177). De conventu Galli et 
‚Leonis (fehlt bei Münd). De eodem (p. 216). De eodem ad Italos 
(p. 193). Ad Bononienses aliud (p. 193). In Venetos (fehlt). 
De Gallis expulsis (p. 215). Aliud ad Caes. de cancro (p. 212). 





Hutten’6 Abenteuer mit den fünf Franzofen. 165 


bis Hutten fpäter die meiften feinem Cpigrammenbuh an 
den Kaifer einverleibte. 

Doc die franzöfifche Großiprecherei auf der einen Seite, 
und Hutten’8 deutfched Herz und heftiged Blut auf der ans 
dern, mußten bei der erften ftärfern Reibung aud) nod) einen 
thatfächlichen Auftritt herbeiführen. Eines Tages ritt Qutten 
mit einem Bekannten nad) Biterbo, ald gerade ein Geſand⸗ 
ter des Königs von Frankreich an den Papft dort Durchreiste, 
Fünf Branzofen, vielleicht vom Gefolge ded Gefandten, mad) 
ten fich über Marimilian, der eben noch um Mailand Fämpfte, 
luftig; Hutten nahm fich feines Kaiſers an. Bon Worten 
fam e8 zu Tihätlichfeiten; die Künfe fielen über den Einen ber, 
den fein Reifegefährte im Stiche ließ. Nun zog Hutten vom 
Leder, ftad) den, der ihm am nächften auf dem Leibe war, 
nieder, und fchlug, felbft nur in die linfe Wange verwundet, 
die übrigen Biere in die Flucht. Nicht mit Unrecht hielt er 
das für eine brave That, verberrlichte fie durch ſechs Epi⸗ 
gramme *), die er an Crotus ſchickte, rühmte ſich ihrer dem 
Kaifer gegenüber in der dritten feiner Ulrichsreden *), und 
erzählte von derfelben, nach Deutfchland zurüdgefehrt, feinen 
Freunden, wohin ihr Ruf, durch feine Briefe und Epi- 
gramme, ihm bereitd vorangegangen war. ®) Denn je mehr 


1) Unter den Epigr. ad Crotum ex Urbe missa, Opp. ed. Münch, 
1, 260—62: Quinque Gallis se invadentibus. Gallo ab se caeso. 
In quinque Gallos ab se profligatos etc. Undern Freunden theilte er 
den Vorfall brieflid mit, f. Vadiani Epist. ad Reuchlinum, in Illu- 
strium Virorum Epistolae ad J. Reuchlinum, Hagenoae 1519, z ij®. 
Hutteni Epist. ad Erasmum, Opp. ed. Münch, Il, 342. Ep. ad Ni» 
col. Gerbellium, ebbaf. p. 295. 

2) II, 132 bei Münch: Nec me adeo discissae poenitet buccae, 
ut insignem Tuo nomini contumeliam illatam hac dextra punitam 
nolim. 

3) Joach. Camerarii Vita Ph. Melanchthonis ed. Strobel c. prae- 
fat. Noesselt (Halae 1777), p. 89 fg.: Celebrabat autem fama non 
eruditionem modo illius (Hutten's, nach feiner Rücktehr aus Italien) 





A ‘ -- .. 


166 [. Buch. VI. Kapitel. 


er fih den Studien ergab, defto mehr Werth legte Hutten 
darauf, doch auch als Ritter und Krieger etwas zu gelten; 
weßwegen ihm fpäter Feines feiner Bilder lieber war, als 
dasjenige, welches ihn in Waffen darftellte, *) 

Begreiflich Hatte er ſich nun aber durch dieſes "Ritter 
ftüd die ganze Brangofenfchaft in und um Rom auf den 
Hald gezogen, und fo fand er fih bewogen, Rom mit Bo- 
logna zu vertaufchen, wo er ſich fchon während feiner erften 
ttaliänifchen Reife, freilich in fümmerlichen Umftänven, eine 
Zeit lang aufgehalten und fchägbare Bekanntfchaften gemacht 
hatte. Nach Vadian's Angabe ?) hätte er beinahe den ganzen 
Sommer in Rom zugebracdht; allein Hutten’8 eigenem Brief 
an Gerbel zufolge war er am 31. Juli bereit wenigftens 
einige Tage in Bologna.) Er wohnte hier mit den beiden 
Würzburger Domherren Jakob Fuchs und Friedrich Yifcher 
zufammen. An den Erftern hatte er im vorigen Jahr, als 
Fuchs ſich bereits in Italien befand, den großen Brief über 
Eitelmolf von Stein und‘ Hand Hutten’d Ermordung ges 
richtet, und darin bemerkt, er wünfchte ihm bald nachfol⸗ 


sed fortitudinem quoque, gloriosi facinoris praedicatione: quod 
Gallicae gentis quatuor (5!) Viterbii, quo forte tunc Roma ille ex- 
currisset, cum eodem divertisset a Rege Gallorum legatus qui- 
dam ad Pontificem Leonem contendens, orta Fixa ac certamine 
profligasset dimicando, vulneratus quidem et ipse desertusque 
a socio itineris illius, quemadmodum eum audivi Fuldae narran- 
tem anno Chr. 1519... 

1) Camerar. a. a. O., p. 90: cum... rei militaris studium 
prae se ferret, et repraesentante se imagine armata maxime dele- 
ctaretur. 

2) In dem fo eben angeführten Brief an Neuchlin. 

3) Hutteni Epist. ad Nicol. Gerbellium. Bonon. 2 Cal. Aug. 
1516. Opp. ed. Münch, II, 295: Tres nuper dies perdidi... totum 
possidenti studium meum legali scientia... quod minime poteram 
obstare hortatibus Jacobi Fuchs... cujus nunc contubernio utens 
hic, Accursianum absinthium poto. 











Hutten’s Studien in Bologna. 167 


gen zu Eönnen. Auch Friedrich Fiſcher gehörte zu Hutten’s 
vertrauten Freunden; Beide verband mit ihm bie gleiche ber) 
maniftifche Geiftesrichtung. 

Schon in Rom hatte fidh Sutten, wie er an Vadian 
nach Wien fchrieb, vorzugsweife dem Rechteftubinm gewib- 
met; in Bologna fuhr er darin fort, und verwendete auf 
daffelbe, wenn auch bitter ungern, feine meifte Zeit. Auch 
in der fpätern Erinnerung ſchmeckte ihm dieſes Stabkim 
noch wie ein Wermuthtrant, und er rechnete, feine beiben ita⸗ 
Hänifchen Aufenthalte zufammengenommen, beinahe vier Jahre, 
während deren er mit bemfelben bie Zeit verborben. ?) Da 
Hutten in der Folge von Deutichland aus den Rechtégelehr⸗ 
ten Johann Maria und den Schlefter Sauermann in Bölogna 
grüßen läßt ®), fo ift zu vermutben, daß er bei bem Erſte⸗ 
ren damals gehört, und mit dem Andern, einem auch nad 
des Erasmus Zeugniß trefflichen j jungen Manne, —— 
lichen Umgang gepflogen hat. 

Waͤhrend er ſich aber fo dem Willen feiner damilie fügte, 
verlor Hntten fein eigenes Ziel nicht aus ben Mugen: Be⸗ 
ſonders im Griechifchen fand er, nachdem der Unterricht im \ 
biefer Sprache, den er während feines erſten italläniſchen 
Aufenthaltes zu Pavia genommen hatte, gar zu frühe abge 


1) Bol. mit der in voriger Aum. angeführten Stelle Hutteni Epist. 
ad Bilib. Pirckheimerum, Augustae 8 Cal. Nov. 1518, Opp. ed. 
Münch, III, 91: Tunc ista tua erudita commonitione uti debebas, 
quum annos agentem in Italia prope qualuor, ac magna rettio- 
rum studiorum jactura Accursianum absynthium perpetuo potantem, 
perdere tempus videres. 

2) Hutteni Epist. ad Jul. Pflugk, Augustae Vindel. 9 Cal. Sept, 
1518. Opp. II, 530. Sanermaun’s Borrebe zu feiner Oratio post Maxi- 
miliani Caes, obitum trägt da6 Datum: Bononise Kal. Febr. 1619. 
Später erfihelnt er in Rom, als Bresianifcher Probſt uud kalferlicher 
Procurator, ſ. Monum. piet. et lit. H, 17. Erasmi Epist. Lugd. Bat. 
1706, p. 754. Pirokheimeri Opp. ed. Goldast, 811 fg. 





168 1. Buch. VI. Kapitel. 


brochen worden war, feine Senntniffe unzureichend. In Bo⸗ 
logna nun, wo eben damals drei junge Geuder aus Nürn- 
berg, Neffen Wilibald Pirdheimer’s, unter der Leitung des 
Johann Eochläus fiudirten, nahm er mit diefen und noch 
zwei Andern einen Griechen Namens Tryphon zum Lehrer an, 
der mit ihnen den Lucian und Ariftophanes lad.) Die Nadhs 
ahmung der römifchen Unfitte, in lateinifche Briefe und ſelbſt 
Gedichte griechiiche Phrafen und Verſe einzumifchen, die fidh 
fhon nad der erften italiänifchen Reife bei Hutten zeigte, 
war ein Auswuchs dieſes griechifchen Eifers; wie aber das 
Studium gerade ded Lucian und Ariftophanes in Hutten's 
ganzer Schriftftellerei Epoche machte, werden wir in Kurzem 
finden. 

Mit den genannten jungen Landsleuten und ihrem Hofe 
meifter lebte Hutten in freundlichem Umgange, fpeiste bis⸗ 
weilen bei ihnen, und trat audy mit Wilibald Pirdheimer in 
brieflichen Verkehr. Merkwürdig ift es hiebei, welchen Eins 
drud er auf einen Mann wie Cochlaͤus machte, der Berftand 
und Bildung genug befaß, einen Hutten jchägen zu fönnen, 
während die Verjchiedenheit der Naturen beide von einander 
in diejenige Berne ftellte, welche die Beobachtung begünftigt. 
Diefer Johann Dobned aus Wendelftein, der fi) von dem 
genannten Orte ald Cochlaͤus latinifirte, war einer von den⸗ 
jenigen, welche, urfprünglich der liberalen bumaniftifchen 
Partei angehörig, felbft Luthern bei feinem erften Auftreten 
günftig, bald, von dem Streite abgeftoßen, auf der einen 
Seite von der Gefahr gefchredt, auf der andern von Vor⸗ 


1) Jo. Cochlaei Epist. 1. ad Bilib. Pirckheimerum. Ex Bonon. 
9 die Sept. 1516. Bei Heumann, Docum. liter. p. 1 fg.: Nunc 
ipse (Huttenus) duoque nostri, atque praeter eos duo alii, Graecum 
quendam induxere lectorem, qui eis Lucianum interpretetur et Ari- 
stophanem . . . Nomen est Triphon: nihil adhuc de eo praedi- 
care possum: de doctrina non dubito, de docendi virtute timeo. 





Verhaltniß zu Cochlaus. 169 


theilen gelodt, je größer die Spaltung wurbe, fi immer 
mehr von der Reformation abiwandten, und zulegt, ohne aus 
ihren humaniftifhen Verbindungen herauszutreten, deren eifr 
rigfte Gegner wurden. Damals nun machte Hutten's We⸗ 
ten auf Cochlaͤus den ftärfften Eindruck. Er fchalt Deutfch- 
land, daß es einen Mann von folhem Geift und fo warmer 
Baterlandsliebe bisher fo vernachläffigt Habe. ) Insbeſon⸗ 
dere feinen fprudelnden Wis, fein Talent zur Satire, ber 
wunberte Gochläus; er fah in Hutten, ehe dieſer noch einen 
feiner Dialoge geichrieben hatte, einen zweiten Lurian. ?) Das 
bei war ihm aber doch auch Manches an dem Ritter zu viel. 
Sein Geift war ihm zu ſcharf und herb, er vermißte Rube 
und Milde. 9) Er fürdhtete, Hutten’8 deutſcher Freimuth möchte 
ibm noch Gefahr bringen, und meinte daher, einflußreiche 
Freunde follten ihn zu mäßigen fucdhen. *) Auch im perſön⸗ 
lien Umgang war ihm deſſen Heftigfeit laͤſtig. Ein belei⸗ 
digendes Wort ded Ritters ftedte er wohl des Friedens wegen | 


— ——— — — — — — 


1) Jo. Cochlaei ad Bilib. Pirckheimerum Ep. 10. Bonon. 
6 Kal. Julii 1517, bei Heumunn, Docum. liter., p. 26 fg.: Pos 
sem et propter Huttenum conqueri, quem neglexerunt Germani, 
compilarunt Itali, vulneraverunt Galli... Hominem ego, tantum 
ingenio, studio, eruditione gentisque ac patriae amore atque illu- 
stratione, vehementer et laudo et honore prosequor . . 

2) Cochlaei ad Pirckh. Ep. 1. Bonon. 9 Sept. 1516, bei Heum. 
p. 1: Mirabile profecto mihi videtur hominis ingenium, praeser- 
tim in illudenda aliorum stultitia. Jocis scatet et salibus: quam- 
primum hominem audivi, alterum dixi esse Lucianum. 

3) Cochlaei ad Bil. Pirckh. Epist. 11. Bonon. 5 Jul. 1517, 
aa. 08. p. 28:.. Huttenus, homo ingenii magis aculi et acris, 
quam placidi et quieti. 

4) Derf. Ep. 10. Bonon. 6 Kal. Jul. 1517, p. 27 fg.: Vereor.. 
ne Germanica illa libertas, si non temperetur, gravior ei aliquando 
sit futura; retrahet eum Erasmus, retrahe et tu quaeso, si Com- 
mode poteris, ne forte barbarorum insidiis tanto praemature spo- 
lietur ingenio communis patria nostra Germania... 





170 I. Bud. VI. Kapitel. 


ſtillſchweigend ein 2); doch befannte er nad) Hutten's Abreife 
feinem Patron Pirdheimer im Bertrauen, fie beide werben 
wohl in der Entfernung beflere Freunde bleiben, als fie es 
im taͤglichen Umgang geblieben fein würben. 2) Ganz ebenjo 
ging ed mit Hutten, wie wir geſehen haben, dem Mutian; 
ähnlich, wie wir noch fehen werden, dem Grasmus; nich 
anders auch dem Melanchthon: er fchäßte, aber fürdhtete ihn): 
und daſſelbe ift bis heute bei Erasmiſch⸗Melanchthoniſchen 
Raturen, wenn fie fi mit Hutten beichäftigen, der Ball, 
daß fie ihn bewundern, aber nicht lieben, weil er ihnen un⸗ 
heimlich ift.*) Uns verratben es die fchlechten Bilbniffe, Die 
von ihm übrig find, freilich nicht (fo wenig als. fie und fei- 
nen Geift verrathen), aber Zeitgenoflen, die ihn Fannten, be- 
zeugen, daß der Eleine, fchmächtige, unfcheinbare Mann mit 
dem bionden Haar und dem dunfeln Barte ®), in dem blaflen 


1) Jo. Cochlaei ad Bil. Pirckh. Ep. 13. Bonon 3 Sept. 1517, 
p. 35: Ego insolens verbum non reddidi. | 

2) Der. Ep. 11, p. 29: Amo equidem hominis ingenium, fe- 
rociam ejus non ita: longe certe facilius absentem, quam praesen- 
tem (ita tecum loqui libet) amicum servabo. 

8) Joach. Gamerar. Vita Melanchthonis ed. Strobel, p. 89: (Ul- 
richi Hutteni) quem ut... magni facere et admirari propter do- 
ctrinae eruditionem et praestantiam ingenii, sic ab illius natura ve- 
.‚hemente et excelso animo et voluntate ad novas res propensa.... 
non nihil timere Philippum Melanchthonem licuit animadvertere. 

4) Ich nenne beifpieldweife nur zwei trefflicde Geſchichtſchreiber: 
Pland, in feiner Gefch. des proteftantifchen Lehrbegriffs, und Heyd, in 
feiner Gefchichte des Herzogs Ulrich. Aber der ganze Rationalismus des 
vorigen und bes beginnenden 19. Jahrhunderts Hatte für Relanchthon 
und Erasmns gegen Luther und Hutten Partei genommen. 

5) Huttenus captivus, in Pasquillor. tomi duo, Eleutherop. 
1544, p. 182 (I); Hutteni Opp. ed. Münch, VI, 401: Videtis hunc 
Catoniano vultu tenerum, flavo capillitio et nigra progredientem 
barba?.. Huttenus est. Andr. Francus Camiczianus Bil. Pirckhei- 
mero Lips. 17. Sept. 1520, in beffen Opp. ed. Goldast p. 330: nam 
ego illius (Hutteni) amore .. captus adeo sum, ut etiam toto pe- 





Hutten’s Gedichte gegen Venedig 171 


Gefichte etwas Strenged, ja Wildes gehabt habe, und feine 
Rede oft fchneidend und zurädftoßend geweien jei.!) Daß er 
daneben in andern Stunden und Stimmungen eine herzge⸗ 
winnende Freundlichkeit entwideln konnte *), widerfpricht dem 
nicht; aber e8 mußte Einer felbft eine ftarfe und etwas mar- 
tialiihe Ratur fein, um Hutten, wie Eoban Hefle, „durch⸗ 
aus liebenswürdig“ zu finden.) Doch wir kehren zu ben 
Bolognefifhen Studien unfered Ritters zurüd. 

Hand Hutten neben dem pflichtmäßigen Rechtsſtudium 
Zeit, fih im Griechifchen zu vervollkommnen, fo Eonnte er 
auch das Dichten nicht ganz lafien. Ende Juli 1516 fehidte 
er feinem Freunde, dem Rechtögelehrten Nicolaus Gerbel zu 
Straßburg, feine poetifche Epiftel Italiens an Martmilian 9); 
Anfang Septembers theilte Cochlaͤus dem Oheim feiner Zög- 
linge Hutten’d Spottgediht Marcus mit), und aus derfelben 
Zeit ift auch das Gedicht über die Filcherei der Benezianer.°) Alle 


ctore cupiam praeseus videre vas illud fictile, in quo tantus animi 
thesaurus lateat. 

1) Camerar. a. a. ©. p. 90 fg.: Fuit .. impatientissimus in- 
juriarum, libertatis immodice cupidus, non prorsus alienus a sae- 
vitia, quae etiam vultus acerbitate et minus clemente interdum 
oratione indicabatur. Daſſelbe will ohne Zweifel auch Lorenz Behaim's: 
Ex vultu quasi noscitur (Epist. ad Pirckh. bei Heumann p. 258), 
fagen. 

2) Othonis Brunfelsii ad Erasmi Rot. Spongiam Responsio. 
Hinter Hutten's Expostulatio, Argent. 1523, e 7b; Hutteni Opp. ed. 
Münch IV, 504: Utcunque atrox erat in stilo: in familiaribus collo- 
quiis vix quisquam illo fuit vel humanior, ut dixisses, non esse 
qui scripserat. Testantur hoc et illi, qui undiquaque ex alienis 
terris ad se (db. 5. eum) videndum commigrabant. 

8) Eras totus amaubilis. Eobani Hessi Epist. familiares, Marburgi 
ap. Christ. Egenolphum 1543, Lib. I, p. 36. 

4) Hutteni Epist. ad Nic. Gerbellium Pontificii Juris Cons. Bo- 
non. 2 Cal. Aug. 1516. Opp. ed. Münch, II, 295. 

5) Cochlaei Epist. 1. ad Pirckh. Bonon. 9 Sept. 1516, bei Heu: 
mann, p. 1. 

6) Die Epistola Italiae erfchien zuerft mit der Zuſchrift an Gerbel 





172 I. Buch. VI. Kapitel. 


diefe Gedichte liegen in Einer Linie mit vem Aufmahnunges 
gedicht an den Kaifer zur Bortfegung des Kriege gegen KR; 
Benezianer und den Epigrammen an denfelben, die von ua 
früher erörtert worden find. Und zwar richten fidh der Re 
cus und das Gedicht vom Fiichfang mehr gegen Venckig 
dem fie mit der Macht des Kaifers drohen; während be 
Epiftel fi an diefen wendet, mit der Aufforderung, bie ben 
fhe Ehre und Obmacht in Stalien wiederherzuftellen. | 
Die beiden erftgenannten Dichtungen behandeln eigenlliqh 
Einen und denfelben Gegenftand: das Auffommen und da 
Uebermuth Venedig, und waren, wie Cochlaͤus aus Huttent 
Munde berichtet, Durch die Venezianiſche Ruhmredigkeit is 
einem Gedichte des Sabellicus veranlaßt. 1) Jedes von beides 
aber bedient fich einer andern Form, und man möchte glanben, 
nachdem Hutten den Gegenftand bereit8 in der eigentlichen 
und ernfthaften Form behandelt hatte, fei ihm, vielleicht beim 
Leſen der Homeriihen Batrachomyomachie, der Einfall ge 
fommen, daſſelbe ließe fich noch ſchlagender in der allegorifde 
parobiftifchen fagen, welche dieſes griechifche Vorbild an bie 
Hand gab. Es entwidelt nämlich das Gedicht von der Fiſche⸗ 
rei der DVenezianer, wie diefe, urfprünglich ein aus allen Bil 
fern zufammengelanfenes Gefinvel, erft elende Fiſcher geweſen 


für fi, dann mit den beiden andern obgenannten Gedichten in der Gamms 
lung: Hoc in volumine haec continentur: Ulrici de Hutten eq. Germ. 
(Aufmahnungsgebicht und Epigramme an Kaifer Mar; hierauf) De pis- 
catura Venetum Heroicum ejusdem. Ejusdem Marcus Heroicum .. 
Eodem auctore ad Max. Caes. Epist. Italiae etc. etc. In officina 
excusoria Joannis Miller, 4 Non. Jan. anno .. 1519. ©. Banger, 
S. 14 fg. Wiederabgedruckt in ben Opera poet. 1538 G7’—H4 un 
H7®— 14; Opp. ed. Münch, I, 231 — 34, 237 —40; II, 373— 80. 

1) Cochlaeus ad Pirckh. bei Heumann, p. 1: Ceterum ejus Mar- 
cum tunc recte accipies, quum prius legeris Sabellici carmen de 
Venetorum ortu ac fato: nihil enim quaerit iste Marcus, nisi irri- 
sionem eorum jactantiae. 





Hutten's Marcus. 173 


ſeien, dann ſich durch Schifffahrt und Handel bereichert, hier⸗ 
auf angefangen haben, Städte zu flihen und Fürſten zu 
angeln; wie fie von dem Feſtland Italiens, von Dalmatien, 
Griechenland und den Injeln immer mehrere und größere 
Stüde an ſich gebracht, ihre Stadt mit dem Raub aller Län- 
der gefchmüdt, und ſich einer Ueppigleit und einem Wohl⸗ 
leben ohne Beifpiel ergeben haben.) Nachdem fie «8 in 
diefer Weife lange genug getrieben, habe ſich endlich der 
deutfche Adler zum Kampfe mit ihnen von ben Alpenhöhen 
berabgefhwungen, nicht, um Beute zu machen, fondern um 
Frieden, Recht und Gerechtigkeit wiederherzuftellen, die Welt, 
und Stalien insbefondere, von dem Joche der Venezianer zu 
befreien, und biefe wieder zu den einfachen Fifchern zu machen, 
die fie urſprünglich gemefen. 

Wie gejagt, dafielbe Thema behandelt das Gedicht Mars 
cus, mit Anwendung der Batrachomyomachie. War Venedig 
von Hutten ſchon in feinen Epigrammen unter dem nabe 
liegenden Bilde eines Froſches Dargeftellt worden, fo erfcheint 
nun beftimmter fein Genius als der König Pausback (Pualyva- 
705) der Homerifchen Parodie, der, nicht mehr aufrieden, 
die Euganeiſchen Sümpfe zu bewohnen, auf das fefte Land 
berüberfommt, fih in eine Löwenhaut hüllt, dazu Ylügel 
annimmt, und fih ald Marcus verehren läßt. Als folcher 
häft er fich berufen, die römifche Weltherrichaft auf Venedig 
zu übertragen, und macht dazu durch Gewaltihaten, Treulo⸗ 


1) Den Reichtum und Lurus ber Benezianer zu fchildern, ſagt 
Hutten unter Anderem: 

Insula, fundus, aquae, pecudes, portoria, villae, 

Cui desunt Veneto? cultique rosaria pesti? (d. 5. Paesti) 
Lepteres überfegt Münch (U. Hutten’s Jugenddichtungen): 

. „und Roſenau'n der Verführung‘, 

als wenn pesti der Genitiv von pestis (im Sinne von Sittenpeft) und 
gen. masc. wäre., 





174 Il. Buch. VI. Kapitel. 


figfeiten und Räubereien jeder Art einen ziemlichen Anfang. 
Endlich, da er in feinem Uebermuthe bis zum Himmel empors 
fliegen will, beauftragt Jupiter feinen Adler (wie ſchon oben 
im Epigramme), ihn zu bemüthigen und in feine heimtjäpen 
Sümpfe zurüdguftürzen. 

Daß er dem übernommenen Rechtsſtudium drei Tage 
geftohlen, um die poetifche Epiftel Italiens an den Kaifer 
Marimilian zu fchreiben, davon ſchiebt Hutten in dem Zu⸗ 
eignungdbrief an Gerbel die Schuld auf feinen Hausgenoflen 
in Bologna, den Canonicus Jakob Fuchs, der ihm damit 
feine Ruhe gelafien habe. Wenn er dabei fagt, er habe ſich 
unterftanden, in einer ſehr ernften Sache zu fchergen, fo iſt 
dieß nur von der Fiction und Perfonification zu verftehen, 
deren er fich bediente; denn übrigens ift die Haltung des 
Gedichtes nichts weniger als fcherzhaft. 

Die Dame Italia fchreibt an den ritterlihen Mar, fie 
babe frohlodt, wie fie neulih vernommen, er fei von Trient 
aufgebrochen und rüde heran; bald aber fei fie aufs Reue 
in Trauer verfunfen, als fie habe hören müflen, daß er ſich 
wieder zurüdziehe. Doch hoffe fie immer noch auf ihn, entichuls 
Dige, wie fie nur immer Fönne, fein Säumen, und bleibe ihm, 
unter mancherlei Zumuthungen, im Herzen treu. Vergebens 
° werben Benedig und Frankreich mit glänzenden Verheißungen 
um fie; vergeblich ſuche Einer in ihrem eigenen Lande (ber 
Papſt?) fie von dem Kaiſer abwendig zu machen: fie lafle 
fih nicht mit ihnen ein; nur Durch den Kaifer wolle fie, wie 
vor Alterd, frei und groß werden. Aber er zögere lange, und 
indefien habe fie böfe Zeit. Jeder lege Hand am fie, ihre 
Gauen und Städte werden verwüftet, Rom fei von Floren⸗ 
tinifchen Krämern (den DMediceern) beherrfcht. Doch, wenn 
er nur wirklich komme, fo wolle fie gerne fo lange geduldet 
haben; aber er möge es nicht länger verfchieben. Sie erin- 
nert den Kaifer an die alten Großthaten der Deutſchen gegen 





Hutten’s Epifel Italia’s an Marimilian. 175 


Rom, an die Eimbern und Teutonen und an Arminius, an 
Carl den Großen und die Ditonenz- nicht minder aber 
auf der andern Seite an des alten Rom Siege und Weltherr⸗ 
fhaft, die er al8 römilcher Kaiſer geerbt habe: wie er doch 
die Stadt und das Land, die ihm dieſes Erbe zugebradht, im 
Stiche laffen fönne? Auch fei fie, Italia, eine Braut, um 
die in Waffen zu werben, wohl der Mühe lohne. Aber wie 
fei fie zugerichtet! Und bier Eommt Hutten, nad feiner Art, 
den Strom feiner Beredtfamfeit durdy Feine ſtrenge Dispofls 
tion einzubämmen, fondern wohl aud einmal nahezu im 
Kreife fließen zu laflen, von Neuem auf die Bedraͤngniß und 
das Berberben Italiens in Folge der Abweſenheit feines wahs 
ren Herrn zurüd; wobei der Zuftend Roms mit feinem flums 
pfen Bolfe, beherricht von feigen Schreibern und fittenlofen 
Prieftern, fcharf gezeichnet wird. Wenn er e8 nicht bald thue, 
führt Italia dem Kaifer zu Gemüthe, fo werden andre Fürs 
ften ihm zuvorfommen, um die italiänifchen Angelegenheiten 
zu oronen. Und er hätte ed am leichteften zu kommen: fein 
Weg gehe nicht überr6 Meer, fondern durch feine eigenen 
Reiche. Bei jedem Schritte werden neue Hülfstruppen zu 
ihm ftoßen; er brauche gar feine Deutſchen mitzubringen, 
fönne mit italiänifhen Ylüchtlingen und Berbannten den 
Krieg führen. Gewinn und Ehre feien groß; wie jest die 
Schmach und der ihr kaum erträgliche Spott, ber über den 
Kaifer ergebe. Bei dem Ruhme feines Gefchlechts, der Würde 
des Reichs, bei den Göttern, die ihn an feine hohe Stelle 
gelegt, bei den Gebeinen feined Vaters und der Wohlfahrt 
feines Enfeld Earl befhwöre fie ihn,. endlich feine Zögerung 
abzubrehen; fein Erfcheinen werde ihr, durch ram und 
Elend halb getödtet, neues Leben fchenfen. 

Diefed Gedicht ſchickte Hutten an Gerbel, der ihn um 
ein folches Freundfchaftszeichen aus Welſchland gebeten hatte; 
während ein Verehrer Hutten’8 in Bologna eine Abfchrift 





176 I. Buch. VI. Kapitel. 


defielden nach Wittenberg an Balthafar Fach abgehen ließ. 
Anfang Augufts ſchrieb Hutten an Richard Erocus, einen 
Engländer, der damals in Leipzig Griechiſch Iehrte, er möge 
fih das Exemplar verfchaffen, und wenn er Muße habe, in 
Marimilian’d Namen antworten; denn das wolle Hutten An⸗ 
dern überlaflen. ) Die Antwort übernahm der alte Freund 
und Poetenfönig Eoban Hefle, jebt Lehrer an der Erfurter 
Hodyfchule, ver fie auch bald darauf mit Hutten’s . zu⸗ 
ſammen drucken ließ. ?) 

Ihr Brief, antwortet der Kaiſer der ſchoͤnen Italia, habe 
ihn ganz in Flammen gefebt: 

Klage nicht Länger: bereits fchnanbt dir entgegen mein Roß. 

Uebrigens feien die Schwierigkeiten für ihn weit größer, 
als diefelben für feine Vorgänger geweſen, auf deren Bei⸗ 
fpiel fie ihn hinweiſe. 


Halte mir nicht ben Blanz der beiden Dttonen entgegen, 
Deren Beginnen die Gunft beflerer Zeiten genoß. 
Damals waren noch nicht fo viele der Herren in Dentfchland, 
Jeglicher fepte noch nicht über ben Kaifer ſich weg. 
Jetzt dünft Jeder fich, felbft ein Kaifer zu fein, und fo bleibt denn, 
Außer dem Namen und Schein, nichts für den Kaifer zurüd. 
Gar oft laſſe ich Befehl ausgehn und berufe den Reichstag, 
Bin auch, wenn er fich trennt, tröfflicher Hoffnungen voll, 
Doc ſtets muß ich von vorn anfangen, von Neuem Berfammlung 
Halten: es dreht endlos ſich der Berathungen Kreis. 
Und indes wir die Zeit unnüg mit Verhandeln verlieren, 
Fallen wir Deutfchen als Raub liftigen Feinden anheim. 


1) U. de Hutten Richardo Croco. Bonon. 5 Idus Augusti (1516). 
In der Ansg. mit dem Titel: Epistolas II Ulrici ab Hutten ad Ri- 
chardum Crocum nunc primum luce publica donavit, notis illu- 
stravit etc. M. Chr. Gottfr. Müller. Lips. 1801, p. 6. Opp. ed. 
Münch, II, 328. 

2) Epistola Italiae ad Div. Max. etc. U. Hutteno eq. Germ. 
autore. Responsio Maximilieni Aug. Helio Eobano Hesso autore. 
Addita sunt Hutteni de eadem re Epigrammata, nuper ex Urbe Roma 
misse, sumpto ex his temporum motibus argumento, S. oben ©. 164. 





Einwirfung Lucian's auf Qutten. 177 


Dennoch habe er jegt, führt Marimilian fort, bei Verona 
einen Anfang gemacht, und gedenfe eheftens zu fommen. — 
Allein er fam nicht, und bald mußte er auch Verona den 
Benezianern herausgeben, gegen eine Gelbleiftung, die ihn wer 
nigftens in den Stand fegte, den Truppen ihren Sold zu bes 
zahlen, die er zu der fehlgefchlagenen Unternehmung verwen⸗ 
bet hatte. i) 

Die drei Gedichte, von denen zulegt Meldung gefchehen, 
waren übrigens nicht die einzigen Rebenarbeiten, für welche 
Hutten in Bologna neben dem Nechtsftudium noch Muße 
fand. Daß er während diefer Zeit auch die zweite und dritte 
feiner Ulrichsreden verfaßte, ift oben bemerft worden. Und 
nun gaben die Lucianifhen Schriften, die Hutten mit feinem 
Griechiſchen Lehrmeifter lad, noch zu einer weitern Arbeit 
Veranlaffung. In diefen Schriften trat unferm Ritter, der 
fih bis jezt in Profa nur der Nedes oder Briefform bevient 
hatte, die dialogifche entgegen. Seiner lebhaften, auf Ums 
gang und Gefpräd angelegten Natur mußte diefe Darftel- 
Iungsart befonderd zufagen. Er mußte fich gereizt finden, - 
ſelbſt auch Etwas in diefer Form hervorzubringen. In ihr 
fand Alles, was über den bloßen Redner hinaus Poetifches 
in Hutten lag, feine Untertunft; während das, was ihm zum 
Dichter fehlte, in dieſer Mittelform nicht vermißt wurbe, Als 
die feiner Geiſtesart fchlechthin angemeffene war die Gefpräche- 
form die höchfte, welche Hutten für feine Production finden 
fonnte: jie eignete er ſich daher, fobald fie ihm in einem clafs 
fifhen Mufter nahe getreten war, mit Eifer an, und bat in 


Matth. Maler imprimebat Erphurdie in Doringis. Anno 1516 mense 
Novembri. Vgl. Panzer, S. 20 fg. Wieberabgedr. in Hutteni Opera 
poet. 1538 14 — K 2; Opp. ed. Münch, II, 288—92. 
1) Dgl. vie Praefatio zu den Epigrammen an den Kaifer Marimis - 
Iian, Hutteni Opera poet, 1688, AB; Opp- © ed. Münch, I, 167. 
Strang, Hutten. I. 19 





178 L Bud. VI. Kapitel. 


ihr, wie wir finden werben, feine vorzüglichſten Werke abs 
gefaßt.. | 

Bon bier aus Fönnen wir, in Abſicht auf die Form, 
Huiten's Schriftftellerei in drei Perioden theilen. Die erſte 
die poetifche, von feinen früheften epigrammatifchen und elegi- 
fhen Berfuchen in den Jahren 1506 und 7 an, bi zum 
Paregyricus auf den Erzbiſchof Albrecht und der Epiftel Ita- 
lia's in den Jahren 1514 und 1516. Der Rechtshandel 
wider den Herzog von Würtemberg wirft ihn feit 1515 in 
bie redneriſche Form, neben welcher er auch die Briefform mit 
Sorgfalt ausbildet. Bon 1517 an wendet er ſich mit Vor⸗ 
liebe der Geſpraͤchsform zu, greift aber bei Beranlaffungen 
zur Streitrede zurüd, wie er die Briefform aud, ferner fleißig 
anbaut; lateinifche Gedichte werden jelten; daß wir dagegen 
von da an nicht wenige deutſche Reime bei ihm finden, hängt 
mit feiner Hinwendung zur deutfchen Sprache zufammen, von 
der an einem andern Orte zu reden fl. 

Unter Lucian's Dialogen bilden die Todtengeſpraͤche eine 
vorzüglihe, oft nachgeahmte Partie Und gerade für biele 
Form brauchte Hutten den Stoff nicht weit zu fuchen. Der 
ermorbete Vetter; deſſen Fürzlich verftorbener Vater; der fürft- 
lihe Mörder, der nur leider noch nicht in der Unterwelt war, 
bei Phalarid und den andern Tyrannen der Borwelt, wo 
er bingehörte. Aber Eonnte denn nicht —? und nun war es 
gefunden: der lebende Tyrann muß in die Unterwelt hinab» 
fteigen, um fich bei Phalaris Raths zu erholen. Dieß die Si⸗ 
tuation des Dialogs Phalarismus, den Hutten zu Bo⸗ 
logna ausarbeitete ?), und, während Die Reden nur band 


— — 


1) Wenn Hutten von Bologna aus am 25. Mai 1517 an Pirdheimer 
ſchreibt (Opp. ed. Münch, II, 846), er habe in der Zamilienfache etwas 
ganz Befonderes gewagt (quiddam ausus singulare), wovon ihm Ge⸗ 
fahr drohe, da der Tyrann fhon zum Voraus davon Kunde gehabt habe: 








Hutten’o Dialog Pinlarisuune. Dt) 


ſchriftlich umliefen, im März 1517 im Drud ericjeinen 
ließ. *) 

Das Geſpraͤch befteht aus zwei Gcenen, —— 
Ufer des Styr zwiſchen Charon, Mercur und dem Tyran⸗ 
nen (fo wird Herzog Ulrich bezeichnet) ſpielt. Auf Charon's 
verwunberungevolle Frage, was er ba für einen Ichenben 
Menſchen herunterbringe? extheilt der Eeelenführer Mercur 
De Auskunft: der laͤngſt verftorbene Phalarie,. von dem 
Wunſche befeelt, auch in Deutichland, wo dergleichen bis bar 
bin nicht vorgefommen, Tyrannen zu fehen, fei dieſem ſchwä⸗ 
biſchen Fürften (perfönlide Eigennamen werben durchaus 
vermieden) im Traume erfchienen, um ihm bie erforderlichen 
Anweifungen zu eribeiln. Ob das vielleicht ber Tram 
fei, frägt bier Eharon, über den fi kuͤrzlich ber Scheitik 
eines jungen Fraͤnkiſchen Ritters, und bald darauf auch ber 
feine® alten Vaters, während der Ueberfahrt beffagt, und 
dabei die tragiſche Gefchichte der Ermordung des jungen. Rt 
ters, zu allgemeiner Rührung der Schiffögefellfchaft, erzählt 
haben? Eben der, erwievert Mercur, und nun entſpinnt 
fi ein Streit gwifchen Eharon und dem Tyrannen, da die⸗ 
fer mit gewohntem Stolz; und Trop fich weigert, dem Erſtern 


fo fann man Hiebei nicht wohl an etwas Mudres, als an biefen Dialoh 
denfen. 


1) Phalarismus dialogus Huttenicus. Jacta est alea. Am Enke: 
Cum Privilegio. Mense Martio an. 1517. Sinten Sutten’s Mill; 
darüber: Exoriare aliquis nostris ex ossibus ultor. Gpäter nr 
Steckelberger Sammlung der Schriften gegen Gerzog Ulrich einverfsiit, 
x8-—-Y8?°; Opp. ed. Münch, Il, 196—212. Bol. Panzer, ©. 26 fe. 
Enciau’s beide Bhalaris Eonnten für Hutten feine Vorbilder fein. Es 
ind Reden: bie erſte eine Apologie, mit welcher eine Geſaubtſchaſt des 
Tyrannen den ehernen Gtier nach Delphi Aberbringt; die zweite die Mah⸗ 
nung eines Delphiers, das Geſchenk one wiel Gerupnlien anzunchmen 
da die Kirche einen guten Magen van: 





180 I. Buch. VL Kapitel. 


rubern zu belfen, wozu er fih am Ende doc bequemen 
muß. 

Bon Mercur geleitet kommt hierauf der Tyrann an dem 
Orte der zweiten Scene, in dem Felſenthale an, wo feine 
vorangegangenen Borbilder haufen. Phalaris, den er als 
feinen Lehrer begrüßt, ift hoch erfreut, feinen Schüler und 
Liebling zu ſehen, der ihm zunaͤchſt NRechenichaft gibt, wie 
weit er in der Zwifchenzeit feinen Anweifungen nachgekommen. 
Zu dem Ende erzählt er ihm die Ermordung des Hans Hut- 
ten: mit der fchmeichelhaften Wirfung, daß Pbalaris der 
Meberlegenheit feines Schülers huldigt, da er felbft es nicht 
fo weit gebracht babe, Freunde und Wohlthäter umzubringen, 
fondern ſich auf Soldye, die ihm als Feinde verdächtig ger 
weien, beichränft habe. Der Race für diefen Mord, erzählt 
der Tyrann weiter, fei er durch einen Vertrag (den Blaubeu⸗ 
rer) entgangen, den er aber nicht halte: unter dem Vorwande, 
feine, zu den Baierfürften, ihren Brüdern, entwichene Ger 
mahlin zurüdzufordern, rüfte er fih zum Kriege. Im 
Falle des Sieges gebenfe er feine ganze Grauſamkeit zu ber 
friedigen: und um ſich hiezu die Fingerzeige des Meiſters zu 
erbitten, fei er jetzt herabgekommen. Phalaris raͤth ibm zu 
feinem ehernen Stier und ähnlichen claffifhen Vorrichtungen; 
bedauert, daß dem Schüler die SKenntniffe abgehen, um bie 
Geſchichten eines Tiberius, Caligula, Nero in der Urſprache 
lefen zu fönnen, doch möge er fie fich überfegen laſſen. Auch 
viertheilen, aus der Kanone fchießen, wie neuerlich die Böh- 
men gethan, Hautabziehen und das Fleiſch mit Salz bes 
fireuen oder mit Eſſig befchütten, Hände und Füße, Zungen 
und Nafen abfchneiden, Augen und Zähne ausreißen, fei nicht 
übel. Etliches davon, erwiedert der Schüler, habe er be 
reitö in Anwendung gebracht; auch fein Wappen, das Hirſch⸗ 
born, Einigen auf die Baden brennen laſſen. Keine Götter 
glauben, die Beſten am eiftigften verfolgen, fährt Phalaris 





Hutten's Wablfpräde. 181 


fort. Das thue er längft von ſelbſt, und braude dazu 
feinen Lehrmeifter, meint der Andre. Nach dieſen und aͤhn⸗ 
lichen Reden ſtellt Phalaris feinem Gaſte ſaͤmmtliche Tyran⸗ 
nen, die um ihn ſind, von Aſtyages und Cambyſes bis Do⸗ 
mitian, vor i), gibt ihm den Auftrag mit auf den Weg, ſei⸗ 
nem Marfchalf (Thumb) das Hirſchhorn aufbrennen zu lafs 
fen, und zeigt ihm auch noch feinen Oheim Eberhard II., der 
mit einem Lieblingsaffen, bisweilen auch unter der Heerde des 
Pluto, Kurzweil treibt; worauf Mercur den Tyrannen zur 
Oberwelt zurüdführt. 

Daß eine fo beißende Satire auf einen immer noch 
mächtigen Kürften Auffehen, und mancher Orten Anſtoß, er- 
regen mußte, läßt fich denfen. In Würzburg, veflen Biſchof 
mit dem Herzog von Würtemberg befreundet war, zerriß der 
Domherr Peter von Aufſäß den Phalarismus auf offenem 
Marfte; wofür er von dem gekränkten Berfaffer in einem 
gedrudten Sendfchreiben fcharf zur Rede geftellt wurde. ?) 

Das Bewußtfein ded Wagnifjes, welches in der Heraus⸗ 
gabe einer folhen Schrift lag, veranlaßte Hutten, den zah⸗ 
men humaniftifchen Wahlfpruch, deſſen er fich bisher in allers 
band Variationen bedient hatte, mit jenem Worte CAfar’s 
zu vertaufchen, das feitvem in der Erinnerung der Menfchen 
Hutten’8 ſtehendes Attribut geworben if. Bisher hatte er 
unter feine Arbeiten, im Bewußtſein feines reinen Streben®, 
am liebften den Spruch gefchrieben: „Redlich und ohne 
Prunk“ (Sinceriter citra pompam), wozu er wohl audy ein⸗ 


— — 


1) Tyrannus. Salvete una omnes, optime de rebus humanis 
meriti. Tyranni. Ft tu salve, ac nostris vestigiis, quod Cocpisti, 
insiste. 

2) Ulrichi Hutteni eg. Germ. ad Petrum de Aufsas Canonicum 
pro Phalarismo ab illo discerpto Apologia. In ber Gtedelberger 
Sammlung, Y4 — a 3®; Opp. ed. Münch, Il, 176— 9. 





182 I. Bud. VI. Rapitel, 


mal „aus Tugendeifer” (zelo virwutis) fügte.*) Auf dem 
Titel des Phalarismus fteht zum erftenmal: Jacta est alea. 
In der nächſten Zeit fehrte Hutten einigemale zu feinem 
alten Wahlfpruche zurück?); ſobald er aber mit dem Jahr 
1520 feinen großen Kampf wider Rom begonnen hatte, war 
num erft das kühne Wort vom geworfenen Würfel zu feiner 
rechten Bedeutung gelangt, und blieb daher fortan, bald la⸗ 
teiniſch, bald in der Verdeutſchung: „Ich hab's gewagt”, bie: 
weilen noch durdy andere verwandte Sprüche —* ws 
ftehende Motto unfres Ritters, °) | 
Doch wir fehren von dieſer Abſchweifung zu * 
nach Bologna zurück. Auch hier ſollte er von feinen gewöhn- 
lichen Plagen, Krankheit und Streit, nicht verſchont bleiben. 
Auf den drückend heißen Sommer des Jahres 1516 war ein 


1) Hinter der Schrift De arte versificandi leſen wir nod ohne be- 
fondere Bedeutung: absolutum sinceriter citra invidiam (f. Panzer, 
©. 8). Hinter dem Gpigramm Ad lectorem hierauf, vor ber Exhor- 
talio ad Max. Caes.: Synceriter citra pompam (Opera poet. 1538 F). 
In dem Gedicht Ad librum, vor dem Epigrammenbuch an Marimilian, 
findet ſich dieß in ben Jeden Vers eingeflochten: Exi simpliciter citra- 
que pompam (a. a. D., AB»). Hinter dem Panegyricus auf Er 
biſchof Albrecht aber 7 Synceriter eitra pompam zelo virlulis 
(Tubing. Anshelm 1515. Daffelbe in den Operibus poet, v. 3. 1538 
leßte S. auch ſchon hinter der Ars versifie.). 

2) In der Stedelberger Ausgabe der Schriften gegen Herzog Ulrich 
blieb das Jacta est alea beim Phalariomus weg, und wurde flatt deſſen 
an den Schluß der Sammlung Sinceriter pro causa gefeßt. In ber 
zweiten Ausgabe bes Geſprächs Aula bagegen fehrte, wir wiſſen freilich 
nicht, ob mit Zuthun bes Berf., geradezu das Synceriter citra pom- 
pam wieder (Panzer, S. 87). 

3) Jacta est alea, hinter den Dialogi des 3, 1520; Ich hab's ge⸗ 
wagt! bei verfchievenen Abſätzen der deutſchen Bearbeitung biefer Ge— 
fprädhe, und fo fortan jenes in fateinifchen, dieſes in beutichen Schriflen 
Hutten’s. Bisweilen außerdem no: Dirumpamus vincula eorum et 
projiciamus a nobis jugum ipsorum (aus Bf. 2). Bol. Banzer, 
S. 113, 116 fa. 126, 129 und öfter, 





Gtubentenunruhen in Bologna. 183 


ungewöhnlich firenger Winter gefolgt, während deſſen, bei 
den fchlechten italiänifchen Heizungsanftalten, die Deutfchen 
ganz befonders litten, Hutten aber gegen Ende des Jahres 
fhwer erfrankte. 2) Saum war er wieberhergeftellt, als im 
erften Frühling des folgenden Jahres Unruhen unter den 
Studenten ausbrachen. Es waren Reibungen zwifchen ben 
verſchiedenen Landsmannfchaften oder fogenannten Nationen. 
Die Deutfchen waren mit den Lombarden uneind geworben; 
von den Tusfern, Picentern, Spanien, Ungarn, Polen uns 
terftügt, zogen fie mit Degen und Büchfen durch die Straßen 
und berannten die Häufer, in welchen die Lombarden fich ver- 
fhlofien hielten. Zwei Tage dauerte der Aufftand, während 
befien zwar Riemand getöbtet, doch Einige verwundet wurben; 
bis e8 dem Gouverneur gelang, die Ruhe wiederherzuftellen. *) 
Da Eochläus von feinen Zöglingen, den jungen Geuders, 
wenigftens die beiden Altern nicht von der Thellnahme an 
den Händeln abzuhalten wußte, fo kann man fich denken, 
dag um fo weniger Hutten gefeiert haben wird. Und nun 
follte er, nachdem der Gouverneur die Sache vor fein Triön- 
nal gezogen hatte, den Sprecher der deutihen Nation vor 
demfelben machen. Er meinte, im Berhältnig zu der Unbill, 
bie feinen Landsleuten widerfahren war, und der Parteilich⸗ 
feit, welche der Gouverneur bewiefen hatte, fich noch fehr 
glimpflich ausgedrüdt zu haben: allein diefer, ein Genueſer, 
war entgegengejegter Anficht, und zeigte ſich fo aufgebracht, 
dag Hutten für gut fand, zu verreifen.?) Auch noch von 


——— — 


1) Cochlaei Ep. 3 ad Bil. Pirckh. Bonon. 81 Dec. 1516. Bel 
Senmann, ©. 5: Huttenus graviter nuper aegrotavit. gl. Ep. 5, 
p. 9. 
2) Cochlaei Epist. 5 ad Pirckh. Ex Bonon. Nonis Mart. anno 
1517, p. 12 bei Heumann, 

3) Hutteni Epist. ad Erasmum. Bambergae 21 Jul. 1517 (Opp. 
ed. Münch, Il, 342 fg.): orta Bononise inter Germanos et Lango- 





184 I. Buch. VI. Kapitel. 


andrer Seite hatte ihm ein unvorfichtige, wenn auch unver- 
fängliched Wort Verdruß gebracht. Er hatte von Franz Mas 
ria, den Leo X. zu Gunften eined Nepoten aus feinem 
Lande vertrieben hatte, al& von dem Herzog von Urbino ge 
fprochen. Das war aber vom Papfte verboten, und fo wurde 
Hutten als thatfächliy dem Banne verfallen betrachtet. *) 

Er begab fi zunächſt nach Ferrara 2), wo er bie Be 
fanntfchaft des neunundachtzigiährigen Nicolaus Leonicenus 
machte, der, ebenfowohl durch feine Maͤßigkeit ald feine Ger 
lehrſamkeit berühmt, daſelbſt Redekunſt, Philofopbie und Mer 
diein lehrte, und, als der Lepte aus der Generation der gros 
en italiänifchen Humaniften des 15. Jahrhunderts erfi ein 
Jahr nad Hutten farb. Mit diefem, wie mit Cöolius Gal- 
cagninus und einem Lehrer der griechifchen Sprache, Antima⸗ 
chus, war, außer der Sache der beflern Wiffenichaften, die 
beiderfeitige Befanntichaft mit Erasmus noch ein befonberer 
Anfnüpfungspunft. 

Nur wenige Tage weilte Hutten in Yerrara, da wei 
Vettern, die im Begriffe fanden, nad) dem heiligen Lande 
unter Segel zu gehen, ihn nad Venedig beriefen. Hier 
zeigte fi, wie das Gemeingefühl der Humaniften in allen 
Landen ftärfer war, als die politifch nationalen Gegenfäge. 
In feiner Aufmahnung an den Kaifer zum Kriege wiber 
Benedig, in feinem Senpfchreiben Italiens an denfelben, — 


bardos seditione pene absumtus sum, jussusque causam apud ci- 
vitatis praesidem communi Germanorum nomine perorare (Hiscus 
[Fliscus?] is est, Genuensis natione), quamquam, pro nostra injuria 
et illius iniquitate, non acerba satis esset oratio, vehementer offendi 
hominem. Quare Ferrariam inde profectus sunı. 

1) Exhortatoria ad principes Germanos, ut bellum in Turcas etc. 
Hutteni Opp. ed. Münch, II, 477 fg. 

2) Die folgenden Nachrichten entnehmen wir dem angef. Briefe 
Hutten's an Erasmus, Opp. ed. Münch, II, 842 fg. 





Qutten in Benebig. ‚185 


das Stärkfte, wie der Marcus, die Bifcherei der Benezianer 
und die Epigramme an Marimilian, war freilich noch unge- 
drudt; aber auch dort fchon hatte ſich Hutten hoͤchſt feind- 
felig gegen Venedig geäußert. Deflenungeaditet fand er ge 
rade in Venedig, damald einem Mittelpunkte der humaniſti⸗ 
ſchen Beftrebungen, eine Aufnahme, fo freundlich und ſchmeichel⸗ 
haft, als fle ihm auf allen feinen Reifen nicht zu Theil ge- 
worden war. Erſt trat er bei dem, ald Staatsmann wie 
al8 Gelehrten berühmten Baptifta Egnatius ab, dem er Grüße 
von Erasmus brachte, und der ihn, zunaͤchſt um diefer Em⸗ 
pfehlung, bald aber um feiner felbft, feiner Bildung und 
Liebenswürbdigfeit willen, fehr freundfchaftlich behandelte, mit 
feiner Horazausgabe befchenfte, und ihm für Erasmus einen 
Brief und ein Eremplar feiner Caesares nebft einigen andern 
Schriften auf den Heimmweg gab.) Auf die Kunde von 
Hutten’8 Ankunft fanden ſich gebildete Jünglinge aus den 
erften Häufern, Contarini, Bragadini, au ein gleichnami« 
ger Neffe des berühmten Hermolaus Barbarus ein, die ihn 
in der Stadt herumführten, ihren Belannten zeigten, und 
endlich in das prächtige Haus des gelehrten Buchdruckers 
Aſulanus brachten. Diefer batte wenige Jahre zuvor feinen 
berühmtern Schwiegerfohn Aldus Manutius verloren; aber 
fein Sohn Iohann Franz und andre gelehrte Hausgenoflen 
wurden berbeigerufen, und fein Enkel, der fünfjährige Aldus 


1) Baptista Egnatius Erasmo. Venet. 21 Junii 1617. Erasmi 
Epist. omnes, Lugd. Bat. 1706. Appendix, Ep. CXLI, 1608 fg.: 
Udalricus Hutltenus, vir, quantum ex ejus uno congressu conjicere 
licuit, cum moribus tum literis ormatissimus, ut Erasmi discipu- 
lum agnoscas, a ie mihi salutem dixit. Eum ego, ut par erst, 
primum tuo nomine suavissime complexus sum, mox virlus sus- 
vitasque ejus effecit, ut non minus ille mihi sua quam tua com- 
mendatione gratus jucundusque foret... Das Webrige ber obi⸗ 
gen Erzählung ift aus Hutten's angef. Brief an Erasıuns genommen. 





186 I. Buch. VI. Kapitel. 


Manutius, mußte den gelehrten Ankömmling mit einem Kuß 
empfangen; auch wurde feine Bücherfammlung dur Aus⸗ 
gaben von Sueton und den fpäteren Gefchichtfchreibern der rö- 
mifhen Kaiſer, von Cicero's Dfficden und der ſchon genannten 
Schrift des Egnatius de Caesaribus bereichert. 

Die Betten, welche den Ritter nach Venedig beſchieden 
hatten, fprachen ihm zu, die Reife nad dent Morgenlande 
mitzumachen; dergleichen Walfahrten waren noch immer nicht 
aus der Mode gekommen; nach ded Eochläus Briefen war es 
Crotus Rubianus, der ihn zurücbielt.*) Diefer Freund war um 
jene Zeit gleichfalls in Italien angefommen. Seine guten Tage 
bei dem Abte Hermann von Fulda waren nicht von Dauer 
geweſen. Den Mäcenatifchen SKirchenfürften brachten hoch⸗ 
fliegende Entwürfe und verfchwenderifcher Haushalt in Jer⸗ 
würfniffe, bie in bemfelben Jahr 1517 feine Bertreibung, 
fpäter feine Abdanfung zur Bolge hatten.) So nahm Eros 
tu® wieder eine Erzieherftelle bei jungen Adeligen, dießmal ans 
dem ihm und Hutten befreundeten Haufe Buchs, an, mit 
denen er nad) Italien ging, und num mit Hutten, wie es 
fheint, in Venedig zufammentraf. Durch den verftändigen 
Freund von der phantaftifchen Reife abgehalten, kehrte Huts 
ten erft nach Bologna zurüd, wo er am Abende des 25. Juni 
ankam, und nad kurzem Aufenthalte ganz indgeheim, um 


u —— 





1) Cochlaei Ep. 10 ad Bilib. Pirckh. Bonon. 6 Kal. Julii 1517 
(bei Heumann, S. 27): Fuit his diebus Venetiis Huttenus, cum 
gentilibus suis, Hierosolymam proficiscentibus: quos utique comi- 
tatus esset, ni Crotus Rubianus, Vulpinorum praeceptor, eum re- 
tinuisset. @in Freund Hutten's, der Würzburger Domherr Michael von 
Sensheim, hatte ſchon vor zwei Jahren eine folche Reife im Ginne ge: 
habt. ©. Hutteni Epist. ad Mich. de Sensheym, in der Gtedelb. 
Samml. der Schriften über Hans Hutten’s Mord, D 6; Opp. ed. Münch, 
u, 60. 

2) S. Rommel, Philipp der Grofmüthige, Landgraf v. Heften. Gie⸗ 
fen 1880, 1, 66. 











Hutten's Mädtchr nad Destfland. 18 


Rachfielungen zu vermeiden, am 27. oder 28. Juni, feine 
Küdreife nach Deutfchland antrat. !) 

Cochlaͤus, der übrigens in letzter Zeit eine Entfrembung 
Hutten's zu fpüren meinte, gab ihm Briefe an Pirdheimer in 
Kürnderg und an verſchiedene Belanute in Augsburg umb 
Iugolftabt mit, bei venen er ihn einführen wollte; ‚den Erſtern 
bat er nach Hutten’6 Wunſche, diefen nicht mit dem gewöhn- 
lichen Nürnberger Prunk aufnehmen zu. wollen, ba er nit - 
feinen federn Mahlzeiten, fondern feiner gelehrten Unterhal⸗ 
tung zuliebe den Unmeg über Nürnberg gu machen gebenfe. ®) 
Daß es gerade Cochlaͤus war, bei weldyem Hutten noch am 
Tage vor feiner Abreife die Schrift von Laurentius Valla 
über bie erbichtete Schenkung Gonftantin’® fah, mit Deren 
Herausgabe er nad feiner Heimkunft feinen Feldzug gegen 
Rom eröffnete, iR ebenfo merfwürbig, als dag Cochlaͤus Das 
mald zwar wegen der Herausgabe aͤngſtlich, übrigens mit 
dem Juhalte der Schrift volllommen einverflanden war?) 
Wir fommen feiner Zeit auf. Diefelbe zurüds hier können wir 
es unmöglich langer verfchieben, über den Reuchlinifchen 
Streit, an welchem Hutten auch fchon früher, ganz bei 
ders aber jeht in Italien, Antheil genommen hatte, im 
— Bericht zu geben. 


1) Cochlaei Ep. 10 adBil. Pirckh. Ex Bonon. 6 Kal. Julii (26. Jun) 
1517 (bei Heumann, &. 27): Rediit heri vesperi, mane me 
vocat, suumque in Germaniam discessum &perit,... cias m&ane 
abituras. p. 38: De Hutteni discessu nepotes tui nibil seldint: ver 
luit ille secretum esse, ne forte insidiis intercipiatur. Ep. 11. Ex 
Bonon. 5. Jul. 1817, p. 38: Abiit ad vos ante octiduum noster 

2) Epist. 10, p. 37. Bel. Ep. 8, p. M. 

8) Ep. 11, p. 9. 





Siebentes Kapitel. 


Neuchlin's Kampf mit den Gölnern und Hutten's 
Theilnabme an demfelben. 


1511 — 1517. 





Rn 

Schriften: Triumphus Capnionis (?). (In sceleratiss. Jo. Pepericorni 

vitam exclamatio). Ad Card. Hadrianum pro Capnione 
intercessio. 


Unter den Männern, welche aus der Berbumpfung des fin- 
fenden Mittelalter6 die Geifter an die freiere Luft herausführen 
halfen, indem fie Unwiſſenheit und Scholaftif durch Eröffnung 
der Quellen wahrer Bildung mittelft grünblicher Kenntniſſe der 
alten Sprachen befämpften, unter den Vätern des Humanis⸗ 
mus mit Einem Worte, nahm um die Wende des Jahrhun⸗ 
derts Johann Reuchlin ?), oder wie Hermolaus Barbarus ihn 


1) Quellen und Hülfsmittel für Reuchlin’s Leben, und insbefonbere 
den bier zum erzählenden Streit, find (außer Pirckheimer's, Hutten’s, Mus 
tian's, Erasmus’ Briefen): Illustrium Virorum Epistolae, hebraicue, 
graecae et latinae, ad Jo. Reuchlinum Phorcensem .. quibus jam 
pridem additus est Liber secundus .. Hagenoae ex officina Thomae 
Anshelmi. Anno .. 1519 mense Maio. Hermann v. d. Hardt, Histor. 
literar. Reformationis (Francof. et Lips. 1717), Pars II. Vita Jo. Reuch- 





Neuchlin ua Erasmus. 199 


gräcifirt hatte, Gapnion, eine ber erſten Stellen en. (4 
war das allgemeine Urtheil, wenn Hutten ihn und Erasmus 
die beiden Augen Deutſchlands nannte. Ihr Verdienſt ſci 
es, daß das deutſche Volk aufhöre, ein barbariſches zu fein, 
Sie genoſſen eine beinahe übermenfchlicde Verehrung. *) Wer 
den im Stillen wirkenden Mutianus Rufus genauer kannte, 
war wohl geneigt, ihn zum Dritten im Bunde der beiden 
großen Männer zu machen: ex felbft lehnte eine ſolche Zu⸗ 
fammenftellung mit feiner Reis etwas ironifchen Beſchei⸗ 
denbeit ab. ®) 

Unter jenen beiden war wohl um ben Anfang des Jahr⸗ 
bunderts Erasmus der berühmter. Seine Schriften waren 
zahlreicher, griffen unmittelbarer in das Leben ein und hatten 


lini Phorcensis .. descr. a Jo. Henr. Maio 1687. Gchaurrer, Bies 
—* iſche u. niterariſch⸗ Nachrichten von ehemaligen Lehrern ber — 
teratur in Tabingen (Ulm 1702), ©. 6-68. Meiners, Lebens 

ee beräßmter Mäuner aus ber Zeit bes Wiederherſtelluag ber 
Wiſſenſchaften (Zürich 1795), I, 44 -212. Erhard, Geſchichte des Wie 
deraufblähens wifienfchaftlicher Bilbung ıc. (Magbeburg 1897), IT, 147 fü 
Dlayerhofi, 3o$. Renhlin und feine Seit (Beriln 1880). Same, Sof! 
Reunchlin (Bforzheim 1865). 

i) Hutteni Ep. ad Gerbellium (Bonon. $ Cal Aug. 1517). Opp.. 
ed. Münch, Il, 296: Duos Germaniae oculos (Erasmum et Capnio- 
nem) omni studio amplexari debemus: per eos enim barbara esse 
desinit haec natio. 


2) Mutieni Epist. 491. Mspt. Francof.: Amo pbilosophos, ame; 
poetas etc., sed sic amo ut homines. Erasmus surgit supra 
hominis vices. Divinus est ei venerendus religiose, pie, en 
numen. Aehnlich nennt 5. Bebel den Reuchlin Germaniae decus,- 
einen Mann, den alle bonarum artium studiosi colant et veneren- 
tur quasi aliquod numen a superis in hanc terrarum 
tem elapsum. S. Ilustr. viror. Epp. ad Reuchlin. F 1®. 


8) Mutisni Ep. 491. Mept.: Qui triamviretum illum creent, vol 
me derident, vel, quod verosimilius est, male judicant de summis 
illis viris, qui teatum excellunt, Quantum lenta solent inter viburna 
cupressi. 





190 1. Buch. VII Kapitel. 


überbieß die Reize des anmuthigften lateiniſchen Stil für ſich; 
wie er denn auch feine ganze Zeit und Kraft auf feine lite⸗ 
rarifchen Arbeiten verwendete. Reuchlin's gelehrte Leitungen 
waren nur Krüchte feiner Mußeftunden, neben den hoben 
Staatsämtern, die er verwaltete. ) ALS der Sohn eines 
Dienftmanned der Dominicaner 1455 zu Pforzheim geboren, 
hatte er ſich zum vertrauten NRathe des Grafen und erften 
Herzogs von Würtemberg, Eberhard im Bart, fpäter zum 
gemeinen Richter des fchwäbifchen Bundes emporgefchwungen. : 
Er war Rechtögelehrter von Profeffion, Philolog und Philo⸗ 
foph aus Liebhaberei. Sein Iateinifher Stil ift nur mittels 
mäßig: er ftand hierin, wie in manchen andern Stüden, noch 
mehr in der alten Zeit ald Erasmus, wie er denn auch we⸗ 
nigftend um 10 Jahre Alter war.2) Zudem lag das Feld 
feiner Verdienſte weiter von der Heerftraße ab: Erasmus 
lehrte die Zeitgenoffen gut Lateinifch ſchreiben und Griechifch 
verſtehen; Reuchlin wendete fidy neben dem Lateinifchen und 
Griechifchen mit Vorliebe dem unter den Gelehrten jener ‘Zeit 
ganz verfchollenen Hebräifchen zu. Er hatte es fich ſchwer 
Geld koſten laflen, dafielbe von Juden zu lernen ), und gab 
nun, fo gut es unter foldyen Umftänden möglich war, das 
erfte zufammenhängende Lehrgebäude der hebraͤiſchen Sprache. *) 


1) Respirandi causa, post mille negotia et aulicos tumultus, 
lefe er bisweilen im Plato, fagt er in der Schrift: De verbo mirifico, 
L. l, b 5. 

2) Die Angaben über das Geburtsjahr des Erasmus ſchwanken zwi: 
fen 1465 und 67. 

3) Mutian fchreibt, er habe in Bologna gehört, Reuchlin habe zu 
Rom Doctori verpo pro unius dictionis, quae obscura erat, enarra- 
tione X aureos gegeben. Epist. ad Petrej. Aperbachum, tu Joach. 
Camerarii Libellus novus, Epistolas etc. oomplectens (Lips. 1568). 3 8. 

4) In der Schrift: Jo. Reuchlini .. ad Dionysium fratrem .. 
de rudimentis hebraicis ll. Hl. Phorcae in aedibus Th. Anshelmi 
1506. 





Johann Reuchlin. 191 


Reuchlin’d Intereſſe an diefer Sprache war aber nicht 
blos ein philologiſches, auch nicht blos das theologifche als 
an einem Schlüfjel zum beffern Schriftverftändnig, fondern 
zugleih das myſtiſche an den vermeintliden Geheimnifien 
der Kabbala. Auch hierin bildete er einen Gegenſatz zu Eras⸗ 
mus. War diefer ein nüchterner, ironifcher Geift, feine Denk⸗ 
art, wenn man den Ausdrud nicht mißverflehen will, ratio 
naliftifch, fein Wirken ein aufflärendes: fo war Reuchlin, bei 
.: gleicher Denkkraft und nicht geringerem Wiflen, ein myſtiſcher 
Geiſt, den ein dunkler Drang nad verborgenen Tiefen zog. 
In jedem Worte, jedem Buchftaben, ja den Buchftabenzeichen 
‚des Alten Teftaments fah er Geheimniffe.e Den Laurenz 
Behaim, Domherrn zu Bamberg, hatte er zu Rom gelehrt, 
aus Einem Berfe des zweiten Buche Moſis die 72 unaus⸗ 
ſprechlichen Namen Gottes herauszufinden. ) In den drei 
Buchſtaben des hebräifchen Wortes, mit welchem 1 Mof., 1, 1 
das göttliche Schaffen bezeichnet ift, fand er die Dreieinig⸗ 
feit 2); nach eben derfelben Deutungsart in Sprüchw. 80, 31 
eine Weiffagung (die ſich freilih nicht erfüllte), daß nad 
Marimilian Friedrich von Sachſen Kaiſer werden würde. ®) 
Dergleihen Beftrebungen wies Erasmus im Lob der Narr⸗ 
heit ihren Pla an.*) Andere hingegen zog der magiſche 


1) Ilustr. viror. Epist. ad Reuchlin. Cij. 
ZN N 2 
aene m 
De verbo mirif. L. II. von Anfang. 

8) Reuchlini Epist. ad Mutianum, in Tentzelii Supplementa Hist. 
Gothanae, 2. Abth. ©. 685. 

4) Erasmi Encomium Moriae, ed. P. Rabi (Ulm 1747), p. 65: 
Auditus est a nobis .. quidam octogenarius .. Theologus .., is, 
explicaturus mysterium nominis Jesu, mira subtilitate demonstra- 
vit, in ipsis literis latere, quidquid de illo dici possit. Etenim quod 
tribus duntaxat inflectitur casibus, id manifestum esse simulacrum 
div. ternionis. Dann, daß der Rominativ in 0, ber Uceufativ in m, 





192 I. On. VII. Kapitel. 


Nimbus eines geheimen Wifiens nur um fo mehr zu Män- 
nern wie Reuchlin und der ihm in mancher Hinficht ähnliche 
Abt Johann von Tritheim bin.) Auch find e6 nicht eben 
die unbedeutendern Geifter, welche dieſen myſtiſchen Hang in 
ſich tragen, und fie zeigen fchon darin Stärfe genug, wenn 
fie demfelben nicht unterliegen. Bon Reuchlin war dieß nicht 
zu fürchten, der ohne Phrafe von ſich jagen Eonnte: Den hei⸗ 
ligen Hieronymus verehre ich wie einen Engel, und den Ni⸗ 
colaus von Lyra achte ich als Lehrer, aber die Wahrheit 
bete ich an wie einen Gott. ?) 

Wahrheitsliebe und Aufrichtigfeit gab ſich auch in der Rebe 
des Mannes Fund ®), defien ftattlicher, wohlgebauter Körper 
in würdiger, vornehmer Haltung Jedem imponirte. ) War 
er bierin vor dem fchmäcdhtigen, ängftlihen Erasmus im Bor: 
theil, fo ertrug er es auch eher, fo mäßig er für gewöhnlich 
lebte, einmal mit feinem Johann Wader (Bigilius) in Hei- 
deiberg bis tief in die Nacht deflen Weine durchzufoften, auf 
bie Gefahr bin, im Nebel des Erwachens am andern Morgen 





die übrigen Caſus in u fidy endigen, deute an, eum esse Summum, 
Medium et Ultimum. 

1) &. Mutiani Ep. 841, Mspt., Empfehlungsbrief für P. Eberbach 
an den Abt Johann von Tritheim, den jener, nebit Reuchlin, kennen lernen 
wolle; denn deleciatur .. magorum honcstioribus mysteriis, quae 
tibi penitus perspecta sunt:et cognita. 

2) Quamquam Hieronymum S. veneror ut angelum, et Lyram 
colo ut magistrum: tamen adoro veritatem ut Deum. Rudim. hebr. 
L. III. Praef. ’ 

3) Thom. Venstorius Pirckheimero, in beflen Opp. ed. Goldast, 
p. 382 (nach einem Beſuch bei Reuchhlin): Equidem credo, Nestorem 
ilum Homericum huic haud praetulisses: ita nihil loquitur, quod aut 
fucum aut adulationem sapiat unquam, sed .. sincera veritate cum 
gravitate cuncla relucent, 

4) Jo. Hiltebrantus Suecingensis vor Illustr. viror. Epp. ad” 
Reuchlin.: Est illi .. facies liberalis, est ingenuus totius corporis ' 
et quidem Senstorius decor. DE Pr er 





Johann Reudlin. 193 


feine Kleivungsftüde mit denen des Freundes zu verwechleln. !) 
Auch mufitalifh war Reuchlin: wie einft dem armen Knaben 
feine fchöne Stimme zuerft emporgeholfen, fo griff er noch 
in feinen alten Tagen mandmal zur Zither, um Sorgen 
und Kummer zu zerftreuen.?) 

Reuchlin’d Bemühen um die Grundipracdhe des Alten 
Teftamentd war zwar auf der einen Seite ganz fromm, ale 
Gegenwirkung nicht allein gegen die Scholaftif, fondern ebenfo 
auch gegen die profane Richtung gemeint, welche der Humar 
nismus, befonderd in Italien, genommen hatte. ) Auf 
der andern Seite jedoch war vielfacher Zufammenfloß mit 
der alten, auf fehr mangelhafter Sprachkenntniß beruhenden 
Iateinijchen Bibelüberfegung, der fogenannten Bulgata, nicht 
zu vermeiden. An vielen Stellen feines Werkes über bie 
hebraͤiſche Spradye wird diefe Ueberſetzung von Reuchlin geta- 
delt und berichtigt.*) Nun aber war die Bulgata in ber 
abenbländifhen Kirche längft an bie Stelle des Driginals 
getreten, deſſen Verſtaͤndniß mit der Kunde der Grundfprachen 
während der mittlern Zeit verloren gegangen war. In der Ueber⸗ 
fegung der Bulgata allein kannten die @eiftlichen die Bibel; 
auf Irrthümer dieſer Ueberfegung waren kirchliche Lehrſaͤtze 
und Gebräuche gegründet worden. Mit der Vulgata ſchien 
daher Reuchlin die Kirche felbft angutaften, und ba er feine 
Berbeflerungen überdieß aus den Belehrungen und Schriften 


1) Epist. Jo. Wacker, in Ilhustr. viror. Epp. ad Reuchlin. giil. 

2) J. Reuchlinus Bilibaldo Pirckheimero, Anglop. 10 Cal. Febr. 
1520. In Bilib. Pirckh. Opp. ed. Goldast, p. 259. 

3) Rudimenta hebr. Praef.: Persaepe mıhi cogitanti de communi 
sacrarum literarum jactura, .. quae, cum multitudine sophismatum 
annis superioribus, tum maxime nunc, propter eloquentiae studium 
et poetarum auctoritatem, non modo negliguntur, verum etiam a 
quam plurimis contemptui habentur etc. 

4) Die Wendung kehrt öfters wieder: Translatio habet ita, ober 
Nos ita legimus .. Sed hebraica veritas etc. 

Strauß, Sutten. 1. 13 





194 1. Buch. VII. Kapitel. 


der Juden fchöpfte, fo lag es nabe, fein Chriſtenthum gu 
verbächtigen, felbit ohne den Anlaß, von dem wir fofort zu 
berichten haben werben. 

Bereits hatte Reuchlin das funfzigfte Lebensjahr über: 
fchritten, und fing an fi) nad Ruhe zu fehnen. Er hatte 
viel erlebt, in jüngern Jahren in Frankreich fi aufgehalten 
und Italien wiederholt bereist; war in hohen Stantsgefchäften 
gebraucht, vom Kaifer geadelt, von einem ber trefflichften deut 
fhen Fürſten mit freundfchaftlichem Bertrauen beehrt worden ; 
vor feinem unmwürdigen Nachfolger hatte er fliehen müflen, 
war nach deſſen Abſehung zwar nad) Stuttgart in jein Heim⸗ 
wefen zurüdgefehrt, doch konnte der Freund Eberhard's im 
Bart an dem Pochen und Praffen des jungen Herzogs Ulrich 
feine Freude haben. So zog er fid, da das Nichteramt des 
ſchwaͤbiſchen Bundes ihn nur zeitenweife in Anſpruch nahm, 
allmählig zurüd, lebte mit feiner fränfelnden rau am liebften 
auf einem Landgütchen, wo er weiße Pfauen zu ziehen fuchte 
nnd feinen Studien oblag. ?) 

Es war im Anfang des Jahres 1510, als, wie es fcheint 
in Stuttgart, ein getaufter Jude aus Eöln mit einem feltfamen 
Anfinnen bei Reuchlin eintrat. Der Menſch hatte, nachdem 
ihm, feine ehemaligen Glaubensgenofien durch Ermahnung 
zu befehren, nicht gelungen war, einen andern Weg einges 
fehlagen. In einer Reihe von Schriften, von denen ihm wer 
nigftens die lateinifchen die Coͤlner Theologen machen halfen, 
forderte er Obrigfeiten und Volk zu gewaltfamer Befchrung 
oder Bertreibung der Juden und zur Verbrennung ihrer 
Bücher auf. Da auch dieß ohne Wirfung blieb, ritt er mit 
jüdifcher Betriebfamkeit im Sommer 1509 zum Kaifer Mari: 


1) ©. Nicolaus Basellius, monachus Hirsaug., Joanni Reuchlin. 
Ex Hirsaug. prid. Cal. April. 1509. Illustr. viror. Epist. ad Reuchlin. 
biij. 








Reuchlin und Pfefferkorn. 195 


milian, der eben gegen Venedig zu Felde lag, und wirkte im 
Heerlager vor Padua von ihm und feinen beſtechlichen Schrei⸗ 
bern ein Mandat aus, kraft deflen aller Orten im römifchen 
Reiche die Juden ihre fämmtlichen Bücher auf die Rathhäufer 
zu bringen hatten, wo fie von Pfefferforn (fo hieß der getaufte 
Jude) mit Zuziehung der Pfarrer und etliher Männer von 
Geriht und Rath unterfuht, und alle Diejenigen, welche 
Schmähungen gegen die dhriftlihe Religion enthielten, mit 
Beichlag belegt und verbrannt werden jollten. Dieſes Mandat 
wies Pfefferkorn jetzt Reuchlin vor, mit dem Erfuchen, er 
möge mit ihm an den Rhein reiten und die Sade in's Werf 
richten helfen. Allein weder der Menfch 1) noch fein Ber- 
langen fonnten Reuchlin gefallen. Er entichuldigte fich mit 
Geſchaͤften, au habe das Mandat etlihe Mängel in der 
Form, welche der rechtöfundige Dann dem Juden erft mit 
dem Finger zeigte, dann, als diefer fie fchriftlih zu haben 
wünfchte, riß er „ein Zedelin ab einem Bappier” und fchrieb 
fie ihm auf. 2) 

So ſchied der verdächtige Menſch; aber Reuchlin follte 
noch nicht fo bald Rube vor ihm haben. Um Bartholomäi 
fam ihm durch den Ehurfürften Uriel von Mainz ein kaiſer⸗ 
licher Befehl zu, fein Gutachten darüber abzugeben, ob nicht 
den Juden ihre ſämmtlichen Bücher außer dem Alten Teftas 
ment abgenommen und verbrannt werden follten? Man wollte 
alfo Die Sache zwar erft noch reiflicher überlegen; aber ande⸗ 
rerfeitd ftellte man die Frage nicht mehr blos auf die Ber: 


— — — — — —2223 





1) Von Pfefferkorn's Aeußerem entwirft Erotus, der ihn bald darauf 
in Cöln ſah, eine abſchreckende Beſchreibung: er nennt ihn ore, vultu, 
totius denique corporis habitu foedissimum, ut recte impuram ani- 
mam dignum hospitium inbabitare dixeris. Illustr. viror. Epp. ad 
Reuchlin. zij. 

2) Reuchlin’s Erzählung im Augenfpiegel, abgebrudt bei v. d. Hardt 
a.aoD, 1, 17. 


13* 





196 I. Bad. VII. Kapitel. 


tilgung wirklicher Läfterbücher, fondern aller jüdiſchen Bücher 
außer den biblifchen: fo weit hatten es inzwifchen die Um⸗ 
triebe Pfefferkorn's und der mit ihm verbündeten Eölner Do- 
minicaner gebracht. Wollten Leptere wieder etwas zu ver- 
brennen haben und den erlöfchenden Fanatismus fchüren, fo 
batte der Erſtere ohne Zweifel, wie ihm Reuchlin fpäter vor: 
warf, die f[hönen Summen im Auge, mit welchen die Juden 
einen Theil ihrer Bücher von ihm loszufaufen fuchen würden. 
Neben Reuchlin waren noch der Dominicanerprior und Keber: 
meifter Jakob Hochftraten zu Eöln und Victor von Carben, 
vormald Rabbiner, jetzt Chrift und Geiftlicher, dann die Uni- 
verfitäten zu Cõoln, Mainz, Erfurt und Heidelberg, zur Ab⸗ 
gabe von Gutachten in der Sache aufgefordert. 

Reuchlin's Gutachten oder „Rathſchlag, ob man den Juden 
ale ihre Bücher nehmen, abthun und verbrennen ſoll“ i), ift 
eine ſchoͤne Probe der Klarheit feines PVerftandes, der Bieder⸗ 
keit feines Charakters und der Milde feiner Gefinnung ; ob» 
wohl nicht zu verfennen ift, daß außer dem literarifchen Werth 
aud die darin vermutheten Geheimniſſe unferm Reudlin die 
Erhaltung der Judenbücher wünfchenswerth madıten, daß alle, 
wie dieß in menfchlichen Dingen fo gerne gefchieht, an dem 
guten Werke, welches er that, neben der Wahrheit auch der 
Wahn feinen Antheil hatte. 

Es laſſe fi, meint Reuchlin, über die vorgelegte Frage 
viel hin und wieder difputiren; um aber auf ein ficheres 
Ergebniß zu kommen, müſſe man unter den jüdifchen Büchern 
verfchiedene Klaſſen unterfcheiden. Da finde man denn 1) die 
Heilige Schrift des Alten Teftaments, 24 Bücher, die außer: 
halb der Frage ftehen. 2) Den Talmud, d. 5. eine Samm⸗ 
lung von Auslegungen des mofaifhen Gefeges aus verſchie⸗ 


1) d. d. Stuttgart am 6. Tage Novembrie anno 1510. Mbgedrudt 
bei v. d. Hardt, Hist. lit. Ref., II, 20 —88. 





Reuchlin’s Rarhichlag wegen der Judenbücher. 197 


denen Zeiten. Daß dieſer des Feuers würdig, künne Keiner 
fagen, der feine Sprachen nicht verftehe (wie die Cölner Theo⸗ 
logen, meint Reuchlin); er felbft habe ein Eremplar veffelben, 
uneradhtet er es gerne doppelt bezahlt hätte, bis jetzt nicht 
erhalten können, fein Inhalt fei ibm daher nur aus den 
Widerlegungsfchriften bekannt. Darnach zu urtheilen, möge 
wohl Manches wider das Chriſtenthum darin Reben: allein 
daß Die Juden Chriftum nicht für Gott anerfennen, das fe 
einmal ihr Glaube, und nicht und zur Schmach zu rechnen; 
daneben aber fei auch manches Gute im Talmud enthalten, 
das aus dem Böſen herauszufuchen, eine heillame Uebung 
unferd Glaubens ſei. 3) finde man bei den Juden „pie 
hohe Heimlichfeit der Reden und Wörter Gottes, die jie heißen 
Gabbala.” Das war nun Reuchlin's Schoosfind, rüdfichtlich 
deſſen er ganz mit der Thefis des Grafen Johann Picus von 
Mirandula übereinftimmte, es fei „feine Kunft, dic und mehr 
gewiß made von der Gottheit Ehrifti, denn Magia und 
Gabbala. Eine ste Klafſe bilden die erflärenden Gloſſen 
und grammatiichen Commentare über einzelne bibliſche Bücher, 
von Kimdi u. A.; für ein richtige® Verſtaändniß des Alten 
Teftaments fo unentbehrlich wie Servius und Donat zum 
Berftändnig des Virgil. 5) Die Predigt: und Geremoniens 
bücher gehören zu dem @ultus, der den Juden durch kaiſer⸗ 
lihe und päpftlihe Nechte zugeftanden jei. 6) Ihre Bücher 
von allerlei Künften und Wiffenjchaften wären nur infoweit 
zu vertilgen, als fie verbotene Fünfte, wie Hererei und Schatz⸗ 
gräberei, lehrten. Endlich 7) unter ihren ‘Boetereien, Kabeln 
und Erempelbüchlein mögen jich etliche, obwohl wenige, finden, 
weiche Spott und Schmähungen wider Chriſtus, feine Mutter, 
die Apoftel u. |. w. enthalten. Dem Berfafler des Gutach⸗ 
ten® find nur zwei dergleichen, Nizahon und Tholdoth Jeschu, 
befannt, die aber von der Mehrheit ver Juden felbft für apo⸗ 
kryph und erlogen gehalten werben. „Bei weldem Juden 





198 I. Buch. VI Kapitel. 


nun wiffentlich gefunden wird ein jolh Buch, dad mit aus⸗ 
gedrudten Worten jchlechtd und ftrads zu Schmach, Schand 
und Unehre unferm Herrn Gott Jefu, feiner wertben Mutter, 
den Heiligen oder der chriftlihen Ordnung gemacht wäre, 
das möcht man durch Faiferlichen Befehl verbrennen und den- 
felben Juden darum ftrafen; Doch nicht anders, denn nad 
genugfamer Verhörung und redytmäßig ergangener Urtheil.” 
Die Bertilgung ihrer ſämmtlichen Bücher ohne Unterfchied 
‘ würden die Juden als ein Zeichen anfehen, daß die Chriften 
ihrer eigenen Sache nicht trauen; während für diefe zu fürchten 
wäre, daß fie, wenn ihnen der Stoff zum Streite mit aus 
wärtigen Gegnern fehlte, defto mehr unter fich felbft zerfallen 
würden. Demnach geht Reuchlin's Gutachten fchließlich dahin, 
„vaß man der Juden Bücher nicht foll verbrennen, fondern 
fie durch vernünftige Difputationen fanftmüthig und gütlich 
zu unferm Glauben mit der Hilf Gottes überreden. Und 
um aus der Sache überdieß einen ‚Gewinn für die Wiflen- 
haft zu ziehen, macht er den Vorſchlag, der Kaijer möge 
befehlen, daß jede deutſche Univerfität auf zehn Jahre zwei 
Lehrftühle der hebräifchen Sprache errichte, wozu vorerft die 
Juden die Bücher herzuleihen hätten. 

Diejed Gutachten ſchickte Reuchlin verfiegelt durch einen 
geihworenen Boten an den Ehurfürften von Mainz, welcher, 
laut des Faijerlihen Mandats, ſämmtliche Gutachten mit ſei⸗ 
nem Beiberichte „bei Johannſen Pfefferkorn“ als kaiſerlichem 
Solicitator in der Sache, an den Kaiſer gehen laſſen ſollte. 
War auch Pfefferkorn vielleicht berechtigt, das Gutachten zu 
leſen, ſo doch gewiß nicht dazu, etwas daraus oder darüber 
jetzt ſchon zu veröffentlichen. Dennoch erlaubte er ſich dieß 
in einer Schrift, Handſpiegel betitelt, in welcher er, wũthend 
darüber, daß ihm fein Anfchlag durch Reuchlin vereitelt werben 
follte, diefem jede felbftändige Kenntnig des Hebräifchen ab» 
ſprach, und ihn beichuldigte, er habe fid von den Juden 








Pfefferkorn's Handfpiegel und Heuchlin's Augenſpiegel. 199 


beftechen laflen, ein Gutachten zu ihren Gunſten zu flellen. 
Diefe Schmählchrift bat Pfefferkorn, nach Reuchlin's Verſi⸗ 
herung, auf der Frankfurter Oſtermeſſe 1511 „ſelbſt umgetragen, 
verfauft und durch jein Weib im offenen Grempelkram Je⸗ 
dermann feilgeboten, auch einestheild verſchickt und verſchenkt.“ 
Kurz darauf fam der Kaifer duch Schwaben; in Reutlingen 
übergab ihm Reuchlin Hagend das Pfefferkorn'ſche Libell; der 
Kaifer bezeigte jein Mipfallen, jaber weil er Eile hatte, ent- 
ließ er den Doctor mit dem Beicheid, das gütliche Verhoͤr 
dem Bilhof von Augsburg übertragen zu wollen. Dieb 
fcheint jedoch vergeflen worden zu jein: dadurch ſah Reuchlin 
fi veranlaßt, zur naͤchſten Herbftmefle rich zu verantworten, 
und, wie er fi ausdrüdt, „al8 ein Verwundeter ſich felber 
zu arzeneien und zu heilen.‘ 

So entftand Reuchlin's Yugenfpiegel (d. h. Brille, die 
auch auf dem Zitel zu jehen war) Y, die Schrift, um welche 
ber ganze fernere Streit fi) drehen ſollte. Hier erzählt er 
zuerft den Hergang der Sache von Anfang an; rüdt dann 
fein Gutachten wörtlich ein; hängt dieſem eine ſcholaſtiſche 
Gontroverfe in lateinifcher Sprache an, in welcher gegen bie 
Anfichten des Gutachtens eine Reihe von Beichuldigungen 
vorgebracdht, aber auch jede derfelben widerlegt wird; endlich 
fucht er nachzuweiſen, daß „der getaufft Jud“ nicht weniger 
als 34 Lügen gegen ihn vorgebracht habe. Bor Allen weist 
er den Vorwurf der Beſtechung mit allem Unwillen eines 
Ehrenmannes zurüd. Er betheuert, daß er „all fein Lebtage, 


1) Doctor Johannſen Reuchlin's, der K. M. als Ertzhertzogen zu 
Defterreich, auch Churfürſten und Fürſten gemainen Bunbrichtere inn 
Schwaben, warhafftige entfchuldigung gegen und wiber ains getaufften 
iuden, genant Pfefferforn, vormals getrudt vßgangen unwarhafftigs ſchmach⸗ 
büchlin. Augenfpiegell” (Tübingen bei Anshelm, 1511). Wieberabge⸗ 
drudt bei v. d. Hardt a. a. O., p. 16—58, auch neuerdings Berlin 
1886. 





200 I. Bud. VII. Kapitel. 


von jeinen kindlichen Zeiten bis auf diefe Stunde, von den 
Juden oder von ihretwegen weder Heller noch Pfennig, weder 
Kreuz noch Münz, nie empfangen, genommen, noch verichafft 
babe, auch insbefondere dieſen Rathichlag betreffend ihm nichts 
dergleichen verſprochen noch erboten worden jei; und wer von 
ihm, zu Berlegung feiner Ehre, anders rede oder jchreibe, 
derfelbe lüge als ein leichifertiger ehrlojer Boͤſewicht.“ Ebenſo 
empört fid) gegen die Anfchuldigung Pfefferforn’s, Reuchlin 
habe feine bebräiiche Grammatik nicht jelbft gemacht, das volle 
Selbftgefühl des gründlichen und verbienftvollen Gelehrten. 
Andere vor ihm haben wohl einzelne Regeln gegeben, aber 
Keiner die ganze hebräiſche Sprache in ein Buch regulirt: 
„und follt der Neid (ruft er gegen feinen Wiverfacher aus) 
jein Herz zerbrechen, dennoch bin ich der Erſt.“ Der ganze 
Lärm ſei nichts weiter al8 eine Speculation des getauften 
Juden, „daß er mit mir,” jagt Reuchlin, „als ein Buchgrempler 
viel Gelds möcht gewinnen, fo er mich in gedrudten Büchlein 
hinterwärts verfaufte; denn er hat jetzt mehr Gulden aus mir 
gelöst, ald Judas Pfennig aus unjerm Herrn Gott.” 

Zur Herbftmefle 1511 war Pfefferkorn wieder jelbft in 
Sranffurt, und auf jein und vielleicht auch feines hübfchen 
Meibes !) Betreiben verbot der Pfarrer Peter Meyer, indem 
er fih als Mainzifher Commiſſär gebärdete, den Verkauf des 
Angenſpiegels. Der Erzbifchof von Mainz beftätigte das Bers 
bet nicht: und nun ließ Meyer wider alle Eirchliche Ordnung 
ven verheiratheten Profelyten, wenn auch nur vor der Kirch⸗ 
Aure, gegen die Schrift von Reuchlin predigen. Da dieſe 


N Certe recordari nequeo, jagt Reuchlin in der bald näher an: 
Mikmnen Bertheibigungsichrift, fueritne etiam tum (ale Bfefferforn 
fü Wpeiste) uxorcula praesens, beilula quidem nıulier, et quae 
Aicorno marito soleat vicatim, domesticatim, ostiatim am- 
> Wir haben hernach die Epistolae obseuromım virorun diefee 
—n.r bellula mulier ausgeheater! 








Berhanblungen zwifäen Meudkin uud den Gölnern. 3 


jedoch nur um fo mehr Käufer fand, fo traten jept die Theo⸗ 
lagen der Eölner Univerfität, größtentheild dem Dominicanets 
örben angehörig, dern Werkzeug ſchon bioher Pfefferkorn ges 
weien war, felbfichätig auf. Sie übergaben den Augenſpiegel 
ihrem Doctor und Profeſſor Arnold (Luyde) von Tungern gar 
Prüfung, ob nichts Kegerifches darin zu entveden fei. PR 

As hievon Reuchlin durch einen Ihm befreundeten Ob⸗ 
densbruder Nachricht erhielt, fand et doch rathfam, das auf 
giehende Ungewitter we möglich noch zu befchwören. Eink 
der Gölner Theologen ; der Profeſſor Eskrad Kollin, Predl⸗ 
gerorden®, aus Ulm, war von fräher ber fein Belannter: au 
ihn und gleichzeitig an Arnold von Tungern ſelbſt wenvete 
er ſich nun in überaus artigen, ja unterwürfigen Briefen: 9 
Sein Outachten, führt er bier, unter vielen unverbienteh 
Gomplimenten für die Colner, aus, babe er auf hoͤhern Bi 
fehl aus fchuldigem Gehorſam geflellt, dabei an abweichende 
Anfichten Undrer nicht gedacht, inſbeſondere der Eölner Bi 
cultät nicht vorgreifen wollen. Da eine gefetzliche Vorſchriſt 
in Betreff ver Judenbücher nicht vorgelegen, ſo babe er da 
rüber frei, als ein Redner, difputiren können, und er habe 
fich für Die mildere Anficht auögefpreihen. Theologiſches Hate 
er als Laie nur fo eingemifcht, wie’ etwa ein Lan ei 
feinen Predigten popular⸗mediciniſche Rathfchläge einflechteu 
möge. Rachdrüdlich verſichert er ſeine durchgängige Einfttats 
mung mit dem Kirchenglanben und feine Bereitwilfigteit, falf6 
er gegen benfelben in etwas verfioßen hätte (befien er Ti 
jedoch nicht entfinne), dieß zurüdzunehmen. „Habe Gebulb 
mit mie,” fhreibt er an Tungern, in Anfplelung auf befannte 
Schriftſtellen, „ich will bir Alles bezahlen. WBeficht, fo Rede 


1) ©. dieſen und bie folgenden Briefe beider Theile in Mustrium 
virorum Epistolae ad Reuchlin. p ij fg. Die ‚Gorrefpondenz begann 
am 1. Nov. 1511, und währte bis in den März des folgenden Yahıe. 





202 I. Bu. VII. Kapitel. 


ih mein Schwert ein; es frähe mir der Hahn, fo will ich 
weinen; donnere erit, bevor du blitzeſt.“ Etwas fpisiger licß 
er fich gleichzeitig gegen den alten Bekannten Kollin aus, 
indem er unverholen von Pfefferforn’s Speculation auf das 
Judengeld und dem Undanfe der Dominicaner gegen ihn 
fprach, ver aus ererbter Anhänglichfeit dem Orden eine Reihe 
von Fahren unentgeltlich als Anwalt gedient habe. 

Reuchlin mochte es für Klugheitsfache halten, in dieſer 
Weife feine Würde einen Augenblid bei Seite zu eben: aber 
Dfaffen gegenüber ift eine, wenn auch nur fcheinbare, Nach⸗ 
giebigteit niemald Flug. Sie meinen dann den Gegner. is 
Furcht gelegt zu haben, und verdoppeln ihre Unverſchaͤmthei 
Die zeigte fih fogleich in dem Antwortichreiben der Gölner 
theologifchen Hacultät, deren Dekan gerade damals der Keher⸗ 
meifter Jakob Hochitraten felber war. Das Ergebniß ber 
Prüfung feiner Schrift fei allerdings fein für Reuchlin gün 
fiiged. Er fuche das durch den „Kaifer löblich begommene 
Berfahren gegen die jüdifchen Bücher zu vereiteln; woburd 
er fich nicht nur der Begünftigung des jüdiichen Unglaubens 
verdächtig mache *), fondern aud) den Juden zu neuem Spetie 
gegen die Chriften Anlaß gebe. leberdieß babe er unſtich⸗ 
baltige Beweile gebraucht, Stellen und Säte aus der heiligen 
Schrift und beiden Rechten ungehörig angeführt und verbreht, 
auch einige anftößige, übelflingende und für fromme Obren 
ärgerliche Behauptungen eingeftreut, und dadurch feine Rechte 
gläubigfeit zweifelhaft gemacht. Aus Mitleid mit dem kranken 
Gliede ſchicken ſie ihm, ehe fie zum Aeußerſten jchreiten, ein 
Berzeihniß der von ihm falfch angewendeten Schrift und 
Rechtsſaͤtze, mit dem Begehren, daß er fich über dieſelben 
genügender, als in den feinen Rathichlag angehängten latei⸗ 


1) nimiae fautoriae Judaicae perfidiae (heißt es in dem Gdlnen 
Theologenlatein) notam improvidus incurristi. 








Berhandlungen zwiſchen Reucdhlin und ben Gölnern. 203 


nifhen Säten, audfprechen, oder nad dem Beifpiele des 
demütbigen und weilen Auguftinus einen Widerruf leiften 
möge. Dieſes Schreiben der Facultaͤt begleitete Kolin mit 
einem Privatbriefe, der freundfchaftlich fein follte, in der That 
jedoch nur darauf berechnet war, Reuchlin einzufyüchtern und 
den Gollegen in’d Garn zu jagen; dabei iſt er ganz in dem 
barbarifchen Latein und mit dem theologifchen Bauernftolze ?) 
abgefaßt, worüber fi} nachher die Epistolae obscurorum 
virorum luftig machten. 

Roh einmal hielt Reuchlin, wenigftend der Facultät 
gegenüber, an fih. Er lobte in feiner Antwort ihre From⸗ 
migfeit und Menſchenliebe und dankte für die Schonung, ihn 
vor der Berurtbeilung erft verbören zu wollen, wie Gott den 
Adam. Er erkenne die Beichränftheit feiner Geiftesfraft, und 
maße fi als zweimal verheiratheter Laie über feinere theos 
logifche Fragen fein Urtheil an, fondern überlafle dad ver 
hohen Yacultät, und wolle ſich gern, wo er geirrt habe, 
belehren laſſen. Die lateiniſchen &rläuterungen, die er feinem 
Gutachten im Augenfpiegel angehängt, habe die Facultaͤt nicht 
genügend gefunden. Da er nun nicht wiflen fünne, was fie 
genügend heiße, fo möge fie, zur Abfchneidung von Weit: 
läufigfeiten, die Erklärung, die fie von ihm verlange, fchrift- 
(idy verfaßt, durdy eigenen Boten auf feine Koften ihm zus 
fenden, und bis zum Einlaufe feiner Antwort ſich weiterer 
Schritte gegen ihn enthalten. — Auch dießmal entichädigte 
fi) Reuchlin für den Zwang, den er ſich der Kacultät gegen- 
über angethan, in dem Begleitfchreiben an den vorgeblichen 
Freund, der in der That einer der dümmſten und gemeinften 
in der Gölner Rotte geweſen zu fein fcheint. Erft züchtigt 
er ihn wegen feiner unlateinifchen Schreibart.*) Die Sadıe 


1) 3.38.: Non mirum, si Jurista theologicas non attigerit sub- 
tilitates. 
2) Es iR für die Anſchauungsweiſe ber Zeit bezeichnend, wie ſich 





904 I. Buch. VII. Kapitel. 


betreffend, wifle er von einem loͤblich begonnenen Gefchäfte 
gegen die Judenbücher, dad er geftört hätte, fo wenig, 
als er fi) einer Begünftigung des juͤdiſchen Unglaubens 
bewußt ſei; vielmehr habe er nur nady Ueberzeugung, wie 
von ihm verlangt gewefen, ein Gutachten abgegeben. Aerger: 
niß, wenn je davon die Rede jein könne, habe nicht er gegeben, 
fondern die Berräther, welche ein verfiegelted, für den Kaifer 
beftimmtes Gutachten unrechtmäßiger Weiſe, fogar im Drude, 
befannt gemacht haben. Darauf ftehe nach bürgerlichem Rechte 
der Galgen: an den mögen Gott und Menfchen jenen Gelellen 
helfen. 

Jet endlich rüdten die Colner mit ihrem eigentlichen 
Begehren hervor. Reuchlin möge, fchrieben fie an (En, 
Anftalt treffen, daß zur nächften Oſtermeſſe Feine Exemplare 
feiner Schrift mehr feil gethan werben; ferner durch eine 
öffentliche Erklärung die bereits ausgegebenen zurüdnehmen 
und alle Befißer von jolchen bitten, von ihm nicht anders 
denfen zu wollen, als daß er in Allem mit der Fatholifchen 
Kirche übereinffimme, und die Juden mit ihren gottlofen 
Büchern, befonderd dem Talmud, verwerfe. Im Weige⸗ 
rungsfalle würden fie genöthigt fein, ihn vorzuladen. Dieß 
zu fordern, fei von ihrer Seite Liebe, e8 zu leiften, von der 
feinigen nicht blos Pflicht, fondern aud) Klugheit. Denn 
leicht könne er ſich denken, daß fonft nady feinem Tode es 
nicht an Solchen fehlen würde, die, wenn er ſich nicht mehr 
verantworten fönnte, den todten Lowen am Barte zupfen, 
und von ihm als einem zur tiefften Hölle Verdammten fo- 
wohl reden al& fchreiben würden. Noch einmal legte der unver: 


—— — — — 


X. hiebei ausbrüdt: Ne moleste feras, quod ad te, hominem lati- 
num, latino more per numerum singularem scribo, non ut tu vi- 
cissim ad me plurative.e Jam enim illud tum ferme totum desiit 
et abolevit in Romana lingua, et nunc unusquisque majores nstrns 
imitamur. Secus est, si vernacula scribimus. 





Berbandlungen zwilchen Reuchlin und den Gölnern. 205 


fchänte Kollin ein freundfchaftlich einfchüchterndes Schreiben 
bei: doch nun war Reuchlin’d Geduld erichöpft, und er trat 
jest endlich den Yinfterlingen fo gegenüber, wie er es gleich 
Anfangs hätte thun follen. 

Er hätte von ihrer menſchlichen und chriftlihen Milde 
gehofft, daß fie ihm, nachdem er durch feine Erklärung den 
gelehrteften Männern genuggethan, Gelegenheit geben würden, 
auch ihnen genugzuthun, indem fie ihm genau anzeigten, 
in welcher Art und Form er die verlangte Erklärung abzu⸗ 
faflen hätte; denn, wenn auch der Geiſt Daniel's zwiefach 
in ihm wäre, fo würde er fih doch außer Standes fehen, 
einem Jeden feine Träume auszulegen. Weil fie nun aber 
biefe feine Bitte nicht gewährt haben, jo wolle er, um doch 
ihrem Collegium willfährig zu fein, die Erläuterung, welche 
er im Augenfpiegel feinem Gutachten lateiniſch angehängt habe, 
bis zur nächften Meſſe in erweiterter Geftalt und deuticher 
Sprache herausgeben. Den Berkauf der Eremplare feines 
Augenfpiegeld Fönne er nicht hindern, da fie Eigenthum des 
Berlegerd feien. Zu diefer Abfertigung erhielt der Freund 
Kollin den Commentar. Wenn er fi wirklich, wie er fchreibe, 
fo fehr für Reuchlin verwendet habe, fo habe er damit ebenfo 
fehr feiner Facultät als ibm einen Gefallen gethan. Denn 
er, Reuchlin, fei in diefer Sache fo trefflich berathen, und 
babe fo mächtige Beichüger hinter fi, daß ein Gewaltftreich 
gegen ihn für feine Gegner übler als für ihn felbft ausfchlagen 
würde. Leicht fei es, Zanf zu erregen, aber ſchwer ihn bei- 
zulegen; das habe nicht bloß er, fondern auch fie zu bedenken. 
„Denn welche Bewegung,‘ fchreibt er, „müßte es verurfachen 
unter den Kriegsleuten von Adel und Unadel, auch jenen, 
welche die Bruft ohne Harniſch, aber voller Rarben haben, 
wenn ein Redner mit der Kraft eines Demoſthenes ihnen 
Anfang, Mittel und Ende dieſes Handeld entwideln, und 
zeigen würde, wem ed dabei um Chriſtus, und wem um 





206 1. Buch. VII. Kapitel. 


den Beutel zu thun gemein... Und glaube nur, zu jener 
Schaar der Starfen würden fi) aud die Poeten und Hifto- 
tifer gefellen, deren in biefer Zeit eine große Anzahl lebt, die 
mid) als ihren ehemaligen Lehrer, wie billig, ehren; fie würden 
ein fo große® Unrecht, von meinen Feinden an mir verübt, 
ewigem Andenfen übergeben, und mein unſchuldiges Leiden 
fhildern, zu eurer hohen Schule unvergänglicher Schmach.“ 
Hiemit waren die Unterhandlungen abgebrochen; Reuchlin 
ließ veriprochenermaßen feine beutfche Erläuterungsfchrift er- 
ſcheinen *), die Eölner aber gaben jetzt das Ergebniß ber 
Tungernſchen Prüfung des Augenfpiegeld heraus.*) Boran 
ftand ein Gericht von Ortuinus Gratius, d. h. Ortwin de 
Graes, der, aus der Münfterfchen Diöcefe gebürtig, zu Des 
venter unter Alerander Hegius, der jonft befiere Schüler zu 
ziehen pflegte, gebildet, jegt an ver Gölner Hochſchule bonas 
literas docirte, und den nun die Theologen voranfchoben, um 
Reuchlin gegenüber zu zeigen, daß auch fie einen Poeten auf 
ihrer Seite haben. ) Die Schrift ift dem Kaifer zugeeignet 
und von dem ſchon genannten Arnold von Tungern mit aller 
Aufgeblajenheit eines theologifchen Scholaftifere, aller Ber- 
ketzerungsſucht eines Pfaffen, und mit der Beichränftheit eines 
Menſchen abgefaßt, der im Stande war, gegen Reudhlin’s 
auf ganz anderm Boden ruhende Beweisführung mit der 
Auctorität eined Albertus und Thomas in's Feld zu rüden. 
Jetzt ſah fi Reuchlin von jeder Rüdficht entbunden, 
und überließ fidy ganz dem Zuge feiner heftigen, zwar durch 


1) Ain clare verfientnus in tütſch vff Doctor Johannſen Reuchline 
tatichlag von den iudenbüchern, vormals auch zu latin imm Augenfpiegel 
vBgangen. 22. Merz 1512. 

2) Articuli sive propositiones de judaico favore nimis suspe- 
ctae, ex libello teutonico Joannis Reuchlin etc. (Col. 1512). 

3) Poeta eorum (theologorum Coloniens.) Heißt er in den Epist. 
obscur. viror., II, Ep. 21. Jo. Holckot. 





Reuchlin's Bertheibigung. 207 


Weltbildung und Alter gemäßigten, nun aber lange und em» 
pfindlich gereizten Natur. Er fchrieb eine Bertheidigung gegen 
feine Coͤlniſchen Verlaͤumder !), die er gleichfalls dem Kaifer 
zueignete. Bon dem bloßen Hammer, den er in Pfefferkorn 
fieht, wendet er fidy bier zu den Schmieden, den Eölner Theo⸗ 
logen, oder vielmehr Theologiften, und ihrem Mandatar, Ars 
nold von Tungern. Aber in deflen Schrift findet er mehr 
Schmähungen als Gründe, und die lehtern meiftend aus 
feinen eigenen Schriften entlehnt. In dem lateinifchen Ans 
hang des Augenfpiegel®, und hierauf im „Klaren Berftänds 
niß“ hatte Reuchlin mögliche Einwürfe gegen fein Gutachten 
aufgeftellt und befeitigt: diefe hatte der Verfafler ver Colni⸗ 
fhen Schrift fih angeeignet, aber die Auflöfungen weggelaffen, 
und ftatt deren ein breites theologifches Gewäfche hinzugefügt. 
Da brauchte alfo Reuchlin fich lediglich auf feine frühern 
Schriften zu berufen. Ein Hauptvorwurf feiner Gegner war, 
daß er Stellen ver heiligen Schrift in einem ihnen fremden 
Sinne angewendet habe. Reuchlin ftellte in Abrede, daß er 
dieß gethan, aber auch wenn er e8 gethan hätte, daß ed uns 
erlaubt wäre. Die Kirche felbft wende mandye Schriftftellen, 
das Neue Teftament manche Stellen des Alten anders an, 
als fie urfprünglich gemeint geweien. So werde das Hohe 
Lied auf Ehriftus und die Kirche oder die menfchlidhe Seele 
gedeutet; fo gebe Paulus dem Altar in Athen eine andere 
Infchrift, als derfelbe wirflicy gehabt habe; fo führe Matthäus 
eine Stelle des Jeremias an, die gar nicht fo in dieſem ſtehe. 
Berfehle hiebei die fpätere Anwendung den woͤrtlichen Schrift« 
finn, jo erreiche fie dafür den tiefer liegenden allegortichen, 


1) Defensio Jo. Reuchlin, Phorcensis, LL. Doctoris, contra ca- 
hımniatores suos Colonienses (Tub. 1513). Wieberabgedruckt bei 
v. d. Hardt. I, 58—98. 





208 1, Bud), VII. Kapitel. 


welcher die — Se 
geben jener Schriftftellen gewefen. | 

Doch nicht blos an Gründen, — ee an Shimpf- 
veden wollte Reuchlin feinen Gegnern nichts ſchuldig bleiben. 
Nennt er den Pfefferkorn ein giftiges Thier, ein Scheufal 
und Ungeheuer, fo heißt er deflen theologifche Gönner biffige 
Hunde, Pferde und Maulefel, Schweine und Füchſe, reißende 
Wölfe, ſyriſche Löwen, Gerberuffe und böllifhe Furien. Ihrem 
Führer, Arnold von Tungern, ftehen zur Seite ein halber 
Jude und ein halber Heide, welcher der Schrift ſchlechte Verſe 
vorgefegt habe: und bier ergeht ſich Reuchlin theild in einer 
Reihe von Wortwigen im Ungefchmade der Zeit"), theils hat 
er die Schwacdhheit, dem Ortuin, weil jer die Maria Jovıs 
alma parens genannt hatte, als über eine neue, im Himmel, 
auf Erden und in der Hölle unerhörte Kegerei ganz kirchen— 
väterlich den Text zu lefen; worauf er mit der Anflage gegen 
Arnold ald Verläumder und Fälſcher fchließt. 

Auf Reuchlin’d Freunde und Gefinnungsgenofien machte 
diefe Streitichrift einen verjchiedenen Eindruck. In der Ver— 
werfung feiner Gegner waren alle einverftanden ; aber Eras— 
mus und Pirdheimer urtheilten, Reuchlin hätte ein Scheufal, 
wie Pfefferforn, nicht durch feine Schriften verewigen follen, 
Jedenfalls, meinten fie, hätte er es mit weniger Leidenfchaft- 
lichkeit thun follen. 2) Dem behutfamen Mutian war befon- 
derd das bevenflih, daß Reuchlin der Kirche falfche Schrift: 
auslegungen Schuld gab. Daß er damit Recht habe, läug- 


1) Ortuin fei bonarum artium perversor — dicere volui pro- 
fessor ; ein versifex, metrifex, imo fex omnis sceleris et perfidiae, 
u. bgl. m. 

2) ©. ihre Briefe in Ilustr. viror. Epist. ad Reuchlin. k iijb s ijb 
Pirckheimeri Opp. ed Goldast, p. 401, und bei v. d. Hardt, a. a. O., 
P. 134. Bgl. Mutiani Epist. 267: Huic calumnioso conviciatori tur- 
bulenta. ne dicam furiosa Apologia respondet (Reuchlinus). 








Mutian’s Urtheil über Meuilin’s Vertheibigung. 200 


nete der Domherr zu Gotha nicht, aber Reuchlin hätte Diefe 
efoteriiche inficht für ſich behalten follen. Der Kirche durfe 
ein Glied derſelben nicht widerfprechen, ſelbſt wenn es einfehe, 
daß fie geirrt habe. Vieles fei von den welfeften Männern 
erbichtet worden, und fromme Tänfchung zum gemeinen Beſten 
unentbehrlih. Anders verftehe der einfältige Leſer, anderd ber 
Gelehrte die Schrift. „In keinem Wege feboch dürfen wir 
Geheimniſſe ausplaudern, oder die Meinung der Menge er 
füttern, ohne die weder der. Kalfer das Reich, noch ber 
Papft die Kirche, noch wir das Unſere in bie Länge behaupten 
fönnten, fondern Alles in das alte Chaos zurüdfinfen winde. 
Darum laß une den väterlichen Glauben, gelehrtefter Eapnion, 
und begünftige die Juden nicht fo, daß du den Ehriften Scha⸗ 
den thuſt.“ Deßwegen urtheilte aber Nutian doch, es müßte 
Einer ganz roh und ohne Vernunft fein, um dem Reuchlin 
nicht wohlzuwollen, deſſen Anfechtung er mit der des Sokra⸗ 
tes in Eine Reihe ftelt. 1) Die feiihe rüdfichtelofe Jugenb 
hatte Reuchlin ohnehin für fi, und feine Gegner mußten 
bald merken, daß für fie auf dem freien Felde des ſchriftſtelle⸗ 
tiihen Kampfes nichts zu gewinnen war, das überbieß uw. 
diefe Zeit durch ein Faiferliche® lat fir bilde 
Theile verfchloffen wurbe. 

Daher eilten fie, die Sache auf den Boden der Kirchen⸗ 
gewalt binüberzugiehen.) Im September 1513 reiste ber 
Dominicanerprior Jakob Hochftraten, welcher Kepermeifter fr 
bie Diöcefe Eöln war, aber auch in den beiben andern rhei⸗ 
nifchen Erziprengeln ſich derſelben Vollmacht anmaßte, nad 


— —— 


1) Mutiani Epist. Mspt. Ep. 267, 280. 

2) Die folgende Erzählung if gezogen aus Acta judiciorum inter 
Fratrem Jo. Hochstratum Inquisitorem Col. et Jo. Reuchlin LL.D, 
ex registro publico, bei v. d. Hardt, p. M—130. Bol. BR, Ge⸗ 
ſchichte des Wiederaufblähene ıc., IL, 848 fg. 

Strauß, Hutten. I. 14 ' 


210 J. Bud. VII. Kapitel. T 


Mainz, und lud Reuchlin, unförmlichenveife ſchon auf ven 
fechöten Tag nach Empfang des Schreibens, vor feinen Rich— 
terftuhl. Nachdem durch Vermittlung des Mainzifchen Doms 
capitel8 der Termin erftredt worden war, erfchien am Tage 
Dionyfii, den 9. October, Reuchlin zu Mainz, in Begleitung 
eined Doctord theol. und juris, und eined adeligen Ober⸗ 
vogts, die Herzog Ulrich zu feinem Beiftande verordnet hatte- 
Das Domcapitel machte billige Bermittlungsvorfchläge; der 
Erzbiſchof verlangte Aufihub; Reuchlin appellirte an der 
Papft: der Kebermeifter, der die Witterung eines Scheiter — 
haufens hatte, war nicht mehr zu halten. Feierlich zogen = 
am 11. October die Dominicaner auf den Richtplatz; von 
Keugier und überdieß von Ablaßverheißungen gelodt, ftrömt — 
eine umnermeßliche Volksmenge zu; Hothftraten nahm feinen 
Richterftuhl ein; ſchon war der Scheiterhaufen aufgefchichte 
und eben follte das Urtheil verlefen werden, welches der — 
Augenfpiegel zum euer verdammte: da fam ein Bote u 
Aſchaffenburg mit einem erzbifchöflichen Befehle, den er u 
dem Plage verlejen ließ, Fraft deſſen das Inquiſitionsgerich 
aufgehoben, dad weitere Verfahren unterfagt, und Reuhline 
Appellation an den Papſt genehmigt wurde. Knirſchend vom 
Muth reiste Hochftraten ab, und entichädigte fih bald her 
nad dadurd), daß er in feinem Cöln, auf einen Urtheilsfprudger 
der theologifchen Facultät geftügt, den Augenfpiegel als ei 
nad) Ketzerei fchmedendes, judenfreundliches, gegen heilige 
Kirchenlehrer unehrerbietiges, ärgerliches Bud, (am 10. Februa c 
1514) öffentlidy verbrennen ließ. 

Mittlerweile hatte nun aber Papft Leo X., an den II 
Appellation gelangt war, die Sache dem Biſchof von Speier — 
dem jungen Pfalzgrafen Georg, übertragen, ber ſeinerſeitk??“ 
feine Domherren, den Dr. Thomas Truchfeß, der ſpaͤter unt 
Hutten’8 Freunden vorfommt, und Georg von Schwalbach — 
zu feinen Eubbelegirten ernannte. Inter dem 24. April 1311 











Die zn. Gentenz. 211 


erfolgte ihr Sprudy dahin, daß Reuchlin’s Augenfpiegel nicht 
nad Kegerei jchmede, nicht ärgerlich, nicht unehrerbietig, nicht 
allzu judenfreundlich fei, daher verkauft und gelefen werben 
dürfe; daß Dagegen Hochſtraten mit feiner Berbammung befiel- 
ben Unrecht gehabt habe, ihm Stillſchweigen und Koftenerfak 
‚von 111 Fl. rheinifchen Goldes auferlegt, und bei Strafe des 
Bannes geboten fein folle, binnen breißig ze fi mit Read, 
lin zu vergleichen. 

Allein Hochftraten, der gegen das Speietſche Gericht gleich 
anfangs an den Papſt appellirt hatte, kehrte ſich an den Aus⸗ 
ſpruch deſſelben nicht, und fo fand auch Reuchlin ſich veran⸗ 


. laßt, die Acten nach Rom zu ſenden, mit der Bitte an den 


Papft, die Sache ohne viel Geräufh und Koften endgültig 
enticheiven zu wollen. Dieſes Geſuch :war vom Kaifer, ver 
fhiedenen Ehurfürften, Fürften, Biichöfen, Aebten, auch :58 
fhwäbifchen Städten unterftügt, welche fämmtlich für Reuch⸗ 
lin's erbauliches Lehren und Leben Zeugniß ablegten. Auf 
Papft Leo X. aber, als einen Freund der humanen Bilbung, 
glaubte man die beſte Hoffnung ſehen zu dürfen. !) Die 
Eölner indeß, um fih für alle Bälle zu beden, holten von 
den theologiſchen Facultaͤten zu Löwen, Paris, Erfurt und. 
Heidelberg Gutachten ein, und als dieſe nad Wunſch and . 
gefallen waren, ließen fie diefelben mit einer Einleitung au . 
der Feder ihres Ortuin Gratius im Drud ausgeben.) .-. 
Der Papft hatte die Sache dem gelehrten Garbinal Gri⸗ 
mani, Patriarchen von Aquileja, übertragen, und dieſer citirte 
num den Sochftraten perfönlich (wovon bei Reuchlin Umgang 
genommen wurde) nad Rom. Der Kepermeifter kam, gleich» 
falls wohl empfohlen, wohl beritten, und was die Hauptfache 


1) Mutiani Epist. 175: Errant tbeologistae: Leo X. assertor est 
ve} maximus Capnionis et Musarum. 
2) Colon. 1514. 








212 I. Bud. VI Kapitel. 


war, wohl mit Goldftüdfen verjehen: dadurch hoffte er mil 
Reuchlin, der jetzt ohne Amt, von feinen fpärlichen Renten 
lebte, fiher fertig zu werben. ) Es war bereits eine Nach— 
giebigfeit gegen die Dominicaner, daß der Papft nun eine 
Commiſſion von 18 Prälaten zur Entſcheidung der Sadıe 
ernannte: doch auch in diefer ſchien ſich die Stimmung zu 
Reuchlin's Gunften zu neigen, und Leo felbft ſagte zu dem 
gelehrten Florentiner Poggius: Sei unbeforgt, wir werben 
dem Manne nichts gefchehen lafjen. 2) 

Dieſer ſchwankende Gang der Sache brachte allen Ueber 
muth und alle Leidenfchaft der Predigermönde in Bervegung. 
Sie ſchimpften auf den Cardinal Grimani, ſprachen von dem 
Papfte wie von einem Sculfnaben, und drohten, auf den 
Fall einer ihnen ungünftigen Sentenz, mit der Berufung auf 
ein Concil, ja mit offenem Abfall von dem römiſchen Stuble. 9) 

Reuchlin feinerjeits zeigte, bei wechjelnder Stimmung, doch 
im Ganzen feiten Muth. Gr jelbft verglich ſich mit einem 
edeln Pferde, das, wenn auch ſchon alt, doch noch muibig 
bleibt. Was ihn am meiften erheben mußte, war die Wabrs 
nehmung, wie alle hell und gut Denfenden in Deutjchland 
und Jtalien fid) um ihn fchaarten, feine Sache ald ihre eigene bes 
trachteten, ihn ihrer Verehrung verficherten und ihm ihre Dienfte 
anboten, Um zu beurfunden, welche ausgezeichnete geiftige 
Kräfte und einflußreihe Männer Reuchlin zur Seite ftehen, 
veranftalteten feine Freunde i. 3. 1514 eine Sammlung von 
Briefen berühmter Männer an ihn, weldhe i. 3. 1519 mit 
einem andern Thetle vermehrt wurde, und auf deren zweiten 





1) ReuchliniEp. ad Mutianum, in Tentzelii Supplem. Histor. Gotha- 
nae b, p.17 fg. Herm. Buschius Reuchlino, in Illustr.v. Epp. ad Reuchl. 
y®. Bgl. Epist. obscurorum viror., I, Ep. 26. Ant. Rubenstadius. 

2) Paul. Geraeander Reuchlino, Illustr. viror. Epp. B iijb. 

3) Herm. Buschius Reuchlino, a. a. D., x ilij" y. ®gl, Epist. 
obse. viror. an vielen Stellen. 











Verhandlungen zu Mom. 213 


Blatte das „Heer der Reuchliniſten“ verzeichnet fand. i 
Reuchliniften und Arnoldiften wurden: das Feldgeſchrei zweier 
feindlichen Lager: es mit den Erftern zu halten, Leptere zu 
verachten, galt für die Schuldigkeit jenes Ehrenmannes 2); 
Reuchliniſt, war Anrede und Unterfchrift: in Briefen 7); daß 
Einer ein guter Reuchlinift ſei, war die bee Empfehlung in 
der damaligen gelehrten Republik. *) Merkwürdig iſt das 
Gemeingefühl und Die Betriebfamfeit in viefem Lager. 
Der. fonft fo ruhige Mutian warb mündli wie fchriftlich 
für Reuchlin; die Peutinger, Welſer u. 9. verwendeten ſich 
am faiferlichen und römifchen Hofe für ihn; Erasmus em⸗ 
pfahl ihn und feine Sache dem Papft und den Barbindien. ®) 
Bei Gelegenheit dieſes Handels, kann man fagen, lernte fih 
die Fortfchrittöpartei zuerft als gefchloflene Macht fühlen. 
Unterdefien zog ſich die gerichtliche Verhandlung vor der 
Gommiffion zu Rom, unter immer neuen Winfeljügen der 
Mönchspartei, Jahre lang hin. Endlih am 2. Juli 1516 
fand die öffentliche Schlußfigung ftatt, in welcher das Urtheil 


1) Die von uns ſchon oft eitirten Illustrium virorum Epistolaee 
ad Jo. Reuchlin., mit dem Zufag auf dem Titelblatt: Reuchlinistarum 
exercitum pagina invenies mox sequenti. @inen' entfprechenden Reuch⸗ 
liniftenfatolog geben auch die Epist. obsc. viror. Il, Ep. 59. Jo. Coclea- 
riligneus. 

2) Mutiani Epist. 125: Scinditur in partes ordo literarius. Ali- 
qui bardis, aliqui favent Capnobatis. Tu si gloriam amas, sicufi 
amas, Capnobata sis, non Arnobardiste. ®gl. Ep. 828. 

3) Salve Reuchlinista optime! cur enim non optimus, cum 
Reuchlinista ? ſchreibt Pirdheimer an Hutten, Rürnberg 24. Iuni 1517. 
Hutteni Opp. ed. Münch, II, 339. Selbſt in Dels gab es eine Reuch- 
linica factio, und Joh. Heß von dort unterfhrieb ſich Reuchlinista, bet 
Heumann, ©. 117 fg. 

4) Reuchlinista est, eder est bonus Reuchlinista, Ep. Laur. Be- 
haim, bei Heumann 260 fg. 

5) Petr. Aperbacchus Reuchlino, Illustr. viror. Epp. y iiij. Mu- 
tieni Epist. 291, 445. Erasmi Epist. omnes, Lugd,-Bat. 1706, p. 144, 
154. Epist. obscuror. viror. II, Ep. 59. Jo. Cocleariligneus. 





214 1. Buch. VI, Kapitel, 


gefällt werden follte. Der Vorfigende, der Ya gehe 
fhof von Nazareth, gab feine Stimme für ven A 

und wider deffen Ankläger ab, und ihm folgten 

Beifiger, bis auf den —**— sacri Palatii, den Domini 
caner Sylveſter Prierias, der hier an Neuchlin die Rolle 
begann, die er bald gegen Luther weiter fpielte. Se war 
der Spruch jur Reuchlin's Gunften gefallen, und es fehlte 
nur noch deffen Verfündigung. Aber Leo X. fürdtete den 
mächtigen Predigerorden doch. Er wollte es wicht mit ihm 
verderben und ebenfo wenig bie deutichen Fürften ermuthigen, 
die, während fie fich für Neuchlin verwendeten, zugleich immer: 
‚nachdrüclicher auf eine Reformation des päpftlichen Hofes 
drangen. So erfolgte ein Mandatum de supersedendo, d.h. 
der Handel zwijchen NReuchlin und den Gölnern — nicht 
entſchieden, ſondern niedergeſchlagen. 

Auch dieſes ſchon war ein Sieg der Fe 
Reuchlin ging aus dem fechsjährigen Kampfe als ein gerette— 
ter Märtyrer hervor. Hochftraten zog aus Rom und — 
mit Schimpf und als Gegenſtand des Haſſes aller Wohlder 
fenden nad) Haufe. ) Schriften erjchienen zur Berherrlichung 
des Erftern, zur Berfpottung feiner Widerfacher. Der durch 
Gelehrfamfeit, Neichthum und hohe bürgerliche Stellung. gleich 
ausgezeichnete Wilibald Pirckheimer, Nürnbergifcher Senator 
und Faiferlicher Rath, ſchickte feiner lateinischen Ueberfegung 
von Lucian's Fiſcher, die im I. 1517 erfhien, einen Brief 
zur Vertheidigung Reuchlin's voraus 2), in welchem er ſich 
des ehrwürdigen Mannes mit ebenfo viel Wärme als Würde 





1) Bilibaldus Pirckh. Hutteno, Norimb. 24 Jun. 1717. Hutteni 
Opp. ed. Münch, II, 339. 

2) Luciani Piscator, seu Reviviscentes. Bilib. Pirckheimero in- 
terprete. Ejusdem Epist, apologetica (d. d. 3 Cal. Sept.). —* 
p. Fr. Peypus Nuremberge 6 Non. Oct. 1617. Wiederabgebt. bei 
v. d. Hardt, a, a. O. p 130— 138. 





Stimmung zu Gunften Reuchlin’s. 215 


annahm. „Nichts war mehr übrig, befter und verehrter Caps 
nion (fo redet er ihn am Schluffe an), was zu dem Boll 
maße deiner Tugenden binzutreten fonnte. Die höchften Ehren⸗ 
ämter batteft du verwaltet. Ein Leben hatteft du geführt, 
wie e8 die Beften ſich nur wünfchen mögen. Auf dich hatte 
die Natur alle ihre Gaben gehäuft: durch reiche Gelehrſam⸗ 
feit hatteft du dich ausgezeichnet; Die Tateinifche Sprache bat- 
teft du geförbert, die griechifche beinahe zuerft in Deutfchland 
eingeführt, die hebräifche mit feltenem Fleiße zu allgemeiner 
Bewunderung gelernt; viele und nicht gemeine Denkmale dei- 
nes Geiſtes hatteft du aufgeftellt; mit fo zahlreichen und über 
menfchliched Verſtaͤndniß ſchwierigen Leiftungen hatteft du dei⸗ 
nen Lauf vollendet: und nur das Eine war noch übrig, daß 
Durch eine ausgezeichnete Widerwärtigfeit die Größe deiner 
Seele geprüft und wie dad Gold im Feuer bewährt würbe. 
Siehe, da hat ſich dir eine treffliche Gelegenheit geboten, um 
von deiner Tapferkeit, Standhaftigfeit und NRechtfchaffenheit 
die fchönfte Probe abzulegen.‘ 

Beſondere Theilnahme erregte der Reuchlin'ſche Handel 
gleih von Anfang in dem engern Kreife, dem Ulrich von 
Hutten angehörte. Keinem ging das Schickſal des ehrwür⸗ 
digen Mannes näher, als Hutten’s älteftem Freunde Crotus 
Rubianus. !) Keiner verficherte denfelben treuherziger feiner 
Verehrung und Liebe, ‘ald Eoban Hefe, der ihm ja feine 
Ernennung zum Dichterfönig verdanfte. 2) Niemand ſprach 
fi) fchärfer gegen Reuchlin's Widerfacher aus, als Hutten’6 
Gönner, Eitelwolf von Stein.) Wie hätte da Ulrich uner- 
tegt bleiben Eönnen? Das war nicht mehr die zufällige Bru- 
talität zweier balbgebildeten Geldmänner hinten an der Oftjee 


1) Crotus Reuchlino, Illustr. viror. Epp. z. Mutiani Epp. 267 fg. 
2) Eobanus Reuchlino, Nlustr. v. Epp. ylj. 
3) Ep. ad Jac. Fuchs, Opp. ed. Münch, II, 86. 88. 





216 1. Buch. VU. Kapitel. 


gegen einen armen Poeten; nicht die Ermordung eined un- 
bedeutenden Betters und Standesgenofien durch einen leiden- 
ſchaftlichen Fuͤrſten: bier war ein planmäßiger, durch ge: 
waltige Kräfte unterftügter Verfuch der Rüdichrittöpartei, in 
einem der Vorkämpfer der Bildung und Geiftesfreiheit alles 
dasjenige zu unterdrüden, was auch für Hutten das Theuerfte 
war.) 

Als Hutten in Mainz zum eritenmale die Bekanntſchaft 
des Erasmus machte (ed war vor feiner zweiten Reife nad) 
Stalien im J. 1514), zeigte er diefem ein Gedicht, Reuchlin's 
Triumph betitelt. Erasmus fand die Arbeit hübſch, doch re⸗ 
defe er Hutten zu, fie vorerft noch nicht druden zu laflen, 
um nicht durch den vorzeitigen Triumph theild zum Spott 
Anlaß zu geben, theild der noch ſchwebenden Sache Reudy- 
lin's zu ſchaden.) Daß das Gedicht, welches ihm bier Hut- 
ten zeigte, diefen felbft zum Verfaſſer gehabt habe, fagt Eras- 
mus einmal ausdrüdiih.?) Ein andermal aber fehreibt er 


1) gl. Joach. Camerarii Vita Melanchth. ed. Strobel p. 18 fg.: 
Qui .. faverent... Capnioni ... oderant importunitatem eorum, quos 
Capnionis eversionem pratendere animadverteretur oppressioni na- 
scentis doctrin erudit@ universe... His igitur infesti illi stu- 
diosi politioris doctrine, causam Capnionis suam ducere, et illius 
adversarios Omni genere scriptorum infamare, tanı deridentes et 
eludentes futilitatem, quam insectantes et increpantes improbitatem. 
Inter quos princeps Ulrichus, gente Huttenus, patria Francus, or- 
dine eques, ingenio acerrimo et animo confidentissimo, literis 
perquam eruditus, et litigantes monachos cum Capnione varie ex- 
agitavit, et illam factionem tum quidem vehementissimis scriptis, 
sed aliquanto post armis quoque expeditis, adortus est. 

2) Erasmi Spongia adv. adspergines Hutteni, Opp. Hutt. ed. 
Münch, IV, 481. Auch in den Epist. obscuror. viror. I, Ep. 25, 
ſchreibt M. Ph. Sculptoris an Ortuin, es folle "ein Boer ein Buch ger 
fhrichen Haben, qui vocatur Triumphus Capnionis, et continet multa 
scandala, etiam de vobis. 

3) Spongia. p. 419: Huttenus me auctore non coepit esse hostis 
Hochstrato. Jam enim triumphum in eum scripserat, antequamı me 
vidisset aut nosset. 





Das Gedicht: Reuchlin's Triumph. 217 


darüber an Hutten fo, daß man an mehrere Berfafler denfen 
möchte.) Im 3. 1517 fcheint die Herausgabe im Werke 
gewefen zu fein 2): wirklich erfchien es aber erft zu Ende des 
folgenden oder zu Anfang des 3. 1519 unter dem erdichteten 
Namen eines Eleutherius Byzenus. °) 

Um diefelbe Zeit ungefähr, ald Hutten dem Erasmus 
den Triumphus Reuchlini oder Capuionis vorzeigte, fam auch 
dem Mutian ein Gedicht, unter dem gleichen Titel und in 
derfelben Richtung gejchrieben, zu. Es trug aber ftatt Eleus 
tberius Byzenus den Namen eined Accius Neobius. Und ale 
wahren Berfaffer nennt Mutian nicht Hutten, fondern Her: 
mann von dem Bufche; von Hutten fei nur ein Epigramm 
aus dem Stegreife dabei gewefen. *) 


1) Erasmus Hutteno, Lovan. 9 Cal. Mai. 1519. Hutteni Opp. 
ed. Münch, Ill, 141: Triumphum nondum vidimus. Gratum erat, 
quod nostro consilio tam diu presserint, nec dubito, quin totum 
argumentum sint moderati. 0, 

2) Huttenus Pirckheimero, Bonon. 8 Cal. Jun. in der Nachſchriſt, 
Opp. il, 347: Nondum vidimus Capnionis Triumphum, mitte. 

3) Triumphus Doc. Reuchlini. Habes studiose lector, Jo. Cap- 
nionis viri prastantissimi Encomion. Triumphanti illi ex devictis 
Obscuris viris, Id est Theologistis Colonieä. et Fratribus de or- 
dine Praedicatorum ab Eleutherio Byzeno decantatum. Mit einem 
Bilde des Triumphzuge. (Wahrfcheinlih bei Th. Anshelm gedrudt.) 
Opp. ed. Münch, II, 359— 91, wo auch der Holzfchnitt nachgebilvet ifl. 
Bel. Panzer, ©. 54 fg. Huttenus Erasmo, Mogunt. prid. Non. Mart. 
(1519), Opp. ed Münch, Ill, 126: Triumphus Capnionis in lucem 
prodiit, magno Theologistarum fremitu. 

4) Mutiani Epist. Mspt. Francof. Ep. 303, Urbano (s. d,): Dabo 
Triumphum Capnionis, ab Accio Neobio concinnatum in Colonien- 
ses theologistas.. Verum hac lege do, ut in manu mancipio sit 
tuo. Nam si theobardis exhiberes, damni multum faceres, et tu 
es optimus testis, quam iniquis auribus acciperent. Epist. 387. Ur- 
bano et Eobano. Cyriaci Natali 1514: Ostendet tibi (Eob.) soler- 
tissimus pater Urbanus .. Triumphum Neobii, i. e. Buschii, cui 
adhzret Hutteni Epigramma extemporale. Auf diefe Mittheilung 
bezog «6 fi) ohne Zweifel, wenn Boban Heſſe im 3. 1515 an Reuchlin 
fhrieb: Tu vinces. Nos triumphabimus .. Sed et tu triumphe- 





218 1. Buch. VII. Kapitel. 


Hermann von dem Buſche !), etwa zwanzig Jahre älter 
als Hutten, war durch Lebensart und Schidjale gewiſſer⸗ 
maßen ein Vorbild von diefem. Einem edeln weftphälifchen 
Geſchlechte angehörig, Schüler des Alerander Hegius in De 
venter, dann in Italien weiter gebildet, mit Rudolf Agricola, 
Rudolf Lange, dem Grafen Hermann von Nuenar und allen 
Vorfechtern der neuen Richtung, wie fpäter auch mit Hutter, 
innig befreundet, war er, beftändig auf Reifen in Deutfde 
land, Branfreih und England, ein wahrer Mifftonär De 
Humanismus. War er von einer Univerfität durch den Neh 
der Profefloren vom alten Schlage vertrieben, was ihm ia 
Eöln, Leipzig, Roſtock, zum Theil wiederholt, begegnete, fo 
wanderte er an eine andere, lad über griechifche und römiſche 
Schriftfteller und führte beffere Schulbücher ein. Seine Em 
pfehlung des Donat, als einer auch für berühmte Univerk 
täten noch höchft nöthigen Lectüre, fand der Profefioren-Hod 
muth  beleidigend. 2) Für feinen Roftoder Widerfacher Ti 
mann Heuerling find die 53 Epigramme feine® Oestrus ein 
ähnliches Denfmal, wie Hutten’d Querelen für den Greif 
walder Bürgermeifter und Profefior. Seltiam, daß bei dem 
Ausbruche des Reuchlinifchen Streites Bufch fich hatte beſtim⸗ 
men laflen, die Schrift Arnold's von Tungern mit einem 
Epigramme gegen Juden und Judengönner zu zieren. Cr bat 
es fpäter genug bereut.) Mutian fehreibt im 3. 1514, Buff 


bis. Latinæ civitatis Senatus jam tibi Triumphum decrevit. Illustr. 
viror. Epp. yij®. 

1) gl. über ihn Jac. Burckhard, de H. Buschii vita Comm. 
Bor deiien Vallum humanitatis, Francof., 1719. Erhard, Geſch. de 
Wiederaufblühene, III, 61 fg. 

2) Quid hac, rief Ortuinus Gratius aus, si contumelia no® 
est? Numquid puelli semper manebimus? j 


3) Glareanus Reuchlino. Hlustr. viror. Epp. xiij?. Das Ey 
granım ift abgedrudt b. Erhard a. a. O. ©. 73. 








Verfaſſer des Triumphus Capnionis. 219 


babe eine Palinodie gelungen, und ftehe mit Reuchlin gut. Y) 
Leptered erhellt audy aus einem Brief in der Reuchlinifchen 
Sammlung, aus der Zeit als Hochſtraten in Rom war, wo 
Buſch ald der wärmfte Anhänger Reuchlin's ſpricht.) Ob 
jene Palinodie eben der Triumphus Capnionis ded Accius 
Neobius war? und ob dieß derfelbe Triumphus war, der jegt 
den Namen Eleutherius Byzenus trägt, oder ein anderer? 
Erfterer fol von einem Hutten’fhen Epigramm begleitet ges 
weien fein: Lebterer hat ein profaifche® Vor- und Nachwort, 
ganz in Hutten’fhem Geift und Style. Diefe felbft Fonnte 
Mutian nicht füglich ein Epigramm nennen: aber während 
der Jahre, die zwifchen der Abfaffung und dem Drud vers 
gingen, konnte, neben andern Umarbeitungen, auch das Epis 
gramm mit zwei Stüden in Profa vertaufcht worden fein. 
Eoban Hefle hatte den (handſchriftlichen) Triumph des Accius 
Neobius feiner Zeit von Mutian ald eine Arbeit Buſch's 
mitgetheilt erhalten: und doch, wie er nun durch den Erfurs 
ter Auguftiner Johann Lange unfern gedrudten erhielt, war 
er nur einen Augenblic zweifelhaft; fobald er fich tiefer bins 
eingelefen hatte, glaubte er Hutten’d Schreibart ficher zu ers 
fennen, und ſchwur darauf, daß das Gedicht von diefem fei. 9) 
Entweder war ed aljo ein anderes, ald das er früher gefehen 
hatte, oder er hielt Mutian’d Angabe, daß ed von Hermann 
Buſch fei, aus innern Gründen für irrig. So ift ed aud 
in die Sammlung Hutten’fcher Dichtungen vom- J. 1538, Die 


1) Mutiani Epıst. 172. Eid. Jun. DDDXVIX (fo). 

2) Herm. Buschius Reuchlino. Kal. Oct. Colonie®. Illustr. viror. 
Epp. x iiijb fg. 

3) Hel. Eob. Hessus Dn. Jo. Lango. In Hessi Epist. familiar. 
ll. XII. Marpurgi 1543. p. 19 fg.: Jam non dubitabis amplius, Hut- 
tenum triumphare pro Capnione. A fronte istam phrasin non ita 
agnovi: stalim ac introgressus penitus, Huttenus factus est Eleu- 
therius, quia vere liber.. Ne dubita, vere Huttenus est. Juro tibi 
per omnia maxima, Hutteni est hoc. 





0 I. Bud. VII. Kapitel. 


man von Eoban veranftaltet glaubt, aufgenommen, und Joe⸗ 
him Camerarius, der Hutten und Bufch perfönlich kannte, 
fchreibt e8 dem Erftern zu.) Das Reuchliniftenverzeichuif 
vor den Briefen berühmter Männer an Reuchlin refpectirt dab 
Incognito des Berfaflers, und führt den Eleutherius Bozen " 
als befondere Perfon neben Buſch und Hutten auf. ' 
Daß nun das profaifhe Vor- und Nachwort des Ge" 
dichts wirflih von Hutten fei, fann faum einem Zeil 
unterliegen. Die Rhetorik ift, wenn wir ähnliche Arbeiten 
Hutten’8, 3. B. bie Reden gegen Herzog Ulrich, vergleichen, 
ganz diefelbe. Auch die gleichen Schlagworte finden fih, dk 
Hutten jonft geläufig find: daß Deutfchland endlich Augen 
befommen habe, daß die Theologiften fih hängen follen?, 
und bejonderd, daß der Würfel geworfen, der Kerker durd 
brodhen fei. Die Freude über das Erwachen der Geifter, über 
das rege Leben in allen Zweigen der Wiſſenſchaft, if hier 
ebenfo Huttenifch empfunden und ausgedrüdt ?), als die Dres 
hung mit mehr denn zwanzig zum Verderben der Theologiften 
Verfchworenen, unter denen er nicht der Vorzüglichfte, aber 
der Ungeduldigſte fei, dem Ritter vollfommen ähnlich fieht.*) 
Das enticheidende Zeugniß für den Huttenifchen Urfprung 
diefer Beilagen aber liegt in der durchgehenden Parallele, 
welche zwiſchen dem Vorwort zum Triumphus Capnionis um 


1) Vita Melanchth. ed. Strobel, p. 19: Hujus (Hutteni) est car- 
men triumphale victori@ Reuchlini, cum pictura etiam in illius com 
spirationis gregem contumeliosa, ubi unco trahitur quidam, qui, 
cum Judzus aliquando fuisset etc. 

2) Nadywort zum Tr. C.: Laqueum sumite, theologiste. Epist. 
ad Pirckheimerum, Opp. ed. Münch, Ill, 99 fg.: Heus tu, accipe 
laqueum, barbaries. 

3) Pol. mit dem Schluffe des Nachworte den Echluß des eben angef. 
Briefs an Pirdheimer. 

4) Pol. Hutten's Brief an Reuchlin aus Bologna vom 1. Jar. 
1517, Opp. II, 33%. 





Das Gedicht: Reuchlin's Triumph. 


221 


einem Schreiben Hutten’® an den Grafen Hermann von 
Auenar in derfelben Angelegenheit ftattfindet. ') 

Sn dem herametrifchen Gedichte felbft ift vor Allem der 
oft wiederkehrende Refrain: 


Jauchze, wofern du dich felber erfennft, ja, jauchze, mein Deutfchland! 
dem Hutten’fhen Gedantenfreife verwandt. Daß ed Deutſch⸗ 


land an nichts fehle als an Selbſtkenntniß, am Bewußt⸗ 
fein feiner Kraft und des Mißbrauchs, der von einer aus⸗ 


ländifchen Hierarchie mit ihm getrieben werde, das fpricht 


—— — — 


1) Prefat. ad Tr. Capn. 
Opp. II. 


p. 359: Ex longo et pudendo 
errore oculos recepit Germania. 
Sic vos laturos Capnionis af- 
flictionem, ut multa nostri ma- 
jores, putabant etc. 

p. 360: Memini opprobratam 
nobis in Italia hominis (Hochstr.) 
insolentiam. Tantum, inquit ali- 
quis, licet in Germania [ralri- 
bus? 

Ibid.: Quippe Turcas nego aut 
ardentiori dignos odio, aut ma- 
jore oppugnandos opere etc. 


Ibid.: Vigent studia, barbaries 
exulat. 


Epist: ad. Com. Herm. de Nuenar. 
Mogunt. 8 Non. April. (1518). 
Opp. II. 

p. 425: Ferre enim has indigni- 
tates hæc natio diutius non potest, 
nec, qui adhuc lippiunt, aliquando 
non aperient Oculos. 


p. 425: In Italia certe nostri 
me puduit, quoties de Capnionis 
afflicione orto cum lItalis ser- 
mone, illi percontarentur: Tan- 
tum licet in Germania fratribus? 

p. 427: Quodsi me audiat Ger- 
mania, quamquam inferre Turcis 
bellum necesse est hoc tempore, 
prius tamen huic intestino malo 
remedium Opponere . . jussero. 

Ibid.: ut vigeant litere, bar- 
baries exulet. 


Hätte die früher geäußerte Vermuthung Grund, daß wir in ber 


Steifebefchreibung des M. Wilh. Lamp in ben Epist. obsc. viror. II. bie 
Route von Hutten's zweiter ital. Reife hätten, fo wäre bier noch ein 
weiteres Zufammentreffen. Unfer Borrebner verfichert, ben Hochſtraten 
anf feiner Reife nach Italien gewarnt zu haben. Der obfcure Brieflels 
ler aber erzählt, er fei mit Hochfiraten in Bologna zufammengetroffen, 
wo dieſer durch den König von Frankreich beim Bapfle die Verbrennung 
des Augenfpiegels auszuwirken gefucht habe; ein Begehren auslänbifcher 
Hülfe, welches ihm Hutten in der Intercessio pro Capnione, Opp. II, 
354, ganz befondere zum Vorwurfe macht. 





2292 | 1. Buch. VII Kapitel. 


Hutten an vielen Stellen faft mit den gleichen Worten 
aus.) Auch Reuchlin's Verdienſte um die deutſche Bil: 
dung werden bier mit denfelben Ausbrüden, wie fonft von 
Hutten, bezeichnet 2); der Jubel des Triumphzugs zum Theil 
mit denfelben Bildern, wie in dent Lobgedicht auf den Erz- 
bifchof Albrecht, gefchildert; die armen Sünder treten in der⸗ 
felben Ordnung und zum Theil mit denfelben Prädicaten, 
wie in Hutten’d Fürbitte bei dem Cardinal Adrian auf; 
- die Abfchweifung auf Benedig und den Triumph, den es 
geben würde, wenn dem Kaifer deflen Demüthigung gelänge, 
fann an den Berfaffer der Aufmahnung gegen Venedig und 
der Epigramme an Marimiltan erinnetn. Einzelne ftarfe me- 
trifche Verftöße ?) möchten freilich bei Hutten kaum Seitenftüde 
._. ‚finden; fo wie andererfeits für Buſch ein ſtarkes Selbftlob *), 
wenn er der Verfaffer wäre, minder ſchicklich erfcheinen fönnte: 
Alles loͤſt fih wohl am leichteften durch die Vorausfegung, 
daß die Schrift, wie fie jegt wor und liegt, während der vier 


— — — — — — — 


1) Hier: Dicat lo, si se novit Germania, dicat. Vgl. Hutteni 
Epist. ad Jul. Pflugk, Opp. Il, 527: Quid aliud enim optare debe- 
mus, quam, ut nunc maxime agnoscat se Germania? Ferner Ep. 
ad Luc. de Erenbergk, Opp. III, 146. De Guaiaci med. Opp. ll, 
292. Invectiva in Aleandr. Opp. IV, 243. 

2) Hier fpricht Deuifchland zu R.: per te, ne barbara dicar Aut 
rudis, eflectum est. ®yl. Hutteni Ep. ad Gerbell. Opp. II, 296: 
Per eos (Reudjlin u. Erasmus) barbara desinit hc natio. 

8) 3. B. zöna, nödus, elabörare, mulieribus u. dgl. Andere 
hat Joh. Friedr. Chriſt in feiner Commentatio de mor., scr: et imagg. 
Ulrici ab Hutten, Hale 1727 p. 10 fg. verzeichnet, auf welche jedoch zum 
Theil Eoban’s Worte an Joh. Lang (a. a. D.) anzuwenden: Male pe- 
reant mali typographi, qui multa in praclaro libello prave scripse- 
runt. Ego duas tantum syllabas ab autore neglectas obeliscis si- 
‚goavi: reliqua librariorum sunt peccata. 

4) Zu Ortuin: 

2 Infla ambas buccas, ut te uno carmine vincat 


Buschius, aut aliquis Musarum mactus alumnus. 
\ 





Das Gedicht: Reuchlin's Triumph. 223 


Jahre, die fie in den humaniftifchen Kreifen umlief, von ver 
ſchiedenen Berfaflern überarbeitet worben fei. ) 

Gemäß dem Titel (dieß ift in kurzem Umriß der Inhalt 
ded Gedichte) wird dem als Sieger über die Sophiften, d. h. 
die theologifchen Scholaftifer, heimkehrenden Reuchlin in feis 
ner Baterftadt ein feierlicher Einzug, nad Art eines antifen 
Triumph, bereitet. Sein Ruhm gehört Deutfchland, . in bes 
fonderm Sinne jedoch Pforzheim und Schwaben an, welche 
daher zur Verherrlichung feines Triumphes vor Andern bes 
rufen find. Der Anlaß diefer Feſtlichkeit ift Fein Sieg mit 
leiblichen, fondern mit geiftigen Waffen: und nun wird ber 
Thatbeftand des Streited zwifihen Reuchlin und den Eölnern, 
die Trefflichleit und das Verdienſt des Erftern, die Tollheit 
. und Berworfenheit der Lebtern, auseinandergefeht. Insbeſon⸗ 
dere macht fidy der Unwille über die Predigermönche, der in 


jenen Jahren aufs höchfte geftiegen fchien, doch bald aus Ver⸗ 


anlaffung der Tegel und Prieriad noch höher fteigen follte, 


ausführlich Luft, und es werden aus ihrem Sündentegifter, 


als befonders fehwere Bälle, bier wie in einer Reihe Hutten'⸗ 
jeher und anderer Schriften jener Zeit?), die Vergiftung des 
Kaiferd Heinrich VIL durch eine Hoftie, die betrüglidhen Er⸗ 
fheinungen und Wunder im Dominicanerflofter zu Bern ®), 


1) Daranf deutet wohl auch der Ausdruck des Erasmus, oben ©. 
217, Anm. 1: presserint und sint moderati. 

2) 3. ®. in Qutten’® ad Cardinalem Hadrianum pro Capnione 
intercessio. Opp. ed. Münch, Il, 853, in den Epist. obscuror. viror. 
öfters n. ſ. w. 

3) Bon biefem Bernense facinus, das ſchon im Vorworte erwähnt 
if, find alle Schriften der Zeit voll. Es befand kurz barin, bag, um 
das franciscanifche Dogma von ber unbefledten Empfängniß der Maria 
zu befämpfen, bie Berner Dominicaner einen einfältigen Bruber (Jetzer) 
durch falfche Erfcheinungen ber h. Barbara und Marias ſelbſt zu täu⸗ 
fchen, dann ihn auch, gleich dem h. Frauciscus, zu fligmatiflren, endlich, 
wie er den Betrug gemerkt hatte, durch Gift wegzufchaffen fuchten; wos 








294 Buch, VI. Rapitl. 


und einige® Mehnlice angeführt: "Sofort eräfrer ih durch 

die mit Laub und Blumen beftreuten Straßen und zwifhen 
feftlich behängten Häufern der Zug. Voran werden die Waf- 
fen und die Gögen der Ueberwundenen getragen: jenes fophi- 
ftifche Schlüffe und Beweife, erfaufte Titel, blutige Griffel, 
Scheiterhaufen im Abbild u. dergl.; dieſes die vier Ungethüme, 

Aderglauben, Barbarei, Unwiſſenheit und Neid, von Deich 
eine abfchredende Beichreibung im allegorifchen Geſchmacke 
gegeben wird. Hierauf folgen in Ketten die befiegten Feinde: 
voran Hochſtraten, der Feuermann, ein anderer Carus und 
Typhoeus, der Feuer frißt, Feuer fpeit, und deffen anderes 
Wort: ins Feuer! ift; dann der trunfene, neidifche Ortuin *), 
der ehrfüchtige, fcheinheilige Arnold von Tungern, der Judas 
Pfefferforn, gegen melden der Dichter den Henfer berbeiruft, . 
ihn zu verftümmeln und an den Füßen zu ſchleifen ; endlich 
die Reuchlinsfeinde zu Mainz und Frankfurt, unter denen 
Bartholomäus Zehender und Peter Meyer hier, wie fo oft 
bei Hutten, mit befonderm Schimpfe bedacht werben. %) Auf 
die Gefangenen folgen Opferftiere, dann Muſik und Sän- 
ger, die ein Loblied auf Gapnion anftimmen; endlid) auf 
einem mit allerlei edlem Gefträud und Blumen gezierten 
Magen die ehrwürdige Geftalt des Triumphators felbft, die 
grauen Scläfen mit Lorbeer und Epheu ummunden, ben 
Augenfpiegel in der rechten, und einen Delzweig in ber linken 


für nad vpäpfllichem Urtheilsſpruch bie vier Hauptfchuldigen öffentlich 
verbrannt wurben. &. ben alten Drud: De quatuor heresiarchis or- 
dinis Predicatorum de observantıa nuncupatorum, apud Suitenses 
' in civitate Bernensi combustis,. Anno Christi 1509 (von Murner). 
Bol. auch Grüneifen, Niclaus Manuel, Leben und Werfe, &, 19 fa. 
297 fg. 
1) Ebrius Ortuinus heißt er auch in Hutten's Intercessio a, a. D. 

2) Bal. 4. BD. den fchon oben angeführten Brief Hutten’s an Nuenar, 
Opp. ed. Münch, II, 426. 





Hutten’s Theilnahme an Reuchlin's Hanbel. 2 


Hand; zum Beichluß, gleichfalls befränzt, die Schaar ber 
Rechtögelehrten und Poeten, die er alle vom Untergang, ber 
auch ihnen von den Dunfelmännern zugedacht war, befreit 
bat. Der ganze Triumphzug iſt in der älteften Ausgabe durch 
einen Holzſchnitt anfchaulic gemacht. 

Wie auch immer Hutten an diefem Triumphgefange bes 
theiligt fein mag: aus der Seele war er ihm jedenfalld ger 
ſchrieben. Mit regfter Theilnahme, im Wechſel zwifchen Hoff 
nung und Furcht, war er während feine zweiten Aufenthalts 
in Italien dem ſchwankenden Gange des Reudhlinifchen Pros 
cefieß gefolgt. Aus Rom felbft haben wir unmittelbar feine 
Nachricht von ihm, wenn wir nicht, wovon bald mehr, fo 
mandye Notizen im zweiten “Theile der Dunfelmännerbriefe 
dafür nehmen wollen. Wie genau er fich aber dafelbft um 
alles jenen Handel Betreffende erfundigt hatte, fehen wir 
daraus, daß er, faum in Bologna angefommen, dem Bas 
dian von Allem Nachricht gab, was während der legten Mo⸗ 
nate zu Rom in der Sade Reudlin’d verhandelt worben 
war.!) Die Ausfihten waren damals günftig: auch an Wis 
colaus Gerbel fchrieb Hutten aus Bologna unter dem lepten 
Juli 1516, die Rettung fei nahe, Hochftraten babe mit den 
ungeheuern Summen, die er verfchwendet, nichts ausgerichtet. ®) 
Am 9. Auguft fchrieb er an Richard Erocus nach Leipzig, 
daß die Commiſſion über Reuchlin's Sache verhandle, und 
man tägli den Spruch erwarte, der ald eine Entfcheidung 
nicht blos über Reuchlin, fondern über die ganze humaniftifche 
Richtung anzufehen fei. Einen Monat fpäter gaben ihm feine 
Sreunde aus Rom immer noch gute Hoffnung; aber er fürch⸗ 
tet aufs Neue den Einfluß des fophiftifchen Goldes, da er 


1) Vadianus P.L. Joanni Reuchlin. Viennae anno 15616. lustr. 
viror. Epp. zij®. 
2) Huttenus Nic. Gerbellio Opp. ed. Münch, II, 29. 
Strang, Hutten. I. 15 








— 


226 > Buch. VII. Kapitel. y 


die Geldgier und Beftechlichfeit der römischen Höflinge kennt. 
Er wünfhte die Sade einmal entſchieden, um nicht länger 
wiſchen Furcht und Hoffnung ſchwanken zu müflen.) 
m 7 Hatte Erasmus für Reuchlin bei dem Papft und dem 
Gardinal Grimani ein gutes Wort eingelegt, jo wandte ſich 
Hutten, wie es fcheint um dieſe Zeit, wenn nicht ſchon wäh 
tend feines Aufenthalts in Rom, an den Cardinal Adrian, 
der fpäter Leo's Nachfolger auf dem päpftlihen Stuhle ger 
worden ift. Der rechtfchaffene, aber beichränfte und jcholaftiich 
gebildete Mann war nichts weniger al® ein Gönner ber 
Humaniften; doch hoffte ihm Hutten als Deutichen (Nieder 
länder) für den angefochtenen deutichen Gelehrten gewinnen 
zu fünnen. Das elegiſche Gedicht, das er an ihm richtete), 
kann man, was die Zeichnung von Reuchlin's Berdienften 
und der Verworfenheit feiner Berfolger betrifft, ald einen 
Auszug aus dem Triumphus Capnionis betrachten. — Gegen 
Pfefferforn hatte ſich Hutten ſchon früher eine Kleine Bosheit 
erlaubt. Am Mittwoch nad) Aegidii 1514 war vor der Mor 
rigburg zu Halle auf Befehl des Erzbifchofs Albrecht, wegen 
Kirchenraubed und anderer Verbrechen, die zum Theil gewiß 
Gebilde fanatishen Vollswahns waren, ein Jude graufam 
hingerichtet werden, der zufällig gleichfalls Johann Pfeffer 
forn hieß. Deſſen Uebelthaten befchrieb nun Hutten in einem 
herametrifchen Gedichte, das, jo wenig aud) beide Namend- 
vettern mit einander zu ſchaffen hatten, doch auch auf den 
Gölner einen Schatten warf. ?) 


1) Epistole II Ulrici ab Hutten ad R. Crocum ed. Müller, Lips. 
1801 p. 6 fa, Öpp. ed. Münch, II, 328 fg. 

2) Ulrichi ab Hutten, eq. Germ. ad Cardinalen Hadrianum, 
virum doctiss, et Germanorum in urbe patronum, pro Capnione in- 
tercessio. Erſt in der Sammlung vom 3. 1518, in welcher das Ex- 
hortatorium ad Max. Cs. voranficht; dann in den Oper. poet. vom 
3. 1538 K 2b—-4; Opp. ed. Münch, II, 352— 54. 

3) In sceleratissimam Jo. Pepericorni vitam Ulrichi ab Hutten, 








Hutten an Reuchlin. 297 


Gar zu gerne würde Hutten in biefer Zeit öfters am 
Reuchlin gefchrieben, ihm die Rachrichten über den Gang feis 
nes Procefies felbft mitgetheilt, ihn feiner unwandelbaren Bers 
ehrung und Theilnahme wiederholt verfihert haben. Aber 
Ruͤckſichten auf Reuchlin felbft verboten es. Es war damals 
eine Zeit des politifhen Argwohns, der Hochverrathoproceſſe 
in Würtemberg, und bereit war auch Reuchlin bei dem Her 
309 verdächtigt worden.) Er hutte auf dem Rathhaufe zu 
Stuttgart an Beiprechungen theilgenommen, welche den Zweck 
hatten, das Land gegen die verberblichen Folgen von Ulrich's 
ungeftümem Thun, wenn es fein müßte durch deſſen zeitwei⸗ 
lige Entfernung vom Regimente, fiher zu ftellen.*) Wäre 
nun überdies ein Briefwechfel zwiſchen ihm und des Herzogs 
Erzfeinde Hutten entdedt worden, fo hätte das für Reuchlin 
die übelften Folgen haben Fönnen. So ſchmerzlich es für 
Hutten war, fo fügte er fi dieſer Rüdficht doch, und beis 
berfeitige Zreunde übernahmen es, feine Grüße und Radır 
richten an den verehrten Meifter gelangen zu laſſen.) Ein 
mal jedoch, da ihm Reuchlin felbft, und in gebeugter Stim⸗ 


eq., Exclamatio. Opera poet. 1588 Q 8d—5b. Opp. ed. Münch, 
II, 396— 9. 

1) Bil. Pirckheimerus Erasmo, Cal. Jan. 1517. Pirckh. Opp. 
ed. Goldast, p. 270: Audi, obsecro, quid nefandi nebulones egere. 
Cum Jo. Reuchlin undique oppugnassent, tandem principis sul, 
quod semper timui, nescio quibus fraudibus, indignationem con- 
citarunt: id ne in extremanı calamitatem hominem conjiciat, vehe- 
menter timeo, nec eum a tyranni faucibus nisi Deus eripiet. 

2) Henn, Herzog Ulrich I, 225. 510. 

8) Huttenus Bilibaldo, Bonon. 8 Cal. Jun. (25 Mai.) 1617. Opp. 
ed. Münch, II, 346: Item Capnionem (saluta), cui quod non pos- 
sum sine sui periculo scribere, pene dirumpor. Jube esse bono 
animo. Nunquam deero, ut communi periculo. Bilibaldus Hut- 
teno 26 Jun. 1517. H. Opp. Il, 341: Capnionem, quo animo 
in eum sis, certiorem reddam. Prudenter agis, quod ad eum non 
scribis, ne eum innocentem ac nolens in periculum trahas. Nost 
enim tyrannorum animos. 


15* 








228 1. Bud, VIE Kopie, 


mung, geſchrieben hatte, glaubte er ihm auch ſelbſt antwor- 
ten zu follen. Die boshafte Einflüfterung der Cölner, wenn 
er vor Entſcheidung der Sache ftürbe, wie leicht ihn, dann 
feine Feinde noch unter dem Boden als Ketzer verdammen 
Fönnten, hatte doch Eindruck auf den alten Mann gemacht. 
BBei deinem Leben”, fchrieb ihm nun Hutten am 13, 
Januar 1517 aus Bologna, „bei deinem Leben, und wenn 
ung beiden etwas noch theurer ift, beſchwoͤre ich dich: gib Feinen 
trüben Ahnungen Raum. Was will das fagen: Wenn ic) 
bafd fterben follte? Laß dir deine eigene Tugend darauf ant- 
worten, „. Wer jo gelebt hat, ftirbt nicht. Und was bu 
deinen Jahren noch hinzufügen wirft, iſt reiner Gewinn. 
Des Ruhmes haft du genug. Noch bei Leben haft du foldhe 
Zeugniffe über dich vernommen, wie fie Wenigen nad) ihrem 
Tode zu Theil werden, und bift felbft unter deiner Nachwelt 
gewefen. Was mic, betrifft, fo glaube ich meinen Gifer für 
dich ſchon dadurch hinlänglic belohnt, daß ich mid) öffentlich 
zu den Neuchliniften gezählt jehe: Darum falle Muth, tapfer- 
ſter Gapnion. Biel von deiner Laft ift auf unfere Schultern 
übergegangen. Längft wird ein Brand vorbereitet, der zu 
rechter Zeit, hoffe ich, aufflammen fol. Dich jelbft heiße ich 
rubig fein. Ich gefelle mir foldye Genoffen zu, deren Alter 
und Verhältniffe der Art des Kampfes angemefjen find. Bald 
wirft du das Fägliche Trauerfpiel der Widerfacher von einem 
lachenden Haufe ausgezifcht jehen. Damit gehe id; um, wäh- 
end du ganz Anderes von mir vermutheft. Denn wenn Du 
richtig von mir dächteft, fönnteft du mir nicht fchreiben: Ver— 
laſſe die Sache der Wahrheit nicht! Ich fie oder did), ihren 
Führer, verlaffen? Kleingläubiger Gapnion, der du Hutten 
nicht kennſt! Nein, wenn du fie heute verließeft, würbe ich 
(jo viel in meinen Kräften ftünde) den Krieg erneuern, und 
glaube nicht, da ich für mein Unternehmen untüchtige Gehülfen 
babe. Mit folhen Genoffen umgeben fchreite ich einher, von 





Hutten über Reuchlin an Pirdheimer. 2329 


denen jeder Einzelne, du darfft es glauben, jenem Gefinvel 
gewachlen if. Capnion's Preis wird von Mund zu Munde 
fliegen. ) Daraus wie aus Anderem wird dir hohes Lob er- 
wacjen, während bu ruhig außer der Gefahr dich haͤltſt. 
Das wollt’ ich dir nicht unangezeigt lafien. Lebe wohl und 
erhalte dich für uns frifch.” 2) 

An Pirdheimer aber, dem der Gang des Reuchlinifchen 
Proceſſes bedenklich zu werben anfing, ſchrieb Hutten: „Tapfes 
ver Wilibald, warum fürdhteft du fo für Die Sache unfers 
Gapnion, den feine Unfchuld gegen menfchliche Angriffe ficher 
ſtellt? So viel taufend fchlechte Menfchen verfolgen ihn: 
einige Gute (denn gut nenne ich die Solches thun), einige 
Gute, fage ih, befohügen ihn. Wird e8 mehr gelten bei der 
Nachwelt, daß viele Schlechte ihn verfolgen, oder daß einige 
Gute ihn vertheidigt haben? Aber N. NR. (der Papft) wird 
ihn verdammen, durch das Gold der Ordensbrüder umges 
fimmt. Dagegen haben ein Erasmus, ein aber (von Etas 
ples), Wilibald, Mutian und die beften Männer alle es 
ihrer würdig gehalten, der Wahrheit Zeugniß zu geben. Und 
wenn du mich folterft, id) muß fagen was wahr ift: daß mir 
mehr an deinem Beifalle liegt, al8 an dem jened Mannes, 
der leichter als Spreu, beweglicher al8 eine Ylaumfeder if. 
Auch wird mir nie, du magft jagen was du wilft, ein ‘Pfeil, 
den Erasmus auf einen Schurfen abfchnellt, weniger gelten 
als zehn Bannflüche jenes Ylorentiners, die aus vielen und 
triftigen Gründen von Allen, in denen noch einige Mann 
fraft ift, nicht mehr hoch angefchlagen werden. Darum moͤ⸗ 


1) Capnionis pr&conium per ora virüm volabit. Dabei an ben 
Triumphus Capnionis zu benfen, liegt um fo näher, als laut feines 
Briefe an Pirckheimer vom 25. Mai beffelben Jahres Hutten damals ber 
Erfcheinung der Schrift entgegenfah. 

2) Huttenus Reuchlino. illustr. viror. Epp. ad Reuchlin. A. 

Opp. ed. Münch, II, 337 fg. 


228 I. Buch. VII. Rapitel. 


mung, gejchrieben hatte, glaubte er ihm aud felbft antwor - 
ten zu follen. Die boshafte Einflüfterung der Eölner, wenwz 
er vor Entſcheidung der Sache flürbe, wie leicht ihn, baum 
feine Yeinde noch unter dem Boden als Keber verbammezs 
koͤnnten, hatte doch Eindrud auf den alten Mann gemadt. 
„Bei deinem Leben‘, fchrieb ihm nun Hutten am 13, 
Sanuar 1517 aus Bologna, „bei deinem Leben, und wenn 
und beiden etwas noch theurer ift, beſchwoͤre ich dich: gib Feinen 
trüben Ahnungen Raum. Was will das fagen: Wenn id 
bald fterben follte? Laß dir deine eigene Tugend darauf an 
worten. .. Wer fo gelebt hat, flirbt nicht. Und mas bu 
deinen Jahren noch hinzufügen wirſt, ift reiner Gewinn. 
Des Ruhmes haft du genug. Roc, bei Leben haft du folde 
Zeugniffe über dich vernommen, wie fie Wenigen nady ihrem 
Tode zu Theil werden, und bift felbft unter deiner Nachwelt 
geweien. Was mid, betrifft, fo glaube ich meinen Eifer für 
dich ſchon dadurch hinlänglich belohnt, daß ich mich äffentih 
zu den Reuchliniften gezählt fehe. Darum fafle Muth, tapfer 
fter Gapnion. Viel von deiner Laft ift auf unfere Schultem 
übergegangen. 2ängft wird ein Brand vorbereitet, der m 
rechter Zeit, hoffe ich, aufflammen fol. Dich felbft heiße id 
ruhig fein. Ich gefelle mir ſolche Genoſſen zu, deren Alter 
und Verhältniffe der Art des Kampfes angemeflen find. Bald 
wirft du das klaͤgliche Trauerfpiel der Widerfacher von einem 
lachenden Haufe ausgezifcht fehen. Damit gehe ich um, wäh 
rend du ganz Anderes von mir vermuthefl. Denn wenn ba 
richtig von mir dächteft, könnteſt du mir nicht fehreiben: Vers 
laffe die Sache der Wahrheit nicht! Ich fie oder Dich, ihren 
Führer, verlafien? SKleingläubiger Capnion, der du Hutten 
nicht Fennft! Nein, wenn du fie heute verließeft, würbe id 
(fo viel in meinen Kräften ftünde) den Krieg erneuern, und 
glaube nicht, daß ich für mein Unternehmen untücdhtige Gehülfen 
habe. Mit folhen Genoſſen umgeben fchreite ich einher, von 





Hutten über Reuchlin an Pirdheimer. 2329 


denen jeder Einzelne, du darfft es glauben, jenem Gefinvel 
gewachlen if. Capnion's Preis wird von Mund zu Munde 
fliegen.) Daraus wie aus Anderem wird dir hohes Lob er⸗ 
wachen, während du ruhig außer der Gefahr did hältſt. 
Das wollt’ ich dir nicht unangezeigt lafien. Lebe wohl und 
erhalte dich für uns frifch.” 2) 

An Pirdheimer aber, dem der Gang des Reuchlinifchen 
Proceſſes bedenklich zu werben anfing, fchrieb Hutten: „Tapfe⸗ 
rer Wilibald, warum fürdhteft du fo für Die Sache unfers 
Capnion, den feine Unfchuld gegen menfchliche Angriffe ficher 
ſtellt? So viel taufend ſchlechte Menfchen verfolgen ihn: 
einige Gute (denn gut nenne ich die Solches thun), einige 
Gute, fage ich, befchügen ihn. Wird e8 mehr gelten bei der 
Nachwelt, daß viele Schlechte ihn verfolgen, oder daß einige 
Gute ihn vertheidigt haben? Aber NR. NR. (der Papft) wird 
ihn verdbammen, durch das Gold der Ordensbrüder umges 
fimmt. Dagegen haben ein Erasmus, ein Faber (von Eta⸗ 
ples), Wilibald, Mutian und die beften Männer alle es 
ihrer würdig gehalten, der Wahrheit Zeugniß zu geben. Und 
wenn du mich folterft, id) muß fagen was wahr ift: daß mir 
mehr an deinem Beifalle liegt, al8 an dem jenes Mannes, 
der leichter als Spreu, beweglicher ald eine Ylaumfeder ift. 
Auch wird mir nie, du magft jagen was du wilft, ein Pfeil, 
den Erasnıud auf einen Schurfen abfchnellt, weniger gelten 
als zehn Bannflüche jenes Florentiners, die aus vielen und 
triftigen Gründen von Allen, in denen noch einige Mannes 
kraft ift, nicht mehr hoch angefchlagen werden. “Darum mö⸗ 


1) Capnionis preconium per ora virüm volabit. Dabei an ben 
Triumphus Capnionis zu benfen, liegt um fo näher, als laut feines 
Briefs an Pirckheimer vom 25. Mai befielben Jahres Yutten damals ber 
Erfcheinung der Schrift entgegenfah. 

2) Huttenus Reuchlino. Illustr. viror. Epp. ad Reuchlin. A. 

Opp. ed. Münch, II, 387 fg. 





2309 - 1 Buch. VIL Kapitel. 


gen jene Alles durchfegen: wir fchirmen bie Partei, 
Unfchuld aller Welt ebenfo befannt ift, als jedem Sinnb 
ten des heiligften Leo Unheiligfeit; denn wer darüber no 
Unflaren ift, der muß eine fchlechte Faſſungskraft befige 

Aber der welterfahrene PBirdheimer fchrieb zurüd, 
dem Schilde der Unſchuld fei fhon Mancher zu Grund 
gangen. 1) 


1) Huttenus Bilibaldo, 8 Cal. Jun. 1517 und Bilibaldus Hu 
24 Jun. 1517. Opp. ed. Münch, Il, 8345 —47 und 389 —41. 





Achtes Kapitel. 


Die Epistole obscurorum virorum. 
1515 — 1517. 


Schon ein Jahr vor dieſen letzten Briefen, im Anfange des 
Auguſt 1516, hatte Ulrich Hutten in Bologna von einer Sa⸗ 
tire gegen Reuchlin's Widerſacher Nachricht erhalten, die un⸗ 
ter dem Titel: Epistole obscurorum virorum, in Deutſch⸗ 
land erfchienen war und fchnelle Verbreitung gefunden hatte; 
er felbft war noch Feines (gedrudten) Exemplare babhaft ger 
- worden, aber fehr begierig, eines zu befommen. Einen Mor 
nat fpäter, am 11. September, fchrieb er an Richard Erocus 
nad) Leipzig: „Die Dunfelmänner habe ich erhalten. Gute 
Bötter! welche nicht unfeinen Schere. Run aber haben die 
Sophiften mich als Verfaſſer nicht blos im Verdachte, ſon⸗ 
dern geben mich, wie ich höre, öffentlich dafür aus. Rimm dich 
gegen fie des abwefenden Freundes an, und laß mich nicht mit 
diefem Schmuge befudeln. Schreibe mir aud ausführlich 
von der Sache, und laf mich wiffen, was fle im Schilde fuͤh⸗ 
ren.’ 2) Bereits wurden die Briefe au in England mit 


1) Epistolas Il Ulrichi ab Hutten ad Richardum Crocum nunc 
primum luce publica donavit, notis illustravit ... M. Chr. Gottfe. 





232 1. Buch. VII. Kapitel. 


Beifall gelefen, während in Deutfchland eine zweite vermehrte 
Ausgabe derfelben erfchien. *) 

Was Hutten von dem Schmuge jpricht, mit dem er fid) 
nicht gern befudeln laſſen wolle, ift nicht auf die Briefe felbft, 
die er ja eben vorher gelobt hatte, fondern auf die Ausfälle 
der Dunfelmänner gegen den vermeintlichen Verfaſſer zu bezies 
hen, welche der Freund von ihm abwehren follte. “Die Briefe 
felbft gefielen ihm vielmehr dermaßen, daß er die Zumuthung, 
ihr Verfaſſer zu fein, mit den Scherzworten ablehnte, Gott felbft 
fei e8; auch hatte er fie faum erhalten, als er auch ſchon feinen 
Landsleuten in Bologna neue Briefe derſelben Art vorlas, Die 
er ohne Zweifel ſelbſt gemacht hatte. 2) Aus diefen und andern 
Briefen ift dann der zweite Theil der Epistolae obscurorum 
virorum entftanden, der im $. 1517 erfchienen iſt. Es beftehen 
alfo die Epistolae obscurorum v., fo wie fie uns jet vor: 
liegen (von dem erft feit 1689 in den Ausgaben erfcheinenden 
dritten Theile, der den Wis der beiden frühern breit tritt, 


Müller. (Lips. 1801). Ep. 1. Bononiae V Idus Augusti. Ep. 2. Bo- 
non. XI mens, Sept. (1516). 

1) Thomas Morus Erasmo, Londin. 31. Oct. 1516. Erasmi 
Epist. omnes, Lugd. Batav. 1706. Appendix, Ep. LXXXVII, p. 1575. 
Glareanus Zuinglio, Basileae ad VIII Cal. Nov. 1516. Zuinglii 
Opp. ed. Schuler et Schulthess, Vol. Vil, p. 19: Ceterum mitto tibi 
exquisitissimas illas Epistolas obscurorum virorum ad Portuinum 
Graecum, dicere volui Ortuinum Gratium, ampliatas non restrictas, 
explicatas et replicatas. 

2) Epist. 1 Jo. Cochlaei ad Bilib. Pirckheimerum , Bonon, 
9. Sept. 1516 (bei Heumann, Documenta literaria var. arg. p. 1): 
.. Hutteni nostri, qui hoc vespere nobiscum coenavit, aliquot 
nobis novas recitans epistolas multo cum risu, ex quibus una 
per totam fere Germaniam vagata est, tuique facit mentionem, 
quod contra usuram scripseris, quam Magister noster disputavit 
Bononiae. Negat tamen, se libelli illius auctorem, in haec verba: 
Est Deusmet. Unter jenem Briefe iit offenbar das zehnte Stüd tes 
zweiten Theile der Dunfelmännerbriefe, das Carmen rithmicale tes 
M. Philippus Schlauraff, quando ambulavit per totam Almaniam 





Die Briefe der Dunfelmänner. 233 


ganz abgefehen), 1) aus den 41 Briefen der erften Ausgabe ; 
2) au® den der zweiten Ausgabe beigefügten fieben weitern 
Briefen, welche jebt mit jenen (und einem achten) zufammen 
den erften Theil bilden ?); 3) au6 dem zweiten Theil, der 
aus 70 Stüden befteht. ”) 

Der Titel und vielleicht der ganze Gedanke der Schrift 
ift al8 Seitenftüf zu den Briefen berühmter Männer (illu- 
striuin virorum) an Reuchlin entftanden, welche deffen Freunde 
im 5. 1514 veröffentlicht hatten, um in dem Streite mit den 
Eölnern ein Gewicht in feine Wagfchale zu werfen. Wie 
nahe lag ed, dieſem wirflichen Briefwechfel aus dem Reuch⸗ 
linifchen Kreife einen erdichteten aus dem SKreife feiner Wis 
derfacher gegenüberzuftellen.. War bie erftere Sammlung das 


superiorem, zu verftehen, in welchem u. 9. in Bezug auf Pirdheimer 
die Stelle fi findet: 

Et fuit mibi dietum, quod noviter unum librum 

CGomposuit de usura, quam admittit Theologia, 

Sicut Bononiae est diputatum et per Magistros nostros com- 

probatum. 
Ed und Hochſtraten hatten nämlich, im Solde der Fugger, zu Bologna das 
Ziniennehmen vertheidigt. 

1) Epistolae obscurorum virorum ad venerabilem virum Ma- 
gistrum Ortuinum Gratium Dauentriensem Coloniae Agrippinae bonas 
litteras docenten:: varijs et locis et temporibus missae: ac demum 
in volumen coactae. 9. E. In Venetia impressum in impressoria 
Aldi Minutij: u. f. w. 4°. Bol. Panzer, ©. 85 fa. 

2) Bon der Epistola des Antonius N., Medicinae quasi Dr., an, 
über weldyem in der zweiten Ausgabe Appendix Epistolarun fteht. 
Ein achter Brief: Epistola cujusdam devoti et imperterriti fratris 
etc., womit ber erfte Theil in den fpätern Ausgaben fchließt, verräth ſich 
nicht blos durdy die Jahreszahl 15838 ale fpätere Zuthat. 

3) Epistolae obscurorum virorum ..., non illae quidem veteres 
et prius visae, sed et novae et illis prioribus elegantia .. longe supe- 
riores. Impressum Romanae Curiae. 4. Beide Drudorte find natürs 
lich erbichtet; ale die wahren werden Mainz oder Hagenau vermuthet. 

Diefe drei Folgen und Beilandtheile werden auch in der Epistola 
Erasmi ad Jo. Caesarium, Antwerp. postrid. assumpt. Virg. 1517, 
die ich in den Lamentationes obsc. v. befindet, unterfchieben. 








rauf berechnet, zu zeigen, welch edle Menfchen, 

Beftrebungen für Bildung und Fortfcheitt ſich um Reuchlin 
gefammelt hatten, fo galt es bier, einen Blid in den Pfuhl 
von Unmwiffenheit, Dummheit und Gemeinbeit zu eröffnen, 
welcher das Element feiner Gegner war. Wenn jenes größe 
tentheild Briefe an oder von Reuchlin gewefen waren, fo 
wurbe hier ald Aorefjat mit qutem Takte nicht Pfefferforn 
(der war zu gemein), nicht Hochftraten oder Tungern (die 
waren zu furchtbar), fondern ihr poetifcher Schildhalter Ortui⸗ 
nus Gratius gewählt. Mit dem Widerfpruche, einerfeits ſelbſt 
aud) ein Humanift und ſchöner Geift fein zu wollen, und 
doch andrerjeitd der alten Scyolaftif zu dienen, war er ſchon 
von Haufe aus ein komiſches Subject; während zugleidy ein 
folder Menfch, der die Bildung, welche er dem neuen Princip 
verdankt, zu defien Bekämpfung im Dienfte des alten vers 
wendet, ald Verräther ein Gegenftand ganz befondern Haffes 
für alle diejenigen ift, die ed mit dem neuen Princp ehrlich 
meinen. 

Wie aber nad) der einen Seite zu den Briefen berühmter 
Männer an Reuchlin, fo bilden nad) der andern die Briefe der 
Dunfelmänner aud) zu dem Triumphus Capnionis ein ergän- 
zendes Gegenſtück. Waren in diefem Gedichte die Gegner 
Reuchlin's und des Humanismus mit Ernft und ‘Pathos, 
mit allen Waffen des Unwillens, der Verachtung und bed 
Haſſes gleichſam tragiich bekämpft, fo geſchieht dieß in den 
Briefen der Dunfelmänner komiſch, mit den Waffen der Sa- 
tire. Daß aber nicht ein Anderer über die Dunfelmänner 
fchreibt, fondern dieſe ſelbſt, die Magifter und Baccalaurei 
Genselinus, Caprimulgius, Scherschleiferius, Dollenkopßus, 
Mistladerius u. dgl., einigemale auch Ortuin, Hochſtraten und 
Tungern in eigener Perfon die angeblichen Briefiteller find, 
ift eine Wendung, welche die Erhebung der Satire in das 
Gebiet der reinen Komif erleichtert. Die Barbarei wird, mit 











Die Briefe ber "Dunteimänner. 288 


Erasmus zu reden, barbarifch verlacht ), d. 5. dadurch, daß 
fie ſich ſelbſt ungefchent, ohne Ahnung ihrer VBerfehrtheit, 
darlegt. Soll dieſe Selbftvarftellung ſchlagende Kraft haben, 
fo muß fie ihren Gegenftand idealiſiren, Die in der Wirklich» 
feit zerſtreuten Züge von Roheit, Unfinn u. f. w. in Brenn 
punfte fammeln: das fatirifche Ideal ik nothwendig Earicatur, 
Aber Kunſtwerk iſt diefe nur dann, wenn fie fich fo ‚weit 
mäßigt, die Webertreibung fo mit Lebenswahrheit zu miſchen 
weiß, daß die Taͤuſchung nicht geſtoͤrt wird, als hätte man 
ed mit wirflicden Weſen, in unferm Kalle nicht mit frembem 
Spotte, fondern mit dem eigenen Sichgehenlafien unbefan, 
gener Brieffteller zu -thun. Diefe Probe beftanden bekanntlich 
die Briefe der Dunfelmänner in dem Grabe, daß bei ihrer 
erften Erfcheinung die Bettelmoͤnche in England jubelten, im 
guten Glauben, eine Schrift zu ihren Gunſten und gegen 
Reuchlin in Händen zu haben, und in Brabant ein Domi⸗ 
nicanerprior eine Auzahl von Exemplaren zufammenfaufte, um 
feinen Obern ein Gefchenf damit zu machen. Erſt der lebte 
Brief des zweiten Theils, der aus dem Tone der Ironie in 
den der Invective fällt, öffnete den guten Leuten die Nugen. 9 

Bon der Art des Werkes eine Borftellung zu geben, if 
gleich der erfte Brief beſonders geeignet, welcher mit künſtle⸗ 
tifcher Berechnung gleihfam als Erpofition vorangefellt iſt. ) 
Unter allerhand Eitaten aus Ariſtoteles und der heiligen 


1) Hutteni Epist. ad Rich. Grocum, ed. Müller, p. 6: Barbure 
ridentur barbari. Quam hoo bene — probavit Erasmus, aptissimesa 
tsndem viam, qua exagitentur improbi Sophistae, inventem arbi- 
tratus. gl. Ulrichi ab Hutten cum Erasmo Rot. .. Expostulatio. 
U. ab Hutten Opera, ed. Münch, IV, 856. 

2) Des. Erssmi Rot, Epistolae omnes, Lugd. Bat. 1706. Ep. 
DCCCCLXXIX. Erasmus Martino Lipsio, Basil, 5 Sept. 1538, p. 1110. 
Bol. Th. Morus Erasmo, ebend. p. 1575. 

en as sine Ben Thocl. formastus, Ortaiuo 





236 Buch. VIE Kapitel. 


Schrift legt der Theol. Baccalaureus Thomas Langfchneider 
feinem ehemaligen Lehrer Drtuin Gratius eine Streitfrage 
zur Entjchetdung vor, die kürzlich bei einem Magiſterſchmaus 
in Leipzig aufgeworfen worden fei. Er vergißt nicht, vorher 
zu beſchreiben, wie die Doctoren, Magifter und Licentiaten 
ſich bei der Gelegenheit auf Koften der neuen Magifter güt- 
(ich gethan, mit gebratenen Hühnern,. Gapaunen und Fifchen, 
Malvafier und Rheinwein, Einbeder, Torgauer und Neuburger 
Bier. So erheitert, beginnen die Magifter ſchulgerecht von 
wichtigen Fragen zu reden, unter Anderm, ob Einer, der Doctor 
der Theologie, d. h. nad) damaligen Spradhgebraud; Magister 
noster, zu werden im Begriffe ftehe, Magister nostrandus ober 
noster Magistrandus zu nennen fe. M. Warmfenmel, ein 
feiner Seotift, entfcheivet fid) für das Letztere. Denn, fagt er, 
magistrare ift ein verbum, f. v. a. magistrum facere, und 
davon kommt magistrandus; Dagegen nostro, nostrare, iſt 
nicht gebräuchlich, und fommt nicht im Wörterbuch. Hiege— 
gen hält M. Delitſch, Artift, Mediciner und Juriſt zugleicdy, 
den Widerpart. Es fei gar nicht einerlei, ob noster vor oder 
nach Magister ftehe: Magister noster bezeichne herkömmlich 
einen Dr. Theol., noster Magister aber fünne nad) Um— 
ftänden jeder Meifter in irgend einer freien oder unfreien 
Kunft genannt werben; alfo könne mur Magister nostrandus 
das Nichtige fein. Daß ein Verbum, nostrare, nicht gebraͤuch⸗ 
(ih, ftehe dem nicht im Wege, da ed ja nad) Horaz (Ars 
poetica) geftattet fei, neue Worte zu bilden. Welche von 
beiden Anfichten nun die richtige fei, bittet der Brieffteller, 
möge Ortuin entjcheiden, und ihn aud in Senniniß ſetzen, 
wie ed mit dem Kriege zwiſchen ihnen und dem Dr, Reuchlin 
ftehez denn er habe gehört, daß diefer Schuft immer nod) 
nicht widerrufen wolle... Auch das artifelmeife gefchriebene 
Bud; Arnold’8 von Tungern (gegen Reuchlin) möge er ihm 
noch einmal fchiden, und fein vertraulicdes Schreiben nicht 





Inhalt und Form ber Dunfelmäunerbriefe. 237 


übel nehmen. -— An dieſem erften Briefe mit feinem prandium 
magistrale hatte Erasmus, dem er ſchon vor dem Drud abs 
fchriftlich zugefommen war, eine folche Freude und las ihn fo oft 
unter Yreunden vor, daß er ihn beinahe auswendig wußte. *) 

Durch denfelben find wir nun fchon völlig in das Leben 
und Treiben, in den geiftigen Horizont der Menfchen verfebt, 
mit weldyen e8 die Epistolae obso. viror. zu thun haben. 
Aehnliche Scenen, ähnliche Streitfeagen, eine immer ſcholaſti⸗ 
fcher als die andere, wiederholen fi. So hatte Ortuin eins 
mal von einem gewifien Magister noster den Ausdruck ges 
braucht, er fei ein Glied (membrum) von zehn Univerfitäten. 
Aber der fcharflinnige Dr. Klorbius macht ihn aufmerkfam, 
wie unftatthaft e8 fei, von einem Gliede mehrerer Körper 
zu fprechen, da wohl ein Körper mehrere Glieder haben, aber 
nicht ein Glied mehreren Körpern angehören könne. Jenen 
Magister noster ftatt eined Gliedes vielmehr Körper von zehn 
Univerfitäten zu nennen, gehe aber auch nicht an, da ja dann 
die Univerfitäten feine Glieder, alfo ihm untergeorbnet, und er 
mehr fein müßte al8 zehn Univerfitäten: welches für Diefe vers 
Hleinerlich, und felbft für einen Magister noster, bie ja Doch immer 
noch Menjchen feien, zu viel wäre. Was bleibt alfo für ein Auss 
weg? Wer auf zehn Univerfitäten immatriculirt ift, entfcheidet 
Dr. Klorbius, welcher foldye Weisheit zu Loͤwen gelernt hat, 
der kann fagen: Ich bin Glieder (membra) von zehn Univers 
fitäten; wobei die Incongruenz des Numerus jo wenig fchadet, 
ald wenn Birgit den Einen Alexis delicias feines Herrn 
nennt. *) Auch Gewiflensfälle geben oft zu ähnlichen fcharf- 

1) Erasmi Spongia adversus adspergines Hutteni. Sn Hutteni 
Opp. ed.Münch, Tom. IV, p. 428. Burdharb’® (Commenter. de U. de 
Hutten fatis etc., III, 59) Bermuthung, daß die Worte des Erasmus auf 
die Epiftel des M. Mammotrectus Buntemantellus, Epp. I, No. 88, geben, 
iſt ficher irrig. 


2) Thomas Klorbius, humiliter Theol. Dr., M. Ortuino Gratio. 
Epp. obsc. v. Il, Ep. 13. 





238 I. Buch. VI. Kapitel. 


finnigen Erörterungen Beranlaffung. Es ißt Einer ein & 
worin ſchon ein Junges zu bemerken; nachher befinnt er fg 
dag es Freitag ift, und die gebrochenen Yaften fallen ihm 
aufs Gewiſſen. Ein Freund tröftet ihn, das junge Hühnden, 
fo lang es nody nidyt ausgefchlüpft, werde nicht andere ke 
teachtet, al& wie die Würmer im Käfe oder in Kirfchen, vu 
man auch ungefcheut zur Faſtenzeit verichlude. Allein da 
Brieffteller ift damit noch nicht beruhigt und wendet ſich um 
Ausfunft an Ortuin; denn die Würmer, bat er von ein 
Arzte gehört, der ein guter Raturforfcher fein fol, rechne men 
zu den Fiſchen, fie feien alfo Faſtenſpeiſen, dagegen das anf 
gebildete Hühnchen im Ei wirkliches verbotenes Fleiſch.) 
Mährend fie auf diefe Weife am Nichts ihren Schaf 
finn üben, zeigen fid unfre dunfeln Männer in allem bew 
jenigen, woran ſich in jener Zeit der geiftige Fortſchritt Indie; 
in Sprachen» und Alterthbumsfennmiß, aufs Aeußerfte umelb 
fend. Sie verwechfeln den Grammatifer Diomedes mit dem 
Homerifchen Helden. Sie Hagen, daß Reudlin, auf hebräifg 
Capnion genannt, und ein Anderer, Namens Proverbia Ersr 
mi %), ein neues Latein in die Theologie einführen wollen. 
Sie halten Griechiſch und Hebräifch für unnüs; denn 1). 
die Heilige Schrift ſchon genügend überfegt, und 2) bärf 
man die ungläubigen Juden und die ſchismatiſchen Griecher 
nicht dadurch ſtolz machen, dag man ihre Sprachen lerne. 
Die Frage wird aufgeworfen, ob es zur ewigen Seligke 
nothwendig fei, daß die Scholaren die Grammatik aus wei 
lihen Dichtern, wie Virgil, Eicero, Plintus, lernen? Si 
wird verneint, da nach Ariſtoteles Metaph. I. die Dichter vie 


1) Henr. Schaffmulius Ort. Gratio. Epp. II, 26. 

2) Mit Bezug auf die in verfchiedenen Ausgaben erfchirnene Gprüd 
wöorterfammlung (Adagia) des Eraemus. 

$) Epp. obsc. v. I, 18, 48; II, 38, 88. 











Inhalt und Form der Duntehmäunerhriefe. 289 


lügen, und wer lügt ber fündigt, und wer fein Stublum auf 
Lügen gründet, ber gründet es auf Sünden, was aber auf 
Sünden gegründet iſt, das iſt nicht gut, fondern wider ®eit, 
der den Sünden feind if.!) Diefem Stand ihrer Sprach⸗ 
fenntnifie find auch die Wortableitungen gemäß, vie fih in - 
den Briefen der Dunfelmänner finden. Mavors, der Kriege 
gott, ift der Maͤnnerfreſſer, marss vorans; Mercurins derie 
nige, qui mercatores curat; Magister iſt ufanmengefeht ent 
weder aus magis und ter, well er dreimal mehr wiſſen muß 
als ein Anderer, ober aus magis und terreo, weil er feinen 
Schülern fchredlich fein fol u. dgl. m. ®) 

Dabei geben aber Ortuin's Eorrefpondenten fo wenig 
als diefer felbft den Anfpruch auf, Poeten und Schöngeifter 
zu fein. Sie willen rhetoriſch und poetifch zu fchreiben, und 
thun fih zum Thell etwas zu Gut auf ihren Styl. Sie 
fchiden ihrem Lehrer ihre dichterifchen Ausarbeitungen (dieta- 
mina) mit der Bitte zu, fie zu verbeflern und zu fcandirenz 
denn ihrer Schwäche auf den Füßen find fie fich bewußt. 
Indeſſen, was kümmern fie die Füße? Sind fie doch feine 
weltlichen, fondern theologifche Poeten, die nur auf ven Sinn 
nicht auf die Form zu fehen haben. ) Ein Anderes nämlich 
fet die gute alte Poeterei, weldye and) die Magistri nostri ia 
Parid nnd Eöln gelten lafien, ein Anderes diefe neumodiſche, 


1) 1, Ep. 7, Petr. Hafenmusius O. Gr. 


2) I, Ep. 28; II, Ep. 28. Gtymologie war freilich Aberhaupt nieht 
bie flarfe Seite jener Zeit. So leitet Reuchlin im Angenfpiegel doeweie 
ab von &pw, fragen, fuchen, und cuvd, Bett, Kammer, in ber man rat, 
Muße Hat, schola; alfo dpewde ſ. v. a. „forſchen in ber Schul mit Muh 
und Gpähung des Bemäthe.‘' 

8) I, Ep. 27. Wilh. Storch M. O. Gr.: Ipsi dicunt, quod non 
est recte compositum sive comportatum in pedibus suis, et ego 
dixi: Quid ego curo pedes? Ego tamen non sum poeta secu- 
laris, sed theologicalis, et non curo nec habeo respectum ad ista 
puerilie, sed tantum curo sententias. 








240 Bud. VE Kapitel, 

Virgil, Binins. und — — — — — 
Dieſe weltlichen Poetenmacen Narrenspoſſen, während die 
tirchlichen das Lob der Heiligen fingen; die Erftern erklären 
die heidniſchen Schriftfteller blos buchſtäblich, während bie | 
Leptern fogar auf die Dvidifchen Metamorphofen die vier 
fadye Auslegung anwenden, und in Semele und Bacchus eine 
Allegorie auf Maria und Ehriftus zu finden wiſſen. ) 

Beſonders verderblich wirkten diefe poetae seculares, 
wenn wir den Klagen unfrer Brieffteller ein Ohr leihen, auf 
die Univerfitäten. Mit Jubel wird die Vertreibung eines der- 
felben, des Rhagius Aefticampianus, aus Leipzig erzählt, und 
die Gölner ermuntert, ed mit ihrem Hermann Buſch ebenfo 
zu machen. M. Delitſch, unfer Bekannter von dem Magifter- 
fehmaufe ber, habe von jenem gejagt, er fei an der Univer- 
fität wie das fünfte Rad am Wagen und hindere nur die 
übrigen Facultäten. 2) Und immer mehr fah man dieſes Un- 
weſen um fid) greifen. Zu feiner Zeit, fchreibt ein alter Mar 
gifter, habe ed nur Einen Poeten gegeben, Namens Samuel 
(den Verfafler der erbaulihen Reime: Disce, bone Clerice 
etc.); jegt gebe es allein hier (wahrſcheinlich in Leipzig) deren 
wohl zwanzig, welche den Anhängern des Alten jeven Schar 
bernad anthun. Und mochten diefe Alten die Pocten immer 
dahin wünſchen, wo der Pfeffer waͤchſt: bald mußten fie fid) 
überzeugen, felbft wenn ein Poet da wäre wo der Pfeffer 
wächft, würde er kommen und fid an ihrer Seite habilitiren. 
Ging das fo fort, fo konnte es nicht fehlen, die Univerfitäten, 
und insbefondre die philofophifche Facultat, mußten zu Grunde 
gehen, ?) Immer mehr fehwand ja der Glanz und verödeten 


1) I, Ep. 25, 28. 
2) I, Ep. 17. M. Jo. Hipp. M. O. Gr. 
8) I, 25. M. Phil. Sculptoris M. O. Gr.: Utinam omnes poetae 





Inhalt und Form der Dunfelmännerdricfe. 241 


die Hörfäle der Magistri artium, bei welchen vordem die Ju⸗ 
gend fo feine Unterſcheidungen, fo fcharffinnige Einwürfe und . 
Löfungen, fo bündige Schlüfle hatte machen lernen. Auch 
die akademiſchen Grade, die fie zu ertheilen hatten, kamen in 
Mißachtung: die Zuhörer der Poeten wollten die fcholaftifchen 
Würden eined Buccalaureus, eined Magifter, nicht mehr er- 
werben. Kamen fie dann nach Haufe, und die Eltern fragten, 
was fie geworden feien? fo war die Antwort: Nichts (wie 
bei Hutten); die Eltern bedauerten ihr hinausgeworfenes 
Geld und mwarnten andere, ihre Söhne auf Univerſitäten zu 
ſchicken. ) 

So nahmen denn die Reibungen zwiſchen Magiſtern und 
PBoeten, und nehmen die Berichte von foldhen Scenen in uns 
fern Briefen, fein Ende. Bald ftreiten fie fich bei einer Zeche 
(in una zecha! über den Trierer Rod, den ein folcher Poetens 
ſchüler ein laufiged altes Kleid nennt; über die Reliquien der 
heiligen drei Könige zu öln, von denen derſelbe Freigeiſt 
meint, daß fie leicht von drei weftfälifchen Bauern berrühren 
fönnten; über die alten fcholaftifchen Lehrbücher, welche die 
Neuerer verfpotten; dann über die Tageöfrage: Reuchlin und 
Hochſtraten, welcher Letztere bei den Poeten eine verfluchte 
Beftie heißt, wie die Parifer Univerfität wegen ihres Verdam⸗ 
mungsurtheild gegen den Augenfpiegel ſich gefallen laffen muß, 
ihren alten Ehrentitel ald mater studiorum mit dem einer 





— — — 


essent ibi, ubi piper crescit. Il, 58. M. Irus Perlirus: Ego credo, 
quod, si esset unus poeta ibi ubi piper crescit, ipse eliam veniret 
Liptzick. Ibid.: Ego credo, quod Universitas (1, 25: Facultas arti- 
stica) adhuc peribit propter illos poetas .. 

1) II, 4. M. Cunradus Unckenbunck M. O. Gr.: Sed nunc 
supposita volunt audire Virgilium et Plinium et alios novos au- 
thores, et licet audiunt per quinque annos, tamen non promoven- 
tur. Et sic, quando revertunt im patriam, dicunt eis parentes: Quid 
es? Respondent, quod sunt Nihil, sed studuerunt in Poesi. Tuno 
parentes non sciunt, quid est... 

Strauß, Hutten. I. 16 








242 1. Bud). VIII Kapitel. 


mater stultitiae vertaufcht zu ſehen.) Auch an Thätlichkeiten 
zwiſchen beiden Parteien, wie fie in ein Poſſenſpiel gehören, 
fehlt e8 in unfern Briefen nicht. Die Reife des M. Schlau- 
vaff, die er in Reimen befchreibt, ift eine Kette von Schlägen, 
Püffen und Ohrfeigen, die er, als Werber gegen Reuchlin, 
von den Poeten und ihren Anhängern befommt, und mittelft 
deren er von einer Univerfität zu der andern in halb Deutich- 
(and herumgeftoßen wird. Befonders das Gafthaus zur 
Krone in Mainz ift durch feine böſe Tifchgefellichaft, als 
das Heerlager der Poeten und Freigeifter, ven Magiftern ein 
Gräuel.?) Iene Menfchen gingen mit Schwertern und Degen 
an der Seite, würfelten um Hochſtraten's Ablaßzettel, führten 
läfterliche Reden und ließen einen ehriamen Magifter nicht 
einmal für fein Geld mit Ruhe effen. ?) Da ging auch Ulrich 
von Hutten zeitweile ein und aus; ein bödyit beftialifcher 


Menſch, wie ein Brief ihn ſchildert, der einmal gejagt hatte, 
. wenn die Predigermönche ihm das thäten, was fie dem Reuchlin 


thun, fo wollte er ihnen Fehde anfagen, und jedem von ihnen, 
der in feine Hände fiele, Naje und Ohren abſchneiden.) Der 
Brieffteller ift nur frob, daß Hutten jest fort ift, um Doctor 
zu werben, und feit einem Jahre ſich in Mainz nidyt bat 
bliden laflen; er wünfcht, der Teufel holte ihn. 5) 


1) I, 22. Gerhard Schirruglius M. O. Gr. 

2) 1, 9. Carmen rithmicale M. Philippi Schlauraff etc. Zu Mainz 
nimmt im Darth. Zehender als Gaſt in fein Haus, 

. Jurans per Deum vivum, 
Si ivissem ad Coronam, quod — vexationem bonam, 

Quod.ibi commensales sunt valde nequitiales .. 

3) II, 12. M. Guil. Lamp. M. O. Gr, 

4) Letzteres ſoll Hutten fpäter einmal wirklich gethan haben: wenig: 
tens fpricht Erasmus, Epist. ad Mart. Lutherum, Basil. postrid. Non. 
Mai, 1524, bei Münch, Opp. Hutteni P. IV, p, 570, mit Beziehung auf 
ihn, de amputatis auriculis duobus Praedicatoribus. Davon unten. 

6) U, 55. M, Sylv. Grisius M, O. Gr.: Sunt quidam commensa- 
les in hospitio Coronae, qui semper faciunt summas nequitias Ma- 





Inhalt und Form der Dunfelmännerbriefe, 243 


Dergleihen Streitunterredungen find ed denn auch, mits 
telft deren in unfere Briefe der directe ernfte Tadel des Uns 
weiens, dem die Brieffteller fonft das Wort reden, eindringen 
fann. Die guten Leute berichten einander treuherzig, was fie 
da und dort für derbe Wahrheiten haben anhören müflen. 
Am faiferlihen Hoflager zu Insbrud hört M. Wilh. Lamp 
auf der Durchreife laute Beſchwerden über das Curtiſanen⸗ 
weien und das Wandern des deutichen Geldes nad) Rom; 
bei einem Gaftmahl in Worms ein Anderer fcharfe Reden 
gegen die Häufung der Pfründen, das Wohlleben und die 
anftögigen Sitten der höhern Geiftlichkeit. Ein Würzburger 
Magifter Elagt über den Prediger an der Hauptfirche daſelbſt, 
Johann Reif, der in Allem einen eigenen Weg gehe, keiner 
Schule als der Schule Ehrifti angehören wolle, von den 
Mönchögelübden und Kappen wenig halte, da Gott nicht auf 
die Kleider ſehe. Auch im Predigen habe er feine befondere 
Art: er biete gar feine Kunft, feinen Scharflinn mit Fragen, 
Einwürfen und Schlußfolgerungen auf, fondern gehe ganz 
einfach zu Werke, und — fonderbar! — die Leute hören ihn 
doc gerne. Beſonders bedenkliche Aeußerungen habe er ſich 
über den Ablaß erlaubt. Dem Bruder Jakob, der auf der 
Kanzel gefagt habe, was in den Ablaßbriefen ftehe, fei fo 
wahr wie das Cvangelium, und wer biefelben empfange, 
fei fo vollſtändig abfolvirt, ald hätte Chriftus felbft ihn 
von feinen Sünden losgezählt, habe Reiß öffentlich mit 
den Worten widerfprochen: „Nichts ift mit dem Evangelium 
zu vergleichen, und wer recht handelt, wird felig. Wenn Einer 
hundertmal jenen Ablaß empfängt und nicht gut lebt, fo wird 
er verdammt und der Ablaß hilft ihm nichts. Dagegen, wenn 


gistris nostris... unus Ulricus de Hutten, qui est valde bestialis .. 
sed nunc abivit (Deo gratias) ad fiendum Doctor, et in uno anno 
non fuit hic, Diabolus auferat eum. 


16 * 





244 0 Bich, "VE. ai | 


einer’ cehechafen febt, ober, falis er gefündigt, Buße thut 
ud fi defet, Rebe dem verfünbige id, daß er ein Bürpe 
des ‚Himmelreichs fein —* auge — 
abe 

Iſt hier noch vor Leihers Wblahſteu- * — 
Inhalt ſeiner Theſen und Streitſchriften ausgeſprochen, ſo zeigt 
eine andere Stelle vollends deutlich, wie weit ihm vorgear- 
‚beitet war, In Franffurt a. d. D. muß ſich M. Klingeſor 
von Einem, „der ihm immer Widerpart hält,‘ die Weiffagung 
Zephan, 1, 12: Zu derfelbigen Zeit will ich Ierufalem mit 
Laternen durchluchen, und will heimfuchen die Leute, die auf 
ihren Hefen liegen u. ſ. f., fo auslegen laffen: „Ich will Je— 
rufalem durchſuchen,“ -fpricht der Herr, d. h. ich will meine 
Kirche unterfuchen, um fie gu reformiren und die Irrthümer 
zu entfernen, die fid) in dieſelbe eingefchlichen haben; und das 
will ich thun „mit Laternen‘, d. b. durch gelehrte Männer, 
dergleichen in Deutfcyland Erasmus von Rotterdam, Johann 
Reuchlin, Mutianus Rufus u. A. find; „und will heimfuchen 
Die Männer‘, d. h. die Theologen, „die Liegen“, de b. hart⸗ 
nädig beharren, ‚auf ihren Hefen“, d.h. auf einer ſchmutzigen, 
finſtern und widerfinnigen Theologie; welche fie ſeit einigen 
hundert Jahren aufgebracht haben, mit Abweichung von jenen 
‚alten und gelehrten Theologen, die im wahren Lichte der Schrift 
gewandelt hatten; während fie felbft weder Patein, noch Grie- 
chiſch oder Hebrälfch verftchen, um die Schrift auslegen zu 
können. Nachdem fie alfo jene ächte und urfprüngliche Theo- 
loglie verlaffen haben, thun fie nichts weiter, ald daß fie dis— 
'putiren umd argumentiven und unnüge Fragen aufwerfen. 
- Darum wird fie der Herr „beimfuchen” und andere Doctoren 
fenden, welche jene Sprachen verftehen, und nad) Wegräus 
mung der „Hefen“, d. b. jener abgefchmadten Spisfindig- 


1) It, Ep. 43. Fr. Otho Flersklirdrius M. O0, Gr. 











Inhalt und Form der Dunfelmännerbriefe. 245 


feiten einer faljchen Theologie, ihre Laternen‘ bringen, d. h. 
und die Schrift beleuchten und die alte, wahre Theologie wies 
derherftellen; wie fürzlich der genannte Erasmus die Schrife. 
ten des Hieronymus verbefiert herausgegeben bat. Auch den 
Tert des Reuen Teftaments bat er verbeflert '), und das 
halte ich für nüglicher, fagt unfer Schriftausleger, ald wenn 
20,000 Sootiften und Thomiften 100 Jahre lang über Ens 
und Essentia disputiren würden. ?) 

Doch dergleihen Strafpredigten oder andere Unfälle neh⸗ 
men unfre Dunfelmänner nicht allzufchwer. Effen und Trinfen 
Ihmedt ihnen doch, Deo gratias, nicht minder Schlaf und 
— LRiebeöfreuden. Die ehlichen zwar find ihnen, fofern fie 
dem geiftlichen Stand angehören, durch ihr Gelübde unterfagt, 
und die außerehlichen gelten für fünphaft; das erfennen fie an: 
doch wiſſen fie ſich zu helfen, fogar an der Hand der Schrift. 
Sage denn nicht der Prediger Salomo Kap. XI, B. 9: Freue 
dich, Jüngling, deiner Jugend? und IM, 12, es fei nichts 
Beſſeres, als dag der Menich fi freue in feinem Werfe? 
und IV, 11, wenn Zweie beieinanderliegen, werde ihnen warm, 
Einer für fidy aber fönne nicht warm werden? So fei der 
Wandel Simfon’s zur Delila und Ealomo’d Keböweiber ohne 
Zahl befannt, und Doch jei über den Erftern nachmals der 
heilige Geiſt gefommen, und der Leßtere fei, nad) der gemeinen 
Annahme der Docteren, felig geworden: mithin Fönne jene 
Eünde nicht fo groß fein. „Ich bin nicht ftärfer ald Simſon,“ 
ihreibt M. Conrad von Zwidau, der vorzugsweife erotifche 
Brieffteller des erften Theile, „und bin nicht weifer als Sa 
lomo °): folglih muß man bisweilen eine Freude haben, denn 


— — Ten 


1) Hieronymus’ Werke in 9 Banden erſchienen in den Jahren 1516— 
18: die erfie Ausgabe des Neuen Teflaments 1516. 

2) II. 50. M. Ad. Clingesor M. O. Gr. 

3) Eo hatte der nachmalige Papſt Pius II. noch ale Aeneas Sylvius 








das, fagen die Aerzte, iſt gut gegen die Melandpolie. Nachher 
beichten wir dann, und Gott ift barmherzig, und wir dürfen 
auf Gnade hoffen. Iſt man doch fein Engel, fondern ein 
Menſch, und jeder Menſch irrt. Ja, wenn Gott die Liebe 
ift, fo kann die Liebe nichts Schlimmes fein: widerleget mir 
diefen Beweis‘, fest der verliebte Magifter felbftzufrieden hinzu. 
Man fieht, wenn überhaupt bei dieſer glüdlichen Menſchenart 
die Gründe wohlfeiler ald Brombeeren find, jo find fie es 
befonders wo «8 gilt, Mebertretungen des ſechsten Gebotes 
zu beſchönigen. Daber laufen anftößige Anefvoten durc das 
ganze Buch: wie ein Dominicaner genöthigt wird, nadt aus 
dem Fenſter feiner Geliebten zu Tpringen; wie einem Auguftiner 
eine Freundin des Ordens an Zahlungsftatt feine Kutte mit- 
nimmt und fie zu Haufe zertrennt, auf daß die Schrift erfüllet 
würde: Sie haben meine Kleider unter fich zertheilet; wie ein 
Magifter von Drtuin einen Liebeszauber verlangt, und dieſer 
ihm ftatt deſſen als Gegenmittel gegen fleijchliche Anfechtuns 
gen Kteuzfchlagen, Weihwaſſer und geweihtes Salz anräth. ®) 

Dabei gehört ein zartes Verhältniß Ortuin's felbft zu 
ver Frau feines judenchriftlichen Bundesgenoffen, jener bellula 
mulier, wie Reud)lin fie nannte, zu den Grundvorausfeguns 


ein ähnliches Vergehen entfchulbigt: quia nee sancliorsum David rege, 
nec Salomone sapientior. 

1) 1, 9.M. Conradus de Zuiccavia M, O. Gr. Quia legitur Eo- 
elesiast. 11.: Laetare juvenis in adolescentia tus; quapropter ego 
nunc sum laetae mentis, et debetis scire, quod bene succedit mihi 
in.amore et habeo multum supponere. Quia dicit Ezech.: Nunc 
fornicabitur in fornicatione sua. Et quare non deberem aliquando 
purgare renes? Tamen non sum angelus, sed homo, et omnis 
homo errat. Vos etiam aliquando supponitis, quamvis estis Theo- 
logus, quia non potestis semper solus dormire, secundum illud Ec- 
cles. 4: Si dormierint duo simul ete. ®gl. Ep. 13 u. 21 deſſelben 
Briefftellers. 

2) I, Ep. 4, 33, 49. 








Inhalt und Form der Duntelmännerbriefe. 247 


gen des Buches. Mfefferforn, meint ein Brieffieller, follte 
in diefem Falle gar nicht eiferfüchtig fein, nach dem Spruche, 
daß zwilchen Freunden Alles gemein fein müfle. Davon wols 
len zwar Einige die Weiber ausgenommen wiflen: allein es 
fomme hinzu, daß Ortuin feine Yrau babe, und Denen, die 
nicht haben, jollen wir mittheilen. 1) Ein paar Wormfer Juden, 
die übel von Pfefferforn reden, widerlegt ein Magifter unter 
Anderm dadurh, wenn der Mann fein guter Chriſt wäre, fo 
würden ihn die Theologen und Bürgermeifter von Cöln nicht 
zu ihrem Spitalpfleger und Salzmeffer gemacht haben. Zwar 
fagen böfe Zungen, diefe Gunft der Herren verdanfe er feis 
ner hübfchen Frau. Aber das fei nicht wahr, denn 1) haben 
die Eölner Bürgermeifter felbft fchöne Frauen, und bie Ma- 
gistri nostri fragen befanntlih den Weibern nicht nad; 
2) aber ſei Frau Pfefferforn ein fo honettes Frauenzimmer 
al8 eines in Eöln, und der Brieffteller habe fie oft fagen 
bören, fie habe oft von ihrer Mutter gehört, quod viri 
praeputiati faciunt feminis majorem voluptatem quam 
non praeputiati, und wenn daher ihr Pfefferkorn fterbe, 
wolle fie einen Ainbefchnittenen nehmen: daraus gehe doch 
Har hervor, daß fie bis jebt dieſe Klaffe von Männern, zu 
welcher auch die Coͤlner Bürgermeifter gehören, noch nicht 
aus eigener Erfahrung fenne.?2) Es ift ein beißender Spott 
gegen das fcholaftiihe Weien, wenn vergleichen unfaubere 
Gegenftände ganz in den Formen der Schule mit Pro und 
Contra erörtert werden. So Die Frage, wenn ein Jude 
Chriſt werde, ob dann renascitur sibi praeputium oder nicht? 
und wenn nicht, ob dann nicht am jüängften Tage Irrungen 
zu befürchten ſeien? ferner, ob Pfefferforn in der Eigenfchaft 


1) II, 39. Conr. Stildriot M. O. Gr. ®2gl. I, 45. Arnoldus de 
Tungaris M. O. Gr., wo beide auch mit der Magd ihres Buchdruckers 
Duentel in ein ſchmutziges Verhaͤltniß verwidelt werden. 

2) I, 386. Eitelnarrabius Pesseneck M. O. Gr. 





248 I. Buch. VII. Kapitel. 


als immer noch beimlicher Jude, oder nur ald geweſener 
Mepger, ftinfe? !) 

Durch alle diefe Späße und wohl auch Unziemlichkeiten 
übrigend geht wie der rothe Baden die Reuchlinifche Angeles 
genheit hindurdy; womit einestheils für den poflenhaften Bow 
dergrund ein dunkler, ernfter Hintergrund, anderntheild fir 
die lofe Form einer Brieflammlung das Band einer Zabel 
gewonnen, das Ganze dem Roman nahe gerüdt win. 
Scen im erften Briefe des erften Theil wird gefragt, wie 
e8 mit der Fehde zwifchen Reuchlin und ven Gölnern ftehe? 
und der legte Brief ded zweiten Theild wirft dem Ortuin 
und feinen Helfershelfern nunmehr offen die Schlechtigfeiten 
vor, die fie an dem rechtichaffenen und gelehrten Reuchlin 
verübt haben. Zwifchen beiden Endpunften aber find nur 
wenige Briefe, in weldyen dieſes Thema nicht zur Eprade 
füme. Bald von Anfang wird Hocdhftraten’d als in Rom 
befindlich Erwähnung gethan, und jefert ift es der ſchwan⸗ 
fende Gang des Nechtshandeld zwilchen ihm und Reuchlin, 
der Wechfel zwilchen Furcht und Hoffnung, wie wir ihn aus 
Hutten's, Mutian’d u. A. Briefen fennen, der fi in denen 
der Dunkelmänner von der Kehrſeite abfpiegelt. Bald em 
pfangen oder ertheilen fie gute Zeitung aus Rom: Hochſtra⸗ 
ten bar Wechſel erhalten, den Gardinälen und Auditoren ein 
fettes Gaftmahl gegeben: da find fie voll Hoffnung auf einen 
für fie günftigen Ausgang der Sadye; zumal wenn gleidy 
zeitig verlautet, daß Reuchlin's Mittel Durch die Prozeßkoften 
gänzlich erfchöpft fein.) Ein andermal aber heißt es, ber 
Papft wolle die Speierifche Sentenz beftätigen und den Drud 
des Augenipiegeld in Rom geftatten; Leo dem X. trauen fie 


1) I, 37. Lupoldus Federfusius und Il, 25. Adolphus Clingesor 
M. O. Gr. 


2) I, Ep. 26. II, 5, 16. 20, 26, 32, 66. 





Reuchlin in den Briefen der Dunfelmänner. 249 


überhaupt nicht, weil er felbft ein Poet fei und den bh. Thos _ 
mas Contra gentiles nicht verftehe,; nun geht aud) dem Hoch⸗ 
ftraten das Geld aus, ein befuchender Magifter fieht feine 
Kappe liegen und findet fie voller Läufe, was den guten 
Menfhen bid zu Thränen rührt.) Der erfte Theil der 
Briefe endigte urfprünglid mit dem Gerüchte, das jedoch ber 
Briefiteller unglaublidy findet, daß Reuchlin obgeftegt habe?); 
in der vermehrten Ausgabe ift ein Brief, angeblich von Hoch⸗ 
ftraten jelbft, au Rom, binzugefommen, in welchem er ges 
fteht, er wollte, er hätte den Handel nicht angefangen, denn 
e8 ftehe fchlecht, er habe oft nicht das liebe Brod, und wenn 
er mit Peter Meyer von Frankfurt auf dem Campo Fior« 
fpazieren gehe, fo fpotten die Eurtifanen: da gehen die Zwei, 
die den Reuchlin freſſen wollen. ) Gegen den Schluß des 
zweiten Theils fchwebt zwar der Handel in Rom noch immer, 
doch ift befannt, daß die Mehrheit der niedergefehten Com⸗ 
miſſion für Reudlin ift, und die Aufmerkfamfeit und Hoffe 
nung wendet fi der großen Reuchliniſtenverſchwoͤrung zu, 
welche ſich mittlerweile in Deutichland gebildet und die Sache. 
Reuchlin's und der Geiftesfreiheit vor dem Richterſtuhle der 
öffentlichen Meinung durchzufechten fich vorgefegt hat. 4) 
Nachdem jo oft von Reudlin die Rede geweien, daß 
man gefpannt fein muß, ihn felbft auftreten zu fehen, exöffs 
net endlich ein Brief des zweiten Theils den Einblid in das 
Studirzinnmer ded ehrwürdigen, nunmehr Gljährigen Mans 
ned. „Wie ih in fein Haus fanı, erzählt ein Baccalaureuß, 
da fagte er zu mir: Willfommen, Herr Barcalaureus, feget 


— — — — — — — 


1) I, 11, 12, 14, 15, 46. II, 4, 6, 22. 

2) I, 41. Vilipatius de Antverpia M. O. Gr. 

3) I, Ep. 48. 

4) 1, 53. Joh. —————— 55. Sylv. Grisius, 59. Joh. Co- 
cleariligneus M. O. Gr. 





euch. Und er hat einen Brill (unum brillum) auf feiner 
Nafe und ein Bud vor fid), das war wunderbarlid) gefchrie- 
ben, und id) fah gleid), daß es weder Deutſch, noch Böh- 
miſch, auch nicht Lateiniſch geichrieben war. Und ich fagte 
zu ihm: Vortrefflicher Herr Doctor, wie nennt man ſothanes 
Bud? Er antwortete: ed nenne ſich der griechiſche Plutar- 
chus und handle von der Philofophie. Da fagte ih: So 
-fefet e8 in Gottes Namen! und daher glaube id, daß er wun- 
derfame Künfte verfteht. Dann fah ich ein Feines Buch, 
neugedrudt, unter der Bank liegen, und fagte zu ihm: Bor: 
trefflicher Herr Doctor, was liegt denn da? Er antwortete: 
Es ift ein anftößiged Buch, das mir fürzlich ein Freund aus 
Eöln geſchickt hat, es iſt gegen mich geichrieben, und die 
Gölner Theologen haben es verfaßt, und fagen nun, Johann 
Pfefferforn habe ſolches Bud) gemacht. Da fagte ih: Was 
thut Ihr dagegen? wollet Ihr Euch nicht rechtfertigen? Ant- 
wortet er: Nichts weniger; ich bin ſchon hinlänglich gerecht 
fertigt, ich fümmere mid; nichts mehr um dieſe Thorheiten, 
meine Augen reichen kaum noch hin, das zu ftudiren, was 
mir nüslich if. Das Büchlein aber war betitelt: Defensio 
Jo. Pfefferkorn contra famosas. ' !) 

Haben wir uns bis daher redlich bemüht, von Zwed 
und Inhalt, Form und Anlage der Dunkelmännerbriefe dem 
Leer eine Borftellung zu geben: jo fönnen wir und zum 
Scyluffe das nieverfchlagende Bekenntniß nicht erfparen, daß 
wir etwas unternommen haben, das fich eigentlidy nicht lei« 
ften läßt. Sollen wir mit Einem Worte den Punkt dieſer 
Unmöglichkeit bezeichnen, fo liegt er in der Sprache unirer 
Driefe. Da es die Dunfelmänner des beginnenden jeche- 
zehnten Jahrhunderts felbft find, welche ſich darin ausſprechen, 
fo thun fie es in ihrer Sprache, d. h. in einem Latein (wenn 


1) I, 34. M. Jn». Schnerckius M. O. Gratio, 











Die Sprache der Dunislmdnnerbricfe. 251 
e6 noch fo genannt werben Tann), wie es ſich im Laufe des 


Mittelalters aus der Mifchung Firchlicher und landesſprach⸗ 


licher Beftandtheile mit dem urfprüänglichen Grundſtocke gebildet 
hatte. Diefe Sprache ift dadurch komiſch, daß fie zwar auf 
jevem Schritte mit den Geſetzen der claffiichen Latinität im 
Widerfpruch, aber tropdem etwas für fi, eine Sprache if, 
der man ed heute noch anmerft, daß fie gelebt hat und wirklich ges 
fprochen worden tft; wie die Brieffteller ihrerſeits, troß des grel⸗ 
(en Widerſpruchs, in welchem ihr Treiben mit Vernunft und 
Bildung fleht, doch fo einig mit ſich, fo vergnügt in fih und 
unter fich find, als nur je ein Falſtaff, oder fonft ein Acht 
fomifched Subject geweſen iſt. Aber diefer komiſche Charak⸗ 
ter iſt an das Lateinifche gebunden. Ex geht in jeder Ueber 
ſetzung verloren. Diele Art von lächerlicher Verderbniß hat 
eben nur das Lateinifche, in feinem Durchgange durch das 
Mittelalter und die anderdrevenden Nationalitäten erlitten. 
Keine Art, wie der Ueberfeper dad Deutfche oder fonft eine 
Sprache handhaben möchte, fann den Eindruck des Originals 
wiedergeben. Ä 

Am eheften geht es noch an ſolchen Stellen, wo das Kos 


mifche des Ausdrucks weniger in dem grammatiichen, als in. 


bem logiſchen und rhetorifchen Baue liegt, wie 3. B. in fol 
gendem Gingange des Briefs von Wilh. Scherfchleiferius ans 
Frankfurt. „Ich wundre mich fehr”, ſchreibt er an Ortuin, 
„warum Ihr mir nicht fchreibet, und Ihr fchreibet doch an 
Andre, die Euch nicht fo oft fehreiben, als ich Euch fchreibe. 
Aber Ihr feid mein Feind, weil Ihr mir nicht fhreibet, fo 
fehreibet mit doch, warum Ihr mir nicht mehr fchreiben wollt, 
damit ich weiß, warum Ihr nicht fchreibet, da. ich Euch doch 
immer fchreibe, wie ich Euch auch jept fchreibe, unerachtet ich 


weiß, daß Ihr mir nicht wieder fohreiben werdet” u. f. f. ) 


1) 1 Ep. 16. 


— — — 
—— 





252 1. Buch. VIII, Kapitel. 


So fann man wohl auch von den Ihteinifchen Werfen unfte‘; 
Magifter durch Ueberfegung dem deutichen Leſer eine Bor 
ftellung zu geben juchen, 3. B. wenn Gornelius Wenftes 5 
macher feine Klagen über die Mainzer Kronengäfte in Reime & 
faßt: 

Zu Mainz im gemeinen Gaſthaus jur Krone, 

Wo ich neulich ſchlief in eigner Perfone, 

Da find zwei unverfchämte Spafmacher, 

Die fpielen gegen unire Magifler die Lacher, 

Verſtehen nicht förmlich in Schulen zu bisputiren, a 

Noch aus einem Schlußſatz viele Gorollarien zu formiren, 

Wie ber Doctor subtilis gründlich lehrt, 

"(Wer ihn verachtet, ift ſehr verfehrt)..... 

Bon Tem allem verftehen nichts die Posten, 

Darum führen fie To ungewaſchene Meben, 

Wie jene zwei frechen Poffenreißer, 

Die unfre Magifter Narren heißen, 

Aber unier Magifter von Hochſtraten muß fie citicen, 

Dann wird es ihnen vergeben, erleuchtete Männer zu veriren.]) 


Doch auch bier fteht, von den einzelnen Feinheiten be 
Mißausdrucks abgefehen, die Form des wilden Snittelreimd 
mit der Eigenthümlichfeit der deutfchen Sprache lange nid 
in dem komiſchen Wiperftreite, wie mit der eracten Metrif der 
lateinijchen; der Bortichritt der Verbderbnig, wie aus dem Her 
‚meter durch Bermittlung erft des Leoninifchen Reims, dann IP 
Vergeſſens der Onantität, der barbarifche Knittelvers gem 
den, ift nur im lateinifchen Original, nicht in der Ueberfehung 
bemerflih. So bleibt der volle und ganze Genuß der Episte- 
lae obscurorum virorum auf Diejenigen befchränft, welch 
fie in ihrer Urſprache zu lefen verftehen. 2) 


1) I, Ep. 11. 

2) Für Liebhaber febe ich etliche Proben aus den elegantiis ser 
monis obscurorum v. unter ben Text. Sie beſtehen großentheils nk 
Germanismen. Einer der burchgreifendften und wirffamflen if der Ge 
brauch des Zahlwortes unus für den beutfchen unbeflimmten Artikel: Ext 
hic unus Doctor. Ego amo unam virginem, Margaretham cum 








Werth ber Dimtelmännerbriefe. 258 


Das thut aber ihrem Werthe jo wenig Eintrag, ald es 
in jener Zeit, wo das Lateinifche noch Welt⸗ und Geſchaͤfto⸗ 
fprache war, ihrer Wirkſamkeit getan bat. Unterfcheiden 
wir dieſe beiden &efichtspunfte für ihre Beurtheilung, fo 
geht die gewöhnliche Meinung dahin, den Werth der Episto- 
lae obscurorum virorum mehr in ihrer geichichtlichen Wir 
fung, als in ihrer Bedeutung als Kunftwerk zu fuchen. 9) 
Wenn unſre bisherige Darftellung ihren Zweck nicht ganz 
verfehlt bat, fo werden die Leſer mit uns andrer Anficht fein. 
Uns haben die Briefe der Dunfelmänner an kein Buch leb⸗ 
bafter erinnert, als an das erfte in feiner Art, den Don 
Quixote, diefe weltgefchichtliche Satire, zu welcher der Stoff 
in dem Contraſt einer abgängigen Denk⸗ und Lebensform mit 
einer nen auffonımenden gegeben war, aber vom Genie ers 
griffen und ‚über die Sphäre der bloßen Satire hinaus in die 
Höhe des Humors erhoben wurde. Eine ähnliche Bewandts 
niß hat ed mit den Briefen der Dunfelmänner. Die ger 


nomine. Unus juvenis vir. Una antiqua vetula.. Dann au: quod 
una mulier maxime amat unum, einen liebt. Audre Mebensarten ind 
3. ®. Lacerat bonos bossos in ambone. Invitavit me ad conviva- 
litatem (@aftung). Sitivit me. Juvet vobis Deus. Ego nihil teneo de 
Erasmo. Vos tenetis cum Ecclesia.. Quomodo stat cum eo? Nibil 
est cum ipsis. Habet bonam sperantiem. Superdare, aufgeben. 
Postdicere, nachſagen. Transvidere, burchfehen. Se meliorare. Ir- 
reverentialitas, charitative, laetitielis u. |. f. @in hübſcher Barbaris⸗ 
mus iſt auch bie Anhängung von met an Gubflautive: Deusmet, prin- 
cepsmet; bisweilen fleht es auch felbfifländig geradezu in ber Beden⸗ 
tung von ipse. Dazu dann bie Begrüßunge: und Schlußformeln: Sale- 
tem amicabilem et servitutem incredibilem. Salutem sesquipeda- 
lem. Salutis centum milia sestertia secundum novam gremmaticam. 
Valete sesquipedaliter, pancratice, athletice. Valele tam diu, do- 
Dec unus passer ponderst centum libras. Diabolus auferet me, si 
non habeo vos in orationibus meis erga Deum u. bgl. 

1) In legterer Beziehung ſpricht z. B. Ranle (Deutſche Geſch. im 
Zeitalter der Mef. I, 278, 425) fehr fühl won benfeiben, unb zieht ihnen 
Pirckheimer's, gehobelten ER“ weit vor. . 





254 1. Buch. VI. Kapitel, 


ſchloſene Einheit der Romanform, das plafifche Hervortreten 
handelnder Hauptperfonen, geht ihnen freilich ab: fie find 
einem figuren- und gruppenreichen Nelief zu vergleichen, auf 
welchem Silen und Efel, Satyr und Bacchantin ſich durch— 
einandertreiben, und wo der Reichthum des Cinzelnen für 
den Mangel an Einheit des Ganzen ſchadlos hält. Daß 
diefe gleichwohl nicht ganz fehlt, haben wir nachgewieſen, und 
daß, was die Hauptſache ift, die Erhebung in das Gebiet 
des poetifchen Humors in allen Hauptpartien gelungen ift, 
davon wird Jeden der Eindrud überzeugen, den das Lefen 
des Büchleins und feiner einzelnen Theile in ihm zurückläßt, 
und welcher der Wirfung einer Ariftophaniichen Komödie, 
einer Sancho⸗ oder Falftaffsjcene, vollkommen ebenbürtig ift. 

So ausführlih, mie gefchehen, von den Briefen ber 
Dumtelmänner bier zu handeln, hätten wir fein Recht gehabt, 
wenn nicht unter denen, weldye auf die BVerfafferfchaft des 
ohne Namen erſchienenen Werfes Anfprudy haben, Ulrich 
Hutten im erfter Reihe ſtünde. Daß er in frühern Jahren 
ſich mit dergleichen anonymen Spottichriften gegen die Feinde 
der Aufflärung abgegeben, gefteht er felbft.) So fam er 
denn aud, faum daß die erfte Lieferung der Dunfelmän- 
nerbriefe erfchienen war, in den Verdacht der Berfafferfchaft. *) 
Grasmus fagt von dem Brief über den Magifterihmaus, es 
babe geheißen, er fei von Hutten ?), und vieler jelbft lehnte 
feinen Antheil an. dem Buche nicht fo ernftlich ab, als be 
forgte Freunde um feiner Sicherheit willen hätten wünſchen 


1) Ad Bilib. Pirckheimerum Epistola, ed. Burckhard, p. 9: 
Sic decrevi enim, nisi a nobis contineant isti, non postica jam 
ultra sanna persequi, sed animoso in frontem impetu obturbare. 

2) &. oben den Anfang des Kap. gl. Epistola Bilib. Pirekheimeri 
ad Huttenum, in Hutteni Opp. ed. Münch, TI, 340: Nec dubites, 
fratres illos, qui te auclorem obscurorum esse clamitant, illum (den 
Herzog von Würtemberg) contra 'te instigare, 

3) quae ferebatur Hutteni. 





Berfafler der Duufelmännerbriefe. | 255 


mögen.?) Nur von einem Antheil nämlich, nicht von aus⸗ 
fchließender Urheberſchaft Hutten’s ift gleich Anfangs bei den 
befjer Unterrichteten die Rede: Erasmus glaubte beftimmt von 
brei Berfaflern zu wiflen.?) Theilt ſich mithin jegt die Frage 
in die beiden: welche Theile der Sammlung für Hutten’s 
Arbeit gelten können? und welches feine Mitarbeiter und bes 
ren Antheile geweien fein mögen? fo fcheint er fidh von ber 
Berantwortlichkeit für den erften Theil in den fchon erwähn⸗ 
ten beiden Briefen an Richard Crocus lo8zufagen. Indeß 
die Ausdrüde find hier fo unflar und felbft der Tert fo uns 
fiyer, daß hierauf allein eine fichere Folgerung fchwerlic zu 
bauen ift.®) 


1) Ep. Laur. Behaim ad Bilib. Pirckheimerum d. d. 24 Aug. 
1517 (bei Heumann, Docum. liter., p. 255 fg.): Videtur (Huttenus) pa- 
lam non negare, se illas epistolas edidisse, et quidem, ut mihi vi- 
detur, non satis prudenter, propter periculum, quod Praedicatores 
sibi subornare possent, quamvis sint Pharisaei. 

3) Erasmi Spongia adv. adsperg. Hutteni, in Opp. Hutteni ed. 
Münch, IV, 424: Equidem non ignorabam auctores, nam tres fuisse 
ferebantur. . 

3) Im erſten Briefe (ed. Müller, p. 5) laſſen gleich die Worte; 
Narrantur mihi Epistolae obscurorum virorum tota Germania divul- 
gari etc. bie doppelte Auslegung zu: Briefe, oder bie Briefe ber 
Dimfelmänner; im erflern Balle waren fie Hutten vorher ganz unbefannt, 
im legtern war ihm nur das eine Neuigkeit, daß fie nun gebrudt ers 
fhienen waren. Wenn es dann weiter heißt: Nondum .. ad oculos 
meos pervenerunt isti, quiqus sunt, obscuri viri, fo fönnte dieß für 
die erftere Auslegung zu fprechen ſcheinen, wenn nicht das folgende: 
recte obscuri, non a me tantum — fo bunfel und unlateinifch wäre, daß 
die Richtigkeit des Lesart zweifelhaft wird. (Der Tert der beiden Briefe 
iſt nämlicy vielfach verborben, und die Urfchrift verloren gegangen.) 
Daß im zweiten Schreiben Hutten bie ihm unterdefien zugefommenen 
Epistolas obsc. v. wie eine ihm bie bahin unbelannte Arbeit Iobt, 
Fönnte fi auf den Antheil von Mitarbeitern beziehen, und bie Auffor: 
berung, ihn gegen den Verdacht ber Antorfchaft in Schug zu nehmen, 
fonnte er an einen Bertrauten felbft dann richten, wenn biefer ihn als 
Miturheber gar wohl kannte. Die Annahme, daf im Gegentheil Hutten 
den Grocus ale einen minder Bertrauten babe myſtiſiciren und fälfchlich 





256 De 1. Buch. VIE Rapitel, 


Hier kommt uns nun aber ein andereg altes Zeugniß zu 
Hülfe. Wir befigen den Brief eines Ungenannten an Crotus 
Rubianus, der im 3. 1532 gefchrieben ift.) Damals war 
Erotus, der einft Hutten’d Bufenfreund, Reuchlin's Verthei- 
diger, bald auch Luther! warmer Verehrer gewefen war, von 
der Sache, deren Anfänge er nicht wenig gefördert hatte, 
zurückgetreten und hatte fich den Vertheidigern des Alten bei- 


glanben machen wollen, er ſei an der Sache unberheiligt, ſcheint mir 
dem vertraulichen Ton der Briefe und ver Molle, die Grocus auch in den 
Epist. obsc, v. felbft fpielt, zu miberfprechen. Umſtände wie ber, baß, 
nach dem eriten Brief an Grocus, Hutten deſſen Mieberlaffung in Leipzig 
erft in Bologna erfuhr, während im eriten Theil der obscur. v., Ep. 35, 
von berfelben ausführlich die Rede ift, beweifen ftreng immer nur fo viel, 
daß biefer oder jener einzelne Brief nidyt von Hutten fein fan. 

1) Epistola Anonymi ad Jo. Crotum Rubeanum, verum huncce 
inventorem et „uclorem Epistolarum obsc. v. mänifestans, quam e 
Museo suo cum notis edidit Jo, Christoph. Olearius . . Arnstadiae .. 
1720, Der Brief felbit bat bie Ueberfhrift: Ad Apologiam Jo, Croti 
Rub. Responsio amici, ad quem privatim eam seripsit, und am ſei— 
nem Schluſſe das Datum: Anno theologorum, ut soles numerare 
(b. h. von 1517 an), XV, defectionis Croti primo. Wür ben Berf. 
diefes Driefs hält Dlearius, ohne ſich über feine Gründe weiter auszu— 
laffen, Iuftus Jonas, der damals Probft der Allerheiligenfirche und Pro- 
feſſor der Theologie zu Wittenberg, eine Hauptperſon des reformatorifchen 
Kreifes, früher Ganonicus in Erfurt gewefen war. Mit Grotus war er 
jo befreundet, daß er ihn zur Stelle eines Defans an feiner Kirche em» 
pfahl (Kuther's Briefe, herausgeg. v. d. Werte, II, 307, an Spalatin), 
und Grotus hinwiederum einen redjtfhaffenen Mann einen andern Nonas 
nannte (Joach, Camerar. Tertius libellus epistolarum ete. F., Crotus 
ad Petrej. Aperbachum). Dies Alles würbe zu der Anuahme, daß er 
ber Verf. dieſes Briefes fei, trefflich paften: aber @ines ſcheint mir im 
Wege zu flehen. Juſtus Ionas war Augenzeuge von Luthers Einzug 
in. Erfurt auf feiner. Meife nad) Worms, wo ihm Grotus als zeitiger 
Reetor ber Univerfität an der Spige einer zahlreichen Begleitung zu 
Pferde empfing (fj. Eobani Hessi de ingressu Lutheri in urbem Er- 
phord. Eleg. IE. Operum farrag. dum, p. 850 fg.). Der Verf. bie: 
jes Briefs aber jagt dem Grotus: tu Erfordie obviam diceris in equo 
vectus Luthero (p. 15). Konnte ein Mugenzeuge, alſo Ionas, fo ſich 
ausbrüden ? | 








Grotue' Antheil an den Briefen Ver Dunfelmänner. 267 


gefellt. Diefe neue Stellung des. Abgefallenen fucht nun ber 
Briefichreiber dadurch zu untergraben, daß er feine Anteoedeg- 
tien enthüllt. Er erinnert ihn an die beißenden Siherzreden 
gegen das alte Kirchenweien, die ex im Mutianiſchen Kreiſe 
zu Gotha geführt, an die. namenlofen Spottfchriften, weiche 
noch vor Luther's Auftreten von ibm und Hutten, den aber 
er exit dazu aufgeftiftet, gegen Papft und Cardinaͤle, Theo⸗ 
logen und Möndye, verbreitet worden fein. Das Schärffie 
von Allem aber feien feine Epistolee obscurorum virorumm 
geweien; ein Buch, das ber Ungenannte mit Recht ein. „war 
nicht unvergleichliches, Doch ewiged Gedicht” nennt, daB’ gehn 
Demokriten zu lachen geben könnte, ein Signal, das alle Die- 
jenigen, die für fih fo viel Witz nicht aufzubieten gehabt 
haben würden, mit neuen Waffen gegen die Papiſten ausge 
rüftet,. und der päpftlidhen Herrſchaft mehr als vielleicht irgewb 
ein anderes Buch des Jahrhunderts geichabet habe. 2) Dir 
‚Brieffteller fpriht als Einer, der dem damaligen Kreiſe ded 
Erotus angehörte, er erinnert ihn an ihre vertraulichen Be- 
ſpraͤche, an die Spaziergäfige und Mahlzeiten ‚wo Crotus 
‚fein entſtehendes Wert bei fih gehabt und daraus vorgelefen 
babe.) In Kirchen und Hörfälen, berichtet er, babe biefer 
ein Schreibtäfelhen mit fi geführt, um ſolche Reben, bie 
ihm zur Verarbeitung in fein Werk paſſend erfchienen, darin 


1) p. 10: .. cum nondum {ui Obscuri viri Coloniessem Hech- 
stratum et reliquos Papistas comparabili illo quidem,. sed ta- 
men sterno poemate celebrarant .. p. 11: ut taceam librum: illum 
tum, . . obscurorum virorum Epistolas .. p. 18: Plus dentis 
tamen, plus unguium, tui illi Obscuri viri habebant,  quam 
omnia. . . u 

2) p- 9: . nestra colloqula interiora et vetera ..: p. I1 fg.: 
Nullum convivium erat, nullus oonsessus, nulla deambujatio ,: .ubi 
tu non circumferres illam. poliiam tuam, illam formam reip..:BYss 
‚tus, per quam faoillima vie, ridendo sc. et iudendo,. in optimuin 
statum, ni fallor, restituerentur divina humanaque omnla. *:'.; 

Strauß, Hatten. I. 17 





258 1. Buch. VI, Kapitel. 


zu verzeichnen, ) uf diefes habe er fid nicht wenig zu 
Gute gethan, und der Brieffteller jagt es auch dem Apoftaten 
noch auf den Kopf zu, daß er daſſelbe als feine Erfindung 
immer noch im Stillen zärtlicher liebe als ein Affe fein Jun— 
ges, und eher möchte, daß Homer's Ilias zu Grunde ginge, 
als des Grotus anmuthige Scherze und unfterbliches — 
über die Papiften. *) 

Die Erfindung alfo, die Conception und erfte Idee der 
‚Briefe der Dunfelmänner wird hier von einem offenbar genau 
mitwiffenden Zeitgenofien dem Grotus zugefchrieben; Hutten's 
Antheil wird nicht geläugnet, ein Brief, und zwar einer der 
beften, ihm ausdrücklich beigelegt, weiterhin jedoch bemerkt, 
in diefem Fache, wo «8 fih um Durchziehen der Papiften, 
um beißende Berhöhnung von Cardinälen und Bilchöfen ge: 
handelt habe, fei Hutten, mit all jeinem hohen Medner- und 
Dichtertalent, dem Crotus bei Weitem nicht gewachlen ge 
wejen. ) Wir werden nicht vergeflen, daß der Briefſchreiber 
ein Intereſſe hatte, fich hier ftarf auszudrüden, weil, was er 
in die Wagichale des ehemaligen Crotus legte, die des ab- 
gefallenen in die Höhe zog: deßwegen hat er fich wohl aud) 
über dad Verhältniß feines jatiriihen Talents zu dem von 
Hutten allgemeiner ausgeiprochen, als daß wir fein Urtheil 





1) p. 12: Raro eras in templo, raro in schola, quin in cera 
annotares belle et lepide et festive dieta, quedam ridieule detorta, 
quibus'crescere posset opus pulcherrimurm et posteritati profuturum. 

2) p. 11: Quem libellum tuum haud dubie amas in hune diem 
tenerius quam simia prolem; quem, sat scio, sic admiraris, sic ul 
tuum inventum deperis, ut Homeri malles interire lliada, quam 
illos Croti suavissimos risus et immortales de Papistis cachinnos 
intercidere. 

3) p. 13: .. et Huttenus (vir alids facundia excellenti et facili- 
iate in poematis prope divina) pr& te in illo genere, quoties Gardi- 
nales, Episcopi, mordicus arripiendi erant, quoties proscindendi 
Papiste, parum salsus, parum festivus, parum disertus haberi 
poterat. - 





Erotus’ Anthril an den Brieien der Dunfelmänner. 259 


ohne Einſchraͤnkung richtig finden könnten. Nicht in jeder 
Art von Satire nämlidy, oder, fagen wir es beftimmter, über: 
haupt nit als Satirifer, fteht Hutten dem Crotus nad 
(diefen al8 Haupturheber der Epistole obsceurorum voraue- 
gefegt), jondern nur als Humorift. Züge, eines Juvenal und 
Lucian würdig, werden wir in großer Zabl in den Hutten- 
hen Dialogen finden; aber dieſe werden und in ganz ander 
rer Stimmung entlaflen, als die Briefe der Dunfelmänner. 
Alles von Hutten, auch feine Satire, [pornt zur That, wie 
vergißt er, daß man das Dumme und Schlechte nicht bloß 
beladyen, jundern befämpfen muß. Dem Berfaffer der Epi- 
stoiie dagegen ift ed unter feinen Dunfelmännern offenbar 
ganz behaglich. Er vergißt, daß fie Schufte find, weil fie fo 
gar ergegliche Tharen find. Er muthet ihnen nicht zu, ans 
ders zu fein, ja ed müßte ihm leid thun, wenn fie anders 
wären, weil er dann nichts mehr zu lachen hätte. Leber dem 
aͤſthetiſchen Gefihtspunfte kommt ihm der praftiiche aus den 
Augen: und das pflegt Hutten fonft nicht zu begegnen. 

Uno nun bemerfe man, wie genau biefe Eigenthümlich- 
feit des Werkes, gleichfam wie der Abdrud in das Siegel, 
zu demjenigen paßt, was wir von dem Charakter des Crotus 
wiſſen. Bon jeher habe Diefer, fagt eben jener ungenannte 
Brieffehreiber, eine Abneigung vor ernften politifhen Geſchaͤf⸗ 
ten gehabt; nie habe er fi durch die Noth der Zeit, den 
Zerfall des Staats, die Entartung der Kirche, Schlaf, Appetit 
und Humor verderben laffen; immer lieber im Kreife feiner 
Sreunde jcherzen mögen, als fid für das gemeine Befte ab- 
zuarbeiten und abzuforgen. ) Selbft daß er ſich in freund» 


1) p. 3: Agnusco veterem illum Crotum, qui natura semper ab- 
horruit a politicis illis et seriis negotiis; qui nunquam res eoolesis 
tanti faciendas duxit, quin justum somni naturalis tempus absol- 
veret; qui nunquam tantas sui sæculi vidit miserias, nulla tam 
diffcilia, afflicta aut tristia tempors reip., quin ridere mallet et 


1 U 








260 — I. Buch. VIll. Kapitel. 0 00 













ſchaftlichen Briefen gerne mit folchem Küchenlatein, wie d 
der Epistole obscurorum, ergeßte, iſt und ufbehalten, ! 
Das ſich Erotus zu den Briefen der Dunf vich 


er darin angegriffen hatte, natürlich; wenn auch nicht ein 
ſolches Pfeilefenden aus dem Berftede feiner Cigentbümlid; 
feit ganz entiprochen hätte. Muth war feine bervorftechende 
Eigenſchaft nicht: er wollte ſich und feinen Freunde eine 
Spaß, den Feinden einen Verdruß machen; aber. * ollte 
feine Folgen für ihn haben, feine Ruhe und Behaglichkeit 
nicht ftören. 2) Gleichwohl verläugnete er eine ganz ſon⸗ 
dere Beziehung zu den Coͤlnern und ihren Dunfelmännern 
nicht. Meine Eölner, ſchreibt er. fpäter an Luther, 
beine Bücher verbrannt. Dabei falle ihn die Tragödie 
ehrwürdigen Reuchlin wieder ein, von der er ein Jahr I 
Zuſchauer geweſen fei, und dabei das rafende Gebahren 
Theologen beobachtet habe. Möchten nur, wünſcht er, 
dunfeln Männer mit ihrem Anfchlage (gegen Luther eben 
fo, wie einft mit dem gegen Neuchlin) hervortreten, um J 
Neue nach Verdienſt beleuchtet zu werden; was fie nur mit 


ihrem eigenen Lichte (durch komiſche Nachahmung?) fönnen, 
gestire cum suis amiculis, et suis illis oblectare se jocis, quam 
nimium ringi illis publicis, nunquam finiendis et corpori ac valetü- 
dini semper noxlis euris. ©, oben ©. 28 fj. 

1) Mutiani Epist. Mspt. Ep. 143. ad Urbanum, die Vitalis 16514: 
Vide Croti salutationem. Nuper dixit: Bonus dies. Nunc scr 
Bona vespera. Lepidus homo hoc sibi permittit. Reote facit. Ep. 
279: Crotus meus de Hartmanno (Abt v, Fulda) scripsit: In honori- 
ficabilitudinationibus, 

2) Epist. Anonymi p. 13: .. nunc Satyre, nunc Dialogi exta- 
bant, quorum tu autor eras, sed occulte, propter metum. Be⸗ 
zeichnend iſt auch was Crotus i. 3, 1519 aus Bologna an Luther fchrieh, 
Monumenta pieiatis et literar, P. U, 12 fa.: Ego ....... honorem 
iuum, quantum tuto fieri potest, hic tuebor. 

3) Epist. Croti Rubiani ad Mart. Lutherum, Erfurdis in per-_ 
vigil. Nicol. 1520 (Abgeor, in Unfchuld, Nachrichten auf d. I. 1728, 









































Grotus‘ Antheil an den Briefen ber Tunfelmänner. 261 


Aus diefer Stelle geht nun überdieß hervor, daß Crotus 
während des Reuchlinifhen Streites ſich eine Zeit lang in 
Eöln aufgehalten haben muß; denn ein Zufchauer aus der 
Gerne war er nicht bloß ein Jahr lang. Damals hatte er 
auch den Pfefferforn kennen gelernt, und ihn abfichtlih auf 
feinen Handel mit Reuchlin zu reden gebradht. ) Daß er an 
diefem warmen Antheil nahm, wiflen wir theils aus Mutian’s 
Briefen, theild aus einem eigenen Schreiben des Crotus an 
Reuchlin, in weldem er ihm, zwar nit als Borkämpfer, 
doch als Tribun in dem Mutianifhen Heere, feine Dienfte 
anbietet, fall8 er deren bevürfen follte. Den Gelehrten und 
Verftändigen übrigens, meint er, geben Reuchlin's Gegner 
und ihre Schriften nur Stoff zum Lachen. Dazu mochte 
Grote eben damald noch mehr als fonft aufgelegt fen. 
Nach langen Schmollen madte ihm das Glüd einmal eine 
freundlide Miene. Im 3. 1513 war fein alter Gönner, der 
Burggraf Hartmann von Kirchberg, Abt von Yulda gewor- 
den 2) (was er nur leider, wie wir bereit6 geſehen haben, nicht 
lange blieb). Um von ihm vefto füglicher befördert werden 


E. 704 jg.): Renovatur mihi ınemoria vetus de tragvedia rev. 
Reuchlini, cujus annuo spatio spectator fu... O si cum suo 
artificio prodirent obscuri viri, quo pro merito suo illustrarentur 
denuo tenebricosi patres, qui aliter nec possunt nec volunt illustrari, 
quam sua luce, h. e. quam capiunt a suo cœlo. 

1) Ohne Zweifel war es im J. 1512. Pfefferforn zeigte ihm ben 
Brief Arnold’ von Tungern an Reuchlin vom 93. San. 1512 und wies 
ihn an, Reuchlin's Antwort ſich bei den Franciscanern in Mainz zeigen 
zu lafien. Der Brief des Crotus, worin er dieß als altero abhine anno 
gefchehen erzählt (in Illustr. viror. Epp. ad Reuchlinum, z), if zwar 
ohne Datum, doch woahrfcheinlid) 1514 gefchrieben, da Grotus ben 
Brief Reuchlin's an Mutian vom 22. Hug. 1518 bereits von biefem 
trans tot arduos montes zugeſchickt erhalten und nach vielen Geiten bin 
mitgetheilt Hatte. 

2) Mutiani Epp. Mspt. Ep. 168: Pati adversa Crotum audivi. 
Ep. 846: Bona fortuna arrisit tandem Croto. Pulchre, bene, recte. 
Bol. Ep. 150. 160. 





Ze L Buch, VI. Kapitel, 


zu fönnen, trat Grotus auf Mutian’s Rath in den geiftlichen 
Stand. Dieß reute ihn zwar zu Zeiten; aber es hatte ihm 
zu ‚einer einträglichen- Pfründe geholfen.) Sein Lehramt bei 
den Mönchen hatte er aufgegeben, und uns I. 1515 führte 
feinen Abt ein Auftrag des Erzbiihofs von Mainz auf län- 
gere Zeit nad) Erfurt, wohin Crotus ihn begleitete ?), dem 
es num im Kreiſe alter Freunde, eined Eoban Hefe, Petrejus 
Eberbady (wenn diefer von feiner italiänifchen Reiſe ſchon 
zurüd war) ), Juftus Jonas u. A., in der Nähe des treff- 
lihen Mutian, ſo wohl wurde, als es ihm lange nidyt ge: 
wejen war. In diefer glücklichen Zeit ſcheint der Gedanke der 
Dunfelmännerbriefe in ihm entftanden, und im anregender 
Gejelligfeit vafch zur Ausführung gediehen zu fein. In ver- 
ſchiedenen Briefen Mutian's aus diefer Zeit glaubt man Be- 
siehungen: auf diefe und ähnliche Satiren zu finden, welche 

in dem Kreiſe feiner jüngern Freunde damals entfprangen. *) 


1) Mutiani Epp. Mspt. Ep. 410 vom 1. Mai 1514: Grotus me 
contristat suis querelis, modo saterdotium accusans, modo cul- 
‚pans consilium sibi datum a nobis. Was er fi zibe, das er Pfaffe 
wurde. Ohe, quid hoc? Ep. 463 v. 3. 1515 an ben Abt Hartmann: 
Crotum fecisti Cardinalem. Ep. 464: (Eobanum) nisi uxori jugoque 
maritali serviret, Tua proculdubio munificentia Cardinalem crearet 
et Croto adjungeret. 

2) Mutiani Epp. Mspt. Ep. 199. 144. 146. Epp. obse. v. Il, 
9. Carmen rithmicale M. Ph. Schlauraff. 

3) Am 20. März 1514 jchreibt Eoban Heß aus Leipzig au Badian 
(MS. 8. Gall.): de Aperbacho .. certus sum (eum in Italiam abiisse). 
Daf er zur Zeit der Abfaſſung des zweiten Theils ber Epist. obsc, viror. 
wieder in Erfurt war, erhellt aus I, Ep. 59. Jo. Cocleariligneus M. 
0. Gr. 

4) Mutiani Epp. Mspt. Ep. 313 Petrejo (ohne Jahreszahl. 
Mutian hatie ein Carmen ithyphallicum gemadyt, und hofft, ber Freund 
werbe den Scherz veritchen): Qui urbanitatem non intelligit, hebetis 
est et obtusi ingenii. Tu, homo sagacis et perspicacis 'ingenü, et 
Crotus, vir omnium horarum et valde lepidus, auditis et scribitis 
urbanissime, festivissime, facetissime, et vestris cavillis me jam 
senescentem excitatis, et restitwitis mihi juvenilem dicacitatem et 








Hutten's Antheil an den Briefen der Dunfelmänner. 263 


Ulrich Hutten war feit dem Herbft des 3. 1515 in Ita⸗ 
lien. Borher hatte er dem Erasmus, den er in Mainz ken⸗ 
nen lernte, den Triumphus Capnionis, aber nichts von Dims 
felmännerbriefen gezeigt. Der Reſt des Jahres, bis zu feiner 
Abreife, verging unter dem erflen Sturme, den die Ermor- 
dung feines Vetter6 in ihm und feiner Familie erregte. Diefe 
Umftände würden erflären, wie es möglich war, daß er an 
einer Unternehmung, die ihn in ihrem Fortgang fo lebhaft 
interejfirte, doch von Anfang an vielleicht keinen Antheil hatte. 
Wenn er nun aber bald darauf feinen Landsleuten in Bo⸗ 
logna ähnliche Briefe vorliest, von denen wir jest wenigſtens 
einen beftimmt im zweiten Theile der Epistole obsc. v. finden, 
und wenn er fich fpäter offenbar wie ein Miturheber des 
Werkes äußert !): fo liegt ed nahe, feine Thellnahme daran 
vorzugsweife auf den zweiten Theil zu beziehen. 

Diefer zweite Theil, den wir von dieſem Gefichtspuntt 
aus noch einmal beſonders anſehen müflen, ift einerfeite- ſei⸗ 
nem ältern Bruder vollfommen ebenbürtig. Seine Berfafler, 
fofern fie andere waren, hielten den von Crotus angegebenen 
Ton ein. Der Ipätere Theil der Epistole obse. verhält fi 
zu dem frühern in mancher Hinficht wie der zweite Theil des 
Don Duirote zum erften. Es wird fingirt, die Vriefſteller 
haben den früher erfchienenen Theil gelefen und reflectiren 





letum atque serenum genium. Dii bene vertant. Salva res est. 
Saltat senex .. Ep. 446. 10 Jan. 1515. Hartmanno Abb. Fuld.: 
Mitto ridiculum opus et facetum, sed verum et necessarium, quo 
sub fictis personis enthymemata theologoruın Parrhisiensum elu- 
duntur. Jucunda sane lectio et stylus pragmaticorum. Habemus, 
ut spero, Tu® gratie favorem. 

1) Huttenus ad Erasmum. Bamberg» 21 Julii 1517 (Hutteni 
Opp. ed. Münch, Il, 844): Vale, et tuum Huttenum amare ne de- 
sine, rumpantur ut ilia obscuris viris, qui jam, qua nos eXCcom- 
municamur, ingentem circumferunt bullam .. (Mit Begug auf das 
gleich zu befprechende päpflliche Brewe. gegen bie Epistolas o. v.). 





264 1 Bud. VII. Kapitel. 


nun darüber. Einer bedankt fi), daß man einen feiner Briefe 
in den erften aufgenommen habe. *) Der Berfafler des Schlau 
raff'ſchen Reiſegedichts muß bereitd gewußt haben, daß ben 
Erasmus der Eröffnungsbrief befonderd ergeht hatte, da er 
ihm das Schlagwort deſſelben aufs Neue präfentirt. 7) Auch 
die Nachricht, daß manche wirflichen Dunfelmänner Die Brie 
für Ernft genommen hatten, wird gleidy im erſten Stüde des 
zweiten Theils benugt. Sichtlidy ift dieſes eine Nachbildung 
des Cröffnungsbriefes zum erften Theile. Beidemale win 
über einer Mahlzeit eine Streitfrage aufgeworfen, die in 
fcholaftifcher Weile erörtert wird, und zwar beidemale unter 
Anführung deflelben Spruchs aus den Ariftoteled.) Die 
Streitfrage ift dießmal, warum M. Ortuin feine Brieflamm- 
lung gerade Epistolas Obscurorum genannt habe? und 
die Antworten jo wenig ald die ganze Behandlung bleiben 
hinter dem Borbilde zurüd. Dieß gilt überhaupt von dem 
zweiten Theile; weswegen wir auch oben unfere Beifpiele ohne 
Unterfchied aus beiden genommen haben. 

Dennoch find gewiſſe Unterfchiede zmwifchen beiden Thei⸗ 
len nicht zu verfennen. Erftlich ein äußerlicher. Die Briefe 
des urfprünglichen erften Theiles find fämmtlicy aus deutſchen 
Orten. (die Niederlande miteingerechnet) gefchrieben; erft im 
Anhang ericheint ein Brief aus Rom. Unter 48 Briefen find 
9 aus Leipzig, 3 aus Mainz, ebenſo viele aus Wittenberg, 
4 (morunter 2 im Anhang) aus Heidelberg u. f. f. Dagegen 


1) Epist. obsc. v. II, 86. Jo. Arnoldi M. O. Gr. 
. 2) U, 9: 

Et veni Basileam, ubi vidi quendam, 

Qui Erasmus dicitur, et multum honoratur. 

Tunc dixi: Cum licentia, dicat vestra Excellentia, 

Si estis Magister nostrandus, vel statim qualificandus ? 

3) Quoniam, ut dicit Aristoteles, de singulis dubitare non est. 
inutile ..- . . . - 











Der zweite Tell der Duulelmännerbriefe. 965 


it von den 70 Briefen des zweiten Theile mehr als. ein 
Drittheil aus Rom datirt. Nachrichten daher enthält anch 
der! erfte Theil Häufig; doch nur mittelbar, indem bie tw 
Deutfchland befindlichen Brieffteller fchreiben, fie haben dieß 
oder jenes durch Briefe ober Reiſende aus Rom erfahren: 
Hier im zweiten, wie fon in jenem Briefe Hochftraten’s 
im Anhang zum erften, werden diefe Nachrichten nun auch uns 
mittelbar aus Rom, von Solchen, die daſelbſt ſtudiren, ſolli⸗ 
eitiren u. dgl., gefchrieben. Es kommen römifche Anſchaunn⸗ 
gen: der Papſt und fein Elephant *), der Campo Fiore und bie 
Orangen ?), ja eine (bereitö erwähnte) Reiferoute aus Deutſch⸗ 
land nach Rom mit Angabe der einzelnen Stationen und bes 
ren Merkwürdigkeiten ?), vor. Crotus Rubianus aber, das 
ſteht feft, war damals noch nicht in Italien geweien. Frei⸗ 
lich Eonnte ex jene Notizen von Reifenden und aus Büchern 
baben: doch Bejonderheiten wie die, daß in Rom feine gute 
Kreide, Feine orbentlihen Neftel zum Schnüren der Stiefel - 
zu befommen feien *), weifen eber auf einen Solchen hin, 
der an Drt und Stelle diefe Kleinen Leiden jelbf durchge⸗ 
macht hatte. Zu diefem äußerlichen Unterfchiede kommt num 
aber ein innerer. Zwar, wa® man wohl von einer Berfchier 
denheit des Tones fpricht, muß erſt näher beflimmt werben, 
um zuzutreffen. Der Scherze, Poſſen und Zoten find im 
zweiten Theile nicht weniger als im erften; aber das kommt 


1) Il, Ep. 8. Matth. Finck, Ep. 12. M. Guil. Lamp, Ep. 48.. 
Jo. Kolb M. O. Gr. 
2) II, 2. Jo. Grapp: 

Datum in urbe Roma, ubi sunt mirabilia poma, 

Que ibi rustici vendunt et per libram bene pendunt. 

II, 23. M. Berth. Hackstro: .. Sed non possum plus sori- 
bere, qwsa pro nunc non habeo amplius papyrum, et est longum: 
ad campum flore. 

8) I, 12. M. Guil. Lamp. ©. oben ©. 167 1, 
4) 11, Ep. 19. Conradus Unckebunck M. O 








266 0 Buch. VL Kapitel. ?T 


häufiger vor, daß unter der Form des Berichts von gehaltenen 
Gefprächen fehr ernfte Erörterungen eingeflochten werden, 
Briefe wie der über die Lehrweife ded Würzburger Predigers, 
oder der mit der Deutung einer Prophetenftelle auf die Re— 
form der entarteten Theologie, von denen oben die Rede 9“ 
wejen, find ohne Vorgang im erften Theile. 

Daß beides, diefe Verfchiedenheit im Local und im Tone, 
der Bermuthung günftig ift, an dem zweiten Theile der Epi- 
stole möge der fo eben von Rom zurücfgefehrte und in Bo— 
(ogna weilende ernftere Hutten mitgearbeitet haben, erhellt 
von ſelbſt. Auch daß er hier mehrmals von den Briefftellern 
genannt und fchlecht gemacht wird !), ftimmt Damit zuſam— 
men. Wenn er dann im Januar 1517 an Reuchlin ſchreibt, 
bald werde die von defien Feinden angefangene Tragödie in 
eine Komödie jich verwandeln, dieſe von einem lachenden 
Haufe ausgeziſcht werden; dazu babe er, Hutten, ſich mit 
- Kampfgenoffen verbunden, deren Alter und Stellung zu einer 
foldyen Kriegführung pafle 2): jo fann man ſich war wundern, 
wie Hutten dad Lachen und Auszifchen erft als ein Fünftiges 
darftellen mochte, Das Doch mit der erften Erſcheinung der Epi- 
stolee bereitd laut genug begonnen hatte; doch wird man feine 
Heußerung jchwerlicd auf etwas Anderes ald auf den zweiten 
Theil jener Sammlung, deſſen Erfcheinen —— beziehen 
fönnen. 

Wie er bier felbft von feinen — in der 
Mehrheit ſpricht, ſo hat, wie wir früher ſahen, Erasmus im 





1) U, 9, im Carmen rithm. Ep. 20. 55. %Bal. Laurent. Be- 
haim, Ep. 1 ad Bilib, Pirckheimerum vom 27. Auguſt 1517 (bei 
Heumann, Docum. liter): Et ille Huttenus, qui forte auctor est vel 
majoris parlis illius libelli seu epistolarum, ipsemet se, ut scribit, 
inseruit, sibi ipsi obloquens, quasi sit magnus truffator seu bestia- 
lis, ut forte evitarel suspicionem auctoris. 

2) ©. das vorige Kap, am Schluf. 


- 
— 





Andere Mitarbeiter an den Briefen der Dunfelmänner. 267 


“ Ganzen drei, Andere noch mehrere Verfafler der Epistole an- 
genommen. Namhaft nacht Erasmus, außer Hutten, feinen; 
auch der Berf. der Lamentativnen (wovon nachher) verfichert, 
er kenne fie wohl, aber er wolle fie nicht nennen. Der Bam» 
berger Domherr Lorenz Behaim, ein Freund Pirdheimer’s und 
ein Befaunter Hutten's, übrigens ein jchwacher Kopf, ver: 
muthete, fein College Jakob Buche, zugleich Domherr in 
Würzburg, habe einige der Briefe verfaßt, oder fei doch nicht 
weit davon geweien, als jie gemacht wurden. !) Das Lebtere 
bat freilich feine Richtigkeit, fofern Fuchs mit Hutten im I. 
1516 in ‚Bologna war; das Erftere bleibt möglich, aber aus 
der Freude des geiftreihen Mannes an dergleichen Producten 
läßt es ſich jo wenig mit Beftimmtheit erfchließen, als aus 
feiner übrigen Gefinnung, vermöge deren er Ipäter den geift- 
lihen Stand verlaffen und geheirathet hat. Wenn wir unter 
den Briefen berühmter Männer an Reuchlin einen von dem 
Grafen Hermann von Nuenar, Domherrn und fpäter Doms 
probft in Göln, finden, worin diefer faft mit denfelben Wor 
ten, wie Hutten von Bologna aus, an Reuchlin fchreibt, er 
möge fih nur ruhig verhalten und fie kämpfen laflen, er folle 
ſehen, wie fie ihn beraushauen werden, ſie wollen eine hübſche 
Komödie aufführen und die Verläumder bis aufs Mark vers 
nichten: fo liegt e8 nahe, bier an die Briefe der Dunfelmän- 
ner zu denfen; und wenn Nuenar in demfelben Briefe fagt: 
gegen Hochſtraten habe er einiges Närrifcye geichrieben (pau- 
cula inepüivinnus), und bereite Ernfteres vor, Buſch und Hut- 





1) Ep. 1 ad Bilib. Pirckh. (bei Heumann, Docum.): Est hic D. 
dac. Fuchs, frater Decani, vir doctus et elegans, qui totus est 
Reuchlinista. Is mirabiliter delectatur lectione harum materiarum, 
contra theologistas factarum. Est optimus amicus meus et intimus 
U. Hutteni. Credo etiam, ipsum nonnullas composuisse Epistolas 
obscurorum virorum, vel saltem non abfuisse longe, dum non- 
nulle earum -sunt compositæ. Ipse semper mihi communicat nova 
de bac materia, quando ea habet. 





268 I. Bud. VIII. Kapitel, 


ten haben ihn trefflidy ermuntert *): fo fcheint er ſich als Mit- 
arbeiter an jener Satire zu bezeichnen, da außerdem nur ein 
paar ernft gehaltene Briefe von ihm in der Reuchlinifchen 
Angelegenheit befannt find. *) Daß er und der eben genannte 
Hermann Buſch, der damals gleichfalls in Cöln ?) und viel- 
leicht der Berfafler des Reuchliniſchen Triumphs war, am 
beften in der age fich befanden, fo mandyes Perfönlicye, was 
über Ortuin, Pfefferforn, Tungern, in Eöln als Wahrheit 
oder Dichtung umging, für die Briefe beizubringen und zu— 
zurichten, erhellt von jelbft. An Petrejus Eberbach, deſſen 
Geift und Wit Mutian und Hutten jelbft rühmen , Coban 
Hefe, Wilibald Pirdheimer ®) u. U. hat man als Mitarbei- 
ter noch gedacht: wir laffen uns auf Vermuthungen nicht ein, 
jondern bemerfen nur noch, daß der ſchon von Zeitgenoflen 
geäußerte Verdacht, Reuchlin felbft, oder auch Erasmus feien 
die Verfaſſer oder doc Mitverfafler der Briefe ), ohne allen 
Grund, der neueftend von Mohnife gemachte Verſüch aber, 
den gelehrten Buchdruder Wolfgang Angft als deren Haupt: 


1) Hermannus Com. de Nuenar. Reuchlino, in Ilustr, viror, 
Epp. ad Reuchlin. t ii® fa. Pal. Epist. obsce. viror. II, 59. Jo. 
Cocleariligneus M. 0. Gr. 

2) Epistole trium illustr, viror. ad Hermannum (C. de Nuenar, 
1518. Bei Hermann v. d. Hardt, Hist. lit. Reform. II. Dabei zwei 
Briefe von ihm felbft. 

5) Hermannus Buschius J. Reuchlino, in Ulustr. v. Epp: ad 
Reuchlin. x4» fa. ®al. Epist. obsc. v. I, Ep. 17. Jo. Hipp. Ep. 
39. Nie. Luminatoris M. O. Gr 

4) Mutiani Epp. ſ. oben &. 262. Huttenus Eobano Hesso et 
Petrejo Aperbaccho. Opp. ed. Münch, Ill, 221. 

5) 8. 2. Erhard, Geſch. dee Micheraufblübens der Wiſſenſch. in 
Deutſchland, I, 895 fa. Bal. Epist. obsc. viror, II, Ep. 59. Jo. 
Coeleariligneus. 

6) ©. bei Burdharb, Commentar. de U. Hutteni fatis etc, I, 165. 
172. II, 66. 





Mitarbeiter an den Briefen der Dunfelmänner. 269 


urheber geltend zu machen, fo feltfam ift, daß feine Wider: 
legung fogar einem Mündy gelingen konnte. ') 

Noch weniger treten wir in das Unternehmen ein, im 
Einzelnen nachzuweiſen, welde Briefe von Crotus, welche 
von Hutten und andern Mitarbeitern herrühren mögen: bie 
bisher gemachten Verfuche einer foldyen Sonderung, wie 3.2. 
von Meiners 2), können nur abfchredend wirken; wir begnü- 
gen und mit der Andeutung, daß und 3. DB. das oftanges 
führte Reifegeviht des M. Schlauraff (II, 9) durch den Ums 
ftand, daß Hutten es in Bologna vorgelefen bat, wie durch 
feine Parallele mit der Reifeelegie in feinen Querelen (II, 10; 
beide geben gewiffermaßen eine humaniſtiſche Statiſtik von 
Deutfchland); die Neifebefchreibung des W. Lamp (II, 12) 
dur ihr Zufammentreffen mit der Zeit und Richtung von 
Hutten's zweiter italiänifchen Reife; die ſtrafende Propheten⸗ 
auslegung (U, 50) dur ihren Ton und die Aehnlichfeit mit 
Aeußerungen in der Vorrede zum Nemo ?); die Aufzählung 


1) Erſch u. Gruber's Allg. Encyclop. Art. Angſt. Bel. Münd, 
Hutteni Opp. VI, 50 fg. | 

2) 2ebensbefchr. UL, 92 Tg. | 

3) 3. ®. Epp. obsc. II, 50: .. in quadam sordida et tenebri- 
cosa et inepta theologia, quam ante pauca secula usurpaverunt 
sibi, relinquentes illos antiquos et literatos Theologos, qui in vera 
luce scripturarum ambulaverunt ... .. Et ergo relicta vera et ori- 
ginali Tbeologia, nihil amplius faciunt, nisi_quod disputant etc. 
Vgl. Nemo, Prefat- (Opp. ed Münch, II, 313): .. mihi subit, 
quid in Christianam religionem invexerit hæo trecentorum annorum 
Theologia. Postquam enim discessum est ab illa veteri et ger- 
mana, tum vero cum studiis declinavit simul religio... Ac dum 
istos negligunt antiquos et“vere, doctos autores, in,his versantur 
nugamentis etc. Epp. obsc. II, 50: Wenn bie jeßigen Theologen 
etwas nuß wären, fönnten fle es bewweifen eundo per mundum, et pr@- 
dicare verbum Dei sicut Apostoli, et disputare contra Græcos, 
quod redeant in unionem cum Eccl. Romana. Vel: si non vellent 
longe abire, saltem irent in Boemiam, concludentes illam gentem 
‚cum argumentis et syllogismis suis. Sed hoc non faciunt. Verum 








270 L Buch. VII. Kapitel. 


der Freunde und Gegner Reuchlin's (U, 55) durch die Stelle 
über Hutten, und nod) andere aus ähnlichen Wahrſcheinlich⸗ 
feitögründen, auf Hutten als Verfaſſer hinzuweiſen ſcheinen, 
dem im erſten Theil wenigſtens das im ſpätern Anhang be⸗ 
findliche Schreiben ⸗ aus Rom (1, 48) angehören 
fönnte. 

Sicher iſten nur ſoviel: nach außern Zeugniffen wie nad) 
innern Gründen haben wir in den Epistolis obsceurorum 
virorum ein Pidenid vor uns, deflen erfte und hauptfäch- 
lichfte Schüfleln ven Crotus, die übrigen, mit jenen an Reiche _ 
thum und Wohlgefhmadf wetteifernd, von einer Anzahl der 
beften Köpfe unter den Humaniften der Zeit, indbefondere 
auch von Ulrich Hutten, geliefert waren; ein Aufgebot, zu 
welchem unter die von Grotus gegebenen Cadres die Uebrigen 
ihre Männfchaften ftellten; ein Muſikſtück, deffen Thema Gro- 
tus erfunden hatte und erihöpfend durchgeführt zu haben 
glaubte, aber es zeigte jich jo frudytbar, daß gleichgefinnte 
Freunde fein Gnde finden fonnten, ed weiter zu vwarliren. 
Auch nad dem Abfchluffe des zweiten Theiles wurde von 
Grotus und Andern noch lange in der Weile der Epistolae 
obseurorum fortgefdhrieben "); als Luther aufgetreten war, 


ibi disputant ubi non est opus. Pal. Nemo, Praef. p- 314 fg.: 
. - hullus tamen reperitur, qui religionis zelo in Turcas eat, fidem 
Christi nn aut illos sallem in medio nostrüm Boemos 
ut erudiat,. Profecto, ubi mihil opus est, feroeiumt . 

1) Dabin gehört der Dialog : Hogstratus ovans (bei Nünd), Opp. 
Hutteni, VI, 325—350), der nad) bes Erasmus Angabe t. 3. 1521 erfchien. 
Spongia adv. adspergines Hutteni, Opp. ed. Münch, IV, 424. fer: 
ner: Tractatus quidam solennis de arte et modo inquirendi quos⸗ 
cunque heerelicos .... compositus a quodam legali Magistro nostro, 
Fr: Ord. Predicatorum dicto. Am Sclufe: Datum Colonie ex 
Bursa Kneck. £eßterer wenigitens ohne Zweifel von Grotus. Mber auch An— 
bere verſuchten fich in dem gleichen Genre. So empfiehlt Lorenz Behaim, 
Ep. ad. Bilib. Pirckheimerum vom 9. #ebr. 1518 (in Heumanni 





Aufnahme und Rahahmungen der Dunkelmännerbriefe. 271 


ließ man auch feine Gegner im Tone der Reuchlinifchen 
Dunfelmänner reden 7); ja unferm Hutten wurden buld ber 
ZJufendungen ad modum obscurorum virorum zu viel. *) 
Wie die zu feinen Gunften und Ehren veranftaltete 
Schrift von Reuchlin felbft aufgenommen worden, wiflen wir 
ausdrüdlic nicht: der Brief in den Lamentationen, dem zu⸗ 
folge er ſie verworfen und verwünfcht hätte, ift jedenfalls von 
den Gegnern erbichtet; foviel aber ift und doc glaubhaft 
überliefert, wie es an fi glaublih if, daß der Muth: 
wille feiner jugendlichen Bertheidiger dem würdigen alten 
Herrn gar zu bunt war.) Bon Erasmus wiflen wir 
aus feinem eigenen Belenntniß, wie einzelne ihm vor dem 
Drud ded Ganzen zugefommene Proben (er felbft fpricht nur . 


Docum. literar. p. 261 fg.), einen Dr. med. Fabius Zonarius (f. oben 
S. 80) als Reudjliniften: scripsit enim multa et varia rythmica 
contra Colonienses, Ortuinum, Thungarum et Hochstratum, more 
et stylo Obscurorum virorum, quæ tibi affert legenda. Ridebis et 
hominis sales probabis. 

1) Dahin gehört u. A. das Conciliabulum Theologistarum adver- 
sus Germanos bonarum artium studiosos Colonie celebratum 16 
Cal. Mail. In Pasquillorum tomi duo, p. 141—161; bei Münd, 
Opp. Hutt. VI, 377 —89. 3. B. p. 385: Surrexit unus, qui voca- 
tur Philippus Melanchtihon, de quo ipsi multum tenent: ille fecit 
unam novam Logicam et unam novam Rhetoricam. Auch diefe 
Schrift aller Wahrfcheinlichfeit nad) von Erotus. 

2) Laurent. Behaim Ep. ad Bilib. v. 21. Muguft 1521 (b. Heu: 
mann, p. 257): D. Hutteno dedi literas suas, qui paulo post rediit 
ad me et dedit mihi legendam illam materiam, et visus est mihi 
non multum probare, quia dixit, quod sit bene advertendum, ne 
quid edatur, quod parum conducat honori et majestati Reuchlini, 
prout se scripturum pollicitus est. Sed ego arbitror, quod ideo 
non velit quod edatur, quia cognoscit, quod etam alii valent eo 
ingenio vel stylo, quo ipse usus est in Epist. obsc. virorum. 

3) Camerarii vita Melanchthonis ed. Strobel, p. 18: Ingrata 
etiam erat prudenti et gravitati illius senescentis juvenilis levi- 
tatis exultatio (in Berfolgung feiner Miderſacher) et hanc non tam 
facto quam exemplo nocere posse perspiciebet. 





272 1. Buch. VII, Kapitel. 


von Einem, Andere von zwei Briefen) '), ihn beluftigten; daß 
das Lachen darüber ihn durch Zerfprengung eines gefährlichen 
Gefhwürs gefund gemacht habe, ift ſchon eine alte Sage ?). 
Bedenklicher war ihm chen die erfte gedrudte Sammlung; 
wie nun aber nad) furzer Zeit eine neue Auflage mit einem 
Anhang erſchien, defien erfte Nummer gleid) den Erasmus 
felbft bei einem Gaftmahl im Gefpräche mit einem Dunfel- 
mann vorführte, voll Verehrung zwar, und zum Sprechen 
getroffen mit feiner jchwachen Stimme und feinem feinen 
Lächeln über die Thorheit der Menfchen ); mie endlich gar 
ein zweiter Theil folgte, worin er nod) öfters, zwar. als 
Einer, der für ſich ſtehe *), doc der That nad) ald Bundes: 
genofje der jungen Stürmer und Dränger erjchien: da wurde 
ihm die Sache fatal, und er ſprach laut feine Unzufriedenheit 
über das böje Beifpiel aus, das nur dazu beitragen könne, 
die bumaniftifche Richtung verhaßt zu machen. 9) Ebenſo 
fehlte Luthern, wenigftens damals, der Humor, um ein Werf 
wie die Epistole rein aufzunehmen: er fand fie fredy, und 
nannte den Verfaſſer einen Hanswurſt. ) Auch hierin zeigt 


1) Epist. Anonymi ad Grot. Rubean. p. 11: Erasmus habe bas 
Bud) jo in deliciis gehabt, ut duas epistolas ejus praclari operis, 
alteram tuam, omnium salsissimam et elegantissimam, alteram 
Hutteni, ad verbum ediscere et in conviviis recitare non dubitaverit, 

2) Simleri vita Bullingeri, 6. ®ei Burckhard, II, 70, 

3) I, Ep. 42. Antonius N., Med, quasi Dr. M. O0. Gr, 

4) I, Ep. 59. Jo. Cocleariligneus M. O. Gr.: Tune qussivi.. 
an etiam Erasmus Rot. esset cum eis? Respondit mihi quidam 
Kauffmannus, dicens: Erasmus est homo pro se, sed certum est, 
quod nunquam erit amicus illorum Theologorum et Fratrum, etc. 

5) Erasmi Epist. ad Jo. Cesarium, Antverp. postrid. Assumpt. 
Virg. 1517. Mbgebr. in ben Lament. obsc, vir. aiiij. Erasmi Epist. 
Appendix, Ep. CLX; 1622. 

' 6) tuther's Briefe, herausgeg. v. d. Wette, I, 37 fg. An Jo. Lange. 
5, Det, 1517 (von einer verwandten Schrift): apparet, a non modesto 
ingenio effictas; prorsum eandem olentes testam quam Epistole 





Hutten an den Grafen Hermann von Nuemar. 289 


und einem von Hermann Buſch, auch eben derjenige Ulrich's 
von Hutten, durch welchen dieſer die erwähnte Sendung 
Nuenar’s faft noch im Steigbügel beantwortete. 
Hutten befennt in diefem Briefe geradezu, daß er die 
Schandſchrift Hochſtraten's mit Vergnügen gelefen habe. Se 
frecher, defto befler, meint er; um fo früher werben der deut⸗ 
Ihen Nation die Augen über diefe Menfchenklafle auf-, und 
die Geduld mit derjelben ausgehen. Freilich fei es faum zu 
begreifen, und in Italien ihm, zu feiner Beihämung, mehr 
als einmal vorgehalten worden, wie viel wir Deutfchen uns 
von den Ordensbrüdern bieten laſſen. Don Leuten, die wir 
von unferm Erbgute zum Behufe des Gottesdienſtes erhal⸗ 
ten, laflen wir uns beberrfchen und mißhandeln. Nichts fei 
hochmüthiger, unbändiger, fhonungslofer al8 dieſe Menfchen- 
art; wenn fie einmal „jene Burg ihrer Brechheit, die Kans 
zel, beftiegen haben”, fei fein Rame, fein guter Ruf mehr 
vor ihren Läfterungen fiher. Hier nimmt Hutten gelegent- 
(ich zwei foldye Pfaffen vor, die wir ſchon aus der Gefchichte 
des Reuchlinifchen Streites Tennen. Der Frankfurter Pleban 
Peter Meyer kommt dießmal mit der kurzen Bezeichnung weg, 
er fei der Ungelehrtefte und dabei Unverfchämtefte von Allen, 
welche dem Reuchlin übel wollen. Defto ausführlicher wird 
Bartholomäus Zehender von Mainz bedadıt, mit dem es 
wohl friihe Zufammenftöge gegeben hatte. Seine Predigt 
vor der unwiſſenden Menge halte der Böfewicht, in die er 
nicht irgend ein Gift einfließen ließe. Er Eönne den Mund 
nicht aufthun, ohne Gehäfligfeiten vorzubringen; alle Guten 
fehe er fcheel an. So habe er den Reudlin auf der Kanzel 
geſchmäht *), fo ihn, Hutten, wiederholt in feinen ‘Predigten 


1) Schon vor vier Jahren war der Aufforderung Hochſtraten's an 
die Malnzifche Geiftlichkeit, die Zuhörer von der Kanzel herab bei Strafe 
ber Ercommunication zur Auslieferung des Augenfpiegels zu ermahnen, 
Keiner eifriger als Zehnder nachgefommen. 

Strang, Hutten. I: 19 





200 I. Bud. IX. Kapitel. 


heruntergeriffen. Dieß wirfe übrigens nur bei der ‚Hefe d 
Volkes: von Seiten der Gebildeten habe er fidy dadurch g 
fährlihen Haß zugezogen. Man dürfe aber den Menſch 
nur anfehen: er fei der eingefleifchte Reid. Sein Ausſehe 
habe etwas vom Scorpion. Wie deflen Schwanz immer zu 
Stich bereit fei, jo zeige die Miene dieſes Pfäffleins jede 
Augenblid, daß ed etwas Böſes denfe, auf eine Schmähun 
finne, einen Trug bereite, mit Einem Wort irgend ein Gil 
foche. „So ſei mir Ehriftus gnädig, wie ich jede zufällig 
Begegnung diejed Schurken für ein böſes Zeichen halte, um 
daher von dem Weg abbiege, von dem ich weiß, Daß er ih 
gehen wird. Sole Apoftel hat jebt Deutfchland, folde 
Verkündiger Das Evangelium. Man fonnte fie dulden, f 
lange fie die Fehler der Menjchen mit Glimpf rügten. Au 
aber, da fie ſich Alles erlaubt halten und mit Luft wen ſu 
wollen fchmähen; da jich in ihren Predigten fein Achter Re 
ligiongeifer, feine Spur von Frömmigkeit zeigt; da fie flat 
Gottes Wort Schimpfwörter ſäen, im öffentlichen Heiligthu 
für Privatbeleidigungen ſich rächen, ja felbit Beleidigunge 
zufügen und Unjchuldige in Gefahr bringen; da fie Das db 
les ohne Map, mit Uebermuth und Graufanıfeit betreiben: 
was hindert, daß wir nicht endlid, mit ‘Prügeln und Steina 
auf ſolche Heuchler losgehen?” 

Daß der Kampf gegen dieje innern Feinde der Chriſten 
heit dringender fei, als der gegen den Türfen, wird and 
hier (wie in der Vorrede zum Triumphus Capnionis) aus 
geiprochen. Der Verfall der Srömmigfeit, die Spaltungen I 
der Kirche, insbefondere der Abfall der Böhmen, wird ihne 
Schuld gegeben, auch die Berner Gefchichte nicht vergefien 
Hermann von Nuenar begehre Hutten’d Anfiht, was geger 
fie zu thun fei. Bisher habe er das Schweigen ber Verach 
tung allen Apologien vorgezogen. Allein er fange an gi 
glauben, daß dieß nicht hinreihe, um das herbeizuführen, 





Hutten's erfle Renntnißnahme von Luther's Ablafftreit. 291: 


was fie wünjhen: Aufblühen der Wiflenfchaften, Verban⸗ 
nung der Barbarei, Verehrung für die wahren, Verachtung 
für die Scheingelehrten.. Einiges davon fei erreicht, aber 
noch lange nicht genug. Ex möchte fid dem Grafen münd⸗ 
ih mittheilen können: unterbeflen fei es tröftlih, daß Die: 
Seinde felbft ſich gegenfeitig aufzureiben anfangen. 

Und nun ift e8 merfwürbig, daß unter diefem Geſichto⸗ 
punft (eined verächtlihen Moͤnchsgezaͤnks, bei deſſen Anblid- 
die Freunde des Kortichritts fich fchadenfroh die Hände reiben) 
eine Sache zuerft in Hutten’d Geſichtskreis tritt, Die zwei. 
Jahre fpäter die heiligfte Angelegenheit für ihn war: die 
Sache Luthers. Erft erinnert er an die Ecandale, welde 
der Streit der Dominicaner und Francidcaner über eine fo 
nichtige Arage wie die Empfängnig der Maria vor wenigen - 
Jahren herbeigeführt habe. „Nun aber”, fährt er fort, „was 
du vielleicht noch nicht weißt, ift zu Wittenberg in Sachſen 
(aus der Nachbarſchaft Fam Hutten fo eben zurüd) eine Bars 
tei gegen die Gewalt des Papſtes aufgetreten, während die 
andre den päpftlichen Ablaß vertheidigt. Won beiden Seiten 
nimmt man einen gewaltigen Anlauf und bietet viel Kraft 
auf. Mönche ftehen an der Spite der Kämpfenden. Die 
Heerführer felbft find raſch und hitzig, vol Muth und Ei⸗ 
fer; bald rufen fie und fchreien, bald jammern fie und kla⸗ 
gen dad Schickſal an. Neueſtens haben fie fih auch an das 
Schreiben gemadt. Die Buchdrucker befommen zu thun. 
Es werden Streitfäge und Eorollarien, Schlüffe und (was 
ihon Manchem übel befommen tft) Artifel verfaufl. So 
hoffe ich, werden fie fich gegenfeitig zu Grunde richten. Ich 
jelbft Habe neulich einem Drdensbruder, der mir die Mittheis 
lung machte, zur Antwort gegeben: Freſſet einander, damit 
ihr von einander gefreffen werdet. Mein Wunfch ift nämlich, 
dag unfre Yeinde fo viel als möglich in Zwietracht leben, 

19* 





292. | L. Buch. IX. Kapitel, 


und fih Hartnädig unter einander aufreiben mögen. Sa, 

gebe Gott, dag Alle zu Grunde gehen und ausfterben, welche 
ber auffeimenden Bildung hinderlich find, damit die lebenbi- 
gen Pflanzungen der herrlichften Tugenden, die fie jo oft zer- 
treten haben, endlich fih erheben mögen.” 

Sofort fpriht Hutten dem edelp Freunde Muth ein, 
verfichert ihn feiner treuen Bundesgenoflenichaft für alle Fälle, 
und theilt ihm den Plan mit, den feine jegige Stellung ihm 
nahe legte: an den Hürftenhöfen fo viel möglic, für Die gemeinfame 
Sache zu werben. Diefem Plane ift Hutten die ganze Zeit, 
die er im ergbifchöflihen Dienfte zubrachte, nachgegangen. 

\ Die Sache, für die er warb, nannte fih nad Reuchlin; fie 
\ war aber die Sache des Humanismus, der in feinem Vor⸗ 
: fämpfer gefährdet war. Dem Humanismus durch Huldiguns 
gen gegen gebildete Kirchen» und Staatsoberhäupter Schuß 
und Boden zu verfchaffen, war auch die ‘Bolitif des Eras- 
mus: ed war die natürlidhe Politif des Humanismus, ber 
auh Hutten treu blieb, fo lange er nur Humanift war. 
Luther's Politif, die Politif der Reformation, war. eine 
andere. Sie wandte ſich nicht an die Bildung weniger Bor: 
nehmen, fondern an das Berürfnig Aller, auch der Gerin- 
gen. Aufflären läßt fich mittelft der Großen: aber reformi- 
ren, ein entarteted Kirchen oder Staatsweſen umbilpen, 
nur, ob mit, ob gegen die Großen, durch die Mittleren und 
Kleinen. Diefe Erfahrung werden wir auch Hutten machen 
ſehen, fobald er aus dem NReuchlinifchen Kreiſe zu Luther’s 
Bahnen übergetreten fein wird. 

Fuͤr jest freut er fih der vielen hochgeftellten Männer, 
welche in Frankreich und Deutſchland, an Höfen und in 
Städten die Sache Reuchlin's vertreten. In Leipzig regen 
und erheben fi, trog des hartnädigen Widerſtandes ber 
Sophiften, die befiern Studien. Nady Wittenberg berufe 
Kurfürft Friedrich Lehrer des Griechifchen und Hebräis 





Hutten an den Grafen Hermann von Nuenar. 293 


fhen. 2) Ganz befonders günftig für die Wiflenfchaften aber 
fei fein Sürft, der Erzbifchof Albrecht, geftimmt. Er fei der 
eifrigfte DBerehrer und Leer des Erasmus. Eine Schmäh- 
ſchrift Pfefferforn’d gegen Reuchlin's Freunde, die ihm fein 
Leibarzt Stromer mitgetheilt, habe er zwar gelefen, dann 
aber in das Kaminfeuer, woran er eben faß, mit ben ewig 
denfwürdigen Worten geworfen: So mögen zu Grunde gehen 
die alfo reden! Das alles gebe Hoffnung, daß man das 
vorgeftedte Ziel erreichen werde. Der Freund möge fortfahs 
ren, wie er angefangen; mit Begierde fehe Hutten ber vers 
heißenen Schrift wider den morbbrennerifchen SKuttenträger 
entgegen. „Mögen fie uns immer haffen, wenn fie uns nur 
zugleich fürchten müſſen.“ 

Dem Grafen von Nuenar wie noch andern Freunden 


Hutten’d war defien Eintritt in Hofdienfte befremdlich, ja bes % 


denflih. Bis ſich Gelegenheit zur mündlichen, oder Muße 
zu ausführlicher fchriftlicher Rechtfertigung finde, bittet Hut⸗ 
ten den Freund, zu glauben, daß er feine frühere (literariſche) 
Lebensgewohnheit darum keineswegs aufgegeben habe. Yür 
die Zufunft aber habe er im Sinne, fid) ganz mit den Mus 
fen auszuföhnen, wenn diefe ihm grollen follten wegen ſei⸗ 
nes nothgedrungenen Eintritt in die Dienfte des ftolgen 
Mars: doch es fet ja fonft ſchon vorgefommen, daß fie im 
Lager unter dem Getöfe der Waffen übernachtet haben. 


