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Full text of "Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung, v.36 1915"

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Karl Gottfried H 




v na %ßi\ nun ds as hcnnz-erurhen eines’ 
Rechts gebort n\m einmal ♦ n&cJ 
feste begriffliche Gebundenheit und bestii. 
R^btsv^rhälini»se gegeneinander 4 * (S* 2* 
— viellncbt t»ogar zu weit gehenden J 
griff selbst in der Theorie v. Dorigern^ 
seWerstef Fehler. 


W ie i*edeutäuin dieae — an sieh i 
fallenden — Fragen für die hisf* 
gerade un den beiden Schriften, die w 
suchung Veranlassung boten, teigem Es 
wie die liehandlozig der Quellen bei F 
Kocht«begriff beeinflußt ist 

leb stimme mit Frb. v. Dongeni na 
Beschaffenheit unserer ini ttdajterlieheu t 
Rechmostanden bedeutende Schwierigkeit* 
log es vielfach auiter ihrem Gtisichtskreis, 
uinliereii; und nichts wäre verkehrter, uh 
ru uherungpri a 1.1 ei n weitgehende Sdxhlf 
Frlu v, Düngern (S. 42.) »das Verstehen 
der Zeit heraus*, ihre Wertung f uach der 
Zeitgenossen machen konnten und solltet 
Wahrheit, von der mir nur unerfindlich 
Windung der Scholastik* m tun bat 

Nim liegen aber fUr unsere Frage l 
QüeUenÄeuginase vor, welche ♦nneß unbedin 
Verwandten oder gur der Abbömmlhige Kai 
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Verh&Ufti.-.- .v*.*vbr;i /'• ; ;■; ;*•. 





eines Secsssia» ei sehr genau prüfen müssen, ob adeh in ihnen die herrschend 

in einmal * zia-db Frk n fcge. oder eine oppositionelle, fremde, etwa kanonische Rechtsill 

deniieir xndf Üs?tsEa ausprägt. Aber bezeichnend ist es, wie v. Düngern mit die 

»Ar dfy» ,/SL lu £* äfai Zeugnissen sich abfindet 
weit FgEzulmE-* »Wie konnte Eike um die Mitte (?) des 13, Jahrhunde 

< -ie t repf kommen, schlechthin Freiheit für das jedenfalls doch eher 

das passive Wahlrecht, zu normieren? ‘ (8. 38V Düngern b 
diese Frage in, wie ich gerne zngebe, scharfsinniger Weise a 
^ dividuellen Standeslage Eikes. Und wenn wir sicher wüßten, di 

.. " && u ' : das passive Wahlrecht auf die Dynasten oder die Abkömmlj 

* :Lr die fes* f * des Großen oder auf einen noch engeren Kreis beschränkt wa 

^hrzfbeJL. die % & gewiß diese Erklärung für die abweichende Formulierung 

t . n zeiiT&iL Es jäfääp’ durchaus annehmbar. Was aber befremdet, ist der TJttni 

< -e*Vn Jfcfc : : Büngern die Formulierung Eikes gur nicht als ein gv 

: " d !Eh*urh sprechendes Argument werfet Daß sich .zur Not. mi 

d*ß* &*', gcraeinea Sechiaüberzeugung ins Gesicht schlagende Formulier 
' üaeifcs > ßke erkättB ist doch kein Grund diAtakjniien solch 

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Inhalt des XXXVL Bandes. 

Seite 


Der deutsche Staat des Mittelalters. Von Alfons Dopsch ... 1 

Über Losungsbftcher and Losungswesen böhmischer Städte im Mittelalter. 

Von Karl Beer.31 

Die Rächstagspermanenz im Oktober 1848. Von Hugo Traub 96 

Politische Umwälzungen unter den Slowenen vom Ende des sechsten Jahr¬ 
hunderts bis zur Mitte des neunten. Von Ludmil Hauptmann . 229 

Dm Brondolo-Privileg Leo’s IX. Von Emil y. Ottenthal. (Mit zwei 

Wein). 288, 404 

Über das Testament des hL Franz von Assisi. Quellenkritische Studie von 

Vlastimil Kybal.312 

War Deutschland ein Wahlreich? Von Karl Gottfried Hugelmann . 405 

Die Urkundensammlung des Codex Udalrid. Von Hans Hussl . 422 

Die Don Carlos-Frage. Von Viktor Bibi.448 

Beiträge zur Interpretation der Kapitularien zur Lex S&lica. Von Emil 

Goldmann. L Teil..575 

Die Beziehungen der Habsburger zum litauischen Hochadel im Zeitalter der 

Jagellonen. Von Oskar R. y. Halecki.595 


Kleine Mitteilungen: 

Ein deutscher GeneralYikar Ludwigs des Bayern in der Lunigiana, Von 

Viktor 8amanek.156 

Zur Geschichte Ragusas im 14. Jahrhundert Von Margarethe 

Rothbarth.161 

Zur Prälatenhilfe fttr die Wiener UniYersität im XVL Jahrhundert Von 

Johann Loserth.162 

Ein Brief des Matthäus von Krakau Aber die Judenfrage (um 1400). 

Von GustaY 8ommerfeldt.341 

Beiträge zur historischen Topographie OberAsterreichs. Von Konrad 

8chiffmann.346 

Zn dem FArsten(Pairs)-gericht Von Ernst Mayer .... 497 









IV 


Seite 

Alte serbische Handelsbeziehungen zu Wien. Von Carl v. Peez . 498 

Rin Schreiben der Ungarn an die Kurie aus der letzten Zeit des Ta¬ 
tareneinfalles (2. Februar 1242). Von Fedor Schneider . 661 

S. Florian und Rosdorf. Yon Julius Strnadt.671 


iteratur und Notizen: 

Auerbach, La France et le Saint Empire Romain Germanique döpuis la 
paix de Westphalie jusqu* ä la rßvolution fran 9 aise (v. Srbik) 728. — 
Aufsätze, Historische Karl Zeumer zum sechzigsten Geburtstage als 
Festgabe dargebracht von Freunden und Schülern (v. Wretschko) 
166. — Baethgen, Hie Regentschaft Papst Innozenz III. im König¬ 
reiche Sizilien (Laube-Husak) 746. — Bahnson, Stamm- und Re¬ 
gententafeln zur politischen Geschichte (Forst-Battaglia) 736. — 
Barone, Un documento del aecolo XI impugnato di falsitä e difeso 
nella curia del capellano maggiore (Erben) S. 667. — Ders., Intorno 
alle studio dei diplomi dei re Aragonesi di Napoli (Erben) 
568. — Becker, Das Königtum der Thronfolger im deutschen 
Reich des Mittelalters (v. Düngern) 686. — Beschreibung des 
Oberamts Münsingen (Tumbült) 736. — Beyerle, Die Urkunden¬ 
fälschungen des Kölner Burggrafen Heinrich IU. von Arberg 
(Stowasser) 360. — Briefwechsel zwischen König Johann von 
Sachsen und den Königen Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm I. 
von Preußen, herausgeg. von Johann Georg, Herzog von Sachsen, 
unter Mitwirkung von H. Ermisch (Bittner) 656. — Canz, Philipp 
Fontana, Erzbischof von Ravenna, ein Staatsmann des XIII. Jahr¬ 
hunderts (Schneider) 632. — Cartellieri, Heinrich VL auf dem 
Höhepunkt der staufischen Kaiserpolitik (Laube-Husak) 745. — 
Ders., Die Schlacht bei Bouvines (27. Juli 1214) im Rahmen der 
europäischen Politik (Laube-Husak) 746. — Chevalier, Jean de 
Berain, Archevöque de Vienne 1218—1266 (Laube-Husak) 747. — 
Cohn, Das Amt des Admirales in Sizilien unter Kaiser Friedrich H. 
(Laube-Husak) 747. — Diehl, Inscriptiones Latinae (Weiss) 566. — 
Dürrer, Ein Fund von rätischen Privaturkunden aus karolingischer 
Zeit (Redlich) 400. — Ewald, Siegelkunde. Angefügt: Wappen¬ 
kunde von F. Hauptmann (Philippi) 510. — Fehr, Die Rechtsstellung 
der Frau und der Kinder in den Weistümem (v. Voltelini) 695. — 
Festgabe der Berliner juristischen Fakultät für Otto Gierke zum 
Doktorjubiläum (v. Wretschko) 165. — Festgabe für Gerold Meyer 
von Knonau (J. K. Mayr) 396. — Festgabe, Kirchengeschicht¬ 
liche Anton de Waal zum goldenen Priesteijubiläum dargebracht, 
herausgeg. von F. X. Seppelt (Tomek) 620. — Festschrift Heinrich 
Brunner zum siebzigsten Geburtstag dargebracht von Schülern und 
Verehrern (v. Wretschko) 165. — Festschrift Otto Gierke zum sieb¬ 
zigsten Geburtstag dargebracht von Schülern, Freunden und Ver¬ 
ehrern (v. Wretschko) 166. — Festschrift des Akad. Historiker- 
Klubs Innsbruck (J. K. Mayr) 398. — Festschrift des Akad. 
Vereins deutscher Historiker in Wien. 398. — Finkenwirth, Die 
Entwicklung der Landeshoheit der Vorfahren des Fürstenhauses 



71 


801 AA A 30 

y 


R am 1122—1329 (Laube-Husak) 748. — Forst, Ahnenverlust und 
nationale Gruppen auf der Ahnentafel des Erzherzogs Franz Fer¬ 
dinand (Heydenreich) 393. — Frie, Die Entwicklung der Landes¬ 
hoheit der Mindener Bischöfe (Laube-Husak) 748. — Gercke und 
Norden, Einleitung in die Altertumswissenschaft (Bretholz) 664. — 
Ger lach, Die Entstehungszeit der Stadtbefestigungen in Deutsch¬ 
land (Coulin) 529. — Geyer, Klemens HL 1187—1191 (Laube- 
Husak) 745. — v. Grienberger, Himilzora 402. — Grunwald, Samuel 
Oppenheimer und sein Kreis, (v. Srbik) 732. — Guglia, Die Geburt»-, 
Sterbe- und Grabstätten der römisch-deutschen Kaiser und Könige 
(Kretschmayr) 744. — Hartung, Karl V. und die deutschen Reichs¬ 
stände von 1546—1555 (Bonwetsch) 371. — Heidrich, Karl V. und 
die deutschen Protestanten am Vorabend des Schmalkaldischen 
Krieges (Bonwetsch) 371. — Hellmann, Wie studiert man Ge¬ 
schichte? (v. Srbik) 563. — v. Hengeimüller, Franz Räköczi und sein 
Kampf für Ungarns Freiheit 1703—1711, 1. Bd. (Th. Mayer) 375. — 
Hohenlohisches Urkundenbuch, hgg. von K. Weller u. Ch. Belschner 
1IL BcL (Tumbült) 368. — y. Hornstein-Grüningen, Die von Horn¬ 
stein und von Hertenstein (Stowasser) 401. — Jahncke, Guilelmus 
Neubrigensis. Ein pragm. Geschichtsschreiber des 12. Jahrh. (Laube- 
Husak) 746. — Jakflch-Fest8chrift (J. K. Mayr) 393. — Köhler, 
Die Ketzerpolitik der deutschen Kaiser und Könige in den Jahren 
1152—1254 (Laube-Husak) 746. — Konstantin der Große und seine 
Zeit. Gesammelte Studien. Festgabe zum Konstantins-Jubiläum 1913 
und zum goldenen Priesterjubiläum von Msgr. Dr. A. de Waal, 
herpusgeg. von F. J. Dölger (Tomek) 520. — Konstanzer Häuserbuch. 
H. B<L, 1. Hälfte (Bretholz) 708. — Kowalski, Die deutschen Köni¬ 
ginnen und Kaiserinnen von Konrad UI. bis zum finde des Inter¬ 
regnums (v. Düngern) 690. — Kralik, österreichische Geschichte 
Guglia) 559. — Kralik und Schiitter, Wien. Geschichte der Kaiser¬ 
stadt und ihrer Kultur (Guglia) 559. — Lahusen, Die Siegel der 
Grafen von Freiburg (Stowasser) 401. — Lehmann, Vom Mittel- 
alter und von der lateinischen Philologie des Mittelalters (Redlich) 
568. — Loew, The Beneventan script, a history of the south italian 
minuacule (v. Ottenthal) 204. — Matuszkiewicz, Die mittelalterliche 
Gerichtsverfassung des Fürstentums Glogau (Kunkel) 531. — v. Mitis, 
Studien zum älteren österreichischen Urkundenwesen. 4. u. 5. Heft 
(Stemacker) 352. — v. Müller, Bayern im Jahre 1866 und die Be¬ 
rufung des Fürsten Hohenlohe (Bittner) 657. — Nagl, Die Rechen¬ 
tafel der Alten (Sturm) 619. — v. Peez u. Dehn, Englands Vor¬ 
herrschaft aus der Zeit der Kontinentalsperre (Herrmann) 551. — 
Rerquin, Recueil g£n£ral des chartes anglosaxonnes (Redlich) 400. 
— Ders^ Le Pofcme Anglo-Saxon de Beowulf (Luick) 401. — Platz- 
hoff^ Frankreich und die deutschen Protestanten in den Jahren 1570 
—1573 (Hasenclever) 373. — Poetsch, Die Reichsjustizreform von 
1495, insbeM>ndere ihre Bedeutung für die Rechtsentwicklung 
(▼. Voltelini) 541. — Prou, Manuel de pallogr&phie latine et fran- 
9“« (v. Ottenthal) 566. — Quellenstudien ans dem historischen 
Seminar der Universität Innsbruck, heraosgeg. von W. Erben 



VI 


Seite 


(Steinherz) 197. — Reinitz, Das Österreichische Staatsschnldenwesen 
von seinen Anfängen bis zur Jetztzeit (v. Srbik) 547, 751. — 
Reynaud, Les origines de 1’ influence Fran9aise in Allemagne (Kern) 
402. — Riezler-Festschrift (J. K. Mayr) 395. — Schambach, For¬ 
schungen zur Geschichte Rainalds von Dassel als Domherrn von 
Hildesheim (Laube-Husak) 745. — Schiaparelli, Note paleografiche 
(v. Ottenthal) 567. — Schönherr, Die Lehre vom Reiclisfürsten- 
stande des Mittelalters (v. Düngern) 692. — Seeliger, Urkunden 
und Siegel in Nachbildungen für den akademischen Unterricht. 
II. Papsturkunden, bearbeitet von A. Brackmann. ID. Privat¬ 
urkunden, bearb. von 0. Redlich und L. Groß. IV. Siegel, bearb. von 
F. Philippi (Erben) 676. — Scignobos, Politische Geschichte des 
modernen Europa (Kretschmayr) 552. — Sohm, Die Schule Johann 
Sturms und die Kirche Straßburgs in ihrem gegenseitigen Ver¬ 
hältnis 1530—1681 (Elkan) 724. — Steinert, Das Territorium der 
Reichsstadt Mühlhausen i. Thür. (Heydenreich) 370. — Stur, Die 
slawischen Sprachelemente in den Ortsnamen der deutsch-öster¬ 
reichischen Alpenländcr zwischen Drau und Donau (Unterforcher) 
622. — Stutz, Höngger Mciergerichtsurteile des 16. und 17. Jahr¬ 
hunderts (Peterka) 702. — SzekfÜ, A szamüzött Räköczi (Der 
verbannte Riikdczi) (Eckhart) 378. — v. Thalldczy, Studien zur 
Geschichte Bosniens und Serbiens im Mittelalter (Jirecek) 722. — 
Tigges, Die Entwicklung der Landeshoheit der Grafen von Arns¬ 
berg (Laube-Husak) 748. — Übersbcrger, Rußlands Orientpolitik 
in den letzten zwei Jahrhunderten, I. Bd. (v. Landwehr) 542. — 
Ulbricht, Weltmacht und Nationalstaat, vollendet und hcrausgeg. 
von G. Rosenhogen (Kretschmayr) 652. — v. Voltelini, Die An¬ 
fänge der Stadt Wien (Bretholz) 703. — Weißenborn, Mühlhausen 
i. Thür, und das Reich (Heydenreich) 368. — Weistümer, öster¬ 
reichische, gesammelt von der kais. Akademie der Wissenschaften 
in Wien, 10. u. 11. Bd. (Peterka) 700. — Wiclif, Die kirchen¬ 
politischen Schriften (Uhlirz) 711. — Wolkan, Der Briefwechsel 
des Eneas Silvios Piccolomini, H. Abteilung (v. Ankwicz) 721. — 
Württembergische Geschichtsquellen XIH. Bd.: Urkundenbuch der 
Stadt Stuttgart, bearb. von A. Rapp (Tumbült) 367. — Zwingmann, 
Der Kaiser in Reich und Christenheit im Jahrhundert nach dem 
westfälischen Frieden (Redlich) 724. 


Nachtrag zu Stowasser, Die österreichischen Kanzleibücher vornehmlich 

des 14. Jahrhunderts. 

Erwiderung von Georg Müller. 


227 

403 


Berichte: 

Kommisson für neuere Geschichte Österreichs 1914 
Monomenta Germaniae historica 1914 . 

Kommission für neuere Geschichte Österreichs 1915 


213 

569 

572 


Personalien 


224 





Nekrologe: 

Earl Uhlirz (E. v. Ottenthal) . 

Thaddäus Smißiklaa (C. JireSek) 

Franz Martin Mayer (A. y. JakBch) 

P. Florian Watzl 0. C. (V. Schindler) . 
Iyo Ltmtz und Milos Yystyd (0. Redlich) 
Ferdinand y. Strobl (0. Redlich) 

Fritz Grüner (0. Redlich) 


vn 

Seite 


214 

217 

217 

221 

222 

22S 

223 


. 224, 673, 749 


Eingelaufene Bücher . 









Der deutsche Staat des Mittelalters. 

Von 

Alfons Dopsch. 

Seit langer Zeit hat die Geschichte- und Staatswissenschaft sich 
mit der Schilderung des deutschen Reiches im Mittelalter befaßt, vor¬ 
nehmlich auch um den Gegensatz hervorzuheben, der zwischen diesem 
und dem Staate neuerer Zeiten besteht Der Gegensatz zu den Verhält¬ 
nissen vor 1500 ist ja sehr frühe schon nach verschiedenen Richtungen 
hin empfunden und bewußt geworden. Auf religiösem Gebiete in der 
Beformation *) bereits, aber auch auf juristischem in der Receptions- 
periode, ja sogar auf wirtschaftlichem schon bei Bodinus 8 ). Bei ihm 
finden wir ferner auch bereits erste Ansätze einer Gegenüberstellung 
in politischer Beziehung und es ist längst von anderer Seite bemerkt 
worden, wie so Manches hier schon angedeutet wird, was dann bei 
Montesquieu im IS esprit des lois eingehender und durchgreifender 
auageführt erscheint In der französischen Aufklärungsliteratur ist denn 
auch im Kampfe gegen Kirche und Feudalgewalten jenes Bild vom 
«Mittelalter* zustandegekommen, das man als Inbegriff der alten pa¬ 
triarchalischen und privaten Ordnung dem nunmehr scheinbar ganz 
neu sich erhebenden „Staate* gegenüberstellte 8 ). Auch die historische 
Schule in der Rechtswissenschaft war davon zunächst am Anfang des 

f ) VgL H. Günter, Das Mittelalter in der späteren Gesch. Betrachtung. Hist. 
Jahrb. 24, 1 fL (1908). 

*) Vgl. Methodus c. 7 (Ende). 

») Vgl. dazu die Bemerkungen N. Jorgas, Lea bases nöcessaires d’ dune nou 
veile histoire du mojen äge. Bucarest (1913) S. 8 f. 



2 


Alfons Dopsch. 


19. Jahrhunderts z. T. noch beeinflußt; doch bahnte die rechtshistorische 
Betrachtungsweise schon einen Wandel in der Beurteilung jenes Ab¬ 
schnittes der historischen Entwickelung, den man seit der 2. Hälfte des 
17. Jahrhunderts als eine zusammenhängende, ja ihrem Charakter nach 
einheitliche „mittlere“ Geschichtsperiode abgrenzte, mehr und mehr an. 
Dem Aufblühen der sog. historischen Hilfswissenschaften kam dabei 
eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Je mehr man auf die 
ursprünglichen Quellen, besonders urkundlicher Art zurückgriff und sie 
für die historische Erkenntnis verwerten lernte, desto mehr konnte 
auch die induktive Methode gegenüber der dogmatischen Geschichts¬ 
betrachtung Baum gewinnen und eine entwicklungsgeschichtliche Er¬ 
fassung der Vergangenheit sich durchsetzen. Immer deutlicher stellte 
sich heraus, daß auch die Zeiten des sog. Mittelalters in lebendigem Zu¬ 
sammenhänge mit den später folgenden Bildungen, ja der Gegenwart selbst 
stehen, daß der starre Gegensatz, den eine dogmatische Geschiehts- und 
Bechtsphilosophie angenommen hatte, der Wirklichkeit nicht entspreche. 

Allerdings war diese Vertiefung der historischen Forschung noch 
lange Zeit auf Einzelfragen rechtswissenschaftlicher Art beschränkt. Das 
zentrale Hauptproblem, ob es im Mittelalter denn überhaupt einen Staat 
gegeben habe, oder vielmehr statt seiner private Gewalten Träger des 
öffentlichen Hechtes von heute gewesen seien — harrte noch durch¬ 
greifender wissenschaftlicher Klärung. Hier fand die ältere Negations¬ 
theorie an der aufblühenden Wirtschaftsgeschichte neuen Nährboden. 
Denn diese führte naturgemäß von ihrem nächsten Ausgangspunkt, der 
Agrargeschichte, her, vorerst zu einer starken Betonung der Grund¬ 
herrschaft, sowie der von ihr abhängigen sozialen Entwicklungsmo¬ 
tive. Das Hauptergebnis der wirtschaftsgeschichtlichen Erforschung des 
sog. Mittelalters war doch kurzer Hand: „Die Grundherrschaft ist der 
Embryo des modernen Staates* 1 ). 

Noch heute besitzt diese, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts 
allgemein herrschende sog. grundherrschaftliche Theorie, nach welcher 
die Grundherrschaft der Ausgangspunkt und die Unterlage aller wirt¬ 
schaftlich-sozialen, dann aber auch der politisch-staatlichen Entwicklung 
gewesen ist, nicht wenige Anhänger. 

Einer der ersten und erfolgreichsten Kämpfer wider diese Auf¬ 
fassung, Georg v. Below, tritt nun mit einem zusammenfassenden 
Werke, betitelt „Der deutsche Staat des Mittelalters* an dieses 


*) So K. Lamprecht, Deutsches Wirtschaftsleben im MA. 1, 669. Ähnlich die 
älteren wie G. L. v. Maurer, Einl. z. Gesch. d. Mark-, Hof-, Dorf- und Stadtver- 
fassung und der öffentl. Gewalt 1864, Vorwort p. IV. 



Der deutsche Staat des Mittelalters. 


3 


wichtige Problem der Yerfassungsgeschichte von neuem heran. Der In¬ 
halt desselben verlohnt hier ob seiner allgemeinen Bedeutung näher 
besprochen zu werden, als es etwa in Form einer Rezension geschehen 
könnte *). 

R hat mit der ihm eigenen Klarheit seine Aufgabe von vome- 
herein fest umschrieben. Er will „den Nachweis für den staatlichen 
Charakter der deutschen Verfassung des Mittelalters erbringen, indem 
er die spezifisch staatlichen Elemente in derselben aufsucht und die 
Grenzen ermittelt, innerhalb deren private Beziehungen von der Ver¬ 
femung Besitz ergriffen haben*. (Vorwort S. VII £). 

Der erste Teil des vorliegenden Bandes bietet zunächst eine aus¬ 
führliche Literaturgeschichte des Problems, in der einmal die allge¬ 
meinen Schilderungen des mittelalterlichen Staates seit C. L. v. Hallers 
»Restauration der Staatswissenschaft* (2. AufL Winterthur 1820 ff.) 
(S. 1—37), dann die monographische Literatur seit Rogges 1820 er¬ 
schienenen Schrift „Über das Gerichtswesen der Germanen“ (S. 38— 
100), endlich (3. Kap.) die neuesten zusammenfassenden Darstellungen 
des alteren deutschen Rechts (S. 101—111) auf die Frage nach einem 
öffentlichen Recht im Mittelalter untersucht und besprochen werden. 
Diese m. E. kritisch sehr lehrreiche Übersicht gipfelt in Schlußbe¬ 
merkungen über die Zulässigkeit einer Unterscheidung zwischen öffent¬ 
lichem und privatem Recht im MA. Der Standpunkt v. B.s ist durchaus 
zu billigen, wenn er es tadelt, daß moderne Vorstellungen in die Ver¬ 
gangenheit hineingetragen, moderne Ausdrücke auf Institutionen der 
alten Zeit angewandt werden, die auf sie tatsächlich nicht passen 
(S. 109). Nichtsdestoweniger ist die Behandlung verfassungsgeschicht- 
lieher Probleme sicherlich ohne Kenntnis und Anwendung juristischer 
Begriffe und Methodik unmöglich (S. 108). Dabei wird aber stets — 
das möchte ich zu B.s Ausführungen noch besonders betonen — auch auf 
die Unterscheidungen zu achten sein, welche die gleichzeitigen Quellen 
selbst machen, u. zw. vorzugsweise jene urkundlichen Charakters. Die 
erzählenden Quellen sind terminologisch oft ebenso unbestimmt wie — 
die modernen Historiker vielfach! 

Wie überaus klärend und läuternd diese Bestimmtheit der Begriffe 
auf die geschichtliche Erkenntnis und Beurteilung der Vergangenheit 
gewirkt hat, lehrt wohl als klassisches Beispiel Heinrich Brunner für 
die fränkische Zeit und ebe j — G. v. Below für die nachfolgende Pe¬ 
riode des hohen und späteren Mittelalters. Wie kaum ein zweiter 


l ) 1. Band: Die allgemeinen Fragen. 1914. Quelle & Meyer. Leipzig 
8 *. XX n. 387 S. — Dieser Aufsatz dient zugleich als Rezension des Buches. 

!• 



4 


Alfons Dopsch. 


deutscher Gelehrter war v. B. denn auch berufen diese Methode prak¬ 
tisch mit Herausarbeitung des oben erwähnten leitenden Gesichtspunktes 
durchzuführen. Damit beschäftigt sich der zweite und Hauptteil, die 
systematische Darstellung. 

Zunächst werden die wirtschaftlichen Voraussetzungen 
der deutschen Verfassung des MA. ins Auge gefaßt B. be¬ 
schränkt sich hier auf einige Hauptpunkte, die besonders durch die 
grundherrliche oder hofrechtliche Theorie stark in den Vordergrund ge¬ 
rückt worden waren, insbesondere die Verbreitung der Unfreiheit sowie 
der wirtschaftlichen Abhängigkeit in Landwirtschaft und Gewerbe. B. macht 
gegen die Anschauung Front als ob die Masse der Gemeinfreien 
Grundherren gewesen seien, die von den Zinsen abhängiger Bauern 
lebten (Knapp, Wittich, Hildebrand). Er betont nicht nur das Vor¬ 
handensein zahlreicher Freien allüberall, sondern vor allem auch die 
große wirtschaftliche Bewegungsfreiheit dieser Leute. Die Grund¬ 
herrschaft war keineswegs so geschlossen, als die alte Lehre an¬ 
nahm. Sie ließ auch den ihrem Kreise ungehörigen Unfreien be¬ 
trächtlichen Spielraum eigener wirtschaftlicher Betätigung. Ich will 
hier zur Unterstützung der Darlegungen B.s nur auf eines noch hin- 
weisen. In den Quellen der älteren Zeit ist vielfach von einem Han¬ 
delsbetrieb durch Unfreie (servi) die Bede. Die ältere Lehre hat dies 
sofort in der Weise ausgelegt, daß jene Unfreie für Rechnung der 
Herrschaft gehandelt hätten, Handelsangestellte dieser grundherrschaft¬ 
lichen Großfirmen gewesen seien. Ich habe dagegen Belege aus Capi- 
tularien und Konzilsbeschlüssen vorgebracht, nach welchen gar kein 
Zweifel bestehen kann, daß Unfreie auch eigene Handelsgeschäfte be¬ 
trieben und speziell den Überschuß ihrer Wirtschaftsproduktion nach 
Begleichung des Zinses an den Grundherrn selbständig verkaufen 
konnten 1 ). Das übersehen auch jene Anhänger der alten Lehre, die 
das schöne, aber haltlos gewordene Dogma von der * geschlossenen * 
Hauswirtschaft nun einschränkend mit der ebenso unbewiesenen Hypo¬ 
these retten wollen, der Bedarf des täglichen Lebens sei eben noch 
nicht außerhalb der „geschlossenen“ Wirtschaft arbeitsteilig produziert 
worden (So L. M. Hartmann in Vjschr. £ Soz. und WG. 12, 318). 

Die Schlußfolgerung, zu der B. auf Grund dieser Nachweise ge¬ 
langt, ist zwingend. Da die Grundherrschaft nicht jene alles absor- 


*) In meiner »Wirtechafteentwicklung der Karolingerzeit« 2, 223 f. Vgl. dazu 
neuestens auch Ad. Zycha, Ans dem alten Reichenhall, Festschrift d. Erzherzog 
Rainer Real-Gymn. in Wien 1914, S. 147, sowie desselben Verf. Prag, ein Beitrag 
z. RG. Böhmens im Beginn d. Kolonisat.-Zeit (1912) S. 28 und 125. 




Der deutsche Staat das Mittelalter 


i«u-rende Bedeutung hatte, wie die alte Lehre armafain, muß dem Staate 
mehr Baun* xugekommen sein, als ?oß deteo Vetteteni bisher mir zu- 
gegeben worden ist 

Natürlich hätten in dieses: wirtachaftege^^ .Kapitel noch 

eine Reihe anderst Fragen ein bezogen werden können* Vor allem jene, 

• b die noch immer yoü der alten grnndherrlichen Theorie abhängigen 
<>öschichtek«ustruk1aonen Ui^ih — die mau aber nicht «eiten hm zur 
tränkÖKihen Periode ibtid&uern läßt* — äudh wirklich kritischer Unter- 
^sehung siaüdhalten. Hat denn der m grauer ür&eit mögliche Zu- 
siand völliger Gleichheit und ungeteilten; Gemebueig m Grund und 
Buden wirilicfi;- 'noch durch. Mo eilten: chriailiclien. Jidsdknnderte fort- 
Stehen tö&Ben t \ SicheriÄ hat die öntndherr&chaffc nach, den von 
Casar und T^tus/fe «oralen- Ztotanden damals schon, IM den 

ifeauaneu bettenden. Wie wichtig diese Frage gerade ihr das hier 
^hegende Ge^anirprobJem iit, werdeu wir alsbald erkeuhtfn, wenn wir 
an«: nun den weiteren Darlegung? tj &f über die Ve.mvssung des 
Reiches zuwenden. Oft 1 .ßezeieliinmgen -flir.' Au», BÄichsgehiet'lassen' 
rond> kernen Anhaltspunkt’ d&ffit 'gewinnen.^ daß der politische Verband 
priratrechtlteh anfgcfaßt W«r<te (& 131)* Die Scbwierigkett einiger- 
üiatfeu sicherer Erkenntnis hegt hier au E. in dem Mangel entsprechen-- 
4*r Quellen, sowie der Eigenart der • überhaupt vorhandenen Zeugnisse* 

• leibt unentschieden, m* unter den von den Römern Übernommenen 
iateimscheii Tenninis im Eim&elfaUe jemals ver^tönden worden i&i Hier 
wird doch fühlbar, daß & die Schriften der inittelalterbdieu Theoretiker 
prinzipiell nicht berflcä^ichügt hui, wiewohl seine Gründe kiefur ver¬ 
meidlich genug sind (Vorw, & IX), Vielleicht hätten unter solchen 
Umstandim- die TeUnngsurfeimden der Karolingerzeit Beftchtetig verdient, 
•Li deren Terminologie den Begriff imptrtum ;*k das CtDsaxnürbiatsge- 
biet im Gegensatz zu den einzelnen Teile«, als „ßekh* im späteren 
Sinne, Itereits verwendet 

Auch die -and Embleme 

keinen Beleg 

wurde Catet df*& tior : *«.- 2^ir*};w^ 

der frühkaiolingfcvi^i • ZU Vuwäiw sqÜj 

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«>,. m * vgi. audi:%^ Ä;jäa« 5 * 1 




6 


Alfons Dopsch. 


stehenden Rechte erst seit dem Inyestiturstreite in Deutschland recht 
aufgekommen sei Es sind aber langst die Nachweise dafür erbracht 
worden, und v. B. kennt sie sicher auch sehr gut, daß solche Begalien 
bereits in der fränkischen Zeit vorhanden waren. Auch in meinem 
Buche über «Die Wirtschaftsentwicklung der Karolingerzeit“ ist ein 
besonderer Paragraph darüber enthalten 1 ). Die ronkalischen Beschlüsse 
(S. 148—155) wird man in ihrer allgemeinen Bedeutung nicht über¬ 
schätzen dürfen. Sicher ist zutreffend, was B. dabei als bedeutsam 
konstatiert: der Grundbesitz spielt nicht mehr die namhafte Bolle wie 
früher. Ich möchte darin aber nicht eine «neue Situation« erblicken 
(B. S. 155). Das war auch in der Karolingerzeit schon z. T. ähnlich^ 
da die viel verbreitete Anschauung, als ob Karl d. Gr. den Schwerpunkt 
des ganzen Finanzwesens in die Verwaltung der kgL Domänen verlegt 
habe, eine jener schönen Hypothesen K. W. Nitzschs ist, die immer wieder 
von anderen, mit Vorliebe in Handbücher, übernommen wurden, gleich¬ 
wohl aber mit den Quellen in Widerspruch stehen 8 ). 

Allgemeines Interesse kommt der Entwicklung der Reichsper¬ 
sönlichkeit zu. B. pflichtet für die Urzeit der Meinung Wilhelm 
Sickels bei, daß es an Einrichtungen fehlte, die den Staat unabhängig 
von seinen Mitgliedern erscheinen ließen (S. 159). Er hat hier, wie 
mir scheint, die Konsequenzen aus seinen eigenen richtigen Beobach¬ 
tungen nicht voll gezogen. Denn er hat ja durchaus zutreffend selbst 
unmittelbar darauf doch schon aufmerksam gemacht, daß die Landes¬ 
gemeinde in wichtigen Handlungen von öffentlicher, allgemein verbind¬ 
licher Bedeutung (Beschlüsse über Krieg und Frieden, Vornahme von 
Wahlen, Freilassung zur Vollfreiheit, Wehrhaftmachung u. a. m.) nicht 
nur als Gesamtheit aller einzelnen Mitglieder, sondern als selbständig 
für sich stehendes Gemeinwesen auftritt (S. 160). Auch das was Tacitus 
über das Verhältnis der principes zur Volksgemeinde berichtet, spricht 
durchaus dafür. Sie üben ihre Gewalt im Namen und Auftrag dieser 
(c. 11) und B. hat deshalb auch die deutsche Verfassungsform der 
Urzeit mit der Republik in Parallele gesetzt (S. 161 £). Vielleicht wäre 
es allerdings besser gewesen, hier noch nicht von dem König und einer 
Monarchie zu sprechen, wie es B. gleichzeitig doch tut. Aus diesen 
principes und den älteren Königen (— Beamten) entwickelte sich dann 
dos selbständige Königtum, auf das die Rechte der alten Volksgemeinde 


*) 2. Bd. S. 323—344 (§ 14). 

*) Vgl. darüber mein Buch 1, 22 und dagegen die Nachweise 1, 110 ff. sowie 
1, 166 (geringer Ertrag!). 



Der deutsche Staat des Mittelalters. 


7 


immer mehr und mehr übergehen 1 ). Verschwand damit die alte ge¬ 
nossenschaftliche Verfassung mehr und mehr, oder trat sie doch stark 
zurück, so ging gleichwohl der Charakter des Staates nicht verloren. 
Denn das Prädikat JStaat 4 ist nicht auf die Genossenschaften zu be¬ 
schranken, wie hauptsächlich 0. Gierke gelehrt hatte. Darin stimme 
ich den Ausführungen B.s durchaus zu. Nur wird seine Motivierung 
vielleicht nicht ganz befriedigen. «Man behielte eine gar zu geringe 
Zahl Ton Staaten übrig, wenn man einen so engen Maßstab anlegen 
wollte* (S. 166). v. B. bekämpft diese Lehre vornehmlich theoretisch 
durch Heranziehung der Darlegungen Otto Mayers über «die juristische 
Person und ihre Verwertbarkeit im öffentlichen Recht* (1908), sowie 
eine Analyse der Staatstheorie Albrechts (Gotting. GeL Anz. 1837). Auch 
quellenmäßig läßt sich der Nachweis, daß mit dem Zusammenfällen von 
staatlichen und königlichen Beziehungen in der fränkischen Zeit keines¬ 
wegs ein privatrechtlicher Charakter des Reiches gezeitigt worden sei, 
deutlich begründen. Das, was man hauptsächlich für den privatrecht¬ 
lichen Charakter des kgl Erbrechtes angeführt hat, die karolingischen 
Teilungen, lassen noch viel weiter reichende Einschränkungen der privat 
geltenden Grundsätze erkennen, als v. B. selbst andeutet (S. 178). Nicht 
zwar im Sinne H. Brunners, dessen Auffassung jener Teilungen als 
Teilungen der Reichsverwaltung, nicht des Reiches selbst, auch ich mit 
Waitz VG. und K. v. Amira (GGA. 1896) bestreiten möchte. Wir 
brauchen, glaube ich, zu dieser Hypothese gar nicht unsere Zuflucht 
zu nehmen, um zu beweisen, daß «theoretisch eine Gesamtherrschaft 
bestand und der Gedanke der Reichseinheit lebendig blieb* (Brunner, 
RG. 2, 26). Die Ordinatio Imperii Ludwigs d. Fr. von 817 sichert 
für den Fall des Todes des Kaisers dessen ältestem Sohne Lothar aus¬ 
drücklich eine Obergewalt zu, durch welche die Einheit des Reiches 
nach Außen und Innen bewahrt werden sollte 8 ). 

Auch andere Argumente für den angeblich privatrechtlichen Cha¬ 
rakter der königl. Regierungsgewalt der fränkischen Zeit, welche die 
ältere Lehre vorgebracht hat, sind nicht stichhaltig. Man hat die Um¬ 
fahrt des Königs nach seinem Regierungsantritt als privatrechtliche 
Form der Besitzergreifung ähnlich dem Erwerbe von Grundstücken hin- 
gestellt Schon Rieh. Schröder hat richtig betont 8 ), daß dieselbe nicht 
bloß «einen Akt der Besitzergreifung darstellte, sondern auch der Ent- 

*) Für diese Verstärkung der Rechtsstellung des Königtums hätte ich statt 
aaf A. Meisters VG. doch lieber auf die trefflichen Ausführungen Rieh. Schröders 
iDie Franken und ihr Recht) verwiesen. Zu B. S. 164 n. 1. 

*) VgL Waiti VG. 4*, 668, sowie 660 n. 1. Dazu mein Buch 2, 337. 

J ) DBG* 8. 112. 



8 


Alfons Dop8ch. 


gegennahme der Huldigung diente 0 . Selbst wenn sie ursprünglich * 
etwas anderes bedeutete, — nach Bich. Schröder würde sie auf ehemalige J 
Priesterstellung hinweisen *) — so wurde sie doch bezeichnenderweise i 
bereits am Ausgang der Merowingerzeit als leeres Attribut eines schatten- : 
haften Königtums angesehen, wie der bekannte Bericht Einhards in : 
der vita Karoli Magni beweist (c. 1). 

Die Darlegungen v. B.s von der Staatlichkeit der Verfassung jener ■ 
königlichen Frühzeit lassen sich auch sonst noch weiter stützen. Denn 
er gibt auch hier der priyatrechtlichen Auffassung stellenweise mehr ) 
zu als nötig ist Wenn er sagt, es gebe damals „noch keinen Reichs- i 
tag oder sonst eine Instanz, die das Reich neben dem König darstellt 0 , 
(S. 183), so hat er selbst doch die Richtigkeit dieser Auffassung bereits < 
widerlegt, indem er im nächsten Paragraphen schon auf eine von Waitz ; 
angeführte Quelle der merowingischen Zeit verweist 8 ), nach der die 
Großen des Reiches mit dem König pro utüitate regia et saltUe patriae , 
eine Versammlung abhielten. Näheres über den Reichstag der frän¬ 
kischen Zeit haben W. Sickel (in dieser Ztschr. Erg.-Bd. I und II), 
Waitz VG. 3*, 554 ft, sowie H. Brunner (RG. II, 130) ausgefübrt 

Sicherlich hat die Zeit des Investiturstreites die Unterscheidung, 
ja Gegenüberstellung der Begriffe „Kaiser* und „Reich* lebhaft ge¬ 
fördert. Allein die Unterscheidung zwischen eigentlichem Reichsgut 
(re# publica) und königl. Privatvermögen (res privata), auf die v. B. 
bei dieser Gelegenheit hinweist (S. 185), ist viel älter. Sie kommt zur 
Karolingerzeit bereits auch vor, wie ich im Anschluß an A. Heusler 
dargelegt habe 8 ). 

Wir werden somit die Idee der Reichspersönlichkeit nicht mit 
0. Gierke erst seit dem Siege des Wahlprinzipes anzusetzen haben. Ich 
schließe mich hier den Darlegungen v. B.s ebenso an, wie in der Auf¬ 
fassung der großen Reidisreform am Ausgang des MA. Die These 
Gierkes, daß das Reich seit dieser eine freie Einung darstelle, halte 
auch ich für unvereinbar mit dem notorischen Bestreben der Reichs¬ 
stände, die Macht im Reiche dem König abzunehmen und an sich zu 
ziehen (v. B. S. 189). 

Sehr bedeutsam für das Entwicklungsproblem der Reichspersön- 
lichkeit scheint mir endlich noch die Ausbildung der Landeshoheit 
zu sein. v. B. ist darauf hier nicht eingegangen. Vielleicht bringt 
uns der 2. Bd., der u. a. von der Landeshoheit handeln dürfte, dazu 
noch Ergänzungen. Wie im Investiturstreit tat sich jetzt wieder ein 

*) Ebda. S. 31 n. 16. 

>) A. a. 0. S. 191 n. 3. 

8 ) Die Wirtschaflsentwicklung der Karolingerzeit 1, 150 tf. 


Der deutsche Staat des Mittelalters. 


9 


Gegensatz zwischen dem Königtum und Fürstentum auf, jenes aber hat 
bei dem nun folgenden Kampfe wider die Landesherren mit viel politischem 
Geschick die Reichsgewalt in den Vordergrund gerückt, obwohl die 
Staufer in ihren Stammesgebieten durchaus wie die anderen Landes¬ 
haren auffcraten 1 ). Gerade bei den nutzbaren und ertragreichen Hoheits¬ 
rechten der neuaulkommenden Territorialgewalten wird die Lehens- 
rührigkeit vom Reiche in kaiserlichen Diplomen der Stauferzeit nach¬ 
drücklich betont 2 ). Ein drastisches Beispiel für jenen großen Kampf 
ist der Konflikt Friedrichs II. mit dem letzten Babenberger in österreich- 
Steier. Der König-Kaiser entzieht dem Herzog seine wichtigsten Ein¬ 
kunftsquellen, indem er Wien, das bisher eine landesfürstliche Stadt 
war. reichsunmittelbar macht Er nimmt wie es in dem Diplom heißt 
die Stadt und deren Bürger in seine und des Reiches Gewalt mit 
der bezeichnenden Motivierung aus seinem Berufe, gegenüber den Be¬ 
drückungen des Herzogs für das Wohl des Volkes kraft der ihm über¬ 
tragenen Staatsfürsorge (cura rei publice) einzutreten 8 ). 

Hier ist zugleich auch ein beachtenswerter und meines Wissens 
nicht verwerteter Beleg für ein anderes greifbares Kriterium des Staates 
gegeben, das Vorhandensein eines Staatszweckes. Er ergänzt die 
Ton B. vorgebrachten Quellenstellen, aus welchen hervorgeht daß das 
Reich des MA. bestimmte Gemeinschaftszwecke verfolgt habe. Es wurde 
im MA. stets als Pflicht des Herrschers ganz allgemein angesehen, das 
Wohl des Reiches wahrzunehmen. Allerdings fragt es sich, was da¬ 
runter zu verstehen ist v. B. wendet sich, glaube ich, mit Recht gegen 
r. Inama-Stemegg, der in solchen Wendungen (utilitas regni, salus 
populi) bloß einen römischen Nachklang, eine abgelemte römische 
Phrase sehen wollte (S. 200). Schon Heinrich Brunner hat den „mittel¬ 
alterlichen Staat 8 als Kriegs- und Rechtsanstalt definiert 4 ) und als 
dessen Aufgabe bezeichnet 5 ), den Frieden im Innern und nach außen 
zu schützen. 


f ) VgL darüber H. Hirsch, Die Kloßterimmunität seit dem Investiturstreit 
(1913) S. 116 ft 

*) Vgl. die Urk. Kais. Friedr. I. von 1189 für Freising (über Herzog Leopold V. 
von Österreich) Font. rer. Austr. il. 31, 121; dazu meine Beitr. z. Gesch. d. Finanz- 
Verwaltung Österreichs in dieser Ztechr. 18, 237 n. 3. 

*) Quod nostra interest, co nissum nobis populum utpots qui pro eiu8 Salute 
ac de comiesa nobis reipublice cvra et univereitatis regimine generali tenemur eumntu 
regi reddere rciiionem . Schwinc. -Dopsch, Ausgew. Urkk. z. VG. österr. S. 75. 

«) Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. 47, 316 (1864). 

*) Quell, and Gesch. d. deutschen Rechts in Holtzendorfls Encyklop&die d. 
RechtswiÄ. 1, 235. 



10 


Alfons Dopsch. 


y. B. vertritt dieselbe Auffassung. Ob der Staat des MA. aber 
nicht doch auch mehr positive Zwecke sich gesetzt hat? Mit der 
8alus oder utüxtas publica nicht doch auch die öffentliche Wohlfahrts¬ 
pflege gemeint sein konnte? v. B. leugnet es (S. 200£). Aber sind 
nicht die bekannten Maßnahmen Karls d. Gr. wider den Preiswucher 
(Preissatzungen von 794 und 806) in Zeiten großer Teuerung, sind 
nicht die fortgesetzten Bemühungen der fränkischen Könige gegen die 
Bedrückung des kleinen Mannes durch die Großen und Mächtigen l ), 
ist vor allem auch die nachdrückliche Übung der Verwaltungsgerichts- 
barkeit nicht doch »etwas wie moderne Sozialpolitik*? Von Ludwig 
d. Fr. rühmen seine Lobredner, daß er gleich nach seinem Regierungs¬ 
antritt eine besondere Untersuchung angeordnet habe, um dem Un¬ 
recht in der Justiz zu steuern und sozialer Depression entgegenzu¬ 
wirken. 

Jedenfalls hat die Staatsauffassung in den germanischen Reichen 
durch die kirchlichen Einflüsse eine Steigerung erfahren, v. B. 
bezeichnet diese als »eine wohltätige Einwirkung der Kirche“ auf dem 
Gebiete des Staatsrechts (S. 195). Das ist gewiß zutreffend. Nur möchte 
ich doch nicht unerwähnt lassen, wie sehr die Kirche dabei auch im 
eigenen Interesse handelte. Je mächtiger der Träger der öffentlichen 
Gewalt, desto wirksamer war auch der Schutz, den er ihr angedeihen 
lassen konnte. Seit Begründung des Einkönigtums unter Clodovech 
wußte sie ja sehr zielbewußt als eine wichtige Aufgabe dieses König¬ 
tums auch den Schutz der Kirche immer wieder hervorzukehren. Und 
genau dasselbe können wir nach den Zeiten des Verfalles königlicher 
Gewalt, der ihr doch nur vorübergehend Nutzen, bald aber schwere 
Einbuße brachte, dann wieder bei Aufrichtung des Kaisertums be¬ 
obachten. Es ist schon mehrfach bemerkt worden, daß »der Kaiser der 
Kirche noch näher stand und seine Gewalt kirchlichen Zwecken noch 
mehr dienstbar machte als der König* (v. B. S. 196). M. E. ward er 
dazu durch eine großzügige Politik der Kirche selbst geführt. Sie wußte 
es so zu gestalten, daß der deutsche Imperialismus stets auch ihr zu 
statten kam. Damit soll keineswegs verkannt werden, wie sehr auch 
der Staat sich der Mithilfe der Kirche bei Durchführung seiner Ziele 
wirksam bediente und durch sie streckenweise ebenso mächtig gefordert 
ward. Gerade in dieser Verbindung und gegenseitigen Durchdringung 
der beiden Gewalten liegt ja ein gutes Stück Eigenart der mittelalter¬ 
lichen Verfassung beschlossen. Hier macht sich in dem Werke v. B.s 


*) Vgl. die Quellenbelege in meiner , Wirtschaften twicklung der Karolinger¬ 
zeit« 2, 15 ff sowie 266 f. 



Der deutsche Staat des Mittelalters. 


11 


doch fühlbar, daß ein Kapitel über das Verhältnis von Staat und Kirche 
im MA_ fehlt. 

Der staatliche Charakter des deutschen Reiches im MA. kommt ferner 
in der rechtlichen Natur der allgemeinen Abhängigkeit»- und Herrschaffce- 
rerhaltnisse zum Ausdruck (§ 5. Der Untertanenverband und 
die Natur der staatlichen Herrschaft S. 207ff). Denn diese 
and nicht auf privatrechtliche Beziehungen zu reduzieren, wie die An . 
bänger der Theorie vom Patrimonialstaate glauben machen wollten. 
t. B. schließt sich der von Waitz, P. Roth und Sohm vertretenen An¬ 
sehauung an, daß die Grundlage des Reiches ein allgemeines staats¬ 
rechtliches Verhältnis, die Abhängigkeit jedes freien Einwohners von 
dem gemeinsamen Staatsoberhaupt, bildete, die Verfassung auf der all¬ 
gemeinen Dienstpflicht der Freien beruhte (S. 210). Das Abhängig¬ 
keitsverhältnis wurde durch einen Treueid bekräftigt Über diesen hat 
E. Mühlbacher eine lehrreiche Untersuchung veröffentlicht 1 ), die B.s 
Auffassung noch verstärkt. Daß leudesamio das allgemeine staatsrecht¬ 
liche Verhältnis der Reichsinsassen zum König bezeichnet und nicht 
bloß auf engere persönliche Beziehungen zu diesem deute, wie H. Brunner 
annimmt, hatte auch Heinr. Siegel kräftig betont 8 ). Zur Unterstützung 
der Ausführungen v. B.s möchte ich noch auf eine sehr wichtige histo¬ 
rische Erscheinung hinweiseil, die in diesem Zusammenhänge bis jetzt 
nicht gewürdigt wurde. Die fränkischen Könige haben wiederholt jede 
fönnng verboten, die nicht dem Gemeinwohl diente. Man hat ganz 
allgemein die Erklärung dieser Einungsverbote damit gegeben, daß diese 
privaten Einungen gegen den allgemeinen Fidelitätseid verstießen. Das 
allgemeine Verpflichtungsverhältnis gegen den Staat schloß also jede 
private Einung aus, sofeme sie mit dessen Interessen unvereinbar war. 

Eine Anomalie gegenüber dem allgemeinen Staatsbürgertum stellt 
in dem germanischen Reiche des MA. das Gefolgschaftswesen 
dar. Dieses besondere Dienst- und Treueverhältnis wird häufig für den 
privatrechtlichen Charakter des mittelalterlichen Reiches ins Treffen ge¬ 
führt. v. B. betont mit Recht, daß man das persönliche Element, das 
der alten Verfassung eigen ist, nicht mit dem privatrechtlichen gleich- 
setxen dürfe (S. 221). Das eine konnte neben dem andern, dem all¬ 
gemeinen Untertanverhältnis, bestehen, wie etwa nach dem preußischen 
Landrecht Militär- und Zivilb* diente außer den allgemeinen Untertanen- 
pflichten dem Oberhaupte res Staates besondere Treue und Gehorsam 
schuldig sind. Ich füge noch hinzu, daß im Falle eines Konfliktes der 


’) Die Treupflicht in den Urkk. Karls d. Gr. Diese Ztechr. Erg.-Bd. 6, 871 ff. 
*) Deutsche Bechtagesch. (1886) 3. 164. 



12 


Alfons Dopsch. 


Dienstpflicht des Vasallen mit den öffentlichen Untertanpflichten das 
fränkische Königtum die Ansprüche des öffentlichen Dienstes, etwa bei 
Nichtteilnahme des Herren an der Heerfahrt, doch geltend gemacht hat 1 ). 
Dabei soll nicht verkannt werden, daß die [Realisierung dieser Ansprüche 
freilich von der tatsächlichen Machtgewalt des Königs abhing, über 
welche er den Gefolgsherren gegenüber gerade verfügte. 

Am stärksten vielleicht erscheint die Staatlichkeit der Verfassung 
des deutschen Beiches im MA. durch die Theorie vom Geschlechter¬ 
staat in Frage gestellt, die besonders durch H. v. Sy bei vertreten 
wurde. Die Annahme, daß der Staat aus dem Geschlecht, Verbänden, 
die auf der Gemeinsamkeit des Blutes beruhten (Familie, Sippe), her- 
vorgegangen sei, ist heute gerade von den Bechtshistorikem verlassen, 
oder doch mindestens deren Gültigkeit in die prähistorische Zeit zu¬ 
rückgeschoben worden. Wie Heinr. Brunner gegen Sybel, so hat sich 
Stutz gegen 0. v. Zallinger, der ihr noch anhing, mit überzeugenden 
Argumenten gewendet Auch Bich. Schröder ist der Meinung, daß die 
Geschlechter für das öffentliche Becht keine Bedeutung hatten und 
diese sich auf die Ortsgemeinde, sowie wirtschaftliche und flurpolizei¬ 
liche Angelegenheiten beschränkte 2 ). 

Sicherlich hat das erkennt B. an (S. 224), die Bedeutung des 
Geschlechtes auch in das öffentliche Leben hiueingereicht aber den 
Bahmen für die Verfassung hat es in der hier betrachteten Zeit (etwa 
seit Beendigung der Wanderungen) nicht gebildet 

Auch das Vorkommen von Bezeichnungen wie angelsächs. ecddor - 
man oder burgundisch sinista (d. Älteste) für den Hohenpriester kann 
nicht zum Beweise dienen, oder gar die Theorie von einem Patriarchal¬ 
staate begründen helfen, da sie noch nicht besagen, daß die Einrich¬ 
tungen, auf welche sie zurückweisen, auch noch zu der Zeit bestanden 
haben, in welcher sie weiter gebraucht wurden. Das hatte schon Waitz 
gegenüber Sybel zutreffend geltend gemacht Hier noch zwei besonders 
drastische Beispiele aus der Gegenwart Der Bürgermeister von Laibach 
führt noch heute die slovenische Bezeichnung Zupan (— senior rülae, 
magister villae ) 3 ) und der oberste Komitatsbeamte in Ungarn heißt 
Ober-Gespan, ein Wort, das aus derselben slavischen Wurzel entstanden 
ist 4 ). Kein Mensch wird daraus hier und dort für heute die Fort- 

*) Vgl. H. Brunner RG. 2, 269. 

*) Deutsche RG. * S. 19. 

8 ) Vgl. J. Peißker, Die ältere Sozial- und Wirtschafteverfassung der Alpen¬ 
slaven, Vierteljahrechr. f. Soz. u. Wirt-Gesch. 7, 327. 

4 ) Vgl. Miklosich, Die slav. Elemente im Magyarischen, Denkschr. d. Wiener 
Akad. 21, 63 n. 955. 



Der deutsche Staat des Mittelalters. 


13 


datier eines Patriarchal Staates, oder einer Geschlechterverfassung folgern 
wollen. 

Der staatliche Charakter der deutschen Verfassung in 
fränkischer Zeit mag erwiesen sein. Aber er wurde, so kann man 
entwenden, doch alsbald aufgelöst. Auch Forscher, die einen allge¬ 
meinen Untertanenverband für jene frühere Zeit annahmen, wie P. Roth, 
lasen am Ausgang der Karolingerzeit eine «Lähmung aller öffentlichen 
Funktionen* eintreten, die durch das Seniorat erfolgte. Hier setzte 
nun die Feudalisierung der Verfassung ein, von einem allgemeinen 
Untert&neneid ist nichts mehr wahrzunehmen. v. B. tritt gegen diese 
Anschauungen auf. Daß jetzt nicht mehr alle Reichsinsassen, sondern 
bloß die Großen den Eid leisten, bedeute keinen Übergang des Unter- 
ianenverbandes in den Lehensverband, denn die Mitglieder des neuen 
Beichsfürstenstandes, welche so einen Untertaneneid empfangen, bilden 
bloß einen Teil der Zwischeninstanzen zwischen Reichsoberhaupt und 
Volk. Neben ihnen gibt es noch viele andere, deren Stellung zum 
Beiche nicht durch das Lehensband dargestellt ist, so die nichtfürst- 
lichen Landesherren und die Städte. Aber auch innerhalb der fürst¬ 
lichen Gebiete ist ein großer Teil der Exekutivgewalt, die Richter über 
eausae maiores, dem König eidlich verbunden, da sie von ihm die 
Bannleihe einzuholen haben. Endlich tritt auch noch am Ausgang 
des MA. der allgemeine Untertanenverband in gewissen Steuerforderungen 
de* Königs (gemeiner Pfennig*) zu Tage. Die Ausbildung der Landes¬ 
hoheit, welche einen neuen Untertaneneid in den einzelnen Territorien 
schafft, bedeutet nach B. nicht eine Auflösung, sondern nur eine Durch¬ 
brechung des alten Untertaneneides. Das Band, das die Landes¬ 
herren mit dem Reiche (König) verbindet, war ein öffentlichrechtliches 
(B. & 241). 

Man wird also doch nur von einer teilweisen Feudalisierung der 
deutschen Verfassung im MA. sprechen können; und das gibt ja auch 
B. zu (a 235). Übrigens kann schon hier kräftig betont werden, 
was v. B. wahrscheinlich auch dem 2. Bd. seines Werkes vorbehielt, — daß 
gerade die Ausbildung der Landeshoheit dann ja das Lehenswesen in¬ 
nerhalb der Territorien gebrochen hat Die Gerichte und Verwaltunga- 
imter wurden hier nicht mehr zu Lehen gegeben, sondern durch ein 
Undesf&rsÜiches Dienertum (Landrichter, Vögte, Amtleute) ersetzt, dessen 
Bestellung nicht mehr lehe. rechtlich, sondern amtsrechtlich begründet 
ward!). So setzt, nachdem die Umwandlung der alten Ämter in Lehen 


*) Besonders deutlich in Österreich, vgl. meine Darlegungen über > Re form- 
kirche und Landesherriichkeit in Österreich« in Festachr. d. akad. Ver. deutscher 



14 


Alfons Dopsch. 


einen nichtigen Anstoß zur Ausbildung der Landeshoheit gegeben hatte, 
gerade mit dieser eine Bückbildung des Feudalisierungspro¬ 
zesses der deutschen Verfassung ein. 

Es ist nun wichtig festzustellen, wie weit in Deutschland diese 
Feudalisierung gediehen war, welchen Charakter sie hier gewonnen 
hatte. Gerade der Umstand, daß Hoheitsrechte, vor allem Gerichtsbe¬ 
zirke, aus der Hand des Königs an Private übergingen und mit ihnen 
auch die Herrschaft über Untertanen, hat ja wesentlich dazu beige¬ 
tragen, die älteren Anschauungen von der Staatlosigkeit der Verfassung 
des MA. hervorzubringen. Und das umsomehr, als die Veräußerung in 
Formen vor sich ging, die dem Privatrechtsverkehr (bes. Inmobilien¬ 
verkehr) entlehnt waren, Verlehnung und Verpfändung. Das Privat¬ 
recht hatte also, so sagte man, vom Staate Besitz genommen, der Staat 
ist nach Analogie des Grundeigentums behandelt worden. 

Demgegenüber hat B. eine Beihe wichtiger Beobachtungen ins 
Treffen geführt Der staatliche Charakter bleibt an den veräußerten 
Bechten haften. Der veräußerte Gerichtsbezirk hört nicht ganz auf, 
staatlicher Gerichtsbezirk zu sein, er verlieh vielmehr demjenigen, der 
ihn erhielt eine staatliche Stellung (B. S. 247). Der Übergang eines 
solchen an einen Privaten hebt diesen sofort aus der Sphäre der pri¬ 
vaten Verhältnisse heraus. Ich möchte gerade hier daran erinnern, daß 
auch Vertreter der sog. grundherrlichen Theorie z. T. schon zu ähn¬ 
lichen Annahmen sich gedrängt fühlten, wie z. B. Karl Lamprecht doch 
mehrfach von „halbstaalichen Gewalten * solcher Grundherren gesprochen 
hatte, die öffentliche Bechte erwarben. 

v. B. stellt nun direkt die These auf: »Gerichtsbesitz adelt 41 . Es 
wird, glaube ich, noch näherer Belege bedürfen, diese These so allge¬ 
mein zu erhärten. Denn der Umstand, daß die Familien, welche öffent¬ 
liche Gerichtsbezirke erwerben, später den sog. hohen Adel darstellen, 
erscheint mir noch nicht beweiskräftig genug. Man könnte nämlich 
diesen Satz m. E. sehr wohl auch umkehren: Hohe Gerichtsbarkeit haben 
vor allem doch solche Familien erworben, die bereits eine bevorzugte 
Stellung besaßen, wie z. B. in Österreich die Ministerialen. Es geschah 
auch innerhalb der Landesherrschaften, ohne daß also überall die Er¬ 
werbung der Landesherrschaft sich daran hätte anschließen können. 
Gleichwohl bleibt unbestreitbar, daß die Erwerbung der öffentlichen 
Gerichtsbarkeit den Einfluß und die Stellung ihrer Inhaber wesentlich 
hob und verstärkte. 


Historiker in Wien 1914, S. 25 ff. sowie Beitr. z. Gesch. d. Finanz Verwaltung 
Österreichs im 13. Jh. in dieser Zisch. 18, 2öö ff. bes. 333 f. 



Der deutsche Staat des Mittelalters. 


15 


Gegen die priyatrechtliche Theorie und zu Gunsten der Below’schen 
Auffassung möchte ich noch zwei Momente geltend machen. Diese 
öffentlichen Gerichtsbarkeiten konnten nicht von jedem Grundherrn er¬ 
worben werden, sondern es war deren Erwerbung an bes timm te Stan- 
desquali taten geknüpft, in Österreich mindestens an das sog. freie 
(Herren) Eigen, cL h. aber Grund und Boden, der niemandem (außer 
dem Landesherm) pflichtig ist 1 ). Es trat auch das veräußerte Gericht 
nicht auf eine Stufe mit dem Grundbesitz schlechthin. Man unter¬ 
schied dieses öffentliche Gericht bezeichnenderweise als hohes Gericht 
von dem niederen und rein grundherrlichen *). Anderseits aber bediente 
sich die öffentliche Gewalt (Landesherrschaft) dieser grundherrlichen In¬ 
haber der veräußerten Gerichtsbarkeit auch weiterhin zur Durchführung 
staatlicher Funktionen, wie Steuereintreibung, Truppenaufgebot und 
Polizei Es waren also diese Hoheitsrechte dem Staate tatsächlich auch 
nach der Veräußerung an Private nicht ganz abhanden gekommen, oder 
seiner Einflußsphäre entrückt Und das erklärt sich m. E. zum guten 
Teil auch daraus, daß die Veräußerung jener Hoheitsrechte ja vielfach 
zunächst vorwiegend wegen der nutzbaren Seite derselben erfolgt war. 
Auf die Nutzung der daraus fließenden Abgaben war das Hauptaugen¬ 
merk der Erwerber doch gerichtet, wie das bei der Verpfändung von 
Hoheitsrechten besonders deutlich wird. 

Wohl schoben sich mit diesen Veräußerungen von Hoheitsrechten 
an Private Zwischenglieder zwischen den König und das Volk, aUein 
sie bildeten doch keine starre Scheidewand, sondern vermittelten zu¬ 
gleich auch eine Durchwirkung von oben nach unten. Ich meine, die 
ältere Forschung hat die Bedeutung der Ämter-Feudalisierung in 
Deutschland ebenso überschätzt, wie jene der Immunitätsverlei¬ 
hungen auch. Denn man hat die Folgewirkungen beider mehr 
theoretisch konstruiert, als praktisch in concreto, d. h. an der Hand 
der Quellen, nachgewiesen. Erst die neueren Untersuchungen haben 
da klarere Einsicht geschaffen. Die Immunität bedeutet keineswegs 
rollen Austritt aus dem Grafschaftsverband und auch keine völlige Be¬ 
freiung von allen öffentlichen Lasten. Dazu war, wie schon Theodor Sickel 
dargelegt hatte, noch ein besonderes königliches Privileg notwendig. 
Daher möchte ich auch nicht mit Waitz und v. B. (S. 254) annehmen, 
daß «die Zuweisung der Gebühren und Abgaben das primäre Moment 
bei der Immunität gewesen* sei, sondern, wie ich schon vor 10 Jahren 

* i VgL 8. Adler, Zur Rechtageschichte des adeligen Grundbesitzes in Öster¬ 
reich & 43. 

*) VgL H. Hirsch a. &. 0. 8. 96 und die dort zitierte Spezialliteratur. 



16 Alfons Dopsch. 

in dieser Zeitschrift betont habe (26, 347), das Verbot des iniroitus 
iudicis publict. 

Die Immunität hat auch, vorab in der Karolingerzeit, keine scharfe 
Spitze gegen den Staatsverband gehabt, sondern ist vielmehr, wie 
Kroell zutreffend ausgefiihrt hat, eine Form gewesen, durch welche ein 
Teil des fränkischen Reiches von staatswegen bestimmt geordnet wurde, 
u. zw. eingegliedert in den Staat Die alten Privilegien der Erteilung 
von Königschutz verschwinden seit Karl d. Gr. mehr und mehr, an 
ihre Stelle traten die Immunitätsverleihungen. Sie gewähren, wie ich 
dargetan habe, stellenweise auch Schutz wider Bischöfe und Laienge¬ 
walten mit direkter Unterstellung unter den König l ). Die Immunität 
wendet sich also z. T. geradezu gegen die feudalen Gewalten. Sie schafft 
was nicht übersöhen werden darf, auch die Reichsabteien, deren freie 
Stellung in der deutschen Verfassung kein unwesentliches Glied ge¬ 
bildet hat Und als nach den staatsfeindlichen Zeiten des sog. In¬ 
vestiturstreites das Königtum daran geht, den für seine Machtgewalt 
so gefährlichen Bund der Reformkirche mit den süddeutschen Dynasten 
zu brechen, da tritt als ein Hauptziel die Schaffung und Förderung der 
Reichskirche hervor 2 ). Zu der staufischen Zisterzienservogtei muß man 
aber auch die zahlreichen Urkundenfälschungen des 12. Jahrhunderts 
aus den deutschen Reichsabteien hinzuhalten, will man jenen großen 
und wichtigen Verfassungsprozeß richtig werten. Sie suchen ihre Reichs¬ 
freiheit gegenüber dem Druck der feudalen Gewalten (Bischöfe und 
Adel) dadurch zu sichern, daß sie falsche Immunitätsprivilegien auf 
den Namen karolingischer Könige anfertigten und der kgL Kanzlei zur 
Bestätigung vorlegten 8 )! 

Ich habe absichtlich diese Bemerkungen der Darstellung v. B. hin¬ 
zugefügt, weil, sie das, was Kroell für die Karolingerzeit behauptet 
hat, auch für das 12. Jahrhundert in Deutschland bezeugen: die Im¬ 
munität hat keineswegs nur negative Wirkungen gezeitigt, sie ist nicht 
bloß ein Motiv der Auflösung des Staates gewesen, sondern mitunter 
auch ein Mittel positiver Förderung staatlicher Ziele. 

0. Gierke hat die These aufgestellt, daß das Feudalsystem durch 
die freie Einung durchbrochen worden sei, diese als Prinzip der 
Freiheit den Feudalismus ablöse, der die Abhängigkeit alles Rechts 
vom Grund und Boden, Knechtschaft und Dienst, darstelle. Auch da 
tritt m. E. so recht der große Fortschritt zu Tage, den die verfassungs- 

*) Wirtschaftsentwicklung der Karolingerzeit 2, 110 ff. 

*) Vgl. H. Hirsch, Die Klosterimmunität seit dem Investiturstreit S. 111 11*. 

s) Vgl. meine Ausführungen in dieser Ztschr. 17, 25 ff. sowie 19, 597 ff. 



Der deutsche Staat des Mittelalters. 


17 


geschichtlichen Studien der letzten Jahre gezeitigt haben. Die ein¬ 
gehende Bearbeitung der einzelnen Territorien hat gelehrt, daß die 
Einung sehr oft geradezu feudalen Zwecken diene (B. 262). Gerade in 
der Zunftverfassung, einem charakteristischen Attribut des Feudalstaates, 
hat die Einungsbewegung ihr bevorzugtes Feld gehabt Mit Recht be¬ 
tont B-, daß die Einung verfassungsgeschichtlich mehr negativ wirksam 
wurde, als positiv staatsbildend. Selbsthilfe gegenüber Bedrohung von 
außen! Sei es der Städte gegen die Fürsten, sei es einzelner Standes¬ 
klassen sonst zur Aufrechthaltung ihrer Rechte (z. B. der Ritter). Die 
Einungen haben keineswegs die Landtage hervorgebracht wie Gierke 
meinte, sondern vielfach feudalistische Zwecke (Standesvorrechte) zu 
verwirklichen gesucht. 

v. B. nimmt an, daß der mittelalterliche Staat im wesentlichen 
eine Einungsfreiheit anerkannt habe. Es entspreche das dem losen Ge¬ 
füge desselben (S. 271). Ich kann ihm darin nicht beipflichten. Denn 
das Königtum hat nur die Einungen zugelassen, die den Interessen 
des Staates nicht zuwiderliefen. So sind die Einungsverbote der frän¬ 
kischen Könige, von welchen oben schon die Rede war x ), gerichtet so 
ist auch Kaiser Heinrich V. wider eine Einung der Bürger von Cambrai 
(gegen den Bischof dort) mit der charakteristischen Motivierung auf¬ 
getreten, daß sie gegen die Rechte des Reiches gehandelt hätten 2 ). 
Ganz ebenso haben später im Territorialstaate die Landesherren alle 
Einungen verboten, die nicht auf das Wohl des Landes gerichtet waren, 
wie das österr. Landrecht von 1266 sagt (§ 63): Wir seczen und ge - 
pieten, das iemand er sei hoch oder nider kain ainigung icht habe , noch 
mit aiden besame icht sweren, an das den leuten und dein lande gut 
sri und nuczper gemaincleich 8 ). 

Lehenswesen, Immunität und Einung haben dem Reiche im MA 
Hoheitsrechte in großer Menge entzogen. Von einer absoluten Herr¬ 
schaft des Lehenswesens aber kann gleichwohl in Deutschland zu keiner 
Zeit die Rede sein (B. 276). Auch v. B. erblickt den Höhepunkt der 
Beeinflussung der Verfassung durch das Lehenswesen in der allgemein 
dafür angesetzten Zeit, am Ende des 12. Jahrhunderts. Die Behandlung 
des geistlichen Fürsten als Lehensfürsten, die Begründung der Heer¬ 
schildtheorie und des neueren Reichsfürstenstandes wie die Entwicklung 
der Landeshoheit gelten als bekannte Kennzeichen dafür. B. schlägt 


*) Siehe oben S. 11. 

*) Vgl Waitz VG. 7, 397. 

*) v. Schwind-Dopsch, Ansgew. Urkk. z. VG. österr. im MA. S. 101, sowie 
i^eme Bemerkungen dazu im Arch. f. österr. Gesch. 79, 63. r 



18 


A Ilona Dopsch. 


nun vor, man solle zwischen Lehensstaat und Feudalstaat ganz be¬ 
stimmt unterscheiden, „Feudalstaat ist, sagt B., der weitere Begriff, er 
hat sein vornehmstes Charakteristikum in der Veräußerung der Hoheits¬ 
rechte im allgemeinen, in der relativen Selbständigkeit der lokalen 
Gewalten; in dem Dasein von „Staaten im Staate«, in der Privilegierung 
der lokalen Gewalten, die wiederum zum großen oder größeren Teil auf 
der Veräußerung öffentlicher Hechte beruht Der Lehensstaat kommt 
zum Ausdruck in der Beeinflussung der Verfassung speziell durch das 
Lshenswesen. Wenn das Lehenswesen gleichfalls eine Entfremdung 
von Hoheitsrechten bewirkt, so rechnen wir aus dieser doch nur die¬ 
jenigen Erscheinungen zum Lehensstait, die gerade durch das Lehens¬ 
wesen bedingt sind« (B. 280). 

B. will die klassische Zeit des Feudalismus dort beginnen lassen, 
wo der Lehensstaat seinen Höhepunkt erreicht hat, am Ende des 
12. Jahrhunderts. Die Parallele aus dem Sprachgebrauche, daß das lateinische 
Wort für Lehen, beneficium, mit dem 13. Jahrhunderte durch die Be¬ 
zeichnung feudum verdrängt wurde (B. 281 n. 1), trifft freilich nicht 
ganz zu. Denn hatte schon Scheffer-Boichorst x ) nachgewiesen, daß dieser 
Wandel sich in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts vollziehe, so 
zeigt das Ebersheimer Dienstrecht, daß er bereits in der ersten Hälfte 
dieses Säkulums einsetzt 2 ). 

Ob mit einer solchen Unterscheidung auch viel gewonnen ist? B. 
bemerkt, da er die für den Feudalismus charakteristischen Erscheinungen 
aufzählt, doch selbst: „Neben allem behaupten sich wichtige lehens¬ 
rechtliche Einrichtungen« (S. 281). Und er gibt auch zu, daß das, was 
am Ausgang des 15. Jahrhunderts dem Feudalismus ein Ende gesetzt haben 
soll, die Rückgewinnung der veräußerten Hoheitsrechte, doch auch vorher 
schon wiederholt vom Königtum angestrebt worden ist. Nicht nur unter 
den Staufern und Rudolf von Habsburg tritt das zu Tage (B. 282), auch 
König Albrechts Kampf mit den rheinischen Kurfürsten wäre da zu neDnen. 
Ebenso wurden in den Territorien nicht erst „seit dem 15. Jahrhunderte 
die verpfändeten Gebietsstücke zurückgewonnen und ein Feldzug gegen 
den Feudalismus auf den mannigfaltigsten Gebieten begonnen«, das ist 
z. B. in Österreich auch schon weit früher, im 13. Jahrhunderte, der 
Fall gewesen 8 ). 


*) Ztßchr. f. d. Gesch. d. Ob.-Rheins NF. 4, 299. 

*) Vgl. meine Bemerkungen in dieser Ztschr. 19, 605. Dazu auch Wentske, 
Ztschr. f. Gesch. d. Ob.-Rheins 25, 60. 

B ) Vgl. meine Ausführungen über die Bedeutung Herzog Albrechts L (1282 
—98) für die Ausbildung der Landeshoheit in österr. Bll. d. Ver. f. Landesk. v. 
Nö. 1893. 



Der deutsche Staat des Mittelalters. 


19 


Andererseits aber wird man nicht übersehen dürfen daß gerade 
das, was dem Feudalismus ein Ende gesetzt haben soll, die Reichs- 
reform von 1495, tatsächlich an dem Widerstande der Stande gescheitert 
ist; daß auf sie das Beichsregiment von 1500 folgte, das durchaus die 
Signatur der klassischen Zeit des Feudalismus an sich trägt 1 ). Auch 
die großen Verwaltungsreformen Maximilians I., die sich zu Gunsten der 
Annahmen Bn noch anf&hren ließen, weisen, wie Walther m. E. zutreffend 
betont hat 2 ), sehr stark den ständischen Einschlag und Einfluß auf 

Die Ursachen des Verfalles des Feudalismus sind kaum nur ver- 
fassungsgeschichtlicher Art gewesen. Sicherlich haben auch die großen 
wirtschaftlichen Veränderungen im 15. und 16. Jahrhundert 
dazu mitgewirkt Man wird bei der Erörterung dieses wichtigen Prob¬ 
lems an ihnen nicht ganz Vorbeigehen dürfen. Vielleicht hätte hier 
auch die von französischen Forschem neuerdings wieder vorgetragene 
These Erwähnung verdient, daß der starke Bückgang der Einkünfte der 
feudalen Gewalten (Kirche und Adel) in Folge fortgesetzter Münzver- 
fchlechterung am Ausgang des MA. ein außerordentlich wirksames 
Motiv für den Buin des Feudalismus gewesen sei 8 ). 

Ein wesentliches Charakteristikum des Feudalstaates im MA. ist 
die Buntscheckigkeit der Verfassung, die mannigfaltigen Un¬ 
gleichheiten von Bechten und Pflichten, die Privilegierung der Klassen 
und Stände. Sie hängen z. T. mit der Veräußerung öffentlicher Kechte 
z usammen, dem verschiedenen Ausmaße, auf welches sich diese erstreckte. 
Es wurde ja nicht in gleichem Maße allgemein veräußert, sondern es 
wird eine Abstufung bemerkbar, die in naher Beziehung steht zu der 
Standesbildung (S. 285). Zum richtigen Verständnis dieser eigenartigen 
Erscheinung ist es, glaube ich, notwendig, die Darlegungen v. B.s noch in 
einer Richtung zu ergänzen. Die Veräußerung der öffentlichen Bechte 
darf nicht bloß als Negativum aufgefaßt werden, als »Mißgeschick« 
des deutschen Reiches, das «aus der Not seiner politischen Lage heraus 
zu Veräußerungen von öffentlichen Bechten schreiten“ mußte (B. 292 
u. 293). Wir wollen nicht übersehen, daß sie auch eine hohe, nicht zu 
unterschätzende positive Bedeutung besaß. Gerade darin ruht m. E. 
die große Einseitigkeit der Beurteilung mittelalterlicher Verhältnisse, in 
der die ältere Lehre befangen war. Auch da haben, meine ich, erst 

*) VgL K. Kaser, Deutsche Gosch, i. Ausgange des MA. 2 (1486—1519), 227. 

*) Die Ursprünge der deutschen Behördenorganisation im Zeitalter Maxi¬ 
milians L (1913) S. 19 ff. Dazu meine Bemerkungen in der Deutsch. Literatur¬ 
zeitung (P. Hinneberg) 1914, Nr. 13 Sp. 822. 

*) VgL A. Landiy, essai öconomique sur las mutationa des monnaies dans 
r ancienne France de Philippe le Bel ä Charles VIL (1910) 8. 210. 



20 


Alfons Dopsch. 


die neueren Verfassungen und wirtschaftsgeschichtlichen Spezialunter- 
suchnngen uns rechte Einsicht vermittelt Die Veräußerung von Hoheits¬ 
rechten erfolgte nämlich vielfach doch zu dem Zwecke, um staatliche 
Aufgaben durchzuführen, öffentlichen Erfordernissen und Notwendig¬ 
keiten Erfüllung zu gewähren. An einem Punkte hat doch auch v. B. 
diese Seite etwas berührt wenn er sagt: „Die Veräußerung der Hoheits¬ 
rechte war ferner ein direktes Mittel der Führung der Regierung: sie 
stand der Verwendung der ordentlichen Einkünfte fast parallel* (S. 283). 
M. E. erklärt sich aus diesem positiven Gesichtspunkt aber noch viel 
mehr, nämlich geradezu auch die Eigenart der Standesvorrechte der 
einzelnen privilegierten Klassen des MA. Die Steuerfreiheit der Ritter¬ 
lichen hat v. B. selbst doch auch als Unterstützung dafür erklärt daß 
sie den für den Staat so wichtigen Reiterdienst zu leisten vermögen 
(S. 284). Ferner scheint mir auch die Privilegierung der Bürger (Stapel- 
und Bannrechte) so geartet. Sie wurden damit zur Erfüllung ihrer 
hohen wirtschaftlichen Funktionen im Staate erst recht befähigt Hierher 
wäre auch zu ziehen, was B. in anderem Zusammenhänge später über 
die günstigen Folgen des Lehenswesens ausgeführt hat: daß das Lehens¬ 
system sich innerhalb gewisser Grenzen „als eine für das kgL Interesse 
nutzbare Form des Staatsorganismus erwiesen hat* (B. 307). Wie an 
der Westgrenze des Reiches die zum Abfalle bereiten Landesherren eben 
durch das Lehensband mit dem Herrscher verknüpft wurden, so ward 
auch die Ordnung der inneren Reichsverfassung dadurch gefördert, daß 
Heinrich L die Herzoge vermochte, ihr Herzogtum von ihm zu Lehen 
zu nehmen. In ähnlicher Weise wirkte später das Lehens wesen infolge 
Auftragung von bisher eigenkirchlichen Rechten durch die geistlichen 
und von Allodien durch die weltlichen Fürsten zusammenhaltend, nicht 
bloß auflösend (B. 309). Ja, der Lehenserwerb der kirchlichen Vogteien 
durch Friedrich I. hat großen Teils die Grundlage zur Schaffung der 
staufischen Hausmacht mitgebildet (B. 310). 

Der tiefere Sinn, der bei diesen Veräußerungen von Hoheitsrechten 
durch das Königtum ursprünglich mitwirkte, war also, davon soviel 
und das an die einzelnen Standesklassen zu überlassen, als zur Er¬ 
füllung ihrer öffentlichen Aufgaben nötig war. Direkt ausgesprochen 
findet sich dieser Grundsatz bei der Erteilung der ältesten Münz- und 
Marktprivilegien an geistliche Große durch die letzten Karolinger l ). 
Natürlich hat diese Überlassung alsbald dann mit der steigenden po¬ 
litischen Macht der feudalen Gewalten bei diesen das Bestreben er- 


Vgl. J. Lechner in dieser Ztschr. 22, 389 (mil Druckfehler: .Reichszinsfuß« 
statt Reichs m ü n z fuß!). 



Der deutsche Staat des Mittelalters. 


21 


weckt, soviel als möglich an nutzbaren Hoheitsrechten in ihre Hände 
zu bringen. 

Durch die oben gegebene Auffassung der Veräußerung von Hoheits¬ 
rechten durch das Königtum an Private erklärt sich nun auch die oft 
hervorgehobene „Vermischung* von öffentlichen und pri¬ 
vaten Hechten im MA~, das Ineinanderfließen beider, v. B. wendet 
sich gegen diese Art der Darstellung. Der Ausdruck ist tatsächlich 
auch nicht zutreffend. Es ist, sieht man schärfer zu, keine «Ver¬ 
mischung* eingetreten, vielmehr läßt, wie B. mit Recht betont (S. 290), 
die Terminologie der Eechtsausdrücke des MA. eine bewußte Unter¬ 
scheidung verschiedenartiger Berechtigungen erkennen. Man wußte 
privatrechtliche und öffentlichrechtliche Befugnisse, auch wenn sie in 
die gleiche Hand kamen, zu trennen. 

Immerhin möchte ich nicht leugnen, daß eine nähere Beziehung 
und ein Ineinandergreifen von privatrechtlichen und öfientlichrechtlichen 
Befugnissen zu beobachten ist Ob aber Solches nur dem Mittelalter 
eigen ist? Vor allem sollte man, glaube ich, die gewöhnlich, ja am 
meisten berufene Verwendung öffentlicher Einnahm en des Herrschers 
zu privaten Zwecken, sowie die Deckung öffentlicher Ausgaben durch 
private Mittel desselben (v. B. 296) nicht dafür ins Treffen führen. 
Wird denn nicht auch heute ein guter Teil der „Zivilliste* moderner 
Herrscher (mit Bewilligung des Parlaments) aus öffentlichen Ein¬ 
nahmen gespeist und umgekehrt aus deren Privatmitteln (in Österreich 
„aus der Privatschatulle* des Kaisers) reichlich für öffentliche Zwecke 
gespendet? 

Daß man in der Karolingerzeit zwischen öffentlichem und Privat¬ 
gut des Königs sehr wohl zu unterscheiden wußte, ist oben bereits 
bemerkt worden 1 ). Und schon Mitte des 12. Jahrhunderts stellte der 
bekannte geistliche Publizist Gerhoch v. Beichersberg den Satz auf: De 
regni autem facuUate , quae est res publica, non debet a rege fieri do¬ 
natio privata. Est enim et regibus in p^sterum successuris integre 
conservanda aut communicato principum consilio donanda. De re autem 
privata tarn a regibus quam a ceteris principibus potest fieri donatio 
privata 2 ). 

Als eine Eigentümlichkeit des mittelalterlichen Reiches hat man 
nicht selten auch das lose Gefüge der Verfassung bezeichnet und 
hervorgehoben, daß das Verhältnis der einzelnen Teile zum Reichsober- 
haupt nicht durch sichere Rechtsgrundsätze bestimmt, sondern ohne 


*) Siehe oben S. 8 n. 3. 

*) De aedificio Dei c. 10 vgl. Waitz YG. 8, 243. 



22 


Alfons Dopsch. 


genauere Feststellung schwebend gewesen sei. „Die Feudalmonarchie 
entstand, sagt Stahl in seiner Philosophie des Rechts, als ein Band 
wechselseitiger Treue, privatrechtlicher Art, als eine Abstufung gleich¬ 
artiger Herrscher.“ v. B. macht dieser Auffassung auffallend viele Kon¬ 
zessionen. Aber so Manches, was er als Zeugnis für die geringere 
Kraft des Staatswillens anführt, wird auch anders erklärt werden können. 
Vor allem möchte ich den Abschluß von Verträgen des Königs mit 
Gliedern seines Reiches auch über öffentliche Verhältnisse nicht so un¬ 
bedingt dazu rechnen. Man wird da mindestens zu unterscheiden haben 
zwischen der älteren und späteren Zeit des MA. In letzterer, wohin 
jedenfalls das Gros solcher Verträge fällt, dürfte sich vieles wohl doch 
auch aus dem veränderten staatsrechtlichen Gefüge der Verfassung er¬ 
klären. Das Reich von damals läßt sich gar nicht auf eine Stufe mit 
unserem modernen Staate stellen, weil der König aus der Mitte gleich¬ 
berechtigter Fürsten gewählt wurde und seine Machtstellung einer Wahl 
verdankte, deren Ergebnis von einer zuvor abgeschlossenen Wahlkapi¬ 
tulation mit diesen abhängig war. 

Auch die erneute Bestätigung von Privilegien seitens der Könige, 
durch welche bereits anerkannte Rechtssätze wiederholt werden, wird 
man heute mit Vorsicht behandeln müssen. Denn nach den Aus¬ 
führungen H. Brunners über die altere deutsche Schenkung wird man 
auch diese Privilegien aus der Eigenart des deutschen Rechtes zu er¬ 
klären haben. Das waren Rechte, die als Belohnungen für Treue und 
Dienst vom König erteilt wurden, deren Rechtsbestand abhing von der 
Fortdauer der rechtlichen Voraussetzungen, unter denen sie zustande 
gekommen waren. Ich möchte in der Bestätigung der Privilegien um¬ 
soweniger ein Schwächezeichen des Staatswillens sehen, als der König 
und in den Territorien dann die Landesherren eben daran ein Mittel 
zur Durchsetzung ihres Willens besaßen. Sie hängen ja bis zu einem 
gewissen Grade auch mit dem fürstlichen Gnadenrechte zusammen, in 
dem B. selbst eine Erbschaft des Königtums als Nachfolger der alten 
Landgemeinde erblickt 1 ). 

Noch mehr als v. B. würde ich die Bedeutung des Gewohn¬ 
heitsrechtes betonen. Denn so Manches von dem, was man immer 
noch als Usurpation bezeichnet, ist doch eigentlich tatsächliche Übung, 
gegen die keine Einsprache erfolgte. So scheint mir auch das jüngere 
Stammesherzogtum weniger „durch Usurpation aufgekommen* (B. 309), 
denn nie ganz abgekommen, älteren Ursprunges zu sein. 


') S. 217 ff. 



Oer deutsche Staat des Mittelalters. 


23 


Man hat vielfach den Staat des MA^ besonders seit Haller, als 
Patrimonialstaat bezeichnet. Die Herrschaft sei in erster Linie 
eine Gewalt über das Gebiet, die Staatsangehörigen Zubehör von Grund 
und Boden. Auch da wird mit v. B. schärfer zu scheiden sein. Die 
große Bedeutung des Grundbesitzes in der älteren Zeit kann zugegeben 
werden, ohne daß man darin die Grundlage der Verfassung sehen müßte. 
t. B. erinnert sehr treffend daran, daß der deutsche König gerade in 
der Zeit, als der Feudalismus die Reichsverfassung am schärfsten erfaßt 
hatte, fast landlos war (S. 316). Diejenigen Elemente der alten Ver¬ 
fassung, die man tatsächlich als patrimonial ansprechen könnte (grund- 
herrliche Gerichtsbarkeit und Eigenkirchenrecht) sind nach v. B. (319) 
«doch viel zu gering, um die Bezeichnung des mittelalterlichen Staats 
als eines Patrimonialstaats zu rechtfertigen*. Vielleicht ließe sich zu 
Gunsten der Auffassung v. B.s noch ein Moment geltend machen. Wir 
können nämlich fortlaufend geradezu einen Gegensatz der sog. patri- 
monialen Gewalten zu dem Träger der ßeichsgewult beobachten. Die 
obaste Gerichtsbarkeit im Reiche wird nicht auf Grund des Landbe¬ 
sitzes, sondern in Vertretung der Gemeinschaftszwecke gegen die pri¬ 
vaten Grundherren ausgeübt (Appellationsinstanz!). 

Ebensowenig sind die Bezeichnungen des mittelalterlichen Reiches 
als Lehensstaat oder Bundesstaat zutreffend. Das Reich ist keines¬ 
wegs vom Lehensnexus ganz erfüllt Die Grafschaften waren z. T. 
allodiai, die Reichsstädte waren nicht Lehen des Königs, ja nicht ein¬ 
mal alle Reichsritterschaften waren es. Aus demselben Grunde stellen 
auch die Unterverbände mit eigenen Untertanenschaften, wollte man 
sie als Gliedstaaten eines Bundesstaates auffassen, keine geschlossene 
Gruppe dar, weil neben ihnen noch große Kreise sonst am allgemeinen 
politischen Leben, vor allem der Reichsvertretung (Reichstag) teilhaben, 
wie die Ritter und Städte. Ihre Rechte gegenüber dem Reiche waren 
zudem ungleich (gesonderte Kollegien auf dem Reichstag, Viril- und 
Kurialstimmen). Erst am Ausgang des MA. lenkte das Reich mit der 
Reichsreform in die bundesstaatliche Verfassung ein (B. 326). 

Die Ursachen des Feudalismus sind verschiedener Art Eine 
Röhe von Forschern hat sie in den wirtschaftlichen Verhältnissen 
sehen wollen. Sie haben sicher auch darauf eingewirkt, die eigentliche 
Ursache können sie nicht gewesen sein. Denn bei annähernd gleichen 
wirtschaftlichen Verhältnissen haben andere Staaten, wie England und 
Frankreich, doch einen anderen Charakter der Verfassung, eine starke 
Zentralgewalt, hervorgebracht. Und in Deutschland selbst fällt die 
Blütezeit der deutschen Städte, „der Stolz Europas* (B. 329), in die 
Regierung K. Friedrichs HL, die als Schulbeispiel einer schwachen 



24 


Alfons Dopsch. 


Zentrulgewalt dient Mit ßecht wendet sich v. B. gegen die Sucht ge¬ 
wisser Forscher, überall Gesetzmäßigkeiten entdecken und nachweisea 
zu wollen. Zutreffend betont B.: „von einem besonders gearteten 
wirtschaftlichen Zustand aus lassen sich verschiedene Wege zur Ver¬ 
fassung finden“. Der Feudalstaat ist nicht eine bei allen Völkern unter 
bestimmten wirtschaftlichen Voraussetzungen stets vorkommende Ver¬ 
fassungsform (S. 332). Hier bringt v. B. sehr beherzigenswerte Mah¬ 
nungen über die vergleichende Geschichtsbetrachtung. Die besonders 
geistreich sein wollende Manier, aus gewissen äußeren Ähnlichkeiten 
eine volle Übereinstimmung möglichst entfernter Entwicklungskreise zu 
konstruieren, um daraufhin die Theorie von einer streng gesetzmäßigen 
Entwicklung der Völker aufbauen zu können, erfährt hier durch v. B. 
eine scharfe Abfuhr. Ich möchte mich mit B. um so nachdrücklicher 
gegen diese Mechanisierungsbestrebungen der Geschichte aussprechen, 
als deren Vertretern jedes Verständnis für die ungeheure Mannig¬ 
faltigkeit geschichtlichen Werdens, die durch den fruchtbaren Einfluß 
der Persönlichkeit erzeugt wird, völlig abgeht Jene Richtung bedeutet 
mit einseitig kollektivistischer Betrachtungsweise m. E. geradezu eine 
Pauperisierung der Geschichtswissenschaft 

Auch die Heeres- und Ämterverfassung des deutschen 
Feudalismus weist sicherlich einen gewissen Zusammenhang mit den 
wirtschaftlichen Verhältnissen auf. Aber es wäre m. E. verkehrt sie 
nur aus ihnen erklären zu wollen, v. B. bekennt sich zu der weitver¬ 
breiteten Theorie H. Brunners, der die Anfänge des Lehenswesens in 
der politischen Nötigung zur Aufstellung schwerer Reiterei wider die 
Araber sah (S. 337). Ich halte dieselbe nicht für richtig, da die grund¬ 
legende Voraussetzung, daß die Germanen vor Karl Martell keine Reiter¬ 
truppen gehabt haben, sicher unzutreffend ist 

Und auf der andern Seite! Das Söldnerwesen ist ebensowenig 
durch das Aufkommen der Geldwirtschaft bedingt, wie das Lehensheer 
durch die Naturalwirtschaft, v. B. hat darüber hier noch nicht ge¬ 
handelt Die Söldner traten nicht erst Ende des MA. auf, wie die 
ältere Forschung z. T. meinte, oder mit Erfindung des Schießpulvers, 
was noch heute vereinzelt angenommen wird. Sie kommen vielmehr 
schon im 12. Jahrhundert und besonders auch im deutschen Territorial¬ 
staat vor. Gerade da aber ist auch die Wurzel zu finden, und zwar 
verfassungsrechtlich, bedingt durch die Beschränkung der militärischen 
Verpflichtungen der Stände auf die Verteidigung des Landes selbst 
Das nötigte die Fürsten, für ihre Angriffskriege sowie die Untemeh- 



Der deutsche Staat des Mittelalters. 


25 


mungen über die Landesgrenzen hinaus, Söldner zu gewinnen 1 ). Also 
die landständische Verfassung, nicht die Wirtschaft war hier die Ur¬ 
sache davon. Gerade im 15. Jahrhunderte, im Zeitalter ausgebildeter 
Geldwirtschaft, hat Kaiser Friedrich III. die Söldner nie bezahlen können 
und die Landstande waren es, die deren Abschaffung vom Kaiser auf 
den Landtagen immer wieder verlangten 2 ). 

Auch die Argumentation, daß die Hoheitsrechte deshalb veräußert 
werden mußten, weil dem Staate noch keine Steuer zur Verfügung 
stand, ist m. E. nicht zutreffend Denn tatsächlich hat im Merowinger¬ 
reich. das man sich doch vorwiegend naturalwirtschaftlich vorstellt, eine 
Staatssteuer bestanden. Ich habe den Nachweis versucht, daß sie auch 
im Karolingerreich vorhanden war 8 ). Und auch die späteren Versuche 
eine Staafcssteuer wieder einzuführen — unter Heinrich IV. hat nicht 
nur der König daran gedacht, — sind nicht aus wirtschaftlichen Gründen 
gescheitert, sondern aus politischen, wie B. (S. 339) mit Recht betont. 
Das Fürstentum wollte keine starke königliche Gewalt aufkommen 
lassen. 

Mitunter ist der Feudalismus als nationale Erscheinung aus 
dem Germanentum heraus erklärt worden. Das ist soweit unrichtig, 
als der Feudalismus einmal keine urgermanische Einrichtung ist. Er ist 
aber auch nicht spezifisch deutsch, da schon im spätrömischen Reich 
die Feudalisierung der öffentlichen Gewalten bemerkbar wird, wie Max 
Webers und Rostowzew’s wirtschaftsgeschichtliche Untersuchungen dar¬ 
getan haben. Man wird also heute kaum mehr die These Roths und 
Fickers zu halten vermögen, als ob der romanischen Zentralisation die 
germanische Vielgestaltigkeit gegenüberstehe. 

Die Ausdehnung des Reiches hat sicherlich auf die Selbst¬ 
ständigkeit der lokalen Gewalten einen gewissen Einfluß. Allein die Zen¬ 
tralgewalt ist doch nicht von der Ländergröße so abhängig, als manche 
Forscher angenommen haben. Auch v. B. scheint mehr dieser Gruppe 
zuzuneigen (S. 346). Aber er hat doch selbst Beispiele dafür namhaft 
gemacht, daß große Herrscherpersönlichkeiten diese Schwierigkeiten 
glücklich überwanden. Am markantesten wohl Karl d. Gr., dessen 


*) VgL d feterr. Landre^ht Art. 55, Schwind-Dopsch, Ausgew. Urkk. z. VG. 
Osterr. L Ma. 8. 68 sowie LRU. d 45 ebda. 102. 

7 ) VgL Ad. Bachmann, V iutsche Reichsgeech. im Zeitalter Friedrichs III. 
1. 314 f. 

•) v. B. (8. 339) meint: »in dem ostfränkischen Reich, das sich von dem karo¬ 
lingischen abteilte, waren die Bezirke mit entwickelterem wirtschaftlichen Leben 
zunächst viel zu klein, als daß an eine Steuer zu denken gewesen wäre«. Ygl. da¬ 
gegen mein Bach 2, 337 ff. 



26 


Alfons Dop sch. 


Reich an Ausdehnung im MA. nie wieder erreicht worden ist. Auch 
Frankreich bietet in der gewaltigen Ausdehnungspolitik des 13. — 
15. Jahrhunderts ein Beispiel, wie gerade eine starke Zentralgewalt auch 
im MA. expansiv wirksam werden konnte. Dazu lassen sich noch Ungarn 
unter Ludwig <L Gr., Byzanz und z. T. die Araberreiche des MA. ins 
Treffen führen. 

Damit sind wir denn auch schon zu dem Einfluß der Persön¬ 
lichkeit des Herrschers gelangt Gerade das Aufblühen der wirfc- 
schaftsgeschichtlichen Studien in Deutschland hat begreiflicherweise zu 
einer Überschätzung der wirtschaftlichen Einflüsse auf die Gesamtent¬ 
wicklung Anlaß gegeben. Hatte man früher alles aus der Herrscher¬ 
persönlichkeit erklären wollen, so verfielen zahlreiche Historiker neuerer 
Zeit in den Fehler des Gegenteils. Immer deutlicher, scheint mir, bricht 
sich jetzt eine richtigere universalistische Geschichtsauffassung Bahn. 
Mit besonderem Nachdruck hat neuerlich D. Schäfer die Bedeutung der 
Emzelpersönlichkeit für die geschichtliche Entwicklung hervorgehoben. 
Ihm schließt sich v. B. denn auch in seinem Schlußkapitel an, das die 
vielumstrittene Frage der deutschen Kaiserpolitik im MA. be¬ 
rührt (S. 351 ff.). 

Allerdings will mir scheinen, als ob B. die Auffassung Schäfers 
stellenweise mehr zugespitzt hätte, als sie vielleicht verträgt. Schäfer 
vertritt die Anschauung, daß im Falle einer Wahl Heinrichs des Stolzen 
das deutsche Königtum, gestützt auf dessen starke Hausmacht und deren 
sächsische Position auch weiter noch bei den Aufgaben im Nordosten 
festgehalten worden wäre, während die schwäbische Macht der Staufer 
damals, eingekeilt zwischen Sachsen und Baiem, sich naturgemäß über 
die Alpen wenden mußte l ). Das ist eine Auffassung, die jedenfalls 
sehr beachtenswert ist, selbst wenn man für möglich hält, daß vom 
Standpunkt der 1138 vorhandenen politischen Lage auch noch andere 
Gesichtspunkte für das deutsche Königtum in Betracht kommen konnten 
als dieser. Die Formulierung B.s gibt jener Auffassung m. E. einen 
viel exklusiveren Charakter 8 ), zumal er damit auch gleich noch eine 
andere Äußerung Schäfers verbindet, daß Deutschland sich nicht von 
den Höhen der schwäbischen Alb und den Berghängen der oberrheinischen 
Ebene her regieren ließ 8 ). Schäfers Urteil, die leitende Gewalt Deutsch¬ 
lands gehörte an die ausgesetzten, die entwicklungsfähigen Grenzen, 

i) Deutsche Geschichte 1, 267. 

*) S. 361: »Das Königtum wurde abgezogen von den Autgaben, die ihm im 
Nordosten gestellt waren; nahegelegt dagegen wurde ihm die Wendung nach 
Italien«. 

*) Deutsche Gesch. 1, 326. 



Der deutsche Staat des Mittelalters. 


27 


ist offensichtlich durch die Erfolge bestimmt, die nachher dort tatsächlich 
erreicht worden sind. Das deutsche Königtum war um 1138 sicherlich 
aber auch von der geschichtlichen Entwicklung beeinflußt, die das 
Beich bis dahin genommen hatte. In dieser aber hatte gerade die ober¬ 
rheinische Tiefebene eine sehr bedeutungsvolle Bolle gespielt, wie 
schon K. W. Nitzsch in einem seiner berühmtesten Aufsätze auseinander 
gesetzt hat l ). 

Daß auch gleichzeitig sehr urteilsfähige Staatsmänner eine ähnliche 
Auffassung wirklich besaßen, beweist doch ein Ausspruch des größten 
deutschen Geschichtsschreibers jener Zeit, Ottos v. Freising. Er hat, 
indem er von dem Land zwischen Basel und Mainz spricht, geradezu 
die Bemerkung gemacht 2 ): »wo ja bekanntlich die Hauptmacht des 
Reiches liegt“. 

Übrigens hängt die Beantwortung dieses bedeutungsvollen Problems 
m. E. von der Entscheidung der ungleich wichtigeren Vorfrage ab, ob 
im Jahre 1138 ein starkes Königtum in Deutschland überhaupt möglich 
gewesen sei. War dies jetzt nach dem Ausgang des Investiturstreites nicht 
der Fall, wie eben die ja keineswegs zufällige Wahl Konrads HL doch 
anzudeuten scheint — ihn brachte die kirchliche Partei aus Furcht vor 
der starken Hausmacht Heinrichs des Stolzen auf den Thron (!) — 
dann ist, glaube ich, die Problemstellung überhaupt anders zu fassen. 
Die Lösung der im Osten, nicht bloß Nordosten (!) damals gestellten 
Aufgaben, wurde durch jene Wahl keineswegs vereitelt, als Träger der 
deutschen Expansion an dieser von Schäfer mit Eecht als entwicklungs¬ 
fähig bezeichneten Ostgrenze tritt vielmehr jetzt eine Mehrzahl von 
Fürsten hervor, die als neue »Landesherren 8 sich jenen Aufgaben mit 
voller Konzentration aus eigenem Interesse widmen konnten: lm Norden 
und NO. eben Heinrichs des Stolzen Sohn Heinrich der Löwe und 
Albrecht der Bär (Askanier), in der Mitte die Wettiner und die Pfe- 
mysliden, im SO. aber die Babenbeiger von Österreich—Steier. Sie alle 
erfreuten sich bei ihrer so erfolgreichen Arbeit der Unterstützung des 
staufischen Königtums. Gerade durch die Wahl des Staufers wurde die 
Verselbständigung der askanischen Macht in Brandenburg gegenüber 
dem welfisch-sächsischen Herzogtum ebenso gefördert, wie jene der 
Babenberger im Süden ggeu dieselbe Macht in Baiem; sie konnten 
daraufhin sich doch erst recht entfalten. Deshalb möchte ich auch 
nicht mit TL Lindner una v. Below glauben, daß ein konsequentes 


*) Die oberrheinische Tiefebene und das deutsche Reich im MA. Preus». Jbb. 
30. Bd. (1872). 

f ) Ubi masima vis regni esse dinoscitur Gesta Frider. imp. 1 c. 12. 



28 


Alfons Dopsch. 


Vordringen der Deutschen nach dem Osten durch die italienische Politik der 
deutschen Kaiser ernstlich behindert worden sei (S. 366 £). Fortgesetzt 
greifen sie auch nach Heinrich H. —, es sei nur an Heinrich HL er¬ 
innert, — im Osten ein, sie benützen die Thronstreitigkeiten der Pfemys- 
liden und Arpaden im 12. Jahrhundert, um das böhmisch-mährische 
und ungarische Eeich in fester Abhängigkeit vom Reiche zu halten. Im 
J. 1157 unternimmt K. Friedrich L unterstützt von dem Böhmenherzog und 
den mährischen Fürsten einen Feldzug nach Polen, von dem ein neuerer 
Geschichtsschreiber urteilt 1 ), daß er die dauernde Sicherung Branden¬ 
burgs, Pommerns und Schlesiens für die deutsche Kulturarbeit be¬ 
deutet habe. 

Mähren wird mit Erhebung zur Markgrafschaft (1182) direkt dem 
Reich sverbande einverleibt und 1187 auch das Prager Bistum reichs- 
unmittelbar. Ich kann nicht zugeben, daß es sich da um „ vereinzelt 
gebliebene Eingriffe* der deutschen Kaiser gehandelt habe (B. 367). 
Durch die Festigung der politischen Beziehungen im 12. Jahrhunderte 
wurde doch erst jene großartige deutsche Kolonisation ermöglicht, die 
wir im 13. Jahrhundert allüberall im Osten aufsprießen sehen: In 
Böhmen, Mähren und Schlesien, bis nach Polen und Ungarn hinein. 
Deutsches Recht, deutsches Städtewesen und auch die Kolonisation des 
platten Landes haben ungeahnte Fortschritte dort zu verzeichnen. Aber 
auch der deutsche Adel dringt als Großgrundbesitzer nach dem SO. vor, 
bis nach Friaul hinab! Ich behaupte geradezu: Rudolfs von Habsbnrg 
spätere Ausdehnungspolitik im Osten wäre unmöglich gewesen, ohne 
jene große Vorarbeit, die im 12., ja bereits teilweise auch im 11. Jahr¬ 
hunderte vom deutschen Königtum aus geleistet wurde. Die ganze 
Ostmarkenpolitik der Staufer, die in der Lösung und Verselbständigung 
der Marken hier deutlich wird (1156 Österreich, 1180 Steiermark, 1181 
Meranien) war in letzter Linie doch durch die „unglückliche* Wahl 
Konrads IH. bedingt Aber selbst die Zeiten des Investiturstreites, der 
unglückseligsten Behinderung des deutschen Königtums durch dessen 
italienische Politik, haben in Böhmen unter Herzog Wratislaw eine 
feste Verbindung mit dem Reiche gezeitigt und auch im SO. (in Kärnten, 
Krain und Istrien) deutsche Adelsgeschlechter wie die Eppensteiner und 
Spanheimer (von der Mosel!) zu Macht und Einfluß gehoben 2 ). 

Die deutsche Ausdehnungspolitik vollzog sich nicht etwa wie in 
Frankreich auf zentralistischer Grundlage, sondern durcn die neu auf- 


*) Bretholz, Geach. Böhmens und Mährens bis zum Aussterben der Prem^rs- 
lyden (1912) S. 256. 

*) Vgl. F. M. Mayer, Die öetl. Alpenländer im Investiturstreite bes. S. 90 ff 



Der deutsche Staat des Mittelalters. 


29 


strebenden landesherrlichen Gewalten, deren Förderung (jüngeres Herzog- 
und Fürstentum!) aber doch gerade einer der wesentlichen Programm¬ 
punkte der staufischen ßeichspolitik geworden ist. 

Ich halte deshalb auch jene Auffassung für verkehrt oder min¬ 
destens sehr einseitig, die in der großen Wandlung des deutschen 
Reiches vom Zentralismus zum Territorialismus stets nur ein großes 
nationales Unglück sieht und die Schattenseiten davon bloß hervorkehrt. 
Dieses deutsche Landesfürstentum hat doch, das wird jetzt erst immer 
deutlicher im einzelnen klar, auch positiv ungeheuer viel geleistet und 
z. T. jene Aufgaben gelöst, die das Königtum selbst nicht durchzu¬ 
führen vermochte. Unter anderm auch die Ausdehnung nach dem Osten, 
aber nicht nur die Expansion, auch die innere Kolonisation ist sein 
Werk, eine Leistung, zu der eine Zentralgewalt kaum ebenso befähigt 
gewesen wäre. 

Aus dieser Auffassung heraus ergibt sich dann auch die Beurteilung 
dar vielumstrittenen deutschen Kaiserpolitik seit Otto I. Ich meine, 
nac h den Ergebnissen der neueren Forschung wird objektive Betrachtung 
weder Sybel noch Ficker ganz beipflichten können. Beurteilt man sie 
nur vom deutschen Standpunkt aus, dann hat Sybel ohne Zweifel darin 
Recht, daß sie Deutschland viel Schaden und Nachteile gebracht hat. 
So urteilt, wenn ich ihn recht verstehe, auch v. B. (S. 356). Viele 
von den durch Ficker und neuere Forscher zur Rechtfertigung jener 
Politik vorgebrachten Argumenten schaffen, selbst wenn sie richtig sind^ 
jene Tatsache nicht aus der Welt. Sicherlich war die Beherrschung 
Roms und des Papsttums nicht deshalb nötig, um der deutschen Bischöfe 
mächtig zu sein, wie B. (S. 358) richtig darlegt Allerdings möchte 
ich hier doch auch nicht die Nachteile ganz unberücksichtigt lassen, 
die damals Deutschland schon hätten erwachsen können, wenn eine* 
fremde Macht das Papsttum beherrschte. 

Sicherlich hat Sybel die üblen Folgen jener Politik übertrieben 
wie schon Waitz betonte und auch B. zugibt (S. 363). Manches war 
schon vorher im Gange, wie das Aufkommen der bischöflichen Fürsten- 
znaeht Anderes hat nicht nur die üblen Folgen gezeitigt, welche 
Sybel bloß sah. Das ist für die Umbildung der Verfassung seit dem 
Investitursireit oben bereits ausgeführt worden. 

Endlich möchte ich die Nachwirkungen der historischen Tradition 
nicht ganz außer Acht lass m. Auch D. Schäfer hat dem eine wichtige 
Bedeutung da beigemessen *). Die frühere Zugehörigkeit Italiens zum 


t) A. &. 0. 8.161: »Und doch kann kein Zweifel sein, daß diese Erinn<rrung 
an die Vorfahren] eine Hanpttriebfeder bildete«. 



30 


Alfons Dopßch. 


Reiche war doch noch in lebhafter Erinnerung. Weiters bot der Empfang 
der Kaiserkrone in Rom aber auch wichtige Vorteile verfassungsrecht¬ 
licher Art im Tun ern. Es konnte bereits bei Lebzeiten des Kaisers mit 
Bestellung eines Königes die Nachfolge geordnet werden, was doch 
schon unter Otto H geschah und in der Folge ob der Verhältnisse in 
Deutschland noch mehr Bedeutung gewann. So hätte, wie die Be¬ 
strebungen Friedrichs des Rotbarts und die erbkönigliche Politik Kaiser 
Heinrichs VL andeuten, vielleicht gerade die Verbindung mit Italien eine 
feste Zentralgewalt auch in Deutschland wieder aufrichten lassen, wenn 
Heinrich VI. nicht vorzeitig gestorben wäre. 

Doch ich will mich nicht in Eventualitäten verbreiten, die durch 
die tatsächliche Entwicklung überholt sind. Das Urteil Sybels muß, 
selbst wenn man seinem Grundgedanken beipflichtet, jedenfalls stark 
eingeschränkt werden. Es ist, weil zu einseitig, ganz besonders unzu¬ 
länglich für die spätere Entwicklung des Reiches. 

v. Belows neues Werk bekrönt seinen bereits seit längerer Zeit 
wider die grundherrliche Theorie geführten Kampf Es dürfte voraus¬ 
sichtlich zu erneuter Diskussion Anlaß geben und damit anregend fort¬ 
wirken. Denn es steht zu erwarten, daß nunmehr von der Gegenseite 
gerade jene Fragen in den Vordergrund gerückt werden, die entweder 
noch der Einbeziehung harren, oder aber noch derart ungeklärt sind, 
daß eine verschiedene Beurteilung möglich ist Möge aus dem »Für* 
und „Wider“ auch fruchtbare Erkenntnis reifen! 



Über Losungsbücher und Losungswesen böhmischer 
Städte im Mittelalter. 

Von 

Karl Beer. 


I. Vorbemerkungen. 

Seit dem 14. Jahrhundert waren hierzulande die Stadtbücher 
ebenso eine allgemeine Erscheinung wie draußen „im Seiche**). An¬ 
finge lassen sich auch in Böhmen bis ins 13. Jahrhundert zurückver- 

*) Im 22. Bd. der Mitteil, des Ver. f. Gesch. d. Deutschen i. Böhm. S. 56 ff. 
hat Prochaska, die bis dahin bekannten Stadtbücher in Übersichtlicher Weise 
besprochen. Wenn er meint (8. 69), daß sich in Böhmen nur wenige Stadtbücher 
erhalten haben, so kt dem erfreulicherweise nicht ganz so. Es wären jetzt, um 
eine vollständigere Übersicht zu gewinnen, einzusehen die Archivskataloge von 
Celakovsk/ für Prag und von Siegl für Eger. Weiters Celekovsky, 
Codex iurk mtmicip. LL XXIV—XXX. und in Pamätky arch. X (1877): V^skum 
▼ archivech zemö Ceskd (Forschung in den Archiven Böhmens). Auf mehrere 
Pilsner Stadtbücher verweist Strnad in seinem: Listär kräl. mgsta Pilzng L 
X—XL In den oben erwähnten MitteiL behandelt Schlesinger ein Stadtbuch 
von Brüx (BdL 20, 104ff), Hieke eines von Leitmeritz (Bd. 28, 334ff.), 
Hallwich das von Dux (Bd. 32, 104ff), Katzerowsky ein zweites Buch von 
Leitmeritz (BcL 33, lOOff), Rietsch ein solches von Falkenau (Bd. 33, 
8. 242 ff) and Horcicka ein interessantes in deutscher Sprache abge&ßtes 
Stadtbuch von B.-Kamnitz (Bd. 46, 39ff). Für die Stadt Budweis kommen 
neben den Auszügen des Domherrn Pingas, die ans dem verloren gegangenen 
Über L vetnstknmns stammen, noch in Betracht ein wertvoller Liber contractuum 
erritatk vom Jahre 1396 und eine Liber contract II. Dazu kommen die im nach¬ 
stehenden behandelten Rechnungsbücher, im besonderen Losungsbücher ver¬ 
schiedener Städte. 



32 


Karl Beer. 


folgen. Die Anlage des ältesten Prager Stadtbuches, das leider nicht 
auf uns gekommen ist, fallt in die Zeit von 1273—1280. Doch läßt 
sich noch feststellen, daß in Prag damals schon die verschiedenen Ma¬ 
terien, wie sie in die Stadtbücher aufgenommen zu werden pflegten, 
abgeschieden waren. In den quaterni contractuum vel obligationum, 
wie dieses älteste Buch bezeichnet worden war, fanden sich nur Auf¬ 
zeichnungen privatrechtlicher Natur 1 ). 

Auch bezüglich einzelner kleinerer Gemeinwesen steht es fest, daß 
man zunächst innerhalb ein und desselben Buches den Stoff nach be¬ 
stimmten Materien zu scheiden bestrebt war. So lesen wir in dem 
alten Stadtbuch von Neubydschow vom Jahre 1311: Et iste libellus 
duas habit distincciones. Prima pars est de vendicione hereditatum et 
possessionum, secunda de excessibus *). Oder im Prachatitzer Stadtbuch 
von 1373 heißt es: ... ordinatus vero per Nycolaum civitatis notarium* 
natum Chunradi de Netholicz, ita videlicet, quod in prindpio istius libri 
continetur hereditas resignanda et adepta, in medio vero jura civitatis 
diversa, in fine autem continentur inhibiciones varie et pejuria 3 ). 

In anderen Städten jedoch war man um diese Zeit noch nicht so 
weit Im Gerichtsbuch der Stadt Mies (1362—1386) wie in dem der 
Stadt Pilsen (1407—1411) finden sich zivil- und strafrechtliche Falle 
neben- und untereinander gebucht wie sie eben in den einzelnen Ge¬ 
richtsverhandlungen an die Reihe gekommen sind, und im Stadtbuch 
von Falkenau, das einer noch späteren Zeit (1483—1528) angehört 
folgen Privilegien, Statute, zivilrechtliche Eintragungen, Abrechnungen* 
Quittungen, Aufzeichnungen über Zinsen u. dgl. unmittelbar aufeinander* 
ohne daß irgendwelche strengere Scheidung sichtbar würde. Doch wurde 
im Laufe der Zeit hier früher, dort später, ein Schritt vorwärts getan* 
indem man bei weiterer Entwicklung der Gemeinwesen und der dami t 
zusammenhängenden Mehrung der Aufzeichnungen eine Differenzierung 
des Stoffes in der Art platzgreifen ließ, daß für bestimmte Gruppen 
gleichartiger Aufzeichnungen ein eigenes Buch angelegt wurde, wo¬ 
mit in größeren Städten eine ganze Reihe von Büchern mit besonderen 
Titeln in die Erscheinung tritt 

Und diese Bücher und Titel mehren sich, je weiter man nach der 
neueren Zeit vordringt 4 ). Dabei kann man freilich die Beobachtung 

! ) Siehe Redlich, Die ältesten Nachrichten über die Prager Stadtbücher und 
die böhmische Landtafel. Mitteil. d. Institutes 32, 165 ff. 

*) Ed. Kapras: Liber conscientiae civitatis Novobydzoviensis a. a. MCCCXI— 
MCCCCLXX. (1907). fol. 13. 

») Pam. arch. X (1877) S. 804. 

4 ) Vgl. Redlich, Die Privaturkunden des Mittelalters S. 189 ff. 



Losungsbüeher und Losungswösen böhmischer Städte im Mittelalter. 33 

machen, daß auch in späterer Zeit noch oft Eintragungen in Bücher 
hineingeraten sind, wo sie ihrer Natur nach nicht gesucht würden: 
einerseits eine Nachwirkung des älteren Usus, der eine weitergehende 
Scheidung des Stoffes nicht gekannt hatte, andererseits wohl aus jener 
Lässigkeit zu erklären, mit der man mitunter Stadtbücher geführt hat. 

ln einer Handschrift des Präger Metropolitankapitels aus der Mitte 
des 15. Jahrhunders, auf die man schon öfters verwiesen hat, zahlt ein 
Notar nicht weniger als 10 verschiedene Arten von Stadtbüchem auf, 
die er in einer der Prager Städte, vermutlich der Neustadt, kennen 
gelernt hatte l ). Darunter begegnen wir auch einem „registrum ber- 
narum*, <L L Steuerregister oder Steuerbuch, und dies lenkt uns- zu jener 
Gruppe der städtischen Kechnungsbücher hin, die man mit gutem 
Grunde als Losungsbücher, d. i. Steuerbücher, zu bezeichnen 
pflegt Tille 2 ) hat vor mehreren Jahren darauf hingewiesen, daß die 
Forschung die zahlreich vorhandenen Rechnungen, Register und Bücher 
noch lange nicht genug gewürdigt hat: das gilt auch hinsichtlich der 
Losungsbücher, die sich in Böhmen erhalten haben und denen die 
nachfolgenden Zeilen gelten sollen. 

Die Losungsbücher geben dem Historiker nach vielfacher Richtung 
hin, besonders wenn er finanzgeschichtlichen und statistischen Fragen 
nahetritt, recht dankenswertes Material an die Hand. Freilich erscheint 
(fies mitunter ein wenig spröde, aber wenn sorgfältig gesammelt, ge¬ 
sichtet und durch anderes, etwa urkundliches Material ergänzt wird, so 
kann man zumeist einen recht befriedigenden Einblick in das Getriebe 
und Leben der mittelalterlichen Stadt und in ihre Verwaltungsverhält- 
nisse gewinnen *). Die alten Losungsbücher enthalten ja nicht allein die 
Namen der steuerpflichtigen Stadtbewohner, Vermögensangaben schlecht¬ 
hin oder die der Steuer unterworfenen Vermögensobjekte nach ihrem 
Kapitalwerte und die jeweiligen Losungsbeträge, sondern auch mehr 
oder minder detaillierte Verzeichnisse all jener Ausgaben (distributa, 
exposita), die mit den Losungsgeldern gedeckt worden sind. 

Wenn gleichwohl in der heimischen Literatur Losungsbücher nur 
selten zitiert erscheinen, so hat dies darin seinen Grund, daß bis heute 
keines dieser Bücher durch Publikation zugänglich geworden ist 4 ). Und 

*) Rößler, Deutsche Rechtsaltertümer 1. Bd. L—LL 

*) Deutsche Geschichtsblätter Bd. 1, S. 66 ff. 

*} Vgl. Bretholz, Geschichte der Stadt Brünn L 8. 383. 

4 ) Anders in Deutschland. Hier sind die Rechnungsbücher mehrerer Städte 
durch großangelegte Editionen einer allgemeinen Benützung erschlossen worden. 
Wir verweisen auf: Knipping, Die Kölner Stadtrechnungen des Mittelalters. 2 Bde. 
Bonn 1897—98; Koppmann, Kammereirechnungen der Stadt Hamburg. 7 Bde. 
Hamb. 1869—94, u. a. m. Von österreichischen Städten dürfte sich als erste 
Mitte ilmifon XXXVI. 3 



doch muß in Böhmen Quellenmaterial dieser Art höher eingeschätzt 
werden denn anderwärts, weil es hier recht rar ist Selbst die Landes¬ 
hauptstadt Prag kann an Bechnungsbüchem älterer Zeit, wie ein Blick 
in Öelakovsk^s Archivskatalog besagt, nur wenig an die Hand geben*). 
Das Schicksal der städtischen Losungsbücher erinnert stark an das jener 
Begister, die einstmals bei der Erhebung der allgemeinen Landsteuer 
(bema generalis) als Grundlage dienten. Die in den einzelnen Kreisen 
des Landes verwendeten Begister müssen einst nach Tausenden gezählt 
haben und doch vermögen wir heute nur noch mehr auf 1 Exemplar 
zu verweisen 2 ). Dies diente im Jahre 1379 den Kollektoren des Pilsner 
Kreises ab Bichtschnur. Ein ähnliches Begister des gleichen Jahres 
rührt von den Organen des Prages Erzbischofs her, der auf seinen Gütern 
die Erhebung der Generalbema selbst durchführen ließ und eine Pau¬ 
schalsumme abführte 8 ). Neben dem, daß verheerende Kriege und Brände 
den gleichfalb zahlreichen städtischen Losungsbüchem arg mitspielten, 
hat man letztere sicherlich auch noch absichtlich der Vernichtung anheim¬ 
gegeben, da sie ja einen Inhalt bargen, der sie im Gegensatz zu anderen 
Stadtbüchem, wie etwa Kontrakten- und Testamentenbüchem, noch am 
ehesten gegenstandslos erscheinen ließ. So ist denn auch die Zahl der 
aus dem Mittelalter erhaltenen Losungsregister und -bücher eine be¬ 
scheidene. 

Neben dem ansehnlichen, kostbaren Bestand der Egerer Losungs¬ 
bücher, die die Zeit von 1390 bb 1760 illustrieren, ermittelten wir 
noch weitere 14 Losungsbücher, bezw. Losungsregbter. Davon entfallen 
auf Prag-Altstadt und Neustadt je 1 Buch, Pilsen 2, Budweb 2 Bücher 
und 2 Begister, Mies 4 Bücher und Chrudim 2 Begbterfragmente. 

Die ältesten dieser Aufzeichnungen stammen aus der zweiten Hälfte 
des 14 Jahrhunderts, also aus jener Zeit, in der das wirtschaftsge¬ 
schichtliche Quellenmaterial überhaupt reichlicher zu fließen beginnt 
Daß es schon viel früher Aufzeichnungen über Städtesteuer gegeben 


Brünn mit einer Ähnlichen Edition anreihen, da Bretholz, der jüngste Geschichts¬ 
schreiber dieser Stadt, deren Losungsbücher, die zu den ältesten Stücken dieser 
Stadt zählen, zu edieren versprochen hat (Ders., a. a. 0. VII). 

*) Wenn auch nicht gerade aus städtischen, so dürfte doch aus anderen Ar¬ 
chiven des Landes noch manches hieher zu zählende Quellenstück ans Licht kommen. 
Vgl. Lukawsky, Raciones silvarum arcis Carlstein de annis 1428—1431. Prag 1911. 
J. Susta, Purkrabekä tiöty panstwi Novohradskäho z let 1390—1391. (Burggrafen¬ 
rechnungen der Herrschaft Gratzen aus den Jahren 1390—91). Hist. Archiv der 
böhm. Franz Joseph-Akademie n. 36. Prag 1909. 

*) Emler, Ein Bernaregister des Pilsner Kreises vom Jahre 1379. Abh. der 
kgl. bühm. Gesellsch. der Wiss. v. J. 1875/76, 6. Folg. 8. Bd. 

») Von ebendems. mitgeteilt im Auszug in Pam. arch. VIII. S. 30 ff. 



Loeungsbücher und Losungswesen böhmischer Städte im Mittelalter. 35 


hat, daran ist nicht zu zweifeln. Ist doch letztere eine in der zweiten 
Hälfte des 13. Jahrhunderts deutlich hervortretende Einrichtung. Da¬ 
mals schon wurde zumindest von den Bewohnern kgl. Städte Losung 
erhoben, damit man einerseits die Steuerforderungen des Königs er¬ 
füllen, andererseits aber auch die verschiedenen kommunalen Bedürfnisse 
befriedigen könne. In Prag z. B. wird im Jahre 1299 eine Steuer zu 
diesem doppelten Zwecke erhoben und im Zusammenhang damit auch 
der Stadtschreiber Magister Petrus erwähnt Da der Stadtschreiber 
überall bei dem Losungsgeschäfte nur Schreibgeschäfte versah, während 
die Entgegenahme der Steuer die Losungsherren selbst besorgten, so 
darf man füglich annehmen, daß es sich damals schon um eine be¬ 
scheidene Fixierung der Losung handelte. An Steuerbücher freilich 
darf deshalb noch nicht gedacht werden, sondern wie anderwärts sind 
es wohl auch hier Pergamentstreifen, Bollen oder bescheidene Papier¬ 
register gewesen, die die Namen der Pflichtigen mit den anderen not¬ 
wendigsten Notizen enthielten 1 ). 

Es sollen nunmehr die erhaltenen Losungsbücher vorgenommen 
and nach Anlage und Inhalt in Kürze charakterisiert werden. Wir 
glauben, schon durch eine solche Zusammenstellung dem Freunde wirt- 
sehaftsgeschichtheher Forschung einen Dienst zu erweisen. Eine er¬ 
schöpfende Verwertung and Ausnützung dieser Bücher muß als Auf¬ 
gabe der Zukunft angesehen werden. 

IL Die erhaltenen Losungsbücher. 

1. Mies. 

Wenn wir die Losungsbücher dieser Stadt voranstellen, so hat dies 
darin seinen Grund, daß das älteste der erhaltenen Bücher aus ihr 
stammt und daß gerade ihre Losungsbücher einer eingehenderen Durch¬ 
sicht unterzogen werden konnten. 

Unter den zahlreichen und zum Teile recht wertvollen Stadtbüchern 
der alten Bergstadt, die heute im Musealarchiv zu Pilsen aufbewahrt 
werden, sind, soweit das Mittelalter in Frage kommt, 4 Exemplare als 
Losungsbücher zu bezeichnen. Wenn wir uns für diesen Namen 
entscheiden, so ist dies auch gerechtfertigt. Wohl waren in Alt-Mies 
für diese Bücher verschiedene Bezeichnungen zu treffen; man sprach 
von einem »über losungaiom*, „registrum* oder „liber bemarum“, 
»registrum exactionis* oder „steure*. Am öftesten jedoch wurde die 


t) VgL Schönberg, Technik des Finanzhanshaltes der deutschen Städte im 
Mittelalter. Münchener Volkswirtschaft! Studien. 103. Stück. S. 97. 



36 


Karl Beer. 


Bezeichnung „über losungarum“, d. L Losungsbuch, angewendet. Man 
sieht, daß es sich hinsichtlich der Bücherbenennung um eine ähnliche 
Mannigfaltigkeit handelt wie sie rücksichtlich der Termini für die Stadt¬ 
steuer nachweisbar ist Da ist die Bede von einer: collecta, steura, 
bema, losunga, exaccio und selbst bema regalis. Letztere Bezeichnung 
wird nur dadurch verständlich, daß die Steuer, die an die kgl. Kammer 
abzuftihren war, den wichtigsten Posten unter den Ausgaben repräsen¬ 
tierte, die aus der Stadtsteuer gemacht wurden. 

In ihrem Äußeren stimmen die M. Losungsbücher so ziemlich 
überein. Es sind Papierkodizes, ausgestattet mit starken Holzdeckeln 
und starken eisernen Schließen. Doch sind Deckel wie Schließen heute 
nicht mehr durchaus intakt und das ist ganz begreiflich. Die Bücher, 
die einstmals im Mieser Bathaus in einer Lade (ladula) wohl geborgen 
waren, haben gerade in neuerer Zeit ihren Aufbewahrungsort, der selbst 
nicht immer zweckentsprechend war, mehrmals wechseln müssen. 

Die einzelnen Losungsbücher umfassen folgende Zeiten: 

Nr. 174 im Pilsner Musealarchiv: 1380—1392. Größe: 20 cm X 
28 cm, 96 Blätter, davon 11 unbeschrieben. 

Nr. 175 ebendort, 1402—1411. Größe: 22 cm X 30 cm, 169Blätter. 
Dazu kommt in diesem Buch noch ein Verzeichnis der Ausgaben einer 
Kollekte von 1400. Das Buch wurde um 14 Groschen erstanden. 

Nr. 176 ebendort, 1411—1419. Größe: 20 cm X 30 cm, 184 Blätter, 
durchaus beschrieben. Der Kodex wurde um 18 Groschen erworben. 

Nr. 177 ebendort, 1445—1502. Größe: 20 cm X 30 cm, 360 be¬ 
schriebene Blätter. 

Die Sprache, deren sich die Losungsbücher bedienen, ist die latei¬ 
nische. Auffallend ist es, daß selbst in vorhusitischer Zeit mehrfach 
tschechische Wortelemente eingestreut sind 1 ). Daß das Stadtregiment 
in Mies in jener Zeit vornehmlich in deutschen Händen lag, ist nicht 
zu bezweifeln; aber ebenso fest steht es auch, daß die städtische Be¬ 
völkerung einen namhaften tschechischen Einschlag aufzuweisen hatte. 
Wenn man bei der Überprüfung der älteren Steuer Verzeichnisse jene 
Namen ausscheidet, bei denen eine nationale Zugehörigkeit kaum zu 
entscheiden ist, so wird man doch bei dem restlichen Teil der Namen 
noch zu jenem Schlüsse kommen müssen. 

*) Dies ist vor allen in den Ausgabenverzeichnissen, von denen noch des 
näheren gesprochen werden soll, der Fall; mitunter aber auch in den Namenslisten 
der Pflichtigen. So heißt es z. B. in der Liste von 1388 (Nr. 174, fol. 69*»): Jan 
Koudrle de domo Raczonis znamenyteho iijß. oder ebd. fol. 72 b : Venceslaus trifcu 
lator maly iijß u. s. w. 



Losungsbücher und Loeungswesen böhmischer Städte im Mittelalter. 37 
Und nun zum Inhalte dieser Bücher! 

Sie enthalten yor allem die Verzeichnisse der steuerpflichtigen 
Stadtbewohner und jener Dorfbewohner, die der Stadt untertan waren. 
Die Namen der Pflichtigen sind alphabetisch angeführt und zwar 
so, daß zuerst die Bewohner der älteren Stadt, dann die der Neustadt 
(nova civitas, praeurbani, suburbani) und schließlich die der Stadtdörfer 
folgen. Eine Änderung dieser Anordnung erfolgte im Jahre 1474. Da¬ 
mals wurde die Stadt in 4 Viertel (quadrae) zerlegt Von nun ab hat 
man zunächst die Hausbesitzer innerhalb dieser Viertel, dann die In¬ 
wohner (inqilini) in ihnen, hernach die Steuerträger auf der Neustadt 
und schließlich die pflichtigen Dorfbewohner gebucht 

Wir zählten bei der ersten Losung des Jahres 1380 336 pflichtige 
Mieser. 1418 betrug ihre Zahl 312 und im Jahre 1445: 286. Für 
die Jahre 1474 und 1502 entnahmen wir dem 4. Losungsbuche fol¬ 
gende Zahlen: 

1474 1502 


Hausbesitzer im I. Viertel 

46 

46 

» » H. » 

57 

56 

» > HI. > 

64 

64 

> > iv. > 

50 

52 

Inwohner der 4 Viertel 

39 

35 

Steuerträger der Neustadt 

43 

52 

Mälzer 

— 

7 

Summe aller Pflichtigen 

299 

312 


Die Losung zahlten also nicht bloß die Bürger, sondern auch die 
Inwohner oder sie traf, wie man gerne sagte, arm und reich (tarn pau- 
peres quam divites). Neben reichen Bürgern, die yon mehr als 
100 Schocken Losung gaben, begegnen wir Knechten, Fischern, Hirten 
xl a. im, die mit 1 bis 2 Sch. eingeschätzt waren. Vom Jahre 1474 
ao treten uns die Inwohner im Losungsbuch als eine gesonderte Gruppe 
der Stadtbewohnerschaft entgegen. Für die frühere Zeit läßt sich ihre 
Zahl nicht genauer ermitteln, so wünschenswert dies wäre. Ohne Zweifel 
aber sind alle jene Pflichtigen unter die Inquilini zu rechnen, die mit 
entsprechenden Zusätzen registriert wurden, wie: Laurencius sutor in 
domo Jeklini Lencz jß oder Wenczeslaus tritulator in domo Czumeri jß. 
Man könnte in solchen Fallen allenfalls auch an Pächter denken, aber 
dann müßten wohl die Schätzungssummen höher lauten. 

Wenn man schon oft darauf verwiesen hat, daß in der mittel¬ 
alterlichen Stadt Einrichtungen des modernen Staates vorgebildet waren, 
so haben wir es hier unzweifelhaft mit einer solchen zu tun; die cha¬ 
rakteristischen Merkmale moderner Besteuerung: Allgemeinheit und 



38 


Karl Beer. 


Gleichmäßigkeit, sie sind auch hier zu finden. Daß man in Mies an 
der Auffassung, der Klerus müsse steuerfrei bleiben, nicht unbedingt 
festgehalten hat, zeigt die Nennung des Priors der Kreuzherrenkommende 
unter den Pflichtigen (1380). Auch die Juden der Stadt hatten die 
Losung mitzutragen. 

Durch sämtliche Bücher hindurch läßt sich der Usus verfolgen, daß 
rechts vom Namen des Steuerträgers die Schockzahl vermerkt wurde, 
die den Kapitalwert der pflichtigen Vermögensobjekte ausdrückte. 

Der Stadtlosung war in erster Linie das unbewegliche Vermögen 
unterworfen, das vornehmlich bestand in: Wohnhäusern, Ställen, Scheunen, 
Verkaufsbänken und Buden, Bädern, Hausgärten, Wein- und Hopfen¬ 
gärten, Äckern, Wiesen und auch Wäldern. Nur in wenigen Fällen 
wurden im 14 Jahrhundert und in der 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts 
die einzelnen Objekte gesondert ersichtlich gemacht, etwa in der Weise: 
Michahel judex de aratro in Tyechlewicz xij ß et de domunculata penes 
Franconem et stabulo iiiijß (1388, n. 174, fol. 70 b ). Erst in der 
2. Hälfte des 15. Jahrhunderts wurde eine solche Spezifikation zur 
Kegel. 

Neben dem unbeweglichen war aber auch das bewegliche Ver¬ 
mögen, das Bargeld, der Losung dienstbar, wie man aus nachstehender 
Buchung erkennen mag. Bohuslaus de Sweyssyn de j lan. quondam 
Fridrici xxiijß et de parata pecunia de xxijß (1388, n. 174, fol. 75). 
Doch hat die Heranziehung des beweglichen Vermögens, die mit der 
Selbsteinschätzung rechnen mußte, keine allgemeine und konsequente 
Durchbildung und Durchführung erfahren. 

Es ist gar nicht zu bezweifeln, daß auch in Mies in jener Früh¬ 
zeit, da mit der Stadtlosung der Anfang gemacht wurde, all jene Ver¬ 
mögensobjekte, die der Losung dienen sollten, einer Taxierung unter¬ 
zogen wurden. Die Werte, die damals ermittelt wurden und sicherlich 
im ältesten Losungsbuch (Register) Aufnahme fanden, haben aber später 
Korrekturen erfahren. Zu solchen kam es, wenn sich bei Kauf und 
Verkauf neue Werte herausstellten. Daß in der Folgezeit nicht mehr 
der ursprüngliche Schätzungswert die Grundlage für die Losung abgeben 
mußte, sondern nach dem letzten Kaufwerte gefragt wurde, tun zahl¬ 
reiche Notizen der Losungsbücher dar, wie etwa folgende: Mesco Hunticz 
xviijß et de j quart, quod emit ad Vlricum vjß et viijf'. Wie jeder 
Liegenschaftsverkehr zu Änderungen im Losungsbuche führte, das läßt 
sich gerade in unserem Falle gut verfolgen, weil zu einigen Jahr an 
des ältesten Losungsbuches (1380—1392) die Aufzeichnungen des alten 
Gerichtsbuches (1362—1386) parallel laufen. — Kommt es zu einem 
Kauf, bezw. Verkauf, so wird das Vermögen des Verkäufers um den 




Losungsbücher und Lostmgswesen böhmischer Städte im Mittelalter. 39 

Kaufpreis vermindert, das des Verkäufers aber erhöbt, hier wird bei¬ 
geschrieben, dort abgeschrieben. 

Links von der Namenreihe der Losunggebenden wird in irgend¬ 
einer Art ersichtlich gemacht, ob die Losung auch entrichtet wurde. 

Ursprüglich bediente man sich ganz einfacher Zeichen (C O H-)i später 

zog man Buchstaben heran oder aber setzte ein d t (dedit) vor. An der 
Spitze der Namensverzeichnisse wurde immer in einem Vermerke ge¬ 
sagt, wann die Losung beschlossen wurde, wer die Losunger waren und 
wie viel Groschen vom Schocke zu geben waren. Auch wird, weil ein 
und dasselbe Namensregister bei mehreren Losungen und daher auch 
verschiedenen Losungem als Grundlage zu dienen pflegte, bemerkt, 
unter welchem Zeichen (signum) oder Buchstaben die jeweiligen Losungs¬ 
herren die erfolgte Abfuhr der Steuer buchten, bezw. durch den ihnen 
an die Hand gehenden Stadtschreiber buchen ließen. Der Stadtschreiber 
war es auch, der die Register anlegte (registrum renovare) und dafür 
eine angemessene Entlohnung in Empfang nahm. In Mies war es zu¬ 
meist der Schulmeister (rector scolarum), der das Amt des Stadtschreibers 
mitversah; auch in vielen anderen Städten des Landes war dies der Fall. 

Nicht erwähnt wird im 14. Jahrhundert, über wessen Beschluß 
jeweils die Losung erhoben wurde. Doch dürfte damals schon der Rat 
ebenso maßgebend gewesen sein wie im 15. Jahrhundert. Freilich hat 
man es in Jahren, in denen die Steuerkraft der Bürger ausgiebiger in 
Anspruch genommen werden mußte, nicht unterlassen, die Zustimmung 
der Gemeinde einzuholen. So lesen wir z. B. zum Jahre 1492: Ex 
consensu communitatis totius pro exolucione iudicii civitatis 
nostre et thelonei a dho Kameniczky, quod idem impetraverat a regia 
maiestate, exposita est steura per providos viros, magistrum 
civium et ceteros consules de sexagena per iiig, cuius collectores 
sunt etc. Aus diesem Zitate erhellt übrigens auch, daß man im 
15. Jahrhundert in dem Vermerke, der das Namensverzeichnis ein¬ 
leitete, angab, welchem Zwecke die Losung in erster Linie zu dienen 
batte. Eine Abweichung, die sich in ebendiesem Jahrhundert einstellte 
(von 1445 ab), war es auch, daß man zu jeder Losung ein neues Ver¬ 
zeichnis der Pflichtigen schreiben ließ, während man in älterer Zeit, wie 
bereits erwähnt, ein und dasselbe Verzeichnis oft für 4 bis 5 Losungen 
benützt hatte. 

Daß in berücksichtigungswerten Fallen Befreiungen von der Losung 
eintraten, wird man begreiflich finden. So notiert das Losungsbuch 
Nr. 177, foL 322 

Anno domini MCCCCXCIX feria VI ante festurn s. Georgij pro steura 
exsumenda dominorum electi seniorum Kaubko braseator et concivium Am- 



40 


Karl Beer. 


brosius doliator, qui eam exsumere debent ex istis, quibns ignis, dum ci- 
vitas exusta fuit, nullum fecit nocumentum; hiis itaque, qui ab igne ma- 
gnum nocumentum receperunt, hec steura integre est parsa ex consensu 
dominorum in pleno consilio. 

Was die Zahl der Losunger anlangt, so gab es in Mies ihrer 
immer zwei. Einer von ihnen wurde aus dem Rate und der andere 
aus der Gemeinde erwählt Es waren zumeist angesehene Bürger, die 
zu diesem Amte ausersehen wurden. Männer, die sich eines besonderen 
Vertrauens erfreuten, kamen wiederholt zu diesem Amte. Ausnahms¬ 
weise geschah es, daß der Bürgermeister mit dem Rate die Losung 
entgegennahm. Die Losungsherren haben in der älteren Zeit die Steuer¬ 
gelder nicht bloß einkassiert, sonders auch verausgabt Dies taten sie 
das eine Mal auf eigene Verantwortung, ein ander Mal über Auftrag 
der Ratsherren (ex mandato dominorum). Selbst der Bürgermeister, der 
hier wie in anderen Städten des Landes einen Monat hindurch seines 
Amtes waltete, wendet sich an die Losungsherren, wenn er im Interesse 
der Stadt irgendwelche Auslagen zu machen hat 

Die Losunger werden für ihre Mühewaltung insofeme entschädigt 
als sie während ihrer Amtszeit auf Kosten der Stadt zehren. Bevor 
sie die Entlastung erhalten, haben sie vor dem Rate und der Gemeinde 
Rechnung zu legen. Zumeist hat man es bei dem Losungsgeschäfte so 
gehalten, daß alles Geld, das durch die Losung hereinkam, durch die 
Losungsherren gleich wieder ausgegeben wurde; es handelte sich zu¬ 
meist um eine ganze Reihe von Zahlungsverpflichtxmgen, die sich nicht 
mehr aufschieben ließen. Unter solcher Voraussetzung werden Ein¬ 
tragungen der Bücher verständlich, wie die folgende: 

Anno domini millesimo CCCLXXXXI proxima feria sexta post fe^tum 
pasche fecit Jehlinus pistor et Frenczlinus Stauffer racionem in pretorio 
coram pleno consilio et conciuitate de losunga de sexag. per medium al- 
terum grossum tarn de perceptis quam de expositis ita, quod summa 
utraque concordauit. Est autem summa in universo CXLIII^ß. 
(Losungsb. Nr. 174, foL 90 Ä ). 

Betont will es sein, denn dies ist für die Stellung der königlichen 
Städte gegenüber dem Landesherm charakteristisch, daß die Geldge- 
bahrung der Losunger auch noch einer Überprüfung durch landesherr¬ 
liche Beamte unterworfen war. Alljährlich pflegte der Hofrichter und 
ein oder mehrere Notare des Unterkämmerers einzutreffen, um den ge¬ 
samten Finanzhaushalt der Stadt einer Kontrolle zu unterziehen. Ein¬ 
tragungen, wie die nachstehende, finden sich in den Mieser Losungs- 
büchem etliche: 



Loffungsbücher und Losungswesen böhmischer Städte im Mittelalter. 41 

Anno domini millesrmo CCCCIX 0 dominiea vocem iocunditatis dominus 
Laureneius judex curiae civitatum regalium et dominus Johannes notarius 
domini subCamerarii visitaverunt oivitatem et perceperunt racionem 
tarn perceptorum quam distributorum, bernarum et aliorum 
jnrium, ita quod in Omnibus summa concordauit (Losungsbuch Nr. 17 5, 
foL 141*). 

Die Ansage der Steuer erfolgte in der Stadt durch den Büttel 
(praeco); auf die Stadtdörfer wurden Boten (cursores) hinausgeschickt, 
um die nötige Mitteilung zu machen. Die Entgegennahme der Losung 
erfolgte auf dem Bathause und nahm mehrere Tage in Anspruch. Gerne 
pflegten sich die Losunger auf den letzten Blättern der Losungsbücher 
anzumerken, wie groß die Eingänge an den einzelnen Tagen waren. 

Die Höhe der von der Bewohnerschaft geforderten Losung sowie 
auch die Zahl der Losungen, die in einem Jahre durchgeführt wurden, 
richtete sich nach den jeweiligen Bedürfnissen der Stadt Auf jene 
beiden Momente muß man Bücksicht nehmen, wenn man die Belastung 
der Steuerträger richtig beurteilen will. 

Man verlangte vom Schock Vat li lVg, 2, ja selbst 3 und 4 Groschen. 
Da in den Listen alles steuerpflichtige Vermögen im Kapital werte und 
zwar in Schocken ausgedrückt war, so ließen sich die Losungsbeträge 
der einzelnen leicht ermitteln. Wenn es Jahre gab, in denen man nur 
einmal Losung forderte, so gab es auch solche, wo man 2, ja 3 mal an 
die Steuerzahler herantrat Im allgemeinen kann man sagen, daß das 
damals in Übung stehende Steuersystem viel Anpassungsfähigkeit an 
die jeweiligen Erfordernisse besaß; es hat der Städter nach Jahren 
stärkerer Inanspruchnahme doch auch wieder Jahre der Erleichterung 
verzeichnen können. Doch noch eines erhellt aus den Mieser Büchern: 
mit vorrückender Zeit werden die Steuerforderungen größer. Zur Be¬ 
leuchtung des Gesagten fügen wir 3 Tabellen bei, die die Steuerver¬ 
haltnisse in vorhusitischer Zeit veranschaulichen sollen. In der folgen¬ 
den Zeit ist die Steuerlast der Stadt nur noch größer geworden. 


Nach dem Losungsbuch von 1380—1392. 





li 1 

Vg» Vg» i 

i, V*. 1*1* 


3 














42 


Kail Beer. 


Jahr 

Zahl der jähr¬ 
lichen Losungen 

Die bei den einzelnen Ijosungen 
geforderte Anzahl von Groschen 

Die im Jahre ge¬ 
forderte Anzahl von 
Groschen (bezogen 
auf das Schock) 

1383 

1 

IV, 

i V, 

1384 

2 

i% V. 

2 

1385 

2 

1V„ 1‘/, 

3 

m 

2 

1. 1 

2 

raj 

1 

1 

1 

1388 

1 

V. 

V, 

1389 

2 

V„ 1 

i 1 !* 

1390 

2 

1, l 1 /. 


1391 

2 

If 1 

2 

1392 

2 

1, 1 

2 


Es sind demnach in der Zeit von 1380—1392 25 Losungen 
durchgeführt worden. Dabei kommen 7 Verzeichnisse der Pflichtigen 
in Anwendung und zwar in folgender Verteilung: 


Ein 1. Verzeichnis dient 4 Losungen als Grundlage 


2 . 


4 

» » 

8 . 

» 

3 » 

» » 

4 . 

» 

4 

> » 

5 . » 

» 

1 Losung 

» » 

6 . » 


2 Losungen 

» > 

7 . » 

» 

7 

» » 

Nach dem 

Losungsbuch von 1402—1411. 


Jahr 

Zahl der jähr¬ 
lichen Losungen 

Die bei den einzelnen Losungen 
geforderte Anzahl von Groschen 

Die im Jahre ge¬ 
forderte Anzahl von 
Groschen (bezogen 
auf das Schock) 

1402 

3 

2, 2, 2 

6 

1403 

3 

2, 1, 1 

4 

1404 

4 

2, 1, 2, 1 

6 































Losungsbücher und Losungswesen böhmischer Städte im Mittelalter. 43 


Jahr 

Zahl der jähr¬ 
lichen Losungen 

Die bei den einzelnen Losungen 
geforderte Anzahl von Groschen 

Die im Jahre ge¬ 
forderte Anzahl von 
Groschen ([bezogen 
auf das Schock) 

1405 

3 

2, 1, 1 

4 

1406 

4 

2, 1, 1V 8 , 1 

5 7* 

1407 

2 

1, 1 

2 

1408 

4 

1, 1, 1, 1 

4 

1409 

3 

I 1 /*, 1, 1 Vs 

4 

1410 

3 

i7„ i, 17» 

4 

1411 

3*) 

i, i, i 

3 


+ 2 

i, i 

2 


Nach dem Losungsbuch von 1411—1419. 


Jahr 

Zahl der jähr¬ 
lichen Losungen 

Die bei den einzelnen Losungen 
geforderte Anzahl von Groschen 

Die im Jahre ge¬ 
forderte Anzahl von 
Groschen (bezogen 
auf das Schock) 

1411 

2 

i, i 

•> 

1412 

2 

2 l /s* 11 |a 

4 

1413 

4 

i. iV*. 7», i7» 

47, 

1414 

5 

17», i7*. i, iV», i7* 

7 

1415 

3 

2, 17», 2 

5 7» 

1416 

2 

1'/», 2 

37» 

1417 

3 

17», 2, 2 

57» 

1418 

3 

—— - r 

1 7», 2, 2 

57» 

1419 

2 

2, 2 

4 


*) Für das Jahr 1411 sind auch im 3. Losungsbuch 2 Losungen rgjistriert. 







































44 


Karl Beer. 


Wenn im Jahre 1380 vom Schocke Vermögen 1 Groschen ver¬ 
langt wurde, so ergab sich eine Losung von ungefähr 90 Schock 
Groschen. — Wird um das Jahr 1445 gleichviel vom Schock gefordert, 
so ergibt sich der halbe Betrag. Aus der verschiedenen Anzahl der 
Steuerzahler allein (1380:336, 1445:286) kann diese auffallende Diffe¬ 
renz nicht erklärt werden, sondern wir müssen auch noch annehmer^ 
daß die Steuerkraft der Mieser Bevölkerung nachgelassen hat oder anders 
gesagt, daß ihr Besitzstand, ihr Vermögen nicht mehr so groß waren 
wie in vorhusitischer Zeit. 


Es hatten Losung zu geben 

Im Jahre 1380 

Im Jahre 1445 

von 1— 2 Schock 

130 

125 


108 

106 

von 10— 20 Schock 

44 

30 

von 20— 30 Schock 

18 

15 

von 30— 40 Schock 

12 

4 

von 40— 50 Schock 

6 

2 

von 50— 60 Schock 

2 

2 

von 60— 70 Schock 

6 

1 

von 70— 80 Schock 

1 

— 

von 80— 90 Schock 

2 

— 

von 90—100 Schock 

1 

— 

von 100—150 Schock 

3 

1 

von 150—200 Schock 
Summe 

3 

336 

286 


In den älteren Losungsbüchem (Nr. 174, 175 und 176) finden sich 
ausführliche Verzeichnisse aller Ausgaben, die die Losungsherren aus 
den eingenommenen Geldern machten. An der Spitze der Verzeichnisse 
erscheinen die Titel: Distributa, Exposita oder Tradita. 


















Losungsbücher und Losungswestn böhmischer Städte im Mittelalter. 45 


Anders im Losungsbuch von 1445—1502. Hier sind nur mehr 
ganz kurze Notizen zu finden, die besagen, welche Losungsbeträge die 
Losunger an den jeweiligen Bürgermeister abgeführt haben. Damit 
schwindet aus den Losungsbüchern ein interessantes kulturgeschicht¬ 
liches Material, um uns jedoch andernorts wieder zu begegnen. 

In der Hand des jeweiligen Bürgermeisters laufen nunmehr die 
verschiedenartigen Einnahmen der Stadt zusammen, der sie genau bucht 
und ein gleiches mit den zahlreichen Ausgaben tut, die unter seiner 
Amtsführung notwendig wurden. So ist es denn kein Zufall, daß in 
Mies in der Zeit, da die Losungsbücher aufhören, Ausgabenverzeichnisse 
zu bringen, eine andere Büchergruppe hervortritt, welche über alle 
Einnahmen und Ausgaben der Bürgermeister Aufschluß gibt Die Losungs¬ 
herren haben eben in dem Maße als Finanzorgane der Stadt eingebüßt, 
als das Bestreben, Einnahmen und Ausgaben in der Hand des Bürger¬ 
meisters zu zentralisieren, gestiegen ist 

Das älteste erhaltene Buch der neuen Gruppe umfaßt die Zeit von 
1466—1471. Daß es nicht das erste gewesen ist, geht aus dem Titel 
hervor, der sich auf foL 1 findet: Registra continuata. Ein zweites 
Buch dieser Art gibt über die Jahre 1494 bis 1517 Aufschluß. Wie 
aus diesen Büchern erhellt, hat jeder Ratsherr, der das Amt des Bürger¬ 
meisters (dignitas prothoconsulatus) innegehabt hatte, bei seinem Rück¬ 
tritt vor dem gesamten Ratskollegium Rechnung gelegt, wobei er sich 
auf die erwähnten Bücher stützte. War in der Kasse bei der Rech¬ 
nungslegung Bargeld vorhanden, so ging dies an den nächsten Bürger¬ 
meister über. Doch kam es nicht selten vor, daß der abtretende Proto- 
konsul mehr Geld ausgelegt hatte, bezw. hatte auslegen müssen, als er 
eingenommen hatte. Daraus erklären sich Eintragungen wie die fol¬ 
gende: Tenentur ei (d. i. dem gewesenen Bürgermeister) domini post 
racionem factam 1*| 2 ß et V 2 g (1466). 

Und nun wollen wir noch einen Blick in die Ausgabenverzeich¬ 
nisse der älteren Losungsbücher tun, um ihrem Inhalt etwas näher 
zu treten. 

Da fallt uns zunächst eine Jahr für Jahr wiederkehrende Steuer 
auf, die gewöhnlich an zwei Terminen (Maria Lichtmeß, bezw. Georgi 
und Martini) an den Unterkämmerer des Königs unmittelbar durch die 
Stadt abgeführt wird. Die Ijosungsbücher nennen diese Steuer bema 
regalis (regia), kurzweg ber a oder auch summa regis. 

Wenn der König ursprünglich neben der allgemeinen Landessteuer 
(bema generalis) fallweise mit Steuerforderungen an die königlichen 
Städte und Klöster, die als zur königlichen Kammer gehörig angesehen 
wurden, herangetreten war, so wurde im Laufe des 14. Jahrhunderts 



46 


Karl Beer. 


aus dieser außerordentlichen Steuer von schwankender Hohe eine ordent¬ 
liche Jahressteuer, die fiir jede königliche Stadt und jedes königliche 
Kloster in bestimmter Höhe fixiert wurde. Ein Verzeichnis, das aus 
den letzten Jahren des Königs Wenzel IV. (1418—19) stammt, laßt 
uns jene fixen Steuerleistungen deutlich erkennen« Mies entrichtete 
darnach 140 Sch. Gr. im Jahre. Man sollte nun meinen, an der Hand 
der Losungsbücher diesen alljährlichen Steuerbetrag leicht nachweisen 
und verfolgen zu können. Doch nein, aus diesen Büchern läßt sich 
nur das eine Faktum ableiten, daß alljährlich eine Steuer an die 
königliche Kammer abgeiührt wurde, deren Höhe jedoch sich nach 
Addition der gebuchten Einzelposten fast von Jahr zu Jahr verschieden 
darstellt Wir müßten eben auch einen Einblick in die ganze Kor¬ 
respondenz und in all die Verhandlungen haben, wie sie hinsichtlich 
der Steuer zwischen Stadt und Kammer vor sich zu gehen pflegten, 
dann würden uns die Abweichungen von jener Summe, ob sie sich 
nach oben oder unten hin bewegen, verständlich werden« Da wurde 
dem König oder dem Unterkämmerer zuliebe das eine Mal die Steuer 
zum Teile oder ganz im voraus bezahlt und ein anderes Mal wieder 
handelt es sich um Rückstände oder um Steuernachlaß; auch der Um¬ 
stand vermehrt die Übersicht nicht, daß die ganze Jabressteuer oder 
Teile derselben für längere oder kürzere Zeit durch den König irgend¬ 
welchen Gläubigem verschrieben worden waren. So floß die Mieser 
Königssteuer häufig den benachbarten Herren von Schwanberg zu 1 ). 

Eine häufige Erscheinung der Losungsbücher ist es, daß bei der 
Abfuhr der Losung mit den Parteien Abrechnungen vorgenommen 
wurden. Zumeist waren es Handwerker, die nach gelieferter Arbeit 
Ansprüche an die Stadt hatten und die nun bei Entrichtung der Losung 
beglichen wurden, indem man jene Beträge von der Losung abrechnete 
(defalcare). 

Nicht selten hat der Bat, wenn er in finanzieller Verlegenheit war, 
bei reicheren Bürgern Anleihen gemacht Auch solche Gelder wurden 
gelegentlich der Abfuhr der Losung auf obige Weise zurückerstattet Auch 
die Judenschaft der Stadt wie nicht minder die von Eger und Pilsen 
hat den Miesem Geld vorgestreckt, wodurch diese in unliebsame Ab¬ 
hängigkeit von jenen Faktoren kamen. Die von der Judenschaft ge¬ 
forderten Zinsen waren in jener Zeit sehr beträchtlich und so wird 
man es begreiflich finden, wenn es zwischen christlicher und jüdischer 

*) Ygl. auch Celakovsky, Codex jur. municip. II. n. 801 u. 842. 



Lofftmgsbäcber und Lorangswesen böhmischer Städte im Mittelalter. 47 


Bevölkerung in Mies wie anderwärts nicht selten zu Reibungei 
kam l ). 

Die königliche Jahressteuer bildete, wie gesagt, den Hauptposten 
unter den Ausgaben der Losungsbücher; durch sie wurde aer größte 
Teil der Einnahmen aufgebraucht 

Für den König hieß es weiter auch Auslagen bestreiten, wenn er 
die Stadt mit seinem Besuche beehrte, wie dies 1380 und 1381 der 
Fall war. Was er hiebei mit seinem Gefolge (cum familia) verbrauchte 
und verzehrte, das ging auf Rechnung der Stadt Diese ließ es weiters 
nicht daran fehlen, durch Ehrungen und Geschenke die Gunst des Königs 
zu erlangen und zu erhalten. Da wanderte manches Fäßchen Wein 
oder Bier nach den königlichen Residenzen Pürglitz (Purglems) oder 
Bettlern (Mendicum) in der Voraussetzung, daß diese Dinge beim «Herrn 
König* An klang finden würden. 

Neben dem König nahmen dessen Beamte im Aufwand der Stadt 
Tiel Raum ein. Obenan stehen die Forderungen und Ansprüche (jura) 
des Unterkämmerers, an den sich die Stadt aber auch in all ihren An¬ 
liegen wendet Dem Unterkämmerer kommen Abgaben zu, wenn er 
sein Amt antritt und wenn er scheidet, wenn die Steuer abgeführt 
wird und wenn die Ratsemeuerung vor sich geht 

Ähnliches gilt vom Hofrichter, auf dessen Funktion bereits ver¬ 
wiesen wurde. Aber auch das Personale (familiae), das den genannten 
Beamten unterstand, machte Ansprüche geltend. Kommen landesherr¬ 
liche Organe in die Stadt oder durch die Stadt, so besorgt diese für 
eine angemessene Strecke die Fahrgelegenheit oder stellt die Pferde bei. 
Dem Unterkämmerer gegenüber ließ man es außerdem auch an Ge¬ 
schenken nicht fehlen. 

Dazu kommen die vielfältigen Ausgaben, die im unmittelbaren In¬ 
teresse des städtischen Haushaltes zu machen waren. Da müssen zu¬ 
nächst die Ansprüche der verschiedenen städtischen «Diener* befriedigt 
werden: es sind die3 der Stadtschreiber, Schulmeister, Schreiber des 
Biehters, Büttel, Boten, Wächter (Turm-, Tor-, Flur- und Wegwächter), 
Henker u. s. w. Auch die Gesandten, die an den König oder den 
Ünterkämmerer abgehen oder über Aufforderung des Königs (ex mandato 


f ) HiefÜr auch ein Beleg einem Formelbuch (Sig: C nr. 1) des fürstlichen 
Schwarxenberg’schen Archives in Wittingau: Vobis judici et iuratis in Myza auc- 
toritate domini noetri regis et virtute officij nobis commissi stricte praecipiendo 
mandamua, quatenus judeum Trostlinum ibidem dictum Nigrum in aliquo non 
uztpediatis ipsum in pace persedere dimittentes. (fol. 78 b ; aus der Zeit König 
Wenzels IV.). 



48 


Earl Beer. 


oder iussu regis) am Landtage teilnehmen, erhalten ihre Reiseent¬ 
schädigung. 

Daran reihen sich die Handwerker und Arbeiter, die für die Stadt 
Bauten und Reparaturen durchführen (Maurer, Zimmerleute, Fuhrleute, 
Bnmnenmeister, Wegmacher u. s. w.). Die Herstellung der Stadtbe¬ 
festigung (Mauern, Türme, Tore, Brücken) und deren Instandhaltung 
macht große Beträge aus und bildet eine ständige Rubrik. Dasselbe 
gilt von der Instandhaltung der Brunnen, des Pflasters und der Wege 
innerhalb und außerhalb der Stadt 

Auch über Schule und Kirchen finden sich interessante Eintragungen; 
sie betreffen deren Bau, Reparaturen und Einrichtung. Da heißt es 
z. B. zum Jahre 1390: Item domino Egidio monacho iussu tocius con- 
silii pro comparandis libellis sermocinalibus XVg. 

Die verschiedenen Angaben, die das Rathaus (praetorium) betreffen, 
gestatten uns auch von diesem ein beiläufiges Bild: der Grund, auf dem 
es steht, ist bereits zweckmäßig kanalisiert, das Dach ist mit Ziegeln 
gedeckt, eine Uhr dient ihm zum äußeren Schmucke wie es im Innern 
an Wandmalereien nicht fehlte (Ausgang des 14. Jahrhunderts). 

Wie die Ratsherren selbst wenn sie im Amte waren, auf Speise 
und Trank (Wein, Bier, Brot) nicht vergaßen und die Ausgaben dafür 
auf Rechnung der Stadt buchen ließen, so geizten sie auch niemals mit 
der „Propina*, wenn Gäste aus einer der Nachbarstädte erschienen 
waren. 

Besondere Ausgaben erheischte schließlich die volle Wehrhaftigkeit 
der Stadt Was da für Waffen, Munition, Geschütze und Rüstungen, 
für Proviant und Sold ausgegeben wurde, bildet ganz erkleckliche 
Summen. Es war ja nicht allein Sache der Stadtbewohner, ihr eigenes 
Heim gegen den Feind zu schützen, sondern sie haben auch an der 
Bekämpfung äußerer Feinde und an der Landfriedenswahrung regen 
Anteil genommen. 

Schließlich wollen wir nur noch erwähnen, daß sich in den rück¬ 
wärtigen Partien der Losungsbücher, zumeist wenig übersichtlich, ver¬ 
schiedene Eintragungen finden, die mit der Losung mehr oder minder 
enge Zusammenhängen: so über die an den einzelnen Tagen einge¬ 
gangenen Losungsgelder, über Schuldforderungen der Stadt an einzelne 
Bürger und umgekehrt, über die Hohe der Stadtschuld u. a. m. 

2. Budweis. 

Eine alte Nachricht, die mit dem Steuerwesen in Budweis zu¬ 
sammenhängt, gehört in das Jahr 1346 x ). Ihr zufolge erwählten die 

*) Celakovks?, a. a. 0. no. 207. 



Losungsbücher und Losungsweeen böhmischer Städte im Mittelalter. 49 


Bewohner der Stadt und der Stadtdörfer eine achtgliedrige Kommission 
;4 Mitglieder aus dem Bäte, 4 aus der Gemeinde), deren Aufgabe es 
sein sollte, Hofstätten (areas seu fundos domorum) und Grundbesitz 
(agros sen hereditates) der Städter wie auch den Grundbesitz bei den 
Stadtdörfem gewissenhaft abzuschätzen. Mi!; dieser Schätzung sollte 
sich jedermann zufrieden geben, widrigenfalls ihn Strafe treffen müßte. 
Wenn es auch nicht gesagt wird, so ist doch kein Zweifel zu hegen, 
daß durch diese Taxierung die Grundlage für die fernere Erhebung der 
Lesung in der Stadt und in den zu ihr gehörigen Dörfern gegeben war. 

Ans dem Jahre 1384 datiert sodann das älteste der erhaltenen 
Losnngsregister. Es ist dies ein Papierheft von 11 Blättern 
(1 Blatt wurde herausgeschnitten), von einer Höhe von 21 und einer 
Breite von 15 cm. Auf fol. 1 lesen wir an der Spitze des Namens- 
Terzeichnisses der Pflichtigen: Hec collecta inposita est die dominica 
Adorate colligenda per tres grossos per Marschonem et Henslinum cer- 
donem juratos, Johlinum Chamneri et Pitlawerum conciues. Anno do- 
mini Millesimo CCCCLXXX 0 quarto. Darauf folgen, nach den Häusern 
der 4 Viertel geordnet, zunächst die Namen der Bürger und jener In¬ 
wohner, die Grundbesitz aufzuweisen hatten; daran schließen sich die 
Vorstadter, die Inwohner ohne Grundbesitz und die losungspflichtigen 
Bewohner der 12 Stadtdörfer. Wir zählten: 


im Quartale Pacawerj. 

79 

Pflichtige 

» > judicis. 

90 


» » Dratlini. 

77 

» 

» , Stephlini. 

90 

> 

in der Vorstadt (praeurbium) .... 

30 

» 

Inquilini (Inwohner). 

180 


Summe aller Pflichtigen in der Stadt 

546 



Die Übersicht über die einzelnen Berufsgruppen, wie sie unter dem 
Titel , Inquilini* angeführt werden, gestaltet sich folgendermaßen: 


Pistores (Bäcker): 13 
Lanifices (Wollarbeiter): 3 
Institores (Krämer): 16 
Cerdones (Gerber): 2 
Vectores (Puhrwerker): 5 
Sutores (Schuster): 11 
Bntseatores (Mälzer): 8 
Sartores (Schneider): 20 
Currifices et fabri (Wagner und 
Schmiede): 13 

Salsatores (Salzfischhändler): 13 
Penestici (Hökler): 16 
Pmimifrces (Tuchmacher): 10 


Punifices (Strickmacher): 3 
Pincemae (Schankwirte): 16 
Corrigiatores et pellifices (Riemer und 
Kürschner): 11 
Linitrices (Leineweber): 6 
Gladiatores, frenatores, sellatores 
(Schwertfeger, Zäumer, Sattler): 2 
Inquilini: 10 
Textores (Weber): 4 
Picariatores (Pecherer): 3 
Ferratores (Eisenarbeiter): 2 
Calcariatoree (Sporer): 1 
Orlogista (Uhrmacher): 1 


4 








50 


Karl Beer. 


Das die beruflichere Gliederung der ärmeren Bevölkerung, der In¬ 
wohner. 


Die Zahlen der Pflichtigen in den Stadtdörfem waren folgende: 


Strodanicz (Strodenicx): 23 
Ladans (Lodus): 7 
Brod (Brod): 16 
Puhurt (Puh arten): 5 
Yeler (Dirnfellern): 6 
Lines (Hlinz): 11 


Dubicz (Dubiken): 9 
Schintlhoff (Schindlhöf): 11 
Wess (Wes); 5 
Husen (Hakelhöf): 9 
Wrbye (Böhm.-FeUern): 7 
Leutmanicz (Leitnowitz): 15 


Rechts von der Namenreiche der Pflichtigen erscheint das unbe¬ 
wegliche Vermögen, ohne weiter spezifiziert zu sein, in Schockzahl an¬ 
gegeben. Das bewegliche schließt sich an. Doch es ist die Budweiser 
Losung nicht lediglich Vermögenssteuer, sie trifft auch, wie aus der 
Liste erhellt, Gewerbe und HandeL 

Links von der Namenreibe wurde durch ein d t (dedit) ersichtlich 
gemacht ob die Abfuhr richtig erfolgt ist Randliche Bemerkungen, 
wie »vadium dedit 4 besagen, daß Pflichtige, die nicht sofort zu zahlen 
vermochten, Pfänder zu geben pflegten. 

Es gaben im Jahre 1387 zu Budweis Losung 

von 1 — io Schock .... 472 Pflichtige 

» 10 d 0 > .... 6o > 

» 50— 100 » und darüber 9 > 


Aus dieser Zusammenstellung erhellt zur Genüge, daß sich da« 
Gros der Budweiser Bevölkerung in bescheidenen Vermögens Verhält¬ 
nissen betand und daß die Z^hl der Wohlhabenden gi gftnüicb gering 
gewesen ist ln Mies, das heute gegen Budweis stark zurücksteht, 
zahlten 1380 nicht weniger als 18 Pflichtige, also gerade zweimal so 
viel als in Budweis. von mehr als 50 Schock Grosch. Losung. 

IVr Gegensatz, der in den Vermögensverhaltnissen der stadischen 
Re\oikeruug sichtbar wird. ist den Bewohnern der Stadtdörfer fremd. 
Di ese Iw tiuJen sich durchwegs in besserer und gleichartigerer Ver- 
uu gvusUge. K:ue \\ ahrtiehmung. die sich auch in den Mieser Büchern 
au tUt äugte. 

Aut die laste der Pflichtigen folgen: Percepta collecte pre miss e. 
Hu r werden die Losuugsbecrage verzeichnet, wie sie die Lostmger an 
dcu fllr vi'.e Abtuhr an beraumten Ta^en enti^jengenommen haben. Das 
lv^uugsgescn.itt sog s:ch hier durch 'Wochen bin 

l\uaut folgt das interessante Kapitel der Ausgaben, welche die 
l osungierten aus detu Steuergeld gemacht haben. Die Bemerkungen, 
vue wu su d'osem Punkte bei Jen Mieser Büchern gemacht haben, 



Losungsbücher und Loeungswesen böhmischer Städte im Mittelalter. 51 


treffen auch hier zu. Nur auf den einen Ausgabeposten möchten wir 
besonders verweisen, der dartut, daß auch in der königlichen Stadt 
Budweis aus dem Losungsgeld jene Beträge genommen wurden, die als 
königliche Steuer an den Unterkämmerer alljährlich abgeführt wurden. 
So heißt es zum Jahre 1384: Item dedimus domino Jure CLX senag. 
et dedimus sibi VH senag. Die Stadt hat ihre Steuer direkt an den 
Unterkämmerer geleitet: 1384: Item dedimus juratis et conciuibus 
Pragam pro expensis, dum pecuniam portassent, TL senag. et XLYIg. 

Ganz ähnlich erweist sich nach Anlage, Führung und Inhalt ein 
anschließendes Begister von 1385; nur der Größe nach unterscheidet 
es sich: es mißt 29 cm in der Höhe und 22 cm in der Breite. Das 
breitere Folio gestattete, zwei Beihen von Namen auf einer Seite unter¬ 
zubringen. Eine spätere Hand hat an die Spitze das irreführende Jahr 
1380 gesetzt Ein genauerer Vergleich mit dem Begister von 1384 
ergibt jedoch, daß dieses zweite ins Jahr 1385 gehört. 

Das erste und älteste Losungsbuch umfaßt die Zeit von 1396 
—1416. Der stattliche Papierkodez zählt 248 Blätter, 29:21 cm. Seine 
starken Holzdeckel sind mit Leder überzogen und mit je 5 Messing¬ 
buckeln verziert Ein kleines Schloß gestattete, das Buch zu versperren. 
Am Bücken des Buches hat man in neuerer Zeit eine Aufschrift an¬ 
gebracht die jedoch nicht ganz zutreffend ist: Gewerb- und Haussteuer 
Bepartition Buch. An.: 1395 bis 1416. Die Bezeichnung, die dem 
Buche in Alt-Budweis eigen war, lesen wir gleich auf foL 1: Liber 
losungarum Ciuitatis Budweis. Für die Zeit von 1396 (nicht aber 
schon 1395) bis 1399 ist für jedes Jahr ein eigenes Namenregister 
eingetragen. In folgender Zeit ist man von dieser Ordnung abgegangen, 
in der Weise, daß drei weitere Begister einer ganzen Beihe von Jahren 
als Grundlage dienten. So erschienen zusammengefaßt die Jahre 1400 
—1406, 1407—1411 und 1412—1416. In den Bubriken, die vor den 
Namenreihen angelegt wurden, sind die Buchstaben a, b, c etc. ein¬ 
gesetzt unter welchen Buchstaben die einzelnen Losungskollegien ihre 
Geschäfte abwickelten. 

Ein Vergleich mit den zwei alten Begistem (1384, 1385) zeigt 
daß die Grundlagen, auf denen sich die Budweiser Losung bewegte, die 
gleichen geblieben sind. Bei jeder Losung wird festgesetzt wieviel 
Groschen vom Schock zu erheben sind. Die Losung wird innerhalb 
dieser Zeit mindest einmal im Jahre verlangt, aber auch zwei- und 
dreimal. Gleichgeblieben ist auch die Zahl der Losungsherren; es waren 
immer 2 Mitglieder aus dem Bäte und 2 aus der Gemeinde im Amte. 
Sie heben die Losung ein, verausgaben sie, führen über Einnahmen und 



52 


Karl Beer. 


Ausgaben Buch und legen vor dem Rate wie auch dem Unterkämm ?rer 
Rechnung. 

Die Anordnung der Steuerzahler hat in der Liste insofeme eine 
Änderung erfahren, als nunmehr innnerhalb der Viertel auch Plätze 
und Gassen genannt werden, was der Topographie von Alt-Budweis sehr 
zugute kommt Weiters werden jetzt die Inwohner mit Grundbesitz, 
die in den alten Registern mit den Bürgern zusammen genannt wurden» 
gesondert geführt. 

Ein weiteres Losungsbuch gibt Aufschluß über die Zeit von 1482 
—1513. Papierkodex mit Holzdeckeln, an den Ecken Messingbeschläge, 
Messingverschluß; 42:29 cm, 85 Blätter, bis auf wenige beschrieben. 
Der wichtigste Unterschied dieses Buches gegenüber seinem Vorgänger 
liegt darin, daß hier die Kapitsl „Distributa* k*ine ausführlichen Aus- 
gabenverznehnisse mehr darstellen, sondern nur in Kürze angeben, 
welche Losungsbeträge die Losungsherren an die jeweiligen Bürger¬ 
meister abgeführt haben. Eine Wahrnehmung, wie wir sie bei den 
Mieser Büchern yerzeichneten. Die Losunger haben auch hier im 
15. Jahrhundert aufgehört, mit dem Losungsgelde Ausgaben zu machen, 
sie treten auch hier als Finanzorgane der Stadt gegen die Bürgermeister 
zurück. 

In Kürze möchten wir hier auf einige andere alte Rechnungs¬ 
bücher der Stadt Budweis verweisen. Wenn sie auch, strenge genommen, 
nicht zu unserem Gegenstände gehören, so möchten wir sie doch be¬ 
rücksichtigen, erstens, weil sie einen ähnlichen Inhalt bergen und 
zweitens, weil bislang meines Wissens städtische Bücher dieser Art und 
Führung nicht genannt worden sind. 

Wir denken dabei an zwei alte Zinsbücher (Register). Das 
ältere hievon bezieht sich auf die Zeit von 1446—1482. (Papierkodex, 
41:25 cm, Holzdeckel mit Leder überzogen, 110 BL). Es scheint das 
älteste Buch dieser Art zu sein. Denn zuvor benützte man kleine, 
handliche Papierregister. Ein Fragment eines solchen ist nämlich noch 
vorhanden; auf ihm lesen wir: Nota. Sub anno domini MCCC°LIII 0 do- 
minica proxima ante festum sancti Galli proclamatus est census 
regius. Collectores Petrus Hofleich juratus et Johl in circulo de con- 
ciuitate sub signo z. Zum Jahre 1444 bringt es eine ähnliche Notiz. 
Das Zinsbuch trägt am Rücken die Aufschrift aus späterer Zeit: 
K: Zinssteuer der Stadt- und Dörfer Buch mit Repartition. A. 1446 
—1458. Das Jahr 1458 ist nicht mit Recht hieher gesetzt worden: es 
laufen die Eintragungen bis 1482. 

Dieses Buch nun gibt uns guten Aufschluß über eine Institution, 
die in allen königlichen Städten des Landes wohl bekannt war, über 



Losungsbücher und Losungswesen böhmischer Städte im Mittelalter. 53 


den Eönigszin8 (census regius). In Budweis waren zu seiner Zahlung 
alle jene verpflichtet, die Grund und Boden, Höfe und Mühlen inne- 
hatten. Ähnlich wie bei der Losung, so waren auch hier Kollektoren 
tätig; es waren ihrer zwei, die alljährlich, meist zu Martini, den Zins 
einhoben und verrechneten. Die Anordnung der Pflichtigen ist im 
Zinsbuch analog der in den Losungsbüchern gestaltet Die Stadt er¬ 
scheint in 4 Viertel zerlegt und innerhalb der Viertel geht man wie¬ 
derum nach Plätzen und Gassen vor. Der Kreis der Pflichtigen war 
natürlich viel kleiner als der der Losunggebenden. 

Wichtig ist es auch, darauf zu verweisen, daß der Schlüssel, nach 
welchem bei der Einkassierung des Königszinses vorgegangen wurde, 
von dem der Losung ganz verschieden war. Bei der Zinserhebung ent¬ 
scheidet das Ausmaß an Grund und Boden und der Umfang gewisser 
Realitäten. Zur näheren Beleuchtung lassen wir jene Norm folgen, 
nach welcher sich die Kollektoren zu richten hatten (auf fol. 1 des 
genannten Zinsbuches): 

Item 1 laneus facit XXVJLUg 

Item j. laneus facit XUIIg 

Item 1 quartale facit VII g 

Item j quartale facit Illjg 

Item 1 jugerum facit jg 

Item j. jugerum facit Hfl- altera vice 3 hal. 

Item molendinum de quatuor rotis facit XXVlüg 
Item XXX (?) jugera faciunt laneum [durchstrichen] 

Item 4 quartalia faciunt laneum. 

Ein zweites Zinsbuch (Register) bezieht sich auf die Jahre 1482 
—1512. Auch hier ist auf foL 1 eine Tabelle, wie die vorhergehende 
ist, zu lesen. Nur wird in ihr 1 laneus gleichgesetzt 56 jugera 1 ). 

Außerdem weist das Budweiser Stadtarchiv zwei ältere auf das in 
der Stadt erhobene Ungeld bezügliche Register auf Das ältere ent¬ 
hält Aufzeichnungen zu den Jahren 1392 und 1393. Was die Un¬ 
gelter (ungeltarii), deren es mehrere gegeben hat, einkassiert und den 
Schöffen abgeliefert haben, das ist hier registriert. Daneben sind aber 
auch die Ausgaben (distributa) eingetragen, welche die Schöffen mit 
dem Ungelde gedeckt haben. 

Das zweite größere Papierregister ist in Pergament gebunden. Seine 
Eintragungen gehören den Jahren 1390—1394 an. Es erhellt aus 
ihnen, daß die Ungelter einen Teil ihrer Einnahmen an den jeweiligen 


l ) Erwähnen wollen wir noch, daß hier nicht alle im Budweiser Stadtarchiv 
vorhandenen LosungsbÜcher und Zinsregister berücksichtigt sind, sondern lediglich 
die ins Mittelalter gehörigen Stücke. 



54 


Karl Beer. 


Bürgermeister abgegeban haben, der damit kommunale Bedürfnisse be¬ 
friedigte. Die Bürgermeister, die dem Bäte Rechnung legen mußten, 
buchten alle in den einzelnen Wochen erfolgten Empfange wie auch 
alle daraus erfolgten Ausgaben. Kurz gesagt: die Ungelter nehmen 
Geld ein, sind aber nicht befugt, solches auch auszugeben, wie dies 
Recht den Losungern zustand. Sie führen vielmehr ihre Einnahmen 
teils an die Schöffen, teils an den jeweiligen Bürgermeister ab, deren 
Sache es auch war, über diqse Gelder'Rechnung zu führen und zu legen. 

3. Eger. 

Über die Losung dieser Stadt geben uns seit dem Beginne des 
14 Jahrhunderts einige Urkunden bescheidene Auskunft l ). Sie betonen, 
daß jeder, der in der Stadt oder in den Vorstädten sitzt, mit der 
Stadt leiden müsse und daß die städtische Losung keine Schmälerung 
erfahren dürfe. 

Genaueren Einblick in das Losungswesen Egers erlangen wir erst 
mit dem Jahre 1390. Denn mit diesem Jahre setzt die stattliche, fast 
lückenlose Reihe der Losungsbücher ein, die bis ins Jahr 1758 herauf¬ 
leiten. Einen besonderen Vorzug dieser Bücher macht es aus, daß in 
ihnen fast ausschließlich die deutsche Sprache zur Anwendung kommt 
Wir fassen hier nur jene Bücher ins Auge, die noch dem Mittelalter 
angehören. Es sind dies durchwegs Papierkodizes in Quartformat, in 
Schweinsleder gebunden. Der ansehnliche Umfang der Listen der 
Pflichtigen wie auch der angeschlossenen ausführlichen Ausgabenver¬ 
zeichnisse macht es erklärlich, daß für jede Losung — es war im Jahre 
hier eine üblich — ein eigener Kodex in Anspruch genommen wurde 
Das älteste Buch trägt vorne am Deckel die Aufschrift: „1390 Loszung 
das Erst“. Am ersten Blatt findet sich ein Vermerk, wie er in anar 
loger Fassung an der Spitze aller weiteren Namensverzeichnisse wieder¬ 
kehrt: „Nota. Anno MCCC nonagesimo am nehsten montage voi 
Barthelme wart die losung angebaben, ie von hundert pfunden eil 
pfunt* 2 ). Damit wird einerseits der Termin angegeben, an welchem di< 
Kollekte einsetzte, andererseits aber auch der Schlüssel angedeutet 
welcher bei jener zur Anwendung kam. Wie ersichtlich, wurde u 
diesem Jahre von allem steuerpflichtigen Vermögen 1 °| 0 gefordert. 

*) S. Oelakovsky, a. a. 0. II. n. 82, 369, 432 und 544. 

*) Nach einer Mitteilung, die der Verf. dem Archivar kaiserl. Rat Dr. Sieg 
dankt, da ihm selbst bei einem Besuche des Egerer Archivs das älteste Losung! 
buch nicht zugänglich war. 



LocungsbÜcher und Losungswesen böhmischer Städte im Mittelalter. 55 

Welches die Vermögensobjekte waren, die in Eger der Losung 
unterworfen sein sollten, das sagt uns nachstehende bei der Selbstein¬ 
schatzung der Pflichtigen zur Anwendung kommende Eidesformel, die 
och auf der Innenseite des rückwärtigen Deckels des Losungsbuches 
von 1390 und mit einiger Abweichung im Losungsbuch von 1396 
findet Sie lautet: 

»daz du dein gut | daz du hast | ez sei an erbe | an varater habe | 
an kauffinanschafft | an bereitschafft | an saczunge | an schuld, an leipdinge 
oder woran du daz hast, im lande oder auz dem lande | mit den pfen- 
ninge | die da ligent | recht verlosunget | vnd daz du dem Bat gehorsam 
vnd vntertenig bist | on geuerde, bit | dir got czu helffen vnd alle heiligen. 

Die Egerer Losung basierte, wie angedeutet, auf der Selbstein- 
schätzung der Bewohner. Zumeist ging die Abfuhr der Steuer unter 
Ablegung des Eides vor sich, sodaß man auch von einer Eidsteuer 
sprechen kann. Aber man hat den Eid auch häufig erlassen und die 
Losung auf Treu und Glauben hingenommen. In diesem Falle hat der 
Bat einen Beweis seines Vertrauens in die tüchtige und ehrliche Ge¬ 
sinnung der Bewohnerschaft gegeben. Freilich ging man deswegen in 
Eger noch nicht so weit, wie in mancher anderen deutschen Stadt, z. B. 
in Nürnberg, wo die Pflichtigen nach Ableistung des Schwures ihre 
Steuer in die bereitstehende Kasse legten, ohne daß ein Losunger deren 
Hohe, die der Pflichtige durch Selbsteinschätzung festgelegt hatte, einer 
Kontrolle unterzogen hätte 1 ). . 

Beachtet will es auch sein, daß zu Eger ein Unterschied zwischen 
dem beweglichen Vermögen, der „parschaft*, und dem unbeweglichen 
Vermögen, dem «erbe*, gemacht wurde. Das Ausmaß der Steuer war 
bei diesen Vermögenskategorien ein verschiedenes und stellt sich zu¬ 
meist in dem Verhältnis 2:1 der (parschaft: erbe). So beißt es z. B. 
mm Jahre 1396: Nota. Da nam man ein die losung von yedem mann 
je von XX V schocken ein schock an parschaft vnd von erbe je von 
fimfeig schocken ein schock . .. *). 

Die Losungspflichtigen werden in den Listen immer in derselben 
Reihenfolge namhaft gemacht und hiebei, was wiederum für die Fest¬ 
legung des Städtebildes von Alb-Eger von größtem Werte ist, nach Plätzen 
and Gassen vorgenommen. Mit den Bewohnern des Bingplatzes wird 
der Anfang gemacht. Mit Zuhilfenahme anderer Aufzeichnungen — 

*) S. Zentner, Die deutschen Städtesteuem (Schmoller, Staats- und sozial- 
wiwenyhaftL Forsch. 1. Bd. 2. Heft, 1878) 8. 69 und Schönberg, a. a. 0. 8. 37. 

*) Diesem Unterschied in der Belastung, der übrigens leicht erklärlich ist, be¬ 
regnen wir auch in Leitmeritz (CelakovskJ, a. a. 0. u. 69 n. 12ö) und in Brünn 
Bretholz, Gesch. der 8tadt Brünn I. 8. 276) und in anderen Orten. 



56 


Karl Beer. 


der Urkunden- und Kontraktenbücher, die über den Liegenschaftsver¬ 
kehr Aufschluß geben — ist man hier in der Lage, die Eigentümer 
eines Hauses vom 14. Jahrhundert bis in unsere Zeit herauf zu ver¬ 
folgen und festzustellen. 

Neben den Namen der Losungspflichtigen ist in vielen Jahrgängen 
lediglich die Höhe der Steuer ersichtlich gemacht und an den Blatt¬ 
rand ein d* (dedit) gesetzt, das die erfolgte Abfuhr anzeigen solL In 
anderen Büchern und Jahren aber sind neben die Namen der Pflich¬ 
tigen auch „erbe“ und „parschaft“ in Wert und Höhe imgemerkt und 
daneben die entfallende Steuer und das erwähnte dedit gesetzt Seit 
der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts kommt es bei der Angabe der 
Struerobjekte zu einer weitergehenden Spezifikation, also zu einer Er¬ 
scheinung, die sich um diese Zeit auch in den Büchern anderer Städte 
findet Da werden in ihrem Werte, bezw. Höhe genannt: Häuser, 
„Stadtei“, Zinsen, Barschaften, Verkaufsbänke, Gärten, Ackerland, Vieh¬ 
bestände u. a. m. 

Wie erwähnt, wurde in Eger alljährlich einmal Losung gegeben 
An einen bestimmten Termin war diese nicht gebunden. Einkassierung 
und Verwaltung des Losunggeldes war ursprünglich Sache einiger Rats¬ 
herren ; zumeist waren es ihrer zwei, manchmal auch drei. Erst geger 
Ende des 15. Jahrhunderts pflegen neben zwei Ratsherren auch zwe 
Gemeindemitglieder zum Losungsamt erwälilt zu werden. Männer be¬ 
sonderen Vertrauens gelangen auch hier wiederholt zu diesem wichtiger 
Amte. Die Losungsherren erhalten für ihre Mühewaltung eine Ent 
Schädigung in Geld, sie haben aber auch auf Kosten der Stadt gezehrt 

So lesen wir z. B. zum Jahre 1391: Item unser Ion und dei 
puteln im Ion und verczert und czu trinckgelder geben und all 
sache hundert und xviiij lb H (h Wie anderwärts so waren aucl 
hier die Losunger verpflichtet, nach Ablauf ihrer Amtszeit Rechnung 
zu legen „zu reiten“. Büttel und Stadtschreiber haben die Losunge 
bei Ausübung ihres Amtes in ihrer Weise unterstützt 

Bis zum Jahre 1440 enthalten die Egerer Losungsbücher die be 
kannten Ausgabenverzeichnisse; von nun ab wurden die Ausgaben de 
städtischen Haushaltes in einer neuen Art von Büchern, kurzweg Aus 
gabsbücher genannt, registriert Somit können wir auch hier au 
jenen Wandel verweisen, der sich um die Mitte des 15. Jahrhundert 
in Mies, Budweis und anderwärts in der städtischen Buchführung durch 
gesetzt hat 

Was die Währung anlangt, deren sich die Losungsbücher bedienei 
so steht die Egerer Münze im Vordergrund und wer einmal deren Gt 
schichte schreiben will, der wird in den Losungsbüchern die beste Fund 



Losungsbüeher und Losungswesen böhmischer Städte im Mittelalter. 57 


grabe besitzen; neben der Egerer kommt aber auch Regensburger und 
böhmische Währung zur Anwendung 1 ), 

Erwähnt sei noch, daß das Archiv von Eger auch noch eine an¬ 
dere sehr interessante Gruppe von Steuerbüchern besitzt, die sogenannten 
Klosteuerbücher, die über die Steuer der Landbevölkerung Auf¬ 
schluß geben und die mit dem Jahre 1392 einsetzen. Das älteste Exemplar 
dieser Gruppe (1392) verwahrt das k. k. Statthaltereiarchiv in Prag. Es 
leitet sich ein mit dem Vermerk: Nota, daz buch hat man gemacht 
czu der landes stewre da man czalte von Cristes gehurte dreyczehen- 
hundert jar darnach in dem czwey und newnczigisten jare an sant Jo¬ 
hannes tage des Teuffers czu Sünwenden. 


4. Chrudim. 

Aus dieser königlichen Leibgedingstadt sind die Fragmente zweier 
Losungs- und Zinsregister erhalten, die jetzt im Musealarchiv 
zu Prag aufbewahrt werden. Das eine Fragment bezieht sich auf die 
Jahre 1399 und 1400, das andere auf 1401 und 1402. 

Beide Register sind aus Papier hergestellt, 30:21 cm. Sie geben 
über zweierlei Auskunft: über die Losung fder Stadt und über den 
Zins, der alljährlich an die Kammer der Königin abzuführen war. Leider 
weist keines der Fragmente mehr die ganze Liste der losungs- und 
zinspflichtigen Chrudimer auf; auch ergänzen sich die Bruchstücke 
nicht in der Art, daß die Übersicht über alle Pflichtigen zu gewinnen 
wäre. 

Die Chrudimer sind im Register nach Berufsgruppen gegliedert: 
es lassen sich noch zählen: Mälzer (braseatores) 5, Tuchmacher (pan- 
nifices) 150, in der Schmiedgasse (platea fabrorum) 46, Binder (dolea- 
tores) 8, Schuster (sutores) 48, Bäcker (pistores) 38, Fleischhacker 
(carnifices) 48, Kürschner (pellifices) 9, Schneider (sartores) 12, Krämer 
(institores) 20, Wirte (pincemae) 26, Fuhrleute, Salzfischhändlerinnen 
(vectores, salsatrices) 50, Kuchenbäcker und Fischer (colaczerii et pis- 
eatores) 24, Gärtner (ortulani) 30, Müller (molendinatores) 5. Dazu 
kommen noch 3 Stadtdörfer. 

Zu bemerken ist, daß bei den einzelnen Berufsgruppen nicht durch¬ 
wegs an Angehörige ein und desselben Gewerbes zu denken ist, sondern 
es erscheinen verwandte Pi ofessionisten unter einem Titel zusammen¬ 
gefaßt So finden wir z. B. unter den sutores auch cerdones (Gerber) 


i) Das Kapitel »Das Münzwesen in Eger« in Pröckls »Eger nnd das Egerland« 
(1845) S. 261 kann kaum mehr als hinlänglich bezeichnet werden. 



58 


Karl Beer. 


und unter den pincemae auch sroter (Schrotter) und braxatores (Brauer). 
Auch war die Schmiedgasse nicht durchgehends von Schmieden be¬ 
wohnt: es wird auch eines Goldschmieds (aurifaber), Seilers (funifex), 
Wagners (currifex), Zimmermanns (carpentarius) u. a. Erwähnung getan. 
Wir haben es hier jedenfalls mit einer Erscheinung zu tun, die sich 
an die zünftische Gliederung des Handwerkes anlehnte. 

Die Angehörigen der einzelnen Berufsgruppen wieder sind in 
alphabetischer Reihenfolge genannt. Ihre Namen füllen die mittlere 
Kolumne der einzelnen Seiten. Gleich neben den Namen der Pflich¬ 
tigen sind die der Losung unterworfenen Objekte mit Angabe ihres 
Kapital wertes verzeichnet Es sind dies wiederum: Wohnhäuser, Brauereien, 
Mälzereien, Verkaufsbänke and Verkaufsstände (staciones), Höfe (curiae), 
Gärten und Felder. Maße für letztere sind Lahn und Hut3. Die Werte 
des Lahnes bewegen sich zwischen 12 und 24 Schock, die der Häuser 
zwischen 1 und 4 Schock Groschen. Der Namenreihe der Pflichtigen 
sind Rubriken vorgesetzt in denen durch Eintragung des Losungsbo- 
trages oder auch nur des bekannten d t die Entrichtung der Steuer aii- 
gezeigt wurde. 

Die Losungsbeträge wurden ermittelt indem auch hier wiederum 
von Losung zu Losung festgesetzt wurde, wie viel Groschen von der 
Mark Vermögen zu geben war. 

Dem Kollegium der Losungsherren gehörten Kats- und Gemeinde¬ 
mitglieder an: doch war ihre Zahl keine feste. Lber die Anzahl der 
jährlichen Losungen, der jeweils geforderten Groschen und Losungen 
gestatten die Fragmente nachstehendes Bild: 

1399: 1 Losung, 2 Grosch. y. Schock., 2 Losunger aus dem Kate, 
3 aus der Gemeinde. 

1400: 3 Losungen, jedesmal 2 Grosch. v. Schock, 2 Losunger aus 
dem Bäte, 2 aus der Gemeinde. 

1401: 1 Losung 

1402: 1 Losung, 2 Grosch. v. Schock, 3 Losunger aus dem Rate, 
3 aus der Gemeinde. 

Die Losunger hatten aber hier nicht nur die Aulgabe, die Losung 
einzuheben und zu verwalten, sondern sie mußten auch den Kammer¬ 
zins einkassieren. Über letzteren unterrichten jene Angaben des Re¬ 
gisters, die rechts von der Namenreihe der Pflichtigen, in einer eigenen 
Kolumne eingetragen sind. Da finden sich die Zinsobjekte wie auch 
die alljährlich fälligen Zinsbeträge angemerkt. Zins war in Chrudim 
nicht nur von Grund und Boden (Äckern, Gärten u. s. w.) zu geben, 
sondern auch von städtischen Realitäten (Häusern, Brauereien, Fleisch¬ 
bänken u. 8. w.). Die Armen, die zur Losung durchschnittlich von 



Losungsbücker und Losungswesen böhmischer Städte im Mittelalter. 59 


1 Schock steuerten, werden vom Zinse nicht betroffen. Der Kreis der 
Zinszahlenden ist auch hier kleiner als der der Losungspflichtigen. 

Der Aufwand der Stadt wurde, wie die erhaltenen Ausgaben Ver¬ 
zeichnisse «kennen lassen, vornehmlich mit Losungsgeldem bestritten. 
Aus diesen wurden auch jene alljährlichen Steuersummen genommen, 
die neben dem Jahreszins an die Kammer der Königin abgingen. Die 
Jahressteuer bezifferte sich in der Zeit von 1399—1401 auf 170 Schock 
Grosck Die Sprache der Registerfragmente ist die lateinische. 

5. Prag, 
a) Altstadt. 

ln der Altstadt reichen Nachrichten über eine städtische Steuer 
bis ins 13. Jahrhundert zurück; freilich ist diese älteste Überlieferung 
als spärlich zu bezeichnen. Zu den Jahren 1234 und 1267 werden 
Befreiungen von der Stadtsteuer erwähnt, die der König einzelnen ver¬ 
dienten Bürgern zuteil werden ließ l ). Wie den anderen königlichen 
Städten stand auch der Altstadt das Recht der Selbstbesteuerung zu 
und bildete einen integrierenden Bestandteil städtischer Autonomie 2 ). 
Aber das konnte den König, von dem jenes Recht ausgegangen war, 
nicht hindern, einzelne Personen von der Bestreitung der Gemeinde¬ 
steuern zu befreien 8 ). 

Die erste ausführlichere Nachricht über die Alcstädter Gemeinde¬ 
steuer bringt ein Statut des Rates aus dem Jahre 1299 4 ). Damals 
wurde vom Rate und der Gemeinde ein Kollegium gewählt, das aus 
einigen Schöffen und drei Bürgern bestehen und eine Kollekte für 
den König und die Stadt erheben sollte. Es liegt hier die erste un¬ 
zweideutige Nachricht über eine Steuererhebung vor, die der Forderung 
des Königs und dem Verwaltungsaufwand der Gemeinde Rechnung 
tragen sollte. Die Höhe der Gesamtsumme belief sich an 1000 Mark 
Silber. Daß die Losunger ihres Amtes treulich walten, ließ man sie 
in der Kirche zum hL Nikolaus einen Schwur auf das Kreuz ablegen. 
Nach welchem Modus jedoch jene Kollekte durchgeführt wurde, darüber 
sagt das Statut nichts. Nur das eine wird betont, daß bei der Steuer- 

*) Zjcha, Prag. Ein Beitrag zur Rechtegeschich te Böhmens im Beginne der 
Kotausi tionazeit. Mitteil. d. V. 1. G. d. Deutschen L B. Bd. 50. S. 183. 514 und 
Tomek, Geschichte der Stadt Pr g (1866) S. 321 ff. 

*) Ganz ausdrücklich wird das Recht der Selbstbesteuerung ausgesprochen für 
Saaz (CelakoYBky, a.a.0.11, nr. 364: ürk. v. J. 1357) und für Brüx (ebd. nr. 445, 
Uik. ▼. J. 1371) u. s. w. 

*) Vgl Celakorsky, &. &. 0. L nr. 61 u. IL nr. 216. 

«) Ebd. I, nr. 7. 



60 


Karl Beer. 


erhebung alle List und Benachteiligung fern sein müßte und daß die 
Losungsgelder zum Nutzen aller Stadtbewohner, der armen und reichen, 
Verwendung finden sollten. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß in 
vorausgegangener Zeit nach diesen Bichtungen hin zu wünschen übrig 
geblieben war. 

Die gleiche Quelle berichtet weiter, daß man d*m Stadtschreiber 

eine passende Wohnung im Rathaus wie auch bestimmte Bezüge sichern 

wollte, dann würde er — so war es die Meinung der Stadtväter — es 

nicht lieber sehen, daß alljährlich Losung erhoben werde — zum 

Nachteile der Gemeinde. Da der Stadtschreiber — es war damals Mar¬ 
ti 

gister Petrus — wo er in Verbindung mit Losungsgeschäften genannt 
wird, immer nur die einschlägigen Schreibgeschäfte zu führen hatte, so 
dürfen wir mit gutem Grunde annehmen, daß in Prag damals schon 
für eine schriftliche Fixierung des Stauergeschäftes gesorgt war. Zudem 
wird es ausdrücklich als des Stadtschreibers Aufgabe bezeichnet: „col¬ 
lect a s et literas civium fideliter conscribendo “. Freilich wird diese 
ältest* Registrierung nicht weit gegangen sein, aber die Namen der 
Pflichtigen, die Höhe der zu zahlenden Beträge und ob diese abge¬ 
führt wurden, diese wichtigsten Elemente dürften wohl ersichtlich ge¬ 
macht worden sein. 

Wie anderwärts so zeigt sich auch in Prag Adel wie Klerus be¬ 
strebt, für seinen städtischen Besitz Steuerfreiheit durchzusetzen 1 ). 

In dem Streite, der zwischen dem Prager Domkapitel und der Ge¬ 
meinde wegen der Abgabenfreiheit des Teinhofes schwebte, wird auf 
eine alljährliche städtische Kollekte indirekt verwiesen. Die Bürger¬ 
schaft hatte verlangt, daß der jeweilige Pächter des dem Kapitel ge¬ 
hörigen Teinhofes außer der Steuer, die er von seinem sonstigen Besitz 
(de bonis et rebus suis) der Stadt zu entricht?n hat und unabhängig 
davon, ob der König von der Stadt eine Steuer verlangt oder nicht, 
von den Erträgnissen (de lucris) des Hofes alljährlich 10 Mark an die 
Stadt abführe 2 ). Der König hat (1298) zu Gunsten des Kapitels ent¬ 
schieden, indem er darauf hinwies, daß der ehemalige herzogliche Hof 
immer abgabenfrei gewesen sei. Doch soll der jeweilige Pächter, so 
ist es des Königs Wille, von seinem anderweitigen Besitz alle Lasten 
mit den Bürgern tragen 8 ). Mit der Kommende des deutschen Ordens 
zu St Benedikt kommt es zu einem Kompromiß. Obwohl der Orden 
von der Überzeugung erfüllt ist, daß sein städtischer Besitz das Recht 


*) S. Zycha, a. a. 0. S. 515. 

*) Rößler, Deutsche Rechtedenkmäler I. S. 171 f. 
*) Emler, Reg. IL nr. 1814. 



Los angeblicher und Losungswesen böhmischer Städte im Mittelalter. 61 


der Steuerfreiheit beanspruchen könne, entschließt er sich doch zu einer 
alljährlichen Zahlung von 10 Mark Silber (1306) 1 ). 

Die Bolle, welche die Losung im städtischen Leben spielte, war 
eine ganz bedeutsame. Sie stand in innigem Zusammenhänge mit 
Bfirgeranfhahme und Bürgerrecht 

Wer in Prag das Bürgerrecht erwarb, der war für Jahr und Tag 
Ton aller Losung frei Diese Vergünstigung wird in den Ratsstatuten 
einige Male herrorgehoben *). Wer aber das Bürgerrecht nicht erwarb, 
der mußte gleich die nächstfolgende Losung auf sich nehmen. Wenn 
wir daneben im altan Stadtbuch von 1310 bei den neuauigenommenen 
Böigem immer wieder vermerkt finden, daß sie mit der Stadt Gutes 
und Übles zu leiden (stare in prosperiis et adversis) versprachen, so 
bedeutet dies ja noch nicht einen Widerspruch zu dem Vorausgesagten. 
)hm hat eben an die Losung nicht allein zu denken. 

Besitz, bezw. Mangel des Bürgerrechtes schufen innerhalb der städti¬ 
schen Bevölkerung zunächst zwei Gruppen: cives — Bürger und in- 
eolae — Inwohner. Beide Gruppen wie alle übrigen Leute (homines), 
die in der Stadt ihren Unterhalt fanden, hatten zur Losung beizu¬ 
tragen 1 ). Diese Auffassung blieb die herrschende und wird durch ein 
Statut des ausgehenden 14. Jahrhunderts nochmals bestätigt 4 ). Eine 
Ausnahme sollte neben dem Adel und Klerus nur noch mit den fremden 
Kaufleuten gemacht werden 5 ). 

Aber gerade die Tatsache, daß alle in der Stadt Lebenden mit ihr 
leiden mußten, hat wohl dahin geführt, daß der Begriff des „Bürgers* 
noch zu Ende des 14. Jahrhunders einen geänderten und zwar weiteren 
Sinn erhielt. Bürger sollte nunmehr in Prag ein jeder sein, der sich 
durch vier Wochen bei eigenem Herde in der Stadt halt oder aber die 
Tochter eines Bürgers heimführt und die Losung mitbestreitet 6 ). Der¬ 
jenige, der das Bürgerrecht (jus civile) nach alter Weise förmlich er¬ 
warb, der sollte als bevorrechteter Bürger über den andern Bürgern 
(cives sine jure civili) stehen. Wenn wir zu Beginn des 14. Jabr- 

») Ibid. n. pag. 905. 

*) Rößler, a. a. 0. Statut 22 u. 139. 

•) Celakov&ky, a. a. 0. I. nr. 40 (1341). König Johann bestimmt, quod 
omnes et singuli eines et incole et homines domos et domicilia eorum ibidem in 
enritate et rab proteedone et regimine duitatis ipsius habentes .... alle Lasten 
der Stadt zu tragen haben. 

«) Rößler, a. a. 0. Statut ±25. 

*) Celakovsky, a. a. 0. L nr. 52 (1349). 

*) Rößler, a. a. 0. Stat 139: Item qui sedet in dvitate quatuor septimanis 
cum pro prio igne, re pu t a t ur statim pro dve. item qui dudt fiüam dvis alicuiu^ 
ctam reputatur pro dve. Vgl. wdtere Statut 135. 



62 


Karl Beer. 


hundert« den Kreis der Bürger mit dem der Hausbesitzer im allgemeinen 
identifizieren dürfen, so kommt am B?ginne des 15. Jahrhunderts der 
Bürgertitel auch dem großen Kreise der Mietleute, der Inwohner zu, 
ja wir begegnen mehreren derselben, die ausdrücklich als im Besitze 
jenes besseren Bürgerrechtes angeführt werden 1 ). 

Auch die Zeugenschaft vor Gericht wurde mit der Losung in Ver¬ 
bindung gebracht Wer z. B. bei Totschlag als Zeuge fungieren will, 
der soll ein Vermögen von 10 Schock haben und „vorlosungen* *). 
Handelt es sich um Judenschuld, so war es nötig, daß der Zeuge „ge- 
sezzen sei ze hyndert schocken“ u. s. w. ®). — Wer ins Feld zog, war 
von der Losung frei 4 ). 

Gerade aber diese Bestimmungen, die seit Beginn 6 ) des 14. Jahr¬ 
hunderts Yon einem bestimmten Vermögen sprechen, das in Schock 
oder Mark ausgedrückt ist lassen deutlich erkennen, daß in der Prager 
Stadtgemeinde eine Vermögenssteuer üblich war. Und wie ander¬ 
wärts, so wurde sicher auch hier Yon Losung zu Losung eine bestimmte 
Zahl von Groschen vom Schocke gefordert 

Wenn wir daneben anläßlich der Aufnahme des Bürgers Nikolaus, 
genannt Syrscha, in dem oberwähnten Stadtbuche (foL 15 a) die Nach¬ 
richt finden, daß er von nun ab (1330) alljährlich zur Zeit der Losung 
(quolibet anno a data presentium per unum annum tem¬ 
pore collecte) 10 Schock Losung (pro collecta sua) zu entrichten 
habe, so wollen wir deswegen nicht annehmen, daß die Losung der 
Bürger in bestimmten Jahresbeträgen fixiert gewesen wäre. Hier handelt 
es sich offenbar um ein spezielles Abkommen, wie solche späterhin 
deutlicher hervortreten. So z. B. trifft 1430 der neu aufgenommene 
Bürger Andreas Stuk die Vereinbarung, daß er alljährlich zu Georgi 
und Galli je 1 Schock an die Stadt als Steuer (racione collectarum) 
geben wolle (Altstädter Losungsbuch von 1427, foL 9 und 72) 8 ). 

Die Übung jener Zeit wird uns viel mehr und richtiger durch ein 
Statut aus dem Jahre 1346 beleuchtet: Darnach bestimmten die Schöffen 
und die Gemeinde, daß ein jeder, der vor das Losungskollegium kommt, 

l ) Siehe weiter unten S. 68. 

*) Rößler, a. a. 0. Statut 50. 

•) Ebd. Stat. 16. 

*) Ebd. XCVII. 

•) Celakovsky, a. a. 0. I. nr. 8 enthalt eine ähnliche Bestimmung zum Jahre 
1304 bereits. 

•) Eine ähnliche Fixierung der Jahreslosung nimmt König Wenzel IV. 1410 
betreffe des Adels vor, der Landbesitz hat und in Prag Bürgerrecht erwirbt : 
dieser soll »allerwege von hundert schocken czinses oder erbes werte czehen schock 
grossen« der Stadt als Losung abtühren. 



Losungsbücher und Losungswesen böhmischer Städte im Mittelalter. 63 

auf Treu und Glauben 3 Groseben von jeder Mark als Losung zu ent¬ 
richten habe. Wenn es für die Losungsherren den Anschein hat, daß 
der Pflichtige genug getan, dann sollen sie sich mit dessen Selbst¬ 
einschätzung zufrieden geben; wird aber zu wenig gereicht, dann 
sollen die Losungsherren soviel zugeben, als sie unter Berufung auf 
ihren Eid für recht erkennen l ). 

Was nun den Charakter der Altstädter Losung um die Mitte des 
14. Jahrhunderts anlangt, so zeigt sich da ein Gemisch von sachlichen 
und persönlichen Momenten, worauf einzelne Urkunden recht deutlich 
verweisen *). 

Der Losung erscheinen unterworfen: Häuser*), Höfe (curiae) 4 ), 
Grund und Boden innerhalb und außerhalb der Stadt ß ), nur Weinberge 
sollten ausgenommen sein 6 ), Bargeld 7 ), Seelgeräte 7 ), Waisengelder 7 ), 
Zinsen *), aber auch Kaufmannsgut und Handwerk (offleium et ars me- 
chanica) 9 ). Darnach hatte die Stadtlosung ebenso den Charakter der 
Real- wie der Personalsteuer. 

Doch es scheint, daß man mit jener Handhabung des Steuerge¬ 
schäftes, die sich auf Selbsteinschätzung ohne Eid gründete, nicht die 
günstigsten Erfahrungen machte. Das Bild das wir uns auf Grund 
eines späteren Batsstatuts (1373) zu machen vermögen, weist in einigen 
wesentlichen Punkten Abweichungen auf. Wohl ist die Selbstein¬ 
schätzung noch vorhanden, aber sie wird nicht mehr bei jeder einzelnen 
Losung geübt, sondern nur von jenem Pflichtigen verlangt, der zum 
osten Male vor die Losunger kommt Gibt jedoch ein solcher Neuling 
zu wenig, „so stillen die losunger auf in seczen seine losunge* 1 °). Und 
wollte er auf diese Festsetzung nicht eingehen, „so sol er losunge geben 
bei seinen ay de“. Die auf solche Weise ermittelte Losung wurde, 

! ) Bei Rößler nicht abgedruckt. Stadtb. v. 1310, fol. 69. 

*) König Johann erklärt mit Urk. v. 4. Juni 1341 ((elakovsky, a. o. 0., 1. 
nr. 40), daß alle Pflichtigen der Altstadt zu tragen haben: omnes eontribuciones, 
collectas, faedones seu onera quecunque personaliu, realia atque mizta; 
and in einer Urk. v. 7. Juni desselben Jahres (ebd. nr. 41) spricht er von fkccio- 
sibus .... contribucionibus quituscunque, tarn realibus, pecuniariis quam 
per8onalibu8 etc. 

•) Ebd. nr. 17 (1330), tl (1354). 

«) Ebd. nr. 17 (1330). 

•) Ebd. nr. 17 (1330), 40 (1341), 61 (1364). 

•) Ebd. pag. 109 (1358). 

») Ebd. nr. 40 (1341). 

•) Ebd. IL nr. 328 (1352). 

•) Ebd. L nr. 61 (1354). 

*•) Rößler, a. a. 0. Statut 104. 



64 


Karl Beer. 


so müssen wir annehmen, im Losungsbuch vermerkt und bei weiteren 
Losungen wieder gefordert, denn so heißt es im erwähnten Statut: 
»wenne ein man vor die losung kompt, der sol sein losung richten als 
er gescriben stet“. 

Etwaige Änderungen im Vermögensstand haben die Losungsherren 
zur Kenntnis zu nehmen und die Losung darnach einzurichten. Nach 
Ankäufen von Erbe soll für die Zeit der ersten Losung eine Ermäßigung 
erfolgen. Finden die Losunger, daß jemand einen Teil seines Ver¬ 
mögens verschwiegen hätte, so soll dieser der Stadt verfallen sein, die 
sich damit von ihrer »schuld heißen* soll. Das war die Bestimmung, 
die wohl jeden Pflichtigen mahnte, bei der Losung nichts zu hinter¬ 
ziehen. 

Im übrigen hatte jeder, der die Selbsteinschätzung vomahm. fol¬ 
genden Schlüssel zur Kichtschnur zu nehmen: »Auch sol ein iclicher 
man geben von eime phflugs acker zu losung vierzk grosser, und von 
einem schok ewiges zins iiii gr. und einem schok varund bab i gr. zu 
losung“. Auffällig ist hiebei, aber immerhin begreiflich, wie wenig 
beschwert das bewegliche Vermögen sein sollte 1 ). Bemerkt sei auch, 
daß nach dem Statut von 1373 jeder Pflichtige anzugeben hatte, wie 
viel Ingesinde er habe und ob jemand in seiner Kost sei. Denn auch 
solche Personen sollten »beigeschrieben“ und zur Losung herangezogen 
werden. Das gleiche gilt von Seelgeräten und Waisengeldern. Für 
jede Verheimlichung auch in diesen Belangen war eine bestimmte Buße 
vorgesehen. Es ist zu bedauern, daß auch nicht ein Exemplar der 
Losungsbücher des 14. Jahrhunderts erhalten ist. Welch guter Einblick 
in die Besitzverhältnisse und soziale Gliederung der Prager Bevölkerung 
würde sich da erschließen! 

Die Zahl der Losunger sollte im 14. Jahrhundert vier betragen; 
zwei Losungsherren sollten den Schöffen, zwei der Gemeinde entnommen 
werden. Die Kollekte sollte innerhalb eines halben Jahres abge¬ 
schlossen werden, widrigenfalls die Losunger um ihr Honorar kommen 
sollten, das pro Mann 5 Schock ausmachte. Übrigens wurde noch im 
14. Jahrhundert diese Entlohnung gestrichen und außerdem strenge 
untersagt, daß sich die Losunger auf Kosten der Stadt kleiden oder 
auf deren ßechnung zehren 8 ). Änderungen bezüglich der Losungsver¬ 
pflichtung sollten nur dann vorgenommen werden, wenn alle vier 
Losunger zugegen waren. Geschieht eine solche Änderung in Anwesen- 

i) In Eger, Leitmeritz, Kaaden, Brünn hat man im Gegensatz zu Prag das 
bewegliche Vermögen stärker herangezogen als das unbewegliche. 8. oben S. 55. 
Celakovsky a. &. 0. II. nr. 111,126 und Bretholz, Gesch. der Stadt Brünn, I. S. 276. 

*) Rößler, a. a. 0. Stat. 110 u. 113. 



Losungsbücher und Losungsweeen böhmischer Städte im Mittelalter. 65 

heit Ton nur drei Losungem, so ist dies im Rate kundzutun 1 ). Im 
Interesse der Rechnungslegung war es gehandelt, wenn die Bestimmung 
getroffen war, daß das Amt der Losunger solange währen sollte, als 
der Bat verblieb. Die Losunger hatten am Ende ihrer Amtszeit „ein 
some" zu „machen des, das sie habm eine genomen und des, das sie 
ausgeben haben* 8 ). 

Wie ersichtlich, war mit solchen Bestimmungen ein ganz anderes 
System als das von 1346 geschaffen. War früher die Selbsteinschätzung 
Ton Fall zu Fall üblich gewesen, war fallweise eine bestimmte Zahl 
Groschen von der Mark gefordert worden und hatte infolgedessen das 
Losungsergebnis von Kollekte zu Kollekte eine verschiedene Höhe auf¬ 
gewiesen, die man nur beiläufig vorausbestimmen konnte, so war jetzt 
das Resultat ziemlich genau im voraus bekannt und ebenso gesichert 
als unverschiebbar. 

Und abermals eine andere Ordnung ist es, die der Losung der 
Altstadt in der 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts zugrunde liegt; hierüber 
unterrichtet uns ein Kodex, der im Prager Stadtarchiv aufbewahrt wird 
und, wie seine Aufschrift andeutet, 2 Losungsbücher in sich vereinigt: 
In hoc volumine continentur duplices libri collectarum, primus tri um 
eoUectarum, secundus vero quatuor collectarum 3 ). Wir gewinnen durch 
diesen Kodex einen Einblick in die Losung der Jahre 1427, 1429 und 
1433, 1434; daß auch in den dazwischenliegenden Jahren Losung er¬ 
hoben wurde, erhellt aus einzelnen Marginalnotizen. 

Das Recht, Steuern zu beschließen und aufrulegen (imponere), stand 
der Gemeinde zu (magna communitas). Sie pflegte je nach den Be¬ 
dürfnissen des städtischen Haushaltes ein oder mehrere „Kollekten* 
oder „Losungen* zu bewilligen. Der Terminus „collecta*, „losunga* 
will hiebei so gefaßt sein, daß von 4 Schock 1 Groschen verlangt 
wurde 4 ). Man beschloß 1427: 1 Kollekte, 1429: 2 Kollekten, 1433: 
2 Kollekten, 1434: 2 Kollekten. Für die Erhebung und Verwaltung 

<) Ebd. Stak HO. 

*) Ebd. Stak 125. 

*) VgL Celafcovaky, Sonpis rukopisft chovanych v archivu m. Prahy I (1907) 
S- 52 und Tomek, Zäklady staröho mistopisu Praiköho I (Prag, 1805). Beilage 

264 C 

4 ) Tomek meint (D^jepis m. Prahy II, 352—53), daß man von »einer Bema« 
cpraeh, wenn vom Schock */t Groschen gefordert wurde und verweist, um dies zu 
begründen, auf das Altstädter Losungsbuch von 1427—1434. Da unterlief ihm 
jedoch ein Irrtum. Im Jahre 1427 wurde »una collecta« beschlossen und „de 
quatuor senag. grossorum per 1 g« verlangt. Daraus ergibt sich obige Festsetzung. 
Anden auf der Neustadt: hier bedeutete »1 Bema« einen halben Groschen vom 
Schock, a unten S. 70. 



66 


Karl Beer. 


der Steuer wurde nunmehr von Fall zu Fall ein Kollegium von sechs 
Loßungern erwählt (officium sez dominorum). Zwei der Losungsherren 
wurden aus dem Bäte, vier aus der Gemeinde zu dem Amte ausersehen. 
1429 waren — das scheint jedoch mit Rücksicht auf obige Amtsbe¬ 
zeichnung eine Ausnahme gewesen zu sein — bloß 3 Losunger tätig 
(1 aus dem Bäte, 2 aus der Gemeinde). Die mit der Losungserhebung 
verbundenen Schreibgeschäfte besorgten ein notarius und ein subnotarius 
collectarum. Auch ein Steuerbote (nuncius collectarum) ist bezeugt 
Amtslokal war stets das Rathaus. 

Im ganzen birgt der Kodex 5 wichtige Verzeichnisse. Das erste 
nennt die Häuser der Altstadt, die nach den vier Steuervierteln (Tein¬ 
oder Marien-, Galli-, Leonhardi- und Nikolaiviertel) und innerhalb dieser 
wieder nach Plätzen und Gassen geordnet sind. Die Reihenfolge ist 
in allen Häuserlisten im wesentlichen dieselbe. Bei den einzelnen 
Häusern findet sich fast immer der letzte Kaufpreis angemerkt, nach 
dem sich die Losung richtete. Selbstverständlich lernen wir auch die 
Namen der Hausbesitzer kennen. Auch die Renten (census), die den 
einzelnen Hausbesitzern etwa zukamen, sind verzeichnet. Renten wurden 
hinsichtlich der Losung dem unbeweglichen Vermögen gleichgestellt 
und bereits seit Mitte des 14. Jahrhunderts besteuert 1 ). 

Die Häuserpreise des Losungsbuches stammen aus einer Zeit, in 
der Prag einen großen Umsturz erlebt hatte. Gewaltsam hatte man 
nach dem Tode des Königs Wenzel (f 16. Aug. 1419) das deutsche 
Element aus der Stadt hinausgedrängt und dessen Häuser — sie zahlten 
nach hunderten — annektiert Die husitischen Stadtväter verkauften 
sie sodann an solche Insassen weiter, die in ihrer treuen Gefolgschaft 
erscheinen wollten 8 ). So wird es begreiflich, daß so manches Haus 
in obigen Jahren um die Hälfte seines ehemaligen Kaufpreises in neue 
Hände überging. Im ganzen zeigt das Losungsbuch deutlicher als 
andere Dokumente, wie wenig konsolidiert noch in der Zeit von 1427 
—1434 die Verhältnisse in Prag waren: Kauf und Verkauf drängen 
sich geradezu nach den Notizen des Losungsbuches. 

Was die Höhe der Häuserpreise im allgemeinen anlangt so waren 
diese recht verschieden. Neben Häusern, besser gesagt Häuschen, im 
Werte von 1 und 2 Schock begegnen wir solchen, deren Wert sich 
auf mehrere Hundert Schock belief 8 ). 

*) Celakovaky, a. a. 0 . H. nr. 828 (1852) 

*) Vgl. Binder, Die Hegemonie der Prager im Husitenkriege. Prager Stadien. 
Heft 8. 8. 9 ff. 8. 59, a 63, 8. 71 ff 

•) VgL Tomek, a. a. 0. 619—520. 



Losungsbücher und Loeungswesen böhmischer Städte im Mittelalter. 67 

Über und unter dem Namen des Hauseigentümers finden wir im 
Losungsbuch sehr häufig Vermerke, die sich das eine Mal auf Kauf 
und Verkauf der Realität beziehen, ein ander Mal den Pächter (con- 
?entor) nennen, der das Haus innehatte und neben dem Hauseigen¬ 
tümer seine besondere Losung zu entrichten hatte. Oft kam es vor, 
daß ein Bürger im Besitze mehrerer Häuser war. Noch öfter sehen 
wir ein Vorderhaus (domus anterior) und Hinterhaus (domus posterior) 
in einer Hand: es liefen nämlich die Häuser vielfach von der einen 
Gasse bis zur nächsten Parallelgasse, hatten also eine beträchtliche 
Hefe. Benützte der Eigentümer nicht selbst jenes .Hinterhaus 1 , etwa 
zur Ausübung eines Gewerbes (Mälzerei, Brauerei u. s. w.), so wurde 
es an Mietleute oder an einen Pachter abgelassen. 

Auch steuerfreie Häuser nennt die Liste, so z. B. die verschiedenen 
Kollegienhauser (Collegium reginae, collegium regis Wenceslai etc.), die 
Höfe und Häuser auswärtiger Adelsgeschlechter (z. B. der Rosen¬ 
berge) und Klöster, die ein Domestikus zu verwalten pflegte, die Pfarr¬ 
häuser und niederen Schulen. Daß jedoch bei diesen Häusern die Ver¬ 
anlagung unterblieb, finden wir begreiflich. — Leider ist man bei Ver¬ 
anlagung des Verzeichnisses nicht ganz konsequent gewesen; manche 
steuerfreie Häuser wurden übergangen, ja selbst einzelne zur Losung 
verpflichtete Realitäten fehlen. Wenn eine Auszählung im Losungs¬ 
verzeichnis von 1427 1001 Haus ergibt, so glaubt Tomek für diese 
Zeit 1182 Häuser nachweisen zu können*). Doch uns scheint die 
Koexistenz so vieler Häuser für die Zeit 1427—1429 doch fraglich. 

Da, wo ein Hauseigentümer oder Pächter das Bürgerrecht er¬ 
worben hatte, findet sich ein darauf bezüglicher Zusatz, zumeist in der 
Passung: residet per jus dvile. 

Weitere Randbemerkungen beziehen sich auf Steuerbefreiungen, 
Nachlasse, Zahlungen von Rückständen oder aber von Abrechnungen 
mit jenen Pflichtigen, die auf Grund einer Arbeitsleistung oder Lieferung 
Geldansprüche an die Stadt hatten. Solche Beträge wurden von der 
Losung abgerechnet (defalcare). 

Ein nicht uninteressantes Streiflicht wirft es auf jene Revolutions¬ 
und Kriegsjahre, wenn wir dem Losungsbuche entnehmen, daß etwa 
ein Zehntel aller Häuser in Witwenhänden war. Auch die Zahl der 
Häuser, die Waisen (orphani) gehörten, ist keine geringe. 


f ) Tomek, Zäklady etc. I. Einl. 2. 


5* 



68 


Karl Beer. 


Das erste Verzeichnis diente jedoch nicht allein der Losung des 
Jahres 1427 als Grundlage, sondern auch der von 1429. Rechts und 
links von der Mittelkolumne, in der die Häuser verzeichnet sind, hat 
man die Losungsbeträge gebucht, die auf Grund der bewilligten Bemen 
vom Kaufpreis der Realitäten l ) und des Bodens *) und von den Renten 
berechnet wurden. Die Losung von 1429 wurde mit dem Zusatze „de 
novo“ registriert In einem zweiten Verzeichnis zum Jahre 1429 sind 
sodann die Namen aller jener — nach Hausern geordnet — zu finden, 
die ihre Losung von 1429 sowie auch etwaige Rückstände früherer 
Jahre erlegt haben. Wenn sich bei einer Auszahlung dieser Liste nur 
844 Häuser (gegen 1001 im Verzeichnis) ergeben, so hat dies in erster 
Linie darin seinen Grund, daß hier die gefreiten Häuser weggelassen 
wurden. Dazu kommt noch die Zahl derer, die die Losung nicht ent¬ 
richtet haben. Und Rückstände (collectae retentae) waren beileibe keine 
Seltenheit 

Von besonderem Werte ist das 3. Verzeichnis des Losungsbuches. 
Es gehört gleichfalls dem Jahre 1429 an und nennt uns die Inwohner 
(inquilini) der Altstadt und zwar nach den Steuervierteln und Häusern 
daselbst verteilt Was bei Besteuerung der Inquilini die Grundlage 
bildete, darüber ist nichts gesagt Wir haben es zumeist mit Klein¬ 
gewerbetreibenden, Gesellen und Lohnarbeitern zu tun. Höchstwahr¬ 
scheinlich wurden hier das Gewerbe, der Lohn und Verdienst von der 
Steuer getroffen. 

Daß die Prager Losung auch als Erwerbsteuer gedacht war und 
zwar gerade hins ichtlich der ärmeren Klasse, darüber braucht man keine 
Zweifel hegen 8 ). Bemerken wollen wir noch, daß die Handwerker der¬ 
selben Gattung keineswegs gleichviel Losung gaben. Da zahlt z. B 
ein Schuster (sutor) 2, ein anderer 3 und ein dritter 4 Groschen Losung 
Die Größe des Geschäftsbetriebes könnte uns diese Verschiedenheit er¬ 
klären 4 ). Eine Reihe dieser Inleute hatte das Bürgerrecht (jus civile 
erworben, was der Vermerk „habet jus civile“ anzeigt Sie zahlten 142£ 


*) Neben Wohnhäusern werden auch Ställe (stabula), Mälzereien (braseatoria) 
Brauereien (braxatoria), Bäder (balnea) einbezogen. 

*) Auch Hofstätten (areae) und Gärten (horti) wurden der Losung unter 
worfen. 

•) Oelakovsky, &. a. 0. L nr. 61 (1364) zeigt deutlich, daß die Handwerkei 
(mechanici) auch »de officio et arte mechanica« Losung zu geben hatten. 

4 ) Auch in Pilsen ist das Handwerk (artifidum) ein und derselben Ar 
verschieden taxiert S. unten 8. 73. — In Neubydachow wieder sollten all 
Handwerker ohne Unterschied hinsichtlich ihres Handwerks (de suis arüficiis 
mit 3 Mark eingeschätzt sein! S. unten S. 88. 



Loenngsbücher und Loeungsweaen böhmisch er Städte im Mittelalter. 69 

i barhaupt keine Losung. Jedenfalls hat man diesen minder Begüterten 
die erste Losung nach der A ufnahm e ganz erlassen, wie es früher 
14. Jahrhundert) bei der Aufnahme von Bürgern allgemein üblich ge¬ 
wesen war. 

Nach diesem Verzeichnis gab es 1429 in der Altstadt 283 Häuser 
mit Inwohnern. Es ist kaum anzunehmen, daß Häuser mit pflichtigen 
Inwohnern übergangen worden wären und so setzt uns gerade diese 
Liste in den Stand, die Dichte der Bevölkerung in der Altstadt zu er¬ 
schließen und dadurch auch der wahren Bevölkerungsziffer der Stadt 
Prag zu Beginn des 15. Jahrhunderts doch wenigstens nahe zu kommen. 
Tomek hat die Bevölkerung der Gesamtstadt für diese Zeit mit 100.000 
Seelen eingeschätzt — Zu seiner Zeit (c. 1860) kamen auf das Haus 
in der Altstadt 41 Bewohner; für jene Frühzeit glaubte er dann gut 
die Hälfte setzen zu dürfen, also 21. Hier liegt der wunde Punkt in 
der Berechnung Tomeks. Wir wollen hier nur so viel andeuten, daß 
mit einem Mittel von 10 Personen pro Haus schon gut gerechnet ist 
and daß jene Gesamtvolksziffer um mehr als die Hälfte herabgesetzt 
werden muß. 

Die Nachrichten zum Jahre 1429 erhalten noch dadurch eine er¬ 
freuliche Ergänzung, daß ein 4 Verzeichnis im Kodex alle jene Aus¬ 
gaben aufzählt, die mit den Losungsgeldem dieses Jahres bestritten 
wurden. Ein Stück Kulturgeschichte steckt in diesem Verzeichnis! 

Wie der Losung der Jahre 1427 und 1429 ein und dasselbe Re¬ 
gister als Substrat diente, so tut dies ein 5. Verzeichnis für die Jahre 
1433 und 1434 Die Häuserzahl ist hier etwas größer: 1052. Die 
Übersicht über die Inleute und die Ausgaben liegt zu diesem Jahre 
leider nicht vor. Daß aber auch im Jahr 1433 die Inleute die Losung 
trugen, ist einer Anmerkung zu entnehmen. 

Die Losung Prags hat nach dem Gesagten mehrere Wandlungen 
durchgemacht. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts erscheint sie auf eine 
neue Grundlage gestellt und man kann sagen auf eine sichere und 
durchaus kontrollierbare. Kontrollierbar ist der Wert aller jener Ob¬ 
jekte, die zu dieser Zeit der Losung dienstbar sein sollten, freilich ist 
ihr Kreis auch etwas kleiner geworden. Über den Kaufwert der ver¬ 
schiedenen Realitäten und Liegenschaften in der Stadt geben die Stadt¬ 
bücher genugsam Auskunft und auch über die Renten der Pflichtigen 
fehlte die Orientierung nicht, denn die unter den Prager Stadtbüchern 
vorhandenen „registra censuum* hatten es wohl mit der Buchung der 
zahlreichen Ewigzinse der Bewohnerschaft zu tun *). 


>) Celakovsky, Soupis .. S. 22. 



70 


Karl Beer. 


b) Neustadt. 

Von den Neustädter Losungsbüchem hat sich ein Exemplar er¬ 
halten, das zu den Jahren 1411—1418 ausführlichere Kunde bringt 
Der in Betracht kommende Papierkodex erliegt im Prager Stadtarchiv. 
Er tragt am Bücken die Aufschrift: Liber bemarum summarius Nove 
civitatis Pragensis. Doch sind es nicht durchwegs Losungsnachrichten, 
die der umfäng liche Kodex enthält 1 ). 

Wir haben es hier mit einem Hauptsteuerbuch zu tun. Die 
Neustadt mit ihrem ansehnlichen Areal war nach dem Stande von 1411 
zu Losungszwecken in zwei Teile (partes) zerlegt: Pars Zderasiensis und 
Pars Porzicz. Innerhalb dieser größeren Bezirke wurden noch weitere 
Viertel (quartae) unterschieden. Für jeden der beiden Hauptteile wurden 
eigene Losungsherren erwählt Im Jahre 1411 je ein Schöffe und je 
zwei Gemeindemitglieder. Die Losungssummen, welche sie in ihren 
Distrikten hereinbrachten, wurden im vorliegenden Buche eingetragen, 
aber nur sie, die Verzeichnisse der steuerpflichtigen Be¬ 
wohner fehlen. Daß aber die Losunger der einzelnen Stadtteile 
solche in Händen hatten, daran ist nicht zu zweifeln und es gibt auch 
im Hauptbuche genug Anhaltspunkte hiefttr*). Aus diesen kleineren 
Handregistem wurden dann die Hauptergebnisse ins große Buch auf¬ 
genommen, das bei den Abrechnungen des Losungerkollegiums als 
Grundlage gedient haben muß. Was aber diesem Neustädter Kodex 
seinen Wert gibt, ist das, daß in ihm die aus den Losungssummen 
erfolgten Ausgaben gewissenhaft und ziemlich detailliert gebucht wurden. 
Da erfahren wir, was die Neustadt an Königssteuer zahlte, was sie an 
die königlichen Beamten gab und was sie für ihre eigenen Bedürfnisse 
verausgabte, lauter interessante Nachrichten. 

Die Steuer aufzulegen, das war Sache der Gemeinde (communitas 
imposuit et consensit). Auch auf der Neustadt war es Usus, eine be¬ 
stimmte Anzahl von „Bemen* zu beschließen, wobei man unter der 
„bema* */ 8 Groschen vom Schock verstand. Daß die Inanspruchnahme 
der Bevölkerung keine geringe war, zeigt nachstehende Zusammen¬ 
stellung. 


*) Näheres darüber bei Celakovsky, a. a. 0 . 74. 

*) So z. B. Vermerke wie folgender: Pro papiro et coopertorio ad regiatnun 
iiij g. (fol. 6). 



Losungsbücher und Losungswesen böhmischer Städte im Mittelalter. 71 


Jahr 

Zahl der 
Losungen 

Zahl der bei den 
einzelnen Losungen 
geforderten Bemen 

Loeungsergebnis 

An die königliche 
Kammer abgemhrte 
Steuer 

1412 

3 

5, 3, 4 

1074 Sch. 19 Gr. 

536 Sch. 

1413 

3 

4, 5, 4 

1141 Sch. 38 Gr. 

476 Sch. 

1414 

1 

4 

350 Sch. 33 Gr. 

— 

1415 

3 

5, 3, 2 

889 Sch. 56 Gr. 

879 Sch. 20 Gr. 

1516 

4 

3, 3, 5, 3 

1175 Sch. 55 Gr. 

467 V, Sch. 

1417 

2 

2, 3 

421 Sch. 27 Gr. 

279 Sch. 45 Gr. 


Neben den Hausbesitzern werden auch die Inwohner (inquilini) 
zur Losung herangezogen. Die Losungsgelder dieser Gruppen werden 
im Hauptbuche besonders ersichtlich gemacht Wie die Einteilung der 
Neustadt zu Steuerzwecken im Laufe der Zeit sich änderte, so änderte 
sich auch die Zahl der Losungsherren 1 ). Diese werden in ihrer Am- 
tienmg unterstützt durch den Stadtschreiber (notarius civitatis), wie 
auch von Bütteln (praecones) und Dienern (famuli). Die Büttel sagen 
die Steuer an, mahnen auch zur beschleunigten Abfuhr. Die Diener 
holen unter anderem etwaige Pfänder aus der Wohnung des säumigen 
Pflichtigen *). Die Losungsherren sind verpflichtet, am Ende ihrer Amts¬ 
zeit über Einnahmen und Ausgaben, welche letztere sie gemäß dem 
Aufträge des B&tes (iuxta mandatum dominorum) zu machen pflegten, 
Rechnung zu legen. 

Die Rechnungslegung der Losunger erfolgte gewöhnlich vor dem 
Rat und der Gemeinde. Zumeist war es auch hier so, daß die Losunger, 
daa, was sie einkassiert hatten, gleich wieder verausgabten 8 ). Die 
Nachrichten des Hauptbuches gehen jedoch über das Jahr 1418 hinaus. 
Zu den Jahren 1434, 1435 und 1436 liegen die Sammlungsergeb- 

*) Siehe Tomek, Döjepis mösta Prahy. II. (1871) 353. 

*) Da heißt es im Aungabenverzeichisse zum Jahre 1411: Praeconibua II g, 
qm ebunaverunt, quod beraa velocius portaretur. Praeconibu« clamantibua pro 
texna et famulis, qui vadia portaverunt inpigneracionis beme XLI g. 

*) So erklärt sich die Eintragung zum Jahre 1411: Summa omnium percep- 
tonnn quatuor quartarum pretactarum CCXXVII ji xxiiij g et tantumdem in di» 
tnbutia, de quibus coram consulibus et magna concivitate racio est facta et be 
□am com regiariamine liberi sunt dimissi. 



72 


Karl Beer. 


risse vor, doch nicht mehr die Ausgabenverzeichnisse. Das Buch wird 
karger. 

In den Tagen der husitischen Wirren muß auch die Ordnung im 
Losungswesen stark ins Wanken gekommen sein. Im Jahre 1439 fand 
man es nämlich nötig, in Erinnerung zu bringen und zu betonen, daß 
die Losungsherren zu rechter Zeit über alle Einnahmen und Ausgaben 
Rechnung zu legen haben. Zugleich erhielten alle jene Losunger, die 
zwischen 1419 und 1439 im Amte gewesen waren, das Absolutoriimi; 
so wollte man wieder einen klaren Zustand schaffen. 

Vermerke über erfolgte Rechnungslegung der jeweiligen Losungs¬ 
herren, die wir auch alle mit Namen kennen lernen, führen bis zum 
Jahre 1554 herauf. Diese Registrierung war schließlich der alleinige 
Zweck des Buches geworden. 

Erwähnen wollen wir, daß sich auch in anderen Büchern der Neu¬ 
stadt gelegentlich kurze Nachrichten über deren Losung finden. Da 
erfahren wir, daß 1394 Rat und Gemeinde beschlossen haben, daß auch 
Schöffen und Losungsherren von der Steuerzahlung nicht frei sein 
sollen 1 ). Wenn man sich erinnert, wie rasch die durch Karl IV. ins 
Leben gerufene Neustadt empor gedieh und welch’ lebhaften Zuzug es 
da gegeben hatte, so wird man es auffallend finden, daß Rat und Ge¬ 
meinde 1396 in einem Beschlüsse verlangen mußten, es sollten alle 
verlassenen Häuser bekannt gegeben werden, damit sich jene, die ein 
Anrecht darauf hätten, melden und diese Häuser wiederherstellen, sodaß 
der städtischen Losung kein Abbruch getan werde. Sollte ein halbes 
Jahr nach jener Kundmachung keine Meldung erfolgen, dann möge 
sich der Rat solcher Häuser „unterwinden“ und sie zum Besten der Stadt 
verwenden 8 ). Wir erfahren aber auch, daß die Losung nicht immer so 
gehandhabt wurde, daß die gesamte Bevölkerung zufrieden sein konnte. 
In den Städten des „Reiches“ waren es vielfach die herrschenden Ge¬ 
schlechter gewesen, die da auf Kosten der Handwerker zu leben suchten. 
Auch auf der Neustadt wurden ähnliche Klagen laut Eine Aufzeich¬ 
nung vom Jahre 1400 spricht von der Zahlung ungleicher und unge¬ 
rechter Steuern (solucio inaequalium et injustarum bemarum 8 ). Man 
suchte Abhilfe zu schaffen, indem man den 12 Losungem noch 24 recht¬ 
schaffene Männer als Berater zur 3eite stellte, von denen je 6 aus den 
einzelnen Steuervierteln von der ganzen Gemeinde gewählt wurden. 

*) Liber aententiarum aureus (1389—1418) G t . 

*) Ebd. G, b . 

*) Ebd. G t . 



Losungsbücher und Losungswesen böhmischer Städte im Mittelalter. 73 


6. Pilsen. 

Auch diese Stadt besitzt zwei alte mit ihr im Losungswesen im Zu¬ 
sammenhang stehende Bücher. 

Der ältere der beiden Pergamentkodizes (50:30 cm) zählt 59 Blätter. 
Er ist leider nicht mehr vollständig. Seine Holzdeckel sind mit Lider 
überzogen; der vordere ist an den Ecken mit Messingbeschlägen ver¬ 
ziert Gleich auf dem 1. Blatte lesen wir nachstehende wichtige Ein¬ 
tragung: Anno domini millesimo quadringentesimo decimo octavo de 
mense Maio renovatus est über bernarum et censuum civitatis 
Nove Pilzne decreto universitatis eiusdem. Wie ersichtlich, waren auch 
hier die Losungsbücher bereits eine wohlbekannte Einrichtung. Es 
handelt sich 1418 bloß um eine Neuanlage. 

Wir entnehmen dem Buche, daß Pilsen zu Losungszwecken in 
8 Viertal (partes) zerlegt war, deren Hausbesitzer im Register voran- 
stehan *). Leider ist dieses Register nur mehr zum Teile erhalten. Das 
2. und 3. Viertel fehlen ganz, vom 1. und 4. Viertel sind Fragmente 
da und nur die Viertel 5 bis 8 liegen zur Gänze vor. 

Zu den Namen der Hausbesitzer tritt eine Reihe wichtiger 
Angaben hinzu, die das der Stadtsteuer unterworfene bewegliche 
und unbewegliche Vermögen wie auch Gewerbe und Handel be¬ 
treffen. Vom unbeweglichen Vermögen werden in ihrem Kapitalwerte 
namhaft gemacht: Häuser (Werte von 1 bis 15 1 / 2 Sch. Gr.), Höfe (curiae), 
Stalle, Brauereien und Mälzereien (braxatoria und braseatoria), Mühlen, 
Bäder, Fleisch-, Brot- und andere Verkaufsbänke, Haus-, Hopfen- 
und Weingärten (beide in großer Zahl vorhanden!); weiters waren be¬ 
steuert das Barvermögen (parata pecunia) wie auch Renten (census). 
Aber auch das Gewerbe (artificium) und Handel (obchod)*) mußten 
zur Losung beitragen. 

Da ein und dasselbe Handwerk in verschiedener Taxierung er¬ 
scheint (es geben z. B. Schuster von 1, 2 bezw. 3 Schock Losung), so 
muß man wohl annehmen, daß die Größe des Betriebes, wie sie etwa 
in der Gesellenzahl zum Ausdruck kam, Berücksichtigung gefunden hat 

i) Stro&d ermittelte für die einzelnen Teile (partes) folgende Hftuserzahlen: 
I: 36, H: 40, HI: 34, IV: 25, V: 36, VI: 37, VH: 41, VIH: 41. Im ganzen also 
290 Häuser. Hiebei sind die Vorstädte nicht einbezogen. S. Sboraik möstsklho 
hist musea v Plzni. Roönik I. 15. 

*) Von einzelnen tschechischen Wortelementen abgesehen, ist die Sprache des 
eisten Buches die lateinische, im zweiten tritt neben dem Lateinischen das Tsche¬ 
chische stärker hervor. 



74 


Karl Beer. 


Auf die 8 Viertel folgen mit analogen Anmerkungen die zumeist 
ärmeren Bewohner der peripherischen Stadtteile (Vorstädte) und zwar 
unter den Titeln: Ante civitatem, Malicze, Wyeden et ortulani, Circa 
hospitale, Piscatores. Daran schließen sich die Inquilini cum hereditate 
und die Bewohner mehrerer Dörfer, die Untertanen der Bürgerschaft 
waren und zur Stadtlosung beizutragen hatten. Die 7 Dörfer, die da 
in Betracht kommen, sind heute: Skurnian, Boschkow, Koterow, Cemitz, 
Badobschitz, Autuschitz und Doudlewetz, alle in nächster Nachbar¬ 
schaft der Stadt gelegen. Den Beschluß bilden die macella, die Ver¬ 
kaufsbänke der Stadt 

Auf diese der Stadtsteuer dienende Liste folgt eine zweite, die 
alle jene nennt, die Grundbesitz ha:ten — sein Ausmaß ist angegeben 
— und die zum Königszins beizutragen hatten. Die Zinsbeträge der 
einzelnen sind registriert Nach einer Urkunde vom Jahr3 1320 l ) sollte 
von jedem der Stadt zugemessenen Lahne eine halbe Mark, d. i. 28 Prager 
Groschen, Zins gereicht werden. Dieser Ansatz erscheint im vorliegenden 
Zinsregister von 1418 wie in einem späteren von 1471 immer noch 
festgehalten. Die Ordnung, in welcher die zinszahlenden Städter, Vor¬ 
städter und Dorfbewohner aufgeführt werden, hält sich an die des Lo¬ 
sungsregisters. Zur Zinsleistung war, wie gesagt, die grundbesitzende 
Bevölkerung verhalten und nur die Fischer (piscatores) werden heran¬ 
gezogen, wenn auch bei ihnen der Grundbesitz fehlte. 

Das zweite Losungs- und Zinsbuch, das gleichfalls im Pilsner 
Musealarchiv aufbewahrt wird, stammt aus dem Jahre 1471, wie ein 
einleitender Vermerk dartut: Anno domini millesimo quadringentesimo 
septuagesimo primo prima die mensis Octobris renovatus est über 
bernarum et censuum civitatis Nove Pilzne decreto universitatis 
eiusdem. Pergamentkodex, 49 Blätter (44:34 cm), Holzdecke]. Auf der 
Außenseite des Vorderdeckels hat man in neuester Zeit die Aufschrift 
angebracht: Pilsner Grundbuch aus dem XVI. Jahrhundert 1491—1540. 
(Der tschechische Titel geht voraus). Diese Bezeichnung trifft jedoch 
nicht ganz das Bichtige. Der Inhalt des Buches ist dem des voraus¬ 
beschriebenen konform. Von Bedeutung ist es, daß hier die Übersicht 
über alle 8 Steuerviertel erhalten ist Für die zinszahlende Bevölkerung 
ist hier jedoch kein eigenes Begister eingetragen, sondern es ist im 
Losungsregister bei allen Zinspflichtigen gleich auch die Höhe des ent¬ 
fallenden Zinses angemerkt 

Was in den Pilsner Losungs- und Zinsbüchem auffällig erscheint 
ist das: es tritt uns eine ganze Fülle von Korrekturen und Anmerkungen 


*) Stmad, Listdr kräl. m&ta Plzn§. I. no. 12. 



Losungsbücher and Losungswesen böhmischer Städte im Mittelalter. 75 


entgegen^ wodurch mitunter die Übersicht sehr erschwert wird. Die 
fielen Korrekturen betreffen Veränderungen im Stande der Besitzer wie 
dar Habe. Zwei bis drei Hausbesitzer scheinen häufig übereinander ge¬ 
schrieben. Beide Bücher fanden eben nicht allein in den Jahren 1418, 
bezw. 1471 Verwendung, sondern bildeten durch Jahre hindurch bei 
der Einforderung der Losung und des Zinses die Norm und Grundlage. 
Im Buche yon 1471 laufen die notwendig gewordenen Eintragungen 
bis 1540. 

Aus diesen Büchern ist tatsächlich das zu entnehmen, was sich in 
unseren modernen Grundbüchern gebucht findet, aber noch mehr: da 
lernen wir auch die Höhe des Barvermögens kennen, da findet sich 
Gewerbe und Handel bewertet Der richtige Name für diese Bücher 
wäre der eines Steuerkatasters und Urbars. 

Die Pilsner Losungsbücher weichen demnach von denen anderer 
Städte wesentlich ab. Sieht man davon ab, daß sie sich selbst als 
über bernarum et censuum bezeichnen, so fehlt jeder weitere Hin¬ 
weis auf die Handhabung der Losung in dieser Stadt 

Wir missen da die Angaben über die Zahl der jährlichen l ) Losungen, 
über die Höhe der einzelnen Kollekten, über die erfolgte Abfuhr der 
Steuer, über Losungsherren u. s. w. Auch die bekannten Ausgaben¬ 
verzeichnisse haben hier keinen Platz gefunden. Das alles zwingt zu 
der Annahme, daß in Pilsen noch andere Bücher (Register) im Dienste 
der Stadtlosung gestanden haben müssen; die vorliegenden Bücher ent¬ 
hielten lediglich die Grundlage, auf der alle Steuerbemeäsung fußte. 

HL Zusammenfassendes über die Losung, im besonderen 
über ihr Verhältnis zum übrigen Steuerwesen des aus¬ 
gehenden Mittelalters. 

Für mehrere Territorien des deutschen Reiches darf man wohl den 
Nachweis als erbracht ansehen, daß ihre Inhaber schon im 13. Jahr¬ 
hundert von allen Territorialinsassen eine ordentliche Steuer erhoben *). 
Auch die Herrscher Böhmens konnten sich im Mittelalter auf ordent- 


l ) Daß in Pilsen alljährlich venigstens einmal Losung verlangt wurde, dafür 
spricht eine Urkunde vom Jahre 1406 (8tmad a. a. 0. nr. 215), der zufolge König 
Wenzel die Jahr es «teuer (ben a regalis) der Stadt von 260 Sch. Gr. auf 200 Sch. 
herabeetzi, ein Betrag, der auf dem Wege der Losung hereingebracht werden mußte. 

Vgl. Kogler, Das landesfürstliche Steuerwesen in Tirol bis zum Ausgang 
des Mittelalten. Archiv f. ö. Gesch. 90. Bd. (1901) 418 ft. und Bittner, Die Ge¬ 
schichte der direkten Staatssteuern im Erzstifte Salzburg. Ebd. 92. Bd. (1903) 
S. 48öff. 



76 


Karl Beer. 


liehe Abgaben stützen. Für die Zeit vom 11. bis 13. Jahrhundert wird das 
„tributum pacis“ oder der »mir* (d. i. Friedensgeld) genannt, eine Abgabe, 
über deren Wesen allerdings ungefähr ein Dutzend verschiedener An¬ 
sichten in der Literatur vorhanden ist*). Daß das tributum pacis eine von 
dem in älteren Urkunden öfters genannten tributum annuum verschiedene 
Abgabe gewesen wäre und als besondere ordentliche Jahressteuer daneben 
bestanden hätte, wie neuestens Zycha annimmt 2 ), erscheint un¬ 
wahrscheinlich; soweit wenigstens die in diesem Zusammenhänge so 
häufig zitierten Urkunden für die Wyschehrader Kirche in Betracht 
kommen, steht die Identität dieser Abgaben außer allem Zweifel 8 ). 