— — 


1) Hutten's Brief iſt vom 3. April; am Marrtage, den 25., kam 
der Auftrag des Kurfürften, ihm zwei folche Lehrer für feine Univerfität 
zu verfchaffen, an Joh. Reuchlin, der dann für den Lehrſtuhl des Griechi⸗ 
fchen feinen Schweiterenfel Melanchtbon empfahl. ©. Reuchlin’s Briefe 
im Corpus Reformatorum ed. Bretschneider, I, 27 fg. 


— 





Zehntes Rapitel. 


— 


Hutten in Augsburg, während und nach dem Neichötage. 
1518. 


Schriften: Ad principes Germaniae, ut bellum Tureis invehant, 'Er- 
hortatoria. Aula, dialogus. Epistola ad Bilib. Pirckke- 
merum, vitae suae rationen eXponens. 


Nach kurzem Aufenthalt in Mainz kehrte Hutten zu ſeinen 
Fürſten nach Sachſen, d. h. nach Halle, wo dieſer als Er 
biſchof von Magdeburg feine Reſidenz hatte, zurüd H; doech 
weil der Zuſammentritt des Reichstags in Augsburg ſich im 
mer länger verzögerte 2), finden wir ihn im Mai abermals is 
Mainz, wo er fi die Zeit mit einer Arbeit vertrieb, bern 
Form und Inhalt durch den Gedanken an den Reichötag umd 
deſſen Veranlaffung beftimmt war. 


1) Intra quatriduum in Saxonas redeo. Brief an Nuenar a. €. 
O., S. 430. Seine dahin mitgenommenen Sachen (Bücher und Kleiber) 
famen erſt im folgenden Frühjahr zurüd, f. Ep. ad Arnoldum Giau- 
berger, Hutt. Opp., Ill, 123. 

2) Huttenus Peutingero, vor der Exhortatoria ad princ. GerM. 
Opp. ed. Münch, II, 470: .. in illo principum Augustae, qui nimiß 
jam differtur, conventu. 





Hutten’s Türfenrebe. 295 


Seit Sultan Selim’d 1. Regierungsantritt im J. 1512 
war die Osmaniſche Macht, die unter feinem Vorgänger 
einen Stillftand gemacht hatte, von Neuem furchtbar gewor⸗ 
den. Selim nahm Syrien und Aegypten dem DMamelufen- 
fultan ab, der griechifche Renegat Horuk Barbarofia feste 
fih in Tunis feft, und die Mauren bis gegen Fez bin, zum 
Theil Spanien tributpflichtig, erhoben fi.) Die ganze 
abendländifche Ehriftenheit geriet) in Schreden. Eine aus⸗ 
trägliche Türfenhülfe war es daher, was der Kaiſer von den 
Ständen, die er nach Augsburg berufen hatte, zu erlangen 
wünfchte. Hierin traf er mit den Wünfchen des Papfted zu- 
fammen, der ſich von dem Lateranenſiſchen Concil nod in 
defien legter Sitzung den Zehnten von den Kirchengütern der 
ganzen Chriftenheit zum Behuf eines Kriegszugs gegen bie 
Türfen hatte bewilligen laſſen. Ob es biebei dem Papſte 
wirflihd um den Türfenfrieg, oder nur um das Geld zu thun 
fei, war mehr als zweifelhaft; auch der Kaiſer gedachte, durch 
die größern Geld» und Kriegsmittel, die er bei dieſer Ge⸗ 
legenheit in die Hand zu befommen hoffte, feine Macht zu ver 
ftärfen; aber dieß mußte ja auch der deutfche Patriot wäüns 
hen: und fo ging Hutten in der Rede an die deutſchen 
Fürften, die er in Erwartung des Reichstags ausarbeitete, 
ganz in den Gefihtspunft des Kaifers ein. 2) 

Für einen Türkenfrieg — mit diefem Gedanken eröffnet 
er feine Rede, — treffen eben jegt die hoͤchſte Nothwendigkeit 
und die befte Gelegenheit glüdlidy zufammen.?) Bei der Leber: 
völferung Deutichlandse und der drohenden Theurung in 


— | — — — — — 


1) Bgl. Epist. 2 Jo. Stabii ad Bilib. Pirckheimerum, Linz ult. 
Dec. anno 1518 (zu lefm: 1517), bei Heumann, Docum. liter. p. 242. 

2) Ulrichi de Hutten, eq. Germ. ad principes Germaniae, ut 
bellum Turcis invehant, Exhortatoria. Wieberabgedrudt Opp. ed. 
Münch, II, 473 - 622. 

3) Quis hoc sperare ausus erat, principes Germani, ut simul 





296 1. Buch. X. Kapitel, 


Folge des vorjährigen Mißwachſes, müßte man bie Beraw 
laffung zu einem auswärtigen Kriege fuhen, um ben Stof 
zu innern Unruhen abzuleiten, wenn fie ſich nicht in der Zäv- 
fengefahr von felbft böte; die uns zugleich in feiner günſtigen 
Verfaſſung treffen könnte, als eben jegt, wo wir mit unſen 
Nachbarn Frieden, Soldaten im Veberfluß und einen Kühe 
wie Marimilian haben. In der Ausführung feines Theme, 
bittet der Redner, offen ſprechen zu dürfen. Er werbe Vick 
unangenehm berühren müflen. Da e8 ihm aber lebiglich um. 
die Sache zu thun fei, möge man ihm nichts übel nehme 

Ja, dießmal fei es Ernft mit dem Türkenkrieg. Er fd 
in der That nothwendig, nicht mehr, wie fonft fo oft, ea 
vom Papſte erregter blinder Lärm. Damit befindet fi Hub 
ten bereits in jenem Fahrwaſſer, in dem er fi fortan am 
liebften und fräftigften bewegt, Bis jetzt allerdinge haben 
die Päpfte, fo oft fie Geld gebraucht, fi) daſſelbe unter den 
Vorwande der Türfengefahr bei und Deutichen geholt. Um 
doch follten von Rechtswegen fie uns Geld jchiden, nicht we 
ihnen, wenn unfer römifched Reich nicht ein bloßer Name 
wäre. Doch das gehe ihn Hier nichts an, wirft fich ver 
Redner ein; er fühlt, daß er in Gefahr ift, abzufchweitm, 
und indem er fich deſſen enthalten zu wollen erklärt, thut e 
es doch, weil ihm diefe Abſchweifung mindeftens ebenfo wid 
tig iſt, als der eigentlihe Gegenftand feiner Rebe. Auch dad 
fei nicht feine Sache, fährt er daher fort, fondern des Kab 
ferd, zu unterjuchen, wie ed in Rom zugehe, ob das jehige 
Verhältnig des Kaifers zum Papfte das richtige fei, daß 
nämlich der Erſtere feine Krone von des Lesteren Füßen auf 
nehmen, für diefelbe Geld bezahlen und Huldigung leiſten 
müffe. Weber Conftantin’8 angebliche Schenkung wagen wir 


— —— — — — 


ista caderent: summa necessitas et optima occasio gerendi adve- 
sus Turcas belli? A, a. O., p. 478. 





Hutten’s Türfenrebe. 297 


nicht zu muden. Ein patriotifhed Herz müfle ungeduldig 
werden über den Pallienhanvdel, die Penfionen, die aus 
Deutfchland nad) Rom fließen: da doch das apoftolifche Amt 
mit fih bringe, das Wort Gottes auszufäen, nicht fremdes 
Gut einzuärnten. Auch Frieden zu prebigen, nicht Krieg zu 
führen, habe der Redner bis jegt für den Beruf des Ober 
haupts der Chriſtenheit gehalten, bis er unter Julius II: bes 
(ehrt worden fei, die Kirche habe an Petri Schlüffeln nicht 
genug, fondern müfle auch des Schwertes ‘Pauli fich bevienen. 
Leo X. habe fih als Friedensfürſten angelündigt; feinen 
Krieg gegen den vertriebenen Herzog von Urbino muthe man 
uns zu, als Rothwehr zu betrachten: daß aber unter diefem 
Friedensfürften die Eardinäle uns einen ausgearbeiteten Krieg» 
plan zufchiden ?), fei doch feltfam. Als verftünden wir Deuts 
chen nichts mehr vom Kriege, fondern müßten und bei dem 
ehrwürdigen Vätern Raths erholen, denen es befier anftünde, 
für uns zu beten. Hätten fie uns lieber Geld gefchidt, einen 
Theil desjenigen, welches fie auf ihren maßlofen Hofſtaat 
wenden, oder und aud) nur etwas von den Summen nachge⸗ 
laffen, die wir ihnen für Pallien und dergleichen zu zahlen haben, 

Endlich Ienft der Redner ein, und kommt auf die Wirk, 
lichfeit und Größe der von den Türken drohenden Gefahr 
zurüd. Er gibt eine Ueberſicht ihrer Gefchichte, ihrer Erobe⸗ 
rungen, er zeichnet ihren unbändigen Eharafter. Alfo mögen 
fih die Deutfchen ermannen, den Ruhm ihrer Vorfahren ers 
neuern. Die Hoffnung auf den Schuß durch Gebirge, Wäls 


Gin en 


1) 2gl. Epist. Stabii, a. a. O. p. 244: Summus Pontifex... 
dedit negotium quibusdam Cardinalibus, curarent diligenter, quo- 
modo ista sanctissima expeditio suscipi, interteneri et terminari 
posset. Isti fecerunt quandam consultationem,... quibus sumptibus, 
quibus armis, quibus victualibus et quibus capitaneis potissi- 
mum ad laudabilem finem perduci posset; illius copiam Pontifex 
Imperatori transmisit. 





298: I. Bud. X. Kapitel. 


der und Sümpfe, auf die Möglichfeit der Ylucht, würde 
neben dem Schmählichen in diefem Falle auch täufchend fein. *) 

Iſt demnach der Krieg unläugbar nothwendig, und die 
Gelegenheit, ihn zu führen, günftig, fo fragt fich für's An⸗ 
dere, wie er am beften geführt werden möge. “Die weient- 
tichfte Bedingung ift Einigfeit, einmüthige Unterordnung un- 
ter den Kaiſer.) Hätten wir diefe, dann würde ſich dag 
Aeußerliche, die Beifhaffung der Kriegsfoften u. f. f., von 
felbft geben. Damit ift der Redner bei einem zweiten Lieb⸗ 
Iingsthema angelangt, deſſen Ausführung dießmal nicht eine 
Abſchweifung if, jondern zur Sache gehört. Ohne Einigfett, 
führt Hutten aus, muß Deutichland, auch abgefehen vom 
Türken, zu Grunde gehen. Das gegenfeltige Sengen und 
Brennen, Erobern und Plündern unter den deutfchen Fürften 
muß aufhören. Woher, fragt er, fommt eure Uneinigfeit? 
Aus Grenzftreitigfeiten, Eiferfüchteleien, Rangftreitigkeiten. Die 
Vortheile, um die ihr euch zanfet, find ſaͤmmtlich viel geringer, 
als der, den ihr alle von der Einigfeit haben würdet. Und 
wiffet ihr, wie das Wolf über Die Sache denkt? Man wolle 
fih von euch wohl beherrſchen, aber nicht verderben laflen, fagt 
man, und denft auch wohl auf gewaltfame Abhülfe „In 
ber That”, fährt Hutten fort, und wird damit ſchon 7 Jahre 


1) Wie vie Fülle des redneriſchen Ausdrucks bei Hutten wohl ein⸗ 
mal zum tautologiſchen Schwulſte aufquillt, davon hier eine Probe. 
Der Türke, wird S. 489 ausgeführt, werde gegen die Deutſchen gerade 
deßwegen um fo grauſamer fein, weil er fie für tapfer halte. Nolit 
igitur superesse, quos timeat. Nolit vivere, a quibus sibi metus 
sit. Nolit perniciem imperii sui incolumem esse. Volet hunc eru- 
tum periculorum suorum fontem. Volet hanc extirpatam calamita- 
tum suarum radicem .. Non patietur remanere malorum suorum 
semen. Auferet omne timoris sui fomentum. Extincetum volet, a 
quo, si maneat, metum sibi futurum sentit. 

- 2) Communi concordia, et ut unanimiter Imperatori pareat Ger- 
mania, p. 491. 





Hutten's Tiürxfenrebe. 299 


vorher ber Prophet des Bauernfriege, „wenn ihr mir kein Ger 
hör gebet (euch meine ich, denen dergleichen zur Laft fälk), 
fo fürchte ih, wird dieſe Nation etwas fehen, das ihrer nicht 
würdig if. Denn wenn die Sache einmal (mas Gott ver 
hüte) zum Volksaufſtande fommt, dann wird man feinen 
Unterfchied mehr machen, nicht mehr fragen, wie viel Jeder, 
oder überhaupt, ob Einer gefchadet habe, und an wen Race 
zu nehmen ſei. Mit den Schuldigen wird es die Unfchuldi- 
gen treffen, und ohne Rüdficht, blindlings, wird man wüthen.‘' 
Man nennt und Ritter Räuber. Allein die Yürften gehen 
und mit ihrem Beifpiele voran, gebraudyen uns theild zu 
ihren Räubereien, theils berauben fie uns felbft. Auch im 
Auslande, namentlid) in Italien, find die deutichen Yürften, 
ihre Gelage und Streitigfeiten, Gegenftand der Mißachtung. 
Kraft haben wir Deutichen im Veberfluß, aber die zweck⸗ 
mäßige Verwendung fehlt. Wir geben uns zu viel mit uns 
nöthigen Dingen, mit den bloßen Vorübungen zum Kriege, 
wie Jagd und Turnier, ab: kommt es dann zur Sache, han- 
delt es fih um die Erhaltung des Reichs (denn an feine 
Vermehrung denkt ja doch leider Niemand), um Verfechtung 
des Baterlands und der Religion, fo ift nirgends Eifer zu 
verfpüren. „So bleibt unfre Tapferkeit ſtets eitel, unfre Kraft 
nutzlos, und unfre Nachbarn laflen uns wohl für gute Käms 
pfer, aber nicht für tücdhtige Krieger gelten. Und das ift nicht 
der Soldaten, ſondern vorzugsweiſe der Führer Schuld. Es 
lebt in Deutichland eine ftarfe Jugend, große, nach wahrem 
Ruhm begierige Herzen: aber der Leiter, der Führer fehlt 
Sp erftirbt jene Kraft, die Tapferkeit fpannt fih ab, und 
der glühende Thatendurft verfommt im Dunkeln.” Der Türke 
weiß allzugut, wie unerläßlich zu großen Thaten Einigkeit 
und Gehorfam find, als daß er uns Deutfche jemals fürchten 
jollte. Aber nicht blos der Türfe: fo lange uns jene Stüde 
abgehen, fagt Hutten vorher, werde fein noch fo ſchwaches Bolf 


— — — — 





300 I. On. X. Kapitel. 


fein, das. und fürdhte, ja das nicht bei Gelegenheit uns ans 
zugreifen wagen follte! *) 

Außer der Einigkeit fehlt e8 aber den Deutfhen auch an 
Befonnenheit, an kluger, nüchterner Berathung und planmäs 
ßiger, ftetiger Ausführung. Auch bier geht das böſe Beifpiel 
von den Großen aus, die felbft auf Reichstagen Saufen und 
Spielen zur Hauptfahe machen. Die Fürſten find auf das 
Alter und den Glanz ihrer Gefchlechter ſtolz: allein wenn fie 
ihres hohen Poſtens fich nicht auch felbft würdig zeigen, bat jene 
Abftammung und äußere Würde ebenfo wenig Werth als Dauer. 

Zur Einigfeit aber gehört insbefondere noch, daß, wie 
überhaupt, fo vor Allem in dieſem Kriege, Einer das Haupt, 
ber Führer fei, dem alle Andern unbebingte Folge leiften. 
Im Kriege liegt am Feldherrn mehr ald am Heere. Was 
würde der Türfe darum geben, euch ohne Führer, oder ohne 
Gehorfam gegen biefen zu finden. Den Führer habt ihr: 
nad des gefammten Deutfchlande Wahl und Willen ift es 
Kaifer Marimilian. Er ift diefer Stellung würdig: alfo folget 
ihm. Der Kaifer ift bereit: es fehlt nur an den Fürften, daß 
fie feinem Aufruf .entfprehen und ihre Schuldigfeit thun. 
Schon mehr al8 30 Jahre beftreitet er von dem Ertrage feiner 
Erbländer die Laften des Reichs, hat Feine Ruhe noch Raft 
bei Tag und bei Naht: und wir, Wenn er einmal feiner 
Pflicht gemäß Einen ftraft, fchreien über Drud und Flagen 
über Dienftbarfeit; Freiheit aber nennen wir es, um das 


Reich uns nichts zu kümmern, dem Kaifer feine Folge zu 


leiften, und ungeftraft Alles uns zu erlauben. Einige — zwar 
nicht Fürſten, aber fürftlihe Räthe (auch hierin fommt Hutten 


den Gedanken Marimilian’s entgegen) gehen mit dem Plane 


1) Quae donec- a nobis absunt (concordia, Consensus ac erga 
duces obsequentia), desinite ullam putare tam imbellem nationem, 
quae nos timeat, imo vero quae non aliquando oppugnare audeat. 
Daß das nach mehr als 800 Jahren noch immer fo if! 





Hutten's Türfenrebe. 301 


um, auf den Fall von des jegigen Kaiferd Ableben, die Krone 
einem Fremden zu übertragen. Ein fchmählicher, undeutfcher, 
hochverrätherifcher Plan: als ob in Deutichland das fürftliche 
Blut ausgeftorben wäre. Aber man meint, unter einem ents 
fernten Herrſcher defto freier zu fein, und bedenft nicht, daß 
Derjenige, in welchem man nur den läftigen Herrn fieht, viels 
mehr der Exhalter der Freiheit ift. 

Die Beihaffung der dußern Mittel, der Kriegskoften, 
betreffend, Außert fih Hutten ganz einverftanden mit dem 
päpftlichen Anfinnen. ) Den üppigen Pfaffen und Klöftern, 
den reichen Kaufleuten, den Müffiggängern in den freien 
Städten, wie er fie nennt ?), in die Beutel greifen zu lafien, 
Eoftete den Ritter Feine Ueberwindung. Am liebften hätte er 
freilich wohl die Cardinaͤle um einen Theil ihrer aus Deutſch⸗ 
land gezogenen Schäge erleichtert, und es gefchieht nur um 
fie defto härter anzuflagen, wenn er ausdrücklich erklärt, von 
ihnen folle zu diefem Kriege nichts gefordert werden, es fel 
genug, wenn man aud) fie nichts fordern lafle, und Vorkehr 
treffe, daß fie nicht, wie fie ſchon mehr gethan, das löbliche 
Unternehmen ftören fönnen. Diefe Römlinge gönnen eher den 
Türken ald den Deutfchen einen Zuwachs an Madt. So 
haben die Päpfte den vierten und fünften Heinrich, fo die Hohen⸗ 
ftaufifchen Friedriche, durch ihre Ränfe von dem Zug in den 
Orient zurüdzuhalten gefudht. „Darum, wenn idy freimüthig fas 
gen foll, was idy denfe, habt ihr in diefem Kriege ebenfo fehr 


1) Nah Stab, in dem oben angeführten Briefe p. 245, verlangte 
der Papſt von den @eiftlichen den zehnten, von Laien den zwanzigften 
Theil ihres Einfommene. Nach der Oratio pro colligendis decimis, 
habita a LegatisS. P. coram Imp. Max., in Hutteni Opp. ed. Münch, 
II, 543, von geweihten Prieftern den zehnten, von Laien den funfzigften, 
von Reichen den zwanzigften Theil ihres Einfommens, von jedem Gottes⸗ 
baufe den Sold für einen Soldaten. 

2) Ab opulentissimo quoque eorum, qui in liberis civitatibus 
otiantur. p. 517. 





302 I. Bud. X. Kapitel, 


gegen Rom als gegen Aften auf der Hut zu fein; weit ent⸗ 
fernt, daß ihr irgend etwas nach der ehrwürdigen Väter Rathe 
thun dürfte. Bei euch felbft habt ihr Alles zu fuchen, unter 
euch Beichlüffe zu faflen, und nicht jene ränfenollen Rathgeber 
von außen zuzulaffen.‘ 

Nochmals ruft fofort der Redner zum Türfenfrieg auf, 
und wiederholt einige der bisher ausgeführten Gründe; glaubt 
hierauf unter feinen Zuhörern eine zuftimmende Aufregung 
zu bemerfen, und fchließt mit dem Wunfche einer beharrlichen 
und glüdlichen Ausführung. 

Diefe Rede Ichidte Hutten am 25. Mai von Mainz aus 
feinem Gönner und Freunde Peutinger in Augsburg hands 
fchriftlih zu; feiner fpätern Erzählung zufolge, hatte er im 
Sinne, fie am Reichstage wirklich zu halten, und hernach 
drucken zu laflen. Als er aber bald darauf felbft nad) Augs⸗ 
burg fam, riethen beforgte Freunde, unter ihnen wahrfcheinlich 
Peutinger felbft, ihm von der Veröffentlichung der Rede ab, 
weil fie insbefondere von den Ausfällen gegen Rom Anftoß 
und Gefahr für ihn befürdhteten. I) Hutten gab ihnen Ans 
fangs nad, unter bittern Klagen über bie fchlechte Zeit, in 
welcher ein freimüthiged Wort feine Stätte mehr finve. %) 
Später fcheint er fid) mit ihnen, die zum Theil Eaiferliche 
Käthe und Schreiber waren, dahin verglichen zu haben, daß 
die Rede zwar gebrudt, aber die anftößigen Stellen, für Hutten 


— — — — — 


1) U. Huttenus, liberis omnibus ac vere Germanis, Opp. ed. 
Münch, Il, 531: Cum orationem scripsissem nuper .. eamque non 
dicere tantum in illo quod Augustae fuit aestate superiori .. comi- 
tio, sed et scriptis habitaın edere proposuissem .. accesserunt me 
ex anıicis quidam .. qui vehementer ab hoc instituto deterrebant etc. 

2) Huttenus Julio Pflugk, August. Vindelic. 9 Cal. Sept. (24. 
Aug.) 1518, a.a.O. p. 528: Mea ad Principes exhortatio non editur 
in lucem, quod insunt quaedam liberiora quam ferat haec aetas. Nosti, 
quam in partenı soleam rafpmorateıv. Sednon est ingenuitati locus. 





Hutten's Aufenthalt und Umgang in Augsburg. 3093 


gerade die wichtigften, weggelaflen wurden. 2) So fchidte er 
fie am 13. October an Jakob von Bannifls mit der Bitte, 
fie dem Kaifer vorzulegen, und ihm bei diefem endlich einmal 
eine Beförderung auszuwirfen. Wie ihm bald darauf bie 
Berftimmelung feiner Rede unerträglid fiel, und er fie voll 
ftändig druden ließ, werden wir an feinem Orte finden. 

In Augsburg wohnte Hutten während und noch eine 
Zeit lang nach dem Reichötage in dem Haufe des abweſenden 
Domberrn Georg Gros, wo fein Verwandter, der Domberr 
und Official Thomas von Wirsberg, ein Mann, der Hutten’6 
Geift und Schriften zu fchägen wußte, wegen Mangeld an 
Raum’ im eigenen Haufe ihn eingeführt hatte, und für feine 
Bedürfnifie Sorge trug. Hutten lebte hier im Umgange mit 
vielen trefflihen Männern verwandter Gefinnung, weldye theile 
in Augsburg wohnhaft, theils durch den Reichstag dahin 
zufammengeführt waren. Unter ihnen befanden fich außer 
Peutinger, Stab, Spiegel und dem Leibarzte feines Churfürs 
ften, Heinrich Stromer, der eben genannte Jakob von Ban 
nifis, Dekan von Trient und einer der vertrauteften NRäthe 
Maximilian's, den er auch auf feinen verwegenen Gemſen⸗ 


_—— 


1) Hutteni Epist. ad Bilib. Pirckheimerum, Augustae 8 Cal. 
Nov. (25. Oct.) 1518, a. a. ©. p. 86: Orationem ad Principes ex- 
hortatoriam mitto ad te editam. Ut scripseras? inquis. Minime. 
Atque hoc est quod doleo, non licere mihi, quod opus maxime 
fuit, hoc tempore loqui aut scribere. Manca est igitur, et partem 
sui meliorem, per Deos, quaeque in primis desiderari potuit, in- 
felix illa declamatio perdidit: non vitio quidem meo, sed eorum, 
qui ne suam quidem causam libere agi sustinent. Dieß ift die Aus: 
gabe: Ulrichi de Hutten eq. Germ. ad Principes Germaniae, ut bel- 
um Turcis inveliant Exhortatoria. Publico Germaniae concilio apud 
Augustam Vindelycorum. Anno dom. 1518. Maximiliano Austrio 
Imperatore. Cum privilegio Imperiali. @tfl der Brief an PBeutinger, 
dann die Rede, hierauf noch ein poetifches Exhortatorium von 18 Diſti⸗ 
chen, endlich der Brief an Bannifie. Am Schluß: In officina excuso- 
ria Sigismundi Grimm Medici, et Marci Vuyrsung. Augustae an. 1518. 
Bol. Panzer, ©. 68 fg. 





304 I. Bud. X. Kapitel. 


jagden zu begleiten pflegte. Gleichfalls im Gefolge des Kaifers 
war der gelehrte Graf Ulrich von Helfenftein, dem Wilibald 
Pirckheimer eine feiner Ueberfegungen aus dem Plutarch wid- 
mete, und den mit Hutten noch bejonderd der Haß gegen den 
Herzog Ulrih von Würtemberg, der ihm ein Schloß nieber- 
gebrannt hatte, verband. Der Augsburger Egivius Rem war 
Hutten's Studiengenoffe von Pavia herz; mit dem Jtaliäner 
Terbatius von Vicenza gab deflen ausgezeichnete Kenntnig 
des Griechifchen und Lateinifchen einen Berührungspunft; wie 
mit dem Liebhaber geheimer Weisheit, Johann Mader, genannt 
Foniſeca, die gemeinfame Verehrung für Reuchlin. Der drei⸗ 
fprachige Theolog Decolampadius fam von Bafel und’brachte 
Nachrichten über Erasmus; Ritter Sigmund von Herberftein, - 
von einer Gefandtfchaft zu dem Mofcowiterfürften zurüdges 
fehrt, belehrte den nach allen ‚Seiten hin wißbegierigen Hutten 
über den Lauf der Wolga, und daß es Feine rhyphaͤiſchen und 
hyperbordifchen Berge gebe.!) Daß eine Sadye, die in der 
Meinung der Menfchen fo feft ftand, von der fo viele treffliche 
Männer ald von einer audgemachten gefchrieben hatten, fich 
in Fabeln, in Nichts auflöste, machte auf Hutten einen tiefen, 
faft erfchütternden Eindrud. 2) 

Daneben verfolgte Hutten den Gang des Reichstags mit 
gelpannter Aufmerffamfeit. „Das angenehmfte Schaufpiel”, 
jhreibt er an den Meißnifhen Domherrn Julius von Pflug 
nad Bologna, „bietet fi) hier Aller Augen dar. So viele 
Fürften, ausgezeichnet durch Jugend und Wohlgeftalt, eine fo 


1) Das Bisherige |. in Hutten’s Epist. ad Bil. Pirckheimerum, 
Augustae 8 Cal. Nov. 1518, ed. Burckhard, p. 50 fg., und bazu 
Burckhard's Anmerkungen, p. 200 fg. Opp. ed. Münch, III, 95 fg. 

2) Quod me audientem attonitum prope reddidit, rem adeo 
hominum opinioni infixam, adeo praeclarissimorum virorum literis 
decantatam, in fabulas abire, in nugas, et nullam penitus esse, 
aut si fuerit, desiisse. 





Gang des Reichstage. 305 


große Menge von Grafen und Rittern, die Blüthe des dent⸗ 
fhen Adels: wer fie anfchaut, dem Eönnen die Türken nicht 
ſehr furchtbar erfcheinen. Wenn heute die Deutfchen fo viel 
Hirn ald Kraft haben, möchte ich der Welt mit Unterjochung 
drohen. Gebe Bott, daß Diejenigen fi wohl berathen, von 
deren Rath Alles abhängt. Denn was Anders müflen wir 
wünfchen, als daß jegt eben Deutichland ſich erfennen möge?” 
Erfreulich war dabei für Hutten die Wahrnehmung, daß wes 
niger Aufwand, als fonft bei ſolchen Verſammlungen, gemacht 
wurde; er wußte freilich nicht, durfte er es ale Zeichen befferer 
Bellnnung, oder nur als Folge der eben herrſchenden Theu⸗ 
rung, betrachten. Denn in Kleidern war noch große Ber 
ſchwendung zu bemerken, indem es die Deutfchen den Frans 
zofen nachthun wollten; und getrunfen wurde auch noch tüchtig, 
um dabei die deutſche Art doch nicht ganz zu verläugnen. 
Seinem Herrn, dem Erzbifchof Albrecht, widerfuhr im 
Laufe diefes Reichstags große Ehre. Der Papft fandte ihm, 
und zwar zu allgemeiner Verwunderung unentgeltlich, den 
Cardinalshut und Purpur, womit ihn am 1. Auguft bei feier 
lihem Hochamt im Dome, im Kreife vieler Fürſten und Epeln, 
und unter dem Zudrang einer zahllofen Menjchenmenge, der. 
päpftliche Legat befleivete. Der Kaifer felbft gab ihm vom 
Dom aus das Geleite in fein Quartier, und ſchickte ihm 
hierauf eine königliche Sänfte, Pferde und koſtbare Teppiche 
zum Geſchenke. Die folgenden Tage kamen nad einander 
die Fürften, ihm zu feiner Beförderung Glück zu wünfchen, 
und auch unferm Ritter fchien fo viel Glück in fo kurzer Zeit 
(binnen fünf Jahren zwei Erzbisthümer, die Ehurs und nun 
die Cardinaldwürde) eine befondere Gunft der Götter für den 
noch jugendlichen Albrecht zu verbürgen. 1) Ob übrigens Hutten’s 


1) Alles Bisherige f. in der Epist. ad Jul. Pflugk, Augustae 
Vind. 9 Cal. Sept. 1518. Opp. ed. Münch, 11, 527 fg. 
Strauß, Qutten. 1. 20 





306 1. Bud. X. Kapitel. 


Freude über diefe jeinem Herrn gewordene Auszeichnung fı 
ungemifcht war, als er jie dem geiftlichen Diplomaten Pflug 
gegenüber ausfpricht, ijt zu bezweifeln. War es doc) neben 
dem Ablaß ein zweite® Band, um den gebildeten und wohl 
wollenden, dafür auch von Hutten wirklich gefchäßten, abe 
bequemen und beftimmbaren Fürſten an das Intereſſe des 
römiſchen Stuhls zu Fetten! 

Mit dem Hauptgegenftande des Reichstags, dem auf 
Hutten feine Feder gewidmet hatte, der Türfenhülfe, ging e 
nicht recht vorwärts. Der Legat hielt einen Vortrag, in wes 
chem er das päpitliche Anjinnen, nanıentlich in Betreff der Auf 
bringung der Kriegsfoften, darlegte. 1) Mit dem Kaiſer ver 
ftändigte er ſich leicht; aber bei den Fürften ftieß er auf Wi 
derftand. Am 24. Auguft, ald Hutten den Brief an Pilugf 
fchrieb, fchwebte die Verhandlung nody: der Kaiſer that und 
Hutten hoffte das Beſte. Drei Tage durauf war eine en 
ſchieden ablehnende Antwort der Etünde da. eine bab 
nachher gedrudte Rede nannte Hutten jegt ein Epiel; nidl 
weil ed ihm mit Dderfelben nicht Ernſt geweien, ſonden 
weil e8 bei den deutſchen Fürſten für Echerz gelte, vom Tün⸗ 
fenfriege zu reden. 2) Hutten's Empfindungen dabei waren 
gemilchter Art. Daß die römijche Curie mit ihrem Gelige 
ſuche durdhgefallen war, gönnte er derſelben um fo che, 
je mehr er jelbft überzeugt war, daß das Geld auch Diegmal 
wieder nur für die Tafchen der römiſchen Höflinge beſtimm 
gewefen. ) Daß aber die deutfchen Zürften gegen die feine 


— u — — — 


1) Sb wir dieſe Rede in der folgenden Schrift haben? Oratio de 
cimarum, proposita per reverendissimos dominos Legatos stae gedi 
Apostolicae, coram conventu Maj. Imperialis. &. Panzer, ©. 7 
Abgedruckt bei Münch, Opp. II, 541— 46. 

2) Epist. ad Jac. de Bannisis, Augustae 3 Id. Oct. 1518. Opp 
ed. Münch, II, 534. 

3) Febris I, Dial. Huttenicus. Opp. ed. Münch, III, 107: Cardi- 





Anonyme Schriften gegen den Türfenzehnien. 307 


wegs eingebildete Türfengefahr fo gleichgültig waren, verdroß 
ihn doch. Er fah eine Schlaffheit darin, aus der er ihnen hätte 
gönnen mögen, duch einen wirflihen Ginfall der Türken 
aufgerüttelt zu werden. %) 
Von bier aus fällt auf zwei ohne Namen erfchienene 
Schriften, deren eine Furz vor oder während des Reichstags, 
die andere wenig fpäter, gefchrieben fein mag, ein eigenthüm⸗ 
liches Licht. Die erftere hat die Form einer Rede oder eines 
Sendſchreibens an die deutjchen Fürſten, daß fie den verlang- 
ten Türfenzehnten verweigern follen.?) Das Ganze fei ein 
fein angefponnener Betrug der Römlinge, den, wie fie meinen, 
Niemand, am wenigften die tollen und vollen Deutfchen merfen 


nalis S. Sixti, Roma huc profectus, pecuniam a nobis ut petat in 
bellum contra Turcas, yuam insumant Romanensexs isti.. Vgl. ähn: 
lich lautende Stellen in den Dialogen Vadiscus.und Inspicientes. 

1) Dieß iſt der Hutten’e Stellung und Denfart durchaus angemeffene 
Einn feiner Worte an Pirckheimer, Opp. ed. Münch, II, 94: Le- 
gatus Pontificis hians lupus discedit, nihil a Gernianis pecuniae 
referens. Quod non tam improbo: quam irascor, de bello Turcico 
nemini curam esse. Atque igitur, ita me Salus servet, ut velim ad 
ipsum Germaniae limen pulsare nos Turcas, quo isti excitentur ali- 
quando cunctatores. Es ift daher ein Mißverfland von Meinere, wenn 
er, ftatt improho, probo lefen will, Lebensbeſchreibgn. berühmter Diünner, 
IH, 127, Anm. Derjelbe Ausprud über den Abzug des Cardinals: Lu- 
pus hians discessit, findet ſich aud) in dem namenloſen Geſpräch Momus 
(Pasquillorum tomi duo, p. 108, M). 

2) Exhortatio viri cujusdam doctissimi ad Principes, ne in 
Decimae praestationem consentiant. ©. Banzer, ©. 75. Stüdweile 
wiederabgerrudt bei Burckhard, IM, 305 fg.; gung in Hutteni Opp. 
ed. Münch, II, 547—54. Unter ber Epistola ex urbe Roma beflelben 
Inhalte, deren Luther in einem Briefe an Spalatin vom 2. Sept. jenes 
Jahres gerenft (Luther’s Briefe, herausgegeben von de Wette, I, 140), 
it ohne Zweifel eben dieſe Exhortatio zu verſtehen, die, chne aus Rom 
datirt zu fein, doch eine genaue Kenntniß dortiger Berhältnifie zu erkennen 
gibt. Auch wird fie in des Pasquillus Marranus Exul Brief an den 
Marforius Romanus (Pasquillor. tomi duo p. 192) Epistola ad Ger- 
maniae principe3 nuper in Augustensi conventu collectos edita genannt. 


20 * 





308 l. Buy. X. Kapitel.' 


werden. Der Türfenfrieg fei nur ein Vorwand, um da 
unwiſſende Volk auszuplündern. Hätte man zu Rom oda 
in Deutfchland das Geld aufbewahrt, das nur allein unter 
Friedrich IM. und Marimilian für Pallien und ähnliche Ga 
feleien nah) Rom gefloflen, jo hätte man jet Kriegemitid 
im Ueberfluß, und brauchte nicht die Chriftenheit mit nenn 
Auflagen zu beichweren. And „ven Türken wollet ihr ſchla— 
gen?" fragt der Reduer. „Ich lobe euer Vorhaben; aber ig 
fürchte, ihr iret euch im Namen. In Italien, nicht in fen 
müflet ihr ihn fuchen. Gegen den Afiatifchen ift jener unſter 
Fürften zur DVertheidigung feiner Grenzen jich ſelbſt genug: 
ben andern aber zu bezähmen, reicht die ganze chriftliche Walt 
nicht hin. Jener, mit feinen Grenzuachburn im Streite, bet 
uns noch nichts geſchadet: dieſer wüthet überall und bürfel 
nach dem Blute der -Armen; diefen Hölenhund Fönnet Ik 
auf Feine andere Art al8 mit einem goldenen Strome beſchwich⸗ 
tigen.” Verweigern fie nun den verlangten Zehnten, jo haben 
fie fich freilid) auf den päpſtlichen Bann gefaßt zu made. 
Allein furchtbar fei nur Chriſti Blipftrahl, nicht der Florenti⸗ 
nifhe. Daß es ſich aber dießmal nur um die Angelegenheiten 
der Florentiner, d. h. Leo's X. und feiner Nepoten, handle, 
jei offenbar. Im vorigen Sommer fei nit unglaublichen 
Koften der Herzog von Urbino zu Gunften des Lorenz vor 
Medici vertrieben und abgefunden, hierauf, um das Geld dazu 
zu beichaffen, unter dem Vorwande einer Verfchwörung gegen 
das Leben des Pupftes, das Vermögen der reichften Carbinäle 
eingezogen worden. ) Ablaß werde gepredigt für den Bau 
der Petersfirche: aber bei Nacht wandern Die Steine zum 
Palaſte des päpftlihen Nepoten; während an jener Kirche 
nur zwei Arbeiter beichäftigt feien, worunter ein Lahmer. Und 


— — — — 


1) Daß übrigens an dieſer VBerfcyworung doch etwas war, f. bei 
Ranke, Deutfche Geſch. im Zeitalter ber Ref., 1, 301. 





Anonyme Schriften gegen den Türkenzehnten. 309 


da man dem Bapft, jeiner Dickleibigkeit wegen, fein langes 
Leben verfprehe, fo brauche man Geld, um dem Repoten 
für alle Bälle eine vornehme Arau und ein Fürftenthum in 
Frankreich zu verfchaffen. Dieß habe e8 auf fih mit dem 
neuen Zehnten; ed fei daher von den Deutfchen zu hoffen, 
daß fie fi) auf einen jo fchändlichen Plan nicht einlaflen 
werden. 

Frühzeitig wurde diefe Schrift Ulrich von Hutten zus 
gefchrieben. 2) Weil man ihm in feiner Türfenreve die Auss 
fälle gegen die römiichen Erpreflungen geftrichen hatte, Eönnte 
er in einer anonymen Schrift gerade diefe Stellen weiter aus⸗ 
geführt, und darüber die Angelegenheit des Türfenfriege, ale 
undurchführbar, fallen gelaflen haben. Allein fo Faltfinnig, 
als in diefer namenlofen Rede gefchieht, fprach er ſich auch nach 
dem Reichstage nicht darüber aus. Eine Stelle wie die, daß 
zur Abwehr der Türken jeder einzelne Fürſt ſich felbft genug 
jet 2), würde Hutten ſchwerlich jemals gefchrieben haben. Auch 
Spradye und Sapbau der Schrift ift minder Flar und rund 
ald bei Hutten. Daß der Berfafler fid} gegen den Schluß 
al8 einen von Lorenz von Bibra geweihten Prieſter bezeichnet, 
und für diefen Bifhof von Würzburg, fo wie für den von 
Bamberg befondered Intereſſe an pen Tag legt, könnte für 
ſich allein genommen als abfichtliches Verſteckſpielen erſchei⸗ 
nen: aber in Verbindung mit. dem Uebrigen leitet es entſchie⸗ 
den von Hutten ab. Dagegen fünnte man an feinen Freund, 
den Bamberg » Würzburgifchen Domherrn Iafob Fuchs, denken, 
dem ja, wie wir uns erinnern, fein College Lorenz Behaim 
einen Antheil an den Briefen der Dunfelmänner zufchrieb. 
Daß der Redner fagt, er habe drei von den wegen des Zehnten | 


1) S. Burckhard, III, 88 fg., 308 ig. 
2) p. 551: Contra Asiaticum (Turcam) quisque nostrorum re- 
gum pro finibus suis defendendis per se satis est. 


! 





310 L. Buch. X. Kapitel. 


‚ausgefchieften Legaten in Bologna einziehen fehen, koͤnnte da- 


mit zu flimmen foheinen, da ja Fuchs in den lebten Jahren 
mit Hutten in Bologna fid) aufgehalten hatte. Yreilih war 
‚er ſchon vor diefem, bald zu Anfang des J. 1517, nach Deutſch⸗ 


‚Sand zurüdgefehrtt.) Dagegen war Crotus eben damals in 


Bologna ?), und hatte fi vor einigen Jahren, wir wiſſen 
freilich nicht von wem, zum Prieſter weihen laſſen. 

Eine Schrift verwandten Inhalts, bei der man zunaͤchſt 
‚an Hutten denfen Fönnte, um zulegt bei Erotus ftehen zu 
bleiben, ift der Dialog: der verbannte Basquillus. In jenem 
Briefe eines Iingenannten, den wir oben im Kapitel von den 


Dunkelmaͤnnerbriefen benugt haben, wird gefagt, Crotus zu- 
‚erit habe Hutten durch feinen Borgang veranlagt, in Ber: 


fpottung der Pfaffen die Freimüthigkeit des römifchen Pas- 


:quino nadyzuahmen. Hier nun haben wir ein Gefpräcd des 


Pasquillus mit einem Cyrus. Pasquillus fpricht das Vor⸗ 
haben. aus, Rom zu verlaflen, um zu dem heiligen Jakob 
Gon Commpoftella) zu wandern, weil ihm dort die Menge der 


Cardinaͤle und Nepoten Feine Ausficht auf Verforgung übrig 
lafſſe. Selbft Erſpectanzen, wie fie wohl von der römifchen 


Gurie gegeben werden, erfpertirt er feit Jahren vergebene. 
Für Geld zwar ift zu Rom, befonders feit die Ylorentiner 
bafelbft regieren, Alles feil: aber Pasquillus hat fein Geld. 
Ueberhaupt verbrießt es ihn, länger unter lauter Lug und 
Trug: zu leben. Als Beifpiel ſolchen Trugs führt er die Peters⸗ 
firhe an. Hätte Julius I. das Geld wirklich auf fle ver- 
wendet, das ihm für diefelbe eingegangen, fo hätte er davon 


1) Ep. 1 Laurent. Behaim ad Bilib. Pirckheimerum, 17 Apr. 
1517. Bei Heumann, S. 256. 

2) Hutten fchreibt ja am 24. Auguſt 1518 an Pflug nach Bologna: 
Crotum commendo tibi, ut pro tua in doctos homines benignitate 
observes. 





Der verbannte Pasquillus. 311 


drei joldyer Kirchen fertig bauen Fönnen, flatt daß jebt die 
Eine noch immer wüft und unvollendet liege. Hier wird bie 
Anefvote von der .nächtlihen Wanderung der Steine zum 
Palafte Medici mit einer Variante gleichfalls erzählt; ebenfo 
die Gefchichte von dem Kriege gegen den Herzog von Urbino 
mit der Veränderung, daß Leo, um die Koften dafür aufzu- 
treiben, an Einem Tage 31 Cardinäle creirt 1), von dieſen fich 
über 500,000 Ducaten bezahlen läßt, nun aber, um die aus 
geleerten Sedel feiner Creaturen wieder zu füllen, Legaten 
‚wegen eined Türkenzehntens ausſchickt. Daß ed mit den 
Zürfen und dem Türfenfriege dießmal Ernft fei, möge man 
einem Andern als ihm, den Pasquillus, der feine Römer beffer 
fenne, weis machen. Wie ed mit dem Erfolge diefer Sendung 
in Spanien und Frankreich ftehe, fei befannt; überrafchend 
aber die Nachricht, die aus England und Deutfchland einlaufe, 
daß dieſe beiden Völker endlich anfangen Flug zu werben. 
Dort habe man den Eampegius, hier den Cajetan mit aller 
Artigfeit aufgenommen; wie fie aber mit ihrem Geldgefuche 
hervorgerüdt, feien fie mit Unwillen und Spott zurückgewieſen 
worden. Die Briefe der Legaten lauten Eläglich, fie kennen bie 
beiden Völker nicht mehr, glauben ſich in eine andere Zeit, 
eine andere Welt verfegt. Die gutmüthige Hoffnung bes 
Eyrus, daß Papft und Cardinaͤle nun, wenn fie ihren Betrug 
entdeckt fehen, fich beffern werben, kann Pasquillus nicht thei⸗ 
len, und bleibt daher bei feinem Entfchluß der Auswanderung 
nah Spanien, wo der junge König Earl feine einzige Hoff: 
nung ift. 9 


— — — — 





1) Dieſer am 1. Juli 1517 vorgenommene Cardinalsſchub machte 
bamals viel böfes Blut. Wir finden feiner nicht blos in den Epistolae 
obscurorum virorum, fondern auch in ben Briefen fehr zahmer Männer. 
wie des Cochläaus, Lorenz Behaim u. A. ganz in berfelben Weife gedacht. 
©. bei Henmaun, p. 31, 259. 

2) Pasquillus exul. Pasquillor. tomi duo, p. 178—91. Hutteni 





312 k Bud. X. ‚Kapitel, 


Reben, feiner Beſchaftigung mit, den. lirchlich politifchen 
Angelegenheiten fegte indeß Hutten jeine humaniftiiche Wer: 
bung für Reuchlin noch immer treulich fort, Viele Gänge 
machte er in Augsburg, um die beften Männer im Gefolge 
ber anmwefenden Fürften für die Sache zu gewinnen; wobei 
ihm die angenehme Wahrnehmung wurde, daß diefe Bemü— 
hung faum mehr nöthig, die Meiften von felbft ſchon für 
Reuchlin waren. Der Rechtshandel ſchien ganz eingefchlafen. 
Bon Göln lief die Nachricht ein, der Graf von Nuenar babe 
den Hodjftraten, wegen gemeiner Schmäbjhriften gegen ihn, 
aus der Stadt vertrieben. Aus Frankreich meldeten die neuen 
Freunde (Faber, Budäus ıc.), daß dort Reuchlin's Name hody- 


Opp. ed. Münch, I, 437—47. Diefer anonyme Dialog ift nur Einer aus 
einer ganzen Hecke von Schriften ähnlicher Art, die in jenen erregten und er⸗ 
wartungsvollen Jahren erfchienen, und uns theils einzeln, theils in verfchier 
denen Sammlungen aufbehalten find. Eine diefer Sammlungen find bie Dia- 
logi septem festive candidi, wieberabgebrudt bei Münd), VI, 351—407. 
Ferner die Pasquillorum tomi duo, Eleutheropoli 1544. (Einige in 
beutfcher Sprache find neuftens wieder abgedrudt in Defar Schabe's Sa— 
tiren und Pasquille der Neformationd- Zeit, Hannover 1856, 2 Thle.) 
In dem Schriftdyen: Pasquillus Marranus Exul (Pasgq. t. duo, p. 191 fg.), 
finden wir verſchiebene Verfaſſer unterſchieden. 1) Bon dem Gyrus bes 
obigen Dialogs heißt es, er habe Germaniae gentis gravamina heraus: 
‚gegeben; womit offenbar Wimpheling's Gravam. Germ. nalionis cum 
remediis et avisamentis ad Caes, Max. (1518) gemeint find. 2) Om- 
nium, quae huc perlinent, unicum scopum strenuissimus ille Fe- 
brium Satyricus exporrecta fronte attingit, d. h. Hutten. 3) Marfo- 
rius habe eine gegen Rom gerichtete Epistola ad Germ, principes, nuper 
in Augustensi conventu collectos, db. h. ohne Zweifel bie oben beſpro— 
chene Rebe gegen ben Zehnten, herausgegeben. 4) Pasquillus, der Ber: 
faffer diefes Sendfchreibens an Marforius. Auch in ver Pugna Pietatis 
et Superstitionis (Pasq. tomi duo, p. 125—140, Münd, VI, 168— 76), 
wirb einerfeits Hutten, und anbererfeits der mebulo, welcher die Leute 
überredet hat, nichts zur Petersfirche zu geben, weil bei Nacht die Steine 
wanbern, d. 5. ber Berfafier der Rebe gegen den Zehnten, von Pas: 
quillus unterichieden; aber wer kann beflimmen, wie viel bei diefen Un- 
terfcheibungen abſichtliche Myftification it? Ich möchte in 3) ſowol als 
4) Grotus vermuthen. 





Berbefferte Ausgabe bes Niemand. 313 


berühmt, und den Theologiften jede Hoffnung des Sieges 
benommen fei. ') 
Während feines Augsburger Aufenthaltd war es auch, 
daß die verbeflerte und vermehrte Ausgabe des Niemand, 
welche Hutten jchon vor feiner zweiten Abreife nach Italien 
fertig gemacht hatte 2), endlih im Drud erſchien. Am 24. 
Auguft Fündigte er dieß dem in Bologna weilenden Julius 
Pflugf mit der Aufforderung an, Acht zu geben, was die Ita⸗ 
liäner zu der Pofle fagen. 2) In Deutichland, in Augsburg 
befonderd, machte fie ziemlichen Rumor. Sa, die Ausfälle 
der Borrede machten unter denen, die fich getroffen fühlten, 
bofes Blut. Die Juriften vor Allen glaubten fidy gröblich 
angetaftet, zogen bei Zechen und Mahlzeiten gegen den Ber- 
fafler 108, und verabredeten fich, ihm inskünftige ihren Rechte: 
beiftand entziehen zu wollen. Selbft bei feinem Ehurfürften 
wurde er wegen feines, wie es hieß, unbeicheidenen Angriffe 
auf die Juriften und Theologen als ein [hmählüchtiger Menſch 
angefchwärzt, und fand daher nöthig, in einer feiner naͤchſten 
Schriften, die er demfelben widmete, zu verfichern, daß er nur 
biejenigen gemeint habe, welche, felbft unwiflend, jedes beflere 
Studium zu unterdrüden fuchen. Uebrigens wurde ihm bie 
Genugthuung, daß wahrhaft gelehrte und verftändige Männer - 
mit ihm der Thoren lachten, und ihm ihren vollen Beifall 
bezeigten. *) 
. Obwohl der Gang, den Hutten’d Entwidlung nahm, 
fich immer mehr dem Punkte näherte, wo er mit Luther zu- 
fammentreffen mußte, fo faßte er doch für deſſen Sache auch 


1) Ep. ad Jul. Pflugk, a. a. ©. p. 528 fg. 

2) ©. oben ©. 148 fg. 

3) Nemo revixit et ad Crotum mittitur. Super quo nugamento 
debes Italorum judicia explorare. 

4) Hutteni Epist. ad Bilib. Pirckheimerum, p. 45 fg., ed. Burckh. 
De Guaiaci medicina et morbo Gall. Cap. Vill. Opp. Ill, p. 262 ig. 





314 | 1. Buch. X. Kapitel. 


jest, wo beide wochenlang in Einer Stadt zufanımen waren, 
weder eine wärmere Theilnahme, noch einen höhern Geftchts- 
punkt. Dom 7. bis 20. October befand ſich Luther in der 
bekannten Verhandlung mit dem Cardinal Eafetan zu Augs- 
burg, ohne daß Hutten diefer Anwefenheit, vielmweniger einer 
perfönlichen Berührung erwähnte. Freilich machte er gerade 
während jener Wochen feine Guaiaf- Eur durch, welche ihn auf 
fein Krankenzimmer beichränfte, und den Zutritt zu ihm nur 
genaueren Bekannten möglid oder wünfchenswerth machte. 
Daher fpricht er in Briefen aus jener Zeit zwar von des 
jungen Melanchthon Berufung nad) Wittenberg auf den Lehr: 
ftuhl der griechifchen Sprache mit Freude‘); von Eck's An- 
griff auf Carlſtadt mit landemännifcher Theilnahme: wie er 
aber auf Luther’8 Kriege mit eben dieſem Ed und vielen An- 
dern zu reden Eommt, weiß er immer noch nichts Beflered zu 
thun, al8 fi) die Hände zu reiben vor Vergnügen über das 
Schaufpiel, die Theologen fich untereinander felbft zerfleiichen 
zu fehen. ?) Ä | 

Von dem Legaten, mit welchem Luther in Augsburg zu 
thun hatte, und der auch ſchon bei dem Reichstage thätig 
gemweien war, nahm dagegen Hutten mehr Notiz, ald dem 
Manne lieb fein konnte. Schon als päpftlicher Legat war er 
dem Ritter. zuwider: nun aber trat überbieß diefer Barbinal 
Gajetan in Augsburg mit einer an Narrheit grenzenden Eitel- 
keit und Prunkſucht auf; ein hochnafiger Italiäner, welchem 


1) Epist. ad Jul. Pflugk, vom 24. Auguft, mithin noch vor Luther's 
Anweſenheit in Augsburg geſchrieben. 

2) Epist. ad Bilib. Pirckheimerum, vom 2%. October, wo Luther 
fon wieber abgereist war. Opp. ed. Münch, III, 99: Eckius proscidit 
‘Garolostadium, civem meum (d. 5. auch einen Franken, aus Carlſtadt 
am Main unterhalb Würzburg), probum theologum: eidem cum Lu- 
‘-tkero bellum est: Luthero cum multis. En viros theologos, im- 
-paetis mutuo genuinis se Concerpentes. 


8 





Hutten als Hofmann. 315 


in dem barbariſchen Dentichland nichts gut genug war. Bon 
allem Dem jollte ihm nichts gefchenft werden: Hutten nahm 
ihn jedenfalls fchon jept aufs Korn, wenn auch fein Gefpräd: 
das Fieber, in welchem er ihn durchzieht, noch nicht in Augs⸗ 
burg gefchrieben fein follte. ') 

Roc, Fein Jahr lebte Hutten im Dienfte des Churfürften 
von Mainz, und lüngft hatte ihm das Hofleben auch feine 
Schattenſeiten gezeigt. „Du fragft,” fchrieb er im Mai 1518 
von Mainz aus an Peutinger, „wie das Hofleben mir befomme? 
Roh nicht zum Beſten. Zwar, was läßt fich nicht ertragen 
unter einem fo Acht fürftlidhen Herm, der fo human und frei- 
gebig ift, wie Erzbiichof Albrecht?” umd mit einem. fo aufrich⸗ 
tigen, umgänglichen Freunde wie jein Reibarzt Stromer? „Im 
Uebrigen bin ich jener Dinge Außerft fatt: des Dünkels der 
Hofleute, der glänzenden Berfprechungen und elfenlangen Bes 
grüßungen, der binterliftigen Unterredungen und des leeren 
Dunftes. Und an Stromer fchrieb er, fie beide feien zu 
gerad und aufrichtig für den Hof.) Hatte doch der Leibarzt 
felbft im vorigen Jahre des Aeneas Sylvius Schrift über 


das Elend der Hoflente mit einer Vorrede herausgegeben, 
‚in welcher Das deutiche Spridywort: Lang bei Hof, lang bei 





1) Schon Burdhard übrigens (III, 103 fg., 175) vermuthete, bie Febris 


prima möchte bereits in Augsburg verfaßt fein, indem er fi dafür auf 


Hutten's Neuerung in dem Brief an Pflugk vom 24. Auguft beruft, er 
habe während feines Hoflebens dialogos aliyuot gefchrieben. Damit müßte 
allerdings, wenn man nicht an unvollendet gebliebene Arbeiten denken 
will, neben der ſogleich zu erörternden Aula, entweder der anonyme Pas- 
quillus exul, oder die Febris I. gemeint fein. Für das Legtere bringt 
Burddard aud) die Anekdote bei, dag Hutten, als er zu Augsburg am 
Fieber gelitten, Febrim, schedulae inscriptam, ad Fuggerum, apud 
quem Cardinalis Sixtus (Gajetan) moratus sit, geſchickt habe. Allein 


‚kann bierunter das Geipräch Fehris verflanden werden? 


2) Epist. ad Peutingerum, vor der Exhortatio ad Princ. Opp. 
ii, 471. Ad Stromerum, ver ber Aula, Opp. ll, 17. 





316 1. Bud. X. Kapitel. 


Hoͤll, weiter ausgeführt war.) So fand er denn aud ei 
Hutten’8 Ausfällen und Scherzen über den ihm neuen Sell 
Gefallen, und während ihres gemeinfchaftlihen Au 
am Reichstage forderte er den Freund auf, etwas über 
Thema zu ſchreiben, um ſich den Berfanmelten (ba der 
feiner Türfenrede noch beanftandet war) bemerfbar zu m 

Es war feine Kleinigkeit, während der Hund6tage, 
perlich leidend und unter den Störungen eines getüm 
Reichstags, in Fürzefter Krift, wie Stromer verlangte, 
etwas auszuarbeiten; noch weniger für einen angehesull 
Hofmann, am Hofe jelbft, etiwad gegen das Hofleben u wei 
öffentlihen. Das alles führt Hutten dem Freunde im WM 
Zueignung der von ihm veranlaßten Schrift zu Genie] 
wobei er befonders ſcherzhaft die Gefahren koͤrperliche UN 
handlung von Seiten vierfchrötiger Collegen ausmalt, vie 
etwas einem „Schreiber“, wie fie die Literaten jo gerne ned 
nen, nicht ungeftraft werben hingehen laflen. “Doc, nachten 
die fertige Arbeit, außer Stromer's, auch die Billigung Pentin 
ger's, Spiegel’ und Stab’s erhalten habe, fchließt Hutich 
fo gebe er nad, indem er fi wegen möglichen Anftofe) 
damit beruhige, dag an Churfürft Albrecht's Hofe ein Scheg 
feine Gefahr bringe, und eine fomifche Webertreibung zuteil 
gelegt werde. 

Mit feinem Gefpräch über das Hofleben 2) kehrte Hutten 
zu der dialogifchen Form zurüd, die er im Phalarismus zw 









— — — — — ... 


1) Die Stromer’fche Vorrede abgebrudt bei Burdharb, 1, 182 ſ 
Note i. 

2) Ulrichi de Hutten eq. Germ. Aula. Dialogus. Res est non 
Lector, res est jucunda, lusus perurbanus et facetus: dispereasm 
nisi legisse voles. Vale. Cum privilegie Imperial. Am Gchlufe 
in officina excusoria Sigism. Grimm Medici, et Marci Vuirsung 
Anno .. MDXVIII die vero XVII Sept. &. Panzer, S. 8Bfg. Wie 
berabgebrudt Opp. ed. Münch, III, 14 — 58. Noch im gleichen San 





Hutten's Geſpräch über das Hofleben. 317 


erft ergriffen, hierauf in feiner vierten Rede gegen den Herzog 
Ulrich und der Türfenrede, aud Gründen, die im Gegenftand 
und der Beſtimmung diefer Schriften lagen, wieder verlaffen 
hatte, die aber von jest an feine Lieblingsform bleiben follte. 
Der Dialog eröffner fi damit, daß Caſtus, wie er den Mi⸗ 
faulus ald Hofmann wiederfieht, an deſſen fchönen Kleidern 
ein Wohlgefallen äußert: worauf ihm dieſer erwiedert, er habe 
fih früher in feinen Lumpen beſſer befunden; denn damals 
fei er frei geweien, jest fei er Sklave. Caſtus ift gewiſſer⸗ 
maßen der frühere Hutten felbft, der, nach einer in Studien 
und auf Reifen, unter Anftrengungen und Entbehrungen zu⸗ 
gebrachten Jugend, fich das Hofleben Außerft anmutbig, und 
als praftifche Lebensfchule auch höchft Iehrreih denkt. Das 
gegen ift Mifaulus ein alter, erfahrener, jetzt überdieß zurüds 
geiegter Hofmann, der nur die Schattenfeiten des höflfchen 
Weſens fieht, und zwar die Luft des Andern am praftifchen 
Leben billigt, aber den Hof nicht als die rechte Schule deſſel⸗ 
ben gelten läßt. Er vergleiht das SHofleben einem Meere, 
und Eleidet, was er gegen daſſelbe vorzubringen hat, vorzugs⸗ 
weije in dieſe Allegorie. Die Hofleute find des Ulyſſes 
Schiffsgeſellſchaft, deren Trug und Hinterlift man nur durch 
bejondere Klugheit und Borficht entgehen fann. Ohne Vers 
ftelung und Schmeichelei namentlich ift bei Hofe nicht durch⸗ 
zufommen. Danı find auf diefem Meere Stürme, nämlidy 


(mense Novembri) drudte Froben in Baſel den Dialug nad, und 
Ihidte demfelben eine Zueignung an Thomas Morus voran, worin er 
der Vorgänger Hutten's in Behandlung biefes Thema, namlich Lucian's 
und des Aeneas Sylvius, gedenft. Die Lucianifche Schrift, die Hier in 
Betracht fommt, if die Derlamation Ilepl rüy En) pio9W ouyöyrwv, Die 
ſich jedoch fpeciell auf die Dienfle griechifcher Literaten bei römifchen 
Großen bezieht, und bei ganz verfchiedener Gompoiition, kaum bie und 
da in einem einzelnen Bunfte mit dem Hutten'ſchen Gefpräche zuſammen⸗ 
trifft. Andere Schriften über denfelben Gegenfland führt Burckhard an, 
I, 130 fg.; Il, 95 fo. 





318 L Buch. X. Kapitel. 


Gunft, Neid, . Ehrgeiz, Ueppigfeit u. dgl., welche alle dem 
Gemüthe feine Ruhe und Yaflung rauben. Herner Syrten 
und Scyllen, an denen die Schiffenden zu Grunde gehen, 
d. h. die Verbrechen (Unterfchlagung, Berrath), wozu Manche 
fi durch Mangel, Ehrfucht u. |. f. verleiten laflen. Klippen: 
bie größte und gefährlichfte, der Zorn des Yürften; Eleinere, 
fein Argwohn (etwa wegen freier Reden), Neid und Anfchwär- 
zung von Seiten der Collegen; ein Feld, vor dem man- fi) 
fehr hüten muß, ift auch, in die fchöne Frau ober Tochter 
des Fürſten ſich zu verlieben, oder fie in fich verliebt zu mas 
hen. Die Seeräuber auf diefem Hofmeere find die Feinde 
des Fürften, die, wenn fie mit diefem in Fehde ftehen, feinen 
Diener gefangen nehmen können, wo ed dann diefem übers 
laffen bleibt, fi mit feinem eigenen Gute loszukaufen, oft 
auch Marter und Tod feiner warten. Auch an einer garftigen - 
Grundfuppe fehlt e8 dem Hofichiffe nicht: das ift die Unrein⸗ 
lichkeit in Gefchirren und Betten, die verdorbenen Speifen 
und Getränke, die unfläthigen Tifch- und Bettgefellen. 4) 
Der Schein ded Reichthums, wird außerhalb der Alles 
gorie bemerkt, der Manchen an den Hof zieht, ift eben nur 
Schein. Die meiften deutfchen Fürſten find jest arm, in Folge 
ihrer Verfchwendung, ihres Prafiend und Großthuns; der 
Hofmann hat feine liebe Noth, feinen Fargen Sold von ihnen 
herauszuprefien, und muß oft im Dienfte, ftatt zu gewinnen, 
fein Eigenes zufegen. Auch in derWahl und Schägung ihrer 
Diener zeigen fic die Fürften höchft unverftändig. Sie wollen 
athletifhe Geftalten in ihrem Gefolge haben, gleichviel, wie’s 
im Hirnfaften ausfieht; dagegen werden Fleine, magere, uns 
fheinbare Leute, wenn fie auch die Flügften und gefchidteften 








1) Hier malt Hutten in fehr ftarfen Zügen, z. B. ©. 54: quorum 
‚aliquis percacatis sedet femoralibus, vini impetu emollita alvo, aut 
apud ipsam statim mensam vomit. 





Hutten und Wilibald Pirdheimer. 319 


find, hintangefegt. — Unter diefen und ähnlichen Reden, welche 
die Hofluft des Caftus ſchon ziemlich herabgeftimmt haben, 
ertönt mit Einem Male die Schelle, welche den Mifaulus zum 
Dienfte ruft, und er geht ab, nachdem er noch einmal den 
Freund vor dem Eintritt in gleiche Knechtichaft angelegentlid) 
gewarnt hat. : 
Unter den Erften, denen Hutten feine neue Arbeit mits 
theilte, war MWilibald Pirckheimer, zu welchem er während der 
legten Jahre in ein genaueres Verhältniß getreten war. Kein 
Wunder, daß biefe fenatorifche Geftalt ihn anzog, wie fie und 
noch heute anzieht. In feinem Andern ift das Batriciat der 
deutfchen Reichsſtädte dem römifchen näher getreten. Nichts 
war flein und eng angelegt in dem Mann und feinen Ber 
hältniffen. in großer, gewaltiger Körper, von früh auf rit⸗ 
terlich geübt; Geburt aus einem edeln Gelchlechte der damals 
eriten deutfchen Stadt; ererbter Reichthum; gelehrte Ausbils 
dung in Italien, höfifhe und kriegeriſche im Dienfte des 
Biſchofs von Eihfkädt: wo zu einem Geifte von ftarfer und 
umfafjender Anlage folhe Mitgaben binzufamen, da konnte 
fi) etwas Bedeutendes entwideln. Kaum hatte er feine Bil 
dung vollendet, fo nahm er im Rathe feiner Vaterftabt Plas ; 
feine imponirende Geftalt, feine Wohlredenheit, feine diplomas 
tifhe Haltung machten ihn befonderd zu Gefandtichaften ges 
Ihieft; bald lernte Kaijer Mar ihn fchägen und ernannte ihn 
zu feinem Rathe; manche Gunft, die er der Stadt Nürnberg 
bewies, hatte fie der Geltung zu verdanken, in welde ihr 
Eprecher fich bei dem Kaifer zu fegen wußte. Auch feine 
friegerifchen Gaben anzuwenden, fund Wilibald Gelegenheit. 
Als der Schweizerfrieg ded Jahres 1499 ausbrach, führte er 
dem Kaifer die Nürnbergifchen Truppen als ihr Oberfter zu. 
Der Krieg war unglüdlih, da e8 an der obern Leitung fehlte: 
Pirdheimer an’ feiner Stelle erprobte feine Tüchtigfeit und bes 
fchrieb nachher ſelbſt feinen Feldzug, wie Zenophon und Eds 





320 1. Buch. X. Kapitel. 


far. 4) Heimiſcher Neid und Anfeindung fehlten dem hervor: 
ragenden Manne nicht: einmal trat er geollend aus dem Rathe, 
und ließ ſich ein andermal nur durch die ehrenvollfte Genug: 
thuung darin zurückhalten. 

Alle Zeit, die ihm von öffentlichen Geſchäften übrig blieb, 
gehörte der Wiſſenſchaft und Kunſt, dem perjönlichen oder 
brieflihen Verkehre mit ihren Vertretern, von denen die Meiften 
feine Bekannten, die Beften feine Freunde waren. Aber auch 
die Bedeutendſten unter denfelben näherten fi ihm nur mit 
Verehrung, legten auf fein Urtheil und feinen Rath das 
größte Gewicht, und nahmen feine Zurechtweifung willig bin. 
Sein Haus, deſſen Gemächer die Befuchenden Eöniglid nann— 
ten, feine mit Büchern und Handfchriften reich verſehene Bi- 
bliothef, ftanden jedem Gelehrten offen. Seine glängenden 
Gaftmahle, bei denen er vorzugsweife Leute von Geiſt um 
fi) zu verfammeln liebte, waren berühmt. Durch ihn vor: 
nehmlich wurde Nürnberg ein literarifcher Mittelpunkt. Seine 
Geiftesrichtung war die bumaniftifche; im dem Heere der 
Reuchliniften nahm er eine der vworderften Stellen ein. Sein 
Iateinifcher Stil tft nicht tadellos, bat aber, befonders in fei- 
nen gebaltvollen Vorreden umd Zueignungen, einen clafftichen 
Strich und römische Würde. Cine feltene Stärfe befaß er 
im Griechiſchen. Schriften von Plato und Xenophon, von 
Plutardy und Lucian, bat er ind Lateiniſche, manche auch 
ind Deutiche, übertragen. Der Hofmeifter feiner Neffen be 


1) Historia belli Suitensis s,. Helvetiei, II libris descripla, au- 
Ihore Bilibaldo Pirckheimero. In Pirckh. Opp. ed. Goldast, p: 63— 
32. Während diefes Kriege war ed auch, daß Kaifer Mar einmal auf 
dem Bobenfee in demfelben Schiffe mit Pirdheimer von Lindau nad) 
Conſtanz fuhr, und ein Stüc feiner Denfwürdigfeiten, bas er auf dem 
Schiffe victirt hatte, demfelben vorlefen ließ, mit der Frage, wie ihm 
das Neiterlatein gefalle (ut ei placeret equestre lalinum)? S, Ritters- 
husii Comm. de vita Pirckh. vor den Opp. p. 8. ®Bal. die Hist. belli 
Suit. TI, 88. 





Wilibald Pirdheimer. 321 


zeugte ihm von Italien aus, mo diefe einen geborenen Grie⸗ 
chen zum Lehrer hatten, ihr befter Lehrer im Griechifchen fei 
doch Pirdheimer felbft geweien. Aus Spanien erbat fi) nad 
Fahren einer diefer Neffen den Abriß der Rhetorik, den der 
Oheim einft zu ihrem Unterrichte zufammengeftellt hatte. Dem 
Keffen war vom Oheim aufgetragen, ihm von ben neuen 
Seereifen und Entdedungen der Spanier in Amerifa immer 
fogleih die genaueften Nachrichten zu geben. Wie verkörpert 
ift in Pirdheimer der allfeitige Wiſſens- und Bildungsdrang 
der Zeit. Hermann, Graf von Nuenar wechſelt Briefe mit 
ihm über ältere deutiche Geichichte, Erasmus, Cochläus über 
Theologie; Gabriel Hummelberger erbittet fich ein botanifches 
Buch aus feiner Bibliothek, und fordert ihn auf, auch einige 
der griechifchen Aerzte, wie bereit den Kirchenvater Gregor 
von Razianz, lateinijch veden zu machen; dazwilchen legen 
ihm Andere verwidelte Rechtefälle zur Begutachtung vor; 
Hubert Thomas von Lüttich bittet ihn um Erklärung etlicher 
Verſe aus Hefiod; Glarean freut fich feined Vorhabens, bie 
Geographie des Ptolemäus herauszugeben. Auch die Kunft 
war Birdheimern nicht fremd. Die Muſik übte er felbft ale 
Liebhaber aus; den Landsmann Albrecht Dürer bewunderte 
er als Maler und liebte ihn als Menfchen, und ed war ein 
tiefer Kummer für ihn, daß er den trefflichen Freund ale das 
Opfer der Quälereien eines böfen Weibes vor der Zeit Bin- 
welfen fah. 

Wie antik fpriht das Bild uns an, das Wilibald ſelbſt 
von feinem Landleben auf dem Gute feines Schwagers, ale 
zu Nürnberg die Peft hauste, uns entwirft. Hier, entfernt 
von ftädtifchen und Staatsgefchäften, lebt er ganz dem Stu- 
dium und der Natur, liest Vormittags in Plata, ficht nad) 
Tiſche von hoher Burg herunter, da ihn das Podagra am 
Gehen hindert, dem Treiben der Landleute auf den Yeldern, 


der. Fifcher und Jäger im Thal und auf den umliegenden 
Strauß, Hutten. I 21 





322 I Bud. X. Kapitel. 


Hügeln zu; empfängt und bewirthet Befuche aus der Rad 
barfchaft, oder auch die eigenen Maier und Bauern mit Weib 
und Kind; der Abend gehört wieder dem Studium, befonderd 
gefchichtlicher Werke und folder, welche von den Eitten der 
Menfchen oder der Herrlichkeit der Natur handeln; dabei wacht 
er tief in die Nacht, und ift der Himmel hell, fo beobachtet 
er .noch mit Inftrumenten den Lauf und die Stellung ber 
Wanbelfterne, in denen er: die Ereigniffe der Zukunft, bie 
Schidfale der Fürften und Nationen zu lefen glaubt. }) 
Bonseinem Manne: folcher Stellung und Haltung, der . 
auch einem Reuchlin und Erasmus es nicht verbarg, wenn 
etwas an ihren Schriften oder Handlungen ihm nicht geflel, 
mußte Hutten, wenn er ihm- eine Arbeit vorlegte, ein freis 


muͤthiges Urtheil erwarten. Bom Hofleben überbieß Hatte 


Birdheimer, der 18 Jahre älter als Hutten, einen Theil feis 
ner Jugend an einem geiftlihen Hofe zugebradht, und aud) 
feitvem in allerlei biplomiatifhem Verkehr mit Kaiſer und 


Fuͤrſten gelebt hatte, eine ungleich gründlichere Erfahrung 


als fein ritterlicher Freund, der darin kaum erft Anfänger 
war. Dieſes Uebergewicht ließ er ihn jegt, nicht ohne freunde 
fchaftliche Ironie, empfinden. Er fand fein Gefprädh über 
das Hofleben -ganz hübſch, aber unreif. 2) Erft wenn Hut 


‘1) In interpretationem Dialogorum Platonis, qui inscribuntur 
Axiochus etc. Preeatio (an Bernhard Adelmann von Adelmannsfelben) .. 
Ex secessu nostro Neopagano (Neuhof) Cal. Sept. 1521. Opp. ed. 
Goldast, p. 232 fg. Die übrigen Züge obiger Schilverung find beſonders 


: aus den Briefen von und an Pirdheimer in ber genannten Sammlung, 


in Heumann’s Documenta literaria, und in v. Murr's Journal zur 
Kunſtgeſch. u. zur allg." Literatur, X. Thl., gezogen. Sonft vgl. über 
P. noch die Dentwürbigfeiten der Charitas Pirdheimer, herausgegeben v. 
Höfler, in der Duellenfammlung für fränf. Gefchichte, 1858; Münd, 
W. P.'s Schweizerfrieg nebſt Biogr. 1826; C. Hagen, Deutfchlande lit. 
u. rel. Berhältniffe im Ref.s Zeitalter mit bei. Rückfſicht auf W. Bird 


heimer, I. 1841. 


2) Aulam tuam legi ac relegi quidem, dd pr) dyfluotos ... 





Yutten’s Sendfchreiten an Wilibald Pirckheimer. 323 


in gleich ihm 20 Jahre lang alle Täuſchungen und Intris 
gen, alle Kraͤnkungen und Zurüdjegungen des Hofverfehrs 
erfahren hätte, würde er im Stande fein, gründlidy und nicht 
Med aus fremder Mittheilung von der Sache zu reden. 
Uebrigens wünſche er dem Freunde, daß ihm Die Erfahrung 
eripaıt bleiben, er im Hofdienſte nicht alt werden, vielmehr 
bald in die Lage kommen möge, einzig ſich felbft, feinen 
freunden und den Mufen leben zu fönnen. 

Beider Männer würdig ift die ‚Art, wie der jüngere Diefe 
Anstellung des Altern aufnahm. Ohne feine Arbeit, die in 
ver That zu feinen jchwächern gehört, weiter zu vertheitigen, 
wendet er fich gegen ben andern Theil des Pirdheinerijchen 
Vieſes, der eine Alnzufriedenheit mit Hutten's Eintritt in 
den Hoftienft nicht verbarg. Eben da er fein Geſpräch über 
das Hofleben unreif finde, follte Pirdheiner, fo meint Hut— 
vn, ihm um fo mehr Zeit laſſen, am Hofe reif zu werden, 
wu ihn nicht ſchon von der Schwelle deſſelben wieder hin⸗ 
wegreißen wollen. Und nun entwidelt Hutten den Freunde 
kinm ganzen Lebensplan in einem ausführlichen Schreiben, 
dad zu dem Anziehenpften gehört, was aus feiner Feder ge- 
Reiten it, und einen gleich tiefen Einblick in fein eigenes Ins 
are, wie in die Bildungsverhältniffe der Zeit gewährt. ’) 


— — - 





Immatıra res tua videtur Aula etc. Bilibaldi Epist. ad Huttenum, 
in Airckh. Opp. ed. Goldast, p. 405; b. Burckhard, I, 142 fg.; Hut- 
teni Opp. ed. Münch, II, 68. Wie Lucian ſpäter in faiferliche Tienfte 
na, ihrieb er eine "Arcdoyla er ray ER) nısCa ouvdsrws, worin ır 
fa anfbeinenden Widerſpruch jenes Schrittes mit feinen früher geäußers 
tea Anicheen auszugleichen fuchte. Binem Kenner Lucian’s, wie Pirckheimer 
wer, if es zugutrauen, daß er bei jeinem pn dydiastos an das cVx Aye- 
wor achte, wie nach Lucian's Ausdruck der Freund feine frühere Schrift 
MR lim werde. 
I} Ulrichi de Hutten eq. ad Bilib. Pirckheimer Patricium Norim- 
sem Epistola vite sue rationem exponens. Aliquid inest 
dovi lector, incundi aliquid, Lege ac vale. Am Schlufle: In uffi- 
ena excusoria Sigismundi Grimm Medici, et Marci Vuyrsung Augu- 
2] * 





324 I. Bud. X. Kapitel. 


In mancher Hinfiht ift e8 eine weitere Ausführung feines 
frühern Schreibene an den Grafen Hermann von Nuenar, 
wo er ähnliche Bedenken gegen feinen Kintritt in höfifche 
Dienfte zu befeitigen hatte. 

Daß eine Verbindung des wifienfchaftlichen Lebens mit 
dem praftifchen fowohl an ſich moͤglich, als für .eine Natur 
wie die feinige Beduͤrfniß fei; Daß insbefondere feine Stellung 
am Mainzer Hofe die Thätigfeit für die Wiffenfchaften nicht 
ausfchließen, diefen vielmehr zu Gute kommen folle: dieß ift 
der kurze Inhalt des Hutten’fchen Sendſchreibens, aus wel- 
chem wir einzelne biographifche Data fchon bisher entlehnt 
haben, von dem wir aber hier eine zufammenhängende Ueber⸗ 
ficht geben müffen. 

"Der Freund fehe ihn nicht gern im Hofdienfte. Auch er 
ſelbſt warne in feinem Dialog: Andere davor, und doch bleibe 
er darin. Was er denn auch Anderes thun- folte? Denn 
tbun müfle er etwas; zum bloßen Studirftubenleben *) fei 
er noch zu jung (er war eben dreißig), wenn er überhaupt 
dazu gemadıt fei. Vorher müfle er ſich noch in der Welt 
herumtunmeln. Auch feine Verwandten und Freunde dürfe 
er um die praftifchen Dienfte nicht täufchen, die fie von ihm 
noch erwarten fönnen. Was er denn mit den Theilnehmern 
feiner gelehrten Befchäftigungen fünftig reden follte, wenn er 
nicht vorher etwas erlebt hätte? Der Freund werde ihn an 
feine zwölfjährige Wanderfchaft erinnern. Geſehen allerdinge 
und fennen gelernt babe er während derfelben Vieles; aber 


— — — — 





ste Vindelicorum. Anno M. D. XVIII. die vero VI. Novembris und 
wieberholt daſelbſt Anno. M.D.XIX. die vero XXX. Aprilis. Datirt if 
ber Brief Auguste. VIN. Galei. Novembr. Anno M.D.XVIll. Wieder: 
abgebrudt bei Burdhard, I, 1-60, zu deſſen Commentar. de U. de 
Hutten eg. fatis et meritis, in 3 Theilen, er den Grundſtock bildet. 
Opp. ed. M., III, 70—100. Bgl. Banzer, ©. 88 fg. 

1) quod in umbram me tam cito et ad sedentarium illud stu- 
dium vocas. p. B ed. Burckh. 





Hutten’s Lebensplarn, nach f. Sendfchreiben an Birdheimer. 325 


nichts gethan, nichts geleiftet. Sie fei nur ein Borfpiel des 
Lebens geweſen: wirklich zu leben müfle er erft anfangen. 
Pirckheimer kenne ihn nicht genug. Seine Ratur verlange 
neben den Studien Umgang mit Menichen aller Art, aud 
ſolchen, die ihm unähnlicy feien. Und viel leichter ertrage er 
dieſes gefellige Geräufch, unter welchem er fi) vollftändig zu 
tfoliren im Stande fei, als die Einfamfeit. Daher fuche er 
Beides zu verbinden, und wie er bereits durch Schriften einige - 
Auszeichnung erlangt habe, fo verzweifle er. nicht daran, auch 
ach in großen Weltgeichäften Ruhm zu erwerben. Dabei 
follen ihn jedoch die theuern Studien beftändig begleiten. 
Die Zreunde irren, wenn fie meinen, feit er fih dem Hof 
dienft ergeben, habe er aufgehört zu ftubiren; weßwegen fie, 
zu feinem großen Leidwefen, mit erfreulicher Ausnahme Pirck⸗ 
heimer's und des Grafen von Nuenar, ihm nicht mehr 
ſchreiben. 

Wie tiefgewurzelt die Liebe zu den Studien in ihm ſei, 
habe er ſchon durch feine beharrliche Bertheidigung Reuchlin's 
bewiefen. Auch ferner werde er, wenngleich nicht immer ein 
vorſichtiger, doch ein eifriger Kämpfer gegen Diejenigen fein, 
welche fich der aufgehenden Sonne der Bildung als hindernde 
Wolfen entgegenftellen, das Licht der Wahrheit in feinem 
Anbruche zu verfinftern, ja auszulöfchen, trachten. Ihren 
Haß werde er nicht zu vermeiden fuchen, fondern nur darnach 
ftreben, daß fie ihn daneben auch fürdhten müflen. Künftig 
gedenke er fie nicht mehr hinterrüds zu verfpotten, fondern 
in's Angeficht zu befämpfen. Den langfamen Fortfchritt der 
guten Sache dürfe man fi) nicht verbrießen laſſen. Endlich 
werde es doch dahin fommen, „daß die beſſern Wiſſenſchaf⸗ 
ten wieder aufleben, die Kenntniß beider Sprachen und mit 
Griechen und SItaliänern verbinde, in Deutfchland Bildung 
ihren Wohnfig nehme, die Barbarei über die hyperboraͤiſchen 
Berge hinaus und bis zum baltifhen Meere verbannt fei. 





326 1. Buch. X. Kapitel. 


Unterbeffen wollen wir das Holz der Palme nachahnien, in: 
dem wir, je ſchwerer jene uns aufliegen, um fo beharrlicher 
emporftreben, und gegen die läftigen Unterdrüder mit un- 
beugfamer Hartnädigkeit und erheben.” Dabei wollen fie 
beide, Pirdheimer als Beteran und Führer, Hutten ald mun- 
terer Recrut, das Ihrige thun; Hutten die Feinde von dem 


Felde abwehren, das Pirdheimer und Andere mit dem Saa⸗ 


men der beſſern Bildung anbauen mögen. 

Wie Erasmus im Rheinland und in Niederdeutſchland 
die Geiſter gewedt, wie Reuclin feine Schwaben unterrichtet 
und gebildet habe, fo fei Pirdheimer der Lehrer Nürndergs 
geworden: Nürnbergs, weldhem an diefer Stelle ein Lob zu 
Theil wird, das der Gelehrte in Hutten dem Ritter, der ge- 
gen die Städte und die Grundlagen ihrer Größe, den Han- 
del, eine ftandesmäßige Abneigung begte, dießmal abgewann. 
Unter allen deutfchen Städten fei Nürnberg die fruchtbarfte 
an guten Köpfen, und wiſſe diefe am beften zu fchägen. An 


. Regiomontan, an Celtes babe es das bewiefen. In Vene⸗ 


dig gebe e8 ein Sprichwort: alle andern Städte in Deutſch⸗ 
land feien blind, nur Nürnberg fehe noch auf Einem Auge. 
Auh in Kunft und Induftrie zeichne Nürnberg fih aus: 
Kürnberger Fabrikate gelten fchon als folche in allen Ländern 
für vortrefflih, und hauptfächlich für unverfälfcht. Der Apel⸗ 
les der neuen Zeit, Albrecht Dürer, fei der Ihrige, dem bie 
Staliäner, die fonft nichts Fremdes anerfennen, ihre Werke 
unterfhhieben, um fie verkäuflicher zu machen. Eine foldhe 
Stadt fei für Pirckheimer's Wirkfamkeit ein dankbarer Boden 
geweien: ungleich ſchwerer und langfamer gehe es mit der 
Einführung humaner Bildung in Hutten’8 Stande. Immer 
ſei hier noch die Meinung herrichend, daß Gelehrſamkeit un- 
ter der Würde eines Ritters fei: dieſe Meinung habe der 
treffliche Eitelwolf, der für ihn und die Wiflenfchaften zu 


früh geftorben, zu entgelten gehabt. Jetzt eröffnen ſich all- 





Hutten's Sendichreiben an Wilibald Pirdheimer. 397 


mältg befiere Ausſichten: die vornehmften Räthe des Kaiſers 
und der Yürften, auch einzelne Yürften felbft, fcheinen der 
Partei des Humanismus günftig zu fein. Darum lobe man 
fie, nenne fie Mäcenaten und Auguſte, nicht weil fie es vers 
dienen, fondern zur Aufmunterung. Dadurch feien fchon 
Einige unter ihnen in die Lage verfegt worden, ehrenhalber 
Gelehrten Gutes thun zu müflen, indem die Ueberzeugung 
fi) feftftelle, daß Begünftigung der Wiſſenſchaften einem Für⸗ 
fin wohlanftehe. Daber gebe fein Rath dahin, daß man 
von bumaniitifcher Seite der Gunft der Fürften alle moͤg⸗ 
lichen Netze ftelle ): um aber dieß zu Eönnen, müfle man in 
ihre Dienfte treten und Aemter von ihnen arfhehmen, wie es 
die Juriften und Theologen auch machen, denen man fidh 
hierin gleichzuſtellen habe. 

| Davon möge ihn (hiemit ft Hutten von feiner Ab⸗ 
fhweifung zum Thema feines Schreibens zurüdgelangt) ber 
Freund niet abmahnen. Er könnte es mit Grunde nur dann, 
wenn Beides unvereinbar wäre: aber ‚gerade Pirdheimer ſelbſt 
habe am fdhlagendften bewielen, daß man unter Staatsges 
fchäften, ja im Kriegsgetümmel, noch Muße für die Wiſſen⸗ 
{haft übrig behalten könne. So großen Beifpielen will füch 
Hutten nicht zur Seite ftellen: aber Dad muß er wieberholt 
erklären, daß die Beichränfung auf ein reines Gelehrtenleben 
feiner Ratur entweder überhaupt nicht, oder doch jeht noch 
nicht, angemefien .ift. „Laß exit”, ruft er dem gereiften 
Freunde zu, „diefe Hitze verbraufen, dieſen raftlofen und bes 


1) Mit welcher Ironie gegen bie großen Herren Hutten dieß betrieb, 
fann man z. B. aus feinem Briefe an Erasmus vom 6. Mär; 1519 
(Opp. ed. M., III, 126) erfehen. Hier fordert er. den Brasmus auf, 
feinen Erzbifchof Albrecht um der Gunf willen, bie er ihm (Hutten) 
widerfahren lafle, nur vecht zu loben; er und andere Gelehrte werden 
ed zu genießen haben; ber Erzbifchof Hoffe gleich, es werde in eine von 
bes Erasmus Schriften fommen, wenn er einem Sumaniften eine Gunſt 
erweiſe. 





328 | I. Bud. X. Kapitel. 


. weglichen Geiſt ein wenig müde werden, laß ihn jene Rube 


erft verdienen, zu ber du mich vor der Zeit, wie es mir 
fheint, beruffl.” 

Für jene Bereinigung von Geſchaͤften und Stubien fel 
gerade feine Stellung am Mainzer Hofe befonders geeignet. 
Der gütige Zürft habe ihn von den gewöhnlichen Berathuns 
gen und dem gemeinen Gefchäftsgange dispenſirt. So habe 
er, troß der. vielen Unruhe, die ihm während dieſes erften 
Jahres die Sorge für feine Einrichtung und die Einlernung 
der Hofbraͤuche gemacht habe, doch viel ftudirt, auch Etliches 
gefchrieben. Um überall lefen und arbeiten zu können, führe 
er eine tragbar? Bibliothek mit ſich, und eben jegt fuche er 
einen jungen Menfchen als Borlefer, Schreiber und Hands 
langer bei feinen gelehrten Arbeiten. 

Wo er er denn hin follte, wenn Pirdheimer ihn nicht 
am Hofe willen wolle? Diefer dürfe Hutten’d Lage nicht 
nach der feinigen beurtbeilm. In Städten laſſo fih ruhig, 
ja bequem, ftudiren: nicht fo auf einer Ritterburg. Hier lafr 
fen die Enge und Unruhe, die Sorgen für die Wirthſchaft und 
für die Bertheidigung, einer wiſſenſchaftlichen Beichäftigung 
feinen Raum. Das fei nicht der ruhige Port, In welden 
ihn Pirdheimer aus den Stürmen des Hoflebens rufen bürfte. 
Bolllommene Ruhe und Eicherheit fei auf Erben nirgende 
zu finden; nicht allein der Hof fet ein ftürmifches Meer, fon» 
dern das Leben überhaupt. So ſchlimm fei das Hofleben auf 
feinen Fall, als Hutten’s früheres Reifeleben, wo es ihm oft 
am Nöthigften gefehlt, und er aud Mangel fih zum Kriege: 
dienft habe bequemen müflen. 

Nicht Liebe zum Wechfel oder Genußfucht, das dürfe 
Wilibald ihm glauben, fondern die klar erkannte Nothwendig⸗ 
keit habe ihn dem Hofleben zugeführt. Er habe fich fein bes 
ſtimmtes Ziel geſteckt: aber um biefes zu erreichen, bebürfe er 
einer Unterfläpung, einer Wegzehrung gleichfam, und die folle 





Hutten's Senbfchreiben an Wilibald Pirdheimer. 329 


der Hof ihm reihen. Wie? das wolle er dem Freunde bei 
Gelegenheit mündlich auseinanderfegen. Es fei ein vernünfs 
tiger Ehrgeiz, der ihn antreibe, feinen Ramen und feine 
Würde zu behaupten, feinen angeborenen Abel durch perfön- 
liches Verdienſt fih erft wahrhaft anzueignen, den Ruhm und 
Glanz feiner Familie zu vermehren. Berfäumte er dieß über 
feinen gelehrten Beichäfigungen, fo würbe er gerade dadurch 
feine Standesgenofien in ihrem Borurtheil gegen die Wiſſen⸗ 
[haft beftärfen. Gewiſſermaßen rechne er bei feinem Plane 
auh auf das Glüd. Manches könne nur das Glüd ihm 
geben; während es ihm auf der andern Seite nichts, was 
der Rede werth wäre, nehmen fönne Da fein Vermoͤgen 
auf feinen Kal zureiche, um davon fo, wie er wünfchte, leben 
zu Eönnen, fo läge wenig daran, wenn er aud vollends 
darum fäme. Seinen Adel aber könne das Glüd wohl er- 
höhen, aber nicht vermindern. Seine Gemüthsruhe werde 
er zu behaupten willen; denn er glaube die Faſſung fi erw 
rungen zu haben, daß er zu gleicher Zeit nach Ehren trach⸗ 
ten, und fie verachten Fönne. 

So möge der Freund ihn erft dann vom Hofleben ab» 
pflüden, wenn er. darin reif geworben fein und feinen Zweck 
erreicht haben werde. Habe er erft einmal etwas gethan, 
das Zeugniß gebe, daß er gelebt, dann wolle er fich in wiſ⸗ 
ſenſchaftliche Ruhe und Verborgenheit begraben, und der flol« 
zen Hofleute, der Adeligen, Theologen und Juriſten lachen. 

Nach allerhand Mittheilungen über den Reichstag, über 
fein förperliches Befinden und feineg Umgang in Augsburg, 
fommt Hutten auf Literarifches, auf des Erasmus neue Aus⸗ 
gabe des Neuen Teftaments, Budaͤus' Commentar zu ben 
Pandekten, und andere Zeichen des Auflebens der Wiſſenſchaf⸗ 
ten in Deutfchland und Frankreich zu reden; worauf er feinen 
Brief mit dem fchönen Triumphrufe fchließt: „DO Jahrhun⸗ 
dert! o Wiſſenſchaften! Es ift eine Freude, zu leben, wenn 





330 [. Bub. X. Kapitel: 


auch noch nicht, fich zur Ruhe zu fegen, mein Wilibald. Es 
blühen die Studien, die Geifter regen fih: du, nimm ben 
Strid, Barbarei, und mache dich auf Verbannung gefaßt!” 

Durch diefes Senpfchreiben war Hutten fid, bewußt, ſei⸗ 
ner Freundfchaft mit Pirckheimer und dieſem felbft ein blei⸗ 
bendes Denkmal gefegt zu haben. Auch fchrieb er dieß offen- 
herzig an den Freund, als er ihm eine Anzahl gebrudter 
Exemplare (fammt dergleichen von dem Geſpraͤch über das 
Hofleben und der Türfenrede) zur Ablieferung an den Nuͤrn⸗ 
berger Buchführer und zur Beforgung nad) Leipzig über- 
ſchickte.) 


1) Huttenus Bilibaldo. Auguste Martinalihus. Opp. ed. M., 
II, 62: Habes, mi Bilibalde, perpetuum, nisi omnis nos, quam in 
literis reposuimis, spes fallat, testimonium de te meum, aut testi- 
monium potius amicitie nostre, quam, rogo, studiosissime colas. 





Eilftes Kapitel. 


Hutten’s Krankheit und die Guaial: Eur. 
(1508—) 1518. 





Schriften: De Guaiaci medicina et morbo Gallioo liber. 


Liberis omnibus ac vere Germanis. Prafatio in T. Li- 
vium. Febris, Dialogus. 


Schon zu wiederholten Malen iſt in unſerer Erzaͤhlung von 
der Krankheit die Rede geweſen, welche den Helden derſelben 
beinahe von ſeinem erſten Hervortreten an, unter allerlei 
Wechſel von Linderung und neuem Ausbruch, bis hieher 
verfolgte, wo er endlich durch eine Radicalcur mit derſelben 
fertig zu werden ſuchte, und dem Mittel, durch das er dahin 
gelangt zu ſein glaubte, in einer eigenen Schrift ein Denk⸗ 
mal ſetzte, in welcher er zugleich eine Geſchichte feiner Krank: 
heit gab. Eben aus diefem Grunde haben wir ein genaueres 
Eingehen auf den Gegenftand bis zu diefer Stelle aufgefpart. 

Bekanntlich war es die venerifche Krankheit, an welcher 
Ulrich Hutten bereits feit 10 Jahren litt.) in Leiden, das, 


1) De Guaiaci medicina et morbo Gall. c. IV. Opp. ed. Münch, 
II, 254 fagt er zwar: Tanto periculo .. cum hoc malo nonum jam 
annum luctor, was, da die Schrift im Herbſt und Wintersanfang 1518 
verfaßt ift, das I. 1509 als das Anfangejahr ber Kramfheit geben 





339 I. Buch. XI. Kapitel. 


wie: es ihn körperlich zu Grunde gerichtet hat, fo von den 
Gegnern feiner Beftrebungen benugt worben ift, ihn wo mög» 
lich auch moralifch zu vernichten. Beſonders die Tatholifche 
Polemik, von Rainaldi bis auf Weidlinger, und von diefem 
bis auf die Ultramontanen unferer Tage herab!), hat dieſen 
Umftand mit Vorliebe ausgebeutet. Ihr gegenüber haben. fich 
Hutten's Verehrer in der Regel hinter die Möglichkeit zurück⸗ 
gezogen, daß man zu jener Zeit, ald das Uebel nody in ber 
ganzen Heftigfeit feines erften Ausbruchd wüthete, wie 3. B. 
Herder ſich ausprüdt, „Tehr unfchuldig dazu kommen konnte‘; 
dag aber Hutten wirklih fo dazu gefommen fei, aus ber 
Dffenherzigfeit gefolgert, mit welcher er überall von der Sache 
rede.) Wir laffen, um uns nicht befangen zu machen, den 
moralifhen Gefichtspunft einftweilen ganz aus dem Spiele, 
— ſehen vorerſt nur zu, was ſich über die Art, wie Hut⸗ 

ten zu der Krankheit gekommen, aus ſeinen Schriften ent⸗ 
nehmen läßt. 

Eine ausprüdliche Angabe über diefen Punkt fuchen wir 
in denfelben vergebens. Die frühfte Schrift, in welcher Hut⸗ 
ten feiner Krankheit gedenkt, die Klagen gegen bie Loͤtze, ge: 


würbe. Allein da wir Querel. I, Eleg. I, v. 31 (gefchrieben im Sräß- 
jahr 1510) lefen: 
Bis fera cessit hiems, toties state 'peracta, 

Et valetudo manet quæ fuit ante mihi: 

Foedaque crescendo est viribus aucta lues — 
welche weiterhin ganz mit den gleichen Symptomen wie in ber Schrift 
vom Guaiak befchrieben wird: fo ift wohl biefe frühere Angabe als bie 
genauere zu betrachten, und der Anfang der Kranfheit in das J. 1508 
zu fegen. 

1) Bgl. z. 3. Iarde, Studien u. Skizzen zur Gefchichte der Ref. 
Schaffhauſen 1846. ©. 138, und die Münchner hiſtor. polit. Blätter 
passim. 

2) Herder, Denkmal Urich’s von Hutten. Erſt im Deutfchen Mer 
fur 1776, dann in den Zerfireuten Blättern 1798. — zur Philo⸗ 
ſophie u. Geſch. ZI. Thl. 





Hutten's Krankheit. i 333 


ben nur Dauer und Symptome, nichtd über die Entſtehungs⸗ 
art. Darüber gehen auch die gelegentlichen Aeußerungen in 
fpätern Briefen und Gedichten nicht hinaus. - Wenn Hutten 
in einem Briefe an Fachus von feinem Hinten (einer Folge 
der in Rede ftehenden Krankheit) fagt, er wiſſe nicht, folle er 
es dem Unglüd, oder der Tollfühnheit zufchreiben, mit der er 
fi) in der Jugend zu wenig gefchont habe 2); wenn er an 
Pirdheimer fchreibt, nicht durch unmäßiges Leben, wie 
feine näheren: Bekannten willen, fondern durch Studium und 
Reifen, wobei er von Froſt und Hige, Ermüdung, Hunger 
und Durft, gar zu oft und heftig gelitten, habe er fi) (nun 
fagt er aber nicht: jene Krankheit, die er ja davon auch nicht 
wohl ableiten fonnte, fondern:) feine Kränflichkeit, näher eine 
Magens und allgemeine Koörperſchwaͤche, zugezogen; wozu 
noch der übermäßige Blutverluft aus feinen Wunden gefoms 
men fei, der feine Kräfte erfchöpft, und fein Ausſehen bleich 
gemacht habe ?): fo iR hier immer nur von folchen Uebeln - 
die Rede, die fi zu feinem Hauptübel gefellten, oder von 
Urſachen, die daflelbe und feine Folgen verfchlimmerten, von 
feiner Entſtehung erfahren wir nichts. 

In der Schrift über das Guniaf aber, wo Hutten bie 
Gefchichte des erften Auftretens und Umfichgreifend der Frans 


u — — — — — 


1) Ep. ad Phachum, Opp. ed. M., I, 144: Adhuc vVulcanum 
smulor . . : ncscio an fortun®e hoc potius, quam temeritati mes 
adsceribam, quod mihi in tenera ætate nullis malis subeundis pe- 
perci. i 
2) Ep. ad Bilib. Pirckh. Opp. III, 85: Porro mala si possem 
fugere, quæ vellem prius, quam . . morbos ... : qüum nullam ob 
vitz intemperantiam, quod sciunt qui mecum versantur, sed stu- 
dio et peregrinatione.stomachi imbecillitatem contraxerim, et cor- 
pus infirmum reddiderim: quod et in- peregrinatione multa sustinui 
incommoda, nunc frigus et estum acerbius, nunc famem et sitim 
frequentius, aliquando nimiam itinerando futigationem perpessus. 
Quæ prater, ob nimium e vulneribus emissum sanguinem, virium 
corporia inanitio et nativi ruboris attenuatio accessit. 





334 L Bud. XI. Kapitel. 


zofenkranfheit in Europa gibt, grenzt er das erſte Stadium, 
während deſſen die Seuche epidemifch gewefen und auch ohne 
Gontagium entftanden fei, beiläufig mit dem fiebenten Sabre. 
feit ihrem Erſcheinen, alfo mit d. 3. 1500 ab; feitvem, fagt 
er, fei es glaublich, daß. fie Keiner mehr anders ald durch 
Gontagium, und zwar vorzugsweile durch den Beifchlaf, bes 
fomme '): in dieſes leptere Stadium fällt aber feine eigene 
Anſteckung. Freilich darf man fich aber nur an die Unrein⸗ 
lichkeit jener Zeit erinnern, und von den Hofbetten, die Hut⸗ 
ten in feiner Aula befchreibt 2), den. Schluß auf bie. Lager- 
Rätten in den elenden Herbergen machen, in denen er auf 
feinen Reifen fo oft zu. übernachten hatte, um allerdings ein 
anftedendes Eontagium, audy ohne jene fpecifiihe Beranlaf- 
fung, in biefem zweiten Stadium der Krankheit noch fehr 
möglich zu finden. Wie leicht war es für Hutten, mit einem 
einzigen Worte auf eine ſolche Entſtehung feines Uebels bins 


zuweiſen: aber nirgends hat er es gethan. 


Run darf man aber hieraus auch wieder nicht zu eilig 
fhließen, daß er fich alfo einer andern, minder unfchuldigen, 
Urfache feiner Krankheit müffe bewußt gewefen fein. In unſe⸗ 
rer Zeit würde, wer fundbar an dieſem Uebel litte, und ſich 
bewußt wäre, auf jenem unverfänglichen Wege dazu gefoms 
men zu fein, dieß gewiß nicht verfchweigen: aber in unfrer 
Zeit würde auch Niemand, wie Hutten, feine Beobachtungen - 


1)'De Guaiaci med. et morbo Gall. c. I. Opp. Ill, 249: Hunc 
nulli hoc tempore adnasci, nisi contagio qui se polluerit, credibile 
est, quod in cöoncubitu maxime solet evenire. 

2) Aul®, Opp. Ill, 55: Adde lectos, non impuros tantum, sed 
et pestilentes spe, ubi ille dormierat, paucis ante diebus morbo 


“ Gallico adesus, ubi leprosus aliquis desudaverat. Lodices sextum 
ante mensem loti, in quibus se volutaverant morbosi illi, unde ' 


multam ‚saniem, multum pus exceperunt. Atque hæc omnia tunc 
magis objiciuntur, quando vaga est aula, ut in aliis atque aliis di- 
versoriis pernoctandum sit etc. 





Hutten’s Krankheit. 335. 


über die Luftfeuche und deren Heilung einem Erzbifchof mit 
der naiven Wendung zueignen, er wünfche nicht, daß ber 
hochwürdige Herr fie. jemald felbft nöthig haben möge, das 
wolle Gott verhüten! aber an feinem Hofe Fönnen fie viels 
leicht gute Dienfte leiften ); Niemand würde heut zu Tage, 
wie abermald Hutten, ohne Roth von feinem noch lebenden 
Bater druden laffen, daß aud er an dieſem Uebel gelitten 
habe.2) Daraus geht hervor, was Kennern jener Zeit und 
ihrex Literatur ohnehin befannt ift, daß diefe Krankheit übers 
haupt damals noch anders angefehen, daß die befondere 
Schande, wie jegt, noch nicht mit derfelben verbunden warz 
wenn bieß aber zu einer Zeit der Fall war, wo man bereite 
wußte, daß fie ſich in der Regel nur noch durch gefchlechts 
liche Berührung, begreiflicherweife vornehmlich die vage, fort 
pflangte, jo folgt, vaß man audy von diefer legteren felbft das 
mal® anders, ale heute bei verfeinerten Sitten, gedacht haben 
muß. Ä 
Das ganze Mittelalter war, wie befannt, in diefem 
Stüde weit weniger ftreng, als man von feiner religiöfen 
Weltanfhauung erwarten ſollte. Man denke nur an die 
breite und unbefangene Rolle, welche in der Gefeßgebung und 
Literatur jener Zeit die gemeinen Srauenhäufer fpielen. Schon 
der erzwungene Eölibat der Geiftlihen nährte, gerade in den 
gebildetern Kreifen, eine lare, um nicht zu fagen frivofe Denk⸗ 
art über folche Dinge. Im funfzehnten Jahrhundert fam nun 
in eben diefen Kreifen, durch das erneuerte Stubium der Als 
ten, deren naturaliftifche Lebensanfchauung hinzu. Was bie 


— —— — 





1) Am Schluſſe der Schrift, ©. 326: Quae ita Celsitudini Tuae 
conscripsi, ut non vellem his quidem uti Te (faxit hoc enim ser- 
vator Christus, ne unquam debeas), sed ut in Tua haec aula 68- 
sent, omnium necessitati exposita .. 

2) De Guaiac. med. etc. Cap. III und X. 





336 I. Buch. XI. Kapitel. 


dahin für eine läßlihe Sünde gegolten hatte, Die fich dm 
Beichte und eine leichte Buße abthun ließ, das erfchien jept di 
etwas Natürliches, wobei es auf die nähern Umftände aui 
ob es überhaupt zu fchelten fei. Daher drücken ſich bie (u 
manijten jener Tage über Verhältnifie und beziehungeme 
Bergehungen dieſer Art in einer Weife aus, in die wir mi 
faum finden fönnen. Der würdige Mutian erfcheint und; 
folhen Stellen feiner Briefe gar zu cyniſch ?), und 
Dürer’8 bievermännifche Scherze über Willibald Bi 
zahlreiche Buhlſchaften ) gar zu plump. Daher, als 
jene Krankheit auftrat, erfchien, von ihr befallen zu 
gerade in diefen Bildungsfreifen am wenigften als ein 
flef, den man zu verfteden, fondern als ein Unfall, I 
den man fo laut wie über jeden andern zu Flagen w 
Recht hätte. x 

Fällt aber hienach ver Schluß dahin, daß Hutten, wei 







1) Audivi aliquid de sponsa, fchreibt er einmal an Herbon iñ 
der Marthen (Epist. 125 Mspt.). Cave, futuas in matrimonio. ( 
tentus sis fututione extraordinaria. Und als fein vertrautefter Fo, 
ber -im Uebrigen gleicyfalls treffliche Pater Urban, Defonom der Gier 
zienfer von St. Georgenthal, eine Nonne geſchwängert und entführt hec 
machte er fait einen Scherz daraus (Ep. 106, 107). Unteöftlich baygb 
iſt er über Coban's ungeſchickte Heirath, cum (führt er zuftimmend at 
einem Briefe von GBrotus an, Ep. 470) vilius futuere constet. 
Ende tröftet er ſich doch Darüber durch die. Erwägung: tamen mei 
est, habere legitimam, ut turpiora vitemus. Bei Mutian Bing. 
alles an feiner Liebe zur genügjamen Unabhängigfeit, die er nur im" 
libat zu finden glaubte: O nos felices elericos. Quid enim bern 
lectulo dulcius? (Ep. 462.) 

2) ©. Bertraute bidermännifche Briefe Albrecht Dürer's an ®. Si 
heimer aus Venedig, v. I. 1506. In v. Murr's Iournal zur Sk 
geihichte ac. X, 1fg. Hier findet fih auch ©. 23 fy. die Neufermg 
„Sprecht, daß unfer Prior für mich bitt, daß ich behüt werb, und IE 
derlich vor ben Frantzoſen, Dann ich weiß nir, das ich ipt übeler ir 
dann fehler Jedermann hat fie.‘ 





Hutten's Krankheit. 337 


er fich bewußt war, „unſchuldig“ zu feinem Uebel gekommen 
zu fein, dieß zu feiner Ehrenrettung nothwendig auch gefagt 
baben müßte: jo läßt fi Doch auf der andern Seite, Hutten 
als Sohn feiner Zeit und ihrer Denkweife betrachtet, auch 
nicht mehr von vornherein wahrfcheinlid finden, daß er ſich 
aller derjenigen Berührungen enthalten haben werde, bei wel- 
hen auf dem gemeinen Wege zu jenem Uebel zu gelangen 
war. Sobald aber diefe Enthaltung nicht als wahricheinlich 
zu erweilen ift, fo wird es für die moralifche Beurtheilung 
ganz unerheblih, ob nun Hutten bei einer ſolchen Gelegen- . 
beit. von dem Uebel betroffen worden, oder hiebei zwar zus 
fällig frei ausgegangen, dafür aber ein andermal unfchuldig 
dazu gekommen if. Was wir im Befondern von dem Nar 
turell und der Lebensart des Mannes willen, dient nicht Dazu, 
jene Wahrfcheinlichkeit zu erhöhen. Wenn Erasmus fpäter 
von Hutten’s, gelind ausgedrüdt, foldatifchem Wandel, feinem 
Hange zu Berfhwendung, Spiel und Dirnen, von Aus: 
fchweifungen fpricht, die felbft feine elende Krankheit ihm 
nicht habe abgewöhnen fünnen ): jo werden wir zwar nidıt 


— — — —— — —— — 


1) Erasmi Epist. ad Lutherum, Basil. postrid. Non. Mai 1524. 
Hutteni Opp. ed. Münch, IV, 570 fg.: In Spongia modestiam desi- 
deras, cum ibi de vita Hutteni, luxu, scortis, alca perditissima .. 
nullum... verbum fecerim. ®2gl. Erasmus candido Lectori, Hinter 
ber zweiten Auflage der Spongia, a. a. D. p. 492. Derf. Jo. Botzemo, 
Catal. Lucubratt. ed. Basil. 1587, p. 48: Nunc appellabo conscien- 
tiam illorum, qui Huttenum domestice noverant, quamquam et hi, 
‚ quibus cum illo nulla erat familiaritas, norunt, quam fuerit omnis 
illius vita militaris, ne verbo utar acerbiore: et tamen in tota Spon- 
gia nusquam objicio luxum, quem illum nec miserabilis ille mor- 
bus dedocere potuit, nusquamı aleam aut scorta, nusquam pro- 
fusione decoctam pecuniam, conflatum aes alienum ac frustratos 
creditores. Melanchthon Spalatino, v. 3. 1523. Corpus Reforma- 
torum, ed. Bretschneider, I, 626: Nos invidia oneramur (burdh 
HSutten’s Expostulatio gegen Erasmus): ipse interea oblectat se for- 
tasse in ganeis. 

Strauß, Sutten. I. 22 





338 1. Buch. XL Kapitel. 


vergeflen, daß das die Nachrede eines Feindes ift, der damals 
durch einen Angriff Hutten’s- (von dem an feiner Stelle die 
Rede werden wird) aufd Aeußerſte gereizt war. Auf der an⸗ 
dern Seite jedoch fpriht Erasmus davon öffentlich fo als 
von etwas Notoriſchem, wie er ſchwerlich wagen fonnte, wenn, 
bei aller Uebertreibung vielleicht, nicht doch etwas an der 
Sache war. Und einen ftarfen Trieb zum finnlichen Liebess 
genufle, der nur durch feine Kränflichfeit in Schranken ges 
halten fei, befennt Hutten, wenn auch in fcherzbafter Form, 
felbft.)_ Halb ſcherzhaft mag e8 auch geweien fein, wenn 
Pirdheimer ihn während feiner Guaiak-Cur ermahnte, fich 
der Liebeöwerfe zu enthalten: aber Hutten beruft fic) Dagegen 
auch nur auf feine Erfhöpfung durch die firenge Diät bei 
diefer Eur, um dem Freunde jeden Verdacht folcher Art zu 
benehmen. 2) 

Auch mit Hutten’d geiftiger Eigenthümlichkeit, wenn man 
diefe richtig erfannt hat, wäre ein ftreng geregelted Jugend⸗ 
leben (und im Beginne ded Munnesalters ftarb er ja ſchon) 
fhiwerer zufammen zu denken, als das Gegentheil. Zwar 
von unmittelbarer Einmiſchung des Sinnlihen find feine 
Schriften durchaus rein: felbft in feinen Briefen findet man 
(eine Seltenheit in jener Zeit) weder Zoten noch Zweideutigs 
feiten. Aber ein Sturm geht durch Diefe Schriften, wie Durch _ 
das Leben ihres Berfaflers, der aus einem tief leidenfchaft« 
lichen Gemüthe ftammt. Was in denfelben brennt, ift nicht 
das weiße flille Gaslicht der Idee, jondern die braufende 


— — — 


1) Febris secunda, Opp. il, 416, wo das Fieber zu Hutten ſagt, 
er follte c6 ein ganzes Sahr bei fich beherbergen, absolute sapientem 
ut facerem, hac adempta tibi salacitate, qua praepeditum est tibi 
diu jam serium illud sapere. 

2) Epist. ad Bilibald. Opp. IU, 95: Quum tibi interim satis 
attenuari non videar, quia antyeodar ro dppodıolav horteris: quem si 
videas ut palleam, ut macer et exsuccus sim, nihil tale suspiceris. 





Hutten's Krankheitszuſtand. 339 


rothe Flamme, die auf derbere Nahrung hinweiſt. Bewun⸗ 
dern wir, wie rein ſie dieſe verzehrt, erfreuen uns an der 
Wärme und dem Lichte, die fie verbreitet, aber rechten wir 
nicht mit ihr über die Stoffe, welche fie in ihr lauteres 
Element zu verwandeln weiß. Nehmen wir die großen 
Menfchen wie fie nun einmal find, und laflen uns am Ende 
aud das gefallen, wenn der Mann, welcher des Wahl 
ſpruchs: Jacta est alea! im Sinne des höcdhften geiftigen 
Wagniſſes fi bediente, daneben an dem Wagniß des ges 
meinen Würfelfpield mehr als billig Gefallen fand. 

Den Jugendfehler, defien wir ihn fchuldig achten, hatte 
nun aber Hutten in einem Grade zu büßen, welcher felbft 
des umerbittlichften Sittenrichterd Strenge in Mitleid verwan- 
deln muß. Die Krankheit, wie jchon erwähnt, war damals 
zwar nicht mehr in ihrem erften, doch immer noch in einem 
Stadium, deſſen furdtbare Symptome über ihre heutige Er⸗ 
fheinungsform weit hinausgingen; während die Arzneikunft 
ihrerfeit8 noch im unfichern Tappen nach der rechten Behand- 
lungsart begriffen war. Dan weiß daher nicht, was fchred- 
licher ift, die Befchreibung, die und Hutten von feinem Zus 
ftande, oder die er und von den Quaälereien macht, weldye 
von unverftändigen Aerzten ald Euren über ihn verhängt 
wurden. Die Schäden, an denen er litt, waren theils offene, 
fließende Gefchwüre: eined auf dem linfen Schienbein, und 
ein fiftelartiges, deſſen jchon die Duerelen Erwähnung thun, 
unter der unteriten Rippe der rechten Seite. Theil waren es 
gefchlofjene Anfchwellungen, knochenartige Verhärtungen an vers 
fchiedenen Stellen des Körpers, befonderd der Beine: dieſe 
ebenfo wenig zu erweichen und zu öffnen, als die erfteren 
zuzubeilen. Außerdem war die rechte Hüfte fammt dem 
Schenkel, und der linke Arm fammt der Schulter, bis auf 
Haut und Knochen gefhwunden und gelodert; Stehen, Ge 
hen, Armaufheben und Drehen des Kopfes erfchwert; zeiten- 

22* 





340 - 1 Buch. XI. Kapitel. 


weife trat ein Zittern aller Glieder ein; die Geſchwuͤre und 
Berhärtungen waren zum Theil unleidlich ſchmerzhaft; die 
Ausftüffe fo efelhaft und übelriechend, daß der Kranke nicht 
allein Andern, fondern auch fich felbft, zur Laft und zum 
Abſcheu war.) Kein Wunder, dag Kurfürft Albrecht äußerte, 
er könnte Hutten wohl gebraudyen, wenn er nur in beflern 
Gefundheitsumftänden wäre, Kein Wunder aber au, daß 
diefer es body anjchlug, wenn Einer, wie fein Verwandter, 
der Augsburger Domherr Johann von Wirsberg, durch den 
Dunftfreis feines luftdicht verfchloffenen Kranfenzimmers ſich 
nicht abhalten ließ, ftundenlang bei ihm zu figen, und ihn 
durch Gefpräcd und Erzählungen aufzuheitern. 2) Früher hatte 
ein andrer Freund, als er Hutten’s gräßlichen und wie es 
ſchien hoffnungslofen Zuſtand ſah, ihm geradezu den Rath 
gegeben, ſich umzubringen. ®) 

Diefe Schäden und Leiden nun hatte bisher Hutten nicht 
etwa ruhig abwarten können, fondern fie auf jeinen Reifen 
von Greifswald bis Nom, von Wien und Olmütz bis Mainz 
und Paris mit fid herumgeichleppt. Es fehlte ihm an Ruhe, 
fehlte ihm, da er noch dazu meiftens von Mitteln entblößt 
war, an Pflege, und er war nicht jelten genötbigt, in Er— 
mangelung von Xerzten, die freilich ihrer Mehrzahl nach auch 
wenig Hiülfe brachten, ſich Pfuſchern und Duadjalbern ans 
juvertrauen. Alles Möglidye war im Laufe diefer zehn Jahre 


1) De Guaiaci medic. ete. Cap. XXV. Opp. Ill, 315: cum . 
ita essem aspectu et odore foedus, ut omnibus essem gravis, 
quibusdam odio etiam. Praefat. ad Albertum etc. p. 245 : ut omni- 
um prope rerum ipsum me aegerrime tulerim. i 

2) Epist. ad Bilib. Opp. Il, 96: .. re ipsa amicum se ostendit: 
frequens mihi in hoc valetudinario adfuit, etiam tunc, quum ob 
morbi foeditatem spureissime foeterem. Nam et aliquot saepe ho- 
ras adsedit, miscendo jucundas de more fabulas etc. Die Aeuße— 
tung bes Kurfürften ift angeführt in der Praefat., a. a, ©. 

3) De Guaiaci med, etc. C. XXV, p. 314. 





Curen. 341 


an ihm verſucht worden: Bäder und Traͤnke, Baͤhungen und 
Aebmittel jeder Art. Das Schredlichfle war die Schmiercur. 
Mit Salz und Mennig, Roft und Grünfpan, Blei und 
Queckſilber (dad Einzige, was wirkte), gepulverten Myrrhen 
und Würmern, Betten und Delen aller Gattung, wurde ber 
Kranke eingefchmiert, in Betten gewidelt und in ein glühend 
geheizted Zimmer 20, 30 Tage lang eingefchlofien. Ein flin- 
fender Speichelfluß ftellte ſich ein, die Zähne wurden loder, 
Lippen und Gaumen wund, der Appetit verlor fih, wa® ben 
quälenden Durft geftillt haben würde, das vertrug der Mas 
gen nicht. Diefe Eur, über der Manche das Leben, Andere 
den Berftand verloren, machte Hutten in verfchiedenen Yors 
men eilfmal durch. Mittelft Alaun, den er in den Mund 
nahm, rettete er feine Zähne; feiner firengen Diät glaubte er 
ed zu verdanfen, daß er von Knochenfraß und Entftellung 
des Gefichtes verfchont geblieben, auch die Sprachwerkzeuge 
nicht angegriffen worden waren. Alle diefe Mittel aber hats 
ten, fo, wie fie angewendet wurden, im beften Yalle (denn 
manche hatten ſich mehr ſchaͤdlich als zuträglich bewiefen) 
palliativ gewirkt. Cine Rabicalcur hoffte der Kranke von dem 
Guniafholze, zu deflen Gebrauch ihm fein Freund Steomer, 
der Leibarzt feines Yürften, gerathen hatte. ?) 

Die Eur war einerfeitd eine Hungercur, andrerſeits 
wurde das Decoct von den Spänen des Guaiakholzes ger 
trunfen, während der Kranke in einem ftetig geheizten, dem 
Zutritte der Luft möglichft verfchloffenen Zimmer, einen hell 
des Tages im Bette, fi aufhiell. Die offenen Schäden 
wurden dabei mit einer Salbe von Bleiweiß, oder auch nur 
von dem Schaume ded Guaiakdecocts, behandelt. Nach 
40 Tagen durfte Hutten wieder ausgehen; doch fand es noch 


nme — 


1) De Gusiaci med. etc. Cap. VII, p. 262. 





342 I. Bu. XI Kapitel. 


einmal 40 Tage an, bis der Schaden an feinem Schienbein 
ganz zugeheilt war. Nun aber fühlte er fi auch wie neu- 
geboren, die gefhwundenen Kräfte ftellten fich wieder ein, 
und er ſcherzte bald darauf über fein Fettwerden. ) Bon 
dem Holze, dem er feine Rettung zu verdanken glaubte, 
fpricht er als von einer göttlichen Wohlthat, einer vom Him⸗ 
mel herab gebotenen Hülfe, mit einer Art von religidfer Ber- 
ehrung, und er hielt e8 gewiflermaßen für Pflicht der Dank⸗ 
barkeit, es durd eine Schrift zu verherrlichen und der leiden⸗ 
den Menfchheit befannt zu machen. 2) 

Ueber das Guaiafholz als vermeintliches Specificum ge- 
gen die Luftfeuche hatte ſchon das Jahr vorher der Profeflor 
und Faiferliche Phyficus Nicolaus Pol einen Traftat verfaßt, 
und denfelben dem Gardinal von Gurk, Matthäus Lang, ges 
widmet, der um die Erforfhung und Bekanntmachung des 
von den Spaniern auf St. Domingo gefundenen Heilmittels 
ein befonderes Verdienft in Anfpruch nahm. ®) Sept forderte 
Poll's College, der getaufte Jude Paul Ricius, Hutten auf, 
dem Guagiak feine Feder zu widmen, und feine Schrift gleich⸗ 
falls jenem Gardinale zuzueignen. Zum Erfteren war Huts 
ten ſchon von felbft geneigt; aber die letztere Aufforderung 
empörte fein ganzes Selbftgefühl, da er dem folgen Kirchen⸗ 
fürften die geringfchägige Behandlung nicht verzeihen konnte, 
Die er vor 6 Jahren in Bologna von demfelben hatte erfahren 
müffen. *) Hutten begann feine Schrift nach Vollendung ſei⸗ 


1) De Guaiaci med. Präefat. p. 245: quum .. depulsa omni in- 
valetudine vires ita receperim, ut de novo factus ac renatus homo 
videar. Febris secunda, Opp. II, 416, fagt das Fieber zu Hutten, 
es wolle ihn mager machen, jam.. pinguescis enim tu: 

2) De Guaiaci med. Praef., a. a. O. 

8) S. Burckhard II, 114 fg. Note. Bgl. Guniac. Cap. XI, p. 278. 

4) Pauli Ricii Epist. ad Huttenum, Augustae 4 Id. Nov. Hut- 
teni Ep. ad Ricium, Aygustae Id. Nov. 1519. (zu lefen 1618). In der 





Hutten's Schrift über die Franzofenkranfheit und bas Guaiaf. 343 


ner Eur in Augsburg im Herbft 1518, und vollendete fie 
mit einer Zueignung an feinen Kurfürften um Neujahr 
1519. 2) 

Die Schrift handelt in 26 Kapiteln fehr methodiſch und 
in ausgezeichnetem Latein von dem Urfprung, den muthmaß- 
lichen Urfahen und den Symptomen der Luftfeuche; den bie- 
ber, und insbeſondre auch von Hutten felbft, gegen fie ges 
brauchten Mitteln; kommt fofort auf das neue Specificum, 
das Guaiafholz, feine Auffindung, Natur und Zubereitung, 
zu reden; gibt hierauf von der mittelft deſſelben vorzunehmen⸗ 
den Cur, mit Allem was dabei zu beobadıten und zu ver: 
meiden ift, eine umftändliche Darftelung; bier theilt Hutten 
auch von feinem eigenen Kranfheitszuftande, den jenes Mit- 
tel gehoben, eine genaue Beichreibung mit; worauf Berbal- 
tungsregeln für die Genefenen den Schlug machen. Merk: 
würdig fft biebei, zu fehen, wie Hutten, deflen Profa fich 
uns bisher nur im Sturmlaufe der redneriſchen Declamation, 
oder in dem rafchen Wechfeljpiele des Dialogs gezeigt Bat, 
auch den gemeflenen Schritt der didaktiſchen Darftelung fich 
fo vollfommen anzueignen verfland, ald hätte er von jeher in 
dieſem Felde gearbeitet. | 

Kur an Einer Stelle thut er fi) auch in diefer Schrift 
als Redner gütlih: wo er nämlich, aus Gelegenheit der zur 
Guaiakcur erforderlihen firengen Diät, auf den Lurus zu 


Schrift de Guaiaci med. £eßtere auch Opp. ed. Münch, II, 297 fg. 
Wie Card. Lang durch feinen Emporkömmlingshochmuth auch Hutten's 
damaligen Herrn, den Kurfürften Albrecht, beleidigt Hatte, findet man in 
Chiliani Leibii Annales, in Aretin's Beiträgen zur Gefchichte und 
Liter. VII, 639. 

1) Ulrichi de Hutten eg. de Guaiaci medicinua et morbo Gallico 
liber unus. Wappen bes Erzbifchofs Albredt. Am Schluffe: Mogun- 
tiee in ædibus Joannis Scheffer, mense Aprili, interregni vero 
quarto anni 1519. Cum Privilegio Caesareo sexenniü. Bgl. Banzer, 
©. % fg. Opp. ed. Munch, Ill, 242-897. 





344 1. Buch. XI. Kapitel. 


fprechen fommt, der zu jener Zeit in Deutfchland herrſchech 
geworden war. Diefem Gegenftande widmet er ein eigen, 
und zwar das umfangreichfte Kapitel feiner Schrift.) & 
beginnt mit dem Wunfche, den wir fchon kennen, bag une 
Nation fich endlich felbft erkennen möge, d. h. dießmal ci 
fehen, wie wenig ſich ſolche Wöllerei für das welthercfchenie : 
Volf gezieme. Die Borfahren, die und biefen Rang we: 
kämpft haben, welchen die übrigen Bölfer und nur nom 
Hohne Laffen, haben ein anderes Leben geführt. Zunddk; 
wird bier. gegen das Lafter der Trunfenheit losgezogen; bei; 
noch weniger entfchulobar der Lurus in Speife und Weg. 
gefunden, der jegt einreiße, der Hang zu auslandiſchen Ge, 
würzen, Wohlgerüchen und Kleiderftoffen, welcher die Deu 
ſchen zugleich entnerve und arm made. ‚Den ädhten al 
Deutichen diente nach Plinius, wie noch jetzt Vielen, Habe 
brei zur Rahrung. Wir hingegen fpeifen überfeeifche Biel, 
bie wir für fo unentbehrlich halten, daß es bei unfern Hau 
vätern Grundſatz geworben ift, was bier wächft zu verfaufe; 
um jened Fremde einzuhandeln. Nichts Anderes hat die Guy 
ger fo reich gemacht, weldye, während wir unfres Leibe 
pflegen, allein in Deutfchland Geld und Foftbare Käufer ber 
ſitzen. Denn fo jehr find diefe Diener unfrer Luft emp 
gefommen, daß ihr Vermögen für größer ald das eines jeben 
von unfern Fürften gefchäßt wird.” So bringt denn Hab 
ten dem Safran und der Seide ein förmlicdhes Perest, 
und wünfcht allen denen dad Podagra und die Yranzp 
fen, die nicht ohne Pfeffer fein fönnen. 2) Kernſprüche um 
Beifpiele aus der alten Welt, von Sokrates und Diogenes, 


1) Cap. XIX, p. 292—304. 

2) p. 302: Pereat piper, pereat crocum, ac sericum perek 
Meum igitur summum votum est, ne unquam podagra, unqgusM 
morbo Gallico careant, qui pipere carere non possunt. 





Hutten's Schrift über bie Sranzofenfranfheit und das Guaiak. 345 


Cato und Hannibal, aus der neuern das feines Großvaters 
Lorenz, werben beigebracht; einmal, wo ed gegen bie Geiſt⸗ 
lihen als die Heerführer der Ueppigfeit geht, auch etliche 
Bibelſprüche in's Feld geführt. 

Den eigentlichen Gegenſtand ſeiner Schrift anlangend, 
beſcheidet ſich Hutten, dasjenige zu geben, was er als gebil⸗ 
deter Nichtmediciner allein geben konnte: naͤmlich, außer dem 
Geſchichtlichen, ſeine eigenen Erfahrungen in Bezug auf die 
Krankheit und Cur, mit gelegentlichen Seitenblicken auf das, 
was er an Andern beobachtet hatte. Bei der Ausarbeitung 
war ihm, da Stromer nach dem Schluſſe des Reichstags mit 
dem erzbifchöflihen Hofe nad) Sachſen gegangen war, ber 
zweite Leibarzt, Gregor Coppus, in Einigem behülflich, der 
auch die Handfchrift vor dem Drude durchſah. Gedrudt 
wurde fie zu Mainz, als Hutten bereitd zum Würtembergis- 
Ichen Feldzuge fih aufgemacht hatte; weßhalb ver gelehrte 
Factor der Echefferfchen Druderei, Wolfgang Angft, Urfache 
fand, wegen der vielen Drudfehler um Entihuldigung zu 
bitten. Die Schrift fand fchnelle und weite Verbreitung, 
wurde ind Deutiche (von Thomas Murner), Englifhe und 
Franzoͤſiſche überfegt, und behauptet noch heute in der Ger 
fhichte der Seuchen und der Heilfunde ihren ‘Plag. 

Indem wir nun aber, dem Lefer und uns felbft zu Ger 
fallen, die nähere Erörterung von Hutten's Krankheitsum⸗ 
ftänden bis zu dieſer Stelle verfchoben haben, müflen wir 
und eined Unrechts gegen unfern Helden fehuldig befennen. 
Wir haben ihm nämlih damit bisher die Anerkennung uns 
terfchlagen, die, neben der Bewunderung feiner Schriften 
als ſolcher, der Geiftesftärfe gebührt, welche dazu gehörte, 
um während eines fo fchredlichen, langwierigen und hoffnungs⸗ 
lofen Siechthums Werfe hervorzubringen, an denen nichte 
matt, Alles Gefundheit, Friſche und Leben if. Auch wähs 
rend feiner Guaiakcur ließ fi Hutten vom Stubium, ja von 





346 I. Buch. XI. Kapitel. 


eigenen Ausarbeitungen, wie das ausführliche Senpfchreiben 
an Pirdheimer, durch das Verbot der Aerzte nicht abhalten, 
die nicht wußten, daß dergleichen für ihn nicht Anftrengung, 
fondern Vergnügen war. Das Gedicht an Ehriftoph Hacus, 
defien Beſuch den Kranfen auf Stunden gefund und heiter 
machte (mit wenigen feiner italiänifhen Epigramme in einem 
jener Maße gefchrieben, deren Vorbilder nicht aus Virgil und 
Dvid, fondern aus Horaz und Eatull genommen waren), 
fheint der legten Zeit in Mainz, vor dem Anfang ber 
in Augsburg, anzugehören. *) 

Rod, waren die Schäden an feinem Schienbeine nicht 
vollſtaͤndig zugeheilt, als Hutten im firengen Winter (Rov. 
ober December 1518) von Augsburg nad, Stedelberg reifte, 
um feine damals noch lebenden Eltern zu befuchen. 2) Hier, 
auf der Burg feiner Väter, holte er jedesmal freier Athem; 
die Nüdfichten, deren er zwar auch fonft nicht viele zu neh⸗ 
men pflegte, fielen da vollends hinweg. Daß feine Türfen- 
rede im Drude durch die Aengftlichfeit feiner in kaiſerlichem 
Dienfte ſtehenden Freunde verftümmelt worden war, und zwar 
gerade diejenigen Theile verloren hatte, auf die er am mei⸗ 
ftien Gewicht legte, war ihm ſchon auf feinem Sranfenzimmer 
zu Augsburg, als er fie an Pirdheimer fchidte, empfindlich 
geweſen. Lebhaft hatte er die Eollifion gefühlt, daß er, wenn 
er Amt und Berforgung haben wolle, bie Pflicht des Patrio⸗ 
ten, ungefcheut die Wahrheit zu fagen, nicht erfüllen dürfe. ®) 


1) Ad Christophorum Hacum. Aus Joach. Camerarii' Libellus 
alter, Epistolgg complectens Eob. Hessi et alior., abgebrudt bei Burck⸗ 
hard, III, 105. Opp. ed. Münch, Il, 118. An diefen Hacus bat 
Erasmus einen Brief und Eoban Heſſe mehrere Gedichte gerichtet. Erasmi 
Epp- Lugd. Bat. 1706 Ep. CCCCLIV. Eob. Hessi Opp. farragines 
duae, p. 460 fg. 

2) De Guaiac. C. VIII, p. 266. 

8) Sed mihi, si dignitatem habere volo, et vitam habere volo, 
offcium boni viri implere non licet. p. 86. 





Zufchrift an alle freien und ächten Deutfchen. 347 


Jetzt in der freien Luft feiner heimifchen Berge hielt er das 
nicht mehr aus. Er entfchloß ſich, feine Rede volftändig 
druden zu laffen, und gab ihr eine Zufchrift an alle freien 
und wahren Deuticyen mit. *) 

Wohlmeinende Freunde, fagt er hier, haben ihn gewarnt, 
feine Türfenrede druden zu laflen, aus Furcht, einige allzu 
freimüthige Stellen gegen den römifchen Hof Fönnten ihm 
Gefahr bringen. Er habe ihren Mahnungen und Bitten fich 
gefügt, und feinen Eifer zurüdgehalten: ungern ſchon damals, 
und nun fei es ihm nicht länger möglih. Es fcheine ihm 
unebel, aus Furcht vor perfönlicher Gefahr dem Baterlande 
feinen Dienft zu entziehen. Und zudem koͤnne er in der 
Sache nicht einmal Gefahr entdeden. Seine Rede beviene 
fi) nur einer rechtmäßigen und nothwendigen, feiner muth⸗ 
willigen %reiheit, und von Leo X. verfehe er fi nur Gutes; 
abgefehen davon, daß er ja mit demfelben in ver Auffordes 
rung zum Türfenfrieg übereinſtimme. Doc, follte ihm auch 
Gefahr drohen, fo verläßt ſich Hutten auf den Beiftand ſei⸗ 
ner Deutichen, für die er ſich derfelben unterzogen bat. Und 
jelbft die Beinde und Unterbrüder Deutfchlands follten in ih⸗ 
rem eigenen Intereſſe fi hüten, die Sache zum Aeuperften zu 
treiben. „In der That (mit diefen Worten, welche die Rea⸗ 
ction aller Zeiten fidy follte gefagt fein laſſen, aber freilich 
feine fi gejagt fein läßt, fchließt Hutten fein Sendfchreiben), 
wenn ed Einen gibt, weldyer die deutiche Breiheit fo vernich- 
tet wünfcht, daß wir gegen Fein Unrecht, feine Schmach mehr 


1) Sie erihim apud auream Moguntiam, mit dem Zuſatz auf dem 
Zitel: Insunt, quae priore editione exempta erant, vide et adflcie- 
ris. Hinten ber Brief: Liberis omnibus ac vere Germanis S. Datirt 
in arce Huttenica 1518. Bgl. Panzer, ©. 66 fg., wo aud bie in 
edit. 1 fehlenden Stellen abgebrucdt find. Der Brief ik abgebrudt Opp. 
ed. Münch, II, 581—83. 





348 I. Buch. XI. Kapitel, 


Einrede thun dürfen, der möge zuſehen, daß nicht jeme fi 
gefnebelte und faft erwuͤrgte Yreibeit einmal, zu ber Untebi 
drüder größtem Schaden, ploͤtzlich ausbreche und fi wi 
verherftelle. Wie viel Füger wäre es, verftändig angeſche 
wie viel gerathener felbft von dem Standpunkte uniter U ii 
drüder aus, ihr immer noch etwas Athen zu laflen, wub M 
nicht gar zu eng zufammenzupreffen, als es dahin zu treibch 
daß fie im Gefühl der drohenden Erftidung ſich gewäliſt 
durch einen zerftörenden Ausbruch Luft machen muß. © 
einfangen und leicht binden läßt fie fi wohl, zumal weni 
e8 Einer gefhidt und fchlau anzugreifen weiß; umbringi 
und abfchlachten aber läßt fie ſich nicht, und fie ganz zu u 
nichten ift unmöglih. Darum möge man uns freie 
stwas Freiheit geben, damit wir uns nicht mit Gewalt 
nehmen. Obwohl ed nur wenig ift, was ich mir heram 
nommen habe: nämlich einen gerechten Schmerz nicht WWF 
Ausdruck zu laffen, und dem gemeinfamen Unwillen des Wir’ 
terlands ein befcheidenes Wort zu leihen. Alfo Muth!.. Wi 
ihr, denen des Vaterlandes Freiheit am Herzen Liegt, Die 7 
Deutſchlands Ehre erkennet, und noch nicht ganz dem 17% z 
glauben verfallen ſeid, (efet, waget Aehnliches und ne“ 
wohl. “ 

Rad) Mainz um den Anfang d. 3. 1519 urigetg} 
bereitete Hutten feinem Fürften eine doppelte literarifche Hub 
digung: durch die Zueignung feiner Schrift über das Guaial) 


— —— — — 


1) Am Schluſſe der Schrift über das Gnaiak, C. XXVI, 6.38 
fagt Hutten: Jam haec vidit, qui me juvit in nonnullis, alter se. 
medicus, Greg. Coppus, sed obiter, cum ab illo properarem Me- 
guntiam, ubi negotium erat mihi. Da jene Durchficht ohne Beil. 
in Augsburg flattfand, fo scheint es, als wäre Hutten von Steckellec 
noch einmal dahin zurüdgefehrt und erſt von da nad; Mainz gereiſt.: 

2) ©ie iſt datirt: Mogunt. anno 1519, und bezeichnet fi ale Sr 
turnalitium munus, ba6 ber Berf. dem Yürften hoc novo ineunte sna® 
barbringe. 




















Zueiguung einer neuen Ausgabe bes Livius. 349 


wovon bereitö gejprochen, und durch die Widmung einer neuen 
YWusgabe des Livius. Zu St. Martin in Mainz waren 
Stüde von zwei Büchern des Livius, Die biöher gefehlt hat⸗ 
ten, aufgefunden worden, und es hatten nun bie beiden Ge⸗ 
lehrten, Nicolaus Carbach und Wolfgang Angft, Beide uns 
fhon aus den Dunfelmännerbriefen als Mitglieder des Hu: 
maniftenfreifes befannt, deren Erſterer fchon einige Jahre 
über Livius Vorlefungen gehalten hatte, eine neue, auch fonft 
verbeflerte Ausgabe dieſes Schriftftellers in der Scheffer’fchen 
Druderei daſelbſt veranftaltet. ) Sie konnten die Zueignung 
ſelbſt abfafien; aber fie fprachen Hutten darum an, weil es 
ihnen in Uebereinitimmung mit den gelehrten Domherren, dem 
Dekan Lorenz Truchjeg (rühmlihen Reuchlinifchen Andenfens), 
Dietrich Zobel und Marquard Hatftein, für den Ergbifchof ſchmei⸗ 
helhafter fchien, wenn die Zufchrift von einem Manne feines 
Hofftaats ausginge. Der römische Geichichtichreiber felbft, führt 
Hutten in diefer Widmung aus, wenn er fi einen Patron 
zu wählen hätte, würde feinen andern wählen wollen, feis 
nen würdigern wählen können, als einen um die beflern Stus 
bien und Gelehrten fo verdienten Yürften wie Albrecht: auf 
der andern Seite aber ſei auch die Zueignung eines Autors 
wie Livius für den Kurfürften eine hohe Ehre, welche biefer 
wohl bald durch neue Maͤcenatiſche Verdienfte zu erwiedern 


1) T. Livius Patavinus historicus, duobus libris auctus, cum 
L. Flori Epitome, indice copioso et annotatis in ll. VII belli Maced. 
Cum Privilegio Decennii. Das faiferl. Privilegium d. Vuels die nona 
Mensis Decembris An. 1518. in beigegebener Brief des Erasmus if 
vom 23. Febr. 1519, Carbach's Borrebe zu feinen Annotata ex vetusto 
codice vom 15. März beflelben Jahre datirt; Hutten's Zueignung (Opp. 
ed. Münch, Ill, 331— 34) nur unbeflimmt: Mogunt. An. 1519. Bgl. 
Banzer, ©. 98 fg. Die neuen Stüde waren Lib. XXXIII ohne bie 17 
erſten Kapitel, und Lib. XL. von Cap. 87 an. ©. J. A. Fabricii Biblioth. 
lat. Hamburg 1708, p. 182. 





350 I. Bud. XI. Kapitel. 


wiflen werde. „Du erfennft deinen Beruf, und fo fteht es 
gut; du begünftigft die. Wiffenfchaften, und wirft hinwies 
derum von ihnen verherrliht. Mit der Barbarei iſt es zu 
Ende: bis bieher wurden die Studien gering geachtet; jetzt 
fehrt man zur wahren Gelehrfamfeit zurüd, die Geifter bif- 
den fi.” | 

Im Februar 1519 erſchien nun auch das Geſpräch, das, 
wenngleich vielleicht erft zu Mainz oder auf Stedelberg aus⸗ 
gearbeitet, doch feinem Motive nad) in Augsburg, unter dem 
Einflufie deflen, was Hutten von dem Cardinal Cajetan fah 
und hörte, ausgedacht war. Uebrigens ift dieſes Gefprädh, 
das Fieber betitelt 2), eine Satire auf das üppige Leben ver 
Geiftlichen und der Reichen jener Zeit überhaupt, mit einem 
befondern Stachel allerdings auf den Cardinal.) Die Si⸗ 
tuation ift dieſe. Hutten will dad Fieber, das. bei ihm im 
Quartier gewefen, austreiben; dieſes bittet fi aus, wenn 
es fein müfle, wenigftend in eine andre gute Herberge ge⸗ 


1) Febris, Dialogus Huttenicus. $inten: Febris, Dialogi finis. 
Mense Febr. an. 1519. Bgl. Panzer, ©. 101 fg. Im folgenden Jahr 
in bie Sammlung der Dialogi als Febris prima aufgenommen. Opp. 
ed. Münch, III, 107—114. 

2) Beatus Rhenanus Zinlio. Bas. 19. Mart. 1619. Zuinglii Opp. 
ed. Schuler et Schulthess, Vol. VII, 71: Huttenus Phalarismum 
edidit contra ducem Wirtembergensem, dialogum elegantissimum, 
item alterum dialogum, quem Febrim inscripsit, in quo Cardinalem 
S. Sixti, qui fuit ad Caesarem legatus, egregie depingit, qui in 
Germaniam venerat (sic enim Huttenus scribit), ut pecuniam colli- 
geret in bellum contra Turcas, quam Romanenses isti consume- 
rent etc. Der Phalarismus erſchien damals aufs Neue, einmal au 
mit der Febris zufammengebrudt, ſ. Erasmi Epist. ad Huttenum, Lo- 
van. 9 Cal. Mai 1519. Hutteni Opp. Ill, 141. Die Febris wurbe 
zu Löwen verboten, quod (drüdt ſich Erasmus aus) quosdam Npıdeous 
nominatim attingere videtur. Ob es biernad Spaß ift, wenn Eras⸗ 
mus am 23. Juli beffelben Jahre (Opp. II, 217) an Hutten fchreibt: 
apud Cardinalem Cajetanum audio te magnam etiam iniisse gra- 
tiam —? 





Hutten’s Geſpräch: Fieber (das erfte). 351 


führt zu werden. Hutten weist e8 zum Garbinal S. Sixt 
(Cajetan), der aus Rom nach Deutfchland gefchidt fei, um 
Geld, angeblidy zum Türfenfrieg, in der That aber für bie 
Verſchwendung des römijchen Hofes, auszuwirken. Da könne 
ed gewiß hoffen, wohl gehalten zu fein; denn dr Mann 
ruhe in purpurnem Gewande hinter vielen Borhängen, fpeife 
auf Silber, trinfe aus Gold, und fei ein folher Feinſchmecker, 
daß ihm in Deutfchland nichts munden wolle: die beutfchen 
Rebhühner und Krametsvögel feien nicht nad feinem Gau⸗ 
men, das beutfche Wildpret fei ihm zum Efel, unfer Brob 
nenne er gefhmadlos, und unfer Wein vollends prefle ihm 
Thränen aus. Daher heiße er Deutfchland ein Barbaren- 
land, und babe fich feit vier Monaten nicht fatt gegefien, aus 
Mangel an feinen Biffen. ) Allein das Fieber hat Feine 
Luft zu dem binfenbünnen faftlofen Kopfhänger, der gegen 
feine Dienerfchaft der Argfte Knider fei, und es gewiß gleich 
mit dem Banne belegen würde, fo wie e8 über feine Schwelle 
traͤte. Bei den Fürften und reichen Kaufleuten aber fürchtet 
e8 die Aerzte, mit denen dieſe fich verfchanzen. Indem das 
Fieber fofort feine Bitte, in eine gute Herberge geführt zu 
werden, mit der Berufung auf eine alte Wohlthat gegen 
Hutten wiederholt, und diefer von feiner folchen wiflen will, 
erinnert es ihn daran, wie ed vor adht Jahren, da e8 als 
viertägiges ein halb Jahr lang bei ihm zu Gafte geweſen ®), 
ihn fo fleißig, fromm und geduldig gemacht habe. Ja, ger 
quält habe es ihn, und er fid) dann aus Ueberdruß in ‚die 


1) gl. Hutteni Epist. ad Lucam de Erenbergk nad) Mainz, vom 
21. April 1519. Opp. ed. Münch, III, 146: Ecce autem legatum 
Pontificis, illum a latere, ut fertis?.. Incipit illi autem vinum pla- 
cere? et perdices illis tandem Romanis gustu respondent? Reper- 
tum adhuc est, ad nauseatoris stomachum quod faciat? 

2) Das war zu Roftod, im Winter 1509-10. &. Querel. L. I, 
Eleg. 1, v. 9. 





352 1: Buch. XI. Kapitel. 


Arbeit geworfen, erwiedert Hutten, und droht dem Fieber, 
wenn es nicht fort wolle, mit jchmaler Koft und Aerzten wie 
Stromer: aber dad Fieber kennt feinen Patienten; es weiß, 
daß Hutten lieber ein Jahr lang frank fein, als ein paar 
Serupel Rhabarber oder Nießwurz einnehmen will. So gibt 
fich diefer abermals daran, ſich mit dem böfen Gafte wegen 
des Duartierrvechjeld gütlich zu verftändigen: er will e8 zu 
den Möndyen führen, deren MWohlleben ohne Bewegung für 
das Fieber ganz befonders einladend fein müfle: allein die. 
Möndye, erinnert diefes, haben von den alten Weibern, vie 
bei ihnen beichten gehen, Zauberformeln gelernt, e8 abyutreis 
ben. Auch unter den Domherrn, meint hierauf Hutten, fin- 
den ſich fette, wohlgenährte Leute, bei denen es ſich wohlbe: 
finden müßte; zwar machen fid) diefe durd) Reiten und Ja— 
gen mehr Bewegung als die Mönche, doch werde das durch 
wildere Ausſchweifung mit Praffen und Buhlen wieder aus— 
geglichen. Allein die, wendet das Fieber ein, ſeien von allen 
möglichen andern Kranfheiten ſchon vorher fo eingenommen, 
daß ihm fein Raum mehr bei denjelben übrig fei. So führt 
denn Hutten es zulegt zu einem jüngjt aus Rom angekom— 
menen Gurtijan, bei dem alle Erforderniffe des Wohllebend 
und der Empfänglicdyfeit für das Fieber, wie fie dieſes nur 
wiünfcen mag, ſich finden. 

Unter dergleicyen jchriftitellerifchen Arbeiten verleidete un— 
ferm Ritter das eigentlidye Hofleben immer mehr. Er hatte 
mit diefen leeren aufgeblafenen Schranzen jo gar nichts ger 
mein. Und doch fonnte er das Einfommen, das feine Hof: 
ftelle ihm brachte, nicht wohl miſſen. Da ihn fein güti- 
ger Fürft, zu Gunften feiner Studien, bereitd der gewöhn- 
lichen Dienftleiftungen entbunden hatte, fo ließ ſich hoffen, 
daß derfelbe ihn noch freier ftellen, ihm eine Penfion aus— 
werfen. werde, die er an einem beliebigen Orte verzehren 
mochte. Halb war es ihm fchon zugefagt, und nun follte 





Hutten’6 Ueberbruß am Hofleben. 353 


Erasmus den Kurfürften öffentlih darım loben, damit es 
defto gewifler in Erfüllung ginge. ?) 


— — — — 


1) Huttenus Erasmo, Mog. prid. Non. (6.) Mart. 1519. Opp. II, 
126: Pertaesum est aulae: ita nihil mihi convenit cum purpuratis 
istis. Impetrasse videor a principe, ut, ubiubi sim, stipendio me 
prosequatur: hoc nomine laudabis eum, magno nostro commodo. 


Strauß, Hutten. 1. 93 





Zwölſtes Kapitel. 


— — —— — —— 


Feldzug und Heirathsplane. 
1519. 


— 


Schriften: Neben verſchiedenen Briefen, die Oratio quinta in Wirten- 
bergensem. 


dur den Augenblid jedoch wurde Hutten's literariiche Muße 
durch ein unerwarteted Ereigniß unterbrochen. Am 12. Ja⸗ 
nuar 1519 war Kaiſer Marimilian zu Wels in Oberöftreich 
verfchieden, und von der Mahlzeit bei feiner Zodtenfeier zu . 
Stuttgart am 21. war auf die Nachricht, daß die Reutlinger 
feinen Burgvogt von der Achalın erftochen, Herzog Ulrich auf⸗ 
gefprungen, zu Pferde geftiegen, mit Kriegsvolk und Geſchütz 
vor die Stadt gerüdt, die am achten Tage erobert und aus 
einer kaiſerlichen Reichsſtadt zur MWürtembergifchen Landſtadt 
gemacht war. 

Der Kaifer war tobt; der Pfalzgraf Reichsvicar wollte 
ben Herzog nicht beißen. Aber Reutlingen war Mitglied des 
ſchwaͤbiſchen Bundes, aus welchem Ulrich, auf feine Eigen- 
macht eiferfüchtig, ausgetreten war, und in weldyem deſſen 
grollende Schwäger, die Baiernherzoge, eine hervorragende 
Stellung einnahmen. Der fhwäbifche Bund alfo fammelte 
gegen ben Landfrievensbrecher ein Heer, zu dem viele von 





Belanntfchaft mit Gidingen. 355 


der fränfifchen Ritterfchaft fließen, die Hutten voran, weldye 
die ihnen im Blaubeurer Bertrage zugefprocdhene Entjchädis 
gungsfumme immer noch nicht empfangen hatten. Wie hätte 
da Ulrich von Hutten daheim bleiben fönnen, wo ihm die 
Gelegenheit fih bot, den alten Widerfacher, gegen den er 
vergeblich den Kaifer und das Reichögericht aufgerufen hatte, 
endlich doch noch ftürzen zu helfen, und babei, nachdem er 
fi) nun längere Zeit ausſchließlich als Gelehrter hervorgethan, 
nun auch wieder den Ritter in fi) fehen zu laſſen? ) Wäh—⸗ 
rend er daher feinen Phalarismus wieberauflegen ließ, rüftete 
er fich zugleich im Februar und März eilig mit Waffen und 
Pferden aus ?), ritt mittlerweile auch einmal zu Franz von 
Sidingen, der, früher in Verbindung mit Herzog Ulrich ), 
jest vornehmlich Durch feinen Gegenſchwäher, Dietrid) Spät, 
Sabinens Paladin, für den fchwäbifhen Bund zum Feldzuge 
gegen ihn gewonnen war. 

In diefem gemeinfchaftlihen Interefle traten ſich die beiden 
Männer zuerft näher, die fich bald gegenfeitig anzogen, und aus 
deren Berbrüberung fo große Entwürfe, aber auch fo große Unfälle 
für beide hervorgehen follten. Während des Hutten’fchen Beſuchs 
wurbe befien Gefprädh: Febris, vorgelefen, und was Sidingen 
davon verftand, oder ihm überfegt wurde (denn das Latein war 


1) Hutteni Ep. ad Erasm. Mog. prid. Non. (6) Mart..1519. Opp. 
III, 126: At ego expeditioni, quae nobis paratur ingens, equestri 
pariter ac pedestri exercitu, interero ipse: tantum abest, ut metuam 
latronem illum. 

2) Ep. ad Arnoldum Glauberger, ICtum Francofurtanum. Mog. 
s. d.e. a. Opp. IN, 123: Mira mihi circa emendos equos incumbit 
necessitas. Jubetuum socerum, istic inquirat, num qui sint vendi- 
biles. Neque enım mora est: ita celeriter paratur haec nobis ex- 
peditio, cui, si nescis, ipse interero. 

8) Hatte ihm doch der Herzog ein dem Grafen von Leiningen abs 
genommmenes Schloß eingeräumt, f. Epist. Bilibaldi Pirckbeimeri ad 
HAutten. Nurenb. 26 Jun. 1517. Hutteni Opp. II, 840. 

23 * 





Zwölftes Kapitel, 
Feldzug und Heirathsplane. 
1519. 









— 


Shriften: Reben verfchiebenen Briefen, bie Oratio quinta in 
bergensem. 


Fur den Augenblid jedoch wurde Hutten's literariſche Mufe 
durch ein unerwarteted Ereigniß unterbrochen. Am 12. Je; 
nuar 1519 war Kaifer Marimilian zu Wels in Oberö 
verfchieven, und von der Mahlzeit bei feiner Todtenfeier 
Stuttgart am 21. war auf die Nachricht, daß die R 
feinen Burgvogt von der Achalm erftochen, Herzog Ulrich 
gefprungen, zu Pferde geftiegen, mit Kriegsvolk und Geſchi 
vor die Stadt gerüdt, die am achten Tage erobert und and 
einer Faiferlihen Reichsſtadt zur MWürtembergifchen Lanbfabt 
gemacht war. | 

Der Kaifer war todt; der Pfalzgraf Reichsvicar wolle 
den Herzog nicht beißen. Aber Reutlingen war Mitglied bed 
ſchwaͤbiſchen Bundes, aus welchem Ulrich, auf feine Eigen 
macht eiferfüchtig, ausgetreten war, und in welchem beffen- 
grollende Schwäger, die Baiernherzoge, eine hervorragende 
Stellung einnahmen. Der fhwäbifche Bund alfo fammelte ; 
gegen den Landfrievensbrecher ein Heer, zu dem vide von | 





Rückzug zum Feldzuge wider Ulrich von Würtemberg. 857 


dung eingelaflen, die ebenfo ſchmaͤhlich als gefährlicd, für ihn 
fein würde. Erſteres wird in einer Reihe von Gegenſätzen 
zwifchen des Königs angeblihen Tugenden und des Herzogs 
Laftern und Unthaten durchgeführt; in letzterer Hinficht auf die 
verzweifelte Lage des Herzogs, die ftarfen Rüftungen des Bun⸗ 
des, und auf das alte Sprüchwort bingewiefen: wer unglüds 
(ih kämpfen wolle, müffe mit den Deutfchen fämpfen. ) Womit 
nicht gefagt fein folle, fügt Hutten hinzu, Deutfchland fei unüber⸗ 
windlich; wohl aber, daß nody Keiner über Deutiche einen 
erfreulihen Sieg davongetragen. Wenn Hutten dem König 
den Vorgang der „bäurifchen und rohen Schweizer vorhält, 
die Anfangs mit ftarfer Heeresmacht dem Herzog zugezogen, 
dann aber, vom Gewiflen geichlagen, nicht ohne Wortbruch 
ihn verlaffen haben,” fo war dieß am legten Februar, wenn 
ed damals fchon in dem Briefe ſtand, noc ein rebnerifcher 
Vorgriff, da erft nach der Mitte des März diefe, zum Nach⸗ 
theil des Herzogs entfcheidende Wendung wirklid eintrat. 
Genauer jchrieb Hutten am 6. März von Mainz auß, 
wohin er von Rotenburg und Stedelberg vor dem Aufbrud) 
zum Feldzug noch einmal zurüdgeritten war, an Erasmus, 
daß er zwar den Banbditen nicht fürchte, diefer aber gleichwohl 
noch Kräfte und Bundesgenofien habe, und möglichermeife 
ganz Deutfchland in die Kriegsunruhen verwidelt werben 
fonne. Sollte ihn, ſetzt er hinzu, diefer Kampf verfchlingen, 
fo möge Erasmus durch feine unfterblihen Schriften für fein 
Andenken forgen. 2) Auch aus den während des Feldzugs 
gefchriebenen Briefen Hutten’8 geht hervor, daß der Herzog 
Ulrich fehr gefürdytet, und dem bündifchen Kriegszuge von mans 


— — — — — — — 


1) Deinde illius memento veteris adagii: cum Germanis pu- 
enandum ei, qui male pugnare velit. 

2) Huttenus Erasıno. Erasmi Epp. 1706. Ep. CCCXII. col. 
419. sq. Opp. ed. Münch, III, 126. 





368 1. Buch. XII. Kapitel. 


hen Seiten ein übler Ausgang propheeit worden war. 
Aber freilich mit dem Abzuge der Schweizer war dann am 
“ der Feldzug ſchon vor feiner Eröffnung entichieden. Auſ— 
ihnen hatte der Herzog nur bewaffnete Landleute und wenig 
Söldner, welche dem Friegsgeübten Bunbeöheere mit vida 
Nittern, und felbft einer Truppe albaneſiſcher Stratiotem, zifl 
entgegenzuftellen waren. Das wußten bie jchwäbifchen Bunch 
räthe, und hatten daher bei der fchweizerifchen Tagfapung d 
Rückberufung der. Reisläufer ausgewirkt. Auch Herzog UNI 
wußte es, darum weinte ex, wie er fie abziehen ſah: jet 60 
ihm nichts übrig, als fich in fein Schloß Tübingen zu wei 
und fein Land dem anrüdenden Feinde zu überlaffen. 

Am 27. März brach das Bundesheer von Ulm auf, b 
rüdte über Heidenheim und Göppingen in dad Würtenier 
gifche ein. Oberanführer war der Herzog Wilhelm von Balen, 
unter welchem Georg von Frundsberg und etliche Andere, uaz 
ihnen auch Franz von Sidingen, befehligten. Der Ye 
glih einem Spaziergange. Nirgends zeigte fich ernſtliche 
Widerſtand. Am 7. April huldigte die Hauptftabt Stutiged 
den Siegern. 

Bon Hutten haben wir aus diefem Feldzuge eine Rehe 
von Briefen an Freunde, die und zwar nicht in den Krky, 
aber mitten in das bewegte Leben des Lagers verfeßen. Un 
14. April fchrieb er aus Stuttgart an den Rechtögelcheien 
Arnold Glauberger nach Frankfurt, noch habe er feinen Fein 
gefehen, aber die meiften Städte und Dörfer haben fi e 
geben, nur Tübingen ftehe noch aus, in deſſen feſtes Schlof 
fi) der Adel geworfen habe, während der Herzog aus kw 
felben mit wenigen Reitern man wiffe nicht, nach Franlreid 
ober in die Schweiz, geflohen ſei, vermuthlich um fich HA 


1) Hutteni Epist. ad Frid. Piscatorem un» Epist. ad Chil 9a 
lensem. in ber Stedelberge Sammlung, und Opp. II, 153, 156. 





Hutten im MBürtembergifchen Feldzuge. 369 


zu holen. Aber dad Bundesheer von 30,000 Mann zu Fuß 
und 4000 Reitern ?), mit trefflidem Geſchütz und voll Muth, 
wünjche ſich nichts Beſſeres ald einen tüchtigen Yeind, um - 
Beute und Ruhm zu gewinnen. Ihm felbft fei bis jebt von 
der Beute noch nichts zugefallen: fobald ex feinen Theil er⸗ 
halte, werde er den Freunden etwas davon ſchicken. Als merk 
würdige Neuigkeit meldet Hutten, daß wenige Tage vor. des 
Herzogs Flucht die Wittwe feines ermordeten Vetters in Tüs 
bingen bei jenem geweſen ſei; Schade, daß die Helena biefes 
Kriegs nicht in ihre Hände gefallen, um ihren Lohn zu 
empfangen. 2) 

Diefen Brief fchrieb Hutten im Haufe Reudlin’s, für 
den er Jahre lang einen literarifchen Krieg geführt hatte, 
und dem er nun auch im wirklichen Krieg als Helfer erfcheinen 
follte. Der gute Alte, der mehr moralifchen als phyſiſchen 
Muth beſaß, war, als das feindliche Heer fi der Stadt 
näherte, in taufend Aengften gewefen. Er wußte nicht, welcher 
Freund ihm unter diefen Yeinden lebte. Durch Sickingen's 
Vermittlung febte Hutten es bei den Anführern durch, daß, 
im Fall einer gewaltfamen Eroberung Stuttgarts, durch oͤffent⸗ 
lichen Ausruf im Heer Reuchlin's Haus ficher geftellt werden 
ſollte. So fhlimm fam es aber nicht: Stuttgart ergab fi 
auf Bedingungen, und nun ging Sidingen felbft mit Hutten 
zu Reuchlin, bezeigte ihm, der feinerfeitd die Krieger als Gei⸗ 
feln Gottes anredete, feine Ehrfurcht, und verfpradh ihm 





1) Nach andern Ouellen waren e6 22,000 Mann zu Fuß und 
8000 Reiter; Heyd, Herzog Ulrich zu Würtemberg, I, 548. Hutten ſelbſt 
hat in fpätern Briefen geringere Zahlen, |. Ep. ad Luc. de Erenbergk, 
Opp- III, 145, und den Brief an Beatus Rhenanus und bie brei Amer: 
bache, bei Röhrich, in Niedner's Zeitfchrift für hiſtoriſche Theologie, 
1865, ©. 620. 

2) U. Huttenus Arnoldo Glaubergero ICto Francofurtano, 8 Cal. 
Mai. Stutgard. apud Capnionem. Opp. ed. Münch, III, 149 fg. 





360 1. Buch. XI. Kapitel. 


auch in Bezug auf feinen alten, immer noch nicht auögetre » 
genen Streithandel alle Hülfe. ') 

Das Würtemberger Land gefiel dem vielgereidten 
über die Maßen wohl. „Kaum bat Deutfchland,” fchreibt et 
„eine Gegend, die fehöner wäre. Der Boden ift vortrefflich 
das Klima gar milde und gefund, Berge, Wiefen, Thaler; 
Flüffe, Quellen, Wälder, Alles höchſt angenehm, die 
gedeihen wie far nirgends fonft. Der Wein ift nad) 
art. Stuttgart felbft nennen die Schwaben das irdiſch 
Paradies, fo anmuthig ift feine Lage. Um fo mehr, | 
Hutten, verdiene das Land einen beſſern Herrn, ald ed m 
Herzog Ulrich gehabt habe. 2) 

Am 21. April fchrieb Hutten den Freunden zu Main 
aus dem Lager zwifchen Stuttgart und Tübingen. Red’ 
immer hatte fein Yeind fich blicken lafien, die Uebergabe von 
Städten und Dörfern dauerte fort. Jet war Alles auf‘ 
Tübingen geipannt; man war entfchlofien, falls es ſich nit: 
ergäbe, ed aufs Aeußerfte zu beftürmen. Wiederholt rühmt 
Hutten die Ausrüftung und den Muth des Heers. „Stelle 
mir die Türfen entgegen, und heißet mich Aſien befriegen 
mit diefen Truppen!” ruft er aus. Dann, nachdem er fi * 
nad) dem Cardinal Cajetan, der eben in Mainz angefommen | 
war, als Hutten's Dialog Febris in deutfcher Ueberſetzung 
ausging, ſpoͤttiſch erfundigt, fchließt er mit den Worten: 











1) Huttenus Erasmo, Mogunt. Non. Jun. 1519. Opp. IU, 208 fg.: 
Stutgardiae Capnionem conveni, positum maguo in timore. Milite- 
res furores metuebat bonus pater. Sed ego, Francisco ductore apud 
duces intercedente, caveram, si vi capienda Stutgardia esset, ia 
exercitu proclamaretur, Capnionis Penatibus ne quis noeeret.... 
Franciscus .. mecum ipse Capnionem adfatus est perquam familie- 
riter, qui nos salutando Flagellum Dei adpellabat. Promisitgee 
Franciscus opem nobis omnenı suam .. Capnionem non patiebar 
opprimi. gl. Ep. ad Chilian. Salens. Opp. III, 168. 

2) Huttenus Friderico Piscatori, apud Esslingam 12 Cal. Jun. 
1519. Stedelberger Sammlung, c 2. Opp. III, 187. 





Hutten's Briefe aus dem Feldlager. 31 - 


„Doch ich, kann nicht weiter. Schon bläst die Trompete. 
Später etwas Ausführlicheres, ich hoffe nad) der Einnahme 
Tübingens. Lebet wohl und gedenfet meiner. .. Eilig, unter 
Trompeten, Pferdegewieber, Trommeln und Lagerlärm.‘ ?) 

Am legten April gibt Hutten aus dem Lager bei Stutt- 
gart den Freunden die Nachricht, daß vorgeftem Tübingen 
übergegangen fei. Bei der Beftigfeit des Schloſſes gegen jeden 
Angriff findet er in diefem Erfolge, wie überhaupt in dem 
Gange des ganzen Kriegs, Gotted Hand oder die Macht des 
Gewiſſens wirkſam. Nun follte e8 gegen Alperg gehen, von 
defien Befagung unter dem wilden Hans Leonhard Reiſchach 
man eine verzweifelte Gegenwehr erwartete ?); doch auch diefe 
Veſte capitulirte nach Furzer Beichiegung, und Neuffen ergab 
fih dann von felbft. ®) 

Unterdefien hatten die Huttenfchen auch ihrer Pflicht gegen 
den ermordeten Vetter zu genügen gefucht. Um die Mitte der 
Faſtenzeit gruben fie in dem Dorfe Holzgerlingen, nicht weit 
von dem Schauplaße der graufen That, feinen Leichnam aus, 
und daß er nad) vier Jahren noch nicht verwest, dad Ange, 
ſicht noch kenntlich war, und bei der Berührung Blut aus den 
Wunden trat, galt ihnen als ein Wunderzeichen feiner Unfchuld. 
Eie brachten ihn nady Eßlingen, wo er aufgeftellt wurde, um 
jpäter in der Bamiliengruft in Franken beigefegt zu werben. *) 

Während diefes Feldzuges hatte ſich Hutten’d Verhältnig 
zu Franz von Sidingen enger gefnüpft. Er fhlief in deſſen 

1) Huttenus Lucae de Erenbergk Canonico et amicis Mogun- 
tiae omnibus. Ex secundis a Stutgardia castris 11 Cal. Mai. Stedels 
berger Sammlung, b 3 f3. Opp. Ill, 144—46. 

2) Huttenus Arnoldo de Glauberg, apud Stutgard. prid. Cal. Mai. 
Stedelberger Sammlung, b 4P. Opp. III, 136 fg. 

3) Huttenus Chiliano Salensi ICto Francu, Esslingae ad um- 
bilicum Maii 1519. Opp. II, 154. 

4) H. Arnoldo de Glauberg, a. a. D. Beato Rhenano et tribus 


Amorbachiis 2 Cal. Mai., mitgetheilt von Röhrich in Niedner's Zeitfchrift 
für biftorifche Theologie, 1855, &. 619 fg. 


ml 





562 I. Bu. XU. Kapitel, 


Zelte, kam ſelten von feiner Seite, und das gemeinſame Lager⸗ 


Ieben führte ſchnell Vertraulichkeit herbei. Hutten’s Briefe 
aus diefer Zeit find vol von Sickingen's Lobe. Er nennt 
ihn einen großen Mann in allen Stüden, von hohem, auf 
Gluͤck und Unglück glei gefaßtem Muthe, großen Gedanken, 
bebeutender, würbiger Rede, dabei einfach und leutjelig im 
Benehmen, daher bei den Soldaten ungemein beliebt. „Ein 
Mann,” fchreibt er an Erasmus, „wie Deutfchland lange 
teinen gehabt hat, und von dem ich hoffe, daß er dieſer 
Nation einmal noch zu großem Ruhme gereichen werde. Nichte 
bewundern wir an den Alten, dem er nicht eifrig nachftrebte. 
Er ift Hug, ift berebt, greift Alles rafch an, und entwidelt eine 
Thätigkeit, wie fte bei einem Oberanführer erforderlich ifl... 
Gott möge den Unternehmungen des tapfern Mannes beiſtehen!“) 

Nach Beendigung des Feldzuges begab fi Hutten in 
das Wildbad *), um feine Gefunpheit zu ftärfen, und erhielt 
bier Briefe von Hermann Buſch aus Eöln und Beatus Rhe- 
nanus aus Schlettftabt, nachdem ihm fchon vorher bei Cannſtatt 
ein Echreiben von Erasmus aus Löwen, als Antwort auf 
Hutten's feßten Brief aus Mainz, zugefommen war. Ganz 
fonnte e8 Erasmus hier doch nicht laſſen, den jugendlichen 
Freund mit feiner Kriegsluft aufzuzicehen. Nachdem er ihm 
gemeldet, daß er am Leſen feiner Aula bisher durd, Geſchaͤfte 
verhindert gewefen, und daß feine Febris (fammt dem ihr 


1) Arnoldo de Glauberg, a. a. DO. Erasmo, Mog. Non. Jun. 
1519. Opp. UI, 204. 

2) Beato Rhenano et tribus Amorbachiis. Ex thermis Baden- 
sibus 2 Cal. Mai, a. a. O. Daß bier Wildbad im Würtembergifchen 
gemeint ift, erhellt aus der Vergleichung bes fpätern Briefs an Friedrich 
JFiſcher (Piscator), Ap. Essling. 12 Cal. Jun. 1519, a. a. O.: Accepi 
per hos dies aliquot doctorum virorum literas. Apud Canstadium 
Erasmi, et in thermis ferinis H. Buschii et B. Rhenani. In thermis 
accepisti? inquis. Inipsis, Frideriche, thermis. Ita est in hoc bello 
securitas enim, ut lavent etiam homines. 





Hutten im Wildbad und in Eßlingen. 363 


beigebrudten Phalarismus) wegen der perfönlichen Anzüglich« 
feiten darin zu Löwen verboten fei, übrigens allgemeinen Bei⸗ 
fall finde, fährt er fort: „Doch was höre ih? Hutten, 
ganz von Eifen, wird in der Schladht fechten? Da fehe ich 
ja wohl, daß du zum Kriege geboren bift, da du nicht allein 
mit Feder und Zunge, fondern aud) mit des Mavord Waffen 
kaͤmpfeſt. Yreilich, was ift es auch Großes, wenn du jegt 
unter fo Dielen gegen Einen zu fämpfen wagft, da du einſt 
zu Bologna allein fo viele in die Flucht gefchlagen haft? Ich 
lobe deinen Muth; doch wenn du mir Gehör gibft, wirft bu 
den Mufen ihren Hutten erhalten.” Und wie die eigentliche, 
fo fuht Erasmus dem Freunde weiterhin auch bie literarifche 
Kriegsluft auszureden. Den Triumphus Capnionis habe er 
noch nicht gefehen, und hoffe, wie man ihn auf feinen Rath 
fo lange zurüdgehalten, werde man audy die ganze Schrift 
noch gemildert haben. Der Zänfereien fei fein Ende, im 
Verläumden, Lügen und Schimpfen die Gegenpartei ihnen 
weit überlegen: uber diefen Sieg follten fie, die Humaniften, 
ihren Gegnern willig luflen, da fie Befleres zu thun haben, 
als ihre Zeit mit unwürdigen Streitigfeiten binzubringen. *) 

Aus dem Wildbade begab fi) Hutten um die Mitte 
des Maimonats nad) Eßlingen, wo nach Würtemberge Er⸗ 
oberung die Bündifchen eine zahlreich befuchte Verfammlung 
hielten. Schon von Stuttgart aus hatte er feinen Freund 
Arnold Slauberger in Frankfurt gebeten, feine Reden gegen 
den Herzog Ulrich abfchreiben zu laflen; jest jah er fie noch 
einmal durch, da von vielen Seiten der Drud gewünfcht wurbe, 
und verfaßte eine Schlußrede dazu.) Die vierte, die er vor 


1) Erasmus Hutteno Lovan. 9 Cal. Mai 1519. Hutteni Opp. 
ed. Münch, Ill, 14044. 

2) Huttenus Chiliano Salensi, Esslingae ad umbilicum Maii. Ste⸗ 
delb. Samml. ch. Opp. II, 158: Orationes meas revideo: ubi quintam, 
quae ex victoria congratulabitur nobis, addidero, edam in lucem. Jam 





564 I. Buch. XU. Kapitel. 


zwei Jahren zu Bamberg gefchrieben hatte, fchloß mit jenem 
- erfhütternden Aufrufe an den Kaifer und die Yürften zum 
Gericht über den Verbrecher; einem Aufrufe, deflen repnerifche 
Donner in den Ohren unferer Leſer noch nicht verhallt fein 
tönnen. Was dort gefordert wurde, war nun erreicht: ber 
Tyrann war beftraft, war unfchäblich gemacht. Aber ed war 
nicht in der Weife gefommen, wie ed dort gefordert worben 
war: nicht in Vollziehung eines Richterfpruch8 der oberften 
Reichögewalt, fondern auf dem Wege der Selbfthülfe, durch 
einen Berein einzelner Reicheftände. Dieß war weniger als 
jenes, aber doch immer viel. Ein Erfolg — dieß ift das 
Thema von Hutten's fünfter Rede — welcher die Betheis 
ligten ebenfo zu Danf und Preis gegen Gott, der fo augenfchein- 
lich dazu mitgewirkt, verpflichtet, als er fie für fich zur lebhafteften 
Freude berechtigt. Aber nicht fo dürfe man fich jene göttliche Mit- 
wirfung vorftellen, ald ob Gott audy ohne unfer Zuthun ges 
holfen haben würde. Im Gegentheil habe der Erfolg Dieje⸗ 
nigen befchämt, welche nun in das vierte Jahr ſich mit bloßen 
Wünfchen und müffigen Gebeten begnügt haben. Sie haben 
nicht uudgerichtet: ihnen dagegen, die, ohne das Gebet zu 
verabfäumen, frifch zum Werfe und zum Schwerte gegriffen 
haben, fei es gelungen. Ihnen fei Gott ſowohl äußerlich, 
durch Raturereigniffe und andere Fügungen (wie der Rüdyug 
ber Eidgenoflen), als innerlich, durch das Gericht des Gemif- 
fens, dad den Verbrecher zu Boden gefchlagen, zu Hülfe 
gefommen. Um nun abet die Größe der göttlihen Wohlthat, 
. das Erfreulicye des erreichten Erfolges, anfchaulich zu machen, 
wird die Verworfenheit des verjagten Fürften, die Gefährlich: 
feit feiner Anfchläge, noch einmal weitläufig ausgemalt. 


sunt enim, qui haberi ın manibus postulent eas. Die Rede dat bie Ueber⸗ 
ſchrift: U. de H. eq. in Ulrichum VVirtenbergen. Oratio quinta. Ad Con- 
foedustos Sueviae et victorem exercitum, devicto iam et eiecto Tyranno 
declamata. Stedelb. Samml. T8— X 2. Opp. III, 160 - 74. 








Hutten's fünfte Rebe wider Herzog Ulrich. 365 


Hierüber war nad den frühern Reden nidyt wohl etwas 
Neues, auf feinen Full etwas Stärfered, zu jagen: und fo 
ift nicht zu läugnen, daß diefe Theile der Rede durch Wieder: 
bolung und Länge ermüden. Abermals und ausführlicher als 
je wird Herzog Ulrich als Inbegriff aller Lafter und Verbre⸗ 
hen dargejtellt. Pikant ift die Wendung: wie er in Hans 
Leonhard Reiſchach einen fünffachen Mörder (von Weib, Magb 
und Knecht, beide erfteren ſchwanger) kennen gelernt habe, fei 
ihm fein bisheriger Marichall, Conrad Thumb, der Kuppler 
der eignen Tochter, ald ein zu gewöhnlicher Verbrecher erſchie⸗ 
nen, und er babe feinen Poften dem Erftern übertragen.) 
So fei fein Kanzler (Bolland) ein Dieb, Teflanıentsverfälicher 
und Angeber der Guten geweſen; fein Stammerbiener ein 
Diener unnatürlicher Luft; fein Barbier ein Henfer und Er: 
finder neuer Kolterqualen. Dem Herzog wird nacdhgefagt, er 
habe jih zum König machen 2) und die deutſche Verfaffung 
umſtürzen wollen; in ‚feinen Zimmern feien Proferiptiongliften 
gefunden worden, auf denen verjchiedene Grafen, mehr denn 
200 Ritter, voran alle waffenfähigen Hutten, geftanden hätten. 

In September darauf (während Herzog Uli, im Aus 
guft wieder in fein Land gefallen, ed dem überrafchten Bunde 
mit unzureichenden Etreitfräften wieder abzuringen fuchte, um 
im October zum zweitenmal, und nun für lange Jahre, daraus . 
vertrieben zu werden) ließ dann Hutten fämmtlicye auf die 
Ermordung feines Vetterd bezüglichen Schriften und Briefe 








1) Wahrend des Feldzugs war Reiſchach Commandant des Afperge, 
Epist. ad Lucam de Erenbergk, Opp. Ill, 145. Thumb fcheint wirfs 
li in der legten Zeit von dem umgreifenden Verdachte des Herzogs 
mitbetroffen worden zu fein: als diefer im Auguft 1519 wieder ind Land 
fiel, ſchloß fih der Muge Mann ihm nicht mehr an, fondern trat in bie 
Dienfte der Eroberer. Heyt, Herzog Ulrich, I, 510, 590. 

2) Auch in dem Würtembergifchen Baterunfer, das damals zur Verfpot: 
tung von Ulrich's hochfliegenden Planen verbreitet wurde, findet fich bie Stelle: 
„Bir wollen bald Raifer werden.” Bei Heyd, a. a. O., &.629, vgl.6583. 





366 95 Bud. XI Kapitel, m 


auf Stedelberg druden, wo er eine eigene, und zwar ihren 
Leiſtungen nad) höchſt tüchtige, Druderei (mie es ſcheint mit 
Typen aus der Schoͤffer'ſchen Officin) errichtet hatte. ) Sie 
fanden nidyt allein in Deutfchland, fondern auch in Frankreich 
und England, Spanien und Italien begierige Lefer.*) Ge- 
mäßigte oder ängftlihe Männer mochten die Heftigfeit und 
Uebertreibung mißbiligen: der Wirfung fonnten fie nicht weh— 
ten, welche das im beften Gefchmade der Zeit mit Feuer und 
Talent gefhriebene, Hand in Hand mit einem großen Erfolge 
gehende Werf in den weiteften Kreiſen hervorbradhte. | 


1) Dieß ift die won uns fchon fo oft eitiete Ausgabe mit dem Titel: 
Hoc in volumine haec continentur: Ulrichi Hutteni equ. Super 
interfectione propinqui sui Joannis Hutteni eq. Deploratio etc, eto. 
Ad lectorem. Res est nova, res est atrox et horrenda, dispeream 
nisi legisse voles. Auf der Rückſeite des Titelblattes 11 "Difien- ad 
lectorem, worin unter Anberem bie Berfe: 

-Durum agitamus opus: durus sermo, omnia dura: 
Quidni? quem pelimus, durus et ipse fuit. Jul 

Auf bem legten Blatte: Hoc Ulrichi de Hutten equit. Ger. Invec- 
— cum aliis quibusdam in Tyrannum VVirtenbergensem opus 
excusum in arce Steckelberk on, 1519 mense Vllbri. Dal. Banger, 
©. 8 fo. 

2) De expulso et restituto duce Wirt. Ulricho habita oratio 
Marburgi a Nic. As. Barbato, in Schardii Op. histor, Tom. I, 1288 
(wo man aber nicht vergefien barf, dag ein Marburger Profeſſor, ein 
Diener des Wiederherſtellers Ulrich's, ſpricht); Nihil unquam majori 
plausu in hominum manus venerat, cum ad exemplar Philippica- 
rum ‚quasi (si Dis placet) scripta judicarentur. Itaque legebantur 
magna cum gratia, sola novitate favorem conciliante. Hoc etiam 
subinde orationibus novos dialogos adjiciente, et quidem teraissi- 
mos, famosos libellos edente, crimina confingente ete. Profitebar 
eodem tempore in Parysiorum Lutetia. . Legebantur haec magno 
cun‘ plausu apud Gallos et Hispanos, distrahebantur apud diver- 
sissimas nationes, mittebantur commissa literis ad amicos, quasi ty- 
pögraphi non salis excuderent pessimorum exemplorum. Vere- 
bantur Itali alterum Neronem, execrabantur Siculi novum Diony- 
sium, trepidabant Britanni etc. Wie, in den bumaniftifchen Kreifen 
befonders, Herzog Ulrih als Tyrann ſprüchwörtlich wurde, darüber vol. 
Pfaff, Geſchichte des Fürftenhaufes und Landes Wirtemberg, I, 600 Anm. 











Hutten fehnt ſich nach Kuhe. 367 


Doch wir fehren von diefem Borfprunge in die Reihe 
ber Zeitordnung und zu Hutten nad Eßlingen zurüd, wo 
wir ihn des unrubigen Lager: und Berfammlungslebens nun» 
mehr fatt finden. „Ich blicke,“ fchreibt er um die Mitte Mat 
an einen Freund, „nach meinen Studien mit großer Sehnſucht 
zurüd, fo daß ich bisweilen im Schlafe ausrufe: o Mufe! 
o Wiſſenſchaft.“ ) Und wenige Tage fpäter an einen ans 
dern: „Bon bier aus werde ich nad) Mainz zurüdfehren, zu 
meinen Büchern und Studien: freilich einftweilen auch an 
den Hof. O die Höfe und ihre Töpfe!” *) 

Damit hing aber noch ein andered Bedürfniß zufammen, 
das um diefelbe Zeit fih in Hutten zu regen begann. Die 
Muße, nach der ihn verlangte, konnte, bei einer Ratur wie 
die feinige, durch wiffenfchaftliche Befchäftigung nur zum Theil 
ausgefüllt werden. Zugleich hatte er zum erften Male feit 
Jahren das Gefühl der Gefundheit und ſich erneuernden Les 
benstraft. So ftiegen Heirathögedanfen in ihm auf. „Mid 
beherrſcht,“ fehrieb er am 21. Mai an den alten Freund, den 
Würzburger Domherrn Friedrich Sicher, „mich beherrfcht jetzt 
eine Sehnfucht nad) Ruhe, in die id mid, Fünftig begeben 
möchte. Dazu brauche ich eine rau, die mich pflege. Du 
fennft meine Art. Ich kann nicht wohl allein fein, nicht eins 
mal bei Nacht. Vergebens preist man mir das Glück der 
Ehelofigfeit, die Bortheile der Einfamfeit an. Ich glaube 
mich nicht dafür gefchaffen.) Ih muß ein Wefen haben, 


—— 


1) Chiliano Salensi, Opp. III, 154. 

2) O aulas atque o ollas! Friderico Piscatori 12 Cal. Jun. (21. 
Mai) 1519. Opp. Iii, 158. 

3) Dem Freunde, an welchen Hutten bieß fchrieb, ging es ebenfo. 
Sr. Fiſcher, fo wird uns berichtet, hatte ein Fräulein aus Mainz bei ſich, 
die er wie fein Eheweib hielt. Darüber wurde er von dem Bifchof Konrad 
im 3. 1523 in den Thurm geworfen, und erſt nach längerer Haft gegen 
Urfehde und mit Berweifung aus Würzburg emtlaffen. Benien, Geſchichte 





368 1. Buch. XI. Kapitel, 


bei dem ich mich von den Sorgen, ja auch von den ermfl 
Studien erholen kann. Mit dem ic) fpielen, Scherze treibt 
angenehme und leichtere Unterhaltung pflegen fann. Wo 
die Schärfe des Grams abftumpfen, die Hiße bes Kumm . 
mildern kann. Gib mir eine Arau, mein Friedrich, und I 
du wilfeft, was für eine: Taf fie fhön fein, jung, wohl erzoge 
heiter, züchtig, geduldig. Beſitz gib ihr genug, nicht viel. De 
Reichthum fuche ich nicht, und was das Geflecht bei 
fo glaube ich, wird diejenige adelig genug fein, welcher Hu 
die Hand reichen wird.‘ 
Könnte e8 hiernach fcheinen, ald wäre Hutten über be 
allgemeinen Wunſch und Plan, ſich zu verheirathen, dar 
noch nicht hinaus geweien, fo erhellt aus einem bereitd hg 
Wochen früher gefchriebenen Brief an Arnold Glauberger fi 
der auf ein noch früheres, ausführliches, aber und nicht ag 
haltenes Schreiben verweist, daß er vielmehr fchon ga 
beftimmte Abfichten hatte. „Was ich vom Heirathen geſchä 
ben,” bemerft er hier, „haſt Du fo, wie es geichrieben IR, 
verftehen. Es iſt fein bloßes Vorgeben, es ift mein beftimmig 
Vorhaben, fofern Jene es gefchehen lafien. 2?) Dieſe eg 
find offenbar die Yamilie der Auserfornen; aber welche | 












> 


4 


des Bauernfrieges in Iftfranfen, S. 193 jy. Ter Brief Hutten“s 
in der vorigen Anm. nachgewiefen. 
1) Arnold von Glauburg, als Sprößling eines Zranffurter Pak 
ciergefchlechts geb. 1486, wurde J. U. D. in Pavia 1515, heiratkete 
demfelben Jahre Katharina von Holghaufen, und lebte fertan als Ra 
Herr und bald auch Syndicus in feiner Vaterfladt. Sein Schwiegernaig 
Hamman von Helghaufen, ein hochangeſehener Patricier, war eine Har 
flüge der Frankfurter Reformpartei. Sein Bruder, Johann von Olanbsr 
war mit Katharina Geuch, einer reichen Wittwe, verheirumhet. © 
bandichriftliche Genealogie des Haufes von Glauburg auf der Fraukfur 
Stadtbibliothef, ferner die Kersner’iche Chronif und Ritters Dem 
an verfchiedenen Stellen. 
2) Epist. ad Arnoldum de Glauberg, ap. Stutg. prid. Cal. u 
1519. Stedelberger Sammlung, c. Opp. ed Münch, II, 137. 





Hutten’s Heirathsgedanken. 369 


milie? Sehen wir die drei Briefe an Glauberger aus 
ber Zeit vor und während bed Feldzugs näher an, fo fällt 
die Pünktlichkeit auf, mit welcher er jedesmal, felbft in dem 
eiligft gefchriebenen Zettel, deſſen Frau und Schwiegervater, 
den verehrungswürbigen Greis Hammon (d. b. Hamman von 
Holghaufen), zweimal auch die Brüder, grüßen läßt, überbieß 
von der Beute, fobald er feinen Theil erhalten haben werbe, 
jedem ein Stüd zu verehren verfpridht. Wir wollen ung diefe 
Aufmerkfamfeit einftweilen merfen. 

Zwifchen dem 21. Mai und 5. Juni fam Hutten nad) 
Mainz zurüd!), wo man ihn unterdeſſen tobt gefagt hatte. 
Es hieß, er jei im Kriege geblieben. Liebhaber feines Talents 
und Anhänger der Sache, welcher er diente, trauerten 2); bie 
Feinde jubelten, und hätte es fich beftätigt, meinte Hutten, 
jo würden fie gefügt haben, das haben jie bei Chriftus durch 
ihr Gebet ausgewirft. °) 

Was Hutten’8 Stellung in Mainz betrifft, fo hielt Kurs 
fürft Albrecht, was er ihm zugefagt hatte. Er entband ihn 
des Hofdienftes, ohne ihm fein Gehalt zu entziehen. ) Ein» 


— — — —2 — 


1) Sofern er unter erſterem Datum noch von Eßlingen aus an 
Bifcher, unter leßterem von Mainz aus an Brasmus fchrieb. 

2) Kilianus Leib, Prior Rebdorfensis, Bilibaldo Pirckheimero, 
die Calixti 1519; Heumann, Docum. lit., p. 267 fg.: Nosse cupio, 
si Ulricus de Hutten supersit. Nam nuper, dum essem Moguntiae, 
humanis illum excessisse audii, audiique dolens, cum ipsum magno- 
pere vivere et optime vivere malim. Hominis demiror ingenium: sed 
nostras est, Francus est, et forsitan patriae me fallit communio. 
Non fallit, quonianı viringenio, et eo acerrimo, mire praeditus est. 

3) Huttenus Erasmo, Mogunt. Non. Jun. 1519. Opp. Ill, 208: 
Fuit totuın hic mensem rumor, et, credo, ad vos quoque pervenit, 
in bello occubuisse me. Hoc illi exultabant, hoc triumphabant. 
Quodsi quid mihi accidisset, certum habeo, a Christo hoc impe- 
trasse se, dicturos fuisse. 

4) Huttenus Eob. Hesso et Petr. Aperbacho, Mog. 3 Non. Au- 
gust. 1619. Opp. Ill, 221: Egi cum principe hic, ut ab aula se- 

Strauß, Hutten. I. 24 





370 1. Buch. X. Kapitel. 


mal ſchien es, ald wolle der Fürft durch Hutten Eitelwolf's 
Sculplan in Ausführung bringen laffen. ') Auch machte er 
in der Folge wohl einmal den Verſuch, ihn doch wieder für 
den Hofdienft zu gewinnen: aber Hutten ließ ſich nicht über— 
reden.) So hätte der Mücenatifche Albrecht gerne aud) 
mit Erasmus feinen Hof geziert, und lud ihn durch Hutten 
wiederholt zu fid) ein. Jetzt hatte ihm Erasmus feine Anlei— 
tung zur wahren Theologie gewidmet, und ihm dabei befon- 
ders auch um der Gunft willen gelobt, die er Hutten, dem 
Liebling der lateinischen Sprache, beweiſe.) Dadurch hoch 
geſchmeichelt, beftimmte ihm der KRurfürft eine ſchön gearbeitete 
filberne und vergoldete Schale, mit deren Uebermitilung er 
Hutten beauftragte. *) Diefen dem Fürften ald einen jungen 
Mann zu empfehlen, der einft eine hohe Zierde Deutfchlands 
zu werden verfpreche, verſäumte Erasmus in der nächten Zeit 
nicht leicht eine Gelegenheit; die jetzige Musgelaffenheit feines 


junctum esse me, el adnumerato alioqui stipendio, Moguntiae inter 
literas acquiescere sinat: quod impetravi, cum magno, uf videtur 
mihi, studiorum nostrorum fruetu. ®Bal. Epist. Cochlaei ad Bilib. 
Pirckheimerum, 8 Febr. 1520, bei Heumann, p. 43: Solutus est {H.) 
a euria sui Cardinalis cum bona illius gratia: habet adhuc annuum 
ab eo stipendium., 

1) Petrus Mosellanus Julio Pflugk, Misnae 8 Eidus Dec. 1519, 
in Schilteri de libert. eccles. Germ, L, VII, e. 2. p. 840: Ulrychus 
Huttenus principis sui sumptibus Moguntiae trium linguarum scho- 
lam adornat. 

2) Reposcor in aulam. Sed non facile cedam. In dem gleich, 
näher nachzuweiſenden Briefe. 

8) Ratio, seu methodus, compendio perveniendi ad veram Theo- 
logiam. Die Zueignung an den Kurfürften Albrecht, d. d. Lovan. 11 Cal. 
Jan. 1518, j. in Erasmi Epist. Londin. 1742. L. XXIX, Ep. 9. 
Es heißt darin von Hutien: .. juveni, non minus eruditione quam 
imaginibus claro .., sed hoc unice nobili, quod Tua Dignitas illum 
inter praecipuos ac interiores officiarios complectitur. Später: Hut- 
tenum habes domi, linguae latinae delicium. 

4) Huttenus Erasmo, Mog. Non, Jun, 1519, a. a. ©. 











Hutten ale Freier. 371 


Zalents, fest er bezeichnend hinzu, werde das zunehmende 
Alter von felbft verbeffern. ?) 

In einer fo forgenfreien Lage verfolgte nun Hutten feinen 
Heirathöplan weiter. Es muß eine Frankfurterin geweſen 
fein, auf die er ed abgejehen hatte, und zwar muß fie der 
Glauberger'ſchen Yamilie durd) Verwandtſchaft oder Verſchwaͤ⸗ 
gerung nahe geftanden haben. Denn an feinen Freund, Ars 
nold von Glauberg, wendet fih Hutten am 26. Juli aber 
mals, und daß gerade diefer, deſſen Schwiegervater und Bruder, 
in Sranffurt beifammen waren, betrachtete er als eine er 
wünfchte Gelegenheit, feine Sache zu betreiben. Bon der Mutter 
des Maͤdchens befürchtete er Schwierigkeiten; fie fcheint mit 
ber Tochter body hinaus gewollt zu haben, und eine heftige 
Dame gemwejen zu fein. Sie follte der alte Hamman mit 
feinem bdiplomatifhen Takte?) ausforfchen und bearbeiten: 
ausforfchen, auf was für eine Familie fie denn eigentlid, mit 
der Tochter fpeculire; bearbeiten, indem er ihr Hutten's Liebe 
zur Tochter, feine Hochachtung für die Mutter, fein freunds 
Ichaftliches WVerhältnig zu der ganzen Yamilie, zu Gemüth 
führte, und ihr den Verdacht benähme, ald ob er ein Revo⸗ 
(utionär, ein gefährlider Menſch wäre. Wenn fie erfannt 
haben wird, find Hutten’s eigene Worte, „daß in mir nichts 
Unruhiges, nicht Aufrührerifches ift, meine Studien vol 
Anmuth, Scherz und Wig, jo hoffe ich, wird fie mich ertragen 
und fich felbft erträglich finden laflen.” Der Bruder fodann 
fol fi auf Kundichaft legen, was an dem Vermögen bed 
Mädchens fei, was ihr die Mutter gleich mitgeben, was nach⸗ 


— — — 


1) Erasmi Epist. onnes, Lugd. Batav. 1706, p. 441, 495, 518. 
Nam hanc ingenii lasciviam (heißt es in ber zweiten Stelle, einem 
Briefe vom 16. Auguſt 1519), ut ita loquar, satis per se corriget 
aetatis accessio. 

2) Auch in Sachen des Roßhandels befaß der alte Hamman Hutten’s 
Bertrauen, |. oben S. 356 Anm. 2. 


94 * 






1. Bud. XI R * 


ofen werde. Die Beforgniß befonbers, von ber-dhm a 
derer Frankfurter Freund, —** — * — — 
daß man fie hege, foll er den 8 nehmen, ale 
} fichtigte Hutten, die Neuvermäblte mit 
| in der Wildniß zu nehmen. Dort würte er 6 
| aushalten: ee 
eine ſtaͤdtiſche Verbindung ſuche, um ſelbſt 
zu können. ni te iſt 
Göttin meiner Studien. Genen min m befte 
Wäldern behagen.“ 
„Möchte euch,” fo fchließt er feinen Br löchte 
Hutten würdig und tauglich erſcheinen, mit eurem Bürge 
beichenft, in eure Schwägerſchaft — we 
Gr, der nicht viele Städte erobert hat, wie einer jener € 
freffer, aber viele Reiche mit dem Rufe feines Namens du 
wandert; nicht Viele umgebracht bat, wie Jene, dafiir 
Viele liebt, und von Bielen innig geliebt‘ — 
auf Schienbeinen von anderthalb Ellen Höhe d 
durch riefenmäßigen Körper die Begegnenden fr 
Geiftesftärfe nicht leicht Einem nachſteht. Der z 
mit Schönheit prangt, oder durch Wohlgeftalt —F 
aber durch die Bildung ſeines Geiſtes liebe 
begehrenswerth zu ſein ſich ſchmeicheln darf. Den 
zufprechen verfteht, nicht prahleriſch ſich herauszu 
aber weil er einfach, offen und redlich * 
hoffen darf, daß, wer ihn kennen gelernt bat, im 
werfen werde. Doc, dieß ift jelbft beinahe pre 
wünfche dir mit Bruder, Schwäher, Frau * ganz 
milie langes Wohlſein, und erwarte bald einen * | 
Brief von Dir, oder was ed für einer fei, wenn =. 
alle einzelnen Punfte des meinigen antwortet. Roc ei 
(ebe wohl, und antworte mir bald und ausführlich. — Rat 
fchrift. Ich arbeite jet an Schriften, durch die ich € 





































Hutten's Hetratheplan. 378 


bald zu erfreuen gedenke. Yür jetzt ſchicke ich die Fehris dei⸗ 
nem Bruder. Ich lebe in den Studien mit großem Genuß. 
Wären wir nur beifammen, damit du jehen fönnteft, mit 
welchen Scherzen icy mid) ergebe. Zerreiße diefen Brief fo- 
gleich, wenn mein Ruf dir am Herzen liegt: bei deiner Treue 
beſchwoͤre ich dich.” !) 

Die Unterbandlungen fcheinen nidyt ganz ohne Erfolg 
geblieben zu fein; denn ein halb Jahr fpäter, am 8. Yebruar 
1520, ſchreibt Cochlaͤus aus Frankfurt über Hutten, bald werbe 
er, wenn feine Hoffnung nicht fehlfchlage, eine edle und reiche 
Frau heimführen. 2) 

So träumte auch Hutten einmal den Traum eines eins 
fach menfhlihen Dafeins in den frieblihen Schranfen der 
Ratur und der Sitte; er hielt ſich einen Augenblid für einen 
harmlofen Menichen und feine Arbeiten für anmuthige Spiele: 
durch die er gerade im Begriffe ftand, einen Sturm zu ent⸗ 
feffeln, der ihn von dem Hafen, in welchen er eben einzulaufen 
meinte, weit und für immer verjchlagen follte. 





1) Viro eximie probo et eleganter docto D. A. de Glauberg, 
ICto et Patricio Francofurtensi, amico desiderabili. Diefer Brief 
(mit dem Beifage: cujus autographum servatur a generosa familia 
Dominorum a Glauberg, Francofurti ad Moenum) findet ſich in ben 
handfchriftlichen Analeften Jac. Burckhard's zu feinem Commentarius 
de Ulrichi de Hutten fatis ac meritis, auf der Wolfenbüttler Biblio: 
thef, und ift zum erſtenmal von Böding ans Licht gezogen worden. Er 
trägt das Datum: Moguntiae 7 Cal. August. Daß das Jahr fein ans 
beres als 1519 fein faun, erhellt aus feinem Berhältniß einerfeits zu ben 
Briefen aus ber Würtembergifchen Gampagne, anbrerfeits zu dem fogleich 
anzuführenden des Cochläus vom 8. Februar 1520. 

2) Jo. Cochlaeus Bilibaldo Pirckbeimero. Ex Francofurto 8 die 
Febr. 1520, bei Heumann, p. 43: (Huttenus) Brevi uxorem, si spe 
sua frustratus non fuerit, ducturus est et nobilem et opulentam. 


Drud von 3. A. Brodhans im Leipzig. 








Berbefferungen. 


Seite 103, Zeile 6 der Anm., ftatt: 1618, lies: 1513 
: 186, = 12, ftatt: Hermann, lies: Hartmann 





. 





Ulrich von Yutten. 


— — — 


Zweiter Theil. 





Ulrich von Hatten. 


David Sriedrich Strauß. 


Zweiter Theil. 





Teipjig: 
5.4 Brodhbaus. 
1858. 








Das Recht der Ueberfegung ins Franzöſiſche und Engliſche behält fi 
Verfafler vor. 











Inhalt. 


weites Bud. 
Hutten im Kampfe gegen Rom. 
Gelte 
Erfles Kapitel. 
Hutten in unabhängiger wiſſenſchaftlicher Muße. Geine Ausflchten 
Zweites Kapitel. 
Entfchiedenes Auftreten gegen Rom. Berhältniß zu Luther....... 18 
Drittes Kapitel. 
Hutten's Reife an ben Hof bes Erzherzogs Ferdinand. Enttäufchung, 


päpfllicde Verfolgung... - - =... -o22ennenneneeenenn nen 61 
Diertes Kapitel. 

Hutten auf der Ebernburg bei Franz von Siringen............. 78 
Sünftes Kapitel. 

Hutten fängt an, beutfch zu ſchreiben.................... nen 108 


Sechstes Kapitel, 
Franz von Sidingen Hutten’s Schüler und ber Held feiner neuen 
Dialoge. nk ee een 188 
Ziebentes Kapitel. 
Der Reichstag zu Worms. Hutten’s Drohungen. ............- . 168 





VI Inhalt. 


Achtes Aapitel. 
Hutten tummelt ſich in kleinern Fehden und bemüht ſich um eime 


Verbindung zwifchen ber Ritterfchaft und ben Stäbten....... 1 


Neuntes Kapilel. 
Sickingen's Feldzug gegen Trier. Hutten's Entfernung aus DE 
land . ven — TTETT 


Zehntes Kapitel, 


Hutten's Streit mit Erasmus ...... EEE —— —————— 4 


Eilfies Kapitel. 


Sickingen's und Hutten's Ende. .. . ... — E ——— 


Zwölfles Kapitel. 
Stimmen über Hutten's Tod und Ausgänge feiner alten Freunde .. 


tn 





Zweites Buch. 


Hutten im Kampfe gegen Rom. 


Jacta est alea. 
Ih hab'e gewagt! 


Strauß, Sutten. II. 1 








Erstes Kapitel. 


Hutten in unabhängiger wiffenfchaftlider Muße. 
Seine Ausfichten und Plane, 


1519. 1520. 





Scrijtn: Fortuna, dialogus. Febris secunda, dialogus. 


Wenige Wochen nach Hutten's Wiederankunft zu Mainz 
war auf dem politiſchen Felde eine wichtige Entſcheidung ge⸗ 
fallen. Der junge Carl von Oeſterreich, vom Vater her Erbe 
von Burgund, durch die Mutter König von Spanien und 
Neapel, war am 28. Juni 1519 zu Frankfurt von den ver⸗ 
ſammelten Kurfürſten an die Stelle feines Großvaters Maxi⸗ 
milian zum König der Deutſchen gewählt worden. Laͤngere 
Zeit hatten die Fürften zwifchen ihm und König Franz von 
Sranfreich gefhwanft: zulegt aber war feine Wahl unter Umſtaͤn⸗ 
den erfolgt, die gerade für Hutten und veflen Beftrebungen 
viel Ermuthigendes hatten. Sein Herr, der Kurfürft Albrecht 
von Mainz, und jein ritterlicher Freund, Kranz von Sicingen, 
waren unter den thätigften DBeförderern von Carl's Wahl 
gewefen: während PBapft Leo X. und feine Legaten Alles ge: 
than hatten, derfelben entgegenzuwirfen, und dem franzoͤſiſchen 
König die deutfche Krone zu verfchaffen. So gegen ben Papſt 
1 * 





4 I. Bud. L Kapitel, 



























von vorne herein verjtimmt, den Gönnern Hutten’s, deren di 
diefer immer mehr für jeine Anfichten zu gewinnen m 
verpflichtet, Fonnte, jo jchien e8, der junge, neunzehnijäkig 
Herrfcher leicht in eine Richtung gelenft werben, welche 
Planen unjres Ritterd günftig war. !) Bon einer an 
Seite her veriprach man fid) von Garl’s jüngerm Brubk 
dem Erzherzog Ferdinand, der fo eben aus Spanien in! 
Niederlanden angekommen war, viel Gutes. Er galt fi 
einen Gönner der bumaniftiichen Richtung, zeigte insbeſon 
für Erasmus lebhafte Verehrung, und man hoffte inf 
einen mächtigen Bundedgenofien gegen die alte Barbarel.® 





1) Was patriotifche Neformfreunde in Deutfchland von Carl 
ten, ift in dem zwifchen feiner Wahl und feiner Anfunft in Deuiid 
ohne Namen erjdyienenen Dialog Carolus (Pasquillorum tomi di 
113—124, auch in Hutteni Opp. ed. Münch, VI, 360— 367) 
legt. Carl wird hier durch den Genius feines Grofvaters Marl 
in bie Unterwelt geführt, zuerit zur Sibplle, die ihn im Allg 
dann zu Marimilian, der ihn im Beiondern, mit Auwendung 
damaligen DVerhältniffe Deutſchlanda, inſtruirt. Daß biebei Car 
innert wird, etliche aufgeflärte Theologen von Erasmus’, Gapito’s, ß 
ther's Art in feinen Rath zu nehmen, während von Rittern, je 
Franz von Sickingen, feine Rede ift, verbietet (mit Burdharb I, 
Panzer S. 202), an Hutten als Verfaſſer dieſes Dialoge zu & 
Ueberhaupt galt Hutten, tie er fehon im vorigen Jahr gegen Pieh 
den Borfag ausgeſprochen hatte, die Feinde der Aufflärung fortam‘ 
zu befämpfen, in feinen fpätern Jahren bei Kundigen nicht mehr alt 
heber namenlofer Schriften viefer Art. Erasmus Aloisio Marl 
Episc. Tudensi, Lovan. 25. Mart. 1520 (zu lefen 1521). Epist. Em 
Lugd. Bat. 1706, p. 545: Atque hac sance in parte minus & 
iniquus Hutieno (etiamsi supra modum discrucior, illud 
illam in utroque genere dieendi felicem venam, non dediet 
esse felicioribus argumentis): siquidem is suam phrasim swd 
titulum ubique praeferens, neminem alium gravat invidia, pr 
quam se ipsum. 

3) Huttenus Erasmo, Mogunt. Non. lun. 1519, Opp. ed. Mir“ 
II, 203: Quod scribis de Ferdinando, mire placet, studia i 
amare adolescentem. Erexisti aninum mihi, speranti, fon 
orbis capita adversus barbariem nobiscum conspirent. L 


4— 














Hutten'6 Geſpräche: Fortuna. 5 


Unter ſolchen Umftänden konnte Hutten unmöglid) bei 
literarifchen Scherzen ftehen bleiben: er mußte lauter und ern⸗ 
fter al8 je feine Stimme gegen die Wurzel aller Uebel, bie 
römijche Fremdherrichaft in Deutichland, erheben, um wo möge 
ih dem neuen Herrfcher die Augen zu öffnen und ihn für 
feine Abfichten zu gewinnen. 

Hutten arbeitete damals an verichiedenen Schriften, uns 
ter andern auch ſchon am Vadiscus oder der römiichen Dreifals 
tigfeit 4); Doch die erfte, mit der er fertig wurde, jcheint Der Dialog 
Fortuna geweſen zu jein?), der ſich auch an feine, am Schluffe 
des vorigen Buchs Dargelegten, Lebens: und Heirathöplane 
unmittelbar antchließt. Unter Hutten’d Geipräcdyen ift, was 
die Anlage und Arbeit betrifft, die Kortuna das anmuthigfte. 
Und wenn fie an reformatorifhem Jpeengehalte minder Ichwer 
wiegt, ald der Vadiscus oder einige jpätere Hutten’sche Dias 
loge, fo ift fie dafür zur Kenntnig von Hutten's ‘Perfönlidy- 
feit vom höchften Belange. Was fein welthiftoriiches Pathos 
war, wiflen wir aus einer Reihe von Werfen feines Geiftes 
zur Genüge: was er dagegen ald Menſch, als Privatdharakter 
fonft noch geweien ift, wie Neigung und Beruf, Größe und 
Schwachheit, Stoicismus und Lebensiuft, in ihm ſich ber 
fämpften, capitulirten und doch nicht ganz ind Reine famen, 


— — — — — 


1) Huttenus Eob. Hesso et Petrejo Aperbaccho 3 Non. (3.) Au- 
gust. 1519, Opp. IN, 221: Cuditur mihi nunc dialogus, cui titu- 
lus: Trias Romana . . 

2) Die Dedication deffelben an den neugewählten Biſchof Conrad 
von Würzburg ift vom 1. Ian. 1520; die des Badiscus an Seb. von 
Rotenhan vom 13. Febr. Auch flieht die Fortuna in der Sammlung 
voran. Diefe hat den Titel: Hulderichi Hutteni ey. Germ. Dialogi. 
Darunter das Bild der Fortuna mit griechifcher Umfchrift, und unter ihr 
bie Inhaltsanzeige: Fortuna. Febris I. u. II. Trias Romana. Inspi- 
cientes. Cum privilegio ad sexennium. $Hinten: Moguntiae ex of- 
ficina libraria Jo. Scheffer, mense Aprili anno 15%0. Bgl. Banzer ©. 
110 fg. 








6 U. Bud. 1. Kapitel. 


diefed Ganze eines lebensvollen, liebenswürdigen, aͤcht menfch- 
lichen Naturells, hat er nirgends fo wie in dem Gefpräd) 
Fortuna dargelegt. ) 

Aus feinem Sendichreiben an Pirckheimer erinnern wir 
uns der Aeußerung Hutten’s, daß er bei feinen Lebensplanen 
gewiflermaßen auch auf das Glück redyne.?) Inwiefern? 
das erfahren wir nun hier. Hutten tritt die Glücksgöttin 
mit dem Gefuche an, ihm von ihrem Ueberfluſſe fo viel zu- 
fommen zu laflen, als zum Unterhalt eines ftillen, wiſſen⸗ 
ſchaftlichen Lebens erforderlich fei. Zun Lebensunterhalt im 
firengen Sinne würde fein Einfommen aus den väterlidyen 
Befibungen vielleicht Hinreihen: aber um mit Anftand und 
Würde zu leben, bebürfe er noch eines Zuſatzes von Geiten 
des Glücks. Befragt, wie viel er denn haben wolle? meint 
Hutten, wenn er eine Frau befomme, fo wünfchte er dort 
(in ihrer Heimath; es ijt ohne Zweifel Frankfurt gemeint) ein 
Haus zu faufen, daneben Gärten, auswärts Landgüter mit 
Sifchteichen, ferner Hunde zum Jagen, Pferde nur wenige, um 
bisweilen ausreiten zu fönnen; dann zur ländlichen Wirthfchaft 
brauche er Diener, Hüter, Vieh; im Haufe Tiihe, Betten, 
Polfter, Sänften, Galerien, eine Bibliothef, Speifegimmer, 
Badeſtuben; für die Frau Kleider und Schmud: Alles zwar 
nicht zum Prunf und im Weberfluß, aber doch anftändig und 
würdig; überdieß müffe man noch etwas für die Kinder zurüd- 
legen fönnen. Um diefes ſich anzufchaffen und im Ctande 


— . — — — — — 


1) Fortuna, dialogus Huttenicus. Interloquutores: Huttenus et 
Fortuna. Opp. ed. Münch, Ill, 347 — 386. 

2) p. 34. ed. Burckh.: Ubi, fateor, aliquid in Fortuna situm 
est, ut ubique el per omnia. p. 36: Nec ita sapiens esse de- 
sidero, ut non aliquam a Fortuna expectationen traham. Jam ab 
illa enim suspensus teneor, et in rotam me vertendum conjeci, 
exspectabundus, quo evehar: certe aut evehet me illa, aut non 
deprimet. 











Fortuna. 7 


zu halten, glaubt Hutten ein jährliches Einfommen von 1000 
Goldgulden nöthig zu haben. Bortuna zweifelt, ob er hie⸗ 
mit fo weit veichen würde; jedenfalls feien ‘da die Fugger 
weit bebürftiger, denn die behaupten, fie brauchen 200,000 FI. 
jährlich, um ihre Handelsmonopole aufrecht zu erhalten: ihnen 
müßte alfo Fortuna zuerft helfen, und Hutten ſich fo lange 
gedulden. Bergeblich febt diefer auseinander, wie bie Beduͤrf⸗ 
tigfeit nicht fubjectio nach der Einbildung der Menfchen, fons 
dern objectiv zu meflen fei: Fortuna fieht auf Beduͤrftigkeit, 
Würdigfeit u. dgl. überhaupt nicht, da fie ja blind ift, von 
Jupiter geblendet, weil fie, fo lange fie ſah, den Guten gab, 
und dieſe dadurch verderbte. Jetzt fchüttet fie blindling® aus, 
wen’® eben trifft, und zwar Gutes und Uebles durcheinander. 

So werde er ſich mit feinen Bitten an Jupiter zu wen- 
ben haben, meint Hutten; allein Yortuna belehrt ihn, daß 
für die thörichten Bitten der Menfchenfinder Jupiter längft 
taub geworden, das einzig richtige Gebet das um eine ges 
funde Seele in gefundem Leibe fei. Hier verwideln ſich die 
Unterrenner in ein Gejpräch über die Frage, ob e8 eine Vor⸗ 
fehung gebe? Die guten Erfolge der Böfen feheinen das 
gegen zu fprechen; aber ein ftarfer Beweis dafür ift die Strafe, 
die fo eben den ſchwäbiſchen Tyrannen getroffen hat. Go 
viel iſt jedenfalls entichieden, daß die Theologen über dieſen 
Punkt hoͤchſt elend und wetterlauniich räfonniren. Geht es 
den Guten gut, jo iſt es jenen ein Beweis dafür, daß nichts 
Gutes unbelohnt bleibe; wenn fchlecht, jo heißt ed: wen 
Gott lieb hat, den züdhtigt er. Yür das Glüd der Böſen 
wiffen fie taufend Gründe anzuführen, 3. B. daß Gott dies 
feldben durch Langmuth zur Beflerung einladen wolle; trifft 
dagegen Einen, den fie für böſe halten, ein Unglüd, fo haben 
fie vorausgewußt, daß Gott nichts Böfes ungeftraft läßt. 
So fehlt ed ihnen für das Entgegengefegte nie an Gründen, 
und fie zeigen auch bier biefelbe Zweideutigkeit wie Darin, baß 

























8 1. Bud. 1. Kapitel, 


fie mit Worten zwar den Reichthum verwerfen und 4 
ſchaͤzen, während in der That Niemand geldgieriger if 
eben fie, bie Theologen. 

Bom Beten auf das Arbeiten verwieſen, erwiebert & 
ten, er babe lange genug gearbeitet, und feinen Ze 
nicht erreicht. Er habe, entwidelt er auf —— Ken 
worin denn feine Arbeit beftanden? der beften & | 
ten unter großen Schwierigkeiten, wie fein Anderer zu dit 
Zeit, ſich beflifien, indem er wie ein Verbannter in der Hreik 
umbergezogen fei, und mit Armuth, Drangjal und seanl 
gefämpft habe. Dazu habe ihn die Liebe zum Willen a 
trieben, und das Ziel, das er dabei im Auge gehabt, 
wefen, derrinit in unabhängiger Muße ftudiren 'zu Fön 
Alfo habe er, belehrt ihm Kortuna, bisher nur gearbeitet, 
zu lernen: nun jolle er arbeiten, um reich zu werben. Dat 
babe er gehofft, wirft Hutten ein, werbe ihm von fell 
fallen, wenn er nad) jenem trachte; audy habe er jal 
wegen fchon zwei ganzer Jahre am Hofe gelebt, um ſicht 
wie Andere, zu bereihern. Dieb Sei ibm jebod 
gelungen; fei eö, weil das Glüd es nicht gewollt, obenig 
er zum Schmeicheln nicht geeignet, und die Gunft der Genf 
wandelbar jei. Es num bei einem andern Hofe zu verſu 
fönne ihm Fortuna nidyt zumuthen; er wolle nicht fein J 
3e8 Leben mit Verfuchen binbringen, fondern glaube, erh 
ſchon jegt verdient, daß er zu leben hätte. | 

Das habe er ja, verlest Fortuna, wenn er, wie m 
der größten Männer, arm jein wolle. Aber Hutten ve 
fid) die Armuth, die er, wenn audy nicht für ein Uebel, it 
für ein Elend hält. Und doc, gibt ihm Fortuna zu bei 
fen, fei fie weit förderlicher für die Studien, als der Ned 
thum mit feinen förenden Sorgen und Geicdhäften. O5 ı 
Jemanden wifle, der bei großem Reichthum noch ruhige Ruf 
babe? Doc, meint Hutten, die Pfaffen. Aber denen, 5 











Fortuna. 9 


lehrt ihn Fortuna, jchide Jupiter deswegen Fieber, Gicht und 
andere Krankheiten, dazu Hader, Neid und Feindfchaft uns 
tereinander, hauptiächlich aber die Beifchläferinnen, die fie 
beherrfchen, betrügen, beftehlen, oft um ihre Stellen und in 
Schmad und Elend bringen. So wollüftig und verborben 
würde auch er werden, wenn er reich wäre. Aber er begehre 
ja, meint Hutten, nicht Reihthum, fondern nur anftändiges 
Ausfommen zu mäßigem Genuß: die Glüdsgöttin möge ihm 
etwas aus ihrem Yüllhorne fpenden. 

Auf ihre Bemerkung, daß darin Böfed und Gutes bei- 
einander liege, wird Hutten zubringlid, will in das Horn 
bineinfehen, um Das zu bezeihnen, was er haben möchte; 
aber Fortuna heißt ihn aus dem Wege gehen, um einen 
Wurf aus ihrem Horne zu thun. Auf die Erde hinunter 
ſchauend, erblidt jegt Hutten großen Auflauf und Getümmel 
unter den Menſchen: die Einen jehen vergnügt, die Andern 
betrübt aus. Der Glückswurf ift nah Spanien gegangen, 
und hat dem jungen König Earl zu fo vielen Kronen auch 
noch die des römischen Reichs gebradt. Darüber find einige 
benachbarte Könige verdrießlich, deren Gefandte lange Gefich- 
ter zeigen; vor Allen aber der Papſt, deſſen Legat fich beis 
nahe henfen möchte. Unglüd ift auf Afrika gefallen, wo 
einige Barbarenfürften durch Carl’d Heer eine Niederlage ers 
litten haben: ein hoffnungsreicher Anfang der neuen Herr⸗ 
ſchaft! 

Um fo mehr will nun aber Hutten auch für ſich ein 
Angebinde von der Glüdsgöttin haben. Und zwar vor Allem 
eine Frau. !) Yortuna’d Warnungen vor den Gefahren und 
Beichmwerlichfeiten der Ehe machen auf ihn feinen Eindruck. 


1) Ihre Eigenfchaften hatte er fchon an einer frühern Stelle im 
Sinne feines Brieies an F. Fiſcher bezeichnet, p. 356: Uxor ut con- 
tingat venusie, dives, adolescentula, optime instiluta ei educate. 





10 I. Buch. 1. Kapitel. 


„Zu der Muße”, fagt er, „die ih im Sinne habe, bedarf 
ich einer rau, die mir die beichwerliche Sorge für das Haus- 
weien abnehme, das Nöthige herbeifchaffen und erhalten heffe, 
die mir Kinder fchenfe, die, wenn ich krank bin, mich pflege, 
im Unglüd mit mir trauere, im Glüd fich mit mir freue, 
in deren Bufen ich Alles ausfchütten fann, was das Gemüth 
fo bewegt, daß es fih nicht zurüdhalten läßt, fondern Mit« 
theilung zum Bedürfniß macht.“ Habe er ein ſolches Weib, 
jo wolle er in gefchäftiger Muße leben, fich mit Betrachtung 
und Studien, Lejen und Schriftftellerei unterhalten. „O 
wünfchenswerthe8 Gut! erfehnter Hafen! glüdielige Ruhe!“ 
(der Wahliprudy des Freundes Mutian.) Komm, führe mid) 
zu biefem Leben, das Muße mit Würde verbinden, Gejchäfte 
ohne Gefahren haben wird. Das jei die Summe meiner 
Wünfche!‘ ') 

Auch jetzt Sucht Fortuna noch allerhand Ausflüchte, glaubt 
namentlicy eine ſolche rau, wie Hutten fie verlange, in 
ihrem ganzen Horne nicht zu haben; doc nun febt dieſer es 
durch, felbft in das Horn hineinzufehen, und „Halt! ruft 
er aus, „halt! fie ift gefunden. Da ſchaut ein Mädchen 
hervor: fie iſt's, dieſe habe ich gewollt: hübfches Geficht, 
fhöne Geftalt, für ihre Sitten zeugt die Schamröthe auf ihrer 
Stirn, ihr ganzes Welen voll Anmuth, o ein begehrend- 
werthes Geſchoͤpf!“ Auch Gold die Fülle trägt fie bei fich, 
und trotz Fortunens Warnung, daß ihn dieß zu ihrem Die- 
ner machen werde, it nun Hutten fo higig, daß er das fchöne 
Kind, wenn es fein muß, bei den Haaren aus dem Horne 
beraugziehen will. Das wird fie ihm nicht übel nehmen, 
meint er: fie lächelt ihm ja bereits zu: wenn auch nicht jei- 


— — — —— — — 


1) p. 377: 0 desiderabile bonum, optatum portum, beatam 
tranguillitatem! Duc me, age, ad vitam, in qua crit otium cum 
dignitate, negotium sine periculo. Haec votorum summa esto. 











Fortuna. 11 


ner Schönheit, wie Fortuna fpottet, doch den reellern Bors 
zügen, welche fie verftändig genug ift, an ihm zu bemerfen 
und zu fchägen. !) 

Allein die Glücksgöttin läßt ſich nicht in ihr Amt grei« 
fen: fie thut abermald einen Wurf: das Mädchen ijt heraus 
geflogen, und — o Unglüf! — einem Hofmanne zu Theil 
geworden, an weldem nun ber zu furz gefommene Reben» 
bubler auch fein gutes Haar läßt. in aufgeblajener, groß- 
Iprecherifcher Gejell, in bunten Kleidern, mit Ketten um dem 
Hals und Ringen an den Fingern, aber innerlidh ein gemei« 
ner Menſch und nicht einmal ein rehter Mann: mit ihm 
werde das Mädchen nicht glücdlidy jein. Und außerdem hat 
der böfe Wurf noch Hutten's väterlidye Güter durch Unge⸗ 
witter verwüjtet, die Saaten verheert, Baͤume ausgerifien, 
die Häufer umgeworfen: feine Kamilie fieht dem Hunger ent: 
gegen. 

Sp verzweifelt Hutten endlid ganz an dem Glüde, und 
hit fi an, in der nädjiten Kapelle den Erlöſer Ehriftus 
um mens sana in corpore sano anzurufen. 

Daß das von ihm begehrte Mädchen von dem Glüd 
einem unmwürdigen, aber duch äußere Stellung ihm über: 
legenen Nebenbuhler zugeworfen wird, darin fünnte man eine 
Andeutung davon finden, daß Hutten's früher gemeldete Be⸗ 
werbung in ähnlicher Weiſe mißlungen geweien. Allein der 
Zueignung zufolge war der Tialog Yortuna um Neujahr 1520 
bereitd vollendet, während, nach einer oben angeführten Mit- 
theilung, Hutten zu. Anfang Februars noch Ausficht hatte, 
eine adelige und reihe Braut heimzuführen. Es iſt alſo 
wohl jener Zug mehr nur ald die Ausmalung einer ſchlimmen 


1) p. 379: Huttenus. llaec placabitur, jam arridet enin:. 
Fort. Tibi tam pulchro? Hutt. Imo prudentius non formam spectat, 
sed aliud quiddam miratur. 


J— 








12 II. Buch. I. Kapitel. 


Moͤglichkeit, vielleicht auch als Mahnung an die Familie zu 
verſtehen, in der Wahl eines Gatten für das Madchen ſich 
nicht durch aͤußern Glanz täufchen zu laſſen. 

Ohne Zweifel auch in diefer Angelegenheit war Hutten 
zu Ende Januar und Anfang Februar 1520 zweimal in 
Frankfurt am Main geweſen, und hatte da unter Andern 
feinen Befannten von Bologna ber, Johann Cochlaͤus, der 
unterdefien Domherr in Frankfurt geworden, aber noch nicht 
offen zur Reactionspartei übergetreten war, geiprochen. Er 
fagte ihm von den Geſprächen, die zur nächften Mefle von 
ihm erfcheinen werden: der Yortuna, dem zweiten Fieber, der 
Trias Romana u. f. w., aud) von einem Funde, den er auf 
der Fuldiſchen Bibliothef gemacht habe und herauszugeben ges 
denfe; wobei er bei MWeitem nicht die harmlofe Stimmung 
zeigte, die er vor einem halben Jahre in jenem Yreieröbrief 
an Arnold Glauberger ſich zugefchrieben hatte, vielmehr gegen _ 
den Papft und für Deutfchlande Ehre eine äußerſt Fühne 
Sprache führte.) Von Frankfurt reiste er am 7. Februar 
nad Stedelberg, wo er am 13. die Zueignung zu feinem 
Dialog Vadiscus ſchrieb. Doch wir wollen erft von einem 
andern Dialoge reden, der in der Sammlung vor dem Va⸗ 
discus fteht, und fi an die Kortuna und das fchon früher 
beſonders erfchienene (erfte) Fieber anſchließt. 

Wir haben in dem eritern Gelpräche den Abſatz über bie 


1) Epist. 17. Jo. Gochlaei ad Bilib. Pirckheimerum. Ex Franckf. 
8 die Febr. 1520, bei Heumann, Docum. lit. p. 43: Fuit his diebus 
hic nobilis ille Huttenus, et quidem bis. Nunc in patriam arcem 
Stechelperg tendit, heri hine profectus. Multos nunc se in proxi- 
mis nundinis dialogos ait emissurum: secundam Febrem, Triadem 
Rom., Fortunam, Inspicientes, Praedones etc. Invenit praeterea in 
Fuldensi bibliotheca historiam Henrici IH. (IV.), qui Caesarem quo- 
que pugnarum numero superasse fertur: addit ipse Apologiam 
contra Ro. Pontificem. Mira homo utitur libertate in asserenda 
Germaniae gloria, vehementissimo flagrans odio in Pont. Ro. 











Fieber (das zweite). 13 


Pfaffen bemerkt, denen Jupiter, um ihnen ihr MWohlleben zu 
verbittern, Krankheiten und Mißhelligkeiten jeder Art, beſon⸗ 
ders aber die Goncubinen, zugelegt habe. Diejer Abſatz bil⸗ 
det das Thema eined fernern Geſpraͤchs, das, als zweiter 
Act des Dialoge mit dem Fieber, um jene Zeit von Hutten 
ausgearbeitet wurde. 7) 

Gleich der Eingang ift ein Meifterftüd der-pinlogifchen 
Form. Die Scene, wie e8 an Hutten's Thüre pocht, dieſer 
den Knaben zum Henfter hinausjehen, und im Yall eines 
läftigen Beſuchs ihn verläugnen heißt, das Yieber draußen 
ihn an der Stimme erfannt hat und id) zu erkennen gibt; 
der Schred des Knaben, Hutten’d Befehl, Thür und Fenſter 
ju verrammeln, dad Anftürmen des Fiebers, weldyed das 
Haus zittern madıt, feine vergeblichen Verſuche, Hutten zu 
berüden: das Alles ift ſo dramatiich, fo lebensvoll gemacht, 
dag man die Allegorie vergißt und eine wirflidhe Handlung 
vor fich zu ſehen glaubt. Das Fieber (jo knuͤpft ſich dieſe 
Hortfegung an das erfte Gefpräch gleichen Namens an) hat 
fih veranlagt gefunden, von dem Curtiſan, zu dem Hutten 
e8 dort am Ende geichidt hatte, ſich wieder zu trennen, weil 
bei diefem unterdefien andere Krankheiten, vor allen die fran- 
zöftfche, dann aber auch Stein und Gicht, überdieß Armuth, 
eingezogen find, mit denen ed nicht zufammenwohnen mag. 
Auch eine Eoncubine hat ihn verlafien, und fit zu einem 
alten, garftigen, aber reihen Domherrn gezogen, zu dem das 
Zieber ihr deswegen nicht folgen mag, weil der Mann mit 
jener ſchon Unglüd genug im Haufe habe. Welche Peit eine 
Beifchläferin in Haufe fei?), wird nun zuerit im Allgemei⸗ 
nen, duch piychologiihe Zeichnung des fittlichen Zuſtandes 





1) (Ulrichi de Hutten eq.) Febris secunda. Interloquutores: 
HÄuttenus, Febris et Puer. Opp. ed. Münch, Ill, 389 — 424. 
2) quae pestis sit concubina domi. p. 396. 





14 I. Buch. 1. Kapitel. 


folcher Weibsperfonen und des Seelenzuftandes ihrer Lieb⸗ 
haber, hierauf aber im Beſondern an dem Beiſpiel anſchau⸗ 
lich gemacht, welches das Fieber zuletzt hatte beobachten 
tönnen: dem Berhältnig des Curtiſans zu feiner geliebten 
Elfe. Die ausführliche Schilderung, welche Hutten hier von 
dem Leben der concubinarifchen Prieſter entwirft, ift, wie man 
wohl fieht, aus vielfacher Beobachtung geichöpft, und Täßt dies 
fe8 Leben al8 ein ebenfo unglückliches wie unftttliches erſchei⸗ 
nen. Jupiter felbft, ald er es mitangeſehen, erzählt das Fie⸗ 
ber (wie ſchon in der Fortuna angedeutet war), habe gefagt: 
das folle das Pfaffenfieber fein, und ihm, dem eigentlichen 
Fieber, befohlen, fid) an amdere Leute zu halten. Ob bet 
diefer Gelegenheit, fragt Hutten, Jupiter ſich nicht auch über 
die Sapung des Papſtes Kalliftus ausgeiprochen habe, welche 
den Prieftern die Ehe verbietet Ob er es gut geheißen habe, 
daß man diejelben. aus dem von ihm eingejehten Eheſtande 
herausgerifien und zu einem Hurenleben veranlaßt habe? 
Kein, erwiedert das Fieber, jondern er habe gejagt, das fei 
ohne fein Vorwiſſen gefchehen; man habe, als er zufällig im 
Götterrathe nicht gegenwärtig geweſen, über die Sache bes 
richtet und Beſchluß gefaßt, der aber jeines Erachtens cafjirt 
werden müſſe, damit die Prieſter wieder wie vordem Ehe⸗ 
weiber nehmen, und nicht, vom buhleriſchen Lager aufgeftans 
den, mit unreinem Herzen und Händen das Heiligthum bes 
rühren. 

Ueber Hutten ift dem Sieber zu Ohren gefommen, daß 
er im Begriff ftehe, ſich zu verheirathen. Damit ift e8 gar 
nicht einverftanden. In der That deßwegen nicht, weil es 
durch die Pflege der Frau für immer von ihm abgehalten zu 
werden fürchtet; allein es kehrt das Andere vor, daß ihm die 
Frau Feine Ruhe zum Studium laffen werde. Hutten er: 
wiedert kurz, eine Frau zu nehmen, fei er zwar noch nicht 
entichloflen, doch wenn er es thun wollte, jähe er nidht ein, 





Sieber (das zweite). 15 















me damit gefehlt wäre. 1) Bergebens preift ihm das Fieber 
bie zum Theil fchon in der frühern Unterredung) feine heil⸗ 
Wirkungen an: wie es ihn fleißig, ernft, keuſch machen 
; wie die interefiante Blaͤſſe, die es mit fich bringe, 
anch bei den Weibern mehr, als gemeine Röthe, empfehs 
werde: Hutten heißt es ſich paden. „Geh“, ruft er, „zu 
Bfaffen, zu den Buhlern, zu den Trinfern, zu den 
‚ den Kaufleuten, den ersten, oder, wenn es dir 
‚vor Allen zu Kaifer Marimilian’s Schreiben” — 
bei dem feligen Herm, ergänzt das Fieber, fid) nur gar 
ſehr bereichert haben, und nun in Böllerei und Wohlleben 
‚großen Herten ipielen. Die Aerzte, fieht man, hat ber 
von Den qualvollen und vergeblihen @uren ber, die 
ihn auöftehen laſſen, auf dem Komme: er meint, es ſtünde 
zicher um Deutſchland, wenn man die ganze Sippfchaft, 
Rhabarber und Goloquinten, aus den Lande jagte. 
Stromer und Coppus, Ebel?) und Ricins, nimmt er 
Me, denn das jeien techtichaffene Männer, aber eben darum 
M weniger Aerzte. 

Wie es jener Anweiſung ſo eben nachkommen und fort- 
en will, wird das Fieber von Hutten noch einmal zurück⸗ 
Rufen und gefragt, was es denn für die Urſache dieſes ver: 
Beten Lebens der Geiftlichen halte? Den Müfiggang, er- 
ledert ed, und defien Rahrung, den Reichtum. Wie aljo, 
eint hierauf Hutten, wenn Deutjchland hierin Rath ichaffte, 
wen die Pfründen jchmälerte, und fie dann hieße den Acker 
men und mie andere Menfchen im Schweiße ihres Ange: 
hes ihr Brot verdienen: ob wir dann rechtichaffene Geiſt⸗ 


1) Uxorem quidem ducere nondum decrevi: quanquam, si 
Icerem, non video, quid errarem. 

3) Leibarzt des Erzbifhofs von Göln, nach Guaiac. c. 13, wo er 
t den drei Andern ebenfo unter ben recte medici, zugleih auch ale 
manifi, gerühmt wird. 























16 IL. Buch. 1. Kapitel. 


lihe befommen würden? Das Fieber zweifelt daran wide: 
und hofft auch, es werde nicht mehr allzu lange anf 
fich die Deutſchen dazu ermannen werden. Es folle nur & 
eine Theurung kommen, dann werden ehrliche, —* 
nicht mehr dulden, Daß, was ihnen gebührte, von txi 
unnügen, ja ſchädlichen Menſchen verpraßt werde, | 
fie, als die faulen Drobnen, austreiben. Die deutihenf 
ften, meint Hutten, könnten dem Reiche feinen befjern Di 
erweilen, ald wenn ſie das unermeßliche Geld, — 
dieſe vielen tauſend geiſtlichen Müßiggänger verzehren, & 
zu ehrlihen Kriegen, theild zur Ernährung gelehrter 
verwenden würden. ‘Dem König Carl gebenft Hutten 
biefen Rath zu geben; gedenft, ihm vorzuftellen, wie uni 
Dig eined guten Kaiſers es jei, zum Schaden bed Gem | 
weſens ſolche nichtsnutzige Menſchen ſich nicht mur mild 
ſondern auch über alle Andern, die Fürſten nicht auege 
men, herrſchen zu laſſen. Daß er ſich durch ſolche Rail 
fhläge und Plane die Rache der Glerifei, überhaupt Uni 
mad) aller Art, zuziehen werde, darüber täufcht Hutten fi 
nicht; aber er will es gern auf fi nehmen, wenn er ddt 
patriotifhen Abfichten durchſetzen kann.) Uebrigens ge 
diefe Feineswegs dahin, daß man die Pfaffen vertilge, 
dern nur dahin, dap man jie von dem Müßiggang undıil 
Ueppigkeit abziehe, fie anweiſe, wirklich Geiſtliche zu 
bie ſich nur mit dem Heiligen beſchäftigen, und die Reli 
nicht zu einer Fundgrube ſchnöden Gewinnes machen. 
Die Bemerkung, welche das wohlgelinnte Fieber zu 
noch hinwirft, und in welche Hutten einſtimmt, daß vor a 
Dingen Rom, als die Quelle dieſer Uebel, gereinigt werke 


1) p. 421: Febr. Video, tantum habiturun: te mali, ut Seht 
non opus sit. Autt. Quo de videro, et forte malum in me aliıqus 
non invitus accipiam, dum illi hoc persuadeam. 





Fieber (das zweite). 17 


müfle, it gleihfam eine Verweiſung auf das naͤchſte Ge⸗ 
ſpraͤch: Vadiscus, oder die römijche Dreifaltigkeit, dad Rom 
und feine Verderbniß zum unmittelbaren Gegenftande hat. 
Auf der andern Seite trifft in diefen am Schlufle der 
Febris secunda vorgetragenen Ideen Hutten mit Luther zu« 
fammen, an deſſen Manier auch in formeller Hinficht der 
Zug erinnert, daß Hutten fi durch das Fieber auffordern 
läßt, fein Vorhaben durch Bibelſprüche zu begründen; was 
er fofort mittelft Anführung von allerlei Prophetenftellen thut. 


Strang, Hutten. ll. 2 














Zweites Rapitel. 


— — — — 


Entſchiedenes Auftreten gegen Rom. Verhältniß 
Luther. 


1519. 1520. 


Schriften: Vadiscus, s. Trias Romana, dial. Inspicientes, dial. 
Vorreden: Ferdinando, Austrise Archid. und Liberis 
Germania omnibus. Ad Eduardum Leum Epist. 


Um biefe Zeit war Hutten’s Aufmerffamfeit auf Luther mal 
die gleichgültige, halb ironijche mehr, die fie noch währm 
feines Augsburger Aufenthaltes gewefen war. Insbeſen 
feit der Leipziger Disputation im Sommer 1519 und d 
durch fie veranlaßten Schriften Luther's war es nicht länge 
möglih, feinen Handel als ein bloßes Mönchögezänf 
nehmen. Hutten erfannte in ihm einen Streiter für bie 
Sache, der auch er felbft fich gewidmet hatte, und würde gen 
mit ihm in Verbindung getreten fein, hätten nicht äufen 
Verhältniffe vorerft im Wege geftanden. Unmerklich ſchob IM 
in den Mittelpunkt von Hutten's Interefle ftatt des Hum— 
nismus die Reformation, ftatt Neuchlin’d Luther vor: om 
daß er darum in ber treuen Anhänglichkeit an die alım 4 
Gegenftände feiner Verehrung nachgelaſſen hätte. 
Wie er während des Würtembergifhen Yeldzuges feinen 

ritterlichen Freund von der Eberndburg für Reuchlin zu u⸗ 
tereffiren wußte, ift an feiner Stelle gemeldet worben. RE 











20 1. Bud. U. Kapitel. 


als ein Alter, Frommer, unter den Hochgelehrten nicht de 
Niederſt, deß Ehre, Kunft und Lob in weiten Landen 'w: 
fhollen und ausgebreitet, ſolcher gewaltiger — 
endlich vertragen, in dieſem feinem ehrlich hergebrachten M 
bei Ruhe bleibe, daſſelbe auch, fo viel Gott gefalle, Fries 
befchließen möge, und dadurch vermerkt werbe, daß viele 
hohen Adeligen und andern trefflichen weltlichen Ständer, 
gefchweige der Hochgelehrten und Geiftlichen, ihre (der De 
minicaner) bisher gegen Dr. Reuchlin geübte Handlung we 
Herzen und Gemüth leid geweien und noch fei. *) 

Der neue Kriegäfturm, der nad) Herzog Ulrich's Rh 
kehr im Auguft, bis zu feiner abermaligen Vertreibung ia 
Dctober 1519, über Würtemberg hereinbrach, drängte de 
Pfaffenhandel einen Augenblid in den Hintergrund: doch nah 
bergeftellter Ruhe fanden die Dominicaner geratben, md 
Ingolftadt, wohin Reuchlin unterbeflen uͤbergeſiedelt war, B⸗ 
georbnete an ihn zu fchiden, um mit ihm ins Reine a 
fommen. So fleinmüthig diefer oft war, fo war er Wü 
Hug genug, fie an Franz von Sidingen, als feinen Ber 
mächtigten, zu weifen. Bon biefem „Hercules“ erwartete c 
daß er den Nichtswürbigfeiten feiner Widerfacher ein Cue 
machen werde. Erſt verfuchten dieſe allerhand Winfeljig 
verlangten Friſten u. dergl., aber Sidingen zeigte ihnen da 
Ernſt. Um die Unterhandlung mit ihm zu erleichtern, ww 
anlaßten fie nun den Hochftraten, feine Aemter als Prior zb 
Inquifttor niederzulegen?), und zu Ende des Mai 1520 har 





1) Abgebrudt bei Burdharb, II, 158—63. 

3) Hochstratus (per Provincialem aut in comitiis Ordinis Pre® 
dicatorum) ob compositionem cum Reuchlini fautoribus ineund® 
jussus fuerat abire a Prioratu conventus Coloniensis et ab ofie# 
Inquisitoris. Hartzheim, Prodrom. hist. Univ. Col. 1759, p.# 
Daranf bezieht fi auch in ber Ueberfchrift des Conciliabulum Thor 
logisterum (Pasq. tomi duo, p. 141) ber Beifap: postquii 











Sn 


Winfelzäge der Deminicaner. a1 


Reuchlin die ihnen in Speier auferlegten Proceßkoſten in 
gutem Gold in Händen, das ihm nach den ſchweren Kriege⸗ 
einbußen wohl zu Statten kam. Ueberdieß erliegen die Do— 
minicaner ein Schreiben an den Papft, in weldhem, unter 
ehrenvoller Erwähnung Reuchlin's, um gänzlihe Hinlegung 
des Handels auf ewige Zeiten gebeten war. !) 

Aber werde Einer mit Pfaffen fertig. Diefem Schreiben 
fhidten fie andere nad), welche daffelbe, wie den ganzen 
Bertrag, al erzwungen widerriefen.) Die Gelegenheit war 
eben günftig: von den Gönnern Reudlin’d am römifchen 


— — 


J. Hochstratus dejectus est ob officio Prioratus et ab office m: 
quisitoris. 

1) Reuchlinus Bilibaldo, Opp. Bilib. Pirckheimeri ed. Sen, 
p. 261 fg. Ep. 14—17. Cochlaei Ep. 19. ad Bilib. kei Heumann, 
p. 48 fg. Cochlaͤus hatte der Schlußverhandlung ber beiberfeitigen Bes 
vollmächtigten ale _Zenge angewohnt. — Auf eine Inflige WBeife trieb 
einige Jahre fpäter der Graf Hermann von Ruenar ben Hochſtraten, der 
iän in Schriften gefchmäßt Hatte, zu Paaren. Gene Berwanbten vers 
boten nämlich den Dominicanern, im Bereiche ihrer Herrſchaften Ger 
und Käfe zu fammeln. Als fle dennoch kamen, wurden fie fo empfangen, 
baß ihnen bie Luft zum WBieberfommen verging. Rur ein Jahr ertwugen 
bie Käfebrüber biefe Sperre; dann ſtellte Hochſtraten eine Erklärung ans, 
in welcher er, unter namentlicher Aufführung und Zurücknahme aller 
feiner Gchmähungen, verficderte, von dem Grafen immer bie beſte Beis 
nung gehabt zn haben. Erasmus Alfonso Valdesio, 12 Cal. April. 
1519. Epp. Erasm., L. B. 1706 p. 1168. Ep. MXXXI. 

2) (Die Stellen, auf welchen bie obige Darflellung beruht, fege ich 
ausführlich her, weil biefer Rädichlag in Reuchlin’s Sache meiſtens um 
beachtet bleibt, obwohl Meiners, Ranke, auch fchon Burckhard, auf deu⸗ 
felben Hingewiefen haben.) Hogstratus ovans, dial. festivissimus, 
Hutteni Opp. ed. Münch, VI, p. 834: Hogstr. ... sequestravi o pe- 
tribus ordinis nostri, qui, tametsi sacramento .. et editis etlem 
libris (f. leg. literis), suorum coenobiorum signis oonfirmalis, s086 
obstrinxerant, quod essent curaturi, ut oausa illa perpetuo sileatio 
obliterarent (leg. -retur) a Summo Pontifice, testati tamen sum 
literis ad Romanenses me monitore, quod pro comoordia et ex- 
inchone cansae scripserant, ki nikil ex anime seripiam, sed arer- 
tendi periculi causa. 





22 II. Buch. II. Kapitel. 


Hofe waren die Einen geftorben, Andere entfernt‘); der Due 
therifche Handel, der ſich als ein Schößling des Reuchliniſchet 
darftellen ließ, warf auf. vielen ein bedenkliches Licht, wuhl 
fo erfolgte im Sommer 1520 ein päpflliche8 Breve, dad Wi 
Speierfche Sentenz caflirte und Reuchlin's Buch verurtheilte.Y 
Hochſtraten, in feine nur zum Schein verlorenen Gteief 
alsbald wieder eingefegt ), und feine würdigen Brüder Ichlugen 
+ 


4 
4 


— — — —— — 





1) Ebend., S. 337. 


2) Schreiben eines Romers vom Jan. 1521, in Riederer's Rab 
richten zur Kirchen, Gel.: und Bücher⸗Geſch. I, 179: Accedebat (us 
die Bannbulle gegen Luther auszumwirfen) Sylvester ille Prierias et tel 
Praedicatorum factio, praecipue Capnionis inimici, qui nimiam Pe® 
tiflcis bonitatem incusabant, asserentes, si pridem Capnionis ak 
bus via regali obviasset, nunquam Martinum talia fuisse ausurw® 
hacque occasione sententiam contra libellum CGapnionis extorserwk, 
quamvis paulo ante Pontifex quosdam exhortatus fuisset, ut T- 
mut exprimerent etc. Hogstr. ov. p. 334: Postremo intermidi 
sumus, nihil quempiam ex nostra faclione in toto orbe contra I» 
therum pro Pontifice dicturum, nisi condonata condemnatione Rewer 
lini. Vgl. ven Dialog: Bulla, T. Curtio Malaciola, eq. Burlasit 
autore, bem ein Gefpräch in Verſen zwifchen Pasquillus nnd Mars 
angehängt ift: 

P. Cur Capnioncn iterum decimus Leo damnat iniquo 
Judicio? Illi olim gramina prima dedit. 
M. Lutheron alternis vicibus quo pectore toto 
Arcadico perdat dedita turba Scoto. 
P. Qui illorum proceres? M. Quos alta Colonia nutzit, 
Tum qui Lovanii moenia summa colunt. 
Außerdem vgl. die Oratio ad Carolum Max. Aug. et Germ. Principe 
pro Ulr. Hutteno eq. Germ, et Mart. Luthero, autore S. Abydes 
Corallo Germ., b. Münd, VI, 528: Ignoratis, qui (Pontifex) qui 
doctissimo eidemque probissimo viro, Joanni Reuchlin, nuperzi® 
fecerit? Hunc, cum absolutum, liberum, victorem, triumphatore 
decrevisset adversus publicum hoc orbis malum, Hochstratum, nup® 
tamen, demultus pecuniola, rursum velut reum condemnavi ® 
litem semel extinctam refricavit. 

3) Hartzheim, a. a. O.: 1520, 28. Juli, Leo P. X. Frei 
Jac. Hochstraten O. P. officiis Inquisitionis et Prioris Colonien#® 
motu proprio et ex certa scientia restituit. 








Senchlin’s Ausgang. 23 


das Breve in Eöln mit Jubel an!); Reuchlin fuchte Dagegen 
aufzufommen; Sidingen mußte ſich noch einmal in den Handel 
legen ®); er ließ fih durch Hutten ein Schreiben an ben 
Kaifer auflegen, auch die Kurfürften von Mainz und Sachſen 
um ihre Berwendung in der Sade bitten; Reuchlin ſelbſt 
lud er auf die Ebernburg ein®): es ſcheint aber, der Alte blieb 
unangefochten erft zu Ingolftadt, wie hierauf wieder in TA 
bingen und Stuttgart, wo ihn am 30. Juni 1521 ber Tod 
allen irdiſchen Anfechtungen entrüdte. 


1) ©. ven Auszug aus den Gölnifchen Univerfitätsauunlen bei: von 
Bianco, Die alte Univerfität Coln, ©. 379 fg. Ferner Hodio Zuinglio, 
Mogunt. 15. Oct. 1520, Opp. Zuinglii, ed. Schuler et Schulthess, 
vH, 148: Miram tragoediam recensuit nobis heri Buschius, qui 
a Colonia advenit. Reuchlinus condemnatus est Romae in greiiam 
monachorum: triumphant superbissime, schedulis affixis nullibi non 
Coloniae in porlis, in eccleslis etc., neque temperant a conviche. 
Condemnationis summam lingua vernacula adjecerunt, in qua ire- 
ducunt Episc. Spirensem et quosdam alios magnates. Daffelbe meldet 
der angeführte Dialog Hogstratus ovans, indem er noch über E’s 
Handel mit Luther und Lee's Handel mit Erasmus ſich verbreitet. 
Sollte er von Buſch fein? Hutten fchreibt an Bucer (f. u.) ganz fradies: 
Hogostr. ovantem legimus; aud if für ihn das Latein nicht gut geung. 
Bol. übrigens Burckhard, I, 812. Panzer, S. 228 fg. Meiners, &. 286. 

2) Huttenus Bucero, 25. Nov. 1520, mitgetheilt von Roͤhrich in 
Niedner's Zeitfh. für Biflor. Theologie 1855, ©. 691: Capnion appel- 
lavit, quem Franciscus tuebitur modis omnibus. 

3) Huttenus Luthero, Ex Ebernburgo 5 Id. Dec. 1520, Opp. 
ed. Münch, Ill, 620: Capnion huc veniet propediem. Ita facturum 
rescripsit Francisco. Praedicatores trepidant. Videbimus rei even- . 
tum. Huttenus Spalatino. Ex. Ebernb. 17 Cal. Febr. 1591, Opp. 
ed. Münch, IV, 292: (Franciscus) jubet, te rogem ex se primum 
omnium, ut Principe tuo intercessore utaris apud Caesarem in 
Capnionis causa, quam ille nunc literis agit. Scripsit enim Caesari 
copiose ea super, me interprete. Huttenus Capitoni, Ex Ebera- 
burg. 17 (fo, nicht 10, bat die Handſchrift in der Bibliothek bes Basler 
Antiftitiums) Cal. Febr. (1521) 5b. Riedner, Zeitfchr. für hiſt. Theol. 
1865, ©. 627: Petit abs te Franciscus, ut obnixissime apud Car- 
dinalem instes, quo ille causam Gapaionis, in qua nunc ad Cassareım 





94 1. Buch, II. Kapitel. 


Während Hutten auf diefe Weife für Reuchlin und | 
Humanismus zu wirfen fortfuhr, fuchte er mun Pa. 
bie tüchtigften feiner alten Freunde, feine Bunt | 
Kampfe gegen die Cölniſchen Duufslmkuner, in dab | 
entfcheidende Unternehmen gegen Rom, ald den Roy M 
Wurm, hineinzuziehen. Schon im Auguft 1519, tuq # 
feiner Heimkehr aus dem Würtembergifchen Feldzuge, N 
er nach längerer Zeit wieder an die Erfurter Freunde, E 
Heffe und Petrejus Eberbach. Er beichwert fich, af. 
Erftern, der im vorigen Herbite durch Mainz gekommen, 
zehn bis zwölf Meilen zu viel gewejen feien, um ihn = 
maßlih auf Stedelberg, wohin er nad) Vollendung der @ 
jafcur um Wintersanfang 1518 von Augsburg aus ſ—— 
geben hatte) zu befuchen; daß Eberbach ſeit vier M 
ihm nicht geichrieben; daß Mutian vollends durch Mei 
Brief noch ſonſt ein Zeichen bezeuge, daß er ihm nicht Di 
ſei. Hutten ahnt, daß fein Auftreten in neuefter Zeit a 
behutfamen Manne mipfallen könnte; er läßt ihn ehrfug 
voll grüßen, und verfpricht, bei ehefter Gelegenheit an ihn 
ſchreiben. Den beiden jüngern Freunden ſchickt er die zuch 
vollftändige Ausgabe feiner Türfenrede zu, und Tnüpft U 
Frage daran, ob nicht auch fie einmal etwas für Deutfdylank 
Freiheit zu wagen gedenken? Eoban habe in feiner My 
wortsepiftel Italiend eine gewaltige Freiheitsliebe angefündig 
nun ftehe ex ab, vielleicht durd, das Schelten eines Curtifen 
zurüdgefchredt. Er folle Feine Zurcht haben. Es wer 
mehr Schriftfteller diefer Richtung auftreten, als er beat 
Und fein ruhmlofes Wagniß werde es fein. Wie er, Hut 
der Gelegenheit wahrnehme, Solche zu gewinnen, bie ve 
vermögen, aber bisher die Sache nicht verftanden haben, ml 


scripsi, juvet.. Multum turbatus est bonus senex. Vocavimus IM 
quo fortasse veniet proximo vere. 











Hutten wirbt für bie Seformation. 25 


fih nun gerne von ihm unterrichten laflen (er meint vor 
Allen Franz von Stdingen), follen fie künftig erfahren. Er 
ſchmiede jetzt an einem Geſpraͤch mit dem Titel: Trias Ro- 
mana, dad Heftigfte und Freimüthigfte, was bis daher wider 
die römischen Golbfauger berausgefommen. Sobald es fertig, 
follen fie e8 haben. Und Eberbach, der felbft in Rom ger 
weien fei und Die Ränfe der dortigen Betrüger kennen gelernt 
babe, ob er dem Baterlande die Frucht feiner Studien ganz 
entziehen wolle? ‚Bleibe nicht für immer ſtumm“, bittet er 
ihn, „ſondern brich einmal los!“ 1) Und ehe er noch Antwort 
hatte, jchrieb er im October, von Stedelberg aus, noch einmal 
an Eoban in gleihem Sinne. Was er diefem Fürzlid von 
feinen Arbeiten gefchrieben, habe den Zwed gehabt, zu er 
fahren, was er, Eoban, unterbeflen treibe? ob er nicht auch 
für den Ruhm des Vaterlandes und feine Befreiung von dem 
päpftlihen Joche etwas wagen wolle? Er möge doch etwas 
unternehmen, und was es fei, ihm zu feiner Aufmunterung 
vorher mitteilen. Mit Luther gemeinfchaftlihe Sache zu 
machen, hindere ihn die Rüdficht auf ven Erzbiſchof Albrecht, 
ber, obzwar ohne Grund, der Meinung fei, dieſer Handel 
gehe ihn an; woburd ihm, Hutten, Fürzlich eine treffliche Ges 
legenheit entgangen fei, die Schmady des Vaterlandes (ohne 
Zweifel durch Auftreten gegen einen von Luther’d Gegnern) 
zu rächen. Indeß thue er das nichtäbeftoweniger, und viel 
leicht ſei es befier fo, al8 wenn er ganz feiner Meinung 
folgen dürfte 2); während Luther feinerfeitd an Melanchthon 
einen tüchtigen Mitarbeiter habe. 





1) Huttenus Eobano Hesso et Petrejo Aperbaccho, Mogunt. 
3. Non. (8.) August. 1519. Opp, III, 22022. 

2) Nach der mir von Bdding mitgetheilten Lesart bes auf ber 
Münchener Hofs und Staatsbibliothek befindlichen Originale: etsi nil 
secius id ipsum facio interim, et rectius forlasse, quam meopte 
instinctu. Der per amanuensem ziemlid; unleferlich gefchriebene Brief 





26 U. Buch. IL Kapitel, 


Im Januar 1520 war Hutten bei Sidingen auf Land⸗ 
ſtuhl y und fuchte ihn ebenfo für Luther, wie kurz vorher im 
-Würtembergifchen Yeldlager für Reuchlin, zu ſtimmen. Luther 
batte fich in der Leipziger Disputation gegen den Primat des 
römifchen Stuhls, gegen das zwingende Anfehen der Eon- 
cilien erklärt, hatte ded verbrannten Huß ſich angenommen; 
fein Widerfaher Ed, durch den Schriftenwechfel über die 
Disputation noch mehr erbittert‘, bereitete fi zur Reife nach 
Rom; da war unfdywer vorauszufehen, was fommen würde. 
Bereitd war Luther durch einen Grafen von Solms brieflich 
bei Sidingen empfohlen; um fo leichter gelang ed Hutten, 
diefen zu überzeugen, daß Luther ein Biedermann, und gerade 
deßhalb ven Römlingen verhaßt fei. Jetzt erhielt er von Sidingen 
den Auftrag, an Luther zu fchreiben, wenn ihm in -feinem 
Handel etwas Widriges begegnen follte und er feine andere 
Hülfe hätte, möchte er nur zu ihm fommen, er wolle für ihn 
thun, was er fönne. An Luther felbft ſſchrieb nun Hutten 
aus Rüdfiht auf Erzbiſchof Albrecht nicht, fondern, nad 
Mainz zurüdgefehtt, an Melanchthon, der es, ohne von 
Hutten’d BVermittelung etwas zu jagen, an Luther ausrichten, 
und ihn zugleich veranlaflen follte, feinen hochherzigen Bes 
fhüßer in einem Schreiben zu begrüßen.) Wie fehr dieſes 
Anerbieten Sidingen’s, dem bald ein ähnliches des fränfifchen 
Ritters Sylvefter von Schaumburg folgte, dazu beitrug, Luther 
in einer bedenflihen Zeit zu ermuthigen, und wie er 
der Andeutung Hutten’d erft durch Briefe an Sidingen, in 





(Ex Steckelbergk 7. Cal. Nov.) ift bei Burckhard, II, 30 fg., u. Rene. 
IT, 223 fg. fehr fehlerhaft abgebrudt. 

1) Nudius quartus ab illo descendi Nanstallo, ubi agit nunc, 
in bem fogleich anzuführenden Briefe vom 20. Jan. 

2) Huttenus Philippo Melanchthoni. Ex Mogunt. 13. Cal. 
Febr. (20. Jan.) 1520. Opp., Ill, 887. 











Hutten und Luther. 237 
der Folge dur Zuelgnung einer Schrift, entſprach, iſt be⸗ 
fannt. *) 

Mit Franz, fchrieb Hutten ſechs Wochen fpäter in einer 
Beilage zu dem vorigen Briefe, der, ſchlechtbeſtellt, an ihn 
zurückgekommen war, von Stedelberg aus an Melandıthon, mit 
Franz habe er große und überaus wichtige Plane; wäre Mes 
lanchthon bei ihm, fo wollte er ihm mündlich etwas davon 
verrathen. Den Finfterlingen, hoffe er, folle es ſchlium 
gehen, und Allen, welche das römifche Joch über Deutſchlaud 
Bringen. Er laſſe jetzt Geſpraͤche druden: Die römifche 
Dreifaltigkeit und Die Anfchauenden, vom höchſten Freimuthe 
befonder® gegen den Papſt und die Plünderer Deutſchlands; 
er hoffe, fie follen dem Melanchthon gefallen, oder doch nicht 
mißfallen. Bor Allem möge er mit Luther reden. Wenn 
deſſen Handel fich irgendwie zweifelhaft anlafie, fo möge derſelbe 
ih nur ungefäumt zu Franz auf den Weg machen. Unters 
wegs fönnte er mit ihm, Hutten, zufammentreffen; doch wiſſe 
er nicht, ob er gerade auf Stedelberg fein werde, denn er 
müfje in wenigen Tagen reiten. Luther follte über Yulbda 
reifen, dort werde er bei dem Wirthe zum Bären erfahren 
fönnen, ob Hutten daheim ſei; er habe dann nur wenige 
Meilen bis Stedelberg. Treffe ihn Luther bier, fo wolle er 
ihm auch ein Reifegeld fchenfen, wenn er es bevürfen follte, 
Melandithon möge ihm nur ungefäumt entweber nad) Sulda 
oder Magdeburg Antwort geben. ®) 

Auf Stedelberg vollendete Hutten bie oben erwähnten 
Dialoge und hatte gerade vierzehn Tage vor dem lebten 


1) Luther an Spalatin, 18. Mai, 81. Mai, 28. Juni, 10. Juli 
1520. Bei de Wette, Luther’s Briefe, Gendfchr. und Bebenken, I, 
448, Ab1, 460, 464. 


2) Huttenus Melanchthoni. In arce Huttenica ei 
2. Cal. Mart. (28. Yebr. 1620). Opp., II, 888. 





28 IH. Bud. U. Kapitel. 


Briefe an Melanchthon, am 13. Februar 1520, die Zueignung 
des Vadiscus an den vielgereiften Ritter und SKurfürftlich 
Mainzifchen Rath, Sebaftian von Rotenhan, gefchrieben. Er 
nimmt ed dem Schwager beinahe übel, daß er (in einem 
Briefe, wie es fcheint) erſt fragen Fönne, ob Hutten etwas 
fchreibe? Habe er dieß in der Unruhe des Hoflebens nicht 
laffen können, fo lade ihn ja auf Stedelberg die Einſamkeit 
doppelt dazu ein. ‚Davon haft Du’, fährt er fort, „einen 
Beweis an dem Geſpraͤch Vadiscus, welches mir mit andern 
biefe Ruhe und diefe Berge gebracht haben. Wenn ed Deinen 
Beifall gewinnt, fo wirft Du auch meinen Entichluß, mid 
auf einige Zeit vom Hofe zu entfernen, nicht mißbilligen. 
Ich will Dir das Büchlein nicht ald gut empfehlen, da der 
Gegenftand, von dem ed handelt, der fchlechtefte ift; als frei 
und wahr möchte ich es vielleicht, und unter diefem Ramen 
muß es Dir auh am willtommenften fein. Ich felbft bin, 
wenn irgendwo, in diefem Büchlein mit mir zufrieden. Unfre 
Freiheit war gefeffelt und von des Papftes Stricken gebunden: 
ich Löfe fie. Berbannt war die Wahrheit, verwielen über bie 
Garamanten und Inder hinaus: ich führe fie zurüd. Einer 
folden und fo großen That mir bewußt, mache ich auf feine 
öffentliche Belohnung Anſpruch. Das nur wünfche ich, daß, 
wenn mich Jemand deßmwegen verfolgen follte, alle Guten bie 
Vertheidigung meiner Sache übernehmen mögen. Das fol 
der Lohn diefer Arbeit fein.‘ !) 

Der Badiscus oder die roͤmiſche Dreieinigfeit 2) nimmt 
unter den fünf Dialogen, welche fofort im April 1520 ges 





— — ——— 


1) Hulderichus de Hutten, eq., Sebastiano de Rotenhan, 
equiti aur. adfini suo S. Ex propugnaculo Huttenico Steckelberg 
Idibus Febr. Opp., III, 340. 

2) Vadiscus, dial., qui et Trias Romana inscribitur. Interlo- 
quutores: Ernholdus et Huttenus. Opp. II, 427 —506. Auch in 
den Pasquillor. t. duo, p. 192—271. 











Babiscus ober bie romiſche Dreifaltigkeit. 29 


brudt erfchienen, der Ordnung nach die vierte, der Wichtigkeit 
des Inhalts wie dem Umfange nad) die erfte Stelle ein. Er 
iſt Hutten's Manifeft gegen Rom, der Handſchuh, den er ber 
Hierarchie hinwarf; mit ihm war in der That, wie Hutten's 
Wahlſpruch fagte, das Loos geworfen. Und zwar ging biefer 
bierin Luthern voran; deſſen Abfagebrief gegen Rom, feine 
Schrift von der babyloniſchen Gefangenfchaft der Kirche, erſt 
{im October, und auch die Schrift an den chriftlichen Adel 
deuticher Nation erft im Juni befielben Jahres erſchienen if. 
Der Schauplat des Geſpraͤchs iſt Frankfurt am Main. 
Hutten, noch immer als Mainzifcher Hofmann, doch in freiem 
Dienftverhältniß, vorgeftellt, fommt mit dem Kurfürften und 
defien nächfter Umgebung (worunter Steomer) babin. Hier 
teifft er einen alten Freund, Ernhold (d. 5. Herold) genannt, 
an, ber einft mit ihm in Rom gewefen if, und mit dem er 
fih nun unterhält. Den Eingang macht in gar anmuthiger 
Welle das Lob des „goldenen Mainz‘, mit feinem milden 
Himmel, der gefunden Luft, der angenehmen Lage, ben beiben 
herrlichen Strömen, welche das Reifen fowohl, als das Ein⸗ 
laufen von Nachrichten aus ganz Dentichland erleichtern. 
„Dann bin ich auch der Meinung”, fährt Hutten fort, „daß 
es für Gelehrte ein beſonders zufagender Wohnort jei; benn 
fo oft ich anderswoher zurüdtomme, faum daß ich die Stabt 
wieder im Geſichte habe, fühle ich mich erfriicht und er 
muntert, werde auch bier nie des Leſens oder des Schreis 
bens müde, und nirgends geht mir bie Arbeit leichter von 
der Hand. Ä 
Rah Mainzer Neuigkeiten befragt, meldet Hutten zuerfl 
eine fpafhafte, das angemeſſene Ende eines reichen und gei⸗ 
zigen Pfaffen zu Coͤln; dann aber eine verbrießliche, daß 
nämlid der Mainzer Buchdrucker (Scheffer vermuthlich) aus 
Furcht vor einem Verbote Leo’8 X. fich geweigert babe, von 
Tacitus mit fünf neu aufgefundenen Büchern eine Ausgabe 





30 1. Buch. II. Kapitel. 


für Deutichland zu veranftalten. ) Hier weiß Hutten nicht, 
worüber er unmwilliger fein fol, über das neidiiche Verhalten 
des römiichen Hofes zu der Geiſtesbildung des deutſchen 
Volkes, oder über die ftumpffinnige Geduld eben dieſes Volkes, 
fih fo etwas bieten zu laſſen. Dieß führt die Unterredner 
auf fo mandyes Andere, was ſich die Deutfchen von Rom ges 
fallen laſſen; zugleih aber auch auf die Hoffnung, daß, 
bei den ind Maßloſe fteigenden Mißbräuhen und Brands 
fchagungen, diefe Geduld naͤchſtens reißen dürfte. Diefe Hoffe 
nung wird gegründet auf ben Geiſt der Freiheit, welcher da 
und dort ſich zu regen anfange;s auf den Unwillen aller 
Beflern, vornehmlidy auch unter den Fürſten, über die roͤmi⸗ 
fhen Anmaßungen, der fich bei jeder Gelegenheit ausſpreche; 
insbefondre auch auf den neuen Kaiſer. Wie immer, fo 
findet ſich aud hier Hutten’d Zorn dadurch am empfind- 
lichten geftachelt, daß dieſe Italläner den Deutjchen, deren 
Outmüthigfeit fie mißbrauchen, erft feinen Dank wiflen, fon- 
dern fie dafür nur verachten und verhöhnen. 

Doc fangen fie, fährt Hutten fort, felbft zu merken an, 
daß ed mit ihnen zu Ende gehe, da ihnen nicht verborgen 
bleibe, was gegen fie jegt allenthalben geredet und felbft ges 
fhrieben werde. So fei neulich ein gewifler Vadiscus ) in 
biefen Gegenden geweſen, der feine zu Rom gemachten Bes 
obachtungen in einer für jene Nation äußerft befchimpfenden 
und gehäffigen Weife vorgetragen babe. Er habe Alles, 








1) An Tacitus nahm Hutten befondere das patriotifche Intereſſe, 
das bie Worte austrüden: autoren, quo nemo de veteri nationis hujus 
laude meritus est melius (p. 431); ein Interefie, das fofort in bem 
Dialog Arminius zu Tage fam. Sonſt z0g er ihm ben Livius vor 
(Praef. in T. Liv., Opp. Ill, 832): ohne Zweifel ber reinern Latinität 
wegen; eine Nüdficht, von ber ein Humanift nicht leicht loskam. 

2) In der Pugna Pietatis et Superstitionis (Dialogi septem 
festive candidi, authore S. Abydeno Corallo; auch in Hutteni Opp. 
ed. Münch, Vi, 373) heißt er Romanus Consul. 











Babiscus ober bie romiſche Dreifaltigkeit. al 


was er gegen die jeßigen Römer, oder, um feine Ausdrüde 
zu gebrauchen, gegen die Romaniften und Römlinge auf 
dem Herzen gehabt, in Triaden gebracht, d. h. in Gruppen 
von jedesmal drei Stüden zufammengeftellt. Hierdurch ber 
fimmt ſich nun die Form und erflärt ſich der Titel des 
Geſpraͤchs: indem Hutten die von Vadiscus aufgeftellten 
Triaden aus der Erinnerung mittbeilt 2), wohl auch durch 
eigene vermehrt, fo jedoch, daß die einzelnen geſpraͤchs⸗ 
weife erläutert, bisweilen längere Abfchweifungen dazwi⸗ 
fhen gefchoben werben, von denen aber jedesmal wieber 
zu den Triaden des Vadiscus, ald dem eigentlihen Thema, 
zurüdgelenft wird. Diefe Dreiheiten machen fid fo, daß 
3. B. gefagt wird: drei Dinge hat man in Rom im Ueber⸗ 
flug — drei Dinge find felten zu Rom — drei Dinge find 
in Rom verboten — drei Dinge bringt man aus Rom beim, 
u. dgl. m. Es ift nicht zu läugnen, daß dieſe Form etwas . 
epigrammatifch Pifantes, und insbefondere etwas Volksthüm⸗ 
liches und Behältlihed hat; wodurch Die ungemeine Wirks 
famfeit und vielfache Verarbeitung gerade dieſes Hutten’fchen 
Dialogs bedingt war. 2) Auf der andern Seite jedoch kann 


m —— — — u — —— 


1) Zu einer ausführlichen Wiedergabe der Reden des Vadiscus, den 
Ernhold nicht ſelbſt zu hören Gelegenheit gehabt hatte, bequemt ſich 
Hutten nur unter einer Bedingung, bie man fo verſtehen koͤnnte, daß ber 
Freund in ſeiner Heirathsangelegenheit ein gutes Wort einlegen ſollte 
(p. 439): Hutt. Tune eam rem, in qua operam depoposci tuam, 
diligenter curabis invicem? Ernh. Ut nihil diligentius. H. Et illud 
impetrabis? E. Si illis persuasero. (Vgl. Epist. ad A. Glauberge- 
rum, Opp. Ill, 137: si per illos liceat.) ZH. At suadebis? E 
Rhetorice. 

2) Jo. Cochlaei Comm. de actis et scriptis Mart. Lutheri, 
Ap. St. Victorem prope Mogunt. ex officina Franc. Behem, 1549. 
p. 21.: Is (Huttenus) tum ediderat Triadem Romanam, libellum 
quidem parvulum, sed mire festivum et inventionis ingeniosae, 
argumento Laicis admodum plausibilem et acceptum. Quo sane 
effecit, ut nihil aeque invisum esset Germanis complurimis, quam 





32 > Ul. Buch. IE Kapiteln 
ed, da micht weniger ald 60 folder Dreiheiten aufgezählt 





ab von den Abjchweifungen immer wieder zu ihnen umge: 
fehrt wird, an Wiederholungen und Girfelgängen nicht fehlen"), 
und wir ftehen daher nicht an, das Geſpräch Vadiscus, wie 
ed dem Inhalte nad) in der Reihe der Dialoge des Jahres 
1520 das bedeutendfte ift, in Mbficht auf ven Bau und bie 
Kunftform das fchwächfte zu mennen. Dover, um mit 
unferm Urtheil weniger anzuftoßen, wollen wir jagen: bie 
Schwere des Inhaltes und das Streben des Berfaffers nad) 
Volksthümlichkeit im Zeitgefhmad war dießmal der künſt⸗ 
leriſchen Geftaltung hinderlich. 
Wir geben erſt von den Dreiheiten, welche die Form des 
Gefprächs bedingen, etliche Proben, dann von den Haupt 
gedanken defielben eine Ueberficht. Drei Dinge erhalten Rom 
bei feinen Würden: das Anjehen des Papfted, die Gebeine 
der Heiligen und der Ablaßfram. Drei Dinge find ohne 
Zahl in Rom: gemeine Frauen, Pfaffen und Schreiber. Drei 
Dinge dagegen find aus Rom verbannt: Einfalt, Mäpigfeit 
und Frömmigfeit; oder wie es ein andermal heißt: Armuth, 
die Verfaffung der alten Kirche und Verfündigung der Wahr- 
heit, Drei Dinge begehrt Jedermann zu Rom: Furze Meflen, 


nomen Rom. Curiae et Curlisanorum. Der triadifche Kern des Ge— 

ſprächs erſchien auch in verfürgten Wormen, ;. ®. Trias Romana Ger- 
manice, Pasquillor. tomi duo, p. 271—78. Trias Romana, qua 
mundana, ber Welt Gattung. Die Apophthegmata Vadisci et Pas- 
quilli de corrupto Ecclesiae statu, in ben Dialogi VII festive candidi, 
autore S. Abydeno Corallo, Pasq. t. d., p. 162—79; Münd, VI, 
390—99, find etwas Selbftändiges für ſich, ſchon mehr Lurberifdh, 
größtentheils Prophetenftellen oder biblifche Vorbilder, die nun am ber 
Kirche in Erfüllung gehen. 

1) Gewiffermaßen geſteht dieß Hutten ſelbſt, S. 456 fg. E. Bed 
quae horum primo loco, quae posteriori dices? et in tanta copia qui 
servandus ordo? H. Ah ordo! Quasi vero in tali perversitate ordo 
insit. , . 





Dadiscus oder die römifche Dreifaltigkeit. 33 


alt Gold und ein wollüftiges Leben. Bon breien hingegen 
hört man dajelbft nicht gern: von einem allgemeinen Concil, 
von Reformation des geiftlihen Standes, und daß die Deuts 
fhen anfangen Hug zu werden. Mit drei Dingen handeln 
die Römer: mit Ehriito, mit geiftlicden Lehen und mit Weir. 
bern. Mit drei Dingen find fie zu Rom nicht zu erfättigen: 
mit Geld für Bilhofsmäntel, Bapftmonaten und Annaten. *) 
Drei Dinge maht Rom zu Nichte: das gute Gewiflen, bie 
Andacht und den Eid. Drei Dinge pflegen die Pilger aus 
Rom zurüdzubringen: unreine Gewiſſen, böfe Mägen und 
leere Beutel. Drei Dinge haben bisher Deutichland nicht 
flug werden laften: der Stunpffinn der Fürften, der Verfall 
der Wifjenfchaft und der Aberglaube des Volks. Drei Dinge 
fürchten jie zu Rom am meiften: daß die Kürften einig wer 
den, daß dem Volfe die Augen aufgehen, und daß ihre Ber 
trügereien an den Tag fommen. Und nur duch Drei Dinge 
wäre Rom zurecht zu bringen: Durch der Fürſten Ernft, des 
Volkes Ungeduld und ein Türfenheer vor feinen Thoren. 
Den Inhalt des Geſprächs betreffend, Fünnen wir bie 
Beichwerden von den Borfchlägen zur Beflerung unterfcheiben. 
Jene find die ſchon feit mehr ald einem Jahrhundert herges 
brachten; nur daß fie von Hutten mit befonderer Schärfe und 
Anpdringlicykeit vorgetragen werden. Er weiß vor Allem das 
bedrohliche Vorfchreiten, das fchamlofe Unfichgreifen der rör 
mifchen Anmagungen anfhaulich zu maden: daß, was ehe⸗ 
dem als Gunft erbeten worden, jetzt als Recht gefordert 


1) Zwei ber fchreienpften päpftlichen Anmapungen, wornad) 1), Biss 
thümer und Abteien ausgenommen, von fämmtlihen geiſtlichen Stellen 
in Deutichland alle Diejenigen, weldye während ber fech6 ungeraben Mos 
nate (Januar, März u. f. f.) erledigt wurden, ber Beſetzung durch ben 
Papſt vorbehalten waren; 2) von jeder geifllihen Etelle, bie über 24 
Dukaten jährlich ertrug, bei ber Beſetzung ein Sahresertrag nad) Rom 
bezahlt werden mußte. 

Strauß, Hutten. II. 3 





34 1 Bud. I. Kapitel. 


werde; dag Goncorbate, fchon an fi zum Nachtheile ie 
deutfhen Nation gefchlofien, in ber päpftlidhen Au | 
und Anwendung noch weit überjchritten werben; daß bie X 
fegung immer mehrerer deutſchen Kirchenftellen nach Ron 
zogen, die Preife der Bifchofömäntel u. dgl. immer höber { 
fleigert, immer mehr Mittel und Wege, dem beutichen 2 | 
fein Geld abzuloden, erfunden und eröffnet werden. Kl 
andern groben Blendwerfen wird aud des Trierer Nodag 
dacht, der vor wenigen Jahren ausgegraben, unb von W 
Bapfte, gegen einen Antheil an den Spenden der Pitt 
zum Leibrode Chriſti geftempelt worden jei.!) Auch bie: 
bergriffe in die Rechte der fürftlichen Gerwalt werben, mit 
fonderer Berechnung auf den jungen Carl, in Das gehör 
Licht geftellt; Die angebliche Schenfung Eonftantin’s amapik 
ih al8 Lüge dargethan. Als unwürdig des kaiſerlichen 
mend wird auch bier jener Böhmifche Carl IV. hingeflelit, Dex . 
fi) von dem Papſte Urban von Rom ausfperren und * 
Italien weiſen ließ. Davor wird der fünfte Carl die 
ehre zu retten wiſſen, wird ſeine Krone nicht von des 
Füßen nehmen, noch dieſe Füße Füflen wollen. Erfüllt« 
dieſe Erwartung, fo wird man ihn für weiſe haften; die ü 
lehrteſften Männer werden Loblieder auf ihn fingen und Bäde 
zu feinem Ruhme fchreiten; man wird ihn als Befchüger ik 
beutichen Freiheit begrüßen, und wo er geht und fteht, ige‘ 
al8 dem tapferften, gerechteften, hochherzigften, le 
men und chriftlichen, aujauchzen. 
Doch die finanzielle Ausbeutung und politifche dw 
mundung der deutfhen Nation ift noch nicht einmal bed 
Aergfte, was diefer von Rom aus widerfährt. Das mem . 


1) Damit fimmt auch die Darflellung des Benebictinere Ecyedmams 
in dem Chronicon Abbatiae S. Maximini apud Treveros übeneit 
Abgebr. bei Münch, Franz von Sidingen, III, 117. 
























Vadiscus ober bie römifche Dreifaltigkeit. 35 


lifche Verderben ift das größere Uebel, das zu Rom feinen 
Sig hat, und von dort aus nach Deutfchland ſich verbreitet. 
Seit Jahrhunderten hat auf Petri Stuhle fein Achter Nach⸗ 
folger des Petrus mehr, wohl aber Nachfolger und Nach—⸗ 
ahmer ded Nero und Heliogabalus, gefefien. Der päpftliche 
Hofftaat ift ein Pfuhl aller Verdorbenheit. Die Legaten, die 
in unfre Länder fommen, bringen abfcheuliche, dieſer Nation 
fonft unbefannte Lafter mir. Alfo nicht nur feine geiftlichen 
Güter, Feine Belchrung und Erbauung, erfaufen wir Deuts. 
(hen uns durch Spendung unfres zeitlichen Gutes an Rom, 
fondern, was und biefür von da zurüdfommt, ift nur Ber 
derbniß und Sittenpefl. Wir handeln nicht blos Flug, wir 
handeln fromm und gottgefällig, wenn wir unfre Spenden 
einftellen, und damit dem römifchen Verderben, das auch auf 
uns überftrömt, feine Nahrung entziehen. 

„Sehet da” — in Rom; mit diefen Worten im Munde 
des Ernhold fchließt Hutten feine Darftellung — „ſehet da bie 
große Scheune des Erbfreifes, in welche zufammengefchleppt 
wird, was in allen Landen geraubt und genommen worden; 
in deren Dlitte jener unerfättlihe Kornwurm figt, der unges 
heure Haufen Frucht verfchlingt, umgeben von feinen zahl 
reichen Mitfreifern, die und zuerft das Blut audgefogen, dann 
das Fleiſch abgenagt haben, jegt aber an das Marf gefommen 
find, uns die innerften Gebeine zerbredhen, und Alles, was 
noch übrig ift, zermalmen. Werden da die Deutichen nicht 
zu den Waffen greifen? nicht mit Seuer und Schwert ans 
flürmen? Das find die Plünderer unſres Baterlandes, bie 
vormals mit Gier, jegt mit Frechheit und Wuth, die welts 
herrfchende Nation berauben, vom Blut und Schweiße bes 
deutfchen Volkes fchwelgen, aus den Eingemweiden der Armen 
ihren Wanft füllen und ihre Wolluſt nähren. Ihnen geben 
wir Gold; fie halten auf unfre Koften Pferde, Hunde, Mauls 
thiere, und (o der Schande!) Luftdirnen und Luftfnaben. Mit 

3* 





36 ME Buch: IE Kapitel © 


unfrem Gelde pflegen jie ihrer Bosheit, machen ſich gute 
Tage, Heiden ſich in Purpur, zäumen ihre Pferde und Maul⸗ 
thiere mit Gold, bauen Paläfte von lauter Marmor. Als 
Pfleger der Frömmigfeit verſäumen fie dieſe nicht allein, was 
doch ſchon fündlich genug wäre, ‚fondern verachten fie jogar;; 
ja fie verlegen, befleden und ſchänden ſte. Und während‘ fie 
feüher durch Schönthun und köderten und durch Lügen, Dice 
ten und Trügen und Geld abzulocken wußten, greifen fie jetzt 
zu Schreden, Drohung und Gewalt, um uns, wierhungrige 
Wölfe, zu berauben. Und dieſe müſſen wir nody liebkoſen; 
dürfen fie nicht ftechen oder rupfen, ja nicht einmal berühren! 
oder antaften, Wann werden wir einmal klug werben, und 
unfre Schande, den gemeinen Schaden, räden? Hat und 
davon früher die vermeinte Religion und eine fromme Shen 
ee, jo treibb umd | —— uns dazu iept die 


ir 11 E I a 


Belehrt, meint Suften; gr ri Gotteafcdt und: ab⸗ 
göttiſche Verehrung der päpſtlichen Tyrannei ſehr verſchiedene 
Dinge ſeien, ſolle und werde nächſtens das deutſche Volk einhellig 
den mannhaften Entſchluß fallen, dieſes Jod) abzuwerfen. Dem) 
Körper der Ehriftenbeit jolle fein biöheriges Haupt, der Papſt und 
feine Curie, nicht abgeſchnitten, fondern diefes nur don den) 
ungefunden Säften, die ſich im demſelben angefammelt, bes’ 
freit werden; welches einfach dadurch geſchehen könne, daß 
der Krankheit die Nahrung entzogen; 'd. bi) den Gelbfpenden 
nach Rom ein Ende gemacht werde. Dann werde ber römi— 
ſche Hof ſich ſchon von felbit ver vielen Müßiggänger und feiner) 
anftößigen Ueppigkeit entſchlagen; aber, was er an Glanz 
verliere, an wahrer Würde gewinnen. (Gin andermal jedody' 
wird weiter gegangen und gejagt, jeder Biſchof habe ſo wiel‘ 
Gewalt als der zu Rom, denn Ghriftus fei ein Liebhaber der 
Gleichheit und ein Feind des. Ehrgeizes geweſen) Auch im: 
den übrigen Ländern werde die Ueberzahl der Geiſtlichen ſich 





Vadiscus oder bie römifche Dreifaltigkeit. 37 


mindern; ‘wenn aber von Hunderten nur Einer bleibe, werde 
e8 genug fein. Die geiftlihen Stellen werde man ven beften 
und gelehrteften Männern geben, und diefe werden, wenn fie 
wollen, auch heirathen Dürfen, um den Anlaß zur Ausfchwei- 
fung abzujchneiden. 

Daß das alles nicht fo glatt abgehen, daß Papft und 
Elerifei mit allen Waffen, geiftlichen und weltlichen, fich weh⸗ 
ren werden, daß mithin auch ihm, wenn er zu jenen Maß- 
regeln rathe, Gefahr drohe, darüber täufcht ſich Hutten nicht. 
Wohl thuft du recht, fagt ihm Ernhold, gegen diefe Tyrans 
nei zu fprechen. Aber du wirft dich vor ihren Radyftellungen 
hüten müffen, damit dir nicht etwas widerfahre, das ſolchen 
Muthes nicht würdig wäre. Denn man darf jene Feinde 
nicht verachten. — Das thue ich auch nicht, erwiedert Hutten; 
aber ohne Gefahr gefchicht feine große und denkwürdige That. 
— Wohl ift es eine große und herrliche That, entgegnet 
Ernhold, durch Rathen, Mahnen, Treiben, Zwingen und 
Drängen das Vaterland zu nöthigen, daß es feine Schmach 
erfenne und ſich ermanne, feine urväterlidhe Yreiheit wieder 
zu erringen: eine herrliche That ift dieß, wenn ed Einer 
durchſetzt. — Wenn er c8 auch nicht Durchjegt, meint Hutten, 
fo ift fchon der Verſuch verdienſtlich, und vielleicht wirft das 
Beilpiel, daß auch Andere Dafjelbe wagen, und endlich Die 
Welt in Bewegung komme und Teutfchland Flug werde, 
Diefes fönnte nach meiner Meinung Chrifto, Fönnte ber 
Kirche feinen größern Dienſt erzeigen, ald8 wenn es demnächft 
den ungerechten Erpreſſungen ein Ende machte und fein Geld 
hier behielte: möchten dann jene Copiften und Protonotarien 
zu Rom immerhin verhungern. — Möchteft du die Deut- 
fhen dazu bereden! wünſcht Ernhold. — Ich will e8 wenig. 
ftens verfuchen, verfegt Hutten. — Tie Wahrheit zu fagen? 
fragt Iener. — Ich werde fie fagen, ob fie mir auch mit 
Waffen und dem Tode drohen. — Welche Liften werben fie 





38 I. Buch. TI. Kapitel. 


Dagegen erfinnen! — Welche Bundesgenofien werde ich mir 
zugefellen, welche Schugwehren aufwerfen! — Dazu gebe 
Chriſtus feinen Segen! ift Ernhold's Gebet. 

War bei Abfaffung des Geſpraͤchs, dad wir bisher be⸗ 
teachtet haben, der volfsthümlich-reformatoriihe Drang in 
Hutten ftärfer geweien, als daß derfelbe von dem gebildeten 
Kunfttrieb in ihm völlig hätte bewältigt werden können: fo 
finden wir in demjenigen Gefpräche, zu welchem wir und num 
wenden, beide wieder im fchönften Gleichgewichte. Es athmet 
Lucian's Geift (dem auch der Titel entlehnt ift) und erhebt 
fih durch die Wendung am Schluffe zu Ariftophanifcher Höhe. 
Es ift das Ilehte in der Sammlung vom Yrühjahr 1520, 
und beißt Inspicientes, oder die Anjchauenden. *) 

Diefe Anfchauenden find der Sonnengott mit feinem 
Sohn und Wagenlenker Phaethon, die, während ihre Roffe 
nach erreichter Mittagshöhe ſich verfchnauben, durd bie zer: 
theilten Wolfen einen Blid auf die Erde werfen. Ein gros 
ßes Getümmel, das gerade in Deutfchland zu bemerken ft, 
lenkt ihre Aufmerkſamkeit auf dieſes Land. Bewaffnete und 
Unbewaffnete ziehen fchneller oder langiamer, Alle nach dem⸗ 
felben Drte bin, wo man die Einen behaglidy fchmaufen, bie 
Andern ernftlich rathichlagen, noch Andere Beides zugleich oder 
abwehslungsweile treiben fieht. Der Ort ift Augsburg, es 
ift der Reichstag von 1518. Dem allichauenden Sonnen 
gotte find Menſchen und Berhäftnifie längft befannt; aber 


1) Hulderichi Hutteni eg. dialogus, qui inscribitur Inspicien- 
tes. Interloquutores: Sol, Phaethon et Caictanus Legatus. Opp. 
ed. Münch, III, 511— 540. Zwiſchen Hutten's Inspicientes übrigens 
and Lucian's "Erıoxoroüvres iſt der Titel die einzige Aehnlichkeit. Bei Lu⸗ 
cian unterhalten fih Gharon und Mercur, indem fie von aufgethürmten 
Bergen aus die Erde befchauen, über bie Gitelfeit aller menfchlichen Bes 
Rrebungen. Das läuft natürlih auf Gemeinpläge hinaus; der Dialog 
gehdrt nicht zu den vorzüglichften des Griechen; der des Deutfchen fteht 
an Friſche und Fülle lebendigen Inhalte weit über demfelben. 








Die Anſchauenden. 39 


der Sohn wundert fi) über Manches, das er fieht, und ers 
hält nun vom Vater Ausfunft darüber. Zuerft fällt ihm der 
Widerſpruch auf, in welchem mit dem ernften Zwede ber 
Verfammlung das ungeheure Trinken fleht. Der Vater fteitt 
den Widerfpruch nicht in Abrede, macht übrigens den Sohn 
auf einzelne Rüchterne aufmerffam, die ſich in der Berfamm- 
lung finden, dafür aber freilih von der Mehrzahl als Fremd⸗ 
finge angejehen und veracdhtet werden. Indeſſen feien doch 
ein paar verjtändige Yürften ihnen günftig, und auch manche 
von den Trunfenen fangen an, fie als gelehrte und geſchickte 
Leute gelten zu laflen. Wenn Hutten jene Trunfenen näher 
als Hofleute, von hohem Wuchfe, in geſtickten Kleidern, mit 
gefräufelten Huaren und Ketten um den Hals, die Wafler- . 
trinfer dagegen als leibarme aber geiftreiche, magere aber 
fharfiinnige Männchen befchreibt; wenn er in Bezug auf bie 
Legtern den Sonnengott ausrufen läßt: „Behüten die Götter 
die großen Kleinen!” fo ficht man wohl, daß er dabei an 
ſich und eigene Erlebniffe gedacht hat. 

Während diefer Reden wird in den Straßen Augsburg 
eine Procefiton fihtbar: fie gilt dem päpftlichen Regaten Gas 
jetan, der aus jeiner Wohnung in die Reiheverfammlung 
geleitet wird, um bier dad Begehren des Papftes in Betreff 
des Türfenkrieged vorzutragen. Der Krieg, erläutert Sol, 
ift dabei nur Vorwand, das Ganze eine Speculation auf das 
deutiche Geld, die aber diesmal ſchwerlich gelingen wird, weil 
fie fhon allzu oft ſich wiederholt hat. Die Deutichen find 
gewipigt, die Fürften machen zum Theil böfe Gefichter, und 
der Legat fieht nicht luftig drein. Doc wird der bösartige 
Scleiher noch allerhand Wege verfuchen, um zu feinem 
Ziele zu gelangen. Wie lange wird er dieſes Spiel noch 
fpielen? fragt hier Phaethon. So lange, antwortet der 
Vater, bis die Deutfchen weife werben, welche jetzt noch 
Rom durch Aberglauben in Berhörung hält. Und ift es 












Il. Buch. 1. Kapitel, 





40 


nahe daran, fragt jener, Daß fie weile werden? — 
verfichert der Sonnengott; denn Dieſer Da. wird ber 
jein, der mit leeren Händen heimfommt, zum großen 
der heiligen Stadt, wo man nicht geglaubt hätte, daß 
Barbaren fich ſolches unterftehen würden. So nämlid, 
läutert Sol, nennen fie die Deutichen, wie überhaupt 
Bölfer außerhalb Italiens; da doch heutzutage, wenn man 
echte Geſittung ſieht, die Deutichen das gebilvetfte Bolt, 
Roömer hingegen die ärgiten Barbaren find. 

Hier fügt fid) nun cin NRundgemälde von den ©i 
und der Staatöverfaflung der Deutichen ein, in welches 
Hutten mit Liebe vertieft, ohne Doch dabei die Gefichtöpu 
aus dem Auge zu verlieren, welche für fein ganzes ſchri 
ſtelleriſches Wirken die leitenden geworden waren. Rad bem;.| 

was der Vater von ihnen jage, fönnten ibm die Deutiheang 
ihon gefallen, meint Phacthon, wenn fie mur ihr Sauſen 
laſſen wollten. Auch dem Water gefällt dieſes nicht, befem. 
ders, Daß die Fürften darin mit üblem Beifpiel vorangehaugg 
doc, glaubt er bereitd einige Beflerung zu bemerfen. Die 
bartnädigiten Trinfer feien jedenfalls die Sachſen. Sie figen | 
beftändig hinter den Bechern und vertilgen unbillige Mafleg . 
Bier; denn tränfen jie Wein, fo würde der Ertrag des game. 
zen Deutichlands für ihr Bedürfniß nicht audreihen. Is. 
Appetit bleibt hinter den Durfte nicht zurüd, und dem ler 
berfluffe machen fie ungefcheut auf die unfläthigjte Weiſe Luſt 
Phacthon, wie er fie fchmaufen fteht, glaubt einem Gap 
mahle der Gentauren und Lapithen zuzuſehen. Er meint, die 
Leute müffen gar feine Vernunft haben. Aber weit gefehlt: 
der Vater belehrt ihn, Daß dieſe tollen und vollen (Rieder) 
Sachſen fo Hug feien wie Andere, ja flüger; denn nirgende 
jei das Gemeinwefen fo wohl regiert, nirgends mehr Sicher 
heit; von Körper feien fie gefiinder und ftärfer als aß 
andern Deutichen, und im Kriege tapfer ohne Gleichen. 





Die Anfchauenpen. 4] 


Hutten's Gunft oder Nachſicht fichert ihnen ſchon das, daß 
fie, wie Sol berichtet, von Aerzten nichts wiffen und von 
den Rechtsgelehrten nichts wollen. . Sie fpredhen nach dem 
Herfommen Recht und befinden ſich dabei beſſer als Andere 
bei gejchriebenen Gejegen. ) Mich wundert, ſcherzt hier Phae⸗ 
thon, daß du nicht ſagſt, fie werden durch ihr Trinken befier. 
Das fage ich nicht, entgegnet Sol; das aber zeigt der That⸗ 
beitand, daß fie Vieles befjer ausrichten und Flüger einrich⸗ 
‚ten ald irgend welche Nüchterne. Vielleicht, meint der Sohn, 
ift ihnen das Trinken fhon jo zur andern Natur geworben, 
daß man fürdten muß, wenn fie davon ließen, möchten fie 
aud) von ihrer Biederfeit laflen. Wohl möglich, verſetzt der 
Andere. 

Doch Schon zieht den jungen Betrachter ein anderes Deuts 
fches Paradoron an. Er fieht Männer und Weiber nadt 
mit einander baden, ſich einander füffen und umhalſen, und 
das alles, verfichert der Vater (ja noch mehr, denn fie legen 
fih auch wohl zufammen fchlafen) in Züchten und Ehren. 
Nirgends fei Die weibliche Schambuftigfeit reiner bewahrt als 
in Deutichland, wo fie fo wenig bewacht fei, nirgends werde 
die Ehe heiliger gehalten. Die Männer feien nicht eiferſüch⸗ 
tig wie in Italien; überhaupt herrfche in allen Dingen Vers 
trauen, Offenheit und Iinbefangenheit. „Wahrlich Fein ſchlim⸗ 
med Bolf!” 2) ruft hier Phaethon aus, und nun wird der roths 
badige, hbarm= und argloje Deutiche mit dem bleichen, nei⸗ 
diichen, von Leidenichaften zerfreiienen Italiäner mit jeinem 
Dolch und Gift in einen fprechenden Gontraft geſetzt. 

Einmal im Zuge des Wohlgefallend an der deutſchen 
Nation, findet unfer Beobachter, nicht ganz mit Recht, auch 


1) Man erinnere fi der Aeußerungen Hutten’s in dem Brief an 
Erotus vor bem zweiten Nemo. 
2) O gentem minime malam! p. 528. 


| 





42 II. Buch. II. Kapitel. 


das hübſch, daß die Deutichen Feine gemeine Kaſſe haben, 
fondern im Yal eines Kriegs die Koften erft zufanımenfteuern ; 
wodurd er auf Die politiihe Verfaſſung Deutichlande zu 
fprechen kommt. Bon der Liebe der Deutfchen zur Unab⸗ 
bängigfeit geht er aus. Ihren Yürften dienen fie treu, aber 
in freier Weife, der Eine dieſem, der Andere jenem; ins» 
gemein erfennen fie jenen Alten dort (Marimilian ift ges 
meint) für ihren Herrn, den fie Kaiſer nennen; den ehren 
fie, fo lange er nach ihrem Sinne handle, aber fürchten ihn 
nicht, feien ihm auch nicht fehr gehorfam: daher ihre langen, 
unergiebigen Berathungen, in denen fie wenig Gemeinfinn 
zeigen; daher die vielen Streitigkeiten und innerlichen Kriege 
unter ihnen, und das Schlimmfte, daß der Kaiſer genöthigt 
fei, diefe zu nähren, um durch gegenfeitige Schwächung der 
Fürften ſich oben zu halten. Eigenthümlichkeiten freilich, welche 
die Deutichen zur Herrfchaft über andere Voͤlker ziemlich uns 
tüchtig machen. Unter den Yürften, führt Sol in feiner 
ftatiftifchen Belehrung fort, feien die einen geborene, die ans 
den erwählte: Letzteres die Bijchöfe und geiftlihen Herren. 
Und zwar jeien dieſe an Macht wie an Zahl den andern 
überlegen: mehr als halb Deutfchland fei von Pfaffen bes 
jeflen. Das haben die Nachkommen dem Aberglauben ihrer 
Borfahren zu verdanfen, welche durch Vergabung ihrer Güter 
an die Kirche ihren verarmenden Enkeln Herren erfauft haben. 
Nach den Yürften fommen bie Grafen, und an fie ſchließe 
fidy der gemeine Adel an. 

Hier kommt Hutten auf feinen eigenen Stand zu reden, 
und da zeigt er ganz den Rittersmann. Unter vie feltfamen 
Erwartungen, die man von großen Geiftern zu hegen pflegt, 
gehört auch die, fie von Haufe aus über Standesvorurtheile 
erhaben zu finden. Im Gegentheil, je ftärfer in dergleichen 
Menſchen die Natur wirkt, deſto ftärfer ziehen auch ſolche 
Bande an. Für ſich ift Hutten über diefe Befangenheit fein 


⸗i 











Die Anſchauenden. 43 


Leben lang nicht hinausgefommen: um fo höher müäflen 
wir ed ihm anrechnen, daßer, wo es zu handeln galt, dad Bors 
urtheil bei Seite zu feßen wußte, wie wir an feinem Orte finden 
werden. Hier fpricht er feine ritterlichen Zus und Abneigungen 
noch mit der naivften Offenherzigkeit aus. Mit Recht läßt 
er die Friegeriiche Tüchtigkeit, mit Recht auch das an dem 
Ritterſtande rühmen, daß derfelbe noch einen Neft von urs 
vaterlicher Sitte, von altveuticher Bieverfeit bewahre. Daß 
auf der andern Seite die Ritter durch ihre Fehden und Räu- 
bereien Bielen bejchwerlich fallen, läugnet er nicht. Er fudht 
es aber zu erklären. Zum Theil thun fie es, fagt er, im 
Dienfte der Fürſten, die fi ver Ritter ald Stügen ihrer 
Gewalt bedienen. Zum Theil gefchehe ed aber audy aus Haß 
gegen die Kaufleute und die freien Städte. Der Widerwille 
der Ritter gegen die Kaufleute wird aus ihrer Anhänglichkeit 
an die vaterländifche Sitte, ihrer Abneigung gegen das Fremde 
hergeleitet. Sie haflen in den Kaufleuten diejenigen, weldye 
mit ausländifchen Stoffen und Gewürzen Lurus und Weiche 
lichkeit in Deutfchland einführen. Es wäre fein Schaden, 
meint der junge Hitzkopf Phaethon, wenn ed den Rittern eines 
Tages gelänge, alle diefe fremden Waaren, fammt den Kauf 
leuten, zu vertilgen. 

Hutten’6 Anfchauung vom Handel war, alle feine Aeu⸗ 
Berungen über denjelben zufammengerechnet, ſtaatswirthſchaft⸗ 
lich wie culturhiftorifch gleich einfeitig. Er ſah in erfterer 
Hinfiht nur auf den (damals freilich überwiegenden) Import» 
handel, der das Geld aus dem Lande zieht; in legterer nur 
auf die Vermehrung der Bebürfniffe, die derielbe im Gefolge 
hat. Wie Beides fich wieder in's Gleiche bringt, wie ind» 
befondere der Handel als unſchaͤtzbarer Bildungshebel von jeher 
gewirkt hat, das überfah Hutten, halb aus ritterlihem Vor⸗ 
urtheil, halb aus fhulmäßig rhetoriichem Stoicismus. Eben⸗ 
fo wenig, und aus ähnlihen Gründen, bat er das Weſen der 





44 I. Buch. 1. Kapitel. 


Städte begriffen. An dieſer Stelle gibt er eine hoͤchſt fpaß- 
hafte Gefchichte ihrer Entftehung, in welcher fie lediglich ale 
Erzeugnifle der Verweichlichung, als Schugwehren für Die 
Feigen und Trägen, die fi) nicht mehr im freien Felde weh⸗ 
ren mochten, erfcheinen. Solche Verderbniß, folchen Abfall 
von altdeutfcher Sitte zu haffen und zu befämpfen, haben die 
Ritter, als Bertreter der letztern, alles Recht; da fie aber 
jenen Entarteten hinter den Wällen und Mauern ihrer Städte 
nicht beifommen Fönnen, fo bleibt ihnen nichts Anderes übrig, 
als, wenn Giner ausreist, ihn unterwegs niederzuwerfen umd 
auszuplündern. So bringt Hutten am Ende gar heraus, 
daß die Städte für folche Befehdung den Rittern noch dans 
fen müflen, welche allein ihr volliged Berfinfen in träge 
Ueppigfeit verhindern. 2) Begreiflich mußte, wer einen Pird- 
heimer, einen Peutinger zu Yreunden hatte, Ausnahmen une 
ter den Stäptebewohnern vorbehalten; wie, wer der öffent- 
lichen Stimme jener Tage nicht allzu grell widerfprechen wollte, 
daß ritterlihe Raubweſen nicht loben durfte. Allein, indem 
Hutten es tadelt, nennt er es doch einen „mannhaften res 
vel’;2) jene Stegreffritter verfahren ihm nur zu raub und 
gewaltiam: es müßte ſich ein gefeglicher Weg finden laſſen, 
die fremden Waaren auszufchließen, und jenen Schwelgern 
und Dienern der Schwelgerei die Wahl zwifchen einer ans 
dern Lebensart oder der Auswanderung zu ftellen. 

Doch noch fchlimmer als die Kaufleute, fährt der be> 


1) p. 530. Sol. Ejecissent jam ante multo (die Ritter die 
Kaufleute), nisi muris clausi fuissent et acdificiis defensi: quae cum 
sint otiantibus illis praesidia, adfligendi eos relicta una est via, si 
quis cgrediatur, corripere eum et diripere. Phaelhon. Utile vide- 
tur, hunc esse mollibus illis metum, quo ne pejores adhuc sint, 
in nimia securitate desidentes. 

2) Latrocinia tamen, cetsi robusta sit haec improbitas, non 
laudo. p. 531. 











Die Anfchauenben- 45 


lehrende Sol fort, jeien die Pfaffen: fie tragen zum gemei» 
nen Nutzen gar nichts bei, fondern willen nur in Trägheit 
und Ueppigfeit ihren Leib zu pflegen. In ihnen fei gar nichts 
von deuticher Art mehr, und es fei eine Schande für die 
Nation, daß fie aus mißverflandener Frömmigkeit fie noch 
dulde. Eine gleiche Bewandtnig habe ed mit den Mönchen, 
von deren Beichthören und Abfolviren eine komiſche Beſchrei⸗ 
bung gegeben wird. Aus alledem wird am Ende der Schluß 
gezogen, daß dem deutſchen Volke eine allgemeine Verbeflerung 
der Sitten Noth thue, die hauptſächlich gegen Pfaffen und 
Kaufleute ſich richten müßte. 

indem die beiden erhabenen Beichauer fo reden, bemer⸗ 
fen fie, daß aus der Proceflion dort unten, die fie eine Weile: 
aus den Augen gelaflen, Einer zornig zu ihnen heraufraft 
und heraufblid. Es ift der päpftliche Legat, welcher bem 
Sonnengotte Borwürfe macht, daß er nicht, wie jener ihm 
doch bei feiner Abreife aus Italien befohlen, während feines 
Aufenthalts in dem falten Deutfchland beiler und wärmer 
fheine. Seit zehn Tagen habe Sol feinen Blick durch bie 
Wolfen getban. Ob er nicht wiſſe, daß der Papft (und ber 
babe jegt feine ganze Gewalt auf Gajetan, als feinen Le- 
gatus a latere, übertragen) Alles, nicht blo8 auf Erden, fon, 
dern auch im Himmel, nach Belieben binden oder Löfen könne? 
Als der Sonnengott erwiebert, davon babe er wohl gehört, 
ed aber nicht geglaubt, nennt ihn der Legat einen fchlechten 
Ehriften, und droht, ihn zu excommuniciren und dem Teufel 
zu übergeben, wenn er nicht eiligft um Vergebung bitte und 
dem Eopiften ded Legaten beidhte. — Und wenn er das thue, 
was dann? fragt der Sonnengott. — Dann werde er ihm, 
antwortet der Legat, zur Buße entweder ein mehrtägiges Fa⸗ 
ften auferlegen, oder eine Arbeit, eine Pilgerfahrt, Almofen, 
oder auch Ruthenftreiche für feine Sünde. — Als Sol über 
ſolchen Wahnwitz ſich luſtig macht, wird das Pfäfflein drun⸗ 





46 1. Buch. 1. Kapitel. 


ten ganz wüthend und thut die Sonne in den Bann. Sol 
befänftigt e8 durch verftellte Abbitte, und bemerkt zu feiner 
Entſchuldigung boshaft, daß er nicht heller gefchienen, damit 
habe er dem Legaten einen Gefallen thun wollen, in der 
Meinung, diefer habe Manches zu betreiben, was die Deuts 
fchen nicht ſehen follen, 3.8. feine Umtriebe, um Carl's Bes 
fimmung zum Nadjfolger feines Großvaterd zu verhindern. 
Aus den Deutfchen mache er fidy nichts, erwiedert Cajetan; 
doch möge Sol es ihnen nicht verrathen, und mittlerweile in 
Deutichland Peſt erregen, damit viele Pfründen und geiftliche 
Lehen ledig werden, aus denen die neuernannten Gardinäle, 
worunter er felbft, Geld ziehen fönnen. Auf Sol's Einwendung, 
daß er dann nicht hell fcheinen dürfe, denn zur Peſt fei Nes 
bel und trübe Luft erforderlich, zeigt ſich alsbald, daß dem 
Legaten am Gelde doch noch mehr ald am Sonnenfcheine liegt: 
und nun hält Hutten’d Ebenbild, Phaethon, fi) nicht Länger. 
Er ſchilt ihn einen verruchten Böfewicht, heißt ihn dem 
Bapfte jagen, wenn er nicht fortan anftändigere Legaten nach 
Deutfchland fchide, werde es zu einer Empörung der Schafe 
gegen einen jo ungerechten und bfutbürftigen Hirten fommen, 
und widmet ihn, ald der Legat nun auch über ihn den Bann 
ausſpricht, dem Hohngelächter aller Deutichen, die ihm viels 
leicht nod etwas Schlimmered anthun werden. Sol aber, 
mit Verachtung gegen den Elenden, weldhem Phaethon noch 
eine Berwünichung hinunterruft, heißt diefen den Wagen weis 
tee lenfen. ®) 





1) Wie Hutten in biefem und einem frühern Geſpräche den Gars 
binal Gajetan, fo nahm um biefelbe Zeit Jacob Sch, ein Eölnifcher 
Humanift (vgl. Mutiani Epist. 172. Ms. Francof.), einen andern päpfts 
lien Legaten aufs Korn in dem Dialog: Philalethis, civis Utopien- 
sis dial. de facultatibus Romanensium nuper publicatis. Abgebr. 
bei Mündh, VI, 472 —502. Bgl. Agrippae ab Nettesheym Opp. 
Lugd. ap. Beringos fr. 1600. p. 100. Epist. L. II, Ep. 54, aus Göln 








Hutten's Fund auf der Butbeifegen Bibligthel. 47 


In demfelden Frühjahr mit den Geſpraͤchen, die wir in 
biefem und dem vorigen Kapitel betrachtet haben, 2) gab Hat⸗ 
ten eine ältere von ihm aufgefunbene Schrift, wie früher die 
von Lorenz Valla über die Schenkung Conſtantin's, mit einer 
geharnifchten Borrede heraus. In Fulda, aus deſſen Doms 
ſtift er einft ald junger Menſch entlaufen war, und wo wirt, 
- dem Rüdtritt Hartmann's von Kirchberg, der Neffe fels 

ned ehemaligen Borgefepten, Graf Johann von Heuneberg;j 
als Abt regierte, hielt fih jept Hutten, aus Gelegenheit ſel⸗ 
ner Befuche auf der väterlichen Burg, bisweilen auf. Was 
ihn anzog, war baupifächlid die uralte Bibliothek, die einen 
fhägbaren Borrath von Hanbichriften beſaß. Hier fand Hut⸗ 
ten einen Plinius, Solin, Quintilian, Marcellus medicus; 
die er in Abſchriften feiner Bibliothek einverleibie. In Fulba 
war int Jahre 1519, als Hutten eben die Mainziichen Dieufte 
verlafien hatte, Joachim Gamerarius mehrere Tage in ver 
traulichem Verkehr mit ihm zufanmen. ?) Bielleiht war es 
dazumal, daß Hutten, wie er am 26. October deſſelben Jahres 
von Stedelberg aus an Eoban berichtete, beim Stöbern uns 
ter alten Büchern, von Staub und Mober bedeckt, einen Band 
ohne Titel und Schluß, in fehr alterthümlichen Schriftzägen, 


* ⸗ It 


16. $uni 1820: Mitto ad te dislogtm, cul nomen Henno rustikig 
(fo beit eine Hanpiverfon des Geſpraͤchs), qui In odium Arcimboldi 
legati bic conscriptus = es Sobio. Das trefflich gefchriebene 


Geſpraͤch (das Burckhard, II, p. 804, Panzer, ©. 198 u. 9. unfeem " 


Ritter zufchrieben) if eine tramatife Iebendige Darſtelluug eines‘ Che⸗ 
bispenshandels, aus befien Beranlafiung ber Legat das ganze Syſtem ber 
päpfllicden Anmafungen im Zuſammenhang entwidelt. 

1) Am 5. April hatte man fie in Frankfurt noch nicht, erwartete fie 
aber ſtündlich von Mainz. Epist. 18. Cochlaei ad Bilib. bei Hemmanii. 
p. 46. 

2) Camerar. Vita Melanchth. ed. Strobel p. 90: Faldae .. anno 
Christi 1519 . . iterum . . Huttenum vidi, et cum eo aliquot' dies 
familiariter sum versatus, decedente ex aula ir in 2 
circiter biennium manserst. 





48 Ä IL Buch, U. Kapitel. 


fand, in welchem er bald eine Schrift aus den Zeiten Hein⸗ 
rich's IV., zu deflen Gunften und wider Gregor VII. verfaßt, 
erkannte. ?) „Du wirft”, fchrieb er darüber an den Freund, 
„einen Schriftfteller fennen lernen (denn ich gedenfe das Bud, her: 
auszugeben), wie du ihn in jenen Zeiten nicht gefucht hätteft. 
Scharf beftreitet er der Päpfte Tyrannei, und kämpft muthig 
für die deutſche Freiheit. Ich Fenne nichts Yreimüthigeres, 
nichts Yeineres in diefer Art, jo ſchlägt es, fo zermalmt und 
erwürgt ed die Betrüger. Ich habe ed der Mühe werth ges 
halten, eine Vorrede dazu zu fchreiben, welche in Verbindung 
damit erfcheinen wird. Theile diefen fchönen Fund den Freuns 
den in deiner Nähe mit, um ihre Erwartung rege zu 
machen; denn ich glaube nicht, daß es fchon Jemand gefehen 
hat, und thue mir viel darauf zu Gute, etwas fo Bortreffs 
liches und Nothwendiges in diefer Zeit zuerft an’d Licht zu 
bringen. ‘' 2) 

Die Schrift tft, wie ſich aus ihrem Inhalt ergibt, um 
dad Sahr 1093, ald Gregor VU. ſchon todt war, aber 
die durch ihn verurfachten Firchlichen und politifchen Wirren 
noch fortdauerten, für Heinrich IV. und deſſen Papft Clemens DL. 
gefchrieben, und hat, wie fpätere Forſchungen ergeben haben, 
wahrfcheinlich den Biſchof Waltram von Naumburg zum Ber: 
faſſer.) Die Lobſprüche, die Hutten ihr ertheilt, verdient 
fie in der That. Sie ftellt ſich auf den Boden des geiftlichen 
Primats der römifchen Kirche, weist aber nur um fo ent: 
fchiedener die päpftlichen Nebergriffe in das Gebiet der weltlichen 


1) Hutteni Epist. ad liberos in Germania omnes, Opp. ed. 
Münch, III, 562. Cochlaei Epist. 17. et 18. ad Bilibald., bei Heu 
mann, p. 43. 46. 

2) Huttenus Eobano Hesso. Ex Steckelberg 7. Cal. Nov. Opp. 
ed. Münch, III, 223 fg. 

3) Burckhard, I, 28 fg. not. i. ®iefeler, Kirchengefh. I, 2, 
©. 28. 














Zuelguung an Ferdinand. 49 


Gewalt zurüd. Könige zu madyen oder abzufegen iſt nicht ber 
Papfte Amt; das Binden und Löfen, wozu Chriftus dem 
Petrus die Vollmacht gab, bezieht fih nur auf die Sünden, 
nicht auf den Eid der Treue, den Völker und Fürſten ihrem 
Oberherrn geihworen haben. Dem Nachfolger Petri gebührt 
es, Frieden und Einigkeit zu fliften, nicht Streit und Spals 
tung: fein Schwert ift nur ein geiftliche®, fein Kriegerfchwert. 
Diefe und Ahnlihe Ideen werben Far und bündig, mit 
Schärfe gegen Gregor, und doch im @eifte apoftolifiher Milde 
vorgetragen. 

Dei einer Schrift, die zur Bertheibigung des deutſchen 
Koͤnigthums gegen päpflliche Webergriffe geichrieben war, lag 
es nahe, an den neugewählten König Carl zu denfen. Es 
fonnte nicht fchaden, ihn in diefen Spiegel bliden zu laflen, 
um ihn im Beginne feiner Regierung fchon mit dem vollen 
Bewußtſein feiner Stellung gegen Rom, der Nothwendigkeit 
eines feften Auftretens gegen daflelbe, zu durchdringen. Doch 
Garl war nod in Spanien. Dagegen war fein Bruder Yers 
dinand in den Niederlanden angefommen, und es fchien zweck⸗ 
mäßig, einftweilen biefen zu gewinnen, um nachher durch ihn 
auf den Bruder wirken zu Fönnen. Auch Sidingen hatte es 
damals befonders auf Ferdinand abgefehen. 1) Diefem wid⸗ 
mete daher Hutten die gefundene Schrift, die im März 1520 
zu Mainz berausfam. 2) 


1) Huttenus Melanchthoni. Ex Mogunt. 18 Cal. Febr. 185920, 
Opp. Ill, 337: Primum conciliandus nobis Ferdinandus est, quo 
de Franciscus mereri bene gestit. Post facile erit, exagitare im- 
probos. 

2) De unitate ecclesiae conservanda, et schismate, quod fuit 
inter Henrichum IV. Imp. et Gregorium VII. P. M., cuiusdam 
eius temporis theologi liber, in vetustissima Fuldensi Bibliotheca 
ab Hutteno inventus nuper. Hinten: In aedibus Jo. Scheffer Mo- 
guntini mense Martio anno 1520. Boran Reht: Ulrichi Hutteni eq. 
ad Ill. principem Ferdinandum Austriae Archid. etc. in sequentem 

Strauß, Hutten. IL 4 





5 IL Bad. 11. Kapitel. 


- Dem neuen Regenten Carl, führt Hutten in feiner Zus 
eignung aus, fei Jever verpflichtet, nady Kräften die beften 
Rathichläge zu geben. Während Andere ihn in andern Ber 
ziehungen berathen, halte er, Hutten, es für feinen Beruf, 
ibn aufs Dringendfte aufzufordern, daß er bie deutſche Nas 
tion nicht länger der ſchimpflichen Tyrannei des Papſtes preis⸗ 
gegeben fein laſſe. Sie abzuwehren, fei nothwendiger, als 
den Türfen zu befämpfen. Dieje Wahrheit, viele Nothwen⸗ 
digkeit anſchaulich zu machen, werde er alles Mögliche thun, 
ohne Furcht vor Gefahr und mit dem Bemwußtfein, ſich das 
durch ein Verdienft zu erwerben. Darum babe ihn auch der 
unerwartete Bund dieſes Buchs jo erfreut, da es ganz in bie 
Zeit und feine Abfichten paſſe. Wäre damals Earl zur Stelle 
geweſen, jo würde er in feiner Freude zu ihm gelaufen fein, 
in der Ueberzgeugung, daß derfelbe feine Gabe zu ſchaͤtzen ges 
wußt, und vielleicht aud) in dem Geber etwas für ihn, den 
König, Dienliches gijunden Hätte. Einen größern Dienft 
fönne ja beiden jungen Fürſten Niemand erweilen, als wer 
fie nicht länger Knechte fein laſſe. Knechte der römiihen Bis 
fchöfe aber ſeien alle diejenigen deutſchen Kaiſer geweſen, 
welche fi) die Demüthigungen bei der Krönung, die Ein» 
griffe in die Regierung, die Plünderung Deutfchlande, wie 
fie feit Langen: herkoͤmmlich geworden, haben gefallen laſſen. 
Anders Heinrih IV. Ihn, wie diefe Schrift ihn wahrheits 
gemäß, gegen ultramontane Verläumdungen, darftelle, möge 
Carl fih zum PVorbilde nehmen, und Ferdinand den Bruder 
dazu ermuntern. Hutten ohnehin werde ihnen als fleißiger 
Mahner zur Seite ftehen, ohne fich durch Drohungen ſchrecken 


Ta — 


librum praefatio. 2egtere bei Burdhard, II, 32—49. Opp. ed. 
Münch, III, 545—56. Pol. Banzer, ©. 107 ig. Die Schrift wire 
der abgebrudt bei Schard, De iurisdiet. imp. 1566. p. 1—126, 
sub Freher, Scriptt. Rer. Germ. 1, 233 — 326. ed. Argentor. 
1717. 








Bibelſtellen bei Hutten. 51 


zu laſſen. Von Leo X. (dem ſofort aͤhnliche Complimente wie 
in der Vorrede zu Lorenz Valla's Schrift, doch ſchon viel 
zweideutiger, gemacht werden) verſehe er ſich keines Uebeln. 
Auch könnten ja die römiſchen Bifchöfe nichts Klügeres thun, 
al8 einer Gewalt und Stellung, die fie allgemein verhaßt 
mache, fie menfchlicher Rache und göttlicher Strafe ausfehe, 
freiwillig zu entjagen. Bon den Erpreifungss und Bevors 
theilungsfuftem, welches die Päpfte gegen Deutfchland in Ans 
wendung bringen, wird hierauf eine ſummariſche Schilderung 
entworfen, und dabei al8 das Schmählichite das gefunden, 
„daß, während unfere Vorfahren es für unwürdig hielten, 
den Römern, die damald das Friegsgewaltigfte Volk waren 
und die Welt bezwungen hatten, zu gehorchen, wir nun dieſe 
Weichlinge, Sclaven der Wolluft und Böllerei, ein faule, 
weibifched, muth⸗ und markloſes Gefindel, nicht blos dulden, 
fondern auch, um ihnen ihr MWohlleben möglich zu machen, 
ſelbſt fchmählich darben, ihnen, gleich al8 hätten fie uns im 
Krieg überwunden, Tribut bezahlen, und unfre Erbgüter an 
fie verfchwenren”. Dem follen die beiden erlauchten Brüber 
ein Ende machen, jie follen ihr Regiment damit eröffnen, 
daß fie den Deutfchen die Freiheit wiedergeben, und jenen 
ihr Rauben, PBlündern und Trügen legen. Dazu mitzumwirs 
fen, komme dieſes Büchlein gerade recht, indem es zeige, daß 
auch ſchon früher unter weit ungünftigern Umftänden das 
Gleiche gewagt worden fel. 

Schon in den vorhin betrachteten Gelprächen waren von 
Hutten zuweilen, befonderd wenn ed darauf anfam, die Ent 
artung der römifchen Kirche anfchaulich zu machen, biblifche 
Stellen angeführt worden. Body) hatte er ſich ebenfo oft noch, 
wie früher, claſſiſcher Stellen, vornehmlich aus römifchen Dich⸗ 
tern, bedient. Dieb, was feinem Bildungsgange entſprach, 
gibt er nun zwar auch ferner nicht auf. Doc im gleichen 
Verhaͤltniß, wie er von dem humaniftifhen Boden nach und 

4* 





52 1. Buch. IL. Kapitel. 


nad) auf wen kirchlich-reformatoriſchen hinüberrückt, - fangen 
auch die Bibelfprüche die claſſiſchen Reminiſcenzen zu übers 
wiegen an. Zum \erftenmale fällt: diefe Manier in der Vor— 
rebe auf, die wir fo eben befprochen haben. Sie fällt auf, 
weil fie dießmal weder von der Sache, noch von den Per— 
fonen, mit denen Hutten e8 zu thun hatte, gefordert, ja für 
die Leßtern faum geeignet war. Auf die beiden jungen: Fürs 
ften, die er für feine Idee einer Emaneipation, von Rom ges 
winnen wollte, war ficher durch politiſche Gründe mehr. Ein⸗ 
drud zu machen, als dur die, Stellen aus Jeſaias und 
Ezechiel, Matthäus und Johannes, mit denen er feine Rebe 
vergierte. Da er am der alten Schrift, die er bevorwortet, 
unter Anderm rühmt, wie gefchiet fie aus-dem Evangelium: 
und den Worten Chriſti zufammengefügt fei, fo kann es fcheiz 
nen, daß fie zunächft ihm zur Nachahmung veranlaßt habe: 
Doch behielt er diefe Art fortan bei und bildete, fie weiter 
aus. Darin beftärfte ihn Luthers Vorgang. Und wie er 

nun vom nächften Jahr an ſich an die Verdeutichung feiner 

lateinifchen und an Abfaflung von deutſchen Schriften begab, 
” war allerdings im denjenigen Kreifen, für welche er jet 
ſchrieb, dieſe Manier die wirkſamſte. Daß fie Huttem und 
feinen Werfen gut zu Gefichte ftünde, können wir nicht ſagen 
Den alten Biſchof, defien Schrift er darım lobt, steht. fie 
ganz wohl. Luther'n audy. Denn deren ganze’ Denkart iſt 
aus Fäden gefponnen, die aus Bibel’ und Kirche gezogen find, 
Da iſt es alſo ganz natürlich, Daß die von theologiſchem Geifte 
durchdrungene Betrachtung fich von Zeit zu Zeit in biblifche 
Schlagworte zufammenfaßt. Das ift bei Hutten gang anders; 
Seine‘ Bildung ift eine durchaus weltliche, theils Humaniftifch, 
theild politifch. Selbſt das Kirchliche und Neligiöfe betrachtet 
und behandelt er aus dieſem Geſichtspunkte. Dazu paflen 
num Die Bibelfprüche nicht, Die einer 'ganz andern Weltan— 
ſchauung entſtammen. So geſchickt fie im Einzelnen einge: 





Hutten und Crotus. 63 


fügt find, fo bleiben fie dody dem Ganzen fremd. Sie ftören, 
ftatt zu fördern. Man glaubt ftellenweife Hutten in Kutte 
und Kapuze ſich vermummen zu fehen, den dod nur Harnifd) 
und Lorbeer Fleideten. Daß er für feine lateinifchen Schrif 
ten an die Vulgata, für die deutichen an vorlutherifche Bibel⸗ 
überfegungen gewiefen war, !) in denen viele, beſonders alt- 
teftamentliche Stellen gar nicht zu verftehen find, war noch 
ein befondrer Uebelftand. 

Um die Zeit, als die zuletzt von ung betrachteten Schrifs 
ten erichienen, vermutheten Hutten’d Frankfurter Befannte, 
von denen er zu Anfang Februars in der Richtung nad 
Stedelberg ſich getrennt hatte, ihn in Bamberg bei Erotus 
Rubianus,2) der vor Kurzem aus Italien zurüdgelommen 
war. Beide Freunde hatten ſich zulegt, wie es fcheint, im 
Suni 1517, in Benedig geiehen; im Auguft des folgenden 
Jahres war Crotus mit feinen Zöglingen zu Bologna, wos 
bin ihn Hutten an Julius von Pflugf empfahl; dorthin oder 
nah Rom waren aud die Grüße gerichtet, welche Hutten 
im Mai 1519 dem Kilian Saal brieflid) an ihn nad Ita⸗ 
lien auftrug; denn in jenem Sommer bejuchte Erotus Rom, 
wie er, nah Bologna zurüdgefehrt, an Luther fchrieb; im 
Grühling des Jahres 1520 kehrte er nady Deutichland heim, 
und fam über Nürnberg, wo er bei Pirdheimer einfprach, nad) 
Bamberg, wo Andreas und Jacob Fuchs, die Verwandten 
feiner Zöglinge, al8 Domherren lebten. ) Vielleicht war es 


1) Luther's Bibelüberfegung fing erft zu erfcheinen an, wie Hutten’6 
fchriftfiellerifche Laufbahn nahezu gefchlofen war: das N. T. erfchien im 
Sept. 1522; vom Alten 1523 die Bücher Mofis, 

2) Cochlaei Epist. 17 et 18. ad Bilib., bei Heumann, p. 43 u. 46. 

3) Obige Angaben find aus folgenden Briefen gezogen: Ep. Coch- 
laei 10. ad Bilib. Bonon. 6 Cal. Jul. 1517, b. Heumann, p. 27. Hut- 
teni Epist. ad Jul. Pflugk, Augustae Vindel. 9 Cal. Sept. 1518, Opp. 
li, 530. Ad Chilian. Salens. Essling. ad umbilicum Maii 1519, 
Opp. II, 154. Ad Fr. Piscatorem, ap. Essling. 12 Cal. Jun. 











54 U. Bud. IL. Kapitel. 


damals, daß Hutten die von Johann Reuber, Eaplan des 
Bambergifchen Hofmeifterd Johann von Schwarzenberg, ge- 
fertigte Ueberfegung von Cicero's Schrift de senectute durch⸗ 
ſah und verbefierte. ') 

Bald nach diefer muthmaßlichen Zuſammenkunft mit Crotus 
zu Bamberg finden wir Hutten wieder an und auf dem Rhein. 
Im Mai fuhr er den Strom hinunter, und hatte da zu 
Boppard eine Freude, wie fie zwei Jahre vorher Erasmus 
eben daſelbſt gehabt hatte. Auf der Reife von Bafel nad) 
Löwen begriffen, war der Letztere an jener Trier'ſchen Zolfftätte 
ausgeftiegen, und ging, während dad Schiff durchſucht wurde, 
mit feiner Gefellichaft am Ufer auf und ab. Da erkannte ihn 
Einer und fagte dem Zollbeamten Efchenfelder: das ift Eras⸗ 
mus. Der Freude des wadern Mannes gli nur die Ue⸗ 
berrafchung des Erasmus, an der Zollbank einen fo warmen 
Berehrer zu finden. Er mußte mit ihm in fein Haus fom- 
men, Frau, Kinder, Freunde und Bekannte wurden zuſam⸗ 
mengerufen. Auf dem Schreibtiid des Mannes, zwiſchen 
Zollregiftern, fand Erasmus feine Schriften liegen. Die Un- 
gebuld der Schiffer beſchwichtigte Ejchenfelder durch wieder: 
holte Weinjendungen, verbunden mit dem Berfprechen, ihnen 
auf der Rüdfahrt den Zoll nadjlaffen zu wollen, da fie ihm 
en folhen Mann zugeführt hätten.) Wie jest Hutten 


1519, Opp. II. 157. Crotus Rubianus Mart. Luthero Bonon. 16 
Cal. Nov. 1519, in Monumenta pietatis et literaria P. Il, 12 fg. 
(Bgl. mit dem voranftehenden Brief: N. N. Salutem, der, wie au 
Mohnike richtig vermuthete, gleichfalls von Crotus an Luther gerichtet, 
u. 1519, nicht, wie gebrudt, 1517, geichrieben if.) Jul. Pflugk Pirck- 
heimero, Bonon. 7 Id. Febr. (u. zwar nothwendig 1520, nicht 1519.) 
Opp. Pirckh. ed. Goldaſt, S. 258. 

1) Opp. ed. Münch, V, 521 je. 

2) Erasmus Beato Rhenano, Lovan. Anno 1518. Epp. Erasmi 
omnes, Lugd. Bat. 1706. Ep. CCCLVII, p. 371. Christoph. Eschen- 
veldio, telonae Popardiensi, Lovan. 19. Oct. 1518. Ep. CCCXXXIX, 
p. 853. 





Hutten an alle freien Dentfchen. 55 


nad Boppard kam, fand er bei Ginicampianus, wie Eras- 
mus unterdefien den humaniftifchen Zöllner Latinifirt hatte, 
eine ähnlihe Aufnahme. Er mußte fein Gaft jein, fein Hans, 
feine Bücher fehen, und unter diefen fand Hutten eine alte 
Handfchrift, die ihn beim Blättern und Lelen immer mehr 
anzog. Wie das fein Wirth bemerkte, machte er ihm mit 
derfelben ein Geſchenk, und Hutten fand die Schrift, wenn 
auch der Fürzlih zu Yulda gefundenen an Werth nicht gleich, 
doch in das, was ihm jegt einzig am Herzen lag, fo ein- 
fchlagend, daß er fie herauszugeben beichloß. 

Es war eine Sammlung von Sendfchreiben aus dem 
Ende des vierzgehnten Jahrhunderts, der Zeit der großen Kirchen» 
fpaltung zwilchen den roͤmiſchen und avignon'ſchen Päpften: 
gegenfeltige Zufchriften der Drforder, Prager und Pariſer 
Univerjität; diefer drei Univerfitäten an den Papft Urban VL 
und den König Wenzel; ein Ausichreiben des Legtern an alle 
hriftlihen Nutionen, und endlih eine Mahnung an bie 
Deutfchen, Hug zu werden. Diefer Sammlung ſetzte Hutten 
eine „unter dem Reiten” verfaßte Zueignung an alle Freien 
in Deutichland vor, 2) in weldyer er dieſen über feine bis⸗ 
herige Thätigfeit gleichſam Nechenfchaft ablegt. „Noch bin 
ich nicht laͤſſig geweſen“, fagt er, „von dem Tage an, da 
id) die fchon lange gebundene und beinahe erftidte Freiheit 
diefer Nation, fo viel an mir ift, zu löfen und wiederherzu⸗ 
ftellen unternonimen habe: bald fuche und erforfche ich, was 
irgendwo von Alterthümern verborgen liegt, das meinem Vro⸗ 


1) De schismate extinguundo et vera Ecclesiastica libertate 
adserenda epistolae aliquot mirum in modum liberae et veritatis 
studio strenuae. Vide Lector et adficieris. Huttenus in lucem edit. 
Boran Reht: Hulderichus de Hutten liberis in Germania omnibus 
Salutem. Datirt Inter equitandum. 6 Cal. Junii (27. Mai) Anno 
1520. Vive libertas. Jacta est alea. Opp. ed. M., Ill, 661 —564. 
Bol. Panzer, ©. 125 fg. 





56 1. Buch. Il. Kapitel. 


haben dienen möchte; bald fchreibe ich und lafle ausgehen, 


"was ber ded Wahren fi bewußte Sinn nicht länger im 


Berborgenen laffen mag.” Run erzählt er, wie ex zu ber 
vorliegenden Schrift gefommen fei, und fährt dann fort: „Da 
habt ihr alfo dad Gaftgefchenf des Freundes, ihr freien 
Männer! Denn was fann Hutten erfreuen, das er allein 
genießen, und nicht fogleich allen Guten mittheilen möchte? 
oder was mag zur Förderung des gemeinen Nutzens in Deutfch- 
land dienlich feien, das er im Verborgenen lafien dürfte?“ 
Die freifinnigen Erlafle der drei Univerfitäten aus frühes 
ver Zeit mußten ihm zur Beihämung der Eölner und Löwe- 
ner Hochfchulen dienen, die im Yuguft und November des 
vorigen Jahres Luthers zu Bafel erfchienene Kleinere Schriften 
öffentlich verdammt hatten. „Die alten Theologen, fagt nun 
Hutten — und dieß fönute mit den Abänderungen, bie im 
Unterfchiede der Zeiten liegen, heute wieder ebenfo gefchrieben 
werden — „ließen fi) durch das Gewiflen leiten: heute find 
ed lauter Schmeichler und Wohldiener, die, wenn fie einmal 
ihr Amt thun wollen, entweder über leere Poſſen Aufbebens 
machen, oder, den Mächtigen zu Gefallen, ehrliche Leute in 
Haß, Gefahr, bisweilen felbft in’d Verderben ftürzen. Was 
läßt ſich auch Unwürdigeres denken, als die leichtfertige, muth⸗ 
willige und bösartige Behandlung, weldye den Schriften rechts 
fhaffener Männer ſchon mehr als einmal von Solchen wider: 
fahren ift, die nicht aus Irrthum, fondern aus Neid und 
Bosheit ‚dasjenige verdammten, was fie, wenn man ihr Ges 
wiflen befragen wollte, die Erften jein müßten, zu behaup- 
ten und zu billigen? Dabei gebärden fie fich als Helden, 
wenn fie zu Gunſten des römiſchen Biſchofs oder feiner Le⸗ 
gaten die Stacheln ihres Urtheild gegen diejenigen fehren, 
welche beftrebt find, mit dem Zeugniß evangelifcher Wahrheit 
den Aberglauben aus den Gemüthern der Gläubigen auszu⸗ 
reuten und die wahre Religion von jeder Schminfe zu bes 











Yutten an alle freien Dentfchen. 57 


freien. Hingegen wider die fchädlichen Gurtifanen, die abs 
ſcheulichen Simoniften und die gottlofen Ablaßfrämer ent 
weder vor dem Volke zu predigen, oder eine Schrift heraus⸗ 
zugeben, oder im Rathe ſich freimüthig vernehmen zu laſſen, 
hat bis jegt nody Feiner von jenen Theologen den Muth ge 
habt.” 

„Doch“, fchließt Hutten, „fo viel ich fehe, wird ihre 
Tyrannei die längfte Zeit gebauert haben, und wenn mid) 
nicht Alles trügt, bald vernichtet werden. Denn gelegt iR 
bereit, ja gelegt ift an der Bäume Wurzel die Art, und 
ausgerottet wird jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, 
und des Herrn Weinberg gereinige werben. Das follet ihr 
nicht mehr hoffen, ſondern nächftend mit Augen fehen. In⸗ 
zwiichen fein guten Muthes, ihr deutfchen Männer, und mun⸗ 
tert euch wechleljeitig auf. Nicht unerfahren, nicht ſchwach, 
find eure Führer zur Wiedergerwinnung der Freiheit. Beweifet 
nur ihr euch unerfchroden, und erlieget nicht mitten im Kampfe. 
Deun durchgebrochen muß endlich werben, Durchgebrochen ; befons 
ders mit folchen Kräften, jo gutem Gewiſſen, fo günftigen Ger 
legenheiten, einer fo gerechten Sache, und da das Wüthen bier 
fer Tyrannei auf Höchfte geftiegen if. Das thut, und ges 
habt euch wohl. Es lebe die Freiheit! Ich hab's gewagt!” 

Auf dieſes Senpfchreiben und die darin angenommene 
Haltung bezieht es fih ohne Zweifel, was Hutten an feinen 
Freund, den Frankfurter Bürgermeifter Philipp von Yürften 
berg, Ichrieb: „Meinen Brief wider die Theologiften haft 
du. Geſprengt hab’ ich nun die Bande der Geduld, und will 
hervortreten wie ich bin.’ }) 


1) Habes epistolam meam in Theologistas. Rupi universum 
patientiae carcerem, ac egrediar, qualisqualis sum. Hutteni Epist, 
ad Phil. Fürstenberg, Patric. Francof. Raptim Moguntiac. Aus Burck- 
hard's handſchr. Analekten auf ber Wolfend. Bibi. mitgetheilt von 
Boͤcking. 








58 1. Buch. MI. Kapitel. 


Ehe Hutten in Verfolgung diefer Entwürfe weiter g 
erwies er gelegentlich nody dem Erasmus einen literar 
Ritterdienſt. Ein englifher Theolog, der ſich zu Löwen ag 
bielt, mit Namen Eduard Lee, nicht leer an Kennini 
doc) nody voller von Einbildung, und von jener fchler 
Art von Ruhmſucht getrieben, die ſich durch GHerunter 
anerfannter Größen zu heben trachtet, hatte über bie Ci 
mifche Ausgabe des Neuen Teftaments Anmerkungen geidg 
ben, in denen er an der Arbeit des Meifterdö mehrere hu 
Fehler nachgewiefen zu haben glaubte. Waren auch 
feinen Einwürfen mande nicht ohne Grund, fo hatte ai 
doch in einem fo verleßenden Tone vorgetragen, daß 
den Verehrern des Erasmus, in Deutichland vornch 
nur Eine Bewegung des Unmwillens war.) Erasmmb: 
ſchrieb eine Apologie wider Lee, von welcher Pirdheimer mi 
theilte, er hätte entweber ſchweigen, oder vernichtenbes af 
worten müflen: und nun erließ Hutten einen — 

















Fehdebrief an denſelben. Er bezeichnet ihn als einen 
ſtrat, als einen Undankbaren, welcher dem Manne, vom ig 
auch er, wie alle Zeitgenoſſen, gelernt habe, mit Schuan 
gen lohne; an feiner Wuth werden die trefflichen engliſht 
Gelehrten, die Tunſtall, Morus, Linacer u. f. f., amd 
fin Mißfallen haben; die Deutichen aber werben fie if 
mit ihren Degen, wie er zu fürchten vorgebe, ſondern uf 
ber Feder zu ahnden wiſſen. Ehe nun aber er, Hutten, M 
wirklich angreife, fordere er ihn zuvor auf, erſtlich, ie 
Schmähungen gegen Erasmus öffentlich zu widerrufen, a 
X 





1) Bgl. z. B. den Brief Pirckheimer's an Erasmus, Norimb. pel 
Cal. Mai. (1520), und bes Erasmus Antwort, Lovan. Non. Sept 1888 
Opp. Pirckheimeri ed. Golbaſt, S. 282 fa., 284 fa. Außerbem dl 
Sammlung : Epistolae aliquot eruditorum virorum, ex quibus PH 
spicitur, quanta sit Eduardi Lei virulentia. Basileae ex sedih: 
Jo. Frobenii 1520 mense Aug. 








Befürchtungen und Warnungen. 59 


zweitens, diefen um Verzeihung zu bitten: das ſei der eins 
ige Weg, wie er der Züchtigung, die Hutten an ihm zu 
vollitreden gedenfe, entgehen könne. Inzwiſchen erfläre er 
fein Gefchreibe für Lügen, ihn felbft für einen Schelm, und 
werde ihn, wenn er die verlangte Genugthuung nicht leifte, 
auch der Nachwelt als foldyen darftellen. !) Unferm Ritter 
ſelbſt fehlte hiezu fpäter Zeit und Luft; aber in dem bald 
darauf aus feinem Kreife hervorgegangenen Dialog: Hogstra- 
tus ovans, ift Lee (welcher in der Wirklichkeit zulegt bis zur 
Würde eined Erzbifhofs von Dorf aufitieg) als Hund ver 
ewigt. 2) 

Bereitd fingen die zulegt von Hutten herausgegebenen 
Schriften Rumor zu machen an. Reben dem Beifall auf der 
einen Seite zeigte ſich Erbitterung auf der andern; die Goͤn⸗ 
ner warnten, die Widerfacher drohten,; Erasmus ermahnte 
den jungen Freund, die Freiheit feiner Feder zu bändigen, um 
die Gunft feines Fürften nicht zu verfcherzen ?); Andere fpras 
chen von Bann und Gefängniß, von Gift und Dolch, bie 





1) U. Huttenus eg. Eduardo Leo, Anglo, resipiscere. Ex 
Moguntia 13 Cal. Juniı (20. Mai). In der angef. Sammlung. Dann 
bei Burckhard II, 286 fg. Opp. ed. M., IH, 197 fg. Vgl. auch Huts 
ten’d Brief an Bonifacius Amerbach, ex Mog. 4 Non. (4.) Mai, in 
Niedner's Zeitfchr. f. hiſtor. Theol. 1855, ©. 631: Eduardus ita con- 
silio meo tractandus est, ut cognoscant alii, studiosis omnibus 
ingratum facere euni, qui Erasmo sit molestus. 

2) Hogstratus ovans, dial. etc. Interlocutores: Hogstratus..... 
Ed. Leus, canis ex homine factus. Bei Münd, VI, 325. Vgl. Erasmi 
Spongia adv. adspergines Hutteni, in H. Opp. ed. Münch, IV, 424: 
Exiit ante biennium (gefehr. Juli 1523) dialogus, cui titulus, ni 
fallor, Hochstratus ovans, qui videri poterat in gratiam meam 
scriptus. Nonne constanter et palam illum damnavi, ac modis 
omnibus egi, ut premeretur? Haec a me non fingi, sibi conscius 
est et qui scripsit dialogum (Bufh? Erotus?) et qui illi fuit in 
consilio (Hutten?). 

3) Spongia, p. 481. 





60 11. Buch. 11. Kapitel. 












ihm bevorfünden. ) Schon im vorigen Jahre hatte Eck, 
Hutten durch Crotus wußte, in einem nad Rom gef 
nen Briefe ihn denuncirt:2) und nun war Ed ſelbſt 
Rom gereist. An das alles Eehrte ſich Hutten vorerſt 
fondern faßte im Gegentheil den Entichluß, feine An 
und Beftrebungen an höchſter Stelle perſönlich geltend 

machen. 





1) Huttenus omnibus omnis ordinis ac status in Germania 
Opp. ed. Münch, Ill, 608. 

2) N. N. (Crotus Luthero) Salutem. Bonon. 1517 (leg. 
Monum. piet. et lit. II, 11 fg. Mit dem Beifag: cujus 
aliquot citata sunt de fraude Florentina. Wobei an Berfe zu beuka; 
wie bie in ber Epist. Italiae ad Maximilianum, Opp. Il, 275: — 

Thuscus opum vacua mercator regnat in Urbe, ) 
Tota Fluentino est prodita Roma dolo. 


Dieß hatte der Blorentinifche Kaufmannsabfommling Leo X. auf fi | 
beziehen. 





Drittes Kapitel. 


Hutten's Neife an den Hof des Erzherzogs Ferdinand. 
Enttäufhung. Paͤpſtliche Berfolgung. 


1520, 


Schriften: Allerlei Briefe. 


Der neugewählte deutfche König Earl V. hatte am 20. Mai 
Spanien verlaflen, und war nach Deutfchland, zunächſt nach 
den Niederlanden, unterwegs, wo fein Bruder, Erzherzog 
Zerdinand, ihn erwartete. Diefem hatte, wie wir uns ers 
innern, Hutten im März die alte Schußfchrift für Heinrich IV. 
gegen Hildebrand mit einer Vorrede gewidmet, in der er ihn, 
und durch ihn feinen Bruder, für den Plan einer Befreiung 
Deutichlande von der römifchen Fremdherrſchaft zu gewinnen 
ſuchte. Dahin wollte er nun auch durch perfönliche Ueber, 
redung wirken, und fchidte fi) daher um den Anfang des 
Juni zu einer Reife nach den Niederlanden an. *) 

Im Begriff, einen fo entſcheidenden Schritt zu thun, 


ee 1 — 


1) Melanchthon Joanni Hesso. Corpus Reformatorum ed. 
Bretschneider, I, 201: Huttenus ad Ferdinandum Caroli fratrem 
proficiscitur, viam facturus libertati per maximos principes. Quid 
non speremus igitur? 





62 I. Bud. II. Capitel. 


hielt er e8 an der Zeit, alle Rüdfichten bei Seite zu feßen, 
und mit dem Manne, mit dem er auf Ein Ziel binzuftreben 
fi) bewußt war, nun auch äußerlich in Verbindung zu treten, 
Am 4. Juni fchrieb er noch von Mainz aus an Luther folgen 
den Brief: „Wenn dir in demjenigen, was du dort mit 
hohem Muthe betreibft, fih ein Hinderniß in den Weg ftellt, 
fo ift mir dad von Herzen leid. Wir haben hier nicht ganz 
ohne Erfolg gearbeitet. Chriftus fei mit uns! Chriſtus helfe! 
Denn feine Vorfchriften verfechten wir; feine durch den Dunft 
der. päpftlihen Satzungen verdunkelte Lehre bringen wir wieder 
an’d Licht: Du glüdlicher, ich nach Kräften. Möchten ent⸗ 
weder Alle dieß einjehen, oder Jene von freien Stüden in ſich 
gehen und auf den rechten Weg zurüdfehren. Es heißt, du 
feieft in den Bann gethan. (Die war im Augenblid noch 
nicht der Kal, verwwirklichte fidh jedoch bald genug: die Bann⸗ 
bulle gegen Luther trägt das Datum des 15. Juni.) Wie 
groß, o Luther, wie groß bift du, wenn das wahr ift! Denn 
von dir werben alle Frommen fagen: Sie fuchten die Seele 
des Gerechten, und das unfchuldige Blut verdammten fie; 
aber Gott wird ihnen ihre Miflethat vergelten, und in ihrer 
Bosheit wird der Herr unfer Gott fie verderben. Das fei 
unfte Hoffnung, das unfer Glaube. Eck kehrt von Rom 
zuräd, vom Papfte mit Pfründen, und, wie man fagt, mit 
Gelde befchenft. Was iſt's mehr? Gelobt wird der Sünder 
in feinen Wünſchen, und aber leite Gott in feiner Wahrheit. 
Darum haflen wir die Verfammlung der Frevler, und mit 
den Gottlojen figen wir nicht. Doc, fieh did vor und halte 
Augen und Sinn auf fie gerichtet. Du fiehft, wenn du jegt 
fieleft, wa® c8 der gemeinen Sade für ein Schaden wäre. 
Denn für dich, weiß ich, bift du fo gefinnt, daß du lieber 
in deinem Vorhaben fterben, als elend eben willſt. Auch 
mir ftelt man nad; ich werde mich hüten jo gut ich fann, 
Werden fie Gewalt brauchen, fo habe ich Kräfte gegen fie 





Hutten's Schreiben an Luther. 63 


aufzubieten, die ihnen nicht allein gemachfen, fondern, wie idy 
hoffe, überlegen fein follen. Möchten fie mic) nur verachten. 
Ed hat mich angegeben, daß ich ed mit dir halte; darin hat 
er fich nicht getäufcht. Denn immer babe ich in Allem, was 
ih verftand, Dir beigeftimmt; obſchon bis jet fein Verkehr 
zwifchen uns ftattfand. Was er weiter gefagt hat, wir haben 
Ihon früher nad) Verabredung gehandelt, das bat er dem 
Papfte zu Gefallen gelogen. Ein ſchamloſer Böfewicht! Man 
muß ſehen, daß ihm vergolten werde, was er verdient. 
Du fei feit und ftarf und wanfe nicht! Doch was mahne 
id, wo nicht zu mahnen if! An mir haft du einen An» 
hänger für jeden möglichen Kal. Darum wage es, mir ine 
fünftige alle deine Plane anzuvertraum. Verfechten wir bie 
gemeine Freiheit! befreien wir das unterbrüdte Vaterland! 
Gott haben wir auf unfrer Seite. Iſt Gott für ung, wer 
mag wider und fein? Die Cölner und Löwener haben did 
verdammt. Bas find jene teuflifhen Rotten, welche gegen 
die Wahrbeit ſtreiten. Body) wir werden durchbrechen, durch» 
bredyen unter Ehrifti Beiftand frifh und mannhaft. Jenen 
aber hätte e8 gebührt, im vorfommenden Falle, wahrhaft und 
freimüthig zu urtheilen. Darüber habe ich fie zur Rebe ges 
ftelt in einem Vorworte, das du lefen wirft.) Capito 
(Hofprediger und noch in demfelben Jahre Rath) des Kurs 
fürften von Mainz) wird fie dir fchiden. Heute reife ich zu 
Ferdinand ab. Was ich dort für unfre Sache wirfen fann, 
werde ich nicht verfäumen. N. (Franz von Sidingen) läßt 
dir fagen, zu ihm zu kommen, fall du dort nicht gehörig 
ficher bift; er wird dich deiner Würde gemäß ehrlich halten 
und gegen allerlei Feinde mannhaft vertheidigen. Das bat 


1) Tas am Schluſſe des vorigen Kapitels erörterte Vorwort zu ber 
Schrift De schismate exting. etc. mit ber Aufſchrift: Liberis in Ger- 
mania omnibus. 








64 U. Buch. III. Kapitel. 


er mich fchon drei oder viermal geheißen bir zu fchreiben. 
In "Brabant finden mich deine Briefe; dahin fchreibe und 
lebe freundlich und in Chrifto wohl, Grüße Melandıthon 
und Fachus und alle Guten dort, und lebe nochmals wohl.“ ) 

An Neifegeld gebrach es Hutten nicht: der Kurfürft 
von Mainz hatte ihm unmittelbar zuvor durd Arnold Glau⸗ 
berger in Sranffurt 100 Fl. auszahlen lafien.?) Albrecht's 
Berhältniß zu Hutten beftand alfo noch immer fort, unerachtet 
dieſer in feinen legten Schriften der roͤmiſchen Curie einen 
Krieg auf Leben und Tod angefündigt hatte. Inwiefern eine 
Beihränfung Roms dem Erzbifhof von Mainz erwünfcht 
fein fonnte, haben wir oben angedeutet, da wir und bereits 
über die erfte Aufnahme Hutten's in Mainziiche Dienfte wun⸗ 
dern mußten. Jetzt mochten Hutten’d und Sickingen's ſich 
ansdehnende Entwürfe dem erften deutſchen Kirchenfürſten 
noch lockendere Ausfichten bieten. Wir wiflen, daß in der 
erften Zeit der Thronerledigung das Verſprechen des Papftes, 
falls durch Albrecht's Mitwirkung Franz I. von Frankreich 
zu Marimilian’d Nachfolger erwählt würde, ihn zum Legaten 
von Deutfchland zu ernennen, ftarf auf den Erzbifchof gewirkt 
hatte.) Wenn fidy jept durch Hutten’d und Sickingen's 
Thätigfeit Die deutfche Kirche für ſich abfchloß, und ber römi⸗ 
fhen nur etwa noch etliche Ehrenrechte übrig ließ, ſo fchien 
der Mainzer Erzbifchof ald Prima von Deutfchland derjenige, 
dem das Meifte, was man Rom entzog, zufallen mußte, 


1) Epistola Ulrichi de Hutten, aq., ad D. Mart. Lutherum, Theo- 
logum. Vuittembergae. Wieder abgebrudt bei Burdhard I, 63— 
66. Opp. ed. Münch III, 575 fg. Vgl. Panzer, S. 124. 

2) Epist. 19. Cochlaei ad Bilibaldum , Francof. prid. Idus 
(12.) Jun. 1520. Bei Heumann, p. 50: De Hutteno id heri a Doctore 
Glauberger accepi, quod intra octo dies ex Moguntia abierit versus 
Bollandiam ad Ferdinandum. Addidit, centum ei florenos esse nu- 
meratos se procuratore jussu Reverendissimi Dom. Moguntini. 

9) ©. Ranfe, Deutiche Geſch. im Zeitalter der Ref. I, 362 f. 





Hutten's Reife an den Hof des Erzberzogs Ferdinand. 65 


Hutten’8 Abfehen ging allerdings weiter; aber die eine Seite 
feines Plans war jenes doc 2): Deutichland follte von der 
ficchlichen Fremdherrſchaft befreit, weiterhin aber freilich Die 
Kirche ſelbſt entweltlicht werden; Erftered mar Hutten's, 
Letzteres Luther's Hauptgefichtspunft: woraus fich, felbit ohne 
bie entgegengefeßten perjönlichen Berührungen, abermals ers 
flärt, wie Erzbifchof Albrecht Luther's Beind fein mußte, 
und doch Hutten’d Gönner fein Fonnte. 

Bol von feinen Entwürfen, reiste Hutten mit einigen 
gleihgefinnten Begleitern den Rhein hinunter. In Cöln traf 
er mit Agrippa von Nettesheim zufammen, jenem feltfamen 
Gemiſche von gutem Kopfe, Schwärmer und Eharlatan, ber 
ein aͤhnlich abenteuerliche Leben, wie Hutten, hinter fi 
hatte, auch von Mönchen und Pfaffen fchon verfegert, dabei 
aber doch ein Gegner der Reformation geblieben war. Er 
fah in Hutten’d Mittheilungen einen erfchredennen Beweis, 
wie weit die Frechheit gewiller Leute jest gehe; in feinen 
Planen die Keime ververbliher NRevolutionen: Alles komme 
nun auf die Fürften und insbefondere den neugewählten 


1) Sie fiel auch den Zeitgenoſſen vornehmlich in die Augen: vgl. 
Agrippa ab Nettesheym Rogerio Brennonio, ex Colon. 16. Jun. 
1520. Opp. Lugd. ap. Beringos fr. Epist. L. Il. Ep. 54, p. 99: 
(Nachricht von Reuchlin's und Eidingen’s Sieg über Hochſtraten.) Sed 
audi majora, verum non tam laeta, et quorsum audacium aliquot 
hominum progrediatur audax temeritas. Fuit hic apud nos Hutte- 
nus cum aliquot aliis Lutheranae factionis asseclis, qui nunc in Cur- 
tesanos, ut vocant, Romanosque Legatos calamum stringunt, ipsi 
etiam Rom. Pontiflci infensi, magnas seditiones, ni Deus provideat, 
coneitaturi, dum singulos Germaniae principes et potentatus magnis 
persuasionibus adhortantur, ut excutiant Romanum jugum, quem- 
admodum populus Israel olim excussit jugum domus David, re- 
cesseruntque decem tribus Israel a domo David .. dicentes etc. 
Sic et isti clamant: Quae est pars nostra inter Romanos, aut quae 
haereditas nostra in Episcopo Romano? Numquid non sunt Pri- 
mates et Episcopi in Germania?. Relinquat Romanos Germania, et 
revertatur et convertatur ad Primates et Episcopos et pastores suos. 

Strauß, Hutten. II. 5 





66 II. Bud. II. Kapitel. 


Kaifer an, deſſen „Saturniſches“ Weſen jedoch dem Horoffop- 
ftelfer auch Fein Vertrauen einflößte. *) 

In Löwen wohnte damald Erasmus; ihn befuchte Hutten, 
bat ihn um Empfehlungsbriefe an den Hof und um eine ger 
heime Unterrevung. Beides erhielt er); aber aus dem 
Kriege gegen bie Römlinge, den Hutten eröffnen zu wollen 
äußerte, machte Erasmus einen Spaß; er fragte nad) den 
Mitteln zu einem ſolchen Unternehmen, und rieth dem enthus 
ftaftifchen Ritter ernftlich, von einem jo tolffühnen Handel bie 
Hand zu laffen. ?) 

Wie es diefem fofort am Hofe zu Brüffel ergangen, 





J) ©. die in voriger Anmerkung beigebrachte Stelle, in deren Ders 
folg es von Earl Heißt: Ego certe contemplatus hominem totum Sa- 
turnium, nihil in illo bonae spei repositum habeo. 

2) Eines diefer Empfehlungefchreiben haben wir noch in ber Epist. 
Erasmi ad Aloisium Marlianum, Episcopum Tudensem, Ep. CCCCXCH, 
p. 588 ber Ed. Lugd., wo flatt 1519 allen Umftänden nach 1520 zu 
Iefen if. Don Hutten heißt es bier: Qui has perfert, est Huttenus 
ile facundissimus eques et orator bellacissimus, juvenis candi- 
dissimi pectoris, et tuo dignus amıore, nisi plane fallor. 

3) Erasmi Spongia, Opp. Hutteni, IV, 421, 432, 481. Später 
fah Erasmus darin eine Treulofigfeit, daß Hutten, nachdem er fich bereits 
gegen ben Kaiſer verfchworen gehabt, noch Empfehlungsbriefe von ihm 
an ben Faiferlichen Hof erpreßt habe (Epist. ad Lutherum, Basil. 
postrid. Non. Mai. 1524. Opp. Hutt. IV, 571... Allein Hutten’e 
angebliche Verſchwoͤrung gegen ben Kaifer befland nur in dem Plane bes 
bellum contra Romanenses, und davon hatte er ja dem Erasmus Mits 
theilung gemacht. Was Hutten mit diefen Empfehlungsfchreiben eigents 
lich gewollt habe, gibt Erasmus (ebendaf.) mit den Worten an: tantum 
volens abuti CGaesaris nomine ad vexandam uxorem. Diefen 
Worten nach hätte ber Ritter eine Frau gehabt; wovon fonfl Niemand 
etwas weiß. Ob die Kandfchrift des Erasmifchen Brief noch vorhanden, 
iR mir unbefannt; Gottfr. Schübe, der benfelben in feiner Sanımlung 
von Luther's ungehrudten Briefen, 1781, II. Bd. zuerſt, vollfländig mits 
theilte, lieſt wie oben angeführt. Bei dem Unerhörten der Nachricht ift 
bie Vermuthung erlaubt, ob nicht flatt vexandam ein Wort wie cap- 
tandani, piscandam, zu lejen fein möchte; was mit ben Hutten’fchen 
Heitathuentwürfen bes Jahres 1620 fehr wohl flimmen würbe. 





Hutten zieht ſich zuräd. 67 


wiſſen wir im Einzelnen nicht. Auch wie lange er dageblieben, 
fönnen wir nicht beftimmen. Schwerlich hat er Cars An⸗ 
funft abgewartet 2); fchwerlich ift er bei Ferdinand zu Gehör 
gefommen. Gleih von Anfang warnten ihn feine Bes 
fannten am Hofe vor Rachftelungen, die eben hier ihm 
drohen, und denen er nur daburdy entgehen Fönne, wenn er 
jo fchleunig wie möglich fi) vom Hofe entferne. Anfangs 
beachtete Hutten dieſe Warnungen nicht; aber fle wurben 
immer dringender und beſtimmter. Die päpftlichen Gefchäfte- 
träger in Deutſchland feien es, die dad betreiben, und vor 
der Curtiſanen Gift und Dolchen babe er fih in Acht zu 
nehmen. Da nun überdieß Hutten die Pfaffen am Brüffeler 
Hofe mächtiger fand, als dag er auf günftiged Gehör hätte 
hoffen können, fo folgte er dem Rathe der beforgten Freunde 
und zog fich zurüd. 2) 

Auf der Rüdreife begegnete ihm ein fomifches Abenteuer. 
Wie er mit feinen zwei Knechten in der Nähe von Löwen 
ritt, Fam ihm Hochftraten in den Weg. Hutten erfannte ihn 
und ließ ihn durdy feine Leute greifen. „Endlich“, fchrie er 
ihn an und zog den Degen, „endlich fällft du in die rechten 
Hände, du Scheufal! Welchen Tod ſſoll ich dir nun anthun, 
du Feind aller Guten und Widerfacher der Wahrheit?” Doch 
bald, wie er den Elenden um Pardon bittend vor fi auf 
den Knien fah, faßte er fih, und „Nein!“ rief er, indem er 
fein Schwert wieder in die Scheide ftieß, „mein, mein Degen 
fol fi mit fo ſchlechtem Blute nicht befudeln; bad aber 


1) Aliquot dies, fagt Hutten in ber Epist. ad omnes in Ger- 
mania principes etc. Opp., IV, 608, habe er ſich am Hofe vers 
weil. Daß er diefen Hof ale aula invictissimi Regis ac Domini 
nostri Caroli bezeichnet, beweift nicht, daß dieſer ſchon perfönlich ans 
wefend war. 


3) Epist. ad omnes in Germ. princ. etc. a. a. D. 


5* 





68 II. Buch. MI. Kapitel. 


wiſſe, daß viele andere Schwerter auf beine Kehle zielen, und 
bein Untergang eine ausgemachte Sache iſt.“ 1) 

Hutten reiste nun wieder den Rhein hinauf, und da 
wurden ihm unterwegs die in Brüffel erhaltenen Warnungen 
beftätigt. Reifende, die von Rom zurüdfamen, wollten willen, 
der Papſt fei äußerft erbittert auf ihn, und habe eine nadır 
drüdliche Verfolgung gegen ihn beichloffen. Wie er dann 
nah Mainz zurüdfam, liefen feine Freunde zufammen und 
wänfchten ihm Glück, ja einige wunderten fi), ihn wieder: 
zuſehen, denn fie hatten von ſolchen Nachitellungen gegen ihn 
gehört, daß fie ihn für einen verlornen Dann hielten. 2) Ihrem 
Rathe zufolge, ſich auh in Mainz nicht lange aufzuhalten, 
ging er nach Frankfurt, und erfuhr hier durch Briefe und 
mündliche Berichte, daß der Bapft an verfchiedene deutſche 
Fürften, insbefondere aud an den Erzbiihof von Mainz ?), 
das Anfinnen geftellt habe, ihn gefeflelt nach Rom zu jenden. 
Bei König Carl aber, fo verlautete bald darauf, ſuchte ein 
päpftlicher Drator die Erlaubniß nad), Hutten, wo «8 fei im 





1) So im Weſentlichen übereinflimmend Grotus Rubianus, Epist. 
ad Lutherum, Unſchuld. Nadır., 1723, p. 704 fg., Otto Brunfele, 
Resp. ad Spong. Erasmi, Hutteni Opp., IV, 522 fg.. welchen Beiden 
Hutten die Gefchichte erzählt hatte, und der Dialog Hogstratus ovans, 
H. Opp., VI, 348, befien Verfafler vielleicht Grotus war. Die entgegen: 
geſetzte Darftellung des Erasmns, Spong. p. 469, das Hutten aus 
Furcht vor Hochſtraten, der ihm im Brüſſel begegnet, aus diefer Stadt 
gewichen fei, beruht wohl, wie DO. Brunfels mit Recht bemerft, auf Ber: 
wechslung ober Entſtellung. Was aber Erasmus hinzufegt, daß Hoch: 
raten damals weder Prior noch Inquifitor geweien, hat nach dem Obigen 
feine Richtigfeit. 

2) So auch anderwärts, f. Andr. Francus Camiczianus ad Pirck- 
heimerum, Lips. 27. Sept. 1520. Pirckh. Opp. p. 380: Unice gau- 
deo, Huttenum nobis ex Brabantia reducem atque salvum. 

8) In ben für bie Deffentlichfeit beitimmten Schriften deutet Hutten 
dieß nur an; in verfchiebenen Privatfchreiben aber fagt er es ausbrüdlid;: 
Huttenus Capitoni 6 Id. August., Erasmo, 15. Aug.. Niedners Zeitfchr. 
für Hifl. Theol., 1855, ©. 627. 629. 








Hutten auf ber Rüdreife aus ben Niederlanden. 69 


deutfchen Reiche, greifen, und dazu die Hülfe des weltlichen 
Arms in Anſpruch nehmen zu Dürfen. %) 

Bon Branffurt aus machte Hutten einen Beſuch auf 
Stedelberg, wo damals feine beiden Eltern noch Tebten. 
Unterwegs in Gelnhaufen fchrieb er am 8. Auguft an Eapito 
nad Mainz, er möge die an ihn einlaufenden Briefe bis auf 
fiihere Gelegenheit an fi nehmen, und gab ihm zugleich 
Nachricht, falls er ed noch nicht wilfe, von dem päpftlichen 
Anfinnen an den Erzbifchof. „Nun endlich”, ſchrieb ex, „fängt 
diefe8 Feuer zu brennen an, und es wird ein Wunder fein, 
wenn es nicht zuletzt mit meinem Sturze wird gelöfcht were 
den müflen. Doc in diefem Handel habe ich mehr Muth 
als Jene Kräfte haben. Auf, auf! ed muß durchgebrochen 
werden. Mit meiner Milde jei e8 nun am Ende; denn Ich 
fehe, daß die römifchen Leuen nad) Blute lechzen. ?) Aber, 
wenn mid, nicht Alles trügt, werben fie eher jelbit Blut laflen, 
eher Bande und SKerfer, womit fie mir fo graufam drohen, 
erdulden müſſen.“) Auf Stedelberg fchrieb einige Tage 


1) Omnibus omnis ordinis ac status in Germ. Princ. etc. Opp. 
II, 609. lag u. Bormanung, Opp., V, 87: 
Auch iſt gefchickt Füng Karlen zu 
Gin grawer mündy, hat hölten ſchu, 
Derfelbig gleigner hat mandat, 
Zugreiffen mich in yeder flat, 
Vnd wo er mich im land erfchnap.... 
Vnd das im Hrlff der weitlich arm. 
Vgl. Croti Rub. Epist. ad Lutherum, Erfurd. in pervigil. S. Ni- 
colai 1520, Unfchuld. Nadır., 1728, ©. 704 fg.: Lusimus quaedam de 
brachio Dei contra brachium seculare, quod invocant, qui nil im- 
pium non invocant. Huttenus Luthero, ex Ebernburgo 5b Id. 
Dec. 1520. Opp. Ill, 619: .. simul seculare brachium tracto. Bon 
beiden Auffägen iſt uns nichts übrig geblieben, oder doch nichts befannt. 
2) Hactenus fuerim mitis. Nam etc. &o hat das Driginal in 
der Bibliothek des Basler Antiftitiums, nicht fueram und Jam, wie 
Röhrich hat abdruden laflen. 
3) Huttenus Capitoni. Ex Geylinhausen 6 Idus August. 
Zeitſchr. f. hiſt. Theol, 1855, ©. 627 fg. 





70 00. Bud. IE Kapitel, 


fpäter Hutten an Erasmus, er mwundere ſich über die blinde 
Wuth des Papites, von einem Fürften wie Albrecht jo etwas 
zu verlangen. Ihn, Hutten, meinen fie jet jehr in Furcht 
gejegt zu haben; ob er gleich auf der andern Seite vernehme, 
dad fie ihm höchſt anftindige Bedingungen bieten, wenn er 
fich zum Brieden bequemen wollte. Das thun fie, nachdem 
er durch feine zeitige Entfernung aus Mainz ihren Händen 
entgangen fe.) Auch Fulda beſuchte Hutten bei Diefer Ges 
legenheit wieder, und bradyte hier noch einmal fünf Tage im 
trauten Verkehr mit dem alten Herzensfreunde Erotus zu.) 

Hutten fpricyt von zwei päpftlichen Schreiben an ben 
Kurfürften von Mainz: uns ift nur Eines aufbehalten 
vom 12. Juli, das aber dem Kurfürften, laut feiner Antwort, 
erft am 25. October mit vier andern Breven durd) die päpft- 
lichen Nuntien Hieronymus Aleander und Marino Caraccioli 
überliefert wurde. Der Papft jagt darin, ed fei ihm ein 
Buch gezeigt worden, das von einem gewiflen Ulrich Hutten 
entweder verfaßt oder aufgefunden und mit einem Vorworte 
begleitet fei, in weldyem fich die gröbften Schhmähungen gegen 
den römischen Stuhl befinden. Es ift dieß ohne Zweifel. bie 
Schrift De unitate ecclesiae mit der Widmung an Erz— 
berzog Ferdinand, und fcheint alfo die vor zwei Jahren von 
Hutten herausgegebene und Leo X. zugeeignete Schrift des 
Lorenz Balla demfelden nicht zu Handen gefommen, oder von 
ihm ignorirt worden zu fein. Zugleih, fährt der Papft in 
feinem Erlaſſe fort, haben- die Ueberreicher der Schrift (ohme 
Zweifel Et u. N.) ihm gefagt, von demfelben Verfaſſer 


- „L) Huttenus Erasmo. Ex propugnaculo 18. Cal. Sept. (15. 
Aug.) 1520. Ebendaf. S. 629 fa. | 

2) Croti Epist. ad Lutherum a. a. D©.: Sedit mecum (Hutte- 
nus) Vuldae V dies, paucos post dies ubi cum Hochstrato fuera 
congressus, 








Bapſtliches Breve gegen Gatten. 71 


feien noch viel aͤrgere Bücher in ihren Händen; weßwegen 
fie ihn, den Papft, aufgeforbert haben, gegen einen fo frechen 
Läfterer mit fcharfer Strafe einzufchreiten. Bel näherer Er⸗ 
fundigung über feine Berfon babe er nmun erfahren, daß. der- 
felde ein Diener des Erzbiſchofs, und bie angefchuldigten 
Bücher in defien Stabt Mainz gebrudt feien. Ob es am 
gleih kaum denkbar fei, daß dieſes ohne des Erzbiſchofs 
Wiſſen Habe geſchehen können, fo könne doch er, ber Bapfk, 
von einem Fürften, dem er fo manche Beweiſe befonbern 
Wohlwollens gegeben (er fchidte ihm jept eben bie goldene 
Rofe), fo etwas unmöglich glauben, und ſetze daher lieber 
voraus, derſelbe Habe nichts davon gewußt. Um jo mehr aber 
erwarte er jezt von bemfelben, daß er die Frechheit Derienigen, 
weiche fich gegen den Heiligen Stuhl auflehnen, unterbrüden, 
ımb fie entweder zur Beſcheidenheit zurüdführen, oder au den 
Läfterern Exempel von Strenge aufftellen werde, welche fe 
felb und Andere fortan von fo firafbarem Muthwillen a 
halten mögen. !) 

In feiner Antwort, von der Hand feines nunmehrigen 
Rathed Capito, des biplomatifchen Freundes ber Reformatten 
und Hutten's insbefondere, beruft fich der Erzbiſchof zu feiner 
Rechtfertigung darauf, daß er alle Diejenigen, an benen er 
eine Entfremdung von dem roͤmiſchen Stuhle wahrgenommen, 
von fi entfernt habe; fo habe er Hutten, der ihm bis bahn 
ſehr werth geweſen, fobalb ex von feiner Schmachichrift gegen 
den Garbinal Cajetan (der Febris prima) Kunde erhalten, 
von feinem. Hofftaat ausgeſchloſſen ) (d. h., wie wir wiſſen, 

1) Dilecto filio nostro Tit. S. Grisogoni Presbytero Card. Mog. 
S. Rom. Imperii Principi Electori etc. Leo P. P. X. Datum Romae 
apud 8. Petrum sub annulo piscatoris, die 12. Jul. 1520. Pontifl- 
catus nostri anno Octavo. Mbgebr. Monum. piet. et lit. II, 47; Burds 
barb, II, 49—51; Munch, II, 567 fg. 

2) Quod videre est in Ulricho Hutteno, nuper carissimo mihi, 
quem famulitio meo statim exolusi elc. 





12 I. Bud. Il. Kapitel. 


ihm den erbetenen Urlaub mit fortlaufendem Gehalte ge 
währt); von feinen neueften abjcheulichen Schriften habe er 
erft nach feiner Rückkehr aus der Magdeburger Diöceje etwas 
erfahren, gegen Hutten ſelbſt aber nicht einfchreiten fünnen, 
da ſich diefer bis auf den heutigen Tag in den fefteften 
Burgen halte und jeden Augenblif im Stande fei, eine ftarke 
Streitmadht zulammenzubringen, mit welcher er dem (ir 
bifchof ſelbſt gefährlich werden könnte. Dagegen habe er ſich 
an den Buchdrucker (Joh. Scheffer, bei dem die Dialoge und 
die Schrift mit der Vorrede an Ferdinand erichienen w 
einen Mainzer Bürger, gehalten, den er, trog der Abmah⸗ 
nungen vornehmer Männer, in ein hartes Gefängnig babe | 
werfen laffen. Auch habe er in feinen Diöcefen den Kauf 
und Berfauf diefer und andrer gegen ben römischen 
gerichteten Schriften verboten. I) Was den Buchdrucker be 
trifft, fo Scheint alfo ded Hofmeifterd Frowin von Hutten 
Fürwort, das Ulrich fchon im Auguft in Anfprudy genommen | 
hatte, ohne Wirkung geblieben zu fein. 2) | 
Die feften Burgen, in denen Hutten um dieſe Zeit fi 
hielt, waren die feines Freundes Franz von Sickingen, 
und dahin muß ihm jetzt unfere Erzählung folgen. 


1) Alberli Archiepise. Moguntini ad epistolam Leonis X. Re 
sponsio. Hutteni Opp. ed. M., III, 569—72. Bal. auch u. Drüf 
an Spalatin, in be Wette'a Exmmlang, I, 486. 

2) Huttenus Capitoni 6 Id. Aug. a. a, O.: Pro chalcographe 
scripsi Ferobino Hutteno, ut intercedat. Ejus tamen causa non de- 
sinet mihi esse cordi, et forte consilium his rebus inveniam. 





Diertes Rapitel. 


Sutten auf der Chernburg bei Franz von Sickingen. 
1520. 


Schriften: Conquestio ad Carolum; ad Principes ac viros Germaniae. 
Epist. ad Albertum; ad Friderichum Sax. Ducem etc. 
Bulla cum glossis. In incendium Lutheranum exclamatio. 
Eyn Klag über den Luterifchen Brandt zu Meng. 


Den ritterlichen Geftalten jener Zeit, einem franz von 
Sidingen, Gög von Berlichingen und ihresgleichen, ift für 
und, die wir in einem ganz andern Weltzuftande leben, nicht 
leicht, in unferm Urtheile gerecht zu werden. Entweder wir 
nehmen fie zu hoch, oder zu niebrig. Erſteres begegnet und 
indgemein, fo lange wir nur Allgemeines und Unbeftinmtes, 
Lebtered, wenn wir einmal das Einzelne von ihnen wiſſen. 
Denn der Wahn verichwindet in diefem Falle gründlich, als 
hätten jene Ritter ihr Schwert in der Regel zum Bellen ber 
Unterdrüdten, aus uneigennüsiger Liebe zu Recht und Frei⸗ 
heit, gezogen. Sie erfcheinen nicht allein roh, fondern auch 
mit Berechnung eigennützig. An ihren Fehden empört uns 
nicht blos die Unbarmherzigkeit, mit der Einer des Andern 
arme Leute plündert, ihre Dörfer anzündet, ihre Felder vers 
wuͤſtet; ſondern faft mehr noch die Beobachtung, daß das 
alled wie ein Gewerbe betrieben wird, bei dem ber Gewinn 





74 U. Bud. IV. Kapitel. 


an Beute oder Xöfegeld der Zwed, das Recht aber, die ans 
geblihe Beleidigung durdy einen andern Edelmann, eine 
Stadt u. f. f., meiftend nur ein Vorwand ift, um die Bauern 
des Einen brandfchagen, die Kaufleute der Andern nieder: 
werfen und berauben zu fönnen. Dieß wird aus Goͤtzens 
naiven Selbftbefenntniffen zum Greifen deutlih, und auch 
Franz von Sidingen, den man nicht mit Unrecht einen Götz 
in höherm Style genannt hat, war doch aus demfelben Holze 
geſchnitzt. 

Das Geſchlecht der Sickingen war alt, doch ſchrieb ſich 
ſeine Bedeutung erſt von Franzens Vater her. Dieſer, 
Schweickard von Sickingen, dehnte durch allerlei Fehden, die 
er theils im Dienſte, theils unter dem Schutze der Pfalz, 
deren Marſchalk er war, beſonders auch gegen Staͤdte führte, 
ſeine Beſitzungen aus. Wie auch er zu ſolchen Fehden kam, 
davon nur Ein Beiſpiel. Einſt ging er in Coͤln herum, und 
trug, wie er pflegte, feinen Dolch im Gurt. Da dieß wider 
die Stadtorbnung lief, fo mußte er denfelben auf der Straße 
von fih thun und abliefern., Das erſchien ihm als eine 
folhe Schmad, daß er von Stund an der Stadt Feind 
wurde, ihr viel Schaden that, und fogar Anfchläge machte, 
fie zu erobern. Der hochftrebende Mann war ein Mathe 
maticus und beobachtete die Sterne. In feines Sohnes 
Stanz Geburtöftunde bemerfte er am Himmel eine wunder⸗ 
barliche Conftellation, aus der er abnahm, daß derſelbe ein 
treffliches Anfehen in der Welt gewinnen, fein Ende aber be- 
ſchwerlich fein werbe. ) Auch Schweidard’s Ende war tra- 
giſch. Im dem Bairifchen Erbfolgefriege von 1503 und 4 
verfocht er die Anfprüche feines Herrn von der Pfalz gegen 


1) ©. die Flersheimer Chronik (von Franzens Schwager Philipp 
von Flersheim, Domfänger und fpäter Bifchof von Epeier), abgebrudt 
bei Münd, Franz von Sidingen, MI, 228 fg. 





Franz von Sickingen. 75 


den Spruch ded Kaiferd Marimilian, und mußte diefen Un- 
gehorfam, fo wie mandye andre Gewaltthat, über welche ſich 
bei der Gelegenheit Klage erhob, auf dem Blutgerüfte büßen. 

Auf der Ebernburg bei Kreuznach (neben Landſtuhl bei 
Kaiferdlautern dem wichtigften Schloffe des Sidingerd) war 
Franz im Jahre 1481 geboren. Seine Erziehung, ob er gleich 
dem gelehrten Johann Reuchlin Einfluß auf dieſelbe zufchreibt, 
war doch nur eine ritterlihe. Des Baterd Unglüf und 
früher Tod hinterließ ihm die Aufgabe, den Glanz des Ge- 
ſchlechts wieder herzuftellen. Im allerlei Dienften und Kämpfen 
arbeitete er fi) empor. Seine Fehde mit Worms war bie 
jenige, welche zuerft die allgemeine Aufmerkfamfeit auf ihn 
lenfte; die gegen den Herzog von Lothringen diejenige, welche 
feinen Ruf auf den Gipfel brachte. Bei diefen und andern 
Händeln und Zügen war Anlaß und Kriegführung im Weient- 
lichen von gleicher Art. Berbannte Bürger einer Stadt, bes 
einträchtigte Unterthanen oder Nachbarn eines Yürften, riefen 
gegen wirkliches, oder öfter blos wermeintliches Unrecht, gegen 
Verzögerung eines Rechtshandels durch die Gerichte‘, den 
Ritter zu Hülfe, traten etwa auch Güter oder Schuldforde⸗ 
rungen an ihn ab; nun verlangte er ihre Wiederaufnahme 
und Entfhädigung, die Herausgabe ihrer Güter oder Aus⸗ 
zahlung ihres Guthabens an ihn; wurde dieß verweigert, 308 
er vor die Stadt, oder fiel in das Rand, vermwüftete dieſes, 
befhädigte jene, plünderte und fing die unterwegs betroffenen 
Kaufleute, denen fchwere Ranzionen aufgelegt wurden; um 
die Abmahnungen des Kammergerichts, in der Wormfer 
Fehde felbft die Faiferliche Acht, kümmerte er ſich nicht, und 
ließ fich endlich feinen Abzug von den Angegriffenen meiftend 
mit großen Summen (von Me mit 20,000 Fl., von Heſſen 
mit 50,000 Fl. u. f. f.) abfaufen.) Dem Kaiſer machte 


1) Eine beffere Belegſtelle zu obiger Schilberung iR nicht bei⸗ 





16 I. Buch. IV. Kapitel. 


feine fhwanfende Stellung unmöglich, in folhen Fällen fich 
immer als ftrengen Richter zu behaupten. “Die mehrjährige 
Fehde gegen Worms, die heillofe Beſchadigung einer Reichs⸗ 
ftabt, wurde dem Ritter zulegt verziehen, weil Kaiſer Maris 
milian feine Dienfte gegen Ulrich von Württemberg nicht 
miſſen wollte. Statt die Acht wider ihn aufrecht zu erhalten, 
nahm er ihn in feinen Sold, und ald bald darauf Martmilian 
farb, ftand Sidingen ald eine Macht im Reihe da, um 
welche ſich die beiden Tihronbewerber, Kranz von Yranfreidh 
und Carl von Spanien und Defterreich, wetteifernd bemühten. 
Sickingen löfte eine frühere Verbindung mit dem Erfteren, bei 
der er feine Rechnung nicht gefunden hatte, auf, und widmete 
ſich dem Dienfte Carl's, wirkte zu feiner Wahl nad Kräften 
mit, und verpflichtete ihn überdieß durch ein baares Darlehn 
von 20,000 8. Earl ernannte ihn zu feinem Feldhauptmann, 


zubringen, als was, eben mit Beziehung auf Sidingen, cin Zeitgenofle, 
der Benedictinermönch Scheckmann, in feinem Chronicon Abbatiae S. 
Maximini apud Treviros, fagt (die Chronik ift — aufs nachläffigfte — abger 
druckt bei Münch, Sickingen, III, 115—167; die folgende Stelle findet ſich 
&. 128g.): Practicabatur in illis diebus lex injustitiae et violentiae, 
quae tandem comnıuni principum decrcto abrogata est. Haec pri- 
vatis istis seditionibus et guerris fomitem et incendium subministra- 
bat. Nam si alicui civium cujusvis civitatis, sive in rebus suis seu 
in corpore, illatum fuisset guodcumque nocumentum, et super hoc 
jure forensi non usque quaque sibi ex aequo satisfactum quere- 
retur, hic talis confestim ad aliquem Comitem aut Baronem, spreto 
ordinario judice, confugiens, et de illato sibi damno vel injuria 
querimoniam faciens, jus suum super eo, quod sibi competere 
causabatur, tali patrono vindicandum assignabat. Mox ille, hu- 
juscemodi occasione accepta, mittens nunlium, profitebatur se 
publicum illius civitatis hostem, nec a depracdatione cessatu- 
rum, quosdusque adversa pars in causa sibi tradita conve- 
niret. Hinc jam nulli civium talis civitatis tuta peregrinatio super- 
erat. Nempe tales latrunculi, vias obsidentes, praestolabantur tran- 
situm eorum, ut ipsos, rebus suis exspoliatos, ad loca opportuna, 
multa pecunia tandem redimendos, pertraherent. 








Franz von Sickingen. 77 


Rath und Kämmerer mit einem Jahrgehalt von 3000 Fl., 
und geſtattete ihm eine Leibwache von 20 Küraffieren. 

So weit ift Sickingen's Treiben einfach das eines Rit⸗ 
ter, der mit und wider feineögleichen, neben und auf Koften 
der ftäbtifchen und Yürftenmacht, wenn aud nad Umftänden 
an die letztere gelehnt, fid) emporzubringen fucht, dazu, ohne 
viel Bedenklichkeit über den Rechtopunkt, jeden tauglichen 
Vorwand ergreift, und feiner Nitterehre genügt zu haben 
glaubt, wenn er feinem Angriff einen ordentlichen Fehdebrief 
vorausgehen ließ. In den lodern Berbande des damaligen 
deutſchen Reichs fühlte ſich der Ritter als jelbftftändige Macht, 
die im Zujammentreffen mit andern ähnlichen Mächten ebenjo 
nur durch Rüdfichten ded Vortheils, und ebenfo wenig durch 
Grundfäge des Rechts und der Moral fich leiten ließ, als 
von jeher in der politiihen Welt die Staaten im Verhaͤltniß 
zu einander: fo oft auch bier wie dort jene hochtönenden 
Worte im Munde geführt werden. 

Doch Ein Hall wenigftend ift und vorgefonmen, wo 
Sidingen, fo viel wir einfehen können, fi) uneigennügig und 
edel eined Bedrängten annahm: der Handel Reuchlin’s; und 
ein anderer wird und jogleich begegnen, wo er jidh für eine 
Sache, die ihm freilich auch politifch dienlich werden Eonnte, 
doch zugleih um ihrer jelbft willen begeifterte: die Nefors 
mation. Beided in Folge des Einfluffes von Hutten, der, 
wie ein geſchickter Gärtner, auf den rauben, aber tüchtigen 
Stamm die edelften Reijer zu pfropfen wußte. Obne gelehrte 
Bildung, war Sidingen doch nicht ohne Sinn für diefelbe 
und für das Ipeale überhaupt; fo Fam ihm die Belkanntichaft 
Hutten’d, die er im Würtembergifchen Feldzuge machte oder 
enger fnüpfte, ganz gelegen, und wurde bald zu einer Freund⸗ 
fhaft, welche, ob ihr ſchon dad Schickſal nur wenige Jahre 
gegönnt hat, doch unter den Beifpielen dieſer Art, an denen bie 
deutiche Geſchichte jo reich ift, eine der oberften Stellen eins 





78 HM. Buch. IV. Kapitel, * 


und dieſem eben ſo weit an Reichthum, Macht und Einfluß 
überlegen, als Hutten ihm an Geiſt und Bildung; dabei 
ftand jenem reiche Lebenserfahrung, Uebung in Geſchäften des 
Kriegs und Friedens, zur Seite; fo ergänzten ſich Beide wie 
Idee und Praris, wie Kopf und Arm. 4 

Sickingen war bis dahin in den herfönmlichen refigiöfen 
Vorftellungen mitgegangen. Zu feinem und der Geinigen 
Seelenheil hatte ev in Gemeinſchaft mit feiner: Ehefrau, Heb- 
wig von Flersheim, ummeit der Ebernburg eine Begutten⸗ 
clauſe erneuert und begabt; ja er ging, womit Hutten ihn 
fpäter aufzog, als Ddiefer ihn fennen lernte, mit dem Plane 
um, „den bolzfüßigen Franciscanern ein neues Neft zu bauen‘, 
Hutten wußte ihn erft für Neuchlin, dann für Luther, zu 
intereffiren; er führte ihm den gleichen Weg, den er felbft in 
feiner Entwidlung gegangen war. Auf fein Betreiben - bot 
Sicdingen beiden Männern eine Freiftatt auf feinen Schlöffern 
an. Sie machten von feinem Anerbieten feinen Gebraud), 
da der Erftere nicht wirklich. verfolgt, für den Andern aber 
die neutrale Haltung feines weifen Kurfürſten der fücherfte 
Schug war. Nun aber bedurfte Hutten diefer Freiftatt, den 
fein geiſtlicher Kurfürft, wollte er nicht förmlih mit Nom 
brechen, nicht weiter jchligen Fonnte, der auch mit bloßem 
Schutze nicht wie Luther zufrieden war, fondern vom den 
Schlöſſern feines Freundes aus, wie wir fehen werden, neben 
dent geiftigen Kampfe zugleich einen wirklichen Feldzug gegen 
die Sendlinge und Anhänger Roms vorzubereiten fuchte, 

Die Ebernburg, in dem Winfel, den (an der Norbipige 
der jegigen Bairifchen Pfalz) die Einmündung der Alfenz in 
die Nahe bildet, auf einem fteilen Bellen gelegen, und von 
Franz von Sickingen als fein Hauptfit mit ftattlichen Wohn- 
räumen und feften Werfen verfehen, war in bem Jahren 
1520—22 einer der merfwürdigften Schaupläge der deutichen 








Hutten auf ber Chbernburg. 719 


Geſchichte. Herbergen der Gerechtigkeit nennt Hutten die 
Burgen feines Freundes. Außer ihm öffneten fie ſich auch 
Andern, die um ihrer Begeifterung für die Kirchenverbeflerung 
willen Verfolgung litten. Caſpar Aquila war einft Franzens 
Seldprediger geweien, dann ‘Pfarrer in der Gegend von Augs⸗ 
burg geworben, bis feine Anhänglichfeit an die Reformation 
ihn in den bifchöflihen Kerker zu Dillingen brachte. Es 
gelang ihm, zu entfliehen: und die Schlöfler feines ehemaligen 
Herrn gewährten ihm mit Weib und Kindern Schutz und 
Brod. Martin Bucer, der nachmalige Straßburger Refor- 
mator, war aus dem ‘Dominicanerorden getreten: bei Sidingen 
fand er eine Zufluchtsftätte. Der Weinfperger Johann Decos 
lampadius, fpäter als der ſchweizeriſche Melanchthon hoch⸗ 
berühmt und hochverdient, war aus dem Brigittenkloſter 
Altenmünſter entflohen: ihm oͤffnete ſich die Ebernburg. Reuch⸗ 
lin's Landsmann, Johann Schwebel, hatte den heil. Geiſt⸗ 
orden verlaflen, und war in feiner Heimath nicht mehr ficher: 
Sickingen ftellte ihn als Geiftlihen an, und richtete ihm bald 
hernach auf Landſtuhl die Hochzeit aus. 

Bom September 1520 an erfcheint Hutten auf der 
Ebernburg, und fein erfted Gefchäft war hier, die Anfchläge 
Roms gegen ihn öffentlich zu enthüllen, um Kaifer, Fürften 
und alle freien deutſchen Männer gegen eine Madıt aufzu⸗ 
bringen, die folche Abfichten hege, foldher Mittel ſich bebiene. 
Eden ſchickte Franz von Sidingen fih an, zur Begrüßung 
des aus Spanien angefommenen Könige Carl abzureifen, 
von dem er auch fofort bei feiner Kaiferfrönung zu Aachen 
(23. October) mit einer Auszeichnung behandelt wurde, bie 
ihm eine einflußreiche Stellung zu verfprechen ſchien. Ihm 
gab jest Hutten ein SKlagfchreiben an den Kaifer !) mit, in 


1) Carolo, Romanorum et Hispaniarum regi, U. de Hutten, eq. 
Germ. In der Sammlung mit dem Titel: Hoc in libello haec con- 


















80 11, Buch. IV. Kapitel. 


welchem er die Anichläge, die an deſſen Hofe gegen 
Leben geſponnen worden, den aus der römijchen € 
verfchiedene deutiche Fürften ergangenen Befehl, ihm 
nah Rom zu ſchicken, zu feiner Kenntniß bringt, 
bittet, dem an ihn ſelbſt geftellten Anfinnen, dieſe Au 
zu geftatten, feine Folge geben zu wollen. Ein W 
Ritter habe mit dem römifchen Bifchof nichts zu Fhafl 
er dürfe nur in Deutichland, nur vom Kaifer, gerich 
den. Meberhaupt ſucht Hutten in biefem Schreiben 
Sache zugleich ald Sadye des Kaifert, den Haß ber! 
linge gegen ihn ald Folge jeiner Faiferlichen Gefinmung; 
Leid, das Carl jegt ihm geſchehen ließe, ald Beeinträch 
feiner eigenen Kaiſermacht darzuftellen. 2) Zuerft ba 
mit jenen Menfchen durch jeine Türfenrede verborben, 
ihren Umtrieben gegen Carl's Erwählung zum öl 
König entgegengetreten fei. Auch weiterhin habe midk 
fo gegen ihn aufgebradyt, als daß er ihren maßlofen. 
griffen in die Rechte des Kaiferd, der täglichen Pitt 
des Vaterlanded, habe ein Ende machen wollen, daß f 
deutfchen Nation ein Mahner an ihre Würde geiwejen 

Offen geftcht Hutten, daß er es mit feinen © | 


„ 


— —— — — — 


tinentur. Ulrichi de Hutten eq. Germ. ad Carolum Impenl 
adversus intentatam sibi a Romanistis vim et injuriam vonguk 
Ejusdem alia ad Trincipes ac viros Germaniae de eadem mul 
questio. Ejusd. ad Albertunı Brandepurgens,. et Fridene 
Saxonum Ducem, Principes Electores, aliacque ad alios Ep 

lacta est alea. ©. Panzer, S. 129. Das Klagjchreiben an Garl, 
1520 im Sept, it abgedruckt bei Burckharb, II, 68—81. Opp. a 
II, 583—%. 


1) Quid cum Episcopo Romano equiti Germano? p. 5%. 








2) Aut non manifeste vides, meam perniciem esse tuse po 
tis obsidionem, tuique juris vinculum? Me serva igitur, quem rad 
sine magno tuo incommodo perdi non posse. p. 589. 











Hutten's Klagfihreiben an König Garl. 81 


auf eine Umkehr der beſtehenden Ordnung abgeſehen habe. ) 
Und zum Beweiſe, wie wenig er ſich dabei einer Schuld be⸗ 
wußt ſei, verſichert er, zu dieſem Zwecke auch ferner nach 
Kräften wirken zu wollen. Seien es doch nur die Gegner 
der Wuhrheit, der gemeinen Freiheit und ver Failerlichen 
Würde, die er befämpfe. „Seine Privatfache ift ed, Die ich 
betreibe, Fein eigener Handel, Fein perjönliches Geſchaͤft. Wie 
würden Jene ſich anftellen, wie übermüthig würden fie trium⸗ 
phiren, wenn irgend etwas von alle dem, was ich unters 
nommen, mid) jelbjt beträfe! Dennoch verfolgen fie mich und 
wollen mid) verderben, ja jie möchten dazu deiner Macht fidh 
als Werkzeugs bedienen. Ich dagegen ftelle nich zuvörberft 
unter den Schirm meined Gewiſſens, dann fege ich Vertrauen 
auf deine Billigfeit. Durch freimüthig gefchriebene Bücher 
babe ich der Wahrheit Zeugniß gegeben; aus Pflichtgefühl 
babe ich dir, aus NAnhänglichkeit dem Waterlande dienen 
wollen. Mit feiten Gründen habe ich gegen den päpftlichen 
Trug geftritten, habe die Anfchläge gegen deine Herrfchaft 
und die gemeine freiheit zu vereiteln geſucht. Wo ift der 
Lohn für ſolches Verdienſt? frage ich, damit Niemand meine, 
ich fürchte Strafe wie für ein Verbrechen.” Sofort wird das 
ganze Sündenregifter der päpftlichen Anmaßungen und Er⸗ 
preflungen vorgelegt, und Carl beſonders auf deren gefährr 
liches Weitergreifen, wenn denſelben nicht fräftig entgegens 
getreten werde, aufmerfjiam gemadt. Wenn Hutten nicht 
mehr frei ermahnen dürfe, werde der Kaiſer bald nicht mehr 
frei befchließen dürfen. Er, Hutten, wäre berechtigt gewefen, 
gegen den ihm drohenden Angriff ich mit den Waffen zu 
wehren, wozu cd ihm an Kräften und Beiftand nicht gefehlt 
haben würde; doch habe er vorgezogen, Alles in Carl's Hände 


1) Fateor, hoc me scriptis conatum efflcere, ut hic vertatur 
rerum ordo, hic emendetur status. 


Strauß, Hutten. MI. 6 





82 D. Bud. IV. Kapitel. 


zu legen, von dem er jetzt nicht blos erwarte, daß er ihm 
verzeihen, ſondern auch, daß er feine Berfolger für ihre ſtraf⸗ 
baren Anfchläge zur Verantwortung ziehen merbe. 

Kaum minder wichtig als die Gefinnung des neuen 
Kalfers war für Hutten die des hochangefehenen und einfluß- 
reichen Kurfürften von Sachſen, deſſen Haltung in der Sache 
Luther's, fo wenig fie auch dem Yenereifer Hutten's genügte, 
ihm doch mehr Hoffnung gab, als ihm in Bezug auf Carl 
defien Auftreten und Umgebungen übrig ließen. In vers 
ſchiedenen Briefen ging er daher um jene Zeit Spalatin mit 
ber Bitte an, feinen Heren auszuforichen, weſſen man fidh 
wohl für den Ball, daß es in dem Kampfe gegen die Roms 
linge zur Anwendung der Waffen kaͤme, von ihm zu verfehen 
hätte. 2) Jetzt legte er fein nächftes Anliegen dem Kurfürften 
felbft in einem freimüthigen Schreiben dar. 2) 

Die Fahndung auf ihn und die Bannbulle gegen Luther 
(mit der eben damals EE aus Italien zurüdtam) feien Zeichen, 
dag in Güte mit Rom nichts auszurichten fei, fondern feiner 
Tyrannei Gewalt entgegengefeßt werden müffe. Luther’ und 
Hutten's ganzes DVerbrechen beftehe darin, baß fie die von 
den Romaniften um ihres Eigennutzes willen beinahe ver- 
tilgte evangelifche Lehre wiederherftellen‘, und bie der Kreiheit 
fo würbige deutfhe Nation nicht Fnechten laflen wollen. 
Diefes Unternehmen habe jenem römifchen Oberhirten miß⸗ 
fallen, aber Ehrifto habe es gefallen; der Habſucht der roͤmi⸗ 
ſchen Eurie habe ed Eintrag gethan, aber dem verarmten 
Baterlande fange die neue Freiheit ſchon zu nügen an. Wenn 


1) U. Huttenus Mart. Luthero. Ex Ebernburgo 5 Id. Dec. (1520). 
G. Spalatino. Ex Eb. 17 Cal. Febr. (1521). Wieberabgebr. b. Burck⸗ 
barb, II, 182. III, 201. Opp. ed. Münch, Ill, 619. IV, 294. 

2) Invictissimo Principi Fridericho Sax. Duci, Elect. Ulrichus 
de Hutten eq. G. Ex Ebernburgo 3 Id. (11.) Sept. 1520, b. Burchh., 
U, 86—108. Opp. ed. M., Ill, 6596-606. 








84 Par TE R Bere Bud. IV. Kapitel wi 


bar fein folle! Lieber den Türken, die dody ein mannhaftes 
Schaden aber liege in der Verarmung Deutfdlands vor 
Augen. Und wenn nur das Geld, das wir ung entziehen 
und nad; Rom jenden, dort zu guten Zwecken verwendet 
würde. Aber es diene den fehlimmften. „Wohlan“, ruft 
Hutten aus, „wenn wir Bhilofophen fein und unfer ‚Geld 
wegwerfen wollen, jo haben wir in der Nähe Meere umd 
Flüffe genug: bei und den Main, weiter den Rhein, dort bei 
den Sachſen die Elbe und andere Wafler; da laflet uns das 
Geld hineinwerfen, damit ed lieber felbft verderbe, als daß 
ed Vielen aller Orten Urſache des Verderbens fei, indem wir 
dadurch jene römiſche Sittenpeſt ernähren, und zwar fo über 
flüffig, daß ſich von dort die Anſteckung auch hieher und in 
alle Welt ergießt. Doch nein, nicht wegwerfen laffet es ung, 
fondern nur nicht dulden, daß ed anderöwohin geführt und 
verwendet werde. Das wird das erjte und befte Mittel fein, 
jene Tyrannei zu zerftören. Denn wenn man ihrer Ueppig— 
feit diefe Nahrung entzieht, fo werden fie fid) deſto weniger 
erheben und zahmer werben. Alsdann wollen wir umter 
einem Haupte, wie der alte Kaifer Dtto war, den päpftlichen 
Rath muftern und die Stadt Nom befichtigen, daraus viele 
Böfe vertreiben, und etlidhe Wenige zum heiligen Amte ver 
ordnen, fie aber nicht über uns berrfchen laffen. Dem Kaifer, 
wenn er will, werben wit den Sig des Reichs (Nom) zuräd- 
‚geben, den roͤmiſchen Biſchof den übrigen Biſchoͤſen gleich 
ftellen. Dem Geiftlidyen wollen wir auch hier ihre Einkünfte 
mindern, fie jur Mäßigfeit zurüdführen und: ihre Zahl ver: 
ringen, indem wir von hundert nur Einen behalten, Was 
‚aber werden wir mit denen machen, weldye Brüder oder 
Mönche genannt werden? Was anders, ald daß, meiner 
Meinung nad), die ganze Art abgethan werden foll, zum 
großen Nugen gemeiner Ghriftenheit, wie ſich bald finden 















Hutten's Sendfchreiben an ben Kurfürften Friedrich non Sachſen. 85 


würde.” Nachdem Hutten fofort über die Anwendung des 
fo erfparten Geldes die gleichen Ideen, wie ſchon im Vadis⸗ 
cus, vorgetragen, und die Hoffnung ausgefprochen hat, daß 
eine folche Reinigung unſers Kirchenwefens die Böhmen zu 
und zurüdführen, die Griechen und Ruſſen mit und vers 
einigen, und ſelbſt den Türken und Heiden beflere Gefinnungen 
gegen uns beibringen würde, fragt er: „Heißt dieß das 
ſchwankende Scifflein “Petri verfenfen? die Kirche Gottes zer 
flören, und (wie die Firchenräuberiichen Römlinge und uns 
reinen Schwelger jchreien) den ungenähten Rod Chriſti zers 
reißen? und nicht vielmehr durch den Zutritt fo vieler Völfer, 
durch Beflerung der Sitten, Wegräumung böfer und ans 
ſteckender Beijpiele, die Kirche reinigen, fördern und mehren?’ 

„Wollte Gott, daß entweder ihr dazu den Willen hättet, 
die ihr die Macht befiget, oder ich die Macht befüße, wie ich 
den Willen habe. Kann idy aber euch nicht bewegen, noch 
auch anderdwo einen Brand erregen, ber jene Dinge vers 
zehren mag, fo werde ich doch, was ich für mid) allein kann, 
leiften: ich werde nichts thun, was eined tapfern Ritters 
unwürdig wäre; werde nie, fo lange ich bei gefunden Sinnen 
bin, auch nur einen Schritt von meinem Vorhaben weichen; 
eudy aber, die ich von männlicher Feſtigkeit abfallen ſehe 
(wenn ich das fehen folte), werde ich bevauern. Ich felbft 
werde frei bleiben, weil idy den Tod nicht fürchte. Auch wird 
man nie von Hutten hören, daß er einem fremden König, 
wie groß und mächtig der auch ſei, gefchweige denn dem 
unthätigen Papſte dienftbar geworden... Dod nun verlafle 
ih die Städte, weil id, die Wahrheit nicht verlaffen Fann, 
und halte midy aufs Freiefte verborgen, weil ich nicht mehr 
frei unter den Menfchen wandeln darf, mit großer Verachtung 
ber Gefahr, die mich umringt. Denn fterben fann ich, aber 
Knecht fein kann ich nicht. Auch Deutſchland geknechtet fehen 
kann ich nicht. Aber der Tag wird kommen, denfe ich, an 





86 Al Buch, IV. Kapitel. 00 


dem ich aus diefen Scylupfwinfeln hervorbrechen, der Deut- 
ihen Treu und Glauben anrufen, und vielleicht: ebem da, 
wo die größte Verfammlung ift, ausrufen werde: Iſt Keiner 
da, der um gemeiner Freiheit willen mit Hutten zu fterben 
wagt? — Das habe id, an did), mehr der Bewegung meines 
Gemüths, ald deiner Würde gemäß, freimüthig gejchrieben. 
Allein ich hoffe von dir das Befte. Daher glaubte ich, am 
einen Freien frei fchreiben zu follen. Gehab did) — und 
ermanne dich.“ ü 

Daß durch Hutten’s jugendlichen Beuereifer, fo rein er auch 
gerade in diefen Klagfchreiben flammt, der alte Kurfürſt Friedrich 
aus der Bahn weifer Mäßigung, die er ſich vorgezeichnet 
hatte und in der er von Luther beftärft wurde, ſich werde 
berauswerfen laſſen, war freilich eben fo wenig zu erwarten, 
ald daß bei dem feinfinnigen, aber jchlaffen und vielfach ab» 
hängigen Kurfürft-Erzbifchof Albredyt von Mainz Hutten’s 
Zufpracdhe etwas ausrichten werde, Uebrigens fchrieb er an 
dieſen (unter dem 13, September) mit aller der NRüdjicht, 
die er jeinem ıumwerfennbaren Wohlwollen feyuldig war.) 
Erft ſpricht er feine Empfindlichkeit darüber aus, daß der 
Erzbiichof ihn von dem päpſtlichen Anfinnen nicht ſelbſt in 
Kenntniß geſetzt habe ?): wohl in Folge feiner Ergebenheit 
gegen den Papſt, von der Hutten nur wuͤnſcht, daß fie gute 
Folgen für den Erzbiihof haben möge. Allein er fürchtet, 
der Papft werde durch einen fo unerhörten Schritt über die 
ganze Elerifei ein fchlimmes Gewitter herbeigegogen haben. 


1) Alberto Cardinali et Archiepiscopo Ulrichus de Hutten. Ex 
Ebernburgo Idib. Sept. anno 1520. Bei Burdhard, IL, 81—86. RE 
ed. Münch, Ill, 591— 93. 

2) Eine Abſchrift des päpftlihen Schreibens an ben Kurfürſten 
fonnte Hulten längere Zeit nidyt befommen, fo dringend er auch ben 
Freund Gapito darum Bat, Hutlenns Capitoni 1520, In Niebner's 
Zeitſchr. fi hiſtor. Theol. 1855, ©. 628. 








Hutten's Schreiben an Sebaſtian von Rotenhan. 87 


Dem zuvorzulommen, wäre jebt Sache der Bifhöfe. Gar 
zu gerne möchte Hutten eben jebt den Erzbiſchof fprechen, 
und verwünjcht denjenigen, der ihn von dem Umgang eines 
für wahre Srömmigfeit und für alle Guten fo wohlgefinnten 
Herrn geſchieden bat. Kaum iſt ihm etwas in feinem 
jegigen Mißgeſchick empfindlicher. Doch er will Alles ertragen 
und ſich nichts merken lafien. „Man fchließt mich aus“, 
ruft er, „von den Höfen, von den Städten (zu meinem 
Schmerz auch von dem goldenen Mainz), von der Deffentlich 
feit und der menfchlichen Gefellichaft; einen Mann, der feines 
Frevels beichuldigt, Feined Verbrechens, Feiner Unthat über 
wieſen ift, einen Berfechter der Wahrheit, einen Mahner zum 
Beften; und man fchließt mid aus, ohne mid gehört zu 
haben, ja man will mich zur Beftrafung nad Rom ziehen. 
Wer hat noch einen Tropfen deutſchen Blutes in fi, den 
foldye Trechheit nicht bewegte, folcher Frevel nicht empoͤrte?“ 
Wenn der Papft gegen ihn, im grellen Widerfprud, mit dem 
Weſen der Kirche, den weltlichen Arm anrufe, fo fei Dagegen 
ihm, Hutten, genug, auf den Arm des Herrn zu hoffen. Im 
Vertrauen auf ihn fürchte er das Mipfallen derer nicht, weldye 
bie Wahrheit, die er gejagt, nicht ertragen können. Dem 
Erzbiihof wünfche er alles Glück, befonders daß er ſich durch 
dad böſe Beifpiel nicht anfteden laffen möge. 

Defielben Tages, wie an feinen ehemaligen Herrn, ſchrieb 
Hutten auch an deffen Rath, den Ritter Sebaftian von Ro⸗ 
tenban, dem er zu Anfang ded Jahres feinen Vadiscus zur 
geeignet hatte.) „Während gegen mich”, beginnt der Brief, 
„dieſer Donner des zehnten Leo daherrollt, was thuft du? 
Was find deine Hoffnungen, deine Muthmaßungen für bie 
Zufunft? Und wenn du hoͤrſt, was von den geiftlichen 


— nn — — — — en 


1) Sebastiano de Rotenban eg. aur. Ex Ebernburgo Idib. Sept. 
Bei Burdhard, II, 85 fg. Opp. ed. M., II, 594 fg. 





Ba Buch. VE Rapltel, = Wn 


wagſt du zu mumfeln® was frei zu reden? Wohnt in dir 


Kein fraͤntiſcher Muth mehr, fein angeftanmter Freiſinn? Uns 
möglich kann ich am folhen Haß ver Himmlifhen gegen 
—— glauben, daß ſich nicht die Meiſten mit mit ver⸗ 
Binden follten, um das herbeizuführen, was bat geichen 
muß, ſoll es nicht um unfere Freiheit, um die chriftliche Wal 
heit gethan fein. Doch, wenn man mich int "Stiche Lift, 
tröfte ich midy mit meinem Bewußtſein und mit der Hoffnung 
auf die Nachwelt. Denn diefes Feuer läßt fich nicht fo er— 





ſticken, daß es nicht dermaleinft, zum Verderben von Jenen, 


furchtbar wieder ausbrechen ſollte.“ Indefien möge ver Freund 
auf Alles achten, was dort (zu Mainz) geichehe, und darüber 
an Hutten Bericht erftatten. Bei dem Adel möge ex für ihn 
und die gute Sache reden, feine Feinde aber durch den Wahn 
ſicher machen, als ob er fehr eingefchüchtert wäre. Hierauf 
thut Hutten feiner Klagfehriften an den Kaiſer und die Fürften 
Erwähnung, und fließt mit dem Wunſche, daß Carl ſich 
feiner Stellung würdig beweifen und die * — in die 
Hand nehmen möge. Dun 

Auch an Luther, dem er noch unmittelbar vor Genie 
veife zu Ferdinand gefchrieben hatte, gab er jegt von der über 
ihn verhängten Verfolgung und feinem Entfchluffe, mit Schrif⸗ 
ten und Waffen gegen die päpftliche Tyrannei zu Felde zu 
Hiehen, in einem Briefe voll leidenſchaftlichen Muthes Nach— 
richt, von dem wir nur aus einer Aeußerung Luther's wiſſen, 
welcher zufolge er auf dieſen gewaltigen Gindrud gemacht 
hatte. ") 


Ta; 


— 





7 3 Darts 
1) —* an Spalatin, Wittend, 11. Sept. 1620. Briefe, heraus: 
gegeben von de Wette, I, 486: Hutten literas ad me dedit, ingenti 
spiritu aestuäntes in Rom. Pontificem, seribens, se jam et literis 
et armis in tyrannidem sacerdotalem ruere: motus, quod Pontifex 





Hutten’3 Sendfchreiben an die Deutfchen aller Staͤnde. 89 


Doch nicht blos einzelnen Fürſten und gleichgefinnten 
Männern, den Deutfchen aller Stände wollte Hutten feine 
Angelegenheit, welche ja wirklich die der ganzen Nation war, 
an das Herz legen.) Damit erft erhielt die Reihe feiner 
Hagenden und anflagenden Sendfchreiben ihren angemeflenen, 
volltönenden Schluß. Ausführlicher als in den übrigen legt 
er bier die römifchen Anfchläge gegen ihn, und die deßhalb 
an ihn ergangenen Warnungen dar, welche ihn zu dem Ent 
fchlufle bewogen haben, ſich von dem öffentlichen Verkehre 
zurüdzuziehen. Ja, dahin fei ed gefommen, daß er, der noch 
vor Kurzem nad) Mitftreitern im Kampfe für Wahrheit und 
deutfche Freiheit gerufen habe, jest um Schug und Hülfe für 
feine eigne Perſon fich umfehen müfle. 

„Aber wohin joll ich mich wenden? wo Hülfe fucden? 
Euch rufe ih an, deutiche Bürften und Männer! Wollet ihr 
wohlverdiente Leute austreiben, unfchuldige betrafen laflen? 
Wo ift die deutiche Nedlichfeit und Tugend? wo jene bei 
allen Bölfern gepriefene deutfche Tapferkeit?! Beſchirmet Alle 
Einen, da Einer für euch Alle gearbeitet hat. Denn bie 
Arbeit und das Unterfangen waren mein: der Erfolg freilich 
fteht in Gottes Willen, nicht in des Menjchen Wunſche. Ich 
ſchwebe jegt nicht nıinder in Gefahr, als wenn ich, was ich 
euch zu Liebe gewollt habe, glüdlich erreicht hätte. Ich ftünde 
jest in des römifchen Biſchofs Gunft, hätte ich nicht dem 
Baterlande zu Gute und zu gemeinem Nutzen alle das ver 
wenden wollen, was ich mit fo vieler Mühe auf einer fo 


— — —— —— 





sicas et venenum ei intentarit, ac Episcopo Moguntino mandarit, 
captum et vinctum Romam mittere. O dignam, inquit, caeco Pon- 
tifice dementiam! 

1) Omnibus omnis ordinis ac status ia Gerinania Principibus, 
xobilitati ac Plebeis, Ulrichus de Hutten, Eques, Orator, et Poeta 
laureatus S. 4 Cal. Oct. MWieberabgedrudt bei Burckhard, II, 108 - 120. 
Opp. ed. M., III, 607-616. 





90 an vl U. Buch. IV. Kapitel: © ein 


harten und ſchweren ‚Wanderung, unter jo berben Unfällen 
und im Kampfe mit einem fo widrigen Geſchicke gefucht und 
erworben habe: die Frucht jo vieler, Nachtwachen, fo man- 
cher Reifen hier und dort bei Tag und Nacht, der Armuth 
und Verachtung, die ih auf mid nahm, der. vieljährigen 
Heimathlofigkeit, die ich mir im: blühendften Alter auferlegte 
Aber es trieb mich dazu der Durft nad) Wahrheit, es trieb 
mid) die Liebe zum Vaterlande. Um fo weniger, bürfet ihr 
zugeben, daß ich um den Lohn für meine Dienfte komme, 
MWollet ihr mich unverhört, unverurtheilt, hinmorden laffen? 
.. Das Recht ſcheue ich nicht; in eurer Mitte weile ich mit 
gutem Vertrauen. Nur Gewalt laſſet mir nicht geſchehen, 
ſchon deßwegen nicht, damit nicht meine Feinde, wenn ſie den 
Unſchuldigen gewaltſam umgebracht, gegen den Todten eine 
Schuld erdichten ‚mögen. Ich ſollte von hier weggeriſſen 
werden, ich Unſeliger? Von dieſer Erde, die mich bei meiner 
Geburt empfing? dieſem Himmel, der mid) nährte? dieſen 
Menſchen, unter denen ich fo freundlich gewohnt habe? Dieſe 
Herde, diefe Altäre follte ich verlaflen? und nicht um in der 
Berbannung elend zu leben, fondern zu graufamer Maxter, 
zu ſchmaͤhlichem Tode foll ich geichleppt werden? Zu Hülfe, 
meine Landsleute! ftehet mir bei! Laffet ven nicht in ‚Bande 
legen, der eure Bande zu Löfen unternommen hat!“ 
. Eben mur dieß, in ver That das höchfte Verdienſt, ſei 
fein Verbrechen.  Sonft fei er fich feiner Schuld bewußt. 
Seine Feinde ſeien auch Deutichlands Feinde; in ihm wer- 
theidigen die Deutjchen ſich ſelbſt. „Thut die Augen auf, 
ihr Deutjchen, und jehet, wer es ift, der euch daheim beraubt, 
auswärts in übeln Nuf bringt, und von allem Unglüd, allem 
Mißſtande bei eudy die Schuld trägt, Es find die heilloſen 
Ablaßfrämer, die verruchten Händler mit Gnaden, Fe 
fationen, Abfolutionen und allerlei Bullen, die einen“ Markt 

mit heiligen Dingen in der Kirche Gottes eingerichtet haben, 





Hutten's Sendfchreiben an die Deutfchen aller Stände. 91 


daraus er einft Diejenigen trieb, die doch nur geringe welt 
liche Waaren Fauften und verfauften. Sie find die Werks 
meifter alle8 Trugs, die Erfinder aller Liften, die Urheber der 
Knechtſchaft und Gefangenfchaft dieſes Volks. Sie find es 
auch, die mich in diefe Roth und Gefahr gebracht haben, um 
feiner andern Urſache willen, ald weil ich ihre Künfte ver 
rathen, ihre Schande aufgededt, ihrer Räuberei widerftanden, 
ihrem Frevel einen Riegel vorgefchoben habe, und weil durch 
midy bereit ihrem Gewinn etwas abgegangen, der wahren 
Frömmigkeit viel zugewachlen if. Stets habe ich Aufruhr 
gemieden, zur Empörung nicht Lirfache geben wollen, und zum 
Beweiſe, wie wenig ed meine Abficht war, einen Umſturz ber 
öffentlichen Zuftände herbeizuführen, babe ich Lateinifch ges 
fchrieben, gleihfam um fie unter vier Augen zu ermahnen, 
und nicht gleidy den großen Haufen zum Mitwifler zu machen; 
obwohl ich, dieß zu thun, mehr als genug Urfache gehabt 
hätte.” Selbſt jest, da fie deutlich zu erkennen geben, wie 
wenig freundlihe Ermahnung bei ihnen ausrichte, wolle er 
immer noch nichts Gewaltſames gegen fie veranlaffen, wolle 
fie nicht für ihre Ucbelthaten beftraft, fondern nur theils ſich 
feibft gegen fie geſchützt, theild fie an fernerem Webelthun 
verhindert wiſſen. — Darunter fegte Hutten den Spruch aus 
dem zweiten Pſalm, der von jest an bei ihm öfter® neben ober 
ftatt feines eigentlichen Wahlſpruchs wiederkehrt: Laflet uns 
zerreißen ihre Beffeln, und von und werfen ihr Joch! ”) 

Im October 1520 erſchien die Sammlung diefer Klag⸗ 
fhriften, wurde bald mehrmald wiedergedrudt, und wo bie 
Buchhändler ſich fürchteten, durch Hutten’d Freunde vertrieben. 
Es war ein lebhafter Verkehr von der Ebernburg herunter 


1) Dirumpamus vincula eorum et projiciemus a nobis jugum 
ipsorum. Daß es im Zufammenhunge bes Pfalms die Heiden find, bie 
fo fprechen, if von den Gegnern vielfach ausgebeutet worden. 


El 





92 II. Buch. IV. Kapitel. 


zwiſchen Hutten und feinen Yreunden in Mainz, Speier, 
Worms und andern Orten; fein Schreiber wanderte bin und 
ber mit Padeten und Aufträgen; Martin Bucer, Tilmann 
Kreich, der Mainzifche Hofgeiftliche, und ein gewifler Mater 
nus werden als Beforger folcher Aufträge genannt. “Die 
Eremplare der Hutten’fchen Schriften wurden, fo weit er fie 
nicht verfchenfte, entweder gegen andere Bücher, die er haben 
wollte, Kirchenväter, Claſſiker, geichichtlihe Werke, vertaufcht, 
sder auch verfauft, und von dem Gelde, welches dafür eins 
ging, Bücher eingefauft und deren Einband beftritten. ) An 
Luther und den Kurfürften Friedrich fchidte Hutten Eremplare 
feiner Klagfchriften durch Erotus, der Fürzlich zum Rector ver 
Erfurter Hochſchule gemählt worden war; das Senpdfchreiben 
an alle Deutichen aber ließ er (vielleicht in Mainz?) öffentlich 
anfchlagen. 2) 





— — — — 


1) Huttenus Martino Bucero. 25. u. 28. Nov. 1520, mitgetheilt 
von Röhrich in Niedner's Zeitſchr. f. hiſtor. Theol. 1865, ©. 620 -W. 
Hier heißt ber Vermittler der Bücherfendungen wiederholt Tilonius; ſollte 
vielleicht Tilmannus zu lefen fein, den, mit dem Zunamen Kreich, Hutten 
auch in dem Brief an Capito, a. a. O., ©. 628, in ähnlicher Eigenfchaft 
nennt, und in einem Brief an Melanchthon, Opp. III, 338, ale sacerdos 
a ceremoniis principis bezeichnet? Den Befland von Hutten’s Bibliothef 
betreffend, fo wiſſen wir namentlich, daß fie Werfe von Origenes, Ams 
brofius, Anaſtaſius und Eyrifl, ohne Zweifel gebrudt, dann von Quin⸗ 
tilian, Plinius, Solinus und Marcelus dem Arzte Abfchriften aus bem 
Schäben ber Yuldifchen Bibliothek enthielt. Des Aeneas Sylvius Europa 
atque Asia, unter bem Titel Cosmographia in $ranfreich gebrudt, und 
Michael Ricius de regibus Hispanorum, Siculorum, Hunnorum etc. 
fuchte er, noch in Mainz, um jeden Preis zu faufen. S. Hutteni Epist. 
ad liberos in Germ. omnes, Opp. Ill, 562. Cochlaei Epist. 17. ad 
Bilibald. bei Heumann, ©. 43. Camerarii Epist. familiar. L. 1. Ep. 
1. p. 109. Hutten’s Brief au Philipp Yürftenberg, Moguntiae, raptim, 
in Burckhard's handfchr. Analeften auf der Wolfenb. Bibl., mitgetheilt 
von Böding. 

2) Luther an Spalatin, Octava conceptionis (15. Dec.) 1520. 
Briefe ıc. herausgeg. v. be Wette, I, 533. Hutten’s Enndtſchuldigung ıc. 
Opp. ed. M., V, 416. 





Schriften für Luther und Hutten. 93 


Der päpftlihe Anſchlag auf Hutten's Freiheit und Leben 
diente nur Dazu, ihn um fo mehr (neben Luther) zum volfe- 
thümlichen Helden zu machen. Es erſchienen um jene Zeit 
unter dem Namen Abydenus Corallus eine Rebe an Katfer 
Carl und die deutichen Yürften für Hutten und Luther, bie 
Verfechter des Vaterlandes und der deutichen Freiheit!), unb 
zwei Geſpräche, das eine der gefangene, das andere der ver- 
herrlichte Hutten betitelt. 2) In dem erftern biefer Geſpraͤche 
ruft Papft Leo die Eurtifanen gegen Luther, und nody mehr 
gegen Hutten, deſſen Anfchläge gefährlicher fein, auf. Bon 
einem Yrancidcaner geführt, ziehen fie aus, um den Ritter 
am kaiſerlichen Hofe zu greifen; Hutten wehrt fi; Sidingen 
fommt hinzu, erbietet fich, Die Sache dem Kaifer vorzutragen; 
mittlerweile ſoll fit) Hutten auf Stedelberg in Sicherheit 
bringen, von wo er alle Deutichen zu feinem Beiftand und 
zum SKampfe gegen bie Eurtifanen aufzurufen gebenft. Im 
dem andern Geſpraͤche wird Hutten von der perfonificirten 
Wahrheit feiner irdiſchen Waffen entkleidet, und mit ben 
geiftlichen, dem Krebs der Gerechtigkeit, dem Schilde des 
Ölaubend, dem Schwerte des Wortes Gottes (das ganz 
anders gehandhabt fein wolle, als das der Beredtſamkeit) 
ausgerüftet. In diefer Rüftung eined chriſtlichen Streiters 
fol er, ohne irdiſches Trachten, ohne perfönliche Rachſucht, 
mit guten Büchern, befonderd dem Evangelium, verfehen, von 
einem einfamen Thurme aus für die Sache Gottes und des 


1) Oratio ad Carolum max. Augustum et Germanos Principes, 
pro Ulricho Hutteno eq. G. et Martino Luthero, patriae et Christianae 
libertatis adsertoribus. Authore S. Abydeno Corallo. WBieberabgebr. 
in Hutteni Opp. ed. Münch, VI, 520—80. Bgl. Panzer, ©. 208. 

2) Huttenus captivus. Huttenus illustris. In Dialogi septem, 
festive candidi, authore S. Abydeno Corallo Germ. Wiederabgedr. 
in Pasquillor. t. duo, p. 180—91 (U). H.Opp. ed. M. VI, 400—7. ©. 
Panzer, ©. 201 fg. 2 





94 D. Buch. IV. Kapitel. 


Baterlandes kaͤmpfen; wobei er felbft Fürften, wenn fie fi) 
wider die Wahrheit feten, fchelten darf, und des Siege, 
wenn auch nicht des Lebens, ficher fein fann. Offenbar Das 
Urtheil des Wittenbergifchen Kreiſes über Hutten’s Thaͤtigkeit; 
in deſſen Bereihe wir mithin wohl auch die Urheber ber 
beiden Gefpräche, vieleicht auch jener Rede, zu fuchen haben. %) 

Unterdeflen war Johann Ed in Begleitung bed päpft- 
fichen Runtius Aleander mit der Bannbulle gegen Luther nad 
Deutſchland zurüdgelommen. In diefer waren 41 Säbe aus 
Luther's Schriften theild als ketzeriſch, theild doch als falſch 
und anſtoͤßig bezeichnet, feine Bücher, fo weit fie dieſe Säge 
enthielten, zum euer verdammt, ihm felbft aber noch 60 
Tage nad) dem Anfchlag der Bulle an den Domlirchen zu 
Brandenburg, Meigen und Merfeburg Zeit zum Widerruf 
gelafien, nach deren fruchtlofem Berftreichen er als hartnädiger 
Keper von der Kirchengemeinfchaft abgejonbert, und nad) 
Rom zur Beftrafung ausgeliefert werden ſollte. Während 
Et im Laufe des September die Bulle in Baiern unb 
Sachſen anfchlagen ließ, reiste Aleander den Rhein hinunter, 
um fie dort zu verbreiten. Schnell hatte er von dem jungen 
König Earl die Erlaubnig ausgewirkt, in deflen Burgundifchen 
Erblanden Lutherrd Schriften verbrennen zu laſſen. Auch in 
den deutichen Pfaffenftädten Cöln und Mainz rauchten bald 
die unblutigen Scheiterhaufen.. Doch war felbft in bem 


— — —— — — — — 


1) Burckhard's (Il, 243, 306) und Panzer's (S. 208 fg.) Vermu⸗ 
tung, biefe Rebe möge wohl ber libellus in tyrannos fein, den Hutten 
furz vor feinem Ende hanbfchriftlih an Eoban Hefe ſchickte, der den⸗ 
felben drucken laſſen follte, if, von andern Gründen abgefehen, ſchon 
bewegen verfehlt, weil bie Rede bie Lage der Dinge zu Ende b. I. 1520 
voransſetzt, wo ber päpflliche Anfchlag gegen Hutten, die nadıträgliche 
Berurtheilung des NReuchlinifchen Augenfpiegele, und Murner's Schrift 
gegen Luther's Sendſchreiben an ben beutfchen Model, die Neuigkeiten des 
Tages waren. 





Luther's Schriften verbrannt. 95 


finftern Eöln die Stimmung der Bevölkerung fehr getheilt ) 
und in dem gebildeten Mainz entſchieden gegen bie Maß⸗ 
regel.) „Luther, fchrieb Hutten darüber an Martin Bucer, 
„hat zu Mainz gebrannt; doch, wie ich glaube, ohne es zu 
fühlen. Das können jene Morbbrenner, fonft nichts.‘ ®) 
Durch diefe Vorgänge fand ſich Hutten zu unglaublicher 
Thätigfeit angeregt. Rod, während des October und Novem⸗ 
ber fehen wir ihn mit vier bis fünf Schriften gegen die Bann⸗ 
bulle, die Schriftenverbrennung und die römifhe Tyrannd 
überhaupt, beichäftigt. %) Da fie zum Theil neben einander 


1) Huttenus Mart. Bucero, 7 Cal. Dec. (25. Rov.), Zeitſchr. f. 
hiftor. Theol. 1855, ©. 621: Maximo cum dolore plurimorum omnis 
generis et ordinis hominum arserunt Coloniae Lutheriana: tantum 
sacrificulis quibusdam arrisit negotium ... 

2) Beatus Rhenanus Bonifacio Amerbach, Basil. postrid. tr. 
Regum 1521, bei Röhrich in Niedner's Zeitfchr. a. a. DO. ©. 622 Anm. 
Hedıo Zuinglio, Mogunt. 21. Dec. 1520. Zuinglii Opp. ed. Schuler 
et Schulthess, VII, 157. 

3) Huttenus Bucero, ex Ebernb. 4 Cal. Dec. (28. Nov.) 1520, 
bei Röhrih a. a. D. ©. 622. Bgl. Hutteni Epist. ad Lutherum, ex 
Ebernb. 5 Idus Dec. 1520. Opp. Ill, 619, und Luther's Brief an 
Staupig vom 14. Jan. 1521, bei de Wette, I, 542. 

4) Die Reihenfolge, in ber Hutten an biefen Schriften arbeitete, 
ergibt ſich einigermaßen aus etlichen Stellen feiner Briefe. Am 25 Nov. 
1520 fchrieb er an Bucer (bei Röhrich a. a. DO. ©. 621): Arsit Coloniae 
quoque Lutherus. Ergo ibit in ignem, sanctaque veriloqui mo- 
rietur Musa Lutheri? Das if nahezu ber Anfang feiner Exclamatio 
in incendium Lutheranum: 

Ergo... 

Sanctaque veriloqui morientur scripta Lutheri? 
welche mithin damals entweder ſchon fertig, ober doch in Arbeit war. 
In bemfelben Briefe fchreibt Hutten: Bulla expedit se et excrevit (fo 
iſt zu leſen flatt Röhrich's exacuit) mihi inopinanti in longum: d. h. 
bie Stoffen zu der päpftlicden Bulle gegen Luther waren ihm länger ges 
rathen als er gedacht hatte, boch waren fie bazumal nahezu vollendet. 
Am 9. December fchreibt Hutten an Luther (Opp. Ill, 618 fg.): Mitto 
Bullam Decimi, a me, quantum brevissimo per Christum tempore 
et diebus admodum paucis fieri potuit, sugillatam aliquot locis. 





96 HU. Bud. IV. Kapitel. 


ausgearbeitet wurben, fo fönnen wir fie bier in der Ordnung 
vornehmen, die und ihrem Inhalte zufolge Die bequemfte ift. 

- Die Bulle Leo's X. gegen Luther reiste Hutten, fis zu 
gloffiren. Den päpftlihen Sägen die Gegenfäge, den An- 
fprüchen den Widerfpruh, Punkt für Punkt auf demfelben 
Blatte gegenüberzuftellen; den falbungsvollen Bombaft eines 
foldyen Actenftüds durch nüchterne Anmerkungen oder jpißige 
Duerfragen zu ftören, Eonnte ganz befonders dienlich erfchei- 
nen, um auch flumpferen Leſern die Augen zu öffnen. So ließ 
denn Hutten die Bulle wieder auflegen, mit dem päpftlichen 
Wappen auf dem Titelblatte, und fo, daß der größer ge⸗ 
drudte Tert verfelben durch feine Gloſſen in Heinerem Drude 
theils unterbrochen, theils am Rande eingefaßt erichien. 7) 


— — ne — — nn 


(Run war alſo die gloffirte Bulle fertig) . . Scribitur et dialogus 
Buli mihi . . quem, editus ut fuerat, accipies statim: simul 
et seculare brachium tracto. (Davon iſt oben die Rede geweien.) 
Exclamavi et in tuorum librorum incendium versibus Latinis 
et Germanicis : utrosque mitto (bie lateinifcje Exclamatio und 
Das teutich Requiem über den Brand zu Menk). Item poema Germa- 
nicum, propter quod nullam satis poenam arbitrantur sacriflci, 
qua plectar: ita ferunt omnes honestatis limites egressum me. Dieß 
iR die Clag und Vormanung gegen ben übermäßigen und undhrifllichen 
Bewalt des Papfts. Diefelbe, und nicht, wie Möhrich meint, das teutſch 
Requiem, ift auch unter dem poema Germanicum zu verfiehen, vor 
welchem Hutten an Gapito fchreibt (bei Röhrih a. a. DO. ©. 628), daß 
es manchen Leuten asperius erfcheine als ihm gejieme. Bon dem Herr 
gange bei der Verbrennung von Luther's Schriften zu Mainz, fährt Huts 
ten in dem Brief an Luther fort, quandam statui edere satis prolixam 
epistolam, in qua ren totam sum complexus, ut in illo incendio 
successerit eis. Gin folcher Brief ift unter Hutten's Namen nicht vors 
handen ; dagegen ift in einer altın Ausg:be Hinter der Hutten'ſchen 
Exclamatio abgebrudt: Chunradi Sarctoris Saxofranci de cadem re 
ad Germanos Oratio, in weldyer fi unter Anderm auch jene Erzählung 
finbet. 

1) Bulla Decimi Leonis contra errores Martini Lutheri et se- 
quacium. Darunter das päflliche Wappen, zu deſſen beiden Seiten die 
Worte: Astitit Bulla a dextris eius, in vestitu deaurato, circuma- 








Hutteu’s Gloſſen zu der väpftlicden Bannbulle. 97 


Voraus geht eine Vorrede, in welcher ausgeführt ift, daß es 
fih bier Feineöwegs blos um Luther handle, fondern ber 
Papſt beabfichtige, mit Luther die wieberauflebende dhriftfiche 
Wahrheit und deutiche Freiheit zu erftiden. Aber mehr als 
jemals fei jegt die Gelegenheit einer rettenden That günftig, 
zu welcher fid die Deutichen dich wohl endlih mit Hutten 
entfchließen werben. 

Die Gloſſen hierauf find, wie e8 die Ratur einer folchen 
Arbeit mit ſich bringt, bald ironiſch, bald pathetifch, häufig 
treffend *), bisweilen aber doch auch matt. Wenn Leo fidh 
im Eingang hergebrachtermaßen den Knecht der Knechte Got⸗ 
te8 nennt, fo wirft Hutten dazwiſchen: Was gebieteft du 
alfo und fpielft mit fo großem Hochmuth den Herrn? Wenn 
die Bulle felbft mit den Worten anfängt: Erhebe dich, o 
Herr — fo bemerkt Hutten: Ja, er wird fidh erheben, doch 
zu des Papftes größtem Schaden. Wo, in Anwendung eines 
befannten Bibelfpruches, die neuen Ketzer Füchſe genannt 
werden, Die des Herm Weinberg verwüften, ermiebert ber 
Stoffator, daß vielmehr der Papft in der Art, wie er den 
Deutfchen ihr Geld theild abzuloden, theils abzutroßen wife, fidh 


[0 





——— — — 


micta varietatibus. Darunter: Vide lector, operae pretium est. 
Adficieris. Cognosces qualis pastor sit Leo. Auf dem legten Blatt: 
Dirumpamus vincula eorum, et proiiciamus a nobis iugum ipso- 
rum. Abgedr. Hutt. Opp. IV, 5—46. Vgl. Banzer, S. 188 fg. Wenn 
Burckhard's und Panzer's Vermuthung (III, 399 fg. u. ©. 204) richtig 
iR, fo hätte auch Crotus gegen diefe Bulle gefchrieben, nur in feiner Axt 
unter verficlltem Namen: Oratio Constantii Eubuli de virtute Clavium 
et bulla condemnatoria Leonis 'X. contra Mart. Lutherum ad . . 
Imp. Carolum ac Principes Germaniae, abgebr. bei Mündy, VI, 504 fg. 
Die Schrift ift eruft gehalten, und daher ſchwer zu entfcheiden, ob fie 
von Grotus fein mag, deſſen @igenthümlichfeit fi nur in ber Satire 
und Parodie erfennbar ausprüägte. 

1) Luther an Etaupig, Wittenb. die Felicis (14. Ian.) 1521, bei 
de Wette, I, 542: Huttenus Bullam postulavit, salsissimis notis in 
Papam, et varia in hanc rem meditatur. 

Strauß, Sutten. II. 7 





98 I, Buch. IV. Kapitel. I 


liſtiger als ein Fuchs, räuberifcher als ein Wolf beweife, Das 
Aufkommen folder Ketzereien in Deutichland, fährt das Acten- 
ftüd fort, befümmere den Papft um fo tiefer, weil er und 
feine Borgänger gerade diefe Nation jederzeit in den Einge— 
weiden ihrer Liebe getragen haben: — Freilich in den Ein- 
geweiden! ruft hier Hutten,-denn ihre hattet fie verfchlungenz 
aber jegt werdet ihr fie vom euch fpeien müffen, und Gott 
felbft wird fie aus eurem Bauche ziehen. Sonft, meint die 
Bulle, feien die Deutfchen die eifrigften Beftreiter der Keberei 
geweſen: — Ad), wären fie ed doch gewejen! ſeufzt da Hut- 
ten, dann hätten fie vor Allem gegen die Päpfte ſich gewehrt. 
Bon Luther fagt der Papft, wäre derfelbe feiner Ladung nad) 
Rom gefolgt, fo fei fein Zweifel, er würde in fid) gegangen 
und zur Erfenntmiß feiner Irrthümer gefommen fein: — 
Gefprochen wenigftens, meint Hutten, würde er ferner nichts 
mehr haben, wäre er einmal von dir zu Rom empfangen wor— 
den. Wenn die Bulle Luther's Lehren verderblih nennt, fo 
erläutert dieß Hutten dahin, daß allerdings durch dieſelbe 
viele Hochwürbigfte. mit Hunger, und ihr Herr felbft mit 
Mangel bedroht werde, Und wie num der Papſt bei der 
Verbrennung von Luther’s Schriften anfommt: — Du hafl’s 
erreicht! ruft da Hutten, fie brennen, aber in den Kerzen 
aller Guten. Weldy ein verberblicher Brand für dich! Nun 
föjche ihn, wenn du Fannft! 

Den Beihluß macht ein Epilog an Leo X., — ihm 
zu bemerken gegeben wird, er wäre beſſer mit ſeiner Bulle 
daheim geblieben, die ihm nur Schande made. Längft ſage 
man in Deutfchland von den päpftlichen Bullen, es fei mit 
ihnen wie mit dem Gelde: je neuer, defto fchlechter. Er möge 
feiner Habfucht, feinem Truge, Einhalt thun, die Zeugen der 
Wahrheit nicht ferner reizen, insbefondere aufhören, Luther 
und bie von ihm Angeregten zu verfolgen, denn ihrer feien 
bereit mehr, als daß irgend ein Bifchof fo viele Seelen ver- 


Ar 











Hutten’s Gedichte über ben Brand von Luther's Schriften. 99 


derben Eönnte. Ex folle fein Hirtenamt recht verſehen, feine 
Heerde fortan mit Erkenntniß und Lehren, nicht mehr mit 
Bullen weiden, deren man überbrüffig fei, wie man auch vor 
dem Ablaß nachgerade Efel empfinde. ‚Eines Papftes Gas 
ben find Weisheit, Reinheit, Keufchheit und Verachtung alles 
Irdiſchen. Denen trachte nah. Dann wird Deutichland dich 
verehren, wenn es fieht, daß du es liebft, nicht dich, wie 
jest, befämpfen, da e8 bemerkt, daß du es fchreden will. 
Es ziemt dir aber, durch Güte Alle zu überwinden, Nieman- 
den durch Gewalt zu zwingen. Dieß freimüthig aber wahr, 
wie die Sache ſich verhält und die Zeit es mit fi) bringt. . 
Lebe wohl! Aus Deutfchland. 

Neben den Gloſſen zu der päpftlidden Bulle arbeitete 
Hutten um jene Zeit an einem Gedicht über die Verbrennung 
von Luther's Schriften, und zwar in doppelter Geftalt, Latei⸗ 
nifch in Herametern und Deutfch in Reimen, wovon die erftere 
bie frühere iſt. ) igentlidy find beide zwei verſchiedene Ges 


1) Es erhellt dieß, außer der Analogie anderer Fälle, wo Hutten 
eine Schrift lateinifch und deutſch herausgab, insbefondre auch aus ber 
Pergleichung einer Hutten'ſchen Briefftelle mit den Titeln beider Bearbels 
tungen. Die lateinifhe: In incendium Lutherianum Exclamatio Ul- 
richi ab Hutten, eq. anno Dom. 1521; die deutſche: Eyn Klag über 
den Lutherifchen Brandt zu Meng burd herr Vlrich von’ Hutten. Ab⸗ 
gebr. bei Münch, IV, 57 fg., V, 47—50. Bol. Panzer, S. 141 fo. 
Wenn nun Hutten in dem Brief an Bucer vom 25. Nov., als er erfl 
von der Derbrennung ber Lutherifchen Schriften in Göln (und Löwen), 
von Mainz aber noch nicht wußte, was daſelbſt gefchehen würde (ex- 
spectamus, Moguntiae quid fiat: nam et ibi tentabunt adversarii; 
dagegen am 28.: Lutherus arsit Moguntiae), ich füge, wenn Hutten 
auf das lateiniſche Gedicht anfpielt, che er von dem Mainzer Brand 
etwas wußte, und wenn dem entfprechend auf dem Titel des lateinifchen 
Gedichte die Erwähnung von Mainz fehlt, auf dem des beutfchen dagegen 
fi findet: jo iſt doch alle Wahrfcheinlichkeit dafür, dag die lateinifche 
Bearbeitung früher abgefaßt war. Die Jahrzahl 1521 auf der äAlteflen 
befannten Ausgabe des lat. Gedichte beweist in feinem Yalle etwas, ba 
ja Hutten ſchon am 9. Dec, 1520 beide Bearbeitungen an Luther ſchickte. 


7», 








Hutten's Gedichte über den Brand von Lurher’s Schriften. 101 


häuftes Sünbentegifter fo paflende dreißigmalige Wiederholung 
des Hie — geſchieht dieß oder daß, z. B.: 


Am Schluffe 


Hie brennen, Herr, viel guter Wort, 
Hie mwirb dein göttlich Lehr ermordt; .. 
Hie gibt man Ablaß und Genad, 

Doch Keinem, der nit Pfennig hat; 

Hie wird gelogen, bie gebicht, 

Ein Sünb vergeben, eh’ fie gſchicht; 
Sie wirb verfauft der Himmel bein, ' 
Geurtheilt zu der Höllen Pein 

Ein Jeder der hiewider fagt; 

Hie ift, wer Wahrheit pflegt, verjagt; 
Hie wird teutſch Nation beraubt, 

Ums Geld viel böfe Ding erlaubt; 

Hie bdenft man nit der Seelen Heil; 
Hie bift du, Herr Gott, felber feil u. f. f. 


des deutichen Gedichts wird Luther angerebet: 


Di aber, Tiebfter Bruder mein, 
Durch ſolche Macht vergmwaltigt fein, 
Bin deinethalben ich befchmert ; 

Doc Hoff’ ich, es werb wiederfehrt, 
Und werd gerochen bein Unfchulb; 
Drum, Diener Gottes, hab Geduld. 
Möcht ich dir aber Beiftand thun, 
Und rathen diefen Sachen nun, 

So wollt! ih, was ih hab an Gut, 
Nicht fparen, noch mein eigen Blut. 


Unter das lateinifche Gedicht fegte Hutten feinen Wahlſpruch: 
Jacta est alea, welchen er in der deutfchen Bearbeitung, wie 
von da an immer, durch: Ich habs gewagt! wiedergab. 

Doch hiemit find wir in den Bereich von Hutten's 
beutfcher Schriftftellerei übergetreten, der wir eine befonbre 
Betrachtung widmen müflen. 





Sünftes Kapitel. 


Hutten fängt an Deutich zu fehreiben. 
1520. 1521. 


_— 





Schriften: Clag und Bormanung gegen den übermäßigen und unchriſt⸗ 
lichen Gewalt des Bapſte. Anzöig, wie alwegen fi die 

römischen Bifchöff gegen den teutichen Kayfern gehalten. . 
Ueberſetzungen ber beiden Sendfchreiben an den Kurfürften 

von Sachſen und an die Deutfchen aller Stände. Desgl. 

ber Gefpräche Febris I. und Il., Vadiscus und Inspicientes,. 
Enndtfchuldigung wyder etlicher onwarhafftiger außgeben von ihm. 


Noch in dem Sendſchreiben an die Deutſchen aller Stände, 
mithin Ende September 1520, hatte ſich Hutten als auf 
einen Beweis, wie wenig es ihm um gewaltiamen Umfturz 
zu thun gewefen, darauf berufen, daß er bisher Lateinifch ges 
fhrieben habe, um bie zu reformirenden Kirchenhäupter erft 
gleihfam unter vier Augen zu verwarnen, und nicht gleich 
das gemeine Volf in die Mitwifienfchaft zu ziehen: ob er 
gleih, Hatte er hinzugefegt, das Leptere zu thun, mehr als 
genug Anlaß gehabt hätte. Noch war das Jahr nicht zu 
Ende, als er diefem Anlaß Folge gab, und Deutfch zu ſchrei⸗ 
ben begann. 
Latein ich vor gefchrieben hab, 


fagt ex in einer ſogleich näher zu beiprechenden Schrift, 





Hutten's Gründe, Deutſch zu fchreiben. 103 


Das war eim Jeden nit befannt; 
Jet fchrei ih an das Baterland, 
Teutſch Nation in ihrer Sprad, 
Zu bringen diefen Dingen Rad) 


Mit alleiniger Hülfe der Lateinverftändigen, dad war 
dem Ritter nunmehr Far geworden, ließ eine Firchlich = politi- 
ſche Reformation, wie er fie bezweckte, ſich nicht herbeiführen. 
Denn die Einen von Ienen, die Kirchenhäupter, fuchten fie 
zu hindern; die Andern, die Humaniften, waren nicht flarf, 
nicht entfchloffen genug, fie recht zu fördern. Man brauchte 
mindeftend noch das Schwert des Ritterftandes, das Gewicht 
der Städte, um auf Erfolg rechnen zu fönnen: aber zu beis 
den mußte Deutſch geiprochen werden, da unter den Nittern 
bei Weitem die Mehrzahl im Falle Sicdingen’d war, für den 
Hutten vor bald zwei Jahren fein Geſpraͤch Febris hatte verbent- 
fhen laffen, und aud in den Städten die Peutinger und 
Pirdheimer zu den Ausnahmen gehörten. Wie unermeßlich 
aber, bei der tiefen Erregung jener Zeit, durch deutfche Schrif⸗ 
ten zu wirfen war, ſah Hutten an Luther's Beiſpiel vor 
Augen, der eben damals durch feine Schrift an den chriſt⸗ 
lichen Adel deutfcher Nation alle Scichten des deutichen 
Volkes aufgeregt hatte. Dazu fam für Hutten jeßt noch ein 
zweiter Grund. Er mußte zu feiner eigenen Rechtfertigung 
wünfchen, daß der ungelehrte Ritter und Bürger feine Schrif- 
ten nicht blos aus den entftelenden Berichten der Pfaffen 
fennen lernen möchte. Eines wie das Andre war nur zu 
erreichen, wenn er ſelbſt dem gemeinen Manne theils feine 
angefochtenen lateinifchen Schriften in deutſcher Ueberſetzung 
vorlegte, theild, da MWeberfegungen immer nur halb wirfen, 
neue, urfprünglich deutich gedachte Schriften hinzufügte. Bei⸗ 
des that er, und eben in ber lebten Art gelang ihm, 
faum daß er den Entfhluß zur deutſchen Schriftftellerei ge: 
faßt hatte, ein Meifterftreich. 





104 . 2 I. Bud. V. ‚Kapitel. rief) 

den undriflihen Gewalt des 5** * der ungeiftlichen 
Geiftlihen *), die jedenfalls ſchon zu Anfang Decembers 1520 
gedrukt war, da Hutten fie am 9, am Luther ſchickte, und 
bereits über die Aufregung berichtete, Die fie unter den Pfaffen 
III ri a ben — — ihrer 


J Y it 


N Gag vnd vormanung gegen bem übermöffigen‘ 5 
walt des Bapſts zu Rom, vnd der vugeiſtlichen geiſtlichen, d dm 
Vrichen von Hutten, Poeten vnd Drator, ber gangen Chr 
zuuoran dem vatterland Teutſcher Nation zu nuß vnd gut, dor 
gemeiner beſchwernuß, vnd auch wegen feiner eigen nottburfft, in Rey— 
mend weyß beſchriben. Jacta est alea, Ich habe gewagt: Auſ „ber 
Nücfeite des Titelblatts des Ritters Bild, darüber: Dirumpam 
cula eorum & proiiciamus a nobis iugum ipsorum. Außer 
denen Abdrücken diefer erften Ausgabe, über welche Panzer, S 145 fü. 
zu vergleichen, find nach Hutten's Tobe noch zwei Ausgaben mit- 
bertem Titel umd mit Abänderungen und Zuſätzen erichienen. 
unter dem Titel: Lebendige Abcontrafactur des ganzen Papft 
Manes Hutteni, Die andere: Auffweder ber teutfchen Nation Hr Per 
Beziehung auf die Erſcheinung Guſtav Adolf's in. Deutichland, in, wel⸗ 
dem man ben von Hutten gewünfchten Helden und Netter der be 
Freiheit zu fehen glaubte, Meiners in feiner Lebensbefchreibung 5 
hat die Glag und Bormanung im Anhang S. 419 — 59 abdruden Taffen. 
Allein, obgleich er S. 218 felbft jagt, daß ber älreften von den en 
Göttinger Bibliothek befindlichen Ausgaben des Gedichte mehrere 
fehlen, hat er es doch, wie es fcheint, nach biefer abdrucken laſſen, 
das Fehlende zu ergänzen. So fommt es, daß S. 426 vor ber dri⸗ 
legten Seile eine von ihm nicht angemerfte Lücke von nicht weniger als 
133 Derfen fich findet. Münch las dieſe Verſe in ber Auega be wo 
1632, und ohne ein vollftändiges Gremplar einer ber ältern zu vergle 
den , ohme über ben Zufammenhang des Gedichts nachjubenfen, in weis 
chem jene ausgefallenen Verſe unentbehrlich find, fepte er fie V, 66-69 
als Zufag der fpätern Ausgabe unter den Tert, Das Räthfel löst 
wenn man bie zweite ber von Panzer befchriebenen Urausgaben zur Ha 
nimmt, Im biefer füllen die bei Meiners fehlenden, bei Münch in bie 
Note geſetzten Verſe gerade zwei Blätter: bij und biij:. biefe (nit Bo- 
gen) waren alfo bem von Meiners benugten Gremplar abhanden ‚ger 
— 

5) ©. oben S. 96. Ja, das poema Germanice seriptum, von 
dem er ſchon am 13, Nov. 1520 an Eraomus ſchreibt, daß die Basler 


















Hutten's Klag und Bermaßnung. 105 


Abfaſſung und dem heftigen Ton, in welchem fie gefchrieben 
ift, gibt Hutten das Gefchrei der Eurtifanen über fein Send» 
fhreiben an die Deutfchen aller Stände an, auf defien Grund 
fie ihn für einen Feind aller Geiftlichkeit, für einen Menfchen 
ausgaben, vor dem man ſich in Acht nehmen müfle, und den 
zu erftechen ein Verdienſt wäre. 2) Der Reime ungeadhtet, iſt 
dieſe Schrift nicht als Poeſie, fondern wie eine von Hutten's 
Reden zu betrachten, mit denen fie auch die meiften Eigen⸗ 
fhaften theilt. Auch hier läßt fi Hutten ganz gehen, fommt 
von Einem auf das Andre zu reden, wie ed ihm eben ein» 
fallt, fcheut Wiederholungen keineswegs u.dgl.m. Was ihn 
aber verhindert, fi) an eine feſte Dispofition zu binden, iſt 
auch bier etwas, wodurd er diefen Mangel reichlich erſetzt: 
die Wärme, die Herzlichkeit, ftellenweife der Ungeftüm feiner 
Empfindung und Rede, welche den Leſer defto gewifler fort 
reißt, je weniger fie ihn logifch zu belehren Miene macht. 
In dringender, flürmender, mit immer neuen Stößen zu⸗ 
ſetzender Ermahnung ift Hutten ein unvergleichlicher Meifter. 
Als ſolchen haben wir ihn fehon in feinen lateinifhen Reden 
wie in einzelnen Stellen feiner Dialoge erkannt: bier bringt 
nun aber die deutihe Sprache auf ihrer damaligen kindlichen 
Entwidlungsftufe und der ſchlichte Meifterfängersreim noch 
einen weitern Zug von höchſter Wirkung herein: die Treu⸗ 
herzigkeit. Es find Stellen in dem Gerichte, wo man fo 
recht fpürt, wie der Menſch in Hutten von dem Eifer für bie 
Sade, der er ſich ergeben hat, wie die Kerze von der Flamme 
verzehrt wird, und Die eben dadurch überaus rührend wirfen. 
Ihrem Inhalte nad If die Klag und Bermahnung die Zu- 


bavon mire inflammati feien (Opp. ed. M., IV, 52), ift ſchwerlich ein 
anderes ale biefes. 

1) Eundtſchuldigung wyder etlicher vnwarhafftiger außgeten, Opp. 
ed. Münch, V, 416 fg. 





106 ME Bud. V. Kapitel. 


ſammenfaſſung alles deſſen, was Hutten jemals gegen bie 
ultramontane Ausbeutung Deutfchlands und das Verderben der 
Kirche gefchrieben hatte; die Beſchwerde über die neueftens gegen 
ihm "verhängte Berfolgung geht nebenher; die fteigende Ein- 
wirkung von Luther’ Ideen ift unverkennbar; das Vertrauen 
auf Kaifer Carl ift noch nidyt dahin; auf die Stäbte, Die 
eine befondre Empfänglichkeit für die Reformation zeigten, 
fängt, neben dem Ritterftande, die Aufmerkfamfeit und Hoff- 
nung fich zu richten an. Randanmerkungen, weldye theils 
den Inhalt im Einzelnen angeben, theils die im Tert ange 
zogenen Bibelftellen nachweiſen, vollenden ebenfo die Volks— 
thümlichfeit des Büchleins, wie fie defien poetifhen Schein 
vollends zerftören. 

Hutten (fo leitet das Gedicht ſich ein) fahlt ſich gebiängf, 
die Wahrheit zu fagen, Klage zu erheben über Irrthümer 
und Gebrechen, durch weldye die deutſche Nation beſchwert 
und die Sitten verberbt werden. Die verblendete Menfchheit 
(das ift ihm nicht umbefannt) wehrt ſich gegen nidyts mehr, 
ald gegen die Wahrheit und deren Berfündiger: baher ruft 
er Gott an, er möge die Menfdyen , insbefondre die Fürften, 
durch feinen Geift erleuchten, daß fie Religion von Aberglau— 
ben, Chriſtenthum von Pfaffentbum unterfcyeiden lernen. Er 
ſelbſt hält fi an den Troft, daß die Verfolgungen, die um 
feines Wahrbeitsgeugniffes willen über ihm ergehen, nur den 
Leib betreffen, die Seele aber nicht tödten können. Bon der 
Unterfcheidung des Geiftlicyen und Weltlicyen, der Hinweis 
fung auf das Webergreifen des Papfts und der Glerifei in 
das legtere, geht dann die eigentlidye Darjtellung aus, Here 
ſchaft, Reichthum, Wohlleben, wornach jetzt die ‘Päpfte und 
Kirchenhaͤupter vor Allem trachten, find ihrem urfprünglichen 
Berufe fremd. Nacheinander werden dann Schlüffelgewalt 
und Ablaß, Türfenfrieg und Peteröfirche, Pallienhandel und 
-Gurtifanenwefen, Fury alle die befannten Klagepunfte gegen 


1 a 
—— mi Me 
un ‚Aut ni 
3 ** eagdAıh)in um) 


—* oem Fr T, — 
en 





aa 















108 I. Bud. V. Kapitel, > 


Hofleren ber geflenten ’) Braut; 
Drum gibt er Benediction, 

Da wird man reich nnd felig von. 
Sag Einer nun, wo Gottheit fei, 
Ob Cyriſtus auch mög wohnen bei, 
Da if fo ein tyrannifch Pracht? 


Dann in der Beichreibung des Aufzugs weiter: 


Da liefen viel Gopiften mit, 

Biel taufend Schreiber, auch ein Slich 
Der Kirchen, die zn Rom regiert; 

In dem je mancher Chriſten irrt, 
Daun nicht zu Rom bie Kirch allein, 
A Ghriften fein das in gemein... .- 
Noch Hab ich giehen lang Prozeß, 

Ein 2olf, der Frommkeit ungemäß: 
Biel ſchoͤner Frauen, wohlgefleibt, 

Die Jedem fein ums Geld bereit; 

Mit den der Aufflaner Heer, 

Bon dem fein Gaß in Rom if leer; 
Mandy Abdvocat und Auditor, 

Notarien, Procurator, 

Die Bullen geben, ſprechen Recht, 
Der jeder hat ſein Gfind und Knecht, 
Darunter iſt manch wild Geſell, 

Den heißt man Curſor, den Pebell, 
Die auch ein Glied der Kirchen ſein 
Zu Rom, und nehmen taͤglich ein 

Bon Teutſchen unſer Schweiß und Blut. 
Iſt das zu leiden? und iſts gut? 

Ich rath, man geb ihn'n färber meh 
Kein Bfennig, daß fie Öungersweh 
Erfterben und durch Armuths Noth, 
Daß nicht, zuwider Ehr und Gott 
Solch unnütz Volk auf Erden leb. 


Iſt Letzteres ein und ſchon befannter Hutten'ſcher Bor 
ſo iſt der Gedanke, daß die Kirche keineswegs blos in 
zu ſuchen, ſondern überall zu finden ſei, wo eine Berl 
lung gläubiger Chriften fich befinde, durch Luthers € 


1) d. 5. gepugten, 





Hutten's Klag und Bermahnung. 109 


ten in Hutten zum Bewußtfein gefommen. Was weiterhin 
ausgeführt wird, daß alle Bifchöfe gleichen Ranges feien, 
und die Gewalt des Römifchen ebenfo mit dem Bezirke von 
Rom, wie die des Mainzifhen oder Würzburgifchen mit den 
Gränzen diefer Gebiete ein Ende habe, war ſchon im Das 
discus angedeutet. Die Wahl der Biichöfe will Hutten dem 
Volke zurüdgegeben wiflen, das dabei mehr auf geiftliche 
Eigenfchaften jehen werde als der PBapft, dem, 

Wenn man ihm's Geld Hinein hat bracht, 

So leb ein Biſchof wie ein Kub, 

Da geht dem Bapft nichts ab noch zu. 
Die Bifchöfe find jebt Jäger, Krieger, tüchtige Schwelger; 
das Predigen hängen fie an einen armen Knecht. Dagegen 
werden rechtichaffene Priefter, die dem Volke das Wort Gottes 
. auslegen könnten, nicht befördert. 

Ganz befonders findet fi” Hutten's patriotifches Herz 
dadurch empört, daß alle diefe Mißbraͤuche vorzüglich auf dem 
deutſchen Volke lafteten. Die Italiäner, fagt er, denken nicht 
daran, für die PBetersfirche zu feuern, oder Dispend von 
den Faftengeboten zu faufen. | j 

Allein die Teutfchen Narren fein. 

Das thut mir weh nnd macht mir Bein. 
Die deutfchen Fürſten ködere der Papſt mit goldenen Rofen, 
und noch feiner habe ſich gefunden, der den Trug gemerkt, 
und die Roſe wider die Wand geworfen hätte. Doch hofft 
Hutten Befleres von König Carl. Ihm bittet er, ihm gnaͤ⸗ 
dig zuzuhören; Alles, jagt er, was ich in diefen Dingen thue, 

Soll gfchehen als zu Ehren bir. 

Dann fonft mwöllt nit gebühren mir, 

Im Reich Aufruhr zu heben an. 

AT freien Teutfchen ich vermahn, 

Doch dir in Unterthänigfelt 

Zu fein in biefem Schimpf bereit, 


Daß gholfen werd bem ganzen Land, 
Und ausgetrieben Schab und Schand. 








110 U. Buch. V. Kapitel: 


Des follt ein Hauptmann bu allein, 
Anheber, auch Bollenber fein. 

So will mit allem das ih mag 

Zu Dienft dir fommen Nacht unb Tag, 
Und bgehr von bir bes feinen Lohn. 
Möcht ich allein erlebet bon, 

Daß würd gelegt Beichwerung ab, 
Davon ich viel gefchrieben Hab: 

In Armuth wöllt ich flerben gern, 
Auch alles eigen Nup entbehrn. 

So fol man auch hierin fein Chr 
Mir fchreiben zu: du bi ber Herr, 
Und was Hierin gehaubelt wird, 

Durch das dein Lob foll werben gsiert. 
Drum hab ein Herz und fchaf| ein Muth! 
Ich will dir weden auf zu Gut 

Und reizen manchen ftolzen Hilb; 
Habe ihr ſchon Vielen eingebilbt, 

Und fehlt allein an deinem Gbot. 
Hilf, werther König, es if Roth! 

Laß fliehen aus bes Adlers Fahr, 

So wollen wir es heben an. 


In der frühern dunfeln Zelt wurde Jeder, ber 
Wahrheit zeugte, unterbrüdt: fo zulegt noch Huß u 
ronymus verbrannt. 


Seither hat Niemand gwöllt hinnach, 

Und forchten all des Feuers Bon: 

Bis jego rufen unfer Iween (Luther u. Hutten 
Wer weiß, was Jedem ift befcheert? 


Doc hofft er, man werde ihn nicht im Stiche laſſen. 


Den flolzen Adel ich beruf; 

Ihr frommen Städt euch werfet uf: 
Wir wollens halten ingemein, 

Laßt doch nicht flreiten mich allein, 
Erbarmt euch über’s Vaterland, 

Ihr werthen Teutfchen regt die Hand! 
Itzt ift die Zeit, zu heben an 

Um Freiheit friegen. Gott wills han. 
Herzu, wer Mannes Herzen hat, 

Gebt vorber nit den Lügen Gtatt, 





Hutten's Klag nnd Bermahnung. 


Damit fie han verkehrt die Welt. 

Vor hats euch an Bermahnung gfehlt, 
Und Einem ber euch fügt den Grund, - 
Kein Lay euch damals weifen und, 
Und waren nur die Pfaffen glehrt. 

Ist Hat uns Gott auch Kunft befcheert, 
Daß wir die Bücher auch verflaßn; 
Wolauf, ift Zeit, wir müflen dran. 


Zum Scluffe noch einmal: 


Wolauf ihr frommen Teutfchen nun: 
Biel Harniſch han wir und viel Pferd, 
Biel Hellebarben und auch Schwert, 
Und fo Hilft freundlih Mahnung nit, 
So wöllen wir die brauchen mit. ı 
Nicht frage weiter Jemand nach: 

Mit uns ift Gottes Hülf und Nach; 
Wir ftrafen die fein wider Gott. 
Wolauf, berzu, es Bat nicht Roth. 
Bir haben aller Sachen Bug, 

Gut Urfach und berfelben gung. 

Sie haben Gottes Wort verkehrt, 

Das chriſtlich Volk mit Lügen bichwert: 
Die Lügen wolln wir tilgen ab, 

Auf dag ein Licht die Wahrheit hab, 
Die war verfinftert und verbämpft; 
Gott geb ihm Heil, der mit mir Fämpft, 
Das, hoff ih, mancher Ritter thu, 
Mandy Graf, man Edelmann dazu, 
Manch Burger, ber in feiner Gtabt 
Der Sachen auch Befchwerniß Hat, 
Auf das ichs nicht anheb umfunft. 
Wolauf, wir haben Gottes Bunft! 
Ber wollt in Solchem bleiben dheim? 


Ich Habe gewagt! das ift mein Reim. Amen. ?) 

Hutten felbft fagt von dieſer Schrift, er habe fie „in 
einer Hitze (über die Mißdeutung feined Klagfchreibens an 
alle Deutfche) ausgehen laflen”, und nennt fie einen „zor⸗ 
nigen Spruch“: Fein Wunder, daß feine geiftlichen Gegner 


1) Darunter das Dirumpamus vincula eorum etc. 





112 IL Buch. V. Kapitel. 


der Meinung waren, er babe in derfelben alle Gränzen der 
Ehrbarkeit überfchritten, und daß ihnen feine Strafe dafür ſcharf 
genug dünkte. Sie ließen nun jened Sendjchreiben fahren, 
und warfen fi) auf die gereimte Klage, die ihnen weit mehr 
Stoff bot, um Haß gegen Hutten zu erregen.) Wie er fi) 
nach einiger Zeit bemüßigt fah, eine eigene Schutzſchrift zur 
Ablehnung diefer Befchuldigungen zu verfaflen, werben wir 
bald finden. 

War in der:fo eben erörterten Schrift, neben dem Kerne 
bes deutfchen Volkes, auch auf den jungen Kaifer Earl ges 
rechnet, fo ſetzte Hutten um diefelbe Zeit gleichfam eine eigene 
Snftruction für ihn über den Punkt, um den ed vor Allem 
zu thun war, auf, in der Kurzen Anzeig, wie allwegen fidh 


- die Bäpft gegen den deutfchen Kaifern gehalten haben. 2) Bes 


denkt man, daß Earl nicht felbft Deutich leſen Fonnte, daß 
auf dem Titel der Schrift ſteht: K. Majeftät fürzubringen, 
und daß Franz von Eidingen damals häufig am Hofe war, 
bei Carl viel galt und ſich Einfluß auf denfelben zutraute ®), 


1) ©. oben S. 96! Anm. Enndtſchuldigung wyder etlicher on: 
warhbafftiger außgeben, Opp. V, 417. Auch bei Burdharb, III, 210. 
Meiners, S. 470. 

2) Here Vlrichs von Hutten anzöig Wie allwegen fi) die Römis 
ſchen Bischoff oder Bäpft gegen den teütfchen Kayßeren gehalten haben, 
off dz kürtzſt vß Chronicken vnd Hiftorien gezogen, K. maieftät fürzu⸗ 
bringen. Ich habs gewagt. Münch, deſſen Einleitung zu dieſer Schrift, 
V, 105 fg., ein Muſter von Sinnlofigkeit iſt, hat dieſelbe nach einer ſpaͤ⸗ 
tern Ueberarbeitung: Ein trewe Warnung ıc. Manes Huttenj. abdrucken 
laſſen, in welcher auf die Eroberung Roms im I. 1527 Bezug genom⸗ 
men wird, und die er beffenungeachtet erft für die Originalausgabe, dann 
für eine noch von Hutten ſelbſt Hinterlaffene Umarbeitung hält. 

- 3) Huttenus Luthero. Ex Ebernb. 5 Idus Dec. 1520. Opp. 
ed. M., III, 618: (Franciscus) ... potest apud Caesarem valde 
multum, sed opportune adgredi parat. Ad Erasmum, 18. Nov. 
1520, Opp. p. 51: Aliquando .. ad se redibit (Rex), neque sem- 
per Romanensium palponum consiliis subvertendum se praebebit, 
tum quia tot exemplis commoveri eum facile est, nihil 





Hutten's Anzeig, wie fich die Bäpfle ıc. 113 


fo könnte man ſich Sidingen als denjenigen denfen, der nad; 
Anleitung ded von feinem Freunde aufgefegten Geſchichts⸗ 
abriſſes bei guter Gelegenheit den jungen Herrfcher inftruiren 
follte. 

Glücklich ift, jagt die Vorrede, wer durch fremden, nicht 
unglüdlid) auch, wer durd eigenen Schaden Flug wird; wer 
aber durch feines von beiden ſich wißigen läßt, dem iſt nicht 
zu belfen und geichieht im Grunde auch fein Recht. Was 
er vom Papſte für Liebes und Gutes, für Treu und Glau⸗ 
ben zu erwarten habe, davon hat Kaiſer Carl theild an fich 
felbft Schon die Erfahrung gemacht, theild wird ihm bier aus 
den Geſchichten feiner Vorgänger in Erinnerung gebracht, wie 
ed denen mit den Päpften ergangen if. Als Ergebniß ftellt 
fi heraus, „daß feinem deutichen Kaifer von Püpften, es 
wäre denn zu ihrem eigenen Ruben gefchehen, Gleiches (Bils 
liges) je widerfahren iſt“, fondern fie von denfelben immer 
nur betrogen, verrathen, mit Undanf belohnt, oder fonft miß⸗ 
bandelt worden find. 

Der gefchichtliche Abriß geht von Otto I. bie auf Mari- 
milian und Garl herunter. Er ift nicht ohne hiftorifche Ders 
ftöße: fo wird 3. B. Conrad IV. mit Gonradin verwechelt. 
Der Kampf des „werthen Helden Heinrich’8 W., deßgleichen 
in deutfchen Landen nie geboren’, mit Gregor VII.; „bes außs 
erwählten Degens Friderich I., der nach Heinrich IV. für den 
allerftreitbarften veutfchen Kaifer, fo je gelebt, zu achten”, 
mit Alexander III.; Friderich's U., „der ſich fein Leben lang 
mit den PBäpften bat müflen beißen‘, mit drei Päpften nach⸗ 
einander; Heinrich's VII. räthſelhaftes Ende, bilden Haupts 
punkte dieſes Gefchichtsipiegeld. Als ein abſchreckendes Bei⸗ 


esse ibi fidum, tum etc. Dieſe Aeußerung ſcheint fi auf bie 
obige Echrift und die Wirfung zu beziehen, welche Hutten von berfelben 
erwartete. 

Strauß, Hutten. 11. 8 





114 IE Bad, V. Kapitel. 


fpiel erſcheint auch hier, wie immer bei Hutten, Earl IV., 
„der ſich ganz weibifh gehalten hat“, indem er fid vom Papft 
aus Rom und Stalien weifen fieß, auch fonft unehrenhafte 
Bündniffe mit demfelben einging. Friedrich den III., Carl's V. 
Urgrofvater, muß Hutten fchonen: jo leitet er feinen Un- 
willen auf den Papft ab, mit dem jener es zu thun hatte, 
„den alleruntreueften unter allen Päpften, die je gelebt, Pius 
den Andern”, Er habe die Beſchwerung der deutfchen Nation 
auf ihre jesige Höhe getrieben, die Annaten, Preiſe der 
Pallien u. dgl. gefteigert, auch die Appellation von dem Papſt 
an ein Concilium verboten, Bon Marimilian wird der Aus— 
ſpruch angeführt, zu dem ihn Kurz vor feinem Ableben eine 
Treulofigfeit Leo's X. veranlaßte: „Nun ift diefer Papft auch 
zu einem Böswicht an mir worden. Nun mag id) fagen, 
daß mir fein Papft, jo lang ich gelebt, je Treu oder Glau— 
ben gehalten bat; hoff, ob Gott will, dieß ſoll der letzte 
fein,” 

Daß der gegenwärtige Papft auch auf den gegenmwärti- 
gen Kaifer Carl fein Abfehen habe, erhelle daraus, daß er 
einen 2egaten über den andern zu ihm ſchicke, ihn auch 
mit Bifhöfen und Gardinälen, die im päpftlichen Intereſſe 
ftehen, fo ganz behänge, daß er nicht wiffe wo aus und ein. 
Da gelte es, aufzumerfen, denn Carl dürfe nicht glauben, 
daß die Papſi⸗ ihm mehr, als anderen Kaiſern vor ihm, Glau— 
ben halten werden. Bereits habe er, auf die Beſchwerden 
der deutſchen Fürſten, ſich eine Reformation vorgenommen: 
von ſolchem guten Vorhaben ſuchen der Bapft und die Sel- 
nigen ihn abzubringen; gelänge das, fo lachten fie in die 
Bauft. Darım müfle man den Kalfer unterwelfen, daß er 
ſich nicht durch des Papftes gute Worte bewegen lafle, die— 
jenigen, weldye zu ſolchem heilfamen Werfe rathen, zu ver— 
folgen. Denn eben darin beftche das Glück, das er vor 
frübern Herrſchern voraus habe, daß jet Leute vorhanden, 


a 








Hutten verdentfcht feine Klagſchreiben. 115 


die aus Grund der Schrift diefer Sachen berichtet feien, und 
den Kaifer darüber berichten Fönnen; der fie daher billig nicht 
verhindern laflen, fondern fördern und unterftügen follte. 

Wenn Carl damals, wie Hutten an Luther fchrieb, 
Franzen die Zufage gab, er werde Hutten nicht. unterbrüden 
lafien, noch ungehört verdammen *), fo Eönnte dieß das Er⸗ 
gebniß ähnlicher Vorftelungen gewefen fein. 

Reben den neuen, urfprünglich deutfchen Schriften, von 
welchen bisher die Rede geweſen, arbeitete nun aber Hutten 
zugleich an der Ueberfegung derjenigen von feinen lateinifchen, 
welche in den von ihm begonnenen Kampf gegen Rom eins 
fhlugen. Zuerft überfegte er fein SKlagfchreiben an die Deuts 
fhen aller Stände 2); wobei er in einer Rachfchrift fein Vor⸗ 
haben anfündigte und deflen Gründe darlegte. Er habe in 
Erfahrung gebracht, fagt er hier, daß Etliche feine Schriften 
bei den Unverftändigen übel auslegen, und anders als fe 
an ihnen felbft verftanden werden wollen, verbeutichen. Um 
fih nun bei Jedermann alles Verdachts zu entledigen, und 
auch dem gemeinen Manne erfennbar zu machen, wie billig 
oder unbillig er gehandelt, und ob er dem Papft und feinen 
Romaniften Urſach gegeben babe, ihn zu verfolgen, habe er 
fi) vorgenommen, alle feine in Latein gefchriebenen Bücher, 
in denen, wie er jest erſt ſehe, dem Papfte von ihm nicht zu 
Gefallen gelebt fei, in Die deutfche Sprache, fo gut er immer 
fönne und es fich fchiden wolle, zu überfegen. Denn er trage 


1) Huttenus Luthero. Ex Ebernb. 5 Id. Dec. 1520. Opp. ed. 
Münch, III, 618. 

2) Ein Clagſchrifft des Hochberümten vnd eernueften Herrn Vlrichs 
von Hutten gefröneten Poeten vnd Orator an alle ſtend Deutfcher nation. 
wie vunformlicher weiße vnd gang gefchwind, vnerſucht oder erforbert 
einiges rechtens, Er mit eignem tyrannifchen gewalt von den Romaniften 
an leib, eer und gut beſchwert und benötiget werde. Bin grofles dingk 
die warheit, und flard über alle. 3 Eodrä 4. Opp. ed. Münch, V, 27—41. 
Die Nachſchrift auch bei Burckhard, II, 118 fg. 

g® 


116 Il. Buch. V. Kapitel. 


















ganz feinen Abſcheu, begehre vielmehr von Herzen, dap Jam 
mann Wiſſen babe, welches die Braut fei, darum man — 
zu tanzen zugemuthet. Auch zweifle er nicht, wenn dieſe 
Schriften nädıftend in's Deutiche fommen, werde man fl 
daß er anders nicht denn ehrbarlich, ehrlich und als ein Fin 
mer von Abel, nicht ungebübrlich, geichrieben habe. Dash 
er, feiner Rothpurft nad), zuvor anzeigen und verkünden well 

Wie diejes Unternehmen Hutten's einem Zeitberär 
entgegenfam, und welde Spmpatbien er ſich im dem bei 
Theile des deutfchen Volkes bereitd gewonnen hatte, f 
wir daraus, daß ungefähr um diejelbe Zeit ein „unbe 
Liebhaber der göttlichen Wahrheit und des Baterlandes“ ; 
daran machte, die fämmtlichen Klagichreiben Hutten’s int 
Deutfche zu überjegen und mit einem Vorworte voll man 
Zuftimmung zu begleiten: „Wohlauf, ruft der Unbeiui 
allen Deutichen zu, es iſt Zeit, daß wir unfre jetzo lam 
verlorene Freiheit wiederum zu erlangen fuchen. Hier 
Hutten) habt ihr den rechten Anreizer, der uns, ob Gott m 
bie großen Häupter, ald Kaijer, Fürften und den Mel; 
Hülf in diefer Sadye erweden fol. Dazu und zu an 
feinem löblihen Fürnehmen geb ihm Glück und Heil 
allmächtig Gott, weldem zu Ehren, wie und allen zu W 
und Gut, er dieſes ohne Zweifel fürgenommen bat. Um 
meinen Nutzens willen, fährt er fort, hab’ ich etliche Ik 
Schriften, wie mir die zu Händen fommen, aus dem Kl 
in's Deutfche transferirt, jo viel als die Zier Imteinll 
Sprady (die in Erlidyem nicht zu verdeutichen ift) hat Id 
mögen. Gott geb’ euch allen viel Heiled und ein I 
feft Gemüth, chriftliche Wahrheit und Freiheit des Vaterla 
zu verfechten. Hieneben lafet eud) den frommen Nutten I 
foblen fein. Trotz Romanift!‘ 4) 


1) Bei Burkhard II, 120 fg. not. Münd, V, 3 fg. Bau 














Hutten verbeutfcht feine lateiniſchen Geſpraͤche. 117 


Hutten feinerfeitö ließ der Ueberſetzung ded angezeigten 
und noch eines andern feiner Klagfchreiben ) eine Webers 
tragung jener Gefpräche folgen, die er im vergangenen 
Srühjahr lateinifch herausgegeben hatte. Es find die beis 
den Bieber, der Vadiscus oder die römifche Dreifaltigfeft 
und die Anfchauenden 2): die Fortuna vermiflen wir in der 
Ueberfegung, ohne Zweifel weil ihr Inhalt mehr perfönlicher 
Art, mit Reformatorifchem, nur beiläufig durchflochten war, 
während Hutten bier nur das ſchwere Geihüg gegen Rom 
noch einmal auffahren wollte. Diefe Abficht zeigt fchon bie 
merkwürdige Verzierung des Titelblatted. ?) Die Worte des 
Titeld ftehen in einem Viereck, das von vier bildlichen Dars 
ftellungen umgeben if. Oben (tedytd dem Befchauer) über 
Wolfen der König David mit feiner Harfe, der auf einer 
Tafel die Worte des 94. Pſalms V. 2 (Iateinifch): Erhebe 
vi, ber du richteft den Erbfreis, zahle Vergeltung den Stols 


— (S. 135), die Münch, wie immer die verkehrteſten Meinungen 
feiner Borgänger,, unbejehen fich angeeignet hat, ale könnte Hutten’s Aen⸗ 
Berung in dem oben befprochenen Nachwort, daß Etliche feine Schriften 
anders, a’s fie gemeint feien, verdeutfchen, ein empfindlicher Seitenblid 
auf dieſe Ueberfeßung des Unbefannten fein, widerlegt fi durch ben 
wohlmeinenden Ton biefer Vorrede; abgeſehen davon, dag wir nicht 
wiſſen, ob dem Ritter, als er jene Worte ſchrieb, die Arbeit des Unge⸗ 
nannten fon vorlag. Die böswilligen Verdeutſchungen, über welche 
Hutten fich beflagt, waren fehmerlich gedruckte Ueberfegungen ganzer Schrifs 
ten, fondern wahrfcheinfih nur verbrebende Uebertragungen cinzelner 
Stellen, theils in mündlicher Rede, 3. DB. von den Kanzeln, theile in 
Briefen oder Drudfchriften feiner Gegner. 

1) Die verteutfeht clag Vlrichs von Hutten an Herkog Pritrichen 
zu Sachfen, des heil. Ro. Reiche Ergmarfchald und Churfürſten ıc. Opp. 
ed. Münch, V, 9—24; vgl. Panzer, ©. 185 fg. 

2) Geſpräch büchlin herr Vlrichs von Hutten. Feber das Erf. 
Geber das Ander. Vadiscus oder die Römifche Dreyfaltigkeit. Die An⸗ 
ſchawenden. Wiederabgedr. Opp. V, 157 — 365. Bgl. Panzer, ©. 
114 fy. 

3) Wem das Driginal nicht zur Hand ıfl, der ſindet eine — 
Covie bei Münch. 





118 I. Bud. V. Kapitel, 


zen! dem bärtigen Gott Vater (links) vorhält, welder auch 
ſchon zürnend abwärts bit und den Pfeil erhebt, um ihm. 
auf die Erde hinabzufchleudern. Auf beiden ‚Seiten ded Tir 
tels find zwei Stanbbilder: links Luther in der Möndskutte, 
ein Buch in.der Hand, mit der Unterfchrift aus Proverh. 
8, v. Tı Veritatem meditabitur guttur meum; rechts Hut- 
ten im Harniidy und mit dem Degen umgürtet, unter ihm 
fein Wahliprudh: Perrumpendum est tandem, perrumpen- 
dum est. (Diefe beiden Stanbbilder ftehen noch einmal am 
Ende des Buchs mit deutichen Reimen als Unterjchriften; 
bei Luther: Wahrheit red’ ich, Kauf! des Neid an mid). 
Gott geb’ mir den Lohn, Hab ichs falfch gethon. Bei Hut- 
ten. der fhöne Vers: Um Wahrheit ich fit, Niemand mic 
abrihtz Es brech' oder gang, Gott Geift mich bezwang.) 
Das fuftigfte Bild aber ift das unter den Titelworten. Da 
rennt links ein heller Haufe Gewappneter, Reiter und Fuß— 
gänger, mit vorgeftredten Spiefen auf eine ebenjo dichte 
Schaar von Pfaffen aller Art ein, die fid) (rechts), der Papft 
“ mit der dreifachen Krone im Bordergrumd, hinter ihm ein 
Gardinal, Biihof, Abt, Kappen und Kutten jeder Form, gar 
jämmerlich gebärden. Ueber dem Bilde die Worte aus Palm 
26, 5: Odivi ecclesiam malignantium. 

Wie fchon früher die Ueberſetzung des erften Fiebers ſo 
widmete Hutten jetzt auch die ſämmtlicher vier Geſpraͤche 
„dem edeln, hochberühmten, ſtarkmüthigen und ehrenveſten 
Franz von Sickingen, Kaiſerlicher Majeftät Rath, Diener und 
Hauptmann, feinem befondern vertrauten und tröftlichen guten 
Freunde.“ Wir fommen auf diefe Zueignung fpäter zurüd, 
von deren Inhalte wir bier nur das ausheben, was die Ue— 
berjegung betrifft, von welcher Hutten fagt, daß er fie „nächſt 
verfchiener Tagen (vor Neujahr 1521) in der Gerechtigkeit 
Herbergen eilends und ohne größern Fleiß“ gefertigt habe, 
Was Hutten von dem erften Fieber gefagt hatte, daß ed „im 











Hutten’s Ueberſetzung feiner Iateinifchen Geſpraͤche. 119 


Latein viel Tieblicher und fünftlicher denn im Deutfchen laute”, 
trifft freilich aud) bei den übrigen Gefpräden zu, und hatte 
theils in der Sache, theild in der Perfon des Ueberfegers 
feinen Grund. Jenes, weil ein Werk, in einer ausgebildeten 
Sprache verfaßt und in deren Geiſte gedacht, durch Ueber⸗ 
tragung in eine ungebildete, wie die deutfche Sprache da⸗ 
mals noch war, nothwendig verlieren muß; dieſes, weil Hut 
ten im Deutfchichreiben ein Anfänger war (und feines frühen 
Todes wegen blieb), dem insbefondere die gewaltige Förbes 
rung, weldye aus Luther's Echriften, vor Allem aus feiner 
Bibelüberfegung, für die deutfche Sprache in der nädıften 
Zeit erwachſen follte, damald noch nicht zu Gute kommen 
fonnte. Die Ueberſetzung ift fehr getreu, und wenn ed an 
Härten nicht fehlt ), doch im Ganzen recht lesbar. Ia, von 
Einem der Geſpräche möchten wir fagen, daß ed fi im 
Deutichen befler ausnimmt als im Lateinifchen. Das ift der 
Vadiscus mit feinen Dreiheiten. Dergleichen Berkröpfungen 
paflen trefflih zum damaligen deutihen Styl, während fie 
den lateinijchen entftellen. 

Ganz ohne Heine Veränderungen auch des Inhaltes find 
die Gefpräche gleichwohl nicht geblieben. Die raſch fortſchrei⸗ 
tende Zeit ſchien foldye zu erheifchen. So war im lateinifchen 
Vadiscus unter den Urfachen, welche bisher die Deutfchen 
nicht haben weile werben laflen, literarum imperitia anges 


1) 3. 3. Febris 1. gleiy am Anfang: Hutt. Quin tu abis, quam 
oportuit primo stalim die exigere, tam molestam hospitam. Webers 
fegung: „Gingeſtu binweg, wer mir vil Lieber, wölchen dich fo mügfas 
men Gaft ich doch des erſten tags hett follen außtreyben. “ 

Febr. 1. auf der zweiten Seite: F. Delicium Musarum, aperi. 
H. Pestis studiorum, abi. Weberf.: „F. Ein Wolluf aller fünftiger 
mad auf. 9. Zerflörung guts fludirens gehe hinwegk.“ — Dann aber 
gleich nachher ganz gefhidt: F. Aperi, aperi, Febris sum, Huttene, 
.Febris. H. Esto. Ueberſ.: „F. Mach auf, mad auf, Hatten, id 
binn das Feber. H. Das pleyb.“ 





120 


führt. Davon ift „Unbekanntniß der Schrift" im verdeufſcht 
Gefpräche keineswegs die bloße Ueberfegung; ſondern die 
tberifche Betrachtungsweife tritt hier an die Stelle der hm 
niftifchen. 9) Im Tateinifchen ®rundterte des zweiten Fidke 
war tadelnd bemerft, daß mandye Pfaffen ihre Zubälteriiin 
heirathen. 2) Gerade dieß hatte nun aber mittlerweile (ff 
den Fall, daß beide einander mit Beftändigfeit lieb ba 
- Quther den Geiftlichen gerathen ®), wie e& denn u durg 
auch Praris zu werden und dem Luthertfum zum Bor 
zu gereihen anfing: daher ließ Hutten in ber Ueberegung 
Stelle weg. 
Ungleidy wichtiger jedoch, als foldye Fleine Aenberungt 

im Terte, find die Zufäge, welche Hutten in der Geftalt $ 
gereimten Vor⸗ und Nachworten der Ueberfegung feiner @ 
fpräche beigab. Im Rateinifchen hatte nur die Trias Romät 
einen Epilog in Difticdyen, der den Inhalt des Gefprächs ii 
zufammenfaßte. In der Ueberfeßung haben alle vier ® 
fpräche jedes fein Bor: und Nachwort, wovon jedoch 
Vorwort des eriten wie das Nachwort des lebten 
Vor⸗ und Nadiwort zum ganzen Bude find. Davon | 
hört gleich das erftere zum Ergreifendften, was Hutien | 
fehrieben hat. | 

Die Wahrheit ift von Neuem gborn, 

Und hat ber Btrug fein Schein verlorn. 

Des ſag Bott Jeder Lob und Ehr, 

Und acht nit fürber Lügen mehr, 


Ja, fag ich, Wahrheit war verbrudt, 
Iſt wieder nun herfür gerudt. 


I. Buch. V. Kapitel, 













1) 2gl. die belden Stellen Opp. ed. Münch, IM, 477. V 

2) Opp. Ill, 409 fg.: Autienus. (Videre videor concubiesirt 
sacerdotes) matrimonio sibi ultro adjungere illas interdum eonaP 
binas. Febr. Aut aliam facere nonnunquam pessimem — 
vitae mutationem. 

3) In der Schrift an den deutſchen Adel (erſchienen im Juni 1000 
Zum 14ten. 














Hutten’s Reime zu feinen verdentfchten Geſprächen. 121 


Des foll man billig gnießen Ion, 

Die dazu haben Arbeit gthon ... 

Ad, fromme Deutfchen, halt ein Rath, 

Da 's nun fo weit gegangen hat, 

Daß nit geh wieder hinter ſich. 

Mit Trenen hab's gefördert ich, 

Und bgehr des weiter fein Genieß, 

Dann, wo mir gſchäh defhalb verbrieß, 

Daß man mit Hülf mich nit verlaß; 

So will ich auch geloben, daß 

Don Wahrheit ich will nimmer lan, 

Das foll mir bitten ab fein Mann, 

Auch ſchafft, zu fchreden mich, fein Wehr, 

Kein Bann, kein Acht, wie fat und ehr 

Man mich damit zu fchredien meint; 

Obwohl mein fromme Mutter weint, 

Da ich die Sach hätt gfangen an: 

Gott wöll fie tröften, es muß gahn; 

Und follt es brechen auch vorm End, 

Wille Gott, fo mags nit werden gwendt, 

Darum will brauchen Füß und Händ. 
Ich habs gewagt. 


Das Nachwort zum erften Fieber ift ein launiger Eins 
trittsgruß des Fieberd an den Curtiſan, zu dem Hutten, 
wie wir und erinnern, es gefchidt hatte. Das Vorwort zum 
zweiten Bieber thut des Zorns der Pfaffen über das erfte 
Erwähnung: durch denfelben habe fi Hutten bewogen ges 
funden, das Fieber von ihnen zu nehmen, da fie ohnedieß 
(bon ihr eigenes Kieber haben — in den Eoncubinen naͤm⸗ 
ih, deren Wirthichaft dieſes zweite Geſpraͤch beichreibt: nun 
werben fie von felber inne werben, ob fie jegt (in der Febr. 11.) 
beiler (als in der Febr. I.) geziert feien. Dieß erläutert hier⸗ 
auf der Epilog in den Worten: 

Ein Pfaff, der treibt das Fieber ans, 

Und hält darnach mit H.... Haus, 


Der hat ein böfen Wechſel gthon, 
Wie ich das hie befchrieben bon — 


worauf eine Empfehlung der Priefterehe folgt. 











122 I. Buch. V. Kapitel, 


In dem längern Vorworte zum Badiscus iſt zumdd 
Horaz nahgeahmt: das Büchlein hat dem Verfaſſer den Rd 
gegeben (wie dort der Dichter feinem Buche), ed noch 
Haufe zu behalten; er aber hat fi an den Rath nicht ad 
fehrt, fondern es in die Welt hinausgeſchickt; was er jehh 
büßen hat. Auch das Büchlein muß fürdhten, nach der & 
der Römifchen, verbrannt zu werden, und ed fragt fid, 
fi) dann Jemand feiner annehmen wird. Dennod will 
freimüthig jagen, wie es jept mit Nom beftellt ift, will A 
Deutfchen die Augen öffnen, und wenn ihm barım F 
widerfährt, fich mit der Hoffnung tröften, daß fich wielle 
noch Hand und Schwert finden werde, die gegen foldye | 
walt fid, Echren. Das Nachwort zum Vadiscus ift eine 
berfegung des lateinifchen Epilogs; ed zählt die im Gelpmil 
erörterten Mißbräuche auf, und jchließt: 

Diemweil es nun fo iſt geftalt, 

Se ift von Nöiben, mit Gewalt 
Den Sachen bringen Hülf und Rath; 
Herwieber an ber Lügen Statt 

Die göttlich Wahrheit führen ein, 
Die hat gelitten Schmah und Pein; 
Den falihen Simon treiben aus, 
Daf halt St. Peter wieder Haus. | 

Der kurze Reimſpruch vor dem Geipräh: Die 1 
fhauenden, deutet den Zug in bemjelben, daß der päpiik 
Legat die Sonne in den Bann thut, ald Sinnbild ba 
daß der Papſt fich vieler Dinge unterwinde, die ihn m 
angehen. Dann folgt aber noch eine profaifche Einleitin 
die, weil „dieß Büchlein etwas mehr denn Die vorigen I 
poetifche Art zugerichtet‘, die mythiſchen Figuren Phadl 
und Sol, jo wie etlicdye mythologifche und biftorijche Anipie 
lungen im Gejpräche, dem ungelehrten Leſer erläutert.) | 












1) Bei Gelegenheit der Gentauren: „Vnd no, wenn eim weil 


& 


grob, fyehiſch vnd vngütig ift, fo nennet man ju ein Genthaurem, & 














Hutten's Reime zu feinen verdentfchten Gefprächen. 123 


Endlich die Beſchlußrede: 


Sch hab euch's gjagt, ihr habts gehört: 
Wir feind geweſen lang bethört, 

Bis dag uns doch hat Bott bedacht, 
Und wiederum zu Sinnen bradt. 


Er, Hutten, wiffe felbft nicht, wie er in das Spiel gefom- 
men; Eines nur wolle er, bei der legten Noth und fo wahr 
ihm Gott helfen möge, betheuern, daß ihn Fein Lohn noch 
Nutz bewege: nur die Schalfheit verdrieße ihn, damit bie 
Welt betrogen und Mancher jämmerlid) verführt werde. So 
fönnte es ihm ja auch gleich gelten, ob dieſer oder jener res 
giere, und ob der Papft wirklich von Gott zum Herrn der 
Welt eingefegt fei, oder nicht. 

Allein ih Alles Hab gethan 

Dem Baterland zu Nutz und But; 

Die Wahrheit mich bewegen thut, 

Da kann ich nimmer laflen von. 

Hab ich des nie empfangen Lohn, 

Ja mehr zu Schaden fommen bin, 

Dann Fahr und Noth ift mein Gewinn. 


Das fteht nunmehr in Gottes Hand, 
Dem .alle Herzen feind befannt. 


Diefe feine ———— Abficht fei auch von Niemanden 
widerſprochen, als von Solchen, die ſich mit Lügen abgeben, 
wie ein gewiſſer freche Pfaffe und Curtiſan, der hinter ſeinem 
Rüden viel böſer Stücke gegen ihn ausgefagt habe; was er, 
Hutten, ihm aber noch einmal einzutränfen hoffe. Uebrigens 
ſei er bereit, Jedem, der ihm in's Geſicht etwas Böfes nach⸗ 
fagen zu fönnen glaube, Reve zu ftehen, damit die Wahrheit 
an den Tag fomme. 


fein leben Genthaurifch. ale dann yego vil ſeindt.“ Mahlzeit ber Gens 
tauren und Lapithen: „We in Teutfchland vnder den vollen Bauren 
oft gefchicht, dz ſye ire kyrb gu einer Centhauriſchen würtfchaflt 


machen.“ 





124 M. Bud. V. Rapitel. 


Die Mahrheit muß herfür, zu Gut 
Tem Baterland, das ift mein Muth. 
Kein ander Urſach ift noch Grund, 
Drum ih hab aufgethan den Mund, 
Und mich gefebt in Armuths Noth: 

„ Das weiß von mir ber liebe Gott. 
Der helf mir bei der Wahrheit Sad, 
Laß gehen aus fein göttlich Rach, 
Damit der Bös nit triumphir, 
Und daß auch werb vergolten mir, 
Ob ich vielleicht ohn Fug und Glimpf, 
Hätt gfangen an ein ſolchen Schimpf, 
Der Niemand größern Schaden bringt, 
Dann mir, als noch die Sad) gelingt, 
Dahin mih Bott und Wahrheit dringt. 

| Ih habs gewagt. ') 

Wie fi) in diefen Schlußreimen Hutten gegen Verlaͤum⸗ 
dungen verwahrt, und fich erbietet, über feine Handlungs» 
weife Jedem Rede zu ftehen, fo. that: er daſſelbe noch aus⸗ 
führlicher in einer eigenen Schrift. Durch feine Klag und 
Bermahnung an die deutiche Nation beſonders hatte er die 
Elerifei wider ſich aufgeregt, die ihn dafür ald Feind aller 
Geiftlichkeit, was damals fo viel hieß wie aller Religion und _ 
Staatsordnung, zu verfchreien fuchte. Obwohl nun Hutten 
jenen ,zornigen Spruch“, richtig verftanden, „To 656 nicht” 
finden, auch nicht glauben konnte, ſich damit geirrt zu haben, 
fo hielt ee doch für gerathen, fich zu einer „Entfchulbigung” - 
herbeizulafien.) Daß er nicht aller Geiftlichen Feind fei, 
dafür war es ihm leicht, fich auf verfchievene Stellen jenes 
Gedichtes felbft zu berufen, wo geflagt wird, daß fromme und 





— — — — ⸗ 


1) Darunter die zwei oben erwähnten Standbilber, und ganz unten: 
Laeta Libertas. 

2) Enndefchuldigung Vlrichs von Hutten wyber etlicher vnwarhaff- 
tiger außgeben von ym, als folt er wider alle geyftlichfeit vub prieſter⸗ 
fehafft feyn. Mit erflärung etlicher feiner gefchrifften. Wiederabgedruckt 
bei Burdharb II, 205—260. Meiners, ©. 468-498. Opp. ed. Münch, 
V,415—448. Bgl. Panzer, ©. 168 fg. 











Hutten's Entfchuldigung ıc. 125 


gelehrte Beiftliche hintangefegt und mit feinen oder geringen 
Pfründen bedadht werden. Die ganze Bewegung, an der - 
Hutten mitwirfe, fei vielmehr zum Beten der wahrhaft Geift- 
lihen angefangen, die ja in erfter Linie von den römifchen 
Höflingen und ihrem Anhange zu leiven haben. Wer einen 
frommen Geiftlichen befchädigt, der fol füch nicht mit Hutten’s 
Namen bededen, der vielmehr würdige Prieſter nach Kräften 
ſchützen und fördern will; ed wäre denn, daß fidy einer von 
feinen Feinden verhegen ließe, ihn zu verfolgen. Wogegen 
feine Schrift gerichtet fei, liege am Tage: und es wird bei 
diefer Gelegenheit gegen Papft und Cleriſei alled dasjenige 
noch einmal gejagt, was, jo lange die Uebelftände fortdauer- 
ten, nicht oft genug gefagt werben fonnte. 

Aber, werde man fragen, warum denn gerade er fid 
diefer Dinge mehr als andere Leute unterwinde? „Wahr 
ift, jagt er darauf, daß ich hierin nicht mehr denn Andere, 
ja auch weniger denn Mancher, zu fjorgen hab: allein daß 
mid) Gott mit dem Gemüth (ich förcht) beichwert hat, daß 
mir gemeiner Schmerz weher thut und tiefer denn vielleicht 
Andern zu Herzen gebt.” Er habe lange Zeit gewartet, ob 
nicht ein Geſchickterer ſich der Sache annehmen wolle. Weil 
er aber geſehen, daß Niemand herfür gewollt, dabei der Kurs 
tifahen Regiment fid) immer mehr erhebe und ausbreite, 
Wahrheit aber und Freiheit immer mehr unterbrüdt werde, 
wage er ed im Ramen Gottes, und hoffe, daß fromme Den, 
jhen ihm wenigftens Glüd und Heil dazu wünfcen werden. 
Zu verlieren habe er in diefem Handel nichts als Leib und 
Gut, welche beide er, felbft wenn fein Gut mit eined Jeden 
Reichthum zu vergleichen wäre, geringer achte, ald daß er um 
ihretwillen ein ſolch ehrbars und billige Fürnehmen unters 
laſſen follte. Aber die Ehre wolle er, mit Gottes Hülfe, un- 
verjehrt mit fih in die Grube bringen; fie folle ſich dieſer 
Sache halber, fo hoffe er, mehren, nicht mindern. Selbft 





126 1. Buch. V. Kapitel, 


















wenn er in biefem Fürſehen untergehen follte, getröfk 
fi) doch der chriftlichen Abficht, die er dabei gehabt, fi 
des guten Samensd, den er ausgeſtreut, unb ben, 
das Bertrauen habe, Feine Lift noch —— aller 
tifanen je mehr jo ganz werde zertreten oder & tzeln 
nen, daß derſelbe nicht dereinſt nach ſeinem — 
gehen ſollte. Auch hoffe er, fo gelebt zu haben, & daß 
ihn noch feinem Frommen Schaden und Beſchwerniß 
fahren fei, ſondern er habe fi fein eben und jung 
fauer werben laſſen, in Armuth, Noth und Fahr nad € 
und guten Künften geftanden, und feinem Leib b ben 
gethan. „Wie möchten denn, wo ed mir übel ing 
gute Leute meines Unglüds freuen? Vielmehr will # 
guten Willend und Erbarmens vermuthen.“ 
Eines Uebergriffs in das geiftliche Amt wifle er Ih 
fhuldig, da er nicht ald Prediger, ſondern ald Pan 
mahnt habe; wo ed von Nöthen geweien, feinem CH 
einen Grund zu jchöpfen, habe er in die heil. St 
griffen; allein das ftehe jedem Chriften zu, und er he 
„nicht mit ungewaſchenen Händen‘ gethan zu haben; 
aber dabei das Rechte getroffen oder nicht, das hätte fi 
„Verhör“ finden müffen, wozu er fich bisher wergeht 
boten habe, auch gebe er ed noch den Gelehrten und I 
tetifchen zu beurtheilen anheim. | 
Noch meniger könne er fich eined Vergehens ger 
Obrigkeit, weil er ohne Geheiß derfelben gehandelt, 
befennen. Zu dem, was Jedem befohlen ift, bedarf ® 
ner befondern Grlaubniß. Jeder aber ift fchuldig, | 
hriftlihen Glauben zu wachen, feinem Nächften bad ® 
zu rathen, und um feines Waterlandes willen fich zu be 
„Einen getreuen, wadern Hund beißt fein Herr nimmer 1 
fobald er aber einen Dieb erficht, bewegt ihn natürliche 
und Wohlmeinung gegen feinen Herrn, ihm zur War 











Hutten's Entſchuldigung ır. 127 


denſelben anzuzeigen.“ Uebrigens habe er vor Allen den Kai⸗ 
ſer aufgerufen, ſich der Sache anzunehmen. Auch die Fürſten 
habe er ermahnt, ein Einſehen zu haben, und ihnen vorge⸗ 
ſtellt, „daß zu fürchten ſei, wo die Oberkeiten nicht ſelbſt 
dieſen Dingen rathen, daß etwa ein gemeiner Hauf und das 
unfinnige Volk, nachdem der Curtiſanen und ungeiſtlichen 
Geiſtlichen Ungebühr aufs Höchſte geſtiegen, ſich erhebe, und 
alsdann mit Unvernunft in Haufen ſchlage.“ Wer ſo vor 
Aufruhr warne, ob der ein Aufruhrſtifter ſei? Wenn aber, 
bei laͤngerm Zögern des Kaiſers und der Fürſten, Hutten 
oder ſonſt Jemand etwas Gewaltſames gegen die Curtiſanen 
und ihren Anhang vornaͤhme, fo konnte dieß Fein Landfrie⸗ 
densbruch heißen, da es nur Nothwehr gegen unleidliche Ge⸗ 
walt, gegen Leute waͤre, die ſelbſt als gemeine Friedbrecher 
und Feinde des Vaterlandes zu betrachten ſeien. 

Nun heiße es aber, gegen geiſtliche Leute ſei es Unrecht, 
Waffen und Wehr zu brauchen. Hier werden die ungeiſtlichen 
Prieſter auf Einmal geiſtlich, muthen dem Hutten chriſtliche 
Sanftmuth zu, und warnen, nicht das Blut der Geſalbten 
Gottes zu vergießen. Sonſt gehen ſie einher wie Krieger, 
ſchaͤmen ſich des Chorhemds und der Platten: ſobald aber 
Jemand etwas mit ihnen abzumachen hat, ſo ſind ſie geiſt⸗ 
liche Väter, rufen den character indelebilis des Prieſterthums 
an, und nehmen die Schonung in Anſpruch, welche man 
biefem Stande fchuldig ſei. Das Fönnte man fich gefallen 
laſſen, wenn ſie ſich wirklich geiftlich hielten; dann wäre die 
deutfche Nation unbefchwert, und es bedürfte ded ganzen 
Streites nit. Da fie aber fo, wie man fieht, leben, fe 
haben fie durch den Weberfluß ihrer böfen Werke den geiſt⸗ 
lichen. Charakter längft in ſich ausgetilgt, den Anſpruch auf 
Schonung längft verwirft. Wenn ein Geiftlicher vorfäglich 
und beharrlich übel thut, darf man ihn wie einen Andern 
firafen, darf Gewalt, Raub und Erpreffung mit Gewalt ab⸗ 






















128 II, Buch. V. Kapitel, 


treiben. Jedes Volk hat das Recht, für feine Freiheit; 
Tyrannen zu Eriegen. ine ärgere Tyrannei und Dienfl 
feit aber, als die Päpfte uns auflegen, ift nie geweſen. 
berbieß gebrauchen fie ja ſelbſt das Schwert, folglid; 
man es auch gegen fie gebrauchen. „Soll man, : ob 
billige Urſach wär, wider Papft und Biſchof nicht Fit 
warum haben denn etlich hundert Jahr ber die Päpſ 
Krieg gegen den römifchen Kaifern, denen fie doch, ale, 
ſtus angezeigt, ‘Petrus und Paulus geheißen haben, 
unterworfen fein follen, auch andern Ehriftenfürften, zum! 
durch Anhegung Andrer, geführt? ..... Warum hat net 
nig Jahren der Bluthund Julius nahezu die ganze (hr 
heit in ein gemein Mörberei -und Leutverderben vermiläl 
gefuppelt? .. Warum hat der allerheiligft Leo, auf d 
feinen Vetter zum Herzog machte, den redytlich vegien 
Fürften von Urbin mit Gewalt und Schwertichlag vern | 
.. Und daß idy auch mein felbft nicht vergeffe, warum | 
dann derielbig zornig Leo von Rom heraus, und heipkm 
ihm, auf daß er fein tyrannifch Schwert mit meinem ualüll 
digen Blut negen, oder vielleicht noch ein Böferes beuik 
möge, gefangen gen Rom ſchicken? Iſt dieß Die Freihe 
der wir fie halten und beſchirmen follen? Sind bie 
Gejalbten Gottes, an die Niemand Hand anlegen jetz 
Daß er für den äußerften Fall zur Gewalt aufrufe, 
deuten feine Feinde dahin, daß jie ihm Schuld geben, U 
zwede mit jeinem Schreiben nichts, als leichtfertige Yeuk 
ein los Geſind an fidy zu hängen, um mittelft deſſelben 
durh Vernunft, fondern durch ungeflüme Gewalt, I 
Muthwillen auszuführen. Allein in erfter Linie babe t 
ja zum Streit auf dem Grunde der heil. Schrift, zum ai 
hör vor dem Kaiſer jelbft, erboten. Wenn nun abe 
Widerwärtigen ihn, wie biöher, nicht zum Verhoͤr kom 
laflen, fondern tyranniſch unterbrüden wollen, she 





















Hutten’6 Entſchuldigung ıc. 129 


er allerdings mit Gewalt fi zu wehren; das werde aber 
fein Iofer Haufe, fondern ehrbare, redliche und tapfere Leute 
fein. 

Außer feinen, Schriften fchelten die @urtifanen und deren 
Anhänger audy fein Leben, und gehen dabei bis in feine Kind- 
beit zurüd. Hier iſt e8, wo fich Hutten gegen den Vorwurf, 
durdy feine Flucht aus Fulda ein bereits abgelegted Klofter- 
gelübde gebrochen zu haben, in der nachdrücklichen Weiſe vers 
theidigt, deren wir zu Anfang diefer Zebensbefchreibung ger 
denfen mußten. Auch bier, wie in dem Nachwort zu den 
verbeutfchten Gefprächen, wird unter denen, welche Hutten’s 
Ruf angreifen, vor Allen „ein großer Romanift” hervorge- 
hoben, der ihn hinter feinem Rüden einen Böfewicht und 
Verräther genannt habe, welcher nicht werth fei, wozu er 
fi) erbiete, für das deutſche Vaterland in den Tod zu gehen, 
vielmehr ale ein grindig Schaf von der Gemeinde abgeſon⸗ 
dert, und von reblihen, frommen Leuten gemieden werben 
follte. Da nun Hutten nicht wife, wer derfelbige Bieder⸗ 
mann fei, jo fönne er auf fein Schelten weiter nichts thun, 
als ihn verfichern, daß er ihm vor Gott Unrecht thue, und 
ihn auffordern, mit feiner Beſchuldigung öffentlich hervorzu⸗ 
treten. „Kann ich mich dann nicht verantworten, fo weh 
mir, daß ich je einen Buchftaben ſchrieb, je ein Buch laß, 
je zur Schulen ging, ja, daß ich je geboren ward: fo mich 
aljo viel guter Künft nicht haben weifen, fo viel heilfamer 
Geichrift, in denen ich (ohn Ruhm zu reden) mich geübt, 
nicht lehren, jo viel Gelehrte, mit denen ich umgangen, fo 
viel redlicher Zeut, bei denen ich gewohnt, mit guten Unter⸗ 
weifungen und Beifpielen nicht haben von ſolchen böfen Sit- 
ten abziehen und zur Ehrbarfeit reizen mögen.‘ Trete aber 
der Läfterer nicht öffentlich hervor, fo erflärt ihn Hutten für 
einen diebiſchen, verrätheriichen Ehrabfchneider, bittet auch 
alle Menichen, wo ihn einer hinter feinem — ſchmaͤhen 

Strauß, Hutten. IL 





180 ll. Bud. V. Kapitel. 


würde, ihm Anzeige zu machen: bemfelben wolle er mit Gots 
te8 Hülfe dermaßen begegnen, daß erfannt werben folle, er 
habe nichts, das einem frommen rittermäßigen Mann zu Bes 
ſchützung felner Ehre gezieme, unterlafien. . 

Auch in die Form eines fangbaren Volksliedes bat um 
dieſe Zeit Hutten "die hohe und doch elegifhe Stimmung, 
welche das Bewußtſein feines patriotifhen Wagnifles ihm 
gab, gebracht. Im Jahr 1521 erſchien „ein neu Lieb Herm 
Ulrichs von Hutten‘ ): 

Ich hab's gewagt mit Sinnen, 
Unb trag bes noch fein Reu; 
Mag ich nit dran gewinnen, 
Doch muß man fpüren Treu, 
Damit ichs mein: 

Nit Eim allein 

(Wenn man es wollt erfennen), 
Dem Land zu gut, 

Wiewol man thut 

Ein Pfaffenfeind mich nennen. 


Da laſſ ich Jeden lügen 

Und reden was er will: 

Hätt Wahrheit ich gefchwiegen, 
Mir wären hulder vil; 

Nun hab ichs gfagt, 

Bin drum verjagt, 

Das klag ich allen Frummen; 

Diewol noch ich 

Nicht weiter flich, 

Bielleiht werd weiter kummen. 


Er bitte nicht um Gnade, da er ohne Schuld fei; er habe 
fih zu Recht erboten, aber man habe ihm nicht zu Gehoö 





1) Hin new lied here Vlrichs von Hutten. Am Schluffe: Getruckt 
im jar XXI. Als No. 8 unter altdeutfchen Bolfsliedern aus der Kaif. 
Bibliothef zu Wien mitgetheilt von G. Leon in Graͤter's Zeitfhrift Bras 
gur, VII, 2, Leipzig 1802, ©. 95 fg. Wieberabgedr. bei Münch, Opp. 
V. 825— 877; auch in 2. Uhland's Sammlung alter hoch⸗ und niebers 
deutſcher Boltelieber. 











Ein neu Lieb Ulrich'e von Hutten. 131 


fommen laflen; er tröfte fich mit dem Bewußtſein feiner guten 
Abfiht und unverlegten Ehre; dagegen möge man auf ber 
andern Seite bevenfen, daß oft große Flamme von einem klei⸗ 
nen Fünklein gekommen fe, und daß die Umflände ihm 
vielleicht nody Gelegenheit geben werben, ſich zu rächen; er 
wenigftend ſetze Alles daran, daß ed entweder gehen oder 
bredyen möge. 


Bill nun ihr felbs nit rathen 
Dies fromme Nation, 

Ihre Schadens ſich ergatten, 
Als ich vermahnet Kon: 

So ift mir leid. 

Hiemit ich fcheid, 

Will mengen baß bie Karten: 
Bin unverzagt; 

Ich habe gewagt, 

Und will des Ende erivarten. 


Ob denn mir nach thut benfen 
Der Curteſanen Lift: 

Ein Herz läßt fich niche kraͤnken, 
Das guter Meinung if. 

Ich weiß: noch Biel 

Wolln auch in’s Spiel, 

Und folltens drüber flerben. 

Auf, Landéknecht gut, 

Und Reuters Muth, 

Last Hutten nicht verberben! 


ALS eine Art von Wieverhall, von Antwort aus dem 
Chore des Volks auf diefe Anſprache des ritterlichen Helden⸗ 
Ipieler8 fann man zwei Lieder betrachten, deren eined nach ber 
Weife eined Reiterlieds auf Franz von Sidingen, das an⸗ 
dere nach der eines Marienlieds zu fingen war. Sang man 
von dem Ritter der Ebernburg: 

rang Sickinger das edel Blut 
Das hat gar vil der Landsknecht gut u. ſ. f., 
fo hieß es nun von dem Stedelberger, freilich etwas profaifcher: 
9 » 








132 I. Bud. V: Kapitel. 


Weich von Hutten das edel Blut 
Macht fo koſtliche Bücher gut; 


er wird als Beichüger der evangelifchen Lehre, als Vech 
des Worte® Gotted gefeiert, und am Schlufle fo angernl 


Ulrich von Hutten, biß wolgemuth, 
Ich bitt, daß Gott dich Kalt in Hut 
Jetzt und zu allen Zeiten; 
Sort bhüt all chriftlich Lehrer gut, 
Wo fie gehn oder reiten. 

3a reiten. !) 


Das andere Lied redet im Eingang den Ritter an: 


Ach edler Hut aus Frauken, 

Nun fieh dich weislich für, 

Gott folt du loben unb banfen, 
Der wird noch helfen bir 

Die Grechtigkeit vorfechten: 

Du folt beiſtahn dem Rechten, 
Mit andern Rittern und Knechten, 
Mit frommen Kriegsleuten gut 
Beſchirmen des Chriften Blut. 


Er möge fid) nur nidyt bethören, nicht von dem Worte 
tes abwendig machen laſſen. Doc, beruhigt fi) bernad 
Dichter felbft, 


Huttenus halt ſich veite, 

Des hab ich guten Bſcheid; 

Er wolt gern thun das Beſte 

Der frommen Ghriftenheit, 

Thut fein Seel für uns fegen, 
Acht nit wer ihn thu legen... . 
Gott geb ihm Glüͤck und Eid, 
Das er all Sad wol fchid. ?) 


1) Bragur a. a. DO. No. 10: Ein nem Lied. Im then wei 
fingt: Frang Gidinger ıc. Auch bei Münch I, CXII—XV. Bee 
Leffel, |. Godefe, Grundriß zur Geſch. der deutfihen Dichtung, ©. 

2) Bragur a. a. D. No. 9. Eyn hupfch new lyed von ber 
Hutten, Im thoue, Bon erft jo wöll wir loben Maria bie reyme 
Mänd I, CKVI— XIX. Gleichfalls von Cunz Leffel, Gäbele a. . 











Lieber über Hatten. 183 


Bon diefem Wiederflang, den feine Worte und Beftrebungen 
in der Rähe und Berne fanden, blieb Hutten nicht ohne Nachricht. 
Zahlreiche Briefe, die ihn deſſen verficherten, aus Deutfchland und 
den Nachbarländern, liefen bei ihm ein.!) Aus Böhmen fchidten 
die Huffiten ihm wie Luthern die Schriften ihres Meifters zu. ®) 
Das alles vermehrte nur die fieberhafte Ungeduld, die ihn während 
feiner unfreiwilligen Muße auf der Ebernburg verzehrte. Das 
Schreiben genügte ihm nicht; er hätte gar zu gerne mit dem 
Schwerte dreingeichlagen. ?) Lebenslänglich ftanden in Hutten 
der Schrififteller und der Ritter im Wettflreite: der Erſtere 
mochte thun und leiften was er wollte, jo war ber Leptere 
unzufrieden, daß ihm die Gelegenheit, auch etwas zu leiften, 
fo ganz entgehen follte. Es war eine Täufhung; denn was 
hätte der Ritter Hutten thun Fönnen, das demjenigen, was 
er als Schriftfteller wirkte, zu vergleichen geweſen wäre? 
Die Täufhung war für Hutten's Leben verhängnißvoll; 
aber feiner Echriftftellerei kam fie zu Gute: der ganze Ueber 
fhuß des ritterlichen Feuerd in Hutten, das ſich durch ben 
Degen nicht Luft machen fonnte, ergoß ſich durch die Feder 
in feine Schriften, und gab ihnen jenen Eriegerifchen, jugend» 
ih heldenhaften Ton, der ihren unvergänglicdhen Reiz aus⸗ 
madıt. 

„Mic quälen, jchrieb er um jene Zeit an Bapito, diefe 
häufigen und immer wiederholten Ermartungen von den 


1) Othonis Brunfelsii Resp. ad Spong. Erasmi. In Hutteni 
Opp. ed. Münch. IV. 582. 

2) Processus consistorialis martyrii Jo. Huss ctc., wo ber Her⸗ 
ausgeber (ohne Zweifel Otto Brunfele) auf der Ruͤckſeite des Titelblattes 
fagt: Ea (historia) mirabili providentia Dei ex thesauris relicia est 
felicis memoriae christianissini et doctissimi viri Ulrichi ab Hutten, 
cui etiam ex Bohemia est reddita. 

3) Quam gestiunt gladii mihi! (fo, nicht missi, wie Röhrich ab» 
druden ließ, hat das Orig. zu Bafel) ſchrieb er fhon im Juli 1520 aus 
Gelnhauſen. Niedner's Zeitfchr. 1865, ©. 627. 





134 U. Buch. V. Kapitel. 


Freunden. ?) Hätte ich doch glei von Anfang gewagt, 
mir felbft zu rathen und auf eigene Kauft zu handeln. Denn 
diefe andern Rathgeber wollen mir je länger je weniger ge- 
fallen.) An Luther aber fehrieb er: „Gewiß, bu würs 
deft Mitleid mit mir haben, wenn du fehen jollteft, wie ich 
hier zu kaͤmpfen babe: fo wenig kann man ſich auf die Men- 
fhen verlaffen. Während id, neue Bundesgenofien anwerbe, 
fallen die alten ab. Ein Jeder hat eine Menge von Bedenken 
und VBorwänden. Bor Allem ift ed der Aberglaube, der die 
Menſchen fchredt, die eingefogene Meinung, dem ‘Papfte, und 
wäre es auch der ungerechtefte und fchlechtefte, zu widerſtre⸗ 
ben, fei ein unfühnbares Verbrechen. Doch thue ich was 
ih kann, und weiche nimmer dem Mißgefchid.” Nur Franzens 
Gefinnung fand Hutten: probehaltig; doch dieſer gerade war 
es, der ihn abhielt, einen Gewaltſtreich zu thun, indem er, 
wie Hutten an Erasmus fchrieb, erft einen Verſuch mit dem 
jungen Kaiſer machen wollte, in der Hoffnung, diefer werde 
entweder die Sache der Reform felbft in die Hand nehmen, 
ober berfelben doch nichts in den Weg legen; eine Hoffnung, 
weiche freilich durch ultramontanen Einfluß fchon fo gut wie 
vereitelt war, weßwegen Hutten eine gewaltfame Schilderhe⸗ 
bung zulegt doch für unvermeidlich anfah.”) Gar zu gerne 





1) Huttenus Capitoni 1520. In Niedner's Zeitſchr. f. Hifler. 
Theol. 1855, S. 628. 

2) Verbi divini praeconi invictissimo Mart. Luthero, fratri et 
amico dilectissimo, U. Huttenus. „, Ex Ebernb. 5 Id. Dec. 1520. 
Bei Burckh. II, 127 fg. Opp. ed. Münch, III, 617. 

3) Huttenus Erasmo. Ex Ebernb. Id. Nov. 1520. Mofer’s 
Batriot. Archiv VII, 23fg. Opp. ed. Münch, IV, 50: .. jam videbit 
(Pontifex) contra suum furorem arma expediri: quod jam ante 
factum esset, nisi Francisci consilium fuisset, Regem tentare prius, 
spe concepta, fore ut hoc ipsum Rex agat, aut certe agentibus 
conniveat: neque non factum arbitror, nisi omnia inverteret scele- 
ratus ülle Sclaius (Sclavonier, d. 5. Aleander), corolla Caesari oblata, 
Cujus praemium poscimur Lutherus et ego. 








Hutten's Ungeduld. 135 


hätte ſchon damals wie noch ſpäter Hutten den beiden paͤpſt⸗ 
lichen Nuncien, welche ſich nad) Carl's Krönung in Coͤln be⸗ 
fanden, um den Kaiſer und die Fürſten gegen Luther zu ſtim⸗ 
men, die Wege verlegt und ſie abgefangen: allein wozu ſollte 
ein ſolches NRitterftüdchen ‚helfen?! Es konnte einen Poeten 
wie Eoban, ſelbſt Luther in manchen Stimmungen, ergetzen i): 
aber Sickingen hatte Recht, es dem Freunde auszureden. 
Hutten ſelbſt ſah bei Fälterm Blute ein, daß, um einen 
bleibenden Erfolg herbeizuführen, er fich bedeutenderer Kräfte 
verfichern müſſe. Daher lag es ihm fo fehr an, die Gefin- 
nung ded Kurfüriten von Sachen zu erforjhen, und ihn wo 
möglich zu gewinnen. Da ihn Spalatin auf verfchievene An- 
fragen in biefer Richtung ohne Antwort gelaflen hatte, fo 
wendete er fih jest an Luther. Es würde feine verlorene 
Mühe fein, fehrieb er ihm am 9. December, wenn er aus⸗ 
führlich auf die Ebernburg berichten mödte, was in feiner 
Umgebung vorgehe, was von Jedem zu hoffen, welches Wag⸗ 
niß Jedem zuzutrauen ſei. Bor Allem wünfche Hutten zu 
wiflen, in wie weit man auf den Kurfürften rechnen dürfe. 
Luther möge ſelbſt auch jeinen Einfluß aufbieten. Gr 
glaube nicht, wie wichtig es für ihre Sache wäre, wenn ber 
Kurfürft entweder felbft ihnen bewaffneten Beiſtand leiſten, 
oder doch zu einer Ihönen That durch die Finger fehen mödhte: 
d. h. ihnen geftatten, innerhalb feines Gebiet Aufenthalte 
zu fuchen, wenn es die Umſtände erbeifchen follten. Sobald 
er darüber Gewißheit habe, fei fein Entſchluß, einmal in 
Wittenberg einen Befuch zu machen. Denn länger fönne er 
fi nicht mehr halten; er müfle einen Dann, den er feiner 
Tugend wegen fo fehr liebe, einmal ſehen. Zugleich ſchickte 


1) Lutherus Spalatino. Ex Eilenberga 13. Nov. 15%. Briefe ıc. 
berausgeg. von de Wette, 1, 6523: Gaudeo Huttenum prodüsse, at- 
que utinam Marinum aut Aleandrum intercepisset, 











136 I. Bu. V. Kapitel. 


Hutten, wie ſchon oben erwähnt, feine neueften Schriften an 
Luther, und zwar in berichtigten Exemplaren, weil er ver: 
‚muthete, diefer werde fie dort neu auflegen laflen; was auch 
mit einigen geſchah.) 

In demfelben Briefe beklagt fih Hutten barüber, daß 
ihm Luther's neuere Sachen nody nicht zugefommen, und wun⸗ 
dert ſich, daß diefer fie ihm nicht zufende, da doch Leute, Die 
fie an Franz von Sidingen mitnehmen könnten, dort fo leicht 
zu finden fein müßten. Auch am 16. Januar des folgenden 
Jahres klagt Hutten gegen Spalatin, daß in fo bewegter 
Zeit Luther ed nicht der Mühe werth finde, an ihn zu ſchrei⸗ 
ben.) Ganz zwar unterblieb dieß nicht; doch gefchah es 
weder fo oft nody fo rüdhaltlos, ald ed Huiten wünſchen 
mochte, der feinerfeitd Luthern mit liebenswürdigfter Dffen- 
heit und begeiiterter Hingebung entgegenfam. Der Grund 
von Luther's Zurüdhaltung offenbart fh, da ung feine Briefe 
an Hutten verloren find ?), in einer Aeußerung defielben gegen 
Spalatin, dem er eben jenen Hutten’fchen Brief vom 9. De⸗ 
cember mittheilte. „Was Hutten begehrt, fiehft du. Ich 
möchte nicht, daß mit Gewalt und Mord für das Evange 
um geftritten würde: in diefem Sinne habe ih an den Mann 
gefchrieben. Durdy das Wort ift die Welt überwunden, durch 
das Wort die Kirche erhalten worden: fo wird fie auch durch 
das Wort wiederhergeftellt werden; und auch der Antichrift, 
wie er ohne Gewalt angefangen bat, fo wird er ohne Ge⸗ 





— — — — 


1) Huttenus Luthero. Ex Ebernb. 5 Id. Dec. 15%. Opp. 
M, 619. 

2) Huttenus Spalatino. Ex Ebernb. 17 Cal. Febr. 1521. Opp. 
IV, 292. 

8) Einmal Flagt Luther felbft {chen über das Abhandenfommen eines 
folgen Briefe. Ad Spalatin. Witt. 17. Febr. 1521, bei be Wette I, 
560: ‚Jam Hutteno quoque quas scripsi copiosissimas (literas) quis 
ventus abstulit? 





Hutten und Luther. 137 


walt zermalmt werben buch das Wort.” !) Beide Männer 
waren in den Mitteln zu dem gemeinfamen Zwede nicht einig: 
was Luther al8 etwas betradytete, dad man im Außerften 
Galle geichehen Taflen müffe, wenn es nicht zu vermeiden ſei, 
das brannte Hutten vor Ungeduld, jetzt fchon felbft herbeizu- 
führen. Wenn es durch die Wuth der Römlinge zum Bruche 
fomme, fchrieb Luther bald nachher an Spalatin (und das 
werde dann ein dem Böhmifchen ähnlicher Aufruhr mit blus 
tigen Ausbrücden gegen die Geiftlichen werben), fo fei er 
außer Schuld: denn fein Rath fei geweien, daß der deutſche 
Adel nicht mit dem Schwerte, fondern durch Befchlüffe und 
Verordnungen, jenen Menfchen Schranfen ſetze. Allein es 
fcheine, dieſe werden ſich durch gelinde Mittel nicht weifen 
laſſen, fondern in hartnädigem Wüthen das Verderben felbft 
über fich herbeiführen. 2) 

In feiner Art ließ ed übrigens Luther, auch neben feinen 
Schriften, an der kräftigften Demonftration nicht fehlen. Am 
10, December warf er.vor dem Elſterthore zu Wittenberg die 
Bannbulle gegen ihn, ſammt den päpftliden Rechtsbüͤchern, 
in da Feuer; eine That, die, in ihrer fombolifchen Bedeutung 
von unenblidher Tragweite, für ihn dad Verbrennen ſei⸗ 
ner Schiffe war, woburd er ſich jede Umkehr unmöglich 
machte. 


1) Spalatino, 16. Jan. 1521, bei de Wette, 1, 548. 
2) Spalatino, Witteb. 27. Febr. 1521, bei be Wette, I, 568. 








Sechstes Aapitel. 


Franz von Sickingen Hutten's Schüler und der Held 
feiner neuen Dialogen. 


1520/21. 





Schriften: Zueignung der verdeutfchten Geſpräche. Dialogi novi: Bulla 
s. Bullicida. Monitor I. et I. Praedones. 


Je weniger Ausſicht auf Unterftügung feiner Plane Hutten, 
des Kaiſers zu geſchweigen, ſelbſt von Seiten desjenigen Fürſten 
hatte, welcher der Sache der Reformation am günftigften zu 
fein fchien, deſto mehr fuchte er fich feines Gaftfreundes Franz 
von Sidingen, defien Macht und Bedeutung. um jene Zeit - 
der eines Fürften faum nachftand, zu verſichern. Es fehlte 
nicht an Solchen, welche dieſen, theild aus verwandtichaftlichem, 
theild aus Partelintereffe, von Hutten und der Reformation 
abzuziehen fuchten. Sein übrigens trefflicher Schwager, Phi⸗ 
(ipp von Flersheim, damals Domfänger, in der Yolge Bi- 
fhof von Speier, defien Chronif eine Hauptquelle für Sidin- 
gen's Gefchichte ift, wie fein Gegenfchwäher, der Ritter Die- 
trich von Handfhuhsheim, an deſſen Umftimmung er in der 
Folge ein eigened Senpdfchreiben wendete, waren ohne Zwei⸗ 
fel audy mit unter den Berwandten und Freunden, von denen 
Hutten fchreibt, daß fie in Franzen gedrungen, ſich von einer 











Hutten Tieft met: Sickingen Lurtfer’s Schriften. 189, 
fo gefährlichen Sache loszuſagen. Man fuchte ihm von Ins 
ther's Meinungen und Planen eine abſchreckende Borftellung, 
beizubringen, und führte dabei. wohl. auch Stellen aus deſſen 
Schriften an, die in denſelben gar nicht zu finden waren. 
Franz hatte bis daher von Luther nur Weniges obenhin 
gelefen: jet benugte Hutten bie winterliche Muße auf der 
Edernburg, den Freund tiefer in die Schriften des Reformag 
tors ‚einzuführen. Einige Proben, die er ihm vorlas und 
mundlich erlaͤuterte, mußten ihn erſt begierig machen; ; bald 
fing die Sache ihm einzuleuchten an, und bei weiterm Leſen 
kam es zur Ueberzeugung. Er überſah die Grundlagen, er⸗ 
maß den Aufbau der Lutheriſchen Lehre, und Wie? rief & 
aus, das wagt Jemand erichüttern zu wollen, ober wenn 
er's wagt, hofft er's zu können? In Kurzem ließ er Feng. 
Mahlzeit vorübergehen, nach der ihm nicht Hutten etwas von, 
Luther oder auch von fich felbft vorlefeh mußte; woran ſich 
Geſpraͤche fnüpften, in denen Hutten die Faſſungskraft feinet 
Sreundes, fein Talent, das Aufgefaßte beredt wiederzugehen 
und felbfifländig weiter auszuführen, bewundern lernte. Jet 
war Siäingen gegen die Berfuche, ihn waufend zu machen, 
gerählt: ‚auf die ſchon oben erwähnte Warnung feiner Bere 
wandten vor der Betheiligung an einer fo zweifelhaften 
war jet feine Antwort, die Sache fei keineswegs zweifelhaft, 
benn es ſei die Sache Chriſti und der Wahrheit; überbieh 
fromme «8 dem deutſchen Bemeinweien, daß Luthers und 
Hutten’d Mahnungen Gehör finden und der Glaube m 
ſchirmt werde. ) 
Stehen wir einen Augenblict vor dieſem Bilde ſtill: * 
iſt eines der ſchoͤuſten in der Geſchichte unſeres Volles. ün 
1) Alles dieß nad dem oftangeführten Briefe — an — 
vom 9. Der. 1520, abgedr. bei nn U, 1988 fg. Opp. — Münch, 
I, 617. Bol das Befpräd: Bew Rerfans,"Opp.: V, Nuc 
die Vlercheimor Chronit tel’ Maach ee en en wi Nik 





140 IT. Bud. VI. Kapitel. 


gaftlichen Tifche der Ebernburg fiten in den Winterabenden 
zwei deutfche Ritter, in Gefprächen über die deutfchefte Ange⸗ 
legenheit. Der Eine Flüchtling, der Andere fein mächtiger 
Beſchuͤtzer: aber der Flüchtling, der Jüngere, ift der Lehrer, 
der Aeltere fchämt fich des Lernens nicht, wie ber ritterliche 
Lehrer felbft neidlos dem größern Meifter, dem Möndy zu 
Wittenberg, fi unterorbnet. 

Aus diefer Blüthezeit des Verhältnifies beider Männer 
ift die fchöne Zueignung an Sickingen, weldye Hutten ber 
deutfchen Leberfegung feiner Geſpraͤche vorangeftellt hat i, 
und deren nähere Betrachtung wir ebendeßmwegen bis an diefe 
Stelle verfchoben haben. Ohne Urſache, fagt Hutten in dies 
fer Widmung, ſei das Sprühwort: In Nöthen erfennt man 
den Freund, nicht aufgefommen. Denn Niemand dürfe fagen, 
daß er mit einem Freunde verwahrt fei, er habe ihn denn 
in feinen nothdürftigen anliegenden Sachen dermaßen, daß 
er ihn inwendig und auswendig fenne, verfucht und geprüft. 
Wiewohl nun der glüdfelig zu achten, dem nie von Röthen 
gewefen, einen Freund Diefergeftalt zu probiren, mögen doch 
auch die fid) der Gnade Gottes berühmen, die in ihren Röthen 
beftändige und hart baltende Freunde erfunden haben. „Une 
ter welchen”, fährt Hutten fort, „ich mich dann nit wenig bei 
Gott und dem Glüd zu bedvanfen hab. Denn als id auf 
das Aeußerſte an Leib, Ehre und Gut von meinen Feinden 
genöthigt war, fo ungeftüm, daß ich faum Freunde anzue 
rufen Zeit gehabt, bift du mir, nit (als oft gefchieht) mit 
tröftlihen Worten, jondern hülftragender That, begegnet, ja, 
mag ic) (als das Sprüchwort ift) fagen, vom Himmel herab 
zugefalfen. So wenig darum die Freundfchaft im Glüde, 
wenn fie auch mehr eine luſtige Gefellfchaft, als wahre Freund⸗ 


1) Sie fleht, außer der alten Musgabe der überfegten Gefpräche, 
bei Burckhard, I, 150—158, Opp. ed. Münch, V, 157 — 160. 





Hutten’s und Sickingen's Freundſchaft. 141 


haft genannt werden follte, zu verwerfen fei, fo finde Doch 
zwifchen beiden der Unterſchied flatt, wie zwifchen Spelfen, 
die nur füß und wohlfchmedend, und ſolchen, die zugleich ges 
fund und heilfam fein. So habe er, Hutten, in einer Zeit, 
da er nicht luftigen Geſchmacks, fondern heilfamer Urne, 
nicht fröhlihen Beiweſens, ſondern gewärtiger Hülfe beburft 
habe, — da habe ich, fährt er fort „(ich acht, aus göttlichen 
Zuſchicken und Verſehung) Dich gefunden, der nicht geachtet, 
was ein Jeder von meiner Sache rede, fondern, wie die an 
ihr felbft geftaltet fei, beherziget. Haft Dich nicht durch 
Schreden meiner Widerwärtigen von Berfechtung der Unfchulb 
abziehen lafien, jondern aus Liebe der Wahrheit und Erbarm- 
niß meiner Bergewaltigung für und für über mir gehalten. 
Und da mir aus Größe der Yahr die Städt verſchloſſen ger 
weit, alsbald deine Häufer (die ich aus der und andern Urs 
jachen Herbergen der Gerechtigkeit nennen mag) aufgethan, 
und alfo die angefochtene und verjagte Wahrheit in den 
Schoos deiner Hülf empfangen, und in den Armen einer 
Beihirmung ganz Fedlich gehalten. Daraus dann gefolgt, 
dag ih in meinem Fürſatz, den auch du ehrbar und redlich 
nenneft, nicht wenig geftärft, alle Gelehrten und Kunftlieben- 
den deuticher Nation (denen nicht weniger als mir ſelbſt an 
diefer Sachen gelegen) fid in Frohlocken erhaben, und gleich 
als nach einem trüben Wetter von der freudenreichen Sonnen 
erquidet worden. Dagegen die boshaftigen Gurtifanen und 
Romaniften, die mich verlaflen gemeint, und derhalb beinahe 
einen Triumph von mir geführt hatten, da fie geiehen, daß 
ich mich (wie im Spruͤchwort if), an eine fefte, unerfchütterte 
Wand gelehnet hab, ihren Stolz und Uebermuth gegen mir 
etwas niedergelafien, fich faft eingethan und kleinen Laute 
worden. 

Für ſolche Wohlthat dem Freunde genugfamen Dank zu 
fagen, fehle es Hutten nicht an Gemüth und Willen, fondern 





142 U. Buch. VI. Kapitel. 


am Glück und Vermögen. Werde ihm aber je eine befiere 
Zeit erfcheinen, und fih, wie er zu Gott hoffe, Aenderung des 
Glücks begeben, fo wolle er ihm, allem feinem Vermögen 
nad, dermaßen wieder dienen, daß Franz fpüren folle, er 
habe wenigftens feinen Fleiß gefpart, ihm Danfbarfeit zu er- 
zeigen. Bis dahin wolle er mit demjenigen, was ihm fein 
Frevel noch Gewalt, Fein Troß noch Uebermadht, fein Armuth 
noch Elend benehmen möge, nämlich mit feinen Sinnen und 
Verſtand, dem Freunde treulih und fleißig zu Dienften fein, 
ihm auch jet fchon, wie einft Virgil den zwei wohlverdienten 
Jünglingen, zugefagt haben: 

„Bo etwas mein Gefchrifft vermag, 

Dein Lob muß flerben feinen Tag.“ ) 

Uebrigens auch ohne das befondre Berbienft, das er ſich 
um ihn erworben, hätte doch Franz durch feine ritterlichen 
ehrlichen Ihaten an ſich ſchon verdient, daß Hutten und Alle, 
deren Vermögen es fei, gegenwärtige oder vergangene Dinge 
durch Behelf der Schrift zur Erfenntniß zufünftiger Zeit zu 
bringen, feinen Namen aus dunklem Vergeß in das Licht der 
ewigen Gebädhtniß ſetzten. „Denn ohne Schmeichelei und 
Liebfofen zu reden, bift bu es, der zu diefer Zeit, pa Jeder: 
mann bebäucht, deutſcher Adel habe etwas an Strengfeit der 
Gemüther abgenommen, dich dermaßen erzeigt und bewieſen 
haft, daß man fehen mag, deutfch Blut fei noch nicht verfiegt, 
noch das adelih Gewaͤchs deutſcher Tugend ganz ausgewur⸗ 
zeit. Und ift zu wuͤnſchen und zu bitten, daß Gott unferem 
Haupt, Kaifer Carlen, deiner tugendhaftigen unerfchrodenen 
Muthſamkeit Erfenntniß eingebe, damit er dich, deiner Ge⸗ 
ſchicklichkeit nach, in hohen trefflichen feinen Hänbeln, das 


l) ....si quid mea carmina possunt, 
Nulla dies unquam memori vos eximet aevo. 
Virgil. Aeneid. IX, v. 446 fg. (von Nilus und @uryalus). 





Hutten's neue Dialoge. 143 


römifch Reich, oder auch ganze Chriftenheit betreffend, fo mit 
Rath wie mit der That brauche; denn alddann würde bie 
Frucht deiner Tugend zu weiterem Rup fommen. Yürwahr, 
einen folhen Muth follt man nicht ruhen, noch inner Bes 
zirks Fleiner Sachen gebraucht werden laſſen.“ 

Doch Hutten's Abficht fei nicht, in dieſer Vorrede Fran⸗ 
zens Lob zu beſchreiben, ſondern nur, ſeinem Herzen einmal 
Luft zu machen, das geſteckt voller guter Gedanken und freund⸗ 
licher Gutwilligkeit für die unvergeltlichen Wohlthaten ſei, die 
der Freund ihm erwieſen habe und noch taͤglich je mehr und 
mehr haͤufe: daher ſchenke er ihm zum Neujahr die auf der 
Ebernburg gefertigten Ueberſetzungen ſeiner Geſpraͤche. Hier⸗ 
auf der herrliche Schluß, der in feiner thatluſtigen Manns 
haftigfeit aus dem Innerften von Hutten's Weſen fam: „Und 
wünfch dir damit, nicht al8 wir oft unfern Freunden pflegen, 
eine fröhliche, fanfte Ruh, fondern große, ernftlihe, tapfere 
und arbeitfame Gefchäft, darin du vielen Menfchen zu Gut 
dein ſtolzes heldiſch Gemüth brauchen und üben mögeft. Dazu 
wol dir Gott Glück, Heil und Wohlfahren verleihen.” 

Doch während Hutten feine Altern Dialoge in’d Deuts 
ſche überfegte, arbeitete er zugleich neue lateinifche aus. !) If 
die Jueignung jener Ueberfegung vom 1., fo ift die der lateis 
niſchen Gefpräche vom 13. Januar 1521. Sind die deut⸗ 
ſchen feinem Befchüger, Schüler und ritterlichen Ideale, Franz, 
von Sickingen, zugeeignet, fo tritt biefer in den lateinifchen 
al8 dramatiſche Perfon, mitredend und mithandelnd auf. 





1) Dialogi Huttenici novi, perquam festivi. Bulla, vel Bulli-- 
cida. Monitor primus. Monitor secundus. Praedones. Darunter 
Hutten’e Standbild wie in der bdeutfchen Ueberſetzung der alten Dialoge, 
bier mit der Umſchrift: Vir. ab Hutt. Germ. Libert. Propugnat., unb- 
unter diefem: Jactarest alea. Auf der Rückſeite des Titels die Zueig⸗ 
nung: Illustriss. Principi ac domino Dn. Joanni Palatino Rheni etc. 
Ex Ebernburgo Idib. Ianuarii 1521. Wieberabyebr. Opp. ed. Münch, 
IV, 67 —230. Bgl. Banzer, ©. 152 fg. 





144 1. Bud. VI. Kapitel. 


Und zwar immer in der höchften Stellung, ald Vertreter des 
Rechten und Wahren, der Freiheit wie der Mäßigung. Das 
Befte, was Hutten weiß, hat er feinem Franz in den Mund ge: 
legt, wie Plato feinem Sokrates. Zugeeignet find die neuen 
Dialoge einem fürftlichen Nachbar der Ebernburg, dem Pfalz⸗ 
grafen Johann von Simmern, dem Bater des nachmaligen 
Kurfürften Friedrich IU., und Stammpater jener hochftreben- 
den Simmernfchen Linie pfälzifcher Kurfürften, welche die Re 
formation in ihrer vorgefchrittenften Geftalt, als Galvinis- 
mus, ergriffen; während der Stammvater Johann, ein tüch⸗ 
tiger, gebildeter und im Reiche geachteter Yürft (+ 1557), 
noch bei dem alten Kirchenwefen verblieb. 2) Freimuth fei 
ed, was er vom Schriftfteller verlange, hatte Pfalzgraf 
Johann im Gefpräche mit Hutten einmal geäußert, und zus 
gleih den Wunfch ausgefprochen, wenn diefer wieder etwas 
Sreimüthiges fchriebe, es alsbald mitgetheilt zu erhalten. So 
fit ihm denn Hutten diefe neuen Dialoge als einem Sol- 
chen zu, der fie ſowohl mit Einficht zu lefen, ald auch zu 
ſchützen wiflen werde. Freimuth werde der Pfalzgraf in den- 
felben nicht vermiflen, wenn vielleicht auch Felle und Bollen- 
dung. Der Berfafier habe fie auf dieſer Warte, die ſich 
längft der Freiheit geöffnet, eilig ausgearbeitet, über das 
Thema, das ihm im diefer Zeit faft einzig zur Behandlung 
übrig fei, und mit dem Vorhaben, den Wahnfinn der Feinde 
jept auf jede mögliche Art zu reizen. So weit ſei er entfernt, 
fie zu fürchten, deren Unternehmungen, fie mögen beginnen 
was fie wollen, unmöglich Dauer haben fönnen. Daher 
fprecye er auch denen Muth ein, welche es erſchreckt habe, 
wie fie fürzlich den Kaifer von fo vielen Cardinälen und Proto⸗ 
notarien umgeben nach Deutfchlanphaben fonımen fehen. Darin 
liege fein Grund, für die gute Sache zu fürdten, jondern 


1) Bgl. über ihn Häuffer Geſch. der Kheiniſchen Pfalz, T, 660. II, 5. 











Hutten’s nene Veſprache⸗ Die Bulle. | 39 _ 


‚nur, den jungen Fürſten zu bebauern, der ſich in feiner. haben 
‚Stellung von jenen Scheuſalen mißleiten laſſe. ” 
Boran fteht unter den vier neuen Dialogen — 
‚von welchem Hutten am 9. December des vorigen Jahres, an 
Luther gefchrieben hatte, er arbeite jeht an einem Gefpräg: 
Die Bulle, zwar eilig, doch folle es nichts Unfeines werben, 
denke er, und Luther werde es, fobafd es erfchienen ſei, er⸗ 
balten. ') Die Bulle, oder der Bullentöbter *), gehört gu. Dem 
dramatiſch Lebendigften, was Hutten gefchrieben hat. Die 
päpftlidhe Bulle und die beutiche Freiheit fchimpfen und balgen 
ich gleih Anfangs fo natürlich herum, daß man (wie oben 
beim Fieber) ftatt bloßer Perfonificationen wirkliche Perſonen 
zu ſehen glaubt. Bon der Erſtern wieberholt mißhanbelt, ruft 
die Andere: „Zu Hülfe, ihr deutſchen Mitbürger! . Beidgäpet 
die unterbrüdte Freiheit! Wagt es Keiner, mir beizuftchen? 
FR kein wahrhaft Freier da? Keiner, der nach Tugend ſtrebt, 
Recht und. Bllligfeit liebt, den Trug haßt, den Frevel ver⸗ 
abſcheut? Mit Einem Worte: if fein Achter Deutfcher dan⸗ 
Das if das Stichwort für Hutten's Wuftreten, der fi. ſchon 
auf dem ‚Titel des Buͤchleins als den Verfechter der deutſchen 
Greiheit bezeichnet hatte. „Diefer Ruf”, jagt ex (gleichſam 
noch in der Gouliffe), „von wen er immer fommen mag, geht 
mich an. Ich will hauen, was es draußen gibt. Wahrbafig, 
um die Freiheit handelt es fih, fo viel ich ſehe. Da muß 
ich eilig hinaus. Was gibt es hier? wer iſt da? wer wuftt” 
— ‚Die Freiheit”, antwortet diefe, „Die Freiheit wird — 
Hutten. Ich ſelbſt bin es, ich rufe. Dieſe dort iſt es, die 
mich unterdrückt, des zehnten Leo a " Jept bekommt es 


1) Opp. IU, 619: Scribitur et dislogus, Bulla, ‚mihj, festinate, 

arbitror, non inurbane, quem, ut editus fuerit, accipies statim. _ 

9) Bulla, vel Bullicida. Dislogus Huttenicus. iInterloq. 

tas Germana, Bulla,: Huttenus, Frensiscus.st nonmmlli.Germmeml. : 
Strauß, Hatten. II. 10 





146 1. Buch. VI. Kapitel, 


die Bulle mit dem heißblütigen Ritter zu thun. Zu ihrem 
nicht geringen Schreden nennt er fid) den Bullentödter, ber, 
wenn auch fein Lutheraner, doc gegen die Bullen und gegen 
Rom überhaupt noch feindfeliger als jelbft Luther geftimmt 
fei. Er wirft fich ihrem Bordringen in den Weg, und ver- 
fieht ſich zu feinem löblichen Werfe des Beiftandes aller guten 
Deutfchen, vor Allen Franzens von Sidingen, der längft der 
Freiheit Tempel und Altar gebaut habe. Die Bulle verhöhnt 
er als eine leere Blafe (bulla), die leicht zu zerftören fei. — 
Mit Nichten fei fie leer, erwiedert jene, vielmehr voll von 
Frömmigkeit, Gewalt, Herrihaft, Ehre und Göttlichfeit. — 
Ja, verſetzt Hutten, von Aberglauben, Geiz, Hochmuth und 
eitler Ehre jei fie voll und aufgeblafen, aber leer an wahrer 
Rechtſchaffenheit. — Sie fomme aus dem weltherrichenden 
Rom, rühmt fid die Bulle: — wo, fährt die deutſche Frei- 
‚beit fort, Mauleſel theurer als Pferde, die Männer feine 
Männer, die Menſchen Götter, Götter aber feine vorhanden 
feien; wo das Böfe gut, das Gute böfe heiße, wo man durch 
Schlechtigkeit fih wohl verdient mache, die Menfchen dem 
Gelde dienen, die Treue verbannt, die Frömmigfeit vertilgt, 
alle Reblichkeit ausgerottet fei. — Und er im Gegentbeil, 
ermwiebert Hutten, komme von der Ebernburg, der Herberge 
der Gerechtigkeit, wo Pferde und Waffen im Wertbe, Faul— 
heit und Feigheit in Verachtung fteben, wo die Männer 
rechte Männer jeien, Gut und Bös jedes für dad genommen 
werde, was es jei, Gottesfurcdt und Menjchenliebe, Recht: 
fhaffenheit und Treue herrſchen, während Habfucht, Ehrgeiz 
umd andere Lafter verbannt feien. 

Der Bulle hat Eck den Weg gewiefen, ſich aber jet im 
eigenen Geſchäften abſeits gethan; ein dummer, ungebilbeter 
Menſch, wie Hutten ihn nennt, dody zu diefem Gefdyäfte voll- 
fommen geeignet, weil er fchlecht ift und higig, und ftet bei 
der Hand, wenn es etwas Böfes zu unternehmen gilt. Was 











Die Bule. - MT 


die Bulle gegen Luther fagt, ginge ihr bei Hutten alenfahe 
noch bin; aber daß fie die deutſche Freiheit ale ihre Sllavin 
in behandeln Biene macht, trägt ihr Schläge von ihm ein, 
Run ruft fie alle frommen Dentichen, die Schaaren der 
Mönde, die gottesfürchtigen WBeiblein, die Eurtifanen zum 
Beikand auf, verheißt demjenigen, der ben Hutten erwurgen 
wärde, Pfründen und Ablaß nach Herzensluſt: der graulicht 
Verbrecher Fönne hier Bergebung aller vergangenen uud kanh⸗ 
tigen Sünden verdienen; die Sachſen, wenn fie die gut, 
That vollbringen, dürfen fünftig an Faſttagen Butter nah 
Gier efien, und fi des Tags zweimal in Bier betrinfen, die 
Polen immerfort fehlen u. dgl. m. Wirklich kommen fofess 
der Bulle die Gurtifanen, dem Ritter und der deutichen Frei⸗ 
heit aber Franz von Sidingen mit den Seinigen zu Hilf, 
vor denen die Erftern die Flucht ergreifen. Auch Kalfer Carl 
und die Fürſten fiellen fi ein, an welche nun Hutten und 
Sikingen Reden halten, in denen fie diefelben zur Abwerfung 
des römifchen Joches auffordern. Was die Freiheit werben 
gefagt hatte, Hutten brauche ſich an der Bulle nicht zu vep⸗ 
greifen, fie werde bald von felber plagen, geſchieht endlich⸗ 
fie plagt, und als ihr Inhalt kommen (nebft mephitiſchem Ges 
ſtanke, gegen weldyen vie ärztlichen Freunde, Stromer u. |. m. 
Berwahrungsmittel an die Hand geben) Ablaß, Aberglaube, 
Ehrgei, Habſucht, Heuchelei, Hinterliſt, Meineid, Won 
n. ſ. f., kurz ein ſolcher Haufe von Graͤueln und Laftern zum 
Vorſchein, daB fie notwendig Davon berfien mußte. Um frei 
zu werben, räth fofort Hutten den Deutichen, alle Eurtifanen, 
die fo eifrig für diefe Bulle geftritten haben, von Grund aus 
zu vertilgen; der geplasten Bulle aber fept er die Grabſchrift: 

©chani, die Bulle liegt bier, Die freche, des Tuſciſchen Beo; 

Bas fie Audern gewollt, gab fie ſich felber: den Tob. 

Die beiden mittlern Geſpraͤche der neuen. ‚Sammlung, 

der erſte und zweite Warner betitelt, haben beide nur zwei 
10*. 








148 U. Bu. VI. Kapitel. 


Unterredner, indem fih in dem erften Luther, im zweiten 
Franz von Sidingen mit einem warnenden Belannten unter 
halten. Beide find infofern Gegenftüde, als ſich der erfte 
Warner von Luther nicht, wohl aber der zweite von Sieingen 
umftimmen, d. 5. für die Sache der Reformation gewinnen 
läßt. Beide Geſpraäche find minder draſtiſch, ald das vorans 
gehende und das nachfolgende; jondern enthalten in ruhiger 
Rede und Gegenrede eine Auseinanderfegung der Punkte, 
welche in jenen Tagen die Gemüther immer mehr zu trennen 
anfingen. - | 

Inm erſten von beiden!) tritt ein Mann, ver bisher 
Luther's Freund und Anhänger geweien, wie fich im Berlauf 
ergibt, ein höherer Geiftlicher, ven Reformator an, um ihm 
zu erklären, daß und warum er mit manchen Andern ſich 
von ihm loszufagen entichloflen jei. Reben der Furcht vor 
dem päpftlichen Banne nämlich fei e8 der Ueberdruß an 
Luther’ Lehre, die ihnen anfänglich zugefagt habe, was ihn 
und Andere dazu bewege. Unmöglidy koͤnne es ihnen ges 
fallen, was fid) mehr und mehr als feine Abficht herausftelle, 
dag er die Kirche von ihrem gegenwärtigen Glanze zu "der 
Armfeligfeit und dem Schmug ihrer Anfänge zurüdführen 
wolle. — Im Gegentheil, erwiedert Luther, fuche er die Kirche 
yon dem Schmuge der Menichenfatungen und der Verwelt- 
lichung zu reinigen und ihrem urfprünglichen Glanze zurüd- 
zugeben, indem er Chriſti Gebote, die göttliche Wahrheit, zur 
alleinigen Richtſchnur des Lebens mache. — Aber der Wahr: 
beit, meint der Warner, müfle doch der Papft, ald Nachfolger 
Petri und Stellvertreter Chrifti, näher ftehen als Luther, der 
ſich Angftlih an das Schriftwort anflammere, während jener 
mit Ehrifto fo Eins fei, daß er feftfegen Eönne, was er: wolle. 





1) Monitor primus. Dialogus Huttenicus. Interloq. Monitor 
et Lutberus. Opp. ed. Münch, IV, 113—194.- - -: . ZZ 








Warner I. 440 
— Hier greift Luther erſt bie vorgebliche Uebergabe der 
Schluͤſſelgewalt an Petrus, dann die Nachfolge des. Papftes 
in derfelben durch die beiden Säße an, daß, erſtlich, Chriſtus 
die Schlüffelgewalt nicht den Petrus allein, fondern allem 
pofteln, übertragen babe; und zweitens, wenn auch, fo bes 
weile: dieß nichts für den Papſt. Dem Petrus, überhaupt 
den Apoſteln nachfolgen, heiße ihr Leben nachahmen; das ſei 
aber nicht ein Leben in Reichtum und Herrſchaft, ſonhern 
ber Predigt und Dienftleiftung geweſen; ihre Nachfolge mithin 
ſei eine Laft, eine Arbeit, die Einer auf ſich nehme, nicht eine 
Ehre, oder ein Vorrecht, deſſen ex zu genießen hätte. - In 
jenem einzig wahren Sinne aber fei die Nachfolge Petri und 
der Apoftel nit an Rom gebunden, ſondern allenthalben, 
wo apoſtoliſche Tugend geübt werde, vorhanden; im Gegen⸗ 
theil Riemand weiter von derſelben entfernt, als ein Bifcgef, 
welcher, wie der römifche, in Brunt und Purpur herrlich und 
in Freuden lebe, von Bewaffneten umgeben fei, Kriege führe 
und Länder fi zu unterwerfen trachte. — Hier macht ber 
Mahner den Unterſchied zwifchen der. anfänglichen unyele 
fommenen, und der jebigen triumphirenden Kirche geltend, 
in welcher Alles glänzend und herrlich fein müfle. Mein 
Zuther- hält ihm entgegen, daß die chriftliche Kirche ihren 
weientlihen Brundzügen nad) zu allen Zeiten nur Eine fein 
Eönne: wenn Unrecht Leiden den Apofteln ald Sieg gegolten 
babe, fo fei daraus abzunehmen, was in ihrem Sinn Triums 
phiren heiße. Die Pflicht eines chriſtlichen Biſchofs fei ‚au 
allen Zeiten, feine Heerbe zu weinen, durch Lehre, Beiſpich 
Gebet und Vorſorge. Mber Leo X. (von deſſen Privatichen 
er aus Schonung fchweigen wolle) prebige gar nicht, ‚umd 
ftatt Seelen zu erretten, babe er deren ſchon viele, theils durch 
feine Kriege, theils Durch Die Täufchungen des Ablaßhandels, 
verderbt. Wine fo ſchmutzige Krämerei, ein fo ſchaͤndlicher 
Betrug als biefer follte dem Warner hoch. die Augen: öffnen; 





150 n Buch. VI. Kapitel. 


was an den Bullen fei, darüber könnte ihn fchon der Rame 
belehren; das ganze päpftliche Recht, als eine Sammlung von 
herrſch⸗ und habfüchtigen Menfchenfagungen, ſollte von allen 
chriſtlichen Fürften und Bölfern verbrannt und abgefchafft werben. 

Dergleichen gefährliche Reden will der Warner nicht. länger 
anhören; er bleibt dabei, daß auf Seiten des Papſtes und 
der Mehrheit die größere Sicherheit fei; die Außere Pracht 
feines Stelivertreterd und feiner Diener findet er für Ehriftum 
ehrenvoll; daß Luther von den Schenkungen an die Kirche 
abmahne, und die Geiftlichfeit arm machen wolle, bat feinen 
Beifall gar nicht. Dabei findet er auf päpftlicher Seite bie 
Forderungen an den Menfchen -erträglicher und minder ab- 
weichend vom gewöhnlichen Leben. Man dürfe es ſich wohler 
fein Tafien; fchwerere Gebote erleichtere der Oberhirte, oder 
laſſe fie wohl auch ganz nach; gelüfte Einen, etwas Schledyted 
- zu thun, fo mache der milde Vater, daB es erlaubt fei: was 
von Luther, feßt ver Warner hinzu, niemald zu erhalten ſein 
würde. — Freilich nicht, erwiedert Luther, da er nicht geben 
fönne, was er nicht habe und nicht geben möchte felbft wenn 
er es könnte, weil er als vechtichaffener Mann es nicht geben 
dürfte: nämlich Erlaubniß zu fündigen. Hier ftellt fich der 
Gegenſatz beider Stanppunfte recht heraus. Der Warner 
beruhigt fich bei der päpftlichen Erlaubniß, Böfes zu thun: 
wenn darin eine Schuld fei, jo falle fie dem Papſte, nicht ihm, 
zur Laſt; er verläßt fich darauf, daß beim jüngften Gerichte 
der Papft für ihn einftehen, mit einem einzigen Worte alle 
Sünden der Gläubigen auslöfchen werde. Nach Luther das 
gegen (jo wie Hutten feine Lehre noch rationeller, als ſie ges 
meint war, faßte) fann Keiner auf fremde Verantwortung leben, 
darf nicht fremdem Urtheile, fondern nur dem eigenen Gewiſſen 
im Handeln folgen, da Jeder für fich felbft einzuftehen hat. 1) 


— - - 





1) p. 181: ZLutherus Existimas autem, si aliorum culpa sic 








Barker II. 151 


Innerlich fcheint der Warner die Hoblheit feines Stand» 
punkted und das Richtige in Luther's Aufftelungen wohl zu 
fühlen ); aber Außere Rüdfichten halten ibn fe. Die 
Schmälerung der geiftlihen Pfründen, wie Luther fie beab⸗ 
fichtigt, würde auch ihn um feine Pferde und Dienerfchaft 
bringen; wogegen er jeine Anhänglichfeit an den päpftlichen 
Stuhl bald mit dem Cardinalshute belohnt zu fehen hofft. 
So ſcheidet er von Luther mit der Verficherung fortdauernder 
perfönlicher Yreundfchaft, aber mit Losfagung von feinen 
Meinungen; während diefer, nachdem er ihn vergebens auf 
befiere Wege zu bringen verfucht bat, ihn aufrichtig bedauert, 
und fi anfchidt, flatt diefer Einen verlornen Seele alsbald 
zwei oder drei andere für Chriftum zu gewinnen. 

Das zweite Geſpräch gleichen Titels 2) ſcheint unmittels 
bar vor der Zueignung des ganzen Büchleind, zu Anfang des 
Jahres 1521, gefchrieben zu fein, da es bereitö auf ben 
(Wormjer) Reihetag Bezug nimmt. Diefer wurde zwar erfl 
am 28. Januar förmlich eröffnet; aber der Kaiſer wur ſchon 
im December in Worms, und nad und nach fanden fich die 
Fürften ein. Auf die übeln Nachreden, welche in biefer 
Gürftenverfammlung über ihn ergehen, wird nun Franz von 
Sidingen durd einen jener beforgten Freunde aufmerffam 
gemacht, von denen Hutten zu Ende des vorigen Jahres an 
Luther geichrieben hatte, wie fie Alles verfuchen, Franzen von 
der Sache der Reformation abmwendig zu machen. Es heiße 
dort, er fei ein Anhänger Luther's und enthalte den Hutten 


delinquas, aliquid tuae interim culpae decedere, et te juvat, alio- 
rum uti judicio ibi, cum ex conscientia vivendum tibi sit? p. 138: 
Lutherus. Vides, quid sequaris? Mon. Errorem, ut tu existimas: sed 
hoc ille (der Papit) viderit. Luth. Imo tu videris, nam tibi ludetur. 
1) Cum tam aequa moneas, fagt er noch gegen ben Schluß. 
2) Monitor secundus. Dialogus Huttenicus. Interloq. Monitor 
et Franciscus. Opp. ed. Münch, IV, 187--156. 





152 1. Buch. VI. Kapitel. 


bei fich, einen Menfchen, der einft noch Urſache von grofem: 
Unheil werden werbe; überdieß habe er ſich vorgene 

die Pfaffen und Bifchöfe zur Ordnung zu bringen, of 
Scheu vor Leo's Bulle und den Berboten fo vieler frühen 
Paͤpſte. — Das fei wahr, erwiedert Sidingen, aber 
Grund, übel von ihm zu reden. Der ſchmutzigen Pfaffenhensi 
fhaft Widerftand zu leiſten, fei jetzt jedes Biedermannch 
Pflicht; Luthern günftig zu fein, der das Evangelium prebigg; 
fein Berbrechen; Hutten aber fei für feine Schriften, fo wid 
man wiffe, bis jetzt weder angeklagt noch verurtheilt. Sy 
die Bemerkung ded Warners, daß Luther und feine Anhängen 
al8 Neuerer gelten, entgegnet Franz, daß fie vielmehr veb 
entitellte Alte wiederherzuftellen trachten, und Barin gewiß im 
Sinne Ehrifti handeln. So follen fie ed Chrifto zu beſſern 
überlaffen, meint der Andere, oder (da ihm Franz alsbald eine 
wirft, daß ſich Gott der Menfchen als Werkzeuge zu bebienen 
pflege) doch den Prieftern: ihn und Hutten, als Laien, gehen 
geiftlihe Sachen nichts an. Allein, gefegt ſelbſt, entgegnet 
Kranz, zu ſolcher Theilung des Chriftenvolfd in Priefter und 
Laien wären jene berechtigt gewefen, fo jei doch klar, daß bie 
Pfaffen nicht geneigt jein werden, ihre eigenen Fehler, vie 
Luther ihnen gezeigt, zu verbeflern; daher berufe Gott Laien 4 
zur Abhülfe, und er insbejondere finde ſich vom Geiſte ge z 
trieben, die Beſchirmung Luther’8 und der chriftlichen Freihein 
auf fi zu nehmen. Als der Warner feine Belorgnig ver 
den Gefahren äußert, denen ſich Sickingen durch ein foldyeb « 
Unterfangen ausſetze, erwiedert diejer, er habe nur die Eine 
Furcht, Chrifti Gnade zu verlieren, wenn er nichts the. : 
Mehr und mehr gehe ihm der traurige Zuſtand ver Kirche 
zu Herzen und die immer fteigenden Webelthaten der Prieſter⸗ 
(haft. Und nun entrollt er in langer Rede das befaunte 
Gemälde der verfchiedenen Mißbräuche, welche vollftändig ber: 
zuzählen feine Sprache hinreiche, und in Bezug auf welde 








Warner IL 153 


die Rachwelt den Gefchichtfchreibern diefer Zeit den Glauben 
verfagen werde. Bereits ift der Warner daran, umgeftimmt 
zu werden: doc hält er Franzen noch die gemeine Rede ent⸗ 
gegen, daß Keiner je ein glüdliches Ende genommen habe, 
der den Priefterftanp entgegen geweſen fei. 

Doch, eriwiedert Franz — und hier eröffnet fih uns ein 
merfwürdiger Blid in Hutten’d und wohl auch Sidingen’s 
Entwürfe —: der Böhme Ziska. „Hat er nicht den Ruhm 
hinter fich gelaflen, fein Vaterland von der Zwingherrichaft 
befreit, aus ganz Böhmen die nichtöwürbigen Menfchen, die 
faulen Pfaffen und unnügen Mönche, vertrieben, ihre Güter 
theils den Erben derer, die fie geftiftet, theild dem allgemeinen 
Beten zurüdgeftellt, ven römifchen Eingriffen und den Räus 
bereien der Päpfte das Land verfchloffen, den elenden Unter 
gang des heiligen Mannes Huß muthvoll gerächt, und in 
alle dem feine Beute gefucht, ſich ſelbſt nicht bereichert zu 
haben? Und dennody hat er, ohne eine Unterbrechung feine® 
Glückslaufes, geliebt und vermißt von feinen Landsleuten, die 
er noch kurz vor jeinem Tode mit heilfamen Ermahnungen 
verfehen, fein Leben befchlofien.” Als Verbrechen, meint 
Sidingen, jeien Ziska's Thaten nur von feinen Yeinden, oder 
von Soldyen verichrien, welche die Geſchichte nicht kennen; 
was er gethan, jet recht und für Böhmen nüslich geweſen. — 
Du ſcheinſt mir, bemerft der Warner darauf, nicht übel Luft 
zu haben, Ziska's That, wenn ed anginge, auch hier nach⸗ 
zuahmen? — Er fei nicht ohne Luft dazu, befennt Franz, 
voraudgefegt, daß die BPriefterfchaft auch ferner auf Er 
mahnungen nichts geben werde: in vdiefem Falle müfle man 
Gewalt gegen fie gebrauchen. 

Bereits durch Franz überzeugt, erinnert der Warner ihn 
nur noch an die entgegengeiehte Gefinnung des Kaiſers, 
weicher die Anhänger Luther’d bedroht, und verfprocdhen babe, 
das Anfehen des römifchen Stuhls mit Daranfekung feiner 





154 | Tl. Buch. VI. Kapitel. 


ganzen Macht aufrecht erhalten zu wollen; dem Kaiſer aber 
fei er doch Gehorfam ſchuldig. — Allein diefe Rüdficht, ent- 
gegnet Franz mit hohem Yreimuthe, werde ihn am aller- 
wenigften von feinem Vorhaben zurüdhalten. Als feine Pflicht 
erfenne er, dem Kaiſer zu rathen und für ihn zu thun, nicht, 
was diefem für den Augenblid gefällig, jondern was ihm für 
die Dauer nützlich ſei. So lange als möglid werde er 
daher dabei beharren, das nicht zu thun, wozu fremde Ein- 
flüfterung den Kaifer jebt berevet habe, wovon er aber bie 
verberblichften Folgen ficher vorausfehe. Es gebe Fälle, wo 
Ungehorfam der befte Gehorſam ſei. Geſetzt, Carl zürnte 
ihm deßhalb, fo getröfte er fich deflen, daß derſelbe es ihm 
fpäter danfen werde, wenn einmal die Zeit die Anſchlaͤge 
derer werde an’d Licht gebracht haben, durch weldye Carl jebt 
zu feinem Unheil fich leiten laſſe. Im dieſem Sinne gedenfe 
er, fogar gegen des Kaiſers Willen, fo lange für deflen Beftes 
zu forgen, bis ex ſich gewaltſam entfernt fehen werde. Sicher 
würden aud) Andere demfelben in gleihem Sinne ratben, 
wenn fie nicht durch päpftfiches Geld beftachen wären. Garl 
hätte jest jo viel Anderes, Nothwendigeres zu thun, als ben 
Pfaffen ein Ohr zu leiben: 3. B. Abftellung des Raub⸗ 
weſens, der faufmännifhen Monopole, Beichränkung ver 
Sachwalter, Verminderung der Zahl der Geiftlidhen und der 
Mönche, falls die legteren nicht beſſer gar abgeichafft würden, 
Luxusgeſetze, Sperre der Gelvausichleppung durch die Fugger 
und nad) Rom. Wäre dieß gethban, dann möchte er fih um 
jene Dinge, die ihn eigentlich nichts angehen, befümmern. 
Und auf des Warners Einwurf, dag ed doc wohl nicht 
ganz unnütz fein dürfte, auf die aus Anlaß der reformas 
toriichen Bewegung entftandenen Unruhen ein Auge zu haben, 
damit fie nicht gefährlich werden, gibt Franz die treffende 
Antwort: Es würden gar feine Unruhen entftanden ſein, 
wenn Garl ſich nicht in den Handel gemifcht hätte. Er hätte 








Barner U. 155 


der Sache ihren Lauf faffen, und nicht durch fein Dazwiſchen⸗ 
treten den Parteieifer reizen follen. Dann würde die durch 
Luther in Deutichland fich verbreitende Erfenntniß ber evans 
gelifchen Lehre in Kurzem von felbft das deutſche Kirchen⸗ 
weien umgeftaltet, ver Pfaffenherrſchaft ein Ende gemacht, 
und das Anſehen des Kaiſers gehoben haben, weldyer nun 
in feltfamer Berblendung gegen fein eigenes Interefle dem 
des Papftes ſich dienftbar mache. 

Zunächſt bat nun Kranz im Sinne, Luther zu ſchützen. 
Wenn ihm daher der Kaiſer etwas Bewaltfames gegen ben» 
felben zumuthen wird, jo ift jein Borfag, fich erft möglichft 
zu firäuben, dann im Rothfalle offen den Gehorfam zu vers 
weigern. Näcftend wird er den jchlechten Rathgebern 
des Kaiſers die Yreundichaft auflagen, zuvor jedoch dieſen 
felbft ermahnen, fich nicht dem Papſte zu unterwerfen. Deutich- 
land braucht jetzt einen fcharfen, Friegeriichen, nicht einen 
trägen Pfaffenfaifer. Leo juchte erft Carl's Wahl zu hindern, 
dann ſchickte er feine Greaturen binter ibn, von denen er 
jept gang beherricht wird. Alles hängt nun daran, daß der 
Kaiſer zu beilerer Einjicht fomme, feine übelgefinnten Rath⸗ 
geber entferne, die Freundfchaft mit den Pfaffen abbreche, ftatt 
ihrer die tapferften und beftgefinnten deutſchen Männer an 
fi) ziehe, und mit vielen die Verbeflerung der firchlichen Zu⸗ 
fände und die Befreiung Deutfchlands durchführe. Ob er 
ſich dazu Franzens beviene, oder eined Andern, gilt jenem 
gleich, wenn er nur tüchtige Männer wählt. ') 


1) Diefen Rath, die Bertelmönde und Curtiſanen, insbefondere ben 
Graumönd, feinen Beichtvater (Glaplon), von ſich zu thun, dagegen einen 
Erasmus, Luther oder Carlſtadt zu feinem Beichtvater zu wählen, und, 
nachſt den weltlichen Kurfürften, den Baierherzogen, bem Pfalzgrafen 
Friedrich u. A., Männer wie Sickingen und Hutten die Nüchften nad 
Ah fein zu laflen, ertgeilt dem jungen Kalfer auch bie Schriſt: Ein 
Flägliche Klag an den chriſtlichen Mömifchen Kaifer Garslum von wegen 





156 1. Buch, VI. Kapitel. 


Thut Carl dieß nicht, dann hat Franz im Sinne, etwas 
auf: feine eigene Hand zu wagen, mag ed audichlagen wie es 
wil. Dazu bat er an Hutten einen eifrigen und heftigen 
Mahner, defien Gelft dem Unternehmen gewachien, dem jeder 
Berzug unleidlich ift, und der Alles in Bervegung febt, um 
den Untergang jener verderblichen Menſchen herbeizuführen. 
Unter Segenswünfchen des umgeitimmten Warnerd und deflen 
Danfe für die Belehrung durch Sidingen fchließt der Dialog. 

Das vierte und legte Gejpräch der neuen Sammlung, 
die Räuber betitelt ?), war jchon vor Jahresfriſt angefangen, 
und follte bereits mit den ältern Gefprächen erfcheinen. 2) 
Bollendet kann es gleichwohl erft zu Anfang 1521 fein, da 
ed, wie der zweite Warner, auf den Wormſer Reichstag Bes 
ziehung nimmt. Es bezeichnet einen Wendepunkt in der Ents 
widlung von Hutten’8 Ideen und Entwürfen, der ſich ſchon 
feit einiger Zeit in ihm vorbereitete. Gegen die Städte und 
die Hauptquelle ihrer Blüthe, ven Handel, hatte er, wie wir 
fattfam gejehen haben, den Widerwillen feines Standes mit 
der Muttermildy gefogen. Run fahen fich aber in jener Zeit 
gleichermaßen Ritter und Städte immer mehr von der ſich 
erhebenden Yürftenmacht bedrängt. Es war folglich Thorheit, 
wenn fie fich länger gegenfeitig befehdeten, ftatt gegen ben 
gemeinfamen Feind fidy zu verbinden. Zugleich zeigte ſich, 


ee nn — — — nme 


Doctor Luther's und Vlrich von Hutten, auch von wegen der Eurtifauen 
und Bettelmünd, daß Kaiſ. Majeftät fi nit lag follich Leut verführen 
(der erfte ver 15 „Bundsgenoſſen“ Eberlin’s von Günzburg). Bei Münd, 
Hutt. Opp. VI, 531—45. Bgl. Panzer, S. 230. 

1) Praedones, Dialogus Huttenicus. Interloqg. Huttenus, Mer- 
cator, et-Franciscus. Opp. IV, 159—280. 

2) Epist. 17. Cochlaei ad Pirekheimerum. Ex Francof. 8 die 
Febr. 1520, bei Heumann, ©. 48: Fuit his diebus hic nobilis ille 
Huttenus ... Multos nunc se in proximis nundinis dialogos alt 
emissurum: secundam Febrem, Triadem Rom., Fortunam, Inspi- 
cientes, Praedones etc. 











Die Räuber. 157 


naͤchſt der Ritterfchaft, nirgends mehr Empfänglichkeit für die 
Ideen der Reformation ald in den freien Städten. Das 
erfannte Hutten, und von da an juchte er, mit Beifeltefegung 
der perfönlichen Abneigung, auf eine Berbindung zwiſchen 
Ritterfhaft und Städten zur Durchführung einer politifchen 
und religiöfen Reform im Reihe hinzuwirken. Dieß- ik, 
wenn auch nicht der ganze Inhalt, doch das Ziel dieſes Ges 
fpräch8, das mit einer Rauferei zwifchen einem Ritter und 
einem Staͤdter ſich eröffnet, und mit der gegenfeitigen Hands: 
reichung beider zum Bunde zwifchen ihren Ständen jchließt. 
In einem Gefpräche über den gegenwärtigen Reichötag 
(dieß ift die Babel, weldye der Dialog vorausjegt) war von 
der Aeußerung ded Kailerd die Rede geweſen, daß er dem 
Raubweſen in Deutfchland ein Ende machen, den Landfrieden 
berftellen, und mit Einem Schlage alle Freibeuter vernichten 
wolle. Davon hatte ein Kaufmann, ein Commis der Fugger, 
ſich höchlich erbaut gezeigt, dabei Ausfälle auf die Ritter, als 
die Räuber Deutichlande, ſich erlaubt, und geäußert, er hofle 
es zu erleben, daß der ganze Ritterſtand vertilgt fei. Uns 
glüdlicherweife war Ulrich von Hutten zugegen, der bei ſolchen 
Reden gegen feinen Stand, noch dazu von einem Kaufmanne 
geführt, alsbald Feuer fing. Im Wortwechfel mit diefem, 
und von thätliher Mißhandlung deſſelben kaum durch Die 
Würde des Ortes, wo jie fich befinden, zurüdgehalten, tritt 
nun Hutten auf die Scene. Der Kaufmann, auf die Unvers 
leglichkeit des Ortes und den Schuß der reichsftäbtifchen Obrig⸗ 
feit vertrauend, nennt Hutten ein Räuberchen 2), und wiebers 
holt, der Ritterftand fei ed, weldyer Deutichland nicht zur 
Ruhe kommen laffe; ihm, und nur ihm, gehören die Weges 
lagerer an, welche die Reiſenden behelligen; Hutten felbft aber 
finde er um fo weniger Urſache, von diefem Urtheil aus» 


1) Quiesce, praedonule, p. 159. 





158 11. Buch. VI. Kapitel. 


zunehmen, je mehr ſich derfelbe von dem Geiſte ſeines Standes 
befeelt zeige.) Hutten, auch nody durch den Spott des 
Kaufmanns, ald wagte er nicht, ihm wirklich etwas zu Leide 
zu thun, gereizt, ift eben im Begriffe, diefe Meinung hands 
greiflicy zu widerlegen; denn, redet er feinen Gegner an, „id 
fage dir wahrhaftig, jicher und gewiß, wenn du nicht andere 
Seiten aufziehft und bejcheidener wirft, jo werde ich dir 
erftlich bier deine Baden zervreihen und das ganze Geſicht; 
dann dir die Zähne reihenweis einjchlagen mit meinen Käuften; 
hierauf dir die Wampen walfen, daß dir Die Rippen krachen ; 
bis du endlich erichöpft, halbtodt hier im Kothe liegen bleibft, 
und Bfeffer pfunpweis und Safran lothweis von hinten 
fahren laͤſſeſt.“ 

Ein glüdliched Ungefähr führt jet Franz von Sidingen 
berbei, um den durch Leidenichaft überwältigten Freund von 


einer unmürdigen Handlung zurüdzubalten. Ihm berichtet 


Hutten die Beranlaflung des Streites, insbeſondere, daß der 
Kaufmann auch Sidingen’s Thaten bloße Räubereien genannt 
babe. Mit großem Sinne über dad Perfönliche kurz hinweg. 
gehend, beruft fih Sidingen, den Begriffen feines Standes 
gemäß, darauf, daß er, wie Deutfchland und die Nachbar: 
länder wiflen, wie es auch bereitd in die Gefchichtsbücher 
eingetragen ſei, Riemand beichädigt habe, ohne ihm vorher 
Fehde angefündigt zu haben. Diefe Beichönigung der Räu- 
berei will der Kaufmann nicht gelten laſſen, da den Rittern 
das Recht nicht zuftehe, für fih, ohne Geheiß der Fürften, 
Krieg anzufündigen. Aber Sidingen treibt ihn mittelft einer 
platonifirenden Dialeftif, durch Entwidiung der Begriffe von 
Adel, Tugend, Tapferkeit, zu dem Eingeſtaͤndniß, daß aud 
der bloße Ritter die Befugniß und den Beruf habe, das Recht 


— — — · — 


1) Neque te exclusi, quem video equestri praeditum, ut quem- 
yuam, animo. p. 160. 





Die Räuber. 150 


im Rotbfalle mit Waffengewalt zu ſchügen; wobei freilich theils 
der loſe mittelalterliche Staatöverband, der ja eben damals 
einer geichloflenern Einheit weichen follte, theils das voraus⸗ 
gefept ift, was in den wenigften Yällen zutraf, daß es bei 
jenen ritterlihen Schilderhebungen wirkiih um Beſchützung 
des Rechtes zu thun fei. 

Sofort aber auf das Stichwort des ganzen Streited ein- 
gehend, übernimmt ed Sidingen, was Hutten gleich Anfange 
dem Kaufmann entgegengerufen hatte, gründlich zu zeigen: 
dag nämlid weder alle Ritter Räuber, noch alle Räuber 
Ritter feien. ) Das Erſtere wird furz abgemadt, indem 
theils Hutten von ſich betheuert, nie Jemanden das Seinige 
geraubt zu haben, theild Sidingen verfichert, daß foldhe Ritter, 
die fih wirflih Straßenraub zu Schulden fommen laflen, 
von den übrigen der Standesehre verluftig genchtet werden. 
Das Andere aber, dag nicht alle Räuber dem Ritterftande 
angehören, vielmehr in gewiflen andern Stänven weit mehrere 
und ververblichere Räuber fich finden ?), ift das eigentliche 
Thema ded Geiprähs. Dabei wird, wie wir fehen werden, 
dad Wort Räuber in weiterem Sinne genommen; doch aud 
von den Räubern im eigentlihen Sinne, in Wal und Yeld, 
gehören, nad Sidingen’d Behauptung, die wenigften dem 
Nitterftande au. Den Beweis macht er ficy ziemlich leicht; 
er fragt nämlih den Kaufmann, ob er felbft jemals von 
einem Ritter beraubt worden ſei? und vieler muß geftehen, 
daß dieß nie der Fall geweien, fondern er fih immer nur 
davor gefürchtet habe, weil es allgemein heiße, daß die Ritter 


1) Hutienus. (Der Andere lüge duppelt) et quia ex solis equitibus 
praedones non sunt, et quia non omnes praedantur equites. p. 160. 

2) Mercator. Tamen praedones sunt in equitibus valde mulii. 
Franciscus. Ei in alils sunt ordinibus multo plures longeque per- 
niciosiores. p. 166. 





160 U. Buch. VE Kapitel. 


das zu thun pflegen. So überrumpelt, bittet der verblüffte 
Kaufmann die Ritter um Berzeihung, und nun gibt Sidingen 
fi) daran, fein Thema auszuführen, indem er vier Arten von 
Räubern in Deutichland unterfcheidet. Hutten (der ſich mit 
feiner Leidenfchaftlichfeit in dieſem Geſpraͤche ganz beſon⸗ 
ders trefflicy in Scene gefegt hat) ruft voreilend: Ia, und 
die erfte und verderblichfte Art find die Pfaffen! Aber Sidingen 
zieht vor, ſtufenweiſe von den Fleinern und minder Ichäplichen 
Arten zu den fchlimmern aufzufteigen, und mit der verberb- 
lichſten zu fchließen. 

1. Als die unbedeutenditen und erträglichften Räuber 
ftellt Franz, zu des Kaufmanns nicht geringem Beftemden, 
die eigentlichen Wegelagerer dar. Es feien arme Teufel, die 
meiftens die Noth treibe, die fih vor Schmach und ſchwerer 
Steafe zu fürchten haben, und vor denen man fich leicht hüten 
fönne. Zwar meint der Kaufmann, ja, die Kleinen bene 
man, aber die Großen und Mbeligen lafie man laufen: und 
Sidingen weiß ihm nur einige Fälle, wo doch aud edel 
geborene Räuber beftraft worden jeien, entgegenzubalten. Doc 
das Schlimmere ift, nach Sidingen’d Dafürhalten, daß eben 
nur auf diefe geringfte und harmlofefte Art der Räuberei in 
Deutichland Strafe gefegt ift, während die drei höhern Claſſen 
ganz offen rauben, und dabei unangefochten, ja in Ehren 
bleiben. Als die erfte dieſer höhern Räuberclaflen, mithin ale 
die zweite von unten hinauf, nennt Sranz, zu noch größerer 
Meberrafchung des guten Commis, 

2. Die Kaufleute. Yür ganz unnüge, ja ſchaͤdliche 
Waaren führen fie jährlich eine Unmaſſe Geldes aus Deutfch- 
land fort. Hier fommt Hutten auf fein altes Stedenpferd 
zu fiten, die Polemif gegen Pfeffer, Ingwer, Safran, Seide, 
gegen Luxus und Verfeinerung überhaupt. Doch nicht alle 
Kaufleute (fährt Franz fort, denn er ift auch ferner der Res 
vende) wirfen jo fchäblih; am meiften jene reichften, bie, in 





Die Räuber. 161 


Handelsgejellfchaften vereinigt, Monopoleausüben, „worunter”, 
fagt er dem Commis ind Geſicht, „deine Herren, die Fugger, 
die nichtswürdigften find.” -Wenn hier Hutten feinen Franz 
ii) auf das Urtheil aller rechtichaffenen Männer in Deutſch⸗ 
land berufen läßt, ob man nicht die Zugger vor Allen aus 
dem Lande jagen follte, fo iſt dieß kaum eine Uebertreibung. 
Luther fpriht von denfelben nicht anders als Hutten, und in 
den Beichwerden auf den Reichötagen jener Jahre kehren bie 
Klagen über ihr Treiben öfters wieder. Hatten die Fugger 
die Ungunft der Reformfreunde insbefondere auch durch ihre 
Anfchliegung an den vömifhen Hof, bei deſſen geiftlicher 
Krämerei fie ald Zwilchenhändler betheiligt waren, ſich zuges 
zogen, fo benugt Hutten diefe Gelegenheit zugleich, um auf 
die Vorfahren Leo's X., als die italiänifchen Fugger, einen 
Streid zu führen. Und fo fehr Anfangs verfihert war, daß 
nur von einem Theile der Kaufleute die Rede fein folle, fo 
zeigt fi doc bald, daß Das ganze Princip des Handels⸗ 
ftanded — dad Trachten nad Geldgewinn als Zwed, Klug⸗ 
heit und Lift ald Mittel, verfeinerter Lebensgenuß als Preis 
— der ritterlichsantifen Denkart Hutten's ald etwas Unedles 
und Unfittlihhed erjchien. Hier wagt zwar ber bedrängte 
Kaufmann, um fi etwas Luft zu machen, einen Ausfall. 
Auch die Ritter haben ihre Fehler, bemerkt er, und nicht 
geringere als die Handelsleute. Gefegt, dieſe jeien gewinn⸗ 
füchtig und unredlich, jo feien die Standesfehler des Adels 
Unmifjenbeit und Hochmuth. “Der feinern Schwelgerei ber 
Einen ftehe das rohe Saufen der Andern gegenüber. Da 
ſich jedody hiedurch die beiden Ritter nicht irre machen laflen, 
ſondern dabei bleiben, daß, principiell betrachtet, ihr Stand, 
feiner Großmuth, Abhärtung und Einfachheit wegen, den 
Vorzug verdiene, jo ift es nicht zu verwundern, daß der Kauf: 
mann das Geipräc von diejem Punkte vorwärts zu bringen 
fucht, und fo geht denn auf feine Beranlaffung Franz zu feiner 
Strauß, Hutten. MI. 11 





162 * u. Buch. VI. Kapitel, 


 Bten Räuberclaffe e, den Schreibern und Juriften, über. 
Hutten’s Widerwille gegen diefe ift und jo wenig als feine 
Abneigung gegen die Kaufleute neu, und hat zum Theil 
Yuriften in KFürftenräthen und an Fürftenhöfen mehr und 
mehr den Adel zurückdrängten; daß fie manches Gut, das der 
Ritter ald Eigen zu befigen glaubte, als fürftliches Lehen in 
Anspruch nahmen?) ; daß Kaiſer Marimilian’s beſtechliche Schrei⸗ 
ber reich geworden waren, während es feinen Heeren regel> 
mäßig an Sold gefehlt hatte, wird unverzeihlidy gefunden. 
Die gute Zeit der Großväter wird zurückgewünſcht, als man 
bei und von diefen Doctorlein nocd nichts gewußt habe, und 
unverholen wird ausgefprochen, Deutfchland fei beffer daran 
-gewefen, wie noch das Recht in den Waffen lag, als jetzt, 
da man es in den Büchern ſuche. Aber mit Grund wird 
auch über die VBerdrehungen und Berjchleppungen, das Burdy- 
ftaben» und Formenweſen der Redytögelehrten geklagt, und 
dabei abermals das Lob der Niederſachſen gefungen, die ſich 
ohne fie zu helfen willen. Franz hätte nichts dagegen, wenn 
an einem Tage alle Rechtsbücher verbrannt würden, und 
Ulridy möchte deren Ausleger in die platoniſche Republif oder 
des Thomas Morus Utopia fchiden fönnen. Doc) 

4, die oberfte Glaffe unter denen, weldhe Deutichland bes 
rauben, nehmen in Sidingen’s Eintheilung, wie ſchon er: 
wähnt, die Geiftlidyen ein, weldye jelbft wieder in drei Arten 
zerfallen: Weltgeiftliche, Ordensgetftliche und die Angehörigen 


des römifchen Hofe. Was fein Räuber anzutaften wagt, das 


rauben die Pfaffen, und was fie ehemals erbettelten, das 
nehmen fie jegt mit Gewalt. Die beften Gegenden Deutfdy: 
lands haben fie an ſich geriffen; den Rhein nannte Kaifer 


1) Daher nennt fie Hutten patrimoniorum nostrorum pestem exi- 
tiabilem. p. 197. 


Al 





Die Räuber. 168 


Sriedrich IN. die Pfaffengafle; auch die Franken (0 der Schandel) 
fteben ganz unter geiftlihem Regiment. Die Pfaffen find in 
ihrer Mehrheit nody nichtöwürdiger ald die Kaufleute, weil 
fie Reihthum und Wohlleben, wonach, fie doch einzig tradhten, 
eigentlich verachten follten. Sie leben ganz gegen die urſprüng⸗ 
liche Beftimmung ihres Standes. Bon den höhern Geiftlichen, 
die ihre Stellen in der Regel durch Geld erlangt haben, find 
die meiften ungelehrt und ungeiftlih, und denfen nicht daram, 
ihre Heerden zu weiden. Thut einmal einer ihrer Unter 
gebenen etwas für die Erbauung der Gemeinde, wie jet 
Luther und einzelne feiner Anhänger, fo werben fie von jenen 
al8 Neuerer verfolgt. Kein deutſcher Biichof ift jetzt ein 
Prediger; Dagegen gibt es viele treffliche Jäger und Krieger, 
vor denen Niemands Erbgüter fiher find, auch ausgelernte 
Wolüftlinge unter ihnen. Hier wirft der Kaufmann ein, 
die Deutichen, insbejondere die Städte, wollten gern bie 
Pfaffen muftern und zum Theil austreiben, aber der Adel 
widerjege fich, weil er Verwandte unter denfelben habe. Das 
läßt jedoch Franz nicht gelten. Die Adeligen, die in den 
Clerus eintreten, werden dem Adelſtande in der Regel untren, 
und fallen Niemanden beichwerlicher als ihren Anverwandten. 
Viel Eofte es dieſe ſchon, bis fie einen der Ihrigen in eine 
höhere geiftliche Stelle bringen, und dann wolle ein Soldyer 
erft noch mit feinen Gefchwiftern erben. Auch babe der Adel 
von jeher mehr ald andere Stände an die Kirche verſchwendet 
und thue es noch, zum größten Schaden jeiner Kinder. Die 
Fürften feien es vielmehr, welche die Bfaffen ſchützen, weil 
fie für ihre nachgebornen Söhne oder Brüder auf Biſchofs⸗ 
ftühle Jagd machen, von welchen fie den niedern Adel naͤch⸗ 
ftend ganz verdrängt haben werden. Sie feien es, die lieber 
ihre Eigenmacht vergrößert, als dem Allgemeinen geholfen 
wiſſen wollen. 