Wenn sich das tributum pacis im Laufe des 13. Jahrhunderts 
gänzlich verliert, so werden wohl ganz mit Becht die zahlreich erfolgten 
ImmunitätsYerleihungen als Erklärungsgrund herangezogen 4 ). Aber 
ebenso richtig dürfte es sein, wenn mau die gerade in diesem Jahr¬ 
hundert so intensiv einsetzende deutsche Kolonisation berücksichtigt 
Es war eine der besonderen Vergünstigungen, daß der Landesherr die 
nach deutschem Becht angesiedelten Kolonisten von der Bestreitung 
des tributum pacis ausnahm. Freilich durften hiedurch des Königs 
Einnahmen in Wirklichkeit nicht geschmälert werden: der Landesherr 
normiert dafür in den zahlreichen emphiteutischen Verträgen die an¬ 
sehnlichen jährlichen Zinsbeträge, die vor allem von den auf Königs¬ 
boden erstehenden Städten seiner Kammer regelmäßig zufließen sollten 5 ). 

Im übrigen trat der Landesherr, wenn es notwendig war, wie an¬ 
dere Territorialfürsten mit außerordentlichen Steuern hervor 6 ). Zu Be¬ 
ginn des 14. Jahrhunderts liegen in Böhmen die Dinge so, daß der 


*) Zuletzt handelte darüber Zycha in den Mitt. d. V. f. Gesch. d. Deutsch, 
i. B. 4a Bd. 452 ff. *) A. a. 0. 60. Bd. 178. 

•) Friedrich, Codex diplom. I. nr. 111 (1130) und nr. 287 (1178). 

4 ) Zycha, a. a. 0. Bd. 49. S. 468. 

ö ) Wenn man den späteren Kammerzins (census) auch nicht schlechthin mit 
dem tributum pacis früherer Jahrhunderte identifizieren kann, wie dies oft ges¬ 
chieht (siehe z. B. Demel, Geschichte des Fiskalamtes in den böhmischen Landen. 
Dopsch, Forschungen zur inneren Geschichte Österreichs, Heft 6, S. 12), so wird 
man immerhin im Kammerzins den Ersatz des geschwundenen trib. p. sehen dürfen. 
— Die Befreiung der nach deutschem Recht angesiedelten Kolonisten vom trib. p. 
erhellt recht deutlich aus einer im Jahre 1204 dem Johanniterorden gegebenen 
Urkunde. Da heißt es unter anderem: liceat eis in quascunque hereditates suns 
locare quos voluerint ita ut vocati iure Theutonicorum quiete et sine vexatione 
utantur. Exactiones in tributo terrae et omnes alias ad usus nostros spec- 
tantea indulgemus, sed habeant in Omnibus sicut habent theutonici securam Über- 
tatem ius stabile et firmum (Boezek, Cod. Mor. IL 17). 

«) Koß, Zur Kritik der ältesten böhm.-mährischen Landesprivüegien. Prager 
Studien. Heft 16. S. 96—97. 



Losungsbücher und Losungswesen böhmischer Städte im Mittelalter. 77 


König in bestimmten Fällen ein Beeilt auf eine außerordentliche Steuer 
hatte, daß er eine solche de jure verlangen konnte 1 ). Eine solche Steuer- 
Verpflichtung des Landes, die sich im Laufe des 13. Jahrhunderts ge- 
wohnheitsrechtlich entwickelt haben muß 8 ), bestand zunächst bei Ge¬ 
legenheit der Krönung des Königs oder wenn eine Tochter verheiratet 
wurde 3 ). Auf das Entgegenkommen (benevolentia) 4 ) der Stände war 
der Herrscher angewiesen, wenn er darüber hinaus, etwa in finanzieller 
Verlegenheit 6 ), bei Bekämpfung äußerer Feinde 6 ) oder aber bei Unter¬ 
drückung unruhiger Elementa im Innern des Landes 7 ) eine außer¬ 
ordentliche Steuer verlangte. In diesen Fällen bedurfte er einer land¬ 
täglichen Zustimmung. 

Weiters ist f&r diese außerordentlichen Steuern charakteristisch, daß 
sie als allgemeine Landessteuer gedacht waren: sie solltan alle Unter¬ 
tanen (universi subditi regni) oder, wie es auch hieß, arm und reich 
(divites quam pauperes) treffen. Die Termini, die für sie zumeist in 
Anwendung kamen, waren: bema (collecta) generalis (communis), pe- 
ticio generalis, lantbern, gmeinpem, bema provincialis oder, weil dem 
Volke allgemein bekannt und geläufig, kurzweg bema. 

Was die Steuerobjekte anlangt, so stand in vorhusitischer Zeit an 
erster Stelle: Grund und Boden. Doch war die allgemeine Steuer nicht 
lediglich Grundsteuer, sie traf auch das Gewerbe (artifices, operarii) 8 ), 
darunter vor allem Mühlenbetriebe und Schänken, und selbst den Vieh¬ 
stand *). Freilich wollen wir damit nicht sagen, daß bei jeder Landes- 
steuererhebung alle diese Objekte herangezogen worden wären. 

Wenn wir den allgemeinen Charakter der Landesbema betonen, so 
bedarf es doch auch einiger einschränkender Bemerkungen: eine Aus¬ 
nahmestellung genießen nachweislich jene Güter, die der Adel in eigener 
Begie bewirtschaftete oder seinen Dienern für zu leistende Dienste 
überlassen hatte. 


*) felakovsty, Codex j. m. I, n. 22. 

*) Wenn Demel a. a. 0. S. 16 von einer »für diese Fälle zu Anfang des 
14. Jahrhunderts erteilten Generalbewillignng der Stände« spricht, so erweckt dies 
da Anschein, als wäre die Lanieasteuer in vorbezeichneten Fällen ein Novum 
des 14. Jahrhunderts gewesen. 

*) VgL Koß, a. a. 0. 8. 161t 

4 ) u. *) Celakovaky, a. a. 0. n. 22. 

•) Emler, Reg. IV. p. 272 *. 

*) Emler, Ein Bernaregister des Pilsner Kreises. Abh. der k. böhm. Ges. der 
Wnsenach. VL F. 8. Bd. (1877). VH. und Palacky, Formelbücher IL 8. 242. 

•) Emler, a. a. 0. IV. und 16. 27. u. Celakovsfy, a. a. 0. II, n. 176. 

•) Emler, a. a. 0. VH 



78 


Karl Beer. 


Soweit die königlichen Städte des Landes in Frage kommen, so 
ist kein Zweifel, daß auch sie zur Landessteuer beigetragen haben. 
Nach der mehrfach herangezogenen Urkunde von 1331 hat König 
Johann versprochen, bei Erhebung der Landesbema Geistlichkeit und 
Bürger vom Adel nicht trennen zu wollen l ). Wenn der König durch 
seine Patente die Landesbema ansagt, so wendet er sich neben den 
anderen maßgebenden Faktoren auch an die Richter, Bürgermeister und 
Geschwomen der Städte 2 ). Aber das glauben wir betonen zu müssen, 
daß die königlichen Städte von der Landessteuer nur insofeme be¬ 
troffen wurden, als sie Landbesitz innehatten. Von solchem Besitz war 
Steuer zu geben, ganz gleichgültig, ob er seitens der Bürger in eigener 
Regie bewirtschaftet wurde oder aber an Zinsleute überlassen war. Auf 
einige Urkunden wenigstens möchten wir verweisen, die das Gesagte 
bestätigen. 

Im Jahre 1327 erhält Goczlin, Erbrichter zu Kolin (Köln) neben 
anderen auch die Begünstigung, daß seine 4 Lahne vor der Stadt von 
allem Zins und aller Landsteuer (collecte sive generalis steure seu beme 
angaria) frei sein sollen 3 ). Als 1335 König Johann der Stadt Aussig 
ihre Privilegien erneuert, wird bestimmt, daß, wenn im Königreiche 
Böhmen eine allgemeine Steuer (berna generalis) auferlegt würde, diese 
von den Äckern und Erbgütern (de agris et hereditatibus) der Bürger 
genommen werden solle, wobei die Bemakollektoren den von diesen 
Äckern geleisteten Königszins zur Richtschnur zu nehmen haben 4 ). 
Nach einer Urkunde vom 16. Juni 1341 hatten die Leitmeritzer vor 
dem König darauf verwiesen, daß eine größere Zahl von Landgütern, 
die seit alters mit der Stadt die königliche Bema (berna regia) d. L 
hier allgemeine Landessteuer getragen hatten, entfremdet worden sei Um 
dieser Minderung Rechnung zu tragen, bestimmt der König, daß, wann 
immer in Zukunft allgemeine Landesbemen (beme regie generales) er¬ 
hoben würden, die Leitmeritzer bei einer ganzen Bema (tota berna) 
30 Schock und bei einer halben Bema (berna media) 15 Schock nebst 
den Löschgebühren (delenciales) zu leisten haben. Daß die Landesbema 
hier in einer Pauschalsumme entrichtet wird und allem Anscheine nach 
schon vor 1341 in dieser Art geleistet wurde, ist ebenfalls zu be¬ 
achten ö ). 

i) Celakovsky, a. a. 0. I. n. 22. 

*) Palacky, Formelb. II. S. 242. 

8 ) OelakovBky, a. a. 0. EL n. 144; vgl. auch n. 690. 

«) Ebd. n. 176. 

•) Ebd. n. 229. 



Losungsbücher und Losungswesen böhmischer Städte im Mittelalter. 79 


Und ganz in derselben Richtung führt eine Urkunde Karls IY. 
für Schüttenhofen (1353) 1 ). Der König gesteht zu, daß die Bewohner 
dieser Stadt mehr als billig belastet würden, wenn im Falle einer 
Landesbema auch yon Schankwirten und Handwerkern der Stadt eine 
Abgabe verlangt würde und verfügt, daß in dieser Stadt, wenn in Hin¬ 
kunft im Königreiche eine allgemeine Steuer bewilligt und gesammelt 
würde, diese nur von Erbgütern und Mühlen, also von Besitz außerhalb 
der Stadt erhoben werden dürfe. Wiederholt haben die Landesherren 
Yorstädter (praeurbiales), die sich hauptsächlich aus kleineren Hand¬ 
werkern, Gärtnern und Arbeitern zusammensetzten und die bislang der 
allgemeinen Landessteuer unterworfen gewesen waren, zur Stadt ge¬ 
schlagen und erklärt, daß sie nunmehr von der Landesbema eximiert 
wären. Dafür sollten sie fürderhin alle Lasten der Stadt fragen 8 ). Wie 
hätt? man in solchen Fallen von einer Exemtion von der Landesbema 
sprechen können, wenn es Sache aller Städter gewesen wäre, zu dieser 
Steuer beizufragen? Doch diese traf eben nur die landbesitzenden 
Städter. 

Anders freilich lagen die Dinge in den Herrenstadten. Da greift 
die Verpflichtung, zur Landesbema beizutragen, in den engeren städt- 
tischen Bereich herein, da trifft sie Gewerbe und Handel ebenso wie 
den Landbesitz 8 ). 

Die Grundsätze, die bei der Abfuhr der Generalbema der könig¬ 
lichen Städte in Betracht kommen, waren den sonst üblichen gleich. 
La waren die für die einzelnen Kreise des Landes bestellten Kollek¬ 
toren, die die Steuer einkassierten und dafür ihr Löschgeld in Empfang 
nahmen; es wurde auch hier in vorhusitischer Zeit die Steuer auf den 
Lahn bezogen 4 ). Damit ist aber nicht gesagt, daß die Kollektoren an 
jeden einzelnen Bürger herangetreten sind. Im Gegenteil: die Städte 


*} Ebd. n. 338. 

Ebd. n. 160, 176, 188. 

*) Emler. a. a. 0. S. 16 u. 27 und derselbe, Neco o bernictvi öeskäm v do- 
uich stareich. (Einiges über das Steuerwesen in Böhmen in älterer Zeit). Pam. 
-n:h. VUL (1870) 32 ff. 

4 ) Um den Unterschied zu zeigen, der den Bewohnern königlicher Städte 
hinsichtlich der allgemeinen Landessteuer und der noch zu erörternden Königs¬ 
bauer geläufig war, setzen wir eine Eintragung aus dem Mieser Gerichtsbuch vom 
iahre 1362 her: (Pilsner Musea 1 Archiv, n. 173. fol. 63a). 1375. Idem j laneum 
Thcmünus resignavit Konlino tah jure, quod Konlinus dare debet Th omiin o j senag. 
omni anno super festo sti Georgij j et super festo Galli j et vj pullos et XXXII 
ova, conditione, quod ipse Thomlinus idem j laneum debet libertäre ab omni 
ftowra, coUecta, censu,sed cum transit provincialis berna, tum Konlinus debet 
iare bernam de eodem j laneo. 



80 


Karl Beer. 


waren früh schon bestrebt (siehe Leitmeritz) feste Einheitssummen zu 
erlangen, die dann auf die grundbesitzenden Städter unter Bedacht- 
nahme auf die Anzahl der Lahne repartiert worden sein müssen. So 
hielten es ja auch die Adeligen und der Klerus des Landes. Das Pak¬ 
tieren betreffs der momentan erhobenen Steuer oder die Festlegung eines 
bestimmten Einheitsbetrages fiir die kommende Zeit charakterisiert ge¬ 
radezu die damalige Landessteuererhebung 1 ). 

An eine Pauschalierung der Landesberna ist wohl auch zu denk m, 
wenn jene Urkunde Wenzel IV. richtig gedeutet werden soll, die da 
sagt, daß die Güter des Erzbischofs, des Bischofs von Leitomischl, der 
Klöster und Städte von der Einhebung der Landessteuer durch die 
Kollektoren ausgenommen sein sollen, da sich der König mit diesen 
Faktoren darüber gänzlich geeinigt hätte 8 ). Diese Nachricht schaltet 
natürlich auch ein weitergehendes Eingreifen der Kollektoren bei der 
Steuerabfuhr dieser Kreise aus. 

Wenn wir von einer allgemeinen Verpflichtung der königlichen 
Städte, zur Landesberna bizu tragen, gesprochen haben, so darf freilich 
auch nicht unerwähnt bleiben, daß es einzelnen Städten gelungen ist, 
von der Zahlung der Landessteuer ganz befreit zu werden — für Mähren 
wenigstens liegen mehrere Zeugnisse vor 8 ) — oder aber die Zahlungs¬ 
pflicht auf den Kreis der von der Bürgerschaft abhängigen Zinsleute 
einzuschränken. So hat z. B. König Albrecht 1307 die Städte Königgrätz* 
Jaromir, Chrudim, Hohenmaut und Poliöka von aller Steuerleistung 
freigesprochen und nur für den Fall, als des Böhmenkönigs Töchter 
sich vermählen, sollten die Zinsleute dieser Städte die Generalbema 
mittragen 4 ). Auch die Bürger von Prag-Altstadt müssen ein ähnliches 
Privileg erwirkt haben 6 ). In diesen Fallen konnten sich die Bürger 
einer Erungenschaft freuen, die sie der Stellung des Adels in Sache der 
Landessteuer nabe brachte. 

Was die Landessteuer im Laufe des 15. Jahrhunderts betrifft, so 
ergaben sich da wichtige Änderungen, insofeme die vom Landtage be¬ 
willigten Bemen nicht bloß mehr den städtischen Landbesitz, sondern 
auch den Besitz und Erwerb in der Stadt treffen sollten. Man ist eben 


*) Emler, a. a. 0. Das eigentliche Register. 

*) Emler, Bemaregister u. s. w. XII. Emler denkt hiebei an eine in be¬ 
stimmten Betrftgen fixierte Stftdtestener, d. i. Spezialsteuer, was jedoch nicht 
angeht. 

*) So z. B. für Iglau (Boczek, Codex, dipl. Mor. VI. n. 237), Znaim (ebd. IV, 
n. 301 u. 8. w. 

«) Oelakovsky, a. a. 0. n. n. 83. 

*) Ebd. I. n. 11. 



Loeungsbücher und Loeungswesen böhmischer Städte im Mittelalter. 81 

im 15. Jahrhundert von der alten Übung, die Generalbema vornehmlich 
als Grundsteuer aulzufassen, abgegangen und hat dieser Steuer neue 
Objekte unterworfen. Das bedeutete selbstverständlich für die Städte 
eine Vermehrung ihrer Lasten*), wie sich überhaupt und im ganzen 
die Lage der Städte unter den schwachen Regenten am Ausgang des 
Mittelalters verschlechterte. 

Die königlichen Städte wurden aber nicht nur zur Landessteuer 
herangezogen, sondern sie mußten auch Spezialsteuem auf sich nehmen 
und dieser Zustand hat sich durch das ganze ausgehende Mittelalter 
erhalten. Nicht immer und überall sind in der vorhandenen Literatur 
diese beiden Steuern, die nebeneinander bestanden haben, richtig ver¬ 
standen worden und so sind Verwechslungen und Vermengungen gar 
nicht selten *). Selbst die Untersuchungen Kliers bringen hinsichtlich 
der städtischen Spezialsteuer in einigen wesentlichen Punkten irrige 
Ansichten. 

Die Termini, die diese zweite Steuer bezeichnen, sind ähnlich zahl¬ 
reich wie die für die allgemeine Landessteuer. Nur die häufigsten setzen 
wir hierher: bema (steura, collecta) regalis (regia, specialis), königliche 
Losung, summa regis (besonders in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts 
beliebt) und selbst auch census regalis 8 ). Bemerken wollen wir, daß 
wohl der Terminus bema regalis gelegentlich auch die Landessteuer 
bezeichnen kann; nicht aber kommt es vor, daß die städtische Spezial¬ 
steuer unter der Bezeichnung einer bema generalis genannt würde. Bei 
aller Vagheit der Terminologie hat man eine derartige Bezeichnung für 
die Spezialsteuer doch vermieden. Nur eine oberflächliche Lektüre der 
Urkunden konnte Klier dahinbringen, dort von einer Spezialsteuer, oder 
wie er sie nennt, von einer Königssteuer zu sprechen, wo es sich um 
eine allgemeine Steuer handelt 4 ). Die Bezeichnung Königssteuer 
ist deswegen nicht von der Hand zu weisen, weil sie in dem urkund¬ 
lichen Materiale weitaus die vorherrschende ist 6 ). 

*) Vgl. Klier, Bemictvi krdl. CeskSho po välkäch husitak/ch do konce v£k u 
Jagellonsköio. Casop. mos. ML öesk. 79. (1906) 1 ff., 231 ff., 365 ff. 

*) Vgl. Emler, Bernaregisttr XI—XD; Winter, Kultnmi obraz Öesk^ch m&t. 
L (1890) 3 ff. — Nicht nur, daß hier General- und Spezialsteuer nicht auseinander¬ 
gehalten werden, es wird schließlich auch noch die städtische Spezialsteuer mit 
dem Kammerzins zusammengeworfen. — Weiters Prochaska, Beiträge zur Ver- 
fiuBungBgeschichte Böhmens. Mitteil. d. Ver. f. Gesch. d. Deutschen i. B. Bd. 19 
(1881) 8. 5. 

*) Ygl. Klier, Struöny nastin bemictvi pred välkam husitsk^mi — Cas. m. 76 
(1901) 28 f. und 216 t 

*) Ebd. S. 29. 

*) VgL Koß, a. a. 0. S. 98. 

Mittelläufen XXXVI. 


6 



82 


Karl Beer. 


Mit der Besteuerung des ländlichen Besitzes der königlichen Städte 
waren gerade jene Vermögensobjekte nicht getroffen, die deren vor¬ 
nehmste Steuerkraft repräsentierten: städtische Realitäten, Barvermögen, 
Renten (Ewigzinse), Kaufmannschaft, Gewerbe und Handel. Diese Ob¬ 
jekte sollten also der Spezialsteuer unterworfen sein, die neben und zur 
selben Zeit wie die allgemeine Landessteuer gefordert werden konnte, 
dann aber des weiteren vom Könige ex mandato auch dann begehrt 
wurde, wenn von letzterer im Lande keine Rede war. Es heißt unseres 
Erachtens die Sachlage verkennen, wenn hiebei von einem Steuerbe¬ 
willigungsrecht der Städte gesprochen wird l ). Die Sprache der Ur¬ 
kunden sagt zu deutlich, daß in dieser Frage der Wille des Königs 
entschied; wohl haben mitunter Städte vor dem Könige darauf ver¬ 
wiesen, daß sie durch die zugedachte Steuer zu sehr beschwert würden 
und der König hat dann Dispositionen getroffen, daß die betreffenden 
Städte ihre Steuerlast leichter verwinden konnten 8 ). 

Wie die Spezialsteuer neben der Landessteuer einhergehen konnte, 
darüber gibt uns einen guten Beleg das alte Stadtbuch von Neubyd- 
schow 8 ). Von dieser Stadt verlangt König Johann 1311 eine Haus¬ 
steuer (bema vel steura domuum), und obwohl man wegen Nachsehung 
dieser Forderung zweimal in Brünn und auch in Kuttenberg und Prag 
vorstellig geworden war, mußte sie dennoch beglichen werden. Dieser 
Steuerbetrag wurde bezeichnenderweise aus der Stadtlosung bestritten, 
die so eingerichtet war, daß alles pflichtige Vermögen in Schock und 
Groschen ausgedrückt war und bei der damaligen Kollekte vom Schock 
1 Groschen gefordert worden war. Aber die Neubydschower haben 
zur selben Zeit auch noch eine ganze Bema (d. i. Landesteuer) auf sich 
nehmen müssen, wobei vom Lahne ein halbes Schock zu geben war. 
Ähnliches berichtet für Brünn eine Urkunde aus dem Jahre 1292. Hier 
hatten die Bürger anläßlich der Krönung Wenzels IL gegeben: in der 
stat von ierem guet besunderlaich und ausserthalb der stat von irem 
guet gemainen pem, der auf daz gantz laut waz geslagen 4 ). 

Wir sagen, daß die Spezialsteuer neben der Generalsteuer auferlegt 
sein konnte, aber nicht auferlegt sein mußte und daß die Auflage einer 
Landesbema nicht auch schon eine Spezialsteuer involvierte, sodaß diese ge¬ 
wissermaßen als ein Ausschnitt aus jener aufzufassen wäre ö ). Damit haben 
wir auch schon gesagt, daß die städtische Spezialsteuer ursprünglich keines- 

! ) Dies tut Klier, a. a. 0. Bd. 76. 30 f. und Demel, a. a. 0. S. 16. 

*) Vgl. z. B. ÖelakovBkjf, a. a. 0. II. n. 156. 

») Kapras, a. a. 0. p. 11—12. 

«) Rößler, a. a. 0. II. S. 378. 

*) Vgl. Kogler, a. a. 0. S. 584 ff. und Bittner, a. a. 0. S. 492. 



Losungsbücher und Losungswesen böhmischer Städte im Mittelalter. 83 


wegs den Charakter einer ordentlichen Steuer besessen hat — In diesem 
Funkte kann man, soweit die vorhandene Literatur in Frage kommt 
ganz verschiedenen Auffassungen begegnen: wenn nach der einen diese 
Steuer von Anfang an eine ordentliche Abgabe war, so hat sie nach 
einer andern diesen Charakter niemals erlangt 1 ). 

Das Bichtige liegt hier doch wieder einmal in der Mitte. Wir 
können den ungefähren Cang der Dinge verfolgen. Die städtische 
Spezialsteuer wurde erst fallweise erhoben: wann immer den König 
seine finanzielle Lage drängte und eine Generalsteuer seitens der Stande 
weniger leicht zu erlangen war, da wandte er sich an die königlichen 
Städte, aber auch königlichen Klöster. Sie erschienen in einer strengeren 
Abhängigkeit von der landesherrlichen Gewalt sie wurden gerne als 
Zugehör der königlichen Kammer angesehen und so setzte der König 
hier seine Steuerforderungen noch am ehesten durch. Zudem vermochte 
der König mancherlei Gegengaben zu reichen oder in Aussicht zu stellen 
als da sind: Freiheit von Zoll und Maut Marktprivilegien u. dgl. m., 
sodaß es immer einen Vorteil bedeutete, des Königs Gunst zu besitzen. 

Hätte sich der König mit dem Kammerzins und mit der den Land¬ 
besitz treffenden Generalbema bei den königlichen Städten begnügt 
so wären diese um vieles besser gestellt gewesen als die untertänigen 
oder Herrenstädte. Die Bewohner solcher Städte hatten neben der 
Landesbema, die hier auch das städtische Erwerbsleben trat Jahreszins 
zu geben sowohl von den ländlichen Liegenschaften als auch ihren 
städtischen Realitäten (Häusern, Schänken, Verkaufsbuden u. s. w.) *) 

*) Zycha nimmt (a. a. 0., Bd. 50. S. 182 f.) an, daß die Stftdtesteuem bereits 
im 13. Jahrhundert als ordentliche Abgaben bestanden hätten. Er verweist 
dabei auf eine Urkunde des Stiftes Kladrau vom Jahre 1212. Ihr zufolge bezeugt 
Ottokar I., daß er von den Eaufleuten Kladraus 50 Mark Silber erhalten habe, 
wofür er eine als »jus civile« bezeichnete Naturalabgabe, in der alljährlichen Lie- 
ierung zweier Fuchsfelle bestehend, für seine Person erlassen und an das Kloster 
übertragen habe. Abgesehen davon, daß die Echtheit dieser Urkunde nicht außer Zweifel 
steht, kann man doch hier kaum von einer Steuer sprechen, sondern von einer 
Abgabe, die wir mit jenen Zinsen auf eine Stufe stellen wollen, wie sie durch die 
emphyteutischen Verträge normiert zu werden pflegten. — Bezüglich Prags im 
besonderen hätte nach Z. (a. a. 0. 60, S. 506 f.) zuerst eine ordentliche Jahrsteuer 
bestanden; doch diese »scheint gegen Ende des Jahrhunderts (d. i. 13. Jahrh.) 
irgendwie abgelöst gewesen zu sein«. »Um so wichtiger wurden die außerordent¬ 
lichen Schatzungen«. Abgesehen davon, daß für eine solche Ablösung jede 
Nachricht fehlt, ist eine solche höchst unwahrscheinlich: die Entwicklung war 
zumeist die, daß aus der außerordentlichen Abgabe eine ordentliche wurde, aber 
nicht umgekehrt. Im Gegensatz zu Z. kennt Demel (a. a. 0. S. 16) die Stftdtc- 
steuer nur als »außerordentliche öffentlich-rechtliche Einnahme«. Ebenso Klier, 
a. a. 0. Bd. 76, 30ff. 

*) Vgl. Celakovsky, a. a. 0. H. n. 720, 804, 805. 



84 


Karl Beer. 


Letztere Einrichtang aber hatte sich in den königlichen Städten, wenn 
auch Ansätze nachweisbar sind, nicht weiter ausgebildet *). Man wird 
also die Königssteuer der Städte, die Besitz und Erwerb innerhalb der 
Mauern treffen sollte, durchaus begreiflich finden. 

Und wenn die Steuerforderungen des Königs erst fallweise und 
mitunter sehr häufig erfolgten, so sehen wir noch in der ersten Hälfte 
des 14. Jahrhunderts das Bestreben des finanziell oft verlegenen Königs 
Johann hervortreten, sich bestimmte Steuerbeträge der Städte für eine 
Reihe von Jahren zu sichern i) 2 * ). 

Die Summen, die der König forderte, mußten selbstverständlich 
repartiert werden. Nur so wird es verständlich, wenn eine Urkunde 
vom Jahre 1375 für Deutschbrod sagt, daß im Falle, als den Städten 
Böhmens eine gemeinsame Steuer auferlegt würde, „quod extunc eines 
ciuitatis Brodensis predicte partem eos concernentem, ut est moris et 
dare soliti sunt actenus“ auf sich zu nehmen hätten 8 ). Oder wenn in 
einer Budweiser Urkunde aus dem Jahre 1335 von einer „summa et 
quantitas“ die Rede ist, die die Stadt an Königssteuer zu tragen hat 4 ). 
Die Verteilung auf die einzelnen Städte nahm der König, resp. seine 
Kammer in die Hand. Er hat die Proportion, in welcher die städtischen 
Leistungen neben einander erscheinen sollten, festgelegt. So hat Karl IV. 
1357 den Saazem die Zusicherung gegeben, daß sie in Zukunft bei 
allen Steuern soviel zahlen sollen als die Bürger von Laun (tantum, 
quantum cives de Luna et non plus nec minus) und diese Proportion 
wurde betreffs der beiden Städte lange gewahrt 5 ). 

Eine neue Phase in der Entwicklung der Städtesteuer bedeutete 
es, als dann in der zweiten Hälfte des 14 Jahrhunderts die königlichen 
Städte alljährlich bestimmte Steuerbeträge an die königliche Kammer 
abzuführen begannen. Damit wurde die bisherige außerordentliche 
Steuer zur ordentlichen. — Tomek vermutete, daß noch unter Karl IV. 
ein Übereinkommen zwischen den beteiligten Faktoren erfolgt wäre 6 * ). 
Irgendwelche Nachricht hierüber läßt sich nicht auffinden. Jedenfalls 
haben es die königlichen Städte wie auch die Klöster als einen Gewinn 


i) Zycha, a. a. 0. 49. Bd. S. 327. 

*) Vgl. z. B. Celakovsky, a. a. 0. II. n. 212. 

*) Ebd. II. n. 532. 

4) Ebd. n. n. 173. 

6 ) Ebd. II. n. 363. — Im Verzeichnis der Städtesteuem von 1418/19 zahlen 

beide Städte eine Jahressteuer von 140 Schock. 1470 ist jedoch dieses Verhältnis 
nicht mehr gewahrt. Vgl. Celakovaky, a. a. 0. II. p. 901 u. Font. rer. Austr. IL 

20. nr. 531. 

•) Tomek, Döjepis m. Prahy II. 360. 



Losungsbücher und Losungswesen böhmischer Städte im Mittelalter. 85 


Ansehen können, wenn an Stelle einer fast alljährlichen Steuer von 
schwankender Höhe eine alljährliche Summe von bestimmter Höhe trat. 

Die ersten urkundlichen Nachrichten, die die Städtesteuer als or¬ 
dentliche Abgabe bezeugen, gehören bereits der Hegierung Wenzels IV. 
üL Gleich zum Jahre 1379 ist überliefert, daß die Bewohner von 
Schüttenhofen eine Jahressteuer bestritten l ). Nur einige der in der 
Folge immer zahlreicher werdenden Belege sollen noch genannt werden: 
Die Stadt Pilsen hat bis 1406 alljährlich (singulis annis) eine Steuer 
Ton 260 Sch. Gr. geleistet, soll aber von nun ab ob ihrer besonderen 
Treue und Verdienste bloß 200 Sch. Gr. abzuftihren verpflichtet sein *). 
Kaiser Sigismund, der mit der Stadt Pilsen nicht minder zufrieden ist 
ab sein Vorgänger, bestätigt diese Freiheit (1434) 8 ). Bawor von Schwan¬ 
bag stellt dem König Wenzel Stadt und Schloß Tachau, das von den 
Sehwanbergen gegen die Summe von 1200 Schock pfandweise über¬ 
laden worden war, zurück. Vorgenannte Summe will der König nun¬ 
mehr in der Weise tilgen, daß er dem Bawor von Sch die „bernen 
und erbczinsen* überweist, welche „die burger und inwoner der stat zu 
Mi e z ierlichen zu geben pflichtig sint Ä 4 ). 

Es ist nun gar nicht zu leugnen, daß auch in dieser vorgerückten 
Zeit immer noch von einem Aufsetzen und Auflegen von Städtesteuem 
die Bede ist. So z. B. erklärt König Wenzel IV. in einer Urkunde 
Tom 5. Mai 1401, daß den Aussigem von ihrer „bem" im Betrage von 
120 Mark „als oft man in die pfligt ufseczen“ 20 Mark er¬ 
lassen sein sollen 6 ). Doch es erhellt aus einer Urkunde vom Jahre 
1404 ganz deutlich, daß es sich trotz dieser leicht irreführenden Stili¬ 
sierung um eine Jahressteuer handelte 6 ). Daneben ist weiters festzu¬ 
stellen, daß sich eben der König mit den feststehenden Jahressteuem 
auf die Dauer doch nicht begnügt hat und neuerdings außerordentliche 
Hilfen (juvamina, adjutorium) von seinen Städten heischte. Gerade die 
zahlreichen kriegerischen Verwicklungen des Landesherren im Laufe des 
15. Jahrhunderts waren es, die ihn nötigten, immer wieder zu den 
städtischen Hilfsquellen seine Zuflucht zu nehmen *). 

i) CelakoYsky, a. a. 0. IL n. 661. 

*) EbdL II. n. 792. 

*) Strnad, Listär kräL m. Plznö L n. 342. 

«) Celakovsky, a. a. Ü. IL n. 801. Und weitere Belege: Ebd. L 
123, 131, 134, 136, 143, 146, 192; IL n. 611, 742. 

*) Ebd. n. n. 740. 4pF 

«) Ebd. IL n. 759. € W 

T ) Das Losungsboch der Stadt Mies (1446—1502) läßt deutln# 
die Stadt neben der ordentlichen Jahressteuer (summa regia) hätif 
liehe Steuerforderangen des Königs, die die königlichen Städte betiflj 

1 



86 


Karl Beer. 


Aus der Zeit Wenzels IV. und Georgs von Podebrad sind Ver¬ 
zeichnisse erhalten, die vor allem über die Jahressteuer der einzelnen 
königlichen Städte und Klöster Aufschluß geben. Das erst? Verzeichnis 
gehört in die Zeit 1418—19 l ), das zweite in das Jahr 1470 *). Um 
die Konstanz der meisten Jahressummen zu zeigen, lassen wir die An¬ 
gaben der beiden Verzeichnisse, soweit sie die (königlichen) Städte be¬ 
treffen, folgen. Da wo sich Differenzen ergeben, hatte jedenfalls der 
König eine besondere Veranlassung gehabt, die fixen »Summen* abzu- 
ändem. 



1418 

— 

19 1470 


1418—IS 

1470 

Prag-Kleinseite 

90 Schock 90 

Schock 

Aussig 

100 Schock 

100 Schock 

Beraun 

88 

» 

88 


Leitmeritz 

to 

o 

© 

¥ 

200 

» 

Pilsen 

200 

» 

140 

» 

Kolin 

160 „ 

160 

» 

Tachau 

120 

» 

120 

» 

Öaslau 

220 » 

220 

» 

Mies 

140 

» 

150 

» 

Kaurzim 

160 » 

160 

» 

Taus 

80 

» 

80 

» 

Nimburg 

140 , 

140 

» 

Klattau 

100 

» 

260 

> 

Schüttenhofen 

80 , 

100 

> 

Pisek 

175 

» 

175 

» 

Jaromef 


100 

» 

Budweis 

200 

» 

200 

» 

Königgrätz 


330 

> 

Wodnian 

30 

» 

30 


Hohenmaut 


230 

> 

Schlan 

150 

> 

140 

» 

Chrudim 


150 

» 

Laun 

140 

» 

180 

» 

Policka 


110 

» 

Saaz 

140 

» 

150 


Melnik 


50 

» 

Kaaden 

150 

» 

170 

» 

Tabor 


70 

» 

Brüx 

150 

» 

100 







Schon im 13. Jahrhundert begegnen wir dem Wunsche des Königs, 
daß die von ihm geforderte Spezialsteuer in den einzelnen Städten eine 
billige Verteilung finde. Dem König stand ja nicht der einzelne Bürger, 
sondern die Gemeinde als Steuersubjekt gegenüber. Für Königgratz 
empfiehlt Wenzel II. (1297) eine Abschätzung der Hofstätten (area?), da 
ursprünglich die Absicht vorwaltete, diese und nicht die Häuser zu 
besteuern. Die Schätzung wurde den Geschwomen der Stadt zugedacht *). 

Mit dem Wunsche des Königs nach einer Taxierung der steuer¬ 
pflichtigen Objekte begegnete sich der der Gemeinden. Sie hatten ein 
unmittelbares Interesse daran, daß solche Schätzungen vorgenommen 


mußte. So in den Jahren: 1458, 1461, 1464, 1474, 1476, 1479, 1487, 1490 u. s. w. 
Auch diese »juvamina« wurden aus den Losungsgeldem bestritten. 

l ) Abgedruckt bei Oelakovsky, a. a. 0. II. n. 701; teilweise bei Emler, Bema¬ 
register XI. u. dems., Pamätky arch. VIII. 26—27. Berücksichtigt man alle für 
eine zeitliche Fixierung vorhandenen Anhaltspunkte, so bleibt die Zeit 1418—1419. 

*) Abgedruckt in Font. rer. Aust. II. 20. nr. 531. Auf ein weiteres Ver¬ 
zeichnis, das sich in einem Pilsner Stadtbuch findet, verweist Winter, a. a. 0. I. 6. 
•) Öelakovsky, a. a. 0. II. n. 67. 







Loeixngsb&cker und Losungswesen böhmischer Städte im Mittelalter. 87 


werden. Denn sie waren selbst auch gezwungen, an ihre Mitglieder 
mit Steaerfbrderungen heranzu treten, wenn der Haushalt ordentlich ge¬ 
führt werden sollte. Der König hat das Hecht der Selbstbesteuerung 
zwecks Deckung kommunaler Bedürfnisse ausdrücklich anerkannt l ) und 
auch die Richtlinien angedeutet, an welche man sich bei Erhebung 
:_ er städtischen Abgabe, oder wie man sie zumeist nannte, der Losung 
zu halten hatte. Doch diese Richtlinien waren keine anderen als jene, 
die er bei seinen eigenen Steuerforderungen beachtet wissen wollte. 
Mit anderen Worten: es wurde die städtische Losung zu einer In¬ 
stitution, die eine doppelte Funktion zu erfüllen hatte; aus ihren Ein¬ 
gängen wurde die Königssteuer bestritten, aber auch ein großer Teil 
jener Auslagen gedeckt, die im städtischen Haushalt notwendig geworden 
sind 2 ). Und diese doppelte Aufgabe versieht die Losung durch das 
f^anze spätere Mittelalter hindurch. Wenn man vielfach in der Literatur 
bei Besprechung der städtischen Spezialsteuer der Ansicht begegnet, 
daß diese Steuer auf die Bewohner umgelegt oder repartiert wurde 8 ), 
so trifft eine solche Darstellung nicht das Richtige. Ordentliche wie 
auch außerordentliche städtische Spezialsteuem wurden mit den Losungs- 
Feldern bestritten und nur so. 

Einen ausführlicheren Beleg über die Art und Weise, wie man zu 
Beginn des 14. Jahrhunderts die Abschätzung der steuerpflichtigen Ob¬ 
jekte durchgeführt hat, um darauf die Losung zu basieren, gibt uns 
das bereits erwähnte Stadtbuch von Neubydschow. Jedenfalls gehört 
diese interessante Taxierung in jenes Jahr, in dem man die Führung 
des Buches begonnen hat, d. i. 1311. Da wurden fürs erste einge- 
schäezt alle Ackergründe. Der Lahn wurde hiebei verschieden ge¬ 
wertet, was dadurch erklärt wird, daß man die Bonität des Bodens be¬ 
rücksichtigte. Der Wert des Lahnes bewegt sich zwischen 4 und 
20 Schock. Daran reihen sich die Hofstätten (areae domuum). 
Auch ihr Wert ist verschieden (von bis 6 Mark). Hofstätten am 
Ringe und in den Hauptstraßen stehen über jenen, die sich in den 
abgelegenen Stadtteilen oder außerhalb der Mauern befanden. Auch die 
Area der Verkaufsbänke und Mälzereien wurde eingeschätzt Und deutlich 

*) So heißt es z. B. betreffe der Saazer (ebd. II. n. 364): collectas, lozungns 
—u solnriones alias quas libet percipiant et pro necessitate dicte civitatis 
iistribu&nt et impendant und ähnlich ebd. II. n. 445. 

Wenn die Bürger von Taus vor Wenzel II. erschienen sind, damit er 

ein Privileg ihres Notars »super ordinacione solucionis expenBarum, subsidii 
rt collecte* bestätige, so handelt es sich hier sicherlich um die Ordnung der Studt- 
. in jener doppelten Funktion. Ebd. 11. n. 54. 

* So Klier, a. a. 0. Bd. 76. 35. 



88 


Karl Beer. 


wie in wenigen derartigen Quellen ist hier ersichtlich, daß auch das 
Gewerbe der Losung unterworfen sein sollte. „Insuper sciendum, quod 
omne8 artifices ad ciyitatem pertinentes de suis artificiis ad TU marcas 
in suis ezaccionibus sine contradicdone qualibet sunt locati* 1 ). Hiebei 
wollen wir nur das eine betonen, daß ein Unterschied zwischen den 
einzelnen Handwerken und Betrieben nicht gemacht wird 8 ). 

Mit diesen Gattungen von Steuerobjekten, wie sie zu Neubydschow 
überliefert sind, dürften die der meisten Städte des Landes um jene 
Zeit übereingestimmt haben. Im Laufe des 14. Jahrhunderts erweitert 
sich jedoch der Kreis der pflichtigen Objekte und das ist ganz be¬ 
greiflich: wurden doch auch die Anforderungen, denen die Losungser- 
gebnisse genügen sollten, immer größer. In der zweiten Hälfte des 
erwähnten Jahrhunderts finden wir durch die Losung getroffen: Felder, 
Wiesen, Gärten (auch Wein- und Hopfengärten), Wohnhäuser 8 ), Hof¬ 
stätten, Scheunen, Ställe, Bäder, Brauereien, Mälzereien, Buden und 
Verkaufsbänke, Bargeld (parata pecunia), Renten (Ewigzinse), Lei'bgeding, 
Seelgerät imd Waisengelder. Aber noch mehr: auch Handel und Ge¬ 
werbe waren der Losung dienstbar 4 ). 


*) Kapras, a. a. 0. p. 24 sqq. 

*) In anderen Städten (Pilsen, Budweie, Prag-Altstadt u. s. w.) wurde ein 
Unterschied gemacht 

•) Die ursprüngliche Absicht, nur die Baugründe (areae) zu besteuern, ist hier 
früher, dort später zurückgetreten und es werden dann die Häuser besteuert 
Werden z. B. in Pilsen schon 1344 Häuser der Losung unterworfen (Stmad, a. a. O. 
I. n. 69), so wird noch bei der Gründung von Prag-Neustadt (1348) zugesichert, 
daß nur die Baugründe von Abgaben getroffen werden sollen, nicht aber die 
Häuser (edificia), »quantumcumque sollempnia et ordinata fuerint eumptuose« ,.. 
Celakovsky, a. a. 0. I. n. 49. In Kaaden wieder erscheinen noch 1371 neben der 
»schaczung der hewser« auch die der »holstete«. Ebd. H. n. 443. Solche lokale 
Verschiedenheiten dürfen nicht wundemehmen. Vgl. hiezu auch Zycha a. a. O. 
60. Bd. 512 f. 

4 ) Es war demnach die Losung hierzulande nicht lediglich Vermögenssteuer, 
sondern auch Erwerbsteuer. Freilich ging man damals nicht so weit wie heute t 
daß mau für jedes Jahr das mittlere Erträgnis der Erwerbsuntemebmung zur 
Grundlage der Besteuerung gemacht hätte, sondern bewertete das Handwerk des 
einen und den Handel des anderen mit einer gewissen Schockzahl, nach der die 
Losung in kommenden Zeiten gefordert wurde. So behält Zeumer nicht Recht, 
wenn er sagt (Die deutschen Städtesteuem S. 89): Und in der Tat, wer hätte 
unternehmen können, die fluktuierenden Einnahmen einer städtischen, Handel und 
Gewerbe treibenden Bevölkerung, die zum Teil voraussichtlich nicht einmal wußte, 
wie hoch sich ihre Einnahmen innerhalb eines ganzen Jahres belaufen, einer jähr¬ 
lichen d kten Steuerumlage zugrunde zu legen«. Z. weist damit die Annahme 
einer Erw Steuer für die mittelalterliche Zeit zurück. 



Loeungsbücher und Losungswesen böhmischer Städte im Mittelalter. 89 


Um die Losung durchführen zu können, wurden vielfach gleich 
anfangs Taxationen der pflichtigen Objekte durchgeführt und deren 
Wert in Kapital ausgedrückt. Sodann wurde von Losung zu Losung 
eine bestimmte Anzahl von Groschen vom Schock (Mark) gefordert 
Die notwendige Taxation wurde durch die Stadtgeschworenen l ) oder 
eine eigens erwählte Kommission 8 ) durchgeführt; es ist als sicher an¬ 
zunehmen, daß das Taxationsergebnis niedergeschrieben und zur Grund¬ 
lage und Richtschnur für alle kommenden Losungen wurde. Und so 
kamen die Losungsregister, bezw. Losungsbücher zustande. Daß da, 
wo der Kaufpreis zur Hand und bekannt war, dieser an die Stelle des 
Schätzungswertes treten konnte, ist wohl selbstverständlich 8 ). Die bei 
der ersten Taxation gewonnenen Werte waren nicht unabänderlich. 
Man hat vielmehr, wie das Studium der Losungsbücher erkennen läßt, 
die Kaufpreise der pflichtigen Objekte ins Losungsbuch hereingenommen 
und als billige Basis der Besteuerung angesehen. 

Doch nicht überall im Lande ist die Losung gleich anfangs auf 
eine Taxation der pflichtigen Objekte gegründet gewesen. Gerade in 
den größeren Städten (Prag-Altstadt 4 ), Leitmeritz 6 ), Eger) 6 ) läßt sich die 
Selbsteinschätzung der Pflichtigen mit und ohne Eid noch in der zweiten 
Hälfte des 14. Jahrhunderts nachweisen. 

Der König hatte, wie schon angedeutet wurde, an dem Schicksale 
der Stadtlosung ein besonderes Interesse. Flossen doch aus dieser 
Quelle die ordentlichen wie außerordentlichen Städtesteuem. Er ver¬ 
gewissert sich daher einer ordentlichen Handhabung der Losung, indem 
er alljährlich durch seine Amtsorgane die Rechnungen der Losungs- 
herren einer Überprüfung unterziehen läßt Oft wurde in Losungsfragen 
die Entscheidung des Landesherren angerufen und man muß sagen, daß 
er fast immer darauf bedacht war, daß die Steuerkraft seiner Städte 

*) Celakovsky, a. a. 0. EL 67. 

*) Ebd. IL n. 207. 

*) So sollen zu Leitmeritz die Besitzer von Tischen und Verkaufsbänken 
Losung geben »iuxta estimacionem predi et Talons e&rum aut eorum, quibus ab 
aina emuntur, compar&ntur aut alias conquiruntur ... Ebd. IL n. 151. — Vgl. 
auch n. 111 und 445. 

«) S. oben S. 63. 

*) Leitmeritz betreffend, heißt es in einer Urkunde vom Jahre 1394 (ebd. IL 
a. 666), daß »Burger oder Inn^ohner, es sey Frawe oder Manne«, so sie »von 
▼iertzig Schok grosser varend ^n Habe« schossen, keinen Eid ablegen brauchen. 
•Item wer aber von viertzig Schocken varender Habe nicht geschossen mage, der 
•oU geben sein Geschoss mit dem Eyde als das der Rathe in der egenannten 
Stadt erkennet, will aber der Rathe denselben des Eydee uberheben, das mag er 
wohl thun etc. 

^ 8. oben 8. 55. 



90 


Karl Beer. 


nicht unnötigerweise geschmälert werde. Der König bezeichnet neue der 
Losung dienende Objekte 1 ) 1 tritt für die Erhaltung der alten ein *) und 
erweitert den Kreis der pflichtigen Personen 8 ). Wie sehr den König 
der Stand der städtischen Finanzen interessierte, erfahren wir ja auch 
daraus, daß es den königlichen Städten nicht schlechthin gestattet war, 
Anleihen aufzunehmen, sondern daß sie hiezu die Zustimmung des 
Königs einholen sollten 4 ) und daß er weiters mitsorgen wollte, daß die 
Last der Ewigzinse, die vielfach die bürgerlichen Gemeinden bedrückten, 
abgelöst und beseitigt werde 6 ). 

Zur Einhebung und Verwaltung der Losung hat man allenthalben 
besondere Organe, die Losunger oder Losungsherren (collectores), er¬ 
wählt Sie führten über alle Einnahmen wie Ausgaben Buch und legten 
außer den landesherrlichen Beamten auch dem Bäte und der Gemeinde 
Rechnung. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts kam es insofern zu 
einer Änderung, als die Losunger aufhörten, die Losungsgelder auch 
zu verausgaben. Es hing das mit den Bestrebungen der Städte zu¬ 
sammen, nunmehr alle Einnahmen und Ausgaben in der Hand des je¬ 
weiligen Bürgermeisters zu konzentrieren. Letztere übernahmen nun 
auch die entsprechende Buchführung und es hörten die Losungsbücher 
auf, ausführliche Ausgabenverzeichnisse zu bringen. 

Die Losungsbücher werden in diesem Punkte abgelöst durch die 
Rechnungsbücher (Register) der Bürgermeister. 

Die Losung bildete in den meisten Städten die ansehnlichste Ein¬ 
nahmsquelle; Ungeld, Zinsen von etwaigen städtischen Liegenschaften 
und Realitäten u. s. w. treten dagegen zurück. Wenn daher über die 
Losung Rechnung gelegt war, so war damit die Rechnungslegung in 
der Hauptsache geschehen. 

Die Zahl der Losunger war nach der Größe der Gemeinden ver¬ 
schieden und hat in dieser selbst wieder gewechselt In Prag gab es 
zu Beginn des 15. Jahrhunderts 6 Losunger (officium sex dominorum) 
in Budweis 4, in Saaz im 14. Jahrhundert bereits 8 6 ), in Eger zu 
Ende des 14. Jahrhunderts 2 bis 3, zu Ende des 15. Jahrhunderts 4, 
in Chrudim um 1400 4, in Mies immer 2. 

Neben der Losung war in den königlichen Städten auch noch der 
Kammerzins einzuheben, der vor allem die der Stadt zugemessenen 

*) Celakovßky, a. a. 0. I. n. 29, H. n. 197, 328. 

*) Ebd. I. n. 28, 29. 

») Ebd. L 2S. IL 151. 

«) Ebd. IL n. 364. 

•) Ebd. I. n. 56, 132, U. 328. 

ö ) Celakovsty, a. a. 0. II. 364. 



LosnngifcöciwT n&i Lqec^wbhb bfekfec? Stifte uu 

Gründe ^Lahne» trat Wenn für dessen Einkassierung nicht eigvn* 
Organe (collectores) bestellt wurden lR in Budweis g^b es besondere 
eolleetores censns regalisl so fiel auch sie den Losungsra tu v z, R 
in Chrudim). 

Die Mitglied» des Losungskollegiums waren z. T. dem Rate, z. T. 
der Gemeinde entnommen. Zur Heranziehung außerhalb des Rates 
stehender Personen war der Gemeinde eine weitergehende Garantie für 
eine allen Teilen der städtischen Bevölkerung gereehtwerdende Amts¬ 
führung gegeben. Die Losung aufzulegen und deren Höhe zu bestimmen, 
das war in manchen Städten (so Prag-Altstadt und XeustadO Sache 
der Gemeinde, doch auch der Ratsbeschluß hat mancherorts hiezu gi'- 
nögt 1 ). Im Gegensätze zu vielen Städten des „Reiches“, wo der Rat 
die Losung beschloß und die Losunger nur dem Rate Rechnung zu 
legen brauchten 2 ), war in den Städten Böhmens die Rechnungslegung 
vor der ganzen Gemeinde oder wenigstens den Gemeindeältesten (seniomO 
durcbgehends üblich und somit der Einfluß der Gemeinde in Losuugs- 
sachen starker betont 

Entlohnt wurden die Losunger tür ihre Amtierung zumeist durch 
Geld, wie sie auch während ihrer Amtsführung auf Kosten der Ge¬ 
meinde zu zehren pflegten. Nur in Prag wollte man das Losungsamt 
fast ganz zum Ehrenamte machen 8 ). 

Die Losung wurde, soweit die Losungsbücher Aufschluß geben, 
alljährlich verlangt Ob innerhalb eines Jahres ein- oder mehrmal, (Ihm 
hing ganz von den jeweiligen Bedürfnissen der Gemeinde ab. 

Daß zum Zwecke besserer Übersicht über die Pflichtigen, dann 
aber auch, um das Stenergeschäft besser verteilen zu können, die Städte 
in Viertel (qnartae) und diese mitunter wieder noch in Bezirke (partes) 
oder nur in solche zerlegt waren, wurde verschiedenerorts oben an ge¬ 
deutet 

Aach auf die Rolle, die die Losung im städtischen Rechtsleben 
spielte, wurde bereits verwiesen. Hier wollen wir nur noch nach- 
tragen. daß, wie zu Prag die Zeugenschaft vor Gericht mit der Losung 
in Verbindung gebracht wurde, in Leitmeritz das Recht zürn Salzhandel *) 
nad in Brünn zum Tuchhandel 5 ) von einer gewissen Höhe der J/Onung 
abhängig gemacht wurde. Auch darauf sei noch verwiesen, daß die 
Beantwortung der sehr widrigen Frage, ob ein bestimmter Besitz des 

* S. z. B. ebd. n. 445. 

? SJrfcbesg, a. a. 0. S. 195. 

* E5fir>r T a. a_ 0. L Statut 110 and 113. 

* ■ a. a. O. IL n. 330. 

ä a. a_ 0. IL pag. 388. 



92 


Karl Beer. 


besseren städtischen Erbrechtes und des Schutzes der Stadt *) teilhaftig 
sein soll oder nicht, ganz davon abhängig war, ob von diesem Besitz 
bislang Losung entrichtet wurde x ). 


IV. Die Losungsbücher als Geschichtsquelle. 

Außer Zweifel steht es, daß die Losungsbücher die vorzüglichste 
Quelle abgeben, wenn wir die städtischen Steuer Verhältnisse und den 
finanziellen Haushalt der mittelalterlichen Stadt im ganzen naher kennen 
lernen wollen. Aber daneben geben uns diese Bücher noch mancherlei 
andere Auskünfte, die wir kurz zusammenfassen möchten. 

Die Losungsbücher kommen uns zustatten bei Aufrollung ver¬ 
schiedener statistischer Fragen. Eine Wohlhabenheitsstatistik der Stadt¬ 
bewohnerschaft ermöglichen sie, da in ihnen das unbewegliche und 
häufig auch das bewegliche Vermögen fixiert erscheint Mitunter sind 
sogar die einzelnen Vermögensgattungen ersichtlich gemacht und mit 
Wertangabe versehen. Freilich wollen wir deswegen nicht behaupten, 
daß das Losungsbuch den Vermögensstand ganz getreu wiedergebe. 
Vom beweglichen Kapital zumindest gilt dies nicht Aber eine unge¬ 
fähre Statistik des Vermögens darf doch erwartet werden. Wir können 
an der Hand dieser Vermögenssteuerlisten — denn solche waren sie 
in erster Linie — im großen und ganzen feststellen, wie groß das 
Vermögen derer war, die man damals als Reiche (divites) bezeiehnete, 
wie viel es solcher Personen etwa in der Stadt gegeben hat und wie 
groß daneben die Zahl der „Armen“ war. 

Auch der Wohlstand der Stadt als solcher erfahrt seine Beleuchtung, 
indem ja auch die Dörfer und Dorfschafts teile, die zur Stadt gehörten 
und die Stadtlosung mitbestritten, registriert sind. Kennen wir den 
Prozentsatz der verlangten Losung und das Losungsergebnis, so können 
wir auch das Gesamtvermögen der Stadt in roher Weise berechnen 
Auch zu einem Vergleich verschiedener städtischer Vermögen kann mar 
weiterhin gelangen. 

Interessant ist es auch, die lokale Verteilung von arm und reicl 
in der Stadt zu verfolgen. Am Hauptplatz und in dessen NachbarschaV 
begegnen wir den wohlhabenderen Bürgergeschlechtem, an der Peripheii 
der Stadt, in den Vorstädten sind die Ärmeren zu finden; hier wohnei 
die kleinen Handwerker, Gärtner, Taglöhner, Fischer, Hirten u. 8. w. 

•) Ebd. I. Statut 136; Öelakovaky, a. a. 0. I. n. 92, 105 u. n. n. 455 sq< 
u. Straad, a. a. 0. LL 247, 249, 262. 



Loeungsbücher und Losungswesen böhmischer Städte im Mittelalter. 93 


Wenn das Losungsbuch die Häuser, bezw. Hausbesitzer und da¬ 
neben die Inwohner oder auch nur die Pflichtigen schlechthin ohne 
jegliche Scheidung aufführt, so sind uns damit wertvolle Behelfe für 
eine Bevölkerungs-, Häuser-, eventuell sogar auch Wohnungssta tistik 
gegeben. Wir werden in den Stand gesetzt, die Volksziffer der mittel¬ 
alterlichen Stadt» wenn auch nicht genau — das bleibt für jene Früh¬ 
zeit ein unerfüllbarer Wunsch — so doch einigermaßen der Wahrheit 
entsprechend zu ermitteln. Was in Bücksicht der Seelenzahl in chro¬ 
nikalischen und verwandten Berichten zu finden ist, das weicht von 
dem wirklichen Zustand zumeist so sehr ab, daß man froh sein muß, 
Quellen erwähnter Art heranziehen zu können, um halbwegs in Keine 
zu kommen. 

Man wird auch, was die Dichte der städtischen Bevölkerung an¬ 
langt, mitunter seine Vorstellung korrigieren müssen. Zu gerne neigt 
man der Ansicht zu, daß in jener patriarchalischen Zeit auf das Haus 
eine Familie entfallen wäre. Doch man trifft auch in den Städten 
Böhmens im 14. Jahrhundert schon ein häufiges Abvermieten und in 
der Landeshauptstadt finden sich zu Beginn des 15. Jahrhunderts Häuser 
mit 10 und mehr Parteien, eine Erscheinung, die an die moderne Zeit 
gemahnt. Aber da muß gleich betont werden, daß dies beileibe keine 
Durchschnittserscheinung war, sondern daß dies Einzelerscheinungen 
waren, sonst müßte Tomek, der für Prag in der Zeit Wenzels IV. 100.000 
Seelen in Anspruch nimmt, doch noch recht behalten. 

Erwünscht sind alle jene Angaben, die sich auf den Beruf der 
Pflichtigen beziehen. Wären solche Angaben nur immer konsequent 
erfolgt, wie etwa in Pilsen, wo das Gewerbe und der Handel besteuert 
waren, dann würde man zu einer abschließenden Statistik der städtischen 
Berufe fortschreiten können. Bei der Unvollständigkeit der diesbezüg¬ 
lichen Quellenangaben dürfen wir nur einen ungefähren Überblick und 
Einblick erwarten, der aber immerhin genügen wird, um die oft auf¬ 
geworfene Frage zu entscheiden, ob bei der Bevölkerung dieser oder 
jener Stadt die gewerbliche oder agrarische Betätigung vorwaltete. 

Auch der Topographie dienen die Losungsbücher. Es scheint ein 
ganz allgemeiner Brauch im Lande gewesen zu sein, zu Losungszwecken 
die Stadt in Viertel (quartae) oder Bezirke (partes) oder aber in Viertel 
und diese weiter noch in Bezirke zu zerlegen, die Häuser, bezw. Pflich¬ 
tigen nach Vierteln und Be drken, nach Plätzen und Gassen zu ordnen 
und bei dieser Ordnung für die Folgezeit zu verbleiben, sodaß dadurch 
die Möglichkeit geboten wird, das alte Stadtbild zu rekonstruieren. An¬ 
gaben über Bauten, bezw. Reparaturen an Toren, Brücken und Türmen, 



94 


Karl Beer. 


wie sie sich in allen Ausgabenverzeichnissen in großer Zahl finden, 
helfen uns jenes Bild weiter auszuführen, zu ergänzen. 

Nicht nur daß uns durch die Losungsbücher ältere Namensformen 
der Städte und Dörfer, denen diese Bücher direkt dienten, überliefert 
sind, die zahlreichen Beziehungen friedlicher und mitunter auch feind¬ 
seliger Art zu anderen Orten erschließen einen weiteren Kreis von 
Ortsnamen, die der Forscher auf diesem Gebiet dankbar zur Kenntnis 
nehmen wird. 

Eine interessante Frage bildet es gerade auf böhmischem Boden 
immer, über die nationale Zusammensetzung der Stadtbewohnerschaft 
orientiert zu werden. Auch in diesem Belange gewahren die Losungs¬ 
bücher Anhaltspunkte: erstens durch das Namenmaterial der Pflichtigen 
und zweitens durch die Sprache, deren sich die Bücher bedienen. Freilich 
ist bei Verwertung der Familiennamen Vorsicht notwendig, aber wenn 
wir z. B. in Chrudim oder Pilgram in vorhusitischer Zeit eine er¬ 
drückende Menge schönster deutscher Familiennamen vorfinden, so 
werden wir keinen Anstand nehmen, diese heute spezifisch tschechischen 
Städte als vormals gut deutsche Städte zu erklären. Andererseits wird 
man z. B. bei Mies, wie eine Durchmusterung der dortigen Familien¬ 
namen dartut, den tschechischen Einschlag nicht verkennen dürfen. 

Was die Familiennamen der Pflichtigen anlangt, so lassen sie er¬ 
kennen, daß diese um die Wende des 14. Jahrhunderts noch nirgends, 
auch in Prag nicht, etwas Fertiges vorstellen, sondern noch mitten im 
Stadium der Entwicklung drinnen waren. Es wird das eine Mal sogar 
der Rufname noch allein registriert, ein anderesmal das Patronymikon 
hinzugefügt und ein drittenmal dem Rufnamen eine Handwerks- oder 
Herkunftsbezeichnung angeschlossen. In allen anderen Fällen freilich 
erscheint der Familienname bereits ausgebildet, kommt uns aber in den 
verschiedensten Schreibweisen unter. Wo wir in den Losungsbüchern 
eine Reihe von Jahren überblicken können, da sehen wir, wie Patro¬ 
nymikon, Handwerks- und Herkunftsbezeichnung zur Ausbildung des 
Familiennamens hinüberführten. 

Im Zusammenhänge damit könnte sich die Frage aufdrängen, wie 
viele Familien sich vom Mittelalter her in der betreffenden Stadt er¬ 
halten haben. Die starken Umwälzungen, welche gerade die Städte 
Böhmens erleben mußten, lassen es erklärlich finden, wenn die Zahl 
jener Familie zumeist eine recht bescheidene sein dürfte. Und selbst 
dann, wenn ein Familienname des ausgehenden Mittelalters heute noch 
vorkommt, ist die Identität der Familien deswegen noch nicht erwiesen. 
So kommt auch Bienenberg, der vor mehr als hundert Jahren die Ge¬ 
schichte der einstmals deutschen Stadt Königgrätz zu schreiben unter- 



Losungsbücber und Losungswesen böhmischer Städte im Mittelalter. 95 

nommen hat und noch ein altes Losuugsbuch (1390—1403) als Substrat 
verwerten konnte, zu der bezeichnenden Äußerung (S. 192): „ Besonders 
merkwürdig ist es aber, daß aus allen in dem Buch verzeichneten 
bürgerlichen Namen fast kein einziger auf itzige Inwohner dieser Stadt 
passet* l ). 

Auch die Vermerke in den Namenlisten, die sich auf Verwandt¬ 
schaft oder Herkunft beziehen, können gute Dienste tun. Werden in 
dem einen Falle dem Genealogen bürgerlicher Geschlechter wünschens¬ 
werte Anhaltspunkte geboten, so lassen Angaben der zweiten Art er¬ 
kennen, aus welchen Gegenden die Stadt Zuzug aufzuweisen hatte und 
wie groß etwa dieser innerhalb bestimmter Zeiten gewesen ist Freilich 
kann eine solche Studie nur dort platzgreifen, wo die Losungsbücher 
über weitere Zeiträume Aufschluß geben. Das wäre in Eger, Mies und 
Budweis der FalL 

Von Interesse sind weiters jene Mitteilungen, welche yon Besuchen 
des Königs, der Königin oder der hohen landesfürstlichen Beamten er¬ 
zählen; gestatten sie vielleicht einerseits das Itinerar dieser Personen 
zu ergänzen, so wird andererseits durch Aufzählung all jener Ausgaben, 
die der Stadt durch solch hohe Besuche aufliefen, ein interessantes kul¬ 
turgeschichtliches Material geboten. 

Von außerordentlicher Beichhaltigkeit sind schließlich die Angaben 
der Losungsbücher über Münzen, Maße verschiedener Art (Längen-, 
Flachen- und Hohlmaße), über Häuser- und Bodenwerte, über Gehälter, 
Löhnungen, Lebensmittelpreise, städtische Befestigungen, Bewaffnung, 
Verproviantierung und Honorierung von Söldnern u. s. w., alles Dinge, 
deren Geschichte noch vielfach einer Ergänzung bedarf 

*) Bienenberg, Geschichte der Stadt Königgrätz, Prag 1780. 



Die Reichtagspermanenz im Oktober 1848. 

Von 

Hugo Traub. 


Als am 6. Oktober 1848 gegen Abend die schreckliche Kunde yon der 
grausamen Ermordung des greisen Kriegsministers Grafen Latour sich 
im versammelten Reichstage l ) verbreitet hatte, war es Abg. Dr. Ludwig 
v. Löhner, Vertreter von Saaz und Führer der Deutschböhmen 8 ), welcher 
unter dem unmittelbaren Eindrücke des soeben Vorgefallenen, wo Prä¬ 
sident Ant Strobach, um seine persönliche Sicherheit besorgt 8 ), die Flucht 
ergriff und Vizepräsident Fr. Smolka unerschrocken den Vorsitz über¬ 
nahm 4 ), unter anderem den Antrag stellte, „daß der Reichstag in Be¬ 
tracht, daß gegenwärtig alle Bande gelöst sind, daß, wie wir wissen, 
selbst das Ministerium in seinen Teilen nicht einmal formell zus amm en- 
hängt 6 ), daß also in diesem Anbetracht der Reichstag den Antrag des 

*) Bekanntlich hatten Mitglieder der Linken eigenmächtig den Sitzungssaal 
aufsperren lassen und durch eine öffentliche Kundmachung die Deputierten zu einer 
außerordentlichen Sitzung aufgefordert, worauf erst Präsident Strobach die Tagung 
auf* 6 Uhr nachmittags anberaumt hat. 

*) Löhners Charakteristik siehe bei Ant. Springer (Geschichte Österreichs, 
IL 407). Vgl. auch dessen Österreich nach der Revolution. 

•) Über die Flucht Strobachs vgl. bei Helfert, Aufzeichnungen und Erinnerungen 
aus jungen Jahren, 9. 

4 ) Daß Smolka die Führung übernahm und bis zum Schlüsse am Platze un¬ 
entwegt auaharrte, findet selbst bei einem J. A. Helfert unbeschränktes Lob und 
Anerkennung. (Vgl. dessen »Aufzeichnungen«, 70). 

6 ) ln der Früh des folgenden Tages war das Ministerium dem Beisf 
Hofes gefolgt und auseinandergestoben, den einzigen Finanzminister Philipp 
neben Handelsminister Fr. Th. Hornbostel in Wien zurücklassend. 




a « M8B Bi l» 


Die ReichÄtag^iermauenz iüi Oktober 1848. 


i\*f Alois Borrösch *) zu semem Beschlösse erhebt *), womach eine 
h >l nj tzsuiti. die ifot Reichstag ernennt, für die Ruhe und 
i nveit der Stadl Wien, für die Robe und Heiligkeit 
in sorgen hat* *), Löhnera Antrag, der aluch zum 


*) BomscUK K^rae «erdü^ttt erwthnfcjm werden, /obwohl, oder weil der^ftibe 
*t4* m WtOTfescluft wHicgrsplüs^heus noch m der * AU^t«^Deö itetiteehen 

feovTaphie« Tcrrioßisai. Äeiwäibe Wwo 1797, gaaL in -Ibra#), Bach» 

kodier von Bemx. spielte u* Prag i|m P^hirt? 1848 eine nicht ^bedeutende Rolle, 
£r r^iaiigte steh «lg MitgHed dea^A^ und b&tfmäer# als Y*wte*ter 

»n?rten Prajm Bezirke« (Kleb^ite) &o Wfeer Reichste#*, wö et tmtr iüf der 
WMeo Pkfcz nahes* &ber — damals wax die Sache noch fcicht m »«»geprägt wie in 
Krcgaaer — nicht mit dieser, sondern zumeist- : sift der Linken «tftöißte. Er wurde 
' ;& -Vötuvter d»* K^gmehes Böhmen m »te permaagnitfo-Jft«H*az»oarehnJB ent- 
Fty ?*nrtatMl : ; duRäh-: ,*eme. Rerfeti fe Auimerfcssttsalwil a»f «ücb au imken und 

uuuttntitcfc • io den breiten Schichten Wim* einen guten .Ruf. IW 8fcu<t&uten- 
teäitee verknete am 6~ Oktober ein Ministerium L3hner-BomMich. Dieser war es 
<*:&, der «n 11. September »eine von 4er Vernunft (i«d ve» «tero pmktiwilieH Be- 
•töna»*? gebotest* p hl r 3 & nteh tan reh e 8taa £ b s pra ch e ? verlangte. Nach Auf- 
V»g des Eretesierer Reicbst^es Widmete er «ich »riMchließlich dem irtwcIiAite und 
^U*xte giiuzikij «ifflr pöhtjafchen THtagke-ii. Bom*chg öiarafetesristik bei Springer 
•&*&»dbie- Ctetejvtnhha, lt 411). ist *«: la»Ä und d&nw» ungerecht. Vgl t*uok 
H StueU. Das fahr J848, II- &27. 

*i Öorro*rh trat am 1L Bcptember für die Pftnuanec« Ae» Ucidtaiteges ein, 
ofen er <be ühweugnäg aoiwpracli, 'laß *«&& aifeiit hinreichfen wird. um 

^iijrx moralischen Eindruck zu jnacheit und $ter ReÄkÜOö wie ater die Anarchie 
ir- »cg^n*. {VefhAödhmgeu des toter. Rekh^te#**? »ach der *tetii>gi\ Aoihahme, 
* STty Des, worauf hier Löhner die Anspielung machte, kssan sich auf folgenden 
Astrag Rorroddis rotn f.S- September 1848 buchen: »Ich beantrage, lieber erneu 
v^icchaß der EÄtnmer &oe MAnnerti dea Vertrauen» von allen Parteien und allen 
Vit&iCMlitÄter? b Permanenz au erklären, . also bilden wir selber einen bera- 
^nd e n 8ieh0rbeit*aufischu Ö» (Verhandiuugvn dei ÖBterr. Reichstages, 8-878). 

*}. In» konnte alkrduujfii nur ftir den Augenblick gemeint »ein, denn «eitlich 
v ;er »öh hatte der Üof plötzlich Wien verlassen and «ich n?j*\b UloiUta begebe«, 
$ j&er*dSL d<#rOber vgb meine böhmische Abhandlung ,DhW Hjnov^ röv.tduw vMwsW 

____.' .i.i 


98 


Hugo Traub. 


Beschlüsse erhoben wurde, fiel eigentlich mit der kurz zuvor eingebrachten 
Petition der Wiener Nationalgarden zusammen, welche dahin ging, der 
Beichstag möge «die Leitung der Sicherheit in Wien* selbst übernehmen 1 ). 
Auf Antrag des Deputierten MU.Dr. Karl Zimmer, Vertreters von 
Tetschen, wurde die Kommission „für die Aufrechthaltung der 
Buhe* aus 10 Mitgliedern und zwar sofort gewählt, obwohl der Antrag¬ 
steller selbst nachträglich elf zu erwählen vorschlug, da die Kommission, 
wie er meinte, doch einen Obmann haben müsse *). Irgend ein Abgeord¬ 
neter — merkwürdigerweise steht kein Name im stenogr. Protokolle ver¬ 
zeichnet 8 )— machte den Vorschlag, es möchten sämtliche 10 Mitglieder 
aus Niederösterreich gewählt werden, „weil diese mit den Lokalverhält¬ 
nissen am Besten bekannt sein dürften* 4 ). Es wurden aber mit Berück¬ 
sichtigung beider Seiten des Hauses wie des Zentrums, Männer „von allen Par¬ 
teien* 6 ), in diese permanente Kommission, Wohlfahrts- und Sicherheitsaus¬ 
schuß, oder schlechtweg die Permanenz genannt 6 ), berufen, und zwar waren 

Bezeichnung beibehalten. Demel (Proßnitz) berichtigte, daß es laut Protokoll vom 
6. Oktober »Ausschuß 4 heiße, welcher »die Sorge für die Ruhe und Sicherheit der 
Stadt übernimmt 4 , und so blieb es auch beim einfachen »Ausschüsse 4 . (Zur Be¬ 
nennung vgl. auch weiter oben). Woher aber Smets (Das Jahr 1848, IL 581) die 
Nachricht hat, das Löhners Antrag sich auf einen »Sicherheitsausscbuß für Wien 
und die ganze Monarchie 4 bezog, ist mir unbekannt. 

*) Dahin zielte auch die besondere Eingabe der Nationalgarde des vierten 
Bezirks, bei der bedauerlichen Lage der Stadt »einen geeigneten Beschluß zu 
fassen, welcher zur Beruhigung der Gemüter beitragen könne 4 , sowie auch die 
Adresse des Nationalgardekommandanten um Permanenzerklärung des Reichstages. 

*) Merkwürdigerweise wurde darauf nicht reagiert und es wurden bloß 
10 Deputierte erwählt. Es ist also unrichtig, wenn sich Abg. Demel am 19. Ok¬ 
tober auf den 3. Punkt des Protokolls vom 6. Oktober berief, worin es heißt: »Der 
Reichstag ernennt durch Wahl aus seiner Mitte einen Ausschuß von elf Mitglie¬ 
dern 4 . Ein Beweis der ungenauen und lückenhaften Fassung der stenogr. Pro¬ 
tokolle. 

*) Ein Umstand, der damals nicht selten vorkommt, woraus (vgl. auch Anm 
vorher) zu ersehen ist, daß die »Verhandlungen des österr. Reichstages nach der 
stenographischen Aufnahme, nichts weniger als stenographisch treu und ver¬ 
läßlich Bind. 

4 ) Darauf bezieht sich auch Borroschs Ausspruch vom 9. Oktober, daß sie in 
den »jetzt sehr wichtigen 4 Ausschuß »gerade jene Männer gewählt, welche . . . 
namentlich Orts- und Personalkenntnis besitzen 4 . Galt es auch in der Tat von 
allen den Erwählten? 

•) So drückte sich Mahlers der »Freimüthige 4 , Nr. 158 aus. 

•) Von der Reichstagspermanenz sind wohl zu unterscheiden: 1. Die Perma¬ 
nenz der Wiener Nationalgarde, 2. Permanenz des Wiener Gemeinderates, 3. Per¬ 
manenz des Studentenkomitees und schließlich 4. die Permanenz des Wiener Han¬ 
delsstandes. Es gab also in Wien gleichzeitig 5 verschiedene »Permanenzen 4 . 
Außer der Sicherheitskommission bestand im Reichstage bereits seit Ende August 
ein permanenter Finanzausschuß. 



Die Reichstagspermanenz im Oktober 1848. 


99 


es: RnA Brestei, Felix Stobnicki, LuAv. Löhner, Kaj. Mayer, 
Ast. Füster, Earl Leop. Elandy, Ernst y. Yiolan A Jos. Goldmark, 
Fr. Vidulich, Fr. Schnselka 1 ), von denen allerdings die über¬ 
wiegende Mehrzahl der Linken angehörte 8 ). Als deren Sitz wurde auf 
Vorschlag Elandys das Lokal des Eonstitutionsauschusses bestimmt, 
und noch während der Nachtsitzung am 6. Oktober sprach E. Mayer, 
Vertreter von Brünn 1 ), als Obmann „desEomitees zur Wahrung 


i) Während Schuselka (Deutsche Fahrten, IL 364) die Namen ebenso, wie sie 
im Reichstagprotokolle Vorkommen, anführt, nennt ein anderes Ausschußmitglied, 
Füster (Memoiren, IL 182), irrtümlich, wie es scheint, die Deputierten: Biliriski (?), 
Brestei, Füster, Goldmark, Elandy, Löhner, Mayer, Schuselka, Skrda (?), Umlauft (?); 
ebenso aber auch W. G. Dunder (Denkschrift über die Wiener Oktoberrevolution), ob* 
wohl derselbe seine Darstellung, wie er selbst hervorhebt, auf Grund von »amtlichen 
Quellen« niedergelegt hat. Mayer teilte am 9. Oktober im mährischen Landtage 
mit, daß er die Ehre hatte, in die Kommission mit »Löhner, Violand, Füster, Gold¬ 
mark, Schuselka u. a. entsendet zu werden« (Mähr. Landtagsblatt, 1848). Was 
am meisten befremdet, ist die Schilderung Heilerts (Geschichte Österreichs, L 30), 
daß nämlich am 6. Oktober auf Antrag des Deputierten Goldmark eine per¬ 
manente Kommission, bestehend aus 3 Mitgliedern, nämlich Scherzer, Lasser, 
Hubicki, ernannt wurde, welche auf Lassere Vorschlag um weitere zwei, Fischhof 
und Catinelli, vermehrt wurde, daß sie am folgenden Tage vergrößert, so daß ihre 
Zahl auf 2ö gestiegen ist. Helfert hat nämlich die von Löhner beantragte »Sicher- 
hritskommi&ion«, wie sie Biliüski benannt, mit einer Kommission, die Goldmark 
vertrat, verwechselt. Auf dessen Fürsprache wurden von Smolka selbst die Abge¬ 
ordneten Scherzer, Lasser und Hubicki vorgeschlagen, wozu sich noch Fischhof 
(auf Lasser« Vorschlag) und Catinelli (auf Vorschlag Pillersdorffe) gesellten. Diese 
Kommission sollte nach Goldmarks Befürwortung »gleich sitzen und sich mit den 
Exekutivbehörden, die noch vorhanden sind, ins Einvernehmen setzen«, doch wurde 
von ihr stillschweigend Abstand genommen und es konstituierte sich die Perma¬ 
nenz, wie sie von Löhner beantragt worden war. — ln Bezug auf Dunders 
Denkschrift, von der hier und weiter des öftera die Rede ist, will ich bemerken, 
daß selbe vom Minister des Innern dto. 10. April 1849 mit folgenden Worten dem 
mähr.-schlegischen Gubemialvizepräsidenten Grafen L. Lazansky empfohlen worden 
ist: »nachdem dasselbe [Werk] durch seine loyale Richtung und durch die 
wahrheitsgetreue Schilderung der Ereignisse vorzugsweise geeignet ist, 
frische, auf entstellten und übertriebenen Berichten gegründete Ansichten und 
Urteile über die Vorgänge im Oktober besonders unter jenem Teile des Publikums 
zu berichtigen, welches fern von der Residenz nicht in der Lage war, sich von 
der Wahrheit der angegebenen Tatsachen selbst zu überzeugen«. (K. k. mähr. 
Statthaltereiregistratur). Unter dem Namen Dunder verbarg sich laut Beilagen 
Joh. Saazer, Kanzleiexpeditor und Oberleutnant im Nationalgardeoberkommando. 

*) Der Rechten war nur Klaudy entnommen, Brestei und Mayer saßen im 
Zentrum, Vidulich, obwohl Südslave und Stobnicki als Pole gehörten nebst den 
Übrigen der Linken sn. 

*) Wohl zu unterscheiden von Michael Meyer, Deputierten für Wels in Ober¬ 
österreich. 

7* 



100 


Hugo Traub. 


der Sicherheit, Buhe und Ordnung*, und Fr. Schuselka hat als 
Berichterstatter sowie Referent des «permanenten Ausschusses* zum ersten¬ 
mal in der Kammer Bericht erstattet 1 ). Zur ersten Veränderung kam 
es aber schon am 7. Oktober. Dem «erschöpften* Löhner wurde vom 
Reichstage gestattet, da «seine Kräfte durch die nächtliche Sitzung 2 ) zu 
sehr erschöpft sind*, daß ihn sein Freund Adam Bielecki ersetze 3 ), 
während Brestei — wenn er auch formell eine zeitlang noch im Perma- 
nenzausscliusse verblieb — schriftlich den Antrag vorbrachte, welcher 
auch zur Annahme gelangte, daß ihn «in Rücksicht seines geschwächten 
Gesundheitszustandes* K. Zimmer im Ausschüsse vertreten könne 4 ). Es 
ist nicht ohne pikanten Beigeschmack, daß gerade derselbe Löhner, auf 
dessen Antrag die Permanenz zustande gekommen, als einer der ersten 6 ) 
Reißaus nahm 6 ). Und Mayer präsidierte im Ganzen kaum einen 
Tag 7 ), denn schon am 7. Oktober meldete Füster an Sehuselkas 
Stelle der Reichsversammlung, der Obmann «des Ausschusses für 
Sicherheit und Ordnung* habe einen «dreitägigen Urlaub* erhalten, 
von dem er aber nicht mehr zurückgekehrt ist, obwohl derselbe am 
6. Oktob3r «im Namen der Mährer* die stolze Erklärung abgegeben 


*) Zur Charakteristik Sehuselkas vgl. Springers Österreich nach der Revolution, 
sowie bei M. Smets, Das Jahr 1848, IL 532. Daß die SicherheitBkommission dem 
Plenum jede halbe Stunde Bericht zu erstatten hatte, wie E. Widmann (Franz 
Smolka, 92) mitteilt, ist ausgeschlossen und findet sich auch nirgends protokol¬ 
larisch verzeichnet. 

*) Die Sitzung vom 6. Oktober dauerte ununterbrochen die ganze Nacht durch 
bis 6 Uhr früh. 

*) Offizielle stenogr. Berichte, m. 17. Irrtümlich nennt M. Smets (Das Jahr 
1848, IL 581 *) statt Bielecki Bilinski, welcher aber erst später in den Sicherheitsaus- 
schuß eintrat (siehe weiter unten). 

4 ) Wenn Smets (Das Jahr 1848, Q. 581) ohne Beleg zu erzählen weiß, daß 
Brestei »ungeachtet seiner offiziellen Resignation fortwährend als Freiwilliger 
fleißigen Anteil an den Arbeiten« der Permanenz genommen habe, so ist dies 
wohl auf Brestelß abgegebene Erklärung in der Kammer vom 16. Oktober (vgl. 
weiter unten) zurückzuführen. 

6 ) Smets (ibidem) führt als ersten Deserteur Klaudy an, welcher, so weit zu 
ersehen ist, die erste Zeit an den Beratungen des Permanenzausschusses in der 
Tat teilnahm und sogar am 6. Oktober nachts im Namen der Kommission Bericht 
zu erstatten hatte. 

*) Daran ändert nichts, wenn auch Smets (das Jahr 1848, II, 581) zu er¬ 
zählen weiß, daß Löhner »noch einigemal in die Permanenz kam, aber dann völlig 
seiner Schwäche erlag«. 

^ Es ist also die Nachricht bei Smets (ibidem), daß Mayer durch zwei Tage 
den Vorsitz führte, eine unrichtige. Derselbe verließ laut eigener Angabe Wien 
schon am 7. Oktober abends (siehe Mähr. Landtagsblatt 1848, Sitzung vom 9. Ok¬ 
tober), am nächsten Tage sprach er bereits zum versammelten Volke in Brünn. 



Die Reichstagspermanenz im Oktober 1848. 


101 


hatte: Wir werden stehen wie ein Mann! 1 ) Mayer entfernte sich, 
wie Füster a ) erzählt, unter dem Vorwände, daß er wegen seiner 
Wiederwahl 8 ) nach Brünn reisen müsse. Als dessen Ersatzmann schlug 
Füster auf Anraten Mayers den Olmützer Deputierten Szäbel vor, 
wobei er noch den Beichstag aufmerksam machte, daß sich „die Geschäfte 
so sehr häufen“; und weil noch dazu zwei Herren 4 ) unpäßlich seien, 
es ratsam wäre, wenn die Versammlung vielleicht beistimmen möchte, 
daß noch 3—4 Deputierte der Kommission zur Verfügung gestellt 
würden, „damit wir die Geschäfte leichter versehen können“. Der Sprecher 
schlug gleich außer Balt Szäbel die Dep. Johann Kudlich und Severin 
v. Bilinski vor. Der deutschböhmische Deputierte Joh. Umlauft ging 
aber im Sinne Haimerls, der für eine Verstärkung des permanenten Aus¬ 
schusses eintrat 5 ), noch weiter, indem er den strikten Antrag stellte, daß 
„in Anbetracht der Dringlichkeit der Umstände und der so sehr gehäuften 
Geschäft?, welche fortwährend 10 Personen in Atem erhalten“, die Mit¬ 
gliederzahl für die Zeit, als der Beichstag nicht permanent sitzt 6 ), 
durch weitere 10 Mitglieder auf 20 verstärkt werde. Abg. Jonäk unter¬ 
stützte Umlauft» Antrag, denn „aus Rücksicht für die Anstrengungen 
der Kommission, die beinahe die Kräfte ihrer Mitglieder erschöpft 
haben, ist es äußerst notwendig, daß man ihr Kraft zuführe“. Vorge¬ 
schlagen 7 ) und ernannt — also nicht gewählt — wurden: Math Kavöid 
(rechts), Mich Ambroz (r.) 6 ), Fr. Haimerl (1.), Eberhard Jonäk 9 ) (r.), 

*) Vgl. Verhandlungen, HL 7. *) Füster: Memoiren H. 183. VgL dazu 

auch Mayers Erklärung im mähr. Landtage am 9. Oktober. 

•) Mayer war kurz zuvor Unterstaatssekretär geworden und mußte sich des¬ 
halb, weil er ein Staatsamt angenommen, der Geschäftsordnung gemäß einer Wie¬ 
derwahl unterziehen, was ihn allerdings nicht gehindert hätte, nach dem 11. Ok¬ 
tober im Reichstage und dessen Permanenz wieder zu erscheinen. Der Verfassungs- 
aosschuß hatte am 27. September 1848 zum Beschluß erhoben, daß »jeder Abgeordnete, 
der ein Staatsamt angenommen liat, .. sich einer neuen von den früheren Wahl- 
männera vorzunehmenden Wahl zu unterziehen habe, hat aber solange Sitz und 
Stimme, bis das Ergebnis der Wahl dem Reichstage bekannt wird«. Über Mayen 
Ausflüchte vgL Verhandlungen, 111. 229, sowie Mähr. Landtagsblatt, 1848, Sitzung 
vom 9. Oktober. 4 ) Gemeint sind wohl Löhner und Brestei. *) Haimerl 
schlug vor, die Permanenz aufzuheben, aber den permanenten Ausschuß zu verstärken. 

•) Ein Antrag des Dep. Haimerl wurde in dieser Hinsicht eingebracht, aber 
verworfen. T ) Selbst aus den offiziellen Protokollen ist nicht zu ersehen, von 
wem eigentlich der Antrag gestellt worden ist. •) Die beiden waren Slovenen, 
welche gewöhnlich mit der Linken stimmten. Erst in Kremsier schlossen sich die 
Biovenen dem slavischen Klub an, welcher sämtliche Slaven mit Ausnahme der 
Polen umfaßte. Kavtiö wird auch mitunter Kautschitsch geschrieben, Heitert z. B. 
gebraucht beide Schreibweisen, doch ist die erstere die richtigere. 

•) Jonäk erklärte zwar, daß er unwohl sei und »dringend einer Erholung« 
bedürfe, weshalb er bat, ihn »für heute« zu entheben, doch Smolka meinte, der 



102 


Hugo Traub. 


Severin v. Smarczewski (L), Hans Endlich 1 ) (1.), Johann Prato (L), 
Karl Catinelli (L)»), Balth. Szäbel (L)®) und Adolf Fischhof*) 
(L), von denen, wie Schnselka hervorhebt, nur Haimerl, Prato nnd 
Smarczewski — abgesehen von Fischhof — dem Ausschüsse bis ans 
Ende treu geblieben sind. 

Eine weitere Vermehrung der Permanenz wurde auf Endliche Ver¬ 
anlassung, der bald darauf zur Aufbietung des Landsturms Wien ver- 

Name Jonäks könne jedenfalls auf der Liste verbleiben, denn es sei ohnedies nicht 
nötig, daß zu einem Beschlüsse alle 20 Mitglieder anwesend seien. In manchen 
Zeitungen findet sich bei dieser Kundmachung angemeldet: dessen (Jonäks) Substitut 
Gaier. Gemeint ist hier Deputierter Georg Geier, auch Geyer oder Gay er geschrieben 
(links). Es war wohl notwendig, für Jonäk einen Ersatzmann zu bestimmen, wenn 
er sich nicht wohl fühlte, ganz abgesehen davon, daß er in den nächsten Tagen 
mit seinen Landsleuten Wien verlassen und sich in das nahe Baden zurückgezogen 
hatte (Heilert, Aufzeichnungen und Erinnerungen, 71), um bald darauf an den Prager 
Beratungen gegen das Rumpfparlament teilzunehmen. Doch offiziell ausgetreten 
ist er am 8. Oktober (siehe weiter oben), worauf in der Tat Gayer mit Akklamation 
gewählt worden ist (Verhandlungen, UL 8. 49). Daß Jonäk — neben Klaudy und 
Ohöral der einzige Ceche in der Permanenz — doch an deren Arbeiten welchen 
Anteil nahm, könnte man Helferts Schilderung (Aufzeichnungen, 176) von der 
Kremsierer Tagung entnehmen, wo es heißt, daß sich Jonäk »wohl Überhaupt wegen 
seiner etwas zweideutigen Haltung im Oktober jetzt etwas unbehaglich 
unter seinen Genossen von der Rechten fühlen mochte«. 

*) Kudlich selbst (Rückblicke und Erinnerungen, III. 40) bezeichnet irrtümlich 
den 9. Oktober als den Tag seines Eintrittes in den Sicherheitsausschuß. 

*) Schnselka (Deutsche Fahrten, II. 364) nennt an Stelle Catinellis ausdrücklich 
Johann Ohäral, was auch in der Tat richtiger zu sein scheint — daß die stenogr 
Protokolle nicht ganz fehlerlos sind, hat übrigens schon Widmann (Franz Smolka, L 85) 
und mit Recht hervorgehoben — weil ersterer später und in anderem Zusammenhänge 
in die Permanenz berufen worden ist. Ohäral, Vertreter der Kremsierer Landge¬ 
meinden und Redakteur des Brünner »Tydennfk«, nahm merkwürdigerweise — 
wie auch andere Mährer ohne Unterschied der Nationalität — auf der linken 
Platz und harrte bis zum Schluß in Wien aus. Vgl. über Ohöral weiter unten. 

*) Es bleibt aber immer noch eine Lücke: wann ist Biliüski, von dem noch 
die Rede sein wird,in den Ausschuß berufen worden? Oder beteiligte er sich als 
Freiwilliger an den Ausschußarbeiten ? 

4 ) Eigentümlicherweise kommt Fischhots Name in den offiziellen Protokollen 
überhaupt nicht vor, sodaß bloß 9 Deputierte mit Namen angeführt werden. Erst 
im Protokolle von der Abendsitzung des 8. Oktobers findet sich als zehnter neben 
Catinelli Ohöral vor, was aber schon deshalb nicht stimmt, weil Catinelli auf 
diese Art zweimal in die Permanenz berufen sein müßte. Der einzig richtige Aus¬ 
weg ist der, daß statt Catinelli Ohöral und als zehnter Fischhof an die Reihe ge¬ 
kommen ist. Wenn wir den offiziellen Bericht akzeptieren würden, so wüßten 
wir überhaupt nicht — eine Frage, die wohl Charmatz in Fischhofs Bio¬ 
graphie hätte beantworten sollen — wann eigentlich Fischhof in die Permanenz 
berufen worden ist, der doch neben Schuselka die Seele des Glanzen gewesen; ich 
habe mich also einigen Zeitungsberichten nach mit Smets (Das Jahr 1848, H. 581) 
für dessen Aufnahme bei dieser Gelegenheit entschieden. 



Die Reichstagspermanenz im Oktober 1848. 


103 


ließ, yorgenommen. Derselbe beantragte nämlich, kaum daß der Aus¬ 
schuß verdoppelt worden war, der Beichstag möge eine Kommission 
f zur Verteidigung der Stadt im Falle eines Angriffes* 
wählen, welche „als der Mittelpunkt aller Verteidigungsanstalten in 
der Nähe des Nationalgardekommandanten alle bezüglichen Nachrichten 
empfangen und einfordern soll*. Dagegen kehrten sich entschieden Prato 
and Borrosch. Während jener meinte, daß das, „was vorzüglich die Wahrung 
der Sicherheit, die Verteidigung der Stadt* anbelangt, Sache des Ge¬ 
meinderates sei, schien es Borrosch viel geeigneter, wenn man dem 
soeben verdoppelten Sicherheitsausschusse jene Abgeordnete, die mili¬ 
tärische Kenntnisse besitzen, einfach beigeben würde. Es sei „absolut* 
notwendig — meinte er — wenn auch nicht, um Ordres zu erteilen, 
sondern um sie gehörig au&ufassen und zu beurteilen. Während Umlauft 
den Antrag umformte: „Der Beichstag empfiehlt seinem permanenten 
Ausschüsse als zu beratende Maßregel, 5 Vertrauensmänner der Natio¬ 
nalgarde als Beirat um den Nationalgardekommandanten zu sammeln*, 
wurde der schriftlich eingebrachte Borrosch’sche Antrag zum Be¬ 
schluß erhoben, die Permanenz „durch jene Mitglieder des 
Hauses zu verstärken, welche militärische Kenntnisse 
besitzen, um Berichte von dem Kommandanten der Na¬ 
tionalgarde in zweckmäßiger Weise erledigen zu können*. 
Und nachdem der Antragsteller den präsidierenden Smolka 1 ) auf jene Depu¬ 
tierten aufmerksam gemacht hatte, ernannte sie dieser wieder einfach selbst 
ans eigener Machtvollkommenheit 2 ). Es waren dies: K. Catinelli 8 ), Ad. 
Schneider 4 ), Wenzel Gustav Schopf 5 ), Zölestin Zbyszewski®), 
wozu noch nachträglich auf Antrag Ad. Dotzauers Jos. Müller 7 ) auf- 

*) Am 11. Oktober wurde Smolka per acclamationem — der Geschäftsordnung 
gemäß sollte die Wahl durch Stimmzettel geschehen — zum Reichstagspräsidenten 
berufen. 

*) Daß gerade 5 Personen erwählt wurden, ist darauf zurückzuführen, daß 
Borrosch, nachdem sein Antrag angenommen worden war, bemerkte, es besäßen 
5 Mitglieder des Reichstages militärische Kenntnisse und „sie würden gerade den 
fünften Teil der alsdann aus 25 Mitgliedern bestehenden permanenten Kommission 
bilden«. 

*) Catinelli war großbrittanischer Oberst im Ruhestande. 

4 ) Es saßen im Reichstage zwei Träger dieses Namens: Adolf, Postmeister 
von Beruf, Vertreter für Lobositz, und Karl, Pastor, welcher Bielitz in Schlesien 
vertrat. Dem Berufe des letzteren nach habe ich mich für Adolf entschieden. 

*) Derselbe war Hauptmannanditor. 

•) Nicht zu verwechseln mit dem späteren Reichsratsabgeordneten Viktor 
Zbyszewski. Zölestin war k. k. Major (vgl. St. Smolka: Dziennik Pr. Smolki, 
S. 200 Anm. 5). 

*) Müller war pensionierter Hauptmann. 



104 


Hugo Traub. 


genommen wurde 1 ). Außerdem gab es schließlich, wie Schuselka in 
seinen „Erzählungen* berichtet, auch noch Freiwillige, welche, wie 
Jos. y. Lasser 8 ), Emil Vacano 8 ), Joh. Georg Wörz 4 ) und Joh. 
Umlauft, nach Schuselkas Bericht fleißig mithalfen 5 ). Diese Frei¬ 
willigen wären vielleicht darauf zurückzufhhren, daß dem Sicherheitsaus- 
schusse von allem Anfänge an das freie Kooptationsrecht zukam, was man 
aus der Bemerkung eines ungenannten Deputierten ersieht, welcher her¬ 
vorhob, es müsse der Kommission freistehen, „Fachmänner aus der Ver¬ 
sammlung beizuziehen, wenn solches sich als notwendig erweisen sollte 44 . 
Im Ganzen waren, am höchsten gerechnet, 25 Mitglieder des Permanenz¬ 
ausschusses 6 ), wenn wir von den Freiwilligen absehen, doch diese Mitglie¬ 
derzahl währte nicht lange an, wofern sie nicht bloß auf dem Papiere 
stand, indem selbe von Tag zu Tag den Umständen nach immer mehr zu¬ 
sammenschmolz. Als einer der ersten verschwand, wie schon gesagt, 
Mayer, zu dessen Nachfolger als Obmann des Ausschusses sein Lands¬ 
mann Szäbel bestellt wurde. Nach wenigen Tagen 7 ) gab Szäbel die 
Erklärung ab, er fühle seine Kräfte der schweren Aufgabe nicht ge- 

l ) Zu diesen fünf gesellte sich als sechster »fachkundiger« Stobnicki, der 
ein alter polnischer Stabsoffizier war. Ursprünglich wurde Stobnicki unter den 
fünf ersten angeführt, aber da Smolka erklärte, Stobnicki sei bereits Mitglied des Aus¬ 
schusses, blieb es bei den ernten 4 Deputierten; nachträglich erst wurde der 
Fünferzahl wegen Müller zugesellt. Vom »Fache« war übrigens auch noch der 
Deputierte für Friedeck, Josef Motyka, pens. Hauptmannauditor. 

*) Merkwürdigerweise wird aber Lasser in der hier weiter abgedruckten Re¬ 
lation schon am 7. Oktober als Mitglied des Ausschusses angeführt, was auf einem 
Irrtum zu beruhen scheint. 

») Ober Vacanos vollgiltigen Eintritt in die Permanenz vgl. weiter unten. 

4 ) Als am 16. Oktober in der Kammer gemeldet wurde, ns sei für den neu 
eingetretenen Pfretzschner (vgl. weiter unten) ein Ersatzmann zu bestimmen, 
erklärte Präsident Smolka, daß Abg. Wörz aus Tirol, Vertreter von Imst, sich an- 
geboten habe, im Falle er dem Ausschüsse in irgendeiner Beziehung seine Kräfte 
zur Verfügung stellen könnte, er dazu gerne bereit wäre. So wurde derselbe 
auch gewählt (Verhandlungen, LH. 172), womit ich Schuselkas Mitteilung richtig 
stelle, respektive ergänze. — Wörz war neben Andr. Gredler (für Schwaz) der ein¬ 
zige nordtirolische Abgeordnete, welcher in Wien zurückgeblieben war (vgl. Helfert, 
Aufzeichnungen, 71). 

*) Helfert (Vznik ministerstva Schwarzenbergo-Stadionova, Osvgta 1891, S. 431), 
weiß allerdings von einem tragikomischen Auftritte aus der Permanenz zu erzählen, 
in dem Umlaufts Heldenmut in einem weniger günstigen Lichte erscheint. 

*) Vgl. Verhandlungen des österr. Reichstages, IH. 195. De mit stimmt auch 
die Angäbe Helfert» (Geschichte Österreichs) überein, wenn auch in einem anderen 
Werke desselben (Aufzeichnungen und Erinnerungen, 72) die Zahl 23 ange¬ 
geben ist 

r ) Wann Szäbel eigentlich ausgetreten ist, wurde im Plenum nicht kundge¬ 
macht, doch traf ihn Helfert am 15. Oktober bereits in Olmütz an. 



Die Reichstagspermanenz im Oktober 1848. 


105 


wachsen, und kehrte nicht bloß der Würde, sondern Wien überhaupt 
den Bücken. Pfister beschuldigt ihn direkt ! ), er sei nach Olmütz, in 
seine Vaterstadt, unter dem bloßen Vorwände abgereist, daß er dort 
in der Nahe des Hofes für die gute Sache mehr wirken könne als in 
Wien. Seine Stelle nahm dann — spätestens am 10. Oktober — Fischhof 
ein, der auch bis zum Schlüsse unentwegt ausharrte 8 ). 

So trat jedenfalls noch vor dem 10. Oktober — allem Anscheine nach 
schon am 7. d. M. — Klaudy aus 3 ), als die Cechen bis auf geringe Aus¬ 
nahme 4 ) den Reichstag verlassen hatten, da sie in Wien ihres Lebens nicht 
mehr sicher waren 6 ). Jonäk scheint an den Ausschußberatungen von allem 
Anfänge an nicht besonders teilgenommen zu haben 6 ). Kavdic trat in den 
Ausschuß überhaupt niemals ein und kehrte Wien bald den Rücken 7 ), G ay er, 
kaum für Jonäk eingesprungen, verließ am 10. Oktober Wien 8 ), am 10. Ok¬ 
tober resignierte auf seinen Sitz im Reichstage überhaupt Catinelli 9 ), 

*) Füster: Memoiren, II. 183. 

*} In Bezug auf Fischhofs Wirken in der Permanenzkommission vgl. R. Char- 
matz, Adolf Fischhof, S. 84. Warum wohl gerade Fischhof zum Ausschußpräsi¬ 
denten bestellt worden ist? Vielleicht deshalb, daß er sich zuvor als Obmann des 
Wiener Sicherheitsausschusses durch Rat und Tat bewährt hatte? 

') W. W. Tomek (Pamöti m6ho zivota, L 315) erzählt, daß Klaudy erst am 
IS. Oktober in Prag angekommen sei; wo sich derselbe die ganze Zeit aufgehalten 
haben mag, ist nicht ersichtlich, jedenfalls aber nicht mehr in Wien. (Vgl. dazu 
weiter oben). 

*) Von der böhmischen Rechten — abgesehen von den Vertretern Mährens, 
die ihrer Mehrzahl nach in Wien verblieben — harrten in Wien bloß Sidon 
(Jidin), Sadil (Deutschbrod), Loos (Kourlm) und Sembera (Pilgram) aus. 

*) Vgl. dazu Helfert, Aufzeichnungen und Erinnerungen, S. 11 und 71, 
K. Widmann, Fr. Smolka, I. 93, St. Smolka, Dziennik Fr. Smolki 1848—1849, S. 72. 

*) In der Abendsitzung des 8. Oktobers meldete Smolka, daß sich Jonäk krank 
gemeldet habe und bitte, statt seiner in den permanenten Ausschuß einen anderen 
Abgeordneten wählen zu wollen. Vorgeschlagen und per acclamationem gewählt 
wurde Gay er (Vgl. dazu weiter oben). 

*) Josel Apif, Die Slovenen 1848/1849, österr. Jahrbuch, 1894, S. 33. Laut 
Protokoll (Verhandlungen, III. S. 49) erklärte Lasser am 8. Oktober abends, daß 
bei dem Umstande, als Kavöic bis heute der Kommission nicht beigewohnt habe, 
anzunehmen sei, daß er daran verhindert sei, und schlug gleich an seiner Stelle 
den Abg. Vacano vor. Von da an ist derselbe Mitglied der Permanenz, während 
er sich vordem als Freiwilliger betätigte. 

•) Georg Th. Gayer, Vertreter von Neudegg in Krain, hat nach eigener Aus¬ 
sage die Reichshauptstadt am genannten Tage verlassen (Vgl. Verhandlungen, 
UI. 347). 

•) Catinelli legte seine Würde nieder, da, wie er schrieb, sein Mandat für 
<iörz »durch die eingetretenen Verhältnisse zu Ende sei und es ihm nicht zustehe, 
länger im Reichstag zu sitzen 1 (Verhandlungen, III. 61). Statt Catinelli wurde auf 
Zimmers Antrag Graf Alex. Borkowski aus Lemberg in die Permanenz berufen, 
doch von seiner Teilnahme und Betätigung im Ausschüsse ist nichts zu hören. 



106 


Hugo Traub. 


Schneider hatte sich von Wien entfernt 1 ), Löhner hatte sich am 10.Ok¬ 
tober nach Brünn begeben 8 ), Endlich aufs Land, Lasser finden wir 
spätestens am 15. Oktober in Olmütz *), am 16. Oktober trat aus der 
Permanenz auch formell Brestei aus 4 ), nachdem er schon, wie gesagt, 
am 7. Oktober einen Vertreter für sich gesendet hatte. Andere ver¬ 
blieben zwar dem Namen nach in der Permanenz — wir vernehmen 
wenigstens nichts von ihrem Austritte — kümmerten sich aber blutwenig 
oder gar nicht um ihre Arbeit und die schwere Verantwortung, die 
sie als Mitglieder des Sicherheitsausschusses auf sich genommen hatten, 
sodaß, wie Schuselka berichtet, und wir haben keinen Grund, ihm nicht 
Glauben zu schenken, am 31. Oktober, bis zu welchem Tage der Aus¬ 
schuß nichtsdestoweniger ununterbrochen vom 6. Oktober an beisammen 

i) Am 10. Oktober wurde auf Zimmers Antrag statt des Abg. Schneider, »der 
abgereist ist«, Dr. Norbert Pfretzschner, Vertreter von Hopfgarten in Tirol, in 
den Ausschuß entsendet. Inwiefern er sich überhaupt an den Beratungen desselben 
beteiligte, ist, obwohl es im Reichstagsprotokolle heißt, daß Smolka die Dep. Borkowski 
und Pfretzschner nach der Wahl gleich aufforderte, sich sogleich in den perma¬ 
nenten Ausschuß zu begeben, aus folgendem zu ersehen: Am 16. Oktober bat 
Goldinark um den Ersatz eines fehlenden Mitgliedes, nämlich Pfretzschner, der 
»seit einigen Tagen weder in dem Ausschüsse, noch in der Versammlung zu 
finden ist«, was Zimmer »um so notwendiger« fand, »als die Mitglieder des Aus¬ 
schusses sehr angestrengt sind«, wobei er den Abg. Dr. Wilhelm Polaczek, Ver¬ 
treter von Gablonz, vorschlug. Nachdem aber Polaczek erklärt hatte, er sei 
schon in mehreren Ausschüssen beschäftigt und für Wörz, der sich dazu selbst 
anbot (vgl. oben), einsprach, wurde Wörz gewählt. (Vgl. dazu weiter oben). 

*) Derselbe kehrte zwar nach einer Woche nach Wien zurück, aber wir 
hören nichts von seiner Mitwirkung in der Permanenz, soweit eben die Reichstags¬ 
protokolle Einsicht gewähren. Sein Name kommt im Reichstage erst wieder am 
20. Oktober vor. 

•) Vgl. bei Helfert: Ze dnü rfjnovych, Osveta, 1890 S. 679. Schon am 9. Oktober 
stellte Ziemialkowski den Antrag, es mögen Lasser, Kavöiö und Mayer, welche 
auch Mitglieder und Referenten des Eonstitutionsauschusses waren, aus der perma¬ 
nenten Kommission ausgeschieden werden, weil es schwer würde, andere Referenten 
für sie zu wählen, doch auf den Einspruch Lassers, daß »beides nicht absolut un¬ 
vereinbar ist«, zog Ziemialkowski seinen Antrag zurück. 

4 ) Am 16. Oktober gab Brestei in der Kammer die Erklärung ab: »Ich habe 
an die h. Kammer das Ersuchen zu stellen, daß sie mir gestatten möge, aus dem 
permanenten Ausschüsse auszutreten. Ich bin durch die Anstrengung der letzten 
Tage so physisch herabgekommen, daß ich dermaßen unwohl bin, daß ich fürchte, 
bei einem längeren Verbleiben im Ausschüsse krank zu werden« (Verhandlungen, 
IIL 172). Derselbe schlug gleich an seiner Stelle Dr. Alois Smreker, Vertreter 
von Lichtenw&ld in Steiermark (1.), vor, was durch Aufstehen angenommen wurde. 
Von einer besenderen Betätigung Smrekers ist nichts zu hören, vielleicht nahm 
er an den Permanenzberatungen überhaupt keinen Anteil. 



Die Reichstagspermanenz im Oktober 1848. 


107 


war, außer Fischhof und ihm selbst bloß noch Prato und Bilinski in 
der Permanenz zu finden waren 1 ). 

Unter diesen Umstanden ist es auch nicht zu verwundern, daß es in 
der Kommission, welche im zweiten Stockwerke der Stallburg ihre Sitzungen 
abhielt und ihr Lager aufgeschlagen hatte, nicht so zuging, wie es hatte sein 
sollen. Wer war eigentlich ihr Obmann, wer dessen Stellvertreter, welches 
Amt bekleidete im Ausschüsse Schuselka, welches die übrigen Mitglieder? 
Der Erlaß an den Wiener Gemeinderat betreff Landsturmaufgebotes vom 
10. Oktober ist unterfertigt: in Abwesenheit des Präsidenten Dr. Fischhof 
Dr. Lasser*), auf einer Proklamation vom nächsten Tage lesen wir 
Dr. Fischhof als Obmann. Einmal kommt Brestei als Vizeobmann 
vor, während derselbe auf einer Kundmachung vom selben Tage als 
Schriftführer fungiert, ein anderesmal wieder ist Yacano als Obmann¬ 
stellvertreter genannt Eine am 15. Oktober erlassene Kundmachung 
über Volks wehr trägt Schuselkas Unterschrift als „prov. Obmann“, die 
letzte Permanenzproklamation vom 30. Oktober hat Schuselka als Ob¬ 
mann gezeichnet Derselbe war von Anfang an zum Schriftführer bestellt 
und als solcher zum permanenten Berichterstatter für die Beichsversamm- 
lung; in dieser Eigenschaft war er ohne Zweifel die Seele der Permanenz 8 ). 
Doch treffen wir mitunter Prato, Umlauft, Goldmark, Violand, Lasser, 
Klaudy 4 ), ja sogar Pillersdorff, obwohl er gar nicht Mitglied des Ausschusses 
war, als Berichterstatter in der Kammer 6 ). Und so findet man auch in 
den Zeitungen publizierte Kundmachungen, Erlässe, Proklamationen, wo 

<) Schuselka, Deutsche Fahrten, II. 415. Füster (Memoiren, II. 182) weiß allerdings 
zu erzählen, daß bis ans Ende im Ausschüsse ausgeharrt sind: Fischhof, Schuselka, 
Violand, Goldmark, Prato, Vacano, Vidulich, Bilinski, Umlauft, Füster, doch dem 
widerspricht — wenn wir das Ausharren wörtlich nehmen — entschieden das, was 
von Schuselka (vgl. oben) angemerkt worden ist, und der noch an anderer Stelle 
ausdrücklich sagt (S. 386): »Es ist uns bis in die letzten Tage hin gelungen, be¬ 
schlußfähig zu bleiben, wir haben jedoch auch stets gewissenhaft Beschlußfassungen 
vermieden, wenn die erforderliche Anzahl von Mitgliedern nicht zugegen war. Da 
dies seit dem 26. Oktober leider immer (!) der Fall war, so wurden von da an 
gar keine Anträge mehr vor die Kammer gebracht«. 

*) Umsomehr auffallend, als derselbe einer der Freiwilligen war, die in den 
Ausschuß aus Eifer eingetreten sind. 

*) Pillersdorff nannte ihn .die geläufigste Zunge des Reichstags« (Helfert, 
Aufzeichnungen, 291). 

4 ) Klaudy war es, der am f». Oktober als Sprecher des Sicherheitsausschusses 
auftrat (vgl. weiter oben). 

•) So sprach Prato am 8. Oktober »im Auftrag des Ausschusses für Wahrung 
der Sicherheit und Ordnung«, am nächsten Tage referierte Gold nark »im Namen 
des Ausschusses«, und ebenso Lasser, am 10. Oktober sprach im Namen des per¬ 
manenten Ausschusses Baron Pillersdorff, am 11. abends referierte Umlauft im 
Namen der Kommission, am 12. wieder Violand. 



108 


Hugo Traub. 


einmal Schuselka. das anderemal Endlich, nächstens Vacano, Brestei oder 
Vidulich, mitunter aber auch Violand, Prato, Bihhski, Füster und Umlauft 
als Schriftführer erscheinen! Die Permanenz tagte allerdings, wie gesagt, 
bis zum letzten Oktober x ), aber nur dem Namen nach; ihre Autorität, so¬ 
weit sie noch bestanden, war in der Anarchie der Wiener Zustande mit der 
Zeit verloren gegangen. Vom 26. Oktober an war, wie schon bemerkt, die 
Kommission nicht einmal mehr beschlußfähig *), obwohl noch am selben 
Tage und selbst am 28. Oktober Erlässe herausgegeben wurden 8 ), „von 
da an“ — erzählt Schuselka in seinen „Erinnerungen* — „hatten wir 
im Ausschüsse nichts mehr zu tun 4 ), der Beichstag war nicht mehr 
beschlußfähig, wir sehnten uns vom Herzen nach Ablösung*. 
Kein Wunder, denn der permanente Ausschuß hatte mittlerweile auch 
den Kopf verloren; noch am 26. Oktober Mittags erklärte er, an den 
Friedensberatungen mit Windischgrätz teilnehmen zu wollen, um gegen 
Abend, kurz vor Eröffnung der angesagten Beratung, seine Ansicht zu 
ändern und anderen Sinnes zu sein. Als sich am 1. November der 
Beichstag zum letztenmale in Wien versammelt hatte, erstattete Schuselka 
im Namen des permanenten Ausschusses seinen letzten Bericht, worüber 


*) Von der letzten Handlung der Permanenz erklärte Schuselka am 1. No¬ 
vember im Parlamente: »Gestern Vormittag zwischen 11 und 12 Uhr kam eine 
Deputation des Gemeinderates, die uns friedliche und glückliche Aussichten mit¬ 
teilte über eine ohne fernere Gewalttat zustandekommende Übereinkunft mit dem 
Fürsten Windischgrätz . .. Dies ist die letzte Nummer, welche in dem Proto¬ 
kolle des permanenten Ausschusses enthalten ist'. Vgl. dazu weiter unten. 

*) Schuselka gab übrigens schon am 22. Oktober in der Kammer die Erklärung 
ab : »Ich muß gleich einleitungsweise bemerken, daß im permanenten Ausschüsse 
selbst wenig vorgekommen ist. Die Ereignisse werden jetzt an anderen Orten, 
bei anderen Versammlungen, vielleicht in anderen Ausschüssen geleitet, geregelt, 
beschlossen« (Verhandlungen, HI. 305). So erklärte Präsident Smolka am 26. Oktober: 
»Die permanente Kommission hat nichts Besonderes zu berichten«, und am 27. machte 
Schuselka selbst die Erklärung: »Die Aufgabe des Berichterstatters des perma¬ 
nenten Ausschusses wird von Tag zu Tag geringer und kleiner, je größer die 
Ereignisse werden, die da draußen im Leben vorgehen« (Verhandlungen, HL 364). 
Bezogen sich vielleicht die Worte Smolkas vom selben Tage: »Wir sind nicht nur 
nicht beschlußfähig, sondern auch nicht mehr beratungsfähig« auch auf die Per¬ 
manenz? 

•) Am 26. Oktober erließ der Reichstagsausschuß an den Wiener Gemeinderat 
zwei Schriftstücke, denen um zwei Tage später ein drittes folgte (abgedruckt im 
österr. Korrespondenten, 1949, Nr. 26 vom 1. Februar). 

4 ) Und doch erschien Schuselka noch am 30., 31. Oktober sowie am 1. No¬ 
vember als Berichterstatter vor der Kammer, und brachte am letzten Oktober sogar 
einen Antrag des permanenten Ausschusses ein, der Reichstag, »selbst wenn er in 
nicht beschlußfähiger Anzahl vorhanden ist«, möge eine abermalige Deputation 
an den Kaiser nach Olmütz entsenden. 



i>jr R^hs3äg$permanenx im Oktober 1848, 


109 


er sich &clh*st folgendermaßen ausspricht 0: ,Ich erzählte, was wir gestern 
im AusBck^ getan. Die Akten des Ausschusses seien geschlossen, da¬ 
gegen die Akten der Geschichte über ihn eröffnet In meinem und im 
Namen des Anschusses erklärte ich. daß wir die volle Verant¬ 
wortung für unser Wirken zu über nehmen berei t wären 4 !. 
...Nach mir erhob sich Borrosch mit der edlen Meinung, der ganze 
ßeiehstag werde die Verantwortlichkeit des Ausschusses 
teilen, dem er unter Akklamation der Versammlung den Dank der¬ 
selben aussprach* 3 . 

Was wissen wir nun bis beute über die Reichstagsperm&iieiiz, 
welche im Oktober während der Tagung des sog. Rumpfparlamentes, 
wo die Rechte und das Zentrum zum größten Teile der Reichshaupt- 
stadt den Rücken gekehrt hatten, eine weitaus wichtigere Rolle zu 
spielen hatte als die Reichsversammlung selbst? Ende Januar 1849 
wurde im Wiener Gemeinderate, welcher nach der Einnahme der Stadt durch 
Windischgrätz eine nichts weniger als würdige Haltung und mannhaftes 
Benehmen an den Tag legte, eine vom Vizebürgermeister Dr. Andreas Zelinka 
und Gemeinderate Kallenbeck abgefaßce Denkschrift 4 ) beschlossen, in der 
man. um die Schuld von sich abzuwälzen, nachzuweisen suchte, die Vertei¬ 
digung der Stadt gegen Fürsten Windischgrätz und Jellaiie sei nicht vom 
Gemeinderate, sondern von dem permanenten Reiehstagsausschusse be- 


*) Schuselka, Deutsche Fahrten, II. 222. 

*) Schuselka erklärte am 1. November in der letzten Reichstagsversamm- 
lang diesbezüglich: »Seine [des Ausschusses] Wirksamkeit gehört nun dem Urteile 
der Geschichte <m — ich darf dies im Namen der Mitglieder dieses Ausschusses hier 
Öffentlich aussprechen. ... Alle Mitglieder des permanenten Ausschusses sind bereit, 
alles, was sie getan haben, mit ihrer Ehre und ihrem Gewissen 
zu vertreten und zu verantworten, und ich erkläre dieses insbesondere in meinem 
Namen als Berichterstatter« (Verhandlungen, HL 390). Aber schon am 15. Oktober 
batte er gesagt: »Wir müssen in unserem Bewußtsein der Zukunft vertrauen, die 
Geschichte wird uns richten und wenn wir recht gehandelt haben, so wird 
sie uns auch recht geben« (Verhandlungen, EIL 160). Und am 27. November ent- 
gegnete er in Kremgier den Abg. Rieger und Hellrigi gegenüber: »Waa wir getan 
haben, werden wir verantworten, und ich nehme keinen Anstand, jenem Richter ge¬ 
genüber auf der Armensünderbank zu sitzen« (Verhandlungen, IV. 9). 

®) Borroe.h drückte laut Protokoll dem Wirken des Pe rmanpn«maarh n««p« den 
»tiefgefühltesten« Dank aus, incem er hinzufügte, »daß jeder von uns jeg¬ 
liche Verantwortung tei’t, welche etwa auf dem permanenten Aussch üsse 
h a ften möge« (Verhandlungen, UL 390). 

4 ) Diese Nachricht entnehme ich den gl eich lautenden Zeitung sbe richten aus 
jener Zeit. Leider erwies sich jede Nachforschung narh dieser Denkschrift im 
Wiener Stadtarchive als resultatslos. 



110 


Hugo Traub. 


schlossen und geleitet worden 1 ). Die beste Antwort und den einzig rich¬ 
tigen Aufschluß darüber vermögen natürlich die Protokolle der Perma¬ 
nenz zu liefern, aber wie ist es um die Akten der Sicherheitskommission 
bestellt, nach deren Veröffentlichung man schon im Jahre 1849 ge¬ 
rufen hat? Wir besitzen über die Verhandlungen in Wien und Kremsier 
außer den offiziellen Berichten des Parlaments (Verhandlungen des 
österr. Beichstages) nur noch die von Ant. Springer veröffentlichten 
«Protokolle des Verfassungsausschusses s , welche 1912 Alfred Fischei 
durch «die Protokolle des Veifassungsausschusses über die Grundrechte* 
teilweise ergänzte. Das ist auch alles. Über die Beichstagspermanenz 
sind wir bis auf den heutigen Tag ohne eingehendere, ja man kann sagen 
ohne jede nähere Kenntnis geblieben. Das Archiv des Ministeriums des 
Innern weiß hierüber keinen Bescheid, das Haus-, Hof- und Staatsarchiv 
will oder kann vor der Hand darüber keinen Aufschluß geben*). Daß 
Schriftstücke vorhanden sein mußten, entnehmen wir schon der Mitteilung 
Schuselkas, welcher über die Situation im Ausschüsse am 31. Oktober 
um 2 Uhr nachmittags ausdrücklich berichtet: «Wir gingen nun daran, 
unsere Akten zusammenzupacken, um sie mit den anderen Beichstags- 
schriften im Keller zu versorgen. Es möge dies, beiläufig gesagt, ein 
Beweis sein, daß wir nicht daran dachten, die schriftlichen 
Zeugnisse unseres Wirkens abhanden kommen zu lassen. 
Wir nahmen unser Protokoll vor, schlossen, unterfertigten, siegelten 
und gaben es zu den Reichstagsakten “ *). 

Womit sich der Permanenzausschuß, den der berüchtigte Awrxun 
Cheizes, einer der Sprecher des Wiener Zentralausschusses, als «eine 

*) Diese Behauptung ist im Grunde genommen richtig, worüber auch die Pro¬ 
klamation des Reichstages vom 9. Oktober (vgl. Verhandlungen, III. 60) Aufklärung 
gibt. 8iehe auch das vom selben Tage datierte Schriftstück an den Gemeinderat, 
abgedmckt im »ÖBterr. Korrespondent«, 1849, Nr. 26, 32, 43, 60, 61, 66, 87. 

*) Nach der Archivnorm vom J. 1906 sind die Bestände dieses Archivs nur 
bis einschließlich 1847 der wissenschaftlichen Forschung eröffnet. Laut neuester 
Anordnung des Ministeriums des Äußern (1913) dort* in Hinkunft keine ausnahms¬ 
weise Bewilligung mehr erfolgen, wie es früher öfter der Fall war. 

*) Am 1. November sagte Schuselka in Bezug auf den vorigen Tag im Reichs¬ 
tage unter anderem: »Der permanente Ausschuß blieb in dem Lokale solange, bis 
die Feuersgefahr, welche in dem Burggebäude ausbrach, die Mitglieder nach Zu¬ 
sammenlegung und Versiegelung der Akten bewog, . .. das Haus zu 
verlassen. Abends fanden wir uns wieder ein, schlossen und versiegelten das Pro¬ 
tokoll und übergaben es dem Hausinspektor H. Raffelsberger, der uns mit- 
teilte, daß er vom H. Präsidenten den Auftrag habe, für den Fall, als das Feuer 
auch dies Gebäude ergreifen sollte, auch die Vorstandsakten in Verwahrung* zu 
nehmen. Somit sind die Akten des permanenten Ausschusses, der mit Ihrer Voll¬ 
macht ausgerüstet, in diesen Tagen wirkte, geschlossen«. 



Die Reichstagspermanenz im Oktober 1848. 


111 


klägliche Persiflage des französischen Wohlfahrtsausschusses “ bezeichnete, 
beschäftigt hat, darüber sind wir bis heute nur insofern unterrichtet 
gewesen, als Schuselka in seinem Amte dem Reichstage Bericht er¬ 
stattete. Der Permanenzausschuß bildete, im Grunde genommen, den 
Mittelpunkt der Oktobertagung, kein Wunder also, daß das Reichstags¬ 
plenum, ganz abgesehen davon, daß fast die Hälfte der Deputierten 
Wien yerlassen hatte, immer mehr in den Hintergrund trat und nur 
mehr dazu da zu sein schien, um seine Zustimmung, wie vorauszusetzen 
war, zu den Verfügungen und Maßregeln der Permanenz zu geben 
Über die Aufgabe der Kommission drückte sich ein Pillersdorff folgender¬ 
maßen aus l ): .Der Zustand, in welchem sich die Exekutivgewalt gegen¬ 
wärtig befindet, hat es nötig gemacht, daß die h. Versammlung 
einen Teil der exekutiven Wirksamkeit über sich nehme*). 
Diese Wirksamkeit ist von der Art, daß sie nicht von dem ganzen 
Hause, nicht von einer großen Versammlung ausgeübt werden kann, sondern 
in die Hände einer kleinen Versammlung gelegt werden 
mußte. Das ist geschehen durch die Aufstellung eines Ausschusses, welchem 
diese Geschäfte übertragen worden sind und welcher nur die Aufgabe über¬ 
nommen hat, von Zeit zu Zeit mit den Ergebnissen oder wich¬ 
tigen Verhandlungen das hohe Haus vertraut zu machen 
und in einzelnen Fällen den Bat und die Beschlüsse der 
h. Versammlung einzuholen 11 . Was erfahren wir aus den Berichten 
Schuselkas, die ein getreues Bild des permanenten Ausschusses liefern 
sollten? So sagte derselbe am 9. Oktober in der Kammer im Allgemeinen: 
.Unsere Tätigkeit bestand wesentlich im Anhören von Deputationen, Be¬ 
schwichtigungen, Batserteilungen, Auskünften und Befehlen 11 , und in seinen 
weiteren Berichterstattungen beschrankte sich derselbe lediglich darauf, daß 
er die .wichtigsten Aktionen 41 anführte 8 ). So ist auch das zu verstehen, 
was Schuselka bei einer anderen Gelegenheit hervorhob, indem er sagte: 
.Ich trage alles öffentlich vor . . in der aufrichtigen Anerkenntnis 
unserer Pflicht in diesem Zeitpunkte, durchaus nichts Geheimes zu tun“ 4 ). 
Daß der permanente Ausschuß sich stets und bei allen Handlungen der 
rollen Sympathie und Zustimmung des Reichstages erfreute, beweisen 

>) Am 16. Oktober (Verhandlungen, III. 162). 

*) Wer war eigentlich der Träger der exekutiven Macht? Das Rumpfparlament 
konnte es nicht sein, denn es war eine gesetzgebende Versammlung, und der Stadtrat 
wollte es nicht sein, weil er er fach keine Lust verspürte, die Verantwortung zu 
übernehmen für das, was noch kommen konnte. Konnte es die Permanenz sein? 
Windiachgr&tz allerdings erkannte den Stadtrat allein als die exekutive Macht in 
Wien an. 

*) Verhandlungen, IE. 55. 

4 ) Am 10. Oktober. 8. Verhandlungen, DL 72. 



112 


Hugo Traub. 


die Erklärungen von Smolka, Pillersdorff, Borrosch 1 ). B. Charmatz ent¬ 
wirft zwar bei der Besprechung von Fischhofs Tätigkeit ein günstiges Bild 
von der Permanenz, ohne aber überhaupt auf deren Geschäfte des Näheren 
einzugehen. Er schreibt darüber 2 ): „ Wenn man die Tätigkeit der Permanenz 
nur nach den Berichten beurteilen wollte, die Schuselka oft zweimal täglich 
dem in seinem Einflüsse zurückgesetzten Plenum 8 ) erstattete, dann würde 
man ein verzerrtes Bild erhalten. Die Mitglieder der Permanenz- 
kommis8ion haben buchstäblich Tag und Nacht gearbeitet, einige An¬ 
gehörige des Ausschusses bereiteten sich bloß für einige Stunden ein 
hartes Buhelager in den Bäumen der Permanenzkommission 4 ). . . Unter 
Fischhofe taktvoller Leitung wurde die Permanenzkommission davon 
abgehalten, sich in gewagte und aussichtslose Experimente zu stürzen, 
die vielleicht populärer gewesen wären, aber nur nutzlos vergeudete 
Opfer auferlegt haben würden. Die radikalen Elemente haben deshalb 
an dem leitenden Ausschüsse des Beichstages keinen Gefallen finden 
können, und in Wien vermochte sogar das Gerücht in Umlauf zu 
kommen, daß die übellaunige Volksmasse die laxe Permanenzkommission 
auseinanderzutreiben gedenke“ 6 ). Springers älteres Urteil ist allerdings 


*) Am 9. Oktober erklärte Smolka: »Der h. Reichstag hat sich überzeugt, 
daß der permanente Ausschuß seiner schweren PUicht mit dem größten Eifer 
und mit nach den Umständen möglichem Erfolge obliegt«. Pilleis- 
dorff sagte am 25. Oktober: »Ich habe dem permanenten Ausschüsse meinen in¬ 
nigsten Dank auszudrücken, daß er in so warmen, in so beredten Worten so ent¬ 
scheidend aufgetreten ist, dem Übel beratenen Monarchen die Wahrheit zu 
zeigen und dasjenige anzudeuten, wozu ihn sein Gefühl und Herz geneigt finden 
wird«. Und am 31. Oktober hob derselbe hervor: »Ich erlaube mir aufmerksam 
zu machen, daß alle Angelegenheiten, welche die Monarchie und die Residenzstadt 
in letzter Zeit so nahe berührt haben, der permanente Ausschuß mit solchem 
Eifer, mit so aufopfernder Ausdauer und mit vollkommener 
Sachkenntnis behandelt habe, daß es daher angemessen und dem Vertrauen, 
das ihm bisher geschenkt wurde, entsprechend wäre, dem permanenten Ausschüsse 
diese Abfassung [einer neuen Adresse an den Kaiser] zu übertragen«. Und Bor- 
roschs Dank vom 1. November vgl. oben. 

f ) R. Charmatz, Adolf Fischhof, 84. 

•) Schuselka sprach am 22. Oktober in der Kammer von der Kommission »als 
von der Autorität, die gegenwärtig, ohne daß sie es gewünscht oder gewollt 
hätte, als oberste, als einzige angesehen werden muß«. 

4) Lasser erklärte diesbezüglich am 9. Oktober in der Kammer: »Um teil¬ 
weise Muße zur Erholung zu gönnen, hat sich der permanent) Ausschuß derart 
konstituiert, daß der Dienst von 8 zu 8 Stunden wechselt«. 

•) Helfert (Aufzeichnungen, 71) zeigt auch an einem Beispiele, wie die Per¬ 
manenz unter dem Einflüsse der Wiener Straßenpolitik stand: »Als ma n n ä mli ch 
erfuhr, daß Lasser im Permanenzauschusse Äußerungen getan hatte, die gegen das 
herrschende Treiben gerichtet waren, wurde sein Name auf die Proskriptionaliste 



Die Rejchatagsperman enz im Oktober 1848. 


113 


ein minder günstiges, indem er — und mit ihm auch H. Friedjung *) 

— der Permanenz Unentschlossenheit, Ratlosigkeit und Schwache Vor¬ 
halt „Dazu aber konnte sich der Sicherheitsausschuß* — meint Ant 
Springer s ) — »nicht aufraffen, daß er nun auch ernstlich die Leitung 
der Verteidigungsanstalten übernommen hatte. Er begnügte sich, die Ver¬ 
antwortlichkeit für die Ereignisse mitzutragen, die Führerrolle überließ 
er und ebenso der Gemeinderat den demokratischen Vereinen, in welchen 
der trübste Bodensatz der radikalen Partei herrschte*. Wenn es sich auch 
nicht in Abrede stellen laßt, daß der Permanenzausschuß mitunter nicht 
genug offen und entschieden aufgetreten war, sodaß er mehr wie einmal 
in eine schiefe Stellung vor Allem dem Gemeinderate wie den Ungarn 
gegenüber gelangte, so darf nichtsdestoweniger außeracht gelassen werden 

— und das geben selbst konservative Historiker *) zu —* daß der Reichstag 
und mit ihm zugleich die Permanenz, »die vom Anbeginne bis zu dieser Stunde 
sich bemüht hat, ihrer ursprünglichen Friedensidee getreu zu bleiben* 4 ), 
sich den Ruhm erworben haben, mit Minister Krauss 6 ) eine, wenn auch 
schwache, doch in Wirklichkeit die einzige Autorität in Wien repräsen¬ 
tiert zu haben, welche größeres Unheil zu verhüten imstande gewesen 
ist% Daß in Wien im Oktober keine Schreckensherrschaft eingerissen 


gesetzt und empfing er von wohlwollender Seite den Rat, sich ein andermal klüger 
zn halten«. Sollte vielleicht dieser Zustand mit der Grund gewesen sein, weshalb 
Lasser frühzeitig das Weite suchte? 

r ) Friedjung, Österreich von 1848—1860, I. 90. 

*) Ant. Springer, Geschichte Österreichs, II. 668. 

*) Sogt doch Helfert (Erlebnisse und Erinnerungen, Die Kultur, 1901, S. 105) 
ausdrücklich: »Denken wir uns den Reichstag weg, welchen S m o 1 k & mit Klugheit 
cnd maßvoller Ruhe von extremen Maßregeln abzuhalten wußte, und denken wir 
uns Baron Philipp Krauss weg, der in seiner Person die ganze Regierung repräsen¬ 
tierte und dies mit ebenso großer Umsicht als Geschicklichkeit durchzuführen 
wußte» so läßt sich gar nicht absehen, was aus Wien, was aus 
Österreich, was aus ganz Mitteleuropa geworden wäre«. 

*) Am 25. Oktober (Verhandlungen, in. 345). 

*) Krauss gab am 9. Oktober im Reichstage ausdrücklich die Erklärung ab: 
»Ich kann nur erklären, .. daß ich keinen Schritt tue, ohne mich mit 
dem Ausschüsse beraten zu haben; ich werde auch nichts veranlassen, 
ah wie dasjenige, was auch der Ausschuß in dieser Beziehung für zweckmäßig 
finden wird« (Verhandlungen, HI. 61). 

*) Zur Charakteristik der Stellung der Permanenzkommission dient auch der 
Umstand, daß Minister Hornbostel am 10. Oktober von der Überreichung seines 
Demianonsgesuches und vom Inhalte desselben der Permanenz offizielle Mitteilung 
machte. Duß sich der Ausschuß der schweren und verantwortlichen Aufgabe, die 
ihm durch die U mständ e zugefallen war, voll bewußt war, beweisen die Worte 
Sckoselkas vom 17. Oktober: »Es ist nötig, damit die Geschäfte in einen ge¬ 
regelten Gang kommen und damit der h. Reichstag und der von ihm bevoll- 

8 



114 


Hugo Traub. 


ist, die von unabsehbaren Folgen für das Beich und die Dynastie ge¬ 
wesen wäre, das ist nicht bloß Smolka — wie es gewöhnlich heißt — 
sondern auch der Permanenz und da ganz besonders Schuselka 1 ) neben 
Fischhof zu verdanken. 

Über den Einlauf und die Arbeit im Allgemeinen seitens der Perma¬ 
nenzkommission erfahren wir des Näheren Authentisches vor Allem 
durch das bisher der Öffentlichkeit unbekannte Kommissionspro¬ 
tokoll, welches kurz nach der Kremsierer Reichstagssprengung, nämlich 
in den Tagen von 18. und 19. März 1849 zu Wien aufgenommen 
worden ist, und zwar „aus Anlaß der Eröffnung“ — wie es daselbst heißt 
— „eines unter den Reichstagsakten aufgefundenen versiegelten Packets > 
enthaltend die Verhandlungen in der Reichstagsperma^ 
nenz im Oktober 1848“. Als zweites Dokument ist die Relation 
des Kriulinalrates Fuchs zu nennen, welche auf Grund der poli¬ 
tischen Erhebungskommission zustande gekommen 8 ) und vom 28. Juli 
1849 datiert ist Beide Dokumente stammen also aus demselben 
Jahre und aus der allernächsten Zeit nach dem Oktober 1848. 


mächtigte permanente Ausschuß der großen Verantwortlichkeit, die er 
jetzt in einer ausnahmsweisen Stellung als Exekutivbehörde ge- 
wissermaßen übernommen hat, sobald als möglich von S. M. enthoben 
werde, daß die Geschäfte nach dem kaiserlichen Versprechen einem neuen volks¬ 
tümlichen Ministerium übertragen werden« (Verhandlungen, III. 190). 

*) Das hat auch mit Recht J. Krystül'ek, Prvnl pokus o zavedeni üstavnoeti 
v soustäti Habsbursk&n, 271, (Erster Versuch um Einführung des Konstitutio- 
nalismus in der Habsburg.-Monarchie), obwohl er sonst der Permanenz abhold ist, 
hervorgehoben. 

*) Vgl. über die Reichstagspermanenz auch den Polizeibericht an die Zentral unter¬ 
such ungskommission bei R. Charmatz: Ad. Fischhof, S. 116/117. — Über die Pro¬ 
venienz dieser zweifelsohne getreuen Abschrift des Kommissionsprotokolls 
näheren Aufschluß zu geben, bin ich leider außer Stande; aber bei der Stellung de« 
damaligen Unterstaatssekretärs Qelfert ist es leicht erklärlich, wie er in den Besitz 
dieses wichtigen Dokumentes gelangt sein kann. Es ist auch unmöglich, sagen zu 
wollen, von wem die Abschrift eigentlich angefertigt worden ist und durch wen 
sie Helfert zukam. Über die absolute Echtheit und Authentizität dieses Schrift¬ 
stückes kann natürlich kein Zweifel obwalten, und dasselbe gilt auch vom zweiten Do¬ 
kumente. 'Wenn es vielleicht auffallend sein sollte, daß Helfert in seinen Schriften 
nirgends Erwähnung davon getan hat, so läßt es sich nur dadurch erklären, daß 
er sich entweder gebunden fühlte zu schweigen, oder erst in der beabsichtigtem 
Fortsetzung der Geschichte Österreichs darauf des Näheren eingehen wollte. leb 
verdanke die Benützung beider Dokumente der Freundlichkeit des Herrn Baron 
Dr. Jarosl. Helfert in Brünn, welcher sie mir zur Verfügung gestellt hat. Allee 
andere aus der bekannten 1848er Sammlung seines Großvaters ist bis auf Weitere« 
leider unzugänglich. 



Die Reichstagspermanenz im Oktober 1848. 


115 


L 

Nachdem nämlich anfangs März die Beidisversammlimg in Kremsier 
gesprengt worden war, wurde der Exdeputierte Alois Jelen, froher beim 
Prager Gubemium beschäftigt, Beichstagsordner und zuletzt Beichstags- 
archivar, als solcher vom Minister Grafen Stadion damit betraut, sämtliche 
Bücher, Akten und Schriftstücke aus der Verlassenschaft des Beichstages 
zu übernehmen, zu welchem Behufe er selbe von Kremsier nach Wien 
schaffen ließ, wo sie im ehemaligen Beichstagslokale mit den übrigen 
Papieren auf bewahrt werden sollten. Gleichzeitig wurde das Beichstagsprä- 
odium l ) aufgefordert, sich, sobald die Übergabsarbeiten in Kremsier vol¬ 
lendet sein würden, nach Wien zu begeben, wo gleichfalls seinerseits zahl¬ 
reiche Beichstagsakten zu ordnen und zu übergeben waren *). Und bei dieser 
Gelegenheit, scheint es, wurde das besagte Faszikel mit den Papieren 
desBeichstagsausschusses vorgefunden, worüber ein besonderes Protokoll 
in Gegenwart der Anwesenden aufgenommen worden ist Dieses Pro¬ 
tokoll, durch welches man einen Einblick in die Agenda 
der Permanenz gewinnt, und das hiemit aus dem Nachlasse des 
Baron Jos. Alex. Heifert zur Veröffentlichung gelangt, hat folgenden 
Wortlaut: 

Gegenwärtige: Die Unterfertigten. 

Unter den Beichstagsakten und zwar als im Depositum in der Beichstags- 
kassa fand sich ein Packet ohne Adresse mit Beichstagssiegeln, dann den 
Privatsiegeln und Handschriften des Beichstagspräsidenten Smolka, der 
beiden Vizepräsidenten Mayer und Lasser und der Schriftführer Wiser 8 ), 
Streit, Ullepitsch, Zwickle und Gleispach 4 ), bezeichnet mit der 
Beichstagsnnmmer 3615 . 

Der Herr Minister des Innern *) hat sich zur Anordnung bestimmt ge¬ 
funden, die kommissionelle Eröffnung des Packets mit Zuziehung der eben 
in Wien anwesenden Herren: Dr. Smolka 6 ), Dr. Lasser, Ullepitsch und 

*) Vgl. auch »Dziennik Fr. Smolki 1848/1849«, herausgegeben von St. Smolka. 

*) Siehe Helfert, Geschichte Österreichs, IV. 3. S. 344, vgl. auch Widmann, 
Fr. Smolka, 186. 

■) Der »ungemein aufmerksame und fleißige« Wiser (Helfert, Aufzeichnungen, 
81 > sollte, wie es daselbst heißt, ein genaues Tagebuch aus der Oktoberzeit geführt 
hüben, worin er »auch die geringsten Zwischenfälle, die zu seiner Kenntnis kamen«, 
▼erzeichnet haben soll. Es war mir durch die Liebenswürdigkeit des H. Archivdirektors 
des oberösterr. Landesarchivs vergönnt, Einsicht in den literarischen Nachlaß 
Wiser» zu nehmen, doch von einem solchen Tagebuche findet sich daselbst 
nichts vor. 

♦) Graf Karl Gleispach, Vertreter für Feldbach (Zentrum), Lukas v. Zwickle, 
Abgeordneter für Feldkirch (Zentrum), Karl Ulepi6 auch Ullepitßch, Vertreter für 
AdeWberg (rechts), lg. Streit, Deputierter von Eisenberg (linkB), Karl Wiser, Abg. 
fsr Linz (L), Joeef v. Lasser, Vertreter von Werfen (L). 

*) Gemeint ist Graf Fr. Stadion, dessen rechte Hand eben Helfert war. 

•) Smolka war von Kremsier am 12. März nach Wien zugereist, um eben die 
Bekhstagsakten in Ordnung zu bringen und selbe dem Archivare Jelen zu über- 

8* 



116 


Hugo Traub. 


Grafen Gleispach anzuordnen. Es wurde dos gedachte Packet genau in 
Augenschein genommen, wobei sich die bezeichneten Siegel unverletzt 
vorfanden; ohne dieselben zu verletzen, wurde das Packet eröffnet. Es fanden 
sich unter der Enveloppe eine Eingabe des prov. Nationalgardeoberkomman- 
danten Messenhauser dto. Wien 31. Oktober 1848, mit welcher er sein 
provisorisches Amt in die Hände des ßeichstagsauschusses zurücklegt *); 
dann eine Erklärung des Schriftführers Wiser dto. 19. Dezember 1848* 
mit welcher er die in Frage stehenden im Lokale der permanenten Reichs- 
tagskommission Vorgefundenen Akten, wie sie von ihm versiegelt wurden* 
dem Reichstagsvorstande übergab *). Ferner lagen in dem ersten Umschläge 
die mehr erwähnten Akten mit einem doppelten Siegel auf der Avers- und 
Reversseite. Das Siegel enthält nicht ganz deutlich die Buchstaben F. S. 3 ), 
auf der Außenseite findet sich die Aufschrift: »L. Wiser zur eigenhändigen 
Übernahme*. 

Es wurde nun auch die 2. Enveloppe ohne Verletzung des Siegels 
eröffnet; darin fanden sich zwei abgesonderte Päcke unversiegelt, auf jedem 
derselben mit Bleistift geschrieben: »Konstitution*, ln dem ersteren zeigte 
sich ein verschlossenes Päckchen mit der Aufschrift: »Protokoll des 

geben. (Vgl. St. Smolka, Dziennik Fr. Smolki 1848—1849, S. 237). Daß Smolka 
bei der Eröffnung der versiegelten Akten der Reichstagspermanenz zugegen sein 
sollte, meldet er am 15. März seiner Frau (ibidem, S. 239). 

*) Messenhauser wurde bekanntlich durch das Studentenkomitee gezwungen* 
auf das Kommando zu Gunsten Fennebergs zu verzichten, worauf er der Perma¬ 
nenz seine Rücktrittserklärung überreichte. Doch diese war damit nicht ein¬ 
verstanden, sondern drang in ihn, eich mit Fenneberg ins Einvernehmen zu 
setzen, was auch auf Intervention des Studentenkomitees nachte zustande kam* 
obwohl das Kommando zur selben Zeit ein Nichts geworden war. Daß es Messen¬ 
hauser am 31. Oktober aufrichtig um die Übergabe der Stadt an Windischgrätz 
zu tim war, beweisen folgende drei Dokumente, die ich aus Helferts Nachlasse ge¬ 
schöpft habe: 

1. Messenhauser erließ am 31. Oktober um 1 Uhr Mittags folgenden Befehl: 
»Die Gewehre, welche ins Zeughaus abgeliefert sind, sollen sogleich mit Wasser 
begossen werden, auch alle Munition durch Wasser vernichtet werden«. 

2. Ein anderes, ebenfalls eigenhändig geschriebenes Schriftstück desselben, 
vom selben Tage, welches an Windischgrätz abgeschickt werden sollte, hat folgenden. 
Wortlaut: »Euer Durchlaucht! Die Entwaffnung hat teilweise begonnen, findet, 
jedoch in der vielfach ausgesprochenen Befürchtung einer Plünderung der k. 
Truppen sowie in den Gerüchten, welche in den untern Volksschichten bezügliche 
der ungarischen Armee umlaufen, eine Verzögerung. Euer Durchlaucht werden, 
in Folge dieser so höchst schwierigen Verwicklungen gebeten, eine Verlängerung^ 
der Waffenruhe bis 6 Uhr abends eintreten zu lassen«. 

3. Wegen Übergabe der Stadt richtete Messenhauser an Kübeck, welcher dife 
Unterhandlungen mit dem Hauptquartier des Fürsten führte, folgendes Schreiben ,, 
dessen verwirrter Stil sowie die flüchtige Schrift, wie Helfert in einer Randoemerkun^^ 
besonders hervorhebt, für des Schreibers große Aufregung sprechen. Es heißt darin ; 
»Mein Freund! Die Hauptsache ist, daß man glaubt, daß das Heer des Fürsten als g-ege^ 
die Ungarn geteilt angenommen wird, weshalb ich ersuche, daß der FeldmarschaX ] 
unverzüglich seine Truppenmassen entfalte, damit die Bevölkerung durch de^ 
Augenschein überführt, welche Macht gegen die Stadt zur Zeit operieren könnte 
Wien, am 31. Oktober 1848. Es steht em Auftritt im Innern zu erwarten. Beiz^ 
ersten Schuß bitte ich ohne Weiteres einzurücken«. 

*) Diese Erklärung korrigiert allerdings zum Teile, resp. widerspricht d^^ 
oben angeführten Mitteilung Schuselkas, als ob die Permanenzakten gleichzeitig 
mit andern Reichstagsschriften am 31. Oktober im Keller versorgt worden ware^x 

•) Monogramm des Reichstagspräsidenten Franz Smolka. 


Die Reichstagspermanenz im Oktober 1848. 


117 


permanenten Ausschusses*. Dieses Päckchen ist mit dem kleinen 
Reaehstagssiegei doppelt versehen, zwischen beiden ist ein Privatsiegel en¬ 
gebracht; ohne das Siegel zu verletzen, wurde das Päckchen eröffnet und 
es zeigte sich als dessen Inhalt das von der Reichstagspermanenz geführte 
Geschäftsprotokoll, aus 10 ganzen und 3 halben ungehefteten Bogen 
bestehend. Es beginnt mit dem 6. Oktober mit der Zahl 1 und schließt 
am 31. Oktober 9 Uhr abends mit der Zahl 457; es ist am Schlüsse von 
Sehuselka, Prato und Bilinski 1 ) unterfertigt Die beiden andern 
Päcke enthielten teils Eingaben, teils Erledigungsentwürfe, Briefe etc. Alle 
diese Papiere lagen chaotisch durcheinander; die Kommission hielt es 
für angemessen, vorerst auf Grundlage des oben erwähnten Geschäftsproto¬ 
kolls dieselben zu revidieren, um diejenigen auszuscheiden, welche in dem 
Protokolle aufgeführt sind, weil es zu ihrer Bezeichnung genügen wird, sie 
bloß mit der Nummer anzuführen, unter welcher sie in dem Protokolle 
erscheinen. Uber diese mühsame Arbeit ist es 5 V 4 Uhr abends geworden, 
und die Kommission sah sich im Einverständnisse sämtlicher Mitglieder 
veranlaßt, das Geschäft abzubrechen und am morgigen Vormittage fortzu¬ 
setzen. Vorsichtsweise wurden jedoch sämtliche Papiere enveloppiert und 
unter das amtliche und das Privatsiegel des H. Dr. Ullepitsch gelegt. 
Hiernach wurde das Protokoll geschlossen und gefertigt. 

Fr. Smolka. Sachse 

Dr. Lasser. Ministerialsekretär. 

Dr. Ullepitsch. 

Gleispach. 

Fortsetzung am 19. März 1849 11 Uhr vormittags. 

Nach Entriegelung des gestern geschlossenen Fackets, an welchem beide 
Siegel unverletzt befunden worden sind, hat die Kommission das Geschäft 
der Aktenrevision fortgesetzt. Als Ergebnis stellte sich nachstehendes dar: 

L Von den im Protokolle der Beichstagspermanenz aufgeführten Ge- 
schäftsnummem haben sich folgende vorgefunden: 1, 2, 11, 13—16, 21, 
25 u. s. f. (im Ganzen von 457 Nummern nur bei 170, dann einige 
waren unvollständig, z. B. nur 1 Beilage, oder nur das Konzept u. dgL). 
Zugleich kann nicht unbemerkt gelassen werden, daß mehrere der im Pro¬ 
tokolle enthaltenen Geschäftszahlen einen bloßen Prozeßverbot enthalten, 
oder darauf hinweisen, daß die fraglichen Geschäftsstücke an den Reichstag 
oder an die Ministerien in kurzem Wege geleitet worden sind. 

Das mehrerwähnte Reichstagsgeschäftsprotokoll wurde ge¬ 
heftet und das Ende der Bindfäden mit dem Amtssiegel und dem Privat¬ 
siegel des H. Dr. von Lasser befestigt, sofort aber wurden diesem Protokolle 
die spezifizierten Akten beigebunden. 

IL Die übrigen Papiere enthalten folgende Eingaben: 

1. Anonyme Anzeige an den Reichstag bezüglich einer über Ungarn 
entdeckten Verschwörung. 

*) Vgl. weiter oben, was Sehuselka darüber mitteilt, daß nämlich nur Prato, 
Haimerl und Smarczewski dem Ausschüsse treu geblieben wären, resp. daß außer 
ihm noch Fischbof, Prato und Bilinski bis ans Ende ausharrten. Wir vermissen 
hier vor Allem Fischhofs Unterschrift. 



118 


Hugo Traub. 


2. Eine Eingabe der Gloggnitzer Eisenbahn an den Reichstag» 
vom 7. Oktober tun Weisungen für ihr Benehmen 1 ). 

3. Eingabe der Nordbahndirektion an den Reichstag vom 7. Oktober 
wegen Einstellung der Militärzüge*). 

4. Bericht des Sicherheitswachkommandanten vom 7. Oktober wegen 
Dislozierung der Sicherheitswache. 

5. Bitte des Holzmayer und Penzing um Passierscheine*). 

6. Eingabe des demokratischen Vereins um Bestellung eines an¬ 
deren Nationalgardeoberkommandanten, vom 10. Oktober 4 ). 

7. Antrag des Studentenkomiteefs] vom 11. Oktober zur Einholung 
der Ansichten der fremden Gesandtschaften 6 ). 

8. Beschwerde der Gemeinde Mauer wegen Überbürdung von Liefe¬ 
rungen. 

9. Resignation des Hauptmanns Braun auf die Oberkommandanten¬ 
stelle 6 ). 


*) Die Gloggnitzer Bahn war am 7. Oktober vom Militär besetzt worden. 
Vizepräsident Smolka teilte dem Reichstage am selben Tage eine Depesche der Süd¬ 
bahndirektion mit, daß die Arbeiter von Beierbach bei Gloggnitz in der Anzahl 
von 1200 Mann nach Wien zu fahren beabsichtigen, worauf Goidmark als Mitglied 
des Permanenzaus 8 chu 88 e 8 die Erklärung abgab, es sei das telegraphische Amt er¬ 
sucht worden, alles zu veranlassen, um auf jede mögliche Weise die Herfahrt zu 
hintertreiben (Vgl. Verhandlungen, III. 17). 

*) Darauf bezieht sich die folgende Kundmachung vom Reichstagsvorstande, 
datiert vom 7. Oktober: »Der Reichstag hat zufolge gestrigen Beschlusses Militär¬ 
züge auf der Nordbahn verboten. Um jedoch die Herbeischaffung von Lebens¬ 
mitteln für die Hauptstadt vom Marchfelde möglich zu machen, da dermalen die 
g-ewöhnliche Straße wegen der beschädigten Ärarialbrücken unfahrbar ist, sieht 
sich der Reichstag veranlaßt, zur Erreichung des angeführten Zweckes der Bahn¬ 
direktion die Fahrten zu gestatten und dieselbe zur Fahrbarmachung der Bahn 
von Wien aus zu ermächtigen«. (Siehe auch Dunders Denkschrift, S. 179). Pulszky 
(Meine Zeit, mein Leben, II. 228) erzählt, daß der Verkehr auf der Mordbahn gar 
nicht eingestellt war wogegen Mayer am 9. Oktober im mähr. Landtage die Er¬ 
klärung abgab, daß Auersperg am 7. Oktober beide Wiener Bahnhöfe besetzt hatte. 

•) Am 11 . Oktober erschien vom Wiener Gemeinderate ein Plakat hinsichtlich 
der freien Passage für die sich von Wien zu entfernenden Personen. 

4 ) Die Eingabe war gegen den kaum erst vor zwei Tagen mit dem Amte 
vom permanenten Ausschüsse (im Einverständnis mit, dem Minister) betrauten 
Philipp Braun, ehemals Grenadierhauptmann und Nationalgardebczirkschef, o-e- 
richtet, während bis zum 8 . Oktober der Vertreter von Klosterneuburg, J. *G. 
Scherzer, der bisherige Kommandant der Bürgerkavalleriedivision, an der Spitze der 
Nationalgarde gestanden war. Scherzer, welcher am 7. Oktober früh auf Antrag- des 
Reichstages vom Ministerium zum prov. Kommandanten bestellt worden war, hatte 
aber schon am 8 . Oktober in der Früh dem rermanenzausschusse die Mitteilung 
gemacht, »daß er sich so angegriffen und entkräftet fühle, daß es ihm unmöglich 
wäre, das Kommando zu lÜhren«. (Verhandlungen des österr. Reichstages, III. 55 ). 

6 ) Die fremden Vertreter verblieben in Wien bis zum 12. Oktober, wo sie 
von Windischgrätz die Mitteilung empfingen, auf wenige Tage ihren Aufenthalt 
außerhalb der Stadt zu nehmen. 

Ä ) Dies geschah am 11 . Oktober, als Braun in einer Kundmachung erklärte, 
daß er das Nationaloberkommando an den Deputierten Scherzer zurückgebe, »da 
er (Scherzer) wieder genesen ist«. Brauns Nachfolger wurde am 12 . Oktober Wenzel 
Caesar Messenhauser, quittierter Offizier, ebenfalls vom Reichstagsausschusse 
auf Drängen des demokratischen Komitees ernannt, resp. im Einvernehmen mit dem 
Minister Krauß bestätigt. Derselbe wurde sozusagen der Nationalgarde aufge 
drangen, obwohl sich die Abteilun^skommandanten offen für Simon Spitzh.ütl 
ausgesprochen hatten. Die Opposition ging so weit, daß sie dem Reichataggsaus 


im Oktober 1848. 


119 


10. Note des Gemeindents Tom 12. Oktober wegen Wahl eines 
Oberkommandanten. 

11. Antrag des Stndentenkomjteejs] um Einreihung der Stnden- 
tenlegion in die Legion, vom 12. Oktober. 

12. Beschwerde des Telering vom 14. Oktober wegen Unter¬ 
schlagung von Briefen. 

13. Lithographierte Eingabe und ein Aufruf des deutschen Zen¬ 
tralvereins für Böhmen, vom 14. Oktober 1 ). 

14. Eine Eingabe aus Schärding vom 15. Oktober mit unleserlicher 
Unterschrift mit dem Anträge, die österreichische Kaiserkrone dem 
Sohne des Erzherzogs Johann zu übertragen 8 ). 

15. Schreiben des Franz Pulszky vom 15. Oktober mit dem Anträge, 
den Erzherzog Johann zu vermögen, als Vermittler einzu¬ 
schreiten*). 

16. Eingabe des Laa’er Syndikus mit verschiedenen Anfragen und 
Anträgen. 

17. Bericht des Gemeinderates von Wien dto. 16. Oktober wegen Ver¬ 
pflichtung der Behörden, über die Truppenkantonierungen Berichte 
zu erstatten. 

18. Schreiben des Lithographen Josef Kaiser aus Graz bezüglich 
seines Wirkens als Mitglied des dortigen demokratischen Vereins. 

19. Bericht Messenhausers vom 18. Oktober um die Ermäch¬ 
tigung, auch offensiv Vorgehen zu dürfen 4 ). 

20. Anonyme Eingabe vom 21. Oktober mit einer Anklage gegen 
Messenhauser. 

21. Schreiben eines sichern Freiherm von Klinspor 5 ) gegen die 
von dem Deputierten Teufel 6 ) ausgehenden Aufforderungen zum Zuzuge 
nach Wien aus der Umgegend von Amstetten. 

schosse das Recht der Oberkommandanten wähl abetritt und nach Ablehnung Schaum- 
burgs den Kommandanten der Nationalgardeartillerie Spitzhütl erwählte. In der 
Rriehstagsversaimnlung erstattete V i o 1 a n d namens des permanenten Ausschusses 
Bericht hiiTÜber wie folgt: »Es wurde heute H. Spitzhütl zum Oberkommandant dei 
National garde ernannt [vom wem?J, der aber gegenwärtig seine Stelle niedergelegt 
hat Es wurde daher der Gememderat angegangen, anher bekannt zu geben, 
welche Person eigentlich die Bevölkerung auf der Stelle eines Oberkommandanten 
wünschen würde. Der Gemeinderat hat darauf sich an die Nationalgarde und aka¬ 
demische Legion gewendet und beide aufgefordert, Bevollmächtigte zu senden, 
cm eine Person an diese Stelle gemeinschaftlich zu wählen. Der Ausschuß stellt 
daher das Ansuchen, die h. Reichs Versammlung wolle ihn ermächtigen, die gewählte 
Pason zum prov. Oberkommandanten ernennen zu dürfen, weil dies äußeret dringend 
ist«. (Verhandlungen des österr. Reichstages, III. 8. 125). 

*) Abgedruckt bei W. A. Dunder, Denkschrift über die Wiener Oktober¬ 
revolution, S. 420 ff. 

*) Von etwas Ähnlichem ist allerdings nichts in die Öffentlichkeit gedrungen, 
obwohl sich, wie bekannt, Kaiser Ferdinand schon vom Mai an mit Abdankungsab- 
ächten trug. 

*) Vgl. darüber Therese Pulszky, Aus dem Tagebuche einer ungarischen Dame, 
IL 34, sowie auch Verhandlungen, III. 225. Schuselka machte davon im Plenum 
erst am 18. Oktober Mitteilung. 

«) Diese Mitteilung widerspricht wohl dem Bilde, welches Spinger (Geschichte 
Österreichs, IL, 408) von Messenhauser entwirft. 

*) Dessen Identität konnte ich nicht feststellen. 

*) Frenz Teufel, Bauernhausbesitzer, war Vertreter von Ibbs. 



120 


Hugo Traub. 


22 . Relation des Deputierten Pillersdorff über seine Vermitt¬ 
lung bei dem Feldmarschall Fürsten Windischgrätz 1 ). 

23. Gemeinderat übergibt ein Exemplar einer Proklamation, die jedoch 
nicht beiliegt. 

24. Eingabe des Lieutenants Re hm vom 24. Oktober in duplo, wo¬ 
mit er die geschehenen Vorgänge tadelt und zu Vertrauen an das Wort 
des Kaisers auffordert. 

25. Rechtfertigung des Studentenauschusses wegen Auf¬ 
halten von Briefschaften, dto. 25. Oktober 8 ). 

26. Note des Finanzministers über das Resultat seiner Unter¬ 
handlung mit Fürsten Windischgrätz, dto. 25. Oktober 8 ). 

27. Note des Gemeinderates, aus welcher der Gegenstand, über 
welchen ein Brief vorgelegt worden ist, nicht entnommen werden kann. 

28. Einschreiten der Nationalgarde um Maßregeln zur Be¬ 
ruhigung der Gemüter vom 6. Oktober. 

29. Note des Grafen Auersperg 4 ) an das Ministerium des Innern 
vom 7. Oktober um Veranlassung der ungestörten Brotfassung. 

30. Ärztliches Parere aus Anlaß der Verwundung eines Schuster¬ 
gesellen. 

31. Schreiben des Ernst Hang an einen Abgeordneten mit Über¬ 
reichung des nicht mehr beiliegenden Protestes gegen den Einbruch 
der Kroaten 5 ). 

*) Abgeordneter Pillersdorff erstattete am 25. Oktober dem Reichstage Bericht 
über eine mit dem Feld marschall Windischgrätz gepflogene »konfidentielle Unter¬ 
redung« (Vgl. »Vertrauliche Mission an den Feldmarschall Fürsten Windischgrätz 
am 18. C»ktober« im »Handschriftlichen Nachlaß des Freiherrn von Pillersdorff « 
Pillersdorff übernahm die Mission »mit Vorwissen« des permanenten Ausschusses, 
»um menschlicher Weise auf ihn fWindischgrätz] einzuwirken und die Menschlich¬ 
keit in ihm anzuregen und zu erwecken, um ihn auf die große Verantwortlichkeit 
aufmerksam zu machen, die er der Stadt, der Monarchie, dem Throne, ja dem ge¬ 
samten zivilisierten Europa gegenüber auf sich hat«. (Schuselka 25. Oktober im 
Reichstage, Verhandlungen, III. 346). 

*) Am 25. Oktober wurde die Strenge hinsichtlich des Postverkehrs auf beiden 
Seiten so sehr gesteigert, daß die Passage den Reisenden gänzlich untersagt wurde 
und jeglicher Abgang wie Ankunft der Post von da an bis zum 3. Novembei 
gänzlich unterblieb. 

8 ) Bei Dunder (Denkschrift, S. 669) erfahren wir, daß die Unterredung de* 
Finanzministers Krauss und des Deputierten Brestei mit Windischgrätz »zu keinem 
besonderen Erfolg führte, indem letzterer im Wesentlichen auf den in seiner be 
kannten Proklamation gestellten Bedingungen beharren zu wollen erklärte«. (Vgl 
auch Näheres bei Smets, Das Jahr 1848, II. 633). Laut Protokoll (Verhandlungen 
HI. 346) wurde Krauss von Windischgrätz eingeladen, sich zu ihm zu begeben 
und aut Wunsch des Ministers gesellte sich ihm Brestei als Mitglied der Permanenz 
»aus eigenem und freiem Entschlüsse« zu. Am 23. Oktober beklagte sich Kraus» 
bei Wessenberg über das Verhalten des Feldmarschalls (Alf. Arnetb, Joh. Fr. v 
Wessenberg, II. 275). 

4 ) Graf Auersperg war Stadtkommandant von Wien. 

5 ) »Im Namen des Vereins der Deutschen in Österreich« wurde dem Reichs 
tage vom 10. Oktober »ein feierlicher Protest gegen die Überschreitung de 
deutschen Reichsgrenze durch irreguläre Kroatenbanden unter Führung des Banus 
Überreicht, welcher von Haug mitunterfertigt war. (Siehe bei Dunder, Denkschrift 
S. 267). Hier ist jedenfalls Major Ernst Haug, unter Messenhauser Generalstabschei 
gemeint. Auch rulszky (Meine Zeit, mein Leben, II. 226) bezeichnet Jella^ic' 
Heer als einen »schlecht bewaffneten, undisziplinierten Heereshaufen, .. der, da e 
keinen regelmäßigen Sold erhielt, vom Raube lebte«. 



Die Reichstagspermanenz im Oktober 1848. 


121 


32. Ersuchen tun Ausfolgung von Gewehren an 4 Techniker. 

33. Ersuchen des Legionskommandanten Aigner um 100 Stück Ge¬ 
wehre *). 

34. Abschrift der Antwort des Banns Jellacic vom 10. Oktober auf 
die an ihn gerichtete Aufforderung, die Absicht seines Anrückens auszu¬ 
sprechen -). 

35. Einschreiten des Protomedikus Knolz um Enthebung der Spi¬ 
talsbeamten und Diener vom Nationalgardendienste 3 ). 

36. Vorschläge eines Ungenannten an den Studentenausschuß zur 
Besteuerung aller Flüchtiggewordenen, Entlassung aller Be¬ 
amten, die sich entfernt haben, und Konsignierung der diensteifrigen 
Garden. 

37. Bericht des Approvisierungskomitee[s] über den Stand der 
Approvisierung, dtu. 15. Oktober. 

38. Disziplinarordnung für die mobile Volkswehr vom IG. Ok¬ 
tober, gezeichnet von Messenhauser 4 ). 

39 . Anzeige des Wiedner Bezirkskommando vom 17. Oktober über 
Gefährdung des Eigentums durch das Proletariat. 

40. Anonymes Schreiben mit dem Anerbieten, Vorschläge zur 
Beilegung des Nationalitätenkampfes zu machen 5 ). 

41. Abschrift einer Note des Ministers der auswärtigen 
Angelegenheiten vom 20. Oktober mit Verweisung des Gemeinderates 
an den Fürsten Windischgrätz bezüglich etwaiger Bitten und Anliegen. 

»i Josef M. Aigner, Maler von Beruf, war Kommandant der akad. Legion 
und der dritte Stellvertreter Messenhausere. Nach Smets (Das Jahr 1848, II. 612) 
war derselbe »nie etwas Anderes als ein Paradekommandant«. Aigner, welcher schon 
in den Märztagen dem Akademikerkorps beigetreten war, wurde am 21. November 
1848 wegen »tätiger Teilnahme am Aufruhr und bew&flheten Widerstand gegen 
die k. k. Truppen« kriegsrechtlich zum Tode durch den Strang verurteilt, aber 
gänzlich begnadigt. 

*) Das Ministerium sandte am 10. Oktober vormittags die Abgeordneten 
Prato und Bilihski an Jellaöid mit einer Note ab, in welcher gegen das Eindringen 
auf österreichischem Gebiete protestiert und der Bonus aufgefordert wird, sich den 
Befehlen des österreichischen Ministeriums zu unterstellen und seine Absicht be¬ 
stimmt zu erklären. Die Antwort Jellaöid’s (siehe bei Dunder, Denkschrift 259) wurde 
noch desselben Tages von Prato im Reichstage kundgemacht. 

*) Diese Eingabe scheint nicht ohne Erfolg geblieben zu sein. Wir hCren, 
wie vom Reichstage (am 12 . Oktober) beschlossen wurde, »daß dem Nationalgarde¬ 
oberkommando duren das Ministerium die Weisung erteilt werde, jene öffent¬ 
lichen Beamten und Diener, welche zur Vollziehung der Befehle des Reichstages 
und der Exekutivgewalt ganz unentbehrlich nötig sind, Beglaubigungen 
acizustellen, daß sie vom Waffendienste enthoben seien« (Verhandlungen, III. 112). 

«) Neben der Nationnigard* wurde auch die M o b i 1 g a r d e errichtet, welche 
äos ärmeren Leuten, nicht zu allerletzt aus verkommenen Individuen, gebildet 
wurde; deshalb war es von Wichtigkeit, daß eine Disziplinarverordnung geschaffen 
worden ist. Scbuselka verlas am 16. Oktober im Plenum den Entwurf über „Dis- 
äplinarverordnung tür die mobile Volkswehr«, welcher auch ohne Einsprache an¬ 
genommen wurde. 

*) Es ist vollkommen unklar, worauf sich der Vorschlag auf »Beilegung des 
Nationalitätenkampfes« beziehen kann. Oder hängt dies etwa mit der Petition zu- 
mnmen, welche das Studentenkomitee unter dem unmittelbaren Eindrücke von der 
Ermordung des Kriegsministers an den Reichstag gerichtet hat? Der erste Punkt 
dieser Eingabe ersucht um Einwirkung auf den Monarchen, »um die sogleiche 
Herstellung des Friedens in Ungarn und Kroatien auf der 
Grundlage der Gleichberechtigung aller Nationalitäten«. 



122 


Hugo Traub. 


42*. Abschrift der Proklamation des Fürsten Windischgrfitz 
vom 27. Oktober. 

43. Protokoll der Permanenz des Gemeinderates vom 21. Ok¬ 
tober wegen Erwirkung des ungehinderten Ochsentriebes 1 ). 

44. Ein gedrucktes Exemplar der Proklamation der Volks- 
freunde Klagenfurts vom 12. Oktober 8 ). 

45 . Einschreiten der Dampfmühlengesellschaft um Befreiung 
ihrer Beamten und Arbeiter vom Gardendienste. 

46. Bevollmächtigung für die Stadtverordneten von Ellbogen* 
dto. 28. September 8 ). 

47. Sechs Einschreiben, und zwar des Johann Hermann, Georg 
Köl lisch, des Oberstallmeisteramtes, der Kanzleidirektion des Jud. del. miL 
mixt., Theodor Hirn und Bondi um Schutz des Reichstages für ihre 
Person oder ihr Eigentum. 

48. 34 Meldungen über Tagesereignisse und vorgekommene 
Drohungen. 

49. 4 Stück telegraphische Depeschen. 

50. Zwei Ausweise vom 24. und 27. Oktober über Ausgabe der 
Nationalgardekasse 4 ). 

51. 19 Legitimationen des Studentenausschusses und des Gemeinde¬ 
rates für einzelne Personen, welche beauftragt waren, der Reichstags¬ 
permanenz Eröffnungen zu machen 6 ). 

52. Neun Empfangsbestätigungen über Depeschen. 

53. 7 gefertigte Blankette zu Passierscheinen 6 ). 

*) Es wurde schon eingangs die Erwähnung davon getan, daß auch eine Ge¬ 
meindepermanenz in Wien gebildet wurde, deren Protokolle glücklicherweise im 
Stadtarchive aufgefunden worden sind. Ich gedenke ein andercsmal des Nähern 
darauf einzugehen. 

*) Bei Dunder (Denkschrift, S. 349) findet sich vom 12. Oktober eine Adresse 
an den Reichstag »vorn permanenten Ausschuß des prov. kärtnerischen Provinzial¬ 
landtages« abgedruckt; ist vielleicht diese Adresse mit jener Proklamation identisch? 

*) Es ist unklar, um was es sich hiebei handeln und wieso ein Akt vom 
September unter die Permanenzpapiere gelangen konnte. 

4 ) Die Mittel zur Abwehr wurden vor Allem vom Minister Krauß zu Händen 
des Gemeinderates bewilligt. So meldete Smolka am 13. Oktober in der Kammer: 
»Der Finan? minister trägt ein verstand lieh mit dem permanenten Aus¬ 
schüsse darauf an, daß aus jenen zwei Millionen, welche zur Unterstützung der 
armen gewerbetreibenden Klasse in Wien bestimmt wurden, 200.000 fl. an die 
Gemeindekasse zur Unterstützung der jetzt unter den Waffen stehenden mittel¬ 
losen Gardisten verwendet werden können« (Verhandlungen, III. 132). 

6 ) Mit der Geschäftsvermittlung zwischen dem Oberkommando und dem 
Reichstagsausschusse war Violand betraut. Diese Dokumente widersprechen aber teil¬ 
weise Schuselkas Berichte vom 6 . Oktober, welcher als 12. Beschluß mitteilte: »Es 
wurde der Antrag des Kommissionsmitgliedes Klaudy angenommen, daß keine De¬ 
putationen, deren fortwährend in großer Anzahl erscheinen, in den Ausschuß selbst 
zugelassen werden. Es werden diese in das Ordonanzzimmer an die dort befind¬ 
lichen Offiziere gewiesen, mittelst welcher uns ihre Wünsche zukommen«. Oder 
wurde mit der Zeit und seit wann Abstand davon genommen? 

•) Um den Reichstag beisammen zu erhalten, trug Smolka aer Nationalgarde 
auf, ohne Bewilligung niemanden hinauszulassen, sofern man nicht einen vom Reichs- 
tagspriisidenten unterfertigten Passierschein vorweisen würde (vgl. K. Widmann, 
Fr. Smolka 97). Smolka berichtet auch seiner Frau, daß er verschiedenen Leuten 
und auch ausländischen Personen Zertifikate »zur freien Passierung der Stadt«, als 
auch bezüglich »der Enthebung vom Gardedienste« ausgestellt hat (St. Smolka, 
Dziennik Fr. Smolki 1843—1849, S. 85). 



Die Reichstagspermanenz im Oktober 1848. 


123 


54. Eine Bestimmung des Stadentenkomitee[s] vom 8. Oktober, daß 
die ihm übergebenen Papiere des Kriegsministers Latour durch den Ab¬ 
geordneten Dr. Goldmark dem Beichstagsausschusse Übermacht worden 
seien *). 

55. Ein Verzeichnis der Mitglieder der Reichstagsper- 
manenz und der Beisitzer derselben 2 ). 

56. Gesuch des Studentenauschusses über die Beschwerde der 
Munizipalgarde wegen roher Behandlung von Seite ihrer Vorgesetzten. 

57. Permanenzordonanz vom 7. Oktober wegen ungehinderter 
Passierung der Briefpost 2 ). 

58. Entwurf eines Schreibens an Graf Auersperg vom 7. Oktober, 
worin die Erwartung ausgesprochen wird, daß er sich den Reichstagsbe¬ 
schlüssen fügen werde. 

59. Entwurf eines Erlasses an das Nationalgardeober¬ 
kommando und an den Gemeinderat von Wien wegen Maßregeln 
für die persönliche Sicherheit, vom 11. Oktober. 

60. Telegraphische Depesche vom 12. Oktober anLöhner in Brünn 4 ). 

61. Entwurf zu einer Erklärung, daß alle militärische Insti¬ 
tute unter dem Schutze des Reichstages stehen. 

62. Erlaß an den Nationalgardeoberkommandanten vom 18. Oktober 
wegen täglicher Berichterstattung über die Verteidigungsma߬ 
regeln. 

63. Reichstagsbeschluß vom 20. Oktober bezüglich einer Unter¬ 
stützung der hiesigen Gewerbsleute. 

64. Entwurf einer Proklamation an die Bürger Wiens, den 
Reichstag in Erfüllung seiner Pflichten zu unterstützen 5 ). 

65. Entwurf eines Vertrauensvotums wegen Bildung eines 
neuen Ministeriums 6 ). 


i) F.in unbekannter Mann, der sich als Offizier vorgestellt hatte, überbrachte am 
6. Oktober abends dem Studentenkomitee ein Packet von Latours Papieren, welche 
er dessen Schreibtische entnommen hatte. Tausenau, dem vom Komitee das Packet 
zur Verwahrung übergeben worden war, veröffentlichte achtzehn von den Do¬ 
kumenten in Becherts »Radikalen«, während die Originalschriftstücke durch das 
Komitee dem Reichstagsausschusse übermittelt wurden (vgl. weiter unten). 

*) Unter Beisitzern werden aller Wahrscheinlichkeit nach jene Freiwilligen 
gemeint, deren schon früher nach Schuselkas Aufzeichnungen Erwähnung getan 
wurde. 

*) Mit dem 24. Oktober war jede Postverbindung mit und von Wien unter¬ 
bunden, doch bis zu dieser Zeit war das Korrespondieren möglich gewesen. 

4 ) Deputierter Löhner war am 10. Oktober dem Hofe nachgereist, um zu 
Gunsten des Reichstages resp. V iens zu intervenieren. Über seine Mission be¬ 
richtete am selben Tage Smolka in der Kammer, daß sie »hauptsächlich den Zweck 
hat, kein Mittel unversucht zu lassen, die zwischen Militär und Zivil bestandenen 
Mißverhältnisse und Spaltungen möglichst friedlich beizulegen«. Wir finden Löhner 
zuerst in Brünn, von wo er der Reichsversammlung Nachricht gab über die »ra¬ 
dikale« Stimmung daselbst und n Mähren überhaupt, worauf er sich erst nach 
Olmütz begab. (Siehe des Näheren in meinem ooen zitierten Aufsatze). Vgl. 
Brünner Zeitung, 1848, Nr. 283. 

*) Am 9. Oktober erschien die bekannte Reichstagsproklamation »An die 
Bewohner Wiens« (vgl. Verhandlungen, HI. 61). 

«) Die Tage des Wessenberg’schen Kabinetts waren schon früher gezählt; 
dem Reichstage und seiner Permanenz war es von allem Anfang an darum zu tun, 



124 


Hugo Traub. 


66. Ein mit Bleifeder geschriebener Entwarf bezüglich der zu¬ 
nächst zu ergreifenden Maßregeln. 

67. Entwurf einer Proklamation an die Nationalgarde 
von der Hand des Eanzelisten Umlauft, womit sie zur Einigkeit und zum 
Gehorsam ermahnt wird. 

68. Antrag zur Abfassung einer Adresse an Se. Majestät wegen Zu¬ 
rückziehung des Militärs etc. 

69. Entwurf eines Erlasses an das Nationalgardeoberkommando.wegen 
Beschützung der konstitutionellen Freiheit 1 ). 

70. Entwurf zu einem Reichstagsbeschlusse wegen weiterer Unter¬ 
stützung des Gewerbestandes. 

71. Entwurf einer Note an den Finanzminister aus Anlaß der Pro¬ 
klamation des Fürsten Windischgrätz, vom 23. Oktober. 

72. Entwurf des Beichstagsbescblusses wegen allgemeiner Be¬ 
waffnung 2 ). 

73. Entwurf zu einem Schreiben, wie es scheint, an Graf Auersperg, 
sich den Beschlüssen des Reichstages und der Minister zu fugen. 

74. Entwurf des Beichstagsbeschlusses wegen Einstellung des 
Feuers beim Zeughause 3 ). 

75. Entwurf einer Aufforderung an den Gemeinderat, sich zu erklären, 
welche Maßregeln zur Abwendung der Gefahr ihm am Zweck¬ 
mäßigsten scheinen 4 ). 

76. Entwurf einer Proklamation an die Völker Österreichs 
mit der Aufforderung, Wien zu Hilfe zu eilen 6 ). 

die ihnen geneigten Hornbostel, Doblhoff und Krauss in einem »volkstümlichen« 
Ministerium zu erhalten (vgl. auch die Verhandlungen, Hl. S. 10 und 16 vom 

6. und 7. Oktober). 

t) Bei Dunder (Denkschrift, S. 396) findet sich eine Proklamation Messenhausers 
vom 14. Oktober an die Gemeindevorsteher abgedruckt, worin selbe zur freiwilligen 
Organisierung der Landbevölkerung »zum Schutze der verliehenen Rechte, des be¬ 
drohten Reichstages und der bürgerlichen Freiheit aufgefordert werden«. 

*) Am 12. Oktober befürwortete Schuselka im Reichstage Brauns Vorschlag, 
»daß sich für die Dauer der Gefahr alle waffenfähige Männer unter das Kom¬ 
mando desjenigen Bezirkschefs, dem sie ihrer Wohnung nach angehören, zu stellen 
haben« (Verhandlungen, HI. 100). 

•) Bezieht sich wohl auf die Übergabe und Plünderung des Zeughauses vom 

7. Oktober. 

4 ) Es läßt sich aus der mangelhaften Angabe, die kein Datum enthält, nicht 
bestimmen, um welche Kundmachung es sich dabei handelt. Daß der Gemeinderat 
eigentlich die Verteidigung zu führen hatte, ist auch dem Berichte zu entnehmen, 
den Schuselka am 10. Oktober erstattet hat. Es heißt dort: »Wir haben dem Ge¬ 
meinderate der Residenzstadt Wien die Vollmacht erteilt, durch öffentliche Kund¬ 
machung es zur allgemeinen Kenntnis zu bringen, daß betreff der Verteidigungs- 
anBtalten keinem anderen Befehle Folge zu leisten sei, er mag wo immerher 
kommen, als dem vom Gemeinderate und vom Nationalgardeoberkommando ge¬ 
fertigten; dann haben wir dem Gemeinderate die Vollmacht gegeben, die Ver¬ 
teidigungszustände Wiens unter seine spezielle und alleinige 
Obhut zu nehmen« (Verhandlungen, HI. 74). 

ß ) Es ist wohl hier der Entwurf der Proklamation „An die Völker Öster¬ 
reichs« gemeint, den Schuselka am 7. Oktober in der Kammer verlas. Am 8. Ok¬ 
tober wendete sich der Reichstagsausschuß »an die Nationalgarden« in der Er¬ 
wartung, »daß Ihr alle mit ihnen [den Vertretern Österreichs] unerschütterlich und 
ausdauernd zusammenstehen werdet zur Erhaltung des Vaterlandes, des konstitu¬ 
tionellen Thrones und der Freiheit«. Der betreffende Aufruf »an die Völker Oster- 



Die Reichstagspermanenz im Oktober 1848. 


125 


77. Auszug aus einem stenographischen Berichte vom 6. Oktober, eine 
Relation S z a b e 1 ’s enthaltend x ). 

78. Eine Darstellung über die Position der Geschütze. 

79. Reichstagsakten Nr. 457, 459 etc., Gegenstände des Peti¬ 
tionsauschusses betreffend, welche sogleich auszuscheiden und zu 
den übrigen Reichstagsakten zu legen sind 8 ). 

80. Endlich 2 Privatschreiben an den Reichstagspräsidenten, 
2 Eröffnungen an die Person des Deputierten Fischhof, ein Privat- 
aehreiben an Heig 1 in Wien, dto. an Franz Kolomersky 8 ), eine Rela¬ 
tion mehrerer Garden an ihren Hauptmann und Anempfehlung des Vereins 
der Deutschen in Österreich für ihr Mitglied Haug an das Oberkommando 
des Nationalgarde 4 ). 

Hiemit war das Übergabsgeschäft beendet. Von Seite der beigezogenen 
Mitglieder des ehemaligen Reichstagsvorstandsbureaus wird bei dem Umstande, 
daß sich bei Eröffnung des versiegelten Packets das Protokoll nicht 
vorgefunden hat, welches bei ihrer Beratung über die Ver¬ 
handlungsweise der in Frage stehenden Schriften (in deren 
Folge die Versiegelung in der vorgenommenen Weise vorgenommen worden 
ist) aufgenommen wurde und welches sie dem Packete beigeschlossen zu 
haben glaubten, noch die Bemerkung angefugt, daß dieses Protokoll sich 
unter den Reichstagsakten vorfinden muß. 

Hiemit wurde das Protokoll um 3 s / 4 Uhr nachmittags geschlossen und 
gefertigt 


F. Smolka 
Dr. Lasser 
Dr. Ullepitsch 
Gleispach 


Sachse, 

Ministerialsekretär. 

Theodor Pittner, 
Schriftführer des Protokolls. 


n. 

Einen zweiten, nicht minder wichtigen Beitrag für die Reichstags- 
pennanenz, wenn auch von anderer Art, liefert die ausführliche Relation 
eines gut Informierten, dessen Urteil allerdings stark getrübt und vom 
Zeitgeiste der Reaktion nicht unbeeinflußt geblieben ist, weshalb dieses 
Dokument mit der nötigen Vorsicht aufzunehmen und zu gebrauchen 
sein wird. Es handelt sich um die Ausführungen des Kriminalrates 

reiche« wurde am 20. Oktober im Reichstage angenommen und in sämtlichen 
Österreichischen Sprachen verbreitet, wenn auch ohne Erfolg. 

*) Es ist der Bericht Szäbels gemeint, den er im Namen einer vom Reichs¬ 
tage aogesandten Deputation an Graf Auersperg im Plenum erstattet hat (vgl. des 
Näheren etwas weiter). 

*) Ein neuer Beweis, daß die Permanenzakten entgegen der Behauptung 
SchuseLkas nicht gesondert auflswahrt worden waren, oder nachträglich verworfen 
worden sind. 

*) Andreas Heigl war Deputierter und Vertreter von Stulle in Niederöster- 
rrieh. Wer Kolomersky war, konnte ich nicht eruieren. 

4 ) Über Haug — wohl zu unterscheiden von Hauck, der damals Mitredakteu* 
der radikalen »Konstitution« war — vgl. des Näheren, was schon früher not«! 
worden kt. '*1 



126 


Hugo Traub. 


Johann Fuchs, welcher als Mitglied der sogenannten politischen 
Erhebungskommission 1 ), die vom Wiener Kriminalgerichte mit 
der Ausforschung und Erhebung sämtlicher Umtriebe des Jahres 1848 
betraut war, vollen Einblick in die Akten der Permanenz bekommen 
hat Dessen Erhebungen — nebenbei ein nicht zu unterschätzendes 
Dokument für die im Jahre 1849 offen zu Tage tretende Reaktionsära 
— aus deren Einleitung man sofort merkt wohin der Verfasser zielt 
fanden sich ebenfalls im Nachlasse des Baron H eifert, und zwar in 
einer Enveloppe mit dem vorhergegangenen Kommissionsprotokolle, 
vor, über deren Provienz uns ebenfalls bis jetzt jeder Anhaltspunkt 
mangelt 2 ). 

Der ausführliche Bericht des Kriminalrates Johann Fuchs, datiert 
vom 28. Juli 1849, lautet getreu wie folgt: 

Relation über die Durchsicht der mangelhaft befun¬ 
denen, der politischen Erhebungskommission mitgeteilten 
Akten der Reichstagspermanenz. 

Die der politischen Erhebungskommission vom Ministerium des Innern 
zugesendeten Akten der vormaligen Reichstagspermanenz habe ich durch¬ 
gesehen und darin Vieles gefunden, was beweiset, daß die Permanenz 
zu den Haupthebeln der Oktoberrevolution gehört. Da ich 
bei den Sitzungen des Wiener Kriminalgerichtes über die Aufruhrs- und 
Hochverratsuntersuchung gegenwärtig bin, so erlaube ich mir vorläufig 
aus meinen dortigen Erfahrungen einige allgemeine Bemerkungen: 

Daß einzelne Mitglieder des Reichstages schon vor dem Oktober 1848 
im Vereine mit den Studenten und Demokraten die Regierungsgewalt zu 
schwächen, alles Bestehende umzustürzen und so den Zerfall Österreichs 
herbeizuführen strebten, dafür finden sich Belege in den Untersuchungen 
gegen die Flüchtigen: Füster, Violand, Kudlich, Tausenau und 
andere 8 ). Daß aber auch zur Hervorrufung des Aufruhrs und der Em- 

! ) Dieselbe ist zu unterscheiden von der gemischten politisch-militä¬ 
rischen Kommission, welche laut Ministerialbeschluß am 21. Februar 1849 
bestellt worden war, um »genaue Erhebungen der an militärischem, Ärarial- und 
Privateigentum erlittenen Verluste« zu pflegen. Zum Vorsitzenden derselben wurde 
GM. Portenschlag ernannt. 

*) Der Einleitung resp. dem Schlüsse nach zu schließen handelt es sich um 
eine Relation, die Fuchs auf ein direktes Verlangen seiner Vorgesetzten nach dem 
gewonnenen Einblicke in die Akten verfaßt hat, welche sich Helfert aut irgend¬ 
eine Weise — schwer zu sagen ob im Originale oder Abschrift — zu verschaffen 
wußte. Überraschend ist nur, daß derselbe in seinen verschiedenen Arbeiten nirgends 
davon Erwähnung getan, geschweige denn zu verwenden gesucli* hat. Oder dürfte 
er in denBesitz dieses Dokumentes — • wie auch des ersteren — nachträglich gelangt 
worden sein? 

*) Gegen Dr. Karl Tausenau, der im Oktober neben Awrum Cheizes (Adolf 
ChaisesJ im ZentralausschusBe der demokratischen Vereine als Vorsitzender das erste 
Wort führte, wurde am 81. Dezember 1848 ein Steckbrief erlassen, gegen die Depu- 



Die Reichstegspermanenz im Oktober 1848. 


127 


pörung am 6. Oktober Mitglieder des Reichstages tätig waren, dafür spricht 
schon an sich die notorische, in den Verhandlungen des Reichstages ausge¬ 
sprochene Tendenz der linken, deren verderbliche Anträge nur durch die 
Majorität der Rechten paralisiert wurden. Insbesondere hat aber Füster 
gegen Ende September in einer Studentenumgebung erklärt: Die Linke 
werde bald die Majorität sein! 

Die Reden, welche bei jenem famosen Fackelzug l ) gehalten wurden 2 ), 
den die durch allerlei Mittel herbeigerufenen Bauern dem Endlich für 
seinen bekannten Antrag der örundentlastung 8 ) brachten, zeigten deutlich, 
was die Linke wollte, denn schon damals wurde ausgesprochen, daß die 
Bauern, wenn man sie braucht, kommen sollten. Unter den bei der un¬ 
garischen Hofkanzlei Vorgefundenen Papieren, welche wichtige Aufschlüsse 
über die ungarischen Bestrebungen geben, fand sich auch ein Brief vom 
30. August 1848 von Kossuth an Pulszky vor, worin letzterer ange¬ 
wiesen wird, wie er den Abgeordneten Löhner, der geneigt sei, die un¬ 
garische Angelegenheit zu vertreten, zu instruieren habe 4 ). Am 6. Oktober 
wurde Füster zeitlich früh vor dem Abmarsche der Legion zum Bahn¬ 
höfe auf der Aula gesehen 6 ); Endlich befand sich am Bahnhofe selbst 
und log dort dem Militär vor, er sei vom Reichstag geschickt: die Grena¬ 
diere hätten hier zu bleiben 6 ). Goldmark war an der Spitze der Pro¬ 
letarier, die den Eriegsminister suchten und jubelten sohin über dessen 


tierten Füster. Eudlich und Violand geschah es erst nach der Parlamentsauflösung 
am 10. März 1849. 

*) Die dem »braven, guten« Eudlich dargebrachte Huldigung von Tausenden 
von Landleuten bestand im Dankfackelzug mit Nachtmusik, welcher am 24. Sep¬ 
tember stattfand. Aus demselben Anlasse war ein undatiertes Flugblatt erschienen 
zur Verherrlichung Kudlichs, dessen Überschrift lautet: »Hans Eudlich, der 
Bauernbeglücker. Ein Wort zur rechten Zeit. Bei Gelegenheit des dem 
Obigen von den Landleuten der nahen und fernen Umgebungen Wiens darge- 
1 rächten Fackelzuges«. 

*) \ußer Eudlich und dessen Vater sprachen noch die Reichstagsmitglieder: 
Violand, Schneider, Pastor aus Bielitz, Umlauft, Borrosch, Bilinski 
und Go Id mark. 

3 ) Die »Studentenzeitung« gab aus diesem Anlasse ein »außerordentliches 
Extrablatt* mit der überschritt heraus: Die erste goldene Frucht des Reichstages! 
Kein Robot! Kein Zehent mehr! 

«) Damit hängt wohl die «Notiz zusammen, welche wir in Helferts Aufzeich¬ 
nungen und Erinnerungen, 324 vorfinden. Dort heißt es: »Löhner hatte sich 
am Oktoberaufstandc nicht beteiligt und konnte man ihm von dieser Seite nichts 
anhaben. Dagegen war sein unausgesetzter Verkehr mit Franz Pulszky 
bekannt und bei dem hervorragenden Einfluß, den die ungarischen Revolutionäre 
auf die Wiener Bewegung hatten, konnte Löhner immerhin fürchten, vom Unter¬ 
suchungsrichter ins Verhör genommen zu werden. Er zog es daher vor, derlei 
Fatalitäten aus dem Wege zu gehen, und ohne Zweifel war es Stadion, der ihm 
vom Ministerium des Äußern die zur Reise ins Ausland erforderlichen Dokumente 
verschaffte *. Vgl. dazu auch Therese Pulszky, Aus dem Tagebuche einer ungarischen 
Dame, I. 145. 

-) Vgl. ähnliche Anschuldigung gegen Füster in den »Ergebnissen der vom 
k. k. Militärgerichte geführten Untersuchungen wider die Mörder des Grafen 
Latour«, S. 155. 

«) Damit läßt sich allerdings schwer vereinbaren, wenn Eudlich in seinen 
„Denkwürdigkeiten« erzählt, er habe der Erhebung vom 6. Oktober nachdrücklich 
widerraten, indem er erkannt habe, daß Fürst Windischgrätz nur auf einen Anstoß 
warte, auf Wien marschieren zu können. 



128 


Hugo Traub. 


Ermordung. Das Kriminalgericht fand ihn sogar der Mitschuld an diesem 
Morde für rechtlich beschuldigt 1 ). Nachdem nun der 6. Oktober hervor¬ 
gerufen und die meisten cechischen Deputierten, ihres Lebens nicht sicher, 
zur Flucht gezwungen waren 2 ), hat der Reichstag seine Tätigkeit damit 
begonnen, daß er sich permanent erklärte, aus seiner Mitte einen Per¬ 
manenzausschuß ernannte und so die Exekutivgewalt an sich riß. 
Schon die Namen Brestei, Fischhof, Löhner, Füster, Violand, 
Goldmark, Kudlich, Vacano, Prato und andere, die in diesen Aus¬ 
schuß gewählt wurden, ließen das Böseste ahnen, und siehe da! womit be¬ 
gann derselbe laut des von ihm geführten Exhibites oder Geschäftsproto¬ 
kolls seine Wirksamkeit noch am 6. Oktober? 8 ). 

Am 6. Oktober. Exhibit Nr. 1 4 ). Mit einer scheinheiligen Pro¬ 
klamation an das Volk 5 ), daß der Ausschuß den Ausnahmszustand 
zwischen Volk und Garnison beendet und beide in Eintracht leben sollten. 

Nr. 2 wird das Ministerium aufgefordert, den Abgeordneten Scherzer 
zum Nationalgardeoberkommandanten zu ernennen 6 ). 

t) Tatsache indeß ist, daß Goldmark außer Borrosch, Schuselka, Endlich, 
Violand, Smolka und Sierakowski ihr Latour eintraten. Nur ein Abgeordneter leimte 
die Mitwirkung zur Ministerrettung ab und das war Füster, worüber derselbe auch 
in seinen „Memoiren« ein offenes Bekenntnis ablegt Er konnte es nämlich nicht 
überwinden, daß Latour und Bach ihm bei jeder Gelegenheit ihre Mißachtung auf¬ 
fälligst zu erkennen gaben. Goldmark wurde als Präsident des akad. Komitees in 
der Tat von Windischgrätz in contumaciam zum Tode verurteilt, doch 1868 reha¬ 
bilitiert (vgl. Knepler, Der Prozeß Goldmark). 

*) Es läßt sich nicht in Abrede stellen, wie auch Belfert (Aufzeichnungen und 
Erinnerungen, 11) hervorhebt, daß auf offener Straße gegen den Präsidenten 
Strobach und andere Mitglieder (namentlich Rieger) der böhmischen Rechten 
Drohungen ausgestoßen worden, daß selbst auf den Bänken der Linken in der Al>end- 
sitzung des 6. Oktobers Worte in solchem Sinne gefallen sind. Vgl. »Wiener Zeitung«, 
1848 Nr. 189, wo es ausdrücklich heißt: »Einen Beweis hiezu gibt der Umstand, daß 
sogar Reichstagsmitglieder, mit weißen Schärpen angetan, am Abend des 6. Oktobers 
bemüht waren, die Bedrohten in ihren Wohnungen aufzusuchen, um sie unter den 
Schutz der Reichsversammlung, überhaupt in Sicherheit zu bringen«. Siehe auch 
A. P. Trojans, „Darstellung der Wiener Ereignisse nach Mitteilungen der böh¬ 
mischen Reichstagsabgeordneten«. 

») Laut »Verhandlungen« 1IL. S. 6 Wurde auf Kudlichs Vorschlag die 
Kommission aufgefordert, „sobald als möglich« einen provisorischen Komman¬ 
danten für die ganze Nationalgarde zu ernennen, und kurz darauf meldete Violand 
den Kommissionsbeschluß bezüglich des Deputierten Scherzer. Dies wäre demnach 
der erste Akt der Reichstagspermanenz. Smets (Das Jahr 1848, II. 581) erzählt 
merkwürdigerweise, daß „die erste Handlung des Ausschusses die Öffnung eines an 
den Kriegsminister adressierten Packetes war«, welches sechs Briefe enthalten haben 
soll, darunter einen von Jellartid um Kanonen und die bereits zugesagte Truppen¬ 
verstärkung. Es handelt sich da um jene Akten des Kriegsministers, welche am 
7. Oktober in der vormittägigen Sitzung des Reichstages Finanzminister Krauss 
»auf den Tisch des Hauses« legte; sie betrafen Geldsendungen nach Kroatien. (Vgl. 
Verhandlungen, HI. S. 15). 

«) An der Seite befindet sich die Notiz: »Exhibierte, aber größtenteils nicht 
vorhandene Akten«. Wohin wohl diese hingekommen sein mögen? 

6 ) Damit hängt wohl die allgemein gehaltene Stilisierung aus dem offiziellen 
Reichstagsberichte vom 6. Oktober zusammen, wo es heißt: »Von der Sicherheitskom¬ 
mission wird die Erlassung einer Proklamation wegen Einstellung der Feindselig¬ 
keiten beim kaiserlichen Zeughause beantragt«. Vgl. weiter den Bericht Schuselkas 
als Berichterstatter der permanenten Kommission bezüglich des Entwurfes »einer 
Proklamation an das Volk von Wien«. 

•) Violand meldete noch in der Abendsitzung des 6. Oktobers, daß der Aus¬ 
schuß »in betreff dieser Ernennung [nämlich Scherze« zum prov. Oberkomman- 



Die Reichste gspermanenz im Oktober 1848. 


129 


Nr. 3 wird versprochen, sogleich für die Entfernung des Mili¬ 
tärs ans Wien und für eine allgemeine Amnestie zu sorgen l ). 

Nr. 4 wird wohl befohlen, das Feuern überall einzustellen, aber 
gleichzeitig sub Nr. 8 und 10 schleunigst Munition an die akademische 
Legion ausgefolgt *). 

Nr. 11, 12, 18 wird noch am 6. Oktober den sämtlichen Eisenbahn¬ 
direktionen verboten, Militär zu transportieren 8 ). 

Ungeachtet des Befehls sub 9, das Volk vom Angriffe auf das Zeug¬ 
haus abzuhalten, und des weiteren Beschlusses sub 15, daß die National¬ 
garde und Legion friedlich davon Besitz nehme, werden über die Anzeige, 
daß auf der Aula beschlossen worden sei, das Zeughaus mit Sturm zu 
nehmen, laut 21 und 22 Füster und Violand zur Beschwichtigung der 
Legion abgesendet (eine schöne Wahl) 4 ). 

Nr. 20 bedachte man einen ungarischen Kurier anBatth^anyi 6 ) wegen 
eines Geleitscheines. (Natürlich mußte letzterer sogleich benachrichtigt werden, 
wie der 6. Oktober ausgefallen). 

Mit der sub 23 von Ordonanzgarden gebrachten Nachricht, daß das 
Zeughaus brenne und daß das Oberkommando das Nötige verfügt habe, 
scheint man sich begnügt zu haben 6 ). (Hier muß auch aus Füster’s 


d&aten] bereits jemanden an das Ministerium des Innern abgesandt«. Vgl. weiter 
Schuselkas Berichterstattung. 

4 ) Die Sache ging vom polnischen Abgeordneten Borkowski aus, der nach 
Verlesung der Adresse an den Kaiser durch Pillersdorff den Antrag stellte, es 
solle der Adresse die Bitte des Reichstages beigefügt werden, ,damit eine allge¬ 
meine Amnestie für Alle, welche sich an den Begebenheiten dieses Tages be¬ 
teiligt haben, ausgesprochen werde, sowohl für Zivil- als Militärperaonen«. 

*) Dies hängt wohl damit zusammen, was Violand noch am 6. Oktober im 
Plenum kundgab: »Das Komitee hat beschlossen, daß die akademische Legion das 
Zeughaus besetze«. Und weiter berichtete derselbe: »Von der akademischen Legion, 
der Garde und dem Volke werden Kanonen gegen das Zeughaus aufgeführt«. 
Schließlich entnehmen wir dem Berichte Schuselkas unter Nr. 6: »Wurde der 
akademischen Legion zugesagt, Mittel zu treffen, damit sie alsbald mit Munition 
versehen werden möge«, was im Reichstage mit Bravorufen aufgenommen wurde. 
Siehe auch die Erklärung Schuselkas in der Abendsitzung vom 9. Oktober. 

•) In der Abendsitznng des 6. Oktobers machte der Vizepräsident selbst kund: 
»Es liegt ein Antrag der permanenten Kommission vor, nämlich daß der Reichstag 
beschließe, der Direktion der Südbahn zu befehlen, daß sie dafür zu sorgen 
habe, daß kein Militär auf der Südbahn hieher geführt werde«, was auch ange¬ 
nommen wurde. Von anderen Bahnen war damals nicht die Rede. Vgl. auch oben 
das Kommissionsprotokoll. 

4 ) Im ersten Reichstagsberichte Schuselkas lesen wir aber unter Punkt 9: »Ein 
Nationalgardeoffizier wurde, mit einer Vollmacht versehen, an die Kämpfen¬ 
den bei dem kaiserlichen Zeughause abgesendet, um dem Feuern Einhalt zu tun«. 
Violand schildert allerdings (ibidem) etwas weiter seine vergebliche Intervention, 
aber von einer offiziellen Sendung desselben und Füsters wird im Protokolle 
des Reichtages keine Erwähnung getan. 

») Gemeint ist hier wohl der ungarische Ministerpräsident Graf Ludwig 
B&tthyänyi. 

•) Dem gegenüber muß erinnert werden, daß Klaudy in der Nachtsitzung vom 
6. Oktober »aus Anlaß der noch immer fortdauernden Feindseligkeiten beim k. k. Zeug¬ 
hanse« folgenden Aufruf der Kommission zur Verlesung brachte: Der Reichstag 
fordert denjenigen Teil der Wiener Bevölkerung, welcher die Schottenbastei um¬ 
stellt hat und von dort auf das Zeughaus feuert, auf, weiteres Blutver¬ 
gießen und Unglück zu verhindern, um dem Volke durch die Herstellung 

Mitteilungen XXXVI. 9 



130 


Hugo Traub. 


Voruntersuchung angeführt werden, daß derselbe am 7. Oktober 
Morgens am Stephansplatze mit einem Studenten im Wortwechsel gesehen 
worden ist, wo der Student zornig zu ihm äußerte: »Was wollen Sie denn 
noch? Wir haben ja ohnehin zweimal angezündet!*). 

Laut Nr. 24 und 26 werden Staffetten von Jellaöid an den 
Kriegsminister am Stubentore abgenommen 1 ), im Ausschüsse deren Er¬ 
öffnung dem Minister Hornbostel vorgelesen 2 ), auch mehrere offiziöse 
Briefe werden erbrochen und wird dabei die höchst sonderbare Be¬ 
merkung gemacht: »ohne Resultat*. 

Laut 25 wird über ein Ersuchen einer Deputation von Garden der 
Antrag an den Reichstag gestellt, eine Aufforderung an die das 
Zeughaus beschießenden Garden und Volkshaufen zu er¬ 
lassen, die Feindseligkeiten einzustellen 8 ). 

Stobnicki und Endlich sollten nach Nr. 27 und 29 mit einer 
weißen Fahne das Feuern einstellen; sie berichten, daß sie mit Schüssen 
empfangen worden seien 4 ), und Füster (der nach den Erhebungen auf 
der Bastei den 6. Oktober abends diesen Tag als den glorreichsten an¬ 
pries) 5 ) macht laut Nr. 30 die Meldung, das Feuern sei eingestellt 6 ). 

Am 7. Oktober. Laut Nr. 28 will der Ausschuß, daß Auersperg 
den Befehlen des Reichstages, kontrasigniert von einem Minister, nach- 
koinme 7 ), und nach Nr. 36 wird an ihn geschrieben, einen Offizier mit 
einem Trompeter zum Zeughause zu senden, damit die Besatzung das 
Feuern einstelle. Graf Auersperg ermächtigt dieselbe, das Zeughaus einer 
Deputation des Reichstages zu übergeben, die sich nach Nr. 37 d ahin be¬ 
gibt 8 ). (Wie nun der Reichstag dasselbe geschützt hat, ist notorisch, alles 


der Ruhe und gesetzlichen Ordnung die Freiheit zu sichern, und versieht sich, daß 
dieser letzten Aufforderung sogleich Folge gegeben werde. 

l ) Es handelt sich wohl um das oben schon angeführte Packet, welches an 
den Kriegsminister adressiert war; dasselbe enthielt sechs Briefe, darunter einen 
von JellaÖic. 

*) Es ist bekannt und Smets (Das Jahr 1848, H. 581) erzählt es auch, daß 
die Minister Hornbostel und Krauss häutig zu den Ausschußsitzungen geladen 
wurden, wie auch beide immer auf die Übereinstimmung mit der Permanenz 
Gewicht legten. (Vgl. auch weiter oben). 

•) Vgl. diesbezüglich oben. 

4 ) Das kann sich allem Anscheine nach auf die Mitteilung bei Smets (Das 
Jahr 1848, H. 672) beziehen, womach auf Antrag Zimmers eine Deputation vom 
Reichstage mit einer weißen Fahne entsendet wurde, um den Bürgerkrieg zu ver¬ 
hindern. 

*) Vgl. dazu »Ergebnisse der vom k. k. Militärgerichte geführten Unter¬ 
suchung wider die Mörder des Grafen Latour«, S. 155. 

«) Hievon geschah aber im Reichstage mit keinem Worte Erwähnung, soweit 
wir eben aus dem fehlerhaften Protokolle schließen können. 

7 ) Klaudy meldete in der Nachtsitzung vom 6. auf den 7. Oktober im Namen 
der Permanenz: »Aus Anlaß der Meldungen, die der Kommission zugekommen 
sind wegen Zurückziehung des Militärs gegen den Schwarzenberggarten, hat sich 
die Kommission bewogen gefunden, eine Zuschrift zu erlassen an den komman¬ 
dierenden General, welche zu kontrasignieren sich der Handelsminister erboten hat«. 

8 ) Darauf bezieht sich der »sehr dringende« Antrag der Kommission an den 
Reichstag vom 7. Oktober früh: »Der Reichstag gibt hiemit den ausdrücklichen 
Befehl, daß die Lokalitäten des* Zeughauses jetzt gänzlich zu schließen sind und 
niemand als die zur Schätzung des Staatseigentums aufgestellte Nationalgarde 
darin zu verbleiben habe«. 



Die Reichstagspermanenz im Oktober 1848. 


131 


Folgende spricht dafür, daß die Partei des Umsturzes es nicht schützen 
wollte 1 ); die Ausflucht, es nicht gekonnt zu haben, widerspricht den Pla¬ 
katen und Adressen an den Kaiser, daß keine Anarchie herrsche). Wie 
sehr der Ausschuß mit den Radikalen vertraut sein mußte, ist aus Nr. 63 
zu entnehmen, womach am 7. Oktober Nachmittags schon ein gedrucktes 
Blatt des »Radikalen* 8 ) das enthielt, was Vormittags im Lesezimmer ausge¬ 
macht wurde (jenes vom Minister Krauß nicht kontrasignierte Manifest 
des Kaisers über seine Entfernung) 8 ). 

Nr. 70 werden vier Mitglieder des Ausschusses an das Studentenko¬ 
mitee wegen Unterordnung desselben unter den Ausschuß gesendet Die 
Namen Füster, Kudlich, Violand und Lasser lassen entnehmen, daß 
es sich um keine Unterordnung, sondern um ein einverstfindliches Bündnis 
handelte. (Daß dem wirklich so war, weisen der aus dem Protokolle zu er¬ 
sehende Verkehr mit diesem Komitee und die Geständnisse des Dr. Frankl 4 ) 
aus, nach welchen vom Ausschüsse aufreizende Plakate zum 
Komitee im Entwürfe gebracht wurden, damit sie als von dort 
und nicht vom Ausschüsse ausgehend kundgem&cht werden) 6 ). 

Nr. 73 verlangt das Studentenkomitee vom Ausschüsse 
einen Kommandanten für jene Grenadiere, die sich dem Volke ange¬ 
schlossen, und fragt Nr. 75 an, ob das Militär, in die Kasernen zurückge¬ 
zogen, zur Verfügung des Reichstages stehe. 

Nr. 81 wird dem Präses des Studentenkomiteefs] über eine von letz¬ 
terem überbrachte Depesche der Stadt Ödenburg um Übersendung von 
Artillerie die Antwort erteilt (weislich nicht angegeben, welche) 6 ). 

Nr. 82. Schon am 8. Oktober erkundigt sich Scherzer beim Feldzeug¬ 
amt nach dem Vorräte von Patronen und wünscht eine andere Ober¬ 
leitung des Verteidigungssystems. Laut Nr. 64 hat am 7ten die 
akademische Legion selbst angezeigt, daß sie ihre Steingewehre gegen 

*) Im Manuskripte unterstrichen. 

*-) Die Becher’sche Zeitschrift »Der Radikale« war der eigentliche Repräsentant 
jenes Zeitungswese ns, in welchem »die fieberhafte Blutwelle der abwärtsgehenden 
Revolution am ungestümsten pulsierte« (E. V. Zenker, Geschichte der Journalistik 
in Österreich, 42). Doch darf man nicht außeracht lassen, daß alle Wiener Zeitungen 
mehr oder minder »in den Ton der Aufständischen 4 (Heitert, Aufzeichnungen, 
104) einge^timmt haben, darunter selbst die »Wiener Zeitung«. 

*) Vgl. das kais. Manifest und die am 7. Oktober im Reichstage abgegebene 
Ministerialerklärung (Verhandlungen, III. S. 16). 

4 ) Der Dichter Dr. L. A. Frankl, der mit Fischhof und Goldmark eng befreundet 
im Jahre 1848 in Wien eine politische Rolle spielte und Mitarbeiter von Bechere 
»Radikalen« war, wurde 1849 in Untersuchung gezogen und verhört. Darauf 
bezieht sich diese und noch folgende Stellen. Nicht zu verwechseln mit Wilhelm 
Frankel, Dr. med. aus Breslau, welcher in betreff Blums und Fröbels als Zeuge 
vernommen wurde (Jul. Fröbel, Ein Lebenslauf, L 246). 

*) Vgl. den Polizeibericht an die Zentraluntersuchungskommission, abgedruckt 
bei Charmatz, Ad. Fischhof, S. 116. 

•) Th. Pulszky (Aus dem Tagebuche einer ung. Dame, II. 22) erzählt, daß in 
Ödenburg, wohin sie auf der Flucht mit ihrem Manne von Wien am 7. Oktober 
gekommen waren, »alles jubelte, denn jedermann hoffte, mit dem Sturze des Mi¬ 
nisteriums sei auch die Macht der Kamarilla gebrochen und eine aufrichtige Re¬ 
gierung würde folgen«. Die Nationalgarden im Ödenburger Komitate schickten 
sich sogar an, einem Teil der Jellacic’schen Truppen, die unter General Theodorovid 
der Grenze zueilten, entgegenzutreten, doch war es den Kroaten gelungen zu ent¬ 
kommen (ibidem, 89). 



132 


Hugo Traub. 


Perku8sionsgewehre ausgetauscht, und erst am 8. wird laut Nr. 9£ 
der Befehl gegeben, das Wegtragen und Austauschen der Gewehre aus dem. 
Zeughause einzustellen. 

Nr. 105 fragt Dr. Kar sch 1 ) an, ob er dem Verlangen von den etwa 
2500 bewaffneten Arbeitern, als Korps organisiert zu werden, 
genügen solle. (Was darüber verfügt worden, ist nicht ersichtlich, man hat 
aber die Arbeiter Waffen aus dem Zeughause nehmen lassen, und, wie be¬ 
kannt, wurde wirklich ein Mobilkorps errichtet) 2 ). 

Nr. 108 verlangt das Studentenkomitee Geld und Pferde. 

Nr. 109 zeigt dasselbe an, daß in Breitensee Milit&r stehe und 
einzelne verlassen umherirren. Darüber trug der Ausschuß, statt es an 
Auersperg zu weisen, dem Oberkommando au£ dasselbe in den leeren Ka¬ 
sernen unterzubringen. 

Nr. 115 berichtet Kud 1 ich über die Beschwichtigung der Gänsern- 
dorfer Bauern am Nordbahnhofe. (Wenn man weiß, daß dieser Depu¬ 
tierte vor und nach dem 6. Oktober das Landvolk aufzuhetzen eigens 
herumreiste, so kann man sich einen Begriff von der Art der Beschwich¬ 
tigung machen). 

Aus Nr. 122, 128 und 131 ersieht man, wie das Studentenkomitee 
und selbst der Ausschuß auf Löhners Antrag zu erwirken bemüht war, 
daß sich Auersperg dem Beichstag unterstelle und die Truppen 
in Kasernen verlege; ja noch mehr, Fischhof will sogar nach 139, daß 
das Ministerium demselben es geradezu befehle. 

Am 9 . Oktober . Nach 130 besprach man sich bereits im Ausschüsse 
über Antrag Löhners wegen Neutralität liegen Jellaöic und die 
Ungarn und über die Eventualität beim Erscheinen des ersteren auf 
österreichischem Boden (ein Beschluß ist weislich nicht ersichtlich gemacht) ®). 

Nr. 134 wird dem Ausschüsse angezeigt, das Jellacid mit 34.000 
Mann bei Bruck an der Leitha stehe; und doch erschien am 10. Oktober 
vom Reichstage selbst das famose Plakat, womach dem Ausschüsse ge¬ 
meldet worden sein sollte, daß der Ban mit 2000 schlechten, ermüdeten 
Truppen in Schwadorf angekommen sei 4 ). 

J ) Über Dr. Karsch vermag ich nichts Näheres zu sagen. 

*) Sowie das Zeughaus am 7. Oktober gegen 7 Uhr morgens vom Militär 
verlassen worden worden war, stürzte das Volk hinein und »gieriger als hungrige 
Raubtiere über eine tote Beute, schoß es auf sie (die Watten) los, um die Wette 
greifend, reißend und ringend, und im Nu waren 30.000 brauchbare Gewehre in 
seinen Händen« (Smets, Das Jahr 1848, H. 5861, wobei die schwache Besatzung 
von Garde und Legion natürlich nicht imstande war, die Waffenplünderung zu 
verhüten. 

*) Schon am 8. Oktober erstattete Prato im Namen des Ausschusses Bericht 
bezüglich der Bitte der Stadt Preßburg »um Vermittlung zur Schonung der Stadt« 
beim Einrücken des Jellatfic’ßchen Heeres, wobei er erklärte, »es wurde im Ausschüsse 
die Meinung kund, daß wir eigentlich in Ungarn nichts zu tun haben 
.. . und daß Ban Jellartid auf keinen Fall unter dem hiesigen Ministerium oder 
unter dem Reichstage steht«. Deshalb glaube die Permanenz, man könne weiter 
nichts tun, als dem Banus die Resolution des Kaisers vom 6. Oktober mitzuteilen. 
(Vgl. auch weiter unten). 

4 ) Schuselka berichtete der Kammer am 9. Oktober: Die Zahl des Heeres 
[unter Führung Jella&c’s] wurde dem Gerüchte nach auf etwa 30.000 Mann 
angegeben (Verhandlungen, UI. 55). Prato schätzte die Truppe in Schwadorf auf 
1000 Mann (Verhandlungen, III. 59), in der Proklamation des Reichstages »An 



Die Reichstagspermanenz im Oktober 1848. 


133 


Nr. 140 und 141 ermächtigt der Ausschuß, jene Garden und Stu¬ 
denten, denen vom Militär die Gewehre abgenommen wurden, andere 
150 Stück hier zu erhalten 1 ). 

Nr. 149 werden Garden zu Erlaa 50 Gewehre, und Nr. 156 das 
Ansuchen des Nationalgerdeoberkommandos, Munition und Zünder 
vom Zeugamt nehmen zu dürfen, bewilligt 8 ). 

Was es mit der sub 154 vorkommenden Stelle: »Zwei Studenten 
ersuchen wegen einer Privaterklärung Löhners über die 
Aufnahme Jellaciö’s in Österreich am eine Gegenerklärung* 8 ), 
für eine Bewandtnis hatte, ist nicht ersichtlich, verrät aber eine genaue 
Verbindung des Ausschusses mit den Studenten. 

Noch am 9. Oktober heißt es auf einmal sub 161: beschlossen, 
den Oberkommandanten aufzufordern, die Stadt Wien in 
förmlichen Verteidigungszustand zu setzen 4 ) und hievon 
den Gemeinderat zu verständigen 6 ). Man ersieht durchaus keine 


die Bewohner Wiens« vom 9. Oktober heißt es dagegen; »Sicherer und offizieller 
[im Original gesperrt] Nachricht zufolge, die der Reichst&gsausschuß gestern abends 
erhalten hat, ist Baron Jellaöid mit beiläufig 2000 Mann gemischter Truppen, 
welche ganz ermattet und nicht im besten Zustande waren, in Schwadorf ange- 
kommen . . . Der Ausschuß desselben [des Reichstages] hat im Einverständnisse 
mit dem Ministerium das Oberkommando der Nationalgarde beauftragt, alle Mittel 
zur Verteidigung bei etwaigem Angriffe in Bereitschaft zu halten«. In Wien lief 
am 9. Oktober so^ar die Kunde um, Jellaöid sei in Bruck an der Leitha mit 
60.000 Mann (!) eingerückt und habe den Entschluß ausgesprochen, mit ihnen 
am nächsten Tage gegen Wien zu ziehen. (Vgl. auch Widmann, Fr. Smolkn, I. 97). 

*) Am 9. Oktober erklärte Schuselka im Reichstage offen: »Wir haben dafür 
gesorgt, daß hinlängliche Munition verteilt werde, wir haben auch Sorge getragen, 
daß noch Feuerwaffen verteilt würden, denn wir befinden uns in einem Zustande, 
wo es ein unverantwortliches Versäumnis wäre, sich einer Sorglosigkeit hinzugeben, 
durch welche nicht nur allein die öffentliche Sicherheit und Ordnung dieser Stadt, 
sondern wirklich, weil diese Stadt das Herz der Monarchie ist, das Lebensprinzip 
der ganzen Monarchie und wesentlich auch die Interessen der Dynastie gefährdet 
werden könnten«. 

*) Im Manuskripte unterstrichen. Vgl. weiter unten. 

*) Es ist bekannt, daß Braun, sowie ihm am 11. Oktober der Auftrag ward, 
die Stadt in Verteidigungszustand zu setzen — es geschah aller Wahrscheinlichkeit 
nach aus Besorgnis vor dem Herannahen des Banns — von dem kaum übernom¬ 
menen Posten, für den er sich nicht gewachsen fühlte, zurücktrat. Tatsache ist, 
daß der VerteidigungsaußschuÜ des Studentenkomitees mit Fenneberg an der Spitze 
vorgesohlagen hatte, entweder das Lager Auersperg zu umzingeln und durch Minen¬ 
gänge zu unterwühlec, oder vom Wienerberge aus anzugreiten, doch der Reichs¬ 
tag Bausschuß verwarf jede Offenaive und somit unterblieb auch der An¬ 
griff, der, kaum von Erfolg begleitet, dem Oktoberkampfe ohne Zweifel eine ganz 
andere Wendung gegeben hätte. Vgl. dazu auch die Erklärung Schuselkas im 
im Parlamente vom 10. Oktober. 


*) Im Manuskripte unterstrichen. 

*) Wir lesen diesbezüglich über den Anlaß und den Entschluß bei Smets 
(Das Jahr 1848, H. 594): Die Bevölkerung erhob Klage über die Schlaffheit und 
uen Unverstand des Reichstages und forderte ungestüm die Austeilung von neuen 
Waffen, einen Angriff* und die Aufbietung des Landsturms Der Reichstags¬ 
ausschuß sah ein, daß er, wenn nicht alles aus Rand und Band 
gehen sollte, solchem Drängen mindestens teilweise nachgeben 
müsse, und er gab sonach dem Gemeinderate, der seiner Aufforderung gemäß 
[vgl. Verhandlungen, III. S. 10] am 8. zusammengetreten war, die Vollmacht, die 
Reichstagssiegel am Zeughaus zu brechen, alle hierin noch vorhandenen Waffen an 
die waffenfähigen Männer zu verteilen und die Verteidigungszustände Wiens unter 
seine spezielle und alleinige Obhut zu nehmen. 



134 


Hugo Traub. 


andere Veranlassung zu diesem Beschlüsse, wenn es nicht das sub Nr. 1 G 3 
protokollierte Begehren Tausenau’s im Namen des Zentralkomitees der De¬ 
mokraten ist, nach welchem eine Proklamation des Inhaltes erlassen werden 
soll: die Stadt sei in Verteidigungszustand zu setzen, und Jellatic, wenn 
er gegen Wien vorrücke, als Vaterlandsverräter zu erklären. Der Ge¬ 
meinderat hat sich sogar sub Nr. 116 angefragt, was denn die Veran¬ 
lassung zu diesem Beschlüsse gegeben; eine Antwort ist aber nicht er¬ 
sichtlich, es ist bloß angemerkt: »die Erklärungen zu geben* 1 ). 

Über diesen Beschluß wird sohin gleich Nr. 164 das Ministerium 
angegangen, 200.000 Patronen und Zünder an das Oberkom¬ 
mando zu erfolgen; nach 165 werden der akademischen Legion aus 
dem Zeughause 150, nach 167 abermals 200 Gewehre bewilligt, und nach 
166 derselben auf Dienstzwecke 100 fl. angewiesen. Auf die Relation des 
Abgeordneten Prato 2 ) Nr. 7 70, daß Jellacic erklärt habe, im Interesse 
der Gesamtmonarchie zu handeln und sich daher zur Verfügung des Kaisers 
zu stellen, folgt unmittelbar der Beschluß Nr. 171, durch das Ober¬ 
kommando der Nationalgarde in Mähren 8 ) telegraphieren, 
zu lassen, nach Wien zu kommen. 

Auf die Eingabe des Gemeinderates Nr. 174 wegen Vorkehrungen gegen 
die Verschleppung der Waffen aus dem Zeughause resolviert der 
Ausschuß vom 9. Oktober, daß man bei dem Drange der Verhältnisse hierauf 
nicht näher eingehen könne, die Vorschläge in dieser Hinsicht gewärtigT 
werden, und die bistorisch wertvollen Waffen ohnehin gerettet seien 4 ). (Daraus 
scheint zu folgen, daß die übrigen schon genommen werden dürften) 5 ). 

*) Schuselka berichtete am 9. Oktober in der Abendsitzung von der Sendung 
Pratos an Jellaßid, den er in Schwadorf angetroffen hatte, am 12. Oktober maclit-e 
Schuselka die Mitteilung, daß Zbyszewski, der vom permanenten Ausschüsse a n das 
Hoflager mit der Antwort des Banus abgeschickt worden war, unverrichteter 
Dinge zurückgekehrt sei 

*) Der Reichst lg hatte nach Erhalt der Nachricht, Jella£iö habe den Öster¬ 
reichischen Boden betreten, einen Eilboten dem Kaiser nachgeschickt mit der 
Bitte, dem Banus im Vorrücken Einhalt zu gebieten, und der Süd tiroler Prato 
begab sich freiwillig in das Kroatenlager, um Jellaftid im Namen des Ministers das 
kaiserliche Handschreiben vom 6. Oktober entgegenzuhnlten, laut dessen der Mo¬ 
narch mit einem neuzubildenden Ministerium die zum Wohle der Gesamt inonarchie 
notwendigen Maßregeln beraten wolle. Aber Jelladid, welcher Prato in Schwadorf" em¬ 
pfangen, fertigte denselben kurz dahin ab, daß »auch er keine andere Pflicht kenne* 
&!s die Interessen der Gesamtmonarchie zu fördern, und daß er dieser Pflicht eben 
dadurch genüge, daß er sich selbst und alle, die ihm folgten, dem Kaiser zufiühre«. 

*) Tatsache ist, daß am 10. Oktober spät in der Nacht eine Abteilung der 
BrÜnner Garde, ungefähr 500 Mann, telegraphisch berufen, in Wien angekommen 
ist und daselbst mit Jubel empfangen wurde. Man vgl. des Näheren meine oben 
zitierte Arbeit, ebenso Helfert, Geschichte Österreichs, IV. 3, S. 435, wo es aus¬ 
drücklich heißt, der Wiener Gemeinderat habe das Begehren der Nordbahndirektion 
um Vergütung der Reisespesen der BrÜnner Nationalgarde mit dem Hinweise ab¬ 
gewiesen, daß nicht er, sondern die Reichstagspermanenz diese Zuzüge 
veranlaßt habe. 

<) Es bleibt unbestritten, daß bei der Zeughausplünderung viele historische 
und deshalb unersetzliche Rüstetücke abhanden gekommen sind, welche nicht mehr 
aufzufinden waren, wenn auch die wertvollsten Sachen noch durch rechtzeitige 
Intervention des Reichstages in sichere Verwahrung gebracht werden konnten. Daß 
geschichtlich wertvolle Waffen im Zeughause verloren gegangen sind, bestätigte 
Mayer in seiner Aussprache in der mähr. Landtagsstube am 9. Oktober 1848. 

*) Vgl. oben, wieviel Gewehre vom Volke entwendet wurden. Der Reichstag 
hat wohl sofort eine Kommission nach dem Zeughanse entsendet, um ein Inventar 



Die Reichstagspermanenz im Oktober 1848. 


135 


Nr. 184 legt Scherper l ) das Oberkommando nieder 2 ) und 191 
berichtet Be an 8 ) über die Defensionsanstalten, außerdem zeigen unzählige 
Exhibita, daß alle Berichte über Defensionsstellung durch Militärs, Truppenzu¬ 
züge etc. etc. durchaus an den Ausschuß gerichtet wurden, wie Nr. 194 
bis 204 u. 8. w. Sollte jemand, dieser Daten ungeachtet, noch zweifeln, 
daß es die Reichstagspermanenz gewesen ist, welche den Widerstand 
gegen die kaiserliche, noch immer zu Recht bestehende Ge¬ 
walt und den Aufruhr fortsetzte und leitete, so wird er durch 
weitere Daten davon zur Gewißheit kommen 4 ). 

Am 10. Oktober . Nr. 205 berät die Permanenz über ein Plakat des 
Demokratenvereines zur Aufbietung des Landsturms 5 ) und be¬ 
schließt, den Gemeinderat zu der Erklärung zu ermächtigen, daß nur er 
und das Nationalgardeoberkommando mit der Exekutive der Vertei¬ 
digung beauftragt sei 6 ), und erteilt ihm nach 209 die Vollmacht, 
die brauchbaren Waffen sowie Munition mit Brechung des Reichs¬ 
tag ssiegels aus dem Zeughause zu nehmen 7 ). 

In Nr. 213 fragt der Gemeindeausschuß sich über die Herbei- 
rufung der Bauern an (wird mit der Erklärung erledigt, daß dem 
Gemeindeausschusse und dem Nationalgardeoberkommando die Verteidigungs¬ 
maßregeln überlassen seien). Unter diesem Nro. liegt ein Konzept bei den 
Akten, nach welchem der Gemeinderct einen Aufruf, der von einem Vereine 
ausging, um den Landsturm herbeizurufen, zu veröffentlichen ermächtigt 
werde, und daß die Gesamtmaßregeln der Verteidigung von 
demselben im Einvernehmen mit dem NationalgardeOber¬ 
kommando unter Oberleitung des ReichstagsausschuBSes 
und des Ministeriums einzuleiten seien. Uber diesem Konzept ist 
mit Rotstift bemerkt: »Verworfenes Konzept*. 

Statt desselben erschien nun die Kundmachung des Gemeinde¬ 
rates, worin der wirkliche Erlaß des Ausschusses, gefertigt von Fischhof 
und Lasser, vom 10. Oktober bekannt gegeben wird. Er lautet: »Das 


aufzunehmen und der Waffen Verschleppung zu steuern, aber es gelang erst gegen 
Mittag am 7. Oktober, und zwar mittelst erlangten Gardeznzuges, das Gebäude 
▼on den unablässig nach Waffen herbeiströmenden Scharen zu säubern und die 
Waffensäle mit dem Reichstagssiegel zu schließen. Daß dieselben bald darauf mit 
Zustimmung des Reichstages und dessen Permanenz beseitigt wurden, siehe weiter 
oben. 

*) Soll wohl Scherzer heißen. 

») Schon am 8. Oktober hatte Scherzer einen Stellvertreter und Tags darauf 
eben Nachfolger im Oberkommando erhalten; es war Braun. 

*) Einen Mann dieses Namens konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Soll 
es nicht etwa Braun oder Beine (vgl. unten) heißen? Bern, der bekannte Polen- 
general, welcher die Seele der Wiener Verteidigung gewesen, kann nicht gemeint 
sein, denn wir finden ihn in Wien erst am 14. Oktober. 

«j Unter dem 9. Oktober vermissen wir jedwede Angabe über die Verhandlung 
mit den Prager Abgesandten (vgl. dazu Helferts Aufzeichnungen, 19), was wohl 
deshalb geschehen sein mag, weil es mit den Verteidigungsmaßregeln bloß indirekt 
zusammenhängt. 

*) Am 17. Oktober erklärte Schuselka, daß »die Aufrufung des Landsturmes 
im permanenten Ausschüsse schon oft angeregt und beraten worden sei«. 

«) Im Manuskripte unterstrichen. Vgl. Schuselkas Bericht vom 10. Oktober 
(Verhandlungen, UI. 74). 

7 ) Vgl. diesbezüglich weiter oben. 



136 


Hugo Traub. 


Ministerium im Einverständnisse mit dem permanenten Ausschüsse hat nur 
allein den Gemeinderat ermächtigt und beauftragt, im steten Zusammen¬ 
wirken mit dem Gardeoberkommando alle zur Verteidigung der Stadt und 
zur Erhaltung der Ordnung und Sicherheit erforderlichen Maßregeln aus- 
Zufuhren* x ). Die schmachvolle Perfidie dieses Erlasses zeigen die weiteren 
Ereignisse. 

Nach 221 erbietet sich ein sicherer Jägermayer l 2 ), aus der Gegend 
von Baden und Pöllersdorf die Garden zur Verteidigung nach Wien zu 
bringen. Der Ausschuß wies ihn höchst weislich an das Oberkommando, und 
ebenso auch das Studentenkomitee mit seinem Begehren Nr. 220 um einen 
Extratrain für die Dürnkruter Bauern, allein laut Nr. 232 läßt er 
selbst nach Brünn um eine neue Gardensendung telegraphieren 3 ). 
Daß der Ausschuß sich auch der Ungarn annahm, zeigt Nr. 242, worin der 
Stadthauptmannschaft aufgetragen wird, zwei Pässe für Perczel und Bu- 
dinski zur Rückreise nach Ödenburg zu vidieren 4 ). 

Am 11. Oktober . Nr. 345 berichtet der Gardehauptmann Zay über 
seine Erfahrungen bei der ungarischen Armee und jener des Jelh cic. Am 
Rande ist bemerkt: »Soll in einer Stunde den Geleitschein abgeben*. (Er 
scheint also Spion des Ausschusses gewesen zu sein). 

Nr. 247 wird dem Oberkommando befohlen, sich einen tüchtigen 
Generalstab zu bilden und öffentlich bekannt zu geben 5 ). 

Nr. 248 trägt sich Ritter von Sternau an der Spitze einer Deputation 
von Wiedener Garden an, ein festes Korps zu organisieren 6 ). 
(Welcher Beschluß darüber gefaßt wurde, ist zwar nicht ersichtlich; die 


l ) Vgl. auch weiter oben. 

*) Es wird wohl das Mitglied des Wiener Sicherheitsausschusses, Samuel 
Jägennayer, Leinwäschhändler am Graben, damit gemeint sein. Vgl. über ihn 
bei Smets, Das Jahr 1848, II. 404. 

«) Daß am 10. Oktober in der Tat nach Brünn telegraphiert wurde, ist wohl 
außer Zweifel, sowie es Tatsache ist, daß die Brünner Garde nach etlichen Tagen 
ausgewechselt werden sollte (vgl. Brünner Zeitung, 1848, Nr. 287), was auch 
wirklich geschah. Vor dem 10. Oktober ist aber von einer Intervention in Brünn 
nichts bekannt. 

*) Unter Nr. 81 vom 7. Oktober vernehmen wir von einer Depesche aus 
Ödenburg um Artillerie. Sollten vielleicht die Genannten die Überbringer der Bot¬ 
schaft gt wesen sein? 

*) Das Hauptquartier bestand aus folgenden Vorständen, welche von Messen¬ 
hauser eigenmächtig erwählt, erst am 14. Oktober bekanntgegeben wurden: 
Fr. Schaumburg, F. J. Thurn, J. M. Aigner, Moritz Schneider, Daniel Fenner v. 
Fenneberg, Ernst Haug (Chef des Generalstabes), Ed. Jelowicki (Artilleriedirektor), 
Em. Baron du Beine. Schuselka gab diesbezüglich schon am 11. Oktober im Reichstage 
die Erklärung ab: »Um die Verteidigungsanstalten, die unter den immer schwieriger 
und dringender werdenden Verhältnissen immer notwendiger sind, größtmöglichste 
Einheit und Kraft zu geben, hat sich Ihre Kommission heute morgens veranlaßt 
gefunden, dem prov. Oberkommando der Nationalgarde den Auftrag zu er¬ 
teilen, sich sofort einen kriegskundigen Generalstab zuznge- 
seilen und die Personen desselben öffentlich bekannt zu geben«. 

6 ) Es ist derselbe Eduard Presslern Edler von Sternau, welcher am 11. No¬ 
vember wegen Teilnahme am bewaffneten Aufstande standrechtlich zum Tode ver¬ 
urteilt worden ist, und dieses Urteil wurde auch am selben Tage mit Pulver und 
Blei vollzogen. 



Die Reichstagspermanenz im Oktober 1848. 137 

wirklich geschehene Errichtung des Mobilkorps 1 ) läßt ihn aber ver¬ 
muten). 

Nr. 251 wird die Nationalgarde von Steiermark durch den 
Telegraphen aufgefordert, nach Wien zu kommen 2 ). 

Nr. 257 begehren Häfner 8 ) und Gritzner 4 ) Veranstaltung und 
Maßregeln zur Einberufung des Landsturmes. Dabei ist bemerkt: »Die 
Antwort mündlich erteilt* 5 ). (Ei, ei, wie vorsichtig). Einen Beweis 
der Perfidie des Ausschusses liefert die merkwürdige Erklärung Nr. 249, 
die auch als Plakat im Drucke erschien, »daß der Reichstag den Ungarn 
nicht 6 ) verboten habe, die Grenze zu überschreiten* 7 ). 

Vermöge Nr. 258 erschien eine zahlreiche Deputation des Gemeinde¬ 
rates und verlangte eine schriftliche Ermächtigung, die äußersten Ma߬ 
regeln zu ergreifen, insbesondere wegen Herbeirufung der Ungarn; 
der Gemeinderat will Ermächtigung, die Exekutivgewalt an sich zu nehmen, 
oder eine abschlägige Antwort 8 ). Ob und was für eine er erhalten, ist 
dabei nicht ersichtlich 9 ), allein aus einem von ihm erlassenen Plakate er¬ 
fährt man, daß der Obmann Fischhof folgende Antwort erteilt habe (de dato 
11. Oktober): »Da das Ministerium im Vereine mit dem Reichstagsaus- 
schusse über eine soeben vom Grafen Auersperg 10 ) eingelangte Depesche, die 


i) Die Mobilgarde bestand aus ärmeren Handwerkern, Taglöhnern und Ar¬ 
beitern, aber auch aus verkommenen Individuen, und zählte im Ganzen 4 Bataillons. 

*) Ist. auch wirklich geschehen. 

•) Leopold Häfner, der Gründer und Hauptredakteur der »Konstitution«, 
einer, der nach Smets »das rote Banner am Kecklichsten geschwungen«, hat schon 
am 10. Oktober von Wien Reißaus genommen (vgl. Smets, Das Jahr 1848, II. 599). 
hmets berichtet es nach einer ihm gemachten Mitteilung »eines noch lebenden, aber 
ungenannt bleiben wollenden Schriftstellers«. 

4 ) Gemeint ist wohl Max Josef Gntzner, der damals schon zweiundsechzig- 
jährige k. k. Hofsekretär, welcher dem mobilen Freiwilligenbataillon als Oberster 
Vorstand. Als Gritzner später in seiner Eigenschaft als Deputierter in der Frankfurter 
Nationalversammlung ‘weilte, erhielt er vom Grafen Wilczek, dem Präsidenten des 
Generalrechnungsdirektoriums, am 27. Januar 1849 eine Zuschrift, laut welcher er 
wegen »Teilnahme an den letzten Oktoberereignissen« und der in Folge dessen 
gegen ihn eingeleiteten Kriminaluntersuchung vom Amt und Gehalte suspendiert 
und ihm auch letzterer vom 1. Februar an eingestellt wurde. (Vgl. Wcrner’sche 
Interpellation in der 169. Sitzung der Nationalversammlung zu Frankfurt vom 
9. Februar 1849). 

*) Im Manuskripte unterstrichen. 

«) Im Manuskripte zweimal unterstrichen. 

7) ln der von öchuselka in der Kammer vom 14. Oktober vorgelesenen an 
den Banus abzuschickenden Antwort heißt es: »Der Reichstag hat die Ungarn nicht 
ins Land gerufen und kann sie ebensowenig hinausdekretieren« . . (Verhandlungen, 
Iü. 149). 

■) Der Gemeinderat wagte sjlbst auch nichts zu unternehmen, sondern über¬ 
mittelte das Schriftstück dem Permanenzausschusse mit der Angabe, daß »nur der 
Reichstag die Macht habe, eiren Schritt zu unternehmen, der über das Bereich 
der bloßen Stadtverteidigung hinpusgehe« (vgl. Smets, Das Jahr 1848, II. 645). 

») Woher hat Smets (lbide^i) die Nachricht geschöpft, daß der Ausschuß die 
Sache gemütlich liegen ließ, wei er »keine Zeit zur Erörterung derselben habe«? 

*°) Es verdient hervorgehoben zu werden, daß Auersperg, obwohl als Militär 
unfähig, sich als Diplomat dem Reichstage und dessen Permanenz weit überlegen er¬ 
wies; er wußte nämlich dieselben durch ausweichende Antworten solange zwischen 
Hoffen und Bangen hintanzuhalten, bis vom Fürsten Windischgrätz, an den er schon in 
der Nacht des 7. Oktobers einen Kurier nach Prag abgesandt hatte, die Kunde auf nahe 
Hilfe mit dem Beilügen angelangt war, einstweilen die »beobachtende« Stellung der 



138 


Hugo Traub. 


Stellung Jellacic’s betreffend, in Beratung sich befindet, so wird der Ge¬ 
meinderat höflichst ersucht, wegen Beantwortung seiner Wünsche sich bis 
zum Schlüsse der Beratung zu gedulden*. Eine fernere Antwort ist weder 
öffentlich bekannt worden, noch ist 3ie aus den Akten ersichtlich. 

Aus der schriftlichen Eingabe des Gemeinderates Nr. 354 ersieht man 
im Eingänge, daß der Beichstagsausschuß mit Erlaß vom 16. Oktober dem¬ 
selben die Weisung gab, dem Nationalgardeoberkommando jede 
zu seiner Disposition nötige Summe zur Verfügung zu stellen 
(hievon kommt aber im Permanenzprotokolle nichts vor). 
In dieser Eingabe macht der Gemeinderat unter Aufzählung alles dessen, 
was der Reichstag zur Verteidigung angeordnet hat, energische Vorstellungen 
rücksichtlich des Kostenpunktes, den er sich nicht auf halsen lassen will l ). 
(Es ist aber auch hierüber keine Antwort ersichtlich). 

In der weiteren Eingabe Nr. 356, worin der Gemeinderat sehr 
ernst sein Bedenken über die getroffenen Verfügungen 'des 
Oberkommando(s] ausspricht, weil diese Maßregeln die Streitkräfte der Kom¬ 
mune zur offenen Feldschlacht fortreißen 2 ) und Wien in den Kriegszustand 
versetzen könnten, verlangt er, der hohe Reichstag solle aussprechen, daß 
alle die Verteidigungsmaßregeln überschreitenden Vorkehrungen, insbesondere 
ein Angriff auf irgendwelche Truppenkörper, sowie auch die Teilnahme an 
irgend einem selbst unter den Mauern der Stadt stattfindenden Kampfe 
nur mit ausdrücklicher Genehmigung und auf Befehl des 
hohen Reichstages eingegangen werden können 8 ). Hierüber 


Garnison nicht aufzugeben. Und erst nach getroffener Übereinkunft mit Jelladid 
räumte Auersperg am 12. Oktober nachmittags seine bisher eingenommene Stellung 
und schlug sein Hauptquartier zu Inzersdorf auf; es war beschlossen worden, Wien 
vom Süden und Westen im Halbkreise zu umspannen und zugleich die ungarische 
Grenze im Auge zu behalten. Als der Reichstagsaussclmß den Anzug Jellaöic’s 
dem Grafen Auersperg mitgeteilt und daraufhin aufgefordert hatte, seine Truppen 
in ihre früheren Standorte zurückzuführen, gab der General die ausweichende 
Antwort, gerade dieser Umstand zwinge ihn, seine Stellung beizubehalten, da 
Jella^ic die Aufregung der Wiener vermehren und er deshalb seinen Truppen, in 
Kasernen zerstreut disloziert, Angriffe zuziehen würde. 

*) Daraul bezieht sich wohl die Erklärung Smolkas in der Kammer vom 13. Ok¬ 
tober: »Der Finanzminister trägt ein verständlich mit dem perma¬ 
nenten Ausschüsse darauf an, daß aus jenen zwei Millionen, welche zur 
Unterstützung der armen gewerbetreibenden Klasse in Wien bestimmt wurden, 
200.000 fl. an die Gemeindekasse zur Unterstützung der jetzt unter Waffen stehen¬ 
den mittellosen Gardisten verwendet werden können«. 

*) Am 17. Oktober gab Schuselka in der Kammer in Bezug auf die vordem 
eingelangte Antwort des Kaisers die Erklärung ab: »Im Interesse dieses Wirkens 
gegen die drohende Anarchie halten wir es fort und fort für unerläßlich, nicht 
nur keine Truppensendungen nach Wien zuzulassen, sondern vielmehr mit allem 
Ernste und Kraft dahin zu wirken, daß die hier anwesenden Truppen sobald als 
möglich den Rückzug antreten« (Verhandlungen, III. 189). Und in der Abend¬ 
sitzung desselben Tages sprach der Berichterstatter des permanenten Ausschusses 
von »der Versetzung der Stadt Wien in einen kriegerischen Verteidigungs¬ 
zustand« (ibidem 204). 

®) Eine eigentliche Antwort darauf finden wir in der Motivierung Schuselkas 
einer Proklamation an die Völker vom 17. Oktober, wo es heißt: »daß wir uns 
hauptsächlich rechtfertigen, warum wir als Reichstag, als konstituierender Reichstag 
der gesamten Monarchie unsere Zustimmung nicht nur, sondern unsere Initia¬ 
tive gegeben haben zur Verteidigung Wiens, zur Versetzung der 



Die Reichstaggpermanenz im Oktober 1848. 


139 


erfolgte wohl, was man aber nur aus der weiteren Eingabe Nr. 385 vom 
20. Oktober ersieht, eine Antwort vom 27. Oktober, welche jedoch von 
den gestellten Begehren ganz absah, und man fand das Konzept dieser 
Antwort unter den nicht exhibierten Akten sub Nr. 75 vor. Sie zeigt 
schlagend, wie der Ausschuß sich windet und abmüht, die Schuld des durch 
ihn heraufbeschworenen Widerstandes und der Empörung dem äußern 
Schein nach von sich abzuwälzen und dem Gemeinderate zuzu¬ 
schreiben. Er findet nämlich über obige Eingabe zu bemerken: »Der 
Gemeinderat müsse in genauer Kenntnis der Stimmung des 
Volkes sein; wenn nun die Mehrzahl in Jellacic keinen 
Feind sehe, so möge sie es offen aussprechen, dem Banus 
die Türe öffnen, im Gegenteile sei es aber seine Pflicht, 
alle Yerteidigungsmaßregeln kräftigst einzuleiten 1 ). Daß 
man sich aber mit Barrikaden inner den Linien und mit Kanonen auf den 
Wällen gegen eine Armee nicht verteidigen könne, die, wie sich mit Ge¬ 
wißheit voraussehen läßt, die Stadt bloß zernieren und aushungem will, 
sieht jeder ein, und die Errichtung eines Mobilkorps und eines Lagers sei 
durchaus keine offensive, sondern nur eine defensive Maßregel, um 
durch eine imposante Haltung und eine schlagfertige Mannschaft den Feind 
abzuhalten und das Herbeischaffen von Lebensmitteln zu ermöglichen. Der 
Reichstag hat sich an der Anordnung zur Verteidigung 
Wiens darum beteiligt, weil er glaubt, daß mit Wien auch 
die Freiheit gefährdet werde; er will aber die Verteidigungsma߬ 
regeln der Stadt nicht aufdringen. Der Ausschuß muß daher, bevor er 
einen Antrag an den Reichstag stellt, den Gemeinderat auffordem, zu er¬ 
klären, wie er die Stellung Jellaeic’s betrachte 2 ) und welche 
Maßregeln er zur Abwendung der die Stadt Wien bedrohenden Gefahr für 
die zw r eckmäßigsten halte*. 

Wenn man die Eingabe des Gemeinderates Nr. 35G mit diesem Konzepte 
zusammenhält, so läßt sich wohl kaum eine raffiniertere schurkische Antwort 
erdenken. Der Gemeinderat durchschaute diese Antwort und wiederholte am 
20. Oktober laut 385 ganz einfach sein Begehren, und auf demselben wird 
von außen angemerkt: »Zur Beantwortung Vorbehalten* 2 ). 

Stadt Wien in einen kriegerischen Verteidigungszustu nd«. (Ver¬ 
handlungen, HI. 204). 

») Im Manuskripte unterstrichen. Eh läßt sich nicht in Abrede stellen, daß 
die Permanenz die Hilfe der Magyaren vom Herzen wünschte; sie wagte aber 
nicht, diesen Wunsch im Reichstage offen auszusprechen. »Kommen die Ungarn?« 
fragten sie Pulszky, der am 13. Oktober in ihrer Mitte erschienen war. »Sobald 
Sie es wünschen!« war dessen Antwort. »Schreiben Sie dem ung. Verteidigungs- 
ausschusse 1 , setzte er fort, »daß rie ihn um Hilfe bitten, ich selbst trage die Auf¬ 
forderung hinab; unsere Anführer überschreiten dann ohne Zweifel die Grenze und 
sind in drei Tagen in Wien*. Doch der Reichstagsausschuß wollte nach Pulszky 
nicht darauf eingehen, indem e' darauf verwies, daß der Reichstag nicht Wien 
allein vertrete und die Kommiss*on selbst ihren Wirkungskreis Überschreiten würde, 
wenn sie die »zweifellos provis rische ung. Regierung« anerkennen würde. (Siehe 
Fr. Pulszky, Meine Zeit, mein Leben, II. 228). Deshalb erklärte die ungarische 
Nationalversammlung am 14. Oktober, daß, »da die österreichische Nation sich des 
Beistandes unserer Truppen nicht bedienen will«, die ungarische Armee auf die 
Beschützung des eigenen Vaterlandes sich zu liescliränken habe, und Unterstaats- 
aekretär Pulszky wurde vom Ministerium von Wien zurück beruf en. 

*i Im Manuskript unterstrichen. 



140 


Hugo Traub. 


Nr. 2GO fragen sich der Kreishauptmann und der Regierungschef 
wegen Verpflegung der Armee des Jellacic (60.000 Portionen 
Brod, 1400 Metzen Hafer etc.) an 1 ); als Erledigung ist angemerkt: »Die 
Ansicht ausgesprochen, daß der Ausschuß nicht Exekutivbehörde sei, und 
daß sich die politischen Behörden so zu benehmen haben, wie sonst in 
Friedens- und Kriegszeiten*. (0, wunderschön!). 

Daß bei dem Ausschüsse ein eigener Verteidigungsrat*) 
bestanden haben müsse 8 ), zeigt sich aus Nr. 272, weil derselbe über 
die Nacht vom 1], zum 12. Oktober Bericht erstattet. (Sollten denn die 
Namen der Mitglieder nicht erforscht werden können?) 4 ). Dr. Frankl 5 ) 
bestätigt in seinem Geständnisse die Existenz desselben. 

Am 12. Oktober . Laut 275 werden dem Ausschüsse die Paß An¬ 
gelegenheiten zu beschwerlich, daher er sie dem Gemeinderate auftrfigt. 

Nr. 279 befiehlt er allen Bezirkschefs, einen neuen Oberkommandanten 
zu wählen 6 ), weil Braun die Stelle niedergelegt, und nach Nr. 282 er¬ 
nennt er provisorisch den Messenhauser bis zur Wahl 7 ). 

Nach 2S4 scheinen die Garden den Spitzhütel gewählt zu haben 8 ), 
weil die Aula sich beim Ausschüsse gegen seine Wahl beschwert 9 ). Als 
Erledigung ist angemerkt: »Vertrauensmänner zu wählen* 10 ). 

*) Schon am 9. Oktober hatte sich in Wien die Nachricht verbreitet, Jellacic 
habe in Bruck a/L. 60 000 Rationen fQr seine Truppen gefordert. 

*) Es ist wohl jener fünfgliedrige militärische Beirat gemeint, von dem gleich 
am Anfänge die Rede war. 

Im Manuskripte unterstrichen. 

4 ) Wir wissen auch, wie er zusammengesetzt war. Waren denn deren Namen 
aus den Verzeichnissen nicht ersichtlich? 

Ä ) Gemeint ist Dr. Ludwig August Frankl (vgl. auch weiter oben). 

e ) Die Aufgeforderten nahmen auch gleich die Wahl vor. Vgl. weiter unten. 

1 ) Minister Krauss erließ an Messenhauser diesbezüglich folgendes Schriftstück 
(getreue Abschrift in Helferte Nachlasse): An Herrn Wilhelm (!) Messenhauser. 
Nachdem Sie heute zum provisorischen Nationalgardeoberkommandanten vorgeschlagen 
worden sind, so finde ich im Einverständnisse mit dem Reichstags- 
auBschusse Sie zum prov. Nationalgardeoberkommandanten für Wien und 
die Umgebung zu ernennen. Ich setze Sie hievon vorläufig mit der Auf¬ 
forderung in die Kenntnis, den mit dieser Stelle verbundenen Dienst ungesäumt 
zu übernehmen. Zugleich verständige ich von dieser Ernennung das provisorische 
Nationalgardeoberkommando und den Verwaltungsrat der hiesigen Nationalgarde, 
sowie den Gemeinderat [vgl. diesbezüglich bei Dunder, Denkschrift 346] der Stadt 
Wien und das niederöeterreichische Landesregieningspräsidium. Wien, den 12. Ok¬ 
tober 1848. Für den Minister des Innern: Krauss. 

*) Ist auch wirklich geschehen. Vgl. dazu obeD, wo vom Widerstande der 
Nationalgardenchefs die Rede ist. 