Auf die zweite Unterart diefer oberften Räuberclafle, die 

i1* 




















| mL .; AT BT: 
"Wie, endlich die Rede auf 
— Ban ven Guten, mn fh 
fahrungen zum — 
Leben; dann von feinen Dinen, » n Gur 
ſich befonders zur Ausbeutung D; | 
daher Hutten mod) mebe ah, al 
Legaten, welche die thörichten F 
Reichstagen dulden, gegen welche n Hutten et 
zuführen hofft, wenn Franz. im nid im tiche laß 
fagt ihm feinen Beiftand zu; aber. hier zeigt ſich & 
warten, Brachen fie zur Unzeit los, meint er, fo 





Die Räuber. 165 























übe den Beinden Deutfchlande gewonnen Spiel machen. 
&8 will auch Hutten nicht, und bequemt ſich daher zum 
zten, wenn es nur nicht gar zu lang dauern fol. Das 
Franz nicht; denn Deutichland fei durch Hutten und 
r aus dem Schlafe gewedt, fange an, den Trug zu 
Ben, und werde das fchändliche Leben jener unnügen Men- 
nicht länger ertragen wollen. 
„wenn aber diefe Zeit kommen wird”, befchließt Hutten, 
ann, glaube ich, müffen wir ung bemühen, die beften Stäbte 
Batkhlands, mit Beifeitefegung früherer Zerwürfnifle und 
Büsfeligkeiten, in unfern Bund aufzunehmen. Denn gewaltig 
Be ich fie zur Freiheit ſich aufrichten und der fchmählichen 
Mehiſchaft fich fchämen wie fein anderer Stand. Sie haben 
fr Kräfte, und Geld im Ueberfluß, fo daß, wenn es zum 
ge fommt, wozu es meines Erachtens fommen muß, fie 
a Rero dazu liefern fönnen.” 1) Damit erflärt ſich Franz 
erfianden und verfichert, er habe ſich längft vorgenommen, 
PR den Städten (gegen die er nicht wenig auf dem Gewiflen 
br) ſich auszuföhnen; der Kaufmann aber glaubt zu wiffen, 
die Städte nichts eifriger wünfchen, als eine foldhe Ver⸗ 
Bgung. Gegen einen Pfaffenkrieg, auf den die Sache hin⸗ 
werde, bat er nichts einzuwenden; vielmehr bittet 
Hatten, im Mahnen nicht müde zu werben, und fidh nicht, 
Einige den Verdacht geäußert, durch Beftechung abwendig 
hen zu laſſen. Mit diefem Verdachte thue man ihm Uns 
4, erflärt Hutten, und Sidingen fagt gut für ihn, denn 
E eune den ganzen Menfchen, und wife, in welche Gefahren 
E fich geftürze habe, um den Feinden Luther's und der guten 
1) Die Urheberſchaft des Gedankens dieſer Allianz nimmt Yutten 
\erall für fih in Anſpruch. So weiter oben ©. 185: Franciscus. 
im ego quidem id aliquando facere cogito, quo iste me Huttenus 


dulo instigat, ut, quantum in me sit, autor fiam ordini nostro 
rpetuse componendae cum liberis civitatibus graliae. 





166 IT. Bud, VI. Kapitel. 


Sache Berderben zu bereiten. Zum Schluſſe reicht Hu 
fowohl als Sidingen dem Kaufmann die Hand mit 
Wunfche, das vieles Beilpiel unter beiden Ständen int 
weiteften Kreiſen Nachahmung finden möge. 
In gleihem Sinne ſchrieb Hutten einige Monate — 
an Pirdheimer ’), und jo lange noch in dieſer Richtung 
wirfen war, d. h. bis zu Sickingen's Fall, hörte er nicht 
mit Wort und Schrift für eine Verbrüderung zwiſchen Wit 
Ihaft und Städten thätig zu jein. ' 
Während dieſes MWinterd auf der Ebernburg umke 
Hutten nicht, die Bibliothek feines „‚tröftlichen guten Im 
und Enthalters”, wie unbedeutend fie jein mochte, zu bi 
muftern, und auch bier machte er einen Bund, welhen 
der Herausgabe werth zu fein ſchien. Unter andern al 
Büchern nämlich, Franzen „vielleicht von jeinem Vater ſch 
verlaſſen“, fand er eine Schrift aus den legten Zeiten & 
Basler Eoncild, von einem Anhänger Felir des V. geſchrich 
den jenes Goncil ftatt des von ihn abgelegten Eugen IV. | 
I. 1439 zum Papſte gewählt hatte. Sie verficht die M 
wendigfeit der Kirchenverſammlungen, ihre Stellung über % 
Papfte, ihre Befugniß, ſich in Orte zu verlegen, Die der 
lihen Obmacht nicht unterworfen jeien, und befämpft M 
römischen Mißbräuche in Beſetzung und Belaftung der Kirdt 
ftellen, welchen das Basler Eoncil hatte ein Ende 
wollen. Bald nad) diefem Kunde erhielt Hutten von 
Bambergiichen Bicar Conrad Zärtlin eine von ihm ver 
und dem Ritter Hand Schott gewidmete Fleine Schrifl 


1) Huttenus Bilibaldo.. Ex Ebernburgo Cal. Mai. 1591. 0% 
ed. Münch, IV, 276: Excita tuorum hominum animos. Nam quasd 
in civitatibus mihi spes est, propter studium libertatis pecch 
vobis. Franciscum habemus in partlibus, non faventem jam, | 
commotissime ardentem. Prardicabis hunc apud tuos cives! 
elogio: Major animus in Germania non est 








Hutten's Fund in Grungens Bibliothet: Goncilia u. — 167 


welcher die Wittenbergiiche Lehre (Zärtlin hielt ih eben ſelbſt 
in Wittenberg auf) als die alte urchriftliche, die der roͤmiſchen 
Kicche ale ein Gewebe menfchlicher Renerungen, von Moͤnchen 
und Univerfitäten erfunden, bargeflellt war. Beide Scheiften 
ließ nun Hutten mit einer kurzen Vorrede und etlichen Rei⸗ 
men auf dem Titelblatt zufammendruden 1): es follte nichts 
umfommen, was im Kampfe gegen Rom irgendwie als Waffe 
zu gebrauchen war. 


1) Gonrilie wie man die halten fol. Mnb vor verleyhang; geyn· 
licher . Anpdig damit, der Baͤpfſt, Garbindlen, vnb aller 
Gurtifanen IiR, vefprung vnd Handel big vff diß zeit. 

Ermanung das ein yeber bey dem reiten alten Chriſtlichen glauben 
bleiben,. vnnd fich zn feiner newerung bewegen laffen foll, durch herr Gumvat 
Zärtlin in 76 artidel vernaſſzt. 
Dilt wien in eim Inopff vnd griff, 
warumb bach ſchwanck fant Peters ſchiff, 
vnd wer das hatt durchlochert gar: 
Du find es bye gang offendar...... 


D #,' 


Glaub mir, ber Haß im Pfeffer leyt. 
Goncilium. Gonchium, = fl 
Gonchinm. 3 EN gt 
Hinten Hutten’s Standbild aus ben dentſchen Gefpräden Geforädgen ig m 


fafinng, und gegenüber Carl's Bruftbild, über dem bie Berfe: 

D Garle, Keyfer Lobefan, 

greiff du Die fach zum erfieu an, 

Gott würts mit dir om zweyfel han. 

Hutten'e Borrebe auf der Kückſeite des Titels if geben zu 

burg vff den tag Valerii im jar 1521. Das wäre ber 29. 
Nun iR aber Zärtliin’s Widmung an Joh. Schott Wittenburg am 
Febr. deſſelben Iahres datirt. IR Yiefes Datum richtig, fo wehßke 
Borwort am Tag Balerii und Rufni, dem 14 Juni, geſchricben fe 
findet fich wieberabgebrudt Opp- ' V, 872. 


M is 2 


ne: — EEE — 





Siebentes Kapitel. 


Der Reichſstag zu Worms. Hutten's Drohungen. 
1521. 





Schriften: Invectivae in Aleandrum, in Caracciolum, in Cardina- 
les, Episcopos etc., Lutherum Wormaciae oppugnantes. 
Epistolae ad Carolum Imperatorem, ad Albertum Card. al. 
Responsorium ad Eobani Hessi Exhortatorium. 


Unterveffen war am 28. Januar 1521 der Reichstag zu 
Worms wirklich eröffnet worden. Die Angelegenheit der kirch⸗ 
lichen Reform war eine der erften, welche auf demfelben zur 
Berhandlung kommen mußten. Aber die Erwartungen, die 
man von dem neuen Kaifer in dieſer Sache hegen Fonnte, 
waren bereitd fehr gefunfen. Schon im November des voris 
gen Jahres hatte Luther an Spalatin, der mit Churfürft Fried⸗ 
rich bei der Krönung in Aachen und nachher in Eöln ſich be- 
fand, gefchrieben, er erwarte ihn bald zurüd, mit vielem 
Keuen und etwas Altem, daß nämlich von Carl's Hofe nichts 
zu boffen fei.?) Ebenfo urtheilte Erasmus, der fich gleichfalls 





—— — — — 


1) Lutherus Spalatino, Witteh. 18 Nov. 1520. Luther's Briefe, 
herausgegeben von be Bette, I, 623: . .exspectamusque reditum vestrum 
felicem quotidie, cum multis novitatibus et una vetustate, quae est, 
aulam Caroli nullius spei esse. 








Der Meihetag zu MBorine, 2) 


eine Zeit Iang in Earl’ Nähe befand, und ihn von Papiſten 
und Anhängern des Alten umlagert ſah.) us demſelben 


Grunde hatte auch Hutten wenig Heffkung mehr: nur Bram 


von Sickingen gab fi) noch der Erwartung bin, gerade auf 


dem Reichötage werben dem Kaiſer Aber vie verderblichen 
Rathfchläge feiner Umgebung die Augen aufgehen, und 'en, 
Sidingen, dann Gelegenheit finden, feinen Einflus ” Ye 
felben geltend zu machen. ®) 

Bon allen Seiten nahm man wohl den jungen Gere 
für ſchwaͤcher ald er war. Daß er Die Sache, um vie es’ 
handelte, in ihrer geiftigen Bedeutung nicht verſtand, IR vide 
tig. Auch daß er fie nicht vom: deutſchen Geſichtspunkte aus 
auffaßte: fofern er eben nicht blos beutfcher Kaiſer, ſondern 
zugleih Herr der Niederlande, Spaniens und Neapels wei, 
und Anſprüche auf Mailand, gegen Frankreich, geltend zu 
machen hatte. In diefen auswärtigen Beziehungen lagen aber 
Gründe für Carl, ſich dem Papfe gefällig zu geigen: ohme 
fie hätte Aleander noch länger als drei Stunden vor ber 
Reichöverfammiung gegen Luther reden, und noch mehr Ge 
zur Beftechung der Umgebungen de6 Kaiſers verwenden wir 
gen, er würde ſchwerlich zum Ziele gelangt fein. Dafür aa 
aber, daß der Papft es aufgab, wie er angefangen haue "Wie 





1) Lutherus Spalatino, Witteb. 97 Febr. 1581, a. a. O., 1,00: 
Olim Erasmus scripeit, nihil esse spei in Carolo, Sophistis et Pa- 
pistis obsesso. 

2) Huttenus Luthero. Ex Ebernb. 5 Id. Dec. 1530. Opp. IM, 
618: In Caesare ... spei admodum est parum, habet enim sacerdo- 
tum circa se magnos greges, atque illorum quibusdam est obaoxius 
etiam: qui omnes aetate ipsius abutuntur ad consilia nungusm ipel 
profutura. At Francisci opera solida est: quanquam et Caesarem 
existimat ille hoc principum eonventu intellecturum tandem, quid 
tribuendum sit infidis Pontificibus. Et futurum nonnulli arbitren- 
tur magnae inter utrumgque infensionis hoc tempore laltium: ubi 
saum officlum Franciscus faciet. Potest atmd Casterem re und- 
tum: sed opportune adgredi päret. 





170 U. Bud. VI. Kapitel. 


foanifche Inquifition, als die Stüte der Königsmacht in jenem 
Lande, zu erfchüttern, daß er hoffen ließ, Carl's Anfchlägen 
auf Mailand nicht entgegen zu fein, verzichtete Carl darauf, 
wozu ihm Anfangs fein Gefandter in Rom geratben hatte, 
durch eine, wenn auch nur augenblidliche Begünftigung des 
fächfifchen Moönchs den Papſt zu fchreden, und bot ihm die 
Hand zu Luther's Unterdrüdung.) 

Carl's Meinung war zunädft gewejen, der Ehurfürft 
von Sachfen möge Luther auf den Reichstag mitbringen, wo 
er durch gelehrte Leute verhört werden folle. Luther war be⸗ 
teit; der Ehurfürft nicht ohne Beforgnifle: die päpftlid Ges 
finnten aber wehrten fidy dagegen aus allen Kräften.?) Ins⸗ 
befondere fprach ſich auch der päpftlidhe Nuncius in feiner 
Rede gegen Luther's Berufung aus. Habe diefer doch felbft 
erklärt, nicht einmal durdy einen Engel vom Himmel fich be- 
lehren laſſen zu wollen; auf die päpftliche Vorladung fei er 
nicht erichienen; den Kaifer und den Reichdtag aber gehe die 
Sache nidyts an. Er follte ungehört zum Schweigen gebradht 
werden, und bereit war der Kaiſer dafür gewonnen: er legte 
den Ständen den Entwurf eines Edictes vor, durch weldyes 
Luther ohne Weiteres als offenbarer Steger verurtheilt werden, die 
päpftlidhe Bulle gegen ihn für ganz Deutſchland Geſetzeskraft 
erlangen follte. 

Auf der nur ſechs Meilen entfernten Ebernburg war man 
in Betreff der Vorgänge zu Worms gut und fchnell unter: 
richtet. In dieſer Stadt befand fi in der Begleitung des 


1) Die Entwicklung diefer Berhältniffe f. bei Ranke, Deutiche Geſch. 
im Seitalter der Ref., I, 478 fg. 

2) Luther an Staupig 14. Jan. 1521. Bei de Wette, I, 542: Vo- 
catus fui a Caesare literis ad Principem datis: sed et hic recusavit, 
et ille mox aliis literis priores revocavit. Quid futurum sit, Deus 
novit. Au Wenceslaus Lind, Jan. oder Febr. 1521, S. 555 fg.: Ex- 
speciamus .. quotidie nova ex Wormatia: non optant Papenses 
meum illuc adventum, sed simpliciter damnatum et perditum. 








Hutten’6 Invective gegen Aleanber. 171 


Ehurfürften von Sachen deſſen Hofprediger und Geheim⸗ 
fchreiber Spalatin, der längit in brieflichem Verkehre mit Hut⸗ 
ten ftand; befand fich im Haufe des Arztes Theobald Yettich, 
den wir aus den Briefen der Dunfelmänner ald einen Ges 
nofjen des humaniftifchen Kreifes kennen, der feurige Her- 
mann von dem Buche, der, wie Hutten, den Yortichritt von 
der Sadye ded Humanismus zu der der Reformation in fi 
durchmachte. Auf der Ebernburg aber hatte außer Hutten 
noch der ausgetretene Dominicaner Martin Bucer fidy einge, 
funden: für Briefe und Nachrichten nad) und von Worms 
ein geeigneter Vermittler. Bon Aleander’d langer Rede hatte 
man auf der Ebernburg fchon des andern Morgens um 9 Uhr 
genaue Nachricht.) Diefe Rede, überhaupt der Eifer der 
Romaniften, die Reichöverfammlung zur Berdammung Luther’6 
ohne Verhör zu bewegen, war ed, wodurch fih Hutten zur 
Abfaflung der Invectiven veranlaßt fand, die er nun gegen 
dic beiden päpftlihen Nuncien und die zu Worms verfammel- 
ten @eiftlichen erließ. 2) 

Den dreiftündigen Redner gegen Xuther, Hieronymus 
Aleander, traf Die erfte Ladung feines Zorns.) Daß er 


— .. — 


1) Hutteni Invectiva in Hieron. Aleandrum. Opp. ed. Münch, 
IV, 241. 

2) Ulrichi ab Hutten eq. Germ. in Hieron. Aleandrum et Mari- 
num Caracciolum Oratores Leonis X. apud Vormaciam Invectivae 
singulae. In Cardinales Episcopos et »acerdotes, Lutherum Vor- 
maciae oppugnantes Invecliva. Ad Carolum Imp. pro Luthero Ex- 
hortatoria. Wiederabgedruckt Opp. ed. Münch, IV,239—88. Bol. Banzer, 
S. 157. Wine zweite Auegabe mit Hutten's gehamifchtem und belorbeers 
tem Bilde enthält noch drei weitere Briefe: einen zweiten an den Kaifer, 
einen an den Erzbifchof von Mainz. und einen an Pirdheimer, von wels 
hen Münch nur den legtern (IV, 275- -77) mittheilt, die beiden andern 
nicht, obgleich er S. 303 fie citirt. Burdhard, I, 207 fg. gibt fle nur 
theilweife. 

3) Ulrichus Hutienus Hieronymo Aleandro, Oratori Romano, tdů 
rpdrrew. Opp. a. a. D. p. 2394. Die Schilberung, welche Luther 
von Aleander's Perfönlichfeit entwirft (Venit his diebus H. Aleander eto.), 









172 
und feine ®enoflen, ohne alle Rüdfidht auf die verl 
Zeiten, auf den großen Umfchwung in der öffentliden F 
nung, ihr Gefchäft fo frech und gewaltfam treiben, 
meinen, durch den Befehl zur Berbrennung von TR 
Schriften in den Niederlanden, den fie dem faiferlichen | 
ling abgeliftet, ganz Deutſchland eingefchüchtert zu heben 
zwar von ihrer Seite fehr thöricht, offenbar aber eine 
liche Schidung, um fie durch ihre eigene Sicherheit m 
derben. Aleander folle nur fo fortmachen, feiner % 
Zügel fchießen lafien: die Zeit werde fommen, es zu 
Die Deutichen feien mit Nichten fo forglo®, fo gleldg 
als fie fcheinen. Kein Auge verwenden fie von dem Ir 
der Römlinge. Von der Ebernburg befonders, wie von; 
Warte herunter, beobachte man jeden ihrer Schritte. ES 
ein Zeichen, wie wenig fic fich in der chriftlichen Wahl 
gegründet wiſſen, daß fie Erlafle der weltlichen Macht für 
in Anſpruch nehmen. Und fie mögen nur nicht zu wei 
die Gunft des Kaiferd bauen, deſſen Jugend fie mißb 
und verführen, der aber bei reiferen Jahren zu beflerer 
fiht kommen werde. Insbefondere wird Aleandern 
Aeußerung vorgerüdt, die ihm kürzlich gegen einen rechtſe 
nen Mann entfallen fei, dem er zwar nicht eben vert 
den er aber, wie alle Deutichen, für zu dumm gehalten 8 
um fi ihm gegenüber in Adyt nehmen zu müſſenz d 
Aeußerung, deren aud Luther, als durdy Spalatin nad 
tenberg berichtet, mit Entrüftung gedenkt. 1) Gefeht « 
hatte er fich verlauten laſſen, den Deutichen gelänge ed, w 
päpftlihe Jod, abzuſchatteln, fo würde man von Rom di 


— — — — — 


und Seckendorf L. J. Sect. 34 $. LXXXI, p. 125 mittheilt, gibt Zi 
IV, 612 als Aeußerung Sedendorf’s, hielt alfo den DBerfaffer der Histe 
Lutheranismi (} 1692) für einen Zeitgenofien der Reformation, 

1) In dem oben angeführten Brief an Wenceslaus Lind, bel 
Wette IT, 556. 


HM. Buch. VII. Kapitel. 





Hutten's Invertive gegen Caraccioli. 173 


fo viel Uneinigfeit unter ihnen zu fäen wiflen, daß fie ſich 
feld unter einander aufreiben, und einem viel fchwereren 
Joche, als das abgeworfene, verfallen müßten. Daß er fo 
ſchamlos mit der Sprache herausgehe, beweile abermals feine 
blinde Zuwerfiht. Aber fie werde ihn täuſchen. Es werde 
dahin kommen, daß die Bilhof6mügen und Carbinaldhüte, 
auf deren Hülfe er jept baue, felbft hülflos fein werden. Die 
ſchlimmen Dienfte, die er dem deutfchen Reiche erwiefen, wer⸗ 
den ihren Rächer finden; Hutten feinerfeits, das wolle er ihm 
biemit angefagt haben, werde thun was in feinen Kräften 
ſtehe, daß er, Aleanver, nicht lebendig aus Deutichland fomme. 

Den andern päpftlihen Nuncus in Worms, Marino 
Caraccioli, dem Hutten’d zweite Invertive gewidmet ift?), 
bat diefer zwar nie für rechtichaffener, wohl aber für klüger 
als feinen Collegen, und als fein jebiged Benehmen zu er» 
fennen gibt, gehalten. Die Mißbräuche, über welche bie 
Deutfchen eben jegt fo empört feien, den Handel mit Indul⸗ 
genzen und Dispenfationen, treibe er im Angeſichte des Reichs⸗ 
tage fo ſchamlos fort, wie wenn er in der finfterften Zeit des 
Mittelalters lebte. Er folle nicht allzufehr auf die Geduld 
der Deutichen?), auf die Gunft des Kaiſers rechnen. Deutſch⸗ 
land, allzulange des Sinnes beraubt, fange an, flug zu wer- 
den. Was aber den Kaifer betreffe, fo befigen für den Augen⸗ 
blid allerdings die Römlinge fein Ohr. Doc, nicht für im⸗ 
mer. „Einft werde ich”, ruft Hutten, „zu Carl's mir jegt ver- 
ſchloſſenen Ohren durchdringen. Hören wird er einmal, hoͤ⸗ 
ren auf den, der ihm zum Beften räth, und dir (dem Nun⸗ 


1) Ulrichus Huttenus Marino Caracciolo Oratori Rom. t rpdrrenv. 
Opp. IV, 245—50. 

2) Non omnes animo carent, fagt Hutten unter Anderm, qui vo- 
cem temperant. Hier läßt Mündy p. 248 ajo carent druden, weil er 
(oder fein Abfcyreiber, deffen Arbeit er natürlich nicht durchfah) die Ab⸗ 
fürzung ato in dem alten Drucke nicht verfland. So ein andermal spu- 
malia flatt spiritualia (spüalia). 








174 U. Buch. VI. Kapitel. 


eins) zum Trotz dem Rüdficht fchenken, der ihn zum Rothwens 
digen ermahnt. Dann werde ich ihm deine trefflichen Thaten 
anzeigen, ihm auseinanderfegen, weldy ein frommer Legat bu 
gewejen. Ic werde ihm darlegen, was bu hier gefucht, was 
du gefunden haft. Ich werde ihm fagen, daß ihr Legaten 
alle, fo viel eurer jeit etlichen Jahrhunderten von den römis 
fhen Bifchöfen hieher gefchidt worden, Verraͤther Deutſch⸗ 
lands, Räuber an unferen Volke, Zerftörer alles Rechts und 
alter Billigfeit geweien feid. Das werde ich ihm fagen, und 
wenn id, ihm das fage, wirft du nicht im Stande fein, das 
Gegentheil darzutfun. Darum made dich fort von hier, 
mache dich fort. Denn was zögerft du noch, Böfewicht? was 
ſuchſt du Aufihub, du größter von allen Dieben, die jemals 
bier geftohlen haben? du gewaltthätigfter aller Räuber, aller 
Betrüger verfchlagenfter, liftigfter, unverfchämtefter, ruchlofe- 
fter! Das, wife, ift die letzte Ermahnung zu deinem Heil. 
Bequeme dich, der Feder zu gehorchen, damit du dich nicht 
genöthigt jeheft, dem Schwerte zu weichen.‘ 

Naͤchſt den beiden päpftlichen Runcien wandte fih nun 
aber Hutten auch gegen die auf dem Reichstage anmefenden 
Kirchenfürften und höhern Beiftlichen, weldye ihrer Mehrheit 
nad das Anfinnen der Erfteren gegen Luther. unterftügten.*) 
Was er, wenn ihre Nadıftellungen ihm ein öffentlihe® Aufs 
treten erlaubten, ihnen am Reichstage jelbft in die Ohren ge» 
fhrieen haben würde, das wolle er ihnen fchriftlih fagen, 
und zwar ehe fie mit ihrem Angriff an ihn fommen, während 


— —— — — — — — 


1) Ulrichus ab Hutten eq. Cardinalibus, Episcopis, Abbatibus, 
Praepositis et universo sacerdotum concilio, Lutherum et Christie- 
nae veritatis causam apud Wormaciam nunc impugnantibus, resipis- 
cere. p. 258— 72. Diefe Invectiven meint Luther, wenn er in einem 
Brief an Melauchtbon vom 26. Mai mit fichtliher Freude von epistolis 
Hutteni, ad pileos istos et galeritass upupas Wormaciae scriptis 
ſpricht. Luther's Briefe v. de Wette, II, 9. 














Hutten's Invective gegen die Bifäfe ıc. zu Beru. 176 


6 fih noch um Luther handle. ‚Dabei komme ihm nichts 
befier zu Statten, als ihre ungeiflliche Kampfıneife, ſtatt ducch 
Ueberzeugung durch Gewalt, flatt- durch das Wort Chriſti 
durch Gebote der weltlichen Macht wirken zu wollen. : Frei⸗ 
Ih, ſie haben fi laͤngſt über Ehriius erhoben, und ſprechen 
nicht mehr vermöge des Zengniffeh der: Schrift,. fonberk tuft 
ihrer eigenen Majeftät, Gehorfam an. : Aber eben bar Fuge 
man ihnen jegt den Gehorſam auf. Ya, wenn fie. Geiiliche, 
Bifchöfe im Sinne Chriſti und Pauli wären! (deſſen Anſer⸗ 
derungen an folche aus feinen Gpifteln beigebracht werben.) 
Und ſelbſt dann könnten fie nur priefterliche Ehren, nicht pie 
von weltlichen Herrſchern, in Anſpruch nehmen. Uber fie 
feien feine wahren Priefter. Schon defwegen. nicht, weit bie 
Biſchoͤfe unser ihnen fammt und fonder6 ihre Stellen gekwigft 
haben. Doch and) abgefehen davon, ihres Lebendwandels 
wegen nicht. Weit entfernt von priefterlicher Volllommenheit, 
treten fie fogar die Gebote der gemeinen Moral mit Füßen. 
Sie leben fo, daß ein ehrbarer Mann Bedenken trage, -fehn 
Weib in ihre Häufer zu führen. In Geldſachen traue hneu 
fein Menſch, da fie unter den Vorwande des. Vortheils der 


Kirche ſich jede Uebervortheilung erlauben, von Bertrag umb 


Eid fich leicht Durch den Papſt entbinden lafien können. Ye 
ganzes Trachten fei fleifchlih und weltlich, da doch ſchon der 
Rame Kleriker andeute, daß nur der Herr ihr Theil: fen 
follte. Doc gefept, fie lebten zwar fo ungeiſtlich, predigten 
aber dabei das Evangelium, fo könnte man wohl über 
den Widerfpruch zwifchen ihrer Predigt und ihrem Wandel 
murren, doch immer noch Geduld mit ihnen haben. Gtatt 
befien aber verftehen die Wenigflen zu predigen, und bie es 
verftünden, ſchaͤmen ſich deſſen. Ja, wenn einmal ein Pre 
diger aufftehe, wie Luther, fo fuchen fie ihn zu unterbräden. 
Kein Wunder: weil das reine Leben, das er verlange, auf 
ihre Unkttlichleit, die enangelifche Wahrheit, die er verfün- 





176 MH. Bud. VII. Kapitel. 


dige, auf die Menfchenfagungen, die fie aufgebracht haben, 
ein grelles Licht werfe.?) 

Doc das Maß ift vol. „Hebet euch weg”, ruft Hutten, 
„von den reinen Quellen, ihr unreinen Schweine! Hinaus mit 
euch aus dem Heiligthum, ihr verrudhten Krämer! Berühret 
nicht länger mit den oft entweihten Händen die Altäre. Was 
habt ihr mit dem Almofen unfrer Väter zu fchaffen, das dieſe 
für Armen s und Kircyenzwede geftiftet, und darum ung, ih⸗ 
ren Kindern, entzogen haben? Wie fommt ihr dazu, das zu 
frommen Zweden Gefpendete zu Böllerei, Unzucht, Pracht 
und Prunf zu mißbrauchen, während viele rechtichaffene und 
fromme Menſchen Hunger leiden?” Das Maß if voll. 
„Sehet ihr nicht, daß die Luft der Freiheit weht, daß bie 
Menfchen, des Gegenmwärtigen überbrüßig, einen neuen Zu⸗ 
ftand herbeizuführen fuchen?” wozu Hutten reblich zu helfen 
verfpricht. „Ich werde”, fagt er, „ſtacheln, fpornen, reizen und 
drängen zur Freiheit. Die mir nicht fogleich beifallen, werde 
ich durch unabläffige Ermahnung befiegen, durch nothwendige 
Beharrlichkeit zwingen. Dabei babe ich Feine Sorge noch 
Zucht vor Mißgeſchick, fondern bin auf Beides gefaßt, ent- 
weder euch den Untergang zu bereiten zum großen Bortheil 
des Vaterlandes, oder mit gutem Gewiſſen ehrlich zu unters 
liegen. Und das ift feine tolle Verwegenheit, wie ihr es das 
für haltet, fondern männlicher und edler Freifinn iſt's. Dar: 
um, damit ihr fehet, mit welcher Zuverficht ich eure Drohun⸗ 
gen verachte, erkläre ich, fo lange ihr Luther oder Jemand 


1) ®er für eine Schrift gegen die heutige Theologie um ein Motto 
verlegen ift, dem fei die Etelle p. 265 empfohlen: Vos autem quomodo 
eredemus viam virtuti patefaoturos, cum elaudatis veritatif Womit 
jur Erläuterung zu vergleichen p. 267: Minime cura vobis est, in ec- 
clesia erret quis, an bene sentiat vel dicat, neque hoc negolium 
(gegen Luther) accepissetis unquam, nisi de vestro luxu et potentia 
agi vidisselis. 





Yutten’s Invective gegen die Bifchöfe ıc. zu Worms. 177 


feineögleichen verfolgen werdet, mich als euren abgefagten 
Feind. Und diefen Willen wird mir feine Gewalt von eurer 
Seite, fein Schlag des Schidfald nehmen oder auch nur Aän« 
dern. Das Leben fönnet ihr mir rauben: aber daß mein Ver⸗ 
dienft un das Vaterland nicht daure, dieſe gute That fterbe, 
werdet ihr nidyt bewirken. Was im Lauf ift, möget ihr viel- 
leicht zum Stillſtande bringen, was gefchehen follte, verhin- 
dern: was aber gethan ift, werdet ihr nicht ungefchehen mas 
hen; denn unmöglich ift, mit dem Leben zugleidy auch das 
Andenken des Lebens zu vernichten. Nein! fo ungewiß ich 
darüber bin, was dieß alles für einen Ausgang haben werde, 
fo fiher bin ich, daß die Anerkennung meines redlihen Wol⸗ 
lens auf die Nachwelt fommen wird. Das foll der befte Er⸗ 
trag meines Lebens fein.” Was aber die Sache betreffe, fo 
werden die Feinde durch feine und Luther’d Unterbrüdung 
nicht einmal etwas gewinnen; vielmehr werde aus der Ers 
ftidung diefer Bewegung eine neue und viel gewaltjamere her⸗ 
vorgehen. ‚Denn an zwei Menfchen liegt fo viel nicht: wiſſet, 
daß ed noch viele Luther, viele Hutten gibt. Und wenn und 
etwas widerfahren follte, fo droht eudy um fo größere Gefahr 
von Andern, weil fih dann mit den Verfechtern der Freiheit 
die Rächer der Unfcyuld verbinden werden.” 

Unter den Kirchenfürften auf dem Reichstage, an welche 
diefed vorwurfsvolle Sendſchreiben gerichtet war, nahm Hut⸗ 
ten’8 ehemaliger Batron, der Churfürft Albrecht von Mainz, 
die erite Etelle ein. Kür diejen fprach immer noch etwas in 
Hutten’d Herzen: er fügte daher der zweiten Ausgabe feiner 
Invectiven einen befondern Brief an ihn beit), in welchem er 
ihn perfönlich feiner fortvauernden Liebe und Verehrung ver: 


1) Epistola ad Albrechtum Brandenburgensem, Archiep. Card. 
Ex Ebernburgo 8 Cal. April. (25. März) 1521. Auszügl. bei Burdhard 
II. 202 fg. 


Strauß, Hutten. II. 12 





178 MM. Buch. VIL Ravitel. 


fihert, und bedauert, wenn er ſich durch dasjenige, was Hut- 
ten gegen den Reichstag gefchrieben, beleidigt fühle; aber die 
Behauptung der Wahrheit und Freiheit gehe allen perfönlichen 
Rückſichten vor. Es ſei das Unglück Deutfchlands und der 
Anfchlag des Teufels, daß Albredyt von der Sache der Stu: 
dien umd der Freiheit losgeriffen worden fei. Möge Ehriftus 
geben, daß er in fich gehe und jene Afterfirdye verlafle: das 
wollte Hutten, wenn es möglidy wäre, mit feinem Blute erfaufen. 

In dem Sendichreiben an Kaifer Carl, das Hutten ſei— 
nen Invectiven ſchon in ver erften Ausgabe beifügte, ſuchte 
er jenen, wie früher in Bezug auf ſich jelbft, To jept zu Guns 
ften Luther's, zu Überzeugen, daß er mit diefem Die deutſche 
Freiheit unterdrücken und feine eigene Würde befchädigen - 
würde, Zwifchen den eigenen guten Sinn und fchlimme Rath— 
geber in die Mitte geftellt, wiſſe der junge Herrſcher nicht, 
wohin ſich wenden; daher fei es Pflidyt, ihm mit gutem Rath 
und beilfamer Mahnung an Die Hand zu gehen. Bor Allem 
möge er, wenigftend auf einige Zeit, jene Pfaffen von ſich 
treiben, die gerade bei dem jeßigen Stande der Dinge bie 
unpaffenditen Räthe für ihn feien, wie fie von jeher den 
Kaifern Verderben gebracht haben. Was ihn der Privatbaß 
der Bifchöfe angehe? ob er auf diefem Neichstage nichts Noth- 
wendigeres zu thun habe, als ſich mit Firdhlichen Streitigfeis 
te zu befallen? Doch auch an fich fei ihr Verlangen ein 
ungerechtes, unerhörtes, und verrathe wenig Vertrauen auf 
die Güte ihrer Sache, Sie liegen dem Kaiſer an, Luther 
ungebort gu verbammen, Märe diefer auch nicht ein um Die 
Religion und um den Kaifer jelbft hochverdienter Mann, wäre 
er ſogar Verbrecher, jo müßte man doc) feine Verantwortung 
hören. Man müßte ihn dazu vorladen, felbft wenn er zu er- 
ſcheinen jih fürchtete: um jo mehr, da er fich Dazu erbiete, 
Alle vechticdhaffenen und tapferen Männer in Deutfchland feien 
über jenes Anfinnen entrüfter, und in höherem Grade, als 








Hutten's Sendichreiben an ben Raifer. 179 


fie, mehr an dad Handeln als an das Reden gewöhnt, laut 
werden laffen; nur die Pfaffen wollen Luther auf dem fürzes 
ften Wege verderbt wiffen, weil er gegen ihre unmäßige Ges 
walt, ihre Erpreſſungen, ihr fchändliches Leben geiprochen und 
gefchrieben habe. Ten Erftern, jenen Männern, die ihm in 
Krieg und Frieden von Nugen fein können, ſolle der Kaiſer 
zu Gefallen handeln, nicht diefen unnüßen, weder im Felde 
noch im Rathe zu brauchenden Menjchen. Sie hängen ihm 
jest, im Güde, an: im Unglück würden fie ihn verrätherifch 
im Stiche laflen. Sie halten e8 nur fo lange mit dem Kat» 
fer, als der Papft es genehmige, und rathen jenem zum Bor: 
theil von dieſem. Indem er den Kaifer zur Entfernung fets 
ner geiftlihen Rathgeber aufferdere, trete er, fährt Hutten 
fort, den rechtichaffenen Prieftern nicht zu nahe. Denn biefe 
werben fich von jelbft nicht in weltliche Dinge mifchen wollen, 
und der Kaifer thue Unrecht, fie ihrem geiftlihen Berufe zu 
entziehen. Auch Fönne er ihnen immerhin Ehrfurcht bezeigen, 
ohne fie über fich herrichen zu laffen. Nie fünne er Deutſch⸗ 
(lands Gunft gewinnen, wenn er nicht jene Menfchen von ſich 
thue. Gr habe den übeln Eindruck bemerfen fönnen, den es 
bei feiner Fahrt den Mhein herauf gemacht babe, als man 
ihn, ftatt mit Kriegen, mit Pfaffen rings umgeben gefehen. 
Und wie hernach Aleander feine Forderungen vorgebracdht, har 
ben Manche Luft gehabt, etwad zu unternehmen, hätten fie 
nicht gedacht, Earl werde jelbft über Die Unverſchämtheit fich 
entrüftet zeigen. Als ungehender Regent müſſe Ddiefer feine 
Schritte doppelt überlegen; müffe gleidy von vorne herein das 
Recht Deutſchlands gegen die römiſchen Uebergriffe vertreten. 
In diefer Hinficht ſei es von größter Wichtigfeit, wie Luther 
von ihm behandelt werde, deifen Angelegenheit daher jegt für 
Hutten wichtiger als feine eigene iſt.) Ob Carl Teutih- 

1) Sed de me Deus et Fortuna viderint: in praesentia esse magni 
imomenti existimo. quemadmodum abs te tractetur Lutherus. p. 286. 


12° 





180 U. Buch. VIE Kapitel. 


land und ſich felbft dem Papft in bie Hände liefern wolle, 
der fo eben Alles daran gefegt habe, ihn von der deutſchen 
Kaiferkrone entfernt zu halten? | 

Er möge feine Würde bewahren, oder wenn er das nicht 
wolle, wenigftend Deutfchland nicht mit fih ind Verderben 
ziehen. „Denn was”, fragt Hutten, „hat Deutfchland fo Uebles 
verdient, daß ed mit bir, nicht für di, zu Grunde gehen 
fol? Führe uns lieber in augenfcheinlicye Gefahr, führe uns 
in die Schwerter, in die Flammen. Mögen alle Rationen 
ſich gegen uns fchaaren, alle Völfer ſich auf uns ftürzen, Aller 
Waffen nach uns zielen: wenn wir nur in der Gefahr unfern 
Muth erproben dürfen, und nicht fo niedrig, fo unmaͤnnlich, 
ohne Waffen und Schlacht, nad) Weiberart unterliegen und 
dienftbar werden follen. Unſere Hoffnung war, du werbeft 
das römische Joch von und nehmen, die päpftlihe Zwing- 
herrſchaft zerftören. Geben die Götter, daß dieſem Anfang 
Beſſeres nachfolgen möge; denn bis jeßt, wenn auch noch nicht 
das Aeußerfte zu fürchten ift, wie fönnte man bei folcher Er- 
niedrigung Vertrauen faflen? Ein fo großer Kaifer, der Koͤ⸗ 
nig fo vieler Völfer, fo willig zur Knechtſchaft, daß er nicht 
einmal wartet, bid er gezwungen wird!” An feinem Groß- 
vater Marimilian habe man ed mißbilligt, daß er feinen 
Schreibern zu viel eingeräumt, und doc habe er immer noch 
feine Würde gegen fie zu behaupten gewußt: wie die Men- 
fhen von Carl reden werden, der fo viele Herren habe, als 
Eardinalshüte und Bilchofsmügen fih um ihn drängen? Vor: 
theil Fönne diefer Bund mit dem Papft unmöglid, bringen, 
da fein Papft, am wenigften ein Florentiner, jemald Wort 
halte: ob Garl feines Großvaterd Erfahrungen vergeflen habe? 
Doch felbft, wenn der Papft venfelben halten wollte, wäre 
ed ein fchmählicher Bund, da er dem Kaiſer Italien und 
Rom nehme, und dem Papfte die Ausbeutung Deutfchlande 


geftatte, 


Hutten’d zweites Schreiben an den Raifer. 181 


Ob Hutten nad) Veröffentlichung dieſes Senpfchreibeng, 
vielleicht durch Sidingen, Nachricht erhielt, daß der Kaifer es 
ungnädig aufgenommen, oder ob cr felbft fühlte, daß er zu 
- weit gegangen: genug, er fand ſich bald bewogen, bemfelben 
= die zweites nachzuſchicken ), in welchem er wegen des erften 
ih gewiflermaßen entſchuldigt. Er geiteht, daſſelbe habe zu 
kart gelautet, doch fei e8 aus der reinften Gefinnung und 
Abficht geflofien. Ex habe geglaubt, feiner Entrüftung um fo 
mehr freien Lauf laffen zu dürfen, ald er damit nur des Kai« 
ſers Beſtes bezwedt habe. Die unbilligen Zummthungen, die 
er an diefen habe ftellen jehen; die Gewißheit von dem Ab- 
Bruch, den die Gewährung derſelben dem Failerlichen Anfehen 
und dem Wohle der deutfchen Nation thun würde; die Furcht, 
Earl möchte bei feiner Jugend nod) nicht die Stanphaftigfeit 
 befigen, welche dazu gehöre, um jchlimmen Rathfchlägen zu 

widerfiehen: das alled habe ihn vielleicht zu ängftlich, zu 

eifrig gemadyt, und wenn er darüber die ſchuldige Rückſicht 

auf ded Kaiſers Dajeftät aus dem Auge gelaffen haben follte, 

fo möge es dieſer der revlichen Meinung zu Gute halten. Was 
die päpftlichen Nuncien betreffe, jo hätte er wünfchen mögen, 
daß diefelben fich unverweislich gehalten hätten, dann wäre 
Beine Urfache für ihn zum Unwillen, für Alle zur Furcht, vor- 
Banden gewefen. Abgefandte hingegen, die nicht allein Un⸗ 
billiges fordern, fondern während deſſen auch verderbliche Um⸗ 
triebe machen, haben ihr Privilegium verwirft. Zu Fried⸗ 
rich's 1. Zeiten fei Einer dem Legaten, welcher behauptete, der 
Kaiſer fehe unter dem Papſte, vor den Augen des Kaifere 
mit dem Schwerte zu Leibe gegangen: worin Hutten fid) ver- 
fehlt habe, fei im Zorne über noch fehmählichere Reden ge⸗ 
Wehen, und wenn Carl ihm dieß nicht verzeihe, fo möchte 


"0 — — — — 






Ad Carolum Rom. Imp. Epistola altera. Ex Ebernburko 6 
Id. April. 1621. Burchhard II, 203 fa. 


“ 
ba 





Willen fein, für den er, ac ufernt, mit A | 
feiner ri zu thun, r ir fi n® 
bereit fei an 

















| "Was Hutten in feinem erften S I 
| fer verlangt. hatte, Gehör für Buher, nr 
| Nrängen der Skinde des Reihe 9— 


N unter Zuficherung it 
| Lehre und Bücher Auskunft zu geben, ı ' die e ein 
nach Wittenberg, um ihn abzuholen. a 2 
Fe, im el 121, wa u pen | 
begegnete, dürfen wir, * —— ei 
Men nur, was mit Hutten's Geſchichte in mb 
Erfurt, bei, welhem ee) = 2 a 
bianus und Eoban Hefle, gan — * 
Univerfität zog ihm feierlich entgegen, 
und eine große Anzahl zu — * 8 
aeitiger Rector, der den Reformator, als ere uf fe 
wagen daherkam, mit einer Anrede u 
war unter den Neitern, und bat nadyher Y uher * 
Predigt in Erfurt und Abzug — 1 einer. 
Elegien verherrlicht.) Und gar * — 
daß Crotus in jenen Tagen bie (namenlos — 
rodie der Litanei verfaßt hätte, *9* elcher. für. u 








1) Helii Eobani Hessi in Mart. Elegiarum 
Opp. H. E. Hessi farragines duae, pP. — E 











Glapion auf ber Ebernburg. 183 


nächftens nad) Wormd fommen werde, um Behütung vor 
italiänifchem Gifte; für Hutten, Luther's Pylades, um Bes 
färfung in feinem guten Vorhaben; für den jungen Kaiſer 
um Befreiung von verberblicden Rathgebern; für Deutſchland 
um Grlöfung vom päpftlichen Joche u. dgl. m. gebeten wird.) 

Auf der Ebernburg war mittlerweile ein feltfamer Gaft 
eingetroffen. Es war ein Franciscaner, des Kaiſers Beichti⸗ 
ger, der Sidingen anlag, er möge Luther veranlaflen, unter 
wege bei ihm einzufehren, indem Glapion, fo hieß der Mann, 
ihn vor feiner Ankunft in Worms noch fprechen möchte. Der 
Mönd hatte ſich erft an den fächfifchen Kanzler Brüd ge 
macht, um durch ihn bei dem Churfürften Friedrich zum Ges 
hör zu kommen, ber fid) aber mit ihm nicht einlaflen wollte. 


1) Litaneia Germanorum. Alter Drud in 4*. und 8°. Wieberabs 
gebrudt in F. C. v. Mofer’s Batriot. Archiv, VII, 4931 fg. Auch in beats 
fhen Ausgaben vorhanden. 

Arravela h. e. supplicatio ad Deum O. M. pro Germania, habita 
in celebri quadam Germaniae urbe in die cinerum. 

Kyrieleison etc. Christe, audi Germanos .. Pater de coelis, mi-. 
serere Germanorun. . A Romanorum Pontiflcum tyrannide libera 
Germanos, domine ... 

Bisweilen ganz im Tone ber Epistolae obscurorum virorum: 

Ab insatiabili Romanorum avaritia claudite, Germani, loculos, et 
aperite oculos... 

Per Deum viventem, Aleander non habet bonam mentem. Dann 
aber wieber: 

Ab omni suspicione mala de Luthero libera animos principum, 
Domine .. 

A malis et perversis consultoribus libere Carolum, Domine... 

Per crucem .. mortem . . resurrectionem . . tuam libera Ger- 
manos, Domine .. 

Ut Martinum Lutherum, Christianae fidei columnam indejicibilenı, 
brevi Wormatiam venturum, ab omni veneno et offis Venetianis 
custodire et conservare digneris, te rogamus, audi nos... 

Ut sirenuum illum Germaniae equitem, Ulrichum Huttenum, 
Mart. Lutberi Pyladem, in suo bono proposito ac provincia pro 
Luthero suscepta perseverare fscias, te rogamus, audi mos. etc. 





184 IL. Buch. VIE Kapitel, 


Jetzt wünſchte er Luther felbft zu bearbeiten. Er meinte, 
wenn biefer nur feine legte, anftößigfte Schrift über die baby» 
loniſche Gefangenfchaft der Kirche, als im Zorn über die päpft- 
lidye Bannbulle gefchrieben, zurücknehmen wollte, fo ließen ſich 
wohl nod Mittel und Wege zu gütlicher Beilegung feines 
Handels finden. So ſprach er denn auch auf der Ebernburg 
zu dem Burgheren und deſſen ritterlihem Gaſte ganz günftig 
über Luther. Selbft deflen Feinde müßten geftehen, meinte 
er, baß durch ihm auerft der Ehriftenbheit die Thür zu tieferem 
Schriftverftändniß geöffnet worden fei. Und auf Hutten's 
Frage, was denn alfo Luther jo Großes verbrochen habe, das 
durch dieſes Verdienft nicht gut gemacht würde? war (jo bes 
richter wenigftend Hutten) feine Antwort, er ſehe nichts. ') 
Was dabei auch Die eigentliche Abficht des Mannes fein 
modhte, den Erasmus und Hutten, bierin einftimmig, als ei— 
nen der abgefeimteften Pfaffen jchilvern: ob, Yuthern zu einem 
falfchen Schritte zu verleiten, oder ihn als ein Werkzeug, 
beffen der Kaifer vielleicht ned) einmal gegen Nom bebürfen 
fönnte, zu jparen: gewiß Jah damals Sidingen nod nid, 
wie fpäter Hutten, in ihm Luther's jchlimmften Keind®), fonft 
wiirde er nicht, wie er that, in fein Anfinnen gewilligt haben. 
Er ſandte nämlich feinen Gaft Martin Bucer mit etlichen 
Reiten nad) Oppenheim, um dem durchreifenden Yuther die 
Cinladung auszurichten. Aber dieſer, wie er fich durch gleich- 
zeitig einlaufende Warnungen nicht von dem Drte feiner Bes 
ftimmung abfchreden ließ, fo ließ er ſich auch durch feine Ein- 
ladung ſeitab loden: wenn der Faiferlidhe Beichtiger etwas mit 


1) Hutteni Expostulatio cum Erasmo Rot. Opp. IV, 366. ®al, 
Frasmi Spongia adv. adspergines Hutteni, ebenb. p. 437. 

2) Auch in ber Litaneia Germanorum heißt es: Ut confessorem 
regis Caroli, non valde bene de Mart. Luthero sentientem, melius 
erudire digneris, te rogamus, audi nos, f 





Luther in Worme. 185 


ihm zu reden babe, war feine Antwort, fo fönne das in 
Worms geichehen, dahin fei er berufen. ?) 

Am 16. April fam Luther zu Worms an, und fchon am 
folgenden Tage begrüßte Hutten ihn und feinen Begleiter 
Juſtus Jonas in zwei Schreiben, welde Bucer von der 
Eberndburg nah Worms überbrachte. As umüberwindlichen 
Prediger des Evangeliums, als feinen heiligen Freund, redet 
er ihn an.?) Und in feine theologifche Manier eingehend, 
tritt er ihm mit einem dicken Rauchwerke biblifcher, insbefon- 
dere Altteftamentlicher Sprüche entgegen.) So weit man 
durchſehen kann, wünfcht er ihm Standhaftigfeit, va auf ihn 
jest fo viel anfomme, und verfichert ihn feiner Anhänglichkeit 
bis zum legten Hauche. Ihrer beider Anfchläge unterſcheiden 
fi) darin, daß die feinigen menfchlich feien, während Luther, 
jhon vollfommener, Alles Gott anheimgeftellt habe.) Schen 
möchte Hutten jegt die wüthenden Blide, die gerunzelten 
Stirnen und Brauen von Luther’s Feinden. Für die Sade 
bat er die beiten Hoffnungen, aber für Luther's Perſon fteht 
er in ſchweren Sorgen. 


1) gl. Seckendorf, Commentar. hist. et apol. de Lutheranismo, 
Francof. et Lips. 1692. I.. I. Sect. 37. Addit. II, p. 143 fg. Ranfe, 
Deutiche Geſch. im Zeitalter der Ref. I, 490 fg. 


2) Martino Luthero, Evangelistae inviclissino, amico sanclo. Ex 
Ebernburgo 15 Cal. Mai. raptim. Opp. ed. Münch, IV. 297 fg. 


3) Exaudiat te Dominus in die tribulationis. Protegat te nomen 
Dei Jacob. Mittat tibi auxilium de sancto, et de Sion tucatur te. 
Tribuat tibi secundum cor tum, et omne consilium tuum con- 
firmet ete. etc. Hübſch ift, wie er fpäter in denselben Brief aus ber 
ihm fremden theologifhen Manier in feine humaniflifche zurüdfehrt: 
Pugna strenue pro Christo et ne eede malis, sed contra audentior 
ito. Doch verfällt er, Luthern zulieb, alebald wieber in jene anbere. 

4) Ego idem strenue conahor interim, sed in eo differunt ulrius- 


que consilia, quod mea humana sunt, tu, perfectior jam, lotus ex 
divinis dependes. 





186 I. Bud. VII. Rapitel, 


An Juſtus Jonas ſchrieb Hutten voll Freude und Lob, 
daß jener fich mit Luther in Gefahr begeben. Habe er ihn 
ſchon vorher geliebt, jo liebe er ihn um veßwillen hundertmal 
mehr. Er bedauert, daß fein Crotus durch das leidige 
Rectorat von der Theilnahme an. diefer Gefahr abgehalten ei. 
Gr wünſcht, er könnte felbjt in Worms fein und einen Sturm 
erregen. Doc ſei es befler, rubig zu bleiben, und Luther 
lebend zu beichügen, als feinen Tod zu rächen. Jonas möge 
ihm von den Vorgängen dort, von feinen Hoffnungen umd 
Befürchtungen, Nachricht geben. 

Am 17. April beftand Luther jein erites Verhör, in wel— 
chem er auf die Frage, ob er jeine jämmtlichen Bücher, jo 
wie fie jeien, behaupten, oder Das Anftößige Darin widerrufen 
wolle? ſich Bedenfzeit erbat; am 18. das zweite, wo er, mit 
Abweifung der Auctorität von Papſt und Goncilien, wenn 
er nicht aus der heil. Schrift widerlegt würde, den Widerruf 
ablehnte. Er that dieß, nachdem ihm bereits durch den Trier- 
hen Official angekündigt war, weile er jeven Widerruf ab, 
fo werde dad Reich ſchon wiſſen, wie es mit einem Steger zu 
verfahren habe. Er war alſo zwar vorgeladen und befragt, 
aber nicht eigentlich gehört worden: man hatte fidy über die 
ftreitigen Bunfte nicht mit ihm eingelaffen, ihm nicht bewielen, 
daß er Kegeriiches gelehrt habe, jondern dieß ſchon voraudge: 
fegt, darauf bin den Widerruf von ihm verlangt, und als 
er diejen ablehnte, ihn als Ketzer fallen gelafjen. 2) 

Als Hutten von diefem Gange der Sade durd Luther 
ſelbſt Nachricht erhielt, Fannte feine Entrüftung feine Grenzen. 


1) Jodoco Jonae, homini moribus et studiis probatissimo, suo. 
Ex Eb. 15 Cal. Mai. raptissime. Opp., IV, 298. 

2) Oper, mie Luther dieß in einem Briefe an Lucas Eranach vom 
28. April (de Wette I, 588) ausprüdt: „Ich meynet, Kaiſ. Majeftät folt 
ein Dorter oder funfzig haben verfamler und den Münch renlich überwun- 
den; fo ift nichts mehr bie gebanblet, denn fo viel: Sind bie Bücher dein? 
Ya. Wilt du fie widerrufen oder nicht? Mein. So heb Dich." 











Luther's Berurtheilung. Gindrud auf Hutten. 187 


Bogen und Pfeile, Schwerter und Büchien hielt er für nö- 
thig, um der Wuth dieſer Teufel Einhalt zu thun. Aber 
auch feine Anerkennung, feine Bewunderung Luther'd war 
unbedingt. Manche feien zu ihm gefommen in jenen Tagen, 
Ichrieb er ihm"), mit der ängftlihen Yeußerung: Wenn er 
nur nicht abfällt! wenn er nur ftandhaft antwortet! fich nicht 
einihüchtern läßt! Eeine Erwiederung fei jedesmal geweien, 
Zuther werde Luther fein. Diefe Zuverſicht habe ihn nicht 
getäujcht: Luther's Antwort lafle nichts zu wünfchen übrig.?) 
Auch in den geheimen Verhandlungen, von denen er Ichreibe 
(von Seiten etliher Stände ſuchte man Luther zu bewegen, 
daß er in einzelnen Punkten nachgeben, Kaifer und Stände 
ald Richter über feine Lehre anerkennen follte), werde er ji) 
fo zu halten willen, wie es am Beſten fei. Er möge jeßt 
nur bis and Ende beharren, die Feinde fchreien und toben 
laffen und ihrer fpotten. Denn mehr und mehr zeige fidh, 
daß alle beften Männer ihm gewogen feien: ed werde ihm 
nicht an Vertheidigern, nicht an NRächern fehlen. Ihn felbft, 
Hutten, zwinge die Vorſicht feiner Freunde, ihre Furcht, er 
möchte zu viel wagen, immer noch zur Ruhe: fonft würde er 
unter den Mauern von Worms jenen Müpen ein Spiel ans 
gerichtet haben. Doch in Kurzem werde er bervorbrechen ; 
dann folle Luther fehen, daß audy er den Geift nicht verläug- 
nen werde, den Gott in ihm erwedt habe. Er brenne vor 
Verlangen, Luther zu ſehen, den er fo fehr liebe, und der 


1) Mart. Luthero, Theologo, Evangelistae invictissimo, amico suo, 
Ex Ebeınburgo 12 Cal. Mai. (20 Apr.) raptim. Bei Burckhard, TI, 
212 fg., Opp. ed. Münch, IV, 299 fg. 

2.) Luther felbft war mit feiner Haltung zu Worms, bie doch ebenfo 
würdig als verfländig gewelen war, fpäter nicht ganz zufrieden: er meinte, 
aus Nachgiebigfeit gegen üngfllihe Zreunde feinen Geift allzujehr ge 
dämpft zu haben. S. fein Miffive an Hartmuth von Gronberg vom 
Behr. 1522. 





188 1. Buch. VII Kapitel, 


ihm über Alles, was ihm begegne, Nachricht zukommen? 
fen möge. | 
Noch einmal vor feiner Abreife aus Worms (bie & 

April erfolgte) fchrieb Luther an Hutten, und gab ihm 

des Kaiferd ungnädigem Abjchied und dem WBerbote I 

unterwegs zu predigen. Hutten vermochte dieſes Bell 
nicht ohne Thränen zu lefen, und fein Unwille über M 
gen Luther eingehaltene Verfahren erneuerte ſich. Das ll 
geben, als jei diejer berufen worden, um ſich zu werm 
ten, ſchrieb er am 1. Mai an Milibald Pirdheimer; 
eine Lüge geweien. Man habe ihm ja feine Weranimer 
geftatter. Und nun behaupten einige Juriſten, der Halle 
nicht verpflichtet, ihm das freie Geleit zu halten, ja, ® 
verpflichtet, es nicht au halten. Die gottlofen Bifchöfe ı 
ten das Beiſpiel ihrer Vorgänger auf dem Gonftanzer & 
nadahmen. Der Kaiſer jolle den Vorſatz ausgefproden 
ben, den Wapft und die römiſche Kirche aufs Aeußerik 
vertheidigen. Darüber jubeln die Pfaffen, und meinen, 
Stüd fei zu Ende; doch bis dahin jei ed noch weit, ed i 
noch der legte Act. Won der andern Seite fei zu Worme 

Zettel angeſchlagen worden, daß 400 vom Adel ſich für WM 
verfchworen haben, mit dem Zufag: Bundichuh, Buntſ 

(der auf eine Verbindung mit der Bauerfchaft hindenuten 
Schritt, fo gefährlicy für Luther, daß man vermuthen fin 
er fei von feinen Feinden ausgegangen. Es heiße ml, 
fole ihm ein Sehr fcharfes Edict nachgeſchickt werden 
Adıtserflärung erfolgte am 26. Mai), das aber wohl int 

großen Theile des Reichs auf Widerjprud) ftoßen dürfte, 8 
jegt müſſe fich zeigen, ob Deutſchland Fürften habe, oder 








I) Ad Bilib. Pircklieimerum, Senatorem Nurenbergensem. } 
Ebernburgo Cal. Mai. 1521. Burdh. I, 205—10. Opp. ed. M 
IV, 27677. 





Hutten's Entrũſtung. Franzens Zögerung. 189 


es von geputzten Statuen regiert ſei. Franz von Sickingen 
ſei feſt und eifrig auf Luther's Seite; er habe geſchworen, 
allen Gefahren zum Trotze die Sache der Wahrheit nicht ver⸗ 
laſſen zu wollen, und dieſes Wort ſei einem Orakel gleichzu⸗ 
achten. 

Aber losſchlagen wollte Franz immer nicht, ſo manches 
Mal auch beſonders den geiſtlichen Herren auf dem Reichstage 
vor feiner drohenden Nähe bange wurde.) Die Hoffnung 
auf Sold und Kriegsbeute, aber audy auf fteigende Geltung 
im Dienfte ded Kaiſers, dem ein Krieg mit Frankreich nicht 
mehr lange ausbleiben konnte, war nicht die lebte der Urfa- 
chen, welche Sidingen und feine Anhänger unter der Ritters 
fhaft von Gewaltfamfeiten vorerft noch zurüdhielten. So 
blieben Hutten’d Drohungen von der Ebernburg herunter 
Worte, und er ftand von zwei Seiten her dem Tadel blos: 
entweder, daß er gedroht hatte, was er nicht ausführen Fonnte, 
oder daß er nicht aud) ausführte, was er gedroht hatte. Wenn 
Erasmus gegen Ende jenes Jahres in einem Brief an Pird- 


1) Vergl. die Crzählung des Cochläus, der felbit auf dem Reichstage 
jugegen war, in feinen Commentaris de actis ei scriplis Mart. Lu- 
theri (Apud St. Victorem prope Mogunt. 1549) 36 fg.: Atque ut 
major incuteretur Catholicis terror, non longe aberat a Wormatia 
vir nobilis ac potens, Franeiseus de Sicking, magnam ex miilitia 
famam nactus .. Is igitur in arcibus suis, quas munitissimas ha- 
bebat, ex propinquo consistens, dicebatur collectun habere equi- 
tatum manumque militarem, expectans Lutheranae causae exitum, 


cum impensissime faveret Luthero. . . . In vulgo autem turbulentis- 
simae jactabantur querelae, tum ab aliis, tum vero amarissime ac 
vehementissime a duobus poetis .. Ulrico Hutteno et Hermanno 


Buschio: quorum hic praesens in urbe clamoribus et querimoniis 
omnia complebat, ille vero absens non longe a Wormatia in arce 
Franeisci nobilis viri, conviciosissimam misit co epistolam adversus 
omnes Episcopos et Clericos. Unde fiebat, ut nihil expectaretur 
cerüus, quam gravis el ceruenla contra Gaesarem omnemque Clerum 
seditio. Sed aetas bonitasque Caesaris ac principun diligentia pro- 
elives in seditionem animos cohibuerunt. 



















Inſofern hatte er dieſem nichts v vor —* fe 


wirfe, daß er über das ® 
Hermann von dem 
ren mehr, doch noch Gnade, 
Hutten.?) Er befand fi, w 
Reichstags in Worms, und fi 
mündlich nicht minder wilde‘ | 
her, als Hutten fhriftlic von * 


auf feine Rechnung mitgedroht, 
5— 





aber hatte er ſich dabei auf. tt 8 Ver p 
mit Franzens Hülfe (o8brechen zu ollen, ver 
num doppelt umwillig, daß dieß n 
5. Mai, als das Geſchäft gegen Lu * vi 
acht Tagen abgereifi) ohne ade San ‚nahe 
mer, eich German Bukh 3— 
ben an Hutten®), in weldem er ihm je 
nicht verhehlt, und durch die — 
Freunde ſagt, ihn zur That zu fi 
wie die Römlinge auf dem —* 
gefürchtet, jetzt über ihm lachen und U 





| 
. ‘ 
1) Erasmus Bilibaldo Pirckh. Dasi. —* 

Pirckh. Opp. ed. Goldust, Fe — —— 
2) Buschius, Hutteno a 
ad Bilibald. 4 Cal. Sept. ( 
3) Hermanni Buschii ad 
tiae 3 Non. Mai, ex EEE | 
1521. Opp. Hutteni ed. Münch, IV, en, 








von a8: 


in 














Mahnungen Buſch's und Eoban's. 191 


nur, und beiße nicht, fagen fi. Die päpftlihen Nuncien 
führt er redend ein: Wenn ihnen feine fchlimmere Gefahr 
drohe ald von Hutten, fo feien fie geborgen. Darum haben 
fie au, ohne ſich an feine eiteln Drohungen zu ehren, ihr 
Geſchäft nur um fo eifriger betrieben, und hoffen es nächſtens 
vollendet ihrem Herrn dem Papfte zu Füßen zu legen. Alean- 
der’8 inniges Verhältniß zum Kaifer, die Hintanfegung der 
deutfchen Fürften, der Uebermuth der Spanier, welche auf 
Maulthieren ftolgierend den Deutfchen den Marft fperren, 
Hutten's gloffirte Bulle, Luther’8 babylonifche Gefangenichaft 
den Buchführern wegnehmen, zerreißen und in den Koth tres 
ten: das alles wird zum Vorwurfe gegen Hutten, der, wenn 
er glaube helfen zu können, längft hätte Dazu thun follen. 
Auf Carl's Abreife zu warten, wäre fehr unpaflend, da mit 
ihm die jchlimmften Beinde Luther’d, Hutten's und der deuts 
fchen Freiheit, die päpftlihen Nuncten, abziehen werden. Wenn 
Hutten diefe mit heiler Haut aus Deutichland fommen laffe, 
wenn er hierin die erregte Erwartung täufche, fei ed eine 
Schlappe für feinen Ruf. Statt der Pladereien gegen dieje⸗ 
nigen, welche von hier aus nad Rom reifen, ſollte er viel« 
mehr jene römischen Sendlinge, als die eigentlihen Schuldi- 
gen, beftrafen. Wenigftend möge er nicht alle ungefränft da= 
von fommen laflen, damit feine Drohungen nicht ganz leer 
erfunden werden; denn fo viel könne Buſch ihm fagen, fein 
bisheriges Zögern thue selbft feinen beiten Freunden leid. 
Ungefähr um diejelbe Zeit erließ auch der alte Erfurtifche 
Freund Eoban Hefle eine poetifhe Mahnung ähnlihen In- 
halıs, nur in feiner Art freundlicher und gemüthlicher, an 
Husten.) Der deutihe Nitter möge jest Luther und die 


1) Heli Eobani Hessi ad Ulrichum Huttenun, ut Christianae ve- 
ritatis caussam et Lutheri injuriam armis contra Romanislas pro“e- 
quatur, Exhortatorium. Mit Hutten's ſogleich zu beiprechender Ant: 
wort gufammengedrudt unter dem Titel: Hoc in libello haec continen- 















192 U. Bud. VI. Rapitel. 


deutfche Yreiheit mit dem Schwerte beijchügen, va cd il 
Schriften und Verſen nicht mehr gethan fei. Dazu wire 
fih aus allen Gauen Deutſchlands Beiftand verſprechen. 
ſonders von Franz von Eidingen. Sie Beide, jo ahnetk 
Dichter, werden den römischen Unwefen ein Ende 
befonderd aber fegt er feine Hoffnung auf Hutten, k 
von Jugend auf beobachtet hat, deſſen hohen Geift, ge 
Muth und tapfere Hand er genau fennt. In dieſen & 
fhaften möge er ſich nun auc der Nation zeigen; Deut 
lands Freiheit und Ruhm wiederherzuftellen, dazu rufe, 
das Schidjal. Dadurch werde er den ſchon jegt alängen 
Namen der Hutten noch mehr verherrlichen, wie ihm— 
wiederum der Glanz Diefes Namens im Kampfe Vodii 
leiften werde. Der Dichter erinnert den ritterlichen Kreuba 
den Beifall, ven jein gewaffneted Bild finde, an ben l 
gang feined Kampfes für den ermordeten Vetter. Co 
er endlid Die Hoffnungen, Die er erregt, erfüllen, und F 
Freundes Aufruf gleichſam ald Signal zum Kampfe (an & 
diefer gerne jelbft Theil nehmen möchte) freundlich aufnehmek 
Wie einſt Goban die Huttenfche Epiſtel Jtalia’d 4 
Marimilian purd) Angabe der Urſachen beantwortet ball 
welche den Kaiſer bis jet noch verhindern, ihrer Auſſch 
rung zu folgen: jo fand ſich nun umgefchrt Hutten in 
Falle, Eoban’s poetiſche Aufmahnung in derfelben entidul 
genden und beichwichtigenden Weiſe zu beantworten, !) Gel 


tur etc. Lege, placebunt. Wiederabgedr. in Opp. H. E. Hessi farrg 
duae, p. 862—66. Burckhard, II, 186—91. Hutteni Opp. ed. Münch 
IV, 309—12. Audy Boban hatte es brifonders auf die beiden Ruck 
abgefehen, f. die Eleg. ad Justum Jonam, Opp. farrag., p. 861: 
Fallor, an aspicio pedicas Aleandron habentem ? 
Te cupere in vinclis posse, Marine, mori ? 
1) U. Hutteni ad Hel. Eobanunı Hessum pro cadenı re Respo— 


sorium. Elegiaco carmine. Burckhard IN, 191—98. Opp. ed. Münch, | 
313 — 17. 








194 I. Bud. VII. Kapitel. 


Rus möge ihm beiftehen, da ihn zu dieſem Kampfe nichts ale 
die Unterdrüdung des Chriftenglaubens bewege. Streiter 
feien genug bereit: Chriftus möge nur das Signal geben, den 
Krieg anbefehlen. Sonft blafe auch Eoban umfonfl. In⸗ 
defien ſei es gut; er möge nur fortfahren, die Leute aufzus 
mahnen: Viele haben dieß nöthig, während Hutten von felbft 
bereit fei. Auch feien die Wirfungen feiner Thätigfeit nicht 
ganz zu verfennen: Rom fdhide feit einiger Zeit Feine Bullen, 
feine Legaten, Feine Ablaßfrämer mehr, und die Curtifanen 
thun fich ein. Genug fei das freilich noch nicht: die böfe 
Brut müffe mit der Wurzel ausgerottet werden. Dazu werbe 
Hutten thun, was in feinen Kräften ftehe; fei ihm das Un- 
terfangen zu fchwer, fo müfle das Baterland feinen Willen 
für die That nehmen. 


Und fo brech' ich hindurch! durch brech' ich, oder ich falle 
Kämpfend, nachdem ich einmal alfo geworfen bas Loos. !) 


1) Atque ita perrumpam. Perrumpam, aut ipse peribo, 
Haec postquam semel est alea jacta mihi. 








Achtes Kapitel. 


Hutten tummelt fih in kleineren Fehden und bemüßt 
fih um eine Berbindung zwifchen der Nitterfchaft unb 
den Städten. 


1521. 1522. 


— — — — — 


Schriften: Allerhand Fehdebriefe. Ermahnung an Worms. Beklagung 
der Freiſtädte deutſcher Nation. (Geſpraͤchbüchlein Neu 
Karſthans.) 


Die Tage des Reichstags zu Worms bilden einen Wende⸗ 
punkt in Hutten's Leben. Und keinen glücklichen. Sein An⸗ 
lauf brach ſich, er mußte wahrnehmen, daß er zu weit vor⸗ 
gerannt war, mußte nach der einen Seite hin dieß, nach der 
andern das Zurückbleiben der That hinter dem Wort ent⸗ 
ſchuldigen. Seine Schriften hatten je länger je beſtimmter 
über fi) hinaus auf Thaten gewiejen: da er diefe nicht eins 
fegen fonnte, fo mußte von felbft auch in feiner Schriftftellerei 
eine Baufe der Verlegenheit eintreten. 

Auch die fruchtbare Zeit des ruhigen Zufammenlebens 
mit Franz von Eidingen auf der Ebernburg ging ihrem Ende 
zu. Franz faß im Sommer 1521 im Wilbbade, dad er 
als Appertinenzftüf von Stabt und Amt Neuenbürg, dem 
ihm zugefchiedenen Antheil an der Würtembergifchen Beute, 

E 13* 


JS 





196 M. Bud. VII. Kapitel, 


in Anfpruh nahm, als ihn, worauf er längſt gewartet 
hatte, eine kaiſerliche Botſchaft zu den Waffen rief. Gegen 
den Herzog von Bouillon, Robert von der Mark, und Franf- 
reich, das ihm umterftügte, follte Franz 2000 Reiter und 
15,000 Mann zu Buß werben, und mit denfelben auf St. 
Jakobstag oder fpäteftend den 1. Auguft in Diedenhofen ein- 
treffen. Er brachte feine Werbung zu Stande, und rückte, 
den Grafen Heinrid von Naffau als zweiten Oberbefehle- 
haber zur Seite, in Bouillon und weiter in Franfreidy ein. 
Aber diefer Feldzug, der Franzens Stellung bei dem Kaifer 
befeftigen follte, brachte vielmehr gegenfeitiges Mißvergitügen. 
Den beiden Feldherren fehlte es am Ginigkeit, und darum an 
Erfolg; der Kaifer aber Tieß es an Gelde fehlen. Sidingen, 
der feine 20,000 Goldgulden von Carl noch nicht zurückerhal⸗ 
ten hatte, mußte ſich jest auch für einen Theil des rüditän- 
digen Soldes bei den Truppen verbürgen. So war er mit 
dem Kaiſer unzufrieden, und dieſer mit ihm. *) 

Hutten finden wir gegen Ende Mai nody auf der Ebern- 
burg; dod da er von einem Nitte nad) Pforzheim ſchreibt, 
‘den er vor Kurzem gemad)t, To jcheint ed, er. hatte, Franzen 
im Wildbade befucht, oder ſich auch felbft eine Zeit lang dort 
aufgehalten. Aber er 'zweifelte, ob er noch Lange bei Franz 
werde bleiben fönnen ®), jo wünſchenswerth es ihm auch er⸗ 
ſchien, daß diefem ein Mann zur Seite bliebe, der den un— 
abläffigen Bemühungen der andern Partei , ihn vonder Sache 
der Reformation abwendig zu machen, das Gegengewicht 
hielte. Darum war Hutten über Bucer fo ärgerlidy, daß er, 


1) ©. bie Blersheimer 'Ghronif, bet Münch, Franz von Sidingen, 
"MI, 214 fg. Lettre de sa Majeste au dit de Sickingen; 4 Juillet 
1521: (nidit 1522, j. Dofar Schade, Satiren und Pasquille aus ber 
Ref.» Zeit, U, 287 Anm), bei Münd a. a, O. II, 116. 

2) Nam alio videor cogi. Im dem gleich ernach anzuführenben 
Briefe, j 








| Hutten unbaf. - . 197. 


ber Ausſicht auf eine .Berforgung bei Franz von Sickingen 

ungeachtet, fi Hatte verführen laſſen, als Gaplan. in bie. 
Dienfte des Pfalzgrafen Friedrich zu treten, von deſſen hoͤft⸗ 
ſcher Leerheit für die Sache * — nichts m 080: 
warten fand. !) 

Huttn war von Sidingen für des Kaiſers — — 
dem erwähnten Feldzuge añgeworben ), und wäre. gerne for 
gleich mit ausgezogen: allein feine Geſundheit war aufs Neme- 
wankend geworben, und er fah ſich genöthigt, au ihrer Pflege 
vorerfi einen ruhigen Aufenthalt zu wählen. Anfangs Septem⸗ 
ber finden wir ihn in diefem Verſtecke, wie ex ihn nennt), 
den Ramen: jedoch, aus Furcht vor Nachſtellungen, dem Par 
pier nicht anvertraut: Theobald Fettich in Worme und. Tr 
(onius wußten ben Ort, der ohne Zweifel in ber Nähe 
biefer Stabt zu fuchen if... Roh 20 Tage gedachte er 
ba zu bleiben, und dann, wenn es mit feiner Geſund⸗ 
beit ſich gebeflert hätte, zu .Gxang in's Lager fi zu bes 
geben. Dahin Hätte er gerne auch Bucer mitgenommen, 
dem fein Hofdienſt bereitd zu mißfallen begann; währe. 
rend ber großmüthige Sicdingen ihn zur Rücklehr in feine 
Umgebung mit der Ausficht auf bie nächte ledig werdende 
Pfarrftelle einladen, ja ihm, wenn er zuvor nod) einen Cur⸗ 
ſus in Wittenberg durchmachen wolle, Studienkoſten auf ein 





1) Ulrichus Huttenus Mart. Bucero, Presbytero, Theol. ohri- 
stianissimo, amico dulcissimo. Ex Ebernburgo 6 Cal. Jun. (27. Mai 
1521), bei Röhrich in Niedner's Zeitichr. f. hiſt. Theol. 1865, &. GSM fg. 

2) Othonis Brunfelsii Resp. adv. Spongiam Erasmi. Hutt. Opp. 
ed. Münch, IV, 527. Neuw Tarſthans, Opp. V, 471. | 

3) in hoo latibulo. Ebernburg und Lanbftuhl waren es nicht, De 
von beiden in bem ſogleich anzufährenden Briefe als von britten Orten 
bie Mebe ift. Auf einen Ort In der Nähe von Worme (etwa Dürmſtein 1) 
führen die Worte Otto Brunfelfens, ber, 'wie alsbald zu erwähnen fein 
wird, damals bei Hatten war: dum apud mn eramus. ap: 
ad Spong. Opp. —— w. 68. 





198 IT. Buch. VIE Kapitel, 


Jahr anbieten ließ. Noch viel ungehaltener aber, als auf 
Bucer, war Hutten damald auf Gapito, über den er im ſei— 
ner Berftiimmung dem Gerüchte Glauben ſchenkte, derſelbe 
fei vom Evangelium abgefallen, und habe unter angenommes 
nem Namen gegen die Lutheraner gefchrieben 9;3 ein Gerücht, 
von deflen Orumdlofigfeit er ſich bald hernach überzeugte, 
und wieder in die alte freundfchaftlice Verbindung mit: Ca— 
pito trat. 

Ob Hutten fein Vorhaben, Franzen in's Feld zu — 
ſpäter wirklich noch in Ausführung gebracht habe, iſt zweifel— 
haft. Otto Brunfels berichtet zwar, ald Hutten unter Sickin—⸗ 
gen’s Hauptmannfhaft geftanden, habe ihm ver Kaifer, wie 
andern ausgezeichneten Männern, den doppelten Solo von 
200 #1. bezahlt, doc habe Hutten diefe Dienfte, um Carls 
unevangelifcher Gefinnung willen, bald wieder aufgeſagt 2); 
was Hartmuth von Gronberg aus dem gleichen Grumde fchon 
nach dem Wormſer Reichstage gethan batte. Auch von Hut- 
ten fönnte es gefchehen jein, ehe er wirklich in's Felb ge 
rüdt war. 

Dagegen betrieb er um diefe Zeit eine perfönliche Fehde, 
die ung nad) dem ernten Kampfe, dem wir bisher zugefehen 
haben, wie ein Faftnadhtipiel gemahnt, das er ſich zur Er- 
holung erlaubte. In feinem vorhin erwähnten Berftede gab 
Hutten dem Otto Brunfeld Aufenthalt, der aus dem Kar— 


1) Das Bisherige in bem Brief Hutten's an Bucer vom 4. Sept, 
(2 Non. Sept. 1521) in Niebner’s Zeitichr. 1855, S. 625 — 627. 

2) Othonis Brunfelsii Resp. ad Spong. a. a. ©.: Pendebat annuo 
ducentos flo. Imperator. Cum esset sub tribunitio Siccingü, cum 
primis Germaniae reputatus est, qui geminam stipem merebantur: 
et hoc stipendium ultro resignavit, non alia causa, quam quod 
male tum videbatur Caesarem Evangelio velle. Diefer letztern Wen— 
bung wegen kann nicht etwa an Hutten’s frühere Kriegedienfte im Würs 
tembergifchen Feldzuge gedacht werden. 








Gutien unb die Kartienfr. 19 


thenferflofter bei Mainz entiprungen und ohne andere Zu⸗ 

finht war.) Mochte dieß die Mainzer Karibeufer verbrie 
pen, fo beſchuldigten ihn die Straßburger geradezu, mit Hülfe- 
des bortigen Buchbruders Hans Schott zwei Kartheufer aus 
ihrem Klofter entführt zu haben. Als Ketzer galt ihnen ber 
Verfechter Luthers ohnehin, und da fle ihm ſelbſt nichts an⸗ 
thun fonnten, fo nahm der Prior an feinem Bilde eine Ge⸗ 
nugtäuung, noch fchlimmer als diejenige, welche jener Con⸗ 
ftanger Pfaffe an dem des Erasmus nahm, das er, fo oft er 
im Zimmer auf und ab ging, anfpudte. Unſer Ritter ließ 
eine Schmad nicht einmal auf feinem Bilde ſihen. Unb er 
müßte nicht ein Ritter im Geiſte feiner Zeit, und zwar ein 
armer Ritter, geweien fein, wenn. ihm nicht zugleich bie Ger 
legenheit erwünfcht geweſen wäre, von den Mönden ein 
Sühnegeld berauszufchlagen, das feine Caſſe wieder auf eine 
Zeit Lang in befiern Stand fepte. Gegen Ende des October 
wurde Sickingen mit feinem Heere auf dem Rüdzuge aus 
Frankreich am Oberrhein erwarte. Ihm voran, wie es 
ſcheint ), kam Hutten nah Dürmflein unfern Worms (wenn 
dieß nicht gar der Berfted war, in welchem er ſich feit dem 
Ende des Sommers aufgehalten hatte), und erließ am. Don⸗ 
nerftag nach dem Tage der 11000 Sungfrauen (21. October) 


1) Huttenus Bucero, a. a. D. ©. 637. Gesner, in ber Biblio» - 
theca, gibt keinen Ort für das Klofler an; PBantaleon, Prosopogr., - 
nennt Gtrafburg; Mel. Adam, Vitae Germ. med. p. 10., bagegen 
it and deſſen Karthaufe ein Brief Orunfſelſens an Bentus Mhena⸗ 

aus vom 18. Jan. 1520 batirt war, f. Notices historiques sur l’Alsaos- 
et principalement sur la ville de Schletstedt, par A. Dorian. Col- 
mar 1848. 

I) Laut feines Briefe an Lauriuns vom 1. Febr. 1688 (Epiet. 
Erasmi omnes, Lugd. Batav. 1706. Ep. DCL. p. 750 fe.) ſchloß ſich 
Erasmus, ber aus ben Niederlanden ua Bafel reifen wollte, 'wenige 
Tage nah Gimonis and Inda 1521 feiner Sicherheit wegen an das Heer 
idlagen 6 08, ——— 
wo er fi} von demſelben trennte. — 





200 II. Buch. VII Kapitel. 


an den Prior und Convent gedachter Karthaufe einen Fehde⸗ 
brief. 9° Es habe ihn vor langer Weile durch glaubhafte hoch 
und nieders Standes Perfonen angelangt, fei auch zu Straße 
burg und allenthalben unverborgen, welchermaßen fie ihn nicht 
allein für einen Keger ausgeſchrien umd jener Entführung von 
Ordensbrüdern befchuldigt: fondern es habe auch der Prior, 
zur Anzeigung feines unchriſtlichen unmenſchlichen Neid und’ 
Hafles, ſich öffentlich berühmt, etliche von Hutten’s auf Papier‘ 
gedrudten  Bildniffen, ihm zur Schmah und Hohn, „ae 
Säuberung ımreiniger feines Leibs Orten“ gebraucht zu haben: 
Da er nun’ lieber von feinen eigenen Gütern und Nahrung 
10,000 Fl., wenn er. jo viel hätte, verlieren wollte, als ſolche 
Unbill weiter zu dulden, jo fet an fie fein ernſtlich Begehr 
und Geſinnen, fie mögen „zu Abtrag und Feiner Erftattung 
angeregter Schmähe und Injurien ihm in Monatsfrift nach 
dato dieß Briefs diefelben 10,000 Fl. an Drte, die er ihnen 
anzeigen werde, in gutem rheinischen Golve liefern, fich ahn⸗ 
licher Schmähungen ferner enthalten, ihm auch durch feinen 
aefchwornen Boten ihre Bereitwilligfeit fchriftlich zufidern® 
wo nicht, To werde er, ſammt andern feinen Herten, Freun— 
den, Gönnern und guten‘ Gefellen, die an der Kartheuſer 
Fürnehmen gleichfalls höchlich Mißfallens tragen, wider fie‘ 
nad) allem feinem Vermögen tradyten und handeln; darnach 
ſollen fie fidy richten. 

Stättmeifter und Rath von Straßburg, bei denen Hut? 
ten. fein Vornehmen  entichuldigte, übernahmen. die Ber: 
mittlung, und, ihren Abgefandten veriprad; er (am Donners + 
ftag nad Eliſabeth, 19. November) auf der Sidingifchen 
Burg Wartenberg ſich noch acht Tage lang finden laſſen zu 
wollen, Der Entwurf einer Lebereinfunft liegt vor, welcher 


1) Diefe ganze Gorrefpondenz ift aus dem Straßburger Stabtarchiv 
abgebrudt in Niedner's Zeitſchr. f. hiſtor. Theol. 1847, ©. 886 fg. 





Suiten und bie Rartheufer. 201: 


eine Ehrenerflärung und Mbbitte für Hutten, aber nichts von 
einer Geldentichädigung enthbäR. Gleichwohl mußten ſich bie 
Kartheufer, da Franz von Sidingen fein Schwert in die 
Wagſchale geworfen zu haben fcheint, auch zu einer folchen 
verftiehen, welche, wenn fie fchon nur 4, der von Hutten 
anfänglich geforderten Summe betrug, doch immer noch ein 
anfehnlicher Preis für den Spaß war, den fich der ehrwür⸗ 
würdige Prior erlaubt hatte. 2) 

Das beginnende Jahr 1522 brachte allerlei mit fich, was: 
Hutten’d Beftrebungen und Hoffnungen aufs Reue belebte. 
Durch den Tod feined Waters eröffnete fih ihm die Auss 
ficht, in Gemeinfchaft mit feinen jüngern Brüdern, deſſen 
Befigungen, insbefondre die Burg Stedelberg, zu erhalten, 
welche, vermöge ihrer unzugänglichen Lage in Wald und Ber: 
gen, ihm für den Kriegsfall ein haltbarer Punkt zu fein 
ihien. 2) Zwar hatte der wirkliche Antritt dieſes Beſitzes, 


— — — 


1) Hutten's Straßburger Freund Gerbel ſchreibt in einem Briefe 
vom Thomastag 1521 (Centuriae Schwebel. p. 25): Huttenus Car- 
thusianos, «quia imagine sua pro anitergiis usi sunt, in duobus- 
millibus aureorum nummäm mulctavit. Auch Erasmus, Epist. ad 
Lutherum, Basil. postrid. Non. Mai. 1524, Opp. Hutt. ed. Münch, 
IV, 570, fpridt de extorta' a Carthusiensibus pecunia. Auf biefen 
Handel muß fich auch beziehen, was Cyriacus Spangenberg in feinem 
Adelsfpiegel, I, Bl. 46* fagt: „Es hat fh Franz von Sickingen au 
des Vlrichs von Hutten trewlich angenommen, auch deshalben ber Stadt 
Schlettſtadt hart zugeſetzt, vnd mag in dieſem Hikigen einer (wie dann 
alle Menfchen gebrechlich find) etwa auch wol was menſchlichs mitunters 
gelauffen fein, darzu dann bie vermeinten Geiſtlichen mit jrer zumal gros 
ben vnbefcheidenheit und zunil tyrannifcher verfolgung reiner Lehre und 
Lehrer große Vrſach gegeben.” Dabei feheint jedoch eine Verwechslung 
mit Straßburg zum Grunde zu liegen, da von einem Handel Sickingen's 
oder Hutten's mit Schlettſtadt nichts bekannt iſt. 

2) Philippo de Fürstenberg, Senatori Francofurdiano. Ex War- 
tenburgo 2 Cal. April. 1522. Opp. IV, 321: . . futurum reor, ut 
arcem Steckelberg possidendam cum juvenibus fratribus accipiam. 
Nam Huttenus pater diem obiit proxime. Videtur autem quibusdam 





Sidingen und Hartmuth von Gronberg. 203 


Ichließlih dem Schwager zu bedenken, welche fich nicht ent- 
ſcheiden, fondern zufehen wollen, wer Recht behalte, die wer: 
den Das wohl eher nicht erfahren, ale 

„Bis fie kommen in Klepperlins Haus, 

Da Ichlägt das hölliſch Feuer zum Fenſter hinaus.“ 

Bon Sidingen’d Standeögenofien hatte fich befonders 
Hartmuth von Cronberg an ihn angefchlofien, der durch Lu⸗ 
ther's Sendichreiben an den beutichen Adel erwedt worden 
war, und bald auch ein eigenes Miffive von dem Reformas 
tor erhielt: ein biederer, von Herzen frommer, aber etwas 
beichränkter Mann, und darum defto leichter zu unbebingter 
Begeifterung fortzureißen. Er wurde mit Einem Male ein 
fruchtbarer theologifcher Schriftfteller, erließ Senpbriefe nicht 
allein an Sidingen, fondern auch an Luther, an die Bettelr 
orden und die Eidgenofien, an Papſt und Kaifer, — welchem 
Letztern er die nicht leichte Aufgabe flellte, den Erftern ‚mit 
höchſter Gütigkeit“ zu überzeugen, daß er der Statthalter des 
Teufeld, ja der Antichrift felber ſei.) In Uebereinftimmung 
mit ihm lieg nun Sidingen durch Decolampadius, der vom 
April bis Rovember 1522 auf der Ebernburg lebte, feinen 
Burggottesdienft im Sinne feines Sendſchreibens reformiren: 
Evangelium oder Epiftel in der Meſſe wurden deutſch ver- 
lefen, und feine Pfarrer verheiratheten fidy. 2) 

Hartmuth von Eronberg war der naäͤchſte Nachbar der 
Stadt Frankfurt, und fo verband fi jetzt Hutten mit ihm 
zur Fehde gegen einen alten Yeind aus dem Reuchlinifchen 
Kanıpfe her, der ihn fo eben aufd Neue gereizt hatte, ben 
Frankfurter Pfarrer zu St. Bartholomäi, Peter Meyer. Neben 
Schmähung der Lutheriichen Lehre auf der Kanzel, hatte dies 
fer nicht allein ihren erften Prediger in Sranffurt, Hartmann 

1) Die Actenflüde bei Münch a. a. O. ©. 139 fg. 


2) Mänch, Franz v. Sidingen, I, 175 fg. und bie Urkunden II, 
129 fg. Ranfe, Deutfche Geſch. im Zeitalter ber Ref. UI, 109. 








Hutten's Fehde mit Peter Meyer. 205 


Am gleihen Tage erließ Hutten ein Schreiben an Bür- 
germeifter "und Rath zu Frankfurt in der Sache, in deſſen 
Eingang er, um fi) Gunft zu erwerben, fidy darauf beruft, 
wie er „von feinen findlichen Tagen auf, und beſonders ſeit 
er dur) Uebung Glücks und Unglüds etlihermaßen zu Er 
fahrniß weltliher Sachen fommen, allwegen der Meinung 
gewefen, und fo viel ihm möglich angehalten habe, daß Irrung, fo 
etwa viel Jahr her zwifchen etlichen des heil. Reichs Staͤdten 
und Etlichen vom gemeinen Adel geübt worden” (Freund 
Sickingen hatte aud mit Frankfurt einen böfen Span gehabt), 
„aufgehaben würde, und Die zween Stände, an benen bie 
mehrer Macht deutfcher Nation gelegen, untereinander zur 
Vereinigung und Freundfchaft fämen.” "Hierauf Elagt er den 
Herren, wie ihr Pfarrer, Dr. B. Meyer, wohl fchon zehn 
Jahre her fowohl gegen Gönner und Freunde Hutten’s, wie 
Dr. Reuchlin, als gegen ihn felbft, ohne alle Urſach ein gifs 
tig, natterifh und überaus grimmig Gemüth und Meinung 
getragen und in Red und Handlungen bewiefen habe. Ob 
ihm nun glei das wehe gethan und er fi auch hätte rächen 
fönnen, fo habe er es bisher doch bei ſich verbrudt, und 
würde dieß wohl auch ferner gethan haben, wo nicht Meyer 
vor wenig Tagen die Wunden, fo ſich in feinem Herzen zur 
Heilung geftellt und ſchon mit einem Rumpf überzogen ges 
wefen, wieder aufgeriffen und erneuert hätte Durch Die Hands 
lung gegen Otto Brunfeld, den Hutten, um defien Sache zu 
der feinigen machen zu fönnen, als feinen Diener in An⸗ 


Bartholomes zu Franckfurt. Aus Burckhard's handſchr. Analeften zu 
feinem Comment. de U. de Hutten, auf der Wolfenbüttler Bibliothek, 
mir mitgetheilt von Böding. Bon den biefen Handel betreffenden Brie⸗ 
fen fagt Burdharb: quae ex Tomo I. Actorum ad religionis nego- 
tium spectantium, et in tabulario Reip. Francofurtensis extantium 
describi fecit Zach. Conr. de Uffenbach, ejusdem Reip. Consul 
atque Senator. 









— Bee, wie em ag, ger chrieben hatte, u 
den —— mögen ef e | | re Ge 






+ = 
ia 


welche ihnen von etlichen 
ihnen Bebve angefugt' Haben, f 
noch Länger’ bei es 
jegt ein sr Benfter zur Ü 


— — 





» 


— 


Opp. V, 400412. 
2) Philippo de Fürstenberg, & 
charissimo. Ex Wartenburgo 2 Cal. 4 





Hutten's Fehde mit Beter Meyer. 207 


Muth fafien und ſich nicht durch ein oder das andere Edict 
gleich einfhüchtern lafien. Die früher fo mächtig gewefen, 
werden jetzt ohne Macht fein, da der Adel fich nach und nad 
von denfelben trenne. Auch er ſelbſt, Hutten, fönne ihnen in 
der Sache Vorſchub thun, befonder® dadurch, daß er ihnen 
unter dem Adel Freunde verfchaffe, und wenn er, wie zu 
hoffen, nächftens in den Beſitz von Stedelberg trete, wollen 
fie gute Nachbarſchaft zufammen halten. Bierzehn Tage fpd- 
ter, am 11. April, ließ Hutten an das Thor der Liebfrauen- 
kirche in Frankfurt zwei Abfagebriefe anfchlagen, deren einer 
gegen die Prebigermönde, der andere gegen die Eurtifanen 
gerichtet, und worin, für den al, daß fie fih nicht mit 
ihm verglichen, alle Kriegsleute aufgefordert waren, ihm beis 
zufpringen, und jene ſammt ihren Berwandten in Deutfch- 
und Welichland an Leib und Gut anzugreifen. *) 

Der Schriftenwechfel in dem Handel mit Meyer ging 
noch länger fort: der Pfarrer läugnete, was ihm Schuld 
gegeben war; Bürgermeifter und Rath von Frankfurt verwies 
fen den Ritter an die geiftliche Obrigfeit, da fie den Pfarrer 
nicht zu feßen oder zu entſetzen haben; Hutten meinte, aber 
auh Schuß follten fie ihm feinen gewähren, fondern ihn fein 
Abenteuer gegen Hutten und die Seinigen beftehen laſſen; 
worauf Bürgermeifter und Rath erwieberten, Gewalt gegen 
Jemand in ihrer Stadt oder Gebiet zu geftatten, wolle ihnen, wie 
der Ritter felbft ermeflen werde, nicht gebühren. ?) Dieſes Abs 
fertigungsfchreiben an Hutten ift vom Donnerftag nad) Eantate: 
nun band aber am Pfingftmontag Hartmuth von Cronberg mit 
Meyer an, und fuhr mit Bekehrungsverfuhen und Drobuns 


1) P. Schurch, Res Francof. Cleropoliticae (Mfpt. ber Frankf. 
Stabibibl.), p. 220. Pol. Ritter, Evang. Dendmahl der Stabt Frank⸗ 
furth a. M. p. 53 fg. Note gg 

2) Burdharb’e handichr. Analeften. Vgl. Ritter a. a. O., ©. 58. 





208 I Bud. VII. Kapitel. 


‚gen fo zubringlich fort, daß der beläftigte Pfarrer am Don⸗ 
nerftag nach Trinitatis den Schup des Rathes in Anſpruch 
‚nahm. *). 

Wenn ed uns befremden muß, bie beabfidhtigte Verbrü⸗ 
derung zwiſchen Adel und Städten durch einen Zanf dieſer 
Art eingeleitet zu ſehen, fo finden wir uns durch die Be⸗ 
‚ziehung, in die fi Hutten wenige Monate fpäter mit der 
Stadt Worms febte, aus einem andern Grunde überrafcht. 
‚Bon Sidingen’d Veſte Landftuhl aus erließ er am Sonntag 
nach Jacobi ein Senpfchreiben an dieſelbe Stadt Worms 2), 
welche wie feine andre eine Reihe von Jahren hindurch von 
Sidingen aufs Unverantwortlichfte befchädigt, und mit Dies 
‚ſem noch fo wenig gründlich vertragen war, daß er wäh. 
rend des letzten Reichstags ſich nicht getraut hatte, fie zu 
betreten. Diefes Handels gedenkt Hutten in feinem Schrei» 
ben gar nicht, und wirflid war er auch von der Art,:daß er 
‚nicht entſchuldigt, fondern nur etwa Durch ein höheres, ber 
"Stadt und dem Ritter gemeinfames Intereffe, wenn ein fols 
ches ſich fand, in Vergefienheit geftellt werden Fonnte. Das 
- glaubte nun Hutten in der Reformation gegeben, und indem 
er die Theilnahme der Wormfer an diefer belebte, mochte. er 
‚hoffen, nebenbei auch zur Ausgleichung ihres 
mit Sidingen dad Beſte gethan zu haben. 

Die Wormfer hatten einen Prediger, Namens ulrich, 
der ihnen die evangeliſche Lehre vortrug, und neben vielem 
Anklang unter der Buͤrgerſchaft, von Seiten der romiſch ge⸗ 
finnten Geiftlichfeit, befonders eines Pfarrers Daniel, viel 
‚Anfeindung fand. Der Stadt wegen. diefed in ihr. aufgegan- 


1) Münd, Branz v. S., II, 176— 182. Nitter, ©. 58 fg. 

2) Ein bemütige ermanung an eyn gemeyn flatt Wormbß von Vl⸗ 
rich von Hutten zugefchrieben. Datum Landiftall, Eountag nach Iacabi 
Anno 1522. Wieberabgebrudt opp. —— 38 — 206. Del. Danzer, 
©. 168. - . 








Autten's Ermahnung an Worms. 209 


genen Lichted Glück zu wünfchen, fie zum VBeharren bei der 
Wahrheit, zum Muthe für den Fall der Anfechtung zu er⸗ 
mahnen, ift die Aufgabe, bie ſich Hutten in feinem Schreiben 
jest. Den weltlihen Herren fei man nur in weltlichen Din- 
gen Gehorfam ſchuldig; verlangen fie mehr, fo ſei Widerftand 
nicht nur erlaubt, jondern Pflicht. Auf die geiftlichen Herren 
aber, die Bifchöfe, gebühre den Gemeinden das Auffichterecht, 
und befier wäre, wenn fie auch das Wahlrecht hätten, und 
diefe® nicht den trunfenen Domberren überließen: fo würben 
wir nicht, ftatt frommer und gelehrter Leute, fo viel reifiger 
Bifchöfe in deutfchen Landen finden. Bor dem Biſchof von 
Worms, Reinhard von Kiebur, hatte fchon vor anderthalb 
Sahren Hutten feinen Freund Bucer ald vor einem Manne 
gewarnt, der um feines Hafled gegen die Reformation willen 
bereits audy der Humaniftiichen Richtung feind geworben fei. ) 
Jetzt fagt er den MWormfern verftändlich genug, wo fie einen 
Biſchof oder Probft bei ſich Hätten, der feine weltliche Gewalt 
dem Evangelium zuwider brauchte, und auf vorangegangene 
gütlihe Ermahnung und Bedrohung von feinem Fürnehmen 
nicht abſtehen wollte, dem mögen fie aus gutem Gewiflen 
mit dem Schwert begegnen, und ihn mit Gewalt von fi 
treiben. Dabei fei ihnen Gottes Schub gewiß, unter dem 
fie fih vor Fürſten nicht zu fürchten brauchen; und ſelbſt 
menfchlicher Beiftand werde ihnen nicht fehlen, indem ihre 
Beharrlichfeit in der guten Sache ihnen viele Freunde, felbft unter 
denen, die ihnen bisher feind geweien (Sidingen), erwerben 
werde: fie ſehen ja, wie jest fait alle Städte, der mehrere 
Theil vom Adel und das gemeine Volf dem Evangelium an- 
bangen. Sie mögen an ihm und Andern ein Beiſpiel neh⸗ 
men, die auch um Bekenntniß der Wahrheit willen eine Zeit 


— —— — — — — —— 


1) Martino Bucero. Ex Ebernb. 4 Kal. Dec. 1520. Niebuer's 
Zeitfchrift f. hiſt. Theol. 1865, ©. 622. 
Strauß, Hutten. II. 14 





210 1. Buch, VIII. Kapitel. 


fang unausfprechlic große Verfolgung erlitten haben und 
nod) leiden, aber doc beftändig bleiben. Für ſich verfpricht 
Hutten, mit Gottes Hülfe, Beharrlichkeit bis an's Ende, 
„Sold Fürnehmen“, fagt er, „Toll mir fein Bitt abfchmeicheln, 
fein Drau abfchreden, fein Geld abfaufen; denn ich weiß, 
an wen ich glaub, und Daß mid) Gott nicht verlaflen 

wird.“ Deflen mögen audy fie mit ihm fich tröften, und ihn, 
der ihnen zu allem Guten in Chrifto geneigt fei, in ihre 
Brüderſchaft befohlen haben. 

Im Mai 1522 war der Kaifer, durd Unruhen in Spa— 
nien abgerufen, aus den Niederlanden dahin abgefegelt, mit 
Zurüdlaffung eines Reichsregiments, das er ungern genug, 
feiner Wahlcapitulation gemäß, auf dem Neichstag zu Worms 
dem Andringen der Kurfürften bewilligt hatte. Im diefem 
waren die KHurfürften jeder durch einen Abgeordneten, dann 
geiftliche umd weltliche Fürſten, Prälaten und Grafen nad) 
6 Kreilen, endlidy die fämmtlidyen Reichsſtädte durch zwei 
Abgeordnete, die Ritterfchaft aber gar nicht vertreten. Kein 
Wunder, daß fie unzufrieden war, und in ihre Unzufrieden- 
heit die Städte hineinzuziehen fuchte, die im Verhältniß zu 
ihrer Bedentung und ihren Leitungen gleichfalls zu ſchwach 
vertreten, und damals überdieß durch den Plan des Reiches 
tegiments, das geſammte deutſche Meidy mit einer Zolllinie 
zu umziehen, beunrubigt waren. Den Evangeliich Gefinnten 
im Reid, hatte zudem das Regiment gleich nach feiner Eins 
fegung Anlaß zum Mißvergnügen gegeben. Während Luthers 
Abweſenheit auf der Wartburg waren zu Wittenberg unter 
Carlſtadt's Anführung jene gewaltfamen kirchlichen Neuerun— 
gen vorgenommen worden, welche im März den Reformator 
zur eigenmächtigen Müdfehr veranlaßten, Aber fchon im Ja— 
nuar hatte der altgläubige Herzog Georg von Sadfen, der 
eben, dem eingeführten Turnus gemäß, zu Nürnberg ans 
weiend war, dem Regiment ein Edict abzugewinnen gewußt, 











912 N. Buch. VI. Kapitel. 


Den armen Adel frefien fie, 
Und fuchen täglih Weg und Nath, 
Daß je bei Freiheit bleib kein Stadt; 
Ein Theil fie haben gzwungen fchon, 
Die andern fie jept fechten an. . 
Und ift allein ihr Muth und Sinn, 
Zu nehmen deutſche Freiheit bhin ... . 
Nun if darin, meim Bodenken nach, 
Zu finden Rath ein leichte Sach, 
Daß es wird ſtehn darauf allein, 
Daß wir uns nöthen in gemein, 
Und fegen Städt dem Adel zu, 
Der Adel folche auch wieder thu; 
Dann durch ein foldy Bernehmung mag 
Uns gholfen werben, wie ich fag, 
Und ift fein ander Arzenei, 
Die une mad) unfrer Krankheit frei. 
Einft fei die Kaiſermacht in Deutfchland der Hort der Schwa⸗ 
chen gegen Gewalt geweien: 
Da mocht ein armer Reitersmann 
Ein Fürſten, der ihm Leibe gethan, 
Zu Antwort bringen und zu Recht, 
Und ward ein jede Stabt verfecht. 
Wem foll man aber Flagen igt? 
Die Kaiſermacht ift durch den fehnöden Handel, welden bie 
Fürften bei der legten Wahl mit derfelben getrieben, durch 
die Verfprechungen, welche Carl den Einzelnen für ihre Stim⸗ 
men machen mußte, tief beruntergebradht. Run Fönnen die 
Kürften fi) Alles erlauben. 


Drum richten's neu Beſchwerung an, 
Der will ein Zoll, der Andres han, 
Das muß ihm werden confirmirt, 
Hiewieder Niemand appellirt: 

Am Kürtag ward's ihm zugeſagt. 


Sch weiß, fährt Hutten bier fort (eine Ahnung, welche wir 
ihn auch in dem Erwiederungsgedicht an Eoban ausiprechen 


hörten), | 
Ich weiß, ich werd noch Lande verjagt, 


Um daß ich Solche nicht fchweigen fann, 











Hutten’s Bellagung ber Freiftäbte beutfcher Nation. 213 


Und nimm des Dinge allein mich an; 
Doch iſt es wahr, und ift nicht recht, 
Man woll denn machen krumm zu fchlecht, 
Und wandeln ſchwarz in weiß Geſtalt: 
Allein die Fürſten dan den Gwalt, 

Den brauchens ihrem lüften nad, 
Thun's Unrecht ſchon, fo if kein Rad; 
Nimmt fchon ein Fürſt mir wider Recht, 
Wem ſoll ichs Hagen? Bin fein Knecht, 
Ich wollts dann klagen dem ders nimmt, 


d. h. den im Reichsregiment überwiegend vertretenen Fürſten; 
die übrigens der Sachen ſich nicht einmal perſoͤnlich anneh⸗ 
men, fondern aus Arbeitsfcheu Alles ihren beftechlichen Schrei⸗ 
bern überlaffen, durdy welche die Regierung koſtſpielig, und 
die Bedrückung ded Volks immer härter wird. Dahin wirft 
aber auch die unbegränzte Habfucht der Fürften felbfl. 


Iſt auch ein Fürſt, der habe z viel? 
Ih frag: if einer, der Hab gung, 

Und nit auf weiter Nupung lug? 
Möcht ich (fie fprechen) finten Rath, 
Daß mir würd dienſtbar diefe Stadt! 
Hat etivas dann ein Ebelmann, 

So Höft ein FZürftenherrfchaft an 

Und ift gelegen in feinem Land: 

Bald wird ihm Forderniß zugefandt; 
Auch halten’e Brief und Siegel feim... 


Das Umgreifen der Fürftenmadht wird einem unerfättlichen 
Rachen verglichen: 


Den Adel bat er gfreflen ſchon: 

Jetzt will er zu den Städten gon, 
Den’ ſetzt er auf ein neuen Zoll. 

Sag an du Wolf, wann biſt dn voll? 
Denfft nit, daß etwan fäm ein Tag, 
Der dir bisher verborgen lag, 

Daß du mußt fpeien aus ben Yraf? 


Nun gebe vollends die Entfernung des Kaiſers das Reich der 
eigenfüchtigen Fürſtenmacht preis: 





214 I. Bud. VIII. Kapitel. 


Die henken ihre Köpf zugleich 

In einen Rath, daß ihn’ das Neid 

Nach Willen ganz bleib unterthan: 

Den Kaifer abgefertigt han, 

Der zeucht nun von uns wider Meer, 

Sie wolln nicht, daß er wieberfehr; 

Denn allen Bwalt des Kaifers, bie 

Bon ihm gegeben, bhalten fie. 
Um aber jede Klage über ihre Gewaltthätigfeit zu erfliden, - 

Drum haben's noch eine gfangen an, 

Berbieten Doctor Luther's Lehr, 

Als ob fie.irgende firäflich wär; 

Denn Wahrheit mögen’s leiden nit, 

SR wider ihren Brauch und Sitt..... 

Drum, fromme Städt, macht eudy bereit, 

Und nehmt des Adele Freundichaft an, 

So mag man Diefen wiberftahn, 

Und helfen deutſcher Nation 

Bermeiden Schaden, Spott und Hohn... 
wozu der Herr Ehriftus um feinen Beiftand gebeten wird. 

Sehen wir in der zulegt betrachteten Reihe Hutten’icher 

Schriften durch den Drang der Berhältniffe den Stolz des 
Ritters fo weit herabgeftimmt, daß er den Städten, den von 
ihm fonft fo verachteten Krämern, die Hand zum Bunde 
reicht: fo Liegt, beſonders wenn man in der Geſchichte um 
etlihe Jahre vorausblidt, die Frage nahe, ob er, um feinen 
Blanen den gehörigen Nachdruck zu verfchaffen, nicht noch 
einen Schritt weiter gegangen fei, und darauf gedacht habe, 
auch die Bauerfchaft zur Verbeſſerung der öffentlihen Zus 
Rände aufzubleten. Daß ihm der Gedanke nicht fremd war, 
ein länger fortgefeßter Widerftand der Machthaber gegen bie 
Reform dürfte am Ende einen Aufruhr des gemeinen Volks 
herbeiführen, haben wir bereits gefunden, und find namentlich 
in feiner früher erörterten Entfchuldigungsfchrift auf eine Stelle 
geftoßen, die eine Weiffagung des Bauernfriegs heißen Eonnte. 2) 


1) ©. oben. 








Hutten's Plane. Men Kurfifans, 215 

Ob er nun aber ein ſolches Ereigniß nur befürchtet, unb fein 
moͤgliches Eintreten den Herrſchern als Warnung vorgehal- 
ten, oder ob er gemeint geweſen, im vorkommenden Falle ich 
beflelben zu feinen Zweden gu bedienen, und jept fchon eine 
Berbrüberung nicht blos zwifchen Abel und-Stäbten, ſondern 
auch zwiſchen beiden und der Bauerfchaft anzubahnen, if eine 
andre Frage. Noch in der gedachten Entſchuldigungöſchrift 
verfichert Hutten, für den Fall, daß er wider Recht mit 
tgraünifcher Gewalt überfallen würde, folle man ſehen, ba 
er nicht, wie man ihm Schuld gebe, einen ofen, leichtferti⸗ 
gen Haufen, fondern ehrbare, rebliche und tapfere Leute am 
ſich gehängt habe. 1) Ob er unter dem loſen, leichtfertigen Saw 
fen, mit dem er nichts. zu thun haben will, die Bauerfchaft 
verflanden ober nicht; ob er, wenn er ihre Bundesgenoſſen⸗ 
ſchaft damals noch verichmähte, in Folge der Ergebniffe bes 
Wormſer Reichstags ſich dazu bequemt habe, auch fie in Au⸗ 
fpru zu nehmen: diefe Fragen hängen mit ber über bem 
Berfaffer des deutfchen Geſpraͤchs: Neu Karfihans, zufammem, - 
das, ohne Hutten's Namen zu tragen, ihm doch von — 
von Manchen zugeichrieben worden tft. *) 
In feinem Titel weist dieſes Geſpraͤch auf ein. Ahle 
unter dem Namen Karſthans, gleichfalls ohne Angabe bes 
Berfafiere, erfchienened zurüd, welches eine zu Gunſten Lu⸗ 
ther's gefchriebene Satire auf Thomas Murner's Bertheibi- 
gung des Papftthums war, und vielen Anklang gefunden 
hatte.) In demfelden unterreden ih Mercur, ein Student, 


—— —— — — - —— — 


1) Öpp. V, p. 41. 

2) ©. Burdhard, II, 808 fg., I, 8182 fg. Panzer, ©. 168. 

8) Karſthanns, mit vier yerfonen, fo under jnen felbs ein geſprech 
vnd red halten ıc. Unter dem Datum: Hagenoan 8 Cal. Jen. 1530, 
forberte ein Poet Petrus Franciscus Hutten auf, gegen Murner zu ſchreei⸗ 
ben, wo jeboch biefer Karſthans vermnthlich ſchon erfchienen war. ©. 
Burcktzard DI, 801 fg. e 





216 II. Buch. VII. Kapitel. 


Luther und Karſthans, diefer, wie immer, ald Repräfentan 

ver Bauerfchaft, mit Murner, der auf dem Titelblatte weba 
feinen Mitunterrepnern mit einem Katerkopfe abgebilver if 
Während man bei diefem frühern Geſpräche durch nichts afl 
Hutten erinnert wird, hat dagegen der neue Karfthand *) m 

des Ritters Art in Gedanfen und ®ortrag eine & 

werthe Achnlichkeit. 

Wie in den meiften der neueren Geſpräche Hutten's 
Franz von Eidingen einer der Unterredenden, beren, wie 
zweiten Warner, außer ihm nur noch Einer, nämlid Sur 
band, der Bauer, ift, weldyem gegenüber die Hauptrolle, 
der belehrenden Auctorität, dem Ritter zufällt. Hutten Mi 
in diefem Gefpräche nicht, wie in der Bulle und den M 
bern, mitredend und handelnd auf; dafür weist aber SIE 
gen für die eigentlich gelchrten unter den Belehrungen, die‘ 
dem Bauerdmann ertheilt, jedesmal auf Hutten, ald auf bi 
Duelle derfelben bin. Die Zeit, in welder das Geſpräch ye 
halten fein will, ift der Sommer 1521; denn diefen Wink 
fagt darin Sidingen, habe er mit Hutten auf der Ebernbu 
Luther's Schriften gelefen, und der Bauerdmann win 
ihm Glück zu dem Befehl und Kriegszeug, wozu ibm deri 
Kaifer verorpnet habe: zu dem Zuge gegen den Herzoger 
Bouillon und gegen Sranfreicd aber, der hier allein gemeint 


tn u — — —— ——— 


1) Geſprech biechlin neüuw Karſthane. Auf dem Titel: 
Zu dem leſer. 

Ein neüwer Karſthans komm ich her 

Vol gutter manung, rechter ler. 

Mit Edlen bin ich worden eins 

Als was ich weiß, do ſchweyg ich keins. 

Vnd würd mit henden greyffen zu 

Ein ander auch ſein beſtes thu. 
Wiederabgedruckt Hutteni Opp. ed. Münch, V, 455 — 513. Dee i 
Schade, Satiren und Pasquılle aus der Reformationszgeit, Hannerer 
1856, II, 1— 44. 








Men Karſthans. 217 


fein fann, wurde Franz, wie wir gefehen haben, im Juli 
1521 beftellt. 

Die Situation ift die, daß der Bauer, Indem er dem 
Ritter gedachtermaßen Glüf wünfcht, von dieſem wegen ſei⸗ 
nes „ernſtiſchen“ Ausſehens berufen wird; wovon er die 
Pladereien von Eeiten der Pfaffen als die Urſache angibt. 
Es iſt zunaͤchſt die alte Klage über die fogenannten Send⸗ 
gerichte, die aus einem Organ der Kirchenzucht längft zu einer 
Geldquelle für die Geiftlichen geworden waren, weldye viefe 
durch aufgeftellte Angeber möglichft ergiebig zu machen ſuch⸗ 
ten.) So war Karſthans wegen einer Lapperei erft im Send 
angegeben ?), dann von dem Official in Geloftrafe genoms 
men, und endlich, weil er auch den ermäßigten Betrag, auf 
welchen jener mit fi) hatte handeln lafien, nicht ſogleich ganz 
erlegen fonnte, in den Bann gethan worden. Yranz vers 
fpricht ihm fein Fürwort bei'm Bifchof, aber der Bauer meint, 
wenn es einmal, wie er hoffe, zur Abrechnung mit den Pfaffen 
fomme, werde er dieß und Anderes nicht vergeflen. „Yürs 
wahr fehlet es allein daran’, fest er hinzu, „daß wir der 
Sachen einen Hauptmann hätten, fo würd’ es gehen.” Wie 
alfo in den Räubern der Ritter dem Gtäbter die Hand zum 
Bunde gegen die Bebrüdungen, hauptfächlich der Geiftlichkeit, 
bietet, jo wird bier von Seiten der Bauerfchaft ein ritter« 
licher Anführer zum Kampfe gegen die Pfaffen gefordert, und 
zwar ift e8, wie ſich bald ergibt, auf Sidingen felbft abge⸗ 
ſehen, von welchem, fagt Karfthans, fein und feinesgleichen 


1) ©. Gieſeler, Kirchengefch., II, 3, $. 119. 

2) „Als nun einer von meinen nachpanren bas im fünd gerüget, ” 
liest die alte Ausgabe. Daraus macht Münch: „ein Sünd.“ Da jedoch 
von den bem Geſpraͤch angehängten Artikeln der 18. dahin geht, daß man 
fünftig auf fein „Senbt‘ mehr geben, auch feinem Nachbar mehr ge: 
flatten wolle, etwa6 auf demfelben zu rügen, fo fann ber Ginn jener 
Worte, trop ber abweichenden Schreibart, nicht zweifelhaft fein. 








218 1. Bud. VII. Kapitel. 


fefte Zuverficht fei, er werde noch einmal „als ein Haupt⸗ 
mann ihre (dev Pfaffen) böfe Stud helfen ftrafen.” Ganz 
wie e8 vier Jahre fpäter wirflih Fam: wo, nachdem Sidin- 
gen dahin war, die empörten Bauern fein Nahbild im Klei- 
nen und Groben, Götz von Berlichingen, zur Hauptmanns 
ſchaft preßten. 

Zu diefem Anfinnen verhält fih der Sidingen des Ges 
ſpraͤchs zunädft ausweichend. Zwar, daß ed am Ende noch 
zu einem Aufruhr des gemeinen Volks kommen werde, ift 
auch feine Weberzeugung; aber, wie Hutten in feiner Ents 
fhuldigung, fürchtet er diefen Erfolg und fucht ihn abzuwen⸗ 
den, weil der große Haufe mit Unvernunft drein zu fchlagen, 
und gegen den Unfchuldigen wie gegen den Schuldigen zu 
wüthen pflege. So oft daher der Bauer nah Karft und 
Slegel ruft, um damit zuzufchlagen, wird er von Sidingen 
erft zum gebduldigen Abwarten verwiefen, dann, für den Fall, 
daß es doch zum Dreinſchlagen kommen ſollte, ermahnt, nicht 
aus Eigennutz, Neid oder Rachbegier, ſondern in chriſtlicher 
Meinung, um Gottes und der Gerechtigkeit willen zu han⸗ 
deln, da nur dann das Vorgehen ihm wohl erſchießen werde. 
Was aber die Hoffnung der Bauerſchaft betrifft, daß Sickin⸗ 
gen ſelbſt an ihre Spitze ſich ſtellen werde, darauf antwortet 
er vorerſt, das wiſſe er noch nicht, und habe es bis daher 
unſerm Herrn Gott befohlen, wiewohl er viel Uebles durch 
die Geiſtlichen geübt werden ſehe. Weiter aber auf die Ein⸗ 
wendung des Bauers, daß er ſich ja anheiſchig gemacht habe, 
Luther zu ſchirmen, wie er Hutten ſchon jetzt in ſeinen Schutz 
genommen habe, bekennt Sickingen, daß er Luther, deſſen Schrif⸗ 
ten, ſo weit er ſie geleſen, er anders nicht denn chriſtlich und 
wohl geſchrieben erkenne, falls ihm Gewalt und Unrecht 
widerführe, mit Huͤlf und Rath nicht verlaſſen wuͤrde. Hut⸗ 
ten halte er bei fi als feinen guten Freund, und ber in 
feinen Röthen Zuflucht bei ihm gefucht habe; auch von ihm 








‚ Ren Karſthans 219 


wiffe er nicht anders, als daß er biöher die lautere Wahr⸗ 
heit, aus ehrlichen Urfachen und zu feinem großen perföns 
lihen Schaden, geichrieben habe; daher werde er aud ihn, 
fo lange er bei ihm fei, nicht vergewaltigen lafien. Doch 
audy über diefe Defenfive hinaus erflärt der Sidingen des 
Geſpraͤchs, da er die Zeit der Strafe für die Uebelthäter ges 
fommen glaubt, fich bereit, falls Gott auch ihn zu folchem 
Geſchaͤfte brauchen wolle, fein Gebot zu erfüllen. Daß er, 
nach den Erfahrungen des MWormfer Reichstags, noch immer 
die Hoffnung äußert, Kaifer Carl werde nicht lange päpftiich 
fein, und dann felbft die Reform in die Hand nehmen, ift 
freilich auffallend, und vom PVerfafler auch wohl ſchwerlich ernft 
gemeint. Unerachtet alfo eine ausdrüdliche Zufage des Ritters 
an den Bauerdmann in Betreff der Hauptmannfcaft fich im 
Gefpräche nicht findet, fagt doch Karſthans (um von den ans 
gehängten Artikeln noch abzufehen) in den Keimen auf dem 
Titelblatt, er fei mit Edeln Eins geworden, und werde feiner- 
feit8 mit Händen zugreifen, ein Andrer möge auch fein Be- 
ſtes thun. 

Alle übrigen Ideen des Geſprächs find fo ganz Hutte⸗ 
nifh, daß fih dem Sinne nad zu allen, zu manchen aud) 
den Worten nad, Parallelen in den ungzweifelhaften Schrif- 
ten Hutten’d finden. Und Lepteres ift gerade bei folchen 
Ideen der Ball, die weniger allgemeine Zeitanfchauungen, 
als perfönliche Lieblingsgedanken unſres Ritter bilden, ober 
diefem doch befonders nahe lagen. Dahin gehört der Wider: 
ſpruch gegen die verbreitete Meinung, ald wären die Doms 
ftifter Anftalten, deren Erhaltung im Intereſſe des Adels 
liege. Hier ift, was im neuen Karſthans gejagt wird, faft 
Ueberfegung einer Stelle in den Räubern. 1) Die Erfchöpfung 


1) Praedones. Opp. IV, 199 fg. | Neu Karſthans. Opp. V, 5086 fg. 
Mercator. At solebam audire, | Karfifaus. Etwan Hab ich gehört, 
paratum esse populum Germanum, | die pfaffen wären lang gerecht ver⸗ 





220 


11. Buch. VII. Kapitel, 


des Mainzer Erzſtifts durch den häufigen Pallienfauf bins 
nen Menfchengedenfend !), die Pfaffenherrichaft im Franken⸗ 
fande 2), werden bier ebenfo wie im Vadiscus und in den 


et velle in primis civitates, ut 
censeatur ordo hic, et exigantur, 
qui se nomine sacerdotali hacte- 
tenus tutati sunt: vos obstare, 
nec permittere, cognatos ibi ves- 
tros in ordinem redigi .. - 
Franciscus. ... hoc persuasum 
habemus, atque ita passim co- 
gnosci datur, infidos plerumque 
fieri, quotquot a nobis in ordi- 
nem illum concesserint, neque ulli 
magis graves, quam affinibus et 
propinquis suis, a quibus nun- 
quam satis detrahere se, quod 
ecclesiis suis vindicent, arbitran- 
Consultum jam esset, 
nisi obstaret ordo principum, ex 
quo sunt, qui episcopatus ambiunt 
et ipsi, ac soli jam pene, detrusis 
nobis, contra leges occupant. 


1) Vadiscus (deutſch) V, 260. 
So hatt man nedft im biftumb 
Menng funden einen alten, dem ge: 
dendt, mit dem yeßigen herren Als 
bredhten acht Biſchoff zu Meyntz. 
Alſo vil mäntel ſein in einem Bi⸗ 
ſtumb, in eines menſchen gedächtnüß 
gekaufft worden. Vnd iſt derhalben 
das Fürſtenthumb alſo zu merklichenn 
groſſen ſchulden kummen, der gemeyn 
man ſo offt geſchätzt worden, das 
vetzo ein Biſchoff kaum fo vil jn⸗ 
fummens hatt, das er ſeinen ſtand 
daruon erhalten mag. 


2) Praedones. IV, 224. 
Auttenus ..... et infelix Fran- 


iagt, wenn ber adel thät; denn fie 
fagen, ir wölt nit wider eüwere freümd 
thun. 


Iranz. Wol mag alſo daruon ger 
redt werden... aber warlich zu reden 
iſt nyemant in Teütſchlandt, den die 
pfaffheit väfter befchwärt, dann ben 
gemegnen adel. Es fein auch bie 
thumberren iren eygen freünben uns 
treüw, und allweg ziehen fie den ab, 
und iren kirchen zu Aber 
von den Fürften, bie auch vetter m. 
brüder haben vff den Gtifften vunb 
zu Bilchoffen, weiß ich nit zu fagen, 
die möchten wol ein hindernüß than. 


Neu Karfihane, S. 506. 

So fi ich das der flifft Meing 
dardurch verborben iſt, das man inn- 
wendig menſchen gebächtnäß ſyben 
Bifchoffemäntel hatt fauffen müſſen, 
vnd geet berfelbig fchab über nye⸗ 
mant mer dan über das arm gemeyn 
vold, dz muß ein fchagung über bie 
andern bargu geben... Es if 
auch die arm flatt Meing dardurch 
in grund verdorben . . 


Neu Karfthans, a. a. O. 
Der gleychen if dz Franckenland 


corum natio ut obnoxia est im- | mit pfaffen beftedt und befeßt, von 








Neu Karfihans. 2921 


Räubern gerügt, und dabei des Erzbiſchofs Albrecht mit der- 
felben fchonenden NRüdficht gedacht, wie wir fie fonft von 
Seiten Hutten’d gegen ihn beobachtet finden. !) Die Bewuns 
derung für Ziska und feine fcharfen Maßregeln, um Böhmen 
von den faulen Mönchen zu fäubern und von der römifchen 
Knechtſchaft zu befreien, fpricht fich hier eben fo wie im zwei- 
ten Warner aud.?) Freilich Fonnte immerhin auch ein Ans 
derer, befonderd wenn es einer aus dem damaligen Ebern- 
burger Kreife war, dieſe Gedanken Hutten's ſich angeeignet 
haben. 

Es ift bereitd erwähnt worden, daß der Sidingen des 
Geſpraͤchs wiederholt auf Hutten, als feine gelehrte Auctoris 
tät, fich beruft. Die Art, wie dieß geichieht, ift, Fünftlerifch 
betrachtet, allerliebfl. Nachdem der Ritter den wahren Beruf 
der Geiftlichkeit, im Gegenſatze gegen ihre damalige Verwelt- 
lichung, mit großer Bibelfeftigfeit aus den Pauliniſchen Brie- 
fen dargelegt hat, fällt Karſthans ein: „Junker, mich wun⸗ 
dert, wo ihr folh Ding gelernt Habt; ih bin an euch nit 
gewohnt, daß ihr alfo gründlich pfleget aus der heil. Ge⸗ 
Ichrifft zu reden.” Worauf ihm Yranz erzählt, wie er vers 
gangenen Winter mit Hutten in der Regel nach Tifche Luther's 
Bücher gelejen, und über dad Evangelium und die apoftolis 


piae sacerdotum tyrannidi . . .|den es täglich ye mer vnd mer off 
Me quidem pudet et dies atque | dz auſſerſt befchwärt würt, noch wil 
noctes id ago, ut consilium in- | man nit nach chat denden, wie bem 
veniamus vindicandi nos a pu- |land geholffen werbe. 

denda captivitate. 


1) p. 496. Franz . . . Vnnd weiß einen, bem günbt ich wol, er 
wär des Biſtumbs müfjig gegangen, dann er würt fein fel barburch vers 
dammen. 

2) Monitor II, Opp. IV, 144 fg. Pgl. mit Neu Karſthans, Opp. 
V,504. Hier noch ber Zufag: Darumb ift Ziffa fein narr geweien, 
bas er bie Firchen zerbrochen, dan mo er fie het laffen fleen, wär es ge: 
gangen wie er den Bebemen zuvor fagt, lieffen fie bie nefter fleen, fie 
würden inwenbig 10 jaren bie vögel all wider barinnen haben, 





2292 1. Bud. VIII. Kapitel. 


fhen Schriften ſich unterhalten habe. Ein andermal hatte 
der Ritter von Geremonien gefprohen. „Junker“, fragt ihn 
Karſthans darauf, „was feind Cormonius?" Worauf Sidingen 
antwortet: „Hans, Ceremonien, als mich Hutten bericht, 
heißen aͤußerliche Gebaͤrden“ u. f. w. Aber auch die Bulle 
In coena Domini hat Hutten feinem Gaftfreunde verbeutfcht, 
und was der Poet Plautus zu den geizigen Frauen fpridht, 
hat Legterer von Erfterem gehört. ) Indeſſen aud vieles 
Berhältnig war damals, jelbft über den Ebernburger Kreis 
hinaus, durdy gedrudte Schriften Hutten’d befannt 2), und 
man Fönnte fogar finden wollen, daß e8 Hutten felbft went- 
ger als einem Dritten angeftanden habe, feine gelehrte Yucto- 
rität über den Baftfreund in folcher Weife hervorzuheben. 
Auch die Beweisführung aus Bibelftellen, welche in diefem 
Geſpraͤch eine breitere Stelle, als fonft in Hutten's Schrifs 
ten, einnimmt, Fönnte auf einen der theologifchen Gäfte der 
Ebernburg hinzuweiſen fcheinen; obwohl auf der andern Seite 
das theologische Geſchmaͤckchen unferem Gefpräche durchaus 
fehlt. 

Bon Neuem bietet ſich und hier eine Wahrnehmung bar, 
auf welche wir im Verlaufe unfrer Darftellung fchon öfter 
geftoßen find. In Zeiten, wo große geiftige Strömungen 
ale Glieder und Schichten eines Volkes bewegen, wird auch 
die jchriftftellerifche Production verhältnigmäßig gegen fonft 
eine gemeinfame Gabe, und es gibt feinen Homer, dem nicht 
Homeriden zur Seite träten, beren Erzeugniffe den feinigen 
zum Berwechjeln ähnlich fehen. Wer hier der Huttenide fein 
möchte, wenn ed Hutten nicht jelber ift, darüber VBermuthuns 
gen aufzuftellen, müflen wir Andern überlaffen. 


1) Die obigen Stellen finden fih p. 469. 478. 485. 489. 

2) Hutten’s Briefe an Luther vom 9. Dec. 1520, und an Pirdheis 
mer vom 1. Mai 1521, in denen fi} die Angaben über die gemeinfamen 
Studien beider Ritter auf der @bernburg finden, waren gebrudt. 








Neun Karſthaus. 223 


Abfichtlih haben wir bisher den Anhang unfered Ges 
ſpraͤchs, die dreißig Artikel nämlih, „fo Junker Helferich, 
Reiter Heinz und Karſthans mit fammt ihrem Anhang, hart 
und feft zu halten gefchworen haben,‘ von dem Kreis unfrer 
Betrachtung ausgeſchloſſen. Zwar find fie in der einzigen 
alten Ausgabe, die wir von dem neuen Karfthans befiken, 
demfelben angehängt ); doch fragt fi), ob in unmittelbarem 
Zufammenhang mit demfelben entftanden. Denn nur der 
Karfthans der Artikel findet ſich auch im vorangegangenen 
Gefpräche; von dem Junker Helferich aber und dem Reiter 
Heinz weiß man nicht, wo fie herfommen, nachdem bei dem 
Geſpräch der Junker Kranz, ein Reiter aber gar nicht, bes 
theiligt gewefen war. Faſt möchte man daher vermuthen, es 
feien bier zwei urfprünglidy nicht zufammengehörige Schriften, 
des verwandten Inhalt und Zweckes wegen, zufammenger 
druckt worden. Die Artikel für fi) gemuthen wie Vorläufer 
der befannten zwölf Artikel der Bauerfchaft vom Jahr 1525, 
nur daß fle ſich noch auf das geiftliche Gebiet befchränfen. 
Aber fie find heftiger, wilder im Ton, als das voranftehende 
Geſpraͤch. Die Pfaffen, wie die jegund leben, follen nicht 
mehr geiftlihe Väter, ſondern fleifchliche Brüder heißen, ihr 
Bann wie das Anblafen einer Gans geachtet, der Papft für 
den Antichrift, feine Cardinaͤle u. f. f. für des Teufel Apo⸗ 
ftel gehalten, der Hof zu Ron die Vorhölle genannt werden. 
Die Berbündeten wollen feinen Ordensbruder mehr in's Haus 
laffen; jedem Bettelmönd, der ihnen Käs abfordert, einen 
vierpfündigen Stein nachwerfen; die Officdäl oder Senppfaffen 
mit Hunden aushetzen und mit Koth bewerfen laflen; alle 
Gurtifanen wie tolle Hunde achten, die man fchlagen, fan- 


1) Mit der Webergangsformel, die noch auf demfelben Blatt mit 
dem Schluffe des Geſpraͤches fleht: Hie endet fih der Karſthans vnd 
volgen hernach dreyſſig artidel, fo ıc. 





224 I. Buch. VII. Kapitel. 


gen, würgen und töbten darf. Insbeſondre fol Hutten gegen 
fie gefhüst, auch Luther wider feine Feinde vertheidigt wer- 
den. Dem geiftlihen Recht und den päpftlichden Bullen wird 
ewige Feindſchaft geichworen; den Pedellen, die folche über» 
bringen, follen die Ohren abgefchnitten, und wenn fie wies 
derfommen, die Augen audgeftochen werden. Die Yeiertage 
außer dem Sonntag follen abgefchafft, fein Bild mehr anges 
betet, die Beichte nach Luther’ Anweifung eingerichtet, Fein 
Pfarrer mehr geduldet werden, der nicht zur Predigt des 
Evangeliums befähigt und ehrbaren Lebens ift, auch Feinem 
mehr al8 Eine Pfarre, die er jelbft verfehe, geftattet werben. 
Zulegt jchwören die Berbündeten, in allen vorhergemeldeten 
Artikeln Leib und Gut zufammenfepen zu wollen, und rufen 
Gott zum Zeugen, daß fie darin nicht ihre eigene Sache, 
fondern die göttliche Wahrheit und des Vaterlandes Wohl⸗ 
fahrt bezwecken, und daß Alles was fie thun, in einer chrift- 
lichen, ehrbaren, guten Meinung geichebe. 

Doch wer ed auch immer geweſen jei, der auf dieſe 
Weiſe die Verbrüderung zwifchen dem Adel und der Bauers 
ſchaft zur Durchführung der Kirchenverbeflerung in legte Aus⸗ 
fiht nahm und durch die Herausgabe der fo eben betradhtes 
ten beiden Schriftftüde anzubahnen fuchte: der nächfte Ber- 
fu), den Sidingen machte, galt weder rein ficchlichen Zwecken, 
nod war dabei auf andre als diejenigen Streitfräfte gerech⸗ 
net, welche der Ritter von jeher bei feinen Fehden aufzubies 
ten gewohnt gewejen war. 








226 1. Buch. IX. Kapitel. 


der Stellung unzufrieden waren, weldye der legte Reichstag 
-zu derfelben eingenommen hatte. So wurde am Mittwod) 
nah St. Zaurenzen Tag (welcher der 10. Auguft) 1522 die 
Urkunde eines „brüderlichen Verftänpnifles‘‘ von den Anmwes 
jenden unterzeichnet 2), und den Abwefenden der Beitritt mit⸗ 
telft einzufendender Reverfe offen gehalten, deren Zwed zu⸗ 
nächft dahin ging, die Ritterfchaft durch möglichfte Ablehnung 
fremder Gerichtsbarkeit unabhängiger zu machen. Richt allein 
die Streitigfeiten zwilchen den Bundesverwandten nämlich 
follten durch ritterliche Schiedögerichte, ohne weitere Appellas 
tion, erledigt werden, fondern auch von Angehörigen anderer 
Stände follten die verbundenen Ritter nur vor Ihreögleichen 
belangt werden fünnen. 2) Wer über das Erbieten zu ſolchem 
Austrage von feinem Gegner, welches Standes bdiefer fei, 
mit Gewalt bedrängt würde, dem follte jeder Genoſſe der 
Verbrüderung hülflid zu fein gute Madıt haben; dagegen 
dem, ber den Austrag abgefchlagen, Keiner helfen dürfen. 
Das in Fehden zwifchen Yürften, Grafen und Städten An- 
gehörige der Einung auf entgegengefegten Seiten dienen, 
wußte man nicht zu hindern; doch follen fie einander moͤg⸗ 
licht fhonen, und fobald die Fehde beendigt, einander wieder 
laut der Berftändniß wie zuvor verpflichtet fein. Die Bers 


— — —— — —— —— 


1) Die Urkunde iſt abgedruckt bei Münch, Franz von Sickingen, I, 
188—1%. Womit zu vergl. die Flersheimer Chronik, ebendaſ. IT, 
213 fg., 8. 4. 

2) Dieß drüdt der erzbifchöflich gefinnte Poet über Sickingen's Aus- 
gang ganz gut fo aus (Francisci ab Sickingen cum Trevirorum ob- 
sidio, tum exitus ejusdem, Barptolemaeo Latomo Arlunensi autore. 
Bei Münd, a. a. O., II, 302, in der Rede, die er Franzen auf dem 
Ritterconvent in den Mund legt): 


Judicia ac leges primun abrumpemus iniquas, 
Invisumque forum frustrabimur omne, nec ullam 
Externi arbitrii vim formidabimus: ipsi 

Nos inter leges sociis ac jura feremus. 














Sickingen's Blane. 297 


bindung wurde auf ſechs Jahre geſchloſſen, Franz von Sidin- 
gen zum Hauptmann gewählt, und ihm nad den verſchiede⸗ 
nen Bezirken, in weldyen die Verbündeten faßen, zwölf Vers 
trauensmänner zugeordnet. 1) 

Schon den Tag vorher, ehe die Urkunde der Landauer 
Einung ausgefertigt wurde, hatte Sickingen mit Franz von 
Sombrief einen Vertrag geſchloſſen, ihm etlich Reiſige zu 
werben und zu führen 2); ſeine Schlöſſer, beſonders Ebernburg 
und Landſtuhl, hatte er neu befeſtigt und mit Vorraͤthen ver⸗ 
ſehen; die Stellung als kaiſerlicher Feldhauptmann und Rath, 
die er noch immer einnahm, und die Meinung, die er, wo 
nicht veranlaßte, doch gerne beſtehen ließ, daß er in kaiſer⸗ 
lichem Auftrage wider Frankreich werbe, führten, neben ſei⸗ 
ner perfönlichen Geltung als Kriegsführer, bald ein zahlrei⸗ 
ches Heer zu Pferd und zu Fuß unter feine Bahnen. ®) 

Franzens Zwed bei diefen Rüftungen war freilich nicht 
blos, wie der gute Hartmuth von Cronberg meinte, „dem 
Worte Gottes die Thüre zu öffnen‘ %); fondern in dem wes 


— — — — — — — 


1) Welche Gerüchte ſchon während die Landauer Einung erſt im 
Werke war, durch das Reich liefen, zeigt uns ein Brief des Conſtanzer 
Domherrn Johann von Botzheim an Vadian vom 8. Juli 1522 (in den 
handſchriftlichen Literae ıniscellaneae auf der Vadianiſchen Bibliothek 
zu Et. Sallen, Tom. II, No. 88): Relatum est nobis his diebus et 
fidedigno testimonio comprobatum, nobiles XVI* fratlrum nomine 
conspirasse, et sodalitati nomen indidisse fraternitatı haptismi: illos 
quosvis defensuros a tyrannide, qui in re evangelica premantur a 
proceribus ecclesiasticis. Fertur etiam, illos Cardinali Moguntino 
diffidatorias transmisisse. Oecolampadius est apud illos, et illorum 
non minima portio Huttenus cum suis. 

2) Das Werbevatent bei Mäünch, a. a. ©., II, 194 fg. 

8) Nach der Wlersheimer Ghronif (bei Münch, 11, 215, $. 9) 
5000 Mann zu Fuß und 1500 Pierre; nad einer Angabe Hartmuth’s 
von Gronberg (bei Seckendorf, hist. Lutheranismi, p. 226) 5000 Rei: 
ter und 10,000 Yußgänger. 

4) Doc ſagt auch Martin Bucer, ber damals um Franz war (in 
einem Brief an Zwingli aus Straßburg vom 9. Inni 1528, Zuinglii 


15 * 














Sickingen's Feldzug gegen Trier. 299 


wie fächliche, fchienen auf den Erzbifhof und Kurfürften von 
Trier zuguteeffen. Richard von Greiffenclau⸗Volraths war 
zwar mit Sidingen durch deſſen verftorbene Hausfrau vers 
fhwägert; doc, hatte fih auf dem Augsburger Reichötage des 
Jahres 1518 über den gleidyzeitigen Feldzug Sidingen’d gegen 
Heflen feiner der Fürften fo feharf wie er ausgeiprodhen. Es 
fei zu viel, was Franz ſich unterftehe: erft die Städte, dann 
die Fürften, einen nach dem andern vorzunehmen; die Kurs 
und Fürften mögen bedenken, was zulegt daraus werden folle; 
wäre man ihm gefolgt, fo bätte man längft ernftlich gegen 
Franz gehandelt; er, Richard, fei der erfte, und wohl auch 
der legte Kurfürft in feinem Geſchlecht, die gebornen Kurs 
fürften gebe die Sache noch näher au. Eben ald geiftlicher 
Kurfürft aber war Richard eines der Häupter des Deutjchen 
Kirchenfürftenthbums, und was fein Verhältniß zur Reformas 
tion betrifft, fo war von ihm, nad) Hartmuth's Ausdrud, dem 
Worte Gottes die Thüre nach menfchlichem Vermögen auf das 
Beftefte beichloflen. Seine harte, übrigene ſtaatsmänniſch wie 
kriegeriſch tüchtige Natur war für Die reformatorifchen Ideen 
ohne Empfänglichkeit. Wenn fein Nachbar in Mainz ein 
teo X. im Kleinen war, To follte man ſich durch Richard von 
Trier bald an den Kriegsfürften Julius II. erinnert finden. 
Diefe Gigentchaft Des erwählten Yeindes hatte Franz doch 
nicht gehörig in Rechnung genonmen; oder glaubte er, fie 
werde zum Schutze defielben nicht binreichen, entwurzelt und 
vereinzelt, wie er ibn zu finden hoffte. Wie gewöhnlich in 
bifchöflichen Städten, war auch in Trier ein Theil der Bür⸗ 
gerfchaft gegen das geiftliche Regiment; eine Stimmung und 
Partei, Die jegt, in Folge des Eindringens der Lutherifchen 
Lehren, noch verftärkt fein mußte. Don außen aber hatte 
Sidingen von dem zweideutigen Albrecht von Mainz feine 
Berhinderung zu befürchten; fein Gegner von dem friedfertis 
gen Eollegen zu Göln, Hermann von Wied, ſchwerlich Fries 





230 1. Buch. IX. Kapitel, 


gerifche Hülfe zu erwarten. Bei Pfalz hoffte Franz durch 
frühere Verdienfte noch etwas zu gelten, und bis Philipp 
von Hefien heranrüdte, mit Trier jchon fertig zu fein. Den 
Kaifer aber, außer feiner augenblilichen Landesabweſenheit, 
glaubte er am wenigften geneigt, ſich des Fürften, welcher der 
wohlbezahlte Agent und hartmädigfte Anhänger feines Neben- 
bubhlers um die deutſche Krone gewefen war, werfthätig an— 
zunehmen. War doch im Reiche die Meinung verbreitet, daß 
Sickingen im geheimen Auftrage des Kaiferd wider Trier 
ziehe. ') 

Auf der andern Seite ftand aber doch auch Manches, 
was Sickingen warnen fonnte. Daß er von Wittenberg aus 
Feinerlei Vorſchub, ſondern nur Ablehnung zu erwarten habe, 
konnte er wiſſen, da man dort ſchon damals: grumdjählich 
gegen den Krieg ald Mittel zur Durchführung der Neformas 
tion war. Luther und Melanchthon beflagten hernach Sidinz 
gen's Treiben als ein foldhes, das der guten Sache nur Haß 
zuwege bringen fönne. 2) Selbſt in feiner nächſten Umgebung 
fehlten ihm warnende Stimmen nicht. Martin Bucer, Der 
feit dem Mai jenes Jahre, der pfalzgräflichen Dienfte über- 
drüffig, zu Franz zurüdgefehrt war, urtheilte wenigſtens ſpä— 
ter, derfelbe habe diefen Krieg zwar in befter Abficht, doch 
ohne rechten Beruf unternommen. ) Und verfelbe Manıt, 


1) Epist, Viti Berleri ad Bilib. Pirckheimerum. Ex Wiesen- 
steiga 8. die Octobr. a. 1522. Bei Heumann p. 295: Franciscus de 
Sickungen si Caroli Imperatoris aut consilio aut jussu, id quod 


plerique suspicantur, tam atroces suscitavit tumultus, habebit for- 


lasse, quo sese tueatur; at si suis ipse auspiciis rem tam arduanı 
ac seditiosam tentare fuit ausus etc. 

2) Melanchthon Joach. Camerario, Cal. Jan. 1523. Corp. Ref. 
ed. Bretschneider Vol. I, 597: Vide, quanta nos invidia ille nuper 
exortus dux belli intestini oneret . . ®gl. den Brief beffelben von dem 
gleichen Datum an ch. Heffus, a. a. D. p. 593, und Luther's Brief 
an Wencesl. Lind vom 19. Dec, 1522, bei be Wette, I, 266. 


3) Bucerus Zuinglio, Argentorat, 9. Jun. 1523, Zuinglii Opp. 








Sickingen's Yelbzug gegen Trier. 231 


defien Aniprüdhe an den Rath zu Wormd dem Nitter einft 
zum Vorwande der mehrjährigen Fehde gegen diefe Stadt ge- 
dient hatten, und der ihm jegt mit ber Feder Dienfte leiftete, 
Balthafar Schlör, warnte ihn in einer eigenen Denkſchrift vor 
dem Zuge gegen Trier. Selbſt wenn er e8 eroberte, meinte 
Schlör, würde er es doch nicht behalten, fondern dad Reich 
über ihn kommen, wie über Albrecht von Baiern wegen Re 
gensburg, über Ulrih von Würtemberg wegen Reutlingen. 
Auch fein Guthaben beim Kaifer (das jept mit den Gold» 
rüdftänden, für welche Sidingen eingetreten war, 60,000 Fl. 
betrug) fege er aufs Spiel. Er folle einen Andern gegen 
Trier heben; jedenfalls noch zumwarten, wie fi die großen 
politifchen Verhaͤltniſſe zwifchen dem Kaifer, dem König von 
Sranfreih u. ſ. w. geftalten. Auch feine Kränklichkeit (ber 
Aljährige Sidingen war ſchwer vom Podagra geplagt) und 
des Aftrologen Johann Haßfurt warnendes Prognofticon für 
die Jahre 1522 und 1523 möge er bevenfen. }) 

Allein bei Sidingen war die Unternehmung gegen Trier 
beichloffene Sade, auch der Borwand zur Kriegderklärung 
war bereit8 gefunden. Er war ganz im Geſchmacke des da⸗ 
maligen Fehdeweſens: vom Zaune gebrochen, um Händel an⸗ 
fangen zu fönnen. Ein unrubiger Menſch, dem Sidingen 
Aufenthalt gab, Gerhard Börner, hatte zwei Schultheißen 
aus dem Trierfhen Gebiete gefangen und weggeichleppt; auf 
ihr Bitten, wozu fie jedoch nachher behaupteten gezwungen 
worden zu fein, fchlug fih Franz in's Mittel, erlegte dem 


—- — — — 





ed. Schuler et Schulthess, VII, 295 . . bellum, quod contra Tre- 
virensem, optima quidem fide, ut sibi videbatur, sed nescio qua 
vocatione susceperal (Franciscus) . . 

1) Günther, Cod. diplomat. Rheno-Mosellanus, V, No. 86: 
Bruchſtücke, zur Welch. der befannten Fehde Franz von Sidingen’s mit 
bem Erzb. von Trier gehörig. Das Prognoflicon bei Münd, TI, 
819 — 821. 


252 1. Buch. IX. Kapitel. J 


Börner für dieſelben an Schatzung 53000, und für Yung . © 
150 rheinijcher Gulden, worauf er jie im Freiheit fehle ga. 4 = 
das übliche Gelöbniß, ihm entweder auf eine befimme AUgT 
die für fie ausgelegte Summe zu bezahlen, oder fih wAugg® 
in feine Hand zu ftellen. Heimgekehrt jedoch wenbeie 
die Schultheißen, ohne fih an das erzwungene Verſprein 
gebunden zu achten, an das Reichsregiment zu Aürnke 
und auf Sickingen's Beichwerde erflärte der Kurfürk v 
Trier, dem Spruche ded Regiments nicht vorgreifen zu well. 
Das hatte Sidingen nicht blos vorausfehen fünnen, fon; 
wahrfcheinlih gewünſcht, um einen Vorwand zur Hehe 
zu baben, welche er, fobald er ſich binlänglich gerämdt 
glaubte, am Mittwoch nad) Bartholomdi dem Kurfürften a: 
fündigte. .d 
Der Erfte, an den der bedrohte Kicchenfürft fih zu 
Beiftand wandte, war jein Nachbar und College von Mai ' 
den er, der zwilchen ihnen beftehenden Einung gemäp, ung 
100 wohlgerüfteter Pferde bat, um ſolchem muthwilligen Fi 
nehmen Widerftand thun zu fönnen. Allein Kurfürft Albreii 
bedauerte zwar, daß jeiner Lieb etwas Befchwerliches zuftchent 
jollte: aber jeine Neifigen brauchte er, wie er fchrieb, theill 
für den jchwäbiichen Bund, theild zum Frankfurter Habb: 
meßgeleite; von feinen Lehnsleuten, Die er fofort aufbot, ew 
dienen ftatt 200 nur 20, und dieſe weigerten fi, io bei 
richtete er, jemand Anderem als ihm zu dienen; zulegt wollt- 
er Söldner werben, die waren aber, fchrieb er, „in Wake 
beit der Zeit nicht zu befommen.” Endlich, auch vom Rede 
regiment an feine Pflicht gemahnt, exbot fich Albrecht, 00 
Mann zu Fuß, und dann auc die dem fchmäbifchen Bunde 
zur Verfügung geftellten Reiter dem Nachbar zuzichen 
laflen: das war aber fo fpät, daß ihm Kurfürft Richard me 
rüdfchrieb, er habe ſich mittlerweile des Feindes ſelbſt er 
wehrt, und Albrechtö gme mit feiner Hülfe zu Haufe bleiben. 
















Sickingen's Feldzug gegen Trier. 233 


Doch nicht blos Feines Beiftandes hatte ſich Exfterer von dem 
Letztern zu getröften, fondern die Fähren des Rheingaus führ- 
ten Dann und Roß über, welche Sidingen’d Bahnen zus 
zogen; Unterthanen und Lehnsträger von Mainz dienten dem 
Ritter gegen Trier; ja von Albrecht's vornehmften Beamten 
thaten der Hofmeifter Frowin von Hutten und der Marichalt 
Caspar Lerch, wie auch einzelne Domherren, dem Unternebs 
men Sidingen’s allen Borfchub. *) 

Zwar erließ nun auf Richard's Anrufen das Reichsre⸗ 
giment zu Nürnberg unter dem 1. September ein Mandat 
an Sidingen, in weldyem diefer unter Androhung der Acht, 
und überdieß einer Pon von 2000 Mark löthigs Goldes, 
aufgefordert wurde, fein Gewerb gegen Trier, al& der golbes 
nen Bulle und dem Landfrieden zumwider, von Stund an abs 
zuftellen: allein als dieſes Mandat einlief, war Sidingen 
bereitö in das furfürftliche Gebiet eingefallen, hatte Blies⸗ 
caftel genommen, und lagerte vor St. Wendel. Er. hatte 
eine Anfprache an feine Truppen und Berbündeten ausgehen 
laffen, in weldyer er erflärte, wie diefer fein Zug nicht feine 
Bereiherung an Gut oder Macht, deren er für einen Edeln 
vorhin genug befite, jondern Gottes Ehre zum Zweck babe, 
iofern ed wider die Feinde des Evangeliums, die Bilchöfe 
und Pfaffen, gehe. Dazu, hätte er gemeint, follten chriftliche 
Fürsten ihm helfen; ftatt deſſen aber ziehen fie fi ab. Doch 
Gott werde fein und der Seinigen Helfer fein, und ihnen 
entweder feligen Tod für fein Evangelium, oder herrlichen 
Sieg verleihen. Um fi jedoch deſſen würdig zu machen, 
müflen fie etlih Puͤnktlein merken, bie er melden wolle: fie 


1) Aus den Actenflüden bei Münch, a. a. D., erhellt, daß die An- 
fiht derer ganz richtig war, die, wie Hubert Thomas von Lüttich fich 
ausdrüdt, den Kurfürften Albrecht füs Sickingen's tacitum coadjutorem 
hielten; wie denn auch Hubert jelbft überzeugt war, non perinde illum 
ab hac lepra mundum. In jeiner Historiola etc. bei Münch, III, 284. 





234 I. Bud. IX. Kapitel. 


feien aus der Gefchrift gezogen. Und nun wird zu menfch- 
licher Kriegführung, zur Schonung der Unſchuldigen in ers 
oberten Städten und auf dem platten Lande ermahnt, vor 
unnügem Sengen und Brennen, Verheeren der Felder, Abs 
hauen der Bäume und Neben gewarnt, deſſen fich Franz bei 
frühern Zügen nicht immer enthalten hatte, und alle dieſe 
Ermahnungen mit Beifpielen belegt, welche, im ächten Res 
naiffanceftil, bunt durcheinander aus der biblifchen und der 
römischen Gefchichte genommen find, fo daß, Aähnlid wie am 
Ottheinrichsbau auf dem Heidelberger Schloffe, Joſua neben 
Horatius Cocles, und David neben Titus zu ftehen fommt. 

Etwas weniger zahm und gottfelig al& in dieſem Mas 
nifeft, in welchem der ehemalige Francisfaner Heinrich von 
Kettenbach, jet ein begeifterter Herold der Reformation, bie 
Geber für ihn geführt hatte”), fprach fi Franz mündlich 
gegen die Sendboten des Reichöregiments aus. Er hieß fie 
ihren Herren wieder fagen, fie mögen gemach thun, denn er 
fei des Kaiſers Diener fo gut wie fie; nicht gegen diefen 
wolle er handeln, fondern nur gegen den Erzbifchof von Trier, 
und da wiſſe er fürwahr, fein Herr der Kaifer werde nicht 
zümen, ob er den Pfaffen ein wenig ftrafet und ihm Die 
Kronen eintränfet, die er (vom König von Franfreich vor 
der Kaiferwahl) genommen. Sein weiteres Abfehen gehe 
darauf, ein befleres Recht in Deutfchland zu machen, als 
das Regiment bisher gethan habe; gelinge ihm fein Vor⸗ 
haben, fo werde der Kaiſer bei feiner Zurüdfunft mehr Land 
und Geld (durch Einziehung der geiftlidhen Güter vermuthlich) 
im Reiche finden, als er jebt auswärts zu gewinnen fudhe. 


1) Ain vormanung Iunder Frantz von Sicdingen zu feynem hör, ale 
er wolt ziehen wider den bifchoff von Teyer . . . Bruder Heinrich von 
Kettenbadh. 1528. S. Goͤdeke, Grundriß zu einer Geſch. der deutſchen 
Dichtkunſt, ©. 214. 





Sidingen vor Trier. 230 


Was aber die Aufforderung betreffe, feinen Handel dem Kam⸗ 
mergericht zu überlafien, fo babe er ein Gericht um fid, 
das mit Reifigen befegt fei, und mit Büchſen und Karthaus 
nen biftinguire. ?) 

Auch auf Franzens Schaaren, an welche ähnliche Abs 
mahnungen von Seiten ded Regiments ergingen, machten 
diefe wenig Eindrud, und fo fiel, nach wiederholter Beftür- 
mung, auch St. Wendel durch Uebergabe in die Hände des 
Siegerd. Das Glüd löste dieſem die Zunge über feine Abs 
fiihten: „Ihr fein gefangen”, fol er zu den Ebelleuten, die 
St. Wendel vertheidigt hatten, geiprochen haben, „eure Pferd 
und Harnifch verloren. Ihr habt aber einen Kurfürften, der 
fann und mag eud), wo er anders bleibt, wohl bezahlen; 
wo aber Franz ein Kurfürft zu Trier wird — als er wohl 
thun könnte, au thun will, und nicht allein dieß, als das 
Geringft, fondern ein Mehreres — fo wird euch der aud 
wohl ergegen.’ 2) - 

Da Sidingen, ohne fi vor Saarbrüd, das er zu nach⸗ 
drüdlicher Vertheidigung gefaßt fah, weiter aufzuhalten, ges 
raben Wegs gegen Trier zog, fo warf fi der Kurfürft, der 
bis dahin von Pfalzel und Ehrenbreitftein aus Hülfsgefuche 
nad allen Seiten gerichtet, und bereit auch von Heſſen und 
Pfalz tröftliche Zuficherungen erhalten hatte, in feine Haupts 
ftadt, um dieſe in Bertheidigungsftand zu ſetzen, und gegen 
den anftürmenden Yeind fo lange zu halten bis von Seiten 
der verbündeten Yürften Entſatz heranfime. Und hiebei ent⸗ 
widelte Richard von Greiffenclau eine kriegeriſche Tüchtigkeit, 
die nur eben für einen Bilchof nicht recht paßte. Auf dem 
Markte hielt er Mufterung über feine Kriegsmacht, die er, 


— 1 


1) Münch, Franz von Sickingen, I, 268 fg. Ranke, II, 111 fg. 
2) Angabe der gegen Sidingen verbündeten Fürſten, die fie mit 
mehr als 80 Zeugen zu beweifen fi erboten. Bei Münch, III, 49. 





236 1. Buch. IX. Kapitel. 


ſammt der Bürgerſchaft, durch eine Anrede befeuerte; er ſelbſt 
ging auf Mauern und Thürmen umher, um Scabdhaftes 


ausbeſſern, Hinderliches wegräumen zu laflen; in feinem 


Wamms von Elendshaut, unter feinen Rittern und Soͤldnern, 
fand er ſich ganz in feinem Elemente, und als er bei'm An— 
rücken des Feindes eine gefüllte Klofterfcheune vor der Stadt 
eigenhändig in Brand ſtecken wollte, mußte ein Soldat, in— 
dem er ibm die Fadel aus der Hand nahm, ihn aufmerfam 
machen, daß folhes Werf ihm beffer als dem Erzbiſchof 
gezieme. 

Es war am Mittag des Feftes von Marti Geburt 
(3. September), als Sidingen mit jeinen Schaaten unter 
Trommel» und Trompetenjchall den Marsberg herunterzog, 
und fib im Thale vor der Stadt lagerte. Die erfchredte 
Bürgerfchaft glaubte ſchon Alles verloren. Aber der Erzbifchof 
gab den zwei Neitern, durch welche ihn Sickingen zur Weber 
gabe auffordern ließ, die entichloffene Antwort, wenn Franz 
etwas von ibm wolle, fo werde er ihn bier, in der Stadt, 
finden. Jetzt ließ Sidingen die Stadt beſchießen: die Bela- 
gerten fielen aus, und vernagelten ihm etliche Geſchütze; er 
ſchoß glühende Kugeln und außerdem Briefe in die Stadt, 
um Uneinigfeit in derfelben zu ftiften:; aber die Klugheit und 
Feftigfeit des Erzbifchofs wußte Alles niederzubalten. Ab» 
gefandte des Churfürften von Göln ſuchten vergebens u 
vermitteln; die 200,000 Goldgulden, die Franz als Preis 
des Abzugs forderte, meinte Richard, wolle vielmehr er 
fid) von Franz ald Entihädigung holen. Auf der andern 
Seite ſchwärmten die Sidingifchen für ihren Führer. Bei 
jenem Ausfall hatten die von Trier einen feiner Sol 
daten weggefangen und jchleppten ihn in Die Stadt. Da rief 
er aus, er wolle lieber fterben, mit Franzens, feines Heren, 
Gnad und Gunft, ald am Leben bleiben, um dem Joche der 
Trierer fid) zu fügen; worauf der Umftehenden Einer flugs 





Sidingen’s Rückzug. 237 


das Schwert zog und ihm den Kopf abhieb. So fehlte es 
im Sidingiichen Lager an Begeifterung nicht, aber nach fünf 
Stürmen, einer innmer mörberifcher ald der andere, an Pul- 
ver. Auch blieb der Zuzug, den Aranz erwartet hatte, aus, 
während für Richard der Entjag herannahte. 1500 Mann, . 
die Nicolaus von Mindwig Franzen aus dem Braunfchweis 
gifchen zuführen follte, waren durch Philipp von Heflen ab⸗ 
gefchnitten worden, und dieß hatte auch Andre, die zu ihm 
ftogen wollten, abgefchredt. So hob er an Kreuzerhöhung 
(14. Sept.) die Belagerung auf, und trat in guter Ordnung 
den Rüdzug an; wobei grundfäglih, in Nachahmung 
Ziska's, Klöfter und Kirchen, aber auch, wie wenigftene 
die befchädigten Fürſten behaupteten, im Widerſpruch mit 
feinem legten Manifeft, Dörfer und Hütten niedergebrannt 
wurden. 

Wenn wir die ganze Geſchichte von Sidingen’d vergeb- 
lihem Zuge gegen Trier erzählt, und dabei Hutten’8 mit kei⸗ 
nem Worte gedacht haben, fo ift dieß genau fo viel, als wir 
aus diefer Zeit von unjerm Helden wiſſen. Es fehlt ung 
jede Nachricht, ob er den Freund in's Feld begleitet, ob er 
mit Hartmuth von Cronberg zum Schuge der Ebernburg zu— 
rüdgeblieben, oder jonft in einem von Franzens Häufern, 
vielleicht auch durch Krankheit behindert, ſich aufgehalten 
habe. Defienungeachtet war ein Bericht über den Trierer 
Zug bier erforderlih, weil, wie der Plan deſſelben ohne 
Zweifel zwifchen beiden Rittern gemeinfchaftlic war, fo fein 
Ausgang über Hutten's Entwürfe und Schidfale nicht mins 
der als über die ſeines Beſchützers entfchieven hat. Schon 
jest wurde Hutten mancher Orten todt gefagt: vermuthlich 
weil er fa ganz vom Schauplage verfhwunden war. Der 
ehrlihe Veit Werler zu Wiefenfteig hatte davon in feiner 
Gegend fo oft und beftimmt reden hören, daß er es beinahe 
glauben mußte, und dem wahrhaft edeln Jünglinge, dem 





938 11. Buch. IX. Kapitel. 


großen Talente, einen fhönen Nachruf widmete. > es u. 
noch um brei Bierteljahre zu frühe, 

Aber aus dem Vaterlande zu weidyen, fand Pr — 
jetzt bewogen. Die Verbannung, die er längſt für ſich vor- 
ausgefehen, trat er num wirklich an. Es ift eine Entftellung, 
die der erfte Blick auf die Verhältniffe widerlegt, wenn Eras— 
mus behauptet, Sidingen habe feinen bisherigen Schügling 
weggeſchickt, um fich nicht feinetwegen den Haffe ausjnfegen. ®) 
Nach dem Trierer Zuge war Hutten’8 Beherbergung das Ge 
ringfte, was Franzen zur Laft fiel, umd er wußte ſehr gut, 
daß durch Entlaffung beflelben nicht mehr zu helfen war. 
Ein Vertrauter von Hutten’d legten Jahren, Otto Brumfels, 
beruft fidy auf das Zeugniß der überlebenden Söhne Sidin- 
gen’s, daß ihr Vater feine Gefinnung gegen Hutten niemals 
geändert. habe ?), und Heinrich Schwebel, der Sohn eines 
der Prediger, die auf Franzens Burgen Zuflucht gefunden, er 
zählt, als die verbündeten Fürften fid) gegen ihn in Bewegung 
gefegt, und es fih zur Belagerung Landftuhls angelaffen, 
habe der Ritter diejenigen, die ihm theuer waren, nicht mit 
in die Gefahr bineinziehen wollen, jondern die zum Waffen: 
dienfte minder Tauglichen (unter weldye, feiner von Neuem 
ausgebrochenen Krankheit wegen, damals auch Hutten ger 


us 


1) Epist. Viti Berleri ad Bilibaldum. Ex Wiesensteiga 8 Oct. 
1522, bei Heumann, p: 293 fa.: Rumor .. apud nos longe late- 
que sparsus est, et-ita sparsus, ut non parum multis fidem jam 
quoque fecerit, Ulrichum Huttenum, vere nobilem juvenem, .. 
diem suum obiisse. Quod si res ita habet (solet enim nonnunguam 
rumor et variare et augere quod gestum est) doleo illud ingenium, 
illam in utroque dicendi genere felicem venam, lam immaluro in- 
teritu defecisse .. . | 

2) Erasmi Spongia adv. adsperg. Hutteni, im befien Opp. ed. 
Münch, IV, 411: Franciscus Sickingius quo consilio dimisit Hut- 
tenum ab sese, nisi quia vitabat invidiam ? 

8) Responsio ad Spongiam Erasmi, a, a. ©., p. 505. 





Sickingen und Hutten. 239 


hörte) freundlich entlaffen. ) Damit flimmt es, daß aud 
Martin Bucer im November jenes Jahrs, um den Friegeris. 
Ihen Störungen zu entgehen, Sidingen’d Burgen verließ, 
und ein Predigtamt in Weißenburg annahm. 2) 

Für den Augenblid zwar, nad Franzens Rüdzug aus 
dem Trierichen, fanden die verbündeten Fürſten von Trier, 
Pfalz und Heſſen noch nicht für gut, ihn felbft anzugreifen; 
fondern während des Herbfted und Winterd nahmen fie an 
feinen Helfern und Berwandten Rache: eroberten Gronberg, 
trieben Frowin von Hutten von feinen Gütern, büßten den 
Kurfürften von Main; um 25,000, Franzens Schwager, 
Friedrich von Flersheim, um 1000 Gulden u. |. fe Daß 
aber ein Hauptangriff auf Sidingen bevorftand, war voraus⸗ 
zufehen, und diefer fuchte fich für denfelben durch Botichafe 
ten und Briefe, die er an Ritter und Städte, bis nach Böh⸗ 
men hinein auf der einen, und bis in die Schweiz auf der 
andern Seite ſchickte, zu verftärfen. 

Um diefe Zeit mag es geweſen fein, daß Hutten, wie 
Dtto Brunfeld berichtet, von dem Könige Franz von Frank⸗ 
reich die Einladung erhielt, mit einem Jahrgehalte von 400 





1) Henrici Schwebelii ad Reinhardum a Sickingen Epist. bei 
Mündh, Franz v. ©., Il, 180 (nachdem von der Prediger und auch Huts 
ten’s Aufenthalt auf ben Sidingifchen Schlöffern die Rebe geweſen): Porro 
cum bellum moveretur avo tuo ab Electoribus Palatino, Trevirensi, 
et Landgravio Hassiae, obsidereturque in arce Landstein . . noluit 
sane eos, quos charos habuit, in dJdiscrimen secum adducere, 
verum benigne eos dimisit, qui ad arma minus essent idonei. 

2) Bucerus Zuinglio, Argent. 9. Jun. 1528, Opp. Zuinglii ed. 
Schuler et Schulthess, VII, 295: Superiore anno mense Novembri 
parochum Wissenburgi .. orantem obnixe me, ut praedicando pure 
Evangelio gregi Christi illic operam meam collocarem, passus fui 
exorare, tum quod illius preces vocationem interpretabar, tum 
quod apud Franciscum de Sickingen, ad quem . . . concesseram, 
studia mea bellum, quod contra Trevirensum . . . susceperat, in- 
terturbarat. 





240 II. Buch. IX. Kapitel. 


Kronen und freier Mahl des .Aufenthaltsortes, ald Rath in 
feine Dienfte zu treten. Die Verfolgung, der Hutten in 
Deutfchland ausgefegt war, würde einen ſolchen Schritt ent- 
ſchuldigt haben: aber er wollte feine undeutfchen Dienfte neh- 
men und jchlug das Anerbieten aus, *) 

Dagegen, jcheint e8, fuhr er fort, jo leidend er auch 
ſchon war, fidy für die Unmöglichkeit, im Großen zu wirfen, 
durch Fleine Ritterftreiche fchadlos zu halten. Er foll näm— 
lich, wie Erasmus ihm wiederholt als etwas allgemein Be— 
fanntes vorwirft, im pfälziſchen Gebiete drei Aebte auf offener 
Straße räuberisch überfallen haben, wofür der Kurfürft von 
der Pfalz einem feiner Diener den Kopf abjchlagen ließ, und 
ihm ſelbſt mit feiner Mache bedrohte, ) Ob an der weitern 
Erasmiſchen Nachrede etwas ift, daß Hutten auch zwei Pre— 
digermönchen die Ohren abgefchnitten, oder habe abjchneiden 
laffen ?), wollen wir nicht entfcheiden; am ebeften würde eine 


1) Othonis Brunfelsii ad Erasmi Spongiam Resp. Hutteni Opp. ed. 
Münch, IV, 527: Spondebat nuper Galliarum rex quadringentas coro- 
näs, ut principem agnosceret se, nec quicquam muneris haberet, 
quam ut a consilis staret, morareturque ubicunque vellet locorum : 
et tamen nihil cristas inde erigens, forlunam oblatam generoso 
animo contempsit: cum fuisset alioqui optima occasio ad regem 
deficiendi, et in summa jam fuisset suorum persecutione, ut me- 
rito et citra calumniam potuisset a Germanis in aliam gentem 
deficere. 

2) Erasmus Hutteno. Basil. in die Parasceues 1523. Opp. ed. 
Münch, IV, 337: Non es ignarus, quae fabulae de te vulgo ferantur, 
neque neseis, quam ob rem tibi succensest quidque tibi minetur 
Comes Palatinus, qui de famulo tuo sumpsit capitale supplicium. 
Erasmus Luthero. Basil. postrid. Non, Mai. 1524. Hutteni Opp- IV, 
570: In feiner Spongia habe er gefchwiegen u. U, de latrocinio in- 
vasis tribus Abbatibus in via publica, ob quod facinus unus e fa- 
mulis illius (Hutteni) capite truncatus est. 

3) In dem angeführten Brief an Luther: Gefchwiegen babe er au 
de amputatis auriculis duobus Praedicatoribus. Auch von vieſtr 
That jagt übrigens Erasmus in dem Brief an Bosheim, Lucubraik 








Hutten's Quiſernung aus Deusfchland. 9 


fo wilde That gleichfalls in dieſe letzte, verzweifelte Zeit fi 
fügen. 

Bann Hutten fi von den Burgen feines Beſchützers 
und aus Deutichland überhaupt eutfernt, welchen Weg ex 
genommen habe, wer etwa feine Begleiter geweien, darüber 
fehlen uns ausdrüdliche Nachrichten. Wir willen nur, ays 
dem Datum feiner Ermahnung an Worms, daß er gegen End⸗ 
Juli no auf Landftuhl war; wiflen ferner, daß im No⸗ 
vember Bucer und Decolampadius die Burgen Sidingen’s 
verließen und fi, der eine nad) Weißenburg, der anbere 
nad Bafel, begaben ); wiffen außerdem, bag Hutten, che 
er nach Bafel Fam, fich einige Zeit in Schlettſtadt aufbielt, 
wo ihm Bekannte Geld vorftredten 2); willen endlih, daß 
gegen Ende Noveniber Hutten und Oecolampadius, wie auch 
ber vertriebene Hartmuth von @ronberg, in Bafel waren ®), 





Erasıni (Basil. Froben. 1537) p. 48: Haec atque hujus generis 
permulta etiam populus ubique novit. Die Worte, welche Gamerar 
in feinem Epitaphium auf Hutten diefem in den Mund legt (Illustr. vi- 
ror. Epitaph. Norimb. Peypus 1631, angeführt bei Christius, de mo- 
ribus etc. Ulrici de Hutten Comm. Hal. 1727, p. 17, aud in Opp. 
Hutteni ed. Münch, I, CIX fg.): 
Quorundam, heu, pudet, atque ulinam, quam noverat artem 
Non mea mutassct deleriore manus. 
Seiner That gegen die 4 (5) Franzoſen freue er fi: 
Caetera, di faciant, sileantur facta meorum 
Armorum, et belli nocte prematur opus — 
diefe Worte fcheinen, außer feiner Theilnahme an Sickingen's Schilder⸗ 
hebung, doch auch auf dergleichen Händel hinzudeuten. 

1) Ueber Bucer vgl. feinen Brief an Zwingli, in befien Opp. VII, 295; 
über Oecolampad die Abhandlung von Herzug über feine Entwicklung 
zum Reformator, in den Theol. Studien u. Krit. 1840, ©. 815 fg. 

2) Erasmus Melanchthoni 6 Sept. 1524, Corp. Ref. I, 667: 
Sletstadii mulctavit omnes suos amicos aliqua pecunia. Daß aber 
diefer Aufenthalt vor feine Anfunft in Baſel fällt, erhellt aus Spongia, 
p. 413, wornach Hutten in Schlettflant äußerte: se mox Basilcam 
aditurum eto. 

3) Glareanus Zuinglio, Basil. 4 Cal. Dec, 1592. Zuinglii Opp. 

Strauß, Hutten. II. 16 


243 - Bach. IX. Kapitel. 







einander gemacht haben fönnten. Hutten ſuchte in Bafel, w 

er in der Herberge zur Blume wohnte, und bis zum Brühe 
** ‚bleiben gedachte *), Sicherheit und Ruhe: Sicherheit, 
die er in Deutfchland nicht mehr fand, feit die feſte Wand, 
an die er ſich gelehnt hatte, Franz von Sidingen, manfte; 


Ruhe, deren er zur Pflege feiner Gefundheit dringend ber 
durfte. Denn feine Kranfheit war von Neuem ausgebro- 


chen und der geſchwächte Körper hatre nicht mehr viel Mittel 
übrig, ihr Widerftand zu leiften. 9) Seine Sicherheit aber 
war jest nicht mehr blos durch die Römlinge, fondern ebenfo 
durch die Fürften bedroht, die in ihm eines der thätigften 


Mitglieder der ritterlichen Schilverhebung gegen ihre Uebermacht 
verfolgten. Daher bat er (zum Weberfluß, wie es Manchen 
ſchien) den Rath von Bafel um feinen Schug, der ihm au 


zugefagt wurde. ) Man bot ihm ein Gaftgefchenf von Seir 
ten der Stadt; die Magiftratsperfonen machten ihm Ber 


juche; Leute aller Stände famen, ihn zu ſehen; an Einladun⸗ 


‘ 


ed. Schuler et Schulthess, VII, 247: Hultenus nobiscum est . 
Est etiam hie vere generosus vereque Christianus a nı 

. Optarim, te diebus aliquot adesse . . videres Erasmum, Hut- 
tenum, Oecolampadium. 

1) Basil. Amerbach ad Bonifacium Avenione agentem, — 
8 Id. Jan. 1523. In Amorbschiorum Epist. mutuae Mespt. Bibl. Ba- 
sil. G. I, 13° (Mitteilung von Böding): er 0 
jam mensem nobiseum in diversorio floris .. . sub Martium abiturus. 


2) Glarean. a. a, D.: Morbo suo nondum liberatus „ et in 
Germania cum vix alicubi tufus quiescere possit, hie 
tantillum spatium quaerit. Erasmi Spongia, Opp. Hutteni, IV, 405: 
Henricus Epphendorpius . . obnuntiavit, Hultenum esse ya 
Ad caetera gratulatus, de sola valetudine dolebam, quam . 
vehementer afflictam. 

3) Glarean. a. a, D.: Sed tutela a magistratu — 
nescio an indiguerit: eam tamen habere voluit. £ DE 


ER y 











Yutten in Bafel. 243 


gen und Mahlzeiten fehlte es nicht. Doch gerade dem Manne 
war Hutten’6 Aufenthalt in Bafel unerwünfcht, der für ihn 
der wichtigfte am Orte war: dem Erasmus.) 


1) Hutteni Expostulatio cuın Erasnıo. Opp. IV, 346: Interim Sena- 
tus urbis, data publica fide, hospitio laetus accipit, hospitale quo- 
que munus offerens; ipsi magistratus, alius super alium, reveren- 
ter adeunt; multi omnium ordinum quasi certatim irruentes invi- 
sunt; etiam ex inimicis quidam redeunt in gratiam: solus Erasmus 
clausum se domi tenet etc. gl. Glarean. a. a. ©. Huttenus no- 
biscum est, oV yaplsıs, we olonar, roü roAvloropog Eivoc. Cum 60 
bis pransus sum. Der Rectegelehrte Bonifacius Amerbach, der in 
frübern Jahren Hutten feinen Beiftand für alle Bälle zugefagt hatte 
(Huttenus Bonifacio Amerbach. Ex Steckelberga 7 Cal. Nov. Is 
Niedner's Zeitfchr. f. Hiftor. Theol. 1855, ©. 630), befand ſich um jene 
Zeit in Avignon. ©. die vor. ©. Anm. 1. und R. Stinging, N. Zaflus, 
©. 248. 259. 


— — — — — — 


16* 





Zehntes Kapitel. 


Hutten’S Streit mit Erasmus. 
1522. 1528. 


— — —— 


Schriften: Cum Erasmo Rot. Expostulatio. 


Des Erasmus und des Verhältniffes, in welchem Hutten 
zu ihm ftand, haben wir im erften Theile unferer Erzählung 
wieverholt gedenfen müflen. Es war damald von Seiten 
Hutten’8 das der reinen Verehrung und Bewunderung bes 
älteren Meifters und Vorbildes; von Seiten ded Erasmus 
das des MWohlgefallend an einem begabten Jünger, gegen 
defien Huldigungen der Meifter nicht unempfindlich ift, deſſen 
Braufen und Ueberfhäumen er mit feiner Jugend, in Er 
wartung fünftiger Läuterung, entfchuldigt. Der Gegenfah 
der Raturen war durch die Gemeinfamfeit des humaniſtiſchen 
Standpunftes fcheinbar ausgeglichen: fobald der Eine von 
Beiden diefen verließ, während der Andere auf demfelben ver: 
barrte, fo mußte auch der Widerftreit der Naturen zum Vor⸗ 
fchein kommen. Nun war aber Hutten während der letzten 
Jahre aus dem Humaniften immer mehr zum Reformer ges 
worben, während Erasmus Humanift blieb: unmöglich konnte 
ihm diefer fortan in demfelben Lichte wie früher erfcheinen; 
an dem ftrahlenden Borbilde feiner Jugend mußten ihm jegt 
mandherlei Flecken bemerflich werden. 





Erasmus. 245 


Bor Allem haben wir uns bier, wo ber benfwürbige 
Streit zwifchen beiden Männern zu enwickeln ift, mit ber 
ganzen ®röße und gefchichtlicden Bedeutung des Eradmus zu 
burhdringen. Es iſt leicht gefagt, ihn in Vergleichung mit 
Luther feiht und ſchwach, im Berhälmiß zu Hutten fogar 
feig und zweidentig zu finden. Das waren bie beiden Träger 
der geſchichtlichen Macht, die ihn abtöfte: in Vergleichung 
mit dieſer aber, fo lang eine Geſchichtsperiode im Aufſtei⸗ 
gen begriffen ift, erfcheint der Vorgänger regelmäßig im 
Nachtheile. Ihm gerecht zu werden, müflen wir rädwärts 
bliden, ihn mit demjenigen vergleiden, worauf er fußte, was 
er weiter bildete, in fi zufammenfaßte. Da fehen wir denn 
in Erasmus den lebendigen Inbegriff fat alles deſſen, was, 
in Bolge ber Wiedererwedung des Studiums der Alten, bie 
Geiſter der abendländifchen Nationen feit mehr als hundert 
Jahren errungen hatten. Es waren dieß nicht blos Sprach 
kenntniffe, nicht blos Bildung des Stils, des Geſchmacks: 
fondern damit hatte die ganze Geiftesform einen freieren Wurf 
einen feineren Strich, bekommen. In diefem umfaflenden Sinne 
fann man fagen, daß Erasmus der gebilvetfie Mann fein 
Zeit war. | 

Zugleich verftand er feine Zeit, fannte ihre Berürfnifle, 
und Fam denfelben durch feine Schriften nach den verſchieden⸗ 
ften Seiten hin entgegen. Seine kritiſchen Ausgaben von 
Claſſikern und Kirchenvätern, feine Blumenleſen von Sprädhr 
wörtern, Gleichniſſen und Sentenzen, feine Ueberfegungen aus 
dem Griechiſchen, feine Anmwelfungen zum Stasium überhaupt, 
zur wahren Theologie, zum richtigen und eleganten Sprechen 
und Schreiben des Rateinifchen, worin feine zahlreichen Briefe 
praftifche Mufter waren, kamen zur rechten Zeit und wirkten 
in den weiteſten Kreifen. Seine griedifch - fateinifche Aus» 
gabe des Neuen Teſtaments, die erſte gebrudte des griechiichen 
Grundtertes, erfchien, dem Papfle Leo X. zageeignet, ein 





246 1. Buch. X Kapitel. 


Jahr vor dem Anfangsjahre der Reformation. Seine Para- 
phrafen zu den Neuteftamentlichen Schriften folgten; wobei 
es ihn bezeichnet, daß er Die zur Apokalypſe ſchuldig blieb. 
So wenig er aber, wie fehon früher bemerft, Myſtiſches im 
feiner Natur hatte, fo fehlte ihm darum der Sinn für prak— 
tiſche Religion, ſelbſt für fittliche Afcefe keineswegs; wie feine 
Unterweifung eines chriſtlichen Streiters, feine Schriften über 
das Gebet, den chriftlichen Eheftand u. dgl. zeigen. Ueberall 
dringt er in der Religion auf das Innere, die Gefinnung 
und. Bedeutung, ohne welche ihm das Aeufere, die Firchliche 
Geremonie, feinen Werth hat. Er verfpottet den Aberglauben 
ded Volkes, die Umwiffenheit und Barbarei der Geiftlichen, 
insbefondere ber Mönche, den Aberwig der Scholaftif, Hagt 
über die Pladereien der Faftengebote, und wagt ſelbſt gegen 
bie Herrſch- und Habſucht des römifchen Hofes — 
freies Wort, 

Alle Welt, die ganze menſchliche Gefellfcyaft, unterwirft 
er in ſeinem Lobe der Narrheit einer ironiſchen Mufterung, 
Hier tritt im: Geſchmacke jener Zeit, der frellich nicht mehr 
der unfrige ift, die perfonifieirte Thorheit redend auf, rühmt 
ihre Berdienfte um die Menfchheit, und lobt, indem fie bie 
verfchiedenen Stände nad) der Neihe durchgeht, an den ein- 
zelnen gerade das, was: an denfelben als Verfehrtheit zu rügen 
iftz wobei fie freilich oft genug aus der Rolle und. aus dem 
verftellten Lob im directen Tadel fällt, Die Schrift: ift ‚bei 
Lebzeiten ihres Verfaſſers mindeftens 27mal aufgelegt werben, 

Kaum mindern Beifall erhielten feine vertrauten: Ge— 
fprädye?), die, aus einer Anleitung zur lateinischen: Gonver- _ 


1) Des, Erasmi Roterodami Mwplas dyxuipuov, i, ©. Stultitiae 
laus. Zuerſt 1508, 
2) Des, Erasmi Rot. Colloquia familiaria. Ich citire nach ben 
Ausg. 'v. P. Rabus, Ulmae 1712. Le. 











Erasmus. 247 


fation, in den fpätern Ausgaben zu einer Sammlung von 
Unterhaltungen wurden, in denen Erasmus bald Sitten oder 
Unfitten feiner Zeit fhilderte, bald feine Anfichten über wid 

tige ragen der Lebensweisheit oder der Religion nieberlegte. 
Die Angabe des Inhalts von einigen diefer Gefpräche wird 
die Denfart und Stellung des Erasmus am Beften deutlich 
maden. In dem Geſpraͤch: die Leiche !), werden zwei Ster⸗ 
bende gefchilvert. ‘Der eine, ein geweſener Kriegdmann, ber 
viel ungerecht erworbenes Gut befist, läßt fämmtliche Bettel⸗ 
orden holen, ftirbt in der Franciscanerkutte und läßt fich in 
der Kirche begraben, vermacht fein ganzes Vermoͤgen ben 
Orden, und zwingt Weib und Kinder, geiftlich zu werben. 
Der Andere, ein rechtfchaffener und verftändiger Mann, ſtirbt 
ohne allen Prunk, im Bertrauen auf das Verdienſt Ehrifti 
allein, vermacht den Klöftern und ven Armen, da er ben 
Lesteren im Leben nach Kräften Gutes gethan, feinen Pfen- 
nig, nimmt zwar noch die legte Delung und das Abendmahl, 
dody ohne Beichte, da ihm, wie er fagt, fein Scrupel mehr 
in der Seele haftet. Dabei wird zugleich die Exbfchleicherei 
der Möndye, die Eiferfucht zwiichen ihnen und den Pfarrern, 
wie der verfchiedenen Orden unter einander, und deren rohe 
Sitten, anfchaulic gemacht. In dem Gefpräche vom Fiſch⸗ 
eſſen) wird unter Anderem eine Gefchichte erzählt, wie Einer 
in tödtlicher Krankheit fi weigerte, nad) dem Rath feiner 
Aerzte (wider fein Gelübde) Eier» und Milchfpeife zu eflen, 
aber feinen Anftand nahm, eine Schuld durch einen Meineid 
abzufhwören. Im Sciffbruh?), während die Uebrigen der 
Eine diefen, der Andere jenen Heiligen anrufen, wendet ſich 
der verftändige Sprecher geradezu an Gott felbft, in der Ueber⸗ 


— 


1) Funus, p. 574 fg. 
2) "Iydvogayla, p. 502 fg. 
3) Naufragium, p. 264 fg. 


ee 1. Big. x Kepittl 
genngung, daß fein Anderer die Bitten der Menſchen ſchneller 








Höre and licher gewahre Im der Unterhaltung über daß. 








Waufahtten ) antivortet Menedemus dem Ogygius auf die 
Beage, 66 er nicht auch die Pilgerfahrte diefer zur 
vor getuhmt, machen wolle? er * feine Wallfahrten zu 
Hauſe ab. Nämlich fo: er gehe in das Zimmer, um über 
die Keuſchheit feiner Töchter zu wachen; von da in die Werk 
ſtatt, um den Fleiß der Knechte und Mägde zu beauffichtigen, 
und fo da und dorthin, um das ganze Haus in Ordnung gu 
halten. Aber das würde, wendet der Andere ein, wenn dur 
Die Yeil. Schrift, entgegnet Menevemus, heißt es midy felbft 
befötgeftz daß ich «8 den Heiligen überlaſſen ſoll, *2* 
airgends vorgeſchrieben. | 

In dem Jahrzehnt, welches dem Auftteten vuthers 8 
anging, ſtand der Ruhm des Erasmus auf feiner Höhe. Er 
galt für die erfte Titerarifche Größe des Abenvlandes, und 
wur ed auch. Bon fernher reisten aufftrebende junge Mänkter 
wie ältere Gelehrte an feinen Wohnort, und ſchahten ſich 
glirettich, fein Angeficht gefehen zu haben. Weltliche und 
Kitchenfürften bewarben fid um feine Briefe, und lohmten 
feine Zueignungen durch Gefchenfe. Auf feinen Reifen wurde 
er in den gebildeteren Städten wie ein Potentat empfangen: 
Deputationen erfchienen, hielten Anveden und überteichten Ges 
dichte, die Obrigfeiten warteten auf und fchieten Verehrun— 
gen. In bequemer Muße, ohne Ant, dem er immer auswich, 
felt 1516 mit dem Titel eines Raths König Earl’d von 











Spanien und einem Gehalte von 400 Fl., wozu noch etliche 


Eleinere Penfionen hocygeftellter Gönner kamen (bie _ 
in der Weife jener geldarmen Zeit nicht felten ftodten), lebte 


Erasmus, von feinen Reifen nah Frankreich, Italien, —* 


4 


1) Peregrinatio religionis ergo. p. #68 fo. 














Erasmus und Reullin. u» 


land, zurückgekehrt, erſt zu Löwen, dann zu Bafel, wo es 
ihm am wohlften wurde, bis die Unruhen in Folge der Res 
formation ihm den Aufenthalt verfeideten, und ihn zur Ueber 
fiedelung nad) Freiburg bewogen. 

Wie zu Luther's Auftreten der Handel Reuchlin's gewifr 
fermaßen ein Vorſpiel war, fo ließ fih aus bes Erasmus 
Verhalten bei dem letztern fchon ungefähr abnehmen, wie er 
fi) zur Reformation ftellen würde. Da der Streit ſich über 
den Talmud und andere Judenbücher entfpann, die dem Eras⸗ 
mus fremd, wo nicht widerwärtig waren, fo fonnte er in 
gewiffen Sinn mit Wahrheit jagen, daß ihn derfelbe nichts 
angebe.‘) Dann war aber auch die Heftigfeit, mit welcher 
der Kampf von beiden Seiten geführt wurde, feiner Denkart 
und Natur zuwider.2) Er meinte, die Freunde der beflern 
Studien follten mehr aufbauend ald polemifch zu Werke ges 
ben, fich lieber als Gäfte allmälig einfchmeicheln, als ges 
waltfam wie Feinde einbrechen.°) Bei dem Eriegeriichen Ver⸗ 
balten, das Reuchlin's Anhänger angenommen hatten, war 
ed ihm unangenehm, daß Pirdheimer in feiner Schutzſchrift 


1) Alberto Archiepisc. et Princ. Moguntino, Card. Lovan. 1. Nov. 
1519, Erasmi Epist. onınes, Lugd. Batav. 1706. Ep. GCCCLXXVN 
p. 514: Primum illud praefandum est, mihi neque cum Reuchlini 
neque cum Lutheri causa quicquam unquam fuisse. Cabala et 
Thalmud, quicquid hoc est, meo animo nunquam arrisit. Dgl. den 
Brief an Pirckheimer, Lovan. postrid. onınium divor. 1517. Opp. Bi- 
libaldi Pirckh. ed. Goldast, p. 269. 

2) Alberto Arch. a. u. O.: Conflictationes illae virulentae inter 
Reuchlinum et hos, qui J. Hochstrato favebant, mihi majorem in 
modum displicuerunt. 

8) Ep. CCCCXI, p. 481 vom 3. 1519 ermaßnt er fogar den fanf 
ten Melanchthon: malim, te plus operae sumere in asserendis bonis 
literis, quam insectandis harum hostibus. Cardineli Campegio, 
Lovan. 1520, Ep. DXLVII. p. 594: Qui favent inelloribus studiis, 
matunt ut hostes irrurhpere, quam ut hospites peulalitı ia sociela- 
tem et amicitiam coalescere. 





250 | HM. Bad. X. Kapitel. 


für denfelben auch ihn dem Verzeichniß der Reuciinifen eins 
verleibt hatte. Denn welcher gelehrte und rechtichaffene Mann 
fei ihm nicht hold? fagte er!); was er aber meinte war) 
daß der Freund ihn auf feine Weije in einen Parteienftreit 
hätte verflechten follen, da er auch bier, wie fpäter bei der 
Putherifchen Tragödie, wie er ed nannte, nur Zuſchauer, 
nicht Mitfpieler fein wollte. 2) Im der Stille übrigens ſprach 
er dem Angefochtenen freundlich zu?), in diplomatifcher Form 
verwendete er ſich für ihn bei Papft und Garbinälen*), und 





als am 30. Juni 1522 Reuchlin durd) den Tod dem Streit 
entrüdt war, feierte er ihn in einer Apotheofe, die er feinen 


Dialogen einverleibte,) Ein von Tübingen fommender Schü— 
ler Reuchlin's erzählt von dem Morgentraume, oder vielmehr 
der Bifion, die ein frommer Franciscaner dafelbft in Reuchlin's 
Todesftunde gehabt habe. Jenſeits einer Brücke, die über 
einen Bad) führte, erblidte er eine herrliche Wiefe: auf die 
Brücte fehritt Reuchlin zu in weißem, lichtem Gewande, Hinz 
ter ihm ein ſchöner Flügelknabe, fein guter Genius. Etliche 


ſchwarze Vögel, in der Größe von Geiern, verfolgten ihm 


mit Gefchrei;z er aber wandte fid) um, fchlug das Kreuz ges 
gen fie, und bie fie weichen; was fie thaten, mit Hinter 
laſſung unbefchreiblihen Geftanfes. An der Brüde —— 
ihn der ſprachgelehrte heil. Hieronymus, begrüßte ihn als 

Collegen, und brachte ihm ein Kleid, wie er ſelbſt eines an⸗ 
hatte, gang mit Zungen in dreierlei Farben beſetzt, zur An⸗ 


—— — 


1) In dem angef. Schreiben an Pirckheimer, in deſſen Opp. p. 269. 


'2) Erasmus est homo pro se, fagten barım treffend die Episto- 
lae obscurorum virorum nad) einem ähnlichen ge u, 
ep. 59. Jo. Cooleariligneus. 

8) Mustrium virorum Epp. ad Reuchlinum I, sijP fg. 


4) Leoni X. Ep. CLXXIV, p. 154. Cardinali Grymano, Ep. 


CLXVII, p. 144 Raphaeli, Card. S, Georgii, ap: CLXVIL, P- 146. 


6) Apotheosis Capnionis, p. 186 fj. u.) 


— 








Erasmus und Luther. 251 


beutung der drei Sprachen, welche Beide verftanden. Die 
Wiefe und die Luft war mit Engeln angefüllt; auf einen 
Hügel, der ſich aus der Wiefe erhob, ſenkte ſich vom offenen 
Himmel eine Yeuerfäule nieder, in diefer fliegen die beiden 
Seligen, ſich umarmend, unter dem Gefang der Engeldyöre 
empor. Der Erzähler und jein Mitunterrepner wollen nun 
den Entfchlafenen in das Verzeichniß der Heiligen, dem heil. 
Hieronymus zur Seite, fegen, fein Bild in ihren Bibliothes 
fen aufftellen, und ihn fortan al8 Schußheiligen der EEE 
gelehrfamfeit anrufen. ?) 

Als nun Luther auftrat, fehlte auch ihm von Anfang 
weder die Theilnahme ded Erasmus, noch fein biplomatifch 
empfehlended Wort. Die vertrauliche Aeußerung auf Fried⸗ 
rich's des Weiſen Frage zu @öln, unmittelbar vor dem 
Wormfer Reichstage, Luther habe in zwei Stüden gefehlt, 
daß er dem Papft an die Krone und den Mönchen an bie 
Bäuche gegriffen, wirkte tief auf des Churfürften Gemüth, 
und fiel ihm noch kurz vor feinem Tode wieder ein.?) An 
den Cardinal Albrecht von Mainz hatte Erasmus ſchon vors 
ber über Luther einen fehr günftigen Bericht erftattet, war 
aber auch äußerft ungehalten geweſen, al8 Hutten fid) beige: 
ben ließ, den Brief ohne fein Vorwiſſen drucken zu laflen; 
wie er die zu ECöln in gleichem Sinne gefchriebenen Axiomata 
den Spalatin bald wieder abforderte, ohne doch damit ihren 
ia verhindern zu können.?) Bor Allem begriff Erasmus 


— — 


1) O sancta anima, sis felix linguarum cultoribus, faveto lin- 
guis sanctis, perdito malas linguas, infectas veneno Gehennae. 

2) &. Spalatin’e hiſtor. Nachlaß und Briefe, herausgegeben von 
Neudecker und Preller. I. Thl. Friedrich’ des Weiſen Leben und Zeitge: 
ſchichte, ©. 164. Bol. auch Seckendorf, hist. Lutheranism. L. I, 
Sect. 84. $. LXXXI, p. 125 fg. 

3) Erasmus Alberto Archiepisc. etc., Lovan. 1 Nov. 1519.a.a.D. 
p. 518 fg. Vgl. Spongia, Opp. Hutteni ed. Münch, IV, p. 468. 478. 
Seckendorf a. a. D. Gieſeler K. G. IT, 1. ©. 86. Anm. 67. 





m Bu. X. Kapitel, 


daß Burher nicht ohne die dringendfte Beranlaffung 

fel. Es waren ja biefelben Uebelſtaͤnde, tiber 
u et ii bisher ſchon feine Klagen nicht zurückge⸗ 
batte. Die Befchwerung bes chriftlihen Vollks durch 
Wenſchenſahungen; die Verdunkelung der Theologie durch 
Wolaſtiſche Dogmen; die läſtige Uebermacht der Bettelmöndye; 
das Unweſen, das fie mit der Beichte und dem Ablaß trieben; 
die Entartung der Predigt, im welcher, flatt von Ehriftus 
und chriſtlichem Leben, fait nur nod) von dem Papft und 
feiner Mactvollfommenheit oder von kindiſchen erlogenen 
Mirafeln die Rede war; der mehr ald jüdifche Ceremonien— 
dienſt, unter deſſen Drude der lebendigen Frömmigkeit Die 
Erſticung droßte. Die fchamlofe Uebertreibung auf diefer 
Seite veranlaßte Luther zum Widerſpruch, und diente nach 
des Erasmus Urtheil auch mandem Uebermaß auf feiner 
Seite zur Entfhuldigung. Auf eine ehrliche Abſicht bei Eur 
ther fchloß er fchon daraus, daß es demjelben weder um Gelb 
noch un Ehren zu thun war. Much fand er, daß gerabe bie 
beften Menſchen an Luther's Schriften am wenigften Anftoß 
nahmen. Luther ſchien ihm (und das ſchrieb er an den Papft 
felbft) eine ſchöne Gabe zur afcetifchen, praftifchen Schrift 
auslegung zu haben, welche in der damaligen Zeit über ſpitz— 
findigen ſcholaſtiſchen Kragen mehr als billig vernacyläffigt 
war. ?). Er fab in Luther ein tüchtiges Rüftzeug zur Auf 
findung der Wahrheit, zur Wiederherftellung evangeliſcher 
Freiheit, dad nicht gerbrochen werben bürfe.?) 


DU 


ah 


I) Erasmus Leoni X. Ep. DXXIX, p. 578: Ex his quae (um 
deguslavi, visus est mihi probe compositus ad myslicas literas ve- 
terum more explanandas, quando nostra haec aetas immodice in- 
dulgebat argutis magis quam necessarlis quaestionibus, 

2) In einem Brief an Pirdheimer vom 5. Sept. 15% (Pirckh, 
Opp. p. DRA) nehnt er ihn ingenium, quod videbatur futarum in- 
signe quuddam orgähum obveniendae veritalis Ecclesiäe evangelitäe, 


Grasmus und Luther. 253 


Gleich von Anfang jedoch hatte Erasmus in Luther's 
Schriften (von Perſon kannte ex ihn nicht) etwas bemerkt, 
ab feinem Weſen fremd, ja zuwider war. Es war das Scharfe 
geb Herbe, Die Heftigkeit und Leidenfchaft in denfelben, was 

en erft bedenklich machte, dann immer mehr abftieß.2) Er 
Aufruhr und Zwielpalt als Folge eines fo ftürmifchen 
veiend voraus.?) Als daher Luther an ihn gefchrieben 
aite, ermahnte er denſelben in feiner Antwort zur Maͤßi⸗ 
3 und Befcheidenheit.?) Wie flatt defien Luther im Ber: 
e feines Streites immer heftiger und fchonungslofer wurde, 
Erasmus immer mehr von ihm zurüd. Er wurbe zwei⸗ 
haft, welch ein Geiſt den Mann treibe. Noch abgeſehen 
dem Inhalte feiner Lehre, wie er fidy mehr und mehr 
Adelte, fand Erasmus jedenfalls die Art, wie Luther zu 
ging, zweckwidrig. Je mißliebiger an ſich ſchon das 
yaft fei, eingewurzelte Mißbräuche zu befämpfen, meinte 



















er an Melancıthon fchreiht er am 6. Sept. 1524 (Corpus Reform. ed. 
Bretschn. I, p. 668), an Luther Habe ihm Anfangs negotium renovandae 
m tis evangelicae gefallen. An Erzbischof Albrecht aber (a. a. O.): 
—— pectus illud, quod videtur habere praeclaras quasdam 

seintillas evangelicae doctrinae, non opprimi, sed correctum revo- 
er ad praedicationem gloriae Christi. 

1) Erasmus Campegio, Ep. DXLVII, p. 596. Er habe in Luther's 
GSchriſften bemerkt nescio quid saevum et austerum, nec satis refe- 
Sense mansuetudinem spiritus evangelici. 

9) Ad Jodocum Jonam, Lovan. 6 Id. Mai 1521, Epp. Erasmi 
BP DLXXN, p. 689: Statim ad primum gustum opusculorum, quas 

-Lutheri numine prodire coeperunt, plane verebar, ne res exiret in 
‚, @amullum ac publicum orbis dissidium. 

8) Lutherus Erasmo, 5 Cal. April. 1519, bei de Wette I, p. 247 fg- 
 Beasmus Luthero 80 Mai 1519, Ep. CCCCXXVII, p. 445: Mihi vi- 
: dieter, plus profici civili modestia, quam impetu. Sic Christus 

aubem in suam ditionem perduxit.... Quorundam virulentas oon- 
tentliones magis Conducit contemnere quam refellere. Ubique ca- 
vendum, ne quid arroganter aut factiose loquamur faciamueve: sic 
arbitror, gratum esse spiritui Obriati. 


* 





254 11. Buch. X. Kapitel. 


er, in deſto milderer Form hätte es gefchehen sehen. — 
Schmähungen gegen Diejenigen, welde es zu heilen 
wozu Webertreibungen, die Anftoß erregen mußten? Durc 
glaubte er die weife Deconomie, die Urbanität der Predigt 
zu vermiffen, wie wir fie in den Vorträgen Chrifti und Pauli 
finden.‘) Zuweilen begriff er Luther als einen Arzt, den 
die tiefen Schäden der Zeit zu graufamen Mitteln, zum Scyneis 
den und Brennen, nötbigten; aber er fand die Mittel zum 
Theil fchlimmer als die Krankheit.). Für Crasmus war 
Streit und Krieg der Uebel größtes; er wollte im Gollifions- 
falle lieber einen Theil der Wahrheit dahinten laffen, als 
durch Behauptung der ganzen den Frieden flören.) 0 
Bon feinem Standpunfte aus ſchildert Erasmus Luthers 
Naturell und Art ganz treffend, Er fand in ihm des Pe 
liven Zorn, der von Nachgeben nichts weiß.) Habe er et 
was zu behaupten unternommen, fo werde er gleich hihig, 
und laffe nicht ab, bis er die Sache auf die Spike geftellt 
habe. Erinnere man ihn, fo fei er fo weit entfernt, die 
Uebertreibung zu mildern, daß er fie im Gegentheil noch weis 
ter fteigere.?) Daher die Paradoren in feiner Lehre, von 
denen Grasmus urtheilte, Daß fie nur dazu dienen können, 









1) Ad Jodocum Jonam a. a. O. 

2) Phil. Melanchthoni, Corp. Ref, I, p. 692: Fortasse nostri 
mores meruerunt tam inclementem medicum, qui sectionibus et 
usturis curafet morbum. ®Borber p. 690: .. ut ne dieam — 
nonnunquam remedia ipsis morbis esse atrociora. 

3) Bilibaldo, postrid. omn. divor. Opp. Pirckh. p. 268: Ego 
nihil puto calamitosius, quam quocunque modo bellare. Jo. Botzemo 
Natali Christi 1522, Epp- Erasmi No. DCXLII, p. 739: Ego sie odi 
dissidium, sic amo concordiam, ut verear, ne, si inciderit arli- 


T 


culus, citius deserturus sim aliquam veritatis 'portionem ,. — 


——— concordiam. 
4) Pelidae stomachum, cedere nescii. Horat. A 


5) Melanchthoni, a. a. D. p. 689. rar, 


N 


r 











Grasınus und Luther. 255 


ſchaͤdliche Mißverftännnifie zu veranlafieen. Zu diefen Para⸗ 
doxen vechnete er gleich den Lutherifchen Hauptjag, Daß der 
Menfch einzig durch den Glauben gerecht werde, feine Anſich⸗ 
ten von dem freien Willen, den guten Werfen u. dgl. !) 

Nichts konnte mehr gegen den Sinn des Erasmus fein, 
ale daß Luther, wie es ihm fchien, durch die Härte und 
Rüdfichtslofigfeit feines. Verfahrens die Machthaber von fich 
zurüdftieß. Des Erasmus Idee war, im Einverftändniß mit 
PBapft, Bifchöfen und Fürften die Kirche zu reformiren, ihnen 
daher die bittere Pille fo füß wie möglich einzuwideln, und 
lieber von der Strenge der Forderung etwad Namhaftes 
nachzulaflen, als fie zu Gegnern der Reform zu machen.) 
So wünfchenswerth e8 war, daß die Sache diefen Gang neh⸗ 
men möchte, fo widerſprach es doch fo fehr aller biöherigen 
Erfahrung, daß nur die unüberwindliche Scheu vor jeder Ges 
waltfamfeit den Erasmus, fogar noch unter Clemens VII., 
die Möglichkeit des Gelingend vorfpiegeln konnte. ?) 

Was ihn aber gegen Luther's und feiner Anhänger Ber 
ginnen noch tiefer verftimmte, war der Umftand, daß er gar 
bald diejenige Angelegenheit, die ihm vor allen am Herzen 
lag, die humaniftifche Bildung, darunter leiden fah. Und 


1) Zuinglio, Basil. prid. Kal. Sept. 1528, Zuinglii Opp. VII, 
p- 308: Lutherus proponit quaedam aenigmata, in speciem absurda: 
omnia opera sanctorum esse peccala; .. liberum arbitrium esse no- 
men inane; sola fide justificari, hominem prope nihil ad rem fa- 
cere. gl. Melanchthoni, a. a. O. p. 690: Quid inutilius ad Chri- 
stianam pielatem, quam haec audire vulgus indoctum, haec instil- 
lari auribus adolescentum .. nullum esse liberum arbitrium .. ni- 
hil referre, qualia sint hominis opera? 

2) Jodoco Jonae a. a. O.: Optabam illum sic tractare Christi 
negotium, ut ecclesiae proceribus aut probarelur, aut certe non 
reprobaretur. Melanchthoni a. a. ©. At ego libertatem ita male- 
bam temperatam, ut Pontifices etiam ac Monarchas ad hujus negotü 
consortium pelliceremus. Hic semper fuit scopus meus. 

8) Wie in der ’Iydvopayla, Colloq. ſum. p. 590 fg. 





@rasmus und Luther. 257 


fcheinbar, wenn Erasmus ein andermal, der Geringfhägung 
gegenüber, mit welcher Luther und deſſen eifernde Anhänger 
ihn bei Eeite ſchoben, die Heberzeugung ausfpricht, faft Alles, 
was Luther lehre, auch fchon gelehrt zu haben, nur in mil 
derer Form, ohne Schmähungen und PBaradoren. ) Darum 
firäubte er fih aud ange, gegen Luther aufzutreten: 
unter verjchiedenen Gründen doch auch deßwegen, weil er 
fürchtete, mit Luther'd Werke zugleich feine eigenen Saaten 
zu befchädigen. 

Immer ftörender. griff mittlerweile mit jebem ihrer Fort⸗ 
fchritte die Reformation in das Leben des Erasmus ein. 
Richt allein daß er fih mit Einem Male von der erften Stelle 
verdrängt, ja aus der erften Reihe in die zweite zurüdges 
fhoben fehen mußte. Sondern, inden die Anhänger der Res 
formation ihm zumutheten, mit ihnen Partei zu machen, die 
Gegner, ſich gegen diefelbe zu erklären, und er feine von 
beiden Yorderungen erfüllen mochte, fand er ſich zwiſchen zwei 
Feuen. Die Einen fchmähten ihn als feig, die Andern 
hielten ihn für falfhy, und warfen ihm vor, daß er mit Lu⸗ 
ther unter Einer Dede ftede.2) Er fah alte Breundfchaften 
zertrennt, Alles mit Streit und Zanf, die bald in wilde 


peperi ovum, Lutherus exclusit. Mirum vero dictum Minoritarum 
istorum ... Ego posui ovum gallinaceum, Lutherus exclusit pul- 
lum longe dissimillimum etc. 2gl. Jo. Cholero, Friburgi 19 Febr. 
1534. No. MCCLXVI, p. 1490, und das Colloq. Merdardus p. 710 fg. 
bei. 728. 

1) Zuinglio, 31 Aug. 1521. Opp. Zuinglii VII, 310: Nam vi- 
deor mihi fere omnia docuisse, quae docet Lutherus, nisi quod 
non tam atrociter, quodque abstinui a quibusdam aenigmatibus et 
paradoxis. 

2) Georgius, Saxoniae Dux, Erasıno, 21 Mai 1524. Epp. Erasmi 
No. DCLXXX, p. 800: .. pars cum eodein (Luthero te) colludere, 
et in speciem simulare dissensionem, reipsa vero consenlire, exi- 
siimaverunt. gl. Erasmi Ep. ad Stromerum 4 Id. Dec. 1524. 
No. DCCXV, p. 833 fg. 

Strauß, Hutten. II. 17 


Leis. POL 3 





258 1. Bud. X. Kapitel. ! 


Kämpfe ausbrachen, erfüllt; er betrachtete die Reformation 
al8 das Unglüd feines Lebens, und glaubte eine allgemeine 
Berwilderung im Anzug.) 

Letzteres auch infofern, als, neben der Anfeindung von 
außen, der humaniftifche Bildungstrieb zugleich innerlich ab» 
zufterben drohte. Der philologiiche Eifer erfaltete, wie ber 
religiöfe zunahm. Die grammatifchen und rhetorifchen Stu- 
dien jchienen ihre Beftimmung erfüllt zu haben, nachdem fie 
die Umgeftaltung der Theologie ermöglicht hatten. Einer um 
den Andern ging aus den bumaniftiichen Lager in das re- 
formatorifche über, und darunter gerade Soldye, auf welche 
Erasmus als die Seinigen am meiften gerechnet hatte. So 
Hermann Buſch, Juſtus Jonas, Hutten, Melandthon, ven 
er gar nicht gern in Wittenberg fah.?) Bald glaubte er zu 
bemerken, daß, wo das Lutherthum herrfche, die humanifti- 


[hen Studien zu Grunde geßen.?) 


1) Bilibaldo, prid. Matth. 1525, Pirckh. Opp. p. 280 (unter den 
Eindrüden des Buuernfrieges): Nullus mundus vacat ab hoc tumultu. 
Quo sit evasurum hoc Evangelium, nescio. Mihi certe peperit 
certum exitium, quod ad hujus mundi felicitatem attinet. gl. 
Spongia, Opp. Hutteni IV, 449 fg. Fr. Sylvio, 1525, Ep. DCCXCII, 
p. 910: Quantum augurari licet, videntur onınia tendere ad Scy- 
thicam barbariem. 

2) Jodoco Jonae a. a. D. Nolim ut tu te huic negotio admi- 
sceass.. Quo magis amabam Huttenici venam ingenii, hoc magis 
doleo, nobis ereptum per hos tumultus. (Guil. Budaeo, Lovan. 
16 Febr. 1521. Ep. DI.XV. p. 634: Amaham et festivum Hutteni 
ingenium: id Lutherana tempestas Musis eripuit.) Quis autem non 
excrucietur animo, si Philippus Melanchthon, juvenis tot eximiis 
dotibus instructus, per hanc tempestateın publicis eruditorum votis 
eriperetur? Ph. Melanchthoni 6 Sept. 1524, Corpus Ref. I, 672: 
Bardinal Bampegius habe ;u ihm gefchieft de Melanchthone alio quo- 
piam evocando. Respondi, me optare quidem, tuum istud inge- 
nium esse liberum ab istis contentionibus, sed desperare, te su- 
scepturum palinodiam. 

3) Bilibaldo, Basil. 1528, Pirckh. Opp. p. 291: Ubicunque regnat 
Lutheranismus, ibi literarum est interitus. 








Erasmus und Hutten. 259 


Beflagte demnach Erasmus in Hutten vor Allen einen 
Soldyen, der für die Sade, für welche fie früher Beide in 
Gemeinfchaft thätig gemwefen, verloren gegangen fei: jo ers 
fchien dem Lestern von feinem Standpunkte aus Erasmus 
als ein Mann, der die Grundſätze feines frühern Lebens und 
Wirkens jegt verläugne. In diefer Richtung hatte er dems 
felben ſchon von Stedelberg und der Ebernburg aus zwei 
Briefe geichrieben, von denen der eine bereitd als ein Vor⸗ 
läufer der umfaflenden Streitfchrift erfcheint, mit weldyer 
Hutten feine fehriftftellerifche Laufbahn vor der Zeit befchließen 
follte. Es iſt dieß der Brief vom 15. Auguft 1520, deſſen 
wir, joweit er die püpftliche Yahndung auf Hutten und feine 
Rettung betraf, jchon früher gedacht, was aber fein Verhält- 
niß zu Erasmus anging, abjichtlich bis hieher veripart has 
ben. Hutten eröffnet den Erasmus, was er, bei biefem 
Stande feiner Angelegenheiten, von demfelben verlange, und 
verhehlt zugleich nicht, was ihm in deffen bisherigem Verhal⸗ 
ten mißfallen babe. In Reuchlin’d Handel habe er ſich alle 
zufchwac und Angftlich gezeigt. Die Briefe der Dunfelmän- 
ner, die er erit hochgepriejen, habe er hernach verdammt. In 
Bezug auf Luther ſodann habe er deſſen Widerfacher zu übers 
teden gefucht, als wäre die SKirchenreform eine ihm fremde 
Angelegenheit. Das habe ihm doch übel angeftanden, und 
fei überdieß zwecklos geweſen, da feine wahre Gefinnung aus 
feinen Schriften wohl befannt fei, und daher Niemand feinem 
Vorgeben Glauben gefchenft habe. So habe er der Reform: 
partei geichadet, ohne fich zu nützen. Schon bisher habe Yut- 
ten der Leute Reden über Erasmus ungern gehört, doch den 
Freund, obwohl er felbjt nicht ganz mit ihm aufrieden ge: 
wefen, entfchuldigt. Jetzt, da die Sache ihn perfönlicy be- 
treffe, wolle er fich offen gegen Erasmus erflären. Er möge 
Demjenigen, der ihn ſtets hochgefchäßt habe, und auch jetzt 
noch zu den beften Dienften für ihn bereit fei, fo viel zu 

17* 





260 I. Buch. X. Kapitel. 


Liebe thun, daß er fi nicht auch über ihn fo wie über 
Reuchlin und Luther äußere. Billigung feiner Sache, ob» 
wohl ihm nichts Ehrenvollered zu Theil werden könnte, wolle 
er nicht von ihm verlangen; nur möge er auch nidht aus 
Menfchenfurcht fchlecht von derfelben ſprechen, fondern fie lies 
ber völlig mit Stillſchweigen übergehen, in Erwägung, wie 
nachtheilig ein einziged ungünftiged Wort von ihm für Hutten 
fein müßte. Das babe er ihm, als einem Freunde, freis 
müthig geichrieben.!) 

Noch gab Hutten den Erasmus für die Sache der Re- 
form nicht verloren. Bon feiner innern Zuftimmung glaubte 
er überzeugt fein zu dürfen, und den Muth zum äußern Bes 
kenntniß konnten ihm vielleicht bald die Verhaͤltniſſe geben, 
wenn er ſich nur mittlerweile nicht allzutief mit den Feinden 
des Fortſchritts einließ und mit deffen Förderern abwarf.?) 
Oder wie? wenn man den Ängftlihen Mann eben bei feiner 
Aengftlichkeit ergriff? Wenn man ihn überredete, er fei unter 
den Romaniften feines Lebens nicht fiher? Seinen MWohnfig 
hatte er noch immer in Löwen; die Anmwefenheit des Kaiſers 
und mehrerer Fürften führte ihn um Wintersanfang 1520 
auch nad Eöln. Das waren aber die Hauptfite der Fin- 
fterlinge: an beiden Orten wurden eben um jene Zeit bie 
Schriften Luther's verbrannt. Diefen Umftand verfuchte Hut⸗ 
ten zu benußen, um dem Erasmus bange zu machen. Was 
er denfe, fchrieb er ihm gerade ein Vierteljahr nach dem fo 
eben erörterten Briefe wieder viel freundlicher, an Orten ſich 
aufzuhalten, wo der größte Haß gegen ihre Partei (gu wels 


1) Des. Erasmo Rot., Theologo, amico summo. Ex propugna- 
culo, 18 Cal. Sept. 1520. Mitgeth. von Röhrich in Niedner's Zeirfchrift 
für hiſt. Theof. 1855, ©. 629 fg., und fhon vorher, zum Theil richtiger 
gelefen, von Hagenbach in den Theol. Stud. und Krit. 1832. 

2) Dieg wollen die Worte in bem angef. Briefe fagen: Te jubeo 
quiescere penitus, ac stilo temperare, ut te nobis serves. 





Erasmus und Hutten. 261 


her Hutten den Erasmus jebt ohne Weiteres rechnet) herrfche, 
und die päpftlihen Mandate ohne Schonung vollzogen wer⸗ 
den? Ob er glaube, da noch ficher zu fein,-wo man Luther’s 
Bücher verbrannt habe? Er, über den die Feinde längft 
fchreien, er fei der Urheber und erfte Anftifter aller viefer, 
dem Papfte fo verdrießlichen Bewegungen. Dieß verhalte ſich 
zwar nicht fo (gibt hier Hutten dem Erasmus zu, der jenen 
Vorwurf nicht gerne hörte); doch wifle er ja, mit weldyerlei 
Leuten fie e8 zu thun haben, und könne ſich denfen, daß ihr 
Haß gegen die Wiflenfchaften weit mehr noch den treffen 
werde, der fie eingeführt, der Deutichland mit Gelehrfamfeit 
erfüllt habe. Daß der Verſuch, den Erasmus feit Jahren 
angeftelt, den Papft und feine Anhänger durch Lob und 
Schmeichelei für die gute Sache zu gewinnen, nicht zum Ziele ges 
führt habe, fehe er nun wohl felbft ein. Darum möge er fliehen, 
ehe es zu fpät fei. Der gewaltfame Losbrudy, den Hutten und 
Franz im Sinne haben, werde die Stellung des Erasmus noch 
bevenkliher machen, und nicht offenen Angriff allein, auch 
Gift und Dolch, habe er zu fürchten. Daher fei Hutten’s 
Rath, er folle Löwen mit Bafel vertaufchen, wo er längft 
beliebt und verchrt fei, wo die Geifter von Natur fchon freier, 
und nun überdieß durch Luther's Schriften und ein deutiches 
Gediht Hutten’8 (die Klag und Vermahnung) erregt feien. 
Darum bitten ihn durch Hutten gemeinfchaftliche Sreunde, des 
ven Verlangen er nachgeben, und fi) dem gemeinen Beften 
erhalten möge.) 

Wenn Eradmus noch in demſelben Winter ſich wirklich 
nach Bafel begab, um nicht wieder nach Löwen zurüdzufeh- 


1) Des. Erasmo Rot., Theol. Christianissimo, amico adorabili, 
Moguntiae, Coloniae aut ubiubi est. Ex Ebernburgo Id. (18) Nov- 
anno 1520. In Mofer’s Batriot. Archiv VII, ©. 28 fg. Opp. ed. Münch, 
NW, p. 49—53. 





262 Il. Bud. X. Kapitel. 


ren, fo lag dabei zwar, neben ver Abficht, den Drud feiner 
Schriften in der Frobenfchen Officin feldft leiten zu können, 
. noch die andere zum Grunde, den fortwährenden Angriffen 
ber Finfterlinge jener Stadt und Univerſitaͤt, auf Kanzeln, 
Kathedern und fonft, fi) zu entziehen.) Aber keineswegs, 
um nun in das Lager der Reformation überzugehen : viel 
mehr betrachtete er Baſel als neutralen Boden, den er, ale 
derfelbe acht Jahre fpäter von der Reformation entſchieden 
erobert war, mit einer altgläubig gebliebenen Stadt vertaufchte, 

Zwei Jahre waren feit der Abfaffung jenes Briefd ver- 
floffen, feit dritthalb Jahren hatten fi) beide Männer nicht 
gefehen, al8 gegen das Ende des Jahre 1522 Hutten, wie 
ſchon erwähnt, als Flüchtling aud Deutfchland, in Bafel ers 
dien. Schon unterwegs, in Schlettftabt, hatte er gegen 
Beatus Rhenanus und Andere geäußert, wenn er nad) Bafel 
fomme, wolle er dem Erasmus Muth machen, denn Furcht⸗ 
famfeit ſei es doch, daß diefer ſich nicht günftiger für Luther 
zeige.) Die erfte Nachricht von Hutten's Ankunft in Bafel 
erhielt Erasmus hierauf durch Heinrich von Eppendorf, einen 
jungen Dann, der auf Koften des Herzogs Georg von Sady- 
jen damals feine Studien in Bafel machte, und mit Hutten 
fhon vorher befannt war.?). An der Freude, welche Eras⸗ 


1) Dgl. die Epistola ad Laurinum vom 1. Febr. 1528. Ep. DCL, 
P. 748 fg. Siernach war er im Februar 1521 bereits in Bafel. 

2) Erasmi Spongia, Opp. Hutteni ed. Münch, IV, p. 412 fg.: Cum 
esset Sletstadii (ut scribit in suis ad me literis), dederat hoc in 
mandatis Beato Rhenano, ut mihi significaret, esse quod in me 
desideraret Huttenus, oder, wie Erasmus nach der Erzählung des Bea⸗ 
tus Rb. die Worte wiebergibt, ajebat, me non perinde favere Lu- 
thero; id interpretabatur metum, dicebatque, se mihi animum ad- 
diturum (fpäter: se mox Basileam aditurum, mihique plus satis 
meticuloso additurum animum). 

8) Bielleicht hatten fich Beide im Sommer 1520 zu Löwen bei Gras 
mus fennen gelernt, f. Christophori Saxi de Henrico Eppendorpio 
Commentarius etc. Lips. 1745, p. 22. 





Erasmns verbittet ſich Hutten's Befuch. 263 


mus über dieſe Nachricht empfunden haben will, dürfen wir 
dem weitern Erfolge nad) billig zweifeln; denn nach den ers 
ften Erkundigungen über Hutten’8 Befinden und Umftände, 
gab er dem Eppendorf den Auftrag, dem Ritter freundlich 
beizubringen, derfelbe möge während feines Aufenthalts ihn 
nicht durch feinen Befuch compromittiren. Dieß war jepenfalls 
der deutliche Sinn der Aeußerung des Erasmus, auch wenn 
er, feiner Berficherung zufolge, noch die Einfchränfung bins 
zufügte, fall8 Hutten nichts Befondered mit ihm zu reden 
hätte, und das Anerbicten, wenn er ihm fonft in Etwas bies 
nen könne, fei er dazu gern bereit. ) Welchen Eindruck dieſe 
Botſchaft von Erasmus, als fie ihm noch deffelben Tage 
durh Eppendorf hinterbradht wurde, auf Hutten machen 
mußte, ließ fich denfen, und dachte fi) auch Erasmus felbft; 
wenngleich, wie er erzählt, der Mitteldmann ihn verficherte, 
jener habe die Sache im beften Einne aufgenommen. Andere 
Mitglieder des Erasmifchen Kreiſes, wie Bafilius Amerbach, 


1) Id feße die beiderfeitigen Berichte zur DVergleichung her. 

Hutteni cum Erasmo Expostulatio, Opp. TV, 847: .. mihi oc- 
currit ipso stalim die, quo Basileam ingressus sum, communis no- 
ster amicus Henrichus ab Eppendorf, eques, qui me tuis verbis 
salutavit primun , deinde petiit, ne te, postquam illuc venissem, 
invidia gravarem. Id ego cum minime intelligerem quale esset, ait 
tandem, hoc petere te, ne tuam domum adventarem. Timere te 
enim, ne fraudi tibi sit apud inimicos mcos, si nos Conversatos 
audiant. 

Erasmi Spongia, ibid. p. 405 fg.: Henr. Epphendorpius . . pri- 
mus obnuntiavit, Huttenum esse Basileae. Hoc statim exhilaratus 
nuntio .. tandenı rogabam Epphendorpium, placidis verbis persua- 
deret Hutteno, ut, si nihil esset nisi vulgaris salutatio (nisi quid 
esset rei seriae, Ep. ad Botzemum, Opp. Pirckheimeri p. 296), 
temperaret a congressu, quod ea res nihil esset illi commoditatis 
allatura, me gravatura esset invidia, jam plus satis gravatum. Cete- 
rum a pristino meo in illum affectu nihil decessisse. Quodsi qua 
in re officium meum desideraret, id fore promptissimum. 





264 IL. Bud. X. Kapitel, 


denen gegenüber Hutten feiner Entrüftung freien Lauf ließ !), 
hatten ihm fiher Winfe gegeben. Daher die wiederholten 
Fragen nach Hutten’d Stimmung gegen ihn, die Erasmus an 
Eppendorf richtete. So gedrängt, habe Eppendorf endlich 
geäußert, vielleicht wünjche Hutten do, mit Erasmus zu 
reden: und darauf will diefer fich erboten haben, wenn es 
etwas Wichtiges betreffe, oder jenem fo viel daran liege, fo 
fomme es ihm audy nicht darauf an, und möge Hutten ims 
merbin zu ihm kommen; es frage ſich nur, ob berfelbe bei 
feiner Krankheit des Erasmus kalte Zimmer (mo jedoch ein 
Kaminfeuer nicht fehlen folle) ertragen Eönne; fönnte er felbft 
bie Ofenwärme leiden, fo würde er dem Ritter den Beſuch 
machen. ?) - 

Daß der Letztere dieſe nachträgliche, halb widerwillige 
Einladung mit Stolz zurückgewieſen hätte, müßten wir na⸗ 
türlih finden: nad feiner Verficherung aber tft fie ihm nie- 
mals zugefommen; ob fie nun, wie Erasmus fpäter andeu- 
tete, von dem Zwijchenträger unterfchlagen, oder von jenem 
niemald ausgegangen if. Was die geheizten Stuben be 
trifft, fo hätte, nad Hutten’d Verfiherung, Eppendorf den 
Erasmus belehren können, daß jener oft zwei bis Drei 
Stunden lang mit feinen Freunden auf den Marfte auf 
und abgehe, auch an des Erasmus Haufe will er abs 
fihtlih mehrmals vorübergegangen fein, um fich dieſem bes 
merflih zu maden.”). Aber Erasmus fchrieb nody am Weih⸗ 
nadhtöfefte an feinen Freund, den Domherrn Johann von 
Bopheim nach Eonftanz, Hutten habe er nicht gefehen, und 


1) Basil. Amerbach ad Bonifac. Basil. 8 Id. Jan. 1523, Amor- 
bschior. Epist. mutuae, Mspt. Bibl. Basil.: .. quem (Huttenum) 
Erssmus ne se inviseret ob suspitiones odiosas per ministrum ad- 
monuit;, quod sepius Huttenus in convicio dicere solet.. . (Böding). 

3) Spongia a. a. O. 

3) Expostulatio, Opp. IV, 847. 





Erasmus’ Aengfle. 265 


wünfche es jetzt auch nicht. Er meine es gut mit ihm, fos 
fern Hutten es gut mit fich felber meine; aber er habe An⸗ 
dere zu thun.) 

Der vornehmfte Beweggrund zu diefer Handlungsweife 
war, wie Erasmus felbft geftand, die Beforgniß, durch den 
Verkehr mit Hutten fich feinen hohen Gönnern gegenüber 
bloßzuſtellen. Die Nachricht von dieſem Befuche, fagt er, 
würde nad Rom gelangt fein an den Papft; nad) Spanien 
an den Kaiſer; nad) Brabant, wo ich eifrige Anfläger habe; 
nad) England, wo es nicht an Leuten fehlt, die mich, ich 
mag wollen oder nicht, zum Lutheraner machen.) Auch 
hätte es fi, meinte Erasmus, nicht blos um eine Unterres 
dung gehandelt: einmal in Berührung .mit ihm getreten, hätte 
er den heruntergefommenen kranken Ritter in fein Haus auf⸗ 
nehmen müflen; wobei ihm gleich fehr vor der Anftedung, 
bie er durch bloßen Hauch möglich glaubte, vor einem Dar⸗ 
lehn, das ihm angefonnen werden fönnte, vor dem angeblich 
evangelifchen Anhang Hutten’s, von dem er überlaufen zu 
werben fürdhtete, wie vor deſſen eigener Berbitterung und 
Ruhmredigkeit graute, von denen er voraudfegte, daß fie mit ' 
feinem Unglüd ſich noch gefteigert haben müßten. ®) 

Bon Hutten’d Beichäftigungen während feines Aufent⸗ 
halt in Bafel erfahren wir dur Erasmus, daß er eine 


1) Jo. Botzemo, natal. Christi 1522. Ep. DCXLIN, p. 740. 

2) Spongia, a. a. D. p. 410. 

3) Phil. Melanchthoni Basil. 6 Sept. 1524. Corp. Ref. I, 667: 
Quod Hutteni colloquium deprecabar, non invidiae metus tantum in 
causa fuit: erat aliud quiddam, quod tamen in Spongia non attigi. 
jlle egens et omnibus rebus destitutus, quaerebat nidum aliquem, 
ubi moreretur. Erat mihi gloriosus ille miles cum sua scabie in 
acdes recipiendus, simulque recipiendus ille chorus titulo Evange- 
licorum, sed titulo duntaxat. Sletstadii mulctavit omnes suos ami- 
cos aliqua pecunia . .. Jam amarulentiam et glorias hominis nemo, 
quanıvis patiens, ferre poterat. 





966 I. Buch. X. Kapitel. 


heftige Schrift gegen den Churfürften von der Pfalz verfaßte, 
weil diefer, wie oben erwähnt, feinen Diener, wegen eines 
Raubanfalls auf drei Aebte, hatte hinrichten laffen. Er fuchte 
aber vergeblich einen Buchdruder, der es gewagt hätte, fie zu 
druden. Dagegen ließ er eine Satire auf einen Basler Arzt 
erfcheinen,, der fid, vermuthlich in der Behandlung von Huts 
ten’8 Krunfheit Blößen gegeben hatte. Erasmus ſprach ger 
gen Eppendorf feine Verwunderung aus, wo Hutten in ſei⸗ 
nem Siechthum und Elend Muße und Stimmung zu foldyen 
Späßen hernehme? aber Eppendorf meinte, dergleichen: mache 
er eben um fich zu zerftreuen. ?) 

Daß er aber auch ernftere Umtriebe im Sinne eines Ums 
ſturzes der beftehenden Kirchenzuftände machte, erhellt daraus, 
daß fofort auf das Andringen der Geiftlichkeit der Magiftrat 
von Bafel ihm den zugefagten Schirm auffündigte.?) So 
ſah Hutten, nad einem Aufenthalte von nicht ganz zwei 
Monaten, früher als es in feiner Abficht gelegen war, fich 
genöthigt, Bafel zu verlaflen. Dieß that er am 19. Januar, 
ohne daß felbft feine beften Freunde wußten, wohin er feinen 
Weg genommen.?) Er hatte aber feine Blide auf das be⸗ 
nachbarte Mülhaufen gerichtet, das, dazumal der Eidgenoflen- 
Ihaft zugewandt, ihn wie Bafel Schuß gegen die deutfchen 
Fürften hoffen ließ; während die reformfreundliche Denfart 
des Raths, insbefondere Des einflußreichen Stadtſchreibers 


1) Spongia, p. 407. Epist. ad Botzemum, Basil. prid. purifica- 
tionis anno 1528, in Opp. Pirckheimeri p. 295. 

2) Hottinger, Hıfloria der Reform. in der Cidgnoßſch., S. 118. 

8) Oecolampadius Hedioni, die S. Agnetis (21. Jan.) D. D. Oe- 
colampadii et Huld. Zuinglii Epistolarum ll. IV, Basil. 1534, fol. 
209: Sunt hic ex sacerdotibus et Theologis, qui de me pessima 
loqui cupient, . . tantum machinati, ut Hutteno non fuerit diutius 
tutum, hic agere: unde et nudius tertius hinc discessit: quorsum 
autem, nescio. 








Hutten in Mülhanfen. 267 


Dswald Gameharft, mit welchem Hutten von früher ber be- 
fannt gewejen zu fein fcheint, ihn gegen den Einfluß ber 
©eiftlichkeit zu deden verſprach. Auf Nebenwegen, weil er 
die Nachftellungen feiner Feinde zu fürchten hatte, erreichte er 
in Eppendorf’8 Begleitung wohlbehalten feinen neuen Zus 
fluchtsort, wo ihm Gamsharſt's Fürfprache im Auguftiner: 
flofter um fo leichter eine Herberge ausmittelte, je günftiger 
defien Bewohner für dad Werk ihres Sächfifchen Ordens 
bruderd geftimmt waren.!) Hutten gedachte hier den Reft 
des Winterd zugubringen; zu welcher Arbeit aber er feine 
Muse im Auguftinerflofter benußte, werden wir in Kurzem 
finden. 

Schon während feined Aufenthaltes in Bafel war dem 
Ritter, von der ihm perfönlidy widerfahrenen Kränfung abge⸗ 
fehen, und außer dem, was er aus des Erasmus neueren 
Schriften wußte, über veflen Verhalten zu der Reformation 
und deren Anhängern fo manches Nähere zu Ohren gefoms 
men, was nicht geeignet war, feine Stimmung gegen den» 
felben zu verbefiern. Sept, in Mülhaufen, erfuhr er von bes 
fuchenden Freunden aus Bafel, wovon er fchon früher hatte 
munfeln hören, Erasmus gehe mit einem fhriftlihen Angriff 
auf die Lutheraner um. Er ließ ihn durch Eppendorf wars 
nen: wenn er Luther angriffe, fönnten fie nidyt mehr gute 
Freunde fein.?) Endlich, etwa im März, Fam ihm des Erass 
mus Brief an Laurinus, Decan ded College von St. Dos 


1) Hutteni Expostulatio, Opp. IV, 347. Erasmi Spongia, ebenbaf. 
p. 407. Erasmus Botzemo, Opp. Bilib. p. 295. Erasmus Goclenio, 
vor der Londoner Ausg. der Eraemifchen Briefe. Bgl. Graf, Geſch. der 
Stadt Mühlhaufen, II, 13. 15. Daß Hottinger a. a. DO. verfdhiebene 
reformatorifche PVeränderungen zu Mülhaufen hen in das J. 1523 
feßt, bie erfl einem fpätern angehören, hat Graf ©. 40 fg. nachgewieſen. 
Bon reformatorifch gefinnten Geiftlichen war damals nur Auguflin Kres 
mer in jener Stadt; die andern famen fpäter. 

2) Spongia, a. a. O. p. 418 fg. vgl. mit Expostulat. p. BAT. 





268 I. Bud. X. Kapitel. 


natlan in Brügge, gedrudt vor Augen, der das Ungewitter, 
das von Hutten’d Seite ſchon längft dem Erasmus gedroht 
hatte, zum Ausbruche brachte. ?) 

Das ausführliche Schreiben an den niederländifchen Gaſt⸗ 
freund ift, bei aller fcheinbar abjchweifenden Gefchwäßigfeit 
in Reife - und Ortöbefchreibungen, doch durchaus auf den 
Zwed berechnet, die ungünftigen Gerüchte zu zerftreuen, welche 
über ded Erasmus Stellung zu Luther und feinem Unter⸗ 
nehmen im Umlaufe waren. Diefe Gerüchte gingen zwar, je 
nad) der Parteiftellung der Urtheilenden, nach zwei entgegen« 
gefegten Seiten bin, und Erasmus widerfpricht ihnen auch 
in beiden Richtungen ; doch fo, daß er nicht verhehlt, es liege 
ihm weit mehr daran, ſich von dem Verdachte zu reinigen, 
als hielte er es mit Luther, als ihn der Vorwurf befüm- 
merte, er fei ungerecht gegen ihn.?) Den erfteren Verdacht 
gegen Erasmus hatte feine Abreife aus Löwen und fein lan⸗ 
ges Verweilen in Bafel verftärft. Dagegen führt er nun die 
literarifchen Veranlaffungen feiner Reife nad) Bafel auf, und 
ſtellt ſich, als ob er keineswegs daſelbſt zu bleiben gedaͤchte. 
Bei dem Kaiſer wie bei dem neuen Papſt Adrian VI. ſei er 
mit Nichten in Ungnade; an der Sage, daß Hochſtraten ſeine 
Bücher verbrannt habe, ſei Fein wahres Wort. Er möchte 
faft glauben, dergleichen Gerüchte werden von gewiſſen An⸗ 
hängern Luther's ausgefprengt, um ihn mit der Gegenpartei 
zu überwerfen. Es heiße jest, viele Lutheraner flrömen in 
Bafel zufammen, um fi) bei Erasmus Raths zu erholen. 


—— —— — 


1) Erasmus Marco Laurino, Collegii S. Donatiani apud Brugas 
Decano. Basil. Cal. Febr. 1522. Erasmi Epp. ed. Lugd. Bat. No. 
DCL, p. 748g. 

2) Audio queri nonnihil quosdam impense Lutheranos, ut vo- 
cant, quod dilutior sim, quod blandior principibus, quod nimis 
pacis amans. At ego, ut verum fatear, malim in hanc peccare 
partem: non tantum quia tutius, sed etiam quia sanctius. 





Erasmus’ Brief an Laurinus. 269 


Wollte Gott, ed kämen alle Lutheraner und Antilutheraner 
zu ihm und folgten feinem Rathe, fo würde es befler in ber 
Welt ftehen. Unter den vielen Fremden, die ihn befuchen, 
möge ſich wohl mander Anhänger Luther's befinden, dar⸗ 
nach frage er nicht; audy von feinen Altern Freunden habe er 
feinem um beßwillen, weil er fpäter allzueifriger Lutheraner 
geworden, fo wenig als denjenigen, die ihm in der Anfein⸗ 
dung Luther’ zu weit zu gehen gefchienen, die Freundfchaft 
aufgefündigt: fofern nur beiderſeits noch Die gute Abficht zu 
erfennen fei. So fei Hutten wenige Tage als Gaft in Bafel 
geweien, ohne daß Einer den Andern befucht babe: und doch 
würde er, wenn Hutten zu ihm gekommen wäre, dem alten 
Freunde, defien fchönes Talent er noch jet lieben müfle, gne 
Unterredung nicht verfagt haben. Denn was bdiefer fonft noch 
betreibe, gehe ihn nichte an. Weil aber Hutten feiner Krank⸗ 
heit wegen die Ofenmwärme nicht habe mifjen Fönnen, die 
Erasmus nicht ertragen Eönne, fo fei ed gefommen, daß fie 
einander nicht gefehen haben. !) 

Ueber Luther's Lehre habe er fich bisher aus mancdherlei 
Gründen fein Urtheil erlaubt, vor Allem, weil das eine Sache 
fei, die vor einen höhern (kirchlichen) Richterſtuhl gehöre; 
auch habe er Luther's Schriften bei weiten nicht alle gelefen, 
und die in ſaͤchſiſcher Sprache geichriebenen (d. h. die deut⸗ 
chen) könne er nicht einmal leſen. Nur fo viel habe er Hin 
und wieder in gedrudten Briefen bezeugt, daß er der Bers 





1) Fuit hic Huttenus, paucorum dierum hospes:! interim nec 
ille me adiit, nec ego illum: et tamen, si me convenisset, non 
repulissem hominem a colloquio, veterem amicum, et cujus in- 
genium mire felix et festiivum ’etiam' nunc non] possum non 
amare. Nam si quid illi praeterea negoti est, nihil ad me pertinet. 
Sed quoniam nec ille ob adversam valetudinem poterat ab hypo- 
caustis abesse, nec ego ferre, factum est, ut neuter alterum 
viderit. 





200 IL Zub. X Karuel 


Bindung der Lutheraner fremp tei, und in Luthers Büchern 
za wenig chriktlidhe Beſcheidenbeit und zu viel Bitrerfeit finde. 
Dabei läugne er nicht, daß Sucher auf Manches aufmerkſam 
gemacht babe, das nicht länger zu ertragen geweſen jei und 
um ed Woblä ter Ghriitenbeit willen gebeftert werden jollte. 
Da übrigend Lutber fein Bedenken trage, nicht allein Kir⸗ 
cenlebrern, Sendern ſelbſt Kirchenverſammlungen zu wibers 
ſprechen, je fünne er nichte dagegen baben, wenn man aud) 
ibm vweideriprecbe; und da jege alle Welt gegen ihn fchreibe, 
wäre es audb tem Eradmud nidr zu verübeln, wenn er, 
dem Befehle Solcher ſich fügend, denen zu widerftreben ge- 
fübrlich ſei, bei gelegener Zeit eine Stimme über Luther ab⸗ 
geben mwürte. Sich periönlih von denen Hundel loszuſagen, 
fährt er mit ächt Eradmiicher Ironie fort, ſei für ibn einfach 
eine Sache der Beicheidenbeit geweien. Da er bei vielen 
hohen Häuptern als der eigentlihe lirheber von Luther's 
Lehre, ja als der Verfaſſer mehrerer von feinen Schriften ge: 
golten, io habe er eine jo hohe Ehre unmöglich annehmen 
fönnen, jondern wie Johannes der Täufer rufen müflen: Ich 
bin es nicht. Luther und jeine Anhänger nennen ihn fo off 
einen ſchwachen Ghrijten, der von geiftlihen Dingen nichts 
verftehe: jo mögen fie es ihm zu Gute halten, wenn er fidh 
an das Urtheil bewährter Väter halte, und Luther’8 Neuerun⸗ 
gen mitzumachen fidy nicht getraue. Wem der Herr größere 
Geiſtesgaben verliehen, der möge fie zu deflen Ehre gebraus- 
chen: er wolle nicht fo hoch fliegen, aber deſto ficherer geben. 
Sein Wunſch fei auf evangelifhe Eintracht, auf frienliche 
Heilung der Schäden der Kirche, mit gleichmäßiger Rüdficht 
auf die Würde des Priefteritandes, wie auf die Freiheit des 
chriſtlichen Volkes, gerichtet. Wer dieſes Weges gehe, dem 
werde des Erasmus Handreichung nicht fehlen. Ziehe aber 
Einer vor, lieber Alles durcheinander zu werfen, der werbe 
gewiß ihn weder zum Führer, noch zum Begleiter haben. 





Erasmus’ Brief an Laurinus. 271 


„Sie wenden (fdhließt er) den Antrieb des heil. Geiftes vor. 
So mögen fie denn mit gutem Glüd unter den ‘Propheten 
tanzen, wenn der Geiſt des Heren fie angeweht hat. Mich 
hat diefer Geift noch nicht ergriffen: wird es einmal ges 
ſchehen, jo werde ich vielleicht auch Saul unter den Prophes 
ten heißen.“ 

An diefem Grasmifchen Senpichreiben mußte unferem 
Ritter Alles zuwider fein: die ironifhe Kaltfinnigfeit gegen 
eine Sache, die ihn in Flammen feßte; die vorgewendete Un⸗ 
parteilichfeit, weldye die Parteinahme nur fehlecht verdeckte; 
die Vorſicht und Friedensliebe endlich, Die aber mit des Brief: 
ſtellers Berzagtheit und Schwachheit für die Großen unver- 
fennbar zufammenhing. Dazu fam nun, daß die Stelle, in 
welcher Hutten’s gedacht war, verfchiedene handgreifliche Uns 
wahrheiten enthielt; durch welche Erasmus feine Handlungs⸗ 
weife, bei der er offenbar Fein gutes Gewiſſen hatte, zu be⸗ 
ichönigen fuchte. Es war nicht wahr, daß Hutten nur wes 
nige Tage in Bafel geweſen; nicht wahr, daß nur der Ofens 
punft beive Männer auseinandergehalten; nicht wahr, daß es 
nur bei Hutten geftanden hatte (jofern man bierunter vers 
fieht, was er mit Ehren hätte thun Fönnen) zu Erasmus zu 
fommen. Glaubte diefer vielleicht gar, Hutten werde es als 
eine Schonung erfennen, wenn er nicht öffentlich erzählte, 
wie er ſich deiten Beſuch verbeten, fo verrechnete er ſich jehr. 
Am dritten Tage fchon, nachdem ihm das Sendſchreiben zu 
Geſicht gekommen !), machte ſich Hutten daran, in einer aus⸗ 
führlichen Streitichrift mit Erasmus wegen alles deſſen, was 
er fowohl perfönlid), wie als Anhänger der Reformpartei 
längft gegen ihn auf dem Herzen hatte, endlich Abrechnung 
zu halten. Zwar verzog ſich deren Vollendung bis in den 


1) Expostulatio, p. 348: ... cum nudiustertius, arbitror, afferlur 
huc illa . . ad Laurinum epistola. 





272 U. Bud. X. Kapitel. 


andern Monat ?): doch erhielt Erasmus zeitig genug Nach⸗ 
richt, indem namentlid Eppendorf, der zwiſchen Bafel und 
Mülhaufen hin und berreiste, feine Gründe hatte, ihn von 
Hutten's übler Stimmung gegen ihn und von dem drohen 
den Angriff in Kenntniß zu ſetzen. 

Diefer Heinrich von Eppendorf, deſſen vorgebliche Rit⸗ 
terfchaft jedoch Männer, die der Berhältniffe Fundig fein konn⸗ 
ten, in Abrede ftellten 2), ein fahrenver, verfchulveter Literat, 
der, erſt zuthulicher Hausfreund des Erasmus, fi dann an 
Hutten gehängt hatte, fpielt in dieſem ganzen Handel eine 
mindeftend zweideutige Rolle. Daß er, wie ihm Erasmus 
Schuld gab, den Streit abfichtlich herbeizuführen gefucht, und 
gu diefem Zwecke fi) Zweizüngigfeiten erlaubt, dem Eras⸗ 
mus die Erbitterung Hutten’8, diefem die nachträglichen Ers 
bietungen des Erasmus verfchwiegen habe, möchten wir dem 
Letztern nicht ohne weiteres nachfprechen. Daß er aber fpäter, 
als Hutten wirklich fit daran gemacht hatte, ‚gegen Eras⸗ 
mus zu fchreiben, dieß als Mittel zu benutzen fuchte, um dem 
Erasmus oder feinen Freunden Geld abzupreflen, wird ſo⸗ 
wohl aus feinem Benehmen bei diefer Gelegenheit, ald aus 
einem fpätern Falle wahrfcheinlich, wo er den alten Mann, 
der ihm bei Herzog Georg ein ſchlechtes Zeugniß gegeben 
hatte, recht wie ein Hedenreiter überfiel. Erasmus geht nur 


1) Oth. Brunfelsii Resp. ad Spong. Erasmi, Hutteni Opp. IV, 
529: In Milthusio paratus est primum (libellus), idque uno et al- 
tero mense ad sunımum, et ex calamo ac citra multam affectationem. 

2) Petrus Mofellanus und Emſer, die in Sachen, Eppendorf's 
Heinath, lebten. Dazu und zum Folgenden find aufer der Spongia, 
in welcher Erasmus den Eppendorf noch fchont, zu vergl. feine Briefe 
an Pirdheimer vom .19. Jul. und 29. Auguft 1523, an Bopheim vom 
1. Febr. 1528, Pirckheimeri Opp. ed. Goldast, p. 275 fg., 292 fg. 
und an Goclenius, 0. D., vor der Londoner Ausg. der Erasmifchen 
Briefe. Außerdem Christoph. Saxi de Henr. Eppendorpio Commen- 
tarius, p. 30 fg. 








| Eppendorf ale Zwifchenträger. 273 





























= ju weit, daß er dieſe Mbficht der Gelberpreffung ebenjo 
Hutten unterlegt *). Die Upflätherei eines Kartheuſer⸗ 
6 mochte dieſem eine willlommene Gelegenheit geweſen 
Br; feinen Finanzen aufzubelfen: in dem Streite mit Exas- 
56 war es ihm ein heiliger Ernſt um die Sache, und Dies 
B-Exrnft athmet feine Schrift durchaus; wenn er auch, ale 
fertig war, es gefchehen ließ, daß ver gefchäftige An⸗ 
Biger fie zu einer Geldſpeculation zu benußen fuchte. 
: Huf Die Nachricht, die Eppenporf bei feiner zweiten Wie: 
er von Mülhaufen mitbracdhte, daß Hutten, über die 
se Zurückweiſung erbittert, an einer Schrift gegen 
mus arbeite, entipann fidy zunächft ein Briefwechſel zwi- 
beiden. Nach des Erasmus Darftellung wären es feine 
janbe, inobeſondre Beatus Rhenanus, geweſen, welche ihn 
m: feine eigene Anficht zu dem Schritte beredeten, einen 
tichen Sühneverfuch bei Hutten zu machen: jo aller 
96, wie er denſelben machte, konnte er willen, daß ber 
Ich nicht zum Ziele führen würde. Durch Heinrich Eppen- 
„ ſchrieb er ihm am Eharfreitag, babe er von Hutten's 
Men und der Streitichrift gegen ihn, mit welcher ver 
J g umgeben folle, gehört. Darüber müſſe er ſich wun⸗ 
u, da feine Sreundichaft für Hutten unverändert geblieben 


—— — 


N 1) Erasmus Bilibaldo a. a. O. p. 276: Hauc technam struxit 
e. Epphendorpius, qui omnia sua consilia miscuerat cum Hut- 
‚ cum esset Basileae. Uterque debelrat animam: visum est 
‚ bac via posse extundi CC florenos ab amicis Erasmi . . Neu- 
iecit odio mei, quum de utroque sim bene meritus, sed amore 
. Yu Bland, Geich. des vrot. Lehrbegriffe, II, 107, Anm. 
B, #indet es nicht nur Hutten's damaligen Umfländen, fondern auch 
Denfarı nad) „gar nicht nnwahrfcheinlich, bag er wenigftens bie 
gehabt habe, eine Meuterzehrung von Erasmus oder jenen 
zu erpreſſen.“ Wenn Erasmus fpäter (Epist. ad Botzem. 

D. p. 296) ſchrieb: Jam si quis legat Huttenicas ad me epi- 

3, quas per Epphendorpium misit, nihil spirant, nisi praedam 
- w mu man fragen: warum hat er diefe Briefe nicht mitgetheilt? 
Girauß, Hutten. II. 18 


974 II. Buch. X. Raritel. \ 


jei, wenn auch für den Augenblid die Umstände ihnen den 
frühern vertrauten Umgang unmöglid) maden. Was ueulis, 
während Hutten’d Anwejenheit in Bafel, zwifchen ihnen vr 
gefallen, fei Feine Zurüdweilung geweſen. Vielmehr had « 
von Hutten nur dasjenige fi freundlich ausgebeten, was n 
an deflen Stelle von felbft getban haben würde: dem Freue 
nicht, ohne Nutzen für ſich felbft, Durch einen Befuch Ber 
druß auguziehen. Und doch habe er ihm nachher durch Eypew 
dorf jagen laffen, wenn Hutten die Ofenwärme miflen fin, 
die ihm unerträglich fei, jo jolle jein Beſuch ihm nidt me 
lieb fein. Beleidigt alſo habe er Hutten nicht, weder yik 
noch fonft, vielmehr, um von Wohlthaten nicht zu reden, har 
bis auf diefen Tag von Herzen wohlgewollt. Er möchte mm. 
wünichen, daß er feinen jchlimmern Feind hätte als den Erde 
mus, oder daß er befäße, mas dieſer Feind ihm würde 
Vielleicht werde er gegen ihn aufgehegt von Leuten, die Habe“ 
ten’8 Feder zur Eättigung ihres Hafled gegen Erasmus nij⸗ 
brauchen möchten. Wolle Hutten dieſen willfahren, jo möge 
er fürd Erſte bedenfen, daß er e8 gegen Einen thue, der e 
nit um. ihn verdient habe; Dann, daß er feinen eigenen arg 
ften Feinden, dem Hochſtraten u. A., feinen größern Gefallen 
thun könne, als gegen Erasmus zu fchreiben. Schon inie 
fern dürfte ed der Klugheit gemäß fein, wenn Hutten, ehe eb 
zum wirklichen Kriege fomme, vorher in einem Privarſcrei⸗ 
ben ihm mit freundfchaftlicher Offenheit mittheilte, was er gegen 
ihn babe; Hutten müßte ganz ein Anderer geworben fein, ald 
er ebedem geweien, wenn es den Eradmus nicht gelingen 
ſollte, ihm durchaus genugzuthun. 

So weit war das Schreiben des Erasmus für feinen 
Zweck ganz wohl berechnet, den es zwar fchwerlic er 
reicht haben würde, da zwiſchen beiden Männern jidy allzu⸗ 
viel Stoff zum Streite angeſammelt hatte: nun aber nahm 
8 cine Wendung, melde dem reigbaren Hutten die Feder 


Erasmus' Schreiben an Hutten. 375 


gegen Erasmus, wenn er ſie noch nicht ergriffen gebabt hatte, 
in die Hand drücken mußte. Außer der NRüdjicht auf die 
‚alte Freundſchaft und auf den Jubel der Feinde, führt näms 
ih Erasmus fort, müfle aud die Rüdjicht auf feinen eige- 
nen Ruf den Ritter von jeinem Vorhaben zurüdhalten. Nicht 
allein daB man einen Angriff auf den ſchuldloſen Freund ins 
human finden würde: „auch an Solchen“, jchreibt er, „würde 
ed vielleicht nicht fehlen, die, in Erwägung, wie deine Sachen 
jet ſtehen, argwöhnen möchten, es jei bei dem ganzen Beginnen 
aur auf Beute abgejehen; und es wäre Fein Wunder, wenn 
bieier Verdacht bei Vielen Platz griffe, als gegen einen Yand- 
flüchtigen, Verſchuldeten, und zum äußerften Mangel an allem 
Rorhwendigen Heruntergefommenen. Dir ijt nicht unbemußt, 
welhe Sagen über did umgehen; auch weißt du wohl, warum 
der Pfalzgraf Dir zürnt, und was er dir droht, Der ja an 
‚deinem Tiener bereits die Todesitrafe vollzogen hat. Deß⸗ 
wegen möchte ich nicht, daß du meine Erinnerung der Furcht 
oder dem böſen Gewiſſen zuichriebeit: ba fie vielmehr von 
Liebe zu Dir ausgeht, und ich damit mehr für dich als für 
mih ſorge. Du magſt jo gehäſſig jchreiben als du willft, 
fo wirft Du fürs Erjte es weder mit einem Eoldyen zu thun 
haben, dem dergleichen Anfechtungen ungewohnt find, noch 
‚mit einem Stummen. Dann aber, geſetzt auch, ich jchwiege, 
wirft du Doc deinem Rufe übler thun als dem meinigen. 
Darum jieh wohl zu, mein Hutten, daß du hier mehr Deine 
Klugheit zu Rathe zieheft, als der Leidenichaft leichtgelinnter 
Menichen folgeft. Lebe wohl. Ic erwarte Deine Heraus: 
forderung. !) 
Darunter verftand Erasmus Die vorläufige Tarlegung 
von Hutten's Beſchwerden über ihn in einem Privatbriefe, 


1) Erasmus Rot. Udalrico Hutteno. Basileae in die parasceues 
1522. Mit ver Nachſchrift: Expecto tuam expostulationem. Hut- 
teni Opp. IV, 335 — 337. 

18 * 


276 II. Bud. X. Kapitel. 


die dann auch, wie er erzählt, in einem ſehr trogigen Schrei: 
ben erfolgte, dem aber, nady Hutten’d Ankündigung, binnen 
drei Tagen ſchon die Streitichrift jelbft (vorerft zwar ned 
ungedrudt) nachkommen follte‘), von der es ein kurzer Jake 
griff war.) Einftweilen beantwortete Erasmus das wer 
läufige Schreiben, indem er ſich Punkt für Punkt auf ga 
ten’d Vorwürfe einließ, und ihm nochmals bemerklidy zu machen 
fuchte, wie es nicht minder in des Ritterd als in feinem Je 
tereile liege, ihren Streit in der Stille abzumaden. Des 
Schlimme war aber, daß die Hutten’fche Streitfchrift hau⸗ 
fehriftlich bereitd durch viele Hände in Bafel gegangen, jet 
auch nach Zürich verfender war, jo daß Erasmus von dir 
ten Perfonen vernahm, was Hutten gegen ihn vorgebrach 
babe. So erflärte auch diefer jelbft in der Antwwort auf des 
Erasmus zweites Schreiben (in deren milderm Tone dieſe 
eine Wirfung von dem mittlerweile erfolgten Falle Sidingens 
zu erfennen meinte), dad Manuſcript fei bereitö an den Bud 
druder abgegangen; doch wenn Erasmus dazu fchweigen 
wolle, jo folle zwifchen ihnen Fried und Freundſchaft befichen 
wie zuvor. ?) Jetzt endlich fam eine Abfchrift auch dem Grab 


— — *2— — 


1) Deßwegen beklagte ſich Erasmus ſpater, daß ihn Hutten null 
expostulatione praemissa, tam amarulento libello inexspecuanten 
angegriffen babe. Erasmus Zwinglio, vor der Spongia a. a. O. p. 2. 

2) Diefem Schreiben gehörte ohne Zweifel, ale Erwiederung aui de 
Erasmus Verdacht, daß Aufhetzer im Spiele feien, die Stelle an, weit 
diefer in der Spongia, p. 480, aufbewahrt bat: Nemo instigat Hol 
tenum, nec ille sustinet a quoquam instigari. &benfo die Erzähle 
von der zu Schlettfladt gegen Beatus Rhenanus gemachten Heures 
jeiner Unzufriedenheit mit des Erasmus Derhalten zur Reformatien, 
Spong. p. 412 fg. Ob auch die Stelle über die geheizten Stuben. I 
Erasmus in feinem Brief an Bogheim (Pirckheimeri Opp. p. 2%) 
anführt, iſt nicht mit Sicherheit zu entfcheiden: die dajelbft amgefühe 
Stelle über Eppendorf jcheint einem fpätern Brief entnommen. Ueberhamt 
ſtimmt diefe um 5 Jahre fpütere Erzählung eines Privatbriefs mit der 
für die Deffentlichfeit berechneten der Spongia nicht durchaus 7 

3) Spong. p. 408: Respondet paulo mitius, jam extincto Frat- 








Verhandlungen zwilchen Erasmns und Hutten. 977 


mus zu, aber unverfchloffen und unverflegelt; und nun legte 
Eppendorf vergeblich ihm und feinen Freunden nahe, den 
Angriff durch eine Geldfumme abzufaufen. Der Verleger ber 
Erasmifchen Werke, Johann Froben, zwar bot 50 Fl., ber 
Domherr Johann Bopheim, im Schreden um den Freund 
von Conſtanz herübergeeilt, fprah von 70 %., um die es 
fih handle: aber Erasmus wollte nicht der @eprellte fein, 
wenn die in Abfchriften fchon verbreitete Schrift, wie vors 
auszuſehen war, nachher dody erfchiene; er gab nichts, und 
hielt audy feine Freunde ab, fid) auf ven Handel einzulaflen. !) 
Mittlerweile hatte ſich Hutten von Mülbaufen nah Zürich 
begeben, von wo er nochmals an Erasmus fchrieb, das Ge⸗ 
fchehene wollen fie auf die homerifhe Ate (den Dämon uns 
bedacht unheilvoller Thaten) ſchieben; insfünftige (fo läßt 
Erasmus ihn ſich ausdrüden) wolle er fidy vorfichtiger halten. 
Auch bezeugte er dem Eppendorf, diefer habe die Verbreitung 
der Schrift widerrathen, d. h. wohl eben, ihm zugerebet, fie 
fi abfaufen zu laflen. Da dieß mißlungen war, fo reiste 
nun Eppendorf, fo berichtet Grasmus, nach Straßburg, und 
beredete den Buchdrucker Johann Schott, der ſchon von früher 
ber mit Hutten in Verbindung ftand®), den Drud der Bes 
ichwerdefchrift zu sibernehmen, den er noch vor der Mitte des 
Julius vollendete. >) 


cisco Sickingio, et hane fert conditionem, librum jan esse missum 
typographo, ut obticescerem, ita pacem atque etiam amicitiam 
fore inter nos. si vellem, ut antea. Hier iR doch wohl der Rüdfauf 
der Handfchrift vom Buchdruder als Mittelglied hineinzubenfen. 

1) Botzemo, a. a. O. p. 296: Monueram amicos, ne darent 
assem mea causa. Jam enim liber per multorum manus vagaba- 
tur, et post numeratam pecuniam erat illis in manu, ridere nos. 
Hinc stomachus illorum in me, quia fefellit praeda. 

2) ©. oben Rap. VII. 

3) Ulrichi ab Hutten cum Erasmo Roterodamo, Presbytero, 
Theologo. Expostulatio. Unter diefen Titelworten er ein bunfler Kreis 





278 IL. Buch. X. Kapitel. 


Sp wenig dem Erasmus, und zwar nicht erſt ſeit Hut 
ten's Aufenthalt zu Baſel, ſondern ſchon ſeit deſſen Briefen 
von Steckelberg und Ebernburg aus, ein Angriff von feine 
Seite unerwartet fein fonnte: fo fand er ſich doch durch bie 
Art, wie derfelbe ausgeführt war, betroffen. In ganz Deutid: 
land, fchrieb er an Pirckheimer !), bätte er fo viel Inhumas 
nität, Unverfchämtheit, Citelfeit und Gehäſſigkeit nicht ver 
mutbet, al8 die Eine Echrift von Hutten enthalte. Erfah 


mit der Umfchrift: M. Luther: P. Melan.: dann zwei etwas größte 
Kreife mit den Medaillonkildern von Erasmus und Hutten. Anf he 
legten Blatte Hutten’s großes Bruſtbild in Lorbeerkranz und Harald, 
das Schwert ziebend, mit der Unterfhrift: Jacta est alea.. S. Fang, 
©. 171 fg. Hutten war mit der NAusftattung der Schrift zufrieden 
Qui Expostulationem meam excudit, fehrieb er an Ich. Schott mh 
Straßburg, ohne au wiſſen, daß eben er ber Druder war, bonam de 
dit operam, ut vides; Dii gratiam habeant, quisquis est! Audio, 
curare quosdam, ut traducatur Teutonice: quodsi ita est, rogo, u 
optima fide excudas. Oth. Brunfelsii Resp. ad Spongiam Erasmi 
Opp. Hutteni IV, 532. Wirklich it noch im 93. 1523 eine derijſche 
Ueberſetzung erfchienen, f. Burckhard, Il, 246. Panzer, S. 178. Bu 
Grasmus Ep. DCLXXXVI von picturae odiosae fpricht, fann #4 
faum auf fein Bild vor ber Expostulatio beziehen, welches zwar fchleht, 
doch Feine Garicatur if, Sollte e8 auf die pictura seditiosa geben, d 
die Baalspfaffen in damaliger Prieftertracht und Erasmus im KHundflält 
dargeftellt waren? Die war aber einer Schrift Otto Brunfeliens beigegeben 
Erasmus Hedioni, Basil. 1524. Epist. DCCXXV., p. 844 fg. In Beyug af 
bie Ausſtattung von Hutten's Expost. ſchreibt Melauchthon an Oswald Uli 
anus (24. Aug. 1523, Corp. Ref. I, 627): Jam hoc accedit, quo mag® 
nos invisos faciat. quod Lutheri et meum nomen in fronte libei 
depinxit: quasi vero Hutteni yxvlav probemus nos. Wiederabgedr. RN 
Expost. in Opp. Hutteni, IV, 343— 394. Die Zeit der Griceinun 
der Schrift betreffend, fo gedenft Erasmus ihrer zum eritenmal am D. 
Juli in einem Brief an Pirckheimer, mit dem Zulage: Nondum saltl. 
an velim illi respondere. Opp. Pirckheimeri. p. 275. Dagega 
Schreibt Conrad Grebel aus Zürich ſchon am Margaretbentag (14. ul) 
an feinen Schwager Vadian nach St. Gallen: Adfertur Hutteni ilen 
Invectiva in Erasmunm. Vſpt. der dortigen Bibl. 

1) a. a. D., wo er auch fagt: Nihil minus exspectabam, quan 
hunc assultum ab Ilutteno. 








Hutten's Befchwerbeichrift und Erasmus’! Schwamm. 279 


in diefem cinen Undanfbaren, der ihm die wiederholten Em- 
pfehlungen an den Cardinal von Mainz und andre Yürften, 
die ehrenvollen Erwähnungen in Briefen und Schriften, bie 
wohlwollendfte Gefinnung, nun fo vergelte. Er ſchwankte, 
oder that Doch als ſchwankte er einen Yugenblid, ob er ant- 
worten folle: wie er denn aud feine Basler Freunde mit der, 
jeiner Berfiherung nach in ſechs Tagen vollendeten Gegen- 
ſchrift überrajchte, die er einen Ehwamm, zur Abwilchung 
von Hutten’d Anfprigungen, betitelte. *) 

Hutten’d Expostulatio ift eine, im Verhältniß zu ver 
Mehrzahl feiner übrigen Schriften ziemlih umfangreiche Ar⸗ 
beit, und Erasſsmus wollte feiner afiatiichen Redefülle mit 
lakoniſcher Kürze antworten: dabei wurde aber jeine Spongia 
beinahe noch einmal fo ftarf. So wollte er auh, Hutten's 
Leidenschaft gegenüber, jich mäßigen, ſich, wie ſchon der Ti⸗ 
tel feiner Schrift anzeigt, mehr nur abwehrend verhalten: 
aber die Abwehr führte ihn zu Ausfällen, die um fo fränfen- 
der waren, je mehr fie fich gegen den Charafter und Wan⸗ 
del des Gegners richteten; um fo graufamer, da fie fich des 
Spotted über fein Unglüd nicht enthielten, und dadurch nicht 
fchonender wurden, daß fie fi) meiſtens in bloße Anipielun- 
gen veritedten. Wir fuchen von beiden Schriften nach⸗ und 
zum Theil nebeneinander eine Vorftellung zu geben. 

Beide beginnen mit einer Auseinanderfegung der Vers 
anlafjung des Streited, indem Hutten, der Erasmiſchen Ents 
ftellung in dem Brief an Laurinus gegenüber, zu erhärten 


1) Spongia Erasmi adversus Adspergines Hutteni. Am Schluß: 
Basileae per Jo. Frobenium anno 1523 mense Septembri. Wieder: 
abgedr. in Opp. Hatteni ed. Münch, IV, 408—4%4. S. Banzer, 
©. 175 fg. Zu beiden Segenfchriften vergl. Ulrich von Hutten gegen 
Def. Erasmus und Def. Erasmus gegen U. v. Hutten. Zwei Streits 
fchriften aus dem 16. Jahrhundert. Aus dem Lat. überfegt, mit hiſtor. 
Notizen verjehen und beurtheilt von Dr. Joh. Jak. Stolz ıc. Aarau 1813. 





280 IL Buch. X. Kapitel. 


fucht, daß des Erasmus Benehmen bei feinem Aufenthalt in 
Bafel wirkliche Beleidigung eines treuen Freundes und Ver⸗ 
ehrers geweſen fei; wogegen Erasmus erweiſen zu fönnen 
glaubt, bei jener Gelegenheit die Pflichten der Freundſchaft 
und Humantität in feiner Weile verlegt zu haben. Diefer 
Beweis gelingt ihm nicht; denn, wenn man auch fehr wohl 
einfieht, daß ihm in feiner Stellung, bei feiner Denk⸗ und 
Gemüthsart, eine Berührung mit Hutten in jenem Zeitpunkte 
nicht erwünfcht fein, vielleicht jelbft nachtheilig werben konnte, 
fo war ja eben bier ein Hall, wo eine höhere Pflicht die Ab⸗ 
neigung zu überwinden und die Klugheitsrückſichten bei Seite 
zu feßen gebot. Wenn Hutten dem Erasmus zuruft, nicht 
anders als wie ein höheres Weſen habe er ihn ſtets verehrt, 
gegen jeden feiner Feinde fei er immer fogleich zu Felde ge 
zogen, und jener balte ihn jet nicht einmal einer Unterredung 
werth, verfchließe ihm aus Furcht vor den elendeften Men⸗ 
fhen die Thür: fo hatte Erasmus nichts vorzubringen, was 
der Wirkung folder Vorwürfe begegnen konnte. 

AS eine Art von Seitenftüd, ald eine von Hutten er- 
littene Kränfung, über die er auch viel Aufhebens hätte 
machen fönnen, ſucht Erasmus eine Indiscretion geltend zu 
machen, die ſich Hutten vor Jahren gegen ihn hatte zu Schuls 
den fommen laflen. Im Jahr 1519 hatte Erasmus den oben 
erwähnten Brief an den Erzbifchof Albrecht von Mainz ge- 
ſchrieben, in welchem ex Luther, ohne deſſen Sadıe vertreten 
zu wollen, gegen die Berfegerung von Seiten der Löwener 
Theologen in Schug nahm. ). Dielen Brief hatte er in 
Umfchlag an Hutten gefchidt, mit dem NAuftrage, denfelben, 
je nachdem er es paflend finde, zu übergeben ober zu ver 
nichten. Statt defien ließ Hutten den Brief eilends druden. 


1) Es iR ber Brief No. CCCCLVII, p. 513 fg. der Lendener Ausg. 
». 1706. 











Hutten’e Beichwerbefchrift wider Erasmus. 281 


Ratürlich machte er ein Auffehen, das weder dem Erzbifchof 
nody dem Erasmus lieb fein konnte. Erſterer, dem erft ein 
Bierteljahr fpäter auf feine Rachfrage der handfchriftliche Brief, 
zerriffen und von der Druderei befhmust, zu Handen fam, 
befchwerte ſich; Erasmus berichtete ihm zu feiner Entſchuldi⸗ 
gung, wie es zugegangen *), und ftellte, als er Hutten wieder 
ſah, diefen zur Rede, der nun mit beſchaͤmtem Lächeln (ers 
zählt Erasmus) die Thatfache zugeftand, aber auf die Nach⸗ 
läffigfeit der Schreiber fchob.?2) Eine ädyt Hutten’fche In⸗ 
diöcretion, wie gefagt, zu dem Zwecke, der Sache Luther's 
Vorſchub zu thun, und wohl auch den Erasmus vorwärts zu 
ſchieben; Diefem begreiflichermeife böchft unangenehm: uber mit 
ber Kränfung, um deren willen jet Hutten mit ihm rech⸗ 
tete, nicht zu vergleichen. 

Dod die perjönlihe Beleidigung, fährt Hutten fort, 
möchte er wohl mit Stillichweigen übergangen haben, wenn 
nicht immer mehr auch ded Erasmus Abfall von der Sadye 
ded Evangeliums fich herausgeftellt hätte, am deutlichſten in 
dem Brief an Laurinus. In diefem liege nun unläugbar 
ver, daß er entweder feinen Sinn jchmählidy geändert habe, 
oder daß er jegt aus Menfchenfurdht ſchmaͤhlich heuchle. Was 
mag die Triebfeder folchen Abfalls fein? fragt ſich Hutten. 
Neid auf Luther's Ruhm? Fleinmütbige Yurdyt vor der Ge⸗ 
genpartei? Beftehung? Oder hätte fih Erasmus wirklich 
eined Andern überzeugt? — Für die tieffte Duelle des Uebels 
fieht Hutten jedenfalls den Kleinmuth an, der ihm von jeher 
an Erasmus mißfallen bat. Die VBerfhwörung fo vieler 
Fürften gegen die Sache des Evangeliums, meint Hutten, 
läßt ihn am Erfolge verzweifeln, und fo findet er rväthlich, 
ſich von derfelben loszufagen, und fi um die Gunſt jener 


1) Epist. DXXXV, p. 584. 
2) Spongia, p. 478. 





282 : U. Buch. X. Kapitel. 


Fürften auf jede Weile zu bewerben. Freundlich "von ihnen 
aufgenommen und belobt, will er fie doch der Sicherheit 
wegen erft durch einen Dienft fich verpflichten; wozu ihm am 
paffendften fcheint, was jene längft von ihm verlangten, gegen 
die Lutheraner zu fehreiben. Daß er damit gleich von Ans 
fange fo hart auftritt (in dem Brief an Laurin) ift darauf 
berechnet, dieſe zu fchreden, damit fie fi) um jo eher ergeben 
follen; denn gelänge ed, fie hiezu zu bringen, fo wäre ihm 
viel Ruhm und Gunft gewiß. Aber feine Rechnung, meint 
Hutten, könnte ihn täufchen. Daß die Mächtigen fo eifrig 
um feinen Beiftand werben, beweist, daß Doch noch Gefahr 
bei der Sache ift: für Erasmus Gefahr nicht für fein Leben, 
doch für feinen Ruhm. Längit hat feine Wandelbarfeit Miß⸗ 
fallen erregt; doch, fo lange fie fi auf Nebenſachen bezog, 
hat man fie feinen übrigen Vorzügen zu Gute gehalten. 
Wenn man aber nun fehen wird, in welcher bedeutenden Ans 
gelegenheit er feinen Schwachheiten und Neigungen nachgibt, 
wie groß wird die Entrüftung fein!) 

Sofort geht Hutten auf die einzelnen Punkte ein, über 
welche er den Erasmus, wenn er ihn in Bafel zu fprechen 
befommen hätte, gerne mündlich zur Rede geftellt haben 
würde, nun fchriftlich und öffentlich zur Rede ftelt. Zum 
Theil find fie mehr perfönlicher Art: daß Erasmus in einis 
gen feiner neuern Schriften Hutten’d mißliebige Erwähnung 
gethan, deſſen Freunde gefehmäht, deſſen Feinde gelobt habe. 
So in einem Schreiben an den Kegermeifter Hochſtraten, in 
welhem Erasmus der bittern Briefe von Reuchlin, Nuenar, 
Buſch und Hutten an denfelben mit der diplomatiichen Wen⸗ 
dung gedacht hatte, er babe fehr bedauert, daß Hochftraten 
durch vorausgegungene gleichfalls höchft bittere Schriften jene 
zu ſolchem Unmaß gereizt, und dadurch ehrenwerthen Männern 


1) Expostulatio, a. a. O., p. 347. ig. 





Hutten’s Befchwerdefchrift wider Erasmus. 283 


Anlaß gegeben habe, zu denken, jene bittern Dinge feien ihm 
nicht unverdient gefagt worden. Hier ift nun Hutten außer 
fich, gleicherweife Darüber, daß fein Zorm gegen Hodftruten, 
den Erasmus einft gebilligt, diefem jetzt zu viel ift, wie über 
die glimpfliche, beinahe fchmeichelhafte Art, in der Erasmus 
mit einem Scheuſal wie Hochſtraten, das er felbft früher für 
ein ſolches erklärt hat, zu Werke geht. 1) Sieht man den 
angefchuldigten Brief felbjt an), fo findet man, daß Eras⸗ 
mus dem Hochftraten in der feinften Art, und zum Theil 
mit fügen Worten, doch höchft bittere Wahrheiten fagt; ober 
etwa, fragt er jebt den Ritter, auf gut Huttenifh fo an 
jenen hätte fchreiben follen: Unfläthige Eloafe, du erfrechft 
dich, große Männer mit deinen Eh... bühern zu be 
jhmigen?®) In vielen Fällen freilih weiß Erasmus feine 
nad allen Seiten hin verichwendeten Schmeicheleien nur duch 
Spisfindigfeiten zu rechtfertigen, und auch wir fünnen une 
eines widrigen Eindruds von denfelben um fo weniger er- 
wehren, ald wir meijtend aus fonftigen Aeußerungen des 
Erasmus wilfen, daß er über die fo gefchmeichelten Perſön⸗ 
lichkeiten für fih ganz andere dachte. Er hatte den Grund⸗ 
fat, daß man feinedwegs gehalten fei, überall und immer 
die Wahrheit zu fügen, ja in manchen Fällen fei es Pflicht, 
fie zu verfchweigen: Hutten weiß feinen Abfcheu vor reinem 


1) Expost., p. 852 fg. 

2) Ep. CCCCLII, p. 484 fg. Antverpiae 11. August 1519. 

3) Spong., p. 418: Spurcissima latrina, tun’ audes, viros he- 
roas tuis merdosis libellis aspergere? In ähnlicher Weife läßt Eras⸗ 
mus den offenherzigen Ritter, im Wall er von einem fchlimmen Bapite 
für einen rechtſchaffenen Mann eine geiftliche Stelle erbitten wollte, fo 
an benfelben fchreiben (p. 466): Impie Antichriste, extinctor Evan- 
gelii, publicae libertatis oppressor, adulator principum, tot sacer- 
dotia turpibus turpiter donas ac turpius vendis: da huic bono, viro 
hoc sacerdotium, ne male colloces omnia. 





284 1. Buch. X. Kapitel. 


folden Grundfage (dem er als Humanift felbft bisweilen 
gehuldigt hatte) nicht flarf genug auszudrücken): durch 
dieſe Starrheit aber hatte er fih aus allen Berhältnifien der 
Wirklichkeit herausgefegt; während Erasmus, um gegen biefe 
in feinem Wirken auf Feiner Seite zu verftoßen, nicht felten 
Wahrheit und Würde aus den Augen verlor. So ttehen fidy 
in diefem Streite immer zwei ganze Menfchen, zwei gefchloffene 
Standpunfte entgegen, deren jeder feine einfeitige Berechti⸗ 
gung hat, aber eben durch diefe Einfeitigkeit der Schuld und 
dem Scidfale verfällt. 

Doc nicht nur Feinde Hutten’d und der fhönen Wiſſen⸗ 
haften follte Erasmus gelobt, audy Freunde deflelben anges 
fhwärzt haben, vor Allem den damals fürzlidy verftorbenen 
Reuchlin. Hier macht nun wirklich Hutten aus einer Fliege 
einen Elephantn. Daß Erasmus im Hebräifchen Capito 
über den alten Meifter geftellt, wird aus feinem Neid unb 
Werger darüber, daß man Reuchlin und ihn als bie beiden 
Augen Deutichlande zufammenzuftellen pflegte, hergeleitet; 
über die ohne Zweifel ganz wahrheitsgemäße Notiz aber, die 
Erasmus dem Erzbifchof von Rocheſter in einem Briefe gab, 
daß Reuchlin bei der vorübergehenden Wiederfunft des vers 
triebenen Herzogs Ulrich im Sommer 1519 einigen Stutt⸗ 
garter Bürgern, denen er erft verjprochen gehabt, mit ihnen 
nad) Eßlingen auszumandern, nachher nicht Wort gehalten 
habe, wird er wie über die fchmwärzefte Verläumdung weit 
läufig und drohend zur Rede geftellt. 2). 

Den Kern der Hutten’fchen Anflage gegen Erasmus jes 
body bildet die Stellung, welche diefer zu Luther und deſſen 
Sache genommen hatte. O des unwürdigen Schaufpiels! 


- — —⸗ — — — 


1) Expost. p. 855, vgl. z. B. mit Erasmi Epist. ad Campegium, 
Lovan. 1520. Ep. DXLVII, 594 fy. 

3) Expost., p. 858 fg. Spong.. p. 424 fg. Epist. CCCCXLIX, 
p. 481. 





Hutten's Beſchwerdeſchrift wider Srasmus. 285 


ruft hier Hutten aus. Erasmus hat ſich dem Papſt ergeden. 
Bon ihm hat er den Auftrag, dem Anſehen des apoftoliichen 
Stuhles nichts geichehen zu laſſen. Das ift wie Hercules 
im Dienfte der Omphale. Welchen verworfenen, verächtlichen 
Menſchen hat er ſich damit in Dienft gegeben! Und er bat 
ihon den Krieg eröffnet, Ichon eine Wunde verſetzt. Welche 
Umwandlung! „Du“, redet ihn Hutten an, „der noch jüngft 
die begrabene Froͤmmigkeit wieder ausgrub, das Evangelium 
aus dem Winfel an das Licht zurüdführte und die Religion 
wiebderherftellte, du leihft jest zu deren Zerftörung, Bertrei- 
bung, Niederwerfung, Bernichtung deine Hand.” Ob er 
noch bei Sinnen ſei? Um die Gründe folder Handlungs- 
weife befragt, gebe Erasmus jelbft, nicht Mipfallen an der 
Sade, fondern das Andringen eines Aleander und Glapion, 
eines Wilhelm von Montjoie und Herzogs Georg von Sad: 
fen an; feldft der Kaifer, bringe er vor, habe ihn zur Wider: 
legung Luther's für den Geeignetften gehalten. „Da fieht 
man”, ruft Hutten ihm zu (und diefe Worte trafen eine der 
‚verderblichften Schwächen des Erasmus), „da fiehbt man, wie 
es dir wohlthut, dich Kigelt, wenn große Herren dich grüßen, 
dich vertraulih anreden, dir ihren großartigen Dunft, ihre 
fürftlihen Poflen vormaden, in ihrem Hofprunfe mit frei- 
willigen Gnaden dir entgegenfommen. Wareſt du nicht lü⸗ 
ftern nach ſolchem Zeuge, fo hätten Dir jene vergeblich Fallen 
geftellt, und nie hätte man dich von und abwendig gemadıt, 
wenn du nicht eine große Ehre für dich darin fändeft, daß 
die verlafiene römiſche Curie auf die Nachricht von deinem 
Uebertritte wie von fchwerem Drude wieder aufathmet.‘‘ i) 
Doch für feine Treue gegen den römifchen Stuhl gebe 
Erasmus den Grund an, daß die römifche Kirche die katho⸗ 
liſche Kirche fi. „Ich will auf der Stelle verloren fein an 


1) Expost., p. 369 fg. 





I. Buch. X. Kapitel. 


IS 


yeb und Seele”, ruft hier Hutten aus, „wenn bu nicht fehr 
aut weißt, welch großer Unterſchied zwiſchen der katholiſch 
Ipoſtoliſchen und dieſer römiſchen Kirche if.” Wo wäre Die 
gottliche apoſtoliſche Echrift, in welcher jtünde, daß zu Rom 
eine Kirche jei, Die Der übrigen Haupt fein und einen Biſchof 
haben elle, der Die andern tyrannijiren, das Evangelium ab- 
andern dürfe; Der bei aller Schlechtigkeit heilig genannt wer: 
pen miles Dem es zuftehe, über die Reiche der Welt zu ver- 
ſugen und Den Himmel zu verkaufen? Erasmus fage, jeder 
Kremme fei Dem Papſte hold. Im Gegentbeil, meint Huts 
en, fein Frommer fönne demjenigen bold fein, deſſen ganzes 
Weſen Gleisnerei ift, mit der feine wahre Frömmigkeit be: 
achten fann. ') 

An Luther jege Erasmus fein hochfahrendes Weſen und 
wine maßloſe Schmähſucht uus. Allein felbit wenn ihm dieſe 
weeniuh aur Laſt file, entgegnet Hutten, fo ginge das bie 
Sade des Evangeliums nichts an. Auch an einzelnen Lch- 
we dehelben möge Erasmus immer mäkeln. Frage man ihn 
aufo Gewiſſen, was es Doc ſei, Das den Papit an 
aan Ne ſehr verdrieße, daß er ihn durchaus todt haben 
ut Ne werde Erasſsmus ſelbſt antworten müſſen: Das, 
Not a. nidt zuerſt, doch am gewaltigſten der päpftlichen Ty⸗ 
Daan A widerſezt babe; Daß er Den Menſchenſatzungen ihr 
ya gegen, Den päpitliben Trug der Welt offenbar 

ne Macht Der Bullen vernichtet, Dem Ablag und 
Spiegelfechtereien Deutſchland verſchloſſen habe. 

Zn Tu babe er, Hutten, ſchon vor Luther befümpft; 
u ia ORTE fein Lehrer geweien, noch handeln fie jet 
— iß, ſondern jeder treibe fein Geſchaͤft für fic: 
— mama Sitte geworden, daß jeder Feind Der päpft- 
—— ———q— und Freund des Evangeliums Luthe⸗ 


— * sl 19. 











Hutten's Befchwerbefchrift wider Erasmus. 287 


raner heiße, jo laſſe er fidy lieber durch diefe Benennung Uns 
recht thun, um nicht Durch Ablehnung derfelben den Schein 
zu erregen, ald wollte er dad Bekennmiß der Sache verläug- 
nen. !) In diefem Sinne aber fei auch Erasmus ein Luthe⸗ 
raner, und um fo mehr, ba er berebter als irgend Einer, 
ehe noch die Welt von Hutten oder Luther etwas gewußt, 
ganz auf daffelbe hingearbeitet habe. Davon wolle er zwar 
nicht8 mehr wiflen: aber, wenn nicht der größere Theil ſei⸗ 
ner Schriften vernichtet werde, müfle Jeder, ber auf bie 
Sache felbft, und nicht auf Worte achte, ihn zu diefer Bars 
tei rechnen, Die er jegt befämpfe, die aber Hutten, auch gegen 
ihn, vertheidigen werde. Leptered thue er ungern: „doch“, 
erklärt er, „weil du lieber bei Jenen fchmarogen, als mit mie 
der Pflicht getreu bleiben willft, jo muß ich's leiden, daß wir 
uns trennen. Magft du dort ein behagliched Leben führen, 
wo große Herren find, die dir Gefchenfe machen, und wenn 
du gegen Luther fchreiben wilft, Bisthüͤmer für Dich in Ber 
reitichaft halten und fette Pfründen dir abtreten: ich will hier 
in Gefahr ftehen, wo ernfte, rvechtichaffene, wahre, lautere, 
beftändige und freie Männer find, die fih durch feine Ger 
ichenfe bewegen, durch feine Ehren umftimmen, durch feine 
Gefahren -fchreden laſſen; denen Gerechtigkeit heilig, Treue 
unverlegli, die Religion Herzens⸗, die Wahrheit Gewiſſens⸗ 
ſache if. Was geben mid, die vielen Rüdfichten an, durch 
welche du Dich der römifchen Curie verbunden befennft! Ich 
werde ebenfo ſtandhaft um des gemeinen Nutzens willen jene 
Zwingherrfchaft befämpfen, als du um eignen Vortheils 
willen fie beharrlicy zu vertheidigen gebenfft. Und dabei werde 
ich leichtere Arbeit und ein freiered Gewiſſen haben, da id 
offen und einfach die Wahrheit fagen darf: während bu in 


1) p. 375: feram aequanimiter appellptionis injuriam, ne rei 
professionem abnegare videar. Eu 






















288 U, Bud, X. Kapitel. 


der übeln Stellung bift, erdichten, erfinden, exrjinnen, lüg 
und täufchen zu müſſen.“ ). 
Roh einmal wird dem Erasmus am Schluffe u 
müthe geführt, wie jehr er fich in feiner Rechnung auf& 
Erfolg feines Kampfes gegen Luther und auf die Du 
feit der Partei, in deren Dienft er getreten, täufchen 
Diefe Leute werden ihn mehr wie einen der jich ergeben hi 
wie einen Gefangenen, als wie einen Bundesgenoſſen 
nehmen. Sie meinen, mit Erasmus der Sache bei ii 
geliums ihre mächtigfte Stüge zu entziehen. Aber fie 
finden, daß die Wahrheit joldyer Stügen nicht bepür 
fie werden finden, daß auch nad) feinem Webertritt F 
fort und fort durch feine frühern Schriften für die Eadı 
Evangeliums und gegen die römische Tyrannei kämpfen 
Das werden ihm die Romaniften nie verzeihen. Stets # 
den fie ihn als denjenigen haſſen, der ihnen die erite 2 
geichlagen habe. So verliere er auf der eimen Seite 
Dank, ald er auf der andern gewinne, Er bringe ihn 
feinen frühern wahren Ruhm, ohne neuen erwerben m 
nen. Selbft wenn er mit feinen neuen Bundesgenofien | 
gen follte, würde ed ein trauriger Sieg für ihm fein. 
weiß ed wohl, und jagt ed auch jelbft, daß mit ber I 
drüdung der Lutheriichen Partei auch Vieles von vemjenil 
wofür er gewirkt und geftrebt, unterdrüdt werben ill 
Und dennoch kämpft er gegen fie! Für Hutten ift aM 
Gegenſtand des Mitleivend.?) Auch die übrigen Luther 
beflagen jeinen Uebertritt mehr um feiner, ald um ihrelm 
denen er nichts jchaden kann. Sie fehen dem Kampfe‘ 
ihm getroft entgegen, um fo mehr, da der frühere Eradmk 
felbft in ihren Reihen gegen den jegigen ftreiten wird. ’) 





1) Expost., p. 373 — 376. 
2) Miseret me tui, p. 388. 
3) Expost,, p. 382 fg. 





Erasmus‘ Schwaum. 289 


Wir haben Hutten ald den Kläger ausreden lafien, um 
nun aud die Vertheidigung und Widerklage des Erasmus 
im Zufammenhange zu vernehmen. Hutten befchuldige ihn, 
fagt er, früher fei er der Lutheriichen Partei zugethban gewe⸗ 
jen, jegt befämpfe er die Sache des Evangeliums. Eines 
fei fo falfh wie da8 Andere. Im Gegentheil: von jeher fei 
er jener Partei abgeneigt gewejen, und nie habe er aufgehört, 
ein reblicher Förderer der Sache des Evangeliums zu fein. 
Parteimann fei er überhaupt nicht; dazu fei ihm feine Unab⸗ 
hängigfeit zu lieb. Daß er von der Lutheriichen Partei nichts 
wiffen wolle, habe er dem Ritter vor drei Jahren bei ihrer 
Unterredung in Löwen ſelbſt gefügt. Der ganze Handel fe 
wider feinen Rath) angefangen worden. Gleid Anfangs habe 
er erflärt, er vermiſſe an Luther evangeliiche Beſcheidenheit 
und Milde, Habe jeine Hartmädigkeit im Behaupten getabelt, 
. an dem Geifte, der ihn treibe, Zweifel geäußert. Diefe Aus⸗ 
ftellungen feien durch die Schriften, die Luther ſeitdem aus⸗ 
geben laften, immer mehr beftätigt worden. Da er fidh in 
diefem Sinne von vorne herein über Luther ausdgefprochen, 
fo wifle er fi) hierin feiner Wandelbarkeit ſchuldig. *) 

Ebenfowenig in feinen Weußerungen über den römifchen 
Stuhl. Paͤpſtliche Tyrannei und Raubſucht, worüber bie 
Klagen ſchon fo alt, habe er nie in Schuß genonımen. Den 
Ablap fo wenig in Baufh und Bogen verworfen, ald den 
ſchmaͤhlichen Handel damit gutgeheißen. Die Erflärungen 
feiner Ergebenheit gegen Rom, aus denen ihm Nutten ein 
Berbrechen mache, feien, in feinem Sinne verftanden, durchs. 
aus unverfänglich. Ja, er habe gejagt, er werde. von dem 
römijchen Stuhle niemals weichen. Aber nur fo lange biejer 
nicht von Chrijto weichen werde. Er babe gelagt, jeder 
Fromme ſei dem Papſte hold. Allein ven Papſte hold jet, 

1) Spongia, a. a. T., p. 441 fy. 

Strauß, Hutien. U. 19 





290 Il. Buch. X. Kapitel, 


wer ihn gerne mit apoftolifchen Tugenden geziert jähe; man 
fönne den Leo (der war todt) haflen, und doch den Pak 
lieben; wer es mit ben Unthaten der ‘Päpfte halte, der mein 
ed nicht gut mit dem Papfte ſelbſt. ) Das find nun frei 
bloße Worte. Denn eben die Erfahrung war Damals sch 
geworden, daß das Verfehrte und Verderbliche im Weſen betr: 
Papſtthums felber liege; daß alfo auch ein zufällig beflere 
Individuum, das in die Stellung eined Papftes komme (wik’ 
etwa der damalige Papft Adrian VI., auf den fi Eratam: 
auch berief), entweder durch diefelbe ververbt, oder doch fe ger! 
bunden werde, daß feine perfönlichen Vorzüge dem Infitie: 
felbft und der. Welt nicht zu Gute kommen. 4 
Unter den Dingen, welche dem Erasmus an der Refaiad 
mation mißfielen, ftanden natürlich Die Streitigkeiten und Une 
ruhen, die fie mit fich führte, oben an. Hutten wies Dagegen 
auf das Wort Chrifti hin, daß er nicht den Frieden, ſonden 
das Schwert und Entzweiung bringe; erinnerte, daß die Sch 
diefer Unruhen auf Diejenigen falle, welche das Evangelien 
nicht leiden wollen; und meinte, auf die Frage, was befah 
fei, die Unruhen in den Kauf zu nehmen, oder, um fe 
vermeiden, Die Unterdrüdung des Evangeliums ſich gefalke | 
zu laffen, könne die Antwort nicht zweifelhaft fein.*) Me 
Erasmus glaubte Mittel und Wege zu wiffen, wie die Sait 
des Evangeliums ohne Tumult durchgeführt werben fünf 
er wartete nur, bis ihn Fürften und Gelehrte um fein Geh* 
achten angehen würden. Doch ganz hielt er mit feinen Rad 
ſchlaͤgen aud jest ſchon nicht zurüd. Auf beiden Seiten ſch 
er Uebertreibung. Wozu es führen folle, wenn der eine The: 
nur nod) von Unruhen, Zanf und Schwähungen, der ande! 
nur von Bannbullen und Scheiterhaufen wifien wolle? Bee! 


—— — — — —— — 


1) Spong., p. 452 fg., 458 fg. 
2) Expost., p. 376 fg. 





















Erasmus’ Schwamm. | 291 


Theile follen ſich in einander fchiden. In allen alten und 
Hauptartifeln des chriftlichen Glaubens und Lebens fei man 
ja einig. Der Streit betreffe größtentheild nur gewiffe Pas 
radoren, die theild unverftändlich, theils unweſentlich feien. 
Darum follten die geiftlihen und weltlichen Machthaber ihre 
Leidenfchaften und ihren Privatvortheil dem Gemeinwohl und 
ber Ehre Chriſti nachfegen, und auch aus geringem Munde 
Belehrung annehmen. Die Gelehrten aber follten, ohne Zank 
und Schmähungen, über die Beilegung des Zwiefpalted und 
das Beſte der Chriftenheit verhandeln, und die Ergebniffe 
diefer Verhandlungen in geheimen Briefen dem Papſt 
und dem Kaifer zur Kenntniß bringen!) — Alſo das 
war das Erasmiſche Arcanum: erft die ganz begründete, nur . 
leider in alten Zeiten der Bewegung vollfommen wirfungds 
lofe Predigt der Mäßigung nad) beiden Seiten; dann ein 
Vorſchlag, der fo kindiſch ift, daß man glauben müßte, Eras⸗ 
mus habe felbft im Stillen über venfelben gelächelt, wüßte 
man nicht, wie die Furcht vor Nevolutionen die Flügften 
Männer feiner Art über das Unzureihende der Mittel, bie 
fie dagegen in Vorſchlag bringen, zu verblenden pflegt. 

Als feinen Lebensberuf erfennt Erasmus die Beförderung 
der beſſern Wifjenichaften, die Erneuerung einer einfachen, 
reineren Theologie: und Dafür werde er Zeitlebens wirken, 
ob es Luthern lieb oder leid fei, den er für einen Menfchen 
halte, der irren und Andre irre führen könne. Auch Hutten gebe 
ja nur ungern zu, daß man ihn Lutheraner nenne, und ins 
fofern mit Recht, als Luther felbft ihn nicht anerfenne. Ja, 
er müßte fich fehr täufchen, wenn diefem nicht, ein Gegner 
wie Erasmus lieber wäre, ald ein. Anhänger wie Hutten. 
Damit ift wohl nody mehr gemeint, ald was Erasmus an 
einer andern Stelle fagt, feine Zurüdhaltung fchade der Sache 


1) Spong., 445 fg., 488 ig. | 
19 * 

















Erasmus' Schwamm. . 293 


- Beute und Plünderung zu thun ſei. Diefe erkenne Luther 
nicht an, wie denn auch ihre Lehrfäge von den jeinigen fehr 
verfchieden feien, nämlich diefe: wer einigen Adel vorwenden 
fönne, der habe das Recht, einen Wanderer auf offener Straße 
anzufallen und entweder zu berauben, oder gefangen wegzu⸗ 
führen; dad Recht, wenn er fein Geld bei Wein, Dirrien 
und Spiel durchgebradht, Jedem Fehde anzufündigen, von 
dem er etwas gewinnen zu fönnen glaube. Vielleicht gebe 
e8 Einige, die, nachdem fie alled das Ihrige verjchwendet 
haben, fi nun als Lurheraner ftellen, um unter diefem Ti⸗ 
tel fih Gönner zu erwerben. Daß damit auf Hutten und 
Eppendorf gezielt, und außer frühern angeblichen Thaten des 
Erfteren, der Angriff Beider auf Erasmus gemeint ift, wäre 
Mar, wenn auch nicht an einer andern Stelle Erasmus ger 
radezu fagte, die Benennung eined Xutheranerd möge für 
Hutten jegt von Nugen fein, da fie allein ihm Schug und 
Nahrung verfchaffe. Y) 

Auch folgende Stelle ift voll verborgener Spigen gegen 
Hutten. Er ehe, jagt Erasmus, zwar viele Lutheraner, aber 
wenig Evangelifhe. Wenn Hutten Leute fenne, die, ftatt 
mit Wein, Dirnen und Würfelfpiel, fi durch Lefen der heil. 
Schrift und fronme Geſpraͤche ergeben ; welche Niemanden 
um das Geld, das fie ihm fchuldig, betrügen, fondern freie 
willig, was fie nicht fchuldig, den Dürftigen ſpenden; welche, 
ftatt Solche, die ihnen nichts zu Leide gethan, zu fchmähen, 
vielmehr auf das Scheltwort felbft eine verföhnliche Antwort 
geben; welche Niemanden Gewalt anthun oder androhen, fons 
dern jogar erlittened Unrecht mit Wohlthaten vergelten; welche 
jo wenig Unruhen erregen, daß fie im Gegentheil, wo fie 
fönnen, Eintracht und Frieden ftiften; welche ſich nicht felbft 
rühmen, nicht mit Verbrechen oder mit Thaten, die fie gar 


— 0. —- 


1) p. 444. 49. 453 fo. 





294 U. Bud. X. Kapitel. 


nit gethan haben, prahlen,. fondern das Lob auch ihrer 
guten Werke auf Chriftum übertragen: wenn Hutten dem 
Erasmus ſolche Evangeliſche zeige, fo werde er fich ihnen mit 
Freuden anfchließen. Aber fie feien, wenn es überhaupt der⸗ 
gleichen gebe, wenigſtens äußerft rar. 7) 

Gegen das Ende feiner Befchwerdeichrift hatte ſich Hut⸗ | 
tem der Wendung bedient, Erasmus gebe durdy feine Wan- 
delbarfeit und Unzuverläffigfeit der deutichen Jugend ein üble® 
Beifpiel, und Hutten werde daher Alle ermahnen, des Eras- 
mus Sitten zu fliehen, wie er immer gemahnt habe, feinen 
Studien nadjzueifern. 2) Gut, entgegnet diefer, jo möge Denn 
Die deutſche Jugend ſich Hutten's Sitten zum Mufter nehmen. 
Wie er an einer andern Stelle der Zumuthung Hutten’d an 
ihn, zu fchreien und die Lafter der Päpfte dem Volke zu vers 
fündigen, mit der Bemerkung begegnet war, er fei ſich zu 
tief feiner eigenen Yehler bewußt, un den Richter über fremde 
zu machen; aber Hutten möge fchreien, der Reine, dem feine 
Beichuldigung zurüdgegeben werden fönne. ?) Hiegegen kann 
.*8 faft noch harınlos erfcheinen, wenn Erasmus einmal fagt, 
während feines Aufenthaltes in Brabant habe er von feiner 
Armuth in Einem Jahre mehr an Studirende geipendet, ale 
gewiſſe Leute von ihren väterlichen Gütern beziehen; oder wenn 
er dem Hutten’fhen Vorwurfe gegenüber, daß er fi) durch 
Schmeichelei gegen Paͤpſte und Fürften zu fchüßen fuche, bes 
merkt: Hutten freilih habe Burgen und Wälle, Truppen 
und Büchſen, Rau, Feuer und Schwerter, Yehdebriefe und 
Kriege zu feinem Scuge; das alled gehe dem Erasmus 
ab. Zudem befige Hutten jetzt nichts mehr, wofür er zu 
fürdhten brauchte; vielleicht fei er darum jo tapfer. Er, Eras⸗ 


LT — — 


1) Spong., p. 455 fo. 
2) Expost., p. 887. 
3) Spong., p. 460. 468. 














Erasmus Schwamm. 295 


mus, das geftehe er, fürchte für feine Werfe, von denen auch 
Hutten bezeuge, daß fie in weiten Kreiſen nicht wenig Nupen 
ftiften. Er fpare fih auf, um ferner nügen zu Fönnen. !) 
In Betreff der Zueignungen feiner Bücher, die ihm von 
Hutten ald Geldjägerei vorgeworfen waren, erwiedert Erasmus, 
von Privaten habe er nicht einmal eine Dankſagung dafür 
‚angenommen , und von den Kürften haben ihm bie wenig- 
ften etwas dafür gegeben; gebettelt habe er bei Keinem. Unb 
body wäre es, in Betracht der Bebürftigfeit des menfchlichen 
Lebens, verzeihlicher, durch ehrlichen Fleiß auf die Freigebig⸗ 
feit der Fürſten Jagd zu maden, als von den Freunden zu 
‚entlehnen, was man ihnen nicht wiederzugeben, zu Faufen, 
was man nicht zu bezahlen gevenfe, oder durch Drohungen 
Geld non Solchen zu erpreflen, die nichts verjchuldet haben.?) 
Er wifle nicht, fagt Erasmus an einer andern Stelle, ob- 
der Verdacht Derjenigen ganz grundlos fei, welche behaupten, 
Hutten fei vom Ritter zum figenden Arbeiter geworben, und 
verfertige dergleichen Schriften, wie Die gegen ihn, auf den 
Erwerb, und zwar einen doppelten, .indem er fich erſt von 
den Beftellern für die Schrift, dann von Denen, gegen .bie 
fie gerichtet, dafür bezahlen lafle, daß fie nicht gebrudt werbe. 
Bereitd habe ihn auch, wie verlaute, (für feine Expostula- 
tio) der Buchdruder etwas bezahlt.) Es iſt merkwürdig, 
mit weldyem Eifer Hutten’d Vertheidiger gegen die Erasmi⸗ 
ſche Spongia, Otto Brunfeld, den legtern Punkt zu wider 
legen ſucht. Hutten habe den Druder feiner Streitfchrift gar 
"nicht gefannt, und dieſer könne befchwören, ihm nichts für 


1) Spong., p. 477. 457. 

2) Spong., p. 479. 

3) Spong., p. 486. Bgl. den Brief bes ——— an Pirckheimer 
vom 29. Auguſt 1523 (Opp. Pirckh., p. 276): Cum viderent, nihil 
extorqueri posse (ab amicis Erasmi) saltem a en voluerunt 
paululum abradere. 








296 I. Buch. X. Kapitel. 


diefelbe gejchenft zu haben. Doch, meint er, wenn dieß auch 
der Ball geweien, fo wäre daran immer nicht® Unrechtes. 
Ob man fi) denn für feine Arbeit nicht belohnen laſſen bürfe? 
und ob nicht Erasmus felbft zumeift von folchem Erwerbe 
lebe? Bekannt fei do, daß jein Verleger Froben ihn für 
mehr als 200 Fl. jährlich zu Baſel unterhalte. 1) Ebenfo 
eifrig widerfprah nun aber fofort Erasmus dieſer Angabe, 
durdy welche er feiner Ehre zu nahe gethan glaubte. 2) Daß 
ein Schriftfteller von Geſchenken und Penſionen der Großen 
lebe, die er ſich durch Dedicationen erfchmeichelt, fand man 
damals in der Ordnung: dagegen, vom Verleger ſich bezah⸗ 


— . 


(en zu lafien, galt für nicht ganz ehrenhaft. Es if eine 


Beſſerung ver PVerhältniffe, wie eine Berichtigung der Ber 
griffe, daß fich dieſes Urtheil feither umgefehrt hat. 

Seine Spongia eignete Erasmus in einem vorangefchid- 
ten Schreiben dem Zwingli zu, mit welchem er, obwohl mit 
feinem reformatorifchen Auftreten vielfach unzufrieden, doch 
immer noch in freundlichem Berfehre ftand, und zu dem fidh 
unterdeſſen Hutten von Mülhaufen aus (movon fogleich 
mehr) begeben hatte. Weil nach Zürich zuerft von Bafel aus 
das Gift (dad Hutten'ſche Libell) gebracht worden, fo habe 
es ihm paflend gejchienen, auch das Gegengift zuerft dorthin 
zu Ichiden. Dabei ließ er in einem Privatbriefe an Zmingli 
biefen feine Unzufriedenheit über die zwilchen ihm und Hut⸗ 
ten beftehende Verbindung merken, und machte ihn nicht un» 
deutlich für das Erfcheinen der Hutten’fchen Streitfchrift vers 
“ antwortlidh. ?) 


— — — — 


1) Resp. ad Spong. Opp. Hutteni, IV, 582. 

2) Jo. Caesario, Ep. DCCXIX, p. 841. Gasp. Hedioni, Ep. 
DCCXXV, p. 845 und öfter. 

3) Erasmus Zuinglio, Basil. prid. Cal. Sept. 1523. Opp. Zuinglii, 
VU,.309 fg. (nach allerlei Klagen über Hutten und jeine Schrift): Ni- 
hil moror illorum amicitiam, qui tali delectantur ingenio . ..... 








@indrud auf die Zeitgenofen. 297 


Obwohl wir auf den Zeitpunkt, in welchem die Eras⸗ 
mifhe Gegenfchrift erfchien, erft weiter unten zu fprechen 
fommen, jo fei doc, hier ein Wort über den Eindruck gefagt, 
welchen die beiden Schriften auf die Zeitgenoffen hervorbrach⸗ 
ten. Es war im Ganzen ein peinlider. Den Yeinden 
der wieberauflebenden Wifienfchaften, den Dunfelmännemn, 
meinte Erasmus nicht mit Unrecht, werde Hutten's Angriff 
auf ihn die größte Freude machen. Im Lager der Humanis 
ften wurde derfelbe ziemlich allgemein mißbilligt. Sogar Huts 
ten’d alter Bundesbruder Eoban Hefe wollte ihm denjelben 
nicht verzeihen. 1) So tiefgewurzelt war noch immer das An⸗ 
fehen des Erasmus. Unter den Evangeliihen waren zwar 
Manche, denen ed Freude machte, defien Zweideutigkeit end» 
lich entlarot zu fehen, denen Hutten's ſchroffer Freimuth befler, 
als feines Gegners vermittelnde Diplomatie zujagte.2) Aber 
"gerade in Luther's Umgebung mißbilligte man Hutten's Echrift. 
Nach allen Seiten bin jchrieb Melandhthon, man möge doch 
nicht glauben, daß er oder Luther an derſelben Gefallen fän- 
den. Ten Verleger Schott ftellte er.in einem überaus fchar- 


Quod Hilarius noster dixit, per te potuisse prenii libellum Hutteni, 
ex suo animo dixit, non ex meis mandatis. 

1) Joanni Draconi, Erfurdiae 1528. Hel. Eob. Hessi Epist. fa- 
milier. (L. IV), p. 87: Hutteni libellum non probamus, Lutherus, 
Philippus, Hessus: quanti tu facis hos triumviros, atque inter eos 
regem? cave sentias contra. Malam excilavit amicus noster tra- 
goediam. Apud me quidem excusat se, quod in Erasmum scrip- 
serit: verum hic ego nullam excusalionem accipio. 

2) Ambros. Blaurerus - Zuinglio. Constant. 27 Juli 1528. Opp. 
Zuingl., VII, 305: Hutteno, quem isthic esse audio, ıne diligenter 
commenda. Hujus Germanos animos illa, si quicquam aliud, re- 
cens edita cum Erasmo expostulatio nobis et festiviter et proxime 
refert..... Nicol. Gerbellius ad Jo. Schwebelium (Centuria Epistolar. 
philologicur. Bipont. 1597, p. 56; nachdem er berichtet hat, daß Manche 
ihn beſchuldigen, den Drud der Expost. veranlaßt zu haben): .. quan- 
quam quid esset tandem Nlagitii, si dissimmulantem tam diu impie- 
tatem quoquo modo evocassem? id quod Spongia Erasımi declarat. 





298 - 1. Bud. X. Kapitel, 


fen Schreiben wegen des Druds zur Rede. Wenn auch das 
Benehmen des Erasmus der Reformation gegenüber manchem 
Tadel unterliege, meint Melandıtbon, fo hätte man Doch, in 
Betracht feiner Verbienfte und feines Alters, ein Auge zus 
drüden ſollen. Auch aus Klugheitsrüdfichten hätte man dieß 
thun follen, da eine foldye Herausforderung nur dazu Dienen 
fönne, theild den Erasmus noch mehr gegen die Evanges 
tifchen zu erbittern, theild diefen in weiten Kreilen Haß zuwege 
zu bringen. ') 

Doc beinahe feheint es, daß auch Solche, die mit der 
Hutten’fchen Schrift Anfangs fehr unzufrieden geweſen waren, 
nach dem Ericheinen der Erasmifchen Gegenſchrift milder über 
jene zu denfen anfingen. Die Heftigfeit des Angriffs erfchien 
harmlos, wenn man fle mit den Tüden der Abwehr verglich. 
„Ich wollte”, fchrieb Luther über beide Bücher, „daß Hut⸗ 
ten feine Beſchwerde geführt, noch viel weniger aber, daß 
Erasmus fie abgewilcht hätte. Wenn das mit dem Schwamm 
abwifchen heißt, was if dann Schmähen und Läflen?”®) 


1) Spalatino, 1523. Corp. Ref. ed. Bretschn., I, 626: Est huc 
allatus Hutteni libellus: D. Martinus, opinor, misit ad te: nihil nisi 
mera-ouxopavria. Tametsi nonnihil hanc' causam laeserit Erasmus, 
tamen aequum fuerat, dissimulare: certe Hutteni nihil retulit, tam 
acerba oratione invehi in hominem grandem natu et bene de stu- 
diis meritum. Joach. Camerario, 23. Aug. 1523, a. a. O. p. 667: 

. nostro periculo furit. Quanta nos invidia onerat apud ommes 
bonos, et provocat Erasmum, in nos, ut videtur, vehementius 
saeviturum, quam in illum rtupp&pov. Osw. Uliano, 24. Aug., a. a. O.: 
.. quasi vero Hutteni pavlav probemus nos ... Tu . . fac, ex meis 
literis et ipse (Hummelbergius) et alii intelligant, alienissimos esse 
nos ab Hutteni consilio. 

2) An Nicol. Hausmann, 1. Oct. 1523. Briefe, herausg. von be 
Wette, II, 411: Equidem Huttenum nollem expostulasse, multo 
minus Erasmum extersisse. Si. hoc est spongia abstergere, quid 
est maledicere et conviciari? Aehnlich in dem Brief an Erasmus 
felbR vom folgenden Jahre, bei de Wette, II, 499. Opp. Hutteni, ed. 
Münch, IV, 567. 2gl. auch Joach. Camerar. Vita Melanchth. ed. 
Strobel, p. 90. 














Dtto Brunfele für Huttn. 2% 


Sicher hatte damit Luther den — der Zeitgenoſſen aus 
der Seele geſprochen. 
Bald rührten fih (va Hutten inzwifchen vom Schau⸗ 
platze abgetreten war) auch Federn zu ſeiner Vertheidigung. 
Der feurige Hermann von dem Buſche ging mit einer Schrift 
gegen den Schwamm des Erasmus um, die aber, wie die⸗ 
ſer meinte, auf Melanchthon's Abmahnung hin, nicht zur 
Ausführung kam.) Ohne Zweifel wäre fie beſſer gerathen 
al die des Dtto Brunfeld, den zur Bertheidigung feines 
Beihügerd Dankbarkeit und evangeliicher Eifer trieb, auch 
perfönlihe Bekanntſchaft befähigte, während er an Geiſt beis 
den Männern, in deren Streit er ſich mifchte, allzu uneben- 
bürtig war. Seine Schrift?) ift in einer Art von Geſpraͤchs⸗ 
form abgefaßt, indem jededmal erſt eine herausgerifiene Stelle 
aus der Spongia unter dem Namen des Erasmus angeführt, 
dann unter dem Namen Dtto beantwortet wird. Es ift eine 
wohlgemeinte, gewilfenhafte Arbeit, der wir insbefondre auch 
manche ſchaͤtzbare biographiſche Rotiz über Hutten verbanfen; 
bie aber zwifchen den zwei Schriften, auf die fie Bezug nimmt, 
nicht blos durch ihr ſchlechtes Latein eine Hägliche Figur madıt. 
Sondern, während Hutten und Erasmus auf dem freien 
Belde ded Humanismus kämpfen, in dem weiten Geſichts⸗ 
freife des DBernünftigen, Rechten und Schicklichen fich orien» 


1) Erasmi epist. ad Goclenium ‚vor ber Londoner Ausg. at 
Briefe. - 

2) Othonis Brunfelsii pro Ulricho Hutteno defuncto ad Erasmi 
Roter. Spongiam Responsio. Hinter einer neuen Ausgabe der Expost. 
in 8., mit denfelben Mebaillonbildern von Hutten und Erasmus wie bie 
erfte, nur daB das lebtere auf dem letzten Blatte ſteht. Wiederabgedr. 
bei Münch, IV, 497 — 549. Ball. Banzer, S. 172 fg. Erasmus fagt 
von diefer Schrift, Epist. ad N. de la Rosche, No. DCLXXIII, p. 
792: Post hunc (Hutten.) exortus est alius, illo tum indoctior tum 
rabiosior, cui nondum respondimus: et consultius arbitror negli- 
gere, quandoquidem audio, non paucos alios accinctos ad hujus- 
modi vipercos libellos in me jaciendos. 





300 1. Buch. X. Kapitel. 


tiren, zeigt ſich Brunfels bereit8 in den Horizont einer bios 
. religiöfen, ja confeffionellen Denfart gebannt. Es fehlte nur 
noch, daß, wie fofort von Erasmus Alber geſchah, die Eras- 
mifche Streitfchrift ausdrücklich nach ihrem Verhaͤltniß zu ber 
Lehre Luther's geprüft, mithin an einem Maßftabe gemefien 
wurde, welcher‘ der denkbar unpaflendfte zur -ihrer Beurtheis 
lung war. !) 

So verengte ſich der Geift der Zeit: aber dieſes ſich Ver⸗ 
engen war zugleich ein fi Zufammennehmen, und zufammen- 
nehmen mußte er fich, um feine Aufgabe zu löfen. Der Humanis⸗ 
mus war weitherzig, aber auch mattherzig, wie wir an feinem Ans 
dern deutlicher fehen ald an Erasmus: er hätte die Umbildung 
der Zeit nicht durchgeſezt. Luther war engherziger, befchränfter 
al® Erasmus: aber diefer ſich zufammenhaltenden , nicht rechts 
noch links fehenden Kraft bedurfte e8, um durchzubrechen. 
Der Humanismus ift der breite, fpiegelnde Rhein bei Bin- 
gen: er muß erft enger und wilder. werden, wenn er fi 
duch das Gebirg die Straße zum Meere bahnen will. Das 
durch eben war Hutten fo einzig, daß er mit der humaniſti⸗ 
fhen Geiftesweite den reformatorifchen Willensdrang vers 
einigte. 





1) Judicium Erasmi Alberi de Spongia Erasmi, adeo, quate- 
nus illi conveniat cum Lutheri doctrina. Mit einem Briefe des Gras, 
mus an Joh. Faber und von Luther an Grasmus zufammengedrudt. Bol. 
Banzer, S. 178. Auch Opp. Hutteni ed. Münch, IV, 555 — 568. 
Darüber f. Erasm. Bilibaldo 12 Cal. Aug. 1524. Opp. Pirckh. p. 
278: Exiit et Epistola Alberi, omnium stultissima. Seltfam, wie 
Erasmus fie Anfangs für eine Arbeit von Hermann Buſch halten konnte. 











Eilftes Kapitel. 


Sickingen's und Hutten's Enbe. 
1523. 


Schriften: Arminius, dialogus (posthumus). 


Das Hutten von feiner eidgenöfftfchen Freiftatt aus mit ängft- 
licher Aufmerfjamfeit die Entwidlung von Sidingen’8 Schickſal 
beobachtete, an dem feine legte Hoffnung hing, läßt fich 
denken. Aber die Nachrichten, die aus Deutichland einliefen, 
lauteten nicht tröftlich. „Von Neuigfeiten‘‘, fchrieb am 13. Yes 
bruar Dtto Brunfels, der damald zu Neuenburg im Breidgau, 
nur zwei Meilen von Mülhaufen, ſich aufhielt, an Zwingli, 
„von Neuigkeiten babe ich im Augenblicke nichts, ale daß 
(ein übles Borzeihen!) Sidingen’d älterer Sohn von dem 
pfälzifchen ITyrannen gefangen worden ift, und mit ihm 
einige andere Männer erften Ranges, auf welche Franz all 
feine Hoffnung gefegt hatte. Wir verfpradhen uns viel von 
diefem Manne; aber alle feine Sachen wanfen und fallen 
dahin, und nicht die feinigen allein, fondern aller Anhänger 
des Evangeliums. Unſer Hutten befindet fi) übel, und wir 
Vebrigen werden allenthalben zu Boden gefchlagn. Wir 





302 II. Buch. XI. Kapitel. 


werben verfpottet durch alle Lande, und ich weiß nicht, was 
für ein Unglüd mic ahnet.“ ®) | 
In der That war diefer Unfall feines Sohnes, aber nicht 
des älteften, Schweidarb , fondern des mittlern, Hans von 
Sidingen, der bei einem Ritte-von Steinfallenfeld® im Was⸗ 
gau nach Landftuhl mit Hilden von Lorch und Auguftin von 
Braunsberg durch den pfälzifhen Vogt und nacdhmaligen 
Marſchalk Wilhelm von Habern gefüngen genommen wurde — 
diefer Unfall, fo heldenmüthig auch der Vater die Nachricht 
‚aufnahm, war doc der Anfang des Endes der Sidingifchen 
Tragödie. 2?) Wartenberg, wo noch im porigen Jahre Hutten 
ſich eine Zeit lang aufgehalten hatte, fiel den Fürſtlichen in 
die Hände, und Sidingen, um die Verftärfungen abzuwarten, 
auf die ihm von verichiedenen Seiten her Hoffnung gemadt 
war, fuchte um einen Waffenftillftand nad. Allein die drei 
wider ihn verbundenen Fürſten, wie fie erft die Vermittlungs- 
vorfchläge des Reichsregiments zurückgewieſen, fo ließen fie 
ſich auch duch Franzens Gefuch, deſſen eigentliche Abficht fie 
wohl durchſchauten, nicht irre machen. Gleich nach Oftern 
erhoben fie ſich mit ſtarker Macht zu Roß und Buß und 
tüchtigem Belagerungsgefhüg, vereinigten fich bei Kreuznach, 
unweit der Ebernburg, zogen aber, als fie vernahmen, daß 
Franz von Sidingen in Landftuhl fei, vor dieſe Vefte, um fie 
zu belagern. Vergebens riethen Sranzen feine Freunde, ſich 
noch bei Zeiten aus dem Schloß zu thun: was feine Diener 
von ihm halten würden, gab er zur Antwort, wenn er von 


1) Otho Brunfels Zuinglio. Nuiburgi Brischoiorum ld. Febr. 
1523. Opp. Zuinglii VII, p. 273. 

2) Den Bericht über Sickingen's Ausgang fchöpfen wir aus ber 
Flersheimer Ehronif, bei Münd), Franz von Sidingen, Ill, 219—28; 
ber Erzählung bes Ehrnholds Gafpar Sturm, ebendaf. ©. 60 fg.; aus 
Huberti Thomae Leodii Historiola etc. ebentaf. S. 288 fg., und den 
Actenftüden ebendaf. S. 42 fg. 


Eilftes Rapitel. 


Sickingen's und Hutten's Enbe. 
1523. 












J Schriften: Armigius, dielogus (posthumus). 


Das Hutten von jeiner eidgenöffifchen Freiſtatt aus mit ängft- 
ae Aufmerkſamkeit vie Entwidlung von Sidingen’s Schickſal 
hachtete, an dem. feine letzte Hoffnung hing, läßt fich 
Bupfen. ber die Nachrichten, die aus Deutichland einliefen, 

teten nicht tröftlich. „Von Neuigkeiten‘, fehrieb am 13. Yes 
mar Otto Brunfels, der damals zu Neuenburg im Breisgau, 
“ zwei Meilen von Mülhaufen, ſich aufhielt, an Zmwingli, 
a Neuigkeiten babe ich im Augenblide nichts, als daß 
üble Borzeihen!) Sidingen’s älterer Sohn von dem 
Veelziſchen Tyrannen gefangen worden ift, und nit ihm 
einige andere Männer erften Ranges, auf welche Franz al 
Teine Hoffnung geiept hatte. Wir verfprachen uns viel von 
ejem Manne; aber alle feine Saden wanken und fallen 
FSabin, und nicht nie feinigen allein, fondern aller Anhänger 
Fbe8 Evangeliums. Unſer Hutten. befindet ſich übel, und wir 
" Nebrigen werden allenthalben zu Boden gejchlagen. Wir 


e7 


— 








302: II. Buch. XI. Kapitel. 


werden verfpottet durch alle Lande, und idy weiß nidt, web 
für ein Unglüd mir ahnet.“ 1) 
In der That war diefer Unfall feines Sohnes, aber nit 
des Alteften, Schweidard , fondern des mittlern, Hans wi 
Sidingen, der bei einem Ritte-von Steinfallenfeld im Rab 
gau nad Landftuhl mit Hilden von Lorch und Anguftin wei 
Braundberg durd den pfälzifhen Vogt und nadmaliga 
Marſchalk Wilhelm von Habern gefangen genommen wurde — 
biejer Unfall, jo heldenmüthig aud der Vater die Nahe 
aufnahm, war doch der Anfang des Endes der a 
Tragödie.?) Wartenberg, wo noch im porigen Jahre Hui 
jich eine Zeit lang aufgehalten hatte, fiel den Fürſtlichen | 
die Hände, und Sickingen, um die Verftärfungen abzu 
auf die ihm von verichiedenen Seiten her Hoffnung 
war, fuchte um einen Waffenſtillſtand nad. Allein die wi 
wider ihn verbundenen Fürften, wie ſie erft die Vermittlung® 
vorichläge ded Reichsregiments zurückgewieſen, fo ließen u 
ji) auch durch Franzens Geſuch, deffen eigentliche Abſicht 
wohl durchfchauten, nicht irre machen. Gleich nad Dill 
erhoben jie fi mit flarker Macht zu Rob und Fuß ri 
tüchtigem Belagerungsgeichüß, vereinigten fich bei Kreumelf 
unweit der Ebernburg, zogen aber, als fie vernahmen, of 
Franz von Sidingen in Landftuhl fei, vor dieſe Vefte, um | 
zu belagern. Vergebens riethen Franzen feine Freunde, 14 
noch bei Zeiten aus dem Schloß zu thun: was feine Die 
von ihm balten würden, gab er zur Antwort, wenn er vn 


1) Otho Brunfels Zuinglio. Xuiburgi Brischoiorum ld. Feb 
1523. Opp. Zuinglii VII, p. 273. 

2) Den Bericht über Sickingen's Ausgang fchörfen wir .ans N 
Blersheimer Chronik, bei Münch, Franz von Sidingen, II, 219 
der Erzählung bes Ehrnholds Gafpar Sturm, ebendaf. ©. 60 fg.; « 
Huberti Thomae Leodii Historiola etc. ebentaf. S. 288 fg., uub I 
Actenftüden ebendaf. ©. 42 Tg. 











Sickingen's Bude. 305 


Schloͤſſer von den verbündeten Fuͤrſten erobert und groͤßten⸗ 
theild ausgebrannt; von feinen Söhnen  der- eine gefangen, 
die beiden andern flüchtig; das ganze Gebäude von Franzens 
Macht, von ihm während eines thatenreichen Lebens zu 
füritenmäßiger Höhe aufgeführt, lag am Boden. Sein Fall 
gab der päpftlihen Partei in Deutichland neuen Muth !); 
der Afterkaiſer iſt todt, hieß ed, als um jene Zeit Luther 
erkrankte: bald wird ed auch mit dem Afterpapft ein Ende 
nehmen. ) Auf Luther machte dad Schidjal des Ritters, der 
ihm einft großmüthig feinen Schub angeboten hatte, und 
defien Abiichten ex, obwohl mit feinen Mitteln nicht einver- 
ftanden, nicht mißfannte, einen tiefen Eindrud. Als ihm 
zuerſt das Gerücht von Sidingen’d Tode zu Ohren kam, 
Ichrieb er an Spalatin, er wünfche, daß es falſch fein möge. ?) 
Und etwas fpäter: „Geſtern hörte und las ich Franzens von 
Sidingen wahre und klaͤgliche Geſchichte. Gott ift ein ger 
rechter aber wunderbarer Richter.‘ 4%) Sidingen’d Ausgang 
war ihm ein Gottedurtheil, das ihn in der Ueberzeugung 
beftärkte, daß Waffengewalt von der Sache des Evangeliums 
fern zu halten ſei. Lateinifche Dichter und deutiche Volks⸗ 
ſchriftſteller beſchaͤftigte Franzens Ende und feine Thuten. 


1) Nart. Bucerus Zuinglio. Opp. Zuinglii VII, 296: Cujus 
(Francisci) casu vix credi potest ut cornua erigant pecora pa- 
pistica .. 

2) Chronicon, s. annales G. Spalatini etc. in Menckenii Scrip- 
tores rerum Gernian., praecip. Saxon. Lips. 1728, Tom. II, 625: 
CGlamabant adversarii, pseudoregem, Franciscum Siccingerum pu- 
tantes, extinctum, pseudopapanı autem, s. Lutherum, aegrotun, 
propediem obiturum. 

3) An Epalatin, obne Datum, Briefe, herausg. von de WBette II, 
41. 

4) An denj.a.a.D. S. 340: Francisci Sickingen heri audivi et 
legi veram et miserabilem historiam. Deus justus, sed mirabilis 
judex. 

Strauß, Hutten. II. 20 





306 - 1. Bud. XI. Kapitel. 


Dort fang Klio im Wettftreite mit Kalliope, die feinen Freund 
Hutten pries, Sidingen’d Lob.) Hier erichien er vor ber 
Himmelspforte ald Vollzieher der Gerechtigkeit, der, um ben 
Unterbrüdten zu helfen und dem Evangelium freie Bahn zu 
machen, Fürften und Herren befriegt, den armen Mann nur 
- ungern und nothgebrungen befchäbigt, in diefem Thun Leib 
und Gut daran gefebt, vor feinem Abſcheiden ſich feine Sün- 
den leid fein laflen und all fein Vertrauen auf Gott geftellt 
habe: in Anbetracht dieſes guten Endes ſchloß ihm St. Peter 
die Himmelspforte auf. 2) 

Als die Kunde von Eidingen’s Fall in die Lande erfcholl, 
hielt ſich Hutten noch in Müfhaufen auf. In dem mildern 
Ton eined Briefs, den er um jene Zeit an Erasmus fchrieb, 
glaubte dieſer die nieverfchlagende Wirkung jenes Todesfalls 
auf fein Gemüth zu erkennen. Wäre feine Schrift „gegen 
die Tyrannen“, d.h. ohne Zweifel gegen die verbündeten Yür- 
ften, die feinen Freund Sidingen vernichtet, und deflen Be 
fitungen an ſich geriffen hatten, nody vorhanden, die Hutten 
furz hernach verfaßte), fo würden wir uns ohne Zweifel 
überzeugen, daß fein trogiger Muth noch immer urigebeugt 
war. Bald jedoch fand er fih auch in Mülhaufen nicht 


—— — — — 


1) Fortissimorum equitum Ulrichi Hutten, poetae laureati, et 
Francisci a Sickingen, Germaniae, imo totius Christianismi liber- 
tatis assertorum, Panegyricus. Aus Asclepii Barbati Sylvae abge: 
druckt bei Münch, Franz von Sidingen, II, 330—40. 

2) Dyalogus ober rede und gefprech, fo Branciscus von Eidingen 
vor deß hymmelß pfortten mit ſant Peter vnd bem ritter fant Jörgen ges 
halten, zuuor vnd eebann er eingelafien ift worben. Abgebruct bei Münch, 
Franz von Gidingen, II, 321—30. Auch bei Oskar Schade, Gatiren 
und Basquille aus ber Ref.⸗Zeit IT, 45—59. Dagegen beleuchtet das 
Geſpraͤch eines Fuchs und Wolfe, bei Schade, II, 60-72, den Fall 
Gidingen’s mehr vom Gtandpunfte der fürfllidhen Etaatsordnung aus. 

3) In tyrannos; wovon tiefer unten bei Gelegenheit bes u an 
Eoban, in welchem Hutten diefer Schrift gebenft. 











Hutten flieht nach Zürich, 307 


mehr ficher. Sein raftlofer Eifer für die Ausbreitung der 
Reformation war den Anhängern des alten Kirchenmefens 
fein Geheimniß. So machte ein unruhbiger Kopf den Ans 
ſchlag, mit einem Haufen Gefinvel das Auguftinerflofter, in 
weldhem Hutten eine Zuflucht gefunden hatte, zu ftürmen. 
Der Rath traf Vorfehrung, bedeutete jedoch dem Bedrohten, 
fidh lieber aus der Stadt zu entfernen. Mitten in der Nacht, 
wenn wir dem Erasmus glauben dürfen, entfloh Hutten nad) 
Zürich.) Es war im Mai oder Juni 1523. %) 

In Zürih ftand damald Zwingli im friſchen Be: 
ginnen feiner veformatorischen Thätigfeit ; ein Mann, der, 
unter einem freien, wehrhaften Volke aufgewachfen, dem 
waffenluftign Ritter näher ſtand als der thüringifche 
Reformator. Bei ihm fuchte und fand Hutten Schug, 
Hülfe und Troſt. Seine Umftände waren nad allen Sei⸗ 
ten bin beflagenswerth. Die Behörden Icheuten fi, dem 
nicht blos von den kirchlichen, fondern auch von den po- 
Iitifhen Machthabern verfolgten, zuletzt felbft wirklicher Ge⸗ 
waltthaten befchuldigteen Manne offenen Schutz angedeihen 


1) Erasmus Goclenio (vor der Londoner Ausgabe feiner Briefe) 
Milthusi tam erat invisus omnibus, ut, ni abisset, cives minarentur, 
se perrupturos ımonasteriun Augustinensium, in «quo latitabat fa- 
vore Secretarii. Media nocte dimissus, clanculum aufugit Thuregium- 
Spong. p. 471: Respondeat .. mihi Huttenus .. an clara luce Mil- 
thusio discesserit? Mit diefer offenbar gehäffigen Darflellung vgl. Hot» 
tinger's helvet. K. G. III, 118, deſſen Angaben hinmwieberum durch Graf, 
Geſch. der Start Mühlhaufen II, 15 fg. vgl. mit S. 40 fg. mehrfache 
Berichtigung erhalten. 

2) Die Nachricht von Sickingen's Zall (8. Mai) erhielt Hutten noch 
in Mülhaufen (Spong. 408 fg.); am 16. Imni dagegen fdhidt Deco» 
lampadius von Bafel aus ein Päckhen für ihn an Zwingli nach Züri 
un? am 8. Juli läßt er ihn durch denfelben grüßen: am 19. Juli wußte 
Eraemus in Bafel, und am 27. Juli auh A. Blaurer in Gonflanz, baf 
HYutten in Züri fe. ©. die Briefe in Zuinglii Opp. VII, 301, 305 
und in Bilib. Opp. p. 275. 


20* 


1; 
*ı 
| 
’ 


Gelde gemacht wur, beinabe auf Nichts zufamme 
Ev mußte er Freunde und Bekannte um Darleb 


1) Erasmus Bilibaldo, Basil. 14 Cal. Aug. (19. Juli) ] 
Pirckh. p. 275: Fugitat ac latitat nunc (Huttenus) apud Eh 
absque periculo. Fovet illum Zuinglius Thurregii, sed c 

2) Resp. ad Spong. Erasmi, Hutteni Opp. IV, 505: 
semper monebat parentem, rogabatque posthac matren vi 
gabat fratres omnes, ne conflarent sua causa invidiam sil 
suppeditarent vel operae vel impensarum, unde possent 
vocari in jus, vel in malam suspicionem venire. Ob 
quoque separabat se a paterna possessione. Tandem 
mater decessisset, atque ipse primogenitus erat et dom 
ac possessionun vmniunı, maluit tamen abesse, quam 
fratres aliquam accipere jacturam: adeoque non fuit sc 
possessionibus et palria, ut fere integro anno nesciret 
patria et rebus suis domi ageretur. Sein Bater, der X 
Furcht' für feine Berigungen gegen Ulrich's Plane geweien, h 
berichtet Brunfels, ſpater begütigen laſſen; fine Brüder feiı 
brei fehr gut gewelen, nur ber eine Frowin, des Bilchofe ( 
burg) Mundfchenf, habe fi) aus begreiflichen Gründen gegen 
würfe gerese. Von biefem Frowin theilt Landau, Hefl. Ritten 
345 fy., einen auf ber Ghernburg gefundenen Brief an ulrie 


MN. .ı MW. VEN ... Inn AH... PRALC’.OM_.ı. BU... - 





Hutten's Lage. 309 


rudh nehmen ’), und wie es fcheint, felbft zu Exrpreffungen, 
e feine Eppendorfs ſich erlaubten, die Hand bieten, oder 
sh ein Auge zubrüden. Ein folder Anſchlag wäre ihm, 
ad des Erasmus DVerfiherung, nody in der legten Zeit ge⸗ 
mgen, und hätte dem Eppendorf 30, Hutten felbft aber 
00 Fl. eingebracht. Auch das Spiel follte helfen. 2) 

Nicht minder traurig fand es um Hitten’s leibliches 
heſinden. Schon nad Bafel war er franf gefonmen, und 
aMülhaufen, in Zürich, wurde es nicht beffer mit ihm. Mit 
anigem Bedauern vernahmen im Juli die Freunde der guten 
Sahe in Conſtanz, wie hinfällig der Mann fei, der durchaus 
iner eifernen Geſundheit genießen müßte.) Der Abt zu 
Pfäfere, wo die heißen Quellen fprudeln, war ein Freund 
Mwingli's und der Reformation.) Mit Empfehlungen an 
bn ſchickte dieſer den Kranken dahin, die Wirkung der Waffer 








Mitis. Niedner's Zeitichrift f. bit. Iherl. 1855, ©. 628 (nit Gr: 
Anuug der Worte von et an aus dem Basler Manuicript). 

l) Erasmus Goclenio (ver der Londoner Ausgabe feiner Briefe): 
Rique vero amicos mulctabat pecunia. Melanchthoni, 6. Sept. 
54, Corp. Ref. I, 667. Sietstatii ete. (f. oben S. 241, Note 2). A 
“inglio improbe petiit, quod ipse Zuinglius mihi suis literis per- 
eipsit (worin jedoch der Ausprud improbe ſicher nicht vorfam; 
keingli mag geichrieben haben, Hutten habe mehr von ihm verlangt, als 
ihm habe geben fönnen). 

2) Erasmus Bilibaldo, 4 Cal. Sept. (1523), Opp. Pirckh. p. 276: 
ianc ab aliis quibusdam extorserunt sexcentos florenos et triginta. 
Iütenus habet ducentos. Juvenis, cujus nomine bellum indictum, 
Radringentos: Epphendorpius legatus triginta. Favit alea, et haec 
ors altulit ei (wie es fcheint dem Eppendorf) lucrum nonaginta. 

3) A. Blaurerus Zuinglio, Constant. 27. Juli 1523. Opp. Zuin- 
Hi VI, 305 (nach dem oben angeführten Lobe der Expostulatio): .. ut 
ehementer nobis doleat viri eitra fucum Christiani parum firma 
Aewdo, quam modis omnibus adamantinam esse oportebat. 

4) ir ging fogar bis zur Bilderverbrennung mit; nach der unglüds 
Or Kappeler Schlacht jedoch wußte er feinen Frieden mit Der alten 
Ice zu machen. ° 





310 1. Bud. XI. Kapitel. 


zu verfuhen. Der Berfuh mißlang: Mühe und Gefahr, 
fchreibt Hutten (in die fchauerliche Felſenkluft, wo die Onele 
entipringt, mußten damals die Kranken un hängenden Leitern 
hinabflettern, over an Striden hinabgelaflen werben), ware 
vergeblih beſtanden. Das Uebel war fhon zu tief einge 
wurzelt, überhaupt durch Bader allein nicht zu heilen; au 
war jener Sommer befonderd ungünftig für die Cur. Ur 
aufbörliher Negen fiel, und wilde Bäche ergoffen jich von 
den Felſen. Oft meinte man, fie. werden das Fleine, an de 


Feld geklebte Badhaus wegichwenmen, und, was fhlimme 
war, ihr Zufluß erfältete die Duellen. Alle Freundlichket 


jedoch erwies dem Franfen Ritter der Abt, Johann Yale 


Ruſſinger mit Namen. Er wollte ihn durchaus nicht for 
laſſen, Ind ihn erft ein, ned) etliche Wochen als jein Gaſt x 


bleiben, und rieth ihm dann, wenigjtens fpäter wieder 
fommen, um feine Cur von Neuem aufzunehmen, die jet 
nur Durch den Zufluß der wilden Wafler vereitelt worden ft. 
Auf den Weg gab er ihm Pferde und alle Reijebenürfnift 
reichlich mit. So kehrte Hutten nach Zürich zurüd, wohin et 
indeß einen Brief an Zwingli mit der Anfrage vworausichidt, 
wo fie ihm nun ein Unterfommen bereitet haben?!) 

Bon Zürid) aus erließ Hutten am 21. Juli noch el 
Schreiben an den alten Herzendfreund Coban nad Grfurt, 
das mit einem acht Tage ſpäter gefchriebenen kürzern Brief 
gewiflermaßen den Schwanengeſang des binjterbenden Helden 
ausmacht, von dem wir ung daher fein Wort entgehen laften 
wollen. ‚Wird es denn einmal Maß und Ziel finden, 0 
Eoban, das widrige Geſchick, das fo bitter uns verfolgt? 
Bon ihm zwar glaube ich das nicht; aber wir, denke id, 


1) Ulrichus ab Hutten, eq., Zuinglio. Ohne Ort und Jeit, ar 
auf dem Wege von Pfafers nad) Zürich gefchrieben. Zuinglü Opp 
VII, 302. 





Hutten's Lage. 309 


ſpruch nehmen !), und wie es fcheint, felbft zu Exrpreflungen, 
bie feine Eppendorfs fi) erlaubten, die Hand bieten, oder 
doch ein Auge zubrüden. Ein folder Anfchlag wäre ihm, 
nad) des Erasmus PVerfiherung, noch in der lepten Zeit ges 
lungen, und hätte dem Eppendorf 30, Hutten felbft aber 
200 81. eingebradht. Auch das Spiel follte helfen. 2) 

Nicht minder traurig fland es um Hutten's Teibliches 
Befinden. Schon nad Bafel war er frank gefommen, und 
in Mülhaufen, in Zürich, wurde ed nicht beffer mit ihm. Mit 
innigem Bedauern vernahmen im Juli die Freunde der guten 
Sache in Eonftanz, wie hinfällig der Mann fei, der durchaus 
einer eifernen Gefunpheit genießen müßte. ?) Der Abt zu 
Tfäfers, wo die heißen Quellen fprudeln, war ein Freund 
Zwingli's und der Reformation.) Mit Empfehlungen an 
ihn fchickte Diefer den Kranfen dahin, die Wirkung der Wafler 





mittitis. Niedner's Zeitichrife F. hiſt. Theol. 1855, S. 628 (mit Ar 
gänzung der Worte von et an aus dem Basler Danuicript). 

1) Erasmus Goclenio (vor der Londoner Ausgabe feiner Briefe): 
Übique vero amicos mulctabat pecunia. Melanchthoni, 6. Sept. 
1524, Corp. Ref. I, 667. Sletstatii etc. (f. oben S. 241, Note 2). A 
Zuinglio improbe petiit, quod ipse Zuinglius mihi suis literis per- 
scripsit (worin jedoch der Ausprud improbe jicher nicht vorfam; 
Zwingli mag gefchrieben haben, Hutten babe mehr von ihm verlangt, ale 
er ihm habe geben können). 

2) Erasmus Bilibaldo, 4 Cal. Sept. (1523), Opp. Pirckh. p. 276: 
Nunc ab aliis quibusdam extorserunt sexcentos florenos ct triginta. 
Huttenus habet ducentos. Juvenis, cujus nomine bellum indictum, 
quadringentos: Epphendorpius legatus triginta. Favit alca, et haec 
sors attulit ei (wie es fcheint dein Eppendorf) lucrum nongginta. 

3) A. Blaurerus Zuinglio, Constant. 27. Juli 1523. Opp. Zuin- 
glii VII, 305 (nad dem oben angeführten Lobe der Expustulatio): .. ut 
vehenenter nobis doleat viri citra fucum Christiani parum firma 
valetudo, quam modis omnibus adamantinam esse oportebat. 

4) Er ging fogar bis zur Bilderverbrennung mit; nach ber unglüds 
lichen Rappeler Schlacht jedoch mußte er feinen rieden mit der alten 
Kirche zu machen. 





312 I. Auch. XI. Kapitel. 


Ich gebe die Hoffnung nicht auf, es werbe cine Zeit fommen, 
wo Gott die braven Männer aus biefer Zerftreuung wieder 
fammeln wird): gebet aud ihr fie nicht auf, denn Er hat 
NRächeraugen, denen nichts entgeht. Erasmus ift ſchmaählich 
abgefallen von der Sache des Evangeliums: doc, rent ie 
jegt der ſchlechte Taufch, den er getroffen. Ich habe ihn me‘ 
Rechenfchaft gezogen (ich konnte nicht andere, da es eine fen 
liche Angelegenheit betraf) in einer gedrudten Schrift, weide. 
du bier ſiehſt. Thut auch ihr dort was an euch ift, baum: 
es nicht fcheine, ihr habet euc) der gemeinen Sache entzegrı 
Grüße Eberbach von mir und alle die Unirigen, und fr: 
mich, fobald e8 angeht, brieflich an. Wenn du jchreibk, fe: 
hide e8 an Zwingli, oder nad) Bafel an Decolampat, w 
lebe wohl.‘ 2) 
ALS Hutten dem Freunde den Auftrag gab, jeine Schi 
gegen die Tyrannen, d. h. gegen die Fürften, welche Sidinge®: 
Macht vernichtet hatten, zum Drude zu befördern, mußte a” 
freilich nicht, Daß Coban über Die Peftrafung der Raͤnber 
(latruneuli) durdy den Landyrafen von Heflen dem Kunjla 
des Leptern feine Freude bezeigt hatte; wie er auch ipäte 
nody die Beſiegung Sickingen's unter Philipp’ Großthaten 
aufgeführt hat.) Der gute Eoban meinte e8 nicht böſe; die 
Sache lic fid) von zwei Seiten betrachten, und er wünſche 
damald eine Anftellung in Marburg, da ihm in Erfurt bet 
bittere Sunger drohte: aber wir begreifen hieraus, warum ef 


1) Sie ging aber in den nächſten Jahren noch weiter: divolanlibes 
nobis sicut aviculae dispulsae solent, fchrieb Eoban im 3. 15% v 
Euricius Corpus, Camerarii Libellus novus epistolar. C 4. 

2) Eobano Hesso. Tiguri in Helvetiis 12 Cal. Aug. 159. Bel 
Eob. Hessi Epist. fam. L. XII, p.290. Daraus kei Burdhard I, TR. 
Opp. ed. Mtinch, IV, p. 338 fg. 

3) Eob. Ilessus Joanni Ficino, Erphurdiae 1523. Epp. fam. p. 
166. Ad Philippum de victoria Wirtembergensi acclamatio gretu- 
latoria, Opp. farrag. duae, p. 69%. 





Letzte Briefe Hutten's. 313 


ſich wohl gehütet haben wird, die Hutten'ſche Schrift gegen 
die Tyrannen, wenn fie anders in feine Hände gelangt iſt, 
zum Drude zu befördern. Arch Andere mochten bei dem 
Aufihwunge, den mit Sickingen's Falle die Fürftenmacht ger 
nommen, daſſelbe Bedenken tragen: und fo erflärt es fich, 
daß die Schrift verloren ging.) 

Adıt Tage nach diefem Brief an Eoban fchrieb Hutten, 
- wahrfcheinlih noch von Zürih aus, an Nicolaus Prugner, 
der, früher Auguftiner in Mülhaufen, dann.von der Refors 
mation angezogen, ſich damals in Bafel aufhielt, und bier 
eder in Mülhaufen fich mit Hutten befreundet hatte. Letzterem 
war in Pfäferd gefagt worden, Prugner fei in Zürid) anges 
fommen, wo er ihn dann aber nicht gefunden hatte. Prugner 
war nämlid von der reformatorifchen Partei in Mülhaufen 
als Prediger dahin berufen worden, wo er in den nächiten 
Jahren unter mandherlei Schiwierigfeiten in  verdienftlicher 
Wirffamfeit ftand.?) Hutten jchreibt ihm nun, wie er ihn 
vergeben® erwartet, wie er jegt von feiner Anftellung gehört, 
und nun feine Bücher, mit deren Verkauf er beauftragt ge: 


1) Wie irrig Burckhard's Vermuthung, a5 Hutten’s Libellus in 
tyrannos vielleiht die Oratio ad Carolum etc. pro U. Hutteno et 
M. Luthero fein möchte, ift oben aus dem Inhalte diejer Rede dargethan 
werden, welche die Rage der Dinge um 1520/21, nicht um 1523, vers 
anefegt. Hier fehen wir nun überdich, daß durch fyranni Hutten um 
die legtere Zeit die Fürſten zu bezeichnen pflegte. Wir erinnern une, daß 
Hutten ſchon in Baſel cine Heftige Schrift gegen ben Pfalzgrafen wegen 
ber Hinrichtung feines Dieners gejchrichen hatte, für Die er vergeblich 
einen Druder ſuchte. In Otto VBrunfelfens Brief ans Neuenburg wirb 
diefer Fürſt Palatinus tyrannus genannt. Sollte der Libellus in tyrannos 
eben die Schrift gegen den Pfalzgrafen fein? Allein der Plural und bie 
Art, wie Hutten in cobigem Briefe den Inhalt jenes Libellus bezeichnet, 
macht wahrjcheinlich, daß ſie Die oben vorausgefegte weitere Beziehung 
hatte. 

2) S. Graf, Gefchichte der Stadt Mülhanien, II, 23 fg., 30. Roh: 
rich, Mitteilungen aus der Geſch. der evangel. Kirche des Elſaſſes, III, 
. 180 fg.: Nie. PBrugner, Reformator von Mülhanfen. 





314 IL. Buch. XI. Kapitel. 


wefen zu fein fcheint, zu diefem Zwede einem Andern übers 
geben habe. „Denn ih“, fährt er fort, „babe beichloflen, drei 
- Meilen von bier bei einem Arzte einige Tage mich verborgen 
zu halten. Wie immer das Glüd es fügen mag, fo werde 
ich deiner Wohlthätigkeit und Gaftfreundfchaft eingedenk fein, 
jo lange der Geift mir die Glieder belebet 1): wird es mir 
Gunſt beweifen, fo ſollſt du Dein volle Theil daran haben; 
wo nicht, fo büßeft du das gemeinfame Gefhid. Deinem. 
Rathe, vor Allen aber dem Schreiber und Hagenbach, laß 
nicht ab mich zu empfehlen. Uebrigens fhreibe, und was es 
fein mag, fchide an Zwingli. Wenn ich wieder geſund werde, 
fo werden wir feine Urſache haben, das Schickſal anzuflagen. 
Und einmal, boffe ih, macht Gott aud) diefem ein Ende. 2) 
Lebe wohl.) Während in den Schriftzügen dieſes Briefe, 
befien Original die Straßburger Stadtbibliothek bewahrt, 
wenn man fie mit andern Denkmalen der fraft- und leben: 
vollen Hand des Ritterd vergleicht, feine tödtlihe Schwach 
heit fich verräth, war doc, Lebensmuth und Lebensluft in 
ihm noch fo wenig erlofchen, daß er in einer deutichen Nach⸗ 
ſchrift Prugner bittet, fo bald wie möglidy ein gewiſſes 
„Büchlin von dem Feuerwerk zu machen‘ für ihn abjchreiben 
zu laflen und ihm. zugufenden. 

Der gelehrte Geiftliche, den wir die Mittheilung dieſes 
und mehrerer anderer werthvollen Hutten’ichen Briefe ver- 
danfen, bemerft über denfelben, es erfülle uns mit Wehmuth, 
wenn wir fehen, wie Hutten fterbend nur auf die Fortuna 
gehofft habe. Wir werden darin, wie in den Anfpielungen 
auf claffifhe Dichterftellen ftatt der Bibelfprüche, nur bie 





1) .... dum spiritus hos reget artus. Virgil. Aen. IV, v. 336. 

2) .... dabit Deus his quoque finem. Virgil. Aen. I, v. 199. 

8) Nicolao Prugnero, presbytero vere pio et Christiano, Ba- 
sileae. Datum: Calend. Aug. Mitgetheilt von Röhrih, in Niebner’s 
Zeitfhrift 1856. S. 681 fg., vgl. S. 619. 








Hutten in Ufnam. 315 


Rückkehr Hutten’d zu feiner urfprünglichen Ratur und huma⸗ 
niftifhen Bildung erfennen. Im Werkehr mit Luther und 
defien Publicum war ihm die chriftlich theologifche Farbe an⸗ 
geflogen: fie verlor fi, als er im Unglüd es nur noch mit 
fich felbft zu thun hatte. 

Der Arzt, zu welchem Hutten fich zu begeben gedachte, 
war der heilfundige Pfarrer Hans Schnegg, und der Ort, 
wo er fi, noch immer vor Verfolgung nicht ficher, verborgen 
halten wollte, die Infel Ufnau im Züricherfee. ) Das freunds - 
liche Fleckchen Waideland mit feiner alten Kirche und Kapelle, 
1, Stunde von Rapperswyl, im oberen, breiteften Beden des - 
Sees gelegen, gehörte dem Schwyzeriſchen Klofter Einfiedeln 
zu, wo Zwingli einit, von den wohlgefinnten Pfleger: des 
Kloiters, Theobald. von Geroldseck, berufen, zwei Jahre lang: 
Prediger gewelen war, und ſich währenn dieſer Zeit ohne 
Zweifel auch mit Schnegg, der Eonventual des Klojterd war, 
befreundet hatte. Ueberall erfcheint fo, in Hutten’s letzter 
Roth, über ihm Zwingli’d milde und fefle Hand, während 
Oecolampad's freundliches Auge aus der Nähe herüberblidt. 
Die deutiche Reformation hatte den Ritter abgelehnt: Die 
fchweizerifche nahm ihn auf. Ohne Zweifel würde er mit ihr 
bei längerem Leben auch in Nbjicht auf die Lehre gegangen 
fein, jo lange fie von Zwingli's liberalem Geiſte beftimmt 
war: wie fpäter Calvin den Scheiterhaufen Servet's ſchürte 
und die Prädeſtinationslehre ausbildete, wäre für Hutten aud) 
in diefen Layer feine Stelle mehr gewelen. 

Schmerzlich wurde Hutten in feiner Einfamfeit und 


1) Ueber die Infel Ufnau f. Hottinger's helvet. Kicchengefchichten, 
III, 118, und die dort angeführte Stelle aus Stumpfs Chronik; bel, 
Anleitung, die Schweiz zu bereifen, II, den Artifel: Hutten's Grab, S. 10 fg.; 
(Dr. Ferd. Keller) Gefchichte der Infeln Ufenau und Lügelau im Zürich: 
fee. In den Mittheilungen der antiquar, Geſellſchaft in Zürich. Zweiter 
Bd. 2. Heft, 1843. 





316 II. Bud. XI. Kapitel. 














Schwachheit zu Ufnau noch einmal durch Erasmus geht 
Bon Bafel her fam ihm aus Yreundeshand bie Bar 
zu, jener habe ein Schreiben an den Züricher Rath geriäi 
in welchem er Hutten unfreundlich antafte, und des Wi 
Ungunft und Widerwillen gegen ihn’ zu ermeden fi ui 
ſtehe. Auch in der Zufchrift an Zwingli, Die er feiner Spa 
gria vorjepte, verficherte Erasmus zwar, er wolle den M 
keineswegs um die reiftätte bringen, welche der & * 
der Schweizer ihm gegen ſäne Verfolger gewaͤhre; doch 
er geflifientlich darauf anfmerffam, wie Hutten in feine 
“Bellen nicht nur wohlverdiente Gelehrte, wie ihn, van 
wadere Schweizer, angreife, fondern auch Papft, Kaiferi 
Fürften nicht verfchone; woraus leicht der Schweiz, der € 
mus alles Gute wünfhe, Haß und Ungelegenheit ermall 
könnte. Faſt gleichlantend fchrich er nun an den Rah 
Zürich (ben veutichen Tert, in dem wir jet die Zuſh 
feien, hat er fi) ohme Zweifel von einem Freunde mi 
laſſen, da er des Deutjchen nicht mächtig war): er haben 
Dagegen, daß ihre Gütigfeit den Hutten alſo bei ſich wel 
laffe, jondern nur, Daß diefer, der jet nichts mehr my 
lieren habe, ſolche Gütigfeit nicht zu einem: geilen = 
willigen Schreiben mißbrauchen möge. Wenn fie diefen fi 
Muthwillen ein wenig zähmen, werben fie nicht ſowohl i 
dem Erasmus, als den Wiſſenſchaften und ihrer Landſch 
ſelbſt, einen nüglichen Dienſt erweiſen. ?) 
Auf die Nachricht, daß ein Schreiben ſolchen Suhel 
von Erasmus erlaffen worden, bat Hutten den Züricher 
ald feine lieben Herren und Freunde, an deren Zuneigung‘ 
aller Revlichfeit, und infonderd zu chriftlicher Wahrbeit 1 
evangelifcher Lehre, er nicht zmeifle, um die Gunft, fait d 


— 


1) Aus David Heß, Leben des Erasmus, mit dem Datum 10. Kı 
1523 abgebrudt bei Münch, Opp. Hutteni VW, 397 °a 





Hutten's Tod. 317 


gleihen Schriften ihnen ſchon zugefommen wären, oder noch 
zufommen möchten, ihm deren Sinn und Inhalt nicht vors 
zuenthalten, ſondern zum Behufe feiner Verantwortung ihm 
Eopien angedeihen zu lajien. Denn er wolle je dafür ges 
halten fein, daß er alle Zeit her, feit er aus feinen kindlichen 
Jahren erwachſen, unders nicht, denn einem rugendlichen und 
frommen Rittermäßigen von Adel wohl ziemlich, gehandelt 
und gewandelt habe. Wolle Jemand, al8 er nicht hoffe, ihn 
des Gegentheils befchuldigen, fo werde er feine Ehr und 
Slimpf mit Grund der Wahrheit gnugiamlid zu vertreten 
und zu entjchuldigen willen: und fo bitte er nun auch jie, 
ein Vertrauen zu ihm zu haben, und fid) überdieß fejtiglich 
zu ihm zu verfehen, daß er zu ihnen und gemeiner Eidge⸗ 
noflenichaft, jest wie immer, einen freundlichen guten Willen 
trage, ihnen Lieb und Dienſt zu erzeigen von Herzen gefinnt 
fei. !) 

Doch Hutten bedurfte bald feines menſchlichen Schutzes 
mehr. Gin heftiger Krankheitsanfall warf ihn auf Das Luger. 
Aerzte wurden gerufen, aber ihre wie ded guten Pfarrers 
Heilfunft mühte ſich vergebene. ?) An einem der legten Tage 
des Auguft, oder am erjten Ecptember (denn die Berichte 
jtimmen nicht überein) ?), war Hutten aller Noth, Die ihn 


1) Ebendaber ebendaſelbſt S. 399 13. mit dem Datum 15. Auguft, 
alfo faum 14 Tage vor Hutten’s Ente. 

2) Basil. Amerbach ad Bonifacium *1V Cal. Nov. (1523). In 
Amorbachior. Epp. mutuae, Mspt. Bibl. Basil. G. II, 13 (Mitthe;- 
theilung ven Böding): Ulricho ab Hutten autumnus fatalis fuit. Cum 
prope Tigurum reliquiae morbi Gallici eum in lectum conjicerent, 
ile volens suae saluli consulere, medicos accersere jubet, medici 
pharmacis, sive nilil agentes, exanimen Calend. Septembr. reli- 
querunt. s 

3) Erasmus candido lectori. bei der zweiten Ausgabe der Spongia, 
Opp. Hutteni ed. Münch, IV, 491 fy.: Huttenus perüt vicesimo nono 
die mensis Augusti ... in insulula quadam, quae est supra Thur- 





318 1. Buch. XI. Kapitel, 


drüdte und noch bedrohte, Durdy einen fchnellen Tod entrüdt. 
Er war 35 Jahre und 4 Monate alt geworden. Rur' um 
Weniges über ein Bierteljahr hatte er feinen. Franz von 
Sidingen überlebt. Die Ausficht, Deutfchland mittel der 
Reformationsidee politifch wie kirchlich neu aufgebaut zu fehen, 
ging mit beiden zu Grabe. Was den Rittern mißlungen war, vers 
fuchten zwei Jahre jpäter die Bauern mit nody üblerem Erfolge. 
Die Zeit des Ritterthums war um; der Tag des Volksthums 
noch nicht da: die Zeit der Fürftenmacdht war angebrodhen. Der 
Gelegenheit, die fidy Luthern bot, und dem Takte, den er bewies, 
während er das Volf im Innerften erregte, zugleich den Fürften 
die Hand zu reichen, verdanfen wir es, daß die Reformation. 
in Deutfchland wenigſtens theilweife durchgeſetzt worben if. 
Das Hutten an der Krankheit geftorben ift, an ber er 
feit fo vielen Jahren gelitten hatte, und die, nad) einer ſchein⸗ 
baren Heilung, bald von Neuem ausgebrochen war, leidet 
feinen Zweifel. In Deutfchland ſprach man mancher Orten 
von Vergiftung. 1) Leider jedoch brauchte es, um Hutten zu 


regium, und zwar fei fein Tod, ut scribunt, subita gewejen. “Denfelben 
Tag gibt Erasmus auch in dem Briefe an Goclenius vom 35. Sept. 
(Epp. omnes No. DCLVII p. 773) an. Dagegen fchrieb dem Agrippa 
von Nettesheim ein Freund aus Bafel am 12. Sept. (1523; die Jahres 
zahl 1524 ift Druckfehler): qui Huttenus post editam Spongiam, dies 
jam agitur decimus tertius, apud pagum Tigurinum fatis concessit 
(Agrippae ab Nettesheym Opp. ap. Beringos fr. Epp. L. III. No. 45. 
p. 237). Dieb gäbe den 31. Auguft, ben daher Mohnife für den wahren 
Todestag Hutten’s halt (Hutten’ & Jugenbleben, p. XCVIII); wie Andere mıt 
Bafll. Amerbach den 1. Sept. Allein mit Recht hat Stolz darauf hingewieſen, 
daß dem Erasmus, um den Vorwurf von ſich abzuwehren, als hätte er feine 
Spongia gegen den bereits verftorbenen Hutten gefchrieben, ber fpätefle 
Todestag deffelben der liebſte fein mußte; daß er alfo gewiß feinen frübern 
angegeben haben wird, als den ihm genaue Erfindigung an bie Hanb- 
gab (U. v. Hutten gegen Def. Erasmus u. f. f. von Dr. Joh. Jak. 
Stolz, S. 59 fg.). 

1) Eoban. Hessus J. Draconi. Epist. fan. p. 35: Huttenus noster 
obiit potionatus. 





Hutten's Ted. . 319 


tödteh, feines weitern Giftes, als das er ſchon fo lange in 
feinem Körper trug. Glarean jchrieb, wie Hutten nach Bafel 
gefommen war, von „feiner Krankheit” fei er noch nicht ge= 
nefen!); Bafiliu8 Amerbach berichtete, die Weberbleibfel der 
franzöfifchen Krankheit haben ihn auf das Lager geworfen, das 
“fein Todtenbette wurbe, und auch der Züricher Mediciner Con⸗ 
rad Gesner nennt in feiner um's Jahr 1545 herausgegebenen 
Bibliothek diefelbe Krankheit als diejenige, von welcher Hutten 
aufgerieben worden je.) Daß dagegen Ioahim Games 
rarius nur unbeftimmt von Krankheiten fpricht ®), ift in der 
fhonungsvollen, vertufchenden Art, die wir an ihm fennen. 
Man hörte wohl auch jagen, weniger die Krankheit jelbft, 
als die mörderifche Ouaiafcur, die er durchgemadht, fei die 
Urſache von Hutten’s frühem Tode gewelen. *) 

Hutten ftarb, wie ſich denken läßt, in der Außerften 
Dürftigfeit. Zwingli gibt uns fein Inventar. „Er hinters 
ließ’, fchreibt er, „lediglich nicht® von Werth. Bücher hatte 
er feine, Hausrath auch nicht, außer einer Feder.” °) Zwingli 
und andere Freunde lieben ihm Bücher, die fie nad) feinem 


1) Glarean. Zuinglio. Opp. Zuinglii VII, 247: Morbo suo non- 
duın liberatus, 

2). Bibliotheca universalis, sive Catalogus omnium Scripto- 
rum etc. Authore Conr. Gesnero, Tigurino, D. medico. Tig. ap. 
Chr. Froschowerun 1545. p. 342: Hulder. Huttenus eques .. 
obiit in peregrinatione anno 1523, morbo consumtus Gallico, et in 
lacus Tigurini insula, Ufnavia dicta, sepultus est, 

3) Vita Melanchth. ed. Strobel p. 90: Tandem hic .. non pro- 
cul ab urbe Tigurina, morbis confectus, quibus frequentibus et 
acribus laboraverat, mortem obiit.. 

4) Eobanus Hessus Camerario: Memini quosdam dicere, Hutte- 
num diutius potuisse vivere, si ligno illi noA credidisset nimium. 
Es fei nämlidh valde violenta medicina. 

5) Zuinglius Bonifacio Wolfhart. Ex Tig. 11 Oct. 1523. Opp. 
Vi, 313: .. nihil reliquit, quod ullius sit preti. Libros nullos 
habuit, supellectilem nullam praeter calamum. 





820 ir I. Bud. Xi. Kapitel. 


Tode. zurüderhielten. ) In Deutfchland hatte, wie wir und 
erinnern, Hutten eine hübfche Sammlung von Handichriften 
und gedruckten Büchern befefien, die.er durch Tauſch und 
Kauf zu vermehren beflifien geweien war. Aber fie fand 
jegt nicht zu feiner Verfügung, wenn fie nicht bereits für ihn 
verloren war. Joachim Camerarius erwähnt fpäter, daß ein 
Arzt, Namens Locher, Hutten’d Bibliothef „aus der Beute“ 
erfauft babe. 2?) it hier Kriegebeute gemeint, fo ſcheint alſo 
Hutten’d zurüdgelafiene Bücherfammlung, vielleicht mit der 
Ebernburg, in die Hände der Fürften gefallen und mit den 
Beutejtüden verfteigert worden zu fein. Damit ſtimmt, was 
Dtto Brunfeld von einer Sammlung Huſſiſcher Schriften 
fagt, die ihm von den weggenommenen Büchern Hutten’s, 
der fie aus Böhmen zugefchictt befommen, zurüdgegeben wors 
den; eine Sache,. jest er hinzu, von der übrigens weiter zu 
reden (denn es ließe fich eine lange Geſchichte davon erzählen) 
weder erfprießlich noch rathiam fei; ein andermal betrachtet 
. er ed ald ein Wunder der göttlichen Borfehung, daß viele 
Stüde aus dem Hutten’ihen Bücherfchag erhalten worden. ?) 
Bon ſchriftlichen Sachen fah Zwingli aus Hutten's Verlaflen- 


1) Zuinglius Oecolampadio. Ex Tig. 11 Oct. 1523. Opp. Vll, 
312: (Suffraganeo Episcopi vestri) Caesaris.. Commentaria,' quae 
Prioris in Mülhausen sunt, reddes, ut cum fieri queat, ad eum 
transmittat. Hutteno commodaverat iste ipse: nos ea nostris cum 
libris reposcimus. 

2) Joach. Camerarius Mauritio Hutteno, 3 Cal. Mai 1529. Ca- 
merarii Epist. fanıil. L. II, Ep. 1. p. 308: Memini te aliquando me- 
cum sermonem habere de libris gentilis tui Hulderici. quos haberet 
redemptos ex praeda medicus Locerus. 

3) Joannes Huss de anatomia Antichristi. Davor: Otho Brun- 
felsius Mart. Luthero#... Quomodo vero in nostras manus perve- 
nerit (liber vder auch thesaurus), quia prolixa est fabula, hoc satis 
dictum sit, de libris Huttenicis interceplis mihi esse redditum. gl. 
Processus consistorialis martyrii Jo. Huss etc. das Vorwort auf der 
Rückſeite des Titels. S. auch Panzer, ©. 213 fy. 





Hutten's Nachlaß. 321 


ſchaft noch ein Bündel Briefe von Freunden und an ſolche Y; 
wie Dito Brunfeld in Deutfchland eine Sammlung von 2000 
Stüd dergleihen, von Zürften und Herren, Geiſtlichen und 
Gelehrten aller Nationen an Hutten, zum Theil Zuftimmungss 
erflärungen zu feinem Unternehmen gegen Rom, bei ihm ges 
fehen hatte, die er in Mußeflunden ordnete, und unter dem 
Titel: Bertraute Briefe, herauszugeben gedachte. ?) Daß biefe 
Sammlung abhanden gekommen, ift ein großer Verluſt für 
die Zeitgefchichte.e Außerdem jollen ſich noch mehrere ber 
eigenen Drudjchriften Hutten's bei ihm vorgefunden haben, 
bie er zum Behuf einer neuen Ausgabe durchgeſehen und viel⸗ 
fach verbeflert hatte. Die fo durcheorrigirten Exemplare bes 
finden (oder befanden) fich auf der Waſſerkirchenbibliothek in 
Zürich, und begreifen die Stedelberger Sammlung der Schrifs 
ten gegen Herzog Ulrih, den Nemo, die Aula, den großen 
Brief an Pirdheimer, die Türkenrede, und die auf den 
Wormſer Reichstag ſich beziehenden Invertiven und Sends 
fhreiben.) Die Veränderungen (welhe Münd in jeiner 


1) Zuinglius a. a. O.: Ex rebus ejus nihil vidi post mortem 
quam epistolas aliquot, quas hinc inde ab amicis accepit ac ad 
eos misit, inque unum Consarcinarit. 

2) Othonis Brunfelsii Resp. ad Spongiam Erasmi, Opp. Hutteni 
IV, 6528: Habuit .. epistolarım ab amicis, quantun ego quidem 
estimare potui, acervunı 2000, et hoc succisivis horis agebat, dum 
apud Vangiones eramus, ut in volumen redigeret, cui tiltulum erat 
prefixurus Familiarium Epistolarum. Erant in ea sarcina epistolae 
graves et eruditae ab regibus, optimatibus, principibus, nobilibus, 
episcopis, studiosis et eruditis omnibus, quorum nomina et ingenia 
celebrata hodie sunt. Ex omnibus nationibus, ex Italia, ex Galliis, 
ex Bohemia. Atque hi onınes, inter alia et novarum rerum fabulas, 
congratulabantur de bello sumpto in Romanistas et Curtisanos, lau- 
dabant institutum, hortabantur, ut coeptis manum adderet. Quod si 
tu nescis .. ego his oculis vidi et legi. 

3) Mit der Anmerfung auf dem Umfchlag: Hic Codex rarissimo- 
rum Hutteni scriptorun, maximam partem ipsius manu recoguitorum, 
emendation. auctorum, qui post ejus in insula Ufnavia lacus Tigurini 

Strauß, Hutten. II. 2 








Hutten's Bibliothef. 323 


150 Fl. oder etwas mehr belaufen haben) ) war, bei dem 
Stande der Berlaffenichaft, feine Ausfiht. Einmal hieß es 
zwar, es feien aus dem Hutten'ſchen Vermoͤgenszerfalle (viels 
leicht von feinem väterlichen Erbtheil in Deutſchland?) noch 
200 Fl. übrig, die dem Heinrich Eppendorf zugeftellt werden 
würden.) Wirflih rühmte fid) diefer in der Folge, für 
Hutten nad) defien Tode Schulden bezahlt zu haben. 2) Bon 
jenen 200 Fl. aber, und daß Eppendorf fie erhalten hätte, 
verlautet weiter nichts, und da er felbft tief in Schulden ſteckte, 
jo hat wohl Erasmus fein Borgeben nicht mit Unrecht bes 
zweifelt. Daher faßte ſich Zwingli, der auch nichts zu vers 
schenken hatte, nicht blos am großmüthigften, fondern auch 
am Elügften, wenn er jchrieb: „Nach meinem Guthaben frage 
ich weiter nicht; wird etwas bezahlt, fo nehm’ ich's, wo nicht, 
fo ſchenk' ich’8.’ *) 

Für ein Denkmal auf Hutten’d Grab hatten unter diefen 
Umftänden feine nächftwohnenden Yreunde nichts übrig. Ein 
fränfifcher Nitter ließ in den folgenden Jahren einen Stein 
mit einer lateinifchen Infchrift auf demielben errichten 2), der 
jedoch frühzeitig, fammt ber Kunde des Platzes, wo Hutten 
begraben, verſchwunden iſt. Die Binficdelfchen Pfaffen konnten 





1) Erasmus Botzemo, Opp. Pirckheimeri p. 296, nad) einer 
Angabe Eppendorf'o. 

2) Zuinglius Bonif. Wolfhart a. a. O. 

8) Erasmus a. a. O. u. Henrici ab Eppendorf ad D. Erasmi 
Rot. libellun etc. justa Querela. Hagenoae 1531, wieberabgehr. Lips. 
1745 hinter Chr. Saxi de H. Eppendorpio Comm., p. X. 

4) Bonifacio Wolfhart a. a. ©. 

5) Gesneri Bibliotheca (Bortfegung der oben, S. 319, Anm, 1 
angeführten Stelle) .. ubi nuper Epitaphium, nobili quodam Franco 
procurante, lapidi sepulchrali incisum, ab amicis nostris ei positum 
est, his verbis: 

Hic eques auratus jacet oratorquo disertus, 
Huttenus vales, carmine et ense potens. 
Weitere Epitaphien und @logien auf Hatten f. bei Burckhard, IL, 284 fg. 
und bei Münch, Opp. 1, XCVII fg. 


21° 





394 1. Buch. XI. Kapitel. 


ein ketzeriſches Helligthum der Art — Inſel nicht 
brauchen. | Da Eee 

Daß ein Theil von Hütten Bibtiothet durch Kauf in 
den Beſitz des Arztes Locher übergegangen fei, fam bald einem 
jüngern Better des VBerftorbenen, Morig von Hutten, zu 
Ohren. Diefer, dem Birfenfelder Zweige der Stolzenbergifchen 
Linie entiproffen, war im die geiftlihe Laufbahn getreten, in 
welcher er um das Jahr 1536 zum Probft in Würzburg, 
etwa drei Jahre jpäter zum Bifchof von Eichſtädt aufſtieg, 
wo er um 1552 ſtarb.) Schon frühe intereffirte er fich für 
den Ruhm und die Berlaflenichaft feines Wetters, der feinen 
Großoheim Ludwig und deſſen ermordeten Sohn durch feine 
Todtenopfer unfterblich gemacht hatte, und terug ſich mit der 
Abficht, deſſen Bibliothef von‘ dem fremden Befiger zurüd- 
zufaufen, Aber auch die Buchdruder hatten’ von dem Schage, 
namentlich an Handichriften, Wind befommen, und bereits 
unterhandelte Froben in Bafel mit Locher um die Schriften 
von Dnintilian, Plinius und Marcellus med., die Hutten 
einft in der Fuldifchen Bibliothek gefunden hatte, Der Buch— 
bruder Seger zu Hagenau glaubte mit dem Marcellus allein 
30 Goldgufden verdienen zu können. Auf Setzer's Anmahnung, 
der durch Gamerarius den Verlag zu befommen hoffte, gab 
nun dieſer im Frühjahr 1529 dem Morig Hutten von dem 
Stande der Sache Nachricht, und forderte ihn auf, den Plan 
des Anfaufs der Hutten'ſchen Bibliothek, che dieſe Ai 
werde, auszuführen. 2) 

Ein Stüd derfelben war vielleicht ſchon im Jahr * 
veräußert: die Blumenleſe aus Salluft und Curtius, die 


1) Burckhard, Il, 817 not. l 

2) Clarissimo adolescenti Mauricio Hutteno, Nobili equestris 
ordinis Franconici. 3Cal. Mai. 1629. Jo. Camerarii Epist. famil. L. 
II, ep. 1, p. 108 fg. 





Hutten's nachgelaffenes Geſpräch: Arminius. 325 


Sohann Herwag im J. 1528 zu Straßburg herausgab. ) Es 
ift Dies eine Phrafeologie, dergleichen fi die Humaniften aus 
den @laflifern, die fie lafen, zur Bereicherung ihres Iateinifchen 
Sprachſchatzes anzulegen pflegten: von Hutten auf feinen 
Fall zum Drude beftimmt. 

Noch ftärker findet man fich verfucht, die Herkunft aus 
der Locher'ſchen Sammlung von dem Dialog Armintus zu 
vermuthen, der im Jahr 1529 als ein nachgelafienes Wert 
von Hutten erichien.?2) Denn wenn in dem vorangefchidten 
Gedichte Eoban Hefle fagt, des Leſers erfter Dank gebühre 
dem Ulrich, der zweite dem Moritz Hutten, der dritte dem 
Joachim (Eamerarius), und da überdieß die Schrift bei Setzer 
in Hagenau gedrudt ift, fo fcheint hier die erfte Frucht bes 
unter Gamerarius’ Vermittlung zwiſchen Morig von Hutten 


1) C. Sallustii et Q. Curtii Flores selecti per Hulderichum 
Huttenum eq., scholiis non indoctis illustrati, Argentorati anno 
1528. Mit einer Zueignung Herwag's an Joh. Mai, Serretär der Ras 
jeftäten von Ungarn und Böhmen. S. Panzer, ©. 188. Opp. ed. 
Münch, IV, 581 fg. Davon find Huldrichi Hutteni flosculi, ein Wort⸗ 
verzeichniß zum Salluft, 1 Bogen ſtark, hinter der Ausgabe biefes Schrift: 
ſtellers, Bafel 1590, wenigftens ber Rebaction nach verfchieben. 

2) Arminius, Dialogus Huttenicus, Quo homo patriae aman- 
tissimus Germanorum laudem celebravit. Am Schluſſe: Hagenoae 
in aedibus Jo. Sec. Anno 1529. Interloquutores: Arminius, Minos, 
Mercurius, Alexander, Scipio, Hannibal, Corn. Tacitus. Voran ein 
Gedicht Eoban's d. d. Nurenbergae anno 1528 mense Augusto: Ver⸗ 
borgene Zierden der deutſchen Geſchichte an's Licht zu ziehen, habe ſich 
Hutten zu einer Hauptaufgabe gemacht. 

E quibus unus hic est, quem condidit ipse, libellus, 
Sed non auspiciis edidit ipse suis. 
Namque immatura praereptus morte, reliquit.... 
Hätte er die Schrift felbft herausgeben Fönnen, fo würde er fie noch vers 
befiert haben. 
Hunc tibi Mauritius, gentili Huttenus honori 
Fidus, ab aeternis noctibus eripuit. 
Das Gedicht Eoban’s iſt wiederabgebrudt bei Burckhard, UI, 820—22; 
der Dialog Opp. ed. Münch, IV, 591—606. Bgl. Panzer, ©. 179 fg. 





326 I. Bud. Xi. Kapitel, 


und Locher abgefchloflenen Handels vorzuliegen. Wenn nur 
nicht das Eobanijche Gedicht dad Datum des J. 1528 trüge, 
wo, wenn die Jahreszahl des oben befprochenen Camerariſchen 
Briefes richtig fit, jener Handel noch nicht abgefchloflen war. 
Daß übrigens Moritz vwirflih die Bücherfammlung feine 
verftorbenen Vetters an ſich gefauft habe, wird daraus wahr 
fheinlih, daß, nad Burckhard's Erfundigungen, zu Anfang 
des vorigen Jahrhunderts in der bifchöflihen Bibliothek zu 
Eichſtädt noch verfchiedene mit Hutten’d Handzeichen ver 
fehene Bücher vorhanden waren. !) 

Wo aber auch jener Dialog aufgefunden fein mag: an 
feiner Aechtheit ift nicht zu zweifeln. Er trägt Huttens 
Stempel nach Inhalt und Form. Ja, ein ganz beftimmter 
Anfnüpfungspunft findet ih. In dem Sendichreiben an ben 
Kurfürften Friedrid) zu Sachſen (vom September 1520) führte 
er diefem den Arminius zu Gemüthe, der, als Cheruöfer zu 
den Sachſen gehörig, nad) dem Zeugniß der Feinde felb der 
befte und tapferfte aller Feldherren gewefen fei, und Deut 
land von dem Soche der Römer in der Zeit ihrer hödhiten 
Macht befreit habe. Was diefer unfer Befreier in der Unter 
welt Denfen werde, wenn er ſehe, daß, während er die tapfen 
Römer nicht als Herren habe dulden wollen, feine Nubs 
fommen jest weichlichen Pfaffen und weibifchen Bijchöfen 
dienen? ?) 

Bon diefen Gedanfen ift der Dialog Arminius nur bie 
weitere Ausführung. Arminius erjcheint in der Unterwelt, 
und macht fich ald den tapferften Feldherrn geltend. Er pre 
teftirt vor den Nichterftuhl des Minos gegen den Eprad, 
durch welchen diefer die erfte Stelle unter den Heerführern im 
Elyſium dem Alerander, die zweite dem Scipio, die dritte bem 


1) Burckhard II, 319. 
2) Ad Friderichum Sax. Ducem etc. epistola, Opp. IN, 600. 


f 
| 
| 








Hutten's Arminine. 327 


Hannibal, ihm felbft aber gar Feine angewielen hatte, dem 
doch von Rechtswegen der erfte Plab gebührt haben würde. 
Minos, obwohl er den Arminius tadelt, daß er fih nicht 
rechtzeitig gemeldet habe, ift Doch nicht abgeneigt, die Sache 
noch einmal aufzunehmen, und läßt daher durch Mercur jene 
drei Feldherren, und auf das Verlangen des Beichwerbeführers 
auch den römifchen Geichichtichreiber Tacitus, rufen, dem 
Hutten fein rühmliches Zeugniß für die deutiche Nation von 
jeher hoch angerechnet hatte.) Den Leptern fordert nun 
Arminius auf, die Stelle über ihn aus feinen Annalen (am 
Schluſſe des zweiten Buchs) vorzulefen; worauf er in längerer 
Rede feine Anſprüche auf den erfien Pla unter den Feld⸗ 
herren durch die Rachweifung begründet, daß derjenige, welcher 
unter den größten Echwierigfeiten dad mächtigfte Volk der 
Erde in der Periode feiner höchften Blüthe befiegt babe, noth⸗ 
wendig der größte Feldherr fein müfle. Wenn Arminius in 
diefer Rede jagt, er habe Diejenigen für gar feine Deutichen 
gehalten, welche dem Auslande Tribut bezahlten, oder jonftwie 
fremder Botmaͤßigkeit fich fügten; als den aͤrgſten Gräuel aber 
babe er ed ausgerufen, daß zwiſchen Rhein und Elbe vömifche 
Fasces und Toga je erblicdt worden feien; er habe es dahin 
bringen wollen, jeden Ueberreft der römiichen Macht, ja felbft 
ihr Andenken, in Deutishland zu vertilgen: fo bevarf es feiner 
Srinnerung, dag Hutten dabei an das päpftliche Rom feiner 
Zeit und feinen Kampf gegen dieſes gedacht hat. So fchilvert 
er auch den Varus mit feiner Habfucht und feinem Webers 
muthe ganz wie einen päpftlichen Legaten feiner Zeit, und 
nimmt ihm das befonders übel, was ihn an einem @ajetan 
und Nleander fo erbitterte, daß auch er fchon die Deutfchen 
für dumme Beftien hielt, denen man Alles bieten dürfe. 2) 


1) Vadiscus s. Trias Romana, Opp. IH, 431: Tacitum ... quo 
nemo de veteri nalionis hujus laude meritus est melius. 
2) Opp.IV,603: Arminius. Age autem, quis tam injuriae pations 








328 II. Buch. XI. Kapitel. 


Wenn Arminius die Beichuldigung, nach der Oberherciaft 
in Deutfchland geftrebt zu haben, als Berläumbung zurkds 
weist, da er nur, um die gemeine Freiheit fchügen zu können, 
die einmal erlangte Macht nicht aus den Händen gegeben 


habe; übrigens wäre es nicht mehr als ein verbienter Dauf 
geweſen, wenn die Deutichen ihrem Befreier aus dem Fremden 


joche freiwillig die Herrſchaft angeboten hätten: fo mag 


Hutten hiebei an Sidingen’s Plane gedacht haben; wie die 


Idee, die beide Freunde begeifterte, in folgender Schlußrede 


des Arminius nicht zu verfennen if. „Nicht um Ruhe, 


Reichthum oder Herrfchaft Fämpfte ich, fondern das Zid 
meines ganzen Strebend war, dem Baterlande die ihm ges 
waltfam entriffene Breiheit zurüdzugeben. So lebte ich in ber : 
Ausübung der höchften Tugenden, bis midy einheimiicher Reid 
und die Arglift der eigenen Verwandten fällte, und ich den 
freien und über Alles fiegreichen Gelit, im Bewußtſein der 
größten Verdienfte um mein Baterland und eines in allem 
Stüden wohlgeführten Lebens, zu euch hinüberfchidte Wir 
nos, mit bed Arminius Rede fehr zufrieden, gefteht zu, daß 
ihm der erfte Plag unter den Yeldherren gebühren würde; 
doch weil der frühere Spruch nicht umgeitoßen werden koͤnne, 
fo läßt er zum Erfaß durch Mercur ald den erften unter ben 
Baterlandsbefreiern, wie Brutus und ähnliche, den Cherukker 
Arminius, den Freieften, Unüberwindlichften und Deuticheften, 
öffentlich ausrufen. 


—m— 0. — — — — 


esse debet, ut ea ferat, quae in Germania faciebant Romani lusc, 
quaeque Varus, homo omnium, puto, quos terra protulit, avarissimus 
et iniquissimus? Qui, cum Syriam ante spoliando circumrasisst, 
Germanos ex toto consumere peculando instituerat. Ibique es fur 
superbia et animi impotentia, ut mente conciperet, bestias ese 
Germanos et ratione carentia bruta, non homines, neque ulam 
tantamı esse indignitatem, quam aversari nos deceret, aut com 
quam resistere. 


{ 


wc 


{ 
N 





Hutten's Arminius, 329 


Die ausdrüdlihe Ruganwendung auf die Gegenwart iſt 
burhaus verfchwiegen, und diefe objectiv hiſtoriſche Haltung 
gibt dem Ganzen, dem wohl auch noch manche rhetorifche 
Rahhülfe vorbehalten war, ein matteres Golorit, als man 
fonft an Hutten’fhen Schriften gewohnt if. Hieraus etwa 
fchließen zu wollen, das Geſpraͤch fei in Hutten's letzter Zeit, 
bei abnehmender Kraft verfaßt, ift gleihwohl mißlih; man 
fönnte ebenfo die ruhige Objectivität für diefe letzte Unglücks⸗ 
zeit befremdlich finden: und wenn wir hier wirklich ein Stüd 
der von Locher „aus der Beute” gekauften Bücherfammlung 
vor und haben, fo würde fi die Annahme ergeben, daß die 
Schrift auf einem von Sickingen's Schlöffern entworfen, und 
bei Hutten's Abzug aus Deutfchland dafelbft gurüdgeblieben ſei. 





Zwölftes Rapitel. 





Stimmen über Butten’d Tod und Ausgänge feiner alten 
Freunde. 


— — — — 


Ob dem ſterbenden Hutten des Erasmus bittere Gegenſchrift 
noch zu Geſichte gekommen, iſt ungewiß. Einige behaup⸗ 
teten es; Erasmus glaubte es nicht, weil der Drud ber: 
felben erft am 3. September vollendet worden war!), wo 
Hutten fhon im Grabe lag. Immerhin Fönnten ihm jedoch 
durch Freundesvermittlung die einzelnen Bogen fchon vor der 
eigentlihen Ausgabe‘ der Schrift zugefommen fein. Im 
Publicum dagegen fam die Kunde von Hutten’d Tode der 
Verbreitung der Spongia um fo viel zuvor, daß die gehäflige 
Nachrede entftehen Fonnte, Erasmus habe fie gegen ben 
Todten gefchrieben. Vermochte er gleich, dieß genügend zu 


— * 


1) ©. Erasmus in der Epist. ad lectorem vor der neuen Ausgabe 
der Spongia, bei Münch, Opp. Hutteni IV, 491 fg. Hinter der erften 
Ausgabe Reht: anno 1528 mense Septembri. Bgl. Panzer, &. 175. 
Dagegen fagt der Basler Eorrefpondent das Agrippa von Nettesheim in 
dem oben angeführten Briefe, Hutten fei post editam Spongiam ge: 
ſtorben. 








Grasmus nach Hutten’s Tod. 331 


widerlegen, fo wurde feine Schrift doch gelefen, als der Gegner 
fhon todt war, den fie befämpfte, und Erasmus fühlte 
felbit, wie viel ihr Dieß von der Gunſt des Leſers entziehen 
mußte. !) 

AS nun nach wenigen Wochen fchon eine neue Auflage 
nöthig geworden war, konnte Eradmud diefe Gunft durch ein 
veriöhnended Vorwort zu gewinnen ſuchen. Er fonnte, nach⸗ 
dem er der Pflicht der Selbftvertheidigung genug gethan, 
und dabei den Gegner, ver ihm in Waffen gegenüberftand, 
nicht gefchont hatte, nun, da dieſer gefallen war, fi) und die 
Leſer an feine Vorzüge erinnern, und von dem ehemaligen 
Freunde, den fpätere Verwiclungen zu feinem Gegner ges 
macht hatten, einen großmüthigen Abſchied nehmen. Statt 
deflen rühmte er jich in dem Vorworte zu der neuen Aus⸗ 
gabe (dad er nicht mehr, wig das der erften an Zwingli, ber 
fchwerlich mit der Spongia zufrieden war, jondern an den 
feier richtete), in dieſer Schrift noch fehr ſäuberlich mit 
Hutten gefahren zu fein?), und frifeht nun das grelle Bild, 
das er dort wiederholt von demfelben entworfen, zum Webers 
fluß nod einmal auf. Für die Jugend, äußert er, ergebe 
fi) aus Hutten's warnendem Beijpiele die Lehre, über der 
Bildung ded Geiſtes die des Charakters nicht zu verfäumen, 
die Leidenjchuften durch Vernunft zu zügeln. „Denn Manche“, 
fährt er fort, „‚ichmeicheln Anfangs ihren Fehlern, ſehen 
Buhlen und Praſſen ihrer Jugend nach, halten Spiel und 
Verſchwendung für adelig. Mittlerweile nimmt das Ber: 


— — —— — —— —— 


1) Erasmi Epist. ad lect. a. a. O.: Hutteni decessus gratiae 
nonnihil detraxit nostrae Spongiae. Ebenſo in ber Epist. ad Gocle- 
nium. Basil. 25 Sept. 1523. Epist. DCLVII, p. 773 der Ausg. Lugd. 
Bat. 1706. 


2).. quam civililer tractarim Huttenum in Spongia. Epist. 
ad lect. p. 493. 





932 N. Bud. XU. Kapitel. 


mögen ab, die Schulden zu, der Ruf leidet, die Gunſt ber 
Fürften geht verloren, von deren Mildthätigfeit man lebte. 
Bald lockt Dürftigkeit zum Rauben, und zuerſt geſchieht dieß 
unter dem Vorwande des Kriegs; dann aber, wenn für ben 
Aufwand, ald das lede Faß der Danaiden, nichts mehr bin- 
reicht, erlaubt man fich fehlechte Streiche, und madt, wo es 
eine Beute zu erfchnappen gilt, zwifchen Freund und Feind 
feinen Unterfchievd mehr; bis envlich Die Leidenfchaft, wie ein 
Roß, das den Reiter abgeworfen, jählings ind Berberben 
rennt.” Auch fpäter noch berief er fich gegen die Vorwürfe, 
die ihm der Spongia wegen gemacht wurden, darauf, daß er 
ja in derfelben von Hutten's anftößigem Lebenswandel fein 
Wort gefagt habe‘); was nur infofern richtig ift, als er ver 
offenen Nennung feines Namens an folhen Stellen die nicht 
mißzuverftehende Anfpielung vorgezogen hatte. 

Billiger und richtiger hatte ſchon vor einem Jahre, aus 
Beranlaflung einer verfrühten Todesfunde, Veit Werler in 
feiner Abgefchiedenheit zwiſchen den Bergen von Wiefenfleig 
über Hutten geurtheilt, der ihm von einem frühen Zufammen- 
treffen in Leipzig ber unvergeßlich geblieben war. Nachdem 
er den vorzeitigen Hingang eines fo großen Talents, eines 
in Profa und Berfen fo glüdlichen Schriftftellers beflagt, und 
des Urfprungs ihrer Bekanntſchaft fi) mit Liebe erinnert hat, 
fährt er fort: „Man machte ihm zum Vorwurfe, daß er oft 
allzubitter gefchrieben, daß er Schmähungen auf Schmähungen 
gehäuft, daß er Viele mit mehr als tragifchem Haſſe verfolgt 
habe. 2) Es fei fo. Aber er war gereizt, war jung, und that 


1) Epist. ad Lutherum Basil. postrid. Non. Mai. 1524, Opp. 
Hutteni ed. Münch, IV, 570 fg. 

2) So z. B. Bernhard Adelmann, Epist. ad Pirckheimerum, 
8. Mai 1520, bei Heumann ©. 194: Nemini parcit, ul nosti, Huttenus, 
meritus, ut nemo quoque sibi parcat. Kilian 2eib, Prior von Rebborf, 








Eoban'6 Klage um. Hutten. 333 


ed nur in der Hitze ded Schreibens, machte auch Riemanden 
verhaßter dadurch als fi ſelbſt. Wenn das ein Fehler ifl, 
fo hat er diefen mit Vielen gemein. Wir fönnen nicht alle 
unferem Herrn und WMeifter Chriſto aͤhnlich fein, der nicht 
läfterte, wenn er geläftert ward, fondern für bittere Schmad) 
uns feine heilfame Lehre zurüdgab. Wie dem fei: ich wünfche 
Hutten’8 Schatten eine leichte und nicht laftende Erbe, und 
duftende Grocusblumen auf jein Grab.” !) 

Wie nun vollends der alte Herzendfreund Eoban Die 
Nachricht von Hutten’d Tode erhielt, Fannte fein Schmerz 
feine Grenzen. „O mein Draco“, fchrieb er an diefen Theo⸗ 
flogen, der einft auch dem Erfurter Kreije angehört hatte. 
„Ah mein Draco! — Was ift es? — Ein Unglüd ohne 
Bleihen. — Welche üble Zeitung meldet du, Hefle, warum 
beunruhigft du deinen Draco? — Nein, Erasmus ift nit 
geftorben. — Gott ſei Danf! — Aber Er ift hin. — Wer? 
— 6r, der Unſrige. — Welcher Unfrige? Jonas ? 
— Nein, das fei ferne: und doch der Unfere . . unfer 
Hutten ift nicht mehr. Beurtheile nun, ob meine Seufjer 
von Herzen fommen .. Unjer Hutten ift an Gift geftorben.. 
Wer war, jaft möchte ich fagen der feindfelige Gott, der um 
dieſen reichen Geift uns beneidete? Ja, wiederholt und oft 


——— — — — — —— — 


in dem (ſchmähenden) Epitaphium, das, wie er angibt, doctus quidam 
auf Hutten gemacht habe, wo es unter Anderem von ihm heißt: qui in 
omni vita hoc sibi negotii desumpsit maxime, ne cui viro bono 
bene bonis verbis diceret. Chil. Leibii Annales, in Aretin's Beiträgen 
zur Gefch. u. Lit. IX, p. 1050. 

1) Viti Berleri Ep. 2 ‚ad Bilibaldum. Ex Wiesensteiga, 8 die 
Oct. 1522. Bei Qeumann p. 293 fg.: Vitio illi vertebatur, quod 
acerbius nonnunquam scripserit: quod convicia conviciis accumu- 
laverit: quod plerosque insectaretur odio plus quam tragico. Sit 
ita. Sed provocatus, sed juvenis, sed nonnisi quando calamus 
incaluerat: qua tamen re neminem majori quam se ipsum gravabat 
invidia ... 





334 1. Bu. Xi. Kapitel. 


drängt es mid, auszurufen: Wehe, ihr graufanien Götter! 
du grauſames Geſchick! Doch ich fehe, ich muß meine Zus 
flucht zur Dichtung nehmen; denn ein einfacher Brief kann 
meinen Schmerz nicht faflen. Aber ad), du theurer Hutten, 
fo haft du uns verlaffen? Oder bift du nur bingegangen? 
Wohin aber? und wirft du wiederlommen? Ad! du wareh 
durchaus liebenswerth. Keiner war fo wie du den Schlechten 
gram und den Buten hold. Rur mit Mühe halte ich mid 
zurüd, daß ich nicht ganz zerfließe. Laß mid, bei Dir, mein 
theurer und verehrter Draco, das feierliche Zeugniß nieder 
legen, daß ich Hutten innig geliebt habe. 1) Die poetiiche 
Klage, auf welche Eoban in dem Briefe an Draco verwieß, 
gab er wirklich bald darauf in einer Elegie, in weldyer 
Hutten fih mit dem Tode unterredet, und deſſen Triumph 
über ihn durch die Hinweiſung auf feinen unfterblichen 
Ruhm und durch Herzählung feiner Verdienfte zu dämpfen 
fudht. ®) 

As im folgenden Jahre Melanchthon, in Begleitung 
von Joachim amerarius und einigen Andern, die Reife in 
feine Heimath machte, fpracdhen fie in Fulda bei Crotus Rus 
bianus und Adam Kraft ein, und erfuhren von ihnen erfl 
- das Nähere über Hutten’d Scheiden. Bon Allen wurde fein 
Andenken gefeiert, und Melandıtbon, dem an dem lebenden 
Hutten feine Heftigkeit und Neigung zu Neuerungen immer 
unheimlich gewefen, der fid wohl auch an feinem foldatifchen 


1) Helius Eobanus Hessus Jo. Draconi. Erfordiae. Epp. fa- 
milier. L. I, p. 85. Sed ah, mi carissime Huttene, sic nos reli- 
quisti? an potius abiisi? Quo vero? ecquando redibis? Heul 
eras totus amabilis. Nemo hominum improbissimorum hostis major, 
nemo bonorum amantior... 

2) Ulrichi Hutteni eq. ac Poetae Epicedion. H. Eob. Hesei 
Opp. farrag. duae, Francof. 1564 p. 298 jo. Wiederabgedruckt bei 
Burckhard, II, 279 fg. Hutteni Opp. ed. Münch, 1, CIII fg. 





Melanchthon und Camerarins über Hutten. 335 


Wandel geftoßen, und zulegt über feinen Angriff auf Eras⸗ 
mus fich ſehr hart ausgeiprochen hatte, er nahm jeht den 
Todten gegen die Schmähungen eines gewiflen Othmar Nach⸗ 
tigall oder Luſcinius dur ein Epigramm in Schup. ) Bel 
der Erzählung hievon macht Camerarius, nachdem er von 
Hutten’8 Adel und Gelehrfamfeit, Sreiheitöliebe und Ungeftüm, 
aber auch von feinem ſchwachen und unfcheinbaren Körper und 
feinen jpärlihen Mitteln geiprochen, die Bemerkung: oft feien 
ihm bei Hutten die Verſe eingefallen, welche bejagen, wenn 
dem Borfag und Eifer ded Demoſthenes Macht und Ders 
mögen entfprochen hätten, jo wäre der Maredonier niemals 
Herr von Griechenland geworden. Denn wenn ed Hutten 
bei feinen Planen und Unternehmungen nit an dem Rüds 
halte wirklicher, insbefondere friegerifcher Macht gefehlt hätte, 


— u 0. — — — — — 


1) Jo. Camerarii Vita Melanchth. ed. Strobel p. 89 fg.: Ibi etiam 
certi aliquid primum cognovimus de morte Ulrichi Hutteni .. 
Et dolore autem tum Ph. Melanchthonis ac nostro, et deploratione 
quoque Croti, quasi justa facta sunt Hutteno. Deque eo in itinere 
versus a nobis compositi, et refutati quidam mortuum lacerantes. 
In quibus cum Luscinius quispiam nominaretur, vulturem hunc 
potius esse, epigrammate quodam Melanchthonis dicebatur. Gteobel 
führt e6 unter dem Texte, ©. 91 an; wie er ©. 1 auch ein Epigramm 
Hutten's auf Bretten beibringt, in welchem dieſes Stübthen erit um 
feiner tapfern Gegenwehr gegen den Herzog Ulrich von Würtembery im 
batrifchspfälzifchen Erbfolgefriege, dann um Melandıthon’s willen ges 
priefen wird: 

His nova doctiloqui jungit se fama Philippi: 
Primus erit vates moenibus ille tuis. 


Die Berje, welche Camerar auf der MWeiterreife über Hutten machte, 
waren wohl bas jchen angeführte Epitaphium in der Sammlung: No- 
rimbergae ap. Fr. Peypus p. 17 (ohne Namen auch bei Munch abges 
deut, Opp. Hutteni I, CIX fg.), welches, nachdem es zwijchen feiner 
literarifchen ale der Lichtſeite, und ber friegerifchen ale der Schattenfeite 
unterjchieden, mit den Worten fchließt: 

Ösores quicquid, quicquid dicatis amici: 
Crimine cum parvo gloria magna mea est. 





336 Buch. All. Kapitel. 


fo würde eine allgemeine Umwälzung erfolgt, und der ganze 
öffentliche Zuftand ein anderer geworden fi. 00 
- Auf der gedachten Reife kamen Melanchthon und feine 
Begleiter auch nad) Gotha, wo Mutianus Rufus nody immer 
feinen Wohnfig hatte. Aber in dem ftillen Haufe hinter der 
Hauptfiche war Vieles anders geworden. Jahre und Erleb⸗ 
niffe hatten den Bewohner deſſelben ernfter, düfterer gemacht. 
Er hatte den Virgil mit den Pſalmen vertaufcht. Nicht, 
daß er zu den Glaffifern nicht immer wieder) zurückgekehrt 
wäre: aber der Say fonnte jest feiner Feder entfließen, daß 
ein Priefter eigentlich Feine heidniſchen Dichter leſen ſollte. 
Seinen kirchlichen BVerrichtungen, die er früher gerne durch 
Stellvertreter hatte verjehen laſſen, unterzog er fid) nun fleifig 
felbft. Er empfand das Bedürfniß tieferer religiöſer Belch- 
rung, und beflagte nur, nirgends einen Gingeweihten zu 
finden, den er zu feinem Führer wählen könnte.) Da er 
aber dabei, wie wir aus feiner Stellung im Reuchlinifchen 
Streite willen, die beftehende Kirche gefhont, die Blößen der 
Priefterfchaft nicht aufgedeckt, den Unterſchied ——— und 

efoterifcher Lehrart aufrecht erhalten vwiffen wollte, fo Fonnte 
ihm Luther's Verfahren, das alle diefe Nüdfichten und Schran- 
fen niederwarf, nicht gefallen; nod) weniger Hutten's gerade: 
zu auf Krieg und Aufftand gerichtetes Beftreben. Schon 
im Jahre 1519 hatte ſich diefer über Mutian’s. Schweigſam⸗ 
feit zu beklagen gehabt.) Was ſeitdem vorgefallen war, 
hatte nicht dazu beitragen können, des Lepteren Stimmung 
gegen die Reformation und deren Berfechter zu verbefiern. 
Sie fing an, die Grundlagen feiner Griftenz zu erjchüttern, 
— Aludſelie Stille" zu bedrohen. Im Jahr 1522 plim« 
1 — 
1) Das 6 Bisherige aus Epist. 95, 288, 315, 355, 48 des opt 

F 

Eob. Hesso et Petr. Aperbaccho. Opp. Il, 220. ©. oben ©. 24. 















Mutian's Ausgang. 337 


derte Dad Volk zu Gotha die Häufer etlicher liederlichen 
Dombherren ?), deren Leben freilich dem Mutian längit ebenfo 
wie dem Volke ein Gräuel gewejen war. Aber auch ihn bes 
traf ed mit, daß die Bauern, dur die Reformationdideen 
aufgeregt, ihre Abgaben an das Ztift nicht mehr entridy- 
ten wollten. Des Kurfürften Befehle zu Mutian’8 Guns 
ſten frucdhteten wenig, feine Geldſendungen halfen nicht auf 
die Dauer. 2) Als daher im Jahr 1524 der vorauseilende 
Gamerar dem Mutian jenen Befuh Melanchthon's anfüns 
Digte, fehlten dieſem bereits die Mittel, die werthe Reiſe⸗ 
gejellihaft in gewohnter Weije in jein Haus und an feinen 
Tiſch zu nehmen, und er mußte ji begnügen, jie in der 
Herberge zu begrüßen. Das that dem alten Manne fchmerz- 
lich wehe, der in feiner beicheidenen literariſchen Gaſtfreund⸗ 
lichkeit jo glüdlicd) geweien war. °) 

Doch noch Schlimmeres follte Das nädjite Jahr ihm 
bringen. Der Buauernfrieg drang auch nad Thüringen, und 


Gm . — — — — — 


1) Casp. Sagittarii Historia Guthaua. Jenae 1700, p. 51. 

2) Im 3. 1523 ſchrieb ibm der Rurfürit: Vix verbis consequi 
possumus, .. quam aegre nobis sit, Tranquillitati tuae tot modis 
dubium a quibusdam fieri. Gr habe darüber mit feinem Bruder, dem 
Herzog Johann, verhandelt (Spalatın: dabitur .. opera, ut agricolae 
tibi dependant pensiones anniversarias). Nune vero ad levandamı 
necessitatem et inopiam tuam tibi N. N. aureos in numismatis Schne- 
bergeusibus transmittimus. Joach. Camerarii tertius libellus epist. 
c 2, | 

3) Ad Camerarium, in deiien Tertius libell. epist. D 7 (mad) ver 
Erzählung des Hergangs): Quid vero querar? Non soleo, non pos- 
sum, non libet. Dolet tamen mihı, contra multorum annorum con- 
suetudineım veniendum fuisse ad eum, cui comes eras. Malueram 
enim, et erat hoc rectius, invilare vo3 ad mie et accipere hospitio 
Musico, ita ut decebat et meus mos erat aliquando, vino, victu, 
non Pontificali quidem,. sed neque proletariv. Meministin’, quod 
onus Comieus vocet miserum et grave? Sed querelae absunto. 


Strauß, Hutten. II. 22 





338 1. Bud. XI. Kapitel. 


wenngleich Gotha ſelbſt verjchont blieb, jo weüthete doch 

ringsumher Aufruhr, Plünderung und Brand. Mutians 

Einnahmsquellen veriiegten vollends, feine ganze Eriftenz war 

and den Wurzeln gehoben. Inter Ddiefen Umpjtänden ſchrich 

er am Donneritag nad Quaſimodogeniti einen Brief an den 
Kurfürjten Friedrich, der ihn innerlich gebrochen zeigt. „Mein 
grogmächtiger Fürſt und Herr! Betrübt ift meine Sede bi 
zum Tode. So gewaltſam, jo jchrediid, fo grauſam, ver 
beert das rohe Yandvolf, ohne Sitte, Geſetz und Religion, 
Die heiligen Tempel unjeres Gottes. Wir jind Die Schafe 
Teiner Weide. In Deiner loblichen Herrichaft bitten wir 
für Die Ehre und Würde Deined Namens den Almäcrigen. 
Tag und Nacht. Ein jammervolles Schaufpiel gewähren wie. 
umberirrenden Nonnen und Prieſter, die, nicht freiwillig, jor ; 
dern aus Furcht, von den Tempelichändern gefteinigt zu wer. 
den, ihre heiligen Wohnfige verlaſſen. Ich Elender, Unglüch 
teliger, jchon alternd und mit grauem Haupte, ſehe mid ge 
nörhigt, zu betteln. Unter den großmütbigjten und löblihfes 
Fürſten muß ich, Dei Dem äußerſten Mangel an allen Not 
wendigen, vor Bekümmerniß ſterben.“ In feiner Arglofgke. 
habe er ſich auf nichts Dergleichen verſehen; obwohl er j : 
aus Den Reden und Briefen glaubwürdiger Leute erkenmt, 
daß Die Reichsſtädte es feien, welche, unter dem Scheine ve | 
Evangeliums und mir Hülfe der Juden, die Bauern aufrd 
zen, in Der Abficht, nicht allein Die bilchöflichen, ſondern aud 
die fürftlichen Stühle umzuſtürzen, um, nad) Ausrottung ale 
erlauchten Familien, eine Republik nach dem Vorbilde et ‘ 
Venezianer oder der alten Griechen zu errichten. Ben MM 
rafenden Volke ſei Alles zu fürchten. Vielleicht werden M 
Stifter, auch Das zu Gotha, nicht wiederhergenelt mer 
den. Dann aber, fährt er fort, „möge doch mir, als MM 
Einfältigſten und Geringiten, gejtattet fein, in dieſem Rubeift 
(Tranquillitate), den ich gefauft, den ich mit Büchern andpe 













Mutian's Ausgang. 339 


ihmüdt, den ich mir zur fihern Zuflucht meines Alters aus». 
erjeben babe, bis an mein Ende zu bleiben. Auch wenn ver 
Tempel geſchloſſen, die heiligen Bräuche abgeichafft, die Als 
täre umgeftürzt jind, werde ich Dich, mein huldreiher Schutz⸗ 
herr, verehbren im Tempel meined Herzens, im heil. Evans 
gelium, im ewigen Angedenfen. Alter und Leibesfhwarhheit 
geftatten mir nicht, zu wandern. In Deinen Gotha, gütigs 
fter Vater, wo ich harmlos zweiundswanzig Jahre lang ge 
lebt, Niemanden gefränft, gedient habe wen ich fonnte, möchte 
ih altern... Aber des Lebens Nothdurft wird wir gebres 

hen. Die geiftlihen infünfte jind aufgehoben. Wovon 
fol ich Armer leben? Turclaudhtiger Fürſt! ich werde nit 
Wenigem aufrieden fein. Doch chrburen und gelehrten Oäs 
ften möge mein Haus offen jtehen. Laß mich Brod haben 
und etwas Weniged an Geld für Zugemüfe. Ich bin, ich 
geftehe cS, in nicht unbedeutende Schulden gerathen. Denn 
ganze vier Jahre iſt mir von erftungen fein Zins gefom- 
men, feine Frucht geliefert worden: mein Brod muß ich vom 
Bäder, meinen Mein von der Stadt faufen, une freilich ein 
jorgfältiger Hauswirth bin ich nicht, wie ja ſolche Adhtlojigs 
feit den Gelehrten eigen iſt. Demütbig falle ih Dir zu Fügen 
und umfafle Die Knie Deiner Gnade: meine Rettung liegt 
in Deiner Hund. Bon meiner danfbaren Gejinnung gedenfe 
ih ein Pfand zurückzulaſſen. Zeugniß ablegen will ich vor 
der Nachwelt, Daß ich durd die Wohlthaten des erlauchten 
Kurfüriten, des frommen Friedrich, und ſeines menfchen- 
freundlichen Bruders unterſtützt worden bin... Deine fromme 
Weisheit wird, jo hoffe ich, mir ein jährliches Gehalt ver- 
ordnen, Daß ich unter dem Schatten Deiner Flügel den Reſt 
meiner Tage ohne Furcht und Sorgen hinbringen kann ... 
Mögen Andere lehren mit dem Geiſte ihres Mundes: ich will 
duch Milde, Geduld, Liebe und gutes Beiſpiel, durch heili- 

22* 





30 N. Buch. Xi. Kapitel. 


* 


gen Wandel nach evangeliſcher Ordnung und chriſtlicher Le⸗ 
bensregel, fo lange ich lebe, die Gläubigen zu unterweiſen 
nicht aufhören.‘ ?) 

Als der tiefgebeugte Mutian dieſes Hülfsgeſuch an Fried⸗ 
rich den Weiſen richtete, lag dieſer bereitd auf feinem lebten 
Krankenlager zu Lochau, wo er am 5. Mai, gleichfalls fatt 
“einer Welt, aus der er Liebe, Wahrheit und Treue verſchwun⸗ 
den glaubte, verſchied. Sein Bruder und Nachfolger Johann 
aber war noch geraume Zeit mit der Dämpfung des Bauern: 
aufruhrs und Herftellung der Ordnung vollauf befchäftigt. 
So fam es, daß der gute Mutian auch ferner bittern Mans 
gel litt.) Doc) feine Erlöfung war nicht mehr weit. Gegen 
Oftern erkrankte er. Als es fchlimmer mit ihm wurde, fagte 
er den Tag und nahezu die Stunde feines Todes voraus, 
dem er gefaßt und ohne Bangen, unter Gebet und frommen 
‚Betrachtungen entgegenfah. Mit den Worten: Herr, bein 
Wille gefchehe! entichlief er, den Tag vor Oftern 1526. Sein 
Hingang wurde von Allen, die ihm näher geftanden hatten, 
tief betrauert; von Keinem inniger als von Crotus Nubianus, 
der damals ſchon fern an den Ufern des baltifhen Meeres 
lebte. „Mutian's Tod’, fchrieb er von bier aus an Camera» 
rius, „iſt mir nach dem meiner Eltern der bitterfte gewejen. 
Keines Menfchen Freundſchaft war mir jemals theurer, mit 
Keinem ftimmte meine Gemüthsart mehr überein. Darum 
beflage ich nicht jein Loos, fondern das meinige, eines ſolchen 
Freundes beraubt zu fein. Er hat das fterbliche Leben mit 
ber Unfterblichfeit vertaufcht, und iſt ohne Zweifel aufgenom- 


1) Epistola Mutiani ad Fridericum Elect. In Tentzelii Supplem. 
Histor. Gothanae, 2te Abth. Reliquiae epistolarum Mutiani, elogiis 
mixtae, p. 75 fg. 

2) Mutianus misere eget, ſchrieb Eoban im December 1525 an 
Sturz. Epp. famil. p. 121. 





Ausgang des Grasmus. 341 


men in die ewige Eeligfeit, in deren Hoffnung er fein Leben 
fo fromm und tugenphaft eingerichtet hatte.’ 1) 

An der Zeit irre geworden, mit der Neformation zer⸗ 
fallen, war Mutian, wie wir fahen, in feinen legten Jahren 
nicht minder als Erasmus; nur daß feine zurüdgezogene Art 
ihm den unmittelbaren Zujammenftoß erfparte. Bei Erasmus 
dagegen folgte auf das Vorpoftengefedt mit Hutten unmittels 
bar die Hauptichlacht gegen Luther. Gereizt durch diefen?), 
wie ſchon längft durch jeine fürftlihen Gönner gedrängt, gab 
er im 3. 1524 jeine Schrift über den freien Willen heraus, 
welcher Luther, ganz in jeiner Weife, wie fie Erasmus früs 
ber gezeichnet hatte, jein Buch vom unfreien Willen entges 
genfegte. Von jegt an war der Strieg der Reformationspars 
tei gegen Erasmus erklärt. Und beinahe war es ihm jegt 
lieber, von dieſer Seite geicholten als gelobt zu werden, weil 
ihn Lebtered auf der andern verdächtig machte.) Denn es 
traf nun ganz fo ein, wie Hutten ihm vorbergefagt batte, 
dag ihm die päpftlich Gejinnten doch nie recht trauten. Hatte 
ihn fchon früher der Gardinal Adrian bei Leo X. als denje- 
nigen denuncirt, an den man fi) ald an den eigentlichen Urs 
heber der Reformationsunruhen halten follte, fo warf ihm 
nun Albert Pius, Fürſt von Garpi, in einer eigenen Schrift 
vor, Daß feine Bücher die Arfenale feien, aus denen Luther 
und defien Anhänger ihre Waffen gegen die Kirdye genommen 


1) Crotus Joachimo Camerario. Apud Ichthyopolin Id. Jun. 
1527. Camerarii tertius libellus epist. F 4®. 

9) Beſonders durch den Brief vom April 1524, in de Wette's Samm⸗ 
lung Il, &. 498—501, worauf Grasmus am 5. Mai antiwortete. Beide 
Briefe auch bei Münd, Opp. Hutteni, IV, 566—71. 

3) So verwies er es dem Oeccolampadius, daß er ihn in einer Bor: 
rede magnus Erasınus noster genannt hatte; cum ex me sciat, fchrieb 
er darüber an Pirckheimer, mihi ingratum esse, ab eo nominari, in- 
gratius viluperari, ingratissimum laudari. Basil. postrid. Lucae 1527. 
Opp. Pirckh. p. 2885. 





342 | U. Buch. XII. Kapitel. 


bätten.?) Und indem er fich gegen Angriffe von dieſer Seite 
vertheidigte, jtürmte Dann auf einmal wieder jener Heinrich 
Eppendorf, Hutten's zweideutiger Schildträger in deſſen legten 
Tagen, in das Zinmer des fränflihen alten Manned, und 
wußte ihm durch Vorhaltung der Abjchrift eines Briefes an 
den Herzog Georg von Sachſen, in welchem Erasmus dem 
Eppendorf vielleicht zu nabe getreten war, einen demüthigen⸗ 
den Vertrag abzuängftigen. An Eppendorf nahm Erasmus 
unter Anderm auch dadurch Rache, daB er fein Conterfei, 
zwar ohne Namen, doc den Zeitgenofien wohl erfennbar, 
feinen Tialogen einverleibte. Das Gelpräh: Der Ritter ohne 
Roß, oder der erlogene Adel, bezieht ſich nachweisbar auf 
Eppendorf. ?) 

Aber auch auf Hutten fol Erasmus in ähnlicher, ja 
noch viel hämijcherer Weife in einigen feiner Tialoge ange: 
fpielt haben. Als foldhe werden das Geſpräch eines Freierd 
mit einem Mädchen, und Die unhochzeitliche Hochzeit genannt. ?) 
Allein in dem erfteren wird nur gelegentlih, zur Warnung 
einer Spröden, angeführt, wie Eine, die einen fchönen Lieb: 
haber hartherzig abgewiejen hatte, zur wohlverdienten Strafe 
ih in einen häßlichen, budligen, verfhuldeten, jchäbigen*) 
Menſchen, dem der Heufer ein Ohr abgeichnitten hatte, ver: 
lieben mußte. Hier it, wie e8 in dem Gefpräche felbft heißt, 


1) Bei v. d. Hardt, Histor. literar. Ref. I, 107 fg. 

2) ‘Inneig Avınros, s. ementita nobilitas. Colloq. famil. ed. P. 
Rabus, P. 658 fg. Die Zeichnung dieſes vorgeblichen Ritters ſtimmt Zug 
für Zug mit demjenigen zufanmen, was Erasmus in dem Briefe an 
Botzheim, Pirckheimeri Opp. p. 292, dem Eppendorf nadyfagt. Auch 
in dem Geſpräche de rebus et vocabulis, gegen den Schluß, von ©. 
614 an, find Beziehungen auf Eppendorf nicht zu verfennen. 

8) Colloquium proci et puellae, a. a. ©. p. 196 fg. und T’äpos 
&yanoc, p. 631 fa. | . 

4) Scabiosus, was allerdings auch von jener Krankheit gebraucht 
wird. 











Ausgang des Grasmus. 343 


ein Ideal von efelhafter Häßlichfeit, ein Therfites, fingirt, 
und feine Anjpielung auf Hutten zu fuchen. Der andre von 
den genannten Dialogen ftellt fich die Aufgabe, die Abfcheu- 
lichfeit der Luftfeuche auszumalen, um dadurch Jedermann, 
insbefondere Eltern und Mädchen, zur Vorficht, und die Re⸗ 
gierungen au vorbauenden Maßregeln gegen ihre Verbreitung 
zu veranlafien. Zu dieſem Zwede wird ein ungleiched Braut- 
und angehendes Ehepaar gefchildert: ein junges, blühendes, 
unfchuldiges Mädchen, und ein von jener Krankheit ganz zer 
freffener Bräutigam, der Dielen Bebler nicht einmal durch 
Reichthum, fendern einzig durd feinen leeren Rittertitel be: 
dedt: und bier finden ſich allerdings Züge, welche an die 
Art, wie Erasſsmus ſonſt von Hutten pricht, erinnern, und 
den Gedanfen einer Anfpielung auf ihn faſt unabweisbar 
nahe legen.) 

Durch Das Fortichreiten der Reformation wurde dem 


— — — — — — — 


1) Der ritterliche Prautigam wird ale Thraso bezeichnet, qui ne- 
minem non solet occidere suis gloriosis fahulis. Gr jei in der Stadt 
durch zwei Dinge befannt geweſen: mendaciis et scabie. Damit vers 
gleiche man, was Sraamms über Hutten au Melanchthon fehrieb (Corp, 
Ref. I, p. 664): erat mihi gloriosus ille miles cum sua scabie in 
aedes recipiendus; und daß er bei feiner Ruhmredigfeit nicht immer bei 
der Wahrbeit geblieben, wirft ibm Grasmus in der Spongia, p. 456 
deutlidy ver. Weiter heißt es von dem Bräutinam des Dialogs, er fei 
trunco naso. alteram trahens tibiam u. f. f., verfehulder, strenuus 
aleator, potator invietus, scorlator improbus, praedator non segnis, 
decoctor exinius, comessator perditus. Befitzungen babe er nur mits 
telmäßige gebaft; sed ex protervia. quam fecit. nihil superest prae- 
ter unaın turriculam, unde excurrere solet ad praedam. Damit ver 
gleiche man bie eben I, S. 337 angeführte Stelle aus des Brasmus Schrei: 
ben an Botzheim, und verfchichene, II, Kap. X, bemerflich gemachte Ans 
fpielungen in Der Spongia. Tiele Stellen hat Dr. Baulus nicht gefannt 
oder nicht erwogen, wenn er und Die Beziehung jene Dialogs auf Hut— 
ten auch aus dem Grunde ausreren will, daß doch Erasmus den armen 
Huiten unmöylich als decoctor hätte bezeichnen fünnen. Im Sophronizon 
IV, 3, S. 60 fg.: Zur richtigern Beurtheilung Hulderichs v. Hutten und 
Erasmus. 





* 


II. Buch. XII. Kapitel. 


(Grasmus endlid auch der ihm lieb gewordene Aufenthalt in 
Baiel verfümmert. Statt der Verehrung, die ihm früher an 
diefem Drte von allen Seiten entgegengefommen war, ſah er 
fih jest, da die Bewohnerſchaft in ihrer Mehrzahl fich der 
Reformation zuwandte, durch audringlihe Schreiben behelligt, 
bald auch durch Schmähſchriften und Sportbilder verhöhnt. 
Wie nun gar Volkshaufen ſich zuſammenrotteten, Geſchütz 
auf dem Markt aufführten, und einige Nächte daſelbſt um 
ein großes Fener unter Waffen ſtanden, glaubte Erasmus 
ſeines Lebens und Gutes nicht mehr ſicher zu ſein. Der 
Rathsbeſchluß, dic Meile abzuſchaffen, und die Bilder aus 
den Kirchen zu entfernen, beugte zwar einem Ausbruche vor; 
doch nun trat bei Erasmus Die leidige Rückſicht auf feine 
heben Gönner ein, die ihn, wenn er auch jegt noch in Baiel 
blieb, für einverftanden mit den Neuerungen balten mußten. 
So beichloß er den Umzug nad dem unter Lefterreichiicher 
Herridaft altgläubig gebliebenen freiburg, den er, unter 
ängrtliben Vorkehrungen, im Frühling 1529 glüdlih aus— 
fübrte.2) Hier war er, während feine übrigen Arbeiten 
ihren Gang fortgingen, beienderd auch um die Beilegung 
des kirchlichen Etreiteds bemüht. Im J. 1533 widmete er 
zerer Angelegenheit eine eigene Schrift, Die er dem theo- 
auichen Tiplomaten Julius von Pflugk aueignete.?)) Wir 
geiia feine billigen Vorſchläge (ur Mäpigung von beiden 
Zum, Adichen vom Unweſentlichen u. dgl.) nicht darum 
urn weil fie ohne Wirfung blieben und bleiben mußten; 
„ zer müllen wir tadeln, Daß er in diefer Schrift ſich 
a Kecht benahm, jo billig zu fein. Tenn wenn es 


— 
— —— 


üder bie beiden Briefe an Pirdbeimer, Friburgi 3 Id, 


un 


a‘ m 12329, in Pirckh. Opp. p. 291 fa. u. 286—88. 


% == 


— Ismi liber de sarcienda ecclesiae concordia, deque 
disidiis etc. Basil. ex oflicina Frobeniana 1533. 





Ausgang bes Erasmus. 345 


wahr ift, was er hier einräumt, daß Derjenige Ichlimmer fei, 
welcher von der Lehre und Gemeinfchaft der Kirche fich los⸗ 
fage, ald Derjenige, welcher lafterhaft lebe, aber an ber 
Kirchenlehre feſthalte ), fo ift aller Glaubenszwang geredht- 
fertigt, ja geboten. Wenn Erasmus früher feine Unterwers 
fung unter die Kirche durch das Berürfniß zu begründen ges 
fucht hatte, dem endlofen Hin und Her der Vernunftgründe 
durch den Machtſpruch einer unfehlbaren Auctorität Halt zu 
gebieten?), jo fonnte darin, bei feiner Geiftesart, immerhin 
einige Wahrheit liegen. Aber die dogmatiiche Zufammenftims 
mung mit der Kirche dem fittlihen Verhalten gegenüber als 
das MWichtigere und Wejentlihe betrachten, fonnte er nur bei 
entichievenem Abfall von dem humaniftiichen Standpunfte, 
welcher in dieſem Stüde mit Dem des fpätern Rationalismus 
ganz derielbe war. 

In Freiburg wollte e8 dem Erasmus weder leiblich noch 
gemüthlich ſo wohl werden, als es ihm, wenigſtens in der 
frühern Zeit, zu Baſel geweſen war. So entſchloß er ſich 
endlich im J. 1535, der dringenden Einladung der Königin 
Maria, Statthalterin der Niederlande, dahin zu folgen. Aber 
in Bafel, wo er auf der Durchreife erft noch den Drud einer 
Schrift überwachen wollte, überfiel ihn die Gicht. Andere 
Leiden traten hinzu, die ihn, während er feine gelchrten Ars 
beiten noch immer fortiegte, unaufhaltiam dem Tode ent- 
gegenführten. In der Nacht vom 11. auf den 12. Juli 1536 
ftarb er, bellen und gefaßten Geiftes, im Alter von 70 Jah⸗ 


——— — * . 


1) p. 90: Deterior enim est, quı recedit ab ecclesıae consortio, 
et in haeresin aut in schisma demigrat, quam qui impure vivit, 
salvis dogmatibus. 

2) Bilibaldo, Basil. postrid. Lucac. Opp. Pirckh. p. 286: Est 
fortasse plus roboris in aliis: ego nulla in re tutius acquiesco, quam 
in certis Ecclesiae judiciis. _ Rationum et argumentationum nullus 
est finis. | 





346 M. Buch. XII. Raritel. 


ren. Gr hatte viel gearbeitet, Großes gewirkt, für feine 
Schwächen empfindlid gebüßt, und nahm einen zwar nicht 
unverfehrten, doch immer noch überreihen Kranz des Ber: 
dienftes und Ruhmes mit in's Grab. 

In eine ähnliche Stellung wie Erasmus fehen wir aud) 
feinen und Hutten’d Freund, Wilibald Pirdheimer gu Nürn: 
berg, während der legten Jahre feines Lebens hineingerathen. 
Die Zeiten feiner frifchen Kraft, in denen er die Schupfchrift 
für Reudlin und den gehobelten Ed geichrieben hatte, waren, 
al8 Hutten ftarb, bereitS dahin. Den fatirifhen Dialog auf’ 
Ef!) hatte Pirdheimer nad) der Leipziger Disputation, zu 
Ende des J. 1519, oder zu Anfang des folgenden verfaßt, 
In dem gebildeten Latein der Humaniften gefchrieben, ift der- 
felbe doch ganz in der derben und phantaftifchen Art deuticher 
Schwänke jener Zeit gedacht. Der erfranfte Ef (er hatte ſich 
durch fein Schreien bei der Disputation zu fehr erhist, und 
zeigt num einen fieberhaften Durft — nad Wein) läßt mit 
Herenpoft einen Chirurgen, der aber eher einem Henfer gleicht, 
aus Leipzig holen, und wird nun von diefem und feinen ®es 
hülfen erft mit ‘Prügeln abgehobelt, dann nah einander ger 
foren, purgirt und operirt. Beim Echeeren kommen unter 
den Haaren ganze Schwärme von Syllogismen und Sophis- 
men zum Vorſchein; auf dem Wege des Erbrechens gehen 
allerhand Edifhe Schriften und ein rother Doctorhut, auf 
dem nady unten der päpftliche Ablaß und das für die Ver: 
theidigung des MWucherd von den Buggern empfangene Geld 
ab; beim Oeffnen der Brujt aber werden, in Geſtalt von 
Karbunfeln und Krebsgefhwüren, Prablerei, Verläumdungs— 
ſucht und ähnliche Lafter gefunden, und theild ausgebrannt, 


1) Eccius dedolatus, autore Joannefrancisco Cottalanıbergio P.L. 
Hinten: Acta 10 Cal. Marcii anno 1520 in occipitio Germaniae- 
Hierauf nah einem Schlußgidicht: Impress. in Utopia. 





Pirckheimer's Ausgany. 347 


theild ausgeichnitten. Unter diefer Behandlung macht ber 
Patient merkwürdige Geſtändniſſe. Was er zu Leipzig gegen 
£uther vorgebracht, falle ihm nicht ein, für wahr zu halten; 
fo einfältig fei er nicht; aber um des Gewinnes willen fei 
es ja wohl erlaubt, fich au vwerftellen. ) Nachdem er Alles, 
befonderd ungern noc eine gewille legte Operation durchge⸗ 
macht hat, bittet er, nur den ruchlofen Wittenberger Poeten 
und dem Ichmähjüchtigen Hutten nichts davon zu jagen; die 
würden eine Komödie daraus machen. Tiefe Satire, welche 
Tirdheiner auf Zureden feiner Freunde?), zwar unter erbich- 
tetem Namen, doch bald als Verfaſſer erratben, berausgab, 
follte ihn theuer zu jtchen kommen. Eck, der bald darauf 
mit der Bannbulle gegen Luther aus Rom zurüdfam, feßte, 
laut einer päpſtlichen Vollmacht, die er hiezu hatte, unter den 
Hauptanhängern Luthers auch Wilibald Pirdheimer in Die 
Bulle. Um feinen Mitbürgern nicht böfes Spiel au machen, 
mußte fich Dieter zu Alnterbandlungen, und zulegt au einer 
Art von Widerruf bequemen, der ihm nicht einmal ganz aus 
der Sache beraushulf. ?) 

Aus diefer Zeit, dem 3. 1521, tjt der legte vorhandene 
Brief von Pirckheimer an Hutten, Die Antwort auf ein (ver: 
lornes) Schreiben des Lestern, dad Bucer, wahricheinlic, im 
Gefolge des Pfalzgrafen Friedrich nad Nürnberg gefommen, 
ihm überbracht hatte. Pirckheimer's Brief ift nicht ohne Zei: 
hen von engftlichfeit, oder doch von Berftimmung. Es 


1) Quis .. ita delyraret, ut non in hac causa elam cum Mar- 
tino sentiret, quamvis palam aliter simularet? .. Quasi non liceret 
simulare, maxime ubi de quaestu azitur. 

2) Bernhard. Adelımannus Bilibaldo, Augustae 4. Mart. 1520, 
bei Heumann p. 187. Aus dieſem und einigen ber folgenden Briefe geht 
auch beſtimmt hervor, das Pirckheimer der Verf. war. 

3) Bgl. Riederer, Beitrag zu den Ref.» Urkunden, betreffend Die 
Händel, weldhe Dr. Eck bei Publication der päapftl. Bulle erregt hat ıc. 
Altorf 1764. 


- — —— — 
* — —— — 
FERN SR 
ee 7 


mer 





>34» ia SS: 0 Carer.. 


jeien, idreibz er, mehr ütrigens um feiner Anhänglichfeir an 
Reuchlin ald an Xurber willen. aub wegen des gebobelten 
Gd, für teren Veriañer man ıbn halte, Werfolgungen über 
ihn ergangen, tie auch einen ſtandbaften Mann hätten er: 
füttern fonnen. Toch habe ihm Gert biäber gebolfen, und 
werte wobl audi terner helfen. Obgleich in einer freien Stadt 
geberen, ſei er toch nicht tein eigener Herr, fondern babe Dem 
Mathe geboren müſſen, Der ten Handel bisher mit mehr 
Klugheit als Muth, obwohl nice chne Koſten, geführt habe. 
Piterarifches babe er mittlerweile nichts zu Stande gebradt, 
als, während er am Podagra gelitten, Das Lob deſſelben ges 
ſchrieben!), das er Dem Freunde, wenn es dieſer wüniche, 
zuſchicken wolle. 2) 

Tiefer Anfechtungen ungeachtet, war Pirckheimer in jenen 
Iabren noch ein warmer Anhänger der Reformation. Noch 
an Ydriun VI, Der au Anfang des Jahrs 1522 den päpitli- 
den Siuhl beſtieg, gedachte er cin Schreiben zu richten, Das 
zart wahrſcheinlich Durch Den unerwarteten Tod dieſes Raps 
od abgebrochen wurde, in welchem er ald.ten Anlaß ver 
udenden Unruhen Den Webermurb und Wiſſenſchaftshaß Der 
Deuxuitauer, Ihren Angriff anf Reuchlin, Dann ihre gotted- 
surange Erhebdung Des Ablafies angibt, und von Lurber 
yes aD, wie Don deſſen erſten Gegnern, Ed, Gajetan 

Rrahluch ſpricht N Je mehr aber, beſonders jeit 
8, die Meformanen in ſemer nächiten Umgebung 


ıl. 
Si. erangh WU a Iindastac App p A 211 Tas Vorayra 
ſncht a We de Mrd, Mirnıa —— 
Ay Mindteru cc Nunch. IV. 61a. Gleich: 
seat U ee Dad. Ra Sarchen an Eeban 
ne Sp aa d. Nu SE) 
() Feet wenn! Ban ni Aurmean. DM Ar moubus m Ger- 
Hinten: An Mann \- Year —B enerlaus, ot de eoca- 
Hierauf nach Nm up “Nm NG 





Pirckheimer's Ausgang. 349 


vorwärts drang, defto mehr 309 ſich Pirdheimer von derſel⸗ 
ben zurüd. Die Gewaltfanfeiten, die Unordnungen, die 2ös 
fung alter Sitte und Entfeſſelung der Leidenichaften, die zu- 
naͤchſt von ihr ungertrennlih waren, und im Bauernfriege zu 
einer erfchredenden Höhe fliegen, machten ihn ald Staatsmann 
bedenflih. Die Perfönlichfeiten, die in Nürnberg an bie 
Spige der kirchlichen Veränderungen traten, wie der brutale 
Dfiander, fließen ihn ab. Auch Luther's Heftigkeit und oft un⸗ 
nöthige Grobheit geffel ihm nicht. Daneben machten Familien⸗ 
verhältniffe ihren Cinfluß geltend. Verſchiedene Schweitern 
und drei Töchter Pirdheimer’d hatten fich dem geiftlichen Les 
ben gewidmet. Die ältere feiner Schweftern, Charitad, dem 
Bruder an Geiſt und Gharafter ebenbürtig, und von dieſem 
humaniftifdy berangebildet, ftand dem Clarenklofter zu Rürns 
berg als Aebtiſſin vor. Gegen die Klöfter aber richtete ſich 
der Unwille des durch die Reformation aufgeregten Volfd am 
erften und beftigften. Daß es ein Irrthum früherer Zeiten 
gewejen, den auch er getheilt habe, Töchter und Schweftern 
im Klojter am beften verforgt zu glauben, ſah Wilibald jegt 
ein. Aber die Art, wie man mit den armen Nonnen verfuhr, 
die fortwährenten Nedereien und SKränfungen, weldhe das 
Leben jeiner würdigen Schwefter fortan zu einer wahren Lei⸗ 
densgeichichte machten !), erbitterten ihn nicht blos gegen Die 
PBerfonen, jondern auch gegen die Denfart und Richtung, 


1) Tiefe Leidensgeſchichte legen die neuerlich von Höfler berausgeges 
benen Denfwürdigfeiten der Charitas Pirckheimer (Quellenſammlung für 
fränf. Seid). herausg. von dem Hifter. Verein zu Bamberg, Bd. 4. Bam⸗ 
berg 1853) in einer Weile dar, welche der angefochtenen hochherzigen 
Frau unfire ganze Theilnahme gewinnt, chne darum den urtheilsfähigen 
Lefer, nad) des ultranıontanen Hiftorifers Abficht, gegen die Sache vers 
flinmen zu fönnen, bei deren erflem Durchbruche dergleichen Karten uns 
vermeiblic waren. Glaubt denn Höfler, daß es bei ber erſten Einfüh- 
rung des Chriſtenthums an Gewaltſamkeiten ganz berfelben Art gefehlt habe ? 





350 1. Bad. XII. Kapitel. 


von der jie ausgingen.‘) Bald traten noch die Spaltungen 
innerhalb der Reformpartei. hinzu, das bedenkliche. Weitergehen 
der Schweizerifhen Reformatoren, durch welches man in's 
Bodenloje zu geratben jchien. So anftößig war dieß Pirck⸗ 
heimern, Daß er mit einem ehemaligen Freunde, dem Joh. 
Decolampadius, fih in einen bittern Schriftenwechfel über 
die Abendmahlslehre verwidelte, in welcher er fi, zum Ver⸗ 
drufle des Erasmus, im Wefentlihen auf den Lutherifchen 
Standpunkt ftellte. Bezeichnend ift, was er in der Vorrede 
zu der erften dieſer Schriften äußert, wo er die Ueberlegen- 
heit feines Gegners als Gelehrten anerkennt, dem er fi) aber 


“hinwiederum in Lebens- und Geichäftserfahrung überlegen 


weiß. Stünde die letztere Mandhen jo wie die erjtere zur 
Ceite, meint er, fo lebte das Ehriftenvolf friedlicher, und 
unzaͤhlige Unruhen wären vermieden worden. ?) 

Zunehmende Kränflichkeit und Vereinſamung in den leß- 
ten Jahren (1528 jtarb fein getreuer Albrecht Dürer) 3) vers 
mehrten Pirckheimer's VBerftimmung, die um fo tiefer wurde, 
als er fich von der Reformation abwandte, ohne doch zu dem 
alten Kirchenweſen ein neues Vertrauen gewinnen zu fönnen. 
Er fei anfänglich gut Lutheriſch gewefen, wie der felige Al- 
brecht auch, befennt er zwei Jahre vor feinem Tode in einem 
merfwürbigen Briefe*), weil fie gehofft haben, die römiſch 


1) Epist. ad Melanchthonem, continens querelas de Monialium 
vexatione. Pirckh. Opp. p. 374. Oratio apologetica, Monialium no- 


"mine scripta, qua vitae ac fidei ipsarum ratio redditur, et aemulo- 


rum obtrectationibus respondetur, petiturque, ne per vim e Mona- 
sterio extrahantur. Ebendaſ. p. 375 — 85. Leptere ein rebnerijches 
Meiſterwerk. 

2) Bilib. Pirckheimeri de vera Christi carne et vero eius san- 
guine ad Jo. Oecolampadium Responsio. Norembergae ap. Jo. Pe- 
treium anno 1526. 

3) Eine Elegie Wilibald's auf feinen Too j. Opp. p. 26. 

4) Schreiben Herm Wilibald Pirckheimer's an Ich. Ticherte, K. 
Karls V. Ban s und Brüdenneifter in Wien. In Ch. G. v. Murr’s 





Pirckheimer's Ausgang. 35l 


Büberei, depgleihen der Mönch und Pfaffen Schalfheit, jollte 
gebejjert werden. Allein ftatt deſſen habe ſich die Sache alfo 
verichlimmert, daß in Bergleihung mit den evangelifchen 
Buben Die vorigen fromm erjcheinen. Während dieſe mit 
Gleißnerei und Lift betrogen haben, wollen die jeßigen offen 
und ungejcheut ein jchändlic Leben führen, und Dabei die ' 
Leute bei jehenden Augen blind reden, indem fie nicht nad 
ihren Werfen, fondern nach ihrem Glauben beurtheilt zu wers 
den verlangen. Tas fchreibe er jedoch nicht Darum, fährt 
Pirckheimer fort, daß er des Papſtes und feiner Piaffen und 
Mönche Weſen loben könnte oder möchte; vielmehr wiſſe er, 
dag es in viel Weg fträflich ſei und ciner Beſſerung bepürfe: 
nur jei leider vor Augen, daB auch das neue Weſen in fei- 
nem Weg zu loben; wie ja Luther jelbit und viel fronmer, 
gelehrter Leute, Die dem wahren Evangelium anhangen, mit 
Echmerzen jehen und befennen, daß diefes Weſen feinen Ber 
ftund haben möge. Die Papiſten jeien doch zum Mindeſten 
unter ihnen jelbft Eins: Dagegen jeien Die, jo jich evangeliſch 
nennen, mit dem Höchſten unter einander uneind und in 
Secten zertheilt; die müffen ihren Lauf haben wie die ſchwär⸗ 
menden Bauern, bi6 jie zulegt gar verwüthen. 

So trüber Stimmungen Meifter zu werden, in der vers 
worrenen Gährung der Gegenwart die jchaffenden Kräfte der 
Zufunft, die Keime jchönerer Entwidelungen zu erfennen, Dazu 
war der ſechszigjaͤhrige podagriſche Pirdbeimer zu alt und 
kranf: er jtarb im Jahre des Augeburgiichen Bekenntniſſes, 
und jeine legten Seufzer waren Wünjche für das Wohl des 
Paterlandes und den Frieden der Kirche. ’) 


Journal zur Kunſtgeſch. uw. zur allg. Lit., X. Thl., Nürnberg 1781, 
S. 5A. 

1) Erasmus Georgio Saxoniae Duci, Friburg. 15 Mai. 1531 
Epp. ed. Lugd. Bat. No. MCLXXAVI, p. 1402 fg. Ein Nekrolog 
Pirckheimer's, als Zueignung feiner hinterlaflenen Weberjegung des Gregor 
von Razianz. Darin unter Anderen: Suprema vox morientis, quao 





352 I. Bud. XI. Kapitel. 


Keiner von Hutten's alten Freunden blieb der Richtung, 
bie fie einft gemeinfchaftlich verfolgt hatten, dabei aber zugleich 
feinem eigenen, von dem feines ritterlichen Freundes’ verſchiede⸗ 
nen Wefen, getreuer, als der wadere Eoban Hefle. Bei aller 
Freiheits⸗ und Vaterlandsliebe war er doch Feine politiiche Natur 
wie Hutten, den Trieb zu öffentlicher Wirkfamfeit empfand er 
nicht; vielmehr war er Poet durch und durch, und fand ſich im 
Studium und der Nachbildung der alten Dichter auf der einen, in 
harmloſer Gefelligfeit beim Wein auf der andern Seite, vollfom- 
men befriedigt. Aber die Sache der Reformation war und blieb 
ihm Herzensfahe. Bon den Gedichten, zu denen ihn Luther's 
Aufenthalt in Erfurt auf der Neije nad) Worms begeifterte, ift 
oben die Rede gewefen. Später Dichtete er in der Form der 
Ovidiſchen Heroiden eine Epiftel der gefangenen Kirche an 
Luther, welche dieſer erfreut zum Drud beförderte.2) Auch wag 
er jonft nicht liebte, zu einem Spottgevicht, reizte ihn Emſer's 
Angriff auf den Reformator.2) Eine Weile theilte auch Eoban 
das Humaniftifche Bedenken, als fönnte der fromme Eifer, 
den die Reformation angefacht hatte, der wiflenichaftlichen 
Bildung Eintrag thun. Beſonders daß die religiöjen Gegen- 
ftände anfingen, in deutichen, Jedem verftändlichen Schriften 
verhandelt zu werden, gab den Latiniften die Beforgniß, ed 
werde nun die Gelehrſamkeit ald etwas Weberflüffiges erfcheis 
nen.®) Luther beeilte ſich, den reblichen Anhänger zu verſi⸗ 


quidem audiri poterat, haec erat: Utinam post decessum meum 
bene sit patriac, utinam tranquilla sit ecclesia! 
. 4) Ecclesia captiva ad Lutherum. Heroidum L. Ill. Opp. farrag. 
duae, p. 254—270. 
2) In Hieronymum Emserum Lutheromastiga, Invectiva. Opp. 
farrag. p. 866 fg. 
3) Ad Bilibaldum Pirckheimerum de studiorum contemptu. Syl- 
var. L. VI. Opp. farrag. duae, p. 526 fg. Darin unter Anderem: 
Omnia Teutonicis implentur scrinia chartis: 
Doctus in his vulgo quilibet esse potest, 
®gl. Idyll. 14. ad 'Ph. Melanchthonem, de contemptu studiorum 





Eoban’s Ausgang. 353 


ern, daß er von der Nothwendigfeit ded Studiums von 
Poefie und Rhetorif überzeugt jeit), und Eoban ließ eine 
Anzahl ähnlich Tautender Briefe von Luther, Melanchthon, 
Suftus Jonas u. A. zu feiner Beruhigung und zur Nachadys 
tung für Andere druden. 

Eoban’8 äußere Lage war durch die Reformation nichts 
weniger als verbefiert worden. Die Verwirrung in Erfurt 
ftieg in Folge derfelben, und die Hochſchule, an welcher er 
lehrte, Fam immer mehr in Zerfall. Der Bauernfrieg vollends 
brachte deren Einkünfte in's Stoden, und hätte Eoban nicht 
an feinem Georg Sturz einen großmüthigen Mäcenad gehabt, 
jo hätte er mit feiner anwachjenden Familie von Wafler und 
Brod leben müſſen. Es war hohe Zeit, daß ihn im folgen» 
den Jahre Melanchtbon eine Stelle an dem neuerrichteten 
Gymnaſium in Nürnberg verihafftee Die Macht, der Reiche 
thum, die Bildung dieſer freien Stadt machten auf den Dich⸗ 
ter großen Eindrud, welchem er in einer poetischen Beichreibung 
Rürnbergs?) einen Ausdruck gab, der ihm von dem Rathe 
eine Berehrung von 7O Fl. eintrug. Hier arbeitete er aud) 
feine Leberfegung des Theofrit in lateiniichen Herametern 
aus, und begann eine ähnliche der Ilias. Joachim Came⸗ 
rarius und Michael Roting waren feine Collegen; der Raths⸗ 
herr Hieronymus Baumgartner, der NRatheichreiber Lazarus 
Spengler feine Gönner; mit Wenceslaus Lind, Thomas Ber 
natorius u. 9. ging er freundichaftlich um; fein liebfter Ges 
felle jedoch auf Spaziergängen und bein Weine war fein 
Nachbar, Wilhelm der Muſikus, von dem er fi) aud gern 





nostri temporis. Opp. farr., p. 75 ig. Epist. ad Jac. Micyllum, Epp. 
fam. p. 42. 
1) An Eoban Heß, 29 März 1623, b. de Wette II, &. 812 fg. 
2) Urbs Noriberga illustrata Carmine heroico. Opp. farrag. duae, 
p. 632-691. 
Strauß, Hutten. II. 23 





354 11. Buch, XI, Kapitel, 


deutfche Lieder vorfingen ließ.) Wilibald Pirdheimer, mit 
dem Eoban ſchon vorher in Berührung geftanden , hatte ihn 
gleich nach feiner Ankunft zu einer von feinen glänzenden Ge— 
fehrtenmahlgeiten geladen, und war ihm da freumdlidy entge— 
gengefommen. Bald aber. brachte die verfchiedene Stellung 
beider Männer zur Reformation eine Spannung in ihr Vers 
hältniß. Der raſche und offenherzige Poet hatte fich am drit- 
ten Drte über Pirckheimer's diplomatische Zurückhaltung ſcharf 
geäußert, was dem Lestern hinterbracyt worden war. Beide 
fprachen fich über die Sache mit würdiger Aufridytigfeit brief: 
lich gegeneinander aus, und als ‘Pirdheimer bald darauf 
ftarb, verfäumte Eoban nicht, ibm einen ehrenden Nachruf 
au wibmen. ?) 

Wäre ed nur in dem reichen Nürnberg für einen armen 
Poeten nicht fo theuer gewefen, und wäre nur der arme Poet 
ein befierer Wirth umd vorfidytiger in Gefchäften gewefen. 
Zwar vermittelten feine Gönner, daß ihm die Stapteaffe im— 
mer wieder aus jeinen Berlegenheiten half. Doc fühlte er 
fi in der Handelsſtadt auch fonft nicht in feinem Elemente. 
Er gebe nicht gerne mit dieſen Kaufleuten um, ſchreibt er an 
feinen G. Sturz, die nur von Pfeffer und Safran träumen, 
nur von Gold, und nichts von Wiſſenſchaften willen. ) So 


— — — — — — 


1) Guilielmo Breitengrasero. Erphurd. 9 Oet. 1535. Epp. fam. 
p: 253. Hier bittet Goban den Mufifus, unter allerhand Iujtigen Erin⸗ 
nerungen an Ihr Nürnberger Zufammenleben, ibm cantilenam nöstram: 
Hat er Dich geitochen, item: Unfre liebe Hüfmer, item: Die Odhfen: 
treiber fommen, nad) Erfurt zu jdyiden, da er auch hier einige cantor- ' 
culos musicolos habe, die freilich mit Wilhelm nicht zu vergleichen, 

2) Bilibaldi Pyrghaimeri Patricii Norimb. Epicedion. Opp. farr. 
duae, p- 307. Die oben erwähnten Gontroversbriefe [. in Heumanni 
docum. liter. p. 116 fa. (vgl. mit p. 112 fa.) und Pirckheimeri 
Opp: ed. Goldast, p: 404 fa. 

3) Ad G. Sturciadem. Epp. fam. p. 137. Ad Petr. Nigidium, 
p. 211, nennt er fie gar purpuratas simias. 





Eoban's Ausgang. 355 


ließ er ſich durch alte Anhänglichfeit und neue Anerbietungen 
im 3. 1533 wieder nah Erfurt loden: ein Schritt, den er 
bald zu bereuen Urſache fand. Denn der Erfurter Hochichule 
war nicht mehr aufzubelfen, und die Nürnberger Großmuth 
und Sreigebigfeit fand er nicht wieder in der herunterfommen- 
den, von Parteien zerriffenen Stadt. 

Schon als um das 3. 1526 Philipp von Heſſen die 
Untverfität Marburg errichtete, gingen Eoban's des Heflen 
Vünſche auf eine Anftellung an der heimiſchen Lehranftalt. 
Seidem behielt er den Kandgrafen im Auge, und befang 1534 
feinen Würtembdergiichen Sieg. !) Endlich im 3. 1536 fanı 
ver Ruf zu Stande, ver dem Eoban für den Reſt jeiner 
Zage eine leidlichere Eriftenz verſchaffte. Zwar Die alten Ue⸗ 
beiftände begleiteten den ehrlichen “Poeten auh nah Mar: 
burg. Seine Schulden, fogar bei Juden, mußten auf feine 
Bitte von AUniverfitätd wegen abgewidelt werden. Gr jcheine 
eine fonderbare Vorſtellung von jeinen Finanzen zu haben, 
fhrieb er dem Nector, daß er ihn auf die ordentlichen Ber: 
fülltermine jeiner Bejoldung befchränfen wolle: wo er bis— 
ber geweſen, habe er immer auch zwifchen der Zeit auf Ab: 
Khlag holen dürfen. Mit vielem Selbjtgefühl (denn er ftand 
auf der Höhe feines Dichterruhms, und feine Schriften fan- 
den nicht allein in Deutjchland, ſondern aud in Stalien, 
Frankreich, England und Spanien Abſatz, nur trugen fie ihm 
wenig ein) Drohte er mehr ald einmal, wenn man nicht beiler 
für ihn jorge, wieder wegzugehen; doch ließ er ſich immer 
wieder beichwichtigen, und wurde nad) und nad) durch Geld⸗ 
und Fruchtzulagen immer befier geftellt. Beſondre Freude 
machte ihm eine Pfründe zu St. Goar, die er erhielt, weil 


1) In victoria Wirtembergensi ad ill. et incl. Philippum, Hes- 
sorum principem etc. gratulatoria acclamatio. Opp. farrag., p. 
694 — 713. 

23” 








356 11. Bud. X. Kapitel, 


fie zwei Fuder guten Weins ertrug. Auch ein Haus hatte 
er fih auswählen dürfen, das der Landgraf für ihn faufen - 
wollte. Denn diefer wußte Eoban nicht blos als Gelehrten 
zu ſchätzen, ſondern mochte ihn auch perfönlich wohl leiden. 
Einmal zwar verwarnte er ihn wegen feines Trinfens: wo— 
gegen ſich Eoban auf feine Arbeiten, die in Marburg voll- 
endete Ueberſetzung der Ilias vor Allem, ald geſchworene 
Zeugen für feinen Lebenswandel, berief. Auch war es nicht 
fo böfe gemeint: der Landgraf zog den Poeten nicht nur wenn 
er jelbft zu Marburg war, oder Eoban nad Caſſel kam, 
gerne zur Tafel, fondern diefer mußte ihn auch zum Convent 
in Schmalfalden, nad Frankfurt und bei ähnlichen Anläfien 
begleiten. Bisweilen fpielten fie zufammen Schady: da war 
der forglofe Poet der Strategie des Landgrafen nicht gewach⸗ 
fen; dieſer machte ihn matt, der Poet wurde wild, und da- 
van hatte jener fein Ergesen. ie. 

Defter jhon war Eoban- leidend —— er ſelbſt lei⸗ 
tete es von ſeinem ſtarken Trinken her, von dem er darum 
doch nicht laſſen mochte.) Zu Anfang des J. 1540 reiste 
er nach Caſſel, und bolte ſich da, er wußte nicht, jollte ‚er 
ed der Witterung, oder dem Hofweine zufchreiben, einen Ka— 
tarch, der nicht mehr weichen wollte. Podagra geſellte ſich 
binzu, die Sache geftaltere ſich zu allmähliger Abzebrung. 
Eoban bereitete fi zum Tode; er fchrieb an Melanchthon, 
für ihn zu beten. Lange hatte man fein Wort mehr von ihm 
vernommen: da ſprach er auf einmal, er wolle hinauf zu fei- 





1) Dan. Stibaro, Murburg. 6 Mart. 1538, Camerar, libellus no- 
vus epistolar. D®: Quod ad me attinet, vivo pristino more, h. e. 
bibo, sceribo, quiesco. Quid vis amplius? Eobanus sum, eum fu 
nosti satis.] Jo. Groningo, Marb. 25 Jun, 1540, Camerar. Narrat, 
dejEob. Hesso et Epist. TiijP: Ego interim ‚non desino meo more 
vivere, qua ex consuetudine etiamsi nunc senescens morbos con- 
trabam, ut nuper podagram infestissimam et tussim, qua adhuc 
laboro, tamen non discedo. 





Eoban's Ausyany. 357 


nem Herrn.) Man meinte, er phantafire von einem Gang 
auf das Schloß zum Landgrafen; er hatte aber einen andern 
Gang und einen andern Herrn gemeint, und entjchlief bald 
daranf an 5. October 1541 im 53. Lebensjahre. Man 
würde irren, wenn man darum, weil Eoban in der deutichen 
Literaturgeichichte feine Stelle hat, feine Bedeutung und fels 
nen Einfluß gering anſchlagen wollte. Er wirfte als Lehrer 
und Schriftfteller für die Aufrechthaltung humaniftifcher Bils 
dung in einer Zeit, al& Diele bereitd wieder im Sinfen war; 
er machte den Homer und Theokrit den Gebildeten in ihrer 
Sprache (der lateinifchen) mit Erhaltung der Kunftform zus 
gänglidy; für Die Reformation aber war es von hohem Werthe, 
daß der anerfannt erfte lateiniiche Dichter der Zeit ihr begei⸗ 
fterter Verfündiger ward und blieb. 

Einen ganz andern Verlauf nahm das Leben ded Mans 
nes, der neben Goban der liebfte und vertrautefte von Huts 
ten’8 Jugendgenoſſen gewejen war, deſſen er audy nody in 
den legten Wochen jeine® Lebens in einem Briefe an Eoban 
mit zärtliher Freundſchaft gedacht hatte: des Crotus Rubia- 
nud. Wenn ein Hutten, Eoban, Hermann von dem Buſche 
mit demjelben friihen Muthe, mit dem fie unter der Fahne 
des Humanismus vorgedrungen waren, nun auch für die 
Sache der Reformation weiter gingen; wenn Erasmus die 
diplomatiiche Zurüdhaltung, die er in dem Lutherifchen Hans 
del bewies, ebenfo auch chen in dem Reudhlinifchen gezeigt hatte; 
wenn Pirdheimer, bei welchem der Rückſchritt merklicher ift, 
diefen doch mit aller Würde eines unabhängigen Mannes, 
eines ftaatdmännifchen Charakters that: jo füllt dagegen dem 
Crotus zur Laft, nachdem er füft jo weit als Hutten vor- 


1) Se velle ad dominum suum ascendere. Camerar. Narratio 
de Eobano Hesso DijP, aus weldyer, nebft Heffens Epist. famil. und 
den verfchiedenen Gamerarifchen Brieflanunlungen, die obigen Lebensnach⸗ 
richten gezogen ſind. 








wärtd gegangen war, weiter als Erasmus zurückge 
fein, und diefen Schritt ohne alle Würde, ja u 
den gethan zu haben, welche die Reinheit feiner Beweggründe 
mehr ald nur zweifelhaft machen mußten. u 
- Nachdem Crotus auf dem Boden des Humanismus durch 
die Briefe der Dimfelmänner den keckſten Streidy, obzwar ver: 
fappt, ausgeführt hatte, war er nicht etwa auf der Schwelle 
der Reformation wieder umgekehrt, hatte dieſe aud) nicht etwa 
zögernd und leifetretend wie Erasmus, fondern raſch und mit 
ſtarkem Auftritt überfchritten. Als Luther's Ablafftreit ent- 
brannte, war Crotus eben in Italien. Im Sommer 1519 
befuchte er Rom, mo er, wie er hernady in einem Briefe an 
Luther ſich ausprüdte, „den Stuhl der Peſtilenz“ (cathedram 
pestilentiae) und die ganze Verderbniß des römiichen Hofes 
und Weſens mit Augen ſah. Bon da aus jdyidte er, wenn 
wir die aus Nom vom 1. Juli 1519 datirte Epiftel des Eu— 
bulus Gordatus an feinen Montefius als ein Schreiben von 
Grotus an Hutten betrachten dürfen, diefem die Schrift des 
Nicolaus von Glemangis über den verderbten Zuſtand der 
Kirche, ald Erwiederung für allerlei neuere Flugſchriften ähn— 
lichen Inhalts, die ihm der Freund aus Deutſchland gefendet 
hatte, zu. *) Eben lief Eck's Bericht über die Leipziger Dis: 
putation in Rom ein: Grotus, der Perſonen und Berhält 
niffe beſſer Fannte, fuchte dem einfeitigen. Eindruck dieſes Ber 
richtes in einflußreichen Kreiſen entgegenzuwirfen, und fchidte 
nachher von Bologna aus, obwohl ohne ſich ala Mbfender 
zu nennen, Luther's Vertheidigungsſchriften nah Rom. Bon 
bort aus erließ er aud) zwei Briefe an Luther, voll neuer 








1) Nicolaus Clemangis Archidiac. etc. de corrupto ecclesiae 
statu. Auf bem zweiten Blatte: Eubulus Cordatus Montesio suo, 
Romae Calendis Julis anno 1519. Bal. Burdhard, IH, 310 fe: 
Panzer, &, 2304 fg. Schweizerifchese Mufeum, 6, Jahrg. 1789, ©, 
335 fa. ° 


# 





Ausgang des Crotus Rubianus. 359 


Verehrung und alter Anhänglichkeit. Er erinnert ihn an ihre 
traute Verbindung während der Erfurter Studienzeit. Seitdem 
haben fie zwar wenig äußere Berührung gehabt, doch fei er 
Luthern ſtets ergeben geblieben. Er träume von Luther, fo 
gehe er innerlid mit ihm um. Ja, wie diejer, fo follten alle 
deutfchen Gelehrten dem Wolfe über den römifchen Trug und 
das von Rom ausgehende Eittenverderben die Augen öffnen. 
Dft nenne er Luthern, verfichert er, in Geſprächen einen Va⸗ 
ter des Baterlandes, würdig eines goldenen Standbildes und 
jährlicher Sefte, weil er es zuerjt gewagt, die Ehriftenheit von 
ſchädlichen Neuerungen zu befreien, und die ächte Srömmig- 
feit wiederherzuftellen.. Er möge nur fo fortfahren, im Bers 
trauen auf die göttlihe Vorſehung, die ihn durch jenen Blig- 
ftrahl bei Erfurt ald einen andern Paulus dazu berufen 
habe. !) Deffentlich disputiren, wie in Leipzig, folle Luther 
nicht mehr; gar zu leicht führe da die Leidenichaft von der 
Wahrheit ab und reiße zu Schmähungen fort; lieber im Stil 
len in feinem Klofter; am rubigften und genaueften aber dies 
putire fich8 mit der Feder. Schließlich verjichert er Luthern 
feiner unmwandeltaren Anhänglichfeit, und verfpricht, feine 
Ehre, fo weit es ohne Gefahr gefchehen könne, in Bologna 
wahren zu wollen. 

Einen ebenfo warmen Brief fchrieb Erotus in folgenden 
Jahre, nad feiner Rückkehr aus Italien, von Erfurt aus, 
wo fie ihn zum Rector gewählt hatten, an Luther. “Dringend 
bittet er ihn, vor den Nadhitellungen feiner Feinde auf der 


1) Bon Erotus ift die fchöne, in Reformationsgefchichten fo oft be: 
nugte Stelle: Ad hacc respexit divina providentia, cum te, rede- 
untem a parentibus, caeleste fulınen, veluti alterum Paulum, ante 
oppidum Erfordianum in terram prostravit, atque intra Augustiniana 
septa compulit e nostro consortio, tristissimo tuo discessu. Epist. 
Croti ad Lutherum, Bonen. 16 Cal. Nov. 1519. In Monumente 
pietatis et literaria, II, 12 fg. 





360 1. Buch. XI. Kapitel. 


Hut zu fein, damit er nicht zu frühe für die gute Sad 
weggerafft werde. Große Titel und Belohnungen ſeien gegen 
ihn ausgeſetzt; er wiſſe nicht, wie Viele er reich madye. Da 
bei wünfcht Erotus dem Melanchthon zu feiner Verheirathung 
Glück, und befennt fi), im Gegenfage zu Mutian, dem Lob 
redner des Coͤlibats, ald Verfechter des ehelichen Lebens.) 
Und nicht blos in Briefen (von denen übrigens der lepte alb⸗ 
bald zu Wittenberg gedrudt wurde), jondern auch Durdy einen 
recht auffallenden öffentlichen Act fcheute ſich Crotus nicht, feine 
Berehrung für den Reformator an den Tag zu legen. Es if am 
gehörigen Drte ſchon gemeldet worden, wie er denfelben, bei 
feiner Ankunft vor Erfurt, an der Spike der Univerfität mi 
einer feierlichen Anrede empfing. Mit dem Wittenbergiicen 
Kreife, deſſen Mitglieder zum Theil feine alten Bekannten 
waren, ericheint er fortan in engfter Verbindung. Im 3. 1529 
war in dieſem Kreife die Rede davon, ihn zum Decan bed 
Alterbeiligenftifts in Wittenberg zu machen, um einen beflem 
Geift in daſſelbe zu bringen. 2) Es war fein Unglüd, daß 
der Plan nicht zur Ausführung Fam. Das Jahr darauf 
wurde Crotus, damals wieder in Fulda, von Melanchthon 
und deſſen Reiſegefährten noch ganz als einer der Ihrigen 
befucht. Im Laufe deflelben Jahres begab er fich nach Preu⸗ 
gen, in die Dienfte des Hochmeiſters vom deutſchen Orden, 
Albrecht von Brandenburg, der, längft für die Reformation 
gewonnen, im folgenden Jahre fich öffentlidy zu derſelben bes 
fannte, und fein Hochmeifterthum in ein weltliches Herzog 
thum verwandelte. Auch Erotus, hieß es fpäter, habe bier 


1) Epist. Croti Rubiani ad D. Mart. Lutherum, Erfurdiae in 
perviziliis Nicolai (6 Dec.) 1520. Zuerſt getrudt 1521 in aedibus 
Carlstadii zu Wittenberg. Wiederabgedr. in Yortgefegte Sammlung vet 
altın uud neuen theol. Sachen (Unfchuldige Nachr.) 1723, p. 704 19. 
- 2) Luther au Spalatin, 9. Febr. und 3. Aug. 1523, bei be Weis, 

I, 307. 378. 





Ausgang des Crotus Rubianus. 361 


feine Tonſur abgehen lafien, und es nicht Wort haben wollen, 
ein gejalbter Priefter zu fein. Er genoß die Gnade feines 
Kürften, die aber nicht hinreichte, ihm den Aufenthalt in 
Preußen angenehm zu machen. Klima und Lebensart behags 
ten ihm nicht; von allem zufagenden Umgang fah er fich abs 
geichnitten. Schon im %. 1527 ging fein Trachten nad 
Deutichland zurüd. Aber erft 1530 führte er fein Vorhaben 
aus. Er kam zuerft nad) Breslau, wendete fi dann nady Leipzig, 
zu dem gebildeten aber zweidentigen Julius von Pflugf, und 
bald darauf finden wir ihn in Halle als Domberrn und Rath 
des Erzbiichofs Albreht von Mainz und Magdeburg. Im 
defien Dienften hatte einft auch Ulrich von Hutten, aud 
Wolfgang Fabricius Capito geftanden; aber nicht nur ber 
Erftere hatte fich genöthigt, fondern bald auch der Andre, 
wollte er der Reformation treu bleiben, ſich veranlaßt gefehen, 
fie zu verlaſſen, und ſeitdem hatten ſich Zeiten und Stelluns 
gen noch gründlicher geändert. In Kurfürft Albrecht's Dienfte 
treten, hieß jet geradezu gegen die Reformation fich anmwerben 
laſſen. 

Wie dieſe Umwandlung bei Crotus allmählig zu Stande 
kam, iſt nicht mehr im Einzelnen nachzuweiſen. Aus den 
Jahren ſeiner Abweſenheit in Preußen ſind uns nur wenige 
Briefe von ihm aufbehalten, aus denen wir nicht mehr er 
fahren, als was fih ſchon vor feiner Entfernung bei mehre 
ren Anläflen gezeigt hatte, daß Crotus die Heftigfeit beider 
ftreitenden Parteien mißbilligte, zur Mäßigung und Milde 
rieth. ) So fand er in dem Schriftenwechlel zwiichen Eras⸗ 
mus und Luther über den freien Willen auf beiden Seiten 
Spuren von Ehrgeiz, und wünfchte den Streit beigelegt, ſprach 


1) Byl. den Brief des Grotus an P. Eberbach vom 1. Juli 1621, 
bei Camerar. tert. libell. epist. F, und von Luther an Grotus an dem 
Juli 1523, bei de Wette, I, ©. 368 fg. 





362 I. Buch. XI. Kapitel. 


aber mit befondrer Wärme gegen die zur Mode werdende 
geringichätige Behandlung des Erasmus. !) Nehmen wir 
feine fühle, ironifhe Denfart Hinzu, jo mochte es ihm 
leicht thöricht erfcheinen, über Dinge, die doch im Grunde 
nur Nebenfachen feien, fich jo ernftlih zu ftreiten; lächerlich, 
dafür zum Märtyrer zu werden. Mit diefen Gefinnungen, 
in denen ihn Pflug beftärft haben mochte, trat Erotus in 
bie Dienfte eined Kirchenfürften, der in feiner feingebilveten, 
welt= und lebemännifchen Art ganz ein Patron nach feinem 
Sinne war. 

Auf diejenigen feiner alten Freunde aber, weldye während 
feiner beinahe fiebenjährigen Landesabweſenheit mit der Res 
formation vorwärts gegangen waren, mußte diefer Schritt 
des Crotus einen um fo übleren Eindrud hervorbringen, als 
Erzbifchof Albrecht kurz vorher in feiner Magdeburgifchen 
Diöcefe gegen die daſelbſt eingedrungenen kirchlichen Neues 
rungen, insbefondre den Kelch im Abendmahl, gewaltfam ein- 
gefchritten war. Darauf hatte Luther in zwei geharnifchten 
Vorreden, mit denen er im J. 1531 zwei Predigten des aus 
Dresden vertriebenen evangelifchen Predigers Alerius Eroßner 
begleitete, in fehr fcharfen Ausprüden hingewiefen 2), und das 
von nahm nun ein ehemaliger Freund ded Grotus, deſſen 
Ramen und nicht angegeben ift, Veranlafjung, denjelben in 
einem Privatbriefe zu fchrauben. 3?) Auf wen doch wohl, fragte 
er ihn, die Ausfälle jener DVorreden gegen Tyrannen und 


1) Crotus Rubianus Joach. Camerario, apud Ichthyopolin ($ifdy: 
haufen bei Pillau?) Id. Jun. 1527. Camerar. tert. lib. epist. F4. 

2) Zwo Borreven auf Alexii Großner’s Predigten. Luther's Werke, 
Hallefche Ausg. XIV, p. 283 fg. Die Hauptausfälle finden fi in ber 
erften von beiden. 

8) S. oben I, 256. Meinen Zweifel an Dlearius’ Annahme, daß 
Juſtus Jonas der Verf. fei, habe ich dort begründet; jegt geht mir von 
Böcking die Mittheilung zu, daß er den Juſtus Menius als foldhen ans: 
findig gemacht habe. 





Ausgang des Grotus Rubianus. 363 


MWütheriche zielen? Wenn auf den Erzbifchof Albrecht, von 
beffen Verfahren gegen Diejenigen, weldhe das Abendmahl 
unter beiderlei Geftalten genießen, man fidy in der That gräus 
lihe Dinge erzähle, jo wäre ja das Lob deffelben, das man 
von gewifler Seite her fo laut anftimme, eine arge Täufchung. 
Darüber werde Erotus dem Freunde die befte Auskunft geben 
fönnen, da er ja an dem Orte (Halle) wohne, wo jene 
Dinge vorgegangen fein tollen. Auch über die Beichte, ob 
in derfelben die Aufzählung aller einzelnen Sünden nothwens 
big fei, oder ein jummarifched Befenntnig genüge (damals 
eine brennende Streitfrage zwifchen den Papiſten und Luthes 
ranern) möge er feine Anſicht nicht vorenthalten. 

Mit einer Ladung fo häflicher Fragen bei feiner Rüds 
fehr in die Heimath empfangen zu werden, war dem Crotus 
höchft unangenehm, und er fprach dieß in einer Antwort aus, 
bie er, da fie zugleid) eine Vertheidigung feines neuen Herrn, 
des Erzbiſchofs Albredyt, war, noch in demfelben Jahre dem 
Drud übergab. !) Die Gründe waren weder neu ‘noch uns 
widerleglich, weldye Erotus in diefer Schrift gegen die Res 
formation aufbot; dody liegen fie ſich zum Theil wenigftens 
hören. Es iſt in erfter Linie die Furcht vor den Einbrechen 
fubjectiver revolutionärer Willfür in die objectiven Satzungen 
und Ordnungen der Kirche. Was die Kirche feftgeftellt hat, 
fann nur wieder durch die Kirche abgeändert werden; jonft 
geht jeder feite Boden verloren. Aber der Verfafler der Duns 





1) Apologia, qua respondetur temeritali calumniatorum, non 
verentium, conficlis eriminibus in populare odium protrahere Rev. 
in Christo Patrem ct Dom. Albertum. Tituli S. Petri ad vincula, 
Presb., Card., Leg. natuım, Archiep. Mog. et Magd. etc. a Jo. Croto 
Rubeano privatim ad quendam amicum conscripta. Darunter das 
Mappen des Erzb. Albrecht; auf der Nüdjeite ein Gypigramm von Ph. 
Novenianus aus Haßfurt. Am Schluffe des Sendichreibens: Datum 
Hallis mense Julii ao. 1531. Dann nad einer Drudfehleranzeige: 
Lipsiae Michael Blum. excudebat mense Septembri ao. 1581. 





362 II. Buch. XII. Kapirel. 


aber mit bejondrer Wärme gegen die zur Mode werdende 
geringichäßige Behandlung des Erasmus.) Nehmen il 
feine fühle, ironifhe Denfart hinzu, fo mochte «6 ihn 
leicht thöricht erjcheinen, über Dinge, Die doch im Grunde 
nur Nebenfachen feien, ſich fo erntlich zu ftreiten; laͤcherlich, 
dafür zum Märtyrer zu werden. Mit dieſen Gefinnungee, 
in denen ihn Pflugk beftärft haben mochte, trat Grotud ie 
die Dienfte eined Kirchenfürften, der in feiner feingebildeten, 
welt= und lebemännifchen Art ganz ein Patron nad) feinem 
Sinne war. 

Auf diejenigen feiner alten Freunde aber, welche währen 
feiner beinahe fiebenjährigen Landesabweſenheit mit der Re 
formation vorwärts gegangen waren, mußte dieſer Schit J 
bes Grotus einen un fo übleren Eindrud herworbringen, HE 
Erzbiſchof Albrecht kurz vorher in feiner Magdeburgiſcha 
Diöcefe gegen die dajelbft eingedrungenen Firchlichen New 
rungen, insbefondre den Kelch im Abendmahl, gewaltfam eis 
gefchritten war. Darauf hatte Ruther in zwei geharniſchin 
Vorreden, mit denen er im J. 1531 zwei Predigten des au 
Dresden vertriebenen evangelifchen Prediger Alerius Grofue 
begleitete, in fehr Icharfen Ausprüden bingewiefen 2), und d 
von nahın nun ein ehemaliger Freund des Crotus, dei 
Namen und nicht angegeben ift, Veranlaffung, denjelben is 
einen Privatbriefe zu fchrauben. 3) Auf wen doch wohl, fragt 
er ihn, die Ausfälle jener Vorreden gegen Tyrannen u 





1) Grotus Rubianus Joach. Camnerario, apud Ichthyopolin (di% 
haufen bei Billau?) Id. Jun. 1527. Camerar. tert. lib. epist. F& 

2) Zwo Vorreden auf Alerii Croßner's Predigten. Luthers Walt 
Halleſche Ausg. XIV, p. 283 fa. Die Hauptausfälle finden ſich in de 
erften von beiden. 

3) S. oben I, 256. Meinen Zweifel an Dlearins’ Annabme, WM 
Juſtus Jonas der Verf. fei, habe ich dort begründet; jept geht mir vol 
Böcking die Mittheilung zu, daß er den Juſtus Menius als folgen a 
findig gemacht habe. 





Ausgang des Grotus Rubianus. 365 


nigen, ein durch Mark und Bein dringendes Schwert. “Der 
Freund läßt den Abgefallenen in den Spiegel feiner ihm ges 
nau befannten Vergangenheit bliden, indem er für ausge— 
macht annimmt, daß derjelbe noch immer die gleichen Ueber—⸗ 
jeugungen wie damals hege, die er jegt nur um äußerer Vor⸗ 
theile willen verläugne. Ja, eine ironiche Natur, wie er fei, 
mache ihm ohne Zweifel gerade das Vergnügen, mit fchein- 
barem Ernſte jeßt Dinge zu betreiben, über die er im Inner⸗ 
fien fih Iuftig made. Aber er folle jih in Acht nehmen, 
daß er von feinem Elugen Erzbifchof nicht durchſchaut werde. 
Auch demjenigen, was er jegt mit widerwilligen Mufen gegen 
die Proteftanten jchreibe, jei der Mangel an Ueberzeugung, 
das böfe Gewilfen wohl anzufehen. So matt, fo lendenlahm 
fei Alles, fo ftumpf und bleiern die Gedanken, jo unficher, 
verworren und lücdenhaft die Ausführung, fo unrein Die 
Sprache, jo nüchtern und huſtend Die Beredtiamfeit, daß 
man deutlid merke, er habe dabei jeiner Natur und eigent- 
lihen Meinung Gewalt angethban, habe nicht jowohl an die 
Sache, ald an die Halleihen Salzpfannen gedacht, Die er 
fi dadurch erichreiben möchte. !) 


1) In treffenden Bezeichnungen dieſer Seite einer bezahlten Apofta- 
tenichriftitellerei it der Anonymus unerfchöpflihd. Die Papiſten lefen 
zwar des Grotus neuere Schriften, fagt er p. 8, sed interim vident, 
interim sentiscunt, te non satis excitatum esse, te frigide agere 
causam, et scribere quidem, sed cogıtantem de farinis. cogitan- 
tem de salinis (ven den Pfannen zu Halle) ut semper fuisti salsissi- 
mus, non de hostibus: neque, ut in re tanta, agere ejusmodi 
languidis et intermortuis libellis satis hostiliter. Dem Wige feiner 
frühern Satiren auf das Papſtthum gegenüber jei feine Apvlogie für 
Albrecht frigidior et in omnibus suis partibus languidior, quod tibi 
non licet relabi ad ingenium, quod ea laudare cogeris coacts, 
jejuna et tussienti eloquentia, quae, pro ductu ac impetu insito 
naturae tuae, plena voce ridere et subsannare malles. p. 20 fg.: 
Si apud te fuisses, si non ex ipso pavore malae conscientiae 
quasi hebetatum et in se ipso fractum ac retusum esset ingenium, 
. .. hanc ipsam Apologiam alio argumento scripsisses. , 





364 1. Buch. XI. Kapitel. 


felmännerbriefe wußte fo gut wie wir, daß von dem, was 
man auf päpftlicher Seite Kirche nannte, d. h. von der Hier- 
archie, eine gründliche Reformation niemald zu erwarten 
war. Gin anderer Geſichtspunkt ift der ſchon angedeutete, 
daß Dasjenige, worüber mit fo großer Hide geftritten wurbe, 
zum Theil bloße Formen feien, über denen das Wefentliche, 
das Meoralifche, verabfäumt werde. Allein audy bier Fonnte 
dem Erotus nicht verborgen fein, daß in ihrem Zufammen- 
hange mit den -beiderjeitigen Grundſätzen dieſe Formen eine - 
fehr weientlihe Bedeutung hatten, und daß im Jahr nad 
der Uebergabe der Augsburgifchen Confeſſion die Fortſchritts⸗ 
partei mit dem Kelch im Abendmahl fich felbft aufgegeben 
haben würde. In Vergleichung mit dem Berfahren mancher 
proteftantifchen Bürften gegen ihre Fatholifhen Unterthanen 
findet Erotus das feines Erzbiſchofs gegen die Neuerer noch 
ſchonend: in der That hatte hierin Fein Theil dem andern 
viel vorzuwerfen, und doch findet ein wefentlicher Unterſchied 
ftatt. Die reformirenden Fürften handelten, bei allen Mißs- 
griffen in der Form ihres Verfahrens, doch im Einflange 
mit dem neuen Entwiclungstriebe, der ſich damals in allen 
Theilen des deutfchen Volkes regte, und den fie, als Achte 
Söhne ihres Volkes, mitempfanden: während Die andern 
jenem Triebe, den fie in ſich nicht fühlten, nach außen hin 
ſich widerfegten, und dadurch Die deutfche Nation nicht blos 
in den Theilen, die das Unglüd hatten, ihrem Regimente 
unterworfen zu fein, fondern die Nation im Ganzen, unwies 
derbringlich bejchädigten. 

Auf diefe Schrift des Crotus nun ift jenes Senpfchrei- 
ben eined Ungenannten die Antwort, dad wir ſchon oben 
aus Gelegenheit der Frage nach den Verfaſſern der Dunkel⸗ 
männerbriefe in den Kreis unfrer Betrachtung gezogen haben. 
Hier jehen wir es von einer andern Seite, und finden in 
demfelben ein Meifterftüd von Polemik gegen einen Abtrüns 





Ausgang des Crotus Rubianus. 365 


nigen, ein durch Mark und Bein dringendes Schwert. Der 
Freund läßt den Abgefallenen in den Spiegel ſeiner ihm ges 
nau befannten Vergangenheit bliden, indem er für ausge— 
macht annimmt, daß derjelbe noch immer Die gleichen Leber: 
jeugungen wie damals hege, die er jegt nur um äußerer Vor: 
theile willen verläugne. Ja, eine ironiſche Natur, wie er fei, 
mache ihm ohne Zweifel gerade das Vergnügen, mit fchein- 
barem Ernſte jegt Dinge zu betreiben, über die er im Jnner- 
ften fi) luſtig made. Aber er folle ſich in Adıt nehmen, 
daß er von feinem klugen Erzbiihof nicht durchichaut werde. 
Aud) demjenigen, was er jegt mit widerwilligen Mufen gegen 
die Proteftanten jchreibe, fei der Mangel an Ueberzeugung, 
das böfe Gewiflen wohl anzufehen. So matt, fo lendenlahm 
fei Alles, fo ſtumpf und bleiern die Gedanfen, jo unficher, 
verworren und lücdenhaft die Ausführung, fo unrein Die 
Sprade, jo nüchtern und huſtend die Beredtjamfeit, Daß 
man deutlid merke, er habe dabei jeiner Natur und eigent- 
lihen Meinung Gewalt angethban, habe nicht jowohl an die 
Sache, ald an die Hualleihen Salzpfannen gedadıt, die er 
fi) dadurch erichreiben möchte. !) 


1) In treffenden Bezeichnungen dieſer Seite einer bezahlten Apofta- 
tenfchriftitellerei ift der Anonymus unerfchöpflih. Die Papiſten leſen 
zwar Des Grotus neuere Schriften, fagt er p. 8, sed interim vident, 
interim sentiscunt, te non satis excitatunı esse, te frigide agere 
causam, et scribere quidem, sed cogitantem de farinis, cogitan- 
tem de salinis (von den Pfannen zu Halle) ut semper fuisti salsissi- 
mus, non de hostibus: neque, ut in re tanta, agere ejusmodi 
languidis et intermortuis libellis satis hostiliter. Dem Witze feiner 
frühern Satiren auf das Papfttfum gegenüber fei feine Apologie für 
Albrecht frigidior et in omnibus suis partibus languidior, quod tibi 
non licet relabi ad ingenium, quod ea laudare cogeris Coacts, 
jejuna et tussienti eloquentia, quae, pro ductu ac impetu insito 
naturae tuae, plena voce ridere et subsannare malles. p. 2% fg.: 
Si apud te fuisses, si non ex ipso pavore malae conscientiae 
quasi hebelatum et in se ipso fractum ac retusum esset ingenium, 

. hanc ipsam Apologiam alio argumento scripsisses. 








u Buch⸗ X, Kapitel, ” 


Wie Crotus diefe Zufchrift aufgenommen, wiffen wir 
nicht: nur fo viel liegt vor, daß er ſich durch diefelbe von 
dem einmal eingeichlagenen Wege nicht zurüdbringen ließ. 
Er blieb ein Gegner der Reformation, und Luther nahm ihm 
mit Recht befonders übel, daß er, der ſich nod) vor wenigen 
Jahren für die Priefterehe ausgeſprochen hatte, jetzt als ein 
heftiger Gegner und Läfterer derfelben auftrat. *) Bon der 
Verächtlidyfeit der Beweggründe feines Abfalls hielt ſich Lu— 
ther überzeugt: Crotus hieß ihm fortan Dr. Kröte, des Gar- 
dinals zu Mainz Tellerleder. 2) Dabei verlor er ſich in foldye 
Dunkelheit, daß nicht einmal fein Todesjahr feftfteht. Nur 
fo viel wiffen wir, daß, als Joadyim Camerarius im J. 1551 
feine Erzählung von Eoban Heſſe Ichrieb, Erotus nicht mehr 
am Leben war. Aber fo jehr überwog bei Gamerar das An- 
venfen an die Vorzüge und die frühere beffere Zeit des 
Mannes, daß er dasjenige, was derjelbe ſich jpäter hatte zu 
Schulden fommen laffen , nicht bei feinem wahren Namen nennen 
mochte, fondern nur in der Wendung andeutete, nad) feiner 
Rückkehr aus Preußen habe Grotus die Gemüther Vieler von 
fi) abgewendet, aus einer Urfache, die er, Camerar, nicht 
wife, oder vielmehr nicht fchreiben wolle, Damit es nicht 
heine, als wollte er den Mann, der ihm im Leben werth 
gewejen, nad) feinem Tode herunterjegen. ?) 

Es ift Die fchlagendfte Stelle feines Sendichreibens an 
Grotus, wo der Ungenannte den Schatten Ulrich Hutten's 
gegen ihn heraufbeichwört. Er führt den Neubefehrten vor, 
wie er bei dem Hochamte das Nauchfaß jchwingt; wie er, 
beide Arme vorgeftredt, die Augbraunen ernfthaft zufam- 


366 


1) Luthers Tifchreden, Werke, Hall, Ausg. XXI, 1808, | 

2) Vorreve auf Balth. Raida Antwort wider G. Wigel!s Läflers 
und ugenbüchlein, 1533. Luther's Werfe, XIV, 304. 

3) Narratio de Eobano Hesso ete. Ciij. 





| 
— ey Zu | 





Schluß. 367 


mengezogen, die Inful des Weihbiſchofs hält und ihm wohl 
gar die Schuhe küßt; wie er mit den Chorfängern die Knie 
beugt: wenn da Hutten wiederauflebte und es fähe,; ob er 
nicht, feurig und heftig wie er war, und ein gefchworener 
Feind aller Gleißnerei, den frechen Heuchler mitten im Tem⸗ 
pel zu Schanden machen würde? 1) 

In diefer zürnenden Stellung halten wir Hutten's Schat- 
ten feſt. In ihr möge er Denen erfcheinen, welche die Schlüffel 
der Gewiffen und der Geiftesbildung Ddeutfcher Stämme, 
durch die Kämpfe waderer Vorfahren faum zurüderobert, 
fampflos aufs Neue an Rom und eine römifch gefinnte Pries 
fterfchaft ausliefern; noch zürnender womöglich Denen, welche 
in Schooße des Proteftantismus felbft ein neues Papftthum 
pflanzen möchten; den Bürften, die ihr Belieben zum Geſetz 
erheben; den Gelehrten, denen Berhältniffe und Rüdfichten 
über die Wahrheit gehen. Er flamme ald Haß in und auf 
gegen alle Unpeutfche, Unfreie, Unwahre; aber glühe auch 
als Begeiiterung in unfern Herzen für die Ehre und Größe 
des Baterlanded; er jei der Genius unfred Volks, wenig. 
ftend fo lange, als Diefen ein zürnender, ftrafender, mah⸗ 
nender Schußgeift Roth thun wird. 


1) Epist. Anonymi, p. 17 fg. 


— ——— —— — — — —— 





Rachweiſung | 
der in dieſem Werke befprochenen Schriften Hutten’s. 


(Die Hutten mit Unrecht zugefchriebenen, oder doch nur zum Theil von 
ihm verfaßten Schriften find eingeflammert. Die römifche Ziffer bezeichnet 
den Theil, die arabifche die Seitenzahl.) 


I. Loteinifche Schriften. 
A. Dichtungen. 


in Eobanum Hessum Elegia .............. . ........... Il, 54 fg. 
In laudem Marchiae .............. ........ ........... l, 54 fg. 
De virtute elegiaca exhortatio....................... .. 1, 54 fo. 
Querelarum in Wedegum et Henningum Lötz 11. II. ... I, 68— 74. 
De arte versificandi 1. I. ........................... 1, 74— 16. 


Ad Maximilianum Caes. bello in Venetos euntem Exhortatio I, 84—87. 
Quod ab illa antiquitus Germanorum claritudine nondum 


degenerarint nostrates............................ I, 87 fg. 
Hutteni Viennam intrantis Carmen. .................... I, 88 fg. 
Ad Caes. Maximilianum Epigrammatum |. 1........... I, 95—100. 
In tempora Juli Satyra............... .... ... ........... I, 100. 
Vır Donus 2a es 1, 102 fg. 
Nemo; erjie Ausgabe... urn 1,103 fg. 
- Welle ©, aaa I, 148—150. 313. 
In laudem Alberti, Archiepiscopi Mog. Panegyricus...... I, 107 fg. 
In miserabilem Jo. Hutteni interitum deploratio........ . 1, 119 fg. 
Ad Crotum Rubianum Epigrammata ex Urbe missa..... I, 159 fg. 
„Pro arajtCoritiana Epigrammata. ...................... I, 161 fg. 


„Ad Leonem X. P. M. Carmen in prognosticon ad annum 





Hadelanum pro Capnione intercessiö 








— 0 Jo. Pepericorni vitam exclamatio....... I, 296, 
FAd Christoph. Hacum. ........::::..0 2202200000 er ... 1, 346, 
Io incendium —— — exclamatio..... 1, 99, 

Ad Helium Eob. Hessum Responsorium............ II, 1992-19. 








* 
VJ Reden und Jadectiden Streit- und Lehrſchriften. 
o ad Christum 0. M. pro Julio IL. P: M — I, 101.) 









— — Oratio I.-.--»- an... I, 128-129, 
End. [, 131-194. 
. 2 TAT 1, 136 fg. 
- u HER I, 141—146, 
A aa u: I, 364 fa. 
—* — ut bellum Turcis invehant, Exhor- 
MEET. an 1, 294-303. 346 fg. 
(ira > viri cujusdam dockissimi ad principes, * in 
e praestationem consentiänt........-...- I, 307—309.) 
Apr de Aufsas pro Phalarismo ab illo discerpio 
———c I, 181. 
—* medieina ———— 
———— I, 58 fg. 
0 ad Carolum Aug. et Germanos principes pro U. 
ERS ———— IT, 98.) 


“  Bieron. Aleandrum, Oratorem Rom.....-.+»- 11, 171—173, 

Marinum Garacciolum, Or. Rom II, 173 fa. 

Cardinales, Episcopos, Abbates eie, Lutherum apud 
Wormaciam impugnantes....-cuuscsuseun I, 174—177. 





=> 


cum Erasmo Roterodamo. ......: u, 277—288. 297 fa 
obscurorum virorum.......... I, 231—272.) 
J 


Strauß, Qutten. II. 24 








370 Nachweiſung 
C. Sendſchreiben und Zueignungen. 


Ad Joannen et Alex. de’Osthen (Zueignung ber Ars ver- 


sillcaloria)z...c inet er.. ], 16 
Ad Eytelvolphum de Lapide in Panegyricum (auf beu Erz⸗ 

bifchof Albrecht) Praefatio........-0-or0cnnnnnnnecnen 1, 10, 
Ad Ludovichum de Hulien super interemptione filii Con- 

Jſ ..... 1,18% 
Ad Crotum Rubianum (Zueignung der zweiten Ausgabe des 

J enetee ... I, 150-154 318. 
Ad Leonem X. P. M. Praefatio (zu Lorenz Valla's Schrift 

gegen die Echenfung Conſtantin's)................ I, 282-3. 
Ad Hermannunı conitem de Nuenar....... ET A 289-8. 
Ad Bilibaldum Pirckheimerum Epistola, vitae suae ralio- 

NEM exponens. ............ ................. 1, SM. 
Liberis omnibus ac vere Germanis (zur vollflindigen nt: 

gabe ber Exlıort. in Turcas)................... ... 1, AI 
Praefatio ad T. Livium (an Erzbiſchof Albrecht) PETERS ERTT ‚1, 3. 
Christianissimo Francorum regi Francisco. .......... ... 1, 36h 


Ad Sehastianum de Rotenhan (3neignung bes Vadiscus).... 1,8 
Ad principem Ferdinandum, Austriae Archiducem in ]. de 


unitate eeclesiae conservanda etc. Praefatio....... I, AL 
Liberis in Germania omnibus (orrebe zu de schismate ex- 
tinguendo ete. ). .................. ee U, 55-0. 
Ad Carolum Rom. et Hispan. regem conquestio....... 1, 79-8 
Ad Prineipenm Friderichum Sax. Ducem, EI. - - ....... II, 8-% 
Alberto Card. et Archiepiscopo................ ........ 1, 8% 
Omnibus omnis ordinis et status in Gerınania etc..... u, 9-1 
Joanni Palatino Rheni (Zueignung der Dialogi novi)..... n, 14% 
Ad Albrechtum Brandenburg. Archiep. Card... ...2..... U, 177% 
- Ad Carolum Imp. Epist. L.. ....................... u, 1780-18. 
= u, 181% 
D. Dialoge. 
(F. A. F. libellus de obitu Juli, s. Julius exclusus..... 1, 10119) 
Phalansniuss I, 178-181. 
(Pasquillus ul. en 1, 3108.) 
Aula sus en vun. 1, 316-088 
Dialogi: 
Febr eier I, 350-8. 


Fortuna.................... ....... ............. 1, 5-U- 








der Schriften Hurten’e, 371 


Febris — RER I, 13 —17. 
Vadiscus s. Trias Romana........... ........... II, 28—38. 
Inspicientes esse II, 383—46. 
II, 4 Anm.) 
(Philslethis, civis Utopiensis dialogus..... — II, 46 fg. Anm.) 
(Hogstratus ovans............... il, 270 Anm.; II, 23. Anm., 59.) 
(Huttenus captivus. Huttenus illustris...........:...... II, 93 ig.) 
Dialogi novi: 
Bulla vel Bullicida............................ I, 145—147. 
Monitor L.................... an: II, 147— 151. 
Monitor I... 4 en I, 151—156. 
Praedones.......... .. ... .............. en II, 156—166. 
JJJ. II, 325— 329. 


E. Die wictigften Briefe. 


(ige Stũcke, die möglicherweife auch hieher geftellt werben konnten, 
f. unter C.) 


MiPhachun se ee I, 93 fg. 
Ad Jacobum Fuchs................. ............ l, 111. 122 fg. 
Ad Marquardum de Hatstein. ...................... .... l, 122. 
Framo. ................... I, 156 fg. 356. 362. II, 70. 259 - 261. 
‚$sani Reuchlino................................... I, 228 fg. 
Büibaldo Pirckheimero............................... I, 229 fg. 
ee I, 30419. 
Frl: Piscaton ............................. ......... 1, 367 fg. 
Arooldo de Glauberg. ........................ I, 368. 371—373. 
Eobano Hesso et Petrejo Aperbacho. .................. II, 24 fo. 
Eobano Hesso................................ IL, 25. 310—312. 
Ph. Melanchthoni .................................... I, 26 1y. 
Mart. Luthero...................... II, 62-64. 135 fg. 185. 187. 
Wolphg, CupitOnianeossensennessnnesnneeeen nennen en nen 1, 69. 
Sebastiano de. Rotenhan. su sun ser ee 1, 87 fg. 
Nicolao Prugnero.................. ................ II, 313 fg. 


24 * 








372 Rachweifung der Schriften Hutten’e. 


1. Deutſche Schriften. 
Zufchrift an Franz von Gidingen zu ber Derbeutfchung bes 


echen Fiebets.. 2a ee 1, Sf 
Ein Klag über den Lutherifchen Brand zu Meng........ 1, 9-108. 
Klag und Bermahnung gegen ben übermäßigen Gewalt bes 

J D, 14-11L 
Anzeig, wie allwegen ſich die römifhen Biſchoͤff gegen den 

beutfchen Kaifern gehalten haben... ............ I, 13-11. 
Meberfepung ber Klagſchreiben....................... n, 115-11l. 
Berbeutfchung der lateiniichen @efpräche, mit Anfangs und 

Schluüßreinennnn nun I, 1177-18 
Entfchuldigung wiber etlicher Unwahrhaftiger Ausgeben von 

Ibn a II, 1234-13. 
Ein neu Lied Herrn Ulrich's von Hutten................ u, 10% 


Zueignung ber verbeutfchten Geſpraͤche an Franz von Sickingen II, 1400-18 
Borrede zu der Schrift: Goncilia, wie man die halten foll.. II, 166% 
Behpebriefe gegen die Kartheufer und Peter Meyer... II, 200 fg. WA 


Ermahnung an Worms............................ II, 2086-24 
Bellagung der Freiftädte deutfcher Nation... ........... 1, 211-234 
(Neu Karſthane 66 Il, 2120 


An den Züricher Rath................................ 1, 816% 





Hamenregifter. 


Botzheim, Johann von, 1, 277, 
2% 


Adrian, Cardinal, nachmals Papfl 
Adrian VI., I, 226; II, 290. 

Alber, Erasmus, II., 300. 

Albrecht von Brandenburg, Kur: 
fürſt, Erzbifchof u. Cardinal, I, 16, 
3, 105, 108 fg., 154 fg., 285 fg., 
293 fg., 805 fg, 315 fg, 352, 
869 fg.; II, 3, 25, 64 fg., 71 fg, 
86 ig., 232 fg., 280 fg.. 361 fg. 

Aldus Manutius, I, 43, 185. 

Aleander, Hieronymus, II, 70, 
94, 111—178. 

Amerbach, Gebrüder, II, 243 Anm., 
263. 

Andrelinus, Fauſtus, I, 102. 

Angft, Wolfgang, I, 38, 268, 345, 
349. 


Aquila, Bafpar, II, 79. 

Arnold von Tungern, I, 26, 201 
— 208. 

Afulanus, I, 185. 

Auffäß, Peter von, I, 181. 

Auguftin, Propft, I, 82 fg. 

Arungia, Peter, I, 14; Publius 
Vigilantius Barillarius, I,52, 59, 
72. | 


Banniſis, Jacob von, I, 808 fg. 
Beatus Rhenanus, 1,362; II, 373. 
Dehaim, Lorenz, I, 267. 
Bombafius, Baul, I, 160. 


Brunfels, Otto, II, 198 fg., 204, 
239, 299 fg., 301 fg., 320 fg. 
Bucer, Martin, II, 79, 92, 171, 
184, 196 fg., 230, 239, 241. 

Budäus, Wilhelm, I, 287. 

Bülow, Dietrich von, I, 52 fg., 71. 

Buſche, Hermann von dem, I, 17, 
80, 72, 110, 217—219, 268, 362; 
II, 171, 190 fg., 258. 


C. 


Cajetan, Cardinal, I, 306 fg., 
311, 314 fg., 360; II, 39, 46 fg., 
71. 

Calcagninus, Eölius, I, 184. 

Gamerarius, Joachim, I, 20, 
23 fg., 279; II, 47, 319, 324 fg., 
834 fg., 866. 

Canter, Gebrüder, I, 30. 

Bapito, Wolfgang Fabricius, II, 
63, 66, 69, 71, 133, 198. 

Baraccioli, Marino, II, 
173 fg. 

Carbach, Nicolaus, II, 349. 

Carl V. Raifer, I, 811; 1,8, 49fg., 
61, 68, 76, 79, 94, 106, 109, 
112-115, 147, 151, 158—157, 
168—170, 178—182, 210—225. 

Celtes, Conrad, I, 46, 82 fg. 

Cochlaͤus, Johann, I, 168—172, 
1883, 186 fg., 280 fg.; II, 12. 


70, 





374 


Collimitius, Georg (Tannflets 
ter), I, 84. 

Coppus, Gregor, I, 345; II, 15. 

Eoritius, Iohann, I, 161 fg. 

Grocus, Ridyard, I, 31, 176, 225, 
231. 

Eronberg, Hartmuth von, II, 
203 fy., 207, 227, 237, 241. 
Erotus, Zobann, Nubianus, I, 20, 
24-9, 72, 74, 77—80, 150— 
154, 165, 186, 215, 256 — 263, 
310; II, 53ig., 70, 182 fg., 334, 

8357-866. 


D. 


Dürer, Albrecht, I, 321, 326: 
11, 350. 


@. 


Eberbach, Peter, I, 41, 83, 268; 
II, 24 fg. 

Ed, Ichann, Il, 26, 60—63, 82, 
94, 146, 346 fg., 358. 

Egnatius, Baptiſta, I, 185. 

Eppendorf, Heinrich von, II, 272 
—277, 309, 323, 342, 348. 

Erasmus, Defiderius, I, 110 fg., 
156 fy., 160 fg., 180, 208, 213, 
216, 271 fy., 280, 293, 337, 
352, 362 fg., 370; 11,54, 58 fg., 
66, 70, 168, 189 fg., 238, 2414 — 
300, 316, 330—332, 341— 346. 

Efchenfelder, Chriſtoph. I, 54 fg. 


F. 


Faber von Etaples, I, 287. 

Fabricius, Ulridy, I, 31. 

Fachus, Balthafar, I, 72, 76 fg., 
93 fg., 176; II, 64. 

Gerdinand, Erzherzog von Te: 
fterreih, II, 4, 49 fg., 61, 67. 

Fettich, Theobald, II, 171. 

Fiſcher, Friedrich, I, 166fa , 281, 
367. 


Ramenregiſter. 


Blersheim, Philipp von, 1,18 
304 


Fönifeca, Johann, I, 3. 
Franz I., König von Fraufreii. 
I, 163, 356 fa.; I, 3, 76, 8. 
Friedrich der Weite, Kurfürk m 
Sachſen, I, 42, 292 fa: 1, ®8, 
82, 86, 92, 135, 351, T-M. 
Friedrich, Pfalzgraf, I, 197. 
Sroben, Iohann, Il, 7, 
824. 
Srundsberg, Georg von, I, BE. 
Enche, Andreas, U, 53; Jach. 
I, 111, 122,166, 174, 3671,29, 
309; II, 58. 
Bürftenberg, Bhilipp, I, I | 
II, 57, 206. PR, 
Bugger, I, 7, 157, 16L >” 


Gamsharft, Oswald, II, Mi. 
Georg, Pfalzgraf, Biſchof i 
Speier, I, 210. 
Georg, Herzog zu Sachſen, Il M 
Gerbel, Nicolaus, I, 171, 175,38. 
Gerolds eck, Theobald von, LI. 
Geuder, Gebrüder, I, 168-18 
Slapion, Iobann, I, 188% 
Glareanus, Heinrich, I, 319 
Glauberger, Arnold, 1,358,3. 
368 fg., 371-373; 11, 68 
Gouda, Jacob, I, X. 
Sratius, Ortuin, I, 8-2, 
2341 fg., 273— 275. 
Grimani, Garpinal, I, 211 
Gros, Georg, I, 303. 


8. 
Handſchuchs heim, Dietrich tt 
IL, 138, 202. 

Harlem, Ebert, , 6619. 
Hartmann, Burggraf von Kick 
berg, Goadjutor und fpäter 

zu Fulda, I, 15, 78, 80, 186,91 








Namenregifer. 


Hatflein, Marquard von, I, 112, 
122. 

Heckmann, Johann, I, 89 fg. 

Hegius, Alexander, I, 42, 206, 
218. 

Helfenflein, Ulrich, Graf von, 
l, 304. 

Herberflein, Sigmund von, I, 
304. 

Heffus, Helius Eoban, I, 36— 
41, 51, 72, 155, 164, 176 fy. 
215, 268; Il, 24 fg., 182, 191fg., 
297, 310—313, 333 fg., 352 — 
857. 

Hocdftraten, Jacob, I, 26, 196, 
209—289, 312; II, 19-33, 
67 fg., 282 fe. 

Holghbaufen, Hamman von. 1, 
368 Anm., 369, 371. 

Horläus, Sacob, I, 36. 

Hutten, Frowin von, I, 7, 34, 109, 
285; Il, 72, 288, 239; Sans, I, 
112—117, 361: %2orenz, I, 9; 
Ludwig, I, 6, 34, 69, 113, 121, 
135, 140; Morig, II, 324 fy.; 
Ottilia (Ulrich's Mutter), I, 10 fg. 
104; II, 121, 308; Ulrich (Uls 
rich's Vater), I, 7—12, 18, 77— 
80, 154; II, 201. 


3. 
Joachim I, Kurfürk von Bran—⸗ 
denburg, I, 16, 52, 105. 
Sohann, Pfalsgraf zu Simmern, 
II, 144. 
Johann Eicero, Kurfürft von 
Brandenburg, I, 16, 52. 
Johann von Henneberg, Abt zu 
Fulda, I, 14, 18. 
Jonas, Juſtus, I, 48; II, 258. 
Sulius Il, Bapft, I, 88, 94, 
98—102, 297, 310. 


375 


8. 


Kettenbach, Heinrich von, II, 284 
Kollin, Gonrad, I, 26, 201—208. 
Kreih, Zilmann, Il, 9. 


2. 


Lamparter, Gregor, I, 138. 

Lang, Matthäus, I, 94 fg., 140, 
342. 

Lee, Eonaro, II, 58 fe. 

Leo X. Bapft 1, 168, 184, 210 fg., 
214, 248, 282, 297, 308, 311; Il, 
3, 29, 68—71, %, 149, 161. 

Leonicenus, Nicolaus, I, 184. 

Löp, Wedeg und Henning, I, 62--78. 

Ludwig V., Kurfürfl von ber 
Pfalz, II, 240, 304. 

Luther, Marlin, I, 22, 25, Bl, 
272 fg., 291 fg.. 313 fg.; II, 18, 
25—27, 62-64. 88, 92, I5— 
101, 134—137, 145—155, 168, 
182--189, 230, 251—257, 298, 
805, 841, 348 fg., 352, 358 fg., 
362, 366. 


M. 

Marius, Johann, 1, 83 fg. 

Marimilian I., Raifer, I, 84 fg., 
95 fg., 129 fg., 137, 140, 146, 
163—165, 300, 319 fg., 354; 
Il, 114, 162. 

Maynus, Iafon, I, 90. 

Melanchthon, Philipp, II, 2B— 
27, 64, 230, 258, 297 fg., 314, 
334—837. 

Meyer, Beter, I, 200, 249, 289; 
II, 203 — 208. 

Morlin, Gebrüder, I, 14. 

Murner, Thomas, I, 845; il, 215. 

Mutianus, Sonrad, Rufus, I, 27, 
42-51, 72,74, 155, 189, 208 fg., 
218, 217, 262, 336; Il, 24, 
836341. 


EEE2 





376 Ramenregifter. 


N. 


Nettesheim, Agrippa von, II, 66fg. 

NAuenar, Hermann, Graf von, I, 
30 fg., 267 fg., 288293, 312; 
U, 21 Anm. 


D. 


Decolampadius, Johann, IT, 
304; II, 79, 241, 312, 315. 
Dften, Johann und Alerander von, 

I, 53, 72, 74, 76. 


P. 

Pavonius, Alrich, I, 63, 70. 

Beutinger, Conrad, I, 33, 276— 
279, 302 fg., 315; Conſtanze, I, 
277. 

Bfefferkorn, Johann, in Göln, 
I, 194—1%, 261, 298, deßgl. in 
Sachſen, I, 226. 

Bflugf, Julius von, I, 304; II, 
53, 361. | 
Philipp, Landgraf von Heflen, II, 

228, 304, 312, 355 fg. 

PBirdheimer, Wilibald, I, 155, 
163, 168, 208, 214 fg., 268, 
319—323, 336, 338; II, 166. 
8346—351, 354; Charitas, IT, 
349. 

Piſtoris, Maternus, I, 27, 35. 

Brierias, Spyivefter, I, 214. 


N. 


Reiſchach, Hans Leonhard von, 
I, 361, 365. 

Rem, Negidius, I, 92, 804. 

Remaclus, I, 30. 

Reuchlin, Johann, I, 17, 30, 32, 
12, 188-230, 248250, 272, 
292, 312, 359; II, 18 - 28, 249— 
251, 284. 

Rhagius, Johann, Aefticampia- 
nus, I, 26, 29 fg., 34, 51 fg., 
56, 59, 72, 81. 


Richard von Greiffenclau, Kur 
fürft von Trier, II, 229, 235— 
237, 304. 

Nicius, Paul, I, 842; II, 15. 

Rotenhan, Sebaftian von, II, 
28, 87. 

Ruſſinger, Johann Jacob, Mbt 
zu Pfäfers, II, 810. 

Ruzeus, Ludwig, I, 287. 


S. 
Sabina, Herzogin zu Würtem⸗ 
berg, I, 130, 133 - 136. 
Sauermann, Georg, I, 167. 
Scheffer, Johann, II, 39, 72. 
Schlör, Balthafar, II, 231, 303. 
Schmid, Cunhard, II, 322. 
Schnegg, Hans, II, 315, 317. 
Schott, Johann, II, 277. 
Schwalbach, Georg von, I, 210. 
Scwebel, Johann, II, 79. 
Sickingen, Franz von, I, 355 fg. 
359-8362; 11, 3, 18—23, 26 fg., 
63, 73—79, 112 fg., 118, 134, 
138-147, 151—166, 169, 184, 
189, 195 — 201, 216— 239, 301— 
306, 328; Schweidard, Fran: 
zens DBater, II, 74 fg.; Fran⸗ 
zens Söhne, 1, 202 Anmerf. 
302 fg. 
Sobius, Iacob, I, 46 fg. Anm. 
Spyalatin, Georg, I, 42, 46; II, 
82, 135, 171. 
Spiegel, Jacob, I, 276, 279, 
303 


Stab, Johann, I, 276, 279, 303. 

Stein, Eitelwolf von, I, 15-18, 
62 fg., 59, 106 fg., 109, 111, 
215. 

Stoientin, Valentin, I,63,59,69. 

Streitberg, Georg von, 1, 276. 

Stromer, Heinrich, 1, 285, 293, 
303, 315 fg., 341, 345; I, 15, 
29. 


— — — —— - 


wm 





Ramenregifer. 


8. 
je monine, I, 51, 72. 
Lerxbatius, I, 804. 
SHumb, Gonrad von, I, 114, 181, 
865; Urfula von, I, 113, 359. 


Th urzo, Stanislaus, I, 82 fg. 


Trebelius, Hermann, Notianus, 
I, 52 fg., 59, 72. 

Lruch ſe ß, Thomas, I, 210. 

Trvphon. I, 168. 

Zundalue, I, 14. 


Uri, Herzog zu Würtemberg, 
Il, 118—146, 163, 227, 280, 
804, 854— 866. 

Urban, Heinrich, I, 
886 Aum. 

Uriel, Kurfürſt von Mainz, 1, 
135, 200, 210. 


8. 


Bavian, Soadin, I, 60, 88, 
166 fg. 

Bolland, Ambroflus, I, 146, 
866. 


43, 46, 





377 


W. 

Wacker, Johann (Vigilius), l, 
192. 

Weiger, Johann, I, 74. 

Werler, Veit, I, 81; IL, 287 fg., 
882 fg. 

Wilhelm, Herzog von Baiern, I, 
131, 358. " 

Wimpheling, Jacob, I, 82 fg., 
75 


Wimpina, Conrad, I, 52. 
Wirsberg, Johann von, I, 808, 


840. 
Wolfhard, Bonifaz, II, 322. 


8. 
Zärtlin, Conrad, U, 166 fg. 
Zehender, Bartholomäus, I, 224, 
289 fg. 
Zonarius, Fabius, I, 80,271 Anm. 
Zwingli, Ulrich, II, 296, 807, 
309 fg., 812, 314 fg., 819 fg. 
328. 


Drud von 9. N. Brodbaus in Leipzig. 





Berbefferungen. 


— —— — — — 


Seite 21, Zeile 16 der Anm., ſtatt: 1519, lies: 1529 
: 8 =: 8, flatt: 1521, lies: 1522 
s 96, : 2 ber Anm., ftatt: Bulli... fuerat, lies: Bulla.. fuerit 








Ulrich von Butten. 


David Friedrich Strauß. 


Dritter Theil. 


Geſpräche von Ulrich von Hutten. 





Jeipeig: 
F. A. Brodhaus. 


1860. 





Geſpräche 


Urich von Hutten, 


überjegt und erläutert 


David Friedrich Strand. 





Keipzig: 
5. A. Brodbaud. 


1860. 


* 
L 





Dorrede. 


Roch nie bin ich bei einer Arbeit ſo ſicher geweſen, 
dem Publicum einen Gefallen, der deutſchen Ration 
einen Dienft zu thun, als bei der vorliegenden. "Ras 
türlih: bisher brachte ich Eigenes, fo gut oder übel 
ich es vermochte; dießmal bringe “ eine Ueberfegung 
von Ulrich Hutten. 

Dem leſenden Publicum wird die friſche, gefunde, 
reife Frucht ſchmecken; ja fie mag ihm nad fo man⸗ 
chem fchlechten Roman oder nicht befiern Erbauungs- 
buch Mund und Magen wiederherftellen helfen. Es 
ift nicht ohne Rüdficht auf diefes Publicum, daß ic 
von Hutten gerade die Geſpraͤche, in denen er den 
Ernft feiner reformatortfchen Gedanken in geſchmack⸗ 





vI Borrede 


volle, phantafiereiche Formen leidet, zur Ueberfehung 
ausgewählt habe. Sa, daß ich es nur geftehe, ich ge 
höre in diefem Stüd felbit ein wenig zum Publicum. 

Dem deutfchen Volke aber made ich einen feiner 
Claſſiker zugänglih. Es befigt deren befanntlid auf 
ſolche, Die Iateinifch gefchrieben haben. Man kam 
über den Begriff des Claſſikers ftreiten: ich verftehe 


hier einen Schriftiteller darunter, in deifen Werken 


die tiefite Eigenthümlichkeit feines Volkes zum vollen 
Ausdruf kommt, und zwar in einer Form, Die, wem 
nicht für alle Zeiten muftergültig, doch für alle be 
deutend und anziehend if. Dergleichen Schriftfteler 
fönnen dem deutfchen Volke am wenigjten in dem 
Jahrhundert gefehlt haben, da es feine größte natie 
nale That vollbrachte, die Reformation, und fie mif 
ten die eriten unfrer Claſſiker heißen, felbit wenn fi 
fein deutfches Wort gefchrieben hätten. 

Allen andern voran fteht hier befanntlich Luther felbtt 
Auch er hat fich noch vielfach der fateinifchen Sprade 
bedient; aber feine Bibelüberfeßung, feine Lieder, feine 
Katechismen, feine Predigten mit fo vielem Anden 
noch find deutſch, und fo deutfch, daß fie zu unferen 





Borrebe. vıı 


ganzen neueren Sprach- und Schriftwefen den Grund 
gelegt haben. Diefe deutſchen Schriften Luther's uns 
mehr als andere aus der gleichen Zeit frifch und 
geniepbar zu erhalten, bat ein Umſtand beigetra- 
gen, über den Sprachforſcher, oder vielmehr Alter: 
thümler, fchmälen mögen, der aber vom bildungs: 
geſchichtlichen Standpunkt aus als höchit fegensreich 
eriheint. Indem nämlich jedes folgende Menfchen- 
alter nicht blos die Rechtfchreibung, fondern au 
manche vweraltende Spracheigenbeiten der Bibelüber- 
Kung, der Lieder und der andern gelefenern Schrif- 
ten Luther's in feiner Art fich zurecht machte, blieben 
fe in einem fortdauernden fprachlihen Erneurungs— 
Proceh begriffen, der fie einer Maffe von jetzigen Le— 
jem zugänglich macht, denen fie in ihrer urſprüng— 
lien Geftalt nur fehwer und theilweife verftändlich 
fin würden. 

‚Hutten, dem unter den claffifchen Schriftitellern 
Deutſchlands im Neformationsjahrhundert fchwerlich 
Jemand die zweite Stelle nach Luther ftreitig machen 
Bird, iſt, was die Sprache betrifft, heut zu Tage 
gegen Diefen zumächit im Nachtheil. Um fo viel fein 





VIII VBorrede. 


Latein beſſer iſt als Luther's, um ſo viel iſt ſein 
Deutſch geringer. Als Humaniſt war nur jenes die 
Sprache, in der er ſich geläufig ſchriftlich ausdruͤckte, 
und wenn er auch in fpätern Jahren, um weitern 
Kreifen verftändlich zu werden, Mehreres deutfch ſchrieb 
und einige feiner lateintfchen Schriften, wie nament 
lic, einen Theil feiner Geſpräche, in's Deutſche über 
trug, oder unter feiner Mitwirfung übertragen lieh, 
fo fehrte er doch, wenn er fich frei bewegen, und ver 
Allem wenn er künftlerifch fchaffen wollte, immer wie 
der zu feiner alten Humaniftenfprade zurüd. Und 
feinen deutfhen Schriften wurde dann für’ Anden, 
weil fie weniger gelefen und wieder aufgelegt wurden, 
jener fortgehende Berjüngungsproceß, jenes zeitenweile 
wiederkehrende Sichhäuten nicht zu Theil, das Die 
Lutherifchen lebendig und wirkfam erhielt. Dieß jet 
auf Einmal nachholen, d. h. Hutten’s deutfche Schrik 
ten fprachlih modernifiren zu wollen, würde theild 
unerträglich affectirt herausfommen, theils nicht ein | 
mal binreichen, fie anziehend zu machen. Man md 
feine beiten lateiniſchen Schriften überfegen, und zwar 
fo, daß man auch bei den von ihm ſelbſt ſchon über 





Borrede. IX 


| tragenen dieſe Ueberfegung wohl für das Verftändniß, 
nicht aber ald fprachlihes Vorbild benugt, fondern 
fein Latein unmittelbar in das heutige Deutſch über: 
trägt. Und bier tritt num hinwiederum Hutten gegen 
Luther in Vortheil. ‚Sein claffifches Latein fteht unfrem 
heutigen Deutfh näher als Luther's Kirchenlatein und 
Bibeldeutſch. Aber auch ſeine Denkweiſe, ſeine mehr 
weltliche, politiſche Art, die menſchlichen und ins 
befondere die religiöfen Berhältniffe anzufeben, fpricht 
und verwandter an. 

Der Berfuh, Hutten's Schriften, namentlich auch 
die Gefprähe, durch Ueberſetzung wieder unter den 
Deutfchen einzubürgern, it ſchon einigemale gemacht 
worden, doch ohne fonderlihen Erfolg. Man hatte 
es nicht recht angegriffen. So gab Aloys Schreiber 
die beiden Fieber, Ernſt Münd außerdem noch den 
Vadiscus und die Anfchauenden, mit allerhand Moder- 
nifirungen nad der alten Hutten’fhen Ueberſetzung; 
während der Letztere dann die von Hutten felbft nicht 
überfeßten Geſpräche, fo viel er deren gab, auf eigene 
Hand in feiner bekannten flüchtigen Manier übertrug. 
So fehlte auf jeden Fall die Gleichförmigkeit. Außer: 





X Borrebe, 


dem fehlten Einleitungen, den 2efer auf den richtigen 
Standpunkt zu jtellen, Anmerkungen, um Geſchicht⸗ 
liches und was fonft zum Berftändnig nöthig, aber 
nicht Jedem gegenwärtig it, herbeizubringen; dem 
Ueberfegungen macht man ja nicht für Gelehrte, m 
dern um einen Schriftfteller jedem Gebildeten im eige 
nen Volke zugänglich zu machen. Wenn ich jept den 
Verfuh in andrer Art wiederhole, fo wird mid 
wenigitens der Vorwurf nicht treffen, ohne Vorberei⸗ 
tung an die Sache gegangen zu fein. Auch war id 
äußerlich begünitigter al8 irgend einer meiner Bor 
gänger. Keinem von ihnen lag ja noch die Böcking'ſhe 
Ausgabe von Hutten’s Werken vor, die, während ſie 
eine Menge von Fehlern und Schwierigkeiten der 
alten Drude aus dem Wege räumt, zugleich durch 
ebenfo reiche wie gründliche biftorifche und literariſche 
Nachweifungen dem Ueberfeger eine von mir dankbar 
benügte Hülfe leitet. Ihr Zert (da mir vom vierten 
Bande die Aushängebogen zu Gebote itanden) liegt 
meiner Uebertragung durchaus zum Grunde, mo nift 
in etlihen wenigen Fällen ausdrüdlicd ein Andere 


angemerkt ift. 





Borrede. xI 


Doc nicht überhaupt nur um den Glaffifer, den 
gunddeutichen und geiftvollen Schriftfteller, ift es mir 
p thun, indem ich Hutten durch dieſe Ueberſetzung 
eines Theils feiner Werke in die Hände des deutfchen 
Bolts zu bringen fuche. Der Mitarbeiter des großen 
Reformators ift es vor Allem, der muthige Kämpfer 
gegen Rom, den ich, nachdem fein von mir bio- 
kraphifch gezeichnetes Bild fo günftig aufgenommen 
worden, nunmehr felbft, in feinen eigenen Schriften, 
auferwecen möchte. Dieß war auch ein Hauptgefichts- 
yankt, der mich bei der Auswahl der zu überfeßenden 
Gtäde leitete. Wenn ich einerfeits nach ſolchen mich 
umfah, die vermöge ihrer Form auch heutige Leſer 
ch anziehen könnten, fo wählte ich unter Diefen 
adrerfeitö Diejenigen aus, die ihrem Inhalt und 
Zoecke nach mit Luther's Beftrebungen, mit der großen 
Rıtionalangelegenheit des fechözehnten Jahrhunderts, 
in Zufammenhang ftehen. So wird man dem in 
Im folgenden Gefprächen erſt noch den Morgenftern 

des Humanismus am Himmel funteln fehen, bis all- 
nihlig der Horizont fich röthet und die erften Strah⸗ 

len der felbft noch nicht ſichtbaren Sonne der Refor⸗ 





xl Borrede. 


mation durch den Himmel ſchießen. Seht trit ſie 
hervor und wirft die Nebel nieder; fie ſteigt hoͤhet, 
aber die Nebel fteigen auch, und je wärmer ihre 
Strahlen werden, defto Dichter treten die Dünfe m | 
Wolken zufammen, die bald mit verderblicdhen Ge 
wittern drohen. 

Man macht die Reformation für dieſe Wetter ver 
antwortlih, man hört nicht auf, ihr vorzumerfen, daf 
fie unfer Volk gefpalten, das deutfche Reich zerrifen 
habe. Man bedenkt nicht, wie zerflüftet und brüdig 
Diefes fehon vorher aus andern Urfachen war. Bau - 
bedenkt ferner nicht, daß die Reformatoren außer 
Schuld find, wenn ihre Saaten. nicht überall in 
deutfchen Landen Wurzel fehlagen durften, und mar 
her Orten, mo fie ſchon Wurzel gefaßt hatten, ge 
waltfam wieder ausgereutet wurden. Hauptfählid 
aber bedenkt man nicht, daß es immerhin befier war, 
Deutfchland wurde, wenn es einmal mit dem ganzer 
nicht ging, wenigitens zur. Hälfte deutſch, als daß ei 
ganz romanifch geblieben wäre. Denn vor der Re 
formation war Deutfhland fo wenig ſchon es felhk 
als die Larve ſchon die Biene oder der Schmetterling 





Borrebe, XIIV 


ndividuelle Selbſtthätigkeit, Leben aus dem eige— 
en Innern eines Jeden heraus. Dem entwidelten 
utfcher tann fein mechanifches Abthun des Religiö— 
1, en unmertönie Schaugepräng und Plappern, 
1 gedankenlofes Abkugeln von Roſenkränzen ge 
re ſelbſt mit feinem Bewußtfein, feinem 
jeriten geiftigen Wefen, dabei fein. Er kann ſich 
* Länge feinen Glauben nicht von außen vor— 
eiben, ſich nicht von einer Prieſterkaſte in geiſt— 
iden Dingen bevormunden laſſen: er muß ſelbſt for: 
en, ſei es vorläufig in der Schrift, oder weiterhin 
der Bernunft. Daß wir das dürfen und können, das 
Krdanfen wir protejtantifche Deutſche der Reformation; 
15 wir es auch wirklich thun, uns in der That umd 
Babrheit als Deutfche beweifen, das iſt unfre Sache. 
denn man Hutten geſagt hätte, daß die römifche 
Dierarchie, zu deren Umſturz er feine mächtige Lanze 
te, Luther feinen noch gewaltigen Arm wicht 
ih, und alle Beffern im der Nation fich in 
di t Unwillen erboben hatten, — wenn man 
7* hätte, daß fie mach mehr als dreihundert 

























xIV Borrebe 


Jahren noch fortbeftehen, dag auch Dann noch halb 
Deutſchland in religiöfen Dingen fein Heil von jenen 
Bergen her erwarten würde, über die ihm feit Jahr 
hunderten fo viel Unheil und Berderben gekommen 
war! So langfam geht e8 mit der Entwicklung der 
Bölfer und der Menfchheit, fo gründlich treibt det 
Geiſt in der Geſchichte fein Geſchäft. Das dürfen 
wir und nicht verdrießen, noch weniger die Hoffnum 
finfen laffen. Aber ebenfowenig uns verblenden über 
die Macht, die dem immer noch inmwohnt, was wit 
für ein längit Ueberlebtes halten möchten. 

Manches freilih würde Nutten, wenn er beuke 
wiederfäme, um fih den Stand der Dinge bei mi 8 
anzufeben, an der römifchen Kirche, feiner alten Fein 
din, verändert finden. Ueber den Geldabflug nad 
Rom, die finanzielle Ausbeutung Deutfchlands durd 
den päpftlihen Hof, worüber er und alle Batrioten 
feiner Zeit fo laute Klage erhoben, würde er ſich jet 
ziemlich beruhigen können: Was ein Tuftiger Zrem) 
von ihm damals den Deutfchen zurief: Augen auf ımd 
Beutel zu! davon haben fich feitdem Rom gegenüber 
das Leptere auch Diejenigen gefagt fein Iaffen, die ſih 





Vorrede. XV 


zum Erſteren noch nicht entſchließen mochten. Auch 
ſeine ſchmutzigen Bettelmönche, ſeine praſſenden Dom⸗ 
herren, die üppigen Hofhaltungen der Bifchöfe feiner 
Zeit würde er im jegigen Deutſchland vergeblich fuchen. 
Selbit in Rom würde er fih wundern, wie Doch Alles 
jest fo viel ehrbarer und anftändiger zugehe. Aber 
täufchen würde er ſich durch dieſe verfchönerte Außen- 
feite gewiß nicht laffen. Bald würde er finden, es fei 
zwar Vieles anders, nichts aber befjer geworden. Ja 
vielleicht würde er in der Sprade der Bibel fagen, 
der Teufel fei wohl ausgetrieben, aber durch der Teufel 
Oberften. Und wir könnten ihm mit einem einzigen 
Morte das Raͤthſel löfen, indem wir ihn darauf aufs 
merkſam machten, wie Ignatius Loyola zwar fein Zeit 
genofje gewefen, aber nad feinem Zode erft Ordens- 
ftifter geworden fei. 

Wenn in Kolge davon, ftatt daß Dominikaner und 
Franziskaner die Wiffenfchaft gehaßt und verfolgt hatten, 
die Sefuiten fortan fi) mit derfelben einliegen, aber 
nur um fie defto wirkfamer mit ihren eigenen Waffen 
befämpfen zu können; wenn, wo jene mit Brügeln auf 
die Geijtesfreiheit losfchlugen, diefe ihr tüdifche Dolch- 





xVI Borrede 


ftihe verfegten und fchleichende Gifttränte eingaben: 
was war damit beſſer geworden? Wenn Hutten ftatt 
der Didwanftigen rothbadigen Schlemmer, die er unter 
der Geijtlichkeit feiner Zeit in fo großer Anzahl fah 
und in den Dunfelmännerbriefen verewigen half, Die 
bleihen, hagern, von Herrſchſucht verzehrten, von Fana⸗ 
tismus ausgebrannten Geſtalten zu fehen befäme, die 
jept unter und umgehen, ob er nicht ftatt diefer Zög- 
linge Loyola's und Machiavell’s jene verhältnigmäßig 
harmlofe Heerde Epikur's zurüdwünfhen möchte? Im⸗ 
mer hat er neben der materiellen Ausbeutung als das 
noch viel Unerträglichere die politifhe Bevormundung, 
die geiftige Knechtung angefehen, die Deutichland von 
Nom erleide und ſich gefallen laſſe. Und damit ift 
es fo wenig beffer geworden, daß diefe geiftliche Herrfc- 
fucht, dieſer Haß gegen Die Geijtesfreiheit und Bildung 
der Völker, gegen die Selbftändigfeit und politifche 
Entwidlung der Staaten, mit dem unaufbaltfamen 
Sortfchritt auf dieſen Gebieten nur grimmiger und 
giffiger geworden ift. 

Auch das Verhaͤltniß, worein fih Deutfchland zu 
Rom gefebt hat, würde Hutten tief unter dem finden, 





Vorrede. vai 

iner Zeit erwarten durfte. Richt das 
br als die Hälfte der Deutſchen bei der 
je geblieben, würde ihn in Verwun— 
rreißen mochte, es nicht längft we- 
t bat. Was füge ich, loderer? 

r ee hell den- 
————— rn 
u; Ein Ding wie das 
ee ihn fogar von einem 
jenes and, der einit jeine Erwar— 
| Bier) getäuföt hatte, in Erſtaunen ſetzen. 
yat fic I mfreifih bereits jelbit gerichtet. Es 

ı Kitt werden u die aus ihren Augen weis 















a 6 on ibn — gehetzt die Oeſter⸗ 
Ratholiten ihre proteftantifhen Mitbürger 
Am Grabe mehr neben fich dulden wollten. 
t bat 1 08 fir deteneih ar erhalten Türmen, 


— 5 — —2 I A 




















XVII Borrede. 


Reformen zerſtört, im Lande ſelbſt die Hoffnungen der 
Patrioten niedergeſchlagen. Wie freilich nach ſolchen 
Vorgang die proteſtantiſchen Fürſten ſüdweſtdeutſcher 
Staaten Luſt bekommen konnten, ihre katholiſchen Unter 
thanen mit Concordaten nach dem Muſter des Deſter⸗ 
reichiſchen zu beglücken, iſt ein noch ungeldftes Räthſel. 
Daß es der Wunſch der Bevölkerung, felbit der fathe 
lifchen, nicht war, hat fih feitdem in Baden glänzend 
gezeigt, und der Landesfürft diefer Volksſtimme in ver 
faffungsmäßiger Weife Gehör gegeben: hoffen wir, Da} 
jich der begangene Fehler vollitändig wieder gut maden 
lajfe, und das Beifpiel in den Nachbaritaaten Ra 
ahmung finde. Denn das ginge doch über alles Ra 
und wäre der fehärfiten Hutten’fhen Satire wert), 
wenn in einem Zeitpunkt, da Petri Stuhl feinem vor 
geblichen Nachfolger unter dem Leibe wanft, während 
die Italiener und voraus die Bewohner des Kirchen 
ſtaats feiner berzlich fatt find und ohne die fremden 
Bavonnette ihn längit fortgejagt hätten, wenn jept ned 
Deutfche ihm Eoncordate entgegenbrächten, deren ſich die 
Paͤpſte des ſechszehnten Jahrhunderts gefreut haben würde. 

Faͤnde demnach Hutten auf katholiſcher Seite nod 


innen ———————— — —— — 

















Borrebe, XIX 


heute micht weniger zu fchelten und anzuklagen als zu 
feiner Zeit, fo dürfen wir Proteftanten darum nicht 
meinen, er würde mit und um fo zufriedener fein. 
So gewiß er auf eine proteftantifche Kirche hingear- 
beitet hat, fo zweifelhaft ift, ob er im der umfern, wie 
fie jest iſt, die erfennen würde, die ihm im Sinne faq. 
In, ich weiß nicht, ob fein Unwille, den er der römt- 
ben Kirche gegenüber empfinden würde, weil fie micht 
anders geworden, nicht noch viel heftiger gegen die 
mfrige entbrennen müßte, da fie jo ganz anders ge— 
it, als er von ihr hoffen zu dürfen glaubte. 
diß ſie vom Sinne Chriſti abgewichen ſei, hat er der 
ſteren oft genug vorgehalten; daß fie ſich als römi— 
Über trew geblieben, bat er ihr nicht abfprechen können: 
an der proteftantifchen Kirche würde er zu rügen haben, 
was allemal das Schlümmite it, daß fie fich felbft un— 
Are geworden fet, ihr eiqnes Princip verleugnet habe. 
Daß es dahin mit ihr fam, hätte der Ritter möglicher: 
weiſe ſelbſt noch erleben können, denn es kam leider 
ehr früh: aber auch heute würde er noch nicht finden, 
dab fie im Großen und Ganzen ihr Princip wieder: 
Befunden hätte. Das Princip, aus dem der Proteſtan— 


h* 





ÄX Borrebe. 
tismus bervorwuchs, ift freie Ueberzeugung des Ein- 
zelnen: ſich nichts vorglauben zu laffen, jondern nur 
zu glauben, was man felbit perfönlich im eignen In- 
nern erlebt. Luther glaubte an die Schrift, wo es 
darauf ankam: bis auf das einzelne Wort hinaus: 
aber nicht weil Die Kirche es ihn hieß, ſondern weil 
fein innerer Wahrheitsfinn, den er als das Zeugniß 
des heiligen Geiftes empfand, ihn der Wahrheit und 
SGöttlichkeit des Schriftinhalts verficherte. Nur foweit 
diefer (jebt durch ganz andere Mittel, als Luther'n 
zu Gebote ftanden, unterjtügte) Wahrbeitsfinn ihn von 
der Glaubwürdigkeit ihrer Erzählungen, der Bernunft- 
mäßigfeit ihrer Lehren überführt, iſt folglich der Pro- 
tejtant der Bibel zu glauben fehuldig. Sobald an Die 
Stelle diefes lebendigen und freien Glaubens ein todter 
und Enechtifcher Symbol- oder Bibelglaube trat, war der 
Protejtantismus von fich felber abgefallen: und wo 
hätte er denn feitdem bis auf den beutigen Tag Diefes 
AUfterprincip von ſich gethan? 

Gleichwohl lebte auch in der entarteten Kirche das 
Acht proteitantifche Princip in Einzelnen und im enge- 
ren Kreifen beftändig fort: das war der Segen der 








Borrebe. IXIL 


großen reformatoriſchen That, die den aͤnßeren Zwang, 
die weltliche Macht der Hierarchie für den Kreis Des 
Proteftantismus gebrochen hatte. Der Zweifel, die 
Forſchung, das philofophifche Denken, in Deutihland 
zulegt eine nationale Literatur, erwuchs auf Mefemw 
Boden, und es tft Freude und Stolz für ein’ pro 
teftantifches Herz, daß diefe neuere. claffiiche Literuiwe 
unfres Volkes ausſchließlich dem Proteftantismus- au⸗ 
gehört. Auf katholiſchem Boden tft fie ſchlechterdinge 
undenkbar; es tft unmöglich, ſich einen katholiſchen 
Kant, Leffing, Goethe und Schiller auch nur einen 
Augenblick vorzuftellen. Freilich ſelbſt in der prote⸗ 
fantifchen Kirche konnte dieſe Literatur erft in einer 
Zeit erwachſen, wo der in ihr aufgefommene Rationa⸗ 
lismus ihre confeffionellen Schranfen niedergeworfen, 
ihren Horizont erweitert, dem Licht und der freien 
Luft zugänglich gemacht hatte. Aber eben auch diefer 
Rationalismus konnte nur auf proteftantifhem Bolen 
fih entwideln. Der Katholicismus ſchwankt ewig zwi⸗ 
hen Aberglauben und Unglauben; der Franzoſe, der 
Staliener, wo er fidh dem Dogma feiner Kirche ent⸗ 
fremdet, wird allemal frivol: ein Denten, das mit 





XXII Borrebe. 





dem Kirchenglauben keineswegs auch den fittlihen, deu 
Glauben an eine höhere Weltordnung und die Be 
geifterung für das Ideale aufgibt, Kant's kategoriſchet 
Imperativ, ift nur innerhalb oder unter dem Einflu 
des Proteftantismus möglich. 

Man macht es den heutigen Frommen zum Bor: 
wurf, daß fie die Träger unfrer großen Literaturepode 
als Heiden verdammen, vor ihren Schriften warnen, 
auch in diefer Hinficht das deutfche Volk zur gänzlichen 
Umfehr von feinem bisherigen Wege mahnen. 34 
geitebe, ich kann dieſes Treiben unfrer Rechtgläubigen 
nur in der Ordnung finden. In ihrem Sinne, über 
haupt in dem bisher üblichen (und ob das Wort noch 
einen weitern Sinn haben fann, wäre ja erit auszu⸗ 
machen), iſt feit Klopſtock keiner unfrer Claſſiker mehr 
ein Chriſt geweſen. Xeffing hat in feinem Ratban 
das fombolifhe Buch für dieſe Richtung gefchrieben, 
und Goethe und Schiller, Wieland und Herder, feben 
bei aller Freiheit der individuellen Auffaffung dee 
wefentlich auf demfelben Boden. Alle diefe Männer 
(auch Herder nicht ausgenommen, deſſen geiftlide 
Stand und qualmende Phantafie mehr nur auf die 





Borrede, XXIII 


dorm und Barbe, ald auf den Gehalt feiner Anfichten 
von Einfluß waren) find allem Bofitiven entwachſen; 
fie fennen feine Offenbarung als die im Gemüth, in 
Ratur und Geſchichte, kein Wunder als die Natur: 
geſetze felbit, kein Heil und keine Verföhnung als die 
Ach der menſchliche Geiſt in fich durch Läuterung, durch 
Entfagung und Liebe fchafft. Die biblifhen Erzäb- 
Iungen galten ihnen nur fo weit für gefchichtlich, ala 
We ſich natürlich faffen ließen; was darüber hinausging, 
war ihnen Sage oder Selbfttäufchung, und nicht immer 
erwehrten fie fich noch fchlimmeren Verdachts. Die 
firhlichen Glaubensartifel waren ihnen im beiten Yall 
Ermbole, an die ſich fittliche Wahrheiten, religiöfe 
Seen anknüpfen liegen. Halten die Rechtgläubigen 
ſolcherlei Anfichten für undhriftlich, wie fie auf ihrem 
Siandpunkte müffen, fo haben fie ein Recht, vor dem 
j fen der Schriften, in denen diefelben mit fo viel 
Geiſt vorgetragen, oder, was noch gefährlicher iſt, fo 
immerklich vorausgefegt werden, zu warnen, und die 
Söriftfteller, die wir Uebrigen als Claffiter verehren, 
«ls Keper und Irrlehrer zu brandmarten. Es kommt 
ja nur auf und an, ob wir ihnen Gehör geben, oder 





XXIV Borrebe. 


es darauf wagen wollen, mit 2effing, Goethe umd 
Schiller in die Hölle, ftatt mit Hengſtenberg, Stahl 
und Bilmar in den Himmel zu kommen. 

Zu der hundertjährigen Schillerfeier neulich haben 
jene Frommen natürlid äußerſt fauer gefehen, und es 
it nur Politik, um es mit dem Publicum nicht gar 
zu fehr zu verderben, von ihnen gewefen, wenn fie ſich 
nit noch weit ftärker dagegen ausgefprohen haben. 
Naiv ift es freilich in hohem Grade, daß eben fie fo 
unbefangen gegen Abgötterei eifern, als könnte es auf 
der Welt Niemanden einfallen, ihnen das Quis tulerit 
Gracchos de seditione querentes? entgegenzuhalten. 
Auch einer der Gebildeten und Süßredenden unter 
ihnen, der die Schillerfeier in Schuß nahm, glaubte 
fi) Doch zu dem Ausruf bemüßigt: Hinweg mit aller 
Menfchenvergätterung in wie außer der Kirche! Nun, 
wir außerhalb können ihn verfihern, daß nie einer von 
und daran gedacht hat oder daran denken wird, weder 
dem alten Hauptmann Schiller zu Gunften eines höhern 
Weſens die Baterfhaft am feinem Sohne abzufpredhen, 
noch den Recepten, die diefer als Regimentsmedicus 
verfehrieb, eine todtenerwedende Kraft beizulegen, noch 








Borrebe. XXV 


den Umſtand, daß über dem Begräbniß des Dichters 
bis heute ein Geheimniß ruht, zu der Vermuthung zu 
benützen, er ſei wohl bei lebendigem Leib in himm⸗ 
liſche Regionen erhoben worden. 

Inſofern indeß war das gemäßigte Auftreten der 
Hochgläubigen gegen die Schillerfeier vielleicht wohl 
berechnet, ala die Wenigften im Bolfe fi der ganzen 
Tragweite diefer Beier bewußt gewefen fein mögen. 
Man weiß wohl ungefähr, daß ed mit des Mannes 
Chriftenthum nicht ganz richtig (in der That vielmehr 
feit Xeffing bei feinem fo. fchlimm) gejtanden, aber man 
halt ihm dieß als Zeitgebrehen zu Gute, wie man 
ihm fein Weltbürgerthum, feine geringichägigen Reden 
über particuläre Baterlandsliebe zu Gute hält. In 
der That jedoch verhält es ſich mit beiden Defecten 
ganz verfchieden. Der deutſche Patriotismus fehlte 
Schiller'n keineswegs, wenn er auch dem Kosınopolis 
tismus in ihm untergeordnet war, und würde, wenn 
der Dichter die Zeit der Freiheitsfriege erlebt hätte, 
gewiß in hellen Flammen emporgelodert fein, ohne daß 
fih darum in feinem übrigen Denkſyſtem das Mindefte 
hätte ändern müflen. Bon dem Kirchenglauben hin« 





xxVI Borrebe. 


gegen war in Schiller fchlechterdings keine Spur, und 
nicht das Heinfte Zugeftändniß hätte er demfelben ma⸗ 
hen dürfen, ohne feine ganze WBeltanfhauung über 
den Haufen zu werfen; fobald er ih zum Glauben 
an ein einziges Dogma, an eine einzige biblische 
Wundergefchichte bequemte, war er mit dem Geift aller 
feiner Werke in Widerſpruch getreten. Und dag nun 
gerade die Geſtalt dieſes Mannes, defien geiſtige und 
fittfihe Hoheit von jeder firchlichen Beimifhung frei, 
rein human und rationell erworben war, daß fie ge- 
rade auf das deutfhe Gemüth dieſe Anziehungskraft 
übt, in Schiller gerade wie in feinem Andern der 
deutfche Volksgeiſt fich felbft wiederertennt, das ift ein 
Zeichen, das jenen Kirchenmännern ebenfo bedenklich, 
als uns erfreulih und hofnungsreich erfcheinen muß. 

Unfere claffifche Literatur hatte fi in der Periode 
des Nationalismus entfaltet, und war zur Zeit der 
franzöfifhen Revolution und der Fremdherrſchaft voll: 
endet worden: als die Befreiungsfriege anhuben, war 
ihre Zeit wie die des Nationalismus ſchon vorher um. 
Die franzöfifchen Dränger waren der Mehrzahl nad) 
ungläubig gemwefen, die Bornehmeren meift Voltairianer, 





Borrede, XXVII 


die Gemeinen nad Berhältnig, Alle Göbendiener der 
"materiellen Gewalt: die deutfhen Männer und Jüng- 
linge, die gegen diefe Gewalt aufitanden, thaten das 
im begeifternden Glauben an eine höhere fittliche Macht, 
der fih ihnen, im Gegenſaz gegen den franzöfifchen 
Unglauben, mit den alten Anfhauungen des Chriſten⸗ 
thums berſchmolz. So wurden die Dichter und uͤbri⸗ 
gen Schriftſteller jener Jahre wieder chriſtlich fromm, 
und mit den Thronen reſtaurirte ſich hernach auch die 
Kirche, die Theologie und ſelbſt die Philoſophie. 
Friedrich Wilhelm III. trübte feine hoch» und freifin⸗ 
nige That, die Union der beiden proteftantifchen Kir- 
hen, durch eine fatholifirende Agende, die er ihr zur 
Mitgift gab; Claus Harms ſchrieb feine altlutherifchen 
Theſen; die Evangelifhe Kirchenzeitung wurde ger 
gründet, die Halle’fhen Rationaliften denuncirt. Aber 
auch Hegel bildete fein urfprünglih auf den freieften 
Grundlagen aufgebautes Spitem zur feholaftifchen Bes 
fhönigung der gegebenen Zuftände, insbefondere auch 
des firchlihen Dogma, um. 

Ein Mann lebte in jenen Jahren, der ebenfo flug 
wie fromm, vielleicht auch noch etwas klüger als fromm 





xxVI Borrebe. 


gegen war in Schiller fchlechterdings feine Spur, ml 
nicht das kleinſte Zugeftändnig hätte er demfelben ma 
hen dürfen, ohne feine ganze Weltanfchauung über 
den Haufen zu werfen; fobald er fih zum Glauben 
an ein einziges Dogma, an eine einzige bibfiläe 
Wundergeſchichte bequemte, war er mit dem Geiſt aller 
feiner Werke in Widerfpruch getreten. Und daß mm 
gerade die Geftalt diefes Mannes, deſſen geijtige und 
fittliche Hoheit won jeder kirchlichen Beimifchung frei 
rein human und rationell erworben war, daß fie ge 
rade auf das deutfche Gemüth diefe Anziehungskraft 
übt, in Schiller gerade wie in feinem Anden dr 
deutfche Volksgeiſt fich felbft wiedererfennt, das if em 
Zeichen, Das jenen Kirchenmännern ebenfo bedenklih 
ald uns erfreulich und hoffnungsreich erfcheinen my. 
Unfere claſſiſche Literatur hatte ſich in der Periekt 
des Nationalismus entfaltet, und war zur Zeit dr 
franzöfifchen Revolution und der Fremdherrfchaft vok 
endet worden: als die Befreiungäfriege anhuben, war 
ihre Zeit wie die des Nationalismus fehon vorher m 
Die franzöfifchen Dränger waren der Mehrzahl ned 
ungläubig gewefen, die Bornehmeren meift Voltairianet | 





Borrede. ZZIX 


eigentlih im Kreife bewegte, machte ihn nicht irre. 
Wußte er nur für feine Säge eine Faſſung zu finden, 
in der fie weder einander gegenfeitig, noch einer an- 
erkannten Bernunfteinficht widerfpradhen, fo glaubte er 
feiner Aufgabe genügt zu haben. So bradte er ein 
überaus feines, aber ebenfo kuͤnſtliches Syſtem zufam- 
men, ein Räderwerf, das nur eine fo gewandte Hand, 
wie die feinige, im Gang zu erhalten wußte. Kein 
einziger feiner Glaubensſätze war weder nad Ablei- 
tung noch Inhalt irgend einem kirchlichen Dogma 
wirklich congruent, aber es waren trefflich gefertigte, 
täufchend ähnliche Surrogate, die dem modernen Gau⸗ 
men überdieß befjer als die nachgerade altbaden ges 
wordenen firhliden Schaubrode fchmedten. Das 
Grunddogma, dem alle übrigen nur dienten, war das 
von Ehriftus, mit dem in innigem perfönlichem Ver⸗ 
kehr fih zu fühlen, Schleiermader'n von feiner Erzies 
hung in der Brüdergemeinde ber gemüthliches Bes 
dürfniß war. Aber diefer fein Chriſtus war nicht die 
zweite PBerfon in der Gottheit, nicht der aus einem 
frühern göttlichen Dafein in einen Menfchenleib wun- 
derbarlich herabgefommene und dann wieder zu jener 





XXVIII Borrede, 


war: wer mißt das fo genau? Er war der Erfie, der 
das Befreiende, was in der Union lag, erfannte md 
ausbeutete. Wenn in jeder der beiden evangeliſchen 
Confeſſionen das aufhörte verbindlich zu fein, was fe 
gegen die andere feitgefegt hatte, fo gab das ſchon eine 
bübfche Weite, in der fih menfchliher wohnen lie, 
als in dem bisherigen confeflionellen Nothſtall beider⸗ 
ſeits. Gleichwohl fand auch ſo noch Schleiermacher 
das Schiff der Kirchenlehre für fein mürbes Alter und 
die hochgehenden Wogen der Zeit viel zu fchwer bes 
frachtet, er rieth, außer dem Nothwendigiten Alles 
über Bord zu werfen, und feste fi feinerfeits ohme 
allen Ballajt in den leichten Kahn des frommen Selb 
bewußtfeins. Nicht ale Ausbeute aus der heiligen 
Schrift, nicht als Feſtſetzungen eines Symbol, «U 
einfahe Ausfagen des hriftlihen Bewußtſeins mb 
wickelte er die Säge der evangelifhen Glaubenslehrt, 
die er nur nachträglich mit jenen beiden Inſtanzen pr 
fammenbielt. Daß dieſes Bemwußtfein ganz anden 
fprechen würde, wenn es nicht in einer an Schrift wa 
Symbol erzogenen driftlihen Gemeinde fich gebilit 
und erfüllt hätte, dag mithin feine Ableitung fd 





Borrede. XXXI 
ſo ſei ich alſo meinetwegen widerlegt; es fragt ſich 
nur, wie? Das will ich dem verſtaͤndigen Leſer fagen. 
Geſetzt, ich hätte berechnet, meinem Gläubiger 2000 
ſchuldig zu fein, und es käme ein Anderer, vechnete 
mir nah, und fagte dann: deine Rechnung ift faljch, 
du bift ihm nicht mehr ala 500 fchuldig: fo würde 
ih über eine ſolche Widerlegung meiner Rechnung, 
wofern fie Grund hätte, gewiß ebenfo wenig Urſache 
haben verdrießlih, als mein Gläubiger, vergnügt zu 
fein. Nicht anders ift mein Leben Jeſu widerlegt 
worden. 

Als ih an Die Ausarbeitung des Buches ging, 
lagen mir über die evangelifche Geſchichte, insbejon- 
dere ihre wunderbaren Beitandtheile, die von jeher 
der Glaubenslehre die wichtigiten waren, zwei oder 
vielmehr dreierlei Anfichten vor. Die eine faßte die— 
jelben, wie fie fih gaben, als Berichte von über- 
natürlichen Vorgängen, die fie als wirklich fo ge- 
heben annahm: folchen Glauben wußte ich nicht von 
mir zu erhalten. Die andre fagte gleichfalls: Die Ge- 
Ihichten find wahr, aber es it Alles natürlich zuge- 
gangen, Die Erzähler verfchweigen nur gewiſſe Mittel- 





XXXII Vorrede. 


glieder, gewiſſe Nebenumſtände, vielleicht weil ſie mein⸗ 
ten, fie verftünden ſich von ſelbſt, und daher der wun- 
derbare Schein: zu einer fo gemwaltfamen Deutung der 
biblifchen Erzählungen konnte ich mich nicht entſchließen. 
Eine dritte Anfiht lag im Hintergrund, welche bald 
die Thatfahen bald die Erzählungen für Blend= und 
Machwerke von Betrügern ausgab: ein folder Ber- 
dacht war mir widerlihd. Was alfo thun, um einen 
Ausweg zu finden? Ich blickte mich in den heiligen 
Erzählungen der alten Religionen um, die heute Rie- 
mand mehr weder mit Herodot übernatürlich faßt, noch 
mit Euhemerus natürlich erflärt, ebenfomwenig mit den 
eifernden Kirchenvätern Zeufelsfpuf oder Betrug darin 
fieht; fondern man faßt fie ald Sagen, die fih aus 
der frommen Phantafie der Völker und ihrer Dichter 
heraus ohne Arg und Abficht fo gebildet haben. So 
demnach, als Erzeugniffe der abſichtslos dichtenden 
urchriſtlichen Sage, betrachtete ich die evangeliſchen 
Wundergeſchichten wenigſtens ihrer Mehrheit nach. 
Nun bin ich ja aber widerlegt. Es iſt nachge— 
wieſen, daß ein großer Theil dieſer Erzählungen gar 
fehr abfichtlich zu beitimmten und bemußten Partei— 





Borrede. XXXIII 


zwecken erdichtet iſ. Gut; wer kann dagegen etwas 
haben? Ich gewiß nicht. Wer kann ſich dieſer 
Widerlegung des „Leben Jeſu“ freuen? Gewiß nicht 
meine orthodoxen Gegner. Noch Eins. Das vierte 
Evangelium ging in meiner Rechnung nicht auf; es 
war nicht wohl denkbar, wie der Erzählungsftoff der 
drei eriten Evangelien ohne bewußte Abfichtlichkeit 
eine fo bedeutende Umwandlung erlitten haben follte, 
wie fie im johanneifchen Evangelium vor Augen liegt. 
Ich hatte das Wort diefes Raäthſels noch nicht gefun: 
den: feitdem ijt bewiefen worden, Daß das vierte Evan- 
gelium eine Compoſition ift, deren Verfaſſer fich feines 
freien Schaltend mit dem gefchichtlihen und Sagen⸗ 
ftoff zu philofophifch - dog matifhen Zwecken fo bewußt 
war, wie Plato defien, daß er in feinen Dialogen den 
Sokrates gar Manches reden und thun ließ, was Dies 
fem in Wirklichkeit nicht eingefallen war. Gut; wer 
verliert Dabei? Ich wieder nicht; ich würde e8 nur, 
wenn es mir in der ganzen Sache um meine Meinung 
und meinen Namen zu thun gewefen wäre; ed war 
mir aber vielmehr darum zu thun, Luft zu fehaffen 
für die freie Bewegung des Geiftes durch Wegräus 


Strauß, Hutten's Befpräde. C 





ZXXIV Borrebe. 


mung des alten Gemäuers, das ihn hier beengte: je 
gründlicher dieſes mithin weggefchafft, je unwiederher- 
ftellbarer in die Luft gefprengt wird, dejto lieber muß 
e8 mir fein. Ic alfo habe auch bier nichts verloren, 
und meine frommen Gegner nichtd gewonnen; die man 
zudem jegt, wein fie (übrigens mit Recht) gegen das 
Zurechtmachen der Gefchichte nach philofophifchen Ideen 
eifern, auf ihr Lieblingsevangelium ald ein wahres 
Muiterbild folhen Verfahrens verweifen kann. 
Solcher Zeritörung der Grundlagen der bisherigen 
Theologie arbeiteten gleichzeitig die übrigen Wiffen- 
ihaften in die Hände. Das eifriger als je gepflegte 
Gefhichtsjtudium gab einen Mapjtab für die Glaub: 
würdigfeit hijtorifcher Urkunden, an welchen gerade 
diejenigen biblifchen Bücher, die der Theologie Die 
wichtigiten waren, am wenigiten bejtanden. Die zu 
ſtaunenswerther Blüthe ſich entfaltenden Naturwifjen- 
haften bauten immer vollftändiger eine Weltanſchauung 
aus, innerhalb deren fich der Kirchenglaube wie der 
ftehen gebliebene Reit eines alten Haufes in einem 
darüber gebauten Balajte itörend und entitellend aus- 
nahm. An das Mißverhältnig der chriſtlichen Vor— 





MER — — 


Borrede. XXXV 


kellungen von Himmel und Hölle zur Aſtronomie, der 
Shöpfungsgefchichte zu ebenderfelben und zur Geolo- 
gie, der biblifchen Wunder zu den rechten und großen 
Wunden, in die uns Phyſik und Chemie den Ein- 
bi öffnen, iſt faum nöthig zu erinnern. Und diefe 


! Ergebniffe der Geſchichts- und Naturforfchung blieben 
uicht, wie die in früheren Jahrhunderten möglich ge- 


or 


weien war, ein Sonderbefiß der Gelehrten, fondern 
wurden, dem Geifte der Gegenwart gemäß, alsbald 
im MWetteifer für das Volk verarbeitet, in zahlreichen 


- Büchern und HZeitfchriften zum Gemeingut gemacht. 


Rar allein Humboldt’3 Kosmos mit feinen populären 
Bearbeitungen hat dem Kirchenglauben unberechenbaren 
Abbruch gethan, und ich kann es Humboldt's Leichen- 
redner in Berlin, meinem alten Freunde, nicht ver- 
denfen, wenn er dem heimgegangenen Naturforfcher 
mr fehr bedingte Ausfiht auf den Zutritt in den 
Sriftlichen Himmel zu eröffnen wußte.‘) Bergeifen wir 


| ah unſre großen Dichter nicht. Erſt in den legten 


.- ser 


dreißig Jahren wurden fie gründlicher ftudirt, allge 


1) Wie richtig auch dießmal die geiftliche Witterung war, haben 
bie ſeitdem erfchienenen Briefe Sumbolbt’8 an Varnhagen fattfam gezeigt. 
c* 





XXXVI Borrebe. 


meiner angeeignet: jede neue Auflage von Stiller 
oder Goethe's Werken war eine neue Niederlage fir 
die Orthodorie. 

Es jtanden alfo nun die Sachen fo. Bon Seiten 
der wiffenfchaftlihen Theologie war die Auflöfung der 
bisherigen Glaubenslehre, ſammt deren vermeintlich 
biftorifcher Grundlage in der biblifchen, insbeſondere 
evangelifchen Gefchichte, (jene großentheils ſchon durd 
Schleiermacher, dieſe weniger durch mich, als durd 
Andere nah mir, die es beſſer gemacht haben) mit 
einer Schärfe und Bündigkeit vollzogen, deren fi 
fein Urtheilsfähiger erwehren konnte. Bon der an 
dern Seite famen Natur= und Geſchichtsforſchung die 
jen Ergebnifjen bejtätigend, ja fie fordernd, entgegen. 
Und endlid war das alles längſt über die abgefchlofe 
nen Kreife hinaus ruchbar und im Zufammenwirken 
mit den Schriften unfrer neueren Claſſiker zur allge 
meinen Bildungsatmofphäre der Zeit geworden, dit 
auf Jeden, der fich nicht gewaltfam abſchloß, ummider 
ftehlich eindrang. Was follte nun die Theologie tbun? 
Das Räthſel der Sphinr war gelöft, aber in den A 
grumd fpringen mochte fie nicht. Wir find weit ene 





Borrebe. XXXVI 
fernt, ibr dieß zu verargenz nur über die guten The— 
baner müffen wir ums wundern, daß fie fih all den 
Spuk gefallen ließen und noch immer gefallen laffen, 
den Die Alte feitdem angeitellt hat. 

Denn all ihr Bemühen ging von jegt an dahin, 
die Welt, md am Ende gar auch fich felbit, alauben 
zu machen, es fei mit Nichten aus mit ihr, fie viel- 
mebr immer noch ein gutes Hans, und die Gerüchte 
von ihrem Bankrott nur von leichtfertigen Buben aus: 

aeprengt. Kurz fie gebärdete fich wie ein Kaufmann, 
- Der fich vom ımvermeidlichen Ruin in der legten Stunde 
meh zur retten fucht: fie jchwindelte, nahm Anlehen 
af wo man ihr noch borate, und verwirrte dadurch 
Ihre Angelegenheiten nur um fo mehr. Gin Bli auf 
die theologifhe Literatur der Gegenwart zeigt ein 
kltfames, widerwärtiges Schaufpiel. Einem verfehwin- 
Imd Beinen Häuflein von folchen, die wiffen umd 
hifen wollen, wie e8 um die Theologie ſteht, die ſich 
um Sefchäfte machen, die Wahrheit zu erforfchen, und 
he Pflicht, was ſich ihmen als folche ergeben bat (wor: 
Drhältlich manches menschlichen Fehlgriffs im Einzelnen) 
| Ingefchent anszufprechen, iteht die unermeßliche und 










XXXVIII Borrede. 


aͤußerlich herrſchende Mehrheit derer gegenüber, denen 
im Gegentheil Alles daran liegt, die ſich aufdringende 
Wahrheit, von der fie ſich in ihrem kirchlichen Beſitz— 
ftande gefährdet fehen, vor fich felbft und Andern zu 
verfteen, das Unleugbare in Abrede zu ftellen, das 
Dffenbare zu nertufchen, zwingenden Gründen fih durch 
Seitenfprünge zu entziehen, gegen jeden Beweis eine 
Ausrede, fei fie noch fo fchlecht, in Bereitfchaft zu 
haben: und dieſes Gebahren gebt von der ftumpfen 
oder feinen Selbittäufhung bis zum frechen Umfich- 
werfen mit wiffentlih unmwahren Behauptungen fort. 
Daß man fih dabei nothgedrungen einzelne Ergebniffe 
der Kritik aneignet, dieß aber durh Schmähen auf 
die Kritiker verdedt, und jedenfalls die Confequenzen 
ablehnt, trägt nur dazu bei, die Verworrenheit und 
Unfauterkeit des ganzen Treibens defto offenbarer zu 
machen. Wer hat feit zwanzig Jahren gegen die 
Zübinger Schule, die Trägerin der theologifchen Kritik, 
vom vermeintlich wiflenfchaftlichen, religiöfen und fitt- 
lihen Standpunkt aus unermüdlicher gepoltert als 
Ewald? Und nım bat er eine Gefchichte Ehrifti an's 
Licht treten laſſen, die nur als ein fich felbit wider: 





Borrede. XXXIX 


| ſprechendes Gemifh von gläubiger, natürlicher und 
uvthiſcher Auffaffung, gebüllt in den Nebel einer über- 
ſchwenglichen und doch zugleich binterbältigen Sprache, 
bezeichnet werden kann. Da an diefem Beifpiel alle 
dergleichen Rettungs- und VBermittlungsverfuche fich be 
urtheilen laffen, will ich einen Augenblick bei demfelben 
Zeſus iſt im diefer Darftellung der Sohn Joſeph's, 
dabei aber fündlos und menfchlich volltommen: Eigen: 
fbaften, die fich zwar für den Sohn Gottes von felbit 
"ergeben, für den Sohn Joſeph's aber ſchlechterdings nicht 
— — laſſen. Von den Wundern Jeſu werden die Hei— 
 Imgswımder geſchichtlich gefaßt, aber nicht als ſchlechthin 
| übernatürliche Thaten eines ihm inwohnenden göttlichen 
| Princips, fondern als natürliche, wohl auch durch ge— 
| wiſſe Sandgriffe vermittelte und durch das Vertrauen 
| der Kranten in ihrer Wirkfamteit bedingte Ausflüffe feiner 
Seitesmacht und religidfen Bolltommenbeit, als etwas, 
| das jedem Menfchen, der fich zu derfelben Stufe wie 
 tmerböbe, möglich fein müßte. Nun läßt fich zwar 

ver altkirchliche Schluß von den Wundern Iefu auf feine 

Ööttlichkeit gar wohl hören, und wo diefe im Sinne 














XL Vorrede. 

der Kirche anerkannt iſt, machen hinwiederum die 
Wunder feine Schwierigkeit; auch daß es vorzugs— 
weiſe Heilungswunder waren, ſtimmt ganz gut, wo 
die Krankheit ala Werk des Teufels betrachtet wird, 
deffen Reich der Gottesfohn zu zeritören bat: mit: Der 
menschlich veligtöfen Bolltommenbeit bingegen, wozu bier 
die Gottheit Chrifti abgeklärt it, baben Heilungswunder 
nichts zu fchaffen; fonft müßte, wo wir höhere Religio- 
ſität finden, wenigitens ein Anfang solcher höhern 
Heilfraft zu bemerken fein, was doch außerhalb des 
Gebiets der Legende und des Aberglaubens nicht der 
Fall it. Wunder wie Simdlofigkeit ſtammen ans 
dem altkirchlichen Boden, und können in dem moder: 
nen, in den fie fich bier obme Wurzel geſteckt finden, 
unmöglich forttommen. 

Was über die Heilung aegenwärtiger Berfonen 
hinausgeht, wie die Heilungen in. die Ferne, Die 
Zodtenerwechungen, die Speifungs= und Wafferver- 
wandlungswunder fanmt den Thaten auf dem See, 
alle dergleichen Erzählungen der Evangelien betrachtet 
Ewald ald Ergebniffe davon, daß, mie er ſich aus: 
drückt, „dem Arbeiten der innerften Kräfte des reinften 








Borrede. XLI 
md höchften Geiftes in Chriftus die hochgefpannte 
Erwartung und der willige Glaube der Seinigen ent- 
gegenlam“, der nun in einzelnen Licht» und Höhe- 
punkten „alles das Unendliche verwirkliht ſah, das 
er von Jeſu ahnete und hoffte“. Das heißt entweder: 
Jeſus machte auf feine Anhänger einen fo mächtigen 
Eindrud, daß diefe wohl auch Wunder von ihm zu 
feben glaubten, wo doc Alles natürlich zuging. Oder: 
der Trieb, ihren Stifter zu verherrlichen, war in der 
Kiteften Chriftengemeinde fo ftarf, daß fich dergleichen 
Gryählungen mythifch bildeten. Wenn Ewald über 
Bad Speifungswunder bemerkt, was die erfte Ber- 
anlaffung zu der Erzählung gegeben, fei nicht mehr 
audzumitteln, jedenfalld lehre fie nur, wie da, wo fich 
Der höhere Glaube mit der wahren Liebe verbinde, 
das Brod nie auögehe, wie auf den geiftigen Segen 
leicht auch der leibliche folge; wenn er die Verklärungs- 
geihichte einen Verſuch nennt, das Erhabenite faßlich 
zu geitalten, wobei alles Niedere, was etwa als An- 
WE zum Grunde liege, fih in die reinfte lichte Höhe 
verliere; wenn er über den Vorgang auf der Hod- 
zeit zu Kana fagt: „das Waſſer felbit wird unter dem 





Geiſte Jeſu zum beften Weine“, und fat frivol Hin- 





zufeßt: „wir würden uns dieſen Mein, der feit jener 
Zeit auch ums noch immer fließen kann, ſelbſt über 
verwäffern, wenn wir bier im groben Sinne fragen 
wollten, wie dem aus bloßent Waffer im Augenblick 
Wein werden könne; foll denn das Waſſer im beiten 
Sinne des Worts nicht überall no zu Wein werden, 
wo fein Geift in voller Kraft thätig iſt?“ — fo ha— 
ben wir an allen diefen Stellen nichts Anderes als 
die mythiſche Auffaffung, mag ſich auch Ewald diefes 
Ausdruds, angeblich weil er zu innig mit dem heid- 
nifchen Religionswefen verwachfen fei, forafältig ent» 
halten. Aber entbielte er fich mur nicht eben fo forg- 
fältig, an irgend einer Stelle ganz beftimmt und mit 
dürren Worten zu jagen, daß er dergleichen Erzählum- 
gen für unbiftorifch anfieht! Allein da wird mit nie— 
derer und höherer Gefchichte, mit ächter Erinnerung 
und höherer Darftellung, gefpielt und gemunfelt, daß 
doch ja noch ein heiliger Dunft, noch ein Troft mit 
vermeintlich gefchichtlicher Grundlage, die aber ein 
reiner Spuf ift, übrig bleibe. arm ar 
Diefe zweideutige Haltung behauptet die Dar: 





Borrede. XL 


ttellung Ewald's bis zum Schluffe der evangelifchen 
Gefhichte, bis zur Auferftehung. Wenn er diefe als 
die ewige PVerherrlihung bezeichnet, wenn er fagt, 
Alles, was Jeſus als Chriftus leiften mußte, fei mit. 
feinem Tode vollendet “Aewefen, was von ihm über 
das Grab hinaugreichte, fei ſchon als Frucht umd 
Wirkung feines irdifhen Thuns zu betrachten, und 
gehöre daher eigentlich zur Gefchichte der Apoftel: fo 
hatte Weiße gewip Recht, dieß zuftimmend fo zu deu- 
ten, daß nah Ewald's Anficht jene Creigniffe nur 
dem inneren Seelenleben des Apoitelfreifes, nicht mehr 
der äußeren Lebensgefchichte des Meifterd angehören; 
und wir binwiederum nehmen uns das Recht, aud) 
diefe, immer noch nicht ganz unumwundenen Worte 
dahin zu erflären, daß Beide, Weiße wie Ewald, 
in den Grfheinungen des Auferftandenen nur fubjes 
ctive, pſychologiſch zu erklärende Viſionen fehen. 
Das alles, wie gefagt, wäre fhon gut, würde es 
nur offener ausgeſprochen. Aber freilich, wie kann 
man deutlich herausſagen, daß man Erzählungen wie 
die von dem Wunder zu Kana, und vollends eine ſo 
beſtimmte und umſtaͤndliche wie die von der Auf— 





XLIV Borrebe. 
erweckung des Lazarus, nicht für biftorifch hält, wenn 
man dabei wie Ewald gegen die verhaßte Tübinger 
Schule darauf bebarren will, der Berfaffer des Evan: 
geliumis, in dem ſie ſtehen, ſei ein Augenzeuge, ja 
der vertrauteſte Juͤnger des Herrn geweſen? Schon 
Weiße hat ihm vorgehalten, wie wenig das angeht, 
und ſich daher, weil er doch die johanneiſchen Reden 
Jeſu nicht ganz miſſen mag, ſeinerſeits zur Theilung 
des vierten Evangeliums in einen apoſtoliſchen und 
einen nichtapoſtoliſchen Beſtandtheil entſchloſſen. Wäre 
nur nicht gerade dieſes Evangelium ſelbſt jener un— 
genähte Leibrock, von dem es uns erzählt, um den 
man wohl looſen, ihn aber nicht zertrennen kann. Da— 
von find nun leider alle die Anſichten und Darftellun: 
gen, die heutiges Tages zwifchen dem ftreng kirchlichen 
und dem freieften Eritifchen Standpunkte vermitteln 
möchten, das gerade Gegentbeil: fie ſind aus allerlei 
Fetzen der verfchiedenften Stoffe zufammengeflict, die 
unmöglich in die Länge zufammenbalten können. ') 

1) Da ich hier zufällig anf Ewald zu fprehen gekommen bin, wirb 
man wielleidht ein Wort über bie Ungezogenbeiten von mir erwarten, 


mit denen biefer Mann feit einer Reihe von Jahren mich zu überfchlit- 
ten nicht mübe wird. Ich Farm aber nur jagen, baf und warum ich 


Borrede. XLV 


Und um foldhe, nicht im edlen Kampf zerfepte, 
= Sondern von Haufe aus [umpige und geitüdelte Fah⸗ 
E sen follte ſich eine Gemeinde, follte fich insbefondere 
5 Die theologifhe Jugend fammeln? Um wenigitens 
E Ba8 Leptere zu erreichen, werden ganz befondere Mittel 
ug fein. Auf Diefe Jugend Dringt ja in ber 
tmofphäre der Hochichulen der Geiſt der Neuerung 
am gemaltigften ein. Wie gefährlich find gleich die 
























su dieſelben meber bisher gekümmert babe, noch fortan kümmern 
Bas will man mit einem Dranne machen, ber offenbar nicht 
ungefähig it? Im Folge von Gelehrtenbüntel längft am Ueber⸗ 
sen, hatte ihm feit feinem Weggang von Göttingen bie Einbil- 
ug, nun gar auch eine politiihe Größe zu fein, das Gehirn vollends 
Wie er fih dann herbeiließ, ben Ruf nah Zibingen anzu- 
m, glaubte ber Göttinger PBrofeffor, an der Schwabenuniverfität 
Anfnahme aniprechen zu birfen, ähnlich ber des Orpheus nuter 
En Beſtien, ober bes Columbus unter ben Bewohnern ber neuen Welt. 
ME San aber aubers. Die Schwaben fanden feine Gelehrſamkeit nicht 
Ange „ wohl aber feinen Hochmuth. Dabei vermißten fie philo- 
Banitliche Durchbildung bes Denkens wie humane bes Charalters. Neben 
. Manue beſonders, dem fein Fach ihn nahe ftellte, konnte er im 
biefen Beziehungen nicht auflommen, und in einer wohlbefannten 
_ war eine Bilbung herkömmlich, ber er nicht Genüge that. Da⸗ 
= balb bie wüthenden Ausbrüche feines Huffes gegen jenen Dann und 
Eübiife Schüler, diefe Anftalt und ihre Einrichtungen. Und unerachtet 
- Weine verunglüdte Schwabenmiffion jett Tängft beenbigt ift, fehren den⸗ 
ung, zwiſchen theologiſchem Orakeln, politifhem Irrereden, Sendſchreiben 
ug Papft und Garbinäle, jene Wuthanfälle und Ausfälle regelmäßig 
nieder. Je mım, wen Leute einer gewiſſen Art auf ber Straße nad» 
„ueeien, Der thut am Mügften, feines Weges ruhig weiter zu geben. 


4 
2 - 





XLVI Borrede. 


Borbereitungsmwiffenfchaften! Die Philologie mit ihren 
alten Heiden; die Philofophie nun gar mit ihrem 
noch immer nicht überwundenen pantheiftifhen Hang. 
Hier weiß man ſich zwar dadurd zu helfen, daß man 
nicht Teicht mehr einen Philoſophen anftellt, es habe 
“ihm denn zuvor Herr Fichte der Sohn oder Herr 
Weiße der Enkel (mie einem Schönheitöwaffer oder 
Wanzenpulver) die Unfhädlichkeit attejtirt; woraus: fich, 
beiläufig gefagt, die ftaunenswerthe Blüthe der Phi- 
loſophie auf unfern dermaligen Hochſchulen binlänglic 
erflärt. Aber die fhlimmen gedrudten Bücher. Wer 
weiß, ob der Candidat nicht insgeheim den Hegel, 
den Feuerbach ftudirt? Man muß ihm keine Zeit dazu 
laffen. Man muß das vorbereitende Studium mög- 
lichit abfürzen, und was die Hauptfache it, gleich von 
Anfang zwifhen die philologifihen und philofophifchen 
Borlefungen theologifche einfchieben. So ftört man 
den Ausbau einer modernen Weltanfhauung in dem 
Kopfe des Studirenden, fo gewinnt unvermerft fein 
Horizont die firhlihen Schranken, über Die er bald 
nicht mehr hinausfieht. Um Alles darf er fih nie 


die reine Frage ftellen: was it wahr? fondern nur: 





Borrede, ZLVO 


wie viel darf ich einräumen, ohne meiner geiftlichen 
Beitimmung etwas zu vergeben? An diefem Faden 
it dann der Bandidat auch während feines eigentlichen 
theologifchen Studiums zu halten. Nicht frühe genug 
fann man den kirchlichen Eifer in ihm weden. Das 
geijtlihe Herrchen hat auch in der proteftantifchen 
Kirche, der es eigentlich fremd fein follte, und in 
der es wenigſtens in Bergleichung mit der katholifchen 
merklich befchränft ijt, einen umwiderjtehlichen Reiz. 
Seelen lenken, ganze Bevölkerungen und einzelne ein- 
flußreiche, oft auch übrigens fehr veritändige Menfchen 
an geheimem Bande führen, vielleicht gar einmal hobe, 
ja allerhöchite Seelen zu regieren bekommen, weld 
lodendes Ziel für den jungen Ehrgeiz. Und dur 
welcherlei Anfichten man fih in der Prüfung und fonit 
vorwärts bringe, Durch welche dagegen ſich jede Aus- 
ficht verfchließe, darüber laffen die Herren vom Kirchen- 
regiment fein Dunkel beitehen. Alſo — fort mit | 
Kritit und Zweifel! ich glaube, Herr Kirchenrath! fo 
gewiß als Sie felber glauben. 

Die Gewaltfamfeit, mit der ein folder Candidat 
feine Vernunft zum Schweigen gebracht hat, wirkt 





XLVII Borrebe 


nun aber dur das ganze Leben in ihm nad, Er 
it umduldfam gegen Alle, im denem er eine minder 
fügfame Vernunft als die feinige antrifft oder auch 
nur vermutbet. Sein ganzes Wefen behält etwas 
Ungefundes, Leidenfchaftliches; er iſt, bei aller Bil- 
dung vielleicht, bei aller Selbjtbeberrfhung, doch im 
Innern ein Fanatiker. Und nun frage ich, ob das 
nicht der Durchſchnittscharakter unfres tbeologifchen 
Nachmuchfes it? Die jungen Leute kann man bes 
dauern; der Vorwurf trifft die Lehrer und die Kirchen» 
behörden. Am meiften jedoch iſt das Bolf zu be— 
lagen, deffen künftige Neligtons- und Sittenlehrer zu 
nichts früher und eifriger angehalten werden, als den 
unbefangenen Wabrbeitsfinn in fich zu ertödten, fich 
jelbit zu belügen. 

Diefem neukirchlichen Unweſen gegenüber bat fich 
bauptfächlich aus Anhängern Schleiermaher's (nach— 
dem übrigens mehrere feiner betrauteften Schüler höchſt 
verderbliche Pfaffen geworden find) ein. Kreis von 
Solchen gebildet, die nach des Meifters Vorgang das 
fromme Gefühl betonen, die hriftlihe Religion von 


der Theologie wohl unterjchieden, und der legteren 





Vorrebe. XLIX 
Vie Forſchung fo weit freigegeben wiſſen wollen, als 
unbeſchadet der erſteren geſchehen kann. Gewiß, 
die Religlon beruht nicht auf der Theologie, ſondern 
tingefehrt; "allein die Religion Bildet ſich naturgemäß 
fine Theologie an, und wenn dieſe anbrüchig wird, 
d kann auch jene einer Veränderung auf die Länge 
feht entgehen. Des Baumes Leben iſt nicht im Holz, 
fondern in der Rinde, dem Baft, dem Splintz woraus 
i y aber alljährlich neue Holzringe abfegen und dein 
Baum Geftalt und Haltung geben. Nun bekommt 
Ägendwo die Ninde einen Rip, Feuchtigkeit dringt 
ein, das Holz füngtan zu faulen, wir haben einen 
bohlen Baum vor uns. Diefer boble Baum ift die 
heutige Kirche und Theologie. Das Holz ift das 
Dogma, das ijt theils ſchon gefchwunden, theils faul 
md mit dem Finger zu zerdrüden wohin man rührt. 
Die Meligion lebt noch, es fteigt noch Saft durch 
Bat und Rinde in die Zweige und Blätter auf; aber 
€ hönheit und Kraft des Baumes find dahin, der 
bite Sturm droht ihn zu fpalten oder gar umzu— 
hen: Da legen fie Klammern um die Aeſte: das 


nd die Beichtftühle und Kniebänke, die neuen Agen- 
Strauf, Hutten's Geſpräche. d 





ſ 






















L Vorrede. 


den und die neue Kirchenzucht, mit der man der 
proteſtantiſchen Kirche aufhelfen möchte; allein dieſe 
plumpen Klammern würden, wenn der Sturm kommt, 
den Fall des Baumes nur beſchleunigen. Ich bin 
ſonſt kein Freund von langgeſponnenen Allegorien; 
aber dieſe iſt die Sache ſelbſt. 

Für die kirchliche Praxis, für die Thätigkeit des 
Geiſtlichen als Prediger und Seelſorger, iſt der Stand- 
punkt jener Schleiermacher'ſchen Freunde gewiß der 
beite der fich vorerſt einnehmen ließ, und es kann ſich 
auf demfelben, wie die Erfahrung zeigt, eine höchſt 
fegensreihe geiftlihe Wirkſamkeit entwideln: aber 
wiffenfchaftlich ift er ſchwach, weil er von der Theo- 
logie möglicht abfieht und abſehen muß. 

Bon feiner Seite, finde ih, fagt man gerne das 
legte aufrichtige Wort. Und warum denn nicht? Sit 
es Doch unter allen nur einigermaßen Gebildeten und 
Denkenden längft ein offenes Geheimniß, dag Keiner 
mehr an das kirchliche Dogma glaubt. Zu glauben 
glaubt, das räume ich ein; aber wirklich glaubt, das 
leugne ih. Bür Keinen mehr ift Das apoftolifche 
Symbolum oder die Augsburgifche Eonfeffion ein an- 


gemeitener Ausdruck feines relinidfen Bewußtſeins. 
Keiner glaubt mehr an irgend eines der neutejtaments 
lichen Wunder (von den altteitamentlichen gar nicht zu 
reden), von der übernatürlichen Empfängniß an bis 
“gar Himmelfahrt. Entweder er erklärt fie fih natür- 
Ed, oder er faßt fie als Legenden. Und fteht es bei 
vdenkenden Laien fo, fo fteht e8 bei den Geiftlichen, 
* We wir gefehen haben, nicht beffer. Wozu alfo die 
Binkelzüge? Wozu die Heuchelei vor Andern und 
E wor fich ſelbſt? Iſt es des Menfchen in feinem Ber: 
Mltniß zur Religion würdig, fih ihr gegenüber wie 
ein feiger und tücifcher Sclave mit halben Worten 
und leeren Ausflüchten zu behelfen? Warum nicht 
fen mit der Sprache herausgeben? Warum nicht: 
Ä gegenfeitig bekennen, daß man in den biblifchen Ge- 
wWichten nur noch Dichtung und Wahrheit, in den 
lirchlichen Dogmen nur noch bedeutſame Symbole an- 
erkennen kann, daß man aber dem ſittlichen Gehalt 
des Chriſtenthums, dem Charakter feines Stifters 
| (foweit umter dem Wundergehäuſe, in das feine eriten 
Lebensbeſchreiber ihn geſteckt haben, die menfchliche 


Geſtalt noch zu erfenmen iſt) mit unveränderter Ver— 
d4* 


— —- 








LU Borrede, 


ehrung zugethan bleibt? Doch ob wir und dam 
wohl noch Ehriften heißen dürfen? Ich weiß es nicht; 
aber kommt es denn auf den Namen an? Das weil 
ich, daß wir dann erſt wieder wahr, redlich und er 
verfchroben, alfo beſſere Menfchen fein werden, al 
bisher. Auch Proteftanten werden wir bleiben, je 
dann erſt rechte Proteftanten fein. 

Im Grunde haben es einfichtevolle Geijtliche mit 
Dogma und biblifcher Gefchichte längft nicht andern 
gehalten. Wenn Schleiermaher über eine Wunder 
erzählung zu predigen hatte, pflegte er fie regelmäßig 
zu allegorifiren. Bei andern Zerten hob er nicht de 
dogmatifche, fondern die pſychologiſche und moralifk 
Seite hervor. Nur über die Perſon Chrifti lichte er 
zu dogmatifiren; doch, wie fih nah dem früher Ge 
fügten von felbit verfteht, in ganz anderem als dem 
firhlich vechtgläubigen Sinne. Es war gleichfam eim 
Sonverfation mit dem Menfchheitsideale, deſſen Bil 
Schleiermacher dadurch für fih und Andere Ichendiger 
und andringlicher machte, daß er es ald wirflic ei 
mal in beſtimmten menfchlichen Berhältniffen Ddagent 
fenes und in der Kirche perfönlich fortwirtendes fd 








Borrede. 1 


vorſtellte. Uebrigens waren diefe dhriftologifirenden 
Predigten keineswegs feine beften, vielmehr zumt 
großen Theile von einer gewifen Eintönigleit fo mer 
nig als das vorzugsweiſe chriſtologiſche Evangelium 
freizufprehen; weit reicher an realem Gehalte waren 
die pſychologiſch⸗ moralifhen, wie jene feitdem auch, im 
Drud erfhienenen Borträge über das Rarcusevangelium, 
die der Schreiber diefer Borrede einen Winter lang 
in unvergeßliden Sonntags⸗Frühſtunden felbft mit 
angehört hat. Aehnlich wie Schleiermacher verfahret 
verftändige und gebildete Geiſtliche, fo weit fie nicht 
nenfirchlich pikirt find, hente noch, und thun dem 
Berftändigften und gewiß aud den Beften ihrer * 
hörer damit Genuͤge. 

Wenn ein der leiblichen Nothdurft —* Eis 
zeugniß der Fremde fo allgemeines Bedürfniß gewor- 
den ift, daß es troß aller Einfuhrverbote doch forte 
während in Maſſe eingefehwärzt wird, was thut eine 
kluge und wohlmeinende Regierung? Sie läßt es gegen 
mäßigen Eingangszoll zu. Diefer Eingangszoll fei 
bier die Berpflihtung zum Feſthalten an den fittlichen 
Wahrheiten des Chriſtenthums, zur Achtung für die 





LIV Borrebe. 


Hüllen, unter denen fie der Menfchheit zuerft zum 
Bewußtſein gefommen, zur Schonung derer, die diefe 
Hüllen noch nicht miffen mögen. Sperrt man nur 
den Geift nicht gewaltfam ab, zwingt man nur Nie- 
mand zum Lügen und Heucheln, fo wird fehon Alles 
von felbit werden. Immer mehr fehen wir ja die 
phantaftifhe Strahlenbrechung fchwinden, die der 
Menichheit, was fie ſtets mur aus fich felber fehöpfte, 
ald von außen kommende Offenbarung vorfpiegelte. 
Wem es gelingen wird, ans dem begriffenen Weſen 
des Menſchen in feinen natürlichen und gefelligen Ber- 
hältniffen Alles was ihm obliegt, was ihn erhebt und 
beruhigt, volltändig und fiher abzuleiten, und dieß 
faplich und ergreifend für Alle darzuftellen, der wird 
die Gefchichte der Religion befchließen. 

Das Thema, in das ich da hineingerathen bin, 
macht mir alte Zeiten wieder nen. Eben in diefen 
Zagen ift e8 ein Bierteljahrhundert, daß mein Leben 
Jeſu zum eritenmal in die Welt ausgegangen it. Die 
Theologen werden das fünfundzwanzigjährige Jubiläum 
diefes Buches fchwerlich feiern wollen, unerachtet es 
mehr ald Einem von ihnen erit Au allerlei hübfchen 





Vorrede. AV 


Gedanken, dann zu Amt und Würden verholfen hat. 
Aber gar mancher beffere Menfh in allen Landen, 
der von dem Studium dieſes Buchs feine geiftige Be⸗ 
freiung Datirt, ift mir, das weiß ich, lebenslänglich 
dankbar dafür, und macht fo, ohne daran zu denken, 
im Stillen die Feier mit. Ich ſelbſt fogar koͤnnte 
meinem Buche grollen, denn ed hat mir (von Rechts⸗ 
wegen! rufen die Frommen) viel Bödfes gethan. Es 
bat mi von der öffentlichen Lehrthätigkeit ausge- 
fchloffen, zu der ich Luſt, vielleicht auch Zalent befaß; 
e8 bat mich aus natürlichen Berbältnifien herausge⸗ 
riffen und im unnatürlihe hineingetrieben; es hat 
meinen Lebensgang einfam gemacht. Und doch, bes 
denke ih, was aus mir geworden wäre, wenn ich 
das Wort, das mir auf die Seele gelegt war, ver- 
fchwiegen, wenn ich die Zweifel, die in mir arbeiteten, 
unterdrüdt hätte: dann fegne ich das Buch, das mich 
zwar Außerlich ſchwer befehädigt, aber die innere Ge- 
fundheit des Geiftes und Gemüthes mir, und ich darf 
mich deſſen getröften, auch manchem Anden nod, er- 
halten bat. Und fo bezeuge ich ihm denn zu feinem 
Ehrentag, daß es gefchrieben ift aus reinem Drang, 





| LVI Borrede. 


in ehrlicher Abfiht, ohne Leidenfchaft und ohne Neben- 
zwede, und daß ih allen feinen Gegnern wünfchen 
möchte, fie wären, als fie Dagegen fchrieben, ebenfo 
frei von Nebenabfichten und Fanatismus gewefen. Ich 
bezeuge ihm ferner, daß es nicht widerlegt, fondern 
nur fortgebildet worden it, und daß, wenn es jetzt 
wenig mehr gelefen wird, dieß daher fommt, daß es 
von der Yeitbildung aufgefogen, in alle Adern der 
heutigen Wiffenfchaft eingedrungen iſt. Ich bezeuge 
ihm endlich, daß die ganzen fünfundzwanzig Sabre her 
über die Gegenftände, von denen es handelt, feine 
Zeile von Bedeutung geſchrieben worden ift, in der 
fein Einfluß nicht zu erkennen wäre. 

Doch was rede ich von mir und meinem Buch? 
Ich wollte ja dießmal einen Andern, Größern einführen; 
einen folchen allerdings, der über diefe Borrede, Fünnte 


er fie lefen, gewiß am wenigiten zürnen würde. 


Heidelberg, im Mai 1860. 


David Friedrich Strauß. 





Inhalt. 


un 


; Gefpräde von Ulrich von Hutten. 





LVII Inhalt. 


Zweites Bud). 


Einleitung... . - ER ERENTO ER ER 

v1. Die Bulle oder der Bullentödter, 
Einleitung 
Die Bulle,...... Er 


vu. Der Warner. Erſtes Gejpräd. 
Einleitung .......... LER FELTER 
Der EEE a a aaa 
VIII. Der Warner, Zweites Geipräd. 
Einleitung 7esansarar ran nn dee 
Der EG anauns tar sangen Nee 
X Die Räuber, 
Einleitung ...2.:..:-: 
Die Räuber......:....- 
X. Arminius. 


Einleitung... ...- 
Arminius ..... 


a En nn ae 


Namen- und Sadıregifter zu Hutten's Geſprächen 


Eu = 


Pr 
Zu 








Gelpräde von Alrich von Hutten. 


Br 


Einleitung. 
Us Hutten auf feiner zweiten itafienifchen Neife, nachdem 








‚gehalten hatte, im Sommer 1516 nach Bologna fam, bequemte 
fi zwar aus Gehorfam gegen feinen Vater und feine 
Gönner zum Rechtsſtudium, wofür diefe Univerſität von Alters 
ber berühmt war; ihm ſelbſt aber lag vor Allem au, fich im 
Griechifchen weiter zu Bringen. Da noch vier andere junge 
Deutſche, die er in Bologna traf, worunter zwei Neffen des 
Nürnberger Rathsherrn Wilibald Pirckheimer, im dem gleichen 
dalle waren, fo nahmen fie miteinander einen geborenen Grie- 
ben Namens Tryphon als Pehrer an, der mit ihmen den 
Weian und den Ariftophanes las. 