®) Schon vor dem Rücktritte Brauns hatte sich im demokratischen Lager 
eine starke Partei gebildet, welche für dessen Absetzung und für die Übertragung 
des Oberbefehls an Messenhauser «girierte. Der Kunde von der Wahl Spitzhütls 
folgten stürmische Auflaufe vor dem Stallburggebäude, dem Sitze des Oberkom¬ 
mandos, das Studentenkomitee stellte sich mit einem Mißtrauensvotum im Namen 
der akademischen Legion ein, worauf Spitzhütl nichts anderes übrig blieb, als 
»herzlich gerne« seine Stelle niederzulegen. 

|0 ) Diese Anmerkung bezieht sich wohl auf die im Plenum abgegebene Erklärung 
Violands, welche dahin ging: »Es wurde heute H. Spitzhütl zum Oberkommandanten 
der Nationalgarde ernannt, der aber gegenwärtig seine Stelle niedergelegt hat. Es 
wurde daher der Gemeinderat angegangen, anher bekannt zu geben, welche 
Person eigentlich die Bevölkerung (!) auf der Stelle eines Oberkomman- 
danten wünschen würde. Der Gemeinderat hat darauf sich an die Nationalgarde 



Die Reichstagspermanenz im Oktober 1848. 


141 


Laut 290 zeigt der Nationalgardeverwaltuiigsrat an, daß derselbe über 
Aufforderung des Gemeinderates zur provisorischen Besetzung des 
Oberkommandanten Messenhauser in Vorschlag gebracht und zur 
Wahl 6 Abgeordnete des Studentenkomitees beigezogen habe. In Dunder’s 
Werke 1 ) über die Oktobererreignisse kann man im 3. Hefte pag. 325 bis 
347 des Umständlichen lesen, ype Messenhauser durch die Intriguen des 
Studentenkomitees und eines Teiles der Reichstagspermanenz durchgesetzt 
wurde; protokolliert aber erscheint sub 290: Ȇber Vorschlag des Ge 
meinderates und Verwaltungsausschusses bestätigt das Ministerium mit dem 
permanenten Ausschüsse den Wilhelm 2 ) Messenhauser als provisorischen 
Oberkommandanten für Wien und dessen Umgebung* 8 ). 

Am 13. Oktober .« Nr. 294 beschließt der Ausschuß im Einver¬ 
nehmen mit dem Finanzminister 200.000 fl. zur Unterstützung 
der bewaffneten Bewohner. 

In Nr. 299 liegt die Originalzuschrift des ungarischen Reichstagsprä¬ 
sidenten Päzmandy, gefertigt von ihm, den Kommissären Samuel und 
Böny, Ladislaus Csänyi und Paul Asztalos und dem Befehlshaber Jo¬ 
hann Moga, an die österreichische Nationalversammlung, welche auch die 
Exekutive ausübt, dto. Nikolsdorf 11. Oktober 4 ), worin nach umständlicher 
Darstellung der ungarischen Verhältnisse zum Schlüsse erklärt wird, der 
Reichstag solle den Jellaöid entwaffnen, widrigenfalls sie ihn 
überallhin verfolgen würden; auch würden die Ungarn selbst, wenn Jellacic 
vernichtet sei, den Wienern auf Verlangen zu Hilfe kommen. 
Darüber hat der Ausschuß mit Fischhofs Fertigung geantwortet, daß in der 
Reichstagssitzung vom 12. Oktober dieses dort verlesene, soviel freund¬ 
schaftliche 6 ) und edle 6 ) Gesinnungen atmende Schreiben mit Akkla¬ 
mation und großem Jubel von der Versammlung aufge¬ 
nommen wurde 7 ); ja der Ausschuß hat sogar (wie zum Hohne) eine 
Abschrift dieser Antwort an Seine Exzellenz den Grafen Auersperg ge- 


tmd akademische Legion gewendet und beide aufgefordert, Bevollmächtigte 
zu senden, um eine Person an diese Stelle gemeinschaftlich zu wählen. 
Der permanente Ausschuß stellt daher da« Ansuchen, die h. Reichsversammlung 
wolle ihn ermächtigen, die gewählte Person zum prov. Oberkoinmandanten er¬ 
nennen zu dürfen, weil dies äußerst dringend ist«. (Verhandlungen, III. 125). 

*) Gemeint ist W. A. Dundera »Denkschrift über die Wiener Oktoberrevo¬ 
lution«. Siehe S. 343 u. tf. 

*) Soll heißen Wenzel. Dem Verfasser (Scliuselka V) scheint das Emennungs- 
dekret vor Augen geschwebt zu haben. Vgl. dazu oben. 

») Vgl. diesbezüglich, was etwas höher gesagt worden. 

«) Im Reichstagsprotokolle (Verhandlungen, III. 118) ist eine diesbezügliche 
Eingabe yon Ungarn an den österr. Reichstag abgedruckt, aber sie ist von Pest 
aus und vom 10. Oktober datiert, sowie mit den Unterschriften der Vizepräsidenten 
beider Häuser des ung. Reichstages versehen. Davon machte Schuselka in der Abend- 
sitzung vom 12. Oktober die ';ur/.e Mitteilung: »Vor dem permanenten Ausschüsse 
erschien heute eine Deputation, bestehend aus zwei Mitgliedern des ungarischen 
Reichstages und einem ungariß'nen Kurier und Überbrachten zur Mitteilung an 
den österreichischen Reichstag e.ne Adresse«, die darauf zur Verlesung gelangte. 
(VgL auch Pulszky, Meine Zeit, II. 237). 

*) Im Manuskripte unterstrichen. 

*) Im Manuskripte zweimal unterstrichen. 

7 ) Laut Protokoll wurde die Adresse unter »rauschendem Beifall« aufgenommen 
und auf Podlewskis Antrag in Druck gelegt. 



142 


Hugo Traub. 


sendet und die aus dem ungarischen Lager abgeordneten Mühlböck, 
Lusensky, Ullmann und Franz von Dessewffy 1 ) mit Qeleitscheinen 
an denselben laut Nr. 300 versehen *). (Diese ungarische Zuschrift dürfte 
wohl zur Untersuchung der ungarischen Eebellion von Nutzen sein) 8 ). 

Am 14. Oktober. Laut 312 überreicht das Studentenkomitee 
eine Adresse an den Reichstag, energisch^ Schritte gegen Jellacic zu 
tun (ist nicht vorhanden) 4 ). 

Nr. 319 erklären mehrere Bezirkschefs, daß die Nationalgarde 
nicht geeignet sei, einem bedeutenderen Feinde entgegen* 
zutreten, daß sie nicht aus der Stadt rücken und angreifen werde; sie 
verlangen zu wissen, woher die Nachricht sei, daß die Ungarn anrücken 6 ). 
(Eine Antwort ist nicht ersichtlich). 

Nr. 320 erscheint der bekannte Radikale, Dr. Hammerschmidt 6 ), 
mit dem Ansuchen, den Landsturm von Seite des Reichstags auf- 


*) Fr. Dessewffy ist wohl zu unterscheiden von Emil, der mit Samuel Jösica 
und Ant. Szäcsen als Vertrauensmann des Fürsten Windischgrätz an der ungarischen 
Verfassung arbeitete. 

*) Schuseka machte am 13. Oktober in der Abendsitzung der Kammer die 
Mitteilung: »Vor einer halben Stande ist vor dem Ausschüsse eine Deputation aus 
dem ungarischen Lager erschienen lediglich mit dem Ansuchen, ihr einen Geleit¬ 
schein zu verschaffen, damit sie frei in das Lager des Grafen Auersperg gelange 
und demselben im Aufträge des Kommandierenden der ungarischen Armee eine 
Depesche überreichen könne« (Verhandlungen, III. 132). Es wurde ihr der Gelei t- 
schein gewährt und eine Bedeckung beigegeben. 

*) Wie vorsichtig sich die Permanenz in der Beziehung benommen hat, weiß 
außer Fr. Pulszky auch Th. Pulszky (Aus dem Tagebuche einer ung. Dame, II. 30) 
zu erzählen. Als ihr Mann am 13. Oktober nach Wien zurückgekehrt sich zum per¬ 
manenten Ausschüsse begab, soll sich Folgendes abgespielt haben: »Kommen die 
Ungarn? 4 »Sobald Sie es wünschen, meine Herren«, war die Antwort. Pulszky 
setzte den Anwesenden auseinander, die ungarische Armee wolle, ohne vom Reichs¬ 
tag aufgefordert zu werden, nicht die Grenze überschreiten. Doch die Deputierten 
meinten wieder, sie könnten die ungarische Armee nicht auffordern, denn — sie 
könnten den legalen Rechtsboden nicht verlassen, sie seien Repräsentanten des 
Kaisertums, nicht nur Wiens, die Verteidigung Wiens gehe den Gemeinderat an, 
nicht den Reichstag. Pulszky antwortete: »Dann werden die Ungarn nicht kommen, 
sie wollen den Rechtsboden auch nicht verlassen«. Vgl. auch bei Fr. Pulszky, Meine 
Zeit, IL 228. Siehe dazu Anm. 1 S. 139. 

4 ) Auf diese Eingabe hin scheint die Permanenz sich aufgerafft zu haben, 
denn am selben Tage verlas im Reichstage Schuselka die vom Ausschüsse dto. 14. 
an Jella^id abzuschickende Antwort, wo es heißt: . . . »Der Reichstag wiederholt 
daher, daß er kein anderes Mittel des Friedens kennt, als daß E. E. mit Ihren 
Truppen sogleich den Rückzug in die Heimat antreten und der gesetzlich 
bewafineten Volkswehr der Umgebung Wiens die Waffen zurück¬ 
stellen. Geschieht dies, dann kann der Reichstag mit Berufung auf die 8. M. vor 
getragenen Friedensschlüsse auch die ungarische Armee zum Stillstände auffordern«. 
(Verhandlungen, III. 149). 

fi ) Die Armee Mogas überschritt am 17. Oktober den Grenzfluß, um Jellaßid 
anzugreifen, allein dieser Offensivversuch wurde schnell wieder aufgegeben. Ähn¬ 
liche Nachrichten waren täglich in Wien — zuvor wie nachher — iu Umlauf 
(vgl. auch weiter unten). 

«) Merkwürdigerweise weiß Dunder (siehe dessen »Denkschrift «) von Hammer- 
Schmidt absolut nichts zu erzählen, ja er erwähnt ihn mit keinem Worte. Doch er¬ 
fahren wir an anderer Stelle, daß, als Messenhauser am 25. Oktober die Stadt als im 
Belagerungszustand befindlich erklärte und Feldacliutant Fenneberg mit der Organi¬ 
sierung einer Militärpolizei betraut worden war, demselben der Hauptmannauditor 
MUDr. Josef Hammerschmidt zur Seite gestellt wurde. Dieser war es auch, dessen 



Die Reichstegspermanenz im Oktober 1848. 


143 


zubieten. Die Erledigung lautet: »Mit Motivierung zurückgewiesen*. (Es 
wäre interessant, diese Motivierung zu wissen) 1 ). Wahrscheinlich war sie 
dieselbe, welche Füster auf der Aula gegen das Studentenkomitee bei 
Überbringung a ) von konzipierten Plakaten, damit solche als vom Komitee 
ausgehend veröffentlicht werden, vorgebracht hat, nämlich: »Wir als Reichs¬ 
tag können ja nicht den Aufruhr predigen*, oder wie Endlich den Bauern 
im V. 0. W. *) sagte 4 ): »Ja, der Reichstag will immer auf gesetzlichem 
Boden bleiben, daher er selbst 6 ) den Landsturm nicht ruft*. 

Nr. 321 teilt der Ausschuß Passierscheine für Lustreisende 5 ) 
ins ungewisse 6 ) Lager aus. (Dies dürften wohl seine Emissäre gewesen 
sein, da ja daß Paßwesen dem Gemeinderate zugewiesen war). 

Am 15. Oktober. Nr. 322 liegt ein von Pillersdorff eigenhändig 
geschriebener Bericht über seine Wahrnehmungen im Lager des Jellaöic 
und Auersperg, die er gelegentlich eines Besuches bei seiner Familie in 
Liesing machte, vor. (Also scheint auch er spioniert zu haben) 7 ). 

Aus Nr. 323, 330 und anderen erhellt, daß die Verfügungen 
des Oberkommandanten der Genehmigung des Ausschusses 
unterzogen wurden. 

Am 16. Oktober. Nr. 332 macht der Abgeordnete Bilinski den 
Antrag, den Grafen Auersperg aufzufordem, den Jellacic zur Räumung des 

Auslieferung nebst 13 anderen von Windischgrätz am 30. Oktober begehrt wurde. 
Am 31. Januar 1849 erging seitens der Zentralmilitäruntersuchungskommission 
an die entflohenen Bern, Fenneberg, Haug, Hauck, Hammerschmidt und Wutechel 
die Aufforderung, sich »binnen längstens neunzig Tagen um so gewisser zu stellen, 
als sonst das Verfahren gegen dieselben in contumaciam durchgeführt werden 
würde«. (Vgl. Helfert, Geschichte Österreichs, IV. 3. S. 8 u. 466). Hammerschmidt 
nahm aber Zuflucht nach der Türkei und war daselbst als Chefarzt eines Militär¬ 
spitals in den sechziger Jahren tätig (Politik, 1864 Kr. 259). 

i) Ober die Motivierung erfahren wir Näheres aus der Erklärung Schuselkas, 
die er in der Abendsitzung vom 17. Oktober abgab. Während nämlich Violand den 
Antrag auf Anrufung des Landsturmes, wie er vom Wiener demokratischen Frauen- 
vereine verlangt wurde, befürwortete, sagte Schuselka: »Die Aufrufung des 
Landsturmes ist im permanenten Ausschüsse schon oft angeregt 
und beraten worden. . . . Der Ausschuß hat sich bis zu dieser Stunde nicht da¬ 
rüber vereinigen können, daß es zweckmäßig, gewissenhaft sei, den Land¬ 
sturm aufzubieten, und ich individuell, nicht als Berichterstatter des Ausschusses, 
sondern als Abgeordneter, als Mitglied dieses Hauses, halte es für das größte 
Unglück, für einen übereilten Streich, wenn wir den Landsturm aufrufen würden, 
durchaus aber nicht darauf sehend, ob es ein gesetzmäßiger Schritt gewesen wäre 
oder nicht«. (Verhandlungen, HI. S. 209). 

*) Dabei ist die Randbemerkung zu lesen: Aus der Untersuchung des 
Dr. Frankl. 

*) Die Anfangsbuchstaben vermochte ich nicht zu enträtseln. 

4 ) Dabei findet sich die Randbemerkung: Aus der Voruntersuchung gegen 
Kudlicn. 

*) Im Manuskripte unterstrichen. 

8 ) Soll wohl »ungarisch« « 1 eißen. 

7 ) Vgl. dazu »Beschuldigungen gegen meine politische Tätigkeit« im »Hand¬ 
schriftlichen Nachlasse des Frei\erm von Pillersdorff«. Diese Mitteilung wird sich 
wohl vornehmlich auf die Stelling, welche Auersperg am 14. Oktober eingenommen, 
bezogen haben. Auersperg hatte sein Hauptquartier in Inzersdorf aufgeschlagen 
und mit seinen Truppen den südlichen Abhang des Laaerberges sowie den Wiener¬ 
berg bis zur Schönbrunner Gloriette besetzt, wobei bei der Spinnerin am Kreuz, 
bei den sieben Ziegelhütten am Wienerberg und quer der Laxenburgerallee Ver¬ 
schanzungen aufgeworfen worden waren. (Vgl. Smete, Das Jahr 1848. H. 696). 



144 


Hugo Trauo. 


österreichischen Bodens zu zwingen L ), widrigenfalls die Geldsendungen an 
ihn einzustellen 2 ), oder, wenn man demungeachtet die Geldsendungen für 
nötig hält, dies öffentlich zu erklären. Dieser Antrag wurde darum 
verschoben, weil der Minister in diesem Falle abzutreten 
erklärte 8 ). 

Am 17. Oktober. Nr. 347 empfängt der Ausschuß die Deputation 
der Frankfurter Linken 4 ). Nr. 331 wird dem Ausschüsse angezeigt, 
daß der Garde Johann Walter, welcher Plakate zur Aufbietung 
des Landsturmes bei sich hatte, in Krems irretiert worden und mit 
dem Strange bedroht sei. Der Ausschuß sendete sogleich einen Kurier ab, 
der es auch, wie aus dem Schreiben des Obersten Pott Nr. 361 ersichtlich 
ist, erwirkte, daß Walter ihm (dem Kurier) übergeben wurde 5 ). Man sieht 
hieraus wieder, wie der Ausschuß unter der Hand die Verbreiter des Aufruhrs 
unterstützte. Hierbei kann die höchst schlechte Eingabe eines sichern Charles 
Court Nr. 360 nicht übergangen werden, aus welcher man erfährt, daß 
Schuselka im Reichstage wirklich auf Aufbietung des Landsturmes an¬ 
trug 6 ). Court ist sehr ungehalten, daß der Antrag nicht durchging 7 ). 

*) Das war allerdings ausgeschlossen, denn noch am Abend des 10. Oktobers, 
wo Jeilatfiö vom Laaerberge auf Wien niederblickte, hatte er eine Zusammenkunft 
mit Auersperg, wobei die Vereinigung beider Truppenteile beschlossen worden war. 

*) Deshalb hebt Smets (Das Juhr 1848, H. 621) die Doppelstellung des 
Ministers Krauss hervor, daß nämlich derselbe, obwohl er »der von Wien ver¬ 
fochtenen Sache seinen offiziellen Segen gab und die erforderlichen Geldsummen 
zur Vernichtung der heranrückenden feindlichen Truppen vorstreckte«, auch gleich¬ 
zeitig »für die Belagerer Schuhe und Strümpfe, Brod und Schnaps, Pulver und 
Blei« besorgte. Dem gegenüber sei auf Wessenbergs Urteil verwiesen, der am 
24. Oktober 1848dem Erzherzog Johann schrieb: »Krauss harrt heldenmütig 
in Wien aus, um die Finanzen nicht preiszugeben, und muß sich alles von der 
Reichsversammlimg gefallen lassen« (A. Arneth, Joh. Fr. v. Wessenberg, II. 275), 
wie er auch um 4 Tage später in einer Mitteilung an den Kaiser von der »sel¬ 
tenen und aufopfernden Stellung« des Ministers Krauss spricht (ibidem). 

*) Als am 9. Oktober Dylewski den Minister hinsichtlich des von Jellacic be¬ 
fehligten Militärs interpellierte, entgegnetc Krauss ausweichend unter anderem: 
»Wer ein bedeutendes Truppenkorps zur Verfügung hätte [gegen Jelladid], könnte 
eine Sprache fuhren, welche dann auch natürlich einen Erfolg hätte«. 

4 ) Am 17. Oktober langte in Wien, mit großem Jubel empfangen, die Depu¬ 
tation der demokratischen Minorität (Linken) des Franafurter Parlaments an. Sie 
bestand aus Robert Blum, Julius Fröbel, denen sich der Deutschbölnne Moritz 
Hartmann und der Mährer Albert Trampusch freiwillig angeschlossen hatten. 
(Vgl. bei Jul. Fröbel, Elin Lebenslauf, I. 209). Schuselka berichtete darüber und 
über ihre Sympathieadresse noch am selben Tage im Reichstag. (Verhandlungen, 
HI. 187). Wohl zu unterscheiden von der Mission der zwei Reichskommiss&re 
Karl Welcker und Oberst Mosle, welche schon am 13. die Reise nach Österreich 
angetreten hatten mit dem Aufträge, zwischen den feindlichen Lagern zu ver¬ 
mitteln. Ihre Tätigkeit beschränkte sich auf Olmütz. 

6 ) Auersperg hatte sich mit Jelk: öid am 10. Oktober ins Einvernehmen gesetzt, 
einen gemeinschaftlichen Flankenmarsch um Wien herum auszuführen und sich 
bis Krems rückwärts zu konzentrieren, wo der Anmarsch des Fürsten Windischgratz 
abgewartet werden sollte. Deshalb ging sofort Oberst Pott nach Krems ab, um 
mit den dort schon postierten Truppen die Verteidigung des Donauüberganges zu 
übernehmen. 

•) Daß ein Irrtum vorliegt, ersieht man aus der früher schon zitierten Er¬ 
klärung Schuselkas, die er in der Abendsitzung vom 17. Oktober abgab. (Vgl. Ver¬ 
handlungen, IH. 209). 

7 ) Der Antrag konnte nicht angenommen werden, weil er von der Permanenz 
nicht gestellt worden war; etwas anderes war die Befürwortung Violands. 



Die Reichstagspermanenz im Oktober 1848. 


145 


Am 18. Oktober. Nr. 359 weiset der Ausschuß dem Oberkom¬ 
mando 50.000 fl. bei dem Gemeinderate an und Nr. 380 werden auf 
Antrag des Ausschusses vom Reichstag neuerdings 200.000 fl. 
dem Gemeinderat zur Verfügung gestellt 1 ). 

Am 20. Oktober. Durch die (fehlende) Antwort Auerspergfs] Nr. 383 
wußte der Ausschuß 2 ), daß Fürst Windischgrätz seit 16. Oktober Ober¬ 
befehlshaber der Truppen s ) sei, und durch die Meldung der Mitglieder des 
Gemeinderates Nr. 394 vom 21. Oktober erfuhr er, daß der Kaiser die 
Deputation des letzteren nicht empfangen, sondern an den bevollmächtigten 
Fürsten Windischgrätz gewiesen habe 4 ), und doch hat der Ausschuß laut 

*) Als der Gemeinder&t um einen neuerlichen Unterstützungsbeitrag von 
200.000 fl. K. M. den Reichstag anging, gab der deutschböhmische Delegierte 
Karl Uchatzi folgende klassische Motivierung ab: »Wenn wir die bezahlen, 
welche hereinschießen, so sehe ich nicht ein, warum wir nicht auch die be¬ 
zahlen sollten, welche hinausschießen!« Der Gemeinderat führte nämlich eine 
teilweise LOhnung der Garden ein, indem er jedem Garden für 24stündigen Wachdienst 
einen bestimmten Lohn aussetzte. — Daß die Akten nicht lückenlos vorgefunden 
worden sind, beweisen schon die Berichte Schuseikas vor der Kammer, von denen hier 
merkwürdigerweise keine Erwähnung getan wird. So machte der Berichterstatter am 
18. Oktober dem Reichstage die Mitteilung: »Es ist durch den in ungarischen Ange¬ 
legenheiten sehr bedeutend wirksamen H. v. Pulszky dem permanenten Ausschüsse 
achiiftlich der gute Rat erteilt worden, sich an den Erzherzog Johann, Reichsverweser, 
zu wenden, um seine Vermittlung an/.nrufen«. (Vgl. weiter oben). Und später verlas 
Schuselka das Manifest an die Völker Österreichs dto. 18. Oktober. (Verhandlungen, 
IQ. 226). Wieso kommt es, daß vom 19. Oktober überhaupt k. in Akt verzeichnet 
vorkommt, obwohl gerade am selben Tage Schuselka im Parlamente berichtete, daß 
»heute die Bevölkerung Wiens durch ein Plakat in Betreff der Stellung der Ungarn 
zu neuen Hoffnungen aufgeregt worden«? Weil es darin heißt, daß die Ungarn zu Hilfe 
kämen, sobald sie dazu durch »eine der legalen Behörden« aufgefordert werden würden, 
erklärte Schuselka offen und ehrlich: »Sie sprechen eine Bedingung aus, deren Er¬ 
füllung unmöglich ist, denn es gibt in Wien keine legale Behörde, die eine 
fremde, unter einem fremden Ministerium stehende Kriegsmacht ins Land rufen 
könnte. Der Reichstag ist nicht dazu legal, ''ine fremde Kriegsmacht ins Land zu rufen 
und dadurch dem Monarchen, der ihn berufen, eine Konstitution zu geben, offen den 
Krieg zu erklären. ... So muß der permanente Ausschuß öffentlich dagegen 
protestieren als gegen eiue Handlung, die ganz dazu geeignet zu sein scheint, 
un Innern der Stadt neue Aufregungen und blutige Exzesse hervorzurufen«. (Ver¬ 
handlungen, HI. 249). Vgl. auch Schuseikas Erklärung vom 22. Oktober (ibidem 306). 

*) ln Bezug auf das Manifest vom 16. Oktober sagte Schuselka im Reichstage 
am 22. Oktober: »Wir können, da dasselbe auf keine offizielle Weise weder uns 
noch meines Wissens dem Ministerium zugekommen ist, dasselbe durchaus 
nicht für ein wirkliches, offizielles, vollkräftiges und gesetzkräftiges Manifest aner¬ 
kennen«. (Verhandlungen, HI. 307). 

•) Das Manifest vom 16. Oktober betraute Windischgrätz mit dem Oberbe¬ 
fehle Über sämtliche Truppen mit Ausnahme der italienischen Armee, die unter 
Badetzky kämpfte. 

4 ) Am 20. Oktober langten in Olmütz eigentlich gleich drei Wiener Deputationen 
an, darunter die des Gememderates, von denen keine weder beim Kaiser selbst, 
noch beim Erzherzog Franz Karl vorgelassen wurde. Die Gemeinderatsdeputation 
erhielt von Wessenberg noch am selben Abend den Bescheid, ihre Adresse sei dem 
Monarchen vorgelegt worden; da sie aber Bitten enthalte, auf deren Erfüllung 
man unter den gegenwärtigen Umständen nicht eingehen könne, so würde ihnen be¬ 
kannt gegeben, daß man sich in allem, was die Herstellung der gesetzlichen Ord¬ 
nung in Wien betreffe, an den Fürsten Windischgrätz zu wenden habe; übrigens 
dürfe man hoffen, daß durch die Kundmachung Sr. Majestät vom 19. den billigen 
Wünschen der Wiener Bürger entsprochen worden sei (Helfert, Aufzeichnungen 
und Erinnerungen aus jungen Jahren, 75). Als die Deputation am 21. Oktober 

10 



146 


Hugo Traub. 


Nr. 399 beschlossen, den verhängten Belagerungszustand als 
ungesetzlich zu erklären, diesen Antrag in die Kammer gebracht, 
ihn dort durchgesetzt l ), davon nach Nr. 400 dem Gemeinderat Anzeige 
gemacht 2 ) und dafür vom Studentenkomitee laut 401 den Dank ge¬ 
erntet 3 ). 

Sogleich haben nun laut 402 die Nationalgardechefs sich schriftlich 
angefragt, ob sie bei der Verteidigung Wiens gegen die kaiser¬ 
liche Armee auf legalen Boden stehen. Diese Eingabe hat der 
Ausschuß (eine schändliche Perfidie) dem Oberkommando zur Erledigung 
zugewiesen. Es findet sich aber bezüglich dieser Eingabe unter den nicht 
exhibierten Schriften Nr. 69 ein Konzept an das Nationalgardeoberkom¬ 
mando vor, welches wörtlich lautet wie folgt: »In Erwiderung auf das Ge- 

abends in Lundenburg eintraf, konnte sie bei Windischgrätz nicht vorgelassen 
werden und mußte die Nacht in den Waggons zubringen. Karl Bembrunn, Ge¬ 
meinderat und Mitglied der Deputation, verließ hier seine Genossen und eilte nach 
Wien voraus, um daselbst Bericht von dem kläglichen Ausgange der Mission zn 
erstatten. 

J ) Kn um hatte Windischgrätz am 19. Oktober im Lundenburger Schlosse 
seinen Silz aufgeschlagen, als er am nächsten Tage »die Stadt, die Vorstädte und 
ihre Umgebung in Belagerunyszustand« erklärte. Nach Berichterstattung Schuselkas 
wurde am 22. Oktober der Antrag des permanenten Ausschusses einstimmig mit 
»großem, anhaltenden Beifall« und unter Jubelgeschrei der Gallerien zum Beschlüsse 
erhoben. Der Permanenzantrag lautete wörtlich: »In Betracht, daß die Herstellung 
der Ruhe und Ordnung, wo sie wirklich gefährdet sein sollten, nur den ordent¬ 
lichen konstitutionellen Behörden zukommt und nur auf ihre Requisition 
das Militär einschyeiten darf; 

in Betracht, daß nach dem wiederholten Ausspruche des Reichstages und des 
Gemeinderates die bestehende Aufregung in Wien nur durch die drohenden Truppen¬ 
massen unterhalten wird; 

in Betracht endlich, daß das kaiserliche Wort vom 19. d. M. [zweites Mani¬ 
fest von Olmütz] die ungeschmälerte Aufrechthaltung aller errungenen Freiheiten, 
sowie ganz besonders die freie Beratung des Reichstages neuerdings gewährleistete : 
erklärt der Reichtag die vom Feldmarschall Fürsten Windischgrätz ange¬ 
drohten Maßregelndes Belagerungszustandes und des Standrechtes 
für ungesetzlich«. — Dies gab, wie Springer betont (Geschichte Österreichs, 
H. 568), der Verteidigung Wiens »eine legitime Basis«. Man kämpfte fortan 
»nicht gegen den Monarchen, sondern gegen Generäle, welche den Willen des 
Kaisers mißachten«. 

*) Der Gemeinderat erhielt die Lundenburger Proklamation zugeschickt, ver¬ 
öffentlichte sie aber nicht — daß sie nichtsdestoweniger am 22. Oktober an etlichen 
Punkten der Stadt erschienen war, ging nicht von demselben aus — sondern über¬ 
gab sie dem permanenten Ausschüsse zur weiteren Maßnahme. Deshalb war es 
notwendig, daß auch der Gemeinderat, abgesehen vom Minister Wessenberg, der 
sich am Hoflager in Olmütz befand, und Windischgrätz, vom Reichstagsbeschlusse 
benachrichtigt wurde. Dadurch wurde der schwankende Gemeinderat aus einer 
großen Verlegenheit befreit und er beschloß eine Zuschrift; an Windischgrätz als 
Antwort auf die Proklamation, worin er wohlweislich jede Verantwortlichkeit von 
sich ablehnte und auf Minister Krauß und den Reichstag verwies. 

*) Das Studentenkomitee, welches bald nach dem 6. Oktober eine leitende 
Permanenz nebst fünf Kommissionen bildete, »übte« — wie Dunder (Denkschrift, 
351) hervorhebt — »noch in den letzten Oktobertagen einen so mächtigen Einfluß 
aus, daß keiner es wagte, den von diesem Tribunal Freigesprochenen auch nur 
mit einem Worte zu beleidigen«. Dasselbe bestürmte in der Tat unablässig den 
Reichstag um Aufbietung des Landsturmes und Anrufung der Magyaren und 
versuchte es zum Schlüsse auf eigene Faust, allerdings ohne Erfolg. Es ist deshalb 
mehr alB begreiflich, daß das Studentenkomitee die Ungesetzlichkeitserklärung des 
Belagerungszustandes mit Beifall quittierte. 



Die Reichstagspermanenz im Oktober 1848. 


147 


such mehrerer Herren Bezirkschefs ein hoher Reichstag beschließe, 
daß die Nationalgarde ihr konstitutionelles Recht mit den 
Waffen in der Hand zu verteidigen berechtigt sei 1 ), findet 
sich der Reichstagsausschuß bemüßigt, folgendes zu erklären: Das Institut 
der Volkswehr, soll es nicht zur bloßen Polizeianstalt oder Spielerei 
herabsinken, ist neben der gesetzgebenden Gewalt vor allem Andern be¬ 
rufen und verpflichtet, jede Beeinträchtigung der konsti¬ 
tutionellen Freiheiten, sie möge von äußeren oder inneren 
Feinden kommen, männlich zurückzuweisen € x ). In diesem 
Erlasse wurde also der Fragepunkt, der im Exhibitum Nr. 402 enthalten 
ist, ganz verdreht und dem Oberkommandanten angedeutet, wie er die Chefs 
zu belehren habe. 

In Nr. 406 steht dem Oberkommando allein im Falle der Not¬ 
wendigkeit die Disposition über die Hofpferde zu. 

Am 24. Oktober 2 ). Man dürfte billig fragen, wie kommen denn die 
Originaladressen der Demokratenvereine von München und Friedberg sub 
411 und 412 an die Wiener unter die exhibierten Aktenstücke der Reichs¬ 
tagspermanenz? *). 

Am 25. Oktober. Nach 420 wurde im Ausschüsse über die neuer¬ 
liche Proklamation des Fürsten Windischgrätz 4 ) beraten und beschlossen: 

1. Anfrage bei Wessenberg durch Minister Krauss direkt vom 
Ausschüsse. 

2. Konfidentielle Sendung des Pillersdorff an den Fürsten 6 ). 


*) Im Manuskript unterstrichen. 

•) Wir vermissen hier wieder jeglichen Bericht Über die Tage vom 21. bis 
23. Oktober. Und doch muß der Einlauf der Permanenz gerade in diesen Tagen 
kein geringer gewesen sein, wie wir der Erklärung Schusefkas vom 22. d. M. in 
der Kammer entnehmen: »Um zu zeigen, wie sehr wir dahin trachten, um im Ein¬ 
klänge mit den Wünschen des Volkes zu streben und zu wirken, erwähnen wir, 
daß der größere Teil dieser anonymen Zuschriften sich mit der ungarischen 
Frage beschäftigt und daß fortwährend die bittersten Vorwürfe und, wie ich 
sagte, die wirklich heftigsten Drohungen ausgesprochen werden, weil wir die 
Ungarn nicht zu Hilfe rufen« (Verhandlungen, III. 306). Oder wurden diese Brief¬ 
schaften, weil anonym, von dem Ausschüsse selbst vernichtet? 

•) Sämtliche Adressen, die an den Reichstag gerichtet waren, kamen tat¬ 
sächlich zuerst in den permanenten Ausschuß, der sie dann durch seinen Bericht¬ 
erstatter zur Kenntnis der Kammer brachte. Merkwürdigerweise aber kommen 
unter den verlesenen Adressen diese beiden nicht vor. 

*) Fürst Windischgrätz erließ am 23. Oktober von Hetzendorf eine neue Pro¬ 
klamation, welche der Reichshauptstadt eine Frist von 48 Stunden zur Nieder¬ 
legung der Waffen gewährte (den Wortlaut siehe auch bei Smets, Das Jahr 1848, H. 
632). Diese Proklamation war fertig, ehe dem Feldmarschall durch einen Eilboten 
der Reichstagsbeschluß vom 22. Oktober und ein Schreiben des Ministers Krauß 
übergeben worden war, mit der Verhängung des Belagerungszustandes und mit 
der Anwendung von Waffengewalt bis zur Rückkehr der Reichskommissäre von 
Ohnütz abzuwarten. (Vgl. K. Widmann, Fr. Smolka, I. 112). 

6 ) Merkwürdigerweise erwähnt Pillersdorff selbst über diese Entsendung zu Win- 
discbgrätz gar nichts (vgl. dessen »Handschriftlichen Nachlaß«), und trotzdem unter- 

X es keinem Zweifel, daß sich Pillersdorff nach Hetzendorf zu Windischgrätz be- 
hatte, um auf denselben Einfluß zu nehmen, doch soll er einfach und schroff 
mit den Worten: »Mit Rebellen unterhandle ich nicht, sondern ich fordere imbe¬ 
dingte Unterwerfung!« abgewiesen worden sein. Smets (Das Jahr 1848, II. S. 633) 
erzählt, daß sich Pillersdorff zu Windischgrätz »mit Wissen des Reichstagsaus- 

10* 



148 


Hugo Traub. 


3. Antrag, die Maßregeln desselben, als ebenso gegen 
die Hechte des Volkes wie die des Thrones feindlich zu er¬ 
klären. Im Reichstage angenommen 1 ). 

Am 26. Oktober. Nr. 427 ladet der Gemeinderat zu einer 
wichtigen Beratung den Ausschuß ein, nämlich drei seiner Mitglieder 
dazu in den ständischen Saal zu senden. (Was da beraten wurde, ist nicht 
zu ersehen) 2 ). 

Am 27. Oktober. Nr. 431 beschwert sich das Hauptzollamt, daß bei 
den Weißgärbem eine Barrikade gebaut werde, wodurch das Mautgebäude 
gefährdet sei. Als Erledigung ist protokolliert: »Erledigt durch Hin¬ 
weisung auf den gestrigen, durch uns bekräftigten Befehl 
des Oberkommandanten* 8 ). Nun ist aber weder am 26. noch am 
25. Oktober von einem solchen Befehle in den Akten eine Spur zu finden, 
ein Beweis, daß also das Oberkommando auch Befehle erhielt, 
die nicht beraten wurden. Daß es so geschehen sein müsse, erhellt 
auch daraus, daß sich nirgends in den Akten eine Vollmacht von Messen¬ 
hauser zur Aufbietung des Landsturmes vorfindet, während durch viele 


Schusses, doch nicht in dessen Aufträge« begeben habe, was mit obiger Mitteilung 
richtig gestellt wird. 

*) Schuselka verlas im Reichstage am 24. Oktober abends die Proklamation 
von Hetzendorf mit dem Bemerken, daß unmittelbar nach ihrem Empfange Ab¬ 
drücke davon nach OLmütz »mit der entschiedenen Anfrage« gesandt wurden, ob 
Minister Wessenberg dieselbe »als mit konstitutioneller Freiheit ver- 
einbarlich erkenne und ober dafür die Verantwortung über¬ 
nommen habe«. Darauf stellte der Berichterstatter am selben Tage im Namen der 
Majorität der Permanenz — hier wird zum etstenmale bloß von der Majorität ge¬ 
sprochen — den Antrag: »Da Fürst Windischgrätz in offenem Widerspruche mit 
dem kaiserlichen Worte vom 19. und in offener Nichtachtung des Reichstags¬ 
beschlusses vom 22. Oktober in einer neuen Proklamation Maßregeln über die 
Stadt verhängt, die nicht nur die vom Kaiser sanktionierten konstitutionellen, 
sondern auch die allgemeinen Bürger- und Menschenrechte völlig aufheben, so 
erklärt der Reichstag, daß dieses Verfahren des Fürsten Windischgrätz nicht 
nur ungesetzlich, sondern ebensosehr gegen die Rechte des 
Volkes, wie gegen die Rechte des erblichen konstitutionellen 
Thrones feindlich ist«. Und dieser Antrag wurde auch zum Beschlüsse er¬ 
hoben. (Verhandlungen, HI. 345). 

*) Soviel wir wissen, ging dieser Beratung die Überbringung eines gemeind e- 
rätlichen Memorandums nach Hetzendorf an Windischgrätz voraus, welche vom Feld¬ 
marschall mit der am 25. Oktober veröffentlichten Proklamation beantwortet wurde. 
Der Fürst, welcher durch vertrauliche Winke erfahren haben soll, ein Teil des Ge¬ 
meinderates sei dafür, daß er seine Truppen unverweilt in Wien einrücken lassen 
solle, um durch selbe seine vorgeschriebenen Bedingungen in Ausführung zu 
bringen, motivierte die Ablehnung dieses Planes dadurch, daß er seine Truppen 
keinem mörderischen Straßenkampfe aussetzen wolle. Vielleicht hängt die Beratung 
mit der Erklärung Messenhausers zusammen, welche derselbe am 26. Oktober be¬ 
züglich des Belagerungszustandes von Wien erlassen hatte. Über die Beratung 
vom 28. Oktober gab Schuselka im Reichstage am 30. Oktober eine ausführliche 
Erklärung ab, wobei er auch motivierte, warum der Ausschuß an den Beratungen 
nicht teilgenommen. Es wurde — heißt es dort — auch in diesem Augenblicke 
lediglich dem gewissenhaften Ermessen der Vertreter der Stadt Wien, der 
Bürgervertreter und Verteidiger der Stadt überlassen, bei sich zu erwägen, die 
Mittel zu prüfen, ob man fortkämpfen, oder in Unterhandlungen sich einlassen 
solle. . . . Ebensowenig konnte er sich in seiner Stellung dem Fürsten Windischgrätz 
gegenüber entschließen, an der Verhandlung selbst teilzunehmen. 

*) Im Manuskript unterstrichen. 



Die Reichstagspennanenx im Oktober 1848. 


149 


Untersochniigen und durch die eingebrachten corpora delicti erwiesen ist, 
daß er lithographierte Aufrufe dazu dto. 14. Oktober an eine Menge Ge¬ 
meinden ob und unter der Enns aussendete x ), was er mit Vollmacht getan 
haben muß, weil er selbst in einer Eingabe an den Reichstag vom 18. Ok¬ 
tober (Nr. 19 der nicht exhibierten Akten) unter Anderem wörtlich sagt: 
Seine Vollmachten zur Organisierung des Landsturmes 1 ) 
beschränken sich einfach auf den Inhalt: »Wien ist von Feinden bedroht, 
die keine Erklärung geben, welche Männer von Mut, Freiheit und Ehre zu 
beruhigen vermag. Wir sind im Zustande der Selbstwehr, da ihr uns helfen 
wollet, wenn Gefahr droht, so tut es denn einer lür Alle und Alle für 
einen*. 

An * SO. Oktober*). Nach 452 empfiehlt der Ausschuß dem Finanz- 
minister, die Linzer, Grazer, Brünner und Salzburger Garden in 
beisonderen Schutz zu nehmen. (Natürlich, er hat sie ja hergerufen! 4 ). 

Aus den nicht exhibierten und später verzeichneten Aktenstücken ver¬ 
dienen nachstehende einige Beachtung: Nr. 6 eine Eingabe an den Lohen 
Eeichstag vom 10. Oktober vom Zentralausschusse der Demokraten und dem 
Stndentenkomitee wegen der Wahl eines tüchtigen Oberkomman¬ 
danten 5 ). 

Nr. 16 eine Originaleingabe des Syndikus Adler von Laa, die sehr 
nach Demokratie riecht. 

Nr. 18 mehrere Zuschriften des Josef Franz Kaiser, Lithograph und 
Ausschuß der Grazer Demokraten. 

Nr. 22. Eine umständliche Relation des H. v. Pillersdorff über 
seine oberwähnte konfidentielle Sendung an Fürst Windischgrätz. 

Sub Nr. 48 liegt eine Meldung vom Kommandanten der Station 
Tabor vom 18. Oktober an den Ausschuß, nach welcher derselbe eine 
offene Ordre des kais. Ministeriums aus dem Grunde zurück¬ 
weise t, weil die Vidierung der Reichstagspermanenz fehlt, und merkwür¬ 
digerweise ist diese Meldung mit dem Reichstagssiegel versehen. 

Sub eodem Nr. 48 liegt eine Meldung des Dr. Rechberger 6 ) vom 
12. Oktober: daß er soeben vom ungarischen Ministerium durch einen ge- 

•) Vgl. Dunders, Denkschrift, S. 396. Daß auch das benachbarte Mähren von 
Ifenenhauser nicht verschont blieb, zeigt die lange Reihe von 48 Gemeinden, die 
ich in dem schon früher angeführten Artikel genannt habe. 

*) lm Manuskripte unterstrichen. Mit der Organisierung des Landsturmes im 
Manhartsviertel wie in Mähren war auch Adolf Z o b e 1, Nationalgardekommandant 
in Dntsendorf, betraut, wie dessen von Windischgrätz aufgefangener Brief beweist. 
•Lact Mitteilung des Fürsten dem General Reuss nach Brünn, dto. 26. Oktober 
1><48. Mähr. Statthaltereiregistratur). 

*) Es wurden also auch keine Dokumente aus den Tagen des 28. und 29. Ok¬ 
tobers vorgefonden, wiewohl noch in dieser Zeit nach allen Seiten hin eifrig ver¬ 
handelt worden war. 

*) Daß der Reichstag und mit ihm die Permanenz die Brünner Garden (sowie 
-och die übrigen) nach Wien berufen haben, ist außer Zweifel, wie auch den¬ 
selben ein besonderer Schutz zu Teil worden ist (vgl. meine Abhandlung im lasopis 
asor. mm. zem., 1913/14). 

War gegen Braun gerichtet und zu Gunsten Messenhausers, dessen Wahl 
besonders Dr. Becher, Redakteur des »Radikalen«, mit großer Energie betrieb, weil 
mit ihm eines politischen Glaubensbekenntnisses war. 

•) Wer Dr. Rechberger war, konnte ich nicht mit Bestimmtbeit festeteilen; 
wir es da nicht mit dem Führer der Steirer Schützen zu tun, den 



150 


Hugo Traub. 


rade angekommenen Deputierten des ungarischen Reichstages 1 ) die erfreu¬ 
liche 2 ) (sic, Herr Doktor !) Nachricht erhalten habe, der ungarische Reichs¬ 
tag habe der an der Grenze stehenden Armee von 30.000 Mann befohlen s ), 
nach Wien zu marschieren 4 ), und dieses Hilfskorps werde in 24 bis 48 
Stunden vor Wien sein. (Eigenhändig geschrieben und unter¬ 
schrieben) 6 ). 

Sub eodem Nr. 48 findet sich eine Eingabe des Studentenkomiteefs], 
worin es heißt, man möge sich jener Beamten in der Zentralkasse 
vorsichtigerweise bemächtigen, welche im Falle, als das Volk 
siegt, die Absicht haben, 7,000.000 fL Papiergeld zu vertilgen. 

Nr. 55 findet sich das Verzeichnis der Mitglieder der Reichs¬ 
tagspermanenz. 

Nr. 62 ein Auftrag an das Oberkommando, über die ge¬ 
troffenen Verteitigungsmaßregeln täglich Bericht zu erstatten — vom 18. Ok¬ 
tober. (Scheint von der Hand Füsters geschrieben). 

Nr. 67 ein Konzept zu einem Aufrufe an die Nationalgarde 
mit der Mahnung zur Einigkeit und Festhalten an dem Reichstage 6 ). 

Nr. 72 Konzept eines Reichstagsbeschlusses: 1. Alle Waffenfähigen 
haben sich mit Waffen zu versehen und sich unter das Kommando 
des Bezirkschefs zu stellen 7 ). 

2. Alle Bewaffneten haben unbedingt dem Oberkommando zu 
gehorchen. 

3. Vergehen etc. etc. werden durch ein aus der Nationalgarde zu¬ 
sammengesetztes Kriegsgericht bestraft 8 ). 

Nr. 76 das mehr emendierte Konzept zu dem bekannten Auf¬ 
rufe an die Völker Österreichs zur Rettung Wiens 9 ). (Man ver- 

Helfert einmal Dr. Effenberger, das anderemal Emperger nennt? (Vgl. über ihn 
auch weiter obea). 

*) Unbekannt, wer es von den damals in Wien anwesenden ung. Deputierten 
gewesen sein mag. 

*) Im Manuskripte unterstrichen. 

•) Moga hatte nach Klapkas Angabe nur 25.000 Mann, darunter 10.000 Land¬ 
stürmer und etwa 50 Kanonen. 

*) So viel bekannt ist, wurden am 25. Oktober Oberst Emerich Jv&nka und 
mit ihm Honvedmajor Dobay zu Windischgrätz von magyarischer Seite als Parla¬ 
mentäre mit einem Ultimatum abgeschickt, worin die Entwaffnung des Kroaten¬ 
heeres, die offene Anerkennung der vom Könige sanktionierten Verfassung für 
Ungarn und die Aufhebung der Belagerung Wiens gefordert wurde. Erst nach 
dem abschlägigen Bescheide des Fürsten: Mit Rebellen unterhandle ich nicht! 
siegte Kossuth und brachte die Opposition zum Schweigen. (Vgl. dazu Fr. Pulszky, 
Meme Zeit, mein Leben, II. 248). 

®) Im Manuskripte unterstrichen. 

•) Am 7. Oktober brachte Schuselka den Entwurf der von der Permanenz 
einstimmig genehmigten Proklamation an die Nationalgarden zur Verlesung, welcher 
Antrag ohne Debatte einstimmig angenommen worden war. 

7 ) Am 12. Oktober befürwortete Schuselka Brauns Vorschlag, »daß sich für 
die Dauer der Gefahr alle waffenfähigen Männer unter das Kommando desjenigen 
Bezirkschefs, dem sie ihrer Wohnung nach angehören, zu stellen haben«. (Ver¬ 
handlungen, III. 100). Vgl. weiter oben. 

8 ) Dies widerspricht allerdings der Behauptung von Smets (Das Jahr 1848, 
II. 618), welcher mitteilt, daß zum Studentenkomitee ,alle Gefangenen, Spione und 
verdächtigen Persönlichkeiten zur Untersuchung und Aburteilung gebracht« wurden. 

•) Am 7. Oktober verlas Schuselka die Proklamation an die Völker Österreichs 
»zur Beruhigung und nötigen Aufklärung über den Standpunkt, auf welchen der 



Die Reichstegspermanenz im Oktober 1843. 


151 


mied darin, den bewaffneten Znzng auszusprechen, und nahm nur die Unter¬ 
stützung durch des Volkes moralische Kraft in Anspruch). 

Xr. 77 der Bericht des Abgeordneten Szabel vom 6. Oktober 7 Uhr 
abends über seine Sendung an Auersperg, welcher sich bereit gezeigt habe, 
die Truppen in die Kasernen einnicken und keinen Angriff machen zu 
lassen, jedoch Garantie verlangte, seine Truppen nicht angegriffen zu sehen l ). 
Zugleich berichtet Szabel über sein vergebliches Bemühen, das Volk vom 
Zeughause abzuhalten und das Feuern einzustellen *). 

Dieses bisher Dargestellte ist das Wesentlichste, was aus den mitge¬ 
teilten mangelhaften Permanenzakten zu entnehmen ist Für den 
Zweck der politischen Erhebungskommission reichen vorstehendeData 
vollkommen hin zu beweisen, daß einer der Haupthebel der 
Oktoberrevolution in der Keichstagspermanenz gelegen war; 
denn hier wurden die revolutionären Beschlüsse gefaßt, das Militär sogleich 
ans Wien zu entfernen gesucht und der Zuzug desselben auf den Eisen¬ 
bahnen verboten, die Mittel zur Ausführung der Beschlüsse geboten, das 
2 oehverräterische Streben de? Zentralausschusses der Demokraten und des 
Studentenkomitees nicht nur nicht gehindert, sondern öffentlich unterstützt 
und gefördert; ja diese Permanenz war es, welche den Beschluß faßte, die 
Stadt in Verteidigungszustand zu setzen, den Gemeinderat und die Bezirks¬ 
chefs auf ihre Anfragen, ob sie bei dem Kampfe gegen d e kaiserlichen 
Trappen bei der Verteidigung Wiens auf legalem Boden stünden, mit per- 
h leu Erledigungen im Dunkel ließ, oder gar keine Antwort gab. In dieser 
Permanenz hat sogar ein eigener geheim 3 ) gehaltener Verteidi¬ 
gungsrat bestanden, ihr mußten vom Oberkommando die Verfügungen 
zur Genehmigung vorgelegt werden; sie liebäugelte mit Ungarn, ge¬ 
traute sich wohl nicht, sie geradezu zu rufen, erklärte aber selbst, ihren 
Einmarsch in Österreich nicht verboten zu haben, und erteilte Lustreisenden 
ScxLicet!) ins ungarische Lager Geleitscheine. Es ist in der Untersuchung 

Reichstag sich zu stellen entschlossen ist«. Verfasser derselben war der Bericht- 
«fret&tter selbst, der dazu drei Mitredakteure bekam. Vgl. dazu noch Verhand- 
jmgen, HI. 204, 226 und die emendierte Proklamation »Völker Österreichs« vom 
A». Oktober (ibidem S. 277). 

>) Es wurden gleichzeitig Deputationen an den Kommandierenden »behufs 
i^r weiteren Beruhigung des Militärs«, eine Vermittiungsdeputation zum Kaiser 
und eine an Doblhoff entsendet. Dem ausführlichen Berichte Szäbels (siehe »Ver¬ 
band Jungen«, HL 6} entnehmen wir auch die Antwort, welche dem komman- 
• üereoden General zuteil wurde: »Wir erklärten, daß wir persönlich diese Garantien 
z.krbt geben können, aber daß der Reichstag durch eine Proklamation dahin wirken 
werde, damit Angriffe auf das Militär nicht Btattfinden«. Vgl. auch weiter oben. 

*) Szibel meldete diesbezüglich: »Ich selbst habe eine dahin [zum Zeug- 
tuaseJ ziehende Truppe aufgehalten, habe meine Karte als Abgeordneter vorgezeigt, 
and unsere Rücksprache mit Auersperg erzählt und sie be-chworen, sie möchten 
-den weiteren Schritt auf das Zeughaus einstellen. Sie haben eine Kanone mit 
«arh gneführt, meine Herren, mit brennender Lunte. Man hat mich gehört, allein 
i ,er .Andrang war zu groß und Überredung hat nichts gefruchtet. Wir mußten 
unverrichteter Sache abziehen. Diese Truppe ist vor das Zeughaus hingezogen und 
leider wird dort schon gefeuert. Ich habe den Beschluß mitgeteilt, daß das Militär 
mrtkrlc&ezogen werde, daß der Reichstag alles, was zur Sicherheit geschehen kann, 
'uderten werde, aber unsere Bemühung war fruchtlos*. (Verhandlungen, III. ö). 

• \ Daß der Verteidigungsrat, von dem Eingangs die Rede war, geheim ge- 
worden wäre, ist nicht recht verständlich, zumal die Wahl desselben in 
>nfii cher Reichttagssitzung vorgenommen wurde. 



132 


Hugo Tranb. 


gegen den Fi sehhof 1 ) erhoben worden, daß er und Goldmark am 
30.Oktober am Stephansturme die Schlacht der Ungarn bei Schwechat 
beobachteten und sodann das Volk zu neuem Widerstande aufforderten 2 ), 
und der gegenwärtig bei der Militäruntersuchungskommission in Unter¬ 
suchung stehende Kossuth’sche, in alle Geheimnisse eingeweibte Kommissär 
Tunes sagt selbst, daß die Keichstagspermanenz die ungarische Sache 
unterstützte. Messenhauser sendete Aufrufe zum Landsturm 
in die Provinz und spricht von erhaltener Vollmacht, die 
offenbar nur von der Permanenz ausgehen konnte 3 ), obschon 
diese sich hütete, denselben direkt aufzubieten. Das Einverständnis hiezu 
erhellt aber aus der bekannten Ansprache *an die Völker Österreichs € vom 
20. Oktober für das bedrängte Wien und aus dem gerichtlich erhobenen 
Umstande, daß Mitglieder der Permanenz herumreiseten, den Landsturm zu 
predigen, wie K u d 1 i c h im V. 0. W. W. und in Oberösterreich, V i o 1 a n d 
in V. 0. M. B.. 

Von der Permanenz ging der Antrag aus, die Proklamationen 
des Fürsten Windischgrätz für gesetzwidrig zu erklären, 
wodurch der Widerstand gegen die kaiserlichen Truppen sozusagen auto¬ 
risiert worden. Als am 20. Oktober die Vertrauensmänner der sämtlichen 
Nationalgarden im Reichstagssaale sich über die fernere Verteidigung oder 
"Übergabe der Stadt berieten 4 ), wobei auch die Übergabe beschlossen 
wurde 6 ), hat sich aber dabei weder der Reichstag noch seine Permanenz 
beteiligt 6 ). Dies gibt letztere merkwürdigerweise selbst in einem Plakate 

*) Fischhof wurde schon am 14. November 1848 von der Militäruntcrsuchungs- 
kommission über seine Tätigkeit vom 6. Oktober verhört und einvernommen, nach 
der Reichste gssprengung wurde er und Prato gefänglich eingezogen. Es ward 
gegen ihn die Anklage wegen Hochverrat und Mitschuld an der Ermordung des 
Grafen Latour erhoben, und dabei wurde er eines hochverräterischen 
Regimes als Obmann der Permanenz beschuldigt. (Vgl. Knepler, Der 
Prozeß Goldmark). 

*) Tatsache ist, daß auf die Kunde von dem wirklichen Heranrücken des 
ungarischen Heeres alles zum Stephansturme strömte und daß unter den Neugierigen 
auch Mitglieder des Reichstages mit ihrem Präsidenten an der Spitze erschienen 
waren. Goldmark und Auerbach verharrten bei Messenhauser und beobachteten 
von da die Schwechater Schlacht, die infolge der Unfähigkeit Mogas mit e nem 
Rückzuge der Ungarn ein unrühmliches Ende fand. 

*) Im Manuskript unterstrichen. 

«) Am 30. Oktober berichtete Schuselka diesbezüglich im Reichstage nnd 
teilte der Versammlung mit, daß die Beratung vom 29. Oktober ,in Beziehung auf 
die Frage, ob die Verteidigungsraaßregeln fortgesetzt werden sollen«, mit Zustim¬ 
mung des permanenten Ausschusses im Vorsaale stattgefünden hat. Über den 
Standpunkt der Permanenz erklärte er: Die ganze Stellung des Reichstags*: usschosses 
und, wie er sich überzeugt halten zu können glaubt, auch des ganzen Reichstages 
gegenüber diesen Ereignissen ist eine unveränderte geblieben; wir sind durch das, 
was geschehen ist und was von manchen vielleicht vorhergesehen wurde, in 
unserer Stellung nicht erschüttert worden und durften es nicht werden. 

•) Im Manuskripte unterstrichen. 

®) Nachdem Messenhauser selbst eingesehen, ein weiterer Widerstand sei 
fruchtlos, schlug er eine Deputation an Windischgrätz vor, um denselben zu 
»halbwegs menschlichen« Bedingungen zu vermögen. Die Mehrzahl der bewaffneten 
Korps stimmte zu und entsandte vier Deputierte, denen sich drei Gemeinderats¬ 
mitglieder im Namen d*'s Gemeinderates imschlossen. Als sich die Deputation noch 
in später Nachtzeit in den Reichstegbausschuß begab, um auch ihn zur Beteiligung 
zu bewegen, wurde selbe abschlägig bt schieden, da .die Sache den Reichstag 



Die Reichstagspermanenz im Oktober 1848. 


153 


vom 30. Oktober kund, worin es ausdrücklich heißt, daß der Ausschuß 
weder an seiner Beratung, noch an der Veranlassung dazu irgendwie Anteil 
genommen hat. (Das ist doch ein offenes Geständnis) 1 ). Freilich mußte 
sich am 30. Oktober, wo die Schlacht bei Schwechat von Permanenzmit- 
gliedem am Turme 8 ) beobachtet 3 ), zu neuem Widerstande aufgefordert 
wurde, der Ausschuß für den Fall decken, wenn der Aufruf reüssiert hätte. 

Es ist nun nicht die Aufgabe der politischen Erhebungskommissiön, 
die einzelnen Personen der Reichstogspermanenz auszumitteln, welche sich 
durch ihre Handlungen und Beschlüsse als Urheber und tätige Beförderer 
des Aufruhrs wohl am Ende des Hochverrates schuldig gemacht haben 4 ); 
einige davon, als Kudlich, Füster, Goldmark und Violand sind 
bereits vom Wiener Kriminalgerithte steckbrieflich verfolgt 5 ), Fischhof 6 ) 
befindet sich gegenwärtig im Kriminalverhafte, verweigert aber über sein 
Wirken in der Reichstagspermanenz Rede und Antwort, indem er die Un¬ 
verantwortlichkeit als Deputierter in Anspruch nimmt und meint, wenn er 
diesfalls als Angeklagter erscheine, so müsse auch der Minister, mit 
dessen Vorwissen die Beschlüsse gefaßt wurden, auf der An¬ 
klagebank sitzen 7 ). Es ist vorauszusetzen, daß der Herr 


nichts anginge«, obwohl selbst das Studentenkomitee seinen Vizepräsidenten ent¬ 
sendet hatte. Vgl. dazu weiter oben. 

i) Während um die vierte Nachmittagsstunde des 30. Oktobers General v. Cordon 
die Übereinkunft im Namen des Fürsten Windischgrätz Unterzeichnete und der 
Wiener Deputation einhändigte, worin die gänzliche Durchführung der übergabs- 
bedingungen festgesetzt wa-, war auf die Nachricht: Die Ungarn kommen! Wien 
gänzlich wie umgewandelt, an den Straßenecken erschienen Überschwängliche Plakate, 
die Partei des Widerstandes hatte im Handumdrehen wieder die Oberhand gewonnen. 
Von einem Plakate der Permanenz aber verlautet in den Zeitungsberichten kein Wort. 

*) Gemeint ist hier wohl der Stephansturm in Wien, doch befand sich (vgl. 
weiter oben) noch ein zweites Observatorium auf der Universitätssternwarte. 

*) Mit Bestimmtheit erfahren wir bloß einen Namen von allen Permanenz¬ 
mitgliedern. und das ist Goldmark, welcher in Gesellschaft Messenhausers vom 
Stephansturme der Schlacht gefolgt war. 

«) Durch Ratsbeschluß des Wiener Kriminalgerichtes vom 27. Februar 1849 
wurden in der Tat Dr Ernst von Violand und Hans Kudlich des Verbrechens des 
Hochverrate bezüchtigt. 

*) General Weiden hat schon (Helfert, Geschichte Österreichs, IV. 3, 502) im 
Februar 1849 nach Ofen berichtet, »wie schwer graviert viele der Reichstagsdepu¬ 
tierten erscheinen, namentlich Goldmark, Fischhof und mehrere andere, in 
einer Art, die sie sogar für den Galgen reif macht«. Die vier Genannten 
waren rechtzeitig von Kremgier nach der Parlamcntsauflösung ins Ausland ge¬ 
flüchtet; festgenommen wurden daselbst nur Fischhof und Prato, »gerade 
zwei der Miudestschuldigen«, wie sich Helfert ausdrückt (Helfert, Geschichte Öster¬ 
reichs, IV. 3. 323). 

•) Die Untersuchung gegen rischhof wurde zwar am 7. September 1849 »wegen 
Absangs rechtlicher Beweise« eingestellt, doch wurde derselbe erst am 2. Dezember 
1849 auf freien Fuß gesetzt. 

•) Dieselbe Ansicht findet s ch übrigens auch in der Literatur vertreten. Smets 
(Das Jahr 1848, H. 594 *) z. B. schreibt: »Das Allermerkwürdigste, eine noch nie 
aageweaene Absonderlichkeit ab*r war es, daß derselbe Minister, der die Beschlüsse 
des reich stfigiichen Ausschusses willfährigst vollzog, dem Nationalgardeoberkom- 
mando die Befehle erteilte und das Geld zur Verteidigung Wiens auB dem Staats¬ 
schätze her gab, nach dem Siege der Reaktionsherrschaft mcht auf die Anklagebank 
kam, ja noch drei Jahre im Ministerfauteil weiter amtierte, während diejenigen, 
welche mit seiner Genehmigung die Stadt gegen Jeiarid imd gegen den ohne kon¬ 
stitutionelle Kontrasignatur bevollmächtigten kaiserlichen Feldherrn, den Fürsten 



154 


Hugo Traub. 


Minister, mit dessen Zustimmung allerdings mehrere Be¬ 
schlüsse, besonders wegen der finanziellen Unterstützung 
des Aufruhrs, erfolgten, sich darüber durch überwiegende 
Gründe würde rechtfertigen können 1 ); aber es ist nach den dar¬ 
gestellten Daten Gröberes geschehen, und zwar ohne Ministerialzustimmung. 
Wie weit die Unverantwortlichkeit eines Volksvertreters gehe, darüber haben 
wir in Österreich noch kein Gesetz, und es kann daher diesfalls nur die 
Übung anderer konstitutionellen Staaten gelten. Nach dieser Übung be¬ 
steht sie nur darin, daß ein Volksvertreter über seine in der Reichsver¬ 
sammlung gehaltenen Reden und ausgesprochenen Grundsätze weder während 
noch nach der Sitzung zur Verantwortung gezogen werden dürfe. Soviel 
ist jedenfalls gewiß, daß die Unverantwortlichkeit so weit nicht gehen 
kann, daß eine Reichsversammlung, zumal eine konstituierende, über ihr 
Mandat hinausgehe, sich die Exekutivgewalt anmaße, aus sich einen Aus¬ 
schuß bilde, der sich zum Umstürze des Bestehenden mit fremden 
Organen, als mit dem Studentenkomitee, den Demokratenklubs in Verbindung 
setzt und so als eigenmächtiger Konvent eine verderbliche Wirksamkeit an 
den Tag legt. Ein solches Wirken wird in allen konstitutionellen Staaten, 
wir sahen es in Frankreich, in Preußen, in Sachsen, allerdings als strafbar 
zu ahnden sein. 

Ich halte daher dafür, daß die Mitglieder der Permanenz, 
welche durch Wort und Tat als Urheber und Beförderer des 
Aufruhrs, wenn ihnen nicht gar Hochverrat zur Last fällt, 
sich darstellen, allerdings zur Verantwortung zu ziehen 
sind; man müßte sonst unwillkürlich an das Sprichwort von großen und 
kleinen Dieben denken. Ich will nicht glauben, daß alle Mitglieder der 
Permanenz zu den angeführten aufrührerischen Beschlüssen mitgestimmt 
haben 8 ), indessen dürften sich die Mitstimmenden, falls auch das angeblich 
geführte Beratungsprotokoll unter den Reichstagsakten sich nicht 
vorfinden sollte, (in welchem Falle vorsichtshalber entweder gar keines ge¬ 
führt, oder dasselbe absichtlich beseitigt wurde), aus den Vernehmungen der 
Mitglieder von selbst ergeben. 

Die politische Erhebungskommission muß es aber der Beurteilung 
des Ministeriums überlassen, ob aus Anlaß der in den Reichs¬ 
tagspermanenzakten gegen deren Mitglieder hervorgehen¬ 
den Indizien eine gerichtliche Prozedur statthaben solle 
oder nicht. Die Herren Charles Court, Dr. Franz Pier er in Linz, 
Dr. Rechberger und der Lithograph Kaiser (201 Franz) 3 ) in Graz 
dürften wohl wegen ihrer aus ihren Eingaben hervorleuchtenden, nichts 
weniger als loyalen Gesinnungen ad notam genommen werden. Schließlich 


Windischgrätz, verteidigten, als Rebellen der standrechtlichen Behandlung unter¬ 
zogen wurden«. 

*) Im Manuskripte unterstrichen. 

*} Nur ein einzigesmal hören wir von einem Minorität»- und Majori tätsan- 
trüge in der Permanenz, als es sich nämlich um die Proklamation des Fürsten 
Windischgrätz vom 23. Oktober handelte (vgl. Verhandlungen, III. 345). 

•) Im Kommissionsprotokolle ist die Rede vom Grazer Lithographen Josef 
Kaiser (vgl. Nr. 18 erster Teil), im Relationsberichte vom 30. Oktober heißt der¬ 
selbe JosefFranz. 



Die Reichstagspennanenz im Oktober 1848. 


153 


«•achte der Gefertigte, daß nnn sämtliche diesf&llige Akten mit einer 
Abschrift dieser Darstellung l ) dem hohen Ministerium des Innern zurück- 
rasteilen seien. 

Johann Fuchs, Kriminalrat. 28. Julius 1849. 

♦ 

♦ * 

Dies der getreue Wortlaut der ausführlichen Relation. Wenn wir 
ans auch noch weiter ohne den genauen Inhalt des Permanenz b e- 
ratungsprotokolles, wohl zu unterscheiden vom Geschäftsprotokolle, 
begnügen müssen — hoffen wir, daß es, entgegen der obigen Behauptung, 
wohl verwahrt, in Zukunft aufgefunden wird — erhalten wir doch ohne 
Zweifel durch die Kenntnis der beiden Berichte, obwohl die Relation 
eine lückenhafte ist, einen näheren Aufschluß darüber, worüber eigentlich 
und inwiefern im Permanenzausschusse des konstituierenden Wiener 
Reichstages beraten worden ist. Über das Kommissionsprotokoll, welches 
ein reines Aktenstück ist, wäre nichts weiter zu sagen. Daß die Ab¬ 
sicht des Relationsverfassers, die Permanenz nicht nur als Haupt¬ 
urheberin der Oktoberereignisse darzustellen, sondern auch auf die 
Behörden einzuwirken, sie mögen gegen die angeblich so stark Kom¬ 
promittierten rücksichtslos Vorgehen, offen zu Tage tritt, ist klar. Denken 
wir uns aber die Schlüsse, welche darauf hinzielen, den verhaßten Reichs¬ 
tagsausschuß möglichst bloßzustellen, weg, so läßt sich nicht in Abrede 
stellen, daß wir auch durch dieses Aktenstück einen nicht zu unter¬ 
schätzenden Beitrag zur Information und Kenntnis der Permanenzge- 
bahrung gewonnen haben, und wir sind Baron Helfert, wenn sich auch 
das Beratungsprotokoll vorfinden sollte, dafür nur zu Dank verpflichtet, 
daß er diese Relation wohl verwahrt hat Ihr Wert liegt nicht in 
allerletzter Stelle gerade in den wenn auch waghalsigen Schlüssen des 
Autors, und wir können sagen, daß «das Dunkel*, welchen * Anteil der 
permanente Ausschuß des Reichstages oder einzelne Mitglieder dieses 
Körpers an dem bewaffneten Widerstande gegen das Einrücken der 
k. k. Truppen genommen haben* 2 ), zum größten Teile durch die Ver¬ 
öffentlichung dieser beiden Dokumente jetzt gelichtet ist, wiewohl vor 
Kenntnis des Beratungsprotokolles nicht das letzte Wort über den Aus¬ 
schuß gesprochen werden kann. 

*) Haben wir es auf diese Art mit dem Originale oder einer gleichzeitig 
besorgten Abschrift zu tun? 

*) Handschriftlicher Nachkß des Freiherrn von Pillersdorff, S. 178. ^ 



Kleine Mitteilungen. 

Ein deutscher Generalvikar Ludwigs des Bayern in der 
Lunigiana, Im Notariatsarchiv zu Sarzana befindet sich ein Imbre- 
viaturbuch des Notars Tommasino di Bonaccorso, der eine zeitlang 
Kanzler des von Kaiser Ludwig nach dem Tode Castruccio Castracani’s 
neuernannten Generalvikars der Lunigiana war. Diesem Umstand ist 
es zuzuschreiben, daß uns eine Beihe von Akten eirer kaiserlichen 
Statthalterschaft erhalten blieb, von der sonst jede Kenntnis verloren 
gegangen ist Auf sie hat zuerst durch eine Mitteilung G. Sforza’s 
veranlaßt J. v. Ficker 1 ) aufmerksam gemacht später gab dann Sforza 
selber fünf Stücke in mehr oder weniger genauen Inhaltsangaben be¬ 
kannt 2 ). Da ich seit einiger Zeit mit den Vorarbeiten zu einer Ge¬ 
schichte des Reichsvikariats in Italien von Heinrich VIL bis Karl IV. 
beschäftigt bin, habe ich mich wegen dieser Stücke im Jahre 1913 an 
das Archiv von Sarzana gewendet dessen Vorstand A. Briganti in der 
bereitwilligsten Weise für mich die Durchsicht des Imbreviaturbuches 
und die in Frage kommenden Abschriften vomahm. Ich hatte ur¬ 
sprünglich die Absicht diese acht Instrumente in der geplanten Mono¬ 
graphie zu veröffentlichen. Andere Arbeitsverpflichtungen jedoch, die 
ich vor kurzem übernahm 8 ), ließen eine Beendigung der begonnenen 


i) Urkunden z. Reichs- und Rechtsgesch. Italiens S. 523 n. 611. 

*) Storia di Pontreraoli dalle origini al 1600, (Firenze 1904) p. 203. 204. 205. 
# ) Weiterführung der Neubearbeitung der VI. Abteilung 70n Böhmen Re- 
gesta Imperii. — Jetzt (Juli 1£15) berührt der Gedanke schmerzlich, daß die Re¬ 
gestenarbeit und alle seit den letzten Jahrzehnten so ergebnisreichen Bemühungen 
um die Erforschung deutscher Herrschaft und deutschen Einflusses in Italien nun 
eine schwere Einbuße und eine Beeinträchtigung auf nicht abzusehende Zeit er¬ 
fahren sollen. 



Unterst oh in d* ** r nloKsten Zeit kaum erwarten, und so erschien 
es mir rwe ekml:- :j. a^t das nieht unerhebliche Interesse, das diese 
Akten für die Beichs^esehiehte bieten schon jetzt aufmerksam zu machen 
Mittlerweile finde ich dieselben in dem soeben ausgegebenen neuesten 
Bande der iIG. Constimdones gedruckt, so daß ich einer vollständigen 
Wiedergabe überhoben bin und mich darauf beschränken kann, im 
fclsrenden «den Inhal: der Urkunden als der einzigen Dokumente einer 
bisher unbekannten deutschen Beichsstatthalterschafl in Italien l ) im 
Z^sammenh ange vorzulegen. 

132 b Dezember b- Sarzana. Gebhard von Säben, Generalreiehsvikar 
in der Luni^iazia. bestellt den Villanus de Bereedo zu seinem Vicevikar 
daselbst für sechs Monate mit dem gleichen Gehalte, den dessen Vorgänger 
Gerhard von Pistols gehabt hat, und gibt ihm Vollmacht in Zivil- und Kri- 
eI naisachen nach -den Statuten des Vikariates und wo diese versagen, nach 
gemeinem Bechte vorzugehen. — Sforza, Storia di Pontremoli p. 204 (*21 5) 
net 29 reg.: MG. Const. VI 436 nr. 526 vollst, aus Imbreviaturbuch des 
Tommasino di Bonnaccorso. 1 

132fw Dezember 20. Sarzana. Tommasino di Bonaeeorso, Kanzler 
Gebhards von Säben. gibt Zeugnis über ein Streitroß eines Soldritters vom 
Bexterbanner des Stephan von Köln, des Söldnerfiihrers im Gebiete von 
Sarzana für den tuszisehen Generalreichsvikar Grafen Friedrich von öttingen, 
das auf einem Kriegszuge verendet war, den dieser Ritter im Gefolge Gebhards 
gegen die reichsrebellischen Leute von Falcinello mitgemacht hat — 
Sforza a. a. O. 204 ('215) not 28 reg.; MG. Const VI, 437 nr. 527 aus 
derselben Quelle. 2 

1329. Januar 29, Sarzana. Gebhard von Säben, Generalreichsvikar in 
der Lanigiana. von Kaiser Ludwig durch Mandat vom 27. Dezember 
132 b *) mit der Prüfung der Geldgebarung aller (insbesondere der zur 
Doozxa salis gehörigen) Beamten dieser Provinz beauftragt, erteilt einem 
schon seit Castrucrio Castracani mit dem Salzverkaufe in Vermcola Bosi be¬ 
trauten Beamten Decharge, nachdem er sich durch die Bilanz der Einnahmen 
und Ausgaben von der richtigen Abführung des Erlöses überzeugt hat — 
MG. Const VI 452 nr. 544 aus obiger Quelle. 3 

1329, Februar 2, Sarzana. Derselbe quittiert dem Muciarellus von 
Sarzana. über ein Darlehen von 120 Goldgulden und verpfändet ihm dafür 
die dem Vikar im Namen des Kaisers zukommende Hälfte der Salzeinkünfte 
in Sanana bis zur Höhe jenes Betrages, indem er dem Beamten der dor¬ 
tigen Doana salis die entsprechenden Weisungen erteilt; erklärt zugleich 
für den Fall als vom Kaiser ein Vikarswechsel vorgenommen werden sollte, 
bevor noch Muciarellus befriedigt sei, diesem statt dessen 400 Minen Salz 
ä 9 aoL für die 120 Gulden verkauft zu haben. Die der Stadt gehörige 
Hälfte der Salzernkünfte soll von diesen Verfügungen unberührt bleiben. 

* , Auch Schäfer, Deutsche Ritter u. Edelknechte in Italien, kennt de in dem 
»eben erschienenen I1L Bd., der die Ritter in kaiserlichem und ghibellinischem 
Dienste au Pisa und Lucca betrifft, noch nicht. 

** Dm Mandat ist nicht erhalten. 



158 


Kleine Mitteilungen. 


— Sforza a. a. 0. 203 (215) not 27 reg. irrig zu Juni 11. MG. Const. 

VI 453 nr. 545 aus der gleichen Quelle. 4 

1329, Februar 3, Sarzana. Derselbe verkauft dem Guillelmus Bonvicini von 
Caprigliola alle Besitzungen, die vordem dessen Sohn Johanellus innegehabt 
hat, die aber wegen von diesem mit dem Kastell Caprigliola am Reiche be¬ 
gangenen Hochverrats jetzt dem Vikar und seiner Kurie zugefallen sind; 
als Kaufpreis für diesen Besitz, der nach dem Vikariatsstatut der Lunigiana 
eigentlich hätte zerstört werden sollen, erhält er vom Käufer 25 Goldgulden 
ausbezahlt. — Sforza a. a. 0. 203 (215) not 27 reg.; MG. Const VI 454 
nr. 546 aus derselben Quelle. 5 

1329, Februar 5, Sarzana. Derselbe verkauft dem Bondelinus Martini 
alle Besitzungen, die früher dem Martinellus Vite gehört haben, aber wegen 
von diesem mit dem Kastell Caprigliola am Reiche begangenen Hochverrates 
jetzt dem Vikar und seiner Kurie zugefallen sind; als Kaufpreis für diesen 
Besitz, der nach dem Vikariatsstatut der Lunigiana eigentlich hätte zerstört 
werden sollen, erhält er vom Käufer 100 Goldgulden ausbezahlt — MG. 
Const VI, 454 not 1 reg. ebendorther. — Mutatis mutandis wörtlich 
gleichlautend mit Nr. 5. 6 

1329, März 28, Avenza. Derselbe quittiert dem Beamten der Doana 
salis von Pontremoli über einen Betrag von 523 8> 12 soL, den er aus 
dem Erlös des Salzverkaufmonopols von diesem erhalten zu haben erklärt. 

— Sforza a. a. 0. 204 (215) not 30 reg.; MG. Const VI 467 nr. 560 

aus derselben Quelle. 7 

1329, April 13, Sarzana. Ein Kaufmann von Sarzana bestätigt dem 
Gebhard von Säben den Empfang eines Darlehens von 217 Goldgulden und 
verpflichtet sich zur Rückzahlung dieser Summe innerhalb der nächsten 
15 Tage. — MG. Const. VT, 467 nr. 561 (unvollst) ebendorther. 8 

Vielfach ist die Meinung verbreitet, daß schon zu Beginn des 
14. Jahrhunderts die Entwicklung der späteren großen oberitalienischen 
Signorieen eine nicht mehr aufzuhaltende Tatsache war *). Daß diese 
Meinung irrig ist, ergibt nicht nur die kurze Herrschaft Heinrichs VH, 
es tritt auch noch bei gelegentlichen Maßnahmen Ludwigs des Bayern 
deutlich zutage. Wenn es nach der Absetzung des Galeazzo Visconti, 
als Graf Wilhelm von Montfort das Amt eines Vikars von Midland und 
eines Generalvikars der ganzen Lombardei ausübte, in den reichsge¬ 
treuen Gebieten Italiens noch ein Geschlecht gab, dem man eine vom 
Reiche unbehelligte Machtentfaltung Voraussagen konnte, so war es 
gewiß in erster Linie das des weithin gebietenden GhibellinenfÜhrers 
Castruccio Castracani degli Antelminelh *), dessen Erfolge den Wittels¬ 
bacher nötigten, ihm die Keichsvikariate von Lucca, Lunigiana, Pistoia 
und der benachbarten Gegenden, schließlich auch dasjenige von Pisa zu 

*) Ich enthalte mich in der nachfolgenden Skizze aller eingehenderen Belege 
und behalte mir vor, dieselben in der erwähnten Monographie zu bringen. 

*) Vgl. über ihn Winkler, Castruccio Castracani Herzog von Lucca (1897), 
und neuerdings Davidsohn, Gesch. von Florenz HL Bd. (1912). 



Ein deutscher Generalvikar Ludwigs des Bayern in der Lunigiana. 159 


übertragen und dem als Reichsbannerträger und Herzog von Lucea nur 
noch die Königskrone von Toskana zu fehlen schien. Und doch war 
es gerade der Kaiser, der der Herrschaft dieses Geschlechtes ein Ende 
bereitete. Castruccios Ehrgeiz hatte sich die Niederwerfung von Florenz 
zum Ziele gesteckt, aber als ihn hierin die Unterstützung Ludwigs verließ 
bewahrte nur der vorzeitige Tod (3. Sept. 1328) sein Andenken vor¬ 
dem Makel offenen Verrates an der Sache des Reiches. Die Strafe, die 
den Mächtigen nicht mehr erreichen konnte, traf nur in gelinder Form 
dessen Söhne, die noch nach den Weisungen des Vaters sich höchst 
selbstherrlich in den Besitz der Herrschaft gesetzt hatten. Das Macht¬ 
gebiet des Castruccio wurde zersprengt. Während in Pisa Tarlatino da 
Pietramala, in Pistoia Andrea da Chiaravilla die Statthalterschaft er¬ 
hielten *), errichtete der Kaiser in Toskana ein umfassendes General¬ 
vikariat, mit dem er den Burggrafen Friedrich von Nürnberg betraute. 
Erst als sich dieser zu tief mit Castruccios Söhnen einzulassen begann, 
entschloß sich Ludwig das Regiment der „Duchini“ auch in Lucca ent- 
gültig zu beseitigen. Der Hohenzoller wurde des Amtes entsetzt und 
an seine Stelle im November 1328 Graf Friedrich von öttingen zum 
Generalvikar Toskanas bestellt, der die Regierung Luccas mit Hilfe eines 
eigenen Kollegiums von zehn kaiserlichen Raten führte 2 ). 

Etwa um dieselbe Zeit hat der Kaiser auch in der Lunigiana einen 
Deutschen zum Generalvikar eingesetzt: es war der Ritter Gebhard von 
Saben 8 ). Im Gefolge des Kaisers ist er nirgends nachweisbar und es 
bleibt eine offene Frage, ob er Ludwig auf dem italienischen Zuge be¬ 
gleitet hat oder ob er etwa aus den Reihen jener deutschen Ritter 
stammt, die damals, z. T. vielleicht schon seit den Zeiten Heinrichs VIL, 
im Dienste Pisas standen und von denen ein nicht unerhebliches Kon¬ 
tingent auch im Pisänischen Sarzana vorhanden war 4 ). Der Amtssprengel 
dieses Generalvikars nun umfaßte zugleich das Gebiet von Verrucola Bosi, 
das früher zu Lucca gehört hatte, das aber 1312 vom Markgrafen 
Spinetta Malespina, Heinrichs VII. ehemaligem Vikar in Reggio, der 

t) Vgl. jetzt Davidsohn a. a. 0. III, 860. 

*) Bongi, Bandi Lucchesi lei sec. XIV p. 243; dazu MG. Constit. VI 430 
l 37—39 (nr. 523 § 1). Nur zum Teil richtig ist die Bemerkung von Davidsohn 
a. a. O. III. 862 zu Anm. 3. 

*) In den Aktenstücken wird er ständig Gabuardus de Sabioh genannt. Ga- 
buardus ist eine italienische Ve •ballhornung von Gebhard (vgl. Schäfer, Deutsche 
Ritter u. Edelknechte I, 99) und kommt so auch in Südtirol vor (vgl. Acta Tiro- 
lensia II, 532). Sabioh kann, zunml durch Urkunde nr. 4 sichergestellt ist, daß es 
sich um einen deutschen Ritter (miles tehotonicus) handelt, nur mit Sabion(a) 
ä Sähen b. Brüten aufgelöst werden. 

4 ) Vgl. neuerdings Schäfer, Deutsche Ritter u. Edelknechte III, 4 f. 7. 



160 


Kleine Mitteilungen. 


Stadt entrissen und schließlich 1319 von Castruccio wieder zurückge¬ 
wonnen worden war. Auch das zu Pisa gehörige Sarzana, Lunigianas 
Hauptstadt, war kurz bevor es unter Heinrich V1L dem Beiche ge¬ 
wonnen wurde, lucchesischer Besitz. Ist dieser Ork, wie man annehmen 
kann 1 ), unter Castruccio wieder zu dem (jetzt ghibellinischen) Lucca 
bezogen worden, so mag damit Zusammenhängen, daß die neue Ordnung 
Ludwigs des Bayern die dortige Gegend und wohl überhaupt den Vika¬ 
riatssprengel Lunigiana in gewisser Beziehung dem Generalvikar von 
Toskana, Grafen Friedrich von Öttingen unterstellte. Graf Friedrich unter¬ 
hielt im Gebiete von Sarzana eine ständige Reiterabteilung, die unter 
dem Befehle des Söldnerführers Stephan von Köln stand und die dem 
Vikar der Lunigiana auf Zügen gegen Reichsrebellen Beistand geleistet 
zu haben scheint (Urk. n. 2). Unter Heinrich VH. war die Vikarie Lu¬ 
nigiana bis in die letzte Zeit dem Generalvikariat von Genua angegliedert 
gewesen, jetzt unter Ludwig stand sie mit dem von Toskana in Ver¬ 
bindung. Sie erscheint da mit einer eigenen Rechtsordnung ausgestattet, 
mit Statuten, nach denen der von Gebhard für ein ha l bes Jahr einge¬ 
setzte Vizevikar das Recht zu sprechen hatte (Urk. n. 1), von denen 
wir aber nichts weiter wissen, als daß eine Bestimmung derselben fest¬ 
setzte, Güter von Reichsrebellen aus dieser Provinz hätten der Zerstörung 
anheimzufallen (Urk. n. 5 und 6). Ob diese Statuten zu der Neuregelung 
Ludwigs des Bayern irgendwie in Beziehung standen, läßt sich nicht 
ermitteln. Nur das eine ist gewiß: für Lucca hat der Kaiser am 30. No¬ 
vember 1328 eine sehr eingehende Vikarsordnung erlassen a ) und ganz 
ähnlich wie in dieser dem Grafen Friedrich von öttingen, hat er mit 
Mandat vom 17. Dezember seinem Vikar der Lunigiana aufgetragen, die 
Beamten des ihm anvertrauten Sprengels, soweit vor allem die Salzein¬ 
nahmen in Betracht kamen, zur Rechnunglegung heranzuziehen (Urk. 
n. 3). Mit den Vikaren, die Ludwig im ehemaligen Machtgebiete des 
Castruccio einsetzte, sollten diese Gegenden wieder durch Beamte verwaltet 
werden, die dem Kaiser unmittelbar zur Verfügung standen. Gebhard 
von Säben sehen wir in seinen Handlungen davon beeinflußt, daß er 
jederzeit abgesetzt und durch einen anderen Vikar ersetzt werden konnte 
(Urk. n. 4). Wie lange Gebhard im Amte blieb, ist nicht überliefert. 
Zuerst tritt uns seine Tätigkeit im Dezember 1328 entgegen, die letzte 
Rechtshandlnng, in der er erwähnt ist, gehört in den April 1329, nennt 
ihn aber nicht mehr mit dem Titel eines Vikars und es hat den An¬ 
schein, als ob er damals vom Reichsamte schon zurückgetreten war; 
jedenfalls dürfte dieses nicht lange nachher aufgehört haben zu be- 

*) Vgl. Winkler, Castruccio 60. 

f ) MG. Constit. VI 430—32 inr. 523), bes. § 8 (432 1. 8-20). 



Zur Geschichte Ragnsas im 14. Jahrhundert. 


161 


stehen, denn ein Schreiben des General vikars Terlatino da Pietramala 
und des Sates yon Pisa an die Stadt Sarzana vom 16. Juni 1 ) ist nur 
an Anzianen und Bat gerichtet, nicht aber zugleich an einen Vikar, 
dessen sonst an erster Stelle hätte gedacht werden müssen. So hat die 
Episode eines deutschen Generalvikars in der Lunigiana nach kurzer 
Dauer ihr Ende gefunden. 

Wien. V. Samanek. 


Zur Geschichte Ragnsas im 14. Jahrhundert. In der Revue 
des question8 historiques (April- und Juliheft 1913) veröffentlichte der 
Graf Louis de Voinovitch einen Artikel: „Les Angevins ä Ra¬ 
gas a“, der Aufklärung gibt über ein kurzes Kapitel mittelalterlicher 
Geschichte, für das die Quellen nur sehr dürftig fließen. Eine kleine 
Ergänzung zu diesen Aufzeichnungen bietet ein Brief, den der arago- 
nesische Gesandte an der römischen Kurie am 2. April 1384 an seinen 
König sandte, und den ich in meiner Arbeit: „Urban VI. und Neapel“ 
mitgeteilt habe. Es ist dies der einzige Fall, daß aus einer nicht ra- 
gusanischen Kanzlei eine Notiz über die Gefangennahme der Franzosen 
und eine Angabe der Namen der Gefangenen überliefert ist. Eine 
Tatsache darin ist aber vollkommen neu: nämlich daß Karl von Du- 
razzo der erste Fürst war, der in Unterhandlung mit den Ragusanem 
wegen der Auslieferung der Gefangenen trat Voinovitch hält es für im 
Wesen mittelalterlicher Diplomatie begründet, daß man erst im Juli 
mit auswärtigen Fürsten in Unterhandlung trat, während die Gefangen¬ 
nahme schon im Janaar stattgefunden hatte. Durch diesen Brief ist 
aber nun nachgewiesen, daß Karl von Durazzo, der das größte Interesse 
daran haben mußte, die tüchtigsten Führer seines Gegners in seine 
Gewalt zu bekommen, schon vor dem Monat April Schritte zur Er¬ 
reichung dieses Zieles unternommen hatte. Damit konnte man auch 
den Gesandten »Domini Regie“ (S. 380), der als erster nach den ragu- 
sanischen Quellen in das Castrum eingedrungen sei, um mit den Ge¬ 
fangenen zu sprechen, viel zwangloser auf einen Bevollmächtigten 
Karls HL als des Königs von Frankreich deuten. 

Fenier fallt damit die Behauptung von De Diversis weg, daß Ur¬ 
ban VL als erster die Gefangenen verlangt habe (S. 12 Anm. 2). Dies 
wurde nur insofern stimmen, wenn man die päpstliche Politik im Monat 
Apnl mit der Karls von Durazzo identifizierte. Beide standen damals 
noch in friedlichen Beziehungen. Voinovitch irrt wenn er angibt daß 


*) MG. Court. VI 493 nr. 591. 



162 


Kleine Mitteilungen. 


schon zu Beginn des Jahres 1384 das Verhältnis zwischen Papst und 
König getrübt war (S. 11). Erst im Januar 1385, nach der Aufdeckung 
der KardinaUverschwörung hat Urban Karl exkommuniziert; eine Ver¬ 
stimmung hatte zwar schon längere Zeit bestanden, und die l ber- 
siedeluug des Papstes nach Nocera im Juni kann man wohl als den 
frühesten Termin für die Eröffnung der Feindseligkeiten auffassen. 

Aus der Tatsache, daß schon mit Karl von Durazzo verhandelt 
worden war, ist nun viel deutlicher die zweideutige Stellung der Signorie 
im weiteren Verlauf des Jahres 1384 zu erklären; ferner versteht man 
auch, warum das urbanistische Ragusa, nach Karls Bruch mit dem Papst, 
den Unterhandlungen mit Neapel auswich und schließlich die Aus¬ 
lieferung verweigerte. Auch die veränderte Stellung Karls zu „nos 
Dames de Hongrie* mag von Einfluß gewesen sein, daß Karl die sichere 
Beute entging und das zuversichtliche: „quos habebit infallibiliter* des 
aragonesischen Gesandten sich nicht bewahrheitete. 

Freiburg i. B. Margarete Kothbarth. 


Zur Prälatenhilfe für die Wiener Universität im XVI. Jahr¬ 
hundert. Wie schwer die kirchlichen Institute in der sogenannten 
niederösterreichischen Ländergruppe in den Tagen Ferdinands L unter 
dem Drucke der Türkennot einer- den Zuständen, die sich unter der 
Einwirkung der Beformation herausgebildet hatten, andererseits zu 
leiden hatten, ist zuletzt noch durch die Ausführungen in meinem Buche 
t Das Kirchengut in Steiermark im 16. und 17. Jahrhundert 11 festge¬ 
stellt worden. Da ist es in einem Jahre die Terz, nach welcher der 
dritte Teil aller geistlichen Einkünfte eines Jahres eingehoben und für 
Zwecke des Türkenkriegs verwendet werden durfte, in einem anderen 
Jahre die Einziehung der Kirchenkleinodien und dieser folgt fast un¬ 
mittelbar die Quart, die gar den vierten Teil alles Besitzes der toten 
Hand für Zwecke des Türkenkriegs in Anspruch nimm t. Und das war 
noch lange nicht alles. Aus den beiden unten mitgeteilten Quittungen, 
die den Archivsbeständen des ehemaligen Stiftes Seckau entnommen 
sind, ersieht man, daß die Klöster der genannten Länder auch für die 
Bedürfnisse der Wiener Universität aufrukommen hatten. Die zweite 
der unten mitgeteilten Quittungen beansprucht zunächst wegen der 
Persönlichkeit des Historikers Wolfgang Lazius ein größeres In¬ 
teresse. Aber auch sachlich ist sie wie die ihr vorangehende und so 
noch viele, die sich in verschiedenen Archiven geistlicher Körperschaften 



Zur Prälatenhilfe für die Wiener Universität im XVL Jahrhundert. 163 


befinden l ), belangreich. Ferdinand L wurde zweifellos durch den Nieder^ 
gang der Wiener Universität, den er bei seinem Regierungsantritt wahr- 
nehmen mußte, empfindlich berührt und er zögerte nicht, den traurigen 
Zustand der Universität zu ändern 1 ). Da dieser nicht sum geringsten 
Teil auf rein wirtschaftliche Ursachen zurückzuführen war, wurden 
nach mehrfach mißglückten Versuchen, die fehlenden Geldmittel durch 
Inkorporation # von Kloetergötem zu beschaffen, im Jahre 1528 die 
Prälaten von Nieder- und Oberösterreich, später auch die von Inner¬ 
österreich zu jährlichen Beiträgen nach Maßgabe ihrer Einkünfte ver¬ 
pflichtet 8 ). Diese sogenannte Ä Prälatenhilfe“, die fortan im Budget 
der Universität eine große Rolle spielte, belief sich im Jahre 1535 
rechnungsmäßig auf ungefähr 1000 Gulden, war aber in Wirklichkeit 
viel geringer, da die meisten Stifter mit der Bezahlung jahrelang zögerten 
oder sie ganz schuldig blieben, wie man den mehrfach erhaltenen 
Mahnschreiben entnimmt. Indessen war auch die Hälfte der prälimi- 
nierten Beträge, wie sie im Jahre 1549 tatsächlich entrichtet wurden 4 ), 
hinreichend, um wenigstens in den drei oberen Fakultäten einige Lehr¬ 
kanzeln zu besetzen. Ober die Art und Weise, wie die einzelnen Kon¬ 
tributionen an das Universitätskonsistorium abgeführt wurden, darüber 
geben die folgenden Quittungen einige Auskunft 

1 . 

Ulrich Gebhart 5 ), beider Rechte Doctor, Rat der kgl. Majestät 
derzeit Rektor der Wiener Universität Dr. med. Pilhamer, kgl. Rat und 

l ) Quittung über die vom Stifte Zwettl für die Wiener Universität entrichteten 
20 Gulden im Zwettler Stiftearchive vgl. das Regest in Quellen zur Geschichte der 
Stadt Wien I 1, 175. Fünf Quittungen für das Stift Neuberg aus den Jahren 
1545—1550 im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien. Dazu ein Mahnschreiben 
König Ferdinands L an das Stift Lilienfeld vom 24. September 1537 in Quellen 
z. Gesch. der Stadt Wien I, 1, 203. Ich danke diese, wie die anderen über die 
steiermärkischen Materialien hinausgehenden Mitteilungen der Freundlichkeit von 
0. Redlich, dem sie durch den Universit&tsarchivar Sektionsrat Dr. Arthur Gold- 
mann übermittelt wurden. 

*) 8. hierüber mein Buch »Die Beziehungen der steiermärkischen Landschaft 
zu den Universitäten Wittenberg, Rostock, Heidelberg, Tübingen und Straßburg 
S. 2. Dort wird unter dem Hinweis auf das zu Gunsten der Wiener Universität 
erlassene Mandat vom 26. Jnli 1534 eine Stelle aus der (noch ungedruckten) 
Rotten mann er Chronik angeführt, die sich über die 8ache des Näheren verbreitet. 

*) Mitt v. Dr. Goldmann. VgL Kink, Geschichte der Wiener Universität I, 
278. Ein Verzeichnis der m-5. Stifter und ihrer Beiträge aus dem Jahre 1530 bei 
Wiedemann, Gegenreformation I, 74, eines vom Jahre 1549 für alle 5 Herzogtümer 
bei Kink a. a. 0. l> 2, 156—158. 

«) Kink, I, 2, 156. 

*) S. Sch rauf, Die Gedächtnistafeln der Wiener UniverrtitaUrfektoren 1305— 
1843 S. 17. 



164 


Kleine Mitteilungen. 


Leibarzt, oberster Superintendent der Universität, Dr. mecL Johannes 
Entzianer, erwählter Superintendent der Universität und Magister Hans 
ßasteiner, Prior des fürstlichen Kollegiums, bestätigen, von dem Propst 
und dem Kollegium des Stiftes Seckau 20 U Pfennig, die das Stift auf 
Befehl Ferdinands I. de dato Wien 29 Juni 1535 neben den andern 
Stiftern der n.-ö. Lande «zu Wiederaufrichtung und Erhaltung der 
Wiener Universität* alljährlich zu bezahlen hat, richtig erhalten zu 
haben. 

Wien 1536 Juni 5. 

Orig. Die aufgedruckt gewesenen vier Siegel sind abgefallen. Eigen¬ 
händige Unterschrift der Genannten. (Steierm. L-Arch. Spezialarchiv Seckau). 


2 . 

Wolfgang Lazius, Dr. der Arznei und derzeit Rektor der Wiener 
Universität, Johann Baptist Pacheleb Dr. beider Rechte, kgl Rat und 
Kammerprokurator in Niederösterreich, Ambrosius Salzer der hL Schrift 
Lizenziat und Domherr bei St Stephan Superintendenten der Universität 
und Magister Thomas Pilsanus derzeit »Prior des herzoglichen Kol¬ 
legiums* bestätigen vom Propst zu Seckau den für dieses Stift be¬ 
stimmten Beitrag von 8 & jährlich »zur Erhaltung der hohen Schule 
in Wien* erhalten zu haben. 

Wien 1546 Dezember 15 1 ). 

Vier Siegel der obengenannten Personen aufgedrackt Eigenhändige 
Unterschriften. Außen die Notiz: Bekentnus vom docttor Wolffgang Latz 
um etlich puecher, so er aus der liberei entlechendt 1546. (Orig. Steierm. 
L.-Arch. wie oben). 


*) S. Schrauf 17, 18. 


J. Loserth. 



Literatur. 

1. Historische Aufsätze Karl Zeumer zum sechzigsten 
Geburtstage als Festgabe dargebracht von Freunden und 
Schülern. Weimar, Hermann Bohlaus Nachfolger, 1910, YI und 
651 S. 

2. Festschrift Heinrich Brunner zum siebzigsten Ge¬ 
burtstag dargebracht von Schülern und Verehrern, ebend. 
1910, VI und 842 S. Mit dem Bildnisse des Jubilars. 

3. Festgabe der Berliner juristischen Fakultät für 
Otto Gierke zum Doktorjubiläum, 21. August 1910. 3 Bände. 
Breslau, M. u, H. Marcus, 1910, 178 -f- 611 + 359 S. 

4. Festschrift Otto Gierke zum siebzigsten Geburtstag 
dargebracht von Schülern, Freunden und Verehrern. Mit 
einem Bildnis. Weimar, Hermann Böhlaus Nachfolger, 1911, VI und 
1268 SS. i). 

Am 31. Juli 1909 trat Karl Zeumer in sein einundsechzigstes 
Lebensjahr. Der 21. Juni 1910 war Heinrich Brunner’s siebzigster 
Geburtstag. Wenige Wochen später, am 21. August 1910, feierte Otto 
von Gierke den Erinnerungstag seiner vor fünfzig Jahren in Breslau er¬ 
folgten Promotion zum Doktor der Rechte und am 11. Jänner 1911 voll¬ 
endete er sein siebzigstes Lebensjahr. Kollegen, Freunde, Verehrer und 
Schüler, Historiker und Juristen, deutsche und nichtdeutsche Forscher hul¬ 
digten aus diesem Anlasse den gefeierten Meistern deutscher Rechtswissen- 


i) Im Weiteren als FZ, FB, FG I. und FG II. bezeichnet. — Vgl. die inhalts¬ 
reichen Besprechungen von FZ, FB und FG II. durch E. Hey mann, A. B. 
Schmidt und A. Werminghoff in der Zeitschrift der Savigny-Stiffcung für 
Rechtsgeschichte, German. Abt. (Z*RG), XXXII. 420—457, ferner die Referate im 
Neuen Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde (NA), Band 
36 und 37. — Mein Bericht wurde, von kleinen Nachträgen abgesehen, im März 
1914 abgeschlossen. 



166 


Literatur. 


Schaft und Rechtsgeschichte in aufrichtiger Anhänglichkeit und Bewunderung- 
durch die Mitarbeit an vier stattlichen Festschriften. Mehrere von ihnen 
beteiligten sich an zwei, einzelne sogar an drei dieser literarischen Gaben. 
Im Ganzen sind es 103 Mitarbeiter mit 124 Beiträgen. In der Widmung 
der Berliner Juristenfakultät für 0. v. Gierke überwiegen die juristisch¬ 
dogmatischen Abhandlungen, in der Festgabe für K. Zeumer herrscht der 
verfassungsgeschichtliche und quellenkritische Stoff vor. Sie alle aber geben 
lebendiges Zeugnis von der gewaltigen, bahnbrechenden und fruchtbringenden 
Förderung, welche die Wissenschaft der unermüdlichen Arbeit dieser großen 
Gelehrten und Lehrer zu danken hat. Die umfangreiche und mühevolle 
Aufgabe der Vorbereitung und Herausgabe besorgten für FZ Mario 
Krammer, für FB Rudolf Hübner, für FG n. Ulrich Stutz. Von dem 
reichen und wertvollen Inhalte soll in dieser Anzeige nur jener Arbeiten 
Erwähnung geschehen, die sich einigermaßen in den Rahmen dieser Zeit¬ 
schrift einfugen lassen. 

I. Fränkische Verfassungsgeschichte. Für die Chronologie 
der Merowinger, nicht minder für das Staatsrecht jener Zeit ist von großer 
Bedeutung der Aufsatz von B. Krusch, »Der Staatsstreich des 
fränkischen Hausmeiers Grimoald L € (FZ 411—438). Auf Grund 
des »über historiae Francorum € nahm man bisher ziemlich allgemein an, daß 
der Staatsstreich Grimoalds und dessen Verurteilung in die kurze Zeit 
zwischen den Tod des austrasischen Königs Sigibert HI. (656) und das 
Ableben des neustrischen Königs Chlodoveus (657) zu setzen sei x ). Wie 
schon in einer seiner früheren Arbeiten 2 ) tritt K. nunmehr an der Hand 
verstärkten Beweismaterials, namentlich auf Grund eingehender Prüfung 
der fränkischen Königskataloge und durch urkundliche und hogiographische 
Forschung neuerlich dafür ein, daß Grimoald, der schon unter Sigibert IH. 
allmächtiger Hausmeier war, in dieser Eigenschaft etwa noch sechs Jahre 
nach dem Tode dieses Königs das Ostreich verwaltete, zunächst Sigiberts 
unmündigen Sohn Dagobert IL selbst zum König erhob und mindestens 
vier Jahre für ihn die Zügel der Regierung führte 8 ). Der bekannte Staats¬ 
streich, durch den Dagobert II. entsetzt und nach Irland verbannt wurde, 
hingegen Grimoalds Sohn Childebert, der als Adoptivsohn Sigiberts HL 
einen merowingischen Namen erhielt, auf den Thron kam, sei daher mehr 
gegen das Ende der Regierung dieses Hausmeiers zu setzen.. Den Sturz 
Grimoalds, der selbst nie König war, legt K. nicht vor 662, so daß Chlo¬ 
doveus mit diesem Strafgerichte, dem offenbar auch der junge König Chil¬ 
debert zum Opfer fiel, nichts zu schaffen hat. Als einzigen heute bekannten 
Regierung8akt dieses ersten Königs aus karolingischem Hause führt K. aus 
der Biographie des Bischofs Nivard von Reims eine Steuer- und Zollfreiung 

l ) Vgl. Mfthlbacher, Deutsche Geschichte unter den Karolingern (1896) S. 30, 
ferner Regesten des Kaiserreichs unter den Karolingern (1889] S. 4 und 770. 

*) Forschungen zur deutschen Geschichte, XXU. 473 ff. vgl. auch G. Schnürer, 
Die Verfasser der sog. Fredegar-Chronik (1900) S. 138 und jetzt B. Schmeidler im 
NA XXXVL 246, sowie Hann in den Jahresberichten der Geschichtswissenschaft, 
Bd. 33/1 S. H. 68. 

*] Vgl. die Erklärung der Worte: Facta exemplaria etc. in der Schenkungs¬ 
urkunde Grimoalds für das Kloster Malmedy und Stavelot, die Grimoald ab »duz« 
bezeichnet und von K. in das Jahr 659 gesetzt wird, daher der ersten Regierungs¬ 
epoche Dagoberts IL angehört. A. a. 0. 427 ff. 


Literatur. 


167 


für diese Kirche an und reiht sie in die Jahre 661 oder 662 x ). — Als 
»Beitrag zur fränkischen Verfassungs- und Rechtsgeschichte im Allgemeinen 
und zur Geschichte des Eigenkirchenrechts im Besonderen* bezeichnet 
U. Stutz seine scharfsinnige, an neuen Ergebnissen reiche Abhandlung*): 
Karls d. G. divisio von Bistum und Grafschaft Chur (FZ. 101 
—152). An seine Forschungen über das Eigenkirchenrecht und an Unter¬ 
suchungen anderer Gelehrten anknüpfend, beleuchtet er die Maßnahmen Karls 
des Gr. für Chur, die vermutlich im Gefolge der sogenannten Reichsteilung 
von 806 erfolgt sind. Er sieht in ihnen im 8inne der herrschenden An¬ 
sicht, die er mit neuen Gründen stützt, nicht etwa eine Kirchengutent¬ 
ziehung, sondern eine Zerlegung von Bistum und Grafschaft, eine durch 
die Organisation des fränkischen Reiches gebotene Aufteilung der bis dahin 
in der Familie der Viktoriden vereinigten geistlichen und weltlichen Gewalt 
auf nunmehr zwei Machthaber, den Bischof und den Grafen. Die vielum¬ 
strittene Urkunde für Chur, die zur Zeit 3 ) in das Jahr 773 eingereiht wird, 
ist auch für St. nicht etwa ein Bischofswahlprivileg. Sondern als Karl d. G. 
Konstantins als Bischof und Rektor bestätigte, wenn nicht gar frei ein¬ 
setzte, wollte er unter dem Rektorate »die weltliche Herrschaft, die bürger¬ 
liche Verwaltung* verstanden wissen. Au die Arbeit Mutzner’s 4 ) an¬ 
knüpfend, zeigt St im Folgenden, daß erst nach Karl dem G. der Inhalt 
dieses Privilegs, den geänderten Verhältnissen entsprechend, auf »die Bi¬ 
schofswürde beschränkt* und zu einem »Muntbrief und Bischofewahlpri- 
vileg* umge8taltet wurde 5 ). Eingehend würdigt er auch die der Kirche 
von Chur von Ludwig L in Erledigung der Klagschriften des Bischofs 
Viktor, jedoch unter Aufrechterhaltung der »divisio* und der eigenkirchen¬ 
rechtlichen Befugnisse des Königs und der Großen erteilten Begünstigungen 
(neuerliche Aufnahme in den Königsschutz, Verleihung der Immunität» 
Rückgabe einiger dem Bistum zu Unrecht entzogener Stücke). Für die 
Gestaltung der Beziehungen Rätiens zum Frankenreiche lassen sich daher 
mit St. drei Stadien annehmen. Bis in die ersten Jahre Karls d. G. ist das 
Gebiet nur lose dem Frankenreiche angegliedert. Das Land ist ein »halb- 
souveräner Kirchenstaat*, in dem geistliche und weltliche Gewalt schließlich 
sogar in einer Hand vereinigt waren. Die erste entscheidende Einflußnahme 
der karolingischen Zentralgewalt verwandelte nach dem Aussterben der 
Viktoriden um 773 für Konstantins das »Wahlherkommen* in ein könig¬ 
liches Privileg und nahm den rätischen Machthaber, Episkopat und Rektorat 
in dessen Funktionen begrifflich schon auseinanderhaltend, mit seinem 
Volke »in die königliche Munt- und Schutzgewalt* auf. Doch bald löste 
sie diese Personalunion zwischen Bistum und Rektorat, ordnete die völlige 
Einverleibung des Gebietes in das Frankenreich an, führte dort auch die 
Giufechaftsverfassung ein, zu der unter Ludwig L noch die Immunität 


t) M. G. SS. rer. Merov. V. 164. 

») A uch im Sonderabdruck erschienen: Weimar 1909. Vgl. Stutz in Z* 
RG XXX. 476. 

*) M. G. Dipl. Kar. L 111 Nr. 78 mit ca. 772—74 datirk In den Karolinger¬ 
regesten (Nr. 156) zu 773 gesetzt. 

*) Zeitschrift für schweizerisches Recht, XLIX. 86 ff. 

*) VgL die Urkunde Lothars L (843), die sich vermutlich wörtlich an eine 
Vorurkunde seines Vaters anschließt. 



168 


Literatur. 


kam, und trennte das Domanialvermögen vom Bistumsgute. Mit Recht 
weist St darauf hin, daß diese Maßnahmen notwendig geworden waren, 
nachdem seit der Ausdehnung der fränkischen Herrschaft auf Italien die 
rätischen Alpenpässe für die Karolinger große Bedeutung erlangt hatten 1 ). 
In diesem Zeitpunkte mußte man daran gehen, »die Verwaltung in welt¬ 
lichen Dingen und das Fiskalgut an das Reich zu ziehen und sie einem 
königlichen Beamten, der zugleich die staatliche Militärgewalt ausübte, an¬ 
zuvertrauen«. Daß wir überdies bei diesen rechtsgeschichtlich besonders 
interessanten rätischen Verfassungsverhältnissen in selten anschaulicher Weise 
römische und germanische Kirchenverfassung, bischöfliches und Eigenkirchen¬ 
recht unvermittelt aufeinanderstoßen sehen, mag nicht unerwähnt bleiben. 
— Die bisherigen Nachrichten über Besitzrechte der Kurie außerhalb des 
Kirchenstaates erweitert E. Per eis durch eine mühevolle Zusammenstellung 
von Belegstellen für »päpstliche Patrimonien in Deutschland 
zur Karolinger- und Sachsenzeit« (FZ. 483—492) namentlich in 
Niederbayern seit der Mitte des 9. Jahrhunderts. Doch konnte auch er Ursprung 
und Umfang dieser päpstlichen Gerechtsame in deutschen Landen noch nicht 
näher erklären. Die Verwaltung dieses Besitzes in Bayern bereitete der 
Kurie mancherlei Schwierigkeiten. Anfangs wurde sie unmittelbar von Rom 
aus besorgt, späterhin dem Bischof von Freising und 887 den Erzbischöfen 
von Salzburg anvertraut. Vermutlich zur Sicherung dieses Rentenbezugs 
übertrug P. Agapit H. vor 953 drei Einzelgüter daselbst dem ETzstifte 
Salzburg gegen Zinszahlung zu widerruflichem Eigen. 1014 erhielt K. Hein¬ 
rich II. diese Höfe im Tauschwege von P. Benedikt VHL und widmete 
sie 1018 dem Domkapitel von Bamberg. Einige einschlägige Fragen haben 
seither durch A. Brackmann erfreuliche Klärung erfahren 2 ). Er konnte 
mehrere auf diesen Besitz bezugnehmende Urkunden als Fälschungen erklären, 
offenbar in Salzburg selbst hergestellt, als das Erzstift, das sich durch die 
Überlassung dieser Güter an den Kaiser in seinen Rechten gekränkt er¬ 
achtete, gegen diese Verfügung Widerstand zu erheben versuchte. — In 
seiner Abhandlung: »Ein angeblicher Normannenzug ins Mittel¬ 
meer um 825« (FZ. 85—100) zeigt A. Hofmeister, daß das bekannte 
Zitat aus der Biographie des Bischofs Donatus von Fiesoie, die einzige 
Stelle, die man bisher für einen Überfall der Normannen auf Fiesoie um 
das Jahr 825 ins Treffen zu führen vermochte, jenen Berichten anzureihen 
sei, welche für den großen Normannenzug nach Italien in den Jahren 859 
bis 861 vorliegen. Man wird daher die Verwüstung Fiesole’s durch das 
kühne Seefahrervolk in Hinkunft in die Jahre 860 und 861 zu setzen 
haben, zu welcher Zeit ihnen auch Pisa und Luna zum Opfer fielen. 

n. Ältere Wirtschaftsgeschichte. — A. Werminghoff prüft 
in FZ. (31—50) »Die Wirtschaftstheoretischen Anschauungen 

l ) Ähnliche Gesichtspunkte führten späterhin zur Schaffung geistlicher Fürsten¬ 
tümer auf Kosten weltlicher Machthaber in den Ostalpen (Trient, Brixen, Aquileja) 
oder doch zur Verleihung von Besitzrechten an geistliche Fürsten durch die Könige 
in diesen Gebieten (Bamberg). Für Letzteres vgl. A. v. Jaksch in »Carinthia« 
Heft 97, S. 113 ff. und meinen Beitrag zu FZ. S. 209. 

*) A. Brackmann »Germania pontificia« und »Studien] und Vorarbeiten zur 
Germania pontificia' I. 103 ff. Vgl. auch F. Martin im Salzburger Urkundenbuch, 
ü. 30, 89‘und 114, sowie (Or) in den hist. pol. Blättern f. d. kath. Deutschland, 
Heft 151, S. 10 ff. 



Literatur 


169 


der regula sancti Benedicti*. Sie birgt eine eigenartige, auf dem 
Gelübde der Armut des einzelnen Mönches und der Vermögensfähigkeit des 
Klosters aufgebaute Frohnhofverfassung, welche die einzelne Niederlassung 
durch überwiegend natural wirtschaftliche Ausgestaltung von Produktion und 
Konsum ökonomisch zu verselbständigen, von der Außenwelt möglichst unab¬ 
hängig zu machen bestrebt ist. Diese Organisation findet sich nicht nur 
in mittelalterlichen Klöstern, sondern sie hat sich, wie W. gelegentlich 
eines Besuches von Monte Cassino an Ort und Stelle ermitteln konnte — und 
dasselbe gilt auch von so manchem anderen Hause dieses Ordens — noch 
vielfach bis in unsere Tage hinein erhalten. Von den Mönchen verlangt 
sie nicht nur die Teilnahme am Gottesdienste und wissenschaftliche Be¬ 
tätigung, sondern auch eigene Mitarbeit an der Produktion im Kloster. 
Die formale Grundlage für diese Gestaltung des Gelübdes der Armut bot 
im Sinne der Forschungen Spreitzenhofers ein Satz aus den Werken 
des Kirchenvaters Cassianus, die Begründung für sein Gebot entnahm der 
große Ordenstifter jedoch den Überlieferungen von dem Urzustand des 
Christentums, wie sie ihm die Apostelgeschichte und Werke verschiedener 
Kirchenlehrer brachten Die Einrichtungen dieser mönchischen Frohnhofver- 
fassung selbst lehnen sich an die spätrömischen Domänenbetriebe an, so 
daß Benedikts Begel » inmitten sich verändernder politischer Bedin¬ 
gungen* auch als Erhalterin einer antiken Wirtschaftsordnung gelten 
darf 1 ). — M. Tan gl hingegen ergreift in FZ. (637—650) nach den 
Ausführungen Philippi’s 8 ) neuerlich das Wort »zum Osnabrücker 
Zehntstreit*. Vor Allem stellt er aus den urkundlichen Zeugnissen 
fest, daß es sich in allen drei Stadien des großen Streites zwischen 
Osnabrück und Korvey nur um allgemeine, um einfache Kirchenzehnte 
gehandelt hat, nicht um ursprüngliche »Rottzehnte*, die späterhin, weil 
das kanonische Recht gegenüber der einmaligen, widerrufbaren königlichen 
Schenkung einen »zuverlässigeren Rechtstitel* zu bieten vermochte, durch 
geschickte »taktische Wendung* zu allgemeinen Kirchenzehnten umgeformt 
wurden. Somit erscheinen als Rechtsgrundlage dieser Abgabe nur die kirch¬ 
lichen Zehntgebotc und die sie zu einer allgemeinen, reichsrechtlich ge¬ 
schützten Kirchensteuer erhebenden fränkischen Kapitularien 3 ). Gleich Phi- 
lippi an Thimme’s 4 ) Untersuchung »Forestis* anknüpfend, untersucht T. den 
echten Kern der auf Karl d. G. gefälschten Privilegien. Aus formellen und 
sachlichen Gründen gelangt er zu der überzeugenden Annahme, daß die 
einzige echte Karlsurkunde für Osnabrück, eine Schenkungsurkunde von 
803, jene Bannforstverleihung, welche die Fälschung aufweist, gar nicht 
enthalten haben kann, ebensowenig den Zusatz: »vel silvam exstirpandi*, 
auf dem Ph., indem er ihn zum Urbestand der Urkunde zählt, die Rott¬ 
zehntentheorie aufbaut. Da sie noch den einschlägigen echten Diplomen 
Ottos I. und Heinrichs IL fohlt, mochte sie wohl erst von dem Fälscher der 


i) Vgl. Wenninghoff, Verl, ssungsgeschichte der deutschen Kirche im Mittel- 
alter, 2. Aufl. S. 28. 

*) »Forst und Zehnte« im Archiv für Urkundenforschung, (AU) II. 327 ff. 
insbes. 330 ff. 

*) U. Stutz, Das karolingische Zehntgebot in Z*RG. XXIX. 180 ff und 
E. Pereis in AU. HL 233 ff. 

*) Aü. U. 101 ff 



170 


Literatur. 


Karlsurkunde »eigenmächtig und sinnstörend* der Wildbann Verleihung ein¬ 
fügt worden sein *). 

IH. Angelsächsische Rechtsgeschichte. In einem Aufsätze 
»Die Eideshufen bei den Angelsachsen* (FZ. 1—8) beleuchtet F. Lieber¬ 
mann die eigenartige und verschiedene Rätsel bergende Erscheinung, daß 
bei den Angelsachsen, und zwar schon in der Zeit getrennten und anbe¬ 
einflußten Volkslebens bei Angeln und Sachsen, »Wert und Schwere des 
Eides nach Hufen* berechnet wurden. Er entwickelt aus den Quellen ver¬ 
schiedene Rechtssätze, betont den hohen sozialen Rang, den der Klerus in 
diesen Gebieten einnahm, nicht minder den starken Einfluß der Kirche auf 
die Gestaltung des weltlichen Beweisrechtes, um schließlich mancherlei interes¬ 
sante Beziehungen zwischen Strafgeldern und Eideshufen aufzudecken, ln 
FB. (17—37) aber bringt er ein bis ins Einzelne ausgebautes und abge¬ 
rundetes Bild für »die Friedlosigkeit bei den AngelSachsen*.— 
Der »Urteilsfindung im angelsächsischen Rechte* gilt die Studie von 
M. Rintelen (FZ. 557 —577). Sie zeigt, daß der Gerichtshalter dort 
grundsätzlich auch Urteilfinder war. Wo er sich hiebei des Rates von 
Dingmannen bediente, war die Bildung des Urteilsinhaltes in letzter Linie 
doch ihm anvertraut und er selbst für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung 
strafrechtlich verantwortlich. Nur wenn nicht eine von vorn eherein genau 
festgesetzte Rechtsfolge anzuordnen war, vielmehr die Entscheidung des 
Falles mehr oder weniger dem Ermessen der Urteilsfinder überlassen blieb, 
verpflichtete ein jüngeres Recht den Richter, das Urteil von einem Aus¬ 
schüsse der Dinggemeinde zu erfragen. 

IV. Deutsche Kaisergeschichte. Mittelalter und Neuzeit. 
— Einleitungsweise sei der Arbeiten von 0. Holder-Egger (f 1911) 
und R. Weil Erwähnung getan (FZ. 451—482 und 81—84). Ersterer *) 
spricht über »Salimbene und Albert Milioli* und deren schrift¬ 
stellerische Beziehungen zu einander. In Richtigstellung mehrerer Behaup¬ 
tungen Dove’s zeigt er, daß Albert für seinen »über de temporibus* schon, 
für das Jahr 1281 Salimbenes Bericht verwertet oder doch mündlich be 1 
ihm Erkundigungen eingezogen hat. Namentlich gilt dies von der Wahl 
Martin’s IV., von dessen französischer Herkunft und seii. r Stellung zum 
Minoritenorden. Auch stützt er durch neue Gründe die vo~ ihm schon 
früher aufgestellte Behauptung, daß Alberts Referat*über Nikoiaus HL zum 
Jahre 1277 von dem geistig höherstehenden Salimbene stammt, nicht minder 
der Bericht über die Seeschlacht bei Neapel im Juni 1284, den Salimbene 
aber aus Rücksicht auf Karl I. von Sizilien seinem eigenen Werke nicht 
einverleibt hatte. Noch erfahren wir, daß Salimbene von Ende oder Mitte 
1279 bis etwa Mitte 1285 im Konvent der Minoriten zu Reggio, von da 
ab in Montefalcone gelebt hat 8 ). — Weil zieht in seinem kurzen Beitrag 
»Paestum und Mintona* eine eigenartige Parallele zwischen Münzen 
des lucanischen Paestum aus dem Beginne der christlichen Zeitrechnung 
und Denaren der Stadt Minden aus der Zeit Heinrichs IH.. die beide den 


*) Vgl. zur Frage im Allgemeinen jetzt neuerdings Philippi in diesen »Mit¬ 
teilungen« XXXIII. 393 ff. _ 

*) Vgl. den Nachruf von K. Zeumer in NA. XXX VH. 821 ff. 

*) Für Salimbene vgl. die jüngBt veröffentlichten Studien von Holder-Egger 
in NA. XXXVH. 163 ff und XXXVIII. 471 ff. 



Literatur. 


171 


Münzer an der Arbeit zeigen und die Prägestätte zum Typus der Münze 
wählen. 

Aus einer Überprüfung der einschlägigen Berichte und aus der Beur¬ 
teilung der Persönlichkeit des Papstes selbst gewinnt K. Hampe in seinem 
Aufsatz „DieBerufungOttos d.G. nach Rom durch Papst JohannXH. € 
(FZ. 153—167) gegen Ranke und Hauck die Auffassung, daß der Papst 
nicht auf Drängen einer römischen Gegenpartei, sondern selbständig und 
ans eigenem Antriebe den deutschen König gegen Berengar zuhilfe ge¬ 
rufen hat, ohne allerdings damals die Folgen dieser Handlung übersehen 
zu können. In diesem Zusammenhänge erfährt der Bericht des Mönches 
Benedikt von 8. Andrea, der ro-ge chronologische Verstöße aufweist, ent¬ 
sprechende Richtigstellung, und im Anschlüsse an schon von Kehr geäußerte 
Vermutungen*) fällt neues Licht in die Textgeschichte jenes bekannten 
Privilegiums, das Otto I. am 13. Februar 962 der römischen Kirche ge¬ 
geben hat. Die in ihm enthaltenen Vorschriften über die Papst wähl leitet 
IL, bestimmter als Kehr, in letzter Linie aus einem heute nicht mehr auf¬ 
findbaren Vertrage zwischen Lothar I. und Eugen H. ab. Neben anderen 
Stellen dürften sie aus ihm zunächst in ein vermutlich 850 von Lothar I. 
und Ludwig IL mit Leo IV. eingegangenes Pactum, und von da aus, in 
mechanischer Entlehnung und zur neuen Zeitlage nicht passend, in das 
Ottonianum gelangt sein. — D. Schaefer’s Abhandlung: „Lothars III. 
Heereszug nach Böhmen* (FZ. 61—80) bringt eine kritische Wür¬ 
digung deutscher und böhmischer Nachrichten über den mißlungenen Zug, 
den dieser König am Beginne seiner Regierung gegen Böhmen unternommen 
hat. Wir hören, daß Otto von Freising, der über diese Vorgänge ein¬ 
gehender als andere berichtet, obwohl auf deutscher Seite stehend, vorzugs¬ 
weise aus böhmischen Quellen geschöpft hat. offenbar eine Folge der guten 
Beziehungen, die zur Zeit der Abfassung der „Gest* Friderici* zwischen 
dem kaiserlichen Hofe und Wladislaw n. von Böhmen geherrscht haben. 
Auch gibt Sch. eine in wesentlichen Punkten neue Schilderung dieser 
Heerfahrt über das Erzgebirge und der sich daran schließenden Kämpfe. — 
R. Salomon’s Abhandlung „Zur Geschichte der englischen Po¬ 
litik Karls IV. € (FZ. 397—409) zeigt uns, daß ein schon von Ludewig 
mit dem Datum , des 12. Oktober 1346 veröffentlichter, im Original nicht 
mehr auffindbarer Brief K. Eduards HI. von England an Karl IV. aus 
sachlichen Gründen weit besser in den Oktober 1355 paßt. Es wird dies 
jetzt durch den Umstand außer Zweifel gesetzt, daß eine zweite Überlieferung 
dieses Schreibens, die Hofmeister in einem Raudnitzer Kodex entdeckte, auf 
den 12. Oktober 1355 lautet. Dann aber gesellt sich dieses Stück vier 
anderen Briefen aus jener Zeit zu, die uns von Verhandlungen zwischen 
beiden Höfen und insbesondere von den damals vergeblichen Bemühungen 
Karls IV. erzählen, einen Frieden zwischen England und Frankreich herbei¬ 
zuführen. Es trifft daher dir Annahme Werunsky’s und Gottlob’s nicht 
zu, Karl IV. habe schon 1346 mithin kurz nach seiner Wahl zum römischen 
Könige, die „vollständige Aussöhnung und eine gewisse Verbindung und 


tj In einer Besprechung von Lindner, die sogenannten Schenkungen Pippins, 
Karls des Großen und Ottos 1. an die Päpste (1896) in den Göttinger gelehrten 
Anzeigen 1896, 128 ff. insb. 136. 



172 


Literatur. 


Freundschaft mit England* erlangt. Sie widersprach den zeitgenössischen 
Berichten, die von einer solchen Intervention nichts wußten, zugleich auch 
der Tatsache, daß Eduard damals gerade wieder mit Karls Gegner, Ludwig 
dem Bayer, in Verbindung zu treten trachtete, daß es im Winter 1347/8 
nach Ludwigs Tod zu Verhandlungen Eduards mit der Wittelbachischen 
Partei in Sachen der Königswahl kam, wobei jedoch nicht wie vielfach 
bisher behauptet wurde, eine förmliche Wahl Eduards zum deutschen Könige 
erzielt wurde *). — Der Pisaner Chronist Ranieri Sardo erzählt von seinem 
Zeitgenossen Karl IV., dieser sei am Tage nach der Kaiserkrönung nach 
Tivoli aufgebrochen und habe dort drei Tage gewartet, ob jemand die 
RechtmäBigkeit seines Kaisertums anzufechten gedenke. Auf dieser Notiz 
im Verein mit anderen Berichten baut F. Kern in seinem Beitrag (FZ. 
385—395): »Karls IV. Kaiserlager vor Rom* eine ansprechende 
Hypothese auf. Er sieht in diesem Aufenthalt zu Tivoli, der jedoch nur 
eiuen Tag währte, den einzigen bisher bekannten Beleg für eine Art Kaiser¬ 
lager vor Rom, ähnlich dem deutschen Königslager vor Aachen oder Frankfurt. 
Trifft dies zu, dann hat Karl IV. Tivoli nicht, wie man bisher vielfach 
annahm, nur aus Naturfreude aufgesucht. Vielmehr mag ihm, da er 
mit dem Brauche des deutschen Königslagers vertraut war, daran gelegen 
gewesen sein, ohne die Abrede mit dem Papste zu brechen, die ihn zu 
fluchtartigem Verlassen der ewigen Stadt nach der Krönung verpflichtete, in 
einer Stadt der kaiserlichen Kammer, auf Reichsgebiet vor den Toren 
Roms durch eine Art »sessio triduana* die am Kaiserreich erworbenen Ge- 
were zu bekunden 2 ). — Zu E. Stengel’s interessanter Abhandlung »Den 
Kaiser macht das Heer* (FZ. 241—310) hat bereits K. Hugelmann 
in dieser Zeitschrift (XXXV, 372 ff.) eingehend Stellung genommen. Ich 
komme daher zu H. Schreuer’s Aufsätzen »Wahlelemente in der 
französischen Königskrönung. Mit besonderer Rücksicht auf die 
deutschen Verhältnisse* (FB. 649—687) und »Die Thronerhebung 
des deutschen und des französischen Königs* (FG IL 697—710). 
Sie sind Ausschnitte aus einem größeren, Brunner und Gierke gewidmeten 
Werke, das unter dem Titel »Die rechtlichen Grundlagen der französischen 
Königskrönung mit besonderer Rücksicht auf die deutschen Verhältnisse* 
(Weimar 1911) das objektive Krönungsrecht im mittelalterlichen Staatsleben 
analysiert 8 ). Aus dem reichen Rechtsinhalt der Thronfolgeordnung greift 
die erste Studie die Probleme: Wahlrecht, Akklamation und Zusicherungen 
des Königs heraus. Im Gegensätze zum vollen Erbprinzip der merovin- 
gischen Epoche konkurriert bekanntlich schon in der Karolingerzeit mit dem 


*) Vgl. hiezu Salomon a. a. 0. S. 402 Note 4 an der Hand des einzigen 
deutschen Berichtes über den Vorgang zu Oberlahnstein am 10. Februar 1348, wo 
es heißt: »concordaverint eligendum«, und des Prokuratoriums Eduards vom 
10. Mai 1348: »super electione imperü de persona nostra ... facienda« und 
nicht »facta«. 

*) Vgl. Hey mann in Z*RG XXXH. 426. 

3 ) Vgl. auch Schreuer, Wahl und Krönungs Konrads H. 1024 in der hist. 
Vierteljahreschrift (HVS), 1911, 329 ff. Als wertvolle Ergänzung zu den »recht¬ 
lichen Grundgedanken« prüft Sch. hier an einem Einzelfalle auf Grand der 
Berichte Wipo's die rechtliche Natur der Wahl, Salbung, Krönung und Reichung 
der weltlichen Insignien. — Zu Sch* Arbeiten vgl. folgende Besprechungen: Holtz 
mann in HVS. 1912, 260 ff., Wenninghof! in Z*RG XXXIII. 479 ff. 



Literatur. 


173 


Erbrecht des Hauses der Wahlgedanke. Er gelangt im deutschen Reiche 
zum Durchbruche, vorübergehend auch in Frankreich zu erhöhter Bedeutung. 
Wie dort 911, hat er hier 987 die Karolinger beseitigt. Doch gab es von 
da ab in Frankreich keine »wahrhafte Wahl im strengen Sinne des Wortes*. 
Es wird allerdings noch eine »electio* mit »consensus episcoporum et pro- 
cerum* vorgenommen, aber »die treibende Persönlichkeit ist der König, der 
seinen Sohn zum Mitregenten cum iure succedendi haben will*. Überhaupt 
hat das französische Königtum, wie Sch. zeigt, im weiteren Verlaufe »das 
Wahlrecht immer mehr aufgesogen*. Doch kamen Wahlgedanken auch 
späterhin bei günstiger Gelegenheit fallweise zum Vorschein und wurden 
Bruchstücke der Wahl organisch in die Zeremonien der Krönungsfeier ein¬ 
geflochten. Dies gilt insbesondere von der Akklamation des Volkes, einer 
Kundgebung des Volkswillens, auf der sich in den ersten Jahrhunderten 
der französischen Entwicklung die gesamte Krönungsfeier aufbaute. Doch 
fiel seit Ludwig IX. selbst die Frage an das Volk und dessen Zuruf weg 
und es blieb nur das Te Deum vor der Salbung und Krönung, das sich 
als »reiner Kirchengesang oder auch als Zustimmung, Billigung der An¬ 
wesenden* deuten ließ, bis es seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrh. hinter 
die Thronerhebung gelegt, den letzten Rest einer Äußerung des Volks¬ 
willens einbüßte. Dagegen hat sich in Deutschland bis an das Ende des 
Reiches eine Akklamation vor der Salbung und Krönung als rudimentärer 
Wahlakt behauptet. Schließlich würdigt der Verfasser noch eingehend 
Rechtsnatur und Bedeutung der feierlichen Zusicherungen des Königs. Solche 
treten erstmals schon bei der Kaiserkrönung Ludwigs des Frommen in 
Aachen S13 auf, begegnen seit 869 als Zusicherungen vor der Akklamation. 
Sie sind in Frankreich späterhin als Krönungskapitulationen zu deuten und 
verwandeln sich dort schließlich in »einseitige programmatische Erklärungen 
des absoluten Erbkönigs mit lediglich sakraler Sanktion*. In Deutschland 
hingegen gehen diese Zusagen seit der deutschen Formel aus dem Ende des 
10. Jahrh. der Frage an das Volk und dessen Akklamation voran. »Der 
König wird erst akklamiert, wenn er versprochen hat*. Außerdem taucht 
hier seit dem 12. Jahrh. vor der Inthronisation noch eine zweite Formel 
auf und erhält sich bis an das Ende des Reichs. — Der zweite Aufsatz be¬ 
leuchtet in großen Zügen vom Niedergang der Merovingerzeit an das In¬ 
stitut der Thronerhebung. Wir erfahren namentlich, daß schon sehr bald 
neben die rein weltliche Erhebung von staatsrechtlicher Bedeutung eine 
geistliche Inthronisation tritt, die weltliche und sakrale Elemente in sich 
vereinigt. In Frankreich verdrängte sie rasch die weltliche Erhebung, aber 
es sind fortan weltliche Staatselemente — seit dem 13. Jahrh. die Pairs 
— an der kirchlichen Feier aktiv beteiligt. In Deutschland ist der Reichs¬ 
thron schon im 11. Jahrh. völlig in kirchliche Hände übergegangen und 
es zeigt sich bei dieser kirchlichen Feier nur eine »höchst passive Assistenz* 
der Fürsten. Dafür kamen h.er fallweise, zuletzt für Otto IV. im Jahre 
1198, weltliche Erhebungsak^ vor und es begegnen der feierliche Zug 
nach Aachen, späterhin die Altarsetzung nach der Wahl in Frankfurt und 
die Erhebung auf den Königsstuhl in Rense als selbständige staatsrechtliche 
Akte, als »Neubildungen ständischen Charakters im Zusammenhänge mit dem 
stark genossenschaftlichen Einschlag der Reichsverfassung*. Die staatsrecht¬ 
liche Wirkung aller Thronerhebungen aber kennzeichnet Sch. als »Nieder- 



174 


Literatur. 


schlag des jeweiligen Standes von Erbrecht und Wahlrecht*. In scharfsinniger 
Rechtsausführung bespricht er für die spätere fränkische Monarchie, für 
Deutschland und Frankreich die Frage, ob diesen weltlichen und kirchlichen 
Erhebungsakten in den verschiedenen Stadien ihrer Entwicklung im ein¬ 
zelnen Falle konstitutive oder mit Publizitätswirkung ausgestattete 
deklaratorische Bedeutung zukommt. — M. Kram me r bespricht in 
FZ. (349—365) Beziehungen zwischen »Kurrecht und Erzkanzler¬ 
amt im 13. Jahrh.*. Nach einer kurzen Skizze der Entwicklung des 
Königswahlrechts von 1198 bis 1237, die namentlich auch den heute so 
eindringlich untersuchten Wahlen von 1220 und 1237 l ) gilt, macht er 
auf den Umstand aufmerksam, daß sich Erzbischof Siegfried von Mainz in 
Urkunden seit 4. Dezember 1237 auch als Erzkanzler für Deutschland be- 
zeichnete, und daß sich Konrad von Hochstaden bald nach seiner Erhebung 
auf den Kölner Erzstuhl Erzkanzler Italiens nannte, wogegen Trier damals 
diesem Beispiele noch nicht folgen konnte. Er vermutet, daß die beiden Erz¬ 
bischöfe durch diese Betonung ihrer Kanzlerwürden im Anschluß an die ihnen 
bekannte Erzämtertheorie de* Sachsenspiegels kundtun wollten, daß auch sie 
ihr bevorzugtes Kurrecht auf ein Erzamt zu stützen vermögen, wogegen der 
Mainzer, wie K. mit Recht betont 2 ), die Reichsverwesung für Konrad nicht 
kraft seines Erzamtes, sondern kraft kaiserlicher Verleihung führte. Wenn 
K. damals noch der Ansicht war, Siegfrid von Mainz habe, indem er die 
Sachsenspiegelstelle nicht richtig erfaßte, »für sich und die ihm gleich¬ 
stehenden ein alleiniges Kurrecht beansprucht, den übrigen Fürsten nur 
ein Konsensrecht vergönnt*, so hat er diese irrtümliche Auffassung in einer 
späteren Arbeit selbst berichtigt 8 ). — Die Beziehungen der drei genannten 
Kirchenfürsten zur Besetzung des deutschen Königsthrones insbesondere zur 
Wahl des Königs skizziert in ihrer geschichtlichen Entwicklung seit der 
Erhebung Heinrichs L bis an das Ende des Reiches der Beitrag, den U. Stutz 
für FB. (S. 57—78) unter dem Titel »Die rheinischen Erzbischöfe 
und die deutsche Königswahl* gewidmet hat. Wiewohl dieeer 
»Aufriß* sich in plastischer Kürze mit allen drei geistlichen Kurfürsten 
befaßt, ist er in der Hauptsache doch nur eine Zusammenfassung der Ergeb¬ 
nisse, zu denen mein verehrter Freund in einer gleichzeitig erschienenen 
größeren Untersuchung »Der Erzbischof von Mainz und die deutsche Königs¬ 
wahl* in eingehender Prüfung der Quellen und der Literatur gelangt 
ist. Zu ihnen hat bereits Hugelmann in dieser Zeitschrift (XXXIV. 352 ff.) 
Stellung genommen, so daß ich es mir leider versagen muß, hier auf diese 
Fragen näher einzugehen. — Für die Geschichte der deutschen Königswahl 
kommt aber mit noch in Betracht eine quellen kritische Untersuchung von 
H. Bresslau: »Der angebliche Brief des Erzbischofs Hatto von 
Mainz an Papst Johann IX.* (FZ. 9—30). Die richtige Beantwortung der 
Frage, ob dieses Schreiben, das eine Pasaauer Sammlung aus der ersten Hälfte 
des 12. Jahrh. enthält, echt oder unecht sei, hat große Bedeutung nicht 


*) Vgl. jetzt namentlich K. Hugelmann, Die Wahl Konrad* IV. zu Wien 
im Jahre 1237 (1914), wo die einschlägige Literatur erwähnt und besprochen wird. 

*) Die Frage solcher Reichsverweserschaften bespricht eingehend die wertvolle 
Arbeit F. Becker'8, Das Königtum der Thronfolger im Deutschen Reiche des 
Mittelalters (1913), insbcs. S. 6 ff., 34, 66 ff., 84 ff., 100. 

*) M. Krammer, Das Kurfürstenkolleg u. s. w. (1913) 84 f . 



Literatur. 


175 


nur für die Geschichte der Thronbesteigung Ludwigs d. 1L, sondern auch 
für die Würdigung der Beziehungen des Papsttums zum deutschen Königtum. 
B. gelangt zu dem überraschenden Ergebnisse, daß der Verfasser dieses 
Briefes größere Stücke und einzelne Wendungen mehr oder weniger wörtlich 
der Pseudoisidoriana entlehnt hat und zwar in einer die Echtheit des 
Schreibens ausschließenden Weise. Er betrachtet es daher als private Stilübung 
vermutlich aus der Zeit Konrads HL, die uns nur zeigt, wie man damals 
in der Salzburger Kirchenprovinz über eine Befugnis des Papstes, die 
deutsche Königswahl zu beeinflussen, dachte. — Als Beitrag zur Lehre von 
der königlichen und kaiserlichen Gewalt im späteren Mittelalter und in 
der neuzeitlichen Epoche des deutschen Reiches können meine Aufsätze 
gelten: »Die Verleihung gelehrter Grade durch den Kaiser 
seit Karl IV. 4 (FB. S. 689—735) 1 ) und »Universitätsprivilegien 
der Kaiser aus der Zeit von 1412 —1456 4 (FG. II. S. 793—811)*). 
Sie haben in dieser Zeitschrift (Band 34, S. 689 ff.) durch H. v. Ankwicz 
eingehende Würdigung erfahren. — »Zur Geschichte der Formel 
»Kaiser und Reich 4 in den letzten Jahrhunderten des alten 
Beichs 4 bringt R. Smend einen lehrreichen Beitrag (FZ. 439—449), in¬ 
dem er die Wandlungen beleuchtet, welche dieser Begriff bis an das Ende 
des Reiches durchgemacht hat »Sprache und Denkweise des 18. Jahrh. 4 
setzte n das »Reich 4 gleich »mit der Summe der Stände 4 und verstanden 
daher unter »Kaiser und Reich 4 im politischen Sinne zwei »gleichartige 
politische Mächte 4 , im staatsrechtlichen Sinne zwei »gleichgeordnete Faktoren 
der Reichsregierung 4 . Diese Auffassung fehlte dem Mittelalter und nach 
5. auch noch der Zeit der Reichsreformen. Er versteht unter dem »Reich 4 
für jene Zeit »das Allgemeinere und Dauernde in der staatlichen Gemein¬ 
schaft und Ordnung gegenüber der Individualität des Oberhauptes 4 . Daher 
bezeichnen beide Ausdrücke »in ihrer formelhaften Zusammenstellung 4 nicht 
»zwei verschiedene Faktoren 4 , deren höhere Einheit durch die ganze Formel 
gedeckt wird, sondern mit jedem von ihnen ist »im Grunde dasselbe ge¬ 
meint, nur mit dem zweiten mehr nach der Seite der objektiven Institution, 
mit dem ersten mehr nach der Seite seiner Aktualität in der Machtvoll¬ 
kommenheit des Oberhauptes und der diesem geschuldeten Treupflicht 4 . 
Freilich »decken 4 beide Begriffe sich nach S. »nicht vollständig, sondern 
jeder greift in gewissem Sinne über den andern hinaus und auf ihrer da- 
mit gegebenen beiderseitigen Ergänzung, nicht auf der Zusammenfassung 
zweier damit bezeichnter verschiedener koordinierten Faktoren beruht der 
eigentümliche Charakter der Formel 4 . So brachte nach 8. auch die Neu- 


*) Durch »urkundliche Beilagen« erweitert, als selbständige Veröffentlichung 
1910 erschienen. Einen Nachtrag bringt J. Rest in der Zeitschrift fttr die Ge¬ 
schichte des Oberrheins, XXVJI (J 913) 142 ff. betreffend die Ernennung des Ulrich 
Zasius zum Magister artium durch Kaiser Maximilian I. 

*) Auch selbständig erschienen (1911). — Vgl. auch Meyhöfer in AU j 
291 ff. — Ei nen interessanten I ei trag zu diesen Fragen bringt R. Salomon 
NA XXXVII. 810 ff. und 879. Vgl. dazu auch Leicht, Memorie storiche 
giulieri (1911) VI, 1—14. Karl IV. hatte schon im August 1363 von Prtg* 
auf Bitten seines Bruders Nikolaus, Patriarchen von Aquileja, die Errichtung f 
Generalstudiums für Cividale bewilligt, doch kam diese Anstalt vermutlich t 
zur Entstehung. Die kaiserliche U rkuude, deren Original sich im Muaeufl 
Cmdale befindet, veröffentlicht 8&lomon a. a. 0. 



176 


Literatur. 


Ordnung des Kammergerichts auf dem Wormser Reichstag von 1495 keinerlei 
»Veränderung der staatsrechtlichen Stellung dieses Gerichtes* zugunsten der 
Stände, wenn es auch als »kaiserliches und Reichskammergericht* als 
»Reichskammergericht* bezeichnet wurde, denn schon seine Vorläufer werden 
gelegentlich als »kaiserliches und Reichshofgericht*, als »Reichs*- und als 
»kaiserliches und Reichskammergericht* genannt 1 ). Erst bei Besprechung 
des protestantischen Widersprucbsrechts zeigt sich nach S. erstmals der 
spätere »Nebensinn der Formel*, wird aber rasch dann von der staatsrecht¬ 
lichen Literatur übernommen. In einer Erklärung Hessens auf dem Depu¬ 
tationstage von 1643 sieht S. den Namen Reichskammergericht zum ersten- 
male offiziell im ständischen Sinne gebraucht und seit dem westfälischen 
Frieden dringt die jüngere Bedeutung unserer Formel auch in die Sprache 
der Reichsgesetze ein, jedoch eingeschränkt auf die dem Kaiser im »Reichstag* 
gegenüberstehende Gesamtheit der Stände. 

Anhangsweise sei noch der Arbeit des im Juli 1913 verstorbenen 
französischen Rechtshistorikers A. Esmein gedacht (FG. II. 361—381): 
L’inali£nabilit6 du domaine de la couronne devant les etats 
generaux du XVI® siöcle*. Mit mehr Erfolg als im deutschen Reiche 
hatte man es in Frankreich verstanden, die Domänen dem Staate zu er¬ 
halten, indem man der freien Verfügung des Königs über das Krön gut 
Einhalt zu tun bemüht war. Man schied auch hier das Reichsgut vom 
Hausgut des jeweiligen Königs und betrachtete — wie schon vorher in 
England — in fortschreitendem Maße die Krone als Eigentümerin der Do¬ 
mänen. Trotzdem hörten auch hier die Veräußerungen und Verpfändungen 
des Kronguts nicht auf. Aber man gab dem veräußernden König selbst, 
wie auch dessen Nachfolgern Revokationsrechte und es wirkten schließlich 
die Stände auf eine gesetzliche Festlegung der Unveräußerlichkeit dieses 
Vermögens hin. E. bringt interessante Einzelheiten aus den einschlägigen 
Verhandlungen zwischen Königtum und Ständen nach dem Tode Franz DL 
bis 1589 und zeigt namentlich auch die hervorragende Rolle, welche der 
berühmte Staatsrechtslehrer Bodin als Deputierter des dritten Standes in 
dieser Angelegenheit dank seiner Sachkenntnis zu spielen berufen war. 

V. Ständerechtliche Probleme. — Mit einer tief in die Quellen 
eindringenden Arbeit: »Luft macht frei* eröffnet mein hochverehrter 
Lehrer H. Brunner (t am 11. August 1915) die Festgabe der Berliner 

*) Hartung nimmt gegen Smend a. a. O. und das »Reichkammergericht« 
I S. 42 ff. an, es lasse sich dieser Bedeutungswandel schon im 15. Jahrh. seit den 
Tagen der Reichsreform feststellen. Entsprechend der tatsächlichen Gestaltung der 
Dinge, die sich in langer Entwicklung ergeben und eine tiefe Kluft zwischen den 
habsburgischen Erblandeu und dem Reiche, zwischen Kaiser und Reichständen 
schufen, unterschied nach H. schon damals der Sprachgebrauch »den Kaiser als 
Inhaber der österreichischen Erblande vom Reich als der Gesamtheit der Stände«. 
Als Beispiele erwähnt er hiefür die Vorschläge für die Reichshilfe von 1487 (die 
keiserliche Majestät — das reich), die Entwürfe einer Heeres- und Steuerverfkssung 
von 1492, die Teilung der Geldbußen für Münzvergehen (1495) i. s. w. Es ent- 

E ht dies dem dualistischen Aufbau des Ständestaates, wobei allerdings im alten 
e eine scharfe Trennung von Kaiser und Reich nicht durchführbar war. Auch 
für die Frage der Stellung des Reichskammergerichts im Reichsorganismus hat H. 
eine andere Auffassung. Vgl. zu allem HVS (1913) 51 und 203 ff., ferner Deutsche 
Verfassungsgeschichte vom 15. Jahrh. u. s. w. (1914) S. 5 und 18. Ich glaube, 
daß sich für das »Reich« damals schon beide Deutungen nach weisen lassen. 



Literatur. 


177 


Juristenfakultät für Otto von Gierke (L 1—46L Sie enthält eine Fülle 
wichtiger Ergebnisse. In begründeter Weise lehnt er gegen Hegel und 
Eietachel die Übernahme dieses Bechtsgedankens aus England ab. Eher 
zeige sich eine Anlehnung an flandrische Muster, die wieder a :f Frankreich 
znrückzufohren wären, zu dessen Eronvas&llen die flandrischen Grafen ge¬ 
hörten. Doch gelte die Übernahme dieses Gedankens aus dem ausländischen 
Rechte nicht als gesichert, da die Voraussetzungen für die selbständige 
Ausbildung des Satzes »Luft macht frei 4 überall Vorlagen, wo sieb kraft 
Privilegs oder Gewohnheitsrechts eine bodenständige Geltung des Satzes 
»Luft macht eigen 4 nachweisen lasse. Dies sei in Frankreich und in Deutsch¬ 
land als Folgewirkung der rechten Gewere an Liegenschaften der Fall ge¬ 
wesen, die sich zwischen 820 und 895 im Anschluß an die Verschweigungs¬ 
frist von »Jahr und Tag 4 entwickelte, welche seit dem Kapitul&re von 
s 18/9 bei der »missio in bannum regis 4 im Vollstreckungsverfahren zur An¬ 
wendung gelangte. Der Bechtssatx selbst aber ist nach R nur eine Ab¬ 
spaltung des Satzes »Luft macht eigen 4 , seine älteste Prägung daher die 
stadtherrschaftlicbe. Etwas jünger ist die ständerechtliche, welche den Er¬ 
werb persönlicher Freiheit mit dem überjährigen Aufenthalt in der Stadt 
verknüpft, die neueste die kommunale, welche die Erlangung der Freiheit 
von dem Erwerb des Bürgerrechtes in der Stadt abhängig machte. Wo der 
Asylgedanke einwirkt, konnte der Eintritt dieses Zustandes schon mit der 
Niederlassung selbst verknüpft sein. Doch war diese befreiende Wirkung der 
Stadtluft in der einen und anderen Form in Deutschland nie gemeines, 
sondern stets nur Sonderrecht privilegierter Städte 1 ) und kommt an¬ 
dererseits auch in deutschen Weistümern des 15. und 16. Jahrhunderts 
vor. — Gedanken aasbauend, die sich schon in seinem 1909 erschie¬ 
nenen *) Buche »Der Prozeß Heinrichs des Löwen 4 finden, vertritt 
F. Güterbock in seinem Beitrag zur Zeumerfestschrift (S. 579—590) 
»Die Neubildung des Beichsfürstenstandes und der Prozeß 
Heinrichs des Löwen 4 die Anschauung, daß sich der Gebrauch »prin- 
cipes 4 im älteren Sinne nicht, wie Ficker annahm, bis 1180, sondern nur 
bis 1177 nachweisen lasse und daß der jüngere Begriff des Fürstenstandes 
als einer engeren, auf lelmrechtlicher Basis aufgebauten Genossenschaft schon 
in dem Prozeß gegen diesen Stammesherzog in den Jahren 1179 und 1180 
hervortrete. Er vermutet, der Bechtsstreit habe geradezu den Anstoß zu 
diesem Wandel gegeben, indem man bei dieser Aufsehen erregenden Ver¬ 
handlung strengstens alle Rechtsnormen beobachtete und daher den Kreis 
der Fürsten, die das Urteil zu fällen hatten, sowohl für den landrecht¬ 
lichen, als auch für den lehnrechtlichen Streit genauestem» bestimmte s ). 


*) Da« Institut der rechten Gewere an Liegenschaften und der mit ihr zu¬ 
sammenhängende Bechtssatz: »Stadtluft macht frei« fehlt im allgemeinen dem 
bayrischen Rechte. Er findet sich aber — als eine Ausnahme für dieses Gebiet — 
im Innsbrucker Stadtrecht von 1239. Vgl. Voltelini in der Festchritt des akad.^^ 
Historikerklubs zur Erinnerung an dessen 40. Stiftungsfest (1913) S. 13. * 

*) Vgl. außer den FZ 684 1 genannten Anzeigen noch P. Puntschart 
Z*RG XXX. 339 ff. und O. v. Düngern in diesen Mitteilungen XXXIII. 37P 
Sehr wertvoll zur Charakterisierung des Prozesses sind die Bemerkungen T 
J. Haller in AU IIL 295 ff. und von H. Niese in Z*RG XXXTV. 195 ff. 

*) Wie jetzt G. zog auch schon J. Ficker (vgl. Reichsfürstenstand H 
S. 181) die Gelnhauser Urkunde von 1180 zur Beurteilung dieser Frage hen 

XitteUuwren XXXVI. 12 



178- 


Literatur. 


Doch bleibe die Frage offen, ob aus Anlaß dieses Verfahrens die Abgrenzung 
des jüngeren Fürstenstandes durch einen gesetzgeberischen Akt erfolgt sei *). 
— 8. Keller spricht in FB. (187—21l) über »Cyrographum und 
Hantgemal im Salbuch der Grafen von Falkenstein € , eine 
Frage, der schon Ph. Heck, Th« Ilgen und R. Sohm besondere Aufmerk¬ 
samkeit zugewendet haben. Eine selbständige Bedeutung des Wortes »ryro- 
graphum* leugnend, erblickt er darin nur eine wörtlich gemeinte Über¬ 
setzung des deutschen »hantgemal*. Doch sei dieses Wort nicht von 
»handmäl* (Handzeichen, Hausmarke), sondern von »Hand* und »mahal* 
abzuleiten, wobei die Hand als das bekannte germanische Symbol der haus- 
und eheherrlichen Gewalt erscheine, mit »mahal* aber »ursprünglich jede 
abgeschlossene Stätte, die zu einem bestimmten Gebrauch ausgezeichnet war, 
insbesondere ein Versammlungsort* bezeichnet wurde. Somit sei handmahal 
oder hantgemal »der als eine abgeschlossene Einheit zu denkende Ort, wo 
die unter der munt oder hand Vereinigten zusammengehalten werden und 
angesessen sind*, mithin ein »Schutzort* 2 ). Da nun die Handgemalnotiz 
drei Familien nennt, so dürfe man die Gemeinsamkeit der Ansprüche dieser 
Familien nicht etwa aus einer nicht erweisbaren »gemeinsamen Abstammung* 
herleiten, sondern man müsse eher an einen sogenannten Stammverein oder 
Burgfrieden®), an ein ganerbschaftliches Verhältnis denken, wie solche im 
Mittelalter auch unter nicht verwandten Familien durch Vertrag begründet 
wurden, um »ein seit Jahrhunderten gehegtes und gepflegtes Familiengut 
vor dem Übergang in Unrechte Hände dauernd zu wahren*. Trotzdem 
aber durch diesen Vertrag von Rechtswegen alle drei Familien als Ge- 
samthänder Mitbesitzer des Familienguts der Falkensteiner bei Geislbach 
geworden seien, bleibe der Besitz doch nur Hantgemal der Falkensteiner 
und erst wenn diese ausstürben oder ihr Stammgut vergäßen, hätten die 
anderen Familien als Gesamthänder in den tatsächlichen Besitz des Gutes 
eintreten können. — In einem zweiten Aufsatze »Der Adelsstand des 
süddeutschen Patriziats* untersucht K. die Frage nach der adeligen 


Unabhängig von einander kamen beide Forscher zu dem Ergebnisse, daß im land- 
rechtlichen Verfahren gegen den Weifenherzog noch Kreise des älteren Fürsten¬ 
standes mitbeteiligt waren, dagegen im lehnrechtlichen Prozesse nur Fürsten im 
jüngeren Sinne zur Urteilsfällung zugezogen wurden. Daß der Prozeß Heinrichs 
des Löwen den »Anstoß zu dem Wandel« der Auflassungen gegeben habe, stellt 
jetzt J. Haller 427* in Abrede. Vgl. auch Heymann in Z*RG XXXII. S. 428. 

*) Während Ficker a. a. 0. I 129 eine Regelung dieser Frage im Gesetz¬ 
gebungswege für ausgeschlossen, Güterbock S. 590 für zweifelhaft hält, nimmt 
Bloch, Die staufischen Kaiserwahlen S. 297 4 eine bestimmte gesetzliche Ord¬ 
nung des ReichsiürstenStandes in jener Zeit an. Er stützt sich hiebei auf einen 
Passus im Vertrage zwischen Friedrich I. und dem Grafen Balduin von Flandern 
über die Errichtung der Markgrafschalt Namur (1184) und auf eine Stelle des 
Chronisten Gislebert de Mons zum Jahre 1191. Doch läßt er es offen, »inwieweit 
der Prozeß Heinrichs den äußern Anlaß oder gar mehr dazu gegeben hat«. Mit 
Recht lehnt diese Auffassung Büchner, Die deutschen Königswahlen und da 9 
Herzogtum Bayern, S. 31 1 ab. Vgl. auch Hugelmann in dieser Zeitschrift XXXTV. 
369. Daß G. auch die Lehre von Fehr und Bruckauf ablehnt tS. 580), es habe noch 
zur Zeit des Sachsenspiegels der Dualismus yon Amts- und Lehnfürstentum bestanden, 
braucht nach dem Gesagten nicht besonders bemerkt zu werden. 

*) Vgl. auch Kellers Aufsatz in Z S RG. XXX. 224 fl. 

•) Vffl. H. Brunner, Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte, 6. Aufl., 
S. 242 und R. Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 2. Aufl., S. 131. 



Literatur. 


179 


Qualität der Patrizierfamilien, hauptsächlich in jenen Städten Schwabens 
und Frankens, in denen ein politischer Gewaltstreich Karls V. eine Wieder¬ 
erweckung des Patriziats und dessen neuerliche Einsetzung in das Stadtregi¬ 
ment gebracht hat (FG. II. 741—758). — In FB (737—760) aber prüft 
X. Bauch die in der Literatur vielfach promiscue gebrauchten Bezie¬ 
hungen: »Stiftsmäßigkeit und Stiftsfähigkeit in ihrer begriff¬ 
lichen Abgrenzung* und zwar auf Grund eines auch für die Bechts- 
gesehichle im Allgemeinen wertvollen Gutachtens, das er im Jahre 1908 
in einem Streit über ein Familienfideikomiß zu erstatten hatte Und in dem 
es auf die Auslegung der Worte: »stiftsmäßige Eltern* ankam 1 ). 

VL Territorien und Städte. — E. Liese gang’s Studie: »Herzog 
Adolf von Cleve im Grenzstreit mit Geldern* (FB. 213—219) 
bringt wertvolle Daten über die Gebietsgrenzen zwischen Cleve und Geldern 
im 15. Jahrh. — Als Ausschnitt aus einer größeren Untersuchung über das 
Geleitrecht gilt der Aufsatz von H. C. Kalisch in FZ. 591—609: »Das 
Geleitregal im kölnischen Herzogtum Westfalen*. Hier weist 
er vor allem nach, daß den von Köln im 14. Jahrh. wiederholt erhobenen 
Ansprüchen auf Anerkennung eines allgemeinen herzoglichen Geleitrechts 
»zwischen Rhein und Weser* verschiedene verbriefte und zum Teile ältere 
Geleitrechte für Territorialherren innerhalb des Herzogtums entgegenstanden 9 ). 
Heues Licht fällt hiebei namentlich auf die Stellung der Grafen von Arns¬ 
berg zum Reiche, deren Grafschaft noch 1368, als sie an Köln verkauft 
wurde, als allodiales Herrschaftsgebiet außerhalb des Lehnsnexus stand 8 ). 
Daher seien in der Belehnungsurkunde Ludwigs des Bayern von 1338 für 
den Grafen Gottfried von Arnsberg die Worte »ducatum infra terminos 
dominii sui* nicht auf zu herzoglicher Gewalt gediehene Grafenrechte der 
Arnsberger zu beziehen, sondern auf ein vom Reich lehnrühriges, dem Lehns¬ 
werber mit anderen Gerechtsamen vom Vater her angefallenes Geleitrecht, 
wie ja ,ducatu8‘ fallweise auch für »conductus* gebraucht wird 4 ). K. behauptet 
im Folgenden, daß die Worte ,cum conductibus* in der bekannten Urkunde 
von 1180 betreffend die Errichtung des Herzogtums Westfalen sich weder 
historisch noch staatsrechtlich auf ein von den Welfen überkommenes 
Geleitrecht im ganzen Herzogtum beziehen lassen. Vielmehr sei das Ge¬ 
leitrecht damals in Westfalen wahrscheinlich noch unbekannt gewesen. Die 
kölnische Kirche aber, der es von Lothringen her geläufig war, habe diesen 
Vermerk »in blanco in die Bestallung* aufnehmen lassen, um auch etwa 
vorhandene Geleitrechte mitbestätigt zu wissen 6 ). Erst als sich ein Geleit- 

*) Vgl. hiezu auch den Aufsatz »Zur Frage der Stiftsfähigkeit« von 0. v. 
Düngern in Grünhut’s Zeitschrift XXXIX. 242 ff. 

*) Hochstift Paderborn, Herreu von Lippe, Grafen von Schwalenberg und 
Everstem (Jansen, Die Herzogsgewalt der Erzbischöfe von Köln in Westfalen 
8. 93 ff.), Grafen von Berg, von der Mark und von Arnsberg (Kalisch S. 596 ff.). 

*) K. S. 602: comitatum et terram Amsbergensem cum castris, oppidis . . ., 
quae omnia et singula nostra bona libera et alloclialia fuerunt et a neinine feodali 
seu aüo iure dependent. 

«) Daß »ducatus« hier nicht Herzogtum heißen kann, weil die Grafschalt 
allodial und nicht vom Reich lehnrührig war, weil der Graf gar nicht Reichsfürst 
war, was er als mit einem Herzogtum vom Reiche belehnter hätte sein müssen, 
weist K. S. 605 ff. nach. 

») Dann dürfte man nicht mehr mit Schröder, Deutsche Rechtsgeschichte, 
5. Aun. S. 541 unter Bezugnahme auf die Urkunde von 1180 sagen, daß die 

12 * 



180 


Literatur. 


wesen entwickelte und man dessen Wert für die Schaffung einer gefestigten 
Territorialmacht und deren Erweiterung auf das ganze Herzogtum erkannte, 
seien die Bestimmungen der alten Urkunde von 1180 zur Begründung von 
Ansprüchen hervorgeholt worden, »die sich aus ihr durchaus nicht recht- 
fertigen ließen*. — »Die ordentliche Kontribution Mecklenburgs 
in ihrer geschichtlichen Entwicklung und rechtlichen Be¬ 
deutung* untersucht R. Hübner in FG. JL (1139—1166). Ausgehend 
von der ordentlichen Bede, die aus Altdeutschland im 13. Jahrh. nach 
Mecklenburg verpflanzt wurde und an die sich auch dort außerordentliche 
Abgaben anschlossen, zeigt er deren Ausgestaltung zur landständischen Steuer 
seit dem 16. Jahrh., beleuchtet die Kämpfe zwischen Ständen und Landes¬ 
herren um das Steuererhebungsrecht und bespricht die Regelung dieser Fragen 
durch den landesgrundgesetzlichen Erbvergleich von 1755, durch die Ver¬ 
einbarungen mit den Ständen im Jahre 1808 und 1809 und die Steuer¬ 
reform von 1870, die in ihrer ordentlichen Kontribution eine Steuer des 
alten Finanzsystems, eine Abgabe aus der Zeit des ständischen Staates 
neben einem modernen Ertragsteuersystem in aller Form weiterbestehen 
ließ. — Auf Grund von Forschungen namentlich in kämtnerischen Archiven 
versuchte ich in FZ. (209—235) »Skizzen zur bambergischen Zen¬ 
tralverwaltung für Kärnten im Mittelalter vornehmlich im 
14. Jahrhundert* zu entwerfen 1 ). 

Die Entwicklung des Städtewesens beleuchten Aufsätze von C. Ro¬ 
denberg, G. Dez Marez und G. v. Schmoller. R. prüft in seiner 
Abhandlung »Die Stadt Worms in dem Gesetze des Bischofs 
Burchard um 1024* (FZ. 237—246) — allerdings ohne Auseinander¬ 
setzung mit der reichen Literatur — das Wesen der bischöflichen Herrschaft 
über diese Stadt. Hiebei vertritt er die Auffassung, es habe hier die ganze 
Stadt zu jener familia 8. Petri gehört, für welche der Bischof das Statut 
erlassen hat. Denn dieses Gesetz enthalte eine Reihe von Vorschriften »für 
die Stadt insgemein, nicht nur für einen bestimmten Personenkreis in ihr*, 
mithin sei der Begriff der familia »nicht nur ein personaler, sondern auch 
ein territorialer*. Zu ihr zählt er daher auch die freien Grundeigentümer, 
die von Alters her in der Stadt lebten und 979 unter die Grafengewalt 
des Bischöfe kamen. Ihm gelang es, sie trotz ihrer Freiheit auch in eine 
gewisse hofrechtliche Abhängigkeit zu bringen, wodurch sie in der Ver¬ 
äußerung ihres Grundbesitzes in der Stadt und in ihren Eheschließungen 
beschränkt wurden und ein »vermutlich öffentliche und privatrechtliche 
Verpflichtungen* vereinigendes Servitium zu leisten hatten. Diese Anglie¬ 
derung der freien Bevölkerung der Stadt an die Grundherrschaft des Bischöfe 
und die ihr folgende »Mischung von öffentlichem Recht und Hofrecht* aber 
erklärt R. aus der Erscheinung, daß die dem Bischof vom Reich verliehene 
öffentliche Gewalt hier wie in anderen Bisehofestädten durch Organe der 
Grundherrschaft geübt wurde. Schließlich erblickt er in dem Privileg 
Heinrichs V. (1114) für Worms, das die hofrechtliche Beschränkung bei 

Herzoge das Geleitrecht von jeher geübt zu haben scheinen. Nach K. ist es 
ein erst verhältnismäßig spät entstandenes, den Grundsätzen des Zollrechts unter¬ 
worfenes Landeshoheitsrecht. 

l ) Auch selbständig erschienen: Weimar 1909. Vgl. hierüber Heymann in 
Z*RG XXXII. 429 ff. und Uhlirz in Deutsche Literaturzeitung (1912) 1075 ff. 



Literatur. 


181 


der Eheschließung beseitigte, nicht die Begünstigung einer einzelnen Be- 
Tölkertmgsklasse, sondern im Vergleich mit einer Ähnlichen Urkunde aus 
1111 für Speier 1 ) eine Gunstbezeugung für alle Bürger der Stadt. — 
Dez Marez hingegen erbringt in der Abhandlung: »Le sens iuridique 
du mot »oppidum* dans les textes flamands et braban^ons 
des HI— Xni® siöcles* (FB. 339—348) an der Hand zahlreicher 
einschlägiger Urkunden den Nachweis, daß dort das Wort »oppidum* nicht 
einen ummauerten oder befestigten Ort bezeichnet, sondern als Rechtsaus- 
druck für Ansiedlungen erscheint, die auf der Grundlage städtischen Rechts 
privilegiert waren, mochten ihre Bewohner auch Landwirtschaft betreiben. — 
Der Aufsatz Schmollers »Die Bevölkerungsbewegung der deutschen 
Städte von ihrem Ursprung bis in’s 19. Jahrhundert* (FG. IL 
167—221) untersucht als Beitrag zur deutschen Sozial- und Wirtschafts¬ 
geschichte auf Grund »historisch-statistischer Materialien* für eine große 
Zthl von Städten, insbesondere in den Rheinlanden und unter ihnen ein¬ 
gehendst für Köln, das Aufsteigen, den Stillstand, den Rückgang und die 
schließliche Wiederzunahme der Bevölkerung. Er forscht nach den Ursachen 
dieser Bewegung und nimmt namentlich zu zwei »innerlich zusammen¬ 
hängenden Fragen* Stellung: ob und inwieweit »die innere Verfassung und 
Verwaltung der Städte und deren Beeinflussung durch die über ihnen 
stehenden Gewalten Einfluß auf das Wirtschaftsleben und die Bevölkerung 
hatten*, und ob »die Zunahme de* interlokalen wirtschaftlichen Verkehrs 
nicht Schwierigkeiten erzeugte, wenn Stadt und Land, verschiedene Ge¬ 
meinden, verschieden! Bezirke nicht unter einer einheitlichen politischen 
Gewalt standen*. 

VTI. Preußische und neueste deutsche Geschichte. — 
Friedrich IL versuchte am Beginne der Regierung Kaiser Karls VIL, als 
England zu Gunsten M. Theresia’s auftrat, »die organischen Einrichtungen 
<ler Reichsverfassung zum Hebel seiner Großmachtstellung zu machen*. 
Dachte er sogar daran, den deutschen Reichstag, die Reichsarmee oder doch 
die Reichskreise für die Wahrung der Reichsneutralität, für die Sache des 
Kaisers und die Zwecke der preußischen Politik in Bewegung zu setzen. 
Für einen im Zuge dieser Politik unternommenen diplomatischen Vorstoß 
Preußens, für Verhandlungen, die der König diesfalls mit dem englischen 
Hofe im Winter 1742/3 führte, gewinnt der leider seither schon verstorbene 
große Geschichtschreiber Preußens R. Koser eine Reihe neuer Gesichts¬ 
punkte in seinem Beitrag zu FZ. (369—383): »Eine preu ßisch-eng- 
Hsche Verhandlung von 1743 wegen d er Reichsneutralität*. 
— 0. Krauske bringt psychologisch interessante »Skizzen vom 
Berliner Hofe am Anfang des siebenjährigen Krieges* (FZ. 
311 —327). Hiefür verwertet er namentlich die Tagebuchblätter und Briefe 
der Prinzessin Wilhelmine, der Gemahlin des Prinzen Heinrich von Preußen. 
Ei sind Stimmungsbilder vom preußischen Hofe, die manch* interessanten 
Einblick in den Gegensatz der Persönlichkeiten innerhalb der königlichen 
Familie selbst geben. — R. Arnold legt als Beitrag zur Entwicklung der 
preußischen Ämterorganisation »Die Anfänge des preußischen Mili- 


*) über sie vgl. die Aufsätze von Bendel und Hafen im 32. und 33. Heft der 
Mitt. des hist. Ver. d. Pfalz (1912 und 13). 



182 


Literatur. 


tärkabinets* dar (FZ. 169—200). — Für Preußen selbst, zugleich aber 
auch für die Verwaltungsgeschichte im Allgemeinen, ist besonders wertvoll 
die vergleichende Studie 0. Hintze’s (FZ. 493—528) »Der Kommis- 
sarius und seine Bedeutung in der allgemeinen V erwal- 
tungsge schichte*. Der Verfasser bespricht zunächst die Kommissariats¬ 
behörden Preußens im 18. Jahrh., die sich in der Hauptsache aus der 
etwas älteren Einrichtung der Kriegskommissarien entwickelt und gleich 
diesen als eine jüngere Schicht des preußischen Beamtentums, außerhalb der 
alten Landesverfassungen und des alten Landrechts stehend an der Zer¬ 
trümmerung des ständischen Staates und an dem Aufbau des absolutistischen 
Militärstaates kräftig mitgewirkt haben. In weitausblickender Perspektive 
zeigt er dann für verschiedene Staaten und Zeiten das Emporkommen der¬ 
artiger Kommissarien im Gegensätze zu festen Ämtern. Wir erhalten in¬ 
teressante rechtsgeschichtliche Einblicke namentlich in die französische und 
spanische Verwaltung, in das päpstliche und bischöfliche Delegationswesen 
und werden zurückgeleitet bis zu den »missi* der karolingischen Epoche. 
Überall tritt der Unterschied zwischen »office* und »commission*, zwischen 
»Beamten* und »Kommissar* hervor. Auch zeigt er, daß diese Frage wissen¬ 
schaftlich schon von der mittelalterlichen Kanonistik behandelt, späterhin 
namentlich von Bodinus ausführlich entwickelt wurde, dessen Auffassung 
für das französische Verwaltungsrecht des »Ancien regime* eine ähnliche 
Bedeutung erlangt hat, wie seine Lehre über die Souveränität für die Ent¬ 
wicklung des Staatsrecbts. 

Einzelfragen der neuesten deutschen Geschichte behandeln die 
Beiträge von F. Meinecke und H. Triepel. Ersterer bringt in der Ab¬ 
handlung »Zur Kritik der Badowitz’schen Fragmente* (FZ. 51 
—59) einen quellenkritischen Beitrag zur Geschichte der politischen Wand¬ 
lungen in Preußen aus der Zeit Friedrich Wilbelm’s IV. Letzterer erweitert 
und berichtigt unter dem Titel »Zur Vorgeschichte der nord¬ 
deutschen Bundesverfassung* (FG. II. 589—644) in wichtigen 
Punkten die bisherigen Ansichten über die Entstehung dieses Verfassunga- 
werkes und würdigt hiebei auch den persönlichen Anteil, den der große 
Kanzler schon an den im Spätsommer 1866 einsetzenden Vorarbeiten ge¬ 
nommen hat. 

VH!. Geschichte der Kechtsquellen. — Fränkische Zeit 
Als Numismatiker prüft A. v. Luschin in seinem Beitrag zur FZ. (201— 
207) »Zur Geschichte des Denars der lex Salica* das Alter dieses 
Volksrechts von der Frage aus, ob die Franken den in der lex Salica ge¬ 
nannten Denar im Werte eines Vierzigstel Solidus aus ihrer Heimat nach 
Gallien mitgebracht haben 1 ). — M. Krammer, der die Herausgabe dieser 
Lex für die M. G. übernommen hat und zu diesem Behufe Handschriften 
und Texte einer ebenso eingehenden, wie scharfsinnigen Prüfung unterzieht 8 ), 
zeigt in seiner Studie »Zur Entstehung der lex Salica* (FB. 405— 
471), daß und warum dem der Zeit Pippins angehörenden »Epilog* für 
diese Frage besondere Bedeutung zukommt. Als dessen eigentliche Heimstätte 
betrachtet er die nach seinen Forschungen älteste uns erhaltene, der Urform 


*) Vgl. Luschin in den Wiener Sitzungsberichten (phil. hist. Kl. Bd. 163). 
*) Vgl. Krümmer in NA. XXXIX. 601 ff 



Literatur. 


183 


zunächst stehende Textgestaltung dieses Volksrechts, den von ihm nun¬ 
mehr mit A btzeichneten, bisher sogenannten Hunderttiteltext in der glos¬ 
sierten Form. Aus ihm und aus dem Inhalt der Lex gewinnt er das wert¬ 
volle Ergebnis, daß diese von Haus aus kein einheitliches Werk war, viel¬ 
mehr aus drei auch zeitlich von einander getrennten Teilen bestand, die 
»ns den Jahren 486—496 (1—74), 496—507 (75—77) und 524—558 
»vielleicht auch 557) stammen. Sie rühren von Chlodovech und zwar nach 
der Besiegung des Syagrms und vor bezw. nach seiner Taufe, im letzten 
Teile aber von Childebert und Chlotar her, waren jedoch nicht für alle 
Salier, sondern nur für „die salisch-römische Mischbevölkerung im ehemaligen 
Reiche des Syagrius* zwischen Kohlenwald und Loire, mithin in Neustrien 
berechnet Die älteste uns erhaltene Fassung, aus der K. „den alten mero- 
wingisehen Text, so wie Chlodovech und seine Söhne ihn haben aufzeichnen 
lassen«, in seiner Reinheit wieder herstellen zu können hofft l ), gehört 
erst der Zeit Pippins an. Damals habe man die drei Teile unter Weg¬ 
lassung der Eingangs- und Schlußworte zusammengezogen, die alten 
Königsnamen entfernt und an deren Stelle der Prolog „Gens Francorum* 
als Publikationspatent Pippins (vermutlich 763/4, sicher 751—764) gesetzt, 
am alten Texte jedoch nichts Erhebliches geändert (Fassung A). Von Pippin 
sei die Lex auch in Austrasien eingeführt worden, was eine Umgestaltung des 
alten Textes in die Fassung B verlangte, um sie durch Anpassung an die 
»austrasischen Gewohnheiten* auch „dort lebensfähig zu machen*. — Der 
im Herbst 1912 so unerwartet früh verstorbene 8 ) Eechtshistoriker S. Bietschel 
tritt in einer Studie über „Das Volksrecht der Friesen* (FG. II. 
223 —244) gegen die als herrschend zu bezeichnende sog. Kompilations¬ 
theorie auf und bringt für die von Heck vertretene Einheitlichkeit der 
Aufzeichnung neue Argumente, die er namentlich aus der äußeren Über¬ 
lieferung, aus Inhalt, Stil und Sprache der Lex Frisonum gewinnt. Sie ist 
für R. „kein Gesetz, keine Sammlung von Gesetzen, aber ebensowenig auch 
eine Kompilation oder eine systematische Bearbeitung älteren schriftlichen 
^uellenmaterials*, vielmehr das „um S02 von einem fränkischen Beamten, 
wahrscheinlich in Aachen, aufgenommene lateinische Protokoll über Rechts- 
wtisongen, die von Kommissionen aus den drei friesischen Landschaften und 
von zwei einzelnen Bechtskundigen über das gesamte friesische Recht sowohl 
volksrechtlichen, wie herzogs- oder königsrechtlichen Ursprungs erteilt 
wurden*. 

Deutsches Mittelalter. — Mit dem Sachsenspiegel befassen »ich 
ße Beiträge meines mir unvergeßlichen Lehrers K. Zeurner, der nach 
ungern, mit heldenhafter Geduld ertragenem Siechtum am 18. April 
1914 verschieden ist 3 ). In FB. (135—174 und h 39—841): „Die »äch- 
rische Weltchronik, ein Werk Eikes von ßepgow«, verhilft er 
fer älteren Lehre ans überzeugenden Gründen wieder zur Geltung, daß 
Weltchronik und Sachsenspiegel Werke desselben Verfasser» sind. In hohem 
Grade macht er wahrscheinlich, Eike sei nach Vollendung de» Sachsenspiegel», 
Erdings nicht vor 1233, in den geistlichen Stand eingetreten und habe viel- 

*) NA. XXXIX. 691. 

*) VgL den Nachruf von A Schlitze in Z*KG XXXIII VII ff 

r i Vgl. die Nachrufe von R. Saiomon i v.i .SA XXXIX. 3 ff. von 

M Krimmer in Z*RG XXXV 8. IX ff 



184 


Literatur. 


leicht geradezu Aufnahme in ein Domstift gefunden, ein Übertritt, der ihm um 
so leichter gefallen sein mochte, als er die Grundlage für seine entwickelte 
gelehrte Bildung offenbar schon in seiner Jugend in einem Kloster oder 
in einer Domschule empfangen und zu geistlichen Bildungsstätten fortdauernd 
Beziehungen erhalten haben dürfte. Hiefür spricht seine eingehende Kenntnis 
der lateinischen Sprache, nicht minder eine gewisse theologische Schulung 
und Vertrautheit mit der Bibel und mit den Einrichtungen der Kirche, 
nicht zuletzt auch sein von tiefer Religiosität Zeugnis gebendes Gedanken¬ 
leben. Wir können ihn daher mit Z. in seinem Weltleben mehr als Laien 
ritterlichen Standes mit geistlichen und gelehrten Neigungen, denn als 
Ritter im eigentlichen Sinne bezeichnen und es gewinnt so sein »Lebens¬ 
bild neue wichtige Züge und frische Farben*, seine geniale Persönlichkeit 
aber zugleich »eine das bisher anerkannte Maß noch weit überragende Be¬ 
deutung*. Nicht minder ergeben sich hier neue und wertvolle Gesichts¬ 
punkte l ) für die Beurteilung des großen Geschichtswerkes aus dem Sachsen¬ 
lande, das nun wohl als »Weltchronik Eikes von Repgow* zu bezeichnen 
ist, und für dessen Verhältnis zum SachsenspiegeL Anschließend an eine 
kurze Bemerkung im NA XXXV. 611 ff. widerlegt Z. in FG. II. (455—474) 
in seiner Studie: Ȇber den verlorenen lateinischen Urtext des 
Sachsenspiegels* die von Philippi in diesen Mitteilungen XXX. 401 ff. 
aufgestellte Vermutung, der Sachsenspiegel sei ursprünglich in deutscher 
Sprache abgefaßt worden. Die herrschende Lehre durch neue Argumente 
stützend, deckt er namentlich Spuren des lateinischen Urtextes in zwei 
Stellen der Stader Annalen (zu den Jahren 917 und 1240) auf, die von 
der Herkunft der Sachsen und der Entstehung des Litenstandes, sowie von 
der Königswahl handeln. Sie zeigen eine Abhängigkeit vom Sachsenspiegel, 
sind aber nicht aus der deutschen Fassung geschöpft und ins Lateinische 
rückübersetzt, sondern vermutlich dem lateinischen Urtext des Rechtsbuches 
entnommen worden. — E. Müller beschreibt in FZ. (329—347) »eine 
unbekannte westfälische Sachsenspiegelhandschrift*. Sie 
findet sich in einem durch den Schulrektor Johann Ubach im Jahre 1444 
geschriebenen »alten Rechtsbuche* im Archiv der Münsterschen Landstadt 
Werne a. d. Lippe und enthält das Landrecht des Ssp., von ihm getrennt 
die Buch’sche Glosse, ferner das Lehnrecht des Spiegels und den Richtsteig 
Landrechts 2 ). — »Studien zum kleinen Kaiserrecht* ver¬ 
öffentlicht in FG. H. (421—453) A. B. Schmidt. In ihnen gibt er wert¬ 
volle Winke für eine neue Ausgabe dieses Rechtsbuches, berichtet über 
weitere Handpchrifbenfunde, über Alter und Heimat des Werkes. Aus einer 
Prüfung von Einzelbestimm?ingen gewinnt er für die Frage nach der Ent¬ 
stehungszeit kein befriedigendes Ergebnis. Für sie könne nur die allgemeine 
Weltanschauung des Verfassers in Anschlag gebracht werden, jene Idee 
eines Weltkaisertums, wie sie in der ersten Hälfte des 14. Jahrh., namentlich 
zur Zeit Ludwigs des Bayern, die Geister beherrschte. Man wird daher mit 
Sch. die Abfassung des Rechtsbuches nicht vor die Mitte der Zwanzigerjahre 


*) Vgl. hiezu auch E. Rosenstock, Ostfalens Rechtsliteratur unter Friedrich II. 
S. 115 ff 

*) Über eine weitere Sachsenspiegelhandschrift aus dem 16. Jahrh. vgl. 
F. Salomon in Z f RG XXXIII. 663 ff. 



Literatur. 


185 


des 14. Jahrh. und wenn ein unmittelbarer Einfluß der Vorgänge von 
Rense und der Schrift Lupolds von Bebenburg »de iuribus regni et im- 
perii € vorliegt, nicht vor 1338 ansetzen dürfen, wogegen als Endtermin 
der Beginn der Vierziger Jahre gelten darf. 

Lombardisches Recht. In einer Studie: ,Un nuovo documento 
sopra Gualcoso e la storia della cosi detta Valcausina« 
(FB. 539—572) berichtet A. Gaudenzi über eine in den Kodex 182 der 
KapitelbibL zu Vercelli eingeheftete Gerichtsurkunde von 1064, die in ihrem 
noch erhaltenen Teile die eigenhändige Unterschrift des Walcausus mit dem 
Zusatz » iudex . . missus domini regis ssi« aufweist. Im Anschlüsse an 
seine früheren Arbeiten entwickelt er neue Hypothesen über die sog. 
Walcausina und reiht daran manch 1 interessante Bemerkung zur italienischen 
Rechtsgeschichte. — F. Patetta prüft in einer Abhandlung: ,Nuove 
ipotesi sulla patria della cosi detta Lombarda« (FB. 349—378) 
namentlich die neueren Meinungen über die Heimat dieses Rechtsbuches, 
ohne freilich hiedurch das vielumstrittene Problem zu lösen. Der in diesem 
Zusammenhänge oft besprochenen, nach seiner Meinung jedoch für die Frage 
nach dem Entstehungsorte unwesentlichen Eintragung in den Kodex 328 
von Monte Cassino gibt er eine neue Lesart, indem er das textlich fest¬ 
stehende »Pedone« als das in Ligurien gelegene frühmittelalterliche P e d o n a, 
oder, was aber auch ihm weniger wahrscheinlich dünkt, durch Aufstellung 
einer Lesart »per Terdone« als Tortona erklärt. — E. Seckel endlich 
gibt in FG. I. (L S. 47 — 168) einen die Arbeiten von Dieck, Laspeyres und 
K. Lehmann in wesentlichen Punkten erweiternden Bericht über eigene 
»Quellenfunde zum lombardischen Lehnrecht insbesondere 
zu den Extravaganten-Sammlungen«. Hiefür verwertet er aus der 
Reihe der ihm bekannten sieben Handschriften der »Summa feudorum« des 
Jakobus de Ardizone nur den reichhaltigen Kodex 2094 der Wiener Hof¬ 
bibliothek. In ihm konnte er insbesondere auch eine an diese Summa sich 
anschließende gekürzte Bearbeitung einer großen Ardizonischen Extrava¬ 
gantensammlung zum lombardischen Rechtsbuche feststellen, wodurch dank 
der einfachen Reduktionsmethode des mittelalterlichen Bearbeiters auch diese 
Sammlung selbst der Forschung wiedergegeben ist. Außerdem entdeckte 
er in dieser Handschrift eine zwar nicht in extenso gehaltene, aber als 
exakt angefertigte Analyse zu bezeichnende »compilatio feudorum secundum 
Ardizonem«, einen »über Ardizonis«, der als »Vorlage«, als »wichtige 
Zwischenquelle« für die erwähnte Extravagantensammlung in Betracht 
kommt. 

Kirchliche Rechtsquellen. — 0. Gradenwitz erörtert in 
FG. IL (1069—1089): »Die Unstimmigkeiten von Valentinians 
Novelle XXXV (XXXIV) de episcopali iudicio«. Seine quellenkritische 
Untersuchung ist für die Darstellung der Entwicklung der geistlichen Ge¬ 
richtsbarkeit im römischen Reiche von großem Werte. Auch nimmt sie 
zu der Frage Stellung, ob dvse Novelle in der Gestalt überbefert ist, wie 
sie Valentinian selbst erlassen hat, und ob sich nicht aus ihr ein auf Kon¬ 
stantin zurückreichender Kern ausschälen läßt, der verschiedene Zusätze und 
Änderungen erhielt — E. Seckel hingegen analysiert, wie vor Jahren die 
Beschlüsse des Konzils von Nantes, so nunmehr in FZ. 611—635 »Die 
ältesten Canones von Rouen«, die in verschiedenen ältern und jüngern 



186 


Literatur. 


Sammlungen Aufnahme gefunden haben. Er stellt fest, daß nur acht Stücke, 
die durch die Autorität Reginos von Prüm gedeckt sind, als echte und ur¬ 
sprüngliche Schlüsse eines solchen Konzils von Rouen gelten dürfen, das 
jedoch nicht dem 7. Jahrh. angehört, sondern entsprechend der Rolle, welche 
zwei Kanones in der Entwicklung der kirchlichen Sendgerichte spielen, un¬ 
gefähr der Mitte des 9. Jahrh. zuzuweisen sein wird. — Als wertvoller 
Nachtrag zur Ausgabe der fränkischen Konzilien stellt sich die Arbeit 
Werminghoffs in FB. (39—55) dar: »Zu den bayrischen Synoden 
am Ausgang des achten Jahrh.*. In einem neuerworbenen Kodex 
des kgl. Hof- und Staatsbibliothek in München (cod. lat. 28.135 saec IX) 
entdeckte G. Leidinger neues Quellenmaterial zur kirchlichen Verfassungs¬ 
geschichte und stellte diesen Fund W. zur Verfügung. Namentlich handelt 
es sich auch um eine bisher unbekannte Vorrede zu Konzilschlüssen von 
Reisbach, Freising und Salzburg, vermutlich aus dem Jahre 800. An ihre 
Veröffentlichung knüpft W. verschiedene, die Gründung der Metropolitan¬ 
verfassung in Bayern und die Beziehungen dieser Provinzialkonzilien zu 
Karl d. G. und Leo III. betreffende Fragen und Vermutungen *). 

IX. Geschichte des Privatrechts. — Fragen von allgemeinerer 
Bedeutung werden in anregendster Weise von H. Fehr in seinem Beitrag 
zu FG. II. (851—916) erörtert: »Die Rechtstellung der Frau in 
den Weistümern*. Es ist ein Ausschnitt aus einem größeren, 1912 er¬ 
schienenen Werke dieses Rechtshistorikers, das von anderer Seite in dieser 
Zeitschrift besprochen wird. — Interessante Belege für das Fortleben der 
germanischen Rechtssymbolik namentlich im Rechtsverkehr mit Immobilien 
bringt der Aufsatz von M. Tangl: »Urkunde und Symbol* in FB. (761 
—773). Er ist auch von großem Werte für die Erkenntnis der Privat¬ 
urkunde des frühen Mittelalters. Bekanntlich schoben sich zwischen die 
römische und die germanische Form der Landübertragung vielgestaltige 
Misch- und Übergangsformen. Ausgehend von dem Testamente Fulrads von 
St. Denis (777), das an einer der Originalausfertigungen unter dem Sub- 
skriptionszeichen des Notars die Zweigspitze der festuca befestigt zeigt, mithin 
al9 vereinzelter Fall das Übereignungssymbol auf der carta anbringt, er¬ 
wähnt T. aus dem »Nouveau traite* der Mauriner für eine spätere Zeit Bei¬ 
spiele, die der volksrechtlichen Auffassung wesentlich näher stehen, indem sie 
die Urkunde als notitia auf das Symbol 2 ) setzen (Eintragung auf den 
Griff eines Messers, Einschneiden in den Stab, Überziehen des Stabs mit einem 
Bleimantel, in den man die Notitia einritzte). Als Mittelglied zwischen 
beiden Gruppen aber veröffentlicht er zwei in französischen Werken schon 
gedruckte, dem Kreise von Chartres angehörige Notitiae aus der Wende des 
12. zum 13. Jahrh., die freilich nicht mehr im Original, sondern nur als 
paläographische Abschriften in der Collection Gaignifcres der Pariser National¬ 
bibliothek erhalten sind, wo T. sie selbst eingesehen hat. Sie bedeuten einen 
für jene Zeit »vereinzelten Rückfall in die volksrechtliche Anschauung*. 
Denn sie legen das Schwergewicht nicht auf die Besieglung der Urkunde, 
sondern auf die »Rechtshandlung und das Symbol*. Durch »das Nieder- 


i) Vgl. E. Pereis im NA. XXXV. 597—699. 

*) Zur Frage, ob nicht Messer und Festuca auch Persönlichkeitszeichen waren, 
vgl. H. Meyer in FG. II. 981. 



Literatur. 


187 


legen des Messers auf den Altar der Kirche* wurde der Rechtsakt in beiden 
Fällen abgeschlossen. Ihm folgte die Abfassung der Notitiae, an denen so¬ 
dann die Messer befestigt wurden. Die Behauptungen Michelsens und Mor- 
caldis über häufiges Vorkommen solcher Fälle in Frankreich bezw. in saler- 
nitanischen Urkunden muß T. jedoch als derzeit noch nicht bewiesen er¬ 
klären x ). — Interessante Belege aus Quellen des 13. Jahrh. bringt P. Vino- 
gradoff in FB. (573—577): »Zur Geschichte der englischen 
Klassifikation der Vermögensarten* namentlich unter Besprechung 
eines Prozesses vor dem Gericht der Common Bench in Westminster aus 
dem Jahre 1219, in dem nicht prozessual, sondern materiellrechtlich die 
Unterscheidung zwischen dinglichem und persönlichem Vermögen 
deutlich hervortritt Hiebei zeigt V., daß in England wie in anderen west¬ 
europäischen Staaten der abstrakte Absolutismus des klassischen römischen 
Rechts für den Eigentumsbegriff nicht übernommen wurde. Doch erklärt er 
diese Unterscheidung innerhalb des Vermögens auch aus dem » Gegensatz 
zwischen weltlicher und geistlicher Gerichtsbarkeit und Rechtsauffassung*. 
— Das Haftungsproblem behandeln Arbeiten von R. Caillemer, 
J. Köhler und H. Meyer. In einem Aufsatze: »Les form es et la 
nature de l’engagement immobilier dans la region lyonnaise 
(X e —XHL® siöcles)* skizziert Caillemer in FB. (279 — 307) an der Hand 
eines reichen gedruckten Materials die verschiedenen Arten von Liegen¬ 
schaftspfandrechten, welche im Gebiet von Lyon während der ersten Jahr¬ 
hunderte des Mitteln!tera nachweisbar sind (Eigentums- oder Substanzpfand, 
Nutzungspfand oder ältere Satzung, beide mit verschiedenen Abwandlungen). 
Ist die Arbeit eine willkommene Ergänzung des Bildes, das bisher für die 
Entwicklung dieses Rechtsinstituts auf französischem und deutschem Boden 
geboten werden konnte, so bringt sie namentlich auch interessante Ein¬ 
blicke in die Geld- und Kreditgeschäfte frühmittelalterlicher Klöster. — 
»Die Ausläufer der langobardischen Vadia im 15. Jahrh.* 
bespricht J. Köhler in aller Kürze in FG. I. (EL 277—30l), allerdings 
ohne auf die einschlägige Literatur Rücksicht zu nehmen. Für die Wadia 
selbst bringt er eine merkwürdige, nicht näher begründete Erklärung 2 ). Sie 
ist ihm ein »ehemaliger Fetisch*, ein »mit dem Geist der Person oder mit 
dem Geist ihres Vermögens erfülltes Heiligtum, durch dessen Übertragung 
Person oder Vermögen auf den Anderen übergeht*. Diese Wadia be¬ 
trachtet er als Haftmittel, doch soll sie dem Gläubiger — ähnlich der 
Auffassung Gierke’s 8 ) — nur die Befugnis geben, sich an das Vermögen 
des Haftenden, nicht an dessen Person zu halten. Mit Unrecht leugnet er 
such die spezifische Verbindung der Wadiation mit der Bürgschaft 4 ). Ferner 
zeigt er. was übrigens für Italien wie für andere Rechtsgebiete schon be¬ 
kannt war 5 ), daß für den Nichtzahlungsfall in den Urkunden dem Gläubiger 

*) Vgl. hiezu 0. Redlich, Die Privaturkunden des Mittelalters, S. 54 u. 55. 

*) Vgl. dazu Amira, Die Wadiation (1911) S. 5, der mit Recht erklärt, es 
entziehe sich diese Theorie, da r‘e »ohne einen ernsten Versuch der Begründung 
auftritt«, systematischer Kritik. 

*) Schuld und Haftung (1910) 78 ff. und 259 ff. 

«) Vgl. Amira a. a. 0. 8. 8. 

*) Vgl. z. B. Voltelini, Acta Tirolensia II. S. LI ff., Gierke, Deutsches Privat¬ 
recht H. 824 ff, Schuld und Haftung 333 ff. und jetzt namentlich H. Planitz, Die 
Vermögensvollstreckung im deutschen mittelalterlichen Recht 274 ff. für die Ge¬ 
neralhypothek in Deutschland seit dem 12. Jahrh. 



188 


Literatur. 


wiederholt das Schuldnerische Vermögen zu Pfand gegeben wurde, wozu 
noch häufig eine ausdrückliche Erlaubnis trat, » solche Vermögensgegenstände 
des Schuldners* ohne gerichtliche Intervention »an sich zu ziehen und durch 
Gebrauch oder Veräußerung zu verwerten*. Soweit nicht unter romani¬ 
stisch em Einflüsse hier eine Generalhypothek des römischen Rechts geschaffen 
wurde, erhielt der Gläubiger durch eine solche Verhaftung des Vermögens 
kein Pfandrecht als dingliches Recht, sondern nur ein Pfändungsrecht an 
dem Vermögen des Schuldners. Endlich sagt uns 1L, daß noch Urkunden 
des 15. Jahrh. aus Vicenza neben einer solchen Vermögenshaftung auch 
eine leibliche Haftung des Schuldners kennen, und auf dieser Grundlage 
die persönliche Inhaftnahme des Säumigen gestatten. Sechs ihm gehörige, 
einschlägige Urkunden aus dieser Stadt für die Jahre 1445 bis 1480 bringt 
er im Anhänge zum Abdruck. — »Zum Ursprung der Vermögens¬ 
haftung im deutschen Rechte* äußert sich H. Meyer (FG. II. 973 
—1005) in einem für die Erkenntnis des altgermanischen Haftungsrechts 
ebenso wertvollen, wie lehrreichen Beitrage. Im Anschlüsse an seine früheren 
Arbeiten und namentlich gegen A. Egger, 0. v. Gierke und M. Rintelen *) 
Stellung nehmend, tritt er für die von K. v. Amira*) und Anderen ver¬ 
tretene Lehre ein, die für das ältere germanische Recht »neben der per¬ 
sönlichen und der Sachhaftung* einen dritten selbständigen Haftungsbegriff, 
den der Vermögenshaftung nicht zuläßt, vielmehr an dem ursprünglichen 
Haftungsdualismus festhält. So ist auch ihm die Vermögenshaftung nur 
eine »Erscheinungsform der Personenhaftung*. Aufgabe der alten Wadiation 
war es daher nicht, wie Gierke lehrt, für eigene oder fremde Schuld eine 
Verhaftung des Vermögens zu bewirken, auf daß dieses dem Zugriff de3 
Gläubigers unterworfen sei 8 ), sondern durch sie wurde, wie M. ausführt, 
auf rechtsgeschäftlichem Wege eine symbolische Verpfändung der Person 
des Schuldners, eine ideelle Vergeiselung herbeigeführt, mithin Personen¬ 
haftung begründet und zwar durch Geben und Nehmen des Stabs, des ur- 
germanischen Wadiationssymbols, eines Scheinpfandes 4 ), das zum Symbol der 
Personenhaftung wird. Diese Bürgschaft gab jedoch dem Gläubiger nach 
M., der hier Gierke 5 ) folgt, in der ersten Zeit »kein Befriedigungsrecht aus 
dem Vermögen des Bürgen*, sondern nur ein Recht auf dessen Person: 
»Bürgen soll man würgen* (S. 977). Doch mußte der Gläubiger im Gegen¬ 
sätze zur Geiselschaft 6 ) »hier die Haftung erst realisieren durch Zugriffe auf 
den Bürgen, den er binden und töten mag*. Er hatte sich erst der Person 

‘) A. Egger, Vermögenshaftung und Hypothek (1903), M. Rintelen, Schuld¬ 
haft und Einlager (1908), 0. v. Gierke, Schuld und Haftung (1910) und »Grund- 
züge des deutschen Privatrechts« in der 7. Auflage der HoltzendorfFsch en Enzy- 
clopadie der Rechtswissenschaft, I. 267. 

*) K. v. Amira in Z*RG XXXI. 490, ferner »Die Wadiation« S. 33 und 
»Grundriß des germanischen Rechtes« 3. Aufl. S. 214 ff. Vgl. Hübner a, a. O. 
S. 417 ff. 

*) Gierke, Schuld und Haftung, S. 78 ff. und S. 259 ff. 

4 ) Vgl. 0. Peterka, Das offene zum Schcinhandeln im deu.sehen Rechte des 
Mittelalters S. 13 f. 

*) a. a. 0. S. 61 ff. und S. 165 Anm. 68. 

•) »Der Geisel verfiel bei Schuldverzug ohne weiteres dem Gläubiger mit 
seinem Leib und dem, was er an sich trug, mit seiner Freiheit und Ehre: was er 
daheimgelassen, blieb dem Zugriff des Gläubigers entzogen«. Amira, Wadiation 
S. 42—43. 



Literatur. 


189 


des Haftenden zu bemächtigen, sie mußte ihm nach jüngerem Hechte gerichtlich 
überantwortet werden. Hiezu bedurfte es jedoch »schon zur Zeit der Volksrechte 
einer gerichtlichen Feststellung der Verwirkung der Mannheiligkeit* durch 
Urteil. Aber es war dies gewissermaßen nur eine »relative Friedlosigkeit 
dem Gläubiger gegenüber* und sie war auf die Person beschränkt. Es 
wurde nach M. nur die »äußere Form des Friedloslegungsver¬ 
fahren gewählt, weil kein anderes Verfahren zur Verfügung stand* 
(8. 989). Denn es galt »nur Feststellung der dem Gläubiger auf Grund 
des Gelöbnisses bereits zustehenden personenrechtlichen Macht gegen¬ 
über dem Haftenden*, wogegen Amira 1 ) mit Recht betont, daß der Gläubiger 
diese Gewalt über den auf freiem Fuße befindlichen Bürgen erst durch das 
Achtverfahren erlangte, wobei jedoch der geächtete Bürge in alter Zeit 
nicht nur dem Gläubiger, sondern jedermann, und nicht nur mit seinem 
Leib, sondern auch mit der ganzen Habe verfiel, über die er verfügen 
konnte. Des Weiteren bestreitet M. überhaupt, daß »durch Privat¬ 
rechtsgeschäfte im alten germanischen Recht eine Haftung de3 Ver¬ 
mögens erzielt werden konnte* (S. 982). In allen solchen Fällen sieht 
er eine strafrechtliche Personalhaftung. In diesem Sinne ist ihm das Be¬ 
treibungsverfahren »ex re praestita* und »ex fide facta* im Anschlüsse an 
Planitz 2 ) eine »eigentümliche Abspaltung des Ächtungsverfahrens*, die 
»Haftung des Gewähren für Rückerstattung des Kaufpreises*, ein Fall »ur¬ 
sprünglicher deliktiscber Haftung*, wie er auch dem Gewährschaftszug und 
der Einrede des Erbganges von Haus aus lediglich »strafprozessualen Cha¬ 
rakter* beimißt, sie als strafrechtliche Reinigung gegenüber dem klägerischen 
Anspruch betrachtet. Gewaltige Aufgaben hatte daher das Strafrecht der 
Urzeit zu erfüllen, indem es den »staatlichen Zwang* auch dem »berech¬ 
tigten Interesse des Einzelnen* auf Genugtuung für ihm in seiner gewöhn¬ 
lichen Sphäre zugefügtes »Unrecht* dienstbar machte. Dem Zugriff des 
Staates, »seiner personenrechtlichen Gewalt* waren aber nach M. »nicht 
nur Leib und Leben des Volksfriedensstörers unterworfen*, sondern auch 
dessen Vermögen (S. 1004). So spricht er von einer »persönlichen Haftung 
des Öffentlichen, des Sozialrechts*, die stärker und umfassender war 
als jene »privatrechtliche Haftung*, zu der er Geiselschaft und freie Bürg¬ 
schaft einerseits, die Fälle der Sachhaftung andererseits zählt. Nach dem 
oben Gesagten wird man jedoch die Haftung aus freier Bürgschaft, die 
anfangs nur durch Achtvollzug realisierbar war, zu der von M. gebildeten 
Gruppe von Haftungen des öffentlichen Rechts zu zählen haben. Diesen 
Haftungen ist aber in der Tat eigentümlich und gemeinsam, daß sie zu 
ihrer Verwirklichung einen Friedensbruch, mithin ein strafrecht¬ 
liches Moment verlangen. Wo dieses, wie beim Schuldverzug, noch fehlt 3 ), 
mußte, da das germanische Recht kein gerichtliches Verfahren um Schuld 

*) Z*RG XXXI. 8. 490 ff., V'adiation S. 43, Grundriß S. 217 und 238 ff. 

*) Planitz a. a. 0. 6 ff. und 21 ff. 

Erst Ungehorsam gegei die formelle Schuldmahnung war Friedensbroch 
und machte bußpflichtig. Planitz S. 6 im Anschlüsse an die Forschungen Amira’s. 
Vgl. hiezu auch H. Mitteis, Rechtsfolgen des Leistungsverzugs beim Kaufvertrag 
nach niederländischen Quellen des Mittelalters (19131 S. 25 fl., der die materiell- 
rechtliche Grundlage der salischen Verzugsbuße aufdeckt, indem er aus älteren 
und jüngeren Quellen entsprechend dem germanischen Obligationenbegriff als einem 
»giäubigerischen Innehaben« den Verzug als rechtswidrige Vorenthaltung, als ma¬ 
terielles Unrecht, somit als echtes Delikt darstellt. 



190 


Liberator. 


kennt, die Schuld zur Bnßschnld gesteigert und durch Ungehorsam des 
Beklagten die weitere Voraussetzung für die Friedloslegung geschaffen werden. 
Die Vollstreckung aber war damals prinzipiell Strafvollzug, und noch nicht 
Befriedigungsverfahren. Ein solches hat sich erst im Laufe der Entwicklung 
aus dem strengen Achtverfahren abgelösi. In noch späterer Zeit hat sich 
endlich aus dieser Personenhafnng, die den Haftenden mit Leib und Gut 
verstrickt, eine Vermögenshaftung für sich herausgebildet 1 ). Auch die Frage 
nach der Bedeutung des Stabsymbols bei der Wadiation wird von M. auf¬ 
gerollt Bekanntlich sieht Amira*) in diesem Stab einen Botenstab. Die 
Stabreichung steht für ihn »im Zeichen der Botschaftssymbolik und bezielt 
die Bürgenstellung* 8 ). M. hingegen erblickt in ihm, anknüpfend an Gierke 4 ), 
von Haus aus ein Herrschaftssymbol, ein Persönlichkeitszeichen, glaubt aber 
zwischen beiden gegenteiligen Meinungen insofern vermitteln zu können, als 
er die Deutung des Stabes als Botschaftsstab aus jener anderen ableitet, 
eine Erklärung, der A. sofort widersprochen hat 6 ). — In den Bereich des 
Familienrechts gehören die Arbeiten von Opet und M. Pappenheim. Ersterer 
erörtert in FG. H. (245—254) »Die Anordnung der Eheschließungs- 
publizität im capitulare Vernense* von 755. An der Hand der 
Quellen zeigt er, daß diese Norm unter »publicae nuptiae* nicht die unter 
geistlicher Benediktion eingegangenen Ehen, auch nicht etwa nur einen 
Eheabschluß vor Gericht verstanden hat 6 ), sondern daß die Öffentlichkeit »in 
der Zuziehung von Volksgenossen* zur Eheschließung lag 7 ) und zwar im In¬ 
teresse der Braut, jedoch nicht bei dem gesamten Vorgang der Eheschließung, 
sondern nur bei jenem Akt, der »den Eintritt der Braut in die Gewalt des 
Bräutigams bewirkte*. Diese Öffentlichkeit der »Gewaltbegründung* hatte 
die Frau vor der Gefahr zu schützen, dereinst etwa nur als Konkubine ange¬ 
sehen zu werden, indem die Zuschauer des Vorgangs ihr solchenfalls als 
»Beweismittel* zur Verfügung standen, wenn etwa in Zukunft ihre Ehe¬ 
frauenqualität bestritten werden sollte. — Pappenheim beleuchtet in FB. 
(l—15) »Die Pflegekindschaft in der Graugans*. Er zeigt, daß 
das isländische Bechtsbuch dieses in den nordgermanischen Quellen häufig 
erwähnte Verhältnis zwischen Pflegeeltern und Pflegekind nicht mehr in 
der ursprünglichen, rein familienrechtlichen Gestalt kennt, wenn freilich noch 
einzelne Re ch tsWirkungen bestehen, in denen die alten verwandtschaftsähn¬ 
lichen Beziehungen zwischen diesen Persoien fortleben. Die Pflegkindschaft; 
selbst wird nicht mehr durch den Formalakt der Kniesetzung begründet, 
sondern durch einen Erziehungsvertrag zwischen dem leiblichen Vater und 

i) Amira in Z*RG XXXI. 493, Grundriß 280 ff., Planitz 6 ff. und 15 ff, 
Hübner 422. 

*) Der Stab in der germanischen Rechtssymbolik (1909) 29 ff. und 151 ff. 
Hiezu Schroeder in Z*RG XXX. 449 f. und Goldmann in Deutsche Literaturzeituug 
1910 Sp. 2567 ff und 2631 ff 

*) Puntschart in diesen Mitteilungen XXXV. S. 356. 

4 ) Schuld und Haftung 153 und 262. Vgl. Fehr, Hammurapi und das 
salische Recht (1910) S. 27. 

*) Wadiation 34 ff. Jetzt auch Hübner 441 ff. Sehr beachtenswerte Ver¬ 
mutungen über den Ursinn der Wadia bringt neuestens Puntschart a. a. O. 357 ff. 

•) Vgl. hiezu W. v. Hörmann, Die tridentinische Trauungsform in rechts¬ 
historischer Beurteilung (1904) 21 ff. und Anm. 76 ff. 

7 ) R. v. Scherer, Üoer das Eherecht bei Benedictus Levita und Pseudoisidor 
(1879; und W. v. Hönnann, Quasiaffinität H/l (1906) 139 1 , 150 1 (151), 203 ff 



Lieratur. 


191 


dem künftigen Pflegevater, der als Realvertrag, als »Gabe mit bestimmter 
Auflage 4 erscheint. Das Rechtsverhältnis zwischen diesen Personen ist »rein 
vermögensrechtlich 4 , »durchaus schuldrechtlich 4 gestaltet, es ist auch vor¬ 
zeitig und einseitig lösbar. P. vermutet hiefiir das irische Recht als Vor¬ 
bild, wogegen die Vorschrift der Graugans, das Kind dürfe zur Zeit der 
Hingabe in die Pflege das achte Lebensjahr noch nicht überschritten haben, 
wohl den alten Zusammenhang zwischen Pflegekindschaft und Milchverwandt¬ 
schaft festhält. — Aus Stadtrechtsquellen gewinnt 0. Loening in PG. II. 
(285—303) eine Reihe wertvoller Aufschlüsse für »Das Erbrecht der 
Fremden nach den deutschen Stadtrechten des Mittelalters 4 . 
Er bespricht gesondert die Fälle, daß entweder der Erblasser selbst ein 
Gast war, oder ein Einheimischer auswärtige Erbeu hinterließ. Angeregt 
durch A. Schultze’s Aufsatz*), aber ihm vielfach entgegentretend, zeigt 
er, welche Milderungen das Emporblühen des Handels und der sich steigernde 
Wechselverkehr unter den Städten einem anfangs starren Fremdlingsrecht 
brachte. — J. v. Gierke schildert in FB. (775—805) und FG. II. 
(1091—1137) zwei Institute des Deichrechts, die auch allgemeines rechts¬ 
geschichtliches Interesse erwecken: »Die Verspätung 4 und »Das Boezem- 
recht (Busenrecht) 4 . 

X. Geschichte des Gerichtsverfahrens. — M. Rintelen’s 
Aufsatz: »Der Gerichtsstab in den österr. Weistümern 4 (FB. 631 
—648) untersucht an der Hand dieser jüngeren, für die Erkenntnis alther¬ 
gebrachter Gebräuche sehr wertvollen Quellen die Symbolik des Richterstabes. 
In der Hauptsache sieht er in ihm ein »Wahrzeichen richterlicher Gewalt 4 , 
somit ein Herrschaftssymbol. Nur ein Teil der Stellen läßt sich nach seiner 
Ansicht für die Deutung als »Botenstab 4 verwenden*). — An der Hand 
verschiedener Breslauer Schöffenbriefe, die teils im Original erhalten, teils 
aus der Eintragung in die bis 1556 fast lückenlos vorliegenden Schöffen¬ 
bücher benützbar sind, und in scharfsinniger Verwertung anderer Quellen be¬ 
spricht P. Rehme in FB. (79—134) die rechtliche Bedeutung einer Verwen¬ 
dung von »Schöffen als Boten bei gerichtlichen Vorgängen im 
Magdeburger Rechtskreise 4 . Seine Arbeit ist ein weiterer wertvoller 
Beitrag zur Geschichte der Stadtverwaltung und Rechtspflege in Breslau, 
zugleich Erklärung einer Rechtseinrichtung, die über den ganzen magde- 
burgischen Rechtskreis Verbreitung gefunden hat. In Weiterführung einer 
schon von Planck nur auf Grund von zwei ihm bekannten Urteilssprüchen 
gelegentlich geäußerten Vermutung weist er überzeugend nach, daß die 
Zuziehung solcher Boten im Rechtsstreite oder beim Abschluß eines Rechts¬ 
geschäftes vor Gericht zur Erzielung eines mündlichen Gerichtszeugnisses 
diente, das vorzubereiten und bereit zu halten auch bei Ausstellung eines 
Gerichtsbriefes zweckmäßig erschien. 1 In Magdeburg selbst ist, wie R. zeigt, 
die »Bezeichnung zweier Schöffen als Boten bei der Vornahme eines gericht¬ 
lichen Aktes und ihre Nennung in dem Schöffenbriefe 4 bereits um die 
Mitte des 14. Jahrh. »durchaus gebräuchlich 4 gewesen. In Breslau hin¬ 
gegen bilden solche Angaben bis 1457 »nicht die Regel 4 , die Nennung 
der Schöffenboten im Urteil, die hier zunächst nur auf Antrag der Partei 


*) Über Gästerecht und Gastgerichte u. 8. w. in Histor. Zeitschrift CI. 478 ff. 
*) Dagegen Amira, Wadiation S. 33. 



192 


Literatur. 


geschah, war hier kein Erfordernis eines »vollwertigen oder gar voll¬ 
wirksamen* Schöffenbriefes. Erst seit 1457, offenbar infolge einer durch 
»Setzung* nicht durch »Übung* herbeigefübrten Neuerung, enthalten jene 
Schöffenbriefe, welche über gerichtliche Vorgänge ausgestellt wurden» 
durchwegs den Botenvermerk, wobei diese Schöffen als Boten von amts- 
wegen mit dieser Aufgabe für den ganzen Termin betraut wurden. R. er¬ 
läutert auch den Unterschied zwischen Ratsakten und Schöffenakten und 
widerlegt die von Goerlitz*) aufgestellte Ansicht, daß sich in Breslau 
die Auflassung von liegendem Gut vor solchen Boten vor einer zur Ent¬ 
lastung des Stadtgerichts gebildeten »Zweischöffenkommission* abgespielt habe, 
die dem Stadtgericht nur hievon Meldung zu erstatten hatte. Er zeigt» 
daß diese Rechtshandlungen vorerst — von ganz besonderen Fällen abge¬ 
sehen — stets vor dem gehegten Ding selbst erfolgten, mithin vor Richter 
und Schöffen und dann mit dem Botenvermerk eingetragen wurden, daß 
sie fallweise seit dem 15. Jahrlu, und allgemein erst, seit 1517 vor den Rat 
verlegt wurden, wobei jedoch dieser Vorgang vor dem Rat durch zwei 
Ratmannen als Zeugen, die hier die Aufgabe der Schöffenboten versahen» 
dem gehegten Ding bekannt gegeben wurde. Dieses nahm dann die Ein¬ 
tragung des Ratsaktes in das Schöffenbuch vor, brachte hiebei jedoch keinen 
Botenvermerk an, da die Auflassung nicht vor Gericht erfolgt war. — 
In FG. II. (525—587) gibt uns Rehme erfreuliche Aufklärung »Zur Ge¬ 
schichte des Grundbuchwesens in Berlin*, von dem ältesten noch er¬ 
haltenen Berliner Stadtbuche, das im letzten Jahrzehnt des 14. Jahrh. angelegt 
wurde, bis zur durchgreifenden Umgestaltung des Grunibuchwesens in 
Preußen (1722). Die Arbeit widmet sich den Grundbüchern der fiinf 
Stadtgemeinden Berlin, Köln, Dorotheenstadt, Friedrichswerder und Friedrlehs- 
stadt, die 1693 durch ein königliches Edikt 2 ) eine gleichförmige Regelung 
des Grundbuchwesens erhielten und 1709 zur Haupt- und Residenzstadt 
Berlin zusammengeschlossen wurden. Auf emsigster archivalischer Forschung 
fußend, deckt dieser Beitrag den einstigen Bestand manches heute ver¬ 
lorenen Grundbuches dieser Ansiedlungen auf. Er bespricht die Führung 
dieser Bücher und den städtischen Rechtsverkehr namentlich um Liegen¬ 
schaften, zeigt Art, Gegenstand und Anordnung der Eintragungen und gibt 
wichtige Aufschlüsse zur Entwicklung des Realkredits. — Wertvolle Einblicke 
in die Gestaltung des Fahrnisprozesses bringen die Aufsätze von 
X. Rauch »Gewährschaftsver hältnis und Erbgang nach 
älterem deutschen Rechte* (FZ. 529—555) und von A. Schnitze 
»Die Bedeutung des Zuges auf den Gewähren im Anefangver- 
fahren* (FG. II. 759-—792). In eingehender Prüfung der Quellen und 
der Bedeutung des Schubs auf den Gewähren gewinnt Sch. gegen H. Meyer 
die Vermutung, daß schon in den ältesten germanischen Rechtsquellen, ja 
überhaupt seitdem es Spurfolge und Anefangsverfahren gab, dieser Zug auf 
den Gewährsmann nicht nur kriminelle Bedeutung hatte, nicht nur den 
Zweck verfolgte, die Strafverfolgung des Beklagten abzuwe’iren, den Dieb¬ 
stahlsverdacht von ihm auf den Gewähren abzuwälzen, sondern daß er neben 


Stadt 


i) Th. Goerlitz, Die Übertragung liegenden Gutes in der ma. 
Breslau (1906). 

*) Von Rehme S. 559 ff. abgedruckt und eingehend gewürdigt. 


und neuzeitl. 



Literatur. 


193 


diesem »Ursprangsziel der ganzen Institution* auch die Funktion einer 
rivilistischen Einrede besaß, mithin wie die Einrede originftren Erwerbs 
und die Berufung auf den toten Mann l ) auch Verteidigungsmittel gegen 
die Sachverfolgung sein konnte. Er vermochte daher nach Sch. unter Um¬ 
standen der Notorietät des dieblichen Verlustes wirksam entgegen zu treten, 
das Recht des Klägers zu unwiderleglichem Nachweis der Dieblichkeit mit 
Erfolg auszuschalten. Auch dem Gerüfte mißt Sch. hier die .von M. be¬ 
hauptete Publizitätswirkung nicht bei. Vielmehr erfüllte es im Spurfolge¬ 
verfahren, dem es wesentlich war, andere wichtige Zwecke (es hilft zur 
Auffindung der Sache und mittelbar zur Entdeckung des Diebes, es gewährt 
dem Bestohlenen prozeßrechtliche Vorteile, wie Wegfall der Intertiatio und 
provisorischen Besitz der Sache bis zum Gerichtstermin). Im Anefangver- 
fahren aber war es entbehrlich und wird in den Quellen überhaupt nicht 
als Voraussetzung der Klage erwähnt. Endlich pflichtet Sch. im Wesent¬ 
lichen — wie jetzt auch E. Heymann und R. Hübner 2 ) — den Aus¬ 
führungen Rauchs bei, die sich gegen Meyer 8 ) in der Frage richten, ob 
sich der Beklagte auf einen schon verstorbenen Gewähren oder auf Erwerb 
im Erbswege mit Erfolg berufen konnte. Unter Heranziehung von Er¬ 
scheinungen des Immobiliarrechtes gewinnt R. durch äußerst scharfisinnige 
Auslegung der Quellen das wertvolle Ergebnis, daß überall, wo im Rechts¬ 
gang (Liegenschaft»- wie Fahmisprozeß) der Gewährzug auf einen Toten 
stößt 4 ), er bei diesem sein Ende fand. Daher genügte solchenfalls für den 
Beklagten »ein auf seinen Erwerbstitel (Kauf oder Erbschaft) gerichteter 
Beweis c , oder es mußte hiezu nur noch der rechtmäßige Erwerb durch den 
Rechtsvorgänger (Verkäufer, Erblasser) oder dessen ruhiger Besitz durch 
Beweis fesigelegt werden. Darin sieht R. eine Folge der »Unvererblichkeit 
des Gewährsch aftsverhältnisses *, das als rein persönliches Band mit dem 
Tode eines der beiden Beteiligten normalerweise zerriß. Doch ließ sich 
diese Lücke durch Privatdisposition, insbesondere durch eine die Erben der 
einen oder anderen Seite bindende Klausel ausfüllen. Diese Einschränkung 
des Schubs ergibt sich aus der Struktur des alten deutschen Erbrechts. 
Auch konnte die Zulassung eines Beweises »nach toter Hand* für den Be¬ 
klagten bei Berücksichtigung des Typischen der einzelnen Fälle nicht als 
unbillige Härte gegen den Kläger erscheinen. Denn es kam dem alten 


») Vgl. hiezu K. Rauch, 8purfolge und Anefang in ihren Wechselbeziehungen 
S. 17 ff., A. Schnitze in Z*RG XXIX. 429 ff. und XXXI. 643. 

*) E. Heymann in Z*RG XXXI. 431, R. Hübner a. a. 0. 363. Vgl. auch 
Schnitze in Z*RG XXIX. 428 ff 

a ) H. Meyer, Entwerung- und Eigentum (1902) S. 87 und das Publizitäts¬ 
prinzip im deutschen bürgerlichen Recht (1909) S. 19. 

4 ) Rauchs Beweisführung, daß der Gewährenzug beim toten Mann stets sein 
Ende findet, erachtet auch H. Meyer in FG. II. S. 993 ff. für »zwingend«. Doch 
hält er daran fest, daß die Berufung auf Erbgang von Haus aus und so auch noch 
in der fränkischen Zeit keine zivilistische Einrede war, sondern »lediglich in dem 
ursprünglich strafprozessualen Charakter des Gewährenzugs« wurzelte. Nicht die 
Unvererblichkeit von Schuld Verhältnissen, wie R. annimt, sondern prozessuale 
Gründe seien es, aus denen der Gewährschaftszug solchenfalls sein Ende findet, da 
die Gewährleistungspflicht des älteren deutschen Rechtes als gesetzliche Pflicht 
des Verkäufers gar nicht dem Gebiete des Schuldrechts angehörte. Vgl. 
H. Meyer: »Fahraisverfolgung« in: Hoope, Reallexikon der germanischen Alter¬ 
tumskunde, II. S. 4. 


13 



194 


Literatur. 


Verfahren in diesem, wie in anderen Fällen doch nur auf »relative Ge¬ 
rechtigkeit* an. — In FG. I. (II. 303—341) erörtert A. Stölzel die 
Frage, ob »die operis novi nuntiatio als Keim der Hanauer 
Ganggerichte* zu betrachten sei. Hiezu veröffentlicht er ein Weistum 
der Hanauer Schöffen, welches diese im Jahre 1472 in ihr Gerichtsbuch 
aufnehmen ließen. — Der englischen Prozeßgeschichte gehört der Aufsatz 
von H. D. Hazeltine FG. H. (1055—1068) an: »Judicial discretion 
in english procedure of Henry the Second’s time*. 

XI. Kirchliche Rechtsgeschichte. — »Zur Geschichte des 
ius ad rem* bringt E. Heymann FG. ü. (1167—1185) einen wertvollen 
dogmengeschichtlichen Beitrag. Die bisher für diese Frage entwickelten 
Lehrmeinungen gehen bekanntlich in dem Punkte auseinander, ob der Be¬ 
griff eines »Rechtes zur Sache* der kanonistischen oder feudistischen 
Wissenschaft entstammt,, ob er aus germanischen Anfängen erwuchs oder 
sich nur als Produkt scholastischer Spekulation darstellt. H. erinnert 
vor Allem an die wiederholt schon berührte Erscheinung, daß das ger¬ 
manische Recht in einzelnen Fällen einen Anspruch auf künftigen Sacher¬ 
werb mit dinglichem Charakter ausstattet, ihn gegen Dritte wirken läßt. 
Der Begriff eines »ius ad rem* selbst entstammt jedenfalls germanischen 
Rechtsgedanken des weltlichen und kirchlichen Rechtes (Lehn und Pfründe). 
Feudisten und Kanonisten waren an seiner Entwicklung in von einander 
wenigstens in den Anfängen unabhängiger Gedankenarbeit beteiligt. Doch 
fehlt er nach H.s in die mittelalterliche Literatur tief eindringenden For¬ 
schungen noch der Glossa ordinaria zum Dekret und auch den Arbeiten 
des Guilelmus Durantis, nicht minder der ursprünglichen Fassung der 
Dekretale Clemens IV. »Licet ecclesiarum*, die für das päpstliche Provisions¬ 
recht grundlegend geworden ist. Sie begegnet erst in der interpolierten 
Fassung dieses Erlasses, wie sie der Liber Sextus enthält, und auch in an¬ 
deren Stellen dieses Gesetzbuches. Mithin hat sich diese Lehre in der kirch¬ 
lichen Theorie offenbar erst zwischen 1274 und 1295 allmählich durchge¬ 
setzt, worauf sie im Anfänge der Regierung Bonifaz VHL auch der Kurial- 
praxis geläufig wurde. Der Feudist Jacobus de Ravanis entwickelt sie in 
seiner undatierten Summa als erster im Lehnrecht. Doch läßt die Art 
seiner Darstellung es wahrscheinlich sein, daß er die Lehre nicht den 
Kanonisten entlehnt hat. Daher ist die Theorie vom »ius ad rem* in der 
wissenschaftlichen Auseinandersetzung entstanden, welche die weltliche und 
die kirchliche Rechtswissenschaft zwischen der germanischen Auffassung über 
Rechtsakte mit verschieden starker dinglicher Wirkung (symbolische Inve¬ 
stitur und Besitzeinweisung, electio und confirmatio, praesentatio und in- 
stitutio) und dem vom römischen Rechte und seiner Glosse in aller Schärfe er¬ 
faßten Gegensatz zwischen einem »ius in re* und nur obligatorischer Wirkung 
entfaltete. Dies beweist auch jenes eigenartige Schwanken vom »ius in re* 
zur bloßen Obligation und wieder zum »ius ad rem*. Mancherlei Spuren 
aber weisen darauf hin, daß die vollendete Lehre ihren eigentlichen Boden 
in Frankreich hat. — Wie Heymanns Untersuchung bereichert nach die 
weitausblickende Abhandlung von U. Stutz in FG. H. (1187—1268): »Das 
Eigenkirchen vermögen. Ein Beitrag zur Geschichte des altdeutschen 
Sachenrechts auf Grund der Freisinger Traditionen* nicht nur das Kirchen¬ 
recht, sondern auch das weltliche Privatrecht Der Verfasser entwickelt ans 



Literatur. 


195 


den reichhaltigen Freisinger Traditionen den Begriff eines Eigenkirchenver¬ 
mögens als dentschrechtlichen Sondervermögens. Weder die Übertragung 
einer Kirche an das Bistum noch auch die Weihe, sondern nur die Über¬ 
gabe von Vermögensstücken durch den Gründer an den Altar oder an die 
Kirche war Kirchengründung im privatrechtliehen Sinne. Doch be¬ 
zweckte und brachte sie keinerlei Änderung in der rechtlichen Zugehörigkeit 
dieser Sachen. Sie schuf nur ein Zubehörverhältnis. Es liegt darin ein in der 
privatrechtsgeschichtlichen Literatur bisher nicht genug beachteter »Pertinen- 
zierungsakt*, nicht ein » Rechtsgeschäft*, sondern ein »Rechtsakt*, durch 
den Vermögensstücke in das Verhältnis von Zubehör zur Kirche, »zum Haupt¬ 
oder Hochaltar* als Hauptsache und Mittelpunkt des ganzen Vermögenskreises 
kamen. Für den Eigenkirchenherrn bestand daher im Bereich seines Gesamtver¬ 
mögens neben seinem weltlichen Vermögen ein Kirchenvermögen (Kirche samt 
Zubehör) nicht nur als faktisches, sondern als rechtliches Sondergut, ähnlich 
dem See- oder Schiflsvermögen, dem Bergvermögen des älteren Rechts. 
Schon damals unterschied man bewußt und mit juristischer Schärfe diese 
verschiedenen Massen im Vermögensbereich des Eigenkirchenherrn. — 
In dem Aufsatze »Seelenrecht und Pönfall in Salzburg und 
Tirol* (FB. 175—186) bespricht F. Kogler eine eigenartige, in Salzburg 
bis zur Erlassung der neuen Stolordnung von 1903, in einzelnen Teilen 
Tirols, namentlich in den einst zu den Bistümern Freising und Chiemsee 
gehörigen Gebieten bis heute noch dem Ortsselsorger vom Nachlasse seiner 
Pfarrkinder gebärende Abgabe, die ihm zufließt, gleichgiltig ob überhaupt 
und was für Erben vorhanden sind. Heute Stolgebür, erscheint sie K. als 
gewohnheitsmäßige Fortbildung des in süddeutschen Rechtsquellen festge¬ 
setzten Seelenteils, der sich wieder auf den altgermanischen Totenteil zu¬ 
rückfuhren läßt. 

Mit Problemen aus dem Bereiche der Entwicklung der evangelischen 
Kirche und ihres Rechtes befassen sich die Arbeiten von S. Adler: »Der 
Augsburger Religionsfriede und der Protestantismus in 
Österreich* (FB. 251—277) und von W. Kahl: »Der Rechtsinhalt 
des Konkordienbuche8* (FG. I. 305—353). Vom Standpunkte der 
österreichischen Verfassungsgeschichte und unter Verwertung von Archivalien 
aus dem Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv prüft A. das Zustandekommen 
und den Inhalt dieses wichtigen Reichsgesetzes. Er zeigt insbesondere, daß 
Ferdinand L in allen Stadien der Verhandlungen, welche er als Vertreter 
Karls V. in dessen Auftrag mit seltener Energie und Klugheit führte, an 
dem Religionsbann als einem landesfürstlichen Hoheitsrecht fr st hielt, nicht 
minder an der Ablehnung jeglicher Gewissensfreiheit für Andersgläubige 
in seinen Ländern, was für die Frage einer allfälligen Religionsfreiheit seiner 
Landstände und Untertanen von großer Bedeutung war. Er beleuchtet die 
einschlägigen Verhandlungen im Kurfarstenkolleg und im Reichsfürstenrat, 
die wiederholte Stellungnahme .des österreichischen Vertreters U. Zasius, 
ferner einen wichtigen Beschluß des Geheimen Rates, der den geistlichen 
Vorbehalt zur Erörterung stellte, eine die Wünsche der Protestanten ab¬ 
lehnende Resolution Ferdinands vom 30. August 1555 und die abschließen¬ 
den Verhandlungen. Bekanntlich brachte der Reichsabschied den protestan¬ 
tischen Untertanen in den österreichischen Ländern des Reiches, und zwar 
auch den Landständen, abgesehen von einem freien Abzugsrechte, keinen Schutz 



Literatur. 


19 6 


von Reichswegen. Es war dies, wie A. zeigt, eine Folge jener Kompromi߬ 
politik, za der sich evangelische Stände des Reiches herbeiließen, am bei 
der Unaachgiebigkeit Ferdinands wenigstens für ihre Länder das Zustande¬ 
kommen dieses Gesetzes za retten. Die zweite Arbeit bringt mit Aasschluß 
kirchenpolitischer Erwägungen den Rechtsinhalt za wissenschaftlicher Dar¬ 
stellung, der sich für die deutschen lutherischen Landeskirchen in den Be¬ 
kenntnisschriften findet, welche in dem 1580 aasgegebenen Konkordien- 
bache vereinigt sind. 

XII. Ungarische Rechtsgeschichte. — In der großen Streit¬ 
frage über »Die Entwicklung und Bedeutung des öffentlich- 
rechtlichen Begriffs der heiligen Krone in der ungarischen 
Verfassung* ergreift A. v. Timon in FB. (309—338) gegen Tezner 
und Steinacker l ) neuerlich das Wort zur Verteidigung der in Ungarn aus¬ 
gebauten eigenartigen Auffassung über den Werdegang des ungarischen Ver¬ 
fassunglebens. — F. Schiller hingegen erläutert in FB. (379—404] 
Beziehungen, welche »Das erste ungarische Gesetzbuch und dat 
deutsche Recht* zu einander haben. In beiden Fragen dürfte jedock 
das letzte Wort noch nicht gesprochen sein. 

XIII. Geschichte der Rechtswissenschaft. — H. D. Hazeltin« 
bespricht in seinem Beitrage zuFB. (579—630) »Seiden as legal historian 
A comment in criticism and appreciation* die schriftstellerische Tätigkeit 
insbesondere die rechtsgeschichtlichen Arbeiten des großen englischen Ge 
lehrten J. Seiden (1584—1654), der Jurist, Staatsmann, Orientalist um 
Historiker war. R. Hübner hingegen zeigt in einer Studie: »Karl Frie 
drich Eichhorn und seine Nachfolger* (FB. 807—838) in kuappei 
aber inhaltsreicher kritischer Darstellung die Entwicklung der deutsche! 
Rechtsgeschichte als Wissenschaft seit Eichhorn. Hatte Frensdorff 2 ) zun 
hundertjährigen Jubiläum des Erscheinens der Eichhom’schen Rechtsge 
schichte (1908) nachgewiesen, wie dieses Buch »eng mit der Vergangenbei 
Zusammenhang*, wie es »Bestrebungen, die schon seit langem mit Eifr 
verfolgt worden waren, nun freilich in ganz neuer und überlegener Weis 
einen für die Folgezeit maßgebenden Ausdruck gab*, so wählt H. dies* 


*) Vgl. Steinacker in diesen »Mitteilungen« XXVIÜ. 276 ff. 

*) Das Wiedererstehen des deutschen Rechts in Z*RG XXIX. 1 ff. 

Übersicht. S. Adler S. 195, R. Arnold S. 181, H. Bresslau S. 174, H. Brunn« 
S. 177, R. CaiHemer S. 187, G. Dez Marez S. 181, A. Esmein S. 176, H. Fehr S. 18 
A. Gaudenzi S. 185, J. v. Gierke (2) S. 191, O. Gradenwitz S. 185, F. Güterbock S. 17 
K. Hampe S. 171, H. D. Hazeltine (2) S. 194 u. 196, E. Heymann S. 194, 0. Hinfc 
S. 182, A. Hofmeister S. 168, 0. Holder-Egger S. 170, R. Hübner (2) S. 180 u. 19 
W. Kahl S. 196, H. C. Kalisch S. 179, S. Keller (2) S. 178, F. Kern S. 172, F. Kogl 
S. 195, J. Köhler S. 187, R. Koser S. 181, M. Krammer (2) S. 174 u. 182, O. Kraus 
S. 181, B. Krusch S. 166, F. Liebermann (2) S. 170, E. Liesegang S. 179, O. Loenii 
8. 191, A. v. Luschin S. 182, F. Meinecke S. 182, H. Meyer S. 188, E. Müller S. 1£ 
0. Opet und M. Pappenheim 8. 190, F. Patetta S. 185, E. Pereis S. 168, K. Rau 
(2) S. 179 u. 193, P. Rehme (2) S. 191/2, 8. Rietschel 8. 183, M. Rintelen (2) S. 1 
u. 191, C. Rodenberg S. 180, R. Salomon 8. 171, D. Schäler S. 171, F. Schil 
8. 196, A. B. Schmidt 8. 184, G. v. Schmoller S. 181, H. Schreuer (2) S. 11 

A. Schultze S. 192, E. Seckel (2) S. 185, R. Smend S. 175. E. Stengel 8. 1' 

A. Stölzel S. 194, U. Stutz (3) S. 167, 174, 194, *M. Tangl (2) S. 169 u. 1* 

A. Timon 8. 196, H. Triepel S. 182, P. Vinograduff S. 187, R. Weil S. 1' 

A. Werminghoff (2) S. 168 u. 186, A. v. Wretschko (3) 8. 175 u. 180, K. Zeuu 
(2) S. 183/4. 



Literatur. 


197 


gewaltige Werk, seine Licht- und Schattenseiten ruhig abwägend, zum 
Ausgangspunkt für eine Wanderung durch die germanistische Forschung des 
19. Jahr tu Er zeichnet die führenden Männer in ihrer Arbeitsweise, in 
ihren Verdiensten und Fehlem und preist den gewaltigen Aufflug, den 
nnsene Wissenschaft unaufhaltsam fortschreitend in Einzeluntersuchungen 
und Tnwarampnfftsfl pnrifln Darstellungen bis in die letzten Jahre genommen hat. 

Innsbruck. A. y. Wretschko. 

Quellenstudien aus dem historischen Seminar der 
Universität Innsbruck. Herausgegeben von Wilhelm Erben. 
Heft I—V. Innsbruck, Wagner 1909—1913. 

Die Zahl der * Studien *, welche an deutschen und österreichischen 
Universitäten erscheinen, hat durch die vorliegende Sammlung einen er¬ 
freulichen Zuwachs erhalten; es sind größere und kleinere Untersuchungen 
aus dem Gebiete der historischen Hilfswissenschaften und der Geschichte 
des Mittelalters, welche uns hier geboten werden. Der Titel, »Quellenstudien*, 
welchen Erben für die unter seiner Leitung entstandenen Arbeiten gewählt 
hat, ist gerechtfertigt; denn sie*sind entweder den Geschichtsquellen selbst 
(vorzüglich den Urkunden) gewidmet oder unmittelbar aus ihnen geschöpft. 
Ihre Ergebnisse seien im Folgenden mitgeteilt. 

Das erste Heft wird mit einer Abhandlung von Josef Karl Mayer 
»über die Linzer Handschrift des deutschen Vegez* eröffiiet. 
Es ist eine Handschrift der Studienbibliothek in Linz, vorwiegend kriegs¬ 
wissenschaftlichen Inhalts, an welcher nach der Annahme Mayer’s drei 
Schreiber gearbeitet haben, a in den letzten Decennien des XV. Jahrhunderts, 
b und c im XVI. Jahrhundert, also zu einer Zeit, da das deutsche Kriegs¬ 
wesen in starker Entwicklung begriffen war. Die wichtigsten Teile der 
Handschrift werden sehr gründlich erörtert, zuerst das Fragment einer 
deutschen Übersetzung der »epitome rei militaris* des Vegetius samt einem 
Atlas. Wie M. nachweist, haben wir es hier mit einer unvollständigen 
Abschrift des ersten Druckes der deutschen Vegetius-Übersetzung von Ludwig 
Hohenwang zu tun, die zwischen 1470 und 1475 erschienen ist. Größeres 
Interesse bieten die weiteren Teile der Handschrift, die Stadtverteidigungs- 
Ordnung und die Wagenburg-Ordnungen. Die Stadtverteidigungs-Ordnung 
ist ein genau ausgearbeiteter Plan, wie eine Stadt gegen Angriffe von außen 
zu verteidigen sei; die Ordnung ist nicht datiert, sie nennt weder den Ver¬ 
fasser, noch die Stadt, für die sie bestimmt war. Durch eine scharfsinnige 
Untersuchung gelangt M. zur Hypothese: sie sei eine zwischen 1434 und 
1438 erfolgte Umarbeitung einer Ordnung, die Johann Glöckner um 1430 
für die Stadt Nürnberg verfaßt hatte. Dann werden die beiden Wagenburg- 
Ordnungen untersucht, welche über den Gebrauch dieses neuen von den 
Hussiten eingeführten Kriegswerkzeuges Aufschlüsse enthalten. Die eine ist 
nach den Ausführungen M^ von 1427, die andere um die Mitte des 
XV. Jahrhunderts verfaßt. 

Auch die zweite Abhandlung dieses Heftes beschäftigt sich mit einer 
Quelle zur Geschichte des deutschen Kriegswesens im Mittelalter. Anton 
Philipp untersucht »Die Überlieferung und Datierung der 
Grottk&uer Einung*, eines Bündnis-Vertrages der Fürsten und Stände 



198 


Literatur. 


Schlesiens zur Verteidigung des Landes gegen die Hussiten (»kätzer zu 
Behem*). Die Vertragsurkunde, oder besser gesagt, die uns erhaltene Auf¬ 
zeichnung über diesen Vertrag enthält wertvolle Nachrichten über die Aus¬ 
rüstung des Heeres; die Aufzeichnung ist nicht datiert, jedoch von den 
meisten Forschern in das Jahr 1421 gesetzt worden. Ist dieser Ansatz 
richtig? Bei der Erörterung dieser Frage hat Philipp *) den methodisch 
richtigen Weg eingeschlagen, indem er zuerst die handschriftliche Über¬ 
lieferung des Stückes prüft. Die einzige uns erhaltene Abschrift rührt von 
Bartholomäus Scultetus (Scholz) her, der sie in seine Annales Gorlicenses 
aufgenommen hat. Indem Ph. über die Zuverlässigkeit dieses Geschichts¬ 
werkes ins Keine kommen wollte, hat er mit beharrlichem Feiße sich über 
den Autor unterrichtet und uns eine förmliche Biographie des Scultetus 
vorgelegt. Der Lebensgang dieses vielseitigen und rührigen Mannes (1540 
—1614) ist nicht ohne Interesse. Wir sehen ihn als Gelehrten 2 ) und 
Lehrer in Görlitz tätig, dann durch das Vertrauen der Bürgerschaft zu 
städtischen Ämtern berufen, im Jahre 1592 zum Bürgermeister gewählt 
und dann noch fünfmal mit dieser höchsten Würde der Stadt bekleidet 
Um die Erforschung der Geschichte von Görlitz hat sich Scultetus das größte 
Verdienst erworben, indem er »alte briefe € sammelte, und nicht weniger als 
1700 (Urkunden, Briefe, Akten) in seinen Annales Gorlicenses uns über¬ 
liefert hat Wie dieses Geschichtswerk angelegt ist, wird von Ph. — so¬ 
weit dies ohne Prüfung der noch vorliegenden Handschrift möglich war — 
auseinandergesetzt, und es wird gezeigt, daß Scultetus bei der chronolo¬ 
gischen Einreihung der Urkunden nicht immer richtig voigegangen ist 
Dann kehrt PL zum Thema seiner Untersuchung, zur Grottkauer Einung 
zurück. Scultetus hat das Stück zum Jahre 1420 eingereiht, aber diese 
Datierung ist gegenwärtig fast allgemein verworfen, und wie erwähnt das 
Jahr 1421 vorgezogen worden. PL bekämpft beide Annahmen, und nach¬ 
dem er die Jahre 1420 und 1428 als Zeitgrenzen für die Grottkauei 
Einung festgestellt hatte, sucht er nachzuweisen, daß innerhalb dieses Zeit¬ 
raumes das Jahr 1427 am besten den im Bündnisvertrag vorausgesetztei 
Verhältnissen entspreche. 

Geschichtsquellen ganz anderer Art kommen im II. Hefte, das Beiträgt 
von Ernst Tuöek, Karl Kovac und Karl Riimler enthält, zur Erörterung 
Die Untersuchung von Tucek ist einer Geschichtsquelle allerersten Ranges 
dem »registrum super negotio imperii* gewidmet. Dieses Spezial 
register, das aus den zwölf ersten Pontifikatsjahren Innozenz UL (1198— 
1209) solche Dokumente zusammenstellt, die sich auf die Angelegenheitei 
des römischen Kaisertums beziehen, ist nach Ansicht T.s aus »dem ursprünglich 
einheitlichen Register* geschöpft »das Tag für Tag in der päpstlichen Kanzle 
geführt wurde*. Es sei wahrscheinlich im Jahre 1209 entstanden, damal 
seien die politischen Verhältnisse derart gewesen, daß Innozenz HL zu der 
Befehle gelangen konnte, ein besonderes Reinschriftregister für die Ange 
legenheiten des römischen Kaisertums anzufertigen. Zu diesen Ausführunge 
Tuöeks, der die Vatikanische Handschrift des registrum nicht selbst eingc 


*) Einer Anregung Erbens folgend. 

*) Auf dem Gebiete der Mathematik, Astronomie (aber auch der Astrologie 
Chronologie, Geographie und Geschichte. 



Literatur. 


199 


sehen batte, hatte Bresslau l ) bemerkt, »es wird nötig sein, diese Hypothese 
vermittelbt einer genauen paleographischen Untersuchung des uns erhaltenen 
Bandes noch einer Überprüfung zu unterziehen*. Inzwischen ist eine solche 
Überprüfung bereits erfolgt. Peitz hat anläßlich seiner Forschungen über 
das Register Gregors YH auch die Handschrift des registrum super negotio 
imperii untersucht und ist zu dem Schlüsse gekommen, es sei Original¬ 
register, und nicht abgeleitetes Register. Ja noch mehr. Das »registrum* 
sagt Peitz *) »ist geradezu ein Mustertyp zum Studium der älteren Original- 
Kanzleiregister*. Das ist das Gegenteil von dem, was Tucek erweisen wollte. 
Man wird noch weitere Forschungen abwarten müssen, bevor man das 
Problem als wirklich gelöst betrachten kann. 

Die Verzeicbnisse des Lyoner Zehnten aus der Erzdiözese 
Salzburg werden von Kovac besprochen. Diese Verzeichnisse sind der 
von Hauthaler 3 ) veröffentlichte »libellus decimationis de anno 12*5* und 
zwei von dem Referenten 4 ) herausgegebene Dokumente »Aufzeichnungen 
über die Revision und Ablieferung der Salzburgischen Zehntgelder 1283 
Jänner 3—25* und ein »Verzeichnis der vom Kollektor Aliron einge¬ 
hobenen Zehntgelder 1282 November 26 bis 1285 Oktober 25*. Kovaß 
berichtigt einzelne Irrtümer, die sich in den genannten Publikationen 
finden 5 ), und sucht wahrscheinlich zu machen, daß der »libellus decima¬ 
tionis* ein Verzeichnis des Subkollektors Friedrich von Moggio, und zwar 
ans dem Jahre 1283, sei. 

In die Geschichte des XIV. Jahrhunderts führt uns die Abhandlung 
von Rümler über »die Akten der Gesandtschaften Ludwigs 
des Bayern an Benedikt XU. und Clemens VL*. Nach dem Tode 
Johanns XXLL hatte Kaiser Ludwig die stärksten Versuche gemacht, die 
Aussöhnung mit der Kurie zu erreichen; fast durch die ganze Regierungs¬ 
zeit Benedikts XIL gingen Gesandtschaften von Deutschland nach Avignon, 
und die Verhandlungen wurden auch unter Clemens VL fortgesetzt, bis 
•iieaer Papst ihnen im Jahre 1345 ein Ende machte. Die Akten dieser Gesandt¬ 
schaften (von 1335, 1336, 1338, 1343) sind nicht mehr vollständig er¬ 
halten, von einzelnen (Beglaubigungen und Vollmachten) liegen uns nur 
dürftige Auszüge in dem Inventar des päpstlichen Archives von 1366 vor. 
Rümler bietet uns in der vorliegenden Abhandlung eine sorgfältige Unter¬ 
suchung dieser Akten, welche in einzelnen Punkten zu neuen Ergebnissen 
kommt. 


t \ Handbuch der Urkunden lehre 1 # , 114 N. 1. 

*) Sitzungsberichte der Wiener Akademie 165, p. 176. 

•) Beilage zum Programm des fÜrsterzbischöfl. Privatgymnasiums Borromeimi 
in Salzburg 1887. 

4 ) Mitteilungen des Instituts f. öet. Geschichtsforsch. 14, 58 ff. 

*) Nämlich die Angaben Hauthalers, daß die Einhebung des Zehnten im 
Erzbistum Salzburg in den Jahren 1274—1280 wegen des Streites zwischen König 
Rudolf und Ottokar von Böhmen anf unüberwindliche Hindernisse gestoßen sei, 
nnd daß AHronns canonjcus S. Mard de Venetiis von dem Bischof von Torcello 
gleichen Namens zu unterscheiden sei. Ebenso werden die vom Referenten ge¬ 
machten Angaben, daß die Salzburgischen Subkollektoren das Zehntj&hr in vier 
Termine (statt zwei) eingeteilt, und daß die Legation Alirons bis 1286 (statt 1291 
—92) gedauert hätte, berichtigt. 



200 


Literatur. 


Die beiden folgenden Hefte (HL IV.) enthalten Arbeiten von größerer 
Bedeutung. Eine Abhandlung von Franz Lehn er über »die mittel¬ 
alterliche Tageseinteilung in den österreichischen Ländern* 
ergänzt in trefflicher Weise das Buch Bilfingers »über die mittelalterlichen 
Horen und die modernen Stunden*, indem sie das Material der deutsch¬ 
österreichischen und böhmischen Quellen aus der Zeit vom XII.—XV. Jahr¬ 
hundert, das Bilfinger nur wenig benützt hatte, vollständig heranzieht, 
Lehner zeigt, daß auch im österreichisch-böhmischen Gebiete die horae 
canonicae im XII. Jahrhundert vorwiegend zur Angabe der Tageszeiten ge¬ 
braucht worden sind und noch bis in die erste Hälfte des XV. Jahrhunderts 
sich behauptet haben, trotzdem damals die modernen Stunden schon weit 
verbreitet sind. Die Bedeutung der einzelnen horae in unserem Gebiete 
entspricht im allgemeinen den von Bilfinger gefundenen Ergebnissen. Prim 
und Terz werden zur Bezeichnung vor Morgen, beziehungsweise Mitte des 
Vormittags gebraucht, die Sert ist seit dem XIL Jahrhundert soviel wie 
verschwunden, da die Non auf Mittag (und eine Stunde nach Mittag) zu¬ 
rückgeschoben ist, Vesper ist in der ersten Hälfte des XIV. Jahrhunderts 
in unseren Ländern überall die Zeit von 2—3 Uhr nachmittag?, Comple- 
torium ist in seiner ursprünglichen Bedeutung »später Abend* noch bis 
ins XV. Jahrhundert verblieben. Als Anhang zu diesem Abschnitte werden 
im Anschlüsse an Bilfinger einige »populäre Bezeichnungen* erörtert, aus 
denen das im Salzburgischen übliche »untam* hervorzuheben ist Das 
zweite Kapitel handelt von der Einteilung des Tages in 24 Stunden, von 
horae temporales (Teilung des lichten Tages sowie auch der Nacht in je 
12 unter sich gleiche, aber nach der Jahreszeit verschieden lange Stunden), 
und von horae aequinoctiales (Stunden von durchwegs gleicher Länge). 
Horae temporales finden sich in den Quellen unserer Länder sehr selten, 
eine Bestätigung des Satzes von Bilfinger, daß sie durch die horae canonicae 
verdrängt worden sind. Horae aequinoctiales werden bis zur Mitte des 
XIV. Jahrhunderts bei uns nur spärlich gebraucht, in den Schriften astro¬ 
nomisch gebildeter Männer sind sie nachzuweisen, aber in den breiteren 
Schichten sind sie nicht die gewöhnliche Art der Tageszeiten. Erst von der 
Mitte des XIV. Jahrhunderts an bürgern sie sich ein, und zwar wie Bilfinger 
treffend hervorgehoben hat, durch die Verbindung von Uhr und Schlagwerk. 
Bei ihrer Einführung lassen sich zwei Arten unterscheiden: die halbe Uhr 
oder der halbe Zeiger, d. i. Einteilung des vollen Tages in zweimal zwölf 
Stunden von Mitternacht beziehungsweise Mittag beginnend, in England, 
den Niederlanden, Frankreich, Schweiz und den meisten Gebieten Deutsch¬ 
lands herrschend; zweitens die ganze Uhr oder der ganze Zeiger, Einteilung 
des vollen Tages in 24 Stunden beginnend am Abend, auch die italienische 
Uhr genannt, weil sie in Italien aufgekommen ist. Nun weist Lehner nach, 
daß unsere Länder, was die Verwendung von horae aequinoctiales im XIV. 
und XV. Jahrhundert betrifft, in zwei von einander getrennte Gebiete zer¬ 
fallen. Böhmen und seine Nebenländer haben den ganzen Zeiger, die 
deutsch-österreichischen den halben. Daraus ergibt sich, daß der ganze 
Zeiger nicht, wie Bilfinger gemeint hatte, aus Italien über Kärnten und 
Steiermark nach Böhmen eingedrungen ist, sondern daß seine Einführung 
in Böhmen direkt und unmittelbar aus Italien erfolgt ist Es ist dies 
unter Karl IV. geschehen, und wie Lehner vermutet, hat der Prager Erz- 



Literatur. 