Dieſe Lehrftunden- in Bologna wurden aber fir Hutten 
Mcht blos dadurch wichtig, daß er befier Griechifch lernte: es 
Yang ihm in denſelben zugleich eine neue Kunftform für feine 
Schriftftellerei auf. Nicht aus Ariftophanes; denn die Form 
er Stomödie, wenn auch nicht diefer ältern, war ihm aus Plau— 
Ns und Terenz Tängft vertraut, ohne daß er ſich, weil er 
au fein Talent im fich fühlte, zur Nachahmung verfucht ge— 
üben hätte. So wenig als bei dem philoſophiſchen Dialog, 
er ibm aus Cicero befannt fein mußte. Nun aber trat ihm 
Strauß, Gutten's Beipräe. 1 





2 = “ 
We re rn 
Lt’ ir Zu * IKIHLALHE: 9 





der ſattriſche, geſeht auch, er habe Einzelues * ec can ſch 
aus Ueberſetzungen gekannt (wie ihm denn zeitgenöffifi ti 
in Gefprächeform nicht undelannt geweſen fein Knn nen), Mr 

erften mal im claffiichen Original nahe: und nah wenigen 
Monaten fehen wir ihn ſelbſt einen ſolchen Dialog chreis 
ben, und fortan *— nicht ausfchliefich, aber ei 0 


— ii F a U DT» ine = 


metrifcher, — * epigrammatiſcher Form, — 
toriſche, d. h. wirkliche Reden oder Senpfchreiben 9 
von jetzt an gibt er das Verſemache eu faſt ganz auf, v yerfa fat 
zivar Reben, Abhandlungen und sendfchreiben bei Ge Me 5 
heit auch noch ferner, den Kern feiner Schriftjtellerei ber. 
bilden fortan Dialogen. Eine ähnliche Umwandlung war 
auch mit Pncian vorgegangen. Er hatte den Anwalt, dann 
den Lehrer ver Rhetorik gemacht, ehe er auf die Geſprächs— 
form verfiel und im ihr diejenigen Schriften verfaßte, um 
derentwillen wir ihn heute noch bewundern. Und wenn Wie 
land von Lucian jagt, erft da er feine ſatiriſchen und komi- 
jchen Dialoge zu ſchreiben angefangen, habe. er den wahren 
Gebrauch feines Geiſtes und feiner Talente ausfindig gemachtk” 
jo gilt ein Uehnliches auch von Hutten wo 
Wenn die dialogiſche Ferm ein Mitteloing zmifcen;Poefie 
auf der einen und Bhilofophie oder Beredtſamkeit auf der ans 
dern Eeite ijt, jo waren ja auch Hutten wie Lucian mehr als | 
bloße Redner und weniger als ganze Dichter, Man verſtehe | 
dies Mehr und Weniger nicht falſch. Hutten könnte ein gan— 
zer und großer Dichter gewejen und uns barum doch fange 
nicht jo wiel werth fein, als er nun mit diefem Stüd von 
einem Poeten in feiner Natur ift. Was die dichteriſche Phan— | 
tafie in ihm überwog, die fünftleriiche Selbitgenugfamfeit jtörte, | 
war ja auch etwas, nur in anderer Art, Unfchäbbaress ber 
praftiiche Drang, Die politifche Ader, vie lebendige Theile 













* 


SR 4 































Einleitung. 3 
1 de und Wehe des Vaterlandes und das 
je: Er r * ‚ alt feine Geiſteskraft für daſſelbe 
—“ wäre vielleicht Plato ein größe⸗ 
erer Philoſoph, Hutten ein correcterer 
** poetiſche Mehr im ihrer Natur, 
* Mitte, der eine zwiſchen dem Philoſophen, 
— * Redner und Poeten, —* Ay 
ige hervorgebracht. 
mdurch Lucian nahe gebrachte Form erfülkte num 
übten zumächft mit dem Inhalt, der eben damals in ihm 
* Du war die Fehde mit dem Herzog Ulrich von 
emberg, der ihm den Vetter gemordet hatte. Noch vor 
iner Abreife aus Deutjchland hatte er dieſe Fehde in poeti- 
er und rhetoriſcher Form eröffnet, hatte fie hierauf in Bo— 
na ir at weitern Reden fortgefekt, bis ihm nun die dia- 
be Form als eine noch feinere Waffe in die Augen fiel, 
ie — — der Lucianiſchen Todtengeſpräche 
Bu kenn * ihn im ent 1517 —* = 


ran er im die Heimat zur und trat: in 
Di nfte bes Kurfürſten Wlbrecht von Mainz. So liberal 
ſeſer Herr auch war, jo fland es doch Fein Jahr an, daß 
18 Hofleben dem von feiner Lichtfeite angezogenen Ritter 
j 6 fei me er gezeigt hatte. Mit Necht hielt er zur 
Je tellung dieſer beiden Seiten die dialogiſche Form 
— * und ſchrieb daher ſein Geſpräch vom 
6 fchrieb es zu Augsburg während des Reichs: 
ei ner 1518. Ein Hauptgegenftand der Verhand— 
ingen au —** Reichstage war die Türkenſteuer, die im 
oft aa des Papites der Carbinal Cajetan von den deutſchen 
Bürften begehren follte. Unſer Ritter hatte ſchon im voraus 
; e et verfaßt, in welcher er neben manchem ftarfen Wort 
ſegen römische Habfucht und Thrannei doch aus politischen 


Y2 » 1* 


{ *8 









Gründen das Gefuch- des Yegaten, mit dem auch Kater f kari- 
milian einverftanden war, unterftütte. Aber die Fi ten < n 
gem nicht darauf ein, der Papft fiel mit feinem  Anfinmen 
durch, In Erwägung, daß die angebliche Türfenftener doch 
nur wieder, wie ſchon ſo oft, in die Taſchen des Papftes umd 


feiner Höflinge gefloffen fein würde, war das Hutten am Ende 


auch recht. Zumal diefer Cardinal Cajetan durd) verſchiedene 
Neuerungen, die von ihm befannt wurden, durch Umtriebe, 
in bie er fich einließ, umd durch fein ganzes hochfahrendes 
Benehmen Hutten's Groll gegen Nom und ſeine Abgeſe 

geſteigert hatte. Er ſchien ganz der Mann für die dialogiſche 
Geißel, und Hutten ſäumte wicht, fie ihn fühlen zu laſſen 
Er fchrieb ein Geſpräch, Das Fieber betitelt, das zu An— 
fang ‚des folgenden Jahres im Druck erſchien. 

Damit war Rom zunächſt nur an einem Zipfel gefaßt; 
aber diejen Tief Huttem auch nicht mehr los, griff im einer 
Reihe von Gefprächen immer weiter und weiter, bis er, bald 
auch im Verein mit einem noch gewaltigern Kämpfer, dem 
römifchen Wefen ven ganzen Mantel feiner vorgeblichen Hei- 
ligkeit abgeriffen hatte. War für Hutten’s Geiftesart der Dia- 
log die rechte Form, jo war für dieſe nun erft in ver Pole- 
mik gegen Mom der rechte Inhalt gefunden, ein Inhalt, der 
Hutten’s innerjtes Pathos aufregte, alle Quellen feines Gei- 
ftes in Scherz und Ernſt jpringen machte. 

Durch jene Form aber that er nicht blos ver Gigenthüms 
(ichkeit jeines Talents genug, ſondern kam zugleich dem Zeit- 
geihmad entgegen, Vermöge innerer Verwandtſchaft wählte 
fi die reformatorifche Bewegung bejonders gern die Ge- 
fprächsform zum fohriftlichen Gefäß. Wie Nitter und Pfaf- 
fen, Dürger und Bauern, jest mehr als je zum eigenen Nach⸗ 
benfen aufgeregt, wo fie zufammentrafen über Luther und 
Kleriſei, Bapit und Ablaß fich befpracdhen, jo wollte man es 
am liebſten auch vargejtellt leſen. Das Gähren ver Meinun— 





Einleitung. 


—— a ber Geiſter, das Ringen nad) 

wißhei * ei großen Werdezeit eigen 
ee dp ain’ — 
t bie Menge von Schriften dieſer Art aus den 
1 der Reformation. Und der tegefmäfigen 
gefeßrten Tatenifen "Dialoge geelte fi glei 
—8 volksthümlicher deutſcher Geſpräche bet. 
t gab, ſtand dadurch über allem Anden; vap * 
m ſonſt mit jo feiner humaniſtiſcher Geſchmacksbildung 
vi — Ernſt und Eifer, und mit Seiben fo * 

Kane und Derbheit verbunden war. 

dam it fitt er mim auch feinem griechifchen Vorbild. in 
ſtän nbig Figerithümlichkeit gegenüber. Trotz aller formellen 

ang Dar ih I Boch Putten und fen Dialog ‚von Pucian 
= fie fo verfchieven, als ein Deutfcher von einem 
nm Sprer und ein Sohn des Reformationsjahrhun- 
t einem des abfterbenden römifchen Kaiferreichs fein 
* arbeitete nicht wie Lucian in dem Auflöfungs- 
innerlich faul gewordenen Religion und Welt- 
t, fon an dem Läuterungs- und Verjüngungsprocek 
äußerlich durch hierarchifche Fremdherrſchaft über- 
u uub entftellten Kirche und Nationalität. So fühl 
ir gi ber Eine, jo warm, jo voll Begeifterung 
| fin j der Andere. Dazu fam ein Temperament: 
* t Ben man in ber Satire eine heitere und eine 
| e Art unterfcheidet, die freilich der Natur der Sache 
9 ineinander fpielen, jo gehört Hutten in feinen Ge- 
e) auf bie Seite der letztern: fein Spott geht alle 





5 





- 

























| ag 





8 Antbeil an ben Briefen ber Dunlelmännermwirb bier 
ben; denn da hatte ein Anderer (Erotus) den Ton angegeben, in 

ber Gemandtheit eines großen Talents einftimmte; aber 
ch angeftimmt würde er ihn ſchwerlich haben. 








6 Hutten's Geſpräche. 


Augenblicke in ernſte Polemik über; ſelbſt durch die poſſenhafte 
Form ſchlägt ſeine choleriſche Natur durch, man ſieht, daß 
es ihm mit dem Spaße nicht Ernſt, daß mit dem Manne 
nicht zu ſpaßen iſt. 

Zu den zehn Dialogen, deren Reihe das ſogenannte erſte 
Fieber eröffnet, und die ſämmtlich ihren letzten Zielpunkt in 
Rom haben, verhalten ſich nun die zwei früher erwähnten 
gegen den Herzog Ulrich und vom Hofleben nur als Vorübun⸗ 
gen, die wir hier ebenſo wenig überſetzen wollen, als Hutten 
ſie ſeinen ſpätern Geſprächſammlungen einverleibt hat. 

Bon jenen zehn Stücken erſchienen die fünf erſten zufam- 
men als Dialoge von Ulrih von Hutten, dann nah Jah— 
reöfrift die vier folgenden als Neue Dialoge; das zehnte 
Stüd ift erft nach feinem Tode ans Licht getreten. Wir jtel- 
len jene erjten fünf Stüde als erſtes, die vier folgenden 
fammt dem nachgelaffenen als zweites Buch Hutten'ſcher Ge- 
ſpräche zufammen. ?) 


1) Hierzu vgl. man meinen Ulrih von Hutten, Thl. I, Kap. VI, 
&. 167 f., 177—181; Kap. X, S. 306. 314—319. 





Geſpräche von Uri von Hutten. 





Erfies Bud, 


vu. 





Einleitung. 


Das Jahr 1519 und die erfte Hälfte des folgenden waren 
für Hutten eine glückliche Zeit. Durch feinen Hofvienft bei 
dem Kurfürften Albrecht waren feine Bedürfniſſe gededt; wäh⸗ 
rend die Liberalität feines Herrn ihm binlänglihe Muße zum 
Studium und zur Schriftitellerei verftattete. Seit der Eur, 
die er im Herbft des vorigen Jahres durchgemacht, fühlte er 
jih wie lange nicht mehr gefimb und fräftig, unb nun, im 
Srühling 1519, ward ihm die Genugthuung, daß gegen den 
Fürften, den er fo lange fehon mit der Feder befämpfte, ven 
Herzog von Würtemberg, ein wirklicher Feldzug fich vorberei⸗ 
tete. Natürlich machte er biefen mit, und der bald erfochtene 
Sieg wie die im Feldlager enger gefchloffene Freundſchaft 
mit Franz von Sidingen fette alle feine Geiftesfräfte im 
Schwung, erfüllte ihn mit hochgehenden Hoffnungen und Ent⸗ 
würfen. 

Dazu kamen bald noch zwei weitere Ereigniſſe von höch⸗ 
jter Bedeutung. In benfelben Sommertagen des Jahres 1519 
wurde zu Frankfurt Karl V. an die Stelle feines im Januar 
verftorbenen Großvater Marimilian zum beutfchen König er 
wählt, und bisputirte zu Leipzig Luther mit Ed. Die Be 
richte über dieſe Disputation, die Streitfchriften, die aus An⸗ 
laß derſelben gewechfelt wurden, ließen unfern Ritter in Lu⸗ 
ther, deſſen Ablafftreit er bis dahin als ein bloßes Monchs⸗ 





| 2 Einfeitung. 
— 


ie: us verfafte Schrift An den chriffichen Abel 
fe — * des chriſtlichen Standes Beſſe— 
* ganz Deutſchland auf. Daß Hutten lateinijch 
geihrie 1 Batte, was die Wirkung feines Geſprächbuchs 
* em * Grenzen einſchränkte, ſchützte ihn nicht gegen 
folge Er fand gerathen, fich auf die Burgen feines 
* s Sickingen in Sicherheit zu thun. Hier beeilte er 
b aber, feine lateinifchen Geſpräche ins Deutfche zu über- 
1 ober unter feiner Mitwirkung überjegen zu laſſen. Die 
x blieb aus einem Grunde, ber ſich uns bald ergeben 
Es; dagegen wurben allerlei Einleitungs- und Schluß 
', bie ben Inhalt ver Gefpräche in populärer Art ins 
je jiehen, und am Neufahrsabend 1521 eine Zueignung 
— Sickingen hinzugefügt, den Verfechter der Un— 
ı Freund in der Noth, der dem Verfolgten ſeine 
— der Gerechtigkeit, aufgethan, an den 
* ‚eine feſte Wand gelehnt habe, und dem. ex, bis 
en Dank mit der That geitatten, einftweilen 
ch Darbr 3. biefes Buches danken wolle. _ 
in m Titelholsfchnitt diefer Ueberfegung fiehen fich nun 
‚ Hutten > Luther als die beiden Kämpfer für deutſche 
eefreiheit gegenüber, während auf, Papſt und Kleriſei 
t nom Himmel feinen Blitzſtrahl —5 und Ritter 
Bürger m. mit Spiefen anrennen, ’) , 
—— nen 
2 f. meinen. Ulrich von. Hutten, zL., Kap. XI und 
1, ap. 1, ‚I, u und VI, ©. 140 —143. 
—J 
4 Tale. 
1 ZU c7E " 
Be Te an 
u oo 
ante mu Yon en. 


































I. 


Fortuna. 





Einleitung. 


Un die Spige feiner Gefprächfammlung ftellte Hutten mit 
gutem Bedacht nicht das zuerft gefchriebene Fieber, fonbern 
die Fortima. Sie bildet zu den übrigen Gefprächen eine Art 
anmutbiger Einleitung. Auf fie befonders paßt es, wenn 
Hutten im Sommer 1519 von jchriftftellerifhen Scherzen 
ichrieb, mit denen er fich ernöge. Sie macht uns, che es an 
die Sache und deren Ernit geht, erft in heiterer Weife mit 
der Perfon des Schriftftellerse bekannt. ( Ebendarum 
wurde jie in Hutten's beutjche Ueberjegung, wo es nur ber 
Sade, d. h. den Kampf gegen Rom galt, nicht aufgenom: 
men.) Und ih, ven Autor, zeigt fie uns, während reforma- 
torifche Gedanken nur einzeln aufbligen, politifche Beziehungen 
nur zerftreut vorfommen, auch philofophiiche Gedanfengänge, 
deren Hutten fich fpäter enthielt, mehr angefponnen als durch⸗ 
geführt werden, noch vorzugsweije mit fich jelbit, feinen per- 
fönlihen Wünjchen und Planen bejchäftig. Er möchte fein 
Glück machen, des Hoflebens fatt ſich eine unabhängige Eri« 
jtenz begründen, um dann in gelehrter Muße leben zu fünnen, 
und möchte eine Frau haben, diefe Muße zu verjchönern. 
Bekanntlich bewarb fih Hutten in jener Zeit um eine Franf- 


ee 





L Fortuna. Einleitung. 13 


von Stand und Vermögen, die ihm aber nicht zu 
rde. Diefe Wendung nimmt auch das Gefpräd: 
telfer erhält fchließlich von der Glücksgöttin nichts 
Rahnung zur Refignation. 

ı widmete das Gefpräch zum neuen Jahr 1520 dem 
Ichof von Würzburg, Konrad von Thüngen, da ein 
vom Glück zum Glückwunſch befonders zu paſſen 





(. meinen Ulrich von Hutten, Thl. II, Kap. I, S. 6—11. 











I. Fortuna. 15 


Zutten. Freilich möchte ih das. 

Fortuna. Dann trachte lieber nach Weisheit, bie ſchickt 
fih zur Muße, aber fle zu geben ift nicht meine Sache; denn 
was ich den Dienfchen ſpende ift Reichthum, und ber macht 
ihnen Unruhe und ftört ihre Muße, da fie um feinetwillen 
fih mühen und abquälen und das Oberfte zu unterft kehren. 

Butten. Du verftehft mich nicht, Göttin; nur um fo viel 
bitte ih, als zur Friſtung einer gelehrten Muße hirmreicht, 
nach jenen Reichthümern frage ich nichts. 

Fortuna. Geht bir denn von deinen väterlichen Gütern 
und Befitzungen nicht fo viel ein, daß du davon in wiffens 
fchaftlicder Ruhe leben könnteſt? 

Zutten. &o viel allenfalls wohl; doch un dabei auch meine 
Würde aufrecht halten zu. können, follte ich von dir eine Zu⸗ 
lage haben. 

Fortuna. Aber dieſes u wird dir Geſchäft 
machen. 

- Butten. Es foll e8 nicht; denn ich Wehe mir baran ger . 
nügen lajfen und nichts weiter begehren. Ä 

Fortuna. Da fieh du wohl zu, daß bu nichts zu deinem. 
Schaden erbitteft; denn foviel ich einſehe, tft das eine gefähr- 
liche Verbindung, auf die du e8 anlegft, von Muße und Würde. 

Hutten. Auch die Muße Hat doch ihre Würve, und fie 
verdient nicht weniger Rüdficht als jene, auf welche die Reichen 
jo eifrig balten. 

Fortuna. Nun, diefe alfo zu wahren, wie viel willft om, 
daß ich dir geben foll? 

Hutten. Laß mich einen Augenblick meinen Ueberſchlag 
machen. Borerft, wenn mir eine Frau zu Theil wird 4), 
möchte ih mir dort in der Stadt em Haus faufen, babei 


1) Ueber die damaligen Heiratheplane Hutten’e vgl. meinen Ulrich 
von Hntten, I, 867 ff., II, 6ff. 





16 


Gärten, auswärts Landgüter, mit Fiſchteichen harinz) ferner 
müßte ich Hunde haben zur Jagd; Pferde nur wenige, um 
bisweilen ausreiten zu können; dann was zum Betrieb der 
Giter erforderlich ift, Knechte, Hüter, Vieh; zu Haufe aber 
einen Prunktiſch, Betten, Polſter, Sänften, Galerien, eine 
Bibliothek, Speifefäle, alte und warme Bäder; für die Frau 
Kleidung und Schmud: und das alles zum. Gebrauch mit 
Geſchmack, micht üppig und im Weberfluß; außerdem müßte 
noch etwas übrig fein, um bie Kinder zu verforgen, 

Tortuma. Du richteft dir da ein Yeben ein, merf’ ich, das 
nicht viel Ruhe gewähren wird. Doc davon wollen wir her— 
nach reden; jetzt ſage mir, mie wiel willſt du jährlich, um da— 
von jene Dinge anfchaffen und erhalten zu können ? 

Yutten. Gib taufend Golpgulden, wenn dir das * 
ſchwer fällt, Herrin. 

Fortuna. Schwer fällt es mir nicht, wenn ich es über: 
haupt gut finden follte, div etwas zu geben; benn zur Ernäh— 
rung all jenes Schwarms ſcheinen mir tauſend Gulden ſogar 
zu wenig; Eins aber antiworte mir: wolltejt du fo eben nicht, 
ich jollte erjt den Bedürftigſten geben? i 

Hutten. Gewiß denen. 

Fortuna, Welche aber find die Bedürftigern, denen mehr 
fehlt oder denen weniger? 

Hutten. Denen mehr; denn denen nur weniges fehlt, bie 
baben ja eimftweilen ſchon zu leben, bis auch jenen Anbern 
aufgeholfen ift, die nichts oder zu wenig haben, 

Fortuna. So muß ich zuerjt den Fuggern !) geben, denn 


1) Das berühmte Augsburger Hanblungsbaus, beffen Name ums in 
Hutten's Geſprächen noch oft begegnen wird, mar damale burch Salob, 
ben überlebenden ber drei Brüder, bie das Haus auf ben Gipfel 
feiner Größe geführt batten, und vier Neffen befjelben vertreten, von 
denen Raimund und Anton das Gejchleht in zwei Linien fortpflangten. 

































E > - — — 


’ SE Form 17 


en fit Saben, 200000 Hätten fie jährlich zu 
m ſche nöthig, um allen Pfeffer aus Indien 
wund es ** zu bringen, daß Niemand mehr au- 
* Europe Safran verfaufen bürfe; kurz, um bie 
e machen und ihr Monopol aufrecht erhalten 
"Daher mußt du wohl auf deine Güter zurückkeh— 
um » Kr einen Schatz ausgraben, bis ich erſt die großen 
pürfniffe ber Fugger, wie ja nach deinem eigenen, Urtheil 
? “. ” Befeige, alsdann will ich auch bir, dem minder 
| etwas zufommen lajjen. 
Ah, die Fugger! Du ſcheinſt micht zu Chiſen, 
rrin, , was bebürfen ift; pas muß nach ver Wirklichkeit ge- 
it werben, nicht nach eines Jeden unmäßiger Begierpe ; 
tes ift eine eigene Krankheit bei den Neichen, je mehr fie 
em, deſto mehr wünfchen fie fich noch, und jelten ift einer 
hnen jo bemittelt, daß fein Beſitzthum nicht unter feinen 
* Bas Lak alſo diefe hochmüthigen Bettler und ar- 
* mehr als nöthig iſt wünſchen; bedenke, daß 
| der Menſchen unerſättlich find, und glaube 
J bir ihnen jest 200000 gäbeſt, würden fie als— 
00000 verlangen, um in Gelde ſchwimmend ſich Waf- 
a > Pferde anzufchaffen, und nicht mehr ein Monopol, 
e bisher, ſondern ein Königreich für ſich aufzurichten. 
Fortuna. Ein Königreich Hätten fie auch wohl nöthig, um zu 
alten, was fie haben; denn es droht ihnen Gefahr von 
en, die ihr Monopol nicht gelten lafjen wollen. 
Butten. Sieh alfo, ob es billig wäre, denen zu geben, 
(be unmäßige, grenzenlofe und unerlaubte Anjprüche 


Baer 
aufe 


3b würde es wohl jehen, wenn ich nicht blind 
, Das ‚eben ijt noch unbilliger, daß du, welche ven 


—* 1 jene Gaben austheilen foll, blind bift, 
rauf, Hutlen'd Beipräse. > 


® 





18 Hutten’s Geſpräche. Erſtes Bud. 


Fortuna. Aber fo bat es dem Jupiter gefallen. !) 

Hutten. Jupiter hat dich geblendet? Sprich! 

Fortuna. Er jelbit. 

Zutten. Weshalb? 

Fortuna. Weil ich den Guten gab und denen vie ich für 
würdig. bielt. 

Hutten. Wunderbar, o Königin, da er doch felbft von 
uns fordert, daß wir gut fein jollen, und darum mit dem 
Blitze uns fehredt, wenn er uns unrecht handeln fieht. 

Fortuna. Gewiß will er euch jo, und mich hat er beftraft, 
weil ich euch verwöhne und fchlechter mache und die Guten 
ihm verberbe. 

Zutten. Thatſt du denn das? 

Fortuna. Ich wohl nicht; aber in dem Maße, als einer 
wenig fittlihe Stärfe hatte, ward er übermüthig, wenn ich 
ihm veich gemacht, und änderte feine Lebensweiſe; denn nicht 
wie fie follten ertragen mich die Menfchen. 

YZuttn. Warum alfo blendete Jupiter nicht lieber jene 
Uebermüthigen? 

Fortuna. Das ſchien ihm zu mweitausfehend, darum traf 
er Eine ftatt Vieler, in der Hoffnung, wenn ich blind wäre, 
würde ih nicht mehr wie früher die Guten erkennen, und das 
mit alle Verführung zum Schlechtwerden entfernt fein. 

Butten. Allein ich ſehe nicht, was Jupiter mit jener 
Maßregel gewonnen haben, oder was für ein Unterfchien fein 
ſoll, ob Gute fchledht oder Gottlofe glücklich gemacht werben; 
denn beidemale ſehe ich die Schlechtigfeit vermehrt; nur 
glaube ih, wenn du Augen hätteft und blos den Guten gäbeft, 


1) Was Fortuna hier von ihrer Blendung durch Jupiter unb de= 
ven Beranlaflung jagt, mie auch bie folgende Einwendung Hutten’s, ift 
aus Ariftophanes’ Plutos B. 86 ff., wo biefer (ber Reichthum) das 
Gleiche von ſich erzählt und dann Ehremylos einen ähnlichen Einmurf 
madt. 





* "J ernink . 19 


ürt ben doch nicht t alle Guten verborben werben; von mir 
verſpreche ich dir das, ——— — * bin 
—— 

*7 Das weiß ich nicht, da ih nicht ſehen kann, 

—* indeß vermuthe ich, wenn du zu leben verſtün— 
ſt, würdeſt du mich nicht um jene Dinge bitten. 
Es ſind nothwendige Dinge, um die ich dich bitte, 
dich würdig, daß dir fie mir gewähreſt; denn wie, wenn 
bi Bam“ ftellen fönnte, die für meine —— 

Tapferkeit bei dir gutſagten? 
er na. Und wie, wenn dieſe eher für fich etwas non 

ı wollten als für dich oder fonjt Iemandb? Dann 
5 jene Zeugen ebenſo wenig als dich; außerdem: ift 
zanz — „ſich von Seiten der Rechtſchaffenheit zu em- 
= ‚ wenn man bei mir etwas fucht. 
hutten. Wie meinft du das, Göttin? 

En . Num, wenn Jupiter bemerkte, daß ich auch als 
o m ven. Guten gäbe, fo hätte ich ja zu befahren, daß 
r auch vollends die Ohren abriffe und die Hände ab- 

J 
ulten. So gib mir unter anderem Vorwande. 
Fortuna, Hoffe, daß ich dir geben werbe. 

Und bis dahin, was joll ih thun? 

Was du willftz ich fage bir ja, baf ich nie- 
* as banbfe, noch darauf achte, was eim Jeder 
ine, ſondern ich fpende ohne Wahl aus biefem Horne, 

68 fie das Füllhorn nermen, und auf wen nun etwas Gutes 
Ah * —— reich, wem nichts zufällt, der muß nothwen— 












* So thu' mir denn Eins zu Liebe: wenn du das 
ae außfpenbeft, jo ſtelle mich dahin, wohin bu am 
en wirft. 
ar Du wirft alfenthalben gut jtehen. 
2 # 

























20 Hutten’® Geſpräche. Erftes Buch. 


Butten. Das verftehe ich nicht. 

Fortuna. Niht? O des Stumpfſinns! Diefes Rad 
hier 1) fchwingt fih um, von da wird aufs Ungewiffe Gutes 
und Uebles ausgeworfen; ich ſpende nämlich auch Uebles, pas 
mußt du wiffen, damit du nicht, indem du Gold .eriwarteft, 
Unheil empfangeft; denn ich fehe dann nicht, was auf dich oder 
einen Andern fällt. 

Hutten. Da meinft vu alfo, ich thäte beffer, mich zu 
verſtecken? 

Fortuna. Beſſer eben nicht, denn auch die Verſteckten 
trifft, was ich auswerfe. 

Butten. So willjt du mich, ſcheint e8, mahnen, bich ver 
Allem darum zu bitten, daß du mir überhaupt nichts ſpendeſt, 
damit ich nicht auf meine Bitte um Gutes des Uebeln mehr 
als genug empfange. 

Fortuna. Und daß du mit deinem Theil zufrieden feieft. 

Zutten. Wenn es beinetwegen möglich fein wird. 

Fortuna. ‘Das wird von Zufällen abhängen. 

Butten. Aber eben dieſe Zufälle fürchte ich fehr. 

Fortuna. Allein auf andere Weife pflege ich nichts zu geben. 

Hutten. Wie alfo, wenn ich den Jupiter bäte, erftlich daß 
er deine übeln Zufälle abwende, banı daß er mir Das Gute 
glüden laſſe? 

Fortuna. Jupiter ijt längft für eure Wünfche taub ges 
worven, und du könnteſt ihm nichts Verdrießlicheres antbun, 
als wenn bu ihm beinen fogenannten Ueberſchlag vorlegen 
wollteft. Denn ſprich, was willjt tu, daß er bir glüden laf- 
jen folle? 


| 1) Das Titelbild der erften Ausgabe ftellt die Fortuna bar auf ei- 

ner Kugel ftebend und eine andere auf dem Kopfe; im Iinfen Arm hält 
fie das Füllhorn; vor ihr fteht, Die Achſe an einem Fußgeftell befeftigt, 
ein Rad mit einer Kurbel, melche mittelft eines Seils durch eine ans 
ben Wollen langende Hand in Bewegung gefet wird. 








L Fortune. 21 


Hutten. Daß ich eine Frau befomme, ſchön, reich, jung, | 
wohl unterrichtet und erzogen. 

Tortuna. Tarum bat man ihn fehon fo gar oft gebeten; 
er wird böfe werben; felbft für pie Fugger würde es jchwer 
fein, das zu erhalten; denn hätte einer von ihnen die Wahl, 
jo weiß ich, würde er eine foldhe Fran feinen Tauſenden vor 
ziehen. 

Hutten. Auch ich zöge fie vor; doch fage mir, ift denn 
Jupiter den Fuggern gnäbiger als jedem Armen ober einem 
Rechtichaffenen ? 

Fortuna. Für den Augenblid, ja; benn immerdauernd 
find meine Gaben nicht; oder haft du nie den Dipbilus!) ger 
hört, welcher fagt: 

Nur übernächt'ges Glück befigen wir? 

Hutten. Auch noch den Theognis habe ich gehört: 
Sft Unwürdigen auch gibt Glück und Gedeihen bie Gottheit. 
So will ih alfo ablaffen dich zu bitten, und auch ablaffen 
dich anzuflagen, daß du aufs Ungewiffe ausfpenpeit, ohne. 
Nückficht, wer bekomme was bu gibft, und daß gleicherweife 
auf Böſe und Gute fällt, wa® du Gutes oder Uebles aus 
wirfft. Aber Jupiter, ſehe ich, trägt die Schuld, weil er 
dich blind gemacht bat, und weil er es den Boͤſen gut gehen 
läßt. 

Tortuna. Wie, wenn ich dir zeigte, daß auch Jupiter von 
dieſer Schuld frei iſt, und dich belehrte , daß es nur an euch 
feloft fehlt, wenn ihr nicht reich werdet? Läſſig und unfleißig 
zum Erwerben, wie ihr ſeid, möchtet ihr, daß euch das Gute 
im Schlafe zuftele, währenn ihr große und treffliche Gelegen- 
heiten verfäumet; denn erinnere dich nur, daß meiftene bie 


1) Ein griedhifcher Komiker, von dem wir nur Bruchftüde beſitzen. 
Diefen wie die meiften noch folgenden griedhifchen Berſe und Sprüche 
entnahm Hutten ber Blumenlefe des Stobäns. 





22 Hutten's Geſpräche. Erftes Bud. 


Trägheit und Sorglofigfeit der Menfchen die Urſache iſt, 
warum fie nicht emporfommen, und nicht Jupiter's Ungnabe 
und die Ungunft des Glücks. Oder vente an jenen alten 
Dichterſpruch, daß feines Glückes Schmied ein Jeder fei, und 
an Salluftius, welcher klüglich mahnt, nicht durch Flehen 
oder Thränen verfchaffe man fich der Götter Beiftand; durch 
Wachfamkeit, fagt er, durch gute That und guten Rath wird 
ein glücklicher Erfolg erzielt; gibft vu ver Sorglofigfeit und 
Trägheit dich bin, fo rufft du umfonft die Götter an, fie find 
erzürnt und feinplich. *) 

YZutten. Kann denn alſo Jupiter einen fo verfchmähen, 
ber ihn fromm bittet, daß er ihn nicht erbörte? Und jind 
nicht die Bitten bei Homer Jupiter's Dienerinnen? %) 

Fortuna. Auch verſchmäht er, wie ich glaube, demüthige 
Bitten nicht, ſondern erbört, wenn die Menjchen bitten, wie 
fie follen. 

Hutten. Bitten denn aber bie nicht recht, welche, wie 
jener bei Xenophon, zuerit un Geſundheit und Kraft des Yei- 
bes bitten, dann um Ehre und Gunſt bei ven Menjchen, nach 
biefem um Heil im Kriege, und endlih, daR ihr Vermögen 
fich ehrlich mehren möge? >) 

Fortuna. Wohl recht, aber überflüjjig; denn wozu mit 
fo Vielem ven Jupiter bebelligen? 

Hutten. Hältft du denn nicht alle jene Dinge für nöthig? 

Fortuna. D ja; doch Fönnten fie von den Bittftellern fürs 
zer zufammengefaßt werben. 

Yutten. Das, möcht ich, lehrteſt du mich; vorher aber 
fage mir: verbrießen denn den Jupiter jemals allzu weitläu— 
fige Gebete? 


1) Aus Cato's Rebe in Sallufl’s Catilina, 52. 
2) Ilias, IX, 502. 
3) Iſchomachos bei Zenophon, Delonom., 11, 8. 

















L PFortume, 23 


— — er, als wenn einen ſorgſamen Haus: 
mbie O 7 * überflüſſigen Bitten beſtirmen, 
* —*— Lehrer *⸗ Zuhörer mehr⸗ 


* — 
Ka ie alfo- glauben, daß man Dune 


| — 

ze daß er ſich nn über: jene Pfaffen ärgere, 
ı Pſalmen mehrmals des Tags lejen und baf- 
> mehr als ziwanzigmal wiederholen? 

— bie Darauf achten, nicht was fie beten, ſon⸗ 
* ſie leſen. 

—“ ſoll man denmach aufs kürzeſte zu Jupiter 





Wie anders wohl, als um geſunden Geiſt im 


ge Leicht folgen 
Hutte Er ER nämlich wenn ver Yeib —— und 
it, der Geiſt aber auszuwählen verſteht, jo daß 
sus beichlieft, jo wird es weder im Frieden 
Eb en. —— noch im Kriege an Glück. Ueberdieß wer— 
Ren Menfchen Berhalten Alte Lieben umd ihm 
—F pollen, und durch Arbeit und Fleiß wird fein Bermögen 

ww 

tum: u Xxeffend, wenn ie etwas! Alſo mußt du ſorg⸗ 
—* flug und emſig fein und dir Mühe geben um vas, 
u erreichen willft, und nach dem, was bu zu verſtehen 

( eheft, fleifig forichen. Daher hat Zenophon ſehr weislich 
briebem, es fei nicht erlaubt, Gott zu bitten, daß ma, 
me vom Reiterfampf etwas zu verjteben, die darin Erfah— 
ent beſiege, oder ohne von Schiffahrt etwas zu wiſſen, ein 


.— 


1) Aus Juvenal, X. Satire, B. 356. 


geibe? 1) Denn gibt Jupiter dieß, fo wird das 








24 Hutten's Gefpräde. Erſtes Bud. 


Schiff richtig fteuere, oder ohne Erfahrung im Säen bereinft 
bie befte Ernte mache, oder daß Gott einen behüten möge, 
ver fich nicht felber fchüßt. ?) : 

Butten. Gelehrten Unterricht babe ich fchon vorher em- 
pfangen: zu Dir fomme ich, um reich zu werben. 

Fortuna. Und ich weife dich, damit du dieß erreicheft, 
zu Fleiß und Betriebfamfeit an, und fage dir, wenn bu ben 
Jupiter mit der Bitte um eine Frau, welcher Art immer, 
überfällſt, fo wirft du nichts ausrichten, felbft wenn du ihn 
durch ein Opfer von hundert Stieren zu beftechen ſuchteſt; 
meinft du denn, er made für die Sterblichen ven DBraut- 
werber und gebe fich mit Cheitiften ab ? 

Zutten. Iſt denn alfo eine Vorfehung? jage mir. 

Fortuna. Einige meinen e8; ich weiß, daß ich bin. 

Hutten. Das fehe auch ih; aber ob du allein bift, iſt 
dir das wohl befannt? 

Fortuna. Bon Jupiter weiß ih auch noch, daß er ift, 
denn er hat mich geblendet; das Dafein jener Vorſehung aber, 
nach der du fragit, wird durch die guten Erfolge der Böſen 
widerlegt. 

Hutten. Allerdings follte man vermuthen, wenn die Himin- 
lifchen ſich um Sterblihes fümmern, würden fie niemals zu— 
laffen, daß e8 manchen der Schlimmiten jo glüdlich ginge; 
doch habe ich felbit neulich pavon, daß es Götter gibt und 
baß fie fid um die Sterblihen fümmern, einen gewaltigen 
Beweis: erlebt. 

Tortuna. Was für einen? 

Zutten. Das Schidfal, das jenen ſchwäbiſchen Tyrannen 
betroffen hat.?) Er glaubte fich ficher durch deine Gunft, 


I) A. a. O. 
2) Es iſt von der Vertreibung des Herzogs Ulrich von Würtemberg 
durch das Heer des Schwäbiſchen Bundes die Rede, woran Hutten ſelbſt 


— 


Theil genommen hatte. S. meinen Ulrih von Hutten, I, 354 ff. 
























— ——— teine Zafalle, wenn * 
ent TE — 
J I Rau 
EDER war aber eben nicht zufätsg, jonvern 
2 sten Yan darin. 
. Ach milf nicht ftreiten; * wenn jener * 
s würdeſt du darin finden, Zufall oder Vorſehung? 
— ern; ich weiß es ſelbſt nicht recht, 
* ſehe, wiſſen es auch jene nicht, die ſo ſcharfſin— 
v disputiren. Denn geht es den Guten gut, jo 
e ums den Göttern danken, welche für die Ihrigen 
REN, fo jagen fie, Gott jei es, 
n übe, indem er die Probe ver Geduld und Ges 
t ihnen: vornehme. Was den Böfen Widriges 
met, das deuten fie als Strafe; geht es ihmen glüdlich, 
hör je nu ee fie auch dafür einen Grund aufs: 
inger + fie ſagen nämlich, Gott gebe ven Gottloſen 
— = um fie durch Güte und Wohlthun zu befferm Le— 
n ne ‚Ganz recht, wie mir däucht: gingen 
= 1 darin nehäffig zu Werke, daß fie bie Hand: 
a aa — dem Erfolg ſchätzen. Denn wenn es 
ei bt, dem fie günftig find, fo jagen fie, noth- 
ee * Guten gut, als hätte er dieß ohne Weiteres 
* verdient, wie er auch ſonſt ſein mag; wenn 
—** es, wen der Herr lieb hat, den züchtiget er. ') 





wer; 61 um 


ns Her. 12, 6. 





Und nicht anders urtheilen fie von ihren Feinden: wenn dieſen 
Alles nah Wunſch geht, jo führen fie taufend Sprüche an, warum 
Gott e8 den Böfen zuweilen fo gut gehen laſſe; wiverfährt 
ihnen dagegen ein Mißgeſchick, dann fommen fie mit dem 
Sat angezogen: Bei Gott bleibt nichts Böſes ungeftraft, jo- 
wie nichts Gutes unbelohntz oder: Ich wußte ja, daß Gott 
die Schlechtigkeit des Menfchen trafen würde; over führen 
auch jenes Homerifche: Gott hat ein rächendes Auge ?), im 
Munde und verlängern die göttliche Strafe bisweilen bis ins: 
oritte Glied. Fragſt du hingegen mich, was ich davon benfen 
würde, wenn der Tyrann ſich wieder aufraffte, jo würde ich 
urtheilen, daß es Gottes Wille fei ?); denn durch jolde Tha⸗ 
tem zeigt er, daß er das wirklich vermag, was gefchrieben 
fteht: Er ſtößet die Gemwaltigen vom Sad und erhebt vie 
Elenben. ®) 

Fortuna. Dir machſt Gott zu einem Prahler; doch ich will 
dir nicht weiter Fragen vorlegen, von denen ich fchon zum 
voraus weiß, daß du fchlehte Antworten darauf geben wirft. 
Jene aber, welche vie menſchlichen Schickſale fo auslegen, wie 
du jagt, ſcheinen mir abgefchmadt und haffenswerth, da fie 
bei diefem Berfahren, es mag geichehen was und wie es will, 
niemals in Berlegenbeit fein können, einen jcheinbaren Grund 
bafür anzuführen. Aber was für eine Art von Menſchen * 
denn Das? 

Hutten. Man nennt fie Theologen. 

Fortuna. Wollen denn dieſe micht mitunter rn — 
reich werden? 

Hutten. Vielmehr ſind gerade ſie von dem Verlamgen wei 





1 gm ber Batrachomyomachie, B. 97. 

2) So wiürbe Hutten um jo gewiſſer geurtbeilt haben, wenn er 
erlebt hätte, wie Herzog Ulrih, als er nach funfzebnjäbriger Berban⸗ 
nung wieder in ſein Land kam, die Reformation in demſelben einführte, 

3) Luc. 1, 52, 














I. Fortuna. 27. 


Geld ganz beſonders beſeſſen und ftreben in der That nach 
Reichthum, während jie mit leeren Worten benjelben verwer- 
fen als etwas Eitles, das nicht glüdlich machen könne. Wie 
jener zu Mainz neulich: nachdem er fein ganzes Leben lang 
gegen die Reichen geeifert, das Geld aufs Aeußerſte verdammt 
und deſſen Gebrauch als unvereinbar mit Frömmigkeit und 
Rechtſchaffenheit vargeftellt hatte, hinterließ er bei feinem Tode 
eine Maſſe Gold, und das zum Theil vergraben, als ob er 
beffen Befit den Ueberlebenden nicht gönnte. 

Fortuna. Leute, werth, daß «8 ihnen niemals gut ergebe, 
wofern fie folcher Art find; daß es aber dir gut gebe, das 
haft du meiner Meinung nach durch Arbeit zu erftreben. 

Zutten. Über gearbeitet habe ich ja bereits nur allzu viele 
Jahre, und habe e8 nicht erreicht. 

Fortuna. Wie mochteſt bu aber arbeiten, wenn bu ben 
Theologen glaubteft, Alles fei, lange bevor es geſchehe, vem 
Menſchen vorberbeitimmt? 

Butten. Ich arbeitete doch. 

Fortuna. Wohl damit du für ven Fall, daß es jene Vor⸗ 
ſehung nicht gäbe, doch zu leben hätteft und nicht hungern 
müßteſt? 

JZutten. Keineswegs, ſondern eben jene Leute lehrten mich 
auch, erinnere ich mich, Alles müſſe durch Arbeit erworben 
werden; immer wieder ſchärften ſie mir ein, dieſes Leben ſei 
eitel Mühe und Arbeit, den Müßiggang aber verwarfen ſie 
aufs ſtrengſte; dabei ſprachen ſie von einem andern Leben 
ohne alle Arbeit und Beſchwerde, das Güter in einer Fülle 
über alle Wünſche in ſich ſchließe. 

Fortuna. Seltſam! Güter, die ſchon in einer Art Vor⸗ 
rathskammer bereit gelegt und dem Schidfal fo einverleibt 
find, daß fie trog aller Hinberniffe dem Menfchen fo, wie fie 
ihm beftimmt find, zu Theil werden müſſen, daß man bie noch 
durch Arbeit und Fleiß verdienen foll. 





28 Hutten's Geſpräche. Erftes Bud. 


Yutten. Es ift ja fein Schiefal, was jene lehren, fon 
dern ein göttlicher Wille, und dieſer ſchließt feine Nothiven- 
digkeit in fich, fondern fieht in freier Weife vor und läßt ih 
da= oder dorthin durch Gebete und Gelübde Ienfen. 

Fortuna. Warım fenfft du ihn alfo nicht auch? 

Hutten. Reich zu werben ee babe ich —* 
auswirken können. 

Fortuna. Haft du denn ach, daß es ſonſt den⸗ 
ausgewirkt hätte? 

Yutten. Von den Reichen ſagten vie Theologen, fie —* 
es ausgewirkt. 

Tortuna.. Durch Schmeicheln etwa? 

Hutten. Ich weiß es nicht; doch leben, wie ich bemerft 
habe, vie Reichen gemeinigfich fo fehr in Yüften, daß ihnen 
ſogar das Beten und bei Gott Anhalten zw läſtig iſt; viel 
weniger, baß fie gar noch arbeiten oder ftreben oder emſig 
fib um etwas bemühen möchten. 

Fortuna. Da du dieſes fiehft, kommt bir venn fein Zwei: 
fel, was es doch wohl fei, das jo ungleich Güter und Uebel 
austheilt, und vermutheit du nicht, daß es der Zufall fein 
möge? 

Hutten. Der Zufall nicht; dieſe Meinung iſt durch die 
Religion ausgeſchloſſen. 

Fortuna. Geſetzt aber, es entbände dich Jemand auf eine 
Weile von den Pflichten der Religion, würde dir dann jener 
Gedanke kommen? 

Hutten. Man darf ſich aber davon nicht entbinden laſſen. 

Fortuna. Nun jo antworte mir der Religion gemäß: Wer 
gibt Gutes und Uebles? 

Hutten. Du gibft e8 wohl, aber dich lenkt Gott, und du 
fannft nichts geben und nehmen ohne feine Zulaffıma. 

Tortuna. Wenn er alfo den Zufall lenkt, warum lenkt 
er ihn nicht jo, daß feine Unbilligfeit ftattfindet? 





A st u nicht jagen, es Bons eine ſolche 
alt. 





N Fortune. Reine? , Und Die ruchlofen ober be; müßigen 
mb unnützen Reichen, die nur zum Verzehren auf der Welt 
find, die niemals etwas Gutes gedacht, gefchweige denn ge- 
than haben, find dieſe nicht deſſen unwerth, was fie haben? 
 Butten. Für unwerth halte ich fie wohl; doch Gott hat 
deine Urfachen, warum er will, * es ihnen fo ergebe. 
Fortuna. Welche? 
1 Butten. Das weiß er ſelbſt und feine Ausleger, Die Theo- 
—* Doch warte nur, da habe ich etwas, womit ich dir 
den ganzen Knoten löſen kann: gute Handlungen belohnt Gott 
‚hier nicht, ebenjo wenig beftraft er immer, was bie Men- 
‚fen bier Böfes thun, ſondern er fpart dieſes Gericht für 
—* ewige Vaterland und das künftige Leben auf. 
| ‚Fortuna. Näher zur Sache: warum leiteft du aljo nicht, 
bier gejdhieht, vom Zufall ab, und behältft Gott nur 
Da Zufünftige vor? 
— Yutten. Weil jo die Religion nicht lehrt. 
— Fortuna. Laſſen wir darum die Religion und kehren zu 
dem zurüd, worin die Theologen mit mir einig find; daß 
Man ftreben, arbeiten und es fich ſauer werden laſſen müſſe; 
Mas du, hätten es nicht jene dich gelehrt, von Epiharmus, 
einem alten und gar nicht fchlechten Dichter, hätteſt lernen 
lonnen, welcher fpricht: 
m Um bie Arbeit nur verlaufen Götter ihre Gaben uns. }) 
Autten. Oper hätte ich dem Sopbofles geglaubt, wenn 
Ian, 
* Den Trägen aber ftehet Gott mit nichten bei. 
_ Fortuna. Ober dem Euripides, wenn er mahnt, durch 
te nah Glück zu trachten, mit den Worten: 





ı) Gragment biefes Komilers, wie bie zwei folgenden Verſe ber 





30 Hutten's Gefpräde. Erſtes Bud. 


Denn welche ftreben, berem nimmt auch Gott fi am. 
Nun aber jcheinft du der Arbeit überbrüffig "zu fein? — 

Hutten. Ueberdrüſſig nicht, wenn ich nur eine Frucht 
derſelben ſähe; auch glaube ich jetzt nach ſo vieler fchweren 
Arbeit Ruhe verdient zu haben. 

Fortuna. Was haft du denn aber gearbeitet? 

Hutten. Fürs erfte habe ich mich der beten Wiffenichaf- 
ten befleißigt unter großen Schwierigleiten, wie Heiner zu Die- 
fer Zeit, indem ich anders nicht als wie ein Verbannter und 
Candflüchtiger in der Fremde umberjchweifte, im der größten 
Armuth, unter Iammer und Noth, bisweilen auch in ſchwe⸗ 
rem Siechthum. *) 

Tortuna. Jenen Studien aber mit ſolcher Anjtrenguma 
nachzugehen, was hauptſächlich bewog dich bazır? 

Yutten. Die Wifbegierde; und ben ganzen Ertrag meines 
Lebens fette ich darein, einjt mit Muße dem Studium ob- 
liegen zu können. 

Fortuna. Und das glaubjt du noch nicht erreicht zu haben? 

Hutten. Erreicht? arın wie ich bin? 

Tortuma. Ebendarum; ober fiehft du nicht, wie viel 
leichter die Vefchäftigung mit der Weltweisheit dem Armen 
wird, der weniger Abhaltung hat, als jenen gejchäftigen Rei— 
chen, die nicht allein fich, jondern auch Andern ihre Zeit wib- 
men müffen, und von bem Streben nad Tugend durch Ver— 
guügungen abgehalten werben, während dieſes Hinberniß ber 
Armuth ferner Tiegt? Außerdem tft die Armuth ftrebfam und 
erfinderifch,, oder wie Diogenes gejagt hat, jelbftgelehrig. 

Yutten, Auch ich habe in der Armuth gelernt und will fie 
überhaupt ihres Preifes nicht berauben, denn an Lob fehlt es ihr 
nicht, vornehmlich bei jenen Philofophen und Sophiften, denen 
es eim Leichtes iſt, dieſelbe Sache zu loben ober zu fabeln, 


1) ©. meinen Ulrich von Sutten, Thl. T, Rap. II mb IV, 


x 





I. Fortune. 3 


wie wenn es ihnen einfällt, das Fieber ſei etwas Gutes 1), 
oder das Pobagra kein Uebel, ober die Kahlheit etwas Schb⸗ 


nes, ober die Trunfenheit etwas Ebrbares. 


Fortuna. Glaube mir, die find feine Thoren, welche bie 

Armuth loben; denn es ift ein bequemes Ding um fie. 
 Buttn. Mag fie fein was fie will, ich verbitte fie mir 
gar fehr. 

Fortuna. Und meinft, fie jet ein Uebel? 

Butten. - Ein jämmerliches. 

Fortuna. Aber wie kann fie das bei dir fein, da bu nie 
reich gewefen bift? Denn wenn je, fo ift es dann etwas 
Fämmerliche® um bie Armuth, wenn das, was einmal da 
war, verloren ift, nicht wenn gejucht wird, was niemals vor» 
handen war: was du niemals gehabt Haft, davon kennſt bu 
ja auch die Süßigkeit nicht; was man aber einmal genoffen 
bat, deſſen Verluſt verurfacht Schmerz. 

Yutten. Aber mir fcheint e8 jett Zeit, nachdem ich lange 
genug berumgeworfen worben bin, daß ich endlich in einen 
Hafen einlaufe und mir ein Leben begründe. 

Fortuna. Du wirft es, wenn du dir Mühe gibft. 

Zutten. Du meinſt alfo, ich habe noch nicht genug gear» 
beitet, nachtem ich fchon fo viele Jahre 

Durch vielfältiges Wechſelgeſchick, durch manche Gefahren ?) 
mich purchgeichlagen? 

Fortuna. Zum Lernen übergenug: denn reich zu werben 
haft du, wie ich ſehe, noch nicht einmal ven Verſuch gemacht. 

Hutten. Meine Lehrer ermahnten mich immer nur zum 
Lernen, das Andere werde ſich dann von felbft geben; indeß 
habe ich mich neulich auch im thätigen Leben verfucht. 

Fortuna. In welchem Fach? Im Kriegsdienſt? 


1) S. das folgende Geſpräch. 
2) Virgil's Aeneis, I, 204. 





‚32 Hutten's Geſpräche. Erſtes Bud, 


Hutten. Einen ſolchen Anlauf habe ich nicht genommen; 
aber am Hof habe ich gelebt ſchon ganze zwei Dahre, I) 

Fortuna. Da haft du eine harte Probe, gemadt, ich leugne 
es nicht. Aber wie fam es, daß du dich gerade in Das Hof- 
(eben von den Studien aus begabjt? 

Hutten. Weil ih da meine Altersgenoffen jchmeli reich 
werben ſah. 

Fortuna. Nun, und warum gelang das bir nicht auch? 

Yutten. Entweder weil deine Zufälle es nicht mit ſich brin- 
gen, oder weil es in der Vorſehung, von welcher wir ſpra— 
chen, nicht jo beſtimmt ift. | 

Fortuna. Oper aber, meil zu deinen Sitten jene Lebens— 
art nicht paßt? 

BYutten, Auch das iſt eine Urfache; venn ich finde, daß 
ih an den Hof nicht tauge, theils weil man da Allen jchmei- 
cheln foll, theils weil vie Gunſt der Fürjten wandelbar ift. 

Tortuna. Wie, wenn vu es anderswo nod einmal zwei 
Jahre verjuchteft ? 

Hutten. Wie, wenn ich mein ganzes Leben mit Verſuchen 
binbräcte? Schon jest glaube ich aniprechen zu können, daß 
ich zu leben hätte. 

Tortuna. Du haft es ja aber, wie ich höre, wenn bu 
arm wie viele berühmte Männer leben willit. 

Hutten. Das wollte ich ſchon, wenn du nur Das ver— 
hüten möchtejt, o Göttin, daß nicht einmal. einer von veinen 
ihlimmen Zufällen mich von diefer Armuth bis zur äußerſten 
Bettelhaftigkeit herunterbringe. 

Tortuma. Meine Sache iſt es nicht, zu verhüten oder 
etwas Sicheres zu verleihen; was du aber als Armer fürch— 
teſt, daß du durch Brand deiner Häuſer, durch Verwüſtung 
deiner Aecker oder ſonſt einen plötzlichen Unfall dein bischen 


1) ©. meinen Ui von Hutten, I, 285. 





I. Fort. 33 


Bermögen verlieren und zum Bettler werben möchteft, davon 
weißt du wohl nicht, daß biefe Gefahr den Weichen mit bir 
gemein ift; e8 müßte denn nicht möglich fein, daß alles Gut 
der Fugger an Cinem Tage zu Grunde ginge. 

HZutten. Möglih ift das freilich, des Himmels Einfall 
auch; aber Beides fürchtet Niemand fo leicht. 

Fortuna. Für die Fugger, oder wenn es felbft noch Rei⸗ 
here als die Fugger gäbe, fürchtet Niemand ? Ift etwa Troia - 
nicht zu Grunde gegangen ? 

Zutten. Wenn es eins gegeben hat, gewiß. 

Tortuna,. Unb der Karthager unermeßliche Macht, haben 
fie die Römer nicht zerftört? 

Yutten. Von Grund aus. 

Fortuna. Und das römische Reich, bat es nicht ein Ende 
genommen? 

Zutten. Es hat's, außer daß fein leerer Name noch an 
ben Deutfchen haftet. 

Fortuna. Und Dionpfius, ift er nicht aus einem Thran— 
nen ein Schulmeifter geivorben ? 

Zuttn. Man fagt es. 

Fortuna. nd haben in einem großen Schiffe die See 
fahrer nicht ebenfo gut Schiffbruch zu befürchten ale in einem 
Heinen Wachen ? 

Hutten. Wenn es in großen Fluten treibt, ebenfo gut. 

Fortuna. Das muß e8 wohl; denn fo wenig, wer mit 
einem feinen Kahn fein Gefchäft betreibt, fich der hohen See 
vertraut, fo wenig pflegen bie, welche jene großen Kriegs⸗ 
und Handelsjchiffe fleuern, das niedrige Waller von Seen 
und Flüffen zu befahren. Darum fagte ich, daß die Reichen 
viel zu thun haben, daß fie nicht für fich allein leben, fon- 
bern immer von einer großen Menge folher umbrängt fin, 
die Hülfe und Unterftügung von ihnen begehren, von Freun⸗ 
den und Verwandten, was dann Lärm und Getümmel gibt 

Strauß. Hutten's Beivräce. 3 











und ein Leben, bejehwerlicher als ſich fi 
—J wer viel beſitzt, nothwendig , Da Rn 
auch manches Wagniß beitehen — is * in t ? 
— Gefahr ſtürzen, und das nicht allein, 
zu gewinnen iſt; denn jeße, jene brauchten 
gewinnen, obwohl Niemand gewinnfüchtiger it, al 18 ı 
viel gewonnen bat, und Pittafus zu jagen — Ge—⸗ 
winn ſei ſchlechterdings unerſättlich; doch nicht allein wo 
etwas zu gewinnen iſt, ſondern auch wo es mu zu erhal⸗ 
ten gilt, was man ſchon hat, bei den endloſen Nachftel- 
lungen von allen Seiten, ver beſtändigen Furcht vor 
Fift oder Gewalt, wo Räuber zu Land und zur See bem 
Beſitz gefährlich find, wo Nachts Wände durchbrochen werben, — 
untreues Gefinde manches entwendet, im Finſtern Diebe ſteh · 
len: kannſt du da glauben, daß die Fugger jemals ruhig 
ſchlafen oder unbekümmerten Muthes ſein können, da fie zu 
Waſſer, zu Land und zu Hauſe ſtets ſorgen müſſen, keinen 
Schaden zu nehmen? En 
Hutten. Um die Fugger, wie die fchlafen mögen, made 
ich mir feinen Kummer; von mir weiß ich, wie viel ich war 
hen muß, indem ich finne, fchaffe, vente, woher nehmen mas 
ich brauche, Doch um auch über die Fugger, weil du fragit, 
bir zu antworten was ich jett benfe, fo glaube ich aller 
dings kaum, daß fie jemals ruhig fchlafen fönnen. 
Fortuna. Richtig hat das alfo Seneca eingefehen, wenn 
er fagt, um die Giter des Glücks zu erhalten, fei eim zwei⸗ 
tes Glück nöthig, und für die erfüllten Wünfche neue Wün- 
iche. ?) Ya, wie diejenigen, die anf einen hohen Baum oder 
ein erhabenes Gebäude geftiegen find, leichter herabftürzen 
fönnen, jo ift der ganze Zuftand jener Reichen eine beitän- 
dige dringende Gefahr; während euch Armen Niemand fo leicht 



































1) Bon ber Kürze des Lebens, 17, 4. E 


— 





I. Fortune, 35 


nachftelit, Niemand euch beftiehlt oder zu berauben droht, 
Niemand mit Krieg überziebt; näher mithin als euch ſteht jenen 
die Gefahr, und felten haben fie Rube: denn ſahſt du je, 
daß bei großem Reichthum einer ftille Muße hatte? 

Zutten. Bei Geiftlichen hab’ ich e8 gefehen. 

Fortuna. Ich aber habe einmal, da es fih um fie han⸗ 
belte, ven Jupiter fagen hören, dafür fchide er ihnen Poda⸗ 
gra und Fieber und Gichtfehmerz und andere Krankheiten ber 
Art, oder wenn es an Krankheiten nicht genug fei, Zanf und 
Neid und Haß, wodurch jie fich gegenfeitig aufreiben, jo daß 
fie bei allem Weberfluß doch wenig gute Tage haben. Außer- 
dem habe er fie zu Sklaven ihrer Zuhälterinnen gemacht, von 
benen fie fo abhängig feien, daß e8 feine elendere oder bär- 
tere Knechtfchaft geben könne; tm fie ftreiten fie fich viel Higi« 
ger als Ehemänner um ihre geraubten Frauen; fie verjchaffen 
ſich diefelben mit vieler Mühe und unterhalten fie mit großen 
Koften, un dafür von ihnen hinters Licht geführt, beftohlen und 
beraubt zu werben; feien dann die Mittel aufgezehrt und die Aus- 
gaben, wie häufig ver Fall, nicht mehr zu erfchwingen, fo neh⸗ 
men fie zu Betrug, Fälfehung, Abſchwörung der Schulden ihre 
Zuflucht, fallen veghalb der Schande anheim und verlieren ihre 
geiftlihen Stellen, worüber fie zulest in Krankheiten, ohne Mit» 
tel, fich zu ernähren over beilen zu laffen, mit Einem Worte, 
in das äußerfte Elend verſinken. 

Hutten. So hätte Iupiter dieß nicht blos an ihmen ges 
jehen , fondern e8 ihnen felbit al8 Strafe aufgelegt ? 

Fortuna. So hörte ich ihn fagen. 

Hutten. Ich aber hielt ihn für noch blinder als Dich, 
weil er das nicht fähe; denn fähe er e8, meinte ich, könnte 
er fich unmöglich enthalten, an Einem Tage alle feine Blitze 
auf fie zu fchleudern. 

Tortuna. Ein theures Beſitzthum ift ihm ‚ver Blitz, da⸗ 
ber jchleuvert er ftatt deffen die genannten Dinge. Nimm 

3* 








I. Fortuna. 37 


nothiwendige Güter erreicht, fo will ich fein Gott zu werben 
trachten, fondern Beſcheidenheit üben in den Sitten und Ges 
nügfamfeit im Leben, anfehnlich ohne Wahn und ohne Ueber- 
treibung prächtig. 

Fortuna. Schöne Worte höre ich da. 

Zutten. Und auf die Worte foll die That folgen. 

Fortuna. Allein Reichthum führt zu Ehrgeiz, Wolluft und 
Lederei; diefe fodann in Gefahren, Schande und Krankheiten. 
Erinnere dich des ernften Mahners Epiktet, der: e8 zu den 
ſchweren Dingen rechnet, daß ein Reicher bejcheiven oder ein 
Beſcheidener reich fei. 

YZuttn. Wie oft fol ich noch fagen, daß ich nicht nach 
Reichthum trachte, jondern nur das Nothwendige haben 
möchte? Geld aber ift nöthig, jagt Demojtbhenes, denn ohne 
Geld läßt fich nichts Rechtes ausrichten. Alfo gib etwas, o 
Königin, ich bitte dich, du kannft es ja. 

Fortuna. Ich fagte dir ſchon, es fei gefährlich, etwas von 
mir zu empfangen, da ich auch Uebles gebe. 

Hutten. Aus diefem Horne |pende mir etwas. 

Fortuna. Wie, wenn ich dir daraus ein großes Uebel zu- 
würfe? Iſt es doch wie mit gutem fo auch mit ſplimmem 
Borrathe gefüllt. 

Zutten. Durch wiederholte Nusflüchte fuchft du mich Hin- 
zubalten, Göttin. Ich weiß, du kannſt wohl das Gute ohne 
das Schlimme geben. 

Fortuna. Ich habe es dir bereits gegeben; glaubft du, ich 
wiffe nicht, wie jener YBifchof dich in Gunft genommen hat? 
Oder fchreibft du das nicht meinen Zufällen zugute? 

Zutten. Wohl, wenn du es fo haben willft; aber, wie 
ſchon gefagt, Fürftengunft ift wanbelbar; denn wie, wenn er 
mich fallen Tieße, ſobald die Neigung, mit ver er jegt mir 
zugethan ift, erfaltet fein wird? 





36 Hutten's Geſpräche. Erſtes Bud. 


dazu, daß fie Gebete herſagen, fo oft er donnert, womit fie 
die Blitze von fich abhalten. 

Butten. Sprechen fie die nicht auch gegen bie Kranchei⸗ 
ten und bie Zuhälterinnen? 

Tortuna. Wie follten fie, da fie nach diefen Strafen mit 
ber beftigften Begierde verlangen? Ä 

Butten. Ich verftehe: vom Schlemmen kommt Kranke, | 
von den Zuhälterinnen Elend, Alles ganz in ber Orbnung; 
aber nicht auf Alfe ſchleudert Jupiter dieſe Blitze, denn Vic 
babe ich beftändig glüclich gejehen, ohne Mühe, Arbeit um 
Geſchäft. 

Fortuna. Ich nicht. 

Zutten. Kein Wunder, da du überhaupt nichts ſiehſt; 
gäbe dir aber jemals Jupiter deine Augen wieder, daß de 
ſehen könnteſt, wie fte faufen, buhlen und bis tief in bie 
Nacht hinein praffen, die müßigen und unnüßen Dienfchen, 
was wiürbeft du thun? 

Tortuna. Fieber würde ich ihnen alsbald fhiden und Pe 
bagra, over wie Jupiter die Beifchläferinnen. 

Yutten. Daß du Doch Augen bütteft! 

Tortuna. Daß ich Augen hätte? Wenn ich nım abe 
dich, wäreſt du reich geworben, daffelbe treiben fähe? !) 

Hutten. Dann jchleutere jene Dinge zwiefach auf mid. 

Tortuna. Aber du wünjcheft ja Neichthum, den eben 
Weg zu jener Lebensweife, und willft, ich foll dir Gel ge 
ben, das Neizmittel zum Böſen, wie der ‘Dichter fagt.*) 

Zutten. Nichts weniger, o Herrin, fondern mit Theogrie 

Reichthum wünſch' und erfleh’ ich mir nicht; von Wenigem möhl id 
Leben, nur nicht von Noth, nur nicht von Leiden bebrädt. 
Und wie Pinvarus %): Hab’ ich ficheres Glück und des Leben 



















1) Bgl. Ariſtophanes' Plutos, B. 107 ff. 
2) Ovid's Metamorpbofen, I, 140. 
3) Im fünften Olympifchen Siegegejang. 





I. Fortuna. 37 


nothwendige Güter erreicht, fo will ich kein Gott zu werben 
trachten, fondern Beſcheidenheit üben in den Sitten und Ger 
nügfamfeit im Leben, anfehnlich ohne Wahn und — Ueber⸗ 
treibung prächtig. 

Fortuna. Schöne Worte höre ich da. 

Zutten. Und auf die Worte foll die That folgen. 

Fortuna. Allein Reichthum führt zu Ehrgeiz, Wolluft und 
Lederei; diefe fodann in Gefahren, Schande und Krankheiten. 
Erinnere dich des ernften Mahners Epiktet, ber: es zu den 
fchweren Dingen rechnet, daß ein Reicher beſcheiden oder ein 
Beſcheidener reich fei. 

Zutten. Wie oft foll ich noch fagen, daß ich nicht nach 
Reichthum trachte, fondern nur das Nothwendige haben 
möchte? Geld aber ift nöthig, fagt Demofthenes, denn one 
Geld läßt fich nichts Rechtes ausrichten. Alfo gib etwas, o 
Königin, ich bitte dich, du Taunft es ja. 

Fortuna. Ich fagte Dir ſchon, es fei gefährlich, etwas von 
mir zu empfangen, ba ich auch Uebles gebe. 

YZutten. Aus diefem Horne fpende mir etwas. 

Fortuna. Wie, wenn ich dir daraus ein großes Uebel zu- 
wärfe? Iſt e8 doch wie mit gutem fo auch mit ſplimmem 
Vorrathe gefüllt. 

Yutten. Durch wiederholte Ausflüchte fuchft bu mich hin⸗ 
zubalten, Göttin. Ich weiß, du fannft wohl das Gute obne 
das Schlimme geben. 

Fortuna. Ich habe es dir bereits gegeben; glaubſt du, ich 
wiſſe nicht, wie jener Biſchof dich in Gunſt genommen Hat? 
Oder fchreibft du das nicht meinen Zufällen zugute? 

Zutten. Wohl, wenn bu es fo haben willft; aber, wie 
ſchon gefagt, Fürftengunft ift wanbelbar; denn wie, wenn er 
mich fallen Tiefe, fobald die Neigung, mit ber er jegt mir 
zugethan ift, erfaltet fein wird? 





38 Hutten's Gejpräde, Erſtes Bud, 


Fortuna. Dann hoffe, daß dieſelben Zufälle dir einen 
andern zuführen, ber dich nicht minder lieben wird, 2 

Yutten. Altes Andere heiße mich eher als hoffen; und 
damit’ du fiebft, wie gemäßigt ich mich deiner, wenn du mir 
etwas gewähren wirft, bevienen will, jo thue mit mir nad 
dem alten Spruch: Armuth und Reichthum gib mir nicht "); 
fo weit bin ich von dem entfernt, was bu meinſt befürchten 
zu müjfen, umd ich verfpreche vir, in meinem Leben nie weich⸗ 
fih und wollüſtig, ſondern ſtets ſparſam, mlüchtern und be— 
ſcheiden mich halten zu wollen, 

Fortuna. Du jcheinft in ver That etwas Gutes zu verbienen. 

Yutten. Ja wohl, beim Jupiter! Darum wohlan, wende 
bein Horn und nimm daraus hervor, was meinem Bedürfniß 
abhelfen und dem Unglüd, wenn mich ein ſolches beträfe, 
wehren mag. 

Fortuna. Das eben kann ich ja aber nicht jehen. 

Butten. So laß mich bineinbliden, wo es liegt; 

Fortuna. Laß ab und tritt fchnell aus dem Wege, da ich 
jett bier einen Wurf thun muß. 

Yutten. Gute Götter! welchen Lärm, welde Erwartung, 
welches Getümmel, wie verſchiedene Gemüthsbewegungen jehe 
ih da! Wie laufen die Menfchen zuſammen und wieder aus- 
einander; einige fehen vergnügt, andere verbriehlich aus. 

Tortuna. Was reden fie? wohin ift der Wurf gefallen? 

Hutten. Nad Spanien, höre id). 

Tortuna, Was hat er bort angerichtet? 

Yutten. Dem öfterreichifchen Karl, jo jagen fie, zu jei- 
nen wielen Reichen noch das römijche gebracht. ?) 








1) Spr. Sal. 30, 8, 

2) Durd die am 28. Juni 1519 gu Frankfurt auf ihn gefallene Wahl. 
Das verdroß die Könige von Franfreih und England als burchgefallene 
Competenten, und ben Bapft, ber ben Herrn bon Neapel nicht auch zum 
beutichen Kaiſer haben wollte. S, meinen Ulrih von Hutten, IT, 3f, 





I. Fortuna, 39 


Fortuna. Wen aber verbrießt das? 

Butten. Einige benachbarte Könige, deren Gefandte ich 
mißvergnügt fehe, vor Allen aber den Papft zu Rom, veffen 
Legat nahe daran ift fich zu henken. 

Fortuna. Erkundige dich weiter, ob aud Unglüd ges 
fallen ift. 

Butten. Auf Afrika fei es gefallen, vernimmt man; dort 
haben vie Barbaren eine bebeutende, fehwere Niederlage er» 
litten von den Truppen deſſelben Karl.!) OD) herrlicher An- 
fang des neuen Kaiſers, große Hoffnung für die Ehriften- 
beit! Wirft du num nicht auch mir etwas Gutes geben? 

Fortuna. Karl wird's geben. 

Butten. Abermals auf Hoffnung, abermals auf Fürftens 
gunft vertröfteft du mich! Gib du mir etwas; wenn dann andh 
er mir etwas geben wird, mag das die Zugabe fein. 

Fortuna. Was willft du denn vor Allem? 

Hutten. Ich babe es ſchon jo oft gefagt, eine Fran. 

Fortuna. Eine Frau ift alfo ein Gut? 

Hutten. Manche wohl ein Uebel; ich aber will eine gute 
haben, 

Die um den Webſtuhl ſchafft und mit mir theilet das Lager. ?) 

Fortuna. Aber 

Ein gutes Weib zu üiberfommen ift nicht leicht. 

Hutten. Wäre es nicht ſchwer, fo fuchte ich fie daheim 
und wäre nicht zu bir gefommen. 

Fortuna. Heirathen wollt ihr alle, wie ihr alle alt werben 
wollt; habt ihr es dann erreicht, fo feid ihr unzufrieden, und 
immer drängt fich eine Schaar von folchen un mich, die mich 
bitten, ihnen ihre Weiber abzunehmen: ber eine eine Herrſch⸗ 
jüchtige, der andere eine Zornige und Mürrifche, ein britter 


1) Die Rebe iſt von bem Sieg der Spanier über Horuk Barbaroffa 
bei Ziemfen, 1518. 
2) Ilias, I, 31. Das folgende Kitat ift aus Diphilus bei Stobäus. 





40 Hutten's Geſpräche. Erfies Bud. 


eine Chebrecherijche, einer wol auch eine, die zu viel Aufwand 
macht. Du hingegen, der jett, foviel ich fehe, großer Frei- 
heit genießt, du weißt nicht, ach bu weißt nicht, was für 
einen Zaufch du machft, indem du eine Frau verlangit, d. h. 
bir freiwillig ein hartes Sklavenjoch auflegit. Haft bu denn 
vergeffen, daß Heſiodus die Ehelofen glücklich preift, Simo— 
nides aber das Weib den Schiffbruch des Mannes nennt? 
Und ein Anderer jagt gar, befler jei es, die Frau aus dem 
Haufe tragen als in das Haus führen. 

Yutten. Vergeſſen habe ich die Sprüche nicht, aber ich 
verachte fie. 

Fortuna. Da verachtejt vu weile Männer. 

Yutten. Ich aber halte die nicht für weile, welche fo ur- 
heilen; ich ziehe die Anficht derjenigen vor, welche, unerach- 
tet fie auf Erwerb jo wenig bedacht waren, daß fie nicht ein- 
mal ein eigenes Haus befaßen, doch nicht ohne Frauen eben 
wollten, in der Meinung, ein vechtfchaffenes Eheweib fei des 
Haufes Genoffin und ein großer Beitrag zu des Mannes 
Glückſeligkeit. Ueberdieß habe ich zu ver Muße, auf die ich 
ausgehe, eine Gattin nöthig, die mir die befchwerliche Sorge 
für das Hausweſen abnehme, mir vie Lebensbedürfniſſe her- 
beifchaffen und bewahren helfe, vie mir Kinder fchenfe, die, 
wenn ich einmal krank werde, mich pflege, nähre und warte, 
die im Unglüd mit mir trauere, im Glück ſich mit mir freue, 
in beren Buſen ich Alles ansfchütten darf, was das Gemüth 
fo bewegt, daß es nicht an fich haften fann, fondern ein mit: 
fühfendes Herz bedarf. ?) 

Fortuna. Von der Art, wie fie zu jener Muße ſich ſchicken, 
daß fie des Lebens Laſt erleichtern, ven Kranken pflegen, daß 
man in ihren Bufen das Herz ausfchütten fann, von diefer 








1) Damit vergleiche man Hutten’8 Brief an Fr. Fiſcher, in mei- 
nem Ulrid von Hutten, I, 367 f. 





I. Fortuna. 41 


Art müſſen entweder alle Frauen fein, oder e8 muß von ben wes 
nigen bir ausnahmsweiſe eine zu Theil werden. Wie aber, 
. wenn bie fo eifrig erbetene Frau gerade beine Muße ftörte? 
wenn fie dir große und ungewohnte Beſchwerden auflübe? 
wenn fie Tag für Tag mit dir zankte, zornſüchtig, mürriſch 
und eigenfinnig wäre? wenn fie ihre Meitgift ſowohl als dein 
bischen Armuth verfchwenvdete und verfchleuderte? wenn fie 
ven Kranken fo wenig pflegen möchte, daß fie fich ihm ent- 
zöge? was fage ich entzöge? daß fie einem gefundern Buhlen 
nachliefe? wenn, wo bu ladhteft, fie verbrießlich "wäre? wo 
dich ein Schmerz prüdte, fie vor Freude jauchzte? wenn fie 
alles dir zumider, nichts nach deinem Willen thite? Wirft 
bu einem folchen Weibe dein Herz auffchließen, einer folchen 
Gattin deine Geheimniffe mittheilen mögen? 

Yutten. Bhilofophirt haft du nun genug; gib mir eine 
Frau, wegen des Uebrigen laß mich zujehen. 

Fortuna. Wenn du fie nun haft, willft du dann in ber 
Art müßig fein, daß du überalf nichts thuft? 

Butten. Im Gegentheil, immer etwas; ich ſetze mir näm- 
(ih eine Art unmüßiger Muße vor; es müßte denn nicht wahr 
fein, was Seneca fagt, daß diejenigen bisweilen gar viel 
thun, die nichts zu thun fcheinen. !) Ich werde finnen, ſtu⸗ 
biren, Iejen, ausarbeiten. O wäünfchenswerthes Gut, erfehn- 
ter Hafen, ylüdjelige Ruhe!) Komm, führe mich zu biefem 
Yeben, das Muße mit Würbe verbinden, Thätigkeit ohne Ge- 
fahren haben wird! Das fei die Summe meiner Wünfche. 

Fortuna. Ich fürchte, die Beſorgniß, deine Würde ein- 
zubüßen, möchte dich nicht müßig laffen; denn durch Thätigkeit 
erbäft man die Würde. 


1) Bon der Kürze des Lebens, 12, 5. 
2) Ueber biefen Wahlſpruch von Hutten’® Freund Mutian ſ. mei- 
nen Ulrich von Hutten, I, 46. 





. 











Erftes Bud. 


Gutten. Wenn du jene miühjante Thätigfeit meint, haft 
du wohl recht; allein es ift ja eine andere Würde als die an 
den Höfen, die ich aufrecht erhalten will. Doch num laf jede 
Sorge für mic ſchwinden, gib mir mur, wm was ich bitte, 
laß mich eine Frau haben und das Nothwendige, laß —— 
mäßiges, genügſames Leben begründen. 

Fortuna. Aber du biſt ja ſchon reich genug. - 

Yutten. Ich reich genug? So jpottejt du meiner, Göttin? 

Fortuna. Bift du denn nicht reich mit dieſer Denkart? 
Denn fürwahr, eine große Einnahmsguelle, wie Demand 
fagt ), ift ein eingezogenes Leben. 

Hutten. Hätte ich doch pas in Wirklichkeit, was ich mir 
denke, und nicht dieſe Denkart allein. Du aber wirſt mich 
dann mit Recht einen Reichen heißen (nicht wie jene gemeihen 
Reichen, ſondern wie jene Glückſeligen, welche nah Menan- 
ber’s Wort Reichthum mit Verſtand befigen), dann, jage ich, 
wirft bu mich mit Recht einen Reichen nennen, wenn mir 
vergönnt fein wird, jo zu leben, mit einer ſolchen Frau. 

Fortuna. Allein ich weiß nicht, ob ich ein ſolches Weib 
in diefem ganzen Horne habe. 

Butten. Ich will felbft bineinfehen; und nun halt nur, 
halt! fie ift gefunden: da ſchaut ein Mädchen hervor, bie 
it's, die hab’ ich gewollt; Liebliches Geficht, reizende Geftalt, 
für ihre Sitten zeugt bie Farbe der Stirn, ihr ganzes Wefen 
voll Anmuth: o ein begehrenswerthes Geſchöpf! 

Fortuna. Iſt fie ſchön? 

Hutten. Ausnehmend. 

Fortuna, Da wirſt du ein Gut für Andere haben; mit 
den Sitten ift es eine ungewiſſe Sache; befitt fie aber Reich⸗ 
thum? 

"RE Sie trägt Gold, unermeßlich viel, 


Hutten’s Geſpräche. 


1) Cicero. 





I. Fortuna. 43 


Fortuna. Da wirft vu ihr Knecht werben. 

Yutten. Das ift meine Gefahr; fo gib fie mir doch, oder 
weil bu nicht fiehft, laß mich fie, wenn es fein muß, bei ven 
Haaren mir herauszieben. 

Fortuna. Da wird fie dir böfe werben, wenn bu das 
thuſt. 

Zutten. Ich will ſie ſchon wieder beſänftigen. 

Fortuna. Du wirſt nichts ausrichten. Ein beleidigtes 
Weib iſt unverſöhnlich; einmal in Flammen brennt ſie im⸗ 
merfort. 

Hutten. Die wird ſich beſänftigen laſſen; fie lächelt mir 
ja fchon zu. 

Fortuna. Weil du fo fchön bift? 

Zutten. Sie ift Hüger und flieht nicht auf das Aeußere, 
fondern bewundert etwas Anderes. 

Fortuna. Laß einen Augenblid, ich muß etwas aus dem 
Horne nehmen, um es, wie dieſes Rad fich dreht, auszumer- 
fen. — Wem und was babe ich ausgetheilt? 

Hutten. Wehe mir, wehe! O Unglüd! Beinahe haft bu 
mich zu Grunde gerichtet. 

Tortuna. Ich dich? Was thut dir weh? Iſt bir von 
dem Wurf etwas widerfahren? 

YZutten. Mehr als genug, wehe mir! Fürs erfte haft du 
mir jenes Mädchen genommen. 

Fortuna. Wem ift fie zugefallen? 

YZutten. Einem von den Hofleuten, der von Dünkel ſtrotzt, 
ver Eitelfeit fich bläht, vor Ruhmredigkeit raft, fich felbft 
groß macht, Andere verachtet, mit Ketten um ben Dale unb 
Evelfteinen an den Fingern, in bunten Kleidern: o fäheft bu 
nur, welche Schandſäule vu gefchmüdt haft; ven wird fie 
gewiß nicht lieben. 

Tortuna. Sie ift dem Glanze nachgegangen. 

Butten. Sie täufcht fi), denn fie weiß nicht, was unter 





4 Hutten's Geſpräche. Erſtes Bud. 


dieſer Schminke für Schmuz verborgen iſt; auch iſt er nicht 
einmal ein rechter Mann, fo breit er ſich macht; bu haft ein 
großes Gut unmwirdig angelegt. Dann aber haft bu mir bie 
väterlichen Yänbereien durch ein Ungewilter, das bu baranf 
geworfen, ganz verwüftet; bie Saaten find zermalmt, bie 
Bäume ausgeriffen, die Gebäude umgejtürzt. O Unglüd über 
Unglück! Nun wird biefes Haus gar noch hungern müſſen. 

Fortuna. Ih fagte dir ja, bu laufeft Gefahr, etwas 
Uebles zu befommen. 

Hutten. Du haft wohl Recht gehabt, ich habe mehr als 
genug abbefommen; indeffen jener Eifenfreifer frohlockt, daß 
er eine Frau und Gold hat, der Nichtewürbige, ver Schwätzer, 
der Tropf, der Schurke, 

Fortuna, Er hatte, erinnere ich mich recht, fie zugleich 
mit dir fich gewünfcht. 

Hutten. Warum alfo bat er jie vor mir bavongeträgen? 

Fortuna. Weil er vielleicht wachfamer war. 

Hutten. Ab, wachfamer, er, der nie eigentlich wacht, 
und die Strafe für feine Trägheit, nicht das dem Fleißigen 
gebührende Gut hätte bavontragen jollen. Aber ich fehe fchon, 
bu bit jenes Schaufpielhaus, in welchem oft die beiten Pläte 
von den Unwürdigſten eingenommen werden: ®) 

Fortuna, Und jene Bühne, auf welcher der Eine in bie 
fer, der Andere in jener Rolle auftritt und wieder abtritt; 
dann, nachdem fie die vorige abgelegt, fommen ſie alsbald in 
einer neuen hervor, jo daß, die kurz vorher in knechtiſchem 
Anfzuge zu fehen waren, jest auf einmal Könige: ober Für— 
jten find, dagegen, vie jo eben noch Fürſten vworftellten, mun 
plöglich mit vertaufchter Nolle Schuhflider over Stellmadher 
werben, 

1) Nun folgt eine Ausfiihrung im allegeriihen Zeltaefhmad, auf 


bie wir Heutigen gern verzichten würden. Die claffiihen Stellen, auf 
bie dabei Bezug genommen ift, findet man bei Bbcling narhgewiefen. 





I. Fortuna. 45 


Julten. Und die bift du, die zugleich ins Soll und ins 
haben fchreibt, den Einen Traurigkeit bereitet, ven Andern 
e abnimmt. 

FJortuna. Und jene beiden Gottheiten des Demofrit bar 
weife ich zugleich in mir, Strafe und Wohlthat. 

Yatten. Oder kann man dich mit einer fchlüpfrigen Nenn- 
jahn vergleichen, auf welcher die Laufenden in Menge zu 
Bi kommen und wieder aufftehen, Einige fich auch nicht mehr 
echeben, die Einen ven Anbern zuvorkommen, Alle fich gegen- 
Big drängen, Wenige ven Kranz erreichen, die Meiften vom 
bauf ermüdet an jerem Preis verzweifeln, wo Alles voll 
Rumpf und Streit ift. Und daß ich fage, was ich venfe: an 
Wr iſt nichts Beſtändiges, nichts Feſtes, WBleibendes und 
Dauerhaftes, alles wechfelnn, jchlüpfrig, unftet und leicht 
veränberlich. 

Zertuna. So fagen fie, und während bie Einen mich als 
Mutter begrüßen, verwünfchen mich bie Andern als Stief- 
uutter. 

Butten. Natürlich, da du die Einen freundlich hegft, die 
Endern graufam fchlägft; wobei das Beſte das ift, dag bu 
wit bebarrft, daß alfo die, welche beine Gunft erfahren, fich 
ucht überbeben dürfen, die beine Ungunſt, nicht verzweifeln 
mäflen. Wie paſſend hat daher von dir ber treffliche Dichter 


wichrieben: 
j Es hat in wechfelnder Yaune 
Banden zortuna getäufcht, dann feft von neuem geftellet. !) 


Fortuna. Und Demofthenes, wie vecht mahnt er jene 
Glidspilze, wenn fie eine Mahnung annehmen möchten, we 
fügt: Glücklich fein ift wie wenn einer ein fchönes Haus 
befüße, das nur bis zum Abend ftehen wird. 

Zutten. Und jene Weifen bei den Schtben, wie gut 





1) Birgit, Aeneis, XI, 426. 





46 Sunen's Geſprache. Erſtes Pad. 


fannten fie dich, da fie dich gfatt und dazu geflügelt malten, 
weil du dich nicht halten läffeit und im Angenblid entichläpfft; 
obwohl fie darin ſich tüufchten, daß fie fagten, bu feieft ohne 
Füße; denn Füße haft du, wie ich ſehe. Aber worauf ftehft 
du denn? Auf einer Kugel, wenn ich mich nicht täufche? 

Fortuna. Jetzt erft fiehft du das? 

Zutten. Erſt jebt. 

Fortuna. So hat es einer von ten Weiſen Griechenlands 
beftimmt. 

HZutten. Ich erinnere mich; aber was iſt denn dem Apel- 
les eingefallen, vaß er dich immer figend malte? 

Fortuna. Ich faß ja wirklich, eh’ ich auf dieſes rollende 
Ding bier ftieg. 

Yutten. Aber Apelles lebte doch nach Cebes, der did 
darauf ftellte. 

Fortuna. Wohl; aber ihm mar noch nicht befannt gewor⸗ 
den, daß ich mich erhoben habe. 

Hutten. Das aber, was du auf dem Kopfe haft, was 
ift es? 

Fortuna. Da frage den Pindarus. 

Hutten. Wohl eine Himmelsfugel, woher er dich Polträ- 
gerin genannt hat? ?) 

Fortuna. Wie du fagft. 

Hutten. Jenes Horn kenne ich fchon, aus dem bu mir 
eine fo ſchlimme Beſcherung zugeworfen haft; was aber foll 
das beveuten, daß ich dich in einer Art von Raſerei fehe, o 
Polträgerin, und ganz ohne Befinnung? Ich glaube, es 
kommt von dem Schmerz um das verlorene Geficht. 

Fortuna. Oder auch aus einer andern Urfache, wenn es 
belebt. Zudem ift ja Weberlegung meine Sache nicht, denn 


— — — — — nn — 


1) Daß Hutten hier falſch las, weiſt Böcking zu dieſer Stelle nach. 





L Fortuna. 47 


zufällig ift Alles, was ich thue, fo daß mich bie mit Unrecht 
anlagen, welche Uebles empfangen haben. 

Yutten. Und auch vie, welche Gutes empfangen haben, 
bürfen e8 bir nicht zufchreiben? 

Fortuna. Auch fie nicht. 

Hutten. Das aber thun Viele und verehren dich als eine 
Gottheit, errichten dir Tempel, indem fie dich bie Tapfere und 
Männliche nennen. So hatteft du ja auch in den Gemächern 
der ehemaligen römijchen Kaifer eine Stelle und wanbelteft 
im Erbgang von einem zum andern, worauf jene gar viel 
hielten. Wie hoch aber hat Perifles dich geſchätzt? ALS er 
ſchon beinahe entfeelt Einige fein Lob verkünden hörte, befon- 
ders daß er neunmal für das Vaterland Sieger geweſen, 
gewann er auf einmal gegen aller Erwartung wieder Sprache 
und fagte: Das heißt nichts, o Mitbürger, denn jenes war 
Sache des Glücks. Auch viele Andere fchrieben das empfan« 
gene Gute fo ganz bir zu, daß fie der Güte Gottes darüber 
vergaßen: ein fchmählicher Irrthum, fo viel ich einfehe; denn 
was auch den Menfchen begegnen mag, fo gebührt dir weder 
Haß noch Danf, weil du ohne Urtheil, wie du felber fagft, 
deine Gaben austheilft. 

Tortuna. Aber eben um deßwillen, weil ich fie austheile, 
wiffen fie mir Dank. 

Hutten. Und um deßwillen fluchen dir die Spieler, wenn 
fie nicht8 gewinnen. 

Fortuna. Und die Kaufleute, wenn fie im Handel Uns 
glück haben. 

Yutten. Und die Könige, wenn im Krieg. 

Fortuna. Und die Pfaffen, wenn im Pfrünvenhanbel. -- 

Yutten. Und die Fifcher, wenn im Yang. 

Tortuna. Und der Papft zu Rom, wenn ihm ber Ablaß 
wenig einbringt. 

Hutten. Und ich, den du, nachdem du ihn ſtets aufs 





48 Hutten’s Geſpruͤche. Erſtes Buch. 


härteſte behandelt haft, nun, da er dich angelegentlich um 
etwas Gutes bat, gar noch mit Unglück überfchütteft. Darum 
antworte mir nun auf eine andere Frage: Wenn du nach 
Ueberlegung handelteft und gleichermaßen auf dein Thun und 
auf der Andern Würdigkeit achteteft, wollteft du dann wohl 
Alles unter Alle gleichmäßig vertheilen, daß Keiner fich befla- 
gen könnte, des Guten zu wenig oder bes Webeln zu Ka 
empfangen zu haben? 

Fortuna. Nichts weniger; denn gerabe dann würbe #8 — 
meiſten Klagen geben; da die Einen würdiger ſeien als die 
Andern, würde es heißen, ich hätte auf Tugend ober Laſter 
eines Jeden Rückſicht nehmen follen; daraus entſtünde Neib, 
Niemand würde mit dem, was ich ihm verlieben, zufrieden 
fein; die Einen würden fchreien, fie hätten nicht verbient, ſo von 
mir behandelt zu werden, die Andern, vie Gutes empfangen 
jeien deffen nicht werth; dann würde auch Niemand mehr bie 
nen wollen, Altes die Hände in den Schooß legen, die Ger 
ichäfte aufbören; denn wer möchte noch ftreben und magen, 
ivenn Einer fo reich wäre wie ber Andere? ") 

Butten. Da bift du allzu grüblerifch: wir würden einan- 
der gegenfeitig dienen; obwohl du allervings noch beffer daran 
thäteft, wenn bu den Guten Gutes, den Böfen Böſes gäbeft; 
denn alsdann würden eines Ieglichen Sitten durch dich offen: 
bar, und Niemand fünnte mehr zweifeln, was er bon Jedem 
zu halten hätte, nachdem ein jolches Gericht vorangegangen. 

Tortuna, Du Haft Recht; doch das leidet Iupiter micht, 
baß Demand aufer ihm ver Menfchen Herzen fenne, 9a, wenn 
ih das Menfchengefchlecht jo weit unterrichten bürfte, ba foll- 
ten die Stutten nichts mehr helfen, mit denen jo manche große 
Schurken fich veden, veun ungeſäumt würde ich ihnen Unglück 
zuwenden, damit fie nicht Länger Andere täujchen fünnten. 






1) Reben der Penia (Armuth) in Ariftopbanes’ Pintos, B. 51of. 





I. Fortuna. 49 


Zutten. Du fprichft von Unglüd, und fo will ich mid 
von dir in Zeiten entfernen, denn Gutes erlange ich doch 
nichts, und Böſes babe ich ſchon fo viel empfangen, daß ich 
mein Leben lang daran werde denfen müflen, wie man vom 
Glück nichts erwarten foll. 

Fortuna. Wie bu willft. 

Butten. Ia, jo will ich; und nun werde ich gleich in bie 
nahe Kapelle bier treten und mir von dem Erlöſer Chriftus 
gefunden Geift in gefundem Leib erbitten. 

Jortuna. Endlich bift du weife. 

Yutten. ‘Durch meinen großen Schaden. 

Tortuna. Durch meine Gutthat. 

Zutten. Gutthat? 

Fortuna. Wie ich fage; denn fo Soße Weisheit darf man 
ſich ſchon etwas koſten Laffen. 

Zutten. Geh’, geh’, verſchone mich mit ſolchen Gutthaten; 
und ſo ſcheide ich denn. 

Fortuna. Wenn es dir beliebt. 

Butten. Ja, ſehr beliebt es mir. 

Fortuna. Was zögerft du alſo? Schaut etwa noch ein 
anderes Mädchen aus meinem Horne hervor, das bir zulächelt? 

HIutten. Du höhnſt auh noch? O ver Härte und Un- 
barmberzigfeit! Lebe wohl. 

Tortuna. Aber höre du, willft du noch was? Und brauchft 
du eine Frau? 

Zutten. Das will ich zu guter Letzt, daß du diejenigen, 
denen du unverbientes Uebel zugefügt, nicht auch noch ſchmäh⸗ 
lich verjpotten follfe Und nun fein Wort mehr. 


Strauß. Hutten's Geſpräche. 4 





11. 
Das Fieber. 
Erſtes Geſpräch. 


Einleitung. 


Daß Hutten die Anregung zu dieſem Geſpräch auf dem Augs- 
burger Reichstage des Jahres 1518 erhielt, ift ſchon erwähnt. 
Db er e8 aber noch in Augsburg, oder auf ber väterlichen 
Burg Stedelberg, wohin er fih von Augsburg aus zunächſt 
begab, over zu Mainz, feinem ftändigen Wohnort in jenen 
Fahren, gefchrieben habe, wilfen wir nicht. Gewiß iſt mur, 
daß es im Februar 1519 zuerft in Mainz erichienen tft. 
Auch dieſes Gefpräch geht noch nicht geradezu gegen Rom, 
einen Dieb auf die eigentliche Verwendung ver Türfengelver ab- 
gerechnet; auch nicht ausjchlieglich gegen den Kardinal Cajetan; 
fondern es ijt eine Satire auf das üppige Leben ver Reichen, 
vorzugsweiſe freilich der Geiftlichen jener Zeit, wobei aller- 
dings das Bild des Cardinals, des anfgeblajenen Römlings, 
des Feinſchmeckers und Knickers zugleich, mit befonderer Ma—⸗ 
fice ausgeführt iſt. Wegen dieſer namentlichen Antaftung 
eines der römischen „Halbgötter“, wie Erasmus fi aus: 
prüdte, wurde das Büchlein, das bald auch in verfchiedenen 
Nachdrücken verbreitet worden war, in Löwen verboten. 





I. Das Fieber. Erſtes Geſpräch. Einleitung. 51 


Während der Zurüftungen zum Würtembergifchen Feldzuge 
war Hutten einmal zu Franz von Sidingen geritten, und da 
wırde das fo eben erfchienene Geſpräch vorgelefen. Was 
Eidingen bavon verftand, oder was ihm davon verbeutfcht wurde, 
gefiel ihm fo wohl, daß Hutten fich bewogen fand, eine beut- 
ſche Ueberſetzung davon machen und drucken zu laffen, bie er 
am 1. März 1519 von Stedelberg aus dem ehrenfeften, 
fheuern und hochberühmten Franz von Sidingen widmete. 
Amar eigne fich, fagt er in diefer Zufchrift, ein fcherzbaftes 
Meines Büchlein wie dieſes nicht wohl für einen Mann von 
fo ernften und ritterlichen Thaten; doch weil es ihm jüngft 
wohlzugefallen gefchienen, hauptfächlich aber weil Franz, wie 
dutten gehört, dem Fieber auf feinem Haus und Schlöffern 
auch fchon Deffnung und Herberge habe geben müffen, möchte 
er ihm eitwas zur Abwehr gegen baffelbe in die Hand geben, 
babe daher „ſolches Büchlin vom Latein in das Teutfch, 
Wiewohl es im Latein viel Lieblicher und künſtlicher als im 
Tentſchen laute, verwanbeln laſſen“, und eigne e8 ihm bie- 
mr als Zeichen feiner Dienftbefliffenheit zu. ?) 


1) Bgl. meinen Ulrich von Hutten, Thl. I, Kap. X, S. 314 f.; 
Rap. XI, S. 350-352. 356. 


4* 





Bas Fieber. 
Erites Gefpräd. 


Es unterreden fih: Hutten und das Yieber. 





Zutten. So zieh’ einmal ab, bu läftiger Gaft, den ich 
‚gleich am erften Tage hätte wegiagen follen. Hörft du nicht? 
Fort, fort, pade dich! 

Fieber. Wenn ich denn fort foll, fo darf ich doch wohl 
von deiner Höflichkeit und nach altem veutfchen Brauch er- 
warten, daß bu mir wenigſtens eine andere Herberge anwei⸗ 
feft. Aber ich bitte dich noch einmal, wenn es fein Tann, 
treibe mich nicht weg in dieſer Winterszeit, da ich nicht weiß 
wohin. | 

Hutten. Bor Allem ſag' ich pir: fort! Was fobann bie 
Herberge betrifft, fiehft du diefe Thür? Dahinaus geht der 
rechte Weg. 

Fieber. Wohlan, fo führe vu mich. Aber führe mich zu 
einem üppigen, reichen, mächtigen Herrn, ber Pferde bat, 
Diener, Trabanten und Gefinde in Menge, auch Kleider und 
Gärten und Bäder nach Herzensluft. 

Yutten. Der Mann, zu dem ich dich führen will, ift felbft 
ein Gaft bier, doch gebricht ihn darum feines von jenen 
Stüden, und er bebient fich ihrer weidlich. Siehe, da ift das 
Haus, dort wohnt mit großem Gefolge der Carbinal von 





II. Das Fieber. Erſtes Geſpräch. 38 


St. Sixtus !), der von Rom hieher gereift iſt, um Geld 
von uns zu begehren zum Zürlenfrieg, damit jene Römlinge 
wieder etwas zu verzehren hätten; fie rüften ja jet mit vie 
lem Gepränge einen Seerzug, die erfahrenen Kriegsleute, 
deine Getreuen. Auf, an den mache dich; er Liegt behaglich 
in purpurnem Mantel Hinter reichen Vorbängen, fpeift von 
Silber und trinft aus Gold, und das fo leder, daß er bes 
hauptet, in Deutfchland haben vie Leute gar feinen Gaumen; 
er verachtet die hieſigen Feldhühner und Krammetsvögel, weil 
fie den weljchen nicht zu vergleichen feien, die ganz andere 
fchmeden; unfer Wilppret wiberjteht ihm, und das Brod nennt 
er unfchmadhaft; beim Weintrinten aber gehen ihm die Augen 
über und er ruft nach Italien und feinem Corfenwein. Unb 
aus diefen Gründen vornehmlich wirft er uns Barbarei vor 
und fchilt uns Trunkenbolde; auch hat er fich in vier Mona⸗ 
ten noch nicht ein einziges mal fatt gegeifen aus Mangel an 
feiner Küche und ledern Biffen. 2) 

Fieber. Du prebigft tauben Ohren. 

Hutten. Wie? ift dir der Wirth nicht recht? Meinft du 
etiwa einen vornehmern hier zu finden, vor dem die Leute fich 
tiefer bücen und verneigen? Oper fcheint er dir des Fiebers 
nicht werth? 

Fieber. O, auch des Pobagras. 

Yutten. Warum behagt er dir denn alfo nicht? 

Fieber. Wie? Der magere, dürre, binſendünne, faftlofe 


1) Thomas be Bio, geboren 1469 zu Gaeta (daher Kajetanus ge» 
nannt), Cardinal⸗Presbyter von St. Sirtus zu Rom. 

2) Als fih Cajetan fpäter an ben Rhein begeben hatte, fchrieb 
Hutten am 21. April 1519 an den mainzifhen Domherrn Lukas von 
Ehrenberg: „Nun, und wie kommt ihr benm mit dem päpfllichen Lega⸗ 
ten aus?... Fängt unfer Wein ihm zum munben an, unb fommt ber 
Geſchmack unferer Felbhühner endlich dem der römifchen gleih? Hat 
ſich inzwiſchen etwas gefunden, das feinem ekeln Magen zufagt 9" 





54 Hutten's Geſpräche. Erſtes Bud. 


Geſell? der Kopfhänger? vor Kurzem noch ein Mönch, und 
zwar ein Käſebruder? ) jung als Cardinal, im Uebrigen 
alt genug? ?) Der für einen Dreier zu Mittag ſpeiſt, deſſen 
Koch ich oft vom Marfte mit einer halben Unze Fleiſch zu« 
rückkommen fehe? 

Hutten. Du verdrehſt aber auch Alles: der Hochgeachtete, 
fag' ich, der Ehrwürbigfte, der von des Papſtes Seite, den 
man Euer Herrlichfeit, Euer Väterlichkeit, Euer Gnaden an 
redet, wie follte der farg und ärmlich leben, nach deſſen Mei- 
nung vielmehr die Deutfchen fich auf Wohlleben nicht verftehen ? 

Fieber. Wie er für fich felbit lebe, darüber jtreite ich 
nicht. Wie aber follte er mich gut halten, va er alfe feine 
Leute übel fpeift und übel Fleivet? Neulich Elopfte ich an fei- 
nem Thor; der Pförtner fuhr mich an; ich bat um linter- 
funft auf einige Tage. Hörſt du das Gepolter? fragte er. 
Ich hör’ e8, verfeßte ich; c8 Fang aber wie das Pochen von 
folchen,, vie etwas fordern. Das Geſinde, fügte er, bat fo 
eben gegejjen und verlangt noch Brod. Brod? ? fragte ich, 
und fo Färglich wird hier im Haufe Speife gereicht, daß nicht 
einmal Brod genug da ift? Ba, fo Fürglich, fügte er; auch 
find feine Polfter noch Federkiſſen da und Feinerlei Bequems 
lichfeit, die ausgenommen, in welcher der Cardinal felber fich 
behagt und gütlich thut. Gegen dich aber ijt er durch Ver— 
maledeinug gefchügt und würde dich alsbalo in den Bann 
thun, ſowie du nur einen Fuß zu ihm Hineinfegteit; denn er 
it Papft Leo's Legat und hat Macht, Böſes und Gutes 
einem Jeden je mach deſſen Verdienſt und ſeinem Belieben 


1) D. h. ein Dominicaner, und zwar jeit 1508 Ordensgeneral. 
Den Spitnamen hatten bie Dominicaner von den Tebensmitteln, die fie 
ale Bettelmönche einzufanımeln pflegten. 

2) Cajetan's Cardinalswürde ftammte aus dem großen Cardinals⸗ 
fhub, ben Leo X. am 1. Juli 1517 vorgenommen batte; fein damali⸗ 
ges Lebensalter ergibt ſich aus der erſteu Anmerkung der vorigen ©. 





U. Das Sieber. Erſtes Geſpräch. 55 


anzuwünſchen. Das ließ ich mir gejagt fein, ging weg und 
fand bald in bir einen gütigern Wirth. 

HZutten. Da hätte ich alfo, wie ich ſehe, ſchmäler eſſen 
ſollen; indeß von jet an follft vu mich nicht mehr (ich will 
daran denken) an den üppigen Tafeln viefer geiftlichen Herren 
finden. Handwerker aber und fonft gemeine Leute find pir 
als Wirthe wohl auch nicht recht? 

Fieber. Weil fie mich durch Hunger fern halten, oder 
burch Yeibesübung von fich abtreiben. 

Butten. Wie aber, wenn ich dich zu den Paläften ver 
Fürſten ever der Reichen führte, over die großen Kaufleute 
und gar Die Fugger dir nachwieje? 

Fieber. Nichts da. Sie alle fand ich, als ich einmal hin⸗ 
gegangen war, von einem Echwarm von Werzten umgeben. 
Auch bei ihnen iſt alfo für mich feine Stätte; führe mich wo 
anders hin, bei meiner alten Gutthat gegen dich bitte ich Dich. 

Butten. Bei welcher Gutthat? Was fagjt du mir va für 
Märchen vor? Eriweifeit du etwa denen Gutthaten, die du 
ergreift? 

Fieber. Gewiß, und dir vor Allen. Oper iſt ee dir ent— 
fallen, wie ich jeßt vor acht Jahren dich fo fleißig, jo fromm 
und gebuldig machte, ra ich viertägig bei dir war, nicht über 
ſechs Monate? !) 

Butten. Bielmehr., da du mich weidlich plagteſt, ich 
hingegen aus Ueberdruß an dir mich um ſo eifriger dem 
Studium ergab. Doch ich merke wohl, was du vorhaſt: du 
beziehſt dich auf deinen Fürſprecher 2), der dir jene Rede in 
den Mund gelegt hat, deren du dich bedienſt, um uns zu der 
übrigen Plage auch noch durch Spott beſchwerlich zu fallen, 


1) Zu Roftod im Winter 1510; j. meinen Ulrich von Hutten, 
I, 61. 
2) Der fteprifche Philoſoph und fopbiftiiche Rbetor Favorinus. 





56 Hutten's Geſpräche. Erſtes Bud. 


indem du dich anſtellſt, als ob du einen fleißig und ſcharf⸗ 
finnig machteft. Nun, wenn e8 denn wahr ift, was ber von 
deinen Wohlthaten rühmt, warum haft bu nicht auch mich 
bernach gefünder gemacht, da er Doch jagt, wer vom vier 
tägigen Fieber genefen, der werde nachher gejünder als je 
zuvor? Ich Hingegen habe alle die Jahre feit deinem Abgang 
immerfort bald au dieſer, bald an jener Krankheit zu leiden 
gehabt. 

Fieber. Das macht, weil mein Wille noch nicht war, Dich 
zu verlafjen, jondern ich fchied damals, um bald wiederzu- 
fommen, Und nun fage ich dir, wenn du mich nicht in eine 
anftänbige Herberge weijeft, fo iſt mein Vorſatz, auch jet 
noch nicht von dir zu weichen, fonvdern, du magft fo böfe 
werben wie bu willſt, bei dir zu bleiben noch ganzer ſechs 
oder fieben Jahre, wenn es mir anftebt. 

Futten. So werde ich für einen Dreier des Tags wie 
Jener fpeifen und wie ein Karthäufer eben. 

Fieber. Ich aber werde dich lecfer machen und zum Ges 
Lüfte nach allem Möglichen reizen. 

Butten. Dann werde ich Aerzte über dich bringen, und 
zwar jogleich mit vollem Zutrauen den Stromer. !) 

Fieber. Ei Aerzte, ei den Stromer! Als ob ich deine 
Weife hierin nicht fennte! Du wäreſt lieber ein ganzes Jahr 
krank, ale dag bu ein= oder zweimal Rhabarber fchludteft, 
oder. Nießwurz nur zwei Sfrupel nähmeſt. Warum bringft 
du mir nicht lieber jenen ber, der, als er im Harnglaſe des 
Kranken ein Haferforn fand, meinte, dieſer habe ein Pferd 
gefreiien ? 

YZutten. Davor foll ich mich wohl hüten; doch nun will 


1) Heinrich Stromer, Leibarzt des Kurfürften von Mainz und 
Hutten's vertrauter Freund. S. meinen Ulrih von Hutten, I, 285. 
93. 803. 315 f. und öfter. 





II. Das Fieber. Erftes Geſpräch. 57 


ich dich weiter zu andern Wirthen führen. Und da bu fagft, 
du babeft gern mit Leuten, die gut leben, zu thun, fo folge 
mir bieher; wir wollen zu jenen Mönchen gehen, vie es jich 
in allen Stüden wohl fein laffen, wie fchon daraus zu er- 
jeben, daß fie feift und von gutgepflegter Haut find; fte leben 
herrlich und in Freuden, haften fich in ihren Zellen und gehen 
nur felten nach jenen Leibesübungen aus, die bir fo zuwider 
find; dabei trinfen fie Wein und eifen Fifche im Unmaß: du 
fiebft, eine Herberge wie gemacht für Dich. 

Fieber. Nein, da bringft du mich nicht Hin. Denn fie 
hören die Beichte der alten Weiber, von denen lernen fie 
Zauberformeln, womit fie mich, fehon wenn fie mich von Wei⸗ 
tem ſehen, binwegtreiben. 

Yutten. So willft du wohl zu den Domhderren, die das 
alles gleichfalls und noch viel reichlicher Haben, außer daß fie 
bisweilen reiten und auf die Jagd geben, zur Uebung wie 
zur Ergetlichfeit. Die müßten, däucht mich, ganz für dich 
bajfen, da du faftige und wohlgemäftete Leute haben willft, 
bie Eöjtlich fpeifen, weich liegen und behaglich faulfenzen; und 
damit du nicht argwöhneit, jie haben eine Schugwehr gegen 
dich, jo leben fie ohne Sorgen und verhöhnen die Aerzte, bie 
du, ich weiß nicht warum, bei den Fuggern jo fehr fürchtelt; 
da Doch, wer jich ihrer bedient, in der Regel kränklicher ift, 
als wer, wie die Sacfen, ohne Aerzte lebt. Der Aerzte 
alfe fpotten vie Leute, von denen ich rede; überbieß liegen jie 
die meifte Zeit müßig, pflegen fich in Bädern und ſchlemmen 
bei Mahlzeiten, figen auch oft trunfen unter Buhlerinnen bis 
tief in bie Wacht; woher es fommt, daß fie höchſt verporbene 
Mägen und fchledhte Verdauung haben. 

Fieber. Das ift allerdings ein paffender Schlag Leute für 
das Fieber, und fie ſcheinen werth, daß ich möglichit lange 
bei ihnen wohnte. Allein ich fürchte nur, e8 möchten mir da 
unzählige andere Krankheiten ſchon zuvorgekommen fein, bei 





58 Hutten's Geſpräche. Erſtes Bud. 


dem Leben, das ſie führen. Oder glaubſt du, es ſei Einer 
unter ihnen, der nicht bereits an irgend einer Krankheit litte? 
den nicht ſchon entweder das Podagra in Beſchlag genommen 
hätte, oder der Stein, oder die Waſſerſucht, Hüftweh oder 
Gicht oder Ausſatz, gelbe oder fallende Sucht, die Franzoſen 
oder Krätze, Krebs, Polyp, Fiſtel, Bein- oder Halsgeſchwulſt? 
oder der nicht aus gewohnheitsmäßiger Trunkenheit an Hän— 
den und Füßen elendiglich zitterte? oder von Seitenſtechen ge⸗ 
plagt, oder ſonſtwie jo zugerichtet wäre, daß das Fieber kei— 
nen Platz mehr bei ihm fände? Denn auch die genannten 
und noch unzählige andere Plagen gehen ver Küche nach, ſu⸗ 
hen Tafeln und Gaftmähler, wohnen gern bei jenen fetten 
Schwelgern, und wo es allerhand und Köftliches zu ſchmau⸗ 
fen gibt, da ftrömen fie, wie auch ich, ſchaarenweis zufammen. 

Zutten. Beruhige dich, Etliche find noch frei, vor Allen 
jener Eurtifan !), der, erjt neuerlich von Rom zurückgekehrt, 
wo er bei einem Cardinal wohl leben gelernt, fich nun mit 
Einem male mitten in die Schwelgerei geworfen hat und es 
fih herrlich wohl fein läßt. 

Fieber. Trinkt er Wein? 

Hutten. Züchtig. 

Dieber. Würzt er fein Effen mit Pfeffer, Zimmt, Inge 
wer und Nelfen? 

Yutten. Ueber und über. 

Dieber. Hat er Betten, Teppiche, Bolfter, mit Flaum 
gefüllte Kopfliffen und Seivdenzeug? 

Butten. Aufs reichlichite. 

Fieber. Ißt er auch Filche? 

1) Eurtijan, d. h. eim päpftlicher Höfling Überhaupt ; doch verfteht 

Hutten, wie unter andern aus einer Stelle gegen das Ende des Ge- 
ſprächs: Die Räuber, erhellen wird, barunter vorzugsmweife deutſche 


Geiftliche, die, um fich fchneller vorwärts zu bringen, am römifchen 
Sofe dienen oder gebient haben. 





IL. Das Fieber. Erſtes Geſpräch. 59 


Zutten. Er läßt fie fich weiblich ſchmecken, doch nur fel- 
tene und tbeure; auch liebt er Rebhühner und Faſanen, und 
wenn er Haſen ißt, meint er fehöner davon zu werben; ſchon 
wird ihm auch diefer Winter zu lang, weil es noch feine 
Spargeln gibt. 

Fieber. Badet er zumeilen? 

Hutten. Ueber die Maßen gern und oft. 

Tieber. Geizig ift er dabei nicht ? 

Butten. Bis zur Verſchwendung freigebig. 

Fieber. Hat er mit Uerzten zu thun? 

Butten. Er haßt fie bitter und meint, man follte fie aus 
Deutfchland jagen. 

Tieber. Geht er in Pelzröden over fonft in köſtlicher 
Kleidung ? 

Hutten. O ganz wie jener bei Martial 

Wünſcht er ſich düſteres Wetter herbei und Schnee und Geftöber, " 
Seinen fehshundert und mehr Wintergewänbern zulieb. !) 

Fieber. Ich fürchte nur, er hält mich nicht lange aus bei 
diefer Pebensart. 

Butten. Da fieh du zu; warum wollteft du den auf ein« 
mal umbringen, an vem du lange haben kannſt? 

Fieber. Wenn er mich gar zu wohl bieltee Doch höre, 
hält er auch Spielleute? 

Hutten. Ia, und Schmaroker vazu. 

Fieber. Hat er auch eine Geliebte, die uns pflege? 

Butten. Gewiß, ein feines und artiges Ding. 

Fieber. Hat er einen Bauch? 

Butten. Er fängt fchon an fich zu runden. 

Tieber. Aber wenn er mich nicht aufnehmen will, wohin 
wirft du mid dann führen? 

Butten. Anführen will ich dich. 


1) Epigramme , 8. VI, 59. 





60 Hutten’s Geſpräche. Erſtes Bud. 


Bieber. Ich aber will dich angreifen. 

YZutten. Und ich dich verachten. 

Fieber. Dann werd’ ich dich erwürgen. 

Butten. Und ich dir ein Schnippchen fchlagen. 

Fieber. Dem Fieber? 

Zutten. Dir, dem Fieber, und helfen follen mir Hunger, 
Leibesübung, Mäßigfeit und Abhärtung. 

Fieber. So will ich es nun bei jenem Pfründner ver- 
ſuchen; dann werde ich fehen, was ich mit dir anfange. 

Zutten. Wie du willft; ich mache mich davon. 





IH. 
Das Fichber. 
Zweites Gefpräd. 





Einleitung. 


Diefes Geſpräch, von Hutten in feiner Ueberfegung „Feber 
da® ander” genannt, ift theil® eine Yortfegung oder ein zwei⸗ 
ter Theil des erjten, theils die Ausführung eines in der Yor- 
tuna hingeworfenen Gedankens. Hier hatte die Glücksgöttin 
einer Rede Jupiter's Erwähnung gethban, daß er, um ben 
Pfaffen ihr üppiges Leben zu verfalzen, ihnen Krankheiten und 
Mißhelligkeiten jeder Art, insbeſondere aber die Eoncubinen, 
zugelegt habe (oben S. 35). Das Elend und bie Nieprigfeit 
des Lebens der concubinarifhen Priefter wird nun in biefem 
Geſpräch dadurch zur Anfchauung gebracht, daß das Fieber, das 
am Schluffe des vorigen Geſprächs zu einem frifch aus Rom 
angelommenen Eurtifan gefchieft worden war, von dieſem zu- 
rüdfommt, und nun in einem Sittengemälde von ergreifender 
Lebenswahrheit erzählt, wie e8 ihm dort ergangen und warum 
es nicht länger babe bei ihm bleiben mögen. Daß es jekt 
wieder bei Hutten Einlaß zu finden wünfcht, ven dieſer ihm 
nicht gejtatten will, gibt zu einer Reihe bramatifch lebendiger 
Scenen Beranlaffung, die den Leſer ganz vergeflen Laffen, 





62 Hutten’s Geſpräche. Erſtes Bud. 


daß das Fieber eine bloße BPerfonification, feine wirkliche 
Perſon ift. | 

Da der Eoncubinat eine unabtrennbare Folge des Cöli— 
bats der Geiftlichen, diefes aber eine Zundamentaleinrichtung 
der römifchen Hierarchie it, fo bringt das vorliegende Ge- 
fpräch, indem es fi) gegen erftern richtet und die Kreigebung 
der Priefterehe verlangt, fehon tiefer und empfindlicher als 
die bisherigen in das römifhe Wefen ein. Indem es aber 
weiterhin die Deutfchen und vor Allen den neuen König auf: 
fordert, die Zahl der Geiftlichen zu mindern, ihre überreichen 
Pfründen zum Beſten dringender Staatsbepürfniffe zu jchmä- 
lern, die Uebrigbleibenden zur Arbeit in ihrem geiftlihen Be—⸗ 
ruf anzuhalten, aber auch von jedem lebergriff in das melt- 
lihe Regiment abzuhalten, wobei zum Echluß die Andeutung 
fällt, dag vor Allen Rom, die Duelle diefer Uebel, gereinigt 
werden müffe: fo find wir damit an die Pforte des folgenden 
Gefprächs geführt, das Rom und die von demfelben ausflie- 
Bende Verberbniß zum eigentlichen Gegenftande haben wird. !) 


1) Bgl. meinen Ulrich von Hutten, Thl. IL, Rap. L, ©. 12—17. 





Das Fieber. 
Zweites Gefpräd. 


Es unterreden filh: Hutten, das Fieber und Hutten's Knabe. 





Zutten. Hörft vu das Pochen, Knabe? Hörft du, wie bie 
Thür kracht? Hörft du nicht? Willft vu die Thür einſchla⸗ 
gen laffen? Doch Halt, fieh erft zum Fenſter hinaus, und 
wenn e8 ein ungelegener Befuch ift, fag’, ich ſei nicht daheim. 

Fieber. Nicht daheim, du, den ich dieß felbft fagen höre? 
Thu’ mir nur auf und laß mich aus dem Wind und Wegen 
bier hinein. 

Knabe. D Herr, es iſt das Fieber. Hilf Gott, Hilf 
Himmel, wie wollen wir uns vor diefem Unheil fchüßen ? 
Soll ich es mit Steinen abtreiben? mit Wehr und Waffen, 
wie ich immer kann? 

Yutten. Bor Allem mad’ das Fenfter zu, damit es ung 
nicht, wie ſchon einmal, einen giftigen Hauch da oben berein- 
blafe. Gleich ſchließ' es zu und feft. 

Fieber. Mac’ auf! 

Hutten. Mit nichten. 

Fieber. Sonft ftand mir biefe Pforte von felbft offen. 

Butten. Nun aber ift fie bir verfchloffen. 

Ficber. Das wundert mich, und darum thu’ auf, alter 
Gaftfreund, thu' auf. 








Hutten’s Geſpräche. Erftes Bud. 
Hutten. Das ift gerade als fagteft du: Häug' dich auf, 
alter Gaftfreund, häng' dich auf. 
Fieber. So willft du dem Fieber nimmer auftbun? 
Hutten. So lang’ ich ſchließen lann, gewiß nicht. 
Fieber. Gaftfreundlichiter ver Männer, um des Bandes 
alter Hausgenoffenichaft willen bitte ich Dich, thu' mir auf. 
Hutten. Um des verhaßten Andenkens diejer Hausgenofjen- 
ſchaft willen ſchließe ich dich um fo mehr hinaus. 
Fieber. Du gibjt mir Zutritt, nicht wahr, und macht 
mir auf, mein gütigjter, freundlichſter Wirth? 


64 


Qutten. 
Tieber, 


Hutten. 


Fieber. 
Butten. 
Knabe. 


Ich nicht. 

Liebling der Muſen, mach' auf! 

Peſt der Studien, mach' dich fort! 

Auf, auf! ich bin das Fieber, Hutten, das Fieber. 
Meinetwegen. 

Sprid ihm härter zu, fonjt fchlägt es noch bie 


Thür ein und erftürmt das Haus. Wie zittern die Ballen! 
Treib es ab, fehilt, fluche. 

Hutten. Schiebe die Riegel vor, diefen zweifchubigen zu 
erit. Du aber, was willft du von uns? Du gebft ja fonft 
großen Herren und Lebemännern nad, Gibt es denn feine 
Pfaffen, feine Kaufleute mehr? 


Fieber. 
Hutten. 
Fieber. 
Hutten. 
Tieber. 
Hutten. 
Ticber. 


Hutten. 


Fieber. 


Hutten. 


Tieber. 


Dich fuche ih vor Allen. 
Und dich flieh’ ich vor Willen. 
Ih habe Grumd... 

Sch auch. 

Dich zu fuchen, 

Dich zu fliehen, 

Ich will dir etwas jagen, 
Ich will nichts willen. 

Ich habe mit dir zu reden. 
Ich aber babe nichts mit dir zu ſchaffen. 
Sonſt warft bu anders, 





IIL Das Fieber. Zweites Geſpräch. 65° 


Butten. Es foll mich freuen, wenn ich beffer geworben bin 

Ficher. Laß mich doch unter Dach aus dem Wind, Froft 
und Regen. 

Hutten. Wie oft foll ich dir noch fagen, ich thue das nicht? 

Fieber. So ift der Auf unvervient, der dich als gültig, 
freundlich und gaftfrei rühmt. 

Buttn. Das bin ich wohl, gegen Andere. 

Fieber. Und mich fperrft du hinaus? 

Hutten. Wie du fiehft. 

Tieber. Mit Unrecht. 

Zutten. Vielmehr wohlverdienter Weife. 

Fieber. Du legſt auch Alles zum Schlimmften aus. 

Hutten. Ich glaube nicht. 

Sicher. Ich aber glaube, daß ich dir nie etwas zu Leide 
gethan habe. 

Butten. Um fo weniger taugen wir zufammen, ba wir 
fo verfchiedener Meinung find. 

Fieber. So will ich gleiher Meinung fein und mit dir 
jagen, daß ich früher wohl dir Leids getban habe; von nun 
an aber will ich dir nur Liebes thun. 

Buttn. Du wirft nicht bei mir ankommen. 

Fieber. Wie fannft vu das wiffen ? 

Hutten. Wie? ich, des Fiebers alter Wirth}? Der ic 
dich ans langem Umgang in allen Geſtalten kenne: als vier- 
tägiges, tägliches, dreitägiges, bitiges, als SZehrfieber, und 
was weiß ich Die Namen alle? 

Fieber. Ich bin artiger geworben. 

Yutten. Das Ilobe ich. 

Fieber. Und nimmft mid) folglich auf? 

Hutten. Im Gegentheil, ich |perre dich aus. 

Fieber. Nur auf ein Gefpräd. 

Knabe. Schred’ e8 fort. 


Hutten. Nicht einmal auf einen Blick. 
Strauß, Hutten’® ®eipräde. 5 





66 Husten’s Geſpräche. Erſtes Bud. 


MAnabe. Soll ich mit der Büchſe dreinſchießen? 

Zutten. Wirf es lieber mit Linfen, Es ift ja nur Gut⸗ 
berzigfeit von mir, du Fieber, daß du nicht Hunger leiven 
mußt, wenn ich dich ausfchließe und wieder 'zu jenen Xebe- 
männern fchide; du könnteſt fonft Klagen, u, babe dich übel 
gehalten. 

Fieber. Bei dir möchte ich fein, bu — mich halten 
wie du willſt. 

Hutten. Und ich weit von dir, du monſt dich benehmen 

wie du willſt. 

Fieber. Verſagſt du denn irgendwem eine Unterredung? 

Jutten. Ja, dir vor Allen. 

Fieber. Wie haft du dich verändert! Nur auf drei Worte. 

Butten. Ich will nichts Hören. 

Knabe. Du, weil du doch auf Wohlleben, Mahlzeiten, 
Ueberfluß und Unverbauflichfeit ausgeht, ſchau, das ift unfer 
fettes Eſſen gewefen. 

Fieber. Linfen, wie ich febe. 

Knabe. Das ift jest unfere Speife, denn wir find Py- 
thagoräer geworben. 

Fieber. Aber geftern, nicht wahr, da fpeiftet ihr ven 
Pythagoras felber, wenn anders der Fabel nach in dem Hahn 
des Pythagoras Seele war. ') 

Anabe. Jetzt find wir verloren. Es hat uns Hühner 
eifen ſehen. 

Hutten. Nein, Fieber, ven Hahn haben wir darum ge 
fchlachtet, weil auch er Linfen aß. 


1) Ein Sucianifher Scherz über die puthagoräifche Lehre von ber 
Seelenwanderung. In dem Gefpräh: Der Hahn ober der Traum, 
erzählt dem Schufter Micyllus fein Haushahn von den Wanderun⸗ 
gen, bie feine Seele ſchon durchgemacht; unter Anderm fei er einft 
Pythagoras geweſen. 





UL Das Fieber. Zweites Geſprach. 67 


Aecber. Und aßet ihn, als wäre ber Hahn zu Linſen, 
Bit die Linſen zum Hahn geworden? 
NJalten. Was ift's dann mehr? 
Fieber. Und jungen Wein tranfet ihr reichlich dazu? 
RAnabe. D nein, Wafler. 
: Yatten. Gelochtes. 

Fieber. Meinetwegen, ich meide auch die Waſſertrinker 
ht und habe gelernt mit ihnen zu leben. 

Jatten. So geh’ zu jener Hütte auf dem nächften Selbe; 
ren Bewohner bat in zwanzig Jahren feinen Wein über vie 
Vpeun gebracht. 

- Feber. Ich will dir nur erſt die drei Worte fagen. 

Yatten. Du Haft fchon mehr denn Hundert gefagt. Doch 
Mm die drei unb dann geh’ weiter. 

Heber. Drinnen will ich’ fagen. 

:: Bitten. Daraus wird nichts; ſag's draußen. 

Fieber. So fieh heraus. 

Jetten. Ich höre nicht mit den Augen. 

» Zieber. Es wird dich mehr rühren, wenn du mich fiehft. 

Jatten. Mir iſt's aber nicht darum, von bir gerührt zu 
werben. 

Feber. Ich bringe dir Bericht von dem Gurtifan, wie 
k ihn behandelt und wie er mich gehalten bat. 

Zatten. Darum fümmere ich mich nicht. 

Fieber. Aber vordem kümmerteſt du dich darum. 
Julten. Um dich loszuwerden; und bleibe nur auch jest 
ki ihn, wenn ich dir gut zum Rathe bin. 

Fieber. Ich Habe ihn fchon verlaffen. 

Jutten. So fuch’ ihn wieder auf. 

Fieber. Er kann mich nicht brauchen, denn er hat bereits 
ubere Krankheiten bei fich aufgenommen: vor allen die Fran- 
fen, mit denen er elenb behaftet ift; dann ift ihn nenfich 

5* 





68: Hutten's Gefpräche. Erſtes Bud. 


auch der Steinfchmerz angefommen, und die Gicht plagt ihn 
jämmerlich, und mittlerweile ift Mangel im Haus, 

Hutten. Und er füttert feine Schmaroger mehr, Teine 
Hunde noch Pferpe? 

Fieber. Keine Maus mehr. 

Butten. Und auch feiner fogenannten Freundin hat er ben 
Abſchied gegeben? 

Fieber. Vielmehr fie ihm, aus dringender Urſache, weil 
nichts mehr da war. 

HZutten. Warum aber haft bu dich von jenen anbern 
Krankheiten vertreiben lafjen? 

Fieber. Weil ich nicht darben will und ver Küche nachgehe. 

Zutten. Ihrem laſtigen Rauch? 

Fieber. Ihrem lieblichen Duft. 

Bultten. Den findeſt du bei mir nicht. 

Fieber. Aber ich werde ihn finden, wenn bu, wie man 
jagt, daß bu vorhabeit, ein Weib nehmen wirft. 

Butten. Ia wohl, ein Weib! Warum gibt du nicht Tie- 
ber Acht, wo das Mädchen des Eurtifans bingegangen ift? 
Die hat ſich gewiß eine fette Herberge ausgejucht. 

Fieber. Zu einem alten Domherrn ift fie gegangen, ber 
mit Bruch und Podagra beladen ift, unluftig, wunverlich, 
ſchmutzig, ein wahres Schwein in feiner Art. 

Hutten. Den kann fie lieb haben? 

Fieber. Sein Gold hat fie lieb. 

Hutten. Defto bequemer für dich: während fie des Gol⸗ 
des wartet, hältſt du dich an den Alten. 

Fieber. Er dauert mich; er bat an ihr allein fchon fo 
viel Ungemach, daß er des Fiebers wohl entrathen Tann. 

Hutten. Mit mir haft du nie Bedauern gehabt. 

Fieber. Weil du mit dieſem Uebel nicht behaftet warft. 
Denn du weißt nicht, welche Veit es ift, eine Zuhälterin im 
Haufe haben. 








IH. Das Fieber. Zweites Geſpräch. 69 


Jutten. Eine Pet? Da fih um bergleichen Perfonen 
W Pfaffen nicht allein bemühen, fonvern reißen, und ihret- 
wegen Kriege miteinander führen, beinahe heftiger noch ale 
a Rom um bie Pfründen. 

Sieber. Ehen das macht biefes Uebel noch ürger, daß ee 
ſrewwillig ift. 

Yatten. Kann man denn alfo ein Uebel mit eigenem Wil- 
ka Haben? 

- Fieber. Ob ſonſt Jemand, weiß ich nicht; die Pfaffen 
Weigftene können's. 

Jutten. Daß fie ihren Zuhälterinnen ergeben find und 
wenhmal zu Narren darüber werben, weiß ich wohl; wie 
dat aber ein Uebel für fie fein fell, febe ich nicht ein, denn 
wire e& ein Webel, jo würden fie e8 wohl nicht freiwillig 
Jerbeiziehen. 

Viber. Aber ich ſehe es ein, pa ich die Leute aus lan- 
gm Umgang kenne Fürs Erfte Lieben fie die Dirnen viel 
künftiger als die Ehemänner ihre Weiber. 

Yıttn. Das weiß ich. 

*: Fieber. Die Dirnen aber haben zu ihnen entweder gar 
Kine oder eine fehr fühle Neigung, da fie Viele zugleich lieb 
haben, die einen als angenehme Gefellfchafter, anvere weil fie 
seh find, einige weil fie ihren Mann tüchtig ftellen. 

Gatten. Fände ſich nun aber eine, die ihre Liebe nicht 

mer Viele vertbeilte, fondern Einen beftänpig liebte, wäre 
ax die vom Uebel? 
VFieber. Wenn fih fo eine fände, allerdings nicht; aber 
iine folcye ift unter viefer Menfchenklaffe ein Vogel Phönir; 
Wie follte auch eine, vie einmal ihre Ehre, ein Ding, das 
Rd nicht wiederherftellen läßt, verfcherzt hat, groß Bedenken 
kagen, fich auch ferner fchamlos aufzuführen? 

Yuttn. Du willft wohl fagen, fie achten nicht mehr viel 
uf das, was fie doch einmal unmiederbringlich verloren haben. 





70 Hutten's Geſpräche. Erſtes Bud. 


Fieber. Eben das. Hat daher Eine einmal dieſes Feld 
betreten, fo ergebt fie fich fortan frei auf demfelben, und 
ba fie weiß, daß man doch fchlecht von ihr denkt, forgt fie 
nicht mehr um ihren Ruf; fo genießt fie ihrer Schande, er- 
get ſich wo fie fann und fucht Abwechslung. Dem mit vem 
Verluſt der weiblichen Ehre hat es die beſondere Bewandt⸗ 
niß, daß fich ein luftiger Gebrauch daven machen läßt. 

Hutten. Ein fchmählicher Gebrauch. 

Fieber. Unftreitig.. So viel aber ijt gewiß: das Weib, 
bas fich einmal Einem ergeben hat, würde meinen, umfonft 
die Ehre verloren zu haben, wenn fie fich nicht alsbald mit 
Mehreren einließe; zum Erſatz für die verlorene Ehre foll 
dann der Genuß dienen, mit möglichft Vielen die Luſt zu 
büßen. Zwar es gibt auch folche, die in dieſes ungebundene 
Leben deßwegen verfallen, weil ihnen Ein Mann nicht genügt. 
Wer nun eine von biefer Art bei fich hat, ver leidet große 
Dual von Eiferfudt. 

Hutten. Iſt e8 in der Ehe nicht ebenfo ? 

Fieber. Zumeilen wohl, und e8 gibt Frauen, vie auch da 
ausfchweifen, folche jedoch fallen der Zahl ver loſen Dirnen 
anheim und haben keinen Anfpruch mehr auf vie eheliche 
Würde, denn die rechtichaffenen Eheweiber hält ſchon die 
Scham zurüd, dann erhält das Bewußtſein ver ehelichen 
Pflicht und die Eorge für die Kinder fie innerhalb gewiſſer 
Schranken. An viefe Rüdfichten kehren fih die Yuhlerinnen 
nicht, fie leben wie fie mögen und beluftigen fich ohne Schen, 
und je leichter ihnen dieß wird, defto elender fümmern und 
quälen fich ihre Yiebhaber, weil fie fich zu allem Schaden 
noch vernachläffigt feben. 

Hutten. Was für Schaden? 

Fieber. Bon mancherlei Art. Denn außerdem, daß, bie 
in folcher Unruhe eben, ihren edlern Theil, bie Seele, ins 
Berverben ftürzen, müffen fie nob, um ihren Freunpinnen 





IH. Das Fieber. Zweites Geſpräch. 71 


gefällig zu ſein, für gut Eſſen und Trinken und köſtliche Klei⸗ 
dung viel aufgeben laſſen, auch durch übermäßigen Liebes⸗ 
genuß ihre Leibeskraft ſchwächen; wozu noch kommt, daß im 
der Verliebtheit fih Einer nichts daraus macht, feinen guten 
Ruf aufs Spiel zu fegen. 

Butten. So bringen ſich die Pfaffen um Alles, vie fi 
Beiichläferinnen halten? 

Fieber. Wenn fie ihnen jo ergeben find, fehe ich nicht, 
was fie übrig bebielten. 

Butten. Beinahe nöthigft vu mic, fie unglüdfelig zu 
nennen. 

Fieber. Zu nennen? Iſt denn Demand unglüdfeliger, 
als wer, bei fo mannigfahem Schaden an Yeib und Gut, 
niemals Ruh' und Frieden im Gemüthe hat, weil er nichts 
Treues um fich fieht? 

Yuttm. Daß unter der Pfaffen zahlreichem Gefinde Nie- 
mand ift, ver es treu mit ihnen meint, ift mir wohl befannt. 
Was aber ift, das ihnen Unruhe macht? 

Fieber. Gar Vieles. Do um es kurz zu fagen, es find 
jene Martern ver Yiebe, welche Plautus meint, wenn er einen 
Liebhaber alſo ſprechen Tüßt: 1) 

An Seelenpeinigung geh' ich allen Menſchen vor: 

Es ſchleudert mich, ſticht mich, dreht mich auf der Liebe Rad; 

Ich bin des Todes; hin und wieder reißt es mich, 

Die Sinne vergeh'n mir; wo ich bin, da bin ich nicht, 

Und wo ih nicht bin, eben dort iſt mein Gemüth. 

Mein Sinn nimmt alle Geftalten an: erft will ich was, 

Dann will ich's nicht mehr; aljo fpielt mir Yiebe mit; 

Sie jagt und fängt, fie treibt und halt mich; was fie gibt, 

Das gibt fie nicht, was fie gerathen, väth fie ab, 

Und wac fie widerratben, damit lodt fie mich. 

Dieß fcheint zwar ım Allgemeinen geiprochen, doch trifft es 
auf unfere Leute ganz befonvere zu. Fürs Erſte nämlich 


— .—n— — — 


1) Den Alceſimarchus in ber Ciſtellaria, U, 1, 3 ff. 





72 Hutten’s Geſpräche. Erſtes Bud. 


nagt e8 ihnen am Herzen, daß fie bei all ihrer inbrünftigen 
Liebe doch feine Gegenliebe erlangen fünnen, oder wenn auch, 
doch feine ungetheilte. Und da die Liebe ein Ding ift, das 
feinen Theilhaber zuläßt, fo ift ihre Bekümmerniß deſto grö- 
Ber, als fie ihre Liebe an eine Menfchenklaffe weggeworfen 
ſehen, die gar nicht fähig ift, nur Einen zu lieben. Bft nun 
Eine von zornigem Gemüth und unholdem Benehmen, jo fränkt 
es den Liebhaber, daß fie ihm nicht einmal in Mienen und Wor- 
ten zu Willen lebt; gegen die hingegen, bie vecht hold uud 
freundlih im Umgang find, entjteht Argwohn und Beforgniß, 
es möchte nur Verftellung jein. So mein Wirth: fo oft ihn das 
Mädchen freundlich anlächelte, oder umfing und füßte, feufzte er: 
Wollte Gott, das wäre dein Eruft, mein Elschen, und bie 
Liebe ginge dir von Herzen! Darauf fie: Warum follte fie 
mir nicht Ernjt jein und von Herzen gehen? kennſt bu mid 
fo? Nun warf er ihr einen von den jungen Leuten vor, die 
alle Tage in fein Haus kamen, und die er bisweilen fie küſ— 
fen oder fonft allzu vertraut mit ihr jah. Du gab es dam 
Geſchrei, Schimpfreden und manchmal Entzweiung auf längere 
‚Zeit. Sie fchrie, jo lange habe fie ihm freundlich beige: 
wohnt und nichts Anderes damit verdient, ald daß er fchlecht 
von ihr denke; ein argwöhniſches und treulofes Volk fei es 
um die Pfaffen; das feien nun die Verfprechungen, das die 
glänzenden Hoffnungen, die er ihr vorgeipiegelt, das per 
Dank dafür, daß fie, die bei Fürſten hätte ankommen kön— 
nen und von Neicheren ummorben worden, ihn vorgezogen, ihm 
allein ihre Reize, ihre Scherze und ihr junges Veben zu eigen 
gegeben habe. Sa, jo werth hielt ich Dich, fagte fie, daß ich, 
um bei dir zu bleiben, dem reichen Jüngling, ver mich zur 
: Ehe begehrte, einen Korb gegeben habe; dir allein follte meine 
wöngend blühen und verblühen. Und wo ift Eine in der gan 
zen Stabt, die fo treu nur Einem anhinge, jo wohl und forg- 
fältig Haus bielte? Wo Andere mindern, da habe ich ge- 





II. Das Fieber. Zweites Gefpräd. - 73 


ehrt; was Andere verderben, habe ich erhalten. Hier weinte 
ie Schlaue und trieb auch dem armen Schelm Thränen in 
ie Augen: fo wenig merfte er den Trug. 

Yutten. War fie denn nicht wirklich fo? 

Fieber. Ich will dir fagen, wie fie war. Zehn andere 
iebhaber hatte fie, und zwar fo heimlich, daß fie mehr ale 
Einmal alle zugleich bei Tiſche hatte; denn jie nöthigte ben 
Jaffen, fo oft fie wollte fie einzuladen, indem fie von dem 
Einen dieß, von dem Andern jenes rühmte: fie konnten bie 
Baute und die Flöte fpielen, oder fie machten Verfe, Einige waren 
gete Tänzer, Andere luftige Gefellfchafter: einen Jeden wußte 
fe nothwendig zu machen. Verſtand dann gleich Einer feine 
Ruuft nicht, Half ihm ihre Empfehlung doch, und mehr als 
Einmal ließ fich ver Pfaffe von ihr weißmachen, es fei Einer 
Meifter in etwas, wovon er nicht das Mindeſte wußte; denn 
wihikt war ihr Jeder, ver ihr wohlgefiel. Eie bieft fie 
ber ungleich: von den Einen nahm, ven Anvern gab fie; vor 
Uem aber leexte fie das Hans. 

Yutten. Das war, fo viel ich fehe, des Unglücks zwei: 
kt rad. 

Fieber. Wofern es ein Unglüd ift, äußere Güter einzu- 
Men. Sie plünverte ihn jämmerlich, trug Wein binmeg 
mb vertheilte Getreide nach Belieben; in der Vorſtadt hatte 
% ein Haus, wohin fie brachte, was fie aufbewahren wollte; 
w war auch eine Alte, eine ausgelernte Stupplerin, deren 
Beihäft e8 war, immer neue Liebhaber anzumwerben, wo fie 
en recht fchönen oder reichen, ob fremd ober einheimifch, 
megewittert hatte, 

Yatten. Ich merke jetzt, des Mannes Unglüd lag mehr darin, 
daß er mit fo großem Schaven feines Guts dieſe Peſt unter- 
hielt, als daß er ihre Gegenliebe nicht erlangte. Ihm war 
W genug, daß er glaubte, geliebt zu werben; benn, wie in 
mbern Dingen, vermag auch in der Liebe ver Glaube viel. 





74 - Hutten's Geſpräche. Erſtes Bud. 


Ficber. Ganz recht; doch bat es die Bewandtniß damit, 
je mehr Einer Glück zu haben glaubt, deſto mehr Angft bat 
er, ed möchte etwa® tazwifchenfommen, das der vermeinten 
Liebe ein Ende mache. Wie daber ver Pfaffe krank wurde, 
da erftlich ich ihm heiß machte... . 

Buttn. So richteft du den Weibern ihre Männer zu 
Grunde? 

Fieber. Unterbrich mich nicht. Da erjtlich ich ihm heiß 
machte, dann noch der Stein dazu kam, hierauf der Reihe 
nach andere Krankheiten, und er ſah, daß ihm gar zu viel 
fehlte, ihr genug zu thun, da zitterte er, fo oft er Einen ine 
Haus treten, fie grüßen oder umarmen ſah, bei jedem Wint 
und Blid, aus Furcht, ed möchte fie ihm Einer während 
feiner Leibesfchwachheit abfpenftig machen. 

Buttn. Er mag fi wohl Danage's Thurm gewünſcht 
haben, fie darin einzufchließen. 

Fieber. Im Gegentheil, er fuchte nur um fo mehr ver 
Freundin zu Gefallen zu leben, und fie wollte mit Nichten 
eingefchloffen fein, fondern hatte gern Geſellſchaft und hielt 
fih fchon für einfam, wenn fie nur drei ober vier ftarfe 
Burfche bei Tiſche hatte. Da er das fah (denn er mußte 
auf ihren Sinn merken und ihre Wünfche erratben),. ſtellte 
er häufig Gaftungen an und lud dazu von überall ber ein, 
wer Freude und Kurzweil machen founte, um, was an ibm 
gebrach , zu erfegen. Erlujtige dich, mein Elslein, fagte 
er dann, und laß es dir einftweilen wohl fein! denn er 
verbieß ihr, wenn er nur erjt wieder gefund wäre, felige 
Tage. 

Yutten. Sah er denn nicht, wie inmittelft das Haus ge- 
leert wurde? 

Dieber. Verliebte feben nichts; ihr Gott ijt ja blind. 

Zuttn. Merkte er es auch nicht? 

Fieber. Weniger als ein Kind. 





IL. Das Fieber. Zweites Geſpräch. 75 


Hatten. So hätte man ihn warnen follen. 
Sieber. Er hörte nicht; denn wie Menander fagt, 


tft Liebe von Ratur 
Taub der Ermahnung. !) 


Jutten. Wie toll waren aljo die Thespier, daß fie, wie 
bem Iupiter, fo auch dem Amor Spiele feierten, wenn boch 
bon ibm folches Ungemach kommt. 

Vieber. Ueber die fommt es allerdings, welche nicht auf 
pie rechte Art Lieben und nur auf leibliche Schönheit feben; 
denn anders verhält es fich mit den Liebhabern ber echten 
Schönheit, d. i. ver Tugend. 

Jutlten. Wie diejenigen ſind, welche ihre Eheweiber lieben ? 
Fieber. Etliche allerbinge. 

Buttn. Ich verftehe, daß es eine ſchwere Pein fein muß, 
eiwas lieben, das nicht Tiebenswerth it, und doch fich ge⸗ 
jwungen fühlen, e8 zu lieben. 

Fieber. Und das bis zur Narrbeit. 

Zutten. Welcher Wahnwitz plagt fie aber nur, daß fie fo 
narriſch find? 

Fieber. Amor ift ein Kind, darum benehmen fich vie Pie- 
benden kindiſch, und wie er leicht und geflügelt ift, fo ift 
es ein leichtfertiges Volk um alfe Verliebten. 

FJutten. Darum ift es auch mit ihnen ganz wie mit ben 
Rindern: wie diefe an Nüffen Freude haben, an Gold aber 
‚sicht, jo geben die Verliebten einem nichtigen Etwas nach, 
and darüber vernachläffigen fie Gefunpheit, Wohlfein, Freunde, 
‚Bermögen, Haus, Ehre, Ruf und was man fich fonft, wenn 
man e8 nicht hat, mit Mühe und Schweiß erwerben müßte. 

Fieber. Du trifft es auf ein Haar: fo wichtig find ihnen 
ihre Nächte, ihre Gaftmahle und Spiele, daß fie fich weder 
‚um Tugend kümmern noch für ihren Nuten forgen. 


1) Aus der Sammlung des Stobäus. Ich werbe fie künftig nicht 
mehr befonders anführen. 





76 Hutten's Gefprähe. Erſtes Bud: 


YZutten. Doch den Vortheil haben fie, daß fie, weil fie 
immer lieben, immer jung bleiben und ihr eben Iuftig zu⸗ 
bringen. 

Fieber. Du willſt fagen, daß fie immer Thoren bleiben 
und ihre ganze Lebenszeit im Irrthum binbringen, niemals 
feften Boden gewinnen, fondern, wie Seneca fagt, immer 
wieder zu leben anfangen !); denn meiften® ergibt fich dieſe 
Art Yeute dem ftumpfiten Müßiggang. 

Hutten. Meinft du alfo, Niemand lege für fein Leben 
einen fihern Grund, als wer ein Weib nehme? 

Fieber. Gewiß, diefe legen ihn. 

Hutten. Willft du demnach, daß ich ein Weib nehmen foll? 

Fieber. Das nicht. 

Yutten. Folglich willft du auch nicht, daß ich mein Leben 
fiher begründen foll? 

Fieber. Du follft es; nur auf andere Akt. 

Butten. Etwa fo, daß ich eine Zuhälterin ins Haus nehme? 
Dieber. Nichts weniger; fondern fo, daß du ohne Weib 
lebeft. 

FZutten. Das behagt mir nicht. Aber fage mir, warum 
willſt du denn nicht haben, daß ich ein Weib nehme? 

Tieber. Erftlich deinethalben nicht, weil fie dir zu thun 
machen, dir feine Ruhe laffen und dich im Studium ftören 
wird; meinetwegen aber rathe ich nicht dazu, weil die Ehe— 
frauen das Fieber nicht dulden, fondern mit aller möglichen 
"Sorgfalt von ihren Männern abhalten, um deren Gefunpheit 
jie nur gar zu befümmert find. 

Zutten. Damit machft du mir nur noch mehr Luft zum 
Heirathen; doch rede weiter von denen, die mit Zubhälterins 
nen leben. 

Fieber. Alles Nothwendige fegen fie hintan, um etwas zu 


1) Brief 23, 9. 





DL Das Fieber. Zweites Geſpräch. 17 


erlangen, das nicht der Rede werth ift, und das fie Doch nie 
vollftändig erlangen. Denn wenn es ihnen auch einmal 
gelingt, ber erjehnten Liebe froh zu werben, fo ift diefe 
Freude, was auch ſonſt an ihr fein mag, doch jedenfalls nur 
furz und ihnen nicht ausfchließlich eigen. Denn ſolche Wei- 
ber denfen, während fie den Einen im Arme haben, ſchon an 
einen Andern, wahrhaft lieben fie Keinen, fondern find auf 
alle Weife bedacht, jo vieler Männer als möglich habhaſt zu 
werden. Und darin find fie wirflih Hug: fie ſehen, wie ihre’ 
Jugend dahingeht, daher zählen fie oft ihre Jahre und mas 
ben fih manchmal felbft Vorwürfe, daß fie nicht fo viel 
Männer als wohl hätte fein können fich gejchafft haben; mit 
nichts geben fie jo fparfam um wie mit der Zeit, und das 
um fo mehr, wo auch noch Gewinn zu machen ijt; venn fie 
verfuufen ihre Gunft, und durch Geld kann man fie zu Allem 
bringen. 

Hutten. Sage mir, wirft Geld mehr bei ihnen ale 
Schönheit? 

Fieber. Bei den Hügern allerdings. Denn bie bei ihrem 
Lieben nicht auf den Nugen fehen, ziehen die Schönen Män— 
ner fogar noch durch Geſchenke an fich. 

Hutten. Aus deinen Neden fchließe ich, daß es zwei Arten 
von Dirnen gibt: folhe, die um Nugen buhlen, und foldhe, 
Die zu ihrem Vergnügen. 

Fieber. Du kannſt noch eine dritte Art Hinzufügen: bie 
Beides thım. 

Hutten. Wie deines Wirthes Elfe dort, die von ben 
Einen nahm und den Andern gab, diefe um ihrer Geftalt, 
jene um ihres Geldes willen lieb hatte. 

Fieber. Wie noch unzählige andere auch; darum habe ich 
oft die Pfaffen zittern: fehen, wenn die Rede auf Einen Tom, 
ber viel Geld Habe over fehr fchön fei. 





18 Outten’s Geſpräche. Erſtes Bud. 


Jutten. Auch ich habe das geſehen, obwohl ich noch lange 
nicht Alles geſehen babe. 

Fieber. Und noch vielmehr, wenn ein junger Menfch von 
ſchöner Geftalt oder großem Vermögen in des Pfaffen Haus fam. 

YZutten. Nicht mit Unrecht, wenn es wahr ift, daß in ber 
Liebe das Glück fo viel vermag. 

Tieber. Glaubt man denen von Aegira, fo vermag es 
mehr noch als ſelbſt die Schönheit ; darum verehrten fie auch 
den Amor und die Fortuna in demfelben Tempel. 

Butten. Warum alfo verfchloß der Pfaffe denen, die er 
ale gefährlich Fannte, nicht das Haus? | 

Fieber. Er hätte es gern gethan, wenn er geburft Hätte. 

Zutten. Wie ich fehe, fürchten die Pfaffen ihre Zuhäl- 
terinnen? 

Dieber. Mehr als jemals einen Tyrannen feine Unter- 
tbanen. 

Zutten. Können fie fie denn nicht fortiagen, wenn jie un⸗ 
zufrieden mit ihnen find? 

Fieber. Sie könnten e8 wohl, wenn fie nicht verliebt 
wären. 

Hutten. Es ift ein jammervoller Zuftand, in den bu mich 
da bineinbliden Täffeft: nicht Können was frommt, thun miüf- 
fen was fchadet! Aber was ift es denn nur an den Dirnen, 
das jene fo fürchten ? 

Fieber. Ihr Zorn, in dem fie fohelten, Vorwürfe machen, 
hadern und fchmollen. 

Butten. Das jagt folchen Schreden ein? 

Sieber. Allerdings. Denn im Zorn fällt es ihnen manch⸗ 
mal ein, unter die Leute zu bringen, was jene nicht auskom⸗ 
men laffen wollen: du verftehit, Hutten, gewilfe unſau⸗ 
bere Scherze, over was fonjt die Pfaffen unter vier Au⸗ 
gen mit ihnen gejprochen oder getrieben, deſſen fte fich ſchä⸗ 
men müffen. 





IL Das Fieber. Zweites Gefpräc. 79 


e mir, fürditen beim bie —— — 
‚audi? 

. Mit denen ift es etwas —2— gerade nur mit 
t Liebe pflegt jene Furcht verbunden zu fein; 
I Here die Omphale fürchtet und ihr bienftbar ift, 
a aber fürchtet er nicht, noch dient er ihr am Rocken. 
* utten. Vom Weibe beherrſcht zu werden iſt für den 
n bie äußerſte Schmach, jagt Democritus. Wenn er nun 
f in ber Ehe für jo ſchmählich anfah, was follen wir von 
— Wie ſicher iſt dagegen die Liebe in 
ber Ehe, wo gegenſeitige Bande jene Furcht nicht auffonmen 























% 
J 


= 


—* 


Fr er. Du ſollſt aber doch nicht heirathen. 
E ten. Das will ich mit mir felbft ausmachen ; bu 


Durch) folches Aengftigen drängen fie den Pfaffen 
F Geſchmeide, Dienſtmägde und was ſonſt noch 
— indem ſie mit Fortgehen drohen, wenn man es 
gewähre. Reißt dann Einem die Geduld und er 
—* 8 ſcharfe Worte, oder wie Etliche im Brauch 
u, gar Schläge: Haft du vergeſſen, Pfaff, erwidert fie 
m, daß ich von allerlei Dingen weiß? die will ich nun aus— 
* und unter die Leute bringen — damit läuft fie aus 
n Haus, und ihm wird angſt und bang, denn er weiß gar 

* ſie kann, wenn ſie will. Unſere Elſe wenigſtens wußte 
nn jeden Tag auf neue Art zu quälen: bald hatten 
** Kleider als fie, bald trug Eine Ringe und 
eine und hatte fünfundzwanzig Mägde; fie allein, fchrie 
Di mi jife one Seleit, ohne Schmuck dahergehen. Er dar— 
f, wenn er eben nicht bei Gelbe war, entlebnte ober ver— 
| ufte Bein oder Srächte, ober nahm bei Juden gegem Wucher- 


* Eine —— Wirthſchaft, bei Gott! 


| a 








s0 Hutten's Gefprädhe. Erftes Bud. 


Fieber. Ia, auch ſolche find mir vorgefonmen, Die, um 
ihren Zuhälterinnen ſchenken zu fönnen, zu Diebjtahl und 
Kirchenraub griffen; wie jener Ordensbruder neulich, der es 
mit einer foftfpieligen Berfon zu thun Hatte, ihr ſchweres 
Gold und Silber aus der Sacriftei zutrug. 

Hutten. O dur heilige Geiftlichfeit! Thun ſolches auch Die 
Mönde? | 

Fieber. Die Mönde? Als ob es etwas gäbe, das bie 
Mönche nicht auch thäten! Noch Andere habe ich falſche Eide 
ihwören fehen und Gift mifchen und Verrath fpinnen uns 
andere unglaubliche Verbrechen begeben. 

Hutten. Die fih folder Dinge ſchuldig wifjen, die müſſen 
fich freilich bei ihrer Liebe micht wenig fürdten. Aber warım 
verhehlen fie ihren Zuhälterinnen das nicht, deſſen Befannt 
werden fie zu fürchten haben? 

Fieber, Weil fie verliebt find. Nein Verliebter ann 
etwas verbergen, denn nadt jchreitet Cupido einher, 
Butten. So halten alfo die Berliebten nichts gebeim? 

Fieber. Die von biefer Art nicht, 

Butter. Zu ihrem großen Schaben, ſollt' ich meinen: Das 
iſt eine gefährliche Art, verliebt zu fein, 

Fieber. Wie du fagft, denn der Zubälterinnen Liebe ift 
ohne Beſtand, auch haben fie fein Gewifjen, baher verratben 
fie dem Nächſten Beiten, was jie gehört und gefehen haben: 
die Einen, weil e8 ihrem Gejchlecht eigen: ift, nicht: ſchweigen 
zu können; Andere denen zu lieb, welchen fie ed berratben; 
Einige auch denen zu leid, von welchen fie veven, wenn fie 
gerade böje auf fie find; und am leichteften thun fie bas, 
wenn man fie fortgejagt bat. 

Yutten. Nun du mir deutlich gemacht haft, warum bie 
Pfaffen nicht wagen bürfen fie fortzujagen, ſehe ich erft echt, 
wie elenb bie daran find, welche fich vaheim in ſolchen Zwang 





II. Das Fieber. Zweites Geipräd. 8l 


verjtridtt haben; venn fie müffen ja in all ihrem Neben und 
Thun fich nach den Weibsbildern richten. 

Tieber. Und zu Freunden und Feinden haben wen biefe 
wollen. 

Butten. Und oft große Vortheile aus der Hand laffen um 
ihnen zu Willen zu jein. 

Fieber. Und aller Leichtfertigfeit nachgehen, jedem ernften 
Streben entfagen. 

Buttn. Und das Geiftliche keiner Bohne werth achten. 

Fieber. Und Recht und Unrecht für gleich viel halten. 

Hutten.) Etliche nehmen wohl gar ihre Zuhälterinnen zu 
Weibern. 

Fieber. Oder ändern fonft auf ärgerlihe Weife ihren 
Stand. 

Hutten. Und ſcheuen vor keinem Frevel zurück. 

Ficber. Stürzen ſich vielmehr ohne Beſinnen in jede Art 
von Schande. 

Hutten. Wie gar übel ſteht doch Prieſtern ein ſolches 
Leben an! Ihnen ſollte das Geiſtliche ſo am Herzen liegen, 
daß ſie alles Weltliche ſich aus dem Sinne ſchlügen: wie 
pflichtwidrig alſo, wenn ſie ſo ganz nur nach Eitlem und 
Nichtigem trachten, daß ſie an das Geiſtliche gar nicht mehr 
denken. Zwar ſie denken wohl daran; denn ich ſehe ſie ja, um 
Geiſtliche zu werden, nach Rem laufen und da oft ſchmähliche 
Knechtsdienſte verrichten.?) 

Fieber. Das thun fie nicht um Gottes willen, um beſſer, 
jondern der Pfrünvden wegen, um reicher zu werben. 

Hutten. Reich zu werden alſo geben fie jich Mühe, geijt- 
lich zu werten aber nicht? 


1) Warum Hutten bie vier folgenden Sätzchen bie „Schande“ in ber 
beutfchen Ueberfekung weggelaflen, f. in meinem Ulrich von Hutten, II, 120. 
2) Das find dann die fogenannten Eurtifanen. 
Strauß, Hutten's Gefpräce. 6 





82 Hutten’s Geſpräche. Erſtes Bud. 


Tieber. Es in der That zu werben nicht; nach dem geift- 
(ihen Namen aber, weil er fo einträglih ift, trachten fie 
eifrigft; oder fiehft du nicht, wie viel große Schufte fich mit 
diefem Mantel deden? 

Butten. Jetzt endlich fehe ich's. 

Tieber. Das haft du mir zu danfen. 

Butten. Ich kann es nicht Teugnen. 

Fieber. Alfo läſſeſt du mich ein? 

Zutten. Das hab’ ih noch nicht im Sinn. 

Tieber. Noch nicht? So undankbar wäreft du, Daß bu 
mich, da ich dich weife mache, nicht berbergen wollteft ? 

Zutten. Weil ich dich nicht ertragen kann. Du verbientefl 
fhon, daß dich Einer aufnähme, wenn man nur nicht auch 
viel Schaden von bir hätte. 

Tieber. Wie viel? 

Zutten. Mehr als ich aushalten kann. 

Tieber. Wie weich und empfindlich bu geworben bift! Ehe 
dem hatteft vu dir vorgefegt, um ver Weisheit willen felbft das 
Härtefte zu dulden. 

Hutten. Mich Haft du jeßt hinlänglich unterrichtet: geh’ 
nun und lehre bie Pfaffen, daß fie wieder in den rechten 
Meg einlenken; denn was fie jo noch mit Ehriftus gemein 
haben, fehe ich nicht. 

Tieber. Ich fagte dir ja ſchon, daß fie der Uebel mehr 
al8 genug und feinen Pla mehr für das Fieber haben; Hat 
doch Jupiter felbft, als er neulich des Lebens der Pfaffen 
mit ihren Zuhälterinnen gewahr wurde, den Spruch getban: 
Das ſoll das Pfaffenfieber fein! und mich andre Leute auf 
fuchen heißen. 

Butten. Welche andere? 

Fieber. Di vor Allen, und wenn bu mich nicht wollteft, 
jo follte ich zu ven Kaufleuten und den Xebemännern in ven 
Städten gehen. 





HL Das Fieber. Zweites Geſpräch. 83 


Yutten. Sagte bir bei biefer Unterrevdung Jupiter nicht 
auch, was er von des Papftes Calixtus Saguny halte, welche 
den Geijtlihen vie Ehe unterfagt?!) DBilligte er es, daß 
man fie aus dem von ihm eingefegten Eheſtand in ein Huren- 
leben bineingetrieben ? 

Fieber. Nichts weniger, fondern er fagte, hinter feinem 
Rüden und da er zufällig im Götterrathe nicht zugegen 
gewefen, fei über dieſe Sache berichtet und befchloffen worden. 
Er meinte auch, der Beſchluß müſſe umgeftoßen und ben 
Geiſtlichen wierer wie vordem geftattet werben, Eheweiber 
zu nehmen, damit fie nicht vom unreinen Bett aufitehend mit 
befledten Händen und Gemüthern das Heiligthum verwalten. 

Yutten. Dazu rathe ich auch in deinem Namen, damit 
bu wieder Eingang bei ihnen finden mögeſt. Denn fo lange 
die Pfaffen mit Zuhälterinnen leben, ift für dich, fo viel ich 
jehe, bei ihnen nichts zu machen. 

Fieber. Nein; denn einmal bat mir's Jupiter verboten, 
dann haben fie auch fchon andere Kranfyeiten genug. 

Hutten. Wohl von ihrer Schlemmerei? 

Fieber. Auch von den Zubälterinnen, welche oft des 
Geminnes halber mit kranken Mannsleuten umgehen, es fei 
einer ausſätzig, oder waljerfüchtig, oder habe die Franzoſen 
oder fonft etwas an fich; von tenen bringen fie dann biefe 
Uebel heim und fteden ihre Liebhaber damit an. 

Hutten. Auch das ift fein Heiner Theil ihres Elendes. 

Fieber. Ein großer, wie du fiehft. 

Yutten. Wenn aber BPfaffen feine Zuhälterinnen baben, 
willft du auch von denen nichts? 

Tieber. Nein; denn folche find dann mit Geiz behaftet, 
ber auch eine Krankheit, groß und ohne Gleichen ift. 





— * — — 


1) Calixtus II, auf ben Concilien zu Rheims 1119 und im 
Lateran 1123. 


6* 





Sutten’s Geſpräche. Erſtes Bud. 


84 


Zuttm. Wenn aber Einige auch nicht geizig find, was 
willft du mit denen machen? 

Fieber. Die find arm und halten mich durch Mangel 
von fich fern. 

Zutten. Du fuchlt alle möglichen Vorwände, um bei mir 
anzukommen; es wird aber nichtd daraus. 


Fieber. 
Butten. 
Fieber. 


Hutten. 


Fieber. 
Butten. 
Fieber. 
Hutten. 
Fieber. 
Hutten. 
Fieber. 
Hutten. 


Tieber. 
Hutten. 


Dann wird auch aus deinem Weiſewerden nichts. 
Wer hindert's? 

Deine Verliebtheit, die ich allein dämpfen kann. 
Du minderſt die Leibeskraft. 

Ich mehre des Geiſtes Munterkeit. 

Du entzündeſt das Blut. 

Ich löſche die Brunſt. 

Du ſchwächeſt das Herz. 

Ich ſtärke den Verſtand. 

Du bringſt Schmerzen mit. 

Ich treibe die Ueppigkeit aus. 

Wie? biſt du es nicht, welche vie Menſchen cft 


an löblichen Thaten verhindert? 


Wie? bin ich ed nicht, die vielen Sünden vorkeugt? 
Auf diefe Art wären alle Krankheiten gut, denn 


fie ſchwächen wie du ven Körper und verzehren bie Krüfte. 

Fieber. Nicht wie ich; denn unter ihnen find einige, bie 
zum Davonlaufen übel riechen, over durch Geſchwüre entftellen 
und das Fleiſch wegfreffen, over die Sehnen zufammenzieben 
und lahm machen; das alles ijt beim Fieber nicht der Fall. 

Hutten. Da jagt du nicht die Wahrheit; denn mit einigen 
Arten des Fiebers ijt dergleichen wirklich verbunden; wenn das 
aber auch nicht, fo doch Magerfeit, Bläſſe und leicht aud 
der Tod. 

Ticber. Den Tod anlangend erwiedere ich, daß Keiner 
fticht, ver mich zu behandeln verfteht; Magerfeit und Bläſſe 
aber, find denn das Uebel? 





II: Das Fieber. Zweites Geſpräch. 83 


r Zutten. Sagte bir bei dieſer Unterrevung Jupiter nicht 

0b, was er von des Papites Calixtus Sakung halte, welche 
- den Geiftlichen die Che unterfagt?!) DBilligte er es, daß 
"man fie aus dem von ihm eingejegten Eheſtand in ein Huren- 

leben hineingetrieben ? 
- Fieber. Nichts weniger, fondern er fagte, hinter feinem 
nen und da er zufällig im Götterrathe nicht zugegen 
aewefen,, fei über dieſe Sache berichtet und bejchloffen worden. 
meinte auch, der Beſchluß müſſe umgeftoßen und ven 
ftlichen wieder wie vorbem geftattet werben, Eheweiber 
a nehmen, bamit fie nicht vom unreinen Bett aufjtehend mit 
Hedten Händen und Gemüthern das Heiligthum verwalten. 
» Butten. Dazu rathe ich auch in deinem Namen, damit 
du wieder Eingang bei ihnen finden mögeft. ‘Denn fo lange 
Re Bfaffen mit Zuhälterinnen leben, ift für dich, fo viel ich 
E ‚ bei ihnen nichts zu machen. 
. Fieber. Nein; denn einmal bat mir's Jupiter verboten, 
haben fie auch fchon andere Krankheiten genug. 
, Butten. Wohl von ihrer Schlemmerei ? 
4 Fieber. Auch von ven AZubälterinnen, welche oft dee 
nes halber mit Franfen Mannsleuten umgehen, es jei 
ausſätzig, oder mwajlerfüchtig, oder habe bie Franzofen 
fonft etwas an ich; von denen bringen fie dann dieſe 
übel Heim und fteden ihre Liebhaber damit an. 
pi Wetten. Auch das ift fein Heiner Theil ihres Elendes. 
Kı FVieber. Ein großer, wie bu fiehft. 
Hatten. Wenn aber Pfaffen keine Zubälterinnen haben, 
Bft du auch von benen nichts? 
t Fieber. Nein; denn folche find dann mit Geiz behaftet, 
= ie auch eine Krankheit, groß und ohne Gleichen ift. 


















H Calixtus II., auf den Eoncilien zu Rheims 1119 nnb im 
Eateran 1123. 
6* 





86 Hutten's Geſpräche. Erftes Bud. 


Yutten. Es war mir entfallen. Doch laß dir Eins fagen: 
ich till jo wenig lieben als bleich fein. Was ih aber von 
bir hauptſächlich fürchte, ift Körperſchwäche. 

Fieber. Ich will bir aber die Kräfte micht minder, ich 
will als viertägiges bei dir fein, 

YZutten. Gar viertägig? Ich mag bich nicht 

Fieber. Weil du vergeffen haft, was von mir gejchrieben 
ift, daß, bei wem ich einmal viertägig gewejen, ber nachher 
gejunder und ftärfer wirb als je zıtvor.*) 

Hutten. Bei mir bift du ſchon einmal gewefen * haſt 
dieß nicht gehalten; wie ſoll ich dir alſo trauen? 

Fieber. Damals waren zu gleicher Zeit noch andre Krank 
heiten da, bie mich nicht zu meinem vollen Rechte kommen 
liefen; jest, wenn ich affein bei dir bin, will ich dir bein 
Körperchen ganz friih und munter machen. 

Yutten. Wie denn? 

Fieber. Erſt will ich dich fchlanf und behende machen; denn 
feit vu fo wohlbeleibt wirft, halten dich die Yeute für träge 
und faul, Dann will ich deinem Geficht einen erniten Aus 
druck geben, damit man dich nicht für leichtfinnig halte; denn 
es gefällt mir nicht, daß du jo gar viel lacht und fcherzeit. 

Hutten. Lachen und Scherz willft bu mir benehmen, fprich? 

a hätteft du mir gerade Alles genommen was bie Weiber 
lieben, Darum hab’ ich dieſe Thüre für dich mit dem Spruch 
gezeichnet: Hebe dich, Fieber! Da lies die Infchrift. 

Fieber. Erhitze dich nicht. Dur follft das alles wieder 
erhalten, wenn ich dir erſt deine Kräfte wiedergebe. 

Yutten. Und mittlerweile ſoll ich ganze ſechs Monate, wie 
ehedem, elend jein? 

Fieber. Zwölfe foliteft vu mir zugeftehen, ein ganzes Bahr, 
damit ich dich vollfommen weije machte und bir Diefe Ber 


1) S. oben im erften Geſpräch, ©. 56. 





II. Das Fieber. Zweites Geſpräch. 87 


tiebtbeit nähme, die dich fchon feit lange an erniter Weisheit 
hindert. 

Hutten. Hebe dich, Fieber! hebe dich, Fieber! 

Fieber. So ſchrei' Doch nicht fo, ich gehe ja nun zu den 
Waſſertrinkern. 

Knabe. Hebe dich, Fieber, hebe dich! du machſt mir 
meinen Herrn unwirſch wenn du ihn plagſt; darum hebe dich. 

Fieber. Auch du brauchſt nicht zu ſchreien; ich gehe ja 
ſchon: und da ſehe ich eben einen von den Kaufleuten üppig 
tafeln; der wird mich gewiß aufnehmen, es liegt ihm noch 
etwas ſchwer im Magen von der geſtrigen Schmauſerei; an 
ihn will ich. 

Hutten. Aber vielleicht hat er Aerzte. 

Fieber. Wohl hat er deren, doch von dem gemeinen 
Sclage, die ihm täglich etwas einftopfen, was aus Wrabien 
gekommen, oder in Indien gewachlen ift. 

Hutten. Und was ftopft er dagegen ihnen ein? 

Fieber. Seine föftlichen und königlich zubereiteten Speifen, 
zwanzig Gerichte auf eine Mahlzeit, Rebhühner, Pfauen, 
Faſanen, Fische, Seemufcheln und was fonft mit Gold aufe 
gewogen wird. | 

Hutten. Da fallen wohl auch fie bir anheim burch ihre 
Schlemmerei ? 

Tieber. Gewiß; auch habe ich fchon ein Auge auf fie. 

Hutten. Da thäteft vu mir einen Gefallen, wenn du ein 
paar Hundert von ihnen umbrächteft. Aber warnen fie ihn 
denn nicht unter dem Schlemmen, daß er fich vor Krankheit 
hüten folle? 

Fieber. Nur allzuviel warnen fie ihn, zu feinem großen 
Verdruß; fie fehreiben ihm nämlich vor, fich nach ärztlicher 
Kegel zu halten. 

Hutten. Das Schlemmen aber verbieten fie ihm nicht? 

Fieber. Sie verbieten es wohl, doch laſſen fie ihm Manches 





88 Hutten's Geſpräche. Erſtes Bud. _ 


hingehen; denn wenn er nicht fo wäre, müßten fie manchmal 
Hunger leiden. Ja fie drüden fogar gern ein Auge zu um 
des Gewinns willen; denn wovon wollten die Aerzte leben, 
wenn es feine Kranfheiten gäbe? 

Hutten. Leben könnten fie wohl, aber fie müßten baden 
und graben. 

Fieber. Da wären fie feine Aerzte. 

Yutten. Aber Bauern wären fie, und es ſtünde beffer 
im deutfchen Land, wenn man ſammt Rhabarber und Kolo: 
quinten die ganze Sippſchaft der Aerzte austriebe. 

Fieber. Auch deinen Stromer und den Kopp und Ebel 
und Ricius und noch einige andre bie bu lieb haft?) 

Yutten. Sie nicht, denn fie find rechtichaffene Männer, 
doch eben darum mitunter um fo weniger Aerzte. 

Fieber. Sie wären noch rechtfchaffener, wenn fie dir Nieß- 
wurz, mehr als ein Dubend Pfund, einfchütteten. 

Zutten. Wozu fo viel, mein Fieberchen ? 

Fieber. Dir die Zollheit abzuführen, daß du ein Weib 
nehmen willft, du, ein Menſch zum Stubiren gemacht, vem 
ein Weib nır die Ruhe jtören und im Streben nah Weis 
heit binderlich fein würbe. 

Hutten. Ein Weib zu nehmen, bin ich noch nicht ent- 
ſchloſſen; indeß, wenn ichs auch thäte, fehe ich doch nicht, 
was damit gefehlt wäre. Dir aber thäte wohl Nießwurz 
noth, um dir die Narrheit-auszutreiben, mit ber du auch 
Andre närriſch machſt. 

Fieber. Ich mache die Leute fleißig. 

Hutten. Hebe dich, Fieber! hebe dich, Fieber! 

Fieber. Schrei nicht, du ſollſt ja des Fiebers los fein, 
damit andere Krankheiten bei bir -Raum finden. 

1) Auch Gregor Coppus mar, wie Stromer (|. 0. S. 56) in 
Mainziihen Dienften,; Nacob Ebel war am Hofe bee Kurfürften ven 
Klin, Paul Ricius im Dienfte des Kaiſers Marimilian gemwefen. 





III. Das Fieber. Zweites Geſpräch. 89 


Butten. Hebe dich, Fieber! denn die find Narren, die fo 
ftudiren daß fie fonjt nichts thun. 

Fieber. Durch diefe Worte wirft du alle Gelehrten gegen 
dich aufbringen, vor Allen die Zunft der Zheologen. 

Yutten. Die Verftändigen werben mir nicht böfe werden. 

Fieber. Aber die fich dafür halten. 

Zutten. Denen du ihre Schädel fo ausgeleert haft, daß 
jeder faum noch ein Loth Hirm behalten bat. 

Fieber. Dir wollte ich dein chmähfüchtiges Bischen Ge- 
birn ganz austilgen, Tießeft du mich nur einen Fuß breit bei 
bir ein. 

Yutten. Dafür ift geforgt; und barum geh’ nur, du 
Schwägerin. 

Fieber. Um der drei Worte willen? 

Hutten. Um deiner ververblichen Geſellſchaft willen mit 
deinen endloſen Mähren; geh’ zu den Pfaffen, zu ben 
Buhlern, den Zrinfern, zu den Fuggern, den Kaufleuten, 
den Aerzten, oder, beliebt e8 bir, zu allererit zu Kaiſer 
Maximilian's Schreibern. ?) 

Fieber. Die bei ihm mehr als zu viel Gewinn gemacht 
haben, und daher nun von ihrem Reichthum als große Herren 
in Saus und Braus leben? 

Hutten. Eben zu denen und zu wem bu fonft willft, wenn 
bu nur mich ungefchoren Täffeft. | 

Fieber. Ich gehe fchon; leb' wohl. 

Hutten. Bleib’ einen Augenblid, ich babe noch ein 
Anliegen. 

Fieber. Ich wußte wohl, daß du das Fieber nöthig haft. 

Butten. Nur fo lange, bis ich noch Eins erfahre. 

Tieber. Was? . 


— me. — — 


1) Dieſe bekommen ihr Theil weiter unten, in dem Geſpräch: 
Die Räuber. 





0 Hutten’s Gejpräce. Exftes, Buch— 


Hutten. Sage mir, was iſt die Urſache Pr verlehrten 
Lebens der Geiſtlichen? 

Fieber. Der Müßiggang und deſſen Ppfleger, * Reichthum. 

Hutten. Wie, wenn Deutſchland hierin ſich Rath ſchaffte, 
ihr Einkommen minderte und ſie das Feld bauen und wie 
andre ehrliche Leute im Schweiß ihres Angeſichts ihr. Brod 
erwerben biefe, würde es dann wohl fromme Geiftliche be— 
kommen? 

Tieber, An meiner Statt antworte dir Obidius; 

Wehre dem Müfiggang, fo zerbrihft bu den Bogen Eupibo’s.?) 
Und an einer andern Stelle nennt derſelbe Dichter ven Reichthum 
das Reizmittel zum Böſen. 

Yutten. So fprid, glaubft vu, es werde je dahin formen, 
daß die Deutfchen das thun ? 

Fichber. Warum follt! ichs nicht glauben? 

Yulten. Wie bald aber? 

Fieber, Recht bald, wenn fie die vielen taufend Bfaffen 
wicht mehr bulden werben, die größtentheils unnütze Müßig— 
gänger find, zu nichts gut als zum Eſſen und Trinken 
Laß nur eine Thenrung fommen, da wird es ehrliche, und 
fleißige Leute ſchon verdrießen, das, was ihnen gebührte, vom 
jenen Faullenzern in Wolluft verpraßt zu jehen. 

Butten. Du meinjt wohl, es werde fommen, wie Die Bienen 

Drohnen, das müßige Frefiergefchledt, aus den Körben vertreiben *), 
daß jo auch jene Faulen als unnütze wicht blos, fonbern auch 
verberbliche Gfiever des gemeinen Weſens von den Fleißigen 
und Nothwendigen verjagt und ausgetrieben werben, 

Fieber. Nicht anders, 

Yutten. Aber fie werden ihren Müßiggang entſchuldigen 
und jagen, um ber Weisheit willen geben fie müßig, ‚denn 


1) Bon den Mitteln gegen die liebe, DB. 139, Die andre Stelle 
ift Metamorph., I, 14. 
2) Birgil, vom Landbau, IV, 168, 





III. Das Fieber. Zweites Geſpräch. 91 


Ariftoteles Iehre ja, durch Sigen und Ruben werde bie Seele 
verftänbiger. 

Fieber. Dagegen aber wird man aus ihren Werfen er- 
fennen, welcherlei Muße fie pflegen; denn man Fönnte fie ja 
wohl dulden, wenn fie, wie Plutarch mahnt, ihre Ruhe und 
Muße zur Erwerbung von Wiffenfchaft und Einficht benugten. 

Butten. Du gibft heilfame Rathſchläge, wie ich ſehe. 

Fieber. So nimm mid auf. 

Butten. Ich möchte e8 wohl thun, fähe ich nicht, daß 
unfre deutſchen Fürften einen Rath nöthig haben: fie follen 
das Reich in beifern Stand bringen, indem fie das unenb» 
lihe und unermeßliche Geld, das die müßigen Pfaffen ein» 
nehmen, theils zu Kriegsbebürfnifien, theils auch zum Unter. 
halt gelehrter Männer verwenden. 

Fieber. Das, willft du, foll Karl thun? 

Yutten. Wenn er's ohne Fieber kann, will ichs. 

Fieber. Ich dachte, du würdeft mich zu Karl fchiden. 

Hutten. Das thue ich nicht; fondern an deiner Stelle 
will ich felbjt ihm diefen Rath geben.) 

Fieber. Dann werden die Pfaffen dir das Fieber an- 
wünfchen. 

Butten. Und ich ihnen Podagra, Hüftweh, Gicht, und 
bie ſchlimmſte Peſt von allen, Zuhälterimen. 

Tieber. Dann werben fie dich ermwürgen. 

Hutten. Karl wird fie unterdrückt haben, ehe fie erfahren, 
daß ich ihm dieß gerathen. 

Fieber. Ich fehe ſchon, du wirft fo viel Ungemach haben, 
daß du das Fieber nicht braudhit. 

Hutten. Da laß du mich zufehen, und vielleicht möcht' 
ich nicht ungern einige® Ungemach auf mich nehmen, wenn 
ih nur Karl dazu überreden fann. 


1) Hutten reifte ja bald nachher wirklich nach Brüffel an ben Hof, 
j. meinen Ulrih von Hutten, U, 61 fi. 





92 Hutten’s Gefpräche. Erſtes Bud. 


Tieber. Daß er die Pfaffen umbringe? | Aal, 

Hutten. Mit Nichten; ſondern daß er jie anweiſe, ber 
Trägheit, vem Müfiggang, ver Schwelgerei und Unthätigkeit 
als der fchlimmften Lebensart den Abſchieb zu geben und 
wirfliche Briefter zu fein, bie fih nur um Geiftliches fümmern 
und bes Weltlichen fich entichlagen; daß er fie erinnere, Die 
Frömmigfeit nicht für ein Gewerbe zu halten; daß er ihre 
Ueppigfeit dämpfe und ihr fchändliches Leben abthue. 

Fieber. Auf weſſen Gewähr him foll das geichehen? 

Hutten. Deffen, der gefagt hat: Deine Priefter Taf ſich 
kleiden mit Gerechtigkeit. Denn fonft jchreibt ebenderjelbe von 
ihnen: Wahrheit ift nicht in ihrem Munde, ihr Herz ift eitel. 
Und ein Anprer ruft! Wehe den Hirten Ifrael, pie fich ſelbſt 
weiber. ?) | 

Fieber, Du haft die rechte Einſicht, durch meine Einge- 
bung. Was mwillft du aber hauptfächlih vworbringen, wenn 
du Karl diefen Rath gibft? 

Hutten. Des Herrn Weizen will ich ihn reinigen heißen 
und feinen Weinberg wieverberftellen, von dem er Durch ben 
Propheten fpricht: Es haben viele Hirten meinen Weinberg 
ververbet und meinen Acker zertreten.?) Dann will ih ihm 
zeigen, daß er das thum müſſe, wenn er Deutichlanb in 
Frieden haben und ven Schlechten wehren wolle, die Stellen 
ver Guten einzunehmen; denn eines guten Kaiſers jei e& nicht 
würdig, zu dulden, daß zum Schaden des ganzen Gemein» 
wefens nichtönußige Menfchen in Müßiggang und Tränbeit 
unterhalten werben, und nicht nur unterhalten, ſondern als 
bie Häupter des Regiments geachtet werden. Du ſiehſt ja 
ſelbſt, wie hochmüthig diefe Menſchen fich der Herrichaft an- 
maßen, die, fo ſchlecht fie auch größtenteils find, ſich dech 


1) Pi. 132, 9. 5, 10. Seel 84, 2. 
2) Mattb. 3, 12. Jerem. 12, 10. 





III. Das Fieber. Zweites Geſpräch. 93 


die Kirche, und, als wären fie Gottes Auserwählte, ben 
Klerus nennen, da doch Niemands Leben Chriſto fremper iſt 
als das ihre; aber durch folche Titel aufgeblafen üben fie 
Tyrannei felbft über die Fürften der Welt, und das chriſt⸗ 
lihe Rolf haben fie fich fo unterwürfig gemacht, daß e8 ven 
niedrigjten von ihnen als Herrn begrüßt. 

Fieber. Endlich fehe ich dich hinlänglich unterrichtet, daß 
du des Fiebers nicht weiter bedarfit; aber Rom, die Quelle 
jener llebel, muß vor Allem gereinigt werben. 

Hutten. Gewiß muß es das. 

Ficber. Darum gebab’ vi... 

Hutten. Wohl, meinft du doch? 

Fieber. Vielmehr jo, daß tu aus einer Krankheit in bie 
andere falleſt. 

Butten. Hebe dich, bu böfes Wefen, zu ven Böen; ung 
bewahre Chriſtus. 





IV. 


Vadiscus oder die Römiſche Dreifaltigkeit. 


Einleitung. 


In dieſem Geſpräch ſagt nun Hutten Alles heraus, was er 
gegen die römiſche Hierarchie auf dem Herzen hat, trägt alle 
die Klagen, die ſchon mehr als ein Jahrhundert lang durch 
ganz Deutichland erfchollen waren, ohne Abhülfe zu finden, 
zufammen, und gibt ihnen ben fchärfften, einpringlichiten Aus— 
vrud. Es ift fein Manifeft gegen Rom, wie wenige Monate 
darauf Yuther in feiner Schrift an den deutichen Adel eines 
erließ. Beide Schriften treffen auch im manchen einzelmen 
Punkten zufammen; nicht als hätte Luther nöthig gehabt, etwas 
von Hutten zu entlebnen, jondern weil die Mißbräuche und 
Gräuel am Tage lagen, und madere deutſche Männer mr 
in Einer Art barüber urtheilen konnten. 

Die Form biefes Gefprächs ift durch einen eigenthümlichen 
Einfall beftimmt, indem nämlich nach einem längeren Eingang 
Hutten anfängt, die angeblichen Reden eines gewiſſen Vadiscus 
wieberzugeben, der fürzli aus Rom zurüdgefehrt, jeine dort 
gemachten Beobachtungen immer zu drei und dreien zufammen- 
geftellt habe (z. B.: prei Dinge hat man zu Rom im Ueberfluß 





IV. Die Römifche Dreifaltigkeit. Ginleitung. 095 


brei Dinge find zu Rom verboten; drei Dinge bringt man 
aus Nom beim u. dgl. m., daher der Titel: Römifche “Drei 
faltigkeit). Es ift nicht zu läugnen, biefe Gruppirung bat 
etwas Bilantes, Populäres und Behältliches; daher fich ihrer 
auch Luther gleih im Eingang der oben erwähnten Schrift 
bevient hat, wo er von drei Mauern rebet, welche die Roma⸗ 
niften um jich gezogen, von drei Ruthen, die fie ung, um 
ungeftraft zu bleiben, geftohlen haben. Gleichwohl ift nicht 
zu verfennen, daß fie der Kinverleibung in einen ‘Dialog 
eigentlich widerftrebt. Denn die Triaden find etwas fertiges, 
der witige Kopf, und nun noch mehr der Erzähler, bringt 
fie gleichfam in der Taſche mit und wirft fie wie Münzen 
oder Nüffe aus: während im Dialog Alles entitehen, ein 
Wort das andre geben, ein Gedanke aus dem andern ficht 
barlih hervorwachſen foll. 

Wundern wir ums, wie Hutten zu einer fo eigenthümlichen 
Miihung kam, fo gibt eine Vermuthung von Böcking wills 
fonımenes Licht, daß nämlich unter dem Vapiscus fein Anderer 
als Erotus zu verjtehen fei, und Hutten feine Triaden wirk 
ih von ihm entlehnt habe. Das zwar bliebe Erpichtung, daß 
Babiscus, d. h. Erotus, vor Kurzem in ber Gegend gewefen 
und er fie von ihm mündlich vernommen bätte; denn als 
Hutten feinen Dialog fchrieb, war Erotus noch in Italien, 
und fehrte erft um vie Zeit, als die fünf Geſpräche im Drud 
erichienen, nach Deutfchland zurüd. Aber er kann feine Drei- 
heiten fchriftlich berausgefchict haben, und gerade zu einer 
ſolchen Briefbeilage eigneten fie fich in ihrer kurzen epigram⸗ 
matifchen Geftalt vollkommen. 

Eben in diefer Form find fie nun auch wirklich in jenen 
und den folgenden Jahren verfchtedentlich gedruckt worden, und 
Böcking hat eine lateinifhe und eine deutfche Nedaction ders 
jelben hinter unferm Gefpräh abdrucken laſſen. Davon Ift 
bie lateiniſche ſichtlich aus dem Hutten’fchen Dialog gezogen, 








96 Hautten's Geſpräche. Erſtes Buch: 


und zwar ſehr ungeſchickt, indem an 
mehrmals Stücke des dialogiſchen E 
fin. Gang: anders: ——— E) 
etion. Neben manchen fleinern: Veränperungen 9 
licher Triaden enthält fie erftlich verſchiedene 
fich bei Hutten finden," und dieſe ſehen — 
Erweiterungen, ſondern recht urſprünglich und Crotusartig 
aus (z. B. die zwei am Schluß: Drey haben: diß geſchriben: 
Ernft, Not, vnd Warheht. Drey mus gibt diß buchlein: 
erfarung, lere, vnd warnung). Umgekehrt aber find auch 
mehrere der Dreiheiten, die das Geſpräch enthält, im ber 
jpruchförmigen deutſchen Nedactiom wicht zu finden, und 
darunter namentlich diejenigen nicht, welche Hutten ausprüde 
lich fich felbft oder feinem Mitunterrebner, als Seitenjtüde 
die fie zu denen des Vadiseus gegeben, zufchreibt, Diefem nach 
ift es nicht wahrfcheinlich,, daß auch die deutſche Triavenfomms 
lung aus Hutten’s Gejpräch gezogen, fonvern umgekehrt, daß 
dieſes eine freie Verarbeitung eines Crotus'ſchen Blattes fei, 
und nichts hindert anzunehmen, daß wir in ber bei 
abgedruckten beutfchen Trias, die beigefügten: Reime ewe abe 
gerechnet, diefe Aufzeichnung des Crotus noch übrig. haben. 
Erſt durch dieſe Vorausjekung wird uns auch Hutten’8. Ders 
fahren ganz werjtändfich. Die Dreiheiten feines e 
Freundes reizten ihn, wie den Muſiker eine Melodie reizt, 
Variationen darüber zu ſchreiben. Und den Leſer reist es 
man, Wenn er aus dem reichen bialogifchen Geflecht, wermit 
Hutten fie durchſchlungen, immer von Neuem die medifchen 
Triaden hervorfpringen fieht. Der logischen Ordnumg freilich 
war eine ſolche Einrichtung nicht förderlich. Kein andres von 
Hutten's Geſprächen tft reicher an Cirfelgängen und Wieder⸗ 
bolungen. - 0m 
Eine zweite Bermuthung von Böcking, die, miv alle Sichers 
heit einer, Entredung zu haben fcheint, ift, daß unter dem fich 






































—— 





IV. Die Römiſche Dreifaltigkeit. Einleitung. 97 


mit Hutten unterredenden Ernhold fein Freund Arnold Glau⸗ 
berger, oder vor Glauburg, in Frankfurt zu verftehen fei. 
Der Schauplatz bes Gefprähs und Ernhold's Wohnort ift 
Franffurt; ver Name Eruhold gibt ſich als eine leichte Dias» 
firung des Vornamens Arnold zu erkennen; Ernhold wird ale 
Kenner des bürgerlichen und lanonifchen Rechts bezeichnet, wie 
Slauberger beider Rechte Doctor war; ob viefer gleichzeitig mit 
Hutten in Rom gewefen, wie im Gefpräh von Ernhold gejagt 
wird, weiß ich nicht; fehr merkwürdig ift aber (worauf ich fchon in 
meinem Ulrich von Hutten, II, 31, Anmerkung 1, aufmerkfam 
gemacht habe, ohne jeboch auf ven glüdlichen Einfall Böcking's 
zu geratben), daß Hutten ven Ernhold des Dialogs an einer 
Stelle ganz ebenfo um Fürfpradhe in feiner Frankfurter Brauts . 
werbung anzugehen fcheint, wie er früher brieflihd Arnold 
Slauberger darum angegangen hatte. 

Das vorliegende Gefpräh ift von Hutten auch dadurch 
ausgezeichnet, daß es nicht wie bie Übrigen erjt in ber deut⸗ 
ſchen Ueberfegung zufammenfaffende Schlußreime, fondern ſchon 
im lateinifchen Original eine epigrammatifche Inhaltsanzeige 
in 15 Diftihen angehängt erhalten hat; die wir indeß nicht 
überfegen, weil fte fich in ter Berveutfchung noch umpoetifcher 
ausnehmen würden, als im Xateinifchen ſchon der Fall ift. 

Gewidmet ift der Dialog in einer aus Stedelberg vom 
13. Februar 1520 datirten Zufchrift dem mit Hutten ver- 
ſchwägerten Mainzifchen Domherrn Sebaftian von Rotenhan. 
Der Schwager hatte angefragt, ob Hutten etwas unter der 
Feder habe. Wie er zweifeln möge? erwibert dieſer; habe er 
das Schreiben in ber Unruhe des Hoflebens nicht laſſen 
fönnen, fo lade ihn auf Stedelberg die Einſamkeit doppelt 
dazu ein. Als Beweis davon fehide er biefes Gefpräch, das 
ihm mit Anderem die Ruhe und die Berge hier gebracht 
haben. „Ich will dir“, fährt er fort, „das Büchlein nicht ale 
gut empfehlen, da der Gegenftand, von dem e8 handelt, ein 

Strauß, Hutten's Gefpräde. 7 





98 Hutten's Geſpräche. Erſtes Buch. 


ſo ſchlechter iſt; als frei und wahr möchte ich es vielleicht, und 
unter dieſem Namen muß es dir auch am willkommenſten ſein. 
Ich ſelbſt wenigſtens bin, wenn irgendwo, in dieſem Büchlein 
mit mir zufrieden. Unſre Freiheit war gefeſſelt und von des 
Papftes Stricken gebunden: ich löſe ſie. Verbannt war die 
Wahrheit, verwieſen über die Garamanten und Inder hinaus: 
ich führe fie zurüd. Einer folchen und fo großen That mir 
bewußt, mache ich auf feine öffentliche Belohnung Anfpruch. 
Das allein wünfche ich, daß, wenn mich Jemand darum ver- 
folgen ſollte, alle Guten bie DVertheidigung meiner Sache 
übernehmen mögen. Das foll der Lohn dieſer Arbeit fein.‘ 2) 


— 


1) Hiezu vergl. meinen Ulrich von Hutten, Thl. II, Kap. II, S.27—38. 





Badiscus oder die KRömifche Breifaltigkeit. 


Es unterreden fih: Eruhold und Hutten. 


Ernhold. Sieh da Hutten! kommſt du endlich einmal 
nieder zu uns von deinem Mainz, das du das goldene zu 
nennen pflegſt? | 

Zuttn. Ia wohl golden. Denn unter allen beutfchen 
Städten dünkt mir dieſe, durch günftige Dertlichfeit wie 
durch mildes Klima, den erjten Preis zu verdienen. Die 
Saft ift fo geſund wie fonft nirgends, die Rage äußerft an- 
mutbig, am Zufammenfluß zweier großen Ströme, Main und 
Rhein, was das Meifen erleichtert und Alles was in ganz 
Denifchland vorgeht fchnell dort befannt werden läßt. Dann 
bin ich auch der Meinung, daß es für Gelehrte ein beſonders 
Mfagenter Wohnort fei; denn fo oft ich anderswoher zurüd- 
omme, kaum daß ich die Stadt wieder im Gefichte habe, 
Übfe ich mich erfrifcht und erheitert, werbe auch dort nie bes 
teiens oder Schreibens müde, und nirgends, wie mich däucht, 
jeht mir pie Geiftesarbeit leichter und glüdlicher von Statten. 

Ernhold. Daß die Stadt diefe Vorzüge bat, ift mir nicht 
nbelannt; doch vermuthete ich einen andern Grund, warum 
u fie golden nennteft. 


Zuttn. Welchen ? 
7. 





100 Hutten’s Geſpräche. Erſtes Bud, 


Ernhold. Daf die Pfaffen daſelbſt Gold Haben und darauf 
faft eifriger aus find als auf ihre geiftlihen Berrichtungen. 

Hutten. In dieſer Rückſicht müßte ih vor Allem euer 
Frankfurt golden nennen; denn da haben die Leute Gold bie 
Fülle, hier werden Geldgefchäfte gemacht wie faum anderswo, 
hieher reifen Käufer und Verkäufer von allen Enden ber 
Welt, hier legen die Kaufleute ihr Gold nieber und haben die 
Fugger ihre MWechfeltifche, ja ganze Berge von Gold. Über 
Mainz babe idy golden genannt wie wir etwas recht Schönes, 
das ums befonders zufagt, uns theuer und werth ift, jo zu 
nennen pflegen. 

Ernhold. Warum haft du es dann nicht einen Edelftein 
genannt? 

Butten. Weil mir eben jenes einfiel; übrigens mußt bu 
wiffen, daß es nicht eine neue Erfindung von mir, fonbern 
ein alter Ehrenname der Stadt ift. Wie ja auh Köln von 
alten Zeiten her felig heißt, und noch jett hält es eifrig auf 
diefen Beinamen. ®) 

Ernhold, So fagt man; aber dir wird nicht unbekannt 
fein, daß and das ein altes Sprüchwort ift: Mainz; von 
jeher nichts muß. 

Qulten. Ich rühme den Ort; über die Vente frei id 
nicht. Indeſſen Hat ja die Stadt nicht mehr ihre eingeborene 
Bevölkerung, auch regiert fie fich nicht mehr jelbft, und Hat 
überhaupt nichts Altes mehr. 

Ernhold. Darum laffen wir das Alte, du aber fag’ an, 
was du luſtiges Meues von da bringt. 

Hutten. Etwas Nenes wohl, das aber nicht eben luſtig 

Ernhold. Nım, was iſt es denn, das m der golbenen 
Stabt dich verbroffen hat? | 


1) Colonia felix, fteht in Hutten’s Ueberjegung am Rande, Die 
Seligleit beftanb in der Menge von Kirden und Pfafſen. 



































IV. Die Romiſche Dreifaltigteit. 101 
Gutten. Verdr eofen Hat mid) eimaez vo de ſauu mir 


* 27 ; Spaßfaftes erfahren Jahr. 

* 1] d. ak: — 

— in Köln ſei ein — Saft ge 
en, ber unmäfig reich und merfuhteig geijig geneen 
Emnb r d. Und das fandeſt du luſtig? 

hultten. Das wicht, ſondern daß er fo ungern aus dem 
keb — nachdem er zuvor noch oft ſein liebes Gold be— 
ann Zehn Tage vor feinem Ende ließ er ſich das— 
tt feinen übrigen Schäten herbeibringen und unter 
—9*F ich glaube, um es in jene Welt mitzunehmen; 
5 er von allen Orten ber Aerzte zuſammenrufen und 
h ihnen unermehliches Geld, wenn fie ihn wiederhers 
** wie er aber ſah, daß es um ihn geſchehen 
zrach er in erbärmliches An und Jammern aus, 
> er zugleich die Dinge, au denen fein Herz hing, ſich 
zeigen, feine Rechnungsbücher ſich vorlefen und 
— vorrechnen ließ. Ja, da er ſchon mitten 
lag, ſoll er noch vielhundertmal ausgerufen haben: 
in Geb! meine Güter! meine Pfrünven! und mit äußerſt 
mwilfigen Bliden vie Umpftehenden angefehen, won denen er 
| * —* fie, eh’ er noch kalt geworden, Alles mit ſich 
petnehmen würben, ohne es ihm nur Dank zır willen. Enp- 
lich, da ihm ſchon die Augen gebrochen und das Geficht ver- 
gangen war, habe er bis in den Tod hinein mit beiben 
Händen fo viel er gekonnt von feinen Schägen umfaft ge: 
— ——— iſt das nicht luſtig? oder könnte es Jemand 
armen — ⸗ einer nach einem ſolchen Leben ſo geſtorben iſt? 
Mich gewiß nicht, ſondern ich bin ganz deiner 
* und wünſche von Herzen allen Geizigen, daß fie das, 
FE jo begierig erjtreben, mit vielem Schmerz verlieren 
ce recht erbärmlich grämen mögen. Und wäre 
Bw Pfaffen in feiner Tovesftunde gewefen, hätte 





Er 





102 Hutten’s Geſpräche. Erftes Bud. 


ih wohl feine Beutel oder feine Kaffe genommen und ihm 
damit bis zum letzten Athemzug in die Ohren nen fo 
wenig hätte ich Mitleid mit ihm gehabt, 

Hutten. Du haft Recht; ich würde e8 auch nicht — 
gemacht, ſondern die Narrheit des Menſchen auf jede Bir noch 
gereizt haben, 

Ernhold. Das wäre fomit gut; nun aber lage mir auch 
was dich verbroffen bat. 

Yutten. Daß man mir den Gefchichtjehreiber Cornelius 
Tacitus, von dem kürzlich fünf neue Bücher aufgefunden und 
zu Nom gebrucdt worden find), nicht hat wieder drucken 
wollen. Denn wie ich ihn in diefer Abficht dem Buchbruder 
brachte, gab mir ber zur Antwort, er getrane es fich nicht, 
weil durch eine Bulle Yeo’s X. verboten fei, das Buch binnen 
zehn Jahren von Neuem zu druden. 

Ernhold. So lange alfo ſoll Deutfchland den Tacitus 
nicht lefen? Denn zumal die Bücher, bie zu Nom gebrudt 
werben, fommen ja äußerjt jelten zu uns. 

Hutter. Auch mich ärgert dieß vor allem Anvern; weiter 
aber das, daß es fo jchwer hält, unfre Yandsleute von dem 
Aberglauben abzubringen, als hätten fie fi um eine Bulle 
zu kümmern, deren Zwed ift, Geiftesbildung und wiſſenſchaft 
lichen Fortfchritt unter uns zu hemmen. Daher babe ich 
jenem Druder, der, wenn er mir meinen Willen und allen 
Gelehrten einen Gefallen thäte, jich bereits im Banne fab, 
die Frage vorgelegt: wenn ein Papit fo böswillig wäre und 
uns Deutjchen bei Strafe des Banns verböte, Weinberge zu 
bauen oder auf Solo zu graben, ob er glaube, daß dann bie 
Leute Hier zu Lande Waſſer trinfen und ihr Gelb wegwerfen 


nm =— — — — 


1) Es find bie ſechs erften Blicher der Annalen (bier fünf, weit 
das fünfte faſt ganz feblt) gemeint, welche aus einer Handichrift des 
Klofters Corvey zum erftenmale in Rom 1515 nebrudt worben waren. 

































IV. Die Römifche Dreifaltigfeit. 103 


mürben? Er meinte, nein, das wirven fie nicht. Run, fagte 
Is ter, und wenn einer bie Wiſſenſchaft, ein Ding viel 
nichenömwertber als Wein und Gold, uns nicht gönnte und 
br ium unterfagte, ob er meine, wir würden dieſem 
Benuß entfagen, oder mit Schmerz und Umwillen gegen das 
spoftofifche Breve Einfpruch erheben? Das Letztere, fagte 
würde der Fall jein. Warum alſo, verjegte ich, ſcheueſt 
rn den Deutfchen vor Augen zu bringen, einen 
teller, der mehr als irgend ein anbrer um den alten 
—* Volkes ſich verdient gemacht hat? Und ich hätte 
gebracht, wenn nicht der päpftliche Abgefandte, ver 
— aufhält, ihm aufs Neue Angſt gemacht hätte 
bie Berficherung , das wäre eine arge Sünde und würde 
a yo Leo ſehr erzürnen, wenn es ſich Jemand unter— 
Ben hat mich, wie billig, heftig geichmerzt. 
Nicht mit Unrecht; demm ſchmerzen muß uns ja 
z und jo manches Andere noch was man ums anthut. 
a — den Annaten, Penſionen und hun: 
—— Geldforderungen dieſer Art, wann wird man ſich 
‚om einmal in dieſen Stüden beſcheiden fernen? ch 
e fehr, Deutfchland wird es nicht länger aushalten, da 
| * nwefen von Tag zu Tag zunimmt, und den Räubereien 
nd E mgen fein Maß noch Ziel gefett wird. | 
Hut Bie du fagft. Denn auf ber. einen Seite fteden 
im * m. feine Grenze und zeichnen fich feine beftimmte 
Berhaltungsweife vor; auf der andern fcheint es, ala wollte 
eutfche Nation wieder Augen befommen und einſehen, 
ählich fie hinter Licht geführt worden ift, wie man 
— m ie: wadern und vor andern tapfern Volke leeren 
Dunſt vormacht, wie man ſelbſt hochgeborenen Fürſten ver— 
ächtlich begegnet: und bereits jehe ich Viele dieß freimüthig 
berbanbeln und darauf hinarbeiten, daß wir jo bald als 
lid dieſes Boch abſchütteln. 


—E 





1 Dunen’s Geſpräche. Erſtes Buch. 


Eradeld. Das gebe Gott, damit wir einmal aufhören, 
das Welpdtt der Fremden zu fein. — \ 

Uurten,. Das werben wir, wenn mich nicht Alles täuſcht; 
vo wii einmüthiges Streben nach Freiheit fehe ich auf allen 
Swen, Denn je edler einer ift, oder je mehr Geiſt amd 
mu er bat, deſto unzufriedener ijt er, daß, was unſere 
»oreltern aus frommem Sinne ben Kirchen gefchentt haben, 
wun fremden Menfchen zu Rom verliehen wird; daß auferbem 
ers Jahr einigemale bei uns Geld eingetrieben und alle 
moglichen Mittel ausgedacht werben, Das wenige Gold, pas 
woch in Deutſchlaud übrig ift, uns vnollenbs abzunehmen. 
Dabei iſt es mit der Frechheit jet fo weit gefommen, daß 
fte, wo durch Trug und Yodung nichts mehr heranszumelfen 
ift, durch Schreden etwas zu erzwingen ſuchen. Kann es eime 
ſchwerere Bergewaltigung geben? eine ſchmachvollere Miß— 
handlung? eine jchlimmere Knechtſchaft für freie Männer, ja 
denen die Herrfchaft der Welt gebührt? Gleich als hätten fie 
uns mit gewaffneter Hand befiegt und ſich zinsbar gemacht! 
Darum babe ich jtarfe Hoffuung, weil das Unweſen den 
höchiten Grad erreicht hat und nicht wohl höher fteigen Tann, 
es werde brechen und wir erlöft werben. 

Ernhold. Das erwartet du wohl von dent neuen Raifer? 

Hutten, Nicht dieß allein, fondern manches Andere ned, 
bas biefer Nation, dieſes Meichs, feiner Ahnen und feines 
Geſchlechts würdig iſt. Denn wie wird er es doch dulden 
können, daß erſtlich er verachtet, wir geplündert werden, dann 
aber, daß gerabe die, denen man das Meiſte abnimmt, am 
meiſten zum Geſpötte dienen? Denn welches Volk wird zu 
Nom jetzt verächtlicher gehalten ald die Deutjchen? 

Ernhold. Fürwahr, feines; denn fie verlachen port Kinder 
und Alte, Männer und Weiber, Kaufleute wie Pfaffen, Eble 
und lmeble, Freie und Knechte, furz Alle ohne Unterſchieb, 
jelbft die Gefangenen aller Völker, die Juden, wicht ausge⸗ 


IV. Die Römiſche Dreifaltigkeit. 105 


nommen. Mit Sprüchwörtern und Spottreden verfolgt man 
ſie heimlich und öffentlich, macht ſich vor allen Leuten über 
ſie luſtig, verhöhnt fie und hängt ihnen im Scherz und Eruſt 
Ekelnamen und ſchändliche Benennungen an, aus feiner Urſache 
als weil man fie für dumm hält. Allein was ift ber Deut- 
then Dummheit als das, baß wir nicht merlen, wie man 
uns mißhanbelt? daß wir zu viel glauben, und fo uns abber 
trügen laffen, was uns vordem mit Waffen nicht abzuge- 
winnen war? und daß immer fo viele Deutfche zu Rom dienen; 
für feinen andern Lohn, als um ihr angeftammties Erbe (denn 
wie ſoll ich unfrer Väter verfchwenderifche Bergabungen an bie 
Kirchen anders nennen?) bittweife genießen zu dürfen? 

Butten. Nun, und hoffſt du alfo nicht mit mir und abneft 
ihren naben Fall? 

Ernhold. Endlich ja, Dank deinem Zuſpruch. 

Butten. Du glaubft nicht, wie empört und aufgebracht 
mehrere Fürften zu Augsburg im vorigen Yahr!) über ein 
Wort des Carbinals Eajetan waren. Man hatte ihm einen 
langen Aufzug von Geiftlichen gezeigt, und wie er bie Ehr- 
furcht fah, deren diefer Stand bei uns genieht, und die Pracht; 
in ber bie Bfaffen bier zu Rande leben, entfuhr ihm das Wit 
wort, das ihm fein dünken mochte: Ei, was für vornehme 
Stallfnechte Haben wir doch zu Rom! Damit warf er ung unfre 
Narrheit vor, daß wir, ſolche Männer, uns dazu hergeben, 
ben Sarbinälen und Bifchöfen zu Rom ihre Manlefel zu ftrie- 
geln und bie verächtlichften Knechtsdienſte zu leiften. “Darüber 
murrten Einige, ich aber fprach freimütbigen Tabel aus, und 
ließ mid) da und port verlauten, es ſei unfres Volles uns 


— — —— — — — — 


1) Auf dem Reichstag bes Jahres 1518, ber den Schauplatz des 
folgenden Geſprächs bilden wirb, und wo Hutten, wie wir aus bem 
erften Fieber erfehen haben, ben Cardinal Cajetan zuerfi aufs Korn 
genommen hatte. 





106 Huttew’s Gejpräde. Erftes Bud, 


würdig, ſich von Leuten dieſes Schlages nicht nur unterjochen, 
fondern auch verhöhnen zu laffen; denn nichts thut weher, 
als wenn zu der Mißhandlung noch Schmach und frecher 
Spott hinzufommt. 

Ernhold. Möchte er nur noch lang und oft fo böhnen, 
damit wir uns endlich unfrer jelber jhämten! Und er bat ganz 
Recht, denn es ift fo wie er fagt. Nicht leicht hat einer bier 
eine fette Pfründe, der nicht zu Nom darum gedient, ober 
viel Geld zur Beftechung dahin geſchickt, oder fie geradezu 
durch Bermittelung der Fugger gekauft hat. Doch bat man 
denn fir viefes Wort nicht durch eine nambafte Mebe oder 
That Genugthuung genommen? 

Hutten. Wie gefagt, Einige wurden zornig, man murrte 
und flüfterte fich im die Ohren. Es ſchien wirflich, die Deut 
ichen erfennen ihre Schmach und Schanpe. Er jedoch machte 
fih nichts daraus, fonvdern hat immer noch den Simmel 
feil und wartet täglich, wer ihm etwas abkaufe. Im, zum 
Beweis, wie keck er ift, hat er neulich in einer Fürſtenver⸗ 
ſammlung ſich unterftanden, Karl zu jchelten und ihm aller 
band Yeibes- und Geiftesgebredhen vorzumerfen, Die ihr zum 
Kaiſerthum untauglic) machen follten; Alles in der Abſicht, 
uns das franzöfiiche Joch aufzulegen, vie Kaiferwürbe une 
abzunehmen und an deren Stelle die ſchmählichſte ——— 
feit zu ſetzen. 

Ernhold. D Zeit! o Sitten! Wie gar nicht ziemte es 
ih, dem hoffnungsvollen fürftlihen Jüngling ſolche Kran 
fung anzuthun! wie umwürdig unſers Ruhmes war es, einen 
jolchen Vortrag geduldig anzuhören! Aber fage, ſoll ich denn 
glauben, daß das gejchehen ift? 

Yutten. Du darfjt es glauben, 

Ernhold. Und ift der Wolf nicht ing Garn gefallen? 

Hutten. Er ift ausgerifjen. 

Ernhold, Hat ihn denn die Größe ver Gefahr nicht gefchredt? 





IV. Die Römifhe Dreifaltigkeit. 107 


Butten. Nicht im mindejten; im Gegentheil hatte er fich, 
wie man fagt, von felbft zu diefer Geſandtſchaft erboten, dem 
Sinon gleich 

voll trogigen Muths und zu Beidem gerüftet: 
Durchzufegen den Trug, fonft fiherem Tod zu verfallen. !) 

Ernhold. Möchteft du diefen Gegenjtand in Reden und 
Schriften ausführen, fo glaube ich), würde es auf viele 
Menſchen Einprud machen. 

Butten. Wenn diefer Eindruck nicht fhon vorhanden wäre. 
Hat doch ihr Trug nunmehr faft jede Hülle abgeworfen, und 
fie rauben freh und ohne Map. Einen von ihnen habe ich 
vordem zu Rom ermahnt, boch etwas glimpflicher zu Werke 
zu gehen (e8 war einer von den größten Dieben); aber höre, 
welche höhnifche Antwort er mir gab: „Nicht allein foll man, 
jagte er mit den Worten eines alten Raifergejeges, ven Bar⸗ 
baren im mindeſten fein Gold geben, fonvern auch wo man 
jolhe8 bei ihnen fände, es burch Lift und Behendigkeit von 
ihnen bringen.““) So heillofe Unverfchämtheit war mir zu 
viel und ich fuhr gegen ven Menſchen ohne Rüdhalt fo her- 
aus: Du rechneft in dieſen Zeiten uns zu ben Barbaren, und 
mit welchem Recht? Verſtehſt vu unter Barbarei rohe Wild: 
beit und eine ungefchlachte, unfreundliche und unmenfchliche 
Lebensart: wie weit find wir von folchen Sitten entfernt! 
Oder follen, wie e8 Kaifer Gratian gemeint zu haben fcheint, 
außer ven Ehriften alle andern Völker Barbaren heißen: welche 
Nation verdient den Namen einer chriftlicden mehr als vie 
unjrige, bie, neben dem Ruf der Treue, Gaftfreunplichkeit 
und Beitänpigfeit, in dem fie bei allen Völkern ver Welt fteht, 
in Betreff der Religion ſich fo ftreng und untadelig hält, daß 








1) Virgil's Aeneis, II, 6Lf. 
2) Aus einer VBerorduung ber Kaifer Sratian, Balentinian II. unb 
Theodofius (zwifchen 379 und 388). 





108 Hurten's Gejpräde. Erſtes Buch. 


fie an frommem Eifer leicht alle andern Nationen übertreffen 
möchte? Wo ift alfo eim triftiger Grund, uns durch eine 
folhe Benennung einen Schanpflet anzuhängen und "imfer 
Gold uns abzımehmen? Du müßteft denn unſern Sitten bie 
eurigen vorziehen, bie doch, bei Gott, ber Urt finb, daß die 
ganze Welt ringsum wie zur Löſchung eines gemeinverderb⸗ 
lichen Braudes ſich erheben und anf euch werfen ſollte. Damit 
aber der Schuft nicht glauben möchte, ich ſei des bürgerlichen 
Rechts nicht kundig, ſagle ich: Weißt du auch, was die Ge 
ſetze über euch beſtimmen? Damit ſchlug ich das Buch auf 
und zeigte ihm bie Verordnung des Kaiſers Leo ), daß ſich 
Niemand durch Beſtechung um Bisthümer ober anbere geift- 
lie Stellen bewerben jolfe. | 

Ernhold. Ya wohl ein denfwürdiges und wahrhaft heiliges 
Geſetz; das aber heut zu Tage ſchmählich wie faum eim am- 
beres mißachtet wird. 

Yutten. Bitte, da du es auswendig weißt, jag’ e& ber, 
damit du börft, was ich dem Goldfauger erwibert Babe. 

Ernhold. „Ob Iemand in diefer Föniglichen Etabt oder in 
andern des Reiches Provinzen, die in aller Welt zerftreuet 
find, zu biſchöflicher Würde aus Schickung Gottes erhoben 
würde, derſelbe foll aus reiner Geſinnung, gewiffenbafter 
Wahl und Tauterem Urtheil Aller dahin befördert werben. 
Niemand foll den priefterlichen Staud durch Erlegung eines 
Preifes erfaufen; was ein Jeglicher wert ift, nicht wie viel 
er geben kann, foll in Anfchlag gebracht werden. Denn für 
wahr, welcher Ort wäre noch feit, welde Sache geborgen, 
wenn die ehrwiürbigen Tempel Gottes durch Geld zu erobern 
wären? Wo wäre noch eine Mauer für Nedlichfeit, wo ein 
Wall für Treu’ und Glauben, wenn der verfluchte Gofbburit 


— — — — — — 


1) Leo J. erließ mit feinem Mitlaiſer Anthemius biefe Berorbuung 
im Jahre 469. 


































Immere der Gotteshäuſer einfhliche? Ja, mas 
te Heiligthum ſelbſt entheiligt würde? Aufhöre, ſich 
ı Altären zu drängen, die unveine Begier der Habjucht, 
Br n heiligen Stätten werde abgetrieben das gott- 
eLaſter Darum ſoll man zu unſern Zeiten einen 
—— Biſchef wählen, auf daß er, wohin 

mime, Alles durch die Unfträflichkeit feines Lebens 
d nicht durch Gabe, fondern durch Gebet, foll ein 
> geweihet werben. Bon ehrgeiziger Bewerbung 
— ſein, daß er ſich ſuchen und zwingen laſſe, 
st entweiche, eingelaben entfliehe, daß nur feine drin⸗ 
se Ublehnung für ihn ſpreche. Denn unwürdig fürwahr 
— *2* wer: ul: wher jehaenc 


egdem ic) ihm Die Berorbumg fo weit vorge 
te ich ihn: Sind es auch Biſchöfe folcher Art, die 
3 it zu Tage beftätiget? oder thut ihr nicht Jedem 
fo mehr Vorſchub, je reichlicher er euch mit Geld über- 
tet? Darauf er: Euch ſteht es aber doch frei, eure 
höfe zu wählen. Aber fie dürfen, erwiderte ich, nicht 
| N fe fein, als bis fie erjt zu Rom ihre Mäntel ge 
haben; wo bleibt alſo hier die Wahlfreiheit? oder ift 
e Biöefena zu nennen, und nicht vielmehr die 
9 besjenigen, ber werth jei, euch das nn 
? Darum antworte mir anf Eine Frage: 
ar um Land enge nahen 
ie Feinde Chrifti zu achten als ihr, die ihr die ehr- 
in Lam Gottes durch Geld erobern laſſet, ja ben 
rfanfet? bie ihr durchbrochen habt jene Mauer 
| Blichfeit, niedergeriffen den Wall ver Treue; deren 
er erfättficher Golddurſt in das Innere der Gotteshäufer fich 
mi — blos einſchleicht, ſondern darin bereits mit großer 





110 Hutten's Gefpräche, Erſtes Bud. 


Dreiftigfeit regiert; die ihr das unbefleckte Heiligthum befledt, 
die jungfräuliche Kirche gefchändet, das Bethaus zur Mörber 
grube gemacht habt, daraus Chriftus, wenn er heute wieber- 
fäme, euch noch viel zorniger vertreiben würde als ehedem 
bie Käufer und Berfäufer!); denn fie hatten nur für gemeine 
Dinge einen Markt errichtet, ihr hingegen treibt mit geift- 
lichen Dingen, ver Kirche, Chriftus felbit und der Gabe bes 
heiligen Geiftes Handelfchaft. Sollte man alfo nicht mit 
größerem Eifer euch befriegen als die Türfen, euch wicht 
weiter noch als fie zurüctreiben, die ihr Ehriftum, bie Altäre, 
bie Sacramente, den Himmel, mit Einem Wort Alles feil 
habt? Deren Ruchlofigfeit Schuld ift, daß bie Heiden nicht 
Ehriften werben wollen, da fie euch, die ihr Andere jelig zu 
machen verfprechet, ein folches Yeben führen fehen; während 
uns von ben Türken nur Sriegsgefahr broht, die zurüdzu 
ichlagen unſerm Volk ein Leichtes ift. In der That wire 
Niemand fo finmlos fein, wenn er ench mit ſolchem Beifpiel 
Andern vorangehen fieht, daß er nicht Lieber in feinem alten 
Irrthum fortwandeln, als ein neues Sündenleben antreten 
möchte. Da ihr fo mır dem Worte nach Hirten ber Gottet 
beerde, in Wahrheit aber Plünderer des hriftlichen Volfes feib; 
ba ihr nicht das Evangelium prebiget, fondern Geld eintreibet; 
nicht was eines Hirten Amt ift, die euch anvertraute Heerde 
mweidet, ſondern wie räuberifche Wölfe fie zerreißet und au 
weidet; nicht Menfchenfifcher wie jene, jondern Golpjäger feib, 
nach Reichthum angelt und dem Gewinne Fallen ſtellt, ja 
fremde Erbgüter anfallet: ımterfteht ihr euch gleichwohl noch, 
was dem Petrus verliehen war auf euch zur beziehen, und ben 
Chriftennamen durch Liſten und Ränke, Diebsgriffe und 
Bubenftüde der ganzen Welt verächtlih und verhaßt zu 
machen? Darum befehret euch und beffert eure ſchlechten 


1) Mattb. 21, 12, 





IV. Die Römifche Dreifaltigkeit. 111 


Sitten, zähmet eure Habfucht, treibet ab von ven heiligen 
Stätten das gottfchänverifche Laſter, Tebet feufch und fromm, 
damit ihr Andern ein Beiſpiel gebet, folget Chriſto nach, 
damit die Uebrigen euch nachfolgen. Denn fo lange ihr euch 
jo haltet, daß ihr auch einem Kürbis, wenn er euch Gelb 
erlegte, ein Prieſterthum verleihen würdet, werden bie Ver⸗ 
ftändigen euch haſſen, die euch aber aus Irrtum nachfolgen, 
ihre Seelen ins Verderben ftürzen. Webervieß habt ihr euch 
vorzufeben, daß nicht die barbarifchen Deutſchen einmal Hug 
werben, ba ihr den Mißbrauch ihrer Einfalt jo meit treibet, 
daß ihr euch nicht damit begnüget, ihnen ihr Geld abzu: 
nehmen, fondern auf bie thätliche Mißhandlung noch Be⸗ 
fhimpfung in Worten häufet, und währenn ihr uns beraubt 
und plünbert, uns noch durch Spott und Laden aufs 
ſchnödeſte verhöhnet. 

Ernhold. Ich meine, ich fehe das Geficht des Buben 
und die Farbe die er annahm, ba du ihn fo in eben zer- 
riffen und niedergefchmettert batteft. 

Butten. Weit gefehlt, Ernhold, es hatte nicht mehr Ein- 
brand auf ihn gemacht 

Als auf das härtefte Kiefelgeftein und Marpefifche Klippen ?); 
fo frech find diefe Menfchen. Ueberhaupt meinft du denn, daß 
biefe Böfewichter zu Rom noch erröthen, oder daß man fich 
dort irgend einer Schandthat ſchäme? 

Ernhold. Ich kenne ihre Schamlofigfeit wohl; was gab 
er dir aber zur Antwort? 

Yutten. Was Anders, verfteht fi, als, dieſes Geſetz 
babe keine Kraft, denn es fei von einem Kaiſer gegeben, und 
ber habe heut zu Tage feine Macht über ven Papft, fei dem⸗ 
jelben vielmehr Gehorfam ſchuldig? Dieß und Anderes, das 
noch viel unverfchänter war, entgegnete er. 


— —— — — 


1) Birgil's Aeneis, VI, 471. 





112 Hutten's Gefprädhe. Erſtes Bud. 


rer Hatte er ba nicht — beine Fauſt im 
Sefiht? | im der 

Hutten. Gewiß jollte er fie gehabt haben, wäre’ Bea 
Rom gewefen, wo er mich ärgert . on 

Ernhold. Es müßte doch mit einem Wunder — 
wenn ſich die Leute nicht ſchleunig ſelbſt zu Grunde richteten. 

Hutten. Sie werden es, und bereits merfen fie es auch 
jelbit, denn fie hören ja, wie Bieles alfenthalben gegem fie 
gerenet, zum Theil auch gefchrieben wird. Ober haft du den 
Vadiscus, der fürzlich hier herum war, nicht gehört, wie er, 
was er zu Rom gefehen, ihnen zur Schmach ausbreitete ums 
allenthalben Haß gegen jenes Wolf erregte? 

Ernpold. Ihn felbſt Habe ich nicht gehört, aber umfer 
Bürgermeifter Philipp ?) hat mir von ben freimüthigen Reden, 
bie er geführt babe, viel erzäßlt, und ich hatte auch im Sinn 
ihn zu jehen, aber es fam etwas dazwiſchen, und ze 
war er abgereift. 

Yutten. Du bätteft Wunderdinge gehört, und — 
blos in der Suche beigeſtimmt, ſondern auch bie geiſtreiche 
Art bewundert, wie der Mann jenes Unmefen angeiffswer 
that es nämlich in ganz neuer Weife, 

Ernhold. Wie doch? 

Hutten. Die Sache ift von langer Hand, die sch 
mich rufen Hofgeſchäfte. J 

Ernhold. Say mir's vorher noch. vo. 2 

Hutten. Ich habe nicht Zeit. 

Ernhold. Nicht Zeit? Als wäreſt du bei Hof ſo do 
bunden, daß bu font nichts thun könnteſt, und nicht Taafich 
ein paar Stunden für deine Stubien und beine Freunde unttr 
ſchlagen dürfteſt. Raſch, ſag' an! was läſſeſt du dich lange 
bitten? . — 


1) von Bürftenberg, ſ. meinen Ulrich von Hutten, I, 379, 11557. 20%. 





IV. Die Römifche Dreifaltiglett. 113. 


Zutten. Willft du mir dafür auch jene Angelegenheit, In 
der ich mir deinen Beiftand erbeten, fleißig ——— 

Ernhold. Mit allem Fleiß. 

Jutten. Und getrauſt dir, es auszuwirken? 

Ernhold. Wenn ich Jene überreden kann. 

Hutten. Aber zureden willſt du ihnen? 

Ernhold. Aufs dringlichſte. Doch mit ſolchem Dinge ver⸗ 
lierſt du ja nur die Zeit, die du ſparen willſt; darum rede. 

Zutten. Ich habe aber nicht Alles behalten. | 

Ernhold. So fag’ nicht Alles, fondern was du behalten haft. 

YZutten. Der Tag wird nicht hinreichen. 

Ernheld. Meinft du? 

Butten. Mache dich auf eine gar weitläufige Nede gefaßt. 

Ernhold. Ich werde fie nur deſto lieber hören. 

Zuttn. Nun, damit du fiehft, wie unbefchwert ich bir 
zu Dienften bin, fo will ich im Vertrauen auf die Güte 
meines Fürften diefen ganzen Tag dazu nehmen, und bie in 
bie Nacht hinein das Stüd mit dir wiederholen. 

Ernhold. Das bift bu wieder felbft; jet erft erkenne ich 
den alten Hutten wieber. 

Yutten. Fürs Erfte alfo was gegen bie Römer, wie fie 
beut zu Tage find (er nannte fie Romaniften und Römlinge), 
zu jagen ift, das brachte er auf Dreibeiten zurüd, d. h. er 
zählte Alles, was zu Rom Schlechtes und Berkehrtes gefchieht, 
zu Drei und Dreien auf. 

Ernhold. Ich bin neugierig. 

Yutten. Doch Eins muß ich dir vorher a fagen. Es 
fommen barbarifche Ausprüde vor, an denen barfft bu Did 
nicht ftoßen. 

Ernhold. Ah ftopen! Als ob ich fo kitzliche Ohren hätte, 


1) Die Brautwerbung in Frankfurt ohne Zweifel; |. bie Einleitung 
und meinen Ulrich von Hutten, II, 31, Anm. 1. 
Strauß, Hutten’s Geſpräche. 8 


AN 





114 Hutten's Geſpräche. Erftes Bud, 


ober nicht wüßte, daß die Curie ihre Kanzleifprache bat und 
man gutes Yatein bei ihr nicht fuchen darf. Sprich alfo fed- 
ih von Eurtifanen, von Copiften, Kammerfegern, von Enrat- 
und Nichteuratpfründen, von Facultäten, Gratien, Reſerva— 
tionen, Regreß, auch von den Annaten und dem. Krenzgelb 
wenn bu Luft haft, von ben Entjcheivungen ber Rota und 
dem Patronatsrecht: mich foll das alles nicht anfechten. 

Hutten. Drei Dinge, fagte er, erhalten Rom bei feinen 
Würden: des Papftes Anfehen, die Gebeine der Heiligen und 
ver Handel mit Ablap. 

Ernhold. Fragteſt du nicht, ob er folglich meine: bieje 
Würde und Ehre würbe immer ba jein, wo ver Bapjt fei, 
auch wenn ihn die Kirche nah Mainz oder Köln oder wo 
immer jonjt bin fette? 

Hutten. Vielmehr fo weit ging feine Meinung, daß jeber 
Biſchof in feinem Sprengel jo viel Macht habe als der Papft 
in Rom; benn Chriftus habe die Gleichheit geliebt, ſagte er, 
und fei ein Feind des Ehrgeizes gewejen. Es gab nämlich ein 
Wort das andere, und ich fragte ihn außer ven Dreiheiten 
noch über allerlei jorgfältig aus, wie ich dir das alles erzählen 
will; indeſſen haft bu dieſe ganze Rebe, die ich bier anhebe, 
nicht für bie meinige, ſondern für bie des Vabiscus zu halten, 
denn ich wiederhole nur was ich von ihm gehört habe, Seine 
Meinung alfo ift, auch mit dem Ablaf habe es die Bewanbt- 
niß nicht, wie Jene vorgeben; denn hätte er eine jo große 
Kraft, jo wäre er nicht um Geld zu faufen. Much jei Betrus 
nicht wejentlicher zu Nom als an jedem Ort, wo man feiner 
andächtig gebenfe. Ja er warnte jogar, e8 fei nicht für Beben 
rathſam, nah Rom zu wandern; denn gemeiniglich bringen, 
bie bort geweſen, drei Dinge mit heim. 

Ernhold. Welche drei? 

Yutten. Verderbte Gewifjen, böfe Mägen und leere Beutel, 

Ernhold. Ei wie geſchickt zufammengeftellt! Denn von 


IV. Die Römiſche Dreifaltigkeit. 115 


ter gewohnten Yebensart zu Rom habe ich noch jeßt einen 
Ihwahen Magen. Dann fehe ih, daß Niemand w r 
Gott glaubt oder den Eid geringer achtet und ein 

Leben führt, als die Enrtifanen, die dafelbft mit ı 

venbandel zu thun haben. Denn das weiß ja 

wie viel die Stadt Rom die Deutfchen täglich koſtet 

Keiner ohne fchweren Aufwand und Verluft an bem 

die Reife dahin macht; ich wenigftens bin, wie t« 

Punkt befagt, mit leerem Beutel heimgelommen. 

Butten. Bon mir will ich ſchweigen; Vadiscus al 
nicht einmal den Beutel wieder: wäre ich noch la 
blieben, fagte er, ich glaube ich wäre ohne Kleider, 
ohne Haare, abgezogen. Wir beide übrigens, Ernhe 
wir nicht um Pfründen zu erlangen in Rom waren, 
zwar allerhand Beſchwerden gehabt, doch wie mich 
ohne erhebliden Schaden. Denn für ſchwerer achte i 
Berluft Derjenigen, welde dort von fchlimmen Lehren 
ihren Geift entnerven, ihre Rechtfchaffenheit untergrabte 
ihr Gewiſſen vergiften Tießen. 

Ernhold. Wie jener Schwabe, der auf deinen Zabel, 
er fi von einem Gib Hatte entbinden laffen, zur Ani 
gab: Bedenke, daß wir zu Rom ſind. 

Zultten. Und ver Kölner, ver fih rühmte, er habe ı 
Sünde falfhe Siegel aufgeprüdt, denn es fei ja zum De 
des Bupftes gefchehen. H 

Ernhold. Wie noch viele Andere, die wir felbft gfehen. 
Doc kehre du zu den Dreibeiten zurück. 

Butten. Auch vefhalb, fagte er, müffe man Rom meiden, 
weil e8 drei Dinge, die man aufs jorgfältigfte erhalten follte, 
ertödte: das gute Gewifjen, ven frommen Eifer und ben Eid. 
Dabei fiel mir ein, daß dreier Dinge zu gedenken jett in 
Rom lächerlich ift: des Beiſpiels der Alten, des Papſtthums 
Petri und des jüngften Gerichts. 

8* 





116 Hutten's Geſpräche. Erftes Bud. 


Ernhold. Beides recht gut nebeneinander gejtellt! Denn 
wen ein Eid angetragen wird, ber nimmt ihn, wenn er 
römifche Denfart eingefogen hat, unbevenflich an; ift er body 
gewiß, daß, wenn er nur will, ver Bapft ihm diefen Knoten 
wieder auflöfen wirt. So verftehe ich nämlich den Ausbrud, 
Rom ertöbte den Eid. 

Yutten. Du verftehjt ihm recht; denn was ungültig gemacht 
wird, ijt nicht mehr oder wird für todt gemchtet; dem Papjt 
aber jchreibt ver Aberglaube die Macht zu, Geſchehenes unge- 
fchehen zu machen. Dann aber die Frömmigfeit, wer macht 
fich dort auch nur ein Haar aus ihr? ober trachtet Jemand. 
zu Rom nach etwas Anderem als nach Gelb? 

Ernhold. Den Beifpielen der Alten aber zu folgen, wen 
fällt das zu Rom ein? 

Hutten. Denen eines Simon !), eines Domitian, ‚Nero, 
Heltogabalus umd ähnlicher fchlechten Menſchen folgen Biele, 
benen der Guten Keiner; denn wer zu Non vom dem bifchöf- 
lichen Leben des Petrus rebet, ver dünkt ihnen eim Hödhit 
(ächerliches Märchen zu erzählen. Sie unterjheiven nämlich 
eine doppelte Kirche: bie anfängliche, in der die bejjern Menſchen 
gelebt haben, vie fie aber als ein blofes Schattenbild vor 
jtellen, und die nachmalige, welche der lebendige Körper jenes 
Schattens fein joll, ganz ſchön, ganz golden und durchaus 
volffemmen; das ift nämlich diejenige, die aus Betrügern be 
fteht, aus Dieben und Stirchenräubern, aus Urkundenfälſchern, 
aus fimoniftifchen Bifchöfen und Schmeichlern des Papſtes 
zu Rom, und zwar aus folchen allein; dem ift irgendwo ein 
rechtſchaffener Bifchof oder Cardinal zu biefer Zeit, ben 
ſchieben ſie weit von jich und rechnen ihm nicht zu ihrer Kirche, 
Anferdem rühmen fie fich einer fchon vorlängjt won ihmen 


m een — u See 


1) Des Magiers, Apoftelgeih. 8, 9—13. 18 — 24, bon Dem Bas 
Kaufen und Berlaufen geiftliher Stellen Simonie bie. 





IV. Die Romiſche Dreifaltigfeit. 117 


zurecht gemachten Schenfung Conftantin’s *), und behaupten, das 
Reich des Weftens ftehe ihnen zu; unter diefem Vorwande 
haben fie die Stadt Nom inne, die vielmehr der Sit des 
römifchen Kaifers, wenn es noch eimen gäbe, und vie Haupt— 
ſtadt des Neichs fein müßte. Auch fchlagen fie micht wie 
Petrus weltlihe Gewalt aus, vielmehr erregen fie um Reiche 
und Herrichaften Krieg und Aufruhr zu Land und zur See, 
vergießen Blut und morden durch Gift. 

Ernhold. Von ihrem Gift weiß ich wohl. 

Hutten. Und in Waffen haft du vordem den Julius ſelbſt 
geiehen.?) 

Ernhold. Ihn ſelbſt, wie er fo viele taufend Menfchen 
uns Veben brachte. Was für ein Menſch, ihr guten Götter, 
oder vielmehr was für ein Ungeheuer von einem Menſchen: 
von abjchredendent Geficht, wilden Blick, in allen Stüden 
furchtbar, gräßlich und unmenfchlich. 

Butten. Obwohl er aber fo war und den verberblichften 
aller Kriege, die je geweſen, anftiftete, in ven er alle chrift- 
lichen Fürſten in ber Mbficht verwidelt hatte, daß fie ſich 
untereinander aufreiben follten, wagte e8 doch Niemand, ibm 
Widerrede zu thun, wäre es auch mur mit ben Worten bes 
Dichters geweſen: 

Warum wirfft du fo oft in offne Gefahren bie armen 

Bürger hinein, Urheber und Quell von Latiums IJammer ?) 

Ernhold. Niemand, jondern den Einen Mann fürchteten 
Alle, Wenn aber Conftantin’s Privilegium das Reich bes 
Abendlandes vwerjchenft, jo fteht Karl in Gefahr, nichts zu 


1) Die Schrift bes Laurentius Balla gegen biefe vorgebliche Schen- 
fung war vor zwei Jahren von Hutten mit einer Zueignung an Bapfl 
Leo X. herausgegeben worden. &. meinen Ulrich von Hutten, I, 280 ff. 

2) Papſt Julius IL, f. meinen Uri von Hutten, I, 98 ff. 

3) Virgil's Meneis, XI, 360 f. 


118 Hutten's Gefpräche, Erſtes Bud. 





behalten, weder bon ben Ländern, bie er geerbt, noch von 
denen, zu beren Negierung man ihn fo eben berufen bat. 

Yutten, Wenn es nach dem Urtheil der Ehrwürdigſten 
zu Rom gebt, wird er nichts behalten, denn Alles gehört der 
Kirche. 

Ernhold. Demmach wären, wie ich glauben muß, bie 
frühern Päpſte allzır großmüthig gewefen, daß fie nicht Alles 
was ihnen gefchenft war im Anspruch nahmen, ſondern mit 
Wenigem zufrieven, das Andre ven Königen überliefen, und 
auch den Kaifer in diefem feinem Theil, wie klein er auch ift, 
duldeten. 

Hutten. Das war nicht Großmuth, ſondern Unvermögen. 
Denn als ſie zuerſt mit der Lüge von dieſer Schenkung auf— 
traten, mußten fie fürchten, wenn fie nichts daran nachließen, 
möchten alle Könige ſich genen fie zufammenthun, denen fie 
nicht würden widerftehen fönnen. Daß aber das Ganze eine 
aus päpftlicher Habſucht hervorgegangene Erbichtung fei, ift 
daraus mit Sicherheit abzunehmen, daß, wofern bie bamta- 
ligen Pfaffen waren wie Die jeßigen, fie ſich nichts hätten 
entziehen laffen; waren hingegen, wie ich glaube, die Bifchöfe 
jener Zeit eines heiligen Wandels, fo hätten fie. das Geſchent 
nicht angenommen. Haben aber Diejenigen, denen fie geboten 
wurde, bie Gabe Conſtantin's als eine ungebührliche zurüd- 
gewiefen: mit welchen Recht machen deren Nachfolger auf 
das Anfpruch, was ihre Vorfahren anzunehmen fich ein Ge 
wiſſen machten und ven Geber baten, e8 zu behalten? Sicher 
iſt in den Befig deffen, was die erlogene Schenkung in ſich 
begreift, niemals irgend ein Papft gefommen; ja auch mim 
der Stadt Nom haben fie erft viele hundert Jahre nach Eon: 
jtantin fich zu bemächtigen gewagt, nachdem fie bis dahin fie 
nicht inne gehabt hatten: jo ſpät erſt folgte der uralten Schen- 
fung die Befignahme auch nur eines winzigen Theils berfelben 
nach. Ueberdieß, wenn fie auf das, was ihnen gejchenft car, 





IV. Die Römiſche Dreifaltigkeit. . 119 


freiwillig verzichtet hätten, würden jie das wohl anders als 
mittelft Brief ımd Siegel, die fie ſich darüber hätten geben 
faffen, gethan haben? Der, während fie jenes Privilegium 
jo jorgfältig aufbewahrten, würben fie das Zeugniß ihrer 
Großmuth jo wenig in Acht genommen haben? Poffen! Ya, 
daß ich ſage was ich denke, fo hat meiner Meinung nach das 
Privilegium Conſtantin's diefen Urfprung gehabt. Ein hab— 
füchtiger Bapft, wer ver gewefen fein mag, erfah die Gefegen- 
beit, nach einem Theil von Italien zu greifen; der Gewinn 
behagte ihm, und wie bie Habfucht unerfättlich ift, blieb er 
dabei nicht ſtehen, ſondern nahm fich vor, weiter zu gehen; 
die Zeiten waren günftig, der Aberglaube ftand in ſchönſter 
Blüthe, man fonnte leicht Vieles zu gewinnen hoffen, wenn 
man bie Einfalt der Menge und die Trägheit der Fürften 
mißbrauchen wollte; fo fing er an, feine Grenzen zu erwei— 
tern; jeine Nachfolger thaten's nach und machten das Rauben, 
deſſen Einer fich erfühnt hatte, zur Gewohnheit: bis endlich 
ein befonders Huger Papft, um auch in feinem Theil ver 
Kirche einen großen Dienft zu thun, auf ein altes Pergament, 
oder das er vorher im Staub hatte liegen und fich mit 
Schimmel überziehen laſſen, jenes göttliche Ediet ſchrieb, ohne 
Zweifel viele hundert Iahre nad Conftantin. 

Ernhold. Wenn nun aber gleichwohl Leo X. das von Karl 
zurüdfordern wollte, was meinft du würde dann gefchehen? 

Hutten. Was anders doch wohl, als daß er hinwiederum 
von Yeo das was fein ift fordern und fich erinnern würde, 
ein König und ein Deutfcher zu fein? 

Ernhold. Und losbrechen, dreinfchlagen, Alles umkehren, 
nieverwerfen und zerjtören? 

Yutten. Da fei Gott für! fo weit wird es ja nicht 
fommen. 

Ernhold. Wenn jene ſich zu mäßigen wiſſen. Aber wen 
jolften jie nicht anzutaften wagen, da fie fich nicht ſcheuen, 








120 Hutten’s Geipräde, Erſtes Bud. 


dem römijchen Kaifer Schmach anzutfun? Er muß fich vor 
bem Papſt auf die Aniee werfen, ber ihm. don feinen Füßen 
aus die Krone reicht, unb ihn nöthigt, der Stabt Rom und 
dem italienifchen Reiche durch einen Eid zu entjagen. 

Yutten, Den Böhmen Karl!) wenigſtens hat Papit 
Innocenz nicht anders gefrönt, als nachdem er ihn ſchwören 
lafien, daß er noch in bemfelben Jahr Italien räumen wolle; 
auch hat er ihn jo verächtlich behandelt, daß er ibm micht 
felbft empfangen mochte, jonbern ihm einen Cardinal mit der 
Krone entgegenjchidte; nach Rom ließ er ihn gar nicht hinein, 
und nahm ihm überbieß mehrere italienifhe Städte ab. 

Ernhold. D der war micht werth zu leben, geichweige 
benn Kaifer zu fein, ber fich das bieten ließ! Die Römlinge 
aber, jo viel ich jebe, glauben nicht, dak im jüngften Ge- 
richt jene drei won ihnen fo jämmerlich gemorbeten Dinge 
wieder aufleben, und fie von deren Mißhaudlung werden 
Nechenichaft geben müfjen. 

Hutten. Sie verladhen ja das jüngite Gericht, 

Ernhold. Ich denke wohl, fie ermorben es mit jemen 
andern Stüden, 

Hutten. Nichts weniger; fie halten es ja für nichts, und 
wie fönnten fie ermorden wollen, am deſſen Wirklichfeit fie 
gar nicht glauben? Sonft gäbe e8 ja ein Gewiſſen in Kom, 

Ernhold. Und nicht jo viele Giftmifcher. 


1) Karl IV., ben Innocenz VI., ber in Avignon xefibirte, im 
Jahre 1355 burch Cardinäle in Nom frönen ließ, das Karl zwar ber 
trat, doch ſchon nad adıt Tagen wieder verlief. Das Berfpreben, Rom 
und Italien gleih nad ber Krönung wieder zu räumen, hatte Karl 
hen Inmocenzens Borgänger, Clemens VL, zu Avignon ausgeſtelll 
Auch fonft, 3. B. im feiner Anzöig, wie allmegen fi bie römiichen 
Biſchöff gegen den beütfhen Kayßern gehalten haben, gebraudt Hutten 
biefen vierten Karl als Beiſpiel ſchmählichſter Selbfterniebrigung einee 
Kaifere. 





* ur - 
4 = * F =: 4 


1 jagte VBabiscus, an drei Dingen vor 
—* — — 
n fügte, drei Dinge ſeien hingegen daraus 
| t, Mäßigkeit und Reblichlet. 
—— 
n F — lebt zu Rom Niemand; wer aber 
ortr ih? 

* ie 1. In Wahrheit Reiner; ber Meinung ber Raute 
. ‚in dem Mat, als er PR MR und viel 


2 id. Be du ſagſt; aber das if * boſe Meinung, 
qu wünſchen, daß ſie von Nom ferne wäre, als 
—* m tie si Gift der Scorpionen, Schlangen 
be, Oper ift e8 denn weniger zu bevauern, bafı 
+ von ber alten Römer Tugend und ehrbarer Eitte 
iR, als daß jo viel herrliche Baläfte in Trümmern 
a. viel wunderjchöne Bauwerke zerftört find? Nein, 
g nein! mehr zu beflagen und zu bejammern ift, daß 
« Eile ber Seipionen und Catonen, eines Marcellus, 
arimus, Metellus Cicero und Marius, lauter Vitellier 
| * ſonen, ja mehr als Nerone und Domitiane getreten 
eier und Künftler der Ausichweifung, Selaven der 
| . amd Ehrſucht, Menſchen, bekannt durch Wildheit und 
Sraufamfeit, von aller Tugend und Vernunft. verfaffen: 
a8, Fe iſt mehr zu beweinen, als daß aus einer Etat 
Marmor und Silber eine von Yehm und Ziegeln ge 
oeden iſt.n 
* ten. Das haft du ſcharf bedacht; was aber hältſt du 
was er weiter ſagte, dreierlei ſeien die Waaren der 
= rege Chriſtus, geiftlihe Stellen und 





E Be 


⸗ 
Be 











— von dem, was Auguſtus von ſich rühmte, 
1, , Octav. 28, 





















122 Hutten’s Geſpraãche. Erſtes Bud, 


Ernhold. Wären es doch nur Weiber, und beſchränkten 
fie fih auf dieſes Geſchlecht! 

Hutten. Bieles mochte Vadiscus bier aus Scham nicht 
erzählen, wovon doch die Römer ungejcheut reden und Einn- 
gedichte darauf machen, die recht natürliche Abbilder ihrer 
Sitten find. Ueberdieß, was haben nicht bier vor unſern 
Augen ihre Yegaten und Botſchafter jchon getrieben? Bon 
brei Dingen hingegen, meinte Vadiscus, höre man am um— 
gernjten zu Rom: von einem allgemeinen Concilium, bon einer 
Beſſerung des geijtlihen Standes, und daß ven Deutfchen 
die Augen aufgeben. Und drei Dinge verdrießen die Röm— 
linge: der hriftlichen Fürften Einigfeit, das Klugwerben des 
Volks, und daf ihre Täufcherei an den Tag fommt. 

Ernhold. Fürwahr, der Mann kennt Nom aus dem 
Grunde. Denn wenn es einmal zu einem Goncil fommt, was 
fie alfein hintertreiben, da die Wunde fie noch ſchmerzt, bie 
fie auf dem Nicänifchen empfangen haben ?); ober wem 
es einmal mit jener Bejjerung des geiftlichen Standes Ernft 
wird, auf die man fchon jo lange bringt; wenn die Deutfchen 
erfennen, wie man mit ihnen umgeht, bie chriftlichen Fürften fich 
einigen, das Boll zwiihen Glauben und Aberglauben unter: 
jcheiden lernt, und die Gräuel, die zu Nom im Schwaänge 
gehen, Allen fichtbar und verftändlich ‚gemacht find: bann 
werden wir ferner nicht mehr Chriftus, ven Himmel, Leben 
und Seligfeit faufen jehen, dann werden fie nicht mehr wagen, 
geiſtliche Aemter feilzubieten, auch werden fie dann, glaub’ 
ih, mäßiger leben. 

Butten. Wie du fagit. 

Ernhold. Aber einem Coneil wiverftreben fie jo jehr, daß 
ich höre, die deutſchen Bifchöfe müſſen jest bei ihrer Beſtä— 
tigung ſchwören, mie auf ein Concil antragen zu wollen. - 

1) Bon Jahre 325, das dem römischen Biſchof noch bie von 
Alerandrien und Antiobien als Gleiche jur Seite ftellte, 








o jagt man. w BER 0; 
a0. Ele co dr an den, wie Kane 6 Be 


ce > u ⸗ 


— etwas. Do Vabiseus bat Mitte 

alle römiſchen ar — fönnten. 

(d. Welche? 

. Gleichfalls drei: — vie — 
—* —— und Umfehrung des ganzen dor— 


R * "Mit ren Dritten wär! es allein ſchon genug. 
we Aberglaube würde fallen und Offteien würbe es 
i ine et v geben, fobald einmal jene Bejferung ver ſchlimmen 
‚ die der gütige Gott befchleunigen möge, einträte, 
x di Offen eingehen zu laffen, fällt ihnen nicht ein: 
huen fie e8 doch dem Papſt Yırlius zum großen Lob an, 
x a Zahl vermehrt habe. Wir aber wollen witnfchen, 
tt dieſer Officien, die nichts anders als Werkitütten 
3 und der Schande, Schulen der ſchlimmſten Buben» 
— aller Künſte der Bosheit ſind, jene 
see Menschen Gemüthern herrichend werden, über 
he ie ‚weifejten Männer Bücher gefchrieben haben und 
Bet Tugenden nennt. 

., Drei Dinge, ſprach Vadiscus weiter, jtehen zu 
| * Höchften Werth: fchöne Weiber, ftattliche ER! und 
ä oft * Bullen. 

Ernh hold. O Weiber! o Pferde! und o Papſt ſelber! daß 
n b ſolchen Dingen eifriger trachtet, als nach Friede, 
in mm figfeit, evangelifcher Lehre, mit Einem Wort, als nach 
bel Wann wäre auch das Chrifti Gevanfe geweſen, 
ine un —9* ſich zu laſſen, der mit Hintanſetzung ſeiner 
igen und bei einem nichts weniger als chriſtlichen 

























ne == 


Er D. b. ber vielen päpftlihen Kanzleiämter. 





124 Hutten's Geſpräche. Erfted Bud. 


Lebenswandel, die Welt mit Ablaf und Bullen beläſtigen 
ſollte? Und da der Bapft ein Hirte der Seelen iſt, was braucht 
er bem eine befiegelte Bulle anszuftellen, dem er bas eiwige 
eben oder ben Himmel gibt, ba doch in Angelegenheiten ber 
Seelen weder Brief noch äußerliches Zeugniß nöthig iſt, jon- 
dern Jeder es nur mit feinem Gewiffen zu thun Bat, das 
Gott befannt it, der als Herzensfündiger feiner wei— 
tern Anzeige bedarf? ) Was haben ferner die Stellvertreter 
Chrifti mit fchönen Pferden zu fchaffen, da er ſelbſt nur 
Einmal und das auf einem häßlichen Efel geritten ifi? Etwa 
um Kriege zu führen? Aber die hat Chriſtus verwünſcht, er 
bat ein ftilles Yeben geführt und zum Frieden gerathen, umb 
Friedensliebe auch denen nach ihm als ein Erbtheil Hinter» 
lafjen.?) Wie wenig vollends ſtimmt es zu Chrifti Lehre, 
Weiber über Alles zu lieben und mit YBuhlerinnen ver Luft 
zu fröhnen, befonbers wenn bie es thun, bie er mach dem 
Geiſt hat leben heißen, und denen er bie fleiſchliche Luſt Faum 
in ber Ehe zugelafjen hat? Ober hat barum Papſt Calirtus 
ber Geiftlichkeit das Heirathen verboten?), baß bie Pfaffen 
allein ein Vorrecht zur Hurerei hätten, und bas geiftliche 
Leben von dem heiligen Eheftande zur ſchändlichſten Unzucht 
herunterkäme? 

Hutten. Vadiscus fügte hinzu, drei Dinge ſeien zu Rom 
in gemeinem Brauch: Wolluſt des Fleiſches, Pracht in Mer 
bern und Hoffahrt ver Gemüther. 

Ernhold. Wohl ſind die dort in Uebung; doch iſt es nicht 
die Wolluſt allein, der ſie zu Rom nachgehen, ſondern ſie 
trachten auch nach Abwechslung und denken ſeltſame und aben- 
teuerliche Arten berjelben aus, wogegen bie Erfindungen eines 


1) Bal. bas Epigramm Hutten’s in meinem Ulrich von Hutten, 100, 
2) Joh. 14, 27. 
3) ©. oben, ©. 88. 





IV. Die Römifche Dreifaltigkeit. 125 


— ) nichts ſind. Einfach und im Wege ver Natur 
1 — verachten ſie grundſätzlich als bäuriſches 
ie auch zu Rom Dinge ausübt, von denen 
un feinen müſſen, hier zu reven. 

5 Und welche Kleiverpradht! 

Ernhold. Wie nirgends jonft. 

„Bei. Aber nicht blos die Menſchen begnügen fich die 
a Römer fein zu Fleiden und zu ſchmücken; ſelbſt vie 
| mühjen mit Gold gezäumt und mit Purpur gededt 
1 — welcher Hochmuth! 

ema Es läßt ſich nichts Haſſenswertheres denlen. 

nr us foll man den Heiden Diocletian fo fehr darum 
* ra fe wen, daß er Edelſteine auf den Kleidern hatte und 
E Den Dieben trug, wenn ein chriftlfiher Bapft feinen 
tel mit einer breifachen Krone ſchmückt, und ſich vie 
e von yon Fürften ver Welt küffen läßt? 

d.2) Chriſtus hat den Seinigen bie Füße sewafehen, 
* weiß. | 
Gut Dann was auc Has Fr ein Mebermtt, fi 
den ; Heiligften und Seligften nennen laffen, einen Menfchen, 
der Be im Leibe lebt umd vielleicht fehr unfittlich febt? Denn 
ı guten Papft haben wir denn gejehen (außer daß ſich 
—* X. als Wiederherſteller des Friedens ds ge 
welchen heiligen Papit? 
„een a, wo wiffen wir von einen foldhen auch aus 
een und Schriften ber Alten mehrere Jahrhunderte 
Päpfte, die große Krieger waren, Städte zerftörten 
S der Habſucht fröhnten, bietet die Gefchichte viele; einen 
chriſtlichem Liebesfener brannte, oder im Lichte evan— 
fer Lehre ftrahlte, oder durch Frömmigkeit fich aus— 
nete, zu finden, müffen wir gar weit zurückgehen. 
1) Tacitus' Annalen, VI, 1. 

2) Hier vergißt Hutten bie Perſon zu wechſeln. 




































IV. Die Römiſche Dreifaltigfeit. 127 


Ernhold. Was hat er alſo weiter aufgeführt? 

Yutten, Drei Dinge treiben die Müßiggänger zu Rom: 
Spazierengeben, Buhlen und Mahlzeiten halten. 

Ernhold. Andres thun fie nichts; bie aber nicht müßig 
find, die gehen mit Sinnen, Schreiben, Aufwarten, Schmeicheln 
und Bitten einzig auf Betrug, Büberei, Meineid, Raub, 
Diebftahl, Fälſchung und Täuſchung um. 

Hutten. Ja, und drei Gerichte, fagte er, eſſen die Armen 
dort: Kohl, Zwiebel und Knoblauch, Drei andre dagegen bie 
Reihen: Schweiß der Armen, Wucerzinjen und den Raub 
von der Chriftenbeit. 

Ernhold. Getroffen. !) 

Hutten. Und breierlei Bürger feien zu Rom: Simon, 
Judas und das Volk von Gomorrha. 

Ernhold. Entjeßlich, aber wahr, Denn die Simonie ver: 
bammen fie zwar mit Worten, in ber That aber macht fie 
ihr einziges Thun und Treiben aus, 

Yutten. Dabei verdient unfern befondern Haß, mie fie 
uns Deutjche für jo Hirnlos halten, daß man uns weiß machen 
fönne, wenn man etwas um Geld befomme, jo fei das nicht 
gefauft und verkauft. Und doch treiben fie es fo offen, daß 
fie den Fuggern einen orbentlichen Handel mit geiftlichen 
Stellen zu treiben geftatten. Ich ſelbſt habe einmal, was 
zwar nur eine Kleinigfeit ift, von ihnen um Geld die Erlaub⸗ 
niß gefauft, an Fafttagen Milch und Butter effen zu bürfen: 
und wie ich hierauf nach Rom fam, babe ich ba im ver 
ganzen Waftenzeit feine Fleiſchbank gejchloffen und in ben 
Häufern etlicher Cardinäle Fleiſch ohne Unterſchied auftragen 
ſehen. 

Ernhold. Das haben wir zu Rom geſehen; wie meinſt 
du aber, daß das Boll zu Frankfurt neulich die Küche ber 


1) Die alte Ueberfegung bat bier: Das gefegen jn ber teüfel. 








128 Hutten's Geſpräche. Erſtes Buch. 


päpftlichen Legaten, die bier waren, verflucht babe? Sie 
bieften ſich nicht nach chriftlihem Brauch, fondern afen an 
Fafttagen wie fonft Speifen jeder Art ohne Rückſicht auf bie 
lirchlichen Verbote. 

Yutten. Und während fie fo fpeiften, liefen fie fich von 
unſern Landsleuten immer noch Butterbriefe ablaufen? 

Ernhold. In ihren amtlichen Verfahren änderten fie nicht 
das Mindefte, auch dachten fie nicht, daß ihre Sitten uns 
anfteden könnten; jonft hätten fie fich nicht jo gar offenkundig 
über die Gebräuche weggeſetzt. 

Yutten. Erfuhr denn aber ihr Benehmen feinen Zabel? 

Ernhold. Bon Einigen doch, und es kam zu öffentlichem 
Zuruf. 

Hutten. Was gaben ſie zur Antwort? 

Ernhold. Die deutſchen Fiſche bekämen ihrem Magen nicht. 

Hutten. Und das Bolf? 

Ernhold. Das meinte vielmehr, fie jparten das Gelb; 
denn die Fiſche waren theuer. 

Yutten. Das fehict fich gut zur Dreifaltigkeit. Bnbejfen 
wäre das micht einmal jehr an ihnen zu tabeln, werm fie ſich 
doch die Bäuche füllen wollen, mit welchen und inelcherlei 
Speifen fie dieß thun; auch ift es Chrifto niemals eingefallen, 
bier irgend einen Unterfchied zu machen. Denn er gebet ben 
Apofteln, wo fie hinkämen, was man ihnen vorfeßen wilde, 
zu effen?), und nach ihm fpricht Paulus in bemfelben Gin: 
Die Speife beförvert uns nicht vor Gott?); und ein ander 
mal: Alles was feil ift auf dem Fleiſchmarkt, das efjet, und 
forfehet nichts, auf daß ihr des Gemwiffens verfehonet. ?) Aber 
da es ihre eigene Vorjchrift ift, jo follten fie uns billig darin 


— — —— — — 


1) Luc. 10, 8. 
2) 1 Kor, 8, 8. 
3) Ebenbaf, 10, 25. 








IV. Die Römiſche Dreifaltigkeit. 129 


vorangehen, um ein Beifpiel der Ordnung zu geben, vie fie 
ſelbſt geftiftet Haben, und es ift wiverfinnig, baß fie ihre 
eigenen Sagungen übertreten und Andern die Befugniß ver- 
faufen, fie zu übertreten. Doch wir wollen wierer an bie 
Römifche Dreifaltigkeit. Die Tracht ver Carbinäle ift tir be- 
fannt, wie fie ihre Scharlachmäntel in langen Schleppen 
hinter fich berziehen. Mit Anfpielung darauf fagte Vadiscus, 
drei verberbliche Schwänze fchleppen die Garbinäle zu Rem 
nach: erftlich den an ihren Röden, womit fie ven Staub auf- 
rühren und ben Augen derer, bie binterprein kommen, zu- 
weilen durch ganz Rom befchwerlich fallen. Zweitens ihr 
Gefinde, das gemeiniglich aus lauter Bauditen, Kupplern, 
Meuchelmörvdern und Luftfnaben, aus Berrütbern und gott» 
loſen Eurtifanen, oder fenft aus lafterhaften und bösartigen 
Menfchen, einem in allen Stüden vervorbenen Haufen, beftebt. 

Ernhold. Was ftodit du? 

Hutten. Ich fuche das Dritte; doch jet hab’ ich's: es ift 
ihr Sinfommen.!) Da dieſes nämlich ganz aus Betrug, 
Raub und Diehftahl befteht, jo kehrt und zieht dieſer Schwanz 
weithin Alles was er berührt mit fich, und ververbt auch noch 
durch Anftedung was in der Nähe ift; denn bie ift nicht 
unbefannt, wovon jene Menfchen Ieben. 

Ernhold. Daß fie nicht von dem Ihrigen leben, weiß ich 
ſattſam, und wir haben ja neueſtens das Klaglied über Leo's X. 
Kreaturen an allen Enden und Orten hören können. Cinunds 
breißig Cardinäle hatte er an Einem Tage gemacht?), alle 
wie aus Einem Ei gebrütet, denn alle nannten Eine Mutter, 
bie Kirche. 

Butten. Und jeden von ihnen bat er alsbald mit neuen 


— —— — — —— — 2— 


1) In der deutſchen, muthmaßlich Crotus'ſchen Trias: Drey ſched⸗ 
licher ſchleyff hat eyn ider Cardinal, am mantel, am geſinde, am intradt. 
2) S. oben S. 64. 
Straus, Sutten’s Geſpräche. 9 





130 Hutten's Geſpräche. Erſtes Buch. 


Schwänzen geziert, indem er ihnen jenſeits ver Alpen Bezirte 
anwies, in beren jebent einer won ihren betriigen und ſtehlen 
darf, d. h. geiftfiche Stellen verkaufen oder Penfionen anf 
legen. Wie Vadiscus davon redete, fragte ihn Einer, wo Denn 
mittlerweile der Papft raube, wenn er das Andern überweiſe? 
Außerdem, antwortete er, daß der Papft Stäpte, Burgen 
und ein anfehnliches Gebiet um fie her befikt, hat er noch 
bie Gnaden oder Gratien, barınter bie, welche man eripectas 
tive menmt, und den gottfofeften Betrug ven allen, den joge 
nannten Vorbehalt im Herzen. 

Ernhold, Weber den Herzensvorbehalt feufze auch ich fo 
oft ich ihm nennen höre, ein fo abfcheuliches Ding ſoll er fein. 

Yutten. Meine Meinung ift, daß fein Betrüger je etwas 
Nichtswürdigeres erfunden , fein Gaufler etwas Ruchloſeres 
erfonnen hat; fo meit übertrifft er jeden andern Krug, 
läßt alle Liften Hinter fich, gebt über alles Schanbbare 
hinaus. Dod vorher Taf mich über vielerlei, was Rom 
zum Schaden unſers Volfes thut, nur Weniges obenhin be: 
merken, nicht wie ich e® von Vadiscus gehört habe, benm ber 
tiberging nichts, ſondern wie es mein Gedächtniß behalten Fonmte, 

Ernhold. Wohlan, fo ſprich; denn ich Habe Befchloflen, 
meinem folchen Efels entwöhnten Magen aufs Nee ehnas 
zuzumuthen; alfo laß uns das Widrige rafch verſchlucken und 
die Schon vernarbte Wunde wieder aitffraten. Von den Ei 
tiſanen wird wohl Vadiscus an erfter Stelle geſprochen Haben? 

Yutten. Bon denen ſprach er wohl viel; aber vorher 
von, was der Papft, dann was Andere ftehlen Dem Papfı 
gehören die Bifchofsmäntel, die Einnahmen vom Ablaß und 
don Dispenfationen, der Ertrag ber Sammlungen, welche bie 
Legaten unter dem Borwande des Türkenkriegs in Deutſch⸗ 
land anjtellen, und ber Erlös für Bullen jeder Art. 

Ernhold. Erjpare dir dieſe Unterſcheidung; denn was 
liegt daran, was von dem und abgenommenen Raube ein 





IV. Die Römiſche Dreifaltigkeit. 131 


Jeder befommt, wenn nur uns allen das gemeine Elend zu 
Herzen geht, und wir der Mißhandlung unfers Volkes, fofern 
wir nicht durch Rache Genugthuung dafür erzwingen können, 
wenigften® durch lauten Ausdruck unfers bittern Echmerzens 
ung widerſetzen. So fprich denn zuerjt von den Qurtifanen, 
was du von dem Darfteller diefer Gräuel gehört haft, und 
von dem römifchen Wefen, das wir ja felbft auch fennen ge 
lernt und oft mit großer Gefahr gerügt haben. Doch was 
hievon willft du zuerft, was hernach namhaft machen, und 
bei ver Fülle des Stoffes welche Ordnung einhalten? 
Butten. U Ordnung! As ob in folder Verkehrtheit 
eine Ordnung wäre! Doch empört mich vor Allem, daß fie 
jagen, mit allem dem, was wir von ihnen erleiden, gefchebe 
uns fein Unrecht, wobei fte fich auf die fogenannten Concor⸗ 
bate der Fürften !) berufen; eine Bulle, die, felbft wenn fie 
von ihnen gehalten würbe wie fie gejchrieben tft, fo müßte 
man Schon fagen, es hätte uns Fein fchwerere® und ſchmach⸗ 
volleres och aufgelegt werben können: fo jedoch, ba wir fie 
bie Grenzen dieſes unbilligen Vertrags fogar überjchreiten 
ſehen, wie können wir noch von einem Maß viefes Frevele 
reden, oder glauben, daß ihre Frechheit fich irgend eim Ziel 
ſtecken werbe? 
Ernhold. Fürwahr, unwürdig des deutſchen Namens, 
gefchweige der Würde deutſcher Fürften, waren diejenigen, 
welche zuerft mit ven römifchen Päpften jene uneinige Eint- 
gung fchloffen. ?) Aber dreifache Thoren find wir, daß wir, 


1) Es ift ber Afchaffenburger Receß vom I. 1448 gemeint, welchen 
im I. 1513 Wimpheling unter bem Titel: Concordata principum natio- 
nis Germanicae etc. herausgegeben hatte. 

2) Es waren hauptfählih Kaifer Friedrich III., ber fih von bem 
fchlauen Aeneas Silvius Piccolomini (nachmaligen Bapft Pins IL.) hin⸗ 
ters Licht führen, der Kurfürft von Mainz, deſſen Räthe fi} von eben 
bemfelben beftechen, die Kurfürſten von ber Pfalz und von Branden⸗ 


9* 





132 Hutten's Gefpräce, Erſtes Buch. 


was unfere Vorfahren gefehlt haben, jtatt es, wie wir kön- 
te, gut zu machen, zu unferm größten Schaben bei lebendi⸗ 
gem Leib, mit freiem Willen und fehenden Augen nicht alfein 
büßen, fondern uns auch täglich noch mehr Unbill auflegen 
laſſen. Dob dabei find fie, wie man glauben muß, von 
Anfang mit Pift, nicht mit Gewalt und Ungeftüm, zu Werfe 
gegangen. 

Yutten. Wie du fagjt; demm der erfte Weg, ben ihr Be 
trug eingefchlagen, ſcheint erbeuchelte Frömmigkeit gemefen zu 
fein: fie gaben vor, man müſſe die Einheit der Kirche erbaf- 
ten, und fpielten fo ihrem Bifchof zu Rom die Oberherrſchaft 
in die Hände. Bon allen Bisthümern und hoben Kirchen— 
jtellen bei uns bier außen nahmen fie für ihn, falls die In« 
baber zu Rom ftarben, die Beſetzung, wenn aber bier, bie 
Beftätigung in Anfpruch ; erſt umfonft, dann ſo, daß fie vert 
Penſionen, bier Geld für den Mantel herauszuſchlagen ſuch⸗ 
ten; und Beides fetten fie allmählich durch, indem jie zuerft 
ein fo geringes Geld darauf legten, daß man befjelben nicht 
achtete, dan es immer mehr jteigerten, jo daß jetzt Alles 
ins Vielfache angewachien iſt. 

Ernhold. In Folge ſolcher Schalkheit kommt jetzt der 
Mainzifhe Biſchofsmantel doppelt jo hoch als frühen, 

Hutten. Das legen aber ſie als Strafe aus; denn ale 
in früberen Zeiten einmal ein waderer und biejes Namens 
würdiger Bifchof von dem Papft zu Ron ſich wohl. beftätigen 
laſſen, aber das Pallium nicht faufen wollte, und auf dieſer 
Weigerung beharrte, traf ihn felbit der bamalige Papft mit 
dem Bannftrahl *), weil aber ſolchem Ungehorjam (denn fo 
nennen fie jede Behauptung unjerer Rechte) die Mainzifche 


burg, bie ſich durch allerbaud ibnen von ber römijchen Curie gebotene 
Bortbeile fübern lichen. 
1) Dietber von Iſenburg, von Pius IL. abgelegt 1461: 








IV. Die Römifhe Dreifaltigkeit. 133 


Kirche einmal zugeftimmt habe, fo wurben auch feine Nach 
folger für ewige Zeiten zu doppelter Bezahlung verurtheilt, 
und ihnen, ftatt früherer 10000, 20000 aufgelegt. Daran 
wird fo wenig etwas nachgelaffen, daß man noch überbieß 
Allen die mit der Sache zu thun haben, wenn fie auch nur 
zwei Worte fchreiben, oder das Blei aufprüden, oder das 
Mäntelchen zufammennähen, vie Hände füllen muß; auch hat 
man eine große Gefandtichaft mit fchweren Koften nach Rom 
zu fchiden. Käme dieß in hundert ober zweihunbert Jahren 
Einmal vor, fo wäre es felbft dann um ver fluchwürbigen 
Neuerung willen in ver Chriftenheit nicht zu dulden; nun aber 
hat fih im Mainzifchen ein alter Mann gefunden, ver fi 
erinnert, mit dem jegigen, Albrecht, acht Bifchöfe von Mainz 
gefehen zu Haben !): fo viel Biſchofsmäntel haben in Einer 
Kirche binnen Menfchengevenfen gekauft werven müſſen. Da⸗ 
durch ift das Mainzer Stift fo tief in Schulen gerathen, 
und der gemeine Mann durch Eteuern fo erjchöpft, daß ber 
Biſchof faum noch fo viel Einfommen hat, um ftandesgemäß 
davon leben zu können. 

Ernhold. Auf ven Fall, daß heute diefer Sitz erlerigt 
würde, was meinft du, würden bei fo großem Mangel bie 
Mainzer noch einmal einen Mantel zu Nom kaufen? 

Hutten. Gott wolle Albrecht erhalten! falls ihm aber 
etwas zuftieße, würden ſie einen faufen, ich weiß es, bei 
Gott, fie würden einen Taufen. 

Ernhold. Es wäre ja aber fein Geld ta, und das Voll 
würde nicht mehr fteuern wollen. 

Butten. Die Leute würden fich ſelbſt berauben, und müß- 
ten fie fich die Eingeweide aus dem Leib nehmen, um etwas 
nah Rom ſchicken zu können; ſo viel vermag der Aberglaube. 


1) Der achte Mainzer Erzbiſchof von Albrecht aufwärts, Dietrich 
von Erbad, mar 1459, alfo vor 61 Jahren, geftorben. 





134 Hutten’s Geſprüche. Erſtes Bud. 


Oper wenn bu meinft, fie möchten darein doch nicht affe wil- 

ligen, jo fände fih bald Einer, der, um Biſchof zu werben, 

ben Mantel aus eigenen Mitteln faufte. *) 
Ernhold. Dann hätte die Wahl Feine Geltung? 

Butten Nein. Denn der Papjt würde jenen Armen und 
Mittellofen für unwertd der bifchöflichen Ehre erklären, bie 
fen Reichen aber beftätigen. Indeß benehmen fih in biefem 
Stüde, wie ih jehe, die deutſchen Domberren jehr Hug, in- 
em fie zum Voraus zu verhindern juchen, daf dem römi- 
ſchen Oberhirten feine üble Nachrede erwachle, 

Ernhold. Durch welches Mittel? 

Hutten. Nun, wenn eine Kirche fein Geld hat, und bas 
Bolf der Steuern wegen Schwierigkeit macht, jo wählen 
fie einen Neichen, ber die Koſten tragen fann, mag er aud 
ſonſt nicht tauglich fein. 

Ernhold, Mit Recht alfo wirft man uns jchmählichen 
Knechtsſinn vor, da wir uns freiwillig in bie Knechtſchaft 
fügen; und wirklich verdient es fein Unrecht genannt zu wer⸗ 
den, was einem mit jeinem Willen geichieht. 

Button. Wie du ſagſt. Doch jene legen es ſich noch als 
ein Verdienſt aus und rühmen jich ihrer eifrigen Sorge für 
unfere Seelen: jie jeien davor, daß fein Unmürbiger folder 
Ehre theilhaftig werbe, und das jei doch banfenswerth; fo 
wollen fie, während fie uns mit Befchwerben belaben, uns 
noch Wohlthat und Ehre erwiejen haben. 

Ernhold. Wenn nun aber das Volk ſich empörte unb ber 
Ritterſtand einen rechtichaffenen Bijchof gewählt wilfen wollte, 
ber nicht nur fein Geld hätte, ſondern auch keins begehrte, 
und ben Domberren verböte, für ven Mantel auch nur einen 


1) Wie Albrecht von Brandenburg mit dem Mainzer Pallium ge» 
tban hatte. Das Geld ftredten ibm bie fjugger vor, und ber Ablaf- 
handel jollte es ibm wieder ſchaffen. Dieß ließ Hutten bruden, mäb- 
rend er noch in Albrecht's Dienften ftand. 





Iv. Die Römifche Dreifaltigkeit. 135 


Pfennig nach Rom zu fchiden, fie möchten es hernehmen wo 
fie wollten: würde ein ſolches Beiſpiel nicht auf andere deutſche 
Kirchen wirken? 

Butten. Es würde nichts helfen, denn ficher fänden ſich 
Fürften, die den Mantel faufen und die der Papft dafür zu 
Bifchöfen vefigniren würde. Unter diefem Rechtsvorwand 
würden fie Bolf und Ritterfchaft zwingen, und Allen zum Zrog 
fih zu Herren machen. So entjtand ja noch zu unferer Vä⸗ 
ter Gebächtnig der Mainzer Krieg, wo im Streit zweier Bi⸗ 
fchöfe, deren einer von den Domherren gewählt, ver andere 
vom Papſt bejtätigt war, die Stadt erobert und ver Plünbe- 
rung der Soldaten preisgegeben, das Stift aber jämmerlich 
beſchädigt worden iſt.!) 

Ernhold. Ich merke wohl, auf welchem Weg die Päpſte 
es leicht dahin bringen, daß nur ſolche, die ſie haben wollen, 
in Deutſchland Biſchöfe werden, und ſie von ihnen ſo viel 
Gewinn ziehen, als ihrer Habſucht genügt. 

Hutten. Aber der genügt ja nichts, ſondern jeder folgende 
Biſchofsmantel iſt theurer als der vorige, und immer höher 
ſteigen die Erpreſſungen der Römer in dieſen Landen. 

Ernhold. Darum, glaube ich, gäbe es nur Ein Mittel, 
dieſem Uebel abzuhelfen: des deutſchen Volkes Einigkeit, wenn 
es durch Einen ernſten und ſeiner würdigen Beſchluß dieſes 
Joch bräche, die Bürde, die nicht nur ſchwer zu tragen, ſon⸗ 
dern auch ſchimpflich iſt, abwürfe und ſich frei machte. Allein 
ich fürchte, das läßt der Aberglaube nicht zu, der gar zu tief 
in den Seelen unſers Volks gewurzelt iſt. 

Hutten. Er wird es zulaſſen. Ja eben mit dieſem Joche 
zugleich wird auch der Aberglaube abgeworfen werden, und 
die Deutſchen erkennen, welch ein großer Unterſchied ſei zwi— 





1) Der Krieg zwiſchen Diether von Iſenburg und Adolf von Naf- 
fau, 1461 —68. ar 





136 Hutten’s Geſpräche. Erſtes Bud. 


ichen dem Dienfte des wahren Gottes und der abgöttifchen 
Unterwürfigfeit ımter die päpftliche Tyrannei. Sie werben 
finden, daß, was an jene Römer verſchwendet wird, nicht 
geiftlichen Zweden zu Gute kommt, ſondern ber veriwerflich- 
ften Ueppigfeit der jchlechteften Menjchen zur Nahrung bient; 
werben mithin nicht mehr glauben können, ihre Wreigebigfeit 
fei wohl angelegt. Sie müjjen ja merfen, daß von ihren 
Spenden nichts auf den Gottespienft, nichts zum gemteimen 
Nugen, Alles vielmehr auf ven Unterhalt fluchwärbiger La 
fter, zu unferm großen Spott und Schaden, wie zu mterflicher 
Unebre ver chriftlihen Religion unter ven Seiten, verivendet 
wird. Denn nichts ift fchimpflicher fir uns Ghriffen, als 
wenn man uns das Leben jener Nömlinge zum Vorwurf 
macht, von denen als den Häuptern, ba fie franf und ver- 
borben find, man auf das Befinden nes übrigen Hörpers 
ſchließt. 

Ernhold. Er befindet ſich auch übel genug; wäre er alfe 
wohl am Leben zu erhalten, wenn wir ihm dieſes Franfe 
Haupt abjchlügen ? 

Hutten. Ohne Haupt kann der Körper nicht leben; es ift 
aber auch nicht nöthig, es ihm zu nehmen, jonbern man 
braucht nur was daran ſchadhaft ift wegzufchneiden, und durch 
Anwendung von Arznei die Krankheit zu heilen. Dabei muß 
man aber wie ein Hunger Arzt verfahren, daß man bie Urfache 
der Krankheit zu entfernen und ihr die Nahrung zu entziehen 
ſucht, damit fie, wenn ihr feine Kraft mehr zufließt, all 
mählich ausgehe unb verſchwinde. Denn biefes Haupt ift 
noch zu heilen, wenn auch mit großen Schmerzen wegen ber 
harten Cur, bie erforberlich ift. 

Ernhold. Ich meine, wenn man die Geiftlichen von ihrem 
üppigen Leben abzöge und ihres frommen Amtes warten 
bieße, wenn man, um fie im Guten zu erhalten, ihnen jene 
Reizmittel zum Böjen nähme, ven Reichthum, bie jchäpliche 








IV. Die Römifche Dreifaltigfeit. 137° 


Freiheit, die fie genießen, und ftatt der Habfucht, die fie am 
meiften entfittlicht, wieder einfältige Dürftigkeit, unſchuldige 
Armuth unter ihnen einführt. Denn es ift, wie ber grie⸗ 
chiſche Dichter jagt: 

Wär’ nicht das Nehmen, gäb’ es keinen Böoſewicht.) 

Butten. So ift es; aber vor biefer Heilung wird, weil 
bie Krankheit jo angenehm ift, ver größte Theil folchen Ab- 
ſcheu haben, daß er lieber Frank bleiben wird. 

Ernhold. Aber man wird fie nicht krank bleiben laſſen; 
denn diefe Krankheit hat die Art, daß fie denen zwar ange: 
nehm ift, die daran leiden, den Uebrigen aber unbequem und 
Allen verberblich, mit denen jene Kranken verkehren. 

Hutten. Alſo braucht e8 Arznei, wie fich die Kranken auch 
Dagegen fperren mögen. 

Ernhold. Da werden aber Viele, wenn man fie nicht 
mehr auf diefe Art Frank fein läßt, auch nicht mehr Geift- 
liche fein wollen. 

Butten. Zum großen Nugen und Gewinn bes gemeinen 
Weſens, da es dann weniger Müßiggänger geben wirb, we⸗ 
niger Menſchen, pie Vielen läftig, Niemanden nüglich find. 

Ernhold. Das gebe ChHriftus der Heiland, daß es bald 
geichebe. 

Hutten. Es wird gefchehen; denn der Trug ift aufs Höchfte 
gefommen, und weil er nicht mehr höher fteigen kann, muß 
er nothwendig fallen. 

Ernhold. Dann aber wird faum ver Hundertfte in biefem 
Stande bfeiben. 

Hutten. Und es wären der Geiftlichen noch immer übrig 
genug, wenn von Hundert nur Einer bliebe. Doch dann wird 
die ganze Sache eine andere Geftalt gewinnen. 

Ernhold. Wie fo? 


1) Ein Fragment des Komilere Dipbilns. 





138 Hutten's Geſpräche. Erſtes Bud. 


Hutten. Eigentlich weiß ich es noch nicht; doch ahnt mir 
Einiges. Vadiscus meint, es werden dann bie geiſtlichen 
Stellen den Beſten verliehen werden, und dieſe werden nicht 
meinen, weil ſie Geiſtliche ſeien, dürfen ſie müßig gehen, da 
man ſie vielmehr um ihres erprobten Fleißes willen zu Prie- 
ftern gemacht hat; daher werden fie vem Gemeinwefen dienen, 
und ſich von Andern nur dadurch unterfcheiven, daß fie fröm- 
mer leben und das Gemeinwohl ihnen mehr am Herzen liegt. 

Ernhold. So werden fie dann aud Weiber haben? 

Hutten. Wenn jie wollen, allerdings, um nicht mebr zur 
Unfeufchheit veranlaßt zu fein. 

Ernhold, Das gefällt mir; da würde ja auch ums michte 
mehr hindern, Geiftliche zu werben. 

Hutten. Das meine id auch. Vadiscus wenigftens wird 
ed eher nicht werben wollen, fo verhaft ift ben Manne Alles 
an dieſem Stand, vornehmlich die Stadt Nom, die Niemand 
mit mehr Beredtjamfeit fchelten fann. Mir hat er Manches 
wieder ins Gedächtniß gerufen, das mir entfallen var. Unter 
Anderm Dieſes. Noh bei Menjchengebenken beſetzte ber 
Papft nur die höchſten Kirchenftellen und beftätigte die Bi. 
ſchöfe; jet aber hat man Mittel und Wege gefunden, auch 
die Weihe der Pröpfte, Decane und Domberren ihm zinsbar 
zu machen, und das nicht blos in den Papſtmonaten die 
er fich ſchon vorher zugeeignet hatte, fonderm auch wenn ehvas 
in ber Zeit der Ordinarien erledigt wird; wobei fie bann gar 
ihön jene föftlihen Fürftenconcordate einhalten. Doc baranf 
hatte Vadiscus den artigen Sprud: Drei Dinge, fagte er, 





1) Die Papftmonate waren die ungeraden: Januar, März, Mai, 
Juli, September und November; was in diefen an bemtichen Kinben- 
pfründen erledigt wurde, hatte ber Papft zu beſetzen. Biatblimer, Ab» 
teiem und bie oberften Stellen in Dom + und Collegiatficchen follten 
davon ausgenommen fein; aber bie päpftlihen Eingriffe au im bie 
Beſetzung dieſer Stellen hörten nie auf. 





IV. Die Römifhe Dreifaltigkeit. 139 


gibt e8 denen zu Rom nie genug: Bifchofsmäntel, Bapjft- 
monate und Annaten. 

Ernhold. Mir fcheinen diefe Dinge vielmehr nur allzus 
wohl zu gerathen. 

Yutten. Ihnen im Gegentheil; denn ihre Habfucht ift 
unerfättlih. Wenn es ihnen genug bäuchte, nur die Biſchöfe 
für Geld zu beftätigen, wären fie nicht weiter, an die gerins 
geren Würden, gegangen; und wenn ihnen zu ihrer Räuberei 
ſechs Monate genügten, griffen fie nicht gewaltfam in bie 
freie Zeit ein; auch würden fie nicht die Annaten auf aller- 
band Arten zu fteigern juchen, wenn ihnen genug Biſchöfe 
in Deutſchland ftürben. Dabei machen die Eurtifanen ihren 
eigenen großen Gewinn. Sie braucht der PBapit als Treiber 
und Unterhändler in allerlei Gefchäften; ganz beſondere Dienjte 
aber thun fie ihm in Betreff des Privilegiums der fogenannten 
Tamiliaren oder Diener. Wenn nämlich Einer zur Diener 
ihaft des PBapftes, eine® Cardinals, oder auch nur irgend 
eines römiſchen Stallfnechts gehört, jo hat, wenn er ftirbt, 
feine Pfründen nach Feitfegung der Eoncordate der Papft zu 
verleihen; da nun, je babfüchtiger Einer ift, er deſto mehr 
bahin trachtet, dieſer Klaſſe einverleibt zu werden, weil fie 
einen nähern Anfpruch als die Uebrigen haben in Nom etwas 
auszuwirken, jo fommt es, daß die Zahl derer ungeheuer ift, 
welche unter dem Namen von Familiaren Rom bereichern. 

Ernhold. Sch Habe aber folche Familiaren ganz ebenfo 
wie Andre zu Rom Pfründen kaufen fehen. 

Butten. Sie müffen fie gleichfalls kaufen, es ift wahr; 
denn wer befommt zu Rom etwas umſonſt? Aber wären fie 
feine Samiliaren, würden fie nicht einmal zum Kaufen zu⸗ 
gelaſſen. 

Ernhold. So hat alſo Rom allein das Vorrecht, Simonie 
treiben zu dürfen; anderswo gilt ſie für ein Verbrechen ohne 
Gleichen. Doch wo manchmal mehrere Familiaren ſich um etwas 














140 Hutten’s Gefpräde, Erſtes Buch. 


bewerben, wer entfcheivet da den Streit? Das Geld, denle 
ich: wer am meiften gibt, ober das höchſte u —— 
geht wohl den Uebrigen vor? 

Hutten. Das geht aber nicht ſo geſchu * erſt 
muß erkannt werden, wenn der Papſt Mehreren Daſſelbe 
verheißen hat, wer es vor den Andern bekommen ſolle. So 
iſt es jedesmal, wenn der Papſt ſogenannte Gratien ertheilt; 
ein Betrug, von dem ich gar nicht weiß, wohin ich ihn ſtellen 
oder wie ich ihm nennen ſoll. Ich habe geſehen, wie jolde 
Gratien Manchen dreimal ertheilt und breimal widerrufen 
wurben, und jevesmal wußte ber Alferheiligjie einen Borwand, 
warum er feine Gnade wieder an fich ziehe und verſchließe. 
Bor allen Dingen aber ift es des Papjtes Vortheil, daß viele 
Streitfahen zu Nom anbängig find, denn fie füllen ben 
römiſchen Schat wie faum etwas Anderes. Daher fieht man 
es dort gern, wenn möglichſt Viele, um Recht zu fuchen, mad 
Rom fommen: bringt doch Jeder etwas mit; denn wer nichts 
mitbringt, hat Unrecht, und es wird ihm nicht nur nichts 
gegeben in Rom, jondern auch noch genommen was er bat, 
Darum ift des Vadiscus Spruch, drei Dinge ſeien dem nötbig, 
der zu Rom Procek führe: Geld, Empfehlwigsbriefe und Lügen. 

Ernhold. Mich bäucht, es jei am Gelb allein genug. 

Hutten. Wohl, wenn es Einer im Ueberfluß Hat; fängt 
es aber an ihm auszugehen, dann gilt es, durch Erdichten 
und Berfprechen, durch Vorwände, Lügen, Bethenerumgen 
und falſche Schwüre den Mangel zu erfegen. Empfehlungs- 
briefe aber, wenn fie nicht voll ftattlicher Ausfichten find, 
belfen nichts. Nühren fie von Einem ber, der vlel Gelb ober 
Macht und Einfluß hat, dann mögen fie einigen Borſchub 
ſhun. Denn drei Dinge fördern jedes Gejichäft zu Nom: 
Geſchenke, Gunft und Macht; aber Gunft muß man fich ja 
jelbjt auch durch Geben zu erwerben ſuchen; denn wer gönnt 
einem etwas zu Nom, wenn er feinen Nuben bavon hat? 





IV. Die Römifche Dreifaltigkeit. 141 


- . Ernheld. Wir Beide zwar hatten zu dem was wir bort 

juchten, böfer Menſchen Gunft nicht nöthig. Aber viele Andre 

fehen wir in großer Verachtung bafelbft leben; was fie, wenn 

He Geld gehabt, wohl hätten Ändern fünnen. 

Vutten. In demſelben Sinne meint Vadiscus, brei 
„ Dinge bringen Ieven zu Rom empor: Geld, Kühnheit und 
= Unverfchämtheit. 

‘= Ernhold. Ueberall ift doch das Geld im Spiel; obwohl 
F such Kühnheit etwas ift, wenn einer, um fich emporzufchwingen, 
vie ber Satiriker ſagt, eine der Verbannung und des Kerkers 
' Wärbige That begeht. !) 

..' Yaltn. Und fie begreift viele böfe Stüde in fih.2) Die 

Unverſchämtheit aber vertreibt die Scheue und macht, baß 

Ban fich einer Schundthat nicht mehr fchämt. 

.Ernhold. Wohl bedacht. Ich muß aber noch einmal 

werauf fommen, was es für eine Schänbfichkeit ift, daffelbe 

- gleich Mehreren zu geben over zu verfprechen, dann fie unter 
Ach ftreiten zu laſſen, nachbem fie durch bie gleiche Hoffnung 
welöbert worden find. 

Butten. Eine Schänplichkeit, welche die Deutfchen fich 
sicht Hätten gefallen Taffen, wären fie nicht vom Aberglauben 
jammerlich verblendet. Denn ver ftand ihnen bis jekt im Wege, 
Daß fie nicht fahen, wie man mit ihnen umging, fie waren 
im dem Irrthum befangen, zu meinen, dem Papft fei Alles 
erlaubt, felbft die unbilligiten Satungen zu maden, unb e8 
tel ein unfühnbarer Frevel, feiner Tyrannei fi auch nur 
wuit einem Worte zu wiberfegen. Nun fcheut aber Rom vor 
der Schande nicht zurüd, ſondern geht dem Gewinn auch durch 
Die Schande nach; denn es mag eine That noch fo fchlecht 


Er 


TAT 


1) Juvenal, erſte Satire, 8.73 fg. 
2) Hier hat bie beutfche Weberfegung Hutten’s eine Einſchaltung 
Bon dem Vorſchub, ben Schöuheit zu Rom Teiflet. 





142 Hutten’s Geſpräche. Erſtes Buch. 


und ruchlos jein, fo fanm ber Papit machen, daß fie feine 
Sünde jei. Ihm räumen bie Concorbate auch bas ein, daß, 
was einem burch päpftlihen Spruch abgenommen iſt (und das 
geichieht fo oft jener Hirt auf feine Schafe eine Ungnate 
wirft), daß barım aufs Neue in Rom angehalten werden 
muß; wobei die Eurtifanen das Gefchäft haben, anzuklagen 
wen fie wollen. 

Ernhold. Daher fonımt das gemeine Gefchrei, Daß fie 
Viele unbilfigerweife anfechten und oft dem Unſchuldigſten zu 
ichaffen machen. 

Hutten. Dabei findet dann noch ein anbrer Betrug ftatt. 
In den Eoncordaten ift vworgefeben, daß ftreitige Pfründen, 
wenn ber Inhaber vor Austrag des Streites ftirbt, alsbald 
an Rom fallen. Wo nun ein reicher Getftlicher alt oder fräuf- 
fich ift, den citiren fie abfichtlich nach Rom’), damit nicht, 
wern er bier außerhalb der päpftlichen Monate jtürbe, bie 
Sache Rom entginge. Von Solchen ſah ih Manche auf ver 
Reife fterben, wenn fie. der Berufung nach Rom Folge Teifteten. 
Nun wollen aber jene Angeber, wenn e8 fie auch noch fo Kiel 
Geſchenk und Geld foftet, eine Stelle lieber in Nom kaufen, 
ald an jedem andern Orte fich darum bewerben, ba für bie 
ihlimmiten und offenbaren Bubenftüde nur dort ber rechte 
Spielraum ift. Daher fchlieft Vadiseus, prei Dinge beinegen 
bie Yeute, nach Nom zu reifen: Die Bewunderung bes römi« 
Ihen Namens... 

Ernhold. Das war für uns der Beweggrund zu der Reife. 


1) Hier find bem Berfaffer zwei verſchiedene Fälle in einander ge 
floffen. Erſt fpricht er bavon, baf eine Stelle zur Wiederbeſetzung an 
ben Bapft fiel, bie während eines darüber anbängigen Streites erlebigt 
murbe, und bazu brauchte es feine Reife des Inhabers nah Rom, 
Der gleiche Fall trat aber zweitens ein, wenn ein Geiftliher im ober 
bei Rom ftarb, wobei es bann aber feines Streits beburfte. Die beutiche 
Ueberfegung ſucht vergeblih durch Einfdhiebung zu helſen. 





IV. Die Römifche Dreifaltigteit. 143 


Butten. Der Gewinn, und bie Freiheit, laſterhaft zu Ieben. 

Ernhold. Diefe zwei Stüde find die Beweggründe ber 
Eurtifanen. Doch das babe ich zuvor nicht gewußt, daß ben 
ordentlichen Monaten fo viel abgebrochen wird. 

Butter. So viel, daß beinahe nichts mehr barauf ans 
fommt, ob etmas außerhalb der päpftlichen Zeit erlebigt 
wird; denn man weiß ſchon Rath zu finden, daß Nom auch 
babei nicht leer ausgeht. Ia einen ganzen Monat nach dem 
Tode des Inhabers darf Der Ordinarius eine geiftliche Stelle 
nicht befegen: zu welchem Ende? natürlich damit man in ber 
Zwifchenzeit Mittel und Wege finde, etwas davon nach Rom 
zu ziehen. So gar nichts Hilft die Theilung des Jahres in 
zwei Hälften: fie maßen fich auch fo das ganze an. Mit 
welchem Nachtheil ift ferner das Poftuliven von DBifchöfen 
verfnüpft, da fämmtliche Pfründen, die verjenige bisher inne 
gehabt hat, den eine andere Kirche poftulirt, an Rom zurück⸗ 
fallen? Daher ift es gelommen, daß wir kürzlich baffelbe 
Pallium in Einem Iahr zweimal in Rom haben kaufen feben.?) 
Werben dann einmal fogenannte erfpectative Gratien ertheilt, 
was felten vorfommt (ift es doch eine beſondere Gnade des 
Papftes gegen uns Deutfche), fo geht das geradezu gegen bie 
Türftenconcordate, denn man zieht hieher Stellen, vie in 
allemege von der römischen Gewaltanmaßung frei fein müßten. 
Bereitd greifen fie auch die Mönchsflöfter bei uns an und 
plündern die Webte; dabei haben fie den fogenannten Regreß 
oder Rüdfall deſſen, was der Papft einmal verliehen, an bie 
ordentlihen Verleiher, den einzigen Troſt bei ſolchem Raube, 


1) Dazu gibt Die deutſche Ueberſetzung bie Srläuterung: „Dann 
ber felbig bifchoff [Albrecht ift gemeint) muft bes erften biftumbs [von 
Magdeburg, das er 1513 erhalten hatte) pallium, das er noch mitt ein 
ganges jar gehabt, als er zu bem anbern mol poflnliert warb [nad 
Mainz, 1514), wiberumb Tanffen und uff ein newes Bßen.“ 





144 Hutten’s Geſpräche. Erſtes Buch, 


aufs gewwaftthätigfte abgefchnitten; denn was fie einmal gefaßt 
haben, das faffen fie nicht mehr aus den Zähnen und wehren 
fich mit Fluch und Bann, daß es nicht wieder zum Freibeit 
fomme. Dann die Anmaten, der Ertrag des erften Jahres 
nach der Beſitznahme einer Pfründe: welch ein Raub, und 
was für ein fetter Raub! Dabei hat man, um Irrthum zu 
verhüten, die Anordnung getroffen, daß zu Nom geſchätzt wird, 
was ein Jeder hier einnimmt. Da jedoch dieſe Schätzung in 
der römifchen Habſucht wurzelt, jo ſchlagen fie bie Stellen 
meistens zu ihrem Wortheil über deren twirflichen Ertrag an. 
Hiebei thun die Entfcheivungen der Rota treffliche Dienfte; 
ein ganz untiderfprechliches Gericht. Und es kann ſich erſ 
Niemand über Unrecht beffagen, denn die Concorbatenbulle 
jest ja feſt, wenn Klagen über mrichtige Abſchätzung ber 
Annaten vorkommen, folle einer aus Rom nad Deutſchlan 
gefchiddt werben, um den Sachverhaft zu unterfuchen. 