201 


bischof Emst an dieser höchst nützlichen Reform einen großen Anteil ge¬ 
habt. Andererseits ist in den deutsch-österreichischen Ländern der halbe 
Zeiger nachzuweisen, allerdings erst im XV. Jahrhunderte; und hier ist der 
Zusammenhang mit Deutschland, die stetige und ununterbrochene Einwirkung 
Ton Westen auf die österreichischen Länder maßgebend gewesen. Erst im 
XVI. Jahrhunderte sind die beiden im Gebrauche der Uhr verschiedenen 
Gebiete vereinigt, indem in Böhmen ebenfalls der halbe Zeiger eingeführt 
worden ist ) 

Das IV. Heft enthält eine Abhandlung von Hermann Aicher »Bei¬ 
träge zur Geschichte der Tagesbezeichnung im Mittelalter*. 
Es bandelt sich hier im wesentlichen um die Frage, wann die Rechnung 
nach Fest- und Heiligen-Tagen, aufgekommen und wie sie sich neben dem 
anderen System, Rechnung nach römischer Art (Kalenden, Nonen, Iden) 
durchgesetzt hat. Die Frage ist in jüngster Zeit öfter erörtert worden, 
und zwar hauptsächlich auf Grund der Angaben der erzählenden Quellen; 
aber diese sind nicht ausreichend, es muß auch das urkundliche Material 
in gleichem Maße herangezogen werden. Eine solche Untersuchung hat 
Aicher in der vorliegenden Schrift für ein territorial abgegrenztes Gebiet, 
an den Urkunden des Bistums Freising, durchgefiihrt. Es sind von ihm 
1174 Urkunden aus der Zeit von 744—1350 auf die Datierung hin ver¬ 
glichen worden, und da zeigte sich, daß allerdings schon von der ältesten 
Zeit her sich Fälle von Datierung nach dem Festkalender finden, daß jedoch 
bis zum Ende des XUL Jahrhunderts die Datierung nach römischer Art 
die Oberhand hat. Erst von dieser Zeit an ist die Datierung nach Festen 
auch in den lateinisch geschriebenen Urkunden in starker Zunahme be¬ 
griffen, ganz entsprechend dem Auftreten und raschem Vordringen der Ur¬ 
kunden in deutscher Sprache, die fast ausnahmslos nach Festangaben datiert 
sind. Ein anderes Ergebnis lieferte die Untersuchung der im Texte 
der Urkunden verwendeten Tagesbezeichnungen. Sind es Zeit¬ 
angaben, deren Einfügung in den Urkundentext ganz von der Willkür des 
Urkundenschreibers abhängig war, so wird bald die eine bald die andere 
Art, Rechnung nach Festen oder Rechnung nach römischem Kalender ge¬ 
braucht. Bei Angabe von Todestagen sehen wir durchwegs die römische, 
bei Angaben von Zinsterminen jedesmal die Festrechnung gebraucht. Und 
diese letztere Erscheinung ist dadurch zu erklären, daß der Urkunden¬ 
schreiber verpflichtet gewesen sein wird, den Zinstermin mit jener Tages¬ 
bezeichnung anzugeben, die von den Parteien am besten verstanden worden 
ist. Daraus folgt, daß wenigstens in Freising die Rechnung nach Festtagen 
dem Volke schon um die Wende vom VIII. auf das IX. Jahrhundert ge¬ 
läufig war, also viel früher, als man nach der Datierung der Urkunden 
und nach den erzählenden Quellen annehmen sollte. Dieses wichtige Er¬ 
gebnis hat Aicher veranlaßt, die Untersuchung auf ein größeres Gebiet, auf 
die Kaiser- und Königs-Urkunnen bis zum Ende des XII. Jahrhunderts aus¬ 
zudehnen. Indem er auch bd diesen Urkunden die im Text verwendeten 
Tagesbezeichnungen prüfte, konnte er feststellen, daß schon in den Urkunden 
der Karolinger mehr als die Hälfte der Tagesbezeichnungen dem Festkalender 
entnommen ist, daß in den Urkunden der deutschen Könige und Kaiser 
vom X. bis zum XU. Jahrhunderte die Tagesbezeichnung nach römischer 
Art immer mehr zurücktritt, und in diesen Urkunden, wenn sie für deutsche 



202 


Literatur. 


Empfänger ausgestellt werden, zwei Drittel aller Tagesbezeichnungen dem 
Festkalender folgen. Durch eine ganze Beihe scharfsinniger und gründ¬ 
licher Untersuchungen l ) wird diese Tatsache nach allen Richtungen hin 
klargestellt, und es wird dann gezeigt, daß in der Zeit der Karolinger der 
römische Kalender allerdings durch die eifrige Beschäftigung mit der 
klassischen Literatur wieder zu neuem Leben erweckt worden ist, daß jedoch 
in Deutschland von einer Sicherheit in der Handhabung des römischen 
Kalenders nicht die Rede sein kann. Es zeigt sich überall, daß die Rech¬ 
nung nach Festen als die bekannteste Tagesbezeichnung des Mittelalters 
anzusehen ist. Den Schluß der Abhandlung bildet ein Kapitel über den 
Ursprung der Fistdatierung 2 * ). Hier sucht Aicher die Vermutung zu be¬ 
gründen, daß die Festrechnung ein Stück alter germanischer Zeitrechnung 
sei; die Deutschen hätten schon in ihrer heidnischen Zeit die Feste zur 
Tagesbezeichnung verwendet. Somit wäre der Ursprung der christlichen 
Festdatierung in der germanischen Art der Tagesbezeichnung zu suchen. 

Das V. Heft enthält durchwegs Beiträge zur Diplomatik, und zwar 
der deutschen Königsurkunden des Mittelalters. Eine Abhandlung von 
Hans Hussl »Studien über die Formelbenützung in der Kanzlei 
der Karolinger, Ottonen und Salier* versucht ein Problem zu 
lösen, auf das besonders Erben in jüngster Zeit hingewiesen hat 8 ): aus 
den Freilassungsurkunden Aufschlüsse über die Benützung von Formeln in 
der deutschen Reichskanzlei zu gewinnen. Hussl untersucht diese Urkunden¬ 
gruppe, es stellt sich heraus, daß aus der Zeit von Ludwig dem Deutschen 
bis Heinrich V. nur 17 solcher Urkunden uns vorliegen 4 * * ), und von diesen 
wiederum nur 5 im Original. Die einzelnen Urkunden werden von ihm 
mit einander verglichen, und er zeigt, daß keine von einer andern uns 
noch vorliegenden Urkunde dieser Art unmittelbar abzuleiten ist, daß jedoch 
zwischen den zeitlich einander näher stehenden Urkunden eine engere Ver¬ 
wandtschaft besteht als zwischen den durch größere Zeiträume getrennten. 
Es sei eine fortlaufende Entwicklungsreihe zu bemerken, und sie lasse sich 
am besten durch Benützung von Formeln erklären. Erhalten ist uns aller¬ 
dings von solchen Formelsammlungen des X. und XL Jahrhunderts nichts. 
Man wird die Ergebnisse dieser Untersuchung noch nicht als entscheidend 
für die Frage der Formelbenützung ansehen können, aber ein wichtiges 
Stück Arbeit ist damit erledigt. Auch in einem anderen Punkte ist EL zu 
einem bemerkenswerten Resultat gelangt: er zeigt, daß die »collectio Pata- 
viensis«, eine kleine aus der zweiten Hälfte des IX. Jahrhunderts stammende 
Formelsammlung ihren Namen mit wenig Berechtigung führt; denn es 
liegen keine ausreichenden Gründe vor, sie mit Passau im allgemeinen und 
mit dem Bischof dieser Stadt Ermanrich im besondem in Verbindung zu 
bringen. 

l ) Bezeichnung von vergangenen Tagen, von zukünftigen, von jährlich zu 
wiederholenden Handlungen, Angabe von Todestagen, Ansetzung von Hof- und 
Gerichtstagen, Aufgebote und sonstige Termine, Märkte und Zölle, Zinse. 

*) Es muß noch erwähnt weiden, daß der Abhandlung zwölf Tabellen (auf 
achtzig Seiten) beigegeben sind. 

s ) Mitteilungen des Instituts f. öst. Geschichtsforsch. 34, 146. 

4 ) Zweifellos sind weit mehr solcher Urkunden ausgestellt worden, aber ver¬ 

loren gegangen. Daß die Mehrzahl der uns erhaltenen Freilassungsurkunden 

durch kirchliche Archive überliefert ist, weist H. im einzelnen nach (p. 7—9). 



Literatur. 


203. 


Ein Thema von großem Interesse wird in der nächsten von Anna 
Nürnberger herrührenden Abhandlung erörtert: »Die Glaubwürdig¬ 
keit der bei Widukind überlieferten Briefe*. Es sind zwei 
Schreiben eines Grafen Immo und ein Schreiben Kaiser Otto’s L, welche 
der sächsische Geschichtschreiber in sein Werk aufgenommen hat* Das 
Schreiben Otto’s I. (von 968 Jänner 23) ist von besonderer Wichtigkeit, 
da es Mitteilungen über die italienisch-byzantinische Politik dieses Herrschers 
enthält. Es ist bisher von allen Forschern für echt gehalten und von 
Sickel in die Diplomata-Ausgabe aufgenommen worden, als »ein nach Form 
und Inhalt nicht zu beanständender Brief*. Gegen dieses Urteil wendet 
sich die vorliegende Schrift, und wie gleich gesagt werden kann, mit sehr 
beachtenswerten Gründen. Nürnberger unterzieht das Schreiben Ottos einer 
eindringenden Untersuchung und weist nach, daß es in formeller Beziehung 
voll von Absonderlichkeiten ist: es fehlt die Invokation, die gebrauchte 
Devotionsformel ist selten, die lnscriptio (»rei publicae nostrae praefectis*) 
und die Salutatio (»omnia amabilia*) geradezu einzig dastehend, und zu 
alledem ist das Schreiben mit einem Dctum versehen! Noch viel stärkere 
Bedenken ruft die Stilverwandtschaft des Briefes mit dem Geschichtswerke 
Widukinds, und mit den von Widukind als Vorbilder benützten römischen 
Autoren (Sallust, Cicero, Tacitus, Virgil) hervor. Dieselbe merkwürdige 
Stilverwandtschaft zeigen auch die Briefe des Grafen Immo, und da spricht 
alles dafür, daß sie nicht von Immo, sondern von Widukind herrühren. Zu 
ähnlichen Schlüssen kommt N. im weiteren Verlaufe der Untersuchung 
auch beim Briefe Otto’s I.: es sei die Vermutung naheliegend, daß Widu¬ 
kind überhaupt nie eine echte Fassung dieses Briefes vor sich gehabt, 
sondern ihn frei erfunden haben dürfte. Diese Behauptung wird schwerlich 
ohne Widerspruch bleiben, aber dadurch wird dos Verdienst, das sich die 
gelehrte Verfasserin dieser Abhandlung erworben hat, nicht geschmälert 
werden. 

Den Schluß des Heftes bildet die Schrift von Hermann von W i e s e r 
»über die Identität des Kanzleinotars Hildibold K. mit dem 
Kanzler und Erzbischof Heribert*. Ein Kapitel aus der Geschichte 
der Beichskanzlei unter Otto HL wird hier erörtert. W. geht aus von der 
Hypothese Erbens, daß der italienische Kanzler Heribert in den Jahren 
994—996 auch in der deutschen Kanzlei tätig gewesen sei, indem er wie 
ein Aushilfsschreiber an der Herstellung einzelner Urkunden teilgenommen 
habe. Diese Annahme beruhte auf der Prüfung der Schrift der betreffen¬ 
den Urkunden, und dem gleichen Ziele, Feststellung der einzelnen Schreiber 
dieser Urkunden ist auch die Untersuchung W.s zugewendet. Sie gelangt 
in wichtigen Punkten zu neuen Ergebnissen, welche nach der Ansicht des 
Verfassers »die Lage nicht unwesentlich zu Gunsten der Identitätsfrage* 
(d. i zu Gunsten der von Erben aufgestellten Hypothese) geändert haben. 
Ob dieser Schluß Zustimmung finden wird, ist fraglich l ). 

Man sieht, die Innsbru her »Quellenstudien* umspannen ein weites 
Gebiet, das ist unleugbar ein Vorzug vor anderen ähnlichen Unternehmungen. 


Was Wieser in Betreff des Diploms nr. 169 festgestellt hat {Beteiligung 
von vier Schreibern), bildet nach Ansicht des Referenten eine neue Schwierigkeit, 
ftlr die Hypothese Erbens eine befriedigende Erklärung zu finden. 



204 


Literatur. 


Aber auch in anderer Sichtung treten sie hervor. Alle die besprochenen 
Schriften, mögen sie in der Bedeutung der von ihnen gewonnenen Resultate 
sich noch so sehr von einander unterscheiden, weisen gemeinsame Zöge 
auf: vollkommene Kenntnis der einschlägigen Literatur und sichere Hand¬ 
habung der kritischen Methode. Sie machen dem Innsbrucker historischen 
Seminar Ehre, und Wilhelm Erben kann stolz darauf sein, so tüchtige 
Schüler herangebildet zu haben. 

Prag. S. Steinherz. 


E. A. Loew, The Beneventan script, a history of the 
south italian minuscule. Oxford at the Clarendon press 1914. 
XX und 384 S. 

Den Studia palaeographica, welche sich vornehmlich mit gewissen 
Eigentümlichkeiten beschäftigten, die in der süditalienischen und westgotischen 
Schrift zu besonderer Entfaltung gediehen (vgL meine Besprechung in dieser 
Zeitschrift 33, 364—8), läßt Loew nun eine umfassende Monographie über 
die süditalienische Minuskelschrift folgen. Gleich jener vorbereitenden Ab¬ 
handlung ist auch dieses Hauptwerk auf einer bisher wohl von niemandem 
erreichten Einsichtnahme in den größten Teil der uns erhaltenen Hand¬ 
schriften dieser Schriftart aufgebaut und verdient schon aus diesem Grunde 
die besondere Beachtung des Paläographen. 

Das einleitende Kapitel will die historischen Faktoren aufeeigen, welche 
zur Entwicklung einer eigenen Schriftart in jenen Gebieten führten. In 
lehrreicher Zusammenstellung werden die literarischen Wurzelfäden bloß- 
gelegi:: die Bedeutung und Schicksale Monte Cassinos als des Mutterklosters 
des kulturerhaltenden Benediktinerordens, die Fortdauer literarischer Be¬ 
strebungen in Großgriechenland, die medizinische Schule von Salerno, der 
Anteil Süditaliens, namentlich wieder Monte Cassinos, an der Erhaltung der 
alten Klassiker, an der Hervorbringung und Verbreitung neuer Schriftwerke. 
Schon hier ist zu ersehen, daß der Verfasser nicht das ganze Schrifttum 
Süditaliens, sondern nur nach der einen Seite gewendet die literarische 
Buchschrift allem ins Auge faßt Und so bleiben auch die für die Ent¬ 
wicklung einer eigenen Schriftart wichtigen Tatsachen unerwähnt: daß Süd¬ 
italien nicht voller und gesicherter Bestandteil des karolingischen und noch 
weniger später des deutschen Kaiserreiches wurde, daß im Gegensatz zum 
Abendland die Beziehungen zum östlichen Imperium in bedeutenden Strecken 
Unteritaliens noch im 10. Jahrh. kräftig waren, ja neu auflebten und daher 
Wechselbeziehungen zwischen lateinischem und griechischem Buchwesen da¬ 
selbst keineswegs nur auf den Klostergründungen des Nilus beruhen, die 
vielmehr ihrerseits ein Widerschein dieser Verhältnisse sind. Ich übergehe 
andere historisch schiefe Äußerungen, welche für das behandelte Thema 
nicht von Belang sind und ebenso die wenig geschmackvolle wiederholte 
Bezeichnung der Goten und Langobarden als »germanischer Barbaren«. 

Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit dem Namen dieser Schrift. 
Loew kommt S. 35 zum Ergebnis: Wenn nicht ein alter passender Name 
bis auf uns gekommen wäre, so wäre die vernünftigste Bezeichnung süd- 



Literatur. 


205 


italienische Schrift. Ich las diese Äußerung mit einer besonderen Ge¬ 
nügtuung, weil ich, seitdem ich Paläographie vortrage, nach reiflicher Über¬ 
legung mich des gleichen Ausdruckes bediene, ebenso wie ihn Bresslau in 
seinen »Schriftlichen Quellen der romanischen Philologie* anwendet. Aber 
während Loew die ältere Bezeichnung »langobardisch* mit den sieghaften 
Gründen Traube’s, die jüngere Benennung »monteeassinesisch* aus prak¬ 
tischen Erwägungen, welchen ich beipflichte, ablehnt, erscheint ihm, wie 
schon der Titel des Buches besagt, der auch von Traube gebrauchte Name 
»beneventanische Schrift* als altüberkommen. 

Seine Beweise dafür entnimmt L. vor allem den bekannten von Marini 
Papiri diplomatici 226 zusammengestellten Belegen über den Gebrauch der 
»littera beneventana*. Nach der Darstellung Loewe’s würde sich daraus 
ergeben, daß von 1038 an dieser Ausdruck von Jahrhundert zu Jahrhundert 
als gebräuchlich erwiesen ist, »wenigstens in irgend einem paläographischen 
Sinn*. Wenn man aber etwas verwundert den alten Marini nochmals nach¬ 
liest, so sieht man sofort, daß es sich in wichtigen Punkten um irrige 
Deutung handelt. Der erste namhaft gemachte Zeuge ist der römische 
Notar Johannes Laurentii Angeli, welcher die vom Scriniar Cirinus ange¬ 
fertigte Kopie von Jaffe-L. n° 3692 mit den Worten anführt: expemplum 
apparet in littera ///entana. Als Zeitpunkt der Transsumierung ist bei 
Marini in vollem Wortlaute angegeben: 1318 apr. 26, ind. I., anno pont. Jo¬ 
hannis XXII. (Zahl fehlt); Also diese Bezeichnung wurde 1318 nicht 1038 
gebraucht, das exemplum selber gehört, wie schon Marini L c. 213, Anm. 2, 
bemerkt und wie aus Tabularium S. Mariae in via lata III S. XIX und 
Arch. stör. Born. 22, 506, 527, 530 zu bestätigen ist, der zweiten Hälfte 
des 12. oder dem Anfang des 13. Jahrh. an und war, da von einem 
römischen Scriniar herrührend, ohne Zweifel in Kuriale geschrieben. Einen 
zweiten Beleg gibt Loew zum Jahre 1046. Sieht man wieder seine Quelle 
Marini S. 255 nach, so findet man, daß diesmal wirklich ein Instrument 
des römischen Scriniars Petrus vom J. 1046 als in littera venieventana 
geschrieben erklärt wird, jedoch durch den Beglaubiger der Abschrift: Johannes 
Pauli AJvisii, publicus apost auctoritate notarius. In nächstliegenden Büchern 
habe ich den Namen dieses Notars nicht aufgefunden. Aber nach dem 
Titel des Notars ist diese Authentizierung nicht vor dem 14. Jahrh. er- 
folgt ] ). Auch hier wieder ist die Kuriale so bezeichnet. Ein dritter Kron¬ 
zeuge ist der vor 12*0 gestorbene Engländer Gilbert, der einen in mona- 
sterio Culmarense gefundenen Codex als vetustissimis litteris et quasi bene- 
ventanis geschrieben erklärt Sollte hier das elsässische Kloster Kolmar 
gemeint sein, so würde am ehesten auf insulare oder merovingische Schrift 
zu raten sein. Einen vierten Beleg geben Marini und Loew zu 1295. Es 
handelt sich um die Angabe des Verzeichnisses der Vatikan. Bibliothek aus 
diesem Jahre bei Cod. 355: item quidam über in litera beneventana. De 
Bossi Biblioth. apost 8. CIV vermutet (»meo iudicio*) ihn als identisch 
mit dem Cod. 411 des Verz' ichnisses von 1311, welcher als de antiqua 


*) Im 13. Jahrh. fand ich bei freilich nur ganz unvollständiger Durchsicht 
von Urkundenwerken stets nur den Ausdruck S. K. ecclesie auctoritate notarius. 
Baumgarten Aus der römischen Kanzlei ergibt über den Wechsel des Ausdrucks 
nichts. 



206 


Literatur. 


litera cum ditongis beschrieben wird und durch sein Incipit als die in sud- 
italienischer Schrift geschriebene Kopie des Registers Johann VIII. zu iden¬ 
tifizieren ist. Ehrle Hist. bibL 122 und Caspar im Neuen Arch. fl alt. d. 
Geschichtsk. 36, 86 Anm. 2 schließen sich ohne weitere Begründung dieser 
Ansicht an. Sie kann richtig sein, bleibt aber in jedem Fall nur Vermutung, 
da sich die beiden Bibliotheksverzeichnisse keineswegs decken. Sicher aber ist, 
daß 1311 letzteres fraglos in unserer Schriftart geschriebene Buch nicht mit dem 
Ausdruck littera beneventana sondern anders gekennzeichnet wird. Wenn dann 
in einem zuerst von Loew beigebrachten Bücherverzeichnis aus Veroli vom 
J. 1336 eine ganze Anzahl von Handschriften als in litera beneventana 
geschrieben aufgezählt wird, so wird sich das nach der Lage des Ortes wohl 
auf unsere Schriftart beziehen sollen, obwohl der im gleichen Katalog für 
andere Handschriften gebrauchte Ausdruck litera langobarda, wie L. selbst 
bemerkt, fraglich macht, daß dev Verfasser einen klaren Begriff von der 
Schriftart besaß. Endlich noch je eine Eintragung aus dem Ende des 14. 
(von Loew entdeckt) und eine aus dem 15. Jahrh. in Handschriften der 
Vaticana, in welchen tatsächlich deren süditalienische Schrift als beneven- 
tanische bezeichnet wird. Der Ausdruck scheint speziell römisch zu sein, 
aus der Schreibprovinz selbst ist noch kein Beleg bekannt geworden. Aus 
alledem ergibt sich, daß der Ausdruck littera beneventana in Wirklichkeit 
erst seit der Zeit erweislich ist, in welcher unsere Schriftart in den letzten 
Zügen lag, daß er damals gebraucht wurde für altertümliche, fremdartige 
Schrift in weiterm Umfang, für — Cursive, so wie ihn schon Marini 
und dann jüngst Federici im Arch. stör. Rom. 22, 291 deuteten. Gegen 
seine Verwendung zur Bezeichnung der süditalienischen Schrift scheint mir 
außerdem auch ein Umstand zu sprechen, den L. mit Fug gegen die Be¬ 
zeichnung Montecassineser Schrift geltend machte, daß nämlich so leicht die 
irrige Meinung entstehen könnte, daß jedes derartig bezeichnete Schrift¬ 
denkmal im einen Fall in Monte Cassino, im andern Fall in Benevent ge¬ 
schrieben sei. Der Bereich der Schrift aber überschreitet die Grenzen nicht 
nur der Stadt, sondern auch des Herzogtums Benevent und zwar auch in 
seinem weitesten Umfang während der Langobardenherrschaft, nicht nur im 
viel beschränkteren, wie er den Mitlebenden des ausgehenden 13, Jahrh. 
geläufig war. Ich halte also die Bezeichnung süditalienische oder unter¬ 
italienische Schrift nach wie vor für die zweckmäßigste. 

Das dritte Kapitel bestätigt aus so umfassender Handschriftenkenntnis 
die bisherigen A nnahm en über die Dauer unserer Schriftart, L. weist da¬ 
tierbare Handschriften von 779/92 bis 1295 nach und konstatiert, daß sie 
im 13. Jahrh. noch weit stärker im Schwange war als man bisher glaubte. 
Die Angaben über Fortdauer in Urkunden bis weit ins 14. Jahrh. hinein 
beruhen nur auf sekundären Quellen und wären daher noch archivalisch 
nachzuprüfen. 

Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit der räumlichen Ausdehnung 
der süditaL Schrift, welche durch eine beigegebene Kartenskizze glücklich ver¬ 
anschaulicht wird. Die Hauptsitze derselben werden ausführlicher gewürdigt. 
Allen voran natürlich Monte Cassino, das auch nach diesen gründlichen 
Forschungen als deren Mittel- und Glanzpunkt erscheint. L. kennt ungefähr 
500 Handschriften dieser Schriftart und hält mehr als die Hälfte dort 
entstanden. Dagegen wurde die Bedeutung von La Cava durch Mabillon 



Literatur. 


207 


überschätzt. Als neu sei besonders hervorgehoben die Würdigung von 
Bari als Mittelpunkt einer eigenen, gegenüber dem "Westen altertümlicher 
anmutenden, rundern Schreibschule. Einläßlich wird auch die Übertragung 
des Baritypus nach Dalmatien geschildert-, die freilich nicht erst durch 
Sufflay entdeckt wurde. Schon in den Monumenta graphica X. 7 ist ein 
derartiges Specimen aufgenommen. Diesen Einfluß Süditaliens auf die Ost¬ 
küste der Adria erklärt Loew ganz zutreffend. Nur möchte man, wenn 
wirklich die dalmatinischen Schriftdenkmäler durchwegs dem Baritypus an¬ 
gehörten, die Einwirkung Monte Cassinos nicht so stark einschätzen. Es 
wäre auch daran zu erinnern, daß sowohl Süiost-Itulien als die dalmatinische 
Küste lange gemeinsam unter griechischem Einfluß verharrten. Sehr praktisch 
und nützlich ist die Zusammenstellung aller vom Verfasser eingesehenen 
— und das deckt sich beinahe mit allen noch erhaltenen — südital. Hss. 
nach ihren Schreiborten, sowie an anderer Stelle eine solche der Handschr. 
im Baritypus und endlich ein Verzeichnis der einschlägigen Hss., welche 
sich jetzt in den verschiedenen Bibliotheken und Sammlungen außerhalb der 
Schreibprovinz befinden. 

Anschließend wird dann im fünften Kapitel erörtert, ob neben der 
beneventanischen Schrift in Unteritalien gleichzeitig auch die »gewöhnliche 4 
Minuskel geschrieben wurde. Die positive Behauptung Caspars, daß sich 
Petrus diaconus von Monte Cassino in dem dortigen Cod. 230 beider Schrift¬ 
arten nebeneinander bediente, wird aus paläographischen Gründen über¬ 
zeugend widerlegt. Auch die Erwägung, daß in der Kapitelbibliothek zu 
Benevent alle Hss. der bezüglichen Jahrhunderte nur süditalienische Schrift, 
aufweisen, ist gewichtig; dagegen nicht der Hinweis, daß solches gleich¬ 
zeitiges Erlernen zweier Schriftarten wegen großer Erschwernis und Zeitver¬ 
lust auszuschließen sei, denn entsprechender Brauch herrscht ja heutzutage 
noch in allen Volkschulen auf dem Gebiete der deutschen Sprache. Loew’a 
Annahme, daß man in Süditalien bis ins 12. Jahrh. hinein sich nur der 
einheimischen Schrift bediente, dürfte ja mit der Einschränkung zutreffen 
»in der Kegel 4 . Aber eine allgemeine und sichere Beantwortung dieser 
Frage, welche sich auch nicht auf den Schriftgebrauch der Bücher allein 
beschränken darf, läßt sich nur auf Grund des gesamten Schriftbefundes im 
weitesten Umfang und etwa unter Vergleich mit den gleichzeitigen Ver¬ 
hältnissen in anderen Schriftgebieten, in welchen ähnliche Verhältnisse 
herrschten, geben. Die Beachtung der Bücher allein reicht dafür nicht aus. 
Wir besitzen dafür ja noch andern wichtigen Quellenstoff: die Urkunden, 
und für diese Frage namentlich auch die Zeugenunter3chriften der Ur¬ 
kunden. 

Die fast durchgängige Vernachlässigung dieser zahlreichen Schriftzeug¬ 
nisse bildet eine bedauerliche Lücke in Loew’s sonst so schönen und er¬ 
gebnisreichen Forschungen rnd zwar besonders für das 3. bis 6. Kapitel. 
Das läßt sich auch jetzt schon behaupten, obwohl die Zahl der Abbildungen 
süditalienischer Urkunden be? Piscicelli-Taeggi, Russi, im Cod. dipl. Caje- 
tanus, Cavenis, Barensis, im Arch. pal. Italiano und einigen anderen Werken 
ja bedauerlich klein ist Zur Rechtfertigung meiner Behauptung möchte 
ich doch einige Fragen andeuten, für welche die gleichmäßige Berücksich¬ 
tigung auch der Originalurkunden zu gesicherter Antwort oder doch zu 
besserer Klärung führen würde. 



208 


Literatur. 


Einmal ergibt sich erst daraus (was Loew nach gelegentlicher An¬ 
deutung ja annimmt, aber nicht eigentlich behandelt), daß diese örtliche 
kalligraphische Aus- und Umgestaltung der Kursive nicht bloß herrschende 
literarische, sondern auch Geschäftsschrift in ganz Unteritalien wurde, wo 
die Kenntnis des Schreibens wie im übrigen Italien auch in den höheren 
Laienkreisen nie verloren ging. Denn die süditalienische Schrift eroberte 
sich allmählig auch fast alle Notariatskollegien und die Zeugenunter¬ 
schriften beweisen, daß sie in den städtischen Schulen durchaus gelehrt 
wurde. 

Des weiteren ergeben die urkundlichen Zeugnisse aber auch viele um¬ 
fassende und genaue Belege für die Dauer und den örtlichen Gebrauchs¬ 
kreis unserer Schriftart. Aus den Verzeichnissen Loew’s ersieht man, daß 
die Zahl der datierten Handschriften auch in Süditalien eine karge ist und 
daß der Ursprungsort der Codices nur in den wenigsten Fällen eigentlich 
paläographisch, vielmehr meist nur aus dem Inhalt und aus der Biblio- 
tbeksheimat zu erschließen ist Daß letztere oft trügerisch ist hat Loew 
selber bezüglich Monte Cassinos sehr gut dargelegt Aber auch der Inhalt 
darf nicht stets zu hoch gewertet werden. Eine Kulthandschrift selbst mit 
Kalendar, für einen nach Seite der Schriftkultur unbedeutenden Ort braucht 
nicht eben daselbst geschrieben, sie kann auch in einem größeren geistigen 
Zentrum — Kloster oder Stadt — bestellt worden sein. In den Urkunden 
dagegen haben wir zeitlich wie örtlich haarscharf zuweisbare Schriftzeugnisse. 
Schon aus den vorhandenen Faksimiles läßt sich Loew’s Verzeichnis der süd¬ 
italienischen Schreiborte in interessanter Weise ergänzen. So sind den 
wenigen hier angeführten Fundstätten in der Zone von Bari (Apulien) ncch 
anzufügen: Barletta (Cod. dipl. Bar. VIH n° 20), Bitetto (ib. VTII n° 23), 
Bitonto (ib. I n° 46), Canosa (schon 962, ib. L n° 4; 1047 CD. Cav. VL, 
n° 1078), Corato (Piscicelli-Taeggi Scrittura notarile), Lucera (1012, Cod. 
dipl. Cav. IV. n° 649). Für die Basilicata und Calabrien, welche bei Loew 
gar nicht vertreten sind, ergeben sich schöne Beispiele aus Monte Scaglioso- 
Potenza (Arch. pal ItaL III n° 47. 48. 49. 51. *4) und aus Cicala, Distr. 
Nicastro (Cod. Cav. VL n° 927), also ganz nahe Sizilien. Auf dieser Insel 
hat Loew keine Handschriften unserer Schriftart nachweisen können. Das 
findet wieder seine Ergänzung darin, daß nach Garufi und Andreas Kehr 
auch die Privaturkunden und die wenigstens teilweise aus den städtischen 
Notaren entnommenen Schreiber der normannischen Könige sie verschmähen. 
Gegen Norden überschreitet die süditalienische Schrift die alten Grenzen 
des Herzogtums Benevent. L. bringt das mit dem Besitz Monte Cassinos 
an Gut und Klöstern in Verbindung. Es würde zu erforschen sein, ob sie 
daselbst auch als Geschäftsschrift Verwendung fand oder es sich wirklich 
nur um einzelne klösterliche Enklaven handelt. 

Sodann ergeben sich aus den Originalurkunden auch gute Aufschlüsse 
über die allmählige Ausbreitung und über das Abflauen unserer Schrift. 
Es ist gewiß richtig, daß die kalligraphische Ausbildung d'eser Schriftart, 
wenn sie auch aus der Kursive hervorging, vollständig auf dem Boden der 
Bücherschrift erfolgte. Loew hebt sehr treffend den Widerspruch hervor, 
der zwischen ihren erstarrten kursiven Elementen und der umständlichen 
Federhaltung erwächst. Es läßt sich für diesen Entwicklungsgang auch an¬ 
führen, daß im Gegensatz zur römischen und fränkischen Kursive eine 



Literatur. 


209 


kalligraphische Entfaltung im Geiste der Geschäftsschrift gar nicht erfolgte, 
vielmehr besonders sorgfältig geschriebene oder ausgestattete Urkunden sich 
der Bücherschrift noch stärker nähern (z. B. Arch. paL ItaL HL n° 48, 
CocL dipL Bar. L n° 1, 43, V. n° 113, Cod. dipl. Cav. VL n° 1078) — 
nebenbei bemerkt, ein Umstand, welcher allein schon die Berücksichtigung 
dieser Schriftzeugnisse erheischt hätte. Wohl aber dringen charakteristische 
Elemente der süditalienischen Schrift auch in die bisher dort bei den Ur¬ 
kunden gebrauchte gemeinübliche Kursive ein. Im augenscheinlichen Zentrum 
der südital. Schrift bemerken wir sie schon in der ersten Hälfte des 
9. Jahrh., (so S10 sehr ausgeprägt Piscicelli Taf. 34, auch von Loew er¬ 
wähnt; 820 Russi Taf. l), in Benevent 840 (Cod. dipL Cav. H. n° 19), in 
Conza della Campania um «97 (Cod. dipL Bar. VUL n° 1, bei Loew kein 
Beleg), in Salerno 899 (Cod. dipL Cav. I. n° 111, bei Loew Schriftbelege 
erst seit 11. Jahrh.) vollständig ausgebildet — ich unterstreiche: nach den 
zufällig mb bekannten Facsimiles. Alle Urkunden der langobardischen 
Fürsten, die Voigt abbildet, zeigen südital. Schrift Für Bari ist sie in Ur¬ 
kunden schon 952 bezeugt (Cod. dipL Bar. L n° l), während Loew Hand¬ 
schriften erst aus dem 11. Jahrh. fand. 

Daneben fesselt noch eine andere Tatsache unser Augenmerk. In einer 
Reihe von Städten haben die Kurialen (Notare) an der alten Schrift zähe 
festgehalten, wie schon Garufi bemerkte.* So nach zugänglichen Schriftproben 
in Neapel von 916—1260, in Amalfi von 894—1219, in Gaeta 839 bis 
1057. (Dagegen hat der Gaetaner Notar Sichelfrit 1097 süditalienisch ge¬ 
schrieben). Aber diese archaistische Tradition beschränkt sich auf die Notars¬ 
kollegien. Die Stadtbewohner, welche als Zeugen auftreten, unterfertigen 
in Neapel und Amalfi schon in den ältesten namhaft gemachten Faksimiles, 
in Gaeta seit dem Anfang des 10. Jahrh. in der jüngeren Schriftart. 

ln ähnlicher Weise läßt sich auch der Übergang zur fränkischen (wenn 
wir sie zum Unterschied so nennen wollen) Minuskel seit dem 12. Jahrh. 
verfolgen. In Corata (Terra di Bari) mischt der Protonotar Angelus in 
zwei Urkunden von 1129 und 1138 (Piscicelli Scrittura notarile) beide 
Formen von a und e, eine Urkunde aus Matera von 1160 (Arch. pal. Ital. 
HL 6o) zeigt keine süditalienischen Buchstaben mehr und eine sehr schön 
ausgestattete Morgengaburkunde aus Bari von 1202 (Cod. dipl. Bar. L n° 71) 
ist schon vollständig in gotischer Minuskel geschrieben. 

Endlich fällt aus den urkundlichen Schriftzeugnissen auch Licht auf 
die von Loew angeregte Frage des doppelten Schriftgebrauchs. Wer möchte 
zweifeln, daß im 10. und 11. Jahrh. die Kurialen von Amalfi, Gaeta, Neapel 
ebenfalls der süditalienischen 8chrift mächtig waren, wenn die übrige Stadt¬ 
bevölkerung sich dieser bediente? Und so taucht auch in einer Urkunde 
von Neapel aus dem J. 977 und einer solchen von Gaeta aus 1012 (beide 
bei Piscicelli) das süditalienische Abkürzungszeichen für »m € aufl Die Be¬ 
herrschung beider Schriftarten haben wir auch anzunehmen wenn die oben 
erwähnten Notare des 12. Jahrh. oder wenn der Bischof von Acerra 1110 
(Arch. paL HL 49) und ein Judex von Matera 1160 (ib. HL 50) bei der 
Unterschrift beide Alphabete vermischten und ein anderer Judex in der 
letztgenannten Urkunde in fränkischer Minuskel fertigt. So wird sich bei 
systematischer Heranziehung der urkundlichen Schriffczeugnisse das von Loew 



210 


Literatur. 


gezeichnete Bild nach verschiedenen Richtungen ergänzen, zum Teil auch 
berichtigen lassen. 

Auf die Schilderung der Umwelt und äußeren Geschichte unserer 
Schriftart folgt dann in einer Reihe der inhaltsreichsten und besten Kapitel 
deren innere Geschichte oder die Entwicklung der süditalienischen Schrift¬ 
art Zunächst in Kap. TI die Frage des Ursprungs. Die Ansicht Rodolioos 
von der Herleitung aus der westgotischen Schrift wird ausführlich und 
schlagend als haltlos erwiesen, obwohl L: auf Grund seiner ausgedehnten 
Kenntnis der Hss. noch einzelne Anklänge an Westgotisches aufdeckt welche 
Rodolico nicht kannte. Wie auch von andern angenommen wurde, nachdem 
Traube den mit dem Namen »langobardische Schrift« früher verbundenen In¬ 
halt als unzutreffend aufgedeckt hatte, (vgl. zuletzt Bretholz Paläographie 2 70), 
so erklärt auch Loew sie als eine Fortsetzung der älteren italienischen kursiven 
Bücherschrift, also jener Mischschrift mit Kursive, welche man auch vor¬ 
karolingische Minuskel oder Kursivminuskel genannt hat. Anknüpfend an 
Traube, Steffens und seine eigenen Darlegungen in den Studia palaeographica 
Unternimmt er es, einen Überblick über die altitalienische Bücherkunive 
zu geben, auf den aber hier nicht näher eingegangen werden soll, da der 
Verfasser eine eigene Studie darüber in Aussicht stellt. Die Vermutung, 
daß der Anstoß, gleich wie in Oberitalien, Gallien und Spanien in der 
Bücherschrift zur Minuskel überzugehen, in Süditalien von auswärts kam — 
während die Schriftelemente natürlich der heimischen Kursive entstammen 
—, scheint mir namentlich auch deshalb viel für sich zu haben, weil nach 
unserer derzeitigen Kenntnis Rom bis zu Ende des 8. Jahrh. bei der Unciale 
und Halbunciale verharrte, ein Einfluß der griechischen Bücherminuskel 
aber aus zeitlichen Gründen ausgeschlossen sein dürfte. Die Anschauung, 
daß die süditalienische Schrift sich als Bücherschrift entfaltete, ist bei Loew 
schon durch die ganze ^Stellung des Themas gegeben. Über eine örtliche 
Fixierung der Anfänge spricht er sich nicht aus, aber aus der Art wie 
Monte Cassino in den Vordergrund gestellt ist, darf man wohl ableiten, daß 
er die Anfänge bei den Mönchen dieses Erzklosters sucht. Auch über die 
Entstehungszeit äußert er sich mangels von Vergleichsmaterial sehr vor¬ 
sichtig. Er meint nur im Hinblick auf die ungünstigen politischen Ver¬ 
hältnisse Unteritaliens: nicht vor Anfang des 8. Jahrh. Mit diesem terminua 
post quem wird man einverstanden sein können. Ja, wenn der Pariser 
Cod. 7530 das älteste genauer datierbare Spezimen dieser Schrift bleiben 
sollte, so schiene mir nach der nahen Übereinstimmung dieser Handschrift 
mit gleichzeitigen oberitalischen und bei dem Umstand, daß auch Loew die 
erste »tastende« Periode der süditalienischen Schrift bis zu Ende des 
9. Jahrh. währen läßt, nichts im Wege zu stehen, .die Anfänge noch später, 
etwa in die Zeit zu verlegen, in welcher Adalhard von Corbie und Baulus 
diaconus im neuaufblühenden Monte Cassino weilten. 

Wir gelangen mm zu einem der interessantesten und lehrreichsten 
Kapitel (VH.) über die Elemente, Buchstabenformen, sowie Eigentümlich¬ 
keiten der süditalienischen Schrift; und deren ganzen Entwicklungsgang. 
Leider aber muß ich gerade hier von einer eingehenden Würdigung ab- 
sehen, da mir wenigstens eine solche erst nach dem Erscheinen des längst 
angekündigten und mit Spannung erwarteten Tafelwerkes Loew’s möglich 
sein wird. Ich hätte am liebsten diese Anzeige bis dahin vertagt, 



Literatur. 


211 


wenn es mir nicht noch unangemessener erschiene, die Besprechung eines 
so bedeutsamen pal&ographischen Werkes auf unbestimmte Zeit hmauszu- 
schieben. Und so möge hier eine kurze allgemeine Berichterstattung einst¬ 
weilen genügen. Untersuchung und Darstellung beschränkt sich auf die 
Buchschrift. Die Periodisierung Piscicelli-Taeggi’s und Cesare Paoli’s bleibt 
im Wesen unberührt, aber die Einschnitte werden schärfer gezogen, die 
Motive der Trennung eingehender begründet und die Charakteristika jeder 
Epoche näher beschrieben. Unterstrichen soll die Bemerkung werden, daß 
die angeführten Grenzen wesentlich nur für die Mittelpunkte der Schreib- 
tätigkeit, also namentlich Monte Cassino gelten und ebenso der feine Hin¬ 
weis, daß der sinnfällige Eindruck der südital. Schrift sehr wesentlich in 
der besonderen Federführung beruht, welche z. B. auch den einfachen >i € - 
Schaft in drei Züge auflöst und daß dieser kalligraphische Grundsatz mit 
den beibehaltenen kursiven Überresten in einem gewissen Widerspruch steht 
'— was ja allerdings auch für andere kalligraphische Mischschriften bis zu 
gewissem Grade gilt. Es werden nacheinander abgehandelt: die Buchstaben, 
die Ligaturen und die Buchstabenanlehnungen. Zum Schluß wird der von 
Loew zuerst beachtete mehr rundliche und altertümliche Bari-Typus näher 
erörtert. Diese eingehende Zerlegung und Beschreibung der ganzen Schrift¬ 
art wird sich ohne Frage dem Paläographen für die süditalienische Schrift 
sofort als unentbehrliches Hilfsmittel erweisen. Die ausgedehnte und gründ¬ 
liche Kenntnis des Quellenmaterials ermöglicht es dem Verfasser eine Fülle 
wertvoller Einzelbeobachtungen zu bieten. Mancherlei in dieses Kapitel 
Gehörige findet sich übrigens im 6. und 12. teils wiederholt, teils weiter 
ausgeführt. 

Das achte Kapitel, das weitaus längste, handelt von den Abkürzungen. 
Loew schätzt es als das nützlichste seines Buches ein. Er mag damit im 
Beeilte sein, wenn es auch wenig bequem zu überblicken ist. Es hat die 
Form zum Teil dadurch verloren, daß der Verfasser zugleich den ausge¬ 
sprochenen Zweck verfolgte, die Lehren seines verehrten Meisters Traube in 
En glan d heimisch zu machen. Infolge dessen wurde vieles aufgenommen, 
was nicht eigentlich zum Gegenstand gehörte und dem festländischen Pa¬ 
läographen wohl doch ohnedies geläufig ist. Jedenfalls fließen die Dar¬ 
legungen nicht glatt dahin und hätten sich manche Wiederholungen ver¬ 
meiden lassen. Dem stofflichen Wert der Darbietungen kann das aber 
keinerlei Abbruch tun. Die Übersicht einzelner Abkürzungsgruppen auf 
8. 173 ff. und das ausführliche Verzeichnis der in der süditalienischen Schrift 
gebräuchlichen Abkürzungen (bei welchem nur leider jene in liturgischen 
und fachwissenschaftlichen Handschriften nicht aufgenommen wurden) sind 
überaus dankenswert. Auf den Wegen Traubes ist hier erfolgreich fort¬ 
geschritten und großes, gesichtetes Material für eine künftige allgemeine 
Geschichte der lateinischen Abkürzungen zusammengetragen. Auf Einzel¬ 
heiten einzugehen muß ich mir aus ähnlichen Gründen wie beim vorigen 
Kapitel versagen. 

Vollständig auf Neuboden bewegt si ch das neunte Kapitel, welches die 
bisher recht dunkle und verworrene Geschichte des süditalienischen Frage¬ 
zeichens in unserer Schriftart in seiner abgestuften Verwendung bis zu 
festem Gebrauch endgiltig klarlegt Der Nachweis, daß dieses Zeichen in 
Form und Verwendung mit Neumen und ähnlichen Lesezeichen zusan men- 



212 


Literatur. 


bängt, ist für die Bücherschrift im allgemeinen wichtig. In lehrreichen 
Beispielen tut Loew in diesem und dem vorausgehenden Kapitel dar, welche 
kritische Bedeutung der Nachhall besitzt, den Frage- und Abkürzungszeichen 
in auswärtigen aber aus süditalienischen Codices abgeleiteten Handschriften 
hinterließen. 

Auf diese vier wichtigen Abschnitte folgen einige kleinere und auch 
weniger bedeutende. Die teilweise Umwandlung der Orthographie (Kap. X) 
durch die zunehmende Kraft der italienischen Volkssprache läßt sich in Be¬ 
schränkung auf Süditalien kaum entsprechend darstellen. Am allerwenigsten 
ohne Heranziehung der Urkunden. Das elfte Kapitel bespricht das Schrift¬ 
wesen. Das grundlegende Werk dafür, Wattenbach-Taugls Schriftwesen des 
Mittelalters findet sich auffallender Weise im ganzen Buche und besonders 
in diesem Kapitel nie erwähnt. Und doch wäre es dem englischen Studenten 
gewiß ebenso nützlich dieses als Traube’s Abkürzungslehre kennen zu lernen. 
Ich schalte bei dieser Gelegenheit ein, daß die Anführung der Literatur 
gegenüber unserm guten, gerechten, deutschen Brauch überhaupt mehrfach 
zu kärglich ist. Wiederholt wird nur der engere Fachmann ermessen können, 
in wieweit Loew selbständig Neues bringt oder schon Forschungen anderer 
vorhergingen. Zu dem was wir aus Wattenbach wissen, vermag übrigens 
Loew nur wenige Ergänzungen beizubringen, so: genaue Daten über das 
Auftreten von Lagebezeichnungen durch Worte und jenes der Bleilinien. 
Am wichtigsten wäre die Buchausschmückung. Aber mit Rücksicht auf die 
leider auch durch den Krieg verzögerte Arbeit unseres Institutsmitgliedes 
Alfred von Baldass über dieses Thema beschränkt sich der Verfasser da auf 
kurze Hinweise. 

Das zwölfte Kapitel gibt unter dem Titel Rules and traditions of the 
script nochmals eine kurze Zusammenstellung der besonderen Schreibbräuche 
Süditaliens hinsichtlich der kursiven Verbindungen, Abkürzungs- und Inter¬ 
punktionszeichen, namentlich auch über den Gebrauch des verlängerten >1« 
und der Ligatur für assibiliertes und nicht assibiliertes »ti c . Vielfach eine 
Rekapitulation des in den frühem Kapiteln Gesagten, in den beiden letzt¬ 
genannten Punkten aber auch eine Ausweitung und genauere Präzisierung 
der in den Studia palaeographica gebotenen Erörterungen speziell für Sud¬ 
italien. Übereinstimmend mit meinen Bemerkungen Mitteil. 33, 366 be¬ 
merkt auch Loew, daß die regelmäßige Verwendung der spätem Ligatur 
für assibiliertes ti im 9. Jahrh. auch in Süditalien noch Schwankungen 
aufweise. Auch hier werden nochmals Beispiele angeführt, wie sich aus 
charakteristischen Fehlem in nicht süditalienischen Handschriften die Schrift¬ 
art der Vorlage erschließen lasse. Eng anschließend bietet das dreizehnte 
Kapitel eine übersichtliche Aneinanderreihung der früher zerstreut ange¬ 
führten Haltpunkte für Datierung südital. Schriftzeugnisse. 

Das vierzehnte Kapitel endlich enthält eine erwünschte Sammlung der 
leider recht seltenen Schreiberanterfertigungen unseres Bücherkreises. Für 
die Hss. der Bibliothek in Monte Cassino konnte sich Loew an die Dai> 
bietungen von Caravita I codici di Monte Cassino halten, für die sonstigen 
weitzerstreuten Codices — und sie machen etwa 3 / 5 des Bestandes aus — 
gebührt das Verdienst der Sammlung dem Verfasser. Aus der Unterfertigung 
in n° 3 liest er heraus, daß der Subdiakon Ascaros von Carmignano 20 Jahre, 
1145—1165, an seinem Komentar zu den paulinischen Briefen geschrieben 



Literatur. 


213 


habe. Das wäre ein für den Paläographen selten glücklicher Fall, um die 
Schriftentwicklung einer Hand zu studieren. Aber ist die Deutung richtig? 
Die Notiz lautet: Hic über finitus atque scriptus est digitia Ascari ecclesie 
& Laurencii in Carminiano subdiaconi etas cuius annos yiginti occupabat. 
Ich vermag nur zu übersetzen: geschrieben vom Subdiakon Askar, dessen 
Lebensalter 20 Jahre betrug, Um sicher zu gehen, legte ich den Text 
meinem philologischen Kollegen Herrn Pro! Hauler vor, welcher meine 
Auffassung bestätigte und bemerkte, daß man den Relativsatz ungekünstelt 
nur auf das unmittelbar vorausgehende subdiaconus beziehen könne, mit 
welchem es durch die Voranstellung von etas noch bestimmter verbunden 
ist Bei solcher Übersetzung entfällt auch dos Bedenken, daß Ascar an 
einem Bande so lange geschrieben hätte und von der »etas« eines Buches 
spräche. Die Eintragung besitzt aber trotzdem paläographisch größem Wert, 
weil wir dadurch die Schrift eines Zwanzigjährigen, also eines vor kurzem 
der Schule entwachsenen an einem bestimmten Tage kennen lernen, da er 
das Buch nach einer weitem Eintragung am 1. Februar 1145 begann 
(mense februario die iovis primo int., darf nicht, wie Loew will, mit 
»intervallo« aufgelöst werden, sondern heißt natürlich in tränte; Wochentag 
und die ebenfalls angegebene Indiktion stimmen zum angegebenen Monatstag 
zusammen). 

Als Anhang folgt ein Verzeichnis aller dem Autor bekannt gewordenen 
Handschriften und Handschriftenfragmente süditalienischer Schrift, geordnet 
nach ihren Aufbewahrungsorten, mit Angabe der Signatur, des Alters und 
Inhaltes. Bei den ausgedehnten Bibliotheksforschungen, welche Loew unter¬ 
nommen hat, wird es wohl als ein nach dem heutigen Stand unserer Kennt¬ 
nisse so gut wie vollständiges betrachtet werden können. Damit ist auch 
der hohe Wert dieser Gabe umschrieben. Zu den Altersangaben bemerkt 
er, daß er sie auch dann beibehielt, wenn er sie in einer frühem Phase 
seiner Studien machte und inzwischen vielleicht in manchen Punkten zu 
andern Anschauungen kam. Dieser Vorgang wird gewiß weit mehr Nutzen 
als Schaden stiften. Dagegen bedauere ich, daß Loew nicht die Gründe 
seiner Altersbestimmung jedesmal angab, denn es wird nicht sobald ein zweiter 
Forscher Lust oder auch nur Möglichkeit haben, das einschlägige Material 
in solchem Umfang zu meistern und paläographisch durchzuarbeiten. Wenn 
der Verfasser das Versprechen, in einer eigenen Studie die Faksimiles und 
die Literatur über die angezogenen Handschriften mitzuteilen, einlöst, so 
möge er auch diese Wünsche erfüllen, welche gewiß nicht nur jedem Pa¬ 
läographen sondern jedem Benutzer dieser Handschriften am Herzen liegen. 
Eine Liste sämtlicher zitierten Handschriften und Autoren beschließt dieses 
hochverdienstliche, gelehrte Buch. 

Wien. E. v. Ottenthal. 


Kommission für neuere Geschichte Österreichs 1914. 

Die diesjährige Vollversammlung fand am 21. November 1914 unter 
Leitung des Vorsitzenden-Stellvertreters Hofrates Emil v. Ottenthal statt, da 
S. Durchlaucht Fürst Franz von und zu Liechtenstein durch seine Samariter¬ 
tätigkeit beim souveränen Malteser Ritterorden das Präsidium zu fuhren 
verhindert war. 



214 


Nekrologe. 


In der Abteilung Staatsverträge ist der 3. Band des von Profi 
Ludwig Bittner bearbeiteten »Chronologischen Verzeichnisses der öster¬ 
reichischen Staatsverträge* (1848—1911) erschienen. Das Manuskript des 
alle drei Bände umfassenden Sachregisters wird voraussichtlich im Sommer 
1915 druckfertig vorliegen. Die Arbeiten für die Herausgabe der öster¬ 
reichischen Staatsvertr&ge mit der Türkei und mit Holland (2. Band) 
ruhen seit dem Sommer, da deren Bearbeiter Dr. Boderich Gooss und 
Dr. Paul Heigl zum Kriegsdienst einberufen worden sind. Dr. Ernst 
Molden ist seit 1. Oktober ständiger Mitarbeiter für die Staatsverträge 
mit Frankreich und gegenwärtig mit der Abfassung der bis ins Mittel- 
alter zurückreichenden Haupteinleitung beschäftigt. 

Abteilung Korrespondenzen: Für den 2. Band der Familienkor¬ 
respondenz Ferdinands I. hat Dr. Wilhelm Bauer die Gestaltung der 
Texte im allgemeinen beendet. Für die Aufhellung der in den Briefen 
berührten Reichsangelegenheiten wird der Besuch der Archive von Dresden, 
Weimar, München und Marburg notwendig sein. Prof. Bibi hat das Ma¬ 
nuskript des ersten Bandes der Briefe Maximilians IL druckfertig vor¬ 
gelegt und stellt in Aussicht, den 2. und 3. Band (1569) ebenso rasch wie 
den ersten zum Abschluß zu bringen. Doch sind dafür noch ergänzende 
Forschungen in den Archiven zu München, Innsbruck, Modena, Florenz und 
im Koblenz’schen Archive zu Kronbexg erforderlich. 

Für die zweite Abteilung der Geschichte der österreichischen 
Zentralverwaltung ist die Materialsammlung für die Vorgeschichte von 
1749 als abgeschlossen zu betrachten, jene für die Folgegeschichte bis 1 762 
weit vorgeschritten, doch steht die Redaktion dieses Materials noch vielfach 
aus. Prof. Kretschmayr hofft den ersten Aktenband über die Jahre 1749 
—1762 im Herbst 1915 dem Druck übergeben zu können. Die Publikation 
wird voraussichtlich drei Aktenbände und einen Darstellungsband umfassen. 

An Archivalien zur neueren Geschichte Österreichs wird 
der unter der Leitung des Prof. Dopsch in Aussicht genommene 2. Bond 
zunächst solche aus Nieder- und Oberösterreich bringen. 


Nekrologe. 

Earl Uhlirz. 

Die Genossenschaft unseres Instituts hat einen schweren Verlust er¬ 
litten durch den Tod von Karl Uhlirz. Geboren zu Wien am 13. Juni 
1854, widmete er sich an der hiesigen Universität dem Studium der Ge¬ 
schichte. Er hörte zunächst namentlich bei Büdinger und Lorenz, als er 
dann 1875—1*77 das Institut für österr. Geschichtsforschung besuchte, 
gewann Theodor von Sickel den größten Einfluß auf seine wissenschaftliche 
Durchbildung und auf seinen ganzen Lebensgang. Gleich nach Beendigung 
seiner Studien trat er bei der von Sickel ins Leben gerufenen Abteilung 
Diplomata der Monumenta Germaniae historica ein und blieb bis 1882 
als ständiger Mitarbeiter, von da ab bis Herbst 1891 in freierm Verbände 
ununterbrochen diesem Unternehmen treu. Damit war sein erstes Arbeits¬ 
feld gegeben. Seine solide und saubere, gewissenhafte und kritisch scharfe 
Arbeit hat für das Gelingen der Ausgabe der Diplome der drei Ottonen 



Nekrologe. 


215 


große Bedeutung gehabt, welche bei der eigenartigen Organisation derartiger 
Editionen nur die Mil wirkenden voll ermessen können. Angesichts des 
häufigen Wechsels der Mitarbeiter und vielfacher Abwesenheit Sickels aus 
Wien seit der Mitte der achtziger Jahre wahrte durch Jahre eigentlich 
Uhlirz die Tradition und die Einheitlichkeit im Fortgang der Diplom ata- 
Arbeiten, bis er anläßlich seiner ersten schweren und langdauernden Er¬ 
krankung von der Monumentastellung ganz zurücktrat. Ein Unternehmen 
wie die Diplomata-Ausgabe muß auf dem entsagungsvollen Zusammenarbeiten 
aller Beteiligten aufgebaut sein, es ist da nicht möglich den individuellen 
Anteil jedes einzelnen Genossen herauszuschälen. Aber eine Anzahl von 
Aufsätzen in unsem Mitteilungen, im Neuen Archiv der Gesellsch. f. ältere 
d. Geschichtskunde, in der Historischen Zeitschrift und in anderen Fach¬ 
organen gewähren doch eine richtige Vorstellung vom Umfang, von der 
Tiefe und Selbständigkeit der Forschung, die er außer den eigentlichen 
Editionsarbeiten diesem Nationalwerk weihte. Ganz besonders auch sein 
schönes Buch über die Geschichte des Erzbistums Magdeburg unter den 
sächsischen Kaisern (1886), welches aus weiterer Ausgestaltung dieser 
Diplomata-Arbeiten entstand. Diese Leistungen verschafften ihm seitens der 
historischen Kommission bei der k. bayer. Akademie der Wissenschaften den 
ehrenvollen Auftrag, die Neubearbeitung der Jahrbücher des deutschen 
Eeichs unter Otto II. und III. zu übernehmen. Obwohl inzwischen zu anders 
gewendeten Zweigen der Historie übergegangen, hielt er doch gerne solchen 
Zusammenhang mit seinem ursprünglichen, ihm so lieb und vertraut ge¬ 
wordenen Arbeitsgebiet aufrecht und löste 1902 in den Jahrbüchern Ottos EL 
den ersten Teil seiner Aufgabe in vorzüglicher Weise. Durch volle Be¬ 
herrschung der urkundlichen wie der erzählenden Quellen, durch scharfe 
besonnene Kritik und durch gefällige Darstellung zählt dieser Band gewiß 
zu den besten dieser Publikation, wenn auch das inhaltliche Interesse an 
dieser Jahresreihe ein geringeres sein sollte. Die Jahrbücher Ottos HL sind 
leider nicht mehr zur Ausarbeitung gediehen. 

Im J. 1882 trat Uhlirz seine erste feste Amtsstellung im Archiv der 
Stadt Wien an, welches er dann von 1889 bis 1903 als Vorstand leitete. 
Er erwarb sich sowohl um die Neuordnung und Aufstellung, wie um die 
wissenschaftliche Verwertung dieses großen und wertvollen Archivs hervor¬ 
ragende Verdienste. Er widmete sich beiden Aufgaben des Archivars mit gleicher 
Tatkraft und dehnte seine wissenschaftlichen Forschungen und Veröffent¬ 
lichungen auf ein neues Feld aus: die Geschichte der Stadt Wien. So 
edierte er in den »Quellen zur Geschichte der Stadt Wien«, obwohl es ihm 
nicht gelungen war den allgemeinen Plan dieser Publikation auf eine 
zweckmäßigere Grundlage zu stellen, in drei Bänden in vortrefflicher Art 
die Regesten der Urkunden des Stadtarchives und im 16. bis 18. Band 
des Jahrbuches der Kunstsammlungen des a. h. Kaiserhauses Auszüge der 
das K imstleben im weitesten Sinn berührenden Dokumente. Für die vorn 
Wiener Altertums verein veranlaßte Geschichte der Stadt Wien lieferte er 
die durchwegs quellenmäßig bearbeitete Geschichte des Wiener Gewerbes 
and der Wiener Geschichtsquellen im Mittelalter. Dazu kommt noch eine 
beträchtliche Anzahl von Aufsätzen und kleinem Mitteilungen in Zeit¬ 
schriften und als Frucht eines Sommeraufenthaltes das Buch »Das Archiv 
der Stadt Zwettl«, ln weitem Kreisen mehr Aufsehen machte eine mit 



216 


Nekrologe. 


diesen Arbeiten innerlich zusammenhängende Reihe von Besprechungen über 
»Die neuere Literatur über das Städtewesen* in unserer Zeitschrift (Bd. 7 
bis 24), in welcher er die wichtigsten Erscheinungen über diese gerade da¬ 
mals so viel behandelten Fragen mit tief eingreifender Sachkenntnis und 
scharfer kritischer Sonde vorführte. Große Arbeitskraft und haushälterische 
Verwendung seiner Zeit setzten ihn überhaupt damals wie später in die 
Lage, neben sehr reger wissenschaftlicher Produktivität noch viele Rezen¬ 
sionen zu schreiben und zwar dank seinem ausgebreiteten Wissen, seiner 
kritischen Ader und seiner Gewissenhaftigkeit durchwegs sehr gründliche 
und sorgfältig ausgearbeitete. Er legte an die besprochenen Werke einen 
sehr strengen Maßstab an und ging in seinem Tadel mitunter nicht nur 
nach der Ansicht des Betroffenen zu weit. Aber was er aussprach, war 
der Ausdruck seiner vollsten Überzeugung und er war nicht weniger streng 
mit seinen eigenen Leistungen. 

Im J. 18** habilitierte sich Uhlirz als Privatdozent für Geschichte 
des Mittelalters und der historischen Hilfswissenschaften an der Universität 
Wien. Die Mannigfaltigkeit und Vorzüglichkeit seiner gelehrten Arbeiten 
verschafften ihm 1902 gleichzeitig den Vorschlag zum ordentlichen Professor 
für historische Hilfswissenschaften in Innsbruck und für österreichische Ge¬ 
schichte in Graz. Er wurde 1903 nach seinem Wunsche für letztere Lehr¬ 
kanzel ernannt. Obwohl mit Wien durch Geburt und sonstige Jahrzehnte 
alte Bande eng verknüpft, entsprach doch diese Veränderung seiner äußeren 
Lebensstellung vollstens seinen innersten Wünschen. Gewohnt in allem, was 
er unternahm, den ganzen Mann zu stellen, widmete er sich mit jugend¬ 
licher Frische und aller, auch durch wiederholte Krankheit kaum gehemmten 
Kraft den neuen akademischen Aufgaben, die seiner harrten. Namentlich 
befriedigte ihn, daß ihm auch die Vorlesungen über historische Hilfswissen¬ 
schaften übertragen wurden. Den beiden Fächern, welche er zu vertreten 
hatte, entsprachen auch jetzt wieder seine eignen wissenschaftlichen Arbeiten. 
Für die Monumenta Germaniae historica übernahm er die schwierige und 
langwierige Neuausgabe der Annales Austriae. Aus einer Unmenge von 
Handschriften sammelte er seit Jahren mit emsigem Fleiße das Material, 
mit welchem er diese wichtige Quellengruppe in neuer, wesentlich ver¬ 
besserter und stark umgestalteter Form herauszugeben gedachte. Aus der 
eingehenden und umfassenden Kenntnis der mittelalterlichen Schriftdenk¬ 
mäler Alt-Österreichs, welche er sich hiebei erwarb, erwuchs auch die Be¬ 
trauung mit der Auswahl und Bearbeitung der Schriftproben aus öster¬ 
reichischen Klöstern für Chrousts Monumenta palaeographica. Sie ist eine 
Musterleistung geworden. 

Eben hatte er die letzten Korrekturen für diese Arbeit beendet, als 
ihn am 22. März 1914 auf seinem üblichen Sonntags-Morgenspaziergang der 
Tod jäh und schmerzlos niederwarf. Unserer heimischen Geschichtsforschung 
ist in Uhlirz allzufrüh einer der besten Vertreter, der noch die schönsten 
Gaben seines scharfen, tätigen Geistes erhoffen ließ, entrissen worden. Auch 
die kaiserliche Akademie der Wissenschaften anerkannte seine hohen Ver¬ 
dienste durch die Aufnahme in ihre Mitte. Er war ein aufrechter Mann 
von unbeugsamer Wahrheitsliebe und zuverlässiger Treue, herb nach außen 
und doch voll heiteren Frohsinns im engsten Kreise. 

Wien. 


E. v. Ottenthal. 



Nekrologe. 


217 


Thaddffus Smifiklas. 

Am 8. Juni 1914 starb in Agram bald nach Vollendung seines 
70. Lebensjahres Tadija (Thaddäus) Smißiklas, 1882—1905 Professor der 
kroatischen Geschichte an der dortigen Universität, seit 1901 Präsident der 
sudslavischen Akademie der Wissenschaften. Geboren 1843 im Dorfe Beätovo 
im Gebiete von Sichelburg, studierte er 1864—1869 an der Universität 
in Wien, wo er auch 1867—1869 ordentliches Mitglied des Instituts für 
österreichische Geschichtsforschung wurde. Als unermüdlicher Arbeiter 
und begeisterter Lehrer hat sich Smißiklas um die Förderung der histo¬ 
rischen Studien in seinem Vaterlande, die im Laufe der letzten 70 Jahre 
von dem Edelmann Kukuljevid-Sakcinski, dem Domherrn Raöki und dem 
Professor Mesic begründet worden waren, die größten Verdienste erworben. 
Ein viel gelesenes Buch wurde seine Geschichte Kroatiens in zwei Bändep 
(Poviest hrvatska, Agram 1879—1882). Neben zahlreichen Biographien, 
wie des Stifters der Agramer Akademie, des Bischofs Stroßmayer, des 
Kukuljeviö, Ra£ki u. a. ist zu nennen eine gründliche Studie über die bis 
dahin so wenig bekannte Geschichte Slavoniens unter der türkischen Herr¬ 
schaft, begleitet von einer Urkundensammlung 1640—1702, verfaßt aus 
Anlaß des 200jährigen Jubiläums der Befreiung Slavoniens (Dyjestogodiönjica 
oalobodjenja Slavonije, Agram 1891, 2 Bde). In den Monumenta der 
Akademie gab er 1901 die lateinischen Aufzeichnungen (Annuae 1748— 
1767) des Agramer Historikers Kercselich heraus. Zuletzt widmete Smiöiklas 
alle seine Kräfte dem auf 16 Bände veranschlagten »Codex diplomaticus 
regni Croatiae, Dalmatiae et Slavoniae«, herausgegeben von der Südslavischen 
Akademie mit Unterstützung der kroatischen Landesregierung. Davon sind 
unter seiner Leitung in den Jahren 1904—1913 die Bände 2—11 (l 101 
—1350) erschienen, mit dem Urkundenmaterial aus den Zeiten der Könige 
ans den Dynastien der Arpäden und der Anjous. Die Vollendung des ersten 
Bandes, mit Urkunden aus der Zeit der nationalen kroatischen Herrscher 
bis 1101, einer von einer Sammlung von Faksimilien begleiteten Neube¬ 
arbeitung der »Documenta« von Racki, war ihm leider nicht mehr beschieden. 

Wien. C. Jirecek. 


Franz Martin Mayer. 

Mayer, ein Sohn des Egerlandes, wurde am 20. Februar 1844 in 
Plan in Böhmen geboren. Er bezog 1863 die Wiener Universität und 
gehörte dem 7. Jahrgang unseres Instituts 1867—1869, jedoch nur bis 
1868 an, um nach Ablegung der Lehramtsprüfung für Geschichte, Geo¬ 
graphie und Deutsch und Erwerbung des Doktorhutes sich dem Mittelschul¬ 
dienst zu widmen. 

Wir treffen ihn zunächst im Herbst 1868 als Lehrer am niederöster- 
r eichiac hen Landesrealgymnasium in Oberhollabrunn, in dessen Jahresschrift 
er 1869 seine Erstlingsarbeit, literaturgeschichtlichen Inhalts, veröffentlichte: 
En Vorläufer Lessings (Johann Elias Schlegel). Die Jahresschrift dieser 
Anstalt von 1870 brachte die erste rein historische Studie aus seiner 
Feder: Drei Kapitel aus der Geschichte des Marktes Oberhollabrunn. 

Noch im Herbst 1870 an die Landesoberrealschule in Graz versetzt, 
verließ er die schöne Murstadt bis zu seinem Ableben nicht mehr, so daß 



218 


Nekrologe. 


ihm Steiermark zur zweiten Heimat wurde. Nachdem er dann 1880—1891 
am 1. Staatsgymnasium als Professor tätig gewesen war, wurde er 1891 
zum Direktor der Landesoberrealschule ernannt, wo er bis zum Schluß des 
Sommersemesters 1909 in hervorragender Weise als Schulmann wirkte, um 
dann in den Buhestand zu treten. 

In Graz beschäftigten ihn zunächst die Vorarbeiten für ein Handbuch 
der Geschichte Österreichs, wie ein solches bis dahin nicht vor¬ 
handen war, da doch dos von Pölitz-Lorenz schon wegen seiner Kürze nicht 
genügen konnte. 1874 erschien das Handbuch mit besonderer Rücksicht 
auf die Kulturgeschichte in zwei Bänden, der im Vorwort geäußerten Ab¬ 
sicht gemäß, bündige Kürze bei möglichster Deutlichkeit und Einfachheit 
unstrebend — eine Absicht, die auch glücklich erreicht wurde, obzwar 
Literatur und Quellen, letztere oft mit wirklichen Zitaten, genau angeführt 
sind. Welcher Beliebtheit sich dieses Handbuch, welches dem später er¬ 
schienenen von Franz von Krones entschieden vorzuziehen ist, erfreute, 
beweist, daß es 1900 in 2. und 1909 in 3. Auflage erscheinen konnte. 
Eine hervorragende Leistung, die meines Erachtens niemals nach Gebühr 
gewürdigt wurde. Es sei hier gleich vorausgeschickt, daß unter den vielen 
historischen Arbeiten Mayers nur zwei seinem engeren Heimatlande Böhmen 
gelten. 1876: Die volkswirtschaftlichen Zustände Böhmens um das Jahr 
1770 (Mitteilungen d. Vereins f. Gesch. d. Deutschen 14, 125) und 1880: 
Über die Verordnungsbücher der Stadt Eger 1352—1482 (Archiv f. Österr. 
Gesch. 60, 19). 

Mehr und mehr widmete er seine Arbeitskraft der Geschichte Inner¬ 
österreichs. Da waren es vor Allem die Bauernkriege. Schon 1875 er¬ 
schien ein Aufsatz über: Die ersten Bauernunruhen in Steiermark (Mit¬ 
teilungen d. histor. Vereines 23, 107), dem sich 1876 Materialien und 
kritische Bemerkungen zur Geschichte der ersten Bauernunrahen anschlossen 
(Beiträge zur Kunde steiermärk. Geschichtsquellen 13, 1), dann 187 7 Kleine 
Mitteilungen hiezu (Beiträge L c. 14, 17), um 1883 den innerösterreichischen 
Bauernkrieg 1515 nach alten und neuen Quellen zu schildern (Archiv fl 
österr. Gesch. 65, 55). 

Indessen hatte sich M. auf die Geschichte der Salzburger Erzbischöfe 
geworfen. 1877 veröffentlichte er eine Abhandlung über die Abdankung 
des Erzbiscbofes Bernhard und den Ausbruch des dritten Krieges zwischen 
Kaiser Friedrich HL und König Mathias von Ungarn 1477—1481 (Archiv 
f. österr. Gesch. 55, 169), um dann noch drei Beiträge zur Geschichte dea 
Erzbistums zu liefern. 1878: Materialien zur Geschichte des Erzbischöfe 
Bernhard (Archiv L c. 56, 369) auf Grund eines Admonter Formelbuchee, 
1881: Über ein Formelbuch aus der Zeit Erzbischof Friedrichs DI. 1315 
—1318 in der Salzburger Studienbibliothek (Archiv L c. 62, 147) und 
1882: Die Vita s. Hrodberti in älterer Gestalt aus einer Grazer Hand¬ 
schrift (Archiv 1. c. 63, 595). M. hielt diese Vita für älter, als die Vita 
primigenia, was anfänglich von J. Friedrich bestritten, ner erlich aber von 
keinem geringeren als A. Hauck in seiner Kirchengeschichte für richtig 
befunden wurde. 1883 erschien von ihm das heute noch höchst bedeutende 
und nicht übertroffene Buch: Die östlichen Alpenländer im Investiturstreit, 
die Zeit 1050—1150 umfassend. 



Nekrologe. 


219 


Hatte M. 1880 eine eingehende Untersuchung über die österreichische 
Chronik des Matthäus oder Gregor Hagen veröffentlicht (Archiv f. österr. 
Gesch. 60, 295) worin er es wahrscheinlich zu machen suchte, daß der 
wirkliche Verfasser Johann Seffner hieß, so ist die Frage jetzt durch See¬ 
müllers musterhafte Ausgabe dieser Chronik unter dem Titel: Die öster¬ 
reichische Chronik von den 95 Herrschaften (Mon. Germ. Deutsche Chroniken 
6. Bd.) gegenstandslos geworden, wonach der Verfasser unbekannt ist und 
bleibt, wobei aber das besondere Verdienst M.s um die Entdeckung der 
Podgorer Handschrift rühmend hervorgehoben wird. 

Einen hochinteressanten Beitrag zur Geschichte der Gegenreformation 
in Kärnten, Krain und Steiermark lieferte M. 1880 in den Forschungen 
zur deutschen Geschichte (20, 205) betitelt: Zur Geschichte Innerösterreichs 
im Jahre 1600, entnommen einer Schlüsselberger Handschrift des Landes¬ 
archivs in Linz, heute Kodex 43, nunmehr freilich überholt durch die 
große Ausgabe der Akten zur Gesch. d. Gegenreformation in Innerösterreich 
von Loserth (Fontes rer. Aust. H. Bd. 50, 58, 60). 

Mit der Geschichte der Beformationszeit beschäftigen sich sonst noch 
die Aufsätze 1888: Der Brücker Landtag des Jahres 1572 (Archiv f. österr. 
Gesch. 73, 467) und 1889: Jeremias Hornberger (ebenda 74, 203), pro¬ 
testantischer Hauptpfarrer in Graz, 1584 ausgewiesen, t 1593, mit einer 
Schilderung des von ihm veranlaßten Kalenderstreites. In die Beligionsge- 
schichte schlägt noch ein Aufratz im 25. Jahresbericht der steiermärk. 
Landesoberrealschule 1896 ein: Eine salzburgische Visitationsreise in Steier¬ 
mark und Kärnten 1687. 

Mittlerweile hatte er auch die Handelsgeschichte Österreichs in den 
Kreis seiner Forschungen gezogen. 1882 erschien auf Grund von Ab¬ 
schriften der Hofkammerprotokolle im Laibacher Musealarchiv das inhalts¬ 
volle Büchlein: Die Anfänge des Handels und der Industrie in Österreich 
und die orientalische Kompagnie. Noch einmal griff er in einem Aufsatz 
in diesen Mitteilungen (18, 129) 1897 auf diesen Stoff zurück: Zur Ge¬ 
schichte der Handelspolitik unter Kaiser Karl VI., nach einem Reiseberichte 
von 1728. 

Die Entdeckung von Relationen des Generals Friedrich v. Wied 1757 
—1759 in der Salzburger Studienbibliothek veranlaßte 1886 seinen Aufsatz 
in diesen Mitteilungen (7, 378): Zur Geschichte des siebenjährigen Krieges. 

Bald nahm ihn die Geschichte Steiermarks fast ganz gefangen. So in¬ 
teressierten ihn die im erzbischöflichen Archiv in München befindlichen 

Korrespondenzbücher des Bischofs Sixtus von Freising 1474—1495 haupt¬ 
sächlich wegen des nicht unbedeutenden Besitzes dieses Hochstiftes in 

Steiermark. Eine Wertung dieser Quelle für die Geschichte des Landes 
erschien schon 1878 in den Beiträgen zur Kunde steiermärk. Geschichts¬ 
quellen (15, 39), um dann 1886 im Archiv f. österr. Gesch. (68, 411 — 
501) ausführlichere Verarbeitung zu finden. Hatte Muchar eine Geschichte 
von Eisenerz bis 1570 geschriiben, so lieferte M. 1885 eine Fortsetzung 
bis 1625 auf Grund des im htatthaltererarchiv zu Graz liegenden Materials 
(Mitteilungen des hist. Vereines 33, 157), nachdem er schon 1880 sich mit 
Leopold Ulrich Sehiedlbeiger’s (1709—1713) Aufzeichnungen zur Ge¬ 

schichte des Marktes beschäftigt hatte (Beiträge zur Kunde steiermärk. Ge-» 
schichtsquellen 17, 3). Kleinere Aufsätze sind in denselben Beiträgen er- 



220 


Nekrologe. 


schienen 1886: Zur Geschichte der Karthause Seitz (21, 126), nach Ur¬ 
kundenauszügen in den Klosteraufhebungsakten im Grazer Statthalterei¬ 
archiv, 1887: Aus dem Archiv des Marktes Ehrenhausen (22, 95) und 
1892: Mitteilungen aus Anton M. Stupan’s v. Ehrenstein Beschreibung von 
Innerösterreich 1759 (24, 3). 

Eifrige Forschung wandte er dem Franzosenzeitalter in Steiermark zu. 
Bas Jahr 1887 brachte zwei Aufsätze: Steiermark im 3. Koalitionskrieg 
1805—6 (Programm des I. Staatsgymnasiums in Graz) und Jakobiner in 
Steiermark (Zeitschrift f. allgem. Gesch. 1887, S. 368), tun dann 1888 
über: Steiermark im Franzosenzeitalter ein eigenes, lesenswertes Buch er¬ 
scheinen zu lassen. 

Ein wahres Volksbuch, um das viele Länder Steiermark beneiden können, 
lieferte M. in seiner Geschichte der Steiermark mit besonderer 
Bücksicht auf das Kulturleben, 1898 in 1. Auflage erschienen, 
ganz besonders in der 2. Auflage 1913 mit vielen Illustrationen nach sach¬ 
kundiger Auswahl des Landesarchivdirektors Mell. Überhaupt verstand Mayer, 
wie nicht leicht ein anderer, die Volkstümlichmachung der Geschichte. Es 
sind nicht ermüdende, langgezogene, mit Einzelheiten überhäufte Darstellungen, 
sondern kurze treffende Charakterbilder reihen sich aneinander, um in ihrem 
Zusammenhang das Verständnis der Vergangenheit zu erschließen. 

Hochgefeiert war M. als Schulmann von Kollegen und Schülern. Ist 
auch hier nicht der Ort, um auf diese hervorstechende Seite des Verewigten 
einzugehen, so sei nur kurz auf den ganz erstaunlichen Erfolg hinzu weisen, 
den seine Lehrbücher für Mittelschulen fanden. In meist mehr als sechs 
Auflagen sind diese Lehrbücher der Geschichte, Geographie und Vaterlande¬ 
kunde erschienen und haben wiederholt aufgelegte Übersetzungen und Be¬ 
arbeitungen in italienischer, kroatischer, slovenischer und tschechischer 
Sprache gefunden. 

Seit Jahren hemmte ein schweres Augenleiden seine bewunderungs¬ 
würdige Arbeitskraft, welche um so höher eingeschätzt werden muß, als M. 
sich nur in schulfreier Zeit der Forschung und Darstellung widmen konnte. 
Dieses Leiden war auch die Ursache, weshalb er die Abfassung einer ein¬ 
gehenden Geschichte der Steiermark für die im Verlag Perthes in Gotha 
erscheinenden Landesgeschichten schließlich einer jüngeren Kraft überließ, 
obzwar er rüstig daran gearbeitet hatte. 

Schon 1875 habilitierte sich M. als Privatdozent für österreichische 
Geschichte an der Grazer Universität. Eine höhere akademische Würde ist 
ihm, merkwürdiger Weise, niemals zuteil geworden. Nur nach Professor 
Zieglauers Rücktritt vom Lehramt an der Universität Czernowitz 1900, er¬ 
ging an ihn — zu spät —- der Buf als Nachfolger, den er, wie begreiflich, 
ablehnte. 

Mayer war ein Mann von rührender Bescheidenheit, der seine eigene 
Person zurückstellte gegenüber dem Drang in Wissenschaft und Schule den 
ganzen Mann zu stellen, wobei ihm ein Streben nach Ehren und Würden 
fremd war. Noch im Frühsommer 1914 traf ich M., doch leider nicht 
mehr in alter Frische, in den schönen, neuen Arbeitsräumen des steier¬ 
märkischen Landesarchivs, zu dessen fleißigsten Benützem M. seit Jahrzehnten 
zählte, trotz seines schweren Augenleidens in eine das Haus Fugger be¬ 
treffende Briefsammlung vertieft, nachdem er nur wenige Wochen früher 



Nekrologe. 


221 


in geheimnisvoller Stille seinen 70. Geburtstag gefeiert hatte. In der 
Nacht des 15. September 1914 ist er ganz unerwartet einer Herzlähmung 
erlegen. 

War Mayer auch nur ein Jahr lang Mitglied unseres Instituts, so hat 
er dessen Namen in jeder Hinsicht Ehre gemacht. Er hat nicht nur durch 
streng wissenschaftliche Arbeiten die österreichische Geschichtsforschung in 
reichstem Maße gefördert, sondern er ist auch, was ihm nicht hoch genug 
angerechnet werden kann, aus der Höhe wissenschaftlicher Forschung zum 
Volke herabgestiegen, um ihm daß Verständnis für die Vergangenheit mund¬ 
gerecht zu machen. Sein Andenken sei gesegnet! 

Klagenfurt. August v. Jaksch. 


P. Florian Watzl 0. C. 

Ein jähes, schweres Halsleiden hat dies kraftvolle Leben verzehrt, der 
Tod kam am 11. Februar 1915 als Erlöser — am 13. Februar trug die 
Kloetergemeinde von Heiligenkreuz einen ihrer Besten auf dem schönen 
Bergfriedhofe zu Grabe — sein sehnlichster Wunsch, angesichts seines 
geliebten Stiftes beerdigt zu sein, ward allzufrüh erfüllt! 

P. Florian Watzl wurde am 4. November 1870 zu Aigen im oberösterr. 
Mühlviertel als Sohn alteingesessener Landleute geboren. Der aufgeweckte 
Knabe erregte früh die Aufmerksamkeit seiner Lehrer, insbesondere im nahen 
Stifte Schlägl, die ihn auch ins Gymnasium nach Linz brachten. Hier 
zeigte er außerordentliche Liebe und Befähigung zum Geschichtsfach. Eine 
schwärmerische Begeisterung für das deutsche Mittelalter und seine geist¬ 
lichen Schöpfungen führte den Abiturienten zu dem Entschluß, in den Orden 
des hL Bernhard zu treten. Die Wahl fiel auf Heiligenkreuz. Am 24. August 
1889 wurde Watzl als Novize eingekleidet, 1894 zum Priester geweiht. 
Der junge begabte Theologe und Konventuale warf sich mit wahrem Feuer¬ 
eifer auf die Erforschung der Geschichte seines Ordens und Stiftes; die ge¬ 
sammelten Materialien aus jener Zeit sind überaus reichhaltig: die Generai- 
kapitel, die Zisterzienser an den Universitäten des Mittelalters, die Heiligen des 
Ordens, seine kolonisatorische Tätigkeit, seine Wirtschaftspolitik und Handels¬ 
beziehungen, seine Verdienste um Ackerbau und Viehzucht, Wein- und Gartenbau, 
um Industrie, Bergbau und Baukunst hat Watzl zum Gegenstand von Spezial¬ 
forschungen genommen. 1898 erschien als Frucht langjährigen Sammel¬ 
fleißes sein biographisches Nachschlagebuch »Die Cistercienser von Heiligen¬ 
kreuz*, ein wertvoller Beitrag zur Hausgeschichte. In den Jahren 1901— 
1903 oblag Watzl an der Universität in Wien historischen Studien, erwarb 
den philosophischen Doktorgrad und gehörte dem Institute für österr. Ge¬ 
schichtsforschung als außerordentliches Mitglied an, ohne Unterricht und 
Seelsorge aufzugeben. Nachder. er früher am Gymnasialkonvikt des Stiftes 
gelehrt hatte, wurde er 1902 Archivar und Bibliothekar des Stiftes und 
übernahm 1904 an der theologischen Hauslehranstalt die Vorlesungen 
über christliche Kunst. Ende desselben Jahres begann er im Auftrag der 
österr. Leogesellschaft im vatikanischen Archive seine Forschungen über die 
Kameralien der avignonesischen Päpste, eine Arbeit, die ihn auch in den 



222 


Nekrologe. 


Jahren 1905, 1906 und 1908 auf mehrere Monate nach Rom führte. Da¬ 
neben übernahm Watzl 1906 im Stifte die Vorlesungen über Kirchenge¬ 
schichte, hiezu 1908 über Kirchenrecht und schließlich noch über neu- 
testamentliches Bibelstudium. Bei dieser vielseitigen Verwendung vernach¬ 
lässigte er keineswegs sein Hauptamt: er war stets auf die Vermehrung 
der Bibliothek, auf die Neuordnung und Neuaufstellung des Archives be¬ 
dacht» Seine besondere Aufmerksamkeit galt der Vereinigung aller Stifts- 
archivalien und der Einverleibung des seit der Türkenzeit im Heiligenkreuzer¬ 
hofe zu Wien verwahrten Urkundenarcbives. 

Mitten in rastloser Wirksamkeit als Lehrer und Forscher befiel ihn 
plötzlich die Todeskrankheit. Er ahnte sein Ende und verdoppelte den 
Eifer. Sein wunderbares Gedächtnis hatte ihn bisher von der Niederschrift 
seiner Forschungen enthoben — eine Gabe, durch die nun der historischen 
Wissenschaft reiche Ergebnisse verloren gegangen sind. Seine Studien zur 
Heiligenkreuzer Annalistik, insbesondere über die sog. Continuatio Vindobo- 
nensis, für deren nunmehr unbestreitbare Zuweisung an sein Stift er stets 
neue Beweise fand, seine Studien über die Bibliothekskataloge des 12.— 
14. Jährh., über die Waldenser, die päpstlichen Kameralien, über den 
Lyoner Zehent und die englischen Kollektorien sind größtenteils nur in 
losen Blättern angedeutet. Einzig die römischen Forschungen über das 
päpstliche Finanzwesen des 13. Jahrlu, über den Kreuzzugszehent und das 
Amt der päpstlichen Zehentkollektoren sind abgeschlossen. Weiters liegt eine 
»Series Confratrum«, eine Rekonstruktion der ältesten Stiftsbibliothek nach 
einem unedierten Katalog aus dem Ende des 14. Jahrh. und ein Nekro- 
logium seines Stiftes handschriftlich vor. 

Watzl vereinigte eine tiefe theologische Bildung mit reichem histo¬ 
rischen Wissen, ein Umstand, ( der für seine mittelalterlichen Forschungen 
von größter Bedeutung war. Seinen Mitbrüdem und Kollegen bleibt 
»P. Florian* unvergeßlich. Er war ein gerader, offener und uner¬ 
schrockener Mann, Feind allen Kleinlichkeiten und äußerem Scheine, Freund 
fröhlicher Geselligkeit, dabei fro mm und lauter, — ein echter deutscher 
Mönch. Die Fügung wollte es, daß ein kerniger Ausspruch aus der Zeit 
der schweren Krankheit an ihm so bald in Erfüllung ging: »Es müsse 
eigentlich schrecklich sein, jetzt in der großen Zeit, wo Weltgeschichte 
mit Frakturschrift geschrieben wird, zu sterben und den Ausgang des Welt¬ 
krieges nicht zu erleben!* 

Wien. V. Schindler. 


Der Krieg hat auch in unserem Kreise schmerzliche Opfer gefordert; 
zwei von den zahlreichen einstigen und gegenwärtigen Institutsmitgliedern, 
die im Felde standen und stehen, sind im Kampfe für das Vaterland gefallen. 

Am 11. September 1914 fiel im Gefechte bei Stawczaiiy unweit Grodek 
Dr. Ivo Luntz als Leutnant und Regimentsadjutant des 2. Landsturm- 
Infanterieregimentes. Luntz, ein Sohn des bekannten Architekten Viktor 
Luntz, 1882 zu Wien geboren, studierte an der Wiener Universität Ge¬ 
schichte, war 1905—1907 ordentliches Mitglied des Instituts und trat 
dann in das Haus-, Hof- und Staatsarchiv ein, wo er zuletzt Vizearchivar 



Nekrologe. • 


223 


geworden war. Seine Arbeiten galten schon seit seiner Institutszeit der 
Entwicklung des städtischen Urkundenwesens in Wien und, bestimmt durch 
mehijährige Mitarbeiterschaft an den Habsburger Regesten, den Urkunden 
der ersten Habsburger, besonders Albrechts L Luntz war ein ungemein ge¬ 
wissenhafter und gediegener Arbeiter, er tat sich in gründlichster Vorbe¬ 
reitung nie genug, sein früher Tod hat es verhindert, daß er seine dem Abschluß 
nahen Arbeiten über die Wiener Ratsurkunde und über die Urkunden 
Herzog Albrechts I. vollenden und veröffentlichen konnte. Seine Freunde 
werden diesen Nachlaß herausgeben. Luntz war auch in seinem archi- 
valischen Beruf der Mann gründlichen Wissens und tüchtigen Könnens. An 
den intensiven Ordnungsarbeiten im Staatsarchive nahm Luntz eifrigen Anteil, 
wurde ein genauer Kenner des Archivs und seiner Geschichte und war bei 
der Vorbereitung der sehr bemerkenswerten und wertvollen Publikation 
der Register Kaiser Karls V. rege beteiligt Das erste Heft derselben er¬ 
schien als Festgabe des Staatsarchivs zum Wiener Historikertag im Sep¬ 
tember 1913, dessen Teilnehmer sich gewiß gerne an die verdienstliche 
Tätigkeit von Luntz als Mitglied des Ortsausschusses erinnern. 

Am 19. Oktober 1914 fiel in den Kämpfen südlich von Przemysl 
Dr. Anton MilosVystyd als Leutnant i. d. R. des 5*. Infanterieregiments. 
Vystyd war in Osetschan in Böhmen am 31. Dezember 1885 geboren, stu¬ 
dierte an der böhmischen Universität in Prag, dann in Wien und war von 
1909—1911 ordentliches Mitglied unseres Instituts. Er trat sodann in 
das böhmische Landesarchiv ein und wurde im Jahre 1913 zum Konzipisten 
an demselben ernannt. Aus Übungen im Institut ging seine treffliche Arbeit 
über die Königsaaler Chronik und ihr Verhältnis zur steierischen Reim¬ 
chronik hervor (MitteiL d. Inst. 34. Bd. 1913). Das besondere Interesse des 
hochbegabten Mannes war agrargeschichtlichen Fragen zugewendet, er war 
Redakteur der Zeitschrift für böhmische Agrargeschichte, betätigte sich aber 
auch am politischen Leben und gehörte zu den Führern des Nachwuchses 
der czechischen Agrarpartei. 0. R. 


Am 19. August 1914 starb in Alt-Aussee Ferdinand Strobl, Edler von 
Ravelsberg, k. u. k. Major d. R. Er gehörte zu den ersten Offizieren, die 
vom k. u. k. Kriegsarchiv unter der Direktion des Generals v. Wetzer an 
das Institut f. österr. Geschichtsforschung gesandt wurden und war von 
1889—1891 außerord. Mitglied. Major v. Strobl beschäftigte sich viel mit 
Studien zur Geschichte der Zeit Metternichs und veröffentlichte über diesen 
Staatsmann ein größeres Buch. 0. R. 


Am 24. Februar 1915 wurde nach kurzer Krankheit Dr. Fritz 
Grüner im Alter von 28 Jahren dahingerafft. Er war am 22. Mai 
18S6 zu Wien geboren, machte seine historischen Studien in Wien, 
war 1907—1909 außerord. Mitglied des Instituts und trat 1912 in den 
staatlichen Archivdienst ein, i i welchem er dem Bureau des k. k. Archiv¬ 
rates zugeteilt wurde. Hier erwarb sich sein Pflichteifer, sein zuverlässiges 
und gewinnendes Wesen bald volle Anerkennung. Seine wissenschaftliche 
Tätigkeit hatte er durch eine verdienstliche und tüchtige Arbeit über 
»Schwäbische Traditionsbücher* (MitteiL d. Inst 1912, 33. Bd.) eröffnet, 
der eine kleinere Studie über die Entwicklung des habsburgischen Macht- 



224 


Personalien. 


gebietes in Südwestdeutsuhland nach 1291 folgte (1913). Alle schönen 
Hoffnungen dieses jungen Lebens wurden durch den tätlichen Verlauf einer 
tückischen Krankheit abgeschnitten, der Dr. Grüner binnen wenigen Tagen 
erlag. 0. R. 


Personalien. 

(1914 und erste Hälfte 1915). 

E. v. Ottenthal wurde zum auswärtigen Mitglied der ungarischen 
Akademie der Wissenschaften gewählt 

S. Steinherz wurde zum ord. Professor für österreichische Geschichte 
an der deutschen Universität in Prag, H. Übersberger zum ord. Pro¬ 
fessor für Geschichte Osteuropas an der Universität Wien ernannt — 
Th. Mayer habilitierte sich für österreichische Geschichte an der Universität 
Wien, R. Heuberger für Geschichte des Mittelalters und histor. Hilfs¬ 
wissenschaften an der Universität Innsbruck. 

Am k. u. k. Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien wurden ernannt 
0. Freiherr v. Mitis zum Sektionsrat (Titel), L. Groß zum Vizearchivar, 
0. Stowasser und F. Antonius zu Praktikanten; am Statthaltereiarchiv 
in Wien E. Friess zum Praktikanten, an jenem in Innsbruck R. Heu¬ 
berger zum Staatsarchivkonzipisten TL KL; an der Hofbibliothek in Wien 
0. Doublier zum Kustos L Kl., 0. Smital und K. Äusserer zu Kustos¬ 
adjunkten. H. v. Ankwicz wurde zum Kustosadjunkten an der Bibliothek 
des österr. Museums ernannt. F. M. Haberditzl wurde zum Leiter der 
Staatsgallerie, F. Dworschak zum Assistenten am Münzkabinet des kaiserl. 
Hofmuseums ernannt, P. Buberl mit den Funktionen eines Generaikon*er- 
vators für Deutschösterreich betraut, F. Stelö Praktikant bei der k.k. Zentral¬ 
kommission für Denkmalpflege. F. Dörnhöffer erhielt die Berufung zum 
Generaldirektor der kgl. bayer. Gemäldegallerien in München. 

Zu ausnahmsweisem Termin legten im Jahre 1914 die Institutsprüfung 
ab die außerord. Mitglieder Dr. phü. Edmund Friess und Dr. phiL Anton 
Müller. Dr. Friess wählte als Hausarbeit: Die niederösterreichischen 
landesfürstlichen Lehensbücher, Dr. Müller: Die ältesten Adels- und Wappen¬ 
verleihungen. 


Bei der Redaktion sind eingelaufen: 

A mp eck, Veit: Sämtliche Chroniken, berausg. von Georg Leidinger (QueUen 
und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte. N. F. 3. Bd.) 
München. M. Rieger. 

Beyerle, Franz: Das Entwicklungsproblem im germanischen Rechtsgang 
1. Sühne, Rache und Preisgabe in ihrer Beziehung zum Strafprozeß 
der Volksrechte. (Deutschrechtliche Beiträge 10/2) Heidelberg C. Winter. 
M. 12*90. 

Bresslau, Harry: Handbuch der Urkundenlehre 2. Aufl. 2. Bd., 1. Abt. 
Leipzig, Veit & Cie. M. 11*—. 



Berichte. 


225 


Büchi, Hermann: Finanzen und Finanzpolitik Toskanas im Zeitalter der 
Aufklärung (1737—1790) im Rahmen der Wirtschaftspolitik. (Histor. 
Studien 124. Heft). Berlin. Emil Ebering. M. 12*50. 

Davidsohn, R.: Beitrüge zur Geschichte Manfreds (SA. aus Quellen und 
Forschungen aus italien. Archiven 17. Heft 1). Rom, Loescher 1914. 
Gerber, Harry: Drei Jahre reichstädtischer, hauptsächlich Frankfurter 
Politik, im Rahmen der Reichsgeschichte unter Sigismund und AlbrechtlL 
1437—1439. Inaug-Diss. Marburg 1914. 

Grünberg, Walther: Der Ausgang der pommerellischen Selbständigkeit 
(Histor. Studien 128. Heft). Berlin. Emil Ebering. M. 4.—. 

Günter, Heinrich: Die römischen KrOnungseide der deutschen Kaiser (KL 
Texte für Vorlesungen und Übungen 132. Heft). Bonn. A. Marcus & 
E. Weber. M. 1'50. 

Häpke, R.: Die Regierung Karls V. und der europäische Norden. Lübeck. 
Max Schmidt 1914. 

Heinecker, Willy: Die Persönlichkeit Ludwigs XIV. (Histor. Studien 
125. Heft) Berlin. Emil Ebering. M. 3*50. 

Hessel, Alfred: Elsässische Urkunden, vornehmlich des 13. Jahrhunderts. 
(Schrr. der WissenschaftL Gesellsch. in Strafiburg 23. Heft) Straßburg. 
Karl J. Trübner. M. 4*50. 

Hettner, Alfred: Englands Weltherrschaft und der Krieg. Leipzig, Berlin. 
B. G. Teubner. M. 3*—. 

Hintze, Otto: Bismarck, die deutsche Politik und der Krieg (SA. aus der 
Internat. Monatsschr. 9, Heft 9). 

Holzknecht, Georgine: Ursprung und Herkunft der Reformideen Kaiser 
Josefe IL auf kirchlichem Gebiete (Forschungen zur inneren Geschichte 
Österreichs, herausg. von A. Dopsch. 11. Heft) Innsbruck. Wagner. 
1914. M. 5. 

Hugelmann, K.: Historisch-politische Studien. Gesammelte Aufsätze zum 
Staatsleben des 18. und 19. Jahrh., insbes. Österreichs. Wien, Josef 
Roller. M. 8*—. 

Kirch, Hermann Josef: Die Fugger und der schmalkaldische Krieg (Studien 
zur Fugger-Geschichte 5. Heft). München und Leipzig. Duncker & 
Humblot M. 8*—. 

Krones-Uhlirz: österreichische Geschichte 2. Bd. (1439—1619) 3. Auf. 
herausg. von Mathilde Uhlirz. (Sammlung Göschen Nr. 105). Berlin. 
G. J. Göschen. M. —*90. 

Meyer, Werner: Ludwig IX. von Frankreich und Innocenz IV. 1244— 
1247. Marburg a. L. Robert Noske. 

Mühlhäusser, Anna: Die Landschaftsschilderung in Briefen der italienischen 
Frührenaissance (Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte 
56. Heft). Berlin. Dr. Walther Rothschild. 1914. M. 2*50. 

Nägle, August: Kirchengeschichte Böhmens 1. Bd. 1. Teil Wien und 
Leipzig. Wilh. Braumüllers Söhne. M. 5*—. 

Nagl, Alfred: Die Rechentafel der Alten (SA. aus Sitz.-Ber. der kais. 

Akademie der Wissensch. 177/5). Wien. Alfr. Hölder. 1914. 

Oßwald, Paul: Belgien (Aus Natur und Geisteswelt, 501. Bd.). Leipzig 
und Berlin. B. G. Teubner. M. l a 25. 


15 



226 


Notizen« 


Pfannkuche, Angast: Staat und Kirche in ihrem gegenseitigen Ver¬ 
hältnis seit der Reformation (Ans Natur und Geisteswelt. 485. Bd.) 
Leipzig und Berlin. B. G. Teubner. M. 1*25. 

Pflngk-Harttnng, Julius v.: Belle-Alliance (Verbündetes Heer). Be¬ 
richte und Angaben über die Beteiligung deutscher Truppen der 
Armee Wellingtons. Berlin. R. Eisenschmidt M. s*—. 

Politische Korrespondenz Karl Friedrichs von Baden. 1783— 
1806. 6. (Erg.-)Bd. bearb. von K. Obser. Heidelberg. C. Winter. 
M. 12*—. 

Prem, S. M. und Schissei von Fleschenberg 0.: Tirolische Analekten. 
(Teutonia, Arbeiten zur german. Philologie 15. Heft). Leipzig. H. HässeL 
M. 3*—. 

Quellen zur Geschichte der Stadt Wien. 1. Abt 8. Bd. Regesten 
aus in- und ausländ. Archiven. Red. von Jos. Lampel, Wien, Altertums- 
Verein. 1914. M. 20*—. 

Rechtswörterbuch, Deutsches, herausg. von der kgL preuß. Akademie 
der Wissensch., 1. Bd. 1. Heft samt Quellenheft. Weimar. Hermann 
Böhlau. 1914. M. 5*—. 

Ribbeck, Konrad: Geschichte der Stadt Essen. 1. Bd. Essen a. R M G. D. 
Baedeker. M. 5*—. 

Ried, Karl: Die Durchführung der Reformation in der ehern, freien Reichs¬ 
stadt Weißenburg i. B. (Histor. Forschungen und Quellen 1. Heft) 
München und Freising. F. P. Datterer & Cie. M. 4*50. 

Schäfer, Dietrich: Das deutsche Volk und der Osten (Vorträge der Gehe¬ 
stiftung. 7. Bd. 3. Heft). Leipzig. B. G. Teubner. M. 1*—. 

Sieger, Robert: Die geographischen Grundlagen der österreichisch-unga¬ 
rischen Monarchie und ihrer Außenpolitik. Leipzig und Berlin. B. G. 
Teubner. M. 1*—. 

Sieghart, Rudolf: Zolltrennung und Zolleinheit Die Geschichte der öster.- 
ung. Zwischenzoll-Linie. Wien. Manz. M. 10*20. 

Stenzei, Karl: Die Politik der Stadt Straßburg am Ausgange des Mittel¬ 
alters in ihren Hauptzügen dargestellt (Beiträge zur Landes- und 
Volkskunde von Elsaß-Lothringen. 49. Bd.). Straßburg. J. JL E. Heitz. 
M. 10*—. 

Stutz, Ulrich: Die katholische Kirche und ihr Recht in den preußischen 
Rheinlanden. Bonn. A. Marcus und E. Weber. M. 1*20. 

Überhorst, Gustav: Der Sachsen-Lauenburgische Erbfolgestreit bis zum 
Bombardement Ratzeburgs 1689—1693. (Histor. Studien. 126. Heft). 
Berlin. Emil Ebering. M. 7*50. 

Ulmann, Heinrich: Die Geschichte der Befreiungskriege 1813 und 1814. 

1. Bd. Berlin, München. R. Oldenbourg. 1914. M, 8*50. 

Urkunden und Siegel in Nachbildungen für den akad. Gebrauch 
herausg. von G. Seeliger. 2. Heft, Papsturkunden von A. Brackmann; 
3. Heft, Privaturkunden von Osw.Redlich und Lothar Gross; 4. Heft, 
Siegel von F. Philippi. Leipzig B. G. Teubner 1914, je ein Heft 
M. 5*—. 

Walser, Ernst: Poggius Florentinus Leben und Werke. (Beiträge zur 
Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance 21. Bd.). Leipzig. 
B. G. Teubner, 1914. M. 16*—. 



Nachtrag. 


227 


Weber, Gertrud: Die selbständige Yermittlungspolitik der Kurfürsten im 
Konflikt zwischen Papst und Konzil 1437—38. (Histor. Studien 
127. Heft). Berlin. E. Ebering. M. 3*50. 

Willner, Fritz: Ludwig Wieland, ein liberaler Publizist. Inaug.-Diss. 
Greifewald. Halle a. d. S. 

Wolf, Gustav: Quellenkunde der deutschen Beformationsgeschichte. 1. Bd. 
Yorreform und allgem. Beformationsgeschichte. Gotha. F. A. Perthes. 
M. 16-—. 

Zeitschrift für Brüdergeschichte 8. Jahrg. (1914) 1. und 2. HefL 
Zeitschrift, Geographische 21. Jahrg. (1915) 4. HefL 
Zibermayr, Ignaz: Die Legation des Kardinals Nikolaus Cusanus und 
die Ordensreform in der Kirchenprovinz Salzburg. (Beformationsge- 
schichtliche Studien und Texte 29. Bd.). Münster i. W. Aschendorff 
1914. M. 3*75. 

Juni 1915. 


Nachtrag zur Abhandlung »Die österreichischen Kanzlei¬ 
bücher vornehmlich des 14. Jahrhunderts etc. 4 in dieser Zeitschrift 
Bd. 35. Den von mir daselbst S. 722 gedruckten Dienstzettel Sigmunds 
von Nidertor hat, wie ich nachträglich bemerkte, doch schon G. Seeliger 
in seiner Abhandlung »Die Begisterführung am deutschen Königshofe 4 in 
dieser Zeitschrift 3. Ergbd. S. 223 ff., S. 323 Anm. 3 verwert 1 1 Daß mir 
dies entging, hat seinen Grund darin, daß Seeliger statt des richtigen 
»Rochlinger 4 »Hochburger 4 gelesen hatte. Hingegen berichtige ich meine Lesung 
»an sein selbs 4 in »an seim soldt 4 ; bei dem Kanzlei vermerk, von Seeliger 
»B U€ , von mir »p(ro) ta(xa) 4 gelesen, läßt der graphische Bestand der 
sehr flüchtigen Schrift beides als möglich erscheinen, doch dürfte B te das 
Richtige sein, wodurch jedoch die anderen Taxvermerke und meine daran 
geknüpften Bemerkungen nicht berührt werden. 

Bei diesem Anlaß möchte ich auch bemerken, daß ich leider die Aus¬ 
führungen von Bresslau, Handbuch der U.-L. 2. Aufl. Hl, 99 ft nicht 
mehr berücksichtigen konnte. Der Druck meiner Abhandlung war im De¬ 
zember 1914 vollendet, als Bresslaus 2. Bd. 1. Teil noch nicht erschienen 
war; die Ausgabe des betreffenden Heftes hat sich aber noch lange ver¬ 
zögert 

Wien. Otto H. Stowasser. 




Politische Umwälzungen unter den Slowenen Tom 
Ende des sechsten Jahrhunderts bis zur Mitte des 

nennten. 

Von 

Ludmil Hauptmann. 


L Die awarische Herrschaft 
Als sich die Awaren in der ungarischen Tiefebene niedergelassen 
hatten, standen ihren Baubzügen nach Westen und Südwesten außer 
der Donau zwei Straßen offen: die Drau und mit ihr sich kreuzend, 
der uralte Weg über die mittlere Mur und Sawe an den Isonzo 1 ). 
Da die Slowenen gerade an diesen beiden Heerstraßen saßen, so war 
ihr Los die awarische Knechtschaft Schon 596 kämpften sie daher in 
engster Gemeinschaft mit den Awaren gegen die Bayern 8 ) und auch 
noch 610, als der Chagan durch ihr Land nach Oberitalien zog, 
dachten sie an keinen Widerstand gegen ihre Herrn 8 ). 

Schmid allerdings will, wenigstens für Oberkram, die Herrschaft 
der Awaren nicht gelten lassen. Aus einem Waffenfund im Gräber* 
felde Ton Krainburg schließt er, daß dort einst eine langobardische 
Besatzung gelegen habe und somit Oberkrain den Langobarden gehört 
haben müsse. Das stimme auch sehr gut zu dem, was sich aus den 
•duifüichen Quellen über dieses Land ergebe. Denn da Kram seit 

f) Jung, Römer und Romanen in den Douaaländern 8. 110. — Huber, Ge- 
•dndbte Österreichs I 8. 19. 

*) Ptali Diaeoni Hist. Langob. IVc 10 (M.G. 88. rer. Langob. 8. 120). 

*) Ebenda IVc 37. 

Mittsflanfen XXXYl. 


16 



230 


Ludmil Hauptmann. 


dem dritten Jahrhundert za Italien gerechnet worden sei, so könne 
der „breite und ebene Zugang« Italiens zu Pannonien, von dem Paulas 
Diaconus spricht, nur an der heute steirisch-krainischen Grenze, in 
der Mulde zwischen Gurkfeld und Bann an der Sawe gewesen sein. 
Bis dahin habe der Langobardenstaat gereicht Krainburg wäre dann 
eine Grenzfeste gewesen, bestimmt, awarischen Horden den Weg nach 
Italien zu verlegen. Paulus Diaconus, meint Schmid, erzähle sogar, 
wann die Langobarden ihre Macht bis an die Sawe ausgedehnt hatten. 
Denn unbedenklich könne man das slawische Zellia, das Taso und 
Caco von Friaul nach dem großen Awarensturm von 610 eroberten, 
auf Oberkrain beziehen 1 ). Allein Schmids Auffassung läßt sich 
bündig widerlegen: zunächst durch seinen eigenen Kronzeugen, 
Paulus Diaconus, der die Slawenkriege durchaus nicht als Aufstände 
unbotmäßiger Untertanen, sondern als Einfälle feindlicher Nachbarn 
behandelt 8 ) und dann durch die Worte des ravennatischen Kosmo- 
graphen, der sagt daß die Ausläufer der Alpen, die erst „bei Fianona 
an der Adria endeten«, die Grenze „zwischen Karantanien und Italien, 
zwischen Kram und Italien« gebildet hätten 8 ). Die Gegenüberstellung 
von Krain und Italien und die Grenze, die man nach dieser Ausdrucks¬ 
weise von den Kalkalpen Kämten-Krains zu den Karststufen Istriens 
zu ziehen hat zeigt deutlich genug, daß sich das italische Lango¬ 
bardenreich nur bis an den Westsaum Krains erstreckt haben kann. 
Wäre Krain langobardisch, die Kämpfe der Slawen gegen die Lango¬ 
barden daher Empörungen eines unterworfenen Volkes gewesen, so hätten 
sich auch die Zusammenstöße vor allem in Krain und nicht regel¬ 
mäßig schon jenseits der Karsthöhen in Friaul abgespielt 4 ). 
Selbst die langobardische Sage liefert einen Beweis gegen Schmid. 
Sie berichtet Alboin habe, an der italisch-pannonischen Grenze ange¬ 
langt einen hohen Berg bestiegen und zu seinen Füßen Italien 
gesehen 6 ). Hätten sich, wie Schmid es will, Italien und Pannonien 
wirklich an der Sawe, etwa zwischen Gurkfeld und Bann, berührt so 
hätte Alboin wohl vergeblich einen Berg mit solcher Bundsicht 
gesucht Beichte aber Pannonien bis an den Karstrand Krains, so gab 


*) Schmid, Das Gräberfeld von Krainburg (Mitteilungen des Musealvereins für 
Krain XVIH 8. 82 ff.); ders., Hie Reihengräber von Krainburg (Jahrbuch für Alter¬ 
tumskunde I. S. 65 ff). 

*) Pauli diaconi Hist. Langob. IVc 38, Vc 22 f., VI c 24, c 46. 

8 ) Anonymi Ravennatis Cosmographia (hgg. von Pinder u. Parthey) IVc 37. 

4 ) Mit Ausnahme des Kampfes von etwa 738: Pauli diaconi Hist. Lang. 
VIc 62. 

5 ) Ebenda II c 8. 



Politische Umwälzungen nnter den Slowenen etc. 


231 


es der Gipfel genug, von denen sich Alboin den Blick auf Italien 
verschaffen konnte. Den «ebenen und weiten Zugang von Pannonien 
nach Italien* braucht man deshalb nicht preiszugeben; im Gegenteil, 
man findet ihn vielmehr gerade am Westrande Krains, am Abhang 
des Bimbaumerwaldea, im Wippachtal *). Damit entfallt aber 
der leiseste Anlaß, „Zellia*, das Taso und Caco erobert hatten, mit 
Oberkrain in Verbindung zu bringen. Strakoscb-Graßmann hat ohne¬ 
hin für den vielumstrittenen Barnen eine befriedigende Erklärung 
geboten, indem er Zellia dem heutigen Cegle bei Kormons im Görzi¬ 
schen gleichsetzte 1 ). Das Tiefland am Isonzo mögen Taso und Caco 
unterworfen haben, vielleicht zur Zeit Samos, als Dagobert gegen 
dessen Slawen auch die Langobarden aufbot 8 ); Oberkrain aber war 
nie langobardisch. Wollte man die Waffenfunde von Krainburg unbe¬ 
dingt mit einer langobardischen Besatzung in Zusammenhang bringen, 
so dürfte man höchstens an die Jahre 796—828 denken, in denen 
Krain zur Mark Friaul gehörte 4 ) und sehr gut zur Sicherung des 
Gewonnenen mit kleinen Besatzungen belegt worden sein kann. Wäre 
diese Deutung aber zeitlich wegen des Stiles der gefundenen Waffen 
unmöglich, so müßte man die Funde Awaren oder Slowenen zuweisen, 
für Langobarden oder überhaupt germanische Krieger wäre vor Karl 
dem Großen im slowenischen Krain kein Platz. Aus den Gräberfunden 
läßt sich daher gegen den Bestand der Awarenherrschaft in Krain 
nichts einwenden. Nur über die Art ihrer Herrschaft könnte man 
streiten. 

Man behauptet nämlich gelegentlich, die Slowenen seien den 
Awaren nur lose verbunden gewesen, und beruft sich zum Beweise dessen 
darauf^ daß Paulus Diaconus von Feldzögen der Slowenen berichtet, 
ohne einer Mitwirkung der Awaren zu gedenken. Indem man daraus 
folgert, sie hätten solche Kriege auf eigene Faust geführt, ist man 
wohl gar bereit, die Slowenen mehr als Bundesgenossen denn als 
Knechte der Awaren zu betrachten 6 ). Allein man üliersieht dabei, daß 
die Schriftsteller jener Tage sehr oft Awaren und Slawen nicht unter¬ 
schieden und gelegentlich nur die einen nannten, obwohl sie eigent¬ 
lich beide meinten 6 ). Wer weiß, ob nicht auch Paulus Diaconus in 
den oben berührten Fällen über den slowenischen Massen der 


*) Kos, Gmdivo za zgodovino Slovencev I 8. 66 n. 4. 

•j Strakosch-Grassmann, Geschichte der Deutschen I. S. 319. 
*) Vgl. unten 8. 19. 

«) Vgl. unten 8. 35. 

6 ) Kos, Gradivo za zgodovino Slovencev I 8. XXXV1L 
") Niederle, Slov&nskg starozitnoeti II 8. 209 ff. 



232 


Ludmil Hauptmann. 


awarischen Führer vergessen hatte! Will man jedoch diese Möglich¬ 
keit nicht zugeben, so findet man noch eine zweite Erklärung in 
Paulus Diaconus selbst, der erzählt, 603 hätten die Slowenen mit den 
Langobarden zusammen Cremona belagert, — weil sie der Chagan 
dem König Agilulf zu Hilfe geschickt l ). Denkt man sich 
diese Begründung weg, so hörte man wieder nichts von den Awaren 
und der Best der Nachricht wäre auf einmal ein Zeugnis für die 
Bewegungsfreiheit und Unabhängigkeit der Slowenen, obwohl, wie man 
sieht, die Meldung in Wirklichkeit für ihren Knechtesgehorsam spricht 

Daß die Herrschaft der Awaren gar nicht milde sein konnte, lag 
am Wesen ihres Staates. Sie waren zu rohe Barbaren, als daß sie 
verstanden hätten, ihrem Beiche durch irgend eine Art von Verwaltung 
innere Festigkeit zu verleihen. Ihr einziger Grundsatz war Willkür. 
Nach viehischem Gelüst schaltete der Aware im Hause und in der 
Familie des Slawen, bei dem er mit seinen Herden überwinterte, ohne 
Bedenken trieb er die Unterworfenen Schar um Schar in die Speere der 
Feinde, während er selbst sich schlau im Hintertreffen hielt 2 ). Nur 
dumpfe Ergebung in ein unabänderlich scheinendes Schicksal konnte 
die Unterjochten solche Zustände ertragen lehren. Alles kam daher 
für die Awaren darauf an, diese Willenlosigkeit planmäßig zu züchten. 
Ein Mittel hiefür lassen die Ergebnisse mundartlicher Forschungen 
in Oberitalien erkennen. 

Im äußersten Nordosten Friauls, wo die wilden Kalkmassen der 
Julischen Alpen auf italienischen Boden übergreifen, liegt das Tal der 
Besia, eine Welt für sich. Mächtige Berge, der Monte Kanin und 
seine Genossen, schnüren es so fest ab, daß es nur durch eine enge 
Schlucht am Unterlaufe der Besia mit der Außenwelt Zusammenhänge 
An der slowenischen Mundart dieses Tales hat nun Baudouin de 
Courtenay eine Eigenheit entdeckt, die in keiner indogermanischen 
Sprache vorkommt: das ist, wie er sagt, die „ Harmonie der Vokale« •). 
Sie besteht darin, daß der Selbstlaut der betonten Silbe immer den der 
unbetonten bestimmt. Infolgedessen dekliniert zum Beispiel der 

*) Pauli Diaconi hist. Langob. IV c. 28. 

*) Fredegarii Chronicon üb. IV c. 48 MG. 88. rer. Meroving. II 8. 144): 
Winidi befulci Chunia fuerant iam ab antdquito, ut, cum Chuni in exercitu contra 
gentem qu&libet adgrediebant, Chuni pro caatra adunatum illorum stabant exer- 
ritum, Winidi vero pugnabant: si ad vincendum prevalebant, tune Chuni predas 
capiendum adgrediebant; sin autem Winidi superabantur, Chunorum auxilio fulti 
virebus resumebant. . .. Chuni aemandum annis singulis in Eeclavoe veniebant* 
uxores Sclavorum et filias eorum strato sumebant. 

•) Baudouin-de-Courtenay, Rezija i Rezijane 8. 321 ff. 



Politische Umwälzungen unter den Slowenen etc. 


233 


Resianer statt iena, iene (die Frau): zana, toenoe. Da aber diese 
Erscheinung sonst nur den turanischen Sprachen eigentümlich ist so 
schließt Bandonin mit Recht daß sich hier slawisches und turanisches 
Volkstum vermengt haben muß 1 ). 

Gerade von den Awaren weiß man nun sehr gut daß sie sich 
einst auch in Friaul niederlassen wollten. Als sie nämlich um 663 dem 
Langobardenkönige Grimoald gegen den aufständischen Herzog Lupus 
von Friaul zu Hilfe geeilt waren und den Empörer besiegt hatten, 
weigerten sie sich, Friaul „je wieder zu raumen* *) Zwar machte die 
Klugheit Grimoalds ihren Plan zu Schanden, aber schon ihr Entschluß 
allein zeigt daß sie gewohnt waren, in eroberte Länder Besatzungen 
zu legen. Man hat daher allen Grund, den turanischen Einschlag in 
der Mundart der Resia so zu erklären, daß vielleicht schon 610, als 
der Chagan durch seine Siege über die Langobarden 3 ) den Slowenen 
Wohnsitze in Frianl erkämpft hatte, oder aber bei einem späteren 
ähnlichen Anlaß einzelne Horden der Awaren zur Sicherung des 
Gewonnenen im Lande blieben. Nur war die Zahl ihrer Mitglieder 
offenbar so klein oder schmolz in den Stürmen späterer Zeiten so arg 
zusammen, daß der italienische Slowene in seinem Äußern heute nichts 
von einer Beimischung awarischen Blutes verrät Bloß die Sprache — 
und auch die nur im weltfernsten Winkel, in der Resia, — hat die 
Spuren turanischen Einflusses bewahrt 4 ). 

Was so für Friaul die mundartliche Forschung lehrt das bestätigt 
für Kärnten der Ortsname Heunburg oder, wie er in alten Urkunden 
lautet Hunenburg 6 ). Denn wer diese Hunnen gewesen sein mögen, 
darüber gibt das slowenische Vovbre eindeutig Bescheid, steckt doch 
darin Ober und das heißt Aware 6 ). 

*) Ebenda 8. 325, 338. 

*) Pauli diaconi Hist. Langob. V c. 17. 

*) VgL oben n. 3. 

4 ) Daß man trotz des turanischen Einschlages in der Sprache die Resianer 
nicht mit Fligier einfach für slawisierte Awaren halten dürfe, hat Tappeiner auf 
Grund anthropologischer Untersuchungen festgestellt (Zur*Ethnographie und An¬ 
thropologie der Resianer, Sitzungsberichte der anthropologischen Gesellschaft in 
Wien 1895 S. 67). Das Fehlen tui-kotatarischer Rassenmerkmale und daneben 
doch wieder das Vorhandensein turkotatarischer Spracheigenheiten laßt sich 
aber dann nur durch die obige Annahme eines längeren Zusammenlebens von 
kleinen awarischen Horden mit großen slowenischen Massen erklären (gegen Nied er le 
a. a. O. II. S. 348 n. 1). 

*) Monumenta historica ducatus Carinthiae (Mon. hist. duc. Car.) Bd. II. und 
IV* Register. 

*) Jaksch, Über Ortsnamen und Ortsnamenforschung mit besonderer Rücksicht 
auf Kärnten S. 34. 



234 


Ladmil H&uptm&nn. 


Allein die Awaren begnügten sich nicht damit, die unterjochten 
Völker durch Besatzungen im Zaume zu halten, sondern rissen sie 
überdies von ihrem Heimatboden los und verpflanzten sie in die Fremde x ), 
da sie hofften, dadurch in ihnen desto sicherer jeden Geist des Wider¬ 
standes zu ertöten. Einen Beleg dafür aus ehemals slowenischem 
Gebiete liefert der Name Dudleipa. 

Nachrichten aus dem 9. Jahrhundert erwähnen in Mittelsteiermark: 
einen Ort Dudleipin 8 ) und eine Grafschaft Dudleipa 8 ). Wie ein Ver¬ 
gleich mit rimljanin, blgarin, den slawischen Bezeichnungen ihr 
Börner, Bulgare, dartut, »ist — in“ die Bildungssilbe für die Einzahl 
von Volksnamen, sodaß Dudleipin eigentlich der Dudleipe heißt und 
nur irrtümlich in jenen Nachrichten als Ortsname erscheint Der 
wirkliche Ortname ist mit Hilfe der weiblichen Endung „— a* gebildet 
und lautet Dudleipa. Er bezeichnete zuerst bloß die Zufluchtsstätte des 
Stammes, den »grad*, den sich die Dudleben nach gemeinslawischer 
Sitte im Herzen ihres Landes für die Zeiten der Not geschaffen hatten. 
Erst als dann in karolingischer Zeit das Siedlungsgebiet der Dudleben 
als Grafschaft eingerichtet ward, ging der Name des Hauptortes auf 
den ganzen Bezirk über. 

Merkwürdigerweise wohnten aber Dudleben nicht nur in Mittel¬ 
steier, sondern, wie Dulieb bei Spital an der Drau 4 ) bezeugt, auch 
im westlichen Kärnten. Da es ausgeschlossen ist, daß verhältnismäßig* 
so nahe nebeneinander zwei verschiedene slowenische Stämme 
desselben Namens gesessen haben könnten, so fragt man sich ver¬ 
wundert, woher die beiden grundverschiedenen Lautformen rühren: 
hier das südslawische weiche 1, dort das westslawische dl in Stellver¬ 
tretung des harten 1. Um darüber urteilen zu können, bedarf es eine» 
Abstechers in die Entwicklungsgeschichte der slowenischen Sprache. 


*) Pauli diaconi Hist. Langob. IV c. 37: Den im Jahre 610 gefangenen 
Friaulem versprachen die Avaren »quod eos, unde digressi fiierant, Pannoniae in 
finibus coniocarent. — Menandri Protectoris Fragments c 6 (Historici graeci minores, 
ed. Dindorf H p. 6): Nachdem die Awaren den Führer der Anten erschlagen 
hatten, plünderten sie deren Land >xal o6x ocvitoav ivfipa^oit^o xtvot xal « 

xal <pspovt«^. — Vgl. auch die Verpflanzungen, die die Bulgaren mit den Slawen 
Vornahmen: Schafarik, Slawische Altertümer H. 8. 164. — Niederle a. a. O. II 
8. 407. — JireÖek, Geschichte der Bulgaren S. 129 f. 

*) Conv. Bag. et Garant, c. 11 (MG. SS. XI, 8.12). — Mühlbacher, Regesten 
der Karolinger n. 1444 =» Salzburger Urkundenbuch II n. 21. 

a ) Zahn, Urkundenbuch f. Steiermark 114 = Hauthaler, Salzburger Urkunden¬ 
buch II n. 36 b Mühlbacher, Regesten der Karolinger n. 1868. 

«) Jaksch, Mon. hist. duc. Car. HI S. 132 n. 331 (c. 1C60—1070). 



Politische Umwälzungen unter den Slowenen etc. 


235 


Schon öfter haben slawische Forscher aufmerksam gemacht, daß im 
Slowenischen scheinbar cechische Formen nachweisbar sind und zwar 
die Lautgruppe dl statt 1, die Vorsilbe vy- für iz (-aus)*) und die geo¬ 
graphischen Eigennamen Kum, Kulm und Kulmitz, die anscheinend ein 
cechisches chlum voraussetzen, da dem slowenischen holm nur Kolm 
und Kolmitz entspräche 8 ). 

Beispiele für solche Formen gibt es in Hülle und Fülle. So 
finden sich in Ober- und Mittelsteiermark mehrere Edla und Edlach, 
die ohne Zweifel aus dem öechischen oder, vorsichtiger gesagt, west¬ 
slawischen jedla — die Tanne (slow, jela) abgeleitet sind. Bei Weiz liegt 
ferner ein Dorf Elz, dessen alte Namensform Edlitz deutlich beweist, daß 
Elz aus dem Verkleinerungsworte von jedla, jedlica — die kleine Tanne 
(slow, jelica) entstanden ist 8 ) und selbst tief drunten bei Udine in Friaul 
verrat ein Ortsname Adegliacco durch die urkundliche Überlieferung 
Edilach-Edelac, daß auch er auf jedla zurückgeht 4 ). Dasselbe dl liegt ferner 
im Worte mocidlo vor, das uns aus Matschiedel im Gailtal und Munt¬ 
schiedel bei Frohnleiten entgegenklingt 5 ). Andere Namen bergen wieder 
ein cecbisch anmutendes sedlo, sedlice in sich anstatt des jetzt im Slowe¬ 
nischen gebräuchlichen selo (die Ansiedlung), selice (die kleine Ansied¬ 
lung). Dahin gehören in Tirol Zedlach bei Windisch-Matrei 6 ), in 
Obersteiermark an der Enns Selztal, das noch 1289 urkundlich als 
Cedlize erscheint 7 ) und dann ein Dorf im Görzischen, das zwar nach 
amtlicher Schreibweise Staro selo heißt, im Volksmunde aber noch 
bis in die achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts Staro sedlo 
genannt wurde 8 ). Besonders auffällig häufen sich jedoch Namen dieser 
Art in Kärnten 9 ). Dort gibt es ein: 

Zedl oder Zedlach in der Pfarre Altenmarkt, Bezirksgericht Gurk; 

Zedl bei Silbereg, Bezirksgericht Althofen; 


*) Miklosich, Die slawischen Ortsnamen aus Appellativen. Denkschriften der 
k. Akademie in Wien, Bd. 21, 8. 106 f. Oblak, Kleine grammatische Beiträge 
(Archiv 1 slaw. Philologie, 19. Bd., S. 321, 326). — Herr Univ.-Prof. Dr. R. Nachtigall 
hatte die große Liebenswürdigkeit, den Verfasser bei der Korrektur mit wertvollen 
philologischen Ratschlägen zu um erstützen. Dafür gebührt ihm der wärmste Dank. 

*) Niederle a. a. 0. H 8. 356; ders., Jak daleko seddli Cechov6 na jih? Oa- 
sopis Öesky historicky 1909 8. 74 

•) Zahn, Ortsnamenbuch der Steiermark S. 161, 167. 

«) Jaksch, Mon. hist. duc. i 8. 66 n. 16 (1043), 102 n. 61 c (1131). 

*) Oblak a. a. 0. 8. 321. 

*) Kaemmel, Anfänge deutschen Lebens in Österreich S. 146. 

*) Zahn, Ortsnamenbuch 8. 460. 

•) 8cheinigg, Krajevno ime Selo na Kranjskem, Kres Bd. 2, S. 640. 

•) Zusammengestellt ebenda 8. 639—41. 



236 


Ludmil Hauptmann. 


Zedl in der Gemeinde Radenthein, Bezirksgericht Millstatt; 

Zedl in der Gemeinde Steiufeld, Bezirksgericht Greifenbarg; 

Zedl bei Pfannhof, Bezirksgericht Sh Veit; 

Zedl bei Pisweg, Bezirksgericht St Veit; 

Zedlingerhof bei Maria-Saal, Bezirksgericht St Veit; 

Zedlitzdorf in der Gemeinde Reichenau, Bezirksgericht Feldkirchen; 

Zedlitzberg in der Gemeinde Himmelberg, Bezirksgericht Feldkirchen. 

Da im Slowenischen für selo auch die Form salo möglich ist 
so darf man in diese Liste außerdem noch drei andere Dörfer auf¬ 
nehmen, nämlich: 

Sattendorf (Na Sadl h) am Ossiacher-See; 

Großsatl (Sadlö) in der Pfarre Maria-Gail bei Villach; 

KleinsaÜ (Malo sadlö) in der Pfarre Maria-Gail bei Villach. 

Aber nicht nur in längst erstarrten Ortsnamen lebt die Laut¬ 
gruppe dl fort sondern das slowenische Volk spricht sie noch heute 
sowohl in der westlichen Untersteiermark als insbesonders im Gailtal 
Dort sagt man modliti (beten), vedlo listje (welkes Laub)*), hier 
gebraucht man dl in placidlo (der Lohn), motovidlo (die Haspel) und 
noch in vielen anderen Hauptwörtern. In der tätigen Form des 
Mittelwortes der Vergangenheit aber ist es überhaupt jedem Slowenen 
in Kärnten, Untersteiermark und Oberkrain geläufig, sodaß man zum 
Beispiel nie hören wird „krala je* (sie hat gestohlen), sondern nur 
„kradla je* *). 

Auch die westslawische Vorsilbe vy ist bei den Slowenen noch zu 
verfolgen. Sie kommt in der Resia vor, wo man sagt „sunce vylaza* 
(die Sonne geht auf) 8 ) und auch die Drauslowenen vom Bachem durchs 
Jaun- und Rosental bis an den Ursprung der Gail verwenden das vy, 
indem sie den Frühling vilaz nennen 4 ). Zusammen mit den über 
Steiermark und Kärnten verstreuten Kum, Kulm und Kulmitz 6 ) lehrt 
diese Übersicht, daß im ganzen Nordwesten des slowenischen Siedlungs¬ 
gebietes einst ans Cechische anklingende Mundarten herrschten. 

Niederle möchte diese westslawischen Formen zum Teil auf 
wirklich cechische Kolonien in den slowenischen Alpenländem zurück¬ 
führen. Indem er auf Grund der geographischen Verteilung einiger 
von ihm mitgeteilter Ableitungen ans chlurn und jedla urteilt, daß 

*) So in BQ. Kreuz bei Marburg auf dem Poßruck. 

•) Sämtliche Beispiele aus Oblak, a. a. 0. S. 321 ff. 

•) Baudouin-de-Courtenay, a. a. 0. 8. 276. 

«) Oblak, a. a. 0. S. 327. 

*) Niederle, Jak daleko aedeli Cechovä na jih? Cas. Cesky hist. 1909 S. 74. 
— Zahn, Ortsnamenbuch. 



Politische Umwälzungen unter den Slowenen etc. 


237 


Ortsnamen dieser Stämme in Kärnten und Krain gefehlt hätten, stellt 
er es als sehr wahrscheinlich hin, „daß ein Keil cechischer Siedlungen 
von der Donau zwischen Enns und Leitha über Wiener-Neustadt bis 
an die Mürz und Mur, ja sogar bis an die Drau gereicht habe“ *). Doch 
es ist leicht einzusehen, daß diese Annahme auf irrigen Voraussetzungen 
beruht Denn 1. wissen wir schon aus unseren früheren Ausführungen, 
daß sich die mit chlum und jedla gebildeten Namen gar nicht auf 
Steiermark nördlich der Drau beschränkten — man findet sie vielmehr 
auch in Kärnten, sogar in Friaul 2 ) — und 2. müßte, wer Bezeich¬ 
nungen wie Edlach, Kulm und deren Verwandte auf oechische Sprach¬ 
inseln bezieht, folgerichtig auch alle anderen westslawischen Formen 
mit alten Cechensiedlungen in Verbindung bringen. Er könnte diesem 
Schlüsse nur dann ausweichen, wenn es ihm gelänge darzutun, daß das 
dl wohl in Edlach aus cechischem Munde stamme, nicht aber zum 
Beispiel auch in einem Zedlach. Da jedoch ein solcher Beweis unmöglich 
und undenkbar ist, so dürfte man nicht mehr bloß von cechischen 
Sprachinseln reden, sondern könnte nicht umhin, über Niederle hin- 
ausgehend, aus der weiten und gleichmäßigen Verbreitung nordslawischer 
Formen in den Alpenländem auf ein zusammenhängendes cechisches 
Sprachgebiet zu schließen. D. h. die Vorfahren der heutigen 
Slowenen in Kärnten, Steiermark und Oberkrain wären 
dann echte Cechen gewesen, die erst durch das Vor¬ 
dringen deutscher Siedler längs der Donau die Verbin¬ 
dung mit ihren Brüdern in Böhmen verloren hätten und 
dem Südslawentum überantwortet worden wären. Allein 
dem widerspricht wiederum sehr bestimmt der innere Bau des Nordwest¬ 
slowenischen, der vom Cechischen stark ab weicht. Die lautliche Ver¬ 
wandtschaft beider Sprachen ist daher nicht aus der cechischen Her¬ 
kunft der Alpenslawen zu erklären, sondern daraus, daß bei der Aus¬ 
wanderung der Slowenen aus ihrer hinterkarpatischen Heimat ihr 
westlicher Flügel in inniger Fühlung mit den Cechen blieb und so 
das alpenländische Slowenisch naturgemäß das Bindeglied zwischen dem 
Cechischen und Südslawischen wurde 8 ). 

Wie man nun aus Gegenden weiß, deren Bewohner das einst 
nachweislich dort heimische dl längst nicht mehr kennen, gingen und 
gehen die westslawischen Formen in den Alpenländem ständig zu Gunsten 

*) Niederle, 81ovansk6 starazitnoeti II S. 354, 356. — Den., Jak daleko sedeli 
Cechovä na jih? 8. 75. 

*) Vgl. oben 8. 235. 

*) Vgl. Oblak, a. a. 0. S. 328. 



238 


Ludmil Hauptmann. 


der sQdslawischen zurück x ). Diese Tatsache verlangt besondere Beach¬ 
tung. Denn durch sie gewinnen wir einen neuen Gesichtspunkt zur 
Beurteilung der Dudlebenfrage, zwingt sie uns doch zu überlegen, ob 
nicht auch das kämtnerische Dulieb einst Dudleipa geheißen habe, 
d. h. nur die südslawische Umbildung einer früher gebräuchlichen 
westslawischen Urform sei Da Dulieb ohnehin erst zwischen 1060 und 
1070 genannt wird, das steirische Dudleipin dagegen zum letzenmale 
um 980 in einer Urkunde Ottos II. erscheint 2 ), so wäre auch ein 
zeitlicher Zwischenraum von etwa hundert Jahren vorhanden, innerhalb 
deren man sich die Umwandlung ins Südslawische vollzogen denken 
könnte. Trotzdem ist das Ganze nur eine luftige Annahme. Das 
älteste und einzige Beispiel aus dem ganzem Mittelalter, das man 
bisher für die Vereinfachung von dl zu 1 anzuführen wußte, war die 
aus dem Jahre 1289 überlieferte Form Jelonig für Jedlonig, einen Ort 
nordwestlich von Marburg 3 ). Daß sie gut zweihundert Jahre jünger ist als 
unser Dulieb, schon das mahnt zur Vorsicht gegen jene Vermutung. Nichts 
desto weniger wollen wir den Übergang Dudleipa-Dulieb zunächst noch 
als möglich annehmen. 

Nun gibt es aber im Gebiete des Nordwestslowenischen echt süd¬ 
slawische Formen schon aus einer Zeit, da an einen solchen Übergang 
noch nicht zu denken ist. In Oberkrain wird ein Zelsach schon 
973 erwähnt 4 ) und für Kärnten ist derselbe Name gar noch viel früher 
bezeugt. Denn das Zulszach, das eine Urkunde von 898 bringt 5 ), verrät 
durch seine später belegten Formen Zelsach 6 ) sehr deutlich, das es sich 
trotz des u gleich dem krainischen Zelsach aus dem südslawischen selice 
entwickelt hat Ein westslawisches sedlice wäre in die Urkunde höchstens 
als Zedelsach oder Sediltzach 7 ) übernommen worden. Ist aber das 
kärtnerische Zulszah, das krainische Zelsach von Haus aus südlawisch, 
so könnte es vielleicht Dulieb doch ebenfalls sein? Der einen Mög¬ 
lichkeit, Dulieb für eine jüngere Bildung aus westslawischer Wurzel zu 


*) Ebenda S. 321. 

*) Mon. Germ. DD. II S. 319 n. 275. 

*) Obl&k, a. a. 0. S. 321. 

4 ) Mon. Germ. DD. II 8. 56 n. 47. — Zahn, Cod. dipl. Austro-Fris. I 8. 36 
n. 37 (Font. rer. austr. dipl. Bd. 31). — Schumi, Urkunden und Regest, f. Kr.iin I 
8. 10 n. 8. 

») Jaksch, Mon. hist. duc. Car. I 8. 42 n. 4. 

•) Ebenda I 8. 94 n. 68 (1130), 170 n. 214 (1160), 264 n. 354 (1192), 272 
n. 369 (1197), 275 n. 373 ^1199) u. s. w. 

7 ) Gerade für Zeltschach ist auch diese westslawische Form urkundlich belegt: 
Mon. hist. duc. Car. I S. 65 n. 23 (1060—1088), 85 n. 40 (1106), 133 n. 138 
(1146), 167 n. 193 I (c. 1166), 44 n. 6 (1172—1176). 



Politische Urnwfilxtmgen unter den Slowenen etc. 


239 


halten, tritt so die zweite an die Seite, daß die Form Dalieb eine 
ursprüngliche, nicht erat nachträglich südslawisierte sei» Welche 
Anschauung richtig ist, erkennt man, wenn man die sprachlichen Ver¬ 
hältnisse in der Nachbarschaft von Dalieb untersucht. 

Man wird da gewahr, daß dieser Ort am Bande eines weiten 
kroatischen Siedlungsgebietes lag. Nach Urkunden des 10. Jahr¬ 
hunderts gab es nämlich in Kärnten einen eigenen Kroatengau 1 ). 
Zwar erfahrt man nichts über seine Grenzen und auch die Dörfer, die 
in ihm genannt werden, erscheinen auf einen so kleinen Baum west¬ 
lich Ton St Veit an den Glan zusammengedrängt, daß man sich dar¬ 
aus vom Umfange des Gaues keine Vorstellung machen kann. Trotz¬ 
dem ist es gewiß, daß sich die Kroaten sehr weit verbreitet haben 
müssen, sonst träfe man nicht ein Kraut, einst Chroat 8 ), bei Millstatt, 
je ein Krabathen bei Eberatein, Feldkirchen und Klagenfurt und ein 
Kraubath sogar jenseits des Neumarktes Sattels im oberen Murtal. 

Man sollte erwarten, daß ein solcher Zuschuß rein südslawischen 
Volktoms die westslawischen Laute in diesen Strichen besonders früh habe 
verstummen lassen. In Wirklichkeit ist jedoch davon nichts zu 
spüren. Namen wie Zedl, Zedlitzberg, Zedlitzdorf, Kulm lebten hier 
ruhig fort, noch dazu, was verblüffend ist, in der Nahe kroatischer 
Siedlungen. Zedlitzberg liegt neben einem Krabathen, Kulm bei 
Eberstein neben einen zweiten Krabathen und Kulm bei Ebemdorf 
nicht weit von Sielach, dem alten Zelach 8 ), dem man die südslawische 
Lautgebung sofort ankennt; denn wäre die Grundform des Namens 
westslawisch gewesen, so hätte der Ort in den Urkunden Zedlach ge¬ 
heißen. 

Unsre oben noch als möglich hingestellte Annahme, Dulieb sei 
aus einem alten Dudleipa hervorgegangen, ist durch diese Zusammen¬ 
stellung wohl endgiltig abgetan. Denn wenn das Südslawische selbst 
im Heizen des kroatischen Siedlungsgebietes zu schwach war, um west¬ 
slawische Formen rasch aufzusaugen, dann konnte es an der Grenze 
des Kroatenlandes — und Dulieb lag ja im äußersten Westen — dazu 
erat recht nicht fähig sein. Wie wenig man von sprachlichen 
Eroberungen des Kroatischen in Kärnten zu halten hat, dafür nur noch 
ein schlagender Beweis. Bei Friesach liegt das Dorf Zeltschach. In 
der schon erwähnten Urkunde von 898 heißt es Zulszah, d. i. das 

südslawische Zeis ach. [n der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts 

- 

*) Ebenda m 8. 46 n. 115 (964), 8. 60 n. 126 (961), 8. 62 n. 149 (979) ' 

*) Ebenda Hl 8, 140 n. 352 (c. 1066—c. 1076), 8. 143 n. 360 (c. lf 
c. 1076). 

•) Ebenda m 8. 216 n. 636 (1106). 



240 


Ludmil Hauptmann. 


und dem folgenden zwölften jedoch erscheint derselbe Name öfter in 
der westslawischen Form Zedelzah, Sedelsah! 1 ) 

Nicht westslawische Formen haben sich also hier frühzeitig in 
südslawische verwandelt, sondern umgekehrt waren diese sogar noch 
im 12. Jahrhundert in Gefahr, von jenen verdrängt zu werden. Der 
Grund dafür konnte nur der sein, daß sich im Klagenfurter-Becken die 
Massen des durch westslawische Eigenheiten entstellten Nord westslowe¬ 
nischen bedienten und nur eine dünne Volksschicht in südslawischen 
Lauten redete. 

Der Ertrag unsrer sprachgeschichtlichen Darlegungen besteht somit 
darin, daß man Dulieb nicht als Umbildung von Dudleipa, sondern 
als Urform anzuerkennen hat Damit ist aber das Rätsel Dulieb- 
Dudleipa auch schon gelöst Denn man braucht sich nur zu erinnern, 
daß es ja noch an zwei Stellen in der weiten slawischen Welt Stämme 
dieses Namens gab: in Südböhmen die Dudlebi und am galizischen 
Bug die Duljeben 2 ). Stellt man sich dann die geographische Lage 
der vier Duljebengebiete vor und beachtet man namentlich die paar¬ 
weise Cbereinstimmung der Namensformen im Osten und Westen: Dul- 
jeby-Dulieb, im Norden und Süden: Dudlebe-Dud * eipin, so wird es 
klar, daß alle Duljeben aus den Niederungen des Bug stammen. Nor 
wurden ihr Name in Böhmen und Steiermark westslawisiert, während 
er 8i ch in Kärnten rein erhielt, weil dort der kroatische Einschlag die 
sprachliche Aufsaugung hemmte. 

Man kennt keinen Stamm der Völkerwanderungszeit, der sich 
freiwillig über so riesige Flächen und in so kleinen Verbänden wie 
die Duljeben zerstreut hätte; im Gegenteil, aus der Entstehungs¬ 
geschichte der germanischen Stämme weiß man, daß in wilden Zeiten 
der Selbsterhaltungstrieb gerade Zusammenfassung aller Kräfte gebietet 
Zersplitterung, darf man daher sagen, setzt Gewalt voraus; die aber 
kann, wie die Dinge einmal liegen, nur von den Awaren ausgegangen 
sein. Sie müssen den Daljebenstamm zerschlagen und seine Trümmer 
hierhin und dorthin verpflanzt haben. 

Diese Schlüsse werden nun auch durch verschiedene Schriftsteller 
gestützt, deren Worte sich gegenseitig aufs Beste ergänzen« Wir 
beginnen mit Mas’udi, einem arabischen Gewährsmanne des 10. Jahr¬ 
hunderts. Der schreibt: 8 ) 

„Inter den slawischen Nationen gibt es eine, bei der vor alters 
im Anfänge der Zeit die Herrschaft stand. Ihr König wurde Magak 

*) Vgl. oben 8. 238 n. 7. 

*) Marquart, Osteuropäische und oetasiatische Streifzüge S. 126. 

*) Marquart, a. a. 0., S. 101 ff. 



Politische Umwälzungen unter den Slowenen etc. 


241 


genannt Diese Nation heißt Walinjana und ihr pflegten vor alters 
die übrigen Slawenstamme zu gehorchen*. 

Im Anschluß an diese Stelle zahlt nun Mas’udi die slawischen 
Stamme auf, darunter die Öechen, Mährer, Kroaten und die Slawen von 
Braniöevo; dann fahrt er fort: 

»Die Slawen bestehen aus vielen Völkern und ausgebreiteten 
Abarten, deren Beschreibung und Einteilung vorliegendes Buch nicht 
zu Ende führen will. Die Geschichte von dem Könige, dem ihre 
Könige sich in alter Zeit fügten, cL i von Magak, dem Könige der 
Walinjana, haben wir schon vorausgeschickt Dieses Volk, das zu den 
Slawenstämmen reinsten Blutes zahlt war unter ihnen hocli geehrt 
und konnte sich auf alte Verdienste unter ihnen berufen. Hierauf trat 
Uneinigkeit ein, ihre Organisation hörte auf und ihre Nationen 
schlossen sich (einzeln) zusammen; jede Nation machte einen König 
über sich, nach der Anzahl ihrer Könige, die wir erwähnt haben, aus 
Ursachen, deren Erzählung zu lang wäre*. 

Marquart hat gestützt auf Nestors Chronik, bemerkt daß Wolynjane 
der jüngere Name für die russischen Duljeben war, die am Bug saßen 
und zu dem großen Volke der Anten gehörten x ). Da es infolgedessen 
schon geographisch undenkbar ist daß sie, wie man nach Mas’udi 
vermuten könnte, auch über die Öechen und die Slawen des West¬ 
balkans geherrscht hätten, so bleibt als möglicher Kern von Mas’udis 
Bericht nur die Annahme übrig, die Duljeben hätten sich vor alters 
ein Großreich unter den Anten geschaffen, das aber wieder zugrunde¬ 
gegangen sei. 

Damit stimmt dann recht gut die bekannte Stelle bei Nestor 
überein, wo es heißt: 

»Die Awaren unterwarfen sich im Kampfe gegen die Slawen die 
Duljeben und taten ihren Weibern Gewalt an. Wenn ein Aware 
irgend wohin zu fahren hatte, so ließ er weder Pferd noch Stier an¬ 
spannen, sondern ließ drei, vier oder fünf Weiber an sein Fuhrwerk 
schirren und sich von ihnen fahren. Also quälten sie die Duljeben* *). 

Arbeitet man Nestors und Mas’udis Nachrichten ineinander, so 
glaubt man auf einmal, nicht nur zu verstehen, wie das Duljebenreich 
unterging, sondern auch wann und warum. Denn dann urteilt man 
folgendermaßen: 

So lange ein großes Antenreich bestand, war den Awaren der Weg 
über die Karpathen nach Ungarn verlegt Wollten sie dahin, so 


*) Ebenda 8. XXXVI und 146 f. 

9 ) lüklosich, Chronica Nestoris 8. 5 f. 



242 


Ludmil Hauptmann. 


mußten sie um jeden Preis trachten, dieses Hindernis zu zerstören. 
Als ihnen das — man setzt voraus, nach erbitterten Kämpfen — 
endlich gelungen war, ließen sie ihre Wut gerade an denen aus, die 
die Stämme der Anten zu gemeinsamem Widerstande zusammengefaßt 
hatten und das waren die Duljeben. Der Beginn der awarischen Herr¬ 
schaft über dieses Volk fiele dann zwischen 558 und 563, — nicht 
früher, da die Awaren erst 558 Nachbarn der Anten geworden 1 ), 
nicht später, da der Raubzug der Awaren nach Ungarn von 563 den 
Fall des Duljebenreiches zur Voraussetzung hat 2 ). Ohne ihn wären 
die Karpathenpässe nach wie vor gesperrt geblieben. 

Es ist mißlich, daß sich diese weitgehenden und bestechenden 
Schlüsse vorerst nur auf zwei, noch dazu imdatierte Nachrichten 
gründen, zwischen denen die Phantasie allein die Brücke geschlagen 
liai Wir kämen daher nie über Wahrscheinlichkeitsrechnungen hin¬ 
aus, wenn wir nicht eine byzantinische Quelle zum Vergleiche heran¬ 
ziehen könnten. Aus Menander erkennt man nämlich, daß um 558, 
als die Awaren noch in Südrußland hausten, die Anten zum Unter¬ 
schied von den übrigen Slawen eine gewisse politische Einheit unter 
Mezamer, dem vornehmsten ihrer Häuptlinge bildeten 8 ). Der Eindruck 
dieser wenn auch gewiß lockeren Reichsschöpfung mitten im staaten¬ 
losen Völkergewimmel des Ostens war so nachhaltig, daß Mezamers 
Name in der Form Bezmer sogar in die bulgarische Fürstenliste über¬ 
ging 4 ). In der Tat war die Macht seines Antenbundes groß genug, 
um längere Zeit die awarische Flut zu stauen. Erst als die Awaren 
Mezamer, der als Gesandter zu ihnen gekommen war, ohne Scheu vor 
dem Völkerrecht ermordet hatten, überwanden sie sein führerloses Volk 
und „ seither, sagt Menander, hörten sie nicht auf, die Anten zu 
knechten und nach allen Richtungen zu verschleppen* ß ). 

Zu unsrer Genugtuung finden wir hier Punkt für Punkt die oben 
geäußerten Vermutungen durch Menander bestätigt. Es gab also 
wirklich so etwas wie einen Antenstaat, den die Awaren nach 558 ver¬ 
nichteten, nachdem sie den Häuptling des führenden Stammes aus dem 
Wege geräumt hatten. Ja, selbst die Herrschemamen stimmen bei 
Mas'udi und Menander überein. Denn Magak ist nichts anderes als 
der Kurzname für Mezamer, ähnlich gebildet wie Misaco aus Mistislav. 

*) Menandri Protectoris Fragments cap. 2—3 (Dindorf, Historici graeci 
minores II.). 

*) Marquart a. a. 0. 8. 147. 

*) Menandri Protectoris Fragments cap. 6. 

4 ) Marquart, Chronologie der alttürkischen Inschriften 8. 78. 

*) Menandri Protectoris Fragments cap. 6. — VgL oben S. 234 n. l. 



Politische Umwälzungen unter den Slowenen etc. 


243 


Wir schließen daher mit der Einsicht, das Mezamer derselbe war 
wie Magak, nämlich der Fürst der Duljeben 1 ). 

Nun aber erinnere man sich: ans Mas’udi-Nestor-Menander ist 
bekannt, daß nach Mezamers Tode die Angehörigen des Duljebenstaates 
von den Awaren verschleppt wurden, ans Ortsnamen aber wissen wir, 
daß es später in Mittelsteiermark und Kärnten Duljeben gab. Beide 
Tatsachen verlangen gebieterisch nach Verknüpfung, die aber kann 
nur ergeben, daß die Awaren um 560 Duljeben aus ihrer Heimat mit 
sich fortschleppten und ihnen nach dem Abzug der Langobarden aus 
Pannonien in den Alpenländem Sitze anwiesen. Hier inmitten fremder 
Slawen schienen sie ihnen nicht mehr gefährlich. 

Unsre Untersuchungen über die Ortsnamen Dudleipa-Dulieb geben 
also, gleichviel ob sprachgeschichtlich, ob quellenmäßig geführt, die 
Gewißheit, daß auch auf slowenischem Boden die Awaren durch Ver¬ 
pflanzungen dafür sorgten, ein Völkerchaos zu schaffen, damit die 
unterjochten Slawenmassen, jedes Gefühls der Zusammengehörigkeit 
bar, unfähig wären zu gemeinsamer Erhebung und in dumpfem Gleich¬ 
mut auch die ärgste Knechtschaft ertrügen. 

Allein die Natur des slowenischen Siedlungsgebietes läßt uns ver¬ 
muten, daß zum Glück die awarische Herrschaft trotz aller Gewaltmittel 
nicht überall gleichfest begründet gewesen sei, daß sie namentlich in 
Kärnten schwächer ge wurzelt habe als irgendwo anders. Denn wir 
dürfen mit sehr viel Wahrscheinlichkeit annehmen, daß die Awaren 
hier nur selten in größeren Scharen erschienen seien. Was hätte sie 
auch reizen sollen, allzu oft längs der Drau auszuschwärmen und in 
Kärnten den Herrn zu zeigen? Wirtschaftlich hatte ja dieses Land 
für sie sehr wenig Wert Denn im Sommer waren ihre Herden ohnehin 
in den Steppen Ungarns versorgt im Winter aber werden sich die 
Awaren gehütet haben, Kärnten aufzusuchen, weil bei der eisigen Kälte 
des schneereichen Klagenfurter Beckens ihr Vieh Monate lang ohne 
Scharrfutter geblieben wäre und die plumpe Wirtschaftsform der slawischen 
Knechte auch nicht darnach angetan war, im Sommer so viel Heu zu 
beschaffen, daß es im Winter außer filr die awarischen Besatzungen 
auch noch für große Horden mit zahlreichem Vieh gereicht hätte. Es 
bliebe mithin nur die Möglichkeit offen, daß Kärnten wenigstens als 
Durchzugsland nach dem Westen den Awaren wertvoll gewesen sei. 
Allein auch dieser Gedanke ist aus verschiedenen Gründen abzulehnen. 
Vor allem war der riesige Drauwald an der steirisch-kärtnerischen 


*) Marquart, Osteuropäische Streifzüge S. 147. 



244 


Ludmil Hauptmann. 


Grenze l ) und dasenge Durchbruchstal zwischen Bachern und Poßruck dem 
Fortkommen großer Beitermassen nicht günstig. Dann aber mußte 
ein Vorstoß längs der Drau den Awaren auch zwecklos erscheinen* 
weil die Draustraße eine Sackgasse war, die nur in die Alpenwildnis 
Tirols hineinführte und daher keine Aussicht auf Beute bot Ungleich 
wichtiger war ohne Zweifel für die Awaren die Linie nach dem Süd¬ 
westen. Hier konnten sie nicht nur bequem der Römerstraße folgen, 
die vom Plattensee über Pettau, Cilli und von dort über Laibach und 
den Birnbaumer Walde ins breite Wippachtal ging, sondern hier waren 
sie auch sicher, unterwegs, im klimatisch günstigeren Laibacher- 
Becken, Winterquartiere und am Ziel, in Italien, ein reiches altes 
Kulturland zu finden. 

Dem Naturzwang, den diese Richtung auf die Völker Pannoniens 
übte, waren vor den Awaren Hunnen, Goten und Langobarden erlegen *)* 
derselbe Zwang trieb später auch die Magyaren so oft durch Kram 
an den Po, daß bis ins 11. Jahrhundert der Ausläufer der pannonischen 
Straße in Friaul geradezu .Ungarnweg“ hieß 8 ), ja, daß sich noch heute 
ein Ort bei Görz bezeichnenderweise »Vograko* (Ungamdorf) 4 ) nennt. 
Die nämliche Politik, in deren Dienst die Awaren Jahre lang mit 
den Byzantinern um Sirmium rangen 6 ), mußte ihnen raten, auch 
Untersteiermark-Krain in straffer Abhängigkeit zu halten. Denn der 
Besitz dieser Ausfallstore im Osten und Westen machte den Chagan 
der Awaren zum Herrn der reichsten Lander Europas, stand es doch 
dann in seinem freien Belieben, bald Ostrom, bald Italien zu plündern. 
Oder sollten die Awaren für solche Vorteile keinen Sinn gehabt 
haben? Wenn doch, dann trugen die Kosten einer solchen Politik 
im Westen die Slawen von Untersteier und Krain, die nur zu oft 
awarmche Horden bei sich zu Gaste gesehen haben werden und dann 
waren die Slowenen an der Sawe auch geradezu vorherbestimmt, 
besonders lange und nachdrücklich die volle Wucht des awarischen 
Druckes auf sich zu fühlen. 

*) Die Bedeutung des Drauwaldes ab Grenzscheide erhellt auch aus der eben 
durch ihn gerechtfertigten Bezeichnung »marchia transsylvana« für die Gegend von 
Grams ob Marburg: Krones, Verfassung und Verwaltung der Mark und des Herzog¬ 
tums Steier, Forschungen zur Verfassung»- und Verwaltungsgeschichte der Steier¬ 
mark Bd. I S. 26. 

*) Schmidt, Allgemeine Geschichte der germanischen Völker S. 82, 94. 

•) Mon. Germ. DD. I S. 466 n. 341 (967). Bresslau, Jahrbücher des deutschen 
Reiches unter Eonrad 1L Bd. I., S. 485 n. 3 (1028). 

«) Kos a. a. 0., Bd. n S. LI. 

*) Menandri Protectoris Fragments c. 63—64. 



Politische Umwälzungen unter den Slowenen etc. 


245 


Wir leiten dies aus rein geographischen Erwägungen ab. Nach 
den folgenden Zeilen möge man entscheiden, ob diese geographischen 
Vermutungen wenigstens durch die Ereignisse nach dem Sturz der 
awarischen Macht gerechfertigt werden. 

IL Die Zeit Samos. 

Schlag auf Schlag ging im ersten Drittel des 7. Jahrhunderts das 
Unglück über die Awaren nieder. Kroaten und Serben vernichteten 
deren Macht im westlichen Teil der Balkanhalbinsel 1 ), siegreich wies 
Konstantinopel 626 die Stürme des Chagans ein für allemal ab 8 ) und 
wie sich im Westen ein freier Slawenstaat unter dem Franken Samo 
erhob*), so ergriff im Osten Kubrat, der Chan der Unugundur-Bulgaren 
Bessarabiens, die Gelegenheit, um das awarische Joch zu zertrümmern 4 ). 

Während der inneren Wirren, die diesem Zusammenbruch folgten, 
flohen 9000 pannonische Bulgaren vor den Awaren nach Bayern. Als 
man aber dort auf Befehl des Frankenkönigs Dagobert meuchlings 
über sie herfiel, retteten sich 700 unter der Führung Alzioks in die 
„Wendenmark* des Fürsten Walluk 6 ). Von hier wanderten sie dann 
zu den Langobarden und gründeten sich in den Abruzzen eine 
neue Heimat 6 ) 

Die Lage und politische Stellung dieses Slawenstaates ist klar. 
Denn daß die Bulgaren vor Bayern und Awaren bei Walluk Schutz 
fanden, beweist die Unabhängigkeit seines Reiches und daß die 
„Windische Mark* am Wege von Bayern nach Oberitalien lag, 
gestattet mit Sicherheit den Schluß, daß das obere Drautal zu ihr 
gehörte. Hie*, hatten sich also die Slowenen beim jähen Sturz der 
awarischen Macht ihrer Zwingherrn entledigt 

Allein die Geschichte von der Flucht der Bulgaren läßt nur den 
Mindestumfang des befreiten Slowenenlandes erraten, verhehlt jedoch, 
ob sich in diesem Staate nicht etwa gar alle Slowenen zum Kampfe 
gegen die Awaren zusammengeschlossen haben. Die Antwort auf diese 
Frage holte man sich lange Zeit aus Fredegar und der Convendo, die beide 
teils mittelbar, teils geradeaus sagen, daß König Samo auch über 
die Karantaner geherrscht habe. Indem man diese Angabe mit der 

i) Dfimmler, Über die älteste Geschichte der Slawen in Dalmatien (8itz.-Ber. 
d. k. Ak. d. Wies, in Wien Bd. 20, 8. 353). 

*) Jirefek, Geschichte der Bulgaren S. 91. 

*) Fredegarii Chronicon lib. IV cap. 48. 

«) Marquart a. a. O. 126, 194. 

*) Fredegarii Chronicon IV cap. 72. 

*) Pauli Diaconi Historia Langob. V cap. 29. 


17 



246 


Ludmil Hauptmann. 


Nachricht über Walluk verband, folgerte man, die .Windische Mark« 
sei Karantanien gewesen und Walluk daher ein Fürst der Karantaner, 
der gegen die äußeren Feinde Anlehnung an Samo gesucht habe *). 

Gegen ( diese Auffassung wurden nun quellenkritische Bedenken 
laut, die schließlich so weit gingen, daß man Samos Karantaner-Herr- 
schaft ins Beich der Fabel verwies. Der Awarenbezwinger, den man 
früher allgemein als Oberherm eines großen Slawenbundes vom Erz¬ 
gebirge bis in die südlichen Alpen angesehen hatte, mußte es sich 
auf einmal gefallen lassen, daß ihn Goll in den bescheidenen Bang 
eines Öechenbefreiers erniedrigte *). Damit nicht genug, bestritt man 
schließlich auch dies. Denn da man über die Sitze der von Samo 
beherrschten Slawen nichts unmittelbar aus den Quellen erfuhr, so 
machte man sich daran, sie durch Kettenschlüsse festzustellen. Man 
überlegte: 631 unternahm Dagobert mit drei Heeren, darunter einem 
fränkischen und einem alemannischen, einen Angriff auf* Samo. Nach¬ 
dem dieser Zug zum Teil mißglückt war, brach Samo wiederholt in 
Thüringen verheerend ein und bewog den Sorbenfürsten Derwan zum 
Anschluß. Aus diesen Angaben schloß man, daß Samo Nachbar der 
Franken, Alemannen, Thüringer und Sorben gewesen sei und trachtete 
nun, nach solchen geographischen Beziehungen die Lage seines Beiches 
zu bestimmen« Das führte endlich dazu, daß es Nemecek an die 
Grenze Thüringens 8 ), Peisker nach Oberfranken verlegte 4 ), beide aber 
Samo als Herren der Öechen entthronten und nur zum Häuptling 
eines kleinen Slawengaues im Deutschen Mittelgebirge machten. 
Macht man sich diese Ansicht zu eigen, hält man also alles für 
Täuschung, was Fredegar und die Conversio über Samos Karantaner- 
Herrschaft scheinbar sagen, so gibt man aber auch den einzigen 
quellenmäßigen Beleg dafür preis, daß sich zu Beginn des 7. Jahr¬ 
hunderts alle Karantaner von den Awaren befreit hätten und man 
müßte unter solchen Umständen sofort gestehen, über die Beziehungen 
beider Völker zueinander von Samos Zeit bis in die Mitte des 8. Jahr¬ 
hunderts überhaupt nichts zu wissen. 

*) Kaemmel, Die Anfänge deutschen Lebens in Österreich 8. 185 f. 

*) Goll, Samo und die karantanischen Slawen; Mitteilungen des Instituts für 
Österreiche Geschichtsforschung Bd. 11 S. 443 ff. 

•) Nömeßek, Das Reich des Slawenfürsten Samo. Jahresbericht der Landes¬ 
oberrealschule in Mährisch-Ostrau 1905/6. — Stur, Die slawischen Sprachelemente 
in den Ortsnamen der deutsch-österreichischen Alpenländer, (Sitzungsber. d. k. 
Akad. d. Wiss. in Wien phil.-hist. Kl. Bd. 176, S. 14 ff.) schließt sich den Aus¬ 
führungen NömefekB glatt an. 

4 ) Peisker, Neue Grundlagen der slawischen Altertumskunde S. 8. 



Politische Umwälzungen unter den Slowenen etc. 


247 


Allein, ist diese gänzliche Abkehr yon den geschriebenen Qnellen 
begründet? Ist die Art der Kritik, die zu so grenzenlosem Mißtrauen 
geführt hat, auch methodisch einwandfrei? Um darüber zu ent¬ 


scheiden, stellen wir zunächst 
zusammen: 

Conyersio cap. 4. 

Temporibus - Dagoberti Samo no¬ 
mine quidam Sclavus manens in 
Qnarantanis fuit duz gentis illiua. 
Qui yenientes negotiatores Dago¬ 
berti regia interficere iuasit et 
regia ezpoliayit pecunia. Quod 
dum conperit Dagobertus rex, misit 
ezereitum suum et damnum quod 
ei idem Samo fecit, yindicare iuasit 
Sieuti fecerunt, qui ab eo miaai sunt 
et regia servitio subdiderunt illos. 


die umstrittenen Quellenabschnitte 
Fredegar. 

cap. 48: Anno 40. regni (623) 
Chlotariae homo nomen Samo na- 
txone Francua de pago Senonago plures 
secum neguciantes adcivit, ezercendum 
negucium in Sclavos coinomento Wi- 
nedos perrezit... 

cap. 68: Eo anno (631) Sclavi 
coinomento Winidi in regno Samone 
neguciantes Francorum cum plure 
multetudine interfecissent et rebus 
ezpoliassint, haec fuit initium 
scandali inter Dagobertum et Samo- 
nem .. . Dagobertus . . . iubet de Uni¬ 
versum regnum Austrasiorum contra 
Samonem et Winidis movere exer- 
citum; ubi trebus turmis falange 
super Weneduö ezercitus ingreditur, 
etiain et Langobardi solucione Dago¬ 
berti idemque osteleter in Sclavos 
perrixerunt Sclavi his et olies locis 
e contrario preparantea, Alamannorum 
ezercitus cum Crodoberto duci in 
parte qua ingressus est, victuriam 
optenuit Langobardi idemque victu¬ 
riam optenuerunt Austrasiae vero. •. 
ad Castro Wogastisburc ... triduo pri- 
liantes .. . fogaceter ... ad propries 
8edebus revertuntur. 


Da die Conversio nach ihren eigenen Worten ältere Quellen ver¬ 
wertet hat, so genügt die Übereinstimmung der gesperrt gedruckten 
Wörter, um zu erkennen, daß der Salzburger Schreiber hier Fredegar 
benützt hat Unsicher ist nur, wie stark. Goll, der diese Überein- 
Anmung zuerst aufgedeckt hat, meint, in Karantanien habe man von 
Samo überhaupt nichts gewußt; was die Conversio über ihn bringe, sei 
ausschließlich aus Fredegar geschöpft *)• »Denn durch die Verbindung 
Samos mit den karantanischen Slawen sollte deren Zugehörigkeit zum 
fränkischen Reiche und damit zur Salzburger Kirche bewiesen werden. 


17* 


f) Goll a. a. 0. S. 444. 



248 


Ludmil H anp t mann. 


Deshalb habe auch hier Samo von den Franken besiegt werden müssen, 
während er bei Fredegar siegt 1 ). Die Nachricht der Conversio über 
Samo sei daher nur eine leere Qeschichtsklitterung aus der Zeit der 
kirchenpolitischen Kämpfe Salzburgs mit Mebhod. Allein, hat denn — 
so muß man sich angesichts solcher Vorwürfe fragen — die Conversio 
an Fredegars Kriegsbericht überhaupt etwas eigenmächtig verdreht? 
Dort steht doch ausdrücklich, daß die Slawen zwar bei Wogastisburg 
über die Austrasier siegten, dafür aber auf den beiden andren Kriegs¬ 
schauplätzen gegen Alemannen und Langobarden unterlagen. Es war 
also mindestens gleich richtig von einem Siege wie von einer Nieder¬ 
lage Samos zu sprechen. Wer aber, wie der Salzburger Schreiber in 
Samo einen Karantanerfürsten erblickte, der durfte sogar aus 
Fredegar nichts andres entnehmen, als die Niederlage Samos. Denn 
dann waren dessen Hauptgegner die Langoborden gewesen und gerade 
die hatten entscheidend gesiegt 

Übrigens hatte der Verfasser der Conversio vielleicht nicht einmal 
einen Anlaß, zwischen Sieg und Niederlage zu wählen. Die Gesta 
Dagoberti z. B., die den Krieg gegen die Wenden mit den Worten 
Fredegars erzählen, übergehen die unglücklichen Kämpfe der Franken 
bei Wogastisburg mit völligem Schweigen 2 ) und verzeichnen nur die 
großen Erfolge der Alemannen und Langobarden, weil es offenbar dem 
austrasischen Verfasser widerstrebte, die Schmach seiner Landsleute 
einzugestehen. Wenn die Conversio ihre Kenntnis des Wendenkrieges 
aus einer solchen abgeleiteten Quelle schöpfte, wußte sie überhaupt 
nichts von einem Siege Samos und konnte schon deswegen nur von 
einer Unterwerfung reden. Auf keinen Fall hat mau demnach das 
Hecht zu behaupten, die Conversio habe Fredegars Kampfbericht mit 
Absicht entstellt. 

Nicht besser steht es um den Versuch, den Zweck der Conversio 
auch dafür verantwortlich zu machen, daß in ihr Samo, der Franke, 
auf einmal als Slawe erscheint 8 ). Oder konnte etwa Salzburg s^ine 
Ansprüche auf Karantanien besser begründen, wenn es Samo zum 
Slowenen verfälschte? Gerade wer ihn nur deshalb anführte, um mit 
ihm geschichtliche Rechte der Salzburger Kirche zu erhärten, hätte 
sich strengstens an Fredegar halten müssen. Er hätte dann nicht nur 
die fränkische Herkunft seines Helden sorgfältig unterstrichen, sondern 
auch nicht versäumt, mit besonderem Nachdruck dessen Worte zu 


*) Nömeöek a. a. 0. 8. 3. 

*) Mon. Germ. 88. rer. Meroving. Bd. II S. 410. 
») Goll a. a. 0. S. 444. 



Politische Umwälzungen unter den Slowenen etc. 


249 


wiederholen, daß sein Beich Dagoberts Eigentum sei. Schon damals l ) 
— so hatte dann der Schreiber der Conversio sagen können *— war 
Karantanien den Franken unterworfen gewesen, daher gebührte dort 
unbestreitbar der Vorrang yor dem Byzantiner Method dem Erzbischöfe 
▼on Salzburg als Angehörigem des fränkischen Beiches. Der Zweck 
der Conyersio hätte somit alles eher verlangt als daß man Samo zum 
Slowenen stempelte. Wenn ihn die Salzburger Streitschrift trotzdem 
slowenischen Stammes nannte, so tat sie es gewiß in gutem Glauben, 
offenbar deshalb, weil er in der dunklen Erinnerung der Karantaner 
als Slawe fortlebte. 

Die Salzburger Mel düng über Samo hat man sich daher wohl 
folgendermaßen entstanden zu denken: Der Verfasser der Streitschrift 
gegen Method übernahm aus dem Volksmunde die Nachricht von 
einem alten KarantanerfÜrsten namens Samo. Da dieser laut Fredegar 
oder einer aus ihm abgeleiteten Quelle, mit den Franken gekämpft 
hatte, so verknüpfte man beide Angaben, jedoch nicht ohne sich dabei 
mit Fredegar kritisch auseinanderzusetzen. Denn daß sich die Slowenen 
einen Franken zum Herrscher erhoben hätten, dünkte den Salzburger 
doch gar zu unwahrscheinlich. Lieber traute er der volkstümlichen 
Cberlieferung und fügte daher gleichsam berichtigend Samos Namen 
die sonst wohl überflüssige, weil selbstverständliche Bemerkung bei: 
,ein Slawe*. 

Es ist sehr lehrreich zu sehen, daß es Jahrhunderte später dem 
Ungarnkönig Mathias Corvinus nicht anders erging als Samo. Die 
Türkennot des 15. Jahrhunderts brachte Slowenen und Ungarn einander 
nahe; und wie einst Samo als Schirmherr gegen die Awaren, so wurde 
damals Mathias Corvinus als Türkenbezwinger dem slowenischen Volke 
vertraut Da er zudem in den Kämpfen mit Kaiser Friedrich III. einen 
großen Teil der österreichischen Alpenländer, darunter auch slowenisches 
Gebiet besetzte, so drängte er sich dem Denken und Fühlen des slo¬ 
wenischen Volkes so stark auf, daß sich Volkslied und Sage seiner be¬ 
mächtigten und aus dem Ungarnkönig einen slowenischen Volks¬ 
helden, den kralj Matjai, machten, ja, daß ihn die Kärntner Sage sogar 
nach altehrwürdiger Sitte auf dem Zollfeld zum König erwählt sein 
ließ (Gruden, Zgodovina slo\enskega naroda S. 377 £). Das Gegenstück 
zu Samo, das die slowenische Sage in kralj MatjaZ bietet, erhärtet so 
aufs Beste die Ergebnisse unserer Quellenkritik, nach denen die An¬ 
sichten Golls und Ngmeceks, soweit die Conversio in Betracht kommt, 
rundweg abzulehnen sind. 

*) Fredegarii Chronicon IV cap. 68: »Et terra, quam habemua, Dagoberte est 
et not» sui sumuB*. 



250 


Ludmil Hauptmann. 


Beide wollen jedoch auch an Fredegar deuteln und namentlich 
Nfcmecek meint, ans Fredegar lasse sich Samos Herrschaft über die 
Karantaner nicht beweisen. Man müßte zwar an sie glauben, wenn 
Dagobert wirklich zum Wendenzuge die Nachbarn der Karantaner, 
die Langobarden, aufgeboten hätte; allein das sei nicht wahr. Die 
Langobarden hätten sich daran gar nicht beteiligt 1 ). Nämecek beruft 
sich dabei auf Schnürer. Dieser stellt nämlich in seiner Unter¬ 
suchung über „die Verfasser der sogenannten Fredegar- Chronik* 
fest, daß der zweite Schreiber, ein Burgunder, aus dem Munde eines 
fränkischen Gesandten über die Langobarden Nachrichten empfing, 
die er zeitlich gar nicht oder nur willkürlich anzusetzen wußte 8 ). 
Im Anschluß daran behauptet nun N&mecek 8 ): „Der burgundische 
Chronist horte von Kämpfen der Franken mit den Langobarden, 
hörte sie vielleicht mit der Person Dagoberts verknüpfen und führte 
sie in gewohnter Weise bei . der passendsten Gelegenheit an, in diesem 
Falle in dem Berichte über die Slawen im Osten*. 

Wir lassen es dahingestellt, ob es die passendste Gelegenheit ist, 
einen angeblichen Kampf der Franken gegen die Langobarden dort 
unterzubringen, wo aus ihm des Zusammenhanges halber ein gemein¬ 
samer Kampf beider Völker mit den Slawen werden muß. Auch 
abgesehen davon ist Nömeceks Ansicht verfehlt, da sie die Darstellungs¬ 
weise Fredegars nicht genügend beachtet Man hat nämlich unter den 
außerfränkischen Nachrichten zu unterscheiden zwischen kurzen Angaben, 
die in die fränkische (Jeschichte sinngemäß verwoben sind und längeren 
Abschnitten, die der Schreiber rein äußerlich ohne Zusammenhang 
eingeschoben hat Zum Beispiel: 

In cap. 68 wird, wie wir schon wissen, ausführlich Dagoberts 
Feldzug gegen Samo besprochen und nur nebenbei kurz der Waffen¬ 
hilfe der Langobarden gedacht; die unmittelbar folgenden Kapitel 
69—71 dagegen behandeln durchwegs langobardische Geschichte und 
zwar vom Ende der Regierung Arioalds bis zur Befreiung der Königin 
Gundoberga. Nur mit Bezug auf diesen Überblick behauptet Schnürer, 
„daß es dem Verfasser an jedem Maßstabe für die Fixierung der 
Ereignisse gefehlt habe, daß er sie zuletzt unter bestimmte Jahre nur 
eingereiht habe, um sie irgendwo unterzubringen, ohne sein Annalen¬ 
schema aufgeben zu müssen* 4 ). Wenn daher Nömecek im Gegensätze 

i) Nömeöek a. a. 0. S. 3 f. 

*) Schnürer, Die Verfasser der Fredegar-Chronik. Collectanea Friburgensia 
Heft 9 S. 116. 

*) N&neöek a. a. 0. S. 4. 

4 ) Schnürer a. a. 0. S. 115. 



Politische Umwälzungen unter den Slowenen etc. 


251 


zu seinem Gewährsmann auch jener Einzelangabe über die Heeresfolge 
der Langobarden Unwahrheit vorwirft trotz ihrer logischen Verbindung 
mit dem übrigen Inhalte des Kapitels, so hätte er vor allem ver¬ 
suchen müssen, seine leicht hingeworfene Behauptung irgendwie zu 
begründen. Freilich wäre er dann rasch innegeworden, daß es dafür 
eine Begründung nicht gibt 

Man stelle sich doch den Sachverhalt vor! Ein Burgunder, der 
über die Taten der Franken schreibt schaltet mitten in diese Erzählung 
plötzlich einen langen Abriß langobardischer Geschichte ein (cap. 69—71). 
Nur die eine knappe Nachricht über den Kampf der Langobarden 
mit den Wenden bringt er nicht wie man erwarten möchte, in jener 
Zusammenfassung, sondern verflicht sie in das vorhergehende cap. 68. 
Will man in dieser Vorwegnahme unbedingt eine Eigenmächtigkeit 
des Verfassers sehen und nicht lieber glauben, daß damals eben wirklich 
Franken und Langobarden gemeinsam gegen die Wenden gefochten 
haben, so könnte man eine solche Willkür höchstens damit erklären, 
daß es der Schreiber getan habe, um für die Beihe der ab cap. 69 
mitgeteilten langobardischen Ereignisse eine Anknüpfung zu finden, 
daß er also Geschichtsfälscher aus Stilgefühl sei. Daran ist jedoch 
nicht zu denken. Denn wo steht die Langobardennachricht und wie 
viel später folgt erst cap. 69! Beide trennt die Erzählung über die Schlacht 
bei Wogastisburg, die Kämpfe in Thüringen und der Anschluß des 
Sorbenfürsten Dervan an Samo, sodaß der Abriß der Langobardenge¬ 
schichte ganz unvermittelt einsetzen muß, von einem stilistischen Über¬ 
gang gar keine Bede sein kann. Der einzige Beweisgrund, der für 
N&mecek spräche, ist damit abgetan und es läßt sich jetzt vielmehr 
dartun, daß jene in cap. 68 eingestreute Bemerkung über die Teil¬ 
nahme der Langobarden an Dagoberts Feldzug gegen Samo durchaus 
Glauben verdient. 

In cap. 69—71 setzt nämlich der Burgunder nur fort, was er 
über die Langobarden schon in den Abschnitten 49—51 zu erzählen 
begonnen hat 1 ). Diese teilen Ereignisse von ungefähr 600 bis in die 
Zeit Arioalds mit, dann bricht die Darstellung der Langobardenge¬ 
schichte mitten in der Begieiung Arioalds ab (cap. 51) und erst cap: 69 
berichtet darauf über den Schluß der Herrschaft Arioalds und die ihr 
folgenden Ereignisse. Wobei dieser sonderbare Biß? Die Erklärung 
liegt in cap. 68, das den nränkisch-langobardischen Krieg mit Samo 
erwähnt Offenbar wußte der Schreiber, daß der Wendenzug der 
Langobarden nicht nur in die Zeit Arioalds falle, sondern auch in die 


i) Schnürer a. a. 0. S. 114. 



252 


Ludmil Hauptmann. 


Geschichte der Franken hineinspiele und daher dort seinen Platz haben 
müsse. Mit andren Worten, nicht weil der Chronist seine Zusammen¬ 
fassung langobardischer Geschichte geschmackvoll unterbringen wollte, 
riß er die nach Nömecek undatierbare Einzelangabe über den Kampf 
der Langobarden mit den Slawen heraus und stellte sie voran, sondern 
umgekehrt, weil ihm die Einzelangabe schon in einer fertigen Tat¬ 
sachengruppe vorlag, zerriß er die Zusammenfassung. Damit fallen die 
Schlüsse, die Nemecek aus cap. 68 gezogen hat Samos Herrschaft 
über die Karantaner und ihr Kampf mit den Langobarden sind daraus 
nicht mehr hinwegzudenken. 

Hätte Nemecek nicht wie gebannt immer nur diese eine Stelle im 
Auge gehabt so wäre es ihm gewiß nicht entgangen, daß ihr Inhalt 
auch von andrer Seite bestätigt wird. Nach Fredegars Kap. 72 zum 
Beispiel gebot Walluk über eine Mark, d. h. nach dem Sprachgebrauch 
jener Zeit über ein abhängiges Grenzland und nicht ein selbständiges 
Reich l ). Von wem hätte aber damals sein Land abhängig sein sollen, 
wenn nicht von Samo? Außerdem erscheint Walluk in derselben 
Quelle als Herzog der Wenden, Samo dagegen als ihr König. Wenn 
man beachtet, wie genau Fredegar aus den fränkischen Verhältnissen die 
Stellung der Herzoge unter dem Könige kannte 2 ), so ist man gezwungen 
zu glauben, er habe Walluk und Samo gerade wegen eines ähnlichen 
Rangsunterschiedes einander als dux und rex gegenübergestellt Ja 
selbst die Niederlage, die die Slowenen 631 angeblich im Kampfe mit 
den Langobarden erlitten, ist unabhängig von Fredegar bezeugt 
Denn wie Hartmann mit Recht sagt, ist es nicht einzusehen, warum 
man sich sträuben sollte, auf sie die Nachricht des Paulus Diaconus 
zu beziehen, daß Taso und Chaco von Friaul, deren Vater um 610 von 
den Awaren erschlagen worden war, »später“ ein Stück slowenischen 
Landes erobert hätten 8 ). 

Besonders lehrreich aber ist das, was Fredegars Kap. 58 enthält 
Darin liest man, 629 hätten die Germanenstämme, die an der awarisch- 
slawischen Grenze saßen, Dagobert, ihren Herrn, gebeten, „die Awaren, 
Slawen und die übrigen Völker bis an die Grenze des byzantinischen 
Reiches zu unterwerfen*. Nun aber mache man sich klar: 629 for¬ 
derten die von den Franken abhängigen Germanen Dagobert auf, ihre 
Nachbarn im Osten zu bekriegen, und zwei Jahre darauf 631 soll 

*) Waitz, Verfhssungsgeschichte Bd. 2• S. 384ff., 3 S. 341 ff.; Brunner, 
Rechtsgeschichte 2 S. 141; Schröder, Rechtsgeschichte 4 S. 119 ff. 

*) Vgl. Fredegarii Chronicon, Register unter den betreffenden Schlagworten. 

*) Pauli diaconi Historia Langob. IV cap. 38. — Hartmann, Geschichte Italiens 
Bd. U *, S. 211, S. 236 n. 9. 



Politische Umwälzungen unter den Slowenen etc. 


253 


Dagobert mit drei Heeren wirklich die Westslawen Samos überfallen 
haben. Niemand kann übersehen, daß beide Ereignisse in ursächlichem 
Zusammenhang stehen, daß sich beide Nachrichten gegenseitig stützen. 
Die von 629 lehrt, daß das Unternehmen von 631 in der Tat nicht 
ein einfacher Strafzug gegen einen unbedeutenden Grenzhäuptling. 
sondern ein großangelegter Beichskrieg war, und die von 631 beweist, 
daß man 629 nicht aus Landhunger und Eroberungssucht zum Kriege 
trieb, sondern weil man mit Unbehagen sah, wie sich in den Kämpfen 
mit den Awaren eine große Slawenmacht zusammenballte, von der für 
die Zukunft schwere Gefahren drohten. In einen solchen Krieg aber 
paßte ein Angriff der Langobarden auf die Slowenen sehr gut hinein. 
Denn wenn man alle Slawen bis an die Grenze von Byzanz unter¬ 
jochen sollte, konnte man gerade die Hilfe der Langobarden nicht 
missen, der einzigen Germanen, die bis an den Saum des oströmischen 
Beiches wohnten. Nur sie waren imstande, einen Teil der sardonischen 
Slawen im Süden zu binden und so die Angreifer im Norden zu ent¬ 
lasten; ihre einzig möglichen Gegner aber waren in diesem Fall die 
Slowenen. In neubestärktem Vertrauen auf Fredegar und die Con- 
versio darf man daher jetzt zusammenfassend sagen: 

Als sich ein slawischer Stamm unweit der fränkischen Grenze 
gegen die Avaren erhob, schwang sich Samo zu dessen Führer im 
Freiheitskriege aut Wahrscheinlich, weil dieser Kampf starke Kräfte 
der Awaren im Norden festhielt, nahmen die Alpenslawen die Gunst 
des Augenblicks wahr und griffen auch zu den Waffen wider ihre 
Bedrücker. Der Haß gegen den gemeinsamen Feind aber führte die 
Empörer bald zusammen und so kam es, daß schon 629 die Umrisse 
einer westslawischen Großmacht sichtbar waren. Als nun zwei Jahre 
später Dagobert gegen dieses neue politische Gebilde einen umfassenden 
Angriff unternahm, erlagen zwar die Slowenen den Langobarden und 
verloren einen Teil ihres Gebietes, dafür aber schlug Samo das aus 
Franken gebildete Hauptheer. Der Glanz seiner Taten bewog darauf 
den Sorbenfürsten Dervan, ihn freiwillig als seinen Herrn anzuerkennen, 
sodaß Samo schließlich die westslawischen Völkerschaften von der 
Saale bis herab zur Wendeiimark Walluks unter seinem Szepter ver¬ 
einte. Freilich war das, was er beherrschte, kein festgefügtes Reich, 
sondern ähnlich wie der Markomannenstaat Marbods oder das Goten¬ 
reich Ermanrichs nur ein lockerer Bund, der mit der überragenden 
Patriarchengestalt seines Gründers stand und fiel. 

Über die Zeit, wann dieses samonische Großreich bestanden haben 
soll, ist man sich nicht recht klar. Aus Fredegars Kapitel 48 erfahrt 
man 1 Samo sei im 40. Begierungsjahre des Frankenkönigs Chlotar, 



254 


Ladmil H&uptmann. 


d. i. 623, zu den Wenden gekommen und habe fünfunddreißig Jahre 
über sie geherrscht. Nimmt man, was wahrscheinlich ist, an, daß 
seiner Ankunft bei den Slawen noch im selben Jahre die Wahl zum 
König gefolgt sei, so ergibt sich daraus für seine Regierung die Zeit 
von 623—658. Da aber das Kapitel 48 vom zweiten Verfasser der 
Fredegarschronik einem Burgunder, stammt, der 642 schrieb J ), so 
scheint dieser Ansatz unbedingt falsch zu sein. Krusch und Schnürer 
glauben ein Mittel gefunden zu haben, um hier Klarheit zu schaffen. 
Sie berufen sich nämlich auf die Unzuverlässigkeit Fredegars in der 
Datierung außerfränkischer Nachrichten und erklären das vierzigste 
Jahr Chlotars nur für ein willkürliches Datum, »das es ermöglichen 
soll, den Bericht über Samo äußerlich in das Annalenschema einzu¬ 
reihen“. Uns stünde es dann frei, den Beginn der fünfunddreißig- 
jährigen Herrschaft Samos von 623 ins erste Jahrzehnt des 7. Jahr¬ 
hunderts zurückzuverschieben*). Allein es gibt noch eine viel ein¬ 
fachere Erklärung. 

Das oben schon öfter erwähnte Kapitel 68, das den Krieg Dago¬ 
berts gegen Samo behandelt, rührt, wie Schnürer nachgewiesen hat* 
von demselben Burgunder her, der Kapitel 48 verfaßt hat; nur an 
einzelnen Stellen ist es nachträglich von einem dritten Schreiber, einem 
Austrasier, überarbeitet und ergänzt worden®). Da es aber bekannt 
ist, daß dieser 658 an der Chronik schrieb 4 ), so ist der scheinbare 
Widerspruch in Kapitel 48 auch schon gelöst Denn unwillkürlich 
rechnet man, 658—35=623, und schließt dann weiter: wie in 
Kapitel 68 der Grundstock der Erzählung auf den Burgunder zurück¬ 
geht so ist auch Kapitel 48 zwar in der Hauptsache von jenem 
niedergeschrieben, die Bemerkung über die Regierungs¬ 
dauer Samos aber erst später als Zusatz von dem Austrasier 
angefügt worden. Die Thronbesteigung Samos ist daher für das. 
Jahr 623 doppelt verbürgt: durch den Burgunder, der sie mit Hilfe 
der Regierungsjahre Chlotars datiert und durch den Austrasier, nach 
dessen Angaben man sie rückzählend ebenfalls auf 623 ansetzen muß. 
Damit ist aber auch Samos Regierungszeit für die Jahre 623—658- 
außer Frage gestellt und nur das eine will noch erörtert sein, ob sich 

*) Krusch, Die Chronicae des sogenannten Fredegar S. 4. Neues Archiv der 
Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde Bd. 7, S. 429. — Schnürer a. a. 0. 
S. 89, 112. 

*) Krusch a. a. 0. S. 434 f. — Schnürer a. a. 0. S. 113. 

•) Schnürer o. a. 0. S. 111. 

4) Krusch a. a. 0. S. 429, 443. — Schnürer a. a. 0. S. 89. 



Politische Umwälzungen unter den Slowenen etc. 


255 


damals alle Slowenen oder nur ein Teil von ihnen der awarischen 
Herrschaft entwunden haben. 

Die beiden Hauptquellen lassen uns leider bei dieser Untersuchung 
fast ganz im Stich. Fredegar sagt überhaupt nicht, von welchen 
Slowenen er spricht und die Conversio meldet nur kurz, Samo sei Herr 
der Karantaner gewesen. Der Klang des Wortes läßt bei Karantaner 
an Kärnten denken und in der Tat gibt es keinen einzigen Beleg, 
daß man vor dem 8. und 9. Jahrhundert darunter auch die Bewohner 
des östlichen und südöstlichen Vorlandes von Kärnten verstanden 
hätte; die bekamen diesen Namen vielmehr nachweislich erst infolge 
der politischen Entwicklung der bayrisch-fränkischen Zeit 1 ). Nimmt 
man die Conversio wörtlich, so hätten sich daher im 7. Jahrhundert 
nur die Kärntner-Slowenen von den Awaren befreit Doch dem 
widersprechen Tatsachen der kroatischen Geschichte. 

Nach eingehenden sprachlichen und geschichtlichen Forschungen 
steht es fest, daß sich die Vorfahren der heutigen Kroaten und Serben 
nicht erst, wie man früher glaubte, unter Kaiser Heraklius (610—641) 
in ihren gegenwärtigen Sitzen niederließen, sondern schon seit Beginn 
des 6. Jahrhunderts, nach Niederle sogar seit dem 3. Jahrhundert in 
stetem Vorrücken über Drau und Sawe nach Süden begriffen waren 
und bereits 548 das erstemal die Meeresküste erreichten 2 ). Welle um 
Welle fluteten die Südslawen über den Karst, unter ihnen auch der 
Stamm der Kroaten. Diese siedelten sich besonders dicht in Mittel¬ 
dalmatien, dem Hinterlande von Spalato, an. Dank dem kriegerischen 
Geiste, der sie beseelte, und der sich im Freiheitskriege gegen die 
Awaren unter Kaiser Heraklius glänzend bewährte, gelang es ihnen, 
sich in Dalmatien eine Herrenstellung zu schaffen und hier den Grund 
zu ihrem später so mächtigen Staate zu legen 8 ). 

Diese reichsgründende Kraft blieb ihnen auch an andrer Stelle 
treu. Denn nach der Vertreibung der Awaren „löste sich von den 
nach Dalmatien gekommenen Kroaten ein Teil los und richtete in 


i) Vgl. unten S. 266 ff., 273 

*) Raöki, Biela Hrvataka 1 Biela Srbija (Rad jugoslavenske akademije Bd. 52, 
8. 141 ff. und Bd. 59 S. 201 ff — Jagic, Ein Kapitel aus der Geschichte der süd¬ 
slawischen Sprachen (Archiv für tlawische Philologie Bd. 17 S. 47 ff.) — Niederle, 
Slovanskd starozitnosti Bd. 2 S. 244 ff, 278 ff. 

*) Dümmler, Über die älteste Geschichte der Slawen in Dalmatien (Sitzungs¬ 
berichte der k. Akademie der Wissenschaften in Wien, Bd. 20 S. 363). — Klaid, 
Poviest Hrvata Bd. 1 S. 30. — Niederle a. a. 0. Bd. 2 S. 386 ff. — Die Geschichte 
der kroatischen Wanderungen und ihrer sozialen Folgen wird seinerzeit Gegenstand 
einer zusammenhängenden Untersuchung sein. 



256 


Ludmil Hauptmann. 


Pannonien seine Herrschaft auf“ *). Da die soeben noch siegreichen 
Kroaten gewiß nicht ins Zwischenstromland zwischen Drau und Sawe 
hinabgestiegen wären, wenn sie dort wieder die awarische Hoheit hätten aut 
sich nehmen müssen, so bedeuten jene Worte des Konstantin 
Porphyrogennetos, daß damals die Awaren bis hinter die Drau zurück¬ 
wichen und die von ihnen bisher beherrschten Slowenen des Sawe- 
Kulpabeckens den Kroaten preisgaben. 

Nur Sirmien dürften sie behauptet oder doch bald wieder besetzt 
haben, um sich den Weg nach Ostrom frei zu halten 2 ). Der Besitz 
des Barbarenlandes in der Mulde von Sissek dagegen war ihnen keine 
besonderen Opfer mehr wert Hier mochten die Kroaten herrschen, 
awarisches Blut war für solchen Preis nicht mehr feil, seitdem es 
unter den Streichen der aufständischen Slawen in Strömen ge¬ 
flossen war. 

Die Anfänge zur Staatenbildung auf dem Boden des Fürstentums 
Sissek, das zu Ludwig des Frommen Zeiten den Franken so furchtbar 
werden sollte 8 ), hingen also mit dem Vorstoß der Kroaten beim Sturz 
der awarischen Großmacht im 7. Jahrhundert zusammen. 

Die Wanderung der Kroaten kam aber auch in Pannonien, an 
der Drau, noch nicht zum stehen. Die oben nur gekürzt wiedergegebene 
Stelle aus Konstantin Porphyrogennetos besagt vielmehr in ihrem 
vollen Wortlaut, daß sich ein Teil der dalmatinischen Kroaten „in 
Pannonien undlllyrien seine Herrschaft aufgerichtet habe“. Welche 
Gegend mit Illyrien gemeint sei, darüber hat man allerdings die ver¬ 
schiedensten Vermutungen geäußert Wenn die Stelle nicht verderbt 
ist, so kann die einzig richtige Erklärung wohl nur die sein, daß man 
darunter Noricum zu verstehen habe. Schon bei der Begründung 
ihrer Herrschaft in den Donauländem hatten die Börner Noricum und 
Pannonien zu Illyrien geschlagen und trotz manchen Schwankens in 
der Verwaltungsordnung erhielt sich diese Beziehung Noricums zu 
Illyrien so stark, daß man seit dem siegreichen Gotenkriege Justinians 
wieder Noricum neben Pannonien, Dalmatien und Obermösien zu 
Illyrien rechnete 4 ). Da nun Obermösien und Ostdalmatien serbisch, 

*) Konstantin Porphyrogennetos, De administrando imperio cap. 30. Bonner 
Ausgabe von Becker. 

*) 758 wenigstens war Sirmien sicher awarisch. Denn aus dieser Zeit hört man 
von einem Fürsten Kuber, der als Vasall der Awaren hier herrschte: Ra£ki, Docu¬ 
menta historiae chorvaticae periodam antiquain illustrantia S. 292 ff. — dazu Ratiri, 
Hrvatska prije XH. vieka (Rad jugoslav. akademije Bd. 56, S. 104). 

t) Annale8 regni franc. ad a. 819—822. 

4 ) Marquart, Römische Staatsvcrfaasung I S. 138; Kümmel, Anfänge deutschen 
Lebens S. 46 f., 107, 134 f.; Katalinich, Storia della Dalmazia H, 154. 



Politische Umwälzungen unter den Slowenen etc. 


257 


Pannonien nördlich der Dran awarisch war, so bleibt eigentlich nur 
Noricum als jenes Illyrien übrig, in das Kroatan ans Dalmatien einge¬ 
wandert sein können 1 ). Doch anch wer die Nachricht des kaiserlichen 
Gewahrmannes ganz verwirft, wird an den Zuzug kroatischer Siedler 
nach Noricum glauben müssen, wenn er die Ortsnamenkunde zu Bäte 
zieht Denn er findet in Steiermark ein altes Chrawate als Bezeichnung 
für eine Gegend bei Gonowitz, ein Kranbat im Flußgebiete der Lasnitz, 
rin Krabaten und Krabersdorf, einst Chrawaczdorf, bei Gleichenberg und 
endlich ein Krowot südöstlich von Weitz *). Mit unverkennbarer Deut¬ 
lichkeit stellen doch diese vier mittel- und untersteirischeu Namen die 
Brüche her zwischen den Kroatensiedlungen im pannonischen Zwischen¬ 
stromlande und denen in Kärnten. Über Unter- und Mittelsteiermark 
müssen also die Kroaten nach Kärnten gedrungen sein, erst hier war 
ihre Wanderung zu finde. Hat man einmal diese Tatsache erfaßt, so 
blitzt aber auch unwillkürlich der Gedanke auf, die Kroaten hätten, 
wie den Slowenen Unterpannoniens, so auch denen in Karantanien 
staatliche Ordnung gebracht, mit andren Worten, Walluks «Wenden¬ 
mark* sei eine kroatische Schöpfung gewesen. In der Tat ist die 
Herrschaft dieses Fürsten erst für eine Zeit bezeugt, die sich mit 
unsrer Annahme ohneweiters verträgt Denn die Vernichtung der 
Awarenmacht in Dalmatien fallt zwischen 626 und 641, während 
Walluk erst für etwa 650 nachzuweisen ist 3 ). 

Die Sichtung der kroatischen Wanderung setzt nun voraus, daß 
sich zu Samos Zeit nicht nur die Karantaner die Unabhängigkeit 
errangen haben, sondern ebenso auch die Slowenen von Untersteier 
und Kram. Ohne deren Teilnahme am großen Freiheitskriege der 
Slawen hätte sich ja fortan ein Keil awarischer Macht zwischen 
Kroatien und Kärnten eingeschoben und wie ein Staudamm jedes 
Abfließen kroatischen Volkstums nach Nordwesten gehindert Daß die 
awarische Herrschaft um 630 auch unter den Slowenen an der Sawe 
dahin gewesen sein muß, das wird man übrigens jetzt nach diesen 
geschichtlichen Zeugnissen auch aus militärisch-geographischen Gründen 
gern für selbstverständlich erklären. Denn es ist ganz undenkbar, daß 
in einer Z 3 Ü, wo sich Slawen und Bulgaren im Westen, Süden und 
Südosten gegen die Awaren erhoben, diese die Zeit und Kraft gefun den 
hüten, sich mitten in diesem brandenden Völkermeer einen schmalen 


*) Schafarik a. &. 0. H 8. 279. — Katalinich a. a. 0., II 8. 154 f. 
•) Zahn, Ortanamenboch 8. 111, 113, 118. 


•) Die Ereignisse von Fredega» cap. 72, des emsigen, in dem 1 
die Bede ist, fidlen, wie Krosch bewiesen hat (vgL seine Ausgabe Mb4' 
m. Meroving. II 8. 157 n. 3) in die Zeit des Kaisen Konstant JL (649 


i 



258 Ludmil Hauptmann. 

Steg nach Italien zu retten, d. h. gerade Untersteiermark-Krain zu 
behaupten. 

Freilich kann dieses Gebiet nicht lange unabhängig geblieben 
sein. Paulus Diaconus erzählt nämlich, um 663 habe der langobardische 
König Grimoald gegen den Empörer Lupus von Friaul den Chagan 
der Awaren zu Hilfe gerufen und dem sei es in einer viertätigen 
Schlacht gelungen, die Friauler zu werfen und Lupus zu töten. Des 
Ermordeten Sohn Amefrit sei dann zu den Karantanem geflohen, um 
mit ihrer Unterstützung sein Herzogtum zurtickzuerobem*). 

Auf den ersten Blick scheint diese Geschichte nicht die leiseste 
Andeutung über die politische Stellung von Untersteiermark-Krain zu 
enthalten; bei einiger Überlegung aber zeigt sich das Gegenteil. Denn 
warum wandte sich Arnefrit nicht lieber an die Krainer als an die 
Karantaner? Der Politik der Karantaner gab ja die Drau die Rich- 
tung an und die wies nach Westen, gegen Bayern; mit Oberitalien 
war die Berührung so schwach, daß der Langobarde Paulus Diaconus 
wohl von lebhaften Kämpfen der Karantaner mit Bayern 2 ), aber nicht 
mit seinen Landsleuten zu melden weiß. Das Gegenteil gilt von den 
Kramern. Immer wieder stießen diese von den Höhen des Karstes 
in so hellen Haufen bald als Freunde bald als Feinde nach Friaul vor 8 ), 
daß Kram den Langobarden recht eigentlich als die „Heimat der 
Slawen“ erschien 4 ). Gerade nach dem Tode des Lupus brachen sie 
denn auch neuerdings in Oberitalien ein 6 ) und ließen seither ihre 
südwestlichen Nachbarn am Po bis tief in das 8. Jahrhundert nicht 
mehr zu Atem kommen. Warum wandte sich also Arneint nicht an 
die Krainer, diese Erbfeinde der Langobarden? 

Man kann das erst begreifen, wenn man, von Zeit und Ort ab¬ 
sehend, sich nur ans nackte Tatsachengerippe hält Dann schätzt 
man: Ein landflüchtiger Fürst will sich von zwei Nachbarn einen als 
Bundesgenossen gewinnen, um durch ihn wieder auf seinen Thron zu 
gelangen. Während aber der eine der beiden bisher zum Lande des 
Vertriebenen fast keine Beziehungen hatte und nach einer ganz andren 
Richtung in Anspruch genommen war, liegt der zweite schon lange 
auf der Lauer und wartet nur auf den Augenblick, um loszuschlagen. 
Wen wird der Flüchtige wählen? Gewiß den zweiten, den ersten nur 

*) Pauli diftconi Historia Langob. V cap. 18—22. 

*) Ebenda IV cap. 7, 10, 39, V cap. 22. 

•) Ebenda IV cap. 12, 20, 24, 28, 37 f.; V. cap. 17 ff., 23; VI cap. 24, 
46, 51 f. 

4 ) Ebenda VI cap. 52; in Camiolom, Sclavorum patriam; vgl. auch. cap. 51. 

*) Ebenda V cap. 23. 



Politische Umwälzungen unter den Slowenen etc. 


259 


dann, wenn jener nicht zu haben. Das hieße aber, anf unsren Fall 
tibertragen, Amefrit hätte sich an die Krainer wenden müssen. Wenn 
er es nicht tat, so fehlte für ihn die Wahlfreiheit, so kamen für ihn von 
Anfang an nur die Karantaner in Betracht Und warum? Ohne 
Zweifel deshalb, weil — das lehrt der ungehinderte Marsch der Awaren 
durch Untersteiermark-Krain im Jahre 663 x ) — die Slowenen an der 
Sawe schon wieder den Awaren gehorchten und es von Amefrit daher 
Wahnsinn gewesen wäre, zu denen zu fliehen, deren Herren soeben 
seinen Vater getötet hatten. 

Erst diese Feststellung beseitigt den Widerspruch, an dem bisher 
die Darstellung der awarisch-slowenischen Geschichte litt Denn dar¬ 
aus, daß 610 der Chagan an der Spitze seines Heeres ungestört durch 
Untersteiermark-Krain nach Oberitalien ziehen konnte, schloß man mit 
Becht, dieses Gebiet habe damals unter awarischer Hoheit gestanden; 
nur den haargleichen Tatbestand von 663 hielt man für nichtssagend 
und erklärte die Krainer für frei, obwohl davon kein Wort in den 
Quellen steht Will man also mit ihnen in Einklang bleiben, so muß 
man bedingungslos anerkennen, daß die Slawen an der Sawe in der 
zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts von neuem unter awarische Herr¬ 
schaft gerieten. Steht aber somit die politische Spaltung des sloweni¬ 
schen Volkes für diese Zeit fest, so wird man ihre leisen Anfänge, 
eingedenk unsrer früher geographisch abgeleiteten Annahme 31 ), gern 
noch weiter zurück, vor Samo, verlegen und sich sagen: nur deshalb 
glückte es gerade in Kärnten, die awarische Herrschaft dauernd abzu- 
schütteln, weil sie dank den geographisch-militärischen Vorzügen 
Kärntens hier nie so fest gestanden hatte wie an der alten pannonisch- 
friaulischen Heerstraße in Untersteiermark und Kram. 

IIL Der Staat der Karantaner. 

Der Sturz der awarischen Macht in Karantanien brachte den 
dortigen Slawen mit der Unabhängigkeit nicht auch die Gleichheit, 
sondern half nur einem neuen Stande, den Edlingem, in den Bang 
der Herrenschicht empor. Aus vereinzelten Nachrichten über diese 
Bevölkerungsklasse in Urbaren und Urkunden, dazu aus neun noch 
beute gebräuchlichen Ortsnamen der Form Edling 8 ) geht hervor, „daß 


*) Vgl oben 8. 268 n. 1. 

*) VgL oben S. 243 f. 

•) Jafoch, Über Ortsnamen und Ortsnamenforschung S. 36; Puntachart, Her- 
zogseinsetzung und Huldigung in Kärnten S. 176ff.; Leseiak, Edling-Kanute (Car 
rinthia I Jg. 163 8. 81). 



260 


Ladmil Hauptmann. 


die Edlinger am dichtesten in jenen Gegenden siedelten, die den alten 
Eroatengan ausmachten, also in jenem Gau, in dem die Huldigungs- 
stätte, Kamburg und das Zollfeld, sowie die Orte Blasendorf und 
Poggersdorf lagen, an denen der Herzogbauer sein Besitztum hatte. 
Und es ergibt sich weiter, daß diese Gegenden ungefähr die Mitte des 
Gebietes bilden, wo Edlinger in Kärnten saßen *)“. 

Aus Zahns Ortsnamenbuch ersieht man, daß ein ähnlich auffälliger 
Zusammenhang zwischen Kroaten- und Edlingersitzen auch in Steier¬ 
mark bestand. Bei Weiz stößt man auf ein Krowot und ein Edling, 
bei Leibnitz erwähnt Zahn ein Kraubat und eine Gegend namens Ede¬ 
lingen, dem Chrawate bei Gonobitz entspricht in der Umgebung von 
Cilli abgesehen von der Edlingergemeinde zu Tüchern ein Edling und 
ein Kassasse, die slowenische Bezeichnung für Edling, und an das 
Kraubat und Chrawat südwestlich von Leoben schließt sich Mur auf¬ 
wärts über Murau gar eine ganze Reihe von Gehöft-, Dorf- und Ge- 
geudnamen, die auf eine Besiedlung durch Edlinger hinweisen. 

Die Angehörigen dieses Standes waren freie slawische Bauern 2 ), 
die ursprünglich auf eigenem Grunde, dem „Edeltum“, hausten. Allein 
mit der Zeit erging es ihnen ebenso wie den Freibauern Oberösterreichs. 
Diese ergaben sich bekanntlich an den Altar einer Kirche zum Pfennig¬ 
dienst oder erwählten sich mächtige Herren zu Vögten. Während aber 
anfangs noch das Bewußtsein lebendig blieb, daß sie den dafür 
gebührenden Dienst von ihrem Kopfe, nicht ihrem Grunde leisteten 
entarteten später Altarzins und Yogtrecht zum Grundzins, sodaß nur 
noch der Name „freies Eigen“ und die leichte Belastung des Gutes 
davon zeugten, daß dort einst ein freier Mann auf freiem Boden gelebt 
hatte 8 ). Ähnl ich hat man sich auch das Schicksal der Edlinger vor¬ 
zustellen. Denn obwohl sie schon im späteren Mittelalter meistens 
nur Hintersassen waren, erinnerten doch selbst dann noch die stolze 
Bezeichnung ihres Anwesens als Edeltum und die geringe Abgaben¬ 
pflicht, daß die Scholle, die sie bebauten, vor Zeiten ihr Eigentum 
gewesen war 4 ). 

Schon Puntschart empfand aber, daß das ursprüngliche Eigentums¬ 
recht am Besitze allein einen so hochtrabenden Titel wie Edlinger 
nicht rechtfertigen könne. Er verfiel daher auf den Gedanken, ihn 

*) Puntschart a. a. 0. 8. 179. 

*) Ebenda S. 200 f. 

*) Hauptmann, Über den Ursprung von Erbleihen in Österreich, Steiermark 
und Kärnten 8. 50 (Forschungen zur Verfasmngs- und Verwaltungsgeschichte der 
Steiermark 8. Bd.). 

4 ) Puntschart a. a. 0. 8. 181 ff., 186. 



Politische Umwälzungen unter den Slowenen etc. 


261 


mit dem Ausdruck nobilis in Beziehung zu bringen. Dieser Name bedeutete 
seit dem frühen Mittelalter im Allgemeinen den vollfreien Grundbesitzer, 
der deshalb in den Urkunden bald als nobilis, bald als über oder mit 
Verstärkung des Titels als nobilis et über erscheint 1 ) Als aber unter 
dem Einflüsse des Lehenwesens der Gegensatz von frei und unfrei all¬ 
mählich verblaßte und sich die Gesellschaft dafür in einen Wehr- und 
Nährstand zu spalten begann, ging die Standesbezeichnung nobiüs auf 
die durch ein Kriegslehen zu Reiterdienst verpflichteten Mannen, die 
Ritter im weitesten Sinne, über, gleichviel ob sie frei oder unfrei 
waren*). Das .Steirische Landrecht* zählte denn auch selbst die 
niederen unfreien Ritter zu den Edlen 8 ). .Angesichts dessen, meinte 
Puntschart, dürfen wir annehmen, daß in der Bezeichnung von Bauern 
als Edlinger ihr Waffenrecht zum Ausdruck kommen sollte* und mit 
besonderer Befriedigung wies er daher auf die Pflicht der Edlinger hin, 
die Burg zu verteidigen, zu der sie gehörten 4 ). 

Leider tragt diese scheinbar so glückliche Beweisführung schon 
den Gegenbeweis in sich. Denn nicht das Waffenrecht schlechtweg, 
sondern nur die Ritterbürtigkeit berechtigte dazu, sich edel zu nennen; 
ritterbürtig aber waren die Edlinger als Bauern nie. Das Grundwort 
ihres Namens auf diese Art zu erklären, ist mithin nicht erlaubt oder 
man müßte es für logisch halten zu schließen: A nennt man edel, 
weil er ritterbürtig ist und B, weil er — es nicht ist 

Vor Kurzem beschäftigte sich mit der Erklärung von .Edlinger* 
auch Lessiak. • In seiner Abhandlung «Edling-Kazaze* wies er über¬ 
zeugend nach, daß der slowenische Name für Edlinger, Käses, aus einem 
turkotatarischen quazaqu entstanden ist 6 ). Da aber dieses Wort noch 
heute in verschiedenen türkischen Sprachen den Freien bedeutet, so 
konnte es sich, sagt er treffend, von dieser Grundbedeutung aus sehr 
wohl zur Bezeichnung einer bevorzugten Bevölkerungsschicht ent¬ 
wickeln; und in der Tat hat es diesen Weg eingeschlagen im Klein- 
russischen, wo Kozak außer Kosak auch so viel wie Held, Frei¬ 
bauer besagt. In Anbetracht dessen, daß im früheren Mittelalter der 
Vollfreie als edel galt, käme also der Sinn des Wortes Käses dem von 
Edling .gleich, oder doch außerordentlich nahe* 6 ). Mit andren Worten, 

*) Luschin, Österreichische Reichsgeschichte S. 230. — Huber-Dopsch, öster¬ 
reichische Reichsgeschichte 'S. 50. 

*) Schröder, Deutsche Rechtsgeschichte S. 438 ff. 

•) Zallinger, Die ritterlichen Klassen im Steirischen Landrecht (Mitteilungen 
des Institutes für österreichische Geschichtsforschung IV S. 399 ff.). 

4 ) Puntschart a. a. 0. 8. 197 f. 

•) Lessiak a. a. 0. S. 87. 

•) Ebenda S. 88. 


18 



262 Ludmil Hauptmann. 

Lessiak faßt scheinbar .Edling* als die getreue Übersetzung von 
Käses aut 

Doch auch das ist nicht sehr wahrscheinlich. Denn nach bayrischen 
Standesbegriffen zahlten von den Freien nicht alle zu den Edlen, 
sondern nur die .Hochfreien“ und die waren Grundherrn 1 ). Die 
Edlinger dagegen waren bescheidene Bauern, deren .Edeltum* nicht 
einmal die Größe einer gewöhnlichen Untertanshube zu erreichen brauchte, 
ja bei den Edlingem von Sagor nachweislich sogar nur die Hälfte davon 
ausmachte a ). Hätten es die deutschen Zuwanderer als ihre Aufgabe 
erachtet, gerade Käses im Sinne von Freibauer wörtlich zu übersetzen, 
so wäre es ihnen wohl kaum eingefallen, dafür das Wort nobilis-edel 
zu verwenden und es hier einem Kleinbauern beizulegen, da sie 
doch von Haus aus gewohnt waren, es nur dem freien Grundherrn 
vorzubehalten. 

Daß auf diese Weise der Name Edlinger schwerlich entstanden 
sein kann, bestätigt auch der lateinische Sprachgebrauch. In Urkunden 
des 13. Jahrhunderts tauchen bisweilen Bauern auf unter den Namen 
liberi und libertini. Während sich aber jene in den fünf überlieferten 
Beispielen als minderfreie Hintersassen, sogenannte Freileute, zu 
erkennen geben 8 ), verbergen sich unter diesen, den libertini, außer 
Freileuten auch Bauern, die auf eigenem, frei verfügbarem Boden 
lebten und ihre Besitzklagen vor herzoglichen Richtern erhoben 4 ), 
alles Zeichen, daß sie freie Eigentümer waren. Da nun bei Johann 
von Viktring der Edlinger, der den Herzog einsetzte, rpsticus libertus 
hieß, libertus und libertinus aber gleichwertige Ausdrücke sind, so 
kann man Puntschart nur beipflichten, wenn er in den auf Eigengrund 
sitzenden libertini Edlinger vermutet. Dagegen wird man ihm nicht 
beistimmen, wenn er in diesem Namen einen Bezug auf den angeblich 
edlen Rang ihrer Träger erblicken will Denn — wir kommen wieder 
auf unsre frühere Bemerkung zurück — es war gar nicht jeder Freie 
ein Edler. Gewiß, libertus konnte den Hoch- oder Edelfreien 
bedeuten — Puntschart führt selbst als Beweis eine Zeugenreihe an, 
wo es heißt: .Testes Perhtold comes de Tierols, Hartwic de eodem, 
Otto libertus, Adilbertus miles eins* 5 ), — allein in diesem Falle 


*) Vgl. oben S. 261 n. 1. 

*) Dimitz, Geschichte der Edlinger im Sägor (Mitteilungen des historischen 
Vereines für Kr&in 1864 S. 16); Puntschart a. a. 0. S. 198. 

•) Hauptmann, Die Freileute S. öff. (Carinthia I Jg. 100). 

*) Mon. hist. duc. Car. II S. 83 n. 635 (1260), IV» S. 22 n. 1565 (1204), 
S. 588 n. 2691 (1268). 

*) Puntschart a. a. 0. S. 199 aus Zahn, Steir. UB. II n. 13 (c, 1170). 



Politische Umwälzungen unter den Slowenen etc. 


263 


liat Otto nur deshalb als Edler zu gelten, weil er unfreie Bitter unter sich 
hatte, also Lehens- und Grundherr war. Der libertus und libertinus 
im Sinne von Edlinger war jedoch keines von beiden und gehörte 
daher nicht zu den Edlen. Sein lateinischer Name spielte vielmehr 
auf einen Niedrigeren als den Edelfreien an — nennen wir ihn den 
Gemeinfreien. 

Zur Bezeichnung mittelalterlicher Standesklassen gab es also 
folgende lateinische Ausdrücke: Uber-libertus-libertinus schillerten in 
der dreifachen Bedeutung von edel, gemeinfrei und minderfrei, nobilis 
dagegen hieß eindeutig edel, nicht gemeinfrei Da nun Käses den 
gemeinfreien Bauer bedeutete, so ist es jetzt wohl ohneweiters 
klar, daß man zwar libertus und libertinus als Übersetzung von Käses 
ansehen darf, das deutsche Edlinger jedoch auf ein anderes Wort 
als Vorlage zurückführen muß. 

Um diese verschollene Vorlage zu finden, knüpfen wir versuchs¬ 
weise an den Widerspruch an, der zwischen Lesiak und unseren früheren 
Ausführungen zu bestehen scheint Lessiak halt die Edlinger für 
turkotatarische Herrn der Alpenslawen 1 ;, wir aber möchten den 
Karantanerstaat als eine kroatische Gründung hinstellen 8 ). 

Da die gesellschaftliche Stellung und die Bräuche der Herzogs¬ 
einsetzung die Edlinger deutlich als ersten Stand im Lande kenn¬ 
zeichnen, so ließe sich ein Ausgleich zwischen Lessiak und uns nur 
dadurch vermitteln, daß man sagt die Kroaten hätten den Karantaner¬ 
staat gegründet um — Turkotataren zu dienen. Allein diese Auf¬ 
fassung spricht so sehr jedem geschichtlichen Sinne Hohn, daß man 
sich schließlich doch zu einem Entweder — Oder bequemen muß: 
entweder waren die Edlinger wirklich Turkotataren, dann müssen alle 
unsre Ausführungen über die Kroaten in Karantanien rundweg abge¬ 
leimt werden, oder unsre Darstellung ist richtig, dann gab es für 
turkotatarische Herrn im freien Karantanien keinen Platz. Für das 
Zweite, die ausschlaggebende Bedeutung der Kroaten, sprechen Orts¬ 
namen und Quellen, für das Erste nur die turkotatarische Herkunft 
des Wortes Käses, eine Stütze, an sich sehr schwach, wenn man 
bedenkt, daß es noch niemand eingefallen ist zu behaupten, weil 
Vassall aus dem Keltischen stamme, seien die Vassallen des deutschen 
Mittelalters als eine keltische Kriegerkaste zu betrachten. Es wird daher 
mindestens gestattet sein, einmal vom Turkotatarentum der Edlinger 
abzusehen und sie pro beweis 3 für Kroaten zu halten. Bald wird man 


*) Lessiak a. &. 0. 8. 92. 
*) Vgl. oben S. 267. 



264 


Ludmil Hauptraann. 


gewahr, daß «sich dadurch Vieles mühelos erklären ließe, was bisher 
in Dunkel gehüllt war. Man brauchte nicht mehr zu staunen, 
warum sich die Edlingersitze gerade dort häuften, wo Kroaten ange¬ 
siedelt waren, man verstünde, warum die Huldigungsstätte im Kroaten¬ 
gau lag, wieso ein Edlinger dazukam, dem Herzog von Kärnten die 
Herrschaft zu übertragen: ja. man begriffe, weshalb der Herzog zur 
Einsetzungsfeier in Bauerntracht erschien. Die schlichte Tracht wäre 
eben mit ein Zeichen, daß sich einst ip Kärnten kroatische Eroberer 
zu bäuerlichem Leben niedergelassen und dem Staate, den sie 
gegründet, einen ihresgleichen, mithin einen Bauer, zum Fürsten 
gewählt hätten. 

Unter solchen Umständen kann mau nicht mehr achtlos an 
Gebräuchen vorübergehen, die bis in die neueste Zeit im alten Kern¬ 
lande der Kroaten, Dalmatien, in Übung waren und die gerade in 
ihrem wesentlichen Inhalt mit der Kärntner Herzogseinsetzung über- 
einstimmten. Denn auf dem klassischsten Boden der kroatischen 
Geschichte, in der Nähe der längst verfallenen Königsstadt Bihal 
wählten die Dörfler von Staro Selo noch bis ins 19. Jahrhundert aus 
ihrer Mitte einen „kralj“, einen Bauernkönig, führten ihn darauf zur 
Krönung auf den Hügel von Bihae und ließen sich von ihm schwören, 
daß er ein gerechter Richter sein werde, Witwen und Waisen 
beschützen wolle 1 ). Sollte man diese auffallende Übereinstimmung, 
das BauemfÜrstentum, hier wie dort wirklich anders erklären, als durch 
den einfachen Hinweis auf jene zweite Übereinstimmung, daß eben 
hier und dort Kroaten wohnten? Der letzte Rest von Argwohn gegen 
die Ableitung der karantanischen Edlinger aus kroatischen Eroberern 
aber schwindet, wenn man sieht, daß sich unter dieser Voraussetzung 
auch das Rätsel der Entstehung des Namens Edlinger löst Denn 
»plemeniti ljudi* d. i. Edlinger, nannten sich in Dalmatien die Ange¬ 
hörigen des herrschenden Stammes*) und Edlinger hießen die Herren 
wiederum auch in Kärnten. Die dritte, wohl überzeugendste Überein¬ 
stimmung ist damit gefunden. 

Der Name Edlinger muß daher in Kärnten so entstanden sein, 
daß im Gegensätze zum Karantaner, der als Awarenknecht seine neuen 
Herrn mit dem turkotatarischen Lehnwort Käses begrüßte, der Deutsche 
ihren Titel wörtlich übersetzte und sie Edlinger nannte. Kroate und 

*) Milinovic, Hrvatske uspomene u Dalmaciji (Vienac 1873, S. 219 f.). — 
KrzaniÖ und Bara£, V koljevci hrvatske povjesnice S. öl f. — Vgl. auch Die 
österreichisch-ungarische Monarchie Bd. Dalmatien S. 162—164. 

*) Klaiö, Hrvatska plemena od XII. do XVI. stoljeda. Rad jugoslavenske akademije. 
Bd. 130, 8.13 ff. — Raöki, Hrvatska prije XII. vieka (Rad jugoslav.akad. 67, 8.134). 



Politische Umwälzungen unter den Slowenen etc. 


265 


Edlinger waren ursprünglich dasselbe. Erst mit der Zeit verwischte 
sich diese Beziehung, da auch andere, selbst Deutsche, in den Edlinger¬ 
rang aufsteigen konnten *) und außerdem das an Zahl schwache kroatische 
Herrenvolk in den slowenischen Massen aufging. Mit ihm verschwand 
aber auch das „plemeniti ljudi“, es erstickte in dem viel gebräuch¬ 
licheren Käses. Nur in * Edlinger* klang noch Jahrhunderte später 
das kroatische Urwort nach, frei lieh ohne daß sich die Deutschen dessen 
noch bewußt gewesen wären. Denn was sie bewog, gedankenlos von 
unedlen «Edlingem* zu reden, war einzig und allein die abstumpfende 
Macht der Überlieferung; wo diese fehlte, wo ihnen, wie im Lateinischen, 
die Wahl des Wortes noch freistand, hatten sie für den Edlirger nur 
die Bezeichnung gemeinfrei-libertus übrig. 

Man kann diese Erörterungen nicht beschließen, ohne eines über¬ 
raschenden Gegenstückes in Ostrußland zu gedenken. Wie man im 
neuen «Akademischen Wörterbuch der russischen Sprache* unter dem 
Titel «knjaz* nachlesen kann und wie mir Herr Prof, Nachtigall auf 
Grund eigener Erfahrung bestätigt, wird nämlich der Wolgatatar noch 
heute von den Bussen „knjaz* (Fürst) genannt, obwohl er seinem Be¬ 
rufe nach nur Bauer, Händler, wenn nicht gar bloß Fuhrmann oder 
Hausierer ist Ein schwacher Schimmer jener glanzvollen Tage, da 
seine Vorfahren als Herren in Bußland schalteten, liegt eben noch 
heute auf ihm, selbst wenn er nur als Hausierer umherzieht Ebenso 
wenig wie einst der Nachkomme der kroatischen Eroberer Kärntens, 
unterscheidet sich also heute der Tatar Ostrußlands wirtschaftlich von 
seinen Nachbarn und trotzdem hier wie dort dieselbe Erscheinung: um 
seiuer ehemaligen Herrnstellung willen nannte man jenen «Edlinger*, 
heißt dieser «Fürst*. 

An der wichtigen Bolle, welche die kroatischen Edlinger in der 
Entstehungsgeschichte des Karantanerstaates spielten, kann man nun 
auch die politische Ohnmacht des slowenischen Volkes ermessen. 
Denn man bedenke: 629 waren die Alpenslawen der awarischen 
Herrschaft ledig, 631 wurden sie im Aufträge Dagoberts schon von 
den Langobarden besiegt, zum Teil wahrscheinlich auch unterjocht, 
um 650 aber saßen bereits Kroaten unter ihnen und legten ihnen 
den Grund zu staatlichem Leben und Selbständigkeit Sucht man sich 
die Abfolge dieser Ereignisse zu deuten, so ist man fast überzeugt 
die Slowenen hätten sich, unfähig ihre Freiheit aus eigener Kraft zu 
behaupten, die Kroaten als Schützer und Ordner ins Land gerufen, 
oder wenigstens willig bei sich auf genommen, ähnlich wie später die 


*) Zahn, ürkundenbuch f. Steiermark II S. 493. 



266 


Ludmil Hauptmann. 


Basischen Slawen den Stamm der Bulgaren x ) oder die Bossen aben¬ 
teuernde Waräger zu Herrn annahmen. Politische, staatserhaltende 
Kraft war den Slowenen unter dem Druck der awarischen Herrschaft 
abhanden gekommen, erst die Einwanderung des politisch begabten 
kroatischen Kriegerstammes hat den Karantanem jene Unabhängigkeit 
verschafft, deren sie sich bis zu den großen Umwälzungen des 8. Jahr¬ 
hunderts erfreuten. 

IV. Die Begründung der bayrisch-fränkischen Herrschaft 

Die Conversio erzählt im vierten Kapitel, um die Mitte des 
8. Jahrhunderts hätten die Awaren neuerdings begonnen, Karantanien 
zu bedrängen. Auf das Hilfsgesuch des Slowenenf&rsten Borat seien die 
Bayern herbeigeeilt und hätten die Awaren verjagt, dafür aber sich 
„die Karantaner und ihre Nachbaren (confines eorum)* unterworfen. 
Da man in confines die Krainer erblicken will *), diese jedoch, wie wir 
oben dargetan haben, bis dahin den Awaren untertan waren, so hätten 
wir den Sieg der Bayern als das Ende der Awarenherrschaft über 
Krain zu betrachten. Allein, wer sagt, daß confines richtig gedeutet 
ist? Man konnte das schon aus militärischen Gründen bezweifeln. 
Denn es ist doch wahrscheinlich, daß die Awaren nach ihrer Nieder¬ 
lage nicht über die südlichen Gebirge, sondern längs der Drau aus 
Kärnten geflohen seien. In diesem Falle stand ihnen die alte Bomer- 
straße am linken Drauufer zur Verfügung. Wenn, was naheliegt, 
die siegreichen Bayern ihnen nachsetzten, so kamen diese daher nicht 
nach Krain, sondern nach Steiermark nördlich der Drau und es wäre 
dann sehr begreiflich, daß die Bayern bei dieser Gelegenheit die Slawen 
Mittelsteiermarks unter ihre Botmäßigkeit gebracht hätten. 

Wirklich braucht man von Kapitel 4 der Conversio nur um 
wenige Zeilen zurückzugreifen, um diese Vermutung gerechtfertigt zu 
sehen. Dort staht nämlich: „Wir kommen jetzt darauf zu sprechen, 
wie die sogenannten Karantaner und ihre Nachbarn im 
heiligen Glauben unterrichtet und bekehrt worden sind“ *). 

Wenn hier der Salzburger Schreiber ankündigt, er wolle erzählen, 
wie sein Bistum „die Karantaner und ihre Nachbarn“ fürs Christen¬ 
tum gewonnen habe und wenn derselbe Schreiber gleich darauf unter 
dieser Überschrift kurz berichtet, wie die Bayern vorher erst die 
„Karantaner und ihre Nachbarn“ unterwerfen mußten, so ist daraus 


t) Niederle, Slovanakö staroZitnosti II S. 407. 

*) Koe a. a. 0. S. 263 A. 3. — Niederle a. a. 0. II S. 343. 
*) Conversio cap. 3. 



Politische Umwälzungen unter den Slowenen etc. 


267 


doch nicht nur klar, daß beidemale mit confines dieselben Nachbarn 
gemeint sind, sondern auch, wo man sie zu suchen hat Denn außer 
im engsten Karantanien, in Kärnten, haben Salzburger Glaubensboten 
nur in Steiermark und Unterpannonien nördlich der Drau gewirkt 1 ), 
nur hier können also die confines gewohnt haben. Daran zu zweifeln, 
ist umso weniger gestattet, als eine andere Stelle der Conversio in 
der Tat ausdrücklich auf die „Nachbarn der Karantaner nördlich 
der Drau bis zu ihrer Mündung in die Donau“ *) hinweist. 
Da aber Westungam noch bis auf Karl den Großen den Awaren 
gehörte, so verengt sich das Gebiet, das die Bayern ihnen um 750 
entrissen haben sollen, schließlich noch mehr und es bleibt für die 
damals befreiten „Nachbarn der Karantaner“ nur ungefähr Mittel¬ 
steiermark übrig, d. h. mehr oder weniger ausschließlich der Dud- 
lebengau. 

Untersteiermark und Krain allerdings behielten die Awaren auch 
weiterhin in ihrem Besitze. Man darf das behaupten nicht etwa bloß 
im Vertrauen darauf, daß ein Gegenbeweis aus den Quellen unmöglich 
ist, sondern weil die Umstände, die Tassilos Sturz begleiteten, es in 
nicht mißverständlicher Weise bezeugen. Von fränkischer Seite erfahrt 
man nämlich, daß damals die dem Bayemherzoge verbündeten Awaren 
in Friaul einfielen 8 ). Da man dabei so wenig wie 610 und 663 
von einem Widerstande der Slowenen an der Sawe hört, obwohl der 
Weg die Awaren gerade durch deren Land geführt haben muß, so ist 
es nur ein Gebot folgerichtiger Quellenbehandlung, wenn man erklärt, 
auch 788 seien die Krainer den Awaren noch untertänig gewesen. 
Diese Auffassung stützt sich übrigens auch auf andere kaum weniger 
starke Belege, so vor allem auf die Quellenberichte über den ersten 
Feldzug Karls des Großen gegen die Awaren. Darin heißt es, „das 
Heer, das Pippin seinem Vater zur Unterstützung geschickt, sei in 
Illyrien eingerückt [und von dort nach Pannonien gezogen] und 
habe gleich dem Heere Karls alles mit Feuer und Schwert verheert“ 4 ). 
Dadurch sei es gelungen, „in jenen Gegenden die Grenzen zu 
sichern“ 6 ). 


i) Conversio cap. 5—8. Mühlbacher, Regesten der Karolinger n. 461. 

*) Conversio cap. 8. Dazu Pirchegger, Karantanien und Unterpannonien zur 
Karolingerzeit. Mitteilungen d's Instituts für österreichische Geschichtsforschung 
33. Bd., S. 296. 

9 ) Annales Einhardi ad 788. 

<) Annales Laureshamenses ad a. 791. 

*) Mon. Germ. Epist. IV 32 ep. 7 (Alcuini. 



268 


Ludmil Hauptmann. 


Nach allem, was über den verkehrsgeographischen Zusammenhang 
Westungams mit Oberitalien feststeht, kann unter Illyrien in dem Fall 
nur das Slowenenland an der Sawe zu verstehen sein. Nur in 
Feindesland aber * rückt man ein". Halt man daher zu dieser auf¬ 
fälligen Ausdrucks weise wiederum die früher erwähnte Nachricht, daß 
die Awaren 788 als Tassilos Bacher in Friaul oder, wie eine andere 
Quelle sagt 1 ), in Italien eingefallen seien, so ist es wohl nicht zu 
bezweifeln, wo fränkischer Boden aufhörte und Feindesland begann. 
Nur Italien war fränkisch, Illyrien, unser Kraiß noch awarisch. 

Zu demselben Ergebnisse kommt man schließlich auch, wenn man 
die Nachrichten über die kirchliche Ordnung im neu unterworfenen 
Awarenlande sammelt Aus ihnen eifahrt man folgendes: 

Als Erich von Friaul 795 durch einen kühnen Vorstoß gegen die 
Theiß die awarische Macht vernichtet und den Häuptling erobert 
hatte, sandte Karl im Jahre darauf seinen Sohn Pippin von Italien 
mit einem Heere nach Ungarn, um die letzten Funken des Wider¬ 
standes auszutreten. Da aber Erich seine Arbeit so gründlich getan 
hatte, daß sich die Franken bei der endgiltigen Besitznahme keiner 
ernstlichen Hindernisse mehr versahen, so war es Karls Plan, bei 
dieser Gelegenheit auch sofort die kirchlichen Verhältnisse zu regeln, 
damit das Bekehrungswerk unverzüglich beginne. In erst* Linie 
kamen dafür Arno von Salzburg und der gefeierte Patriarch von Aquileia, 
Paulin, in Betracht. Alkuin wandte sich daher sogleich mit der Auf¬ 
forderung an sie, in den neugewonnenen Gebieten das Christentum zu 
verbreiten 2 ). Weil jedoch Paulin zwei Briefe unbeantwortet ließ, 
mahnte ihn Alkuin in einem dritten Schreiben besonders eindringlich 
an seine Christenpflicht und stellte ihm vor, daß „aller Augen auf ihn 
gerichtet seien, um zu sehen, was er tun werde“. Denn „seine Weis¬ 
heit, sein hohes Ansehen und außerdem noch die Nähe des 
Heidenlandes“, all das scheine ihn für diese Aufgabe geradezu 
vorherbestimmt zu haben 8 ). 

In dar Tat ließ sich Paulin dadurch bewegen, mit Arno in Pippins 
Gefolge nach Ungarn zu gehen. Dort vereinbarten beide Kirchen¬ 
fürsten in gemeinsamer Beratung mit anderen Bischöfen die allge¬ 
meinen Grundsätze, nach denen sie die Bekehrung durchführen 
wollten 4 ), dann zogen sie unter dem Schutze des Heeres wieder heim, 

*) Mon. Germ. Epist. IV 528 n. 20 (Karl der Große an Faatrada). 

•) Mon. Germ. Epist. IV 143 ep. 99 und 153 ep. 107. 

3 ) Mon. Germ. Epiat. IV 143 ep. 99. 

4 ) Giannoni, Paulinus IL, Patriarch von Aquileia S. 43. — Jaffö, Bibliotheca 
rerum Germanica rum VI S. 311—318. 



Politische Umwälzungen unter den Slowenen etc. 


269 


unterwegs »aber, so heißt es in der Conversio, gab Pippin an Arno 
Unterpannonien zwischen Raab, Donau und Drau zur Mission 1 ). 

Nach der bisherigen Ansicht hatte damit Salzburg alles erhalten, 
was durch den siegreichen Feldzug Erichs dem fränkischen Reiche 
ein verleibt worden war. Da es jedoch sicher ist, daß man gerade 
Paulin besonders bestürmt hatte, an der Bekehrung mitzuwirken, 
und er diesem Drängen schließlich auch nachgegeben hatte, so bliebe 
nichts übrig als zu glauben, man hätte ihn zuerst unter großen 
Versprechungen nach Ungarn gelockt, dann aber mit leeren Händen 
wieder zurückgeschickt. Allein das widerspricht durchaus der Bolle, 
die Paulin am karolingischen Hofe spielte 2 ). Es ist daher viel 
einfacher und richtiger, ohne Hintergedanken anzunehmen, daß auch 
er seinen Anteil an dem eben gewonnenen Awarenlande bekommen 
habe. Nur muß man dann dieses weiter fassen, als es bisher 
geschehen ist. Denn da Unterpannonien nördlich der Drau an Salz¬ 
burg fiel, war in Ungarn für Aquileia überhaupt nichts mehr frei, 
d. h. das an Paulin gediehene Stück des Awarenlandes muß außerhalb 
Ungarns gelegen haben. Es gibt aber nur ein Gebiet, das Erich auf 
seinem Marsche von Friaul nach Pannonien unterworfen haben kann 
und das zugleich später tatsächlich unter der kirchlichen Hoheit von 
Aquileia erscheint: das ist das Land an der alten Bömerstraße, Unter¬ 
steier und Krain. Von diesen Gegenden durfte Alkuin mit Becht 
sagen, daß Paulin schon wegen ihrer Nahe berufen sei, sie zu 
bekehren. 

Die Befreiung der Slowenen vom awarischen Joche war also in 
drei Abschnitten erfolgt: zwischen 623 und 629 hatten die Karan- 
taner, Samos Siege ausnützend, ihr Land von den Awaren gesäubert, 
um 750 entrissen dann diesen die Bayern Steiermark nördlich der 
Drau und 795 brach endlich Erich ihre Macht auch iu Untersteier 
und Krain. Seither waren alle Alpenslawen unter fränkischer Herr¬ 
schaft vereint 


V. Die karolingische Ordnung. 

Durch die Vernichtung des awarischen Reiches hatte Karl der 
Große die Pflicht unternommen, für eine neue Ordnung der Dinge im 
Osten zu sorgen. Der Jahrhunderte alte Haß der Slawen gegen ihre 
awarischen Peiniger war durch die Siege der Franken zu blutigen 
Taten entfesselt worden und drohte, die Donauländer auf lange Zeit 


J ) Conversio cap. 6. 
s ) Gi&nnoni a. a. 0. passim. 



270 


Ladmil Hauptmann. 


zum Schauplatz wüster Kämpfe zu machen* Um dies nach Möglichkeit 
zu verhindern, wies Karl der Große den Besten der Awaren eigene 
Banngebiete an, wo sie unter sich nach ihrer Vät9r Art leben sollten* 
So siedelte er den Kapkan Theodor mit seinen Leuten zwischen 
Petronell und Steinamanger an 1 * * ). Allein es erging den Awaren wie 
den Indianern in den Reservationen Nordamerikas 8 ). Der Kolonisten¬ 
strom machte an der Grenze ihrer Weidegründe nicht Halt und wenn 
sie sich auch zuweilen in verzweifelten Aufständen gegen die bayrische 
slawischen Einwanderer erhoben 8 ), ändern konnten sie ihr Schicksal 
nicht mehr, die alte Nomadenherrlichkeit war vorbei. 

Daß sich aber diese Entwicklung ohne nachhaltige innere Wirren 
vollzog, die raubgierigen Nachbarn den Anlaß zu Einfällen hätten 
liefern können, das war der straffen Markenverfassung Karls des Großen 
zu danken. Leider sind über sie die Quellen so verschwiegen, daß 
seit jeher den verschiedensten Vermutungen Tür und Tor offen stand. 
Man erkannte wohl, daß Karl das weite Gebiet zwischen Friaul und 
der Donau in zwei Verwaltungssprengel zerschlagen und den einen 
dem Grenzgrafen au der Donau, den anderen dem von Friaul zugeteilt 
hatte, aber wie die Grenze verlaufen sein mag, darüber gingen die 
Meinungen wirr durcheinander. Dümmler glaubte, der Friauler habe 
ganz Karantanien und Unterpannonien in seiner Obhut gehabt, andere 
dagegen nahm en den Lauf der Drau als Grenze der beiden Amts¬ 
bezirke an 4 ). Dieser Ansicht schloß sich jüngst auch Pirchegger an. 
Sein Verdienst ist es, endgiltig dargetan zu haben, daß keine dar 
Marken das ganze Volk der Karantaner beherbergte, sondern daß gerade 
ihr Land durch die karolingische Ordnung entzweigeschnitten wurde 5 ). 
Nur darf man nicht vergessen, daß mit der Teilung noch lange nicht 
die Draugrenze bewiesen ist Dafür bringt Pirchegger nur eineu Beleg — 
es fragt sich, ob er genügt 

Während der Kämpfe der Franken gegen Liudewit, den Fürsten 
des kroatischen Zwischenstromlandes, unterwarfen sich, wie die frän¬ 
kischen Reich sannalen melden, dem Markgrafen Balder ich von Friaul 
die Krainer und ein Teil der Karantaner, der zu Liudewib abgefallen 
war 6 * ). Pirchegger erblickt in diesen Karantanem untersteirische 


i) Annaies regni Francorum ad a. 805. 

*) Marquart, Osteuropäische und ostasiatische Streifzüge S. XIX. 

*) Annaies regni Francorum ed a. 811. 

4 ) Die verschiedenen Ansichten zusammengestellt bei Pirchegger a. a. 0. 

8. 274 n. 6. 

*) Pirchegger a. a. 0. S. 275 ff. 

•) Annaies regni Francoru n ad a. 820. 



Politische Umwälzungen unter den Slowenen etc. 


271 


Slowenen 1 ) und glaubt daher, daß die Drau die Nordgrenze des 
Friauler Sprengels gewesen sei *). Indessen, verträgt sich dieser Schluß 
mit der Darstellung der Quelle? Wir lassen sie im Auszuge folgen: 

I. (Zum Jahre 819). „Als Balderich in das seiner Leitung unter¬ 
stellte Land der Karantaner einmarschiert war, kam ihm dort das Heer 
Liudewits entgegen. Er griff es mit einer kleinen Schaar an, während 
es längs der Drau vorrückte, fügte ihm schwere Verluste zu und 
veijagte es aus jenem Lande* *). 

II. (Zum Jahre 821). „Als der Winter vorüber war . . . schickte man 
drei Heere gegen Liudewit Das eine zog von Italien über die Julischen 
Alpen, das andere durch Karantanien, das dritte durch Bayern und 
Oberpannonien . . . Das mittlere, das durch Karantanien vordrang, war 
vom Glücke begünstigt, obwohl es an drei Orten mit den Feinden 
zusanimenstieß. Denn, nachdem es die Gegner alle drei Male in die 
Flucht geschlagen und die Drau überschritten hatte, kam es 
rascher an den vereinbarten Sammelplatz als die beiden anderen 
Heere . . . Als die Truppen zurückkehrten, unterwarfen sich Balderich 
die Nachbarn der Friauler, die Krainer, die an der Sawe wohnen. 
Dasselbe tat dann auch der Teil der Karantaner, der von uns 
zu Liudewit abgefallen war* 4 ). 

Nach I sprechen militärische Erwägungen gegen die Drau als 
Nordgrenze eines Karantaner Bezirkes, der zu Friaul gehört habe. 
Die Hauptstadt Liudewits war Sissek an der Kulpa 5 ); schon damals 
und nicht erst unter Braslav zu Ende des 9. Jahrhunderts muß also 
das Herz des Kroatenstaates der Flußwinkel zwischen der Sawe, Kulpa 
und Odra gewesen sein. Eilt man aber dann untersteirischen 
Bundesgenossen nach Nordwesten an die Drau zu Hilfe, wenn sie 
einen Angriff von Süden über die Sawe erwarten? Das wäre — 
um es durch einen Vergleich im Großen besser zu veranschaulichen — 
ungefähr so, wie wenn uns in einem Kriege mit Italien Rumänien 
seine Truppen nach Schlesien schickte. Aus I ist daher die Draugrenze 
nicht zu beweisen. Ebenso wenig aber auch aus EL Denn die ab¬ 
trünnigen Karantaner kämpften ja gegen die Franken nördlich der 
Drau. Schließlich muß man sich sagen, daß die Drau als Grenze 
geradezu unmöglich ist Man braucht das nicht einmal damit zu 
begründen, daß in Kärnten doch die Karnischen Alpen und Karawanken 

*) Pirchegger a. a. 0. S. 275. 

*) Ebenda 8. 276 ff. 

*) Annales regni Francoruin ad a. 819. 

4 ) Ebenda ad a. 821. 

•) Ebenda ad a. 822. 



272 


Ladmil Hauptmann. 


die natürliche politische Scheide gegen die Mark Friaul gewesen wären. 
Entscheidend ist vielmehr folgendes: Yon Borut, Gorazd, Hotimir und 
Waltunk empfangt man aus den Quellen immer den Eindruck, daß sie 
ganz Karantanien beherrschten *). Dasselbe gilt für Pabo, den deutschen 
Nachfolger der slowenischen Volksherzoge, der etwa 844—861 regierte *). 
Nur in der Zwischenzeit sei also Karantanien in eine Nord- und Süd- 
hälffce zerfallen? Wie hätte aber dann vernünftiger Weise Kaiser 
Ludwig bei der Reichsteilung von 817 erklären können, er überlasse 
Ludwig unter anderm „die Karantaner“ 8 ), wenn er doch zugleich 
durch denselben Vertrag die ganze Südhälfte Karantaniens Lothar zuge¬ 
wiesen haben soll? Außerdem ist noch etwas zu bedenken. Ohne 
Kampf waren die Slowenen beim Sturze Tassilos unter die fränkische 
Herrschaft geraten und so treu halfen sie fortan Karl in den Kämpfen 
gegen die Awaren, daß man ihnen ruhig ihre heimischen Herrscher 
beließ und später deren deutsche Nachfolger verhielt, sogar die alt¬ 
slowenische Einsetzungsfeier in aller Umständlichkeit über sich ergehen 
zu lassen. Während man so auf der einen Seite die Eigenliebe des 
slowenischen Volkes sorgfältig schonte, wird man sie doch nicht auf 
der anderen durch die Zertrümmerung seines Staates mutwillig verletzt 
haben. Kurzum, man begreift, nach der Drau kann das Ostland nicht 
aufgeteilt worden sein. Wie sonst? 

„Als (827) die Bulgaren drauaufwärts zogen und die in Pannonien 
sitzenden Slawen mit Feuer und Schwert heimsuchten, vertrieben sie deren 
Fürsten und setzten an ihre Stelle bulgarische“ 4 ). Im folgenden Jahre 
„wurde deswegen Herzog Balderich von Friaul abgesetzt, da wegen 
seiner Untätigkeit das Heer der Bulgaren Oberpannonien (richtig: 
Unterpannonien) ungestraft verwüstet hatte“ 5 ). 

Daß sich die Bulgaren bei ihrer Plünderung auf das rechte Drau- 
ufer beschränkt hätten, ist nicht anzunehmen. Aber selbst in diesem 
Falle hätte der Vorwurf der Untätigkeit mindestens ebenso den Grenz¬ 
grafen an der Donau getroffen, wenn sein Gebiet wirklich bis zur 
Dran gereicht hätte. So geht schon aus dieser Stelle hervor, daß sich 
die Mark Friaul noch über diesen Strom nach Westungarn 
erstreckt haben muß. 


*) Converaio cap. 4f. 

*) Kämmel, Anfänge des deutschen Lebens in Österreich S. 215. — Pirchegger 
a. a. 0. 8. 277. 

•) Mon. Germ. LL. I 8. 198. 

«) Annales regni Francorum ad a. 827. 

*) Ebenda ad a. 828. 



Politische Umwälzungen unter den Slowenen etc. 


273 


Das ist auch sehr einleuchtend; einmal deshalb, weil Westungarn 
durch Erich und Pippin von Friaul aus unterworfen war und dann 
besonders darum, weil Earl der Große durch eine solche Gebietsord¬ 
nung nur dem alten, uns wohlbekannten Naturzwang Rechnung trug, 
der schon seit Jahrhunderten Westungam, Untersteiermark und Krain 
als feste geographische Einheit zusammengehalten hatte. Es erübrigt 
daher bloß, innerhalb dieses ausgedehnteu Gebietes die Sitze jener 
Karantaner festzustellen, über die Markgraf Balderich von Friaul 
geherrscht haben solL Das gelingt ohneweiters, wenn man an der 
Hand der Conversio verfolgt, wie der Name Karantaner allmählich 
einen immer weiteren Sinn bekam. 

Noch für die Zeit vor 750 zahlte nämlich die Conversio die 
mittelsteirischen Slowenen nicht zu den Karantanera 1 ); bei der Dar¬ 
stellung der Awarenkriege Earls des Großen dagegen faßte sie unter 
diesem Namen schon beide Gruppen der Alpenslawen zusammen 8 ). Sie 
durfte das mit gutem Grunde tun, weil in der Zwischenzeit infolge 
der Vereinigung Mittelsteiermarks mit Karantanien 8 ) die Bezeichnung 
des Eemgebietes auch auf das Nebenland batte übergehen können. Da 
nun die Slowenen, die nach dem Ende des Awarenreiches das ent¬ 
völkerte Westungarn besiedelten, offenbar aus diesem Neukarantanien 
einwanderten, so darf man sich nicht wundem, in dem Excerptum de 
Karentanis schließlich auch die westungarischen Slowenen Karantaner 
genannt zu sehen 4 ). Ihnen war eben ihr Name aus der alten Heimat 
in ihre neuen Sitze nachgefolgt Die Untersteirer, zum mindesten die 
südlichen, hießen dagegen noch zu Liudewits Zeiten ganz anders. Sie 
waren bis dahin immer von den Karantanem getrennt gewesen, hatten 
dafür aber mit den Slowenen im heutigen Krain stets in innigster 
Beziehung gelebt 6 ). Die Folge davon war, daß man die Slowenen 
zu beiden Seiten der Sawe, d. h. in Krain und der südlichen Unter¬ 
steiermark als ein Volk, als Krainer bezeichnete 6 ). Wie KumSic im 

*) Conversio cap. 4: dazu die Bemerkungen über die Bedeutung von confme» 
oben S. 266 t 

*) Ebenda cap. 3: quousque Franci ac Bago&rii cum Quarantanis con- 
tinuis affligendo belüs eos (sc. Hunos) superaverunt. Quarant&ni sind hier ganz 
allgemein die durch Tassilos Sturz unter fränkische Hoheit gekommenen Alpen - 
slawen, also die eigentlichen Karantaner und die noch von den Bayern dazuge¬ 
wonnenen Bewohner des steirischen Vorlandes im Osten von Kärnten; vgl. 
oben 8. 266 f . 

•) Vgl oben 8. 267. 

*) Mon. Germ. SS. XI S. 16; dazu Pirchegger a. a. 0. S. 298 f. 

*) Vgl oben S. 267 ff. 

•) Annales regni Franc, ad a. 820: Camiolenses, qui circa Savum fluvium 
habitant. 



274 


Ludmil Hauptmann. 


Zbornik Slovenske Malice I S. 97 mitteilt, schreibt Stanko Vraz noch 
1838 an Safafik, daß «schon gewöhnlich die Bewohner des Gillier Kreises 
Krajnci genannt werden“. Sporen dieses Sprachgebrauches lassen sich 
auch in alten untersteierischen Gegendnamen ohneweiteres erkennen. 
Denn Kraintsche östlich von Cilli, für das man im 15. Jahrhundert 
«in der Krain“ sagte, Kraina nördlich von Bann und Krajina, südlich 
des Gonobitzer Berges 1 ) gemahnen auch den Laien lebhaft genug an das 
bekannte Wort Chreina, das in den ältesten Urkunden als die slawische 
Bezeichnung für Krain auftritt 8 ). Wenn daher die fränkischen Beichs- 
annalen melden, Balderich von Friaul habe ein Gebiet der Karantaner 
beherrscht, so bezieht sich das unmöglich auf Untersteiermark, sondern 
nur auf das slawische Kolonialland in Unterpannonien nördlich der Drau. 
Dann und nur dann ist es aber auch verständlich, warum Liudewit seinen 
karantanischen Bundesgenossen an die Drau zu Hilfe zog und diese 
die Franken gerade an der Drau erwarteten. Denn hier war die Süd¬ 
grenze ihres Gebietes. 

Die politische Ordnung im Osten war demnach die, daß Karan- 
tanien im engeren Sinne mit Oberpannonien verbunden war, während 
Unterpannonien nördlich der Drau, mit Krain durch Untersteier und 
allenfalls das westkroatische, von Slowenen bewohnte Zagorjancr Berg¬ 
land zusammenhängend, unmittelbar Balderich gehorchte; und unter 
dessen Leitung stand auch Liudewits Staat in der weiten Mulde 
von Sissek. 

Diese Auffassung gewinnt noch dadurch an Wert, daß man durch sie 
endlich auch die Entscheidung Karl des Großen von 811 über den 
Grenzstreit zwischen Aquileia und Salzburg richtig verstehen lernt. 
Wer immer bisher die Ansicht verfocht, die karolingischen Marken 
hätten sich an der Drau berührt, der ließ es sich nicht nehmen, mit 
einem Seitenblick auf die Urkunde von 811 zu betonen, daß sich im 
Frankenreiche öfter die politischen und kirchlichen Grenzen deckten. 
Wenn man daher aus Karls Verfügung erfahre, die Drau habe die 
Sprengel von Aquileia und Salzburg geschieden, so sei es nur methodisch 
anzunehmen, daß auch für die beiden Marken dieselbe Grenzlinie 
gegolten habe 8 ). Da man nun aus der Conversio wußte, daß 796 


*) Zahn, Ortsnamenbuch 8. 112. — Trstenjak, Weriand de Graz (nach einer 
Besprechung Rntars in Z?on Bd. 6 8. 46. 

*) Mon. Germ. Dipl. II S. 56 n. 47 und Font. rer. austr. Dipl. 31 8. 36 n. 37 
(973): Camiola — quod vulgo Creina marcha appellatur. 

9 ) Krones, Handbuch der Geschichte Österreichs 1, 274. Hasenöhrl, Deutsch¬ 
lands südöstliche Marken im 10., 11. und 12. Jahrh. Archiv für österreichische 
Geschichte 82, 533. Giannoni, Paulinus IL, Patriarch von Aquileja 8. 60. Werunsky, 



Politische Umwälzungen unter den Slowenen etc. 


275 


Pippin das eben eroberte Westnngam nördlich der Drau an Salz¬ 
burg gegeben hatte 1 ), so hielt man es für sehr wahrscheinlich, daß 
dieser Fluß schon damals als Grenze zwischen beiden Kirchen bestimmt 
worden sei und meinte, die etwas später erfolgte politische Ordnung 
habe sich infolgedessen hier nur an die schon vorhandene kirchliche 
Einteilung angelehnt Das bedeutet aber für die Urkunde von 811, 
daß Karl der Große die Diözesanbezirke Salzburgs und Aquileias nicht 
erst damals nach der Drau voneinander getrennt habe, sondern 
daß sein Urteil nur die alte Grenze gegenüber den Anfechtungen 
Aquileias feierlich habe bestätigen sollen. Im Eifer der Logik 
bedachte man jedoch nicht, daß gerade Karls Schiedspruch von 811 
zu solchen Vermutungen am wenigsten Anlaß gibt 

Dort wird erzählt, daß Erzbischof Arno und der Nachfolger des 
Patriarchen Paulin von Aquileia, Ursus, vor Karl erschienen seien, um 
ihn entscheiden zu lassen, zu welcher Diözese Karantanien von rechts- 
wegen gehöre. Ursus gab nämlich vor, ein altes Recht darauf zu 
haben, weil Karantanien vor dem Einbruch der Langobarden in Italien 
von Aquileia abhängig gewesen sei; Arno dagegen berief sich auf 
Verordnungen einiger Päpste, die jenes Land zu Salzburg geschlagen 
hätten. Dann heißt es wörtlich: 

„Um die beiden Kirchenfürsten miteinander zu versöhnen und 
für alle Zukunft ihnen und ihren Nachfolgern jeden Grund zu Streitig¬ 
keiten zu nehmen, geruhten wir (Karl), nach gründlicher Behandlung 
ihres Falles die genannte Provinz Karantanien so unter sie zu teilen, 
daß die Drau, die mitten durch jenes Gebiet fließt, die Grenze zwischen 
beiden Sprengeln sei — Zugleich . . . befehlen und gebieten wir, daß 
die hier anwesenden verehrungswürdigen Männer Maxentius, der erst 
kürzlich der Nachfolger des Patriarchen Ursus geworden ist, und Arno, 
der Erzbischof von Salzburg, in dieser Sache nie mehr eine Klage 
erheben, sondern zufrieden sein sollen mit dem Urteil, das wir nach 
Recht und Billigkeit . . . gefallt haben. Denn es erschien uns am 
richtigsten, jene Provinz, auf die sie beide angeblich Rechte besitzen, 
unter sie zu teilen, weil es uns peinlich gewesen wäre, die Ansprüche 
des einen oder andern als falsch und nichtig zu erklären 11 *). 

Jeder Unbefangene muß schon aus dem Wortlaut der Stelle 
erkennen, daß erst durch diesen Erlaß die Drau in ganz Karantanien 

österreichische Reichs- und Rechtageschichte S. 265 n. 1. Kos, Gradivo 1. Bd., 
XXXV. Pirchegger &. a. 0. 8. 3 ff. 

q Convenrio cap. 6. 

*) Mon. Germ. Diplom. Karol. 1 n. 211. — Böhmer-Mühlbacher, Regesta i‘ 
perii 2. Auf. 1 n. 461. 



276 


Ludmil Hauptmann. 


als Grenze zwischen Salzburg und Aquileia festgelegt worden ist 
Bisher kann sie es gar nicht gewesen sein. Denn angenommen, sie 
hätte dort schon vorher die Grenze gebildet, so hätte sich Karl durch 
seine Entscheidung 811 rückhaltlos auf die Seite Salzburgs gestellt 
und Aquileia öffentlich ins Unrecht gesetzt Gerade eine solche ein¬ 
seitige Stellungnahme aber wollte er ja nach seinen eigenen Worten 
um jeden Preis vermeiden und darum war für ihn ein Ausgleich der 
einzige Weg, der aus dem Streit der beiden Kirchenfürsten zu einem 
dauernden Frieden führen konnte. Erinnert man sich, daß nach 
unseren Ausführungen Aquileia 796 aus der Awarenbeute Krain und 
Untersteiermark erhalten hatte, so wird es auch sofort klar, worin der 
Ausgleich bestand. Denn dann ergibt sich, daß Aquileia 811 auf 
Kosten Salzburgs zu seinem bisherigen Missionsgebiet noch Süd¬ 
kärnten bekam. Nicht wenig dürfte zu diesem Ausgleich die Erwägung 
beigetragen haben, daß 796 durch die Verleihung des nördHchen 
Unterpannonien an Salzburg Aquileia eigentlich verkürzt worden war, 
weil es gestützt auf den Brauch, kirchliche und politische Grenzen 
zusammenfallen zu lassen, Diözesanrechte im ganzen Bereiche der 
Mark Friaul hätte beanspruchen können. Wenn es daher 811 Süd¬ 
kärnten empfing, so mag das eine wenn auch späte Entschädigung 
für den Verzicht auf Westungam nördlich der Drau gewesen sein. 
Freilich war dadurch hier im Südosten des Karolingerreiches der 
Zusammenhang zwischen politischer und kirchlicher Einteilung voll¬ 
ständig zerstört Denn wie man früher die Mark Friaul auf Salzburg 
und Aquileia aufgeteilt hatte, so war es jetzt mit der „Provinz* 
Karantanien geschehen. 

VI. Die Reform Ludwigs des Frommen. 

Die politische Ordnung Karls des Großen überlebte den Tod ihres 
Schöpfers kaum 14 Jahre. Ihren Zweck, das christliche Abendland 
vor den Barbaren des Ostens, vor allem den Bulgaren, zu schützen, 
erfüllte sie nur, solange bloß die Donauländer der Wetterwinkel 
Europas waren. Diese Voraussetzung traf aber schon für das dritte 
Jahrzehnt des neunten Jahrhunderts nicht mehr ganz zu, da sich 
damals an der Adria im dalmatinischen Kroatenreich eine zweite Brut¬ 
stätte politischer Gefahren gebildet hatte. Zwar hielt Ban Borna, 
vielleicht auch sein Nachfolger Ladislaus treu zu den Franken, aber 
wie unverläßlich so entlegene Vasallenstaaten waren, dafür hatte man 
an dem Herrscher Binnenkroatiens, an Liudewit, ein warnendes 



Politische Umwälzungen unter den Slowenen etc. 


277 


Beispiel 1 ). Was dieser getan, konnten über kurz oder lang auch die 
dalmatinischen Kroaten tun — und dann war die Sicherheit der 
italischen Küsten dahin. 

Wir wissen nicht genau, ob es bereits in den zwanziger Jahren 
so weit kam, jedenfalls aber genügten schon die Piratenfahrten der 
«üddalmatinischen Narentaner 8 ), um Friaulem und Venetianern einen 
Vorg38chmack der Schrecken zu verschaffen, die ihrer harrten, wenn 
auch noch die seegewaltigen Kroaten an der ganzen Küste von Albona 
in Istrien bis zur Cetina in Dalmatien gegen sie losbrachen. Es ist 
leicht zu verstehen, daß sich durch diese Entwicklung die politische 
Lage des Markgrafen von Friaul sehr verschlechtert?. Denn nun sollte 
er nicht mehr nur die Wacht an der Sawe gegen die Bulgaren halten, 
sondern auch die an der Adria gegen die Slawen der östlichen Küsten. 
Diese doppelte Aufgabe aber zersplitterte seine Kräfte und ließ 
befürchten, im entscheidenden Augenblicke könnte an der entscheidendem 
Stelle der Grenzschutz versagen. Dagegen konnte nur ein Mittel helfen* 
und das war, die Aufgaben säuberlich zu trennen. Die Seepolizei in 
der Adria, die war naturgemäß von Italien aus zu besorgen; demselben 
Lande dazu aber noch die Grenzhut ii Pannonien aufzubürden, war 
militärisch falsch, die übertrug man vielmehr am besten dem Grenz¬ 
grafen an der Donau. Bisher hatte er sich mit dem Markgrafen von 
Friaul in sie geteilt —- wenn er nun die Grenzhut ganz in seine 
Hände nahm, so könnt? das nur nützen, lag doch darin die sicherste 
Gewähr einer einheitlichen Binnenpolitik. Nicht politische Kurzsich¬ 
tigkeit, sondern staatsmännische Klugheit trieb also dazu, sobald wie 
möglich, die karolingische Südmark wieder aufzulösen, damit nur 
Friaul und Istrien bei Italien bleibe, Krain, Untersteiermark und Unter¬ 
pannonien nördlich der Drau dagegen mit den übrigen Alpenländem 
vereinigt werde. 

Den Anlaß zu diesen Gebietsveränderungen gaben die Ereignisse 
von 827 und 828. Damals zogen nämlich die Bulgaren sengend und 
brennend in Unterpannonien umher, ohne von Balderich, dem Mark¬ 
grafen von Friaul, gestört zu werden. Der Kaiser setzte ihn darauf 
wegen Untätigkeit ab und zerschlug seine Mark in vier Graf¬ 
schaften 8 ). Zwei davon waren Friaul im engeren Sinne und Istrien, 
von den beiden anderen kann man vorläufig nur sagen, daß sie sich 


*) Annales regni Francoram ad a. 818, 819, 820, 821. 

*) JireCek, Geschichte der Serben I S. 196. — Marquart, Osteuropäische und 
ostasiatiscbe Streifzüge S. 248 f. 

*) Annales regni Francoruin ad a. 827, 828. 



278 


Ludmil Hauptmann. 


irgendwie in den Rest der alten Mark, Westungarn und Untersteier- 
mark-Krain, geteilt haben müssen. Während aber jene bei Italien 
verblieben, ist es sicher, daß diese schon 828 ihrem westlichen Hinter¬ 
land angegliedert wurden. Denn den Hachezug gegen die Bulgaren 
unternahm man nicht mehr von Italien aus, sondern dazu wurde noch 
828 Ludwig von Bayern beordert 1 ). Daß seither die ganze Ost¬ 
grenze dem Schutze des Herrn der Donauländer anvertraut war, zeigte 
sich auch zehn Jahre später im Kriege mit Ratimir, dem Fürsten von 
Sissek. Gegen seinen Vorgänger Liudewit war noch Balderich von 
Friaul ausgezogen 2 ), gegen Ratimir jedoch schickte man 838 Ratbod, 
den Grenzgrafen an der Donau 8 ). Von einem italischen Heere war 
nicht mehr die Rede, Adria- und Donaupolitik waren jetzt reinlich 
geschieden, wie es der Größe ihrer Aufgabe entsprach. 

Welche aber waren nun eigentlich die beiden Grafschaften, die 
nach der Auflösung der Mark Friaul in Untersteiermark-Krain und 
Westungarn eingerichtet wurden? Wenn man sich erinnert, daß nach 
den Awarenkriegen Unterpannonien nördlich der Drau von Karantanera 
besiedelt wurde, während südwestlich davon zu beiden Seiten der Sawe 
die Krainer saßen, so scheint es unbedingt erwägenswert, ob nicht die 
Verwaltungsreform Ludwigs des Frommen an diese nationalen Ver¬ 
hältnisse angeknüpft und eine Grafschaft Westungarn neben einer an 
der Sawe geschaffen habe. Um das zu entscheiden, geht man am 
besten von den Zuständen um 850 aus. 

In Unterpannonien lebte damals der aus Nordungam vertriebene 
Slawenfürst Pribina mit seinem Sohne KozeL Durch die Gnade Lud¬ 
wigs des Deutschen hatte er viele Güter zuerst zu Lehen, dann zu 
Eigen erhalten, auf deren verwilderten Boden er Scharen von deutschen 
und slawischen Kolonisten berief 4 ). Er war aber nicht etwa bloß 
Großgrundbesitzer, sondern zugleich auch Fürst mit einem eigenen 
„Dukat“ 5 ). Das Herz dieses Fürstentums war die Gegend am Platten¬ 
see, wo die Moosburg lag; von hier reichten Pribinas Besitzungen bis 
nach „Ruginesuelt“, in der Grafschaft Dudleipa, nach Pettau, Fünf¬ 
kirchen 6 ) und an den Fluß „Valchau“ 7 ). 

i) Annales Fuldenses. Mon. Germ. SS. I, 359. 

*) Annales regni Francorum ad a. 819, 820. 

*) Conversio cap. 10. 

«) Ebenda cap. 11; Böhmer-Mühlbacher, Regesta imperii 1 n. 1387, n. 138S d . 

•) Regesta imperii 1 n. 1442. 

•) Vgl. n. 3 —5, dazu: Bitterauf, Die Traditionen des Hochstiftes Frei¬ 
sing 1 n. 887. — Pez, Thesaurus anecdotorum 1, 233. — Hauthaler, Salzburger 
Urkundenbuch 2, 36°. — Regesta imperii 1 n. 1858. — Conversio cap. 11, 13. 

T ) Regesta imperii 1 n. 1387. 



Politische Umwälzungen unter den Slowenen etc. 


279 


Über die Gegend, in die man den Yalchan zu verlegen habe, war 
man lange im Unklaren. Oefele dachte an den Valpo, der bei Esseg 
in die Drau mündet 1 ); Pirchegger suchte dagegen den Yalchan, Kos 
folgend*), in dem Flusse „Velih“ in der Nähe des Plattensees oder in 
einem „Walchenau“ *), Niederle endlich erklärte ihn für die Vuka, die 
sich zwischen Drau und Sawe bei Yukovar in die Donau ergießt. 
Nach der Zusammenstellung der Namen, die sich seit dem zweiten 
Jahrhundert nach Christus für die Vuka finden, kann man allein 
Niederle recht geben 4 ). Er führt nämlich an: Ulca fluvius, Ulcus 
amnis, Oookxoc und bringt aus späteren ungarischen Quellen auch 
den Namen eines Ortes an demselben Flusse: castrum Wolkou, Wulc- 
kow, Walkow, Walko, villa Uulchoi, Uelchea. 

Die sprachliche Erklärung von Yalchan ist nun überaus leicht 
€h steht zunächst für k um des starken Hauches willen, mit dem man 
es aussprach: Yalkau. A vor 1 erklärt sich aus der Schwierigkeit, 
das halbvokalische 1 von vlk (Wolf) schriftlich wiederzugeben. Die 
verschiedenen Auflösungsarten ersieht man aus der obigen Reihe. 
Entweder schlug man ein e vor (Ufelchea), ein u (Wülckow), ein o 
(Wölkov) oder ein a (Walkow); damit gewinnt man für das urkund¬ 
liche Valchau die Form Ylkau. 

Das au ist die Endung, die aus dem Hauptwort ein besitzan¬ 
zeigendes Eigenschaftswort macht Diese heißt eigentlich ov (Walkow), 
in der Aussprache aber lautet sie leicht wie au. Man braucht zum 
Vergleiche nur an die in Urbaren slowenischer Grundherrschaften 
überlieferte Ortsbezeichnung Fresau für Brezovo zu denken. Das 
ergibt für «fluvius Valchau“ fluvius Ylkov, oder einfach das 
Grundwort zu Ylkov: Vlka. Da aber das altslawische halbvokalische 1 
im Serbischen zu u wird, so folgt daraus weiter: Valchau—Vuka. 

Für den Umfang des unterpannonischen Fürstentums würde dies 
lehren, daß Pribinas Herrschaft im Süden bis ins östliche kroatische 
Zwischenstromland, nach Sirmien, gereicht habe. Das wäre auch sehr 
begreiflich. Denn während Sirmien durch ungeheure Wälder und 
Sümpfe von der Westhälfte des kroatischen Tieflandes getrennt war, 
hing es enge mit Ungarn zusammen, weil es dessen Völkern einen 
ebenso bequemen Weg nach Byzanz bot, wie Untersteiermark-Krain 
nach Italien. Die Ost- und Westhälfte des kroatischen Zwischenstrom- 

*) Sitzungsberichte der phil.-hist. Klasse der kgl. bayrischen Akademie in 
München 1893 S. 298. 

*) Koe, Gradivo 2, S. 109 Anm. 1. 

*) A. a. 0. S. 283. 

4 ) Slovanakl starozitnosti 11, 150 und 366. * 


19* 



280 


Ludmil Haupt mann. 


landes hatten daher Jahrhunderte lang jede ihr eigenes Schicksal: Die 
Börner verbanden Sirmien nicht mit dem Becken von Sissek, sondern 
schlossen es mit dem nördlich anstoßenden Ungarn am rechten Ufer 
der Donau zur Provinz Pannonia inferior zusammen. Die Hunnen 
berannten Sirmium im Osten, zerstörten Aquileia im Westen, die 
Awaren sicherten sich gleichfalls die Straßen nach Kons tan tinopel und 
an den Po und die Magyaren taten dasselbe, indem sie einerseits 
ihre Posten zwischen Donau und Sawe vorschoben, anderseits sich den 
Weg durch Untersteiennark-Krain nach Oberitalien erzwangen. Das 
Becken von Sissek aber lag zwischen den beiden Heerstraßen immer 
wie eine Verkehrswüste da. Es würde daher nur ein Fortwirken 
uralter geographischer Einflüsse bedeuten, wenn in der Karolingerzeit 
wirklich wohl das Fürstentum Sissek nur in lockerer Abhängigkeit 
von den Franken gestanden hätte, Sirmien dagegen zusammen mit 
Unterpannonien nördlich der Drau unmittelbar mit ihrem Reiche ver¬ 
eint gewesen wäre. 

Indes, war das zur Zeit Ludwigs des Deutschen noch politisch 
möglich? Erich von Friaul hatte allerdings die fränkische Herrschaft 
bis auf Sirmien ausgedehnt, allein 827 war doch dieses Gebiet den 
Bulgaren zugefallen und ein Bachezug der Franken im folgenden 
Jahre*) hatte so wenig Erfolg erzielt, daß die Bulgaren schon 829 
von neuem fränkische Grenzlande brandschatzten *). Da Sirmium um 
900 nachweislich ein bulgarisches Bistum war, so gilt es als ausge¬ 
macht, die Franken hätten 827 für immer den Donau-Sawewinkel vor 
den Bulgaren geräumt 8 ). Dieser Ansicht zuliebe sagt man sogar dem 
Erzbischof von Sirmium, Method, nach, er habe nie in der Stadt, nach 
der er den Titel führte, seinen Sitz gehabt. Wir müßten daher den 
Valchau trotz des unanfechtbaren sprachlichen Zusammenhanges mit 
Vlka irgendwo nördlich der Drau suchen, denn südlich hätte Ludwig 
der Deutsche um 846 Pribina beim besten Willen nichts .melir zu 
schenken gehabt 

Allein der Widerspruch zwischen der bisherigen Auffassung und 
unserer früher geäußerten löst sich, wenn man unbefangen den Gang 
der Ereignisse überdenkt, wie ihn die Quellen beschreiben: Ungefahr 
836 war nach dem Zeugnis der Gonversio Pribina aus Oberungarn vor 
dem Mährerfürsten Mojmir zu Ratbod, dem Grenzgrafen an der Donau 
geflohen. Da er sich aber bald mit diesem zerstritt, so entwich er zu 


*) Annales Fuldenses. Mon. Germ. SS. 1, 359. 
») Ebenda 1, 360. 

•) Jireöek, Geschichte der Serben 1, 194. 



Politische Umwälzungen unter den Slowenen etc. 


281 


<len Bulgaren. Doch auch hier litt es ihn nicht lange und er begab 
sich daher zu Batimir, dem Fürsten von Sissek. Als nun Batbod im 
Aufträge Ludwigs des Deutschen Batimirs Land eroberte, setzte Pribina 
über die Sawe und versöhnte sich durch Vermittlung des Grafen Salacho 
wieder mit Batbod 1 ). 

Sucht man sich nach diesen Angaben die politischen Verhältnisse 
der dreißiger Jahre zu vergegenwärtigen und die so gewonnene Einsicht 
durch andere Nachrichten zu vertiefen, so ergibt sich schließlich 
folgendes: 

In Sissek herrschte zu jener Zeit Batimir, der sich, glücklicher 
als sein Vorgänger Liudewit, wahrscheinlich schon 827 im Bunde mit 
den siegreichen Bulgaren die Unabhängigkeit von den Franken errungen 
hatte. Da sich die Bulgaren damals des bis dahin fränkischen Sirmien 
bemächtigt hatten *) und Batimir so ihr unmittelbarer Nachbar geworden 
war, konnte Pribina um 838 ungefährdet aus Bulgarien zu ihm reisen, 
ohne befürchten zu müssen, unterwegs in Sirmien seinem Feinde Batbod 
in die Arme zu laufen. Jedoch seines Bleibens war hier nicht lange, 
weil Batimirs Land gerade um jene Zeit wieder von den Franken 
unterworfen wurde. Seither blieb es in dieser Untertänigkeit, ja später 
hielten seine Bewohner so treu zu den Karolingern, daß Fürst Braslaw 
von Arnulf sogar noch Unterpannonien nördlich der Drau zur Ver¬ 
waltung bekam 8 ). Erst die Magyaren machten dann dem fränkischen 
Einfluß an der Sawe ein jähes Ende. 

Beachtet man nun, daß in den dreißiger-vierziger Jahren Bulgarien 
unter Thronwirren und unglücklichen Kämpfen mit den Serben litt, 
und daß 845 eine bulgarische Gesandtschaft am fränkischen Hofe in 
Paderborn erschien 4 ), so wird man unsere Auffassung gerechtfertigt 
Anden, daß jener Valchau, an dem 846 Ludwig der Deutsche Pribina 
Kundert Hufen verlieh, in der Tat die Vuka am rechten Ufer der 
Drau sei. Denn ohne Zweifel hatte Batbod im Verfolge seines Sieges 
über Batimir die unsicheren Verhältnisse in Bulgarien ausgenützt, um 
auch Sirmien wieder ans Karolingerreich zu bringen, von dem richtigen 
Gefühl geleitet, daß man der Kroaten von Sissek nur sicher sei, wenn 
man sie möglichst streng /on ihren früheren Bundesgenossen, den 
Bulgaren, abschließe. Die Gesandtschaft von 845 bedeutet dann die 

*) Conrersio cap. 10. 

*) Jiredek, Geschichte der Serben 1, 194. 

*) Annales Fnldenses. Mon. Germ. 88. 1, 413. 

4 ) Jireöek, Geschichte der Bulgaren S. 149. — Dümmler, Geschichte des ost- 
fr&pkiachen Reiches 2. Aufl. 1, 285; Über die älteste Geschichte der Slawen in 
Dalmatien 8. 393. 



282 


Ludmil Hauptmann. 


Anerkennung der fränkischen Erfolge durch die Bulgaren und die 
Schenkung von 846 den Beginn einer weitausgreifenden Kolonisation 
unter der Leitung des treuen Pribina. 

Daß an dieser Besiedelung auch Deutsche beteiligt waren, ist 
nicht nur mit Bücksicht auf die Bolle des Deutschtums in Unter- 
pannonien als wahrscheinlich anzunehmen l ), sondern erhellt auch 
unmittelbar aus einem geographischen Eigennamen* Nordwestlich von 
Esseg liegt nämlich der Ort Valpovo. Die Endung des Wortes ist 
slawisch, nicht so der Stamm. Da der Wasserlauf, an dem Valpovo 
liegt, heute Vucica (Wolfsbach) heißt, so ist es sicher, daß das in 
Valpovo enthaltene Valpo das alte deutsche Wlpo oder Wulpo ist und 
das a wie in Valchau nur als Vorschlag vor das halbvokalische 1 ge¬ 
raten ist Das Wortpaar Valchau-Valpo gehört nun zu jenen bedeut¬ 
samen geographischen Namenszwillingen, die sich dort finden, wo 
Deutsche in slawische Gebiete eingewandert sind. Zwei besonders auf¬ 
fallende Beispiele dafür kennt man aus der Umgebung von Graz. 
Unweit des Kroisbaches fließt dort der Bagnitzbach, dessen Name 
aus dem slowenischen rak (der Krebs, Krois) abgeleitet ist*) und 
gleichfalls bei Graz erhebt sich der Geierkogel neben dem Schocket, 
d. h. dem Sitze des sokols 8 ). Beidemale ist es offenkundig, wie die 
Namengebung erfolgt war: die schütter wohnenden Slowenen hatten 
hier und dort einen Berg, einen Fluß in ihrer Sprache getauft und 
die Deutschen, die später einwanderten, hatten nicht den Ehrgeiz, 
bodenständige Namen durch Übersetzungen zu verdrängen, sondern 
bezeichnten damit lieber benachbarte Örtlichkeiten. Ähnlich muß es 
auch in Sirmien zugegangen sein: Deutsche wanderten über die Drau 
nach Sirmien, hörten dort von einem Flusse Vlka, unserem »Valchau* 
und übersetzten nnn diesen Namen mit Hilfe des gut deutschen 
Wlpo-Valpo, um damit den Nachbarfluß des »Valchau* oder einen Ort 
an ihm zu bezeichnen. 

Alles, was man über das Schicksal Sirmiens im 9. Jahrhundert 
erfahrt, reimt sich somit auf unsere frühere Behauptung, daß das 

i) Vgl. die Namen der Zeugen, die der Weihe der von Pribina erbauten 
Kirche za Moosbarg 860 beiwohnten: Converaio cap. 11. 

*) £ trekelj, Prispevki k poznavanju slovenskih krajevnih imen po ncmskem 
Ötajexju. Oasopis za zgodovino in narodopiqje I S. 80. 

*) Für die Ableitung von Schökel aus sokol ein schlagendes Gegenstück in 
dem Dialektwort Scheckei, das ursprünglich die volkstümliche Umbildung für den 
Namen des Raubritters Sokol von Lamberg war: Güttenbergcr, österreichischer 
Schulbote 56, 465. 



Politische Umwälzungen unter den Slowenen etc. 


283 


Fürstentum Pribinas und Kozels im Süden bis in den Donau-Sawe- 
winkel gereicht habe l ). Nur wo die Westgrenze ihres Landes gewesen 
sei, ist noch nicht ohneweiters zu erkennen, da man nicht weiß, ob 
die Grafschaft Dudleipa zu Earantanien oder Unterpannonien gehört 
habe. Doch ist die Entscheidung dieser Frage durch die scharfsinnigen 
Bemerkungen Pircheggers über die Urkunde Ludwigs des Deutschen 
▼om 20. November 860 bereits angebahnt 8 ). Sie erwähnt für Öster¬ 
reich, Westungarn, Steiermark und Kärnten etwa vierzig Orte, an 
denen Salzburg Besitzungen hatte. Die Aufzahlung ist so dürr, daß 
einfach Name auf Name folgt; nur zwei „item“ zerlegen die Liste in 
drei Abschnitte, die nach Pircheggers überzeugendem Beweis der Ein¬ 
teilung des karolingischen Ostens in Ober-, Unterpannonien und 
Earantanien entsprechen. Auf Grund dieser Entdeckung suchte er nun 
die Grenze Unterpannoniens gegen Earantanien festzustellen und fand 
dabei folgendes: 

Die Beihe der unterpannonischen Orte endet mit Nestelbach bei 
Uz, dann kommen bereits in Earantanien die Baab, Tudleipin, Sulm, 
ferner eine Kette von Orten bis Treffen im Bezirke von Villach, 
schließlich gelangt man über Obersteiermark wieder an die Baab zurück, 
wo als letzter Salzburger Besitz auf karantanischem Boden Langraben 
bei St Buprecht erscheint. Die Grenze zwischen Earantanien und 
Unterpannonien verlief daher unzweifelhaft zwischen St. Buprecht und 
Nestelbach. Ihre südliche Fortsetzung möchte man sich mit Hilfe der 
Angaben über Tudleipin zurechtlegen. Dieser Ort, der nach seinem 
Platze in der Urkunde von 860 zwischen Baab und Sulm, etwa an 
der Mur, zu suchen ist, war Mittelpunkt der gleichnamigen Grafschaft. 
Ihr gehörte zwar noch der mittelsteirische Gnasbach an, nicht aber 
der Lendvabach, der östlich von Gleichenberg entspringt und parallel 
der Mur in Westungam fließt 8 ). Die Grafschaft lag also ganz in der 
Mittelsteiermark und man sollte meinen, ihre Grenze und damit auch 
die Karantaniens gegen Unterpannonien habe sich zwischen den 
beiden Bächen hingezogen. 

*) l)aß Sirmien zu Unterpainonien geschlagen worden ist, ergebe sich nach 
Karquart übrigens auch aus folgender Stelle bei Porphyrogennetos: »Flußaufwärts 
liegt eine Stadt namens Sirmiam von Belgrad zwei Tagreisen entfernt ; dort be¬ 
ginnt Groß -Mähren . das die Magyaren besetzt haben und über das früher 
äwendoplok herrschte«. Marqurt behauptet nämlich, Konstantin habe hier Groß- 
Kahren mit Pribinas Reich verwechselt. Ist das wahr, so wäre diese Stelle aller¬ 
dings auch ein Beweis dafür, daß Pribinas Fürstentum und damit das ostfränkische 
Reich sich bis nach Sirmien erstreckt haben. 

*) Pirchegger a. a. 0. S. 290 ff. 

*) Ebenda S. 294. 



284 


Ludmil Hauptmann. 


Merkwürdigerweise will gerade Pirchegger davon nichts hören, da 
ihm die politische Zugehörigkeit von Dudleipa zu zweifelhaft ist Nach 
einer Quellenmeldung war nämlich dort Kozel begütert, sein Vater 
Pribina hatte sogar in Dudleipa eine Kirche weihen lassen; da aber 
beide die Herren von Unterpannonien gewesen waren, so neigte man 
bisher der Ansicht zu, Dudleipa habe derselben Landschaft angehört, 
obwohl das in keiner Quelle steht Es entspricht jedoch Pircheggers 
behutsamer Art daß er um dieser landläufigen Annahme willen sogar 
der von ihm so glücklich ausgelegten Urkunde von 860 nicht unbe¬ 
dingte Beweiskraft zuspricht Zwar meint er, die beiden Fürsten 
könnten auch außerhalb Pannoniens königliches Gut erhalten haben, 
etwa im angrenzenden Karantanien. Dann wäre der Widerspruch 
zwischen den Nachrichten der Quellen nur scheinbar. Doch er kommt 
davon gleich wieder ab, denn so etwas „lasse sich wohl weder beweisen 
noch ableugnen 11 . 

Pirchegger treibt damit die Vorsicht zu weit Wenn der Ver¬ 
fasser der Urkunde so bewandert war, daß er neunzshn karantanische 
Gegenden und Siedlungen genau in der ihrer Lage entsprechenden 
Ordnung anführt wird er dann gerade von Dudleipin nicht einmal 
das Verwaltungsgebiet gekannt und den Ort aus Versehen in 
Karantanien anstatt Pannonien vermutet haben? Solche Gedanken 
widerlegen sich auch dadurch, daß ja Pannonien erst unter Karl dem 
Großen an die Deutschen fiel, Dudleipa dagegen schon von den Bayern 
zu Karantanien geschlagen worden war, sodaß die Dudleben in deu 
Awarenkriegen bereits zu den Karantanern zahlten. 

Wie soll man es aber dann verstehen, daß Fürsten Unterpannoniens 
in Karantanien begütert waren? Pirchegger dachte, wie gesagt, an 
die Möglichkeit der König habe ihnen eben auch außerhalb ihres 
Herrschaftsbereiches Besitzungen verliehen. Doch warum? Königsland 
muß es in Pannonien selbst genug gegeben haben. Hier im eigenen 
Fürstentum Pribina etwas zu schenken anstatt in einer fremden 
Grafschaft, hätte gewiß den Vorteil gehabt daß sich der Besitz hätte 
leichter verwerten lassen. Die Sache wird daher anders zu erklären 
sein. Unterpannonien war ein 'wichtiges Grenzland des karolingischen 
Reiches. Aus dem Beispiel der Ostmark, die mit dem Traungau ver¬ 
bunden war, aber ersieht man, daß solche Gebiet; zur Erhöhung ihrer 
Wehrfähigkeit als Marken eingerichtet und mit einer Grafschaft im 
Rücken als sicherem Hinterland ausgestattet waren. Ein ähnliches 
Verwaltungsgebilde war offenbar auch das Fürstentum Pribinas: Unter¬ 
pannonien die Mark, Dudleipa dahinter die Grafschaft, durch die jene 



Politische Umwälzungen unter den Slowenen etc. 


285 


im Mutterlande verankert war. Der Besitz Pribinas in Dudleipa hat 
dann nichts mehr Wunderliches an sich; er war entweder ein Ausfluß 
königlicher Gnade oder geradezu das Amtsgut des Grafen. 

Und nun zurück zur Reform von 828! Von den vier Verwal- 
tungssprengeln, in die man damals die karolingische Südmark zer¬ 
schlug, kennen wir jetzt die drei Marken Istrien, Friaul und Unter¬ 
pannonien. Zieht man diese Bezirke vom Gebiete des allen Groß- 
Friaul ab, so engt sich der Baum, den die vierte Mark eingenommen 
haben kann, auf das Land zu beiden Seiten der Sawe ein. In der 
Tat wird gerade hier zwischen Friaul und Unterpannonien eine 
„marchia iuxta Sawam“ erwähnt, zu der nachweislich beide Ufer dieses 
Flusses in Untersteier und Krain gehörten. Wiewohl sie erst für 895 
urkundlich bezeugt ist 1 ), wird man doch ihre Entstehung nach den 
obigen Ausführungen unzweifelhaft in das Jahr 828 verlegen und 
nun auch in jenem Salacho, der um 838 als Graf an der Sawe 
gebot, den ersten geschichtlich bekannten Markgrafen dieses Gebietes 
erblicken *). 

Die Reform Ludwigs des Frommen bestand also darin, daß er 
Balderichs Groß-Friaul in vier Marken auflöste und davon zwei, Istrien 
und Friaul im engeren Sinne, bei Italien beließ, Unterpannonien und 
die von den Krainern bewohnte Mark an der Sawe aber mit Karan- 
tanien verband. Erst seither war die Voraussetzung gegeben, den 
Namen Karantaner auch auf die untersteirisch-krainischen Slowenen 
auszudehnen. 

* * 

Unsere Darstellung ist zu Ende. In rasch wechselnden Bildern 
sind drei Jahrhunderte alpenslawischer Geschichte an uns vorüberge¬ 
zogen. Als Awarenknechte, sehen wir, traten die Alpenslawen in die 
Geschichte ein: nicht ein festgefügtes Volk, sondern, wie das Beispiel 
der Duljeben lehrt, ein loses Völkergemengsel, in zitternder Unter¬ 
würfigkeit gehalten durch Besatzungen seiner Herren. Erst nach 623 
zu Samos Zeiten errangen die Alpenslawen ihre Freiheit, jedoch nicht 
auf lange. Denn schon um die Mitte desselben Jahrhunderts mußten 
die Karantaner wandernde Kroaten bei sich aufnehmen, die fortan 
als Edlinger unter ihrem 3ai.emfürsten das Land beherrschten, während 
die Slowenen an der Sawe neuerdings den Awaren erlagen, die mit 

*) Jaksch, Mon. hist. duc. Car. 1, n. 3. — Dazu Pirchegger a. a. 0. 8. 297, 301. 

*) Conversio cap. 10. — Schon von Pirchegger a. a. 0. S. 279, 301 als wahr¬ 
scheinlich angenommen. 



286 


Ludmil Hauptmann. 


großem Geschick nach den Schlägen der samonischen Zeit ihre Vor¬ 
herrschaft in den Donauländern wieder aufrichteten. Zwar unterwarfen 
sie sich nicht mehr die ganze Slawenwelt yon den Sudeten bis hinab 
an den Balkan, sondern besetzten nur das österreichische Alpenvor¬ 
land, dann die Landschaften an der ’pannonisch-friaulischen Straße und 
Sirmien, aber sie erzielten dabei doch einen vollen Erfolg. Denn der 
Besitz dieser Länder öffnete ihnen wieder den ersehnten Weg nach 
Byzanz, Italien und Bayern und legte zugleich an drei Stellen Breschen 
in den Slawenwall, sodaß den Awaren die Selbständigkeit Karantaniena 
und des Kroatenreiches an der Kulpa nicht mehr gefährlich werden 
konnte, waren doch diese Staaten durch die Umklammerung zu poli¬ 
tischem Stilleben verurteilt 

Erst die Abkehr von dieser klugen Selbstbeschränkung in den 
vierziger Jahren des 8. Jahrhunderts erschütterte von neuem die Macht 
der Awaren und gab den Anstoß zum Vormarsch des Deutschtums 
nach dem Osten. Denn die Bayern retteten nicht nur Borut um den 
Preis seiner Selbständigkeit vor den Angriffen der Awaren, sondern 
entrissen diesen auch noch das steirische Vorland Karantaniens nörd¬ 
lich der Drau. Und als später 791 Karl der Große bis an die Baab 
vordrang und 795/96 Erich und Pippin in zwei Zügen Krain, Unter¬ 
steier und Westungarn eroberten, wurden die Awaren in „Reservationen“ 
dem langsamen Untergang preisgegeben, die Alpenslawen aber in die 
christlich-germanische Welt einbezogen. Der fränkische Staat gab 
ihnen eine politische Ordnung, indem er ihnen entsprechend der 
alten, geographisch-geschichtlich bedingten Zweiteilung ihres Stammes 
zwei Verwaltungsbezirke schuf: die Ostmark mit Karantanien, die Mark 
Friaul mit Krain, Untersteiermark, Unterpannonien nördlich der Drau — 
und die fränkische Kirche nahm sie in ihre geistige Obhut, indem 
sie 796 dem alten karantanischen Sprengel Salzburgs Westungam 
nördlich der Drau hinzufügte, Krain und Untersteiermark aber dem 
Patriarchate von Aquileia zuwies. Seitdem dann Karl der Große 811 
in einem billigen Ausgleiche Südkämten bis zur Drau an Aquileia ver¬ 
liehen hatte, wurde an den kirchlichen Verhältnissen nicht mehr 
gerüttelt Wohl aber an den politischen. Denn unter dem frischem 
Eindrücke der Mißerfolge im Bulgarenkriege zerschlug man 828 Groß- 
Friaul in vier kleine Marken, von denen Friaul und Istrien, bei Italien 
verbleibend, die Wacht an der Adria übernahmen, während die Marken 
an der Sawe und in Unterpannonien, unter der Oberleitung des Grenz¬ 
grafen an der Donau, das Reich vor den Barbaren des Ostens zu 
schützen hatten. Diese Reform bewährte sich auch so gut, daß man 



Politische Umwälzungen unter den Slowenen etc. 


287 


bald die Verluste von 828 wettmachen konnte. Der Graf der Ostmark 
beugte durch einen glücklichen Feldzug die Kroaten von Sissek wieder 
unter die fränkische Hoheit und eroberte im Anschluß daran sogar 
Sirmien von den Bulgaren zurück. Da man das neugewonnene Gebiet 
zu Unterpannonien schlug, war mit einem Male an der Donau ein 
Vorwerk fränkischer Beicbsmacht geschaffen, stark genug, um den 
Kroatenstaat an der Kulpa vom slawischen Osten zu trennen und für 
eine friedliche Durchdringung vorzubereiten. Die unter Pribinas Augen 
sich vollziehende deutsche Einwanderung war bestimmt, diese Ent¬ 
wicklung zu beschleunigen. 



Das Brondolo-Privileg Leo’s IX. 

Von 

E. v. Ottenthal. 

(Mit zwei Tafeln). 


In der Autographen-Sammlung des Freiherm yon Lanna in Prag, 
welche im J. 1911 durch das Antiquariat Gilhofer und Ranschburg in 
Wien zur Versteigerung kam, befand sich ein Stück, welches im Auk¬ 
tionskatalog XXXIII unter Nr. 44 (S. 15) als bisher unbekanntes 
Original Leo’s IX. für das Kloster Brondolo bei Chioggia (1053 Marz 12) 
auigeführt ist. Das war somit das älteste unzweifelhafte Original einer 
echten Papsturkunde auf österreichischem Boden 1 ) und es ist auf das 
freudigste zu begrüßen, daß dem k. u. k. Haus-, Hof- und Staatsarchiv 
durch die wissenschaftsfrenndliche Freigebigkeit des Auswärtigen Amtes 
der Ankauf und dadurch die Erhaltung dieses interessanten Dokumentes 
für Österreich ermöglicht wurde. Mir aber ist es gegönnt, es hier zu 
veröffentlichen und zu erläutern. 

Das Privileg lautet: 

£ Leo episcopus servus servorum dei monasterio s&nct? trinitatis f 
sanctdqne Michahelis archangeli in partibna Uenetie, loco qni dicitur Brvndolos») 
peeito atque per id Alteberto abbati suisque snccesBoribu s canonice infcran- 
tibus in perpetuum b ). Sanctq trinitatis fidem c ) indubitanter confessi et 
omni confitentes tempore non desistimus adorare, ut oportet, venerari 

*) Die Originalität des Priv. Benedikts VÜI. für Ragnsa von 1022, JL. 4042, 
hat schon Bresslau in Mitteil, des Inst. 9, 26 Anm. 2 mit vollem Rechte ange» 
fochten. 

Ä ) erstes v karr, aus 0 — b ) zweites p sofort korr., wohl aus e — c ) nach¬ 
träglich mit Tinte überfahren. 



Das Brondolo-Privileg Leo’s IX. 


289 


semper et coßjere. Cuius amoris et in huius sancti nominis virtutem 
confessionis pnvilegio dncti loca d ) sancta verq in unitate trinitati dicata 
pio affectu gaudemus promoveri et nostro, si fieri potest, studio reformari, 
inter quq unam illud quod sopra diximus monasterium cum 6 ) omnibus 
bonis suis corroboramns et firmamus per sanctq apostolicq sedis privi- 
legium, quq vel ad presens iuste possidet Tel insto dono possidebit, in 
perpetuum et nominatim illa, quq omquam sibi collatio f ) est largita 
fidelium, scilicet curtem &) Banioli cum omnibus suis pertinentiis et his 
quq sibi marchio Almericus legaliter contulit, et quicquid habet in 
castello. quod positum est in monte Guttulo, et quicquid habet in Sacco, 
quicquid etiam in turre de Sile et Burdiliaco et possessiones in Cliua 
rnaiore et minore et cum omnibus suis pertinentis h ), cappellas 1 ) unam 
sancti Benedicti, aliam sancti Viti k ), tertiam sanctq Perpetuq, et hqc 
omnia in partibus üenetiq; et 1 ) quq habet in comitatu Senogalliensi et 
infra muro8 ipsius civitatis. Statuentes apoetolica censura, ut nullus imperator 
aut rex patriarca archiepiscopus episcopus marchio comes vicecomes aut ga- 
staldio aut aliqua hominum lu ) magna vel parva persona audeat hanc ecclesiam 
apostolico privilegio firmatam presuptuoee h ) invadere aut bona eins 
quoquo modo ledere aut subtrahere, sed neque episcopus Metomaucensis D ) 
qmlibet aliqnid amplius exigat a monasterio, quam quod ipsa exigit rectitudo 
aut rectitodini ac regulq sancti Benedicti non contradicens consuetudo, 
sed potius gratis 0 ) impendant quod suum est eidem ecclesiq, scilicet 
oonsecrationes ecclesiarnm et p) altarium, ordinationes monachorum, crisma et 
oleum aanctum. Canonicq igitur huius institutionis et confirmationis teme- 
rarium violatorem < l) usque ad s&tisfhctionem apostolicum anathema con- 
demnet, conservatorem vero principe cqlestis exercitus intervenienfte] r ) 
ABCHANGELO trinus et unus DEUS exaltet. 

(B.)*) (B. dep.) (BV.) (Komma) 

Dat. Ulf IDVS marcii per manus Friderici diaconi sanctq apostolicq 
sedis bibliothecarii et cancellarii vice domni HEBIMANNI ABCHICAN- 
CELfLABII j r ) et Coloniensis archiepiscopi, anno domni LEONIS NONI 
PAP AE indictione vt. 

Das Original ist 0*63 m hoch, 0*324—0*343 m breit, nicht ganz 
regelmäßig rechteckiger Form, am rechten Band außerdem nachträglich 
beschnitten, so daß nun in der Strafformel und in der Datierungszeile 
einige leicht ergänzbare Buchstaben fehlen. Das kräftige italienische 
Pergament muß nicht auf das beste bearbeitet gewesen sein, namentlich 
auf der Fleischseite schuppt sich die durch Kalzinierung geglättete 
Oberfläche vielfach ab, wodurch der Schein von Basuren vorgetäuscht 


d ) 1 sofort aus anderm Buchstaben verbessert — «) karr, aus com — f ) o und 
erstes 1 korr. aus anderm Buchstaben, — c) u verbessert aus t — **) Or. — 
*) cappe durch teilweise Rasur sofort korr. aus capel — k ) V korr. aus u — 
! ) e k irr. in Initial-E — m ) h korr. aus m — ®) Metoucensis mit nicht an ganz 
richtiger Stelle nachgetragenen ma — °) r korr. aus a — P) sofort korr . aus an¬ 
deren Buchstaben — <i) korr. aus temerarius violator — r ) Pergament am Rande 
nachträglich beschnitten — •) Devise: Misericordia domini plena est terra. 



290 


E. y. Ottenthal. 


wird. Blinde Linien sind von der Rückseite her sehr stark eingeritzt. Ihr 
Abstand vermindert sich von oben nach unten immer mehr. Das Merk¬ 
würdige ist, daß die Horizontallinien nur für die rechte Hälfte der 
beschriebenen Seite gezogen sind, eine Verlängerung nach der linken 
ist nur für die Umrandung der Rota und für die Datierungszeile im 
Bereich der Möglichkeit Eine ähnliche Sachlage berichtet Pflugk- 
Harttung Acta pont. Rom. 2, 82 für Jaffe-Löwenfeld n° 4324, das 
wegen seines Alters jedenfalls zum Vergleich herangezogen werden kann, 
wenn es auch nach Kehr freie Fälschung ist *). Daß die Linien unseres 
Privilegs unpassender Weise für die rechte Hälfte des Textes gezogen 
sind, erklärt sich offenbar aus der Eindrückung a tergo — dort setzten 
sie ja am richtigen Rand des Blattes an 8 ). 

Der ganze Kontext des Privilegs, das ich der Kürze halber fernerhin 
mit der Sigle LBr. bezeichnen werde, ist in einem Zuge geschrieben. 
Auch ein Wechsel der Tinte kann nicht mit Sicherheit behauptet werden, 
wenn mir auch scheinen will, daß die Farbe in der Datumformel lichter 
sei, auch als bei den dünnschaftigen Buchstaben der Devise. 

Die Bleibulle ist abgefallen. Sie war in der unter Leo häufigen 
Art, nämlich ohne Falte mittelst einer Schnur befestigt, welche durch 
vier kreuzweise, zwischen Rota und BV. gestochene Öffnungen lief 3 ). 

Die Rückseite enthält keinerlei Vermerk seitens der Kanzlei und 
auch seitens des Empfängers nur Archivnotizen seit dem 16. Jahrh., 
wie sie von gleichen Händen auch auf den übrigen Klosterurkunden, 
welche ich sah, zu treffen sind. 

Wie dieses Original in die Sammlung Lanna kam, fehlt jede An¬ 
gabe. Da aber das reichhaltige Klosterarchiv in den Vierziger Jahren 
des vorigen Jahrhunderts auf einer Pergamentauktion in Nürnberg 

i) Gotting. Gel. Anzeigen 1903 S. 594. ln seiner als grandlegend für die 
Diplomatik Leos IX. oft von mir zu zitierenden Abhandlung Scrinium und Pa- 
latium, Mitteil, des Inst. Ergänzungsband 6, 84 Anm. 1 scheint er es in die Zeit 
Nikolaus II. oder Alexander II. zu setzen, jedenfalls ist es wohl eine alte Fälschung, 
da dem Schreiber nach dem kleinen Faks. bei Pflugk-Harttung Specimina T. 107 
die kursive Verbindung ri noch geläufig ist. — Pflugk-Harttung, Die Bullen der 
Päpste 162 sagt: Einige Male wurde ein Teil liniert, ein Teil nicht — gibt aber 
nach seiner leidigen Gewohnheit keine bestimmten Belege an, die eine Nachprüfung 
ermöglichen würden. 

*) Daß man es in solchen Dingen nicht so lieickel nahm, beweist auch das 
von Kanzleihand geschriebene Originaldiplom Lothars IIL für Hersfeld, Stumpf, 
Reichskanzler n° 3317, für das man sich eines zu einem zweispaltigen Text her¬ 
gerichteten Bücher-Blattes bediente. 

*) Vgl. Pflugk-Harttung in Hist. Aufsätze G. Waitz gewidmet S. 614. An 
gleicher Stelle* und in gleicher Art ist die Bulle in dem zeitlich naheliegenden 
JL. 4287 (1053 Jan. 2) befestigt 



Da« Brondolo-Privileg Leo's IX. 


291 


feilgeboten worden war 1 ) und Bestände desselben teils damals teils 
später an das Germanische Museum in Nürnberg, an das Beichsarchiv 
in München, in der Hauptmasse an das General-Landesarchiv in Karls¬ 
ruhe und von da an die Universität Heidelberg gelaugten *), so erklärt 
sich auch das Abirren eines anderen wertvollen Splitters ohne weiteres. 

Das Archiv* von Brondolo ist nach dem bisher bekannt gewordenen 
Bestand von Fälscherhänden freigeblieben, das wird auch durch das 
neu aufgefundene LBr. bestätigt Diese Urkunde wurde schon im Auk¬ 
tionskatalog zutreffend als Original bezeichnet 

Die Originalität und damit die Echtheit ergibt sich unwider¬ 
leglich 8 ): 1. aus der eigenhändigen Eintragung der Gebeformel durch den 
päpstlichen Kanzleivorstand Kardinal Friedrich. Die Schrift der Gebe¬ 
formel in LBr. — ich verweise ein für allemal auf die beigegebene 
Tafel — stimmt bis in alle Einzelheiten mit den übrigen eigenhändigen 
Datierungen Friedrichs. Die nächste Verwandtschaft weist unter den 
mir in Faksimile zugänglichen Leo-Urkunden das keine zehn Wochen 
ältere Privileg für Bamberg JL. 4287 aut Ich konnte mich zum Ver¬ 
gleich einer photographischen Beproduktion bedienen, welche unser 
Institut der Güte Pro£ Bresslau’s verdankt 4 ). Aber auch schon die in 
Einzelheiten ja meist nicht ganz genaue Wiedergabe in Pflugk-Harttungs 
Spedmina T. 22 genügt zur Nachprüfung meiner Behauptung. Man 
beachte die Buchstabenbildung und den Schreibgebrauch bei: Dat, Sc$, 
bibliothecarii (besonders das li), Cancell, vice, HERIMANNI (das 
Schluß-1 kehrt hier bei ian und in JL. 4298* bei IVL wieder), archi- 
cancellarii (besonders a, c und N), C und S in Coloniensis, die bizarre 
Bildung <’es aus älterm Kanzleibrauch stammenden kurialen A in Anno, 
die ansteigende Buchstabenhöhe des beidemalig majusklen LEONIS, 
die überhöhten P in papae, endl.ch die Schreibung von indict VI, be¬ 
sonders jene des ct und die Form des V. In einigen Kleinigkeiten 

*1 Wattenbach im Neuen Archiv f. altere deutsche Geschichtskunde 11, 389; 
nach Simonsfeld im Archivio Veneto 32, 111 im J. 1854. 

S. zuletzt Knöpfler im Hist. Jahrbuch 24, 308. Gerade die Papsturkunden 
and nach Wattenbach N. A 12, 408 zu verschiedenen Zeiten an das Germanische 
Museum gekommen, haben also wohl mehrfachen Besitzwechsel erfahren. 

*) Durch das liebenswürdige Entgegenkommen der Direktion des H.-, H.- und 
Staatsarchivs war es mir möglich dieses Stück gleich nach der Erwerbung in meinen 
Übungen duruhzunehmen. Ver chiedene Ergebnisse der Schriftvergleichung waren 
auch von meinen Hörern selbständig und unabhängig gefunden worden, namentlich 
von d«*m damaligen Mitglied des Institutes, Herrn Hauptmann Hajsmann. 

«) Durch ihn besitzt das Institut auch vollständige Reproduktionen von 
JL. 4172, 4177, 4195, 4260, 4272, 4283; bei meinen späteren Verweisungen auf 
die genannten Originale sind stets diese photographischen Faksimiles gemeint. 



292 


E. v. Ottcuthal. 


stehen andere Autogruphe Friedrichs l ) noch näher, so die Cauda des e 
in — JL. 4267 (Arch. pal. itol. VI, 5); das f in friderici — 
•TL. 4279 (Spee. T. 23), das Abkürzungszeichen in Dat -- JL. 4301 
(Spec. T. 23 bei archiepi). Diese Feststellungen schließen die theoretische 
Möglichkeit aus. daß LBr. etwa eine wenn auch mit ausgezeichnetem 
Gelingen hergestellte Nachbildung einer originalen Leo-Urkunde sei. 

Die Origimditüt ist 2. gesichert durch die Umschrift in der Rota, 
welche gleichen Ductus, gleiche Buchstabenformen und gleiche Ab¬ 
kürzungen aufweist wie speziell die mir in Photographie oder Lichtdruck 
vorliegenden Abbildungen der Originale JL. 4250, 4267, 4272, 4283 *). 
Außerdem verweise ich unter zeitlich nächstfolgenden auf die bei Pflugk- 
Harttung T. 24 reproduzierten Roten von JL. 4298 und 4298 a von 
1053 Mai 29 und Juni 14, bei welchen freilich gerade in den schlicht ge¬ 
schriebenen Worten der Devise die fragliche Genauigkeit der Pausen 
deutlich zutage tritt. Darum kann auch das zeitlich nächst voran¬ 
gehende Privileg JL. 4290 (T. 114) nur in wenig Einzelheiten ver¬ 
glichen werden 3 ). 

Diesen beiden entscheidenden Punkten widerspricht keines der 
äußeren Merkmale des LBr., wohl aber unterstützen andere Beobach¬ 
tungen das gewonnene Ergebnis. Das monogrammatische Benevalete 
und das sogenannte Komma entsprechen in allem dem damaligen 
Kanzleibrauch. So dünne Striche finden wir auch in dem unvollendeten 
BV. des gleichfalls von Friedrich selbst datierten JL. 4287, während 
der Spitzbogen des Komma in JL. 4290 und 4301, die Stellung der 
vorgelagerten hackenartigen Punkte in JL. 4290 und 4298 dem LBr. 
am meisten verwandt ist Das gleiche trifft auch bei der Zeichnung 
und Inschrift der Rota zu, namentlich der Punktsetzung vor und 
nach P. 

Dagegen vermag ich die Schrift des Urkundentextes sonst nicht 
nachzuweisen. Sie gehört den unter Leo IX. seit 1052 dienenden 

*) Sie sind aufgezählt bei Kehr Scriniom a. a. 0. 6, 84. Doch ist JL. 4288 
wohl nur aus Versehen genannt denn dessen Gebeformel gehört der gleichen Hand 
an wie JL. 4278 (Spee. T. 24, Kehrs Notar C), wie Herr H&jsm&nn in meinen 
Übungen bemerkte. 8ie gebraucht auch die dem Kardinal selbst fremde Namens¬ 
form Fredericus. 

*) Jene von JL. 4265 in Bibi, de TEc. des Chartes 64, 568 ist so klein und 
unklar, daß sie zum Vergleich undienlich ist. 

*) Über dessen Originalität vgl. die durchwegs überzeugenden Ausführungen 
Kehrs in Festschrift für den Hanseschcn Geschichtsverein, Göttingen 1900, S. 73ff. 



Das Brondolo-Priroleg Leo’s IX. 203 

Kanzleinotaren C und D 1 ) ebensowenig an als einem der bisher unter 
Leos Pontifikat nur vereinzelt nachweisbaren Schreiber 8 ). 

Das Schriftbild macht ohne weiteres klar, daß unserm Ingrossisten 
die päpstliche Kanzleischrift, oder sagen wir überhaupt die diplomatische 
Minuskel, wie sie in den Herrscherurkunden jener Zeit gebräuchlich 
war, nicht geläufig war. Man betrachte nur die wechselnden, insbe¬ 
sondere in den ersten Zeilen ungeschickten Verzierungen von f und f, 
die cauda von $, die mühsame Qestalt des Abkürzungszeichens, die 
schwankende, zum Teil verunglückte Verbindung von ft, auch daß 
f meist auf der Zeile steht und demgegenüber die unverhältnismäßig 
große Unterlänge von r, die aber dem Schreiber doch ungewohnt ist, 
denn manchmal fehlt sie, mitunter ist sie von ihm nachgetragen. 

Indes erhielt unser Schreiber leidlich genaue Unterweisung über 
den Brauch der päpstlichen Kanzlei bei der Ausstattung der päpstlichen 
Privilegien, wahrscheinlich dadurch, daß er Ausfertigungen derselben 
als Muster benutzen konnte. Das ersehen wir nicht bloß aus den schon 
besprochenen Schriftzeichen, sondern auch aus der Schrift selber, zumal 
aus der verlängerten Schrift der ersten Zeile, aber auch aus Einzelheiten 
der Minuskel des Kontextes. Und zwar bestehen gewisse Überein¬ 
stimmungen mit der Schrift des Kardinals Humbert 8 ), des vertrauten 
Begleiters Leos DL, der auch als Urkundenschreiber aushalf, denn wie 
Kehr nachwies 4 ), hat er im J. 1050 in Süditalien JL. 4227 für S. Maria 
in Gradibus zu Arezzo und 1057 zu Florenz JL. 4368 für Leos Kanzlei¬ 
vorstand Friedrich, nunmehr Abt von Monte Cassino mundiert 6 ). 

Bei Humbert nun finden wir regelmäßig, nur viel zierlicher und 
schwungvoller die gleiche komplizierte Auslaufschleife des g wie in 


*) Ich behalte die von Kehr Scrinium 6, 84 verwendete Bezeichnung durch¬ 
wegs bei. 

t) Nämlich: JL. 4177, 4184 (vgL Kehr 1. c. 84), 4267, 4272 und das in 
manchen Scbreibeigenheiten damit übereinstimmende, aber nicht gleichhftndige 4287, 
4290, 4298». Auf JL. 4227 wird alsbald zurückzukommen sein. 

•) Gerade darauf hat H. Hajsm&nn selbständig in meinen Übungen hinge¬ 
wiesen. 

4 ) Diplomatische Miszellen in Gött. Gel. Nachr. 1900, 106. 

*) Von beiden dürftige Faksimiles bei Pflugk-Harttung Spec. T. 19 und 28. 
Außerdem steht zum Vergleich noch das von Kehr Dipl. Miszellen 106 und Scri¬ 
nium 6, 92 aufgezühlte Material an Datumformeln und eigenhändigen Unter¬ 
schriften zu Verfügung, wovon mir aber nur die in den Sperimina teilweise reprodu¬ 
zierten Gebeformeln von JL. 4878, 4374, 4376, 4884, 4414, 4426, 4429, 4488, 
4436, das Facsimile von 4376 bei Pasqui Doc. di Arezzo 1, sowie die Unterschrift 
von 4413 in Arch. pal. ital. VI, 6 und für die Gebeformel von 4896 die Abbildung 
in Arch. pol. ital VI, 12 zugänglich sind. 

Mitteilungen XXXVI. 


20 



294 


E. v. Ottenthal. 


LBr. Ferner in dem zeitlich näherstehenden JL. 4227 bei d und q die 
Zackung oder Wellung der Bogenlinie, die bei LBr. in der ersten Zeile 
bei P und R und häufig im Kontext bei d und p zu sehen ist. Auch 
die Verzierung des f mit Doppelschleife, wie sie unserm Schreiber etwa 
Z. 3 bei confitentes, Z. 4 bei semper, amores, Z. 5 bei si leidlich ge¬ 
lang, eignet Humbert für diesen und für andere Buchstaben mit Ober¬ 
länge ! ), wie er denn auch das allgemeine diplomatische Abkürzungs¬ 
zeichen in dem gleichen Stil bildet (speziell als Doppelschleife in JL. 4368 
und in den Datumformeln von 4376, 4384) und auch für die Art wie 
LBr. das Abkürzungszeichen bei Ober- und Unterlänge macht, findet 
sich bei Humbert in JL. 4368 ein Beleg. 

In der verlängerten Schrift von LBr. kommt dreimal Majuskel-R 
vor, jedesmal in der Weise, daß Bogen und Schräge selbständig in 
größerm Abstand von einander an den Schaft ansetzen. Diese charak¬ 
teristische Form kehrt in dem mir zugänglichen Material an Faksimiles 
der Leo-Urkunden nirgends wieder, wohl aber jedesmal in der Gebe¬ 
formel Humbert», wenn überhaupt ein R abgebildet ist 8 ). In dem 
Faksimile des von Humbert geschriebenen JL. 4368 findet sich auch 
ein entsprechendes B. Übereinstimmung mit Humbert herrscht auch 
im Gebrauch des balkenlosen kapitalen A der verlängerten Schrift. Diese 
im übrigen ja lang und vielfach schon verbreitete Buchstabenform be¬ 
merkte ich in Papsturkunden — ich muß immer betonen, daß allerdings 
nur ein beschränktes Material an Abbildungen zur Verfügung steht — 
zuerst ganz vereinzelt und falls die Abbildung genau ist, in abweichender 
Gestalt im Privileg Benedikt VIII. für Fulda JL. 4057 (Pflugk-Harttong 
Spec. T. 10). Der Kanzler Petrus bürgerte sie dann beim Worte Dat. 
der Gebeformel ein 8 ) und machte auch in der verlängerten Schrift von 
ihr Gebrauch. Humbert bedient sich dieser Buchstabenform in der 
Gebeformel regelmäßig bei anno. Aber während Petrus stets beide 
Schenkel nach außen verlaufen läßt, biegt Humbert beide mit einem 
Hacken nach rechts um — ebenso auch der Schreiber von LBr. Auch 
an die Vorliebe für überhöhtes a sowohl am Eingang wie im Innern 
des Wortes (man vgl. die Faks. von JL. 4227 und 4368) darf immer¬ 
hin hingewiesen werden. 

Diese Übereinstimmungen sind schon wegen des Grades ihrer Ge¬ 
bräuchlichkeit nicht gleichwertig. Die G-Schleife darf als persönliche 

*) Beispiele in den Paks, von 4227, 4375, 4376, 4395 n. s. w. 

*) So in JL. 4373, 4374, 4375, 4376, 4395, 4413, 4433, 4435. 

*) So in JL. 4133 Specimina T. 14; in JL. 4116* lür Brondolo ist dieser 
Buchstabe nach der Abbildung im Anzeiger des German. Museums 1885 T. 10 
leider zerstört. 



Daa Brondolo Privileg Leo"e IX ^Q5 

Eigenheit Hmnberts augesproehen werden. Bei ihm, dem Lothringer, 
55 t es Dicht veränderlich, wenn er in solchen : Defcsd-]«. seiner Schrift 
giach seinem Landsmann Ltetbuin (z. B. im JL. 4195) an die Tradition 
i*r damals noch allgewaltiges Königsurlninde anknüpft IW gilt wohl 
m:h von der Zockinig öder Wellung der Bogenlinien gewisser Bueh- 
joaheii, die *dat der geschwungenen b y 

'i, s, P in der ^erlajag^rten Schrift auch hei den KhnÄleiuoiaren Kon- 
wk lt xwä M&qtmh* Itl* mehrfach yorkommt ^V Ja d^ßtliche An- 
ti nge ^ den STot&ren Ottos UX ; Bildih>i{d äi fiteri- 

b«*t CL %ilheit B* *), welche &&ehf den L^legungio in der Einleitung 
Sickeis zur Diplomatö^Au«^be nämtiich Deutsche »ind *). . TTjpid ebenso 
ist die Döppebcbieife von f und f speziell dem Notar Wurithar A in 
Samllei. fleinriebi IIE geläufig ♦} Bebn- yiÄlgebrwbteö' .• ba) kenlosen 
Sftpiiale-Ä kommt nur die besondere Form m Betrübt und ich will 
nicht unterlA^u iru bemerken, daß die Bumbertfomi keine Seltenheit 
ist Und die Beofehtung, daß die IJb^Shwg des 
a> der Mitte de« Wortein der ersten Hälfte des XL Jahrh, in Frank¬ 
reich und NWerbthfingeii stärker üblich war, mag riellehht hei Beran- 
riebung eines größeren Materials eine Korrektor erfahren ; die Sache 
schien mir in diesem Zusammenhang nicht wichtig genug, um auf ihre 
Vödoiguiig viel Zeit zu verwenden ,' . ■ , 4 

Im Gegensätze zu diesen deutschen* heriehungavraße frä::irischen 
&*&euU'U in den Schrifteigentflmliehfeeiten flömberts emheini die 
K-Fonn als eim italienische Ich finde m im. Protokoll über eine Ent- 
fsdbeiduug- Söy^tm:.rll.v auf ; /ebner ronitacheu Synode für das Kloster 
S. Pietro von .Perugia aus dem L l(A)2 i deren Originalität al>er mangels 
aifer formalen ttrkit^Üiehes Heglaatdguög kaum erweisbar sein wird 6 ), 
«imn in der Gntergehrtft des Bischöfe Sigftid einer jedenfalls vor 
UMh geschriebenen Urkunde von Bobbio *), endlich in einer dem 
XL Jahrhundert angehdrigen Abschrift eines B&mmater 2Jotariabin~ 

*) % B. Kawerorkimtieu m Ahbildui^eh LT, 17* LL & 5, 

*) Eteuöa Xi. 2, &;ÖC Xfi, 11, 10. 

*) -tfetk <teriv, JMplom&ta Bl, .386*& . ; . 

*) YgL Kwerairk iö Abh. lt, 11 uud 13. 

•) Arch. p&L ibd. B, U8 Allerdings bezeichnet 
4, 67 da* Stock kl» Original. Ita liümitsverveKhitta• • jrtyty,, ä. 

ist g» ala iß amitura roruana oancellereflea g^hriv^^V: b 
fkt dar. J. ICC® kbm i» KiCOi* aiiagejch lotsen exscbektf. "4Vf ,# 
r»* «eVr •*<&! .*&!<& \ebwsr j&bgfcre Kopie and in 

*j pÄknanle ün Afch v ffcpr. )ü?i«bardo, ‘KL'SeÄ ; 

plö5mta;4, y c * '':'^;.v 









296 


E. y. Ottenthal. 


struments vom J. 973 x ), in Buchform sorgfältig geschrieben. Die 
kursiven Formen der Notariatsschrift, die auch von Anfang an nicht 
fehlen, nehmen gegen Schluß immer mehr zu. Der Schreiber wird 
mit dem Arch. pal ital. Bavenna zuzuweisen sein. In den Notariats¬ 
kreisen scheint diese Form im übrigen nicht verbreitet gewesen zu 
sein, wenigstens fand ich sie in den zahlreichen Stücken dieser Art, die 
wir jetzt im Arch. pal. ital. abgebildet finden, nirgends. Ebenso wenig 
in den nicht zu dicht gesäten Abbildungen italienischer Handschriften 
des XL Jahrh. In den Kaiserurkunden in Abbildungen stieß ich auf 
diese Form nur beim Diplom Heinrichs HL St n° 2216, dessen Schreibar 
ein Italiener ist 8 ). Aus diesem Befund erschließe ich, daß Humbert 
diese Form in Italien kennen gelernt habe. Und wenn wir dann unter 
Alexander II. diese BrForm häufig treffen, sowohl bei Schreibern welche 
sich der Curiale, als solchen welche sich der fränkischen Minuskel be¬ 
dienen ®), so liegt die Annahme nicht zu fern, daß sie durch Humberts 
Tätigkeit als Kanzler ihre Beliebtheit erlangte. Schon Peitz hat darauf 
hingewiesen, daß Rainer, der ja schon unter Alexander II. päpstlicher 
Notar war, diese Form auch gerne im Register Gregors VII. verwendet 4 ). 
Daher scheint mir das Auftreten dieser Buchstabenform in LBr. für dessen 
Schriftvorlage bedeutungsvoll zu sein. 

Einzelne der hier geschilderten Schriftmerkmale finden sich nun 
auch in anderen Leo-Privilegien. In erster Linie sei JL. 4272 für Köln ge¬ 
nannt das am 7. Mai 1052 in Süditalien von einem gleichfalls 
sonst nicht bekannten Schreiber ausgefertigt und dessen Originalität 
bestens verbürgt ist da die Datumformel von gleicher Hand wie in 
JL. 4278 und 4298, also von dem Notar 0 Kehrs geschrieben ist®). 
Auch hier finden wir die G-Schleife, Zackung der Bogenlinie des D, 
Verzierung des f durch Doppelschleife, gelegentlich, jedoch nur zu An¬ 
fang des Wortes auch überhöhtes a. Außerdem noch gemeinsam mit 
Humbert allein die abwechselnd gebrauchte einfache und doppelte 
Schleife des diplomatischen Abkürzungszeichens und die elegante Gestalt 
des S, wie sie von Humbert wenigstens aus JL. 4368 (1057) bekannt ist 6 ). 


*) Arch. pal. ital. HI, 74-81. 

*) Kaiserurk. in Abbild. H, 6 und dazu Text S. 21. 

*) So nach Pflugk-Harttungs Specimina JL. 4557 (T. 32), 4634 (T. 34), 4667 
(T. 35), 4673, 4636 und 4687 (all» T. 38) und 4767 (T. 39). 

4 ) W. Peitz, Daa Originalregister Gregors VII. Wiener Sitzungs-Ber. Phii.- 
Hist Kl., Bd. 165. V. Abh. 97. 

•) Kehr, Scrinium 6, 84 und dazu oben S. 292 Anm. 1. — Das Or. von 
JL. 4272 scheint Kehr damals noch nicht gekannt zu haben. 

•) Pflugk-Harttung, Spec. T. 26 bei S. Benedicti und 81. 



Das Brondolo-Privileg Leo’s IX. 


297 


Beim Kölner Privileg finden wir also gewisse Übereinstimmung mit 
der Humbertschrift, die allerdings auch anderweitig sich erklären kann, 
über das LBr. hinaus x ). — Nach der Schriftprobe bei Pflugk-Harttung 
Spec. T. 23 scheint es, als ob auch der vereinzelte Schreiber von 
JL. 4298* (für S. Stefano al Chienti, in Unteritalien ausgestellt) die 
Zackung der Bogenlinien und die schwierige G-Schleife versucht hätte. 
Die letztere findet sich ganz ähnlich in dem 1049 zu Beims entstan¬ 
denen Privileg für S. Peter zu Chalons JL. 4184, dessen Originalität 
freilich nach dem vorliegenden Faksimile 8 ) mit Kehr anzuzweifeln ist, 
das aber jedenfalls auf eine echte und sicher in der Nähe Lothringens ent¬ 
standene Schreibvorlage zurückgeht Daß Humbert auch damals beim 
Papste weilte, ist zwar, so viel ich sehe, nicht zu belegen, aber aus 
innem Gründen durchaus wahrscheinlich. 

Es lassen sich also in mehreren Privilegien Spuren eines Einflusses 
der Schrift Humberts nachweisen. Am umfänglichsten und klarsten in 
LBr. Wenn ich trotzdem die Frage offen lasse, ob die Beeinflussung 
eine direkte oder indirekte, d. h. durch die Schrift eines Schülers oder 
Nachahmers Humberts vermittelte war, offen lasse, so geschieht das 
einmal, weil die veröffentlichten oder sonst mir zugänglichen Schrift¬ 
proben sowie überhaupt der gegenwärtige Stand der Forschung über 
die Urkunden Leos IX. eine voll ausreichende Grundlage für die Er¬ 
ledigung dieser Frage noch nicht gewähren. Dann aber auch, weil 
LBr. mit JL. 4272 und 4298* sich untereinander darin näher stehen, 
daß die verlängerte Schrift nach der älteren Sitte der Papstprivilegien 
aus unbetonten, dünnen, langgestreckten Buchstaben besteht, während 
die beiden Humbert-Originale stark betonte, epigraphische oder Initial- 
Majuskeln aufweisen. Es muß angesichts der Mannigfaltigkeit, die wir 
gerade bei der verlängerten Schrift unter Leo treffen, und angesichts 
des geringen Vergleichsmaterials dahingestellt bleiben, ob diese Diskrepanz 
nicht eine bloß zufällige oder scheinbare ist. Ein Blick auf die Schrift¬ 
proben in den Specimina zeigt, daß die Kanzleinotare Leos bald die 
eine bald die ander Art der Ausstattung vorziehen, es könnte also 
auch Humbert in einem andern (etwa von LBr. als Muster be¬ 
nutzten) Privileg sich der älteren Art der verlängerten Schrift bedient 
haben. 

*) Mit JL. 4272 stimmt da .in in der verlängerten Schrift der ersten Zeile 
und in dem hoch Übei der Mitt Hänge angesetzten Kopf von f und f JL. 4287 
für Bamberg (in Deutschland ausgestellt) bei sonstiger weitgehender Verschiedenheit 
der Schrift so stark Überein, daß man direkte Benutzung des Kölner Privilegs oder 
eines von gleicher Hand geschriebenen Stückes annehmen möchte. Sollte diese 
elegante Schrift einem Kölner angehören? 

*) Specimina T. 18, vgl. Kehr, Scrmium 6, 82. 



298 


£. v. Ottenthal. 


Wie dem auch sei, in LBr. treffen so viele Charakteristika der 
Schrift Humberts zusammen, daß man an Musterbildung durch den 
Einfluß jenes Mannes denken muß, der einer der nächsten Vertrauten 
und ständigsten Begleiter Leos war, der nachweislich zur Zeit der Aus¬ 
stellung von LBr. bei ihm weilte, der früher (1050) wie später (1057) 
nachweislich Privilegien schrieb und den Kanzler Friedrich nach dessen 
Erhebung zum Papst in der Leitung der Kanzlei ablöste. Unser LBr, 
ist nach diesen Darlegungen nicht bloß vom Kanzleivorstand eigen¬ 
händig signiert, sondern auch mit guter Kenntnis der damaligen Kanzlei¬ 
bräuche und in engem Anschluß an sie geschrieben worden. Für einen 
ständigen Kanzleibeamten, von dem wir etwa zufällig jetzt erst eine und 
bislang die einzige Beinschrift entdeckten, möchte ich unsem Schreiber 
w egen seiner sichtlichen Unbeholfenheit und Ungeübtheit nicht halten. 
Denn auch von den vereinzelten Schreibern unter Leo ist höchstens jener 
von JL. 4267 (Spec. T. 21) in der Urkundenschrift so w r enig geschickt. 
Kehrs Untersuchungen, welche auf ausgebreiteter, wenn auch noch 
nicht auf Kenntnis aller Originale Leos aufgebaut sind, haben doch 
mit voller Sicherheit gezeigt, daß damals oft außer der Kanzlei stehende 
Männer zur Dienstleistung in der überaus dürftig besetzten Kanzlei 
herangezogen werden mußten, namentlich bei den langen, weiten und 
vielfach auch recht raschen Beisen *). In welchem Kreise haben wir 
nun den Schreiber zu suchen? Unter den Schreibkräften des Empfängers, 
oder des vorübergehenden Aufenthaltsortes des Papstes, oder in der 
dauernden oder zufälligen Umgebung des Papstes ? a ) 

LBr. ist datiert vom 12. März 1053, ist also in Italien ausgestellt. 
Nach der mißglückten Synode zu Mantua (Febr. 21) zog der Papst 
nach Bavenna. Außer seiner ständigen Begleitung, zu welcher Kardinal 
Humbert zählte, finden wir hier die Bischöfe von Metz, Chur, Vienne, 
Grenoble, Sitten und besonders zahlreich jene aus Mittelitalien, von 
Bimini, Montefeltre, Sarsina, Pesaro, Sinigaglia, Cervia, Forlimpopoli, 
Forli, Comacchio, Cesena und Imola. Am 13. März (IIL id. mart.) 
entschied er in der alten Exarchen-Besidenz die strittige Bischofswahl 
von Puy, ließ den von ihm anerkannten Elekten Petrus durch den 
Kardinalbischof Humbert zum Priester und gleich am folgenden Tag 
in Bimini zum Bischof weihen 8 ). Der Papst muß demnach mindestens 

*) Scrinium 6, 82. 

*) Vgl. die richtigen Bemerkungen Kehrs, Dipl. Miszellen, Gött. Gel. Nadir, 
1900 S. 104 und Bresslau, Urkundenlehre 1 *, 234. 

*) Alle diese Einzelheiten erfahren wir aus der Forma electionis Petri episcopi 
Aniciensis, welche Mabillon Ann. ord. s. Benedicti 4, 742 aus einem Codex Ani- 
ciensis abdruckte. Die Forma electionis ist eine protokollartige Aufzeichnung über 



Das Brondolo-Privileg Leo’s IX. 


299 


am 12. März schon in Ravenna anwesend gewesen sein, LBr. ist also 
in Ravenna ausgestellt. 

Bei den seit Alters regen Beziehungen Venedigs mit Ravenna, 
liegt es nahe, daß die Mönche des venetianischen Lagunenklosters ihre 
älteren Privilegien mit der Bitte um Bestätigung hier und nicht schon 
in Mantua vorlegten, jedenfalls ist anzunehmen, daß die Gesandtschaft 
des Klosters bis zur Erfüllung des Gesuches an der Kurie verblieb. Es 
ist also die Mundierung unseres Privilegs durch einen Mönch von 
Brondolo durchaus im Bereich der Möglichkeit Das Archiv von Brondolo 
enthält bis ins 11. Jahrh. zurückreichende Bestände. Aber wenigstens 
die in Deutschland zurückgebliebenen Privaturkunden sind ausschließlich 
Notariatsinstrumente aus Chioggia und Sinigaglia, von den Mönchen 
des Klosters herrührende Dokumente befinden sich nicht darunter l ). 
Daß die Mönche einen Notar aus diesen Städten mitgeführt hätten, ist 
an sich höchst unwahrscheinlich, jedenfalls erschließen diese Notariats¬ 
instrumente keinen Zusammenhang mit der Schrift unseres LBr. 

Sollte ein Ravennate der Schreiber gewesen sein, so wird man 
naturgemäß wieder weniger an einen Notar sondern an einen Kleriker 
der Domgeistlichkeit oder einen Mönch der dortigen Klöster denken. 
Es steht zu spärliches Abbildungsmaterial zur Verfügung um diese 
Frage weiter zu verfolgen. Es kann nur auf folgende Gesichtspunkte 


Leos Entscheidung und die Bisehofsweihe Peters, in ungewöhnlicher oder doch 
unregelmäßiger urkundlicher Form abgefaßt und sichtlich zum Teil verderbt Über¬ 
liefert*, aber in ihrem wesentlichen Inhalt durchaus unanfechtbar schon wegen der 
vollständig zutreffenden, für Puy vielfach gleichgiltigen Bischofsliste, welche über 
‘jiuns Series ep. hinaus durch das treffliche Buch von Gerhard Schwartz »Bischöfe 
Reichsitaliens« vielfach bestätigt wird. — Eine Unstimmigkeit, welche für den 
Ausstellungsort des LBr. nicht bedeutungslos ist, liegt in den überlieferten Tages¬ 
angaben: III. id. mart., luna XVIJI, feria VI. Beide letztem Zeitmerkmale würden 
'len 12. März ergeben. Schon JaftS in den Papstregesten emendierte in feria VII. 
Trotz der entgegenstehenden Angabe des Mondalters stimme ich dem aus nicht 
chronologischen Gründen zu, weil nämlich Samstag der herkömmliche Tag der 
Priesterweihe war und weil nach Schwartz 1. c. 157 als Tag der Weihe Erzbischof 
Heinrichs von Ravenna, die nach der Forma electionis gleichzeitig mit jener des 
Bischofs von Puy erfolgte, der 14. März auch anderweitig belegt ist. 

*) Die Direktion des Germanischen National-Museums in Nürnberg schickte 
mir die dort verwahrten, Herr Prof. Hampe die im Besitz des histor. Seminars in 
Heidelberg befindlichen, für xr ch in Frage kommenden Originale gütdgst noch 
Wien, das k. bayer. allgem. Reichsarchiv in München erteilte über die dort befind¬ 
lichen Brondolo-Urkunden Aufschlüsse, welche eine Autopsie unnötig machten. 
Allen diesen Stellen sei auch hier der verbindlichste Dank ausgesprochen. — Meine 
Au sicht, im Herbst 1914 den an das Staatsarchiv zu Venedig zurückgekommenen 
Bestand einzusehen, fiel wie so vieles andere in den Abgrund des Krieges. 



300 


E. v. Ottenthal. 


hingewiesen werden. LBr. zeigt keine Spur von Gewöhnung an kursive 
Schrift. Die wenigen Tafeln dagegen mitNotariatsinstrumenten des XI. Jahrh. 
aus Bavenna und den benachbarten Städten im Arch. pal ital. Bd. III und YII 
zeigen eine ausgeprägte, ausgeschriebene Kursive l ). Aber auch in der erz¬ 
bischöflichen Kanzlei scheint man in Bavenna ebenso zäh wie in der päpst¬ 
lichen, wenn und solang sie mit den stadtrömischen Notaren in Zu¬ 
sammenhang blieb, der altersgewohnten Notarschrift treu geblieben zu 
sein, denn auch noch die durch besondere Ausstattung der ersten Zeile 
sich abhebenden erzbischöflichen Urkunden von 1107, 1126. 1148 un i 
1156, welche Arch. pal. ital. YII, T. 45—48 abgebildet sind, zeigen 
mehr oder weniger die notarile Kursive, obAvohl die erstero vom tabellio 
Ugo prepositus et magister notariorum sancte Bavenn. ecclesie geschrieben 
ist Aus dem XI. Jahrh. stehen mir keine einschlägigen Abbildungen 
zu Gebote, aber man wird kaum glauben dürfen, daß die deutsche Ab¬ 
kunft der Erzbischöfe Widger, Hunfrid, wahrscheinlich auch Heinrichs 
zeitweise eine Änderung des noch später festwurzelnden Schreibgebrauchs 
zu erzeugen imstande war. 

Man wird daher den Schreiber unseres Privilegs wohl eher in 
Kreisen zu suchen haben, in welchen man sich schon früher und all¬ 
gemeiner und auch für Urkunden von den Ausläufern der Kursive ab¬ 
gewandt hat. Auch in Italien hat man um die Mitte des XL Jabrli. 
schon mehrfuch für bischöfliche Urkunden, besonders wenn sie spezifisch 
kirchlichen Inhalts waren, der Herrscherurkunde in etwas angeglichene 
Formen gesucht und in Zusammenhang damit haben derartige Schreiber 
sich wohl auch von der alten Schrift emanzipiert oder waren ihrer, 
wenn sie aus ganz anderra Berufekreis hervorgegangen waren, gar nicht 
mächtig. Schon eine vom Subdiakon Sigmar als cancellarius s. Vero- 
nensfe ecclesiae 845 geschriebene Urkunde -) zeigt einen überraschend 
starken Einschlag diplomatischer Minuskel Dann verweise ich — es 
stehen leider nur ganz ungenügend wenige Schriftproben zu Gebote — 
auf das schon besprochene Synodaldekret von 1002 8 ), das nach meiner 
Meinung sehr wohl eine in Perugia ein paar Jahrzehnte später ent¬ 
standene Kopie sein könnte und ebenso wenig auch nur die leiseste 
Spur von Kursive zeigt wie LBr. Namentlich sehen wir, daß man in 
Toskana zu unserer Zeit diese Schrift schon ganz geläufig schrieb, vor 

*) Wie sich solche bei kalligraphischer Sorgfalt auf linierte; j Blatt gestaltete, 
kann man aus dem oben S. 296 Anm. 1 besprochenen Stück Arch. pal. it. III. 
74—81 ersehen. 

*) Arch. pal. ital. III, 13. — Zur Sache vgL auch Brcsslau Urkundenlehre 
2 *, 81. 

s ) S. oben S. 295. 



Das ßrondolo-Privileg Leo’s EX. 


301 


allem in Florenz, wofür auf die hochinteressante Kopie des Privilegs 
Benedikts IX. von 1038 *) nnd auf die Schrift in den von Florentiner 
Notaren geschriebenen Privilegien Nikolaus II. *) verwiesen werden kann, 
ln Arezzo, dessen Urkunden durch die verdienstliche Ausgabe Pasqui’s 
bequem zu überblicken sind, beginnen die Bischöfe schon seit Anfang 
desXI. Jahrh. gelegentlich sich statt des Notariatsinstrumentes der Siegel¬ 
urkunde mit besonderem an das Diplom angelehnten Formular zu be¬ 
dienen 3 ). Als Schreiber nennen sich in solchen Fällen anfangs can- 
cellarii. dann öffentliche Notare, denn wir finden sie nicht für die Ge¬ 
schäfte des Bischofs allein. Über die Schrift der Urkunden und speziell 
der bischöflichen ist leider fast nie eine Angabe gemacht, aber das 
bischöfliche Privileg n° 288 von 1078, von dem eine Abbildung bei¬ 
gegeben ist, zeigt, daß der Notar Teuzo reine diplomatische Minuskel 
schreibt Und das ist ein Notar, welcher auch für Private tätig ist 4 ), 
ln Oberitalien fanden sich damals wohl mindestens an jedem Domstift 
Kräfte die der diplomatischen Minuskel mächtig waren. Aus Bresslaus 
Ausgabe der Urkunden Konrads II. ersieht man, wie häufig lokale 
Schreibkräfte für die Diplome der dortigen Beichsstifter damals heran¬ 
gezogen wurden oder derartige Kopien anfertigten, offenbar ebenso in 
reiner diplomatischer Minuskel wie die S. 295 erwähnte Urkunde des 
Bischofs von Bobbio. Ihrer bedient sich auch ein Kanoniker von Reggio, 
welcher 1059 das Privileg Nicolaus II. und auch ein Diplom Hein¬ 
richs IV. für seine Kirche mundiert hat 5 ). 

Aus der Beschaffenheit der Schrift läßt sich also kein genügender 
Haltpimkt finden, in welchem Kreis wir den Schreiber zu suchen haben. 
Sicher ist nur, daß wir es mit einem Italiener, oder doch einem Ro¬ 
manen zu tun haben. Das zeigen die Sprachformen: Brondolus korr. 

>) JL. 4109, abgebildet bei Kehr, Diplomatische Miszellen. Gött. Gel. Nachr. 
1898 nach S. 612. 

*) Kehr, Scrinium 6, 91. Auch der Notar Aymo, welcher, doch wohl schon 
in Toskana JL. 4413 wesentlich in den Formen eines Notariatsinstrumentes nieder- 
schrieb, meistert die fränkische Minuskel vollständig, Arch. pal. ital. VI, 6. 

*) Das erste Beispiel bei Pasqui Documenti di Arezzo 1, 129 n° 94 von 
1009, bezeichnenderweise mit der Firmierung: Johannes diaconus cancellarius et 
canonicus consensi descripsi et subscripsi, dann von 1026, 1027, 1033, 1037, alle 
von Gerardus cancellarius geschrieben (n° 125, 127, 163, 166), andere von 1028, 
1041, 1057 ff. von Notaren (n® 129, 161, 182, 183) und zwar n® 182 und 183 
vom gleichen Tag aber von vor »chiedenen Notaren. 

4 ) So Pasqui n® 229, 230, 231, 242, 243. — Ausnahmsweise scheint auch 
schon ein Notar Andreas im J. 1023 eine notarielle Schenkung des Bischofs an 
das Kloster S. Flora zu Arezzo in diplomatischer Minuskel geschrieben zu haben, 
da Pasqui hier ausdrücklich bemerkt: scritta di bei minuscolo. 

*) S. Kehr, Scrinium 6, 90, Anm. 3. 



302 


E. v. Ottenthal. 


in Brundolus, com korr. in cum, Michahelis; ob auch die unklare 
Konstruktion zu Beginn der Disposition: Cuius amoris etc. auf dieses 
Konto gehört, bleibe dahingestellt 

* 

♦ * 

TL Prüfen wir nun, ob wir durch die Untersuchung des Diktats 
einen weiteren Einblick in die Beschaffenheit unseres Privilegs ge¬ 
winnen können 

LBr. bestätigt die aufgezählten Besitzungen des Klosters, sichert 
deren ruhigen Besitz und umgrenzt Rechte und Pflichten des Diözes&n- 
bischofs von Malamocco. Es ist also in der Hauptsache eine Kon¬ 
firmation des im Original erhaltenen Privilegs Benedikts IX. vom 6. Juni 
1044 1 ). Aber wie der Kleinsatz bei meinem Abdruck ausweist, ist vom 
Wortlaut der Vorurkunde nur weniges herüber genommen LBr. ist 
wesentlich selbständig abgefaßt. Und zwar entspricht es durchwegs 
den neuen, freien, sehr mannigfachen Dictamina, welche das Bild der 
Urkunden Leos IX beherrschen aber auch verwirren 

Zum Vergleich ist gleich die Adresse geeignet und zwar stehen 
hier am nächsten JL. 4264 für Farfa von 1051, JL. 4268 für S. Maria 
in Pomposa von 1052 und JL. 4303 für S. Maria auf dar Insel Tremiti 
von 1053. 

LBr.: monasterio sancte ... in partibus V. ... in loco qui dicitur 
B. posito atque per id A. abbati suisque successoribus canonice intran- 
tibus in perpetuum. 

JL. 4264: ecclesiae sanctae . . . quae ponitur in Ph.... et pro ea 
B. abbati et iuste intrantibus suis successoribus in perpetuum. 

JL. 4268: ecclesiae gloriosae . . . sitae in ... et per eam . . . ab¬ 
bati tuisque successoribus iuste intrantibus in perpetuum. 

JL. 4303 *): ecclesie beate ... in insula que dicitur ... et per 
eam G. abbati suisque successoribus canonice intrantibus in perpetuum. 

Dazu erwähne ich noch von dem lückenhaft und sehr verderbt 
überlieferten JL. 4263 für Subiaco 8 ): ecclesie beati . .. qui ponitur in 
.. . et per te .. . iustis successionis (!) in perpetuum. 

Zu beachten ist hier einmal die Voranstellung der durch den Patron 
bezeichnten Kirche vor dem Abt. Das finde ich zuerst gesichert in 
JL. 4240 für Toul 4 ), ebendort 1050 Okt ausgestellt Die Wendung 


! ) Veröffentlicht von Wattenbach iin Neuen Archiv 12, 408. 
*) Pflugk-Harttung Acta 2, 80. 

*) Regesto Sublacense 5ö. 

4 ) JL. 4186 kommt als Fälschung nicht zu Vergleich. 



Das Brondolo-Pririleg Leo’s IX. 


303 


wurde dann in der Kanzlei gang und gäbe. Sie findet sich l & in 
JL 4261 von der Hand des Notars B und in JL. 4298 von jener des 
Notars C. Eine zweite charakteristische Wendung ist dann intrantibus 
statt des früher schon mehrfach gebrauchten promovendis. Dieser Aus¬ 
druck ist mir vor JL. 4264 nicht vorgekommen und in der Verbindung 
mit canonice zuerst in JL. 4270, 4272, 4274 (Notar B), 4298 (Notar C), 
also auch diese Phrase wird neben Fortdauer der altem Kanzleibrauch. 
Das Kloster pflegt als Kirche des Schutzheiligen bezeichnet zu werden, 
außer in LBr. findet sich monasterium nur noch in JL. 4301 (Notar C) 
ftr S. Trinita in Bari und 4168 f&r Nonantula l ). 

In der Arenga von LBr. erscheint als charakteristisch die homi- 
Kenartige, auf den Schutzpatron hinzielende Fassung, an welche sich 
unmittelbar die Dispositio anschließt, in deren Eingang der Arcngenge- 
danke nochmals durchleuchtet Zu bequemerer Übersicht wiederhole ich 
wieder den kurzen Satz: 

Sancte trinitatis fidem indubitanter confessi et omni confitentes 
tempore non desistimus adorare, ut oportet, venerari semper et colere. 
Cuius amoris et in huius sancti nominis virtutem confessionis privilegio 
ducti loca sancta vere in unitate trinitati dicata pio affectu gaudemus 
promoveri et . . reformari, inter qu$ . .. 

Ich habe hier die gleichen Privilegien wieder zum Vergleich heran¬ 
zuziehen: 

JL. 6264: „Initium sapientiae thnor domini“. Cuius timore ac 
debita reverentia commoniti pro glorioso filio et casto gloriose matri 
simul et castae honorem libenter exhibemus pia devotione .. . Inter 
haec siquidem ... desideramus, ut sicut inter caeteras nominis fama 
ita et necessariis rebus gloriosius exaltetur per nostram humilitatem 
s. Pharph. ecclesia . .. Solebant semper ecclesiis bona sua confirmari 
... per ap. privilegia . . . quae non refutabit . . . Moria. Suscipe ergo 
s. virgo . . . bona .. . nostro tibi firmata privilegio . .. Cum benedic- 
tione filii tui posside quae possides ... et vice tua tibi . . . abbati . . . 
concedimu8. 

JL. 4268: Begina caelorum dei genitrix super choros angelorum 
exaltata, ut a nobis pia exultetur devotione . .. providere debet sollertia, 
scilicet in locis nomini tuo dicatis augeudo beneficium, quo sui speciales 

*) Pflugk-Harttong, Acta f, 76, ohne Schufiprotokoll, Tiraboechi Storia di No- 
nantola 1, 104 gibt aut anderer Kopie das J. 1049 als Ausstellungsjahr an. Nach 
dem Wortlaut der Adresse bezweifle ich das (ev. für die echte Grundlage). Das 
Privileg könnte ebensogut 1053 gelegentlich der 8ynode von Mantua gewährt 
worden sein. Allerdings soll nach Muratori Ant ItaL ö, 680 Abt Anselm schon 
1049 gestorben sein. 



304 


£. y. Ottenthal. 


commodius tibi possint exhibere servitium. Quapropter te . . . volumus 
preesse. 

JL. 4303: Omnium sanctorum merita, cum sicuti oportet, solempni 
veueratione colamus, dignum utique et iustum est, ut reginam caelorum 
post ereatorem suum filium (suum) unigenitum omni creature devota 
mente preponamus et in locis specialiter sibi dicatis, bona .. . hilari 
exhibitione faciamus. 

JL. 4263. Im Eegestum Sublacense ist von der Arenga nur der 
Schluß überliefert: servitoribus suis ministrari oportet habile suflragium. 
Cnde tibi sancte et reverende pater 1 ) tua tibi confirmamns .. . pia et 
devota observatione. Digna soror tuo virgo Scolastica . . . possideat 
fraterne caritatis speciali reverenüa . .. 

Die Verwandtschaft dieser vier Arengen vor allem in Auffassung 
und Gedankengang, aber teilweise doch auch in Satzbau und Wort¬ 
schatz wird einleuchten. Und zwar ist die t bereinstimmung eine kreu¬ 
zende und dabei eine so frei bewegliche, daß nicht an gemeinsames 
Muster, sondern nur gemeinsames Diktat zu denken ist Eine ähn¬ 
liche Haltung der Arenga zeigt auch schon das Privileg für die Fa¬ 
milienstiftung Leos Woffenheim JL. 4201: 0 sancta et admirabilis crux, 
in qua J. Chr. dominus noster pependit Devictus amore, imo destrictus 
debito begnadet der Papst das von seinen Eltern gestiftete Kloster. 
Hier ist aLo die Arenga geradezu als ein Stoßgebet stilisiert, abweichend 
von den untereinander und mit LBr. viel näher verwandten Urkunden 
für Farfa, Pomposa, S. Maria Tremiti. 

Sonst fand ich in den mir zugänglichen Texten von Leo-Urkunden 
derartige Arengen nie *). Wohl aber wird häufiger so wie in JL. 4263, 
4264 und LBr. in der Narratio oder Dispositio die Widmung an den 
Klosterheiligen oder des Papstes religiöse Verehrung für ihn betont. 
So zuerst in dem enthusiastisch an den h. Theodat gerichteten Privileg 
für S. Die (JL. 41Ö7), dann in jenem für Donauwörth (4207), Ambronai 
(4217), S. Maria in Gradibus zu Arezzo (4227, Or. von Humbert ge¬ 
schrieben), S. Maria in Hesse (4245), Besan^on (4249), Gorze (4250), 
Monte Cassino (4274 und 4298). Der Brauch beginnt also während 
jenes Aufenthaltes in Deutschland, auf welchem auch die inhaltlich wie 


q Gemeint ist 8. Benedictue. Aus dieser Anrede des Klosterpatrons möchte 
ich folgern, daß seiner auch schon in der Arenga gedacht war. 

*) In JL. 4197 für S. Deodat (Galilaea) ist die Adresse an den Schutzheiligen 
gerichtet, während (wenigstens in unserer Überlieferung) eine Arenga fehlt. Die 
Nennung der beiden AposteifÜrsten in JL. 4267 für S. Pietro in Perugia bezieht 
sich deutlich auf die Schutzverleihung, nicht auf den Klosterpatron, der nur Petrus 
all in ist. 



Das Brondolo Privileg Leos IX. 


305 


formell neuartigen Privilegien einsetzen und zuerst ein deutscher 
Notar eintritt Ich kann hier auf diesen Punkt nicht näher eingehen, 
sondern bemerke nur, daß die aufgezählten Stücke sonst nicht nähere 
Berührungspunkte mit der oben vorangestellten Gruppe aufweisen. 

Die Sanktionen fallen in LBr. aus dem Kähmen, wie er durch 
den Liber diurnus gegeben war, ebenfalls teilweise heraus. Die Straf¬ 
formel ist ungewöhnlich knapp und kurz: CanonicQ igitur huius in- 
stitutioms et confirmationis temerarium violatorem usque ad satisfac- 
tionem apostolicum anathema condemnei Sie findet sich ganz ähnlich 
in JL. 4268: violatorem igitur huius sacri privilegii, nisi resipuerit et 
ad condignam satisfactionem venerit, apostolicum anathema condemnet» 
Der Ausdruck anathematis ap. vinculo con’empnatus auch in JL. 4263, 
dessen schwungvolle Strafformel sonst in ihrer Artung JL. 4245 und 
den vom Notar B geschriebenen l ) 4253 und 4254 nahe steht Der 
nackte Ausdruck apostolicum anathema (statt nostrum ap. anath. oder 
nostrum anath.) ist unter Leo überhaupt selten, er fiel mir nur in 
JL. 4213 auf, wo er aber mit der alten Formel 64 des Liber diurnus (ed. 
Sickel) Zusammenhängen wird, dann in dem jedenfalls überarbeiteten 
JL. 4261 und endlich in JL. 4303 in der Wendung temeratoribus ... 
anathema ab apostolica sede. So ist auch in diesem Punkte auf die 
Übereinstimmung vor allem zwischen LBr. und Pomposa, aber doch 
auch jene mit Subiaco und S. Maria di Tremiti Gewicht zu legen 2 ). 

Die Heilformel in LBr. gedenkt wieder der Schutzheiligen, hier 
beider, des Erzengels Michael und der Trinität, und läßt so den in der 
Arenga angeschlagenen, in der Disposition fortgespielten Akkord rhyth¬ 
misch und wirkungsvoll ausklingen. Ein Vorbild hiefttr bietet allerdings 
schon die Formel 96 des Liber diurnus (ed. Sickel), welche den Be¬ 
obachtern des Privilegs Lohn aus den Verdiensten des Schutzheiligen 
und der Apostelfürsten verheißt, wie auch in n° 101 neben der gött¬ 
lichen die Strafe S. Peters gedroht wird. Aber eine, allerdings nur 
beiläufige, Durchsicht der Privilegien ergab, daß diese Wendungen im 
X. und in der ersten Hälfte des XL Jahrh. nur selten gebraucht wurden. 
Unter Leo IX. sind die ersten sicheren Fälle 8 ) das schon besprochene Pri¬ 
vileg für Woffenheim JL. 4201 von 1049 Herbst, in welchem das 
hL Kreuz für die Bestrafung, sowie jene für Ambronai und Florenz 
JL. 4215 und 4230 von 1050 Apr. 30 und Juli 13 (ersteres in Rom, 
letzteres wohl in Florenz ausgestellt), in welchen der Patron in der 
Segenformel angerufen wird. Es stimmt bestens zu ihrem Inhalt, daß hier 

*) Kehr, Scrinium 6, 82. 

-) Die Strafformei in <4264 dagegen ist als Seitenstück zur Arenga gehalten. 

*) Auch hier würde JL. 4186 eventuell vorhergehen, vgl. oben S. 302 Anm. 4. 



306 


E. v. Ottenthal. 


die Nennung von Heiligen gleichzeitig mit den inbrünstigen Ausdrücken 
der Heiligenverehrung in den anderen Urkundenteilen auftaucht und 
sich seit dem sehr individuell gehaltenen, dem Papst sichtlich sehr am 
Herzen Hegenden Privileg für sein Woffenheim immer starker verbreitet; 
sie wird unter den neuen Notaren kanzleigemäß, d. h. wir treffen nun 
bei Originalen aller Kanzleinotare 1 ) derartige Wendungen, aber in den 
Elaboraten keines von ihnen ständig oder auch nur in der Fassung 
8tätig. Bald wird der Apostelfürst als der eigentliche Inhaber der 
obersten Gewalt des Papstes genannt, häufiger so wie in LBr. die 
Schutzheiligen der Kirche, bald fungieren sie als Rächer der Übertretung, 
bald als mächtige Fürsprecher für die Gehorsamen wie in LBr. Auch 
der Ausdruck des himmHschen Lohns ist sehr abwechslungsreich, mit¬ 
unter sehr breit Dies sollte vorausgeschickt werden für die richtige 
Beurteilung der nachfolgenden Vergleichsstellen. Ich stelle wieder die 
knappe Fassung von LBr. voran. 

Conservatorem vero principe cqlestis exerdtus interveniente archan- 
gelo trinus et unus deus 8 ) exaltet Dem steht am nächsten einerseits 
JL. 4268, anderseits 4264. 

JL. 4268: Conservatorem vero dominae nostrae b. Mariae intercessio 
laetificet 

JL 4264: Exaltata super choros angelorum Maria exaltet conser- 
vantem bona sua, pro dominae suae reverentia princeps apostolorum 
P. ditet illum semper benedictione apostoHca, annuente hoc virginis 
patris ac virginis matris dei omnipotentis gratia. 

Die „Erhöhung“ im Himmel ist nur diesen beiden Privilegien eigen. 
Häufiger heißt es, daß der Gehorsame intercessione (JL. 4263, 4298), 
precibus (4274), adiuvante (4215, 4254), meritis (4303) des Heiligen 
das ewige Leben haben oder die göttliche Gnade genießen oder daß 
ihm S. Petrus das Himmelstor erschließen (4242, 4267, 4309) solle. 
Es ist ganz natürlich, daß diese dem ausgedehnten Schatz der kirch¬ 
lichen Gebete und Schriften entnommenen, den geisthchen Diktatoren 
vom taghellen Gebrauch geläufigen Wendungen stark wechseln, aber 
auch bei den verschiedenen Urkundengruppen leicht meinanderklingen. 
Als Beleg für beide Behauptungen seien hier noch die Heilformen der 
im übrigen nahestehenden Priv. für Subiaco und Tremiti angeführt. 

JL. 4263: Hilaris ad hanc domum dei dator et prudens pro do- 
no uno centuplum accipiat et. . . vitam etemam sibi beatus idem pater *) 

‘) So JL. 4230 (Lietbuin), 4254 und 4259 (Notar B), 4274, 4298, 4301 (Notar C), 
4283 (Notar D). 

*) Brondolo war eben S. Michael und der Dreifaltigkeit geweiht. 

a ) Nämlich Benedictus, ko muß jedenfalls statt des sinnlosen partes gelesen 
werden. 



Das Brondolo-Privileg Leo’» IX. 


307 


optineat Et quoniam beati P. hec abbatia est propria, qui sdbi bona 
fecerit, eum ipsum — apud deum pium intercessorem habeat 

JL. 4303: Piis vero observatoribus eins sempitemam a filio et do- 
mino ip8iu8 perpetuae Virginia Mariae recompensationem meritis eins 
8anctoramqne apoatoloram patrociniis pro sna benevola et devota obe¬ 
dien tia concedi preobtamus. — Beide erinnern am meisten an JL. 4264. 
Der Ausdruck hilaris auch in JL. 4303 in der Arenga, sowie ja auch 
sonstige gemeinsame Wörter in verschiedenen Urkundenteilen dieser 
Stücke dem aufmerksamen Leser nicht entgangen sein werden 1 ). 

In LBr. wird der Empfänger weder in der Adresse noch in der 
Dispositio in direkter Bede angesprochen, desgleichen in JL. 4264 und 
4303, dagegen wohl in JL. 4263 und 4268. Es ist darauf kein Gewicht 
zu legen, die Notare B und C wechseln in diesem Belang ebenso. 
Ähnlich verhalt es sich mit dem unvermittelten Übergang von Arenga 
zu Dispositio, namentlich ohne Erwähnung der Urkundenbitte in LBr. 
Auch das finden wir bei verschiedenen, nicht vom gleichen Diktator 
herrührenden Leo-Privilegien, wenn auch weit seltener als das Gegenteil 
und so darf immerhin angemerkt werden, daß LBr. auch diese Eigen¬ 
tümlichkeit mit JL. 4263, 4264 und 4268 gemein hat 

Arenga, Eingang der Dispositio und die Sanktionen von LBr. tragen 
in ihrem Stil ein dem persönlich gefärbten Ton dieser Partien ange¬ 
paßtes Gepräge, ab und zu eine gezierte Wortstellung (venerari semper 
et colere, amoris et in huius s. nominis virtutem confessionis, collatio est 
largita fidelium, Metamaucensls episcopus quilibet (— Vorurk.) principe 
cele8ti8 exercitus inveniente archangelo). Dagegen ist rhythmischer Schluß 
der Satzteile oder Beimprosa nicht beabsichtigt In den beiden Privilegien 
für die großen und durch ihre ganze Geschichte in der Kirche hochan¬ 
gesehenen Abteien Subiaco und Farfa ist der Schmuck der Bede ein 
reicherer und kommt daher auch rhythmischer Tonfall öfter vor, un¬ 
willkürlich, denn es fehlt auch nicht an Stellen, an welchen solcher 
Satzschluß unterlassen ist, obwohl er mit leichter Umstellung der Worte 
herzustellen wäre *). In dem Privileg für Pomposa ist diese Zier seltener, 


*) Aa sonstigen übereinstimmenden Wendungen könnte noch hingewiesen 
werden auf: LBr. potsidet vel iusto dono possidebit mit JL. 4263 posaidet vel 
in poeterum possidebit, 4264 concessa sunt vel in posterum concedentur; LBr. in- 
vadere, ledere aut snbtrahere, 4264 nullus invadat, nullus minuat, nullus sub- 
trahat; immo = 4264. 

*) 8o etwa JL. 42^3: oportet habile suffiragium, frateme caritatis speci&li 
reverentia, liberalis tradidit usus, oder Wortstellungen wie tibi solitario solitarium 
elegisti, morte moriutur duplici und 3264: cupimus suffiragium, necessarium susci- 
piamus commodum; tene quae tenes, posside quae possides, simul et chrisma; ex- 



308 


E. v. Ottenthal. 


in jenem für das weltentlegene Inselkloster in Treniiti fehlt sie fast 
ganz. Es besteht somit auch in diesem Punkte kein Gegensatz zwischen 
LBr. und den ihm sonst in positivem nahe verwandten vier Urkunden. 

Wenn nun diese fünf Stücke nach ihrem Diktat zusammengehören, 
so wäre es gewiß die nächstliegende Annahme, daß sie auch von gleicher 
Hand geschrieben waren, ulso von einem Kanzleinotar. Leider sind die 
Urschriften der vier andern Privilegien nicht mehr erhalten, oder doch 
nicht zum Vorschein gekommen. Der Schriftbefund des LBr. ergab aber 
an sich Bedenken gegen solche Vermutung 1 ), welche dadurch nur ver¬ 
stärkt werden können, daß nach dem Diktatbefund der Schreiber von 
LBr. bei dieser Niederschrift schon seit zwei Jahren Notar der päpst¬ 
lichen Kanzlei und noch immer in der diplomatischen Minuskel so 
ungewandt und unbeholfen gewes »n wäre. Das führt zur andern Mög¬ 
lichkeit, daß Schrift und Diktat vou LBr. auseinanderfallen und dafür 
ließen sich auch die vielen aber sofort verbesserten Verschreibungen 
unseres Or. geltend machen. So wäre denn nur der Verfasser des LBr. 
wiederholt und zwar im Zeiträume mehrerer Jahre zur Kanzleiarbeit 
herangezogeu worden. 

Es konnte wahrscheinlich gemacht werden, daß für LBr. die Hand 
des Kardinals Humbert musterbildend war; Kehr hat nachgewiesen-), 
daß dieser nicht bloß JL. 4227 und 4368 geschrieben, sondern auch 
diese beiden und JL. 4366 verfaßt habe. Sollte er nun auch der Dik¬ 
tator unserer Gruppe sein? Daß er als tonangebende Persönlichkeit 
der Kurie öfter konzipierte als mundierte, wäre ja recht begreiflich. Da 
wir von Humbert ein Stück kennen, das älter als unsere Gruppe ist 
und zwei die jünger sind, so besitzen wir ein sehr günstiges Vergleichs¬ 
material, umsomehr als Humbert einen recht ausgesprochenen Stil hat, 
welcher sich während dieser wenigen Jahre kaum irgendwie änderte. 
Sehen wir nun zunächst die Arengen oder die Strafformeln dieser Huin- 
bert-Privilegien an, so finden wir in Gedankengang und Phraseologie 
ein wesentlich anderes Bild als in unseren fünf Stücken. Humbert be¬ 
tont in seinen Arengen stets die Höhe und Pflichten der Papstgewalt, 
weist nicht einmal auf die Schutzheiligen der begnadeten Kirchen hin, 
obwohl zwei dieser Stücke ebenfalls Benediktinerklöstem zugehören. 
In der vorausgehenden Adresse ist auch bei den jüngem Viktorprivi¬ 
legien der Kirchenvorsteher, nicht die Kirche vorangestellc, ja in JL. 4368 

communicatio — indignatio, maioribus — minoribus; exaltata super choros angelorum 
Maria. Daneben auch Satzschlüsse wie JL. 4263 fidelet» semper fuimus, intercessoreiu 
habeat, JL. 3264 nos infringere noluimus, suscipiamus commodum. 

i) S. 298. 

•) Nachr. der Gött. Ges. der Wiss., Phil.-Hist. Kl. 1900, 103 ff. 



Das Brondolo-Pririleg Leo’s IX. 


309 


nur dieser genannt Auch das Latein ist in LBr. viel weniger korrekt, 
doch konnte das zur Not als Folge von Diktieren erklärt werden« An¬ 
derseits finden sich aber manche, auch einzelne seltenere Ausdrücke in 
beiden Gruppen gemeinsam, so aus LBr. nominatim, firmare (statt con- 
firmare), consuetudo institutio, sed potius = 4366, letzteres auch 
4227; suffragium in 4263 =• snfiragari 4227; unde in 4263, 4303 
= 4366, 4368, maledicatur 4263 = 4368; minuat in 4264 — 4227, 
4366; maxime 4264 — 4366, 4368, utique in 4303 = 4227, 4366; 
recompensatio 4303 = 4366. Endlich ist in der Heilformel der 
beiden Viktorprivilegien der Segen precibus s. Mariae (4366), bezw. 
interventu patris Benedicti (4368) verheißen, immerhin ähnlich wie 
in den beiden zeitlich spätesten Stücken der Brondologruppe x ). 

Eine gewisse Verwandtschaft ist also wohl zu erkennen, sowohl in 
einzelnen Ausdrücken, als, worauf mehr Gewicht zu legen ist, in der 
Gesamthaltung. Die Humbertstücke gehören gleichfalls dem neuen Typus 
an, wie er durch die deutschen Päpste in die päpstliche Kanzlei Ein¬ 
gang gefunden hat. Die Privilegien jüngerer Fassung heben sich von 
der Gesamtheit der alten, noch wesentlich an die Formulare des Liber 
diurnus angelehnten weit stärker ab als untereinander. Da tritt das 
Gemeinsame am augenfälligsten hervor: die Betonung eines starken 
persönlichen Bandes, welches den Aussteller mit dem Empfänger oder 
dessen Schutzheiligen oder dessen kirchlicher Stellung verbindet, der 
Ausdruck der religiösen Gefühle vor allem in Heiligen- und Beliquien- 
kult sowie der hierarchischen Bestrebungen, welche die Seele des Papstes 
ganz erfüllen. Das ist Grundton dieser Leonischen Privilegien *). Er findet 
sich in einer Gruppe, welche Waas lediglich auf Grund der Beachtung 
gewisser stilistischer Eigentümlichkeiten, namentlich von Beimprosa, 
Rhythmus und Kursus dem Diktat des Papstes selbst zuschreiben will *), 
er waltet in der Gruppe, welche wir hier näher betrachteten, er findet 
z. ß. viele Anklänge in Stücken, welche der Notar B geschrieben hat, 
er leuchtet aber auch in JL. 4292 und 4293 durch, welche nach der 
Scriptumformel sicherlich von stadtrömischen Notaren der päpstlichen 
Kanzlei mundiert waren« Er fehlt in den Privilegien aus den ersten 
Monaten von Leos Pontifikat, aber er ist nicht unter diesem Papst erst- 


*) Vgl. jedoch die Ausführungen S. 305, 306. 

f ) Ich fasse auch hier nur die formale Seite ins Auge, da der Inhalt des 
LBr. keinen Anlaß gibt auf die positiven Neuerungen des Rechtsinhaltes einzu¬ 
gehen, wie sie namentlich Hans Hirsch in mehreren seiner Arbeiten einläßlich 
beleuchtet hat 

*) Leo EX. und Kloster Muri, Archiv f. Urkundenforschung 5, 359 ff. 



310 


£. v. Ottenthal. 


malig zu treffen. Schon unter Clemens IL enthält das Privileg für 
sein heißgeliebtes Bamberg (JL. 4149) einen solchen Erguß. Mundiert 
ist diese Urkunde von einem Kanzleischreiber Heinrichs III., gleich dem 
um vier Monate altem Privileg für Hamburg-Bremen 1 ). Aber die 
blumenreiche warmblütige Sprache mit vielfacher Neigung zu Beimprosa 
und rhythmisch abklingenden Satzschlüssen ist nur dem Bamberger Stück 
eigen. Haben wir es hier mit einem Prunkstück des sonst so sachlich 
nüchternen Kanzleimannes zu tun oder reicht dieses Diktat in eine 
höhere Sphäre hinauf? Die innem Gründe, aus welchen Waas das 
Diktat einer Gruppe von Leo-Privilegien dem Papst selbst zuschreibt, 
dürften so ziemlich auch hier geltend gemacht werden können. Aber 
wir werden mit solchen Schlüssen doch äußerst vorsichtig sein müssen, 
wenn wir auch die früheren Vorstellungen von reichlichem Personal und 
genauer Arbeitseinteilung der päpstlichen Kanzlei für diese Zeit auf¬ 
zugeben haben. Es ist doch noch ein großer Unterschied, ob ein 
Papst wichtige Stücke seiner amtlichen Korrespondenz selbst diktiert 
oder seine Privilegien selbst abfaßt 

Wohl aber dürfen wir als sicher hinstellen, daß wir im Clemens- 
Privileg für Bamberg und in den neuartigen Privilegien Leos Aus¬ 
arbeitungen besitzen, die den Geist dieser deutschen Päpste atmen und 
daher ihren Ursprung in den leitenden Kreisen der Kurie von damals 
haben müssen. Eine sichere und scharfe Scheidung der einzelnen Dio- 
tamina jener Übergangszeit ist jedenfalls nur, wie Kehr in seinen ein¬ 
schlägigen Arbeiten wiederholt andeutete, auf Grund einer kritischen 
Durcharbeitung des ganzen Stoffes möglich, wenn sie überhaupt 
restlos gelingen wird. — Und so muß ich hier, wo ich nur das eine 
neu aulgefundene Original Leos veröffentlichen und erläutern will, bei 
dieser Frage Halt machen und mich mit dem Ergebnis bescheiden, daß 
die Fassung von LBr. jener der Privilegien JL. 4263, 4264, 4268 und 
4303 am nächsten steht daß sie durchwegs dem modernen Sil der 
Leo-Urkunden entspricht auch manche Anklänge an die Humbertstücke 
zeigt jedoch auch solche Abweichungen von seinem Stil, daß man den 
Verfasser wohl nur in dem von Humbert angjregten und beeinflußten 
Kreis zu suchen haben wird. Wie die Schrift des LBr. auf Kanzlei- 
mustem beruht so ist die Fassung als Kanzleielaborat anzusprechen. 

♦ 

* * 

III. Über den materiellen Inhalt unseres Privilegs genügen wenige 
Worte. Es steht mitten innen zwischeu jenem Benedikts IX. von 1044 

*) Bresslau in dieser Zeitschr. 9, 22. s. auch Kehr, Sctinium 6, 80. 



Da« Brondolo-Pririleg Leo’« IX. 


311 


Juli 6 x ) und jenem Calixt IL von 1122 *), ersteres im Original er¬ 
halten^ letzteres in einem Transsnmt des Xlll. Jahrh., welcher allerdings 
päpstliche Kanzleischrifk nachahmt, aber nicht jene des ausstellenden 
Papstes, sondern wie sie im XIII. Jahrh. üblich war. Nur Kota, päpst¬ 
liche Unterschrift und Benevalete sind im calixtinischen Stil gehalten. 
Nach Formular und Wortlaut besteht gegen den Inhalt keinerlei Be¬ 
denken. Yor- und Nachurkunde enthalten Besitzbestätigung, eine 
namentliche Aufzahlung des Besitzes jedoch nur LBr., welches daher 
für die Lokalgeschichte selbständigen Wert besitzt Die Stellung zum 
Diözesanbischof ist in unserm Privileg, obschon mit Benutzung der 
Yorurkünde, so doch in einer Fassung gegeben, welche den strengen 
Anschauungen Leos gerecht wird: der Bischof darf nichts vom Kloster 
verlangen, was Hecht (rectitudo) und Ordensregel widerspricht; wenn 
Benedikt IX. angeordnet hatte, daß der Bischof für die Yomahme der 
Weihen und Abgabe des h. Öls nur eine seit alters festgelegte Ent¬ 
schädigung fordern dürfe, so sagt Leo: gratis impendat, quod suum est 
Nicht minder bedeutsam ist, daß die Schutzverleihung der Yorurkunde 
nicht wiederholt wird, ebensowenig das von Benedikt in eigner Urkunde 
vom gleichen Tag gewährte Vorrecht des Abtes bei der Messe Sandalen 
und Dalmatica zu tragen 8 ). Die Verleihungen des schlecht beleumun¬ 
deten Papstes werden überhaupt gar nicht erwähnt. Die Nachurkunde ist 
nach dem wieder fest gewordenen Brauch der Kanzlei Calixt II. stilisiert 
«ie beruft sich nur auf predecessorum nostrorum constitutionem, ohne 
Namen zu nennen, schließt sich aber in ihrem Inhalt naher an das 
Privileg Benedikts an, verleiht insbesondere wieder Schutz. Brondolo 
wird für die Erlangung der Bestätigung nur dieses weitergehende Pri¬ 
vileg vorgelegt haben, nicht die schwungvolle, religiös angehauchte^ 
•aber einschränkende Urkunde Leos. Diese hat also auf die Weiterent¬ 
wicklung der Gerechtsame des Klosters kaum Einfluß geübt. 

*) Zuerst und alleinig veröffentlicht durch Wattenbach im Neuen Archiv 
12, 408, vgl. oben S. 802. 

*) Nicht ganz genauer Abdruck durch Knöpfler im Histor. Jahrbuch der 
Görresgesellsch. 24, 763. 

Or., gedruckt Neues Arch. 11, 389. 


21 ♦ 



Über das Testament des hl. Franz von Assisi, 

üuellenkritische Studie 

von 

Vlastimil Kybal. 


Das Testament des hl. Franz von Assisi gehört zu jenen Schriften 
des Poverello, die seine Ideen und seine Ausdrucksweise am echtesten 
kundgeben und die auch sehr gut beglaubigt sind. Deshalb können 
wir dieses Schriftstück einer systematischen und durchaus positiven 
Untersuchung unterziehen x ). 

1. Die handschriftliche Überlieferung des Testamentes ist 
zwar sehr reich, aber sie ist bisher weder vollkommen aufgezeichnet 
noch kritisch durchforscht Es fehlt bisher eine vollständige Zusammen¬ 
stellung aller Handschriften, in welchen das Testament enthalten ist, 
und eine darauf begründete handschriftliche Filiation; ebenso mangelt 
es an einer genauen Kritik des Textes und an einer darauf sich stützenden 
definitiven Edition. Sabatier verzeichnete zuerst den grundlegenden 
cod. Assisiensis n°. 338 2 ); später machte er auf cod. Mazarin. 989 
(v. J. 1460). cod. Vatic. 4354, cod. Riccardi 1407 (v. J. 1503, ital) 

*) Aus der allgemeinen Literatur s. 1. Hase, Franz von Assisi, 8. 136 und 
Renan, Nouvelles JÜtudes d’histoire religieuse, S. 247 (beide bezweifeln die Echt¬ 
heit des Testamentes); — 2. K. Müller, Anfänge des Minoritenordens, S. 109— 
111 und Sabatier, Vie de S. Franpois d 1 Assise, S. 384— 389 (s. auch unten); — 
3. Loofs, Das Testament des Franz von Assisi, in Christi. Welt, 1894, Nr. 27, 
28, 29. W. Goetz, Die Quellen zur Geschichte des hl. Franz von Assisi, S. 11—16. 
Die weitere Literatur s. unten. 

*) Vie, S. 384. 



Über das Testament des hl. Franz von Assisi. 


313 


und auf cod. Univ. Bonon. 2697 (y. J. 1503, ital.) aufmerksam l * * ); endlich 
verzeichnet« er cod. Florent BibL Naz. Magliabecchi XXXVIII, 52 und 
cod. Vatic. 7650*). Goetz fügt zu den von Sabatier genannten Hand¬ 
schriften cod. Ognisanti aus Florenz hinzu 8 ). P. Lemmens zahlte in 
seiner Edition der Schriften des Franz 13 Handschriften des Testamentes 
auf yon welchen folgende neu sind: cod. collegii S. Antonii in Rom; 
cod. der Pariser B. Nat lat 18.327; cod. der Haager Stadtbibliothek 
K. 54; cod. der Berliner königlichen Bibliothek lat 196; cod. der 
Liegnitzer Bibliothek der St. Peter- und Paulkirche, cod. 12; cod. der 
Prager Kapitelbibliothek B. XC.; cod. der Lemberger Universitätsbib¬ 
liothek, cod. 131; cod. des Klosters St Florian in Österreich, cod. XI. 
148 4 * ). Endlich hat H. Böhmer im ganzen 43 Handschriften des 
Testamentes genannnt, von denen folgende neu sind: Rom, S. Isidoro, 
cod. 1/25; Rom, BibL Vallicellana, B. 131; Florenz, cod. Riccardi 1491 
und 1670; Florenz, B. Laurentiana XXII. cod. VI. 22; Volterra, cod. 313; 
Verona, Bibi. Nazionale, cod. 1230; Basel, Staatsbibliothek cod. B. VII, 
32 und CV, 19; Douai, BibL, cod. 807; London, British Mus. Cotton 
Nero A XIII und Addit 27.868; Oxford, Bodleian Library, Rawlinson 
320 ; Canoniciana Miscellanea 528; Durham, Cathedral Library n°. 302 
und 871; Dublin, Trinity College 347; Köln, Stadtarchiv, W. 12° 75; 
Düsseldorf, Landesbibliothek C. 103; München, kgl. BibL lat 18. 530 b ; 
Leipzig, Univ.-BibL 660; Berlin, kgl. Bibi, theol. lat qu. 22 und 43; 
Wien, HofbibL lat 2233 und 3473 6 * ). Aber auch diese Zusammen¬ 
stellung ist nicht vollständig; so liest man zum Beispiel das Testament 
in der Prager Univ.-Bibl. in cod. IV. D. 1, f. 428 a/b aus dem 15. Jh. 6 ) 
und es besteht kein Zweifel, daß auch in anderen Bibliotheken weitere 
Handschriften gefunden werden können. 


l ) Speculum perfectionis (Collection de documents pour 1’ histoire religieuse 
et littäraire du Moyen-fige, t. I. 1898, p. CLXV1II, CLXXUI und CLXXV; vgl. 
ibid. p. 309 und 313. Über den cod. Bologn. neuerlich in der Ed. Bartholi, 
p. CXXV. 

*) Fr. Francisci Bartholi Tract. de Indulgentia (Collection, t. U. 1900), p. CXXIX 
und CXLY1. 

*) Goetz, Quellen, S. 12, Anm. 2. 

4 ) Opuscula s. Patris F.-ancisci Assisiensiß. Ad Aquas Claras 1904, S. 175. 

*) Boehmer, Analekten zur Gesch. des Franciscus von Assisi, Größere Aus¬ 
gabe. Tübingen und Leipzig 1 X)4, 8. LVI. 

*) YgL Truhlär, Catalogus cod. M8S. lat., Pragae 1906, nr. 6Ö5. Der Kodex 
stammt aus d. J. 1455—65 und der darin enthaltene Text des Testaments ist von 
dem Texte der Edition Lemmen’s und Bochmers stark verschieden. Über den cod. 

der Prager Metrop. Kapitelbibliothek B. XC (f. 303 b —307* s. oben), vgl. Patera- 

Podlaha, Soupis rukopisft knihovny metropolitni kapitoly Pra£sk6 1910, nr. 405. 




314 


Vlastimil Kybal. 


Leider ist bisher die Filiation aller dieser Handschriften des Testa¬ 
mentes nicht durchgeführt worden und es ist nicht einmal der ursprüng¬ 
liche und beste Text fixiert. Es ist unrichtig, wie Goetz behauptet J ), 
daß „die Abweichungen der einzelnen Handschriften und Drucke für 
den Inhalt ohne Bedeutung sind“, denn diese Abweichungen haben 
sowohl für den Text als auch insbesondere für die Geschichte des Textes 
Bedeutung. Die definitive Edition, welche weder Lemmens 2 ) noch 
Böhmer ö ) bieten, muß sich selbstverständlich auf die grundlegende assi- 
siensische Handschrift stützen; weil aber diese wahrscheinlich erst aus 
dem 14. Jh. 4 ), höchstens aus der zweiten Hälfte des 13. Jh 6 ) s tamm t, 
ist es natürlich, daß die Varianten aller wichtigeren Handschriftenfamilien, 
wenigstens des 14. Jh., nicht bedeutungslos sind, und daß es kein „exc&s 
d’erudition« wäre, wie Sabatier meint 6 ), wenn sie kritisch gesammelt 
würden. Außerdem hat das Testament, wie bekannt, in der Entwicklung 
des Minoritenordens, besonders der Abzweigung der Spiritualen eine be¬ 
sondere Bedeutung 7 ), sodaß nicht bloß für den Text allein, sondern auch 
für seine weitere Geschichte seine Darstellung in der handschriftlichen 
Tradition, welche die Handschriften des 14. und 15. Jh., wie auch alte 
Drucke 8 ) darbieten, von Interesse wäre. 

2. Die Echtheit des Testamentes ist unbestreitbar. Sie ist außer 
den Handschriften durch Nachrichten ursprünglicher Quellen 

*) Goetz, 1. c. 

•) Opuscula, 1. c. S. 77—82. 

•) Analekten, S. 36—40. Nach dieser Edition werden weiter die Zitate an¬ 
geführt. Den einfachen Text des cod. Assis, bietet schon Sabatier in Spec. 
8. 309-313. 

4 ) Vgl. Goetz, 8. 53, Anm. 1. 

®) Vgl. Boehmer, 1. c. S. XV—XVI. 

®) Vgl. Sabatier, Examen de quelques travaux recents §ur les opuscules 
de 8. Fransig, in den Opuscules de critique histor., t. II, fase. X. 1904, S. 127: 
»Collectionner p. ex. les variantes que präsente le Testament de saint Francis 
dans les manuscrits du XTV e siecle, serait tout au moins perdre son teinps, puisque 
noa avons d’ excellents manuscrits du siecle pr6c6dent. Sauf potir des details saus 
importance, le texte est ötabli«. 

7 ) Vgl. Fr. Ehrle, Die Spiritualen im Verhältnis zum Franziskanerorden 
und zu den Fraticellen, im ALKG HI. 1887 p. 553 sq. passim. 

8 ) Alte Drucke führt z. B. Sabatier im Spec. S. 309 an; es sind besondere 
folgende: Firmamentum trium ordinum, Pariser Ed. 1512 f. 19 und Venetianer 
Ed. 1513, I. pars, f. 21a/b. Speculum Morin, tract. HI. f. 8». Wadding, Ann&l. 
1226 n. 35, t. II. p. 143—145. Opera b. Francisci, ed. De la Haye, p. 20; ed. 
Horoy, col. 269—274. Acta SS., Oct t. IL p. 663. Chronologia historico-legalis, 
I. p. 15—16. Hieher gehören auch alte HandschriftenSammlungen, wie Hubertmus 
von Casale, Arbor, lib. V, c. 3 u. 5; Bart. Pisanus, Conform., 1. HT. c. 2; Alvarua 
Pelagius, De planctu ecclesiae, 1. n. passim. Vgl. auch ALKG HI, p. 53 und 168. 



Über das Testament des hl. Franz von Assisi. 


315 


belegt Celano (ca. 1228-9) zitiert das Testament direkt und wörtlich 
in 1 CeL 17, indirekt in 1 Cel. 32, 39, 1 CeL 45 und versteckt in 

2 CeL 163 x ). Julianus von Speier in der Legende von ca. 1233-5 a ) 
und gleicher Weise Bonaventura (vgL auch IV. 3) berufen sich auf das 
„Testieren* des Franz an einer 8telle 5 ). In den anderen Quellen er¬ 
wähnt das Testament die Legende trium sociorum, 3 soc. 11 (vgL auch 

3 soc. 26) und zitieren es 3 soc. 29 4 ). Speculum perfectionis fuhrt 
den Wortlaut des Testamentes allgemein im c. 9 und wörtlich in o 11 
und 26 an; der Hinweis im o 55 bezieht sich nicht auf unser Testa¬ 
ment 6 ). Endlich führt der Bruder Leo in der „Intentio regulae* n. 14 
und 15 das c. 7 des Testamentes an 6 ). Die Belege stimmen im Wesen 
nicht überein (bloß 1 Cel. 17 handelt von derselben Sache wie 3 soc. 11, 
und der altfranziskanische Gruß: „Dominus det tibi pacem“ wird in 
gleicher Weise bei Julian, Bonav. III. 2, 3 soc. 26 und im Speo o 26 
angeführt); man kann daraus schließen, daß das Schriftstück den an¬ 
geführten Autoren aus eigener Anschauung bekannt war und daß sie 
es nicht gegenseitig entlehnten. Über das Testament spricht auch 
eine nichtfranziskanische offizielle Quelle, nämlich die päpstliche Bulle 
„Quo elongati* vom J. 1230 7 ). 

Diese äußeren Belege der Echtheit können durch innere Belege 
ergänzt werden. Goetz 8 ) führt davon besonders den ungekünstelten 
Ausdruck des ungelehrten Autors und die freie Disposition des Schrift¬ 
stückes an, in welchem die Gedanken frei und ungeordnet wie in der 
gesprochenen Bede fließen. Hieher gehört auch der Umstand, daß im 
Testamente Gedanken enthalten sind (wie die Ehrfurcht vor den Priestern, 
Warnungen vor kirchlichen Privilegien und die Betonung der Hand¬ 
arbeit), welche in späterer Zeit unmöglich wären. 


*) S. Francisci Assimensis Vita et miracula, additis opusculis liturgicis, auc- 
tore Fr.Thomado Celano, ed. P. Eduardus Alenconiensis, Romae 1906, pp. 20, 
33, 41, 47 und 292. Auf diese Edition beziehen sich alle anderen Zitate aus 
Celano. 

*) Acta SS. Oct t. ü. p. 579. 

*) S. Bonaventurae Legendae duae, ed. ad Aquas Claras 1898, p. 22—23 
(Legenda maior III. 2). Vgl. auch Bonaventuras ep. de tribus quaestionibus. Opera 
omn'a, t. VIII, p. 335. 

«) S. Francisci legenda trium sociorum, ed. M. FalociPulignani. Ful- 
giniae 1898, S. 30, 48 und 51. 

•) Speculum perfectionis, eil. Sabatier. p. 21, 28, 52 und 99. 

*) Documenta antiqua Franciscana, ed. Lemmens, t. I. p. 97. 

7 ) Apud Sabatier, Spec. perf., S. 315—316. 

•) Goetz, 1. c. S. 14—15. 



316 


Ylaatimil Kybal. 


3. Die Entstehung des Testamentes versuchte, so viel mir be¬ 
kannt ist, bisher nur Sabatier 1 ) zu erklären« Mit Rücksicht auf die 
eigentümliche Art der schriftstellerischen Arbeit des Franz, welche darin 
bestand, daß der Heilige immer wieder zu demselben Gegenstände zu¬ 
rückkehrte, um ihn zu ergänzen und zu vervollkommen, glaubt Sabatier, 
daß Franz einigemal sein Testament von neuem zusammenstellte und 
zwar immer am Ende seiner seelischen Krisen, Und so unterscheidet der 
französische Forscher mindestens vier Testamente: das erste, welches 
er in Siena dem Br. Benedikt von Pirato (Spec. c. 87) diktierte, das 
zweite, welches er vielleicht über Porciimcula schrieb (Spec. c. 55), das 
dritte Testament ist das unsere imd das vierte ist für die hl. Klara und 
ihre Schwestern verfaßt Mit dieser Auslegung stimmt jedoch P. Lem- 
mens nicht überein-), welcher ad 1 einwendet daß aus dem Be¬ 
richte über das Testament des Pirato nicht eine allgemeine Proposition 
mehrerer Testamente deduziert werden könne, von der die übrigen 
Legenden nichts sagen; ad 2 wendet er ein, daß der Bericht über das 
Porciuncula-Testament anders im Texte Sabatiers und anders in der älteren 
Redaktion derselben Quelle lautet; im Spec. c. 5, ed. Sabatier, p. 99, 
heißt es: „in morte sua fecit scribi in testamento, ut omnes fratres 
facerent similiter*, während in der Edition des P. Lemmens (Doc. ant 
Franc. II. 60) gesagt wird: „circa mortem suam hanc ecclesiam fratribus 
in testamentum reliquit“. 

Trotzdem muß gesagt werden, daß die Auslegung Sabatiers den 
Kern der Wahrheit enthält Vor allem spricht für sie der psychologische 
Zustand des Franz in den letzten Jahren seines Lebens, ein Zustand, 
welcher kurz durch zwei Worte ausgedrückt werden kann: durch die 

schwere und mehr oder weniger klare Sorge um die Schicksale des 

Ordens in der Zukunft und durch die große Sehnsucht nach Fixierung, 
sozusagen Verewigung jener Prinzipien seines Evangeliums, welche in 
der letzten Zeit von fremden und abgeleiteten Einflüssen zurückgedrängt 
oder bedroht waren. Ebenso ist der instinktive Beweggrund maßgebend, 
welcher Franz zum ersten Versuche eines Testamentes führte und von 
dem Spec. c. 87 erzählt Diese Erzählung ist allerdings in ein recht 
künstliches Kleid gehüllt (Sabatier, S. 174, Anm. versucht dies ver¬ 
geblich durch das Beispiel der Volkslamentationen Mittelitaliens zu er¬ 
klären), aber es besteht kein Grund dafür, den einfachen Kern des 

Berichtes zu verwerfen. Dieser besteht in dem Faktum, daß Franz 

schwer krank in Siena damiederliegend (im April 1226), seinen Priester, 


J ) Sabatier, Spec. perf. S. XXXIII. Anin. 2. 
*) Opuseula, 1. c. S. 174—175. 




über da« Testament des hl. Fram von Aäö». 


•ieö Br: Benedikt von Pirato, 


sieh rief iixj 4 4}tm mit gebrochener 
klimme diktierte, daß er alle Brüder, welche im Orden sind oder in den 
Orden eiutr^ten werden, bis in Ewigkeit segne-, »n Wille bestehe vor 
$m damn daß ulk gegenwärtigeu und zuküiüOgen Brüder 
feidben mn« Andenken«, Segens and Testamentes (in $igrm& 
mürbe ..mene- et benedietionis et tesi&wenti) emander immer so lieben, 
wie er ä liebte ; zweitens sollen sie immer y unsere Frau Armut* lieben 
Aö.d *mhalik*i itüd drittem; den Prälaten and Blmkern der Kirche treu 
söd untertan ftem J). Das ist alles, wm wir über das irrste Testament, 
hsp. Tnrtefetäowmt des Franz winsen. Ee deshalb zu verwerfen, weil 
ihm mehl die allgerneme Fro^öidtiuii der weiteren • Testamente- de- 
»laxiert werden Tflß&ue, ade?weil der Spec. au« dem 14. Jh. von ihm 
^orh:, wäre übereilt Ixö Wesen isi es ein. natürlicher Bericht über eine 
ftüit oa^rfkJac* Saete (Fraß?: wollte sieh wenigstens so von den Brüdern 
• ".r^’evhiedeü) und die drei Hauptgedanke igegenseitige. .Liebe.. Armut 
ftrid Bfgetehheit der Kircdie gegenüber! entsprechen ganz dem seelischen 
tiusUnde und der Alentelität des Franz im gegebenen Augenblicke. 
Aber dieses Vortes tarnent ist nicht erhalten; obwohl e$ mfyesdbnei&n 
'•■•’eieti sollte; es bleibt von ihm nur vier erwähnte Bericht. 

AVas das Testament über die PetciunenU-K ircbe anbe« 
«hgt »«.» kann die betreffende Stelle einen ‘gewissen Verdacht 
mtem daß die mit der Tendenz g^dirfeben dei Munerkirehc 

wzzmhfii der ‘ neuerrfchfetea' de* in. Franz in Assisi 

tSaiir zn verleih^. & wird nämlich itu 3pt^ c, i|ö gesagt, daß Fmnz 
BjTX'iunaiUi übermuf liebte -15t ptopte&$ Ofährt Jtpi) ex tune 
cworitimhi reveretitiam et rlevofcipoein in ijska häkoih, atyu* ut fr^trex 
fteaüriak' sernper in eordibus smar haber-ens, in morte mit fceit scribi ?\ 
&.'tfestäaaeö.tö> ut omnes frutnis taeerent wnliter, •rirea • rnorietu 

Ä to rum generali mipiskro et atih fratribns diVit :• ,Luenni fv ’Muriae 
4* Pnrduncula volo ordinäre t# relimpiete iratribuB i# : nt 

' ^^cäatet- «i&f&xkf&i ; ; *Htöjte 

■ ■ ' : 


2um 


b ^^J§g|gS 




318 


Vla8fcimil Kyb&l. 


Ordeusgeneral und allen Brüdern beim Abschiede empfahl Sicher ist 
wenigstens der Wunsch des Franz (nach Spec. c. 7), daß Porcroncula 
ein Muster und Beispiel der ursprünglichen Armut allen „Luogen* der 
Franziskaner sein sollte und daß er im c. 7 des Testamentes bei der 
Bestimmung über die Armut aller Ordensgebäude wahrscheinlich an 
Porciuncula dachte. Aber die von Geist und Wort des Franz inspi¬ 
rierten Autoren des Speculum haben jene Bestimmung des Testamentes 
in ihrem Sinne entwickelt und geordnet, sodaß sie als die Bestimmung 
eines anderen Testamentes erscheint, obwohl sie in Wirklichkeit ent¬ 
weder bloß der Widerhall der Gespräche des sterbenden Vaters (vgL 
1 CeL 106) oder der Widerhall der parafrasierten Bestimmung des be¬ 
kannten Testamentes (vgl. Spec. e. 9, 10, 11: quum b. Fr. constituisset) 
ist *). Dasselbe gilt von der Stelle über die Verehrung der Priester im 
Spec. c. 10, welche nur c. 3 des Testamentes wiedergibt. Im ganzen 
muß gesagt werden, daß Franz kaum ein besonderes Testament zu¬ 
gunsten von Porciuncula verfaßt hat 

4. Über die Entstehung und die Formation des eigent¬ 
lichen Testamentes haben wir sehr wenige Nachrichten. Die Quellen 
(s. oben) sprechen über das Testament als über ein Faktum, sie sagen 
aber nichts von seiner Entstehung und seiner Entwicklung. Spec. c. 9 
sagt lakonisch: „Nam et circa mortem suam in testamento suo scribi 
fecit 44 und bemerkt im c. 11 bei Gelegenheit des Widerstandes der 
Brüder gegen hölzerne und irdene Klostergebäude: „Sed b. Francisco» 
nolebat contendere cum ipsis, maxime quia erat prope mortem et gra- 
viter infirmabatur. Unde tune in testamento suo scribi fecit“. Papst 
Gregor IX. (der ehemalige Kard. Hugolino) bemerkt über die Abfassung 
des Testamentes (in der Bulle Quo elongati 1230, Spec., S. 315): *Sed 
sanctae memoriae b. confessor Christi Franciscus, nolens regulam suam 
per alieuius fratris interpretationem exponi, mandavit circa ultimum 
vitae suae, cuius mandatum dicitur Testamentum, ut verba ipsius regulae 
non glossentur“. Die Kürze und Inhaltlosigkeit dieser Berichte er¬ 
klären es, daß auch die modernen Biographen in der näheren Da¬ 
tierung des Testament3s schwanken und miteinander nicht überein- 


*) Jener Schein eines anderen Testamentes bleibt aber doch, wenn wir uns 
streng an den Spec. halten. Spcc. c. 9 sagt nämlich, daß Franz im Testamente 
verzeichnen ließ, »quod omnes cellae et domus fratrum esseat de lignis et 
luto tantum, ad conservandam melius paupertatem et humilitatem c . Über die¬ 
selbe Sache spricht auch Spec. c. 11; wenn wir jedoch von den Worten ,prope 
mortem« (es konnte auch früher geschehen) absehen, scheint aus dem Kontexte 
hervorzugehen, daß die betreffende Bestimmung in die offizielle R e g e 1 eingetragen 
werden sollte, was aber durch den Widerstand der Minister verhindert wurde. 



Über das Testament des hl. Kranz von Assisi. 


319 


s timm en. Sabatier 1 ) verlegt es in die letzten Tage des Franz in 
Porduncula, Goetz 2 ) weist jedoch mit Recht darauf hin, daß im Te¬ 
stamente die Abschiedsstimmung fehle (Franz verspricht hier zu ge¬ 
horchen, das Officium zu verrichten und beinahe mit der Hand zu 
arbeiten!) und daß auch die Zeit „circa mortem«, von der Spec. c. 9 
spricht, jahrelang bei langsamer Auflösung des Körpers des Heiligen 
dauerte; aus diesen Gründen verlegt Goetz das Testament in die letzten 
Jahre des Franz. P. Lemmens 8 ) wiederholt bloß die Verlegung der 
Bulle „Quo elongati« in die Zeit „circa ultimum vitae suae« und auch 
der letzte größere Biograph des Franz, C u thb ert 4 ), versetzt das Testament 
unmittelbar vor den Tod des Franz 5 ). Böhmer 6 ) führt jedoch aus, 
daß Franz dieses Schriftstück noch im bischöflichen Palaste in Assisi 
in der Zeit vom Mai bis zum September 1226 diktierte „in dem 
Bewußtsein, daß er nicht mehr auf ein langes Leben zu rechnen habe, 
aber ohne zu ahnen, daß der Abschied so nahe sei«. Man kann mit 
Böhmer übereinstimmen und seine Ausführungen durch eine kurze 
psychologische Charakteristik des geistigen und gefühlsmäßigen Pro¬ 
zesses des Franz in den letzten Monaten seines Lebens ergänzen, welche 
ich in meiner Schrift über den hL Franz versucht habe und aus welcher 
ideelle und psychologische Voraussetzungen des Testa¬ 
mentes selbst gewonnen werden können 7 ). 


i) Sabatier, Vie, S. 384. 

*) Goetz, 1. c. S. 15—16. 

») Opuscula, S. 173. 

4 ) Fr. Cuthbert, Life of St. Francis of Assisi, 2. AufL 1913, S. 378ff. 

*) Ähnlich hat es schon A. Clarenns in Hist, tribul., ap. Döllinger, Beiträge 
zur Sekteng., II. 459 (quibus [se fratribus] circumsedentibus breve testamen tum 
scribi mandavit). Aber diese Quelle ist nicht rein und auch die angeführten Worte 
sind nicht ganz unbestreitbar. 

•) Analekten, S. XLI. 

7 ) Vgl. meine böhmische Schrift, Der hl. Franz von Assisi, Prag 1913, 
S. 228iL Von anderen Biographen s. Fr. Tarducci, Vita di S. Francesco 
d’ Assisi, 1904, S. 386, welcher den geistigen und gefühlsmäßigen Ursprung des 
Testamentes also erklärt: »Ahime come il proseguiroento dell’Ordine aveva male 
cormposto alle promesse de’ suoi primordi! Ora i frati volevano comode abitazioni, 
buoni cibi, e libri, e scienza, e titte le cose che si accompagnano alla prudenza e 
previdenza umana; e la sua Da na la Povertä trovava appena in tutto 1’ Online 
qua e lä un qualche cavaliere che le restasse fidele! Questo pensiero an- 
goseioso, che da anni gli op^rimeva lo spirito, in quelle ultime ore della sua 
vita si fece intensissimo e non gli dava requie; e l’agonia morale del 
povero morente vinse in affanno quella atrocissima che gli davano i suoi dolori 
fisici. In quell’ ansia crudele d* oppressione chiamö frate Angelo e gli dettö il 
suo testamento«. Weiter charakterisiert der Autor das Testament als »suprema 



320 


Vi&§fcimil Kybal. 


Die erste Voraussetzung dieser Art war die Erweckung zu neuem 
Leben, welche Franz auf dem Todeslager im bischöflichen Palast in 
Assisi traf 1 ). 

Diese Erweckung betraf Geist und Willen, welche umso stärker 
waren, je schwächer der Körper wurde. Der sterbende Franz hatte 
Riesenpläne und brannte vor allem vor Sehnsucht, „ad humilitatis re- 
verti primordia* (wie Celano sagt) und seinen Leib dem ursprünglichen 
Dienste Gottes wiederzugeben. Insbesondere wollte er zu den Aus¬ 
sätzigen zurückkehren und ihnen dienen, wie er ihnen am Beginne 
seines neuen Lebens diente. Auch wollte er ein ganz verachtetes Leben 
führen, wie er es früher tat, und wollte endlich die Menschen meiden, 
die verlassensten Stellen aufsuchen imd dort der reinsten Kontem¬ 
plation sich widmen *). Er wollte dieses neue Leben nicht nur zur 
eigenen Befriedigung beginnen, sondern um dadurch zum letztenmale 
seiner Brüderschaft Vorbild und Beispiel zu sein. Dies lag umso schwerer 
auf seinem Herzen, je schmerzhafter die Erinnerung an die verlorenen 
Kämpfe um die Regel und je unklarer und unbefriedigender der Aus¬ 
blick in die Zukunft des Ordens war, welcher schon in der Gegenwart 
den Unrechten Weg ging. Insbesondere war der einfache Geist des 
Sterbenden empört durch die Studien, welchen viele Brüder auf Kosten 
demütiger geistlicher Tätigkeit nachgingen. Franz haßte diese nach 
Prälatenwürden und Hofluft sich sehnenden Brüder, er nannte sie Toren 
und die Pest des Ordens 8 ). Auf die Frage eines Bruders, was sein 
letzter Wille betreffs des wissenschaftlichen Studiums der Brüder-Kleriker 
aus Büchern, welche diese in Menge hätten, sei, erklärte der kranke 
Franz ausdrücklich, daß kein Bruder etwas anders haben sollte als ein 
Kleid mit Strick und Unterhosen, wie die Regel es bestimmte 4 ). Er 
verhärtete sich nicht nur gegen die Brüder-„Meister“, sondern auch 
gegen die Minister, welche die Brüderschafc beherrschten. Eines Tages, 
als die Krankheit schwerer ihn bedrängte, erhob er sich aufgeregt auf 
seinem Lager und rief aus: „Wer sind jene, welche meinen Orden aus 

e8pre88ione del suo pensiero e della sua volontä« (S. 386) und als > parte integrante 
della Regola« (p. 387). 

*) »Sabatier erfaßte diesen Vorgang sehr fein und drückte ihn mit folgenden 
Worten aus: ,On devine chez Francois cette disparition presque abeolue de 1& 
douleur, ce renouveau de vie, qui devance si souvent 1’ approche de la catastrophe 
finale« (Vie, S. 384). 

f ) 1 Cel. 103, ed. P. Eduardus, p. 108—109. 

*) 1 Cel. 104, ed. P. Eduardus, p. 109—110: »Videbat enim multos ad 
magisterii regimina convolare, quorum temeritatem detestans, ab huiusmodi peste 
sui exemplo revocare studebat eoe«. 

4 ) Spec. perf. c. 2, ed. Sabatier, p. 6. 



Über das Testament des hl. Franz von Assisi. 


321 


meinen Händen rissen? Wenn ich aber auf das Generalkapitel komme* 
werde ich ihnen meinen Willen zeigen!“ Der Bruder, welcher ihn aus¬ 
forschte, fragte den Heiligen, ob er vielleicht die Provinzialminister ab- 
setzen wolle, welche solange die Freiheit mißbrauchten. Franz jedoch 
antwortete entkräftet: »Sie sollen leben, wie sie wollen! Der Schaden, 
welchen einige Minister anrichten, ist doch kleiner als das Verderben 
vieler gelehrter Brüder“ l ). 

Dies sind nach meiner Ansicht die seelischen Voraussetzungen des 
Testamentes, welches Franz damals Stück für Stück zusammenstellte 
und den treuen Brüdern diktierte. 

Goetz 8 ) sprach die Vermutung aus, daß die Gedanken des Testa¬ 
mentes in demselben Augenblick aufgezeichnet wurden, in welchem 
sie ausgesprochen waren. Sabatier 8 ), der mit Goetz übereinstimmt, 
sagt, daß das Testament, obwohl es lang meditiert wurde, doch „ä un 
moment tres particulier“ entstanden ist und die Spuren davon trägt; 
es ist »piece de circonstance“ oder ein improvisierter Akt, der durch 
aktuelle Bedürfnisse hervorgerufen wurde. Ich möchte weder mit dem 
einen (augenblickliches Diktieren) noch mit dem anderen (aktuelle Im¬ 
provisation) übereinstimmen. Das Testament entstand aus den ange¬ 
führten psychologischen Voraussetzungen des sterbenden Ordensbegründers 
(das ist prius) und wurde durch den nahenden Tod eher »hervorgerufen“ 
als durch »aktuelle Bedürfnisse“; diese Bedürfnisse wurden nur durch 
die Nähe des Todes aktuell und im Testamente wurde ihnen nur 
»sub specie mortis“ genüge getan. .. . Damit ist auch gesagt, daß das 
Testament mehr ist als eine Improvisation und daß es ein großes, aller¬ 
dings konkretes und aus Lebenserinnerungen, Erfahrungen und starkem 
Willen erwachsenes Programm enthält Wie das Testament in 
formeller Hinsicht entstand, i4t schwer zu entscheiden; die freie Dispo¬ 
sition des Inhaltes setzt nicht eine freie Stilisierung in der Art des 
gesprochenen Wortes voraus; mit Hinsicht auf den Umfang und die 
Mannigfaltigkeit des Inhaltes kann eher auf eine allmähliche Ab¬ 
fassung, Stück für Stück, der Lebhaftigkeit der Erinnerungen und der 
Intensität der Fragen gemäß, welche den Sterbenden beschäftigten, ge¬ 
schlossen werden. Eine noch feinere Analyse wird vielleicht feststellen, 
daß das Testament inhaltlich und formell eine Kooperation des Franz 
und seiner treuesten Gefährten (besonders vielleicht des Br. Leo) in dem 
Sinne darstellt, daß beim Diktate die Worte des Testierenden durch ge- 

f ) 2 Cel. 188, ed. P. Eduardus, p. 309—310 u. Spec. c. 41, ed. Sabatier, 
p. 73—74. 

*) Goetz, 1. c., p. 14. 

*) Opuflcnles de critdqne historique, 1. c., p. 152. 



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Ylastimil Kybal. 


meinsame Arbeit stilisiert wurden, wobei der statutenartige Charakter 
des ganzen Schriftstückes berücksichtigt wurde. Daß es sich um eine 
schnelle, gleich ins Beine eingetragene Improvisation handelt, halte ich 
für ausgeschlossen. 

5. Die sachliche undformelleAnalysedes Testamentes 1 ) 
kann nur mit der Anknüpfung an jenen grundlegenden psychologischen 
Moment der Bückkehr zur Jugend beginnen, den ich oben betonte. 
„Volebat ad serviendum leprosis redire denuo et haberi contemptui, 
sicut ahquando habebatur“, sagt Celano über den Kranken (1 CeL 103, 
L c.). Der wörtliche Ausdruck dieses Bestrebens ist eben der Beginn 
des Testamentes: „Dominus ita dedit michi fratri Francisco incipere 
faciendi penitentiam: quia cum essem in peccatis, nimis michi videbatur 
amarum videre leprosos. Et ipse Dominus conduzit me inter illos et 
feci misericordiam cum illis. Et recedente me ab ipsis, id, quod vide¬ 
batur michi amarum, conversum fuit michi in dulcedinem animi et cor¬ 
poris. Et postea parum steti et exivi de seculo“ (c. 1). Diese ein¬ 
fache und kernige Erinnerung an das offenbarste und ausdruckvollste 
Faktum der Konversion wurde von den drei Genossen (3 soc. 11) und 
von Celano (1 CeL 17 und 2 CeL I. 9) parafrasiert und es scheint 
wahrscheinlich, daß sie auch im vorliegenden Wortlaute den Stachel 
einer an die ganze Brüderschaft gerichteten Ermahnung enthielt; man 
muß sich nämlich erinnern, daß Franz in der Beg. II. c. 9 *) die Brüder 
aufforderte, freudigen Umgang mit den Armen, Kranken, Aussätzigen 
und Bettlern zu pflegen und daß er im c. 8 derselben Begel das An¬ 
nehmen von Almosen für die nötigen Bedürfnisse der Aussätzigen zu¬ 
ließ, während in der offiziellen Begel des J. 1223 jede Erwähnung der 
Aussätzigen unterdrückt wurde! Wir wissen aber, daß Franz mit den 
ersten Brüdern zum Zeichen niedrigster Demut und Selbstüberwindung 


*) Bei dieser Analyse berücksichtige ich besonders, wie aus dem folgenden 
ersichtlich ist, inwiefern die einzelnen Sätze des Testamentes insbesondere auf 
frühere Regeln, resp. andere Schriften des Franz reagieren. Sabatier führte 
beim Abdrucke des Testamentes im Spec. S. 309—313 Parallelen aus erzählen¬ 
den Quellen, vor allem aus dem Spec., an, vergaß jedoch, daß zahlreicher und be¬ 
deutender die Parallelen zwischen dem Testamente und den vorhergehenden eigent¬ 
lichen Schriften des Franz, besonders aber den Regeln sind. Vgl. auch 
K. Müller, Anfänge, S. 110—111. Richtig sogt E. Brem in seiner soliden, aber 
nicht immer richtigen Schrift: Papst Gregor IX. bis zum Beginn seines Pontifikats 
(Heidelberger Abh., H. 32), 1911, S. 98 Anm. 2: »Das Testament richtet sich 
einmal, ohne daß Franz es will, direkt gegen die Regel, und zweitens gegen die 
von Hugo geförderte laxere Interpretation der Regel«. 

f ) Reg. H. ist die Regula non bullata v. J. 1221; s. Analekten, S. 1—26, 
wovon sie zitiert ist. Reg. III. ist die offizielle Regel v. J. 1223, ibid. S. 29—35. 



über das Testament des hL Franz von Assisi. 


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für die Aussätzigen sorgte 1 ) 1 und aus der vorliegenden Antithese: 
amarum-dulcedo kann geschlossen werden, daß Franz den Brüdern sagen 
wollte, sie sollten sich nicht scheuen auch den Ärmsten der Armen 
demütig zu dienen. 

Im c. 2 erinnert Franz an seinen Glauben an die Kirchen (fidem 
in ecclesiis) und das einfache Gebet zu Jesus Christus: „Adoramus te, 
domine Jesu Christe“. Diesen Satz können wir für die einfache Erin¬ 
nerung an den ersten wörtlichen Ausdruck des Gotteskultes ansehen, 
dem Franz mit seinen Brüdern sich ergab; er kannte noch nicht das 
Officium der späteren Jahre, voll von Landes und von den üblichen 
kanonischen Gebeten 2 ). Weil Franz später im c. 10 dieses Officium, 
welches Beg. II. c. 3 und Beg. HL c. 3 vorschrieb und welches er 
selbst eifrig einhielt (s. auch c. 4 des Testamentes), anbefiehlt, bedeutet 
die angeführte Erwähnung keine Vorschrift, sondern bloß eine einfache 
Erinnerung an den ersten liturgischen Gruß, der freilich bei Franz 
zugleich ein Ausdruck der Verehrung des Kreuzes und der Kirche des 
Herrn in der ganzen Welt war. Darüber sprechen auch 3 soc. 37, 

1 CeL 45 und Bonav. IV. 3 (hier wird aber das Vaterunser hinzuge¬ 
fügt), vgl auch Anon. Perus, in A. SS. Oct II. 501. Das Gebet „Ado¬ 
ramus“ war natürlich nicht ursprünglich, sondern dem Breviar. Roman, 
zum Tage der Auffindung des hL Kreuzes (3. Mai), ant III. Noct (ed. 
Bonav., p. 34, n. 1) entnommen. 

Nach dem Glauben an die Kirchen bekennt Franz seinen Glauben 
an die Priester (c. 3). Es ist ein längeres Kap.tel, seine Gedanken 
aind nicht neu, neu aber ist ihr logischer Konnex und der auf ein 
bestimmtes Ziel gerichtete Ausdruck. Sachlich bekennt hier Franz seine 
Verehrung der römischen (d. h. nichtketzerischen) Priester, ihres Amtes, 
besonders aber der Darreichung des hL Altarsakramentes wegen. Von 
dieser Verehrung reden auch zahlreiche andere Quellen, z. B. 1 CeL 62, 

2 CeL 146, 3 soc. 57 und 59, Spec. c. 10 und 64; Franz selbst for¬ 
derte zur Verehrung der Priester in Beg. IL c. 19 und in den Adrno- 
nitiones c. 26 auf, Im Testamente ist die Betonung interessant, mit 
welcher Franz den Brüdern das Aufsuchen der Priester anempfiehlt, 
auch wenn diese sie verfolgen; es soll auch von armen Landpriestem 
die Bewilligung zum Predrigen eingeholt werden. Franz spricht zwar 

*) 8. 1 Cel. 39 und Spec., c. 44, 68 und die weiteren ibid. angeführten Be¬ 
lege, S. 79 Anm. 1 und in Aetna b. Francisci, ed. Sabutier (Collection, t. IV), 8.110 
Anm. 1. Interessant ist, daß weder die 3 soc. noch Bou.» Ventura über die Aus¬ 
sätzigen sprechen. 

*) >In simplieitate Spiritus ambulantes, adhuc ecclesiasticum officium lgno- 
rnbant«. 1 Cel. 45. 



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Vla8timil Kybal. 


in der ersten Person (volo recurrere ad ipsos — nolo predicare ultra 
voluntatem ipsorum), aber es ist offensichtlich, daß er zugleich an alle 
Brüder dachte, vor allem an die gelehrten und weniger demütigen (vgl. 
unten c. 8). Den eigentlichen, sozusagen statutaren Sinn der Worte 
über die Hochachtung der Priester begreifen wir noch besser, wenn 
wir beachten, daß in der lieg. II. c. 19 und 23 diese Hochachtung an¬ 
befohlen wird, in der offiziellen Reg. III. hingegen alle Äußerungen 
dieser Art unterdrückt sind; sie enthält überhaupt kein Wort über 
Priester außerhalb des Ordens, der Orden erscheint hier in allen seinen 
Funktionen als abgeschlossene und sich selbst genügende Gesellschaft! 
Franz protestiert gewissermaßen bei der Betonung seiner eigenen Hoch¬ 
achtung der Priester gegen die durchgefüfcrte Veränderung und verteidigt 
zugleich jenen aushilfsmäßigen und intermediären Charakter, der dem Mi- 
noritenorden ursprünglich eigen war. Daß diese Hochachtung nicht aus einem 
kirchlichen Opportunismus stammte, sondern eine natürliche Konsequenz 
der Verehrung des Altarsakramentes war, betonte richtig Sabatier') und 
es geht auch klar aus der Stilisierung des Testamentes hervor. Franz 
sagt hier, er wolle nicht in den Priestern „ considerare peccatum“, weil 
er in ihnen den Sohn Gottes erkennt, dessen Leib und Blut sie im 
Sakramente genießen und darreichen. „Et hec sanctissima misteria, 
sagt er weiter, super omnia volo honorari, venerari et in locis pretiosis 
collocari. Sanctissima nomina et verba eius scripta, ubicumque invenero 
in locis illicitis, volo colügere et rogo, quod colligantur et in loco ho- 
nesto i collocentur. Et omnes theologos et qui ministrant sanctissima 
verba divina, debemus honorare et venerari, sicut qui ministrant nobis 
8piritum et vitam“. In diesen Worten steckt eine interessante Mischung 
von Gefühlen und Gedanken. Formell finden wir hier eine gewisse 
Ausdruckskadenz, welche mit den Worten .nolo — volo“, weiter »rogo* 
und endlich „debemus“ angedeutet wird; erstens spricht der Autor seine 
Ansicht und seinen Willen aus, dann die Bitte zu den Brüdern und 
letztens legt er eine bestimmte Verpflichtung auf. Sachlich ist das 
laute und begründete Bekenntnis des eucharistischen Kultus des Franz 
bemerkenswert; anfänglich kam dieser Kultus bei ihm unklar und naiv 
durch den Sinn für die Reinheit der Kirchen zum Ausdruck (cf. Spec. 
c. 56 und 57); später in dem Bestreben nach einem würdigen Auf bewahren 
des Altarsakramentes, welches er auch in der Regel den Brüdern auf¬ 
erlegen wollte (Spec. c. 65); endlich, als dies Bestreben bei den Mi¬ 
nistem auf Widerstand stieß, durch offene Propagation des Gedankens 
mittels eigener Schriften. Wir müssen beachten, daß der Gedanke der 


‘) Opuscules de critique historique, t. II. p. 158 ff. 



Über das Testament des hl. Franz von Assisi. 


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besonderen Verehrung der Eucharistie in keiner Regel durchgeftLhrt 
wurde! Deshalb empfahl ihn Franz mit solchem Eifer in seinen Briefen 
ad clericos, ad custodes, ad populorum rectores, ad capitulum, ad fideles; 
vgl. auch Adm. c. 1. Im Testamente wiederholt er zum letztenmale 
diese Gedanken als seinen letzten Willen (cf. Spec. c. 65); er tut es 
aber nicht mit der früheren Vehemenz und Überzeugungskraft, sondern 
mit der Demut eines Sterbenden und mit einer gewissen Scheu, 
welche in den letzten zwei Sätzen zum Ausdruck kommt, in welchen 
er bittet und empfiehlt, was ihm teuer ist; die Wendung von der 
Hochachtung der Theologen (!) kann sogar eine gewisse Konzession 
sein, falls es sich nicht um fremde Interpolation handelt. 

Im c. 4 sind viele historische Erinnerungen und einige psycho¬ 
logische Daten enthalten. „Et postquam Dominus dedit michi de fra- 
tribus, nemo ostendebat michi, quid deberem facere, sed ipse Altissimus 
revelavit michi, quod deberem vivere secundum formam sancti evangelii*. 
Dieser Satz zeigt den ganzen Franz: niemand (verstehe kein Minister 
und Prälat) zeigte ihm die Wege des neuen Lebens für die Brüder¬ 
schaft, sondern Gott selbst offenbarte ihm/ daß dieses ganze Leben dem 
Evangelium gemäß gestaltet werden müßte. Franz meint hier wahr¬ 
scheinlich die „Offenbarungen“ der betreffenden biblischen Stellen 
welche ihm beim Öffnen der geschlossenen Bibel vor dem Altäre vor 
Augen kamen, wie er es mit seinen ersten Brüdern Bernhard und Peter 
versuchte (3. soc. 29). Dies geschah Mitte April des J. 1209 (cf. 1 Cel. 24). 
Die Folge der Offenbarung war, daß Franz zunächst eine kurze Regel 
seinem Häufiein diktierte und daß er dann diese Regel vom Papste be¬ 
stätigen ließ. „Et ego, sagt Franz wörtlich im Testamente, paucis verbis 
et simpliciter feci scribi et dominus Papa confirmavit michi*. Sabatier l ) 
schloß aus dem Zusammenhänge dieser Worte mit 3 soc. 39, wo es 
auch heißt: „haec est vita et regula nostra“, daß diese ursprüngliche 
kurze Regel nichts anderes als jene geoffenbarten biblischen Ratschläge 
(Math. XIX. 21, Luc. IX. 1-6, Math. XVL 24-27) enthielt. K. Müller 8 ) 
machte jedoch auf 1 Gel. 32 aufmerksam, wo es heißt, daß Franz zu 
der ursprünglichen Regel weniges anderes hinzufügte. Ich erkläre an 
anderer Stelle 8 ), daß die Worte Celanos auf einen späteren Zusatz zur 
ursprünglichen Regel bezogen werden können, welche zwar ganz kurz 
war, aber doch mehr enthielt als bloß die biblischen Stellen. Hier be- 

*) Sabatier, Vie de S. Francis, S. 85—86. 

*) K. Müller, in der Theol. Lit. Z. 1895, 183. 

•) S. meine Schrift: Die Ordensregeln des hl. Franz von Assisi und die 
ursprüngliche Verfassung des Minoritenordens, in Goetzs Beiträge zur Kultur- 
gesch., B. 20, 1914, S. 12 sq. 

Mitteilungen XXXVI. 


22 



326 


Vl&8timil Kybal. 


merke ich nur, daß Franz mit der Betonung der Offenbarung und Kürze 
seiner ursprünglichen „Regel“ ihre Ursprünglichkeit in dem Sinne ver¬ 
teidigt, in welchem er auf dem Maikapitel des J. 1220 leidenschaftlich 
alle Mönchsregeln verwarf und für die seinige eintrat, denn „Dominus 
(wie Franz sich nach Spec. c. 68 ausdrückte) vocavit me per viam sim- 
plicitatds et humilitatis et hanc viam ostendit michi in veritate pro me 
et pro illis, qui volunt michi credere et imitari*. 

Daß in dieser Erinnerung eine gewisse Tendenz der Verteidigung 
der ursprünglichen Einfachheit liegt, zeigen auch die weiteren drei 
Sätze über die ursprüngliche Armut der Brüder. „Et illi, qui veniebant 
heißt es hier, ad recipiendum vitam istam, omnia, que habere poterant, 
dabant pauperibus. Et erant contenti tunica una, intus et foris repe- 
tiata, cum cingulo et brachis. Et nolebamus plus habere“. Die Ent¬ 
wicklung des Aufhahmsaktes, von dem im ersten Satze die Rede ist, 
habe ich genauer in den Ordensregeln S. 127 sq. dargelegt, worauf ich 
verweise; hier genügt darauf hinzuweisen, wie Franz betont, daß die 
ersten Brüder all ihr Gut den Armen schenkten, daß sie mit dem not¬ 
wendigsten Gewände zufrieden waren und sich nicht nach mehr sehnten. 
Diese Betonung ist nicht zufällig, denn in der offiziellen Regel des 
J. 1223 wurde nicht mehr geboten, daß der neu eintretende Bruder 
alles verkaufe, wie es in der Reg. II. c. 2 geschah, sondern es wurde 
nur liberal bestimmt, daß der Minister dem neuen Bruder die Worte 
Math. XIX. 21 über den Verkauf des Besitzes und die Verteilung unter 
die Armen vorlese; außerdem ist die Armut in der offiziellen Regel eher 
als das Ziel des wiedergeborenen Lebens dargestellt, nicht mehr als seine 
Bedingung und sein Mittel (s. Ordensregeln, S. 146). Auch das Kleid der 
Brüder änderte sich (ibid. S. 130-131) und der Besitz überhaupt stieg, we¬ 
nigstens vorläufig durch gelehrte Brüder, wogegen Franz eben vor seinem 
Tode sieh aussprach (s. oben S. 320); es scheint, daß zwischen den Worten: 
„Et nolebamus plus habere“ und dem Ausspruche gegen den Besitz 
von Büchern (Spec. c. 2) ein enger Zusammenhang besteht Der weitere 
Satz über das Officium der Kleriker und das Vaterunser der Laien ist 
bloße Erinnerung ohne Tendenz; die letzten Sätze über den freudigen 
Aufenthalt in den Kirchen, über die Ungelehrtheit und die Ergebenheit 
allen Nächsten gegenüber haben eine verdeckte Spitze gegen die Brüder, 
welche ihr Leben in Schulen und in Häusern von Prälaten verbrachten. 

Im c. 5 beginnt Franz offen zu reden. Hier ist das erste „firmiter 
volo“, welches dann im weiteren in Befehle und Warnungen übergeht 
Zunächst erwähnt er, daß er mit eigenen Händen gearbeitet habe und 
daß er arbeiten wolle (der schwer Kranke!); nachdem er so auf sich 
selbst gewiesen, befiehlt er, daß auch die anderen Brüder ein ehrliches 



Über das Testament des hl. Franz von Assisi. 


327 


Handwerk ausüben sollen; jene, welche kein Handwerk erlernt haben, 
sollen es jetzt tun, diese Arbeit sollen sie aber nicht des Gewinnes, sondern 
des Beispieles der Arbeitsamkeit und natürlich auch des Lebensunter¬ 
haltes wegen verrichten; falls sie nichts dafür bekommen, können sie 
Ton Haus zu Haus betteln gehen. Diese Worte sind ein Befehl, den 
Franz wahrscheinlich deshalb gab, weil in der offiziellen Regel von 
Arbeit dieser Art keine Bede war; es ist also eine Reaktion gegen 
diese Regel und ihre wesentliche Ergänzung. Merkwürdig ist die Er¬ 
wähnung des Almosens. Franz läßt hier das Almosen in jenem Falle 
zu, wenn die Handarbeit der Brüder nicht entlohnt wird, also in offen¬ 
barer Not ln der Reg. II. c. 8 wird das Almosen nur für Aussätzige 
zugelassen, ln der offiziellen Reg. III. c. 6 hingegen wird das Betteln 
allgemein erlaubt (vadant pro elemosina confidenter!). Von den er¬ 
zählenden Quellen siehe 2 CeL 71-79, Spec. per£ c. 22, 23, 25, 34 über 
das Almosen. 

C. 6 enthält eine einfache Erinnerung an den ursprünglichen Gruß 
der Brüderschaft, den Gott selbst Franz offenbarte: «Dominus det tibi 
pacem*. YgL 3 soc. 26, Spec. c. 26, Bonav. III. 2 und Julian von 
Speier, L c. Der Regelgruß: «Pax huic domui* (Reg. IL c. 14, Reg. 
111. c. 3) ist diesem Gruße nicht unähnlich. 

Die Bestimmung über die armen Wohnstätten der Brüder ('s. c. 7) 
ist vor allem durch die eigentümliche Intonation interessant, welche 
in den Worten liegt: „Caveant sibi fratres*. K. Müller 1 ) glaubt, daß 
die Wendung «caveant* auf Stücke der Regel weise, welche in spätere 
Zeit zu verlegen sind. Ich habe jedoch in den Ordensregeln S. 97 auf 
'Grund der stilistischen Analyse der Regeln gezeigt, daß es in der Reg. IL 
im ganzen 14, resp. 13 (in der Reg. HL nur 3) Stücke mit der Wen¬ 
dung «caveant* gebe, von welchen nicht gesagt werden kann, daß sie 
orst später hinzugefügt worden seien. Auch unser «caveant sibi* bestätigt 
die Anschauung, daß dies3 Stücke meist dem Franz und wir können 
sagen der Regel angehören. Die Bestimmung des Franz bezieht sich 
sachlich auf Reg. H. c. 7 und Reg. ni. c. 6; in beiden wird den 
Brüdern der Besitz eigener Wohnstätten und Häuser verboten. Die 
weitere Entwicklung war wahrscheinlich von diesen übereinstimmenden 
Verfügungen so verschieden, daß die Autoren des Speculum für gut 
fanden, sich auf die Worte des Testamentes in einem anderen Sinne 
zu berufen, als er ihnen eigen war*), denn sie setzten infolge anderer 


i) Theolog. Lit. Zeit, 1. c., S. 184, vgl. Anfänge, 8. 190, 191, 193, 194, 195. 
*) Spec. c. 9 sagt daß Franz »circa mortem suam in testamen to scribi fecit, 
quod omnes cellae et domus fratrum easent de liguis et lnto tantum, ad conser- 

22* 



328 


Vlastimil Kybal. 


Auslegung eine andere Bestimmung voraus, nach welcher Franz eine 
Konstruktion der Klostergebäude aus Holz oder Lehm gerade angeordnet 
hätte (vgl. oben S. 318). 

Im c. 8 ist das berühmte Verbot der päpstlichen Privilegien für 
die Brüderschaft enthalten. Wenn wir es recht verstehen wollen 1 ), 
müssen wir unsere Aufmerksamkeit zunächst auf die Worte richten, 
welche Franz im c. 3 desTestameutes ausgesprochen hat: Franz sagt dort, 
wie schon oben S. 323 erwähnt wurde, daß er zu Priestern seine Zuflucht 
nehmen wolle (recurrere), auch wenn sie ihn verfolgen sollten, und daß 
er gegen den Willen auch der niedrigsten Landpfarrer nicht predigen 
wolle. Mit anderen Worten erklärt er hier die Unterwerfung seines 
Ordens unter die lokale kirchliche Organisation bei der Erfüllung der 
Predigt- und Missionstätigkeit Nichts lag ihm ferner als die Exemtion 
der Brüder von der kirchlichen Jurisdiktion! Als die Brüder, welche 
um das J. 1218 aus Deutschand zurückkehrten, ihn um ein päpstliches 
Privileg an die Bischöfe baten, damit sie ohne Zaudern predigen könnten, 
wies er sie „mit großem Tadel“ ab und erklärte, daß er von niemandem 
ein Privilegium wünsche, aber daß er allen Hochachtung erweisen und 
der Regel gemäß alle Menschen mehr durch Beispiel als durch Worte 
zur Buße rufen wolle; auch die Brüder sollen durch ein heiliges Leben 
und demütige Ergebenheit die Bischöfe und Prälaten dazu bewegen, daß 
sie selbst sie bitten, dem Volke Buße zu predigen und eventuell die 
Beichte entgegenzunehmen; ein heiliges Leben und Gehorsam werde 
ihnen mehr nützen als alle „Privilegien“, welche zu Hochmut ver¬ 
leiteten (Spec. c. 50, cf. Ubertin von Casale und Alvaro, ibid. S. 86-87 
Anm.). Daher stammte auch bei Franz die Hochachtung der Priester 
außerhalb des Ordens (domini mei sunt) und der Kirche überhaupt 
von der Franz im c. 3 des Testamentes spricht und welche aus der 
offiziellen Regel entfernt wurde, wie die Erwähnung der Priester außer¬ 
halb des Ordens überhaupt in ihr gestrichen erscheint (vgl. oben S. 324). 
Der Orden selbst wurde schon zu Lebzeiten seines Begründers mit Hilfe 
der römischen Kirche 2 ) zu einer abgeschlossenen, sich selbst genügenden 

vand&m melius paupertatem et humilitatem«. Im Testamente ist aber von hölzernen 
oder Lehm-Häusern nicht die Rede. Dasselbe wiederholt sich in Spec. c. 11. 

*) Vgl. auch die von einem anderen Standpunkte ausgehende Auslegung bei 
Ehrle im ALKG in. p. 503. Franz verbot päpstl. Privilegien zu erwerben, 
weil er fürchtete, »daß solche Privilegien seine Stiftung gehässig machen, daher 
in ihrer Wirksamkeit hemmen und seine Jünger verführen könnten, aus ihrer 
demütigen und unterwürfigen Stellung dem Weltklerus gegenüber herauszutreten*. 

Ä ) Diese Hilfe äußerte sich positiv durch wirkliche Privilegien der Kurie im 
Interesse des Ordens, s. die päpstl. Bullen schon vom 11; Juni 1219, dann vom 
22. und 29. März 1222. Saba ti er, Vie, S. 312—313 und Lern pp, Fr. Elie de 



Über da« Testament des hl. Frans von Aamm. 


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Gesellschaft und handelte speziell in der Predigttätigkeit fast eigen¬ 
mächtig; nach der offiziellen Eegel c. 9 sollte jeder Bruder-Prediger 
vom General des Ordens geprüft und approbiert werden und von ihm 
das „officium praedicaüonis* erlangen; die bischöfliche Jurisdiktion 
wurde nur in dem Sinne aufrecht erhalten, daß die Brüder in einer 
Diözese nicht gegen den Willen des Bischofs predigen durften. Es 
scheint, als ob Franz im Testamente diese Entwicklung aufhalten und 
die Brüderschaft wieder zu ihrem früheren Zustande der Unterwerfung 
und Privilegienlosigkeit zurückführen wollte. Zugleich jedoch scheint 
er die Schwachheit des einzelnen dem Willen der Masse gegenüber zu 
fühlen und daher der Ernst und die Harte der von der ganzen Autorität 
des Begrüngers getragenen Bede: „Precipio firmiter per obedientiam 
fratribus universis, quod ubicumque sunt, non audeant petere 
aliquam litteram in curia Bomana, per se neque per interpositam per- 
sonam, neque pro ecdesia neque pro alio loco, neque sub spede pre- 
dicationis neque pro persecutione suorum corporum: sed ubicumque 
non fuerint recepti, fugiant in aliam terram ad faciendam penitentiam 
cum benedicüone Dei*. Die Brüder sollten daher weder direkt noch 
indirekt (d. h. vor allem durch den Kardinal-Protektor des Ordens) 
päpstliche Privilegien weder für ihre Kirchen noch für ihre Klöster in 
Anspruch nehmen; damit war indirekt gesagt, daß die Brüder diese 
Stellen weder zu eigen haben (vgl c. 7) noch durch sie aus der ge¬ 
gebenen Diözesanorganisation austreten dürfen. Wie aus Spec. c. 10 
erhellt, wünschte Franz, daß die „Klöster* der Brüder ganz arme, aus 
Erde und Holz errichtete und mit lebendigem Zaune umgebene Hütten 
sein sollten und daß die Kirchlein der Brüder eher gottesdienstlichen 
Funktionen der Brüder selbst, als Predigten für das Volk dienen mögen, 
denn die Brüder in den großen Kirchen des Weltklerus das Wort Gottes 
verkündigen sollten 1 ). An zweiter Stelle sollten die Brüder päpstliche 
Privilegien nicht für ihre Predigt- und Missionstätigkeit verlangen, 
<L h. sie sollten nicht um schriftliche Erlaubnis zur Predigt in den 

Cortone, S. 58. Später wurden diese Privilegien äußerst zahlreich, s. die Nummern 
bei Potthast, angeführt bei H. Hm feie. Die Bettelorden und das religiöse Leben 
Ober- und Mittelitaliens in XIII . J., in den Beitr. zur Kulturgeschichte, bgg. von 
W. Goetz, Heft 9, 1910, S. 76 -7' 7 . 

<) Vgl. auch Ang. Clarenus im ALKG. HL p. 76: »Et dicebat b. Fran¬ 
cisco, quod placeret sibi, quot fratres haberent parvas ccclesias pro orando et 
divina pro se ipeis officia celebrando, et irent ad predicandum ad ecclesias secu- 
lares et ibi audirent cum pace sacerdotum Confessiones i Horum, qui ei devocione 
veflent nostris maturis «acerdotibus confiteri, et non fierent iste congregaciones 
gentium in locis fratnuu et strepitus aliorum fratrum solitudinem inquietans* 
Ähnlich ibid. S. 168. 



330 


Vl&ptimil Kybal. 


Diözesen und um Begleitbriefe für persönlichen Schutz bitten; sie sollten 
vielmehr mit freiwilliger Erlaubnis, ja auf die Aufforderung der Bischöfe 
hin predigen; wenn sie in irgendeiner Diözese zur seelsorglichen Arbeit 
nicht zugelassen würden, sollten sie schnell diese verlassen und in einer an¬ 
deren Diözese Buße mit Gottes Segen predigen. Aus allem geht hervor, 
welche Rücksicht auf die gegebene kirchliche Organisation Franz in¬ 
spirierte und welches Gewicht er bis zu seinem Tode auf die rein apo¬ 
stolische Weise der Tätigkeit seiner Bußbrüderschafk legte *). 

Im c. 9 offenbart Franz seinen Willen in Sachen der inneren Zucht 
in der Brüderschaft Er spricht wieder von sich selbst legt aber sein 
»ich will* in den Mund und in die Seele aller einzelnen Brüder. »Et 
firmiter volo, erklärt er, obedire ministro generali huius fraternitatis et 
aüi guardiano, quem sibi placuerit michi dare. Et ita volo esse captus 
in manibus suis, ut non possim ire vel facere ultra obedientiam et 
voluntatem suam, quia dominus meus est. Et quamvis sim simpler et 
infirmus, tarnen semper volo habere clericum, qui michi faciat offitium, 
sicut in regula continetur*. Diese Erklänmg hat einen zweifachen 
Sinn, einen persönlichen, welcher Franz selbst betraf, und einen über¬ 
tragenen, welcher sich auf die übrigen Brüder als Ganzes und als Ein¬ 
zelne bezog. In persönlicher Hinsicht sehen wir, wie der Sterbende 
verspricht seinem General und welchem Bruder immer, der zu seinem 
Vorgesetzten oder Guardian bestimmt wurde, sozusagen Kadavergehorsam 
zu leisten. Diese Erklärung ist paradox, wenn sie rein persönlich auf 
die Zukunft des testierenden Verfassers bezogen wird, wenn sie nicht 
bedeuten soll, daß er bis zum letzten Atemzuge den Willen des Vor¬ 
gesetzten erfüllen wolle. Bei Franz kann dies vorausgesetzt werden, 
denn wir wissen aus 3 soc. 57, aus Spec. c. 46 und 2 Cel. 151, daß 
er im J. 1220 (also sechs Jahre vor seinem Tode) die Leitung des 
Ordens dem Br. Petrus Catanii übergab, diesem »obedientiam et reve- 
rentiam“ (2 CeL 143 und Spec. c. 39) versprach und von ihm seinen 
Genossen Angelus zum Guardian, d. h. zum lokalen Vorgesetzten sich 
erbat (vgL Bonaventura VI. 4). Diesem Guardian war er dann bis 
zum Tode statt des Generals gehorsam; seine Demut war so groß, daß 
er aus Liebe zu Jesus und als Vorbild des wirklichen Minoritenordens 
dem letzten Novizen, der ihm zum Guardian gegeben würde, gleich 
fleißig Gehorsam zu leisten erklärte wie dem ältesten Mitbruder. Je 
näher der Tod kam, desto eifriger war seine Demut und ihre Äuße- 


l ) Für die weitere Entwicklung mit Hinsicht auf die päpstl. Privilegien für 
den Orden, s. Ehrle, 1. c. S. 571 sq. 



Über das Testament des bl. Franz von Assisi. 


331 


rangen 1 ). Franz war natürlich wirklich demütig, aber er forcierte 
auch die Demut; in diesem Lichte muß seine persönliche Erklärung 
vom Gehorsam dem Minister und Guardian gegenüber betrachtet werden 
(vgl. bea den zweiten Satz: „Et ita volo esse captus in manibus suis“). 
Aber die Sache hat noch einen tieferen Hintergrund und die gegebene 
Erklärung kann nicht nur als Reflex des Geistes des sterbenden Ordens¬ 
gründers, sondern auch als lauter Ruf an gegebene Wirklichkeiten auf¬ 
gefaßt werden; wir können wirklich sagen, warum Franz so laut rief und 
wohin er rief! In den Ordensregeln (S. 121, vgl. 145) habe ich ausgefülfrt, 
daß in der Regelgesetzgebung zwischen dem Gehorsam der Regel des 
Franz vom J. 1221 und der offiziellen Regel vom J. 1223 ein wesent¬ 
licher Unterschied bestehe. Es handelt sich nifcht so sehr um den Ge¬ 
horsam der Brüder den Vorgesetzten gegenüber, obwohl auch hier 
Unterschiede vorhanden sind, wie um die persönliche Demut einerseits 
und die persönliche Freiheit anderseits. In der offiziellen Regel waren 
die Brüder viel freier als in der vorhergehenden Regel, wobei freilich 
die Freiheit den Mönch anging und nicht den Menschen, der tot war. 
Praktisch ging man wahrscheinlich bald noch viel weiter und der Ge¬ 
horsam der gelehrten Brüder wurde lockerer (cf. Spec. 11 und 48). Und 
dem wollte der sterbende Franz Einhalt tun! Ihm war der Ordens¬ 
gehorsam bloß Folge des persönlichen Gehorsams und dieser war ihm 
freiwillige Entsagung und ein persönliches Opfer für Gott (vgl Admon. 
c. 3). Deshalb predigte er geradezu einen Kadavergehorsam den 
Vorgesetzten gegenüber, denn der freie Bruder kehrte nach seiner Meinung 
,ad vomitum proprie voluntatis“ zurück und wurde eo ipso zum „Mörder“ 
der Ordenszucht (ibid.). Andererseits verteidigte Franz in der Reg. II. 
c. 4 die Selbständigkeit der Brüder gegenüber den Vorgesetzten in der 
Erfüllung der Regel selbst, was aus der offiziellen Regel'verschwand. 
Und so wollte Franz durch seinen schroffen Befehl im Ordensgehorsam 
wieder einen ethischen und individuellen Begriff der Selbstverleugnung 
und nicht die Summe von Regelvorschriften und Ordnungen sehen. Jeder 
Bruder sollte seinem Guardian (der den General vertrat) als seinem 
Herrn gehorchen und in seinen Händen so gefangen sein, daß er nichts 
ohne seinen Willen, geschweige denn gegen seinen Willen und Befehl 
tue; so sollte er immer Demut und Gehorsam üben und durch diese 
Tugenden der königlichen Freiheit des Geistes und der Liebe ent¬ 
gegen gehen. 

') »Sicque in huiusmodi perseverans, qunnto mapis appropinquabat morti, 
t&nto magia erat sollicitus considerare, quomodo in omni humilitate et paupertate 
et omni virtutum perfeclione poaeet vivere atque mori«. Spec. c. 46. 



332 


Vlastimil Kyb&l. 


Der letzte Satz im c. 9: „Et quam vis 8im simplex et infirmus, 
tarnen semper volo habere clericum, qui michi faciat offitium, sicut in 
regula continetur 44 , ist zwar durch den konditionellen Ausdruck merk¬ 
würdig (besser wäre eine kausale Fassung mit quia oder cum), aber 
sonst ist der Inhalt klar. Wie wir aus Spec. c. 87 und 117, wie auch 
aus der Bemerkung des Bruders Leo (Spec. S. 175, Anm. 2) wissen, 
las oder wenigstens hörte Franz als Gesunder und als Kranker das 
Regelofficium zum Zeichen seines Gehorsams (vgl. Reg. HI. c. 3), ebenso 
wfe zum Zeichen fortwährender Adoration des Leibes Christi. 

Im c. 10 tritt Franz mit fast bizarrer Strenge als Verteidiger des 
uniformen Regelofficiums auf. Der erste Satz lautet allgemein: „Et 
omnes alii fratres teneantur ita firmiter obedire guardianis suis et facere 
offitiura secundum regulam 44 . Der erste Teil ist in verfassungsrecht¬ 
licher Hinsicht ein Kuriosum, denn Franz befiehlt hier Gehorsam einem 
Organ gegenüber, von dem in der Ordensgesetzgebung keine Erwähnung 
geschieht (Ordensregeln S. 118). In den Regeln ist bloß von den 
Ministern und Kustoden, aber nicht von den Guardianen die Rede, und 
der Ordensgehorsam (obedientia) bezieht sich in ihnen nur auf das 
Verhältnis der Brüder zu den Ministem und umgekehrt Franz aber 
nahm mehr Rücksicht auf sein Beispiel als auf die Regelverfügungen, 
was auch aus den weiteren Sätzen erhellt In diesen Sätzen wird, kurz 
gesagt die prozessuelle Ordnung gegen Brüder aufgestellt welche das 
vorgeschriebene Officium nicht einhalten oder ändern sollten oder (ein 
interessanter Zusammenhang!) welche der Ketzerei verdächtig waren. 
Solche Brüder sollten von ihren Mitbrüdem dem nächsten Kustos über¬ 
geben werden, welcher den Gefesselten als Verbrecher Tag und Nacht 
scharf bewachen soll, damit er ihm nicht entschlüpfe, bis er ihn per¬ 
sönlich dem Minister übergeben habe. Der Minister soll ihn in Be¬ 
gleitung von Wacht haltenden Brüdern dem Kard. Hugolino senden, 
welcher der Herr, Beschützer und Besserer des ganzen Ordens sei. — 
Diese Verfügung ist etwas in der Regelgesetzgebung und in anderen 
erzählenden Quellen unerhörtes 1 ); auch aus den Schriften des Franz 
kann sie nicht in zufriedenstellender Weise erklärt werden 2 ). Wir 


Vgl. nur Reg. II. c. 19: »Omnes fratres sint catholici, vivant et loquantur 
catholice. Si quis vero crraverit a fide et vita catholica in dicto vel in facto et 
non se eraendaverit, a nostra fratemitate penitus expeilatur«. Vgl. ibid. c. 20 
(a sacerdotibus catholicis). 

*) Aus diesen lesen wir bloß in der ep. ad capitnluin, c. 6 (Anal. S. 6) eine 
gewisse Erklärung ; Franz bittet die Kleriker das Officium mit reinem zu Gott ge¬ 
wandtem Sinne zu lesen und verspricht für seine Person und für seine Genossen so 
zu tun: »Quicumque autem fr&trum — fügt er hinzu — hec observare nolnerint. 



Über dos Testament des hl. Franz von Assisi. 


333 


wissen zwar, daß Franz je naher er dem Tode war, desto eifriger litur¬ 
gischen Handlungen und den Geheimnissen der Messe ind des Evan¬ 
geliums und dem Gebete sich widmete (vgL oben S. 323); wir wissen auch, 
daß er besondere „Laudes dei“ im Zusammenhang mit dem Vaterunser 
verfaßte oder wenigstens zusammenstellte und sich zu eigen machte, 
und auch daß er „sollicitus erat semper dicere et aliis fratres ardentissima 
voluntate et desiderio docebat et excitabat ad dicendum easdem laudes 
sollicite et devote* (Spec. c. 82); weiter wissen wir, was für eine heilige 
Handlung für ihn sein besonderes * officium passionis domini* war, und 
endlich ist bekannt, daß durch beide Regeln (Reg. IL c. 3, Reg. HI. 
c. 3) den Brüdern die Abhaltung des Officiums, der Laudes und Gebete 
anbefohlen wurde, „secundum quod debent facere*. Aber daß die bloße 
Vernachlässigung dieser. Pflicht so strafwürdig, so dem ärgsten Ver¬ 
brechen gleichgestellt wäre, das wußte niemand und weiß niemand bis 
jetzt >). Die Sache wird noch merkwürdiger, wenn wir die hier aus¬ 
gesprochene Strenge, ja Grausamkeit gegen den Sünder mit der Milde 
vergleichen, mit der Franz in der ursprünglichen Regel, resp. im Ent¬ 
würfe der Regel wirkliche sittliche Vergehen, nämlich Todsünden, be¬ 
handelte; er bestimmte hier (vgL Ep. ad ministrum und über die ganze 
Angelegenheit s. Ordensregeln, S. 50-51), daß ein solcher Sünder selbst 
sich an seinen Guardian wenden solle; dieser solle das Vergehen unter¬ 
suchen, wobei die Zeugen barmherzig sein und über die Sünde vor 
anderen schweigen sollen *). Zum Gericht ist der Sünder dem betreffenden 
Kustos zu übergeben und dieser solle wieder barmherzig mit ihm ver¬ 
fahren. Ein Bruder, der eine gewöhnliche Sünde begangen hat, sollte 
noch einfacher und milder abgeurteilt werden: er sollte einem Mit¬ 
bruder beichten, wenn kein Priester da wäre; der Priester solle ihm 
dann die kanonische Absolution erteilen, und ihm Buße auferlegen, 
welche aber nur darin bestand, daß er ihm die Worte der Schrift in 
Erinnerung rief: „Gehe und sündige hinfort nicht mehr!* ...Im Testa¬ 
mente hingegen werden für die Vernachlässigung oder Änderung des 

non teneo cos catholicos nec fratres ineos; nolo etiam ipsos videre nec loqui, donec 
penitentmm egerint*. 

•) Sabatier, Spec., S. 312 schweigt bei diesem Stücke und die übrigen 
Forscher beziehen es, soviel :'ch weiß (s. Goetz, S. 14 und Redersdorff, Die 
Schriften des hl. Franciscus von ^issisi, Regensburg 1910, S. 88 Anm.), aut den Unge¬ 
horsam im Orden oder in der ürche überhaupt. In Wirklichkeit bezieht sich aber 
die Stelle auf das Officium! Siehe weiter im Texte. 

*) »Et omnc8 fratres, qui scirent eum (sc. fratrem) peccasse, non faciant ei 
rerecundiam nec detractionem, sed magnam misericordiam h&beant circa ipsum 
et teneant mul tum privatum peccatum fratris mei, quia »non est opus sanis me- 
dicus, sed male habentibus«. (Act. IX. 12). Ep. ad ministrum, Anal., p. 29. 



334 


Vlastimil Kybal. 


Officiums alle Brüder, der Kustos, Minister und der Protektor des Ordens 
alarmiert und »per obedientiam* (d. h. durch die oberste Mach: des 
Ordensgründers und auf Grund des Ordensgelübdes, welches einem Pro¬ 
fessionalschwur gleich kam) aufget'ordert den Sünder Tag und Nacht wie 
den ärgsten Verbrecher gefangen zu halten! 

Mir scheint, wir können diesen scheinbaren Widerspruch in den 
Anschauungen und Ausdrücken des Franz nur dann erklären, wenn wir 
uns nicht auf den sittlichen, sondern den dogmatischen Standpunkt 
stellen. Franz fordert ein so strenges Einschreiten in einem weit 
ernsteren Falle als beim bloßen Vernachlässigen des Officiums, er fordert 
es im Falle von Ketzerei! Dies beweisen vor allem zwei Umstände: 
1. die Anführung aller Ordensinstanzen beim prozessuellen Vorgehen* 
besonders aber des Beschützers und „corrector* des Ordens, des Kard. 
Hugolino, dem der sündige Bruder übergeben werden sollte, natürlich 
zur Besserung in Sachen des Glaubens (in Sachen der Zucht waren die 
Provinzialminister kompetent, Reg. III. c. 7); 2. die Stilisierung des 
Vorsatzes: »Et qui inventi essent, quod non facerent offitium secundum 
regulam, et vellent alio modo variare, aut non essent catholici ...* 
Dieser Wortlaut ist im letzten Stücke ganz klar, aber auch der vor¬ 
hergehende Teil ist klar, wenn wir uns daran erinnern (was regelmäßig 
trotz der großen Bedeutung übersehen wird), daß unter dem Officium 
in der offiziellen Regel das Officium der römischen Kirche oder päpst¬ 
lichen Kapelle verstanden wird, welches erst kurz vorher durch den 
berühmten Liturgisten, den Kard. Gencius, eingeführt wurde, der eben 
damals als Honorius III. die päpstliche Würde inne hatte und dessen 
rechte Hand wieder der Kard. Hugolino, der Protektor der Franziskaner, 
war. Dieses Officium (auch Breviar oder Officium breviatum capellae 
papalis genannt) übernahm auch Franz als Officium des Ordens, weil 
es kurz (in einem Band enthalten) und billig war und er führte die 
bis dahin unerhörte Neuerung ein, daß der Ordenskleriker es bei sich 
tragen und auch außerhalb des Chores rezitieren könne; so trugen die 
Brüder bei ihrer Wanderung durch die Welt das Büchlein in einem 
am Halse hängenden Futteral mit sich und verbreiteten so das päpst¬ 
liche Breviar in^ der ganzen Welt*). Aber das päpstliche Officium be¬ 
deutete noch mehr als eine liturgische Neuerung: es bedeutete zugleich 
das offenbare Bekenntnis des orthodoxen römisch-päpstlichen Glaubens 
in seinem ganzen Umfange und durch ihn wurden die Minoriten im 


*) Vgl. P. Hi larin, Saint Francis d’ Assise et le brevinre romain, in den 
Etudes franc. V. 1901, S. 490—604, und dessen Edition: Offices rhytmiques de 
St. Francis et de St. Antoine, 1901. 



Über das Testament des hl. Frans von Assisi. 


335 


13. Jh. eo ipso „zur Avantgarde des päpstlichen Hofes in der ganzen 
katholischen Welt“ 1 ). Inwieweit auf diesem liturgischen Felde ketzerische 
Theorien sich geltend machten, kann nicht genau gesagt werden *). Wenn 
nicht in der Theorie, standen praktische Ketzer und Franziskaner 
wenigstens unbewußt in gegenseitiger Opposition. Während z. B. die 
Waldenser deshalb als Ketzer erschienen, weil sie den Befehlen der 
Päpste und Konzilien nicht Gehorsam leisteten 8 ), waren die Minoriten 
von Anfang an und besonders durch die Regel des J. 1223 dem herr¬ 
schenden Papst und seinen kanonischen Nachfolgern wie auch der ganzen 
römischen Kirche (Reg. UI. c. 1) zu professionellem Gehorsam verpflichtet; 
„aus dem katholischen Glauben und den kirchlichen Sakramenten“ 
werden die neuen Brüder und ähnlich auch die Prediger (c. 9) geprüft. 
In liturgischer Hinsicht, welche uns hier interessiert, waren die Kleriker 
durch die offizielle Regel verpflichtet, das Officium „secundum ordinem 
Romanae ecclesiae“ zu halten (Reg. IU. c. 3; hingegen Reg. II. c. 3: 
secundum consuetudinem clericorum Romanae ecclesiae). Sobald daher 
die Brüder dieses Officium vernachlässigen, besonders aber es ändern 
sollten, dann würde eo ipso ihr Unabhängigkeitsverhältnis der Kirche 
gegenüber mit Hinsicht auf die Disziplin, die Liturgie und schließlich 
auch das Dogma gelöst und sie würden aufhören, „Katholiken“ rö¬ 
mischer Observanz zu sein. Dies wollte Franz, der ein intensives Ge¬ 
fühl der Ergebenheit der römischen Kirche gegenüber hegte, absolut 
verhüten und wandte sich daher mit einer fast inquisitionsartigen Strenge 
gegen jene Möglichkeit 

Im c. 11 beginnt der Abschluß, wie früher im c. 7 der eigentliche 
Inhalt des Testamentes begann. Franz verwahrt sich hier dagegen, daß 
das Testament für etwas gehalten werde, was es nicht sein wolle. „Et 
non dicant fratres: ,Hec est aha regula 4 , quia hec est recordatio, am- 
monitio, exhortatio et meum testamen tum, quod ego frater Franciscus 
parvulus facio vobis fratribus meis benedictis propter hoc, ut regulam, 
quam Domino promisimus, melius catholice observemus“. In diesen 

«) P. Hilarin, 1 . c. 

*) Die Katharer, welche ihre religiösen Funktionen besonders auf das »Con- 
soiamentum« beschränkten, können hier nicht herangezogen werden. Bei den Wal¬ 
densern behindert die Untersuchung der Umstand, daß sie sich für Katholiken 
hielten, daher die Messe hörten, die Firmung und mit Ausnahme der Beichte auch 
die anderen kirchlichen Sakrair mte beibehielten. Vgl. F. T o c c o, L’ eresia nel 
medio evo, S. 177 sq. 

•) „In primis igitur arguuntur de inobedientia, quia scilicet non obediunt 
ecclesiae Romanae*, sagt Foncaldo (zit. Tocco, 1. c. 8. 177 Anm. 2). Dieser Un¬ 
gehorsam bezog sich speziell auf die Verwerfung der bischöflichen Approbation 
der priesterliehen Prediger. 



336 


Ylastimil Kybal. 


Worten äußert sich die große Naivität und der Eifer des „Poverello“. 
In fast allen früheren Kapiteln reagiert er auf die offizielle Regel, er¬ 
gänzt und berichtigt sie in einem der Regel oft entgegenlaufenden 
Sinne; am Schlüsse aber sagt er, daß er, „Franciscus parvulus“, all’ dies 
nur deshalb tue, damit die Brüder die offizielle Regel „besser katholisch* 
einhalten! In den vorhergehenden Kapiteln will er „firmiter“, daß die 
Brüder mit der Hand arbeiten und ein Handwerk erlernen sollen, warnt 
sie sieh Kirchen anzumaßen, verbietet „firmiter« „per obedientiam« 
allen Brüdern päpstliche Privilegien zu fordern und verpflichtet sie alle 
zum Gehorsam den Guardianen gegenüber und zur Einhaltung des 
Regelofficiums, — aber am Schlüsse sagt er: dies ist ein bloßes „Erinnern«, 
„Ermahnen“ und „Auffordern“ und — mein Testament! Die alten 
Genossen von Franz erkannten es besser, wenn sie dieses Schriftstück 
„den letzten Willen“ nannten (cf Spec. c. 65) und noch treffender 
wurde es von Kard. Hugolino charakterisiert, der es als Papst Gregor IX. 
„Mandat“ nannte l ). Übrigens hat der Protest des Franz einen ironischen 
Beigeschmack, und zwar in dem Sinne, weil der Autor ihm zufolge mit 
dem Testamente zu „katholischerer“ Einhaltung der Regel beitragen 
will, mit demselben Testamente, in welchem er vor den Privilegien 
und eo ipso vor dem Höhepunkt des Rechtes und der römischen Lehre 
wie vor dem Teufel warnt und in welchem er faktisch die Regel kor¬ 
rigiert und ergänzt! Das Wort „catholice“ kann natürlich auch noch 
als Widerhall der katholischen Entrüstung des vorhergehenden Kapitels 
gelten und Franz meinte es sicher an beiden Stellen ehrlich. 

Im c. scheint es, als ob der Stolz der Gründers und der be¬ 
kannte Sinn für die Unantastbarkeit schriftlicher Denkmäler in Franz 
erwachte a ). Er verbietet hier „per obedientiam« dem General, den 
Ministem und Kustoden etwas zu diesen Worten hinzuzufügen oder 
etwas zu streichen; und er befiehlt, daß sie diese Schrift immer neben 
der Regel bei sich haben und sie zusammen mit der Regel auf den 
Kapiteln vorlesen sollen. An und für sich scheint diese Verfügung 
unschuldig, aber sie hatte in Wirklichkeit bedeutende Tragweite: das 
Testament wird nicht nur der Regel gleich gestellt, ihr Inhalt wird 
auch der Aufmerksamkeit der ganzen Brüderschaft auferlegt, ja, man 
kann sagen, zur Pflicht gemacht! Zu diesem Zwecke sollen die Regel 

*) In der Bulle »Quo elongati«, im Spec. perf., S. 315 (cuius mandatum di- 
citur testamentum), S. 316 (in praedicto mandato). 

*) Vgl. 1 Cel. 82: »Et quod non minus est admirandum, cum litteraa oliquas, 
salutationis vel admonitionis gratia, faceret scribi, non patiebatur ex hiis 
deleri litteram aliquam aut sillabam, licet euperflua saepe aut incom- 
petens poneretur«. 



Über das Testament des hl. Franz von Assisi. 


337 


und das Testament vorgelesen werden l ). Franz forderte damit aller¬ 
dings nichts neues, denn er bat in der ep. ad capitulnm generale 
wenigstens die Vorgesetzten des Ordens, „nt hoc scriptum apud se 
habeant, operentur et studiose reponant* (Anal S. 62); in der ep. ad 
costode8 forderte er die Verbreitung und Verkündigung des Inhaltes des 
Briefes „urque in finem* (Anal. S. 64), und in der ep. ad fideles sprach 
er den Wunsch aus, daß der Brief denen vorgelesen werde, die selbst 
nicht lesen können, und daß es heilig befolgt werde „usque in finem* 
(AnaL S. 57). Wichtiger ist die weitere Bestimmung, in welcher Franz 
das Glossieren der Regel und des Testamentes verbietet „Et omnibus 
fratribus meis, clericis et laycis (sagt er wörtlich), precipio firmiter per 
obedientiam, ut non mittant glosas in regula neque in istis verbis, 
dicendo: Ita volunt intelligi. Sed sicut dedit michi dominus simpliciter 
et pure dicere et scribere regulam et ista verba, ita simpliciter et pure 
sine glosa intelligatis et cum sancta operatione observetis usque in 
finem*. In sachlicher Hinsicht stellt sich Franz in dieser Verfügung 
auf dieselbe gesetzgeberische Linie, wie er es schon in der Reg. II. tat 
Auch dort verbietet er am Ende des c. 24 streng, aus der Regel etwas 
zu streichen, zu ihr etwas hinzuzufügen, oder eine andere Regel anzu- 
nehmen. Derselbe Gedanke der Exklusivität erfüllte wahrscheinlich 
Franz auch beim Verfassen des definitiven Entwurfes der Regel vom 
J. 1223, wie die halblegendarische Erzählung von den vom Himmel 
gesprochenen Worten Christi bezeugt: „Frandsce, nihil est in regula 
de tuo, sed totum est meum, quidquid est ibi; et volo, quod regula sic 
observetur ad litteram, ad litteram, [ad litteram], sine glosa, sine glosa, 
sine glosa* 2 ). Interessant wäre zu wissen, was Franz mit den Worten 
von der „regula* und ihrer einfachen und reinen Abfassung meinte 
(sicut dedit michi dominus simpliciter et pure dicere et scribere regulam). 
Auf die Regel des J. 1210 würden dieselben Worte hinweisen, welche 
er dort im c. 4 anwendet (ego paucis verbis et simpliciter feci scribi); 
dem steht aber die Tatsache entgegen, daß er diese Regel an der an¬ 
geführten Stelle bloß mit dem Worte „vita* bezeichnet, während er 
sonst überall (c. 7, 10, 11) mit dem Worte „regula* die offizielle Regel 
des J. 1223 meint Andererseits ist es nicht leicht an die Selbst¬ 
täuschung von Franz zu glauben, daß er nämlich behaupten sollte, daß 


i) Der Orden gehorchte dem Willen des Gründers in dem Maße wenigstens, 
daß bis heute jeden Freitag beim gemeinsamen Mittagmahle in allen Franziskaner- 
klOstem mit der Regel auch das Testament vorgelesen wird (Rederstorff, S. 89 

Anm ) 

*) 8pec. perf M c. 1, ed. Sabatier, p. 4. Cf. Actus in Valle Reatina, c. 2, 
ibid., p. 259. 



338 


Vlastimil Kybal. 


Gott ihm die offizielle Regel „simpliciter et pure* diktieren und auf¬ 
zeichnen ließ, da wir doch wissen, wie radikal und gewaltsam diese 
Regel yon den Ministern geändert wurde. Die Behauptung gar, daß 
diese Regel aus so reiner und einfacher Inspiration Gottes hervorge¬ 
gangen sei wie das Testament, ist offensichtliche Täuschung. Tatsache 
ist, daß Franz in Selbsttäuschung befangen war und zwar nicht nur 
in historischer (mit Rücksicht auf die Regel vom J. 1223), sondern 
auch in psychologischer Hinsicht; diese Selbsttäuschung bestand dann, 
daß er alle seine den Brüdern mitgeteilte Worte für eine Inspiration 
Gottes hielt, welche reines Verständnis und einfache Erfüllung des in¬ 
spirierten Inhaltes erfordert l ). Was Franz von Gott „rein* empfing, 
das sollte auch für Gott „rein* erfüllt werden! Bedeutungsvoller ist, 
daß Franz das Glossieren auch der offiziellen Regel verbot; er gestattete 
keinem Bruder eine Interpretation der Regel (nolens Regulam suam 
per alicuius fratris interpretationem exponi, in der Bulle, Quo elongati, 
Spec. S. 315), ja, er verbot einen ähnlichen Versuch für immer. Die 
offizielle Regel enthielt dieses Verbot nicht und deshalb wollte es Franz 
ex post im Testamente festlegen. Es ist das letzte Bestreben seines 
zähen Geistes nach Reinheit und Exklusivität der eigenen und zu eigen 
gemachten Gedanken. 

Das letzte Kapitel des Testamentes (c. 13) enthält den Segen, den 
Franz von Gott allen denen erbittet und kraft seiner Macht bestätigt, 
'welche die Bestimmungen des Testamentes einhalten werden. Dieser 
Segen ist wohl durchdacht ausgedrückt und hebt sich so von den 
früheren Segenerteilungen des hL Franz ab 8 ). In der Reg. IL c. 24 
sagt er bloß: „Et exoro Deum, ut ipse, qui est omnipotens trinus et 
unus, benedicat omnes .. .* (vgL Spec. c. 76). Ähnlich einfach segnet 
er am Ende der ep. ad capitulum (si in eis perseveraverint usque in 
finem, benedicat eis Pater et Filius et Spiritus Sanctus. Amen), in der 
ep. ad capitulum (Benedicti vos a domino, qui feceritis ista), in der 
ep. ad clericos (sciant se benedictos a Domino Deo) und in der ep. ad 


*) Ata von Gott inspiriert galt ihm nicht nur das Testament, sondern auch 
die Reg. QI., cf. Spec. c. 1 (aiiam regulam, quam Christo docente scribi fecit) 
Bonav. IV. 11 (ac si ex ore dei verba susciperet) und Ang. Clareno, Exp. reg. 
in Anal., S. 87. 

’) Diese Segen waren nicht nur in den Schriften, sondern auch in allen 
feierlicheren Reden und Taten des Heiligen eine gewöhnliche Erscheinung. 8o 
segnete er die ersten Brüder, welche in die Welt hinauszogen (3 soc. 37), segnete 
die Brüder am Ende der Kapitel Verhandlungen (3 soc. 59, Spec. c. 87) und s»jnete 
vor seinem Tode die Stadt Assisi (Actus, c. 18 und Spec. S, 329—331), den Bruder 
Bernhard (Actus, c. 5 und Spec. c. 107) und olle Brüder (Spec. c. 88, 2 Cel. 216). 



über das Testament des hl. Franz von Assisi 


339 


custodes (sei ant se habere benedictionem Domini Dei et meam). Im 
Testamente erbittet Franz für jene, welche seinen Willen befolgen, im 
Himmel den Segen des Vaters und auf Erden den Segen des Sohnes, 
des Geistes, aller himmlischen Tugenden und aller Heiligen. Und diesen 
Segen bestätigt ihnen Franz, soweit er kann, innerlich und äußerlich_ 

♦ 

♦ * 

Es ist natürlich, daß ein so exklusiv pointiertes (sine glossa) und 
so sacerdotal betontes Testament sehr bald Zweifel und Verlegenheit 
besonders bei den Ministem hervorrie£ welche solcherweise neben der 
offiziellen Hegel, teilweise sogar im Gegensätze zu ihr eine neue Hegel 
vor sich hatten. Jene Zweifel bezogen sich nicht nur auf das Testa¬ 
ment, sondern auch auf die eigentliche Hegel (besonders auf die Fragen 
der Einhaltung der Gebote, resp. der Haeschläge des Evangeliums, auf 
die Geldfrage, auf die Frage des Besitzes von Häusern, der Bestrafung 
von Todsünden, der Erlaubnis zur Predigt, der Aufnahme neuer Brüder 
durch die Vikare, der Wahl des Generals, des Betretens von Frauen- 
klöstem); der ursprüngliche Zweifel jedoch galt der Frage, ob der Orden 
verpflichtet sei das Testament als reines Mandat einzuhalten. Dieser 
Zweifel wurde schon im vierten Jahre nach dem Tode des hL Franz 
auf dem Generalkapitel vom 26. Mai 1230 laut ); die Folge davon 
war die Entscheidung des Papstes in der Bulle „Quo elongati* vom 
28. September 1230. In dieser Bulle wird der Streitgegenstand er¬ 
läutert*) und direkt erklärt, die Brüder seien nicht verpflichtet das 
Testament als Mandat zu beobachten, und zwar deshalb, weil Franz 
ohnA Zustimmung der Brüder, besonders der Minister seinen Nachfolger 
nicht binden konnte, und auch nicht band, da er die Leitung nicht 
mehr „par in parem* in ne hatte, ln rein rechtlicher Hinsicht bemerkt 
Lempp 8 ), daß der Papst recht hatte, denn Franz sei nach der Ab¬ 
dikation nichts mehr als ein einfacher Bruder gewesen. Vom allge¬ 
meinen S andpunkt war aber die Erklärung des Papstes doch nicht 

begründet, wie Sabatier betont 4 ): Franz trat im Testamente nicht 
* 

*) Vgl. Ed. Lempp, in der ZKiG., XIH. p. 1—19 und den. Fr. Elie 
de Cortone, 8. 88 u. 96 sq. 

*) Aber nicht immer genau und richtig; die Bulle sagt, daß Franz bestimmte 
»ot verba iprins regulae non glossentur*, oowohl doch Franz im Testamente will, 
*nt non mittant glosas in regula neque in istis verbis (d. h. im Testamente 
«elWt) direndo: Jta volunt intelligi 4 (auch diese Worte werden in der Bulle nicht 
genau angeführt). 

*) Lempp, Fr. Elie, 8. 66. 

«) Sabatier, Vie, S. 387, Anm. 2. 



340 


Vlastimil Kybal. 


als General, sondern als Ordensbegrönder auf! Aus unserer Analyso 
erhellt, daß er auch als höchster Gesetzgeber auffcrat, der bis zum letzten 
Lebenstage das geistliche „officium praelationis* l ) behalten wollte und 
der mit Rücksicht auf den ungünstigen Einfluß der Minister und Ma¬ 
gister, sowie auf die Schwächen der offiziellen Regel mit aller Kruft 
bestrebt war, „die Brüder den Weg gehen zu lehren, den Gott ihm 
selbst gewiesen hatte* und so Gott für sein Werk Rechenschaft abzu- 
legen . .. *). So verleugnte der Serafische Vater auch im letzten Atem¬ 
zuge seines Lebens sich selbst nicht 

l ) Cf. Spec. c. 71: Er entsagte dem Generalat im J. 1221 mit Rücksicht auf 
seine Krankheit, »tarnen si secundum voluntatem me&m fratres vellent ambulare, 
nunc propter ipsorum consoiationem et utilitatem nollem, quod alium ministrum 
haberent, nisi me, usque ad diem mortis meae . . . imo tan tum gauderem de boni- 
tate fratrum proper lucrum ipsorum et lucrum meum, quod si facerem in lecto in- 
firmu8, non me pigeret satisfacere eis, quia officium meum, id est praelationis, cst 
spirituale tantum, vid. dominari vitiis et ipsa comgere spiritualiter et emendare«. 

*) Ibid.: »Verumtarnen usque ad diem mortis meae non cessabo saltem exemplo 
et bona operatione docere fratres ambulare per viam, quam mihi dominus ostendit, 
quam docui et ostendi verbo et exemplo, ut eint inacusabiles coram deo, et ego 
non tenear ulterius de ipsis coram Deo reddere rationem«. 



Kleine Mitteilungen. 

Ein Brief des Matthäus von Krakau aber die Judenfrage (um 
1400 ). Vor Jahren gab ich in den „Mitteilungen des Instituts* 24, S. 388 
an, daß ein von dem Theologieprofessor zu Heidelberg, nachmaligen Wormser 
Bischof Matthäus von Krakau (f 5. März 1410), verfaßter Brief die Stellung 
erörtert, die der Christ im geschäftlichen wie im allgemeinen Leben dem 
Judentum gegenüber einzunehmen habe. Seitdem tauchte der Brief außer 
in den beiden genannten Handschriften I F 273 und I F 286 der 
Breslauer Universitätsbibliothek auch ebenda I Q 50 auf, wo er als „Epi¬ 
stola ad archiepiscopum* sich verzeichnet findet 1 ). Indem I Q 50 (C) ab¬ 
geleitet zu sein scheint aus I F 286 (B), wo der Brief im Jahre 1411 
zur Miederschrift gelangte, war es nötig, für den nachstehenden Text 
in erster Linie I F 273 (A) zugrunde zu legen. Diese Handschrift ist 
schon im Frühjahr 1406 gefertigt worden, und zwar zu Neiße, weshalb 
auch der in der Überschrift Blatt 100 a dieses Kodex enthaltenen An¬ 
gabe, Matthäus von Krakau sei zu der betreffenden Zeit schon Bischof 
von Worms gewesen, nicht ohne weiteres Glauben beizumessen sein 
wird. Matthäus wurde erst am 19. Juni 1405 mit dem Bistum Worms 
durch den Papst Innozenz VH. providiert Da es nun unwahrscheinlich 
ist, daß Matthäus 9 Schriftchen in der kurzen Zeit bis zum Frühjahr 1406 
von Heidelberg oder Prag aus an das entlegene Neiße, in dem der 

*) F. Franke, Matthäus von Krakau, Bischof von Worms, sein Leben, Cha¬ 
rakter und seine Schriften zur Kirchenreform. Dissertation. Greifswald. 1910. S. 133. 
Nur ist hier unrichtig angenommen, es sei der Brief an den Erzbischof eine an¬ 
dere Schrift als Matthäus* Werk »De commercio cum Judeis«, auch hat Franke 
meine auf den Kodex I F 273 bezügliche Notiz a. a. 0. übersehen. 

*) H. V. Sauerland im Jahrbuch für Lothringische Geschichte 15, 1903» 
S. 474. 


Mitteilungen XXXVI. 


23 



342 


Kleine Mitteilungen. 


Schreiber von 1 F 273 arbeitete, übertragen sei, und auch nichts von 
spezielleren Beziehungen bekannt ist, die Matthäus von Krakau zum 
Prager Erzbischof Zbynök von Hasenburg (f 1411) gehabt hätte, spricht 
alles dafür, daß der Brief in die Zeit vor 1405 gehöre, und an ('en 
dem Matthäus nahe befreundeten Prager Erzbischof Johann von Jenstein 
(f 17. Juni 1400 ) l ) gerichtet ist Vorausgegangen ist in I F 273, 
Blatt 1—100 das anonyme Werk „Meditatio de decore domus dei, 
que est anima“, und es heißt im Vorsteckblatt der Handschrift mit 
Rücksicht auf deren erste zwei Abhandlungen: Item post primum 
librum argumenta et raciones, quod camifices *) non debent participare 
Judeis. 

Incipit epistola scripta per magistrum Mathe um de Cracovia, sacre 
theologie doetorem, episcopum Wormaciensem, et directa archiepiscopo 
Pragensi, contra carnifices, quod non debeant participare Judeis*). 

Houorabilis domine! Instanter petivisti a me aliquid notare, et scribi 
abusivam ymmo perfidam Christianorum nomine quorundam participacionem, 
qua in commerciis negocii carnifices communicant cum Judeis. Ecce, mi 
dilecte in Christo Jhesu frater et amice, respondeo breviter per istam con- 
clusionem unicam: Christiani non debent habere convictum neque commercium 
cum Judeis, presertim in casu, de quo scripsisti. Probatur, quia est peri- 
culosum, quia est suspectum, quia est scandalosum, quia est indignum, quia 
est illicitum. Primum pitet, quia malorum consorcia eciam bonos cor- 
rumpunt, quanto magis eos, qui ad vicia proni sunt, sicut sunt commu- 
niter simplices laici adhuc valde imperfecti Hoc advertens psalmista 
dixit: cum sacrosanctus eris, item Ecclesiastici capitulo 13: qui, inquit, 

q Vgl. Über ihn die auch auf die weitere Literatar bezugnehmende Abhand¬ 
lung in den Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen 42, 
(1903) S. 269—275. 

*) Matthäus verwirft nicht nur im allgemeinen die Ansicht, daß ein Verkehr 
zwischen Juden und Christen stattfinden dürfe, da die Juden unrein, und die 
Feinde des von ihnen gekreuzigten Heilandes sind, (congregatio S&thanae) sondern 
will insbesondere auch, daß Schlachtvieh (Rinder, Schafe etc.) nicht im Wege 
des Kaufes oder THUsches an die Juden, die ihr Geld meist durch Wucher 
erworben haben, abgegeben werden dürfe. Der Prager Erzbischof hatte eine 
darauf bezügliche Anfrage an den Matthäus gerichtet. Das Thema wurde in 
etwas anderer Gestaltung um jene Zeit mehrfach ausführlich in Gelehrtenkreisen 
behandelt, z. B. von einem ungenannten Magister, der der Universität Köln 
nahe zu stehen scheint, in dem Werk: Quaestiones, an expediat Judeoa 
commornri Christianis: Stadtbibliothek zu Trier Hds. 265, Blatt 192a—195b. Das 
Incipit lautet: Tnictaturus de commercio liabendo cum usurariis, quales suntJudei 
generaliter, ln die ersten Jahre des 15. Jahrhunderts gehören hier am Rhein auch 
des Matthäus von Krakau Beziehungen yum Magister Gerhard von Hoengen. Vgl. 
G. Sommerfeldt, Gerhard von Hoengen mul Albert Engelschalk (Neues Archiv 
39, 1914 8. 761—764. 

•) B: Epistola magistri Mathei de Croccovia. 



Ein Brief des Matthäus von Krakau Ober die Judenfrage (um 1400). 343 


tangrt picem, coinquinabitur ab ea, et qui communicat superbo, induet su- 
perbiam. Et alibi: qui iungit se fomicariia, exit nequam, malus. Ita eciam, 
qui communicat Judeo, qui non solum malus est et spiritualis fomicator, 
verum eciam perfidus est, blasphemus et publicus peccator, erit nequam; 
et de fadli discit mores Judei, sive judayzare et de fide Christiana dubi- 
tare, sectamque Judaicam probabilem reputare, et per consequens a Christo 
Jhesu, vero sponao, fomicarL Propter hoc dominus deus quondam precepit 
populo suo, ne fedus et societatem iniret cum geDtilibus et infidelibus, ne 
disceret opera eorum, de quo Exodi 23, ubi dicitur: non inibis cum eis 
fedus, ne forte te peccare faciant in me. Multos enim mixtos inter se pec- 
care fecerunt, qui didicerunt opera eorum, qui diis alienis servierunt, a 
deo vero fomicando. Quemadmodum scnptura sacra in multis processibus 
apertissime, tarn in lege quam prophetis, expressit, ymmo et Salomon sapien- 
tissimus. dictus aliquando filius dei et amabilis domini, conversans uxoribus 
alienigenis didicit opera earum, ydola faciendo eademque venerando. De 
quo 3. Begum 11. 

Secundum patet, quia, qui cum Judeis habet negocia et commercia, 
videtur favere ymmo fovere perfidiam ipsorum et in ipsa comnranic&re, 
quantum ad maligna opera ipsius; quod manifeste beatus Johannes ex- 
pressit c. secunda: videte, inquit, vosmetipsos, ne perdatis, que operati estis, 
sed ut mercedem plenam accipiatis, quia omnis qui procedit, et non per- 
manet in doctrina Christi, de um non habet Qui autem permanet in doo- 
trina, hic et filium et patrem habet Si quis venit ad vos, et hanc doc- 
trinam non affert, nolite eum recipere in domo, et ave ei ne dixeritis. Qui 
enim dicit: ave, communicat operibus eins malignis. Quod dicit: suspectus 
est valde, quod sit fautor et amicus Judeo rum, cum particeps fiat in ope¬ 
ribus malignis eorum. Ecee si solummodo salutans et in domum reci- 
piens suspectus est, quod communicat operibus Judeorum malis, quanto 
magis habens negocia et commercia cum eis! Tercium probatur, quia alii 
Christiani infirmi in fide videntes quempiam conversari commerciaque 
habere cum Judeis, credunt hec licere, ac<.ipientes exemplum simile agendi 
et faciendi. Et ita per scandalum ruunt b ). Vel si fortassis similia non 
faciunt, iudicant tarnen tales esse amicos Judeo rum et ipsorum perfidie 
fautores, et sic iterum scandalizantur per iudicium temerarium. Ecce propter 
hec et eciam alia, eciam si liceret conversari Judeis, adhuc tarnen, quia 
non expediret propter infirmos in fide, homo Christianus non deberet con- 
verBari eis. Quod apostolus in simili notavit cum dixit ad Bomanos 9: Si 
propter cibum frater contristatus, iam non secundum caritatem ambulans, 
noli cibo tuo illum perdere, pro quo Christus mortuus est c ). Et Srquitur 
interpositis paucis: bonum est non manducare carnem, et non bibere vinum, 
nee in quo fratev tuus offenditur aut scandalizatur aut infirmitur, etloquiturde 
hiis, qui conmederunt ea, que in veteri lege fuerunt inmunda d ) reputata et 
prohibita, quamvis non essent prohibita neque reputata inmunda in nova 
lege, saltem a firmis in fide, sed solum ab infirmis et nuper a Judavsmo 
conversis, qui iudicaverunt illos perfectos transgredi precepta legis. Sic in 
proposito, quantum ad illos, qui negocia et commercia habent cum Judeis, 
et alios infirmos ChristLinos, qui boc vident. Huius exemplum dedit nobis 

b ) B: innunnt. — «) ln C hier und an einigen anderen Stellen Zusätze am 
Bande von drr Hand des Kopisten. — d ) A: munda. 


,23 



344 


Kleine Mitteilungen. 


Christus salvator noster declinans gentiles, ne Judei scandalizentur, videntes 
eum conversari gentilibns contra prohibicionem legis. Propter hoc eciam 
idem salvator noster dominus Jhesus Christus precepit discipulis suis 
dicens: in viam gencium ne abieritis, in civitates Samaritanorum ne in- 
traveritis, Mathei 10. Quartum probatur: indignum valde, jmmo videtur 
esse sacrilegium, quod populus Christianorum qui est populus dei, cum 
populo dyaboli communionem liabeat, quemadmodum beatus Johannes in- 
nuit e ) in Apokalypsi 2, ubi Judeos synagogam, id est congregacionem 
Sathane, appellat dicens ad quemdam: loquens blasphemaris ab hiis, qui 
se dicunt Judeos esse, et non sunt, sed sunt synagoga sathane. Item in¬ 
dignum et ignominiosum nimis, ymmo et absurdum est, quod Christianus 
cum illo communicat, qui cottidie deum et redemptorem suum, dominum 
nostrum Jhesum Christum, gloriosamque eius matrem virginem Mariam 
omni laude dignisrimam blasphemat, et omnes sanctos nostros novi testa- 
menti perfidos et dampnatos appellat, atque fidem nostram verissimam et 
omnen christianitatis statum errorem dicit et reputat. Nonne hoc videtur 
valde indignum, quod aliquis unquam cum tali maledicto blasphemo, per- 
secutore crucis Christi, aperto inimico sevissimo, communionem habet et 
amiciciam servat. Cuius finis interitus et gloria in confusione, qui terrena 
sapit secundum apostolum Philipp. 3; Christiani autem finis et salus et 
gloria in maximo honore, cuius conversacio in celi* est. Hec enim, celestis 
esse debet. Die, queso, michi, o tu ficte Christiane, unus ex populo Christi 
nomine, non re, voce, non virtute, quis unquam potuit vel poterit esse 
simul amicus duorum inimico rum, quales sunt Christus dominus tuus et 
dominator tuus, redemptor fidelissimus, parte ex una, ex parte vero altera 
Judeus, persecutor et inimicus eiusdem domini dei, amatoris tui, et salutis 
tue perfidelissimus. Unde secundum beatum Johannem in c., 3. capi- 
tulo: qui vult esse amicus huius seculi, inimicus dei constituitur. Ita 
qui voluerit esse amicus Judei secularis, et inimici Christi, contra preceptum 
ecclesie, inimicus efficitur Christi. Ecce, verOrum Christianorum conversacio 
celestis esse debet, Judeorum autem terrena esse dinoscitur. Finis Christia¬ 
norum fidelium est gloria etema, Judeorum autem confusio sempiterna. 
Quare indignum valde esse videtur, quod Christianus communicet Judeo, 
quod advertens apostolus dixit 2. Corinth. 6: Que convenöio ad Belial, aut 
que pars fidelis cum infideli, et Ecclesiastici 13: Que communicacio sancto 
homini ad cimem. Sanctus itaque homo est Christianus baptismo sancti- 
ficatus, canis vero Judeus, et quiHbet alius infidelis extra ecclesiam katho- 
licam existens, prout habetur Apokalypsi G. capitulo, ubi dicitur: foris canes 
et inpudici et homicide, et omnis, qui amat et facit mendacium. Quintum 
probatur: communicacio cum Judeis est prohibita nunc Christianis, quemad¬ 
modum quondam prohibita erat Judeis cum gentibus et Samaritania. Non 
enim convertuntur Judei Samaritanis, Johannis 4. Ergo communicacio talis 
est illicita. Prohibicio hec habentur 28 questione 1 nullus, ubi dicitnr: 
nullus eorum, qui in sacro suo ordine, aut laicus, azima eorum man- 
ducet, aut cum eis habitet, aut aliquem eorum in infirmitatibus vocet suis, 
aut medicinam ab eis percipiat, aut cum eis in balneo lavet. Si vero 


*) A: tune. 



Beiträge zur historischen Topographie OberOeterreichs. 


345 


quispiam hoc fecerit, si clericus est, deponatur, lacius yero excommunicetur. 
Ecce, si in illis, qne videntur esse necessitatis, prohibitum est cum Jndeis 
perfidissimis communicare, multo plus prohibitum esse yidetur in hiis, 
que non sunt necessitatis, sicut est habere commercium et negocia cum 
eis in vendicionibus et emcionibus causa communis lucri ex parte car- 
nificii. Item apostolus 1. Corinth. 2 dicit: si is, qui frater nominatur, 
est fornicator vel avarus vel ydolis serviens, aut maleficus aut ebriosus 
aut rapax, cum huiusmodi nec cibum sumere, hoc intelligitur, cum 
publice sunt tales, et nolunt desistere. Et si cum hiis, tune f ) maxime 
cum Judeis, qui sunt publici peccatores, et non fratres. De quibus apostolus 
loquitur: si foris sunt maledicti etc. Item ex alio patet esse illicitum, 
presertim in vestro casu, quia Judei modemi temporis raro aliud habent 
quam per usuram acquisitum, quod tenentur restituere. Nec possunt illo 
mediante emere vel vendere, sicut nec illo, quod furto vel rapina quis 
acquisivit Et si sic, tune illicitum esse videtur, quod aliquis particeps sit 
lucri in negociis mactacionis pecorum vel pecudum emptarum pro huius¬ 
modi et taliter acquisiti. Ecce, reverende domine, hec pauca notavi exau- 
diendo preces vestras, quamvis valde invitus fecerim propter multos emulos, 
detractores veritatis. Dominus sit vobiscum, et det cor humile, discretum et 
constans in adversis, amen. 

Königsberg i. Pr. Gustav Sommerfeldt. 


Beiträge zur historischen Topographie Oberösterreichs. 

1. St Florian. In dem Kampf um den hl. Florian hat J. Stmadt 
auch in seiner Abhandlung »Innviertel und Mondseeland“ (Archiv f. 
österr. Geschichte 99. Bd. 1912), S. 505—516 wieder das Wort er¬ 
griffen. Veranlassung bot ihm das Pfarrdorf St Florian am Inn. In¬ 
dem er die bekannten Vergabungen 1 ) der Frauen Liutswind und Prun- 
hild an den hl. Florian, die in den Zeitraum nach dem Sturze Tassilos 
und der Kaiserkrönung Karls d. Großen (788—800) fallen, beherzt der 
Pfarrkirche St Florian a. Inn zugute kommen läßt erhebt er diese zur 
ältesten Kultstätte des hL Florian. 

Ich möchte mir gestatten, eine abweichende Ansicht zu vertreten. 

Zunächst ist an die schwerwiegende Tatsache zu erinnern, daß die 
beiden Schenkungen im Traditionskodex unter den Traditionsnotizen 
des Mattiggaues stehen und daß man bisher mit Hecht daraus gefolgert 
hat die Objekte müßten auch in diesem Territorium liegen. Das hat 
zwar, wie auch Stmadt beiwkt schon Jodok Stülz als Schwierigkeit 
empfunden. Aber sowenig sie ihn abgehalten hat hier an das Stift 
St Florian zu denken, so wenig hat sie Stmadt gehindert diese Schen- 

f ) A: is, tune. 

*) ÜB. 1, S. 450, n. 21 und 22. 



346 Kleine Mitteilungen. 

kungen mit dem ziemlich weit entfernten St Florian a. I. in Verbin¬ 
dung zu bringen. 

Es ist von vornherein weder die eine noch die andere Auffassung 
einleuchtend. Viel näher liegt doch die Annahme, daß diese Güter dem 
hL Florian bei Utendorf-Helpfau mitten im Mattiggau gewidmet worden 
sind. Es ist dieses St Florian zwar heute nur eine Wallfahrtskapelle, 
eine Filiale von Helpfau, aber es kann wie in so vielen nachweisbaren 
Fällen das Verhältnis umgekehrt gewesen sein, die Kirche also in den 
ältesten Zeiten eine größere Bedeutung gehabt und erst später zugunsten 
der heutigen Pfarre eingebüßt haben. 

Wenn ich mm weiter die Lage der drei St. Florian betrachte, so 
fallt mir auf, daß sie alle in der Nähe von Römerorten und Römer¬ 
straßen liegen: 

St Florian bei Laureacum, St Florian bei Schärding auf römischen 
Fundamenten*) an der Römerstraße von Braunau nach Passau und 
St. Florian bei Utendorf-Helpfau an der Römerstraße durch das Mattigtal 
von Straßwalchen nach Braunau, in nächster Nähe des schon durch 
seinen Namen als Römerort gekennzeichneten Mauer(kirchen). 

Stmadt scheint mir in der Frage mit Unrecht die Kontinuität 
römischer Traditionen auszuschalten. Wenn in Lorch neben älteren 
auch noch römische Münzen aus dem 7. Jahrhundert ausgegraben 
winden, so spricht das doch zunächst für den Fortbestand von Resten 
romanischer Bevölkerung und kaum für Einschleppung byzantinischen 
Geldes durch die Ungarn 2 ). 

Und die Bayern wären doch wahrscheinlich nicht auf den Ge¬ 
danken gekommen, menschliche Niederlassungen m immerhin auffallen¬ 
der Zahl im 6. und 7. Jahrhundert als Walchenorte zu bezeichnen, 
wenn schon 100 oder 200 Jahre von Romanen weit und breit nichts 
mehr zu sehen gewesen wäre. So restlos pflegen die Rechnungen der 
Weltgeschichte nicht aufzugehen. 

Darüber kann ja allerdings kein Zweifel sein, daß die Passio s. 
Floriani eine später zurechtgelegte Kombination ist, aber der Umstand, 
daß man es für zweckmäßig und notwendig hielt, sich die Konstruk¬ 
tion zu leisten, ist meinem ^Empfinden nach ein Zeugnis für schon 
Bestehendes. 

Ich glaube daher, daß der Kultus eines heiligen Florian in unserem 
Lande auf die römische Zeit zurückgeht — alle drei Floriankirchen 
liegen an Römerstraßen und in nächster Nähe von Römerorten — und 


l ) J Lamprecht, Gesch. d. Stadt Schärding, 2. A. 1887, 1. Bd., S. 17. 
*) Stmadt in der Archival. Zeitechr. N. F. VIII, 45 f. 



Beiträge zur historischen Topographie Oberösterreichs. 347 

daß man zur Zeit der bekannten Passauer Fälschungen diesen Heiligen, 
von dem kein Mensch etwas Näheres wußte, von dem aber drei Kirchen 
des Landes schon Jahrhunderte den Namen trugen, aus durchsichtigen 
Gründen literarisch hier lokalisierte. 

2. Bosdorf. J. Stmadt hat in seiner Abhandlung „Das Land im 
Norden der Donau“, S. 90 f., Anm. 2 den Versuch unternommen, den 
besonders aus der karolingischen Zollordnung von 904 bekannten Orts¬ 
namen Bosdorf als identisch mit dem heutigen Landshag gegenüber 
Aschach a. D. nachzuweisen, und stützt sich auf eine Reihe von Ur¬ 
kunden, aus denen diese Identität angeblich hervorgeht. 

Ich kann diese Ansicht nicht teilen und will meinen Standpunkt 
begründen. In der Zollurkunde st3ht: c postquam [naves] egresse sint 
silvam Pataviam et ad Bosdorf vel ubicunque sedere voluerint et mer- 
catum habere’ (ÜB. II, n. 39). 

Stmadt meint, hier werde Bosdorf als der erste Landungsplatz 
und als die erste Zollstätte nach Passierung des Passauer Waldes ge¬ 
nannt Mit nichten. Die Landungsstätte ist hier nicht genannt son¬ 
dern der erste Handelsplatz am linken Donauufer landeinwärts. Bos¬ 
dorf gehört doch sachlich und grammatikalisch zu vel ubicunque sedere 
e; mercatum habere voluerint 

Die irrige Auffassung, als sei Bosdorf ein Landungsplatz, also an 
der Donau gelegen, überträgt nun Stmadt auf die übrigen Urkunden, 
in denen dieser Ort genannt wird, und. sucht das nach UB. H, n. 12 
(853 Jan. 18) an St Emmeram geschenkte Bosdorf gleicherweise wie 
den in der Urkunde 1111 Aug. 23 (UB. II. n. 97) dem Kloster 
St Floriau bestätigten halben Mansus ad Rostorf in Landshag. 

Das Rostorf von 1111 lag aber sicherlich in dem ein paar Jahre 
zuvor dem Stifte geschenkten Gebiete Eppos von Windberg. 

Der Beweis, daß sich Stmadt hier mit seiner Deutung auf falscher 
Fährte befindet läßt sich aus den mittelalterlichen Urbaren des Stiftes 
St Florian erbringen, wo dieses Bosdorf tatsächlich im Verwaltungs¬ 
gebiete „Am Windberg“ erscheint 1 ). Auf Bl. 9 des ältesten Urbare 
vom Jahre 1386 werden aufgezählt Abgaben de decima ad s. Petrum, 
de domo ibidem, de iure civili ibidem, de Ach, de agro in Eostorf, de 
decima in Eytendorf. de decima in Würtzling, de s. Stephano etc. Das 
genügt zur wenigstens beiläufigen topographischen Bestimmung der 
Örtlichkeit Es werden da nach einander genannt: das Pfarrdorf 
St Peter am Windberg, Bez. Neufelden, Eidendorf in der Gern. Her- 

*) Was V. v. Handel-Mazetti zu der Frage vorbringt (66. Jahresbericht des 
Museums Francisco-Carolinum 1908, S. 49 f. u. 75 f.; 67. Jahresbericht 1909, S. 8), 
ist. wertlos. 




348 


Kleine Mitteilungen. 


zogsdorf, Bez. Ottensheim, Wirzling in der Ortschaft Petersberg, Gern. 
St Johann am Windberg, Bez. Neufelden und St Stephan, ein Pfarr- 
dorf im Bez. Neufelden. Die Örtlichkeit Ach vermag ich allerdings 
nicht zu bestimmen. 

Aus der ßeihenfolge der aufgeführten Zehente ist zu schließen, 
daß Bosdorf nicht zu weit von St Peter entfernt war, und eine nähere 
Umschau in der Umgebung weist mit ziemlicher Sicherheit auf die 
Ortschaft Dorf nö. St. Peter. Es ist nicht ausgeschlossen, daß einst 
St. Peter selbst Bosdorf geheißen hat und im 14. Jahrhundert die ur¬ 
sprüngliche Bezeichnung nur mehr an einer Pertinenz haften ge¬ 
blieben war. 

Wenn wir aber von allen Hypothesen absehen, so bleibt doch die 
Tatsache übrig, auf die es hier allein ankommt, daß das Bosdorf der 
angeführten Urkunden kein Landungsplatz an der Donau, also auch 
nicht das heutige Landshag ist, sondern eine Örtlichkeit im Gebiete 
des nachmals von Eppo von Windberg dem Stifte St Florian ge¬ 
schenkten Landstriches, in der Nähe von St Peter am Windberg, viel¬ 
leicht dieses selbst war. 

Aus diesem Sachverhalt ergibt sich auch, daß Bosdorf nicht wie 
Strnadt will, in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts seinen Namen 
in Landshag geändert sondern noch am Ende des 15. Jahrhunderts als 
solches bestanden hat 

Vielleicht ermöglicht es eine Durchsicht jüngerer Zehentregister 
des Stiftes, den Namen über das Mittelalter herauf zu verfolgen. 

Im Anschlüsse an diese Ausführungen möchte ich noch bemerken, 
daß auch die Erklärung Stmadts für den Namen Landshag unrichtig 
ist Die ursprüngliche Form lautet Landshabe. Diese ist nicht mit dem 
Worte Hag = urb8 im Zusammenhang zu bringen, sondern ist im zweiten 
Bestandteil die hochdeutsche Entsprechung von Hafen. Der Ort wird 
wohl immer so geheißen haben, aber in der älteren Zeit ohne weitere 
Bedeutung geblieben sein, wie er denn auch UB. I, n. 593 (13. Jhrh.) 
nur portus contra Ascha genannt wird, was jedenfalls auch nicht für 
die Gleichung Bosdorf ~ Landshag, sondern für Landshabe — portus 
spricht 

3. Spital am Pyhrn. Spital a. P. an der oberösterreichisch-steier¬ 
märkischen Grenze wurde, wie der Name schon andeutet als Hospital, 
und zwar für Beisende, die den Pyhrn passierten, vo.i dem Bischof 
Otto II. von Bamberg auf den Gründen des Hochstiftes im Jahre 1180 
errichtet 1 ). Die alte Überlieferung wußte jedoch zu melden, daß 

*) F. Pritz, Geschichte des einstigen Kollegiatstiftes weltlicher Chorherren zu 
Spital a. P. im Lande ob der Enns (Archiv f. Kunde österr. Geschichtsquellen 
10 TW Iftfto R 9ii 



Beiträge zur historischen Topographie OberOsterreichs. 


349 


schon der Bischof Otto I. (1102—1139) in dieser Gegend ein mit einer 
Kirche verbundenes Hospiz erbaut habe. Pritz wollte diese Tradition 
z nbewiesenen Sage stempeln, indem er auf den Mangel von Ur¬ 
kunden und auf die angebliche Tatsache hinwies, daß die ersten Ur¬ 
kunden des Kollegiatstiftes von einer neugegründeten Stiftung sprechen 1 ). 
Seitdem ist die Frage nicht mehr untersucht worden. 

Aus dem von mir veröffentlichten Urbar läßt sich aber jetzt zeigen, 
daß an der erwähnten Überlieferung doch etwas Wahres ist Darin 
wird nämlich an fünf Stellen dieses „Alt-Spital“ angeführt und zwar 
als Maierhof (curia, mayr. hof) zu Allten Spital 2 ). Mein Versuch, dieses 
Gut topographisch zu bestimmen, ergab, daß dieser Maierhof Alt-Spital 
identisch ist mit dem heutigen Hofbauerngute in der Ortschaft Gleinkerau, 
Gern. Spital a. P., Bez. Windischgarsten. 

Alt-Spital lag demnach nahe dem Markte Windischg-raten und 
die Gründung des neuen Stiftes ist zweifellos als eine bloße Verlegung 
des schon bestandenen Hospizes aufzufassen. Der zunehmende Verkehr 
über den Pyhrn ließ es offenbar als zweckmäßig und notwendig er¬ 
scheinen, die Herberge dem Passe näher zu rücken. 

Der in den Urkunden 8 ) gebrauchte Ausdruck novum hospitale 
würde dann nicht neugegründet, sondern neu im Gegensatz zu alt be¬ 
deuten. Auffallend ist nur, daß der Verfasser einer aus dem Beginne 
des 14. Jahrhunderts stammenden Notiz über die Pfarre Wmdischgarsten 
im Abschnitte de censu ecclesiarum des ältesten Urbare von Krems¬ 
münster 4 ) zwar von der auf den Bat des Bischofs Diepold (1172—1190) 
von Passau erfolgten Gründung des Hospitals spricht, von einer Ver¬ 
legung jedoch nichts erwähnt 

Da er nun sagt, diese Gründung sei auf Kremsmünsterer Boden ge¬ 
schehen, und habe der Pfarre Windischgarsten sehr geschadet so ergäbe 
sich im Zusammenhalte mit dem oben Bemerkten allerdings der Schluß, 
daß zwar eine Verlegung des alten Spitals stattgefunden habe, aber 
erat im 14. oder 15. Jahrhundert, daß sich somit der Ausdruck „altes 
Spital“ auf das 1180 gründete, nicht aber auf ein noch älteres beziehe. 
Sicherheit läßt sich über diesen Punkt erst gewinnen, wenn feststeht 
daß die Notiz im Urbar von Kremsmünster verläßlich ist Der Ein- 

i) Ebel., S. 251 f. 

Ä ) Die mittelalterlichen Stifourbare de« Erzhergogtums Österreich ob der 
Enn*, 2. Teil (österr. Urbare, I g. von der kais. Akademie der Wissenschaften, 
3. Abt., 2. Bd M 2. Teil), Wien und Leipzig 1913, S. 544 * 4 ; 546, 37 ; 547, 38; 
603, 257 ; 606, 381. 

») UB. II, n. 302 und 303 und Pritz a. a. O., Anhang II, n. 5—9. 

4 ) Die mittelalterlichen Stiftsurbare des Erzherzogtums Österreich ob der Enns, 
hg. von K. Schitfmann, 2. Teil, S. 215, N. 5. 



350 


Kleine Mitteilungen. 


druck, den man von den historischen Bemerkungen des Abschnittes de 
censu ecclesiarum bei näherer Betrachtung gewinnt, ist nämlich der 
eines vielfach schwankenden Gebäudes. 

Die wesentliche Erkenntnis, daß dem neuen Spital am Pyhm ein 
altes nahe dem Markte Windischgarsten vorausgegangen ist, bleibt jeden¬ 
falls bestehen und wird durch die zweite Frage nur zeitlich modifiziert 

4. OuliupestaL Das in einer Urkunde 1 ) K. Heinrichs II. vom 
Jahre 1005 genannte Ouliupestal ist das Kremstal bei Kirchdorf wie 
dieser und andere Belege mit voller Sicherheit erkennen lassen. Der 
erste Bestandteil des Namens ist als Oliuspes-, Ouliupes-, Olis-, Öles-, 
Öles-, Ouls- 2 ) und in willkürlicher Deutung zu Anfang des 14. Jahr¬ 
hunderts als Ötiles- 8 ) überliefert 

Das Urkundenbuch des Landes ob der Enns bringt nun mit diesem 
Ouliupestal den Namen Öbleinstal in Verbindung, der in zwei Urkunden 4 ) 
als Bezeichnung von Gütern begegnet, die ausdrücklich in der Pfarre 
Molln lokalisiert werden. Diese Gleichsetzung von Ouliupestal und 
Obleinstal ist aber unhaltbar. Wenn auch an sich eine sprachliche 
Entwicklung Ouliupestal = Obleinstal mit Annahme einer Metathesis 
nicht unmöglich wäre, so spricht doch die in den älteren Belegen 
durchwegs auftretende Kontraktion zu Ouls-, Olis-, Öls dagegen. Man 
müßte vielmehr heute ein Us- oder Elstal erwarten. Die Gleichung ist 
aber auch sachlich unmöglich, da Ouliupestal das Tal der oberen Krems, 
Öbleinstal aber nichts anderes als das heutige Eberstal, 0. Ramsau, 
G. Molln, B. Grünburg ist 6 ). 