Ernhold. Aber wann ſchickt man einen? j 

Butten, Aber wann wagt einer zu klagen? Es if gar 
zu gefährlich, den großen Herren zu Rom mit Meinigkeiten 
befchwerlich zu fallen, und Jeder ſcheut ſich, in Sachen bie 
ben Papft angehen Einrede zu erheben, um den Allerbei- 
figften nicht verprießlich zu machen. Außerdem ſagte Bapis- 
cus, der ganze Tag würde nicht hinreichen, die allerhand 
Arten berzuzähfen, wie freie Kirchenſtellen, vie bier aufen 
verliehen werben jollten,, zur Gerechtfame des römiſchen Bir 
Ihofs gezogen werben. Und nachdem er lange mb viel ger 
ſprochen, wollte er nur Weniges obenhin berührt haben; fo 
gar fein Mittel, meint er, haben jene unverfucht gelaffen, 
das ihrem Vortheif-dienen Fonnte. Man habe fich jeden Frerel 
erlaubt, Verhandlungen vernichtet, Gewohnheiten abgeſchafft, 
Verträge gebrochen, Uebereinkünfte aufgelbſt, Treu und Glauben 
mit Füßen getreten, die Geſetze in den Wind geſchlagen, die 
Kirchenordnung verlegt, Alles verkehrt und über den Saufen 








AV. Die Römiſche Dreifaltigkeit, 145 


fen. Selbit an Knaben, vie kaum erſt fprecben können, 
ven jeist geiftliche Stellen: verliehen, wenn nur Rom für 
Dispenfation Geld befommt. Lleberhaupt iſt fein Frevel, 
rechen, feine Miffethat, welche die Römer nicht von 
begangen mwünjchten, um Dispenfationsgelver dafür zu 
elommen; während fie ſelbſt ohne Dispenjation ſündigen. 
ßt du auch, daß einer zu Mainz einen Weib in: ölereng 
1 jeiner Pfründe einen Abtrag bezahlt? Gr‘ 
Ernhold. Ich habe neulich davon gehört. 
Bat Was haben Weiber mit geiftlichen Stellen: zu 
? vollends Italienerinnen mit den unjern? 
Ernl Nichts, bei Chriſtus! außer * dieſer die 
J ugeſprochen iſt. 
* Glaubſt du nun noch, daß es — eine Art 
som Gewalt und Unrecht gebe, die fie ſich nicht gegen uns 
erlauben werden? 
Ernhold. Nein, jest glaube ich’s nicht mehr; ich jehe ja, 
wie fie * Alles unterſtehen. 
Es gibt geiſtliche Stellen, die. nach alter deut— 
—— nur ar ſolche verliehen werben, die einen Titel 
habe, Um nun diefe Satung mit einem: ehrlichen Schein 
re; machen fie fich zu Rom nichts daraus, den 
mwürdigſten Menſchen Zitel zu ertheilen. , Durch dieſen 
Schleichweg habe ich neulich Einen in Regensburg Domherr 
werben nen, weil er in Rom zum Doctor ernannt worden 
war; ſonſt hätte er die Stelle nicht erhalten fünnen, da ihm 
das Geſetz entgegenftand, welches Jeden zurücweift, der micht 
entweder edel von Gejchlecht, oder um feiner: Gelehrfamteit 
willen grabuirt iſt; er aber hatte feine Kunft noch Wifjehjchaft 
gelernt, fondern nur den Titel gefauft. Wäre pas Geſetz fo 
gemeint, fo könnten wir hier auch unfre Ejel ins Kapitel 
bringen, doch würden wir es vermuthlich nicht wollen, Rom 
bingegen ſcheut fid vor feiner Verkehrtheit und zieht allein 


Strauß, Gutten's Beipräde. 10 






| 
| 
| 






















146 Hutten’s Geſpruͤche. Erſtes Buch. 


von den Sünden aller andern Menfchen Nutzen. Dabei gibt 
e8 fein noch fo fchwieriges Bedenken, das zu heben man dort 
nicht Mittel fände. Der Papft hat auch auf die Stellen ein Recht, 
beren Inhaber zu Nom oder. zwei Tagereifen davon geftorben 
iſt. Was läßt fich hier durch Gift, was durch Banbiten 
ausrichten ? was burch Anderes, das in dieſer — a 
Tagesordnung ift? 

Ernhold. Biel, ſolll ich meinen. Um: jo ficherer ‚Ahayen 
wir beide zu Rom; denn da wir feine Pfründen beſaßen, 
hatten wir auch feine Nachftellung zu fürchten. I. 

Hutten. Bei Erledigung geiftlicher Stellen leiften die Cur⸗ 
tifanen durch ihre Wachfamkeit dem Papſt und ben Garbinälen 
große und erjpriefliche Dienfte, denn fie machen jogleich wie 
Anzeige davon, Dit dann ein Inhaber einträglicher Pfründen 
weder alt noch Fränflih, jo daß zu vermuthen tft, er werde 
noch lange Teben, jo flagen fie ihn unter einen erbichteten 
Vorwand au, indent fie dem Einen bieß, dem Anberm jenes 
vorwerfen, Allen aber Schreden einjagen, jo daß Manche 
aus Furcht vor der Gefahr fich Geld abpreſſen laſſen, Einige 
vor Befümmerniß gar fterben. Das ift nun ein großes Elenb, 
wenn fie Unfchuldigen (wie dieß meiftens der Fall ift) ſolche 
Schlingen legen, bisweilen durch Anklage auf Simonie, ein 
Verbrechen, das fiher Verurtheilung nach fich zieht, und nur 
zu Nom ungeftraft begangen wird; denn wer bort mit geljt- 
lihen Stellen Handel treibt, darf nicht um Simonie ange 
fochten werben. Oft geben fie auch vor, es jei Eimer im 
Bamı, und da es fo vielerlei Arten gibt, wie man thatjäch- 
li, oder de facto wie fie es heißen, darein verfallen kann, 
ſo fommt Mancher in ven Bann, ohne es nur zu willen und 
ohne fih einer Schuld bewußt zu fein. Auch wir, ba wir 
jet des Vadiscus Rede wiederholen, verfallen nadı den vers 
lehrten römiſchen Begriffen in den Bann, went uns gleich 
Niemand anflagt. \ 





IV. Die Mmifce Dreifaltigkeit, 147 


Ernhold. Herr Ehriftus! — — — — 
digt zu verbammen! | Mae A a 
Yutten. Und vor der Verantwortung pas Urtheil zu fällen! 
Ernhold. Doch das mögen fih Solche einreden Laffen, 
die fein Hirn haben ; wir theilen einen fo — Aber⸗ 
glauben nicht num u — 
Hutten. Sie dagegen — es dem Bolt. als eine gar 
fromme Einrichtung an, indem fie an die Stelle chriftlicher 
Milde ein wahres Henferwerf fegen. So gottlos fie felber 
(eben, gönnen fie body Niemanden bie Seligfeit, ‚der nicht fo 
darnach ftrebt, daß ein Gewinn für fie dabei abfällt. Daher 
fommen die dem Bapft vorbehaltenen Fälle (casus papales ge- 
nannt), nach des Vadiscus Urtheil auch eine ſchamloſe Spie- 
gelfechterei. Doch es verhalte ſich Damit wie es wolle, Chrifti 
Meinung wenigitens ſcheint es wicht gewefen zu fein; denn er 
hat feinen Apofteln Alles gleihmäßig gegeben, feinen eine 
größere Gewalt als ven andern eingeränmt. Auch bin: ich 
berichtet, fo lange die Kirche noch gefund war, habe ein 
vömifcher Bifchof den auf einem Goneil ihm angetragenen 
Vorrang vor allen andern Bijchöfen nicht annehmen wollen, 
Und woher fommt e8 denn, daß ber Papft fich einen Knecht 
ber Knechte nennt? Haben dabei die Alten nicht auf die 
Meinung Chriſti Rückſicht genommen, baß in. feiner Kirche 
Einer um jo mehr erhöht werben folle, je mehr er fich ſelbſt 
erniebrige, und daß über Andere herrſchen, nichts Anbres 
fein dürfe, als Alten dienen? *) Unſre jegigen Kirchenhäupter 
dagegen, was find fie ftolz und mufgeblajen! Wenn Einer 
Chriſto um fo ferner fteht, je mehr er mit weltlichen Dingen 
beichäftigt, die geiftlichen entweber gar nicht, oder doch geringer 
als jene achtet, wie wenig fünnen dann fie auch num fir Chriften 
gelten, geſchweige, daß wir fie für Päpfte und Kirchenhäupter 


1) Matth. 20, 26f,., 23, 11f. 
10 * 








145 Hutten’s Geſpräche. Erſtes Bud. 


halten tönnten! Doc möchte man fie vielleicht noch dulden, 
wenn fie nur für fich jchlecht lebten, und micht auch Andre 
Ichleht machten; jo aber geht von denen, die die Seelen jelig 
machen follten, das Verderben Aller aus, Und muß un® bie 
Gebuld nicht reißen, wenn wir fie jebt mit Gewalt rauben 
jehen, was jie vordem durch Schmeichelei zu erlangen jurchten? 
wenn fie jetzt Kirchengut heißen, was fie vor Zeiten erbettelt 
und mit Recht Almofen genannt haben? Doch. fie. haben ſich 
ja ein geiftliches Recht gefchrieben, und aus Furcht vor dieſem 
follen wir all das Unrecht über uns ergehen laſſen, ohne zu 
mudjen. Und es war ihnen nicht genug, Canones und Decrete 
aufzufchreiben, fie haben noch Paleen hinzugefügt und Extras 
vaganten!) und Declaratorien, um ja auf allen Wegen ſich 
ver Wahrheit entgegenzuftellen, jepe ihrer Bewegungen zu 
beiwachen, jeden Ausgang ihr zu verfchließen. Wie können 
num fie, die auf jo vielerlei Weife die Seelen ber Menſchen 
morden, noch Chriſti Stellvertreter heißen? Was hat denn ibr 
Thun mit dem feinen für Aehnlichlet? Er ſah einjt ven 
Petrus an und ſprach zu ihm: Weide meine Schafe.?) Was 
thun dagegen fie? Geben fie nicht das Ehriftenvolf, durch 
ihre Räubereien erihöpft, dem Hunger preis? Schinden fie 
nicht diefe Heerde, indem jie fie immer wieder bis aufs Fleiſch 
binein jcheeren? Abermals ſah der Derr den Petrus an und 
jprach: Und du, wenn du dich bermaleins bekehreſt, ftärke 
beine Brüder. Nun in der That, das thun ſie auch! Täglich 
jiehen und beuteln jie uns aus, machen uns immer ſchwächer, 
und oft ſchlagen fie uns gar dur die Gewalt ihres Blig- 
ftrabls nieder und bringen uns um. So viele Dinge gibt es, 


1) Baleen beißen gewiffe Zuſätze zu Gratian’s Deeretenſammlung; 
Ertravaganten nannte man ſolche kirchliche Berorbdnungen, Die in jener 
Hauptſammlung nicht entbalten waren. 

2) Iob. 21, 15—17. 





IV. Die Römifche Dreifaltigkeit. 149 


die des Menfchen Seele töbten follen, wenn fie nicht in Rom 
gebeichtet werden. Als ob Einer an dem Orte, wo er krank 
liegt, nicht auch geheilt werben Tönnte, oder wo er ſündigt, 
nicht Vergebung feiner Sünden erlangen, ſondern jenes Um⸗ 
laufen nöthig wäre, oder der Ort es ausmachte, und nicht eines 
Jeden eigenes Gewiffen. Aber freilich, wenn das nicht wäre, 
wovon follten dort die vielen Pönitentiare leben? fo Viele bie 
Bullen fchreiben und befiegeln ? Ablaß aber würde ja Niemand 
faufen, wenn er nicht überzeugt wäre, daß davon feine Selig» 
feit abhänge, und die Bullen wären in Verachtung, hätten 
nicht die zu Rom ben Ghriftenherzen vorgefpiegelt, zum Heil 
ber Seelen fei ihr Amt und Anjehen unentbehrlich. Und vie 
glaubt das einfältige Volk fo feit, daß Manche, die fein 
Geld haben, fih zu Rom öffentlich mit Ruthen ftreichen 
(affen. Darum frage ich: wo bat je ein Thrann ein freies 
Gemeinweſen ſchmachvoller unterbrüdt, als jener Knecht ber 
Knechte nicht blos ein freies, fondern das weltherrfchende 
Bolt? It das jene leichte Laſt Chrifti? das fein fanftes 
Sch?!) Und Heißt e8 nicht vielmehr die Kirche Gottes ver 
folgen, wenn man neue Gefete einführt, vie Chriftt Einriche 
tungen ſchnurſtracks entgegenlaufen ? 

Ernhold. Du bringft Vieles vor, worauf es unnöthig 
ift, Ia zu jagen. Es ift fo augenfcheinlich wahr, daß es 
feiner Beftätigung bebarf. 

Zutten. Doch von dem Vorbehalt im Herzen, ber foge- 
nannten pectoralis reservatio, habe ich allzulange verfchoben 
zu Iprechen; aber wie ließe ſich auch ftarf genug davon reden, 
oder welche Worte wären im Stande, einen Gräuel zu ent- 
hüllen, der von ber Art ift, daß meines Bedünkens Fein Strid, 
fein Galgen noch Marter, fein Feuer, felbit jenes letzte nicht, 
in dem die Welt vergehen wird, hinreicht ihn zu jühnen. 


1) Matth. 11, 30. 





150 Hutten's Gefprähe. Erſtes Bud, 


Ernhold. Und doch gehört er dem päpftlichen Herzen an? 

Hutten. Ihm allein; denn das ift inwendig jo weit ımb 
bat für fo viele Pfründen Raum, daß wer eine geijtliche Stelle 
befommt, fürchten muß, ber Allerheiligſte a fie ſich vor: 
behalten, 

Ernhold. Auf wie vielerlei Art behäft er ſich — geil 
fihe Stellen vor? 

Yutten. Vordem geſchah es noch mit af, seit u es 
ins Unendliche; ja gar oft heißt es, er babe fih etwas vor: 
behalten, woran er micht gedacht bat: fo wilfen bie —— 
e8 zu wenden. 

Ernhold. Wird er ihnen darüber nicht böſe? 

Hutten. Wie follte er boͤſe werben über etwas, das ihm 
fo großen Nuten bringt? Alsbald betätigt er es und belebt 
die Leute um ihren Eifer. Wenn fie das merken, fehen fie 
fich allenthalden nach reichen alten Prieftern um, und erlangen 
durch Geld von dem Allerheiligften, daß er, ſobald jene 
fterben, erflärt, vie fo erfenigten Stellen habe er ſich vorbe⸗ 
haften, und fie dann ihnen verleiht. Bisweilen went Einer 
auch ſchon todt ift, wirken fie ed dennoch aus, und ber Stell: 
vertreter Chrifti drückt gern ein Ange zu, weit entfernt, bah 
er fich ein Bedenken machte, ven Unfug zu geftatten. Sm 
Gegentheil, jo viel Getvinnfucht zeigt er babei, baß er in 
ſolchem Fall manchmal diefelbe Stelle an Zwei, Dre, ober 
Mehrere verfauft; denn eim Teichtfertiges, fchlüpfriges Ding 
ohne feinesgleichen ift diefer herzliche Betrug. Dagegen Bifft 
feine Wahl, fein Patronatsrecht, fein altes Herlommen, feine 
Landesgewohnheit , fein Privilegium ver Einzelnen, Feine 
Fürftenmacht; denn gegen das Gift, das aus jenem Herzen 
vampft, gibt es Feine Arzmei, und nirgends hat die Bosheit 
ficherern Schuß; damit kann fich noch decken, wem jeber anbre 
Trug, alle Ränfe, Kniffe und Pfiffe, alle Liften und Anfchläge 
fehlgeſchlagen find. 








IV. Die Römiſche Dreifaltigkeit. 151 


Ernhold. Unfterbliche Götter! welch ein Blendwerk von 
tem bu uns erzähljt, welch eine Ilias von Unheil! 

YZutten. Mir ift verbrießlih davon zu reden: wie bitter, 
meinft du, e8 zu ertragen? 

Ernhold. Was ſäumen wir alfo noh? Hat denn Deutſch⸗ 
Iand fein Eifen? bat es fein Feuer? 

Butten. Haben's die Deutfchen nicht, jo werbeu’s bie 
Türken haben. 

Ernhold. Es wäre aber beſſer, wir rächten biefe Unbilden 
ſelbſt, al8 daß eine auswärtige Gewalt es thäte, 

Hutten. Beſſer wohl, allein es bedarf fchneller Rache, 
denn der Uebermuth iſt ins Maßloſe aufgewachlen. Du baft 
die Bulle des Papſtes Julins gefeben, jene edle und von den 
Curtifanen fo hoch gerühmte Bulle, worin er eine Extrava⸗ 
gante Pins’ des II. gegen diejenigen, die fich auf ein Fünftiges 
Concilium berufen, betätigt.) Welch Feder Frevel, ihr un. 
fterblihen Götter, von dem der es zuerft verfündigt, wie von 
dem ver es hernach betätigt hat, fo mit ten Augen und 
Herzen der Gläubigen Spott zu treiben! Das aber haben fie 
getban, um mit Einem Dale aller Angſt vor denen loszu⸗ 
werden, welche gegen die Ungerechtigkeit der Päpfte Zuflucht 
bei einem Concil, vor dem man zu Rom bange ift, fuchen. 
Doc dieſe Bulle, ſei fie nun wie fie wolle, wird jeßt unter 
die Kirchengefete gerechnet, und hat den Venetianern Stäbte 
und Länder abgebrungen. 

Ernhold. Nicht diefe Bulle, wenn ich mich vecht entjinne, 
fondern der Franzofen und Deutfchen Waffen.?) Denn was 
meinft du wohl, daß Leute, an Klugheit unübertroffen, ein 


1) Die Bulle Pius’ II. it vom Jahre 1460; Julius II. beftätigte 
fie 1509, als die Benetianer gegen feine Landanmaßungen Berufung 
auf ein Minftiges Concil eingelegt hatten. 

2) Es find die VBerlufte gemeint, welche Venedig in Yolge ber 
Ligue von Cambray (gefehloffen 1508) erlitt. 








IV. Die Römiſche Dreifaltigkeit. 155 


Ernhold. Das ift es fürwahr, daran liegt es, "Hutten, 
mb vom Aberglauben können fich vie zu Rom allerdings noch 
viel Hülfe verſprechen; von ven Fürften dagegen verheißeft 
br alles Sute, und die Wiflenfchaften, follte ich meinen, 
Gaben fich nım doch hervorgearbeitet und ftehen ficher. 
Vaultten. Das wurmt ihnen auch genug, und ich mil ver- 
foren fein, wenn wir ihnen in ihrer Bosheit nicht fchon zu 
wiel von guten Künften verftehen, fchon zu fleißig in ben 
Studien find; fo viel auch wir felbft in diefem Stüde noch 
au und vermifien. 

Ernhold. Sicher ijt es fo, und daß bie Deutfchen nun 
gar auch Bücher fchreiben, gefällt ihnen gewiß ſehr übel. 

Button. Dennoch follen wir fchreiben und vie Wahrheit 
ans Licht bringen, und darauf unfre fromme chriftliche Zu- 
verficht ſetzen. Denn unfer Heiland jelbft, wie bebarrlich hat 
er das getrieben, da er Tag für Tag wider bie Hobenpriefter 
und Schriftgelehrten eiferte. In feine Fußſtapfen müfjen wir 
treten und feiten Stand halten gegen die, welche ben geift- 
fihen Namen zu ihrem Gewinn mißbraucen, und anftatt ber 
Lehre Chrifti Menfchenfagungen aufgebracht haben, jo daß 
fie jett weder recht ehren noch recht thun. Welche Gottes 
Wahrheit in Züge verkehrt haben, und dem Gefchöpf mehr 
als dem Schöpfer uns vienen beißen.) Die nicht als Hirten 
burch Die Thüre eingegangen, fondern als ‘Diebe und Räuber 
anderswo eingeftiegen find?); denn wer durch Trug und Bes 
ftechung eingeht, ber gebt nicht durch Ehriftus ein. Denn 
Er ift pie Thüre, durch die man in biefen Schafftall fommen 
muß, um ſodann Ehrifti Schafe zu weiden, nicht zu ftehlen, 


— 


geſchrifft. Ueber dieſe Abweichung vergl. meinen Ulrich von Hutten, 
u, 119 f. 

1) Röm. 1, 25. 

2) Joh. 10, 1f. 





154 Hutten's Geſpräche. Erftes Bud. 


 Hutten. Wem die Gemüther fih vom Aberglanben Ios+ 
machen: und das, hoffe ich fejt, wird bald gefchehen. 

Ernhold. Im Falle man dieſe zwei Stücke dem Uebel zu Hülfe 
fommen, wird man da noch der Türken Waffen brauchen? 

Hutten. Vadiscus meint, man werbe fie dennoch brauchen. 
Denn jelbit wenn alle drei Dinge zufammenträfen,; würden 
fie faum binreichen, das Sittenverderben zit firafen und Die 
Kirche zu beffern. Ich hingegen glaube, Deutſchland vermöchte 
viel, wenn es nach geböriger Kenntnißnahme jelbjt zu ver 
Sache jehen wollte: und das wird es thun, wird biefer Noth 
abbhelfen, und ftatt des Aberglaubens den rechten Glauben an— 
nehmen; das jchliefe ich aus allerhand Anzeichen. - 

Ernhold. Das gebe Chriftus! Sollte jedoch eim böſes 
Geſchick ver Ehriftenheit es mit ſich bringen, daß bie Ehriften 
daran verzweifelten, dieſe Befferung des eingeriffenen Sitten: 
ververbens jelbft vorzunehmen, dann wünſchte ich, möchten 
bie Türfen Nom erobern, und darin und aller Orten würgen 
und niederhauen, nicht das unfchuldige VBolf, das verhüte ber 
Heiland, fondern diefes öffentliche Aergerniß guter Sitte, dieſe 
trefflichen Sittenlehrer, die zu ſo großer Schmach des Chriſten⸗ 
glaubens dem allgemeinen Verderben vorangehen. ’ 

Yutten. Wer mag fich daher über ver Böhmen Wagnif 
wundern, ba jene Menſchen auch heute noch folche Urſacht 
geben, fie anzugreifen? 

Ernhold. Wir tadeln den Böhmifchen Handel, aber wir 
wundern uns nicht barüber, denn bie Leute treiben es jo, baf 
fie zu noch viel größerm Unheil Anlaf geben müſſen. 

Hutten. Was fagt Vadiscus dazu? Drei Dinge, fprict 
er, haben bisher Deutfchland nicht Flug werben laffen: Die 
Trägheit feiner Fürften, die Unerfahrenheit in Wiſſenſchaften 9 
und der Aberglaube des gemeinen Volls. 


1) Die alte Hutten'ſche Ueberſetzung bat ‚bier: virbefantmuß ber 





IV. Die Römifche Dreifaltigkeit. 155 


Ernhold. Das ift es fürwahr, daran liegt es, "Hutten, 
und vom Aberglauben Tönnen fich die zu Rom allerdings noch 
viel Hülfe verſprechen; von ben Fürſten dagegen verbeißeft 
du alles Gute, und die Wiffenjchaften, follte ich meinen, 
haben jich nun doch bervorgearbeitet und ftehen ficher. 

Butten. Das wurmt ihnen auch genug, und ich will ver- 
loren fein, wenn wir ihnen in ihrer Bosheit nicht fchon zu 
viel von guten Künften verfteben, ſchon zu fleißig in ben 
Studien find; fo viel auch wir felbft in dieſem Stüde noch 
an und vermiflen. | 

Ernhold. Sicher ijt es fo, und daß die Deutichen num 
gar auch Bücher Schreiben, gefällt ihnen gewiß fehr übel. 

Butten. Dennoch follen wir fohreiben und bie Wahrheit 
ans Licht bringen, und darauf unfre fromme chriftliche Zu— 
verficht ſetzen. Denn unfer Heiland ſelbſt, wie beharrlich bat 
er das getrieben, da er Tag für Tag wider bie Hohenpriefter 
und Schriftgefehrten eiferte. In feine Fußftapfen müſſen wir 
treten und feiten Stand halten gegen bie, welche ven geift- 
lihen Namen zu ihrem Gewinn mißbrauchen, und anftatt ber 
Lehre Chrifti Menfchenfagungen aufgebracht haben, fo daß 
fie jetzt weber recht lehren noch recht thun. Welche Gottes 
Wahrheit in Rüge verkehrt haben, und dem Gefchöpf mehr 
al8 dem Schöpfer uns dienen heißen.?) Die nicht als Hirten 
durch die Thüre eingegangen, ſondern als Diebe und Räuber 
anderswo eingeftiegen find?); benn wer durch Trug und Be 
ftechung eingeht, ver geht nicht durch Ehriftus ein. Denn 
Er ift die Thüre, durch die man in biefen Schafftall kommen 
muß, um fobann Chrifti Schafe zu weiden, nicht zu ftehlen, 


Ba —— —— — — 


geſchrifft. Ueber dieſe Abweichung vergl. meinen Ulrich von Hutten, 
II, 119 f. 

1) Röm. 1, 25. 

2) Job. 10, 1f. 





156 Hutten’s Geſpräche. Erſtes Buch. F 
zu würden und zu verderben. Gegen fie, ſage ich, muß man 
mit VBadiscus rufen und unabläffig fchreien, Bis fich Einer 
findet, der fich durch vie Klagen und den Jammer rühren 
läßt, ver darauf hin etwas wagt und ausrichtet gegen bie, 
welche nicht wie fie ſollten mit Ehrifti Sanftmuth und Be» 
icheidenheit die Ihrigen bewegen, ſondern durch Schreden 
und Furcht vor Verdammung und Untergang fie zwingen. 
Streuten fie ihren geiftlihen Samen unter und aus und es 
däuchte uns an ber Zeit, fo würden wir fie ja billig unſer 
frleifchliches ernten laſſen: nun geben fie und jenes nicht, und 
hören doch nicht auf, ums dieſes abzufordert; dabei Blafen 
uns bie Schelme einen leeren Rauch ind Geficht, füch ſelbſt 
ftreichen fie eine betrügliche Schminfe an, und nehmem uns 
durch folches Gaufelfpiel das Gegenwärtige ab, während fie 
uns auf das Zulünftige anweiſen, das fo wenig it ihrer als 
im irgend eines Menfchen Gewalt fteht. So thener Kanfen 
wir fo lange jchon diefe Hoffnung. Auf jo vielerlei Arten 
find wir von ihnen verlegt, und doch weiſen wir bie Schmach 
wicht zurück und wehren uns nicht gegen die Mißhandlung 
Ernhold. Wohl waget ihr eine ſchöne That, bie ir 
gegen ſolche Tyhrannei die Stimme erhebet. Dabei müſſet 
ihr euch aber forgfältig vor ihren Schlingen hüten, bantit 
euch nichts wiberfahre, was euer edles Vorhaben nicht ver 
bient. Denn man darf fie noch lange nicht veraditen. 
Yutten. Das thue ich auch nicht; aber du weißt, ohne 
Gefahr gefchieht feine große und denkwürdige That. .p- 
Ernhold. Gewiß ift es eine große und herrliche (That, 
durch Rathen, Mahnen,, Treiben, Zwingen und Drängen 
das Vaterland dahin zu bringen, daß es feine Schmady er- 
fenne, und fich ermanne, feine angeftammte Freiheit wieder zu 
erringen: eine herrliche That, wenn e8 Einer durchſetzt. 
Hutten. Wenn er es auch nicht durchſetzt, iſt ſchon ber 
Verſuch verbienftlich, und vielleicht wirft das Beifpiel weiter, 








157 


daß aud Andere daſſelbe wagen, und endlich die Welt: in 
Bewegung fomme und Deutjchland Flug werde, Diefes könnte 
nach meinem Dafürhalten Chrifte, könnte ber. Kirche feinen 
größern Dienft. erzeigen, als wenn e8 jobald wie möglich ben 
ungerechten Erprefjungen ein Ende machte und fein Gelb hier 
behielte, möchten dann jene Eopiften und Protonstarien Lu 
Rom immerhin verhungern. 

Ernhold. Könnteft du die Deutſchen J — | 

Yutten. Ich will es wenigftens verfuchen, mer 

Ernhold. Die Wahrheit zu jagen? 1 sl 

Yutten. Ich werde fie jagen, ob fie mir wr mit Waffen 
und dem Tode broben. 

Ernhold.. Welche Liſten werden fie dagegen erfinnen! 

Yutten. Welche Bundesgenoffen werde ich mir Bons zu: 
gefellen, welche Schugwehren errichten! 

Ernhold. Dazu gebe Chriftus feinen Segen! Dec wir 
fommen zu weit von ber Dreifaltigkeit: ab. 

Yutten. Auch Vadiscus that dieß nicht minder, und machte 
oft lange Abjchweifungen um Manches weiter auszuführen: 
Beſonders ummillig wide er aber, wenn ex auf Ablaß, Re- 
larationen und Dispenfationen zu reden fam. Es verbrof 
ihn die Ungleichheit, die fie hiebei zwifchen ven Geiftlichen 
aufgebracht haben, und die willfürliche Gewalt, die fid die 
Römlinge herausnehmen, indem fie jogar von: eidlicher Ver: 
pflichtung losjprechen, Berträge ungültig machen, Bünbniffe 
auflöfen" und. Alfes geitatten, was wider den Glauben, bie 
Lehre Ehrifti und gute Sitten if. Damm ergoß er fich im 
langer bitterer Rebe gegen das fanonifche Recht, was du, ala 
bejjen verſtändig, bhätteft hören jollen; mir für mein Theil 
gefiel eö gar wohl. Er feste uns auseinander, was für 
Ausflüchte fie darin für fich vorgeſehen, welche Mittel zum 
Trug ſie zufammengetragen, wie, fie ſich Hinterthüren, um 
jedem Angriff zu entgehen, angelegt hätten. Was iſt jet das 


IV. Die Römifhe Dreifaltigleit. 





SG 








160 Hutten's Gelpräde. Erſtes Bud, 


licher Reichthum ein großes Hinderniß der. Seligfeitz bier 
wird nur denen die Geld haben der Himmel verheißen. Chriftus 
jagt, ſein Reich ſei nicht won dieſer Welt!), und ba ihn das 
Bolt zum König machen wollte, entiwich er vor ihnen ?): dieſe 
find ſo gierig nach irdifhen Reichen, daß fie um ihretwillen 
zu Schwert und feuer greifen, durch hartnädigen Kampf 
Alles beunruhigen, und wie man zu jagen pflegt, Himmel 
und Erde und zu beiden noch das Meer in Bewegung ſetzen 
Er hat uns auch gemahnt, daß wir nicht zweien Herren dienen 
fönnen: Ihr könnet nicht, ſprach er, Gott Dienen und dem 
Mammon.?) Sie fuchen nicht einmal beiden zu bienen, fon 
vern haben fich dem Yegteren jo ergeben, daß fie ganz für 
ihn leben und ihm anhangen. Was ift alfo für Gemeimichaft 
zwifchen Chriftus und Belial?*) Die: thörichten Leute ſehen 
und erfennen nicht, daß, wenn jene Recht hätten, es nad 
ihren Grundſätzen den Reichen, ven Kindern der Welt, viel 
leichter wäre als den Armen, ven Auserwählten Gottes, jelig 
zu werben, weil fie mehr fpenden, mehr Ablaß faufen, mebr 
Sejchäfte mit jenen Facuftäten machen lönnen. Aber Cbhrifti 
Sinn ift ein gang anbrer gewejen: er ruft die Armen als 
jelig aus, denn ihr, fagt er, ſei das Himmelreidh.®) 

Hutten. Doch die Ablaßkrämer fchliefen Die Armen ja 
auch nicht aus. 

Ernhold. Ich weiß es; dieſen Weg haben fie neulich zus— 
gefunden, um dem Bolt weiß zur machen, es jei ihnen nicht 
um Geld zu thun, daß fie fagen, fie nehmen kein Geld von 
denen, bie feines haben, jondern geben ihnen ben Ablaf ums 
fonft, nur von denen, die geben fünnen, forbern fie enbas. 


1) ob. 18, 36. 
3) ob. 6, 15. 
3) Mattb,, 6, 24. 
4) 2 Kor. 6, 15. 
5) Mattb, 5, 3. 








IV. Die Römifche Dreifaltigkeit. 161 


Aber durch dieſen Anfchlag erlangen fie fogar mehr als fie 
fonft befommen hätten; denn Niemand glaubt Ablaß zu haben, 
er. habe denn Geld dafür gegeben, und wirklich geben fie auch 
die Ablaßbriefe Niemanvden umfonft. Nun ift dieß für jeden 
Einzelnen ein geringes Geld; rechnet man es aber zufanımen, 
fo gibt es eine unermeßliche Summe: das bauptjächlich ift 
ber Kunjtgriff, durch den fich die Römlinge erträglich machen. 
Da will denn Jedermann etwas geben, er nehme es auch 
woher er wolle, (denn wer vermöchte nicht eine Kleinigkeit?) 
m dem Wahn, er erwerbe fich eine Gnade bei Gott, wenn 
m buch fein Gold der Frömmigkeit Vorſchub thue. Denn 
Re. glauben feit, e8 werte Alles zu geiftlichen Zwecken vers 
venbet, vor Allen die Weiber, vie bier elenviglich betrogen 
werben, da ihre Beichtuäter fie Durch Die wunderſamſten Vers 
prechungen ködern und von ihnen herausmelfen fo viel fie 
wollen. Dabei meinen fie feine Sünde zu thun, wenn fie 
See Männer plündern, ihre Kinder verkürzen und pas Haus 
leeren, um jenen Pofjenfrämern zu geben. Im Gegentheil 
heißt das Frömmigfeit, heißt Barmherzigkeit, und die Prediger 
mwheben es bis in den Himmel, wie feine andre Tugend; nicht 
jo viel gilt es, die weibliche Keufchheit rein bewahren, nicht 
fo viel, die Kinder fromm und vechtfchaffen erziehen, weniger 
werth ift, die eheliche Treue gehalten und in Eintracht mit 
dem Manne bis zum Tetten Athemzuge gelebt zu haben: 
aichts ift fo viel werth, über Alles geht — ftehlen wenn es 
kin muß, um Ablaß zu faufen. Das hätte Chriftus je ge- 
Bollt? oder was könnte feiner Lehre fo fehnurftrads entgegen 
aufen? 

Butten. Dan follte meinen, du babeft auch den Vadiscus 
jebört. 

Ernhold. Ihn habe ich nicht gehört, das aber habe ich 
elbſt geſehen und erkannt. 

Zutien. Faſt mit denſelben Worten redete er davon. 
Strauß, Hutten’s Befpräce. 11 





162 Hutten’s Geipräde, Erſtes Bud. 


Wo ift nun, fagte er, jenes Salz der Erbe, von dem Ehriftus 
zu feinen Apofteln fpricht: Ihr ſeid das Salz der Erbe; wen 
aber das Salz ſchwindet, womit foll man ſalzen? ) Sit es 
num nicht gefchwunden, und wird ftatt feiner nicht mit biefem 
verfälfchten gehalt» und geſchmackloſen Salze gefalzt? Und 
ift es nicht Zeit, daß dieſes binausgeworfen und von den 
Yeuten zertreten werde? Die Facultäten aber, obwohl fie 
nichts Andres find, als wie ich vorhin aus Vadiscus Rede 
angeführt, Vollmachten, alles mögliche Böje- zu thun, jo 
werden fie doch leicht und oft und viel ertheilt. Ehedem 
waren fie innerhalb ver Mauern ver Stadt Rom eingeſchloſſen, 
wo fie holen mußte, wer fie haben wollte; weil aber nicht 
genug Leite, fie zu Faufen, nach Nom famen, bat man 
neuerlich angefangen, Yegaten damit  herauszufchiden. Wo 
num etwas durch göttliches oder menjchliches Gejek verboten 
ift, erlauben es bieje um Geld. Das nennt man Facultäten, 
nicht blos wenn Einer an Fafttagen Fleifch oder Milch ober 
Eier oder Butter ejfen möchte, ſondern auch, wenn Einer 
ein Gelübde gethan bat, das ihn nun vent und er möchte 8 
nicht erfüllen, oder einen Eid gejchworen, ven zu halten ihm 
beichwerlich ift, ober ein Weib nehmen will, mit der ihm vie 
Geſetze die Ehe nicht geftatten, oder daß Einer zwanzig und 
mehr jogenannte Curatpfründen?) haben möge ohne Priejter 
zu jein (denn vielen Pfaffen, in Deutjchland bejonders, it 
e8 unbequem oder jchämen fie fich, Gottesdienſt zu Halten): 
das alles kauft man von dem Legaten. 

Ernhold.?) Da fie dergleichen treiben, thun wir, wenn 





1) Mattb. 5, 13. 

2) Eine Curatpfründe ift eine folche, bie mit cura animarım, 
Geelforge, verbunden ift. 

3) Diefer von Hutten im lateinischen Original bergeffene Berfonen- 
wechfel findet ſich (mebft verſchiedenen Erweiterungen, bie v- nicht 
aufgenommen find) in feiner Weberfegung. 























IV. Die Römiſche Dreifaltigkeit: 168 


Zutritt bei ums geftatten, etwas Andres, als was 
—— jene® unfellbringende' Mer mit 
ı in feinem Bauche in ihre —* zogen und 
—* aufſtellten? 
Es ift ganz das Gleiche. Weiter aber werben 
ie Facultäten rein von Sünden und unſchuldig alle 
[ bel 7, auch wenn einer einen Menſchen ermordet, oder 
1 Bee erfchlagen, oder was ja noch Ärger als Beides 
(, durch Eingebung des Teufels ) einen Pfaffen ge 
it Hätte, Selbjt wenn einer bie eigene Mutter, Schweiter 
eo sten gejhändet, oder, was fie fr das Höchfte halten, 
— yon dem Stellvertreter Chriſti ſich den Bann zugezogen hätte, 
—* mag einer gethan haben was er will, fo wird es 
Dr ae ungefchehen gemacht. Unb bier muß 
) won 1 fich der jogenannten päpftlihen Fälle erinnern, aus 
die Facultäten zufammengemacht find, Dieſe werben 
s nicht allein von den Legaten zu uns gebracht, ſon— 
Er es wird auch Borkauf damit getrieben. Es Faufen fie 
mich zu Rom, um fie hier wieder zu verfaufen, Bettel— 
En andre Orden und Genoffenichaften, doch worzüg- 
A 6 bie Bettelmönche, weil die fie am beften wieber anzu— 
| an yen wiffen. Cie treiben des Papſtes Gefchäfte trewlich, 
* dem unwiſſenden Volke Wunderdinge vom Ablaf 
ä ‚ befonders den Weiblein, deren Ja und Nein fie 
und wie fie fganz zu ihrem Willen haben mittelit 
en. & viel ich fehe, ift zwiſchen biefen Facuftäten- 
Erämern und wirklichen Kaufleuten durchaus kein Unterſchied. 
Button. Es ift and) feiner, anfer daß mar, Geld für 
Ablaß nehmen, nicht verkaufen Heißt, fonft würde die Unthat 


! 
ng — 





offenbar und die Sache gehäſſig. 
u — — — 
1) Der ofſicielle Ausdruck in der betrefſenden Verordnung. 
11* 








164 Husten’8 Geirt ãche. Eries Yab. 


Emheld. Bas aber ven Ramen nicht haben fell, ift das 
darum im ver Wirklichkeit etwas Anderes? oder wen Hätten 
biefe Unholde je bezaubert, daf er Lingneie, an 
wenn man Gelb für etwas bezahlt? 

Butten. Das einfältige Volt ume etliche Tieren; * 
Truulenbolde unter ven Fürſten. Se baben ſie auch, betrieb 
ſam wie fie find, num ſchen fo oft unter dem Bermanbe bes 
Türtenfriegs Geld von ung fortgeführt; und doch, wenn biefer 
nun nach einmüthigem Beſchluß der Chriftenbeit unternommen 
werben fellte, jo kann man jicher jein, daR fie allein, bie 
dazu aufgeforbert haben, ihm zu bintertreiben willen würden 
Es muß ihnen ja lieb jein, daß es Zürfen gibt, aus wielen 
erbeblichen Urfachen, vornehmlich um ven Deutjchen Geld ab: 
ferdern zu können. Denn von ben Italienern fordern fie 
feines, und auch von andern Völlern nicht leicht: nur bie 
Dentfchen find ihnen gut genug, jie auf jede Art zum Bejten 
zu haben. Dann das Heiligiprechen, d. b. verfiorhene Mien- 
ichen gleichfam vergöttern, was baben fie damit für Gewinn 
gemacht! 

Ernhold, Se wird zu unfrer Zeit Niemand unsfonfe 
heilig ? 

Yutten. Riemand, wie du fiebit. Und doch wäre «8 
befler, man würbe durch eigene Verdienſte heilig, als ak 
frembes Geld ben Leuten diefen Wahn beibrüchte. Bor Kurzem, 
ald die Prebigermönde einen gewiljen Antoninus ) aus ihrem 
Orden gern heilig gehabt hätten, erbaten fie ih vom Kaifer 
Marimillan ein Schreiben an Leo X., worin er ihm bie 
Sache ano Herz legte; man weiß aber, wie viel ſie der Hanbel 
nachher noch Geld gekojtet bat. Daß aber ber ungenühte 
Rod, der vor wenigen Jahren zu Trier ausgegraben worben, 
für Chriſti Mod gilt, it es etwa ein Beheimniß , wie Das 


— — 


1) Er war Erzbiſchof von Florenz geweſen und 1459 geflorben. 











IV. Die Romiſche Dreifaltigkeit. 165 


vom Papſt erfauft worden ift? Dper muß nicht von dem, 
was die Pilger dort jpenden, noch jegt ein Theil dem Papſt 
nach Rom gefchidt werden? Die Italiener Tiefen Tieber 
Alles mit fich anfangen, als fich einen jo thörichten Wahn 
beibringen, und daß wir fo einfältig find, barüber möchten 
fie ſich ausſchütten vor Lachen. 

Ernhold. In Italien habe ich wenigitens Niemand etwas 
von den Dingen thun jehen, worin unfre Landsleute zu jo 
großem gemeinen und eigenen Schaden fo fügiam find: fie 
kaufen feinen Ablaß, ja nehmen ihn kaum umfonft, auch fteuern 
fie nicht gegen die Türfen, und von den Facultäten wiffen 
fie, daß fie erfunden find, den Barbaren ihr Geld aus ber 
Tafche zu loden, daß fie baher fie nichts angehen ; zum Kirchen⸗ 
bau aber, wie wir hier, tragen fie nicht einen Pfennig bei. 

Hutten. Da erinnerft du mich an eine weitere Drei, bie 
Vadiscus aufführte. Drei Dinge, fagte er, thut man be 
ftänvig zu Nom, und wird doch nie bamit fertig? Seelen 
ſelig machen, eingefallene —* aufbauen, und zum —— 
krieg rüſten. | 

Ernhold. Das find eben die drei Stüde, — deren 
Vorwand fo viel Geld erpreßt wird. 

Hutten. Eben die. Wie fie neulich einen ganz zottlichen 
Ablaß nach Deutſchland herübergeſchickt haben, unter dem 
erlogenen Vorgeben, das Geld ſolle zum Bau ber Peters- 
firde in Rom, zu ber yerhie" HI. ven Grund gelegt, vers 
wenbet werben. 

Ernhold. Geſetzt auch, das wäre wahr, und das Geld 
würde zu nicht® Anberem verbraucht"), warum follten wir mit 
unfrem Gelbde römische Kirchen bauen? warum bettelt man 
nicht lieber in dem reichen Italien etwas für ein jo frommes 


— 


1) Welche Geſchichten man ſich über bie wirlliche Berwenbung jener 
Selber zu erzählen wußte, ſ. in meinem Ulrich von Huften, I, 808. 310f. 








166 Hutten's Gefpräche. Erftes Bud, 


Werf zufammen? Oper gibt e8 nicht genug verfallene Kirchen 
in Deutfchland, die der Wienerherftellung bebiirfen? Schämt 
fih der Papſt nicht, fo etwas uns auch mim amfinnen zu 
lafien? 

Yutten. Er würde ſich ſchämen, wenn man fich zu Rom 
irgend einer Ummwitrbigfeit ſchämte. Der Zug gegen bie —— 
aber, wann geht er einmal vor ſich? 

Ernhold. Frage lieber, wie oft ihn jeme ſchon binter- 
trieben haben. 

Yutten. Und wie machen fie die Seelen jelig? 

Ernhold. Die follten Andre felig machen, bie felbft von 
ber wahren Seligfeit jo entfernt, ja von aller Rechtfchaffenheit 
verlaffen find? 

Hutten. Da rührſt du an Dinge, vie nicht leiden fönnen, 
daß man die Wahrheit von ihnen jagt. 

Ernhold. Welche wären das? 

Hutten. Nah Vadiscus Berichte drei: der Papft, der 
Ablaf, und die Gottlofigfeit, von der Alles zu Rom Nußen zieht. 

Ernhold. Wir wollen fie doch jagen, und weil Tiebreidhe 
brüberlibe Ermahnung auf jene Menſchen feinen Eindrud 
macht, wollen wir enplich, was auch bes Vadiscus 
haben ift, 

Sie mit grimmigem Haß und bitteren Stacheln verfolgen. n . 
Darin werben wir, hoffe ich, nicht wenige Helfer haben, nicht 
alfein unter dem Volke, wo die Bullen ſchon verädhtlicher ger 
halten, immer weniger Ablaß gefauft wird, Die päpftlichen 
Legaten nicht mehr fo gern geſehen find, bie Ungebuld über 
bie Erpreffungen von Tag zu Tag fteigt, auch des Bannes 
jäher Donnerfeil lange nicht mehr fo wie ehedem gefliwchtet 
wird, und nur noch Wenige Dispenfationen erhandeln: jon- 
bern auch unter ben Fürjten und Herren, von benen bu einige 


— — —— — — — 





1) Birgil's Aeneis, XI, 337. 3 





IV. Die Römifhe Dreifaltigkeit. 167 


4 freimuthige Reden und Handlungen berichteſt. Sie wollen 
* nicht länger die unumſchränkte Gewalt gefallen laſſen, bie 
römische Bifchof fich beifegt, fondern verlangen dringend 

jach einem Coneil; fie beten nicht mehr fo eifrig wie jonft 
be pen unperfchämten Abgott auf dem römifchen Stuhle an, und 
im Rüdhlid auf die alte Einfachheit vormaliger Kirchenhänpter 
feber fie. mit Unwillen, wie dieſe aufgepugten Biſchöfe, in 
Schwelgerei und Geiz verfunfene Menfchen, ven geiftlichen 
Namen“ zum Borwand thranniiher Hoffahrt mißbraucen. 
Sie verlangen, die einheimiſchen Kirchenſtellen nach eigenem 
utbefinden an würdige Männer vergeben zu dürfen, damit 
ht ausländiſche Habſucht Gelegenheit habe, zu unſrer Schmach 
wie unſrem Schaden ſie entweder ſelbſt zu verſchlingen, oder 
für Geld an die Nächſten Beſten zu verkaufen. Sie ſind 
—— geduldig, daß die Streitigfeiten um geiftliche Stellen noch 
er zum großen Nachtheil Deutichlands nad Rom gezogen 

wer ven ſollen, und wünfchen fehnlich, daß jene Häupter der 
Kirche ftatt ihrer jetzigen Pater: Unwiffenheit, Trägbeit, 
& * gerei, Geiz, Raubſucht, Treuloſigkeit, Truulenheit, 
Argliſt, „Wolluſt, Uebermuth, Unbotmäßigkeit, Trug, Gewalt- 
tigkeit, Nuchlofigfeit und Graufamfeit, endlich diefe entge- 
— Tugenden annehmen möchten: Klugheit, Wachſam— 
Fleiß, Sparfamfeit, Genügjamfeit, Mäßigkeit, Redlich— 
eit, Nüchternheit, Einfalt, Keufchheit, Gelaffenheit, Eintracht, 
Treue, Gerechtigkeit, Frömmigkeit, Sanftmuth und Barmber- 























igkeit. Schließlich ift ihre Meinung, allen Chriften müffe 
paran liegen, daf die in Chrifti Fußftapfen treten, die feine 
Stellvertreter fein wollen; doch auch dieß follten fie nicht fein 
or. , fondern nur gezwungen das Amt übernehmen. | 
Yutten. Es ift zu hoffen, daß es dahin fomme; dem, 
wie bas griechifhe Sprüchwort jagt, manchmal ift aus ‘dem 
trägen Eſel ein Pferd geworben. Doc wenn die Unfern fich 
jolches unterfangen, was meinjt du werden fie dagegen thun? 








168 Hutten's Gefpräde, Erfiee Bud, 


Ernhold. Sie werden gelindere Saiten anfziehben und 
nicht länger mit Waffen, 
Sondern mit Bit! und Gelübb’ um Frieben zu fleh'n ſich 
bequemen. ®) F 

Hutten. Weit gefehlt! mit großer Hartnäckiglkeit werben 
fie fich wehren, Waffen, Menfchen und Pferde rüften, mit 
unfrem eigenen Geld uns bekämpfen, wenn fie ihrer Macht 
allein nicht trauen zu den Franzofen, wie fchen einmal, ihre 
Zuflucht nehmen, Alles verjuchen und wie man zu fügen 
pflegt jeden Stein aufheben, ehe fie fich zur Orbnung bringen 
faffen. Sie werden uns als Verfolger der Kirche (demm fo 
nennen fie jeden, der gegen fie nur einen Finger aufzuheben 
wagt) und Abtrünnige ausrufen, werben ſchreien, wir jer- 
reißen ben ungenähten Rock Chriſti, werben ihren Bannſtrahl 
auf ung ſchleudern. Denn, wen etwa bie älteren Geſchichten 
nicht befannt find, was unter dieſem Vorwande viele wackere 
deutſche Kaiſer (bie fie gleichwohl mt der Spreu?) ihrer 
Decrete befprengten und als meineidig, graufam unb feßeriich 
brandmarkten) gelitten haben, umd wie übel ihnen um ber 
Verſchlagenheit ihrer Gegner willen diefer Handel befommen 
ift, den follte in neueſter Zeit jener wahnwigige Exrlak 
Julius des II. belehrt Haben *), worin er alle, bie gegen ihn 
und die Kirche die Waffen trügen, dem Satan übergab, ba- 
gegen wer unter jein Panier träte, bem ben Simmel und 
wenn ed noch etwas Höheres gibt verhief. Auf wen Hätte 
das nicht Einprud machen, wen nicht die Lockung an Tich 
ziehen, oder bie Drohung zur Flucht und Verzweiflung treiben 
ſollen? Der Eine Mann lenkte die Angelegenheiten jo bieler 
Könige und Völker nach feinem Willen; wen er feines Bünb- 


zei fi 





1) Birgil's Aeneie, III, 260. 
2) puleis deeretorum, Wortjpiel mit ben oben erwähnten palene. 
3) Die im Jahre 1509 gegen Benebia erlaffene Bulle. 





IV. Die Römifche Dreifaltigfeit, 169 


niffes würdigte, ven ließ er, jo lange feine Freunbichaft 
währte, fiegen, beliebte es ihm aber, ven Bunb zu löfen und 
zur Gegenpartei ſich zu fehlagen, jo richtete er biefe wieber 
auf; wo er fich hinwandte, dahin brachte er Sieg, Ueber- 
macht und Herrſchaft mit. ?) | 

Ernhold, Ich weiß 28; Doch was beu Julius nn 
brachte, war wicht jemer Grfaf, überhaupt wicht fein. eigenes 
Thun, fondern die Gelegenheit ber Zeiten und eine wunder 
bare Gunſt ver Verhältwiffe; auch ‚glaube ich, wirb er ber 
Letzte geweſen fein, der fo viel Glück genofjen hat, denn 
ichwerlich möchte e8 nach ihm noch einem fo gelingen. 

Hutten. Sie im Gegentheil find. voll Zuperficht; daher 
Vadiscus erzählte, fie felbit jagen, um ihre Berachlung gegen 
uns auszubrüden, brei Dinge ſchützen Rom: feichte Gräben, 
jertriimmerte Mauern und niebere Thürme; gleich als wollten 
fie jagen, gegen die Trägheit der Barbaren jei Die geringjte 
Macht genug und. brauche. man fich nicht viel nah Schut- 
wehren umzuſehen. So wenig fürchten fie von unfrer Tapfer- 
feit Gefahr für ‚die Stadt, in welcher breierfei Fürſten herr- 
ichen: Kuppler, Eurtifanen und Wucherer. 

Ernhold. Bei Chriftus, fo ift es; denn bie allein haben 
wir zu Rom geehrt nejeben. 

Yutten. Und eine Stabt, die von folchen Bürgern beſetzt 
iſt, wie trefflich taugt ſie zum Wohnſitz für das Bel dv ber 
Kirche! 

Ernhold. Ich ſollte —— ſo ſchlecht wie nbglich 

Hutten. Und wie lebt mau in einer Stadt, im ber die 
Yeute dreierlei nur ungern thun: ihr Wort halten, Anbern 
einen Dienjt erzeigen, und aus bem Wege geben? 

Ernhold. Was kann chriftlicher Unfträflichfeit mehr zuwider 


1) Bergf. Hutten’s Epigramme über dieſen Papft in meinem ze 
von Hutten, I, 98 ff. 





170 Hutten's Geſpräche. Erftes Bud. 


fein als folche Sitten? Denn während fie in dent Einen 
befteht, Andern zu thun, was ein Jeder will daß man ihm 
thun ſolle, thun die Römer fo jehr das Gegentheil, daß es 
ihnen fogar jchwer fällt, Andern aus dem Wege zu geben. 
Bollends Treue und Milothätigfeit find allzu göttliche Tugenden, 
als daß die Stadt Rom ihrer fähig fein könnte. | 

Hutten. Sie, die drei andere Stüde jo im Ueberfluß Hat, 
daß fie nicht zu zählen find: Huren, Pfaffen und Schreiber, 
einen mäßigen Haufen unnüger Menſchen, zum größten Schaven 
derer, denen man durch Trug und Raub die Mittel abnimmt, 
eine jo verderbliche Brut zu ernähren, 

Ernhold. Gewiß ein umerträglicher Schaden. Demm, anbrer 
Länder zu gefchweigen, was es Deutfchland foftet, merken 
wir num enblich. 

Gutten. Und um nicht blos aus wenigen Stüden bie 
Art der jegigen Nömer erfennen zu laffen, fante Bapiscus 
weiter, drei Dinge begehren Alle zu Rom: furze Meilen, 
alt Gold und ein wollüftiges Leben. 

Ernhold. Das zeigt ihren Mangel an Religion, ibre 
Habgier und Genufßfucht. 

Hutten. Natürlich iſt diefen Laftern eine Stabt ganz er 
geben, die drei Dinge eigen hat: ben Papft, alte DES 
und Habjucht. 

Ernhold. Ei, welche Hauptjtabt der Kirche haben wir! 
Solite es fih darum nicht thun lajfen, daß wir einem fe 
vergifteten , verpejteten, mit fo viel Teiblichen und geiftigen 
Uebeln behafteten Orte das Kirchenregiment endlich abnähmen? 

Butten. Aber es ift ja wohl gut, daß es dort fei, wo 
drei Dinge gemein find, bie man im feiner anbern Gfakt 
findet. 

Ernhold. Welche pas? 

Butten. Leute aus allen Völkern, Münzen aller Art und 
Verkehr in allen Spracen. 





IV. Die Römifche Dreifaltigkeit. 171 


Ernhold. Gehe e8 lieber zu Grunde mit feinen Frembent, 
feinen Münzen und feinen Sprachen, das pefterfüllte Nom 
als daß es unſre Sitten Tänger verberbe! 

Hutten. Der Römer Vortheil ift es aber, daß die Sitten 
bier zu Land verborben feien; daher haft Nom zwar brei 
Dinge bitter: das fogenannte Patronatsrecht, die freie Wahl 
der Prälaten und Bifchöfe, und der Deutfchen Nüchternheit; 
am bitterften aber verwinfcht es dieſe leßtere, wird fie auch 
ferner nicht dulven, und müßte es durch ein Edict die Trun— 
fenbeit empfehlen, damit wir nicht, ernüchtert, ihren Trug 
merfen, Denn die weniger trinken, bie reden wider den un— 
reinen Pfuhl freimüthiger als jenen lieb ift und finb ber 
Meinung, die geiltlichen Stellen follten von den Patronen 
verliehen und die Biſchöfe nach altem Herkommen durch die 
Stimmen der Gollegen erwählt werben. Das, fage ich, will 
Nom nicht leiden. 

Ernhold. Und wir werden dagegen vielleicht feine Sewalt- 
tbätigfeit, feinen Trug und feine Schelmerei nicht mehr leiden 
wollen. 

Yutten. Da verlöre aber vie —* viel an wor ver, 
lichkeit. 

Ernhold. An welcher Herrlichkeit? 

Yutten. Welher? Als wäre ihr Glanz dir umbefannt. 
Was find nur fürs Erfte diefe drei, die zu Nom allenthalben 
zu feben find und einen Jeden begegnen: Reitende, Brieſboten 
und Segenſpender. 

Ernhold. Dinge, von denen ich wahrlich * Nutzen 
einſehen kann. 

Hutten. Hernach folgende, die einem auch auf Schritt und 
Tritt aufſtoßen: heilige Stätten, feile Weibsperſonen und ehr— 
würdige Alterthümer. 

Ernhold. Ich aber halte jene Stätten keineswegs für 
heilig, die folbe Sitten bulden, und glaube, daß mit Recht 








172 Hutten’s Gefpräche, Erftes Buch. 


gefchrieben fteht, nicht um des Orts willen erwähle Gott ein 
Volt, fondern um des Bolts willen einen Ort.) Hätte 
Chrijtus Rom lieber als eine Stabt im Deutfchland oder im 
äußersten Thule, fo würde er es wohl von fo vielen Gräueln, 
Schandthaten und Gottlofigfeiten rein erhalten, oder jo wie 
es jest ift, mit einem Bligftrahl ganz ausbrennen. 

Yutten. Und alle die Pracht und Zier mit, die darin ift? 

Ernhold. Ja, und alle Protonotarien, Schreiber, Meß— 
pfaffen, Copiſten, Pedellen, Auskehrer, Bifchdfe, Wucherer, 
Kuppler und Das ganze Gefchmeiß, das aller, Welt zur 
Laſt ift. 

Hutten. Du ftimmft tapfer mit Vadiscus. Doc um 
wieder auf den Glanz der Stadt zu fommen, jo gibt es brei 
Dinge zu Rom, die man gar prächtig Heivet: Pfaffen, Maul 
ejel und Bublerinnen. | 

Ernhold. Mögen fie fich Heiden und zieren: fie Haben 
Mittel im Ueberfluß, ſolchen Glanz fih zu ſchaffen, fo Tange 
das unglücjefige Deutjchland nicht Hug wird, Erwäacht ee 
aber einmal und fühlt feinen Echmerz, dann wirb es babe 
Zeit für jene fein, eingezogener zu leben; dann werben fie 
weniger Gefolge halten, werben bei gemindertem Einkommen 
von ihren goldbedeckten Eſeln fteigen und zu Fuße geben. 
Nicht länger wird man dann in Scharlach gefleibete Carbinäle 
mit mehr als Füniglichem Geleite die Stadt durchziehen fehen; 
e8 wird weniger Miüßiggänger, weniger Trug und Boshel 
daſelbſt geben, dafür aber mehr Heiligkeit, Gelehrfamkeit und 
frommes Gebet, Sie werben mager werben am Leib durch 
Wachen und Fajten, am Geiſt aber zunehmen, erftlich durch 
Nüchternheit und Mäßigkeit, dann durch das Bewußtfein ihrer 
Unfträflichfeit und Frömmigkeit; ihren Reichthum werben fie 
verlieren, dafür aber an wahrhaft geiftliher Wirbe gewinnen, 


— — 


1) 2 Maccab. 5, 19, 





IV. Die Romiſche Dreifaftigteit. 173 


und in einer ihres Standes würdigen Herrlichkeit erſcheinen. 
Ah, wer den Tag ſchauen vürfte, wo nad Wegräumung 
jener Aergerniffe diefe Tugenden dem Haupt der Kirche, wo 
es dann auch fich befinden mag, beimohnen werden! Wahr- 
(ih, dergleihen Biſchöfe follten mir gefallen, nicht die, 
Denen mit Safran geftidt unb ſchimmerndem Purpur das Kleid ift, 
Nichtsthun aber im Herzen behagt und fröhlicher NReibntanz. !) 
Hutten. Aber fie find nicht alfein weihlih und wollüftig, 
jondern dabei auch trügerifch und im höchſten Grabe diebiſch 
und gewaltthätig, laſſen ſich durch Raub⸗ und Yabfucht zu 
Allem fortreißen, 
und immer bon Neuem 
Beute zu macen erfrenet ibr Herz und vom Raube zu leben. ®) 


Ernhold. Dabei ift das befonders jchlimm am ihnen, baf, 
was fie durch Nauben, Trügen und Plündern an fich reifen, 
das wollen fie der Kirche erworben und im Dienfte Gottes 
gehandelt haben; und nimmt ihnen Jemand etwas davon ab, 
den jchreien fie als einen Kirchenräuber aus und erklären ihn 
für einen Feind Gottes. So rauben fie allein ungeftraft, fie 
allein machen gar noch auf Belohnung ihres Frevels Anſpruch; 
wobei mir allemal ijt, als fpräcen fie das Virgilifche 

Raſch mit bem Schwert in ber Hand anftürmen wir, rufen bie 

&ötter, 

Rufen den Jupiter felber, mit ung bie Beute zu tbeilen. *) 
Yutten. Doch mit dem Schwert ftürmen fie nicht an. 
Ernhold. Aber mit Blei?) greifen fie ung an, und was 

liegt auch daran, mit welchen Waffen Deutſchland über— 
wunden wird? 


1) Birgil's Aeneis, IX, 614. 
2) Ebendaſelbſt, B, 612. 

3) Birgil's Weneis, III, 2225. 
4) An ben Bullen. 








174 Hutten's Geipräde. Erfies Buch 


Yutten. Doch was verbietet hiebei die — ao come 
Domini? %) — 

Ernhold. Was eine Bulle kann. 

Yutten. Und doch fürchten fie die Leute wie nichts font. 

Ernhold. Was iſt's weiter? Die Macht und der Reid 
thum, den fie durch jene Mittel eriworben, flöht ven Einen 
Hoffnung, den Andern Furcht ein; fie halten die Ehriften- 
beit, und Deutſchland insbeſondere, Durch ihren Trug und 
ihre Gaufeleien in Bethörung. Unſre Fürften jelbjt aber 
haben fie nahebei zu Narren gemacht. Wenn fie denen ihre 
geweihten Rojen oder Schwerter oder Hüte ſchicken, gute 
Götter, was ernten fie da für Dank, wie viel Geld, melde 
Portheile erhalten fie dagegen! Und die Boten, bie vergleichen 
vom Papfte bringen, mit welcher Pracht, mit welchen Ehren 
wollen die aufgenommen fein! Du jabjt wohl neulich das 
Yegätchen, das die Roſe mach Sachjen brachte?) und fie nicht 
übergeben wollte, es hielte denn ein fürftlicher Bifchof eine 
Meife bei der Ueberlieferung. So muß man noch mit Ge 
präng und öffentlicher Feierlichfeit die päpftlicden Poſſen und 
den römischen Aberglauben in Scene ſetzen. Doch das wäre 
noch das Wenigfte, wenn man nicht auch mit ungehenren 
Koften nach Rom zöge, um des Papftes Füße zu füffen und 
ich weiß nicht was mit heimzubringen. 

Yutten. Auch ic) weiß es nicht, außer dem was ich zuver 
angegeben, daß es die Pilger von Rom zurüdbringen. Bon 





1) In coena Domini, d. b, am Tag bes lebten Mables E: 
am Grünbonnerftag, wo bie Büßenben in bie Kirdengemeinihaft wieder: 
aufgenonmen zu werben pflegten, liebten bie Päpfte ſchon jeit Hein- 
rich's IV. Zeiten über Unbegnadigte den Bann auszufprechen, Im Ber- 
lauf ber Zeit ſammelten fi immer mehr Keßereien und Bergebungen, 
über bie ber Bann geiprodhen wurbe, in bem Formular jan das den 
Namen ber Bulle In ce. D. erbielt. 

2) Carl von Miltib, December 1518. 





IV. Die Römilce Dreifaltigkeit. 175 


drei Dingen hingegen meldete Vadiscus, es ſei verboten, fie 
aus Nom mitzunehmen, obwohl es ſolchen Verbots gar nicht 
bedurft hätte: Meliquien der Heiligen, von denen es bei dem 
zweidentigen Ruf, in dem die Glaubwürdigkeit der Römer 
bei Jedermann fteht, gar ungewiß ift, ob fie das find, wofür 
fie ausgegeben werben; große Steine, die ohnedieß nicht fo 
feiht Jemand wegführen würde; und Andacht, bie ſich dort 
überhaupt nicht findet. | 

Ernhold. Deffentlich gewiß feine, im Verborgenen viel- 
leicht bei einigen rechtichaffenen Frauen; denn ich zweifle 
itarf, ob jett der Hundertſte unter den Römlingen auch nur 
halbwegs fromm in Religionsfachen venft. 

Hutten. Dahin wollte ih. Drei Dinge, fagte Vabiscus, 
glauben die Wenigften in Nom: Unfterblichfeit ver Seelen, 
Gemeinschaft der Heiligen, und Höllenſtrafen. 

Ernhold. Das muß wahr fein. Denn ich denfe, wenn 
fie die Seele für unfterblich hielten, fo würde ein Seber fie 
ausbilden und ihr zum Beften leben; ftatt veffen jagen fie den 
Füften des Yeibes fo nad, daß fie die Seele auf jede Art 
beichweren. Und wenn fie aus jener Gemeinfchaft ber Hei- 
ligen fich etwas machten, würben fie an berjelben auch Theil 
zu befommen fuchen. Bon Höllenftrafen aber auch nur ein 
Wort zu fagen, gilt umter dieſen trefflichen Quiriten für 
Altweibergeſchwätz. 

Hutten. Und doch geben ſie ſich den Schein der Fröm— 
migkeit, und wiſſen öffentlich gar prächtig von ihr zu ſprechen. 
Darum ſagt Vadiscus, mit drei Dingen, unerachtet fie ſich 
zu Rom in Wahrheit nicht finden, werde doch daſelbſt wie 
nirgends fonft groß gethan: mit Frömmigkeit, Glauben und 
Unfchulo. 

Ernhold. Wahrlich, fie felbft find zu Nom nicht, das 
Großthun damit aber fcheint mir dem PVirgilifchen Ungehener 
zu gleichen: 








176 Hutten's Geipräde. Erftes Bud. 


Open ein menſchlich Geſicht und ſchön jungfräulicher Bufen, 

Bis an den Schooß: doch von da ein gräulich geftalteter Meerfiſch. 

Yutten. Drei Dinge im Gegentheil, die zu Nom vorzugs- 
weife find, befommt man doch dort gar jelten zu GSeficht: alt 
Gold (das verfteden die Gurtifanen, Pfaffen und Wucherer 
den Papft (der gebt jelten unter die Yeute, um feinen Anblid 
beim Volk ehrwürdiger zu machen) und jhöne Weiber (bie 
werden von denen, bie fie haben, aus Eiferſucht, und weil 
Ehebruch dort jo im Schwange gebt, ängſtlich verſchloſſen 
gehalten). 

Ernhold, Da Vadiscus Alles in Nom dreifaltig gemacht 
hat, fage, was hielt.er für das Thenerjte bajelbft? | 

Hutten. Gleichfalls drei Dinge: Dienftleiftung, Gerechtigteit 
und Freundichaft; um ihrer Seltenheit willen nämlich, Denn mem 
fie zu Theil werden, den hält man zu Rom beinahe für jelig. 

Ernhold. Ich glaub’ es wohl, wo die Menſchen jo fchlecht, 
die Sitten jo verborben find. Doc treiben; fie dort mit 
Freundſchaft viel Gepräng; denn. wer, ‚ben Bekannten 
wenigftens, bat uns nicht umarmt und gefüßt, wenn er und 
begegnete? Aber ich glaube, fie füllen einem zu Rom bie 
Daden, wenn fie ihm im Herzen noch jo abgeneigt find. 

Yutten, Drei Dinge küffen nach des Babiscus Mebe di 
Leute zu Rom: Hände, Altäre und Baden. 

Ernhold. Wie? küffen fie denn nicht auch bie Füße? 

Hutten. Dem PBapit wohl; doch nur jehr Wenige, Bor 
nehme, oder denen der Allerheiligite jonjt wohl will, 

Ernhold, So vielmal jehe ich dreierlei böfe Stüde zu 
Rom, oder breierlei eitle und abergläubiſche Bräuche: bat benn 
Babiscus nicht auch etwas Gutes dort gefunden? 

Hutten. Wohl hat er Gutes gefunden, doch fo wenig, 
daß er aus Mangel Feine Drei daraus machen fonnte, Einen 


- 








1) Birgil's Meneis, III, 427f., von ber Scylia. 





“ 


IV. Die Römifche Dreifaltigkeit. 177 


Augenblick fpannte er mich, da er fagte, drei Werfe ver Barm⸗ 
berzigfeit feien zu Rom; ich wartete nämlich, ob er wirklich 
etwas Heiliges auf die Bahn bringen. würde. 

Ernhold. Was war's aber? | 

Hutten. Werke ver Barmberzigfeit find zu Nom: reicher 
Klöfter Zinfe Cardinälen (wie man das heißt) zu Commenden 
geben !); Domberrenpfrünven und einträgliche geiftliche Stellen 
aus allen Landen dem Papſt zur Verleihung zuwenden; und bie 
Gemüther der Gläubigen, die durch unfäglichen Aberglauben 
und zauberiſche Schreden zur Verzweiflung getrieben find, 
mit ber Arznei bes Ablaffes und päpftlicher Gnaden erquicken. 

Ernhold. Da feh’ ich fein Werk ver Barmberzigkeit, nur 
Habfucht und unverzeihlichen Trug fehe ich. 

Butten. Auch ich fehe das. 

Ernhold. Warum läßt fich alfo die Welt länger verzau⸗ 
bern? oder was hindert, biejenigen unverzüglich zu ſtürzen bie 
Alles verkehren? Und was ift es boch für ein Elend, zu 
meinen, man bürfe nicht, damit ber ganze Leib fich beſſer 
befinde, das franfe Haupt entfernen? 

Butten. Den Papft darf man nicht entfernen, aus welchen 
Grunde die Welt das auch thun möchte, um der Verwahrungen 
ber Decrete und des geiftlichen Rechts willen, mit denen es 
teicht ijt, jede Anfechtung, felbft ein Concil, zurüdzufchlagen. 

Ernhold. Unſelige Lage der Ehriftenheit, wenn fie gegen 
jo viele und große Ungebühr nichts unternehmen, nicht8 vor» 
fehren zu dürfen glaubt! Doch ich habe Hoffnung, der Herr 
in feiner Gnade werde den Menfchen noch einen andern Sinn 
eingeben, nämlich daß fie zuerft diefe Decrete, dann bie fie 
machen und erpichten, die Copiften und Notare, die Fürften 


1) Der Bapft übertrug 3. B. das Priorat eines beutfchen, engli- 
[hen 2c. Klofters einem feiner Karbinäle, ber, ohne bie Stelle zu ver⸗ 
walten, in Rom beren Einkunfte verzebrte. 

Strauß, Hutten’'s Geſpräche. 12 


ac 





178 Hutten’s Geſpräche. Erfies Buch. 
der römijchen Kirche, von Grund aus vertilgen und ner- 


nichten. Y) Mae 
Yutten. Und ihnen auch das nehmen, was ihnen Eon» 
jtantin gegeben hat? end 


Ernhold. Was bat ihnen denn der gegeben? © 

Hutten. Erſtlich Trabanten und Pferde, Kronen vom 
reinften Golde, Pfervefhmud und Wagen, Gürtel, Purpur, 
Mäntel, Diademe, Schnallen u. dgl.; dann aber auch Fürften- 
thümer, Städte und das Reich felbit. 

Ernhold. Eine alte Fabel; mir redet man fie nicht ein, 
und darum urtheile ich jo: wenn fie das auch zu Rom in 
ihrer Gewalt haben, fo ſoll man dem wie Andrem as fie 
haben ein Ende machen, den Papjt felbjt aber mit ven Ear- 
dinälen zu der alten Mäßigkeit und Unfträflichleit, ober wie 
man zu jagen pflegt, an ihre alte Krippe verweilen. 

Hutten. Sie fürchten noch nicht, daß jo etwas gefchehen 
könnte, umd dabei gibt ihnen etwas ganz befondre Zuverſich 

Ernhold. Was denn? 

Hutten. Daß drei Dinge zu Rom für ausgemacht gelten: 
ber Römer Tapferkeit, ber Staliener Verſchlagenheit und ber 
Deutſchen Ungeſchick. 

Ernhold. Alſo darauf verlaſſen fie fich? 

Hutten. Darauf, und darum dünken ſie ſich jo jicher, 

Ernhold. Aber der Römer Tapferkeit hält ja Jedermann für 
erlofcher, jo daß man fogar das Sprüchwort auf fie anwendet: 

Vordem wohl waren ftreitbar bie Milefier. 9) 

Hutten. Sie find andrer Meinung, fie glauben auf ben 
Ruhm der Alten und die Ehre des römischen Namens ein 
Erbrecht zu haben, ja der bloße Titel ber römischen Herr 
(ichfeit beruhigt fie. 


— — 





1) Au ben püpftlihen Decreten vollzog belanntlich Luther neh ver 
Ende bes Jahres dieſes Strafgericht. 
2) Bei Uriftopbanes im Plutos, B, 1003; 





Ernhold. Da werden fie schlecht vertheibigt fein, „wenn 
fie fih auf ven Schutz von Worten verlaſſen. An ver Ber- 
ichlagenheit der Italiener aber ift allervings etwas, fie hat 
ſchon großer Heere von umferer Seite geipottet. Doch von 
den Deutſchen hoffe ich, fie werden nicht immer ungeſchickt fein. 

Butten. Aber ie hoffen ro na —— amfre Diadht 
fürchten. | vn ru 

Ernhold. Sie ſollen fie nicht fürchten, fuer ER 
wenn die ganze Welt gegen fie Hagbar wird. 

Yutten. Weißt dur, was die Welt, wenn * klug * 
jetzt vor Allem über die römische Herrſchaft Hagen ſollte? 

Ernhold. Ich weiß Vieles was ſchwer zu ertragen iſt; 
doch ich denke mir, unſer Dreiblattfünftler werde es anders 
zufammengeftellt haben: fprich alfo, was es if. 

HYutten. Drei Stüde vor Allem: daß bie ſchlimme Sion. 
ſchaft ver Florentiner jest zu Rom herrfcht !); dann daß den 
PBapft feine Schmeichler gar für einen Gott ausgeben; und 
daß er fih mit Ablaß und Bann allzuviel herausnimmt, 

Ernhold. Des Vadiscus Scharffinn gefällt mir wohl; 
deinen Fleif lobe ich, und dein Gedächtniß bewunbere ich über 
die Maßen. Aber fage mir, da er doch Alles zu Rom brei- 
fach macht, gibt er nicht auch dem Papſt brei Schwerter, da 
er fich bisher nur zweier zühie, bes weltlichen * geift 
lichen? ®) 

Hutten. Jetzt hat er drei, wie ſchon vorher eine beeifaihe 
Krone; es iſt nämlich ein brittes hinzugekommen, mit dem 
jener Hirte, Chriſti Stelivertreter, feine Schafe fcheert, und‘ 
Geſchwüre, wo fich folche finden, wegfchneibet, damit bie 
Anſteckung nicht weiter greife. 

Ernhold. Thut er denn das nicht mit der Schere wie 
andere Hirten? 

1) Durch ben Mediceer Leo X. 

2) Zufolge einer lächerlichen Auslegung von Puc. 22, 38, 

12 # 





180 Hutten's Geſpraͤche. Erſtes Buch, 


Hutten. Er thuts mit dem Schwert, um zugleich zu 
ſchreden, denn fonft ließen fih die Schafe nicht feheexen; auch 
muß er zuweilen einige umbringen, und das — — 
mit dem Schwert. 

Ernhold. O Schwert und Hirte, (diesen — 
Wie gar nichts hat das mit Chriſto gemein, ber feinen Apofteln 
das Schwert des heiligen Geiftes hinterlieh, welches iſt das 
Wort Gottes.!) Darum foll mit dem Schwert geſchlagen 
werben ver mit bem Schwerte breinjchlägt ?), das gebe Chriſtue 
Doch umter den vielen Drillingsiprücen auf Noms Sitten 
will ich dieſem Pfuhl, ver die ganze Welt verberbf und am 
jtedt, auch breierlei Uebel anwünſchen: Peſt, — 
und Krieg; das ſoll mein Dreiblatt ſein. 

Hutten. Ohnedieß iſt es drei Stranfheiten — 
wie Vadiscus ſagte: dem Fieber, der Armuth und dem Trug. 

Ernhold. Allerdings ſind dieſe Krankheiten in Nom zu 
Haufe, und wirklich lagen wir beide am ber Armuth Der 
ſchwer barnieder, eins oder zweimal aud am Fieber; durd 
Trug aber haben wir etlihe unfrer Geſellen mit großem 
Sammer zu Grunde geben jehen. 

Butten. Doch noch dreier anbern Uebel gebadhte er, die 
Rom plagen: Theurung, Zreulofigfeit und ungefunbe Lauf 

Ernhold. Da der Bapit Alles jo leicht bannen fan mb 
über Himmel und Erbe Gewalt hat, warum jagt er Dice 
Uebel nicht aus der Stadt und beugt ber allgemeinen An 
ftedung und dem Erfranfen nor? oder was rühmt er fi 
feiner Gewalt über die Seelen der Menjchen, che er eine 
foldhe über pie Körper bemeift ? 

Hutten, Könnte er Eins, fo könnte er auch das 
Doc) bier ſcherzte Badisecus, drei Dinge banne Nom nom id: 

Dürftigteit, die anfängliche Kirche und die Predigt der Wahrheit. 


1) Epheſ. 6, 17. 
2) Matth. 26, 52. 











IV. Die Römiſche Dreifaltigfeit, 181 


Ernhold. Und alle Frömmigkeit, glaube ich, und alles 
Recht und was Chrijtus gelehrt hat, möchte es ausgefchloffen 
wiffen, um ſorglos in ungejchenter Ausübung aller. Sünden 
zu berrichen. 

Yutten. Doch wir find ſchon tief in die Nacht hineinge- 
fommen, und bich twirb, benfe ich, beine Frau erwarten, mich 
aber Stromer, ber gleich meint, er fei allein am Hof, wenn 
ich nicht da bin, wie auch ich hinwiederum nicht weniger nach 
dem Freunde verlange, der mir unter Allen bier ber ange- 
nehmfte Gefelle ift. Darum geh bu heim, von Dreiblättern 
fatt und voll Galle gegen Rom, von ber bu wohl auch ben 
Deinigen noch etwas mittheilen wirft. Ich babe einen Tag 
verloren. 

Ernhold. Berloren? o wie winfchte ich, bu verlörejt viele 
jo. Aber meine Frau habe ich jeverzeit, dich belomme ich 
nur felten zu genießen. Laß uns beide hier übernachten, daß 
wir auch noch miteinander einjchlafen über ben a 
Dreiblättern. 

Yutten. Damit beine Frau mir morgen die Augen aus 
frage, wenn ich dich bier anfhalte umb eine Nacht von. ihr 
abziehe? 

Ernhold. Das wird fie nicht thun, fie wird nicht einmal 
etwas jagen, 

Yutten. Ich leune ber Weiber Art. Sie würde argwöhnen, 
ich hätte bich in ein jchlechtes Haus geflihrt zu einem Mädchen. 
Ich will dich nicht haben. Gehen wir, du borthim, ich an 
den Hof zu Stromer, der fich noch nichts um weiblichen Ver- 
dacht zu kümmern braucht. Gehen wir. 

Ernhold, Doch ift auch feine Drei mehr zurüd? 

Yutten. Etliche unbedeutende; ich mag fie nicht anführen. 

Ernhold. Aber ich mag fie hören, auch die unbedeutenden. 

Yutten. Ich will fie dir im Gehen fagen. Drei Werf- 
zeuge hat bie römifche Habfucht: Wachs, Pergament und Diet. 








189 Hutten’s Gefpräde. Erſtes Buch. 


Ernhold. Richtig. | indrb 

Hutten, Und drei Dinge find zu Nom aufs tieffte der» 
achtet: Armuth, Gottesfurdht und Gerechtigkeit, 

Ernhold. Jämmerlich. 


Yutten. Und fir drei Dinge ift nirgends eine beſſere 
Schule als zu Rom: für Schlemmen, Wortbrechen und in 
allerlei Gejtalt Unzucht treiben. 


Ernhold, Hätteft bit dieſe drei weggelaffen, fünnte man 
jagen, du habeſt michts von Vadiscus gelernt. Demm das 
find jene Gifte, durch welche Rom erft andre Völker, banı 
auch Deutichland, wie mit einem Peſthauch unbeilbar ange 
ftedt bat. Das ift, fage ich, jener Brunnen ber größten 
Uebel, aus dem viefe Krankheiten quellen, biefe Seuchen 
fliegen. Kurz, das ift Rom, ver See aller Unreinigfeit, die 
Pfübe der Ruchlofigkeit, der unerſchöpfliche Pfubl des Böjen: 
und zu feiner Zerftörung ſollte man nicht, wie um einem ge 
meinen Berberben zu wehren, von allen Seiten zufanmai 
laufen? nicht alle Segel aufjpannen , alle Pferde jatteln ? nicht 
mit Schwert und Feier losbrechen ?, Wir fehen in Deuſſch 
land Leute, von denen die Sage geht, daß fie zu Nom mit 
ſchandbarem Dienft ihre, geiftlichen Stellen erworben Haben. 
Wir jehen die Curtifanen bier Dinge thun und mit fich ibım 
laſſen, von denen unjer Volk früber nichts wußte, und bie 
man-nie für vereinbar mit deuticher Sitte gehalten hätte, 
Wir fehen, wie der Ablaß, der doch mr ein Nachlak guter 
Werke ift, bier das bewirkt, daß Viele meinen, Darauf Kin 
ichlecht leben zu Dürfen. Ia, Das iſt vie verberbliche Welt 
ihaubühne, wo die Yeute, was fie darauf feben gleich aud 
nachahmen zu dürfen glauben, Das ift bie weitbefannte Scheune 
bes Erpfreijes, in Die zufammengejchleppt wird was in len 
Yanden geraubt und genommen worben; in deren —— 
unerſättliche Kornwurm ſitzt, ber Vielfraß, 





IV. Die Römifche Dreifaltigkeit, 183 


der bes Getreibes unendliche Haufen verbeeret‘), 
umgeben von feinen zahlveichen Miitfreffern, Die uns zuerſt 
das Blut ausgefogen, dann das Fleiſch abgenagt haben, jetzt 
aber, daß es Chriftum erbarme, an das Mark nefommen 
find, uns die, innerſten Gebeine zerbrehen und Alles was 
noch übrig ift germalmen. Werben da die Deutfchen nicht zu 
den Waffen greifen? nicht mit Feuer nnd Schwert anftürmen ? 
Das find die Plünderer unſres BVaterlandes, die vormals 
mit Begier, jet mit Kübnheit und Wuth Die weltherrſchende 
Nation berauben, vom Blut: und Schweiße des deutfchen 
Volkes fchwelgen, aus den Eingeweiden der Armen ‚ibren 
Wanft füllen und ihre Wolluft nähren. Ihnen geben. wir 
Gold; fie halten auf unſre Koften Pferde, Hunde, Mauf- 
thiere, und, o der Schande! Luſtdirnen und Luſtknaben. Mit 
unfrem Gelve pflegen fie ihrer Bosheit, machen, fich gute 
Tage, Heiden fi in Purpur, zäumen ihre Pferde und Maul 
ejel mit Gold, bauen PBaläfte von lauter Marmorftein. 
Sie, zu Pflegern der Religion berufen, verjäumen. fie nicht 
allein, was doch ſchon fündlich genug wäre, ſondern verachten 
fie fogar, ja fie verlegen, befleden und ſchänden fie. Und 
während fie früher durch Lodfpeifen uns köderten und durch 
rigen, Dichten und Trügen uns Gel abzulocken wußten, 
greifen ſie jetzt zu Schrecken, Drohung und Gewalt, und 
plünbern uns 
gleich Borken, 


Die im büfteren Nebel nad Raub gebn, wenn fie bes — 
Wuth wie blind umtreibt und daheim die verlaſſenen Jungen, J 


Und dieſen müſſen wir noch ſchön thun, dürfen ſie nicht 
ſtechen oder rupfen, ja nicht einmal berühren und antaſten. 
Want werden wir einntal Hug werben, und unſre Schande, 
ben gemeinen Schaden rächen? Hat und davon früher vers 


1) Birgil's Landbau, I, 185f. | 
2) Birgil’s Meneis, II, 355—357, > „Jallum 





184 Hutten's Geſpräche. Erſtes Bud). 


meinte Religion und fromme Scheu zurũucgehalten, ſo treibt 
und zwingt uns jetzt dazu die Noth. 

HYutten. Ich ſchicke veiner Frau einen zornigen Mann beim. 

Ernhold. Wie follte ich nicht zovnig fein? Wer wäre denn 
jo geduldig, daß ihn folhe Dinge nicht aufbrächten? 

Yutten. Aber du wirft dich von ihr befänftigen laſſen? 

Ernhold. Dur fcherzeft auch noch in einer fo ernften Sadıe. 

Yutten. Ich werde nicht mehr fcherzen, wenn es Zeit ift, 
Hand ans Werk zu legen. 

Ernhold. Und wirft vich jo geimmig wie weni gegen 
den ſchwäbiſchen Tyrannen rüften? 

Hutten. Noch grimmiger. Denn jenes war nur Fam— 
lien» und Privatjache; dieſes ift die gemeinfame Angelegenheit 
bed Vaterlandes. 

Ernhotd. Aber jind denn gar feine Dreie mehr übrig, 
damit wir den Reſt vollends verſchlucken? 

Hutten. Es ift der Bodenfag. An drei Dingen fei zu 
Rom großer Vorrath: an Maulefeln, Bullen und Procuratien. 

Ernhold. Ja wahrlich. 

Hutten. Und preierlei Peute dürfen ſich zu Rom bunt 
fleiven: Knechte, Weiber und Mönche, Und brei Dinge Haben 
Troddeln bajelbft: die Gürtel der Männer, die Beutel ber 
Eurtifanen und die Zäume ber Pferde. Da haft du Alles, 
was ich von Vadiscus Rede habe behalten fünnen. 

Ernhold. So haben mir aljo diefen Verbruß, wie man 
ſpricht, mit der Hefe ausgetrunfen. 

Hutten. Di haft mich dazu genöthigt. 

Ernhold. Dir ſoll es nicht beichwerlich jein, bich ſo nötbigen 
zu laſſen, wie ich feine Scheu trage, um ſolchen Bortheils 
willen einen Freund zu bemühen, und bir jest banfbar bin, 
daß du e8 bei mir von bir gegeben baft. 

Hutten. So leb’ denn wohl. 





IV. Die Römiſche Dreifaltigleit. 185 


Ernhold. Du gleichfalls. Doch höre, wie willft bu, daß 
ich die Curtiſanen in mein Nachtgebet einfchließen ſoll? 

Zutten. Wie anders, als daß fie immerwährend nad) 
Pfründen fchnappen, die aber nie erlangen, und in folcher 
Begierde fich elendiglich verzehren mögen? 

Ernheid. Und foll ichs meiner Frau vorfagen, daß auch 
fie es mit mir bete? 

Butten. Wenn du meinft. 





V, 
Die Anldhauenden. 


e n 


Einleitung. 

Das folgende Geſpräch, ver Schluß und bie Krone ber erjten 
Sammlung Hutten’fcher Dialoge, führt uns noch einmal auf 
den Augsburger Reichstag und zu dem Carbinal Eajetan zurüd. 
Und zwar, während biefer in dem frübern Geſpräch hinter ber 
Scene blieb und mur das Fieber von ihm Bericht erftattete, 
ſoll er num in eigener Berfon bandelnd auf vie Bühne treten. 
Doch nicht als Hauptperfon; jo wichtig ift er dem Berfaffer 
nicht; ſondern nachdem zwifchen den zwei andern Unterrebnern 
vieles Andere zur Sprache gekommen, foll er nur den bralti- 
chen Schluß herbeiführen helfen. Die gefammte deutſche Nation, 
jo weit fie auf dem Reichstag vertreten ift, will Hutten bieh- 
nal die Mufterung paffiren laffen, die Vorzüge wie die Ge 
brechen des deutſchen Bolfes zur Anfchauung bringen, und 
babei zulett natürlich auf das Hauptübel, das Pfaffenweien 
und bie römische Unterbrüdung, hinausfommen, als beren Werk 
zeug ber Cardinal auf dem Reichstage zugegen war, 

Die Ueberſchrift und in gewiſſem Sinne die Situation des 
Dialogs nahm Hutten diegmal aus Lucian. Diefer läßt in 
einem feiner Gejpräche den Charon auf die Oberwelt herauf: 
fommen, um doch einmal zu fehen, was denn bie Menſchen 





V. Die Auſchauenden Einteitug. 187 


eigentlich an biefem Leben, wenn fie daraus fcheiden müfjen, 
jo ſehr beweinen, wie er dieß als Todtenfährmann jeven Tag 
mit anfehen muß. Um feinen Beiftanb gebeten, Hilft ihm 
Mercer etliche Berge aufeinander thürmen, und nun jehen jie 
von da ben jtarfen Milo und ven glüdlichen Polyfrates, ven 
Cyrus und bie Tompris, hören die Zwiefpradhe zwiſchen 
Kröfus und Solon mit an, und nehmen dann noch eine Ueber—⸗ 
ficht von dem Treiben ver Menfchen überhaupt. Da ber 
Todtenfährmann ber Beſchauer tft (dem Mercur ift das alles 
nichts Neues, jo wenig als dem Sol was er in Huttem’s 
Geſpräch zu fehen befommt), jo wundert er ſich natürfich, wie 
bie Menſchen fo eifrig fein mögen, nach Dingen. zu trachten, 
die fie doch demnächſt im Tode werten laſſen müſſen; kurz, 
die ‚Eitelkeit aller — re * der —— 
des Geſprächs. U Wir uu — 
Ein ſo greiſenhafter Gebantengang lag Hutter, zumal in 
feiner damaligen boffnungsreihen und thatenlujtigen Stim⸗ 
mung, fern, das Ziel, worauf er mit jenem Gejpräd los— 
ging, war eim ganz anderes; aber die Majchinerie, zwei 
Untervepner, die aus der Bogelperjpective dem menjchlichen 
Treiben zufehen, leuchtete ihm ein. Um die Vogelperfpective 
zu erreichen, fchten ihn indeß das: Entwurzeln und Aufthürmen 
von Bergen’ bebenflich und überdieh unndthig, da fich ja der 
Sonnenwagen als der: günftigfte Standpunkt, wie ver all 
ſchauende Sonnengott als der befte Beobachter, von jelber 
darbot. Die noch größere Höhe, die er damit gewann, war 
ihm freifich ie jo fern überflüffig, als er es nicht, wie der 
Griechiſch ſchreibende Syrer, der im großen Römerreich überall 
und nirgends zu Hauſe war, auf eine Weltſchau, ſondern nur 
auf die Beobachtung ſeiner in Augsburg zum Reichstag ver⸗ 
ſammelten lieben Deutſchen abgeſehen hatte. u J— 
Wen aber ſollte er dem Sonnengott als Mitunter 
zugejellen? In ſeiner deutſchen Ueberſetzung bat er — 











188 Hutten's Gejpräde. Erftes Bud. 


Geſpräch, „nachdem es etzwas mer baun bie worigen vff 
poetiſche art zugericht”, eine „vorreb vnd außlegung“ voran⸗ 
geſchickt, in der er feinen bamaligen deutſchen Leſern allerlei 
Stüde aus ber griechiſchen Mythologie erflärt, Die wir unfern 
heutigem nicht erft zu erflären brauchen. Das Eine ausge 
genommen, wie Hutten dazu Fam, dem Sonnengotte als 
Kutſcher und Mitunterreoner den Phaethon beizugefellen, ber 
boch laut eben jener Mythologie nach dem Weltbrand, den 
er buch fein ungeſchicktes Fuhrwerken angerichtet, vom Yupiter’s 
Blitz erſchlagen und in ben Fluß Eridanus herabgeftürgt war. 
Hier. beruft ih nun Hutten auf Lucian, nach deffen Ausſage 
Phaethon „in der Sonnen reich von feinem vatter zu einem 
regierer vnd gubernator geſetzt und nun mer ein üunfterblicher 
gott werben“ ſei. Nämlich im fünfundzwanzigjten feiner Götter: 
gefpräche zwar, wie auch in ber Declamation: Der Bernftein 
oder bie Schwäne des Eridanus, jest Lucian ganz die gewöhn- 
liche Ueberlieferung von Phaethon’s Ende voraus, In feiner 
Wahrhaftigen Gefchichte dagegen, einer Parodie. liigenhafter 
Reiſebeſchreibungen und Erzählungen, fommt er in einer ähn⸗ 
lichen Urt wie unfer Miünchhaufen in ben Mond, ben er 
bewohnt und von dem fchönen Endymion beherrſcht findet, 
uub banı einen Krieg der ebenjo von Phaethon beherrichten 
Sonnenbewohner mit den Mondbewohnern anzufehen befommt. 
Aus diefem Beherricher des bewohnten Sonnenballs wieber 
einen Kutjcher des von ihm ſchon einmal zw Schanden ger 
fahrenen Sonnenwagens gemacht zu haben, dafür trägt dem— 
nach Hutten allein die Verantwortung. Für Cajetan’s ſchließ— 
liches Hinauffchreien zum Sonnengotte dagegen waren bie 
Borbilder wieder bei Lucian, z. B. in deſſen Timon, gegeben. 

Die Vorzüge dieſes Gefprächs bier noch befonbers hervor: 
heben wollen, könnte Beleidigung ver Leſer jcheinen. Die fpie- 
(ende Leichtigfeit, mit welcher der beveutende Inhalt gehand- 
babt wird, die Friſche und Fülle des Lebensbildes, das ſich 








V. Die Anfchauenden. Einleitung. 189 


vor ung entrollt, die Wärme des Vaterlandsgefühls, die Chrlich- 
feit der Vorliebe, die reizende Naivetät, mit der die Fehler 
der Landsleute, in&befondere die deutſche Nationalneigung zum 
Trunk, halb gerügt halb entjchuldigt werden, wird von feinem 
unempfunden bleiben. Dieſe Naivetät verjöhnt uns felbft mit 
jolden Partien, wo wir Hutten, wie in feinen Aeußerungen 
über den Handel und die freien Städte, in Standes- und 
Schulvorurtheilen befangen fehen. 

Eigen ift e8 dem Ueberſetzer mit dem Titel diejes Gefpräche 
gegangen. „Die Anfchawenden”, wie Hutten das Inspicientes 
verbeutfcht hat, gibt uns feine Anjchauung; „die Zufchauer‘‘ 
bie verkehrte von einer Mehrheit, die auf das Thun einiger 
Wenigen Acht gibt; Wieland’8 „Die Weltbeſchauer“ ift für 
ben Zucian’fchen Dialog vortrefflich, für den Hutten’fchen aber - 
unbrauchbar, der auf feine Weltbefchauung angelegt ift. Glüde 
licherweife fand der Ueberſetzer das Geſpräch unter ben von 
Hutten gewählten deutſchen Titel fchon mehrfach in Literatur- 
geihichten und fonft angeführt: fo Tonnte er fich bei demſelben 
als etwas Hergebrachtenm beruhigen. ') 


1) Zu biefer Einleitung vergl. meinen Ulrich von Hutten, Thl.IL, 
Kap. II, ©. 38—46. 





Die Anfdhauenden. 


Es unterreben fid: Sol, Phaethon und der Legat Eajetan, 


Sol. Da wir bie mittlere Himmelshöhe erreicht Haben 
. und num langjamer fahren fünnen, Phaethon, jo wollen wir, 
während die Pferde ſich verjchnaufen, ung ein wenig unter« 
halten, 

Phaethon. Wie du mwillft, Bater, und auch biefe Wolfen 
wollen wir zertheilen, um mach den Dingen im Norden beffer 
ſehen zu fünnen. Denn ſchon jeit lange halten wir es mit 
dent Treiben ber Sterblichen nicht mehr wie jonft, jonbern 
ziehen. bejtändig dichte Wolfenmaffen um uns, fo baß wir 
nicht jehen fünnen, wie die Einen hin- und berlaufen, Anbere 
in Schiffen fahren, Etliche untereinander Krieg führen und 
um nichts plöglich mit großen Heeren ausrücken, bereit, um 
eines eiteln Titels oder Ranges willen, deſſen ſich Einer vor 
dem Andern angemaßt, fich die Hälfe zu brechen. 

Sol. Du haft Recht; denn biefe Dinge waren mir zus 
wider geworben, ba ich ſah, wie fie nicht einmal ihre ver— 
fehrten Abfichten richtig verfolgen. Wie ungefchiekt treiben nur 
jest die Italiener das Kriegsweſen: faum Einen fiehbt man 
ba, ber jich regelrecht zu waffnen verftünde, faum Einen, ber 
ben Schild orbentlih handhabte, die Yanze in gleichmäßigen 
Schwunge führte, Reih’ und Glied einbielte und dem Comes 








09 v. Die Anfchauenden. 191 
J 


mando folgte; mit Einem Worte, von rechter Kriegerart hat 
Keiner einen Begriff: fo daß man behaupten möchte, es gebe 
gar feine Italiener in Italien mehr und vom dem alten Stammte 
habe fich gar fein Samen bis auf unfre Zeit erhalten. Nur 
die Venetianer zeichnen fich wenigftens durch Klugheit aus, 
auch jener Colonna hat fich neulich bei Verona wader gehalten?), 
und was ev vom ben ——— gelernt — * ———— 
wendung gebracht. De 

Phacthon. Doch, Bater, haben mir bie, Deutfägen * 
weniger gefallen; denn mir fommt vor, fie fünnen nur fechten 
wenn fie trunfen find, Auch bemerfe ih an dem Bolf einen 
(eeren Ungeftüm, der zuerjt überaus hikig thut, dann, wenn 
der Eifer ſich allgemach verfühlt hat, in nichts ausgeht. 
Darum hat fie kürzlich jener Alviano fo feltfamer Weife fangen * 
können. Er fand fie zechend und fich einanber zehn, zwanzig 
Wälſche zutrinfend (jo fiher rechneten fie fchen auf ber Bene: 
tianer Niederlage), umd zwang ihrer über ba zu einer 
äußerſt jchimpflichen Uebergabe. 2) | ar 

Sol. Darin übrigens handelte er unrecht, baß er ſie wider 
ſeine Zuſage wafſenlos wie eine Heerde Vieh hinſchlachten 
ließ. Denn ſie hatten die Waffen unter der Bedingung geſtreckt, 
daß er ſie unbeſchädigt entlaſſen und gegen das andringende 
Landvolk bis an die Grenze ihrer Heimath ſchützen ſollte: 
ſtatt deſſen ließ er fie, ſobald fie ſich auf dieſes Hebereinfommen 
hin entwaffnet hatten, bis auf den letzten Mann niederhauen. 

Phaethon. Das mag er verantworten; was brauchten aber 


1) Marcantonio Eolonna bielt Verona fir ben Kaifer und feinen 
Entel Karl gegen bie mit Venedig verbündeten Franzojen unter Pautrec 
vom Sommer 1516 an bis im December Marimilian dem Tractat von 
Noyon beitrat und gegen eine Entihädigung von 200,000 Ducaten 
Berona aufgab. 

2) Im Jahr 1508 bei Cadore. Bon ihm banbeln auch verjchiebene 
Epigramme Hutten’s, f. meinen Ulrich von Hutten, I, 97. 





192 Hutten's Gefpräche, Erſtes Bud). 


auch fie in einer fo gefährlichen Sage Scherz zu treiben, und 
im Feinbesland, ehe fie zum Hauptheer geftoßen waren, ſich 
durch ein Trinfgelag zu beiuftigen, ohne gegen Meberfall auf 
ihrer Hut zu fein? — Dann greifen fie auch Alles mit großem 
Ungeftüm an, aber führen: felten etwas durch. 
Sol, Das. ift allerdings ein Fehler an dieſem Bolfe, wie 
du ſagſt; aber Kriegsübumg haben fie wie heut’ zu Tag feine 
andre Nation, und in Waffen find fie unüberwinbfic. Zum 
Herrſchen find fie weniger gefchidt: ihnen iſt es gemtg, wenn 
fie anrennen, jagen, verwüſten, nieverwerfen, plünbern, zer— 
treten und verbrennen können; iſt dieß geſchehen, fo thum fie 
fich im Vollauf gütlih und fergen nicht, bie genommenen 
Städte und. Burgen zu behaupten. So mögen und fönnen _ 
fie wohl Neiche erobern, fie zu behalten aber und zu decken 
find fie nicht bedacht, und es trifft bei: ihmen zu, daß fie 
zwar zu fiegen, nicht aber den Steg zu benugen: verjtehen. ”) 
Phaethon. Das hat man die vergangenen Jahre bei Padug, 
Vicenza und Trevifo fehen Fünmen, bie fo Teicht zu halten 
waren, aber von ihnen ohne Beſatzung gelaffen, und jo von 
den Benetianern ohne Mühe wieder erobert wurden?) 
Sol. Wie Hug haben fie aber Verona behaupte. 
Pharthon. Ja, wie unflug haben fie es eingebüßt. Doch 
was hältjt du von ven Spaniern? was für Krieger find bie? 
Sol. Emfige Diebe find fie vor Allen, mein Sohn; doch 
im Felde wader wie irgend Andere, denn fie haben Hebung 
und Zucht und find überdieß feurig und beherzt. Doch blicken 
wir auf Deutfchland; da ift ja jet ein Aufruhr, gewaltiger 


als de Baahen Zertheile die Wolfen ... dort ſehe ich ſchon den 


ih 


1) Was Hannibal nach der Schlacht bei Caunu dom feinen Reiter 
oberften Mabarbal hören mußte. Livius, XXU, 51. 

2) Alles Vorgänge aus Marimilian’s italienifchen Kriegen, —* 
Hutten ja eine Zeitlang auch perſönſich nahe geſtanden hatte, ©. meinen 
Uri von Hutten, I, &, 92f, — 













V. Die Anfhauenden 193 


Rhein, ein großes Wahrzeichen meiner Macht. Der Fluß ift 
jo groß, daß ihn alle Völker des Nordens nicht überbrücen 
fönnen: ich aber habe ihn in wenigen Stunden: beinahe aus- 
gebrannt, als du dazumalmit unerfahrener Hand biefen Wagen 
(enktejt und bie Welt in Brand ftecteft. ee 
Phacthon. Ach Vater, wie magſt du mich an mein — 
erinnern? Ina 77 

Sol. Biſt du doch ein Gott dadurch — ‚Denn 
hätteft du damals nicht. gefehlt und wäreſt nicht durch den 
Sturz in den Eridanus wiedergeboren worden, ſo verſtündeſt 
du jetzt nicht den Sonnenwagen jo geſchickt zu lenken.) 

Phaethon. So iſt es. Doc was find Das für Bewegungen 
in Deutſchland? Einige bewaffnet, Andre ohne Waffen, bie 
eilig, jene mit Weile, ziehen Alle Einem Orte- zu, wo ich bie » 
Einen forglos zechen, die Andern in exnfter Berathung ſehe, 
während Manche Beides abwechfelnd ober auch zugleich thun. 

Sol. Das iſt eine deutſche Fürften- und Volfsverfammlung. 

Phaethon. Himmel, was für eine Berfammlung! Berathen 
fie fih denn auch trunfen, wie fie fechten ? * 

Sol. Ebenſo. Doch ſieh, wie gleichwohl Einige ihre Ger 
ſchäfte nüchtern betreiben; dafür werben fie freifich von manchen 
ihrer Landsleute wie Freimbe angejehen und verachtet. 

Phacthon. Ich venfe wohl don denen in den rothen ge— 
ftidten Nöden, mit gefräufelten Haaren und Ketten um ben 
Hals, mit den langen Scenfeln, Bater, dem hohen Wuchs 
und ftattlihen Weufern? ?) 

Sol. Eben von denen und bon ber ganzen trunfenen Rotte. 

Phacthon. Warum jagen denn jene Nüchternen fie nicht fort, 
da fie ſolchem Lafter fröhnen und überdieß den Guten nur 
binderlich find ? 

1) ©. bie Einleitung. 

2) Hofleute von ber Art, wie einer oben in ber Fortuna, S. 8, 
geſchildert wird. 

Strauf, Hutten’® Gefpräde, 13 





194 Hutten’s Gefpräche. Erſtes Bud. 


Sol. Das können die Wenigen gegen bie Vielen nicht; 
boch jie weifen fie wohl zurecht, und nicht ganz ohne Frucht, 
denn Manche beſſern fih, da fte fehen, wie fie durch ihre 
Böllerei der Gefunpheit ihres Leibes Schaden thun. 

Phaethon. Alſo weil es ihren Leib ſchädigt, beffern fie ſich; 
daß aber die Unmäßigfeit ihren Geift zu Grunde richtet, ift 
ihnen gleichgültig ? 

501. Das begreifen fie noch nicht; denn dieſe Art Men- 
fchen verfteht fich beifer auf das was ben Leib als was ben 
Geiſt angeht. 

Phacthon. Sit aber zu hoffen, daß fie einft auch bie geiftigen 
Güter verftehen lernen? 

Sol. Gewiß; Dank den Bemühungen jener Andern, vie 
(bon manche Dinge gar fein angreifen, ihren Geift bilden, 
und im Berfehr ınit meinen Mufen Waſſer trinfen: jene 
Magern dort meine ich, jene Schmächtigen, am Leibe ſchwach, 
doch am Geifte ftarf und unüberwinblich, denn fie haben einen 
ſcharfen und hohen Sin. *) 

Phacthon. Ausgezeichnete Leute, wie ich jche, vie daher 
nicht verdienen, von jenen Trunkenen beläftigt oder gefränft 
zu werben. 

Sol. Es fchügen jie einige Fürſten, die felbft auch Geiſt 
haben; aber deren find wenig, höchitens ein Paar. Doch auch 
jene Trunkenbolde fangen an, dieſe Nüchternen hochzufchägen 
und in Ehren zu halten, wenn fie auch ihren Werth noch nicht 
vecht begreifen, fondern nur etwa gehört haben, wie andre 
Nüchterne viel aus ihnen machen. 

Phacthon. DBehüten die Götter die großen Kleinen! Doch 
richten wir unfre Blicke wieder auf die Verfammlung. Hilf 
Himmel, welcher Lärm, welche Zrinfgelage, welch lautes und 


— — — 


1) Man merkt, hier zielt Hutten auf ſich und ſeinesgleichen. 





m Wake ———— 19% 


rohes Schreien! Doch was für ein Aufzug ſchreitet da mitten 
durch? Bor Allem aber ſprich, was ift das für eine Stadt? 

Sol. Augsburg beißt fie; da fommen die, Fürften des 
Neichs zuſammen, um fich, wie du denken faunft, über wichtige 
Dinge zu berathen. Der Aufzug, aber. — — 
Botſchafter aus feiner Herberge. 

Phaethon. Was für einen Boiſchafter, Bater? Dun mo 
führen fie ihn hin? Und da bu doch Alles weißt und bir 
nichts verborgen ift, jage mir auch, mas werben denn bie 
Gutes rathichlagen, wohlbezeht und von Wein erhitst wie 
fie find? 

Sol. Ihn geleiten fie auf das Natbhaus, wo er ihnen 
des Papites Befehle eröffnen wird; bevathem aber werden fie 
fich wegen des Zürfenkriegs, den Papft Leo X. zu. Stande 
bringen möchte; er verfpricht fich großen Gewinn bavon, und 
bat deßhalb dieſen Cajetan hergeſchickt, dafür zu fein, daß bie 
Deutſchen nichts Anderes und nichts angelegentlicher vornehmen. 

Phacthon, Was fir Gewinn verfpricht er fih? will denn 
ber Papſt mit ben Andern zu Felde ziehen und 8 den 
Türfen Beute abzujagen? 

Sol, Nein; von den Tiefen redet er nur, —* von fern 
an fie zu denken; in dev That iſt es ihm nur um Geld zu 
thun, er möchte die Deutjchen plündern und den Barbaren 
all ihr übriges Gold vollends abnehmen. *) 

Phaethon. Wie unrecht, ich bitte dich! und wird er's burdh- 
fegen gegen ein jo ftreitbares und troßiges Volk? 

Sol. Vielmehr Hat er alles Necht dazu; und burchlegen 
wird er’s mit Lift, deren er fich ftatt der Macht bevient, 

Pharthon. Das verſteh' ich nicht, 

Sol. Er gibt ſich für einen Hirten aus wie vordem Chriftus 
war, die Chriften für feine Schafe und vor Allen die Deut: 


1) S. oben &. 107. 
13* 





196 Hutten’s Geſpräche. Erftes Buch. 


fhen; den bort aber fchidt er heraus, ihm feine Heerbe zu 
ſcheeren und die Wolle hineinzubringen: was ift baran unrecht? 

Phaethon. Nichts, bei meiner Treue, Vater, wenn fie anders 
feine Schafe find und er fie meibet. 

Sol. Wohl weitet er fie, doch wiſſe, mit nichts wie mit 
Alfanzereien, bie fie aber für eine rechte Weide halten. 

Phaethon. Iſt es an ihrem Dafürhalten genug? 

Sol. Ihnen wohl. 

Phaethon. Nun fo fcheere er fie denn und ſchinde fie auch, 
wenn es ihm beliebt, da fie fich mit Alfanzereien abfpeifen 
laſſen. 

Sol. Das thut er auch redlich und ſchneidet ihnen bie 
Wolle bis auf das Fleifch ab, ver habjüchtige Scherer. 

Phacthon. Lafjen fie fich denn aber von ihm fo fcheeren 
und fchinden? 

Sol. Yortan werben fie es nicht mehr Leiden wollen; 
denn fieh nur welche grimmige Blicke fie fichtbar auf ihn 
werfen; ja wie ich der Deutfchen Gemüthsart kenne, wird 
nicht viel daran fehlen, daß es ihm übel ergebe, fo feind 
find ſie ihm, da fie wilfen, daß er ein Schalf ift, obwohl er 
fih jo bierer wie möglich anzuftellen weiß. 

Pharthon. Das thut er wahrlich, der Betrüger; durch 
etliche wunderfame Zauberfünfte hat er fich fo umgewandelt, 
daß, wer ihn fieht, ihm nicht für fchlimm halten follte; fe 
gefchit hat er Stirne, Augen, Haltung, Rede, Gang, Alles 
auf den Schein der Rechtichaffenheit eingerichtet. 

Sol. Site werden ihn dennoch nicht leiden wollen, denn 
gar zu Viele haben es jchon ebenfo gemacht. Mögen fie paber 
von Natur noch fo einfältig fein, fo find fie nun fo oft an- 
geführt worden, daß fie den Betrug endlich merken. 

Phacthon. So ift der Scheerer nicht zu rechter Zeit ges 
fommen. 

Sol. Wie du fiehft; denn wäre er’s, fo zöge er reich von 





dannen; nun ſind ihm fo viel Andre nern 
weiterer Betrug mehr Plak findet. b, 
Phacthon. Merkt er wohl jelbft, daß er ne vergl bemüht? 
Sol. Deutlich genug. | 
Pharthon. Darım ſieht ev jo verbrießfich- aus; e8 iiber 
Nerger, daß ihm biefer Bilfen vor dem Munde wergefchnappt 
ift. Daher muß er es nun anders anftellen, | 
Sol. Das thut er auch bereits, er ſinnt und teschtet, 
auf welchem andern Wege, da es auf biefem nicht recht fort 
will, er es angreifen folle. Vielleicht wird er noch eimen 
Anfchlag machen, noch einen Griff thun; eine Hoffnung: ift 
ihn fehlgefchlagen, fo wird er eine andre faffen; er wirb und 
eine treffliche Gaufelei neuer Erfindung zum Beften geben, 
Er wird den großen Haufen am fich ziehen, darauf all feine 
Anftrengung richten. Dieſes Gold ift ihm entgangen, er wird 
ihm nachgeben; das Geld ijt ba und dort zerſtreut, er wird 
es zuſammenbringen. Manche jchlafen, er wird fie aufweden; 
der Aberglaube ift kalt geworben, er wird ihm wieder in 
Flammen ſetzen. Durch behutfames Zaften und rn 
Handeln wird er etwas zu Stande bringen. y 
Pharthon. Schon lange ſeh' ich ihn auf jo etwas — 
Aber ich bitte dich, ſage mir, iſt er denn von gutem Haus, 
daß Rom gerade ihn ſchickt, oder hat er geiſtige Vorzüge? 
Sol. Bon Haufe braucht Einer nicht edel zu fein, um zu 
Rom für groß zu gelten, und ebenfo wenig durch Tugend 
ausgezeichnet; daß er fich durch Lift und Schalfheit hervor- 
thue, darauf fommt es an. Ich glaube nicht, daß diefer nur 
weiß, wer fein Vater geweſen; auch fehe ich ihm in feiner 
(öblichen Kunſt erfahren: und boch kommt er, um Andre felig 
zu machen, mit ſolchem Gepräng aus: Rom: über bie Alpen, 
bat alle Säde voll Ablaß und läßt fih ganze Ballen von 
Facultäten?) nachführen. | 
1) S. oben &, 1627. | y im m . 





198 Hutten's Geſpräche. Erſtes Bud. 


Phaethon. Darum wird er leer vor die Thüre geſetzt 
werden; denn ich denke, wollten die Deutſchen auch ihr Geld 
nach Rom ſchicken, fo würden fie es doch dieſem Emporkömm⸗ 
ling nicht anvertrauen. 

Sol. Wie du ſagſt. Aber ausnehmend geſchickt, wie 
er iſt, die Leute zu berücken, wird er gewiß etwas ver⸗ 
ſuchen. Auch denkt er ſchon ſeltſame Streiche aus und ſtellt 
künſtliche Fallen, der Böſewicht, und dieſes Volk wird auf 
ſeiner Hut ſein müſſen, ſich ſeinen Schlingen zu entziehen. 

Phaethon. Wenn er es nun aber dahin bringt, daß ber 
ganze Norden fi zum Krieg wider die Türken einigt, wird 
er dann fonft noch etwas haben wollen? 

Sol. Es ijt ihm ja um nichts weniger al8 um biefen 
Krieg zu thun. Das Gold iſt's, dem er dient, und Geld, 
was er begehrt. Sekt fchwört er, wenn man es ihm gebe, 
jolfe e8 auf ven Türkenkrieg verwendet werben ; hätte er’8 aber, 
fo würbe er es (denn ich fage was die Wahrheit ift) dem römi⸗ 
ſchen Wohlleben zur Verfügung ftellen. 

Phacthon. Wie lange wird er dieſes Spiel noch treiben? 
ſprich. 

Sol. Bis die Deutſchen klug werden, die jetzt noch Rom 
durch allerlei Aberglauben in Bethörung hält. 

Phaethon. Iſt es aber nahe daran, daß ſie klug werden? 

Sol. Nahe; denn dieſer wird der Erſte ſein, der leer 
heimkommt, zum großen Schrecken der heiligen Stadt, wo man 
nie geglaubt hätte, daß die Barbaren ſich das unterſtehen 
würden. 

Phaethon. So gehören demnach die Deutſchen noch zu den 
Barbaren? 

Sol. Nach der Römer Urtheil nicht minder als die Fran- 
zofen und alle Völker außerhalb Italiens. Sieht man aber 
auf gute Eitten und freundlichen Verfehr, anf Fleiß in allen 
Tugenden, auf Beftändigfeit und Revlichkeit des Gemüths, 





V. Die Anfhauenben. 199 


jo find ſie pas gebilvetite Volk, dagegen die Nömer die grätt- 
kichften Barbaren. !) Denn fürs Erfte find fie durch Weich» 
lichkeit und Wohlleben verborben; dann findet man bei ihnen 
eine mehr als weibifche Veränderlichkeit und Unbeftänvigfeit, 
wenig Treu und Glauben, dagegen Trug und Bosheit, baf 
nichts darüber geht. 

Phaethon. Mir gefällt, mas du von den Dentichen fagit; 
wenn fie nur feine ſolchen Zrinfer wären, ba fie übrigens fo 
wacker find. 

Sol. Die Zeit wird fommen, daß fie nüchtern leben, und 
Bas, glaube ich, in Kurzem; denn bereits fangen fie an, 
weniger zu trinfen, und von jenen Trunkenbolden denken auch 
die fchlecht, vie felbjt nicht immer nüchtern fin. 

Phaethon. Sage mir ein Anderes: trinken denn auch bie 
Füriten bei ihnen? 

Sol. Wäre vie Verderbniß nicht auch in dieſen Stand einges 
drungen, fo wäre es lüngft um die ganze Trinferzunft geſchehen; 
aber fie geben dem Unweſen durch ihr Beiſpiel Rückhalt, 
und ihre gewaltigiten Anhänger find die Sachjen*); jene dort, 
mein Sohn, die du ganz der Trunfenheit ergeben fiehft; fie 
faffen immer noch nicht von ihrem alten Brauch, hartnädig 
winerftehen fie jeder Ermahnung und wehren fich für bie 
päterliche Sitte, 

Phasthon. O Himmel und Erde, mas für eine Gefellfchaft 
{ehe ich da! welche Zrünfe, welches Rülpſen und Speien 
gleich darauf! Das frißt und ſäuft unmenfchlih, überhäuft 
ſich mit Gerichten, ftopft ſich Brod haufenweiſe und jchüttet 
fih Becher dutzendweiſe ein; ihr Scherz ift ein Schreien, ihr 
Gefang ein Beulen, ihnen gilt des Lucilius Spruch: 


1) S. oben inı Badiscus, S. 107. 

2) Anberswmo in einer ähnlichen Beſchreibung ſpricht Hutten von 
den Sachſen am baltiihen Meer; er meint alfo bie Niederſachſen oder 
die Rorbbeutichen Überhaupt. 





200 Hutten’s Geſpräche. Erſtes Buch. 


Lebet ihr Schlucker zumal, ihr Freſſer, lebet ihr Wänfte! ?) 

Ein Gaſtmahl der Centauren und Lapithen?) meine ich zu 
fehen. So braucht man fünftig das griechiſche Sprüchwort 
nicht mehr: Stets find die Leontiner bei den Weinfrügen, ſon⸗ 
dern fann auf gut Deutfch, daß es alle veritehen, jagen: 
Alleweil fteden die Eachjen Hinter den Flaſchen. Und melde 
Maſſe Weins vertilgen fie! 

Sol. Nein, Wein trinfen fie feinen. 

Phaethon. Wie? betrinken fie fich in Waſſer? 

501. Ja, in Waffer. 

Phacthon. Da gibt es wohl Duellen bei ihnen, wie bei 
den Papblagoniern, die beraufchen? 

Sol. Auch das nicht, fonjt würden fie vor ZTrinfen gar 
zerberiten; fondern fie kochen gewiſſe Kräuter und Früchte, 
und von dem Abfud werben fie betrunfen. 

Phaethon. Eine gute Erfindung. Denn wie viel Wein 
würden fie brauchen bis fie genug hätten, da fie es fo binein- 
fchütten ? | 

Sol. Mehr als in ganz Deutſchland wächſt. 

Phacthon. Aber haben denn diefe Leute auh Sinn une 
Bernunft wie andre Menſchen? 

Sol, Das haben fie, fo jcharfe Sinne wie nur irgend 
Andere. 

Phacthon. So fpeien fie alfo was fie fich eingeſchüttet 
ohne allen Schaden wieder von fich? 

Sol. Das muß fein; denn nirgends ift das Gemeinwefen 
beſſer verwaltet, nirgends lebt man ficherer, ald bei ihnen, 
Niemand weiß fremde Gewalt glüdliher abzuwehren, und im 
Krieg find fie unüberwindlich. 


1) Ein Bruchftüd dieſes alten römischen Satirikers. 


2) Sprüchwörtlich von einem Gelag, bei bem es zu blutigen 
Köpfen kommt. 








VE Die Anſcheuenden * 208 
Phacthon. Glaubſt dur wohl, daß ſie jerals von ihrem 


Trinken laſſen werden? wm u 
Sol. Ich zweifle ſtark varan. rF 
Phacthon. Over wenn fie davon ließen, —* ſie Ir üben 

guten Sitten behalten würden? ‚eat u 


Sol. Könnten fie die behaften und tel — ben, 
jo wüßte ich ihnen fein Volk vorzuziehen. — 

Phaethon. Wie ſind ſie denn von — SITE 

Sol. So rüftig und ftattlich wie ſonſt feine. Sie find 
auch die einzigen Deutfchen, die von Aerzten nichts willen, 
ba fie ohnedieß höchit felten trank find, und bie Rechtsge— 
lehrten jagen fie mit Spott und Verachtung von fi. 

Phacthon. Wie fprechen fie denn aber Necht? | 

Sol. Nach ihren eigenen alten Gewohnheiten, und gar 
weislich, denn nirgends findet man feltener, baf Jemanden 
Gewalt und Unrecht geſchieht. So dient ihnen Sitte und 
Herkommen jtatt gefchriebener Sefete. | 

Phatthon. Es ift ein Wunder, wenn bit nicht nod) Ha 
fie werden durch ihre Trumfenheit beffer. | 

Sol. Das fage ich wicht; fo viel aber zeigt der Augen— 
ſchein, daß fie Vieles beffer machen und Flüger einrichten als 
irgend welche Nüchterne. Sie folgen aber einem: unter ihnen 
verbreiteten Sprüchwort: Morgens rathen, ' Abends zechen; 
denn nach den Abendeſſen trinken fie bis tief in die Nacht 
binein, Morgens gehen fie dann nüchtern über wichtige Ans 
gelegenheiten des Gemeinweſens zu Mathe?) 

Phaethon. Da ſehe ich auch nicht, was fie vom Trinfen 
abhalten fellte; denn vielleicht ift die Gewohnheit bei ihnen 
zur Natur geworden, und wäre zu filrchten, wenn fie bon 
ihrer Trunfenheit ließen, möchten fie auch von ihrer guten 
Sitte Laffen. 


1) Bol. Tacitırs Gerntania, 22 





202 Hutten's Geſpräche, Erfies Bud. 


Sol. Wohl möglid). 

Phacthon. Doch das find auch bie einzigen — * 
Trunkenen, Die mir gefallen. Nun laß uns nach Anderen 
ausjchauen. Dort fehe id) Einige baden, Männer und Weiber 
untereinander, beide nadt: das fann doch nicht ohne Schaden 
für Zucht und Ehre abgeben. 

Sol. Doch ohne Schaden, | 

Phacthon. Aber fie füllen ſich je. 

Sol. Ohne Scheu. 

Phacthon. Und umarmen ſich zärtlich. 

Sol. D, fie jehlafen wohl aud) beieinander. 

Phasthon. So müfjen es Platonifer fein, die Weiberge- 
meinfchaft haben. }) | 

Sol. Mit Nichten, ſondern damit zeigen fie ihr Vertrauen. 
Denn bei der ftrengen Hut, in der man anderswo bie weib⸗ 
liche Schamhaftigkeit hält, ift fie doch nirgends reiner bewahrt 
als hier, wo man fie fich felbjt überläft und der Gefahr 
ausſetzt; Ehebruch iſt nirgends jeltener,, nirgends: wird Die 
Ehe ftrenger und heiliger gehalten. 

Phartheon. Sagſt du wirklich, daß fie außer. Küſſen und 
Umarmen nichts thun, ſelbſt wenn fie Nachts beiſammen 
ichlafen? 

Sol. Ja, das jage ich. 

Pharthon. Und erregt es feine Eiferfucht? oder fürchten 
die, welche andre Männer jo mit ihren Mädchen umgeben 
jeben, nichts für deren Ehre? 

Sol, Kein Gedanfe der Art fteigt in ihnen auf, denn fie 
trauen einander und gehen offen und ehrlich mit ‚einanber am, 
Betrug ift nicht in ihrer Art, und von Hinterlift wiſſen fie. nichts, 

Pharthon. O gewiß. fein jchlimmes Volk! Die Italiener 


1) Für bie beiden obern Stände feines Staates, bie Megierenben 
und bie Krieger, fegte Plato Güter- uud Weibergemeinſchaft feft, 





V. Die Anfbauenden. 203 


dagegen fieht man immer neiden und geizen, trachten und 
werben, trügen und Fallen ftellem, durch Hat und Mißgunſt 
fich untereinander verzehren, Dolche jchleifen und Gift mifchen, 
ſtets auf Lift finmen, ftets mit Falſchheit umgehen, Keinen 
dem Andern trauen, Keinen offen handeln; daher —— wohl 
auch, glaube ich, ihr bleiches Ausſehen. 

Sol. Bei dem Einen hat es die, bei dem — 
andre Urſache; vielleicht macht es auch das Klima. 

Pharthon. Die Deutſchen wenigſtens ſehe ich roth, weil 
fie fröhlich find und einander trauen, und alles deſſen ſich 
entſchlagen was am Herzen zehrt, das Gemüth beunruhigt 
und das Blut mindert; denn weder von Sorgen noch Kummer 
laffen fie fih abhärmen oder anfechten. Da ſehe ich aber, 
fie haben auch feinen öffentlihen Schaß; fie ahmen wohl die 
alte fpartanifche Sitte nach, daß fie, wenn ein Krieg zu 
führen ift, Mann für Mann ſteuern und von etwas zu den 
Koſten beiträgt. | | 

Sol. Auch das iſt Schön von * Sie leben fo frei, 
daf fie weber in der Ruhe au Gejchäfte denfen, noch im 
Frieden für den Krieg forgen, und im Gefühl ihrer nn 
fommt ihnen feine Gefahr in den Sinn. 

Phaethon. Berathen fie fich auch nicht border * * 
Krieg? 

Sol. Sie berathen ſich während des Kriegs, und in der 
Regel ſchlägt ihnen ihre Kühnheit und Verwegenheit zur 
Weisheit aus. Von Hinterhalt aber wiſſen fie nichts, lämpfen 
auch nicht jo, fondern im offener Schlacht. 

Phacthon. Biel Lob verdienen fie in der That; doch Damit 
mir nichts unbekannt bleibe, berichte mich kürzlich über ihre 
Regierungsform. 

Sol. Vor Allem iſt ihre Natur der Art, daß ſie ſich nicht 
befehlen laſſen wollen, und daher nicht leicht zu regieren find. 
Ihren Fürften aber, die du fiebft, dienen fie ebenſo frei als 





204 Hutten's Gefpräde, Erſtes Bud, 


treu, der Eine dem, der Andre jenem; alle insgemein jedoch 
erfennen als ihren Herrn jenen Alten dort an, den fie Kaifer 
nennen. Den halten fie, jo fang er ihnen zu Willen ift, in 
Ehren, aber Furcht haben fie feine vor ihm, find ihm auch 
nicht jebr gehorſam. Daher kommt es, daß fie jo oft unter 
fich zerfallen und fo wenig für das gemeine Beſte forgen. 

Phaethon. Aber jetzt berathen fie doch über das Gemein» 
wefen. 

Sol, Aber fie werden feinen Rath finden aus Uneinigkeit 
So verlieren fie oft mehrere Monate hintereinander bie Zeit 
mit vergeblichen Berathungen, während fte fich Gaſtmahle 
geben ımb unter Spiel und Scherz den Ernft vergeffen, 

Phacthon. Wie wenig geziemt das denen, die über Andre 
berrichen follen. 

Sol. Freilich ziemt es fich nicht, aber fie thum es doch 

Phacthon. So find fie zu regieren ungefchiett, zu Anderem 
vielleicht beffer; denn ihre Thaten überwinden im ber Regel 
der Andern Klugheit, da der Erfolg für fie fpridee 7 

Sol. Wie du ſagſt. Unter den Fürſten aber find bie 
einen bon Geburt evel, andere gewählt, vie Bifchöfe — 
lich und Prälaten. 

Phaethon. Gerade die ſcheinen mir am meiſten däter 
allen zu vermögen. 

Sol. So ift es auch; denn micht nur der Zahl nach haben 
fie das Uebergewicht in ihrem Stande, fondern auch an Reich⸗ 
thum und Macht find fie den andern überlegen; ift doch ficher 
mehr als die Hälfte von Deutfchland im Befig von er 
lichen. 

Phaethon. Wie haben das die Vorfahren Dei 

Sol. In übertriebener Brömmigfeit haben ſie vordem ihr 
Gut verfchwenderifcher als fie hätten thun follen an Die re 
vergabt. 

Pharthon. So dak min ihre Nachkommen barben? 








Sol. Und jehen müfjen, wie um ihr päterliches Erbe ihnen 
Herren gekauft — ren 7 227 

Phaethon. Und dazu find je in —* Meinung gr 
fommen? 

Sol. Ia wohl frommer! Gitef Aberglaube wars, ‚ber fe 
verführte. Doch unter den Fürften gibt es bejtändig Händel 
und innere Kriege, wodurch fie ſich großen Schaden thun. 

Phacthon. Schreitet denn da der Kaiſer nicht ein? 

Sol. Wie follte er gegen feinen eignen VBortheil? Schwäch— 
ten fich die Fürſten nicht untereinander, fo wären fie zu * 
gegen ihn. 

Phaethon. Wer kommt aber zunächſt nach den Furſten? 

Sol. Die ſogenannten Grafen; die haben weniger Macht 
als die Fürſten, aber mehr als ver gemeine Abel, Einer gegen 
den Andern gerechnet, 

Phacthom. Was ift aber diefer gemeine pet? 

Sol. Das ift der Nitterftand, auf dem die friegerifche 
Stärke ver Deutſchen vornehmlich beruht; dem. ihrer find viel 
und alle wohlgeübt, Ueberdieß haftet an ihmen noch etwas von 
Deutjchlands altem Ruhme: urbäterliche Biederleit und ächte 
angeftammte Sitte. Sie vor Allen bewahren die deutſche 
Art und haſſen das Frembe. 

Phaethon. Aber ich ſehe, daß ſie Vielen beſchwerlich fallen. 

Sol. Das thun ſie auch. 

Phaethon. Anvern das Ihre mit Gewalt und Unrecht 
nebmen, Manche auch mit Krieg überziehen, und barunter 
Fürſten und Herren, boch am meiften die Kaufleute, | 

Sol. Und darum haben fie viele Feinde, die fie ungeſchlacht 
jchelten und ihre rauhe Weiſe umerträglich. finden, 

Phackhen. Warum aljo vertreiben die, fie nicht? 

Sol. Weil ein Theil es nicht will, der andere beim bejten 
Willen e8 nicht kann. 

Phaethon. Welche wollen es nicht? 





206 Hutten’s Gefpräce. Erſtes Buch, 


Sol. Die Fürften. Denn vie brauchen fie zur ihrem Schuß, 
ja bie ganze Macht ver Fürjten beruht auf ihnen; daher auch, 
wenn eim Fürſt dem andern Feind ift, bedient er fich ihrer 
als Werkzeuge und Waffen feines Zorns, 

Phacthon. So hält jie einer zu des andern Verberben? 

Sol. Sa. | 

Phacthon. Und daher fonımt das Raubiwejen bei ben 
Deutſchen, die Umficherheit und die Anfälle auf den Straßen, 
das Verlegen der Wege und die unanfhörlichen Fehben? 

Sol. Zuerjt daher; dann aber auch noch aus einer andern 
Urjache, 

Phacthon. Aus welcher ? 

Sol. Dem Haß ber Ritter gegen die Kauflente umb bie 
jogenannten freien Städte. 

Phacthon. Wie jo gegen vie Kauflente? 

Sol. Weil fie jene fremden Waaren ins Land bringen: 
Specereien, Seide, Purpur und andre Dinge, Die zu nichts dienen 
als der Ueppigkeit Vorſchub zu thun; darum Tagen: die Ritter, 
fie verberben vie guten Sitten ihres Volks, führen ein and: 
länbijches Wefen ein und befördern bie Weichlichkeit, die dem 
Deutſchen von Natur verhaßt iſt. 

Phacthon. Ihr Haß feheint mir guten Grund zu haben; 
denn ich lann mir denfen, wenn Viele fich fo weichlich pflegen, 
werben Wenige übrig bleiben, bie einer jtreng pflichtmäßigen 
Handlungsweife fich befleißen, die gute alte einheimische Sitte 
wird abfommen unb eine neue frembländifche Berberbniß ein- 
reißen. Iſt doch ſchon jetst Deutfchland in Einem Stüde ſich 
unähnlich geworden. Manche Fleiven fich nämlich fo, bak 
man nicht zweifeln kann, e8 würde eine häßliche Berwanb- 
lung geben, wenn diefer Wechjel auch in die Sitten Überginge. 

Sol. Er iſt es ſchon. 

Phacthon. Denen aljo rauben bie Ritter aus piefem 
Grunde; warum aber verfolgen fie bie freien Gtäbte? Pit e& 





V Die Anſchauenden. 207 


etwa noch Rache dafür, daß die Adlichen einmal in den 
Städten gewohnt haben und von den en en 
worden find? 

Sol. Im Gegentheil, —*— — ge⸗ 
wohnt, ſondern immer, wie noch jetzt, zerſtreut auf dem 
Lande gelebt; daß aber dieſer Stand bem Baur Wefen 
feind ift, hat eine anbre Urſache. 

Phaethon. Die möcht’ ich von bir hören und den Une 
diefes Zwieſpalts kennen lernen. ze 

Sol. Das ſollſt du.) Bon — gab RER 
(and feine Städte, überhaupt feine beifammenftehenden Gebäube, 
ſondern Jeder hatte fein eignes von andern * Haus. 

Phacthon. Das weiß ich. 

Sol. Dazumal kamen auch feine Kaufleute zu ihnen, bie 
etwas aus der Fremde brachten; Alle bebienten fich veffen, 
was bei ihnen wuchs, und deſſen allein. Ihre Kleidung waren 
die elle ihres Wildes, ihre Nahrung die Früchte des heimi- 
ichen Bodens; von ausländischen Dingen wußte man nichts. 
Zu der Zeit wurde Niemand von Krämern betrogen, eine rauhe 
Redlichkeit Herrfchte, mach der hielt fich Sebermann, Geld hatte 
noch Keiner gefeben, fie befaßen weder Silber noch Gold. 

Phacthon. Das war Deutfchlands bejte Zeit. 

Sol. Altmählich machten fig) die Ausländer an die Rüften- 
ftriche und knüpften da Handelsverbindungen ar, dann weiter 
bin bei Andern, bis zuletzt unter ven Schlechteften und Trägſten 
das neue Wefen Beifall fand, ver große Haufen fich am das 
Wohlleben gewöhnte, und das Sittemwerberben bald weit und 
breit um ſich griff. Bei diefer Gelegenheit fand man geratben, 
erit zu Dörfern zuſammenzurücken, bald auch Städte zu bauen, 
fie mit Mauern und Wehren zu umgeben und durch Thürme 
und Gräben zu befeſtigen. Je träger und feiger num Einer 


1) Die folgende Schilderung nad Tacitus Germania, 16f, 





208 Hutten's Gefpräde. Erſtes Buch. 





war, deſto leichter trat er einem ſolchen Bereine beiz wer aber 
von edlem Gejchlecht oder von tapferem Muthe war, ber 
ſträubte fih aus Anhänglichkeit an das alte Herlommen 
und bie väterlide Sitte hartnäckig gegen die, Verderbniß, 
ſchämte fich eines jo jchmählichen Tanjches und nahm ſich 
vor, unverbrüchlich bei dem Brauche der Vorfahren zu 
beharren und von der eigenen Art nicht abzumeichen. Wer 
je dachte, ver jirebte vor Allem nach Friegerifchen Ruhm, 
verachtete das Geld, übte ſich durch Sagen, konnte nicht frille 
figen, baßte Die Ruhe und jchalt ven MUßiggang. Das gab 
dann Zerwürfniß: denn während die Einen lauter Newerimgen 
einführten, hielten bie Andern gegen ein fo verächtlichee Treiben 
am Alten Felt. ‚ 

Phaethon. Und in Folge diefer Aufregung lam es zu den 
Waffen, in denen fich noch jest beide Theile wider einanber 
tummeln ? 

Sol. Wie du jiebit. Denn es verbrießt jene Tapfern, daß 
Weichlichkeit bei ihnen auffommt und der Leppigfeit gefröhnt 
wird. Ueberdieß find ja in den Städten vie Kaufleute und 
vie Übrigen Yurusarbeiter jever Art; die haſſen fie. 

Phacthon. Sie follen fie fortjagen. 

Sol. Sie hätten fie längft fortgejagt, wenn ſie nicht von 
Mauern umjchlofien und durch Bauwerke gejchirmt wären. 
Da nun jene Müfiggänger ſolche Schutwehren haben, fo 
bleibt, fie zu bejchärigen, ver einzige Weg übrig, wenn Einer 
berausfommt, ibn zu überfallen und auszuplündern. | 

Pharthon. Mir jcheint es vecht gut, daß jene Weichlinge 
dieſe Furcht haben, damit fie nicht durch allzu große Sicherheit 
nod träger und ſchlechter werben. 

Sol. Sie aber jchreien, es jei wider das allgemeine Wohl, 
und legen es als einen argen Landſchaden aus, 

Phacthon. Ab, was für ein Schaven? als ob es nicht 
Deutfchlands Bortheil wäre, wenn an Einem Tag Alles, was 
































Ve Die Unfhauenben. ‚209 


ſe von auswärts einführen, und fie felber mit, 
preisgegeben würden; denn fie find, “ et 
* — großer uebli 
— rühmen ſich ihrer Berbienfte, um das 
d, jeinden die Ritter an und venfen darauf, fie aus- 
nu einmal ben ganzen Adel zu vertilgen. Und 
en haben die Fugger fich Neichthümer erworben, 
x als hinreichend wären, jogar Heere zu —— und 
Aufwand zu beſtreiten. 1.4 amd 
Bien Durch diefe Mittel und die Einigkeit: die fie 
t werben ſie wohl am Ende die Oberhand behalten? 
* Sie würden es, wenn es nicht ein ih bon deigen 
PR wäre, 
Ä Sind denn Alle, die in Städten: — * 
mb tr; ge? und finvet ich feine Mannbaftigkeit und That- 
‚bei, ihnen? 
* Sie findet ſich wohl auch, und ich J nicht, daß 
* ı Biedermann in den Städten gebe; aber, wie es in 
IE er Belt gebt, fo werden von der Mehrheit der Untüchtigen 
= wenigen Biebern und Tüchtigen unterdrüdt. ‚a 
| Phacihon. Bermag aber nicht das Geld, die mächtige 
ie fönigin, auch hier fo viel, daß es bie Tugend ihrer Gegner 
übe * vindet, da doch einmal Alles um des Geldes willen 


—* 


“ D 
0, 


j Bei Anbern vernöihte es das wohl; unter ben Den. 
ſch u aber iſt noch fo viel Rechtlichkeit, daß bei ihnen die Tu— 
gem m: Achtung und Ehre jteht als das Geld. Gegen 
ie haben fie nicht ohne Urfache Verdacht und balten 
” ünen 2 Sprühwort entgegen, daß jelten ein ſehr Reicher 
ea nm. 

—— In der That, * dieſen Edeln iſt noch ein Reſt 
alter Tugend; ihre Räubereien jedoch, wenn das auch ein 


mannhafter Frevel fein mag, kann ich nicht loben. Auch ge 
Strauß, Hutten's Geſpräche. 14 











210 Hutten’s Geſpräche. Erſtes Bud. 


fällt mir ihr allzu ftarrer Sinn und ihr centauriſch rauhes 
Weſen nicht. Aber rühmen wollte ich fie, wenn ſie einen 
Rath fänden und jene Zärtlinge und wollüftigen Verführer, 
bie Deutfchland in übeln Ruf bringen, zwängen, entweder ihrer 
Weichlichkeit zu entfagen und ein befjeres Leben anzufangen, 
oder Deutfchland ungeſäumt zu verlaffen, che Alles von ihrer 
Verderbniß angeftedt wird. In allewege aber gebührt es ihnen, 
das Fremde abzuhalten und auszufchließen, und die Werkzeuge 
ber Ueppigfeit hinwegzufchaffen; denn and mir mißfällt es, 
daß ich fehe, wie Etliche ſich fo gar weichlich haften und mit 
Hintanſetzung des einheimifchen Brauches ſchmählicherweiſe 
die ſchlimmſten ausländiſchen Sitten annehmen, als wollten 
ſie lieber mit fremden Laſtern wettelfern, als der Tugend 
ihrer Väter treu bleiben. Auch werden ſie auf dieſe Art nicht 
blos unkriegeriſch, ſondern ſogar weibiſch. Und ſiehe da, ich 
bemerke auch, wie fie ganz wider Yandesart ſchlau zu täuſchen 
und gefchict zu betrügen wiffen. Diefe find, wenn fie nicht als— 
bald ihre Sitten ändern, Deutjchlands unwerth, denn fie machen 
biefjem Namen Schande und verbunfeln feinen alten Ruhm 

Sol. Da fieh aber die Beiftlichen, wie noch viel unnützer 
die find. Denn fie tragen gar nichts zu dem gemeinen Bejten 
bei, ſondern gehen ganz müßig, dienen ber Völlerei, bem 
Schlaf und der Wolluft, ſchlemmen bei Gaftınählern, Halten 
ſich Buhlerinnen und Schmaroter, thun fich gütlich, find dem 
Vergnügen ergeben, durch Ueppigfeit verweichlicht und durch 
Lüſte verderben, thieriiche Menfchen, die beinahe ganz bie 
menfchliche Art vergejjen haben. Sie wollen nur Ueberfluß, 
Weichlichfeit und üppige Ruhe, genufßreiche Mufe und ein be- 
bagliches Leben. Altes joll bei ihnen ficher, angenehm und 
gefällig fein; was hart oder rauh ift, ertragen fie nicht, bie 
Arbeit fliehen fie und den Schwierigkeiten weichen fie aus; 
von Nüchternheit wollen fie nichts wiffen, Unruhe ift ihmen 
ein Gräuel, nicht einmal ein Geräufch fönnen fie leiven. Bhre 





V. Die Anfchauenden. 211 


einzige Sorge ift, Küche und Keller aufs reichlichite zu beftellen, 
um fih in allen Stüden recht pflegen zu können. Daher 
lafjen fie es fich wohl fein, dienen dem Bauch, ftopfen fich 
den Magen voll, überladen fich bei Mahlzeiten, erfchlaffen in 
Bädern, duften von Salben und liegen auf dem Xotterbette. 
Um ſie ber iſt Ueberfluß, Alles ift in Fülle vorhanden, das find 
jene fogar fprüchwörtlich gewordenen bifchöflichen Schmäufe. !) 
Was liegt ihnen daran, ob fie von folcher Unmäßigkeit dumm 
im Kopf, ftumpf an Geift und träg von Begriffen werben: 
ift doch der Bauch ihr Gott. 

Phaethon. Blank find fie und fein, wie ich ſehe, von 
wohlgepflegter Haut, jpiegelglatt, feift, faftig, zart und über- 
aus weich; dabei aber auch jchwach von Leib, und wenn ich 
mich nicht täufche, allerlei Krankheiten unterworfen, wie die, 
von denen der griechifche Dichter jagt: 


... pobagrifch, 
Mit didem Bauch und gefhmwollenem Bein, unmäßigem Fette.*) 


Ich glaube, die Unmäßigfeit macht fie krank. Fürwahr, dieſer 
Stand iſt ein Schandfled für die ganze Nation; warum duldet 
man fie aber noch? 

Sol. Aus frommer Ehrfurcht duldet man fie. 

Phaethon. Nichts könnte dem alten beutfchen Wefen mehr 
zuwider laufen als ihre Lebensweiſe, und fomit täufcht hier 
das Sprüchwort: ländlich fittlih. ‘Denn von deutſcher Landes⸗ 
art haben fie gar nichts an ſich, mögen fie auch am meiften 
Geld und Einfluß befigen. Mir fcheinen fie aber auch hab- 
füchtig und räuberifch zu fein. 

Sol. Wie feine andern. 

Phaethon. Jene aber, die fih in ber Kleidung unter- 
heiten, und bie e8 auch in Italien gibt, wo man fie Brüder ?) 


1) Horat. Carm. II, 14, 28. 
2) Ariftophanes’ Plutos, V. 559 f. 
3) Frati, die Mönche. 
14* 





212 Hutten’s Gefpräde. Erftes Bud. 


nennt, wie viel mehr jind doch deren hier als fonft irgendwo, 
wie gejchäftig laufen fie Hin und Her und machen fich aller 
Orten zuthätig- 

Sol. Auch fie find Schlemmer, Müfiggänger, Schwätzer, 
Poſſenreißer und nichtenugige Gefellen, 

Phacthon. Aber fie jcheinen Hier viel zu gelten. 

Sol. Freilich wohl; das kommt von dem Aberglauben, den 
fie dem Volk einreden und damit wie mit einem Zauber bie 
Semüther der Menfchen gefangen nehmen und betbören. 

Phaethon. Da ſehe ich Etliche ihnen etwas in die Ohren 
flüftern, wie auch andern Geiftlichen; was iſt denn bag? 

Sol. Das heißen fie die Beichte. Es gilt nämlich file 
Religionspflicht, daß diefe erfahren, was ein Fever geflindigt 
bat, und nicht allein mit der That, fondern auch in Gebanfen. 
So muß Jedermann fie zu Mitwiffern feiner Geheimniffe 
machen. 

Phacthon. Kann fich denn Jemand dazu verjtehen, ſolchen 
Menfchen feine Heimlichkeiten zu entveden? 

Sol. Alfe verſtehen fih dazu, aus frommer Gewohnheit 
und nach uralter chriftliher Ordnung. | 

Phacthon. Was aber jene fo in Erfahrung bringen, fagen 
fie das nicht weiter? 

Sol. Je nachbem einer verfchwiegen over ſchwahhaft ift, 
behält er bei fih, was er erfahren hat, oder Täht es aus- 
fommen. 

Phacthon. Gewiß ift es gefährlich, dieſen Menſchen Ge— 
heimniſſe anzuvertrauen und fie verborgene Dinge wiffen zu 
laſſen, beſonders da fie fich gern betrinken. Und wie? auch 
Weibern geben fie Gehör? Diefen Brand finde ich abſcheulich 
Denen fie aber die Köpfe ftreihen, was machen fie mit benen? 

Sol. Die machen fie unfchuldig, rein und frei von Sünden. 

Phacthon. Da fie vorhin ſchuldig waren und in Mifjer 
tbalen verjtridt? 





v. ‚Die Anfchauenden. 213 


Sol. Diejelbigen, und man nennt das abjolviren. 

Phacthen. Was jagt du? die follten Andere von ven 
Banden der Sünde losmachen können, die jelbft fo leben? 

Sol. Sp will es der Glaube, 

Phacthon. Das gefüllt mir nicht. Und darum meine ich, 
daß dieſer Nation eine allgemeine Befjerung der Sitten noth 
thue. Man darf bie vielen Müßiggänger nicht länger dulden, 
die Anderer Gut verpraffen, ohne felbjt irgend eine gute 
Frucht zu bringen. Dan muß mit Ernſt und Eifer die fremde 
Ueppigfeit austreiben und die ausländische Verweichlichung fo 
weit wie möglich verbannen, um das gemeine Deutjchland 
wieder zu feiner alten Stärke und Bieberfeit zurüdzuführen. 

Sol. Aber Trinfer find fie von jeher und ver Völlerei 
ergeben, und nie bat e8 bei den Deutjchen für eine Schande 
gegolten, fich zu beranfchen. 

Phasthon. In dem Einen Stüd jollen fie von ber alten 
Sitte laffen, im Uebrigen fie fefthalten. 

Sol, Die Deutjhen würden allzu groß werben, wenn fie 
fi dazu verftünden. Diefer Fehler ift ihnen angeboren, wie 
ben Italienern das Betrügen, ven Spaniern das Stehlen, 
den Franzoſen der Uebermuth, Andern anbre Gebrechen. 

Phacthon. Müffen fie denn eim Gebrechen haben, fo jei 
es noch lieber dieß als eins von jenen andern; doch benfe ich, 
die Zeit werbe es ihnen abıhun, wie fie anbre Krankheiten 
der Menjchen heilt, wozu ja bu ſelbſt auch Hoffnung machſt. 
Doch wir wollen wieder nach der Berjammlung und bort dem 
Legaten Leo's jehen. Er jchreit aus dem Zuge etwas herauf, 
Bater, und fieht ganz grimmig und von Zorn erhitzt aus. 
Und ich glaube gar, fein Zorn gilt ung, denn er blidt hier 
herauf. 

Sol, Mir ift er böfe Doch höre, was pas Männlein 
Ipricht. Er droht etwas und zieht dazu ganz ftolz die Aug- 
braunen in die Höhe. 








V. Die Anjhauenden 215 


Sol. Gehört hatte ich Davon, aber ich glaubte nicht, daß 
es ſich fo verhalte wie er fi rühmte; denn noch nie babe 
ich einen Sterblichen etwas bier oben verändern jehen, 

Cajetan. Du glaubjt auch vollends nicht, du schlechter 
Chriſt? Did muß ich ja, da du fo gottlos bift, unverzüglich 
in ven Bann thun und dem Satan übergeben. 

Sol. Du mollteft mich vom Himmel werfen und dem 
Satan übergeben, und alfo wirklich, wie man zu fagen pflegt, 
die Sonne aus der Welt nehmen ? | 

Cajetan. Ja das will ich, wenn bu nicht auf der Stelle 
einem von meinen Schreibern beichteft und beeſprechung von 
mir erbitteſt. 

Sol. Wenn ich aber gebeichtet habe, was wird dann mit 
mir geſchehen? 

Cajetan. Dann werde ich dir eine Buße auflegen, daß 
du ein paar Tage faſten ſollſt, oder eine ſchwere Arbeit thun, 
oder eine ermüdende Wallfahrt unternehmen, oder Almoſen 
ſpenden, oder auch Ruthenſtreiche leiven für deine Sünden, 

Sol. Eine harte Bedingung. Hernach aber, was wirſt 
du mie geben? 

Cajrtan. Dann werde ich dich unſchulbdig — und 
rein machen. 

Sol. So willſt du alſo wirklich „die Sonne ſelbſt echellen⸗? 

Cajetan. Wenn es mir beliebt, ja; auch das kraft der 
Vollmachten, mit denen der zehnte Leo mich ausgerüſtet bat. 

Sol. Poſſen! Kannſt bu auch nur einen ber Sterblichen 
dert unten für fo dumm halten, daß er bir ſolche Macht zus 
traute? gejchweige den Sonnengott, der Alles von obenber 
überfchaut? Lak dir Nießwurz eingeben, denn du jcheinft 
mir nicht bei Troft zu jein. 

Cajetan. Nicht bei Trojt? Du bift thatjächlich im Bann, 
da bu zu des Papftes Pegaten unehrerbietig gerebet haſt. 
Dadurch haft du fehwere und unfühnbare Vermaledeiung auf 





216 Hutten’s Geſpräche. Erſtes Bud. 


dich geladen, und ich werde dich nächitens öffentlich in feier- 
licher Berfammlung für einen Gebannten erklären, ba du mich 
jo in Zorn gebracht haft. - | 

Phacthon. Vater, auf jolhe Drohungen mochte ı man ja...-. 
dem was vermag wiber nöttliche Wejen ein ſolcher Erden— 
wurm? 

Sol. Berachten muß man ihn vielmehr, wenn er nicht 
eher noch Mitleid verdiente, als Einer, der aus — 
von Sinnen gekommen iſt. 

Phacthon. Was für einer Krankheit? 

Sol. Am Geiz ift er frank. Und weil er nun ficht, daß 
ihm in Deutjchland fein Geſchäft nicht gelingt und er bie 
Taſchen nicht füllen kann, ift er in Wuth verfallen und von 
Sinnen gekommen. Dod wart’, ich will den Gejellen ver» 
höhnen. Was jugft du, heiliger Vater? willft du mich unber- 
hört verdammen? was habe ich denn jo Arges verſchuldet? 

Cajttan. Was ich dir gefagt habe. Zur Verantwortung 
aber werben Viele nicht zugelaffen, die der Papſt und feine 
Yegaten berbammıen. 

Sol. Das wäre freilich Unrecht, wenn ihr es wicht wäret. 
Doch mir jet guädig, ich bitte dich, und laß mir Berzeihung 
wiberfahren. 

Cajetan. So iſt's recht; bitten mußteit du, um nicht ver⸗ 
dammt zu werben. Nun gebiete ich dir aber, daß du mich im 
Ehren halteft, wo ich auch jein mag. Und für jetzt ſollſt du 
in Deutichland jchön Wetter maden, und durch bie Kraft 
deiner Wärme die Kälte austreiben, bie mich noch mitten im 
Juli plagt. 

Sol. Das hätte ich jchon früher getan, allein ich meinte, 
du treibeit Vieles insgeheim, was die Leute in Deutſchland 
nicht ſehen jollten. Daher fürchtete ich, wenn ich durch allzu- 
helles Scheinen es ihren Augen offenbarte, möchte es üble 
Folgen fir dich haben, 





V Die Anfhamenden. 217 


Cajetan. Wie könnteſt du meine — Andern 
zeigen, da bu fie ſelbſt nicht fennft? u 

Sol. Ich fie nicht kennen? Weiß ic earth du 
jest Karl zu verhindern ſuchſt, daß er nicht nach feines Grof- 
vaters Willen zu deffen Nachfolger gewählt werde? und daß 
du noch andre Umtriebe machſt, für die dich die Deutfchen, 
erführen fie joldhe, wo * ur etwas, boch bitter - 
würden? 

Cajetan. Laß ſie mich haſſen, wenn ſie mich nur Hin) 
Du aber verrathe vergleichen micht, fonft fei gebannt. 

Phaethon. Was fir einen Tyrannen höre ich da. 

Cajetan. Auch gebiete ich div, daß du Pfeile zurichteft 
und Peſt erregeit?) und eim jähes Sterben über Deutſchland 
bringeft, damit geiftliche Pfründen erledigt werben und neue 
Benfionen aufgelegt werden können, daß Geld nach Rom fließe 
und auch für mich bier etwas abfalle. Denn es find jetzt 
lange Zeit bei den Barbaren nicht genug reiche an ge: 
itorben. Hörſt dir oder nicht? 3 u 

Sol, Bin ganz Ohr. 

Cajetan. Vor Allen aber ziele auf bie Biſchofe — 
Pallien gekauft werden, und bring die Vorſteher der Capitel 
und Klöſter um, damit des Papſtes neuen Ereaturen?) Ein— 
fünfte zumwachfen. Denn für fie muß jchlechterbings geforgt 
werden, daß fie zu ihrem nothwendigen Aufwanbe Geld haben. 

Sol, Aber wenn ich Peſt machen foll, werde ih Gewölk 
beranziehen müfjen und Nebel auf bie Erde ſenken und den 
Himmel in Finfternißg hüllen, und da filrchte ich, werde bir 
dann das Unwetter zuwider fein. 


1) Ein Vers des Tragikers Accins, ben Ealigula im Munde führte, 
S. Sueton, Cajus, 30, Indeß gebrauchte ihn wohl auch Hutten jelbft 
ben Finfterlingen gegenüber, S. meinen Ulrich von Hutten, I, 293. 

2) Wie Apollon zu Anfang der Mias, 

3) Zu denen der Sprechenbe felbft gehörte, ſ. oben S. 54. 





218 Hutten’3 Geſpräche. Erſtes Bud. 


Cajetan. Bor allen Dingen laß Peſt kommen, daß Pfründen 
(edig werden; bie Wolfen fpare jo viel als möglich; ift es 
aber nicht möglich, jo thue was du für zweckdienlich hältſt. 

Phacthon. D ver abicheuliche Schleicher! Jetzt erft fommt 
e8 an den Tag, was ihn drückt und was ihm wohlthut, was 
ihn froh und was ihn verdrießlich macht. Wenn es ihm mit 
dem Ablaß nach Wunſch ginge, ließe er fich gem Wolfen 
und Froſt gefallen und ertrüge das Unwetter leicht. Ich will 
ihn anreden, Höre mich, bu unfeliger Menſch; eim Hirt fell 
feine Schafe weiden, nicht würgen. 

Cajttan. Was fagft du, Schurfe? was ſchwatzeſt du, heil— 
loſer Fuhrmann, den ich mit meinem Fluch auf der Stelle 
zermalmen und zerknirfchen werde? Willſt du mir meine 
Anſchläge hier ſtören? 

Phacthon. Wenn ich kann, gewiß, denn warum willſt du 
denen gar noch das Leben nehmen, denen du ohnehin ihr 
Geld auf alle Arten abzujagen ſuchſt? 

Cajetan. Du Vermaledeiter, bu Uebelthäter, verlorener 
Menſch, Teufelskind, wie darfſt du mir Widerrede thun? 
Iſt es unrecht, daß der Hirt die Schafe ſcheert? 

Phaethon. Daß er ſie ſcheert, iſt nicht unrecht, denn das 
thun auch gute Hirten; aber die ſchinden und würgen fie nicht. 
Das fage deinem Leo, und wenn er nicht insfünftige befchei- 
venere Legaten nach Deutfchland fchide, fo werde er einmal 
erleben, daß die Schafe fich wider einen jo ungerechten und 
graufamen Hirten zufammenthun und etwas ausführen, bas 
ihm nicht lieb fein wird. Bon deiner Aufführung wiſſen fie 
bereit8 Lieder zu fingen, und mir fommt vor, fie werben Dich 
nicht länger bulden, und wenn bu ganze Wagen voll Bann— 
flüche wider fie über vie Alpen führft. 

Cajetan. Du rührft an Dinge, daran man nicht rühren 
joll, und darum bift du im Bann, mit biefer Strafe belege 
ich Dich um unvorfichtigen Redens willen. 








V. Die Anſchauenden. 219 


Phaethon. Ich hingegen gebe dich den Deutſchen, die du 
plünderſt, zum Verlachen preis, daß ſie dich mit Hohn von 
ſich jagen, vielleicht auch züchtigen, um an dir ein Beiſpiel 
für künftige Zeiten aufzuſtellen. Sei der Spott der Welt! 
Damit will ich dich geſtraft haben. 

Sol. Laß den Nichtswürdigen; es iſt Zeit, den Wagen 
abwärts zu lenken und dem Abendſtern Platz zu machen. Der 
da mag lügen, trügen, ſtehlen, rauben und plündern auf 
ſeine Gefahr. 

Phaethon. Ja, und zum Guckuck fahren! So treibe ich 
denn die Pferde an und führe uns von hinnen. 








Geſprüche von Ulrich von Hutten. 


— — — 


Zweites Buch. 


.. 





un 
“ 
— 
u 
nem 








er. 


Geſpräche von Ulrich von Hutten. 


— —— — — 


Zweites Bud, 








Einleitung. 


Mäprend des Jahres, das zwifchen ver Abfaſſung der frühern 
und dieſer neuen Dialoge Hutten’s inne Tiegt, hatte fich die 
Lage der Dinge und feine eigene fehr verändert. Bon einer 
Reife an den Hof des Erzherzogs Ferdinand, den er fir feine 
reformatorifchen Plane zu gewinnen gehofft hatte, war er ohne 
Erfolg, ja wahrfcheinlich ohne nur angehört worden zu fein, 
zurückgekommen. Gleichzeitig lief die Nachricht ein, baf der 
Papft feine Auslieferung verlange, ſelbſt vor geheimen Nach: 
ftellungen durch Gift und Dolch wurde er gewarnt; der vom 
Papſt Berfolgte durfte fih von dem Kurfürſten von Main; 
feinen Schuß mehr verfprechen, und ſah fich daher genöthigt, 
auf Sickingen's Burgen eine Zuflucht zu ſuchen. Enblich 
langte ber neue König Karl aus Spanien an, aber umgeben 
von Pfaffen und Römlingen, und bald Tieß er im feinen 
Burgumbifchen Erblanden Luther's Schriften verbrennen. Ed 
war aus Rom mit ver Bannbulle gegen Luther zurückgekommen, 
und es fam nun darauf an, ob Kaifer und Reich zur Aus: 
führumg verfelben dem Papſte den weltlichen Arm Leihen 
würden. Nah Worms war (auf den Januar 1521) ein 
Reichstag ansgefchrieben, dem alle Welt mit Spannung ent- 
gegenjah. 

Nie in feinem Leben entwidelte Hutten eine jo raſche, ja 
leidenſchaftliche ſchriftſtelleriſche Tätigkeit, als in diefem eriten 





224 Hutten's Gefpräcde. Zweites Bud. 


Herbſt und Winter jeines Aufenthalts auf ver Ebernburg. Erjt 
beffagte er fich bei dem Kaiſer, dem Kurfürſten von Sachjen 
und bei ben Deutjchen aller Stände in ausführlichen Send- 
Schreiben über bie ihm durch die päpftliche Verfolgung ohne Ur— 
theil und Recht widerfahrene Unbill; dann gloffirte er die Bann 
bulle gegen Luther, befang den Brand der Putherifchen Schriften, 
beforgte die Ueberſetzung feiner. lateinischen Dialoge ins Dentjche 
und fahte verfchievene Schriften, namentlich eine gereimte „Clag 
vnd vormanung gegen dem übermäſſigen vnchriſtlichen gewalt 
des Bapſts zu Rom“ in deutſcher Sprache ab. Und neben 
alledem nun arbeitete er noch in lateiniſcher Sprache, in Der 
er ſich doch am ftärfften wußte und am leichteften beivegie, 
eine Reihe neuer Gejpräche aus, bie er. ber frühern Samım- 
lung an die Seite jtellen wollte, 

Luther hatte bereits alle Hoffnung, den jungen Raifer für 
die Reformation zu gewinnen, aufgegeben; Franz von Sidingen, 
ber diefem als jein beftellter Nat) und Feldhauptmann nahe 
ſtand, traute fich noch zit, ihm gelegentlich die Augen öffnen 
zu können; Hutten wünfchte wohl, daß Franz Necht haben 
möchte, aber konnte fich immer weniger verbergen, daß Luther 
Recht habe. Diefen koſtete e8 um fo weniger, ber Hoffnung 
auf ven Kaifer zu entfagen, als ev vom ber. innern Kraft 
jeiner Sache, der ftilfen Wirkfamfeit des Geiftes Alles er 
wartete; Hutten jah, wenn die Hoffnung auf Karl fehlſchlug, 
nur noch den Cinen Weg offen, daß alle guten Deutichen, 
insbejonbere Ritter und Stübte, fi in Waffen gegen ben 
römifchen Drud erheben müßten. Dieſes Entweder — Ober, 
in welchem das Lebergewicht immer mehr ‚auf Das Tektere 
Glied herübertritt, ijt ver Stanbpunft dieſer jpätern Hutten⸗ 
ſchen Dialoge. Weit weg hat er nun bie Rüdfichten geworfen, 
bie ihn früher abbielten, offen mit Quther zufammenguftehen; 
unbejchabet feiner Selbſtſtändigkeit, die er ſich immer vor- 
behält, bekennt er ſich zu Luthers Sache, ben er in einem 





Eiunleltung. 225 
dieſer neuen Gefpräche felbft auftreten und im reinften Pichte 





eines Apoftels der Wahrheit erfcheinen läßt. In dem übri- 
—— Franz von Sickingen eine Hauptſtelle ein, als der 
Er Arm, auf den Hutten bei feinen Entwürfen vechnet, 
* ee als der Hemmſchuh, der den Voreilenden zuride 
‚immer aber als ber gebiegene Charakter, der ben über- 
enden jüngern Freund auf das fittliche und — 
Maß zurücführt. 
Seine „Neuen Dialoge“ (d. h. die vier zunächſt ER 
Be) widmete Hutten dem Pfalzgrafen Fohann von Simmern, 
einem Nachbar ver Ebernburg, dem Vater des nachmaligen 
—— Friedrich IH. von der Pfalz, der in der Folge 
vom Lutherthum zum  Calvinismas überging, während ver 
— Bater von der alten Kirche ſich nicht trennte, In einer Unter: 
zebung über die öffentlichen Angelegenheiten hatte der Pfalz-- 
[ graf den Wunfch geäußert, was Dutten fortan im feiner frei 
Ban Art fchreiben würde, mitgetbeilt zu erhalten. So 








j 





ſchidt er ihm num diefe neuen. Geipräche zu, im benen ber 
Pfalzgraf vielleicht Feile und Vollendung, aber gewiß nicht 
 Freimuth vermiffen werde, Er habe fie auf dieſer Warte, 
die ſich längſt der Freiheit geöffnet, eilig ausgearbeitet, über 
bas Thema, das ihm im diefer Zeit faft allen noch zur Be: 
handlung übrig fei, und mit dem Vorhaben, ven Wahnfinn 
ber Widerfacher auf jeve mögliche Art zu reizen. So weit 
fei er entfernt, fie zu fürchten, deren Unternehmungen, fie 
mögen beginnen, was ſie wollen,” unmöglich Dauer haben 
können. Daher ſpreche er auch denen Muth ein, die es er— 
ſchrect habe, wie fie kürzlich den neuen Kaiſer von fo vielen 
Earbinälen und päpftlihen Protonotarien umgeben nad) 
Deutfchland Haben kommen fehen. Darin liege fein Grund, 
für die gute Sache zu fürchten, fondern nur ben jungen 
Fürften zu bebauern, ber fich in feiner hohen Stellung von 
jenen Schenfalen mißleiten Laffe. 
Strauf, Hutten's Befpräche. 15 





226 Hutten's Geipräche. Zweites Bud, 


Obwol diefe Zufhrift vom 13. Januar 1521 batirt- ift, 
jo kann doch der Drud der Sammlung früheftens im März 
beendigt worden fein, da in einer Stelle bes britten Ge— 
jprächs, noch vor der Mitte des Büchleins, auf ein Ediet 
Bezug genommen ift, das Kaiſer Karl, wie Böding nach— 
weift (Hutten's Werfe, II, ©. 13 Anm.) im Februar der 
Reichsverſammlung vorgelegt hat. 

Das Buch konnte, da der Kurfürſt von Mainz unters 
beffen bon dem Papfte wegen der im feiner Reſidenz gebrud- 
ten Schriften Hutten’s zur Rede geftellt worben war, und 
jeinerfeit8 den Buchoruder in Anſpruch genommen Hatte, 
nicht mehr bei Schäffer in Mainz gedruckt werben, ift daher 
nerflich geringer als die frühern Dialoge ansgeftattet, auch 
wegen des Verfafjers Entfernung vom Drudort minder cor- 
rect. Weder biefer noch der Druder find angegeben; Böding 
vermuthet Anshelm in Tübingen. 

Eine‘ Verdeutſchung Hat der PVerfaffer bei dem rafchen 
Gange, den vom jegt am feine eigenen wie bie öffentlichen 
Angelegenheiten nahmen, vor feinen neuen Dialogen nicht 
mehr veranftaltet. Und erjt hier, ba er ihn verläßt, befommt 
ver neue Leberjeger ganz zu empfinden, welchen tichtigen 
Führer er bisher an dem alten hatte, 


1) Ueber bie neuen Geipräde vgl. meinen Ulrich von Hutten, THT. 11, 
Rap. III—VI, 





VI. 
Die Bulle oder der Bullentödter, 





Einleitung. 


Nachdem Hutten ſeine Gedanken über die päpſtliche Bann⸗ 
bulle gegen Luther in den Randgloſſen niedergelegt hatte, mit 
denen er fie im December 1520 herausgab, läßt er nun bie 
Bulle, wie früher das Fieber, als Berfon auftreten, und 
jtellt ihr die deutſche Freiheit, gleichfalls perfonificirt, gegen⸗ 
‚über. Die Bulle mißhandelt die deutſche Freiheit; dieſe ruft 
alle guten Deutjchen zu Hülfe; auf diefen Auf tritt Hutten, 
ber fich fchon auf der Umfchrift des ZTitelbildes ben Vorfech⸗ 
ter der deutfchen Freiheit genannt hatte, auf bie Bühne und 
macht fich über die Bulle her; eine lange Schelt- und Prü⸗ 
gelfcene entwidelt jich; die Bulle ruft die Mönche, die Weib- 
fein, die Eurtifanen zu ihrem Beiſtand, verheißt dem, ber 
ihren gewaltthätigen Gegner umbringen würde, volljtäudigen 
Ablaß felbit für die gräulichiten Sünden und reichen Lohn 
vom Bapfte; wirklich fieht man in Kurzem Curtiſanenſchaa⸗ 
ven zu Hülfe eilen; aber nun ruft auch Hutten feinerfeits 
alle freien mannhaften Deutfchen an; fie erjcheinen, Franz 
von Sidingen an der Spite, und bie Curtiſanen ergreifen 
die Flucht; auch Kaifer Karl und die beutfchen Yürften find 
unter ihnen, vor benen nun Hutten und Sidingen auf ber 
15 * 





228 Hutten’8 Geſpräche. Zweites Bud. 


einen, die Bulle auf der audern Seite pläbiren, und bon 
Karl eine kurze Antwort erhalten, vie aber Gutes hoffen läßt; 
worauf zuleßt die Bulle an ihrer eignen Bosheit und Auf- 
geblajenheit zerplagt und einen bie Luft verpeftenden Haufen 
von Gräueln und Laſtern als ihren Inhalt zu Tage legt. 

Da Hutten, wie gejagt, feine Gedanken über die Bulle 
fhon anderswo nievergelegt hatte, jo blieb ihm hier nur das 
Draſtiſche einer ergeglichen und doch bebeutfamen Quftipiel- 
fcene, für die er auch feinen ganzen Vorrath Plautinifcher 
Redensarten aufgeboten hat. 2) 


1) Bgl. meinen Ulrich von Hutten, Thl. II, Kap. VI, ©. 145—147. 





Die Bulle oder der Bullentödter. 


Es unterreben fich: die beutfche Freiheit, die Bulle, Hutten, Franz 
und mehrere Dentide. 





Freiheit. Aber fo laß doch einmal... 

Bulle Was fagft du, Betrunfene? 

Freiheit. Laß doch einmal von deiner Wuth, und böre 
auf, mich jo himmelfchreiend zu mißhandeln. 

Bulle Ich Höre nicht. Dal 

Freiheit. Auch mich zu fchlagen läſſeſt du nicht ab, Gott- 
loſe? 

Bulle. Ich fange erſt an. 

Freiheit. So möge Chriftus dich verdammen, Elenbe. 

Bulle. Du fluchft auch no, Verbammte? | 

Freiheit. Als hieße es nicht fegnen, wenn man ben BB 
ſen flucht. 

Bulle. Abermals ſchmähſt du mih? Da haft vu Schläge 
dafür. 

Ireiheit. Laß mich, fage ich bir, du ruchlofe, abfcheuliche, 
meineidige Here! Was fchlägft du mich? 

Bulle. Was fchreift vu, Freche? 

Freiheit. Du zwingft mich ja. 

Bulle. Sp will ich dich zu fchweigen zwingen. 

Freiheit. Verſuchs, doch wirft bu e8 nicht durchſetzen: fo 
lang’ ich lebe, werde ich auch gegen beine Mißhandlungen fohreien. 





230 Hutten's Geſpräche. Zweites Buch. 


Bulle. Dafür nimm Schläge. 

Freiheit. Welch großes Webel bringft vu muthwillig über 
dich, e8 müßte mich denn Alles täufchen. 

Bulle. Was plauderft pu, Thörin, alberne Schwäkerin? 
was für ein Uebel? 

Treiheit. Cine Rache, wie fie deiner Bosheit gebührt. 

Bulle. Schweig, fag’ ich. 

Freiheit. Ich fchweige nicht. Denn Heute muß ich reden. 

Bulle. Ich fage dir, fchweige. 

Freiheit. Und ich dir dagegen, daß ich heute reden muß, 
will ich nicht, wie Amyclä ehedem, durch Schweigen zu Grunde 
gehen. !) 

Bulle. Was meinft du denn aljo reden zu müfjen? 

Freiheit. Von dir, und laut fchreien, Daß bu zu meiner 
Unterdrüdung bereit und gerüftet hieher kommſt. 

Bulle. Und zu wem rebeft du das? 

Freiheit. Zu allen Deutfchen bier zu Lande. 

Bulle. Die meine unterthänigen Diener find, bei denen 
machſt du eine Klage gegen mich anbängig? 

Freiheit. Die deine Diener find? O abfcheuliche Nee! 
unerträglihe Schmach, die Deutfchen deine, beine Diener zu 
nennen! Höret, ihr Deutfchen, höret den ungeheuern Free, 
unwürdig eurer Ohren, aber würdig eurer rächenven Häntt: 
biefe da rühmt fich, ihr dienet ihr. Schlagt fie tobt! zer 
tretet fie! fehnürt ihr die fchmähfüchtige Kehle zu! 

Bulle Du bift daran, dir ein fehönes Unheil zuzuziehen. 

Freiheit. Dir ein noch viel ſchöneres. 


1) Zur Zeit der dorifchen Einwanderung in ben Peloponnes hattet 
bie Bewohner der Stadt Amyclä in Paconien, nachdem fie öfters hard 
falfhe Gerüchte von dem Anrüden ber Feinde allarmirt morben ware 
das Gefet gegeben, daß Niemand mehr von dem Feinde fprecen folk; 
woburd e8 den Doriern, als fle wirklich anrüdten, ein Leichtes wurd 
bie Stabt zu erobern. 





VI Die Bulle. 231 


Bulle. Was fagjt du, Schanpbalg? Du könnteſt mir je 
ein Unheil zufügen? 

Freiheit. Mas fagft du, Lafterbrunnen, Meineidsgquelle? 
ich dir nicht, für deine mehr als boshafte Bosheit? 

Bulle. Auch noch ungebärdig ftellit du dich gegen nich, 
du niedrigites aller Weſen? 

Freiheit. Wie follt’ ich nicht, bei beiner graufamen Bes 
gegnung? 

Bulle Die rufit bu hervor durch bein Gefchrei. Denn 
was geht e8 dich an, daß ich Luther zu fuchen hiehergefoms 
men bin? Was mengft du dich in einen fremden Handel? 

Freiheit. AS wäre noch ein Zweifel, was du bezweckt, 
wenn bu Luther zu verfolgen vorgibit; oder als wäre es nicht 
offenbar, daß bu in der Abficht gefommen bift, mir Feſſeln 
anzulegen und Deutſchland in eine fchmachvolle Knechtfchaft 
zu verjtriden. Das verbieteft bu mir befannt zu machen und 
durch Gefchrei zu Jedermanns Stenntniß zu bringen. 

Bulle. Es wird dir nüglich fein, anf ver Stelle zu 
ſchweigen. 

Freiheit. Weder recht noch nützlich. 

Bulle. Aber zu ſchreien wirſt vu augenblicklich aufhören, 
was es auch jei. 

Freiheit. Ich werde reden, trotz aller Gefahr. 

Bulle. Wenn ich mir die Zügel ſchießen Tafje und dem 
Drange meines Gemüths nicht mehr Einhalt thue, ſondern 
meinem Zorn gegen dic) Raum gebe, dann wirft tu endlich 
zu fpät Hug fein wollen. Doch wozu längere Geduld? Sagt' 
ich nicht, zu fchweigen werbe bir nüglich fein? Ta, Heillofe, 
da nimm! ” 

Freiheit. Falſchſchwörerin, Gefeßbrecherin, ter ich Ver— 
berben bereiten werde, fobald ich deiner Mißhandlung ent- 
fomme, laß tieß Schlagen, Vertammte, laß, es ift hohe 


Zeit. 





232 Hutten’s Geſpräche. Zweites Buch, 


Bulle, Laß auch du biefes Schreien, Schwägerin, (aß, 
es ift hohe Zeit. 

Freiheit. Hinausbombardiren will id dich bald aufs 
ichönfte und betrübt heimichiden ... 

Bulle. Da, da, haft vu! 

Freiheit. Wenn die freien Männer bier über dich kom: 
men, die ich herbeirufen werde. Was jchlägft bu mich, —* 
würdigſte aller Bullen? 

Bulle. Weil du ſchreiſt, Verwegene, ſiehſt du. 

Freiheit. Euern Beiſtand ruf ih an, ihr Deutſchen! 
fommt zu Hülfe, ihr Mitbürger! nehmt euch meiner an, 
Landsleute, Eimwohner, Umwohner, Fremde, Rachbarn all- 
zumal! 

Bulle. Da! 

Freiheit. Euern Beiftand, ihr Deutjchen! zu Hilfe, ihr 
Mitbürger! rettet die bedrängte Freiheit! Wagt es Keiner, 
mir beizufpringen? Hit fein wahrhaft Freier da? Kemer ver 
nach Tugend ftrebt? das Gute liebt? ben Trug haft? 
das Recht in Ehren hält? den Frevel verabjchent? Mei 
Einem Wort: ift fein ächter Deutfcher da? 

Yutten. Diefer Ruf, von wem er auch lommen mag, 
geht mich an. Sch will jchauen, was es draußen gibt. MWahr- 
baftig, um bie Freiheit handelt es fih, jo viel ih. höre Da 
muß ich eilig hinaus. Was gibt es hier? wer ift da? wer ruft? 

Freiheit, Die Freiheit wird unterbrüdt, Hutten. Ich 
jelbft bin es, ich rufe. Die bort ift es, Die mich unterbriidkt, 
bes zehnten Leo Bulle. Auf nichts Geringeres legt fie es 
an, ald mich in ihre Stride zu befommen und dann zu er— 
würgen. 

Hutten. Da ſeien die Götter vor, daß jo etwas geſchehe! 
Aber von was für einer Bulle ſprichſt du mir? welch ein 
Verderben fünbigft du an? 

Freiheit. Diefe Bulle, jage ich, diefe betrügerifche, gaul 





VL Die Bulle. 233 


leriſche Bulle, haben die gottlofen Römlinge biehergejanbt, 
die Giftmifcher, die Zauberer, daß fie euch alle zu Knechten 
machen, mich binden und umbringen fol. Das ift fie, darum 
handelt es ſich. 

Zutten. Ich ſtaune, wie ſich Jemand das unterſtehen 
mag. Du biſt ſehr keck, Bulle, daß du die Freiheit angreifſt, 
dem deutſchen Namen Verachtung bezeigſt und deiner Ver⸗ 
meſſenheit feine Schranken feßelt. 

Bulle. Meinſt du? 

Yutten. Ja, das meine ich. 

Bulle. Biſt vu denn aber Iemand, dem eine Yulle von 
ihrem Thun Nechenfchaft zu geben bat? 

Butten. Verachte mich nicht, ich ſag' es bir. Läſſeſt bu 
mir die Freiheit nicht los, fo follft du bald merfen, daß ich 
Jemand bin. Und nun laß e8 dir gefagt fein, feinen Nin- 
ger lege mehr an fie, wenn bu nicht erfahren willft, was ich 
für einer bin. 

Bulle. Ich verachte dich bis ich fehe, daß bu ein folcher 
bit, ver Bullen etwas zu befehlen hat. 

Butten. Laß mir die Freiheit los, fag’ ich, wenn wir 
gute Freunde bleiben jollen. 

Freiheit. So wagft du es, mir beizuftehen? 

Butten. Wenn ich fann, ja, fedlich. 

Treiheit. Was aber haben wir für Hülfe wider dieſe Gewalt? 

YZutten. Wenn uns je Hülfe Noth thut, fo wollen wir 
bie Gemeinde ber Freien, alle herzbaften Deutfchen zur 
Stelle bringen, jenen Franz vor Allen, der bir längft Tem- 
pel und Altar geweiht bat. 

Freiheit. Du richteft mich auf, da du ben Namen bes 
unüberwindlichen Helden nennjt. Wird er fich wirklich bei 
uns einjtellen? | 

Hutten. Warum nicht? Er wird fich einftellen, fobalb 
er gerufen wirb. 





234 | Hutten's Gefprähe. Zweites Buch. 


Freiheit. Da bin ich gerettet. 

Bulle. Von meinetwegen bift du's, wenn bu zu fohreien 
aufhörit. 

Freiheit. Aber ich werde nicht aufhören, wenn bu nicht 
vorher aufhörft, weiter vorzugehen. 

Bulle. Ich follte mich von bir abhalten laffen, dahin zu 
gehen, wo ich Gefchäfte habe? 

Freiheit. Ich werde Alles thun, dich abzuhalten, denn ich 
werde tüchtig fchreien. 

Bulle. Und ich will dich dagegen nicht untüchtig fchlagen, 
wenn du ein Wort wagft. 

Zutten. Die wollteft du fchlagen, dieweil ich lebe und 
zuſehe? 

Bulle. Wenn du zuſehen willſt. Macht es dir aber zu 
viel Schmerz, ſo geh' ein wenig bei Seite, bis ich ihr die 
wohlverdiente Tracht Prügel gegeben habe. Fährſt du noch 
fort mir Verdruß zu machen, Nichtswürdige? 

Hutten. Wohin, Ruchloſe? 

Bulle. Wohin es mir beliebt. 

Yutten. Willſt vu mir diefe ungefchoren laffen, wie id 
dir befohlen? Laß fie, ſag' ich, und rühre fie nicht an. 

Bulle Wer bift du, daß du Bullen befehlen willft? 

Butten. Der ich bin, ven du fiehft, und ben bu, wenn bu 
nicht abläffeft, auch noch fühlen folft. 

Bulle. Sage mir doch: ift e8 dein Ernjt, was du ba 
fagjt ? 

Hutten. Mein voller Ernft. 

Bulle. Und du allein wollteft ven bier umgebenden Bul⸗ 
len Hinverniffe in den Weg legen? 

Hutten. Ob noch Andere daſſelbe wollen, weiß ich nicht; 
jo viel an mir ift, werde ich forgen, daß du jener dort feine 
Gewalt anthuft. 

Bulle. Ein großes Unternehmen. 





VI Die Bulle. 235 


Freiheit. Siehft du, wie fie finfter blidt, wie fie ven 
Kopf ſchüttelt? Wahrhaftig, die zu Nom fehen tie Deutfchen 
nicht für Männer, fondern für Weiber an. 

Butten. Sie follen fie als mannhafte Männer kennen 
lernen. 

Vulle. Hüte dich, klüger als nöthig ſein zu wollen. 

JZutten. Klüger als dir gut iſt, dazu bin ich feſt ent- 
ſchloſſen. 

Bulle. Du weißt nicht, in welches Unglück du dich ver⸗ 
widelft, wenn du dich das unterjtehft. 

Butten. Es mag ausgehen, wie e8 will, gegen biefe ver- 
biete ich Dir auch nur einen Finger aufzuheben. Hörft vu? 

Bulle. Ich höre, daß du fehr gebieterich bift und fehr 
trotzig mit Worten. 

BYZutten. Auch mit ver That, wie du gleich fühlen foltft, 
wenn bu dich nicht mäßigft. 

Bulle Zu drohen wagft du mir, elender Menfch? 

Butten. Auch meine Drohung wahr zu machen image ich, 
niebriges Geſchöpf. 

Bulle. Du verachteft mich? 

Hutten. Mit Füßen tret’ ich dich, forberft du mich noch 
weiter heraus. Wo millft du bin, Heilloje? 

Bulle. Du wagſt, mir ſchlimme Dinge zu fagen? 

Zutten. Auch fchlimme Dinge zu thun. 

Bulle. Dich plagt ſchwarze Galle. 

Yutten. Did aber foll das fchwarze Pech plagen, auf 
der Stelle. Da Steh” den Augenblid, feinen Fuß breit 
weiter! 

Bulle Fährſt du fort, hier albernes Zeug zu ſchwatzen? 

Jutten. Fährſt du fort, Hier mein Gebot zu verachten? 
Wohin wälzeft vu dich, Schilpfröte? 

Bulle. Bald follft vu ftatt der Schilofröte einen Pegafus 
finden, in fo geflügelter Eile werbe ich mich auf Dich ftürzen. 





236 Hutten’8 Geſpräche. Zweites Bud. 


Hutten. Du macht dich wißig und breit. Doch hüte 
dich, wider mein Geheiß dich von ber Stelle zu rühren. 

Bulle. Wo fteht das gefchrieben, mein Herr Befehlshaber, 
baß du den Bullen Gefege geben darfit? 

Zutten. Nicht gefchrieben ift es und nicht gemalt; es ſoll 
aber bald gefchrieben und gemalt werben. 

Bulle. Ich Sehe fchon, der nichtenußige Dienfch wird mir 
heute zu ſchaffen machen. 

Hutten. Was fagft du, nichtswürbiges Ding? Wenn ich 
dich nicht Heute noch mit meinen Füßen zertrete, wie eine 
Spinne! — 

Bulle. Wenn ich dich nicht heute noch elend made! — 
Und jest, damit du fiehft, daß es Ernft ift: vom heutigen 
Tage an bift du in Anflageftand verfekt. 

Zutten. Und ich will deine Niederlage in Stand fegen. 

Bulle. Wandre nah Nom, Elender, binnen fechszig 
Tagen. !) 

Butten. Steh bier, Elende, ganze fechszig Tage. 

Bulle. Kraft ver heiligen Obebienz. ?) 

Zutten. Kraft diefer meiner Fäuſte, die du vor dir ſiehſt. 

Bulle. Wie? Hältft du mich fir Koth? Haft du benn 
Sinn und Vernunft, Menfch? 

Butten. Auch Fäufte Habe ich. 

Bulle Nun wahrlich, das ift ein artiger Menfch, ber 
einen jo empfängt. Höre bu. Mit ber Freiheit hier babe 
und will ich nicht8 zu fchaffen haben; ih muß anberswohin 
gehen, wo ich einen Befehl des zehnten Leo auszurichten habe. 

Hutten. Wohin das? 

Bulle. Was fragit du darnach? 


1) Wie Luther, nah Inhalt der Bulle, falle er binnen 60 Tagen 
nicht wiberriefe, als Keter verdammt fein und nad Rom ausgeliefert 
werden follte. 

2) Phrafe aus ber Bulle. 





VL Die Bulle, 237 


Butten. Heute jollft du mir von Allem was du thuft 
Rechenſchaft gehen. 

Freiheit. Sagt’ ich nicht, dein Vorhaben werde bich ge- 
reuen? Da Haft du's nun. Siehſt du, wie gut es für dich 
gewejen wäre, hätteſt bu meinem Rathe folgen wollen. 

Bulle Wer bift du, daß dir, wer bier Gejchäfte hat, 
Rechenichaft ablegen foll? 

Hutten. Vorher fage mir, wer bu bift, daß du gewagt 
haſt, die deutfche Freiheit zu verlegen? Dein Name? 

Bulle. Da lies auf meiner Stirn. 

Buttn. „Zum immerwährenden Gedächtniß.“ Du bift 
eine Bulle. Doch woher hajt du diefen Namen, der eine 
Blaſe bedeutet?!) Etwa weil du leer bift, und, wie durch 
Dlafen entjtanden, fo im Augenblid wieder verfchwinveft? 

Bulle. Du fchlägft mich allzu gering an. 

Hutten. Zu gering, ich? Reicht nicht etwa ber bloße 
Athem bin, Blafen, wenn dergleichen entftanden find, wieder 
zu vernichten? 

Bulle. Ich bin nicht von diefer Art. Denn ganz ‘Deutfch- 
fand ift nicht im Stande, nur mich allein zunichte zu machen. 

Hutten. Was zum Geler! meinft du, Deutfchland habe 
feinen Athem, fein Leben mehr? 

Bulle. Doch. 

Butten. Was prahljt du alfo? 

Bulle. Ich, dag du es weißt, behaupte meine Würde. 

Hutten. Das magjt du, fofern du nur unferer Freiheit 
hier nicht zu nahe trittſt. Indeſſen, was Tann denn eine 
Bulle für Würde haben? 

Bulle. Die fie jederzeit hatte, und darum hätteſt du mir 
bei meiner Hieberfunft mehr Ehrfurcht beweifen follen. 

Butten. Gar Ehrfurcht einer leeren Blaſe? 


1) Dieß bedeutet bulla in ber claſſiſchen Latinität. 





238 Hutten's Geſpräche. Zweites Bud, 


Bulle. Nun ja, leer hieherzukommen find wir angewiefen, 
um voll und fchwer nach Nom zurüdzufehren. 

Qutten, Barum das? 

Bulle. Darüber mag man feine Bermuthungen haben, aber 
nicht biöputiven, 

Hutten. Doch ich fehe immer nicht, warm man dir Ehr- 
furcht beweifen joll und wie? Verlangjt bu etwa gar, bafi 
wir bich in feierlichem Aufzug überall umberführen? 

Bulle. Gewiß, wie andere Bullen vor mir, 

Hutten. Nun wahrlich, bu bijt mächtig, da du, mas bır 
befiehlit, jhon wie vollzogen annimmt, jo leer und. Hohl du 
auch bift. 

Bulle. Ich bit aber nicht leer. 

Hutten. Das weiß ich nit; doch haft du ja fo eben ſelbſt 
gejagt, du feilt es. 

Bulle. Leer an Geld meinte ich und baarem Anhalt. 

Hutten. Haft du denn aber etwas Anderes, das Dich au- 
füllt, da du fo geſchwollen biſt? 

Bulle. Ya. 

Butten, Was? denn bu bift ſehr aufgeblajen. 

Bulle. Weil ic) voll bin von Frömmigkeit, Gewalt, Herr⸗ 
ihaft, Ehre und Göttlichkeit. 

Hutten. Ja, getrieben von Aberglauben und Habfucht, 
von Hohmuth und Anmaßung aufgeblafen, von eitlen Ehre 
trunken, aber leer von aller Gottesfurct und Rechtichaf- 
fenheit. 

Bulle, Einen jchmähfüchtigern Menfchen Hab’ ich nie ge 
hört, auch gibt e8 wohl feinen, ver fo fred im Schimpfen 
ift. Du thuſt e8 jenen alten Komödianten nach, bie fich das 
Geſicht mit Hefen befchmierten. *) 

Hutten. Vielmehr jage ih dir ohne Hefenanftrich, aufe 


1) Bol. Horaz, bon ber Dichtkunſt, B. 275 f. 





VI Die Bulle. 239 


richtig und ohne Schminke: Laß bu uns unfre Freiheit un- 
angefochten, Bulle, ob du num diefen Namen von einer Waffer: 
blafe oder von einer Hautblafe führft. 

Bulle. Du irrft, nicht, das ift der Urfprung meines Na⸗ 
mens, fondern weil wir Rath fchaffen, von dem griechifchen 
Wort das Rath bedeutet 1), haben uns die Alten Bullen 
genannt und in Ehren zu bulten geboten. 

Butten. Doch ich meine, du feift nicht ſowohl eine Bulle, 
woher biefer Name auch kommen mag, als ein Balg ober 
Ranzen.?) Denn ihr traget ja Geld von hier fort und brin⸗ 
get den Creaturen zu Rom Zehrung hinein. Zudem fcheinen 
mir ganz frifche Flammen der Habjucht aus bir heranszufchlagen. 
Und fiehe ba, bu bift ja von Leder: das ftimmt ganz gut. 

Bulle. Du haft wohl feine Augen, daß du mich, da ich 
doch von Pergament bin, für lebern hältf. Du mußt mich 
aber nicht Balg nennen, damit Niemand einen anftößigen 
Sinn vermuthe. ?) 

Hutten. O du bift auch jehr anftößig. Indeß bleibe im- 
merbin eine Bulle, oder auch Schrulle *), wenn du willit. 
Doch von welchem Water bift du gezeugt? “Denn für eine 
Tochter der Erbe, eine Schwefter der Rieſen halt’ ich dich; 
du haft fo etwas Titaniſches im Blick. 

Bulle. Dir täuſcheſt dich; die Kirche iſt meine Mutter, 
mein Vater Papſt Leo X. Deffen Tochter heiße ich alfo, 
oder feine Creatur, mit dem gebräuchlichern Namen. 


1) BovAn. 

2) Non bullam, sed bulgam = Ranzen, Felleifen. Auch dieſes 
Wortipiel geht uns im Deutfchen beinahe ganz verloren. Zum Glück 
verliert man an dergleichen nicht viel. 

3) Bulga aud = uterus. 

4) Bulla aut ampulla. Um ein Stüd bes Wortfpiel® zu retten, 
mußte ein Stüd bes Sinne preisgegeben werben. Ampulla heißt 
etmas Schwillftiges, Aufgeblafenes. 





240 Hutten's Gefpräde: Zweites Bud). 


Yutten. Und woher fommft du jetzt, des Zehnten Creatur? 
Bulle. Bon jener völkerbeherrſchenden Stadt. Je Fr 
Butten. Bon welcher? 

Freiheit. Ich will es dir jagen. Bon Rom kommt fe 
wo die Mauleſel theurer find als Pferde, wo die Männer 
feine Männer find, wo das Gute bös und das Böfe gut iſt, 
Wo man durch Uebelthum- fich wohl verdient machen fann. 
Wo die Menfchen Götter, Götter aber feine find. Bon wo 
jedes bochherzige Thun verbannt tft. Wo die Menfchen dem 
Gelde dienen und reich werden. Wo Recht und Umrecht ein 
Spiel ift. Wo der Vertrag unvertragen, das Unvertragene 
vertragen ift. Wo Treue und Glauben geächtet, bie Frönt- 
migkeit ertöbtet, die Unſchuld vergiftet, alle Reblichkeit aus- 
gerottet if. Das ift jene Völkerbeherrſcherin. 

Bulle. Verläumderiſche Freiheit, wie beshaft verkfeinerft 
du das Große! Doc fage nun auch du mir, mit — 
Namen und woher gebürtig bu daherkommſt? 

Hutten. Bullentödter iſt mein Name, 

Bulle. Des Namens Bedentung gefüllt mir nicht. 

Yutten. Und her lomme ich von jener Herberge ber 
Serechtigfeit, der Ebernburg, wo Pferde und Waffen im 
Werthe, Faulheit und Feigheit in Verachtung jtehen. Wo 
die Männer rechte Männer find. Wo Gut und Bös jebes 
an den gebührenden Ort geftellt, ein FJeder fir das genom« 
men wird, was er werth it. Wo Gottesfurdt und Men 
ſchenliebe herrſchen, wo die Tugenden in Ehren find, Habfucht . 
feine Stätte findet, Ehrgeiz verbannt, Treulofigfeit und Bot 
heit weit entfernt find, Wo die Männer nicht nur frei, fon 
dern auch hochherzig find. Wo bie Leute das Geld verachten 
und groß werden. Wo man: dem Recht nachgebt und bas 
Unrecht mit Abſcheu flieht. Wo man Berträge hält, Drene 
bewahrt, das Heilige verehrt, vie Unfchuld befchiemt, we 
Rechtſchaffenheit in Uebung, Bündniffe in Geltung find. 








VI Die Bulle. 241 


Das ift jene Herberge ver Gerechtigfeit. Du aber (denn 
jest fange ich an dich zu fennen) bift wohl vie, deren An⸗ 
kunft uns neulich fo fchredhaft angefündigt wurde? 

Bulle. Eben vie. Mein Gefchäft ift aber, die Lutheriſchen 
zu verbammen, nach benen ich rings herummandern werde. 

YZutten. Wie mandem Biedermann bereitet du Gefahr! 
Doch du wirft nichts ausrichten. Warum aber ohne Führer? 
Hatteſt vu Niemand, bir den Weg zu meilen? 

Bulle. Ed zeigte ihn mir; doch der ift jebt von der Straße 
etwas abgewichen, um einige junge Männer zu verfolgen, 
bie fich, ich weiß nicht was, gegen ihn erlaubt haben. !) 

Zutten. Ein dummer und ungebildeter Menfch, doch nicht 
ungeſchickt zur Führung dieſes Gefchäfts; denn er ift fchlecht 
und bitig und ftetS bei der Hand, wenn es irgentwo etmas 
Bdfes zu unternehmen gibt. 

Bulle. Was fagft du? Ein bochwürdiger Mann, ven 
wenigftend der Zehnte gewiß hoch erheben wird, wenn er 
das angefangene Werf hinausführt. 

Butten. Säh' ich ihn nur ſchon Hoch hangen! 

Bulle. Weßhalb? ven apoftolifchen Protonotar, ja ver 
ſchon Bifchof wäre, hätte feine Beſcheidenheit es zugelajfen. 

Butten. Um jenes Werfes willen, weil ihr euch unter- 
fteht, Biedermänuern Böſes anthun zu wollen. 

Bulle. Bierermännern ſagſt du? und dafür hältſt vu ven 
Luther? 


1) Im das Berderben, das er Yuthern zu bringen glaubte, fuchte 
Eck noch eine Anzabl anderer Männer, wie Wilibald Pirdheimer und 
Lazarus Spengler in Nürnberg, Bernhard Adelmann in Augsburg, 
Carlſtadt in Wittenberg u. A., dadurch zu verwideln, daß cr fie als 
Anhänger Luther’s der Bulle einverleibte. Es waren lauter folche, 
gegen bie er perſönlichen Groll hegte; wie 3. B. gegen Pircheimer 
(der freifich Tein junger Mann mehr war, wegen feines „‚gebobelten Eck“, 
ſ. m. U. v. Hutten, II, ©. 346 f. 

Strauß, butten's Geſpraͤche. 16 





243 Hutten's Geſpräche. Zweites Bud). 


Hutten. Ich, ja: iu a 

Bulle. Du biſt im einem gefährlichen Sertfitsun:: Wenn 
bu mir Gehör gibft, wirft bu nun durch feinen: Schapen 
flug, und ziehft von fremdem Wahnfinn ben Gewinn 
Hutten. Wie, Ruchlofe, jprich, it Wahrheit reden Wahn- 
ſinn? ws 

Bulle. Unter Umftänden, ja: wenn Einer redet, ohne 
daß man es ihn heißt, bei Solchen, die nicht hören wollen, 
in einer gehäffigen Sache, wie das bei jenem ſchou Tange 
ber Fall ift. Biſt du flug, fo fchweige von ihm ſtill. 

Hutten. Bon Luthern Eönnte ich allenfalls ſchweigen, 
nicht aber von ber Freiheit. Warum haft du bich unterftan- 
ben, fie zu verlegen mit frevelnder Hanb? warum? Das 
foll nun mein Handel mit bir fein. Was haft bu für ein 
Recht auf Deutfchlands Freiheit, dak du Hand an fie legen 
barfit? welches Recht? frage ich. 

Bulle. Nun das, das ein Jeder auf feinen Schaven hat. 

Yutten. So iſt unfere Freiheit beine Sclavin? wie, 
Elende? * 

Bulle. Das ift meine Meinung. 

Hutten. Mögen dich die Götter trafen, bu Unfinnige, 
Berrüdte! 

Bulle. Mögen die Götter dich ausrotten, Du rafenber 
Schwärmer, ber bu dich umterftanden haft, heiligen Bullen 
Uebles anzuwünfchen, wie Niemand vorber. 

Hutten. Warte, nun will ich dir auch Uebles anthun 

Bulle. Du wirft mich laſſen, wenn du wohl thun joilffe, 
Denn beharrft du dabei, mich aufzuhalten, jo will ich machen, 
daß du heute zu deinem Unglüd aufgetreten fein jollft, Darum 
laß mich von binnen geben. 

Yutten. Ich laſſe dich nicht, Denn wohin willft du? 

Bulle. Dahin, wo ih Beute und Triumph holen ſoll 





VI Die Bulle. 243 


Jutten. Erſt follft du mir unter dem och burchkriechen; 
fo tbeuer foll jener Triumph dich zu ftehen kommen. 

Bulle. Laß mich, fage ich, nicht unter das Joch, fondern 
nach Sachſen. Denn was Haft du mit mir zu fchaffen, 
Auchlofer ? 

Jutten. Was baft du mit Deutichland zu fchaffen, Treu⸗ 
lofe? 

Bulle. Was? Als wäre es etwas Neues, daß Bullen 
bier Geichäfte treiben. 

Yutten. Es ift etwas Altes, ich geftehe es. Aber noch 
viel älter ift es, daß feine hier waren. Und darum wollen 
wir dem ältern Brauch folgen. 

Bulle. Sollte denn aber der Papſt nicht das Recht haben, 
feine Ereaturen hieher zu ſenden, daß fie euch beherrichen? 

Zutten. Wie füme er dazu? 

Bulle. Du weißt es nicht? Du follft e8 von mir erfah- 
ren. Das römifche Reich haben euch die Päpfte verliehen. 
Um diefer Gutthat willen verlangen fie von euch, daß ihr 
euch bier ihre Bullen und Legaten gefallen laſſet und das 
ehrliche Gewerb der Eurtifanen. 

Zutten. Nun wahrlich, ſolche Fabeln hat man felbjt von 
den Epifureern im Altertfum nicht gehört. Jetzt glaube ich 
bir, daß du nicht leer biſt; denn du fcheinft mir mit Nar- 
renspoſſen voligeftopft. 

Bulle. Ich bin eine Art Füllhorn und enthalte, was ich will. 

Freiheit. Sie fagt die Wahrheit, fie ift ein Füllhorn 
alles Böſen. Darin find Ränke, Liften und Kniffe, Betrü- 
gereien und Täuſchungen, Verleumdung, Lüge, Balfchheit, 
Verſchlagenheit und Treulofigfeit, Frevel und böſe Anfchläge; 
damit ift fie angefüllt. 

Bulle. Ich will wich mit Uebeln anfüllen, warte nur. 

Butten. Noch immer drohſt du ber Freiheit, Gottlofe, 
Abfcheuliche? 

16* 





246 Hutten’s Gefpräche. Zweites Bud. 


dentfich in Gang und Haltung fie fich anftelit! man könnte es 
für Wahrheit nehmen. Auf mich blide, auf mid. Zufam- 
menhauen will ich dich, fchlimme Here! 

Bulle. Steht mir bei, fommt mir zu Hülfe, alfe from: 
men Deutfchen, nehmt euch der gewaltſam Bebrängten an! 
Hier ift ein Menſch, ver Bullen anfällt, mit Leo X. feinen 
Spott treibt. 

Butten. Da baft du inzwifchen Schläge. 

Bulle. Laß mich, ſag ih dir. Diefe Mühe brauchſt 
bu bir nicht mit mir zu geben, fie ift vom Uebel und Nie: 
mand dankt fie bir. 

Yutten. Ich will fie mir dennoch geben, und gleich fol: 
len aus der Einen Bulle viele werden. 

Bulle. Du willft Bullen machen, ſprich, du Fälfcher, 
was allein den Päpften zufteht? 

Zutten. Neue will ich Feine machen, dich aber will ic 
in viele Meine Stücke zerfchneiden. 

Bulle. So ein wildes Thier von einem Menfchen ift mir 
niemals vorgeflommen. 

Zutten. Und mir feine fo nieberträchtige Bulle, fo gar: 
ftig wie du, und auch von Anſehen fo widermwärtig. 

Bulle. Und doch gibt e8 Leute genug, die mich wie ein 
höheres Weſen verehren würden, wenn fie beinetiwegen beran- 
fommen fönnten. 

YZutten. Wahrlich das find feine freien Männer, die dich 
anbeten, ein fo prahlerifches, ſchamloſes, ſchmutziges Ding, 
voll Meineid und Frevel, das fi) dabei glänzend heraus: 
ftreicht und feine Siebenfachen fehen läßt. Da, nimm eine 
boppelte Ladung Streiche, und noch eine; fo muß man mit 
den römifchen Zauberwerlzeugen umgeben. 

Bulle. Wenn ich mich erholt habe, ſollſt vu fehen, wie 
ich dir beherzt ins Angeficht widerftehen will. Was Tchlägft 
du mid, Schwädling? wie fonnteft du mich wehrlos glauben? 





VI. Die Bulle, 245 


ſchlägige beißen, fo will ich dir alle Gliedmaßen zerbreichen. 
Da, verfuch meine Fäufte! 

Bulle. Hab’ feinen Hunger. 

Butten. Verſuch fie doc. 

Bulle. Schlägft pu mich gar? 

Butten. Da, fühle. 

Bulle. Er hat mir Streihe gegeben. Weh’ beinem 
Kopf! 

Hutten. Weh’ deinem Rücken! 

Bulle Du wirft ein böfes elendes Ende nehmen, wie du 
e8 verdient. 

Butten. Du fchon vorher, ehe du mich oder fonft Jemand 
elend machen fannft. Da nimm eine reihe Zracht Schläge, 
bu Gottlofe. 

Bulle. Hör’ auf, du Heiffofefter von Allen, die die Erde 
trägt. 

Hutten. Da nimm, nichtsnugige Bulle. 

Bulle. Für die Art von Gefchenfen bin ich nicht em- 
pfünglich. ' 

Hutten. Wirſt's ſchon werden; man gewöhnt fich. 

Bulle. Sprich, Unverfchämter, ſprich, wer hat mich bir 
in Zucht gegeben, daß ich mich von bir wider meinen Willen 
unterweifen laſſen joll? 

Hutten. Ich habe dich aus freien Stüden angenommen. 

Bulle. Thor, Dummkopf, der du dir fo etwas heraus: 
nimmft! Gleich laß mich von hier, wohin ich gefanpt bin. 

Butten. Und was willft du dort thun? 

Bulle. Was ich gejagt, wozu ich ausgefertigt, geſchmückt 
bin und Alles in Ordnung babe. Und eben jett ift es Zeit, 
die Leute find da, die Gelegenheit zur Hand, nie ließ fich 
die Sache bejjer machen. 

Butten. Ich will dir dieſe Hanphabe aus der Hand 
nehmen. Wo willit du hinaus? Mich fchau’ am Wie or 





>46 Hutten’s Geſpräche. Zweites Bud, 


ventlih in Gang und Haltung fie fich anftellt! man fünnte ee 
für Wahrheit nehmen. Auf mic blicke, auf mich, Zufom- 
menhauen will ich dich, ſchlimme Here! 

Bulle, Steht mir bei, kommt mir zu Hülfe, alfe from: 
men Deutjchen, nehmt euch der gewaltſam Bebrängten an! 
Hier ift ein Menſch, der Bullen anfällt, mit 2eo NL, feinen 
Spott treibt. 

Bulten. Da haft du inzwiſchen Schläge. 

Bulle. Laß mich, fag ich bir. Diefe Mühe Braudii 
du dir nicht mit mir zu geben, fie ift vom Uebel und Nie 
mand dankt fie bir, 

Hutten. Ich will fie mir dennoch gebew, und gleich fol: 
fen aus der Einen Bulle wiele werden. 

Bulle. Du willft Bullen machen, ſprich, du Wälfeber, 
was allein den Päpſten zufteht? 

Hutten. Neue will ich feine machen, dich aber wit ih 
in viele Feine Stüde zerfchneiben. 

Bulle. So ein wildes Thier von einem Menfchen ift mir 
niemals vorgeflommen. 

Hutten. Und mir feine jo nieberträchtige Bulle, fo gar- 
fig wie du, und auch von Anjehen fo widerwärtig. 

Bulle. Und doch gibt es Vente genug, die mich wie ein 
höheres Weſen verehren würden, wenn fie beinetwegen heran 
fommen Fönnten. 

Hutten. Wahrli das find feine freien Männer, die did 
anbeten, ein jo prahleriſches, ſchamloſes, jhmugiges Ding, 
voll Meineid und Frevel, das fich dabei glänzend heraus: 
ftreicht umd feine Siebenfachen ſehen läßt. Da, nimm eine 
boppelte Yabung Streiche, und noch eine; jo muß ntan mit 
ben römiſchen Zauberwerfzeugen umgeben. 

Bulle. Wenn ich mich erholt habe, follft du feben, wie 
ich dir beherzt ins Angeficht widerſtehen will, Was ſchlaͤgſt 
du mich, Schwächling? wie konnteſt du mich wehrlos giaube 





VI. Die Bulle. 247 


Du haſt dich getäufcht, vu ſollſt eine mannbafte Bulle an 
mir finden. Was fchlägft vu mich, be? 

HZutten. Das iſt's was ich gewollt habe, daß bu wider 
den Stachel löcken follteft, damit ich dich nicht ganz ohne 
Gegenwehr umbringen muß. So, thu’ ein wenig wild, ich 
will dich bald wieder zahm machen; da, du mannhafte Yulle, 
ba Leo's Tochter, auch den noch, du Greatur des Papftes, 
fo kämpft man bier. 

Bulle. Web’ mir! o Frömmigkeit und Andacht! wo ijt 
nım Ed? wo ijt der Biedermann bingelaufen? Gr bat die⸗ 
fe& Unheil vorausgefehen, darum hat er fich aus dem Staub 
gemacht. So hajt du mich verrathen, heuchlerifcher Theologe, 
fo nieberträchtig dich aus der Schlinge gezogen? 

Zutten. So fchnell zu verzagen und fo arg zu fehreien 
jteht einer ftreitbaren Bulle nicht wohl an. Halt! wader aus 
und gib heim. 

Bulle. Nicht zu dieſer Art von Kampf bin ich berge- 
fommen. 

Butten. Ich weiß, du bijt gewohnt mit Tüden, Finten 
und Ränken zu ftreiten. Aber wir fümpfen anbers bier. 

Bulle. Darum babe ich feine Luſt, mit dir zu kämpfen. 

Zutten. Aber ich habe Luft, dich Arge, mit arger Bos⸗ 
heit Gefüllte, auszutilgen mit Stumpf und Stiel. 

Bulle. Gegen dich babe ich doch feine Schuld, fei ich 
fonft auch wie ich will. 

Zutten. Gegen mich feine Schuld, Ruchlofe, da bu vor» 
haft meine Freunde zu verderben und vie gemeine Freiheit 
zu vernichten? 

Bulle. Ich Habe es nicht vor; es war mur ein Scherz, 
was ich ſagte. 

Jutten. Aber dieſe bier iſt verletzt und von deinen Hän⸗ 
den gewaltſam mißhandelt. 

Freiheit. So iſt's, ich kann die blauen Flecke zeigen. 





248 Hutten’s Gefpräche. Zweites Bud. 


Yutten, Nun mußt du bin fein, auf der Stelle. 

Bulle. Halt’ nur einen Augenblid: inne und Hör! mich au. 
Du wirft div durch eine ſolche That große Feindichaften zu- 
ziehen. Tr 

Hutten. Bon was für Yeuten? 

Bulle Bor Allem von der ganzen römifchen Curie, ſo 
viele dazu gehören. 

Button. Deren Freund kann fein Nechtichaffener fein 
wollen; alfo joll mir ihre Feindſchaft lieb fein. 

Bulle. Dann von fünmtlichen Eurtifanen in aller Welt. 

Yutten. Auch von denen ift mir's nicht unlieb. Aber 
haft du mir fonft noch etwas zu fagen? 

Bulle, Nichts als daß du mich laſſen ſollſt. 

Hutten. Unverſchämte, in einer dringenden Sache mir fo 
unnügen Aufenthalt zu machen! Da haft vu Schläge dafür. 

Bulle. Wo bleiben nur meine Helfer jo lange? Wo find 
Andacht und Gottesfurdt Hin? Immer weniger eifrig ver— 
ehrt man bier die Bullen, wie ich ſehe. Wo tft ver Ber: 
räther Ed, ber mich in dieſes Unglück hineingeführt und dann 
verlafien hat? Kommt mie zu Hülfe, ihr Ehriften! 

Yutten. Ste fommen nicht. Denn ſie wiffen, wie übel 
du dich um Ehriftus, um Glauben und Religion verbient ge 
macht haſt. 

Bulle. Steht mir bei, ihr Prommen, hört mich, ihr 
Deutfchen, jo gewiß euch Ehriftus hören möge! 

Yutten. Sie thun's nicht. Sie wollen lieber Frei ſein 

Bulle. Selig, die mir beifen! | 

Hutten. Hangen follen fie. Da haft bu dem Rüden voll, 

Bulle, Bringet mir Beistand, ihr Deutichen, — 
len ſtets ehrwürdig geweſen ſind. 

Hutten. Aber jetzt ſind ſie ihnen zuwider und Bitte ver⸗ 
haßt. 

Bulle. Das wundert mid. Denn bie ich uns jest jo 





VI. Die Bulle, 249 


abgeneigt fehe, deren Augäpfel waren wir vor Kurzem noch, 
ſo verehrten jie uns; ja Manche meinten, ohne uns zu leben, 
heiße gar nicht leben, und fauften uns daher um ſchweres 
Geld. 

Butten. Jetzt ift das andere. Denn deren Augäpfel ihr 
einmal waret, vie hatten damals feine eigenen, darum be- 
nußten fie euch als geliehene Augen; jest, da fie ein Heil 
mittel gefunden, brauchen fie feine fremden Augen mehr, ſon⸗ 
dern haben ihre eigenen wieberbergejtellt und bevienen fich 
ihrer. 

Bulle. Hole der Henfer das Heilmittel, das uns bie 
gaftlihe Aufnahme wehrt und den Beiſtand entzieht. 

Butten. Hole der Henfer dich, Scheujal von einer Bulle, 
die du von denen, denen du Schaden thun willft, gaftliche 
Aufnahme verlangft, und bier in meiner Gegenwart recht⸗ 
Ihaffene Männer zu ſchmähen wagft. 

Bulle Damit du alfo feheft, daß ich etwas bin, fage 
mir, wer bift du, ber mich hindern will zu fprechen, was 
ih mag? 

Hutten. Der bin ich, ber dich prügelt, hörft du? 

Bulle. Geh’ zu Grund, Elenver, breis und vierfach, ber 
du eine Bulle antafteft auf des Teufels Eingebung; fei ge 
bannt aber» und abermal. 

Hutten. Du aber fei eine Bulle und nimm bier Schläge, 
aber= und abermal. 

Bulle. Satanskind! 

Yutten. Des großen Gauflers leerer Wind, da nimm. 

Bulle. Gegen trodene Worte taufche ich heute faftige 
Prügel ein, fo viel ich ſehe. 

Hutten. Warum willft du die auch lieber als ruhig jein? 
Würft du zu Rom geblieben, bätteft bu bir die Roth erfpart. 

Bulle. Ruhig fein werde ich fobald der Zehnte es mir 
befiehlt. 





250 Hutten's Geſpräche. Zweites Bud. 


Hutten. Was er befehle, kümmert mich nicht; ich aber 
verbiete dir, dich auch nur einen Finger breit vom hier zu 
rühren, das fage und rathe ich Dir, wenn du nicht millit, 
daß ich Dich durch eine Tracht Schläge wider deinen Willen 
zur Ruhe bringe. Doch auch jo mag ich mich gern zum 
Spaß mit dir ſchlagen. | | 

Bulle. Aber ih mag es nicht. Suche dir Jemand Ande 
res, mit dem bu fpafeft, ich bin nicht zu deiner Kur 
weil da. Aber ſprich, verachteit du des zehnten Yeo Madt: 
gebot? 

Yutten. Nicht das des zehnten allein, ſondern von zeben 
Venen fogar, wenn fie Ungerechtes gebieten. 

Bulle. Hebe dich von mir, anf ver Stelle, auf ver Stelle, 
börft bu? 

Hutten. Erft will ich dir noch Strafe nd Schaben an 
thun, für deine Poffen, dein Rauben, Schäpdigen und Fort 
ichleppen unſers Gute. 

Bulle. Wo feid ihr doch, fromme Deutiche, ambächtige 
Bürger? wo ibr Schaaren der Ordensbrüder, bes römischen 
Biſchofs allezeit getrene Leibwache? wo ihr gottesfürdhtige 
Meiblein, unfre Gemeinde, ber Geiftlichfeit ergebenes Gr 
ichlecht? wo ihr Eurtifanen, der Bullen Bewunderer? wos 
ſeid ihr, die ihr Hände voll Geld den Bullen’ und Bullen: 
verfäufern hinzumerfen pflegtet? vertheibigt mich jebt wenig: 
ſtens gegen dieſen Wiütherich bier. 

Yutten. Ich fagte dir ja, fie haben jegt jelbjt Augen, und 
brauchen fie nicht mehr auswärts zu juchen, viel weniger zu 
faufen. Auch hören fie nicht auf bein Schreien, Denn ihnen 
ift ein helles Verſtändniß aufgegangen, fie haben ftatt Des 
Aberglaubens, den ihr ihnen eingeflößt, wahre Frömmigkeit 
angezogen, and find aus Gößendienern Gottesverehrer geivor 
bet, Doc nicht einmal fchreien jollft du; auch Das berbiete 
ich bir. 





VI. Die Bulle. 251 


Bulle. Und willſt nicht leiden, daß ich meinem Schmerz 
Worte gebe? 

Zutten. Rein. 

Bulle. Welche Unbilligfeit! 

BZutten. Vielmehr eine große Billigkeit. Denn in ber 
Nähe liegen etliche kranke Alte, die wedit du mir auf mit 
deinem Gejchrei. Das darf man doch deinen römifchen Mit- 
creaturen nicht anthun; denn die wollen fanft fchlummern, 
von Geräufch unbehelligt ruhen, die wadern Männer, vie 
in Zierlichfeit, Weichlichkeit und Ergeglichkeit ihre Tage hin- 
bringen, jene Angeln der Welt, in denen Alles fich drebt. *) 

Bulle. Wenn fie in Erfahrung brächten, daß du gewagt, 
Hand an mich zu legen! 

Zutten. Dann würden fie wohl etwas Großes thun? 

Bulle. Wie du e8 vervienteft. 

Hutten. Könnten fie das nur! ‘Denn ich verdiene Gro- 
Bes dafür, daß ich Dich, du Here, nach Verdienſt behandle. 

Bulle. So antworte mir denn: läffeft du mich zurückkeh⸗ 
ven, woher ich gefommen bin? 

Butten. Nein, nicht ohne dich vorher mißhandelt zu 
haben. 

Bulle. So willft bu noch mehr zu den Streichen hinzu- 
fügen, von benen ich beinahe des Todes bin? 

Yutten. Andre werden's thun. 

Bulle. Welche Andre? ſprich doch. Gibt es denn bier 
noch Andre, die fich fo etwas unterjtehen? 

Zutten. Ah, Andre! Wie oft foll ich dir noch fagen, 
daß ihr nicht mehr unſre Augen ſeid? 

Bulle. Und deßwegen follen wir Schläge haben, weil 
man uns nicht mehr braucht? 

Hutten. Vielmehr weil man euch mißbraudht. Darum 


— — —- 


1) Er meint die Cardinäle: Cardinalis von cardo, Thurangel. 





252 Hutten’s Geſpräche. Zweites Bud. 


iſt auch unſer Beſchluß, niederzuftoßen jo viele eurer fünftig 
über die Berge fonmen werden mit der Verheißung uns Licht 
zu bringen, da ihr doch eitel Kinfterniß um uns verbreitet, 
und Leben zu geben, da ihr des fchlimmften Todes Urfache 
ſeid. Doch es iſt fange, daß du feine Schläge mehr belom— 
men baft, va nimm! 

Bulle. Ach! ach! wehe! 
Hutter. So iſt's am beiten, wenn du jchreift und ich 
ichlage. | 

Bulle. Went das an Yeo gelangen wird! 

Yutten. Du wenigjtens wirft es ihm nicht hinterbringen, 
denn du ſollſt hier an meinen Schlägen, ſterben, 

Bulle. Kommt mir zu Hilfe, ihr Ehriften! 

Yutten. Sie hören nicht. | 

Bulle. Aber jonjt hörten fie doc. Was mach’ ich Um 
glückliche num? 

Butten. Was du verdienit, du befommft Streiche 

Bulle, Wirſt du deinem Schlagen fein Ziel jetsem, du 
preifacher Kirchendieb? 

Hutten. Und du deinem Fluchen, dreifahe Giftmifcherin? 

Bulle. Aber Fluchen ift ja der Bullen Sache, mb non 
ieher gewejen. 

Hutten. Und die unjre ift Schlagen, und wird es immer 
ſein. 

Bulle. Es iſt nicht ſo gaſtlich, dieſes Deutſchland, wie 
ich es mir dachte. Dur nimmſt mich heute übel auf. 

Hutten. Wie du's verdienjt. Und was mwilrbeft du mit 
mir machen, wenn du mich zu Mom hätteſt? 

Bulle. Zu etwas Großem würde ich bich machen 

Hutten. Ja, ich weiß was du hier faufen willft und welche 
Leute du käuflich finden möchteit. | 

Bulle. Daran denke ich bei bir nicht, jonvern zum Bi- 
ſchof will ich Dich machen, wenn du mich gehen  Läffeft, 





VI Die Bulle. 251 


Bulle. Und willft nicht leiden, daß ich meinem Schmer; 
Worte gebe? 

Zutten. Nein. 

Bulle. Welche Unbilligfeit! 

YZutten. Vielmehr eine große Billigfeit. Denn in ber 
Nähe Liegen etliche kranke Alte, die wedit du mir auf mit 

deinem Geſchrei. Das darf man doch deinen römischen Mit- 

creaturen nicht anthun; denn die wollen fanft fchlummern, 
von Geräuſch unbebelligt ruhen, die wadern Männer, vie 
in Zierlichkeit, Weichlichfeit und Ergeglichfeit ihre Tage bins 
bringen, jene Angeln der Welt, in denen Alles fich dreht. *) 

Bulle. Wenn fie in Erfahrung braten, daß du gewagt, 
Hand an mich zu legen! 

Butten. Dann würten fie wohl etwas Großes thun? 

Bulle. Wie du es verpienteft. 

Zutten. Könnten fie das nur! Denn ich verdiene Gro- 
Bes dafür, daß ich Dich, du Hexe, nad) Verdienſt behandle. 

Bulle. So antworte mir denn: läffeft du mich zurüdfeh- 
ren, woher ich gefommen bin? 

Yutin. Nein, nicht ohne Dich vorher mißhandelt zu 
baben. 

Bulle. So mwillft du noch mehr zu den Streichen hinzu— 
fügen, von denen ich beinahe des Todes bin? 

Zuttn. Andre werden's thun. 

Bulle. Welche Andre? ſprich doch. Gibt es denn bier 
noch Andre, pie fich jo etwas unterjtehen ? 

Zutten. Ab, Andre! Wie oft foll ich dir noch fagen, 
daß ihr nicht mehr unjre Augen ſeid? 

Bulle. Und deßwegen follen wir Schläge haben, weil 
man une nicht mehr braucht? 

Zutten. Vielmehr weil man euch mißbraucht. Darum 


1) Er meint die Carbindfe: Cardinalis von cardo, Thitrangel. 











252 Hutten's Geiprähe. Zweites Bud). 


ift auch unfer Beſchluß, nieberzuftoßen jo viele eurer fün 
über die Berge fommen werben mit der Verheißung uns ! 
zu bringen, da ihr doch eitel Finfterniß um uns verbre 
und Leben zu geben, ba ihr des fchlimmften Todes Urf 
fein. Doch es ijt lange, daß du feine Schläge mehr bei 
men bajt, da nimm! 

Bulle. Ach! ach! wehe! 

Hutten. Co ift’8 am beiten, wenn du jchreift und 
ichluge. 

Bulle. Wenn das an Leo gelangen wird! 

Butten. Du wenigftens wirft es ihm nicht binterbrin; 
denn bu ſollſt bier an meinen Schlägen. jterben. 

Bulle. Kommt mir zu Hilfe, ihr Chriften! 

Hutten. Sie hören nicht. 

Bulle. Aber fonft hörten fie doch. Was mach’ ich 1 
glüdlihe nun? 

Hutten. Was bu verbienjt, vu befommft Streice. 

Bulle. Wirſt du deinem Schlagen fein Ziel jegen, 
dreifucher Kirchendieb? 

Yutten. Und du deinem Fluchen, dreifache Giftmiſcher 

Bulle. Aber Fluchen iſt ja ver Bullen Sade, md ! 
ieher gewefen. 

Yutten. Und die unfre iſt Schlagen, und wird es im 
fein. 

Bulle Es ift nicht jo gaftlih, dieſes Deutſchland, 
ih es mir dachte. Du nimmſt mich heute übel auf. 

Yutten. Wie du's verbienft. Und was würdeſt bu 
mir machen, wenn du mich zu Rom hättet? 

Bulle Zu etwas Großem würde ich dich machen. 

Hutten. Ia, ich weiß was du bier faufen willſt und we 
Yeute bu fäuflich finden möchteit. 

Bulle. Daran venfe ich bei bir nicht, fondern zum : 
hof will ich dich machen, wenn bu mich gehen läſſeſt. 





VI Die Bulle. 255 


Frevelthaten fich denten läßt, böret mich, höret, ihr Deut- 
ſcheu, auch wenn Einer gegen meine Schweiter, die Grün- 
bonnerftagsbulle), etwas begangen bat, das dem apoftolifchen 
Stuhle vorbehalten ift und durch öffentliche Buße gutgemacht 
werben foll; wer gegen bie Regeln der päpftlichen Kanzlei fich 
vergangen hat, wie und in welcher Art auch immer, ob er 
geiftlich oder weltlich fei, das ift der Weg, wie er fich jelbit 
wiedergegeben, dieß bie Art, wie er geheilt werben kann. 
Die ihr etwas gelobt habt, das euch fchwer fällt zu leiften, 
ich benehme euch die Sorge; nicht ich für mich zwar, aber 
wenn ihr den bier umbringet, verheiße ich euch, daß ihr felig 
werben ſollt. Das wird eine Schweiter von mir machen, 
bie mir auf dem Fuße folgen fol. 

Dreiheit. Hörft du, daß noch eine andre Bulle, die bir 
gilt, nachkommen fol? Sie hat viefe vorausgefchidt, den 
erften Anlauf zu beftehen. Sie felbft Hält ſich im Hinterhalt, 
und wird bei erfter Gelegenheit gegen dich hervortreten. 

Butten. Und ich werde ihr ebenfo entgegentreten. 

Freiheit. Heil dir um deinen Muth, wenn du ausharrſt! 

Bulle. Und wenngleich, wer das thut, thatfächlich ſchon 
alles Folgende verdient, fo rufe ih doch noch im Beſondern 
euch Sachſen auf: kommt und widmet uns (beffer könnt ihr 
ihn nicht verwenden) euren Dienft. Thut ihr’s, jo foll euch 
geftattet fein, zur Faſtenzeit Butter und Eier zu effen, wenn 
ihr Luft habt, und euch zweimal des Tags in Bier zu be- 
trinfen. Kommt, ihr Polen, die ja, meine ich, nicht weit 
von bier wohnen, fommt, um, wenn ihr mir helft, für alle 
Zeiten ftehlen zu dürfen. Höret mich, ihr Ehrloſen, wenn 
ihr ehrlich gemacht, ihr Simoniften, wenn ihr wieder zu 
Gnaden angenommen werden, ihr Wucherer und Räuber, 
wenn ihr das übel Erworbene ohne Schulo genießen wollt. 


1) S. oben ©. 174 





256 Hutten’s Geſpräche. Zweites Bud. 


Yutten, Es ift Zeit, daß du Schläge befommft. 

Bulle. Du bift verloren, Elenber! 

Yutten. Du bift wenigitens geprügelt. Und ba noch mehr. 

Bulle. Weh' mir! Kommt zu Hülfe, ihr Schafe Chrifti! 

Hutten. Sie hören nur ihres Hirten Stimme. Halt aus! 

Bulle. Hilf mir, weltlicher Arm! 

Yutten. Er prügelt dich lieber. Merkſt ou? 

Bulle. Wagt Niemand, ihn durch Gift oder Schwert um 
zubringen, ven vermaledeiten Kirchenräuber, ben excommumi- 
civten Satansjohn, den unfäbig Erflärten?..*) 

Hutten. Schön! und darum befommjt du Streiche, 

Bulle. . direct oder indireet, öffentlih oder insgeheim, 
jelbjt oder durch Andre, und wär es auch an heiliger Stätte. 

Butten, Gut gejprochen. Doch da nimm indeſſen etwas 
ven den 600 Streichen. 

Bulle. Was jchlägft du mich? 

Hutten. Du fiebjt es ja. 

Bulle. Hörft du einmal auf? 

Yutten. Wenn ich dir erjt beine Gebühr zugezühlt babı. 
Nimm. | 

Bulle, Ah! ach! 

Hutten, Da. 

Bulle. O web! 

Hutten. Da. 

Bulle Mitleid! Erbarmen! 

Hutten. So wirft du endlich mürbe? 

Bulle. Muß ich nicht, da du mich weich geflopft bait? 
Ich bin nicht mehr lebendig, jondern todt. Und fieh, da Balt 


1) Unfähigleit, jet und künftig kirchliche Aemter zu vermalten, 
geiftliche Lehen zu genießen, ja rechtsgiltige Ucte irgend einer Art aus. 
zuüben, war in ber Bulle ben bebarrlihen Anbängern Yırtber’s ange 
droht, Auch das Folgende ift noch eine Bullenphraſe. 





VL Die Bulle, 257 


bu mir eine Wunde gefchlagen. O ihr Canones, ihr Decrete 
mb ihre herrlichen Decretalen! 

Iutten. Was fchreift du noch? hab’ ich es dir nicht eben 
verboten, wegen jener alten Herrn? 

Bulle. Mich zwingt ja der Schmerz, Alles zu vergeffen, 
jene Alten und nun auch mich felbft. 

Yutten. Nimm gleichwohl Schläge. Denn wer beißt dich 
lieber Poſſen anrufen, wie jene Decretalen, als Necht und 
Gerechtigkeit? 

Bulle. O Recht und Gerechtigkeit alfo. 

Zutten. Da. 

Bulle. Auch fo? 

Yutten. Ia, weil nichts rechtmäßiger und gerechter fein 
kann, als daß du Streiche befommift. 

Bulle. O unentrinnbares Unglüd, daß ich mich fo todt- 
fhlagen laffen fol! Wehe dein Ausreißer Ed, ver mich die— 
fem Sammer preisgegeben bat! 

Zutten. Seltfam fürwahr, daß du, die Alles fann, nicht 
bindern kannſt, daß ich dich bier zufammenhaue. Und außer- 
bem, was fcheueft du dich vor Wunpen, da bu unfterblich 
bift? 

Bulle. Ich bin es ja nicht, ich habe mich irrig bafür 
gehalten. 

Zutten. Ia, weil ich dich befehrt habe, wer du bit. 
Das haft du mir zu banken. Doch nimm immer noch mehr 
Streide. 

Bulle. Laß ab! bei Allem, was dir theuer ift, beſchwöre 
ich dich. Sieb, da ftrede ich dir auch die rechte Hand bin, 
bu bift Sieger, befiehl und verfüge über mid). 

Jutten. Was foll ich verfügen? Dem Tod werde ich 
bich überliefern, und zwar einem fchmachvollen. 

Bulle. D, jest bin ich erft unglüdlih! Ich kam hieher, 

Strauß, HSutten'd Geſpräche. 17 





258 Hutten’s Geſpräche. Zweites Buch. 


um zu berrfchen, und nun ift es dahin mit mir gelommen, 
baf ich felbft durch Bitten mein Leben nicht weiten Fam. 
So große Künfte follen nichts geholfen haben! jo viel aus- 
gezeichnete Ränke follen verloren fein! Ach unterwerfe mich 
jeder Bedingung, nur gewähre mir Frieden. 

Hutten. Mit Bullen kann ich keinen Frieden machen. 

Bulle. So laß der Bittenden — Derjeifung zu 
Theil werben. 

Hutten. Die unvorfüglich fehlen, denen verzeihen wir 
gern, nicht aber denen, die abfichtlih und aus Beosheit 
jündigen. | 

Bulle. Sch will aber nicht mehr Tündigen. 

Hulten. Das ift gewiß. Denn du ſollſt zu Grunde 
geben, ehe bu wieder fünbigen kannſt. 

Bulle. Bezwinge deinen Zorn, der du Bullen bezwingft. 

Hutten. Dich wenigftens will ich zahm machen. 

Bulle. Verzeihe der, die, jegt genug von dir beitraff, 
fich fünftig nie mehr verfehlen wird. 

Hutten. Ich habe längjt erfahren, welchen Glauben Bul- 
(en verdienen, darum bin ich entjchloffen, Dich hier umzu— 
bringen. 

Bulle. Gnade! 

Freiheit. Gewähre fie ihr, ich rathe felbjt Dazu. Dem 
wenn du fie auch nicht umbringit, wird jie doch balb von 
jelbjt zu Grunde geben. 

Yuften. Glaubſt du? 

Freiheit. Ich weiß es. Sie hat ſich allzuſehr aufgebla— 
jen, und muß daher nothiwendig berjten und zerſpringen. Ya 
fie nur, fie wird ſchon plagen. 

Bulle. Yaß dich erbitten! 

Butten. Nein. 

Bulle. Die Fugger werver dir Gelb für mid geben, 
mehrere Tauſende. 





VI. Die Bulle. 259 


Butter. Mit vem Geld der Fugger, wenn bu mir das 
verſprichſt, erbitterft du mich nur noch mehr; venn das ift 
aufs übelfte erworben. 

Bulle. So fteht meine einzige Hoffnung auf die Eurtis 
fanen, wenn fie, wie ich ficher erwarte, mir gegen dich zu 
Hülfe fommen. Und täufcht mich nicht Alles, To ſehe ich fie 
ſchon heraneilen. Jetzt ift Alles gut. Bald wirft du gelin« 
dere Saiten aufziehen. 

Yuttm. Meinjt du? 

Bulle Ja wohl. Siehjt du nicht, wie fie zahllos her- 
beilaufen, mich dir zu entreißen ? ' 

Zuttn. Etwas fehe ich. 

Bulle. Sie find es, die von ferne her mir zu Hülfe fom- 
men. Jetzt find fie noch fo Hein wie Flöhe. Uber fiehe ba, 
ſchon erfcheinen fie wie Ameifen und werden immer beutlicher. 
Und bie Neitenden unter ihnen ſehen jett bereits wie Katzen 
aus. Es wird dir fchlecht gehen, wie ich fehe. Ich hoffe, 
man wird dich jest mit Gewalt zwingen, da fo eben noch 
durch Bitten und Verſprechen feine billige Bebingung von bir 
zu erlangen war, Schön! ſchön! 

Yuttn. So fommet auch ihr dagegen, ihr Freien, ihr 
Männer! Es handelt ſich um unfer Aller Anliegen, um bas 
gemeine Wohl. Das Kriegsfeuer greift um fih. Kommt 
Alle, die ihr frei fein wollt, bier fteht diefes große Gut zu 
Kauf. Hier vertreibt man die Zwingherrn. Bier bricht man 
die Knechtſchaft. Wo find die Freien, die Doch gewiß nicht 
ganz abhanden gekommen find? wo find die Erlauchten, jene 
Männer von großen Namen? wo feid ihr, Häupter ber 
Völker? warum kommt ihr nicht zu Hauf, um vereint mit 
mir das gemeine Vaterland von diefer Peſt zu befreien? Bit 
einer ta, ber nicht Knecht fein fann? ver fich der Unter: 
drückung ſchämt und es nicht erwarten kann frei zu werben? 
Mit Einem Worte, ift einer da, der Manneskraft und Mannee- 


17* 





260 Hutten's Gefpräche. Zweites Bud, 


finn hat? Wo ſeid ihr, die ihr noch fürzfich gegen Die —— 
ziehen wolltet? Als wären die verruchten Bullen nicht noch ſchiim 
mere Feinde für Deutſchland. — Sie haben mich 
Hunderttaufend Mann jehe ich, an ihrer Spite meinen 
freund Franz. Den Göttern fei Dank! Deutfehland:katifig 
feiner ſelbſt erinnert und will frei fein. Was duntt Dir jebt, 







Leo's Ereatur? yeh 
Bulle. Viel Menſchen, mehr ale ich je ——— ‚ge 
jeben. 


Yutten. Meinft du, genug gegen beine — 
Bulle. Weit mehr als genug; denn ich ſehe, jeme find 
(ängft davongelaufen und fchweifen auf der Flucht umher. 
Yutten. Sie follen gleichwohl nicht entrinnen. Doch au 
Kaifer Karl ift da und fümmtliche Fürften um ibn ber. 
Die Verſammlung gefällt mir. Es wird fih um Deutid- 
lands Sacde handeln. Ich rede fie an. Streit batte id 
mit biefer Bulle, ihr deutſchen Fürften und Männer; fie war 
biehergefommen mit großen Drohungen und Schreduiffen, 
unfre freiheit zu umterbrüden, ich aber babe fie zuridgebal- 
ten, bis ich euch bier zufammenbräcte. Nun bitte ich euch 
bei der Liebe zu dem gemeinfamen Baterlande, laſſet nicht 
(änger diefes Volk der Stadt Nom zum Gefpötte biemen. 
Laffet diefer Bulle eine Behandlung widerfahren, daß alle 
Bullen nah ihr fich fürchten über bie Alpen zu Fommen. 
Sehen möge das Ausland, daß Deutſchlands fchlafende Ta- 
pferfeit erwacht ift: diefe Probe gebt von euren Muthe 
Franz. Ich bitte euch, deutſche Fürften und Meänner, 
thut mir das Eine zulieb, daß ihr, wenn es etwas Molb- 
wendiges ift, wozu ich mahne, mir geneigtes Gehör fchenek 
Eine große Thür zur Erlangung der Freiheit it ums aufae 
tban: bringen wir vor. Die Gelegenheit ift vorhanden: ir 
greifen wir fie. Das tft eine von ven Bullen, Die ieir mE 
lange zu unſrem großen Scaven haben gefallen laſſen Das 





VL Die Bulle. 261 


ift der Köder, die Lockſpeiſe, womit uns fchon fo viele Jahre 
die Stadt Rom den Mund gefchmiert, womit fie uns nach 
isrem Belieben an der Naſe geführt bat. Für unfre Gaben 
ſchickte ſie uns ſchöne Worte heraus, ftellte unfrer Freiheit 
Ballen, bot alle Erfinvungen, Ränke, Kniffe, Vorwände 
und Erdichtungen auf, um von uns bie Mittel für ihren 
fchwelgerifchen Aufwand herauszuloden; währen unterbeilen 
jene Menſchen jo lebten, daß ihr Leumund frommen Obren 
ein Greuel war. Nicht blos gehört Habt ihr jenes Alte, vor- 
bem Geſchehene, fondern Einige unter euch haben auch ge- 
feben, was neulih und unlängft vorgegangen ift: unfterb- 
liche Götter, weld einen Haufen ber ärgſten Webelthaten! 
Mit Unrecht hat Gott Sodom und die Bewohner Gomorrha’s 
vertilgt, wenn er derer zu Rom verfchont, mit deren Gott- 
fofigfeit verglichen Jene unfchulrige Kinder waren. Ober 
mäffen wir ba8 nicht fagen, wenn wir ſehen, wie fie alles 
Heilige und Unheilige feil halten, wie fie immer viele Ver⸗ 
orbnungen machen, und fie wieder aufheben fobald eine Aus⸗ 
fincht gefunden ift, und fie findet ſich aus Antrieb der Hab- 
ſucht fo oft ein Gewinn dabei zu machen if. Auch fegen fie 
ihren Räubereien fein Maß, ſondern ſchicken oft noch ehe das 
früher Segebene verbraucht ijt, fchon neue Plünverer heraus, 
bie Liften erdenken follen, unjer Gold uns abzunehmen, und 
auch kein Silber bier außen übrig zu laffen. Verſuchen wir 
barum enblich zuwege zu bringen, was bisher für unmöglich 
galt. Wetten wir was unfer ift. Jene Menſchen fättigen 
wir ja doch nicht, jo oft und fo viel Geld wir ihnen aud) 
fhiden, ſondern reizen fie nur um fo mehr, machen fie durch 
unfre Gebuld und Einfalt täglich babfüchtiger und Tüfterner 
nad unfrem But. Es ijt uns ein Leichtes: wagt es nur. 
Was mich betrifft, fo verfpreche ich, wenn mir Chriftus zu - 
dem Hilft, was ich vorhabe, will ich feine Mühe ſcheuen und 
nicht nachlaſſen, bis ich es dahin gebracht ſehe, daß die ver- 









262 Hutten’s Gefpräche, Zweites Bud, 


ruchten Curtifanen, die gottloſen L—n n Deutfi = nd 
feinen Gewinn mehr finden. Doc genug u sieh 
für Männer, bie fich nicht erft vür Worte — Ruth | 
einfprechen zu laffen. —⸗ 
Bulle: Habt ihr ihm angehört, ihr Deutfchen? fein Ge 
ſchwätz ohne Hand und Fuß? Unvenflihe Iahre fine es 
ſchon, dan wir hier unfer Recht inne haben, und dennoch | 
faffen die Gottlofen Hoffnung, eine Neuerung 
Geſetzt auch, fie wären es im Stande, fo follten fie Doch des 
Ruhms ihrer Väter gedenken und fich ſcheuen, den durch eine 
fofche Uebelthat zu verdunkeln. Und euch ziemt es, bafür zu 
fein, daß ihr nicht durch eine neue Schmach euren iralten 
Ruf der Frömmigfeit und Andacht beſudeln Taffet. Der Zehnte 
wenigſtens glaubt feit, bier folgfame Schafe zu haben: der 
Oberhirt denft alfo nur gar zu gut von euch. Huch bat er 
mir, als ich mich hieher auf den Weg machte, den Auftrag 
gegeben, es zu foben umd zu rühmen, daß unter allen Na- 
tiomen die enrige ſtets am treneften dem 
ergeben geweſen fei. Zwar ift mir heute mein Gefchäft übel 
ausgefchlagen, jo graufam hat mich mein Wirth hier mii« 
handelt; aber ihr werdet ihn, ihr müftet denn —— 
für wir zu Rom euch Halten, für ſolches Unterfangen mit 
gebührender Strafe belegen. Denn dir fage ih, o Raifer: 
ich will wiffen, was ich Leo dem X. von bir berichten foll. 
Wird er einen gehorfamen Sohn an dir haben? 7° 
Rarl. Wenn er ein Vater ift. nes 
Zutten. Was fuchjt du uns unfern jungen Kaifer zu ver- 
führen, du Inbegriff aller Bosheit? Durchbohren th 
dich auf der Stelle, hier der Freiheit zum Beſten, um buch 
deine Wegräumung fie zu retten. den 
» Freiheit. Ich babe gefagt, fie werbe von felbft plagen, 
ba fie von Zorn und Hochmuth gar zu ſehr aufgeblafen if: 
Das geht nun vor fi. Daher will ich euch, ihr Deutfchen, 

































VI Die Bulle. 263 


im Voraus gemahnt haben, entweder ein wenig von hier zu- 
rüdgutreten, ober euch mit etwas Arznei vorzufehen, gegen den 
giftigen Bauch, der, wenn fie geborften, aus ihr dunften 
wird. Denn die Bulle ift keineswegs ganz leer. 

Zutten. Es ift nothwendig, wozu fie mahnt, und man 
darf e8 nicht verfäumen. Darum bieber, Stromer, Ebel und 
Kopp.!) Eurer Dienfte bedarf es jet. Gebt ein Prophy— 
lacticum, das uns zum Voraus gegen das Mebel fchüge und 
verwahre. 

. Stromer. Recipe — ja was Recipe? Eſſet Alle Gar- 
tenrübjamen mit Eppichfaft angefeuchtet, und baltet zerbiffene 
Angelicawurzel im Munde. 

Freiheit. Da, um die Bulle iſt's gejchehen. Sie ift 
mitten entzwei geborften. Aber fiehe da den Haufen ter 
ſchlimmſten Dinge, der ſchädlichſten Gifte. Laffet uns unter- 
fuchen, was es Alles ift. 

Jutten. Das ift Treulofigfeit, das gemeine Lafter aller 
Surtifanen; das zehrender Ehrgeiz. Doch fchau, wie fich 
Bier die Habfucht zeigt, faft noch ganz leer, jo oft fie auch 
von uns gefüllt worven ift, und ihr bienend, ein feltfam 
hohles Ding, der Ablaß. Und hier ift Diebftahl, und Uns 
recht und Raubſucht vaneben. Auch Meineid ift ba, ven fie 
hoch in Ehren halten. Wie voll und ftroßend erhebt fich aber 
der Priefterftolz, und die päpftliche Scheinbeiligfeit, und vie 
ehrwürdige Heuchelei. Da ift auch Aberglaube und Perftel- 
fung und mannigfaltige Lift, alle Gattungen von Trug, Groß⸗ 
thun und Prablerei, und was fonft in jeder Art ſchänd lich und 
felbft dem Anblick abjcheulich ift: Ueppigkeit, Schlemmerei, 
Trunkenheit und vielgeftaltige Wolluftl. Da mußte freilich die 
Bulle zeripringen, denn fo viele after Tonnte fie nicht länger 
beifammen halten. Da fie nun ein verbientes Ende genom- 


1) ©. oben ©. 56. 58. 








964 Hutten's Geſpräche. Zweites Bud. 


men, müffet ihr Deutjchen Sorge tragen, daß alle ur 
nen von Grund aus vertilgt werben, bie fie aufrecht erh 
und noch neulich mit großem Eifer vertheidigt haben. 
thut und feid frei. Ich aber will die Bulle hier befta 
und auf ihrem Grabe foll die Infchrift ſtehen: 


Hier if bie Bulle verfharrt, bie verwegue, bes tuſciſchen 
Was fie Andern gewollt, gab fie ſich felber: den Zob. 





VII. 
Der Warner, 
Erftes Geſpraͤch. 





Einleitung. 
In höchft wirkſamem Contraſte läßt Hutten auf ein Geſpräch, 
das faſt nur aus Thätlichkeiten beſtand und ben Ton des 
Luſtſpiels, mitunter ver Poſſe, anſtimmte, eines folgen, das 
ohne äußere Handlung nur in ruhigem Gedankenaustauſch ſich 
verläuft und im edelſten Stile gehalten iſt. 

Ein Mann, dem geiftlichen Stande angehörig, bis dahin 
Freund und Anhänger Luther's, fommt, ihm die Gründe an- 
zugeben, warum er fich von feiner gefährlichen Sache trennen 
will; Luther fucht fich mit ihm zu verftänpigen und entwidelt 
feine Anfichten in der rationellen Art, wie Hutten fie faßte; 
bie Einwürfe des Warners erinnern, wie Böding mit Recht 
bemerkt, zum Theil an Erasmus; Luther fucht ihn mit einer 
faft Melanchtbonifchen Milde zu gewinnen, boch vergebens, 
er will die fichere Partei ergreifen, und bleibt deßhalb bei 
Rom. Wie er zulegt, fchon im Abgehen, noch mit dem letten 
Grunde herausplatzt, der ihn auf der päpftlichen Seite feſt⸗ 
hält, der Ausficht, bald Cardinal zu werben, iſt ein Meiſter⸗ 
zug und von thpifcher Bedeutung für alle Zeiten.) 


1) gl. meinen Ulrich von Hutten, Thl. II, Kap. VI, &. 148—151. 





Der Marner., 
Grites Geſpräch. 


Es umnterreben fih: ber Warner unb Luther. 


— — — 


Warner. Nein, von einer Partei, wo man nicht obme 
Gefahr, wo man felbit der Schande ausgeſetzt ift, will ic 
mich ab» und in Sicherheit thun. 

Futher. Bon welcher Partei meinjt bu? 

Warner. Nun von der beinigen. 

Luther. Bon der meinigen? Aber von mir ſei und bfeibe 
ed immer ferne, daß ich unter ven Menjchen Parteien made 
und Ehriftum zertheile. ?) | 

Warner. Es entjtehen aber body Parteien, und zivar 
unter großer Bewegung. Denn die deiner Lehre Gehör geben, 
bie nennt man Yutherifche, und unterjcheidet fie von denen, bie 
nicht mit dir ven Bapft meijtern wollen, ſondern bie Herrichafi 
ibm überlaſſen. 

Tuther. Ich aber verlange im Mindeften nicht, dab Du 
ober irgend Jemand dieſen Namen annehme, ja ich berbitte 
ed mir fogar. Denn mein Borhaben ift, Chriften zu machen. 

Warner. Bon mir brauchft du dir's micht erſt zu ber- 
bitten. Denn von bem heutigen Tag an fage ih mich von 


1) 1 or. 1, 15. 





VO. Der Warner. Erſtes Gefpräd. 267 


ie los, will dich nicht mehr hören und nichts weiter mit bir 
u fchaffen haben. 

Auther. Was hat dich mit Einem Male fo umgeftimmt, 
ieber? Doch zuerft ſage mir, mas Tiegt denn für eine 
Schande darin, auf Luther’8 Seite zu kämpfen, und welcher 
Sefahr jekt man fich damit aus? 

Warner. Die Schande ber Ketzerei iſt ed, und zwar einer 
räulichen und entfeglichen; fie macht alle die bir anhängen 
em Papft verhaft, und febt fie ver Gefahr aus, von ihm 
it deiner ganzen Schule auf einmal durch einen Bannftrahl 
ermalımt und vernichtet zu werben. ‘Damit droht er ja auch 
ereitd. Darum muß fih in Zeiten von bir losfagen wen 
in Heil am Herzen liegt. 

Auther. Aber wo urtheilt man denn fo? 

Warner. Im Publicum urtheilt man beharrlich fo, zum 
heil aus Furcht vor jenem, mit dem es Seiner gern ver- 
erben mag; zum Theil aber auch aus Uebertruß an bir, 
a beine Lehren immer weniger Beifall finden, und die Leute 
je nicht mehr fo willig wie von Anfang annehmen. Das ijt 
8 auch bauptfüchlih, was mich von bir trennt und fo um— 
eftimmt hat, daß ich das Neue in deiner Lehre für eitel 
zoſſen Halte. Denn wen follte es nicht umftimmen, was bu 
rebigft, um bie Kirche von ihrem jekigen Glanze zu dem 
zchmutz ihrer armfeligen Anfänge zurüdzubringen, und dem 
Japft, was alle Welt ihm zuerfennt, abzufprechen? Ueberdieß 
rägft bu Manches vor was dem gemeinen Menfchenfinn zus 
iderläuft. 

Jather. Fürs Erſte iſt das Publicum ein leichtwiegender 
zewährsmann, und ſein Urtheil nicht werth, daß Biedermänner 
m fo ohne Weiteres beipflichten. Auch ſollſt vu wiſſen, daß 
Schande jich oft in Ruhm verwanvelt, und daß es die höchjte 
‚ugend ift, der Tugend, auch wenn der Schein der Gottlofig« 
it auf fie fällt, nachzuftreben, und felbft durch Schmach von 





268 Hutten's Gefpräde. Zweites Buch. 


dem Trachten nach ihr fich nicht abjchreden zu laffen. Dam 
aber thue ich auch gar nicht was bu meinft, ſondern bringe 
dich vom Schmutze zum hellen Manz, führe dich von ber 
Finfterniß zum Licht, und fege dich, aus bem Koth ee 
gehoben, auf einen goldenen: Seſſel. 


Warner, Wie jo das? 


Luther. Indem ich dich ammweife, auf die Wahrheit zu 
achten und Chriſto zu folgen, dich in feine VBorjchriften zu 
verjenfen umd nach den göttlichen Geboten zu richten, fo daß 
du mit Hintanſetzung menſchlicher Ueberlieferungen num ihnen 
nachlebeſt, und keinen Finger breit, welche dringlichen Ein⸗ 
wendungen man dir auch von der anbern Seite entgegenbalte 
und welche Mühe man fich gebe bich abwenbig zu machen, 
davon abweicheit. Mit einem Worte, daß du ein ächter Chrift 
feift, dahin geht meine Ermahmung, das ift meine Lehre. 
Wenn das Einer für Pofjen ausgibt, ber hat, das follft bu 
wiffen, feinen Grund dazu, und führt dich nicht zur Seligkeit, 
indem er bich von mir abwendet, fonbern vielmehr in Irrihum 
und Verderben. Du aber, jüngft noch fo hohen Muthes, 
nennft nun das Schmutz, und nicht vielmehr die Dinge, melde 
vie Seelen jo arg verunreinigen und benen jene gleich als 
ihren Göttern nachgehen: Hab- und Gewinnfucht, Wohlleben 
und Fleiſchesluſt? 


Warner. Uber ber Papft verfünbigt bob aud Die Wahr 
heit umd hält es mit Chriftus. Und zwar fteht er mit biefem 
um deßwillen in einem nähern Verhältniß, ald du ober fonft 
Jemand, weil er fein Stellvertreter ift, auf den Chriftus feine 
ganze Macht übertragen, dem er gleiche Gewalt mit ihm ſelber 
gegeben hat. Daß wir aber Chriften werben: follen, mas ift 
das fo Großes, da ums jener fogar felig macht? Wein, bie 
fünnen micht irren, bie ihm anhängen, der. mit Chriftus jo 
einig iſt, daß ihm freifteht feftzufetsen was er will; während 





VO. Der Warner. Erſtes Geipräd. 269 


du fo beengt und gebunden bift, daß bu nicht wagft, vom 
Evangelium auch nur aufzubliden. 

Tuther. Gewiß ift es fein Kleines, Stellvertreter Chriſti 
zu fein; das aber beſtimmt fich nach Verbienft, nicht nach des 
Nächften Beſten ehrgeizigem Anfpruch oder einem beigelegten 
Kamen. Um zu beweifen, daß ihm das zufomme, müßteft 
du den ganzen Papit neu machen, und zwar anders nicht 
ale wie ich dir vorgeftellt habe, daß er fein follte. Wie aber, 
ich gebunden und beengt, ver ich ven Ehriftenglauben, ber in 
die engften Gränzen gedrängt, von fo vielen Schlöffern ringsum 
eingezwängt, durch allerhand Satungen gebunden und gebrüdt, 
mit fo abergläubifchen Gebräuchen überladen war, da ich diefen 
Glauben in vie alte von Chriftus gegebene Freiheit wieder 
einfege, und, aus tiefem Kerker gezogen, fich felbft zurückgebe? 
Das aber fage mir doch, wo ift denn jene Uebereinkunft zwifchen 
dem Papft und Chriſtus gefchloffen worden? 

Warner. Nun dort, als der Heiland dem Petrus dus 
Hecht erteilt hat, nach Belieben zu binden und zu löfen was 
er wolle, und die Schlüffel, damit den Himmel aufzujchließen 
wem er wolle. !) u 

Iuther. Das bat er allerdings dem Petrus gegeben, ich 
läugne e8 nicht; aber nicht ihm allein. Denn er gab es 
ebenfo auch den übrigen Apofteln.?) Doch gefegt, er hätte 
es ihm allein gegeben, was bewieje das für ben Ylorentiner? 

Warner. Was es für den gefeklichen Erben und Amts» 
nachfolger beweifen muß. 

Tuther. Alfo ift der Zehnte des Petrus Erbe? nach welchem 
Geſetz? 

Warner. Weil er Bapft iſt, und zu Rom feinen Sit hat, 
und den übrigen Biſchöfen vorfteht. 


—— 


1) Matth. 16, 18f. 
2) Matth. 18, 18; Job. 20, 23. 





270 Hutten's Geipräce. Zweites Bud. 


Tuther. Das fommt nicht von Petrus. Demm der hat 
über feine Mitapoftel feine Herrſchaft ausgeübt; auch bat 
Gott jo etwas den Prieftern oder Biſchöfen nicht geftattet, 
ſchon damals nicht, da er zuerit Priefter machte und fie von 
den übrigen Menschen unterſchieb. Ihr ſollt, ſprach er, fein 
Theil haben unter ihnen. Denn ich bin euer Theil und euer 
Erbe.) Wie viel weniger wird er das jett geftatten, nach 
dem Alles nen und das Priejtertbum Gemeingut geworben 
it? Denn fo viele wir Kinder Gottes find durch ven Glauben 
in Chrifto Jeſu, find wir Gottes Erben und Miterben Chriſti. 
Petrus aber jollte bei feinem Sterben eine Erbichaft Hinter 
fajfen haben, da er im Yeben all bas Seine verlieh um 
Chriſti willen??) Und was joll mir Rom, daß du bas für 
bie Herrin und Königin berer ausgibſt, die Chriftus frei ae 
macht hat?*), Siehſt du denn nicht ein, daß es feine andere 
Nachfolge in der Gewalt der Apoftel geben kann, als Die 
auf der Wehnlichfeit des Vebens beruht? Wenn darauf bin 
Einer von der Kirche erhoben wird, ber ſoll bebenfen, vaf 
er nicht Königen und Fürften nachfolgt, fondern Apoſteln und 
Hirten, und daß er nicht Neichthum und Macht vom ihnen 
erbt, jondern eine Gnade von Gott und das Anıt, Die sam 
gelifche Wahrheit zu prebigen umb den Brübern zu dienen. 
Denn fürwahr, in einer Laft befteht diefe Nachfelge, nicht in 
einer Ehre, in Mühe und Arbeit, nicht in Gewalt und Zwinz 
herrichaft. Denn die Gewalt chriftlicher Biihöfe, nicht zu 
Kom allein, jondern aller Orten, joll die apoftolifche Zungen 
fein: wer bie befigt, der kann ein Nachfelger Betri Heike, 
auch wenn er Nom nie gelehen hat; ein folcher aber, mer & 
auch ſei, wird nicht weltliche Reiche beherrichen, ſeudern 

1) 4 Mof. 18, 20; 5 Mof. 18, 1. 2. 

2) Röm. 8, 17. 

3) Matth, 4, 20; 19, 27. 

4) Gal. 5, 1. 





272 Hutten's Geſpräche. Zmeites Bud. 


merniß zu plagen, um fo viel wie möglich dem Nutzen der 
Kirche zu fördern ? 

Tuther. Wohl, wenn man e8 recht verfteht. Denn Schrift 
Heerve mehren heift Seelen für ihn gewinnen, Wer das thut, 
von dem kann mit Recht gefagt werben, daß er den Glauben 
ausbreite. Wenn aber Einer die zwar vorwenbet, während 
es ihm doch nur darum zu thun ift, Geld zufammenzufcharren 
und Macht zu gewinnen, wiſſe, eim ſolcher ift feim Apoftel 
Chrifti, fondern ein Verfehrer der chriftlihen Wahrheit. Por 
ſolchen hat mit Recht Paulus zuvor gewarnt wenn er fpräct: 
Was ich aber thue und thun will, das thue ich darum, daß 
id die Urfache abhaue denen, die Urfache ſuchen, daß fie 
rühmen möchten, fie feien wie'wir. Denn ſolche falſche Apojtel 
und betrügliche Arbeiter verftellen fich zu Chrifti Mpofteln.*) 
Der Gehorfam aber, von bem bu rebeft, ift nicht der, ben 
man heutiges Tags dem Bapft leiftet, jondern der, von Dem 
gejagt ift: man muß Gott mehr gehorchen als den Mienfchen. 2) 
Des Papftes Amt überbieß, wenn es einen folchen zu dieſer 
Zeit geben foll, ift, vie Schafe Chrifti zu weiden. Darımter 
aber ift zw verſtehen, daß er ihnen mit feinem Beifpiel'woran- 
gehe, durch Thaten ihnen ben Weg weije, burch Fromme Gebete 
fich bei Gott für das Volk verwende, es burch Lehre unter 
weile, durch Ermahnung ermuntere, fleißig und forgfälfs 
wache, daß ihm fein Stüd von der Heerbe verloren gebe, 
alferwegen Borfehr treffe, daß feines fich verirre, Aber pieiet 
Dirtenamt wird auch Keinem anvertraut, ber nicht Chriftum 
jo liebt, daß er im Bekenntniß dieſer Liebe zu jagen wagt: 
bu weißt Herr, daß ich dich lieb habe?) So wenig Barfit 
bu bir einbilven, daß die, welche das Geld lieben, mit Nedt 
Biſchöfe werben. 

- 1) 2 or. 11, —* * 


2) Ap. Geld. 5, 29. 
3) Job. 21, 15, * 17. 





VO. Der Warner. Erftes Geſpräch. 271 


apoſtoliſche Werke üben. Denn welcher Wahnſinn iſt es doch, 
daß Einer, der (was dem Schlechteſten und Ehrgeizigſten am 
nächſten, und darum dem Sinne Chrifti am fernſten liegt) 
Königreiche überfällt und Herrſchaften ſich unterwirft, dabei 
die den Apoſteln verliehene Gnade an ſich reißen, und in 
Prunk und Purpur, in Reichthum und Wohlleben, zwiſchen 
Schwertern und Hellebarden, Pfeilen und Büchſen, unter 
Krieg und Mord, Toben und Wüthen, für den Nachfolger 
Petri und den Stellvertreter Chrifti gehalten fein will, wäh⸗ 
rend er nichts thut, ja nicht daran benft etwas zu thun, das 
im Sinne Chrifti und Petri wäre? Begreifit bu, daß es 
eine ganz andre Art fein muß, wie bie von Chrifte gegebene 
Bewalt auf die Erben fich überträgt und gleichfam von Hand 
zu Hand geht? 

Warner. Was forberit du, baß ich begreifen foll, da du 
ſelbſt nicht zu wiffen fcheinit, daß ein Andres jene anfängliche 
Kirche war, in der es nach ber Faſſungskraft ver Zeit fo 
ftand, wie du haben willft, ein Andres dieſe jetige triumphis 
renbe ift, in ber Alles glänzene und herrlich fein muß? 

Anther. Die Kirche Chriſti ift immer nur Eine gewefen 
und wird es auch fünftig fein. Wenn aber Unrecht Teiven ven 
Apofteln fiegen hieß, jo kannſt du abnehmen, was in ihrem 
Einne triumphiren ift. Die Herrlichfeit der Bilchöfe aber 
befteht wie die Pauli darin, Niemand zu Tränfen, Niemand 
zu verführen, Niemand zu betrügen!), und in dem Anbern 
was er fagt: Wir jollen uns aber rühmen des Kreuzes uns 
fer Herrn Jeſu Chrifti.2) 

Warner. Was fagft du? ift es nicht eines guten Hirten 
Amt, die Heerde zu mehren, Gehorſam zu lehren der beffer 
ift als Dpfer?), ſich mit Sorgen zu quälen und mit Küm⸗ 


1) Kor. 7, 2. 
2) Gal. 6, 14. 
3) 1 Sam. 15, 22. 





272 Hutten's Geſpräche. Zweites Bud. 


merniß zu plagen, um fo viel wie möglich ben Ruten ver 
Kirche zu fördern? 

Auther. Wohl, wenn man es recht verfteht. Denn Chrifti 
Heerde mehren heißt Seelen fir ihn gewinnen. Wer das thıt, 
von dem Tann mit Recht gefagt werben, daß er ven Glauben 
ausbreite. Wenn aber Einer dieß zwar vorwendet, währen 
es ihm boch nur darum zu thun ift, Geld zufanmenzufchare 
und Macht zu gewinnen, wiſſe, eim folder ift kein Apoftel 
Chriſti, fondern ein Berfehrer der chriftlichen Wahrheit. Bor 
foldyen bat mit Recht Paulus zuvor gewarnt wenn er fpridt: 
Was ich aber thue und thun will, das thue ich darum, hai 
ih die Urſache abhaue denen, die Urfache fuchen, daß fie 
rühmen möchten, fie feien wie wir. Denn folche falfche Apejrel 
und betrügliche Arbeiter verftellen fich zu Chrifti Apofteln.') 
Der Gehorſam aber, von dem bu rebeft, ift nicht ber, den 
man heutiges Tags dem Papft leiftet, ſondern ber, von bem 
gefagt iſt: man muß Gott mehr gehorchen als den Menſchen.? 
Des Papſtes Amt überbieß, wenn es einen ſolchen zu dieſer 
Zeit geben foll, ift, vie Schafe Ehrifti zu weiden. Darunter 
aber ijt zu verftehen, daß er ihnen mit feinem Beiſpiel voran: 
gehe, durch Thaten ihnen den Weg weife, durch fromme Gebete 
ih bei Gott für das Voll verwende, ed Durch Lehre unter- 
weife, durch Ermahnung ermuntere, fleißig und forgfäliz 
wache, daß ihm fein Stüd von ver Heerde verloren geht, 
alferwegen Vorkehr treffe, daß feines fich verirre. Aber bieled 
Dirtenamt wird auch Keinem anvertraut, der nicht Chriftum 
jo liebt, dag er im Bekenntniß dieſer Liebe zu ſagen wagt: 
du weißt Herr, baß ich Dich Tieb habe.?) So wenig ball 
bu bir einbilven, daß die, welche das Geld Tieben, mit Redt 
Biſchöfe werden. 








1) 2 or. 11, 12. 13. 
2) Ap. Geſch. 5, 29. 
3) Job. 21, 15. 16. 17. 





VIL Der Warner. Erſtes Gefpräd. 273 


Warner. Das erfennt ja aber auch unfer Herr zu Rom 
on, und er würde, meine ich, was bu fagjt nicht beftreiten; 
nur wenn er etwas davon fich jelbft erläßt oder Andern nach» 
fieht, glaubt er das vermöge ber ihm übertragenen Gewalt 
thun zu bürfen. 

Inuther. Das eben ift es, was uns, die wir es mit ber 
Wahrheit halten, verbrießt, daß er Manches ftillfchweigend 
anerkennt, bisweilen auch mit Worten billigt, im Hanbeln aber 
fih nicht daran fehrt. Denn vergleichft bu, wie Petrus gelebt 
bat, und wie die heutigen Bifchöfe leben, fo wirft du fagen 
müſſen, daß fich nichts Entgegengefeßteres venfen läßt. Ober 
fprich, predigt denn der zehnte Leo das Evangelium und ver- 
fünbigt er das Reich Gottes unter den Heiden? 

Warner. Wozu follte er das felber tbun, da fo viele 
tanfend Ordensbrüder überall umhberlaufen, beren Dienft er 
Dazu gebrauchen kann? 

Auther. Aber nichts Anderes fünnte ihm ja ein Vecht 
geben, für größer als dieſe Brüder oder als irgend ein 
andrer Chriſt gehalten zu werben, als wenn er jenes mehr 
al® irgend ein Andrer thäte. Auch das Oberhaupt ber Bi—⸗ 
fchöfe ſoll er nicht dem leeren Namen nach, fondern in ver 
That und Wahrheit fein, indem er fleißiger Acht gibt, ange: 
fegentlicher forgt, ängftlicher wacht, bie ihn anvertraute Heerbe 
als befümmerter Hirte durh Wachen, Sorgen, Arbeit und 
Mühe jeder Art erhält und vertbeidigt. Diefe Sorge jenen 
Miethlingen überlaffen ift nicht Sache eines Biſchofs, ſondern 
eine® folchen, der das Bisihum nieverlegt und von biefem 
Amte fich Losjagt. - 

Warner. Du willjt alfo nicht, daß dieſer Höchfte mehr 
vermöge als alle andern Biſchöſe? 

Luther. Wenn er ver Höchfte fein foll, muß er mohl. 
Aber diefes mehr Vermögen muß ſich in der Förderung bes 
Seelenheils ver Gläubigen, nicht in ver Beſchwerung des C hriften 

Strauß, Hutten’s Geſprache. 18 








974 Hutten's Geſpräche. Zweites Bud. 


volfes zeigen. Ya, ein je vornehmerer Bifchof er ift, t 
beforgter muß er fein, feiner Pflicht Genüge zu thun, d 
weiß, daß er der Verwalter eines fremden Gutes ift, 
einem ftrengen Richter für fein Thun wird Nechenfchaft g 
müffen, ber zwar ben treuen Knecht loben und über X 
fegen wird, ben aber, ber feine Pflicht aus Trägheit 
Ueppigkeit verfäumt bat, wirb er zerfcheitern und ihm 
Theil mit ven Ungläubigen geben.!) Höre aber, weil es 
von dem Nachfolger Petri handelt, wie ber feine Mitäli 
und Nachfolger hat haben wollen. Weinet, fpricht er, 
Heerde Ehrifti, jo euch befohlen ift, und fehet wohl zu, 
gezwungen, fondern willig, nicht um fchänblichen Gew 
willen, fondern von Herzensgrund, nicht als vie über 
Volt herrihen, fondern werbet Vorbilder der Heerbe.*) 

Warner. Mit Grund fliehe ich dich, da du ungere 
Dinge lehrſt. j 

Zuther. Du würdeſt mich nicht fliehen, wenn bu Ch 
folgen mwollteft. Aber fage mir zum Zweiten, bat benn 
zehnte Leo, während er vor zwei Jahren feine Brüder, 
Cardinäle, umgebracht, und im Urbinatifchen Krieg, um fe 
Neffen zum Fürften zu machen, fo viele Seelen verberbt ba 
bat er wohl dagegen auch nur einige gerettet? 

Warner. Wie unerfahren in allen Dingen du bift, 
bu nicht weißt, wie viele er Tag für Zag jelig madt ti 
ven Ablaß, den er in der Welt berumfchidt. 

Juther. Daß er den fleißig herumfchicdt, ſehe ich m 


1) Matth. 25, 14— 3%. Luc. 19, 12—27. Bol. Mattb. 24, 
Luc. 12, 46. 

2) 1 Betr. 5, 2. 3. 

3) Leo hatte eine ihm gefährliche Partei im Cardinalcollegium & 
unterbrüdt, unb außerdem durch bie Belehnung feines Neffen 2eı 
be’ Medici mit bem eingezogenen Herzogtum Urbino zu kriegerif 
Blutvergießen Anlaf gegeben. 





VO. Der Warner. Erſtes Geſpräch. 275 


Aber wie läßt fi annehmen, daß das etwas zu ber Seelen 
Seligfeit beitrage, was er nicht deßhalb, fondern um Gelb 
zufammenzubringen, anorbnet? Doch wenn dieß auch nicht 
wäre, und er nicht feinen Gewinn babei fuchte, jo wäre doch 
nicht eher zu glauben, daß er das vermöchte, als bis er einen 
tbatfächlichen Beweis von feiner Heiligkeit uud eine Bürgfchaft 
dafür gegeben hätte, daß er jelber bereinit unter der Zahl 
ber Seligen fein werde. Gerne übergehe ih Manches von 
Leo und fchone feines Lebenswandels fo viel möglich; über 
bie Menfchen aber muß ich mich wundern, welche die Hoffnung 
ihrer Seligfeit auf Ablaf, d. h. die Erlaubniß gute Werte 
zu unterlaffen, bauen, ba fie doch wiſſen, daß ver Glaube 
ohne Werke tobt iſt.) Denn wenn es wahr wäre, was bie 
zu uns geichieten Ablakfrämer rühmen, daß durch Erfaufung 
deffelben die Seligfeit zu erlangen ftünde, fo wäre es nichts 
Großes mehr, Gott und ven Nächten lieben, Keinem fchaben, 
Bielen nügen, Keinem Unrecht thun, vielmehr es abwehren, 
ren Bedrängten Hülfe leiften, den Unterbrüdten beifpringen, 
die Dürftigen unterjtügen, den Armen mittheilen, ven Leib 
durch Arbeit und Wachen angreifen, durch Faſten fafteien, 
durch Enthaltfamtfeit freuzigen, ja in vollfommener Enthaltung . 
leben: das alles Hätte feinen Werth mehr, da man in Trüg- 
heit und Müfiggang, Faulheit und Nichtsthun, in Wöllerei 
und Trunfenheit, Ueppigfeit und Wolluft, in Zorn und Haß, 
Stolz und Hochmuth, unter Diebftahl und Raub, Wüthen 
und Morven, kurz im vollen Lauf aller Uebelthaten felig 
werben könnte, wenn man nur un Geld Ablaß faufte. Dann 
wären bie Fugger bie nächften an ber Celigfeit, denn fie haben 
die Mittel im Ueberfluß, um fich wieder und wieder Ablaf 
zu laufen. Dadurch würde aber mit großem Unrecht den 
Armen das ihnen von Chriftus verheifene Hünmelreich vor: 
1) Zac. 2, 26. 
18* 





Ts Hutten’s Gefpräche, Zweites Bud. 


die ruhige Hürde, durch Aufruhr und Empörung ftörft une 
beunrubigft, ſchnell hinweggenommen und vernichtet werben 
mögejt. 

Futher. Da wacht er nicht recht, und wird, um was er 
bittet, niemals erlangen. Denn er follte die gemeine Wopl- 
fahrt aller Chriften der feinigen vorziehen, und nicht blos fo 
obenhin für das Beſte der Chriftenheit beten; auch ift es 
gottlos und dem Sinne Chrifti gar fehr zumiber, irgenb eines 
Menfchen, ſelbſt des ſchlimmſten, Untergang zu wollen, va 
Er auch für feine Verfolger gebeten und ums angewiejen bat, 
ein Gleiches zu thun.) Dieß alles richtig erwogen umb an- 
gefchlagen bleibt dir nur Eine Wahl. Entweder mußt du an- 
nebmen, daß der Papft pas, was du ihm ohne Weiteres 
ſchon jett zugeftehft, erjt dann von Chrifto erhalte, wenn 
er wie Petrus auf die dritte Frage feine reine volllommiene 
Gottesliebe zu beiheuern wagen darf; oder, wenn fein Veben 
init den Sitten und dem Wandel der Apojtel nicht überen- 
ftimmt, mußt bu urtbeilen, daß er auch weit von jener Macht: 
vollkommenheit entfernt fei. 

Warner. Ich verftehe dich nicht, jo wider alle mein 
Borftellungen iſt was bu worbringit. Bf 

Tuther. Du wirft mich aber verftehen, wenn Du mich an 
hören willft. 

Warner. Allein ich bin ängftlih, denn ich weiß, je mehr 
ih dir Gehör gebe, deſto tiefer ſtürze ich mich in ven Brrfhum. 

Futher. Ach, nicht in den Irrthum, zum Helle Filbrt ber 
Weg, auf dem ich bir vorangebe. 

Warner. Ich folge dir nicht. Denn auch noch auf einem 
andern Wege, ver kürzer ift und auf dem die heiligften Päpfee 
und ber größere Theil der Chriftenheit wandeln, läßt fich zu 
eben dem Heil gelangen. Muß man denn Gefahr faufen, je 


1) Luc. 23, 34. Mattb. 5, 4 





VO. Der Warner. Erſtes Gefpräd. 377 


Warner. Das thu du auf deine Gefahr. Aber da bu 
die Bullen mit fo wenig Ehrfurcht aufnimmft, was wirft bu 
mit den Decretalen thun, die felbft auch eine aus Bullen und 
päpftlichen Erlaffen zufammengefügte Sammlung find? 

Auther. Etwas Großes, wenn ich die Fürften und das 
hriftliche Volk dazu überreden kann: nämlich fie zu verbrennen 
und gänzlich zu vertilgen, und nicht allein fie, fonvern das 
ganze päpftliche Recht. ?) 

Warner. Welche Gottlofigfeit höre ich da! Das päpft- 
tihe Recht willft du abfchaffen ? 

Auther. Wenn ich kann, gewiß. 

Warner. Berhüte Gott, daß bu das vurchjegeft! Aber 
warum denn bie Sabungen fo vieler frommen Päpfte, bie 
Verordnungen fo vieler heiligen Männer? 

Auther. Weil fie als bloße Menfchenfagungen, ohne vie 
man füglich vecht leben und auch felig werden Tann, ja bie 
näher betrachtet fogar nach Gewinnfucht riechen und nad 
Ehrgeiz ſchmecken, ſich gleichwohl über Gottes Gebote erhoben, 
ven Schultern der Gläubigen eine unertrügliche Laſt aufges 
bürvet?), und was Chriſtus nicht nur leicht, fondern auch 
angenehn gemacht hat, bis zum Ekel und Haß erfchwert 
haben. Doch beantworte mir ein Drittes: trägt denn Leo 
auch Sorge, feine Heerve zu hüten? und verwendet er fich 
mit unabläffigem Gebete bei Gott für die Kirche? 

Warner. Mit der größten Wachfamfeit forgt er, daß feinem 
Rom und ber heiligen Curie nichts abgehe, denn das berührt 
ihn am nächſten. Dann aber, gütig wie er ift, möchte er 
auh ver Welt geholfen wiſſen. Darum betet er jegt Tag 
unb Nacht, daß bu, ver bu ihm ben friedlichen Schafſtall, 


1) Belanntlich Hatte dieß Luther kurz vorher, am 10. December 1520, 
wirklich geihan. 


2) Matth. 23, 4. 





278 Hutten's Gefpräce. Zweites Buch. 


die ruhige Hürde, durch Aufruhr und Empörung ftörft und 
beunrubigft, ſchnell hinweggenommen und vernichtet werben 
mögeft. 

Zuther. Da wacht er nicht recht, und wird, um was er 
bittet, niemals erlangen. Denn er ſollte die gemeine Wohl: 
fahrt aller Ehriften der feinigen vorziehen, und nicht blos fo 
obenhin für das Befte der Chriftenheit beten; auch ift es 
gottlos und dem Sinne Chriſti gar fehr zuwider, irgend eines 
Menjchen, jelbit des jchlimmiten, Untergang zu wollet, ba 
Er auch für feine Verfolger gebeten und uns angewiejen hat, 
ein Gleiches zu thun.) Dieß alles richtig erwogen und an- 
gefchlagen bleibt dir nur Eine Wahl. Entweder mußt du an- 
nehmen, daß ber Papft das, was du ihm ohne Weiteres 
ihon jett zugeftehit, erſt dann von Chriſto erhalte, wenn 
er wie Petrus auf bie britte Frage feine reine volllommene 
Sottestiebe zu bethenern wagen darf; oder, wenn fein Leben 
mit den Sitten und dem Wandel ver Apoftel nicht überein- 
ftimmt, mußt du wrtheilen, daß er auch weit von jener Macht: 
volffommenheit entfernt fei. 

Warner. Ich verftehe dich micht, fo wiber alle meine 
BVorftellungen ift was bu vorbringft. 

Tuther. Dir wirft mich aber verftehen, wenn du mich an— 
hören willft. 

Warner, Allein ih bin ängftlich, denn ich weiß, je mehr 
ich bir Gehör gebe, deſto tiefer jtürze ich mich in den Prrfhum, 

Tuther. Ach, nicht in den Irrthum, zum Heile führt der 
Weg, auf dem ich dir vorangebe. 

Warner, Ich folge dir nicht. Denn auch noch auf einem 
andern Wege, der fürzer ift und auf dem die heiligſten Bäpfte 
und ber größere Theil der Chriftenheit wandeln, läßt fich zu 
eben dem Heil gelangen. Muß man denn Gefahr laufen, jo 


1) Luc, 23, 34. Mattb. 5, 4. 





VIL Der Warner. Erftes Gefpräd. 279 


thut man befjer, mit Vielen, als nur mit Einem und dem 
Andern das Spiel zu wagen. 

Auther. Auch nicht mit Vielen follft du zu Grunde gehen 
wollen. Denn ich jehe jchon, du ſetzeſt dich freiwillig ber 
Gefahr aus. Das gib doch auf und laß dich von mir er- 
mahnen, ja bitten und bei ver Erbarmung Ehrifti bejchwören, 
dich nicht abwenbig machen zu laffen. Schon hat mein Be- 
möähben anderswo reiche Frucht getragen: o geftatte, daß ich 
unter fo vielen taufenden auch beine arme Seele gewinne. 

Warner. Das fannft du nicht; es hat fie fchon ein Andrer 
und hält fie feit. 

Iuther. Wer hat fie? 

Warner. Zu Rom ift fie, dort wird fie feftgehalten. 

Auther. Wie Haft du da ein edles Gut an einem unwür⸗ 
bigen Ort niedergelegt! Du wirft darum kommen. 

Warner. Ich habe befjere Hoffnung. 

Auther. Deine Hoffnung tadle ich nicht; aber bamit bu 
ſchnell erreicheft was tu hoffft, fordere das anvertraute Gut 
von Rom zurüd. Für Seelen ift e8 fein ficherer Aufenthalt. 
Es ift ja der Schlund, der ftets verfcehlingt, und doch ftets 
Bungert und nie fatt wird. Es ift der Abgrund, vie Charybdis, 
bie ſchluckt, aber nicht wieder von fich fpeit, wo bie Seelen 
elendiglich verftridt und in den Schlingen des ewigen Ver⸗ 
berbens gefangen werben. Gib Chriſto deine Seele zurüd, 
ja gib fie zurüd, Lieber. 

» Warner. Wie oft foll ich noch fagen, daß ich eben darum 
Kom anhänge, um Chrifto anzugebören? 

Juther. Du irrſt. Hier eignen wir dich Chrifto zu. 
Hier retten wir deine Seele. Folge mir, fo möge Chriſtus 
bich lieben und felig machen! 

Warner. Das bat aber der Oberbirte bereits verboten, 
und er würde biefe meine arme Seele, die du, ich weiß nicht 
wohin, retten willft, auf jede Art verdammen, wenn ich mich 





280 Hutten’s Geſpräche. Zweites Bud. 


je irgendwie mit dir einließe. Doch was laffe ich mich Tänger 
aufhalten, da ich doch nicht um bie zu hören, ſondern Tebig- 
ih um dir von mir Nachricht zu geben und meinen Abgang 
anzufündigen, biehergefommen war? 

Tuther. Da ich dich freundfchaftlich angehört habe, it es 
billig, daß du auch mich anhörſt. 

Warner. Noch weiter anhören, nachdem du mich Bereits 
mit fo vielen Worten übertäubt haft? Doc ſei es, wenn 
dur einmal zu Ende fommen willſt. Indeſſen fürchte ich, ba 
du den Papit zu Rom arm machit, möchtet bie auch mic 
durch dein Zureden noch einmal in Dürftigfeit bringen. 

Zuther, Durch mich jellft du nicht arm werben, ba mein 
Vorhaben vielmehr ift, dich reich an Tugenden zu machen. 
Auch ihn mache ich nicht arm oder vürftig; denn erwäge nur, 
wie könnte er arm oder bürftig heißen, wenn er nach meinen 
Ermahnungen fich richtet, da er dann ganz in Chrifto fein 
wird, ber die Seinen niemald darben läßt? Oper Haft du 
den nicht gehört, welcher ſpricht: Ich bin jung gewejen md 
alt geworben, und habe noch nie gefehen den Gerechten ver— 
(ajfen, oder feinen Samen nad) Brod gehen?) 

Warner, Du willft aber do, er ſoll fein Geld Haben? 

Luther. Auch feins haben wollen. 

Warner. Und fein Gold ſoll er haben, feine Foftbaren 
Gewänder, Epvelfteine u. dergleichen ? 

Tuther. Was braucht er das, da er viel Größeres befitt? 
Daran muß er fo hängen, daß er jenes Andre mit Füßen 
tritt und tief unter fich achtet. 

Warner. Was ift aber diejes Bejjere, das er befist? 

Tuther. Tugenden wird er befigen und bie Betrachtung 
der nöttlihen Dinge zu feinem Gefchäft machen. | 

Warner, Was QTugenden? was göttlide Dinge? Gelb 


1) Pſalm 37, 25. 








VO. Der Warner. Erſtes Geſpräch. 281 


raucht er zur Nothdurft, das Andre, wovon ich fjagte, zum 
Hanz. 

Auther. Wenn du die Sache tiefer betrachteft, wirft bu 
gen, daß dem nicht fo ift, und daß jene Dinge dem über- 
üffig find, der volllommen fein will. 

Warner. Und ohne Geleit bringft du mir den Papſt daher, 
hne Trabanten? und willft nicht, daß er wie bisher von einer 
eibwache zu Pferd und zu Fuß umgeben fei? 

Juther. Fürs Erjte, was braucht der eine bewaffnete 
eibiwache, der nicht nur jelbft Niemanben Gewalt anthun, 
mbern fie nicht einmal abwehren foll, wenn man fie ihm 
ntbıt? Denn gegen jenen Feind ber Seelen, ben Zeufel, 
at er fi) durch Tugenden zu jchirmen, nicht durch Panzer 
ab Schild, durch Gottes Wort, nicht durch Schwerter und 
anzen. !) Ueberbem wird er nicht ohne Geleit fein, da feine 
probten Tugenden immer viele Menfchen zu ihm heran 
tehen werben. 

Warner. Und fo willit du auch hier die Biſchöfe haben? 

Auther. Auch bier. 

Warner. Unverſchämter! jo armfelige Herren foll jich ver 
eutjche Adel gefallen laſſen? 

Uuther. Dann werben ja aber die Biſchöfe feine Herren 
ıebr fein, ſondern Hirten. . 

Warner. Ich will dich mit Einem Worte fchlagen. Wem 
as Weiden übertragen ijt, der darf auch herrichen. 

Juther. Er darf es, ja, nämlich über die Seelen ber 
Renfchen, damit fie fich nicht vom Weg ber Wahrheit ver- 
ven. Jenes weltliche Regiment aber und alle zeitlichen 
Jänbel und die Sorge für vergängliche Dinge joll ein chrift- 
her Biſchof purchaus von fich ablehnen. Denn wenn er fich 
arum befümmerte, könnte er jenes Andre nicht bejorgen. 


1) Bgl. Eph. 6, 11ff. 


« 


382 Hutten’s Geſpräche. Zweites Bud. 





Warner. So willſt du alfo, auch ich foll mein Gelb weg 
werfen und meine Pferde und Diener abjchaffen, um nadt 
dem Himmel zuzugehen, von dem freilich bei foldher Verirrung 
Niemand wiffen fann, wo er fein mag? ur 

Futher. Nichts weniger. Denn was ich jagte, gilt nur 
von den Vollfonmenen: ihr hingegen fönnt auch im jenem 
mittleren Stande felig werben, Denn jo eng bat Chriftus 
das Himmelreich nicht verfchloffen, daß Alle vie volffommenfte 
Tugend haben müßten, jondern er ift jelbjt auf Milderung 
bedacht gewejen, und hat nach jener höchſten und himmlischen 
noch eine zweite Stufe mit gelindern und faßlichern Anfor- 
derungen aufgeftellt. Könnt ihr nun jenes Volllommene (nad 
dem ihr gleihwohl aus allen Kräften jtreben ſollt) nicht en 
reichen, jo foll auch jenes Andre ſchon zur wahren Seligfeit 
genug fein. Alſo mögen Viele Geld und Gut und Diener 
ichaft behalten und doch jelig werben, und barumter ud 
Bifchöfe; doch diefe unter der Bedingung, daß fie ſtets bereit 
jeien, ihre Habe mit den Armen zu theilen, für ſich aber 
nur das Nothwendige gebrauchen, ohne Stolz und Prunl, 
beſonders aber ohne Unrecht gegen Andere. Ein Gräuel aber 
ift e8, daß ein chriftlicher Bifchof nach Geld trachte, es mit 
Gewalt und Unrecht raube und in Wohlleben vergeude, ba 
er doch weder dem Stolz noch der Luft bei fih Raum geben, 
weber bes Fleiſches Gelüfte wollbringen, noch in bie Loccungen 
der Welt jich verjtriden foll; wie viel minder, daß er ben 
Frieden ftören, Kriege führen, Blut vergießen, oder dazu fe 
Veranlaffung geben dürfte, va es ihm vielmehr obliegt, Ania 
tracht, Aufruhr, Krieg und Mord, wo er immer fann zu 
verhindern. 

Warner. Solder Biſchöfe bier zu Lande würde ich ⸗ 
ſchämen 

Tuther. Du wirft es nicht, wenn bu dich nur a — 
gewöhnt haft. Denn du wirſt erkennen, daß ein groker 





VII Der Warner. Erftes Geſpräch. 283 


Unterfchied zwifchen jenen weltlichen Fürften und ven Hirten 
ber chriftlichen Heerde ftattfindet, und wirft beide Theile, jeden 
an feiner Stelle und nach feinem DVerbienfte, ehren. 

Warner. Es ift eine große Veränderung, auf die du es 
anlegft, und ich glaube nicht, daß fie in Deutſchland durch⸗ 
führbar ift. 

Tuther. Sie ift es, fo gewiß Deutſchland überhaupt zu 
helfen ift. | 

Warner. Immerhin. Ich werde, das follft du wiffen, 
den ficyerern Weg einfchlagen. 

Zuther. Welcher ift dieß? 

Warner. Diefer: Biſt du ein Ehrift? 

Wuther. Und zwar mit Stolz. Denn dieß halte ich für 
meine einzige und wahre Chre. 

Warner. Auch der Papft ifte. Denn er befennt wie du 
das Evangelium, und it darum ber Höchite, weil er Ehrifti 
Stellvertreter ift und den Vorfchriften desjenigen folgt, deſſen 
Stelle er verfieht. 

Juther. Unter dieſem Vorwande betrügt er fchon lange 
die Welt und macht den Augen der Gläubigen einen Dunft 
vor. Oder haben denn nicht fchon viele Jahre lang unzäh- 
fige Päpſte Sagungen gemacht, die dem Evangelium zu⸗ 
wiberlanfen? 

Warner. Welche das fein follen, weiß ich nicht fo recht. 
Jedenfalls fehe ich, daß fie bei ihren Verorbnungen Chriftum 
befennen, fich überall auf fein Anſehen berufen, auf dieſes 
Ziel Alles hinrichten. 

Tuther. Gerade wie wenn man Blei vergolvete und es 
bir für Gold verfaufte, oder vielmehr wie wenn einer bir 
verberbliches Gift in einer elfenbeinernen Büchſe fchidte. 
Denn was macht es aus, daß fie mit Chriſti Namen und 
Anfehen ihre Eatungen bemänteln, wenn bieje gleichwohl 
auf Geld angelegt find, nach Gewinnfucht riehen und in 





284 Hutten’s Geiprähe. Zweites Bud, 


allen Theilen nach Habgier ſchmecken? Das wäre gewiß micht 
der Fall, wenn fie von Ehrifto her überliefert wären. 

Warner. Nun jebe ich, woher es fommt, daß bie Leute 
dich noch einer andern Gottlofigfeit befchuldigen, daß du näm⸗ 
(ich die reihen Spenden au die Kirchen unterfageft und ber 
frommen fFreigebigfeit gegen die Priefter Chriſti — 
ſetzen wolleſt. 

Tuther. Es iſt wahr, was bie Leute jagen: ich möchte 
das wirklich gerne thun, und nicht ohme Urſache, denn ich 
ſehe, daß das, was fie Frömmigkeit nennen, eine Doppelte 
Sottlofigkeit ift. Fürs Erfte entziehen fie ihren Kindern und 
rechtmäßigen Erben das väterliche ihnen gehörige Gut, um 
fremde zu bereichern. Dann vergaben fie ed an Ummwirbige, 
um ihnen Mittel zum Praffen an die Haub zu geben um 
einen fchlechten Lebenswanbel möglich zu machen. 

Warner, Sollen denn nicht, die dem Altar dienem, von 
dem Altar ihr Theil empfangen? *) 

Tuther. Das jollen fie; doch nur fo viel, um ihr Leben 
ehrlich zu friften, nicht um fich unmäßig zu bereichern. Die 
Kirche aber braucht fein Gold, aufer etwa um es unter bie 
Armen zu vertheilen. Was wollteft du auch Geld an bie 
Kirhen verichwenden, daß es die faulen Domberen und 
Mönde in Wohlleben verzehren, oder prächtige Dinuern, 
Paläſte und Laudhäuſer davon bauen, Dinge, bie, doch balı 
wieder zu Grunde gehen miüffen? Den Armen ſoll man e 
geben; denn bie find die wahre, lebenbige und umfterblice 
Kirche Chriſti. 

Warner. Wie es fich mit alledem verbalte, darüber wribeile 
ich nicht, miſche mich micht im den Streit, unb mache bier 
weber für die eine noch die andre Seite den Anwalt, Dene 
Römischen aber dehe ih deiner Partei deßwegen vor, weil 


— — — — — — — 


1) 5 Moſ. 18, 1, 1 Kor. 9, 13. 





VO. Der Warner. Erſtes Geſpräch. 285 


hre Grumbfäge erträglicher find und von der gemeinen Xebens- 
ewohnbeit weniger abweichen. Nämlich, daß man Neichthum 
efigen und gebrauchen bürfe, und fich Vergnügen machen, und 
m Vollauf Teben, und fich in jeder Art gütlich thun. Und 
ſt eine Vorfchrift gar zu ftreng, fo ift eben jener Hirte ge- 
jeigt, fie zu mildern, davon nachzulaffen, manchmal auch, 
te ganz aufzuheben. Und das thut er nicht unbefugt, va ihm 
chriftus die Befugniß gegeben hat. Denn das ift ja, wie 
ch ſehe, die allgemeine Annahme und Uebung: wenn man 
was Schlechtes thun will, macht er, daß man e8 auch darf, 
er gute und milde Vater, ber Alles nachfieht und verzeiht, 
amit Keiner das Joch Chriſti als hart und feine Laft als 
rüdend von fich weifen könne.) Das wäre bon dir nicht 
u erlangen. 