5. Schönau. In der Urkunde über die zufolge Anordnung 
K. Arnulfs vom 21. März 890 (Mtihlbacher R. J. 1795) vorgenommene 
Vermarkung des dem Kloster St Emmeram zurückgestellten Besitzes heißt 
es: Haec ratio vel notitia manifestat de marca nostra in loco, qui vo- 
catur Braama, quae pertinebat ad Sconinouue et monasterium s. Martini, 
quae iniuste diu nobis ablata est, sed nunc tandem reddita est per 
Anauuanum et iratrem eius Rihuuassum, hoc est de fluvio, qui dicitur 
Braama usque ad locum, qui dicitur Tiufbah, inter cultam et incultam 
terram iugera 120 6 ). Dieses Kloster Schönau begegnet auch in der 
sogenannten Notitia de servitio monasteriorum 7 ). 

UB. II, n. 54. 

*) UB. II, 37 und Anh. n. 9; Pez, Thes. III, 760; Steierm. UB. I 401, n. 414. 

8 ) Oö. Stiffcsurbare, hg. von K. SchiÜ'mann 11 223, n. 17. 

4 ) UB. V, n. 243 und 244; VII, n. 118. 

fi ) Die beiden Flußtäler gehörten zwei verschiedenen Grafschaften an. Vgl. 
J. Strnadt, Das Gebiet zwischen der Traun und der Enns, Wien 1907, S. 11. 

«) Pez, Thes. anecd. I 3, S. 242. Vgl. ebd. S. 245, cap. 71. 

7 ) Monum. Germ. hist. Leg. I 224. 



Beiträge zur historischen Topographie Oberöeterreichs. 


351 


Bisher hat man es in Oberösterreich gesucht 1 ), weil die erwähnte 
Vermarkung usque Rotagausceit ging und in dem oberösterreichischen 
Stück des Botgaues tatsächlich fließende Wasser und Örtlichkeiten 
namen« Pr am und Teufenbach Vorkommen. Das ist aber ein irriger 
Schluß. Deshalb weil das Kloster in Oberösterreich Besitz hatte, muß 
es nicht auch in diesem Lande gelegen haben. Dieses Schönau ist 
vielmehr im heutigen Bayern zu suchen. In dem erwähnten Bericht 
über K. Ludwigs d. Frommen Ordnung der Reichsleistungen der Klöster 2 ), 
der in Bezug auf die landschaftliche Zusammenstellung der bayrischen 
Namen durchaus tadellos ist 8 ), wird es mit Metten und Moosburg zu¬ 
sammen genannt 

Linz. K. Schiffmann. 


f ) S. Riezler, Geschichte Beierns, 1. Bd., Gotha 1878, S. 288 denkt an Schönau 
bei Wels, aber dieses abgelegene Bauerndorf hat dem Stifte Mondsee gehört. 

*) Es werden nur Mönchs-, keine Chorherrenklöster und selbstverständlich nur 
Reichsabteien genannt. 

•) Pinkert in den Berichten über die Verhandlungen d. kgl. sächs. Gesellschaft 
der Wissenschaften zu Leipzig, phil.-hist. Kl., 42. Bd., 1890, S. 46—71. 



Literatur. 

Dr. Oskar Freiherr y. Mitis, Studien zum älteren öster¬ 
reichischen Urkundenwesen. 4. u. 5. Heft (Schluß). Herausg. 
yom Verein f. Landeskunde yon Niederösterreich. Verlag des Vereines. 
1912. 

Das 1. Heft dieser verdienstvollen »Studien* wurde im 29. Bd. der 
Mitteilungen S. 347 besprochen, das 2. u. 3. Heft ebd. 32, 388 ff. im 
ersten Abschnitt des Aufsatzes über »Diplomatik und Landeskunde», in 
welchem versucht ist, aus den Forschungen von Mitis und Groß allge¬ 
meine Richtlinien und Forderungen für die Bearbeitung der alpenländischen 
Urkunden und im Allgemeinen für die Arbeitsweise der landschaftlichen 
Diplomatik abzuleiten. Das hier zu besprechende Heft behandelt die 
Urkunden der Babenberger bis zum Abgang des ersten bezeugten herzog¬ 
lichen Kanzleibeamten, Ulrichs, der 1215 Bischof von Passau wurde. Ergab 
sich bei den früheren Forschungen des Vf, daß im 11. Jahrhundert 
die Traditionsnotiz das Urkundenwesen der Ostmark noch ganz beherrscht, 
daß in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts nur wenige echte Siegel¬ 
urkunden nachzuweisen sind, daß endlich um die Mitte des 12. Jahrhunderts 
die Schätzung des Siegels und der Siegelurkunden durchdringt und sich 
nicht nur in der Zunahme der echten Urirunden, sondern auch in zahl¬ 
reichen diplomatischen Fälschungen l ) äußert, so wird nun hier, u. zw. 
wieder in der Form von aneinander gereihten Einzeluntersuchungen *), die 

*) Zu dieser Gruppe diplomatischer Fälschungen gehört aus dem Urkunden¬ 
stoff des 4.—5. Heftes zeitlich und sachlich vor allem der Stiftsbrief von Kloster¬ 
neuburg, der von 1136 sein will, nach Mitis aber i. J. 1141 entstanden ist. Betreffs 
dieses Stückes bleibea noch Schwierigkeiten offen, für die ich auch keine sichere 
Erklärung weiß, auf die ich aber hin weisen möchte, um ihre Nachprüfung für die 
Ausgabe im Babenb. Urkundenbuch anzuregen (s. weiter unten Anhang S. 358). 

*) § 50. Die Siegel und Urkunden Leopolds des Heiligen. — § 51. Die Gruppe 
Klosterneuburg. — § 52. Das Archiv der Babenberger. — § 53. Die Gruppe 
Heiligen kreuz. — §54. Die Siegel und Urkunden des Markgrafen-Herzogs Leopold 
(1136—1141). — § 55. Der Baumgartenberger Stiftbrief. — § 66. Die Siegel und 
Urkunden des Heraogs Heinrich Jasomirgott. — § 57. Der Wiener Besitz des 
Klosters St. Peter in Salzburg. — § 58. Das Jahr 1156 und das erste österreichische 
Herzogssiegel. — § 52. Die Stiftbriefe der Wiener Schotten. — § 60. Der Stiftbrief 
der Pfarre St. Michael. — § 61. Unbeachtete Babenberger Urkunden (Ende des 



Literatur. 


353 


Entwieklang von der Mitte des 12. Jahrh. tun fe?r m den 

,3töiiisö* gebotene I>arsteUußg wird, m glücklicher Weise durch 

ü*. seither eysciheoenen Tafeln in Gfc roustSt Mond.'Faiaeo- 
grafrix.iea Seri« IL lief. U T. 5 —Uh lief. 17 T. i —iL 4k, gleich- 
tai& r .00 M H ie bearbeitet, 15 Babeabergerarkonden biei^n t im Text* 

sq VerglekhSÄW^kec noch den betaetfeäddö Eeapf&nger- 

&rdiir<?n ^ngerjädkt sind*t&c&^^»Sslfeici^i 5 ^ttBwaiü bietet* diese 
Tyrsfiglicheu ÄhhijdungeH nicht nui d^afete^kcbe Beispiele fiir die 
llrktmdeaschrift wr^y edtfKcr Ihnpfeögta' (Heüigehkrats^, St, Flomib Schotten, 
Äelk* iLdmo^at Seitecktetten, Viktriag) und für- *5 Kjmfclexhäude (?Oü 1203, 
1228— 1 ; 24iil, sondern diene» rinch äaihv. wiß&i%£ Bebbrtchtuiig«ö der 
»Studien* za veraascb&hiiiiiiöii und einsT Kaehp:tfyaßg zugänglich m 
machen, welcher &ve vorsfebägs and ach^&inxHge Fowchangsiut- 4m Vf- 
durchaus stamifoälk 

Die zweite Hälfte des 12.. 4$hrb t iist das Urkundenwesen der Ost¬ 
mark noch öö - mirt eine ftbetgafigszeih' Koch' 'winl nur ein gerin&st Teil 
«her BechUhmrlta&gm des IJändfößfÜrsiCfn in Siägalnrkuadeij verbrieft. 
Betritt- die Zahl der echten Urkunde» für Ledpöhl <1 Heil (bis J1$H) vtwaa 
ober ein fisibduteeod, m höben wir für Leopold IT^ Heülfich Jasooiiigöfct 
and Leopold V. (—11^4) deren nicht fiel *nn K^bhtrnitert Dnd 

.ttnter diesen «tud sus&c&si in überwiegender, später in b»;fjächtEcber Zahl 
Stocke der lüieren Art vertreten, . d* h, Aüfeeichnüß^en. die sfoh in ihrer 
kurzen, schmucklosen Fassung von den trndiii^ösaotizen hauptsächlich nur 
durah die Be^^elung unterscheidBiri Äi^riigu^hi dagegen, die durch 
einen rolLutsgebiideten Urkundenstii oder ä<>gnf %reh Anlehnung der 
in^ren iterkaiule an Papste und honig^urkumle dcV} f:HirsU?nurkundeu deö 
Westens lUmfich siml, tauchen zuerst mix m v^mn^ttea . Beispiel«». ; uüfV- 
»iie sich am einer ilömitfcelbärcu Berührung Reichskanzlei oder 

aas den) Eint!uh eines Eanzelneu Empfänger* *rrkigr&e. ?).-• Der ßbefgang 
za dieser u^öe^ roÜeneu ÖrVtiadtehfo-iiß daStogi -oben" durchaus raja den 
Empfängern ! ab* denen die HersteUung der firkftadeu durch ■eigeh» 
Schreiber oder durch Bchmbtoräfte irgend einer driften Seite m gut? wfe aus¬ 
schließlich wx&Ut So smd io Heilig^nkrcuz, wo nicht nm nirs eigene 
Klister, sondern auch f^ :»3&re ^«spöichs Urkunden hergesteilt 

. ^ Stuck* entstanden, die sidh itv ttehrift und Ausstattung 


12- Jjibrhi}. —. § 82. fhe iäcgel «nid Urkunde» topoltls und reiner höhn* 

iie der Notare Ulrich ft&ü bi« 1415, — fr ftä\. 

Ur^dnog^Uxkc^ödCit ü^d IkTsitÄbeslätignugcn des Kh«h>rs Uiionfeld. — g 
IM Stifibmf dW zu Wien, — §'U5. Kloster Lambach tind dm 

Euiknufb? von Wefv (&e : Zölduug der ^ «chheXlt. ob Heft 3 ön). 

ft Beisp^le eiafschdr .Textls*r>^ i f«a%| 

■S.. 382 darnnte «iiöe Urkiifid^ ?«fur *ä^<t tiud 

HrJigeukrens;, dm noch ,*te&t*» j»cr öv r ^^;. . ■<*%*'■'' 




Adern tidua. BcwetÄ öherläßt Abhdd^ugf^v 

1K, Taf. 5- und (k , V''* , ;.' .AfJ‘ .. 

■ *) Das e^te Bahtmberg^‘.rRtiJck■ .,^ 

1140 &r dafr.fClostnr prüföah»«; ist,' >v^f 

Wft, nicht f>hti£ Eituöuh von ^tumpf ^Xk 1 
Auch in dtsr AmjatÄtnulg 

fechmherg \ßfo ^ d, Baus ^ 

Crerhoehfc von •/ • 1 ^ 5 . 7 :^ 




354 


Literatur. 


an die Papsturkunde anlehnen 1 ). Formvollendete Herzogsnrknnden haben 
auch die Schotten in Wien für sich und für andere Empfänger, z. B. für 
Klosterneuburg, ausgefertigt *). Daß diese Wiener Gründung der Baben¬ 
berger öfters zur Beurkundung landesherrlicher Handlungen herangezogen 
wurde, lag ja nahe und läßt sich nicht nur bei Urschriften, sondern 
auch bei abschriftlich überlieferten Stücken am Diktat nachweisen. 

Einige von Schottenhand geschriebenen Stücke berühren sich nämlich - 

bei sonst ganz abweichendem Diktat — mit einer unter Herzog Heinrich 
auftretenden neuen Gruppe von Urkunden in Briefstil und mit anderen 
Herzogsurkunden in den Bahmenformeln; insbesondere in der Datierung 
zeigen sich Beziehungen zu der am Hofe damals im Schwange befindlichen 
Gleichung: Wien =Favianum. So hat der Vf. angenommen, daß die^e Urkunden 
von den Empfängern vorbereitet wurden, an der Fertigstellung ihres 
Diktats aber das Schottenkloster irgendwie mitgewirkt hat. Er betont aber 
mit Recht, daß hiebei an eine Art Kanzlei nicht zu denken sei. Denn, wenn 
auch bei der Zerstreutheit des Stoffes, (insolange nicht die seinerzeit ange¬ 
regten landschaftlichen Plattenarchive eine vollständige Übersicht über alle 
Urkundenschriften bis 1200 bieten), die Herstellung durch die Empfänger 
sich nur für einen Teil der älteren Babenbergerurkunden sicher nach¬ 
weisen ließ, so hat doch die Schriftvergleichung soviel sichergestellt, d&fl 
unter ihnen bis 1194 kein Beispiel für Herstellung durch den Aussteller, 
also die Vorstufe für eine eigentliche Kanzlei, vorkommt. 

Auch aus dem Abschnitt 1194—1215, für welche zwanzig Jahre 
allein mehr echte Urkunden vorliegen, als für das ganze Jahrhundert vor¬ 
her, ließen sich nur drei Gruppen von je vier bezw. drei Urkunden finden, 
bei denen die gleiche Hand für verschiedene Empfänger schreibt, die also 
sichere Fälle von Herstellung durch Schreibkräfte des Ausstellers sind*). 
Der Übergang von der überwiegenden Empfängerherstellung zu einer 
Art von Kanzlei vollzieht sich auch noch in dieser Zeit fast nur auf dem 
Gebiet des Diktates. Ein Anhang zu g 62 gibt auf S. 393—408 eine 
sehr dankenswerte Zusammenstellung von häufig wiederkehrenden Formeln 
und Formelverbindungen aus herzoglichen Urkunden, auf Grund deren 
Mitis drei Diktatgruppen bildet, in denen die Mitwirkung der Kanzlei znm 
Ausdruck komme. Die erste, als »Wiener-Gruppe» bezeichnet, umfaßt 10 
bezw. 13 Urkunden von 1180—llv>2; die zweite, welche dem Notar 
Ulrich zugesprochen wird, 25 bezw. 28 Urkunden von 1195—1212; 
die dritte, auf den Notar Heinrich bezogene, Gruppe 17 Urkunden von 
1195—1216. Neben der Zurückführung auf das persönliche Diktat dieser 
drei Diktatoren rechnet Mitis aber auch damit, daß die fraglichen Formel- 


J ) Studien S. 286 ff., 380 A. 2. Mit Recht lehnt Mitis die Annahme einer 
besonderen Cisterzienserschrift ab und läßt die auffallenden Ähnlichkeiten, die in 
den Urkunden verschiedener Cisterzen begegnen und die Vermutung einer beson¬ 
deren Ordensschrift haben entstehen lassen, »auf die weitverbreitete Schulung an 
dem gemeinsimen römischen Vorbild zurückgehen«. Weitere Bemerkungen über 
die Schreibgewohnheiten von Heiligenkreuz Mon. Pal. H, 17, Taf. 9. 

*) Vgl. die Abbildung und die Bemerkungen Mon. Pal. H, 16, Taf. 7—8. 

*) Vgl. Studien S. 381; eine vierte Hand aus der Zeit vor 1215, die nach 
Mitis vermulich Kanzleihand ist, Mon. Pal. II, 16, Taf. 10 b. Die Kanzleihände 
ebd. 17, Taf. 3 c, 4 und 5 aus den Jahren 1228—1246 gehören nicht mehr dem in 
den Studien besprochenen Zeitraum an. 



Literatur. 


355 


berührungen auf ein Formularbuch am Hofe zurückgehen könnten. 
Daß einzelne Stücke dieser drei Gruppen nun aber auch deutliche 
Berührungen mit Empfänger-Diktatgruppen, z. B. der Heiligenkreuzer und 
Lilienfelder, zeigen, wird ansprechend aus der Anschauung erklärt, die der 
VC über das Zusammenwirken der Notare und der Parteien entwickelt. Es 
mag, da die Beinschrift meist noch der Partei überlassen blieb, dieser oft 
ein Konzept eines Notars übergeben worden sein, von dessen größerer oder 
geringerer Ausgefiihrtheit es abhing, wie sich im endgiltigen Wortlaut 
sein Stil mit dem Stil des Empfängers mischte 1 ). Umgekehrt mögen oft 
auch die Parteien Entwürfe eingereicht haben und je nachdem diese völlig 
urkundenmäßig abgefaßt waren oder nicht, wird der Notar sein eigenes 
Diktat schwächer oder stärker zur Geltung gebracht haben. 

Alle diese Gedanken sind scharfsinnig entwickelt und sehr ansprechend. 
Ein endgiltdges Urteil wird aber in einzelnen Fragen doch erst möglich 
sein, wenn einerseits im geplanten Babenbergischen Urkundenbuch die 
Angaben über die Hände der einzelnen Urkunden vorliegen und das Ver¬ 
hältnis der Diktatgruppen zur Schriftprovenienz erkennen lassen, anderseits, 
wenn auch das Diktat der Empfängergruppen mit der modernen diploma¬ 
tischen Technik monographisch bearbeitet sein wird, wofür die »Studien» 
und die Arbeit von Groß über das Urkundenwesen der Bischöfe von Passau 
(Mitteil. Ergbd. d. 8, 555 ff) eine breite Grundlage bieten und musterhafte 
Vorarbeiten darstellen. Dann erst wird sich Gewißheit auch über einen 
Punkt ergeben, bei dem ich gewisse Zweifel nicht verhehlen kann, ich 
meine die Annahme des Vf., daß die Formel: datum per manu« sich auf 
die Übergabe des Kanzleikonzepts an die Partei bezieht (S. 392). Mir 
scheint das nicht sehr wahrscheinlich. Nicht auf die Verantwortung für 
das Konzept, an dem ja die mundierende Partei im eigenen Interesse noch hätte 
ändern können, kam es an, sondern auf die Verantwortung für die Reinschrift, 
die vor der Besieglung geprüft, werden mußte. Überall sonst bringt man 
die Formel mit der Bekognition der Urschrift zusammen (Redlich 
Privaturkunden S. 138 ff, Breßlau I*, 6D8); und daß diese Bekognition 
auch bei den Babenbergerurkunden bei der Besieglung als dem entscheidenden 
Moment erfolgte, dafür scheint mir gerade der älteste Kanzleivermerk auf 
der Plica der Urkunde für Seitenstetten vom Jahre 11 .-13 zu sprechen: 
Ego Ulricus sigillavi ex mandato domni ducis Liupoldi Austrie Styrie- 
que presentem hanc paginam presente Hurtungo camarario *). Ulrich wird 
die Urkunde wohl nicht ungeprüft gesiegelt haben. 

Sehr belangreich sind die Feststellungen des Vf. über die Bolle des 
ersten Notars Ülrichs, des nachmab’gen Bischofs von Passau. Er unter¬ 
zeichnet sich 1213 einmal als »scribu ducis Austrie». Ist die betreffende 
Urkun le auch nur abschriftlich erhalten, so wird dies r Titel doch durch 
erzählende Quellen hinlänglich gesichert und damit die Tätigkeit Ulrichs 
als Landschreiber in dem Umfang und der Bedeutung, die für dieses Amt 



*) Faßbar wird dieser Sachverhalt bei den Dopneluusfertigungen, die im Kreis 
der Zisterzienserklöster häufig sind, anderwärts besonders bei den Maut] 
Vorkommen (vgl. S. ; J 78 L). Die formellen Abwe chungen, welche 
untereinander bei gleichzeitiger Übereinstimmung des Wortlautes in 
wicht gen Teilen aufweisen, lassen keine andere Auslegung zu. 

*) Urkunde und Kanzlei vermerk abgebildet Mon. Pal. 11, 16, Taf. J 


i, die im Kreis 



356 


Literatur. 


festgestellt ist 1 ), d. h. die Wirksamkeit als oberster F i n a n z beamt er des 
Landesfürsten. Damit ist ein neues Beispiel für die Ansicht gewonnen, 
die ich in Meisters Grundriß 1, 202 ausgesprochen und für die jetzt neben 
Flandern 2 ), auch Tirol 8 ) heranzuziehen ist, nämlich, daß wohl manche 
unter den landesfürstlichen Kanzleien nicht als diplomatische Kanzleien, 
d. h. als Stellen für die Beurkundung, aufgekommen sind, sondern daß 
die Notare zunächst für das viel umfangreichere sonstige Schreibwerk, also 
die Korrespondenz und namentlich die Finanzverwaltung, tätig waren. 
Mit dem Urkundungsgeschäft mögen sie zuerst durch die Mitwirkung bei 
der Sieglung in Berührung geraten sein, während die Ausfertigung meist 
noch Sache der Empfänger blieb. Es folgt dann als nächste Stufe die 
Einflußnahme auf das Diktat der Urkunden, woneben die gelegentliche, 
und schließlich später die regelmäßige Herstellung auch der Reinschrift 
durch die Kräfte der Kanzlei trat. 

Diesem Entwicklungsgang entspricht auch die Geschichte des Baben¬ 
bergersiegels, die Mitis mit glücklicher Hand weit über den bisherigen 
Stand gefördert hat 4 ). Wir Anden nämlich bis 1198 nicht weniger als 
24 Typen, davon 16 echte auf 60—70 echte Urkunden, also wechseln die Typen 
verhältnismäßig viel häufiger als später in der Zeit, wo die Urkundenausfer¬ 
tigung ins Massenhafte ging. Bei geregelten Kanzleiverhältnissen war eben das 
Siegel wohlverwahrt und jederzeit zur Hand. In der älteren Zeit da¬ 
gegen war dafür weniger gesorgt, Verlust oder Mißbrauch des Siegels trat 
viel leichter ein und nötigte öfter, neue Stempel schneiden zu lassen. 

Wenn wir, wie früher bei den ersten Heften, so jetzt beim Schlu߬ 
heft versucht haben, aus den kunstvoll verschlungenen Fäden der 
Forschungen von Mitis die Linie der allgemeinen Entwicklung heranszn- 
heben, so tritt dabei wieder die Fülle von Einzelfunden und Einzelergebniasen 4 j 

i) Vgl. Dopscli, Mitteil. d. Instit. 18, 247. — Die Ausgabe der Babenberger- 
urkunden wird wohl eine schärfere Abgrenzung zwischen Kanzlei und Landschreiber¬ 
amt ermöglichen. 

*) Vgl. Pirenne, La chancellerie et lcs notaireg des comtes de Flandre, in 
Mälanges Julien Havet (1895) S. 733 ft'., besonders 740 ff. 

•) Vgl. Heuberger in Mitteil. Erg.-Bd. 9, 167 ff. und ebd. 33, 442, wo ge¬ 
zeigt ist, w;e die Kanzleivermerke in Tirol sich aus der Praxis der Kammer ent¬ 
wickeln. Auch in der Österr. Kanzlei hängen die ältesten Kanzleibücher mit der 
Finanzverwaltung zusammen (vgl. Stowasser ebd. 35, 688). 

*) Den ganzen Fortschritt, der hier über die Darstellung bei Sava, Die 
Siegel der österreichischen Regenten erzielt ist, wird die bevorstehende Veröffent¬ 
lichung von Mitis, »D e Siegel der Babenberger« anschaulich werden 
lassen. Hier sei an Einzelheiten nur z. B. auf die Angaben über das bisher unbe¬ 
schriebene markgräfliche Siegel Leopolds IV. (S. 288) oder auf das in § 58 gegen 
die zunächst auftretenden Bedenken als echt erhärtete erste österreichische Herzogs¬ 
siegel (Abb. bei S. 340) hingewiesen. Wichtiger als die einzelnen Funde und 
Beobachtungen aber ist an den sphragistischen Teilen der Studien ihr organischer 
Zusammenhang mit der diplomatischen Fragestellung. Angesichte der im modernen 
Betrieb der Siegelkunde gelegentlich auftretenden Neigung, die Betrachtung der 
Siegel zu stark zu isolieren and das diplomatische Moment vor dem archäologisch¬ 
stilkritischen ganz zurücktreten zu lassen, bieten die Studien von Mitis ein gut» 
Beispiel dafür, wie notwendig und fruchtbar es ist, den Zusammenhang zwischen 
Urkunde und Siegel in iedem einzelnen Falle, und den Zusammenhang zwischen 
Siegelkunde und Urkunäenlehre im allgemeinen stets zu beachten. 

*) Die Studien bringen nicht nur die Beschreibung neuer Siegel (s. Anm. 4), 
sondern auch verschiedene neue Texte, darunter Überraschender Weise sechs unge¬ 
druckte Babenbergerurkunden (für Heiligenkreuz 1139/40, Altaich 1177—80, Biburg 



Literatur. 


357 


iler »Studien» zurück. Zahlreich sind in dieser Übergangszeit die Urkunden, 
die zu Schwierigkeiten und Bedenken Anlaß geben, d. h. Widersprüche 
in den eigenen Angaben, Widersprüche zwischen Inhalt und Zeitangabe, 
zwischen Zeitangabe und Schriftcharakter, zwischen Schrift und Siegel auf- 
weisen oder mit anderen unzweifelhaften Urkunden unvereinbar sind, oder 
durch Rasuren und Korrekturen Verdacht erwecken. Aus der vollkommenen 
Kenntnis der allgemeinen Entwicklung wie der einzelnen Gruppen und 
ihres Zusammenhangs konnte nun Mitis viele dieser Schwierigkeiten aus 
nachträglicher Ausfertigung, Innovation, gutgläubiger Verbesserung, Ersetzung 
fehlender Siegel durch spätere Siegel erklären; andere Fälle sind als 
diplomatische, d. h. rein formelle Fälschungen zur Sicherung rechtmäßigen 
Besitzes auf Grund älterer Traditionsnotizen (oder auch ohne solche Grund¬ 
lage) erwiesen. Ein Bruchteil endlich wurde als juristische, d. h. inhalt¬ 
liche' Fälschung enthüllt. Dabei handelt es sich meist um die in den 
früheren Heften der »Studien* gekennzeichneten typischen Fälle, um 
Vogtei- und Zehntstreitigkeiten, um die Flucht unter die Vogtei des 
Landesherren, der nicht nur gegen Laienvögte, sondern auch gegen die 
Rechtsansprüche des Diözesanbisehofe ausgespielt wurde, so namentlich Ende 
des 12 m Anfang des 13. Jahrhunderts, schließlich um die Zurückdrängung 
des zu stark gewordenen Einflusses der landesfürstlichen Gewalt in der 
zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Einen individuellen Anlaß haben 
dagegen die Fälschungen, die das Schottenkloster gegen eine etwaige 
Schädigung durch di« von H. Leopold VI. beabsichtigte Errichtung eines 
Wiener Bistums schützen sollten. 

Den Reichtum an Ergebnissen und die Sicherheit dieser Ergebnisse 
verdankt auch das Schlußheft der »Studien* nicht nur dem diplomatischen 
Spür- und Scharfsinn des Vf., sondern namentlich der methodischen Anlage 
der ganzen Untersuchungen, auf deren grundsätzliche Bedeutung ich schon 
MitteiL 32, 390 f., 402 f. aufmerksam gemacht habe. Das chronologische 
Verzeichnis der besprochenen Urkunden auf S. 448—457 gibt bis 1215 
etwa anderthalb hundert Babenbergerurkunden an. Um für ihre Kritik 
eine möglichst breite Grundlage zu gewinnen, hat Mitis die Urkunden 
aller Empfänger weit über diesen Zeitpunkt hinaus, also wohl die viel¬ 
fache Zahl an Urkunden, untersucht. Er ist so auf alle jene z. T. über¬ 
raschenden Beziehungen gekommen, die den Urkundenbestand einer 
historischen Landschaft eben zu einer Einheit machen. Diese Einheit muß 
für alle Arbeiten an einzelnen Urkundengruppen der babenbergischen 
Länder fortan als gegebener Rahmen gelten. Jedenfalls kann der Verein 
für Landeskunde von Niederösterreich auf solche Vorarbeiten zu dem von 
ihm geplanten Babenberger Urkundenbuch, wie es diese vom Vf. seinem 

1185, Walderbach 1197, Garsten 1198—1203, Heiligengeistspital in Wien 1240^; 
für einige Urkunden sind neue und bessere Überlieferungsiörmen nachgewiesen, 
überdies eine Reihe von verlorenen Urkunden. — Von den zahlreichen Einzeler¬ 
gebnissen sei nur hingewiesen auf die der §§ 61 und 58, welche die Hinterlegung 
des Archivs der Babenberger in Klosterneuburg, die Klosterneuburger Überlieferung 
des Privilegium minus und den Zeitpunkt seiner Entfernung aus diesem Kloster, 
sowie die Ereignisse des Jahres 1156 betreffen und für das Babenbergerarchiv ein 
verlorenes DK II. (1023—1035) nachweisen. Für die Geschichte Wiens sind die 
§§ 60 und 64 Über die gefälschten Stiftbriefe der Michaelerkirche und des Heiligen- 
geistspitals wichtig. 

Mitteilungen XXXYT. 24 



358 


Literatur. 


Lehrer Oswald Redlich gewidmeten »Studien* und die gleichfalls von Mitis 
bearbeiteten, den Babenbergern gewidmeten Tafeln inChronsts Monuments 
paläogrnphica sind, stolz sein. Die Fachgenossen aber sehen mit Spannung 
der Ausgabe entgegen, die den Abschluß so vorzüglicher Vorarbeiten 
bilden soll. 

Anhang: Die Entstehungszeit des Klosterneuburger Stiftbriefes. 
Mitis hat in durchaus überzeugender Weise für diesen Stiftbrief (Fischer 
Merkw. Schicksale v. Klosterneuburg 2, 124) und das von gleicher Hand 
geschriebene Einzelblatt, das z. T. Font. rer. austr. II, 28. Bd., loß abge¬ 
druckt ist, einen ausführlichen Bericht über die feierliche Weihe der 
Klostemeuburger Basilica im September 1136 als gemeinsame verlorene 
Vorlage erschlossen. Den Verlust eines so wichtigen Stückes erklärt er 
damit, daß es im verlorenen ältesten Traditionskodex — oder im verlorenen 
Teil des heute erhaltenen — aufgezeichnet war. Während nun der Stift¬ 
brief »in völlig glaubwürdiger Weise die Verlesung des päpstlichen Schutz¬ 
privilegs erzählt*, greift das Einzelblatt, welches bezeichnender Weise seinem 
Weihebericht eine Abschrift des Privilegs von 1137 nov. 30 unmittelbar 
voraussehickt, aus diesem eine Einzelheit, die Formel »Obeunte vero . . .* 
heraus und umschreibt sie in scharfer Kürze: »ut post obitum Hartmanni 
prepositi . . . inperpetuum liceat fratribus libera electione uti*. Mit Recht 
sieht Mitis in diesem Einzelblatt ein Plaidoyer für die freie Propstwahl, 
die das Stift gegenüber dem Einfluß der herzoglichen Gründerfamilie bei 
einer Vakanz geltend machen wollte. Fraglich aber ist mir, ob es sich 
dabei um die Vakanz nach der Erhebung Propst Hartmanns zum Bischof 
von Brixen (l 141) handeln kann. Mitis meint, alle späteren Vakanzen 
wären ausgeschlossen, weil die nächste erst 1167 nach dem Tode Mar- 
quards eintritt, das Einzelblatt aber in dieselbe Zeit gehören müsse, wie 
der von gleicher Hand geschriebene Stiftbrief, der 1156 schon als Vorlage 
benützt erscheint (§ 58; ebenso auch 1162 in der Bestätigung Heinrichs 
Jasomirgott für Klosterneuburg). 

Demgegenüber ist darauf hinzuweisen, daß Stiftbrief und Einzelblatt 
durchaus nicht zur gleichen Zeit entstanden sein müssen. Auch wenn ein 
und derselbe Mann sie geschrieben hat, können Jahre zwischen ihrer 
Niederschrift liegen. Und in der Tat meine ich, daß der Stiftbrief vielleicht 
früher entstand, als das Einzelblatt. Wäre er erst abgefasst, nachdem das 
Stift die mangelnde Sicherung seines Propstwahlrechts von Seiten der 
Gründerfamilie empfunden und das »Plaidoyer* des Einzelblattes aufzu¬ 
zeichnen für gut befunden hatte, so ist kein Grund abzusehen, warum der 
Stiftbrief, statt diesen Punkt in gleicher Weise zu betonen, wieder zu einer 
farbloseren Darstellung zurückkehrte. Eine Fälschung wäre darin ja in 
keiner Weise gelegen gewesen. Das päpstliche Privileg von 1137 hat ja 
wirklich die freie Propstwahl zugesichert; ob freilich die verlorene Papst¬ 
urkunde, die Leopold 1136 angeblich verlesen ließ, das auch schon tat, ja 
ob sie überhaupt je vorhanden war und verlesen wurde, wissen wir nicht. 
Aber nach 1137 drückte das Einzelblatt einen berechtigten Anspruch des 
Klosters aus. Wenn man erst nach seiner Aufzeichnung zur Fälschung 
eines förmlichen Stiftbriefes fortschritt und sich sogar ein Siegel Leopolds 
verschaffte, um es nachzuschneiden, so hätte man wohl nicht versäumt, eine 
Anerkennung des päpstlicherseits verliehenen freien Wahlrechts durch Leo- 



Literatur. 


359 


Rechnet man dagegen mit der Möglickeit, daß der Stiftbrief vor dem 
Einzelblatt entstand, so entfallt der Zwang, wegen des Vorhandenseins des 
Stiftsbriefes i. J. 1156 ansznschließen, daß das Einzelblatt sich auf die 
Vakanzen von 1167 oder 1168 bezieht Der Stiftbrief wäre dann 
1141—1156 anzusetzen. Damit ist auch ein Widersprach vermieden, der 
zwischen dem Ansatz zu 1141 und der eigenen Annahme von Mitis besteht, 
daß die gemeinsame Vorlage der beiden Texte darum nicht erhalten sei, 
weil sie im verlorenen Teil des Traditionskodex stand. Dieser Kodex ist 
nach der von Mitis S. 258 gebilligten und durch n. 117 der Zeibig’schen 
Ausgabe (F. R. A. II, 28. Bd.) auch ziemlich sichergestellten Ansicht erst 
auf Veranlassung Propst Marquards angelegt worden, also nach der 
Vakanz von 1141. Lt dies richtig, dann könnten Stiftbrief und Einzelblatt, 
deren gemeinsame Vorkge ja in diesem Kodex stand, nicht im Jahre der 
Vakanz selbst (1141) entstanden sein. 

Wenn man unsere Anordnung der in Betracht kommenden Texte für 
die wahrscheinlichste hftlt — und über Wahrscheinlichkeiten wird hier kaum 
hinauszukommen sein — so würde der Stiftbrief von Klosterneuburg aus 
keinem anderen Beweggrund entstanden sein, als aus dem pietätvollen 
Wunsch, einen förmlichen Stiftbrief des Gründers zu besitzen, also aus jenem 
Wunsch, dem wir um die gleiche Zeit die diplomatischen Fälschungen in 
Göttweig, Seitenstetten, Erla und St. Nikolaus in Passau entspringen sehen 
{vgL die Kennzeichnung dieser Gruppe Mitteil. 32, 395). 

Oder kann man Motiv und Entstehungszeit des Stiftbriefes innerhalb 
der Jahre 1141—56 wenigstens vermutungsweise näher bestimmen? Das 
1147 febr. 24 zu Regensburg ausgestellte DKonr. III. (Stumpf Nr. 3534) 
weiß nichts von einem Stiftbrief. Aber es erwähnt auch die päpstlichen 
Privilegien nicht und ist nach der Zeugenliste wohl überhaupt ohne Da- 
zwischenkunft des Klosters für dieses von den Babenbergern und dem 
ehemaligen Propste, Bischof Hartmann v. Brixen, erwirkt. Man kann da¬ 
raus keine Schlüsse auf das Nichtvorhandensein der Gründungsurkunde 
i. J. 1147 ziehen. Alles was man etwa sagen könnte, ist, daß dies Diplom 
die Babenberger noch voll spontanen Interesses an Klosterneuburg zeigt, 
für das sie von Konrad m. den königlichen Schutz und eine Marchfutter¬ 
schenkung erwirken. 1155 dagegen siedelt Heinrich Jasomirgott an den 
Mauern Wiens die Schotten an, deren Wirksamkeit er als Herzog v. Bayern 
schätzen gelernt hatte. Sollte am Ende die Besorgnis der älteren Gründung, 
daß durch die neue Gründung das Interesse der Gründerfamilie sich 
mindern könnte, den Anlaß gegeben haben, um 1155 sich einen förmlichen 
Stiftbrief zu verschaffen? Oder hat Propst Marquard, der wiederholt in 
Bayern war, zu Reichersberg, an dessen Spitze sein Bruder Gerhoch stand, 
die von diesem erwirkte schöne Urkunde Herzog Heinrichs gesehen und 
wurde dadurch zur Fälschung des Stiftsbriefes angeregt, mit dessen Hilfe er 
1162 dann die Urkunde erwirkte, in der Herzog Heinrich die »privilegia« 
seiner Vorfahren bestätigte? Eine bestimmte Antwort ist uns hier ver¬ 
sagt. Aber für die Entstehung des Stiftbriefes erst kurz vor 1156, wie 
sie durch diese beiden Annahmen gegeben wäre, spricht ja der Umstand, 
daß das Einzelblatt mit seinem Hinweis auf das Propst Wahlrecht, der JA 
Stiftbrief, aber auch in der Bestätigung durch Herzog Heinrich 1162 
fehlt, vermutlich im Zusammenhang mit den Vakanzen von 1167 und ] 

24* 



360 


Literatur. 


entstanden sein mag. Die Gleichheit der Schrift würde zwar auch einen 
längeren Abstand zwischen den beiden Stücken nicht ausschließen; wahr¬ 
scheinlicher aber läßt sie die Entstehung des Stiftbriefes kurz vor 1156 
.erscheinen, wobei der Abstand der beiden Stücke nicht viel über ein Jahrzehnt 
betragen würde. Triftiger ist aber wohl ein anderer Grund, der nahelegt, den 
Stiftbrief vom frühesten Zeitpunkt — also dem Jahre 1141 — möglichst weit 
abzurücken. 1141 lebten in und außerhalb des Stiftes noch zahlreiche 
Zeugen der Einweihung von 1136, die genau wußten, daß damals eben 
keine Urkunde Leopolds ausgestellt worden war, weil sie sonst verlesen 
worden wäre. Und obwohl es sich beim Stiftbrief^ wie öfter erwähnt, 
.nur um die »pia fraus« einer rein formellen Fälschung handelte, so muß 
auch ftir eine solche ein gewisser Zeitabstand, ein gewisses Verblassen der 
Erinnerung als psychologische Voraussetzung gelten. 

Innsbruck. Harold Steinacker. 


Konrad Beyerle, Die Urkuhdenfälschungen des Kölner 
Burggrafen Heinrich HL von Arberg. (Deutscbrechtliche Beiträge 
Band IX, Heft 4). Heidelberg 1913, Carl Winter. 

Die Göttinger Juristenfakultät hat den neunten Band der deutsch¬ 
rechtlichen Beiträge ihrem Senior Ferdinand Frensdorff als Festschrift 
zu seinem achtzigsten Geburtstage gewidmet. Vier Arbeiten sind darin zu 
einem stattlichen Bande vereinigt 1 ). Uns wird im folgenden nur deren 
letzte, Konrad Beyerles Untersuchung über die Urkundenfälschungen des 
Kölner Burggrafen Heinrich DL von Arberg beschäftigen. Über diese sind 
bis jetzt zwei'Besprechungen erschienen. E. Liesegang, der selbst zu den 
von Beyerle erörterten Fragen vorher Stellung genommen und zu ihrer 
Kläre ng manches beigetragen hatte, anerkannte neidlos den Erfolg der neuen 
Arbeit und die Richtigkeit ihres Gesamtergebnisses (Zeitschrift der Savigny- 
Stiftung für Rechtsgeschichte, germ. Abt. 35, S. 560 ff). Er wies es als 
arge Kleinmeisterei weit von sich, etwa verfehlte Datierungen von Schreins- 
einträgen u. dgL aufzuspüren und dem Verfasser anzukreiden, denn ihn 
beseelte das richtige Gefühl, daß ein solcher Irrtum in den Einzelheiten^ 
zumal wenn er durch die schwierige Eigenart des Quellenmaterials bedingt 
ist, nur betont werden sollte, wenn dadurch das Gesamtergebnis beein¬ 
trächtigt wird; im andern Falle aber wird man besser tun, den Hauptton 
darauf zu legen, daß der große Wurf gelungen ist. Das ist bei Beyerles 
Buch der Fall. Und darum hat E. Liesegang den besseren Weg gewühlt 
als Dr. Luise von Winterfeld (Westdeutsche Zeitschrift 32, S. 37 7 ff.). 
Denn obwohl sie bemüht ist, dem gelehrten Verfasser — und zwar durchaus 
nicht immer mit Glück — diesen und jenen Irrtum nachzuweisen, gibt 


l ) K. Lehmann: Zum altnordischen Kriegs- und Beuterccht. — 0. Schreiber: 
Das Testament des Fürsten Wolfgang zu Anhalt. — P. Lenel: Wilhelm von 
Humboldt imd die Anfänge der preußischen Verfassung. — K. Beyerle: Die 
Urkundenfälschungen des Kölner Burggrafen Heinrich HI. von Arberg. 



Literatur. 


361 


sie am Ende die Richtigkeit des zu Beweise stehenden Satzes zu, daß der 
Bnrggrafenschied und die Vogturkunde von 1169 Fälschungen der Zeit um 
1230 sind und zu einander in einem bedingten Verhältnis stehen. Nur die 
Folgerungen, die aus dieser von Beyerle festgestellten Tatsache für die 
kölnische Geschichte gezogen werden können und die der Verfasser selbst 
nicht alle als ganz gesicherte hinstellt, nur die Begründung des historischen 
Hergangs aus der kölnischen Geschichte heraus, werden durch die erhobenen 
Einwände im einzelnen berührt. Das Ergebnis, die Feststellung und die 
zeitliche Festlegung der Doppelfälschung bleibt aufrecht. Und ein paar 
übersehene Druckorte ändern daran schon gar nichts. — Wenn aber Fräulein 
von Winterfeld eben jene Dame ist, der Eonrad Beyerle in seinem Buche 
für die »verständnisvolle Mitarbeit € dankte, dann muß eine Rezension aus 
ihrer Feder und besonders eine solche doch merkwürdig anmuten. 

In der Kölner Rechtsgeschichte kommt dem Bnrggrafenschied (fortan B.) 
und der Vogturkunde (fortan V.), die beide aus dem Jahre 1169 stammen 
sollen, eine vielumstritten*, aber allgemein anerkannte große Bedeutung zu. 
B. ist uns als angebliches Original, an dem Siegel des Erzbischofs Philipp 
von Heinsberg und des Domkapitels hängen, erhalten geblieben. Es ent¬ 
scheidet hier Bischof Philipp zwischen dem Burggrafen Heinrich II. von 
Arberg und dem Vogte Gerhard von Eppendorff einen Streit, der sich um 
das Recht des Vorsitzes im echten Ding (Witzigding) und um das Räumungs¬ 
recht, d. L das Recht, verkehrshindemde Häuserüberbauten zu brechen, er¬ 
hoben hatte. Und zwar geschah das, wie B. ausführlich berichtet, indem 
der Erzbischof ein altes Amtsweistum des Burggrafen erneuerte. Dies hatten 
die Schöffen und Amtleute der Richerzeche in ihrem Schrein verwahrt und 
der Erzbischof mußte es ihnen erst abverlangen; denn nur ungern gaben 
es die Bürger heraus. Es war aber durch sein hohes Alter fast unleserlich 
geworden und arg beschädigt. Dieses alte Weistum wurde nun erneuert. 

V. ist ein einfacher Lehenbrief des Erzbischofs Philipp, in dem dieser 
dem Vogte Gerhard von Eppendorff die Stadtvogtei, die bisher durch jähr¬ 
liche Amtseinweisung war vergeben worden, erblich nach dem Rechte der 
Erstgeburt übertrügt. Als Fürbitter für Gerhard von Eppendorff erscheinen 
Kaiser Friedrich I. und Herzog Gottfried von Brabant. Darüber hinaus 
aber betont V. das Recht des Mitvorsitzes des Vogtes im Kölner Schöffen¬ 
gericht neben dem Burggrafen und hebt hervor, daß in den Witzigdingen 
dem Burggrafen allein ein Vorsitzrecht zukomme. Erschwert wird bei V. 
die Sachlage dadurch, daß es nicht im Original, sondern nur in verhältnis¬ 
mäßig späten Kopien aus dem XV., XVL und XVII. Jahrhundert erhalten 
ist. Die beste — zuerst von Seeliger verwertete — ist die von 1578, 
da sie erwiesenermaßen das Original am verläßlichsten wiedergibt. 

Um die Bedeutung dieser beiden Urkunden, um ihre Echtheit vor 
allem handelt es sich. Mit vollem Rechte erklärt Beyerle, daß die der 
Erbverleihung in V. angefügten Bestimmungen über die Vogtrechte auffallen 
müssen und einen Zusammenhang mit B. von vomeherein sehr wahrscheinlich 
machen. Denn eben um den Vorsitz im Witzigding war der Streit zwischen 
Burggraf und Vogt entbrannt, den B. schlichten wollte. Und B. wie V. 
wahren nun dem Burggrafen sein gutes, altes Recht auf den alleinigen 
Vorsitz im echten Ding. Es wollen beide Urkunden aus dem Jahre 1169 



362 


Literatur. 


stammen, sie weisen starke textliche Gemeinsamkeiten auf und ihre Zeugen¬ 
reihe ist dieselbe. So liegt der Gedanke einer inneren Zusammengehörigkeit 
wohl nahe genug und es gibt, wie der Verfasser richtig ausfuhrt, nur die 
drei Möglichkeiten, daß erstens beide Urkunden echt sind, oder zweitens 
eine auf Grund der andern gefälscht wurde, wobei es sich dann trägt, 
welche Urkunde nun die echte sei; oder daß drittens endlich beide Urkunden 
gefälscht worden sind. Ich habe das Ergebnis schon, oben vorweggenommen: 
es ist Beyerle gelungen, nachzuweisen, daß beide Urkunden, wie sie uns 
fiberliefert sind, eine einheitliche Fälschung im Interesse des Burggrafen 
darstellen, die Heinrich IU. von Arberg ums Jahr 1230 verfertigen ließ. 

Darin, in der gedanklichen Verbindung der beiden Urkunden, in der 
richtigen Erkenntnis der einheitlichen Fälschungstendenz, die ihnen beiden 
zugrunde liegt und die sie als Doppelfälschung von nun ab kennzeichnet, 
liegt der Fortschritt, den Beyerles Untersuchung für die Forschung be¬ 
deutet. Denn daß beide Urkunden, so wie sie vorliegen, nicht echt sein 
können, war bereits bekannt; nur ihre Zusammengehörigkeit war der bis¬ 
herigen Forschung entgangen. Die Literatur über diese Frage ist ungemein 
groß. Der Verfasser setzt sich eingangs mit ihr auseinander und schon 
E. Liesegang, der selbst Partei ist, hat ihm das ehrenvolle Zeugnis ausge¬ 
stellt, daß er das in durchaus sachlicher und vornehmer Weise getan hat; 
das war innerhalb dieser Schriften nicht immer der Fall. 

Und nun legt Beyerle zunächst die Fälschung von B. dar. Der Schrift¬ 
charakter entspricht, wie Stumpf schon nachwies, der ersten Hälfte des 
dreizehnten Jahrhunderts und weist B. den Jahren 1220—1240 zu. Die 
beigegebene Abbildung bestätigt diesen Befund, den der Verfasser neuer¬ 
dings ausführlich begründet. Es war auch schon bekannt, daß das an der 
Urkunde hängende Kapitelsiegel eine Fälschung ist, für die man eigens 
einen Siegelstempel schneiden ließ. Und Beyerle tritt auch der Auffassung 
bei, daß das an sich echte Siegel des Erzbischofs Philipp doch nur zu Un¬ 
recht an dieser Urkunde hänge, daß es nämlich ein Siegel sei, das von 
einer echten Urkunde gelöst und dann zur Siegelung dieser verwendet 
wurde. Die Gründe, die er dafür nach Tannerts Vorgang bringt, sind 
im Zusammenhang mit allen anderen Verdachtsmomenten überzeugend. Auch 
das war schon erkannt, daß die Zeugenreihe von B. zum Jahre 1169 nicht 
stimmt, daß sie vielmehr nur in der Zeit von 1182—89 möglich ist. Sie 
zählt im ganzen 21 Namen. Es würde zu weit führen, im einzelnen den 
Beweis wiederzugeben, den Beyerle mühsam zusammentrug, um endlich 
»mit größter Wahrscheinlichkeit * die Zeitgrenze, innerhalb der diese Zeugen¬ 
reihe allein möglich ist, auf die beiden Jahre 1182 und 1183 einzuschränken. 
Ob sie frei erfunden oder aus einer echten Urkunde übernommen wurde, 
beantwortet der Verfasser in einem späteren Absatz dahin, daß sie nicht 
frei erfunden sein könne. — Es finden sich in ihr auch die Kölner Bürger: 
Ludwig von Mommersloch, Rikolf Barfuss und Heinrich Raze. Die in B. 
angewendeten Namensformen Munberslog, Parfusus und Ratio sind nun 1169 
eine glatte Unmöglichkeit, wie schon v. Richthofen darlejte. Sie gehören 
einer späteren Zeit an und sind erst nach 1215 (Munberslog) etwa denkbar, 
in jener Zeit also erst, in die auch die Schrift der Urkunde weist. 

Kein Zweifel also, daß B., wie es uns vorliegt, kein Original sein kann. 
Doch kommen zu diesen Merkmalen noch inhaltliche Unmöglichkeiten, die 



Literatur. 


363 


endgültig dartun, daß B. auch eine materielle Fälschung ist. Es ist wirklich 
nichts mit des verstorbenen Siegfried Rietschel gleich geistvoll wie 
leidenschaftlich durchgefochtenem Versuch, B. als eine echte Urkunde zu 
retten. Das Auseinanderklaffen von angeblicher Jahreszahl (1169) und der 
allein möglichen Zeit der Zeugenreihe (l 182/83) läßt sich befriedigend nicht 
erklären. Auch ist die Erzählung über das dem Schrein der Richerzeche ent¬ 
nommene alte Amtsweistum des Burggrafen verdächtig, denn sie verschleiert 
den Hergang tatsächlich mehr als sie ihn auf deckt. Und das Widerstreben 
der Schöffen und Amtleute der Richerzeche, das in ihrer Obhut befindliche 
Amts weistum dem Erzbischof auszuliefern, ist nicht ohne weiteres ver¬ 
ständlich. Es sollte doch nur ein Amtsstreit zwischen Burggraf und Vogt 
damit entschieden werden. Feinsinnig hat da Beyerle ausgeführt, wie dieses 
Widerstreben dadurch begründet wäre, daß in dem angeblich erneuerten, 
tatsächlich auch verfälschten Weistum eben auch Dinge stehen, die der 
Bürgerschaft zuwiderliefen. Darum — um das wieder auszugleichen — 
enthält dieses angeblich erneuerte Weistum ja auch Erwähnungen von 
bürgerlichen Freiheiten, die mit dem Burggrafenamte nichts zu tun hatten, 
deren alte Verbriefung aber den Bürgern erwünscht sein mußte, z. B. die 
Zollfreiheit an den erzbischöflichen Zollstätten. Der Fälscher legte eben die 
Gefühle seiner Zeitgenossen, deren errungenen Freiheiten das ältere Weistum 
natürlich entgegenstand, in die Seele von deren Vorfahren hinein, als er 
die Erzählung um den Ämterstreit ersann. Wir werden noch davon hören. 
Ersann er aber auch den Ämterstreit, oder bildet dieser den echten Kern 
der ganzen Erzählung? Für 1169 glaubt Beyerle den Ämterstreit als 
unmöglich erweisen, für zwei Jahrzehnte später aber ihn als wahrscheinlich 
annehmen zu können. Leider kann der Verfasser für diese Ansicht, für 
die manches spricht, direkte Zeugnisse nicht erbringen. Aber zu alledem 
kommt noch nach Beyerle die Tatsache des zum Teil verfälschten Rechts¬ 
inhaltes von B. Ich folge nur dem Vorgänge des Verfassers, wenn ich 
dessen Erörterung die Echtheitsfrage von V. voranstelle. Sein bisheriges 
Ergebnis aber setze ich wörtlich hieher: B. ist eine formale und zum Teil 
inhaltliche Fälschung aus den Jahren 1220—1240, hergestellt unter Ver¬ 
wendung einer alten Aufzeichnung über die Rechte des Kölner Burggrafen 
und unter Anfügung der echten Zeugenreihe einer erzbischöflichen Urkunde 
aus den Jahren 1182/1183. 

Durch den an den einfachen Text über die Belehnung angefügten 
Satz von dem Rechte des Burggrafen, im Witzigding den Vorsitz zu 
führen, was in B. auch als ein Recht des Burggrafen in Anspruch genommen 
wird, rückt V. in eine bedenkliche Nähe des als Fälschung erkannten B. 
Eb ist viel über das Verhältnis der beiden Urkunden geschrieben worden. 
Ich kann hier die frühere Literatur, die Beyerle ja sorgsam gesichtet und 
benutzt hat, übergehen und führe nur deren letzte Erscheinungen an. 
S. Rietschel bat V. als Fälschung angesehen und wollte B. für echt hriten, 
ja B. als die Grundlage von r . betrachten. Dagegen nahm Seeliger Stellung. 
Ihm galt B. als Fälschung und er deckte auch gegen V. Verdachtsmomente 
auf, die Rietschel entgangen waren. Von einer Zusammengehörigkeit der 
beiden Urkunden, von einer innerlichen Bedingtheit und Einheit sprach 
zuerst Oppermann. Aber er tat es — wie Beyerle richtig ausfühl t — 



364 


Literatur. 


unter einem falschen Gesichtswinkel, da er sie aus kirchlich-herrschaftlicher 
Tendenz entstanden sein läßt. 

Beim Nachweis der Fälschung von V. entfallen natürlich die für B. 
allein schon entscheidenden Momente des Schriftbefundes und der Siegelung, 
weil wir — wie ich schon ausführte — nur spätere Kopien besitzen. Aber 
die Fälschung liegt klar. Die textliche Abhängigkeit der beiden Urkunden 
von einander ist augenfälb’g; es muß eine der andern als Vorlage gedient 
haben oder beide müssen zugleich entstanden sein. Auch V. ist angeblich 
1169 geschrieben; die Zeugenreihe, die der von B. vollkommen gleicht, 
gehört aber zu 1182/83 und ist aus denselben Gründen wie in B. erst um 
1220 in solcher Form möglich. Kommt dazu das Hervorheben des Vorsitz¬ 
rechtes im echten Ding und die Tatsache, daß B. als eine Fälschung um 
1230 entlarvt worden ist, — man wird zugeben, daß die Logik nicht nur 
zuläßt sondern fordert, die beiden Urkunden zusammenzurücken, sie als 
eine Einheit gedacht sich vorzustellen. 

Es lag nicht im Interesse des Vogtes, wenn die Urkunde neben seinem 
Erbrecht auf die Vogtei das burggräfliche Vorsitzrecht im echten Ding be¬ 
sonders hervorhob. Wie wollte man das Rätsel, da ja V. nun doch auch 
keine echte Urkunde sein kann, anders lösen, als eben damit, daß V. den 
selben Zwecken dienen sollte wie B., den Interessen des Burggrafen? 

L. v. Winterfeld hat Recht, daß nicht alle vom Verfasser vorgebrachten 
Gründe durchschlagend sind. Ich bin auch nicht überzeugt, daß B. die 
Vorlage von V. gewesen sein müsse, wie Beyerle weiter annimmt, denn sie 
sind, wie -r eben nachwies, zugleich, aus einem Guß heraus entstanden. 
Gewiß spricht manches für B. als erstes Produkt des Fälschers. Aber be¬ 
weisen ließe sich das wohl nicht und es tut nichts zur Sache. Worauf läuft 
nun ein Streit hier nach dem glücklich erbrachten Beweis der Doppel¬ 
fälschung hinaus? Der Ein wand, daß auch für einen mittelalterlichen 
Menschen die beiden Urkunden von einem Tage stammen müßten, ob nun 
in der einen eine Monatsangabe stand und in der andern nicht, beweist 
nichts gegen die Tatsache des Verdachtsmomentes; ob mense Maio oder nur 
(me)nse Maio auf Rasur steht, kann ich auf Grund des Faksimile allein 
nicht entscheiden. Es ist auf jeden Fall eine Verstärkung des Verdachts¬ 
moments und es kann das übermäßige Gewicht, das Beyerle dem einen oder 
dem andern Gliede in der Beweiskette verlieh, den Beweis nicht entkräften. 
Denn solche Verschiedenheit in der Wertung wird immer sein. Diplomatische 
Forschungen sind kein Rechenexempel und gehen in dem Sinn nie restlos 
auf, um an ein Wort von Beyerle mich anzulehnen. 

Nach Feststellung der Doppelfälschung auf Grund eines Burggrafen¬ 
weistums und einer echten Urkunde Erzbischof Philipps aus den Jahren 
1182/83 einer- und auf Grund einer echten Lehensurkunde, aus der 
Beyerle die Jahresangabe 1169 stammen läßt, was er jedoch selbst nur 
als wahrscheinlich bezeichnet, anderseits, untersucht er die ganze Lage der 
Dinge und schließt sich Seeliger an, der das hauptsächliche Streitobjekt 
neben dem Anspruch auf den alleinigen Vorsitz und die Gefälle der echten 
Dinge und dem alleinigen Räumungsrecht gegen Überbauten in dem Ju¬ 
dicium de hereditatibus erblickt, das B. § 1 dem Burggrafen zugesprochen 
wird. Im Judicium de hereditatibus sieht Beyerle auch die materielle 
Verunechtung des Rechtsinhaltes. Mit vielem Geschick erschließt zunächst 



Literatur. 


365 


der Verfasser au 3 den übrigen Bestimmungen von B., gegen wen sich die 
Fälschungen kehrten und führt aus, daß die in B. eingeschobenen Sätze 
über die libertas civium nostrorum Coloniensium eine Captatio benevolentiae 
der Bürger in diesem Streite seien, in dem den »Ansprüchen des Kölner 
Burggrafen . . . gegenüber der Praxis der Schöffen und gegenüber den 
weiteren Vertretungen der Kölner Bürgerschaft, in zweiter Linie auch ge¬ 
genüber dem Stadtvogt* Geltung verschafft werden sollte. 

Darauf wird der Versuch unternommen, aus der Geschichte Kölns 
einen weitau'»greifenden Nachweis zu erbringen, wie es denn mit diesen 
burggräflichen Rechten und ihren Gegenbestrebungen stand. Beyerle er¬ 
weist zuerst das Räumungsrecht als dem Burggrafen rechtlich zustehend 
und legt in mühseligem Ausbeuten der Schreinseinträge dar, wie es »schon 
seit über einem Halbjahrhundert in seinem Bestände ernstlich gefährdet 
(war), als die Fälschung von B. ihm eine neue Stütze verleihen sollte*. 

Schwieriger liegt die Frage bei den Witzigdingen. Kein Zweifel, einst 
hielt der Kölner Burggraf das echte Ding, aber bald nach der Mitte des 
zwölften Jahrhunderts hörten — nach Beyerle — die Witzigdinge des 
Burggrafen auf, allgemeine Dingversammlungen der Kölner Bürger zu sein 
und es minderte sich ihr Umstand immer mehr bis auf den Kreis der 
gchöffenfähigen Geschlechter; in diesen Witzigdingen war aber nun der 
alleinige Vorsitz des Burggrafen gefährdet durch den Mitvorsitz des Vogtes, 
der diesem im Schöffending zustand. Es spricht manches dafür, meint 
Beyerle, daß eben seit 1169/70 der Vogt eine gleiche Stellung zu erringen 
begann neben dem Burggrafen. Der Verfasser zieht hier zum Beweise das 
Weistum des Niederich heran und sucht aus der Entwickelung dort auf 
die altstüdtischen Verhältnisse zurückzuschließen. Dagegen wurden Bedenken 
laut. Das sind aber Fragen so schwieriger Natur, die so enge mit der 
eigensten kölnischen Stadt- und Verfassungsgeschichte verknüpft erscheinen, 
tlaß ich mir ein Urteil darüber nicht Zutrauen darf. Doch leuchtet mir 
ein, »daß das allmähliche Versiegen der allgemeinen Dingpflicht die Witzig- 
•dinge wenig mehr als dem Namen nach über die gewöhnlichen Schöffen¬ 
dingtage heraushob* und damit für den Burggrafen die Gefahr entstand, 
sein erwiesenes alleiniges Recht des Vorsitzes mit dem Vogte etwa teilen 
xu müssen, wie das Beyerle schon seit 1169 als tatsächlich auch annimmt. 
Wenn so damals nach des Verfassers Ausführungen die Macht des Vogtes 
eine Steigerung erfuhr, will er doch nichts von einem Ämterstreit in diesem 
Jahre wissen. Freilich muß ein solcher doch stattgefunden haben, das 
■scheint Beyerle »die Betonung der Witzigdinge in den Vorbehalten der 
Burggrafenpfandschaft von 1197* zu erweisen. Er faßt sie als einen Beweis 
dafür, daß damals wirklich der Burggraf einen Vorstoß versuchte, die 
»Witzigdinge und ihre Zuständigkeiten zurückzuerobern*. Es fiele damit 
der Ämterstreit zwischen Burg;?raf und Vogt vor 1197. Aus der Niedericher 
Bchreinskarte sucht Beyerle das zu belegen, denn die inneraltstädtischen 
Schreine schweigen. Vorsich 4 *g formuliert er darum so, daß wichtige An¬ 
zeichen darauf hindeuten, es hätte damals der Burggraf einen Vorstoß ver¬ 
sucht, um die alte Stellung wieder zu erlangen. Ob er Erfolg damit hatte ? 
Das Schöffenfragment von 1198—1220 bezeugt kein Witzigding des Burg¬ 
grafen, »damals stand vielmehr das Schöffenkolleg auf der Höhe seiner 
Macht und drückte die stadtherrlichen Richter tunlichst beiseite*. Ein 



366 


Literatur« 


dauernder Erfolg war also dem Vorstoß Heinrichs IL von Arberg sicherlich 
nicht beschieilen. Es waren vielmehr »in der Zeit da der Falscher von 
B. und V. zu Gunsten der burggräflichen Witzigdinge die Feder ansetzte, 
(diese) ein erloschenes, mindestens ein tatsächlich so gut wie unterdrücktes 
Institut des zentralen Schöffengerichts*. Der Anspruch auf den Vorsitz in 
ihnen aber stand dem Burggrafen rechtlich und historisch zu. 

Die schwierigste Frage bildet die Deutung des Judicium de heredi- 
tatibus. Es ist die meistumstrittene Bestimmung von B. und darum hat 
Beyerle keine Mühe gescheut und alle nur denkbaren Deutungen, die jemals 
gegeben wurden, einer eindringlichen Untersuchung unterzogen. Er faßt 
Judicium de hereditatibus schließlich als das Hecht der Erbgangsstütigungen. 
Es leiten den Verfasser dabei gute Gründe; und er hat umfassende Unteiv 
suchungen angestellt, die für eine künftige Geschichte des Schreinswesens 
überhaupt zu beachten sein werden. Es steckt in diesem zweiten Teile 
des Beyerle’schen Buches überhaupt eine solche Menge für die Kölnische 
Geschichte wichtiger Einzelheiten, daß ihre Erörterung den mir zustehenden 
Raum weit überschreiten würde. Ob alle Möglichkeiten, die er sehen und 
ahnen läßt, sich als richtig erweisen werden, wird die künftige Forschung 
lehren. 

Nach dieser lehrreichen Skizze des historischen Entwicklungsganges bis 
zu der kritischen Zeit, in die unsere Fälschungen fallen, versucht Beyerle, 
an dem bisher ungedruckten Quellenmaterial aus dieser und der folgenden 
Zeit den gewissermaßen positiven Quellenbeweis für die richtige zeitliche 
Einreihung der beiden Fälschungen zu erbringen. Das ist ihm trefflich 
geglückt. Es läßt sich der Nachweis erbringen, daß damals zwischen 1220 
und 1240 der Burggraf Heinrich HI. von Arberg im Vordringen begriffen 
war. Als er die Burggrafschaft übernahm, da war dieses Amt von der 
Höhe seiner einzigen Bedeutung tief herabgesunken. Aus seiner Amtszeit 
aber sind genug zahlreiche Schreinseinträge nachzuwe sen, die Witzigding, 
Räumungsrecht und Erbgangsstätigungen seinem Amte wieder unterworfen 
zeigen. So ist auch der positive Nachweis erbracht, daß der Burggraf 
Heinrich IH. »alle die Amtsrechte den Schöffen und dem Vogt gegenüber 
in gewiasen Grenzen zunächst durchgesetzt hat, die er in B. und V. in 
Anspruch nahm: Witzigdinge, Räumungsrecht und Judicium de hereditatibus*. 
Dazu dienten dem Burggrafen die beiden Fälschungen, als deren Grund¬ 
lagen auch Beyerle die vorhin schon angeführten, verloren gegangenen 
echten Urkunden annimmt; in die echte Lehensurkunde (V.) schob der 
Fälscher den Zusatz über die Witzigdinge ein und in ein echtes Weistum, 
das vielleicht in einem echten Schied gestanden hat, brachte er die Er¬ 
wähnung der bürgerlichen Freiheiten und was er sonst noch brauchte, um 
seinen Zweck zu erreichen, dem burggräflichen Vorstoß um Rückerlangung 
der alten Machtstellung eine rechtliche Grundlage zu schaffen. 

So war diesen Fälschungen auch Erfolg beschieden. Aber von Dauer 
war der nicht; und überdies diente er am Ende doch nur, wie Beyerle 
treffend ausführt, dazu, »dem erzbischöflichen Stadtherrn wjrtvolle Hoheits¬ 
rechte zu retten und dauernd zu erhalten*. Denn als Heinrich^ III. Erbe 
und Nachfolger, Burggraf Johann von Arberg, im Jahre 1279 sein Burg¬ 
grafenamt an den Erzbischof veräußerte, tat cs dieser nicht mehr aus und 



Literatur 


367 


wurde so der Erbe dessen, was an dauerndem Erfolge der kühn und klug 
gedachten Fälschung etwa geblieben war. 

Wir haben bei unserer Betrachtung dieses glänzend geschriebenen 
Buches uns stets das Ziel vor Augen gehalten, zu dem der Verfasser kommen 
wollte. Und wir sahen ihn dieses Ziel erreichen auf oft recht ver¬ 
schlungenen Wegen. Er hat bei seinem Gange manchen Ausblick eröffnet, 
den wir nicht in Betracht zogen. Denn wir glaubten besser zu tun, wenn 
wir gleich ihm das Ziel im Auge hielten, und es schien uns zweckdien¬ 
licher und gerechter zu sein, die Frage an das Buch vor allem so zu 
stellen, ob sein für die Kölner Geschichte so wichtiges Ergebnis richtig sei, 
ob wirklich V. und B. als eine Einheit zusammengehören und als eine 
wohldurchdachte Doppelfälschung ums Jahr 1230 im Interesse Heinrichs HI» 
von Arberg entstanden sind. Der Satz stand zum Beweise und dieser ist 
Konrad Beyerle einwandfrei geglückt. 

Wien, im Feber 1915. Otto H. Stowasser. 


Württembergische Geschichtsquellen. Hgb. von der 
Württembergischen Kommission für Lan desgeschichte. XIII. Band 
Urkundenbuch der Stadt Stuttgart Bearb. von Dr. Adolf 
Rapp, Privatdozent in Tübingen. Stuttgart W. Kohlhammer 1912. 
XXU und 680 C. 8°. 

Zu den bereits von der Württembergischen Kommission für Landes¬ 
geschichte veröffentlichten Urkundenbüchem der Städte Rottweil, Eßlingen 
und Heilbronn ist nun auch das der Stadt Stuttgart getreten. Es reicht 
von der ersten Erwähnung der Stadt im Jahre 1229 bis zum Todestag 
Herzog Eberhards im Bart (24. Febr. 1496). Aufgenommen wurde, was 
sich auf die Stadtgemeinde und ihre Gemarkung, also auch Berg, Gablen- 
berg, Hes'ach mit Böheimsreute, und die Einwohner bezieht. Dabei wurde 
auch auswärtiger Besitz von Stuttgarter Bürgern, soweit der Bearbeiter ihn 
erreichen konnte, mitberücksichtigt, hingegen von geistlichen Körperschaften 
und geistlichen Personen, die ihren Sitz in Stuttgart hatten, wurde nur 
bereingenommen. was die Gemeinde oder ihr Gebiet berührt, nicht aber, 
was deren auswärtigen Besitz angeht 

Nach diesen Grundsätzen ist der Stoff gesammelt werden. Besonderes 
Lob verdienen bei der sorgfältigen Arbeit, an der auch Archivdirektor Dr. 
von Schneider und Archivrat Jlehring mit Rat und Hilfe werktätigen An¬ 
teil genommen haben, das Sach- und Wortregister mit einer verdienstlichen 
Zusammenstellung ehrender Beiwörter, und das Orts- und Personenregister. 
Beigegeben ist ferner ein Siegelverzeichnis ‘ und ein Grundriß der Stadt¬ 
gemarkung aus den 1840er «fahren. 

Donaueschingen. Georg Tumbült. 



368 


Literatur. 


Hohenlohisches Urkundenbuch. Im Auftrag des Gesamt- 
hauses der Fürsten zu Hohenlohe hgb. von Karl Weller und Christian 
Belschner. Band HI. 1351—1375. Stuttgart, W. Kohlhammer 1912. 
IV. und 830 S. 8®. M. 15. 

Der UL Band dieses großen Urkundenwerkes fuhrt, obschon er dem 
H., 1901 erschienenen Bande an Umfang nicht nachsteht, die Publikation 
nur um 25 Jahre weiter. Da mit den fortschreitenden Jahren der Stoff 
naturgemäß anschwillt, dürften bis zur Vollendung des Unternehmens, dessen 
Abschluß mit dem Zeitpunkt der Trennung der beiden Hauptlinien Neuen¬ 
stein und Waldenburg um die Mitte des 16. Jahrhunderts geplant ist* noch 
eine ziemliche Anzahl Bände und eine geraume Spanne Zeit erforderlich 
sein. Fs liegt in der Natur der Sache, daß bei der sich steigernden Zahl 
der Urkunden die Wiedergabe in Begestenform eine noch stärkere Ver¬ 
wendung gefunden hat, als in den beiden ersten Bänden, während im 
übrigen die Grundsätze der Bearbeitung dieselben geblieben sind. Die Re¬ 
gesten zweier dem Geschlecht Hohenlohe angehöriger Bischöfe, des Bischöfe 
Friedrich von Bamberg (1344—1352) und des Bischofs Albrecht von Würz¬ 
burg (1345—1372) sind in diesem UI. Bande zusammengezogen worden. 
Daß auch hier Nachträge und Berichtigungen zum I. und IL Bande er- 
scheinen, erschwert ja allerdings die Benutzung, jedoch sind solche Nach¬ 
träge einmal unvermeidlich und andererseits zeugen sie von der emsigen 
Borgfalt, die die Bearbeiter fortgesetzt an ihre Aufgabe verwenden. Das 
von Professor Belschner in Ludwigsburg hergestellte Orts-, Personen- und 
Sachverzeichnis ist in ein Alphabet gebracht worden. Die Redaktion des 
ganzen Bandes lag in der bewährten Hand Wellers, während sich im übrigen 
die beiden Bearbeiter gleichmäßig in die Aufgabe geteilt haben. 

Donaueschingen. Georg Tumbült. 


Franziska Weissenborn, Mühlhausen i. Thür, und das 
Reich (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgesch. hrg. von 
G. v. Gierke, 108. Heft). Breslau M. u. H. Marcus 1911. 88 S. 8°. 

Die Stadt Mühlhausen zahlte zwar im 13. Jahrh. Stadtsteuer, erhielt 
aber wiederholt Befreiung, insbesondere übertrug der Kaiser 1337 der Stadt 
gegen 1000 M. Silber alle im städtischen Gebiete liegenden Reichsgüter. Da 
diese 1000 M. nie zurückgezahlt wurden, so berief sich Mühlhausen noch 
im 18. Jahrh. auf sie als Beweis der Steuerfreiheit. Friedrichs UI. For¬ 
derung, die Stadtsteuer zu bezahlen, traf auf Mühlhausens entschiedensten 
^Widerspruch. Die Stadt erklärte, sie sei sich nicht bewußt, dem Reiche 
eine Steuer zu schulden oder auch jemals eine solche gezahlt zu haben. 
Wiederholte Steuerforderungen des Reiches führten zu keiner Zahlung; die 
Karls VI. 1713 führte zu juristischen Erwägungen sehr interessanter Art 
Seitdem gaben die Kaiser endgiltig ihre Ansprüche auf die dem Reiche bis 
zur Mitte des 14. Jahrh. zustehende Stadtsteuer in Mühlhausen auf. In 
mannigfachem Wechsel von Erfolg und Nichterfolg erwarb M. das Juden- 



Literatur. 


36 » 


regal. Besonders Karl IV. schwankte im Erteilen und Widerrufen der Pri¬ 
vilegien. M. weigerte hartnäckig die Zahlung und wurde in Acht und 
Bann getan. 1352 aber wurde die Angelegenheit zu Gunsten der Stadt 
entschieden. Neue Versuche der Steuererhebung (Opferpfennig, dritter 
Pfennig, Krönungssteuer) fanden unter Wenzel, Sigmund, Albrecht IL, Frie¬ 
drich HL und Karl VII. statt Der Widerstand der Stadt gegen die Zahlung 
blieb teilweise erfolglos; sie zahlte an Friedrich HL erst 600 fl. als Krönungs¬ 
steuer und dann 1000 fl. zur Kaiserkrönung. Dann wurde Mühlhausen 
fast 300 Jahre unbehelligt von dergleichen Forderungen gelassen. Aber 
Karl VTL forderte 1743 Kronsteuer und Opferpfennig. Es war das Ver¬ 
dienst des städtischen Syndikus Grasshof, daß seit Mitte des 18. Jahrh. das 
Beich seine früheren Ansprüche wie auf die Stadsteuer so auch auf die 
Judensteuer aufgeben mußte. Eine Verpfändung der Stadt und somit eine 
Übertragung aller Einkünfte an Fremde ist auch Mühlhausen öfter zuteil 
geworden, zuerst 1277 durch Rudolf von Habsburg. Von den Verpfän¬ 
dungen im 13. und 14. Jahrh. ist besonders die Zeit Ludwigs des Baiem 
interessant: damals nahm die Stadt eine Zwischenstellung von Reichsstadt 
und Territorialstadt ein, sie sollte dem Landgrafen huldigen, zugleich aber 
dem König und Reich untertan sein und somit den Anforderungen, die der 
Reichsverweser stellte, nachkommen. Die Stadt leistete größten Widerstand, 
1332 kam eine gütliche Einigung zustande, M. erhielt gegen eine Summe 
von 5000 M. alle Privilegien. Die Verpfändung der Stadt an Günther v. 
Schwarzburg wurde rückgängig gemacht. Fast 150 Jahre blieb die reichs¬ 
städtische Freiheit unangetastet, bis dann Friedrich III., vor allem Maxi¬ 
milian I. zu einer neuen Verpfändung der Stadt schritten: 1505/06 wurde 
Mühlhausen an die Ernestiner Friedrich und Johann von Sachsen ver¬ 
pfändet. M. rief, durch den Beistand Georgs von Sachsen ermutigt, Erich 
und Heinrich von Braunschweig und die hessischen Schutzherren um Hilfe 
an. Der König verbot den Mühlhäusern sogar die Beschickung des Kon- 
stanzer Reichstages, nahm aber diese Vergewaltigung wieder zurück. Jedoch 
wurde auf diesem Reichstag 1507 die Frage der Verpfändung nicht gelöst. 
Nach langen Händeln wurde 1508 diese Frage beseitigt; Mühlhausen schloß 
einen neuen Schutzvertrag mit Kurfürst Friedrich von Sachsen. Es war 
der letzte Versuch von kaiserlicher Seite gewesen, die Stadt ihrer Reichs¬ 
standschaft zu berauben. — Den Reichsangelegenheiten brachte Mühlhausen 
bis 1473 Abneigung entgegen; während der Husitenkriege z. B. stand die 
Stadt den Kriegsangelegenheiten interesselos und gleichgültig gegenüber. 
Auch die Verhandlungen des Reichstages kümmerten sie wenig. Das Jahr 
1474 brachte eine Änderung in das Verhältnis der Stadt zum Reiche. Im 
Neusserkriege 1474 unterstüzte sie zum erstenmal das Reich gegen Herzog 
Karl den Kühnen von Burgund. Als der ungarische König Mathias Cor- 
vinus im Kampfe mit Georg Podiebrad und dessen Nachfolger Mähren, 
Schlesien und die Lausitz eroberte und als dies zum Krieg mit Friedrich 
führte, hat Mühlhausen zum zweitenmal das Reich mit seinen Truppen 
unterstützt. Es folgten weitere Unterstützungen (Geld und Mannschaft) des 
Reiches in den Kriegen gegen die Ungarn, Franzosen, Schweizer, Venediger, 
Türken bis 1521. Seitdem waren die städtischen Leistungen an das Reich 
geregelt. Die Stadt M. hat zwar in dieser letzten Periode bis 1521 noch 
wiederholt den Versuch gemacht, den Reichsanschlag abzuschütteln oder zu 



370 


Literatur. 


vermindere, ist aber doch im allgemeinen ihren Pflichten gegen das Reich 
nachgekommen nnd hat Interesse an den Reichsangelegenheiten durch rege 
Teilnahme an den Reichstagsverhandlungen bewiesen. Es mag, wie die Ver¬ 
fasserin S. 71 ansprechend vermutet, die Stadt sich ihrer Schwäche den 
Nachbarfürsten gegenüber allmählich bewußt geworden sein und daher mit 
dem Kaiser mehr Fühlung genommen haben. So ist es Mühlhausen — 
abgesehen von der durch den Bauernkrieg hervorgerufenen, kurzen Unter¬ 
brechung einer sächsisch-hessischen Schutzherrschaft — gelungen, sich als 
Reichsstadt bis 1802 zu bewahren. 

Die fleißige Arbeit der Verfasserin ruht in erster Linie auf — zu 
einem erheblichen Teile noch ungedruckten — Urkunden und Akten des 
Mühlhauser Archivs und ermöglicht durch fortlaufende genaue Quellenan¬ 
gaben die Nachprüfung. Einige für ihre Zeit charakteristische Berichte und 
die Darstellung eines Prozesses, den der Mühlhäuser Hauptmann Heinrich 
Kämner nach seiner Gefangennahme 1483 mit der Stadt führte, sind als 
Anhang beigegeben. 

Dresden. Eduard Heydenreich f. 


Raim. Steinert, Das Territorium der Reichsstadt Mühl¬ 
hausen i. Thür. Forschungen zur Erwerbung, Verwaltung und Ver¬ 
fassung der Mühlhäuser Dörfer (Leipziger histor. Abhandlungen, hrg. 
von Brandenburg, Seeliger, Wilcken, H. XXIII), Leipzig 1910. 98 S. 8°. 

Das Mühlhäuser Territorium umfaßte die Stadtflur, die städtischen 
Forsten, Ackerfluren und Waldungen von 19 Dörfern, Areal zweier Meier¬ 
höfe und zweier Güter. Seine Entstehung verdankt es dem Zusammenwirken 
dreier Momente: 1. der Zielbewußtheit und Rührigkeit des Rates, der mit 
steter Benutzung von Zeit und Gelegenheit, alles, was sich ihm bot, durch 
Kauf oder Pfandschaft an sich brachte; 2. der Opfer Willigkeit der Bürger, 
deren Steuerkraft die Territorialpolitik des Rates sicherlich stark in An¬ 
spruch nehmen mußte und 3. dem Umstande, daß es Mühlhausen gelang, in 
seinem Gebiete alleiniger Gerichtsherr zu werden. Der Ausbau des Mühl¬ 
häuser Territoriums wird durch den mehr als 300jährigen Kampf des Rates 
gegen den Grundbesitz der Geistlichkeit charakterisiert. Trotz Reichsacht 
und Interdikt blieb Mühlhausen Sieger. Seit 1444 entwickelte sich der 
Ausbau des Territoriums in friedlichen Formen: entweder durch meist mit 
Belehnung verbundenen Auskauf oder durch kluge Pfandpolitik brachte die 
Stadt bis zum Beginn des 17. Jahrh. den größten Teil des geistlichen 
Grundbesitzes an sich. Als Träger der Verwaltung des Territoriums hatten 
die städtischen Kämmerer das territoriale Steuerwesen, die Zinsmeister und 
Mnrstallsherren die mannigfachen Geld- und Naturalprästationen und die 
Fülle der auf dem liegenden Gute der Bürger und Bauern lastenden Erb¬ 
zinse an Geld, Getreide und Federvieh. Dazu kamen die Heimbürger, die 
in stetig sich erweiternder Machtsphäre mannigfach in die wirtschaftlichen 
Angelegenheiten der Gemeinde eingriffen. Die Vermittlung des geschäftlichen 
Verkehrs zwischen städtischen und dörfischen Behörden lag in den Händen 
des Landvogl es. Die Mühlhauser »Untertanen« waren keine Leibeigenen, 



Literatur. 


371 


maßten aber Steuer- und Wehrpflicht, Dienstbarkeit, Geld- und Naturalab¬ 
gaben leisten. Als Steuern gingen aus den Territorien ein die summa 
marcarum d. i. die Steuer vom Gesamtbesitz der Untertanen, die summa 
larium (Herdschilling, ursprünglich nur von jedem Hauswesen, dann von 
allen Anwesenden mit alleiniger Ausnahme der Waisen gefordert) und das 
Ungeld (Kaufgeld). An jährlich wiederkehrenden Fronen waren zu leisten. 
Landgrabendienste, Spann- und Handdienste (Kalksteinfuhren; Bierfronen, 
wenn der Kat fremdes Bier einlegen wollte; Weg- und Brückenbesserungen, 
Räumungsarbeiten, Uferbauten, Holzfäll- und Spaltedienste, Arbeiten im 
städtischen Steinbruch), Jagdfronen. Dazu kamen Fronen ohne regelmäßige 
Wiederkehr: bei Feuer, Geleit fremder Standespersonen etc. An Geldabgaben 
waren zu leisten: Steinbruchs- und Jagdgeld; Trift-, Birnen-, Gras-, Gänse-, 
Stein-, Spund- und Weggeld; au Naturalabgaben: jährliches Quantum Birnen, 
Trifthafer, Herrenhafer. Schultheißen und Vormünder waren ehrenamtlich 
angestellt, genossen aber gewisse Vorteile. Die Lage der Mühlhäuser Bauern 
war sehr schlecht infolge des 30jähr. Krieges. Dazu kam eine Steigerung 
der Dienste, als der Kat zu Anfang des 18. Jahrh. die Bauern zwang, 
»Schockholz 4 zu zahlen und Pflastereinfubren zu leisten. Dazu wurden die 
Geldbeträge erheblich gesteigert. Ferner wurde den Bauern ein Teil ihrer 
Hutweiden genommen und gegen kaiserlichen Entscheid hohe »Exekutions¬ 
gelder 4 auferlegt. Von den städtischen Metzgern und Kornhändlern nach 
Belieben im Preis gedrückt, von durchziehenden Truppen erpreßt, oft genug 
von Mühlhausen für verweigerte Fronen aufs härteste heimgesucht, ver¬ 
armten. die Dörfer. Diese strengten Prozesse gegen die Stadt beim Kaiser 
an, die viel kosteten und trotz günstiger kaiserlicher Entscheidung keine 
Abhilfe brachten. So klang das einst gütige und patriarchalische Verhältnis 
der Stadt zu ihren Untertanen mit schneidendem Mißton aus. 

Steinerts auch als Leipziger Dissertation erschienene Arbeit gibt an 
der Hand eines reichhaltigen archivalischen Materiales ein fesselndes Bild 
der Territorialgewalt einer ehedem nicht unbedeutenden Beichstadt. 

Dresden. Eduard Heydenreich f* 


Paul Heidrich, Karl V. und die deutschen Protestanten 
am Vorabend des Schmalkaldischen Krieges. 1. Teil: Die 
Beichstage der Jahre 1541—1543. Frankfurter Historische For¬ 
schungen, herausg. von G. Küntzel, Heft 5. Frankfurt a. M. 1911. Josef 
JBaer u. Co. — 1L Teil: Die Reichstage 1544—1546. Dieselbe Saniml. 
Heft 6. Eb. 1912. 

Fritz Hartung, Karl V. und die deutschen Reichsstände 
von 1546—1555. Historische Studien, hrsg. von Richard Fester, I. 
Halle a. S. 1910, Max Niemeyer 1 ). 

Die vorliegenden Untersuchungen, in der Problemstellung nahe ver¬ 
wandt und zeitlich unmittelbar an einander anschließend, sind nach Anlage 
und Wert denkbar verschieden. Während Heidrich in mühevoller Sainmel- 

!) Die Niederschrift dieser Besprechung erfolgte im Sommer 1913. 



372 


Literatur. 


arbeit ein großes arcbivalisches Material zusammengetrageu hat, um die Ge¬ 
schichte der Reichstage von 1541—1546 möglichst bis in alle Einzelheiten 
aufzuheilen, hat sich Hartung zum größten Teil auf gedruckte Quellen be¬ 
schränkt. Ihm lag nicht daran, neue Tatsachen herauszuarbeiten, sondern 
»dasjenige Moment hervorzuheben, das dieser Periode ihre bleibende Be¬ 
deutung für die Reichsgeschichte verleiht*. Und dieses Moment findet er 
in der »endgültigen Auseinandersetzung zwischen dem Kaisertum und den 
Reichsständen über den Charakter der Reichsverfassung«, die in diesen 
Jahren stattgefunden haben soll. Zweifellos war es lohnend, die Vorgänge 
dieser Jahre auch einmal von dieser Seite her zu betrachten und sie ein¬ 
zugliedern in den Verlauf des Ringens zwischen Kaisertum und territorialen 
Gewalten um den Einfluß in der Reichsregierung. Ein instruktiver Zeit¬ 
schriftenaufsatz hätte daraus werden können. Leider ist statt dessen ein 
Buch entstanden. Die Folge davon ist, daß Hartung sein Thema immer 
wieder aus dem Auge verloren und in breiter Darstellung der Ver¬ 
handlungen längst Bekanntes wiederholt hat. Es kostet einige Mühe, sich 
immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, worauf es dem Verf. in erster Linie 
ankommt Hartung ist zu diesem Thema gekommen von seinen Studien 
über die Reichsreform her. In Karl V. sieht er den letzten Vertreter des 
»universalen Kaisertums«. Das ist richtig. Die Frage ist nur, ob Karl V. 
bewußt diesen Gedanken in den Mittelpunkt seiner Politik gestellt hat, 
wie H. annimmt. Man wird doch nicht bestreiten können, daß Karls Feind¬ 
schaft gegen die Protestanten mindestens ebensosehr aus dem religiösen Ge¬ 
gensatz heraus entsprang, wie aus dem Groll über ihre Unbotmäßigkeit H. 
versteigt sich aber zu der Behauptung, Karl habe, um der Monarchie willen, 
unbedingt an der kirchlichen Einheit festgehalten und jedes Entgegen¬ 
kommen gegen Luther abgelehnt (S. 7). Wie er damit den Satz in Über¬ 
einstimmung bringen will: „Das entscheidende Moment war für Karl doch 
die Religion« (S. 101), verstehe ich nicht Ebenso halte ich es für höchst 
unglücklich, den schmalkaldischen Krieg und die Absichten, die Karl auf dem 
Augsburger Reichstag 1547/48 verfolgte, als »monarchische Reaktion« zu 
bezeichnen. Natürlich bedeutete jeder Sieg Karls eine Stärkung des Kaiser¬ 
tums, jede Niederlage eine Schwächung zugunsten der fürstlichen »Libertät«, 
aber für diese Selbstverständlichkeit bedurfte es des modernen Schlagwortes 
nicht. Wertvoll in Hartungs Buch ist die ständige Bezugnahme auf die 
Zeit der eigentlichen Reicbsreform. Ich will hier nur hinweisen auf die 
Ausführungen über den von Karl geplanten Reichsbund, der mit dem be¬ 
deutungsvollen schwäbischen Bund in Parallele gesetzt wird, und auf die 
beiden letzten Kapitel über den Heidelberger Bund und den Augsburger 
Reichstag. 

Bedeutend erfreulicher ist es, über Heidrichs Untersuchungen zu 
berichten. Man muß sich einmal durch den Aktenwust hindurchgearbeitet 
haben, den ein einziger Reichstag jener Zeit hinterläßt, um den staunens¬ 
werten Fleiß ganz zu würdigen, der in diesen beiden Heften steckt. Dabei 
hat es Heidrich verstanden, die doch häufig sehr langweiligen Verhandlun¬ 
gen mit ihren ewigen Wiederholungen derselben Streitfragen lebendig dar¬ 
zustellen. So erhalten wir ein lebensvolles Bild der Bestrebungen und 
gegeneinander wirkenden Kräfte, die den bedeutungsvollen Jahren von 
1541 —1546 den Stempel aufgedrückt haben. Ist auch das Gesamtbild 



373 


dieser Zeit eicht d urch die Entdeckung neuer Tatsachen wesentlich ver- 
Behoben worden, so treten die einseinen Zöge des Bildes doch nun dd 
plastischer herror. Daß es dadurch gewonnen hätte, kann man freilich 
nicht sagen. Es benscht namentlich auf protestantischer Seite eine jämmer¬ 
liche Kleinlichkeit und Unfähigkeit tot, aber auch der Politik des Kaisen 
fehlt jeder große Zog. 

Heidrich hat das Jahr 1541 snm Ausgangspunkt seiner Arbeit ge¬ 
wählt, weil seiner Ansicht nach ent der Regensburger Reichstag dieses 
Jahres Karl »von der unbedingten Notwendigkeit des Krieges gegen die 
Protestanten überzeugt hatte 4 . Er ist der Meinung, daß Karl noch »in 
bester Absicht* auf den Reichstag kam, am einen wirklichen Ausgleich 
zwischen den Konfessionen berbeizafuhxen. Erst die Hartnäckigkeit der 
Protestanten habe ihn überzeugt, daß sie nur mit Gewalt von ihrem Stand¬ 
punkt abznbringen seien. Hätte H. darauf geachtet, daß Karl in dem 
Moment gegen die Protestanten rauhere Saiten anschlug, als er von ihnen 
die »eilende Hülfe 4 bewilligt erhalten hatte, so wären ihm vielleicht auch 
Zweifel an der Aufrichtigkeit der anfänglichen Freundlichkeit Karls gegen 
die Protestanten gekommen. Daß er wirklich ernsthaft einen friedlichen 
Ausgleich für möglich hielt, ist kaum anzunehmen. Im übrigen hebt H. 
mit Recht hervor, daß es für den Kaiser am wichtigsten war, durch per¬ 
sönliche Verhandlungen Kurbrandenburg und Hessen für sich gewonnen zu 
haben. Dies hätte wohl auch verwandt weiden können, um die seltsame 
Unterzeichnung der protestantenfreundlichen Deklaration zu erklären. An 
eine Ȇberrumpelung 4 Karls, wie H. es darstellt, vermag ich noch nicht 
recht zu glauben. 

Sonst aber wüßte ich gegen Ha Auflassung nichts einzuwenden. Sehr 
klar geht ans seiner Darstellung hervor, wie die Protestanten von 1541— 
1544 scheinbar von Erfolg zu Erfolg schreiten, dabei aber die Erbitterung 
ihrer Gegner dauernd wächst und das Verhängnis immer schneller naht. 
Bis Karl 1544 in seinem diplomatischen Meisterstück erst durch weitgehende 
Konzessionen die Protestanten von ihrem natürlichen Verbündeten, Frank¬ 
reich, trennt, dann aber mit dem besiegten Frankreich einen schnellen 
Frieden schließt, um plötzlich mit überlegener Kraft vor den eben noch 
Triumphierenden zu stehen. Die beiden folgenden Reichstage haben nur 
noch die Aufgabe zu erfüllen, die Protestanten hinzuhalten, bis Karl hin¬ 
reichend gerüstet ist zu dem großen Schlage. Dos Hin und Her des zähen 
diplomatischen Ringens, den Wechsel von Furcht und Hoffnung auf prote¬ 
stantischer Seite, das seltsame Gemisch von religiöser Festigkeit and klein¬ 
licher Bedenklichkeit unter ihren Führern, die ständig treibende Energie 
Philipps von Hessen treten in Heidrichs Darstellung vortrefflich hervor. 

Berlin-Steglitz. G. Bonwetsch. 

Walter Platzhoff: Frankreich und die deutschen Pro¬ 
testanten in den Jahren 1570—1573 (Historische Bibliothek, her- 
auageg. von der Redaktion der Historischen Zeitschrift Bd. 28). Mün¬ 
chen und Berlin 1912. XVIII und 215 S. M. 6.—. 

In dem Kampf Königs Franz’ L von Frankreich gegen seinen über¬ 
mächtigen Gegner Kaiser Karl V. ist eines der reizvollsten Kapitel die 

Mittcilnnjren XXXVT. 25 



374 


Literatur. 


Frage nach den Beziehungen des allerchristlichsten Königs zu den deutschen 
Protestanten. Damals ist die Grundlage für die traditionelle Politik der 
französischen Krone nach dieser Richtung hin gelegt worden: nach außen 
hin im Interesse des Staates weitestes Entgegenkommen; nach innen hin 
Aufrechterha tung der politischen und religiösen Einheit des Staatsgedankens 
mit allen Mitteln. Das bedeutete in Frankreich selbst größte Intoleranz 
gegenüber den Anhängern der neuen Lehre, ja blutige Verfolgung der¬ 
selben. Die Frage war nur, wie sich diese innere Politik mit der aus¬ 
wärtigen in Einklang bringen ließ; die Durchführung dieses Programms 
wurde immer schwieriger, seitdem es sich nicht mehr um die Verurteilung 
und Hinrichtung einzelner Ketzer handelte, sondern als es galt, die ganze 
protestantische Partei zu bekämpfen, gewaltsam niederzudrücken. 

Platzhoff hat es unternommen, auf Grund der umfangreichen gedruckten 
Literatur, sowie unter Hinzuziehung von Archivalien in Dresden und Mar¬ 
burg, die Lösung dieses Problemes zu versuchen, für die Jahre, welche in 
den Beziehungen der französischen Krone zum deutschen Protestantismus 
als die kritischsten bezeichnet werden müssen, für die Jahre vor und be¬ 
sonders nach der Bartholomäusnacht. Auch er stellt gewissermaßen an die 
Spitze seiner Untersuchungen Baumgartens bekanntes hartes Urteil über die 
protestantischen Fürsten, daß »von Politik bei ihnen nur vermittelst eines 
starken Euphemismus geredet werden könne* (S. 15), und doch ist es nicht 
so sehr ihre Erbärmlichkeit als ihre Zerfahrenheit, besonders der sie tren¬ 
nende religiöse Zwiespalt, welcher der französischen Politik die Einmischung 
in die inneren deutschen Verhältnisse so sehr erleichtert hat. 

Erbärmlich erscheint doch nur der Hesse, Landgraf Wilhelm: wenn 
man seine politische Haltung harmlos deuten will, ein kleiner Gernegroß, 
der ohne selbst etwas leisten zu können und leisten zu wollen, trotz all 
seiner Ängstlichkeit gleichwohl »am politischen Spiel etwas teilhaben* 
wollte, der Typus jener Territorialherren, bei denen die Höhe ihrer An¬ 
sprüche im umgekehrten Verhältnis zur Größe ihrer positiven Leistungen 
steht. Demgegenüber erscheint Kurfürt August von Sachsen politisch be¬ 
trachtet als durchaus selbständiger Herr seiner Entschließungen: gerade in 
der feinen Motivierung der von August damals vollzogenen Schwenkung 
zum Kaiserhofe hin und ihrer Rückwirkung auf seine Beziehungen zu 
Frankreich möchte ich eines der größten Verdienste von PLs schöner Ar¬ 
beit erblicken. Die Art, wie August sich allen Versuchen, ihn zur persön¬ 
lichen Begrüßung des Polenkönigs Heinrich von Anjou bei seiner Durch¬ 
reise durch Sachsen zu bestimmen, versagte (vergl. besonders seinen cha¬ 
raktervollen Brief an Johann Kasimir: Beilage Nr. XVHI, S. 1S9 f.), zeigt 
aufs deutlichste, daß er ganz genau wußte, was er wollte. 

Um zweierlei handelte es sich für die französische Krone bei diesen 
Verhandlungen, welche vornehmlich durch den in französischen Diensten 
stehenden kursächsischen Ritter Kaspar von Schömberg 1 ) geführt werden, 
an dessen Berichterstattung der Verf. eine sehr eindringende, oft sehr be- 

l ) Cher Kaspar von Schömberg vgl. — worauf Trefftz in seiner Anzeige in 
der deutschen Lit.-Ztg. 1913 Sp. 879 schon hinwies — die vom Verf. nicht herau- 
gezogenen, z. T. au? Dresdener Archivalien beruhenden Mitteilungen bei Albert 
Fraustadt: x Geschichte des Geschlechts von Schönberg, meißnischen Stammes 4 
Bd. I (Leipzig 1869) S. 332—396. 



Literatur. 


375 


TechÜgte Kritik übt: Frankreich will ein Bündnis zu Stande bringen, und 
damit im engsten Zusammenhänge Einfluß gewinnen auf die zukünftige 
deutsche Königswahl; sodann trachtet Frankreich darnach, nach der Wahl 
des Herzogs von Anjou zum König von Polen dessen ungestörte Reise durch 
•die Gebiete der protestantischen Fürsten nach Polen zu ermöglichen, eine 
um so härtere Zumutung, als gerade Anjou einer der Hauptanstifter der 
Bartholomäusnacht und der ihr folgenden Greueltaten gewesen war. Gleich¬ 
wohl wurde dieses letztere Ziel erreicht, allerdings nicht ohne daß der Fran¬ 
zose herbe Wahrheiten über seine Schandtaten zu hören bekommen hätte. 
In Heidelberg, »der Metropole der deutschen Kalvinisten* wußte er den 
Pfälzer zu überraschen und eine, wenn auch höfliche, so doch kühle Auf¬ 
nahme zu erzwingen; der Landgraf bewirtete ihn in Vacha; der Branden¬ 
burger, welcher ihn nicht persönlich empfing, konnte es sich nicht ver¬ 
sagen, als gewöhnlicher Zuschauer den Einzug des Polenkönigs in Frankfurt 
a. 0. sich anzusehen; nur der Kursachse zeigte eine unfreundliche Miene, 
über auch er verwehrte, ihm den Durchzug durch sein Gebiet nicht. Die 
Beise durch Deutschland war erreicht, aber im Grunde genommen handelt 
es sich doch nur um einen moralischen, nicht um einen politischen Erfolg. 
Die bequemste Route nach Polen hatte Anjou wählen können; ihn über- 
haupt von der Erreichung seines Zieles auszuschließen, lag gar nicht in der 
Macht der deutschen Fürsten. 

Wie wenig wog dieser moralische Erfolg jedoch neben der unzweideu¬ 
tigen politischen Niederlage in der deutschen Königswahlfrage! So große 
Befürchtungen man auch zeitweise in Wien hegen mochte, in den nach der 
Bartholomäusnacht gepflogenen Verhandlungen ist überhaupt nicht mehr 
die Rede gewesen von dieser Angelegenheit: durch Sachsens Schwenkung 
nach Wien hin wurde die französische Kandidatur von selbst erledigt, und 
dem Pfälzer konnte man nicht zu muten, den Mörder seiner französischen 
Glaubensgenossen sich selbst zum Oberhaupt zu wählen. 

Wenn wir von den Pfälzern absehen, welche wegen ihrer Pläne in den 
Niederlanden noch nicht jegliche Fühlung mit der französischen Krone preis¬ 
geben konnten, so erschöpften sich fortan die gegenseitigen Beziehungen in 
Truppenwerbungen und Freundschaftsbeteuerungen von französischer Seite, in 
Friedensermahnungen von seiten der deutschen Protestanten. Erst mit Hein¬ 
richs IV. Regierungsantritt wird Frankreich wieder allianzfähig, erst seitdem 
wird die Verbindung wieder eine regere, aber auch Heinrichs IV. Staats¬ 
kunst hat, wie der Verf. zum Schluß seiner Untersuchung hervorhebt, die 
deutschen Protestanten in ihrer Gesamtheit zu wirklich großzügiger Politik 
nicht zusammenzuschließen vermocht. 

Halle a. S. Adolf Hasenclever. 


Hengeimüller, Freiherr von: Franz Raköczi und sein 
Kampf für Ungarns Freiheit 1703—1711. I. Band. Deutsche 
Verlagsanstalt, Stuttgart 1913. IX und 241 S. 

Der Titel des Werkes charakterisiert die Stellungnahme des Verfassers 
zur Geschichte Räköczis, er erklärt von vornherein den Aufstand als einen 

25* 



376 


Literatur. 


Kampf Raköczis für Ungarns Freiheit; diese Auffassung bildet ohne nähere 
Beweisführung die Voraussetzung für die späteren Erörterungen. 

Gewiß verdankt Ungarn dem Rdköcziaufstande seine Selbständigkeit im 
Bahmen des habsburgischen Reiches, denn, wenn auch der Aufstand miß» 
glückte, mußte sich der Hof doch zu Konzessionen verstehen, die ein Auf¬ 
geben der früheren zentralistischen Politik involvierten. Das ist ein Haupt¬ 
grund für die Verehrung, welche der Name Raköczi in Ungarn genießt, 
weil mit ihm eine Idee glorifiziert wird. Doch war das nicht das Ziel, 
das Raköczi selbst anstrebte und mit dem er sich zufrieden geben wollte. Er 
stritt um die völkerrechtliche Freiheit und Unabhängigkeit eines Ungarn oder 
wenigstens Siebenbürgen, dessen Fürst er selbst sein wollte 1 ). Ein selbstän¬ 
diges Siebenbürgen war immer ein wichtiger Faktor für die Freiheit Ungarns, 
so wie sie der Adel verstand. Es war der Hort und die Stütze jeder op¬ 
positionellen Regung und wußte aus inneren Kämpfen diplomatische Ver¬ 
wicklungen hervorzurufen und so dem Hofe bei Ausführung absolutistischer 
Absichten in den Arm zu fallen. Es wäre aber erst nachzuweisen, daß 
Räköczi bei seinem Streben nach einem Fürstentum© Siebenbürgen nur die 
Absicht hatte, auf diese Weise indirekt Ungarns Freiheit zu schützen. Ich 
versage es mir auch darüber zu rechten, ob um 1700 der ursprüngliche 
Zweck der Verbindung Ungarns mit Österreich, der Schutz gegen Osten, 
schon so weit erfüllt war, daß das Land eine völkerrechtliche Freiheit 
überhaupt hätte bewahren können, ob also ein Fürstentum oder Königreich 
Räköczis überhaupt Ungarns wirkliche Freiheit bedeutet hätte. Ich möchte 
nur feststellen, daß Raköczis Kampf auf ein eigenes Reich abzielte, daß mithin 
persönliche Gründe vorhanden waren, die seine Handlungsweise bestimmten, 
daß um seine persönlichen Interessen nicht weniger als um die Ungarns 
gefochten wurde. Dann ist es aber doch fraglich, ob man Räkdczi ohne 
weiteren Nachweis als »uneigennützigen Patrioten* hinstellen und seinen 
Aufstand »seinen Kampf für Ungarns Freiheit* nennen kann. Der Titel dee 
Werkes bezeichnet nicht das von Raköczi gewollte Endergebnis und charak¬ 
terisiert die Intentionen Raköczis kaum richtig. So bleibt Manches unver¬ 
ständlich und kommt die Arbeit nicht zu einer erschöpfenden Klarlegung 
der Grundprobleme, ja meist gelingt es ihr nicht, sich über eine Schilderung 
der äußeren Begebnisse ohne entsprechende psychologische Fundierung zu 
erheben. 

Für eine Hauptaufgabe für den Geshichtsschreiber des Raköcziauf- 
standes halte ich es zu zeigen, wie die persönlichen Absichten R&köczis die 
übrigen Strömungen für sich zu gewinnen verstanden und sich zunutze 
machten. Der Aufstand begann mit einer Bauernrevolte. Bauernunruhen 
haben aber selten staatsrechtliche Ziele, sie richten sich meist gegen Be¬ 
drückungen und Willkürlichkeiten der Grundherren, der Beamten und des 
Militärs, so wie gegen die Unterdrückung des Glaubens und der Gewissens¬ 
freiheit. In Ungarn trafen alle diese Momente zusammen und führten den 
Aufstand herbei, an dessen Spitze sich Räköczi stellte, um ihm so eine ganz 
andere politische Richtung zu geben. Ein weiterer Faktor war der Adel, 
v. H. schildert uns anschaulich, wie oft rein persönliche Kränkungen am 


*) Vgl. p. 217, wo v. H. selbst sagt, daß Räköczi vom Anfang an die Ver¬ 
bindung Ungarns mit Österreich lösen wollte. 



Literatur. 


377 


Hofe die Adeligen ihr nationalmagyarisches Herz entdecken ließen. Der 
Adel mochte wohl anch bei der Schilderhebung Raköczis die Morgenröte 
«iner Adelsrepublik geahnt haben l ), er verfocht von Anfang an seine staats¬ 
rechtlichen Ziele, und deshalb gingen auch schließlich seine Interessen und die 
KAköczis auseinander, denn jener konnte auch mit einem habsburgischen 
Ungarn zufrieden sein, das administrativ selbständig, d. h. in Bezug auf 
die innere Verwaltung einem steuerfreien Adel überantwortet war. Wie 
nun diese drei Elemente, der Fürst, der Adel und die Bauern mit ihren 
verschiedenen Zwecken und Intentionen sich zusammenfanden, scheinbar zu 
einer einheitlichen Masse verwuchsen, ohne daß sie wirklich eins wurden, 
schließlich sich auch wieder trennten, das klarzulegen, schiene mir die reiz¬ 
vollste und wichtigste Aufgabe einer Darstellung des Raköcziaufstardes. 
Aber eben in diesem Punkte versagt v. H.s Buch, das trotz mancher guter 
Anläufe nirgends bis auf den Grund kommt, weil es von einer schiefen 
oder zum mindesten unbewiesenen Voraussetzung ausgeht und auf ein tie¬ 
feres Eindringen in die Zusammenhänge verzichtet. 

Wenden wir uns nach diesen mehr prinzipiellen Auseinandersetzungen 
dem Buche zu, so müssen wir zugeben, daß im übrigen v. H. seine Auf¬ 
gabe nicht schlecht gelöst hat. Er schreibt für einen großen Leserkreis 
und gibt daher am Anfang eine Übersicht über die ungarische Geschichte 
des 16. und 17. Jahrhunderts, die, wenn auch nicht einwandfrei, ganz gut 
ist, vor allem aber ein deutliches Streben nach Unparteilichkeit zeigt *). 
Freilich als Einleitung für eine Geschichte des Räköcziaufstandes holt sie 
zu weit aus, während sie für die Zeit etwa nach 1687 sehr dürftig ist, 
kaum Unbekanntes bringt und jedenfalls nicht die notwendige Grundlage 
für das Verständnis des Zuständlichen, der daraus resultierenden späteren 
Ereignisse und somit des ganzen Aufstandes schafft. 

Recht gut gelungen ist aber m. E. die Darstellung der äußeren Er¬ 
eignisse des Aufstandes, v. H. hat die diplomatischen Verhandlungen tref¬ 
fend geschildert und besonders die kriegerischen Ereignisse anschaulich ge¬ 
zeichnet. Wenn auch große Schlachten geschlagen wurden, so handelte es 
sich doch meist um einen Guerillakrieg. Wir sehen die aufreibende Wir¬ 
kung dieser Kriegsführung für die kaiserlichen Heere, den Wechsel des 
Kriegsglücks, die Nutzlosigkeit selbst siegreicher Vorstöße der kaiserlichen 
Armeen, die wohl ein Kuruzzenheer besiegen und zersprengen, nicht aber 
den Gegner unterdrücken und niederhalten konnten, weil hinter ihnen die 
Wogen des Aufstandes immer wieder zusammenschlugen. 

Weiters noch eine Bemerkung über die Anmerkungen und den wissen¬ 
schaftlichen Apparat. Der ist nämlich vollständig mißglückt. Unwichtige 
Stellen werden mit langen Zitaten belegt, andere bedeutsame bleiben ganz 
unbelegt. Die Büchertitel und Aichivsignaturen sind vielfach ganz unge¬ 
nügend. Ferner wäre es besonders notwendig gewesen, daß der Verf. sich 


i) Vgl. z. B. p. 152 die Kl ige Forgäch’s. 

*) Freilich finden eich auch bei v. H. Bemerkungen, wie die p. 166: »die 
Zollgrenze zwischen den beiden Ländern, die Ausfuhrzölle auf ungarische Produkte 
und die den österreichischen Produzenten und Händlern gewährten Privilegien und 
Ausnahmen hatten die Bereicherung der einen Seite auf* Kosten der anderen zum 
Ziele«, welche von Mangel an Kenntnis der ungarischen Handels- und Zollge- 
schichte zeigt. 



378 


Literatur. 


mit Bäkdezis Memoiren als einer der wichtigsten Quellen auseinandergeaetzt, 
ihre Zuverlässigkeit im einzelnen Falle geprüft hätte, um so mit den zahl¬ 
reichen schiefen Urteilen und direkten Unrichtigkeiten, die auf diese Werke 
zurückgehen, aufzuräumen. Statt dessen basiert v. H. vielfach seine Dar¬ 
stellung in wenig kritischer Weise auf diese von Bäkdezi nachträglich ge¬ 
machten Aufzeichnungen, die aber keineswegs gerade für die Beurteilung 
der wahren Absichten Bäkdezis als Quelle dienen können, da sie viel zu 
wenig aufrichtig sind und in hohem Maße den Charakter einer Verteidi¬ 
gungsschrift tragen. 

v. H. hat für die in Ungarn gelegenen Orte fast ausschließlich die 
ungarischen Benennungen gewählt; dadurch wird der Schauplatz der Bege¬ 
benheiten für das deutsche Publikum förmlich in ein Nirgendland versetzt, 
da die Deutschen wohl ein Preßburg, aber nicht ein Pozsony, ein Gro߬ 
wardein, aber nicht ein Nagyvärad, ein Tymau, aber kein Nagyszombat etc. 
kennen, gerade so wie sie von Mailand, Venedig etc. sprechen. Gar verwirrend 
wird die Situation aber dann, wenn v. H. die ungarische Schreibweise der 
Ortsnamen verfehlt. Ödenburg heißt nach dem amtlichen ungarischen Orts¬ 
namenverzeichnis von 1913 S. 1131 und von 1902 S. 1263 Sopron, v. H. 
schreibt dagegen Soprony (z. B. S. 43, 113, 136 1 ), Soprony aber ist nach 
dem obigen Verzeichnis eine Ortschaft (nicht eigene Gemeinde) im Bekescher 
Komitat. An einer Stelle spricht v. H. von der Belagerung von Lipo- 
tvär (S. 158), später von dem Zuge Heisters zum Entsätze von Leopoldstadt. 
Ich fürchte nur, daß ein solcher Wechsel der Bezeichnung bei manchem 
Leser den Eindruck erwecken wird, als handle es sich um zwei verschie¬ 
dene Orte. 

Infolge der eben besprochenen Schwächen kann dem Buche ein beson¬ 
derer wissenschaftlicher Wert kaum beigemessen werden, doch wird das 
deutsche Leserpublikum von ihm nicht ohne Belehrung scheiden und wenn 
wir auch in dem Werke nicht eine abschließende, wissenschaftlichen An¬ 
sprüchen genügende Geschichte Bäkdezis und seines Aufstandes erblicken, 
so können wir es doch als eine dankenswerte Bereicherung unseres Wissens 
bezeichnen, die gewiß viel guten Willen hat, eine unparteiische Darstellung 
zu geben. Daß wir oben unsere Bedenken breiter auseinandergesetzt haben, 
hat auch darin seinen Grund, weil dem Verf. in dem noch zu erwartenden 
2. Bande Gelegenheit geboten sein wird, manches noch nachzuholen und 
zu klären. 

Wien. Theodor Mayer. 


Julius Szekfü, A szämüzött Räkdczi (Der verbannte 
Räköczi). Budapest 1913. 8° VIII u. 418. 

Im Jahre 1906 wurden die irdischen Überreste Bäkdezis, des letzten 
giebenbürgischen Fürsten und Freiheitshelden, auf heimatlichen Boden zu¬ 
rückgebracht. In den jahrhundertlangen Kämpfen, welche die Stände Un¬ 
garns unter der Führung der Fürsten von Siebenbürgen für die Freiheit 
der Stände und der Beligion und für das Ungartum gegen die Politik der 


*) p. 211 schreibt er richtig Sopron. 



Literatur. 


379 


Dynastie der Habsburger führten, war Raköczis Aufstand der letzte. Im 
Bahmen der großartigen Bestattungszeremonien, die einen so gewaltigen 
Eindruck machten, legte der König, der Nachkomme der Gegner des Fürsten, 
den Ölzweig der Versöhnung auf dessen Grab. Der Raköczikultus der 
Ungarn wurde dadurch nur noch erhöht. 

Es ist nicht leicht, den Inhalt und die Bedeutung dieses Kultus für 
Nichtungam zu erklären. Wir finden in der Geschichte anderer Nationen 
schwerlich Gestalten, die das Nationalgefühl mit einem solchen Nimbus um¬ 
geben hat wie die der ungarischen Geschichte. Die eigenartige politische 
Lage Ungarns zur Zeit der Eroberung durch die Türken produzierte diese 
Rationalhelden. Dem größten Teil des ungarischen Volkes blieb die Politik 
der österreichischen Dynastie mit ihrem Streben, die Macht der Stände zu 
brechen, Ungarn, als eine untergeordnete Provinz, durch die Wiener Zentral¬ 
stellen zu verwalten, den Katholizismus allein herrschend zu machen, teils 
fremd, teils verhaßt. Die antidynastischen und antideutschen Strömungen, 
die infolgedessen entstanden, fanden immer in dem unter türkischem Pro¬ 
tektorat stehenden Fürstentum Siebenbürgen, in welchem sich das unab¬ 
hängige staatliche Leben Ungarns fortsetzte, ihre Unterstützung und Führung. 
So entstand eine Beihe von Nationalhelden in den siebenbürgischen Fürsten, 
die für die Freiheit der Religion und gegen die Beeinträchtigung der stän¬ 
dischen Rechte, der Verfassung und des Ungartums kämpften und dabei ihr 
Land vor einer Eroberung durch die Türken mit kluger Politik zu schützen 
wußten. Die Reihe der Bocskay, Bethlen, Rdköczis beschließt Franz 
Raköezi II. Ihn, den Helden, den Führer der Kurutzen, hebt die natio¬ 
nale Vereinung weit über seine Vorgänger. Raköezi wurde nicht nur 
deshalb zum Nationalhelden, weil er gegen die fremde Unterdrückung und 
für die Freiheit kämpfte; dies taten auch seine Vorgänger auf dem Throne 
Siebenbürgens — und mit größerem und dauernderem Erfolg. Daß er 
trotzdem in den Augen der Ungarn höher steht als die früher Erwähnten, 
ist hauptsächlich seinen persönlichen Eigenschaften, seinem tragischen 
Schicksal und nicht zuletzt der sich mit ihm beschäftigenden Geschichts¬ 
literatur zuzuschreiben. Raköezi hätte Gelegenheit gehabt, nach der Unter¬ 
drückung seines Aufstandes, die ihm vom Kaiser Josef I. angebotene Ver¬ 
söhnung anzunehmen, nach Ungarn zurückzukehren, durch die Übernahme 
seiner gewaltigen Besitzungen der reichste Grundbesitzer Ungarns, der Erste 
nach dem König zu werden; er verzichtete jedoch nicht auf die Möglichkeit 
eines weiteren Kampfes, verließ seine Heimat und lebte Jahrzehnte hindurch 
unter seelischen und materiellen Entbehrungen, ohne die Hoffnung aufzu¬ 
geben, sein Ziel dennoch zu erreichen. — Phantasie und Dichtung der 
ungarischen Nation umgaben die, wie aus allen Quellen ersichtlich ist, 
äußerst sympathische Persönlichkeit des Fürsten mit einem Nimbus, der nahe 
an Abgötterei grenzte. Au<h die Geschichtsschreiber schilderten ihn nur 
als einen Menschen, der Schweres fürs Vaterland zu leiden gehabt und doch 
immer nur an dessen Befreiing gedacht hatte. Die Geschichtsschreibung 
stellte sich, was Raköezi betrifft in den Dienst der Dichtung, aber auch 
der Politik. Raköczis unabhängiges Ungarn, sein Ideal, wurde auch das 
Ideal einer politischen Partei. So wurde der Fürst nicht nur als Kämpfer 
zu einem Freiheitshelden, sondern auch als Mensch zu einem Halbgott er¬ 
hoben. 



380 


Literatur. 


Nun kommt ein junger, ungarischer Historiker, Julius Szekfü, der 
behauptet, daß Raköczi große Fehler gehabt hätte, wie andere Sterbliche 

auch. Er beleuchtet den Charakter des Helden, versucht in die ver¬ 
borgensten Winkel seines Seelenlebens einzudringen und so die Triebfeder 

seiner Handlungen zu erkennen. Sein Buch ist eine natürliche Reaktion 
auf die vorhergehende, verherrlichende Raköczi-Literatur, wie dies bereits 
von einem scharfsinnigen ungarischen Historiker bemerkt wurde. — Kritische 
Geschichtsschreibung und zu nationaler Überlieferung gewordene Dichtung 
gerieten nun in heftigen Kampf. Ein Sturm der Entrüstung erhob sich 
gegen den Verfasser und sein Werk. Politik und Wissenschaft bekämpften 
sich gegenseitig und das Ergebnis ist, daß Raköczi dem unbefangenen Hi¬ 

storiker heute nicht mehr als ein Halbgott, sondern als eine historische 
Persönlichkeit erscheint, »die auch in der neuen, etwas kühlen Darstellung 
dem Herzen der Ungarn nahe, ja vielleicht näher steht, als in den bis¬ 
herigen von schwärmerischer Begeisterung eingegebenen Werken* 1 ). 

Es ist gewiß nur eine Frage der Zeit und Raköczi wird auch in 
den Augen der Menge seinen Nimbus als Halbgott einbüßen und als 
Mensch und Held gewürdigt werden, wie ihn Szekfü darstellt. Meine 
Absicht ist es, Raköczi so zu schildern, wie er auf Grund des Bucheä von 
Szekfü vor uns steht und besonders jene Momente hervorzuheben und 
kritisch zu beleuchten, welche den Sturm der Entrüstung entfachten. — 
Der deutsche Leser wird auch daraus entnehmen können, wie die Geschichts¬ 
schreibung einer kleinen Nation jene Entwicklung der Kritik durchmacht, 
welche die großen Nationen bereits hinter sich haben. Wenn der Leser die 
Geschichte Ungarns kennt und dessen Freund ist, so wird er diesen Rei¬ 
nigungsprozeß nicht furchten, sondern als dessen erfreulichen Fortgang 
Szekfüs Buch sympatisch begrüßen. 

Das Buch beschreibt eigentlich nur die letzten zwanzig Lebensjahre 
Raköczis. 1715 —1735, beginnt also nicht einmal mit der Unterdrückung 
seines Aufstandes, welcher durch den Frieden von Szatmar 1711 beendet wurde. 
Ungerechter Weise wurde Szekfü vorgeworfen, daß er eben diesen Abschnit aus 
Raköczis Leben in einer neuen Darstellung brachte, auf Grund deren man nicht 
die günstigsten Eindrücke von der Persönlichkeit des Helden gewinnen könne. 
Mit demselben Rechte könnte man einem Maler vorwerfen, daß er auf einem 
Gemälde nicht den lieblichen Frühling, sondern den traurigen Herbst dar¬ 
gestellt habe. Szekfü wählte, wie er selber im Vorwort ausführt, diesen 
Abschnitt aus dem Leben des Fürsten, weil er »auch ein vom rein mensch¬ 
lichen Standpunkt aus betrachtet, interessantes psychologisches Moment ent¬ 
hält: welche Wirkung hatte die Verbannung und ihre ständige Gefährtin, 
die Einsamkeit, die moralische und politische Isolierung, die materielle Un¬ 
gewißheit auf den in der Fremde umherirrenden Fürsten*? 

Das zweite Problem, welches Szekfü beschäftigte, war, »die politischen 
Bestrebungen des Verbannten in den Rahmen der damaligen europäischen 
diplomatischen Bewegungen zu stellen*. 

Diese beiden Probleme gaben Szekfü die Anregung zu seinem Werk, 
welches einerseits die Schilderung des seelischen Lebens Raköczis und der 

J ) Erklärung der ungarischen Akademie der Wissenschaften, die sich an¬ 
gesichts der heftigen Angriffe, welche wegen dieser ihrer Edition gegen sie ge¬ 
richtet wurden, Stellung zu nehmen gezwungen sah: Pester Lloyd, 31. März 1914. 



Literatur. 


381 


Triebfeder seiner Handlungen enthält, andererseits die Darstellung seiner 
politischen Pläne und Aktionen, die man ohne das Vorige nicht verstehen 
kann. Um das Seelenleben Räköczis besser charakterisieren zu können, ist 
Szekfli öfter gezwungen, Begebenheiten aus den früheren Lebenstagen des 
Pürsten herauszugreifen und mit der einen oder anderen Episode seine Be¬ 
hauptungen zu unterstützen. 

Ludwig XIV. empfing Raköczi mit den größten Ehrenbezeugungen auf 
französischem Boden. Der verbannte Fürst verdiente das auch vollkommen, 
da er ein Opfer der Politik des Sonnenkönigs war, weil er auf dessen Hilfe 
vertrauend, die habsburgische Dynastie auf der Ständeversammlung von 
Önod entthronte. Der Sieg des Kaisers und der darauffolgende Friedens¬ 
schluß mit Frankreich erlaubten nicht, daß Raköczi am französischen Hofe, 
wie der heimatlose bayrische Kurfürst und der Titularkönig von England, 
als Fürst auftrete. Raköczi erleichterte selber die Lage dadurch daß er 
inkognito blieb und den Titel Comte de Charoche (nach dem Komitate 
San» in Ungarn) annahm. Seine Bekannten und Freunde zählten ihn zu 
jener Partei des Hofes, welche nach dem Tode Ludwigs XIV. der »alte 
Hof* genannt wurde und der keinen politischen Einfluß mehr hatte. Szekfü 
schildert meisterhaft die Stellung Räköczis am Hofe von Versailles, dessen 
dekadente Sitten, übertriebene Etiquette und Intriguen in großem Gegensatz 
zu der Geradheit von Räköczis Charakter, zu seiner Bildung und den 
Sitten seiner ungarischen Begleiter standen. 

Für seine materiellen Bedürfnisse sorgte Ludwig XIV. in augenscheinlich 
fürstlicher Weise. Er wies ihm eine Pension von 24.000 Livres an, welche 
Summe später noch um 10.000 L. vermehrt wurde, und 200.000 L. aus 
den Einkünften des Hötel de la Ville. Die traurige Lage der Finanzen 
Frankreichs, welche infolge der langen, verlustreichen Kriege und der Ver¬ 
schwendungssucht des Hofes während der letzten Periode der Herrschaft 
Ludwig XIV. gänzlich zerrüttet wurden, ist bekannt. Raköczi wurde daher, 
ebenso wie vielen anderen, die Pension nicht mehr ausbezaklt, obwohl er 
das Geld zur Haltung eines entsprechenden Hofstaates sehr dringend be¬ 
nötigt hätte. Unter solchen Umständen ließ er — wahrscheinlich dem 
Rate eines seiner französischen adeligen Freunde folgend — in seinem 
Pariser Haus einen Spielsaal einrichten, welcher nach dem Haus »Hötel de 
la Transsylvanie* benannt wurde. »Er soll auf diese Weise jährlich 40.000 Livres 
Einkommen gehabt haben*. Die Polizei machte dem Leiter dieser Unter¬ 
nehmung, dem Abbe Brenner, öfter Schwierigkeiten, aber Räköczis Leute 
konnten durch ihre Verbindungen bei Hof immer wieder die Nachsicht der 
Polizeistrafen erwirken. Von persönlichen Schritten Räköczis in dieser An¬ 
gelegenheit erfahren wir aus den Akten über den Verkehr seiner Agenten 
mit der Polizei nichts. 

All das übte auf der Fürsten eine niederdrückende Wirkung aus. 
»Um einen Hofstaat halten zu können, war er gezwungen, durch eine Spiel¬ 
hölle Geld zu erwerben, obvohl er wußte, daß dadurch mehr als eine 
Existenz zu Grunde gerichtet werde*. (S. 33). Dieser Umstand und seine bereits 
erwähnte Stellung bei Hof bewogen ihn, sich zu den Kamaldulenser-Brüdern 
von Grosbois zurückzuziehen und den Hof nur selten aufzusuchen. Hier 
begann er, nach dem Muster des hl. Augustin, Konfessionen zu schreiben, 
welche einen tiefen Einblick in sein Seelenleben ermöglichen und ohne 



382 


Literatur. 


welche Szekfü dasselbe so zutreffend zu charakterisieren nicht im Stande 
gewesen wäre. Hier wurde jene wahre und tiefe Religiosität geweckt, 
welche sein weiteres Leben ganz erfüllt und während seiner langen Ver¬ 
bannung, in der Zeit der Mißerfolge und Demütigungen, seine Seele aufrecht 
erhielt und ihm Beruhigung gab. 

Hier war es auch, wo ihn die Nachricht vom Tode Ludwigs XIV. er¬ 
reichte. Szekfü hebt treffend hervor, daß der absolute Herrscher, der Sonnen¬ 
könig, welcher die letzten Spuren der Widerspänstigkeit der Stände ver¬ 
nichtete, persönlich mit Raköczi nicht sympathisieren konnte, da jener in 
seinen Augen doch nur ein Frondeur war. Um so größer, »ja unbeschränkt 
war die Herrschaft Ludwigs XIV. über die Seele Raköczis*. »Der Fürst 
erduldete Armut, Verbannung für den König und als er endlich den Ur¬ 
heber seines traurigen Schicksals persönlich kennen lernte, war er von 
dessen Ritterlichkeit und eindrucksvollem Äußeren geradezu fasziniert. — Zn 
den wenigen Menschen, welche den Tod Ludwigs XIV. wirklich betrauerten, 
gehörte — welche Ironie des Schicksals! — in erster Linie Baköczi*. 

Mit dem Tode des Sonnenkönigs änderte sich seine politische Lage. 
Seine besten Freunde, die Herzoge von Maine und Toulouse, Tesse, Torcy, 
gehörten zu den Gegnern des Herzogs von Orleans, dem es gelungen war, 
die Macht an sich zu reißen. Mit der neuen Regentschaft nahm auch die 
äußere Politik eine andere Richtung: Frankreich trat in freundschaftlichere 
Beziehungen zu seinen alten Feinden, den Habsburgern und England. Das 
Ansehen des Kaisers wurde in Folge des spanischen Erbfolgekrieges gehoben. 
»Karl VL setzte sein Leben, wie ein Freiheitsheld mit jugendlicher Be¬ 
geisterung in den Reihen seiner Katalonen gegen den französischen Präten¬ 
denten kämpfend, aufs Spiel und wachte, als er nun den Thron bestieg, 
mit der von seinen Ahnen ererbten Hartnäckigkeit, aber auch mit einer 
aus seinen Erlebnissen geschöpften Lebhaftigkeit über die unversehrte Auf¬ 
rechterhaltung seiner Autorität* (S. 42). Zwischen dem Kaiser und den Türken 
brach wegen Venedig im Jahre 1716 neuerdings ein Krieg aus. Raköczi 
schickte einen Bevollmächtigten nach Konstantinopel, um den Krieg für 
seine Zwecke auszunützen. Der kaiserliche Botschafter in Paris verlangte 
hierauf, im Interesse des Friedens und des guten Verhältnisses zu den 
Habsburgern, die Ausweisung Raköczis. Dies konnte der Regent doch nicht 
tun, erklärte aber, daß der Fürst nur als einfacher Privatmann in Frank¬ 
reich auftreten dürfe und daß seine Schritte strenge kontrolliert würden. 
Raköczi sah ein, daß er dem Bündnis mit dem Kaiser geradeso geopfert 
wurde, wie Jakob Stuart dem Bündnis mit England. Er verdoppelte seine 
Tätigkeit an dem den Kaiser feindlich gesinnten Höfen. Der Türkenkrieg 
brachte die Gelegenheit, die er suchte, um sein Ziel zu erreichen, »Ungarn 
auf denselben politischen Standpunkt zurückzuführen, den es fünfzig o ler 
hundert Jahre vorher eingenommen hatte* (S. 48). 

Im zweiten Kapitel seines Buches erörtert Szekfü, weshalb Raköczi nach 
der Türkei reiste, »als in der verlassenen Heimat das Leben nach dem 
großen Sturme in friedlicher Ruhe und unter kleinlichen Sorgen dahinging, 
als sich schon jedermann ins Unabänderliche ergab, als die Kurutzen statt 
des Säbels die Sense zur Hand nahmen, die sie eben schleifen wollten, um 
ihre Häuser und Familien vor den Tartarenhorden zu schützen, welche die 
Türken ihnen auf den Halsschickten*. 



Literatur. 


383 


Die Haupttriebfeder der weiteren Handlungen Raköczis sieht Szekfü 
in dessen brennendem Verlangen, das Fürstentum von Siebenbürgen zu er¬ 
ringen. Auch von den konföderierten Ständen Ungarns wurde er zum 
Fürsten gewählt. Diese Würde galt aber Raköczi nicht so viel wie der 
Besitz des Thrones seiner Ahnen. Die Sehnsucht danach erfüllte seine Seele 
gänzlich und je unerfreulicher sich die Verhältnisse gestalteten, desto mehr 
Kraft und Trost zur Ertragung allen Elends und Kummers gab ihm die 
Hoffnung, daß er sein Ziel dennoch erreichen werde. Infolge der tiefen 
Religiosität, die sich während der Verbannung in seiner Seele entwickelte, 
war sein Fürsteneid von der größten Bedeutung für ihn. In seinem 
Innern war er fest davon überzeugt, daß es eine heilige Pflicht sei, um 
sein Fürstentum Siebenbürgen zu kämpfen. 

Raköczi fühlte sich ganz als Souverain. Er hatte sich dazu entwickelt 
unter dem Einfluß des französischen Hofes. Nach seiner Auffassung ist die 
Würde eines Fürsten göttlichen Ursprungs, sie ist der erhabenste Beruf aut 
Gottes Erde. Er mußte sich daher dorthin wenden, wo auch nur die 
kleinste Aussicht auf eine Erreichung seines Zieles vorhanden war und dazu 
erschien ihm jetzt der Türkenkrieg als das geeignetste Mittel. 

Als Raköczi sich in die Türkei begab, hatten bereits einige seiner An¬ 
hänger, die sich in Polen auf hi eiten, einen erfolglosen Versuch zur Er¬ 
oberung des Fürstentums gemacht. Es waren dies ehemalige Kurutzen- 
führer. Bercsönyi wollte mit türkischem Geld eine Armee organisieren, 
welcher Plan jedoch mißlang. Eszterhäzy fiel an der Spitze eines Tartaren- 
heeres in das Land ein, verwüstete einige Komitate, aber das Volk erhob 
sich gegen ihn und vernichtete seine Horden. »Bercsenyi und seine Ge¬ 
fährten verfielen in den typischen Fehler aller Emigranten, als sie glaubten, 
daß Ungarn sich auch jetzt auf ihre Seite stellen werde. Durch die vier- 
bis fünfjährige Verbannung in Polen blieb ihre seelische Entwicklung auf 
demselben Punkt wie vor dem Frieden von Szatmar: sie gewahrten nicht, 
daß die von Palffy angebotene Versöhnung die Kurutzen vor einer end- 
giltigen Verlotterung schützte*. Der Gegensatz zwischen den Emigranten 
und den Ungarn, die zur friedlichen Arbeit zurück kehrten, wurde immer 
größer. »Durch den Friedensschluß von Szatmar wurden die Emigranten 
verdrängt und ihr Versuch, den Lauf des nationalen Lebens zu hemmen, 
endete kläglich*. »Raköczis Namen übte auf die Ungarn keine besondere 
Wirkung aus. Das offizielle Ungarn ging ruhig den Weg, welchen ihm 
der Friedensschluß vorgezeichnet hatte und das arme Volk der mthenischen 
und wallachischen Bauern, erhob sich wie ein Mann, um sich gegen die 
Waffenbrüder der die Freiheit verheißenden Kurutzen, die Tataren, zu 
schützen* (S. 8 S ). 

Als Räköczi in der Türkei anlangte, war der Kampf schon durch den 
Sieg des Prinzen Eugen bei Belgrad entschieden. Aber Raköczi setze sein 
Vertrauen nicht nur in die Türken, sondern hoffte auch auf Spaniens Bei¬ 
stand. Außerdem erschien ihm die europäische Lage überhaupt günstig für 
seine Zwecke. Szekfü schildert sehr lebendig die diplomatischen Verhält¬ 
nisse, das Bestreben Alberonis und seine Pläne betreffs der nördlichen 
Mächte, das Zustandekommen eines Bündnisses zwischen England, Frankreich, 
Holland und dem Kaiser. Alberoni wollte Raköczi ebenso ausnützen, wie 
seinerzeit Ludwig XIV. es tat. Er schickte zwar einen Agenten nach 



384 


Literatur. 


Adrianopel, wo sich der Großvezier und Räköczi aufhielten, ohne ihn jedoch 
zu ermächtigen, mit der Pforte ein Bündnis zu schließen. Der Empfang des 
Gesandten durch Bäkdezi gibt Szekfü Gelegenheit, eine Schwäche des Fürsten 
— seine Eitelkeit — zu charakterisieren. Er hielt einen sehr zeremonien¬ 
reichen Hof in Adrianopel, dessen strenge Etiquette seinen Verkehr mit 
Fremden, besonders mit dem französischen Botschafter, nur erschwerte und 
seine treuesten Anhänger unnötiger Weise von ihm femhielt 

Raköczi ermutigte die Türken zu weiterem Kampfj da er die Hoffnung 
hegte, ein Bündnis mit Spanien zu erzielen; ja er ging sogar so weit, dem 
Großvezier zu versichern, daß es ihm ein leichtes sei, das Bündnis mit 
Spanien zustande zu bringen. Seine Stellung den Türken gegenüber war 
eigenartig. Als Fürst wollte er nur nach Abschluß eines Bundesvertrages 
gegen Ungarn ziehen, und zwar nur an der Spitze eines ungarischen Heeres, 
das er mit türkischem Geld zu werben hoffte. Der Großvezier wollte ihm 
eine tatarische Armee unterstellen. » Seine religiösen Ansichten erlaubten 
ihm jedoch nicht, dieses Anerbieten anzunehmen. Andererseits aber er¬ 
kannte er nicht, daß die Pforte seinem Wunsch niemals nachkommen würde*. 
» Diese Verhandlungen gewähren uns einen peinlichen Einblick in das mo¬ 
ralische Elend der Thronprätendenz. Der land- und heimatlose Fürst, den 
das Schicksal aller Trümpfe beraubte, wollte um jeden Preis am Spiele der 
Mächtigen dieser Welt teilnehmen, die über siegreiche Heere, neue Flotten, 
geordnete Finanzen verfügen konnten* (S. 158). Die Pforte schloß aber hinter 
dem Rücken des Fürsten den Frieden von Passarovitz. Auch Alberoni, dem als 
Kardinal der römischen Kirche seine Verbindungen mit der Pforte zum 
Vorwurf gemacht wurden, verleugnete den Fürsten, rief seinen Agenten 
einfach zurück und dieser verließ Raköczi ohne diplomatische Formalitäten. 

Durch den Frieden von Passarovitz wurde die Lage Raköczis völlig 
verändert: er wurde zum Schützling des Sultans. Der Weg zur Flucht 
wäre ihm noch offen gestanden, aber sein religiöses Gefühl und die Sorge 
um seine Gefährten in der Verbannung, hinderten den Fürsten daran, ihn 
einzuschla-’en. ln der Hoffnung auf eine glänzende Zukunft ertrug er 
demütig alle Schicksalsschläge, so die ablehnende Antwort der französischen 
Regierung, die er um die Erlaubnis zur Rückkehr nach Frankreich ersucht 
hatte. Daß er sich auch jetzt noch als Souverain fühlte, erhellt daraus, 
daß er mit der Pforte noch immer einen Vertrag abschließen wollte. Der 
französische Botschafter, der den Seelenzustand des Fürsten nicht verstehen 
konnte, sagte ihm auch, er möge seine Prätensionen mäßigen und beschul¬ 
digte ihn eines Hochmuts, der zu seiner Lage nicht paßte. Der Fürst ant¬ 
wortete ihm, die Ausführung seiner Pläne interessiere ganz Europa. Raköczi 
verfiel auch in den größten Fehler der Emigranten: er machte sich lächerlich. 
»Die Machthaber der Erde gingen achtlos an ihm vorbei, nachdem es sich 
herausgestellt hatte, daß er für ihre Interessen nicht mehr brauchbar sei 
und sich trotzdem so gebärdete als wenn er ihnen gleichgestellt wäre* (S. 178). 
Der Großvezier erzählte lächelnd dem französischen Botschafter, daß Raköczi 
■eine jährliche Pension von 2 Vü Millionen Piaster verlange. 

Als der französische Botschafter, bei einem Versuche Raköczis, nach 
Frankreich zurückzukehren, ihm den Text der Quadruple Alliance mitteilte 
und der unglückliche Fürst auch das Mißlingen der italienischen Expedition 
Alberonis erfahr, da schwand auch seine letzte Hoffnung auf eine Heimkehr. 



Literatur. 


385 


Diese Krise ging aber rasch vorüber ohne danernde Spuren in Baköczis 
Seele zurückgelassen zu haben. Das religiöse Gefühl gewann seit den glück¬ 
lichen Tagen von Grosbois die unbeschränkte Oberherrschaft in seinem 
Empfinden und Denken, wie aus folgendem deutlich hervorgeht: »Er, 
Baköczi, müsse sein Land suchen, und wenn er es bis jetzt noch nicht ge¬ 
funden habe, so werde ihm der Herr, der für seine ersten Diener auf Erden 
selbst Sorge trage, gewiß den Weg weisen, der zum Ziele führt*. Eine 
Zeit lang blieb Baköczi noch in der Nähe von Konstantinopel und wollte 
zunächst die Konstellation ausnützen, bis er 1720 auf Verlangen des kaiser¬ 
lichen Botschafters nach Bodosto an der Marmarasee gebracht wurde. Sehr 
zutreffend charakterisiert Szekfü auf Grund der Briefe Mikes, eines der 
Emigranten, die Umgebung des Fürsten, der sich sehr einsam fühlte und 
inmitten der strengsten Etiquette, die an seinem Hofe herrschte, ein zurück¬ 
gezogenes Dasein führte. 

Er teilte sein Leben zwischen Beligiosität und diplomatischer Arbeit. 
»Er setzte sich immer wieder der beschämenden Ablehnung durch die 
Mächte aus, aber sein Schmerz über diese Schmach wurde durch seine Be¬ 
ligiosität gemildert*. Das religiöse Empfinden verschmolz in seinem Innern 
mit der politischen Überzeugung zu einem untrennbaren Ganzen. Er schrieb 
Gebete für Gelegenheiten, wie sie im Leben mächtiger Herrscher Vor¬ 
kommen: Ä la vue du thröne, zum großen Lever, wie er es am Hofe von 
Versailles gesehen. Bossuet übte einen großen Einfluß auf ihn aus, doch 
mißdeutete Bäköczi seine Anschauungen. In einem längeren Werk: »Traite 
de la puissance* leitet der Fürst mit logischer Folgerung aus der Wahl 
der Stände sein Becht auf den Thron von Siebenbürgen ab — mit Hinweis 
auf Bossuet! 

Bäköczis politische Bestrebungen richteten sich in erster Linie auf eine 
Bückkehr in christliche Länder. Er verbrachte täglich mehrere Stunden 
mit der Abfassung politischer Memoranden, welche oft von einem gänz¬ 
lichen Verkennen der bestehenden politischen Verhältnisse zeigten. Dieser 
Umstand kann uns nicht Wunder nehmen, wenn wir bedenken, wie ver¬ 
spätet die politischen Nachrichten nach Bodosto gelangten. So wandte sich 
Bäköczi z. B. in der ersten Zeit seines Aufenthaltes in Bodosto an Dubois 
mit dem Ersuchen, der Begent möge den Zaren zu einem Angriff auf den 
Kaiser bewegen — und der Begent war bereits mit dem Kaiser verbündet l 
Dann wollte er durch französische Vermittlung nach Spanien kommen. Mit 
der ablehnenden Antwort des französischen Ministers des Äußern erhielt er 
gleichzeitig die Nachricht von seinem materiellen Buin. Sein Pariser Agent 
Brenner verlor das ganze Vermögen, das der Fürst in Paris besaß, beim 
Schwindel von Law. Baköczis alten Freunden gelang es zwar von der 
Pariser Begierung eine jährliche Pension für ihn zu erwirken, doch wurde 
er materiell fast gänzlich von der türkischen Begierung abhängig. So hatte 
er kaum mehr Hoffnung auf Befreiung. »Die Wartezeit steigerte noch seine 
Qualen und er verlor immer mehr die Fähigkeit, das Ziel und die Bichtung 
seiner Handlungen logisch und aus den Ereignissen folgernd, zu bestimmen. 
Seine fortgesetzten Versuche, in ein christliches Land zurückzukehren und 
einen europäischen Krieg zu entfachen, können nicht mehr als diplomatische 
Schritte angesehen werden* (S. 250 ). In einem Brief schreibt er an einen fran¬ 
zösischen Freund: »Für mich gibt es keine politische Vernunft, keine Ehre 



386 


Literatur. 


mehr, ich werde allein nach meinem Gewissen handeln und wenn die 
traurige Notwendigkeit es verlangt, wird sich auch eine Versöhnung mit 
dem Kaiser anbahnen lassen*. »Das Bewußtsein seiner fürstlichen Würde 
gestattete ihm nicht, sich ins Privatleben zurückzuziehen und die größte 
Freude in seinem traurigen Du sein bereitete ihm der Umstand, daß er in 
den diplomatischen Angelegenheiten von Konstantinopel mitsprechen durfte 
und noch mehr, daß er in den Verhandlungen der Pforte eine vermittelnde 
Bolle spielen konnte*. In der persisch-armenischen Frage kam durch seine 
Vermittlung ein Übereinkommen zwischen Bussen und Türken zustande. 
Im Interesse der Christen von römischem Bitus überreichte er der Pforte 
ein Memorandum. Besonders viele Memoranden schrieb er seit 1724 zur 
Orientierung des französischen Botschafters D’Andrezel, der mit der Diplo¬ 
matie von Konstantinopel nicht vertraut war. Diese Memoranden waren 
für Baköczi ohne irgend einen Nutzen. Die feinen Umgangsformen und 
die beständigen Ehrenbezeugungen des Franzosen ließen ihn die Wahrheit 
vergessen und die Arbeit schuf ihm einen angenehmen Zeitvertreib. 

Am traurigsten war für Baköczi, während des Bodostoer Aufenthaltes, 
die Anwesenheit der fremden Abenteurer, die sich — wie dies jedem Prä¬ 
tendenten geschieht — ihm anschlossen. »Die Stellung der Emigranten 
ist an und für sich sehr zweifelhaft und so wenig beständig, daß Leute, 
denen das Leben viel ernste Arbeit gibt, sich ihnen nicht anschließen 
können. Und die Lage fiaköczis war unter allen Emigranten die schlechteste* 
{S. 27 s). Die Ungarn, seine letzten Anhänger aus der Heimat, mußten traurig 
die Begünstigung der Fremden mit ansehen. Diese Glücksritter wurden vom 
Fürsten für ausländische Missionen verwendet: sie waren beauftragt, an 
den fremden Höfen diplomatische Schritte zu unternehmen. Sie unterhielten 
sich in den fremden Hauptstädten auf Bäköczis Kosten und brachten dessen 
ohnehin schwache Finanzen in die größte Verwirrung. Der Fürst mußte 
an seinem ärmlichen Hof in Bodosto ersparen, was seine ungetreuen Agenten 
in der Fremde vergeudeten. Der erste unter diesen Abenteuerem war 
noch von der weniger gefährlichen Gattung, ein Engländer namens Ploutman, 
der der Pforte den Vorschlag unterbreitete, auf den Inseln des ägäischen 
Meeres durch Baubzüge reich gewordenen Piraten ansiedeln zu lassen und 
ein Fürstentum zu gründen. Baköczi ließ sich mit ihm in Verhandlungen 
wegen dieses Seeräuberstaates ein. Natürlich wurde aus dem Plan nichts. 

Viel verhängnisvoller wurde für den Fürsten ein Ingenieuroffizier 
dänischer Herkunft, ein gewisser Paul Bohn, der früher kaiserlicher Offizier 
gewesen, und den Baköczi als Sekretär anstellte. Bohns erstes Unternehmen 
war, daß er seine Dienste dem kaiserlichen Botschafter in Kon3tantinopel 
anbot, der ihn auch wirklich mit einem ständigen Gehalt als Spion in 
Bodosto anstellte. Die Botschafter hielten immer eine Vertrauensperson in 
Raköczis Nähe, deren Pflicht es war, alle Schritte des Fürsten zu über¬ 
wachen. Bohn erfüllte diesen Auftrag sehr gewissenhaft und erstattete 
über alles, was der Fürst unternahm, genauen Bericht. Am meisten schadete 
aber Raköczi ein Franzose namens Vigourox, der das Vertrauen des Fürsten 
in unbeschränktem Maße zu gewinnen verstand und während dessen letzter 
Lebensjahre die Kolonie von Bodosto gänzlich beherrschte. Er machte lange 
Beisen an den europäischen Höfen, um die Kückkehr Bäköczis zu ermög¬ 
lichen, aber ohne Erfolg. Materiell nützte er den Fürsten auf ganz ge- 



Literatur. 


3S7 


wissenloee Weise ans und verständigte auch den kaiserlichen Botschafter 
von dem Verkehr Bakoczis mit dem französischen Botschafter. »Von der 
Untreue seiner Vertrauten bat Baköczi nie etwas erfahren, ln politische 
und religiöse Träume versunken, bemerkte er nicht, wie wenig der Umgang 
mit diesen Menschen seiner würdig war*. Eine ganze Menge Abenteuerer 
kamen im Jahre 1727 mit seinem jüngeren Sohne Georg in Bodosto an. 

Für die Erziehung der beiden Söhne Bakoczis sorgte der Kaiser, nach¬ 
dem die Besitzungen des Fürsten durch die Kammer beschlagnahmt worden 
waren. Die Söhne Bakoczis wurden am Wiener Hof wie Aristokraten 
erzogen. Später erhielten sie vom Kaiser große Besitzungen im fernen 
Königreich Neapel. Der jüngere entfloh auf einer Beise nach Italien, fuhr 
nach Paris und von dort mit einer zusammengelaufenen Ges ellsch aft nach 
Bodosto. Der vergnügungssüchtige, degenerierte Jüngling konnte das ein¬ 
tönige Leben an dem ärmlichen Hof seines Vaters nicht lange ertragen. 
Die Sorgen des Fürsten mehrten sich noch, als sein Sohn nach Frankreich 
floh: von dem Gnadengehalt, den er von der Pforte bezog, mußte er nun 
auch noch seinen Sohn am Versailler Hof in einer seinem Bange ent¬ 
sprechenden Weise erhalten. Nach langem Grübeln faßte er einen Plan, 
um seine und seines Sohnes Zukunft sicherzustellen. 

Die Enttäuschungen der vergangenen Jahre hatten in der Seele des 
Fürsten keine Spuren hinterlassen. Sein Ziel war immer dasselbe geblieben: 
mit der Hoffnung auf Erfolg den Kampf gegen die Habsburger wieder zu 
beginnen. Jetzt aber änderte sich das alles. »Seit 20 Jahren hatte er 
Entbehrungen, Demütigungen aller Art zu ertragen, weil er der erbitterte 
Feind des mächtigsten Herrschers war und nun erklärte er sich bereit 
um seines Sohnes willen vor dem Habsburger das Knie zu beugen, wozu 
ihn einst alle Überredungskünste Palflys und Kärolyis nicht hatten bewegen 
können*. »Was die Erfahrungen der Jahre nicht zustande zu bringen ver¬ 
mochten, erwirkte ein gewaltiges menschliches Gefühl: die väterliche Liebe*. 
»Der Fürst von Bodosto, dessen Gefühlsleben in dein Formelkram der fran¬ 
zösischen Etiquette erstarrt zu sein schien, bewies durch diese große In¬ 
konsequenz, die er aus Liebe zu seinem Kinde beging, daß auch er ein 
warm fühlender Mensch war mit einem gütigen Vaterherzen* (S. 29 6). 

Er suchte sowohl für sich als auch für seinen Sohn vornehme Fa- 
milienverbindungen m der polnischen Aristokratie, zu welcher er während 
des Aufstandes Beziehungen angeknüpft hatte. Seine Anträge wurden denn 
auch angenommen, aber mit der Bedingung, daß er sich mit dem Kaiser 
versöhne. Auf Ersuchen von polnischer Seite bahnten die preußischen und 
sächsißch-polnis?hen Höfe den Weg zur Versöhnung in Wien an. Für sich 
verlangte Baköczi den Titel eines Fürsten von Siebenbürgen, für seinen 
Sohn unter anderem zwei vorderösterreichische Landgrafschaften. Er wollte 
nach Polen zurückkehren und falls der Kaiser seine Bedingungen annähme, 
ihm seine Huldigung nur brieflich ausdrücken. In der Instruktion für seinen 
Bevollmächtigten fugte der Fürst hinzu, wie nutzbringend für den Kaiser die 
Versöhnung mit ihm wäre, da er, Baköczi, nicht nur einen außerordentlichen 
Einfluß auf die Pforte habe, sondern auch der Frieden im Osten nur von 
ihm abhänge, weil Siebenbürgen, Moldau und die Wallachei sich nach der tür¬ 
kischen Herrschaft zurücksehnten. (Er war also überzeugt, daß die Ver¬ 
söhnung ebensosehr, wenn nicht mehr, im Interesse des Kaisers läge als in 



388 


Literatur. 


seinem eigenen). Sein größter Feind am Wiener Hof, Prinz Engen, der 
aus Konstantinopel über Räköczis diplomatische Schritte fortwährend Mel¬ 
dungen erhielt, war überzeugt, daß der Versöhnungsversuch nur Heuchelei 
sei und lehnte die übertriebenen Ansprüche des Fürsten ab. 

»Die schlechten Nachrichten übten auf Raköczi nicht mehr dieselbe 
Wirkung aus wie früher. Er konnte ihre Tragweite nicht mehr ermessen 
und verfiel in eine eigentümliche Art von Gleichgültigkeit allen Mißerfolgen 
gegenüber und wiederholte mit der charakteristischen Hartnäckigkeit des 
Emigranten ohne Rücksicht auf Zurückweisungen von neuem die früheren 
Versuche. .. In seinen letzten Lebensjahren bietet er uns das traurige Bild 
eines politisch Toten. Er merkte nicht, daß sein Ansehen verloren und sein 
Einfluß erloschen war und versuchte noch immer hartnäckig das Unerreich¬ 
bare zu erlangen* (S. 309). 

Den letzten Versuch, sein Ziel zu erreichen, machte er, als zwischen 
Frankreich und dem Kaiser der Krieg ausbrach, indem er den Plan faßte, 
mit Hilfe der Franzosen über Bosnien nach Kroatien einzudringen. Raköczis 
Verhandlungen mit der französischen Regierung und seine Verbindungen 
mit dem französischen Gesandten verriet Bohn, der die Interessen des Fürsten 
in Paris zu vertreten hatte, noch vor seiner Abreise dem kaiserlichen und 
dem russischen Botschafter. Bohn wurde in Paris entlarvt, legte, aber 
ein so zweideutiges Geständnis über RAköczis Verbindungen mit England 
ab, daß der französische Minister des Äußern gegen den Fürsten den Vor¬ 
wurf erhob, daß er die französischen Interessen verraten habe. Das war 
der letzte große Schmerz im Leben des Fürsten. Er starb gebrochen an 
Leib und Seele am 7. April 1735. 

Die Ergebnisse des Buches sind in einem Schlußwort zusammengefaßt. 
»Das Los Raköczis war noch trauriger als das anderer Verbannten, da er 
nicht nur von der Heimat getrennt, sondern auch von der Kultur des 
Westens und dem Christentum weit entfernt leben mußte. Er hatte keine 
Ratgeber, sondern mußte alles aus seiner eigenen Gedankenwelt schöpfen 
und seine Seele war noch zu sehr erfüllt von den durch sein Fürstentum 
gewonnenen Eindrücken*. 

Das Ziel seiner politischen Bestrebungen war, wie wir bereits gehört 
haben, die Wiedererrichtung des Fürstentums von Siebenbürgen, das unter 
Bethlen und den Räköczis unter türkischem Schutz immer die Verfassung 
und die Freiheit Ungarns verteidigt hatte. Nach dem Frieden von Szatmär 
trat das unter den Habsburgern vereinigte Ungarn an Stelle des alten 
Staatensystems. Die Wünsche, die Raköczi während seiner Verbannung 
hegte, richteten sich auf die Neuerstehung der verlorenen Macht. Daher 
die Ergebnislosigkeit seiner Bemühungen, die lange Reihe der Mißerfolge. 

Das Leben als Emigrant hat auch eine große Wirkung auf ihn aus 
geübt »In Rodosto war er kein Freiheitsheld mehr, sondern ein Prätendent, 
der zum Ersatz des endgiltig verlorenen Siebenbürgens mit systemloser 
Nervosität auch nach anderen Ländern trachtete*. Für seine Familie war 
er eben bereit, seine ganze Vergangenheit zu verleugnen. »Er war ein 
Mensch und so blieb ihm auch kein menschliches Gefühl fremd, auch nicht 
die Melancholie der Entsagung. Das Leben eines jeden Emigranten ist für 
das Gemeinwesen nutzlos. Die Begründung der Verbannung liegt eben 
darin, daß die neue Ordnung in der Heimat die Männer der alten Ordnung 



Literatur. 


389 


nicht mehr brauchen kann und daher gezwungen ist, sie zu entfernen. Die 
Bestrebungen Baköczis endeten mit einem Fiasko, da in der neuen Ent¬ 
wicklung des nationalen Lebens kein Platz mehr für das Fürstentum 
Siebenbürgen blieb .... All das, was seither fördernd auf das nationale Leben 
wirkte, war Bakoczi gänzlich fremd. In den entscheidenden Augenblicken, 
als man die Begründung einer neuen Zukunft ins Auge fassen mußte, dachte 
niemand an Baköczis längst vergangenes Ideal Die gewaltige Kräftigung 
Ungarns im XVIII. Jahrhundert, das gegen das Ende der Regierung 
Josefs IL auflodemde Strohfeuer der nationalen Begeisterung; dann bald 
darauf die Renaissance des ungarischen Geistes und der Nationalität, die 
große Katastrophe und endlich die glückliche Gründung des neuen unga¬ 
rischen Staates, gingen vor sich, ohne daß ihre Vollzieher, sowohl die Führer 
als auch die große Masse, den Namen Baköczis in den Mund genommen hatten € . 

»Die Leidenszeit der Verbannung des Fürsten blieb ohne historische 
Bedeutung. Sein Lebenslauf ist einer Woge vergleichbar, welche an das 
Ufer geschlagen, versiegt, während ihre Gefährten in dem ewigen Strombett 
ihrer Bestimmung zueilen*. 

So stellt Szekfü das Leben Rököczis in der Verbannung dar, nachdem 
er die Quellen *) einer strengen Prüfung unterzogen und eine sorgfältige 
Zusammenstellung der einzelnen Daten vorgenommen hatte. 

Fünf Monate nach seinem Erscheinen bemächtigte sich die Tagespresse 
des Buches. Sie wurde durch eine Besprechung des Pester Lloyd vom 
7. März 1914, eines Regierungsorgans, darauf aufmerksam gemacht, welche 
das Buch als ein brillant geschriebenes Werk schildert, das den großen 
Perspektiven der Zeit ebenso gerecht wird, wie der p >ychologischen Analyse 
der Hauptfiguren und das der Nation einen neuen Räköczi schenkte, d. h. 
Bakoczi, wie er wirklich war. 

Das Lob dieser zufällig halboffiziellen Zeitung, der ungeschickt ge¬ 
wählte Titel ihres Artikels »Der entgötterte BAköczi*, und eine Polemik 
mit Koloman Thaly gaben einen hinreichenden Grund dazu, das Buch zu 
einem längere Zeit aktuellen Thema der Tagespolitik und der Tagespre 89 e 
ra machen. In einer langen Anmerkung (S. 369—375) greift der Autor 
die tendenziöse Geschichtsschreibung weiland Thalys an. Dieser war Poli¬ 
tiker, Historiker und Dichter, der sich durch die Erforschung und Ver¬ 
öffentlichung des Quellenmaterials des RAköcziaufstandes große Verdienste 
erworben hatte. Er konnte aber seine historiographische Tätigkeit von 
seinen politischen Anschauungen nicht streng trennen. »Sein politisches 
Ideal war das Ungarn RAköczis und er kämpfte dafür ohne Rücksicht auf 
eine Möglichkeit der Verwirklichung*. »In den Akten suchte er nur neue 
Belege für den Ruhm des großen Rebellen und den Glanz des Rodostoer 
Hofes; über die kritischen Stellen jedoch ging er flüchtig hinweg. All das 
Nachteilige, das in den Akten über RAköczis Umgebung enthalten war, 
ignorierte Thaly so vollständig, wie wenn es in einer unbekannten Sprache 
geschrieben worden wäre*. 

Keine objektiven Kritiken, sondern leidenschaftliche Auslassungen er¬ 
schienen gegen das »unpatriotische Buch* und dessen Autor, Auslassungen, 

*) Seine H&uptquellen sind außer den Gedruckten die Korrespondenz D’Andrezel-,^ 
RAkdcsL, die Korrespondenz Vigouroux’s und die Berichte der kais. Residenten r 
Konstantinopel. 

Xittailaogon XXXVI. 


26 



390 


Literatur. 


welche oft in persönliche Angriffe ansarteten. Die Führung der Hetze 
übernahm das Organ derjenigen Partei, welcher Thaly ehemals angehörte 1 ). 
Gegen den Autor wurde die Beschuldigung erhoben, daß es der Zweck 
Beines Buches sei, den großen Freiheitshelden als einen herabgekommenen 
Abenteuerer darzustellen. Zur Geltendmachung dieser Tendenz nehme Herr 
Szekfü »der k. k. Historiograph*, alle falschen Dokumente und Wiener 
Spionageberichte für authentisch an. Als Beweis für diese und ähnliche 
Behauptungen wurden einzelne aus dem Zusammenhang gerissene Stellen 
des Buches, ja sogar einzelne Worte angeführt, ein Verfahren, mit welchem 
man auch das Gegenteil leicht beweisen hätte können, nämlich, daß Baköczi 
ein Halbgott war. Der gewissenlosen Hetze, welche in den täglichen Ar¬ 
tikeln geführt wurde, ist es gelungen die Meinung der großen Masse auf 
das Entschiedenste zu Ungunsten des Buches zu beeinflussen. 

Partei- und Volksversammlungen, Tischgesellschaften und Lesezirkel 
verurteilten das Buch — ohne es gelesen zu haben und forderten den 
Autor auf, seine Behauptungen zurückzunehmen. Die Universitätsjugend 
hielt eine Protestversammlung ab, in welcher Abgeordnete das Buch brand¬ 
markten. Der Terrorismus ging so weit, daß die Akademie der Wissen¬ 
schaften, in deren Verlag das Buch erschienen war, in einer Erklärung 
feststellte, daß sie den Behauptungen Szekfüs nicht zustimmen könne, ob¬ 
wohl sie eingestehe, daß: »der große Fürst auch in dieser etwas kühlen 
Darstellung unserem Herzen nahesteht, ja vielleicht näher als in den bisher 
über ihn erschienenen, von schwärmerischer Begeisterung eingegebenen 
Werken* *). 

Wenn wir von den lächerlichen Kleinigkeiten schweigen, so waren die 
Hauptanklagen — sie wurden von Szekfü in zwei glänzenden Protest¬ 
schriften widerlegt 8 ) — die man gegen die unpatriotische »Geschichts- 
fälschung* erhob, folgende: 

Nach Szekfü schöpfte Baköczi zum großen Teil seine Einkünfte aus 
der Spielhölle, obgleich, wie er selbst schreibt, Ludwig XIV. reichlich für 
seinen Unterhalt sorgte. Der Fürst, so wurde Szekfü entgegnet, wußte 
nichts vom Hotel de Transsylvanie. Seine Leute, die die Spielhölle ein- 
richteten, mißbrauchten nur sein Vertrauen. Wie bereits bemerkt wurde, 
wies Szekfü auf die kritische Lage der Finanzen Frankreichs hin. Baköczi 
ward gezwungen, zur Erhaltung seines Hofstaates eine Spielhölle zu er¬ 
richten. Davon, daß der Fürst von der Existenz dieser Spielhölle nichts 
gewußt hätte, kann keine Bede sein, da seine Leute in Angelegenheiten der 
Spielhölle des öftem Eingaben an die Minister richteten, denen Baköczi 
doch täglich begegnete. Wie hätte seine Umgebung ein derartiges Unter¬ 
nehmen vor ihm verheimlichen können!? — Die von Szekfü in einer 
zweiten Erwiderung mitgeteilten neuen Dokumente lassen keinen Zweifel 
mehr an dieser Frage auf kommen 4 ). 


*) [Magyarorszäg] 1914 März 7. 18 etc. 

*) Pester Lloyd 1914 März 31. 

•) Erschienen in »Akademiai Ertesitö« u. ,Törtöneti Szemle« 1914. 

4 ) Am meisten charakteristisch ist jene Anklage gegen Szektü, in welcher 
eine in dieser Frage benützte Quelle als nicht kompetent bezeichnet wurde. Szektü 
benutzte das topographisch-historische Werk eines gewissen Mouton über das »Hdtel 
de Transsylvanie« in welchem die amtliche Korrespondenz der Pariser Polizei über 



Literatur. 


391 


Viele Vorwürfe wurden Szekfu auch deshalb gemacht, weil er auch 
Ton den Liebeleien des Fürsten Erwähnung tat und dabei auch auf die 
Ereignisse der Jahre vor der Verbannung zu sprechen kam. »Nicht ohne 
Grund wurde gegen Raköczi die Anklage erhoben, daß er mehr als einmal, 
während wichtiger Vorgänge das Land verlief, um seine Lebenslust in 
Polen zu befriedigen 4 . »Als der Aufstand schon dem Ende zuging und 
die weitzerstreuten Kurutzen keinen Platz mehr hatten, um sich zur Ruhe 
zu legen, fahren Raköczi und Bercsönyi unter lustigem Schlittenklang in 
Gesellschaft schöner Frauen spazieren 4 . Szekfü fügt aber sofort hinzu: »Die 
Empfindlichkeit der Menschen war damals in solchen Dingen nicht so ent¬ 
wickelt wie heute. Erst durch den Romantizismus des 19. Jahrhunderts 
entstand die allgemeine Ansicht, daß Tanz und Unterhaltung zur Zeit der 
Schicksalschläge gottlos seien 4 . Wir können noch hinzu fugen, daß Räkoczi 
in der reichen vergnügungssüchtigen polnischen Aristokratie umsonst Sym¬ 
pathie und Unterstützung gesucht hätte, wenn er kopfhängerisch gewesen 
wäre. Über die unschuldigen Liebeleien Raköczis am Hofe von Versailles 
benützt der Autor nur die Konfessionen des Fürsten selbst, und den Brief¬ 
wechsel Liselotte’a, der Mutter des Regenten. 

Über die Anklagen, welche die Journalisten gegen die Quellen des 
Autors erhoben, ist es besser nicht zu reden. Die kaiserlichen Botschafts¬ 
berichte von Konstantinopel oder Paris kann man nicht im Ernst »Wiener 
Spionageberichte 4 nennen. Ebenso braucht man auf den Vortrag Aladar 
Ballagis nicht näher einzugehen, da er nur eine Menge von subjektiven 
Ansichten und böswilligen Ausstreuungen enthält, ohne sich in die Kritik 
der Quellen des Buches einzulassen 1 ). Was an sachlichen Behauptungen darin 
enthalten ist, hat schon Szekfu in seiner zweiten Entgegnung widerlegt. 
Der durch die Journalisten entfaltete Terrorismus war so groß, daß eine 
wissenschaftliche Kritik in den Organen der ungarischen Geschichtsschreibung 
über das zweifellos interessanteste Produkt der ungarischen Geschichts¬ 
schreibung der letzten Jahre bis jetzt nicht erschienen ist. Eine große An¬ 
zahl ungarischer Historiker protestierte im Namen der Gedanken- und Pre߬ 
freiheit in einer gemeinsamen Erklärung dagegen, daß dieses Buch zu einer 
politischen Hetze mißbraucht werde. Die bedeutendsten und gebildetesten 
Historiker (Arpad von Karolyi, Remig v. Bekefi, Karl Tag&nyi, Alexander 
Takats, David Angyal etc.) nahmen in Interviews für den Autor gegen die 
Anklage der Beschimpfung Raköczis Stellung. 

Die einzige längere Kritik mehr wissenschaftlichen Charakters schrieb 
eine führende Persönlichkeit des ungarischen politischen Lebens, Graf Julius 
Andrässy, der durch ein mehrbändiges Werk auch unter den ungarischen 
Verfassungshistorikem einen hervorragenden Rang einnimmt 8 ). Nach der 

die Spielbank herausgegeben ist. Nicht nur Journalisten, sondern auch ein Ge¬ 
lehrter, der heftigste Gegner Szekfüs, behauptete von Mouton, er wäre ein herab- 
gekommener Boulevardschriftsteller, der das Buch sicher nur im Interesse eines 
günstigen Verkaufes des ,Hötel de Transsylvanie« geschrieben habe. Die Ähn¬ 
lichkeit von Moutons Namen mit dem Namen eines im Rochette-Prozeß eine Rolle 
spielenden Mouthon, gab einen hinreichenden Grund zu einer solchen Behauptung. 
Wie aus Szekfüs zweiter Erwiderung hervorgeht, ist Löo Mouton Bibliotheksbe¬ 
amter und Historiker (et. Hist. Zeitschrift 1914 (Bd. 113) 8. 672), der schon mehrere 
Bücher über die Topographie von Paris geschrieben hat. 

*) Erschienen in »Akademiai Ertesitö*. 

5 ) Magyar Hirlap 1914. Mai 10. 

26* 



392 


Literatur. 


Meinung Andrassys bezweckte Baköczis politische Tätigkeit nicht so sehr 
die Wiedererlangung des Fürstenthrones von Siebenbürgen, als di* Her¬ 
stellung der nationalen Freiheit und Unabhängigkeit. Szekfü habe zwei 
psychische Beweggründe für die Handlungen Baköczis gefunden: erstens, die 
Zähigkeit, mit der Baköczi an dem Plan, die Herrschaft in Siebenbürgen wieder 
zu erreichen, festhielt und zweitens das stark ausgeprägte Souveränitätsgefuhl, 
für dessen Entwicklung nach Andrassys Meinung die nach polnischem 
Muster gebildete Konföderation der ungarischen Stände, an deren Spitze 
Bäköczi stand, nicht sonderlich geeignet war. Baköczi schöpfte selbst aus 
Bossuet Argumente zur Bechtfertigung der ständischen Auffassung. Szekfü 
beschreibe — wieder die Ansicht Andrassys — zwei Baköczis, den Thron¬ 
prätendenten und den Freiheitshelden und es sei ihm nicht gelungen, diese 
beiden Gestalten in eins zu verschmelzen. Bei der Schilderung der diplo¬ 
matischen Lage stelle er die Aussichten des Fürsten meistens als viel zu 
gering dar. Die Anstrengungen Baköczis kämen nur uns lächerlich vor, bei 
seinen Zeitgenossen dürfte dies kaum der Fall gewesen sein. Graf Andrassv 
verdächtigt durchaus nicht Szekfüs gute Absichten und Objektivität, sondern 
nimmt die Meinungsfreiheit in Schutz und empfiehlt dem Autor auch in 
Zukunft immer das zu schreiben, was er für wahr befindet. 

Szekfü entwarf uns gewiß ein neues Bild des großen Fürsten. Er 
stellt Baköczi als Menschen dar und zwar als einen unserer Liebe würdigen 
Menschen. Er schildert packend die individuellen Eigenschaften des Fürsten, 
seine wahre Frömmigkeit, die Anhänglichkeit an seine Begleiter, sein zu 
großes Vertrauen in die Menschen, seine Vaterlandsliebe, aber er ver¬ 
gißt auch nicht seine Fehler zu erwähnen: die Blindheit seiner Lage gegen¬ 
über, den Mangel an Menschenkenntnis, die Eitelkeit u. s. w., Fehler, die 
wohl zum größten Teil auf das Alter oder die Lage Baköczis zurückzu¬ 
führen sind. Wenn der Autor auch in der psychologischen Begründung 
ein wenig übertreibt und seinen Blick nur in eine Bichtung wendet, so 
ist sein Werk doch zweifellos eine schöne Bereicherung der ungarischen 
Geschichtschreibung, »welche schon seit langen Jahren kein besseres und 
wertvolleres Buch produzierte* x ). 

Dazu wird es außer durch die scharfe Quellenkritik hauptsächlich in¬ 
folge der schönen Komposition und des eleganten Stils, welche das Buch 
auch für das große Publikum leicht lesbar machen. Ein gewisser Sarkasmuä 
ist allerdings in Szekfüs Ausdrucksweise fühlbar und diesem Umstand dürfte 
es wohl in erster Linie zuzuschreiben sein, daß das Buch so heftigen Angriffen 
ausgesetzt war. Doch können nur Böswilligkeit und Verblendung behaupten, 
daß der Zweck des Buches die Beschimpfung Bäköczis sei. Vom Autor 
kann die ungarische Geschichtschreibung sicher noch einige großzügig und 
mit scharfer Quellenkritik geschriebene Werke erhoffen, deren sie sehr bedarf. 
Das Buch ist eine für Historiker willkommene Erscheinung in der ungarischen 
Geschichtschreibung, welche sich schon seit langen Jahren in mehr- oder 
minderwertigen Monographien erschöpft, ohne sich mit der Darstellung 
größerer Epochen oder der Verbindung der ungarischen und der allge¬ 
meinen Geschichte allzusehr zu beschäftigen. 

Wien. Franz Eckhart. 


*) Erklärung A. v. Kärolyi’s. 



Notizen. 


393 


Otto Forst, Ahnenverlust und nationale Gruppen auf* 
der Ahnentafel des Erherzogs Franz Ferdinand. Wien, 
Halm & Goldmann, 1912, 30 S. 8. 

Forst, seit kurzem Forst-Battaglia sich nennend, bietet in diesem auf 
dem Gießener Kurs mit Kongreß für Familienforschung, Vererbungs- und 
Degenerationslehre gehaltenen Vortrag die allgemeinen Ergebnisse der von 
ihm bearbeiteten Ahnentafel des Erzherzogs Franz Ferdinand von Österreich- 
Este. Zunächst verfolgt er ziffernmäßig den Ahnenverlust; dessen Größe 
wächst fortlaufend, in der 64er Ahnenreihe fehlt schon mehr als die Hälfte 
der theoretischen Ahnenzahl, zu den aus den früheren Generationen er¬ 
klärlichen Ahnenverlusten kommen weitere. Der deutsche Blutanteil hält 
sich konstant, sinkt nicht unter 50 °/ 0 . Aber alle andern Nationen Europas 
sind ebenfalls in diesen Ahnensaal vertreten. Durch Maria von Serbien und 
und armenische Prinzessinnen ergeben sich die genealogischen Verbindungen 
mit Asien; eine Trennung von Orient und Occident ist bei der internatio¬ 
nalen Ahnenforschung nicht mehr möglich. Bei der Knappheit des ver¬ 
fügbaren Baumes sei es gestattet, die Mannigfaltigkeit der zum Teil recht 
entlegenen Ahnen nur noch durch ein Beispiel zu erläutern: die Spanier 
treten in den ersten Generationen als Glieder des Hauses Bourbon, später 
des Hauses Habsburg, in noch weiteren Generationen als Glieder des alten 
nationalen Königsgeschlechtes von Aragonien und Kastilien auf, dazu kommt 
ein besonderer Einschlag spanischen Blutes aus dem Kreise des dortigen 
hohen Adels, den Eleonore von Toledo in das Haus Medici und durch ihre 
Deszendenz in die ganze europäische Fürstenfamilie brachte. Im Vergleich 
mit anderen Fürstenahnentafeln ist die des Erzherzogs Franz Ferdinand 
besonders blaublütig. Fehlen doch in ihr z. B. jene russische Katharina, 
die als Ahnfrau fast aller nichtkatholischen Herrscher russische Leibeigene 
als Kaiser- und Königsahnen erscheinen läßt, die bürgerlich geborene Gattin 
des alten Dessauers und der bei manchen katholischen Häusern bemerkbare 
Einschlag französischer Kleinbürger aus der Zeit der Napoleoniden. So über¬ 
wiegt denn der Hochadel in erdrückender Weise. Neben den Angehörigen 
der Häuser Habsburg, Lothringen, Wittelsbach, Wettin verschwindet an Zahl 
alles andere, auch in fernen Zeiten überwiegt der altfreie Herrenstand des 
Großgrundbesitzes. Unfreies Blut bringen die vielen Ministerialengeschlechter, 
die ersten Bürgerlichen erscheinen in der Beihe der 2048 Ahnen. Die 
beigegebene Tafel I weist das Ergebnis der ziffernmäßigen Berechnung des 
Ahnen Verlustes über 15 Generationen auf, die Tafel II verteilt 5629 Ahnen 
von Generation I—XIII auf 17 Nationalitäten. Wir können hier nur eine 
kurze Notiz über die reichhaltige und verdienstliche Arbeit Forsts geben: 
jede Seite enthält eine Fülle interessanter Einzelheiten. 

Dresden. Eduard Heydenreich f. 


Notizen. 

Das 30jährige Jubiläum seines Archivars veranlaßte den Geschichts¬ 
verein für Kärnten, den 103. Jahrgang seiner Mitteilungen Carinthia I 
(1913) als Jaksch-Festschrift herauszugeben. Wie recht er damit 



394 


Notixen. 


getan, lehren Herzberg-Fränkels persönliche Erinnerungen, E. v. 
Ottenthals Würdigung der Monumenta historica ducatus Carinthiae, 
0. Bedlichß darauf fußende Studie über Siegelurkunde und Nota¬ 
riatsurkunde in den südöstlichen Alpenländern (anknüpfend 
an die Urkunden der Patriarchen von Aquileja wird die Wechselwirkung 
deutschen und italischen Urkundenwesens in diesen südöstlichen Gebieten 
dargelegt), die Beiträge von F. G. Hann über Dr. v. Jaksch und die 
Kunstgeschichte Kärntens, von H. P. Meier über die antiken, 
knnst- und kulturhistorischen Sammlungen des Geschichta- 
vereines; ihre Um- und Ausgestaltung durch Dr. v. Jaksch, 
von M. Wutte über das Archiv des Geschichtsvereines für 
Kärnten mit aller Deutlichkeit. Mit der Untersuchung der Edling- 
Kazaze-Ortsnamen Kärntens und Steiermarks gibt P. Lessiak einen 
»Beitrag zur Ortsnamenkunde und Siedlungsgeschichte der österr. Alpen¬ 
länder 4 . Indem L. die Edlinger als slavische unter eigenen Bichtem stehende 
Bauerngemeinden deutet, erscheint ihm K. — E. faßt er als dessen spätere 
Verdeutschung auf — als turkotartarisches Lehnwort, dieses Volk selbst 
noch nach der Besiedelung der Alpenländer als Hirtenadel inmitten der 
Slovenen lebend. 0. Freiherm v. Dungerns Studie zur Kritik der 
mittelalterlichen Nachrichten über Blutsverwandschaft, die 
deren Glaubwürdigkeit weit höher als bisher üblich einschätzt, bedeutet für 
seinen Versuch, den Kreis mittelalterlicher Dynastengeschlechter nach Mög¬ 
lichkeit abzustecken, einen beachtenswerten Schritt F. Schneiders Bei¬ 
trag zur Überlieferungsgeschichte Johanns von Victring befaßt 
sich im wesentlichen mit den beiden Handschriften der continuatio Martins 
von Troppau, einem Wolfenbütteier Kodex und einer neu aufgefundenen 
Handschrift des Escorial, deren einschlägiger Text als Anhang abgedruckt 
ist und erläutert ihre Stellung zu einander: alles Vorarbeiten einer Aus¬ 
gabe des Johannes Victoriensisbreviatus, wie ihn S. nennen möchte. V.Thiels 
Beitrag zur Geschichte des Begriffes Innerösterreich führt von 
derZeit der Kärntner Mark bis 1564 und erläutert in kurzen Strichen die 
Beziehungen der innerösterr. Länder zu einander und zu den übrigen Kron- 
ländera. Der »Beitrag zur Geschichte der bäuerlichen Bechtsquellen Kärntens 4 , 
den A. Mell mit der Untersuchung und Edition des Sittersdorfer 
Bergtaidings (um 1450) gibt, erscheint, da er »der einzigen bis jetzt 
erhaltenen und bekannten Rechtsquelle in kämtnerischen Weinbergbauan¬ 
gelegenheiten 4 gilt, aller Beachtung wert. A. Luschin von Ebengreuth 
hat sich mit einer Erläuterung und Edition von Hanns Ampfingers, 
eines wohlbewanderten kämtnerischen Pflegers der ersten Hälfte des 16. Jahrh., 
Bericht über das gerichtliche Verfahren in Kärnten 1544 
eingestellt und damit einen wertvollen Beitrag zur Erkenntnis der älteren, 
bis 1577 geltenden Landrechtsordnung Kärntens geliefert. Der von S. Stein¬ 
herz mitgeteilte Bericht über die Stadt Villach von 1563 — 
er stammt von dem Nuntius Commendone und dessen Sekretär Graziani — 
wirft auf die religiösen Verhältnisse Innerösterreichs vor Beginn der Gegen¬ 
reformation willkommenes Licht. M. Ortners War Wallenstein in 
Kärnten? überschriebener »Beitrag zur Wallenstein- und Sehillerforschung 4 
erklärt die Erwähnung Kärntens im Wallensteindrama als Erfindung de» 
Dichters, sucht aber für den Sommer 1617 einen Aufenthalt W.’s in Spit.il 



Notizen. 


395 


a. d. Drau zu erweisen. Es erübrigt noch, auf die Beitrüge von V. Po- 
gatschnigg, Zur historischen Topographie; Maria Elend und 
8t Jakob im Bosentale, 6. Gräber, Die moie als Wappenbild 
in der »Krone 4 Heinrichs von dem Tnrlin, K. Sommeregger, 
Die Kämpfe nm den Besitz von Villach im Jahre 1813, eine 
nach den Akten des Kriegsurchivs gearbeitete Darstellung, F. Franziszi. 
Ein tapferer Gailtaler und K. Egger, Grabungen am Zollfelde 
1909—1911 zu verweisen. 

Wien. J. K. Mayr. 

Ihres Lehrers 70. Geburtstag haben seine engeren Schüler mit der 
Herausgabe einer Riezler-Festschrift begangen, die von K. A. von 
Müller redigiert, die ganze Entwickelung bayrischer Geschichte von den 
Tagen der bayrischen Einwandei ung bis zu dem Vorabende der Neube¬ 
gründung des Deutschen Reiches durchmißt — Den Wintpozing-Orten 
des altbayrischen Sprachgebietes gilt die erste Untersuchung von M. Fast- 
linger, der, diese in Altbayern aber auch in Niederösterreich vorkom¬ 
menden Namen als Wendensiedelungen deutend, ihre Entstehung gleich den 
bekannten ing- Orten in die Zeit der bayrischen Besiedlung setzt. Ob seine 
kühnen Schlußiolgerungen zutreffen, steht dahin. M. Büchners Studie 
über Bayerns Teilnahme an den deutschen Königswahlen im 
früheren Mittelalter bildet eine willkommene Ergänzung seiner 
Forschungen über Erzämter und Kurkolleg. Inzwischen ist sie durch seine 
neueste, inhaltlich im ganzen unveränderte Arbeit im 117. Heft der Gier- 
keschen Untersuchungen überholt worden. K. Schottenlohers Aufsatz 
über den Bebdorfer Prior Kilian Leib und sein Wettertage¬ 
buch (von 1513 bis 1531) trägt dem Interesse Rechnung, das die Gestalt 
Kilian Leibs in der letzten Zeit gefunden hat und bereichert wesentlich 
unsere Kenntnisse, die wir bisher aus Leibs Annalen, Briefen und Diarien, 
der Darstellung seiner Beziehungen zu Pirkheimer u. a. gewinnen konnten. 
Mitten in den Sturm und Drang der religiösen Kämpfe der ersten Hälfte 
des 16. Jahrh. führt uns M. Heuwieser mit seiner Studie über Ruprecht 
von Mosham, Domdekan von Passau, jenen merkwürdigen religiösen 
Schwärmer, der über dem Versuche, durch ein die Mitte zwischen den beiden 
Bekenntnissen haltendes Religionssystem die Christenheit wieder zu einigen, 
Hab, Gut und Leben verlor. F. Endres, der die bayrisch-spanischen 
Beziehungen im Anfänge des Jahres 1625 klarlegt, zeigt, mit 
welchem Geschicke es Kurfürst Max und sein Kanzler Jocher verstanden 
haben, in dem französisch-habsburgischen Gegensätze eine mittlere Linie 
einzuhalten und dadurch Bayerns Selbständigkeit zu bewahren. W. von 
Hofmanns Studie über das Säkularisationsprojekt von 1743, 
Kaiser Karl VII. und d’e römsche Kurie gilt dem bekannten, von 
Preußen angeregten, von England aufgegriffenen Plan, den unglücklichen 
Kaiser für den Verlust seines Stammlandes durch einige süddeutsche Bis¬ 
tümer zu entschädigen. Von Wien aus aller Welt enthüllt, endete dieses 
Projekt mit einer schweren Niederlage Karls VII., die sein schwankendes 
Kaisertum nicht mehr ganz verwinden konnte. F. So Ileders Untersuchung 
der Judenichutzherrlichkeit des Julius-Spitals in Würzburg 
reicht von dem Zeitpunkte der Gründung dieses Stiftes (1579) bis ins 



396 


Nouzen. 


19. Jahrh. und gibt mit einer Darstellung der wirtschaftlichen und sozialen 
Stellung der »juliuaspitälischen* Judengemeinde einen — im einzelnen 
wohl zu breit geratenen — »Beitrag zur Sozial-, Wirtschafts- und Sitten¬ 
geschichte Frankens*. Th. Bitterau^ Die Zensur der politischen 
Zeitungen in Bayern 1799—1825 beginnt mit einem Rückblicke auf 
die Entwickelung der bayerischen Zensur 9eit dem 16. Jahrh. und reicht 
über die napoleonische Ära hinweg bis tief in den Vormärz. Mit vielem 
Geschick legt B. dar, wie die ursprünglich liberal gehandhabte bayrische 
Zensur unter dem Einflüsse Napoleons, später Metternichs zusehends ver¬ 
schärft wurde. K. A. von Müllers Darstellung der Tauffkirchenschen 
Mission nach Berlin und Wien (Frühjahr 1867) fußt gleich seiner 
inhaltlich verwandten Studie im 111. Band der Historischen Zeitschrift im 
wesentlichen auf dem Nachlasse Tauffkirchens, dessen Durchsicht ihm mit 
dankenswerter Liberalität zugestanden wurde. Die Höhepunkte von Tauff- 
kirchens Wirksamkeit, die Unterredungen mit Bismarck und Beust, in jenen 
kriegsschwangeren Wochen des Frühlings 1867 sind klar und scharf Um¬ 
rissen und gewähren eine Fülle neuer Erkenntnisse. 

Wien. J. K. Mayr. 


Die von Freunden und Verehrern zum 70. Geburtstage gewidmete 
Festgabe für Gerold Meyer von Knonau (Zürich 1913) zählt fast 
zwanzig Beiträge, reicht vom Altertum bis in die neueste Zeit und um¬ 
spannt in der Liste der Glückwünschenden den ganzen deutschen Kultur¬ 
kreis, ja mehr als diesen: so recht ein Zeichen der Fruchtbarkeit, der Viel¬ 
seitigkeit und des Wertes seiner Lebensarbeit. Der Inhalt ist folgender: 
H. Blümner, Zu den griechischen Hochzeitsbräuchen. Ober 
R. Durrers Bericht über einen Fund von rätischen Privaturkun¬ 
den aus karolingischer Zeit vgl. unten S. 400. H. Breßlaus 
Venezianische Studien gelten den bekannten Verträgen Ottos I. (967) 
und Ottos II. (983) mit Venedig, die in zwei von einander unabhängigen, 
in wichtigen Punkten differierenden Überlieferungen, in Einzelabschriften 
des 10. Jahrhunderts (A) und in Kopialbüchem vom Ende des Mittelalters 
(B), auf uns gekommen sind. Fanta hat sich im ersten Ergänzungsbande 
dieser Zeitschrift für die Überlieferung A ausgesprochen, wogegen Lenel 
die andere Überlieferung (B) vorgezogen hat. Br. pflichtet dieser Auffassung 
bei, sichert und erweitert sie durch neue Beobachtungen und befreit damit 
die Überlieferung B wohl endgültig von dem Verdachte einer absichtlichen 
Entstellung. Den Orts-, Wasser- und Bergname'n des Berchtes¬ 
gadener Landes hat S. Riezler eine eingehende Untersuchung ge¬ 
widmet, die darlegt, wie zahlreiche vordeutsche, zum guten Teil romanische 
Namen sich im Berchtesgadischen vorfinden; keltische und illyrische Namen 
treten stark zurück. C. Rodenbergs Untersuchung der Friedens Ver¬ 
handlungen zwischen Friedrich IL und Innozenz IV. (1243 — 
1244) greift aus dem Ringen zwischen Kaisertum und Papsttum jene Epi¬ 
sode heraus, da aller Welt der Friede vor der Türe schien und erläutert 
die Ursachen, die von neuem zum Bruche führten. Victor van Berchem, 
La »ville neuve* d’Yverdun. Fondation de Pierre de Savoie. H. Wart¬ 
manns Studie zur älteren Geschichte der st.-gallischen Boden- 



Notizen. 


397 


seegegend beginnt mit dem Einbrüche der Alemannen und schließt, die 
Siedelungsverhältnisse der karolingischen Zeit, die Entwickelung des Ar- 
bongaues, die zahlreichen Konflikte zwischen St. Gallen und Konstanz in 
ebendiesem Gebiete kurz berührend, mit Abt Ulrich VTL von St. Gallen 
{t 1491), der diesen Widerstreit endgültig zu Gunsten seines Klosters ent¬ 
schied, sinngemäß ab. H. G. Wirz berichtet über eine unbekannte 
Bedaktion des Zürcher Bichtebriefes — einer um 1300 gelten¬ 
den städtischen Rechtssammlung —, die er ins Jahr 1326 versetzt und 
Konradsbuch nennt; Überlieferungsgeschichte und Inhalt sind eingehend 
dargelegt. Der Zusammenhang der eidgenössischen Bünde mit 
der gleichzeitigen deutschen Bündnispolitik wird von H. N a b- 
holz ausführlich beleuchtet: indem er den Inhalt der Schweizer Bünde 
ohne Rücksicht auf ihre Entwicklung zu einem Staatswesen prüft, setzt er 
sie den gleichzeitigen Bündnissen auf Reichsboden völlig gleich, indem er 
den besonderen Geist der Schweizer Bünde erfaßt, zeigt er die Wurzeln, 
aus denen der Bundesstaat erwachsen ist. Georg Finster, Sigismondo 
Malatesta und sein Homer behandelt Basinio Basini’s Gedicht Hesperis, 
das 1456 vollendet wurde. C. Bruns Untersuchung der Orientreise 
Leonardos knüpft an die Edition J. P. Richters an, der einen längeren 
Aufenthalt Leonardos da Vinci im Oriente angenommen hat, bringt dagegen 
gewichtige Bedenken vor und trifft damit wohl auch das richtige. E. Ga- 
gliardis Skizze zur Beurteilung der schweizerischen Mailänder¬ 
kriege versucht dieser wenig erforschten und meist ungünstig beurteilten 
Epoche gerecht zu werden und ihr neben den Burgunderkriegen eine nicht 
minder wichtige Rolle zuzuschreiben. G. Tobler erläutert auf Grund der 
Ratsmanuale das Verhältnis von Staat und Kirche in Bern in 
den Jahren 1521—1527 und zeigt die allmählige Erweiterung der 
Machtfülle auf Kosten der kirchlichen Behörden, eine Entwickelung, die 
mit der Einfügung der Kirche in den Organismus des Staates ihren Ab¬ 
schluß gefunden hat. Zum Religionsgespräche von Marburg 1529 
bringt W. Köhler neue Beiträge; indem er sich von dem persönlichen 
Urteile über die Hauptunterhändler, Luther und Zwingli, losmacht und die 
Frage von dem Standpunkte des Gegensatzes »Bekenntnis oder Bündnis 4 
aus auffaßt, gelingt es ihm, beiden gerecht zu werden: Zwingli war der 
Gedanke eines Bündnisses trotz religiöser Gegensätze durchaus vertraut; 
Luther habe ihn nie fassen können. P. Schweizer untersucht Neckers 
politische Rolle in der französischen Revolution und ver¬ 
teidigt ihn gegen die Angriffe der Zeitgenossen und Geschichtsschreiber als 
einen »tüchtigen, — wohlgesinnten und durchaus aufrichtigen Mann 4 . 
W. Oechsli bringt zwei Denkschriften des Restaurators Karl 
Ludwig von Haller über die Schweiz aus den Jahren 1824 
und 25 die durch die Beurteilung der Schweizer Restaurationszeit »im 
Kopfe des folgerichtigsten aller Reaktionäre* wie durch die unverhohlene 
Absicht, Frankreich im Sinne dieser Auffassung zum Eingreifen zu bewegen, 
überaus beachtenswert erscheinen. A. Stern, Aus deutschen Flücht¬ 
lingskreisen i. J. 1835 gibt Aufschluß über eine damals in Zürich er¬ 
schienene Zeitschrift »Das Nordlicht* und deren Begründer Ehrhart und 
Cratz. J. Di er au er teilt nach Briefen des Thurgauers Hermann Ruess 
i. J. 1862 »Eine Erinnerung an Garibaldi* mit. J. R. Rahns 



398 


Notizen. 


Aufzeichnungen über seine Erinnerungen an die antiquarische 
Gesellschaft in Zürich enthalten zahlreiche, charakteristische Züge aus 
dem Leben Ferdinand Kellers, ihres Stifters. 

J. K. Mayr. 


Die Festschrift des Akademischen Historikerklubs Inns¬ 
bruck, zur Erinnerung an dessen vierzigstes Stiftungsfest (1913) erschienen, 
gibt in der Liste ihrer Mitarbeiter Zeugnis von der Gediegenheit und den 
Traditionen der Innsbrucker historischen Schule. H. v. Voltelini beginnt 
mit einer bedeutsamen Untersuchung über das älteste Innsbrucker 
Stadtrecht (1239), die dessen Eigentümlichkeiten und Zusammenhänge 
mit fremden Stadtrechten verfolgt. E. v. Ottenthals Studie über die 
deutsche Schrift schildert in lehrreichem Überblick Geschichte und 
Eigenart der sogenannten deutschen Schrift und erörtert schließlich die 
Frage nach dem gegenwärtigen Werte dieser Frakturschrift, wobei 0. prak¬ 
tische und nationale Gesichtspunkte für und wider abwägt. 0. Redlich 
hat Chronologisches, vornehmlich aus Tirol beigesteuert und da¬ 
mit manche Merkwürdigkeiten der Datierung, so die Bezeichnung der Tage 
nach Oster- und Pfingstsonntag mit den Heiligenfesten nach Weihnachten, 
die Frauentage zer pelzmesse und ze pflanz, endlich die Bezeichnung Con- 
ceptio Mariae und Santrügeltag klargelegt. W. Erbe ns Streifzüge 
durch die Geschichte und Vorgeschichte des historischen 
Seminars in Innsbruck geben einen willkommenen Überblick über die Be¬ 
gründung und die verschiedenen Schicksale der Innsbrucker historischen Schule 
und stellen so, durch ein verläßliches Verzeichnis aller, auch der früheren 
Seminarmitglieder unterstützt, den Zusammenhang mit der Gegenwart her. 

J. K. Mayr. 


Aus ähnlichem Anlaß gab auch der Wiener akad. Historikerverein eine 
sehr gehaltvolle Gabe heraus: Festschrift des akad. Vereines 
deutscher Historiker in Wien. Herausg. anläßlich der Feier des 
23jährigen Bestandes. Wien 1914, Selbstverlag, 172 S. h°. Wir geben 
einen kurzen Überblick der zahlreichen Beiträge, die alle von einstigen 
Mitgliedern und von Förderern des Vereines herrühren. Walther Boguth 
schildert nach persönlichen Erinnerungen die Gründung des Vereines im 
Jahre 1>S9. — H. Steinacker, Der Ursprung der Traditio 
cartae und das westgotische Urkunden wesen, zeigt, daß das 
westgotische Recht im Zusammenhang mit weit verbreiteter Kenntnis des 
Schreibens und Lesens wohl die dispositive Urkunde, nicht aber eine förm¬ 
liche Traditio cartae kannte, was bei dem so stark romanischen Charakter 
des Westgotenrechts gegen »die Annahme eines spätrömischen Ursprungs 
der Traditio cartae als eines rechtsförmlichen und die Periektion des Ge¬ 
schäftes bewirkenden Aktes schwer ins Gewicht fällt*. — Alfons Dopsch. 
Reformkirche und Landesherrlichkeit in Österreich erörtert 
anknüpfend namentlich an H. Hirschs Forschungen über südwestdeutsche 
Verhältnisse, »die Absichten der Landesherm in Österreich und Steier, 
mit Hilfe der Reformklöster eine landesfürstliche Obervogtei auszubilden 4 



Notizen. 


399 


und ihre Gerichtsgewalt auch über die noch vorhandenen reichsfreien Dy* 
nasten und exterritorialen Immunitätsherrschaften auszudehnen. Dadurch 
erscheint nicht so ausschließlich, wie man bisher annahm, die Besonderheit 
der Markverfassung als Grundlage der frühentwickelten starken Landeshoheit 
in Österreich. — Hans Hirsch, Zur Beurteilung des Registers 
Gregors VH. (mit einer Schrifttafel) bringt eine neue willkommene Stütze 
für die Originalität des Registers bei. — Richard Heuberger erörtert 
eingehend die in einer Urkunde der Herzoge Otto, Ludwig und Heinrich 
von Kärnten vom 11. August 1299 von den beiden letzten gebrauchte 
Wendung »hac vice sigillis autenticis non utamur*. — Fritz Grüner 
untersucht Die Stellung der Habsburger in der Westschweiz 
nach dem Tode Albrechts L, die trotz der Katastrophe von 1308 
ungeschwächt blieb, ja noch verstärkt wurde; erst die Doppelwahl von 
1314 leitete hier den Niedergang der habsburgischen Macht ein. — Frie¬ 
drich Schneider publiziert zwei unbekannte Dokumente, die beweisen, 
daß Johann von Baiern, Bischof von Lüttich, nach der Schlacht 
von Othee (1408) ernstlich bemüht war, die verhängnisvollen Folgen dieser 
Niederlage für Lüttich abzuschwächen. — Hans v. Voltelini gibt einen 
wertvollen Beitrag zur Geschichte der Rezeption des gemeinen 
Rechtes in Wien, zeigt, daß bei den Wiener Gerichten erst gegen Ende 
des 15. Jahrh. das römische Recht Eingang fand, das im ersten Dezennium 
des 16. Jahrh. vor dem Stadtrat schon als geltendes angerufen wird. Die 
Stadtschreiber, graduierte Juristen, haben diesen Prozeß jedenfalls gefördert, 
der bekanntlich von dem Wunsche nach einem einheitlichen und sicheren 
Rechte hervorgerufen und getrieben war. — Paul Heigl bringt Beiträge 
zur Geschichte Diethers von Isenburg (1461) und dessen flüch¬ 
tige Beziehung zu Franzesco Sforza von Mailand, und teilt einen interes¬ 
santen Bericht über die Absetzung Diethers und die Wahl Adolfs von 
Nassau zum Erzbischof von Mainz mit. 

Edmund Friess bespricht das Projekt von 1642, die landesfürstlichen 
Lehen in Nieder-und Oberösterreich zu allodialisieren, wobei 
man aus den von den Vasallen gezahlten Kaufsummen eine Einnahrasquelle 
für die schlechten Finanzen erhoffte. Aber der Versuch scheiterte so gut 
wie ganz. — Heinrich v. Srbik veröffentlicht mit treffenden einleitenden 
Bemerkungen einen Bericht des holländischen Gesandten Gerard 
Hamei Bruynincx vom Dezember 1671 über Kaiser Leopold I. und 
seine Staatsmänner, eine durch ruhiges und unparteiisches Urteil 
wertvolle Schilderung. — Theodor Mayer, Der ungarische Gesetz¬ 
artikel 11 von 1741, erörtert die Geschichte uni staatsrechtliche Be¬ 
deutung dieses wichtigen Gesetzes, in welchem von der Zuziehung von 
Ungarn zum Status ministerium, das ist zur Staatskonferenz, dein obersten 
Ratßorgan des Herrschers die Rede ist. Die umsichtige Darlegung gelangt 
zum Schlüsse, daß bei FestLaltung der administrativen Unabhängigkeit 
Ungarns doch die Praerogat ; /e des Herrschers in Bezug auf die oberste 
Verwaltung und Regierung der habsburgischen Gesamtmonarchie aufrecht 
erhalten wurde, worauf eben die Union der zwei Teile der Monarchie be¬ 
ruht. — Oswald Redlich bietet einen Beitrag zur Geschichte des 
Historischen Seminars an der Universität in Wien. Das im 
Jahre 1850 begründete Seminar erhielt durch Wilhelm Heinrich Granert 



400 


Notizen. 


seine erste Gestaltung und die vorwaltende Richtung auf die Ausbildung 
von Geschichtslehrem für Mittelschulen. Durch die Reorganisation von 1872 
und durch die Wirksamkeit Max Büdingers wurde die Einführung in die 
Forschung in den Vordergrund gerückt. Von Büdingers Seminarübungen 
gibt ein Bericht Prof. Adolf Bauers (Graz) ein anschaulich lehrreiches Bild. 


Aus der »Festgabe für Gerold Meyer von Knonau* (vgl. oben S. 396) 
möchten wir einen Beitrag von besonderem Interesse eigens hervorheben, 
nämlich den Aufsatz von Robert Dürrer, Ein Fund von r&tischen 
Privaturkunden aus karolingischer Zeit. Ein Beitrag zur älteren 
Bündnergeschichte und zur Entstehungsfrage der Lex Romana Curiensia. 
Im Archive des von Karl d. Gr. gegründeten Frauenklosters Münster in 
Graubünden fand Dürrer als Umschlag eines späten Rechnungsbuches ein 
Pergamentblatt mit Abschriften von 6 rätischen Privaturkunden aus der 
Regierungszeit Karl d. Gr. und des Bischofs Remedius von Chur. Es ist der 
Überrest eines Kopialbuches, in frühkarolingischer Minuskel geschrieben, 
offenbar auch schon um die Wende des 8. und 9. Jahrhunderts entstanden. 
Diese Urkunden, die ganz den Typus der rätoromanischen Urkunden auf- 
weisen, sind um so wertvoller, als sie der Stadt und Umgebung von Chur 
selber entstammen (Empfänger die Hilariuskirche in Cbur und die Carpo- 
phoruskircbe zu Trimmis). Dürrer gibt sehr sorgfältige Erläuterungen zu 
diesen interessanten Stücken, ihrer Fassung, ihrem sachlichen Gehalt, den 
Orts- und Personennamen. »Wir sehen eine fast ausschließlich romanische 
Bevölkerung, die unter alten römischen Gesetzen lebt. Die Staatsverwaltung 
und das Gerichtswesen erscheinen dagegen unter germanischen, fränkischen 
und langobardischen Einflüssen mehrfach umgestaltet. Im kirchlichen Leben 
verraten sich starke transalpine Einflüsse* (S. 6l). Durch die Vergleichung 
der Schrift dieses Urkundenblattes mit den ältesten Handschriften der Lex 
Romana Curiensis und der Capitula Remedii sowie des Sakrament&rs des 
Remedius gelangt Dürrer zum Schlüsse, daß sie alle der churischen Schreib¬ 
schule angehören, die wohl unmittelbar mit der karolingischen Schriftreform 
zusammenhängt. Damit wird die Annahme einer Entstehung der Lex Cu¬ 
riensis um die Mitte des 9. Jahrhunderts endgültig beseitigt und die An¬ 
sicht Zeumers von der Abfassungszeit zwischen 751—769 neu gestützt 
Der gehaltvollen Abhandlung Durrers sind gute Schriftproben beigegeben. 

0. B. 

Hubert Pierquin, Recueil general des chartes anglosa- 
xonnes. Paris A. Picard et Als 1912. 871 S. — Ein Textabdruck mit 
einer ganz unzureichenden diplomatischen Einleitung, mit einer am Schlüsse 
beigefügten kahlen Aufzählung von Handschriften und Fundorten von Ma¬ 
terial. Man frägt sich, wozu eine solche Edition dienen soll. Die angel¬ 
sächsischen Urkunden bedürften vielmehr einer gründlichen Bearbeitung, 
welche aber die heutigen. Anforderungen der Diplomatik erfüllen müßte, 
wie wir sie an deutsche Urkundenwerke zu stellen gewohnt sind. 


O. üL 



Notizen. 


401 


Hubert Pierquin, Le Pofcme Anglo-Saxon de Beowulf. Paris* 
Rcaid 1912, IV u. 846 S. — Dieses umfangreiche Werk bietet nicht nur 
eine Beowulfausgabe mit Einleitung, Übersetzung, Anmerkungen und Qlossar, 
sondern auch eine Geschichte der Besiedlung Britanniens und der sich daraus, 
ergebenden Einr ichtun g en, ferner eine Grammatik und Metrik des Alteng* 
liachen. Es ist ein Versuch des Verfassers, seinen Landsleuten das älteste una 
erhaltene germanische Heldengedicht näher zu bringen, und gewiß ist es sehr 
löblich, einen solchen Versuch zu machen. Aber leider ist er mit durchaus 
unzulänglichen Mitteln ausgefuhrt. Der Verfasser stützt sich in erster Linie 
auf die ältere englische Beowulf-Literatur, namentlich auf die Arbeiten 
Kembles, die ja bahnbrechend waren, aber heute längst überholt sind» 
Sogar in der Textgestaltung folgt Pierquin im Wesentlichen Kemble. Die 
» reiche spätere Forschung wird gelegentlich erwähnt, aber wirklich ver¬ 
arbeitet ist sie nicht So ist denn das Buch rückständig, und da ea 
auch keinerlei eigene Forschung wiedergibt, vermag es uns so gut wie gar 
nichts zu bieten. 

Wien. - K. Luick. 

Die Siegel der Grafen von Freiburg. Von Johannes La hu sen.. 
Freiburg i. Br. Fr. Wagner’sche Universitäts-Buchhandlung 1913. Mit 
vieler Sorgfalt hat Johannes Lahusen hier die Siegel der Grafen von Frei¬ 
barg zusammengestellt und eine leicht lesbare Beschreibung derselben ge¬ 
liefert Die Abbildungen sind durchaus schön und wohl gelungen. Und 
die Art, wie der Verf. die Siegel mit der Geschichte des Geschlechtes in 
Zusammenhang bringt und aus ihr erklärt, gibt dem Ganzen einen feinen Zug» 

Otto H. Stowasser. 


Die von Hornstein und von Hertenstein. Erlebnisse aus 
700 Jahren. Ein Beitrag zur schwäbischen Volks- und Adelskunde von 
Edward Freih. von Hornstein-Grüningen. Konstanz 1911. 2 Hefte, 
448 S. — Der Historiker nimmt adelige Familiengeschichten meist mit 
einigem Mißtrauen iu die Hand. Der Vf. der anzuzeigenden Homsteimschen 
Geschichte aber hat mit vielem Fleiß und vielem Verständnis für die Sache 
hier die Nachrichten über seine weitverzweigte, in der schwäbischen Ge¬ 
schichte recht bedeutsame Familie zusammengestellt. Er hat keine Mühe 
gescheut und wir erkennen gerne die gewaltige archivalische Arbeit an, die 
er geleistet hat. Vollständig kann ein solches Buch ja fast nie sein. Die 
vorliegenden zwei Hefte reichen bis zirka 1700. Schade ist, daß die bei¬ 
gegebenen Abbildungen der Wappen, Siegel etc. unseren modernen An¬ 
sprüchen nicht ganz genügen wollen. Es war m. E. ein Fehlgriff, daß Vf. 
hier aus Gründen der Einheitlichkeit, wie er im Vorwort ausfuhrt, auf das 
photographische Verfahren verzichtete. Das schmälert aber endly 
Güte der Arbeit nicht, die zu halten bestrebt ist, was ihr Titel 
ein Beitrag zur schwäbischen Volks- und Adelskunde, nicht 

des Geschlechtes zu sein. Otto H Stoi 

r 




402 


Kotixen. 


Herr Louis Keynand, Repetent an der Universität Poitiers, hat ein 
Pamphlet über das mittelalterliche Deutschland geschrieben (Les origines 
de Tinfluence Fran^aise in Allemagne. I. L’offensive politiqne et 
sociale de la France. Paris. H. Champion 1913). Ob er dadurch seinen 
eigenen glühenden Deutschenhaß entladen wollte oder vermutete, damit 
seiner Nation zu schmeicheln, mag unentschieden bleiben. Der Unterzeichnete 
kann jetzt zu seiner Freude seine bereits verfaßte eingehende Besprechung 
ungedruckt lassen, da sich in Frankreich selbst die Wissenschaft bemüßigt 
gesehen hat, dieses Pamphlet niedriger zu hängen. Herr Grillet hat in der 
Revue Historique Bd. 114 S. 155 ff. und Bd. 115 S. 198 ff. gezeigt, daß 
Reynaud teils »offene Türen einrennt 4 , teils in der gehässigsten Weise 
Deutschland »verleumdet 4 . Es hieße Herrn Reynaud, der sich also er¬ 
freulicherweise in der Hoffnung getäuscht hat, seinen Landsleuten zu ge¬ 
fallen, zuviel Ehre antun, sich noch weiter mit ihm zu beschäftigen, und 
er kann seinen angekündigten zweiten Band in der sicheren Erwartung 
herausgeben, daß diese Art von Geschichtsauffassung auf beiden Seiten der 
Vogesen wissenschaftlich erledigt ist 1 ). 

Fritz Kern. 


Himilzora. In meiner Besprechung der Schrift »Die deutschen 
Bestandteile der Lex Baiuvariorum 4 8 ) von Dietrich von Kralik, 
Mitteilungen 35, (1914), 154—164 mußte ich S. 157 den Sinn des abair. 
Rechtsausdrucks himilzora, bez. himilzorung, überliefert im Accusativ 
sing, quod himilzorun vocant MGh. 15, S. 406, var. quod himil- 
zorunga vocant ebenda S. 299, der mit dem Delikte der ,elevatio indu- 
mentorum super genuclos 4 an einer Freien (libera . . . aut virgo seu uxor 
alterius), Kralik S. 81—82, verbunden ist, offen lassen, da ich zora noch 
auf »elevutis 4 bezog, die Determinierung dieses eine Handlung bezeichnenden 
Wortes mit himil ,caelum* aber keineswegs einzusehen vermochte. 

Bei näherer Überlegung bin ich nunmehr zur Überzeugung gekommen, 
daß das Abstraktum zora, das nach dem zugrunde liegenden ahd. Zeit¬ 
worte zeran .rumpere, scindere, lacerare, destruere, certare 4 , Graff V 691, 
nur ,ruptio, scissio, destructio 4 bedeuten kann, überhaupt ein viel zu starker 
Ausdruck ist um mit ,elevatio‘ gleichgesetzt werden zu können, ein Aus¬ 
druck, der auch insoferne nicht erwartet wird, als ja das Delikt wesentlich 
in dem bloßen Aufheben der Kleider begründet ist und das allfällige Zer¬ 
reißen derselben nur als ein, gar nicht näher gewürdigter Begleitumstand 
angesehen werden müßte. 

Da außerdem für ahd. himil keine anderen Bedeutungen als ,coeluin, 
Olympus, aether, polus, laqueare, lacunar 4 , Graff IV 938, erweisbar sind 
und da des weiteren kein Tropus auffindbar ist, der eine inhaltliche 

*) Dies war vor dem Krieg geschrieben. Inzwischen hat eine läppische Raserei 
gegen alles Deutsche im ganzen französischen Schrifttum um sich gegriffen. Be¬ 
rühmte Akademiker schmieren tolleres Zeug gegen die Boches, als Mr. Reynaud 
wagen durfte. So würdigen wir dessen Buch heute als einen Erstling des Nouvel 
Esprit, der Kriegspsychose. 

*) S. A. aus dem Neuen Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Ge* 
Schichtskunde, 38. Bd. 1913. 



Erwiderung. 


403 


Beziehung wischen dem abair. Ausdrucke, wörtlich »ruptio, scissio caeli, 
und dem ütein. Terminus ,elevatio indumentorum 4 vermittelte, muß man 
sich der Aiffassnng zuwenden, daß der abair. Bechtsausdruck einer andern 
Spb&re unc zwar am ehesten der religiösen Sprache angehöre und das Delikt 
aus dem tesichtspunkte der Sündhaftigkeit betrachte und benenne. 

Ob dbei noch eine feinere Unterscheidung zu treffen und der Aus¬ 
druck entveder als ,Beleidigung des Himmels 4 schlechthin oder, wie etwa 
nhd. ,Totsinde 4 , als Bezeichnung einer Handlung zu verstehen Bei, die den 
Verlust cfes Himmels zur Folge hat, kann ich dahingestellt sein lassen. 

v. Grienberger. 


Erwiderung l ). 

J. Nistor, Professor an der Universität in Czernowitz, hat in 
Bd. XXXV, Heft 1, S. 177 bis 182 dieser Zeitschrift eine Besprechung 
meiner Arbeit über >Die ursprüngliche Rechtslage der Rumänen 
im Siebenbürger Sachsenlande* veröffentlicht, zu der in Kürze 
folgende Bemerkungen sich ergeben. 

L Wenn N. zur Stütze seiner Behauptung, daß die Bumänen schon 
zur Zdt der Eroberung Siebenbürgens durch die Magyaren in Siebenbürgen 
vorhaiden gewesen seien und in Gemeinschaft mit den Bulgaren ein eigenes 
bulgarisches (!) Herzogtum im Fogarascher Distrikt gebildet hätten, die durch 
keine sonstige Nachricht beglaubigten sagenhaften Erzählungen ungarischer 
Chroiiken (Anonymus Belae regis notarius u. 8. w.) als Beweise verwendet, 
so dürfte er unter Historikern kaum Beifall finden. Einspruch muß jedoch 
dagegen erhoben werden, daß N. auf die längst als Kemenysche Fälschung 
erwiesene Urkunde von angeblich 12:51 in diesem Zusammenhang sich be¬ 
ruft Einer plumpen Löwenthal’sehen Fälschung ist N. weiterhin zum Opfer 
gelallen bei Verwendung der angeblichen Urkunde von 1.566, aus welcher 
das hohe Alter der rumänischen Siedlungen im Sachsenlande und die ur¬ 
sprüngliche Bechtsgleichheit zwischen Sachsen und Rumänen hervorgehen 
soll- Gleichfalls eine Fälschung ist die von N. verwendete Urkunde von 
angeblich 1301, betreffend die angebliche Gerichtsbarkeit der Rumänen von 
Olihfalu über die dortigen Szekler. Die angeblichen rumänischen Adligen 
von 1288 (nobilibas Ungarorum, Saxonibus, Syculis et Volachis), ferner von 
1291 (ab eisdem nobilibua, Saxonibus, Syculis et Olachis) verdanken lediglich 
der Interpretation N.’s ihr Dasein, da der Kenner des mittelalterlichen 
Lateins und der ungarischen Bechtsinstitutionen die Adligen von den Sachsen, 
Szekiem und Rumänen sofort zu unterscheiden wissen wird. Was N. unter 
Berufung auf die Urkunden von 1210, 1222, 1223, 1224, 1252 und 
12 88 über die angebliche Jurisdiktionshoheit und das eigene nationale 
Aufgebot der siebenbürgischen Rumänen und insbesondere der Rumänen 
des Fogaraacher Distriktes, ferner über die Rechtsgleichheit dieser Rumänen 
mit den Sachsen aussagt, beruht lediglich auf der Nichtkenntnis der un¬ 
garischen Bechtsinstitutionen sowie auf der Nichtberücksichtigung meiner 
einschlägigen Erörterungen über die Grenzburgrumänen, Komitutsboden- 

r ) Ein allfälliges Schlußwort bleibt Herrn Prof. Nistor, der seit längerer Zeit 
nicht erreichbar ist, Vorbehalten. Die Redaktion. 



404 


Erwiderung. 


rumänen und Sachsenlandrumänen, namentlich über die Art um den Zeit¬ 
punkt der Entstehung dieser rumänischen Siedlungen. Unter dn an den 
Kriegszügen gegen die Bulgaren und an der Schlacht bei Krossenbmnn 
teilnehmenden Rumänen sind nicht eigenberechtigte nationale Aufgebote der 
Rumänen, sondern zweifellos die vom ungarischen Staat zu Kriegszwecken 
angesiedelten und von ungarischen Obergespänen oder Grafen befehligten 
Grenzburgrumänen zu verstehen. Die angebliche landständische Gleichbe¬ 
rechtigung der 8iebenbürgisehen Rumänen mit den anderen Nationen be¬ 
ruht lediglich auf deren gelegentlicher Zuziehung als Zeugen (ab*r nicht 
als stimmberechtigte Mitglieder!) zu anläßlich der Landtage und soxst statt¬ 
findenden gerichtlichen Verhandlungen, namentlich auch in Rügegericfctsfallen. 
Wahrscheinlich kamen auch hiefur bloß die eine untergeordnete Amonomie 
besitzenden Grenzburgrumänen in Frage. Die siebenbürgische Herkinft des 
im Nibelungenlied erwähnten Herzogs Ramung aus Wlachenland iä noch 
nicht erwiesen worden. Glaubt N. mit dem Hinweis auf Xenopd und 
Onciul wirklich die rumänische Nomenklatur der Randgebirge Siebenbürgens 
zur Tatsache gemacht zu haben? Woher stammt dann die von N. selbst 
zugegebene Unmasse von slavischen Orts-, Berg-, Flur- und Flußnamen im 
ganzen Verbreitungsgebiet der Nordrumänen? Da die Slaven diese Namen 
auf die Rumänen vererbten, mußten sie eben die Vorgänger der Runänen 
in diesen Gebieten sein. 

2 . Wenn N. mir den Vorwurf macht, daß ich die unerwiesene Ein¬ 
wanderungstheorie bloß aus der offiziellen ungarischen Geschichtschreibung 
übernommen hätte, so trifft mich dieser Vorwurf nicht, da ich für das 
Gebiet des Sachsenlandes oder Königsbodens aktenmäßig die nachträgliche 
Einwanderung der Rumänen erwiesen und auch für das sogenannte Koni- 
tatsbodengebiet durch den Hinweis auf die vom ungarischen König für lie 
Ansiedlung von Rumänen durch die Grundherrschaften von Fall zu Fall 
erteilten Ansiedlungsbewilligungen wahrscheinlich gemacht habe. Daß auch 
meine auf eine nachträgliche Besiedelung der rumänischen Grenzburggebiete 
bezughabenden Bemerkungen von N. nicht widerlegt worden sind, dürfte 
aus meinen hier unter 1 gegebenen Daten zur Genüge hervorgehen. 

Hermannstadt. Georg Müller. 


Berichtigung. S. 212, Z. 11 von oben 1. *Wattenbach’s € statt 
* W attenbach-Tangl’s € . 





404 


Erwiderung. 


nun&nen and Sachsen!andrumänen, namentlich über die Art um den Zeit¬ 
punkt der Entstehung dieser rumänischen Siedlungen. Unter dn an den 
Kriegszügen gegen die Bulgaren und an der Schlacht bei Krossenbrnnn 
teilnehmenden Rumänen sind nicht eigenberechtigte nationale Aufgebote der 
Rumänen, sondern zweifellos die vom ungarischen Staat zu Kriegszwecken 
angesiedelten und von ungarischen Obergespänen oder Grafen befehligten 
Grenzburgrumänen zu verstehen. Die angebliche landständische Gleichbe¬ 
rechtigung der siebenbürgischen Rumänen mit den anderen Nationen be¬ 
ruht lediglich auf deren gelegentlicher Zuziehung als Zeugen (ab?r nicht 
als stimmberechtigte Mitglieder!) zu anläßlich der Landtage und sonst statt¬ 
findendengerichtlichen Verhandlungen, namentlich auch in RügegericltsföUen. 
Wahrscheinlich kamen auch hiefür bloß die eine untergeordnete Aixonomie 
besitzenden Grenzburgrumänen in Frage. Die siebenbürgische Herkmft des 
im Nibelungenlied erwähnten Herzogs Ramung aus Wlachenland iä noch 
nicht erwiesen worden. Glaubt N. mit dem Hinweis auf Xenopd und 
Onciul wirklich die rumänische Nomenklatur der Randgebirge Siebenbirgens 
zur Tatsache gemacht zu haben? Woher stammt dann die von N. selbst 
zugegebene Unmasse von slavischen Orts-, Berg-, Flur- und Flußnamen im 
ganzen Verbreitungsgebiet der Nordrumänen? Da die Slaven diese Namen 
auf die Rumänen vererbten, mußten sie eben die Vorgänger der Runfinen 
in diesen Gebieten sein. 

2 . Wenn N. mir den Vorwurf macht, daß ich die unerwiesene Ein¬ 
wanderungstheorie bloß aus der offiziellen ungarischen Geschichtschreibung 
übernommen hätte, so trifft mich dieser Vorwurf nicht, da ich für das 
Gebiet des Sacbsenlandes oder Königsbodens aktenmäßig die nachträgliche 
Einwanderung der Rumänen erwiesen und auch für das sogenannte Koni¬ 
tatsbodengebiet durch den Hinweis auf die vom ungarischen König für !ie 
Ansiedlung von Rumänen durch die Grundherrschaften von Fall zu Fall 
erteilten Ansiedlungsbewilligungen wahrscheinlich gemacht habe. Daß auch 
meine auf eine nachträgliche Besiedelung der rumänischen Grenzburggebiet? 
bezughabenden Bemerkungen von N. nicht widerlegt worden sind, dürfte 
aus meinen hier unter 1 gegebenen Daten zur Genüge hervorgehen. 

Hermannstadt. Georg Müller. 


Berichtigung. S. 212, Z. 11 von oben 1. »WattenbachV statt 
> W attenbach-Tangl’s 4 . 










feil:'?. 







War Deutschland ein Wahlreich? 

Von 

Karl Gottfried Hugelmann. 


In der neuesten Forschung ist obige Frage aufgeworfen worden, 
deren Beantwortung, seit es eine Wissenschaft der deutschen Rechtsge¬ 
schichte gibt, niemals zweifelhaft schien. Ein verdienter Gelehrter er¬ 
klärt es nun allen Ernstes für seine Absicht, „den fundamentalen Satz 
der deutschen Reichs- und Rechtsgeschichte, daß Deutschland ein Wahl¬ 
reich war, zu erschüttern*. Die aufgeworfene Frage ist für die Ge¬ 
schichte unseres Volkes, für die richtige Erfassung seiner Rechtsent¬ 
wicklung von so großer Bedeutung, daß eine grundsätzliche Auseinander¬ 
setzung mit der neuartigen und überraschenden Beantwortung, welche 
sie durch Frh. v. Düngern gefunden hat, wohl am Platze zu sein 
scheint 1 ). 

I. 

Hiebei muß zunächst, um festen Boden zu gewinnen, festgestellt 
werden, daß Frh. v. Düngern keineswegs leugnet, daß „die deutschen 

*) Mit diesem Aufsatz entledige ich mich der Aufgabe, folgende Schriften 
ru besprechen: 1. War Deutschland ein Wahlreich? Von Dr. jur. Frh. v. 
Düngern, Professor in Czemowitz. Erweiterter Sonderabdruck aus der Festchritt 
für Adolf Wach. Leipzig 1913, Verlag von Felix Meiner. 4° 70 SS. 2. Grund 
Sätze und Anschaungen bei den Erhebungen der deutschen Kö¬ 
nige in der Zeit von 911—1056. Von Dr. Johannes Krüger. (Gierkes Unter¬ 
suchungen zur deutschen 8taate- und Rechtsgeschichte, 110. Heft), Breslau, Verlag 
ran M. u. H. Marcus, 1911. 8° XVI und 144 SS. Die Bedeutung der besprochenen 
Schriften rechtfertigt es wohl, wenn die Besprechung selbst zu einem Aufsatz ge¬ 
diehen ist. 

Mitteilungen XXXVI. 


27 



406 


Karl Gottfried Hugelmann. 


Könige und Kaiser aus einer Wahl hervorgingenAber diese »Wahl 4 
soll nicht das gewesen sein, „was wir heute (seit der französischen 
Bevolution) unter Wahl verstehen *; auch nicht, „was die Bechtage- 
schichte bei der Frage der Berufung zum Königtum unter Wahl ver¬ 
standen hat“. (S. 1). Sehen wir zu, wie Frh* v. Düngern diese beiden 
Behauptungen begründet. 

„Wir setzen“, so sagt er (S. 1), „wenn wir von der deutschen 
Königswahl sprechen, Erwählung in Gegensatz zu erblicher 
Berufung 1 ). In allen Ländern Europas, sagt die bisherige Lehre, 
wurde im Mittelalter der Herrscher durch ein Thronfolgerecht berufen, 
das sich nach erblichen Grundsätzen richtete — nur im römisch- 
deutschen Beiche nicht; nur hier, wird gelehrt, lag die Befugnis, den 
Nachfolger auf den Thron zu berufen, bei dem Volk; oder doch bei 
einer bestimmten Wählerklasse; nur hier fiel nach dem Tode eines 
jeden Herrschers das Hecht, den neuen König auszusuchen, wieder an 
die Wähler, zu freier Verfügung*. 

Ich muß gestehen, daß mir kein einziger Vertreter dieser angeblich 
herrschenden Lehre bekannt ist Ja, ich erinere mich nicht, irgendwo 
etwas ähnlich Klingendes gelesen zu haben, wie die hier von Frh. v. 
Düngern formulierte und — bekämpfte Lehre. Daß jemals jemand in 
dieser schroffen Weise die Entwicklung in Deutschland der in allen 
übrigen europäischen Ländern gegenübergestellt haben soll, ist doch 
von vornherein kaum denkbar. Was aber die herrschende Lehre über 
das uns hier zunächst interessierende deutsche Thronfolgerecht anlangt, 
so ist es, wenn wir etwa Waitz, Schroeder und Brunner*) als ihre be- 

*) Die Sperrungen in den Zitaten rühren vom Verfasser dieses Aufsatzes her. 

*) Waitz-Seeliger, Deutsche Verfassungsgeschichte, VI* 8. 163, lehrt: „Un¬ 
zweifelhaft ist die Wahl seitdem ein wesentliches Moment für die Nachfolge in 
der Herrschaft des deutschen Reiches. Aber daß sie ganz und allein gegolten 
hätte, läßt sich nicht sagen. Was von altersher zum Wesen des germanischen 
Königtums gehörte, die Rücksicht auf das Geschlecht, die Anerkennung eines 
Rechtes, welches zuerst und vor andern die Mitglieder dieses hatten, bei der Wahl 
in Betracht gezogen zu werden, hat sich alsbald geltend gemacht: mitunter kann 
es scheinen, daß die Erbfolge das Übergewicht erhalte; mitunter wirken die beiden 
Prinzipien zusammen. Dann treten sie aber auch in offenem Kampf sich gegen¬ 
über, ohne daß in dieser Periode das eine oder das andere vollständig den Sieg 
gewinnen konnte«. — Schroeder, RG.* 8. 481, formuliert kurz: »Das Königtum 
beruhte auf einer eigentümlichen Verbindung von Erblichkeit und Wahl«. — Am 
schärfsten erfaßt die innere Verknüpfung von Wahl und Erblichkeit seit der ger¬ 
manischen Zeit Brunner, Grundzüge 8 8.15: »Der König wird aus dem königlichen 
Geschlechte gewählt, indem die Wahl den Mangel einer festen Erbfolgeordnung 
ersetzt«; und 8. 183 sagt er: »Jahrhunderte hindurch ergänzten sich Wahl und 
Erbgang; die Königswahl hielt sich zunächst an das regierende Geschlecht..«. 



War Deutschland ein Wahlreich? 407 

jrufenen Wortführer ansehen, gänzlich nnriclitig, daß sie die Erwählung 
in Gegensatz zu erblicher Berufung setzt Ganz im Gegenteil gipfelt 
sie darin, Wahl und erbrechtliche (d. h. kraft Verwandtschaft erfolgende) 
Berufung als zwei Faktoren des materiellen Thronfolgerechts in har¬ 
monische Beziehung zu setzen. Und ich bezweifle, ob Frh. v. 
Büngern auch nur einen namhaften Autor anzuführen vermöchte, der 
lehrt daß das Becht den König auszusuchen, nach jedem Thron¬ 
fall zu freier Verfügung an die Wähler fleL 

Frh. v. Düngern verwickelt sich m. E. in einen Widerspruch, wenn 
er an einer anderen Stelle seiner Schritt (S. 27) die herrschende Lehre 
dahin formuliert, sie nehme „eine Mischung von Erbrecht und Wahl¬ 
recht“ an. Freilich bekämpt er diese Ansicht als etwas logisch Un¬ 
mögliches, „da durch solche Begriffsbestimmung das Wahlrecht aufhört 
das zu sein, was man juristisch als Wahlrecht bezeichnen kann .. .“. 
Nach dieser Auffassung steht die Erwählung allerdings in begriff¬ 
lichem Gegensatz zu erbrechtlicher Berufung. Sie ist aber nicht herr¬ 
schende. Lehre, da diese das Wort Wahlrecht wie wir gesehen haben, in 
ganz anderem Sinne gebraucht sondern ein Charakteristiken der eigen¬ 
artigen Lehre v. Büngerns. 

Dieser konstruiert nämlich einen m. E. sonst der Bechtssprache nicht 
geläufigen Begriff der WahL „Freiheit der Entscheidung ist ein Grund¬ 
erforderais des modernen Wahlbegriffes; Wahlrecht heißt für uns ge¬ 
radezu: das Becht frei zu wählen; wo die Freiheit der Wahl irgend¬ 
wie illusorisch wird, empfinden wir dies als eine Vernichtung des 
Wahlrechts“. (S. 2). Zunächst: was meint v. Büngern mit dem schil¬ 
lernden Ausdruck „irgendwie illusorisch“? Baß „auch die Ent¬ 
scheidung moderner Wähler nie ganz frei“ ist gibt er selbst zu; daß 
bei der Königswahl „die Entscheidung unter den (mehreren) Thron¬ 
folgeberechtigten durch die Wahl getroffen wurde“, lehrt er auf der¬ 
selben Seite. Man wäre also versucht in der Anzahl der passiv — 
sagen wir vorsichtig — Legitimierten das Unterscheidungsmerkmal zu 
suchen: sind deren viele, so kann man von Wahlrecht sprechen; nicht 
aber, wenn ihrer nur wenige sind. Baß dieses — fließende — Merkmal 
nicht zutrifft lehrt ein Blick auf die Terminologie moderner Gesetze: 
die jüngste Geschichte des politischen Wahlrechts in Österreich kennt 
Wählerkurien, bei denen sich die aktiv und passiv Legitimierten an 
den Fingern einer Hand abzahlen lassen; trotzdem hat man immer vom 
Wahlrecht dieser Kurien gesprochen. Und wie will Frh. v. Büngern 
unter seiner Begriffsbestimmung eine der modernsten Formen des po¬ 
litischen Wahlrechts, die Proportionalwahl mit gebundener Liste, 
unterbringen? 


27 * 



408 


Karl Gottfried Hugelmann. 


Er verschiebt nun allerdings in den weiteren Ausführungen seine 
Begriffsbestimmung durch die Einfügung eines neuen, juristisch tiefer 
dringenden Merkmals (S. 3): eine ~EHn«ehranlmng des passiven Wahl¬ 
rechts sei allerdings möglich, aber niemals dürfe ein Anspruch des Kan¬ 
didaten auf Berufung bestehen; einen solchen schließe das Wahlrecht 
im modernen Sinn begrifflich aus. Allein auch diese Unterscheidung 
widerstreitet dem heute allgemein geläufigen Sprachgebrauch. Nach 
preußischem Staatskirchenrecht wählt das Domkapitel den Bischof aus 
einer vom König angenommenen dreigliederigen Liste: haben nicht die in 
die Liste angenommenen als einzige Kandidaten einen Anspruch darauf, 
daß niemand anderer, als einer von ihnen, gewählt wird 1 )? Trotzdem 
spricht man ganz allgemein von der Wahl der preußischen Bischöfe. 

Trotz Frh. v. Düngern behaupte ich, daß die moderne Bechtssprache 
unter Wahl jeden Vorgang versteht, bei welchem kraft 
Eechtes eine Mehrheit von Personen durch ihre Willens¬ 
erklärung die Berufung eines von mehreren in Betracht 
Kommenden zu einer Funktion herbeiführt. 

Wenn also der Begriff des Wahlrechts bei Frh. v. Düngern zu 
enge gefaßt ist, so ist es vollends unrichtig, die Bezeichnung „Wahl¬ 
reich“ auf Bepubliken im modernen Sinn einzuschränken. Ganz im 
Gegenteil bezeichnet er signifikant gerade die Mischformen zwischen 
Bepublik und Monarchie. Für wirkliche Bepubliken, wie Frankreich 
oder Nordamerika, ist er ganz und gar nicht geläufig. Grimms Deutsches 
Wörterbuch definiert Wahlreich zwar ganz allgemein als „Beich, dessen 
Herrscher gewählt wird“, setzt es aber in erster Linie gleich mit regno 
elettivo und regnum electicium. Was die Wissenschaft der Staats¬ 
lehre anlangt, so unterscheidet sie fast durchwegs die Bepublik von 
der Wahlmonarchie (vgl etwa: Wagener, Staats- und Gesellschafts¬ 
lexikon, XHL Band, 1863, S. 350ff.; Botteck im Art Monarchie in 
Botteck und Welcker, Staatslexikon, X. Band, S. 660; Bluntschli im Art 
Monarchie in Bluntschli und Brater, Deutsches Staatswörterbuch, VL Band, 

i) Vgl. über diese Listenwahl Rösch, Der Einfluß der deutschen protestan¬ 
tischen Regierungen auf die Bischofswahlen (Studien des Collegium Sapienti&e zu 
Freiburg i. B., IV. Band), Freiburg i. B. 1900. Man mag vielleicht darüber ver¬ 
schiedener Meinung sein, ob die Aufnahme in die Liste den Aufgenommenen einen 
öffentlichrechtlichen Anspruch, gewühlt zu werden, gewährt. Aber derselbe Zweifel 
ließe sich wohl auch bei der Berufung zum mittelalterlichen Königtum geltend 
machen; fest steht schließlich auch hier nur, daß nach objektiven Normen des 
Staatsrechts nur bestimmte Verwandte als Kandidaten in Betracht kommen; ob 
aus einer solchen objektiven Norm ein subjektiver öffentlichrechtlicher Anspruch 
der einzelnen zu dieser Gruppe gehörigen Personen felgt, ist eine nicht ohneweiters 
zu bejahende Frage. 



War Deutschland ein Wahlreich? 


409 


S. 708; Bluntschli, Allgemeines Staatsrecht, 1* 1875, S. 582, EL 6 1876, 
S. 148). Und wenn sie überhaupt das Unterscheidungsmerkmal zwischen 
Monarchie und Republik Zunächst nicht in der Art der Berufung des 
Staatshauptes, sondern in seiner Eigenschaft als Träger der Souveränität 
findet: so leuchtet doch ein, daß die so gefaßte Monarchie, auch wo 
die Berufung des Staatshauptes durch Wahl erfolgt, Tendenzen zur 
Erblichkeit leicht zugänglich sein wird; gerade dann finden wir dann 
die Wahlmonarchie, das Wahlreich kat' exochen. 

Wir müssen also die Kritik v. Dungems an der herrschenden 
Lehre ablehnen. Ein reines Wahlrecht behauptet diese für das deutsche 
Mittelalter nicht; und auch bei einem durch Verwandtschaft begrün¬ 
deten Anwartschaftsrecht ist ein Wahlrecht und ein Wahlreich be¬ 
grifflich möglich. 

Nun ist es aber an der Zeit, uns nach den positiven Ergebnissen 
der Forschung v. Dungems umzusehen, um zu ihren Abweichungen 
Ton der wirklich herrschenden Lehre Stellung zu nehmen. 

n. 

Die neue Lehre v. Dungems läßt sich etwa folgendermaßen zu¬ 
sammenfassen. 

Auf den deutschen Thron sind immer nur Abkömmlinge Karls 
des Großen (in weiblicher Linie) gesessen« Bis in die Zeit der Staufer 
war diese Abkunft, wenn auch nicht durch ausdrücklich formulierten 
Bechtssatz gefordert, so doch rechtlich notwendig. Zum mindesten war 
Blutsverwandtschaft mit dem letzten Träger der Krone Voraussetzung 
für die Berufung zur Nachfolge. Unter den durch sie Legitimierten 
entscheidet die „Wahl“, u. zw. beruft sie den Nächstverwandten, soferae 
er geeignet (insbesondere mächtig genug) ist, sonst den Geeignetsten. 

An dieser sogenannten »Wahl* mitzuwirken, war seit dem 9. Jahr¬ 
hundert nur die von Düngern als Dynasten bezeichnet« Gruppe der 
Freien berufen; Deutschland war also im Mittelalter eine Aristokratie. 
Indem sich in dieser durch Konnubium verbundenen Aristokratie der 
Dynasten mehr und mehr das Blut der Kaiser ausbreitete, sodaß es 
um 1200 kaum mehr einen Dynasten nichtkarolingischer Abstammung 
gab, »verschmolz der Kreis der Königswähler mit dem Kreis der Thron¬ 
folgeberechtigten*. »Die Wahlerversammlung ist* nun »die Gerichts¬ 
versammlung der Standesgeiiossen, die darüber entscheidet, welcher von 
mehreren Berechtigten mit dem Königsamt betraut werden soll*. Ge¬ 
rade damals hört man aber auf, die Karlsabstammung zu betonen, 
weil sie »zu banal* geworden war, weil ihrer sich auch ganz verarmte 



410 Earl Gottfried Hugelmann. 

Dynasten, die nie für den Thron in Betracht kommen konnten, za 
rahmen vermochten. 

Da sonach die Wahl, weil die Wähler nicht .nach ihrem freien 
Belieben durch ihre ungebundene Entscheidung 11 den König bestimmten, 
„eine reine Formalität* (S. 26) war, konnte man auf den «Ausweg* 
verfallen, «sieben bereits faktisch oder traditionell Bevorzugten* aus 
dem schwankenden Wählerkreis «das Amt (sciL dieser Scheinwahl) zu 
überlassen“, wobei «jedenfalls* die Erzämter eine «besondere Bolle 
gespielt* haben; so seien die Gründe für die Entstehung des Kur- 
fÜr8tenkolleg8 «rein technische* (S. 23) gewesen. Die Goldene Bulle 
soll «nicht das Zustandekommen einer Neuregelung, nicht die gesetz¬ 
liche Fixierung eines bestehenden Bechtszustandes in der Art einer 
Kodifikation*, sondern «einen theoretisierenden Versuch, diesen Hechts- 
zustand zu erklären*, darstellen, wobei «der Jurist den Kern der Sache 
nicht ergriff sondern in der Oberfläche, in den Formalien, stecken blieb*. 
«Das materielle* auf Verwandtschaft beruhende «Thronfolgerecht konnte 
sich unabhängig von der Goldenen Bulle ändern oder erhalten* — und 
es hat sich erhalten. 

So in der Hauptsache die Theorie des Frh. v. Düngern. Wenden 
wir uns ihrer Kritik zu! Betrachtet man diese Theorie, so scheint zu¬ 
nächst allerdings klar, wie Frh. v. Düngern dazu kommt, den Charakter 
des alten Reiches als den eines Wahlreiches zu leugnen. Wenn es 
wahr wäre, daß das, was sich äußerlich als Wahl darstellt, nur eine 
Formalität ist, dann wäre ja die Bezeichnung «Wahlreich* eine am 
äußeren Schein klebende, das innere Wesen verkennende Bezeichnung. 

Ganz unfaßbar ist es mir aber bei näherem Zusehen, wie man zu 
diesem Vordersatz gelangen und in der von Düngern selbst beschriebenen 
Funktion der «Königswähler* nur eine «Formalität* erblicken kann, 
von der es mehr oder minder gleichgiltig ist, wem ihre Vornahme zu¬ 
stehl Selbst wenn man in dieser «Königswahl* — weiter gehend* 
als v. Düngern — nur ein rein deklaratorisches Urteil über das ma¬ 
teriell eindeutig bestimmte Thronfolgerecht erblicken wollte, 
wäre diese Auffassung schwer begreiflich. Die Funktion, zu urteilen, 
pflegt man sonst selbst in sehr geringfügigen Fragen als keine «For¬ 
malität* zu betrachten und die Verteilung der richterlichen Kompe¬ 
tenzen hat zu schweren Verfassungskämpfen Anlaß gegeben. Und hier 
soll plötzlich das Urteil in der allerwichtigsten Frage des Staatsrechts 
eine belanglose Formalität sein, deren Ausübung sang- und klanglos 
von einem Organ auf ein anderes übertragen wird. Nun liegt aber die 
Sache noch anders: nach Frh. v. Düngern war das materielle Thron¬ 
folgerecht viel weniger bestimmt, als etwa nach Krüger — wir kommen 



War Deutschland ein Wahlreich? 


411 


darauf noch zurück —, ▼. Düngern lehrt und betont, daß beim Thronfall 
mehreren Personen ein Anspruch auf den Thron zustand und daß 
diese Kollision von Ansprüchen durch die Wahl geregelt werden 
soll Und dieser konstitutive Akt von unabsehbarer Bedeutung für die 
Politik des Staates soll die gleichgiltigste Bagatelle gewesen sein, welche 
man aus „rein technischen Gründen* von der Gesamtheit der Fürsten 
an einen Ausschuß derselben widerspruchslos übertragen konnte. Man 
spricht heute soviel vom „lebenden Recht*. Man vergegenwärte sich doch 
das wirkliche Staatsleben! Man denke z. B. einen Augenblick daran, 
daß im gegenwärtigen deutschen Reich oder in Österreich-Ungarn eine 
noch so beschrankte, an materielle Rechtssatze gebundene Auswahl 
(ich finde trotz des angeblichen begrifflichen Gegensatzes in der 
deutschen Sprache keinen anderen Ausdruck) zwischen mehreren Thron¬ 
folgeberechtigten möglich wäre. Gewiß wäre niemand weltfremd genug, 
zu meinen, daß sich diese Funktion wegen ihrer Belanglosigkeit als eine 
bloße Formalität widerstandslos vom Reichstag auf den Bundesrat oder 
von den Parlamenten auf die Delegationen übertragen ließe. 

Fürwahr! Die Funktion der Königswahl, wie Frh. v. Düngern selbst 
sie schildert, ist keine Formalität Sie ist ein konstitutiver Akt 
von grundlegender staatsrechtlicher Bedeutung. Ihre Untersuchung 
nach allen Richtungen ist zum mindesten so notwendig, wie etwa 
die Untersuchung der „Formalien“ des gerichtlichen Verfahrens, und 
ihre Übertragung an die Kurfürsten hört gewiß nicht in Folge ihrer 
Bedeutungslosigkeit auf, ein Problem zu sein. Sie verleiht mit Recht 
dem alten Reich den Namen eines „Wahlreichs“. 

UL 

Es könnte scheinen, als ob mit dieser Beantwortung der an die 
Spitze gestellten Frage die Auseinandersetzung mit der Theorie v. Dungerns 
beendet wäre. Damit würden wir ihr aber in keiner Weise gerecht 
geworden sein. Denn man kann die Konstruktion des Thronfolge¬ 
rechtes in dieser Theorie auf das entschiedenste ablehnen und doch 
die wertvollen Ergebnisse der Dungem’schen Forschungen anerkennen. 
Ja, gerade wenn man die rechtsdogmatische Aufstellung eines begriff¬ 
lichen Gegensatzes von Wahl und Berufung zur Thronfolge kraft Ver¬ 
wandtschaft verwirft, wird man v. Dungerns Arbeiten um so dankbarer 
als einen Beitrag zur rid eigen Abgrenzung beider organisch neben¬ 
einander wirkenden Faktoren des Thronfolgerechtes würdigen. 

Es ist zweifellos, daß der Gedanke einer Berufung zur Thronfolge 
kraft Verwandtschaft von Haus aus eine weit bedeutsamere Rolle spielte, 
als insbesondere die neuere Spezialliteratur über die Königswahl sich 



412 


Karl Gottfried Hugelmann. 


häufig zum Bewußtsein brachte *). In dieser Beziehung haben die Auf¬ 
stellungen von Dungems durch die das Quellenmaterial sorgfältig und 
kritisch abwägende Untersuchung Krügers für die Zeit bis Heinrich IV. 
eine neue, sehr beachtenswerte Stützung erfahren. 

Von ganz besonderem Werte erscheint mir weiter der von Düngern 
herausgearbeitete, das mittelalterliche Staatsleben beherrschende Ver¬ 
wandtschaftsbegriff. Man war vielfach zu sehr von der Vorstellung 
befangen, nur die agnatische Verwandtschaft als Berufungsgrund zur 
Thronfolge gelten zu lassen und bei Erlöschen des Mannesstammes ein 
fast völlig freies Wahlrecht anzunehmen. Der weite, selbst die Schwäger¬ 
schaft mitumfassende Verwandtschaftsbegriff, den v. Düngern entwickelt, 
gewährt ein vollständigeres Verstehen der politischen Ereignisse, welche 
beim Aussterben des Mannesstammes in der deutschen Geschichte ein- 
treten, und findet m. E. auch in den Krüger’schen Forschungen seine 
volle Bestätigung. Er ist in sehr glücklicher Weise mit ständegeschicht¬ 
lichen Erkenntnissen, um deren Aufhellung sich ja Frh. v. Düngern 
große Verdienste erworben hat, verknüpft Die Dynasten als Königs¬ 
wähler — diese Formel ist zweifellos für Jahrhunderte richtig. Und es 
leuchtet leicht ein, daß bei dem eben gekennzeichneten Thronfolgerecht im 
Zusammenhänge mit der genealogischen Tatsache, daß die Dynasten 
untereinander verwandt waren und sich mehr und mehr das Blut 
Karls des Großen unter ihnen ausbreitete, tatsächlich nur Abkömmlinge 
Karls des Großen (in weiblicher Linie) auf den deutschen Thron ge¬ 
langten. 

IV. 

War nun aber die Abstammung der Könige von Karl dem Großen 
rechtlich notwendig? Diese Frage wird von Frh. von Düngern, 
wenn auch nicht mit voller Schärfe, bejaht. Meines Erachtens muß 
sie mit aller Entschiedenheit verneint werden. 

Zunächst ist hervorzuheben, daß selbst die deutlichste Ausprägung 
des Bechtssatzes, daß ausschließlich Verwandte des Königs zur Thron¬ 
folge berufen sind, die Abstammung von Karl dem Großen noch nicht 
zu einer rechtlichen Voraussetzung der Thronfolge macht, mag die¬ 
selbe hiedurch auch tatsächlich auf Abkömmlinge Karls des Großen 

*) Unglücklich ist z. B. die Formulierung bei Krammer, Das KurfÜrstenkolleg, 
S. 3: »Der Übergang zu einem völlig neuen Herrschergeschlecht (1034), dem ein 
erbrechtlicher Anspruch nicht zur Seite stand, das von dem letzten Könige in 
keiner Weise zum Nachfolger designiert war, schuf die Notwendigkeit, den neuen 
König, dessen Herrenrecht nunmehr allein auf des Volkes Stimme beruhte, in einer 
rechtschaffenden, rechtsetzenden Form zu küren«. Das Buch Krammers besprechen 
wir in dieser Zeitschsift an anderer Stelle. 



War Deutschland ein Wahlreich? 


413 


eingeschränkt sein. Von einer rechtlichen Voraussetzung könnte 
nur dann gesprochen werden, wenn ein Bewußtsein von der Gebunden¬ 
heit der Wähler an die Abkömmlinge Earls des Großen erweislich wäre, 
wenn — konkret gesprochen — das Bewußtsein bestanden hatte, daß 
auch der relativ nächstverwandte Dynast nicht gewählt werden darf, 
wenn er ausnahmsweise nicht von Karl den Großen abstammen sollte. 
Von einem solchen Bewußtsein kann aber doch wohl kaum die Bede 
sein; vor allem deshalb nicht, weil nicht einmal die genealogische Tat¬ 
sache der Verbreitung des Blutes Karls des Großen unter den Dynasten 
den Zeitgenossen so bewußt war, wie sie von der heutigen Forschung 
erkannt wurde. Dabei soll gar nicht geleugnet werden, daß die Familien 
im Mittelalter gewöhnlich mehrere Generationen zurück mit ihrer Ge¬ 
nealogie vertraut waren. 

Weiter aber, glaube ich, bedarf auch die Annahme einer ausschlie߬ 
lichen Berufung der Verwandten einer Einschränkung, die bei Frh. v. 
Düngern zu wenig, bei Krüger gar nicht zum Ausdruck kommt. Das 
Thronfolgerecht kraft Verwandtschaft war nicht nur durch die Kon¬ 
kurrenz mehrerer Berechtigten eingeschränkt, es war auch an die 
Voraussetzung der Eignung des Berufenen geknüpft, es war nur ein 
relatives. Dieser Gedanke leuchtet nach meiner Ansicht klar aus 
den Quellen, wenn man sie einer unbefangenen Betrachtung würdigt *). 

i) Als ein früher und sehr weitgehender Beleg (Ür die deutsche Auffassung, 
daß Tauglichkeit eine Voraussetzung der Herrscherstellung ist, kommt insbesondere 
die — allerdings zunächst den bayrischen Herzog (der aber doch entschieden die 
Stellung eines Stammeskönigs hatte) betreffende — Stelle der lex Baiuvariorum, 
text. tert. II, 10 (MG. LL. 1H 390) 23, in Betracht: Si quis filius ducis tarn superbus 
vel stultus fuerit, ut patrem suum dehonestare voluerit ... et regnum eins au- 
ferre ab eo, dum adhuc pater potest iudicio contendere, in exercitu 
ambulare, populum iudicare, equum viriliter ascenderc, arma 
vivaciter baiulare, non est surdus nec cecus, in Omnibus ius- 
sionem regis potest implcre: sciat se ille filius contra legem fecisse. Hier 
versagt wohl jeder Versuch, kirchlichen Einfluß anzunehmen: zu deutlich spricht 
— von anderem abgesehen — die auch dem deutschen Privatrecht bekannte typische 
Formulierung; in letzter Linie kann man es auch unter dem germanischen Rechts¬ 
gedanken der Publizität verstehen, daß Herrscher nur sein soll, wer auch nach 
außen als solcher auftreten kann. — Ein weiterer unverdächtiger Zeuge der 
deutschen Auffassung ist Widekind, wo er (I cap. 25; Schulausgabe pag. 33) von 
dem Übergang des Königtums auf das sächsische Hans berichtet; i ^>-htig es 
■ein mag, daß Widekind die ar jebliche Ansprache Konrads an Ebf^* “**- 

fanden hat, ebenso schwerwiegend bleibt es, daß er, durch und dt 
gewiß nicht angekränkelt von kanonischen Rechtsideen (vgl. Watt 
lands Geschichtsquellen, I 7 SS. 3f»ö f.), von einem Gedanken bebet 
mit dem in der lex Baiuvariorum zum Ausdruck kommenden in 
«ammentrifft. Und im Zusammenhalt mit Widekind wird man imi 



414 


Karl Gottfried Hugelmann. 


Hier kommt y. Düngern der Wahrheit immerhin naher, als Krüger* 
wenn letzterer der Macht gar keine Bedeutung bei der Wahl beimessen 
und das Thronfolgerecht von Kindern als eine ursprüngliche germanische 
Einrichtung ansprechen will 1 ). 

War aber schon die Verwandtschaft mit dem letzten König nur 
eine relative Voraussetzung des Thronfolgerechts, so kann umsoweniger 
von einer rechtlichen Gebundenheit an die Nachfolger Karls des Großen 
die Bede sein« 

Diese Beweisführung ist nun allerdings von einem ganz andern 
Begriff des Hechts getragen, als ihn Frh. v. Düngern seinen Aus¬ 
führungen zugrunde zu legen scheint Zwar darin, daß wir nicht nach 
einer verfassungsrechtlichen Satzung, ja nicht einmal nach einer klaren 
Formulierung einer Bechtsüberzeugung zu suchen brauchen, daß diese 
vielmehr in lebendiger Bechtsgewohnheit sich betätigt haben und aus 
ihr allein erkannt werden kann: darin stimme ich — fast möchte ich 
sagen selbstverständlich — mit Frh. v. Düngern überein. Nur muh 

Cont. Reg. ad a. 919 (Schulausgabe pag. 156), bei welcher ja an sich eine kano- 
nistische Färbung eher anzunehmen wäre, einiges Gewicht beilegen dürfen. — 
Wenn ferner Über die Thronnachfolge Heinrichs 11. Thietmar lib. V. cap. 25 (Schul¬ 
ausgabe pag. 121) bemerkt, daß er iure consanguinetatis et aetatis virtutum- 
que maturitate ... in regem eligeretur, so kann man hierin nach der 
ganzen Fassung, bei der bereitwilligen Anerkennung des Geblütsrechte gewiß keine 
kirchliche Tendenz, sondern nur eine Äußerung erblicken, daß dieses Geblütsrecht 
durch die Tauglichkeit des Berufenen bedingt war. — Schließlich taucht der Ge¬ 
danke, daß die »habiliores« für die Wahl in Betracht kommen, auch bei der Wahl 
Konrads II. im Berichte Wipos (Cap. 2, Schulausgabe pag. 13) wieder auf; dabei 
kommt es wieder nicht darauf an, ob der ältere Konrad wirklich so gesprochen 
hat; als Zeugnis für eine verbreitete Rechtsüberzeugung bleibt die Stelle bestehen« 
— Alle hier besprochenen Stellen zitiert auch Krüger, aber seine Würdigung der¬ 
selben ist m. E. nicht ganz unbefangen; wenn man sie im Zusammenhangs 
betrachtet, kann man die aus ihnen sprechenden Gedanken unmöglich aus kirch¬ 
lichen Einflüssen ableiten. Baß Krüger den Quellenzeugnissen nicht ganz unbe¬ 
fangen gegenübersteht, zeigt sich ferner auch darin, wie wenig Gewicht er S. 75- 
darauf legt, daß Heinrich H. in einer Urkunde nicht nur sein Erbrecht, sondern 
auch dessen Anerkennung durch das Volk betont, und wie er es S. 123 Anm. 7 
unterläßt, aus der Volküberzeugung, daß die Anerkennung der Erbfolge durch das 
Volk notwendig sei, die richtigen Konsequenzen zu ziehen. 

J ) Krüger stellt S. 73 Anm. 7 folgenden Gegensatz auf: »Die Auflassung de* 
Königtums scheint mir vorwiegend ein Zeugnis kirchlichen Geistes zu sein, indem 
man dem König bestimmte Pflichten, namentlich auch die »advocatia ecclesiae« etc» 
auferlegte. Für die germanische Auflassung des Königs als Heerführers und höchsten 
Richters werden sich schwerlich solche Pflichten nachweisen lassen«. Da drängt 
sich denn doch von selbst die Frage auf, ob nicht auch der höchste Richter eine* 
Amtes, eben des Richteramtes, waltet und ob ein Kind die Pflichten eines Heer¬ 
führers und höchsten Richters erfüllen kann. 



War Deutschland ein Wahlreich? 


415 


es eben eine Rechtsgewohnheit sein, und das Kennzeichen einer solchen 
kann wieder nur darin gefunden werden, daß sich irgendwie das Be¬ 
wußtsein der Gebundenheit an diese Gewohnheit kundgibt Schon an¬ 
dernorts *) habe ich gesagt, daß ein Absehen von diesem Kennzeichen das 
allerwesentlichste Moment aus dem Rechtsbegriff ausscheidet, ihm sozu¬ 
sagen das Rückgrat bricht 

Es könnte vielleicht scheinen, als ob der Unterschied zwischen 
mir und Frh. v. Düngern nur in einer anderen Wertung der Quellen¬ 
zeugnisse läge. Es könnte so scheinen, wenn v. Düngern nicht — 
durch Heranziehung eines modernen Beispieles jeden Zweifel daran be¬ 
seitigte, daß es sich um eine verschiedene Auffassung der Grundlagen 
aller juristischen und daher auch rechtsgeschichtlichen Forschung, deren 
Gegenstand doch eben Geschichte des Rechts ist, handelt Frh. v. 
Düngern erklärt es (S. 5 Anm. 2) für rechtlich unmöglich, daß der 
deutsche Kaiser einen 21jährigen Bauernburschen zum Reichskanzler 
ernennt Der einzige Beweis hiefür ist daß eine solche Ernennung 
politisch unmöglich und undenkbar ist Hier aber setzt m. E. der 
Irrtum ein: nicht alles, was das politische Handeln staatlicher Organe 
bestimmt ist Rechtszwang. Daß Bauern Minister wurden, ist in 
europäischen Kulturstaaten vorgekommen. Daß eine politische Lage, 
in der ein 21jähriger Bauernbursche deutscher Reichskanzler wird, nicht 
vorstellbar ist se i zugegeben. Hier aber wirken rein soziale, politische 
Kräfte; nicht Rechtszwang. Die Rechts Überzeugung, daß eine solche 
Ernennung, wenn sie unter einer ganz außergewöhnlichen, wie gesagt 
heute gar nicht vorstellbaren politischen Lage doch erfolgte, wenn der 
Ernannte vielleicht ein alle sozialen Voraussetzungen und Schranken 
überspringendes politisches Genie wäre, rechtswidrig und nichtig wäre: 
diese Rechtsüberzeugung besteht nicht. Ich bekenne mich zur Lehre 
vom lebenden Recht; nur habe ich sie immer dahin verstanden, daß 
sie geschriebenes „Recht“, welchem eine lebendige Rechtsüberzeugung 
entgegensteht zu den Toten wirft, wo sein Platz ist; nicht aber dahin, 
daß sie Gewohnheiten, die nicht von einer Rechtsüberzeugung ge¬ 
tragen werden, zum Recht erhebt 

Wollte man, wie Frh. v. Düngern es tut die Grenze zwischen Ge¬ 
wohnheitsrecht und lediglic/i sozialen und politischen Kräften ent¬ 
springender Übung fallen lassen, so müßte das öffentliche Recht jeden 
festen Boden verlieren. Wh schon angedeutet: politische Lagen, unter 
denen ein Bauer Minister wird, sind durchaus denkbar, politische Lagen, 
in denen er Ministerpräsident bzw. Reichskanzler, wird, vielleicht nicht 


*) Die Wahl Konrads IV. zu Wien im Jahre 1237, Weimar 1914, S. 46. 



416 


Karl Gottfried Hugelmann. 


Und dies soll nun das Kennzeichen eines Bechtssatzes sein? „Zum Wesen 
jeden Hechts gehört nun einmal* nach Frh. v. Düngern „klare und 
feste begriffliche Gebundenheit und bestimmte Abgrenzung der einzelnen 
[Rechtsverhältnisse gegeneinander* (S. 27). Daß im Gegensatz zu dieser 
— vielleicht sogar zu weit gehenden Formulierung — der Rechtsbe¬ 
griff selbst in der Theorie v. Dungems völlig fließend wird, ist ihr 
schwerster Fehler. 


Y. 

Wie bedeutsam diese — an sich in das Gebiet der Rechtsphilo¬ 
sophie fallenden — Fragen für die historische Methode sind, läßt sich 
gerade an den beiden Schriften, die vornehmlich zu unserer Unter¬ 
suchung Veranlassung boten, zeigen. Es ist nämlich ganz auffallend, 
wie die Behandlung der Quellen bei Frh. v. Düngern durch seinen 
Rechtsbegriff beeinflußt ist 

Ich stimme mit Frh. v. Düngern natürlich darin überein, daß die 
Beschaffenheit unserer mittelalterlichen Quellen der Feststellung von 
Rechtszuständen bedeutende Schwierigkeiten in den Weg stellt Gewiß 
lag es vielfach außer ihrem Gesichtskreis, Rechtssätze abstrakt zu for¬ 
mulieren; und nichts wäre verkehrter, als aus dem Fehlen solcher For¬ 
mulierungen allein weitgehende Schlüsse zu ziehen. Und wenn 
Frh. v. Düngern (S. 42) „das Verstehen der Quellenwendungen aus 
der Zeit heraus“, ihre Wertung „nach dem Eindruck, den sie auf ihre 
Zeitgenossen machen konnten und sollten*, fordert, so ist das eine 
Wahrheit von der mir nur unerfindlich ist was sie mit der „Über¬ 
windung der Scholastik* zu tun hat 

Nun liegen aber für unsere Frage mindestens zwei erstklassige 
Quellenzeugnisse vor, welche einen unbedingten Thronfolgeanspruch der 
Verwandten oder gar der Abhömmlinge Karls des Großen deutlich aus¬ 
schließen, welche abstrakte Formulierungen der entgegengesetzten 
Rechtsüberzeugung enthalten. Gewiß wird man — Krüger stellt hie¬ 
rüber in der Einleitung zu seinem Buch sehr besonnene Erwägungen 
an 1 ) — auch solchen Formulierungen gegenüber vorsichtig sein und 

i) Im einzelnen kann ich allerdings auch der Quellen-Interpretation Krögers 
nicht immer folgen, wie sich schon aus den obigen Anm. zu 88. 413 u. 414 ergibt. 
Stellenweise hat sein — sonst vielfach mit Glück betätigtes — Bestreben, die psycho¬ 
logischen Motive der handelnden und berichtenden Personen zur Interpretation zu ver¬ 
werten, etwas Gesuchtes. So insbesondere bei der Beurteilung des Berichtes Wipoe über 
die Wahl Konrads n., SS. 102/103; gerade wenn der jüngere Konrad seine Nieder¬ 
lage voraussehen konnte, ist sein Verhalten auch ohne Annahme heroischer Selbst¬ 
verleugnung sehr erklärlich. Ein anderes Beispiel bietet das angeblich gespannte 
Verhältnis zwischen Sachsen und Bayern, welches S. 79 Anm. 26 durch eine ge- 



War Deutschland ein Wahlreich? 


417 


sehr genau prüfen müssen, ob sich in ihnen die herrschende deutsche 
oder eine oppositionelle, fremde, etwa kanonische Bechtsüberzengnng 
ansprägt. Aber bezeichnend ist es, wie v. Düngern mit diesen beiden 
Zeugnissen sich abfindet. 

„Wie konnte Eike um die Mitte (?) des 13. Jahrhunderts darauf 
kommen, schlechthin Freiheit für das jedenfalls doch eher strengere, 
das passive Wahlrecht, zu normieren?* (S. 38). Düngern beantwortet 
diese Frage in, wie ich gerne zugebe, scharfsinniger Weise aus der in* 
diyiduellen Standeslage Eikes. Und wenn wir sicher wüßten, daß wirklich 
das passive Wahlrecht auf die Dynasten oder die Abkömmlinge Karls 
des Großen oder auf einen noch engeren Kreis beschrankt war, so wäre 
gewiß diese Erklärung für die abweichende Formulierung bei Eike 
durchaus annehmbar. Was aber befremdet, ist der Umstand, daß 
v. Düngern die Formulierung Eikes gar nicht als ein gegen seine 
Theorie sprechendes Argument wertet Daß sich zur Not eine der all¬ 
gemeinen Bechtsüberzengnng ins Gesicht schlagende Formulierung durch 
Eike erklären ließe, ist doch kein Grund dafür, einen solchen Wider¬ 
spruch ohne zwingende Anhaltspunkte anzunehmen. Frh. v. Düngern 
kommt aber zu einer derartigen Annahme in der Hauptsache dadurch, 
daß diese Formulierung politisch unmögliche Thronkandidaten 
mitumfaßt Auf Grund dieser, wie wir gesehen haben, unzulässigen 
Vermischung von politischer Möglichkeit und rechtlicher Gebundenheit 
tritt er an den Sachsenspiegel nur mehr mit dem Versuche heran, für 
den für ihn unzweifelhaften Widerspruch eine mögliche Erklärung zu 
snchen. Und so fest ist er in dieser Vorstellung befangen, daß er 
nebenbei die ganz irrige Behauptung aufstellt das passive Wahlrecht 
sei jedenfalls eher strenger. Wie falsch dies ist zeigt ein Blick auf 
jene Wahl, die Frh. v. Düngern selbst als reinsten Typus der Wahl 
ansieht auf die Papstwahl: hier ist das aktive Wahlrecht auf die Kar¬ 
dinale beschränkt während mit wenigen Ausnahmen jeder giltig ge¬ 
taufte Mann (!) wählbar ist *). Und diese Ordnung ist durchaus zweck- 

legentiiche unmutige Äußerung Thietmars über die Bayern belegt wird. Die Unter¬ 
schätzung der Bedeutung der Wahl ist es offenbar auch, welche Krüger veranlaßt 
S. 136 Anm. 16 die wiederholte Wahl Heinrichs IV. zu Bodfeld 1056 trotz guter 
Beglaubigung kurzerhand für unwahrscheinlich zu erklären; mein Aufsatz über 
diese Wahl in dieser Zeitschrift XXVH 209 ff. scheint Krüger nicht bekannt zu 
sein. Sehr gut hingegen ist z. B. dasjenige, was S. 71 Anm. 7 über die die Karls- 
Abstammung betreffenden Stellen gegen Frh. v. Düngern bemerkt wird. Die nötige 
Korrektur erfuhren Krügers gewiß sehr verdienstvolle Ausführungen durch ein 
kurzes, aber gehaltvolles Nachwort Gierkes über das »Geblütsrecht«. 

i) Vgl. Hinachius, System des Kirchenrechts, L Band SS. 279 f. Die Aus¬ 
nahmen betreffen Kinder, Geisteskranke und Häretiker. 



418 


Karl Gottfried Hugelm&nn. 


mäßig und vernünftig; durch die Beschränkung des aktiven Wähler¬ 
kreises wird an sich die Wahrscheinlichkeit geschaffen, daß aus diesem 
Kreise in der Kegel auch der Kandidat entnommen wird, hief&r werden 
auch ohne Kechtszwang soziale Kräfte wirken; nur aus ganz be¬ 
sonderen Gründen wird bei einem so beschränkten Wahlrecht ein ganz 
besonders geeigneter Außenseiter als Kandidat in Betracht kommen, und 
eben deshalb wird die rechtliche Möglichkeit seiner Wahl offen 
gelassen. Aus denselben Gesichtspunkten ist es gar nicht unmöglich, 
daß sich im 13. Jahrhundert wirklich eine Rechtsüberzeugung geltend 
machte, die das aktive Wahlrecht auf die Kurfürsten einschränkte, das 
passive auf alle Freien ausdehnte — mit dem klaren Bewußtsein, daß 
die Einschränkung des aktiven Wahlrechts einen sehr sparsamen und 
zurückhaltenden Gebrauch dieser Möglichkeit gewährleiste, man also 
einer rechtlichen Einschränkung des passiven Wahlrechts entraten könne. 

Noch weniger gelungen ist m. E. die Art, in der sich Frh. v. Düngern 
mit einem zweiten, noch unzweideutigeren Quellenzeugnis für den Cha¬ 
rakter des Reiches als Wahlreich auseinandersetzt (S. 44), mit dem be¬ 
kannten Satz, des Otto v. Freising: non per sanguinis propaginem, sed 
per electionem reges creari. „Objektivität ist eine Ambition des mo¬ 
dernen Gelehrten; der mittelalterliche erzählt die Dinge didaktisch, wie 
er sie gesehen wissen wollte. Otto v. Freising plädierte für den Ein¬ 
fluß der Aristokratie in einem Zeitpunkt, wo dieser Einfluß gefährdet 
war. Es kam ihm gar nicht darauf an, den Einfluß des Blutsverbandes, 
der offensichtlich bestand, in aller Form zu leugnen. Seine Zeit wird 
ihn verstanden haben“. Ich muß gestehen, daß mir diese Sätze un¬ 
verständlich sind. Man mag sich mit der größten Entschiedenheit zu 
der Forderung bekennen, die Quellen aus ihrer Zeit zu verstehen: das 
kann doch nicht bedeuten, daß man jemals aus Quellen das gerade 
Gegenteil von dem herauslesen darf, was in ihnen steht. Non per 
sanguninis propaginem descendere reges kann doch schlechterdings 
nichts anderes als eine Leugnung des entscheidenden Einflusses des 
Blutbandes bedeuten! Wäre dem anders, d ann wäre es eigentlich 
schade um jede auf die Erkenntnis der Quellen aufgewendete Mühe. 
Und nun bedenke man, daß ein Verwandter des staufischen Hauses 
diesen Satz niederschrieb! Er mag einseitig, übertreibend, unjuristisch 
formuliert sein; ich behaupte aber, daß er unmöglich hätte geschrieben 
werden können, wenn die Wahl als Faktor der Berufung auf den 
Thron im Rechtsbewußtsein der Zeit jene minimale Rolle gespielt hätte, 
die Frh. v. Düngern ihr zuweist 1 ). 

*) Daran würde sich auch nichts ändern, wenn wirklich die l>ekannte Stelle 
hei Otto v. Freising, wie Krammer, Das Kurfürstenkolleg, SS. 8/9 Anm. 2, be 



War Deutschland ein Wahlreich? 


419 


Die letzte Erwägung leitet schließlich auch zu der methodo¬ 
logischen Frage über, wie der Bechtshistorikcr Formulierungen des 
Thronfolgerechts von außerdeutscher, insbesonderer päpstlicher Seite als 
Erkenntnisquellen zu werten hat Selbstverständlich hat v. Düngern 
recht, wenn er ihnen mit der größten Skepsis gegenübersteht. Trotzdem 
scheinen sie mir aber nicht ganz unbrauchbar für die Erkenntnis des 
herrschenden Bechtsbewußtseins. Zunächst darf nicht vergessen werden, 
daß die Papste aus den einfachsten Erwägungen politischer Klugheit 
an Elemente des deutschen Bechtsbewußtseins anknüpften, dieselben 
allerdings einseitig betonten und dadurch zu Bausteinen ihres bürokra¬ 
tischen Systems machten l ). Weiter aber muß erforscht werden, wie 
die deutsche öffentliche Meinung, wie das deutsche Becht auf diese 
päpstlichen und überhaupt kanonischen Formulierungen reagiert hat 
-Gerade diese Beaktionserscheinungen sind m. E. besonders 
wertvolle, von Frh. v. Düngern völlig vernachlässigte Erkennt¬ 
nisquellen des deutschen Bechtsbewußtseins. Daß auf die 
einseitigste Betonung des Wahlrechts durch die Kurialisten fast nie¬ 
mals von der Gegenseite — auch in der schärfsten Polemik — das 
Wahlrecht schlankweg geleugnet wurde, ist der stärkste Beweis dafür, 
daß man dasBeich mit vollem Becht ein Wahlreich nennt 
Und daß auch in dieser Polemik niemals die Notwendigkeit der Ab¬ 
stammung des Königs von Karl dem Großen formuliert wurde, beweist 
schlagend, daß sie im Bechtsbewußtsein der Zeit keine Stätte 
hatte*). 

* 

_ * * 

hauptet, nur das Referat eines 1152 gefundenen Weistums sein sollte. Auch dann 
ist dieses Weistum und sein widerspruchsloses Referat durch Otto v. Freising ein 
Yollgiltiges Zeugnis gegen die Lehre v. Dungems. 

>) So nimmt die heutige Königswahlen-Forschung an, daß die Lehre von 
principaliter Berechtigten durch Innozenz ID. aus dem Kreise Adolfs von Köln 
übernommen wurde. Ich werde darauf in einer Rezension von Krammers Kur¬ 
fürstenkolleg zurückkommen. 

*) Die beiden schroffsten Formulierungen, unter gänzlicher Verneinung des 
Erbprinzipe, hat das Wahlprinzip durch die Kurie bei der gegen Heinrich IV. in¬ 
szenierten Wahl eines Gegenkönigs und im Kampf gegen die Hohenstaufen in der 
Bulle Venerabilem gefunden. — Über den Standpunkt beider Parteien zur Zeit 
Heinrichs IV. handelt vor allem (unter Nachweis der einschlägigen Literatur) Mirbt, 
Die Publizistik im Zeitalter Gregors VII. S. 348 f. Seine Darstellung bedarf aber 
m. E. einer Korrektur. Es ist allerdings richtig, daß zur Zeit Heinrichs IV., zu 
4er das Erbrecht ja fester stand, als jemals sonst, das Reich auch theoretisch ver- 
•einzelt als Erbreich gefaßt wurde, u. zw von vereinzelten Vertretern sowohl der 
kaiserlichen als auch der päpstlichen Partei, insbesondere von dem kaiserlichen 
Walram von Naumburg (vgl. Ewald, Walram von Naumburg, Bonner Dissertation 



420 


Karl Gottfried Hugelmann. 


Wir sind am Ende. Bereits oben (S. 411) wurden die Verdienste 
der Theorie des Frh. v. Düngern in vielen Belangen hervorgehoben. In 
den aUerwichtigsten Punkten allerdings gelangten wir zu abweichenden 
Ergebnissen: die Karls-Abstammung der deutschen Könige ist nach 
der hier vertretenen Ansicht vom Wesen des Rechts und der dadurch 
bedingten Wertung der Quellen keine rechtlich notwendige; und die 
Leugnung, daß Deutschland ein Wahlreich war, beruht auf einer will¬ 
kürlichen Konstruktion dieses Begriffs. 

Mit dieser Stellungnahme aber — das möchte ich zum Schluß 
aufs entschiedenste betonen — wären wir den Forschungen v. Dungems 
noch immer nicht voll gerecht geworden. Der von ihm erbrachte Nach¬ 
weis nämlich, daß alle deutschen Könige und Thronkandidaten 
von Karl dem Großen tatsächlich abstammen x ), bleibt eine der wert- 

1874, S. 75 ff.). Heinrich IV. selbst aber — in diesem durchschlagenden Punkt 
ist die Darstellung Mirbts m. E. nicht ganz richtig — hat in seinen offiziellen 
Aktenstücken das Wahlrecht niemals geleugnet, ln der von Mirbt, bezw. 
Waitz, auf den sich Mirbts beruft, herangezogenen Stelle (MG. Leges II pag. 47, 
vgl. nunmehr MG. Gongt. I Nr. 62) stellt Heinrich IV. lediglich seine regia po- 
testas als a Deo concessa dem Anspruch des Papstes, daß er das regnum et im- 
perium verleihe, gegenüber ; die Wahl wird hier ignoriert, aber nicht geleugnet, 
denn auch die Würde des Erwählten pflegte das Mittelalter auf Gott zurückzu¬ 
führen. Was aber die zweite Stelle anlangt (MG. Leges H pag. 46, vgL nunmehr 
MG. Const. I Nr. 60), so ist unter der omnis haereditaria dignitas, welche Hein¬ 
rich IV. angeblich ab illa sede debebatur, der Patriziat zu verstehen, wie der Zu¬ 
sammenhang mit anderen politischen Kundgebungen der Partei Heinrichs IV. 
deutlich zeigt: es wird hier darauf angespielt, daß Gregor VH. schon bei seiner 
Wahl (inprimis) die noch im Papstwahldekret anerkannten Rechte Heinrichs IV. 
verletzte. Da nun das Papstwahldekret Heinrich IV. tatsächlich nur ein Recht 
einräumte, welches sein Vater Heinrich HL ganz besonders geübt 
hatte, konnte man von einem haereditarium ius in dem Sinne eines vom Vater 
überkommenen Rechtes sprechen, ohne den Charakter des deutschen Königtums 
als eines Wahlkönigtums prinzipiell zu leugnen. — Daß der Bulle Venerabilem 
nicht mit einer Berufung auf das Erbrecht, sondern im Gegenteil mit der schärfsten 
Betonung des freien Wahlrechts begegnet wurde, ist offenkundig. Erst Friedrich IL 
machte schüchterne Versuche, die Wahl seines Sohnes Konrads IV. ausschließlich 
auf das Erbrecht zu stützen; aber die Art, in der er es tut, zeigt gerade, wie sehr 
er sich dabei im Widerspruch mit der deutschen Rechtsüberzeugung befand. Hie¬ 
rüber habe ich in meiner Schrift Die Wahl Konrad IV. zu Wien im Jahre 1237 
SS. 42 ff. und 46 ff. (bes. S. 49 Anm. 2) gehandelt. — Schließlich verweist Krüger 
S. 72 Anm. 7 sehr mit Recht gerade auf Otto von Freising als sicheren Zeugen 
gegen die Notwendigkeit der Karls-Abstammung (Chron. lib. VI Cap. 32: 
Heinricus tertius, supradictae Giselae filius,.ipso [patre] mortuo, 89. ab An¬ 

gusto solus regnavit, in ipsoque dignitas imperialis, quae per longum iam tempus 
a sein ine Karoli exulaverat, ad generosum et antiquum germcn Karoli reducta est). 

i) Der Nachweis bezüglich der Könige findet sich in dem bekannten Buche 
v. Dungerns, Thronfolgerecht und Blutsverwandtschaft der deutschen Kaiser seit 




War Deutschland ein Wahlreich? 


421 


Tollsten Bereicherungen unseres historischen Wissens. Lehrt er uns 
auch nicht einen Teil des Bechts unserer Vorfahren erkennen, so 
zeigt er uns dafür, daß das Recht die Gesamtheit der die historische 
Entwicklung bedingenden sozialen und politischen Kräfte mit nichten 
erschöpft. Und nur noch bedeutsamer, will mich dünken, erscheint in 
dieser Beleuchtung die Erkenntnis, für deren Vermittlung der Historiker, 
und nicht zuletzt der Rechtshistoriker, Frh. v. Düngern zu Dank ver¬ 
pflichtet bleibt 

Karl dem Großen (2. Aufl. 1910), bezüglich der Thronkandidaten im I. Exkurs der 
hier besprochenen Schrift 


MittaUaagsn XXXTI. 



Die Urkondensammlung des Codex Ud&lrici. 

Von 

Hans Hussl. 


Der Codex Udalrici ist durch zwei in der Anordnung des Stoffes 
last durchaus (übereinstimmende Handschriften, von denen sich die 
eine in Wien, die andere in Zwettl befindet 1 ), vollständig überliefert 
Das Werk teilt sich in zwei Bücher von ungleicher Große; das 
erste Buch enthält nur 22 kleine Gedichte und eine aus den Briefen 
des zweiten Buches geschöpfte Sammlung von Briefanfängen, das zweite 
hingegen 379 Stücke, von denen die meisten sich als auf Grund echter 
Urkunden und Briefe hergestellte Formulare erweisen. Den Widmungs- 
Versen, mit denen das erste Buch beginnt, ist zu entnehmen, daß der 
Bamberger Alumne Udalrich das Werk an den Bischof von Würzburg 
namens Gebhard im Jahr 1125 überreicht hat Da die Handschriften V 
und Z übereinstimmend noch jüngere Stücke aufweisen 2 ), muß die 
Originalhandschrift über 1125 hinaus, mindestens bis 1134 fortgeführt 
worden sein. Ein derartiger Nachtrag (E 1) steht zu Beginn des zweiten 

*) Codex bibliothecae c&esareae Vindobonensis 398, im folgenden mit der 
Sigle V bezeichnet, und Codex monasterii Zwetlensis 283, im folgenden mit Z an¬ 
geführt. Herausgegeben wurde der Codex Udalrici von Eccard, Corpus historicum 
medii aevi 2 (die Stücke in der Reihenfolge von V; es ist nur diese Handschrift 
benützt) und von JafF6, Bibliotheca rerum Germanicarum 5 (beruht auf allen 
Handschriften, die Stücke sind zeitlich geordnet); doch gibt JaffS nur jene Urkunden 
wieder, für die der Cod. Udalrici einzige Überlieferung ist (Vorrede S. 5). Ich 
zitiere fortan nach E-(Eccard-)Nummem; zur Auffindung der sonstigen Drucke 
dienen die Übersichten bei JafiS S. 13—16 und unten S. 446 f. — Über die Spur 
einer verlorenen Handschrift vgl. Bresslau’s Vorbemerkung zu DK. H. 140. Indes 
ist zu beachten, daß gerade E 121, auf das es dabei ankäme, in Z an ganz anderer 
Stelle eingetragen als in V (vgl. unten S. 440 u. 446), wohl nachgetragen ist 

*) E 366 erwähnt ein Ereignis von Ende des Jahres 1133 in solcher Weise, 
daß man Absendung des Briefes zu Beginn des Jahres 1134 annehmen muß. E 367 



Die Urkundensarpmlnng des Codex Udalrici. 


423 


Buches, und das Ende desselben wird durch eine annähernd geschlossene 
Reihe solcher jüngerer Stücke gebildet Es sind bei 40 Briefe, die mit E 322 
beginnen und der Zeit von 1125—1134 angehören *). Das zweite Buch des 
Codex Udalrici zerfällt somit in zwei Teile: einerseits in einen bis 1125 
reichenden Hauptteil, andererseits in einen bis 1134 reichenden Nachtrag. 

Der Hauptteil des zweiten Buches läßt sich, was bisher nicht genug 
beachtet wurde, in drei Teile gliedern, von denen der erste nur die ersten 
neun, oder, wenn man den an der Spitze stehenden Nachtrag einrechnet 
zehn Stücke (E 1—10), die vorwiegend kanonistischen Charakter tragen, 
umfaßt während der zweite, von E 11 bis E 121 reichend, eine Urkun¬ 
denformularsammlung, der dritte, mit E 122 beginnend, eine Muster¬ 
sammlung für Briefe darstellt Zwischen den beiden letztgenannten Teilen 
-des Codex gibt es auch sonstige Unterschiede. Die Briefe sind in der 
Hauptsache nach zeitlichen Gesichtspunkten geordnet was bei den Ur¬ 
kunden in keiner Weise der Fall ist Ein wesentlicher Unterschied 
zwischen der Urkunden- und der Brie&ammlung liegt ferner in der Größe 
des Zeitraumes, dem die Stücke angehören. Während erstere Urkunden 
von 645—1125 enthält also einen Zeitraum von nahezu 500 Jahren 
umspannt umfaßt die letztere nur 70 Jahre, nämlich die Zeit von 1054 
(E 188)—1125. Die folgenden Ausführungen werden sich nur mit der 
Urkundensammlung, E 11—121, eingehender beschäftigen. 

Der Codex Udalrici ist. ein Formelbuch; es erscheinen daher die 
einzelnen Stücke meist nicht in vollem Umfange, sondern in gekürzter 
Gestalt Die Art wie die einzelnen Stücke behandelt sind, ist ver¬ 
schieden. Oft ist die Urkunde mit allen Teilen wiedergegeben, oft 
fehlt das Schlußprotokoll, oft wird nur der Text geboten. Eigennamen 
werden nicht selten ungekürzt genannt; ist dies nicht der Fall, so 
werden sie entweder durch N. ersetzt oder es wird der Anfangsbuch¬ 
stabe des zu kürzenden Wortes geschrieben. Es läßt sich nicht fest¬ 
stellen, daß an die verschiedene Herkunft der Stücke, die unten darge¬ 
legt wird, verschiedene Behandlung der Urkunden sich knüpft. In dem 
kanonistischen Teil, nämlich bei den Nummern E 5, 6, 7, 7* findet 
sich allerdings eine andere Kürzungsart: hier werden Eigennamen durch 


richtet sich an Lothar als Kaiser, gehört also in die Zeit von Sommer 1133 bis 
Ende 1137. Von den nur in V aufgenommenen jüngeren Stücken E I 23, E 368, 
370—372 wird hier abgesehen. 

*) J. Bachmann, im Neuen Archiv 38, 535 f. kommt zur Annahme, daß die 
Stücke E 329 und 330 noch bei Lebzeiten, des Bischofs Rüger von Würzbuzg 
abgefaßt seien (gest. 1125 August 26), in welchem Falle diese zwei Briefe aus der 
Reihe der nach 1125 entstandenen Stücke zu streichen sein dürften. 


28* 



424 


Hans Hussl. 


ille, iste ersetzt Das mag sich dadurch erklären, daß die Vorlagen, 
aus denen jene Formeln geschöpft sind, bereits diese für Udalrich 
fremde Kürzungsweise hatten 1 ). In der Urkundensammlung verdient 
besondere Erwähnung die Wiedergabe des Schlusses des Papstprivüegs 
E 77. Die Datierung fehlt, dafür findet sich der Vermerk: Item pri- 
vilegia Benedicti papae ut supra. Gehören diese Worte wirklich zu 
E 77, nicht etwa als Überschrift zum folgenden Stück, so dürfte anch 
hier Beeinflussung durch die Vorlage anzunehmen sein, da die vorher¬ 
gehenden Urkunden E 64—76 Diplome Heinrichs IL sind. 

Die Urkundensammlung des Codex Udalrid setzt sich zusammen 
aus 85 Diplomen, 13 Papsturkunden, einem Synodaldekret, 11 Privat¬ 
urkunden und einem Brief. Von den drei Urkundenarten die sich 
finden, stehen für unsere Untersuchung die Diplome im Vordergründe 
des Interesses. Diese überwiegen bei weitem und geben somit der 
ganzen Sammlung den Anstrich eines Königsurkundenformelbuches. Das 
älteste von den vertretenen Diplomen ist eine Urkunde König Sig¬ 
berts U. für Stablo (E 46) von ungefähr 648, das jüngste Stück eine Ur¬ 
kunde Heinrichs V. für Bamberg (E 98) aus den Jahren 1111—1125* 

Bezüglich der Anordnung der Diplome befolgte Udalrich ein 
ganz eigenartiges System. Er gruppierte zumeist nach Herrschemamen, 
das heißt es sind Urkunden, welche von Ludwigen, Ottonen, Heinrichen 
ausgefertigt sind, zusammengestellt. Die Vereinfachung geht noch weiter, 
so daß Diplome, welche von Herrschern gleichen Anfangsbuchstabens 
stammen, durcheinandergemengt sind. Dies erklärt sich daraus, daß 
der Ordner den Namen kürzte und nur den Anfangsbuchstaben wieder¬ 
gab. Die 85 Diplome der Urkundenformularsammlung sind folgender¬ 
maßen geordnet: 

Voran gehen zwei Diplome die noch nicht in diese Ordnung ein¬ 
gereiht sind: E 13 und E 14*). Dann aber folgen E 17—25, 28—30 
Diplome von Herrschern, die den Anfangsbuchstaben C haben 8 ). Von 
dieser C-Gruppe gehören E 17—21, 28—30 zu Carl, 22, 24 zu 
Carlmann, E 23, 25 zu Conrad. 

*) Zeumers Ausgabe, Mon. Germ. Formulae Extr. 1, 18, II, 2, 8, 22, läßt 
allerdings diese gemeinsame Vorlage für E 5 bis 7» nicht erkennen. 

*) E 13 (von Ludwig HL) und 14 (von Araolf) stammen ebenso wie die 
zwei vorhergehenden Papsturkunden aus Lorsch. 

’) E 15 und 16 sind Papsturkunden; E 16 bezieht sich wie die folgenden 
Stücke E 18—27 auf Regensburg. E 26 und 27 sind von Arnulf auqgefertigk Die 
Urkunden schieben sich wohl deshalb hier ein, weil sie wie die vorhergehenden 
Stücke für Regensburg bestimmt waren. Inwieweit der Sammler die Zugehörigkeit 
der C-Urkundeu zu den einzelnen Herrschern beachtet oder gekannt hat, könnte 
nur durch Einsichtnahme in die Handschriften festgestellt werden. Diese scheinen. 



Die Ur kundenmmm 1 ung des Codex Udalrici. 


425 


E 31—36, 39—45 stammen von Herrschern deren Namen mit L 
beginnen *). E 31 ist von Lothar, E 32 von Ludwig und Lothar, 
E 33—36, 39—45 sind von Ludwigen ausgestellt 

Die Urkunden 48—54 stammen geschlossen von Ottonen 8 ). 

Die Diplome 59—76, 81, 85, 88, 90—98, 101—105, 109, 111 
und 120 sind von Heinrich II., HL, 1Y. und V. ausgefertigt Die 
Heike ist hier deshalb so stark durchbrochen, weil sich vielfach päpst¬ 
liche und private Urkunden einschieben, die eingangs den Namen 
Heinrich nennen oder doch zur Gruppe Bamberg gehören 8 ). Überdies 
wird am Schluß, wo E 117, 118, 121 von Karl d. Gr., Ludwig d. Er. 
und Konrad II. herstammen, das System wieder ebenso verlassen wie 
am Anfang. 


soviel man aus den Drucken ersieht den Ausstellemamen teils auszuschreiben, 
teils zu kürzen, teils ganz wegzulassen, und die Herausgeber haben stellenweise 
nach Gutdünken ergänzt. Auf diese Art sind E 23 und 2ö, die von Conrad L 
stammen, mehrfach (ygL M.* 2091, 2099) für Urkunden Karls d. Gr. gehalten 
worden. 

*) E 37 und 38 sind Privaturkunden; sie schieben sich deshalb hier ein, weil 
sie ebenso wie die vorhergehenden (E 34—36) und die folgenden (E 39—43) 
Diplome aus Regensburg stammen. 

*) E 46 und 47 sind von Sigbert II. ausgefertigt; sie sind hier eingereiht, 
weil sie wie die zwei folgenden Diplome aus Stablo gekommen waren; aus Stablo 
stammen auch zwei Urkunden am Schluß der Otto-Gruppe, E 55 von Hilderich H. 
und E 66 von Theoderich 1. ausgestellt. 

*) E 57 und 58 sind nicht Diplome; allein E 57, dessen Original nach Aus¬ 
weis der Rückenaufschrift schon im 11. Jahrh. als Privileg Heinrichs galt (vgl. Mon. 
Germ. DipL 3, 169), trögt in V, Z und C (vgl. Jaft6 Bibi. 5, 27 n« 7, Anm. a) die 
Überschrift De Heinrico primo imperatore; E 58 ist überschrieben; Privilegium 
Henrici Wirzburgensis episcopi; beide Stücke gehören also zur H-Gruppe. E 77 
—80 nennen eingangs Kaiser Heinrich als Intervenienten oder als Empfänger. 
E 82 ist an den Würzburger Bischof H. gerichtet und hier wie in E 83 ist von 
H. imp. bzw. rex. die Rede. E 84 ist zwar von Konrad II. ausgestellt allein Eccard, 
also wohl Handschrift Y, schreibt die Urkunde H. zu. E 86, 87 stammen wie 83— 
85 und 88 aus Bamberg. E 89 ist wie die folgende von Heinrich ausgefertigte 
Urkunde für Goeß bestimmt. E 99 und 100 sind beide für Bischof H. von Bam¬ 
berg ausgestellt E 106 ist eine Freilassungsurkunde Conrads H. (D. 27, vgl. 
‘Quellenstudien aus dem hist. Seminar Innsbruck 5, 45), als Intervenient erscheint 
quidam H. E 107 hat als Aussteller: H. Bavariorum dux. E 108 nennt eingangs 
den Bischof N.; nachdem aber die Urkunde von Bischof Hartwig stammt, stand 
auch hier ursprünglich H. E 1T0 gehört wie 107—109 und 111 zur Empfänger¬ 
gruppe Bamberg. E 112 ist von H. marchio ausgestellt E 112, 114 dürften wie 
die Stücke 107—111 aus dem Bamberger Archive stammen. E 115 ist von Karl HI., 
E 116 von Arnulf ausgestellt; allein die Handschrift Y nennt wie aus Eccard zu 
•ersehen, in beiden Fällen H. als Ausfertiger. 



426 


Hans Hussl. 


Man sieht somit, wie Udalrich in seinem Formular-Kodex Ordnung 
schuf: Erst trennte er die Urkunden von den Briefen, dann gliederte 
er die ürkundenformularaammlung in vier Teile: die C-, L-, 0-, H-Gruppe. 
Ist dieses Schema manchmal durchbrochen, so gab, abgesehen von den 
am Anfang und Schluß zugefügten Nachträgen, die Herkunft der 
Stücke Veranlassung. Denn Udalrich zeigt das Bestreben, Urkunden 
gleicher Herkunft möglichst beisammenzulassen. Die Stücke E 11—14 
stammen aus Lorsch. Die zwei restlichen Lorsch er Urkunden E 64, 
65 schließen sich nicht an, weil sie zur Heinrich-Gruppe gestellt werden 
mußten, da sie von Heinrich IL herrühren. Von E16—27 waren sechs Stücke 
für Si Emmeram bestimmt. An sie schließen sich geschlossen die sechs 
Stücke der Empfangergruppe Reims, so geordnet, daß die drei ersten, 
von Carl ausgefertigt, zur vorhergehenden C-Gruppe, die drei letzten, 
von Lothar und Ludwig ausgestellt zur folgenden L-Gruppe stoßen. 
Man möchte fast glauben, daß Udalrich deshalb auf die C-Gruppe die 
L-Gruppe folgen ließ, weil die Urkunden für Reims in diese zwei Teile 
gegliedert werden konnten. Die Ludwig-Gruppe ist nun von E 34—43 
aus St Emmeramer Stücken aulgebaut Somit erscheinen von E 16—43 
zumeist Urkunden für Regensburg, die von E 27—34 durch 6 Reimser 
Urkunden unterbrochen werden. Unterbrochen deshalb, weil der Grund¬ 
satz die Urkunden nach Ausstellemamen zu ordnen es verlangte. Auch 
die Stücke für Stablo sind zusammengruppiert: E 46—49; wenn E 55, 
56, zwei Urkunden, die gleichfalls hiehergehören, abgesprengt sind, so 
geschah dies mit Rücksicht auf die eingeschalteten Diplome, die ge¬ 
schlossen der Otto-Gruppe angehören. Bei den Bamberger Urkunden 
kommt die Zusammengehörigkeit zunächst in folgenden Gruppen zum 
Ausdruck: E 57—63, 67—74, 76—88, 95—102, 107—111. Die Stücke 
für Goeß 89, 90, Salzburg 91, 92, Hainburg 93, 94, zum Teil auch 
die für Hamburg 117—119 sind beisammen gelassen. Es unterliegt 
somit keinem Zweifel, daß Udalrich bei der Anordnung ein zweifaches 
System befolgte: einerseits nach Ausstellern zu ordnen, andererseits die 
Herkunft der Stücke möglichst zu berücksichtigen. 

Haben wir uns im bisherigen mit der Kürzungsart und mit der 
Anordnung der Stücke beschäftigt, so wird im folgenden ihre Herkunft 
zu erörtern sein. Die Diplome gliedern sich in Bezug auf ihre Em¬ 
pfänger in zwei größere Gruppen, Bamberg und Regensburg, und in 
mehrere kleine, die sich teilweise auf jene beiden zurüi kführen lassen* 
(Stablo, Reims, Lorsch usw.). Will man der Entstehungsweise dieser 
Sammlung von Kaiserurkunden-Formularen nachgehen, so wird es sich 
als notwendig erweisen, auch den Formeln für Privat- und Papstur¬ 
kunden, die sich bei Udalrich finden, Beachtung zu schenken. 



Die Urkundensammlung des Codex Udalrici. 


427 


Am einfachsten erklärt sich die Aufnahme jener Urkunden in das 
Formelbuch Udalrichs, die für Bamberg selbst bestimmt sind: es sind 
39 Stücke. Diese 39 Urkunden zerfallen in zwei Gruppen: 35 Stücke sind 
an die bischöfliche Kirche gerichtet, wenn man E 101 einrechnet, in 
welcher Urkunde Heinrich HI. verordnet, daß in das Grab des Herzogs 
Melns von Apulien niemand beigelegt werde. Dieses Diplom kam in 
das bischöfliche Archiv, weil das Grab des 1020 verstorbenen Herzogs 
in der Domkirche von Bamberg lag *). Die vier restlichen Stücke sind 
für andere Empfänger in Bamberg ausgestellt, doch läßt es sich dar¬ 
legen, daß auch sie in das bischöfliche Archiv gelangt sind. E 74 
(DH. H. 318), E 83, 108 sind für das Domkapitel, bezw. die Kanoniker 
in Bamberg bestimmt Diese drei Urkunden stammen aus dem Archiv 
des Domkapitels; nachdem das bischöfliche und das domkapitelsche 
Arcliiv nachweislich erst seit dem 16. Jahrhundert getrennt waren, 
ursprünglich aber beide Urkundengruppen im Domsegerer (sacrarium) 
lagen 2 ), so überrascht es nicht, daß Udalrich neben Urkunden, als deren 
Empfänger das Bistum erscheint, auch solche verwendet, die für das 
Domkapitel bestimmt sind. Eine Urkunde findet sich, die für das Kloster 
St Michelsberg ausgefertigt ist: E 67 (DH. II. 389). In diesem 
Diplome schenkt der Kaiser dem Kloster ein Gut das er von einem 
seiner Kapellane erhalten hatte. Die Namen der Urkunde, die nur bei 
Udalrich überliefert ist sind im Formular nicht genannt Aus dem 
Michelsberger Güterverzeichnis 8 ) läßt sich entnehmen, daß der Kapellan 
ßothard ein Gut namens Gimbsheim dem Kaiser übergeben hat das 
dieser dem Kloster übergab und das später an die bischöfliche Kirche 
vertauscht wurde. Nimmt man nun (wie das auch Bresslau tut) an, 
daß das namenlos überlieferte E 67 mit der Schenkung dieses Gutes 
Gambsheim identisch ist 80 erklärt sich das Vorkommen des Stückes 
im Cod. Udalrici einfach; denn mit dem Gute Gimbsheim kam gewiß 
auch die Urkunde des Königs an den Bischof; auch dieses Stück wird 
also von dem Sammler dem bischöflichen Archiv entnommen sein. 

Es ergab sich also von 39 Urkunden, welche in die Formelsammlung 
Aufnahme gefunden, daß sie zur Zeit der Abfassung, das ist um das 
Jahr 1125, im bischöflichen Archiv zu Bamberg lagen 4 ). Allein es 

i) VgL Hirsch-Bresslau, ^ahibftcher des deutschen Reichs unter Heinrich II. 
3 ? 160 und Steindorff, Jahrbücher d. d. Reichs unter Heinrich Iü. 2, 264. 

•) Haeutle, »Das ehemalige llrBtbischöfliche Archiv in Bamberg«, Arcliivalische 
Zeitschrift N. F. 1, 108. 

*) Giesebrecht Geschichte d. deutschen Kaiserzeit 2 5 , 600. 

4 ) Bresslau, Urkundenlehre 1, 629 hatte die Annahme vertreten, daß Udalrich 
aus »Bambenrer Archiven«, also mindestens aus zweien geschöpft habe. Oben wurde 



428 


Hans HussL 


läßt sich dies nicht nur von jenen Stücken nachweisen, die für Bamberg 
bestimmt sind, sondern auch von solchen, deren Empfänger an anderen 
Orten weilten. 

E 93, 94 entsprechen zwei Urkunden, durch welche Kaiser Hein¬ 
rich HL die Kirche in Hainburg (bei Preßburg) beschenkt (St. 2414, 2415). 
Beachtet man den Überlieferungsort dieser beiden Urkunden, so zeigt 
sich, daß beide Originale in Bamberg lagen. Dasselbe ist bei E 50 der 
Fall, in welcher Urkunde Otto II. der Kirche des hL Lantpert, ehemals 
in Kärnten, Besitzungen schenkt (DO. IL 292). Daß dieses Diplom 
bereits im 13. Jahrhunderte in Bamberg lag, geht daraus hervor, daß 
es im Liber privilegiorum Bambergensium eingetragen ist 1 ). 

Drei weitere Formeln sind hieher zu zählen, nämlich E 54, 58 und 
80. Sie entsprechen Urkunden für Heinrich II. und für dessen Vater; sie 
gelangten nach Bamberg, weil die betreffenden Güter dahin kamen -). 

E 114 ist für Kitzingen, östlich Würzburg gelegen, ausgestellt. 
Hier erklärt sich die Aufnahme in den Cod. Ud. daraus, daß die Abtei 
eine Besitzung des Bamberger Bistums war (vgl. DC. II. 7, St 2589). 

Zahlreich sind die Stücke welche für Begensburg ausgefertigt sind. 
Hierher sind folgende 29 Eccard-Nummem zu rechnen: 16, 18—27, 34 
—43, 45, 51—53, 66, 75, 115, 116. Diese Gruppe zerfällt in zwei 
Teile: einerseits Urkunden, die aus dem Archive von St Emmeram 
stammen, andrerseits Stücke, die dem Archive der königlichen Marien¬ 
kapelle, oder auch „alte Kapelle* genannt angehörten. 

Aus dem Klosterarchive von St Emmeram stammen einmal jene Ur¬ 
kunden, die für Emmeram ausgestellt wurden, nämlich folgende 20 Stücke: 
16, 18, 23, 25—27, 34—43, 61, 53, 66, 115. Im Klosterarchiv lagen 
ferner zwei Urkunden, die fremde Empfänger aufweisen: E 22, 24. 

In E 22 (M 8 1537) schenkt Karlmann seinem Priester Job Be¬ 
sitzungen im Donaugau — Die Urkunde enthält die Bestimmung, daß 
die Güter nach dem Tode Jobs an St Emmeram fidlen sollen. Hierin 
ist der Grund zu suchen, weshalb dieses Stück in das Klosterarchiv 
kam. Die Urkunde ist erhalten in der Urschrift und in einer Abschrift 
aus dem 11. Jahrhundert; beide stammen aus St Emmeram. 


versucht zu erweisen, daß Udalrich nur ein Archiv, nämlich das bischöfliche, be¬ 
nützte. Auch Bresslau, Vorbemerkung von DH. H. 389, dachte nur an das bischöf¬ 
liche Archiv, wiederholt aber Urkundenlehre 2 f , 253 die alte Fassung, 
i) VgL Hon. Germ. DD. 2, 899. 

*) Zu E 80 vgl. DH. H. 382, Pereis in Hist Aufsätze für K. Zeumer S. 490 f. 
und Brackmann, Studien und Vorarbeiten 1, 113; über die durch Heinrichs Hand 
an Bamberg gelangten Urkunden s. Mon. Germ. DD. 2, 898 und 3, 727. 



Die ürkundensammlung des Codex Ulalrici. 


429 


Das zweite Stück £ 24 (M 2 1539) stellt eine Urkunde dar, durch 
welche Karlwiann einen Vertrag, der zwischen dem Abte und den 
Mönchen des Klosters Mondsee geschlossen wurde, bestätigt Dieses 
Diplom ist sonst nur in einem Emmer&mer Chartular aus dem 11. Jahr¬ 
hundert enthalten. Der Grund dafür, warum diese Urkunde nach St Em¬ 
meram kam, liegt darin, daß Mondsee seit 833 (vgL M* 1349) zum 
Besitz des Regensburger Klosters gehörte. 

Weniger sicher ist die Zugehörigkeit von £ 17 und E 52. In dem 
erstgenannten richtet Karl 4 Gr. an den Erzbischof N. eine Anfrage über den 
Taufritus. Karl sandte eine Enzyklika gleichen Wortlauts an die Erz¬ 
bischöfe seines Reichs (M- 474). Daß eine Abschrift davon auch nach 
St Emmeram gelangte, ist möglich, aber nicht zu erweisen. Auch von 
E 52 wissen wir, wenn diese Urkunde wirklich für die bischöfliche 
Kirche bestimmt war 1 ), nicht, wann und wie sie in das Klosterarchiv kam. 
Die Einreihung im Cod. Ud. spricht aber in beiden Fällen für Zuge¬ 
hörigkeit zur Gruppe St Emmeram. 

Die zweite Abteilung der Gruppe Regensburg bilden jene Urkunden, 
die aus dem Archive der königlichen Marienkapelle herrühren. Für 
diese Kirche sind drei Urkunden unserer Sammlung bestimmt, E 20. 
45, 75; in diesem Archive sind aber auch drei Urkunden erhalten, 
welche andere Empfänger aufweisen: E 19, 21, 116. 

ln der einen, E 19, verleiht Karl III. cuidam fideli nostro quandam 
eapellam. — Sucht man die Urkunde, die dieser Formel entspricht, so 
findet man, daß dieses Formular nach M 2 1652 abgefaßt ist In 
M 2 1652 schenkt Karl 1LL seinem Getreuen Euprant eine Kapelle mit 
der Bestimmung, daß sie nach dessen Tode an die k. Marienkapelle 
in Regensburg fallen solle. In dieser Verfügung liegt offenbar der 
Grund für die Aufbewahrung im Archiv der Marienkapelle. 

Die nächste in Betracht kommende Urkunde ist E 21 (M 2 1710). 
Hierin verleiht Karl UL dem Abte Engelmar, was der k. Kapelle in 
Regensburg in der Stadt gehört, als lebenslängliches Eigen. — Das 
Original der Urkunde trägt eine Dorsualaufschrift von derselben Hand, 
welche solche auch auf andere Urkunden aus dem Archive der Marien¬ 
kapelle (so E 20 = M 2 1690) anbrachte. 

In einer dritten Fornel E 116 (M 2 1920) beschenkt Amolf die 
Kirche zu Roding (in der (berpfalz). Die Kirche in Roding kam an 
die Marienkapelle und mit ihr auch die Urkunde selbst 2 ). Es liegen 

i) So Budde im Arch. f. Urkundenfechg. 5, 166; anders Sickel zu DO. II. 204. 

’) In J-L. 15371 Brackmann, Germania pontificia 1, 279 n° 2 (gedruckt: 
Ried, Codex dipl. Ratisponensis 1,263) bestätigt Papst Lucius HI. der alten Kapelle 
in Regensburg: ecclesias in vestro fundo sitas, Kotigen scilicet cum apenditiis suis .. 



430 


Hans Hu881. 


also im Cod. Ud. drei Urkunden vor, welche die Marienkapelle als 
Empfänger haben, und es finden sich drei weitere Diplome, die au 
andere Empfänger gerichtet sind, aber auf dargelegte Art in das Archiv 
dieser Kapelle gekommen waren. 

Wir haben bisher die Geschichte der Urkunden aus der Gruppe 
Regensburg bis zu dem Punkte verfolgt, da die einen in das Archiv 
des Klosters Sh Emmeram, die andern in das Archiv der Marienkapeüe 
gelangten. Es würde nun darzulegen sein, wie der Bamberger Udalrich 
zur Benützung dieser Urkunden kam. Die Stücke für die Marienkapelle 
kamen mit dieser Kirche selbst nach Bamberg. Diese königliche Ka¬ 
pelle wurde nämlich im Jahr 1009 von König Heinrich IL an Bamberg 
geschenkt (DH. II. 196). In der Urkunde ist von capella sive abazia 
intra urbem Radesponam die Rede. Daß auch das Archiv übergeben 
wurde, erweist der Umstand, daß in dem ältesten Repertorium des Bam¬ 
berger Archivs, in dem Registrum generale aus der Mitte des 15. Jahr¬ 
hunderts, als 5. Abteilung die alte Kapelle in Regensburg genannt 
wird x ). Da sämtliche sechs Urkunden, die aus dieser Gruppe sich im 
Cod. Ud. finden, älter als 1009 sind, und ihre Originale, soweit er¬ 
halten, aus dem Bamberger bischöflichen Archive stammen, so unterliegt 
es keinem Zweifel, daß Udalrich sie eben dorther geschöpft hat 

Schwieriger ist es, eine Erklärung für die Übernahme der 22 (oder 
allenfalls 24) Stücke aus dem St Emmeramer Archive zu finden; sie 
sollen daher weiter unten (S. 441 ff.) im Zusammenhänge mit jenen 
11 Stücken besprochen werden, von denen es sich ebenfalls nicht sicher 
feststellen läßt, auf welchem Wege sie in den Cod. Ud. gekommen 
sind. 

Aus dem bisher Gesagten ergab sich folgendes: 39 Urkunden, welche 
Formularen des Cod. Ud. entsprechen, sind für Bamberg bestimmt und 
lagen um 1125 im bischöflichen Archive; 6 Stücke kamen durch die 
Schenkung der Marienkapelle in das bischöfliche Archiv Bamberg, 
7 weitere in kleineren Gruppen auf verschiedenen Wegen. Es liegt 
also bei 52 Urkunden nachweislich Überlieferung durch das Bamberger 
bischöfliche Archiv vor. 

Noch fünf Stücke dürften zu dieser Gruppe zu rechnen sein: 

E 104 (St 2988 b) 1077—84, Heinrich IV. beschenkt seinen 
Diener R. 

E 105 (St 2988a) 1056—84, Heinrich IV. beschenkt seinen 
Diener H. 


*) Haentle, Das ehemalige türstbischöfliche Archiv in Bamberg in Archivaliche 
Zeitflcbrift N. F. 1, 108. Vgl. Brackmann, Germ. pont. 1, 279. 



Die Urkundensammlung des Codex Udalrici. 


431 


E 106 (DC. II. 27) 1024—26, Konrad II. läßt die Magd A. frei. 

Der Cod. Ud. bietet die Empfänger dieser Urkunden nur mit dem 
Anfangsbuchstaben; das Eschatokoll fehlt gänzlich, weshalb sich weder 
Ort noch Zeit der Ausstellung ermitteln lassen. Die Urkunden, welche 
diesen Formularen entsprechen, sind nicht bekannt; es ist daher nicht 
möglich, aus dem Überlieferungsorte Schlüsse auf den Empfänger zu 
ziehen. Bei solcher Lage kann nur die Formel selbst und ihre Ein¬ 
reihung Aufschluß geben. Diese drei Stücke stehen bei Udalrich un¬ 
mittelbar hintereinander; das ist umsomehr beachtenswert, als E 106 
von Konrad ausgestellt, vereinzelt unter den von Heinrichen ausge¬ 
fertigten Urkunden steht Würde man diesen Umstand auf gemein¬ 
same Herkunft der Stücke zurückführen, so könnte man vermuten, daß 
alle drei Urkunden aus Bamberg stammen, denn für E 104 ist dies 
wahrscheinlich, da hier der Bischof von Bamberg als Intervenient ge¬ 
nannt wird. Nachdem ferner acht vorhergehende Stücke (E 95—102) und 
die fünf unmittelbar folgenden (E 107—111) für Bamberg bestimmt 
waren, so werden wohl fast sicher auch unsere drei Diplome dem 
Bamberger Archive entstammen. 

Zu den in Bamberg überlieferten Urkunden dürften ferner noch zwei 
Stücke für Würzburg zu zählen sein. 

E 82 stellt einen Brief dar, den Johann IV., Patriarch von Aquileia, 
an den Bischof von Würzburg Heinrich I. sandte. Dieser Brief fand 
in die vita Heinrici II. imperatoris Aufnahme, welche ein Bamberger 
Diakon, namens Adalbert, um 1146 schrieb 1 ). Adalbert benützte Ekke¬ 
hard, Otloh, Udalrich und das Bamberger Archiv selbst Sein Werk 
liegt uns in zwei Rezensionen vor; die jüngere unterscheidet sich von 
der älteren hauptsächlich dadurch, daß in ihr Urkunden aus dem Bam¬ 
berger Archive, das für Adalbert erst nachträglich geöffnet worden war, 
eingeschaltet sind 2 ). Man könnte annehmen, daß Adalbert diesen Brief 


*) Waitz, M. G. SS. 4, 798 und Wattenbach, Geschichtsquellen 2 6 , 384. 

*) Diese eingeschobenen Stücke, welche den beiden älteren Handschriften, der 
Gurker und der Gothaer, fehlen, sind c. 7—19. Vgl. Arndt, Zur Vita Heinrici H. 
imperatoris in Forschungen zur deutschen Geschichte 10, 604 und W. Schmidt, 
Über die älteste Handschrift der Adalberti vita in Forschungen z. deutschen Ge¬ 
schichte 9, 361. Der Umstand deß die Urkunde DH. II. 514, welche in der vita 
Heinrici des Adalbert auf den B ief des Patriarchen folgt (c. 15), gefälscht ist, 
dürfte die Echtheit von E 82 v bei Adalbert cap. 14) wohl nicht verdächtigen. 
Denn DH. H. 514 ist, wie Bloch, Jseues Archiv 25, 220 und Bresslau, Vorbemerkung 
zu DH. H. 514 ausführen, Fälschung des Diakons Adalbert. Der Brief E 82 kann 
aber deshalb nicht von Adalbert gefälscht sein, weil er schon 1125 vorlag. Adalbert 
wollte eine Zusammenfassung über das Entgegenkommen geben, das Heinrich II» 
gegenüber Bamberg an den Tag gelegt. So verfaßte er aus den echten Urkunden 



432 


Hans Hussl. 


aus Udalrich schöpfte; doch dürfte dagegen wohl der Umstand sprechen, 
daß Adalbert den Namen des Würzburger Bischofs Heinrich ausschreibt, 
während wenigstens die Handschrift V des Cod. Ud. ihn nur mit der 
Kürzung H. bietet. Aller Wahrscheinlichkeit nach lag der Brief um 
1146 im Bambergischen Archiv. Daß schon Udalrich ihn hier fand, dafür 
spricht auch die Einreihung. Die vorhergehenden und folgenden Stücke 
(E 76—81, 83—88) entstammen dem bischöflichen Archiv. — Das 
Stück dürfte deshalb nach Bamberg gelangt sein, weil es die Antwort 
auf ein Bundschreiben ist, das die Bamberger Kirche betraf, und einen 
Glückwunsch über die Gründung des Bistums darstellt 

Noch ein zweites Stück für Würzburg ist im Cod. Ud. überliefert: 
E 112. In dieser Formel schenken der Markgraf H. und seine Ge¬ 
mahlin A. der Kirche von Würzburg praeposituram N. in pago N. 
Ussermann l ) bringt nach einer Abschrift aus dem Archive in Heiden¬ 
feld die entsprechende Urkunde, welche besagt daß Graf Hermann und 
seine Frau Alberada die Probstei Heidenfeld au Würzburg schenkten. 
— Gräfin Alberada hatte sich in zweiter Ehe mit dem Markgrafen 
Hermann vermählt. Beide schenkten ihre ganze Herrschaft, zwischen 
Itz und Main, an die von ihnen erbaute Kirche Banz und übergaben 
sie an das Bistum Bamberg. Um die Einwilligung des Bischofs von 
Würzburg zu erlangen, übergab ihm der Markgraf die Propstei Heiden¬ 
feld. Es ist unsere Urkunde, welche am 7. Juli 1069 ausgefertigt 
wurde. Am selben Tage bestätigte der Bischof von Würzburg Adalbert 
die Gründung der Kirche Banz 8 ). Im Jahre 1071 unterfertigte Hermann 
die Urkunde, durch welche er Banz an Bamberg übertrug 8 ). Das Gebiet 
blieb bei Bamberg und das Kloster, das nach dem Tode des Stifters 
verfallen war, wurde von Otto wieder hergestellt 4 ). 

Durch diese Beziehungen Bambergs zum nahen, innerhalb seiner 
eigenen Besitzungen gelegenen Heidenfeld ist es erklärlich, daß die Ur¬ 
kunde oder eine Abschrift nach Bamberg gelangte. 

Bei 57 Stücken könnte sich also die Aufnahme in den Cod. Ud. 
dadurch erklären, daß die entsprechenden Vorlagen sich zur Ab¬ 
fassungszeit des Formelbuches im bischöflichen Archive zu Bamberg 
befanden; im folgenden soll gezeigt werden, daß auch Texte solcher Ur- 


diese neue ohne böswillige Absicht. Die Kompilation ist mehr als ein stilistischer 
Kniff, als eine selbstnützige Fälschung aufzulassen, wie auch sonst dem Diakon 
sich keine Fälschungen nachweisen lassen. 

*) Ussermann, Episcopatus Wirzeburgensis, cod. probationum 21. 

*) Ussermann, a. a. 0. 22. 

*) Ussermann, a. a. 0. 23. 

4 ) Ussermann, a. a. 0. 78. 



Die Urkundenßammlung des Codex Udalrici. 


433 


knnden in den Codex aufgenommen wurden, deren Originale sicherlich 
nie nach Bamberg gelangt sind. 

Da sind die Stücke der Gruppe Lorsch zu erörtern. Das Kloster 
Lorsch erscheint in folgenden Stücken als Empfänger: E 11 (J-L 
4189), E 12 (J-L 3834), E 14 (M 2 1927), E 64 (DH. II. 272), E 65 
(DH. H. 244). 

In E 13 (M 2 1572) schenkt Ludwig III. im Jahre 881 seinem 
Getreuen (im Cod. Ud. ist der Name nicht genannt, in der dem For¬ 
mular entsprechenden Urkunde heißt er Humbold) das Gut Alsheim. 
— Da dieses Gut 884 durch eine Schenkung Karls III. (M 2 1687) an 
das Kloster Lorsch kam, erklärt sich die Aufnahme der Urkunde in 
das dortige Archiv. 

Im Cod. Ud. liegen somit sechs Stücke vor, welche im Lorscher 
Archive sich befanden l ): das jüngste dieser Stücke (E 11) stammt aus 
dem Jahre 1049, das älteste gehört dem Jahre 881 an (E 13). Da 
drängt sich nun die Frage aufj wie Udalrich zu diesen Lorscher Stücken 
gekommen ist Die Originale der Urkunden dürften im 12. Jahrhunderte 
in Lorsch gelegen haben, wo der Verfasser des Chronicon Laureshamense 
sie benützte (M. G. SS. 21, 337); sie können von Udalrich schwerlich 
verwertet worden sein. Einfacher erklärt sich die Frage, wenn wir in 
Erwägung ziehen, daß alle sechs Urkunden in jenem berühmten Codex 
Laureshamensis sich finden, dessen erster Teil das genannte Chronicon 
Laureshamense, welches 35 Folien umfaßt, dessen zweiter den Codex 
traditionum entschließt, der 193 Folien zahlt; im Chronicon sind obige 
sechs Stücke enthalten 2 ) Diese Chronik entstammt nicht der Feder eines 
Mannes; fünf Hände waren an ihr beschäftigt. Der erste Schreiber 
war bis foL 34' tätig; er hat, wie Pertz ausführt, in der Zeit von 1167 
—80 geschrieben *), der Text der fünften Hand scheint nach 1266 
zum Abschluß gekommen zu sein. Auf den ersten 34 Folien finden 
sieh unsere sechs Urkunden. Daß zwischen dem Werke Udalrichs und 
der Chronik von Lorsch ein Zusammenhang besteht, dürfte wohl fest- 
stehen 4 ). Die uns erhaltene Chronik kann jedoch nicht dem Udalrich 


i) Bereit» Säckel, Acta Kar. 1, 13 bemerkt, daß Stücke für Lorsch sich im 
Codex Udalrici finden. K. Pertz in Mon. Germ. SS. 21, 334 übersah £ 13. 

*) Du Chronicon Laureshamense ist herauagegeben in MG. SS. 21: auf* 
Seite 411 findet «ich E 11, auf S. 399 £ 12, S. 375 E 13, S. 380 £ 14, S. 404 
E 64 und £ 65. 

*) über den Cod. L mrpsham . vgL Pertz MG. SS. 21, 335 ff. und WatUife, 
hach, Deutschlands Geachichtaquellen 2 # , 402 f. 

« Die Ton Waitz in der Vorrede zu Ekkehard» Chronicon univenale “ 


SS. 6, 5 aufgeste&te Annahme, daß Ekkehard (das wäre also nach Brenlan’s Q 
im N. Arcfarr 21, 189 ff. richtiger Frutoif von Bamberg) die Annale» Laurial 


ä 



434 


Haag H u b s I. 


Vorgelegen haben, da sie erst nach 1167 begonnen wurde, es muh von 
Udalrich eine ältere Handschrift benützt sein, doch laßt sich aus der 
heute erhaltenen Chronik das ältere Werk kaum herausschälen. Die 
untere Zeitgrenze des verlornen älteren Codex ist durch E 11 gegeben, er 
muß also zwischen 1049 und 1125 entstanden oder vorläufig abge¬ 
schlossen worden sein. Eine genauere Zeitbestimmung ist aber deshalb 
nicht möglich, weil nicht zu erweisen ist, ob zur Zeit der Benützung 
des Chronicon durch Udalrich die nächstfolgenden jüngeren Stücke aus 
den Jahren 1065 (St 2661) und 1067 (St. 2703, 2704, 2710) schon 
eingetragen waren oder nicht Denn die Gesichtspunkte, von denen 
sich Udalrich bei der Auswahl der Stücke leiten ließ, sind schwer zu 
ersehen. Von den vielen Urkunden, die für Lorsch ausgestellt wurden 
und in der heutigen Chronik erhalten sind, wurden nur sechs aufge¬ 
nommen. Die Chronik enthält über 60 Diplome, die vor dem Jahre 
1049 ausgestellt sind, bei Udalrich erscheinen davon nur vier. Es wird im 
Auge zu behalten sein, daß Udalrich einen Musterbriefsteller verfassen 
wollte und daher die Stücke nach seinem Geschmacke in willkürlicher 
Weise zusammenstellte. Auch aus dem Bamberger Archive sind ja bei 
weitem nicht alle Urkunden übernommen, ohne daß für die Auswahl 
der Grund angegeben werden könnte: im Bamberger Archive sind bis 
1125 über hundert Diplome erhalten, im Codex Udalrici erscheint 
davon nur ungefähr der dritte Teil. 

Nebst diesen Lorscher Stücken trifft man auch solche für Bei ms. 
In den Cod. Ud. fanden sechs Urkunden, die für Reims ^stimmt sind, 
Aufnahme; von diesen sind fünf für die Kirche in Reims, eines (E 31 
M 2 1072) für Bischof Ebo ausgestellt. Für den Bamberger Alumnen 
wurden diese Stücke dadurch zugänglich, daß sie alle in dem Werke 
Flodoards, Historia Remensis ecclesiae, enthalten waren 1 ). Ihn hat 
Udalrich, wie schon Sickel, Acta Carolinorum 1, 13 bemerkt, benützt 
E 28—30 sind im 4. Kapitel des dritten Buches. E 31 im 20. Ka^ 
pitel des zweiten Buches, E 32, 33 im 19. Kapitel dieses Buches über¬ 
liefert Die geringfügigen Abweichungen, die bei Udalrich gegenüber 
Flodoard auftreten, sind in den Fußnoten der Ausgabe der Historia 
angegeben. Bei Udalrich stehen alle sechs Urkunden unmittelbar hinter¬ 
einander, wie es der gemeinsamen Herkunft und den oben beobachteten 

benützte, könnte als Zeichen engerer Beziehungen zwischen Lorsch und Bamberg 
gedeutet werden; aber die betreffenden Stellen (Waitz a. a. 0. Anm. 56) sind nicht 
bloß dem verlorenen Lorscher Codex, sondern auch anderen Handschriften der 
Annales regni Francorum eigen, vgl. die Ausgabe von Kurze S. 28, 38, 64 u. 100. 

*) Flodoardi Historia Remensis, herausgegeben in MG. S8. 13, 406 ff.; E 28 
auf Seite 477, E 29 auf S. 478, E 30 S. 477, E 31 S. 473, E 32 S. 470, E 33 S. 469. 



Die ürkundensammlung des Codex Udalrici. 


435 


Regeln entspricht Daß Udalrich das Werk des Flodoard benützte 
kann nicht überraschen, denn dieses war im Mittelalter stark verbreitet 
{vgL SS. XIII. 407). Die ältesten erhaltenen Handschriften der Historia 
gehen in das 13. Jahrhundert zurück; die im Cod. Ud. erhaltenen Texte 
beruhen daher auf einer verlorenen älteren Handschrift, was ihnen be¬ 
sonderen Wert verleiht 

Für die Einreihung der sechs Urkunden in die Formelsammlung 
war die Herkunft maßgebend; doch sind sie so eingestellt daß die 
drei letzten Stücke E 31, 32 (von Lothar, bezw. Ludwig und Lothar 
ausgestellt) und E 33 (von Ludwig) bereits zur L-Gruppe stoßen. 

Im Codex Udalrici finden sich ferner sechs Stücke, die für das 
Kloster Stablo bestimmt waren: E 44 (M* 545) 47, 48 (DO. 1IL 33), 
49 (DO. II. 219), 55, 56; zu diesen Urkunden gehört noch E 46, 
welches Stück für Cougnon, eine mit Stablo verbundene Abtei, ausge¬ 
stellt wurde. Diese sieben nieder-lothringischen Urkunden fanden in 
den Cod. Ud. durch eine Handschrift Eingang, die aus Stablo 
stammt nach Bamberg kam und heute noch in der königlichen Bib¬ 
liothek daselbst liegt*). Ihr ursprünglicher Bestand, zu dem auch die 
vier in den Cod. Ud. übergegangenen Merowingerurkunden E 46, 47, 
55 und 56 gehören, ist in der ersten Hälfte des 10. Jabrh. geschrieben, 
E 44, 48 und 49 sind um das Jahr 1000 nachgetragen worden. Da 
die seit diesem Zeitpunkt für Stablo ausgestellten Urkunden keine Auf¬ 
nahme mehr fanden, so scheint die Handschrift zur Zeit der Gründung 
des Bistums Bamberg, im Jahr 1007 oder bald darnach, in die dortige 
Dombücherei gekommen zu sein 2 ). 

Bezüglich der Anordnung der Urkunden im Formelbuche Udalrichs 
ist auch hier zu beobachten, wie sich die beiden Absichten, die Stücke 
nach Herkunft und nach Herrschernamen zu ordnen, kreuzen. E 44 (von 
Ludwig I. ausgestellt) ist zur Ludwig-Gruppe gezogen; E 46, 47, beide 
von Sigbert II. ausgefertigt schieben sich zwischen die Ludwig- und 
Otto-Gruppe, so daß die beiden folgenden E 48, 49 (von Otto IL und 
Otto UL) zur Otto-Gruppe stoßen. E 55, 56 (von Hilderieh II. und 
Theoderich UL) sind zwischen die Otto- und Heinrichurkunden ein¬ 
gestellt 

Im Folgenden sollen 11 Urkunden erörtert werden, bei denen sich 
die Berührung mit Bamberg nicht verfolgen läßt die aber gerade deshalb 
erhöhtes Interesse verdienen, E 15, 89—92, 103, 117—121. 

*) Dieser Kodex trägt die Standortsminimer E III 1; bereits Sickel^* 1 “ 
den Zusammenhang zwischen Udalrich and dieser Handschrift Acta Kaxf* 

*) Vgl. Rieger »Der codex Stabulensis der k. Bibi, zu Bamberg« b 
!»rieht de» Franz Josef-Gymnasiums in Wien, 1882, S. 19 tf. 



436 


Hans Hussl. 


In E 15 bestätigt Papst Gregor IV. dem Kloster Fulda seine 
Privilegien. Von Papst Gregor IV. sind zwei verschiedene Privilegien¬ 
bestätigungen für Fulda erhalten, J-L 2568 und 2569 1 ). Die erst¬ 
genannte ist in einer Einzelkopie und außerdem im Codex Eberhardi 
(8. 7 und 71) auf uns gekommen, die zweite dagegen in einer Einzel- 
kopie und durch den cod. Ud., unser E 15. Diese zweite Urkunde nun, 
J-L 2569 wurde mit guten Gründen als eine Fälschung angesprochen 
und ihre Entstehung wurde in das zweite Drittel des 11. Jahrhunderts 
gelegt *). Die Urkunde scheint nach J-L 4134 (Clemens II. für Fulda) 
und J-L 4170 (Leo IX. 1049 Juni 13 für Fulda) hergestellt zu sein, 
die Datumzeile erinnert stark an jene, welche J-L 2605 (Leo IV. für 
Fulda) aufweist Als terminus a quo der Fälschung ergibt sich 1049, in 
welchem Jahre J-L 4170 ausgefertigt wurde. — E 15 ist im Codex 
Udalrici zwischen Lorscher Urkunden (E 11—14) und einem Stück 
für St Emmeram (E 16) eingeschaltet und stellt die einzige Aus¬ 
fertigung für Fulda in der ganzen Sammlung dar. Es wäre verlockend, 
die Formel zu dem darauf folgenden Emmeramer Stück zu stellen. 
HiefÜr fanden sich gewisse Anhaltspunkte. Die Urkunden für St Em¬ 
meram stehen in Beziehung zu einem Begensburger Mönche Otloh, 
indem mehrere Stücke (E 16, 18, 27, 43) von ihm gefälscht zu sein 
scheinen. Otloh verließ 1062 sein Kloster und begab sich nach Fulda* 
wo er bis 1066 weilend, mit Benützung des dortigen Archivs mehrere 
Werke schrieb 8 ). Wenn nunmehr in Fulda um diese Zeit Urkunden¬ 
fälschungen entstehen, die ihre Spitze gegen Mainz und Würzburg 
kehren, auf welche Bischöfe Otloh mit Haß erfüllt war, so könnte man 
auch hier die Hand des in Regensburg geübten Fälschers erkennen 4 ). 

*) Tangl, in Mitt d. Inst. 20, 234, 236 Anm. 4 Bucht das AnssteUdatnm der 
echten Urkunde Gregors IV. J-L. 2568 in der Zeit 827—842 und zwar eher in 
den späteren als in den früheren Jahren. 

*) Harttung, JLKplomatisch-historische Forschungen S. 347 f. und 370 ff., wo 
aber die Überlieferung im cod. Ud. nicht berücksichtigt ist. 

*) Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen 2 6 , 66. 

4 ) Meine Vermutung ließe sich erhärten, wenn J-L. 2569 stilistischen An¬ 
klang an die Emmeramer Fälschungen aufweisen würde; allein J-L. 2569 schließt 
6ich so stark an J-L. (3907 =) 4134 und 4170 an, daß nur eine unabhängige 
Stelle bleibt: nec umquam ab aliquo episcopo consecrationem expetat nisi a Ro¬ 
mano pontifice, nec consecratus ad aliud monasterium in Fuldensi introducatur vel 
praeponatur monasterio; auch zu dieser Wendung findet sich teilweise eine in¬ 
haltliche Parallele in J-L. 4134 (3907): ut nullus inde futurus abbas consecrationem 
unquam accipere presumat nisi ab hac nostra apostolica sede. Ein deutlicher An¬ 
klang an die vier Fälschungen Otlohs für Regensburg zeigt sich hier nicht: die 
Entscheidung der Frage muß der zusammenhängenden Untersuchung der Fulder 
Urkunden, die Stengel begonnen hat, überlassen bleiben. 



Die Urkundensammlung des Codex Udalrici. 


437 


Sollten sich Beziehungen zwischen Otloh und diesen Fulder Fälschungen 
bestätigen, so würde die Vermutung nahe liegen, E 15 sei auf dem¬ 
selben Wege wie die Emmeramer Stücke, denen beachtenswerter Weise 
das Stück beigegeben ist, in die Formelsammlung gekommen. 

In E 89 bestätigt Papst Benedikt VlLL im April 1020 .die 
Stiftung des Klosters Goeß (bei Leoben), J-L 4028; in E 90 verleiht 
Heinrich II. am 1. Mai 1020 dem Kloster Goeß Immunität, DH. TL 
428. E 89 ist nur bei Udalrich erhalten, E 90 jedoch außerdem im 
Original, das in Graz liegt 1 ). Oben ergab sich, daß Urkunden für 
fremde Empfänger nach Bamberg kamen, weil entweder das Empfänger- 
archiv selbst oder aber das geschenkte Gut in den Besitz von Bamberg 
kam. Hier aber handelt es sich um Immunitätsverleihung, und daß 
Goeß an Bamberg gekommen, läßt sich nicht erweisen. Die nach Goeß 
gelangten Urkunden früherer Herrscher und die Heinrichs II. für Goeß 
liegen in Graz. DH. II. 428 lag 1230 noch in Goeß, was daraus 
hervorgeht, daß die Abtissin des Klosters die Urkunde an die Kanzlei 
Friedrichs II. einreichte, um eine Bestätigung zu erbitten 8 ). Das Ori¬ 
ginal der Urkunde dürfte somit schwerlich für Udalrich zugänglich ge¬ 
wesen sein, man wird an ein anderes Mittelglied zu denken haben 8 ). 
In diesem Zusammenhang verdient der wegen enger Übereinstimmungen 
zwischen DH. II. 230, 428 und dem auf eine verlorene Urkunde Hein¬ 
richs H. zurückgehenden DH. HI. St 2151 mehrfach 4 ) erwogene Ge¬ 
danke Beachtung, eine mit DH. 11. 428 eng verwandte Fassung sei 
möglicher Weise durch längere Zeit in der Kanzlei aufbewahrt worden. 
Man könnte vermuten, daß die Formel E 90 in Zusammenhang mit 
jener in der Kanzlei zurückgebliebenen und als Vorlage für DH. II. 
428 verwendeten Fassung stünde. Doch erscheint dies deshalb unwahr- 


f ) Über den Aufbewahrungsort des Originals von DH. H. 428 Uhiirz, in der 
Hist. Ztschr. 98, 257 und MG. DD. 4, 430, über E 89 Brackmann Germ. pont. 1, 96. 

*) Böhmer-Ficker, Reg. Imp. V. n° 1780. 

*) Vielleicht könnte auch erwähnt werden, daß J-L. 4028 in Bamberg aus¬ 
gestellt und DH. H. 428 wohl in Bamberg konzipiert wurde. Letzteres ergibt sich 
ans J-L. 4028, wo es heißt: •. confirmaremus .. monasterium . . ab Aribone per- 
fectum et in libertate dilectdssimi filii H. imperatoris commissum. War also die 
Handlung des in der Immunitätsurkunde des Kaisers verbrieften Rechtsaktes bereits 
während des kaiserlichen Aufenthalts in Bamberg (von wo J-L. 4028 datiert ist) 
vollzogen, so ist doch kaum anzunehmen, daß im Jahre 1020 Konzepte dieser 
Urkunden in Bamberg zurückgeblieben und bis auf Udalrichs Zeit dort erhalten 
geblieben wären. 

4 ) Vgl. Oefele in den Sitzungsberichten der phil. phil.-hist Kl. der bayr. Ak. 
1894, 271, Bresslau's Vorbemerkungen zu DH. II. 230 und DH. H. 428, dunn 
Stengel, Immunität 1, 324 Anm. 1 und Bresslau's Nachtrag in MG. DD. 4, 429. 

Mitteilancon XXXVI. 29 



438 


Haus UubsI. 


scheinlich, weil die Formel sich fast vollkommen mit DH. IL 428 deckt 
und auch Eigennamen aus dieser Urkunde übernommen sind (Aribo, Adala, 
Go88ia in comitatu Liubana), so daß zweifellos E 90 erst aus dem 1020 
ausgestellten DH. II. 428 abgeleitet ist. Nur eine Urkunde mit der in 
Frage kommenden Fassung ist jünger als DH. II. 428: St 2151 für 
Ebersberg. Für dieses Diplom hat aber E 90 nicht als Vorlage ge¬ 
dient; denn es sind Änderungen, die E 90 gegenüber DH. II 428 
aufweist, nicht auf St 2151 übergegangen 1 ). Als Vorlage wurde in 
diesem Falle wohl das Deperditum, welches bereits unter Heinrich II. 
für Ebersberg ausgestellt wurde, benützt 2 * ). 

E 91 und E 92 sind Urkunden Heinrichs 111. für Salzburg. In 
E 91 (St 2502) schenkt der Kaiser das Gut Naunzell in Friaol; 
durch E 92 (St 2468) erhält die Salzburger Kirche eine Besitzung bei 
Boßbach im Mattiggau 8 ). Es ist hervorzuheben, daß diese zwei Ur¬ 
kunden und die zwei vorherbesprochenen bei Udalrich zusammen grup¬ 
piert sind (E 89—92). Der Erbauer des Klosters Goeß, der in E 89 
und 90 als Intervenient genannte Aribo, war Kaplan der Salzburger 
Kirche 4 ), welche in E 91 und 92 als Empfängerin erscheint Diese 
vier Stücke könnten für Udalrich aus derselben Quelle stammen 5 ). 

Vier Urkunden weisen Hamburg-Bremen als Empfänger auf: 
E 103 (St 2934), E 117—119 (D. Kar. 245, M* 928, J-L 2574). 

E 118 und 119 stellen Fälschungen dar, die für Hamburg aus¬ 
gestellt sind. Solche Verunechtungen für das Erzbistum Hamburg- 
Bremen sind zahlreich; es lassen sich mehrere Fälschungsperioden unter¬ 
scheiden. E 118 erscheint im Cod. Udalrici mit Erweiterungen ver¬ 
sehen. welche der vierten Fälschungsperiode angehören 6 ). Diese um¬ 
faßt 13 Stücke: zwölf Papstprivilegien, unter denen J-L 2574 = 

E 119 sich befindet 7 ), und dieses Diplom Ludwigs des Frommen = 

l ) DH. 11. 428 und St. 2161: in honorem vero sanctae, E 90 in honorem 
sanctae. DH. H. 428 und St. 2151 dedicatum ... abalienavit. E 90 dedicavit . . 
abalienavit. 

*) Stengel, Immunität 1, 213 Anm. 5 und Bresslau in MG. DD. 4, 429. 

*) Martin, Salzburger Urkundenbuch 2, 156 n. 91 und 153 n. 89. 

4 ) Hirsch, Jahrbücher d. deutschen Reiches unter Heinrich II. 3, 166. 

fi ) Vgl. die Bemerkung Martins a. a. 0. 2, 155 n. 91. 

•) Curschmann, Die älteren Papsturkunden des Erzbistums Hamburg 127 
Anm. 3, 128. 

f ) E 119 ist von Gregor IV. ausgestellt; die Urkunde Gregors für Hamburg 
ist in mehreren Texten erhalten, unter denen sich zwei Redaktionen unterscheiden 
lassen (Curschmann a. 0. 72). Die jüngere kennzeichnet sich durch eine Wendung, 
welche den Machtbereich der Hamburger Kirche bis an das Eismeer ausdehnt. 

E 119 gehört dieser letzteren Gruppe an, die nach Curschmann S. 73 Anm. 8 



Sie U rkandennaiiim lang des Codex Udalrici. 


439 


E 118. Um eine zeitliche Festlegung der Fälschung zu gewinnen, 
zieht Curschmann die Aufnahme dieser Urkunden in den Cod. Yicelini 
des Klosters Abdinghof bei Paderborn l ) heran, der spätestens 1123 ent¬ 
stand, welches Jahr mithin den termiuus ad quem unserer Fälschungen 
bietet Als terminus a quo nimmt Curschmann das Jahr 1122 an, da 
man sich in Bremen von interpolierten Papsturkunden nur Erfolg er¬ 
warten habe können, nachdem der Friede zwischen Kaiser und Papst 
im Wormser Konkordate hergestellt war 8 ). E 117 ist ein verunechtetes 
Diplom Karls des Großen für Bremen, das wahrscheinlich im 10. Jahr¬ 
hunderte angefertigt wurde; es ist auch bei Adam von Bremen er¬ 
halten 8 ). Mühlbacher hält es trotz einer guten Lesart für wahr¬ 
scheinlich, daß Udalrich dieses Diplom aus Adam geschöpft habe. Da 
aber E 117—119 im Cod. Udalrici beisammen stehen und inhaltlich 
Verwandtschaft aufweisen, dürften sie wohl auf gleichem Wege nach 
Bamberg gelangt sein und E 118, 119, bedeutend jünger als Adam, 
können sich in seinen Gesta Hamaburgensis ecdesiae nicht vorgefunden 
haben. Es ist daher, auch abgesehen von jener Lesart, unwahrscheinlich, 
daß E 117 aus dem Werke Adams stamme. 

Für den Gang unserer Untersuchung wäre die Festlegung des ter¬ 
minus a quo der Fälschungen von besonderem Werte. Aber gerade 
diesbezüglich wurde die Annahme Curschmanns von der Kritik nicht 
anerkannt und gesagt, daß die 4. Fälschungsgruppe möglicherweise weit 
vor 1122 liegen könne 4 ). Brackmann nimmt als terminus a quo 
1075 an; in diesem Jahre schloß ungefähr Adam von Bremen seine 
Gesta ab, in welchem Werke unsere Urkunden nicht erwähnt werden, 
wiewohl sämtliche als echt erwiesenen Urkunden bei ihm genannt er¬ 
scheinen. Brackmann ist geneigt, diese Fälschung auf Grund des 
Schriftcharakters und namentlich inhaltlicher Momente an die Stiftung 
des Erzbistums Lund im Jahre 1104 zu knüpfen 6 ). Bei solchen Zweifeln 
gewinnt E 103 an Wichtigkeit Das Stück ist echt und aus dem Jahre 
1096 datiert Es kann daher diese Urkunde und es können folglich 
wohl auch die drei oben besprochenen Fälschungen erst nach 1096 
nach Bamberg gelangt sein 6 ). 

und S. 128 1122/1123 entstanden sein soll; nach dem cod. Ud. gedruckt Cursch- 
mann S. 16 ff. Er. l b . 

*) Vgl. Curschmann S. 8 Anm. 5 und 8. 127. 

t) Curschmann a. a. 0. 128. 

») MG. SS. 7, 288; vgl. Sickel, Acta Karol. 2, 394. 

«) Tangl, Neues Archiv 36, 629. 

») Brackmann, Güttingische gelehrte Anzeigen 1911, n° 8, 8. 506 und 509. 

ft) Bei Udalrich ist E 103 von den restlichen Hamburger Stücken abgetrennt 
und, weil von Heinrich IV. ausgestellt zur H-Gruppe gezogen. Bei E 117—119 

29* 



440 


Hans Hussl. 


Als ganz vereinzelt ist E 120 zu erwähnen, eine Besitz- und 
Immunitätsbestätigung Heinrichs II. für Mainz (DH. IL 139). Die 
Urkunde ist in beiden Handschriften, V und Z, erhalten und außerdem 
ex vetusta copia archivali unter den Papieren Schunks in der Stadfc- 
bibliothek zu Mainz. In diesem Fall kann man erwähnen, daß der 
Kaiser, bevor er nach Mainz zog, in Bamberg weilte, wo auch die 
vorhergehenden Diplome ausgestellt sind (DH. II. 134—138). Sollte der 
Wortlaut von DH. II. 139 schon in Bamberg festgestellt worden sein, 
so wäre begreiflich, daß man das Konzept dort der Aufbewahrung wert 
befunden hätte. 

In E121 urkundet Konrad II. für die Ministerialen von Weißen¬ 
burg (DK. II. 140). Die Urkunde ist in V und Z, ferner in einer 
Abschrift des 18. Jahrhunderts ex veteri membrana tegulis affixa in 
Ms XIII 881 f. 19 der k. Bibliothek zu Hannover erhalten *). Über das 
Alter der Fälschung handelt am ausführlichsten Usinger 2 ), der das Stück 
als „um mindestens 100 Jahre später abgefaßt* ansieht, als seine Da¬ 
tierung von 1029 anzeigt, und der es für sehr wohl möglich hält, daß 
die Urkunde eigens angefertigt wurde „um in die zweite Bedaktion 
des Codex Udalrici aufgenommen zu werden“. Daß E 121 in V den 
Schluß der Urkundensammlung, in Z dagegen, wo die Ordnung sonst, 
von einer äußerlich erklärbaren Verschiebung (s. unten S. 446) abge¬ 
sehen, mit V übereinstimmt, den Schluß der Briefsammlung bildet, 
kann die Vermutung Usingers nur unterstützen. Aber auch wenn die 
A ufnahm e von E 121 schon bei der ersten Bedaktion des cod. Ud., vor 
1125, erfolgt sein sollte, so dürfte bei der geringen Entfernung Weißen- 
burgs von Bamberg die Annahme, daß dieses Dienstrecht durch die 
Weißenburger Ministerialen nach Bamberg gelangte, viel für sich haben 3 ). 

ist das System namenweiser Ordnung verlassen, dafür aber der zweite von Udalrich 
beobachtete Gesichtspunkt, Zusammenstellung der Stücke gemeinsamer Herkunft, 
berücksichtigt. 

l ) Vgl. Bresslau’s Vorbemerkung zu DK. H. 140 und oben S. 422 Anm. 1. 

*) Usinger, Gött. geh Anzeigen 1870, 8. 126 führt namentlich zwei Gründe 
eingehend aus: die günstige Stellung der Clientes und die hohe Vergütung, welche 
den Weissenburger Ministerialen im Kriegsfälle zugesprochen werden. Den Anfang 
des zwölften Jahrhunderts nimmt als Entstehungszeit an Waitz, Verfassungsge¬ 
schichte ß», 341; vgl. auch Steindorif, Jahrb. d. Deutschen Reiches, 1, 415. Bresslau, 
Vorbemerkung zu DK. II 140, enthält sich genauerer Zeitbestimmung, glaubt aber 
daß E 121 wahrscheinlich etwas jünger sei als das in eine Urk. Bischof Günthers 
(1057—1064) eingereihte Bamberger Dienstrecht (E 113). 

•) Wenn die übereinstimmende Überlieferungsart des Weißenburger und des 
Bamberger Dienstrechts den Gedanken nahe legt, Udalrich selbst als Verfasser oder 
Überarbeiter beider Stücke anzusehen, so scheint dagegen der Umstand zu sprechen, 
daß die Ausdrucksweise in beiden Dienstrechten kaum Berührungen zeigt (Eigen 



Die Urkundensammlung des Codex Ud&lrici. 


441 


Im Anschluß an diese 11 Stücke, von denen es sich nicht fest¬ 
legen ließ, wie sie in den Cod. UcL gelangten, ist es nötig nochmals 
(vgl. oben S. 428 f.) auf die 22 bis 24 Formeln umfassende Gruppe 
St Emmeram zurückzukommen. Es sind zwar sehr viele dieser Ur¬ 
kunden in einem Emmeramer Kopialbuche aus dem 11. Jahrhunderte 
überliefert, und es könnte an die Möglichkeit gedacht werden, daß durch 
dessen Vermittlung ein großer Teil der Stücke nach Bamberg gekommen 
wäre. Allein diese Annahme ist deshalb ausgeschlossen, weil Udalrich 
bei E 18 und 35 Teile des Eschatokolls bietet, die im Kopialbuche 
fallen gelassen sind. Die Stücke sind chronologisch ungeordnet, doch finden 
sich drei Eccardnummem, die in derselben Beihenfolge stehen, wie die 
entsprechenden Urkunden erlassen wurden*). Da Udalrich nirgends 
das Bestreben zeigt, die Formeln zeitlich zu ordnen, so dürfte sich diese 
Beihenfolge auf die Vorlage zurückführen. 

Laßt sich somit keine Erklärung geben, wieso Udalrich zur Ver¬ 
wertung dieser Urkunden gekommen ist, so kann man doch zeitlich eine 
gewisse Grenze ziehen. Von Heinrich 1. bis zu Heinrich II. sind 16 Di¬ 
plome für St Emmeram erhalten 2 ), vier davon sind im Codex Udal- 
rid überliefert (DDO. II. 204, 247, 295, H. H. 443). Das jüngste Stück, 
das in die Formelsammlung gelangt ist, stammt aus dem Jahre 1021. 
Eigenartiger Weise klafft in der Empfängerliste für Begensburg vom 
Jahre 1021—1125 eine Lücke, indem aus dieser Zeit kein Diplom er¬ 
halten ist Dieser Umstand erschwert den Versuch, die Zeit zu be¬ 
stimmen, zu welcher die Urkunden aus dem Archiv genommen wurden 8 ). 
Diesem Bemühen kommt jedoch die Tatsache entgegen, daß in die 
Emmeramer Urkunden mehrere Privilegien aufgenommen erscheinen, 
von denen festgestellt ist, daß sie um die Mitte des 11. Jahrhundertes 
gefälscht wurden 4 ). Es sind dies E 16, 18, 27, 43. Gewannen wir 

heiten von E 113, so das fünfmal erscheinende legare oder das zweimal vor¬ 
kommende nec non patris et matris, sind in E 121 nicht anzutreffen. Bei E 121 
ist die Corroboratio nicht an den Schluß des Kontextes gestellt, sondern in den¬ 
selben hineingezogen, so daß sich zwischen Corroboration und Recognitionszcile 
noch ein Stück des Dienstrechtes einschiebt. Diese unkanzleimäßige Formulierung 
dürfte dem im Diplomstil gewandten Formelsammler Udalrich nicht zuzumuten sein. 

i) E 34 = M* 2004 ausgefertigt 903 Febr. 14; E 36 = M* 2012 ausgefertigt 
903 Aug. 12; E 36 = M* 20!'. 7 r.usgefertigt 904 März 4. 

*) Von dem oben S. 429 berührten Zweifel über die Zugehörigkeit von E52 
=— DO. II. 204 wird hier abgesehen. 

*) Brackmann, Germ. pont. 1, 282 f., Studien und Vorarbeiten 1, 8 ff. ist auf 
die Frage nicht eingegangen, obwohl der Cod. Ud. für sein erstes Stück in Be¬ 
tracht kommt. 

4 ) Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen 2 a , 6ö; Lechner im Neuen 
Archiv 25, 631; Budde im Archiv f. Urkfechg. 5, 184 ff. 



442 


Haus Hug81. 


aus der Datierung der Stücke nur das Jalir 1021 als den terminus a 
quo, seit welchem die Urkunden nach Bamberg gelangt sein können, 
so ergibt sich nun die Mitte des 11. Jahrhunderts. 

Bei den 24 Emmeramer und den vorhin besprochenen 11 Urkunden 
sind Beziehungen zwischen ihren Empfängern und Bamberg nicht er¬ 
sichtlich. Darf man vielleicht vermuten, daß solche Beziehungen über¬ 
haupt nie bestanden, daß die Urkunden unmittelbar aus der kaiserlichen 
Kanzlei ihren Weg nach Bamberg nahmen? Im folgenden wird die 
Möglichkeit zu erwägen sein, ob hier etwa ein älteres Kanzlei- 
Formularbuch vor liege, was nahe liegen würde, wenn der Beweis 
erbracht werden könnte, daß mehrere von diesen Stücken sich ungefähr 
zum selben Zeitpunkte in der kaiserlichen Kanzlei befanden. 

Die beiden Salzburger Urkunden (E 91 und 92) wurden im März 
1055 uud im Juli 1056 ausgestellt Das Stück für Mainz (E 120) lag 
aller Wahrscheinlichkeit nach ein Jahr später in der kaiserlichen Kanzlei; 
denn laut St. 2548 bestätigte Heinrich IV. im November 1057 die 
Privilegien seiner Vorgänger für Mainz. Diese Urkunde besagt*), daß 
die Immunitätsprivilegien der früheren Könige, unter denen sich wohl 
auch DH. II. 139 befunden haben wird, der Kanzlei vorgelegt wurden. 
St 2548 scheint von einem Manne geschrieben zu sein, der 1056 in 
die Kanzlei trat zwei Diplome für Bamberg lieferte l 2 * ), Kenntnis der 
Bamberger Immunität besaß und so Beziehungen zu Bamberg verrat 8 ). 
Auch für Fulda wurden um diese Zeit die Privilegien bestätigt In 
St 2508 liegt eine Immunitätsurkunde Heinrichs DI. für Fulda vor, 
die im September 1056 ausgestellt wurde 4 * * * ). Daß bei dieser Gelegenheit 
auch die Papsturkunde J-L 2569 (E 15), falls deren Fälschung schon 
stattgefunden hatte, eingereicht worden sei, ist um so wahrscheinlicher, 
als in jenen Tagen an dem Hof des sterbenden Kaisers Papst Viktor H. 
zugegen war. Wir hätten sonach vier Urkunden, die mit Wahrschein¬ 
lichkeit um 1056 in der kaiserlichen Kanzlei waren. Man könnte 
hieher auch das Diplom und das Privileg für Goeß (E 89, 90) rechne^ 

l ) St. 2548: Archiepiscopus . . Liuthbaldus Moguntinae sedis nostr&m oel- 
situdinem adiit, secam afferens praeceptum domini genitoris be&t&e memoriae 
Heinrici imperatoris augusti aliorumqne regnm et imperatorum praecepta, in 
quibus scriptum inveniebatur, qualiter ipsa sedes Mogontiaceniis ccclesiae .. sab 
taitione emunit&tis semper fuisset manita. 

•) Winitherius X schrieb St. 2543, 2546 (E 95). 

•) Stengel, Immunität 1, 245. 

4 ) In St. 2508 bittet Abt Ekberht von Fulda, Kaiser Heinrich IIL möge »more 

anteceesorum . . Pippini videlicet Karoli, Ludovici, Chuonradi necnon triam Ottonam 

Heinrici et Chuonradi imperatoris augusti fei. mem. sc. patris nostri« dasselbe in 

seinen Schatz nehmen. Dieselben Worte allerdings schon in den Vorurkunden. 



Die Urkundensammluiig des Codex Udalrici. 


443 


für die auch die Möglichkeit einer Einreichung um diese Zeit wie bei 
Fulda und Mainz besteht. Es ist auffallend, daß Goeß nach Heinrich II. 
bis auf Heinrich VI. kein Diplom erlangt haben soll; vielleicht bat 
auch dieses Kloster im letzten Lebensjahr Heinrichs III. oder zu 
Beginn der Regierung Heinrichs IV. seine Rechtstitel zur Bestätigung 
in der Kanzlei vorgelegt. Persönliche Beziehungen zwischen der 
kaiserlichen Kanzlei und Bamberg würden sich mehrfach ergeben, so 
ist auf den Bamberger Domherrn Günther, der von Mai 1054 bis Ostern 
1057 als italienischer Kanzler tätig war und dann den Bamberger 
Bischofsstuhl bestieg, sowie auf den Notar Winither X, welcher oben 
berührt wurde, zu verweisen. Es wäre also wohl denkbar, daß eine 
Sammlung von Konzepten oder von Abschriften eingereichter Urkunden, 
deren man sich um 1056 in der kaiserlichen Kanzlei bediente, bald 
darnach in das Bamberger Bischofsarchiv gelangt und dort später für 
Udalrichs Werk benützt worden wäre. 

Allein nicht alle jene elf Urkunden könnten zu dem angenom¬ 
menen Kern eines älteren Kanzleibuches gerechnet werden. In erster 
Linie ist die Empfängergruppe Hamburg-Bremen zu beachten; ergab 
sich vorhin als mögliche Abfassungszeit des mutmaßlichen Formel¬ 
buches ungefähr 1056, so sind die Stücke dieser Empfängergruppe 
erst nach 1096 nach Bamberg gelangt, könnten daher hier nicht in 
Betracht kommen. Auch E 121 fügt sich nicht, da es wohl im 12. oder 
frühestens gegen Ende des 11. Jahrhunderts entstanden ist. Sehr eigen¬ 
tümlich verhält es sich mit der Gruppe St Emmeram. Wenn wir dem 
Bericht Otlohs vertrauen, daß Kaiser Heinrich III. nisibus omnimodis 
tractavit, qualiter eundem locum (St. Emmeram) . . ab episcopi potentia 
eriperet, und womach damals infolge der Auffindung der Privilegien 
eine dem Kloster günstige Entscheidung erreicht, ihre Ausführung aber 
durch den Tod des Kaisers vereitelt worden sei l ), so sind noch bei 
Lebzeiten dieses Kaisers, wahrscheinlich gerade 1055 oder 1056, die 
gefälschten und mit ihnen wohl auch die echten Urkunden von St. Em¬ 
meram der Kanzlei vorgelegt worden. Dann dürfen auch jene 22 oder 
24 Emmeramer Urkunden des Cod. Ud. für das fragliche Kanzleiformel¬ 
buch von 1056 in Anspruch genommen werden. Aber Otlohs Worte 
sind dunkel und lassen die Möglichkeit offen, daß jene Fälschungen 
doch erst später, um 1060, zum Vorschein kamen; trifft das zu, so 
muß auch von dieser Gruppe abgesehen werden. Für ein älteres 

*) MG. 88. 11, 382. Sehr zurückhaltend verwendet diese Stelle Lechner im 
Neuen Archiv 25, 631 f., dagegen schenkt ihr Budde im Archiv für Urkfschg. ö, 
193 insofern Glauben, als er die Entstehung der Fälschungen zu 1055/56 ansetzt; 
auch er aber zweifelt, ob sie damals vorgelegt worden seien. 



444 


Hu ns Hubs!. 


Formelbuck könnten dann nur 0 Stücke in Betracht kommen. Allein 
bei diesen Urkunden spricht die Anordnung gegen eine gemein¬ 
same Herkunft: £ lf) ist ganz von den übrigen Stücken abge¬ 
sprengt E 120 ist von Heinrich II. ausgestellt; würde dieses Diplom 
aus derselben Quelle wie E 90—92 stammen, die ebenfalls Heinrich- 
Urkunden sind, so wäre es wohl fast sicher zu diesen gestellt E 120 
ist aber am Schlüsse der Urkundensammlung eingereiht und von der 
H-Gruppe durch E 117—119 getrennt Es würden somit von den 
11 Stücken nur E 89—92 als Bestand des etwa anzunehmenden Kanzlei¬ 
buchs übrig bleiben. Die Kleinheit der Zahl könnte an sich kaum 
gegen die Annahme sprechen, da auch ein in der Kanzlei Ludwigs 
des Deutschen entstandenes Formelbuch nur aus fünf Stücken bestand l ). 
Bedenklicher wäre die sehr geringe Mannigfaltigkeit des Inhalts (neben 
einer Immunitätsurkunde zwei Schenkungsurkunden für Kirchen) und 
der Umstand, daß eine Papsturkunde (E 89) schwerlich in dieses Forrnel- 
buch der kaiserlichen Kanzlei aufgenommen worden wäre. Dadurch 
würde es unwahrscheinlich, daß E 89—92 aus einem Kanzleiformelbuch 
herstammen. Oben wurde die Wahrscheinlichkeit angedeutet daß diese 
vier Stücke auf einem gemeinsamen Wege nach Bamberg gelangten. 
Welches dieser Weg war, bliebe dann allerdings unbekannt 

Gegen die Annahme, in diesen 4 Urkunden allein ein Kanzlei^ 
Formelbuch zu erblicken, darf vielleicht noch ein Umstand geltend 
gemacht werden: das Kürzungsverfahren. Wären diese Stücke Beste 
eines älteren Formelbuches, so könnte man wohl eine besonders starke 
Kürzung erwtirten. Starke Tilgung der individuellen Momente erscheint 
aber bei den in Frage stehenden Formeln in keiner Weise. In allen 
vier Stücken sind uns zahlreiche Namen erhalten geblieben und E 91 
bietet überdies die volle Urkunde mit Eingangsprotokoll und Da¬ 
tierung 2 ). Dies paßt nicht zu einem Kanzleiformelbuche. Denn ein 
Notar hätte bei seinen Aufzeichnungen Invokation und Titel wohl 
fallen gelassen, wie denn auch bei den 55 Stücken der Formulae im¬ 
periales (MG. LL. Formulae 284) und bei sämtlichen Formeln der 
sogenannten Collectio Pataviensis (M. G. Formulae 456) das Protokoll 
fehlt; wohl aber entspricht es ganz den Gepflogenheiten Udalrichs — 
der ja sein Formel buch nicht für Notare schrieb — die Anrufung und 


0 Vgl. HubsI in Quellenstudien aus dem hist. Seminar der Univ. Innsbruck 
5, 22 bis 38, dazu Bresslau, Urkundenlehre 2*, 233. 

*) Auch die Stücke der Gruppe St. Emmeram weisen, soweit aus Eccords 
Drucken zu ersehen, in 8 Fällen eine Datierung auf, mehrfach erscheint die Signum¬ 
zeile und E 36, öl, 63, 66 bieten volles Eschatokoll; das Eingangsprotokoll fehlt 
nur bei einer von diesen Urkunden (E 24). Vgl. auch E 15, 89, 120. 



Die Urkundensammlung des Codex Udalrici. 


445 


den Titel wiederzugeben. Sind Eigennamen ausgelassen, so ist das 
Kürzungs verfahren dasselbe, das der Sammler bei allen übrigen Ur¬ 
kunden anwandte. Auch dieser Umstand bestärkt die Annahme, daß 
die besprochenen Stücke von demselben Manne zu Formeln umgestaltet 
wurden, wie die anderen Urkunden des Cod. Udalrici!). 

Überblicken wir diese Erörterungen, so ergibt sich: 57 Stücke 
dürften in den Cod. Udalrici aufgenommen worden sein, weil sie zur 
Abfassungszeit im Bamberger Archiv lagen; 19 Urkunden wurden durch 
Handschriften übermittelt. Bei der 22 bis 24 Stücke umfassenden Gruppe 
St. Emmeram und bei den soeben besprochenen 11 Urkunden ließ sich 
der Weg, auf dem sie nach Bamberg kamen, nicht mit Sicherheit fest¬ 
stellen; doch dürfte es wohl wahrscheinlich sein, daß auch mehrere 
von diesen Urkunden auf verschiedenen Wegen aus den Empfanger- 
archiven nach Bamberg gelangten, wenn es auch gegenwärtig nicht 
möglich ist, diese Bahnen klarzulegen. Die Benützung eines älteren 
Eanzleiformelbuches ist zwar möglich, aber bisher nicht erwiesen. 

i) Es stünde die Möglichkeit offen, daß in Bamberg bereits im 11. Jahrhunderte 
ein Kodex sich fand, der als Vorläufer unseres Codex Udalrici in ähnlicher Weise 
Urkunden und Briefe vereinte, so daß sich aus der Sammlung Udalrichs der Rest 
eines älteren Formelbuches, das vielleicht nicht in der Kanzlei benützt wurde, 
sondern lediglich für private Zwecke diente, herausschälen ließe. Erben betonte in 
Mitt. d. Inst. 10, 628, daß in einem älteren in Bamberg entstandenen Werke, 
in der sogenannten Chronik des Ekkehard von Aura, höchst beachtenswerter Weise 
Gedichte, Briefe und Urkunden benützt erscheinen, welche auch bei Udalrich sich 
finden. Man könnte vermuten, daß der Verfasser der Chronik diese 12 Stücke aus 
einem älteren Bamberger Epistolarcodex geschöpft habe. Allein drei Stücke be¬ 
ziehen sich auf Epitaphien, die in Bamberg standen; E 100 (J~L 4283) ist eine 
Urkunde, die für Bamberg bestimmt war; sie lag daher wohl im Bamberger 
Archiv, ebenso wie E 138—141, welche Briefe sich auf Bamberger Angelegenheiten 
beziehen. Die Briefe zur Geschichte des Jahres 1076 sind von allgemeinem In¬ 
teresse, so daß sie wohl stark verbreitet waren, wie sie sich denn auch bei Hugo 
Flavin. (MG. SS. 8, 439 ft.) und im Registrum Gregorii VII (Jaffe, Bibi. 2, 256, 401) 
finden. Das Material war also vielleicht in Bamberg auch ohne Sammlung zugänglich. 
Im Cod. Ud. erscheint die Anordnung der Urkunden so einheitlich nach den zwei 
oben dargelegten Gesichtspunkten: gleiche Aussteller und gleiche Empfänger zu 
berücksichtigen, durchgeführt, das Kürzungsverfahren so gleichförmig, daß 
es schwer fallen dürfte, den Xern eines älteren Formelbuches auch nur mit 
einiger Sicherheit herauszuschälen. Zu der Urkundensammlung gehört übrigens nur 
eines von den 12 Stücken, lämlich E 100 und dieses ist bei Ekkehard nicht 
wiederholt, sondern nnr erwähnt (auctoritate . . confirraavit). Hiebei werden Ein¬ 
zelheiten angeführt, welche in d nr Urkunde nicht genannt werden, so, daß Friedrich, 
•der Kanzler, anläßlich der Bestätigung die älteren Privilegien 
(MG. 8S. 6, 196). 




44(3 


Hans Hussl. 


Übersicht 

der Urkundenformulav-Sammlung des Codex Udalriei. 

Die 1. Spalte enthält die Nummern von Eccard, Corp. hist. 2, 27 ff., welche 
zugleich die Ordnung der Handschrift V anzeigen. In Z ist die Reihenfolge nur 
dadurch geändert, daß eine Lage (und zwar, nach den Angaben von Jafle, die 
Seiten 146—163), auf welcher hier der Schluß von E 82, dann die ganze Reihe 
E 83—107 und der Anfang von E 108 stehen, an spätere Stelle verschoben, und 
daß E 121 nicht am Schluß der Urkundensammlung sondern zu Ende der ganzen 
Handschrift (S. 335) nachgetragen wurde. 

Die 2. und 3. Spalte, beide nur bei Diplomen und Papsturkunden ausgefüllt, 
enthalten in gebräuchlicher Art gekürzt, die Regestenzahl von Böhmer, Mühlbacher, 
Stumpf und Jaffd-Löwenfeld oder, soweit die Diplomata-Ausgabe reicht, deren 
Nummer, dann den Ausstellernamen, diesen unter eingeklammerter Beifügung des 
richtigen Namens, wo im cod. Ud. ein falscher Anfangsbuchstabe gesetzt ist. 

In der 4. Spalte wird der Name der EmpfÜngergruppe genannt u. z. in 
Klammer in allen denjenigen Fällen, in welchen die Urkunde nur durch Ver¬ 
mittlung eines anderen Empfängers in dieses Archiv gelangt ist. 


E 

Drucke 

Regesten 

j Aussteller 

i 

Empfänger- 

Gruppe 

E 

Drucke 

Regesten 

Aussteller 

Empfänger- 

Gruppe 

11 

JL. 4189 

Leo IX. 

Lorsch 

36 

M> 2017 

L. IV. 

S. Emm. 

12 

JL. 3834 

| J. XV. 

Lorsch 

37 

— 


S. Emm. 

13 

M* 1672 

l. in. 

(Lorsch) 

38 

— 

— 

S. Emm. 

14 

M* 1927 

! Arn. 

Lorsch 

39 

M* 1378 

L- U. 

S. Km™ 

15 

JL. 2569 

Gr. IV. 

Fulda 

40 

M» 1345 

L. H. 

S. Emm. 

16 

JL. 2500 

Leo IH. 

S. Emm. 

41 

M* 1438 

L. II. 

S. Emm. 

17 

M« 474 

C. I. 

('S. Emm.?) 

42 

M» 1499 

L. II. 

S. Emm. 

18 

D. 258 

C. I. 

S. Etum. 

43 

M» 1012 

L. I. 

S. Emm. 

19 

M« 1652 

C. HI. 

(Bbg.) 

44 

M> 545 

L. I. 

Stablo 

20 

M* 1690 

C. III. 

(Bbg.) 

45 

M* 2069 

L. IV. 

(Bbg.) 

21 

M« 1710 

C. III. 

(Bbg.) 

46 

D. 21 

Sigb. 

(Stablo) 

22 

M» 1637 

Cm. 

(S. Emm.) 

47 

D. 23 

Sigb. 

Stablo 

23 

M» 2091 

Conr. I. 

S. Emm. 

48 

D. 33 

O. UI. 

Stablo 

21 

M* 1539 

Cm. 

(S. Emm.) 

49 

D. 219 

O. II. 

Stablo 

25 

M* 2099 

Conr. L 

S. Emm. 

50 

D. 292 

O. IL 

(Bbg.) 

26 

M* 1938 

Ara. 

S. Emm. 

51 

D. 247 

0. IL 

S. Emm. 

27 

M* 1917 

Ara. 

S. Emm. 

52 

D. 204 

0. II. 

i S. Emm.? 

28 

B. 1696 

C. II. 

Reims 

53 

D. 296 

0. H. 

S. Emm. 

29 

B. 1621 

C. II. 

Reims 

54 

D. 44 

0. H. 

(Bbg.) 

30 

B. 1581 

C. II. 

Reims 

55 

.0. 29 

Hild. 

Stablo 

31 

M* 1072 

| Loth. 

Reims 

56 

D. 53 

Theod. 

Stablo 

32 

M* 836 

L. I. Lth. 

Reims 

67 

— 

— 

Bbg. 

33 

M* 801 

L. I 

Reims 

58 

— 

— 

(Bbg.) 

34 

M* 2004 

L. IV. 

S. Emm. 

59 

D. 200 

H. H. 

Bbg. 

36 

M* 2012 

L. IV. 

S. Emm. 

60 

D. 401 

H. H. 

Bbg. 





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Die Don Carlos-Frage. 

Von 


Viktor Bibi. 


Kürzlich ist au dieser Stelle (XXXV, S. 484 fg.) ein Aufsatz Anton 
Chrousts erschienen, der sich mit dem Tode des Don Carlos beschäf¬ 
tigt und gewiß das größte Interesse verdient Die namentlich in me¬ 
thodischer Hinsicht mustergültig ausgearbeitete Studie erscheint nämlich 
tatsächlich geeignet, die heute förmlich als kanonisch geltende Auf¬ 
fassung von dem .natürlichen* Ende des unglücklichen Habsburger¬ 
prinzen ins Wanken zu bringen, .die schon entschiedene Streitfrage 
nochmals an die Richter zu verweisen*. 

Chroust bringt uns eine längst gedruckte, aber von den Don 
Carlos-Forschem übersehene Quelle — es sind die Memoiren des Grafen 
Miot de Melito — in Erinnerung, worin über dessen Besuch des 
Eskurials im Jahre 1812 berichtet wird. Der Graf, wird da erzählt, 
stieg mit dem neuen Könige von Napoleons Gnaden, Joseph Buonaparte, 
in die Gruft der spanischen Habsburger hinunter und kam auch zur 
Grabstätte des Don Carlos. Er fand den Sarg offen und bemerkte, daß 
der Kopf von dem Körper getrennt war, und zwar erhielt er den 
sicheren Eindruck, daß er abgeschnitten worden sei. Nach seinen so 
bestimmt gehaltenen Worten (.La tete . . . parait evidemment avoir ete 
coupee“) erscheint die Möglichkeit, daß sich der Schädel im Laufe der 
Zeit aus natürlichen Ursachen von den Halswirbeln losgelöst hätte, 
ausgeschlossen. Miot, der den Schädel in der Hand hielt, entdeckte 
auch, daß dessen obere Partie angesägt war. Mit dieser Wahrnehmung 
erschien jeder Zweifel an der Identität des Skeletts aus dem Wege ge- 



Die Don Carlos-Frage. 


449 


räumt; denn der Infant hatte sich, wie wir wissen, bei einem Sturze 
in Alcala eine lebensgefährliche Verletzung am Kopfe zugezogen, die 
eine Trepanation des Schädels von Seite des Chirurgen Vesalius not¬ 
wendig machte. 

Miots Erzählung bestätigte nur einen alteren, in dem Memoiren¬ 
werke des Herzogs von Saint-Simon (1863) veröffentlichten Bericht 
dieses Herzogs, der im Jahre 1721 gelegentlich einer diplomatischen 
Mission am Madrider Hofe das Mausoleum des spanischen Königshauses 
besuchte und vor dem Sarkophag des Don Carlos mit dem ihn be¬ 
gleitenden Mönche in einen Wortwechsel geriet, in dessen Verlaufe der 
Herzog die spitze Bemerkung fallen ließ, er wisse aus bester Quelle, 
daß bei der Besichtigung des Sarges von Seite des Königs (Philipp V.) 
der Schädel abgetrennt zwischen den Beinen — eine Anordnung, wie 
sie für die Überreste Enthaupteter charakteristisch ist — vorgefunden 
wurde, worauf dann der Mönch aufs äußerste gereizt erwiderte, der 
Infant habe dieses Ende vollauf verdient und übrigens sei dem König 
vom Papste die Erlaubnis zur Hinrichtung erteilt worden. Der Herzog 
hatte die irdischen Überreste des Prinzen nicht selbst gesehen, aber er 
berief sich auf den überaus angesehenen Diplomaten und Vertrauens¬ 
mann des Königs, Herrn von Louville, als Augenzeugen und überdies 
noch auf das Zeugnis des Mönches, der im Zorne die Tatsache der 
Enthauptung zugegeben hatte. 

Diesen zwei Gewährsmännern Miofc und Louville gegenüber steht 
allerdings ein anderes Zeugnis aus dem Jahre 1795: es ist ein ano¬ 
nymer Brief aus San Lorenzo, an einen unbekannten Empfänger ge¬ 
schrieben und von Gochard (1858) veröffentlicht, worin ebenfalls auf 
Grund von Autopsie die Gewißheit ausgesprochen wird, daß der Infant 
nicht enthauptet wurde, sondern in seiner Haft auf natürliche Weise, 
infolge Tertianfiebers und seiner unsinnigen Lebensweise, zugrunde 
ging, so wie es eben die Geschichtschreiber jener Zeit meldeten. 

Der eben erwähnte anonyme Schreiber war ein Spanier, die zwei 
anderen dagegen waren Franzosen, Fremde also, die im Allgemeinen 
auf Spanien nicht gut zu sprechen waren, und das führt uns zu einer 
merkwürdigen, in quellenkritischer Hinsicht gewiß nicht belanglosen 
Feststellung. Jene Schriftsteller, die bis weit in das 19. Jahrhundert 
Don Carlos auf gewaltsame Weise sterben ließen, sind mit einer ein¬ 
zigen Ausnahme Nichtspanier. Die Spanier dagegen setzen sich für 
Philipps IL Unschuld ein und schieben die ganze Schuld auf den 
Prinzen selbst, der sich durch seine selbstmörderische Lebensweise zu¬ 
grunde richtete, so Juan Lopez in seiner „Relacion de la muerte y 
honras funebres del principe Don Carlos 11 (1568) und vor allem der 



450 


Viktor Bibi. 


eigentliche Geschichtschreiber der Regierung Philipps EL Luis Cabrera 
de Cordova, in seiner .Historia de Felipe rey de Espana“ (1619), aber 
auch Fremde, wie der Florentiner Gi&nbattista Adriani in seiner „Istoria 
de’ suoi tempi" (1583). Ein einziger Spanier macht eine Ausnahme: 
Llorente in seiner „Historia critdca de la inquisicion de Espana“ 
(1822—25). Derselbe behauptet auf Grund urkundlicher Belege, die 
uns aber leider nicht mitgeteilt wurden, Philipp II. habe eine Kom¬ 
mission eingesetzt und auf deren Bericht hin das Todesurteil ausge¬ 
sprochen, das dann aber in einer Form vollzogen wurde, die das natür¬ 
liche Ende des Infanten glaubhaft erscheinen ließ. Nicht viel anders 
hatte schon vor ihm ein Zeitgenosse Philipps II., der Franzose de Thou 
in seinem Geschichtswerke „Historiarum sui temporis QI* (1733) den 
Sachverhalt geschildert: Der König habe seinen Sohn mit Rücksicht 
auf das königliche Blut nicht ordentlich hinrichten lassen, sondern ihm 
insgeheim ein rasch wirkendes Gift reichen lassen; der Tod sei dann 
monatelang verheimlicht und erst nach dem erfolgreichen Auftreten 
Herzog Albas in den Niederlanden bekannt gemacht worden. De Thou 
stützte sich bei seiner Darstellung auf das Zeugnis des ehemaligen 
Staatssekretärs Antonio Perez, der sich mit dem König verfeindet hatte. 
Ungefahr um dieselbe Zeit läßt Brantome in seinen phantastischen 
Memoiren (Yies des hommes illustres etc.“ (1666) Don Carlos den Tod 
durch Erwürgung finden, während Pierre Matthieu in seiner „Histoire 
de France et des choses memorables etc.“ (1606) haarklein zu er zähl en 
wußte, wie der Infun t auf Geheiß seines Vaters von vier Sklaven er¬ 
drosselt wurde, indem ihm zwei die Arme, einer die Füße hielten und 
der vierte ,tout doucement“ das Ende herbeiführte. 

Wie man sieht, besteht bei jener Gruppe von Historikern, welche 
Don Carlos auf* gewaltsame Weise aus dem Leben scheiden lassen, 
hinsichtlich der Todesart ein starkes Auseinandergehen der Meinungen, 
während bei der anderen Partei eine ebenso auffallende Übereinstim¬ 
mung herrscht. Diese unbestreitbare Tatsache hat sicherlich viel dazu 
beigetragen, daß Leopold Ranke in einer kritischen Studie über Don 
Carlos (Jahrbücher der Literatur, Bd. 46, 1829) die Unglaubwürdigkeit 
jener außerhalb Spaniens verbreiteten Meldungen darlegte. Der Spanier 
Llorente aber, der die Auffassung der fremden Geschichtsschreiber teilte, 
kam, da er für seine Behauptungen, wie schon erwähnt, keine urkund¬ 
lichen Beweise erbrachte, nicht in Betracht. Ranke fand, daß die .un¬ 
mittelbarsten“ Quellen, die Berichte der Gesandten, jener Auffassung 
keine Nahrung zuführten, und so kam er zu dem Schlüsse, daß Don 
Carlos, wie es die venetianischen Gesandtschaftsberichte besagten, eines 
.natürlichen« Todes, infolge seiner starken Exzesse und auch an der 



Die Don Carlos-Frage. 45 1 

„großen Unruhe seines Gemütes“ (A h. an Verzweiflung) verschie¬ 
den sei 

Das Urteil unseres Altmeisters der Geschichtsforschung machte 
bald Schule: es wurde von einer ganzen Keihe namhafter Historiker 
wie Baumer und Prescott anerkannt Mittierweile waren eben mehr 
solcher Gesandtschaftsberichte vom spanischen Königahofe über die 
Katastrophe bekannt geworden und die neuerlich sich ergebende Über¬ 
einstimmung wirkte noch überzeugender. Vor allem war es der ver¬ 
dienstvolle belgische Archivar Gachard, der mit Bienenfleiß alle auf 
Don Carlos bezüglichen Dokumente sammelte („Don Carlos et Phi¬ 
lippe IL“, 1863). Diese Berichte, alle so ziemlich auf einen Ton ge¬ 
stimmt, bestätigten jene im Grunde auf Cabrera zurückreichende Auf¬ 
fassung , daß der König angesichts der staatsgefährlichen Umtriebe 
seines Sohnes sich genötigt sah, diesen gefänglich einzuziehen, und 
daß dann Don Carlos, an und für sich schon schwächlich, lediglich an 
den Folgen seiner unvernünftigen Lebensweise gestorben sei. 

Zuletzt war es Max Büdinger, der in seinem großangelegten 
Werke „Don Carlos 1 Haft und Tod, insbesondere nach den Auffassungen 
seiner Familie“ (1891) für Cabrera-Banke eine Lanze brach und, in 
vielen Punkten weit über sie hinausgehend, zu folgendem Ergebnis 
kam. Von einem grundsätzlichen (politisch-religiösen) Gegensätze zwi¬ 
schen Vater und Sohn „darf“ man nicht sprechen. Der ganze tragische 
Konflikt ist vom rein pathologischen Standpunkte aufzufassen: es sind 
„Unarten eines körperlich wie geistig Leidenden“. Don Carlos war 
»schwachsinnig“. Seit August 1561 trägt der königliche Dulder die 
furchtbare Überzeugung mit sich, daß sein Sohn, der Erbe des katho¬ 
lischen Weltreiches, infolge seines Schwachsinnes regierungsunfähig sei; 
er klammert sich indessen „aus väterlicher Schwäche“ an die Hoffnung, 
daß dessen Zustand sich bessern werde. Erst als die Krankheit eine 
gefährliche Wendung nimmt und Don Carlos in förmlichen Tobsuchts- 
anfallen gegen eine Beihe von Würdenträgern sich tätlich vergreift, 
schließlich auch gegen seinen eigenen Vater Mordabsichten hegt (Ranke 
hatte dieselben bestritten), sieht sich der „bekümmerte“ Vater ge¬ 
zwungen, ihn gefänglich einzuziehen, „d. h. zu jenen Mitteln zu greifen, 
deren sich auch die gerichtliche Medizin unserer Tage nicht eutschlagen 
kann“. „Ich darf gleich hier sagen“, so fährt er fort, „daß die Form 
ihrer Anwendung durch König Philipp gegen seinen Sohn von einem 
der hervorragendsten Fachkenner auf diesem Gebiete als allen Forde¬ 
rungen entsprechend bezeichnet worden ist*. (S. 175 fg.). 

Aus einem Ideal, das uns aus der Jugendzeit so lieb geworden 
ist. aus dem „löwenkühnen Jüngling“, der für Menschenrechte, für die 



452 


Viktor Bibi. 


Freiheit aller Völker schwärmt und in edler Heldengröße bereit ist, für 
sie seinen Degen zu ziehen, aus einem feurigen Anbeter der schönen 
Königin, wie er uns in der Dichtung entgegentritt, ist unter der Hand 
des Historikers ein kränkelnder Idiot geworden, ein bösartiges, gemein¬ 
gefährliches, durch seine sexuellen Verirrungen ekelerregendes Subjekt, 
das sich in •frechem Trotze und knabenhaftem Unverstand“ gegen die 
großen Absichten seines „ geistesstarken “ Vaters auflehnt und die stolze 
Schöpfung der katholischen Könige ernstlich in Frage stellt 

Schillers Darstellung, die auf einen Roman von Saint-Real aus 
dem 17. Jahrhundert zurückgeht, war schon von Ranke erschüttert 
worden. Dieser hatte nämlich auf Grund von zwei Gesandtschafts¬ 
berichten gefunden, daß die Ehe des Königspaares eine durchaus glück¬ 
liche war und das ganze Leiden der Königin anfänglich darin bestand, 
daß sie keine Kinder bekam 1 ). Ich bezweifle, ob jene Berichte wirk¬ 
lich so beweiskräftig sind. Die Beziehungen des Königs zur Fürstin 
Eboli, der Frau seines ersten Ministers, scheinen doch mehr als ein 
dichterisches Phantasiegebilde gewesen zu sein. Wir besitzen zudem 
eine gewiß nicht schlechte Quelle, aus der das Gegenteil hervorgeht. 
Auf die Nachricht des kaiserlichen Botschafters am spanischen Königs¬ 
hofe, Adam von Dietrichstein, daß die Königin gesegneten Leibes sei, 
schreibt Kaiser Maximilian II. — es war acht Monate vor ihrem Tode 
— zurück: -Daß die königin wieder schwanger, hab ich ganz gern 
vernommen, ist auch ain anzeichen, daß der könig ain besserer 
ehemann ist als zuvor“ 8 ). Dies nur nebenbei zum Beweise, dass 
die Berichte der Gesandten nicht immer eine ganz zuverlässige Quelle 
sind 8 ). 

Büdinger hat nun der dichterischen Gestaltung vollends den 
Todesstoß gegeben und er vertrat die Ergebnisse seiner Forschungen 
in einem derart kategorischen Tone, daß jeder noch zweifelnde förm¬ 
lich Gefahr läuft, selbst als pathologisch-schwachsinnig zu erscheinen. 
Diese selbstsichere Art der Beweisführung in Verbindung mit einem 
großen Aufwand von quellenkritischen Untersuchungen trug nicht wenig 
dazu bei, die alte Streitfrage als erledigt und abgetan anzusehen und 


i) Ranke, Kritische Abhandlung über Don Carlos (Sämtl. Werke 40, 41, 
S. 490 fg.). 

*) Maximilian an Dietrichstein, 1568 Febr. 28. (Nikolaburg, Archiv Dietrich- 
stein. Eigh. Orig.). 

*) Übrigens findet sich in dem von Ranke angeführten Berichte des franzö¬ 
sischen Gesandten vom 11. Mai 1564 ein Wort, das ganz deutlich besagt, daß das 
gute Verhältnis nicht immer so war: »Sie (Kgin) besitzt den Kg., lebt mit ihm in 
Vertraulichkeit, und genießt jetzt (aujourdhuy!) alles Ansehen bei ihm«. 



Die Don Carloe-Frage. 


453 


der Auffassung Büdingers den Charakter eines Dogmas zu geben. Offen¬ 
bar gestützt auf ihn konnte z. B. Erich Mareks in seiner feinen Studie 
über König Philipp IL die Behauptung aufstellen: «Dem Don Carlos 
gegenüber hat eine Toraussetzungslose Beurteilung Philipp IL 
so gut wie nichts vorzuwerfen. Ich kann es nur in zwei Worten sagen: 
zwischen Don Carlos und Philipp handelt es sich nicht um das Bingen 
zweier Weltanschauungen, zweier Generationen, wie bei Friedrich 
Wilhelm L und seinem Kronprinzen Fritz. Don Carlos war von An¬ 
beginn her ein Kranker, ein Schwachsinniger, dessen tolles und 
haltloses Treiben die Geduld seines Vaters jahrelang auf das grau¬ 
samste quälte und den kein König als seinen Nachfolger auf dem 
Throne eines Weltreiches, ja auf irgendwelchem Throne überhaupt, 
hatte dulden können und dürfen. Es mag sein, daß der lange Kampf 
mit den unbezähmbaren Unarten dieser kranken Nätur in dem trüben 
Philipp schließlich die Vaterhebe zu eisiger Kälte hat erstarren machen; 
aber getan hat er gegen seinen Kronprinzen nur, was er mußte; als 
er endlich einschritt, da — so lesen wir — sprach er zu seinen Ver¬ 
trauten, «wie niemals ein Mensch gesprochen* x ); nicht ohne bittere 
Thränen hat er seine Pflicht erkannt, erfüllt hat er sie kühl und 
mitleidslos, aber wohl ohne Schuld. Der Tod, den Carlos im Ge¬ 
wahrsam seines Vaters fand, scheint nach ärztlichem Urteil den 
Besonderheiten seines Gemütsleidens völlig entsprochen zu haben, nicht 
dem König fällt er zur Last* 2 ). 

Der heute «allgemeinen* 3 ) Annahme, daß Don Carlos in der wohl¬ 
verdienten Haft eines natürlichen Todes gestorben sei, würde nun aller¬ 
dings mit einem Schlage der Boden entzogen sein, wenn es sich her¬ 
ausstellte, daß Don Carlos wirklich mit dem Schwerte hingerichtet 
wurde. Chroust maßt sich kein Urteil darüber an, ob die von ihm 
ins Treffen geführten zwei «ernsten und von einander unabhängigen* 
Gewährsmänner, Miot und Louville, richtig gesehen haben oder nicht 
Gewiß, jene Augenzeugen können sich getäuscht haben. Aber wer sagt 
uns, daß nicht auch die Gesandten, die in so schöner Übereinstimmung 
von den Verirrungen und dem natürlichen Ende des Infanten berich¬ 
teten, einer «überaus geschickten, systematischen Täuschung* zum Opfer 


f ) Eb ist schon von anderer Seite mit Recht darauf hingewiesen worden, daß 
diese gerne zitierten Worte durchaus »nicht rührende, sondern eisigkalte und ent¬ 
setzliche Worte, indem er ohne Zweifel, haßerfüllt und erbarmungslos, sein furcht¬ 
bares Vorhaben durch die Pflicht seines königlichen Amtes zu beschönigen be- 
fliflen war«, bedeuten. Vgl. Adolf Schmidt, Epochen und Katastrophen, S. 364. 
*) Akad. Antrittsrede vom 1. Juli 1893. (Deutsche Bücherei) Bd. 88, 8. 567 fg. 
*) Chroust, &. a. 0., S. 489. 

Mitteilungen XXXVU 


30 



454 


Viktor Bibi. 


gefallen sind? Chroust zieht mit Hecht den Zeitgenossen des Infan teil, 
den Abgesandten der aufständischen Niederländer, Herrn von Montignv, 
welcher trotz der amtlichen Erklärung, er sei eines natürlichen Todes 
gestorben, in Simancas heimlich hingerichtet wurde — eine Tatsache, 
die erst im 19. Jahrhundert bekannt wurde — als ein Beispiel dafür 
an, daß ein geschichtliches Ereignis der Mitwelt gegenüber verschleiert 
werden kann. 

Eine Entscheidung über die von Chroust angeregte Frage könnte 
nur eine neuerliche Autopsie von Seite eines Fachmannes bringen. Da 
in Spanien gegenwärtig eine andere Dynastie am Ruder ist, dürften 
ihr keine besonderen Schwierigkeiten in den Weg gelegt werden. Eines 
aber kann jetzt schon gesagt werden: Selbst wenn diese Autopsie das 
Resultat, daß der Prinz nicht enthauptet wurde, ergibt, so ist damit 
noch lange nicht der Beweis erbracht, daß er nicht auf eine andere, 
heute nicht mehr kontrollierbare Weise gewaltsam ins Jenseits be¬ 
fördert wurde. Dies führt uns zu der Frage: Ist die Auffassung, die 
zuletzt durch Büdinger eine so scharfe Prägung erfahren, vor dem 
Forum einer streng-wissenschaftlichen Kritik überhaupt haltbar? 

Als Bearbeiter der Familienkorrespondenz Kaiser Maximilians II., 
die von der „Kommission für Neuere Geschichte Österreichs» heraus¬ 
gegeben werden soll, hatte ich mich auch mit dieser Frage zu be¬ 
schäftigen 1 ). Don Carlos war ja der in Aussicht genommene Schwieger¬ 
sohn des Kaisers und so hatte dieser ein begreifliches hohes Interesse 
an den Vorgängen am spanischen Königshofe. Büdinger, der schon 
durch den Titel seines Buches zu erkennen gab, daß er auf die »Auf¬ 
fassungen der Familie“ einen besonderen Wert legte, ist über die 
Stellungnahme des Kaiserhofes sehr rasch hinweggeglitten; nur die 
Anschauung des von dem Weltgetriebe etwas abseits stehenden Bruders 
Maximilians, Erzherzog Ferdinand von Tirol, fand eine eingehendere 
Beleuchtung 8 ). Die Äußerungen des Kaisers wie seines ersten Beraters, 
des Vizekanzlers Dr. Zasius, sind, wie ich gleich im voraus bemerken 
möchte, nicht geeignet, den Standpunkt Büdingers zu stützen. Im 
besten Falle wird man daraus ein deutliches »Non liquet“ erkennen. 


*) Es sei mir hier gestattet, der Kommission für die freundliche Bewilligung 
zur Verwertung des von mir in ihrem Aufträge gesammelten, ihr Eigentum bil¬ 
dende^ Materials meinen verbindlichsten Dank auszusprechen. 

*) Nebenbei bemerkt hat das von Büdinger erwähnte (S. 268) Aktenstück, 
das sich im Auszuge im Innsbrucker Statthaltereiarchive befindet, Dietrichstein zum 
Verfasser. Es ist ein Bericht des kaiserlichen Botschafters an den Vizekanzler 
Dr. Zasius und vom 26. Juli 1568 datiert (Müuclien, Geh. Staatsarchiv, K. schwarz, 
229/1, fol. 309). 



Die Don Carlos-Frage. 


455 


Also selbst jene Personen, die das menschenmöglichste getan haben 
werden und vermöge ihrer Stellung auch am ehesten in der Lage 
waren, die Wahrheit zu erfahren, geben zu, daß die Sache »dunkel“, 
ja »verdächtig* sei. Kein Wunder, wenn diejenigen, welche sie in¬ 
formierten, selbst sich nicht auskannten, wie z. B. der wohl in erster 
Linie in Betricht kommende kaiserliche Botschafter am Königshofe. 

Dietrichstein, der schon vor der Katastrophe einmal resigniert be¬ 
merkte : »Es ist beschwerlich, von ime zue judizieren* l ), war ehrlich 
genug, in seinen unmittelbar nach dem Eintritte derselben verfaßten 
Berichten an den Kaiser 8 ) und die Kaiserin 8 ) einzubekennen, daß er 
eigentlich »nichts* wisse und nur das sagen könne, was »in der ge~ 
main* geredet werde. Aber auch nach einigen Monaten weiß er dem 
Kaiser »nichts gründliches* zu sagen. Alles was man davon rede, 
meinte er, sei »alles ain ungewis ding* 4 ). Der französische Botschafter, 
der natürlich auch nichts wußte, klärt uns diese Tatsache der allge¬ 
meinen Unkenntnis auf, indem er seiner Begierung schreibt, daß nicht 
sechs Personen die volle Wahrheit wüßten 6 ). Der Prinz war vom 
Augenblicke seiner Verhaftung vollständig von der Außenwelt abge¬ 
schnitten. Die wenigen, die im Gefängnisse Dienst hatten, erhielten 
den strengsten Auftrag, unbedingtes Schweigen zu beobachten: sie 
wußten, daß sie den Tag, an welchem sie ihm zuwider handelten, nicht 
lange überleben würden. Der König hatte auch zur Vorsicht unmittel¬ 
bar nach der Verhaftung des Infanten Befehl gegeben, alle Kuriere 
durch vier Tage aufzuhalten 6 ). In dieser Zeit konnte sich die ge¬ 
schäftige Phantasie der Nichtwissenden gründlich austoben. Jedermann 
weiß es ja aus eigener Erfahrung, hat es schaudernd miterlebt, wie in 
einer Zeit, da die öffentliche Meinung unterbunden ist, die Gerüchte 
wild aus dem Boden schießen, wie sich um einen mehr oder weniger 
wahren Kern das üppige Bankwerk der Legende schlingt 


i) Dietrichstein an Maximilian, 1567 April 26. Vgl. Koch, Quellen zur Ge¬ 
schichte des K. Maximilian II., I, 8. 185. 

*) »Die ursach khan niemant aigentlich oder gruntlich wissen«. Dietrichstein 
an Maximilian, 1568 Jänner 21; vgl. Koch, 8. 201. 

*) »Las causas . . . no hay nadie quien las sepa de rierto«. Dietrichstein 
an Kaiserin, 1568 Jänner 19 (Nikolsburg, Archiv Dietrichstein). 

«) »Gruntlicher wais und khan ich E. M*. nix affirmieren. Was man davon 
geredt, hab ich awer E. M l . zuvor geschriben. Weil es awer alle ain ungewis 
ding und solihe Sachen nit wol zue schreiben, mier auch . - . nit gepuren wolt, 
so pitt ich E. K. M 1 ., das soliches nit in die weit khum und ich fuer den autoren 
geben wurde«. Dietrichstein an Maximilian, 1568 April 22; vgl. Koch, 8. 213. 

*) VgL Schmidt a. a. 0., 8. 368. 

•) Ebenda, 8. 367. 


30* 



450 


Viktor Bibi. 


Der so entstandene Hof- und Stadtklatsch war es also, was die 
Gesandten an ihre Kabinette l>erichteten. Es ändert nicht viel an der 
Glaubwürdigkeit solcher Berichte, wenn sie von einer »maßgebenden 
Persönlichkeit“ herstammten, die vielleicht selbst nichts wußte, also 
nicht maßgebend war, oder nichts sagen wollte oder durfte. Was sie 
sonst noch Wichteten, war das. was von Seite des Hofes fiir gut be¬ 
funden wurde, daß sie es wüßten und weitergäben: das ist das — wie 
wir heute sagen würden — »offizielle Kommunique“, zu dessen Fest¬ 
legung man in jenen vier Tagen reichlich Zeit gehabt hatte. Daraus 
erklärt sich denn auch jene Übereinstimmung der Berichte, welche die 
Historiker von Banke bis zu Büdinger so bestochen hatte. Aber selbst 
wenn einer der Gesandten wirklich etwas von der Wahrheit erfaliren 
hätte, so würde er sich wohlweislich gehütet haben, dies zu berichten; 
mußte er doch damit rechnen, daß der Bote auf seiner Reise bis zur 
Grenze angehalten und durchsucht wurde. 

Wenn sich also die Zeitgenossen in dem Wirrwarr von einander 
widersprechenden Nachrichten nicht zurechtfinden konnten, sind viel¬ 
leicht wir Nachgeborenen in einer glücklicheren Lage? Die auf* die 
Katastrophe Bezug nehmenden Papiere, darunter wohl auch jene, die 
bei der Verhaftung des Prinzen in Beschlag genommen wurden, sind 
von Philipp 1L vor seinem Tode, im Jahre 1598, verbrannt worden; 
der geheimnisvolle »grüne Koffer“ ist verschwunden. Wilhelm Mauren¬ 
brecher hat bei seinen persönlichen Nachforschungen in Simancas nichts 
vorgefunden, was den Schleier des Geheimnisses hätte lüften können, 
ebensowenig ich, als ich ein halbes Jahrhundert später dort Nachlese 
hielt Unter solchen Umständen ist es vom Standpunkte einer strengen 
wissenschaftlichen Forschung sehr gut zu begreifen, daß Maurenbrecher, 
der nach dem Erscheinen des Werkes von Gachard einige Aufsätze 
über Don Carlos veröffentlichte, seine Überzeugung dahin aussprach, 
daß außer den Werkzeugen der königlichen Politik »Niemand* imstande 
war, »etwas sicheres über ihn zu wissen“, daß wir auf die verschiedenen 
»Gerüchte, die von ihren Urhebern wenig Beglaubigung herleiten 
können“, und auf die von den Höflingen verbreitete »mildere Version“ 
angewiesen seien, um daraus den Schluß zu ziehen: »Welcher Bericht 
die historische Wahrheit enthalte oder ihr wenigstens nahe komme, 
ich gestehe, ich weiß es nicht; und ich wage es nicht eine bloße Ver¬ 
mutung auszusprechen“ *). Maurenbrecher sprach diese vorsichtigen, 

*) Vortrag vom 11. März 1868 (Sammlung ge mein verständlicher wissenschaft¬ 
licher Vorträge IV, 90, 1869, S. 28). Ähnlich äußerte er sich in seinem ersten 
Aufsatz: Ein Bericht über die Ursachen der Katastrophe, der irgendwie Anspruch 
auf »unbedingte Glaubwürdigkeit« machen könnte, sei nicht vorhanden. Wir 



Die Don Carlos-Frage. 


457 


bescheidenen Worte am Ende der Sechziger Jahre des vorigen Jahr¬ 
hunderts und seitdem ist nichts, aber wirklich nichts zu Tage gefördert 
worden, was sein Urteil irgendwie umzuändern geeignet wäre. 

Worauf gründet also Büdinger seine mit voller wissenschaftlicher 
Überzeugung vorgetragene Darstellung? Nun auf die allerauthentischeste 
Quelle, so würde Büdinger antworten, auf den König selbst Büdinger 
legte nämlich nach dem Vorbilde Kankes Wert darauf, zu den »bezeugten 
Ansichten der Hauptpersonen- vorzudringen. Dies sind in erster Linie 
Schreiben der beteiligten fürstlichen Hauptpersonen und dann die Be¬ 
richte der Botschafter: sie stellen die »authentischen Quellen“ dar 1 ). 
Die allerauthentischeste als die unzweifelhaft eigentliche Hauptperson 
des spanischen Dramas ist nun — da Don Carlos mundtot gemacht 
wurde — der König selbst und Büdinger war in der Lage, auf Grund 
der Urkundensammlung von Gachard eine ganze Reihe von Erklärungen 
einzusehen, welche Philipp nach der Verhaftung an einige ihm nahe¬ 
stehende Fürsten und Fürstinnen zur Rechtfertigung seines gewiß un¬ 
gewöhnlichen Schrittes ausgehen ließ. 

Was besagen nun diese hochoffiziellen Kundgebungen, denen Bü¬ 
dinger einen solchen Wert beimißt, daß er sie stellenweise im Wort¬ 
laute anführt und ausführlich zergliedert? Im Vergleiche zu dem dort 
aufgebrachten Wortschwall recht wenig, um nicht zu sagen: Nichts. 
Man möge überzeugt sein, heißt es da, daß der König bei seiner be¬ 
kannten »Milde und Sanftmut“ — ein Ausdruck, der mit Vorliebe auch 
zur Rechtfertigung des Schreckensregimentes in den Niederlanden ge¬ 
braucht wird — nur durch die »gewichtigsten und zwingendsten“ Gründe 
veranlaßt wurde, in dieser Weise vorzugehen, und daß es »zum Besten 
und Gedeihen" des Infanten selbst (!) geschah. Man müsse begreifen, 
daß er vom Schmerze überwältigt, augenblicklich nicht mehr sagen 
könne, aber er werde es gewiß später tun, denn man habe ein Recht, 
die volle Wahrheit zu erfahren. Einmal, in einem Schreiben an die 
Kaiserin, seine Schwester, bricht er gerade an dem interessantesten 
Punkt, wo man die Aufzählung der Ursachen erwarten durfte, plötzlich 
mit den Worten ab: »Ich will nicht weiter fortfahren, um den Kurier 
nicht aufzuhalten*, wie Büdinger meint, »in voller Sicherheit ge- 

seien auf die Eröffnungen des spmischen Kabinettes angewiesen und auf die Mit¬ 
teilungen der Gesandten, die drraus schöpften. Was sonst noch in den Depeschen 
der Gesandten vorkomme, sei Gerücht und Gerede des Publikums von Madrid, 
»dem wir gewiss nicht eine entscheidende Stimme beimessen wollen«. (Hiator- 
-Zeitschr. 11, 1864, S. 307 fg.). 

*) Vgl. Büdinger, S. 158 fg. 



458 


Viktor Bibi. 


schwisterlicher Liebe* 1 ). Ein anderes Mal schreibt er seiner Schwester, 
die ihn auf die Nachricht von der Verhaftung ihres Neffen in zarter 
Weise darauf aufmerksam gemacht hatte, „daß eines Sohnes Gesund¬ 
heit, Bedienung und gute Pflege, sowohl für den Körper als insbeson¬ 
dere für die Seele, des Vaters Sorge sei und immer bleiben werde* (sie 
scheint also durchaus nicht so fest überzeugt gewesen zu sein, daß 
Don Carlos in der Haft aufs liebevollste behandelt werde -): Der Gegen¬ 
stand, über welchen er sich ohnehin schriftlich gegen beide kaiserliche 
Ehegatten geäußert habe (das hatte er eben nicht), errege ihm solch 
„großen Widerwillen“, so daß er ihn nicht zum zweiten Male anführen 
und er die Schwester verschonen (sie wollte aber etwas wissen) wolle. 
.Nur habe ich mich“, fahrt er fort, „so vertraulich äußern und Euch 
meine Brust eröffnen wollen, um Euren Hoheiten zu genügen, wie es 
unsere Geschwisterschaft verlangt“. Man ist jetzt gespannt, vielleicht 
doch etwas näheres zu erfahren. Aber der König bemerkt nur: „Keinem 
Andern habe ich mich zu erklären, da es eine Angelegenheit zwischen 
Vater und Sohn ist“ — das heißt also: die ganze Sache geht Nie¬ 
manden etwas an. auch die Schwester und den Kaiser nicht — und 
er schildert dann, wie er dem Prinzen erlaubt habe, die Kommunion zu 
empfangen 8 ). Der Königin von Portugal schreibt er: „Die älteren wie 
die neuerlich eingetretenen Ursachen sind derart, daß weder ich sie 
vortragen noch Eure Hoheit hören kann, ohne Schmerz und Mitleid 
zu erneuern*. „Das ist die volle Wahrheit“, bemerkt Büdinger dazu, 
„wie sie Philipp 1L der königlichen Dame als Mann von Gefühl nicht 
anders und mehr im Einzeln ausführen konnte*. Büdinger sieht in 
dieser Zurückhaltung des Königs, in diesen niclitsagenden und ver¬ 
logenen Phrasen, denen nur zu deutlich der Stempel peinlichster Ver¬ 
legenheit anhaftet, hochpersönliche, „durchaus in einfacher Wahrheit 
gehaltene“ Äußerungen eines vom Schmerz niedergebeugten Vaters, 
herzerhebende Zeugnisse seines Zart- und Schamgefühles: der König 
will offenbar Niemanden mit widerlichen Einzelheiten aus der Krank¬ 
heitsgeschichte des Idioten behelligen, er trägt Scheu, seinen Vater¬ 
schmerz, das Unglück des Hauses vor der Öffentlichkeit zu enthüllen. 

*) Philipp II. an Moria, 1568 Jänner 21 (Gachard, S. 653). Vgl. Mauren- 
brecher (Histor. Zeitschr. 11, S. 308 f.); Schmidt, S. 371 fg.; Büdinger, S. 221 fg. 

*) Die Kaiserin soll auf die Nachricht von der Verhaftung ihres Neffen sofort 
erklärt haben, er werde »nicht mehr lebend« heraus kommen. Bericht des floren- 
tinischen Gesandten aus Wien, 1568 September 16 (Florenz, Archivio di stato, 
Ood. Med. 4329). 

•) Philipp II. an Maria, 1568 Mai 19 (Gachard S. 670 f.). Vgl. Büdinger, 
S. 1111g. 



Die Don Carlos-Frage. 


459 


Maurenbrecher stimmte mit Gachard darin überein, daß diese „ge¬ 
wundenen und geschraubten* Auslassungen nur dazu dienten, eine 
„scharf und präzis* gefaßte Antwort auf die Frage nach den Gründen 
der Verhaftung zu umgehen. Er stellte die befremdliche Tatsache fest, 
daß in diesen Kechtfertigungsschreiben „nirgendwo eigentliche bestimmt 
formulierte Klagepunkte gegen den Prinzen“ ausgesprochen wären 1 ). 
Im Gegenteil, es wird ausdrücklich gesagt daß keinerlei Vergehen des 
Prinzen, etwa ein Akt des Ungehorsams oder eine Beleidigung gegen¬ 
über dem Vater oder religiöse Verirrungen den Anlaß gaben. 

Viel wichtiger aber als die anerkennende Zustimmung Büdingers 
und der Tadel Gaehards und Maurenbrechers ist die Frage, wie die 
Zeitgenossen über die ihnen gebotene „volle Wahrheit* dachteu. Kaiser 
Maximilian II. war jedenfalls sehr wenig befriedigt; denn er schrieb 
sofort nach Empfang der königlichen Kechtfertigungsschriffc zurück, er 
hätte „etwas mehr Klarheit* (mas claridad) gewünscht 2 ). Dem Bot¬ 
schafter aber schrieb er: Er wolle sich über den „beschwerlichen Casus“, 
über den er sich hoch entsetzt habe, nicht näher auslassen, weil er die 
eigentliche Ursache nicht kenne, „in suma, ich besorg hochlichen, es 
werde ain seltzsam ende nemen*. (Daß auch die Kaiserin nicht zu 
sehr von der „Sanftmut* ihres Bruders überzeugt war, haben wir 
schon gehört) Gott wolle das verhüten, und er könne es kaum er¬ 
warten, die eigentliche Ursache der Verhaftung zu erfahren. Dietrich¬ 
stein möge sieh weiter erkundigen, „dan mier der kunig darvon nix 
schraibt*. Der König habe ihm geschrieben, er werde später einmal 
„mit der zeit* die Sache auseinandersetzen; „sed interim fhmt mille 
discursus und war fil besser, man wiste die ursach, et sic cessarent 
discursus* 8 ). 

Und doch geben jene offiziellen Erklärungen in einem Punkte, 
wenn auch nur andeutungsweise, einen positiven Aufschluß. Der König 
weist nämlich auf das „bekannte* eigentümliche Naturell, auf die un- 

*) Vgl. Maurenbrecher, Don Carlos (Histor. Zeitschr. 11, S. 309). 

*) Ma ximili an an Kg. Philipp II. 1568 Februar 28. Vgl. Gachard, S. 665. 

3 ) Maximilian an Dietrichetein, 1568 Februar 28 (Nikolsburg, Archiv Dietrich- 
stein, Eigh. Orig.). Am 5. März schreibt dann Maximilian dem Botschafter: Er 
könne sich wohl denken, dal der König die Verhaftung nicht ohne große Ursache 
vorgenommen habe. »Ist es awer on genuegsame ursach beschehen, so ist es desto 
erger, und kan in der w&rhe: i wol schreiben, dos mir der kunig in allen seinen 
schreiwen gar khain ursach in specie vermeldt hat« (Vgl. Koch, 2, 8. 52). Erst 
am 27. Juli konnte der Kaiser dem Botschafter mittcilen, daß er aus des Königs 
Schreiben »zum tail« den Grund der Verhaftung erfahren, er aber dennoch finde, 
daß Philipp »schlechte rue« haben werde, so lange er den Prinzen »also halten« 
thue. (Ebenda, 8. 52). 



460 Viktor Bi ul. 

glückliche „Opposition* de« Infanten und gelegentlich noch etwas 
deutlicher auf dessen „Mangel an Verstand* und auf die Pflichten des 
Herrschers gegenüber dem Staate hin. Durch dieses wohl absichtlich 
recht dunkel gehaltene Bekenntnis des königlichen Vaters war es nun 
für Büdinger erwiesen, daß Don Carlos „schwachsinnig* und infolge¬ 
dessen regierungsunfahig war. „Niemals*, meint Büdinger. „wären Zeit¬ 
genossen und Spätere, Publikum und Forscher auf alle die Abwege der 
Phantasie und Darstellung verfallen, welche diese einfache Tatsache 
aus den Augen verlieren ließen, wenn man sich ohne Vorurteil an des 
so scharfsinnigen wie bekümmerten Vaters Worte gehalten hätte- l \ 
Nachdem einmal diese Tatsache des Schwachsinns vonseite der 
höchsten Autorität, des königlichen Vaters, festgestellt war, kam mit 
einem Male Licht in die Vorgeschichte und den Verlauf der Katastrophe: 
nun fand alles, was man sich am spanischen Hofe schon seit Jahren 
über den Infanten insgeheim und schließlich ganz offen erzählte, eine 
jeden Zweifel ausschließende Bestätigung. Das Krankheitsbild des 
schwachsinnigen Infanten wurde unter Beihülfe des Psychiaters 
Theodor Meynert vertieft: die uns über Don Carlos überlieferten Züge 
und Handlungen fügten sich jetzt zu einem harmonischen, geschlos¬ 
senen Ganzen zusammen. Der Prinz hatte in seiner ersten Jugend 
schlechte Erziehungsresultate (es handelte sich, wovon später noch zu 
reden sein wird, höchstwahrscheinlich um den religiösen Unterricht) 
aufzuweisen — also „Arbeitsscheu*, ein für Schwachsinnige charakte¬ 
ristisches Moment. Der Prinz überißt sich gelegentlich, trinkt massen¬ 
haft Wasser — also „Durst-*, beziehungsweise „Angstgefühle*; er 
verschmäht den Wein — also „Intoleranz gegen Alkohol*, lauter 
„Symptome reizbarer Schwäche“. Der Prinz ist unzufrieden damit, daß 
er in einem Alter, da sein Vater schon längst die Weltmonarchie 
leitete, wie ein Kind behandelt, ihm kein selbständiger Wirkungskreis 
wie etwa die Regierung der Niederlande an vertraut und die in Aussicht 
genommene Heirat mit der ältesten Tochter des Kaisers jahrelang unter 
den merkwürdigsten Vorwänden verschleppt wurde — also „maß- und 
zielloses Verlangen“. Er sinnt endlich auf Flucht, um sich vielleicht 
eine Begentenstellung zu erzwingen — „es ist ein gewöhnlicher 
Prozeß, wie ihn die fixen Ideen der Schwach- und Irrsinnigen durch¬ 
machen*. Durch die jahrelang betriebene imwürdige Behandlung aufs 
äußerste gereizt, zur Verzweiflung getrieben gibt er einigen Höflingen 
Ohrfeigen (wir wissen nicht, ob sie nicht verdient waren), vergreift 
er sich angeblich an einigen Würdenträgern, die er für die Anstifter 


*) Vgl. Büdinger, S. 175. 



Die Don Carlos-Frage. 


461 


seines Unglücks hält — also „Exzesse und Gewalttätigkeiten-, die sich 
nach Büdinger zu Mordabsichten gegenüber dem Vater steigerten — 
also „Schwachsinn mit Tobsuchtsanfallen- und sexuellen Verirrungen. 
Da konnte auch ein so „gemütvoller* Vater wie Philipp II. nicht mehr 
raliig Zusehen: die stolze Weltmonarchie Spanien durfte nicht durch 
die „ziellosen Ansprüche und gefahrvollen Absichten seines schwach¬ 
sinnigen Thronerben- gefährdet werden. 

Der Infant wurde denn in der Nacht vom 18. zum 19. Jänner 
1568, während er schlief, überfallen, und, nachdem ihm seine Waffen 
und Papiere weggenommen worden waren, unter strengste Aufeicht 
gestellt Daiß dies nach allen Begeln der modernen gerichtlichen Me¬ 
dizin geschah, wurde schon erwähnt. In dem sorgsam vergitterten 
Turmzimmer des königlichen Palastes ist er sodann an den Folgen 
seiner unvernünftigen Lebensweise gestorben Don Carlos verweigerte 
nämlich zunächst die Aufnahme von Nahrung, dann aß er wieder zu 
viel auf einmal, trank dazu große Quantitäten eisgekühlten Wassers, 
wodurch der Magen des ohnehin kränklichen Jünglings derart ge¬ 
schwächt wurde, daß er keine nahrhaften Speisen mehr vertragen 
konnte und so, immer schwächer werdend, eines vollständig natür¬ 
lichen Todes wie ein Heiliger starb, vollkommen ergeben in sein 
Schicksal und versöhnt mit dem Vater. „Sein Tod*, so heißt es in 
dem Bundschreiben des Königs an die auswärtigen Höfe, „erfolgte mit 
solcher Gotteserkenntnis und Beue, daß er Allen zu großer Befriedigung 
und zu Tröste bei dem Schmerze und Mitleiden gereichte, welche dieser 
Fall mit sich bringt* 1 ). Büdinger bemerkt dazu: „Einfacher, wahr- 
heits- und sachgemäßer konnte das Ereigniß von dem nächsten, schwer¬ 
geprüften Familienangehörigen den fremden Höfen nicht geschildert 
werden*. 

Das uns von Büdinger vorgefiihrte, von einem Psychiater über¬ 
prüfte Krankheitsbild erfuhr noch dadurch eine willkommene Bereiche¬ 
rung, daß der Prinz in Alcala, wo er die hohe Schule besuchte, sich 
eine schwere Verletzung des Schädels zugezogen hatte. Es war im April 
1562, als er, zum Stelldichein mit der Tochter des Schloßpförtners 
eilend, auf der Treppe so unglücklich auf den Kopf fiel, daß er lange 
mit dem Tode rang und nur durch die Kunst des berühmten Vesaliua, 
der, wie schon erwähnt, eine Trepanation des Schädels vornahm, nach 
der Meinung anderer aber durch die Berührung mit den wunderwir¬ 
kenden Gebeinen des Mönches Diego gerettet wurde. 

Don Carlos war aber, wie wir bei Büdinger erfahren, schon vor 
dem Sturze schwachsinnig. Es ist dies einer der Grundgedanken seiner 


*) Vgl. Büdinger, S. 270. 



402 


Viktor Bibi. 


ganzen Darstellung, so daß es sieb wohl verlohnt, darauf etwas näher 
einzugehen. Schon seit August 1561 wusste der unglückliche König* 
wie es um seinen Thronerben stand. Zu dieser Zeit erfolgte nämlich 
die förmliche Einladung der beiden Neffen Philipps II., der Erzherzoge 
Rudolf und Emst: sie sollten in Spanien an seinem Hofe erzogen 
werden, und es wurde dabei angedeutet, daß Rudolf, der älteste Sohn 
Maximilians (II.) dereinst berufen sein könnte, auch der Nachfolger des 
Königs zu werden. Man muß also, so meint Büdinger, schon damals 
am spanischen Königshofe die Überzeugung gewonnen haben, daß Don 
Carlos regieruugsunfahig w ar. Diese Annahme erfuhr noch eine Stütze 
durch ein Aktenstück, das Maurenbrecher bei einem Besuche des Wiener 
Staatsarchives zu Ostern 1874 fand und, wie dieser in seinem Welt¬ 
entdeckerjubel 4 x ) wähnte, den „Schlüssel zu allen Unklarheiten und 
Rätseln- brachte 2 ). Dieses Aktenstück betraf die Verhandlungen über 
eine Heirat zwischen Don Carlos und der ältesten Tochter Maximilians, 
Erzherzogin Anna, die schon seit längerer Zeit schwebten, aber von 
Seite Philipps IL nicht recht vom Flecke gehen wollten. Maximilian, 
dem an dieser zukunftsreichen Verbindung sehr viel gelegen war, be¬ 
trieb sie auf jede mögliche Weise. Da, als er wieder einmal recht un¬ 
geduldig geworden war, läßt der König durch Herzog Alba dem 
kaiserlichen Botschafter Guzman folgendes sagen: „Der Gesundheits¬ 
mangel des Prinzen, verbunden mit den in seiner Person gelegenen 
Mängeln ebenso in Urteil und Wesen wie im Verständnis, welches 
weit hinter dem zurückbleibt, was in seinem Alter verlangt wird, be¬ 
reiten Seiner M*. große Verlegenheit Der König habe, nachdem er 
das Vertrauen in die Befähigung seines Sohnes verloren, die Hieher- 
sendung seiner Neffen vorgeschlagen*. 

Mit diesem Dokument vom März 1562 war also der Schwachsinn 
des Infanten schon sechs Jahre vor der Katastrophe und den darauf 
vom König abgegebenen Erklärungen in, wie Maurenbrecher meinte^ 
einwandfreier Weise, gewissermaßen amtlich bescheinigt Daß ein so 
gründlicher Kenner der spanischen Geschichte zur Zeit Philipps II., 
dessen Kabinett den dem ganzen Zeitalter anhaftenden Macchiavellismus 
in seiner reinsten Prägung vertritt, dieser Regierungskundgebung den 
Charakter einer „Offenbarung* 8 ) zubilligt, ist sehr zu verwundern und 
psychologisch vielleicht daraus zu erklären, daß ihn die Freude über die 
Entdeckung einer Quelle, die der so gewissenhafte Gachard nicht ge- 


*) Schmidt in der Beilage zur Jenaer Literaturzeitung 1874, Nr. 52. 
*) Maurenbrecher in den »Grenzboten« 1874, 4, 8. 246. 

*) Schmidt, ebenda. 




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-Die Don Carlos Frage’ 


.kaont Ofleir wenigen* io seiner .'Quejiciimioöttifeög nickt mitgenommen 
hatte, gehteinfet Hak 

iMI j-der $i0pg /der beiden Extkcr/<Ä äh tletf spanischen. Eönigölinf 
verhielt es &*:h in Wirklkhkeit ganz Maximilian II.. damals 

noch Kronpnh^ hatte äwb, ein Jahx zuvor dm semc§ Vaters 

gefugt und dk> fö^tliehe ßrkl&üfig^^ ahgegeb^ru daÜJ er im ß&vite dW 
'feuthwl^h^ü.;. Kirehe ; Mdfeetr .werfe Eine weitere * £%3^e seines? 
Ganges ua&fe d&ß eV jfcü<& 

Sohne hach Spanien m schicken, dmftit- äiY dort, (mberührt vtVn ketze¬ 
rischen EiüfiüBson, die nick* wie c\*rp <Ua Beispi«! ‘Mujriiudum# zeigte, 
auch schon ata haifcfcrjurfe geltend Tähckfcefi, Ü&t&tv < etf* 

zogen würfen Dali Maximilian seihst diesen eigeutJinheu Zweck der 
Sendung richtig erkannte-, beivhhst sein Brief au den König* wnriiü er 
ausdrücklich erklärte, daß der ^fnslige Thrv^fol^r 30 atü besten der 
.Gefahr einer Ansteckung* d. b; einer Litfizterung mit protestautlsdicu 
Ideen, entgehe 1 )- Wohl lediglich nns tfrunde . hielt König 

Philipp IE die Erzherzoge trotz des Drängens ihres Vaters,, $£ heim- 
reisen zu. lassen, das tschöii in 4er nächste# Zeit; jftkre lang* 

zuruck- Ais dann, zehn Jahre muh der Einladung der König schon, 
wieder verheiratet war und die-Abreise. der Prü?#ii nicht weiter ver¬ 
schoben werden; : kQnnte>';;ir4aebiP die- {u<^.rm uoeiuuals einen V'erstielu 
uhte dein Bfeat lüit der liifitfifiü 

ata spanischen Königshöte zu kalten* damit der Thronerbe nicht in den 
\eo verdorbenen Landern»’ (teai daüardus p&rfes) Schäden an smuer 
Seele erlitte Der Hinweis an! di& möglich^ defe 

sehen Hab^hurgenß ist Wohl tferr als K$det anfziifaäsfe Daß At.atfY 
milnui II.*' der übrigens, wie kohon ewahnt, sehr bald. die Sohne heim 

berief (waa er sicharlich nicht -gejäh... hätte, weim er die besftdkdto.ie 
Aussicht äuf die Sukzession.. i.ü* >Spnxiien ; gebäht; hätte), Mellet nicht uu 
den Schw^h^mu and die ..• dfe laihuteh. #laubfe;. 

beweist in. der m dii>;gru&t^n SEv?#? Oit' (Mi, er. 4 h 

verhandluiigcii ood AiÖjfltf : $S£*i*d> 

sclialV’t uD.vie^f: . ^ ‘ . 


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O Slfjnp&gmlo U 
an Monteag^iu,, 15^1 ^ ?:^r^ ? ?%., 






464 


Viktor Bibi. 


festgelegt worden. Es verdient hier hervorgehoben zu werden, daß 
Maurenbrecher in seinem ersten Aufsatz, den er unter dem frischen 
Eindrücke der Veröffentlichung Gachards geschrieben, einen ganz an¬ 
deren Standpunkt eingenommen hatte *). Er spricht da durchaus im 
Tone der Sympathie von einem „unglücklichen“ Prinzen, der »auf 
rätselhafte Weise von seinem eigenen Vater aus der Welt entfernt* 
worden ist, der in seiner Jugend eine „gedeihliche Entwicklung* er¬ 
hoffen ließ. Wohl sei er „heftig“ gewesen, aber dies sei „an und für 
sich noch kein allzu schlimmes Übel“. Seit 1559 sei Don Carlos 
seinem Vater „als kirchen- und staatsgefahrlich erschienen“. „Der 
Gegensatz des Seins und Wesens zwischen Vater und Sohn“ habe sich 
in der Folge immer weiter verstärk! Die verschiedenen Ungebürlich- 
keiten und Gewalttätigkeiten, die sich Don Carlos angeblich zu Schulden 
kommen ließ, werden wohlwollend als „kleine Ereignisse, die an einem 
großen, mächtigen Hofe im Leben der Prinzen stattzufinden pflegen*^ 
bezeichnet Er spricht geringschätzig von „Anekdoten, die über den 
Prinzen verbreitet und von den geschäftigen Zungen diplomatischer 
Neuigkeitskrämer an ihre Höfe berichtet worden sind“. Er sagt wohl 
einmal, der Prinz habe „wenig geistige Fähigkeiten gezeigt“ (wo hätte 
er auch dazu Gelegenheit gehabt?), er nennt ihn „eigensinnig und 
heftig“, „unordentlich und liederlich“; aber daß er ein Idiot gewesen 
sei, davon findet sich kein Wort Im Gegenteil, er stimmt mit Gachard 
dahin überein, daß das Testament, das nach dem verhängnisvollen 
Sturze abgefaßt wurde, „sehr viel gesunden Sinn und Verstand“ zeige. 

In ganz anderer Gestalt tritt uns Don Carlos im zweiten Aufsatze, 
der fünf Jahre später erschien, entgegen 8 ). Maurenbrecher spricht da 
gleich eingangs von einer „elenden Sache“ und einer „unwürdigen 
Person“ und meint dann verächtlich: Selten seien die Sympathien an 
eine „unwürdigere und unbedeutendere Persönlichkeit“ verschwendet 
worden. Hatte er im ersten Aufsatz von dem „blassen Jüngling* ge¬ 
sprochen. der das Mitleid und die Teilnahme der Königin angeregt 
habe, so ist er jetzt ein „blasser Knabe*, unfähig „der Rivale* seines 
Vaters zu sein. Sie, die französische Königstochter, interessierte sich 
nur deshalb f&r ihn, um ihn als Schwager (für ihre Schwester) zu ge¬ 
winnen. Don Carlos erscheint nun auf einmal als „verworren und 
unklar in seinen Reden“, schließlich sogar ausdrücklich als „verrückt*. 
„Wird man sich wundem*, erklärt er, „wenn ein solcher Prinz viel¬ 
leicht halb für verrückt halb für kirchen- und staatsgefährlich ange- 


*) Hißtor. Zeitschr. 11, (1864). 

*) Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vortrüge, IV, 90. 1869. 



Z*jz IX« GkrV*-Frss«- 


-ko 


sehen wurde? Ich denke doch, sein Wesen ist wirklich eine Mischung 
aas diesen beiden Elementen A . 

Zweifellos gehen die beiden Studien über Don Carlas in der Be¬ 
urteilung desselben sehr stark auseinander, und so konnte ein scharfer, 
aber geistvoller Rezensent behaupten, sie verhielten sich in einander, 
„wie die Produkte zweier ganz verschiedener Verfasser, eines II L und 
eines M IL* 1 l Hatte Maurenbrecher etwa in der Zeit zwischen der 
Veröffentlichung des ersten und des zweiten Aufsatzes neues Material 
gefunden? Dies war nicht der FalL Dagegen fand er einige Jahre 
später jenes schon besprochene Aktenstück» welches der Verrücktheit des 
Infanten auf Grund der amtlichen Erklärung Herzog Albas eine be¬ 
stimmtere Grundlage gab, die aber, wie wir hörten, zecht zweifelhafter 
Natur ist Nur in einem Punkte, und zwar gerade in jenem, der uns 
hier am meisten interessiert, ist sich Maurenbrecher auch in seinem 
dritten Aufsätze, den er nach dieser Entdeckung veröffentlichte -X treu 
geblieben: er wagte auch jetzt nicht, über die näheren Ursachen und 
den Verlauf der Katastrophe auch nur „eine Vermutung* auszu¬ 
sprechen *). Die Gesandten, meinte er sehr treffend, konnten ihre Mit¬ 
teilungen aus dem spanischen Kabinette geschöpft und dieses wieder 
konnte die ganze öffentliche Meinung „in seinem Sinne beeinflußt und 
getrübt* haben 

Mit dieser Feststellung, die auch Chroust am Schlüsse seines Auf¬ 
satzes andeutet, kommen wir zur Kernfrage, mit welcher Büdingers 
ganzer mühsam aofgebaute Indizienbeweis steht und fallt: Ist das 
Zeugnis des königlichen Vaters wirklich beweiskräftig? Jedermann, 
der mit der Geschichte Philipps IL einigermaßen vertraut ist, muß 
leider dem Urteil Gachards beistimmen, der dem König ausdrücklich 
die „Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit* abspricht und es für „voll¬ 
kommen richtig* halt, daß der venetianische Gesandte Vendiamino ihn 
als „Vater der Verstellung* (padre delle simulationi), „von Arglist er¬ 
füllt* (pieno di artificio) bezeichnet Gachard zitiert eine Äußerung 
des langjährigen Botschafters der französischen Krone am spanischen 
Hofe, Fourquevaux: Des Königs Grundsatz sei gewesen, „dann offen 
zu sagen, was er thun werde, wenn es seine Absicht war, es nicht zu 
tun* 4 ). Mit Bezug auf die offiziellen Erklärungen des Königs, denen 
Büdinger den Charakter der allerauthentischesten Quelle gab, erklärt 

*) Schmidt in der'Jenaer Literaturzeitnng 1874, Nr. 62. Beil., S. 6. 

*) Bon Carlos (Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge), 
2. Auflage. 1876. 

*) 8. 36. 

«) A. a. 0. 8. 264. 




er: Niemand werde glauben wollen, daß sie der Ausdruck der reinen 
Wahrheit seien. Philipp habe zu viel Interesse daran gehabt, daß an 
die Exzesse und Unordnungen seines Sohnes geglaubt werde, um sie 
nicht zu übertreiben, sofern er sie nicht erfand*). Auf Philipp IL 
darf füglich das Wort des großen Spötters Talleyrand angewandt wer¬ 
den, der meinte, Gott habe dem Menschen die Sprache gegeben, damit 
er seine Gedanken — verberge. Was soll man von einem Fürsten sagen, 
der wenige Tage, nachdem die schärfste Bestrafung der niederländischen 
Aufrührer und Ketzer beschlossen worden war 2 ), der Statthalterin der 
Niederlande versicherte, es sei nicht seine Absicht, schroff und hart 
aufzutreten, vielmehr werde er als „ein guter und milder“ Herrscher 
Vorgehen? 8 ) Auf das Beispiel des unglücklichen Abgesandten der 
Niederlande, Herrn von Montigny, der in Simancas stranguliert wurde, 
trotzdem man dann wiederholt amtlich erklärte, er sei eines natürlichen 
Todes gestorben, ist schon hingewiesen worden. Übrigens wundert es 
mich, daß Büdinger so felsenfest auf die Glaubwürdigkeit jener könig¬ 
lichen Bechtfertigungsschreiben vertraut, da doch vom Standpunkt 
seiner wissenschaftlichen Überzeugung Philipp zweifellos eine Un¬ 
wahrheit gesagt hatte. Der König erklärte da nämlich „auf das ent¬ 
schiedenste“, daß die Gerüchte über eine „Bebellion“ u. dgL grundlos 
seien 4 ). 

Aber wenn man auch, so wird man vielleicht entgegnen, dem 
spanischen Kabinette jede Unwahrheit und Heuchelei Zutrauen dar£ so 
wird der König doch nicht in den Verdacht kommen können, seinen 
eigenen, einzigen Sohn aus der Welt geschafft zu haben? 6 ) Gewiß, 
bäumt sich in uns Nachgeborenen, die wir durch das Zeitalter 
der Humanität hindurchgegangen sind, unser Innerstes gegen diesen 
Vorwurf auf. Aber wie einmal die Dinge liegen, ist Philipp II. von 

‘) Ebenda, S. 603. 

*) Beschluß vom 29. Oktober 1566. Vgl. Büdinger, S. 12. 

*) König Philipp H. an Margareta von Parma, 1566 November 27 (Reiffen- 
berg, Correspondance de Marguerite d’ Autriche avec Philipp H., S. 206 lg.). Dem 
Botschafter am Kaiserhofe versichert der König, er werde seine »Milde« walten 
lassen; König Philipp 11. an Chantonnay, 1567 Jänner 3 (Colecciön de docu- 
mentes in&iitos 101, S. 140 fg.). Wenige Monate später schreibt er demselben 
Botschafter, er möge den Kaiser, der neuerdings interveniert hatte, beruhigen, 
»tengo por cierto, que el mundo todo quedarä satisfecho de lo que se hace«. 
(Ebenda, S. 221 fg.). 

“) Büdinger, S. 223 f. 

*) E. Mareks sagt in seinem Aufsatz über Philipp II. (Deutsche Bücherei 88, 
S. 66): »Es war sein einziger Sohn, den der damals 41jährige Philipp II. damit 
verlor; es ist eine Thorheit, zu glauben, der König würde ihn hingegeben haben 
ohne Not«. Dies wird heute niemand bestreiten. Aber worin lag die »Not»? 



Die Don Carlos-Frage. 


4()7 


vornherein alles, also auch das zuzumuten. Es ist bekannt, daß der 
große Schweiger Wilhelm von Oranien im Jahre 1581 gegen den König 
offen die Anklage des Vatermordes erhob. Ja, er behauptete noch 
mehr: Philipp habe auch die Königin aus dem Wege geräumt, um 
seine Nichte, die Verlobte des Infanten, heiraten zu können. Der 
Oranier berief sich dabei auf die Tatsache, daß man am französischen 
Königshofe darum wisse 1 ). Banke hielt diese Anklage eines aner¬ 
kannten Todfeindes des spanischen Königs für unglaubwürdig, doch 
billigte er dem Oranier, „der die Achtung und die Bewunderung der 
Nachwelt erworben hat“, den guten Glauben zu 2 ). Aber fallt es uns 
nicht auch schwer, anzunehmen, daß ein deutscher Fürst vom Schlage 
eines Oraniers, ohne ausgiebige Beweise in der Hand zu haben, jene 
furchtbare Anklage dem König ins Gesicht schleuderte? Banke machte 
es sich bei deren Widerlegung sehr leicht Er fragt: War die Erz¬ 
herzogin Anna so schön, brachte sie dem König politische Vorteile, 
daß er um ihretwillen den Mord der „Friedenskönigin“ und seines 
Sohnes zu begehen versucht war? Das gewiß nicht, aber, so könnte 
man einwenden, vielleicht brachte sie ihm den gewünschten Erben, 
den ihm die Königin ebenso wie die verstorbene Maria von England 
versagt hatte. Der König hatte es jedenfalls mit der Wahl einer Nach¬ 
folgerin sehr eilig. Am 3. Oktober 1568, kaum drei Monate nach Don 
Carlos, war die Königin gestorben, und schon am nächsten Tage konnte 
der Sekretär Philipps dem Herzog Albrecht von Bayern melden; „Man 
versihet sich, es solle Ir. M*. in weilend ires suns . . „ hiebe treten 
und sich mit der Kais. M* ältesten fräulein vermeheln“ ®). Ich be¬ 
zweifle, ob diese Eilfertigkeit des sonst in seinen Entschlüssen so lang¬ 
samen Königs ein besonders gutes Licht auf den „Gemütsmenschen“ 
Philipp, wie wir ihn aus Büdingers Darstellung kennen lernten, auf 
den zärtlichen Ehemann, als den ihn Banke schildert, zu tirerfen in der 
Lage ist Noch widerlicher aber wird es uns berühren müssen, wenn 
wir aus einem Schreiben des Kaisers erfahren, daß Philipp noch zu 
Lebzeiten der Königin in einer kaum mehr verblümt zu nennenden 
Weise durch seinen Botschafter um die Hand der Erzherzogin Anna 


*) Dies dürfte stimmen. Der florentinische Botschafter am französ. Königs¬ 
hofe, Petrucci, meldete seiner Regierung, die Königin-Mutter fange an zu glauben, 
daß ihre Tochter vergiftet wurde. Vgl. Desjardins, NSgociations de la France avec 
la Toscane, 3, S. 659. 

*) A. a. 0. 8. 455. 

•) Pfintzing an Herzog Albrecht v. Bayern, 1568 Oktober 4 (München, Geh. 
-Staatsarchiv, K. schw. 286/1 fol. 94. 



468 


Viktor Bibi. 


aiihielt 1 ). Wenn der König wirklich, wie der französische Botschafter 
berichtete, nach dem Tode seiner Gemahlin „dicke Thränen* vergoß, 
so beweist dies vielleicht nnr, daß er sich gut verstellen konnte. Die 
Todeskrankheit der jungen Königin war jedenfalls von ganz eigen¬ 
artigen Umstanden begleitet und auch am Wiener Hofe Hefen allerlei 
Gerüchte um 2 ). Den üblen Eindruck über den Tod faßte der Vize¬ 
kanzler des Kaisers in das kurze, aber vielsagende Wort zusammen: 
„vix caret suspitione“ 8 ). 

Diese kleine Abschweifung erschien mir nötig, um zu zeigen, daß 
die Zeitgenossen dem spanischen König alles zutrauten. Übrigens hat 
PhiHpp II. selbst wiederholt auf das bündigste — und das dürfte ein¬ 
mal wirkhch aus dem Herzen gesprochen worden sein — erklärt, daß 
er keinen Anstand nehme, seinen eigenen Sohn zu opfern, wenn dies 
der Dieust Gottes — das ist also vom spanischen Standpunkte aus gleich¬ 
bedeutend mit dem Staatsinteresse — erforderte 4 ). Dies führt uns mm 
zur Frage des politisch-reHgiösen Gegensatzes zwischen König und 
Thronfolger. Wir wissen bereits, daß Büdinger einen solchen Wider¬ 
streit der Grundsätze rundwegs in Abrede stellte. 

Es ist bekannt, daß sofort nach der Verhaftung des Infanten das 
Gerücht aufflatterte, sie sei wegen seiner Hinneigung zur neuen Lehre 
erfolgt, und diese Annahme, die immer mehr an Boden gewann, fand 
schHeßhch ihren Weg in die Literatur 6 ). Maurenbrecher hat die Mög¬ 
lichkeit solcher akatholischen Empfindungen nicht bestritten und aus 
der Zeit der ersten Jugend des Infanten einige recht beachtenswerte 
Quellenbelege zusammengestellt. Im Jahre 1558 — der Prinz war da¬ 
mals 14 Jahre alt — schrieb dessen Erzieher Honorato Juan, ein Ge¬ 
lehrter von großem Rufe, dem in den Niederlanden weilenden König 
einen recht weinerlichen Brief, worin er das für einen Pädagogen immer 
sehr peinliche Einbekenntnis machte, daß alle seine Versuche, den 
Unterricht zu fordern, nicht das gewünschte Resultat gehabt hätten und 
eine Änderung vielleicht erst dann zu erwarten wäre, wenn der König. 

i) Maxim ilian II. an* Dietrich stein, 1568 Oktober 12 (Nikolsburg, Archiv 
Dietrichstein Eigb. Orig.). Es ist also unrichtig, wenn M. Ritter (Deutsche Geschichte 
im Zeitalter der Gegenreformation etc. 1, S. 402) von dem Kaiser sagt, dieser habe 
»mit einer fast unanständigen Eile« seinen Gesandten beauftragt, dem König 
Philipp seine Tochter »anzubieten«. 

*) Bericht des Gesandten von Ferrara aus Wien vom 11. November 1568 
(Modena, Archivio di stato, Dispacci, Germania). 

>) Goetz, Briefe und Akten zur Geschichte des 16. Jahrh., 6, 8. 420, Anrn. 3. 

*) Vgl. Büdinger, S. 99 fg. 

*) Z. B. Adolfo de Castro, Historia de los protestantes espanoles y de su 
persecucion por Felipe II. 1851. 



Die Don Carlos-Frage. 


469 


nach Spanien zurückgekehrt, persönlich die Sache in die Hand nähme r ). 
Es ist klar, daß die Anwesenheit des Königs nicht etwa deshalb er¬ 
sehnt wurde, um den Unterricht in der lateinischen Grammatik zu 
überwachen; wenn von Unterricht und Erziehung am spanischen Hofe 
des 16. Jahrhunderts die Bede ist, denkt man unwillkürlich zunächst 
an die Beligion. Der König weist darauf den Hofmeister des Prinzen 
Don Garcia de Toledo an, sorgsam auf diejenigen Acht zu haben, mit 
welchen Don Carlos verkehre und die ihn von den Studien abziehen 
könnten *). 

Diese Nachricht, die so mit einem Male das Dunkel der Jugend¬ 
geschichte des Don Carlos erhellt, gibt umsomehr zu denken, als ge¬ 
rade damals (15&9) in Valladolid, der Besidenz des Infanten, weitver¬ 
breitete protestantische Gemeinden aufgedeckt wurden. Um dieselbe 
Zeit stand Philipp in Unterhandlungen mit dem Papste, um die 
kirchlichen Verhältnisse in den Niederlanden zu regeln. Da finden 
wir nun — fünf Monate nach dem Notschrei des Erziehers — auf 
einer Weisung des Königs für seinen Gesandten in Born die ge¬ 
wiß inhaltsschweren Worte an den Band gesetzt: »Vielleicht wird 
der Prinz mein Sohn nicht mehr dieselbe Sorgfalt dafür hegen, die ich 
dafür trage“ 3 ). Im Mai 1559 fand in Valladolid unter großem Schau¬ 
gepränge ein Autodafe statt, welches volle zwölf Standen wahrte, wobei 
auch der Prinz anwesend war, der einen feierlichen Schwur leisten 
mußte, stets dem wahren katholischen Glauben anzugehören und der 
Inquisition zu dienen. Im Oktober desselben Jahres findet dann zu 
Ehren des nach Spanien zurückgekehrten Königs ein neues Autodafe 
statt, wobei drei Personen aus den höchsten Adelsfamilien des Landes 
lebendig verbrannt und neun andere erdrosselt wurden, und da ereig¬ 
nete sich eine Szene, die oft besprochen worden ist Als ein Herr 
von Sessa an der königlichen Tribüne vorbeigeführt winde und dem 
König die Worte zurief: »Wie können Sie als ein so hoher Edelmann 
gestatten, daß man mich den Flammen 4 ) überliefert?“, antwortete ihm 
der König eisig und gelassen: »Wäre mein Sohn ein solcher Frevler 
wie Du, ich würde selbst das Holz herbeitragen, um ihn zu ver¬ 
brennen“ 6 ). Wiederum wohnte der Infant diesem grausigen Schauspiel 

*) Abgedruckt bei Gachard, S. 37 ; vgl. Maurenbrecher in der Histor. Zeit- 
aclir. 11, S. 284. 

*) Vgl. Gachard, 8. 28 ; Maurenbrecher, a. a. 0., S. 285. 

f ) Vgl. Maurenbrecher, a. a. 0., S. 286 f. 

4 ) In Spanien war für Standespersonen die Enthauptung die einzig zulässige 
Form der Todesstrafe. Vgl. Chroust, a. a. 0., S. 493. 

*) Vgl. Maurenbrecher, a. a. 0., S. 286. 


Uittcilunzen XXXVI. 


31 



470 


Viktor Bibi. 


bei, das offenbar darauf berechnet war, seinen Glauben zu bestärken, 
aber vielleicht, wenn derselbe schon erschüttert gewesen sein sollte, 
eher abschreckend wirkte. 

Nun hören wir mehrere Jahre nichts. Erst aus dem Anfänge de* 
Jahres 1566 besitzen wir wieder eine bemerkenswerte Spur: es ist ein 
Schreiben des früher genannten Honorato Juan an Don Carlos selbst 
Der geistliche Herr erinnert darin an seihe wiederholten früheren 
Vorstellungen. Man müsse, so fahrt er fort, an erster Stelle die Gebote 
Gottes achten und befolgen, nicht nur innerlich, sondern auch äußer¬ 
lich, da der Prinz allen ein gutes Beispiel zu geben verpflichtet sei. Demnach 
habe er der Messe und allen anderen gottesdienstlichen Handlungen 
mit Aufmerksamkeit und Andacht zu folgen, die Angelegenheiten der 
Kirche und ihrer Diener zu achten und namentlich auch die Sache des 
heiligen Offizes (Inquisition) durchaus als die seinige zu betrachten; denn 
dies sei dermalen eine unerläßliche Notwendigkeit nicht nur in Bezug 
auf den Dienst Gottes, sondern auch auf den königlichen Stand, auf 
die Buhe dieser Königreiche und ihre gute Verwaltung l ). Dieser Brief 
gibt uns doch gewiß einen deutlichen Fingerzeig, daß in der religiösen 
Haltung des Infanten irgend etwas nicht ganz in Ordnung war. In 
die etwas dunklen Andeutungen des früheren an den König gerichteten 
Briefes kommt durch ihn die gewünschte Klarheit. Wir werden daraus 
noch nicht schließen können, daß Don Carlos schon im Verdachte stand, 
Protestant zu sein, aber daß er zum mindesten als lauer Katholik galt 
— eine Tatsache, die freilich schon genügte, mit der Inquisition in 
nähere Berührung zu kommen. 

Eine noch deutlichere Sprache führt aber ein Brief des Dr. Heman 
Suarez, eines freundschaftlichen Beraters des Infanten, vom 18. März 
1567. „Was wird die Welt dazu sagen«, klagt er da, „wenn sie er¬ 
fahrt, daß Eure Hoheit gar nicht beichtet und sich noch an¬ 
derer schrecklicher Dinge (otras cosas terribles) schuldig macht, 
die bei jedem andern Anlaß geben würden zu einer Untersuchung von 
Seite des heiligen Offiziums, ob derselbe ein Christ sei oder nicht!« 


l ) 1566 Jänner 10. Abgedruckt bei Gachard, 8. 277. Schmidt (S. 276) hat 
die französische Übersetzung Gachards »aussi bien intlrieurement qu 1 ext6rieure- 
ment« richtig gestellt. Es ist das der typische Ausdrnck für den kirchlichen 
Standpunkt Philipps U. t daß es nicht genüge, iin die katholiche Kirche zu glauben, 
sondern daß man auch diesen Glauben nach außen hin betätigen müsse. Ganz in 
derselben Weise wurde auch Kaiser Maximilian IL, der bereits im Rufe der Hin¬ 
neigung zur neuen Lehre stand, vom König ermahnt. Vgl. Philipp an Kaiserin, 
1569 März 12 (Colecciön de documentos inöditos, 103, S. 166 f.); Philipp an Maxi¬ 
milian, 1670 Februar 5 (Ebenda, S. 428). 



Die Don Carlos-Frage. 


471 


Er hält dem Prinzen seine feindlichen Äußerungen gegen den Vater 
vor und ermahnt ihn, sich zu einem besseren Leben zu bekehren. Eine 
Auflehnung gegen den Vater, sagt er weiters, ohne die Mittel zu einer 
solchen zu besitzen, sei aussichtslos und tollkühn und gebe den Feinden 
des Infanten, deren Zahl von Tag zu Tag wachse, Grund zu sagen, 
das sei »Verrücktheit und Verstandesschwäche 41 . Don Carlos 
spiele geradezu mit seiner ganzen Stellung 1 ). 

Gachard gestand, daß er nicht wisse, was unter den »schreck¬ 
licheren 8 Dingen, deren sich der Infant schuldig gemacht hatte, zu 
verstehen sei. Büdinger, völlig beherrscht von dem Krankheitsbild des 
.Schwachsinnes, denkt an sexuelle Verirrungen: »Man sollte meinen: 
unnatürliche Sünden! 8 *) Nun, diese Auslegung ist gewiß nicht richtig. 
Denn solche geheime Sünden würden den Infanten ebensowenig mit 
der heiligen Inquisition in Konflikt gebracht haben, wie die offenen 
seines königlichen Vaters. Weit eher könnte man daran denken, daß 
der Prinz, dem bisher nur seine Lauheit im Bekenntnisse der alten 
Kirche vorgeworfen werden konnte, die Linie, die ihn vom Protestan¬ 
tismus trennte, bereits überschritten hatte. Der ganze Brief mit seinen 
eindringlichen Ermahnungen macht jedenfalls nicht den Eindruck, daß 
der Berater und Freund des Infanten, mit dessen Natur er doch ver¬ 
traut gewesen sein mußte, Don Carlos für schwachsinnig hielt; so redet 
man gewiß nicht einem Idioten oder Irrsinnigen ins Gewissen. Er sagt 
nur, wenn er es so weitertreibe, werden seine Gegner, deren er ohnehin 
schon genug habe, ihn für verrückt und verstandesschwach ausgeben. 
Diese letzten Worte verdienen im Hinblicke auf die bei Hofe über Don 
Carlos verbreiteten Erzählungen, die dann von den Gesandten weiter 
gemeldet wurden und von Büdinger vollinhaltlich geglaubt werden, 
entschieden unterstrichen zu werden. 

Wir haben indes auch aus der Zeit, da der Prinz bereits hinter 
Schloß und Siegel saß, eine ganze Beihe von Zeugnissen, die uns den 

*) Vgl. Gachard, 8. 399 f. 

*) Vgl. Büdinger, 8. 179. Ich verweise zur Beleuchtung von Büdingers 
Methode noch auf ein anderes Beispiel. In dem Rundschreiben, das Philipp nach 
dem Tode des Infanten ausgab, wendet er sich gegen den Vorwurf, er hatte seine 
Exzesse angehen lassen. Allein hätte er, erklärt er da, Zwang angewendet, so 
würde Don Carlos sich gewissen »anderen Dingen« hingegeben haben, welche ge¬ 
fährlicher für sein Leben und was schlimmer, für seine Seele (!) gewesen wären. 
Büdinger (8. 267) erinnert hier den Leser, daß dem Prinzen die Gefühle für Dezenz 
und Sauberkeit abhanden gekommen waren. Es handelt sich da aber, wie dies 
ein Vergleich mit der Depesche des päpstlichen Nuntius vom 27. Juli 1568 (Gachard, 
S. 696) ergibt, um den — Beichtvater, den der Prinz, ebenso wie den Arzt zurück - 
gewiesen hätte, wenn man gegen ihn mit Gewalt vorgegangen wäre. 


31* 



472 


Viktor Bibi. 


Gedanken nahe legen, daß es sich um einen grundsätzlichen Gegen¬ 
satz, um Gründe religiös-politischer Natur handelte, die zur Katastrophe 
führten. Wenige Tage nach der Verhaftung berichtete der päpstliche 
Nuntius in Madrid auf Grund von Informationen, die ihm der Gro߬ 
inquisitor Kardinal Espinosa in des Königs Aufträge gegeben hatte, 
nach Born: Die Einschließung sei lediglich im Interesse des Dienstes 
Gottes, der Erhaltung der Keligion und seiner Königreiche erfolgt. Auf 
eine Bemerkung des Nuntius, daß man sich erzähle, der Prinz wollte 
seinen Vater ermorden, erwiderte der Kardinal: Das wäre das Geringste, 
denn dem hätte man yorbeugen können, aber es sei etwas „ Schlimmeres, 
wenn Schlimmeres sein könne», dem der König schon seit zwei Jahren 
abzuhelfen gesucht habe x ). Vielleicht besagt dieses Zeugnis nichts, 
weil man dabei an den « Aufruf zur Empörung* in den Niederlanden 
denken kann, den der Infant in der «Ziellosigkeit seines Schwach¬ 
sinnes“ ergehen ließ. Wir wissen aber aus einem Schreiben des Kar¬ 
dinals Delfino, daß der Papst große Besorgnisse wegen der kirchlichen 
Haltung des Infanten hegte. Als man ihm erzählt hatte, daß vom 
König gegen den Prinzen der Vorwurf der Ketzerei erhoben wurde, 
rief er mit zum Himmel gerichteten Händen und Augen aus: «0 Gott! 
0 Gott! . . . nur zu viel Grund ist zu zweifeln, weil man Uns hat 
vernehmen lassen, daß dieser Jüngling keine Bücksicht weder auf 
Priester noch auf Mönche genommen hat und keiner kirchlichen Würde 
Achtung bewies“ *). Wenn es sich nur um die «Nachrichten aus Lyon“ 
gehandelt hätte, deren Verlesung dem Papste diesen Schmerzensruf ent¬ 
lockte, so würde man ohne weiteres an einen von den Protestanten 
ausgegangenen böswilligen Klatsch glauben können. Aber aus den 
Worten des Papstes kann man doch den Schluß ziehen, daß er ähn¬ 
liches schon früher und offenbar von autoritativer Seite erfahren hatte. 

Halten wir uns alle diese schließlich auch «bezeugten* Ansichten 
von beteiligten Personen vor Augen, so verstehen wir es, wenn Mauren¬ 
brecher die Möglichkeit eines religiösen Gegensatzes zwischen Vater und 
Sohn zugibt. Büdinger jedoch lehnt diesen Erklärungsgrund als «außer- 

i) Erzbischof von Roesano an Kardinal Alessandrino, 1568 Jänner 24. Vgl. 
Gachard, S. 509, 663 f.; dazu Büdinger, S. 204 f. Zehn Tage später berichtet der¬ 
selbe Nuntius, wieder nach einer Unterredung mit Espinosa: Der König habe gegen 
den Infanten einschreiten müssen, weil sonst, die Religion gefährdet gewesen wäre. 
Schreiben an Kardinal Alessandrino, 1568 Februar 4. Vgl. Gachard, S. 665. 

*) »Sua S* alzö le raani et gl’occhi al cielo esclamando: »0 Dio, o Dio!«, 
et soggionse: »pur troppo b da dubitore, percliö a noi b stato fatto intendere, qne 
questo giovane non teneva conto n& di preti ne di frati et non faceva stima 
d’alcuna dignitä ecclesiastica«. Delfino an Maximilian II., 1568 März 6. YgL Bü¬ 
dinger, S. 108, Anm. 2, und 207. 



Die Don Carlos-Frage. 


473 


halb ernstlicher kritischer Erwägung stehend“ l ) ab. Da Büdinger in 
anderen Belangen, wie in der Frage des Schwachsinnes und der Be¬ 
ziehungen der Königin zu Don Carlos, Maurenbrecher unbedingte Ge¬ 
folgschaft leistet, so muß man annehmen, daß er für seine so brüske 
Behauptung genügende Beweise hat Dazu gehört einmal jenes Testa¬ 
ment, das der Infant im Mai 1564 unterzeichnet hatte. Büdinger findet 
darin eine Beihe von Bestimmungen, die nur ein auf dem Boden der 
katholischen Kirche stehender getroffen haben konnte, wie z. B. die An¬ 
regung zur Heiligsprechung des Mönches Diego, dessen wunderkräftige 
Gebeine, wie wir schon hörten, die Heilung des Infanten von den 
Folgen seines Sturzes verursacht haben sollen. Büdinger will gerade 
bei dieser Stelle „Ergüsse eines religiös erregten Gemütes“ bemerkt 
haben, die nicht „den geringsten Zweifel über die vollkommene katho¬ 
lische Rechtgläubigkeit “ des Kronprinzen zuließen. Er tadelt deshalb 
Maurenbrecher, der im Testamente nur die bei solchen Gelegenheiten 
hergebrachten Äußerungen katholischer Frömmigkeit erkannte 2 ). 

Es sei hier zunächst festgestellt, daß Büdinger bei der Beurteilung 
des Testamentes mit zweierlei Maßen mißt Weil gerade dieses Doku¬ 
ment von Gachard als ein glänzendes Zeugnis des Verstandes und 
Gemütes des Don Carlos aufgefaßt wurde 8 ), findet Büdinger, daß ein 
»Teil dieser Lobsprüche“ dem „feinsinnigen“ Doktor Suarez zuzu¬ 
schreiben sei. Warum sollten, so darf man füglich fragen, jene Ergüsse 
eines gläubigen Gemütes ebenso wie alle jenen Bestimmungen, die 
Büdinger als Ausflüsse seiner „spezifisch, spanischen, um nicht zu sagen 
castilisch gearteten Glaubensempfindung“ bezeichnet, nicht auch von 
Suarez herrühren — gar wenn dessen jüngerer Freund „schwachsinnig“ 
war? Der Nachweis einer echt spanischen Geistesrichtung wird kaum 
zu erbringen sein. Wenn der Infant in diesem Testamente einem 
jungen Mädchen 1000 Dukaten aussetzt, für den Fall als es sich dem 
Klosterleben widmen, 3000 aber, wenn es heiraten würde 4 ), so verrät 
diese Bestimmung eher den Geist der Aufklärung. Er scheint also 
schon damals freieren Anschauungen gehuldigt zu haben und man kann 
sich ganz gut vorstellen, daß der Prinz, der sich aus Pietät für die 
Heiligsprechung eines Mönches einsetzte, den Standpunkt vertrat, es 
sei mit dem von Christus gepredigten Evangelium der Liebe unverein¬ 
bar, Andersgläubige zu Tausenden unter den entsetzlichsten Todesqualen 
ins Jenseits zu befördern. Aber selbst wenn wir wirklich in dem 

i) Büdinger, S. 114. 

*) Ebenda, S. 116 fg. 

*) Vgl. Gachard, S. 142. Auch von Maurenbrecher; vgl. oben S. 464. 

4 ) Vgl. Schmidt, S. 289. 



474 


Viktor Bibi. 


Testamente einen unwiderleglichen Beweis seiner tadellosen kirchlichen 
Haltung zu sehen hätten, kann nicht der lebhafte Jüngling seine reli¬ 
giös kirchlichen Anschauungen seit dem Mai 1564 geändert haben? 

Im Jahre 1565 beginnt in Flandern die große Freiheitsbewegung. 
Abgesandte der Niederlande, zuerst Egmont. dann Montigny und Bergen 
erschienen am spanischen Königshofe, um den König zur Milderung 
der harten Ketzeredikte zu bewegen. Gewiß werden sie auch mit dem 
Thronfolger in Fühlung getreten sein und ihn für das Schicksal ihres 
Landes zu interessieren gesucht haben 1 ). Für Don Carlos eröffnete 
sich so die Aussicht, endlich den schon lange erhofften Wirkungskreis 
zu finden. Der vorhin genannte Nuntius erwähnte ja in seinem nach 
der Verhaftung erfolgten Berichte vom 24. Jänner 1568, daß der Vater 
seit „zwei* Jahren sich bemühe, den Prinzen auf den richtigen Weg 
zu führen 2 ). Wäre es da so undenkbar, daß der unzufriedene, jahrelang 
drangsalierte Prinz schon aus politischer Opposition sich mit der neuen 
Lehre befreundete? Vom Kaiser Maximilian II. wenigstens ist be¬ 
hauptet worden, daß seine evangelische Gesinnung solche politische 
Wurzeln habe: die Erbitterung über den Plan Karls V., nach seinem 
Tode die spanischen Habsburger sukzedieren zu lassen, u. dgl. mehr s ). 

Aber Büdinger weist nach, daß Don Carlos als frommer Katholik 
gestorben sei. Nach dessen Tode nämlich wird in Rom ein feierlicher 
Trauergottesdienst gehalten, und zwar, wie der dortige kaiserliche Bot¬ 
schafter bemerkte, in ganz ungewöhnlich feierlicher Form. „Ich denke 6 , 
meint Büdinger, „der in allen dogmatischen Fragen unerschütterlich 
strenge Papst war bei seinem dezidierten Vorgehen mit den Exequien 
für Don Carlos’ Seelenheil hinlänglich über dessen vollkommen katho¬ 
lische Gesinnung unterrichtet, so daß auch die heutigen Zweifler sich 
beruhigen können 6 4 ). Ich muß offen gestehen, daß ich zu diesen 
„Zweiflern 6 gehöre und mich trotz des vollsten Vertrauens in die dog¬ 
matische Strenge des Papstes Pius V. nicht beruhigen kann. Gerade 
die ungewöhnlich feierliche Form des Requiems erscheint mir ver¬ 
dächtig: vielleicht sollte damit ostentativ, vor aller Welt, bezeugt wer¬ 
den, daß das Gerede von der ketzerischen Gesinnung des Infanten 
grundlos sei, oder war es der Ausdruck der Freude darüber, daß der 


*) Der französische Botschafter behauptet dies und erwähnt besonders Mon¬ 
tigny, der später, wie wir wissen, stranguliert wurde. Fourqrevaux an Königin 
Katharina, 1568 Jänner 22 (Douais, D^peches de M. de Fourquevaux, ambassadeur 
du roi Charles IX en Espagne, 1, S. 318). 

*) Siehe oben S. 472. 

•) Zuerst von M. Ritter (a. n. 0., S. 253 f., 263 f.) behauptet. 

4 ) Büdinger, S. 110. 



Die Don Carlos-Frage. 


475 


Abtrünnige vor seinem Tode reuig gebeichtet und kommuniziert hatte, 
somit die Ehre der römischen Kirche gerettet, der Triumph ihrer Feinde 
zu Schanden gemacht wurde? Dabei soll eben angenommen werden, 
daß die vom spanischen Hofe ausgegangene Mitteilung, der Prinz habe 
vor seinem Tode das früher verweigerte *) Abendmahl genommen, den 
Tatsachen entsprach. Mit welchen Mitteln dies erreicht wurde, wissen 
wir nicht; aber man kann vermuten, daß alles versucht wurde, um 
den Trotz des Infanten zu brechen, und in dieser Hinsicht wäre es 
auch vom Standpunkte einer „ voraussetzungslosen“ Forschung von vor- 
neherein durchaus nicht ausgeschlossen, daß man — so vieles auch 
sonst gegen die Annahme einer Enthauptung sprechen mag — zur 
förmlichen Hinrichtung schritt, um den Prinzen angesichts der Ver¬ 
breitungen dazu, durch die Schrecken des nahenden Todes, zur Er¬ 
füllung seiner religiösen Pflichten zu zwingen. 

Aufhdlend ist jedenfalls die häufige und starke Betonung, daß der 
Prinz selbst es war, der im Gefängnisse zu Ostern den Empfang des 
heiligen Abendmahls sehnsüchtigst bgehrte, daß der König es ihm, da 
er ja »verrückt 4 war, nicht geben wollte, mit Rücksicht auf das be¬ 
harrliche Drängen aber schließlich nachgab, worauf er dann gleich 
einem Heiligen den Eintritt des Todes gar nicht mehr erwarten konnte. 
Man sollte doch meinen, daß es bei einem Prinzen aus dem Hause der 
katholischen Könige unter gewöhnlichen Umständen ganz selbstver¬ 
ständlich ist, wenn er mindestens zu Ostern und vor seinem Tode den 
Pflichten eines frommen Christen Genüge leistet, und auch selbst im 
Zustande geistiger Umnachtung der Trieb dazu so mächtig nachwirkt, 
daß er zur Befriedigung drängt. 

Man kann mir einwenden, daß ja Don Carlos zu Weihnachten 
1567, den verschiedenen nach der Katastrophe in die Welt gesetzten 
Berichten zufolge, kurz vor seiner Verhaftung im Hieronymitenkloster 
gebeichtet und auch das heilige Abendmahl begehrt habe, das ihm 
aber verweigert wurde, weil er in der Beichte gestanden hatte, er hege 
gegen „Jemanden* einen Haß. Auf das Hin soll der Infant das Ver¬ 
langen gestellt haben, ihm eine ungeweihte Hostie zu geben, denn er 
legte Wert darauf zur Kommunikation zu erscheinen. Wer sagt uns 
aber, ob diese Erzählung, welche in die Kategorie der nach der Ver¬ 
haftung verbreiteten Legenden gehört, auch wirklich sich zugetragen 
hat? Erinnern wir uns an jenen merkwürdigen Brief des Dr. Suarez 

*) Der päpstliche Nuntius berichtete drei Tage nach dem Ableben des Prinzen, 
derselbe habe anfangs »in seiner Verzweiflung« weder den Beichtvater noch den 
Arzt anhören wollen. Erzbischof von Rossano an Kardinal Alessandrino, 1568 
Juli 27 (Gachaitl, S. 695). 



470 


Viktor Bibi. 


vom Ende März 1507, uns welchem hervorging. daß Don Carlos gar 
keinen besonderen Wert auf Beichte und Kommunion legte *). Vielleicht 
wollte man mit dieser Geschichte die für den Hof gewiß recht pein¬ 
liche Tatsache verschleiern, daß Don Carlos weder beichtete, noch die 
Kommunion nahm, was ja, da letztere öffentlich erfolgte, nicht so 
leicht verheimlicht werden konnte. Die stark an einen Kolportage¬ 
roman mahnende Erzählung wird, wenn sie nicht vom spanischen Ka¬ 
binette selbst ausgegangen ist, jedenfalls dort liebevolle Unterstützung 
gefunden haben 2 ): denn man erfuhr daraus, daß der Infant mit aller 
Gewalt seinen religiösen Verpflichtungen nachzukommen bestrebt war. 

Nebenbei bemerkt folgert Büdinger aus jener Erzählung die Tat¬ 
sache, daß Don Carlos seinen Vater ermorden wollte. Dieser „Jemand-, 
gegen w elchen Don Carlos seinem Geständnis zufolge einen Haß hegte, 
war, wie er dann später verraten haben will, der Vater. Die geschäf¬ 
tige Fama wußte bald näheres: der Haß gegen den Vater erweiterte 
sich zu einer Mordabsicht, und ein Kammerdiener des Prinzen wußte 
diese Entdeckung ins Einzelne zu schildern. Büdinger beruft sich über¬ 
dies auf das Zeugnis des päpstlichen Nuntius, der auf seine Frage, ob 
das w ar sei, vom Kardinal Espinosa die Antwort erhielt: Das wäre das 
Geringste, denn da hätte man sich vorsehen können, es sei aber 
„Schlimmeres“ geschehen 3 ). Aus diesen sehr zweideutigen Worten 
eine Mordabsicht gegen den Vater, die sowohl Ranke wie Mauren¬ 
brecher als nicht erwiesen ansahen, abzuleiten, erscheint mir etwas ge- 
w'agt. Dies umso mehr, als derselbe Nuntius ein paar Tage später, da 
er also schon besser informiert gewesen sein mag, als Gründe der Ein¬ 
schließung neben seiner Verrücktheit die Absicht zu fliehen, sich der 
Armada und der Niederlande zu bemächtigen »und ähnliches* angab, 
von einer Mordabsicht aber nichts erwähnte 4 ). 

Überaus interessant ist übrigens, wie der König bemüht wjut, den 
guten Eindruck, den die Nachricht über die in der Haft erfolgte Oster¬ 
kommunion auslösen mußte, nicht dadurch zu trüben, daß der Prinz 
auch in diesem feierlichen Augenblicke „verrückt* oder „schwachsinnig- 
war. Der Kaiserin schreibt er: Man solle nur ja nicht aus der Ge¬ 
stattung des Abendmahles den Schluß ziehen, daß in dem Prinzen 


*) Siehe oben S. 470. 

*) Auch Dietrichstein berichtet diese Version in seinem unmittelbar nach der 
Katastrophe an die Kaiserin erstatteten Bericht vom 19. Jänne* 1668. Vgl. oben 
S. 455. 

*) Siehe oben S. 472. 

4 ) Erzbischof von Rossano an Kardinal Alexandrino, 1568 Februar 4. Vgl. 
Gachard. S. 665 f. 



Die Don Carlos-Frage. 


477 


„kein Mangel an Urteilskraft“ sei; bei Verrückten gebe es Augenblicke, 
wo der Geist gesunder sei als in anderen“ 1 ). Der Prinz war also auf 
einmal „vernünftig“ geworden, weil er das heilige Abendmahl nahm. 
Auch in anderen Berichten finden wir diese Gleichstellung von „ver¬ 
nünftig“ und „gut katholisch“. Der päpstliche Nuntius z. B. gab in 
seinem nach dem Tode des Infanten nach Rom erstatteten Berichte 
eine Darstellung seines Verhaltens im Gefängnisse. Zuerst wollte er, 
so heißt es da, weder den Beichtvater noch den Arzt zu sich kommen 
lassen, was den König nicht wenig beunruhigte. Dann aber habe ihn 
Gott „erleuchtet“; habe er vorhin recht „unvernünftiges Zeug“ zu¬ 
sammengeredet (eose vane et di poco fondamento), so fing er nun an, 
ernst und klug (gravemente et da huomo prudente) zu sprechen 2 ). In 
ganz gleicher Weise schrieb auch der venetianische Gesandte einige 
Tage später: Der arme Prinz habe vier Tage vor seinem Tode die 
vernünftigsten und christlichsten Worte der Welt („le piü savie e le 
piü cristiane parole del mondo“) gebraucht und es scheine, daß diese 
Vernunft, die ihm im Leben nicht beschieden war, ihm Gott zu seinem 
Abschiede reichlich gegeben habe 8 ). Dagegen berichtete der sächsische 
Geschäftsträger, dem als Protestanten dieser Zusammenhang von „ver¬ 
nünftig“ und „katholisch“ nicht so eingeleuchtet haben mag: Der 
Prinz habe bis zum letzten Augenblicke eine „große Vernunft“ an den 
Tag gelegt und durchaus „vernünftig“ gesprochen 4 ). Daß ein Verrückter 
lichte Momente haben kann, wird die Psychiatrie gewiß bestätigen; 
merkwürdig ist nur, daß sie sich gerade zu Ostern und vor dem Tode 
einstellten, und dazu noch im Gefängnisse, wo der Prinz, wie eine 
Palastperson sehr bezeiclinend sich ausdrückte, wenn er nicht schon 
vorher irrsinnig war, es sicher geworden wäre 5 ). 

Diese zum geflügelten Worte gewordene Äußerung, die schließlich 
geradeso verbürgt erscheint, wie die andern Nachrichten über die Ur¬ 
sachen und den Verlauf der Kronprinzentragödie, finden wir allerdings 
bei Büdinger nicht, der sonderbarer Weise alles für unglaubwürdig 
halt, was mit seiner Auffassung von Philipp, dem gemütstiefen, „be¬ 
kümmerten“ Vater und dem „Schwachsinn“ des Infanten unvereinbar 
ist Der venetianische Gesandte Cavalli nennt es eine „Grausamkeit“ 
(crudelta), daß der König seinen Sohn, trotzdem dieser wiederholt darum 

i) Schreiben des Königs ai Kaiserin Maria vom 19. Mai 1568. Vgl. Büdinger, 
S. 112. 

*) Siehe oben S. 475 Anm. 1. 

*) Cavalli an den Dogen, 1568 Juli 31. Vgl. Vgl. Gachard, S. 700 f. 

4 ) 1568 Juli 26. Vgl. Seidemann im Serapeum vom 15. Mai 1855. 

*) Schmidt, S. 383. 



478 


Viktor Bibi. 


gebeten hatte, nicht ljesuchte, und auch die Königin wie seine Tante 
Johanna daran verhinderte, und er schließt daraus, daß der König etwas 
von „äußerster Wichtigkeit“ gegen ihn haben müsse. Büdinger er¬ 
ledigt diesen uicht unberechtigten Vorwurf kurz mit den Worten: „Wie 
wenig kennen doch diese Zeitgenossen den wahren Sachverhalt!“ 1 ) 
Derselbe Cavalli berichtete auch auf Grund einer Äußerung des Beichtvaters 
des Don Carlos, daß der König schon seit „drei“ Jahren mit dem Ge¬ 
danken der Einschließung umging. Das wäre also ungefähr seit 1565 
gewesen. Büdinger nimmt aber, wie wir wissen, an, daß der König 
schon seit 1561 die Überzeugung vom Schwachsinn seines Sohnes 
hatte; infolgedessen erklärt er die Berichte des venetianischen Gesandten 
.für keineswegs eigentlich wichtig“ und wundert sich über Ranke, der 
auf diese Kategorie von Geschichtsquellen so eingeschworen war. Das 
Vorgehen des Beichtvaters aber, der Büdingers ganzes Konzept störte 
— denn wenn es erwiesen ist, daß der König seinen Sohn schon vor 
drei Jahren einsperren wollte, wo blieben dann die Absicht des Vater¬ 
mordes und der Aufruf zur Empörung als unmittelbare Ursachen der Ein¬ 
ziehung? — nennt er eine „kaum entschuldbare Indiskretion“ a ). Auch 
die Berichte des französischen Botschafters, der wieder durch Ruy Gornez 
erfahren hatte, daß der König schon seit „drei“ Jahren von dem 
Geisteszustand seines Sohnes unterrichtet war, der auch nichts von 
einem beabsichtigten Attentat auf den Vater zu berichten wußte, nennt 
Büdinger „keineswegs aufschlußreich“ *). 

Büdinger, immer beherrscht von der Vorstellung des Schwachsinns, 
nimmt auch Änderungen der Texte vor. Hier nur ein Beispiel. Den 
Hergang der Verhaftung schildert ausführlich ein Bericht vom 26. Jänner 
1568, der nach seinem Fundorte der Lissaboner Bericht genannt wird. 
Nach diesem begibt sich der König mit seinem Gefolge um Mitternacht 
in die Wohnung des Infanten. Dieser fahrt — er war schon einge¬ 
schlafen — in die Höhe, versichert den König, er sei kein Verrückter, 
sondern ein „Verzweifelnder“, und will Selbstmord begeben, woran er 
aber gehindert wird. Und nun heißt es: der König gab dem Herzog 
von Feria den Degen, welcher über dem Kopfende des Bettes hing, 
und eine Pistole, welche der Infant, als er aufsprang, obwohl er sich 
an sie erinnerte, nicht genommen hatte 4 ). Der Sinn ist klar: Don 
Carlos, der nach dem Verrat seines Fluchtplanes durch seinen Onkel 

i) Vgl. Büdinger S. 306. 

*) Ebenda S. 159. 

•) Ebenda, S. 218. 

4 ) »Did al duque la espada que estuvo a la cabecera, que aunque ae acord<5 
della quando aaltd y de un pistolete, no lo tomd«. Vgl. Gachard, S. 6811*. 



Die Don Carlos Frage. 


479 


Don Juan d’Austria für sein Leben fürchten mußte, mag die Waffen 
bei sich gehabt haben, sowie er ja auch sein Schlafzimmer sorgfältig 
verriegelt hatte, um sich vor einem Überfall zu schützen 1 ). Als er 
nun seinen Vater erblickte, machte er keinen Gebrauch hievon. Büdinger 
aber, der eine solche Mordabsicht gegenüber dem König annimmt, er¬ 
gänzt zu „sich an sie erinnerte“ ein „no“ und nimmt als Subjekt des 
„no lo tomo“ den König. Offenbar von seinem psychiatrischen Kol¬ 
legen beraten, faßte er die Stelle so auf, daß der König, der mit dem 
Leben glücklich davongekommen war, weil sich der Prinz beim Auf¬ 
springen aus dem Bette an seine Pistole „ nicht“ erinnert hatte, dieses 
neventuell zu abscheulichem Zwecke bestimmte Werkzeug“ nicht be¬ 
rühren mochte 2 ). 

Büdingers Buch macht dem herzensguten Menschen, der an keine 
derart grausame Tat eines Vaters und auch an keine Verstellung 
glauben konnte, alle Ehre, aber nicht dem kritischen Forscher. Die 
Auffassung, Philipp II. sei ein gemütsweicher, zartfühlender Mensch, ein 
um das Wohl seines Sohnes zärtlich besorgter Vater und ein liebevoller 
Gatte gewesen, ist gewiß originell, aber auf Grund der uns bis heute 
vorliegenden Zeugnisse unhaltbar. Büdinger beruft sich einmal auf 
eine Äußerung des kaiserlichen Botschafters am spanischen Königshofe, 
die allerdings recht günstig lautete. Dietrichstein spricht da von des 
Königs „sanftmuetikh guetig gemuet und aigenschafft“, dem „alle 
scherf so hoch entgegen“ sei 8 ). Büdinger mißt den Berichten dieses 
Botschafters, der mit einer nahen Verwandten des Königs verheiratet 
war, in innigen Beziehungen zum spanischen Hofe stand und auch in 
religiöser Hinsicht ganz wie Philipp II. dachte, den Charakter »unge¬ 
schminkter Wahrhaftigkeit“ bei. Wer darf überhaupt ein solches Urteil 


4 ) Das Vorhandensein einer Feuerwaffe wird übrigens in einer Quelle, die 
meines Wissens noch nicht bekannt ist, höchstwahrscheinlich aus der kaiserlichen 
Kanzlei stammt (von dem Vizekanzler Zasius?) und anscheinend alles authentische 
über die Ursachen und den Hergang der Katastrophe berichtet, noch auf andere 
Weise erklärt: »Etlieh haben furgeben in der gmain, als het der prinz im furgnomen 
den vattern umbzupringen und zu erschiessen, und dessen seien zwei buxen under 
seim bött gfunden worden; es hat sich aber nit erfunden, dan da er waz der¬ 
gleichen im sinn gehabt, so het ers leichtlich mögen volziechen. Wol hat er mit 
seiner diener wissen 2 buxen alz*it under dem bött gehabt, damit hat er zur 
nacht, weill er gegen der maur ’iinauss glegen, da di hnndt ein groß belln ghabt, 
under si hinauss zum offtermaln und beim tag auch gschossen«. Vgl. »Bericht des 
principe Carlls von Hispania halber« (im Folgenden kurz »Bericht« genannt); 
München, Geh. Staatsarchiv, K. schwarz 286/3, fol. 59. 

*) Vgl. Büdinger, S. 242. 

*) Dietrichstein an Maximilian II., 1568 Jänner 21 (Koch 1, S. 203). 



480 


Viktor Bibi. 


über die Berichte eines Gesandten fällen? Selbst wenn wir annehm es 
wollten, daß er nicht absichtlich, etwa aus Liebedienerei, etwas un¬ 
wahres berichtete, so ist er schließlich ein Mensch, der falsch gesehen 
oder gehört, sich also geirrt haben kann. 

Wie Büdinger den spanischen König aus dem Zeitalter der blutigen 
Kämpfe der Gegenreformation durch die Brille eines gemütstiefen Ge¬ 
lehrten aus dem 19. Jahrhundert betrachtet, so ist er auch nicht in 
den Geist der ganzen Zeit eingedrungen, der es dem Fürsten einfach 
zur Pflicht machte, im Interesse der „Staatsraison“, gar wenn es sich 
um das Höchste, den Dienst Gottes* handelte, auch einen Mord zu be¬ 
gehen 1 ). Daß Philipp nicht davor zurttcksehreckte, das hat — um nur ein 
Beispiel anzuführen — die heimliche Beseitigung des Sekretärs seines 
Halbbruders, Don Escovedo, in dem er den Anstifter der ihm unbe¬ 
quemen ehrgeizigen Pläne Don Juans d’Austria erblickte, bewiesen. 
Daß der König seinem eigenen Geständnisse zufolge auch kein Bedenken 
trug, seinen eigenen Sohn hinzurichten, wenn es das Staatsinteresse 
erforderte, dies hat übrigens Büdinger selbst erwähnt Auch hatte 
sich Büdinger vor allem sagen sollen, daß ein solcher Konflikt zwischen 
König und Kronprinzen öfter in der Weltgeschichte vorgekommen ist 
daß es sich auch hier um den typischen Gegensatz zwischen dem Vater, 
der eifersüchtig über dem ungeschmälerten Besitz seiner Gewalt wacht 
und von der Richtigkeit seiner Grundsätze überzeugt ist und dem 
Thronfolger, der auch seinen Anteil begehrt und, in anderen Anschau¬ 
ungen aufgewachsen, die Schwächen des väterlichen Systems besser 
erkennend, daraus die Berechtigung zur Kritik und zum selbständigen 
Handeln ableitet, drehen könne, man also vorsichtig sein müsse. 

Ein einziger Historiker hat meines Wissens auf diesen tragischen 
Widerstreit von Vater und Sohn in eingehender Weise hingewiesen: 
es ist dies Adolf Schmidt in seinen „Epochen und Katastrophen 
(Berlin, 1874), einem in den weitesten Kreisen unbekannten Buche. 
Mit Unrecht, denn es ist mit Geist und großer Sachkenntnis geschrieben 
und man bekommt sofort den Eindruck, daß der Verfasser, der auch 
über tüchtige philologische Kenntnisse verfügt, durchaus seinen Staff 
beherrscht 2 ). Er war der Nachfolger Droysens in Jena, und Mauren¬ 
brecher, der mit ihm in der Don Carlos-Frage in einen heftigen Konflikt 
geriet, nannte ihn * einen unserer gewiegtesten und verdientesten 
Historiker“ 8 ). Aber er wurde fast vollständig totgeschwiegen. Bö- 

*) »Niemand hat«, bemerkt A. 0. Meyer (England und die kathol. Kirche l, 
8. 227 f.) »den Meuchelmord unbefangener gebraucht als Kg. Philipp H. in seinem 
zu moral insanity ausartenden Fanatismus«. 

*) Vgl. über ihn die Allgemeine Deutsche Biographie 31, S. 703 fg. 

•) Grenzboten 1874, 4, S. 244. 



Die Don Carlos-Frage. 


481 


r r diiiger nennt ihn mit keinem einzigen Worte. Hat er ihn nicht 
gekannt? Dies ist kaum zu glauben, da er seinen Quellenbelegen nach 
Maurenbrechers dritten Aufsatz vom Jahre 1876 gekannt hat, in welchem 
fast ebenso viel von Schmidt wie von Don Carlos die Eede ist, weil 
er sich mit ihm noch einmal kritisch auseinandersetzte. 

Schmidt wirft einleitend die Frage auf, welches Urteil Friedrich 
der Große in der Nachwelt würde erfahren haben, wenn er nach seinem 
vereitelten Fluchtversuche wirklich, wie es der Vater wollte, hingerichtet 
worden wäre. Friedrich „den Großen*, meint er, hätte man ihn kaum 
genannt, wohl aber einen „Narren* oder „Bösewicht*; man hätte nur 
. gewußt, daß er seinem Vater, trotzdem ihn dieser „tausendmal repri- 
^ mandiert*, in eigensinnigem Trotze Ungelegenheiten bereitete und dessen 
ganzes Lebenswerk zu vernichten drohte; er wäre als lächerlicher Mode¬ 
geck oder als toller Wüstling erschienen u. s. w. 

Was wir, führt er sodann aus, von Don Carlos ungünstiges wissen, 
sind meist „absichtlich ausgestreute Hofgerüchte, die für den unbe¬ 
fangenen Forscher den Stempel systematischer Verdächtigung des 
C Infanten an der Stirne tragen“. Philipp hat den prinzipiellen Gegen¬ 
satz zwischen der Bichtung seines Sohnes und der seinigen frühzeitig 
herausgefühlt, ihn zu vernichten beschlossen und durch wiederholte 
systematische Lügen die Mitwelt auf den vorzeitigen Untergang vor¬ 
bereitet Schmidt bezieht sich auf einen Bericht des kaiserlichen Bot¬ 
schafters Dietrichstein vom 29. Juni 1564, daß er, nachdem er den 
Prinzen persönlich gesehen und gesprochen hätte, einen ganz andern 
Eindruck bekommen habe: derselbe hätte ganz vernünftig geredet; 
er glaube, daß man dessen Fehler absichtlich größer mache. Diese 
Fehler seien lediglich auf Versäumnisse seiner Erziehung zurückzuführen, 
dagegen habe er unleugbar große Tugenden: er besitze einen scharfen 
Verstand* (also das Gegenteil von Schwachsinn!), er liebe tapfere, 
kriegerische Leute, sei ein Feind der Unwahrheit und selbst sehr frei 
in seinen Beden. Dietrichstein hatte in einem früheren Bericht (vom 
22. April 1564) sehr ungünstig über ihn geurteilt, aber damals be¬ 
richtete er nur das, was er auf Grund einer „Information* gehört 
hatte. Auch der Beichtvater des Infanten, der ihn doch kennen mußte, 
versicherte nach der Verhaftung: Der Prinz habe Fehler, die wolle er 
nicht leugnen, aber nicht solche der Vernunft, und er hoffe es werde aus 
ihm etwas Großes werden, denn er habe viele hervorragende Eigenschaften* 
Dies wird uus, wie Schmidt nachweist, auch von anderer Seite 
bezeugt. Die Statthalterin der Niederlande, Margareta von Parma 
schreibt in einem Brief vom 26. August 1564: Don Carlos gebe zu 
großen Hoffnungen für die Zukunft Anlaß. Melanchthon erklärte in 



482 


Viktor Bibi. 


seinen geschichtlichen Vorlesungen zu Wittenberg öffentlich: „Von dem 
Enkel Kaiser Karls V. höre ich so wunderbare Dinge erzählen, daß 
ich überzeugt bin, es wird etwas Großes aus ihm - , und nun erwähnte 
er einige charakteristische Züge seiner großmütigen Freigebigkeit 
trotzigen Kühnheit und stürmischen Entschlossenheit (also das gerade 
Gegenteil von König Philipp II.!). Schmidt weist auch auf das Te¬ 
stament des Don Carlos vom Jahre 1564 hin, welches Gachard „das 
kostbarste Denkmal von dem Geist und Charakter des Don Carlos* 
nannte. In dieser Urkunde, welche die „edelsten und großmütigsten 
GefUhle* athmet, tritt der Prinz für die Gründung und Erweiterung der 
Lehrkanzeln ein. Seine Sklaven sollen freigelassen und zu braven 
Menschen, zu Künstlern erzogen werden. Schmidt führt uns auch 
einige Beispiele munifizenter Unterstützungen von wissenschaftlichen 
Werken (z. B. eines von Guicciardini) an und erwähnt den Besitz einer 
reichhaltigen Bibliothek. Der König habe aber seinem Sohne nicht 
getraut, ihm keinen selbständigen Wirkungskreis, nach dem sein ehr¬ 
geiziges Streben zielte, eingeräumt, die Verhandlungen über eine Heirat 
mit Maria Stuart und dann mit einer Kaisertochter unter den nichtigsten 
Vorwänden zum Scheitern gebracht, ihn auf Schritt und Tritt überwacht, 
so daß er endlich den Plan zur Flucht faßte. Mehr als Sympathien für 
die bedrängten Niederlande und diesen Fluchtversuch könne man ihm 
nicht nach weisen; alles andere sei böser Klatsch. Der Prinz habe ge¬ 
wiß einen Hang zum „Seltsamen und Ungewöhnlichen* gehabt, seine 
„Heftigkeit gab ihm den Anstrich des Überspannten*, wozu man ihm 
allerdings reichlich Anlaß gegeben hätte, aber ein böswilliger Idiot sei 
er nicht gewesen. Trotz seiner körperlichen Mängel hätten zwischen 
ihm und der schönen Königin, seiner früheren Braut, die Gefühle herz¬ 
licher Freundschaft geherrscht und dieselben seien auch in der lebhaften 
Trauer bei seinem Hinscheiden zum Ausdrucke gekommen. Die Frage, 
ob Philipp II. der Mörder seines Sohnes gewesen sei, müsse „unbedingt* 
bejaht werden. 

So weit Adolf Schmidt Zwischen ihm und Maurenbrecher, der sich 
schwer getroffen fühlte durch den Nachweis, daß sein zweiter Aufsatz 
wesentlich verschieden sei von seinem ersten, und zwar nach der 
schlechteren Seite, entspann sich eine sehr lebhaft geführte, ungemein 
interessante Kontroverse, an der kein Don Carlos-Forscher Vorbeigehen 
darf; denn wir erfahren daraus auch die Kehrseite des Problems. Schmidt 
hatte seinem Gegner vorgeworfen, daß er den Unterschied zwischen 
der ersten Depesche Dietrichsteins, die auf ein bloßes Hörensagen zu- 



Die Don Carlos-Frage. 


483 


rückging 1 ) und der zweiten, die nach der persönlichen Bekanntschaft 
mit dem Infanten erfolgte *), übersehen habe. Maurenbrecher behauptete 
dem gegenüber, daß Dietrichstein auch in den späteren Depeschen sich 
auf sein erstes Urteil über Don Carlos, welches eben so ungünstig ge¬ 
lautet hatte, berufen habe. Allein das ist nicht richtig; diese Äußerung 
bezieht sich bloß auf die physische Beschaffenheit des Prinzen. Selbst 
Büdinger, der so gerne in dieser „wahrhaftigen* Quelle der Dietrich- 
stein’schen Gesandtschaftsberichte eine Bestätigung seiner These des 
psychiatrischen „Schwachsinns* entdeckt hätte, sieht sich zu dem Ge¬ 
ständnisse genötigt, daß der kaiserliche Botschafter aus lauter Wohl¬ 
wollen für Don Carlos und Diensteifer gegen den Kaiser für die „furcht¬ 
bare psychische ... und die nicht ungefährliche politische Situation des 
Königs seinem kranken Sohne gegenüber kein Verständnis* hatte*). 
Dietrichstein berichtet bei jeder Gelegenheit, daß man allerlei über den 
Prinzen „vorgebe*, das er sich gar nicht niederzuschreiben getraue, 
daß man seine Fehler ärger darstelle, als sie in Wirklichkeit seien. 
Diese Mängel aber seien durch seine schlechte Erziehung verursacht 
worden 4 ). Er gibt zu, daß der Prinz „seltzam“ ß ), heftig und eigen- 

*) Dietrichstein an Maximilian, 1564 April 22. Vgl. Koch 1, S. 120 fg. 

*) Dietrichstein an Maximilian, 1564 Juni 29. Ebenda,. S. 124 fg 

*) Büdinger, S. 185. 

4 ) Vgl. seine Berichte an Maximilian vom 22. April; 29. Juni. Koch 1, 
S. 122,127 u. 9. November 1664 (Wien, Staatsarchiv, Hispanica) und vom 10. August 
1566 (Koch 1, 8. 167). — Diese Tatsache bestätigt auch unser »Bericht« (Siehe 
oben S. 479): »So ist er, wie die jungen herrn gflegen zue sein, frisch und frech 
gewest und so vil mer daz es dess spaten redens ettwaz in der jugent freier 
glassen worden, auss kaiser Carlls bfelch, dan sonst bschechen wer. Als er "nun in 
freien willen ettwaz erstarckht, hat sich sein herr vatter underfangen, ine, nachdem 
kaiser Car 11 ins closter körnen, streng zu halten; was er wolln fürnemen, ist im 
abgeschlagen worden und im nix wören wolln lassen, sondern gthan. was er im 
in ginn gnomen, daz hat mann im miessen zuesehen, da man nit ergers von im 
gwarten wolln und ine nit gar unsinnig oder verzweipfelt machen, dan er den 
kopff gstreckht und schon verharrt gwest, da wol etlich der mainung, wan man 
recht undgeburlich mit im umbgangen, es wer ein rech tgschaffner 
trefflicher furst worden«. Vgl. dazu die Äußerung des Beichtvaters zu 
Dietrichstein, die dieser dem Kaiser am 22. April 1668 berichtete. Vgl. Koch 1, 
S. 213%. 

*) Bericht an den Kaiser vom 26. April 1567. Büdinger (S. 141) schließt 
au« diesem Ausdrucke, daß Dietrichstein über Don Carlos' Zurechnungsfähigkeit 
Ijedenklich wurde! »Seltsam 4 ist noch lange nicht »verrückt«. Wenn dem so 
wäre, müßte auch Kaiser Maximilian II. schwachsinnig oder verrückt gewesen sein; 
< ienn der spanische Botschafter am Kaiserhofe, der wieder einmal mit der religiösen 
Haltung des Kaisers nicht ganz einverstanden war, nennt sie »extrano«. Vgl. 
Montcagudo an König Philipp II., 1570 November 30 (Colecciön de documento> 

o* 110, S. 12 U 



484 


Viktor Bibi. 


willig *) sei, aber er gibt auch den Grund für dieses eigentümliche Wesen 
(.aigenschafft und eondizion“) an: die unwürdige Behandlung und die be¬ 
ständige Hinausziehung der Heiratsverbindung mit der ältesten Kaiser¬ 
tochter. Der Hauptgrund seiner Unzufriedenheit, berichtete Dietrichstein am 
24. Jänner 1566, sei der, daß er bei seinen Jahren (der Prinz war damals 
21 Jahre alt!) noch keinerlei „Befehl“ habe, sondern als „minorannis“ ge¬ 
halten werde 2 ). Dadurch verschärfte sich der Gegensatz zwischen Vater und 
Sohn, die, wie Dietrichstein eigens feststellte, von sehr ungleicher Natur 
waren 3 ), immer mehr. Es gab Momente, wo das Verhältnis wieder ein 
besseres war 4 ). In einer solchen Euhepause des Kampfes wurde der Prinz 
mit dem Vorsitze im Staatsrate betraut, welches Amt er dann bis zum Ein¬ 
tritte der Katastrophe bekleidete. Es ist für uns doch eine etwas un¬ 
geheuerliche Vorstellung, daß in einem auf die feste Autorität der Be¬ 
hörden begründeten absoluten Staat, wie ihn das Spanien König Phi¬ 
lipps H. darstellte, ein notorischer Idiot die Leitung einer gewiß wich¬ 
tigen Körperschaft innegehabt haben sollte. Es fallt uns auch schwer 
anzunehmen, daß die beiden langjährigen Botschafter des Kaise:s und 
der französischen Krone, denen doch der Zustand des Infanten auf die 
Dauer nicht verborgen bleiben konnte, in diesem Falle von einer 
Besserung der Beziehungen, anstatt von einer Besserung des Befindens 
gesprochen hätten. 

Allerdings behagte ihm auch diese Art von Beschäftigung unter 
den Augen des mißtrauischen Vaters und der ihm meist feindlich ge¬ 
sinnten Höflinge nicht besonders. So strebte er denn mit wachsender 
Leidenschaft danach, die Verwaltung einer der vielen Länder des Welt¬ 
reiches in seine Hand zu bekommen. Das war durchaus kein so un¬ 
bescheidenes — oder wie Büdinger meinte — „zielloses“ Verlangen, 
imd Herzog Alba hatte schon im Jahre 1559, als der Vater von den 
Niederlanden zurückkehrte, diesem die Frage vorgelegt, ob jetzt nicht 
Don Carlos hinzusenden wäre. Maurenbrecher sagt mit Recht: „Aller 
Sitte, aller Überlieferung der spanischen Staatskunst zufolge wäre da- 


Ü Der Prinz fing erst im fünften Jahre zu sprechen an. Sein erstes Wort 
soll ein »No* gewesen sein. Vgl. Maurenbrecher in der Histor. Ztschr. 11, S. 282. 

*) Dietrichstein an Maximilian, 1566 Jänner 24. Vgl. Koch 1, S. 151. 

*) »Glaub nit, das ain grossere ungeleicheit in allen sein kunt alls zwischen 
vater und sun«; Dietrichstein an Maximilian, 1567 März 10. Ebenda S. 183. 

4 ) »vater und sun sten hiercz gar wol«; Dietrichstein an Maximilian, 1567 
Mai 18. Ebenda, 8. 189. Auch der französische Botschafter meldet um diese Zeit, 
daß der Prinz jetzt gut mit seinem Vater stehe, und bemerkt dazu: ,il commande 
absolument en beaucoup de choses et veult obei sans replique*. Memori&le Four- 
quevaux6 für Aubespine vom 30. Juni 1567. Vgl. Donais, 1, S. 220. 



Die Don Carloe-Frage. 


485 


mala . . . schon die Zeit nahe gewesen, in der man dem Thronfolger 
eine praktische Tätigkeit hätte zuweisen oder wenigstens ihn in ein 
tätiges Leben hätte einführen sollen“ *). 

Dietrichstein bezeichnete später als die eigentliche Ursache der 
schweren Verstimmung des Infanten die merkwürdige Taktik des Vaters, 
den Abschluß der Heirat mit Erzherzogin Anna immer aufs Neue zu 
verschleppen. Es ist beides richtig. Denn es waren sicherlich nicht 
bloß die schönen Augen der Erzherzogin, die ihn so leidenschaftlich 
ihre Hand begehren ließen, sondern auch die Aussicht, auf diesem Wege 
eine freiere Stellung einnehmen, die Verwirklichung seiner politischen 
Bestrebungen durchsetzen zu können*). Auf keinen Fall wollte er 
länger unter der Zuchtrute seines Vaters stehen. Er habe geschworen, 
berichtete Dietrichstein, „unter sein vater nit zu bleiben“ 8 ). 

Doch der Vater stemmte sich solchen Selbständigkeitsgelüsten 
kräftigst entgegen, und die Art und Weise, wie er dies tat, läßt es 
uns wohl begreiflich erscheinen, wenn der von Haus aus heftig und 
trotzig veranlagte lebhafte, überreizte Jüngling in einen Zustand der 
höchsten Erbitterung und Verzweiflung gebracht wurde. Lassen wir 
einmal für eine kurze Weile die mittelbaren Quellen, die Berichte der 
Gesandten bei Seite und hören wir die Tatsachen selbst und die un¬ 
mittelbaren Zeugnisse. Noch heute nach 350 Jahren überkommt den 
völlig Unbeteiligten ein Gefühl der Empörung, wenn er vernimmt, in 
welcher Weise vom Könige Jahre hindurch alle Versuche des Prinzen, 
durch eiue Heirat einen praktischen Einfluß zu gewinnen, vereitelt 
wurden. 

Der Prinz war zuerst mit einer französischen Königstochter, der 
schönen Elisabeth von Valois, verlobt. Nach dem Tode der englischen 
Königin Maria nimmt sie der Vater selbst zur Gemahlin. Bald darauf 
stirbt Franz II. von Frankreich und dem Infanten wird die Hand der 


*) Histor. Ztschr. 11, S. 289. 

*) Dietrichstein an Maximilian. 1566 Jänner 24: Der Prinz sei über den 
Aufschub der Heirat sehr ungehalten. Der König fürchte vielleicht, daß er dann 
den Sohn »anders als bisher« halten müsse (VgL Koch, 1, S. 151). Der französische 
Botschafter behauptete sogar, die Schwierigkeit beim Abschlüsse der Heirat liege 
darin, daß der Kaiser verlange, der König solle einen von dessen Staaten seiner Tochter 
und ihrem Gemahl abtreten. Fourquevaux an Königin Katharina, 1565 Dezember 25. 
(Douais, 1, 8. 35). 

*) Dietrichstein an Maximilian, 1566 August 10. Vgl. Koch 1, S. 167 f. 
Ebenso am 2. und 8. Jänner 1567. (Ebenda, S. 177). Die Auslegung Büdingers 
(S. 82, Anm. 1), daß man »unter« durch ein »statt« zu ersetzen hätte (daß er nicht 
statt des in die Niederlande reisenden Vaters in Spanien bleiben wollte) ist gänzlich 
unberechtigt. 

Mitteilungen XXXVI. 32 



486 


Viktor Bibi. 


durch Gaben des Geistes und durch Schönheit gleich ausgezeichneten 
Witwe, der Schottenkönigin Maria Stuart, angeboten. Eine glänzende 
Aussicht auf eine hervorragende politische Tätigkeit bot sich ihm dar: 
die Herrschaft über das Königreich Schottland und Verdrängung der 
„ketzerischen* Elisabeth von dem umstrittenen Throne Englands. Im 
spanischen Kabinette wird lange hin- und herberaten. Endlich (Ende 
November 1563) faßte man den Beschluß, das Projekt abzulehnen, da 
man „ wegen der Beschaffenheit* (por la disposicion) des Prinzen von 
der schottischen Ehe die gewünschten Früchte, d. h. Katholisierung 
von Schottland und England sowie Sicherstellung der Niederlande, doch 
nicht erwarten könne 1 ). Zweifellos bot der Infant nicht die nötige 
Gewahr dafür, daß er der richtige Mann gewesen wäre, um als Send¬ 
bote der katholischen Gegenreformation aufzutreten*). 

Um dieselbe Zeit war im Prinzipe beschlossen worden, den Prinzen 
mit der ältesten Tochter Maximilians zu verheiraten. Allein der Ab¬ 
schluß der Verhandlungen zog sich in die Länge, weil man von Seite 
des Königs, wie wir schon wissen, den schlechten Gesundheitszustand, 
die „Mängel in Urteil und Weseneinwandte 8 ). Wiederum wurde vom 
Kaiserhofe aus gemahnt und gemahnt; denn mittlerweile war die Ent¬ 
scheidung wirklich dringend geworden. Es hatte nämlich nun auch 
die Königin-Witwe von Frankreich für ihren jugendlichen Sohn König 
Karl IX., um die Hand der Erzherzogin Anna angehalten. Der kaiser¬ 
liche Botschafter wurde also beauftragt, mit allen Kräften auf eine 
rasche Beschlußfassung zu dringen. Die Antwort Philipps entbehrt nicht 
eines gewissen Humors. Dietrichstein erhielt nämlich die Versicherung, 
der König wolle Maximilian gewiß nicht „hinhalten*, sondern nächstens 
einen vertrauten Diener mit seiner Besolution nach Wien senden. Der 
Botschafter gab ihm zu verstehen, daß er, da sein Herr auf eine kate¬ 
gorische Antwort dränge, diese ja auch ihm und zwar sofort mitteilen 
könne. Eine Beise von Madrid an den Kaiserhof erforderte nämlich 
mit der Bückreise einen Zeitraum von mindestens zwei Monaten. Der 
in Aussicht genommene Gesandte des Königs — es war der Graf 
Chantonnay — kam glücklich um nahezu ein volles Jahr später (Ende 
März 1565) an den Kaiserhof. Mit größter Spannung war seine An¬ 
kunft erwartet worden, allein die Besolution des Königs, die er mit¬ 
brachte, war so ziemlich auf denselben Ton gestimmt, wie die frühere 
Erklärung des Herzogs Alba vom März 1562: Der Prinz sei körperlich 
und geistig derartig zurückgeblieben, daß man unbedingt warten 

*) Vgl. Maurenbrecher in der Histor. Ztschr. 11, S. 294 fg. 

*) Siehe oben S. 468 fg. 

•) Siehe oben S. 462. 

4 ) Dietrichstein an Maximilian, 1564 April 19. Vgl. Koch 1, S. 119. 



Die Don Carlos-Frage. 


487 


müsse 1 ). Dagegen verhandelte Chatonnaj sehr eifrig über eine Ver¬ 
bindung der Zweitältesten Tochter Maximilians mit dem — zehnjährigen 
König Sebastian von Portugal 

Mittlerweile hatte am spanischen Königshofe Dietrichstein allerlei 
Vorwürfe wegen seiner eifrigen Betreibung der Heirat bekommen, außer¬ 
dem waren ihm die Eigenschaften des Prinzen in derart schwarzen 
Farben geschildert worden, daß er den Eindruck gewann, man streue 
absichtlich diese böswilligen Gerüchte aus, um das Eheprojekt zu Falle 
zu bringen, und er ganz erstaunt war, als er ihn dann persönlich ge¬ 
sehen und gesprochen hatte 8 ). Dietrichstein erfuhr aber noch etwas 
anderes, das ihm die Verzögerungstaktik des Königs erklären sollte. 
Während die Heiratsverhandlungen mit Maria Stuart und dem Kaiser 
im Gange waren, war noch eine andere Verbindung betrieben worden, 
die bei einer großen und sehr einflußreichen Partei am Königshof leb¬ 
haft unterstützt wurde. Diese nunmehr vierte Braut war seine Tante, 
die Prinzessin Johanna, Kronprinzessin-Witwe von Portugal, und es 
hat den Anschein, daß man es bei Hofe mit dieser Heirat wirklich 
ernst nahm; denn die um zehn Jahre altere Frau, für die Don Carlos 
seit seiner Kindheit lebhafte Gefühle der Verehrung hegte, wäre viel¬ 
leicht imstande gewesen, ihn im günstigen Sinne zu beeinflussen. Es 
sei notwendig, machte man geltend, dem Prinzen eine Gattin zu geben, 
die zu regieren verstehe und das ihm Mangelnde durch ihren Verstand 
zu ersetzen. Man scheute auch nicht, die gewünschte Eheverbindung 
mit dem in medizinischer Hinsicht gewiß bemerkenswerten Hinweise zu 
empfehlen, daß der Prinz, den man — dies gehörte nämlich auch zu den 
vielen über ihn verbreiteten Gerüchten — als »impotent“ bezeichnete, allein 
von ihr Nachkommenschaft zu erwarten hätte: »Ab anderst aine succession 
von ime zu erhoffen, so sei die bei ier zu verhoffen(!) “. Allein der Prinz er¬ 
klärte mit der größten Entschiedenheit, keine andere zur Frau zu nehmen 
als die Erzherzogin, und so konnte Dietrichstein schließlich melden, daß 
der König in die Heirat eingewilligt und den Infanten in die Niederlande 
mitzunehmen entschlossen sei 8 ). Von dieser Heise nach den Niederlanden 
sollte nun jahrelang gesprochen werden, doch scheint der König in 
Wirklichkeit auch nicht eine Sekunde ernstlich daran gedacht zu haben. 

Daß der Infant kein Adonis war, vielmehr eine recht traurige Er¬ 
scheinung darstellte — etwas höckerig, eine Schulter zu hoch, einen 

M Auch in dem Chantonnay mitgegebenen Memoriale vom 12. September 
1564 verwahrte sich der König gegen den Verdacht, daß er die Angelegenheit 
»verschleppen« wolle (Wien, Staatsarchiv, Familienakten 17). Vgl. Schmidt, S. 309. 

*) Vgl. die schon erwähnte Depesche vom 29. Juni 1564 (s. oben S. 481 fg.), die 
bei Schmidt in seiner Fehde mit Maurenbrecher eine so große Rolle sp leite. 

») Ebenda. 

32* 



488 


Viktor Bibi. 


Fuß zu kurz — schwächlich und kränklich war, gab Dietrichstein ohne 
weiteres zu *) und in dieser Hinsicht 2 ) konnte er auch in seinen dem 
ersten Bericht vom 22. April 1564 folgenden Depeschen nichts Günstigeres 
sagen. Der Kaiser beauftragte nun Dietrichstein, wegen der „ Potenz* 
des Infanten Erkundigungen einzuziehen; denn er konnte, wie er schrieb, 
sich nicht denken, daß er diesen „Mangel“ haben sollte 8 ). Der Bot¬ 
schafter erfahr aber so Widersprechendes, daß er sich bald nicht mehr 
auskannte. Der Leibarzt des Infanten, der es noch am besten hätte 
wissen sollen, versicherte Dietrichstein, er sei nicht impotent, und er¬ 
klärte die Enthaltsamkeit damit, daß Don Carlos infolge seines ersten 
Liebesabenteuers und des damit verbundenen unglücklichen Sturzes in 
Alcala gründlich abgeschreckt, mit keinem Weibe verkehren und bis 
zu seiner Verheiratung warten wolle 4 ). Die Entscheidung über diese 
Frage sollte eine „Probe“ bringen. Triumphierend meldete Anfangs 
1566 der Botschafter, daß der Infant die Tochter eines Gerichtsdieners 
geschwängert haben solle, um sich von dem in seine Potenz gesetzten 
Argwohn zu befreien 5 ). Das Gerücht scheint getrogen zu haben, denn 
die Probe fand erst nach einem Jahre, und zwar mit günstigem Er¬ 
folge, statt 6 ). Nun glaubte Dietrichstein, der Abschluß der Heirat 
werde jetzt, da das Haupthindernis beseitigt war, rasch vor sich gehen 
können. Mittlerweile war ein neuer Gesandter des Königs, Venegas, 
am Kaiserhofe erschienen. Er teilte Maximilian im Aufträge seines 
Königs mit, daß dieser die Heiratsangelegenheit auf einer persönlichen 
Zusammenkunft mit dem Kaiser, die im nächsten Frühjahre (1568) 
stattfinden sollte, ordnen wolle. Um den ungünstigen Eindruck dieses 

*) Wenn Schiller die Prinzessin Eboli (II, 8) von »Geschenken der ver¬ 
schwenderischen Natur« sprechen läßt, so wird sich das, wenigstens was die 
körperliche Seite anbelangt, vor der Geschichte nicht rechtfertigen lassen. Unser 
»Bericht« gibt folgende Schilderung: »Leibs halber gar ubl gmacht, ain lang an- 
gesicht, gäch, zornig über der mass, ains plöden gsichts und gehöre, ainer ubln 
red, dan er kain 1 noch r pronuncieren können, buklet und hinckhet, dan im du 
fuess 1 enger als der ander gwest, impotens«. 