Auther. Wie fünnte ich dir auch geben, was ich nicht 
abe, was zu geben mir nicht zufteht? Oper welches Recht 
ätte ich, bir etwas zu gejtatten, was m" an Keinem bulden 
arf? Sie aber, wozu brauchten fie das Geſetz Chriſti erft 
u erjchweren, und dann hinterher zu erleichtern, als weil dieß 
nen Gewinn brachte? Und wie follte ich bir den Himmel 
erfprechen, du möchteft leben wie du wollteft, da ich ihn dir 
nicht geben kann, und bieß in Feines Menfchen Macht fteht, 
mich derer nicht, die fich unter euch am meiften beffen rühmen? 
Rechtichaffene Männer aber, wenn es auch in ihrer Hand 
äge, dir Erlaubniß zum Böſen zu geben, würven aus Ach: 
ung vor bem Guten und Liebe zu Gott dieß nicht thun 
volfen, und du, wenn du rechtfchaffen fein willft, wirft nie- 
nals darım bitten. 

Warner. Doch wenn ich bitte, weiß ich, er würde mir’s 
jewähren, und ich dürfte dann, wenn je eine Echuld tabei 
päre, auf feine Verantwortung ſündigen. 


1) Vgl. Matth. 11, 30. 





280 Hutten's Geſpräche. Zweites Bud, 


Zuther, Du ſollſt aber gar nicht- wünſchen es zu dürfen. 
Glaubſt du denn, wenn bu jo auf fremde Verantwortung Dich 
verfehlit, verringere das im mindeften beine eigene Berant- 
wortlichfeit? und willft du dich bei deinem Handeln fremben 
Urtheils bedienen, da du doch mach deinem Gewiffen leben 
ſollſt? Weißt du nicht, daß du in jenem leßten Gerichte non 
allen deinen Worten, geichweige Werfen, wirſt Recheuſchaft 
geben müffen?*) und glaubft du, da werde ber auch nur etwas 
für dich leiften, der dir jegt jo unverjchämt Alles verfpricht? 

Warner. Allerdings glaube ich das. 

Zuther. Wird denn aber Einer genug fein, um für fo viele 
Zaufende einzuftehen? Denn auch für alle Andern müßte er 
ebenjo fic) verwenden, venen er einft das Gleiche verfprochen hat. 

. Warner. Das wird er aud, und mit einem einzigen 
Wörtlein Alle frei machen. 

Tuther. Wie Vieles hat dann Ehriftus umſonſt  gerebet, 
jo viele gelehrte md heilige Männer umſonſt gejchrieben, 
wenn jenes Eine Wortlein, fei es welches es wolle, Hinreicht, 
jeden Anftand zu heben, jede Schwierigkeit aus dem Wege 
zu räumen. Warum mühen wir uns mit jo vielen Geboten, 
wenn Chriſti Meinung war, einen Stellvertreter zurüdzulafien, 
von dem das Thun aller Andern abhängen ſollte? Da hätte 
er, wie er einjt von dem Tröfter jagte: er wirb euch. * 
lehren?), jo von jenem Stellvertreter bei ſeiner Dimmelfah 
jagen müfjen:; er wird alle eure Angelegenheiten verwalten, was 
er euch gebietet, das thut, und was er euch. verbietet, Das 
laſſet. Siehjt du, auf welchen Weg du bijt? 

Warner. Auf einem Irrweg nad) deiner Meimmg. Doc 
da mag jener zuſehen. 

Futher. Nein, du mußt zuſehen, denn um deine Haut 
handelt es ſich. 


— — — 


1) Matth. a. 12, 36. 
2) 0b. 14, 26. 








VO. Der Warner. Erſtes Geſpräch. 287 


Warner. Du machſt mich nicht irre. Denn außerdem 
agt mir die Stellung ſolcher Bifchöfe fehr zu, und es fcheint 
nir ehrenvoll für Ehriftus, daß fein Stellvertreter fich fo 
feibe, gürte und fchmüde, von ſolchem Reichthum umgeben 
mb mit folcher Macht begabt ſei. Und wie könnte man von 
bar fagen, er ehre Ehriftum nicht, da er fogar feine Efel, das 
Ebier, veflen fich ver Herr währen feines irdiſchen Wandels 
u bedienen pflegte, mit goldenen Zäumen und purpurnen 
Deden ziert? Und welche Ausficht, wenn er, wie wir feft 
fauben, vermaleinft mit feinen Schlüffeln ven Himmel aufs 
chließen, und uns aus Wohlleben und Reichthum in PBurpur 
mb Kronen mit ihm hineinführen wirb: indeß ihr, nach einem 
Ammmerlich hingebrachten Neben, verachtet und gering geſchätzt, 
em Elend und Leiden überlaffen werbet? 

Iuther. Du bift vollftändig im Irrtum, und ich wollte dich 
Weechtiveifen, wenn bu meine Mahnung annehmen möchteft. 

Warner. Ich habe fchon genug von deinen Lehren anger 
ört, und werbe zwar wie bisher bein Freund bleiben, aber 
on dem Papfte zu Rom abzuweichen, finde ich, wenn es 
uch erlaubt wäre, doch nicht ficher. Auch mußt du von dem 
freunde nicht verlangen, daß ich mit meinem Schaden bir zu 
Billen fei, und um veinetwillen mir muthwillig Unheil zuziehe. 

Inther. Das fordere ich nicht, ja ich darf eine Gefällig- 
eit, von der ich weiß, daß fie dir fchaden würde, nicht ein- 
nal annehmen. Denn ich wünfche deine Freundſchaft nur 
ann, wenn fie bir feines Biedermanns Feindſchaft zuzieht, 
efchweige deſſen, ven du für felig und allvermögenp hältit. 
Inch iſt e8 ja nicht meine, ſondern Chrifti Cache, bie ich 
ihre, fein aller Gewinn wie aller Verlujt babei. Da magit 
u zufeben, ob bu zugleich fein Freund fein und jenen Grund» 
gen folgen kannſt. Doch darüber babe ich nun mehr als 
enug geſprochen; indeß will ich dir auch fünftig noch immer 
ern zu Dienften fein, wenn bu mich hören magit. 





288 Hutten’s Geſpräche. Zweites Buch. 


Warner, Das werde ich nicht können; denn Leo's Bulle 
ruft mich zurüd, vie Alle verdammt, welche mit Dir irgenb- 
wie verkehrt haben, wenn fie nicht fehleunig vom bir laſſen. 
Aber höre du, wenn es jo unverwerflich ift was bu vorträgſt, 
wie fommt es denn, daß deren noch immer jo wiel mehrere 
find, die deine Lehren, nachdem fie fie kennen gelernt, nicht 
angenommen haben, als die Lutheriſch geworben find? 

Tuther. Ich weiß wohl, mit jener Partei halten es alle 
?ebemänner und Genußmenfchen; ich aber richte mich nicht 
nach dem Haufen und der Menge, ſondern nah der Schätzung 
der Dinge ſelbſt. Auch du, wenn du mich hören wollteſt, 
würdeſt dich nicht bevenfen, jene von Dielen breitgetretene 
und ebene Straße zu verlaffen, und dieſen ſchmalen, fteilen 
und kaum erjt entbedten Pfad einzufchlagen. 

Warner. Ich höre dich nicht und gehe nun vom binnen, 
um nicht, wenn ich noch länger bliebe, bei jenem jchlüffel- 
tragenden Stellvertreter in Ungnade zu fallen, | 

Tuther. So geh, wenn es dir fo beliebt. Ich aber be 
baure dich, der bu mir jo umgewandelt worben, baf bu für 
glänzend hältſt was es nicht ift, und mit Hintanfegung tes 
Wahren und Aechten leerem Rauch umd eiteln Bofjen nachläufft. 

Warner. Ich gehe doch. Lebe wohl. 

Euther. Auch du lebe wohl; bu haft es am ndthigſten. 

Warner. Aber höre du Luther. Weißt du was au 
ichehen wird? 

Luther. Was mit mir, kann ich mir venfenz; wie aber 
fönnte ich’8 von bir willen? 

Warner. Nächſtens wirft du mich als Carbinal jehen. 

Tuther. Nun hab’ ich's endlich. Um diefen Preis Kait 
du ein unſchätzbares Gut, deine Seele, verfauft, DO Efenb! 
So geb denn; wir wollen unterdeſſen für‘ ben Einen Ben 
lornen gleich zwei oder drei Andre Ehrifto zu gewinnen fuchen. 





+ vm. 


Ber Warner. 
Zweites Gefpräd. 


wur 
— — — — 


Einleitung. 

Abermals ein Stüd ruhigen Gedanfenaustaufches wie das 
vorige Geſpräch, und doch zugleich ein Gegenftüd zu dieſem. 
Datte dort der Warner zwar Luther nicht umzuftimmen ver- 
mocht, aber fi von ihm auch nicht umftinnmen laffen, fo 
gelingt e8 dagegen hier Franzen von Sidingen, den zu ihm 
tretenden Warner umzuftimmen und für fih und die Sache 
der Reformation zu gewinnen. Konnte man bei jenem erften 
Warner an Männer wie Erasmus denfen, fo müffen einem 
bei diefem zweiten die ehrlichen Schwäger, ein Domfänger 
Philipp von Tlersheim, ein Ritter Dietrich von Handſchuchs⸗ 
beim, einfallen, von denen wir willen, baß fie an Sidingen 
arbeiteten, ibn von der gefährlichen PBarteinahme für Luther 
und feine Sache abzuziehen; während umgekehrt Franz an die 
Umftimmung des Handſchuchsheimers ein eignes Senbfchreiben 
wandte. 

Ueber Hutten’s und Sidingen’s Plane zur Reichsreform 
gibt biefes Geſpräch merkwürdige Auffchlüffe. In feinem er- 
fcheint Franz in fo hoher Stellung, fo hellem Licht. Die 

Strand, Hutten's Gefpräde. 19 





290 Hutten's Gefpräche. Zweites Buch. 


Grundfäge über die Pflichten eines Fürftenraths, die er auf- 
ftellt,, find mufterhaft. Und während man in Hutten fo gerne 
nur einen Stürmer und Dränger ohne Klugheit und Beſon⸗ 
nenheit fieht, möge man fagen, was für die Behandlung 
religiöfer, überhaupt geiftiger Bewegungen von Seiten ber 
Staatsgewalt bie grauefte politifche Weisheit Beſſeres aufzu- 
jtellen hat, al® was er bier feinem Franz in den Mund legt, 
und wir uns nicht haben enthalten können, al® goldene auch 
für unfre Zeit lehrreihe Sprüde im Drud auszuzeichnen. 
Uebrigens Fingen manche Yeußerungen des Warners über 
die mit Sidingen’8 Unternehmen verbundenen Gefahren, fo 
hochherzig fie der Ritter auch von fich weiſt, doch wie Ah⸗ 
nungen des tragiſchen Schidfals, das ihn zwei Jahre fpäter 
wirklich betroffen hat.) 


1) Bgl. meinen Ulrich von Hutten, Thl. II, Kap. VI, ©. 138. 
147 f. 151—156. 202 f. 





Der Warner. 


Zweites Geſpräch. 


Es unterreden ſich: der Warner und Franz. 


Warner. Neulich war ich bei dir zu meinem Vergnügen: 
jetzt komme ich in einer bringlichen Angelegenheit um dich zu 
warnen. Denn feit unfre Freundfchaft befteht, habe ich, fo 
viel an mir war, niemals gebulbet, daß dein Auf Noth Titte. 

Franz. Wie? leidet er benn? oder was haft du fo Dring- 
liches vorzubringen ? 

Warner. Gewiß leidet er, und darum bin ich bier, dich 
zu mahnen, dem nicht fo zuzufehen. Denn fchon find es 
etliche Monate, daß man ba und dort übel von bir fpricht. 

Iran. Uebel von mir? So fag’ aber nur, wo und 
weßhalb? 

Warner. Auf jener großen Reihe-Verfammlung?!), wegen 
des Verdachts von Ketzerei. Sie fagen nämlich, du feieft von 
Luther's Partei und gebeft jenem Hutten bei dir Aufenthalt, 
der einft noch großes Unheil anrichten werde. Ja du habeft 
auch, Tagen fie, ven Vorſatz gefaßt, pie Geiftlichen und Bi⸗ 
Ichöfe zur Ordnung zu bringen, ohne Scheu vor Leo’8 Bulle 
und ben Verboten fo vieler frühern Päpite, daß Keinem 





1) Zu Worms. 
19 * 





292 Hutten's Gefpräcde. Zweites Bud. 


geftattet fein folle, ven Verordnungen der römischen Bifchäfe, 
fo unbiffig fie ihm auch vorfommen mögen, zu wiberfprechen, 

Tram. Gleichwohl, obſchon ich aller dieſer Dinge geftänbig 
Bin, fehe ich nicht ein, warum ich ihretwegen ins Gefchrei 
fommen follte. Denn meine Meinung ift, gegen bie fchmukige 
Pfaffenherrſchaft müffe jeder Biedermann zu diefer Zeit ſich 
ernftlich wehren und mit allen Kräften dieſem Joche beharrlich 
widerftreben. Dem Luther aber hold zu fein, was foll darin 
für ein Verbrechen liegen, da er das Evangelium prebigt und 
bie Gewiffen ver Menſchen von den gefährlichiten Prrihümern 
(08 macht? Von Hutten habe ich noch gar nicht einmal ge 
hört, daß er wegen feiner Schriften verurtheilt oder auch mur 
angeffagt worden wäre. Im Fall fie aber den Luther zur 
Verantwortung zuließen, glaubjt du, baf er nad) irgend welchen 
Geſetzen verdammt werben könnte? 

Warner. Jene glauben es, nad den heiligen Sagungen 
ber Päpſte. 

Franz. Das heißt, nach ihren eigenen. Das haben fie je 
fängft vorgefehen, daß fie Alles, was zu ihrem Vorteil. ivar, 
als Gefeg betrachteten und zur Nachachtung, ja zur unver⸗ 
brüchlichen Beobachtung vorſchrieben. Denn es war eine Zei, 
wo fie Geſetze geben durften. Hätten die Menfchen 
bamald deren Umbilligfeit erfannt, jo brächen nicht dest erſt 
dieſe Unruhen aus. 

Warner. Aber jene, die ihnen den chrfurchtsvollen Ge 
horſam leiſteten, ſind nach ihnen Biedermaäänner und gu 
Chriſten geweſen: von euch ſagen fie, ihr dehet aus Gifau- 
bensüberbruß mit Neuerungen um, | 

Tran. Wir mit Neuerungen, deren ganzes Beſtreben 
bahin gerichtet ift, die alte Sitte zurüczuführen und bie Durch 
ſchlechter Menſchen Schuld verfallene chriftlihe Frömmigkeit 
iwieber aufzurichten? Im Gegentheil, fie gehen mit Neuerungen 
um, während wir bei Chrifto bleiben. Sp übel dieß jenen 





VIOIL Der Warner. Zweites Geſpräch. 293 


gefällt, fo wohl wird es, glaube ich, ihm gefallen, der nicht 
länger wird zufehen wollen, wie feine Gefege verfälicht, ber 
Glaube untergraben wird. 

Warner. Wenn das auch wäre, fo meinen fie doch, müßte 
man es Chriſto überlafjen, zu befiern, was etwa im geift- 
lichen Stand entartet ift. 

Fran; Das wollen wir auch; aber Gott pflegt fich ber 
Menſchen als Werkzeuge zu bebienen, wenn es gilt, die Uebel. 
thaten ver Böfen zu beftrafen. Dazu bieten wir uns frei« 
willig zwar, doch ohne Zweifel auf feine Cingebung, an. 

Warner. Das gebührt dir mit Nichten. ‘Denn der Geift- 
lichen Sade ift es, auf ihren Stand zu fehen, und wenn 
etwas darin Frank ift, es zu heilen; dir als Laien ift es nicht 
erlaubt, das Heilige anzurühren. 

Franı. Mich kümmert es nicht, wie mich jene beißen; 
obwohl ich glaube, fie werden einft noch Rechenſchaft geben 
müſſen für ihre Theilung des Chriſtenvolks.) Der Hoffnung 
aber fann ich mich nicht getröften, daß fie fich jelbjt rügen 
oder beffern werten: einmal weil um ihrer frühern Mifje- 
thaten willen nicht zu glauben ift, Chriftus werde ihnen jegt 
die Gnade geben, fich ſelbſt zu erfennen, fondern vielmehr, er 
werbe fie unerwedt in ihrer Gedankenloſigkeit, Sorglofigfeit 
und Blindheit zu Grunde gehen laffen; dann weil wir felten 
bemerken, daß gefährlich Kranke fich felbft Heilen. Darum 
glaube ich, ift und von Gott diefer Geiſt eingegeben, baß er 
einer beinahe fchon verzweifelten Sache durch uns helfen will. 
Denn wir fehen dabei nicht auf das was unfer ift, ſondern 
was Ehrifti ift fuchen wir. 

Warner. Möchteft du babei doch einfehen, in welche 
Schwierigfeiten du dich ohne Noth verwidelft. 


1) In Klerus unb Laien nämlich. 








»94 Hutten’s Gefpräde. Zweites Bud. 


Tran. Es find Schwierigkeiten dabeit —* ig —* 
gegen ſie kämpfen. 

Warner. Und Gefahren. 

Fram. Ich werde durchbrechen. 

Warner. Wenn du fannjt und freie Hand bazu sa 
Denn ich habe große Furcht bei ver Sache. 

Franz. Ich Hingegen vie höchſte Zuverficht, weil *— 
ich führe Chriſti Sache. 

Warner. Gewiß, die wirt du führen, und es ift all 
wahr, was man fagt, vu wolleft mit Leib und Gut um 
alfer Macht Luthers Sicherheit gegen männiglich ber fie bi 
drohen möchte vertheidigen. 

Iran. Wahr, wenn irgend etwas. 

Warner, Wie befümmert bin ich deßhalb um Dich, ba & 
über jedes bisherige Maf ver Freiheit hinausgebft, du möd 
teft dich im die äußerte Gefahr jtürgen umd elenb zu Grumt 
geben, 

Fran. Ich dagegen bin gar nicht befümmert, ſonber 
babe nur die Eine Sorge, daß ich Chrifti Gnabe, Die in mi 
wirft, wenn es gelten wird dieſe Sache durchzuführen, mid 
vernachläffige. Denn mehr und mehr gebt mir die gemein 
und chriftliche Freiheit zu Herzen, und ich brenne im Geifte 
ba ich ſehe, wie vieles Nergerliche jene Römlinge begeben 
und wie fie fein Maß noch Ende finden, Alles ins Schlim 
mere zu verändern und zu verfehren, Oder glaubft du, bai 
ber ruhig bleiben könne, dem Gott es eingegeben Hat, fid 
über diefe Dinge Gedanken zu machen? und willſt du, ich fol 
es mich nicht anfechten lajfen, wenn von allen Geiten bu 
ruchloſen Thaten jener Menfchen auf mein Gemüth einftürmen, 
ſoll e8 leiden, dah das gemeine Weſen zu Grumbe gerichtet 
des Kaiſers Würde verhöhnt, Chrifti Lehre gefälfcht une ab: 
gethban, Gott felbft den Menjchen genommen werbe? Lebe 
doch die Geiftlichen jegt jo, daß, wer fie die Auseriväblte 





Gottes nennen hört, fein Chrift mehr fein mag. Denn wer, 
ber frei umd fein eigener Herr ift, möchte einer Religion fich 
zuwenden, wo bie fchlechteften und verberblichften Menfchen 
für bie beften gelten und nach Belieben Gewalt und Herr— 
ſchaft über die Audern üben? Wie jchwer fällt der Chriften- 
heit vor Allem diefe unmäßige Gewalt ver römifchen Päpfte, 
bie, während ihnen aufgetragen ift, Chrifti Schafe zu weiden, 
fie nur fchinden, zerreißen und umbringen. Und wie hoch ift 
ihr Uebermuth geftiegen. Halten fie nicht die chriſtlichen 
Fürſten jo verächtlih, daß fie die einen die Kaiferkrone von 
ihren Füßen aufnehmen Lafjen, allen aber ihre Füße zum 
Kufje reihen? Welche Unbill und Gewaltthätigfeit aber, wie 
fie Städte, Länder, Herrſchaften und Reiche von Andern an 
fi reifen, und dem römischen. Kaiſer zuerjt die Stabt Rom, 
dann auch Dtalien abgenommen haben, und fogar. auf bie 
Herrſchaft über Das ganze Abendland als ein ihnen angefallenes 
Erbtheil Anfpruch machen. Wollte ich über Alles Klage führen, 
welche Zunge wäre ausreichend, eine Schilderung zu entwerfen 
von dem jetigen verfehrten Zuftande der Stabt Nom, von wo 
Beifpiele ausfließen, welche die Sitten der gefammten Chriften- 
beit verkehren und vergiften? Bon der Berborbenbeit ihres 
Carbinalcollegiums und den vielen rothen Hüten zu Nom, 
welche das dem chriftlichen Volke zuſtehende Recht, einen Papſt 
zu wählen (wenn anders Einer von Allen erwählt werden fol), 
mit Gewalt an fich allein reifen? Bon der Nuchlofigfeit der 
Eurtifanen, vie, als Verwalter der Päpfte, ihr Amt jo ver- 
jehen, daß, wenn fie micht wären, wir vielleicht nichts. Uns 
würbiges von Nom zu bulven hätten? Bon der Ichänplichen 
Ueppigfeit per Geiftlichen und der unerjättlichen Habfucht diefes 
Standes, ihrer Frechheit im Stehlen und Rauben, über: 
müthiger und gewaltthätiger als jede andre Tyrannei, wie 
vielfach und maßlos fie damit unfer Voll bejchweren? Und 
wie fie durch wunderſame Kunftgriffe vömifcher Erfinbung 





296 Hutten’s Geſpräche. Zweites Bud. 


nicht blos unfer Geld, unfre Güter und unfer Erbe anfallen 
was fchon mehr als genug, ja fchmerzlich zu beflagen wäre 
ſendern wie auch, was fchlechterbings nicht zu dulden ift, 
wollen wir anders Chrijten und Männer bleiben, unfre ein 
heimischen Sitten von der verborbenen Yebensweife der Stabi 
Rom die fchimpflichfte Anſteckung erleiden? Bon dem Ablaf- 
markt, dem Handel mit Gratien, Difpenfationen, Relara- 
tionen und Abfolutionen, von den Bullen aller Art, von ven 
Liſten, Ränfen, Kniffen, Schlichen, Täufchungen, Fallen und 
Schlingen, der Verfchlagenheit und Treulofigfeit, dem Möeineiv 
und Kirchenraub, den Erbichtungen, Fälſchungen, Anfchiwär- 
zungen und Berunglimpfungen, der Bosheit und Frechheit, 
dem Spott und Hohn, den Poffen und SZaubermitteln, ben 
Nachftellungen und Kunftgriffen, ven Schredniffen, Drohungen 
und Blendwerken, ben Diebereien, Räubereien und Scelm- 
ftüden, wodurch die jeßigen Lenfer der Kirche die Menfdhheit 
bintergehen? Dann wie all ihr Bejtreben darauf gerichtet 
ift, nicht uns zu belehren, was doch der Bijchöfe und Geift 
lichen Amt wäre, fondern und zu berauben und zu plünbern, 
was man fonft von Thrannen zu fürchten pflegt, und nich 
ung burch Unterweifung beſſer, fondern durch Beraubung 
ärmer zu maden? Wie zu Nom jest Alles auf Gewinn ber 
rechnet ift, bie Frömmigfeit Feine Stätte mehr findet? mb 
wie, fo oft dort neue Carbinäle gemacht werben, Deutjchland 
barauf rechnen kann, daß ihm neue Plünderer und Mäuber 
beftellt fein? Wie die Deutjchen feine Bifchöfe haben dürfen, 
bie nicht zu Nom ihre Bifchofsmäntel gekauft haben, Deren 
Preis aber von Jahr zu Bahr höher gejteigert wird? Wie 
die Rechte der Patrone umgeftoßen, das alte Herlommen 
mißachtet, bie Freiheit diefer Nation mit Füßen getreten, bas 
Anſehen der Kürften zum Gefpötte gemacht wirb; wie Demifche 
Kirhenpfründen, durch bie Wreigebigfeit unfrer Borfahren 
geftiftet, Leuten im Italien übertragen werden, während fie 





2) Tui Gezraie. Zmeed Fa. 


belien wırz, tas ter Stant der Tinge zu dieſer Zeit je 
Warn. Selch zrien Sein wirft ce mir Da in 
Dez, m welb ichwere Bedenklichkeit verwidelit re m 
Geranten. Ib jebe ichen, tu ich seicmmmen bin, dich 
warnen, mwireriäbrt es mir jekt, ven ir zewarnt zw wer 
Tech Eines will ich dir micht verbalten, was vie allgem: 
Rere in unt keinabe für auſsgemacht züt, daß Reiner je 
alüdlihee Ente genemmen but, rer tie Geiftlichfeit befimr 
auch wenn jein Angriñ auf ibre Yalter gerichtet wur. 
Fran. Tu laß vie trüben Befürdtungen; Iene aber mi; 
immerhin durch ausgeiprengte Gerüchte ihre Stellung zu vei 
inhen. Könnten tie es nur durch nichts Anteres, un m 
das ihre einzige Schutzwehr. Auf mich machen ihre Bei 
feinen Eintrud, vielmebr verachte ib hoben Muthes ihr Gere 
Jh tenne die Art ver Yeute, fenne ibre Küũnſte. Tod i 
Vertrauen darauf wird ihnen nächitens übel befommen. De 
aufgedeckt iſt jegt, was bisher zugeredt war, ihre Täuſcherei 
enthüllt, ihre Liſten verrathen, ihre Tafchenipielerfünfte ofj 
gelegt. Einft haben tie in ihren Anweijungen für das Chrifte 
volk ven Glauben jo jehr verfälfcht, die gottlejen Menſche 
dag man fie nicht für Chrifti Priefter, ſondern für die Pfaff 
eines frempen abſcheulichen Gögendienftes halten mußte. Je 
find ver Menſchen Gemüther erleuchtet, die Nebel gefalle 
Und dieſes Licht hat und auf Chrifti Eingebung vornehmli 
Luther angezündet: wer ihn haßt, ber liebt Chriftum nid 
Darum laffet uns ihm folgen, fo Viele unter uns find, den 
ber Berfall des Glaubens und ber Kirche zu Herzen gel 
Jene Betrüger aber lafjet uns aus der Welt jagen, und na 
Abwerfung des fehweren und unerträglichen Joches bie wah 
riftliche Freiheit uns erringen. Da fei bu guten Mutbe 
Und damit du fiebft, daß es nicht Allen übel ergangen i 
die den Pfaffen feind waren, nenne ich dir Einen ftatt Viele 





VII. Der ®arner. Zweites Geſpräch. 297 


weit entfernt find, uns an den dortigen einen Antheil zu gönnen ? 
Wie auf allen Wegen die gemeine Freiheit gehemmt wird, wie oft 
fie, wenn fie wieder auffeimte, zertreten, wenn fie aufathmete, er- 
ſtickt, wenn fie auftauchte, verfentt, wenn fie fich wehrte, zu Boden 
geichlagen worden ift? Wie mit feltener und beifpiellofer, alle 
Jahrhunderte her unerhörter Schamloſigkeit bier ein Handel 
mit Gnaden und Nachläffen betrieben wird, fo ausgebreitet 
und maffenhaft, daß er heutiges Tages gleich einer Sündfluth 
ganz Deutfchland überfchwernmt, nicht als forgten fie für unfre 
Seelen, fondern weil ihr Golddurſt nicht zu ftillen ift? Wie 
fie aber mit dieſen vorgeblichen Gnadenbezeigungen nicht frei— 
gebiger find als mit dem graufamen Bannſtrahl, ven fie 
fchleudern, und wie mit dieſer Strafe jett ſolcher Mißbrauch 
getrieben wird, daß fie nicht allein über Unfchuldige, ſondern 
noch dazu von folchen verhängt wird, melche ſelbſt die Schul- 
bigften find? Enplic von dem Streben der Römlinge, das 
einzig dahin geht, aus den Seelen ber Gläubigen bie evan⸗ 
gelifche Wahrheit auszurotten, und an ihre Stelle fchlaue 
Erdichtungen, menfchlihe auf ſchnöden Gewinn berechnete 
Ueberlieferungen zu ſetzen? Und wie die Kirchenhäupter jetzt 
nicht darauf denken, die Menſchen nach Ehrifti Vorfchrift eben 
zu lehren, ſondern ihre unmäßige Habſucht zu fättigen, ihren 
grenzen» und fchranfenlofen Ehrgeiz zu befrievigen? Wollte 
ich über Diefes und Wehnliches ausführlich Hagen, jo wäre, 
fage ih, feine Zunge hinreichend, der Athem würbe mir auss 
geben, die Bruſt verfagen, ehe ich die ganze Abfcheulichkeit 
biefer Dinge auseinandergejest hätte: fie iſt fo groß und 
unglaublich, daß ihre Schilderung jedes menjchliche Vermögen 
überfteigt. Darum werben, wie ich fehe, vie Gefchichtfchreiber 
unfrer Zeit einen harten Stand haben; denn während fie mit 
aller Beredtſamkeit den Dingen nicht gleichlommen können, 
wird die Nachwelt, fie mögen fich noch fo fehr mäßigen, 
innen feinen Glauben fchenfen, weil Niemand für möglich 





300 Hutten’s Geſpräche. Zweites Buch. 
Warner. Du ſcheinſt mir Luſt zu haben, Zisfa’s * 


wenn es anginge, auch bier nachzuahmen, 

Iran. Ganz abgeneigt bin ich nicht, wofern jene — 
bleiben, weder der Mahnung zu gehorchen, noch der Rüge 
nachzugeben; denn alsdann wird es nöthig fein, ſie zu zwingen. 

Warner, Wenn dich aber ber Papſt mit — — 
und Fluch belegt? 

Franj. Das wird ihn nichts helfen. Denn dieſer Bruſt 
fehlt es nicht an Wehr gegen ſolche leeren Schreckmittel. Wenn 
ſene mich verdammen, wird Gott, darauf traue ich feſt, * 
losſprechen. | 

Warner. Willſt du dich denn aber vem Herkommen nicht 
fügen, das jene Dinge fo mit fich bringt? | 

Tram. Wie follte ich, wenn es fein gutes it? Dper 
hätte man ein jchlechtes Herfommen nicht jeverzeit abthun mb 
ändern jollen ? 

Warner, Auch jetst noch jollte man das, glaube ich; aber 
jene halten es mit Nichten für Schlecht. Daher ſiehſt bu, wie 
auch viele Laien an dieſem Prunf der Biſchöfe, ihrer glän— 
jenden Hofhaltung und füniglichen Pracht, Gefallen finden. 

Franz. Ich jehe es und lege es als Strafe aus, wie ehe 
dem Die Stretenjer denen, gegen bie fie ben ſchwerſten Fluch 
ausiprechen wollten, zu wünfchen pflegten, daß fie am’ übler 
Gewohnheit Behagen finden möchten. Da wir num aber Tange 
und jchmerzlich genug dafür gebüßt haben, jo glaube ich, hat 
ſich Chriſtus endlich feiner Gläubigen erbarmt, will jenen 
Wahn aus den Gemüthern tilgen und fie, ftatt des traurigen 
Nebels, mit jeinem heilſamen Licht erfüllen. Daf er pas 
bald thun wolle, beweifen die großen Anfänge, bie wir vor 
Augen jehen; und num müffen wir ven Erfolg zu fürbern 
und zu bejchleunigen fuchen fo viel wir lönnen. Bejonbers 
wenn Gott Einem ein Gemüth gegeben hat, dem es abe 
geht, daß ftatt der heiligen Religion ein verberbliher Aber 





VIU. Der Warner. Zweites Gefpräd. 299 


den Böhmen Ziska, des gewaltigften und langwierigften Kriegs 
gegen die Pfaffen unüberwindlichen Führer. Was geht ihm 
zum vollfommenen Ruhme des größten Feldherrn ab? Hat 
er nicht das Lob nachgelaffen, fein Vaterland von der Zwing⸗ 
berrichaft befreit, aus ganz Böhmen die nichtsnugigen Men- 
fhen, die müßigen Pfaffen und faulen Mönche, vertrieben, 
ihre Güter theils den Erben der Stifter, theild dem Gemein 
weſen anbeimgeftellt, ven römifchen Eingriffen und den Räu⸗ 
bereien der Bäpfte das Rand verfchloffen, den Häglichen Unter- 
gang des Heiligen Mannes Huß mannhaft gerächt, in alle dem 
aber feine Beute gejucht, fich ſelbſt nicht bereichert zu haben? 
Gleichwohl hat er ohne eine Unterbrechung feines Glückslaufes, 
fchmerzlich vermißt von feinen Landsleuten, die er noch kurz 
vor feinem Tode mit heilfjamen Ermahnungen verjeben, fein 
Leben beſchloſſen. 

Warner. Ich aber Habe immer gehört, Ziska's Thaten 
feien voll Berruchtheit und Gottlofigfeit. 

Zranz. Auch ich habe das gehört, aber von feinen Feinden, 
oder von folchen, welche bie Gefchichte Nicht recht kannten, 
fonbern dem umlaufenden Gerüchte nachredeten. Was iſt es 
denn auch für ein Verbrechen, Schulvige zu trafen? Ober 
was ift Gottlofes daran, hochmüthige, graufame, babfüchtige, 
wollüftige, treulofe Menfchen, Ververber ver Tugend, Ber: 
ftörer der Geſetze, Leute, die Niemanden nügen, Vielen ſchaden, 
währenn fie fo große Verbrechen mit ven anftändigiten Namen 
bemänteln, folchen Menſchen abzunehmen was fie unrecht. 
mäßiger Weiſe, indeſſen rechtfchaffene und nügliche Bürger 
darben, in Trägheit und Müßiggang befiten, und fie aus 
dem Baterlande, wo fie durch ihre Menge Theurung verur- 
fachen, zu vertreiben? 

Warner. Meinft du, das fei den Böhmen von Nutzen 
geweſen? 

Fram. Dem ſpätern Erfolge nach war es das. 





300 Hutten's Geſpräche. Zweites Bud. 


Warner. Du jcheinft mir Luft zu haben, — ⸗ 
wenn es anginge, auch hier nachzuahmen. 

Tram. Ganz abgeneigt bin ich nicht, wofern jene —— 
bleiben, weder der Mahnung zu gehorchen, noch ber Rüge 
nachzugeben; denn alsbann wird es nöthig jein, ſie zu ziwingen. 

Warner. Wenn dich aber der Papft mit Bermalebeiung 
und Fluch belegt? 

Tran. Das wird ihn nichts helfen. Denn diefer Bruſt 
fehlt es nicht an Wehr gegen ſolche leeren Schreckmittel. Wenn 
jene mich verbammen, wirb Gott, darauf traue ich feit, — 
losſprechen. 

Warner. Willſt du dich denn aber dem Herlommen nicht 
fügen, das jene Dinge jo mit fich bringt? 

Tram. Wie jollte ih, wenn es fein gutes ij? Der 
hätte man ein jchlechtes Herkommen nicht jederzeit abthun ab 
ändern follen? 

Warner, Auch jest noch jollte man das, glaube —— 
jene halten es mit Nichten für ſchlecht. Daher ſiehſt Dir, wie 
auch viele Laien an dieſem Prunf der Biſchöfe, ihrer glän— 
jenden Hofhaltung und föniglichen Pracht, Gefallen finden. 

Franz. Ich jehe es umd lege es ald Strafe aus, wie che 
dem die Kretenſer denen, gegen bie fie ven ſchwerſten Fluch 
ausfprechen wollten, zu wünjchen pflegten, daß fie an’ übler 
Gewohnheit Behagen finden möchten. Da wir nun aber Tange 
und jchmerzlid genug dafür gebüßt haben, jo glaube ich, Kat 
jich Ehriftus endlich feiner Gläubigen erbarmt, will jenen 
Wahn aus den Gemüthern tilgen und fie, ftatt des traurigen 
Nebels, mit feinem heilfamen Licht erfüllen. Daß er bas 
bald thun wolle, beweifen vie großen Anfänge, bie wir vor 
Augen fehen; und num müſſen wir ben Erfolg zu fürbern 
und zu beſchleunigen fuchen fo viel wir können. Beſondere 
wenn Gott Einem ein Gemüth gegeben hat, dem es nabe 
geht, daß ftatt der heiligen Religion. ein werberblicher Aber 











VOL Der Warner. Zweites Geſpräch. 301 


glaube Herrfcht, dag jene Menſchen mit fchlechten Eitten, 
weicher Haut, glattem Leibe, vorragendem Bauche, ſchwim—⸗ 
menben Augen, von Salben buftend, etliche auch in unnatür- 
liche Laſter verfunfen, denen Wolluft vor Mäßigkeit geht, 
Trug vor Unſchuld, Bosheit vor Redlichkeit, furz, unehrbare 
Menichen, ſich ſchamlos der Zügel des Regiments bemädh- 
figen, und ber jungfräulichen Kirche das Gewand der unreinften 
Buhlerin anziehen. Daß fie dabei jedoch mit angenommener 
Würde Hinter vielen Vorläufern, und ein zahlreiches Gefolge 
ven Leibwächtern hinter fich, Seremonien von mehr als jüdi⸗ 
ſcher Art unter uns einführen und während des Gottespienftes 
fremdartige Gebärden machen, bisweilen neue Feſte anfeen, 
ober Betfahrten, denen fie mit wahrhaft perfifchem Gepränge 
verangehen, oft auch was fie geträumt haben als göttliche 
Dffenbarung mit großem Gefchrei ausrufen, Wunder erbichten 
und Weiffagungen zurecht machen, im Thun wie im Lehren 
einzig auf Erwerb und Gewinn ausgehen. Wenn Einer das 
erfennt, fage ich, und in wahrhaft frommem Zorneifer ent. 
brennt, defien Pflicht ift es wahrlich, was in feinen Kräften 
ſteht zu thun, daß ter üble Brauch abgeitellt, vie Urheber 
ſelbſt ausgetrieben und Alles in befiern Stand gefettt werde. 
Nenne du mir Einen, der fich um das Reich beſſer verdient 
gemacht hat, als wer das jekt thäte. 

Warner. Ich fehe, dein Unternehmen ift Löblich, ich fehe 
es, fo wahr mir der Heiland Chriftus helfe, und ich wüßte 
nicht, warum ich dich noch mit einem Worte davon abmahnen 
ſollte, al8 weil Kaifer Karl anders denkt, dem bir gebührt zu 
folgen und in nicht8 zu wiberftreben. 

Iran. Mich aber Hält gerade das am wenigften von 
meinem Vorhaben zurüd. Damit dir der Grund davon Mar 
werbe: fiebft bu wohl, wie biejenigen, die ein Bauweſen im 
Sinne haben, oft und mit Fleiß lange vorher die Koften des 
fünftigen Werkes bei fich überfchlagen? 





302 Hutten’s Gejpräde. Zweites Buch. 


Warner, Ich ſehe es. | 8 

Fran)j. So wird auch er, we au dieſe Sadır 
veiflich überlegen, und nach genauer Abwägung aller möglichen 
Fälle das thun, nicht was ihm jett zu thun beliebt, ſondern 
was er einft wünſchen wird gethan zu haben. Sch *) aber Halte 
e8 für meine Pflicht, ihm zu rathen, nicht was er für ven 
Augenblid gerne hört, fondern was ihm auf die Dauer nükt, 
und auf ben Vortheil deſſen zu jehen, dem ich diene, für deſſen 
Beſtes ich fogar mein Leben hinzugeben willig bin. Denn 
ſage mir, wenn der Kaiſer im Fieber läge, und kalt Wafjer 
forderte, glaubteft dur es ihm geben zu müſſen, weil er c 
haben wollte? 

Warner. Mit Nichten; ich wüßte ja, daß es ihm jchäp- 
lich wäre. 

Franz. So wirft du mich aud) nicht bereven, ihm jet zu 
einer Sache zu rathen, die ihm im Augenblid, da frembes 
Zureden fie ihm eingegeben hat, einleuchtet, in Zukunft aber 
Urjache der größten Verwirrung werben wird. 

Warner. Ich jelbft will dir meinen Rath nicht aufbrängen; 
aber feine Meinung geht einmal dahin, und bie ventgegenge 
jegte Partei ſcheint er durch Ediete fchlagen zu wollen, denn 
bereits hat er drohend fidy vernehmen lafjen, daß fortan Nie 
mand mehr mit Yuther verfehren jolle; auch hat er, wenn Du 
e& noch nicht weißt, mit Hand und Mund betheuert, er werde 
bejtändig und für alle Fälle auf des Papſtes Seite fichen, 
dafür feine Reiche, feine Schäße und feine ganze Macht aufs 
bieten, und fo lange ev Kaiſer jet, nicht dulden, daß bas 
päpftliche Anfehen und die Gewalt der Kirche auch. nur mm 
jo viel gejchmälert werde. Das, meine ich, ſollteſt du vo 
erwägen, um nicht deffen Zorn und Unwillen anf Dich zu 
au deſſen Guade du dir Glück zu wünſchen Haft, 


Wie man Fiteften ratben ſoll“ feßt bier vo. mit Recht an 
ben nn 





VII. Der Warner. Zweites Geſpräch. 303 


Franz. Ich bin ganz anderer Anftcht. Ich glaube nämlich 
zuſehen zu müſſen, daß nicht der Gehorfam, ven ich ihm jet 
leifte, vereinft zu feinem Nachtheil ausfchlage, und fo gedenke 
ich fo lange und beharrlich wie möglich nicht zu thun, wovon 
ich gewiß weiß, daß es ihm fchaden würde. Denn als fein 
treuer Diener darf ich ihm nicht zu feinem Schaden gehorchen. 
Gefett aber er zürnte mir darob, was ich zwar entfernt nicht 
glauben kann, doch geſetzt er zürnte, fo wird er mich künftig 
um fo lieber dafür haben, daß ich feinen Zorn über mich 
genommen habe ohne mich von meinem Vorſatz abbringen zu 
laffen; dann nämlich, wenn jene fich zu erfennen geben werben, 
wenn nicht was fie gefagt, fordern was fie gewollt haben an 
ben Tag kommen, die Zeit auch ihre Plane enthüllen, er 
aber dann Har erkennen wird, von welchen Lehrmeiftern er 
einft, wider feinen eigenen Vortheil, fich hat gängeln laffen. 
Darum ift mein Vorhaben, in Allem redlich und in guten 
Treuen zu handeln. Und vorerft warte ich darauf, daß er 
mich zur Rebe Stelle, warum ich es mit dieſer Partei halte. 
Gefchieht dieß, dann will ich ihm über die Gründe meines 
Entfchluffes bündige Nechenichaft geben. In ver That, es 
gibt Fälle, wo nicht gehorchen der wahre Gehorſam ift. 
Wußte er jet ebenfo gut was er befehlen follte, als ich fehe, 
was ihm nüßlich tjt, fo würbe er nicht gebieten, was einft 
zu feinem großen Nachtheil ausfchlagen muß. So hat er fidh 
burch Zureden beftimmen laffen, ich habe es verachtet; ihn 
treibt das Gegenwärtige, mich befchäftigt die Sorge für das 
Künftige. Darum werde ich ihm nicht auf den Irrweg folgen, 
ſondern, wenn er irre geben will, mich ihm wiberfeßen; ich 
werde mir Mühe geben, ihn treulich ftügen und nimmer zu 
Grunde gehen laſſen, bis ich von dem Poften eines Wächtere 
für fein Wohl mich mit Gewalt entfernt ſehen werde. Und 
jet nehme ich alles Heilige, Ehriftus den Herren und bie 
Aliwiffenheit des göttlichen &eiftes zu Zeugen, daß ich es 





304 Hutten's Gejpräde. Zweites Bud. 


aufs Bejte mit ihm gemeint und ihm treufich gerathen habe. 
Auch ſoll e8 mich nicht verbrießen, in der Minberzahl gegen 
die große Mehrzahl zu jtehen; denn wie Biele vom dieſen 
möchten wohl zu jenem Anfchlag helfen, wenn fie nicht von 
dem Gelde befommen hätten, von dem man |pricht, daß e# 
in bes Papftes Namen bort vertheilt worben ſei? 

Warner. Bon Geld fpricht man in der That. 

Fram. Und gewiß ift etwas baram, Denn wer, ber mid 
beitochen war, hätte jene Berfolgungsmwutb gegen Zutber bil 
ligen, und fich in einen jo offenbaren Irrtum, ein jo grau 
james Verfahren, jtürzen mögen? 

Warner. Ich ſehe, dein Unternehmen: ſtützt fich auf bie 
beiten Gründe, und daher ſchäme ich mich micht, ben "Math, 
ben ich dir geben wollte, jetst fallen zu laſſen, und mich auf 
bie andre Seite zu fchlagen. 

Tran. Da magft du zufehen; ich bin tief um jenen be 
forgt, der, während jegt jo viele dringende Gejchäfte vor 
liegen, fih von den ſchlechteſten Menſchen zu unnützen Dingen 
mißbrauchen läßt. Denn wie Vieles hätte er vorher zu tbum, 
ebe er dem Anpringen der müßigen Pfäfflein einige Mufmerk 
jamfeit widmen pürfte! Da ift vem Raubwefen Einhalt zu 
thun, find die Monopole einzuziehen, bie zahllofen geiftlichen 
Körperjchaften zu muftern: und großentheils aufzubeben, vie 
Wuth der Sachwalter zu dämpfen, ber überhanbnebmenbe 
Luxus durch ftrenge Geſetze zur bejchränfen, viele werfebrte 
Satzungen der Alten zu verbeffern. Dann, wie netiimendig 
wäre nur das, die Unzahl der Brüder und Mönche auf eine 
mäßige, ja ganz geringe Zahl berabzufegen, ober auch Die 
fogenannten Orden ganz abzufchaffen und mit Einemmale tem 
ganzen Gleißnerweſen ein Ende zu. maden Nächftbem ift 
allenthalben Leppigfeit eingeriffen: man ſetze ihr Schranken. 
Die Menjchen ergeben ſich einer mehr als weibiichen Weid— 
lichfeit: man laſſe einen Zwang zur Arbeit und Abhärtum 





VII Der Warner. Zweites Gefpräd. 305 


eintreten. So follte man auch ven Waderften und Tugend⸗ 
reichften, Alten und Jungen, Ehren und Belohnungen zu- 
Heilen, wie nicht minder denen, bie fich im Krieg hervorge⸗ 
Ban, Auszeichnungen zuerfennen, dagegen diejenigen brand» 
marten, welche fich fchlechter Handlungen ſchuldig gemacht 
baben. Auch für das Geldweſen, meine ich, follte in ber 
Art geforgt werben, daß man hier zurüdthebielte, was vie Cur- 
tiſanen dem PBapjt nah Rom hineinbringen und was durch 
ven Pfründenhandel dahin fließt, wie auch das, was für bie 
sunügelten Waaren die Fugger zu auswärtigen Völkern ver- 
Ichleppen. Hat er erit das und unzähliges Andre der Art 
me Keine gebracht, dann mag er fih mit Muße um Dinge 
annehmen, die ihn nichts angeben. Denn ficherlich wird er 
dem Reich wenig Nuten fchaffen, wenn er fich gleich am 
Anfang von den höchſten Gedanken zu ben nietrigiten Kleinig- 
leiten ablenken Täßt. 


Warner. Und doch möchte e8 nicht ganz unnüß fein, 
Sorge zu tragen, daß tiefe Unruhen feine gefährliche Wen- 
bung nehmen. 


Franz.!) Es gäbe garfeineinruben, wenn er ſich 
nicht in eine Sache gemifcht hätte, zu ber man in 
allewege hätte durch vie Finger fehen follen, jtatt 
lie auch nur mit einem Worte zu ftören. Denn meinft 
bus, die jegt in Deutſchland Durch Luther's Predigt auffeimenve 
Erfenntnif der evangeliichen Lehre würde, wenn Karl nicht dem 
Zeterfchreien ver Pfaffen dagegen Gehör gegeben hätte, nicht 
binnen weniger Monate cine allgemeine Beſſerung des Lebens 
und ber Sitten bier zu ande, vie Wieverberftellung ver fai- 
ſerlichen Würde und ven Sturz der ſchlechten und verderb- 
(ihen Menſchen aus ihren angemaften Poften herbeigeführt 


1) Am Rand: „Wie man ben Luther bätte bebandeln follen.“ 
Strauß, Hutten's Geſpräche. 20 






306, Sursee Gehpr 
" VRR REDE ESSEN 
























hauptſächlich Hätte thun ſollen, Ki 
ſich für die Sache de ae 
des Geldzufluffes wankendeg | 
während Alles jchrie, es gebe jest Anpres zu thuf 
ich dir auch darin beiftimmen, da ß man N, 
jeinen Lauf hätte lajjen jollen, befonber& 4 
zu einem guten und beilfamen Ausgang a 
jheint, ftatt durch Einmifchung ber h 
rität die Leidenſchaften per Parteien zu reizem 
Iran. Die unfere wenigftens hat er ſehr gei i 
den Schein, —— — ste. Und 
ganze Schuld, fo ſchwer ſie iſt, fällt auf je 
Menfchen, die um ihrer, ſelbſt und ihres Gewin 
feicht jeden Rathſchlag ertheilen. Darum am 
hohen, mit den ſchönſten Anlagen au | 
und gerne möchte ich ihn, wenn ich Te, e * 
größten Gefahr von der Rotte ſchlechter M NRenſch 
umlagert, gewaltſam befreien; denn ich ſe lãglich 
Unſchuld von denen mißbraucht wird, —— n 
Bertrauen ſchenkt. Oper glaubft dur, fie wi * n ime 
ruchloſen Handel dem Papſt jo nei We 
und eine Sache, die in feinem Gewiſſen Ke fig: 
verfechten, wenn es nicht am dem wel JoBD1 F 
geſagt, munkelt, daß die Römlinge eine große Maffe ı 
zur Beftechung Deutfehlands verteilt Haben? 
Warner. Es ift wohl zu glauben, daß Etliche durd 
ſpenden fich haben verführen laſſen, und es ift ja fd 
gemeines Gerede. Ueberdem fenne ich Einige 
von wanbelbarer Treue und übermäßiger Geldgier, 2 








VUL Der Barner. Zweites Geſpräch. 307 


in ihren Beutel fchlau find, aber nur felten ihren Verſtand 
zum Nußen ihres Herrn anwenden, Etliche auch, denen in 
alten Geſchäften kein wahres Wort aus dem Munde geht. 
Solchen Menſchen däucht unter fo vielen und großen Ver⸗ 
brechen, einen Betrug anzuzetteln, etwas Unfchuldiges. Doc 
ich hoffe, fie werden, wie fie jeßt ſäen, dermaleinft noch ernten. 

Franz. Und bift du nicht auch der Meinung, daß man 
fie von den Ohren des Fürften, dem jegt richtige Belehrung 
Roth thut, entfernen, und damit fie diefelben nicht vergiften, 
mit Glimpf oder Unglimpf vertreiben müſſe? 

Warner. Bon jett an werde ich ſtets der Meinung fein. 
Auch werbe ich nie eine Zunge haben, dir zu rathen, in ber 
Beſchützung Luther’s nur im minbeften nachzulaffen. 

Franz. Das werde ich auch nicht. Im Gegentheil, pamit 
du meine Gefinnung fennft, von Tag zu Tag mwerbe ich un⸗ 
geduldiger, dieſe Sache auf mich zu nehmen. Denn es ftacheln 
mein Gemüth bie täglichen Umtriebe, burch welche die ruch- 
(ofen Buben vie Sicherheit des heiligen Mannes zu gefährben 
nnd das gemeine Beſte zu hindern trachten. Darum werde 
ich nichts unterlaffen, was ich für fachbienlich halte, damit 
bie, welche jeßt den Nechtichaffenen eine Grube graben, fünf- 
tig felbft bineinfallen. 

Warnır. Möge es gefchehen! 

Franz. Die Hoffnung lebt mir in der Seele: der Erfolg 
liegt in der Götter Hand. Karin aber gebenfe ich mehr zum 
Nuten als zu Gefallen zu Ichen. Das heißt, gern will id) 
ihm gegen feine Neigung nügen, miber feinen Willen dienen, 
ohne fein Wiſſen Gutes erweifen. Denn meine Meinung ift, 
wenn ich auch nicht klar wüßte, was ihm müßt, jo müßte ich 
e8 zu erratbhen juchen, da fo viel gewiß ift, daB ich einft 
feine Entſchuldigung haben würde, wenn ich ihm geſchadet 
hätte, da ich ihm nüßen fonnte. Daher ift mein Vorfag, 
wenn er mir in Liefer Suche etwas Gewaltſames befiehlt, 

20* 





ET Guttre's Geirräse. Ami Pal. 


es offen abzulehnen. Denn ih glaube weit mehr Daran ſchen 
zu müflen, was Gott will, ala was Menichen in den Sinn 
— beſonders da e8 ſich bier um Die Warhbeit Hanbeit 
und um das Evangelium. Ienen verfehrien Raibaebern aber 
werbe ich fteis mit That um Geſinnung fein jeim, und mie 
foll es geſchehen, daß ih in Gemeinſchaft mit ihrem ſchand⸗ 
lichen Rathe erfunden werne. Denn wohin verlocket ihr mir, 
wohin, ihr heilloſen Menſchen, ein herrliches Gemüth? Wann 
wertet ihr ablaffen, ben richtigiten Sinn, bie Ihönjten An 
lagen zu verderben? Glaubt mir, es wird einmal dahin 
fommen, daß ihre für ſolche Thaten dem geſammten Deutid- 
land die verdiente Strafe bezahlet. Dahin wird es kommen. 
Denn Nechenfchaft wird es von euch verlangen Für Die Ber 
führung feines Herrn, die Mißleitung feines Kaifers. Dazu 
trage ich große Hoffnung, ja ich habe davon gewiſſermaßen 
ſchon fichere Kunde. Darım werde ich euch aufs hartnäckigſte 
wiperftehen. Auch wenn ihr ihn mir in irgend ein Verderben 
lodet, droht euch meine Mache... Und ſo will ich euch denn 
alsbald meine Freundſchaft auffiinpigen. 24 
Warner. Ermahne lieber ihn, ſich nicht fernerhin durd 
wenige Menſchen jo beherrſchen zu laſſen, daß er zu ihrem 
Bortbeil, nach ihrem Wink und Belieben, Alles thus. 
Tram. Auch das will ich, Und jo viel am mir ift, will 
Ich ihn abbalten, fich fo tief zu demüthigen, daß er fich Dem 
vömtichen Biſchof unterwürfe. Denn was fünnte eines Fürſten 
umvirdiger fein, ald denen er gebieten follte, von vemen fi 
befeblen zu Taflen und ihren Diener zu maden? > 2— 
Warner, Nichts, bei Chriſtus, nichte. Deun Frct ums 
Mangel an Seldjtvertrauen verräth ja eine ſolche Willfährigfeit. 
Tram. Wenn cs fein Schidjal ift, ſo fchmell ibeln Rarb- 
ſchlagen zu folgen, jo alaube ich, wire auch ein fchneller iin 
tergang Sein Schickſal fein. 











VOL Der Warner. Zweites Geſpräch. 309 


Warner. Mittlerweile aber durchlaufen jene Menſchen bei 
ihm alle Ehrenjtufen, und find die Einzigen, die er vor Augen 
bat und beförvert. Statt daß er, jo viel ich einfehe, des 
Ulyffes Beiſpiel Hätte nachahmen und die Ohren mit Wachs 
verftopft unter ihnen fißen follen, da fie ihm folche Rath⸗ 
fchläge gaben. 

Franz Wie vu fagjt, das Hätte er gefollt. Denn jest 
war ed am Platz, ihn durch friegerifche Gedanken zu befeuern, 
und zu Vorſätzen, pie feiner wärbiger waren, anzufeiten. Sind 
doch die Zeiten jo angethan, daß uns ein fcharfer und ge- 
waltiger Kaiſer Noth thut. Nie war eine fchlaffe Führung 
bes Regiments übler angebracht. Indeß, wenn das auch nicht 
wäre, fo hätte boch feine Jugend der Anregung beburft, damit 
er nicht durch müßige Gefellfchaft und ven Umgang mit ven 
trägften Menſchen verdorben und verhindert würde, einft feinem 
Beruf gemäß darnach zu jtreben, wozu man nicht durch Spiel 
und Schlendern, ſondern einzig durch Sorge und Mühe, 
Arbeit und Wachen gelangen kann. Da nun vie Zeit ohne 
Wiederkehr verjtreicht, und das Beite, wenn es fommt, nicht 
fange dauert, fo muß man ihm den Rath geben, daß er auf 
fih achte und nichts aus Läßigkeit verfäume, um nicht, wenn 
er eine günftige Gelegenheit aus der Hand gelajfen, das 
Verſcherzte vergebens zurüdwänfchen zu müffen; überhaupt, 
daß er Alles jo angreife, um nicht binterher Urjache zur 
Reue zu haben, oder zu jener Rede, die nah Scipio Afrir 
canus für den Kriegemann eine Schande ift: das hatte ich 
nicht gedacht. Denn was meinft du wohl, daß die Urfache 
fei, warum ihm ſchon ganzer zwei Jahre fo viele Bilchöfe 
in ben Ohren liegen, als weil fie für fich fürchten und für 
ihren Stand eine Veränderung vorausfehen? weil fie erfennen, 
daß man fte aller Orten haft und nicht länger dulden will? 
Darum hat auch, als es fih um die Kaiferwahl handelte, 
Leo X. erjt Alles verfucht, dieſen zu befeitigen, ohne Zweifel, 


Erz 








weil or feinen Anlagen mit traute m 
dann, als er ihn wider feinen X 
andern Künſten gegriffen. Er * 
geſchickt, die ihm, wie jetzt —2** erderb 
geben ſollten, um ihm, den er im Lauf nicht übe 
nun ba er fejtfteht und fich ze 
thun, und unter ——— — 
zu Falle zu bringe. 
Warner. So wahr air. heiu⸗ —— ich 
iſts, worauf jene umgehen. 
Tran. Es iſt es and. Daher haben fi 
fo weit bei ihm gebracht, daf Niemand vor ihn 
ihm bat, Niemand ihm beftändiger vor Augen u 
ift, Niemand fehneller von ihn ee 
erhoben wird, als wer zu jener Partei g ug 
mich, es zu jagen, aber es ift jo: er täßt fi janz von 
Willen lenfenzmd es ift nichts, was fie nicht bei ihm bu 
fegen lönnten. uch die Verurtheilung des unſchuldigen 
hat er ihnen, fo geme er gewollt urn nicht abzufchle 
bermocht, da es boch ſchon unrecht und ſchi * 
weſen war, daß er kurz vorher auf —* es 
beſchloſſen und verkündet hatte, ihn nicht are zu m 
Darum ſehe ich nicht, was zu umfrer t | 
noch fehlen follte, fo ſehr wird jedes M 
Was mich perfönlich betrifft, jo iſt mir nicht 
jenes Gerücht über mich umgeht. Um es —* 



























Baer v 


WW 


1) Noch ebe er bejchloffen hatte, Luther nad Worms 
hatte ſich Karl bewegen Iaffen, ein Edict wegen Ausführm 
bulle gegen Luther und feine Anhänger (ber —“ 
3. Jan. 1521 eine definitive nachgefolgt) dem F 
Aber es ging nicht durch, und Luther mußte er * | —* erden. 
Bbcking, Hutten’s Werke, IT, 13. Anmerkung, umb inelm em Uri 
Hutten, IT, 170. 182. 5 P 








VIH. Der Warner. Zweites Gefpräd. all 


unlieb, wenn ich bei Schlechten fchlecht angefchrieben bin. 
Denn das ift es ja, wodurch fie fich verratben und in ihrer 
wahren Geftalt zeigen, wenn fie von ben Guten übel reben. 
Ihnen fage ich mit dem großen Propheten: Wehe euch, bie 
Böſes gut und Gutes böſe beißen, die aus Finfterniß Licht 
und aus Licht Finſterniß machen, die aus fauer ſüß und aus 
ſüß fauer machen.) Siehft du, wie wenig ich mich vor 
Pöbelgeſchwätz fürchte ? 

Warner. Ich fehe ed. Doch ift denn noch irgend eine 
Ausficht, daß jene Dinge in eine beſſere Geftalt gebracht 
werden können? 

Iran. Du haft keine; ich will dir eine eröffnen. 

Warner. Welche? 

Franz. Daß er, wenn er fich in Folge feiner Sorglojig- 
feit betrogen fieht, in fich gehe, bie böswilligen Nathgeber 
entlaffe, die Freunbfchaft mit ven faljchen Biſchöfen abbreche, 
und die Zapferften und Beſtgeſinnten fich zugefelle, dann, 
umgeben von einer Schaar von Biedermännern, ven Beichluß 
faffe, jenen ihre übermäßige Macht zu entziehen, ven Aber» 
glauben abzufchaffen, die wahre Religion einzuführen, und das 
Licht des Glaubens, die Freiheit Deutjchlands wiederher⸗ 
zuftellen. 

Warner. Und daß er fich dabei deiner als eines taug- 
lihen Werkzeuge bebiene? 

Tran. Sei e8 meiner, ober wen er als den tüchtigſten 
erfennen wird, ihm bie Führung einer fo großen Sache anzu⸗ 
vertrauen. Denn fonft habe ich befchloffen, wenn er fich nicht 
auf diefe Seite wenden will, und feine Hoffnung mehr bleibt, 
daß ex felbft fich des gemeinfamen Vaterlands annehme, auf 
meine Fauft etwas zu wagen, mag es ablaufen wie es will. 

Warner. Dazu haft du einen ſchorſen und eifrigen Mahner 


1) Ief. 5, 20. 





.. Fi - 
— 


u T. 


watt. Am nun! 


nbelbgn m, iu 


4 

— — —— — 100 ie 0 Bell ——— 1 
i ser" ai a = 1 

mr. uno. = 








312 Hutten’s Gefpräce. Zweites Bud. 


an jenem Hutten, der, wie ich ſehe, von feinem Verzug 
will, und fein Mittel unverfucht läßt, jenen Menſchen Ber 
zu bereiten. 

Franz. Und ich habe ihn gern um mid. Dem 
in ihm lebt ein Geift, der diefer Sache gewachien iſt. 

Warner. Den erhalte ihm Chriftus und ftärfe d 
deinem guten und bochnäthigen Beginnen. 

Franz. Auch dich erhalte er, der bu nun bejjer ven! 
richtiger mahnſt als da du berfamit. 

Warner. Wie dankbar bin ich dir, burch deſſen Bel: 
ich befjer geworten bin. Lebe wohl. 

Franz. Auch du lebe wohl und glücklich. 


— — nr a m — 





IX. 


Die Räuber. 


Einleitung. 


Mit vem vorliegenten Geſpräch bat ſich Hutten länger als 
mit ben übrigen getragen. Echon vor Yahresfrift, mit ver 
Fortuna, der römiſchen Dreifaltigkeit und den Anfchauenten, 
hatte er e8 unter der Feder gehabt. 

Es fann zunächft als weitere Ausführung des zulegt ges 
nannten Geſprächs, als Wiederaufnahme befjelben Thema 
unter einem neuen Gefichtspunft, erjcheinen. Hier wie bort 
werben fänmtliche Stände des deutjchen Nolfes durchgemuftert, 
nur mit dem Unterſchied, daß dießmal alle darauf angefehen 
werben, wiefern auch in ben übrigen, und nicht blos in bem 
barum angefochtenen Ritteritande, Räuber, und zwar noch 
viel ſchlimmere und ververblichere als die eigentlichen Straßen- 
räuber, die überdieß nur zum geringiten Theil dem Ritter⸗ 
ftande angehören, fich finden. Auch hier bekommen wieder bie 
Kaufleute, und nun auch die Schreiber und Juriften, die in dem 
frühern Geſpräch nur beiläufig berührt waren, ihr reichlichee 
Theil; bei Weitem als die fchlimmften und gemeinfchäplichften 
Räuber jedoch erfcheinen die Pfaffen, vie Mönche und Curtis 
ſanen, die man fich demmächft gemüßigt fehen wird, mit Ger 
walt auszutreiben. Dazu aber, zu einem Pfaffenfrieg, wer- 





314 Hutten’s Geipräde. Zweites Buch. 


ben bie Ritter, bas ficht Hutten nunmehr ein, ba bie Hofi- 
nımg auf ben Kaifer immer mehr ſchwindet, fich des Bei- 
ſtands der freien Städte verfichern müfjen. Freilich ſtimmt 
biefe Wendung zu den bittern Neben, bie vorher gegen Die 
Städte und deren Kern, ben Handelsſtand, geführt worden 
find, nicht zum Bejten, und man kann bie fchliefliche Ver- 
brübderung zwijchen Ritter und Kaufmann, nachdem es An— 
fangs nahe an Prügeln geftanvden, nicht jehr grimblich fin: 
ven. Man fünnte auf die VBermutbung geratben, dieſe Schluß— 
wendung fei mit Anderem erft bei ver lebten Ueberarbeitung 
in das Gejpräcd eingetragen worden, ohne baf der Ber— 
fajfer nöthig fand, die frühern harten Reben zu tilgen oder 
auch nur zu mildern. Hutten, das dürfen wir glauben, blieb 
für fich den Pfefferſäcken zeitlebens von Herzen gram, wenn 
er auch das. politiſch Räthliche einer Goalition mit benfelben 
wohl begriff, aus der denn freilich auch nichts geworden üjt. 

Mit dem liebenswürdigften Humor hat ſich übrigens Hut- 
ten gerade in diefem Geſpräch mit einer aufbraufenben 
Heftigfeit in. Scene gejeßt, und Dagegen Fran; von. Sidingen 
als ven Mann der ſtets würdigen Haltung und befonnenen 
Faffung fich gegemübergeftellt; nur als Gelehrter ih er fi 
hin und wieder gegen jeine beiden Mitunterrebner etwas zu 
Gute. !) 





1) ®al. meinen Ulrid von Hutten, Thl. U, ap. VI, @. 156-164, 





Die Räuber. 


Es unterreben ih: Hutten, ein Kaufmanu und Franz. 


 Bulten. Ich will fie Dir noch zahm machen, diefe ruch- 
loſe Zunge, du boshafter Yäfterer. 

Kaufmann. Hier wirft du feine Hand an midy legen, in 
einer freien Stadt, und gar am heiliger Stätte. 

Hutten. Hier nicht, wie du ſagſt; draußen aber wohin 
du beinen Fuß ſetzen magſt. Denn was verläumdeſt du eh⸗ 
renwerthe Männer, frecher Burſche, Schuft, Bandit, was? 

Kaufmann. Ruhig, kleiner Räuber, halte hier deine Hänbe 
freiwillig im Zaum, man möchte fie dir fonft anderswo burd) 
Feſſeln zur Ordnung bringen. 

Hutter. Du wollteft mir die Hände feſſeln, ſprich, 
Schurfe, oder mich zu etwas zwingen, das ich nicht will? 

Kaufmann. Etwas zu thun will ich wich wicht zwingen, 
wohl aber etivas zu laffen, und das auf der Stelle, indem 
ich deinen Namen beim Stadtvorſteher amgebe. Denn was 
drohſt du mir mit Thätlichkeiten ? 

Butten. Mag alle Welt wilfen, was du zu fagen und 
ich zu thun mich unterftanden habe. Dem biſt du je von 
mir beraubt worden? over habe ich irgend einem Meufchen 
ver lebt oder jemals im Leben war das Seinige abgenommen? 








316 Hutten’s Geſpräche. Zweites Bud. 


Kaufmann. So wirft du's in Zukunft noch thun. Dar 
auf fenne ich der Ritter Art. 

Gutten. Böswilliger Menſch, jo joll ih mich ohne Grumb 
von dir ſchmähen laſſen? 

Kaufmann. Ich jage es noch einmal: euer Stand Hit es, 
der Unruhe in Deutfchland macht, euch und euch allein ge 
hören die Räuber an, welche die Wege verlegen, die Reifen- 
den anfallen und allerwärts öffentlid ihr Unweſen treiben, 
und davon habe ich auch Dich nicht ausgenommen, den ich ja 
vom NRittergeift wie nur Einen befeelt ſehe. Deshalb möch—⸗ 
teft du gleich beriten? 

Hutten. Ich werde nicht berften, aber du ſollſt mir berjten, 
wenn ich lebe, für viefe Frechheit, daß du um bes Frevels 
von Einem over Wenigen willen den ganzen edeln Stand 
befhimpfft, und nicht zufrieden, dich ‚über die zu beflagen, 
die pir wirklich Uebel oder Schaden: zugefügt, ohne Unter: 
ſchied auch vie läfterft, die nichts verbrochen haben, Dabei 
lügſt du doppelt: denn erftlich gehören nicht alle Räuber dem 
Ritterftande an, und dann rauben auch nicht alle Ritter, 

Kaufmann. Unterjteh' dich, hier aud) nur — 
an mich zu begen, unterſteh dich's. 

Hutten. Das werd’ ich auf der Stelle, wenn du fortfäßef 
zu fchimpfen. Ja, hörſt du, nicht die freie, Stadt und) nicht 
per heilige Ort fellen vir zu Gute fommen, —— 
ein einziges Wort ber Art: 1 eh 

Kaufmann. Nur nicht fo wild. | 

Hutten. Du lachſt auch noch über mich, Eropf; Halunle, 
nichtsnutziger Bube? 

Kaufmann, Nun du haſt mich ja noch nicht meinen. ge 
macht. 

Yutten. Aber es joll ſogleich gejchehen. Denn ib ſage 
dir gewiß und wahrhaftig, wenn du nicht audere Saiten auf⸗ 
ziehſt und beſcheidener wirſt, je. werde ich dir erſtlich bier 





IX. Die Räuber. 317 


die Baden zerprefchen und das ganze Geficht, dann bie Zähne 
einschlagen, reihenweis, mit der Wucht meiner Fäuſte, bier- 
auf bie Wampen walten, daß dir die Rippen krachen, bie 
ich endlich erfchöpft dich halbtodt Hier im Kothe liegen laffe, 
während Pfeffer pfunbmweis und Safran lothweis von bir 
geht. 

Franz. hr bleibet hier ftehen oder gehet weiter; ich muß 
tort zu Hutten treten, um ihn zu erinnern, baß er nicht, 
vom Zorn übermannt, wie ich jehe, etwas begebe, was fei- 
ner unwürdig ift. So aufgebradht ift er, was es auch fein 
mag das ihn gereizt bat. Was ift dir, mein Hutten? Willft 
tu Dich jo dem Zorn bingeben, daß du ber Vernunft feinen 
Kaum mehr Täffeft und deine Würde aus den Augen jekeft? 
Devenfe, daß du ein Mann bilt. 

Yutten. Das müßte ich gerade vergeflen haben, mein 
freunplicher Wirth, wenn ich diefen da länger Dinge reden 
ließe, die Keiner der ein Mann ift jemals bulden darf. 

Franz. Was find das für Dinge? und wer ift bieler 
Menfh? ob fich vielleicht zeige, daß du nicht mit Unrecht 
aufgebracht bift, und dein Zorn guten Grund hat. 

Butten. Du follft es erfahren. Diefer bier ift ein Kauf: 
mann, ein Diener der Fugger; man ſprach von ben Verhand⸗ 
lungen und Bejchlüffen des gegenwärtigen Reichstags, und 
unter Anderm brachte Einer ver, Karl babe gefchworen, er 
wolle vem Wegelagern Einhalt thun, Deutfchland zur Ruhe 
bringen, und mit Einem Schlage alle Räuber vernichten: ba 
fing diefer alsbald an, auf unfern Stand zu ſchimpfen und 
bie deutſchen Nitter Deutfchlands Räuber zu nennen, und er 
wolle es erleben, daß der gefammte Ritterftand ausgetilgt fei. 
Sogar deine Thaten nennt er eitel Straßenraub, und geht 
jo weit in feiner Frechheit, daß er zwiichen Böfen und Gu- 
ten feinen Unterjchied macht, und weber auf Verhältniffe noch 
auf Berfonen Rüdficht nimmt. 










| 





318 







TONER mer weite act 
feLSf ich weitfäufig zu fpreei, fo’ 
jen die Nachbarvöller, auch ift es den i 
Kroniten zu lefen, daß ich nie Semand q 
ich nicht vorher Fehde angefünbigt Hatte. vw 

Kaufuanı. Ich behanpte aber, es ran 
zu, Demanden Fehbe anzufündigen; damit du 
du feieft genügend entfepufbigt, zz ntev Dief 
wand raubſt. in 

Fran. Wie? du behaupteft, wir virfen Krieg und 
—— a ZI. 

Kauſmann. Ya, das behaupte ihr 
durch die’ Fürften dürfet ihr es nich.— 

Tram. So frage ich dich: darf es Edle geben 

Kaufmann. Ich glaube, ja. * 

Tram. Und find für Edle nur WW irften 
ſehen? Br ’ 

Kaufmann, Nicht fie allein are auch die unt 
ftehenden Grafen nenne ich edel, und auch —* 
ven Titel nicht ab, doch nur fo weit euer | 
jtimmt. Denn vie Ueberzeugung hat ſich — 
geſetzt und wird mie nimmermehr zu bemehmen | 
Adel, wie er mit der Tugend Nu bat, S 
ihr zu Ende geht. *) 

Tram. Da haft du ganz Recht. a ich 
nung, daß Die Tugend ſich nicht vererbe, und daß, wer f 
ſchimpfliche Thaten vorzumwerfen hat, entfernt nicht mehr 5 
Adel zu rechnen fei, ſelbſt wenn er ein Fürft wäre, U 


124 














* — 
A — 
Fr 
3 n HuN , ı 


ind. den 





[2 
a V —— 
ch — 
(4 
F3 
























1) Hier fängt bie Entlehnung von Phrafen aus ‚der Red: 
ins in Salluſt's Jugurtha, Rap. 85, an, bie durd dieſe 
handlung über den Adel hindurch zu bemerken if. 





IX. Tie Räuber. >19 


läugne ich nicht, daß ter tie Borzüge jeiner Ahnen verwirfe, 
der vie Thaten, durch welche fie geadelt worten, nicht nady- 
ahmt, und verabjchene jene gewöhnlichen Apeligen, deren 
Stamm evel, deren Leben aber gemein ift, die viele Ahnen: 
bilder, aber kein Verdienſt aufzumweifen haben. Dann follft 
bu wiffen, wenn jich in unfrer Familie Einer fünde, ver feinen 
Urfprung zwar ven dieſem Gefchlecht herleitete, in feinem 
Leben aber nur fchmukige Niedrigfeit verriethe, einen jolchen 
würde ich nicht als Verwandten oder Stammgenoffen, auch 
nicht ala einen von Adel unerfennen, und nie etwas mit ihm 
gemein haben wollen. 

Kaufmann. Wie ftellft du dich fo bieder an, und haft 
doch fo Viele beraubt, einige auch getödtet, aus nichtigen Ur⸗ 
fadhen und ohne alles Recht. 

Franz. Da habe ich einen unbilligern Nichter an vir ale 
ich verdiene. Doch ich lafje mir gern gefallen, daß bu mir 
perjönlich Unrecht thuft, wenn ich wich nur in Bezug auf 
das Allgemeine widerlegen kann. Und du follft mir heute 
nicht davonkommen, chne überwiefen zu fein, nachdem bu 
mir einmal zugeftanven, daB der Adel aus der Tugend komme. 
So laß mich denn wiffen, welche Zugend meinft bu daß 
vornehmlich den Adel verleihe? 

Raufmann. Die friegeriiche, jagt man. 

Franz. Die Tapferfeit, meinjt du? 

Baufmann. Ja, fie. 

Fran. Auch hierin denkſt vu gleich mit mir. Was aber 
ift die Zapferfeit ? 

Baufmann. Die Tugend, meine ich, die für vie Gerech— 
tigleit kämpft. ') 

Iran. So ift es in ver That. Und jtets werde ich es 





1) Der mwadere Kaufmann muß Cicero’s Officien geleſen baben, 
wo fi I, 19 obige VBegriffsbeftimmung als eine fteiiche findet. 



























ſo edler iſt, je mehr, er für die G af 
Kaufmann. Auch dad. —— 
Franz. Wie aber nun? 
zwar vor ‚Allen für die ( tig 
nicht. fie alfein, da du ja — * 
allein, wenn auch vorzugsweiſe, — eien? 
Kaufmann. Ich räume es ein, doch a 
gung, dab ihr auf ihren Befehl fümpfet, umt 
rem Belieben zu den Waffen greifet. _ 
Fram. Wenn fie e8 aber niemals befe 
jest jelten thun (denn wie heute die deutſchen FF 
fo ſehen fie meiftens nur auf ihren beſendern Bor 
das Gemeinwohl aber fümmern fi di | 
uns dann auch * ihr Geheiß für. —* 
laſſen? J 
Kaufmann. at ja. 
Tram. Und wenn dir nun Einer ein Un 
bielteft vır es für recht, wenn ich ſolche Gewalt 
wehrte, auch ohne daß ein Fürft es: mich Hieße? 
Kaufmann. Warum nicht ? für ganz recht. 
Fran. Siehſt vu alje, wie ungebührlich esifi 
abzufprechen, wodurch allein wir Edle find, dap ı 
Waffen das Recht beſchützen dürfen? Beſont vs a ee 
Geſetz des Adels iſt, den Unterdrückten aufzuhelfen 
Elenden zu Hülfe zu kommen, den Bedrängten beisufpr 
ver Verlaſſenen ſich anzunehmen, die Mißhan 
rächen, ben Frevlern zu widerſtehen, von ber eh id 
Gewalt abzuwehren, Wittwen und —* | 
wirft nicht läugnen fönnen, daß du mum hinlänglie * er üb 





% 





IX. Die Räuber. 321 


Kaufmann. Ich will mir feine Mühe geben, es zu läug- 
nen, und binfort nichts damwiver ‚haben, daß ihr dieſem Ge- 
jet gemäß Fehden frei anfaget und tapfer führet. 

Iran. Um fo mehr mußt du einjehen, wie unbilfig dein 
Urtbeil über meine Thaten ift, wenn du börft, durch welche 
Zeugen ich die Urfachen meiner Kriege bewähren fann, 

Kaufmann. Magft du das immerhin können, und ich 
‚auch hierin überführt werben, fo ſollt ihr euch doch den Für: 
ften unterorbnen und ihnen die Zügel des Regiments über- 
laffen, nicht Alles jo in Verwirrung bringen. 

Fran. Wir jträuben uns nicht, ihnen den Vorrang ein 
zuräumen, und mögen wohl auch in freiem Dienftverhältnif 
zu ihnen jtehen, jofern wir uns dem oder jenem von freien 
Stüden verpflichtet haben. Denn übrigens erfennen wir einzig 
den Kaiſer als unfern Herrn an, und nennen ihn den Erhalter 
der gemeinen Freiheit, pvarum, weil, wenn er uns gewalt- 
fam unterbrücden oder wider Recht zwingen will, wir auch 
ibm ven Gehorfam verfagen dürfen. Wenn bu ihn heute 
fragt, was fein Amt fei, wird er felbjt dir befemmen, da‘ 
ihm nicht zuftehe, etwas Ungerechtes zu befehlen ober pas 
Recht zu hindern. Um jo weniger ift vom den Übrigen deut— 
ſchen Fürften, deren jeder über jeine Unterthauen ein ebrliches 
und gemäfigtes Negiment führen foll, zu glauben, daß fie 
jo etwas thun dürfen. 

Kaufmann. Ich glaube, fie dürfen es nicht thun. 

Yutten, Und ich glaube, dir dürften Peitichenbiebe gut 
thun. 

Franz. Geh’ du auf die Seite und lan jetzt mich mit ihm 
verhandeln. 

Hutten. Ic gebe und laſſe dich; du aber vergiß nicht, 
was er um jeiner allzufrechen Läſterzunge willen verdient, 

Fran. Höre mic weiter, Kaufmann. Du bit der Mei- 
nung, daß die Füriten das Recht nicht hindern dürfen; mit- 

Strauß, Hutten's Geſprächte. >1 





322 Hutten's Geſpräche. Zweites Bud. 


hin wirft du mir auch zugeben, daß, was Recht ift, Sehe 
jeder Zeit umd ohne Jemandes Geheiß thun darf ⸗ 

Kaufmann. Gewiß. 

Franz. Was Anderes thuft du aber bamit, ala nah 
jett einräumft, was du vorhin in Abrede geftellt Haft? 
Banfmann. Doch gibt es unter den Rittern — 

viele Räuber. 

Tran. Auch in andern Ständen gibt es sr und I 
viel mehr und weit nerberblichere. 

Kaufmann, Ich ehe nicht, wo fie fein ſollten. 

Tram. Ich will fie dir zeigen. Zuwörberft aber m 
du zugeftehen, vak die Räuber in Wal unb Feld n 
ſämmtlich Ritter find. Denn je zerrütteter und verziveife 
Einer ift, defto leichter entjchließt er fih zum Verbrechen. 

Kaufmann. Aber der erfte und dringendfte Berdacht, 
oft etwas der Art vorfällt, trifft boch euch. Auch nem 
wir die Räuber Ritter. 

Tram. Wie? ihr? 

Kaufmann. 9a wir, die wir am meijten beraubt wert 
wir Kaufleute. 

Tran. Noch nie habe ich außer dir einen beines © 
des fo reden hören. Doc jage mir, hat dich denn jem 
ein Ritter beraubt? . 

Kaufmann. Das nicht; aber ih habe es immer befür 
tet, und betrachte euch als Feinde, weil ih Biele durch 
beraubt gefehen habe, und die Sage geht, daß ihr pas 
thun pfleget. 

Franz, Ich muß mich wunbern, daß bu folde Schu 
hungen gegen diefen Stand ausſtößeſt, ohme jelbjt etiwas'n 
ihm erlitten zu haben, und ohne andern Beweis, ale d 
Gerede der Leute. Scheneft du dich denn nicht, jo ohmel 
jache einen jo anſehnlichen Stand zu befhimpfen, unb b 
dem Haß und ber Anfeindung auszufegen? Sch rathe % 





S 





IX. Die Räuber. 393 


fünftig auf beine Worte beffer Acht zu haben und dich in 
beiner verkehrten Mebefreiheit zu mäßigen. Denn immer und 
überalf verdient Leichtfinniges Spiel mit frechen Worten ftreng 
beftraft zu werden. Doch nun will ich dir zeigen, welche 
Räuber es in andern Ständen gibt. 

Raufmann. Erſt verzeihe mir, o Feldhauptmann, daß ich 
mich gegen dich verfehlt Habe. Denn ich gehe in mich und 
erfenne meinen Irrthum. 

Franz. Ich verzeibe dir, und auch dieſer bier, Hutten, 
wird fich mit dir ausföhnen, wenn er mich Hört. 

Butten. Ich höre und folge dir. Vorausgeſetzt, daß er 
fih Fünftig in Acht nehmen wird. 

Raufmann. Das will ih. _ 

Iran. Alſo vier Klaffen von Räubern gibt e8 in Deutjch- 
land. 

Kaufmann. Ich bin äußerſt begierig. 

Hutten. Und unter ihnen, mein Gaſtfreund, bilden bie 
erfte und verberblichite Klaffe die Pfaffen. 

Iran. Allein ich wollte die unfchuldigfte voranftellen, 
und fo ftufenwei® zu jener ärgften und fchäplichften auffteigen, 
fo daß ich von denen, die weniger rauben, zuerft, und dann 
von denen, die mehr und noch mehr, geiprochen hätte. 

Hutten. Das gefällt mir nun felbft beffer. Yang’ nur an. 

Franz. Die erften find die fogenannten Straßenräuber, 
bie die Wege verlegen und in Wald und Feld auf Beute 
ausgehen. 

Raufmann. Und die hältjt du für die Fleinften unter den 
Räubern und meinft, fie könnte man ſich eher als andere ge- 
fallen laffen? 

Tram. Ja, das meine ich in ver That. Denn fie fcha- 
ben meniger und feltener, auch Können fie e8 nicht jo oft fie 
es wollen. Theils Tann man ihnen leicht Widerſtand leiften, 
wenn man fich in Acht nehmen will; theils fcheuen fie fich 

21* 





324 Hutten's Geſpräche. Zweites Bud. 


vor der Schande, wenn bie Sache herausfommt; theils ) 
die Furcht vor ver Topesftrafe fie meiftens vom Berbre 
zurüd. Denn dieß ift die einzige Art von Näuberei in Deut 
land, auf die eine Strafe gefegt ift. Daher find bie, ine 
fih, um ihr Leben zu friften, jo ausſetzen, faum anbers 
zufehen, als die armen Schelme, die fih einen Biſſen aus | 
Feuer holen.) Gefahr mwenigitens broht ihnen immer, ] 
während andere Menfchen, die etwas Gutes oder Böſes un 
nehmen, mit klugem Bebacht zu Werf geben können, fint 
einzig auf Kühnheit angewiefen, und müfjen ftets auf U 
gefaßt ſein. 

Kaufmann. Wahr iſt's, daß Einige, wenn fie ern 
werben, ber Tobesftrafe verfallen; allein ich glaube, nur 
Kleinen und Nichtadeligen; geräth hingegen einer von 
Großen ımb Edeln in die Falle, da ſieht man dur 
Finger und läßt ihn laufen. 

Franz. Aber ih könnte dir Etliche von Adel und a 
Herkunft anführen, die um Verbrechens wilfen geftraft ı 
ben find, ohne daß ihre Verwandten ımb Freunde e# | 
übel nahmen. Denn fie wuhten, baß fie verbient ba 
was ihnen wiberfuhr. Unb darum, wenn audh im er 
Augenblik einige Aufregung entjtanden war, gab man 
doch, nachdem man jich befonnen hatie, bald zufrieden, 
zulegt gerietb die Sache in Bergeffenbeit. 

Kaufmann. It ed denn aber nicht eine große Scha 
daß fich einer von Adel findet, ver Näuberei treibt? 

Franz. Eine jo große, daß vor Allen wir, bie man 
jo verdächtig gemacht hat, fie nicht bulven zu Dürfen ai 
ben. Denn wie Niemand fonft find wir beten, bie eh 


1) Eine römifhe Rebensart, von ben Menſchen ber unterften 
bergenommen, bie von dem Leichenmahl, bag auf ben Stheiterbat 
gejetst zu werben pflegte, wenn biefer angezindet war, ein Etiid 
erhaſchen ſuchten. 





IX. Die Räuber. 325 


der Art begangen Haben, feind und abhold, ftoßen fie 
aus unferem Stand und wollen fie nicht zu Schwägern 
haben. 

Kaufmann. Möchtet ihr das beftändig thun! ‘Doch gibt 
es denn, wie bu fagft, noch andere Räuber? und foldhe, die 
fih weder der Schanbe ſchämen, noch vor Strafe fürchten 
müffen ? | 

Iran. Ya, von breierlei Arten. Alle andern Räuber in 
Deutfchland nämlih, außer jenen armfeligen Wegelagerern, 
von denen wir gefprochen haben, ranben weder verfchämt *) 
noch furchtfam, fondern betreiben e8 wie etwas Erlaubtes 
mit Zuverficht, und gleich als geziemte fih was fie thun, 
ohne Scheu und Sorge. Auch ftehen fie nicht in üblem Auf 
um ihrer Unthaten willen, fondern man hält fie in Ehren, und 
fie bejigen Reichthümer, mittelft deren fie ſich Vergnügen 
verichaffen. 

Kaufmann. So ift es nichts Unrechtes oder Schänbliches 
was fie thun; denn wäre e8 das, fo würde ihnen, denke ich, nim« 
mermehr diefer Beifall von allen Seiten, dieſe allgemeine 
Duldung zu Theil. 

Franz. Bisher Hatten fie bie zu genießen, da man bie 
Sache noch nicht verftand. Jetzt erhebt fich, wie du gleich 
bören follft, da und dort Wiberſpruch. 

#aufmann. Und wer find denn nun, ſprich, diefe weitern 
Räuber? 

Iran. Für's Erfte ihr Kaufleute, 2) 


1) Die erfte Ausgabe der neuen Dialoge Hutten’® hat viele Druck⸗ 
fehler, befonbers in biefem Geſpräch, das ben Schluß madt. So ift 
bier ftatt patenter offenbar pudenter zu Iefen. 

2) Es ift wie aus unferem Gefpräd genommen, wenn es in ber 
Beſchwerdeſchrift, bie ber Adel beim Nürnberger Reichötag bes Jahres 
1523 einreidhte, von ben großen Hanbelsgefellihaften heißt, baf fie 








Rauflente, und —*— * fe in ® 
treiben? — * 
Tram. Ich ſage, daß fie die zweite R 
und durch ihre Plünderungen vielen — 
alle. Denn es gibt auch noch eine re * 
leuten, und ich möchte nicht um einiger X Br 
bu vorhin, gleich den ganzen Stand —* * 
mehr als genug Gehäſſiges hätte, das ſich ai 
Kaufleute vorbringen Tiefe. 2 2 
Zutten. Auch ich habe vergleichen. "meint, 
Kaufmann. Nun, was habt ihr — 
Tran. Nichts haben wir, 
Kaufmann, Ich bitte euch, wenn * tt 
offen berans, | n ol | 
Fran. Wir jagen es ni. Bir find. a mit b 
geſöhnt. ae u 
Kaufmann. Allein ich will eure Reben ı 
Bruch unfrer Ausföhnung anfehen, — din 
nehmen oder machtragen. Denn ich ſetze v 
nicht aus üblem Willen rebet. MT 
Fran. Das werden wir auch nicht, jo wahı 
ſtus helfe, fondern treulich umd im guter Meinung 
Willen fein, va du es jo von und verlangft. 


Kaufmann. Gewiß verlange ich es und bitte = ; 













J 
4 — 




















„ohne zweyffel teutſcher Nation ein Jahr mehr verbedter weiß 
ſchaden, abſchatzen und unter dem Tach abrauben, bann alle & 
feldrauber in zehen Jahren thun mügen, und — 2* — 
ſondern erbar genannt ſeyn.“ — 





— — 


IX. Die Räuber. 327 





und bin höchſt begierig, was ihr vorbringen werdet. Denn 
wir leben in der Meinung, daß es faum einen ehrenwerthern 
Stand gebe als den unjern, und glauben gar nicht, daß ſich 
etwas gegen uns jagen laſſe. 

Tran. Ich will dir zeigen, daß fi viel fagen Täft. 
Fürs Erjte glaubt du nicht, daß biejenigen Räuber zu bei- 
gen verdienen, die Deutichland alljährlich unermeßlicher Sum- 
men Geldes berauben? 

Kaufmann. Gewiß. 

Fran. Das thut ihr, 

Kaufmann. Wir? wo? 

Fran. Sa, ihr, indem ihr für (äppifche Waaren, bie ihr 
einführt, unberechenbare Maſſen Goldes von uns in's Aus— 
land verichleppet. 

Kaufmann. Welches find denn aber diefe (äppifchen Waa⸗ 
ren? das möchte ich wiſſen. 

Tran, Nun, iſt es denn nicht lauter läppiſches Zeug 
um euren Pfeffer, Ingwer, Zimmt, Safran, Nelken und derlei 
Wurzeln, Pflanzen, Früchte und Samen, ohne die man, gar 
wohl leben, ja gefünder leben könnte? Denn unmöglich fün- 
nen uns bier Geborenen Dinge wohlbekommen, die nicht hier 
gewachjen find; befümen fie uns, jo würde bie Natur ſchon 
geforgt haben, daß fie auch bier wüchſen. Nicht zur Noth- 
burft aljo, fondern zum Vergnügen verlangt man nach je 
nen Dingen, und nicht um dem Körper zu erhalten, ſondern 
zu reizen, ſetzet ihr fie in Umlauf. Das wirkt äußerſt ver— 
berbli und öffnet allen möglichen Krankheiten den Zugang. 
Außerdem: habt ihr die Seide eingeführt und. unzählige Arten 
auslänbiicher Kleidung, wodurch Deutfchlands angeſtammte 
Kraft fchlaff gemacht, die beften Sitten verborben werben, 
indem weibifche Pubfucht und fchimpfliche Weichlichfeit durch 
euch im Leben ver Menfchen eingeriffen ift. Denn was 
foll ich von den Dingen reden, die weder gut noch übel find, 













328 Hutten’s Ge 


daß ihr, was es irgendwo N 
ders uber was lächerlich — 
erregt, wie es etwa Weiber und —J— 
zum Spiel und Scherz ſich eignet, daß ihr 
zu uns bringet? Denn fei etwas g re ober 
wo es wolle, ihr leidet nicht, —F— — um: 
Alle Orte und Gegenden, Meere und % | 
fel der Welt durchſtöbert ihr, um etw 
uns zuführen und dafür unfer Geld 
gleich als hättet ihr euch verfchworen, fei 
in Deutſchland übrig zu laffen. _ * 
Kaufmann. Und doch kannſt bir en 
ſchön, daß diefe fremden Dinge hier Li ıbe 
Franz. Im Gegentheil, wider die Natı 
ich, hieher zu bringen, was nicht ver mia 
Gott, ihr hättet Deutſchland nicht nz 
Dingen Gefallen zu finden, an Wol ftmä 
Schmaufen und Schlemmen, an — Zeug wie ausl 
difche Kleider, Gold, Evelfteine und Purpur; de 
Sitten nicht verderbt worden, und auch —— 
hier. Ueberdieß fiele nicht vor, was —— ie 
gefchieht, Mord, Krieg, Gewalt und Um 
unangefochten von jenen Lodungen ves Lebens uud 
(ägen nicht fo vielen Reizen zur Luft, m k ten ı 
unfre Vorfahren, die tapfern Männer, im WW Er 
gend und im Kampf um die Ehre, Auch bei | 
ich, wilrden wir uns irdener Gefäße ae 
ihr zuerſt goldene und filberne vom Ausland ei 
uns kennen gelehrt. Gewiß würden Pe 
Thierfelle Heiden, hättet ihr micht ber Seise von & 
geben. Wie weife waren darum unfere L 
feine Kaufleute zu fich kießen, wie in — 
gegebenen Vorgefühl, daß von ihnen bereinft u 




































ara — 


a — — Ehe her 
- 


"i 
wi: 


reg > — — 


fuhrt 4 
1 4 


72 


u; w 
. CE ” ß 





IX. Die Räuber. 329 


Berberben drohe. Ihr höchſter Ruhm war, für ein Volk zu 
gelten, dem Lift und Schlauheit fremd feien: ihr habt auch 
biefe Yafter allmählig unter uns eingeführt. Unfre Vorfahren 
mußten fich nicht zu werftelfen: bei euch ift das Lügen zu 
Haufe. Anerfannt war bei allen Völkern rings unjere Trene: 
ihr Habt durch Lug und Trug auch fie im Verruf gebracht. 
Sie betrieben feinen Wucher und von Zinjen wußten fie nichts: 
ihr feid darauf vor allem Andern bedacht. O der Auslän- 
derei! Du aber, wie konnteſt du glauben, da ihr jelbjt von 
ber Art fein, Andere anfchwärzen zu dürfen? Doch, wie ich 
ſchon vorhin mich verwahrt habe, ich wünſchte dieß jo von 
bir aufgenommen, nicht als fagte ich es jett wirklich gegen 
‚euch, fondern als etwas, das man jagen fünnte, Be vn es 
einmal zum Wortſtreit käme. 

Kaufſmann. So nehme ich es au, — Abrede ge⸗ 
mäß; obwohl mir vorkommt, deine Meinung ſei, es gebe in 
ganz Deutfchland feine ruchlofere und —— ang Don 
Räubern als uns, | 

Fran. Nichts weniger. Denm gleich — yoilt ich 
anbere befchreiben, neben denen die, von welchen ich jo eben 
ſprach, gar nicht als Räuber erfcheinen. Doc möchte ich 
auch das, was ich gejagt habe, keineswegs auf alle ohne 
Unterfchich bezogen wiffen, als glaubte ich, alle Kaufleute 
feien Deutſchland ſchädlich. Denn einige halte ich fogar für 
nützlich. Uber zu ben fchlimmen und verberblichen rechne ich 
jene überreichen, welche in Geſellſchaften vereinigt Monopole 
ausbeuten, und umter ihnen find bie nichtöwiiebigften deine 
Herren, die Fugger. Würde heute dariiber abgeftimmt, wele 
her deutſche Biedermann, meint du wohl, felbit in eurem 
Stande, würde nicht dafiir ftimmen, daß fie vor allen An— 
bern aus Deutichland vertrieben umd jo weit weg als mög- 
(ih verbannt werben jollen ), da fie. für elende Poſſen, mit 
1) Gegen diefe großen Hanbelscompagnien war damals in ber 





350 Hutten’'s Geſpräche. Zweites Bud. 


benen fie das Baterland anfüllen, unermeßlich viel € 
Auslande zuwenden, auf die Sitten aber den Einflu 
ben ich befchrieben? Und das nennjt bu nicht rauıbeı 

Kaufmann. Nein, weil feine Gewalt dabei ift. 

Tram. Keine Gewalt? Aber ein Raub ift es db 
wiberrechtlich werübt wird. Oder kann man einem: n 
burch Trug und Lift Unrecht thun, und iſt dieß nich 
bie gebäjfigite Art? Denn was macht es Tür emen 
ichiev, ob du mir das Meine mit Gewalt nimmſt, ©! 
fo mit Lift umgarnſt, daß ich es bir freimillig 1 
Wenn du jchlechterbings läugnen willit, daß etwa 
beißen könne, wobei feine Gewalt in Anwendung for 
fann ich bir freilich nicht beweilen, daß es jebt, auf 
gar wenig ſchädlichen Bufchfleppern, noch anbere M 
Deutſchland gibt. 

Kauſmann. Ic läugne es nicht ſchlechthin. Ab— 
bie Kaufleute habe ich fo etwas noch niemals jagen 

Franz. Auch ich nicht was bu vorher gegen ben 
jtand fagtejt. Haft du gegen biefen noch Weiteres | 
Herzen, jo will ich dich gebulbig anhören, wie du m 

Kaufmann. Nichts, bad ich für ben Augenblick ı 

Yutten. Aber wir haben gegen die Kaufleute no) 
band. 

Kaufmann. Sprid aud bu. 

Butten. Fürs Erfte kommt euer ganzes Treil 
einer Tchlechten Duelle, 

Kaufmann. Aus welcher denn? 


That unter allen Ständen nur Eine Stimme. Der Abel | 
fihd wie oben erwähnt; die aufrübrifhen Bauern bes Ya 
ftellten unter Anberem bas Verlangen, „baß bie Gejellichaften, 
ger, Hochſtetter, Welſer u. dgl. abgeftellt werben‘, umb au 
meinte, man müfle „ben Fuggern u. bal. —— ein 
ins Maul legen,‘ 





IX. Die Räuber. . | 331 


Zutten. Aus der Begierde, die alles Uebels Wurzel ift, 
wie der Heilige Schriftteller meint !) und Jedermann zuge 
ſteht. Denn von Geiz und Habſucht rühren alle anvern 
Lafter ber. Dann begehret ihr auch gerade die Dinge, welche 
Andere um gut, Einige um nur weile fein zu —— weg⸗ 
geben und von ſich werfen. 

Kaufmann. Und doch ſehe ich nicht, wer heut zu — 
das Gold wegwürfe. 

Butten. Aber Viele gibt es, die es verachten, vielleicht 
auch, die e8 wegwerfen. Denn wir können nicht Alle Alles 
jehen, und man barf nicht zweifeln, daß e8 auch beute noch 
Solde gibt, die das Beifpiel eines Krates oder Anaragoras ?) 
nachahmenswerth finden. 

Franz. Wäre das auch nicht der Fall, jo hat es doch 
jederzeit für edel und rühmlich gegolten, das Geld zu verachten, 
weil e8 die Seelen fehlaff macht und zu großen und zahlloſen 
Uebeln Anlaß gibt, und weil in Neichthum und Weberfluß 
eine gefährliche Verführung zu Trägheit und Ueppigfeit liegt. 
Dagegen von Gemwinnfucht beberricht zu fein, war immer 
und überall fchimpflih. Nun ift aber euer ganzes Leben auf 
Gelderwerb angelegt, und nichts als reich zu werben, ijt 
euer Beftreben. Und Habt ihr euch Reichthum ermworben, 
wie gebrauchet ihr ihn? 

Raufmann. Die Einen fo, die Anbern anders. 

Franz. Der größere Theil, das wirft du nicht läugnen, 
zu Prunf, Woluft und Schlemmerei. 

Kaufmann. Es fei fo. Aber zu verlaufen, was man 


1) 1 Zimoth. 6, 9. 10. 

2) Bon Anaragoras erzählte man, er habe feine Güter, nachdem 
fie längere Zeit ben Heerben zum Abweiden preisgegeben geweſen, an 
Berwandte abgetreten; von Krates gar, er habe fein Bermögen ine 
Meer geworfen. 





332 Hutten's Gefpräche. Zweites Bud, 
vorher um fein Geld gefauft hat, if denn Daß ekwae 


liches? "I. a 

Fran. Das nicht. Indeſſen jehe ich, daß ihr Allı 
dem Preis verfauft, und daß einer für einem um fo 
Kaufmann gilt, je mehr er gewinnt. Doch geſetzt ed f 
ehrliche Sache. um den Hanvel, jo muß doch, wer nach 
thum trachtet, in diefem Streben nothwendig bisweilen 
Schimpfliches begehen. So jeid ihr aub mit Schlik: 
Kniffen jederzeit bei der Hand, ja, es kurz zu Tagen, 
und Liſt find eure Sadıe. 

Hutten. Aber mein Gaftfreumd, du läſſeſt mir ja 
übrig, das ich nachher gegen meine Curtiſanen vor! 
fönnte. * 

Franz. Ich Bin nun an dieſen; für jene Anden 
du forgen, daß auch fie noch, was fie verdienen, zu 
befommen. Du aber fage mir: wo und wann erfah 
denn einen Tadel umter euch, jene Berfchlagenen, Die 
wiffenlos dem Gewinn nachgehen? 

Kaufmann. Wir richten nicht gern über AUnbere. 

Fran. Nicht? da ihr die liftigen Betrüger in ven 
mel erhebet, wider uns hingegen ben äußerſten Ay 
ven Tag leget? 

Kaufmann. Das Yebtere it Einmal von mir gel 
aus Unbedacht, Wer aber von und den Betrug Tobte 
ich nicht. | | 

Fran. Ich will dir einen zeigen, ber 28 hut 
Fugger, hältſt du fie nicht für Viedermänner? 

Kaufmann. Ich halte fie dafür. 

Tram. Was aber ift ihr Thun und reiben? Be 
und übervortheilen fie nicht wer mit ihnen zu Fchafier 

Kaufmann. Nichts weniger. 

Franz. Ich will did mit Zeugen überweifen, ben 
Urteil im der Sache zufteht, mit Raufleuten, Bon 








IX. Die Ränber. 333 


hört man in aller Welt vie einftimmige Klage, die Fugger 
feien e8, die Andere nichts gewinnen laffen, bie allein mit 
auswärtigen Völfern handeln wollen, und durch eine Art von 
Tyrannei Allen im Einkauf den Rang ablaufen, ober wo fie 
bieß nicht können, fie durch ihr Geld überbieten, um, wenn 
fie durch ihr Mehrgebot jenen Kleinern den Einkauf unmög⸗ 
lich gemacht, nach ihrem Belieben was fie allein gekauft 
haben auch allein verfaufen zu Fönnen, zu welchen Preiſen fie 
wollen. ) Wie oft aber habe ich jene Feinfchmeder Tagen 
hören, daß Pfeffer und Safran fo theuer feien, weil bie 
Fugger unfern übrigen Kaufleuten Indien verfchloffen hätten, 
um ihre fehimmlichten Waaren deſto theurer verlaufen zu kön⸗ 
nen? Das Geld der Fugger aber, wie ift das befchaffen! 
Hat ſich nicht bei den Funfzehnern, bie fie fchlagen ließen und 
mit denen fie ganz Deutfchland überſchwemmt haben, neulich 
gefunden, daß ihrer zwanzig feinen Goldgulden werth find? 
Sit das nicht ein häßlicher Betrug? 

Faufmann. Gewiß; wenn fich einer findet, ber feiner 
ſchuldig iſt. 

Franz. Sie ſind's; ich berufe mich auf dein Gewiſſen. 

Baufmann. Wäre das, fo würden wir ſie nicht fo ge 
ehrt und von Marimilien gar in ben Abeleftand erhoben 
feben. 

Iranz. Ab, ein Adel, nicht durch Tanzen und Bahnen, 
nicht durch Sporen ?) und Narben errungen, fondern um 
fchmählichen Gelpbefiges willen ertbeilt, wo in Ermanglung 
von Zugend der Reichtum ausbelfen mußte! ?) 


1) Die gleiche Beſchwerde findet fih au in den oben, ©. 330, 
angeführten Actenftüden. 

2) Non phalerae, feßt Hutten ans ber Mariusrede bei Salluſt, 
Jugurtha, 85, 29. Wer beide Stellen vergleicht, wird finden, warum 
in ber Ueberfegung bie Heine Abweichung nöthig war. 

3) Paffend führt bier Böcking die Umfchrift der Münze an, bie 





334 Hutten’s Geipräde. Zweites Buch. 


Kaufmann, Alfein ich bitte dich, wenn du dem | 
der Fugger den Adel abfprichft, was hältſt vu Denn von 
Vorfahren Leo's des X., die aus Kaufleuten vor neh 
(anger Zeit mächtige Fürjten geworden finb? me 

Fran. Das Gleiche, was von jenen Schreibern 1 
milian's, die er auch geabelt hat, da er befjer geiban f 
würde, wenn er einige davon an ven Galgen gebenft hi 

Kaufmann. Und find die Mebici nicht adelig? 

Franz. Geabelte Kaufleute, ‘wie bie Sugger ‚ aber 
find fie nicht, 

Hutten. Gewiß ift es wahr, was ber treffliche — 
ſteller Seneca jagt, feit vas Geld in Werth — 
ber wahre Werth ver Dinge gefallen. 9 

Kaufmann. Es fcheint, ihr beneibet uns um unjer 
mögen, da ihr foldhe Reden führet. 

Franz. Beneiden! Vielmehr haffen wir euch, vaf i 
ber jhmusigften Sache eine Ehre fucht, da ihr Doc 
Schande davon habt. | Bar; 

Kaufmann. Wie jo Schande? Dem das ift num 
ein härteres Wort, als man es gegen Ehrenmänner Bra 
follte. | 

Tram. Ich will es dir jagen; doch fo, wie einer ) 
fönnte, wenn er wollte, micht um euch zu Ibmäben. 
wiß ift die Püge eine ſehr unedle Sache: ihr aber = 
ver Lüge, lebt von der Füge, 

Kaufmann. Wir thäten das jemals? 

Franz. Ihr thut es immer, Denn lügen, faltſch 


im Jahre 1518 zu Sidingen’s Ehre, mit feinem unb bes KRaifens i 
geichlagen wurbe; fie lautet zu deutſch (wenn wir bem 
nen fiebenten Fuß abnehmen): 
Ziebft den Mercur du ben Waffen nicht vor, Dam, mächtiger Ra 
Dleibeft Du ſiegreich ftets und ein beglüdter Regent. | 
1) In feinem 115. Briefe. 





IX. Die Räuber. 335 


trügen iſt bei den Kaufleuten herkömmlich. Oper ift ver 
KRaufmannseid nicht jogar zum Sprüchwort geivorben ? 

Kaufmann. Er ifts; aber man thut uns damit Unrecht, 
meine ich. 

Fran. Die euch fennen, meinen es niht. 

Yutten. Und daher fommt e8 wohl, daß ber Gott ber 
Diebe und Betrüger, Mercurius, auch ihr Schußgott ift, 
und dem Markt und der Goldmark, dem Marften und Com— 
merz ), den Namen gegeben hat. 

Kaufmann. Hätte ich doch nicht gefagt was ich wollte, 
um nicht jett hören zu müſſen, was ich nicht will. Und 
doch werdet ihr nicht (äugnen, daß es auch noch Bievermän- 
ner unter den Kaufleuten gibt. 

Franz. Das habe ich ja ſchon zuvor gejagt. Doch fieht 
man felten Einen Gewinn macen, ohne baf er Andern 
Schaden thäte. Indeß, fünntet ihr auch auf die ehrlichite 
Art gewinnen, fo hat boch ver Befit des Reichthums, wenn 
er in's Uebermaß jteigt, Feinpfchaft und Empörung, wenn 
er verloren geht, Rnechtfchaft im Gefolge. Und wicht leicht 
jehen wir Einen nad; Reichthum trachten, und zugleich ein 
‚vormwurfsfreies Leben führen, weil die Sorge für jenen bas 
Gemüth von dem Streben nad Rechtichaffenheit abzieht. 
Daraus ſiehſt bu, daß eure Pebensweile eine äuferjt ge 
fährliche ift. 

BYutten. Ich will auch etwas aus der gelehrten Welt bei- 
bringen, wenn es bir micht zuwider ift. 

Kaufmann. Sprih nur. Denn ich habe ſchon fo viel 
Uebles anhören müſſen, daß ich nicht mehr empfindlich bin. 

Hutten. Bei Plato ift aller gewerbsmäßige Gewinn ehrlos, 
weil er edle Sitten verunreinige. ?) Hörſt du das? 

1) Im Lateiniſchen folgen bier mod mehrere Wörter mit bem 


Stamme merc-, bie wir im Deutſchen nicht nachbilden lönnen. 
2) Ueber Plato’s (wie Hutten’s) „„ächtariftefratiiche Beratung ber 





336 Hutten's Geſpräche. Zweites Bud. 


Haufmann. Ich höre es, und habe nichts Dagegen, bef 
es in feinem Staate fo fei. 

Yutten. Es ift überall fo. Denn auch Ariftoteles, doch 
wohl ein weltläufigerer Philojopb, tadelt die Kaufleute, daß fie 
immer in der Stadt bleiben, um bie Märkte zu vrüden, nt 
die erjten feien, Unruhen zu erregen unb Zwietracht zu ſäen 
Und mögen fie auch nothwendig fein, meint er, fo follen fie 
Doch nicht aus ven Bürgern fein. Siehſt du, wie auch Ari: 
ftoteles euch feinen Staat verfchließt? *) 

Franz. Und doch bewohnen fie jegt die Stäbte faft gan; 
allein. 

Kaufmann. Wie du fagft. So viel hat jener Schwätzer 
mit feiner Pehre ausgerichtet. 

Zutten. Schwätzer? er, ben bie jeßigen Theologen mt 
die Bettelmönche für einen Gott anfehen? Wie aber urtbeilt 
Sokrates, wenn er fagt, die Tugend ſtimme fo wenig mit 
dem Reichthum, wie wenn beite auf den beiden Schalen eine 
Wage lägen und ftets in entgegengefeßter Richtung zügen? 
Auch fagt er, wenn in einem Staate der Reichthum und vie 
Reichen geehrt werden, fei die Zugend und die rechtfchaffenen 
Männer verachtet; und er hat Recht, denn es ift wirklich je. 
Auch Plato fagt, daß die Ueberreichen feine Biedermänne 
feien. Bion aber, einer von den Weifen ?), findet vie Men— 
fhen lächerlich, die nah Reichthum ftreben, den das Glüd 
gebe, Kargheit bewache, Gutherzigfeit nehme. Und Diogenes 


materiellen Arbeit‘ vgl. Zeller's Philoſophie ber Griechen, Zweite 
Auflage, II, 583. 

1) ©. Xriftot. PBolitil, VII, 9. 

2) Bion, ein Philofopb und Satirifer des Jahrhunderts nad 
Alerander, wird gewöhnlich ber Sophift genannt. Alle obigen Phil 
fopbenfprüche find Übrigens wieder aus Stobäus' Blumenleſe, Dutten's 
Fundgrube für griedhifche Citate. 





IX. Die Räuber. 337 


meint, jo wenig in einer reichen Stabt als in ac reichen 
Haufe könne Tugend wohnen. - 

Kaufmann. Wozu das? Als ob bie Raute allein 
reich wären. 

Yutten. Nicht, weil fie allein es find, —— weil ſie 
am meiſten unter Allen darnach trachten, und ihr einziges 
Beſtreben ift, reich zu werben. Läugneſt du aber, daß jene 
allzu verfeinerte Gemußfucht hafjenswerth iſt? . 

Kaufmann. Ich läugne es nicht. Denn an den Pfaffen 
mißbillige ich fie jelbft, und auch an uns lobe ich fie nicht. 

Hutten. Und hältſt es für einen tapfern Spruch jenes 
Nömers!), daß Putz ſich für Weiber, Arbeit aber für 
Männer ſchicke? 

Kaufmann. Gewiß. 

Hutten. So bewunderſt du alſo nicht mehr wie vorher 
bas Geld, das zu jeder Art von Böſem reizt? und hegſt für 
Evelfteine oder Kleider, jene eitelfte Augenweide, feine Ber: 
ehrung mehr? 

Kaufmann. Ich verachte fie fogar. 

Franz. Du bift adelig genug, wenn du Dabei bleibft. 

Yutten. Und fiehft du nun, daf eure Pebensweife fchlim- 
mer als bie in umferem Stande ift, ven du vorhin jo ſehr 
geſchmäht und jchlecht gemacht haft? 

Kaufmann. Das fehe ich noch nicht recht. Denn gefekt auch, 
was ihr nefagt habt, wäre Alles wahr und träfe uns wirklich, 
fo habt doch auch ihr eure Fehler, nicht geringer als bie un— 
fern, davon mir jebt erjt wieber etliche beigeben, bie mir 
zuvor entfallen waren, 

Iran. Wohlan, fo fage, mas dir beifällt. 

Haufmann. Für's Erfte habt ihr ein wildes raubes We 
fen am euch, und leget euch nicht auf feinere menfchliche Bil- 


1) Des Marius, bei Salluft, Iugurtba 85, 40. 
Strauß, Hutten's Geſpräche. >) 





338 Hutten’s Gefpräde, Zweites Bud. 


bung, wie man in den Städten thut. Dann, mie. ich einjt 
von deinem Lehrer !), Hutten, gehört zu Haben mich erinnere, 
feivet ber beutfche Adel hauptfühlih an zwei Fehlern, an 
Hohmuth und Umwiffenheit. Diefe macht, daß er ſich jelbit 
nicht fennt, jener, daß er Andere verachtet. Schwerlich fin- 
ben ſich auch irgendwo Leute, die fich ihres Adels mit Wor- 
ten jo hoch rühmen, während fie ihn mit der That ſo wenig 
beweifen. Daher find eure Häufer ftets voli vom. Abnen- 
bildern, umd wohin ihr fommet: fchreibet ihr alle Wänbe voll; 
daß ihr aber etwas Nechtes zu lernen ſuchtet, davon fan 
ih noch. nicht viel bemerken. Und indeß ihr euch auf den 
Berzug eures Gejchlechts und den. eiteln Namen des Adels 
fo viel zu Gute thut und euch damit begnüget: wie wenige 
benfen daran, auch edle Thaten zu verrichten?‘ Berubiget 
ihr euch nicht meijtens dabei, an den Namen euch anzuflkım- 
mern, ohne auch ver Tugend machzueifern? Ich habe Leute 
euves Standes geſehen, bie einen wie über eine Ehrenfrän- 
fung zur Rechenjchaft zogen, wenn man ihnen einem zu ges 
ringen Titel gegeben hatte, Andere zwingen uns, ihnen Ehre 
zu erweilen, ohne Recht und Berbienit, ala daß fie ven jol- 
chem Gejchlechte find. Von Einem weiß man au, daß er 
einer ehrjamen Stadt Fehde anfagte, weil er in ihr, ſeinem 
Vorgeben nah, nicht ehrenvolf genug behandelt worden war, %) 
Aus einem jo nichtigen Grunde evfolgte alabald jänmerliche 
Plünderung, ja Mord und Brand. Auch fehlte. es nicht an 
Freunden und Verwandten, die, wie in einem. höchſt ehren— 
baften Handel, jenen Krieger nach Kräften unterftüsten. 
Und als gälte es einen Krieg für Vaterland, Glauben und 





1) Nah Boding’s VBermutbung wäre bier Eitelmolf von Stein 
gemeint. 

2) Dieß klingt beinahe wie ber Handel, ben Sidingen's Bater 
einmal mit Köln anfing, j. meinen Ulrich von ‚Sutten,. IL, 74, 





IX. Die Räuber. 339 


Geſetz, fo wüthete man. Iſt nun das eine löbliche Hand⸗ 
lungsweife? Oder find ſolche Sitten eines edeln Gefchlechtes 
würdig ? | 
Iranz. Ich Habe dir fchon früher gefagt, wie ich von 
denen denke, die ſich jo aufführen, und daß ich glaube, wer 
jo pflichtwidrig handle, verrathe den Adel und ftelle ſich ven 
Niebrigften gleih. Die Fehler aber, die du vorhin aufges 
zählt, kannt bu uns nur fo vorwerfen, daß wir fie ſämmt⸗ 
lich mit euch gemein haben. Denn auch in den Städten 
rühmet ihr euch eurer angeblichen Gefchlechter und fehet Ei- 
ner auf den Andern herab. Im Wohlleben aber Iafjet ihr 
uns weit inter euch zurüd, und bringet bei Wein und 
Schmaus eure Tage fehr unrühmlich hin. 

Aaufmann. Wie aber ihr? Trinket ihr euch nicht oft 
um den Beritand? . 

Franz. Könnte ich jagen, diefer Fehler ſei in unjerem 
Stande nicht einheimifh! Er iſt's, doch nicht allgemein. 
Faſt durchweg dagegen findet fich bei uns eine ländliche Un⸗ 
bildung und Nüdfichtslofigkeit, vie du als Wildheit auslegit 
und Unmenfchlichkeit nennſt. Gewiß leben wir einfacher ale 
ihr und mebr nach alter Sitte, auch mäßiger, nüchterner, 
wie ich glaube, und ftrenger. Und mit Aderbau und Kriegs» 
dienst befchäftigt, weifen wir jede andere Erwerbsart von une 
und find von eurem ſchmutzigen Zreiben himmelweit entfernt. 
Dann ift Großmuth unfere Sache und wir verachten das 
Geld: ihr fein allzufehr auf Gewinn erpicht. Außerdem fürch- 
ten wir uns mehr vor Unehre, fliehen was fchändlich ift 
und fchämen uns ber Schmach: ihr gehet, um euch zu be 
reihern, durch did und dünn. Auch berrfcht unter uns eine 
bievere Offenherzigkeit, während ihr einanver felbft gegen 
feitig jeden Trug und jede Lift zutrauet. Von vorne herein - 
it ed ja auch wahrfcheinlich, daß in einem guten Gefchlecht 
beſſere Naturen fich finden als in einem unebeln. Und wie? 
28 





340 Hutten's Geſpräche. Zweites Bud. 


bethätigen wir nicht die fchönfte aller Tugenden, Die Tapfer⸗ 
feit? hegen bie Gerechtigfeit? bejchüten bie Unfchuln? 
Kaufmann. Gewiß müßte ich unfern Stand Haffen, bem 
vitterlichen Leben aber das höchfte Lob zolfen, wenn ihr eu- 
ren Grundſätzen gemäß lebtet, und wir, was an Cinigen zu 
tabeln fein mag, Alle uns zu Schulden kommen Tiefen. Nm 
muß ich, wie du zuvor, von dir verlangen, daß du Die fFeb- 
ler Einzelner nicht auf Alle überträgit, damit nicht ftatt 
weniger Schuldigen Alle hafjenswerth und ftrafbar erſcheinen. 
Iram. Ih bin darauf gleih Anfangs bedacht geweſen, 
die Guten auszunehmen, deren Vorhandenſein unter euch ich 
nicht läugnete; während du gegen alle Ritter ohne Linter- 
ſchied loszogſt. Uebrigens follft du willen, daß Das ein 
wahres Wort tft, woher es auch genommen fein mag, je 
göttlicher etwas fei, deſto weiter fei es von ben Gtäpten. 
Mas aber jene Näubereien betrifft, jo ſehe ih nicht, welche 
Vorfälle ven Verdacht gegen uns, wenn ev anders jo ver 
breitet ift wie du fagft, veranlaft haben könnten, es 
müßte denn das fein, daß, wenn wir Kriege führen, bie- 
weilen etwas durch bie Zügellofigfeit des Kriegsvolls gefchieht 
was ums verhaft macht. Aber dieſes läßt fich von uns jo 
wenig als von fonjt Jemanden bänbigen. Dabei liegt mix 
nichts ferner als Fehler zu beichönigen, umb wenn einer im 
ein berühmtes Gefchlecht ein fchanpbares Leben und ſchlechte 
Sitten hineinbringt ?), jo befenne ich mid als feinen Anflä 
ger; fo weit bin ich entfernt, feinen Anwalt machen zu wo 
fen. Darum weiß ber nicht, welche Laft er ſich auflegt, ver 
fich feiner Vorfahren um ihrer trefflichen Thaten willen rübmt, 
Denn iſt er nicht felbjt der Art, daß er ihnen: wenigitens 
nahe kommt, fo gibt er Andern mir ein Werkeng ibm zu 


1) Statt des indicat ber erftien Ausgabe und Böding’s indicat 
lefe ich inducat, 





IK. Die Räuber, 341 


lagen und Stoff zum Tadel an die Hand. Lebte man auf 
beiden Seiten fo gut als möglich, fo könnteft du gewiß. nicht 
fäugnen, daß wir vermöge der ganzen Anlage unfres Lebens 
die bejjern find, weil wir mehr arbeiten, uns unfchufdiger 
nähren und uns weniger durch Trägheit verberben laſſen. 
Denn unſre Erholung ift die Jagd, die felbft gar viel Ar- 
beit im fich begreift. Zudem betreiben wir das Kriegsweſen, 
gewiß bie edelfte Befchäftigung, bie wie feine andere zur Er- 
haltung des Guts und der Wiürbe Aller insgemein nüßlich 
und nothwenbig iſt. Denn fie dient zum Schutze ber Un 
ſchuld umd zur Abwehr des Unrechts, und iſt die einzige 
unter allen, bie jederzeit von den Höchften und Beſten aus— 
gebt worden. 

Yutten. Und darum hat Cyrus, der tugenphaftefte König 
unter den Heiden, zu den fchönften und nothwendigſten Be— 
fhäftigungen den Aderbau und ben Krieg gerechnet ?), welche 
beide wir unſer ganzes Leben binburch betreiben. Plato aber 
jchreibt vor, daß die Anaben in Waffen geist, und fobalb 
fie erwachjen feien dem Kriegsdienſt übergeben werben. 2) 

Kaufmann. Solite es bievon nicht endlich genug fein, 
bamit wir auch noch an andere Räuber kommen? 

Iranz. Es ſei genug. 

Kaufmann. Und fönnen wir untereinander Greumfgaf 
jchließen ? 

Tran. Sie jet gefchloffen, 

Kaufmann, Und wollen wir unferer Rede den Abſchluß 
geben, daß, wenn beide Stände beharrlich ihre Pflicht thun, 
ihr edel ſeid, wir aber es werben können, weiter fein Unter— 
ſchied jtattfinde? 

Franz. Das ift ganz meine Meinung. Den auch wir 
haben einmal angefangen. | 
9) Kenophon, Deconom, 4. 

2) Blato’s Staat, II, 374; I, 403; V, 466 f. 


u” 
m 


En 





842 Hutten’s Geſpräche. Zweites Buch. 


Baufmann. Wie aber, wenn e8 möglich wäre, bie Mi 
belligfeiten aus dem Wege zu räumen, die uns Weiberfei 
trennen? 

Franz. Ich glaube, es iſt möglih. Denn ich wenigfte 
habe im Sinne, einmal zu thun, wozu mich Hutten fi 
fleißig antreibt, daß ich ſoviel an mir fliegt, unfern Star 
veranlaffe, mit den freien Stäbten beftänbige Freundſchaft 
fchliegen. 

Raufmann. Möchteft du damit fobald als möglich b 
ginnen, dad Begonnene ftandhaft fortfegen und feft dab 
bebarren. 

Franz. Wenigitens hab’ ich8 vor. 

Butten. Hoffe nur; er wird's thun. 

Raufmann. Das hör’ ich gerne. Denn ich glaube 
fehen, wie viel Gutes dadurch unſrem Deutfchland zu Th 
werden, wie ftarf und blühend e8 werben wird, wenn ti 
gelingt. 

Iran. Auch ich ſehe ed. Und darum ift es Längft me 
Vorſatz, was ich durch Rath und Mahnung ober auch pur 
mein Unjehen vermag, anzuwenden, um biefe Einigkeit be 
beizuführen. Doch gehen wir den übrigen Räubern nad. 

Kaufmann. Das wollen wir. Und wer ift es denn nu 
ber an dritter Stelle in ‘Deutfchland raubt? 

Franz. Die Schreiber und Rechtögelehrten find es, hei 
um jo fchädlicher, je weiter ihre Räuberei fi erſtreckt. Der 
fie find überall und rauben aller Orten. An den Höfen d 
Fürften, wie in den Räthen und Gerichten ver Städte, 
öffentlihen VBerfammlungen, wie bei Privatberathungen, i 
Feld und zu Haufe, im Krieg und im Frieden. Kurz, f 
find überall vorn an, gelten ale bie Ausgeber una Bewal 
rer von Geſetz und Recht, und ohne fie gibt e8 feine Megi 
rung. Sie richten die Reiche ein und veranlaſſen Staatı 
veränderungen, wenn sie wollen. : | 





IX. Die Räuber. 343 


YZutten. Bon ihnen beherrfchten die einen, die Schreiber, ven 
Morimilian und ganz und gar, waren allein mächtig bei ihm und 
mißbrauchten ven gutberzigen Herrn, wie fie wollten. Was fie von 
ihm umfonft auswirften, verkauften fie theuer an Andere. Auch 
fein Geld gehörte ihnen, denn ihm gehörte es nicht. Wenn man 
es noch jo nothwendig denen hätte geben follen, denen man es 
ſchuldig war, fo durften es doch die Schreiber vorher für 
fih wegnehmen. Auch wenn er Krieg führte, unter ven 
fhwierigften Umftänten, gab er ihnen, den Soltaten aber 
nit. Und um ihre übermäßige Habfucht zu befriedigen, vie 
er gleichwohl niemals befriedigen konnte, aber um nur ihre 
Wünfche zu erfüllen, Tieß er es zu, daß Belagerungen aufs 
gegeben, Schlachten entweder vermieden oder fchlecht gefchla- 
gen, Bundesgenoſſen im Stiche gelaffen wurden, Heere aus- 
einander liefen, Städte verloren gingen. Mit Einem Worte, 
die beften Gelegenheiten ließ er aus ver Hand. Kaum gab 
ed etwas fo “Dringliches, dem nicht das Belieben dieſer Men- 
ſchen bei ihm vorgegangen wäre. Freunde und Feinde hatte 
er faft nur nach ihrem Willen. Neben ihnen verachtete er 
bie Fürften, und dem Abel zog er fie beharrlich vor. Uebri⸗ 
gens erhob er fie auch in ben Adels» und Fürftenftand, vor 
Allen jenen Biſchof, den ich felbft in öffentlicher Neichsver- 
fanımlung ſich habe erbreiften fehen, ven erften Fürften ven 
Rang ftreitig zu machen, einen Emportömmling, ber eine 
fehr armfelige Figur gemacht hatte, als er zuerft an ben 
Hof am. !) 

Kaufmann. Sein Vater verfaufte Milch zu Augsburg, 


1) Gemeint ift Matthäus Lang, Biſchof von Gurk und Carbinal. 
Den Kangftreit hatte er mit dem Kurfürften Albrecht von Mainz ges 
Habt, und au Hutten war von ‚ihm gefränkt worben, |. meinen . 
Uri von Hutten‘, I, 94 f., 343 Anm. Was im Folgenden über feine 
Herkunft gefagt wirb, ift Übertrieben. Er war aus einem guten Augs⸗ 
burger Haus, . . 





344 Hutten’s Gefpräche. Zweites Bud. 


wo er auf einem elenden Thier einritt, dem an jeder Seite 
ein Eimer hing: er aber lebt jet fo üppig, da, was Ar 
bern ein Bergnügen ift, ihm Arbeit zu fein däucht, und fpeift 
fo Köftlich, daß er zumeilen über die Fugger klagt, weil fie 
nicht genug neue Be aus fremden Ländern zu uns 
bringen. EZ 75 

Fran. Das babe ih dazumal als ein öffentliches Un— 
glück betrachtet, und bie Zeit eine elende genannt, Dem 
wann Hat fich Deutichland tiefer entehrt gejehen, als wäh— 
vend jene nichtswürdigen Menfhen am Staatsruder ſaßen 
und Recht und Geſetz, alles Heilige und Ehrwürbige, auf 
das frechſte entweihten? Freilich jehe ich auch um Karl be 
reits Lente auffommen, bie ihn ebenfo mißbrauchen möchten. 

Yutten. Auch ich fehe fie und beflage des: Baterlands 
Geſchick. Mit ſolchen Anfängen hätte er feine — 
nicht einweihen ſollen. 

Fran;z. Mit welchen? ur IT 

Hutten. Mit welchen er font wollte; das aber hat mir 
nicht gefallen, daß er fich jenes Ediet gegen Quther — 
ließ, ) 

Franz. Aber das hat er nicht ſelbſt gemacht, bie Schrei 
ber haben es gemacht und gewiſſe ſchlechte Menſchen am Hofe, 
die durch des Papſtes Geld dazu beftochen waren. 

Butten, Ich weiß; aber unter feinem Namen ift es vor 
gelegt worden, und er wiberruft es nicht, jonbern gibt ben 
rebfichen und um das Reich hochverbienten Mann ber * 
handlung der ruchloſeſten Menſchen preis. an 

Fran. Dazu verführen ihm jeme für jekt; och ich habe 
bie bejte Hoffnung, fie werben, wenn fie, amt fejteften zu 
ftehen meinen, elend fallen und nieberliegen. Sp glaube ich 
die Natur des jungen Fürften zu kennen. Much hat er mir 










1) ©, oben ©, 310. 





IX. Die Räuber. 345 


bereits einige Anbeutungen jeines Willens gegeben, was er 
im Sinne babe, wenn er einmal die Zügel der Regierung in 
feine eigene Hand nehmen werde. 

Buttn. Bon ihm heißeft du mich jederzeit das Beſte 
hoffen, wiewohl ich auch ohnedieß fchon für mich felbft ihm 
zugethan bin. Aber jet wäre e8 auch die höchfte Zeit, daß 
er aus der Unterbrüdung durch die Böfewichter fich aufraffte 
und nicht länger zufähe, wie in einer Sache von jo üblem 
Beifpiel fein Name, feine Hand und fein Siegel von ihnen 
verfauft wird. 

Franz. Er wird ſich aufraffen, verlaß dich darauf, wird 
jenes Joch abwerfen, und fie nicht mehr nach ihrem Belieben in 
feine Ohren friechen, fich nicht mehr von ihnen mißbrauchen laſſen. 

Buttn. Thut er das, wie ich hoffe, fo zweifle ich nicht, 
Andere werben es ihm nachthun, damit doch enplich das Ans 
fehen der Schreiber in Abgang komme. 

Iran. Sicher wird er es thun. Denn mehr und mehr 
werben ihm ihre böfen Anfchläge befannt, und das Schlechte 
fängt an ihm zu mißfallen. 

Jutten. Wenn du biefen Troſt, den du uns jet mit 
Worten verheißeft, uns einmal in ver Wirklichkeit zeigen 
fannft, dann wird e8 wohl auch dahin fommen, daß bei den 
höchſten Fürften wieder Ehrenmänner ihre Stelle finden, und 
nicht mehr jene niedrigen Menſchen Alles vermögen und fich 
unterftehen, die ohne Uebung oder Einficht in Regierungs⸗ 
gefchäften, ohne Kenntniß der Gefchichte und tes Herkom⸗ 
mens, ohne Erfahrung und Fleiß, endlich ohne Redlichkeit 
und Gewiflenhaftigfeit, nur auf Kedheit, Unverfchämtheit und 
bie fchlechteften Kunſtgriffe geftügt, zur Leitung von Sitte, 
Geſetz und Staat fich herandrängen. Fürwahr, fo lange bie 
Sachen fo ftehen, wird es nirgends gute Fürften geben kön⸗ 
nen, um jener Kanzler willen, aus deren Schränfen, wie 
aus einem göttlichen Orakel, die Entſcheidungen über öffent⸗ 





346 Hutten’s Geſpräche. Zweites Bud. 


liche und Privatangelegenheiten bervorgeholt werben; von t 
nen man die Diplome der Könige erbandeln, vie Erlafle d 
Fürften kaufen muß; die gewiflermafen bie Augen d 
Könige find, ohne die fie nichts fehen, nichts erfenne 
Darım führen fie diefe auch wohin fie wollen, fie well 
aber wohin ihr Vortheil e8 mit fi bringe. Wie weni 
mögen unter ihnen fem, deren Rathichläge, wenn fie ei 
mal an’s Licht kämen, nicht Beweiſe der ſchlimmſten Geſi 
nung fein würben? 

Tran. Der fchlimmften, wie du fagft. Denn welch 
Schlechtigkeit müfjen fich vie nicht bewußt fein, Die alle B 
fehle und Verbote, alle Winke, Reden und Gedanken d 
Fürſten feil Halten? 

Hutten. Manchmal, wenn etwas dabei zu gewinnen ij 
machen fie auch faljche Unterſchriften und jtehlen den Fürfte 
ihre Eiegel weg. Und das ift das Elendeite an biefen Win 
machern, daß fie nicht durch tüchtige wiffenfchaftlihe Studie 
ihren Geift ausgebildet haben, wohl aber ihren Leib dur 
Kleider aufs Foftbarfte ſchmücken. Darum haſſen fie au 
Niemand bitterer als vie Gelehrten und wiflenfchaftlich Ge 
bildeten; denn fie fürchten, tiefe möchten ihnen einmal ihr 
Unwiſſenheit und Unbildung vorwerfen. Daher wollen fi 
auch nicht leiden, daß folhe Männer den Fürften befann 
werden, und verdrängen fie aufs gehäffigite von den Höfen 

Franz. So machen fie es wie du fagft. Wber in deinen 
Mifaulus!), wo du Übrigens alle Hoflafter ausführlich ge 
nug, wie mir fcheint, abgemalt haft, bift du nur allein mi 
den Secretarien allzu glimpflih umgegangen. Wußteſt di 
denn noch nicht, da man aus ihren Schriften Alles nimm! 
daß, was von ihrer Bosheit herrührt, auch ben guten Für 
ften zugejchrieben wird, und deßwegen oft bie beften üble 

1) Hutten's Geſpräch über das Hofleben. S. meinen Ulrich' ve 
Hutten, I, 816 fi. 

ed 


IX. Die Räuber. 347 


Nachrede unterliegen? Ferner, daß fie immer und von Allen 
Geſchenke nehmen, gegen die aber, vie ihnen feine bieten, Die 
Augbraunen zujammenziehen und ihnen auf jede Art entgegen» 
arbeiten? Auch daß fie, wenn man fie einmal vor deu Kopf ge- 
ftoßen bat (das geichieht aber durch Redlichkeit, Unſchuld, 
Gelehrſamkeit umd ähnliche Tugenden, doch vor Allem durch 
Armuth), daß fie fih dann auf feine andere Art als durch 
Geſchenke wieder verjühnen laffen? Oper fahft dir nicht, 
bag Niemand am Hof weniger ehrlich und aufrichtig handelt? 
und daß fie gerade dann am meiften mit Trug umgehen, 
wenn fie am freunblichften antworten und ihre Hofcompfis 
mente, ihren prächtigen Dunft, einem vormachen? 

Zutten. Ich wußte und fah e8 wohl; aber ich nahm fie 
um beßwillen kürzer durch, weil ich mir vorbehielt, einft 
buch die That einzubringen, was ich in Worten ihnen zu 
wenig getban. Denn noch immer hege ich ftarfe Hoffnung, 
daß fie fortgejagt, und als unerträgliche Laften von dem Rüden 
ber Fürſten werben herabgenommen werben. Biſt bu nicht 
auch der Meinung, daß für diefe jene Poſſenreißer und Schalfs- 
narren noch nüßlicher feien als das heilloſe Schreibervolk? 

Fran. Ich glaube es, vornehmlich deßwegen, weil fie 
doch bisweilen rüdfichtslos vie Wahrheit jagen, während jene 
aufs fchimpflichfte fchmeicheln, fobald fie Gewinn dabei fehen, 
worauf fie Alles einrichten und anlegen. Aber werben wir 
denn jene trefflichen Nechtögelehrten für eine geringere Plage 
Deutfchlands erklären als die Schreiber? 

Butten. Keineswegs; vielmehr werden wir fie um deß— 
willen noch für jchlimmer halten, weil fie, fo ungelehrt fie 
euch find, doch für gelehrt gelten und ſich dafür ausgeben, 
und auf die feichtefte Wiffenichaft von allen, vie nach jedem 
Wechſel der Verhältniffe, jeder Staatsveränderung fich dre⸗ 
hen läßt, fich unerträglich viel einbilden. ‘Denn was zeigen 
jet die Geſetzkrämer aller Orten für einen Hochmuth? 



















| jedes Maß. —. 
1] YGutten.) Und grundet ſich an * Rice. ä 
1 einmal die: Furſten erfennen werben; weldhe Woffer fieke: 
| Schein des Ernſtes zu tn wife, mi ee um e „ga 
u. Bartholiſtenſchule 4) geſchehen fein. Und doch fi 
1 Meinungen der ganzen Welt irre und ziehen 
4 tungen den beften Wiffenfchaften vor. Ja, fie vera 
J verwerfen alle andern Studien als ein leeres 
IF Bemühen, und rühmen fi, bei ihnen allein — 
gewinnen, bei Andern nur Spreu und fchäblicher Lolch 
holen; Menfchen, jo plump und ungebildet, daß fie du 
ihren Umgang bisweilen die beiten Köpfe zu Grunde richte 
Tram. So gefchieht es, wie ich da höre, daß, Die m 
| allein für Hug hält, aller Klugheit baar erfinden werben. 
y Hutten. Wie du fagft. Denn was ift es für eine un 
1; wenn eine Wiffenfhaft voll Wortkram (verbient fie ander 
| Wiſſenſchaft zu heißen) fich auf eine kindiſche Gefchwägigtt 
| | ftügt? Oper was für eine Klugheit, wenn arglofe Menſch 
durch Lift berüct, den Gefegen durch fchlaue Auslegung ei 
4 dem Sinn des Gebers ganz zuwiderlaufende Deutung geg 
| | ben und das Recht verdreht wird? Wobei, wer der Bef 
| fein will, nothwendig in Trug und Verjchlagenbeit 
fein muß. | 











Tram. Das können wir Andern nicht fo beurtheilen. nn 


wie gelehrt oder ungelehrt diefe Menfchen find, wiffen d 
Unftubirten noch nicht; wie. ſchlimm mb fehäbfich fie fin 






— 
1) Bon Bartolus de Suxoferrato, einen becch — 


Rechtslehrer bes 14. Yahrbunberts. 


Be 








das wiſſen Alle an allen Orten. Daher muß ich die Sach— 
jen, jo arge Trinfer fie auch find, doch mit bir loben, da 
fie, wie du mir fagit, zwar nicht ohne Geſetze leben, aber 
ohne Nechtsgelehrte ihre Angelegenheiten in beſter —— 
verwalten. 

Hatten, Sie verdienen dein Lob; denn fie Hanbein ſehr 
—— daß ſie ſich von einer ſo gräulichen und Pre 
ben Peft frei und unberührt halten. 

Franz. Wie ich von folhen, die jet alte Männer find, 
höre, waren noch zu ımfrer Großpäter Gedenken die Doctor: 
fein bei uns unbekannt: fo lang ift es ber, daß fie einge 
drungen find mit ihren rothen Hütchen, um nad ihrem Be— 
fieben ganz Deutſchland wie ein Hagelwetter zu verwüſten. 
Es fand fich nicht gleich Jemand, ver fidh einer jo verberb- 
fihen Neuerung entgegengeftelit hätte, und fo ift es ihnen 
fehr lange ungeftraft Hingegangen, was fie fi Umvechtes 
unterftanden. Doc wird es ihnen nicht länger fo bingeben, 
hoffe ih. Denn ich jehe, man fängt am zu merfen, wie un— 
gerecht fie jest in den Gerichten herrjchen. Als ich einer 
bon ben Beifigern zu Worms war, da fah ich, wie fie alles 
weile das Recht juchten, es aber niemals fanben; bei ben 
unbebdeutendften Dingen, über die zu erfennen mir kinderleicht 
vorfam, machten fie ohne Noth die größten Schwierigkeiten 
und ſchwitzten barüber, unter Bergen von Büchern, manch— 
mal ganze Tage und Nächte; kamen fie dann bleich und vom 
Studium erfhöpft wieder zum. Vorſchein, fo brachten fie mei« 
ftens Dinge vor, die wir mit Worten zwar gutheißen muß— 
tem (denn fie erdrückten ung mit Beweisſtellen aus Büchern), 
im Herzen aber für äuferit ungereimt hielten. 

Yutten. So viel Mühe koftet es, Necht und Unrecht "zu 
verfehren. Denn was anderes ift ihr Streben, ihr Ruhm, 
als im Stande zu fein, auch die ungerechtefte Sache, als 
wäre fie gerecht, zu vertheibigen, und jede gute jehlecht zu machen? 













- 
— 
— — je 
J 
— 4 


tan More ee, je 
auf denlen fie) vor Allem un 
fie Wenn einer in einem Wörtfeim fe 
den Prozeß verloren. So iſt durch fie 



































ſchwätzigkeit aus meiftend.e | 
gewaltige Kriege — zen. Sag 8 
gemeine Friede, welche Sie dr n —— 
— herrſchen, wenn nicht fie d 
ungerechteſte verdrehen und mit — 
—— bald dieſen bald jenen S jein gebe 
Hutten. Und was ee 
baufe? 0 ‚am UN — 
Tram. Gar viel, glaube ich. Den —* 
sche/ich fie: bie- Deittel entnehmen; monskt A 
den Richtern bezaubern und derbfenden. de un 
mit ihren Rechtsfällen gerüjtet, im bie % 
Wenfchen Heraustreten, meinen fie wie m 
Pallas bewehrt gegen den: Widerjac nf Ben zu 
Kämpfen heißt ihnen aber bie — ch ih ven 
zu gebrauchen wifjen, Dei, OS JRRBEEEE * Ru " 
fie, daß ein Gefetsfundiger eine. gute © ja 
Der erſt ift für etwas zu halten, —— it einer fi 
ten obzufiegen im Stande ift. Denn wie bes Kl 
Hände das Wachs, fo kueten fie das Recht und Dr 
Geſetze fo und wieder fo, wie fie wo und w 
Vortheil erheifcht. Unter welchen Tyrannen Kinn 
wenn Deutſchland im Krieg übernunten | * * e 
leben ſein, als es uns jetzt unter —* ten 
dern ber Gerechtigkeit ergeht? Oder welche ® 
tönnte ein Oemeimwefen ſchmerzlicher darmiede * 





—J 





IX. Die Räuber. 351 


ber Trug diefer Menfchen Alles was Heilig und billig ijt, 
Rechte und Geſetze zerfleifcht? Wahrhaftig ich glaube, Deutich- 
fand war viel befjer regiert, jo lange das Recht auf den 
Waffen berubte, als jest, ta jene gelehrten Rechtskenner 
berrichen, bie, wo jie am gerechteiten fein wollen, am meis 
ften Unrecht thun. Zu jener Zeit nämlich, da die Meenfchen 
noch einfältiger lebten und Falſchheit noch nicht jo eingerifjen 
war, hielten die Schwerter Gewalt und Unrecht von ben 
Unfchuldigen ab: jetzt wird die Anweifung, die gute Sache 
mit Gewalt zu unterbrüden, aus Büchern gefchöpft. Mit 
biefen könnte meines Erachtens nichts Beſſeres gejchehen, als 
dag an Einem Tag alle, fo viel ihrer find, verbrannt wür- 
ven, damit nach Entfernung des Werkzeuge der Bosheit bie 
Menjchen weniger von dem Wege der Billigfeit abgeführt 
würden. 

Zutten. Das wäre das Beſte, wie du fagit. Die For⸗ 
melmänner felbft aber, jene Afterweifen und ungelehrten Ge⸗ 
fehrten, follte man in Plato’8 Staat, oder jenes. neulich be- 
font geworbene Utopien deportiren. 1) Denn wie jchiver, 
o Himmel, wie ſchwer haben oft gelehrte Männer unter ihnen 
zu leiden! Ja wie fchadet diefe Tyrannei den Wiſſenſchaften 
ſelbft! Aus Furcht nämlich, mit ihrer Unwiſſenheit unter 
Gelehrten verachtet zu werben, verfolgen fie biefe wo fie 
können, und fuchen dahin zu wirken, daß nirgenbe ein Mann 
von Geiſt oder Wifjenichaft auffomme und gedeihe. So 
hartnädig widerfegen fie ſich und laſſen alle Maſchinen va- 
gegen jpielen. Daher fommt es, daß felten dem Verdienſt 
die gebührende Ehre erwiejen wird, und nur leere Namen in 
Berebrung ftehen. Denn kaum wird irgendivo noch eine Ver- 
fammlung gehalten oder eine Verhandlung vorgenommen, wo 


1) Des Engländere Thomas Morus Schrift: De optimo rei- 
pablicse statu deque nova insula Utopia, war 1516 erſchienen. 





359 Hutten's Gelpräde. Zwe 


man nicht einen von dieſen aufgebfe 
mitbringt ‚ der dann oben an ſitzen 
fehrtere und beſſere Männer tief unte 
ba doch, wenn der Menfch vor Dun 
brauchen fönnte, er fich Tieber Alles 
jenen jo unverdient vorziehen zu laffı 
Fran. Ein ſolches Gefolge halt 
lenthafben und führen es mit fi. 
nicht, wie gerade diefe Schufte madhe 
Fürften mehr find. Denn wären fie 
nicht aus Schriften geſchöpft, ſond 
Güte, Gerechtigkeit und Gnade käme 
den wiverfahren, welche Belohnung: 
Strafen ven Schlechten zuerkannt ıı 
hingegen jeßt vor den Fürften Streit 
den, beruft man alsbald dieſe W 
Und die Höfe der Fürften, aus denen 
haben, halten fie allein beſetzt. Sie 
unter uns vertheilen, und wir dürfen 
uns zugefprochen haben. Sie find et 
ift, großentheils fir Lehen erflären, 
ziehen. So laffen ihre Geſetze fi t 
großen Vortheil für fi. Denn wo 
oder was thun fie ohne Hoffnung 
wird jetzt fo übermäßig reich wie fie! 
Hutten. Wahrlicd Niemand. Den 
fie ven Preis für ihre Mühmaltung 
jüchtiger an. Daher beißt es untert 
wörtlich, fie feien zum Gelveinnehme 
aber plündern fie die Fürften, die wo 
daß fie ohne ihren Rath gar nicht re 
Darum folgen fie auch in Allem, w 
gebung und wagen feinen Wiperfta 





IX: Die Räuber. | 353 


nach ihren Angaben und Vorſchriften unbedingt: Aus folcher 
Thorheit ver Fürften folgt nothwendig bie Unterbrüdung bes 
Bolks. Im ver That ift auch fein Stand, der ſich nicht ge 
nöthigt fähe, ehrfurchtsvoll die Drafel der Rechtsgelehrten zu 
befragen. Alles läuft zu ihnen, zum großen allgemeinen Schaden. 
Haben doch Manche, die fich von ihnen verftridt fahen, indem 
fie Tag und Nacht über ihre Händel grübelten, ſich bis zum 
Wahnſinn befümmert; Andere aus Lebensüberdruß —* an 
vr ſelbſt gelegt. 

Tram. Und was haben die Nechtsgelehrten — eine — 
Hutten? 

Hutten. Streng, wie Philoſophen; während fie ſelbſt 
nicht beſſer als Kuppler find. 

Franz. So ift es. Denn da ihnen wahre fittliche Würde 
abgeht, find fie um ihrer finftern Miene willen mehr gefürch- 
tet als geehrt, auch haben fie es durch ihre angenommene 
Würde bereits dahin gebracht, daß alle Welt auf fie achtet; 
woran wir jelbft Schuld find. Denn warum mißtrauen wir 
umfrer eigenen Rechtichaffenheit jo, daß wir ihrer Entſchei— 
dung thörichterweife öffentliche wie Privathänbel anheimgeben? 
Warum wird, was faum ben Beften überlajjen werben follte, 
ben Schlechteften anvertraut? 

Hutten. Weil es Deutfchlands Schickſal ift, unglücklich 
zu ſein. Denn wie hätte doch Deutſchland dahin gebracht 
werben fönnen, den beſtechlichſten Menſchen, die für Geld 
Alles thun, das höchite Vertrauen zu ſchenken, wenn es 
nicht eine höhere Fügung und göttlihe Strafe wäre? Da 
falle ich oft unſern Rittern zur Laft, indem ich ihnen unab- 
läſſig zurufe: ſeht ihr nicht, ihr Unglücklichen, ſeht ihr nicht, 
daß viejelben, vie ihr jegt zu Rathe zieht, wenn fie nur Geld 
befommen, auch euren Gegnern rathen werden? Dabei halte 
ich ihnen Beiſpiele von ſolchen nor, deren Geheimmiffe fie 

Strauß, Hutten’s Geſpräche. 23 






treulos entdeckt und verrathen haben, 
mahne ich die Deutfchen, es den, Schuften 
einzutränfen. Denn es ift unglaublich, welche 
Einfluß fie auf Sitten und Wandel üben, welche 
Beifpiele von ihnen ausgehen, Wer Luft ı e 
—9 — zu fegen,  wirb. Durch ihren. Zufprich 
| es zu thun. Sie rathen —— ——— — 
Chicane nicht nachlaſſen, heißen ſie ſein Recht verfolgen, u 
durch die Hoffnung die fie zu erregen — 
ſiegen werde, dem ſie ſich verkauft haben, 
glücklichen Clienten. Sehen ſie dieſe einmal niet 
ſprechen ſie ihnen alsbald prahleriſch Muth ein, x 
jie fönnen aus Recht Unrecht machen und! 
auch, der jchlechtejten Sache ven Anfchein der —— 
geben. Und das alles thun fie um ihre Proceſſe in Die Län 
zu ziehen; denn gäbe es nicht beftändig folche, fo Hätten | 
nichts zu. ejfen. an 
Zutten. )) Da fällt mir ein alter Rabufift in Frantfu 
ein. Er war ber Beiftand des Gegners von einem mein 
Freumde?), und da er der Sache, bie er vertrat, nicht traut 
fagte er: ich verfpreche nicht, obzufiegen, das ift unmöglic 
4 aber ich verjpreche, was ven Geguer zu Grunde richten wir) 
\ | ben Handel zehn Jahre lang himauszuziehen. ing 
| Tram. Iſt das nicht eine böfe, verderbliche 
| Räubern? oder thun fie nicht Dentfchland ſchweren 
Kaufmann. Sehr jchweren. Um fo leichter. wird 
nachgerade um's Herz, da ich jehe, daß es doch andere gib 
| bie noch gemeinjchädficher find als die räuberiſchen u 
I und ich muß die Nürnberger loben, die ihren Rath bieft 
ea ut nz 


1) Hier ift ber Perſonenwechſel vergeffen. ' — 
2) Hier ftebt am Rande: Ar. Gl, db. h. Arnolb 
ihn vgl. die Einleitung zur Römischen Dreifaltigkeit, — 
































ee 





IX. Die Räuber. 355 


Berftändigen verfchließen !) und fie von Staatsgefchäften fern- 
halten, ale könnten fie unmöglich rechtichaffen fein. 

Butten. Auch ich pflege fie darum zu loben, daß fie die 
Sache am richtigften anfehen, und wo anbere Städte blind 
find, allein fcharfe Augen haben. Wenn ihr Beifpiel Nach— 
ahmung fände, daß man überall in Deutſchland ven Advoca— 
ten den Abjchied gäbe und diefe Afterweisheit vom Regiment 
entfernte ?), vor der unſre Erbgüter nicht mehr ficher find; 
wenn man auch, wie Franz bier räth, mit ven vielen Schrei: 
bern den Acceurſius) jelbft verbrennte: kannſt du zweifeln, 
daß dann unfre Gerichte fich felbft wiedergegeben und das 
Baterland, das jegt um ber Abweichung vom alten Brauche 
wilfen vielen Tadel erführt und das Lob der Gerechtigkeit 
und Billigkeit im Auslande eingebüßt hat, daß diefes Vater 
fand dann feinen vorigen Ruhm wieder erhalten, fein alter 
Glanz wiederfehren würde? 

Kaufmann. Nicht im mindeften zweifle ich. 

Hutten. So wären alſo dieß die verberblichiten Räuber 
in Deutſchland. 

Kaufmann. Gewiß find fie das. Denn andre haben nur 
Sachen genommen: diefe haben Gejeg und Recht felbft zu 
Grunde gerichtet, fangen den Armen das Blut aus und me 
chen aller Gemüthsruhe ein Ende. Denn fie verurfachen 
quälende Gedanken, betrüben und befümmern die Gemüther 


1) Wie bieß zu verftehen, erhellt unter Andern aus Wilibald Pird- 
heimer's Lebensgeſchichte. Er war ein flubirter Jurift und ſaß gleich— 
wohl im Nürnberger Mathe; nur als Abvocat practiciren jollte' er da— 
bei nicht. = 

2) Aud hierin waren bie Leiter des Bauernkriegs mit Hutten ein- 
verftanden. Nah Wendel Hipler's Berfaffungsentwurf follen bie Do— 
ctoren „in feines Fürften Rath, auch an feinem Gericht zu fien, zu 
reben ober zu banbeln erlitten werben“. Als Grund wirb ihr eigen« 
nüßiges Hinauszieben ber Rechtshändel angegeben. | 

3) Berfaffer der Glossa ordinaria zum Corpus juris. 

23” 





















356 Hutten’s Gefpräge. Zweites Buch. 





Krankheit bas Yeben auf. Perez 

Hutten. Können wir alſo bulven, daß jo fchlimme Di 
ſchen fort und fort ihr Wefen treiben? Warum machen ı 
es nicht wie unfere Vorfahren, die tapfern Männer? 2 
fie pas Heer der Römer gejchlagen und bas Baterlan 
freit hatten, bieben fie nieder, was ihnen vorfam, aber n 
gegen die Advocaten wütheten fie mit einer beſondern Gra 
famfeit. Denn von denen fie aufs empörenpjte beeinträcht 
und mißhandelt worden waren, an benen glaubten fie n 
vollem Recht die graufamjte Rache nehmen zu dürfen. I 
fie daher einen ſolchen Rabuliften fanden, ſchnitten fie ib 
bie Zunge aus, nähten ihm bie Lippen zufammen und rief 
ihm grimmig zu: Nun hör’ auf zu zifchen, bu Matter!) 

Kauſmann. Möchten deiner Mahnung alle Deutjchen a 
neigtes Gehör jchenfen, und die Menfchen, deren höchſt 
Recht das höchjte Unrecht ift, mit Stumpf und Stiel abibı 
und ausrotten, um das Vaterland von einem jo. = 
Drud zu befreien. 

Franz. Möchten fie es thun! Doc — 
heilloſe Schreiber- und Yuriftengezücht noch weniger jchäpli 
als die gottlofen Pfaffen und die fich Geiftlide und Merik 
nennen, von benen ich fagte, daß fie an vierter Stelle & 
allzır geduldigen Deutſchen plünvern, —— 

Kaufmann. Ich erwartete, du werdeſt jest an fie fomme 

Tram. Ich fomme an fie; nun aber muß nethiwenbi 
Hutten mir Worte und Thatfachen an die Hand geben, wen 
ich reven foll, oder noch beffer, dieſen ganzen — 
ausführen, da er es am beſten verſteht, denn er iſt; 
geweſen und hat auch hier genug mit ihnen au thuu gehab 
um jie aus dem Grunde zu kennen. 























r» J— 
1) Aus Florus' Römiſcher Geſchichte, IV, 12. Es if non ber Mi 
berlage bes Varus bie Rebe, Jr 


— 








IX. Die Räuber. 357 


Raufmann. Ja, das wird das Beſte fein. 

Iran. So hebe denn deine Rede an, Hutten, und ftelle 
uns die geiftlichen Räuber bar. 

Yutten. SKeineswegs; fondern trage du vor, was bu weißt; 
wo es am Plate ift, will ich dann das Meinige dazwiſchen 
werfen. 

Franz. Alſo bei Weitem die habgierigiten Räuber find vie 

Pfaffen: was fein Straßenräuber anzurühren wagt, das grei« 
fen fie an, als dürften fie e8 allein, oder als wäre e8 gar 
ein heifiger Raub, und dabei geben fie ohne alle Mäßigung 
zu Werke. Einſt bettelten fie bei denen um Geld, bie fie 
jest mit offener Gewalt ausplündern. Denn wir haben ja 
Krieger unter unfern deutfchen Bifchöfen, vor denen beinahe 
Keiner mehr feines Erbguts ficher ift; fo gierig find fie auf 
den Vortheil ihrer Kirche aus, unter fo gewifjenlofen Vor⸗ 
wänben fuchen fie ihre Befigungen zu vermehren. Gewiß, 
“unsre Vorfahren hätten es nicht geglaupt, wenn ihnen Je⸗ 
mand gejagt hätte, es werde noch einmal dahin kommen, 
daß bie, denen fie auf ihr Betteln fo großmüthig Gelb 
gefchenft, e8 ihren Nachlommen fo gewaltſam entreipen 
würden. 

Zutten. Wie laut habe ich gefchrien, wie lange ſchon 
biefe Sache anzuregen gefucht, ohne etwas auszurichten, oder 
auch nur fo viel zu erreichen, daß man fich an jene ächt 
chriſtlichen Priefter der Vorzeit erinnert hätte. Allen gilt als 
Kirche dieſe jetzige, der gottlofe Pfuhl jener Menſchen. 

Baufmann. Aber ich habe oft gehört, das deutſche Volt 
fei bereit, und in&befondere die Städte wollen, daß biefer 
Stand gemuftert und diejenigen ausgetrieben werben, bie bis⸗ 
her ven geiftlihen Namen als Dedimantel gebraucht haben: 
nur ihr ftehet im Wege und mwollet eure Vettern nicht zur 
Ordnung bringen laffen. 

Buttn. Als wären bie Pfaffen nur aus dem Abel, und 











358 Hutten’s Gefpräde. Zweites Buch. 


nicht vielmehr aus allen er etwas in — J 
ſammengefloſſen. — 7 = 
Fran). Dper wenn * als wollten wir nicht lieber 
dem gemeinfamen Vaterland helfen, als * — 
Menſchen einen Gefallen thun. Denn die Ueberzeugung haben 
wir und es zeigt ſich oft genug, daß alle uns untrei werben, 
die von uns im jenen Stand treten, und daß fie Niemanben 
mehr zur Laft fallen als ihren Schwagern und Verwandten, 
denen fie nie genug entziehen zu können glauben, um es ihren 
Kirchen zuzuwenden. Gemeinigfih hat es ſchon viel Gelb 
gefoftet, ihmen zu Nom Pfründen zu kaufen, und gleichwohl 
wollen fie bernach die vwäterliche Erbſchaft aleich mit uns 
theilen. Dabei ziehen fie nicht in Betracht, daß wir Kinder 
hinterlaffen, für die geforgt werden muß; während von ihnen 
jever nur eine Zuhälterin und wenige Dienerfchaft zu unters 
halten Hat. So reifen fie an fich wohne Erbarmen, ohne 
verwandtichaftliche Rückſicht; viel die Domherren, mehr noch 
die Bifchöfe. Daher ijt es nicht ohne Grund gemeine Rebe, 
jo wie einer geiftlich werde, ziehe er Geiz und u— 
an und nehme ſich ein üppiges Leben vor. X 
Kaufmann. So iſt es in ber That, ſo iſte 00°. 
Fran. Wäre es alſo nicht beſſer, ſie wären gar nicht, 
als daß fie jo find? Oper bat Jemand mehr Grund, ‚hierin 
fih des Gemeimwohls anzunehmen, als wir armen‘ 
die wir, während die Städte gegen dieſe Räuberei noch 
einigermaßen geſchützt find, allein wehrlos dem Unrecht bloße 
ftehen? Da überbief der Aberglaube unter uns jeberzeit 
leichter als anderswo fich eingeniftet und tiefere Wurzeln ge 
ſchlagen hat, jo haben wir mehr als ſonſt Jemand an wie 
Kirchen vergabt, und wetteifern auch jegt noch, mit Berfür- 
zung unſrer Rinder, an FFreigebigfeit gegen fie. So viel in⸗ 
deſſen iſt richtig, weil die Geiſtlichkeit ſehr veich At und 
Alles vollanf hat und weichlich und üppig lebt, verpflichtet 














— 


IX. Die Räuber. 359 


fie ſich Manche durch glänzende Gaftmahle, die fie ihnen 
gibt; wobei dann die einfältigen Menjchen, um manchmal eine 
gute Mahlzeit thun zu Fönnen, Bieles von dem Ihrigen preisgeben, 
Dieles, ohne an ihre Nachfommen zu denken, im Stich Taffen. 

Kaufmann. Darum werbet klüger. 

Fran. Sogleich. 

Kaufmann, Aber forget doch für das gemeine Beſte. 

Fran. Es wäre fchon gejorgt, wenn nicht der Fürften- 
ftand es hinderte, aus dem fich gleichfalls einige um Bis: 
thümer bewerben, und fie auch bereits wider die Gefege mit 
Verdrängung von uns Nittern faft ausjchließlich befegt halten. 
Wenn fie ſehen, daß ihr beharrlich dieſe Angelegenheit be- 
treibet, wie gewaltig meinft du daß fie auftreten werden? Sie 
werden ihre Verwandten zu Hülfe rufen, die e8 nicht werben 
leiden wollen, daß man jene beraube und dadurch nöthige, 
auf ihre Erbgüter zurüdzugreifen. Denn arm, wie jolche 
nachgeborene Fürftenföhne in der Regel find, leben fie noth- 
gebrungen von Kirchenpfründen. 

Kaufmann. Endlich jehe ich, was es ift, das eine fchöne 
und notbwendige That aufhält. 

Franz. Das allein ift es. 

Kaufmann. Mber find die denn Fürften, oder nur übers 
haupt Biedermänner, die lieber für fich etwas gewinnen "), 
als dem Gemeinwejen von Grund aus geholfen wiſſen wollen ? 

Iran. Was fie auch fein mögen, auf feinen Fall wer: 
ben fie es in die Pänge verhindern können. Denn manch— 
mal findet fih Rath für das gemeine Bejte auch wider ihren 
Willen. 

Kaufmann. Möge er ſich endlich finden, und Alle dahin 
übereinlommen, daß, weil diefer Stand, vem gemeinen Wejen zur 
Laſt fällt, er nach gemeinem Beſchluß gemuſtert werben folle, 








1) Statt rem suam,., actam leje id auctam. 





360 Hutten’s Geſpräche. Zweites Buch. 


Iran. Das muß gejcheben, * 

Hutten. Auch ich Bin einverſtanden. Dem unfre ichs 
Seiftlichen find nicht wie. fie fein jollten und leben nicht nad. 
Chriſti Vorfchrift, Denn während fie alles Zeitliche ferne 
von fih halten follten, denfen fie am nichts Anbderes 
und trachten nach den nichtigiten Dingen. Was in ver Ge 
genwart angenehm ift, dem gehen fie-nadh, das haben jie 
lieb und halten es hoch; fir die Zukunft forgen fie micht und 
machen fich nicht fo viel aus jenen Gütern des andern Ver 
bens, von denen fie nur reden, ohne auch daran zu glauben. 
Denn glaubten fie daran, fo würden fie nicht jo der Ueppig- 
feit fröhnen und ihre Pflicht verfäumen; Menjchen, Die nicht 
im Geifte leben, ſondern einzig nach dem Gelüfte Des Flei- 
iches handeln und ſelbſt denfen; von benen die einem ala 
Weichlinge nah Salben und allen möglichen Wohlgerüchen 
puften, die Andern als Wüftlinge den unreinen Dampf ber 
ichlechtejten Häufer von ſich dunſten. Und dennoch beißen 
folhe Menſchen Geiftliche. 

Tram. Und jind beinahe bie Einzigen, bie ihrem Reich 
thum in Ruhe bejißen. 

Kaufmann. Hier athmen wir Kaufleute wieber auf, bie 
ihr um ihrer allzugroßen Begierde nad) Reichthum willen 
aufs tiefite zu verdammen fchienet. 

Franz. Sagte ich nicht, es jeien noch ſolche zuriick, neben 
denen Andere gar nicht ale Räuber erjcheinen iverben? 

Kaufmann. Du jagteft es und zeigft es jebt. ö 

Franz. Und darin find dieſe Reichen schlechter ale ihr, 
daß, während fie grundfäglich den Neichthum verachten foll 
ten, er vielmehr das Einzige ift, wonach fie durch rechte und 
unrechte Mittel trachten, um benjelben, wenn fie ihm erlangt 
haben, in leppigfeit und Wolluft zu vergeuden. 

Kaufmann. So machen fie es. 


1) ch Tele: in solis animos occeupant. 





Tram. Und Niemand iſt habfüchtiger im Erwerben. 
Haft du aber Einen gefehen zu unfrer Zeit, der fich im an— 
derer Abficht um eime geiftliche Stelle beworben hätte, als 
um fich zu bereichern und fich müßige und pr 

Faufmann, Ich nicht. 

Yutten. Und doch jollte alles das dieſem⸗ Stande fe 
fremd als möglich fein, wie es ehedem war, da fie noch in 
Wahrheit Geiftliche waren, und nicht mit einem ehrwürdigen 
Namen die tieffte Schande fich bevedte, Wie könnten fie 
auch jetst anders fein, da feiner im biefen Stand aufgenom- 
men wird, es jei denn vorher jein Vermögen geſchätzt worden? 
Davon iſt die Folge, daß der Dünmfte und Unwiſſendſte, 
wenn er nur Geld hat, leicht emporlommt, während Männer 
von Gelehrfamfeit und guten Sitten aufs verächtlichite zu— 
rüdgefett werben, Darım ift auch Studium und Wiffen- 
jchaft, insbejondere die Kenntniß der heiligen Schrift, äußerſt 
felten und die Sache weniger, darüber gar noch angefochte- 
ner armer Profefforen geworden; indeſſen jene als Herren bes 
grüßt werden, und Domberrn find und Pröpfte und Bifchöfe, 
und Gold befigen, und alle Ehrenftellen durchlaufen, und in 
ihrer Unbildung regieren, und für fich ſelbſt zwar trefflich 
forgen, für ihre birtenlofe Heerde aber und das ihnen ans 
vertraute Chriftenvolf nicht forgen. Denn welcher unter ihnen 
weidet Chrifti Schafe zu dieſer Zeit? | 
FJranz. Ich fehe keinen; außer daß neulich Luther ange— 
fangen hat und etliche wenige die es mit ihm halten; wo— 
durch fie fich aber den äußerſten Haß zugezogen haben, als 
gingen fie mit Neuerungen um und verlegten ihre ‚geiftliche 
Pflicht. Die andern fuchen alfe fich zu bereichern, und wer» 
bet fett von unfrem Raub, die armen Heerden aber ver— 
Ichlingen fie und denken nicht daran, fie zu weiden umd zu pflegen, 

Hutten. So ift es. Zeige mir nur einen einzigen Bifchof 
in Deutjchland, ber ein Prebiger wäre. | 





362 Hutten’s Geſpräche. Zmeites Buch. 


Franz. Das bin ich nicht im Stande, wohl aber gewel— 
tige Jäger und eifrige Krieger, auch ſchamloſe Wollüftfing 






und ausgelernte Buhler. Gemeinhin aber Tieben alle ven | 


Glanz und fliehen die Arbeit. Doch ganz beſonders um 
reich zu werben (worin fie zwar nie genug befommen, ben 
an Geld find fie unerfättlich) verfuchen fie Alles, Umb fc 
thun um des Gewinns willen nicht nur felbft Uebles, ſondern 
geftatten e8 auch Andern, ja fie befehlen es wohl gar. Dem 
wer dürfte jegt nicht ungeftraft rauben, wenn er nmur einen 


Theil ver Beute irgend einem Heiligthum zuwendet, beim 


ders wenn er einem Mönchsflofter etwas fchent? So mi 
gen wir alſo ftehlen, täufchen, betrügen und ſelbſt morben, 
wer wir nur ihnen geben. Denn aledann Taufen fie und 
nach mit der Abfolution, da fie uns font die Hand nict 
auflegen würden, ohne ums zuvor nah Rom geſchickt zu ba 
ben, oder in das äußerſte Spanien *), ober nach Spriem m 
Judäa, oder ohne uns vorher (denn auch Das unterjteben fi 
fih) nadt vor einem Kreuz mit Ruthen geftrihen zu Haben. 
Mit Einem Worte, Alles verfpredhen fie ung, zu Allem 
drüden fie ein Ange zu, für alle möglihen Mifferhaten ge 
währen fie leicht VBerzeihung, wenn fie nur Gelb Bon ums 
berausmelfen lönnen. 

Hutten. Alles wider Chrifti Willen. Dent auch er bat 
jwar die Sünder, doch mur unter ber Bedingung der Meue, 
nicht wollen verloren gehen laſſen, nicht aber den Simmel 
feil geboten. 

Tram. So verlegen fie jedes göttlide und menschliche 
Geſetz, und Taffen nichts unverfehrt, um fih Gewinn zu zu⸗ 
wenden, nach dem fie fo ſehr dürſten, daß fie denſelben aus en 
unſern Handlungen, ja ſelbſt unſern Vorſätzen und Gedanken, 
zu ziehen fuchen. Zu diefen Zwed haben fie uns Die Beichte 


1) Zum h. Jago nach Compoſtella. 





IX. Die Räuber. 363 


rfunden, bie ihnen bei weitem ven reichlichiten Yang ver- 
chafft. Dabei benehmen fich jene bejonvers ruchlos, die bir, 
dntten, fo verhaßt find, bie Terminirer und Bettelmönche. 

Butten. Ia wohl. Denn trefflich abgerichtet zu Anderer 
Schaden, willen fie gefchict zu ftreicheln, wen fie mellen 
vollen. Darauf richten fie auch ihre Vorträge ein, und gibt 
nan ihnen, fo fchmeicheln fie aufs freundlichite, wenn aber 
ticht, drohen fie gräulich, fchimpfen und ſchmähen. In der 
Chat juchen fie Niemand durch die Prebigt des göttlichen 
Bortes zur Frömmigkeit zu erweden, fondern durch Fabe- 
eien und Mährchen ven Aberglauben zu entflammen. Auch 
eiten fie und nicht durch heiligen Wandel zur Befferung unfe- 
es Lebens an, fondern verloden uns durch Gepräng und 
Seremonien zu unnüßer Verfchwendung unfres Geldes. Die 
von ihnen das Volk lehren, würden beffer gar ſchweigen; benn 
ie predigen nicht Gottes Wort, eitel Poſſen predigen fie. 
Ind fo ift e8 gelommen, daß das Evangelium, und mit ihm 
einahe Ehriftus ſelbſt verſchwunden ift. 

Kaufmann. So iſts. Denn an vielen Orten machen, 
vie ich fehe, Die Prediger durch Erzählen erlogener Wunber 
eihen Gewinn. Und ſehen fie uns fpenden, fo verbeißen 
te himmlische Freuden und ein wunberfeliges Leben; wenn 
ie aber nichts befommen, fo wiſſen fie die Fünftigen Strafen 
o fehredlih auszumalen, daß ſchon Mancher nahe daran 
var, fih aufzuhängen. 

Butten. Dur ihr Zuthun ſtehen wir nun dem eiteln 
Hötzendienſt der Heiden nicht nur gleich, fondern haben ihnen 
ängft ven Vorrang abgewonnen. Alte Güter, die fich hoffen, 
ille Uebel, die fich fürchten laſſen, haben jedes feinen eige- 
ıen Heiligen. Der verhängt und nimmt Wahnfinn !); jener 


1) Diefe fämmtlichen Heiligen findet man nachgewieſen bei Böcking 
6 


. b “ t. 

















— — — 








362 Hutten's Geſpräche. Zweites Buch. 


Franz. Das bin ich nicht im Stande, wohl aber 
tige Jäger und eifrige Krieger, auch ſchamloſe Wolli 
und ausgelernte Buhler. Gemeinhin aber Tieben all 
Glanz und fliehen die Arbeit. Doch ganz beſonder 
reich zu werden (worin fie zwar nie genug bekommen, 
an Geld find fie umerfättlich) werfuchen fie Alles. Un 
thun um des Gewinns willen nicht nur ſelbſt Uebles, fo 
geftatten es auch Andern, ja fie befehlen es wohl gar. ' 
wer bürfte jet nicht ungeftraft rauben, wenn er mur 
Theil ver Beute irgend einem Heiligthum zunvenbet, 1 
ders wenn er einem Mönchsflofter etwas ſchenkt? So 
gen wir alfo ftehlen, täufchen, betrügen und ſelbſt mo 
werm wir nur ihnen geben. Denn alsdann Taufen fie 
nach mit der Abjolution, da fie ums fonft bie Hand 
auflegen würden, ohne uns zuvor nad Rom gefchidtt zı 
ben, oder in das äußerſte Spanien *), oder nach Syrien 
Judäa, oder ohne uns vorher (denn auch das imterftche 
fih) nadt vor einem Kreuz mit Ruthen geftrichen zu 5 
Mit Einem Worte, Alles verfprechen fie uns, zu 9 
prüfen fie ein Auge zu, für alle möglichen Miffeibate 
währen fie leicht Verzeihung, wenn fie nur Gelb von 
berausmelfen können. ' 

Hutten. Alles wider Chrifti Willen. Denn auch er 
zwar bie Sünder, doch nur unter ber Bedingung ber 9 
nicht wollen verloren gehen laſſen, micht aber den Hin 
feil geboten. 

Tram. So verlegen fie jedes göftlihe umb menſch 
Geſetz, und laffen nichts unverfehrt, um fih Gewinn; 
wenden, nach dem fie fo jehr pürften, baf fie denfelben ans ı 
unfern Handlungen, ja jelbft unfern Borfägen und Gebar 
zu ziehen fuchen. Zu diefem Zweck haben fie uns die Be 


1) Zum b, Jago nad Eompoftella. 





erfunden, bie ihnen bei weitem dem reichlichiten Wang ver 
— "Dabei benehmen fich jene bejonders ruchlos, die dir, 
Hutten, fo verhaft find, die Terminirer und Bettelmönche, 
Vdutten. Ia wohl. Denn trefflich abgerichtet zu Anderer 
Schaden, wiſſen fie geſchickt zu ſtreicheln, wen fie melfen 
wollen. Darauf richten fie auch ihre Vorträge ein, und gibt 
man ihnen, jo jehmeicheln fie aufs freundlichfte, werm aber 
nicht, drohen fie gräulich, ſchimpfen und fchmähen. In der 
That fuchen fie Niemand durch die Predigt des göttlichen 
Wortes zur Frömmigkeit zu erweden, fondern durch Fabe— 
leien und Mährchen den Aberglauben zu entflammen. Auch 
feiten fie uns nicht durch heiligen Wandel zur Befferung unſe— 
zes Lebens an, fondern verfoden uns durch Gepräng und 
Eeremonien zu unnützer Verſchwendung unfres Geldes, Die 
von ihnen das Volk ehren, würden beffer gar ſchweigen; denn 
fie predigen nicht Gottes Wort, eitel Poſſen predigen fie. 
Und fo ift es gefommen, daß das Evangelium, und mit ihm 
beinahe Chriftus felbjt verſchwunden ift. 

Kaufmann. So ifts. Denn am vielen Orten —* 
wie ich ſehe, die Prediger durch Erzählen erlogener Wunder 
reichen Gewinn. Und ſehen ſie uns ſpenden, ſo verheißen 
ſie himmliſche Freuden und ein wunderſeliges Leben; wenn 
ſie aber nichts bekommen, ſo wiſſen ſie die künftigen Strafen 
ſo ſchrecklich auszumalen, daß ſchon Mancher — daran 
war, ſich aufzuhängen. 

dutten. Durch ihr Zuthun ſtehen wir nun be eitein 
Götzendienſt der Heiden nicht nur gleich, fondern haben ihnen 
fängt den Vorrang abgewonnen, Alte Güter, die fich hoffen, 
alfe Uebel, die fich fürchten laſſen, haben jedes feinen eige- 
nen Heiligen. Der verhängt und nimmt Wahnfinn ); jener 





1) Diefe ſämmtlichen Heiligen findet man nachgewieſen bei Böding 
4. b. Et. 


rei 





ur» 


— 
A TO 
DEE an. 


u m [ui 


— EEE pa — 


We 


* 
en 





364 Hutten’s Geſpräche. Zweites Bud. 


ſchlägt mit Ausfag, wenn man ihn erzürmt, und bel 
felben, wenn man ihn gnädig macht. Einer weiß bu 
Selbfucht, ein Andrer durch Fieber, Etliche durch Krä 
Geſchwüre, ven Menſchen zu ihrer Verehrung zu mi 
Einen gibt es, der die Rofe Heilt, wenn man ihn 
auch zur Linderung des Zahnſchmerzes hat man eine 
liſche Helferin gefunden. Wer aber hätte gebacht, t 
Franzoſenkrankheit, ein allen frühern Sahrhumberten 
kanntes Uebel, gleichwohl ihren eigenen alten Heiligen 
Und dennoch haben fie einen ausgefunden. Ja felbft 
fern Tagen haben Krankheiten Etlichen zum Rang ve 
figen verholfen. So erfinderifh find die Pfaffen, mo 
um Gewinn handelt. Auch was man für Gaben des 
anfieht, glaubt man bei beftimmten Heiligen erflehe 
fih verbitten zu müffen: Reichthum, Stärfe, Schönhe 
ge8 Leben; wie andrerfeits Gefangenſchaft, Brand, 
bruh, Tod und alle plößlichen Unglücksfälle. Nur 
allein hat man nichts übrig gelaſſen. Er allein hai 
zu geben, nichts zu helfen. So laſſen fie ihn in Bea 
heit kommen. - Und nicht mehr zu Gott beten jeßt die 
ſchen, ſondern zu jenen neuen Göttern !) Taufen fie, al 
er feine Kräfte jo an Andere ausgefpendet, daß er fü 
erfchöpft hätte. Glauben aber wiffen fie dieſen Erdid 
durch Wunder zu verfchaffen, die immer al8 gejcheben 
nie im Gefchehen felbft aufgezeigt werben. Gleichwohl 
fie damit eine große Ernte, denn fie gehen fchlau zu 
und dennoch könnten es die Deutfchen leicht merken, 
nicht der Verftand der Meijten von Blei wäre. 

Raufmann. Sie find es, nfeine ih, auch, die ın 
geredet haben, aus Allem ein Feſt zu machen, um 
ihren Vortheil zu ziehen. 


1) Statt minimu leſe ich numina. 


— 





Hutten. Niemand ſonſt. Daher die prächtigen Gaſtun— 





gen bei Kindtaufen, daher jener in's Unerträgliche geſtiegene 
Aufwand bei Leichen. Sie verkaufen die Erde zu Gräbern, 


und laſſen die Todten um ſo näher zu ſich heran, je mehr 


ihnen einer Geld geſpendet hat. Dabei fiſchen ſie manchmal 
ganze Güter und erwerben Grundſtücke und Landhäuſer. 


Fran. Das muß der am beften wiffen von feinen Fug— 
gern, denen fie mit der größten Ehrfurcht begegnen, weil fie 


von ihnen am veichlichiten bejchenft werden, Haft du wohl, 


Hutten, jemals zu Augsburg das Grabmal ber —* er 


ſehen? 


—— = = 


* = 


 Hutten. Wer hat das nicht gefehen? 
Franz. Die tft e8 gebaut? 

Hutten. Königlich. Aber ven Karmelitern trägt ı es viel 
eim Daher umſummen fie es. auch täglich mit frommem 
Murmeln und wunderfam tönenden Gebetlein. 

Kaufmann. Laß die Fugger, die fchon früher gehäffig 
genug angetajtet worden, und ſprich von ven heiligen Räu— 
bern weiter. | | 
Butten. Zu denen gehören ja aber eben die, Fugger mit, 


da ſie fi auch in das Geiftliche gemifcht haben, nicht zu— 


frieben, nur auf Eine Art das arme Deutjchland zu plündern, 
Kaufmann. Davon habe ich nie gehört, daß die Fugger 
im geiftlichen Dingen Gefchäfte machen. 
 Butten. Du follft es gleich hernady hören, wenn ich von 
ben Eurtifanen und den Händlern mit Kirchenpfrünben reden 
Franz. Was hindert dich, es ſchon jest zu jagen? 
Butten, Daß ich vorher von jenen Bettelmönchen fprechen 
muß, bie unter dem heiligen Schein ver Armuth Geld zu- 
fammenbringen, bie, nach dem Worte des Komifers 1), Alles 


1) Zerenz, im Eunuden, II, 2. Bgl. Übrigens aud 2 Kor. 6, 10. 





366 Hutten’s Gefpräce. Zweites Buch. 


haben und nichts haben, denen nichts gehört, und doch 
nichts gebricht. Sie find aber jo auf Gelderwerb a 
daß fie nun auch Thiere gelehrt haben mit ihnen zu be 

Kaufmann. Das thun fie, meiner Treu, bas thu 
Die Antoninsbrüder haben ihre Schweine abgerichtet, 
Haus zum Haus Wutter zu heiſchen, um fie fo auf fi 
Koſten zu mäften, 

Hutten. Das würden auch bie Schöpfe lernen, bi 
dem heiligen Geifte geweiht find, wenn fie nicht bod 
etwas langjfamern Begriffen wären. Indeß machen fü 
reits Fortichritte in dieſer Schule, 

Kaufmann. Wenigftens unterrichtet man fie, 

Yutten. Warum aber gibt e8 jo viele Möndhsorben 
als weil einfach und auf Eine Art zu beiten ihnen nich) 
träglich genug ſchien? Man wollte es auf allerhand | 
und in verfchiepnen Formen thun. 

Franz. Aber wie hat man denn bie Deutſchen urſpi 
lich dahin bringen können, daß fie biefen Poffen zuftim 
und eine jo üble Gewehnbeit bei ihnen ſich einniſten Lie 

HYutten, Weil die Gemüther der Menfchen  jeb) 
empfänglicher für eiteln Aberglauben als für ächte rei 
Ueberzeugung waren, und weil jene Dinge erft Hein m 
gen, dam fortichritten und jehr langſam fich enzwick 
bis endlich das heilige Bettelvolf gar ans Ruder famı. 
jeßt, da ihre jchlimmen Künfte an ven Tag kommen, zu 
ich nicht, Daß es mit der ruchlofen Näuberbande zu I 
gehen wird. Denn ich behaupte, verberblicher für Deu 
land jind feine andern, wo und wie fie auch rauben 
plündern mögen; fo weit gehen ihnen jene am Zahl, am 
triebfamfeit, Eifer und Beharrlichfeit im Rauben wor, x 
einem auf Weg und Steg begeynen, und in Stäbten 
Dörfern, Flecken und Burgen fchaarenweife Herummlaı 
Geſetzt, es wären auch einige ehrliche unter ihnen, fe 


IX. Die Räuber. 307 


ech, da ſie von ſolchem Erwerb leben, faum glaublich, daß 
fie nicht bisweilen aus Sewinnjucht fich ohne viel Bedenken 
auf bie fchlechte Seite wenden fellten. Wenigftens weiß Nie- 
mand beiler ben Leuten etwas vorzumachen und fie durch 
Trug zu fangen. Beſonders gehorchen ihnen vie Weiblein 
aufs Wort, die fie in der Beichte für fich zu gewinnen wife 
fen, und die dann zufammenfragen, ihren Männern und 
Kindern abzwaden, was fie nur immer können, um es ihnen 
zu geben. Und das ift dann ein frommer Raub, ein gott« 
feliger Diebftahl. 

Franz. Ten man aber meines Crachtens zehnmal ftren- 
ger als jede Gottlofigkeit beftrafen follte. 

Butten. Und doch wolltejt vu den holzfühigen !) Franzis⸗ 
fauern ein neues Neft bauen. Und ich glaube, es ftünde 
ſchon, wäre ich nicht dazwilchen getreten und hätte bir ben 
Wahn benommen. 

Fran. Das wollte ich, ich geitehe es, und es ſtünde auch. 
Denn damals war ich von ihnen eingenommen wie Andere. 

Butten. Darum ift der erjte Schritt zum Heil für Deutfch- 
land, ihren Trug einzufehen, ihre Schliche zu erkennen. 
Denu es ift nicht wohl zu zählen, durch wie vielerlei Künſte 
fie unfere Erbgüter umgarnen, durch wie feltfjame Mittel 
und auf wie mancherlei Wegen fie und zu fangen fuchen, 
wie reihen Gewinn fie ernten, vie fehänplichen Schmeichler, 
bie mehr als alle Schmarotzer fchön zu thun willen, wenn 
fie auf die Mahlzeiten der Weichen Jagd machen und bie 
Thüren der Vornehmen belagern. Belommen fie bier etivag, 
fo ftellen fie fich mit Gebärben traurig an, im Herzen gehen 
fie gar fröhlid von dannen. Doh Geld nehmen Cinige 
vermöge ihres Gelübdes nicht, dafiir aber Dinge von uns 
gleich größerem Werthe: Wein, Getreide, Lebensmittel aller 





1) Bon ihren hölzernen Sandalen fo genannt. 


| — 





368 Hutten’s Gejpräce. Zweites Buch. 


Art in reicher Menge, und darin finb fie Müger al 
Andern. Denn was fie für jene von Haus zu Haus) 
fammelten Almofen nicht anfchaffen fünnten, erlangen 
bisweilen von Einem an Einem Stüd. So Hug fü 
fo fein. So herrſchen vie Mönde, die Doch Feine V 
find; denn fie leben nicht abgejchieven, und find am ı 
ften werth, daß um ihretwillen Deutſchland Theurung 
ba fie weder jet zu etwas nug, noch gu einem guten 
neftiftet worden find. | 

Tram. Wie find fie denn urſprünglich g wo 

Hutten. Ich will es bir ſagen, damit du Karl &x 
belehren kannſt. Doch vorher ſollſt du wiſſen, daß ich 
von den Mönchen fprechen will, wie fie vor T00 Bahren gr 
find, rechtſchaffene Männer, welche die Lodungen biej) 
bens verſchmähten, allen weltlichen Geſchäften entfagten, 
das leibliche Behagen mit Füßen traten, und fi ii 
Einfamfeit zurüczogen, um ungejtört fih der Beſcham 
widmen zu fönnen; über deren Einrichtungen und ® 
viele ebenfo gelehrte als fromme Männer Schriften 1 
laffen haben. Sondern von denen will ich reben, | 
jest die Welt erfüllen, und fich zu verſchiedenen, Dom 
zu Rom bejtätigten Regeln befennen, indeß nur zum ger 
Theil von denen wirklich geftiftet find, von welchen fie, 
Urfprung herleiten. Denn um die Menge zu täufchen, 
ſich mande einen Orvensjtifter an, Unter ihnen fin 
Bettelmönche zum Nachtheil der deutjchen Kaiſer zueı 
ben Zeiten des zweiten Friedrich, dann nach und mach 
den deutſchen Herrichern, welche die römiſchen Päpſ 
fämpften, aufgefommen. Da nämlich dieſe fein Meittet f 
ihre Tyrannei gegen die Macht unfrer Kaifer aufrecht z 
halten, famen fie auf den Gedanken, dieſe Gleifiner a 
jenden, um fich durch fie Gunſt zu verfchaffen; biej 
mußten allenthalben ihre Macht und Gewalt anpreijen 





IX. Die Räuber. 569 


fie von Chriſto ald Nachfolger Petri empfangen hätten, und 
der Menge einreden, fie jeien die Allerheiligften, wie lajter- 
haft fie auch Iebten. Damals erft wurde bie Ehriftenbeit 
von Chrifto abgezogen, und ergab fich dem Gejege des Anti- 
chriſts, des Papſts, da fie früher mehr nur werjucht als 
verführt worden war. So viel vermochten jene faljchen Apo- 
ftel, jene Irrlehrer, vie fich darauf verftanden, die Ohren 
ver Hörer zu fißeln. ’) 

Franz. Du erzählit va eine Sadje, bie — nicht Allen 
befannt ift, aber befanut werden folite, 

Yutten. Gewiß follte fie das; darum forge dafür, daß 
Karl fie erfahre. 

Fran. Das foll er. Doch wie haben die andern ange 
fangen? 

Hutten. Alle auf des Satans Antrieb, bamit Chriſtus 
zertheilt würde, was ehedem der beſte der Apoſtel, Paulus, 
fo angelegentlich zu verhindern fuchte. ?) 

Franz. Was ſagſt vu? 

Yutten. Was die Wahrheit ift. Denn nichts hat Chris 
ſtus jo verdammt, da er auf Erben lebte, alö jene verberb- 
liche Heuchelei, die diefe Menſchen in Stleidern, Worten, Ce: 
remonien, furz in ihrem ganzen Leben treiben. Und gerabe 
wenn fie fich vecht fromm anftellen, entfernen fie ſich am 
weitejten von aller Frömmigfeit. Denn all ihr Thun fteden 
fie hinter jene nenen, unendlich mannigfaltigen. Ceremonien, 
bie fie dem Volk überall vormachen, um ces deſto ficherer zu 
berüden. Durch viefe Blenpwerfe haben fie nach und nad) 
die Menfchheit in abjcheuliche Irrthümer hineingeführt. Und 
wer wird benn jet noch Mönch (wenn wir die unſchuldigen 
Knaben ausnehmen, bie vor den Jahren abgefangen werben) 


1) Bgl. 2 Timotb. 4, 3. 
2) 1 or. 1, 13, 
Strauß, Sulten’s Beipräde. 24 
















als wer an jedem F 
arbeit thun, fonber fiber m 
ergeben ift? oder feine Scha 
mehr ertragen fann? oder der ſich ein 
un m Eee m van? 
zu dienen und an biefem heiligen 2 
wird es Keiner. Denn wäre es & | 
lönnte er es überall beffer teten us i 
Veben, — ————— Srunde 
Grunde gehen, und die ganze g ausger 
weil fie nicht Gott der Vater, — der x 
Teufel, gepflanzt hat '), ber außer Stande, bie 
auf andre Art zu verwirren, es ee | 
und durch Einführung von Verſé ıheiten umb — 
der Heerde in Secten — ven Schafftalt 
veröden. üm.« | 
Tram. Jetzt erſt fange ich am zu erfenmer 
diefe Menjchenart jchlechterpinge nicht du ilden de 
ſind ſie gut, jo iſt nicht nöthig, daß fie fi | 
Hleiven, da ja Gott die Herzen und Gebanfen 
fennt, unter ven Menfchen aber es feiner « en & 
als der durch gute Werke bedarf, — hne € 
jtellung als Beifpiele dienen; jind fie hingegen’ fehler 
verberblich ift e8 dann, fie jo unter den Menfchen | 
laffen, vaß einer fine ven beiten gilt, der doch pas 
Yeben führt? —«⸗ 
Hutten. Das iſt die Sache. Da nun aber pi 
Orden übrigens jo verfchieven leben und im höchſt 
eiferfüchtig auf einander find und fih in Haß um 
gegenfeitig zerfleifhen, weißt 'vu worin fie gleichwohl 
übereinftimmen ? | 











ae 


























— W— — — 


. 
1) Matth. 15, 18. - 


t 








IX. Die Räuber. 371 


Franz. Das weiß ich in ver That nicht, und glaube auch 
nicht, daß fie in irgend etwas einig find. So zwiefpältig 
find fie in allen Dingen, und jeder Orden bemüht fich, nichts 
mit den andern gemein zu haben, in Kleidern, Gebäuden, 
Predigt, Gottesdienft, Gebet, Gefang, Ceremonien und Ges 
bärden, kurz in alfen Handlungen und Gebräuchen. 

Butten. In andern Dingen verhält es fich fo; in Einem 
aber ftimmen fie einhellig zufammen: daß fie, als Hätten fie 
fih verfchworen, vie Wiffenfchaft und deren Kenner mit bitte- 
rem Haß verfolgen, fo fehr, daß fie fich jet in andern 
Stüden leicht vertragen, um nur hierin beharrlich zufammen- 
zuwirfen. Denn vieß allein ift es unter Allem, worin fie den 
gleihen Willen und Wiberwillen haben. 

Fran. Daher wohl diefes Complott gegen Luther. 

Hutten. Auch gegen Andere. Denn welcher wirkliche 
Gelehrte ift vor ihnen ficher? 

Iran. Der Grund ift, venfe ich, daß fie zu befürchten 
haben, wenn jene die Wahrheit prebigen, möchte man fie 
zur Ordnung bringen und ihnen der DBettel nicht mehr fo 
viel abwerfen. 

Hutten. Das ifts. Und in ihrer Unwiffenheit beneiden fie 
jene um ihre Kenntniſſe und fehen alle Gelehrte mit Miß- 
trauen an. 

Franz. Nicht mit Unrecht. Denn die Wiffenfchaften find 
es gewejen, durch welche Deutfchland in unfrer Zeit wieber 
zu Berjtande gefommen ift. . 

Hutten. Sie waren e8. 

Franz. Und fie werden es auch fein, hoffe ich, die ihnen 
ven Garaus machen. 

Hutten. Gewiß, wenn ihr euch mahnen laffet, nicht Lün- 
ger diefen Schmarogern die Ohren zu leihen, die alfe ihre 
Reden und Handlungen darauf einrichten, ſich zu bereichern 
und euch durch frommen Betrug auszuplündern. 

24* 





372 Hutten's Geſpraͤche. Zweites Buch. 


Franz. So gibt es alfo auch einen frommen Betr 

Yutten. Sie fagen Ja, die Natur der Dinge jagt ! 
und Gott legt feinen Fluch darauf; denn er will bad! 
fchengefchlecht durch die Prebigt ber Wahrheit zu j 
Anbetung ermuntert wiſſen, nicht aber Durch Zügen 
Mährchen. 

Tram. Darum laſſet uns jene falſchen Religioſen aus 
ben, damit die wahre Frömmigkeit Platz finde und ber ſchli 
ften Räuberei einmal ein Ziel gejegt werte. Demm wm 
(ich ift es, fo viel ich einfche, daß Deutſchlaud geh) 
werde, wenn man nicht die Pfaffen auf eine jehr Fleine ; 
befchränft, die Mönche aber, wie bu rätbit, ganz abid 
Das will ich nicht müde werden meinem Karl fleißig &i 
prägen; er foll nicht leiden, daß eine ſolche Unzahl DH 
gänger Deutjchland mit Theurung beſchwere. 

Yutten. Da jtelle ihm Mlerander Severus, gewiß 
großen Kaifer, zur Nachahmung vor, ber fagte, ver F 
jei ein Yanbverberber, der mit dem Marke der Untertb 
überflüffige und dem Staat umnüte Menſchen füttere, ") 

Tram. Das Beifpiel gefällt mir, ſchon um beifen in 
von dem es auögeht. 

Butten. So präge ibm auch noch ein andres vom ı 
bemjelben ein. 

Fran. Was für eines? 

Yutten. Nie duldete Severus in den Tempeln mehr 
vier oder fünf Pfund Silber, Gold aber legte er fein & 
chen oder Blättchen darin nieber. *) 

Franz. O der weile Fürſt! Wäre er in unſre Seiten 


1) Nah Lampridius, Alerandber Severus, 15. Das malum 
pillum gibt feinen pafjenden Sinn; id lberjege nad Böding's 
mutbung: malum publicam. 

2) Bei Yampribius a. a. D,, 44. heißt es auch vom Sifßer nu 
habe nicht mehr ala ac, in ben Tempeln (bie er beſuchte) niebergel 





IX. Die Räuber. 373 


fallen, was meinft bu, daß er thun würbe, wenn er fähe, 
wie bie Bfaffen Alles um fich ber von Gold und Silber 
haben, auch Edelſteine und wenn es noch etwas SKoftbareres 
gibt Für fich verlangen, und es für eine Entweihung halten, 
etwas von Thon oder Holz anzurühren ? 

Yutten. Was Anderes wohl, als was billig auch Karl 
thun  folfte, wenn er einmal für bas Vaterland Krieg zu 
führen hätte und fein Geld vorhanden wäre? 

Iramy. Was ift das? 

Hutten. Daß er all diefes Gold und Silber in den Fir 
chen, fo viel deſſen ift, einfchmelzen Tiefe, die Evdelfteine aber 
verfaufte, und von bem gefammten Erlös Kriegsheere unter: 
bielte und den Bepürfniffen des Staats abhülfe. 

Franz. Wenn aber fein Krieg zu führen ift? 

Hutten. Gleichwohl meine ich, muß man diefe Dinge aus 
den Kirchen entfernen, und ven Geiftlichen felbit, zur Förde— 
rung der Frömmigfeit, die Laft ihres Neichthums, ver ihnen 
baran fo hinderlich ift, abnehmen. - 

Fran. Dein Rath; ift gut, auch ſchon um befwillen, 
weil, jo lange dergleichen Dinge in den Kirchen find, fie bie 
Gemüther zur Habjucht reizen; thönerne Kirchengeräthe aber 
und leinene Bifchofsmüten werben uns eine beftändige Mah— 
nung zu chriftliher Genügſamkeit fein. Denn mit jeinem 
Eindringen hat das unjelige Gold Chriftum aus den Kirchen 
getrieben, und ebenfo bie wahre Brömmigfeit aus den Herzen 
ber Menfchen genommen, um fich zum alleinigen Gegenftand 
ihrer Liebe zu machen. Darum fort mit der Urſache fo gro- 
fer Uebel, einmal fie fortgefchafft und dann nie wieder zu— 
gelaffen! Dahin gehe Aller Wollen, Aller Bemühen. 

Kaufmann. Mit welcher großen, welcher erfrenlichen 
Neuerung ſehe ich euch umgeben, wenn ihr es durchſetzet. 

Hutten. Chriftus wird's durchſetzen. Denn es it feine 
Sache. Er wird den bezwingen, ber ihn bebrängte. 








374 Hutten’s Geſpräche. Zweites Bud. 


Kaufmann. Aber wie ſteht's mit dem Curtifanen? 

Yutten. Gut ſteht's; denn fie fangen an, es gar zu ı 
zu machen. Dahin haben wir's doch endlich gebracht. 

Tram. Da mir at bie Gurtifanen gefommen find, 
meine ih, du, Huttem, jollteft uns num von vornen alle 
Uebel auseinanderjegen, deren bie Statt Rom voll ift. 

Hutten. Zähle du vie Sterne und berechne die Zahl 
Sandkörner. 

Tran. So ſage doch etwas von ber jeßigen —* 
der falſchen Biſchöfe. 

Hutten. Darüber gibt es Geſpräche und andre — 
von mir; leſet ſie. 

Tran. As gälte es jetzt zu leſen, und nicht vieln 
vertraulich ſich zu unterhalten. 

Hutten. So wiſſet denn zuvörderſt das Eine, daß 
dom Alles gräulich und verkehrt iſt, und wie man zu fa; 
pflegt nirgends ein geſunder Fleck. Das iſt aber um fo u 
derblicher, als fie biefe Stadt zum Haupt ber Kirche gema 
haben. Und va haben fie das unverſchämte Gögenbile, t 
Papft, aufgerichtet, und ihm Alles eingeräumt, fogar daß 
wem er wolle, gegen Chrifti Yehre etwas feftfeken bür 
wie fie bisher Vieles fejtgejegt haben, und vom Epangeliı 
abweichen joweit es ihm beliebe, und daß er ſelig mad) 
fünne wen er möge, wenn eimer auch noch jo gottlos Tel 
bagegen die Seelen ver rechtichaffenften Menjchen verbammm 
Mit Einem Wort, daß er thun könne, was er fich zu erfa 
ben ven Muth babe, und daß ihm Niemanb wiberfpredhe 
ja nicht einmal gegen ihn muckſen dürfe, und daß es ni 
erlaubt fei, ihm feine Gewalt abzunehmen, was er auch fi 
ein Leben führe und was für ein Menjch er fer, felbft, iweı 
es die Kirche für nöthig finde. Denn auch das räumt ih 
das Basler Concil ein und unterwirft ihm die Kirche mb e 
hebt feine Gewalt über das Anfehen der Kirchbenverfammiu 





— 


IX, Die Räuber, | 375 


gen. ?) Das alles hat Ehriftus fo wenig befohlen, als es 
möglich ift, daß in eines Menſchen Gewalt ftehe, was der 
ewige Gott thun folle. Denn dieß müßte der Fall fein, wenn 
e8 wahr wäre, deſſen jene jich rühmen, ihnen jei von Chriſto 
übertragen, nach Gutbünfen und Belieben hier zu binden und 
zu löſen, und das werde im Himmel bei Gott dem Vater 
unter alfen Umſtänden gültig fein. 

Kaufmann. Hier möchte ich von bir eine Ausunft — 
Iſt ihnen denn das nicht wirklich von Chriſto übertragen? 

Hutten. Es iſts, wenn vollkommene Liebe in ihnen iſt; 
auch dann aber ihnen nicht anders oder mehr als dir oder 
mir, ober jedem wahren Ehriften. 2) 

Kaufmann. Alfo kommt diefes Binden und Löfen allen 
Chriſten aller Orten zu? 

Yutten. Allen insgemein, wofern wir das wirklich find, 
und das volle Verftändnig haben, was gebumden und vr. 
werben ſoll. 

Kaufmann. Was foll man denn aljo. binden * was 
Löjen? 

Yutten. Die Bande der Sünde, denfe ich, nicht die gött- 
fihen Lehren ver heiligen Schrift. Denn das Wort Gottes, 
wie Paulus lehrt, läßt fich wicht binden, und das Geſetz wird 
nie aufgelöft werben, wie Chriftus bezeugt, jelbjt dann nicht, 
wenn Himmel und Erde und alle Dinge vergehen. ?). 

Kauſmann. So willit du alfo wicht, daß Einer ſei, der 
bier die höchite Gewalt habe? 


1) Das Basler Eoncil beftätigte im Gegentheil bie Schlüffe bes 
Konftanzifchen, wornach eine allgemeine Kirchenverfammlung über dem 
Papfte fteben follte, und jeßte Eugen IV, ab; allein unfre Fürften 
ließen ſich ja gleih nachher in ven Aſchaffenburger Comcorbaten um bie 
Früchte jener reformatorifchen Coneilien betrügen. 

2) Matth. 16, 19 verglihen mit 18, 18—20, Joh. 21, 15-17. 

3) 2 Timoth. 2, 8; Matth. 5, 18. 





376 Hutten’s Geipräde. Zweites Buch. 


Yuttn. Das ift der Katfer und bie. weltlichen Fürſte 
ihnen foll man nach Chriſti Beifpiel und der Lehre der Apı 
ftel untertban fein. Unter den Biſchöfen und Geiftlichen abı 
wollte Ehriftus feinen haben ber ben anbern geböte, wol 
aber ver ihnen diente, und ver follte der Beſte unter ihn 
fein. ?) 

Raufmann. Aber boch hat er dem Petrus mehr gegebe 
al8 den Andern. 

Zuttn. Weil Petrus ihn lieber hatte als Die Anbern.! 
Darum bat er einen Wettftreit in ber Liebe, nicht ein Bu 
(en um Ehre oder ein Trachten nah Herrichaft unter ihne 
zu erregen gefucht. Davon fchlagen jene den gerade entgegen 
gefegten Weg ein, indem fie um Reichthum und Herrfchal 
zu Land und zur See mit Feuer und Schwert ihr ganze 
Leben hindurch wüthen. Sage mir aber, führte denn Betru 
bie Herrfchaft über feine Mitapoftel? 

Raufmann. Sie behaupten e8, wenn ich mich recht em 
finne, und darum glauben auch fie eine ſolche ausüben ; 
bürfen. | 

Butten. Die Schrift läugnet es. Denn er ließ fich vo 
ben andern fchiden und gehorchte dem Apoftelconcil und ga 
bem Zabel des Paulus nach und ging auf gleichen Fuß m 
feinen Brüdern um. ?) Heißt das die Herrihaft führen? 

Kaufmann. Das wohl nicht. Aber geht e8 denn aı 
daß die Kirche ohne Haupt fei? 

YZutten. Es geht nicht an. Und darum bat fie ein Haup 
nämlich Chriſtus ſelbſt. *) 

Baufmann. Daß er das fei, läugnen fie nicht; aber prı 


— — — 





1) Matth. 20, 27; 23, 11. 

2) Joh. 21, 15. 

3) Apoftelgeih. 15; Gal. 2, 11. 
4) Roloff. 1, 18. 





IX. Die Räuber. - 3177 


ben im Himmel, und fo brauche man noch ein andres ftell- 
vertretendes Haupt bier auf Erben. 

Butten. Man braucht feines. Denn wozu eine folche 
zwieföpfige Kirche? Iſt etwa Ehriftus nicht auch auf Erben 
bei uns und wird e8 immer fein, da er einjt verheißen hat, 
nicht von uns weichen zu wollen? ®) 

Kaufmann. Ich erinnere mich. 

Butten. Wie weit ift er alfo entfernt, feine Stelle einem 
Andern zu übertragen, da er fie felbft verjehen will? Und 
thäte er’8 auch, fo würbe er doch einem ſündigen Menfchen 
die Vollmacht nicht anvertrauen, deren jene ſich anmaßen, da 
er den Petrus erjt nach wiederholtem Bekenntniß der Liebe 
zum Hirten einfegte. 2) Wobei aljo Gott felbft mit Aus- 
wahl zu Werke ging, wie wäre es möglich, daß das ein Menſch 
dem andern ohne Prüfung von Hand zu Hand überfiefern 
könnte? 

Raufmann. Jetzt begreife ich, daß es nicht möglich ift. 

Jutten. So mußt du auch das für unmöglich erklären, 
was ihm feine Curie zufchreibt, daß der Papft nicht irre, er 
möge thun, jagen over feitfegen mas er wolle; da fie doch 
felbft einen fterblichen Menfchen in ihm erfennen, dem der 
Irrthum angeboren ift. Wie aber ftimmt das an unfern 
jegigen zu ber Apoftel Art, denen fie doch ähnlich fein folfen, 
daß fie, vie das Ihrige freiwillig verlaffen follten, mit äußer- 
fter Habfucht nach) Fremdem trachten? Und denen befohlen 
ift, der Welt den Krieg zu erflären und alle Fleiſchesluſt 
hinter fich zu werfen, daß die, um Chriſto fo fern wie mög» 
fih zu ftehen, in fleifchlihen Wollüften befangen mit ber 
Welt wider den Geift Krieg führen? Wie heilig wollte ich 
. darum den achten, wer er auch fein möchte, ber des hirten- 


1) Matth. 28, 20. 
2) Joh. 21, 15—17. 











378 Hutten's Geipräde. Zweite Bud. 


fofen Schafſtalls Chrifti aus Eingebung der Piebe n 
Vorſatz die Schafe zur weiden fih annäbme. Dem 5 
ließe fich endlich hoffen, er werbe, nach ver Vorſch 
guten Hirten, Andern dienen, und, wie Paulus fagt, 
nicht was fein, fondern was Anderer ift.?) ber je 
ven jett nicht darum Päpfte, um durch Arbeit ımb i 
für das Ehriftenvolf zu forgen und fir Ausbreitu 
Ehriftenglaubens thätig zu fein, ſondern um in Müßigge 
Wolluft zu leben, unterwerfen fie ſich Königreiche un 
ferthümer. Denn wo ift eine Menſchenklaſſe, welche t 
feiner zu betreiben und fich jo für Genüſſe zu forgen| 
während doch ihnen vor allen Andern ſaure Mübe u 
härtefte Lebensart anftünde? 

Kaufmann. Nirgends in ber That. Doch was ge 
alles die Eurtifanen an? | 

Yutten. Nun das, was Nom fie angeht. Sie fü 
Papftes Gefchäftsträger und bie Gtüten feiner Den 
er wäre nicht fo groß, wenn fie nicht geſchickt ihr An 
walteten. Das Werk ihrer Wolluſt, Habfuht und © 
fit es, daß der Antichrift, der Papit, regiert. Sie 
bie Yeibwache bes abfcheulihen Herrn und belfaften wm 
maßlofer Tyrannei. Denn fie haben ihn eingefegt m 
das gottlofe Volk in der Wüfte aus dem Golde das j 
Feuer geworfen fich einen neuen Gott gemacht, dem fie 
als göttliche Ehre erzeigen, dem fie Fefte feiern um 
fingen, den fie alfenthalben preifen und ton ums all 
wir Chriften find angebetet wijjen wollen. Durch ihre 
anjtaltumg gefchieht es, daf, was umfre Vorfahren and 
mem Eifer den Kirchen bier gejchenkt haben, d. 5. ihr 
und ihren Schweiß, jett im Auslande von dem fehfed 
Menfchen in Ueppigfeit aufs ſchändlichſte verpraßt wirb 


1) Matth. 20, 28; 1 Kor. 10, 24. 





IX. Die Räuber, 379 


jtehen allen rechtjchaffenen und gelebrten Männern in Deutſch— 
fand im Wege, daß fie nicht die gebührende Beförderung in 
ber Kirche finden. Und fo ift e8 dahin gefommen, baf Mens 
fchen vom unreinften Wandel die erſten Kirchenftellen einneh> 
men, jene Bejten aber feine Stelle befommen, Denn wel- 
cher redliche Mann möchte ein geiftliches Amt oder ein Bis: 
thum kaufen? Aber durch fie geſchieht es, daß die geiftliche 
Gnade Keinem umfonft zu Theil wird; augenfcheinfich wider 
Chrifti Yehre und die apoftoliihe Sitte. Darım läßt fich 
nichts ausfindig machen, nichts erfinnen, was für fie eine 
hinreichende Strafe wäre. So viel ungeheure Frevel haben 
fie verurfacht, jo viel Aergerniß aller Orten gegeben. Denn 
bier evt find wir an ber Quelle des allgemeinen Sittenver- 
berbeng, des üblen Beifpiels für alle Welt. Unb feine an- 
dern find fchamlofer bei ihrer Bosheit, weil fie die jchlechte- 
ften Streiche mit dem Anſehen der Kirche zudeden, und bie 
Leute glauben machen, wo fie am meiften fünbigen, da thum 
fie ihr Amt. Da fie verlegen auch aufs ſchnödeſte ihre Pflicht 
gegen das Vaterland. Denn fie verwüften diefes um ander: 
wärts zu bauen, und um bas fremde Rom zu bereichern 
und von ihm den Lohn ihrer ſchmählichen Willfährigfeit, ein 
Stüd von dem Raube ihres Vaterlandes, zu erhalten, thun 
fie hier Freunden, Schwägern, Verwandten, jelbjt dem Eltern 
Schaden. !) Kann ſich demnach Jemand wundern, daß ich 
ſie mehr noch als jenen tyranniſchen Antichriſt ſelber haſſe, 
da fie die Urheber ſeiner unmäßigen Gewalt find, und er 
niemals gewagt haben würde, fich anzumaßen, was fie ihm 
freiwillig anbieten, ja im Wetteifer hingeben? So kann ver 
römische Bifchof unfrem eigenen Willen die Schuld beimeffen. 
Denn fie find es, die von Niemanden gezwungen, ſondern 


1) Auf biefe Stelle ift oben S. 58 in Betreff ber Curtifanen 
verwieſen werben. 





j 
i 
| 
| 
\ 


— — 





380 Hutten's Geſpräche. Zweites Bud. 


aus freien Stücken, ihm jo viel Macht geben ale a 
unterfianben hätte im Anfpruch zu nehmen, ja aud 
wiünfchen. Over würde er jemals an Deutſchland bie 
rifche Hand gelegt haben, hätte er es micht durch je 
aufgejchlofjen gefunden? Und hier zeigt ſich ein Rau 
fie ausgeführt haben, neu, unerhört, und gewaltthät 
man von einem weiß jeit die Welt jteht. Den Kaife 
Herrfcher ver Welt, ven fie verriethen, haben bie Pãp 
unterworfen, und ihm zuerft bie Stabt Rom abgeno 
dann einen guten Theil von Italien, demnächſt aber q 
erfrecht, das Meich des ganzen Abendlandes als ihn 
hörig anzufprechen. Den deutjchen Fürften jchreiben j 
jeß und Bedingungen der Kaiferwahl vor, und Laffen 
zu diefer Würde gelangen, er jei ihnen denn geneht 
habe ihnen den Eid gefhworen, und nehmen ibm jeb 
walt, jedes Serrfcherrecht, wenn er es wicht mach ihrer 
ichrift ausüben will. Auch geftatten fie ihm feine ambı 
grüßung als ihnen die Füße zu Füffen, umb nennen ihn 
Diener und Verwalter, Das heißt erft rauben, da 
erſt die rechten Banditenftüde. 

Haufmann. Das erft. Denn was bebeuten Die ü 
Räubereien, wenn wir diefe dagegen in Anfchlag bring 

Hutten. Gar wenig. ber was meinjt bu, baf 
Fugger dabei thun? 

Kaufmann. Ich jehe nicht was. 

Qutten. Ich will dir zeigen, dak fie etwas thun 
jivar fo viel und von ber Art, daß fie die Oberfie 
Curtifanen zu beifen verdienen. Denn fie haben Ge 
Ueberfluß, worauf in diefer Sache viel anfommt, D 
treiben fie das Eurtifanenwefen mit Macht, und wie ı 
bern unnügen Waaren jo machen fie auch bier die Sim) 
händler und faufen von bem PBapfte wohlfeiler ein, io, 
bernach theurer wieder verfaufen, nicht blos einzefne | 





IX. Die Räuber. 381 


den, fondern auch Gratien im Großen, Man findet Bullen bei 
ihnen und Dispenfationen gehen über ihre Zifche. Und Kei— 
nem wird es leichter eine geiftliche Stelle zu gewinnen, als 
iver die Fugger zu Freunden hat; denn fie betreiben die Sache 
geſchickt und rafch, und find die Einzigen, durch die man in 
Rom Alles ausrichten kann. Setste man auf fie nicht biejes 
Vertrauen, jo würde Manches dort gar nicht nachgejucht 
werben, ja die Eurie felbft hätte manchmal nichts zu thun, 
wenn die Fugger nicht wären: fie vermitteln die fchnelle Hin- 
und Herbeförderung der Briefe, und erwerben ſich dadurch 
ein großes Berdienft um die römijche Kirche, die niemals 
beffer für fich geforgt hat, als da fie zum geiftlichen Handel 
dieſe ungeiftlichen Menfchen heranzog. Und auch fie hinwie— 
derum geben nicht ohne Vortheil aus, fondern gewinnen da— 
bei oft nicht weniger als durch den Pfeffer, den fie in In— 
dien auffaufen. Siehft du nun, daß auch die Fugger Curtis 
ſanen find ? 

Faufmann. Ich höre es; daß ich es fühe, kann ich nicht 
fagen; denn meiner haben fie dabei fich miemals bedient, 

Yutten. Aber Anderer. Denm ich felbft habe zu Rom 
ven alten Zink ) emfig damit bejchäftigt gejehen, 

Kaufmann. Mag fein. Mad du nur, daß bu mit Nom 
zu Ende fommit. 

Butten. So demnach hat fie angefangen, jo ift fie fort 
gefchritten umd angewachfen, vie gottlofe Eurie, indem man 
noch die vielen Carbinäle aufjtellte, ald wäre es zu wenig, 
dem chriftlichen Volle nur jo viel abzunehmen als zum Unter: 
halt eines Einzigen, wenngleid des habfüchtigften Tyrannen, 
binreicht. Und dabei wären wir, nach meinent Urtheil we— 
nigftens, noch mit mäßigem Schaden bavongefommen, wenn 


1) Zinechium hat ber lateiniſche Tert. Den obigen beutihen Na- 
men bes Fugger'ſchen Geſchäfteführers vermutbet Böcking. 









382 Hutten’s Gejpräde. — — 2 


wir nur Geld eingebüßt, ober ı 
und nicht auch am — 
legt worden wäre. Denn ** w 
ſchen wohl nicht, etwas gegen 
ſuchen, noch durften fie dieſen 9 
Freiheit fpredhen: jegt hingegen dat 
Evangelium bei ihmen nur nad % 
wagen es nicht, durch die Lehre Ghriftiiun en 
gen zu fügen. Die Wahrheit ſelbſt Saben fü 
das Wort Gottes ausgefchloffen, un fi 
Ervichtungen Raum zu haben. So hoch if 
ftiegen. Wie hätten demnach noch jo viele Räu it q 
Gewalt uns jo viel entreißen ER 3 durch & 
trug fo lange Iahre her abgenommen haben, inder * e 
viele Stellen, jo viele Aemter, ſo viele und fo ı 
Orden, Collegien und Bruberjchaften — 
Zahl derer unendlich wäre, die von uns — 
halt erbettelten. Doch das find noch Klei 
haben auch fürftlihe Biſchöfe über uns — icht 
frieden mit unfrer Voreltern übermäßiger, ja oh. ei * 
ſtus übermäßiger Freigebigfeit gegen fie, een 
Mittel zu ihrem Unterhalt im Ueberfluß gewälh ei, a 
was uns noch geblieben ift mit Gewalt * Zwan ng, | 
ſchon erwähnt, uns entreifen. Cine fo drückende £ 
eine jo heillofe und verderbliche Tyrannei, van fi 
theuern Preis erfauft, die thörichten Alten, ja 
(ofen, möchte ich fagen, da fie ohne Erbarmer it 
Nachkommen Leute, die Andere mit — He 
jagt hätten, gar noch mit Aufopferung ihres Guts —* 
Herren eingeſetzt haben. Doch dazu haben jene, 
Schweiß und Blut erworben hatten, wenigſtens freiit 
beigetragen: jest erpreßt man von und wider unjern Bil 
die Mittel, die neuen Cardinäle zu unterhalten und bie ı 




































i 


IX. Die Räuber. 383 





nügen Creaturen des römischen Biſchofs zu füttern. So 
hat die Beraubung Deutſchlands Fein Ende, fein Ziel noch 
Maß. Und die unfrigen wiffen das Beiſpiel, das ihnen vie 
Römer geben, gar geſchickt an uns nachzuahmen. Bereits 
find fie durch Trügen und Rauben fo ſtark geworben, daß 
fie vie gefegnetften Strihe Deutjchlande, vie fruchtbarften 
Fluren in Beſitz genommen, die einträglichiten Zölle ſich un- 
geeignet haben. Denn wie halten fie den Rhein auf beiden 
Ufern befegt? 

Iran. So, daß Friedrich III. ihn die Pfaffengaffe zu 
nennen pflegte, weil er von jeinem erſten Urfprunge bis wo 
er in’8 Meer fließt zu beiden Seiten deſſelben deutſche Bi⸗ 
ſchöfe herrſchen fah. 

Butten. Und der unglückliche Frankenſtamm, wie ift er 
ber gottlojen Pfaffenherrichaft unterworfen! 

Franz Da möget ihr zufehen; denn wie ich immer fage, 
baburch beſonders habt ihr den glänzenden Beinamen, ven 
euch die Vorzeit gab, freie Franken, verwirft, daß ihr jenes 
Zoch Tnechtifcher als irgend ein anderer Stamm auf euch ge- 
nommen habt. 

Yutten. Ich ſchäme mich deſſen genug und venfe Tag 
und Nacht, wie wohl Rat zu finden wäre, aus einer jo 
fhimpfliden Eclaverei und loszumachen; auch laſſe ich nicht 
ab, zur Wiedergewinnung ver Freiheit aufzumahnen, und 
werfe meinen Landsleuten auf die Gefahr hin mich bei ihnen 
verhaßt zu machen ihre unmännliche Geduld vor, daß fie 
jene Schaaren müßiger in Saus und Braus lebender jungen 
Männer ?) bei ſich umherjchweifen laffen, ohne zu merken und 
einzufehen, welche Gefahr darin für die Keufchheit ihrer Weis 
ber und Zöchter liegt. Ja fie laden fie fogar in ihre Häufer ein 


— — — it — 


1) Es find hauptſächlich die Würzburger, Bamberger und Eich—⸗ 
ſtädter Domherren gemeint. 


384 Hutten’s Gefpräche. Zweites ik 


und juchen ihren Umgang mit großem —— 
Augen und braucht durch feine Rede in's Lich 
Bon den Römern aber will ee — 
lends jagen. Da fomme ich auf ihre Legaten, 
anftedend wie feine andre je vom Himmel auf * 
abgeſchidt worden iſt. Denn wo fehren dieſe bei ume 
mit ihren Eurtifanen, Referendarien, Eopiften, 
Sieglern, Ceremonienmeiftern und dem Übrigens‘ Bef 
jer Art, wo fie nicht Spuren ihrer Verdorbenheit und 

ihres Frevelmuths und Wahnwitzes hinterließen? 
ift je mit ihnen in Berührung gefommen, ohne, wenn ei 
an ihm zu verderben war, fchlechter durch fie geworder 
fein? Menfchen, die ein werberblicheres Beifpiel gäben, 
| nicht zu finden. Dabei entziehen fie uns, fo oft jie fomı 
unendlich, unermeßlich viel Geld, Dem ihr einziger Auf 
| ift, alle Orte vie fie bejuchen auszuplündern, er 
| 

| 























Niemand Feder im Nauben, Zwaden und Schinden. 

wiffen fie ihrer Bosheit einen gar ehrbaren Anfchein z gi 

| die Einen als fümen fie, die geiftlichen Orben zu ı 
1 Die halten dann Convente und figen zu Gericht, wo 
| | der Beute, nicht um eines Vergehens willen ! 
| rechtſchaffene Geiftliche, als für fie unbrauchbar, veruri 
1 fen, die Schulpigen aber huldreich aufnehmen, weil fie 
Hi deren Beihülfe ungefchent dem Raube nachgehen Fön 
Andere thun, als wollten fie zum Türfenfrieg, den fie 6 
mächft zu führen gevächten, Geld von uns haben. D 
halten aller Orten herzbrechende Reden von ber Bi 


Grauſamleit gegen die Unfern, führen oft Gemälbe 

auf denen jie den Feind in Ebriftenblut — 
bildet haben, und ſuchen durch vie ſeltſamſten Lügen 
einfältigen Haufen zum Mitleid zur bewegen, um Silber 
Gold zufammenzubringen, Einige kommen um Beifteuer ; 
Wiederaufbau der zerfallenen Kirche des heiligen Petrus 















IX. Die Räuber. 385 


Batican zu Rom; Andere mit andern Wabeln, die fie ich 
ausgedacht. Wo fie aber umberziehen, da halten fie Segen 
und Fluch feil, und laſſen fich ablaufen, was man thun varf 
und nicht thun darf, verbieten over geftatten Ehen, trennen 
fie wohl auch, wie es ihnen gutvünft, und geben über vie 
Speifen, die Gott zur Nahrung für den menfchlichen Leib 
geichaffen hat, Geſetze. Auch verleihen oder nehmen fie bier 
nah Willkür geiftliche Stellen. Ueberdieß wohnen fie allen 
unfern Berfammlungen und Zufammenkünften bei, fo oft 
über wichtige und nothwenvige Dinge verhandelt wird, und 
unfre thörichten Fürften lafjen fie zu. Als wäre feine Ge- 
fahr für uns vabei, daß fie hier erfahren, was fie hernach 
zu Rom dem Papft verrathen. Darum o freiwillig unglüd» 
liches Deutfchland, das mit ſehenden Augen nicht fieht, und 
mit offenen Berftande nicht verfteht! Doch vergleichen ift 
noch Vieles, was einzeln zu erwähnen in's Endloſe ginge. 
Daher will ich endlich meine Rede von dem geijtlichen Räu— 
bern befchließen, die Schon allzulang geworben ift; denn wir 
hätten mittlerweile von dir, Franz, etwas Nüßlicheres lernen 
fönnen, und bu mußt nun auch noch Das Deinige hinzuthun, 
wenn bu meinft, ich habe etwas übergangen. 

Franz. Hinzuzuthun ‚habe ich für den Augenblid nichts. 
Der da foll es thun, wenn er etwas hat. 

Raufmann. Ich habe nichts. Nur das bitte und be 
fchwöre ich euch, Sorge .zu tragen, daß Deutſchland einmal 
von tiefen verberblichiten Räubern befreit werde. Denn jekt 
erft finde ich, wie Necht vu Hatteft, vorhin zu verjprechen, 
du wolleft noch Räuber aufzeigen, neben denen die andern 
gar feine Räuber feien. ‘Denn in der That finft alles an- 
bere Raubweſen, womit Deutfchlann geplagt ift, zur Kleinig- 
feit herab, wenn man viefes einmal kennen gelernt hat. 

Buttn. Mühe geben wird man fi, und es wird 


fih auch etwas ausrichten laffen, denke ich, wenn dieſer 
Strauß, Hulten’s Geſpräche. 25 





386 Hutten's Geſpräche. Zweites Bud). 


mir als kräftiger Helfer zur Seite tritt und mir fein 


ſtand nicht entzieht. 


Tranz. Beiftehen will id dir; nur warte id n 
einen Anlaß und den rechten Zeitpunft. Denn bu 
mir zu fehr zu eilen. 

Zutten. Als könnte man dem Eile vorwerfen, t 
erft anfängt, und als müßte man noch auf einen 
warten nach fo vielen Webelthaten von jener Seite, ı 
wäre nicht jeder Zeitpimft der rechte, wo man ihrem 
fen ſich widerſetzt. 

Fran. Gleichwohl iſt noch etwas, das mich aufhe 
das dir felbft nicht unbefannt if. Möchteſt du abe 
wir durch vorzeitige8 Losfchlagen denen unterläg 
Deutfchland nicht geholfen wiſſen wollen? 

Yutten. Das verhüte Ehriftus! das möchte ich nm 

Franz. Aber e8 würde gefchehen, glaube ich, w 
ZTbeilnehmer für dein Wagniß fändefl. Darum maı 
mir einen andern Zeitpunft ab; wenn er eintritt, w 
gewiß ſelbſt fagen, er fei geeigneter gewefen, die Su 
Werk zu richten. 

Hutten. Ih will ihn abwarten, wenn er nur nid 
fern it. 

Franz. Er iſt nahe, wenn mich nicht Alles täufcht. 
Deutfchland fommt allmählich zu jih, und durch d 
Luther wie aus tiefem Schlaf geweckt fängt es an, da 
burch den es eingefchläfert war, zu erkennen. Nicht 
jcheint e8 mehr den anftößigen Wandel jo vieler Mrüßi; 
ertragen zu können; over könnte es das auch und u 
weder fich felbjt erfennen noch in dieſe Dinge ein Ü 
haben, fo würde doch Chriftus nicht länger unter ven 





— — — — 


1) Statt vetet leſe ich vellet. 


IX. Die Räuber. 387 


mantel der Frömmigkeit feiner fpotten und feine Anordnungen 
verfehren lafien. 

Jutten. Wenn aber jener Zeitpunkt fommen wird, bann 
meine ich müffen wir fuchen bie ehrfamften Städte Deutjch- 
lands, mit Bejeitigung früherer Zerwürfniffe und Mißbellig- 
feiten, zu gemeinfchaftlicdem Handeln zu gewinnen. ‘Denn 
gewaltig fehe ich fie zur Freiheit aufftreben und der jchmäh- 
fichen Knechtichaft fich fchämen wie kein anderer Stand. Sie 
haben aber Kräfte, und Geld befigen fie im Ueberfluß, wo⸗ 
durch jie einem Sriege, den wir doch am Ende werben führen 
müffen, den rechten Nerv geben könnten. 

Iranz. Ich nehme die Mahnung an und bin mit dem 
Rath einverftanden; übrigens hatte ich auch für mich ſchon 
längſt beichlojfen, mit ihnen mich auszufühnen und Freund⸗ 
fchaft zu fchließen. 

Baufmann. Du läffeft mich etwas überaus Wünſchens⸗ 
werthes hören, wenn es ausgeführt wird. 

Franz. Ich hindere es nicht. 

Raufmann. Möchte dem fo fein. Denn von den Unfern 
weiß ich, daß fie mit ganzer Seele bazu bereit find. 

Franz. Auch ich verfpreche, bereit zu fein. 

Hutten. Wollteft du es nicht fein, fo würde es bir nicht 
ohne Tadel hingehen. Ich wenigftens werbe nie ablafjen dich 
zu mahnen und zu bitten, bierin Deutfchland zu Gefallen zu 
fein, dem es zu zwei Dingen nüte fein müßte. Einmal daß 
der bisher fo verberbliche Zwieſpalt gehoben und bie beiden 
mächtigften Stände in Eintracht mit einander verbunden wür⸗ 
den; dann daß Das Vaterland aus der Gefangenjchaft unter 
ven gottlofen Pfaffen, der härteften und fchimpflichiten von 
allen, endlich zurückkehrte, die chriftliche Freiheit wieberherge- 
ftellt, die Wahrheit ans Licht gebracht, Chriſto die Ehre ge- 
geben würde. 

25* 





388 Hutten’s Gefpräche, Zweites Bud. 


Kaufmann. Das alles fcheint auf Po 
| auszulanfen, den Chriftus, ver Heiland, befchleunigen md 
Denn meines Dafürhaltens hat e& nie eine ehrlichere u 
pringendere Urjache zum Krieg gegeben. 044 
Zutten. Es ift wie du fazft. Denn Haben einige Kail 
mit Recht graufame Strafen auf das Erfaufen weltlich 
Aemter gefegt, was willft du denen thun, die jet mit de 
| Heiligen Handel treiben? Mit wie größerem Recht wirb m 
| fie vertilgen und ausrotten? Und wenn es ſtets für mot 
| wendig gegolten hat, jegliche Tyrannei zu bekämpfen, welch 
| Gifer müffen wir jetzt beweifen, da wir es mit ſolchen Tı 
| rannen zu thun haben, die nicht blos unſre Befigungen wil 
| fürlich antaften und euch der bürgerlichen Freiheit beraubeı 
fondern auch das Heilige, ven Glauben umd die Religion m 
R tergraben und die Wahrheit unterbrüden; bie, nüchbem fi 
| 
| 









längſt Gottes Wort den Ohren der Menfchen entzogen habe 
num auch Chriftum. felbft aus unfern Gedanken zu nehme 
fich anſchicken; die, nicht zufrieben, unſre Leiber zu plägeı 
auch gegen bie Seelen, fo viel am ihmen ift, aufe granfinft 
wiüthen und aufs unmenjchlichjte verfahren. 
| Kaufmann. Mögen fie übel verderben, die jo vielfache 
u) Verderbens Urheber find. Du aber laß nicht ab zu mabnen 
1 und laß dich niemals, deſſen dich Einige, wie ich weiß, u 
| Verdacht hatten, durch Geld und Beſtechung von — 
| | Vorhaben abwendig machen, . 
1 Hutten. Der Verdacht war ungerecht, wer PER p 
hegt haben mag. Ich laſſe mich nicht abwendig maden, 
Franz. Er wird fejt bleiben, dafür ftehe ich dir. Den 
ich kenne ven ganzen Mann, und weiß, im welche Gefahre 
er fich furchtlos gejtürzt hat, um denen VBerberben zu bereiten 
die jett wie es fcheint num Durch feinen und Luther's Umte 
gang fich befänftigen und zur Ruhe bringen Taffen wolle 
So glühen fie vor Zorn und ſchäumen vor Haß, weil bum 





IX. Die Räuber. 389 


biefe dem beutjchen Volf ihr Betrug enthüllt, ihre Künfte ver- 
rathen find. 

Baufmann. Cher foll Alles gefcheben, als daß folche 
Menſchen ihre Abficht erreichen. 

Iran. Das müffen mit uns alle Guten geloben. Aber 
Höre du, fiehit du nun, daß es mehr als nur Eine Art von 
Räubern in Deutjchland gibt? 

Raufmann. Ich ſehe es und werde lebenslänglih daran 
benfen. 

Franz. Und wirft insfünftige befcheidener von ung reden? 

Kaufmann. Aufs befcheidenfte; freundlich fogar. 

Iran. Und du föhneft dich mit uns aus? 

Raufmann. Bon Herzen, und bitte nur, baß auch ihr es 
thut. | 

Tram. Haben wir das noch nicht hinlänglich an den 
Tag gelegt? 

Rauſfmann. Hinlänglih, wenn das euer Ernft ift, was 
ich euch’ habe jagen hören. 

Iran. Es ifte. 

Button. Iſt unfer Ernſt. 

Franz. Reiche mir beine Hand. 

Raufmann. Nimm fie freundlich an. 

Franz. Auch dem Hutten bier reiche fie. 

Kaufmann. Gar gerne. Da baft du fie. 

Zuttm. Möge Chriftus der Herr und Heiland biefe 
Treundfchaft zwifchen uns befeftigen, und geben, daß unjer 
Beifpiel weithin in beiden Ständen Nachahmung finde. Lebe 
wohl. 

Kaufmann. Auch ihr lebet wohl. 

Franz. Lebe freundlich wohl. 





X. 


Arminius. 


Einleitung. 


Die herrliche Geftalt des Arminius, wie fie und hauptſäch— 
lich durch Tacitus aufbehalten ift, hatte, wie fich denken läßt, 
auf Hutten’8 deutfches Gemüth frühzeitig tiefen Eindruck ges 
macht. Schon in feiner dritten Rede wider ben Herzog Ulrich 
von Würtemberg, die er im Jahr 1516 oder 1517 in Bologna 
verfaßte, fpricht er von Arminius als dem tapferjten Heer- 
führer, dem Wiederherfteller der veutfchen Freiheit, dem Netter 
des Vaterlandes, in Ausdrüden, die einerfeits an Tacitus er- 
innern, während fie anbrerfeitd in unfrem Gefpräche wieder⸗ 
kehren. Daß die Deutfchen zu Arminius’ Zeit es für uner- 
träglich angejehen haben, zwifchen Rhein und Elbe römifche 
Obmacht fich entfalten zu laffen, erfchien ihm ſchon damals 
beveutfam. Als er etliche Jahre fpäter, im September 1520, 
bon ber Ebernburg aus ein Sendſchreiben an den Kurfürften 
Friedrich von Sachfen erließ, glaubte er ihn nicht kräftiger 
zu einer rettenden That in feinem Sinne fpornen zu Fönnen, 
als durch die Erinnerung an den ſtammverwandten Arminiusg, 
der, nad dem Zeugniß der Feinde felbft, der trefflichfte unt 





X. Arminius, Ginleitung, 391 


tapferjte aller Feldherren gewejen, das geſammte Deutjchland 
aus der Hand der Nömer zur Zeit ihrer höchſten Macht 
geriffen, und bieje in mannhaftem Kampfe nach vielen ſchweren 
Niederlagen, die er ihnen beigebracht, aus dem Lande ges 
trieben habe. Was diefer umfer Befreier in ver Unterwelt 
benfen werde, wenn er jehe, daß, während er vie tapfern 
und weltherrfchenden Römer nicht habe als Herren dulden 
wollen, jeine Nachkommen jetzt weichlichen Pfaffen und weibi- 
fchen Bifchöfen dienen? 

Daß Hutten dem Arminius im biefem Sinne ein Denfmal 
feste, lag hienach nahe; daß es im der Form geſchah, in ber 
es jekt vor uns liegt, war durch ein claffifches Vorbild be- 
ftimmt. Als die Römer anfingen, von auswärtiger, nament⸗ 
lich griechiſcher Geſchichte Kenutniß zu nehmen, drängte fich 
ihnen die Vergleichung ihrer friegerifchen Größen mit denen 
anderer Bölfer auf. Da insbefondere Ulerander der Mace— 
bonier Zeitgenofje ihres zweiten fammitifchen Kriegs gemejen 
war, jo fragte man fich gerne, wie Livins IX, 17—19 thut, 
wie es wohl gegangen fein möchte, wenn die Römer mit 
Alexander zufammengeitoßen wären? und zweifelte gleich dem. 
blinden Appius bei Plutarch (Pyrrhus, 19) nicht, daß man 
mit ihm fertig geworben fein wirbe, In die Reihe folcher 
Neflerionen gehört dann weiter die Anefoote, für bie fich 
Livius (XXXV, 14) auf einen ältern Gewährsmann beruft, 
von Scipio's Unterredung mit Hannibal in Ephejus, Auf 
bie Frage des Erftern, wen er für ven größten Feldherrn 
balte? ſoll der Andere Alexander genannt, die zweite Stelle 
bem Pyrrhus, die dritte fich felbjt zugewiefen, auf Scipio's 
Einwurf aber, was er fagen würde, wenn er ihn, ben Scipio, 
befiegt hätte? dieſem das Compliment gemacht haben, ja, 
bamf würde er fich jowohl über Porrhus als über Alexander 
fteilen. Das gleihe Thema behandelte endlih auch Lucian 
in einem feiner Todtengeſpräche. Bor Minos’ Nichterftuhle 








u —— 





392 Hutten's Geſpräche. Zweites Bud. 


erſchelnen Alexander und Hannibal, fich ven ana 
herrn ftreitig zu machen. Minos heißt fie reden; worauf & 
Hannibal, dann Aferander, im zujainmenhängenden Borte, 
ihre Anfprüce begründen. Ehe noch ber Richter entſchied 
pat, lommt Seipio dazwifchen, umd ftelft felbft den Alerand 
über ſich: und nun weift Minos tiefen die erfte, dem Sieg 
von Zama die zweite, dent Hannibal die dritte Stelle a 
(Pyrrhus bleibt Hier aus dem Spiele). 

An diefes Lueianiſche Geſpräch ſchließt ſich va Hutten’fd 
wie ein zweiter Theil an, und ift mehr als irgend ein andre 
unfres Autors dem griechiſchen Mufter nachgebilvet. Mit der 
Griechen, bem Nömer -umd dem Punier läßt Hutten de 
Deutfchen concurriren, deffen Thaten und Schickſale er von 
zugsweife nach Tacitus und Vellejus jchildert. Aber in de 
Erzählungen diefer Gefchichtfchreiber von der römifchen Fremd 
herrſchaft in Deutfchland zu Arminius’ Zeit ſah Hutten zugleid 
ein merkwürdiges Vorbild ver Verhältniffe feiner eigenen. Wen 
er von Barus las, er habe die Deutichen für dumme Beitie 
gehalten, denen man Alles bieten dürfe, fielen ihm Cajeta) 
und Aleander ein, von denen man fich ähnliche Aeußerunge 
erzählte; bei dem Tribut an Rom, dem Arminius ein End 
gemacht, dachte er an die Erpreſſungen des päpftlichen Mom 
denen ein neuer Arminius ein Ende machen follte, Aber aus 
gefprochen wird diefe Nutanwendung nirgends, Hutten bleib 
der antiken Situation feines Dialogs, wie fie durch be 
Lucianiſche Vorbild an die Hand gegeben war, getreu; viel 
leicht daß es hernach eben dieſer Mangel an eingreifenbe 
Beziehung zu der Gegenwart geweſen ift, was ihn abbielt 
das Gefpräch der Sammlung feiner neuen Dialoge einzu 
verleiben oder folgen zu Laffen, — N 

Es iſt nämlich erſt ſechs Jahre nach feinem Tode mi 
einem einleitenben Gebicht von feinem Freunde Eoban Heff 
im Druck erfchienen; während es doch, innerm wie "Außen 


























X. Arminius. Einleitung. 393 


Gründen nah, nicht in Hutten's allerlegter Zeit, ſondern 
noch auf der Ebernburg (Boͤcking findet möglich, ſchon in 
Bologna) verfaßt iſt.) 


1) Bgl. meinen Ulrih von Hutten, Thl. II, Kap. XI, ©. 325 
bis 329. . 





Arminius. 


Es unterreben ſich: Arminins, Minos, Mercurius, Alerander, Scipio, 
Hannibal, Cornelius Tacitus, 


Arminius. Nein, bas ift ein unbilliger Richterfprud, 
Minos, wern es jemals einer von bir war, 

Minos, Rede glimpflicher, Arminius. Denn was ift das 
für eine neue Anſchuldigung, daß der allergerechtefte Minos 
eine ungerechte Entſcheidung getroffen habe? Und was ift es 
für ein NRichterfpruch? fag’ an. 

Arminius. Erft wirft du mir verzeihen, wenn dich meine 
freimütbhige Sprache beleidigt hat. Die Deutſchen haben bie 
Art, fich nicht eben fchmeichelhaft auszubrüden, wenn fie frei 
und ernftlich reden. Zur Klage aber habe ich allen Grund, 
Du ermweifeft ven bejten Felbherrn, die unter ben verfdhiebenen 
Bölfern gewefen find, Ehren, und jegeft ihnen gleichfam Breife 
aus, und dabei übergehſt du mich, wie wenn ich gar nicht 
gelebt hätte, Denn wie du kürzlich in ber Sache entjchiebeit, 
wurde als ber erfte ver Feldherren im ganzen Elyſiſchen Gefild 
und bem Aufenthalte der Seligen Alerander ver Macebonier 
ausgerufen, als ber zweite nach ihm an Ehre ver Römer 
Scipio, und als britter der Karthager Hannibal, Nur ich 
wurbe gar nicht in Rechnung genommen, da ich doch nicht 





X, Arminius. 395 


zweifeln kann, wenn ich jemals mit jenen hätte um ben Rang 
ftreiten wollen, würbe mir bein eigener Spruch die erfte Stelle - 
angewiejen haben. 

Minos. In der That, du haft Grund zur Beſchwerde, 
Deutfcher. Allen warum, als jene mit ihrem Streit vor 
mich kamen, haft nicht auch du Dich gemelvet? 

. Arminius. Weil ich nicht glaubte, daß man fich hier um 
etwas bewerben dürfe, und feinen Zweifel hegte, was einer 
im Leben von Lohn oder Strafe verdient hat, das werbe von 
dir Jedem mit höchfter Gerechtigkeit zugetbeilt. 

Minos. Das gefchieht auch mit allem Fleiß. Aber wir 
urtheilen bier meiftens nach den Geftänbniffen, und es wird 
Jedem gejtattet, vorzutragen, was er zu feinen Gunften bei- 
bringen zu können glaubt. Das Uebrige laffen wir bei unjern 
vielen Geſchäften gern bei Seite, und befonberd um Rang⸗ 
ftreitigfeiten befümmern wir uns ohne befonbere Aufforderung 
nicht. Du fiehft ja felbft, welche Maſſe von PVerrichtungen 
auf uns liegt, welche Laft vielfacher und verwickelter Unter- 
fuchungen, und wie farg gemeijen unfre Mußeſtunden find. 
Wäre mir Übrigens eingefallen, woran bu mich jegt erinnerft, 
fo hätte ich dich von felbft rufen laffen, um dich mit ben 
Andern anzubören. 

Arminius. And willft du mich nicht jeßt anhören und bie 
noch einmal rufen laffen, über die du neulich das Urtheil 
gefällt haft? 

Minos. Warum nit? Geh Mercur, und befcheide vie 
Telpherren vor uns, die vor wenigen Tagen um ben Vorzug 
im Soldaten» und Kriegswefen geftritten haben. 

Mercurius. Jene drei? Ich erinnere mich. Da find 
fie ſchon. 

Minos. Das, ihr trefflichen Männer, ift jener alte Heer» 
führer der Deutfchen, Armintus, der einft für die Freiheit 
mit den Römern gelämpft und gefiegt bat. Er hört, daß ihr 








396 Hutten's Geſpräche. Zweites Buch. 


um den erften Rang als Feldherrn geftritten und ich Darüber 
entſchieden habe, und meint num, dabei mit Unrecht über 
gangen worden zu fein. Denn er glaubt Grünbe zu Haben, 
durch deren Anführung er zu zeigen hofft, daß Keiner gered- 
tere Anfprüche auf jenen Borzug habe als er. 

Alerander. So foll er reben. 

Scipio. Ya wohl. 

Hannibal. Ich habe nichts Dagegen. 

Minos. Sprich, Arminius, 

Arminius. Erſt wünſchte ich, daß ein gewiſſer Tacitus 
aus Italien hier geſtellt würde, um zu ſagen, wie er in ſeiner 
Geſchichte von mir geſprochen. 

Minos. Rufe auch ihn, Mercur. 

Mercur. Hieher Tacitus, bieher, du Schweigfamer?), 
zu mir, daß du einmal redeſt. Da iſt der Mann. 

Arminius, Möchteft du dir wohl die Mühe nehmen, 
Italiener, jenes Lob auf mich, das im beinen Gefchichts- 
büchern fteht, hier vorzulefen. 

Taritus. An der Stelle, wo auch von deinem Untergang 
Bericht gegeben ift? 

Arminius. Ebenba.?) 

Taritus. „Arminius indeffen, da er nach dem Abzug ber 
Römer und ber Bertreibung Marbod's nach Föniglicher Herr 
Ichaft ftrebte, hatte die Freibeitsliebe feiner Landsleute wider 
fich, fie ergriffen die Waffen gegen ihn, und während er fie 
mit wechſelndem Glücke befümpfte, fiel er Durch die Himerliſt 
jeiner Berwandten. Unftreitig war er Deutſchlands Befreier, 
und hatte das römifche Volk nicht in feinen Anfängen, wie 
andere Könige und Heerführer, fondern in der Blüthe feiner 


1) Hier wirb mit ber Wortbedeutung des Namens Tacitus gejpielt, 
2) Es ift die Stelle am Schluffe des zweiten Buchs der Annalen, 
Kap. 88. | 


X. Arminius. 397 


Herrichaft anzugreifen gewagt; in Schlachten bald Sieger bald 
befiegt, im Krieg unüberwunden. Siebenunpbreißig Jahre 
war er alt geworben, zwölfe mächtig gewelen, und noch jet 
lebt er in ben Liedern der Barbaren; ber Griechen Jahr⸗ 
büchern unbefannt, die nur das Ihre bewundern, bei ung 
Römern nicht nach PVervienjt berühmt, da wir das Alte er: 
heben, um das Neuere unbekümmert.“ 

Arminius. Genoß der Dann bier im Leben Zutrauen, 
Minos, und war er ein Biedermann? 

Minos. Gewiß war er das; doch du weißt beifer, Mer—⸗ 
cur, wie er gelebt hat, denn dich verehrte er ganz befonders.?) 

Mercurius. Durchaus vechtfchaffen. Denn er war ohne 
Falſch wie Wenige, und Keiner bat lauterer und unpar- 
teiiſcher Geſchichte gefchrieben. Er hatte aber auch Deutſch⸗ 
land gejehen, und bat die Sitten des Volks gejchilvert, und 
fih viele Mühe gegeben, was tafelbjt geichehen war, zu 
erfunden. 

Arminius. Da er alſo ein folder Mann gewefen ijt, und 
bei genugfamer Kenntniß meiner Thaten ſo von mir gejchrieben 
hat, daß ich Hinfort füglich fchweigen fann, fo muß dieſes 
mir vom Feind ausgeftellte Zeugniß unftreitig vom größten 
Gewichte fein. Fürs Erfte nennt er mich ven Befreier Deutjch- 
lands, und es will etwas heißen, follte ich meinen, mit Waffen- 
gewalt eine Provinz den Römern, wie fie bamals waren, ent- 
riffen, und gegen ihren Willen und angeftrengten Wiberftand 
diejenigen in Yreiheit gejegt zu haben, deren Knechtſchaft fie 
beichloffen Hatten. Dann fagt er und fchlägt es mit Recht 
hoch an, daß ich jenes Neich nicht während feines jugendlichen 
Heranwachſens, wie andre Könige und Heerführer, Pyrrhus 
benfe ich, Antiochus und hier Hannibal, fondern da e8 ſchon 


- — — — 


1) Als den Schutzgott ber Gelehrten; wie Horaz, Carm. II, 17, 
29 f., fih zu ben Mercuriales viri rechnet. 





398 Hutten's Gefpräcde. Zweites Bud. 


feſt und im höchfter Blüthe jtand, und zwar daß ich fo micht 
etwa nur feinen kriegeriſchen Andrang ausgehalten, fondern 
vielmehr ſelbſt mit den Waffen es angegriffen, und allein 
unter Allen unüberwunden den Krieg gegen die Römer durch— 
geführt habe. Darum hält er mich auch für würbig, gleicher- 
maßen in der Griechen wie in der Lateiner Jahrbüchern gepriefen 
zu werben. Wenn es num nach allgenteinem Zugeſtändniß nie 
eine größere Macht gegeben hat als die ver Römer, feit Ans 
fang der Welt fein größeres Reich als das ihrige, und ich 
fie befiegt habe da fie in ber Blüthe ſtanden und am ftärfften 
waren: fo glaube ich ven gerechteften Anjpruch barauf — 
daß man mich für den größten Feldherrn und vorzüglichſter 
Kriegsmann halte, da ich eime unermeßliche Macht, — 
waltigſten Kräfte, das größte Reich im Krieg überwimben 
habe. Dabei möchte ich nichts weniger als fremdem Ruhm 
zu nahe treten, oder den Ruf der Thaten dieſer Männer ver- 
fleinern, Denn gerne werde ih mir immer gefallen laſſen, 
daß einer bei Allen fo viel gelte als er werth ift, und wenn 
ih von mir fpreche, fo foll es ohme Ueberhebung fein, Stets 
war mein Streben, die Tugend um ihrer felbft willen zu 
ehren: nah Ruhm habe ich wenig gefragt; denn ich mar ber 
Meinung, daß das am Bewußtfeln ver That genüge.*) Auch 
jett bin ich nicht jo anmaßend, daß ich andere Felpherren 
neben mir verachtete, ımb nehme mir nicht heraus, zu be- 
haupten, es gebe feinen ber über mir ftünde. Vielmehr, wenn 
es einen folchen gibt, halte ich für billig, daß auch auf ihn 
bier Nüdficht genommen werde. Aber verzeihen wird man 
mir, wenn ich von denen, bie bisher um biefen Rang ge 
jtritten haben, nach bejtem Gewiffen läugne, irgend einem 
nachzuftehen. Und daß dieß feine leere Anmakung von mir 
iſt, das gevenfe ich, wenn mich diefe hier verfprochenermaken 
anhören wollen, mit guten Gründen barzuthum. 
1) Letzteres ſagt Tacitus von Germanicus, Annalen II, 9, 

















A 





x. Arminins | 399 


Minos. Sie werden dich anhören, ich ftehe dir dafür. 

Armrinius.?) Fürs Erſte alfo, weil man fagt, du, Han- 
nibal, legejt darauf befonderes Gewicht, daß bu von kleinen 
Anfängen zu jo großer Macht herangewachjen jeift?), jo will 
ich zeigen, wenn dieß ein Ruhm ift, mit wie viel mehr Recht 
er mir, als dir ober irgend einem Anbern gebühre. Denn 
unter Allen, die herrliche Thaten verrichtet haben, hat Kleiner 
mit größern Schwierigkeiten zu fümpfen, ober ſich durch ftär- 
fere Hinderniſſe emporzuwarbeiten gehabt. Denn weiche Macht 
fonnte ich haben bei ben verzweifelten Umftänben, im benen 
mein Vaterland fich befand? Anfehen aber ging mir ſchon 
meines jugenblichen Alters wegen ab. Es war alfo nicht 
Alexander allein, der in unreifem Alter feine Thaten begann:?) 
auch ich war ja noch nicht über vierundzwanzig Jahre, als 
ich, nach manchen früheren Beweifen von Tapferkeit, die ich 
noch als Soldat abgelegt, anfing, der Führer eines Heers zu 
fein, das ich noch nicht hatte, das noch nicht zuſammenge⸗ 
fommen, und von dem, während es fo jchnell wie möglich 
ausgehoben werden mußte, jogar noch zweifelhaft war, ob es 
aus ſolcher Zeriprengung überhaupt werde zufammenzubringen 
fein. Denn daß mir Geld zu Gebot geſtanden, wirb ja wohl 
Niemand vermuthen, ba bie Deutjchen zu jener Zeit noch) 
feines hatten. So, beim äußerſten Mangel an Menfchen wie 
an Dingen, in drückender Armuth, von Allen verlafien, ge- 
hemmt von allen Seiten, wußte ich mir dennoch zur Wieder⸗ 
erlangung der Freiheit ven Weg zu bahnen; fand ohne allen 
Beiftand von außen, ohne Unterjtügßung und Hülfe, einzig 


1) Das Thatfüchliche diefer Darfegung, und ftelfenweife aud ber 
Ausdrud, ift gefhöpft ans Vellejus rim. Geſch. II, 117—119; Sueton, 
Octav. 23; Taeitus Anal. I, 55—7L U, 5-26. 44—46. 62, 63.88. 
Florus IV, 15. 

2) Das thut er in feiner Rebe bei Lucian. 

3) Was biefer bei Lueian für fih geltend macht. 





Angelegenheiten aus tiefer Rathlofigfeit und Schwäche wieder 
aufrichtete, wie ich, dm ich das ganz zu Boden getretene und 
zerriffene Deutſchland in kürzeſter Frift wiederherſtellte. Doc 
es iſt nicht nöthig, daß ich Die Größe der That in Worten 
zu erreichen ftrebe: die alten Römer felbft fprechen hier tag- 
täglich davon, welches Unheil ich ihnen damals gebracht, in 

welche Flägliche Verwirrung ich ben mächtigſten Staat, das 
blühenpfte Neich geftürzt, und daß fein Anderer jenen „Derr- 
jchern der Welt und dem Volk in ver Toga“ !) mehr Angft und 
Schreden eingejagt habe. Wenigftens haft du, Dannibal, 
da du bis vor Noms Thore ritteft, es nicht in ſolchen Schreden 
geſetzt, wie ich, da ich weit hinten in Deutſchland ſtand, von 
Rom durch ſo großen Zwiſchenraum, ſo viele Flüſſe und 
Sümpfe, ſo viele von keines Menſchen Fuß betretene oder 
erforſchte Berge und Gegenden, ja noch beſonders durch das 
himmelhohe Alpengebirge abgeſchieden war, gethan habe. War 
doch zu Rom die Verzweiflung ſo groß, daß der Kaiſer 
Auguſtus, der Einzige dem man ſonſt den beſtändig Glüd- 
lichen nennt, und wie Jeder weiß der mächtigfte Beherrſcher 
jenes Reichs, um nur nicht Rom von mir erobert zu jehen, 
was mir nie eingefallen war, zuerft beharrlich jterben wollte, 
und, wie berichtet wird, den Kopf wider die Thüre jtieß, dann 
in der ganzen Stadt Wachen, an den Thoren Poſten, auch 
noch auswärts Truppenförper zum Schuß aufftellte, den Bor- 
jtehern der Provinzen ihre Verwaltungszeit verlängerte, und 
dem guten und großen Jupiter, wenn er das Unglüd des 
Staats wende, feftlihe Spiele gelobte. Genug, er dachte jo 
jehr an das Aeußerſte, wie e8 nur in ber höchjten Noth zu 
geſchehen pflegt, und nie ſah man. fich zu Rom äugſtlicher 
vor, daß das Gemeinwefen feinen Schaden nehme?), nie 


1) Aus Virgil’s Weneis, I, 282. 
2) Anfpielung auf Die Mabnungsformel, die in gefährlichen Zeit⸗ 
läuften ber römiſche Senat an bie Conſuln zu erlaffen pflegte. 
Strauß, Hutten's Geſpraͤche > 





409 Hutten's Gefpräde. Zweites Bud. 


waren alfe Gemüther fo ven Schreden und Beftärzung er⸗ 
griffen. Denn es war bie ſchwerſte Niederlage, welche bie 
Römer erlitten, und hätte ihnen beinahe ben Untergang ge 
bracht. Und das war bon mir angefangen umb vollendet, 
während Dentfchland im Zuſtande ver tiefften Zerrüttung, 
Schwäche, ja Hoffnungslofigfeit, der römiſche Staat hingegen 
in dem ber fchönften Blüthe, des günftigften Glücks unb ber 
größten Ausbreitung fich befand, und ohne daß ich wie Alexander 
von meinem Water ein Königreich, oder wie jene beiden vom 
Senat ein Heer mit bem Oberbefehl überfonmmen Hätte. 
Hierauf hatte ich daheim immer neue Bewegungen zu unter 
brüden. Alle die fich der Verführung zum Abfall fchufein 
gemacht hatten, belangte ich, und Einige zog ich mit Zuftim- 
mung meiner Landsleute zur Strafe, Andern aber gewährte 
ih auf ihre Bitte Verzeihung. Die zum Feind übergelanfen 
waren, holte ich zurücd, die fich ihm ergeben hatten, feste 
ich in Freiheit. Allenthalben tilgte ich die Schande. Die er 
fannte ich gar nicht als Deutfche an, die Fremben Tribut 
bezahlten, ober fich irgend eine anbre Abhängigkeit auflegen 
liefen, und rief es als den ärgſten Gräuel aus, daß zwifchen 
Elbe und Rhein jemals Stäbe und PVeife!) und jene rimiidhe 
Toga fich haben fehen laffen dürfen. Als ich fo die Semütber 
meiner Bolfsgenoffen von Neuem für die Freiheit begeiftert 
hatte, verhieß ich ihnen, bald folle in Dentfchland much nicht 
eine Spur mehr von den Nömern übrig, ja beinahe ihr Ge- 
dächtniß ſelbſt vertifgt fein. Und in nicht Tanger Zeit Teiftete 
ich auch dieß, troß der eifrigften Gegenbemühungen ber Feinde 
Denn um die Niederlage des Varus zu rächen, übertrug man 
zu Rom bie Führung des bentfchen Kriegs den waderften und 


1) Die Faſces find gemeint, die ben römiichen Obrigfeiten von ben 
Pictoren vorangetragen wurden. Die Worte find aus einer Mebe bes 
Arminins bei Tacitus, Annal, T, 59. 





[2 


X. Arminius. 403 


hoffnungsvollſten jungen Männern, vie man bort hatte. Tibe⸗ 
rius Nero, als Krieger nicht zu verachten, und fein Bruder 
Drufus, ein Dann, dem wenige zu vergleichen find und von 
herrlichem Gemüthe, wurden nebſt Andern herausgefchidt, und 
fämpften fo mit mir, baß fie zwar, nah Rom zurüdgelfehrt, 
triumpbirten, ic aber, ba die Freiheit immer weiter griff, 
Deutfchland felbitftändig und unabhängig machte ‘Damals 
war e8, wo ich den muthvollen jungen Feldherrn Germanicus 
und ben erfahrnen Kriegsmann, feinen Legaten Cäcina, da 
auch taufend Schiffe wie zur Eroberung Trojas gegen mid) 
beranzogen, unter fchiweren und Mäglichen Niederlagen ber 
Römer beftand und zurüdbrängte, und Kariovalda, den An⸗ 
führer der Bataver, unter den römifchen Hülfstruppen mit 
vielen Edeln erfchlug. Die Catten und Frieſen, die es gleich 
falls mit dem Feinde hielten, züchtigte ich Durch einen Rache 
frieg. Während indeß von feinvlicher Seite aus. mein Bruder 
Flavius Ränke fpann, und taheim Inguiomer durch bie. 
Singer ſah, ſetzte Segeftes feinen jchänblichen Uebergang ins 
Werf. Und dabei fchonte der ruchlofe Verräther nicht einmal 
feine eigene Tochter, mein Weib, die noch dazu fchwanger 
war, fondern führte auch fie, fammt einigen andern ebeln 
rauen, mit fih in fchimpflihe Knechtfchaft, zum römi⸗ 
ihen Zriumphe fort. Auch Segimer!) mit feinem Sohne 
floh zu den Feinden. Viele meiner eigenen Leute ftellten mir, 
durch Geld beitochen, nach dem Leben; einige meiner Volks⸗ 
genoffen machten die feinpfeligften Anfchläge wider mich, be- 
ſonders ging ber Catte Apgantefter fogar jo weit, daß er 
(eine im bamaligen Deutfchland unerhörte Frevelthat) von 
ben Römern Gift, um mich aus dem Wege zu fchaffen, ver- 
fangte. Ich aber ließ mich dadurch nicht irre machen, beharrte 
jtandhaft bei dem angefangenen Werf und that Alles für 


1) Bruber bes Segeftes. 
26” 





104 Hutten's Geſpruͤche. Ziveites Bud.’ 


meines Vaterland Recht und Deutfchlands angeftammten 
Ruhm. Nichts wirkte damals ftärfer auf das Semüth eined 
Deutfchen, als wenn fein Weib bei den Feinden feftgehalten 
wurde, und feine Art von Gefangenschaft war mehr gefürchtet); 
ich insbejonbere liebte mein Weib aufs innigfte und wurde von 
ihr mit mufterbafter Treue wieder geliebt, hatte fie überdieß, 
was mir am fehmerzlichjten war, ſchwanger verloren: gleich- 
wohl blieb ich auch fo ımerjchüttert und ließ durch ven per- 
ſönlichen Schmerz bie Liebe zum Baterland in mir nicht 
dämpfen. Im Gegentbeil, dev Schmerz verwandelte fich in 
Zorn und trieb mich, Alles mit noch größerem Eifer anzı- 
greifen als ich vorher ſchon gethan hatte, Dabei müfjen mir 
bie Unterirvifchen bezeugen, welche Menge Römer ic Tag für 
Tag herabſchickte?), indem ich gegen vie Baterlandsnerräther 
heftig und in jeder Art wüthete, und gegen die Feinde rings» 
umher einen ſchrecklichen und mörberifchen Krieg unterbielt. 
Deutlich zeigte ich biebei ven Nömern zu ihrer tiefen Beſchä— 
mung, baß ich nicht Durch Verrath umd gegen fchwangere Weiber 
meine Sache führe ?), ſondern fie offen zum Kampf in Waffen 
berausforbere, um fie mit ven Stacheln wohlverbienter Rache 
zu durchbohren. So geſchah es, daß ich in kurzer Zeit bie 
Römer ganz aus Deutjchland vertrieb, und von da am haben 
fie, fo viel ich weiß, bis auf dieſen Tag feine Gewalt mehr 
bafelbft gehabt. Uebrig war jett noch ber Sueve Marbep, 
und ba er vermöge eines Bündniſſes mit den Römern mir 
entgegen war, fo zog ich mit voller Kriegsmacht wider ihn. 
Es war ein äußerſt harter umd fehwieriger Kampf mit einem 
ebenfo mächtigen als Friegsverftänpigen König, der die friege- 
tigen Smeveufainget mit einer großen Maſſe Bundesgenojjen 





1) Bal. Sueton, Octav. 21, 

2) Die gleihe Berufung macht Alerander bei Lucian in Bezug auf 
die Schlacht bei Iſſus. 

3) Worte bes Arıninius bei Tacitus, Annal. I, 59, 





X. Arminius. — 405 


und unzähligen Hülfsvölkern nach ſich zog, während er von 
den Römern mit Geld unterſtützt wurde und Inguiomer’s 
Uebertritt zu ihm mir zahlreiche Mannfchaft entzogen hatte. 
Dennoch gelang es mir nah mancherlei Wechfelfällen des 
Glücks, da fi enblich der Götter Wille der gerechten Sache 
zumeigte, ihm im einer blutigen Schlacht zu befiegen und in 
die abgelegenften Theile des Herchmifchen Waldes zu treiben. 
Bon da floh er bald hernach, um weiterer Gefahr zuborzus 
fommen, nach Italien, we er, jchön betrogen von ben Römern, 
bie ihm die glängenbften Verſprechungen gemacht hatten, aber 
nicht hielten, ein ruhmlojes Alter verlebte. Ich dagegen wußte 
Deutfchland innerlich zu verbinden umb einig zur machen, und 
fing an, des längft erfehnten und endlich erreichten Gutes ber 
Freiheit zu genießen. Diefen Thaten muß einer größere ent- 
gegenzufegen haben, wenn er mich umter fich ftellen, ober 
derjenige fein will, vor dem ich micht zum erſten Preife foll 
gelangen können. Da fich aber ver Streit um Erfahrung im 
Kriegshandwerf, um Feloherrnfunft und Umficht in der Heer- 
führung dreht, fo ziehe fich eimmal hierin ‚einer mir vor und 
Ipreche jene Vorzüge dem ab, der unter berlei Schwierig- 
feiten gegen einen jolchen Feind fo große Thaten gethan und 
fie bis zu feinem Lebensende unbeftegt fortgefett hat, Ich bin 


nicht eiferfüchtig auf fremden Rubm; aber jene, ohne Prah— 


ferei jei e8 gejagt, haben jeder eine nur mittelmäßige Macht 
und meijtens getheilte Kräfte angegriffen: ich habe ein Welt 
reich, und zwar wie gejagt in ber Zeit feiner höchſten Stärfe, 
bie vereinigten Kräfte ſo vieler Nationen, einen nach. jeder 
Niederlage von vorn anfangenden Krieg und eine fich lange 
in unmterbrochenem Wechſel erneuernde Streitinacht erſt kühn 
wider mich herausgefordert, endlich, wie ſelbſt die Feinde nicht 
läugnen, beſiegt und aus dem Felde geſchlagen, mein Vater— 
land aber, nach Abwerfung des Fremdenjochs, während faft alle 
Bölfer der Welt im gemeinfame Kinechtichaft ſich ergeben hatten, 


1 





406 Hutten's Geſpräche. Zweites Bud. 


unabhängig und der Freiheit eingevenf erhalten. Und mi 
keinem ug, o Richter, mag bir hier Aleranver einreben, eı 
würde ebenfo leicht die Römer wie fie bamal® waren über: 
wältigt haben al8 die weichlichen Völkerſchaften Aſiens 1), pie 
fpäter einer von den Römern ohne alle Mühe ſchlug und bei 
feinem Triumph über fie das denkwürdige Wort vor fich her: 
tragen ließ: Ich Fam, ſah, fiegte?); oder als die maffenlofen 
und des Kriegs ungewohnten Stämme Indiens, bie er im 
Iuftigem Aufzug, mit einen Heer trunfener und ſchwärmender 
Soldaten, fo weit er kommen fonnte, zur Flucht und Erge—⸗ 
bung zwang. Denn vie Schthen, aus nenen er fo viel macht ?), 
bat er nur gefehen. Sein Oheim wenigftens, ver berühmte 
Epirotenkönig, läugnet es, der, als er zwar nicht mit ben 
Römern, aber doch in Italien Krieg führte, zu jagen pflegte, 
er fei auf Männer, fein Neffe aber auf Weiber geftoßen.*) 
Außerdem war meine Haupttriebfever immer das Streben nad 
Zugend, nicht Ruhm oder Habſucht. Denn nicht um mir 
Siegeszeichen aufzurichten riß ich Die der Römer nieder, noch 
kämpfte ich um Reichthum oder Herrichaft; ſondern der Zweck 
auf den all mein Thun binzielte, war, meinen Vaterlande 
bie ihm gewaltfam entriffene Freiheit wiederzugeben. So lebte 
ih in Ausübung der höchſten Tugenden, bis mich einheimi: 
Iher Neid und die Arglift der eigenen Anverwandten ver: 


1) gl. Livius IX, 19. Auch Yucian läßt diefen von der Weich: 
lichkeit der von ihm befiegten Bölferfchaften bergenommenen Einwand 
dem Alerander theile in dem angeführten Geſpräch durch Hannibal, 
theil8 in einem andern durch feinen Bater Philippus entgegenbalten. 

2) Cäſar in feinem Pontiſchen Triumph, |. Sueton, Julius, 37. 

3) In feiner Rebe bei Fucian. 

4) ©. Eurtius, Geſch. Aler. VIII, 1. Gemeint ift Alerander, 
Bruder der Olympias, der in ähnlichem Verhältniß vote fpäter Borrbus, 
mit Lucanern und Bruttiern Krieg führt: und babei umlam. 2. Li— 
vius VIII, 3. 17. 24. 





brecheriſch füllte, und ich den freien und über Alles ſiegreichen 
Geift, im Bewußtfein der größten Verdienſte um mein Vater: 
land und eines in allen Stüden wohlgeführten Lebens, hier 
herüberjchiefte. Jetzt ift es an dir, o Minos, zu überlegen, 
wen bu mir vorziehen willft, fei es, daß er aus drückenderer 
Noth durch eigene Kraft zu ſolcher Größe fich emporgenrbeitet, 
oder größere Kriege geführt, oder das Kriegswefen mit mehr 
Einfiht verwaltet, oder die Herrſchaft unparteitfcher ausgeübt, 
oder für eine befjere Sache die Waffen ergriffen, oder ftärfere 
Streitfräfte aufgerieben, oder in feinem Leben weniger ven 
Begierden gefröhnt, oder jtandhafter am Guten feitgehalten 
hätte: mit Einem Worte, wer unter Allen, die in biefem 
Fache fich ausgezeichnet, das befte Recht babe, von bir ven 
erjten Preis zu erbalten. 

Minos. Fürwahr eine hochberzige und nicht allein des 
größten Feloherrn, fondern auch eines Biedermanns würdige 
Rede hat er gehalten. Und daß fih Alles jo verhält, wie 
er erzählt, und er nichts hinzugebichtet hat, weiß ich. Wohl 
erinnere ich mich noch, wie ich mich damals wunderte, daß 
jolher Unternehmmmgsgeift im Barbarenlande ſich finde. Def: 
balb, da er vie bejte Urjache zu feinem Unternehmen gehabt, 
jo viel Muth, Tapferkeit und Kriegskunde bewiejen, fich einzig 
zum Vortheil jeines Vaterlandes der Gefahr ausgejekt, und 
dem Böfen fo wenig Gewalt über ſich eingeräumt hat, ſehe 
ich beim Jupiter nicht, wer mehr Necht hätte, für ven größten 
Feldherrn zu gelten. Auch ijt nicht zu bezweifeln, wenn er 
fih gleich Anfangs bier mit euch, Alexander, zum Wettjtreit 
eingefunden hätte, würde ich ihm von ſelbſt ven Preis zuer- 
fannt haben. Nun jedoch, da ven einmal gethbanen Spruch 
umzuftoßen uns verboten ift, und die früher feftgefekte Ord— 
nung nicht mehr geändert werben darf, fo mußt du Dich be— 
gnügen, Arminius, daß ich im Herzen dieſen Spruch thue, 
den ich auch mit Worten verkündet haben würde, bätteft du 





408 Hutten's Geſpräche. Zweites Buch. 


mit jenen ehrgeizig wetteifern mögen. Weil du aber Deutſt 
lands Befreier warft und in dem für die Freiheit unternor 
menen Kriege, wie Alle zugeftehen, unbeftegt geblieben bi 
auch Keiner dabei mehr Gefahr beftanden oder dem Gemei: 
weſen mehr Nuten gefchafft Hat, fo finde ich für gut, vich zu de 
beiden Brutus zu gefellen und unter den VBaterlandsbefreie 
bir Die erſte Stelle einzuräumen. Hier dem Mercur aber € 
theife ich den Auftrag, daß er auf Marft und Straßen, Eircı 
und reuzwegen, und wo font viele Götter und Menſche 
fih zufammenfinden, Arminins ven Cherufter als den Freieſten 
Unbefiegteften und Deutfcheften ausrufe und Alfe allerorten d 
fo zurufen heiße. Das fei befchloffen und feſtgeſetzt, ur 
Keinem foll binfort geftattet fein, dem zu widerſprechen. 

Alerander. Aber er ift doch einmal Knecht gewejen. J 
war immer König, immer frei. 

Arminiud. Mein Geift und Sinn war nie SIemandı 
unterthan. Stet3 war ich der Freiheit eingevenf und far 
auf nichts Anderes, als wie ich bei günftiger Gelegenh 
meinem Vaterland helfen könnte; fo lange meine Landsleu 
fih die Knechtſchaft gefallen ließen und ich nicht zur Th 
jchreiten Fonnte, mußte ich natürlich auch meine Abficht ve 
bergen und die Sorge für die Freiheit in mich verjchließe 

Alerander. Das iſt e8 eben, was jene gegen dich ve 
bringen, du habeft Fein Recht gehabt von denen abzufalle 
deren Joch du einmal auf dich genommen hatteit. 

Arminius. Und das ift es, was ich darauf antwort 
füre Erfte habe ich ihr Ioch nicht auf mich genommen or 
im Herzen in die Knechtfchaft gewilligt; dann aber, hätte i 
auch in einem ungünftigen Zeitpunfte von der Nothwendigke 
gedrängt mich tarein verwidelt, fo war mir nicht verwehr 
ſobald fich Gelegenheit ergab, mich wieder loszumachen. Der 
welches Recht kann ver haben, ver dem Antern eine Woh 
that der Natur entreißt? Oper wie fünnte es Unrecht fei: 





x. Arminius. 209 


wenn einer das Geinige, das ihm gewaltfam entzogen — 
gleicher Gewaltſamkeit wieder an ſich nimmt? 

Alerander. Aber du hatteſt bein Wort gegeben. Z 

Arminius. Mir etwas Unwürdiges gefallen zu “Taflen, 
hatte ich es micht gegeben. Und ich hätte auch mit Ehren 
und Anftand ihnen gehorchen Fünnen, hätten fie mit Maß 
und Milve befehlen mögen. Doc) geſetzt, id) Hätte mir durch 
Gewalt und Unrecht ein ſolches Verſprechen abdringen Laffen, 
jo fteht ja durch gemeinen Gebrauch feft, daß es Fein Ber- 
jprechen ift, was Räuber von folchen erzwingen, die aus Noth 
wohl auch das hingeben, deſſen fie ebenfo wenig fich zu ents 
äußern, als die Andern fich zu bedienen ein Recht haben. 
Ferner, wer dem Andern ein Doch auflegt, hat er Länger 
Anspruch auf ihn ald er ihn mit Gewalt fefthalten kann? 
Oder darf man, was einem mit Waffengewalt abgenommen 
ift, nicht bei Gelegenheit mit ven Waffen fi) wieder nehmen? 
Und da es wider die Natur ift, aus einem Freien Knecht zu 
werden, fo glaube ich auch nicht, daß es gefekwibrig fein 
fann, nach dem Geſchenk der Natur wieder zu trachten. Nur 
das iſt ein rechtes Verfprechen, werurd wir uns zu bem ver- 
pflichten, was wir fehulpig find. Wer num aber könnte zu 
folcher Duldſamkeit gegen Unrecht verpflichtet fein, daß er ſich 
gefallen laffen müßte, was die Nömer dazumal in Deutich- 
land verübten, insbefondre Varus, ber habfüchtigite und uns 
gerechtejte, glaube ih, von allen Menfchen, vie je die Erde 
getragen hat? Der erft Syrien durch Erpreffungen angezapft, 
nun aber Deutjchland völfig auszurauben ſich vorgenommen 
hatte, Und dabei ging er mit fo viel Hochmuth und Maß— 
lojigfeit zu Werke, daß er fich einbilvete, die Deutfchen feien 
Thiere und vernunftlofes Vieh, feine Menfchen, und es gebe 
feine noch fo große Unbill, gegen bie wir murren ober und 
zur Wehr feten dürften, Daher ſieckte er feiner Tollheit keine 
Grenzen und erlaubte fich jede Schandthat und jeden Frevel. 





410 Yutten’s Geſpraͤche. Zweites Buch. 


Darum habe ich, da ich jene That beging, nicht rechtmi 
Herren die Treue gebrochen, fondern gegen bie ungered 
Tyrannen das Recht des Vaterlandes und ver Mieni 
geltend gemacht. 

Minss. Freimütbig bat -er feine Sache geführt, uı 
bin felbft ver Meinung, Keiner fei gegen ven Andern fo 
Frieden verpflichtet, daß er um fo dringender Urfachen ı 
nicht berechtigt wäre ihn zu brechen. 

Scipis. Und doch werfen ihm tie Unfern Treulo! 
bor; auch fcheint es, er babe ven Varianiſchen Sieg 
graufam benügt. j 

Arminins. Auf dieſe Art, o Scipio, wären alle Ti 
nenmörber und Befreier ihres Vaterlandes treulos gem 
bie euren vor Allen, welche vie Zarquinier vertrieben 
den Cäſar ermordet, und fich dadurch das höchſte Lob 
unvergänglichen Ruhm unter euch eriworben haben. Da 
Zreulofigfeit, wenn fich einer nah tem Wechfel des G 
richtet und darnach feine Treue wandelbar macht. Mich 
bie Gerechtigfeit meiner Sache getrieben, auch gegen wii 
Glücksfälle anzuftreben. Das aber foll Minos bier | 
fagen, ob ich fein Recht hatte, ein jo hartes und grau: 
Berfahren wie das des Quintilius, va die Götter vie Gel 
beit jchenften, ebenfalls graufam zu beftrafen? 

Minos. Ich fage, du batteft es. 

Hannibal. Aber fiehe da, während bu verlicherft, 
Liebe zum Vaterland fei dir über Alles gegangen, haft 
wie man fagt, nach Töniglicher Herrichaft geftrebt, und ı 
rend du dich rühmſt, deinen Landsleuten ein fremdes Joch 
genommen zu haben, haft du ihnen das deinige auflegen wo 
Ein folder Frevel ift mir nie in den Sinn gefonmen, 
Ihon aus diefem Grunde verdiene ich den Vorzug vor bi 

Arminius. Aus diefem Grunde gewiß nicht, wenn an 
Minos hier bei ſich ift. Denn pie Begierde, mich zum K 








zu machen, bat mich niemals angewandelt. Nur ber Neid 
meiner Feinde war e8, der ben Leuten biefen Verdacht ein- 
flößte. Wir alle kennen ja der Menfchen Art, daß wer bie 
meiften Tugenden befitt, am meiften auch dem Neid ausger 
jest ift. Denn nur die befommen vom Neide nichts zu 
empfinden, deren Tugend nicht bemerkbar ifts die fucht er am 
meiften heim, welche fie am höchſten erhoben hat, Nothwen- 
dig aber muß dem eine große öffentliche Gewalt zu Gebote 
jtehen, dem die Sorge für das Stantswohl obliegt. Wie 
leicht wäre die gemeine Freiheit wieder zur Grunde gegangen, 
wenn ich auge Rückſicht auf bes Nächiten Beiten üble Mei- 
nung von mir die Macht, die ich zu ihrem Schus beburfte, 
aus der Hand gegeben hätte. Da ich zu dieſem Endzweck 
die Gewalt beibehielt, womit ich den Danf aller Gute ver- 
diente, verfiel ich von Seiten der Schlechten in bie verläums- 
deriſche Nachrede, als wollte ih mich zum Thrannen auf 
werfen. Und hätte ich auch Föniglicher Herrfchaft mich bemäch- 
tigt, wen gebührte fie mehr als bem, der feine Vollsgenoffen 
von auswärtiger Dienftbarkeit losgemacht hatte, um fie in ein 
einheimifches Neich zu vereinigen? Es wäre noch nicht ein- 
mal ein vollwichtiger Danf gewefen, wenn mir das Vaterland 
dafür, daß ich feine Freiheit wiederhergeſtellt und es vom 
Rande des PVerderbens gerettet, freiwillig die Königsfrone ge 
boten hätte. Statt deſſen bat es, da mit der Zeit das An- 
denfen an mein Berbienft ſich verwiſchte, geduldet, daßich erſt 
von der Verläumdung angetaftet, dann burch eine Frevelthat 
zu Boden geworfen wurde. Und ich bin, glaube ich, weder 
der Erſte noch der Letzte, dem es fo ergangen if. Waren 
denn gegen beine Verbienfte die Karthager dankbar? Ober 
war es nicht die Verfolgung deiner Feinde in ver Heimath, 
die dich erft beprängte und endlich zu Falle brachte? 

Hannibal. Sie war's, ich geftehe es. 

Arminius. Aber den Scipio, follte ich meinen, belohnte 





412 Hutten's Geſpräche. Zweites Bud. 


ja wohl fein Vaterland, in welchem er, nachdem er es durch 
fo viele herrliche Thaten fo hoch erhoben, nicht einmal fterben 
purfte!?) Daß dem Alerander der Neid feiner Angehörigen 
ben Tod bereitete, ift gewiß. ?) 

Minos. Auch diefes Bedenken bat er gelöftl. Denn es 
ift fo: Keiner war je berühmt, dem nicht feine Tugend ein- 
mal zum Schaven gereicht hätte. Nothwendig aber muß Jeder, 
ber den Arminius bier fennt, ihn um feines vortrefflichen 
Charakters willen von Herzen lieben. Darum gebührt bir 
hoher Ruhm, du Deutfcher, und es wäre Unrecht, wollten 
wir jemals deiner Tugenden vergefien. Doch nun nimm ihn 
mit dir, Mercur, und thue ungefäumt was dir befohlen. Ihr 
aber gehet wieder hin woher man euch abgerufen bat. 

Mercurins. Folge mir. 





1) Livius, XXXVIII, 58. 


2) Bezieht fih auf bie Sage von bem Gift, das ihm Antipater 
babe beibringen laffen. Vgl. Suftinus XII, 14. 





Uomen- und Sachregifter zu Yutten’s Geſprächen. 


Ablaß, 114. 130. 149. 157. 159— 
161. 165 f. 177. 179. 182. 
197. 218. 254. 263. 274—276. 
296. 

Abfolution, 212 f.; 296. 362. 

Accurfius, 355. 

Adel, 205—210. 281. 318—325. 
337 — 341. 

Abgandefter, 403. 

Aebte, 143. 

Aerzte, 55—57. 59. 87—89. 

Africa, 39. 

Albrecht, Kurfürft von Mainz, 133. 

Alerander, d. ®r., 394 ff. 

Alviano, Bartolomeo, 191. 

Anaragoras, 331. 

Annaten, 103. 114. 139. 144. 

Antiohus, 347. 

Antoninus, d. beil., 164. 

Antoniusbrüder, 366. 

Apelles, 46. 

Ariftoteles, 336. 

Arme, Armutd, 30—32. 3 f. 
160. 275 f. 284. 

Aſien, 406. 


Augsburg, 105. 195. 365. 
Auguftus, 401. 


B. 


Bann, 132. 144. 146. 166. 168. 
179. 215 f. 218. 244. 267. 297. 
Barbaren, 107 f. 195. 198 f. 217. 

Bartholiften, 348. 

Bataver, 403. 

Beichte, 57. 212. 254. 362 f. 

Bettelmönde, 163. 363. 365 f. 
368 f. 

Bion, 336. 

Biſchöfe, 108 f. 114. 167. 171 — 
173. 204 f. 217. 269 f. 273. 
281 f. 287. 291. 296. 800. 
357 f. 361. 382 f. 

Biihofsmäntel, 103. 130. 132— 
135. 139. 296. 

Böhmen, 154. 299. 

Brutus, 408. 

Bullen, 130. 149. 151. 166. 174. 
184. 229—264. 276. 288. 291. 
296. 381. 

Butterbriefe, 127 f. 





414 


C. 

Cãeina, 403. 

Caſar, 410 (406). 

Cajetan, Cardinal, 52—55. 105. 
195. 213—219. 

Galirtus IL, Bapft, 83. 124. 

Canones, 148. 158. 257. 

Capitel, 217. 

Carbinäle, 127. 129 f. 158. 172. 
178. 251. 276. 288. 295 f. 
381 f. 

Sariovalda, 4093. 

Catten, 408. 

Cebes, 46. . 

Cdlibat, 83. 124. 

Eolonna, Marcantonio,, 191. 

Commenben, 177. 

Concilium, 122. 177. 

Basler, 374 f. 
Nicänifches 122. 

Soncorbate, 131. 138 f. 142 — 
144. 

Eoncubinen, 35 f. 59. 68—88. 

Eonftantin, feine Schenkung, 117— 
119. 178. 

Eopiften, 114. 157. 172. 177. 276. 
384. 

Coppus, Gregor, 88. 263. 

Ereaturen, päpftlide, 129. 217. 
239 f. 251. 260. 382. 

Curie, römifche, 114. 276 f. 377. 
381. 

Eurtifanen, 58. 67 f. 81. 114 f. 
129. 131. 139. 142. 146. 150 f. 
169. 176. 182. 184 f. 249. 248. 
250. 253. 259 f. 262 f. 29. 
305. 332. 365. 374. 378-381. 
384. 

Cyrus, 841. 


D. 
Decane, 138. 


Ramen- und Sachregiſter. 


Decretalen, 257. 277. 
Decrete, 148. 158. 168. 177 
Demofthenes, 37. 45. 
Deutichland, bie Deutfchen 
90. 102. 104-106. 127. 
157. 164. f. 171. 178 f. 
191—193. 195 f. 198 f. 
219. 252. 260864. 283 
306. 308. 311. 316 f. 342 
349 —351. 364— 368. : 
882—887. 394 412. 
Diocletian, 125. 
Diogenes, 30. 336 f. 
Dionyſius, 33. 
Diphilus, 21. 29. 
Dispenſationen, 130. 
166. 296. 381. 
Domherren, 57. 68. 134. 
145. 358. 361. 
Domherrnpfründen, 177. 
Domitian, 116. 121. 
Druſus, 403. 


145. 


E. 
Ebel, Jacob, 88. 263. 
Ebernburg, 240 f. 
Ed, Johann, 241. 247 f. & 
Epiltet, 37. 
Euripides, 29. 
Ertravaganten, 148. 


F. 

Facultäten, 114. 159 f. 
197. 

Familiaren, 139. 
Faſten, 127 f. 254 f. 
Fehden, 318. 321. 338. 
Flavius, 400. 403. 
Slorentiner, 179. 
Sranciscaner, 367. 
Franken, 383. 
Frankfurt, 100. 





Frau, 15 f. 21. 4. 39-4. 9. 
76. 88. 

Friebrich II., Haifer, 368. 

Friebrid IH, Raifer, 388. 

riefen, 408. 

Fürften, 32. 55. 91. 122, 131. 

1598-155. 164. 166 f. 174. 
194 f. 109. 203—206. 260, 
295 f. 318. 320. 342, 845348. 
352. 359. 376. 380. 385. 

Fürftenberg, Philipp, 192. 

Fugger, bie, 16 f. 21. 33 f. 55. 
57. 89. 100. 127. 209. 258 f. 
275. 305. 317. 329, 332—334. 
344. 365. 880 f. 

Fußluß, 159. 174. 176. 295. 


G. 
Gebet, 22 f. 36. 
Geiſtliche, 35. 55. Bl. 90. 186 f. 


210 f. 293—2%. 298. 356— 


385. 
Gelb, 159. 209. 280. 337. 
&ermanicus, 405. 
Grafen, 205. 
Gratian, Kaifer, 107, 
Gratien, 114. 130. 140 f. 148. 
206. 381. 


9. 
Hannibal, 394 fi. 
Heilige, 164. 363 f. 
Heiratben, 39. 68. 76. 88. 
Heliogabalıts, 116. 
Hercules, 79. 
Heſiodus, 0. 
Hofleben, 32. 
Hofleute, 42. 199. 
Homer, 22, 26, 
Huf, 299. 


Indien, 406. 


5 
P 
J - a, m 
u BE, . ee 
\ ü 


Anguiomer, 400. 408. 405, 
Ingwer, 327. 

Junocenz VI, Papft, 120. 
Staften, Italiener, 164 f. 178 f. 
190 f. 202 f. 296. 380, 406. 

Juden, Iubäa, 104. 362, 

Julius IL, Bapft, 117. 123. 151. 
165. 168 f. 

Jupiter, 18—24, 35 f. 48. 9. 
401, 


K. 

Raifer, 118. 120. 204 f. 294, 321. 
368. 376. 380. 

KRaiferwahl, 380, 

Karl IV., Kaifer, 120. 

Karl, V., Kaifer, 38 f. 91 f. 106. 
117—119. 126. 158. 217. 223 f. 
260. 262. 301—311. 31T. 344 f. 

"armeliter, 365. 

Karthage, Kartbager, 98. 411. 

Kaufleute, 55. 64. 82. 87-8. 
206—209. 322. 325—340. 

Keber, Ketzerei, 159. 267. 291. 

Kirche, 116. 158. 267. 284, 309, 

Klerus, 93. 356. 

Ktöfter, 143. 177. 362, 

Köln, 100 f. 414, 

Strates, 331. 

2. 

Laien, 293. 300. 

Lang, Matth., Blſchof und Earbi- 
nal, 348 f. 

Legaten, 39. 122. 128. 159, 162 f. 
166. 174. 214. f. 218. 243. 
384. 


eo L., Kaifer, 108, 


%t0 X., Papft, 102 f. 119, 195 f. 
129. 164. 195. 215. 218, 932. 
296. 299 f. 244. 246 f. 49 f. 








416 


252 f. 260. 262. 264. 269. 273— 
275. 277 f. 288. 291. 309. 334. 

Lucilius, 199. 

Luther, 231. 241 f. 244. 266— 
288. 291 f. 294. 298. 304— 
307. 310. 344. 361. 371. 386. 
388. 

Lutheriſche, 241. 244. 266. 288. 


Mainz, 99 f. 114. 132 f. 135. 
145. 

Marbod, 396. 404 f. 

Martialis, 59. 

Marimilian I, SKaifer, 89. 164. 
333 f. 343. 

Medici, bie, 334. 

Menanber, 75. 

Mercurius, 335. 395. 397. 

Möndhe, Möndsorben, 57. 80. 
184. 211—213. 250. 273. 299. 
304. 866—372. 

Monopole, 17. 304. 329. 


N. 
Nero, 116. 121. 
Notare, 177. 
Nürnberg, 354. 


D. 
Officien, 123. 
Ovidius, 85. 90. 


P. 

Paleen, 148. 168. 

Papſt, Päpſte, 39. 47. 102. 111. 
130. 132. 138—144. 146—151. 
158 f. 174. 176—180. 243 f. 
246. 266— 276. 280 f. 288. 
285—288. 291 f. 295. 299 f. 
302. 304—306. 308. 344. 368 f. 
374— 380. 


Namen» und Sachregiſter. 


Papſtmonate, 138 f. 142 f. 
Batronatsreht, 171. 2396. 
Paulus, 271 f. 369. 375. 378 
Benfionen, 103. 145. 217. 
Berilles, 47. 

Beterslirche, 165. 384 f. 

Petrus, 115. 269-271. 27 
278. 376. 

Pfaffen, 23. 47. 64. 69. 71- 
TT—8. 82 f. 89-92. IC 
105. 172. 176. 292. 29 
301. 304 f. 323. 337. 3 
362. 373. 383. 387 f. 

Pfeffer, 17. 317. 327. 333. 3 

Pfründen, 81. 115. 139. 143, 
185. 217 f. 296. 358 f. 
380 f. 

Bindarus, 36. 46. 

Pittacus, 34. 

Bius II, Papſt, 151. 

Plato, 325. 386. 341. 351. 

Platoniker, 202. 

Blautus, 71. 

Bolen, 255. 

Prälaten, 204 f. 

Prediger, 361. 863. 

Predigermönde, 164. 

Pröpfte, 138, 361. 

Protonotarien, 157 f. 172. 254 

Pyrrhus, 397. 

Pythagoras, 66. 


R. 
Raubweſen, 206—209. 304. : 
—325. 340. 
Hecht, geiftliches, 148. 157 f. 1 
277. 
Hechtegelehrte, 342. 347— 35h. 
Regreß, 114. 143. 
Reichstag, zu Augsburg, 193. 1 
zu Worms, 291. 317. 





Namen- und Sachregifter. 


Reichthum, die Reichen, 14 f. 17. 
28. 30—38. 42. 160. 276. 285. 

Reliquien, 114. 175. 

Reſervationen, 114. 147. 

Rhein, 193. ' 

Ricius, Paul, 88. 

Ritter, Ritterſtand, 205 — 210. 
216 f. 318—325. 337 — 341. 
353. 358 f. 

Rod, der Trierer, 164 f. 

Rom, Römer, Römlinge, 53. 93. 
111. 113—184. 197—199. 235. 
240. 260 —262. 270 f. 279. 
294—297. 306. 374. 384. 396 ff. 

Rota, 144. 


Sachſen, 57. 199—202. 255. 349. 

Safran, 17. 317. 327. 333. 

Salluftius, 22. 

Schickſal, 27 f. 

Schlüſſelgewalt, 375. 

Schreiber, 89. 276. 334. 342— 
347. 355. 

Schwerter, bes Papftes, 179 f. 

Scipio, 309. 394 ff. 

Scythen, 406. 

Segeftes, 400. 403. 

Segimer, 403. 

Seide, 206. 327. 

Ceneca, 34. 41. 334. 

Severus, Aleranber, Kaifer, 372. 

Sidingen, $ranz von, 233. 260— 
262. 291—312. 317 ff. 

Eimon, der Magier, Simonie, 
116. 127. 139. 146. 255. 

Simonibes, 40. 

Eofrates, 336. 

Sopholles, 29. 


Strauß, Hutten's Geſpräche. 


417 


Spanien, Spanier, 38. 192. 362. 

Städte, 206—209. 338 - 340. 342. 
357 f. 387. 

Stromer, Heinrich, 56. 88. 181. 263. 

Sueven, 404. 

Syrien, 362. 409. 


T. 
Tacitus, 102 f. 396 f. 
Theognis, 21. 36. 
Theologen, 26 f. 29. 89. 
Tiberius, 125. 403. 
Troja, 33. 403. 
Türken, Türlenfrieg, Türtenfteuer, 
53. 110. 130. 151. 153 f. 159. 
164—166. 195. 198. 260. 


u. 
Ulrich, Herzog zu Würtemberg, 
24—26. " 
Utopien, 351. 
®. 
Varus, Duintilius, 402. 409 f. 
Denedig, Benezianer, 151 f. 191 
Virgilius, 173. 175. 
Borbehalt im Herzen, 130. 149— 
151. 
Borfehung, 24—29. 


W. 
Weiber, 85. 121 f. 145. 161. 163, 
250. 367. 
Worms, 349. 
Wunder, 363 f. 
&. 
Xenophon, 22 f. 


Zimmt, 327. 


Ziska, 299. 
Zufall, 20. 25. 28 f. 37 f. 


27 


Druckfebler. 


Seite 53, Zeile 23 von oben, ſtatt: Podagras, lies: Por: 
: 13, - Te « f.: Dinge, l.: Dingen. 


— — — — — · — 















_ STANFORD UNIVERSITY LIBRARII 
CECIL H. GREEN LIBRARY 
STANFORD, CALIFORNIA 94305-6 


415) 723-1493 
All J ay be recalled after 7 dı 


DATE DUE 





>». DD 


un 30 
> 
% 


MAR gg