*) Siehe oben S. 483. 

8 ) Maximilian an Dietrichstein, 1564 August 2. (Nikolsburg, Archiv Dietrich¬ 
stein Eigh. Orig.). 

4 ) Dietrichstein an Maximilian, 1564 Dezember 31. VgL Koch 1, S. 134. (Das 
Datum vom 24. November ist falsch). AJs der spanische Botschafter am Kaiserhot 
diese Mitteilungen dem Könige berichtete, schrieb dieser auf den Brief »Esta no 
vea nadie.« (!) Vgl. Schmidt, S. 312. 

®) Dietrichstein an Maximilian, 1566 Februar 11. Vgl. Koch 1, S. 155. 

®) Dietrichstein an Maximilian; 1567 Mai 18, Juni 6. Ebenda 189 f. Auch 
der französische Botschafter bestätigt dies. Vgl. Memoriole Fourquevnux’s vom 
30. Juni 1567 (Donnis 1, S. 220). 



Die Don Carlos-Frage. 


489 


Aufschubes und die Verwirrung zu erhöhen, erzählte Venegas, der 
Prinz sei „Mann genug* x ). Maximilian war begreiflicher Weise über 
diese jahrelang betriebene Taktik des Hinhaltens nicht wenig erbost. 
Seinem Botschafter schrieb er im März 1565: Es mache ihm den Ein¬ 
druck, daß der König mit ihm „sein Gespött* treibe. Die Erzherzogin 
Anna, fügte er hinzu, werde noch „zwischen zwei Stühlen zu sitzen* 
kommen, was ihm sehr leid täte, „dan sie mier das liebst kind ist* l 2 * ). 
Aber er war yom König wieder beruhigt worden. Am Schlüsse dieses 
Jahres konnte er Dietrichstein die freudige Mitteilung machen, daß der 
König „jam tandem* erklärte, daß es „richtig* sei 8 ). Als er aber 
dann merkte, daß die Angelegenheit doch nicht geordnet war, klopfte 
er wieder sehr kräftig bei Philipp an, weil, wie er sich ausdrückte, 
seine Tochter „auch nicht jünger* und schließlich auch den französischen 
König nicht mehr bekommen werde 4 ). 

Büdinger findet in dem Vorgehen des Königs, der seit 1561 um 
den Zustand seines Sohnes wußte, aber „aus väterlicher Schwäche* die 
Verhandlungen sieben Jahre weiterspann, so daß auch nach der Ver¬ 
haftung des Prinzen der Botschafter nicht wußte, was zu geschehen 
habe, und er noch einmal anfragen mußte 5 * * ), einen rührenden Zug von 
Zartsinn und Vaterliebe. Andererseits könnte man es auch als eine 
unverantwortliche Rücksichtslosigkeit gegenüber seinem deutschen Vetter 
und dessen Tochter bezeichnen, die wohl beide ein Anrecht darauf 
hatten, vom König offen und ehrlich über den wahren Sachverhalt un¬ 
terrichtet zu werden. 

Wenn schon der zukünftige Schwiegervater über die dilatorische 
Behandlung der Eheverbindung im höchsten Grade erbittert war, so 
können wir annehmen, daß dies bei dem noch viel näher betroffenen, 
um etwa zwanzig Jahre jüngeren Infanten in weit höherem Maße der 


l ) Maximilian an Dietrichstein, 1567 November 10. (Nikolsbnrg, Archiv Die¬ 
trichstein, Eigh. Orig.). Auch Dietrichstein meldete, daß des Prinzen Gesundheit 
sich »nicht wenig gebessert« hätte. Unser »Bericht« erwähnt, daß Don Carlos, als 
er zu Anna eine »grosse lieb« gefaßt hatte »viil selzamen Sachen mit reitten, 
rennen, thumiem und dergleichen angfangen, darüber er ettlich mal solln den 
halse brechen oder jamerlich gschedigt werden, daß es im niemant waren lassen«, 
also alles tat, um sich zu kräftigen. 

*) Maximilian an Dietrichstein, 1565 März 26 (Nikolsburg, Archiv Dietrich¬ 
stein, Eigh. Orig.). 

*) Maximilian an Dietrichstein, 1565 Dezember 24 (Ebenda, Eigh. Orig.). 

4 ) Maximilian an Dietrichstein, 1567 November 10 (Ebenda, Eigh. Orig.) 

Maximilian an König Philipp, 1567 November 10 (Colecciön de documentos inäditos; 

101, S. 304. 

•) Dietrichstein an Maximilian, 1568 April 21. Vgl. Koch 1, S. 216. 



490 


Viktor Bibi. 


Fall war. Es ist menschlich vollkommen begreiflich, wenn der zur 
Verzweiflung getriebene Thronfolger schließlich an Flucht dachte und 
sich zu diesem Zwecke mit seinem Jugendfreunde Don Juan d' Austria, 
welcher das Kommando über die Flotte erhalten hatte, in Verbindung 
setzte. Nach unserem ff Bericht“ währten die Verhandlungen mit seinem 
Onkel ungefähr drei Jahre, und das Ziel wäre Italien gewesen, um 
dann in Midland und Neapel die Regierung an sich zu reißen. Alle 
anderen Versionen wie der Plan, seinen Vater umzubringen, Einver¬ 
ständnis mit den aufständischen Niederlanden, die Absicht, „luterisch“ 
zu werden, werden dort als gänzlich unerwiesen bezeichnet Beziehungen 
des Don Carlos zu den Niederländern sind bisher auch tatsächlich nicht 
festgestellt worden. Aber die Mutmaßung einer solchen Verbindung 
hat gewiß eine innere Berechtigung. Wir wissen ja aus den Berichten 
Dietrichsteins, daß er sich Hoffnungen machte, nach den Niederlanden 
zu ziehen, um erstens die Hand der Erzherzogin Anna und dann „mehr 
Freiheit und Libertät“ zu erhalten x ). Außerdem ist die Tatsache, daß 
die ersten Gewaltmaßregeln in den Niederlanden zeitlich mit der Ein¬ 
ziehung und dem Tode des Infanten Zusammenfällen, gewiß auffällig 2 ). 
Vielleicht wäre der Aufstand der Niederlande, der acht Jahrzehnte die 
besten Kräfte Spaniens in Anspruch nahm und unter den Ursachen 
des Verfalles der Weltmonarchie an oberster Stelle steht, verhütet 
worden, wenn statt des Schreckensmannes Alba ein liberaler Prinz die 
Regentschaft übernommen und die aufgeregten Gemüter beschwichtigt 
hätte. Niemand Geringerer als der König selbst legt gegen Büdinger, 
der es vollständig billigt, daß Philipp nicht duldete, daß die Weltmacht 
Spaniens durch die «ziellosen“ Pläne des Thronfolgers gefährdet werde, 
Zeugnis ab. Es war im Jahre 1572, als der König, durch das reißende 
Umsichgreifen des Aufruhrs und die Niederlagen der königlichen Waffen 
stutzig gemacht, den Kaiser zu bereden suchte, einen Erzherzog als 
Statthalter in die Niederlande zu senden, weil er erkannt habe, daß 
Alba nicht der richtige Mann sei, der Bewegung Herr zu werden, viel¬ 
mehr es sich empfehlen würde, durch einen Prinzen ihres Hauses, der 
Liebe und Respekt einflöße, angemessene Konzessionen zu erteilen 3 ). 
Erinnert dieses eigene Todesurteil der niederländischen Politik nicht an 

4 ) Dietrichstein an Maximilian, 1567 Jänuar 2 und 8. Ebenda, S. 178. 

*) Ebenso der wiederholte Hinweis, daß der König seit 2—3 Jahren mit der 
Haltung seines Sohnes so unzufrieden sei. Wußte doch Fourquevaux schon im 
Sommer 1567 zu melden, d%ß der König ihn einschließen wolle. Fourquevaux an 
Königin Katharina, 1567 August 24. Vgl. Douais 1, S. 257. 

•) Philipp an Monteagudo, 1572 September 6 (Coleociön de documentos in* 
editos HI, S. 2). 



Die Don Carlos Frage. 


491 


des Dichters Worte: „Schon der Name des königlichen Sohnes, der 
voraus vor meinen Fahnen fliegen wird, erobert, wo Herzog Albas 
Henker nur verheeren“ ? *) 

Noch in einem anderen Punkte — um nur von den wichtigsten 
zu reden — kann Schmidt kaum widerlegt werden. Kanke hat, wie 
wir schon wissen, die Geschichte von der Liebesneigung zu seiner 
schönen Stiefmutter, seiner einstigen Braut, dadurch aus der Welt zu 
schaffen gesucht, daß er auf die glückliche Ehe des Königspaares hin- 
. wies 2 ). Maurenbrecher lehnte ebenfalls alle die interessanten Fabeln 
und Tendenzromane, die namentlich auf Brantöme zurückgehen, ab, gab 
aber zu, daß der „blasse und kranke Jüngling“ das Herz imd die Teil¬ 
nahme der Königin anregte 8 ). Das geschah in seinem ersten Auf¬ 
sätze. In seinem zweiten ist von Liebe und Mitleid nicht mehr die 
Rede; die Beziehungen der Königin zu Don Carlos, findet er, gründen 
sich lediglich auf das Gefühl des politischen Interesses: sie wollte, daß 
der Erbe des spanischen Weltreiches ihre jüngere Schwester zur Ge¬ 
mahlin nähme 4 ). Auch Schmidt stellte jede .strafbare Leidenschaft“ 
in Abrede, aber er spricht von einer .innigen Herzensneigung“, von 
einem „inneren Seelenanschlusse“, von einer „mitleidsvollen Teil¬ 
nahme“ 5 ). 

Büdinger schloß sich in dieser Frage ganz Maurenbrecher an. Er 
fügte dem Zeugnisse des französischen Gesandten, daß die Königin zwei 
Tage lang um den Stiefsohn weinte, bis ihr der König die Thränen 
verbot, die ironischen Worte bei: „Die Königin wahrte den Anstand 
so artig, daß sie zwei Tage lang über Don Carlos’ Mißgeschick weinte, 
bis der König fand, daß es genug sei“ 6 ). Vorher hatte nämlich der 
Botschafter gemeldet, daß durch die Gefangennahme und die bevor¬ 
stehende Erklärung der Regierungsunfähigkeit des Prinzen die Kinder 
der Königin mit Gottes Hilfe sukzedieren werden 7 ). Die Bemerkung 
Büdingers ist durchaus nicht am Platze. Wir können den Quellenbe¬ 
legen Schmidts noch zwei andere an die Seite reihen, von welchen 
besonders der eine Büdinger, wenn er ihn gekannt hätte, unbedingt beweis¬ 
kräftig erschienen wäre. Es ist dies Dietrichstein, der in seinem noch am 
Tage der Verhaftung des Prinzen an die Kaiserin eistatteten Berichte 


*) II. Akt, 2. Auftritt. 

*) Siehe oben S. 452. 

*) Histor. Ztsohr. 11, S. 290. 

4 ) Sammlung gemeinverständlicher wissensch. Vorträge etc. S. 14. 

*) Vgl. S. 271 fg. 

®) Büdinger, S. 214. 

7 ) Fourquevaux nn Königin Katharina, 1568 Februar 8. Vgl. Büdinger, S. 132. 



492 


Viktor Bibi. 


meldete: „La reyna dizen que lo ha sentido en estremo- 1 ). Audi 
der Verfasser unseres „Berichtes“, also vermutlich der kaiserliche Vize¬ 
kanzler Zasius, stellt die Tatsache einer herzlichen Liebe des Don Carlos zu 
seiner Stiefmutter fest Bei Erwähnung der Vorbereitungen zum Tode 
heißt es da: „Und demnach er die khunigin sein stieffmuetter gar 
sehr lieb ghabt, so hat er zue ir gsandt, und ir sein schwacheit 
lassen anzaigen mitt bitt, weill er si allweg so gar und herzlich 
g e 1 i e b t, so bitt er si, daz si nach seim tod im wolle nach thuen lassen wie 
ain getreue muetter alles daz si vermaine seiner seel möge zue guet 
körnen-. 

Es mag richtig sein, daß sich Schmidt, wie Maurenbrecher etwas 
verächtlich meint 2 ), der „romanhaften* Auffassung dieses Verhältnisses 
„wieder sehr bedenklich* genähert hat, aber ob seine Gegenausfhhrungen 
beweiskräftig sind, möge dahingestellt sein. Daß Büdinger nicht an 
die echte, herzliche Freundschaft zweier gleichgestimmten, unter dem 
Drucke eines despotischen Regiments fremd sich fühlenden Menschen 3 ) 
glauben wollte, ist begreiflich. Denn mit dieser Annahme kommt seine 
Auffassung, daß Don Carlos ein ekelerregender, bösartiger Idiot war, 
ganz bedenklich ins Wanken, weil wir es uns doch nicht gut vor¬ 
stellen können, daß zwei uns als geistig hochstehend geschilderte Frauen 
— denn auch die Prinzessin Johanna soll nach Dietrichstein’s Bericht 
auf die Nachricht von der Katastrophe tief erschüttert gewesen sein — 
um Don Carlos Thränen vergossen. Und weßwegen hätte die Königin 
weinen sollen, wenn es nicht aus aufrichtiger Trauer um den Einge¬ 
zogenen, dessen Schicksal damals schon besiegelt war, geschehen war? 
Nebenbei bemerkt, wirft dieser der Königin von Philipp zuteil ge¬ 
wordene Befehl kein besonders günstiges Licht auf den Schmerz des 
„bekümmerten* Vaters 4 ). 

Schmidt hat die Frage, ob König Philipp II. seinen Sohn getötet 
habe, „unbedingt* bejaht, und er fügt hinzu, daß der Tod, den er an 
ihm vollzogen, ein viel schrecklicherer gewesen sei, als wenn er ihn 

*) Dietrichstein an Kaiserin, 1568 Jänner 19 (Nikolsburg, Archiv Dietrich¬ 
stein, Orig.). 

*) ln seinem dritten Aufsatz (1876), S. 40. 

8 ) Der Verfasser unseres Berichtes erzählt von Don Carlos: »Seiner nation ist 
er von jugerit auff gehass gwest, den Italienern und sonderlich den Teutschen 
hold«. 

4 ) In dem Bericht des französischen Botschafters von 1666 November 3, der 
die Unfähigkeit des Infanten, sich zu verstellen, erwähnte, »Spottworte der Königin 
über den thörichten Stiefsohn« zu sehen, wie dies Büdinger (S. 180, Anm. 1) tat, 
erscheint mir gänzlich verfehlt. Unser »Bericht« nennt Don Carlos einen » feindi 
der unwarhait«. 



Die Don Carlos-Frage. 


493 


gleich bei der Verhaftung oder unter dem Scheine eines gerichtlichen 
Verfahrens kurze Zeit darauf hätte vollziehen lassen; „denn er hat 
sechs Monate hindurch täglich seinen Sohn hundertfache moralische 
Todesqualen bestehen lassen; er hat ihm absichtlich alle Mittel zur 
Verfügung gestellt, um sich langsam körperlich zu zerreiben, und er 
hat endlich der höchsten Wahrscheinlichkeit nach seit dem 17. Juli 
der zögernden Natur durch ein wirksames Mittel nachgeholfen“ *). Ganz 
ähnlich meinte auch Gachard, der im Übrigen an ein natürliches Ende 
des Infanten glaubt, daß der König an dem Tode desselben doch nicht 
ohne Schuld sei. Gewiß habe derselbe seine schweren Ursachen ge¬ 
habt, Don Carlos seiner Freiheit zu berauben; denn er konnte nicht 
dulden, daß sein Nachfolger bei der Rebellion die Hand im Spiele hatte 
und er dieselbe nach Spanien gebracht hätte, aber, so fragt er, mußte 
er ihn als Staatsverbrecher behandeln, ihm Luft und Licht entziehen, 
ihn Tag und Nacht strenge beaufsichtigen lassen? Es war, so schloß 
Gachard, nicht das Schwert, nicht Gift, nicht Knebel, was ihn tötete, 
„les tortures morales sont aussi un supplice“: Philipp kann schwer 
vor der Nachwelt gerechtfertigt werden 2 ). Und Maurenbrecher, der 
sich über die Todesart kein Urteil anmaßt, nimmt keinen Anstand, „mit 
vollem Nachdruck ganzer Überzeugung“ zu sagen: „Wenn Don Carlos, 
wie die offiziellen Berichte wollen, auf die angegebene Weise an selbst¬ 
verschuldeter Krankheit gestorben ist, so tragen dann die Schuld die¬ 
jenigen, die dem hilflos eingesperrten, in Allem und Jedem von seiner 
Umgebung abhängigen Gefangenen die Mittel verschafft haben, sich 
leichtsinnig jene totbringende Erkältung durch Genuß von Eis zuzu¬ 
ziehen * 8 ). 

Diese Anklagen gegen Philipp, über die Büdinger glatt hinweg¬ 
geht, indem er behauptete, daß ein Schwachsinniger auch heute nicht 
sorgsamer bewacht werden könne, finden eine merkwürdige Bestätigung 
durch die Auffassung des Kaiserhofes, wie sie uns durch eine Reihe 
von persönlichen Zeugnissen überliefert ist Diese besagen uns aber 
auch in anderer Hinsicht daß Schmidt es durchaus nicht verdiente, von 
•der Geschichtsforschung der letzten Jahre gänzlich totgeschwiegen zu 
werden. Daß der Kaiser die längste Zeit überhaupt nichts über die 
Ursachen der Verhaftung erfuhr, dann aber nur „einen Teil*, haben 
wir schon gehört 4 ). Dasjenige aber, was er erfuhr, muß ihn nicht 
besonders von der Notwei digkeit und Berechtigung eines 

*) S. 381. 

*) 8. 624. ' 

*) In seinem dritten Aufsatze (1876), S. 35. 

4 ) Siebe oben 8. 459. 




494 


Viktor Bibi. 


wohnlichen Schrittes überzeugt haben. Wiederholt äußerte er sich zum 
florentinischen Gesandten: Er sei versichert, daß der Prinz die ihm zur 
Last gelegten Vergehen nicht begangen habe 1 ). Derselbe Gesandte be¬ 
merkte einmal zum Kaiser, er habe immer von der „grandezza di 
animo“ des Prinzen reden gehört, worauf ihm Maximilian erwiderte: 
Dies sei richtig, aber es könne nicht geleugnet werden, daß er „estreino 
in ogni sua attione“ gewesen sei *). 

Maximilian beschloß auf die Nachricht von der Gefangennahme 
des Prinzen hin, seinen Bruder Erzherzog Karl nach Spamen zu senden. 
Als Zweck dieser Mission wurde zweierlei angegeben: Aussöhnung mit 
den aufständischen Niederländern (d. h. also Ermäßigung der strengen 
Ketzeredikte) und „reeouciliation* zwischen Vater und Sohn. Diese 
Verbindung der zwei Hauptziele der Gesandtschaft Erzherzog Karls — 
ebenso wie der Ausdruck «reconciliation- — gibt gewiß zu denken. Man 
wird doch nicht versucht haben wollen, einen Schwachsinnigen, ein 
gemeingefährliches Subjekt, das jeden ihm Mißliebigen umbringen 
wollte, mit seinem Vater * auszusöhnen 44 ! Man gewinnt vielmehr den 
Eindruck, daß es sich hier um einen grundsätzlichen Gegensatz zwischen 
Vater und Sohn handelte, den der Kaiser lebhaft zu würdigen gewußt 
haben wird, da er ja auch wegen der schroffen Behandlung der Nieder¬ 
länder beständig mit Philipp im Streite lag. Der Vizekanzler Dr. Zasius, 
der die dem Erzherzog Karl ausgestellte Instruktion dem Kurfürsten 
von Sachsen mitteilte, bemerkte dazu: Er glaube nicht, daß diese Sendung 
viel Erfolg haben werde; denn die *Albanisch partei*, zu welcher auch 
der Minister Buy Gomez — es war dies der eigentliche Gefangen¬ 
wächter des Don Carlos — gehöre, habe in Spanien die Oberhand be¬ 
kommen und Herzog Alba selbst werde die «Liberation 44 des Prinzen 
hindern 8 ). Der kaiserliche Minister besagte damit, daß das Prinzip 
der blutigen Gewalt Albas über dasjenige der klugen Mäßigung (welches 
vielleicht von Don Carlos vertreten wurde) gesiegt habe. 

Zasius berichtete dem Kurfürsten auch über die Ursachen der Ver¬ 
haftung, soweit man eben darüber unterrichtet wäre. Der Prinz solle 
im Verdachte eines Ketzers stehen und auf Grund einer Anzeige der 
Inquisition verhaftet worden sein, bei welcher Gelegenheit man bei ihm 
calvinistische Bücher beschlagnahmte. Er (Zasius) für seine Person 
glaube aber, daß es sich mehr um politische Gegensätze handle und 

*) Berichte Antinoris vom 12. und 16. August 1668 (Florenz, Archivio di 
Stato, Cod. Mediceo 4329). 

*) Bericht Antinoris vom 16. September 1568 (Ebenda). 

*) Zasius an Kurfürst August von Sachsen, 1568 August 1 (Dresden, Haupt- 
Staatsarchiv HI 61*, fol 24 b . Nr. 10 (Hs 8522), Bl. 634 f.). 



D.'e Don Carlos-Frage. 


495 


zwar um die „domination*. Eine Verschwörung halte er für ausge¬ 
schlossen, weil man doch sonst von der Verhaftung auch anderer Per¬ 
sonen hätte hören müssen. Der Prinz solle eines „hitzigen, gar cole- 
rischen und martialischen l ) gemuets* sein, aber selbst wenn das 
Attentat auf Don Juan d 1 Austria (der ihn verraten hatte) den Tat¬ 
sachen entspräche, würde dies die schwere Bestrafung mit Kerker nicht 
rechtfertigen; denn „dergleichen hendl“ seien doch besonders bei den 
Spaniern nur „klaine peccadiglios“. Aber, so fügte er hinzu, der Prinz 
soll auch, wie er „gar spitzfindig und nachdenkig* sei, die Gepflogen¬ 
heit gehabt haben, alles aufzuschreiben, und da scheint man nun 
allerlei „wunderbarliche“ Dinge vorgefunden zu haben; denn man nicht 
genug davon schreiben könne, „was solcher prinz für ain geschwinds 
köpfllein und hohen gaist, der ad summa et maxima quaeque aspieriert 
haben, neben dem er auch ganz unerträglich und seer trotzig sein 
soll* Ä ). Also: jähzornig, trotzig, grüblerisch, spitzfindig, exzentrisch, 
vielleicht genial — aber nicht schwachsinnig. 

Bevor aber Erzherzog Karl seine Beise antreten konnte, verschied 
der Prinz und diesmal erfolgte von Seite des spanischen Kabinettes 
eine langatmige Darstellung der Ursachen des Hinscheidens. Von seinem 
Geheimagenten in Rom, Cusano, erfuhr der Kaiser, daß man dort offen 
sich erzähle, die Spanier hätten bei des Infanten Tode mitgeholfen, weil 
er im Einverständnisse mit den niederländischen Rebellen gewesen sei, 
und der Papst habe den König gelobt, weil er auch seinen Sohn nicht 
geschont hätte 8 ). Eine Woche später wußte Cusano zu melden, der 
König, welcher den Prinzen im Kerker nicht besuchte, habe bei seinem 
Tode keine besondere Trauer an den Tag gelegt, weshalb man in Rom 
überzeugt sei, daß der Tod „vorbedacht“ (premeditata) erfolgte 4 ). Maxi¬ 
milian selbst scheint jedenfalls von dem offiziellen Kommunique nicht 
ganz beruhigt worden zu sein, denn er schrieb seinem bayrischen 
Schwager: Er habe vorgestern die Nachricht von dem Ableben des 
Prinzen gehört „et non caret magna suspicione, satis dictum. Gott 
wolle, das die schlraf nit hernach folge, do im anderst also ist, das 
ich awer nit hofen will* 5 ). Und einen halben Monat später läßt er 


') Auch der Verfasser unseres »Berichtes« erwähnt diesen »kriegerischen 
Geist«: »Ain großmuetdger, freigebiger milder fÜrst, dem sein sinn und gmiet zu 
kriegen und hohen Sachen gstanden«. 

•) Zauns an Kurfürst August von Sachsen, 1668 März 11 (Ebenda, Bl. 372 f.). 
*) Cusano an Maximilian, 1668 August 28 (Wien, Staatsarchiv. Romana 30). 
*) Cusano an denselben, 1568 September 4 (Ebenda). 

*) Maximilian an Herzog Albrecht V. von Bayern, 1668 September 1. (München 
Allg. Beichsarchiv, Osterr. Sachen 8, Bl. 124 f.). 



496 


Viktor Bibi. 


sich demselben Herzog gegenüber wiederum vertraulich aus: Er für 
seine Person wolle nicht glauben, daß es beim Tode unrecht zuge¬ 
gangen sei, „awer in dem hatt man bei mir nit recht gethan, derwail 
sie den printzen in der custodi gehabt hawen, daß sie ime solliche 
excessus geschtat hawen, derweil sie es laicht hetten weren mögen® *). 
Ähnlich äußerte sich der Kaiser auch zum venetianischen Gesandten. 
Der König, sagte Maximilian, habe alle Ursache traurig zu sein „et 
per la morte del figliolo et per il rimorso della propria con- 
scientia-. Der Gesandte wußte nicht, wollte der Kaiser damit sagen, 
daß der König den Tod „unterstützt 4 * oder daß er ihn nicht verhindert 
hätte 2 ). 

Dies war auch die Meinung Schmidts. Man hat jedenfalls den 
Tod des unbequemen Thronfolgers nicht ungern gesehen. Näheres 
wissen wir nicht, aber so viel kann gesagt werden: Die Auffassung, 
Don Carlos sei ein böswilliger Idiot gewesen, ist vom Standpunkte einer 
strengen historischen Kritik nicht mehr berechtigt, als das uns durch 
unseren Dichter so vertraut gewordene Bild des hochherzigen, idealen 
Freiheitshelden. Maurenbrecher hat das Buch Schmidts etwas hämisch 
als einen „Wiederbelebungsversuch des dichterischen Don Carlos* be¬ 
zeichnet 8 ). Gewiß: Schiller hat seine Darstellung aus einem Roman, 
im allgemeinen keiner erstklassigen historischen Quelle, geschöpft. Aber 
den archivalischen Belegen, auf die sich Büdinger stützte, kommt in 
quellenkritischer Hinsicht auch keine größere Bedeutung zu, als den — 
um einen Vergleich mit der jüngsten Gegenwart zu ziehen — mit 
Recht so berüchtigten Reuter- und Havas-Meldungen: auch sie sind 
Ausgeburten einer mehr oder weniger frei schaffenden Phantasie. 

Das Geheimnis des Turmzimmers im alten Schlosse zu Madrid ist 
trotz Büdinger nicht gelüftet; die Geschichte des Infanten Don Carlos 
ist eine Frage geblieben, die neuerlich vor den Richterstuhl der Ge¬ 
schichte kommen muß. 

*) Maximilian an denselben, 1568 September 16 (Ebenda, Bl. 137 ff.). 

*) Bericht Michelis an den Dogen, 1568 September 16. Vgl. Turba, Vene- 
tianische Depeschen vom Kaiserhofe, 3, S. 456. 

8 ) Historische Studien über Don Carlos, Grenzboten 1874, 4, S. 244. 



Kleine Mitteilungen. 

Zu dem Fürsten(Pairs)-gericht. In dieser Zeitschrift (XXXII, 
S. 435 ff.) habe ich mich ausführlich über das fränkisch-französische 
Königsgericht ausgesprochen, dabei aber eine kurz vorher veröffentlichte 
Notiz übersehen, die für die merovingische Zeit einen Punkt bestätigt, 
den für das 12. Jahrhundert das deutsche Rolandslied berichtet Die 
Erscheinung ist ein mustergiltiger Beleg für die Zähigkeit der Zusam¬ 
menhänge in der mittelalterlichen Verfassungsgeschichte und gegen 
jene Methode, welche Einrichtungen aus dem Durchschnitt nur von 
ein paar Jahrhunderten erkennen möchte. 

Nach dem deutschen Rolandslied (diese Zeitschrift XXXII, S. 453) 
versammeln sich die Fürsten, die am Königshof zu entscheiden haben, 
fern vom König auf einer Wiese und beschließen. 

Genau, das gleiche sagt nun der Conrat’sche Traktat (ZS. Sav. St G. 
A. 29 S. 248) c. 2. Hier wird scharf zwischen der Gerichtsbarkeit über die 
Hofleute (die scola palatii) und über die Volksgenossen unterschieden; über 
die ersteren entscheidet ein praeses (der comes palatii oder der senescallus?) 
in Gegenwart des Königs. Über die letztem beschließen in Abwesenheit 
des Königs, dem erst das gewonnene Resultat vorgetragen wird, die episcopi 
et obtimates. Das ist ganz die Form des Rolandslieds. Die Optimaten 
sind die Tischgenossen des Königs (qui manducant cum rege). Zu An¬ 
fang aber steht obtimates ratinii purii acxiones unum sunt Das ist 
kein Zweifel, daß rachimburgi acciones; d. h. die Urteilsfinder der Prozeß 
gelesen werden muß. Dagegen kann man bezweifeln, ob der Satz 
meint, daß die Optimaten und die Urteilsfinder am Königshof identisch 
sind, oder ob die Optimaten und die Urteilsfinder im einzelnen 
Prozeß zwar sich von einander abheben, aber deshalb unum sunt, weil 
sie dieselbe Klasse darstellen. Im letztem Fall würde aus dem Kreis 



498 


Alte serbische Handelsbeziehungen zu Wien. 


der Optimaten eine Bank von Urteilsfindem ausgelesen werden und die 
Stelle wäre ein unmittelbarer Beleg für das Pairsgericht 

Auf eine räumliche Isolierung der proceres (senatores regni) bei 
ihrer Beschlußfassung geht auch die Notiz bei Hincmar de ordine pa- 
latii c. 34 (tamdiu ita nullo extraneo approprinquante, donec res sin- 
gulae ad effectum perductae gloriosi principis auditui in sacris ejus 
obtutibus exponerentur). 

So gewinnt man einen Zusammenhang von der merovingischen 
Zeit bis in dos spätere Mittelalter. 

Würzburg. Ernst Mayer. 


Alte serbische Handelsbeziehungen zn Wien. W'ien war seit 
jeher eine Fremdenstadt, deren Tore den auswärtigen Kaufleuten 
und Heilbedürftigen, Studierenden und Abenteurern offen standen. Die 
altehrwürdige Kaiserstadt mit ihrem glanzvollen Hofstaate, ihren Geistes¬ 
schätzen, mit ihren wohlgepflegten Handelsbeziehungen und ihrem 
bunten schillernden Leben bot für jeden der Gäste aus Südost etwas 
Anziehendes. Ein breiter Strom von Fremden ergoß sich immer von 
Neuem über die engen, stets gedrängt vollen Gassen Wiens. Unter 
ihnen beanspruchte eine gewisse Aufmerksamkeit die serbische 
Kaufmannschaft, welche einerseits stark zum Emporblühen des 
österreichischen Handels nach dem Osten beigetragen, andererseits viel 
Kultur und Zivilisation nach dem Osten geführt hat. Die gegenwärtige 
Studie möchte nur die Zeit des 16. und des 17. Jahrhunderts ein wenig 
beleuchten, Licht und Schatten nach Gerechtigkeit verteilen und auf 
Grund alter seltener Bücher und unbekannt gebliebener Archivstücke 
ein wahrheitsgetreues Bild entrollen 1 ). 

Zweifellos waren die Serben für den Güter-Austausch zwischen Ost 
und West in hohem Maße geeignet. Einerseits als türkische Unter¬ 
tanen die türkische Sprache beherrschend, andrerseits den auch in Wien 
zahlreich angesiedelten österreichischen Slawen durch ihre Muttersprache 
nahestehend, scheinen sie selbst in der Zeit von kriegerischen Wirren 

>) Bei diesem Anlässe sei gestattet, mit dem Ausdrucke verbindlichsten 
Dankes hervorzuheben, daß die Abfassung der gegenwärtigen Studie ohne die 
gütige Forderung durch die von Hofrat Professor Dr. Josef v. Knrabacek geleitete 
Hofbibliothek in Wien, sowie das k. u. k. Haus-, Hof- und Staats-Archiv 
und dask. u. k. Reich sfinanz-Archiv (Direktor: Geheimer Rat und Sektionschef 
Ludwig v. Thallöczy, Archivar: Dr. Gustav Bodenstein) unmöglich gewesen wäre. 
Auch das Archiv des k. k. Ministeriums des Innern und das Archiv 
der Stadt Wien, sowie das Gremium der Wiener Kaufmannschaft 
haben in dankenswertester Weise meine Nachforschungen unterstützt. 



Kleine Mitteilungen. 


499 


zwischen den Höfen von Wien und Adrianopel den Handel zwischen 
der Kaiserstadt an der Donau und dem osmanischen Beiche, das sich 
zeitweilig bis nach Gran erstreckte, eifrig gepflegt zu haben. Man darf 
annehmen, daß sie auf beiden Seiten gut eingeführt waren und na¬ 
mentlich durch ihre halb-orientalische Gewandtheit und durch die Kenntnis 
der türkischen Verhältnisse und Praktiken den Wiener Kaufleuten zum 
mindesten ebenbürtig, wenn nicht überlegen, auf jeden Fall eine höchst 
gefährliche Konkurrenz bildeten. Ihre genügsame Lebensführung be¬ 
lastete den Ausgaben-Konto nicht so stark, wie bei den guten Deutschen, 
denen eine größere Aufwendung für kräftiges Essen und Trinken kein 
Opfer schien. 

In der alten Zeit gingen diese Leute unter den Namen «Baizen«, 
ungarisch «raczok«; zahlreiche Orts- und Personennamen diesseits und 
jenseits der Leitha erinnern an ihre Anwesenheit, in Wien insbesondere 
wird der Name des «Batzenstadels* an dem Wienflusse, welcher wohl 
einen Stadel (Schupfen oder Scheune der Baizen) bedeutet, auf sie zu¬ 
rückgeführt, obwohl seit langem dort kein Baize nachzuweisen ist. 

Als Puffer zwischen zwei erbitterten Feinden stehend und bald 
den Bömisch-kaiserlichen, bald den Türken dienend, zur Fristung ihrer 
Existenz in höchst schwieriger Lage bemüßigt, dabei stets auf die 
Warung ihres Vorteils bedacht und nach vorwärts strebend, mußten 
die Baizen mehr Konzessionen an das Leben machen, als der Ent¬ 
wicklung vornehmer Charaktereigenschaften günstig war. Sie kommen 
daher in manchen Schilderungen von deutscher Seite schlecht weg. Der 
evangelische Prediger Stefan Gerlach, welcher den kaiserlichen Gro߬ 
botschafter David von Ungnad auf seiner bis 1578 dauernden Mission 
nach Konstantinopel begleitete und ein sehr wertvolles «Tagebuch« 
(erschienen Frankfurt a. M., Johann David Zunner 1674) geschrieben 
hat, sagt auf S. 13: «Die Christen unterhalb Ofens, in Papis, Tolna etc. 
. . . unter ihnen wohnt ein böß | diebisch und verräterisch Volck schier 
bis in die Bulgarey zerstreuet | welches man die Baitzen nennet ! reden 
Crabatisch | daher sie dann auch ihren Ursprung haben | verrathen viel 
Christen | helffen auch manchem | umb Geld darvon | sind des Wegs in 
die Christenheit wohl erfahren | zeigen den Türcken offtmahls Gelegen¬ 
heit Vieh und Leute hinwegzunehmen«. Auf S. 532 sagt derselbe 
Cerlach: «Da er | der Jung« (welcher der türkischen Gefangenschaft 
entfliehen wollte) «außer Zweiffei von Serviern verrathen worden. Dann 
es ein gar loses Volck ist, und mit Morden, Bauben, Stehlen nicht viel 
1>esser als die Türcken, sind dieser auf* unseren Gräntzen Kundschaffter 
und der unsern Verrähter stehen« (recte stehlen) «viel Menschen son¬ 
derlich Knaben, wo sie solche auff den Gräntzen erhaschen können«. 



f)OÖ Alte serbische Handelsbeziehungen zu Wien. 

Das Sündenregister der damaligen Baizen ließe sich mit leichter Mühe 
vergrößern, wir wollen uns begnügen, aus Hammer-Purgstall, Geschichte 
des osmanischen Reiches II 214 anzuführen, daß im Jahre 1551 viele 
Festungen und Schlösser in Ungarn in Türkenhände gefallen sind, u. a. 
auch das wichtige Csanad, weil die Raizen, aus denen die Besatzung 
bestand, zu den Türken übergingen. 

Im Handel strebten die Raizen, im Bunde mit den Armeniern, die 
gleichfalls dem türkischen Reiche unterstanden, das Monopol der Ver¬ 
mittelung zwischen Wien und der Türkei an. Sie führten ein in 
Wien laut der dem Akte „Ung. 25. Sept. 1669“ im Reichsfinanzarchive 
in Wien beiliegenden Listen des kaiserlichen Waghauses in Wien, bei 
welchem sich die Mautstatte befand, folgende Waren: Krämerei, Leb¬ 
zelten, Vitriol, Saffianfelle (am 8. Mai 1665 waren es 1350 Stücke, 
eingeführt durch Lukas Pamuzi und Konsorten von Ofen, am 5. März 
1668 durch den Raizen Lukas aus Griechisch Weissenburg = Belgrad 
1050 Stücke), auch Tabak wurde nach den Mautlisten von 1663—1668 
in Wien aus Belgrad und Ofen eingeführt, u. zw. meist je eine Fuhr 
von l*/ 4 Zentner. Der Wert, der dafür angegeben wurde, variiert zwischen 
61 fl. (9. Sept. 1667) und 70 fl. (3. Febr. 1667), entweder unter dem 
Einflüsse der Marktlage oder bedingt durch die Verschiedenheit der 
Sorten. Auch Teppiche, härenes Zeug und Horn kamen von Belgrad. 

Weitaus bedeutender als die Einfuhr war die Ausfuhr der Raizen 
beim kaiserl. Waghaus in Wien. Manchmal erschien derselbe Raize 
mit eigenen Waren in Wien, veräußerte sie und ging mitunter noch 
am gleichen Tage mit Wiener Ware in seine Heimat ab, so z. B. der 
Raize Johann aus Belgrad, der am 11. Mai 1663 mit 1 Fuhr Kram¬ 
ware, 1 Ztn. schwer, eintraf, dafür 3 fl. 2 ß 24 ^ Maut entrichtete, 
und noch am gleichen Tage mit 3 Fuhren, enthaltend 8 l / t Ztn. Draht, 
2 Stück glattes Tuch und Krämerei für 1680 fl., wofür er 88 fl. 1 ß 14 ^ 
entrichtete, heimreiste. Das gleiche machte er am 30. März 1665, er 
erschien mit 5 Fuhren, enthaltend 5 1 /« Ztn. Kramware, die einem Zoll 
von 17 fl. 4 ß 12 ^ unterlag, und kehrte heim mit 3 Stücken ent¬ 
haltend 1 Ztn. tradt (Draht) und Krämerei für 3200 fl., wofür er 160 fl. 
6 ß 24 ^ entrichtete. Es ist bei dem schleppenden Geschäftsverkehr 
der damaligen Zeit nicht wahrscheinlich, daß es dem Raizen Jo hann 
in den wenigen Stunden zwischen Ankunft und Abreise gelungen wäre, 
die importierten Güter abzuladen, zu vermauten und zu verkaufen, so¬ 
dann die leeren Wagen mit Wiener Ware zu beladen, zu vermauten 
und noch vor Einbruch der Dunkelheit (im März!) abzureisen. Vielmehr 
ergibt sich aus den Umständen, daß der Raize Johann, der über einige, 
für die damalige Zeit ansehnliche Geldmittel verfügte, in Wien Ge- 



Kleine Mitteilungen. 


501 


schäftsfreunde besaß, die die ankommenden Waren übernahmen und 
ihm die für ihn vorbereitete und zum Zunageln reife Exportsendung 
übergaben. 

Die Mehrzahl der raizischen Kaufleute scheint sich die Arbeit 
leichter gemacht zu haben: sie reisten nur auf der einen Hälfte des 
Weges in Geschäften, die andere Hälfte des Weges legten sie als Pri¬ 
vatleute zurück. Es sei gestattet diesen Handelsverkehr etwas näher 
zu besehen! 


Einfuhr nach Wien. 


durch 

die 

Kaizen 

von 

erlegte Mautgebühren in den Jahren 

1663 

1664 
Jahr des 
Türken 
kriegs 

1665 

| 

1666 

1667 

1668 

I 

zu¬ 

sammen 

Ofen 

— 

— 

13 fl. 

— 

15 fl. 
3ß244 

3 fl. 
3ß22/t& 

32 fl. 
3ßl6^ 

Bel¬ 

grad 

4 fl. 

1 ? 6^ 

i 

59.4.12 

I 

i 

! 

1123.4.12 

1 

33.1.18 

37.3.17 

263.6.29 

zu¬ 

sammen 

4.1.6 

i 

1 

73.—.12 j 123.4.12 

48.5.12 

40.6.39 

i 

286.1.15 


Ausfuhr aus Wien. 


durch 

die 

Kaizen 

von 


1663 

1664 

Jahr des 
Türken¬ 
kriegs 

1665 j 

1666 

1667 

1668 


Ofen 

97 fl. 
2ß28/<& ] 

— 

135 fl. 

; 6044 

| 

60 fl. 
lß-4 

73 fl. 

2 ß 14.4 

29 fl. 

-ß-4 

395 fl. 
4ßl64 

Bel¬ 

grad 

563.2.14 


335.4.28 

325.5.18 

41.2.16 

160.5.5 

1426.4.21 

zu¬ 

sammen 

660.5.12 


471.3.2 

385.6.18 

114.5.— 

189.6.6 

1822.1.7 


33 


Mitteilungen XXXVI. 
















502 


Alte serbische Handelsbeziehungen zu Wien. 


Nach den in den Listen enthaltenen Wertangaben einzelner Waren 
zu schließen, pflegte die Mautgebühr zwischen 4 und 0 % zu schwanken. 
Wenn wir als Durchschnitt 5 % annehmen und diesen Maßstab an 
die Ziffern für Einfuhr und Durchfuhr anlegen, so ergeben sich an¬ 
nähernd folgende Zahlen der Gesamtausfuhr während der Jahre 1603 
—1608. 

Ofen etwa 7.910, Belgrad etwa 28.530, beide zusammen etwa 
30.440 fl. 

Für die Gesamteinfuhr dieser Jahre Ofen etwa 050. Belgrad etwa 
5.074, beide zusammen 5.724 fl. 

Kechnet man Ausfuhr und Einfuhr zusammen, so ergibt sich als 
Gesamthandel der Kaizen von Ofen nach Wien 8.560, Belgrad nach 
Wien 33.604, beide zusammen 42.164 fl. 

Doch erlangen diese Ziffern ihre richtige Größe erst, wenn man 
sie, entsprechend dem damaligen höheren Werte des Geldes, mit 5 oder 
0 vervielfacht, wodurch erst eine annähernd richtige Angabe des Ein- 
und Ausfuhrhandels der Kaizen nach Wien entsteht 

Die Baizen brachten damals nach Wien von Ofen: Safi&nfelle. 
Vitriol, Leinwand, Tabak, Spezereien, Hausenfische; von Belgrad: in 
erster Linie Krämerei, das was wir jetzt orientalische Galanteriewaren 
nennen würden, Lebzelten, Tabak, Teppiche, Safianfelle, auch Schwämme 
und Gummi. Doch war der Umsatz, wie bereits gesehen, ein geringer, 
und nur für Kramware und Safianfelle scheint größere Nachfrage in Wien 
geherrscht zu haben. 

Erheblicher als die Einfuhr war die Ausfuhr der Kaizen aus 
Wien. Nach Ofen brachten sie Draht in großen Mengen, Tuche u. zw. 
sowohl gemeines Tuch als schlesisches Tuch, Biberfelle in ganzen 
Fuhren, dann auch Reispapier, Cronrasch, einen damals sehr beliebten 
Seidenstoff für Frauenkleidung, Nägel und härenes Zeug. Nach Belgrad 
in großen Mengen „gemachtes* Messing (zuweilen 9 oder 12 Zentner), 
ferner Weißblech und Draht, schwächer, aber auch nicht zu unter¬ 
schätzen war der Absatz in Tuchen, d. h. in gemeinem Tuch, in 
Schöppentuch und in schlesischem Tuch, sogar etwas weniges englisches 
Tuch wird genannt Für die Färbereien der damals blühenden und 
umfangreichen Stadt (siehe Stefan Gerlach’s Schilderung in seinem 
„Tagebuch*) holten sie in Wien Indigo und Alaun, für den Putz der 
Frauen die beliebten Seidenstoffe Cronrasch und Schambloth, auch Seide 
im Allgemeinen kommt vor. Härenes Zeug (? Loden), Messer, gemachtes 
Zinn, mittelst dessen die Klempner die beliebten Weißblechkannen, 
Becher und Becken verzinnten, Reispapier, Holzware und Kaffee. Je 
eine Ladung mit Draht und Kramware ging von Wien nach Achsech 



Kleine Mitteilungen. 


503 


(wohl Essek) und Timau, worunter ebensowohl die Stadt Tyrnau in 
Oberungarn, als auch Tirnovo in Bulgarien gemeint sein kann. 

Da uns die Listen auch die Namen der Kaufleute angeben, 
ist es möglich nachzuweisen, daß von Ofen sich 22 als Baizen be¬ 
zeichnte Kaufleute 1663—1668 am Handel mit Wien beteiligten, 
welche zusammen 29 Fahrten, 4 herein, 25 hinaus unternahmen. 

Obenan steht Constantin Pobabitsch oder Poppowitsch mit einer Ge¬ 
bührenleistung von 100 fl. 4 ß 44 Sonst Demetr. Somossy (16. — .22), 
Elias (5.4.20), Elias Deluca (—.7.26), Georg Zuday (4.5.—), Janosch 
Wudtey (9.2.12), Jurkho (6.3.22), Luca (8.6.20), Luca Jacabitsch 

(20.2.12) , Luca Marianabitsch (45 • 4.24), Luca Pamuzi, offenbar türkisch 
Pamutdschi »der Baumwollmann* (13.4. —), Marco (5.3.26), Marco 
Batibobitsch (29 . —. —), Marco Buday (17.5.12), Maria (2.1.6), Mathias 

(24.7.14) , Michael Bulclay (20.7.6), Michael Schlossgängl (2.3.2), 
Nenekho (16.7.22), Simon (36.6.12), Stefan (18.5.14), Stefan Sieder 

(1.—.20). 

Auffällig daß sich unter diesen angeblichen Baizen auch zwei echt 
deutsche Namen Michael Schloßgängl und Stefan Sieder befanden, viel¬ 
leicht altangesessene Ofener Deutsche von türkischer Staatsangehörigkeit, 
auch fünf Magyaren. 

Ein viel größeres Kontingent stellte die Kaufmanschaft der Stadt 
Belgrad, von welcher sich 45 Kaufleute auf 82 Geschäftsreisen 
(29 herein, 53 hinaus) an den Handel mit Wien beteiligten. 

Allen voran der »Balze Johann von Griechisch-Weißenburg* mit einem 
Mauterlage von 326.4.4 auf 7 Verfrachtungen, auch noch ansehnlich der 
Baize Stephan (113.6.20), Georg Paul (112.2.22), Luca (102.2.24) 
und Marenz Kharto Marx, vielleicht ein Italiener, (97.5.18). Mit kleineren 
Beträgen sind eingetragen Abraham Jarkh (69.3.18), Andre Zwikh 
(9.7.6), Arathin (25.4.24), Anthoni (4.6.12) Demetri (74.4.1), 
Damassy (2.2.24), Demetri Domassy (33 5.24), Domenicus (12.4.27), 
Georg oder Jura (54.4.28), Georg Foynerari, vielleicht ein Italiener, 

(33.5.14) , Georg Mikhalitsch (— .3.26), Georg Mitta richtig Mitar 
(18.2. —), Gregor Griekherisch richtig Grigoritsch (30.6.12), Järkho 

(21.6.12) , Johann Khrungs, ? ein Deutscher (7.5.6), Johann Khruch 
abzuleiten von kruh, serbisch »das Brot* (l 1.2.24), Johann Zakh 

(16.3.18) , Hans Michael Naar (auf 11 Fahrten zusammen 10.5.24), 
Iron oder Fron (8.2.12), Jurkho (30. — .12), Lucas Jacobobitsch 
(3.4.24), Manoldt, vielleicht — Emanuel (27.6.24), Mario (28. — .12), 
Mescho (38.1.14), Michael Markhobitsch (3.7.6), Nersso, vielleicht Nerses 

(4.7.18) , Nescho (23, —. --), Nicola Arnoldt (4.1.6), Peter (20.4.24), 
Stefan Georg (40.5.18), Stefan Iniemakh (l .5.6), Stefan Schindter, viel¬ 
leicht ein Deutscher, (4.5.2), Stefan Staben (39.2.12), Stoeschan 
(25.2.—), Thoma Manigasch (40.2.—), Thoma Mangoth (34. —.—), 
Thoma Marath (31.4.24), Welckho (14.5.2). 


33* 




504 


Alte serbische Handelsbeziehungen zu Wien. 


In Belgrad befand sich damals eine große Kolonie von Bagusäeru, 
die unter türkischem Schutze starken Handel trieben. Wir dürfen 
daher über mancherlei italienische Anklänge obiger Namen nicht 
staunen. 

Lebhafte Konkurrenz erwuchs diesen Baizen, als einige Kauf¬ 
leute imd Unternehmungen von Wien sich entschlossen, den Gefahren 
trotzend, selbst Beisen in die Türkei, wozu damals Ofen und Belgrad 
gehörten, zu unternehmen oder auszurüsten. Dem suchten die Raizeu 
mit allen möglichen Mitteln entgegenzuarbeiten. Sie verbreiteten in 
Österreich die Nachricht vom Ausbruche böser Krankheiten in der Türkei 
und malten das Schreckbild der Pest an die Wand, die bei dem da¬ 
maligen niederen Stande der Heilkunde in unseren Gegenden eine außer¬ 
ordentliche Gefahr für den ganzen Staat in sich schloß. Wenn solche 
Gerüchte, geschickt verbreitet, durch die Luft schwirrten, lachten sich 
die Verbreiter derselben schadenfroh ins Fäustchen, denn die Begieningeu 
verfügten prompt alle möglichen Quarantänemaßnahmen, die den besser 
zu beaufsichtigenden Handel der eigenen Untertanen schwerer trafen 
als jenen der Fremden, die oft auf Schleichwegen und im Dunkel der 
Nacht einzogen. 

Natürlich verursachte es den Wiener Kaufleuten große Schwierig¬ 
keiten, die Unwahrheit solcher Gerüchte nachzuweisen, bis dahin hatte 
ihr Handel schon Schaden genommen. Den Baizen aber war es ein 
Leichtes, wann sie wollten, d. h. wenn ihre Geschäfte es erheischten, 
die von ihnen selbst ausgestreuten Nachrichten zu widerlegen und Ab¬ 
stellung der zur Behinderung der Wiener Konkurrenz beantragten Qua¬ 
rantänemaßnahmen zu verlangen. Im Frühjahr 1671 ereignete sich 
ein für diese Dinge typischer Fall; indem wieder durch unbekannte 
Personen allerhand gräßliche Nachrichten in Wien in Umlauf gesetzt 
worden waren, erfloß eine Allerhöchste Besolution, daß wegen der in 
der Türkei einreißenden starken „Contagion“ Niemand, er sei da, wer 
er wolle, ohne Paß vom Hofkriegsrat in die Türkei über die Grenze 
durchgelassen werden dürfe. Die niederösterreichische Begierung und 
Kammer schreibt im Zusammenhänge damit in einem Dekrete vom 
16. Februar 1671, daß allhier (in Wien) durch die Bäzen solche »Un¬ 
wahrheiten und Zeitungen“ ausgestreut werden, daß es fast den 
Anschein gewinne, als ob man offene Verräter dahier unterhalte 
(Stadtarchiv Wien 13/1671). Bald darnach, etwa einen Monat spater, 
stellte sich die Unwahrheit der Pestgerüchte heraus, und sofort fielen 
wieder die Quarantäne-Schranken, nicht ohne vorher den Handel der 
Erbländer geschädigt zu haben. Als sich derartige Dinge öfters wieder¬ 
holten, errieten allmählich die Wiener, wem sie solche Unannehmlich- 



Kleine Mitteilungen. 505 

keiten zu verdanken hatten, und begannen auf die Baizen ein aufmerk¬ 
sames Auge zu halten. 

Der Verdacht, daß sie Verräterei trieben, heftete sich an sie, als 
man wahrnahm, daß die Reichsfeinde wiederholt über Zustände und 
Vorfälle in den Erblanden besser unterrichtet waren als es in Wien 
lieb war. Auffällig mußte es allerdings sein, daß manche Baizen, 
wie z. B. Hans Michael Naar aus Belgrad, häufig mit ganz geringem 
Warenvorräte in Wien auftauchten und nach kurzer Zeit wieder ver¬ 
schwanden. Nicht weniger als elfmal war derselbe in kurzen Zwischen¬ 
räumen hergekommen und hatte immer nur Lebzelten einen Zollbetrag 
von fär 6., 8., 10., höchstens 15 ß bei sich. Was war natürlicher, 
als daß man diese häufigen Anwesenheiten mit Ausspäherei und anderen 
versteckten Absichten des Hans Michael von Belgrad zuschrieb, der 
den Beinamen Naar, offenbar „der Narr“, vorgespiegelter Einfältigkeit 
verdankte? 

Die Organe Kaiser Leopolds in der Türkei warnten wiederholt vor den 
Schlichen der raizischen Spione. Der kais. Kurier Gabriel Lenoris berichtete 
(Haus-, Hof- und Staats-Archiv „Turcica 8. Okt. 1668“), es sei bei den 
Freunden des Kaisers eine große Klage darüber, daß jetzt Baizen, Armenier 
und Griechen kaiserliche Privilegien erhalten haben, in Wien offene Läden 
zu halten und darin ihre Waren zu verkaufen. Die nach Wien kom¬ 
menden Türken haben, wenn ihnen auch das Betreten von deren 
Wohnungen untersagt ist, Gelegenheit, mit ihnen bei den Läden zu 
sprechen. Deshalb rühmen sich die Türken, alle Sachen durch ihre in 
Wien ansässigen raizischen Untertanen zu wissen, während von altersher 
Übung war, sie nach Wien kommen und gegen Ableistung der Zölle 
ihre Waren verkaufen, aber nicht sie in Wien bleiben und dort Läden 

eröffnen zu lassen.Die Türken haben mich sogar mit einem Raizen 

geneckt, der in Wien vorgab, ein entlaufener Christensklave der Türken 
zu sein, sich in den Läden der Baizen aufhielt und dann mit dem 
Bischof von Martianopolis in die Türkei reisend, in Gran vor den Jani- 
tscharen den weißen Fes aufgesetzt und sich als türkischer Spion zu 
erkennen gegeben hat“. 

Der kais. Gesandte Job. Philipp Beris, Hof kammerrat, schrieb 
(»Turcica 31. März 1671 “1 aus Belgrad (Griechisch-Weissenburg): Man 
möge sich sehr von den Baizen hüten, welche sich in 
Häusern niedergelassen habtn und durch Hoffreiheiten 
geworden sind. Selbe seien durchgehends Spione, wifl^T 
ergeben, daß ein renegirter Armenier namens Mene» * 

Wien aufgehalten habe bei einem Baizen, so sein Qj 

4 


i 




506 


Alte serbische Handelsbeziehungen zu Wien. 


„Güldenen Gans“ x ) hat, mit Namen Johannes Deodato „so sich ka¬ 
tholisch simulierte“. „Da er genug spioniert, hat diser Deodato dem 
Menes einen Paß procurirt vom Herrn Nuntio Apostolico, Ihr. fiirstL 
Gnaden Herrn Bischoff yon Wien und dem Gremonville“ (französischen 
Botschafter) „mit welchem Paß er Menes yon danen ab nacher Rom 
gereist, nachgehends wieder auf Venedig und über Bagusa anher“ (nach 
Belgrad) „körnen, geht jez hier wie ein Türkh vnd heißt Mahomet, 
weiß von Wien mehr zu sagen, als einer der 10 Jahr daselbst gehaust 
Vor dißem hat man wohl zugelaßen, daß sie nacher Wien fahren mögen, 
man hat ihnen aber einen gewissen Eommissarien beigegeben wie den 
Türcken, die auf ihr Thun vnd Laßen Ächtung gehabt, und wen sie 
das was sie vonnöthen einkauft gehabt, hat man sie wieder fortge¬ 
schafft, wobei nichts gefährliches fürgangen sondern Gelt ins Landt 
gebracht vnd Ir Mjtt: Mauthgefäll dardurch vermehrt worden, iezund 
aber seyn sie wie Bürger dort und wenn sie nichts mehr zu spionieren 
wißen, geben sie vor, sie könten den Zinß und ihre nahrung nit mehr 
bestehen, nehmen ihre Crämel, gehen davon in dise Länder vnd ver- 
rathen alles. Interest Beipublicae, daß dieses ohne Verzug remedirt 
werdte“. 

Ungemein charakteristisch ist auch ein Schreiben des kais. Resi¬ 
denten Kuniz ddo. Belgrad 10. Dezember 1673 („Hoff. 15. Februar 
1674“ im k. u. k. Finanz-Archiv Wien), worin es heißt, die in 
Wien wohnhaften Armenier und Baizen geben ihren Belgrader Freun¬ 
den, mit denen sie in guter Korrespondenz stehen, Nachricht von 
Allem was in Wien vorgeht, namentlich aus dem Hofkriegsrat, z. B. 
hat einen Monat vor Kuniz’ Ankunft dortselbst der Kaimakam zu Bel¬ 
grad den dortigen Angestellten der Wiener Orientalischen Compagnie 
zu sagen gewußt, was der Hofkriegsrat in Wien an der Orientalischen 
Compagnie in seiner Sitzung getadelt, und „trotzdem werden selbige 
Baizen von den Hofkriegsräten und den Kriegssekretären in Wien ge¬ 
duldet und geschützt, damit sie in Wien noch mehr erfahren und dann 
in der Türkei bekanntgeben“. Den schlauen Gesellen konnte natürlich 
niemals der Nachweis der Spionage erbracht werden, und auch in Köniz* 
Falle wurde die Schuld auf einen französischen Kaufmann geschoben, 
welcher ein Schreiben mit politischen Nachrichten aus Wien (von der 
französischen Botschaft?) nach Belgrad gebracht haben soll; aber man 
war nicht umsonst schon seit mehreren Jahren den Baizen in Wien 
mißgünstig geworden. Hierüber gibt willkommenen Aufschluß eine 


*) Haus Rotentunnstraße 646 (jetzt 29) dicht neben dem kl. Waghause Roten- 
turmstraße 642 und 643 (jetzt abgerissen). 



Kleine Mitteilungen. 


rx)7 


Korrespondenz zwischen kais. Hofkammer und Hofkriegsrat, verwahrt 
im k. u. k. Reichsfinanz-Archive unter „NÖ. 3. April 1671.“ Dem 
kais. Hofkriegsrate war laut Schreibens vom 12. Jänner 1671 an die 
Hofkammer zu Ohren gekommen, daß durch die damalige Ausbreitung 
der Kaufmannschaft in der Türkei sehr viele Kaizen, Griechen und Ar¬ 
menier frei und unabhängig hierher und dorthin geführt werden, welche 
bei den Türken zum Nachteile von Ihrer Majestät Dienst tausend 
Sachen ausstreuen. Auch treiben hier viele Räzen Handel und halten 
offene Gewölbe, desgleichen vor wenig Jahren hier noch nicht ge¬ 
sehen worden sind. Früher hat der Hofkriegsrat von allen in und aus 
der Türkei reisenden Leuten Kenntnis erhalten müssen, jeder Räze hat 
sich bei dem nunmehr verstorbenen Dolmetschen D’Asquier anmelden 
müssen, der ihm einen türkischen Kurier zugegeben, damit er seine 
Waren verkaufen und andere dafür einkaufen könne, und dasjenige, 
was er von solchen Personen erfahren, dem Hofkriegsrat mitgeteilt 
habe. Jetzt aber weiß der Hofkriegsrat von ihnen gar nichts und 
vernimmt, daß die Räzen sogar einen eigenen Körper bilden 
und andere Räzen die sie consules nennen, dahier in Ge¬ 
wölben halten, welche unter anderm auch das Gold außer Landes 
fuhren und viele schädliche Berichte ausstreuen. Seine Majestät habe 
beschlossen, wegen der Räzen von der niederösterreichischen Regierung 
ein Gutachten einzufordern. Die angestellten Erhebungen ergaben, daß 
schon 1670 Eingaben eingereicht worden seien, damit im Wege des 
Hofkriegsrates den Kommandanten an den Grenzen größte Wachsamkeit 
eingeschärft werde, sowohl was die in Diensten von Wiener Geschäfts- 
Unternehmungen als auch was die frei reisenden Räzen betreffe. Die 
Letzteren, nämlich die frei reisenden Raizen schädigen zwar die 
erbländischen Kaufleute sehr, aber man werde ihren Handel mit Rück¬ 
sicht auf die Friedensverträge mit der Türkei, deren Untertanen sie seien, 
nicht wohl sperren können. Auch sind zu Raab und Komorn 
seit undenklichen Jahren unterschiedliche Räzen haus- 
sässig, die ihre Handelskonsorten in Ofen, Belgrad und 
anderen Plätzen haben, diese zu jenen, jene zu diesen reisen, oft 
auch nach Wien kommen, monatlich oder so oft es ihnen beliebt sich 
unter dem Vorwände voi Handelsschaft dahier aufhalten und alles 
ausspähen können, unter anderm auch vornehmlich die damals leider 
sehr seltene schwere Münze ein wechseln und außer Landes führen. Ferner 
kommen Räzen im Aufträge des Paschas von Ofen auf unbe¬ 
kannten Wegen ohne ein Grenzhaus zu passieren herauf, er könne 
allerdings auch durch die Ungarn (*/ t des Landes unterstanden damals 
den Türken, die eine starke Partei in Ungarn hatten) Nachrichten ein- 



508 


Alte serbische Handelsbeziehungen zu Wien. 


ziehen. Dies wäre mir dann zu verhindern, wenn man den Räzen den 
Vorwand zu einer Wienfahrt benehme. Man könne zwar dem kais. 
Obersten zu Komorn auftragen, auf die hin und wider passierenden 
Räzen wohl acht zu geben, was aber die von den Razen in Wien er- 
öffneten Gewölbe allbelange, so haben sie wohl dafür beim Hofe Kon¬ 
zessionen erhalten und werden wahrscheinlich die Kuriere in’s Interesse 
gezogen haben — andrerseits sei sehr zu bezweifeln, ob man ohne 
Vertragsbruch etwas dagegen machen könne. 

Wir ersehen aus diesem Akte, daß die Razen sich in Wien ziemlich 
fest eingeuistet haben, während aus früherer Zeit verlautet hatte, daß 
man den Raizen als unzuverlässigen Elementen das Betreten der Kaiser¬ 
stadt nicht erlaubt, sondern sie gezwungen hatte, ihre Waren nur 
bis Schwechat zu führen, wohin zum Ankäufe die Wiener Kaufleute 
reisen konnten. (Siehe kais. Dekret ddo. Regensburg 26. Jänner 16(54 
im Reichsarchive des k. k. Ministeriums des Innern, Abt V. G. 12. 
Nr. C 2971). 

Auch als Viehtreiber, als Begleiter der großen Kindertrans¬ 
porte aus Ungarn und der Türkei, kamen zahlreiche Raizen (laut Akt 
r Ung. 14. Jänner 1670“ im Reichsfinanz-Archive Wien) nach Öster¬ 
reich, zum mindesten in die benachbarten Grenzstriche des Königreichs 
Ungarn, sehr zum Mißfallen der kais. Militärbehörden, welche befürch¬ 
teten, daß die gefährlichen Leute in dieser Eigenschaft leicht Weg und 
Steg kennen lernen und den Türken verraten könnten. 

W ahrscheinlich besaßen die Raizen, weß Standes immer sie sein 
mochten, ob Gewölbeinhaber, ob reisende Kaufleute oder Viehtreiber, 
eine feste Organisation, an deren Spitze die vorgenannten „eon- 
sules“ gestanden sein dürften, welche sich, da es sich ausschließlich 
um türkische Staatsangehörige handelte, der offenen oder geheimen 
Einflußnahme der türkischen Staatsbehörden nicht entziehen konnten. 

Längere Zeit hindurch schwebte das Ungewitter über den serbischen 
Händlern, und sicher wären die kaiserlichen Behörden schon vor Jahren 
gegen sie vorgegangen, wenn nicht die Besorgnis bestanden hätte, 
hiedurch von der allezeit kriegsbereiten türkischen Regierung des Ver¬ 
tragsbruches bezichtigt und mit einem Kriege bedroht zu werden. Wir 
wissen nicht, welchem Umstande der spätere Bruch dieser Beziehungen 
zuzuschreiben wäre. Nur das eine ist gewiß, im Jahre 1678 entlud 
sich die Wetterwolke über den serbischen Händlern. Das im „ Gremium 
der Wiener Kaufmannschaft* verwahrte Abschriftenbuch von Wenzel 
Nedorost, Vorstand der «Bruderschaft der Bürgerlichen Handelsleute¬ 
in Wien (ca. 1710) enthält den Auszug eines Dekrets der niederöster¬ 
reichischen Regierung an den Stadtmagistrat von Wien. „Vermög 



509 


Kleine Mitteilungen. 

deßen sollen alle Räzzen, außer deß Johann Diodats vnd Constantia 
£iriac, welche mit Hof-Freyheiten von Törckhischen Wahren zu handlen 
versechen, alsobalden fortgeschafft werden“. Datum 6. Juni 1678. Das¬ 
selbe Abschriftenbuch erwähnt auch unter demselben Datum ein kaiser¬ 
liches Dekret an die niederösterreichische Regierung zur Verständigung 
derer von Wien, d. i. der Stadtverwaltung, daß zwar die beiden obigen 
Raizen Freiheiten für den Handel mit türkischen Waren erhalten, die¬ 
selben aber mißbraucht haben, daher man sehr auf sie Acht geben 
solle. Im Falle von neuerlichen l bertretungen werde man ihre Frei¬ 
heiten kassieren. Was aber die Übrigen betrifft, die keine Freiheiten 
genießen, außer dem Franz Georg Goldtschüz, welcher ein „Polaekh“ 
sein wollte, anbelangt, nemlich den Gregor Isaac, Peter Georgi, Daniel 
Riess, Georg Mihalowiz, Peter Cucowic und Aslan Mihal (offenbar ein 
Armenier), so sollen dieselben alsbald abgeschafft werden. 

Diese Verfügung ist in mehrfacher Beziehung interessant Vor allem 
deshalb weil sie die Namen der ständig in Wien ansässigen raizischen 
Importeure von Orientwaren enthält — im Gegensatz zu den früher 
gegebenen Listen, welche die Namen der auswärts ansässigen und nur 
gelegentlich mit Warensendungen in Wien erscheinenden Importeure 
enthält — zwei Gruppen von Kaufleuten, die auf einander angewiesen 
und von einander abhängig waren, indem die raizischen Handelsleute 
von Ofen und Belgrad die Orientwaren nach Wien führten, und die in 
Wien seßhaften Raizen sie dann an Ort und Stelle losschlugen oder 
gar an andere Orte versandten. Der Wiener Lokalhistoriker speziell 
wird durch die Erwähnung des * Franz Georg Goldtschüz“ interessiert, 
welcher niemand anderer ist, als der aus der 2. Türkenbelagerung Wiens 
im Jahre 1683 bekannte Franz Georg Kolschitzky, eigentlich Kul- 
czyckL, ein Pole aus Sambor, welcher je nach Bedarf als Pole oder als 
Raize auftrat (vielleicht war er ein Mischling) und in Wien bis zur 
Austreibung der Raizen als angeblicher Raize ein Importgeschäft für 
Orientwaren innegehabt hatte. Es zeigt sich, daß der aalglatte Mann 
sich schon damals mehr oder minder unverdiente Begünstigungen zu 
erwirken wußte, während der ungleich verdientere Original-Serbe Georg 
Mihajlowitsch, welcher vordem in der türkischen Residenz Adrianopel 
Kammerdiener beim kaiserlichen Residenten Johann Baptist Casanova, 
einem gebürtigen Mailänder, gewesen und nun gleichfalls Orientwaren¬ 
importeur in Wien gewordei war, dem Lose der Verbannung verfiel; 
doch muß er später wieder in Gnaden aufgenommen worden sein, denn 
im Jahre 1683 hat er den Wienern mit Aufopferung seines Lebens 
Boten- und Späherdienste gegen das Heer der türkischen Belagerer 
verrichtet. 



510 


Alte serbische Handelsbeziehungen zu Wien. 


Sicherlich war die Austreibung der Kaizen aus Wien 1678 in der 
Absicht erfolgt, um für die gefährdete kaiserl. Hauptstadt angesichts 
des in immer größere Nahe rückenden Krieges mit der türkischen 
Großmacht sich zweideutiger und unzuverlässiger, vielleicht sogar verrat- 
drohender Gäste zu entledigen. Die kriegerischen Wirren an der 
türkischen Grenze in Ungarn hatten zwar nie aufgehört, immer war 
von Neuem dort Blut geflossen; das war indessen schon ein chronischer 
Zustand geworden, der den Orienthandel erschwerte, nicht verhinderte. 
Der große Krieg, welchen die türkische Regierung nach jahrelangen 
Vorbereitungen 1683 eröflhete und nicht weniger als 16 Jahre führte, 
schnitt ganz unvermittelt alle Handelsbeziehungen zur Balkanhalbinsel 
ab, und erst [nach seiner Beendigung im Jahre 1699 ist es gelungen, 
die abgeschnittenen Fäden wieder anzuknüpfen. 

Wien. 


Carl v. Peez. 



Literatur. 

Wilhelm Ewald. Siegelkunde (Handbuch der Mittelalterlichen und 
Neueren Geschichte. Herausgegeben von G. y. Below und F. Meinecke). 
München und Berlin. K. Oldenbourg 1914. Angefügt: Wappen¬ 
kunde von Felix Hauptmunn. VHI u. 244 SS. 40 Tafeln in Au¬ 
totypie. VIII u. 62 SS. 4 Tafeln. 

Das vorstehend zuerst erwähnte Werk darf unter den von den Frei¬ 
burger Geschichtslehrern herausgegebenen Handbüchern einen Ehrenplatz 
beanspruchen; es hat den Bearbeiter der ersten Hefte des großen Rheinischen 
Siegel Werkes zum Verfasser, der durch diese Veröffentlichung und durch 
mehrere tiefer auf die Sache eingehende einschlägige Abhandlungen in der 
»Westdeutschen Zeitschrift* (Band 30) seine wissenschaftliche Berechtigung 
zu einer solchen Arbeit dargetan hatte. 

In diesem Buche liegt die erste umfängliche, den heutigen Anfor¬ 
derungen der Wissenschaft entsprechende Bearbeitung des Themas vor, da 
die ausgezeichnete Arbeit Th. Ilgens nur einen Leitfaden, das Buch 
Saylers eine zwar immerhin verdienstvolle, indessen doch stark dilettan¬ 
tische Leistung darstellt. Ewalds Buch bietet auch, was Ilgen sich ver¬ 
sagen mußte, reiches Anschauungsmateriel, leider aber in so starker, dabei 
aber wohl auch nicht immer einheitlicher Verkleinerung, daß der da¬ 
durch zweifellos stark erhöhte Wert des Werkes doch wiederum sehr beein¬ 
trächtigt ist. Da trifft es sich denn vorzüglich, daß gleichzeitig mit dem 
Verlage von Oldenbourg auch der von Teubner eine Arbeit über »Siegel* 
hat erscheinen lassen, in welcher der Hauptwert auf die Anschauungs¬ 
mittel gelegt ist, während sich der Text auf ein Mindestmaß beschränkt 
Beide Arbeiten ergänzen sich so auf das wünschenswerteste. Als Bearbeiter 
dieses Teubnerschen Atlasses glaube ich die Verpflichtung, jedenfalls aber 
die Berechtigung zur Anzeige der Ewald’schen Arbeit beanspruchen zu 
können. 

Ich finde die Hauptvorzüge des Buches vor allen entsprechenden 
älteren Arbeiten darin, daß der Verfasser sich nicht auf Deutschland be¬ 
schränkt, sondern auch außerdeutsche Verhältnisse und zwar besonders 



512 


Literatur. 


französische und englische in ganz erheblichem Umfange mit heranzieht; er 
hat sie eingehend durchforscht und die Ergebnisse dieser Forschungen 
seiner Arbeit zu Gute kommen lassen. Es ergibt sich daraus, in wie aus¬ 
gedehntem Maße Deutschland von diesen Ländern beeinflußt worden ist; 
man könnte sich zu Vergleichen mit dem Einwiiken Pariser und englischer 
Mode und Modetorheiten in unserer Zeit veranlaßt sehen. Dann aber hat 
der Verfasser in ganz anderem Umfange, als es bisher geschehen war, das 
juristische Schrifttum des Mittelalters berücksichtigt und durch seine Dar¬ 
stellungen des Siegelrechts — um mich so auszudrücken — den Diplo¬ 
matikern den größten Dienst erwiesen: es kann nicht ausbleiben, daß 
Ewalds Ausführungen auch von dieser Seite aus weiter ausgebaut werden. 

Durch dieses Heranziehen der außerdeutschen Siegel hat Ewald das 
deutsche Siegelwesen erst in den großen Kulturkreis des Mittelalters, aus 
welchem allein es erst vollständig verstanden werden kann, eingefügt. Er 
konnte? selbstverständlich bei der großen Schwierigkeit, das Material für 
solche Studien zusammenzubringen, nur den Anfang machen; aber er hat 
damit die Bahn gebrochen und den Weg gewiesen. Ob man aber nicht 
noch weitergehen und auch byzantinische Einflüsse aufsuchen muß, ist noch 
nachzuprüfen; für die Blei- und Goldbullen steht diese Tatsache ja fest 
und ist auch von Ewald genügend beachtet. 

Bei der Bearbeitung der juristischen Seite des Siegelwesens tritt 
deutlich zu Tage, eine wie bedeutende Bolle England in der ganzen Ent¬ 
wicklung des mittelalterlichen Urkundenwesens gespielt hat 

Eine sehr willkommene Bereicherung der Literatur über Siegelwesen 
ist das starke Hereinziehen der Kunstgeschichte, die Ewalds Buch aus¬ 
zeichnet und zwar nicht nur im allgemein ästhetischen Sinne, sondern auch 
im rein technischen: so beschreibt er z. B. nach ersten Quellen die Her¬ 
stellung der Siegelstempel und läßt dabei keine geringere Autorität als 
Benvenuto Cellini zu Worte kommen. Bei dieser Großzügigkeit der Auf¬ 
fassung und ausgebreiteten Kenntnis auf den verschiedensten weit aus¬ 
einanderliegenden Gebieten ist es zwar sehr erklärlich, aber immerhin be¬ 
dauerlich, daß der Herr Verfasser der erheblichen Schwierigkeit, das weit- 
schichtige Material ganz zu durchdringen und dann für die Darstellung 
übersichtlich zu gruppieren, nicht vollständig Herr geworden ist. Schon 
die Stoffverteilung in der Inhaltsübersicht (XI. Abschnitte) erscheint nicht 
vollkommen klar und ganz durchdacht. Es ist ja schwer, die verschiedenen 
Gesichtspunkte, welche bei der Behandlung des Gegenstandes berücksichtigt 
werden müssen, klar festzulegen und richtig zu einander anzuordnen, aber 
trotzdem hätte ein tieferes Durchdringen des Stoffes es wahrscheinlich er¬ 
möglicht, Wiederholungen mehr zu vermeiden und Zusammengehöriges mehr 
einheitlich zu besprechen, als es Ewald getan hat. Hoffentlich gelingt 
es dem Verfasser bei einer neuen Auflage, die sicher bald notwendig werden 
wird, auch nach dieser Rücksicht seine Arbeit noch zu vervollkommen. 

Für eine solche Neubearbeitung scheint es mir wünschenswert, nach 
Möglichkeit Nachträge zu geben und auf Gesichtspunkte aufmerksam zu 
machen, welche an einzelnen Stellen anderen Auffassungen das Wort reden, 
als der Verfasser sie zu Grunde gelegt hat. Man wird es mir also nicht 
als Nörgelei auslegen, wenn ich zu einer Reihe von Stellen im Folgenden 
Bemerkungen mitteile, sondern als Veranlassung der Einzelbemerkungen nur 



Literatur. 


513 


mein Interesse für die Arbeit Ewalds ansehen. S. 9/10 vermisse ich das 
zusammenfassende mit reichlichen Abbildungen ausgestattete Werk von 
Serafini über päpstliche Münzen und Bullen. — Bei den S. 14/15 Anm. 7 
angeführten »Siegeln des Mittelalters aus den Archiven der Stadt Lübeck* 
hätte man gerne den Namen des verdienstvollen Zeichners, Sammlers und 
Verfassers der Beschreibungen »K. J. M. Milde* erwähnt gesehen. — S. 16 
vermisse ich unter den Vorarbeiten zu 0. Posses Kaisersiegeln meine »Reichs¬ 
kanzlei unter den letzten Staufern* und S. 17 unter den Urkundenbüchem 
mit Siegelabbildungen sowohl meine »Kaiserurkunden der Provinz West¬ 
falen* Band II wie mein Siegener U.-B. und Wyß, Hessisches U.-B. Band I. 
— Zu S. 2 7 ff. Die rechtliche Bedeutung des besonders häufig im Osten 
einem Boten mitgegebenen Siegelabdruckes ist zweifellos in erster Linie 
die der Beglaubigung für die mündlich auszurichtende Botschaft; dieser 
Siegelabdruck hat also genau denselben Zweck, wie das an eine geschriebene 
Kundmachung befestigte SiegeL Dieser Siegelabdruck ist somit nicht, wie 
der Verfasser S. 27 annimmt, ein Ersatz für eine schriftliche Urkunde, 
sondern er beglaubigt, wie Ewald S. 30 auch selbst sagt, die Aussage des 
Boten. Das selbst gesandte Petschaft kann allerdings auch eine Urkunde 
darstellen, die oft wiederholt gebraucht wird, wie das Siegel mit der Umschrift 
»Wenceslaus citat ad iudicium* andeutet. 

Auch kann ich der von Ewald S. 26 geäußerten Anschauung, das Siegel 
mache die in den Urkunden enthaltenen Erklärungen perfekt und beweis¬ 
kräftig nicht zustimmen: es macht sie nur insofern beweiskräftig, als es die ein¬ 
fache Niederschrift, welche ja meist von fremder Hand geschrieben war, erst zu 
einer Erklärung des Siegelinhabers um schafft. — Zu S. 30. Dieser Be¬ 
deutung des Siegels entsprechend möchte ich auch die bei Reliquien ge¬ 
fundenen losen Siegel als Echtheitserklärungen auffassen, nicht aber als 
Beweise dafür, daß der betreffende Siegelinhaber eine Translation der Heilig¬ 
tümer vorgenommen habe. — Zu S. 32. Die Besiegelung von Urkunden 
läßt sich doch wohl im Römerreiche mindestens bis auf Augustus zu¬ 
rückführen, der ja bei seinem Zuge gegen Antonius dem Mäcenas seinen 
Siegelring mit der Victoria zurückließ, als er ihm seine Stellvertretung 
übertrug. 

Über die rechtliche Bedeutung hinaus möchte sich die tatsächliche Be¬ 
deutung des Siegels wohl schärfer fassen lassen, wenn man genau unter¬ 
schiede zwischen der Bedeutung, welche der Siegelführer dem Siegel bei¬ 
legte, als er es an der Urkunde anbringen ließ, und der Bedeutung, welche 
das Siegel für die Wissenschaft besitzt, oder um es kurz zu sagen, zwischen 
dem Siegel als Zeichen der Beglaubigung und dem Siegel als wissenschaft¬ 
lichem Kriterium. Z. B. dient die päpstliche Bulle in weitaus den meisten 
Fällen nicht als Beglaubigung, wohl aber als Kriterium. 

Neu, besonders belehrend und eingehend sind die auf S. 42 ff. ge¬ 
gebenen Darlegungen über die sigilla autentica nach dem kanonischen 
Rechte und ihre Bedeutung für die Publizität der damit versehenen Ur¬ 
kunden einerseits und ihre Autenticität anderseits. Vielleicht gestattet ein 
noch schärferes Eingehen auf die Einzelheiten eine noch klarere Unter¬ 
scheidung zwischen Publizität und Autentizität und das im Gebrauche dieser 
Begriffe bei den Juristen zu beobachtende Schwanken. 



514 


Literatur. 


Für die S. 62, 63 eingehend behandelten inneren Vorgänge in den 
Kanzleien bei der Besiegelung bieten die von E. Winkelmann veröffent¬ 
lichten »Sizilischen und päpstlichen Kanzleiordnungen* (Heidelberg 1880) 
hübsches Material; sie verdienten daher neben den S. 67 aufgefuhrten 
Schriften herangezogen zu werden. — S. 68 scheinen Siegeltaxe und 
Kanzleigebühr gleichbedeutend aufgefaßt zu sein; wir kennen jedoch für 
die päpstliche Kanzlei z. B. besondere Siegel-(Bullen-)Taxen. VgL L. Schmitz- 
Kallenberg, Practica cancelloriae apostolicae S. 32 ff. und bei Ewald selbst 
S. 71 Anm. 5. — S. 71 ist unter »overleker gülden* doch wohl ein 
»overlenker* d. h, Oberländischer Gulden zu verstehen. 

Die S. 79 sich findende Annahme des Gebrauches mehrerer Stempel 
neben einander möchte nicht in dem dort angenommenen Umfange anzu¬ 
erkennen sein. Ich habe wenigstens zu bemerken geglaubt, daß die 
Feststellungen Posses, wonach die Kaiser des 9.—11. Jahrhunderts neben 
einander eine Reihe fast gleichartiger Stempel geführt hätten, sehr der 
Nachprüfung bedürfen. Aus einem und demselben Stempel kommen, be¬ 
sonders, wenn er lange im Gebrauch ist und nicht sorgfältig behandelt 
wird, so verschiedenartige Abdrücke, daß man sehr leicht bei zu kritischer 
Nachprüfung aus diesen Unterschieden auf Verschiedenheit der Stempel, wie 
etwa bei den Münzstempeln, zu schließen veranlaßt wird. Und dieser Irrtum 
ist Posse beim Beginne seiner Arbeit offenbar öfter untergelaufen. Später 
hat er diesen Verschiedenheiten gegenüber einen richtigeren Standpunkt 
eingenommen; daher ist auch für die späteren Kaiser nicht mehr eine 
solche Fülle von Varianten bei ihm zu finden. Seine diesbezüglichen Auf¬ 
stellungen möchten daher zu überprüfen und kaum ohne Weiteres als 
Grundlage weiterer Schlüsse zu benutzen sain. 

Zu dem S. 83 erwähnten Landfriedenssiegel Erzbischofs Friedrichs HL 
von Köln (1379—1414) ist zu bemerken, daß schon Erzbischof Heinrich U. 
(1300—1332) ein ebensolches Siegel führte (meine »Siegel* Tafel HI, lg). 

Die S. 89 ff. besprochenen, besonders in Nordeuropa vorkommenden 
»Münzsiegel* dürften Nachbildungen von Bullen in billigerem und leichter 
zu bearbeitendem Materiale sein. 

Zu dem S. 95 behandelten Gebrauch behördliche Siegel rückwärts mit 
dem persönlichen Siegel des verantwortlichen Beamten zu bedrucken, bieten 
noch die Siegel der Herforder Bürgermeister auf der Rückseite des großen 
Stadtsiegel eine unterrichtende Parallele (vgL Th. Ilgen Westf. Siegel d. 
M. Band IV Sp. 6). 

Die auf S. 101 sich findenden Bemerkungen über die rechtliche Be¬ 
deutung der Sekretsiegel hätte man gerne mit den Darlegungen auf S. 93 ff 
verbunden gesehen: man würde dadurch wohl einen klareren Überblick 
über die Entwicklung dieser Siegelart gewinnen können: ihr erstes Aul¬ 
treten in England, ihre ursprüngliche Bedeutung in diesem ihrem Mutter - 
lande, ihre allmählige Verbreitung in weitere Kreise und die dadurch be¬ 
dingte Abwandlung ihrer rechtlichen Bedeutung in de l verschiedenen 
Ländern, schließlich ihre Verschmelzung mit anderen Siegclarten. Ob die 
von Ewald wahrscheinlich gemachte ursprüngliche Beschränkung der Sekret- 
siegel auf viri autentici auch später und außerhalb Englands noch im 
Brauche gewesen ist, möchte zweifelhaft sein. In allen diesen Dingen hat 
die Mode mehr gewirkt, als Gesetz, Recht und Vorschrift. 



Literatur. 


515 


Die S. 104 ff. gegebenen Beispiele für die Vererbung von Siegeln 
lassen sich leicht vermehren, wie auch Ewald ja selbst andeutet; der Be¬ 
deutung der Siegelführer entsprechend möchte ich noch einige z. T. bisher 
nicht erkannte oder wenigstens nicht ausdrücklich bemerkte beifügen: die 
Weiterführung des herrlichen Reitersiegels Friedrichs L, Kurfürsten von 
Brandenburg, durch seinen Sohn Friedrich n., die von Posse in den Wettiner 
Siegeln nicht bemerkte Umarbeitung des Reitersiegels Landgrafs Ludwig von 
Thüringen für seinen Bruder Heinrich Raspe (meine »Siegel*Tafel IV Nr. 9). 
Auch bei den Grafen von Schaumburg finden sich so weit gehende Über¬ 
einstimmungen, daß man auf vererbte durch Zufügung von Beizeichen und 
Umänderung der Umschriften differenzierte Stempel schließen muß; vgl. 
[Milde], Siegel der Hol&tein-Schaumberger Grafen Nr. 5 und 16; 14 und 
31; 39 und 50. 

Zu den Archiven, in welchen größere Sammlungen mittelalterlicher 
Typare aufbewahrt werden, wären wohl auch noch u. A. Berlin, Hannover, Mar¬ 
burg und Münster zu zählen. Da die in den Archiven von Alters her 
hinterlegten Siegelstempel die Vermutung der Echtheit für sich haben, 
wäre ihre Zusammenstellung gegenüber der immer mehr zunehmenden 
Masse von Fälschungen auf diesem Gebiete sehr erwünscht. 

Auf S. 12 3 ff. werden die Stoffe, aus welchen mittelalterliche Stempel 
gefertigt wurden, besprochen. Bei der Verwendung von Blei kommt wohl 
auch in Frage, daß es wegen seiner großen Weichheit sehr schnell und 
mit sehr einfachen Werkzeugen bearbeitet werden konnte. Unter den eben¬ 
falls leicht herzustellenden Schieferstempeln finden sich zweifellos manche 
späte Fälschungen (vgl. S. 231); daneben wurde zu solchen Fälschungen 
sehr häufig auch der anfangs weiche, an der Luft sich erhärtende Speck¬ 
stein benutzt. Im Staatsarchive Osnabrück befand sich eine ganze Sammlung 
solcher, z. T. künstlerisch gut ausgeführter Fälschungen, welche offenbar 
einem Gauner, der falsche Ausweispapiere lieferte, abgenommen worden 
waren. Bei der Aufführung des Elfenbeins als Stempelstoff vermisse ich 
einen Rückverweis auf das S. 101 erwähnte vetus oaseum sigillum. 

Zu S. 129. Auf älteren Siegelabdrücken sieht man außer dem Ab¬ 
drucke der am Stempel angebrachten Öse auch noch Abdrücke der durch 
dis Öse gezogenen Kette (Meine »Siegel*Tafel I Nr. 2, 6). Zu S. 132. 
Schwarzstempel möchten in Deutschland zuerst von Notaren zur Anbringung 
ihrer Signete in Gebrauch genommen sein; ich finde sie in der Münster’schen 
Notariatsmatrikel schon seit 1581 verwendet: die Färbung ist wohl zu¬ 
erst einfach durch Ruß hergestellt, den man dadurch auf den Stempel 
brachte, daß man eine Kerze dagegen anblaken ließ. 

Zu S. 145. Die vergoldete Silberbulle, welche Heineccius erwähnt, 
erscheint in keiner Weise begxaubigt. Schaten spricht a. a. 0. nur von 
einer Bulla inaurata, sagt aber nicht, daß sie silbern gewesen sei, wie denn 
überhaupt der Ausdruck unklar ist; alles Sichere, was wir über diese Bulle 
wissen, habe ich in Kaiserurkunden der Provinz Westfalen H S. 163 zu¬ 
sammengetragen. Zu S. 147. Von der Goldbulle König Konrads HL ist 
mir auch kein Original, wohl aber eine Zeichnung bekannt, welche ich in 
Kaiserurkunden der Provinz Westfalen H S. 403 erwähnt habe. Über die 
der Stadt Florenz von Papst Leo X. verliehene, S. 155 erwähnte Bulle hat 



516 


Literatur. 


Cesare Paoli in den Miscellanea Fiorentina Anno I Nr. 4 (Aprile 1886) 
eine kleine Abhandlung unter Beigabe einer guten Abbildung veröffentlicht 

Zu S. 163. Zu den ältesten ,Münzsiegeln € in Deutschland gehören 
wohl die Doppelsiegel der Landgrafen von Thüringen. YgL 0. Posse, Wet¬ 
tiner Siegel II, 4 und XIII, 4. 

Zu 165 ff. Es wäre sehr erwünscht, wenn die ältesten Hängesiegel 
einmal eingehender untersucht würden, um die Frage zu entscheiden, welche 
Gründe dazu geführt haben, diese doch keineswegs ideale Befestigungs¬ 
weise der Siegel an Urkunden zu so weitgehender Geltung zu bringen. 
Ich habe (Reichskanzlei unter den letzten Staufern Sp. 55) die Vermutung 
geäußert, daß eine Nachahmung der Bleibullen vorliegt, welche bezweckte, 
mit den unten aus dem Siegel heraushängenden Schnürenden (Schleifen), 
die Urkunden verschließen zu können. Zu S. 168. Die aufgedruckten 
Wachssiegel unter Papierdecke kommen schon in der Kanzlei Karls IV. 
häufig vor, (Vgl. meine »Siegel* Tafel XID, 3 und Th. Lindner, Das Ur¬ 
kundenwesen Karls IV, und seiner Nachfolger, S. 8 ff.). Zu S. 147. Die 
rotgelben Seidenfäden sind Pur die päpstlichen Bullen in Gnadensachen etwa 
seit 1200 regelmäßig in Gebrauch; die Hanffäden, Bindfäden, sind nie 
gefärbt. Allerdings wird seit dem 15. Jahrhundert etwa die Seide so stark 
mit anderen Fäden gemischt, daß man die Mischung kaum mehr als Seide 
erkennen und bezeichnen kann. 

Zu den S. 175 erwähnten päpstlichen Goldbullen wären noch meine 
Bemerkungen in den Mitt d. Inst XIV. 126/128 über eine Goldbulle 
Pius* VI. nachzutragen. 

Zu den Seiten 177, 178, auf welchen das Siegel als Verschlußmittel 
besprochen wird, wäre hinzuzufügen, daß zur Karolingerzeit Pergamentbriefe 
auch durch um das zusammengefaltete Schriftstück gelegte und oben ver¬ 
siegelte Pergamentstreifen verschlossen wurden; ein Beispiel K.-U. i. A. 
I, 75. 

Bei der Besprechung der Gemmensiegel auf S. 183 ff. hätte wohl aus 
Pietät die älteste darauf bezügliche, in ihrer Art vorzügliche Abhandlung 
von J. Wiggert, »Wie man im Mittelalter Antike Gemmen zu Siegel¬ 
stempeln benützte? Halle 1844* Erwähnung verdient. 

Über die Porträtähnlichkeit der Siegelbilder wären außer dem S. 180 
Anm. 4 erwähnten Buche von Max Kemmerich auch noch seine weiteren 
Arbeiten auf diesem Gebiete z. B. sein Aufsatz im »Neuen Archiv* XXXTTI 
S. 451—513 und meine Besprechung desselben ebenda XXXIV S. 523— 
535 anzuführen gewesen. 

Die auf S. 192 nachgewiesene Abhängigkeit des deutschen Königs- 
siegeltypus von französischen Vorbildern möchte wohl auch schon bei den 
Siegeln Ludwigs des Bayern und Karls IV. festzustellen sein. 

Zu S. 197 ist zu bemerken, daß das Rücksiegel Wenzels auf der Brust 
des Doppeladlers nicht den luxemburgischen Löwen im mehrfach geteilten 
Schilde, sondern den doppelgeschwänzten böhmischen Löwen zeigt. 

Zu S. 202 »Reitersiegel und Standbildsiegel* ist zu betonen, daß 
»Bildsiegel* nur ganz vereinzelt von einfachen Adelspersonen geführt werden. 
Man muß das daher wohl für Anmaßung erklären, dabei aber beachten, 
daß diese Adeligen durchweg andere Symbole führen, als die Mitglieder 
des hohen Adels und wenn sie dieselben führen, z. B. das Schwert, sie sie 



Literatur. 


517 


anders handhaben. VgL dazu meine »Siegel* Tafel VI 1—3 zusammen- 
gehalten mit den Pürstensiegeln auf Tafel IV. Es würde sich wohl lohnen, 
über den eigenartigen Gebrauch der Hoheitszeichen auf Münzen und Siegeln 
in weiterer Ausführung der darüber vorhandenen ganz spärlichen Literatur 
z. B. R. Börger, Belehnungen der deutschen Pürsten nach dem Wormser 
Konkordat, Leipziger Dissert. von 1900/1901 S. 33 f. eine eingehende Unter¬ 
suchung anzustellen. 

Auf S. 205 könnte auch noch das von Alwin Schultz in seinen 
^ Schlesischen Siegeln bis 1250* Tafel H, 14 abgebildete Siegel Herzog Kon- 
rads H. von Glogau Erwähnung finden, dem von einem Turme aus eine weib¬ 
liche (?) Gestalt den Helm reicht. 

‘Zu S. 207. Kommen wirklich auf Siegeln aus dem Ende des 
13. Jahrhunderts schon Schildhalter vor? Für Deutschland ist mir kein 
Beispiel bekannt. 

Die S. 211 ganz kurz berührte Präge der Hausmarkensiegel und ihr 
Verhältnis zu den Wappensiegeln verdiente einmal eine eingehende Unter¬ 
suchung und Behandlung. Einiges Material dazu bieten meine »Siegel* 
Tafel VI, 33—45. Weitere Ausbeute gewähren Bübels Dortmunder U.-B., 
Ergänzungsband Tafel IV, 1—3, [Milde], Mittelalterliche Siegel aus den 
Archiven der Stadt Lübeck, Bürgersiegel. Man gewinnt den Eindruck, daß 
die bürgerlichen Altfreien zuerst mit ihren Marken (Handgemal?) gesiegelt, 
dann aber nach und nach Wappen angenommen haben, während die in die 
Städte eingewanderten ritterbürtigen Familien ihre Wappen mitgebracht 
und in den Städten weitergefuhrt haben. Beispiele ließen sich dafür u. A. 
aus Münster i/W., Soest und sonst beibringen. 

Auf S. 212 hätte die rechtliche Bedeutung der Stadtherrenwappen auf 
Stadtsiegeln wohl eine schärfere Fassung und stärkere Betonung erheischt; 
diese Wappen sind doch wohl in den weitaus meisten Fällen als Hoheits¬ 
zeichen gedacht und dementsprechend widerstrebenden Städten gelegentlich 
aufgezwungen worden. 

Zu S. 217. Schon Konrad von Diepholz, Bischof von Osnabrück (1455 
—1482) führt ein Siegel mit Schild und Helm und auf dem Siegel des 
Paderbomer Bischofs Rembert von Kerssenbrok liegt der Schild auf zwei 
gekreuzten Bischofstäben (meine »Siegel* Tafel IX 26, 28). 

Zu S. 218. Die Typen der AbtaBiegel folgen zeitlich in gemessenen 
Abständen den Typen der Bischofssiege], (Vgl. meine »Siegel*Tafel IX 
und X). 

Auf S. 223 hätten auch noch die deutlich auf die Heimlichkeit hin¬ 
weisenden Umschriften von Sekretsiegeln: hic latet secretum littere, Holt 
dit faste, Secretum meum michi, Hic latet clavis aigilli u. s. w. Erwähnung 
finden können. 

Die S. 224 besprochene Trennung der Umschrift vom Siegelfelde bietet 
ein nicht unwichtiges Erkennungszeichen für das Alter der Stempel. Regel¬ 
mäßig findet, sie sich in Deutschland erst in der zweiten Hälfte des 12. Jahr¬ 
hunderts bei Wachssiegeln, während sie auf Metallbullen schon erheblich 
früher vorkommt. In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts wird die 
Trennungslinie bei mitteldeutschen Siegel (vgl. meine »Siegel*Tafel IV, 5, 
11; VII, 13) stark vervielfältigt und füllt einen Teil des Siegelfeldes. Später 
wird sie oft gekerbt, geperlt, von schwächeren Linien begleitet, um schließlich 

34 



518 


Literatur. 


im 15. Jahrhunderte profiliert zu werden und im 16. Jahrhunderte sich 
bei Prunksiegeln in ein Blattgewinde zu verwandeln (meine » Siegel 4 
z. B. Tafel II, 3). Bei Siegeln des 15. Jahrhunderts finden wir nicht selten 
den Schild mit Kiemen in das Schriftband eingehängt oder eingeschlungen. 

Zu den S. 225 erwähnten zweisprachigen Siegelumschriften könnte 
noch die von Th. Ilgen im vierten Bande der Westf. Siegel d. Mittelalters 
260, 27 veröffentlichte halbdeutsche und halbhebräische vom Siegel des 
Mindener Juden Jesse hinzugefügt werden. 

S. 225 ff. gibt Ewald einen übersichtlichen Auszug aus seinen ein¬ 
gehenden Darlegungen über Siegelbetrug und Siegelmißbrauch, welche er 
in der »Westdeutschen Zeitschrift* Bd. 30 veröffentlicht hat. Es läßt sich 
nicht leugnen, daß er in diesen Auseinandersetzungen viel tiefer in die 
Sache eingedrungen ist und sie vielseitiger angefaßt hat, als seine Vorgänger. 
Trotzdem möchte man wünschen, daß gerade er diese wichtigen Fragen 
noch einmal durcharbeitete. Ich vermisse z. B. noch den Fall, in welchem 
eine an sich echte Urkunde mit einem falschen, d. h. entweder überhaupt 
gefälschten oder doch nicht zugehörigen Siegel versehen würde. Dieses 
Verfahren kann mit der Absicht des Betruges, aber auch aus Irrtum oder 
Fahrlässigkeit angewendet sein. Besonders die nur sehr unvollkommen mit 
den Urkunden verbundenen Goldbullen gaben hierzu Veranlassung. So fand 
ich an einer unzweifelhaft echten Urkunde Kaiser Friedrichs II. im Vati¬ 
kanischen Archive das ebenfalls unzweifelhaft echte Goldsiegel des sizilischen 
Königs Friedrichs (Herzogs von Neopaktria und Athen) *) befestigt Als ich 
den damaligen Vorstand des Archives Mons. Balan auf den Tatbestand auf¬ 
merksam machte, erklärte er mir lächelnd, das nähme ihn nicht Wunder. 
Bei der Überführung des Archives nach Frankreich am Anfänge des 19. Jahr¬ 
hunderts habe man die Goldbullen, um sie gegen Diebstahl zu sichern, von 
den Urkunden abgenommen und unter besonderen Verschluß gebracht Nach 
Bückkehr des Archivs nach Born habe man dann die Bullen nach Mög¬ 
lichkeit mit ihren Urkunden wieder verbunden; dabei könne jedoch leicht ein 
Irrtum untergelaufen sein. Warum sollen solche Irrtümer nicht auch an an¬ 
deren Orten und zu anderer Zeit vorgekommen sein? 

Zu den zahlreichen auf S. 229 behandelten Fälschungsarten möchte 
noch folgende hinzuzufugen sein. Man befestigte auch echte Siegel an 
Fälschungen und zwar besonders an Pergamentstreifen hängende, indem 
man von der Kückseite des Siegels oben etwas ausbrach und darauf den 
Pergamentstreifen innerhalb des Siegels durchschnitt. Man konnte dann das 
Siegel, ohne es irgend weiter zu beschädigen, bequem von seiner Urkunde 
abnehmen und an einer Fäschung anhängen; man mußte nur das durch¬ 
geschnittene Ende des Pergamentstreifens wieder in das Siegel hineinstecken 
und das Loch mit Wachs wieder ausfüllen; auf diese Weise sind eine ganze 
Anzahl von gefälschten Urkunden des Klosters Dahlheim im Staatsarchive 
Münster i/W. mit echten Siegeln versehen. 

Zu dem auf S. 231 besprochenen Verfahren könnte noch als weiteres 
Beispiel die Tatsache hinzugefügt werden, daß an mehreren gefälschten Erz¬ 
bischofs-Urkunden des ehemaligen St. Kunibertsstiftes in Köln, welche jetzt 
im St-A. Münster i/W. beruhen, das Stiftssiegel angebracht ist (eine dieser 


*) Vgl. meine Reichskanzlei unter den letzten Staufern Tafel VH 5. 



Literatur. 


519 


Urkunden erwähnt Knipping, Anna], d. hist. Vereins f. d. Niederrhein LXV, 
-S. 205). 

Die zweite von Felix Hanptmann gefertigte Hälfte des Bandes ein¬ 
gehend zn besprechen, fühle ich mich nicht veranlaßt; denn ich bedanre, 
ihr nicht dieselbe Anerkennung zn Teil werden lassen zn können, wie der 
ersten. Hier findet sich weder so viel neues Material herangezogen noch 
stößt man auf so viel neue und richtige Gesichtspunkte, wie in der ersten. 
Der Herr Verfasser, der auf dem von ihm bearbeiteten Felde eine gewisse 
Autorität besitzt, hat zu sehr bei seiner Arbeit die schriftlichen Quellen 
betont, zu wenig das Leben belauscht. Man kann doch wohl auf einem 
Gebiete von Gesetz und Recht nicht reden, auf dem die Entwicklung ja 
die Mode alles regelt. Ferner begegnet man an mehr wie an einer Stelle 
sehr bestimmt ausgesprochenen Ansichten, welche mit den Tatsachen schwer 
vereinbar sind (z. B. sind die S. 24 zu Tafel 3, Nr. 124 und 125 gege- 
gebenen Erklärungen unrichtig. Zu S. 33 der Tumierkragen ist selbständiges 
Wappenbild z. B. bei den westfi Familien Morrien, Grothus, Malmann, 
Senden, v. d. Lippe pp. S. 40 Städtewappen als Zeichen der Wehrhaftigkeit. 
S. 57 regelmäßige Verleihung von Wappen an neugegründete Städte. 

Die ganze Darlegung über die Wappenfähigkeit auf S. 56 ist höchst 
anfechtbar, eben so viele der zeitlichen Ansätze. 

Sehr dankenswert und sehr wertvoll ist die Zusammenstellung der 
Literatur auf S. 5 fL, nur wird auf S. 9 dem Nichteingeweihten kaum zum 
Bewußtsein kommen, daß der oben genannte Karl Ritter von Mayer und 
der unten erwähnte Mayerfels dieselbe Persönlichkeit darstellen. 

Münster i/W. F. Philippi. 


Nagl Alfred, Die Rechentafel der Alten. Wien, Holder, 
1914. 8°. 86 S. u. 2 Tafeln. Preis: 3 K. (S.-A. aus Sitzungsber. d. 
kais. Akad. <L Wiss. PhiL-hist Kl. 177/5). 

Diese Arbeit kann in Bezug auf das Abakusrechnen der Alten nach 
Maßgabe der vorhandenen Denkmäler als abschließend betrachtet werden. 
Sie berichtigt die Aufstellungen des bisher über diesen Gegenstand haupt¬ 
sächlich zu Rate gezogenen Artikels »Abakus* von Hultsch in Pauly- 
W 1880 was Real-Enzyklopädie d. kL A. in wesentlichen Punkten. Insbe¬ 
sondere wird der resignierte Satz: »Auf Multiplikationen und Divisionen 
darf nicht einmal vermutungsweise eingegangen werden, da die Tafel 
von Salamis keinen Anlaß dafür bietet* in überzeugenden Ausführungen 
widerlegt, die im Archimedischen Stellenwertsatze gipfeln. Von großem 
Interesse ist auch das Kapitel über die »Distributio* des Juristen Volu- 
aius Maecianus. Es fallen hier Streiflichter auf die so wenig bekannte 
römische Buchführung und manche Schwierigkeiten des Währungswesens, 
deren selbst Mommsen nicht Herr zu werden vermochte, finden durch 
Berücksichtigung des Abakusrechnens ihre überraschend einfache Lösung. 
Die kulturgeschichtlichen Zusammenhänge treten allenthalben klar hervor, 
und manche feine Bemerkung bezeugt die Sachkunde und den Scharfblick 
des’ Verfassers, z. B. S. 05 über das Hineintragen räumlicher Vorstellungen 

34* 



520 


Literatur. 


in die Rechnung. Gleichwohl kann ich der Ansicht* die Logistik sei von 
den Griechen als ein Zweig der Geometrie betrachtet worden, nicht bei¬ 
pflichten; denn sie war ja überhaupt aus dem Rahmen der freien Wissen¬ 
schaften ausgeschlossen. Druckfehler bemerkte ich nur S. 75 Anm. 1, Z. 5 
senis statt semis; S. 9 Anm. 1 gcoftpjv gen. fern, statt masc. Die Ver¬ 
weisung S. 19 Anm. 1 ist allzu ungenau. 

Seitenstetten. A. Sturm. 


Konstantin der Große und seine Zeit Gesammelte Studien. 
Festgabe zum Konstantins-Jubiläum 1913 und zum goldenen Priester¬ 
jubiläum von Mgr. Dr. A. de Waal. ln Verbindung mit Freunden 
des deutschen Campo Santo in Rom herausgegeben Ton Dr. Franz J. 
Do lg er, Prof, in Münster i. W. Mit 22 Tafeln und 7 Abbildungen 
im Text Herder, Freiburg i. B. 1913. (XEX. Supplementheft der Rö¬ 
mischen Quartalschrift). XII und 448 Seiten. M. 20*—. 

Kirchengeschichtliche Festgabe, Anton de Waal zum 
goldenen Priesterjubiläum (11. Oktober 1912) dargebracht* 
Im Auftrag und in Verbindung mit den Kaplänen und Freunden des 
deutschen Campo Santo in Rom herausgegeben von Dr. Franz X. 
Seppelt, Privatdozent in Breslau. Mit zwei Tafeln und vie rAbbil¬ 
dungen. (XX. Supplementheft der Römischen Quartalschrift). XTV und 
488 S. M. 16-—. 

Wer je schon im Schatten des Petersdomes in den Mauern des Kol¬ 
legiums beim Friedhof der Deutschen geweilt und die große Bedeutung 
dieser Stätte deutscher Wissenschaft unmittelbar bei dem bedeutendsten 
Archiv und der kostbarsten Bibliothek der Welt gewürdigt hat, der kannte 
auch die reiche Segensflut, die von diesem Institut sich über deutsche Kultur 
und deutsche Wissenschaft ergossen hat, und diejenigen, die seit 40 Jahren 
den Campo Santo besucht und seinen Rektor kennen lernten, wissen auch 
das unbestreitbare hohe Verdienst dieses Gelehrten um die Erschließung der 
römischen Schätze und seine vielfachen Anregungen auf ganze Generationen 
junger Forscher noch höher einzuschätzen, als die gesamte Gelehrten weit 
dies schon tut. So ist es denn nicht zu verwundern, wenn ein Jubeltag 
dieses Nestors deutscher Arbeit im Ausland Anlaß zu zwei so umfang¬ 
reichen Publikationen geworden ist, an denen durchwegs erstklassige Spe¬ 
zialisten gearbeitet haben, die einst als Kapläne oder Gäste an dieser Ge¬ 
lehrtenschule unter dem Rektorat de Waals gestanden und dort den Grund 
zu ihrer Lebensarbeit gelegt haben. Die beiden Jubelgaben, die ebenso 
ehrendes Zeugnis für den Jubilar wie für den Spender ablegen, erscheinen 
zwar dem äußeren Gewände nur als Supplementhefte der römischen Quar¬ 
talschrift, eben der Schrift, welche dem Prälaten ihr Entstehen (1887) ver¬ 
dankt, doch ist der Umfang der beiden Sammlungen ein so großer und 
der Inhalt ein so mannigfaltiger, daß es unmöglich erscheint, im Rahmen 
einer Besprechung auch nur die Titel der Beiträge aufzuführen. Enthält 
ja der von Dölger gasammelte Band nicht weniger als 19 Aufsätze, zum 



Literatur. 


521 


Teil von so beträchtlichem Umfang, daß sie bei selbständigem Erscheinen 
mehr Beachtung finden würden; ebenso umfaßt die zweite Sammlung 
17 Beiträge. Wenn Dölger meint, daß eine Festschrift, die zwar zum 
Jubiläum des Rektors de Waal erscheinen, dabei auch dem konstantinischen 
Jubiläum gewidmet sein soll, wegen der Freiheit der Mitarbeiter bezüglich 
der Wahl ihrer Themen durchaus kein einheitlich geschlossenes Bild er¬ 
geben kann, so mag er damit Recht haben, doch wird niemand von 
einer Festgabe ein solches erwarten, wenn sie sich auch »Konstantin der 
Große und seine Zeit* betitelt. Denn allgemeine Darstellungen Konstantins 
haben wir ja gerade genug. Wenn also der Herausgeber das Ziel einer 
allseitigen Darstellung Konstantins oder eine Reihe ineinandergreifender 
Themen nicht erreichte, so braucht er deshalb noch nicht feierlich zu ver¬ 
sprechen, er wolle niemals wieder eine Festschrift redigieren. Müßte denn 
nicht eine Detailbehandlung dieses Themas nach allen Seiten hin, von Fach¬ 
männern bearbeitet, zu einer ganzen Reihe von Bänden führen? Gesteht 
denn nicht der Herausgeber von sich selbst, daß seine eigenen geplanten 
Beiträge unter der Hand so anwuchsen, daß er sie aus der Festschrift 
herausnehmen mußte, um sie als selbständige Arbeit zu veröffentlichen? So 
sind wir denn mehr als zufrieden, wenn wir nur einzelne Fragen des großen 
Themas beleuchtet sehen, aber in einer Beleuchtung, die nur von Autori¬ 
täten auf ihren Forschungsgebieten erzielt werden kann. Nur acht Auf¬ 
sätze beschäftigen sich mit historischen Fragen; so schreibt der Herausgeber 
Dölger selbst über »die Taufe Konstantins und ihre Probleme*, E. Krebs 
über die Religion im Römerreich zu Beginn des IV. Jahrhunderts (eine 
sehr gute Übersicht!), Wickenhauser über die »Frage nach der Existenz 
von nizänischen Synodalprotokollen* (die Frage kann nur als »höchst wahr¬ 
scheinlich* im bejahenden Sinn gelöst, ein Beweis kann nicht erbracht 
werden), Kirsch über die römischen Titelkirchen zur konstantinischen Zeit 
u. s. w. Der größere Teil der Beiträge, elf an der Zahl, ist von Kunst¬ 
historikern geliefert worden. So bietet A. Baumstark »Konstantiniana aus 
syrischer Kunst und Liturgie* (auf Konstantin bezügliche Illustrationen in 
syrischen Handschriften), Herzog Johann Georg von Sachsen eine kleine 
Studie »Konstantin der Große und die heilige Helena in der Kunst des 
christlichen Orients* (hebt die interessante Tatsache hervor, daß beide als 
Heilige im Orient verehrt, daher auch regelmäßig gemeinsam dargestellt 
werden), Heinrich Swoboda beschreibt ein Bronzemonogramm Christi aus 
Aquileja, das zwar nicht aus der Konstantinischen Zeit selbst stammt, aber 
dem Labarum in der Form sehr nahe steht, J. Wilpert die Malereien der 
Grabkammer des Trebius Justus, eines Christen, mit Darstellungen aus seinem 
Leben, J. Strzygowski sieht »die Bedeutung der Gründung Konstantinopels 
für die Entwicklung der christlichen Kunst* darin, daß Konstantinopel die 
großen asiatischen Kulturen von Persien, Indien und China mit ihren 
Formenschätzen dem okzidentalen Mittelalter vermittelte. Daß die Tafeln 
im Anhang dem Ganzen de? Werkes sich würdig einfugen, braucht nicht 
erst betont zu werden; eine Reihe von Druckseiten ist dmiA** ilr *** ^hen 
der Druckerei falsch eingestellt (S. 130—143). — Die zweit \ 

de Waals von Seppelt gesammelte »Kirchengeschichtli 1 

enthält im ersten Teil (Beiträge zur Geschichte der Km 
weniger umfangreiche Artikel und zwar einen über »däl 



522 


Literatur. 


päpstlichen Pönitentiarie* von Emil Göller, der so glücklich war, das bisher 
seit der napoleonischen Zeit verloren geglaubte Archiv in Rom wieder zu 
entdecken — die Registerbände beginnen mit dem Pontifikat Alexanders V. — 
weiter einen Beitrag »Zur Entstehungsgeschichte der römischen Rota als 
Kollegialgericht« von Franz Egon Schneider, der nachweist, daß die Rota 
schon am Ende des 13. Jahrhunderts als Kollegialgericht fungierte, wenn 
auch das Urteil als Entscheidung eines einzelnen Auditors erschien, drittens 
eine Darstellung von Heinrich Zimmermann, »Die päpstliche Legation zu 
Beginn des X1IL Jahrh. im Dienste der Kreuzpredigt, Inquisition und 
Kollektorie« betreffend. Der an dritter Stelle eingereihte Aufsatz aus der 
Feder Paul Maria Baumgartens, »über einige päpstliche Kanzleibeamte des 
13. und 14. Jahrh.« soll Ergänzungen zu den diesbezüglichen Ausführungen 
in Bresslau’s Handbuch der Urkundenlehre bringen; besonders ausführlich 
geht der Verfasser auf mehrere Vizekanzler der päpstlichen Kanzlei dieser 
Zeit und ihre Tätigkeit ein. Die zweite Serie bringt sechs Artikel über 
»Deutsche in Rom und an der Kurie«: als Beispiel sei nur die Schilderung 
des Aufenthalts des »Kardinals Otto Truchsess von Augsburg zu Rom 1559 
—1563« (in Sachen der Reformation) von Stephan Ehses genannt* die 
dritte Serie (»Varia« mit 7 Aufsätzen) enthält eine Studie vou Franz Ehrle 
über »Die Geschichte der drei ältesten päpstlichen Bibliotheken«, nämlich 
die älteste (bis zum 13. Jahrh., die sog. Bonifazianhche (aus dem 13. Jahrh.) 
und die avignonesische. Die Namen der übrigen Verfasser wie Konrad Eubel* 
Lambert Schulte, Josef Schmidlin (Rom und die Missionen) u. s. w. sind 
so rühmlich bekannt, daß ihre Nennung allein dazu genügt, auch diese 
zweite Festgabe als ein in Ehren bestehendes Denkmal deutscher Forschung 
auf römischem Boden bezeichnen zu können. 

Graz. Ernst Tomek. 


Die slawischen Sprachelemente in den Ortsnamen 
der deutsch-österreichischen Alpenländer zwischen Drau 
und Donau. Von Dr. J. Stur. Sitz.-Ber. d. kais. Akad. d. Wissensch. 
in Wien. PhiL-hist. Klasse. B. 176, Abh. 6. S. 102. 

Bei der Besprechung der Arbeit Stur’s beschränke ich mich auf Orts¬ 
namen vornehmlich auf die aus Osttirol und Salzburg. In der Einleitung 
werden geschichtliche Begebenheiten angeführt. Da erscheinen auch die 
Goten in Tirol und Gossensaß, der Gotensitz und noch anderes, was aus 
Steubs Herbsttage 160 ff. geschöpft ward, ohne Steub zu nennen. Gossensaß, 
urk. Gozzinsazze Steub Zur rhätischen Ethnologie S. 103; Gocensaz 
1218 Acta Tirolensia I n. 544, Gozzensaz^ Gozzensas, Gossensass 
Archvberichte aus Tirol 14., 15. Jh. II n. 1667 f. 1879, 1916, 1991, ist 
der Sitz eines Gozzo, Godizo, Gotizo Förstemann PN. 659, nicht Gotensitz. 

Den Zweck, den der Verfasser erreichen will, ist der, an »rund 
500 Ortsnamen und alten Namenformen aus dem 9. bis 12. Jh. historisch 
und philologisch nachzuweisen, wie sich die einstige Slawizität der öster¬ 
reichischen Alpenländer in der topographischen Nomenklatur bis heute er¬ 
halten hat«. S. 34 f. Verstehe ich das recht, will der Verfasser eine be- 



Literatur. 


523 


scheidene Anzahl slawischer Ortsnamen mit möglichst vielen urkundlichen 
Belegen vorfuhren. Weil er aber vom einschlägigen Schrifttum nicht viel, 
von den Quellenwerken nur wenig kennt, muß er mehr als ein Drittel der 
Ortsnamen ohne alte oder junge Namenformen erklären. Viele Ortsnamen, 
die geboten werden, behandelt Friedrich Umlauft in Geographisches Namen¬ 
buch von Österreich-Ungarn, Wien 1886. Dort findet man in den meisten 
Fällen dieselbe Erklärung der Namen, dieselben urkundlichen Belege in 
entsprechender Auswahl. 

Die slawischen Wort- und Namenbildungsmittel -ik- und -iz- (Miklosich 
Appellativs 1, 19f., 20 f.), werden beliebig für einander eingesetzt, auch 
wo Urkunden den heutigen Formen entsprechend nur -ik- bieten. So bei 
Asling S. 62, Döbling 36, Gamring 37, Perschling 41, Raming 44, Sir- 
ning 47, Tristing 48 u. a. In Steiermark kommt dieser Wechsel mitunter 
vor; in Tirol ist er unbekannt. In Kärnten kenne ich Lesentz 1336 
Görzer Urbar 1 ) heute Lessnig bei Sachsenburg. Auf jeden Fall ist diese 
Verwechslung nicht Regel sondern Ausnahme. 

Aus Salzburg werden von Stur 19 Ortsnamen angeführt; es fehlen 
viele wirklich slawische Ortsnamen, wie ich weiter unten zeigen werde. 
Von denen, die der Verfasser beistellt, sind 3 deutsch, 2 romanisch. 
B1 e s a c h-Kogel n. des Venedigers (Stur schreibt Bleßack) ist deutsch bleßach 
von bleße, blöße, kahle Stelle am Abhange eines Berges, mit Schutt oder 
Gestein bedeckt, Grasplatz — Wagrein ist Wogen- oder Wasserrein; die 
Bedeutung stimmt zur Lage. Vgl. Umlauft S. 263 und Wagram s. Graz 
mit hochem Wasserreine — St. Gilgen in Salzburg, die Gilgenberge 
in Österreich ob und unter der Enns, der Gilgberg, St. Ilgen und 
St. Ilgenertal in Steiermark, sowie die 8. Gilgentage, die Stur in 
Urkunden der Stifte Göttweig und Klosterneuburg gefunden S. 53, 57, 
S3, 87 stimmen mit den deutschen Namenformen dieses Heiligen, die an¬ 
derwärts in deutschen Landen Vorkommen, vollkommen überein; mit dem 
tschechischen Jilji, falls er nicht gar aus dem deutsehen geborgt ist,, 
haben sie nur das gemeinsam, daß alle vom griecli. Aigidios abstammen. 
VgL Schmeller, Bayr. Wb. 2 I 902 und die Taufnamen Gilg, Gilig, 
Gillig, den Familiennamen Gilger an verschiedenen Orten des untern 
Inntales; das S. Giligen-Gilgengotteshaus zu Schwendt an der 
bayerischen Grenze und die St. Gilgen tage in Urkunden des 14., 15.* 
16. Jh. Archiv-Berichte aus Tirol II n. 723; IV n. 411, 659, 941, 1018, 
1086, 1340, 1353, 1368, 1426, 1591, 1581 ff., 1632, 1643, 1750, 

1808, 1810. 

Gnigl, zwei Orte n. Salzburg, war früher Bachname: in fluvio Gnigl 
dicto 1271; unz in ain wass?r, haisset die Gnigel 1405; Grienberger, 
Romanische Ortsnamen in Salzburg 1886 S. 36. Darin steckt aqua cuni- 
cola Grabenbach, lat. cunicu'us Kanal, Grube — Grödig, Gredig heißt 
i. J. 788 ad Cretica; dann Grethica, in villa Grettich 12. Jh. in 


*) Ich setze Ihr das Urbar das Jahr 1336. In der Umgebung von Lienz er¬ 
scheint sechsmal als Besitzerin doinina (mea) senior. Diese war Beatrix, die Mutter 
des Grafen Johann Heinrich 1320—1338. Dieser war zwei Jahre alt, als er die 
Regierung antrat; 1336 heiratete er eine Tochter Friedrich des Schönen von Öster¬ 
reich, 1338 starb er. Beatrix kann vom Jahre 1336 an doinina mea senior heißen. 
Vgl. 0. Redlich, Acta Tirolensia I Einleitung LXI. 



524 


Literatur. 


Gredich 1334; Grienberger, Die Ortsnamen des Indiculus Arnonis etc. 
1886 S. 27 f. Roman. ON. 40 f. Steubiana 1887 S. 10. 

In Cretica suche ich aqua, villa cretica von creto, lat. crepitus 
Spalt, Riß in übertragener Bedeutung. Vgl. Schneller, Tirol. Namenfor¬ 
schungen, Innsbruck 1890 S. 180 A. 2. Grödig liegt am Almkanal, der 
unfern des Ortes aus dem Almbach abgeleitet wird. Dieser durchtost vor 
dem Austritte in die Ebene eine wilde Felsenschlucht, Hangender Stein 
genannt. 

Lungau, urk. Longave, Longovve u. a. ist keine Zwitterbildung 
aus altslaw. lagu. slov. log. Wald, Aue * deutsche Au; slaw. lagova, lagava 
— longava, longova führen zum gleichen Ergebnis. Miklosich AppelL 
II 297. 

In der Südostecke des Kronlandes, Generalstabskarte Zone 17, col. 9 
finde ich folgende bei Stur fehlende slawische Ortsnamen: Begoriach 
Dorf = pod oder po -f- goriach, Unter-Amberger, slov. gora Berg — P1 a n- 
kowitz Spitze = plankovica Plankenstein, slov. planka aus dem Roma¬ 
nischen oder Deutschen entlehnt — Gabreining Hof = koprivnik Keßler, 
slov. kopriva Nessel — Golitsch Spitze = golica Blößenkofel, slov. gol 
nackt — GrÖbnitzen Berg = grobnica Grabenstein, slov. grob Grab — 
Granglitz Alpe, Alpenwiesen =- kronglica Scheibenalpe, slov. krog Run¬ 
dung— Lauschitz Alpe; Lanschützbach, Tal, Berg; Großlanschütz 
Alpen wiesen; Oberlanschütz Ortschaft = lonöinica (nach Tiroler 
Mustern) Naßfeld, Feuchtenwang, Au; altsl. a = tirol. on (o in der Mitte 
zwischen a und o); altsl. laka, slov. löka Aue. Bei Lohnschitz in 
Steiermark (S. 92) denkt Stur auch slov. loncar Töpfer! — Misslitz-Bach, 
Tal, Alpe; vgl. Mislitz ö. Znaim in Mähren, von altsL mlzöti tropfen; 
Miklosich Appell. H n. 367 — Morawitz Alpe = moravica, slaw. mo- 
rava Aue, Rasenplatz Miklosich a. a. 0. 357 — Oblitzenberg = oblica 
Kugelberg, slov. oblica Kugel — öllschützen Ortschaft, nach Tiroler 
Mustern = olänica Erlach, slov. oläa Erle — Schrovin Kogel = scro- 
vina gora Lueg, slov. scroven geheim — Steinitzenberg — stenica 
Wandkofel, slov. stöna Wand — Zmülingwand = Pechwand, alov. 
smola Pech, Harz; auch ein PN. smolnik, Pechklauber, Pechbrenner kann 
im Namen stecken — Lug au, Dorf und Bach s. Dorf Gastein; zu Lukaw 
1352, Lukaw 1337 in der Castaün (Gasteun), Jaksch, Archiv f. vater¬ 
ländische Gesch. u. Topographie Klagenfiirt 1900 S. 141 f. n. 57 u. 68: 
slov. lökava von löka Aue. Daher stelle ich auch Luggau im Lesachtale 
von Kärnten an der Grenze von Tirol; gg = k. Miklosich AppelL II 297 
stellt diesen Namen mit Unrecht zu asl. lagü Wald. 

Aus Ost tirol sind 73 Namen verzeichnet; es fehlen sehr viele, die 
meisten Ortsnamen, auch solche, die in den von Stur benützten Pontes 
rerum Austriacarum angeführt sind, z. B. Pregrat i. J. 1162 Font. rer. 
Austr. 34 n. 93; Pregrad 1177 n. 133; Predegrad, Pregrad 1336 
Görzer Urbar; zu Pregraden, 1386 E. v. Ottenthal, O. Redlich, Ajchiv- 
Berichte aus Tirol IV n. 337; Pregraten 1601; Prägratten 1719, 
Arch.-Ber. n. 339; so lautet auch die heutige Kanzleiform für Pregraten, 
hintern Teil der Virgentales am Oberlaufe der IseL VgL tschech. Pred- 
hradi, Miklosich Appell. II n. 122 = Vorburg. Predium Libinic h 
1169 FRA. 34 S. 41; Libenich 1177 S. 46; Leibnik 1285 S. 173. 



Literatur. 


525 

Leibnigg, zu vnnder Leibnigg 1545 Pustertalische Beschreibung; 
heute Leibnig, Unter-, Ober-; sie bilden mit Oblaß die Gemeinde St. Jo¬ 
hann i. Walde im Iteltale nw. Lienz. Leibniz 1. Bach bei Leibnig und 
Berggegend am Oberlaufe des Baches zwischen dem Hochschober und Priak; 
mül an Leibniz Pach 1601 Salzburger Urbar. 2. Leibniz, Berggegend 
bei Oblaß; Pergwisen gelegen under der albm in der großen Leibnitzen 
1583 Salzb. Urb. heute Leibnizwald auf der Karte. Stur S. 63 »ohne 
urkundliche Form*, leitet die Namen von slov. lipa Linde ab. Auf Berg¬ 
wiesen und Alpen sind auch zur Zeit, da die Slawen eindrangen, keine 
Linden gewachsen. Gnila Lipa, Zlota Lipa, zwei Bäche in Galizien, 
werden jetzt oft genannt. In diesen Namen heißt Lipa doch nicht Linde; 
Faule Linde, Gelbe Linde ist selbst für genügsame Slawen keine entsprechende 
Bezeichnung von Bächen; vielleicht verstanden sie darunter irgend eine Art 
von Bächen. Von lipa sind Lipinik und Lipinica gebildet; die letztere ver¬ 
drängte später den alten Bachnamen. 

Apud Bosanriza, lies Bosamiza basilica S. Michahelis um 1060 
FRA. 31 S. 82. Bozsarinza bei Besch Aetas millenaria ecclesiae Inticensis 
S. 93; plebanus de Poserniz 1336 Görzer Urbar, heute Pusarnitz Dorf 
nordöstl. von Sachsenburg in Kärnten — poZaraica Brand, slov. pozar 
Feuer. MikL app. II n. 419. 

VII mansos iuxta Lazinich uulgo propter novitatem gerut appel- 
latoe 1181 FRA. 31 S. 115; Laznich S. 117, heute Lassnitz bei 
Murau in Steiermark. Hier ist die Übersetzung des slaw. Namens beige¬ 
fugt; slov. laz Kreut, Gereut. Stur S. 90 deutet Lass in g im Ennstal, 
urk. Laznich u. a. mit asl. lagü Wald; das ist falsch. 

Pusters novale 1091, iuxta Pvsters 1148, supra Pusters 1177 
xl a. in monte q. d. Pusters 1196 u. s. w., bis 1327 Pustertz, 1427 
am Pustricz sich einstellen, heute Pustritz in Kärnten; aus FRA. Die 
Bildungsweise des Namens ist nicht slawisch, die Ableitung von pustarica 
ist falsch. Strut 74, MikL app. II 512. 

Zuerst muß ich einige Versehen Sturs berichtigen. Aegratl ist kein 
Ortsname; so nennen die in Pregraten ein Gartl, Gärtlein. Aznicb in co- 
mitatu Pustrissa; hier ist comitatu Pustrissa falsch; an der von Stur an¬ 
gezogenen Stelle heißt es in monte Aznic. Aznic lag in comitatu L u r n e n s i 
Acta TiroL I n. 6*. Teischnitz und Duplago gehören natürlich nicht 
zusammen; Teischnitz heißt ein Tal in Kais; Duplago i. J. 828 ist die 
-älteste Namenform von Toblaeh, wie auch bei Tinkhauser Diöz. Brixen 1 
492, den Stur ohne Band und Seitenzahl anfuhrt, zu ersehen ist. Den 
Namen Pustertal leitet nicht Steub von slaw. bystriza ab, sondern 
Miklosich, wie Steub in dem Büchlein Zur Namens- und Landeskunde der 
deutschen Alpen S. 28 behauptet. Auch dies Werk wird, ohne die Seiten¬ 
zahl anzugeben, von Stur angeführt. 

Den Namen Pustrissa-Pus^>ertal leitet Miklosieh Appell. II n. 512 von 
asL pustü de8ertus ab. Alle Forscher, die mit diesem Namen sich be¬ 
fassen, nehmen diese Erklärmg auf. Huber Alfons, Geschichte Österreichs 
I S. 57; Fr. Stolz, Zt„ Ferdinandeum 1906 S. 461 u. a. Darum muß kjh 
•der Erklärung des Namens eine grundlegende Bemerkung vorausschk*^ 
Ums Jahr 800 zerfiel das heutige Pustertal in 3 Teile: 1. in den c<r 
Pustrissa, 2. in die Frieisingische Herrschaft Innichen, 3. in den CC 



526 


Literatur. 


Lurnensis. VgL Otto Stolz, Archiv für österreichische Geschichte 102. Bd. 
S. 103 ff. Czörnig, Zt Ferdinandeum 1887 S. 156f. Die Westgreuze der 
Grafschaft Pustrissa ist in Acta Tirol. I n. 57 LJ. 1002-4 angegeben. 
Die Ostgrenze bildet i. J. 769 rivus quae vocatur Tesido, der Teistner- 
bach, der hinter Welsberg in den Gsießerbach oder Pidig sich ergießt. In 
einer Urkunde d. J. 81G steht: Atto quondam struxit cellulam quae nun- 
cupatur Inticha ... in confinio videlicet Pudig]in ... et Camiensi ubi 
Draus fluvius oritur, Sinnacher Btr. 2, 379 u. 395. In Pudigin steckt der 
eben genannte Pidig oder Gsießerbach, der i. J. 1048 als Waldgrenze ge¬ 
nannt wird: de flumine quod dicitur Pudi(g)a usque ad flumen quod 
dicitur Schwarzenbach »Die Schwarze* in Defreggen, Sinnacher Btr. 2, 
395. In einer anderen Urkunde des Stiftes Innichen, die im 12. Jh. 
gefälscht wurde, heißt es: in medio comitatuum, qui vulgo vocantur 
Pustrussa, Lurno, Catubria ... hoc est ubi ingreditur fluvius Pudip 
Rionzum Resch Aetas millen. 52 f. Otto Stolz, Archiv f. öst. Gesch. 
102 S. 104f. Damit ist doch soviel erwiesen, daß comitatus 
Pustrissa, vallis Pustrissa in alter Zeit beim Pidig oder 
Gsießerbache endete. 

. . . sufflei at Ezelino et eius filio eiusque heredibus investitura in curia 
que vocatur Lonca in Chraine uel in curia que vocatur Intica in Pustris 
posita. 1160 FRA. 31 S. 108. Da finde ich zum ersten Male, daß ein Ort 
östlich der Pudnerbruggen bei Welsberg als im Pustertal gelegen angegeben 
wird. Im Jahre 1377 verleiht Bischof Friedrich von Brixen dem Kapitel 
in Innichen und der Geistlichkeit im Pustertal Freiheit der letzten Ver¬ 
fügung über ihren Besitz. Arch. Ber. 3, n. 2732. Das gleiche tut im 
selben Jahre Meinhard, Pfalzgraf von Kärnten und Graf von Görz in seinem 
Gebiete »diesseits des Kreuzberges (in Sexten) im Pustertale bis gen 
Aezing* = Asling, Arch. Ber. 3 n. 2733; 4 n. 72. In einem Brixner 
Urbar um 1400 heißt es: vermerkht die pfarm in dem Pustertal die 
cupelfutev geben: Anras, Silian, Velgraten, Inchingen, Toblach, 
Niderndorf, Taistn, Entholtz, Olangn, Phaletzn, Santlaurenzen, Eimen¬ 
berg. Über Kuppelfutter s. Otto Stolz, Arch. f. öst. Gesch. 102 S. 189— 
194. J. J. 1398 wird gesagt, daß der wishoff Gumedell (Gandellen) ob 
Doblach und der Lanzhof in Sexten im Pustertal liegen. Arch. Ber. 
3 , 2344. Im letzten Viertel des 14. Jahrhunderts reichte 
das Pustertal bis zum Kristein- oder Justeinbch *). 

In der Stiftsurkunde von Innichen v. J. 769 kommt die Stelle vor; 
quia et ipsa loca ab antiquo tempore inanem atque inhabita- 
bilem esse cognovimus Resch a. a. O. 23. Darauf berufen sich die Forscher, 
welche die Erklärung von Miklosich sich zu eigen machen; so Alfons Huber, 
österr. Gesch. I 57 A. 1 und alle andern. Damit wird die Gegend zwischen 
dem rivus Tesido, Taistnerbach und dem rivulus rnontis An&rasi Resch 22 
als menschenleer und unwohnlich bezeichnet — seit alter Zeit. Cognovimus, 
gehört haben wir, sagt Tassilo, natürlich vom Atto, dem Abte von Schamitz, 
der den Herzog in Bauzano erwartete. Durch diese grauenhafte Wüste, die 


*) Kristeinbach auf der Karte und Tinkhauser 1, 691; Justeinbach Tinkhauser 
1, 585 und Arch. Ber. 4, n. 17 i. J. 1409; im S. Justeinbach Arch. Ber. 4, n. 202; 
ad S. Justinam 1177 Tinkhauser I 5S9. 



Literatur. 


527 


ja nicht im comitatus Pustrissa, dessen Name von asl. pustü desertus 
stammen soll, sich befand, führte die Römerstraße, das einzige großartige 
Verkehrsmittel jener Zeit; diese Wüste heißt nicht Pustarizza, Pustriza; 
so, nicht Pustrissa müßte sie heißen, wenn die Erklärung von Miklosich 
haltbar sein sollte; vgL Stur S. 82, wo urkundliche Formen von bystrica 
angeführt werden. Diese Wüste heißt Indi(g)a, vulgo Campo Gelau, 
Besch Aetas milL 22; in dieser Wüste werden die Flüsse Rienza Acta 
Tirol. In. 121b i. J. 1050-C65 (Vgl. Unterforcher, Zt. f. rom. PhiloL 
1910 S. 201 f.) und Pudi(ga) (vgl. Hintner, Gsießer Namen 21 ff.), der 
Bach Tesido (Hintner a. a. 0. 26 ff.) genannt; in dieser Wüste liegen die 
Orte Duplago-Toblach; Schloß Ligode 1243 Arch. Ber. 3 n. 2512, 
Ligode 1336 Rentamt der Görzer, Görz. Urb. zu Ligöd vnder dem Turn 
1500, Urbar v. Toblach; jetzt verschollen, Tinkhauser 1, 492, 3. (Hlyr. 
ligod-? alban. 14h, lehete leicht, Gust. Meyer Etym. Wb. der alban. 
Spr. 239 f. Miklosich App. II n. 326; tschech. poln. ON. Lhota, Lgota). 
Camedelle 1362 Arch. Ber. 3, 2341, jetzt Gandellen hinter Toblach 
(rätisch cama Fels, Berg, slawisch kamen Stein. E. Täuber, Deutsche 
Rundschau f. Geogr. 36. Jg. 4. Heft S. 149). Frumendaeiger 1336 
Görz. Urb. in Frumedeigen 1560 Urb. Toblach, heute Frondeigen, 
Weiler hinter Toblach. Vgl Schneller Bt. 1, 44; Hintner, Gsießer Namen 
39. Virsach 1030 Miklosich Appell. 2 n. 747; Virsach 1273, 
seit 1305 Vierschach, Dorf zwischen Innichen und Sillian = versach, 
virsach Brand, etruskisch verse = ignem, Müller-Deecke Die Etrusker 2, 
510 u. 512. Slav. viröje aus vrhije — cacumina (Miklosich, Appell. 1 
S. 19) paßt auch wegen der Bedeutung nicht. Sillian von Silius. In 
diese Wüste münden die Täler Prags, Prages 1085 — 97 Acta Tir. 1 
n. 372; Sexten, in Sexto (milliario von Littamum) 1203 Arch. Ber. 3 
n. 2508; Vilgraten, Valgrattum 1140 Arch. Ber. 5 n. 2501 mit 
dem Bache Siligana Steinbach von silex. Resch Aetas mill. 163. An der 
der Südseite von Sillian liegen auf der Höhe die Dörfer von Kartitsch 1271 
Arch. Ber. 3 n, 2526 = corticia von corte Hof; als Alpe Kartitscha 
1389 Arch. Ber. 3 n. 2747 und das keltische Tilliach; Tiliun 1075 
—90 Acta Tir. 1 n. 319 ist falsch wie auch die beiden andern Namen 
dieser Urkunde; Diliach 1110—22 Acta Tir. 1 n. 426; Tiliach 1330 
Brixner Urb. Tiliach 1336 Görz. Urb. Die Forlans nennen das Dorf 
Cercinä, Tinkhauser Diöz. Brix. 1, 542, Circinach Act. Tir. 1, 319 
war im 11. Jh. der gebräuchliche Name; = Circinacum, lat. circinus. 
Scheibe paßt auf die Gestalt der Feldflur. Sturs Erklärung ist schon wegen 
der Betonung falsch. Das sind Ortsnamen, die nicht slawisch, nicht deutsch 
sind. Die Wüste ist eine Erfindung des Atto. 

Pustrissa stammt von Flusse Byrru3, Birrus 6. Jh. Venantius For- 
tunatus Vita S. Mart. 4, 648; dann Pirra i. J. 892, 1002, 1048 Resch 
Act milL 39, Act Tir. I 57, Sinnacher Bd. 2, 395; dann Flur bei Stegen 
von 1300—1714: Pirreve^d, Pirenfeld, Pirnveld, Pirchveld, 
Pirl-Veldt Urbar v. Sonntnburg S. 89; Arch.-Ber. 3 n. 951, 1249, 
1703, 1734; Urb. d. Pfarrers v. S. Lorenzen; Urb. v. Michelsburg. Die 
Anwohner dieses Flusses können Byrrusti geheißen haben. Peristi, 
Piristi 17. Jh. jetzt Piristi Hof in Welschellen, Pirestic- oder Purch- 
steigerbach 1500 Tir. Weist Pristich Eigenhof in Kastelrut 1396 Arch. 



528 


Literatur. 


Ber. 1 , 323; Pr ist Hof und Flur in Lüsen vgL Müder, Das Tal Lüsen 
S. 50. Diese Namen klingen an die angenommenen Byrrusti an, gehen 
vielleicht auf diese zurück. Mit den Pirrustae Caes. belL Gail. V 1 
haben unsere Byrrusti nichts zu schaffen. Von Byrrusti kann das Tal 
Pirrusticia, Prusticia, mit Versetzung des r Pustricia genannt 
worden sein. VgL Vidrol, Hof in Asling aus Fridoln 1330 Brixner 
Urb. Fridöl 1300, jetzt Ferdore Hof in Enneberg; Kroton, jetzt Co- 
frone in Kalabrien. 

Usque ad terminos Sclavorum id est ad rivolum montis Anarasi 700 
Kesch aetas mill. 22. Das Slawenreieh erstreckte sich gegen Westen bis 
zu irgend einem Bächlein auf dem Anraser Mittelgebirge. VgL Otto Stolz 
a. a. O. 104f. Der Landstrich westwärts der Lienzer Klause, der zum 
Slawenreiche gehörte, wimmelt heute noch von romanischen Flur-, Berg-, 
Bach- und Ortsnamen. VgL H. J. Bidermann, Die Romanen und ihre Ver¬ 
breitung in Österreich, Graz 1877 S. 74 f. u. 201. Da nun die Slawen im 
eigenen Lande nicht imstande waren, Romanen und Bajovaren mit den von 
diesen herrührenden Namen zu beseitigen, wie kann man westwärts dieser 
Grenze slawische Ortsnamen suchen? 

Ich beschränke mich auf folgende Namen: Golik, Gopernik, 
Strassnik sind Personennamen. Deutschen Ursprunges sind Osink, früher 
Asank Flur in Vilgraten; Ragouva-Ragen, alter Namen von Bruneck 
und Flurname ist ragowa, ragende Aue, vom Schutt der Rienz aufgebaut. 
Dristach-Tristach, spr. Driste, Dorf b. Lienz von tirol. Driste. Gr öden, 
in valle Gradena c. 1130—40 Acta Tir. 1, 450b und mehrere Grade n- 
täler im Mülltale und westwärts Lienz gehen auf iltyr. grad-, gard- 
entsprechend griech. charad- in chäradra, dor. charadeüs zurück. Die Be¬ 
deutung Schlucht paßt bei allen. Luenzina Acta Tir. 1 n. 71, wo die 
20 slawischen Huben zu finden sind, heute Oberlienz und LÖinza 1070 
-c. 80 Acta Tir. 1, 253, später Luenz, heute Lienz leite ich von allu- 
venza, alluvenzina Schwemm- Bruchboden ab, lat. alluere, alluvio. Die Lage 
entspricht. Dölsach 1197 Sinnacher BL 3, 120, Dolsach 1330 Brixner 
Urb. D51sah 1336 Görz. Urb. ebenso und ähnlich, aber immer mit 8 in 
vielen Urkunden, die in den Arch.-Ber. 4 ausgezogen sind; heute Dölsach, 
spr. Dölze. Nah dem Falle von Agunt nach 610 war Dölsach in kirch¬ 
licher Hinsicht der hervorragendste Ort auf der Ebene von Lienz. Tinkhauser 
1 , 576f. Görtschach, Ort bei Dölsach zeigt, wie slaw. Namen auf -ca, 
ce bei uns lauten. Dölsach ist Dulciacum von Dulcius, die Deutung des 
H. Stur doljani ist falsch. Norsach Görz. Urb. LJ. 1336; auf dem Kofel 
bei Norsach 1485 Arch.-Ber. 4 n. 305, Norsach in Theres. Steuerbuch 
1778, heute Nörsach, Ortschaft bei Iggelsdorf (amtl. Nikolsdorf) an der 
Grenze von Kärnten. Norsach 1336 Görz. Urb. bei Sachsenburg in 
Kärnten, heute Nörsach. Die Namen gemahnen an Noreia, Noricum 
und an die etruskische Göttin Nortia. VgL Nortinus, Beiname in 
Orvieto-Volsinii, norziu, Beiname in Cluaium, Perusia, Miller-Deecke, Die 
Etrusker 1, 490. Nursia von nurz in nurziuna, Schulze, Latein. 
Eigennamen 535 u. Ar. Norsach kann leicht etrusk. nurtiach sein. Win¬ 
disch bei Matrei ist Erfindung der fürsterzbischöflichen Kanzlei in Salzburg; 
sie wird von >Amtswegen € gebraucht; sonst ist sie zwar nicht unbekannt, 
aber unbeachtet Bindisch-Matrei 1334 Arch.-Ber. 4, 346 und weiter 



Literatur. 


•YJtt 

noch einigemale. Matrei, i. 12. Jh. Matrei, Materei, Motor ui» 
Matreie Font. rer. Austr. 34 S. 28, 32, 41: Matrey 11U7 Simmehor 
Bd. 3 S. 667; Matray 1267 Arch.-Ber. 4 n. 340 und Matveio Tab, 
Peutiiig, heute Matrei am Brenner, »das deutsche*, gehören zu den vor» 
römischen Namen. 

Stur begibt sich auch auf das romanische Gebiet der Namendeutung. 
Tiliun S. 66 ist wie Lionza und Beides dieser Urkunde falsch gcschrielx'ii, 
es soll Tili ach heißen. Trafoi (am Ortler) = tres viae 8. 99. Der Name 
heißt 1327 Trevulio Arch.-Ber. 2 n. 430 = lat. trivolium. Aus trei« 
vias kann nimmer Trafoi werden. 

Die Arbeit Sturs hat trotz des wissenschaftlichen Aufputzes wenig 
Wert. Oft fehlt die Angabe der Lage des Ortes und die Bezeichnung des 
Gegenstandes, an dem dieser haftet; es fehlen viele Hunderte sluwiseber 
Ortenamen dieses Gebietes; es fehlt eine Karte, aus welcher die Dichtigkeit 
und Verteilung der slawischen Ortsnamen zu ersehen ist; es fehlt ein 
Namenverzeichnis nach der Beihenfolge der Anfangsbuchstaben der Orts¬ 
namen. Daß Stur durch diese Arbeit die Erklärung slawischer Ortsnamen 
fördert, kann ich nicht behaupten. Sehr viele Namen kommen bei Miklosieh 
und Umlauft vor. Wo Stur eigene Wege wandert, sind die Erklärungen 
nicht »landläufiger* Namen »kühn*. Ich biete eine Auslese, die auf Ver¬ 
langen ergänzt werden kann. Cirzinäch 66 = Ireänjo. Do 1 Hoch 61 
s doljani. Fröschnitz 83, urk. Froscenice, Froeschnitx b r*m. 
Gradenegg 70, urk. Grednich, Graednich 1336 Gör/. Erb. 
gr^da, 8lov. grede Gebälk. Gran schäm 86, Cru sc baren — gri/f. j n- 
gering 87, Und rin a = slov. dren. Irdning 87, Id in ich, Jedrjich, 
Irdninch = tschech. jedlinikü, slov. jela. Kar titsch 63 xlov. k<'Ht 
Maulwurf. Landscha 89, Lontsaeb; Landschach 89 und Lorixchifz 
92 = loncar Töpfer. Lang 89, Loneh, Lun ko; Lang wich 89, 
Lungwiz, Lunchwiz, Lonkuiz = log. Aue. Obgrün 93 dobrinj*. 
Planaikogel, Planitzbach 94 = planina. Pleisli ngb.*ch ,79, 

Plonsnichbach — plaznica. Büdaehitz 93, Betzschitz — 
Blütenkitzehen. Tra»»nitz, Tratten 99 — trata, a nst dem Deof>/:b*n 
geborgt. Tröschnitz 100, Trezwiz - tent Zögern itz iWg 

und Bach 51, Zekkirniz und Zwerg, itzgrabe n JO' — fcjfone. 

Mit Wölfnitz 7%. WoUwitz ir*Vir Ha.:'* fangen, Vv»x/b/// 

der Name so dunitsk^Jg und tcs /. > 2 n. 7 e/* 

Wer solche Erklarcic'efc tob sa* . .v-r '!** v >.* t 

Namenfaradnmg ontt 

Graz. ■- r. *.e : *■-,? \f, * t 

Walther L.e ;r./u \ ', + f ?, \ . d \ 

festigungen in De«** .l.« i. LLi / .r >v,,/ o 

VerfassungagescfciAv' rf^tr/.rjs*en^ A vr. .. y, 

EL BraßdenbizTg. (i v ;w/ \ V,7 * */ t 

Quelle u. MeT«. TL l. *1 * 

Neben dta fTumraubten vor. t#»r ÄLn.^r^, /,,/ .< , 

küum eine Präge o«r Cjemtraen v.m ) ^ 


1 




Literatur. 


f>30 

den letzten Jahren eine so vielseitige literarische Bearbeitung gefunden hat. 
wie die mittelalterliche Stadt. Einen Beitrag zu diesem letzteren Gegen¬ 
stand will die vorliegende Inauguraldissertation geben; sie bringt mehr und 
weniger, als der Titel verspricht, — mehr, insofern sie in st&ndiger, ge¬ 
schickter und sachlich zutreffender Polemik gegen Bietschel eine gute Unter¬ 
suchung der Siedlungsbezeichnungen des Früh- und Hochmittelalters bietet, 
— weniger, insofern sie nur bei einer auserwählten Zahl von Städten 
die Zeit der ersten Befestigung und einiger Befestigungserweiterungen an 
der Hand der zugänglichsten Urkundensammlungen und der bisherigen 
Spezialliteratur, aber ohne eigene Stadtplanforschungen festzustellen versucht 
und sich hierbei auf die Zeit vor dem 13. Jahrhundert beschränkt. Warum 
Verfasser seine Untersuchung mit dem 13. Jahrhundert beschließt, das ist 
ebensowenig erklärlich, als die Nichtberücksichtigung der Stadt Wien in 
einer Arbeit, in der z. B. Städte wie Salzburg, Basel, Utrecht besondere 
Beachtung erfahren, zumal da ja speziell für Wien die Baugeschichte er¬ 
schlossen ist, und andererseits eine Durchsicht der Städteprivilegien des 
13. und 14. Jahrhunderts, die zum großen Teil in den leicht zugänglichen 
Acta Imperii enthalten sind, ihn vor einem allzu raschen Einlenken in 
Rietschels Bahnen um die Mitte des 13. Jahrkunderts (S. 26 u. 76) be¬ 
wahrt haben würde, ja ihn vielleicht auch für die Zeit nach 1250 meiner, 
ihm merkwürdiger Weise unbekannt gebliebenen, aber bereits im Jahre 
1910 in der Zeitschrift der Savigny-Stiftung, Germ. Abt Bd. 31, S. 456 
und in meiner Habilitationsschrift: Befestigungshoheit und Befestigung»- 
recht, Leipzig 1911, Verlag von Veit & Comp., S. 74 und Noten 3 bis 5, 
vertretenen Theorie erhalten haben dürfte. 

Die Arbeit gelangt zu folgenden Ergebnissen: Befestigte bürgerliche 
Siedelungen gab es schon früher in Deutschland, als die bisherige Forschung 
annahm, aber bis zum Auftreten der Normannen und Ungarn herrschte 
das Fluchtburgenprinzip; seitdem entstehen einerseits Dynastenburgen, an¬ 
dererseits befestigte bürgerliche Siedelungen (S. 39). Wenn nun auch 
nicht, wie die ältere Forschung betonte, fast alle Stadtbefestigungen dem 
Einflüsse der Ungarngefahr ihr Dasein verdanken, so ist doch die ßietschelache 
Annahme, daß um 1100 nur 11 Städte (9 Römerstädte und Würzburg 
und Magdeburg) befestigte Bürgersiedelungen besaßen, unhaltbar (S. 29 
u. 74). Civitas (urbs) wird von der sächsischen Kaiserzeit bis in die Staufer- 

zeit farblos gebraucht, sie ist nicht identisch mit befestigtem Siedelungs¬ 

gebiet, geschweige denn mit »kleinerer Befestigung* (S. 13 und 25). Villa 
bezeichnet eine Siedelung, die sowohl befestigt als unbefestigt sein k&nn 

und bald Dorf-, bald Stadtcharakter hat (S. 2l). Die Befestigungsfrage ist 
für den Begriff »Stadt* im Frühmittelalter von sekundärer Bedeutung 

(S. 7); erst von zirka 1250 an beginnt die Befestigung ein Merkmal des 
Begriffs »Stadt* zu werden (S. 26 u. 76). Für diese letztere These ist 
der Verfasser den Beweis schuldig geblieben; ich bin daher imm er noch 
der Ansicht, daß das Befestigungsrecht zwar eine höhere Potenz des Stadt¬ 
rechts ist, daß aber wie um 1235 und 1270, so auch im 17. Jahrhundert 
noch der Unterschied von ummauerten und unbefestigten Städten bestand. 

Greifswald. Alexander Coulin. 



Literatur. 


531 


Felix Matuszkiewicz, Die mittelalterliche Gerichts¬ 
verfassung des Fürstentums Glogau. Darstellungen und Quel¬ 
len zur schlesischen Geschichte, herausgeg. vom Verein für Geschichte 
Schlesiens. Bd. XIII. Ferdinand Hirt, Breslau 1911. 8°. XII und 
162 S. 

Die Bedeutung dieser Abhandlung liegt vor allem darin, daß sie den 
Zusammenhang der mittelalterlichen bis zu Beginn der preußischen Herr¬ 
schaft gütigen Gerichtsverfassung des Glogauer Fürstentums mit der altpol¬ 
nischen aufdeckt, einen Zusammenhang, der, wie diese Untersuchung zeigt, 
auch in den anderen schlesischen Teilfürstentümern bestanden hat, aber noch 
nicht im einzelnen nachgewiesen ist. An die Spitze der Arbeit stellt Verf. 
einen Überblick über die altpolnische Gerichtsorganisation und führt den 
Nachweis, daß diese auch noch im Fürstentum Glogau bestanden hat, ja 
selbst dort, wo kirchliche Untertanen von der landesherrlichen Gerichtsbar¬ 
keit eximiert wurden, wurde die Opoleverfassung nicht angetastet. Mit der 
deutschen Kolonisation wurden für Bauern und Bürger deutsche Gerichte 
geschaffen, die ursprünglich Exemtionsgerichte, allmählich zu den ordent¬ 
lichen Gerichten wurden. Die Kastellanei- und die polnischen Dorfgerichte 
sind dann allmählich ganz verschwunden. Für die deutschen Ritter, die ins 
Land zogen, sind aber keine neuen Gerichte geschaffen worden. Als Lehens¬ 
mannen konnten sie jedoch nicht vor die Palatinatsgerichte, die vorzugs¬ 
weise über Eigengut zuständig waren, gezogen werden; so fanden sie ihr 
Recht im iudicium curiae, dem herzoglichen Hofgericht, das zunächst noch 
in seiner alten Verfassung als höchstes zentrales Gericht bestehen blieb. 
In Glogau wurde nun für deutsche Sachen ein besonderer deutscher Hof¬ 
richter bestellt und es dauerte nicht allzu lange, so wurde auch kein pol¬ 
nischer Hofrichter mehr berufen; das Hofgericht war so zum deutschem 
Lehnshof geworden. Noch zu Anfang des 14. Jahrhunderts wurde das 
zentrale Hofgericht aufgelöst und anstatt dessen in jeder Weichbüdstadt ein 
Hofding eingerichtet. Ebenso blieben die polnischen colloquia, die herzog¬ 
lichen Landtagsgerichte, die im Anschluß an die allgemeinen Reichshoftage 
zusammentraten, bestehen, und es zeigt sich, daß hieran neben den pol¬ 
nischen Adligen auch deutsche Ritter aktiven und passiven Anteü nahmen. 
Diese colloquia büden die Vorstufe des Glogauer Manngerichts, das man 
bis jetzt allgemein als eine Neuschöpfung für den deutschen Adel ange¬ 
sprochen hatte. Ganz polnischen Charakter behielten die Palatinatsgerichte, 
die wir später unter dem Name Zaude (zuda, iudicium polonicale, poln. sqd, 
böhm. soud) wiederfinden. Noch in der Neuzeit sind Lehnsgüter bei der 
Allodifizierung in Zaudengüter umgewandelt und damit unter die Juris¬ 
diktion der Zaude gestellt worden. Man muß also zwischen Lehen, allodi- 
fizierten Lehen ohne Zaudeneigenschaft und Zaudengut (ursprünglichem, 
erb- und eigenem Gut) unterscheiden. Wie Verf. in einem Exkurs an 
einem Beispiel aus dem Erbrecht zeigt, wurde in der Zaude nicht 
nur nach polnischem Recht gerichtet, sondern die Zaude blieb sogar in 
stetem Konnex mit dem im Königreich Polen geltenden Recht. Um die 
Wende des 13. und 14. Jahrhunderts finden wir in Glogau folgende Ge¬ 
richte: aus deutscher Wurzel die Dorf- und Stadtgerichte, aus polnischer 
das Manngericht, die Hofdinge und die Zauden. Polnische und deutsche 



532 


Literatur. 


Gerichte haben sich gegenseitig beeinflußt, aber der polnische Ursprung bleibt 
in den drei letztgenannten Gerichten erkennbar, am deutlichsten in der 
Zaude. Die deutschen Schöffen sind Urteilsfinder, die polnischen assessores 
(Zaudener, zuparii in der Zaude genannt) sind nur Berater des Richters 
(des Tschenschen der Zaude = poin. s§dzia), der nach freiem Ermessen das 
Urteil fällt Daher schwankte auch die Zahl der Beisitzer und Vertretung 
war gestattet 1431 erschien sogar in der Glogauer Zaude eine Frau als 
Vertreter. Fremd war auch dem deutschen Recht die Dreiteilung des Ge¬ 
richts, Verhandlungsleiter, Richter, Beisitzer. In der Guhrauer Zaude ist 
die Dreiteilung immer beibehalten, in der Glogauer ging zu Beginn des 
15. Jahrhunderts offenbar unter deutschem Einfluß das Tschensch enamt an 
den Vorsitzenden (Hauptmann, später Hofrichter) über. Kaiser Karl VI. wollte 
wohl 1715 den alten Zustand wiederherstellen, doch erhielt durch ihn der 
Tschensche auch den Vorsitz und der Hofrichter wohnte als bloßer Reprä¬ 
sentant der Staatsgewalt ohne irgend welche Befugnisse den Verhandlungen 
bei. Friedrich H. hat die alten Gerichte dann gleich nach der Erwerbung 
Niederschlesiens aufgehoben. Der Verf. schildert eingehend die einzelnen 
Gerichte, indem er ihre Verfassung, ihre Zuständigkeit und den Rechtszug 
bespricht. Auch der Kampf zwischen den einzelnen Gerichten, namentlich 
zwischen den Stadtgerichten und dem Mannrecht wird geschildert. Die 
Manngerichtsordnung Herzog Sigismunds bedeutete den völligen Sieg des 
Adels über die Städte. Oft findet der Verf. Gelegenheit auch auf ähnliche 
Verhältnisse in anderen schlesischen Gebieten einzugehen und Ansichten 
früherer Forscher richtig zu stellen. Er weist auch auf das interessante 
Zeidelding für die Junker der Mallmitzer Heide hin, dessen Kompetenz auf 
die Landesgrenze keine Rücksicht nahm, doch weiß er über dieses Gericht 
nichts Näheres zu bringen. Die Abhandlung stellt einen sehr wertvollen 
Beitrag für die schlesische und überhaupt für die deutsche Kolonisations¬ 
geschichte dar. 

Adolf Kunkel. 


Oskar Wilhelm Ganz, Philipp Fontana, Erzbischof von 
Ravenna, ein Staatsmann des XIII. Jahrhunderts. Leipzig, 
Quelle und Meyer, 1911 (so der Umschlag, das Titelblatt hat 1910). 
Xn u. 103 S. 8°. 3.65 M. 

Vielleicht der eigenartigste Vorkämpfer im kirchlichen Lager zur Zeit 
der Kämpfe gegen die letzten Staufer, von dem der Franziskaner Prä Sa- 
limbene von Parma, der ihn gut kannte, die charakteristischen Worte sagt: 
super omnes homines de mundo diligebat honores et ... scivit dominari et 
baronizare *); mehr ein Kirchenfürst älteren Stils, wie der italienische Epis¬ 
kopat noch im 12. Jahrhundert manchen aufwies, etwa jenen Volterraner. 
dem Friedrich L Fürstenrechte verlieh und den das Volk der fahrenden 
Sänger als den bon Galgano, vescovo Volterrano feierte *); mehr ein rauher 


*) Ed. Holder-Egger SS. XXXII p. 400. 

*) Vgl. Davideohn, Gesch. von Florenz I 817. 



Literatur. 


533 


Kriegamann wie ein Mann der Kirche — lassen wir wieder Salimbene reden: 
ipse vero archiepiscopus plus curabat de guerris quam de sanctorum reli- 
quiis*) —, hielt er, auch darin den alten Bischöfen Reichsitaliens ähnlich, 
die ihr auf feudalen Grundlagen ruhendes weltliches Regiment durch ihre 
Reisigen, ihre Masnada, gesichert hatten a ) — seine Leibgarde: familiam ha¬ 
bebat terribilem et ferocem, . . . erant enim bene XL homines armati, quos 
semper secum ducebat, ut essent capitis sui custodes et totius persone, et 
timebant eum sicut diabolum, sagt ebenfalls Salimbene, der unermüdliche 
Anekdotenerzähler 8 ), der einige nicht besonders authentische, aber recht 
amüsante Schnurren hinzufügt, um begreiflich zu machen, daß Philipp von 
seinen Kriegsknechten kaum weniger als der wilde Ezzelino da Romano 
gefürchtet wurde. Es sind rohe Späße aus dem Lagerleben; einer, der das 
Salz auf einer Reise mitzunehmen vergaß, wurde an einem Strick vom 
Schiff ins Wasser hinabgelassen und bei der Fahrt mitgeschleppt, ac si esset 
unus sturio; ein anderer an einen Balken gebunden und so nahe ans Feuer 
gelegt, daß selbst einige seiner Kameraden bei dem grausamen Schauspiel 
zu weinen begannen. »Schon weint ihr Elenden? € soll nach unserm 
Franziskaner der Herr Erzbischof, der offenbar gegen so etwas abgehärtet 
war, ausgerufen, sein unglückliches Opfer aber doch vom Feuer entfernt 
haben. Das leidenschaftliche Naturell, das uns diese Züge, mögen sie noch 
so anekdotisch sein, andeuten, wird uns von Salimbene auch noch besonders 
bestätigt: iste archiepiscopus interdum erat ita melanconicus et tristis et 
furiosus et filius Belial, quod nemo poterat ei loqui (vgL 1. Reg. 25, 17 4 ). 
Mit den Pflichten des geistlichen Amtes nahm er es, wenn wir wieder un¬ 
serem indiskreten Gewährsmann glauben wollen, nicht übermäßig genau; er 
hatte zwei Nepoten, aber einer von ihnen war sein Sohn, und auch eine 
schöne Tochter 5 ). Damit und nicht mit den Kriegszeiten, wie C. meint 6 ), 
wird es wohl Zusammenhängen, daß Philipp erst in späterem Alter die 
höheren Weihen nahm 7 ), darin seinem gleichnamigen Zeitgenossen ähnlich, 
«ler als der Erwählte von Salzburg bekannt ist 8 ). Das Bild des merk- 

*) L. c. p. 400. 

*) Davidsohn 8. 314 und der Beleg aus dem Jahre 1121 und andere aus 
Lucca und Arezzo in meiner Reichsvcrwaltung in Toscana 1 204 Anm. 1. 

*) L. c. p. 399; vgl. C. S. 41. 

4 ) L. c. p. 400. 

») Ebd. p. 399—400. 

•) S. 2 Anm. 4. 

T ) Über das Datum der Weihe vgl. Amadesius, In antistitum Rav. chrono- 
fn-rim ... disquisitiones III (1783) 51, aer die Nachweise bringt, daß Philipp noch 
am 4. Januar 1261 (Urkunden im Anhang daselbst p. 193—195 n. 53—54) electus 
hieß; so noch am 24. Januar, Tarlazzi, Appendice ai monumenti Rav. II 67 n. 53, 
während er auf der Ravennater Synode vom 28. März, Fantuzzi, Monumenti Rav. V 
338 n. 65, Savioli, Ann. Bol. HI b 366 n. 728, bereits Erzbischof heißt, und ebenso 
am 28. Oktober des Jahres, Tarlazzi 262 n. 175, und fortan regelmäßig. Wenn 
ei schon 1258 im Text der Urkunden bei Tarlazzi I 258—260 n. 172—173 den 
erzbischöflichen Titel führt, so liegt, falls die Drucke zuverlässig sind, eine Unge¬ 
nauigkeit des Notare vor; die erste der beiden unterzeichnet Bischof Guidaloste 
von Pistoia als Generalvikar Phylippi ... electL So war wohl eben durch das 
bevorstehende Provinzialkonzil von 1261 für Philipp der Anlaß geboten, die 
Weihen zu nehmen. 

®) Vgl. O. Lorenz, Deutsche Gesch. im 13. und 14. Jh. I 176; Philipp, Er¬ 
wählter von Salzburg, nahm nie die Weihen, was L. mit seinen kriegerischen 
Neigungen erklärt ; dazu Aldinger, Die Neubesetzung der deutschen Bistümer unter 



534 


Literatur. 


würdigen Prälaten wäre nicht vollständig ohne die andere Schilderung, 
die Saliinbene von ihm gibt, wie er in seiner Pfalz zu Argenta um 
Po, ein Responsorium oder eine Antiphon vor sich hin singend, von 
einer Ecke zur andern wandelt, et in quolibet tempore estivo bibebat. 
quia in quolibet palatii angulo enghestariam optimi et precipui vini ha¬ 
bebat in frigidissima aqua. Fuit euim, fugt unser schalkhafter Chronist 
hinzu, mognus potator et aquam in vino nolebat, eine Tatsache, die als 
Gelegenheit benützt wird, um den Traktat de non miscenda aqua vino de> 
Primat, jenen köstlichen poetischen Dialog zwischen dem Wein und dem 
Wasser, einzuschalten l ). Auch Rolandin von Padua bestätigt die Angaben 
von Salimbene durch die Erzählung, Philipp habe als Legat gegen Ezzelino 
gleich den andern dem trefflichen Wein aus den Höhlenkellern bei Custozza 
gehörig zugesprochen, biß das Gerücht vom Nahen des Feindes den allge¬ 
meinen Frohsinn in Trauer wandelte 2 ). 

Wir verweilen etwas länger bei Philipps (von Canz 3 ) gut gezeichneter) 
Persönlichkeit, weil ihr rechtes Verständnis das Urteil über seine Tätigkeit 
erleichtert. Wenn er kirchliches Gepränge liebte und aus diesem Grunde 
die Elevation der Gebeine des Elysaeus und die Translation des Märtyrers 
Savinus vornehmen ließ 4 ), wenn er ein guter Verwalter war — daß er 
dabei, dem Vorbild Friedrichs IL folgend, irgendwie schöpferisch vorging, 
wäre zu erweisen 5 ) —, wenn er ehrgeizig, weltlich gesinnt und eine starke, 
eigenartige Persönlichkeit war, so scheint mir das alles noch nicht zu ge¬ 
nügen, um ihn den Vorläufern der neuen Zeit 6 ) zuzählen zu können; die 
Pflege des Geisteslebens an Philipps Hofe dürfte noch nicht daraus hervor¬ 
gehen, daß er Minoriten wie die Chronisten Thomas von Pavia und Salim¬ 
bene von Parma oder den Komponisten Vita zu seinen näheren Bekannten 
zählte 7 ); Freigebigkeit und Botenlohn sind erst recht keine Kennzeichen 
der Abwendung von mittelalterlichen Anschauungen. So möchte ich ihn ge¬ 
genüber der in Anlehnung an Burckhardt, wenn auch sehr vorsichtig, gege¬ 
benen Charakteristik Philipps als Vorläufers des Typs der Renaissanceherr¬ 
scher gerade für das Gegenteil, für einen Typ des italienischen mittelalter¬ 
lichen Kirchenfürsten halten, wie sie trotz Reformsynoden und Investiturstreii, 
trotz des seit 100 Jahren gestiegenen Einflusses der Kurie auf die Besetzung 
der Bistümer und trotz der zahlreichen Provisionen von Kurialen noch bis 


Papst Innocenz IV. S. 68. Freilich kamen bei Philipp auch Erbansprüche auf 
Kärnten, dessen Herzog Ulrich, sein Bruder, kinderlos starb, in Betmcht; Joh. 
Victor, ed. Fedorus Schneider I 173—174. 206—207. 
q Salimbene 1. c. p. 430. 

*) SS. XXII 116 (Liber IX c. 11), vgl. C. S. 66. 

») S. 1. 84—86. 98—99. 
q C. S. 89. 

C. S. 85; die Angaben S. 82 sind keine genügenden Belege. 
a ) C. S. 1 und S. 2 Anm. 1, dazu da« Vorwort 

T ) Darauf beschränkt sich, was C. S. 85 Anm. 4 und sonst für diesen Punkt 
beizubringen vermag, wenn man von seinem Astrologen Eberhard von Brescia at> 
sielit. Im Hang zur Astrologie wird man nichts sehen, was auf die Renaissance 
hindeutet; die Anekdote von Salimbene, Philipp sei nach Toledo gewandert tun 
die schwarze Kunst zu erlernen, erinnert doch stark au den Nekromanten Gerbert 
Der besonders ausgeprägte Hang Philipps zu den Bettelorden ist meiner Ansicht 
nach überhaupt bezeichnend für seine etwas vierschrötige Natur; sein Astrolog war 
Dominikaner. 



Literatur. 


535 


zum Ende des 13. Jahrhunderts begegnen und den stürmischen Zeiten ent¬ 
sprachen; nur waren sie im 12. Jahrhundert meist auf der Seite des Rei¬ 
ches gewesen; jetzt verteilen sie sich auf beide Parteien: während der gute 
Galgan von seinen nach Freiheit dürstenden Volterranern erschlagen worden 
war A ), während noch zur Zeit Friedrichs II. Pagan von Volterra und Walter 
von Luni getreue Parteigänger des Herrschers, dieser sogar sein Kampfge¬ 
nosse in der Lombardei a ), gewesen waren, steht in der zweiten Hälfte des 
Jahrhunderts Guglielmo degli Ubertini, der bei Campaldino (1289) gegen 
die Florentiner fiel, doch vereinzelt auf ghibellinischer Seite. Sehr ähnlich 
wie Philipp hat man sich aber wohl seinen etwas älteren Zeitgenossen Mar- 
cellin Pete von Arezzo zu denken, der als päpstlicher Generalvikar in der 
Mark Ancona in der Schlacht von einem staufischen Heere gefangen ge¬ 
nommen und von Friedrich H zur Strafe des gebrochenen Eides — er war 
Reichsfürst — mit dem Tode bestraft wurde. 

Diese abweichende Auffassung der Stellung Philipps innerhalb seiner 
Zeit soll aber in keiner Weise die Anerkennung schmälern, die ich dem 
sorgfältigen Buche auszusprechen habe. Nachdem zu Anfang betont wurde, 
daß wir es mit einer der eigenartigsten Erscheinungen einer großen Zeit 
zu tun haben, auch wenn sie weniger als Vorbote künftiger Entwicklung 
wie als Verkörperung der Wesensart des Dugento mit eher rückwärts wei¬ 
senden Zügen aufzufassen ist, ergibt sich schon von selbst, daß eine brauch¬ 
bare Arbeit über diesen Mann dankenswert ist. 

C. betont mehrfach und vielleicht zu stark eine gewisse schroffe Eng¬ 
herzigkeit Philipps 8 ) und tut vielleicht hervorragenden Kirchenmännem wie 
Peter Capocci und Rainer von Viterbo unrecht, wenn er den Erzbischof 
von Ravenna mit dem Patriarchen Gregor von Montelungo und dem Kar¬ 
dinal Ottaviano degli Ubaldini unter den geistlichen Vorkämpfern gegen 
die letzten Staufer in erste Linie stellt; darüber läßt sich streiten. Gewiß 
war Philipp, dessen Heimat vielleicht doch Ferrara war, trotz seines leiden¬ 
schaftlichen Temperaments kein Savonarola, wenn auch beide der romagno- 
lischen Art wesentliche Charakterzüge verdanken mögen. Aber gerade Philipp 
der mit Ottaviano von S. Maria in Via Lata den Mißerfolg teilt, die Tiara 
nicht erreicht zu haben, ist — viel mehr wie einer der übrigen Helfer des 
Papsttums in der Schicksalstunde der Stauferkämpfe — übersehen worden. 

Im Anschluß an Salimbene erklärt C. Pistoia für die Heimat Philipps; 
er folgt darin Holder - Egger, der in seiner Ausgabe sich für diese Stadt 
entschied; Salimbene nun war selbst über die Heimat seines Gönners im 
Zweifel. Einmal sagt er, dieser sei de Pistorio vel de Luca, dann bezeichnet 
er den Lucchesen Vita als de contrata sua (Philipps), von dem er auch er¬ 
zählt, er habe in terra sua sterben wollen und sich dann nach Pistoia 
bringen lassen; wiederum heißt er de Tuscia oriundus de districtu civitatis 
Pistorii, und allgemein qui erat de Tuscia 4 ). Salimbene dürfte nur ganz 

4 ) Reg. Volaterr. n. 316 mit Literatur; F. Schneider in Quellen und Forsch. 
VIII 86. 

*) Die Gründe, aus denen Friedrich II. ihn Ende 1239 bei seiner Rückkehr 
aus der Lombardei gefangen mit sich führte und seine weltliche Herrschaft ein¬ 
zog, sind unbekannt, vgl. Quellen und Forsch. IX 273. 

») S. 35. 98. 

4 ) Die Stellen 1. c. p. 83, 173, 184, 393; gut behandelt bereits von Amadesius 
l. e. p. 56. 


35* 



536 


Literatur. 


im allgemeinen geglaubt haben, Philipp sei aus der Gegend von Lm ca und 
Pistoia, ohne bestimmteres zu wissen. Auf Pistoia fuhrt nun vielleicht 
in Philipps Leben die Tatsache, die als Ergänzung zu C. bemerkt sei, «laß 
1258 Philipps Generalvikar der Pistoieser Bischof Guidaloste war 1 ). Und 
doch ist die Frage erlaubt, ob Salimbene wirklich die Heimat des Erz¬ 
bischofs kannte. Es ist doch manches auffällig 2 ). Der junge Kleriker 
wird nach dem Pariser Studium erst Domherr, dann Bischof in Ferrara 3 ), 
wo er auch nach seiner formellen Translation nach Florenz wohnen 
bleibt: auch später werden seine Kriegszüge von Ferrara besonders unter¬ 
stützt, und schließlich wird in S. Bartolomeo, dem Cisterzienserstift im Borgo 
von Ferrara, das Grab eines Philipp Fontana mit der Jahreszahl 1274 ge¬ 
zeigt 4 ). Da es nun eine berühmte ferraresische Familie Fontana gibt, wir 
aber keine des Namens in Pistoia kennen, lag es nahe, ihn für einen Fer- 
raresen zu erklären, und das ist auch von den Älteren außer Amadesius, 
der sich auf Salimbene berief 5 ), meistens geschehen. Nun steht aber die 
ausdrückliche Angabe, daß Philipp aus dem Hause der Fontana von Ferrara 
war, nicht nur in der bis 1324 reichenden Minoritenchronik, wo er Bruder 
des Aldigherius da Fontana heißt 6 ), sondern auch in den von Muratori als 
Fortsetzung zu Agnellus gedruckten kurzen Biographien der Ravennater 
Erzbischöfe 7 ). So bleibt nur jene Urkunde von 1270, in der es heißt, 
Philipp müsse ad partes Thusciae, unde ortum assumpsit, reisen 8 ); sie ist 
schon vielfach angezweifelt worden 9 ) und scheint mir wegen der Form des 
Datums und der notarieilen Publikation bedenklich; ist es eine Fälschung, 
so müßte Salimbene benützt sein, und der Zweck wäre in den Streitigkeiten 
um die Grafschaft Argenta zu suchen. Aber freilich kann ich ohne Unter¬ 
suchung des Originals zu keiner sicheren Entscheidung kommen. Sollte die 
Urkunde echt sein, dann ist die Pistoieser Herkunft Philipps gesichert und 
dann bekommt auch die vereinzelte Nachricht im Pistoieser Nekrolog, er 

*) Urk. von 1258 Mai 14, Argenta, bei Tarl&zzi I 259 n. 172; derselbe ohne 
den Titel des Generalvikars in Argenta bei Philipp 1266 November 11, ebd. p. 272 
n. 183. — Ein Florentiner Familiäre Philipps aus der Ferrareser Zeit wird Bourei 
de la Ronciere I n. 893 erwähnt. 

*) Die Freundschaft des Minderbruders mit dem Erzbischof kann doch nicht 
so innig gewesen sein, wenn dieser, der wegen des Zwistes mit Opizo von Este 
und Uberto Pallavicini abgeschlossen in Argenta lebte und nur seine Familiären 
zuließ, den Salimbene, der die hochwillkommene Kunde von Urbans IV. Tode 
brachte, nicht einmal persönlich sah. 

•) Über die Nachricht, daß er Pistoieser Domherr gewesen, s. weiter unten. 

4 ) C. S. 96 Anin. 2; auch Barotti, Serie dei vescovi ed arcivescovi di Fer¬ 
rara (1781) p. 43 (V iscrizione che leggesi su la sepoltura, also wohl nach Augen¬ 
schein). Fnzzi bestreitet das Vorhandensein der Inschrift. 

•) L. c. HI 56. 

•) C. S. 87 Anrn. 1. Das Chron. parvum Ferrar., Muratori SS. VIH 487, er¬ 
zählt, wie Aldigerius de Fontana dem Obizo die Nachfolge in Ferrara sichern will, 
verum Ravennas archiepiscopus Philippus et quidam nobiles civitatis praepotentes 
Aldigerii reitagabantur sententiae, also wieder auffallend enge Beziehungen Philipp 
zu Ferrara, wenn auch der Chronist nichts davon sagt, daß Aldiger sein Bruder sei. 

7 ) Muratori SS. II 1 p. 209. Diese bald nach 1286 angelegte Serie, die man 
doch nicht mit C. S. 2 Anm. 2 einfach mit der Literatur, in der Philipp als Fer- 
rarese bezeichnet wird, beiseite schieben kann, sagt deutlich genug: lste tuit de 
domo de illis de la Fontana civium Ferrariae. 

8 ) Bei Amadesius HI 195 n. 55. 

») Stellen bei Frizzi, Memorie di Ferrara HI (1793) p. 176 Note a. 



Literatur. 


537 


«ei früher dort Domherr gewesen, eine Stütze 1 ), wo nicht, so lege ich weder 
auf diese schwachen Fäden, die ihn mit Pistoia verknüpfen, noch auf die 
Glaubwürdigkeit des Bruders Salimbene Gewicht und nehme an, er war 
Ferrarese und Salimbene begeht, zumal er seiner Sache nicht sicher ist, einen 
Irrtum. Die Ferareser Inschrift, auf der, was 0. übersieht, die Behaup¬ 
tung beruht, der Erzbischof sei im Cistercienserkloster S. Bartolomeo bei¬ 
gesetzt. 2 ), ist sicher später, doch muß ich mich gegen Frizzi, der sie als 
Machwerk des Libanon aus dem 17. Jahrhundert beiseite schiebt, und gegen 
Holder-Egger, der sie als spätere Grabschrift irgend eines anderen Fontana 
auffaßt, dem gründlichen Abt Guarini Ferranti anschließen, der annimmt, 
Libanon werde nicht ohne weiteres die Inschrift erfunden haben 3 ), und 
mit Barotti, dem sich ja auch C. anschließt, die Jahreszahl 1274 auf die 
Translation des Leichnams nach Ferrara beziehen 4 ). Aber nochmals: das 
Problem wird erst durch die Untersuchung der Urkunde \on 1270 zu 
lösen sein. 

Wie C. wahrscheinlich macht, wurde der Fontana 1239 mit Ferrara 
von Gregor IX. providiert, der also seine hervorragende Menschenkenntnis, 
wie bei seinem Neffen Gregor von Montelungo, so auch hier bewährt hat. 
Philipp ergriff die Gelegenheit, die ihm so geboten wurde, seine politische 
Begabung im Dienste des Papsttums zu entfalten. Seine ersten Schritte 
zeigen den sicheren Politiker, als der er sich stets bewährt hat. Damals 
begann es mit der Macht des Kaisers wie in der Lombardei, so in der Ro- 
magna bergab zu gehen. Nach dem Übergang Ravennas unter Paolo Tra¬ 
versara auf die päpstliche Seite hielt sich nur noch Ferrara staufisch und 
der Papst wußte, wen er dort zum Bischof machte: wesentlich durch Phi¬ 
lipps Verdienst fiel schon im nächsten Jahre Ferrara an die Päpstlichen. 
Dieser und andere Erfolge gegen Ezzelino und die Reichspartei verschafften 
ihm nach der Absetzung Friedrichs IL zu Lyon, bei der er mitwirkte, die 
Auszeichnung, nach Deutschland gesandt zu werden, um die Wahl eines 
Gegenkönigs durchzuführen. Wie er die schwierige Aufgabe löste, ist be¬ 
kannt : weniger, daß nicht unerhebliche Bruchteile von Philipps Archiv aus 
dieser Zeit mit für die deutsche Geschichte höchst wichtigen Originalschreiben 
an den Legaten durch ihn später in das erzbischöfliche Archiv zu Ravenna 
gekommen und von Tarlazzi gedruckt sind 5 ); ich führe den Umstand, den 

l ) Bei Zaccaria, Bibliotheca Pistoriensis p. 95 zum 18. September: venerabilis 
pater Filippua sancte ecclesie Ravennatis nrchiepiscopus et olim canonicus Pisto¬ 
riensis; zuerst scheint Davidsohn, Gesch. von Florenz II 1 S. 350 auf den Eintrag 
aufmerksam geworden zu sein. — Angedeutet sei der Vermittlungsversuch von 
Frizzi 1. c., dem Bertoldi, Vescovi ed arcivescovi di Ferrara (1818) p. 16 Note 45 
folgt, Philipp habe aus ferraresischem Geschlecht stammen, doch zufällig in Toscana 
das Licht der Welt erblicken körnen. 

*) C. S. 97 Anm. 1 nach Barotti und Ughi. Wir Bähen, daß Barotti nach 
Augenschein zu berichten scheint. 

*) Gius. Guarini Ferranti, Compendio della storia sacra e politica di Ferrara 
(1808) II 126—127, der die Inschrift aber auch nicht sah. 

4 ) Barotti p. 43, C. S. 97 I nm. 1, der sich nicht hätte auf Amadesius (p. 56) 
berufen sollen, weil dieser p. 55 als Todesjahr 1274 annimmt und den Stein 
für viel später gesetzt hält. S. Bartolomeo war Cisterzienser-, nicht Benediktiner¬ 
kloster: die von C. S. 97 Anm. 1 zitierten Angaben gehen auf den S. 96 Anm. 3 
behandelten Grabstein zurück. 

*) Sie sind selbstverständlich in den Reg. Imn. Abt. V verzeichnet; bei Tar¬ 
lazzi ist die Archivprovenienz genau angegeben. Es handelt sich um Briefe Gre¬ 
gors IX. und deutscher Fürsten an den Legaten. 



538 


Literatur. 


C. nicht besonders hervorhebt, an, um zu betonen, wie viel aus den Ar¬ 
chiven Italiens für uns zu holen ist. 

Nach dem Tode von Heinrich Haspe kehrte der Legat nach Ferrara 
zurück und blieb dort, da ein Versuch, ihm das Bistum Florenz zu über¬ 
tragen, scheiterte, bis ihn Innocenz IV. im Jahre 1250 zum Erzbischof 
von Bavenna machte, das bereits seit 1240 wieder kaiserlich war; der 
Papst hat sich in der Hoffnung, in Philipp den starken Mann zu finden, 
der in der Metropole der Emilia wieder Fuß fassen könnte, nicht getäuscht. 
Durch den unerhörten Glücksfall des unerwartet frühen Endes Friedrichs II. 
begünstigt, konnte er, abermals als Legat, in seine Hauptstadt einziehen 
und in der von Kämpfen zerrütteten liomagna Frieden stiften. C. bietet 
in seiner Darstellung dieser Tätigkeit, deren politischer Erfolg wegen der 
Vormachtstellung von Bologna und des Einflusses der Venezianer auch später 
unbedeutend war, eine brauchbare Ergänzung zu Hessel. War hier wenig 
zu erreichen, zumal Philipp die romagnolische Legation wieder entzogen 
wurde, so folgte er wohl mit Freuden dem Hufe auf das Feld der hohen 
Politik, der wiederum an ihn erging, also 1254 der Tod des jungen deut¬ 
schen Königs Konrad die Ghibellinen abermals ihres legitimen Hauptes be¬ 
raubt hatte: das Schifflein der Kurie segelte in diesen Zeiten munter von 
Erfolg zu Erfolg. Nun rief Innocenz den italienischen Episkopat auf, den 
unteritalischen Lehensstaat dem Papsttum unmittelbar zu unterwerfen. 

Die Politik der Kurie gegenüber den Bischöfen Italiens vom Wormser 
Konkordat bis zum Ende der Staufer sollte einmal, wie das für Deutschland 
geschehen ist, gründlich durchforscht werden. Das Ergebnis war, daß der 
Einfluß Korns auf die Neubesetzungen sich steigerte, die Provisionen immer 
häufiger wurden; an vielen Orten finden wir, daß Kuriale zu Bischöfen ge¬ 
setzt werden. Man kann den Feldzug, den der Genuese auf dem Stuhle 
Petri gegen Manfred veranstaltete, als dieser das Banner der Staufer im 
sizilischen Reiche aufpflanzte, eine Kraftprobe des italischen Episkopates 
nennen; sie schien über Erwarten gut zu gelingen, wir kennen eine ganze 
Reihe von hohen Prälaten, die auf ihre Kosten dem Papstheere Truppen 
zuführten 1 ), sicherlich waren es aber viel mehr. Aber diese Kriegsmacht 
war in keiner Weise imstande, sich gegen Manfred zu behaupten, obwohl 
ihre Kosten mehr als ein Bistum finanziell ruinierten 2 ). Die Bistümer 
hatten mit dem staunenswerten wirtschaftlichen Aufschwung der Städte 
nicht Schritt halten können, die Ansätze zur Ausbildung geistlicher Staats- 
w'esen traten mit verschwindenden Ausnahmen vor den Kommunen zurück,, 
und auch die Privatwirtschaft der Bischöfe verfiel wie alle Großgrundherr- 
schaften des Landes bei sinkendem Geldwert fortschreitender Verschuldung. 
So zerrann der Vorteil, den die Kurie aus dem gewonnenen Einfluß auf die 
Besetzung der Bistümer zog, und die mächtigen Stadtstaaten, schon damals 
bemüht, im Wettbewerb mit der Kurie ihre Bischöfe ihren Interessen 
dienstbar zu machen — was ja Philipp in der Romagna zur Genüge er¬ 
fahren hat —, haben später im ganzen ihre Aspirationen durchgesetzt. 

*) Hier genügt es auf Rodenberg, Innocenz IV. und das Königreich Sizilien 
S. 182 Anm. 2 zu verweisen. 

*) Über Volterra siehe meinen Aufsatz »Bistum und Geld Wirtschaft « in 
Quellen und Forsch. Bd. VHI u. IX, über Florenz Davidsohn H 1 S. 437 Anm. 3, da¬ 
selbst Anm. 4 über Volterra. 



Literatur. 


539 


Philipp hatte an den diplomatischen Verhandlungen mit Manfred ohne 
rechten Erfolg teilgenommen; da sandte ihn der neue Papst Alexander IV. 
mit einem wichtigen Auftrag nach Norden in sein vertrautes Arbeitsgebiet, 
zum dritten Male wurde er Legat, um den Kreuzzug gegen Ezzelino zu 
leiten. Es soll nicht noch einmal erzählt werden, wie ihm der Hauptschlag 
glückte, dem gefährlichen Gegner Padua zu entwinden, in dessen Besitz 
dieser nie mehr zu kommen vermochte. Philipp versuchte ferner, Brescia 
vor den Ghibellinen zu retten, doch beging er einen taktischen Fehler, der 
Ezzelino ermöglichte, sich mit Uberto Pallavicini zu vereinigen und ge¬ 
meinsam mit ihm bei Gambara den Legaten zu besiegen und gefangen zu nehmen. 
Brescia wurde die Beute der Sieger, und dort weilte der Erzbischof mit 
seinem treuen Astrologen Eberhard, dem er später das Bistum Cesena ver¬ 
schafft hat, mehr als ein Jahr in der Gefangenschaft, der er auf abenteuer¬ 
liche Weise entrann. 

In seine Metropole heimgekehrt, hat Philipp, der, wie wir sahen, jetzt 
erst (Anfang 1261) die Bischofsweihe erhielt, nicht mehr viel wirken können. 
Auf Bologna, das damals durchaus kein so sicherer guelfischer Besitz war, 
wie C. S. 75 meint, war fortwährend Rücksicht zu nehmen, Manfred drang 
in der Mark Ancona vor, und besonders der Umschwung, den nach Alexan¬ 
ders Tode die Wahl Urbans IV. herbeiführte, bedeutete für Philipp die völ¬ 
lige Kaltstellung: das Fehlen persönlicher Beziehungen war nie wieder zu 
ersetzen. Umsonst war sein Jubel bei der Kunde von Urbans Tode; offen 
hatte er Salimbene gegenüber die Hoffnung auf die Tiara ausgesprochen, 
aus Dankbarkeit gegen seinen ersten Gönner wollte er sich Gregor X. 
nennen *), aber es war anders bestimmt; erst sollte der Franzose Clemens IV. 
kommen, und für den Bavennater Erzbischof änderte sich nichts, auch als 
Karl von Anjou nach Rom kam, als Manfred den Heldentod fand. Erst als 
Konradin über die Alpen stieg, besann man sich an der Kurie auf Philipps 
Verdienste. Zum vierten Male Legat, wirkte er in Brescia und Cremonu, 
den beiden inzwischen den Ghibellinen abgenommenen Städten, gegen die 
Sache des Stau fers mit aller Kraft, trotzdem der alternde Mann kränkelte. 
Nach Clemens 1 Tode bat er um seine Enthebung von seiner Legation; als 
ihm diese nach einiger Zeit gewährt wurde, kehrte er zwar noch einmal 
nach Ravenna zurück, doch sein Ende nahte. Am 18. September 1270 ist 
er in Pistoia gestorben. 

C. hat das Lebenswerk des Fontana gut dargestellt und es verständ¬ 
lich gemacht, wie dieser, sicherlich kein Mann ersten Ranges, doch der 
päpstlichen Sache auf den verschiedensten Gebieten, in Deutschland und 
Apulien, vorwiegend aber in der Emilia und östlichen Lombardei mit her¬ 
vorragendem Erfolg gedient hat. Das Lebensbild des Erzbischofs, dessen 
Züge von allgemeiner Bedeutung C. liervortreten zu lassen versteht, ist 
nicht ohne Schwung gezeichnet, die Folie der Zeitgeschichte ist, von kleinen 
Verzeichnungen abgesehen, Zeitig gegeben. Freilich waren wichtige Vor¬ 
arbeiten wie die von Davidsohn und Hessel vorhanden, und mögen ohne archi- 
valische Studien Ergebnisse g ößeren Umfanges auch ausgeschlossen sein, so 
ist doch anerkennenswert, daß die Darstellung mit ruhig abwägender Kritik 
in der Regel das Rechte trifft. Die Quellen sind im ganzen kritisch be- 


i) L. c. p. 433. 



540 


Literatur. 


nützt l ) und in wünschenswerter Vollständigkeit herangezogen; von wich¬ 
tigerer Literatur ist mir nur das Fehlen von E. Jordan, Les origines de 
la domination angevine aufgefallen 2 ). Dem Autor und der Anregung seines 


l ) S. 83 Anm. 1 hat der Druckfehlerteufel einen schlechten Witz gemacht: er 
liißt Philipp sein Domkapitel ersuchen, pro animalibus seiner Vorgänger zu beten. 

*) Nur bei der Benützung von Stieve, Ezzelino da Romano könnte C. etwas 
vorsichtiger sein, ln dieser Zeitschrift XXXII 665 Anm. 1 stellte ich die von 
diesem S. 78 gebrauchte Ortsnamensform Arleseya (statt der bei Rolandiu p. 116 
stehenden, dort in der Anm. als Arlesega interpretierten Form Arlexica) richtig: 
C. S. 66 liest mau wieder Arleseya. Die ziemlich heftige Polemik St.s gegen meine 
Besprechung (in den Anm. zu seinen »Kleinen Nachträgen zur Gesell. Ezzelinos 
von Romano 4 , in Histor. Vitrteljahrschr. XVI 77—82), in der er die üblichen Redens¬ 
arten vom bruchstückweisen Zitieren und willkürlichen Aneinanderreihen der Zitate 
macht, und zwar ohne jeden Beleg — was er mir zum Vorwurf macht! —, be¬ 
strebt sich, wesentlich mit zwei (übrigens ganz mißglückten) Einzelnachweisen den 
Eindruck zu erwecken, meine Einwände seien aus der Luft gegriffen, und rechnet 
dabei doch etwas zu stark auf die Masse derer, die nicht die Zeit finden, meine 
Besprechung nachzuprüfen, als daß ich liier schon Gesagtes, wie über Rolandin. 
der wieder Zeitgenosse sein soll, und über St.« Darstellung der politischen Be¬ 
deutung seintis Helden, zu wiederholen brauchte. Ich bleibe bei meiner Angabe, 
daß St. in der Einzelkritik — eine generelle Bemerkung nützt da nichts — die 
kritischen Grundlagen, die Lenel für die Wertung der Paduaner Annalistik ge¬ 
schaffen hatte, nicht benützt hat. Daneben wird mir St. gestatten, über einen Ein¬ 
zelpunkt wie den Veroneser Aufstand von 1225, den er au den Haaren herbeizieht, 
eine von Lenel abweichende Meinung zu haben; ich glaube nämlich wirklich, daß 
die 24 eine Volksbehörde waren, und zwar wegen der Analogie mit anderen nach 
Zahlen genannten Körperschaften wie den seit 1236 nachweisbaren 24 von Siena, 
den 26 von Rom; daß eine Adelspartei nach der Zahl hieße, wäre singulär. Auf 
Püllavicini und die Übersicht über die Cremoneser Parteikämpfe bei Astegiano, mit 
denen die innere Politik noch lange nicht erschöpft ist, einzugehen liegt kein 
Grund vor, da sich meine Bemerkungen nicht auf St. beziehen. Daß die genea¬ 
logische Legende der Ezzeline von Onara nicht Geschichte ist, sieht jeder, der 
einen Begriff von der Stellung des salischen Rechtes in Reichsitalien hat: man 
brauchte nicht einmal die zahllosen Parallelsagen zu kennen, auf die ich verwies. 
Die 1. Anm. auf S. 662, die beweisen soll, daß ich ganze Sätze von ihm nicht ver¬ 
standen habe, lautet: »Der mehrfach in Aussicht gestellte Aufsatz ,Der Charakter 
. . . .* ist jetzt erschienen 4 (folgt Zitat)! Daselbst Anm. 2 suche ich überhaupt 
keinen Satz von ihm, geschweige denn einen auf S. 71, zu verbessern. Objektiv 
falsch ist die Angabe S. 82 Anm. 1, daß St. Salzers kleine Abhandlung in seiner 
1909 erschienenen Arbeit, deren Einleitung S. 7 das Datum München, Januar 1909 
trügt, noch nicht benützen konnte, da jene im 1. Heft des XXXIU. Bandes des 
Neuen Archivs, das das Datum 1907 trägt, erschien. Solche Lapsus sind ja kein 
Unglück; wenn man aber seinem Rezensenten nachweisen will, daß er keine wissen¬ 
schaftliche Widerlegung leiste, genügen derartige Argumente in Verbindung mit 
der, wie mir scheint, kühnen Behauptung, ich erachte es in der Regel nicht für 
nötig, für meine »Gegenbehauptungen 4 Beweise zu versuchen, wohl doch nicht 
mmz zu dem gedachten Zweck. Freilich, daß St. den Petrus de Vinea als Legat 
bezeichne, die Erzählung von Ezzelins Zug von Modostia nach Monza und ähn¬ 
liches, das auf gleicher Höhe steht, schien mir, zumal mein ursprünglich für die 
Histor. Zeitschrift bestimmtes Referat schon recht umfangreich geworden war, einer 
Widerlegung nicht zu bedürfen. Meine Anzeige in der Histor. Zeitschrift, die 
St. irreführend als »Besprechung 4 bezeichnet, verzichtet nicht, wie St. wieder irre¬ 
führend angibt, auf jeglichen Beweis, sondern verweist auf das eingehendere Re¬ 
ferat. So ist da8 einzige Richtige, was in St.s Polemik steht, daß m der Histor. 
Zeitschrift infolge eines Druckfehlers auf den 33. statt auf den 32. Band dieser 
Zeitschrift verwiesen wurde. Ich bedaure den Druckfehler tief, muß aber gestehen 
daß ich daraufhin nichts von meinem Urteil über St.s Arbeit zurückzunehmen 
habe; sein mangelnder 'Wille zur Quellenkritik wie der Mangel an Objektivität 
gegenüber der eigenen Leistung — so, wenn er meiner Forderung von Archiv- 



Literatur. 


541 


Meisters Hampe danken wir somit eine solide Arbeit, die uns die Bekannt¬ 
schaft mit einer wichtigen Persönlichkeit, einem hervorragenden Streiter im 
Kampf um das staufische Imperium vermittelt 

Frankfurt am Main. Fedor Schneider. 


Poetsch, Dr. jur. J.. Die Reichsjustizreform von 1495, 
insbesondere ihre Bedeutung für die Rechtsentwicklung. 
Münster L W. 1912. III. u. 77 S. 

Die vorliegende Schrift enthält die Antrittsvorlesung des Verf. als 
Privatdozent in Münster in erweiterter Form. Ausgehend von einer Über¬ 
sicht über die Ausübung der höchsten Gerichtsbarkeit des Reiches im 
Mittelalter, bei der merkwürdiger Weise die doch in der deutschen Literatur 
schon häufig beachteten Ausführungen Lechners in Mitt d. österr. Instituts 
Ergänzungsband 7 übersehen worden sind, wendet sich der Verf. den Re¬ 
formbestrebungen, den Verhandlungen und den Gesetzen des Wormser 
Reichstages von 1495 und der Eröffnung des Reichskammergerichtes zu. 
Das Schwergewicht seiner Ausführungen bringen aber die Erörterungen über 
die Bedeutung der Reichsjustizreform von 1495, ein Kapitel das auch 
neben dem Buche von Smend seinen Wert behält. Es sind nicht eigentlich 
neue Gedanken, die der Verf. bietet; sein Verdienst ist es nur, sie wieder 
einmal in klarer und überzeugender Weise ausgesprochen zu haben. Seit 
langem galt das Jahr 1495 als ein Epochejahr der deutschen Rechtsge¬ 
schichte und die Schöpfung des Reichskammergerichtes im Jahre 1495 als 
die entscheidende Tatsache. In neuerer Zeit konnte, als man den Vor¬ 
stadien des Reichskammergerichtes nachging, dies zum Teil übersehen werden, 
um so mehr als den Zeitgenossen selber die Bedeutung des Geschaffenen 
nicht ganz klar wurde. Sie faßten es als die Fortsetzung des kaiserlichen 
Kammergeriehtes, so daß Prozesse, die vor diesem begonnen hatten, vor 
dem Reichskammergericht ihre Fortführung fanden. Und doch welch eine 
Kluft trennt die beiden Einrichtungen. Dort ein Organ zur Ausübung der 
persönlichen Gerichtsbarkeit des Kaisers, besetzt nach der Willkür des Kaisers, 
seinem Hofe folgend; hier ein Gerichtshof mit festem Amtssitze, besetzt 
durch Vorschlag des Kaisers und der Stände, die Beisitzer notwendig ent¬ 
nommen zur Hälfte dem Adel, zur Hälfte aber Rechtsgelehrte, ein Organ 
nicht zwar der Stände, wohl aber des Reiches, urteilend zwar im Namen 
des Monarchen, doch unabhängig von seinem persönlichen Eingreifen nach 
Überzeugung der Beisitzer und nach bestimmtem Rechte. So ist im Jahre 
1495 mit dem Reichskammergericht das erste moderne unabhängige Gericht 
im Reiche geschaffen worden und damit der Keim für eine Entwicklung 
der allerbedeutendsten Art. Und daß das Recht, an das das Reichskammer- 
gericht gebunden wurde, das Recht des Reiches und das gemeine war und da¬ 
mit das römisch-kanonische Recht seinen amtlichen Einzug in das höchste 

Studien allen Ernstes die »Ergebnisse« seines Besuches in Verona entgegenhält, 
über deren Editition auch noch zu reden wäre — treten wieder störend hervor, 
und der Versuch, in eigener Sache den Richter zu spielen und den Rezensenten 
zu rezensieren, wird wohl wieder die Note »mangelhaft« erhalten müssen. 



o42 


Literatur. 


Gericht des Reiches nahm, ist bekanntlich ein Moment von der höchsten 
Bedeutung geworden. Dax in liegt das entscheidende Schwergewicht der 
Reicbsrefonn von 14*J5. 

Wien. Volte 1 in i. 


Hans Ubersberger, Rußlands Ürieutpolitik in den 
letzten zwei Jahrhunderten. Auf Veranlassung Sr. Durchl. des 
Fürsten Franz von und zu Liechtenstein dargestellt I. Bd. Bis zum 
Frieden von Jassy. Deutsche Verlagsanstalt. Stuttgart 1913. (Verölt 
der Ges. f. neuere Geseh. Österreichs) X., 380 S. 

Der Verf. ist der Begründer des Studiums der russischen Geschichte 
an der Wiener Universität und kennt sie wie sicherlich nur wenige in 
Mittel- und Westeuropa, namentlich unter den Deutschen Österreichs. Po¬ 
litisch war es zweifellos ein schweres Versäumnis, daß von Seiten der öster¬ 
reichischen Regierungen nicht schon seit langem darauf hingearbeitet worden 
ist, daß möglichst viele Deutsche die süd- und osteuropäischen Sprachen 
erlernen und in Wissenschaft und Politik diese ganze östliche Welt uns 
verständlich machen. Wäre das beizeiten in großem Maßstab geschehen, so 
wäre die Zentralregieruug nicht so abhängig von den Informationen aus 
Kreisen, die nur zu oft ihr eigenes Interesse dem des Staates vorziehen. 
Manche Enttäuschungen wären ihr vielleicht dadurch erspart geblieben. — 
Dies ist nun freilich Politik, aber sie ist nun einmal nicht ganz von der 
geschichtlichen Betrachtung zu trennen. Auch der Verf. kann sich ihr bei 
allem Streben nach ruhiger Objektivität nicht ganz entziehen. In dem Werke, 
mit dem er seine großen Publikationen begonnen hat »Österreich und Rußland 
etc.* (s. diese Blätter Bd. XXIX. S. 323—531) scheint er noch die Absicht 
gehabt zu haben, freundschaftliche Beziehungen zwischen Österreich und Rußland 
als etwas durch Natur und Geschichte gegebenes darzustellen, also gewisser¬ 
maßen die Annäherung der beiden Reiche als in der historischen Entwick¬ 
lung gelegen zu erweisen. Die folgenden Jahre haben in ihm offenbar 
eine Wandlung hervorgebracht und ihn zur Überzeugung geführt, daß eine 
solche Annäherung aussichtslos, eine Freundschaft Österreich-Ungarns mit 
Rußland bei de&sen Ansprüchen auf die Dauer unmöglich sei. Die erste 
Ansicht war schön und vielverheißend, aber sie wäre nur möglich gewesen 
bei Fortsetzung der russischen Expansionspolitik gegen Asien und Über¬ 
lassung einer gewissen Vormachtstellung auf dem Balkan an Österreich- 
Ungarn, das ja kein anderes Ventil für seine Lebensäußerungen besitzt. Die 
Dinge haben sich anders entwickelt. Nach der Niederlage gegen Japan ist 
Rußland mit verstärkter Wucht zur Balkanpolitik zurückgekehrt und wir 
haben es schaudernd mitzuerleben, was die Folgen davon sind. — Unter 
dem Eindruck dieser Wendung hat offenbar der Verf. das angezeigte Werk 
geschrieben. Sachlich könnte es fast als Fortsetzung von »Österreich und 
Rußland* erscheinen, denn auch in dem hier angezeigten Werk spielt das 
Verhältnis zwischen diesen beiden Reichen naturgemäß eine große Rolle; 
aber freilich ist die Aufgabe anders gestellt: Es handelt sich jetzt darum, 
speziell die Politik Rußlands zu verfolgen. Dabei werden nun so manche* 



Literatur. 


543 


in weiten Kreisen der slavischen Welt lebendige Ansichten über di*se Po¬ 
litik bekämpft und gründlich ad absurdum geführt. 

Im 15. Jahrhundert, als Moskau zuerst mit der Türkei in Berührung 
kam, suchte ersteres um jeden Preis Freundschaft mit letzterer zu erhalten; 
sehr begreiflich, weil seit 1475 die Krimschen Tataren in Abhängigkeit 
vom Sultan gekommen waren und daher von diesem nach Belieben auf 
Moskau losgelassen oder von Einfällen dahin zurückgehalten werden konnten. 
Moskaus aktive Feindschaft richtete sich damals fast ausschließlich gegen 
das polnisch-litauische Reich und gegen dieses wurden die Tataren aufge¬ 
hetzt. Später freilich wenden sie sich gegen Moskau selbst und Iwan IV. 
muß nach dem furchtbaren Einfall von 1571 einen jährlichen Tribut ver¬ 
sprechen. Die Vernichtung des Krimschen Chanats war eine große Aufgabe 
der moskowdtischen Politik, damals aber noch ganz außer Bereich der Möglich¬ 
keit; ein direkter Kampf gegen die Türkei jedoch war nicht nur unmöglich, 
sondern lag auch ganz außerhalb des Gesichtskreises der moskowitischen 
Zeit. Südslawische Schriftsteller waren es vor allem, die nach dem Untergang 
der christlichen Balkanstaaten und nachdem sich Ungarn und Polen der 
Türkei nicht gewachsen gezeigt hatten, Moskau's * historische Mission* ent¬ 
deckten. Sie bestand aber nicht eigentlich in der Befreiung der Balkan¬ 
christen (— das Entscheidende ist in dieser Zeit immer der Gedanke des 
Christen-, nicht des Slawentums—) sondern darin, daß sich die Orthodoxie, 
da die Griechen angeblich vom wahren Glauben abgewichen waren und 
nun zur Strafe dafür im zweiten Rom (Byzanz) der »heidnische Kaiser« 
herrschte, nach Moskau, als dem dritten Rom gerettet habe. In dieser 
Wahrung des rechten Glaubens erschöpfte sich die »Mission* Moskaus. 

Daß der Gedanke einer Befreiung der Balkanchristen öffentlich ver¬ 
kündet wurde, das geschah zum erstenmal in der berühmten Ostersonntags- 
ansprache des Zaren vom Jahre 1655. Aber das Slawentum spielt auch 
da keine Rolle; zunächst sind die Griechen gemeint und die gleichzeitigen 
politischen Verhandlungen betrafen hauptsächlich eine Verbindung mit 
den rumänischen Fürstentümern 1 ). Sie führten indes zu keinem Er¬ 
gebnis und der erste wirkliche Zusammenstoß zwischen Moskowitern und 
Türken erfolgte erst 1677 bei Cigirin. Hier war es aber eine ganz an¬ 
dere Frage, um die es sieh bandelte, nämlich das Geschick der Ukraine. — 
Unter Peter dem Gr. erst ist Moskau so weit, einen ernstlichen Krieg gegen 
die Türkei zu wagen. Die Grundlage dafür ist der Vertrag mit Polen vom 
C. Mai 16S6, der noch unter Sophiens Regierung abgeschlossen worden war. 
Auf der Balkanhalbinsel ersehnten die Christen das Eingreifen des rechtgläu¬ 
bigen Caren, sie fürchteten das Vordringen der (österreichischen, »Papisten* 
last ebenso wie die Türkenherrschaft und sandten Boten nach Moskau mit 
den schönsten Versprechungen. Aber dort fühlte man sich mit Recht ganz 
außerstande, auf dem Balkan einzugreifen; mißlangen ja doch schon die 
Versuche gegen die Krim jämmerlich. Erst Peter d. Gr. konnte im J. 1696 
Asov erobern, worauf im Februar 1697 der Vertrag mit Österreich zur 
Fortsetzung des Krieges geschlossen wurde. Aber schon 1699 ging letz¬ 
teres den Frieden von Karlowitz ein und Peter, der dies vergebens 


b über letzteres vgl. z. B. Slrbu. Mateiu Voda Basarab etc.; meine Besprechung 
in diesen Blättern, Bd. XXI, S. 705. 



544 


Literatur. 


zu hintertreiben gesucht hatte, sah sich gezwungen, auch seinerseits Frieden 
zu schließen (Juli 1700). In den Verhandlungen hatte er schon die For¬ 
derungen aufgestellt, Kußland solle freie Handelsschiffahrt auf dem Schwarzen 
Meer erhalten, das hL Grab in Jerusalem solle an die Griechen zurückge¬ 
geben und diesen ebenso wie Serben, Bulgaren, Slowaken (!) freie Religions¬ 
übung sowie Schutz vor übermäßigem Steuerdruck gewährt werden. Diese 
Forderungen konnten zwar nicht durchgesetzt werden, aber sie zeigen doch 
schon die künftige Politik Rußlands in nuce, die Anfänge der Dardanellen¬ 
frage und des Strebens nach einem russischen Protektorat über die Balkan¬ 
christen. 

Idessen — und das ist sehr bezeichnend — diese Fragen sind für 
Peter nicht die wichtigsten, weit höher steht für ihn und mit Recht, 
die baltische. Das zeigte sich vor allem bei den Verhandlungen, die zum 
Frieden am Pruth (ll. Juli 1711) führten. Er war damals sofort bereit, 
alle Erwerbungen am Azovschen Meer abzutreten; wenn die Türken fin¬ 
den Schwedenkönig eintraten, wollte er, um Petersburg zu retten, sogar 
alt russische Provinzen opfern. Der Balkanchristen, die er beim Beginn des 
Feldzugs aufgerufen hatte, geschieht in seinen verschiedenen Äußerungen 
über den Frieden gar keine Erwähnung; sie waren ihm eben doch nur 
Figuren auf dem Schachbrett seiner politischen Pläne. Ja, nachdem er 
1720 die Umwandlung des Pruther Friedens in einen ewigen erreicht hatte, 
stellte er der Türkei sogar das Angebot eines Bündnisses, da, wie er sehr 
ketzerisch hinzufügte, solche nicht des Glaubens, sondern der Staatsinteressen 
wegen geschlossen werden. — Freilich war davon im Emst keine Rede, 
das Verhältnis zwischen beiden Mächten spitzte sich infolge der russischen 
Erwerbungen am Kaspischen See wieder zu und nach Peters Tod sah sich 
Rußland gezwungen, namentlich da sich Frankreich infolge der polnischen 
Heirat Ludwigs XV. von ihm abwandte, mit Österreich ein Bündnis zu 
schließen (6. August 172 ß), das Rußland im »Articulus secretissimus* auch 
die asiatischen Erwerbungen sicherte, während es seinerseits nicht einmal die 
Pragmatische Sanktion garantierte. Indessen die persischen Besitzungen 
mußten doch wieder aufgegeben werden (1732, 1735); im Juni 1735 wurde 
der Krieg gegen die Türkei beschlossen und damit eine Unternehmung be¬ 
gonnen, die zu den merkwürdigsten Überraschungen führte. 

Die Türkei, die durch den von Rußland vergeblich bekämpften Frieden 
mit Nadir Schach freie Hände bekommen hatte, zeigte sich militärisch viel 
stärker als man geglaubt hatte, Österreich versagte in dieser Beziehung voll¬ 
ständig, während Rußland trotz vieler Fehler und Unzulänglichkeiten sich doch 
verhältnismäßig gut bewährte. Das Sonderbarste aber war, daß Frankreich,ohne 
selbst einen Soldaten zu opfern, die Entscheidung vollständig in seine Hand 
bekam, indem es zuerst das durch seine Niederlagen geschwächte Österreich 
dazu brachte, ihm absolute Vollmacht zum Friedensabschluß zu erteilen und 
dann durch einen Subsidienvertrag mit Schweden auch Rußland auf denselben 
Weg drängte. Am 28. August 1739 erfocht zwar Münnich den entscheidenden 
Sieg von Stawutsehane, den ersten russischen Sieg in den Kämpfen gegen 
die Türkei, aber schon am 1. September wurde der österreichisch-türkische 
Friede geschlossen und diesem folgten am 7./18. die Präliminarien zwischen 
Rußland und der Türkei. Die tatsächlichen Erfolge der Russen waren sehr 



Literatur. 


545 


gering, sie erreichten nicht einmal ganz den Zustand von 1700, aber es 
war doch von der größten Wichtigkeit, daß sie Österreich ans dessen Vor¬ 
machtstellung gegenüber den Türken (— wie sich später zeigte, endgiltig —) 
verdrängt hatten. 

Wie weit die Gedanken rassischer Politiker schon damals (1744/5) 
gingen, zeigen die Äußerungen des Botschafters in Konstantinopel Vöänjakov. 
Bußland, so meinte er, solle die Gelegenheit eines abermaligen türkisch¬ 
persischen Krieges ergreifen und losschlagen. Alle Christen der Balkan- 
balbinsel, besonders die Slawen, seien bereit, sich zu erheben und Rußland 
zu unterstützen. Dieses müsse die Türkei aus Europa vertreiben, am Bos¬ 
porus ein christliches Reich aufrichten und werde so Österreich in dessen 
großen Plänen hemmen und das europäische Gleichgewicht von sich ab¬ 
hängig machen. Statt dessen kam es 1746 zu einem neuen russisch¬ 
österreichischen Vertrag, der trotz mancher Schwierigkeiten zwischen den 
beiden Mächten — so in der schwedischen Verfassungsfrage, besonders aber 
in der Frage der ungarländischen Serben, die sich bedrückt fühlten und 
von dem russischen Botschafter in Wien in ungehöriger Weise protegiert 
wurden — 1753 erneuert wurde. Aber nach dem Hubertusberger Frieden 
gelang es Friedrich von Preußen, die Zarin Katharina H. für ein Bündnis 
zu gewinnen (April 1764), obwohl er drei Jahre vorher in seiner ver¬ 
zweifelten Lage ein solches mit der Türkei geschlossen hatte. Als dann 
1768 der schon lange drohende Krieg Rußlands mit der Pforte ausbrach, 
hatte Katharina zwar die Rückendeckung durch Preußen, aber dafür die 
kaum verhüllte Gegnerschaft Österreichs zu ertragen. Es ist — was der 
Verf. nicht hervorhebt — das erstemal, daß diese Situation entsteht, eine 
ähnliche wie dann wieder 1878. Katharina hat den Plan der Orlovs, bei 
diesem Kriege die griechisch-orientalischen Untertanen der Türkei anfzu- 
wiegeln, mit Begeisterung ergriffen; aber von der Befreiung der slavischen 
Völker ist nicht speziell die Rede. Griechen, Georgier und Rumänen figu¬ 
rieren in diesem Plan ebenso wie die Montenegriner; die Beziehungen der 
letzteren zu Rußland tragen übrigens einige recht abenteuerliche, oft ge¬ 
radezu schwindelhafte Züge. Die Siege der Russen von 1769 und 1770 
führten dann zu der österreichisch-türkischen Konvention vom 6. Juli 1771 
und die Gefahr eines österreichisch-russischen Krieges wurde so groß, daß 
in der Tat nur die Teilung Polens sie ablenkte. Friedrich 1L hat dabei 
mit größter diplomatischer Meisterschaft den beiden Kaisermächten seinen 
Willen aufgezwungen. Rußland mußte auf den Gedanken, die rumänischen 
Fürstentümer ganz zu gewinnen, verzichten; dafür trat aber der andere, 
die krimsehen Tataren von der Türkei loszutrennen, immer stärker hervor 
und dies wurde im Frieden von Kütschük-Kainardsche (1774) wirklich 
erreicht. Die orthodoxen Untertanen der Türken — so die Griechen 
— waren früher ohne Skrupeln der türkischen Rache preisgegeben worden, 
aber die Hauptgedanken Katharinas, die Erringung der Herrschaft auf dem 
Schwarzen Meer und eine Verbesserung der Grenzen gegen Polen waren 
durchgesetzt oder doch der Verwirklichung näher gebracht. Recht inte¬ 
ressant ist, daß Rußland in den vorangegangenen Verhandlungen für sich 
freie Schiffahrt auf dem Schwarzen Meer, zugleich aber dessen Sperrung für 
alle anderen Völker verlangt hatte; vor allem wichtig wurden aber die 
Artikel 7 und 14 des Friedens, die — allerdings infolge einer unerhört 



Literatur. 


540 

ausgedehnten Interpretation — Baßland das Becht der Fürsprache zu¬ 
gunsten der griechisch-orientalischen Bevölkerung verschafften. In der 
Moldau und Walachei wurde ihm dieses Becht ausdrücklich zuerkannt. An 
diesen Frieden knüpften sich sofort die schwierigsten Verhandlungen, der 
Friede war eigentlich stets bedroht, bis die Türkei in Verzweiflung im August 
1787 wieder den Krieg erklärte. Unterdessen hatte sich nämlich Katharina 
wieder Österreich zugewendet (Bündnis 1781), freilich erst nachdem sie die 
Garantie des Teschener Friedens übernommen hatte und ohne diese Garantie, 
die doch im wesentlichen gegen Österreich gerichtet war, aufzugeben. — 
Das Jahr 1783 brachte dann die Einverleibung der Krim, die 1784 in 
einer Konvention von der Pforte indirekt zugestanden wurde, das Jahr 1787 
die berühmte Zusammenkunft zwischen Kaiser Josef II. und Katharina und 
dann kam eben der Krieg. Die Zarin ging mit den größten Hoffnungen 
an ihn 'heran. Ihrem jüngeren Enkel (geb. 1779) hatte sie den Namen 
Konstantin gegeben und seit 1780 sprach man von ihrem Wunsche, für 
ihn ein orientalisches Kaiserreich mit Konstantinopel als Residenz zu be¬ 
gründen. Die wirklichen Erfolge waren dagegen höchst bescheiden, Öster¬ 
reich mußte bekanntlich infolge der Haltung Preußens auf jeden größeren 
Erwerb verzichten und Bußland gewann im Frieden von Jassy auch recht 
wenig, aber was seit 1739 deutlich zu merken war, das wurde jetzt klare 
Tatsache: Österreich war als Vormacht auf dem Balkan durch Rußland 
verdrängt. 

Bis hieher führt der Verf. seine Aufgabe im I. Bande. Die Einzel¬ 
heiten sind mit großer Ausführlichkeit behandelt, so namentlich die Ver¬ 
handlungen vor dem Belgrader Frieden (1739). Überall konnte der Verfl 
die Literatur, namentlich die russische, in ausgedehntestem Maße heran¬ 
ziehen, so daß sein Werk in der Tat eine erschöpfende Darstellung der 
Frage bringt. 

Stark tritt die Tendenz hervor, die »Geschichtslügen € in der russischen 
Auffassung vom Verhältnisse Rußlands zu den Balkanslaven zu zerstören 
und dies ist insoferne zu bedauern, als es dem Gegner die Möglichkeit 
bieten könnte, infolgedessen die Objektivität der Darstellung anzuzweifeln. 
Ich lege Wert darauf festzustellen, daß die Beweisführung für den ruhig 
Denkenden, der sich ihr nicht bewußt verschließt, durchaus überzeugend 
ist. Wer übrigens historisch denkt, weiß ja, daß eine solche uneigennützige 
Befreierrolle, wie sie Rußland oft angedichtet wird, nirgends in der Ge¬ 
schichte vorkommt. So können — freilich auch sie mit einer gewissen 
Selbsttäuschung — einzelne Bevölkerungskreise denken, aber niemals ver¬ 
antwortliche Staatsmänner. Diese werden in entscheidenden großen Fragen 
immer — im Sinne ihres Landes und Volkes — egoistisch sein müssen. 
Man wird ihnen also daraus keinen Vorwurf machen können, wichtig aber 
ist es allerdings, diese Tatsache öffentlich und zweifellos hinzustellen und 
dies in wünschenswerter Klarheit zu tun ist das Verdienst von Übersbergers 
Buch. 

Wien. 


Dr. Moritz v. Landwehr. 



Literatur. 


547 


Max Beinitz, Das österreichische Staatsschulden wesen 
von seinen Anfängen bis zur Jetztzeit München und Leipzig, 
Duncker u. Humblot, 1913. X und 182 S. 

Es braucht kaum betont zu werden, daß eine Geschichte des öster¬ 
reichischen Staatsschuldenwesens eine der wichtigsten und dankbarsten, aber 
auch eine der schwierigsten Aufgaben der neueren Geschichte Österreichs 
darstellt Ihr Verfasser sollte ebenso genauer Kenner der gesamten Finanz¬ 
wissenschaft, wie gründlich durchgebildeter Historiker sein; fehlt ihm die 
letztere Eigenschaft, so muß man zum mindesten fordern, daß er über den 
inneren und äußeren Werdegang seines Staates genau unterrichtet ist und 
die allgemeinen technischen Grundsätze historischen Arbeitens befolgt Ich 
bedauere, Max Keinitz diese Voraussetzungen durchaus absprechen zu müssen. 
Ein begabter Journalist hat sich an ein höchst bedeutendes Thema gewagt 
und erweist sich der finanzhistorischen Seite als keineswegs gewachsen. 
Allerdings bezeichnet Beinitz im Vorworte den finanzhistorischen Teil vor¬ 
sichtig nur als Beigabe seines Buches. Da der Titel dem widerspricht und 
da diese »Beigabe* immerhin nahezu die Hälfte des Werkes ausmacht 80 
kann der Verfasser nichts einzu wenden haben, wenn sich die führende ge¬ 
schichtliche Zeitschrift Österreichs eingehend mit seinem Buche befaßt. 

Es liegt mir ferne zu behaupten, daß Beinitz mala fide die weitgehende 
Abhängigkeit verdunkelt hat in der seine finanzgeschichtlichen Darlegungen 
von den Arbeiten früherer Forscher stehen; obenbar aber sind ihm die li¬ 
terarischen Bräuche völlig unbekannt, an denen die gelehrte Untersuchung 
festhalten muß und die höchstens der Tagesschriftsteller außer Acht läßt. 
Die historischen Ausführungen beruhen ganz überwiegend auf J. v. Hauers 
Beiträgen zur Geschichte der österr. Finanzen (1848), auf F. v. Mensis so 
verdienstvollen »Finanzen Österreichs* 1701—1740, und seinem Artikel 
* Staatsschulden* im österr. Staats Wörterbuch (4. Bd. 2. Aufl.), dann auf 
A. Wolfs Geschichtlichen Bildern aus Österreich und auf meinem »Staat¬ 
lichen Exporthandel Österreichs*. Namentlich Hauer und Mensi sind in 
einer Weise ausgenützt, die man nach den Zitaten Benutz 1 nicht ahnen 
würde. Er bringt seitenlange Darlegungen, ohne seine Vorgänger, auf 
denen sie beruhen, zu nennen, oder er zitiert sie einmal gelegentlich mit 
oder ohne Seitenangabe, um dann bei der nächsten Gelegenheit stolz auf 
jeden Verweis zu verzichten. Noch bedenklicher ist folgendes: wenn ich 
auch nicht bestreiten will und kann, daß Beinitz einzelne Akten des Hof- 
kammerarchivs eingesehen hat, so ist es doch ganz irreführend, die von 
Mensi bereits zitierten und gründlich verwerteten Akten nochmals zu zitie¬ 
ren, wenn man ihnen nicht mehr zu entnehmen weiß als dieser Forscher. 
Ich habe Beinitz 1 Aktenzitate mit denen Mensis verglichen: kein einziges 
Dokument, das dieser nicht bereits anführte! Und doch erstaunlicherweise 
an einer Stelle, die ganz auf Mensi ruht, die Bemerkung (S. 16): »man 
wird ganz wirr, wenn man die bezüglichen Dokumente im Finanzarchiv 
liest*. Oder wozu wird S. 17 das fürstlich Schwarzenbergsche Archiv in 
Wien und dann erst Adam Wolf genannt, der allein dieses Archiv benützt 
hat? Auf S. 20 führt Beinitz die »Familienaufzeichnungen des Badmeisters 
Hans Adam Stamfer* an; der Anmerkung »in diesen liest, man* folgt eine 
wörtlich wiedergegebene Stelle, aber kein Wort davon, daß das Ganze wie- 



548 


Literatur. 


•ler Wolfs Geschichtlichen Bildern entnommen ist und daß es sich um das 
Gedenkbüchel der Maria Elisabeth Stampfer handelt Diese Proben durften 
genügen, um zu zeigen, wie wenig die Hinweise auf archivalische Studien 
bei Reinitz besagen. 

Die historische Auffassung Reinitz 1 ist — unhistorisch. Der geschicht¬ 
liche Teil ist durchsetzt von Ausfällen gegen die heutigen Verhältnisse, er 
zeigt vor allem eine völlige Verständnislosigkeit gegenüber den Eigenheiten 
des absoluten Beamtenstaates, eine Pauschalverurteilung des altösterreichi¬ 
schen Beamtentums, Ungerechtigkeit gegenüber dem Adel, der bekanntlich 
namentlich in Böhmen sehr viel für die Entwicklung der Industrie getan 
hat, Übertragung eines liberalen frei wirtschaftlichen Ideals in die Vergangen¬ 
heit. Eä ist leicht von Frivolität der Leiter des Wirtschaftslebens zu spre¬ 
chen, wo der historisch Denkende oft nur Mangel an Einsicht findet. Die 
Rolle, die im Finanzwesen Österreichs die Stände — nur zu oft hemmend 
— gespielt haben, ist Reinitz, der immer nur den absoluten Willen des 
Monarchen und seiner Beamten sieht und das Fehlen eines Parlaments in 
Altösterreich beklagt, dunkel geblieben. 

Die Beweise für die unhistorisebe Auffassung ließen sich leicht ver¬ 
mehren. Zahlreich sind auch die schiefen Urteile und Irrtümer im ein¬ 
zelnen. Ich verzeichne einige, ihre Richtigstellung ergibt sich für jeden 
fachkundigen Leser von selbst, wenn ich sie nicht beifüge. »Der Staats¬ 
kredit Österreichs war hundert Jahre hindurch nur die Ausbeutung des 
Schwachen durch den Starken, indem die der werbenden Staatsgewalt zur 
Verfügung gestellten Mittel niemals dem Vertrauen zum Staate, sondern 
den angewandten Mitteln der Staatsautorität zu danken waren* (S. III); 
diese Behauptung gilt höchstens von den Zwangsdarlehen, nicht von den 
Kreditoperationen im Auslande, die z. T. auf inländische Fonds begründet 
wurden. »Das Beamtentum hat* nach Reinitz »den partikularistischen Zug 
der Volkswirtschaft zur Zeit Leopolds L und Karls VL stramm eingehalten* 
(S. l); Oppenheimer war die einzige (!) und wichtigste Kreditquelle unter 
Leopold L, er war der einzige Gläubiger Österreichs (S. 4); es ist bemer¬ 
kenswert, daß das Finanzarchiv über unwürdige Finanzgeschäfte noch heute 
die Akten sorgsam aufbewahrt (S. 9); die Zwangsanlehen trafen zumeist nur 
die Juden (S. 12); die Einforderung des Kirchenschatzes unter Leopold I. 
ist etwas, was bisher kein Habsburger zu verfugen gewagt hatte (S. 14. 
Und Ferdinand I.?); Giro del banco (statt banco del giro S. 15 und 35); 
die Erwerbssteuem und Personal- und Klassen steuern rühren erst aus dem 
Anfang des 19. Jahrhunderts her (S. 18); der »Freiheitskrieg des Jahres 
1848* (S. 19). Die verschiedenen Judensteuem und die Besteuerung jü¬ 
discher ritueller Bedürfnisse mögen ja eine »Schandsäule des altösterreichi¬ 
schen Steuersystems* sein (S. 19), so uneigennützige Staatsdiener waren die 
Juden doch nicht, wie Reinitz meint. »Unter Karl dem Großen siedelten 
sich die ersten Kolonisten am Fuße des Erzberges an (S. 20); das Theatrum 
Europäum, das größte Geschichtswerk der damaligen Zeit (S. 21 f.); der 
Quecksilber- und Kupferhandel des Staates sicherte ein Monopol für ganz 
Europa (S. 23); Leopold berief aus dem Auslande J. J. Becher und Schröder 
(S. 33); die Wirtschaftsgeschichte jener Zeit ist eigentlich nur eine Geschichte 
der Überschuldung, alles übrige ein mixtum compositum von merkantilisti- 
schen Experimenten* . . . , (S. 33). Mensis Erklärung der Barattierung ist 



Literatur. 


549 


viel klarer als die R.8 (S. 37); S. 42 wird wieder einmal Leopolds Hof¬ 
kammerpräsident Sinzendorff statt ZSnzendorff genannt; S. 58 soll es heißen: 
die Aufhebung des Edikts von Nantes, nicht das Edikt von Nantes. Den 
Merkantilismus hat R. nur vom staatsfinanziellen Gesichtspunkte aus be¬ 
trachtet. Welcher Ausdruck: in Österreich waren es die beiden Kaiser 
Leopold I. und Karl VL selbst, die zum Mittel des Merkantilismus rieten! 
Daß der Staat als Unternehmer eine allgemeine Erscheinung ist, hat R. 
auch nicht bemerkt; freilich, in Österreich hätte die praktische Durchführung 
der merkantilistischen Wirtschaftsgrundsätze gewiegten Handelsmännern, den 
Italienern, Griechen und Juden überlassen werden müssen! Wie oft wurde 
dies versucht! Die Bevormundung des französischen Merkantilismus hat 
nicht alsbald aufgehört, wie R. meint. Die praktische Betätigung des Mer¬ 
kantilismus in Österreich hat R. sehr unterschätzt, die Handelspolitik Leo¬ 
polds I. und Karls VL und ihre Resultate existieren für ihn fast garnicht; 
es ist irrig, daß kein Verständnis für die Ausgestaltung der Verkehrswege 
vorhanden war, R. weiß nicht, wie alt schon die Verbindung Wiens mit 
Italien, aber auch mit Triest ist. Nirgends legt er den richtigen Maßstab 
an: die zweifellose Schuld des fiskalischen und bürokratischen Elements 
wird ungebührlich vergrößert, »das strenge Prohibitivsystem hat nur ge¬ 
schadet, nichts genützt*, Unvergleichbares — England und Österreich — 
wird gegenübergestellt. Welch’ falsches Bild, das Mißlingen der großzügigen 
Reformen Karls VI. hauptsächlich auf die »Drangsalierung der jüdischen 
Kaufleute* zurückzuführen. Sogar »die Straße über den Semmering wurde 
unter den Babenbergern mit dem Gelde der Juden angelegt*! (S. 57 f.j. 
Die Tüchtigkeit der Juden in der Steiermark vor ihrer Vertreibung 
1496 läßt sich nicht so geradezu bejahen; völlig falsch aber ist es, die 
Juden des Spätmittelalters in der Steiermark als Förderer der -Montan¬ 
industrie und als Pioniere des Handels und der Industrie zu preisen. Damit 
soll natärlich nicht bezweifelt werden, daß in neuerer Zeit die Intoleranz 
das Wirtschaftsleben ungünstig beeinflußt hat. Für die erziehliche Wir¬ 
kung der Prohibitivpolitik fehlt R. selbst in der Zeit Maria Theresias und 
Josefs H. der Blick, wie u. a. (S. 60) seine Bemerkung zeigt, Österreich 
habe noch unter Josef H. nur über Rohprodukte verfugt. Die österreichi¬ 
schen Herrscher waren nach R. »für bessere Ratschläge geradezu unzugäng¬ 
lich* : hat er nie bemerkt, daß sie sogar sehr zugänglich, aber des Talents 
der kühlen Rechner, wie es etwa Friedrich Wilhelm I. zeigte, bar waren, 
daß sie die Grandseigneurs auch in finanzieller wie in künstlerischer Be¬ 
ziehung waren? Was sagen die Kunsthistoriker dazu, daß die Blüte der 
Kunst unter Leopold I. und Karl VL auf die Flucht des Kapitals vor den 
Ansprüchen der Kaiser zurückgeführt wird »damit der Reichtum festgena¬ 
gelt sei*? Es genügt schließlich wohl auf den Namen Sonnenfels hinzu¬ 
weisen, um zu zeigen, wie es mit R.s historischen Kenntnissen bestellt und 
wie viel von seinem Gesamturteile (S. 68) zu halten ist, daß sich Spuren 
der volkswirtschaftlichen Aufklärung in Österreich erst im 19. Jahrhundert 
finden. Sein Hauptinteresse fesseln offenbar die »interessanten Staatsgläu¬ 
biger*, ein Ausdruck, der bis zum Überdruß immer wiederkehrt. 

Unter der Literatur vermissen wir namentlich Adam Wolfe Abhand¬ 
lung über die Hofkammer unter Leopold I., sowie Beers Arbeiten, Die 
Staatsschulden und die Ordnung des Staatshaushaltes unter Maria Theresia 

Mittoil angon XXXVI. 30 



550 


Literatur. 


(A. ü. G. 82) und die Finanzverwaltung Österreichs 1749—1816 (M. J. ü. 
G. 15). Angesichts der Vernachlässigung ungedruckten Materials ist es 
erklärlich, daß die Zeit Leopolds I. sehr stiefmütterlich gegenüber der 
Karls VI. behandelt ist Die Disposition der Kapitel 1—5 ist nicht durch¬ 
dacht. Nicht einmal über die jeweilige Höhe der Staatsschuld erhalten wir 
verläßliche Angaben. Einige Worte zum Beweise: 22 Mill. betrug die 
Staatsschuld nicht am Ende der Begierung Leopolds (S. 40), sondern schon 
1701 (nach Mensi), beim Tode Karls VI. ist sie nicht 100 Mill. groß, son¬ 
dern einschließlich der 50 Mill. Stadtbankschulden 98 MilL; rund 377 MilL 
betrug sie nicht beim Tode Josefs IL, sondern bei dem Leopolds IL (nach 
Hauer, mit dessen Zahlen aber die Mensis, Artikel Staatsschulden, nicht 
übereinstimmen), 466 Mill. nicht im Jahre 1800, sondern 1797; im Jahre 
1800 betrug sie nach Hauer schon 689, nach Mensi 605 MilL; nicht durch 
die ganzen napoleonischen Kriege, sondern schon bis 1810 hat sich die 
Schuld auf 658.224 (nicht 65.822) Mill. erhöht. Dazu kommen nach 
Hauer über 1000 Mill. Bankozettel. Die Zahl 1700 MilL für den Staats¬ 
bankrott von 1811 ist annähernd richtig, nicht ganz genau. Die Angaben 
über die Anleihe von 1820 sind Hauer entnommen, der nicht genannt ist 

Mit der Gründung der österreichischen Nationalbank 1816, der Schaf¬ 
fung von Rentenanleihen mit Rothschild als Vermittler, der allmählichen 
Regelung des Staatsschuldenwesens seit dem zweiten und dritten Dezennium 
des vorigen Jahrhunderts schließt Reinitz’ finanzgeschichtlicher TeiL Für 
die Folgezeit hätte ihm Ad. Beers Buch, Die Finanzen Österreichs im 
19. Jahrhundert, das er anscheinend nicht kennt, mancherlei geboten. Indes, 
dieser zweite Hauptteil seines Werkes bringt nur noch gelegentliche ge¬ 
schichtliche Bemerkungen und dient in erster Linie einer Schilderung des 
Staatsschuldenwesens der Gegenwart und finanzpolitischen Ratschlägen für 
die Zukunft. Beers Werk, Der Staatshaushalt Österreichs seit 1868 (Uni¬ 
fizierung der Staatsschuld) scheint stark verwertet zu sein, wenn es auch 
nur einmal zitiert wird. In diesem Teile ist der Verfasser in seinem Ele¬ 
mente. Nur in knappen Linien möchte ich die Grundgedanken, die den 
Historiker kaum mehr angehen, wiedergeben, da das ganze Werk sonst un¬ 
genügend charakterisiert wäre. 

R. spricht sich sehr lebhaft und gewandt für die Durchführung von 
inneren Staatsanleihen aus; das Kreditwesen soll sich uneingeschränkt aus¬ 
bilden, die Verschuldung Österreichs hat nichts Beängstigendes, sondern ist 
ersprießlich für Handel und Industrie, das Volksvermögen Österreichs wächst, 
der Reichtum hat sich in den bürgerlichen Kreisen (?) eingenistet. Aber 
das inländische Kapital sollte ohne Scheu in inländischen Rententiteln an¬ 
gelegt, der weiteren Verschuldung im Auslande ein Ende gemacht werden. 
R. setzt sich ferner sehr für die 1913 in Verhandlung stehenden Steuer¬ 
vorlagen ein, wendet sich gegen die hohen Kosten der Verwaltung, gegen 
die Einwirkung der österreichischen Nationalverhältnisse auf den Staatshaus¬ 
halt und Staatskredit. Merkwürdig, der Gegner des Merkantilismus steht 
dem Neomerkantilismus nicht ferne, da er hohe Importzölle zum Schutze 
der heimischen Industrie fordert, die Erhaltung des Geldes im Inlande zur 
Hebung der Produktion verlangt, die Anleihen im Auslande bekämpft un i 
die Rücklösung der Staatswerte aus Frankreich vertritt. Von einem Schutz¬ 
zölle zugunsten der agrarischen Produktion wird freilich abgesehen. P er- 



Literatur. 


551 


kennt allerdings die Tragweite des Agrarproblems; die Ursachen der schweren 
Lage des Ackerbaues sieht er in der »Schwäche der individuellen Kräfte 
und der min deren Tüchtigkeit der österreichischen Landwirte«, in klerikalen 
Tendenzen und mannigfachen Vorurteilen, dem Mangel an Aufklärung u. s. w. 
ln ihrem schweren Kampfe gegen die Großindustrie soll den Landwirten das 
mobile Kapital zu Hilfe kommen; dieser Altruismus ist aber nur Pflicht des 
Adels und der Kirche, »der toten Hand«, wie R. die Kirche noch heute nennt: 
sie sollen dem Staate in der Reform des A grarkreditwesens beistehen, die 
»liberalen Elemente« haben keine derartige ethische Verpflichtung gegen¬ 
über ihren »politisch und national, mitunter auch konfessionell feindseligen 
und unduldsamen agrarischen Mitbürgern«. Ausgaben für Geistlichkeit und 
Armee sind unproduktive Lasten! Die ganzen Ausführungen gipfeln in 
Vorschlägen für Begebung der Kenten durch eine einzige Gruppe von Geld¬ 
instituten mit der Postsparkasse an der Spitze, für Wiederbegründung der 
Popularität österreichischer Kenten, Verpflichtung der Sparkassen zu Renten- 
anlagen und Beschränkung ihrer Hypothekargeschäfte. 

Eine Kritik dieser Darbietungen wäre in den »Mitteilungen« nicht am 
Platze; sie selbst passen in den ökonomischen Teil der »Neuen Freien 
Presse«, nicht in ein Werk, das sich in seinem Titel als historisches gibt. 
Die Geschichte des »österreichischen Staatsschuldenwesens von seinen An¬ 
fängen bis zur Jetztzeit« muß erst geschrieben werden. 

Graz. Heinrich Ritter von Srbik. 


Alexander von Peez und Paul Dehn, Englands Vor¬ 
herrschaft aus der Zeit der Kontinentalsperre. Leipzig, 
Duncker u. Humblot 1912. XX u. 381 S. 

Alexander von Peez hat während eines langen Lebens (1829—1912) 
in Wirtschaft und Politik seines Vaterlandes eine große Rolle gespielt und 
ist auch publizistisch stark hervorgetreten. So sind die vorliegenden Stu¬ 
dien und Eindrücke aus einem Gebiete, das ihm durch die Jahrzehnte ver¬ 
traut geworden ist, der Beachtung weiterer Kreise sicher, zumal er einen 
würdigen Genossen seiner Arbeit fand in Paul Dehn, dessen Schriften über 
weltwirtschaftliche Fragen längst bekannt sind. Den vorwiegenden In¬ 
teressen der beiden Autoren entspricht es, daß ihr Buch sich als ein Abriß 
der napoleonischen Geschichte darstellt mit besonderer Berücksichtigung der 
Bolle Englands und der see- und wirtschaftspolitischen Probleme. Gerade da¬ 
durch hat das Werk auch erhebliches Gegenwartsinteresse; nicht minder 
durch die Propaganda für den Schutzzoll und die Bekämpfung des eng¬ 
lischen »Freihandelsmärchens«. Hier spricht durchaus der aktive Politiker, 
und auch sonst ist das in einem Maße der Fall, daß die historische Treue 
darüber oft arg zu kurz kommt. Als eine historische Darstellung ist denn 
auch das Ganze überhaupt kaum zu bezeichnen, vielmehr enthalten die 51 (!) 
Abschnitte auf 350 Textseiten im wesentlichen nur eine bunte Sammlung 
interessanter, oft allzuweit ausholender Lesefri\chte und Beobachtungen. 
Manche glückliche Formulierung über bekannte Zusammenhänge findet sich 
darunter, aber größer ist die Fülle der schiefen oder unrichtigen Urteile. 



552 


Literatur. 


Die ungenügende Quellen- und Literaturbenutzung ist daran schuld, nicht 
minder die ganz einseitige Beurteilung der englischen Politik. Man mag- 
den Egoismus der Engländer in dem langen Bingen des legitimen Europa 
gegen das Frankreich der Revolution und Napoleons, die brutale englische 
Seetyrannei der Zeit und ihre Folgen bis zum heutigen Tage, die Tatsache, 
daß England im Jahre 1815 als der eigentliche Sieger unter den geschwächten 
europäischen Mächten dastand, noch so pessimistisch einschätzen und wird 
doch Peez’ Urteile ungerechtfertigt finden. Erstaunlich ist die Kühnheit 
mit der er große historische Entwicklungsreihen skizziert, so wenn er nicht 
Napoleon, sondern »die kalte englische Staatskunst mindestens die Grund¬ 
ursache des zweiten Teiles des langen Krieges* sein läßt. — »England war 
und blieb unversöhnlich und kriegerisch*. 

Der scharfe antienglische Standpunkt des Buches ist keineswegs gleich¬ 
bedeutend mit einer Vorliebe für Frankreich. Nicht minder kraß ist es, 
wenn in dem Kapitel »Die Franzosen als Freiheitsbringer* die Heereszüge 
der Revolution lediglich unter dem Gesichtswinkel der dabei verübten Räu¬ 
bereien erzählt werden. 

Da ein zweiter Band angekündigt ist, soll nicht unerwähnt bleiben, 
daß die Komposition des Buches außerordentlich salopp und der Druck, be¬ 
sonders der Eigennamen, überaus nachlässig ist. Zwei Beispiele für viele: 
Als Kapitel 14 folgt »Die zweite Koalition 1799—1802 (!) Marengo* nach 
Kapitel 12: »Bewaffnete Neutralität von 1800* und Kapitel 13: »Die 
Ermordung Pauls*. Zahllose Wiederholungen sind bei solcher Anordnung 
des Stoffes unvermeidlich. — Auf Seite 201 finden sich nicht weniger als 
sechs verstümmelte Eigennamen. 

Trotz der historischen Bedenken, die sich gegen das vorliegende Werk 
erheben, ist es für weitere Kreise der Gebildeten eine anregende Lektüre. 

Posen. Alfred Herrmann. 


Edmund Ulbricht (f), vollendet und herausgegeben von G. Ro¬ 
senhagen, Weltmacht und Nationalstaat Leipzig, Dieterich 
(TL Weicher). 1911. XXIII und 685 S. 

CL Seignobos, Politische Geschichte des modernen 
Europa. Entwicklung der Parteien und Staatsformen 1814—1896. 
Deutsch nach der 5. Auflage des Originals. Leipzig, Werner Klinkhardt 
1910. XVI und 808 S. 

Zwei politische Weltgeschichtswerke nicht ganz gleichen Wertes, wie 
mir scheint mag auch das erste als Ergänzung des zweiten gedacht sein. 
Ich möchte damit nichts geringschätziges über das wohlgemeinte, besonnene, 
durchaus nicht gedankenarme Werk von Ulbricht-Rosenhagen sagen. 
Vielleicht werden manche Beurteiler — ich zähle mich dazu — ein deut¬ 
licheres Durchdringen universalistischer Tendenzen in diesem Buche wünschen. 
Die Stoffgliederung scheint^ in den Unterteilungen nicht immer ganz glücklich 
zu sein, doch verhehle ich mir nicht daß das Urteil just in Einteilungs¬ 
fragen immer eine subjektive Sache sein wird. Niemals verlieren die Dar- 




Literatur. 


silier das Maß, wiederholt — etwa m üen Ausführungen über den Kab 
vimamfa —• erweisen sie ihre Vertrautheit. mit der jüngsten Jdtvryuui'. 
VoreSglich seheint, die imnzosihiacbe Politik beurteilt, die mH- Ihres Welt- 
r^ichste&detoeii vor England durchaus nicht deshalb trtfag* weil tie maritime 
Mibefolge batte, .sondern well m sieb in ^iner schließlieh 

dsoeh ExpafiÄiouspolitik auf dem Kontineiite gei&eL Ähr liegt 

dis* gsr»ge&eÖehtÜdbk? Schuld jbtidvrig* XIV> Und hat Napoleon,, der den 
Kürüpi Uüt Enghmd:. mit ungi?nii^wi>at Kriegsiiuttelh begann, außer diesem 
Tehk-r nMu auch d^ nnheilmlW Politik Ludwigs XIV r , wiederholt? &lüek- 
vu*h seid faßt das Ruch mit eurnu Amb'lfck auf .die •(iegcÄvmrt/ab, hfa deren 
K eriiö:eielieii die M^r^phl tigfci t; der > Imperial fernen *, der Weltliche her- 
vorgeböbcjii vririij die bei allen. bang?» Ikigeiü&tzticihüiHsn doch auch ein 
lebendiges Agens mih&lL Es ist das i^kenntniä zu unserer Zukunft im 
Wider%ntefe 0 fej; Ka^udr&nifcn, wie sie zumeist aus .dem Munde 
geifjineicbef BiJoitmitcu tu den letzfett Jahren laut geworden ß&ch 

Das Ulbrich Bosenh^en'ßohe Buch verweist für die Zeit von 1814 v 0 > 
wartä ÄÜf: das vielgerübmte WeltgeStdiif’Jbt^werk von Selgnobnii, mit 
abichilefitmd, nümnefer m gixfc&r dehtscher; ifyimdtwüig. *} «srfjif^nifc Es be- 
zeichnet sieh at?sdniftkUch afe pdßiiscttö (^Schichte und b* schränkt sich in 
Die Anlage fast eigenartig und hat mjH überall Beifall, gsfa 


diesem Sinne 

fumäem Sie ist ein \ r ersu(i. geögrhphiÄ?he T c*hron 6 jbgi$ifae und asomatische 
Einteilungsart zu verhixKlun und gelangt m dri* recht unglöichiffaüigeu 
örappem, die m s nicht gcachieäen sind t • J)rei 

'Viertel des Buches sind der i wierpolitfaebeii itesciücht« der EiiwelstaaOn, je ein 
Achtel den mtemationakm Phänomenen (f£h p tt&I i sni us/Uhraia ontan is tu u& 
So?ia.llsmna) and der .intcraatiomdmi-Bulitik gevvidtiv*t. Der Vhrfasaer will 
un ftimsfo der modernen fränz^^hcü Krieg und lMplo- 

ttiatie vor mnem % Politik und l^^ngcschxchbj' sorückteien .fassen, (bc 
•jimditi^che; Üestihicbt« dW Erdteils #uf das Gerüst der Brächfeift- 

Qujtffp : ßiyr, treibenden'-Kräfte zuraekfiihr^m Er wühlt ilöBie di?> F^rm einer 
tfum SebhiJssse heig^efe^aeni die; IfcupWditHngen weisttiivl^ '‘.BihHographlev 
<)h veb mir ^Umdmgs denken .kdnnt<v IHe 

gr*v(fo ; ; ' nach,. »fen lllwüidhiungstmtwn mfHiierncr %'iteo faßte». 

Mk^nkh^ri wird d&bei gestyeilt wenn midi nicht m fa>untwort^w 

veraucht. Mit größer Bestimmtheit wird jede andere als indrviduaüstiscJbe 
Gc^hiehtsauiTs^CLög für das öchict der ^olitiachmi\h?OhithO ahgelehnfc. DSc 
flm Hauptkri^en fek»: welche, di*- paht-fadm Eht- 

wiuklluig dea Juodernen Europa fa^tiunnt haben, 18 ^ 0 , 1848 , 1870 . seien 
t/loöe ZuiaJle ohiJ^ Üefeliinende Ursache, büä will mir bei aller Ancr- 
kt-mmüg dek •' ßr^ ; kv<->> d*rfa \\twk xü 

weit gegangim und U)b ^4 : ^r, rkrle Kfaubu;»" 

tinden wird, fjiv MiitU: 1 n • : - • /• • 

gkubeu e? gerne, Adtwever - ' « /■••'■-v. 5 -^ ; 


M Imroerhiu fehlte» 

Ho f* (!) statt ^Knegagerkiit* , 
ohne praktiachea..fe^abnis^p^ 
<örhergeselnmö . 6^¥.4inRüng..$0$ij 
«i^chen Armee* u H. w,- 


554 


Literatur 


zeichnende Eigenschaft französischer Geschichtschreiber überhaupt, doch noch 
besonders hervorgehoben werden und spricht sich auch durch die Über¬ 
setzung hindurch noch deutlich aus. 

In der ersten Gruppe des Buches fällt der Ton wie natürlich vor 
allem auf England, Frankreich, Deutschland, Österreich. Etwas knapp ist 
Italien, auch Rußland behandelt. Aber Rußland entbehre eines politischen 
Parteilebens und so laufe seine politische Geschichte zu einer Hofgeschichte 
zusammen, die durch die Abwechslung von »Westländern* und »Asiaten* 
auf dem Throne ihren Rythmus erfahre. England, das politische Musterland, 
hat für Europa den politischen Mechanismus, Konstitution, Parlament, Mi- 
nistei'verantwortlichkeit, Grundrechte, Sozialismus vorgebildet. Frankreich, 
das politische Experimentierland, bildet das Bild einer nur anscheinend 
sprunghaften, in Wirklicheit ganz »vernünftigen* Entwicklung: In vier¬ 
maliger Wellenbewegung— 1792, 1830, 1843, 1870 — spült die repu¬ 
blikanische Flut das ancien regime schließlich dauernd hinweg. Das deutsche 
Reich ist ein Kompromiß zwischen einem Bunde deutscher Nation und einer 
Annexion Deutschlands an Preußen. Das Fehlen einer radikalen Linken in 
Deutschland bedingt die außergewöhnliche Stärke der deutschen Sozialde¬ 
mokratie, während die Rechte doppelt, als Zentrum und konservative Partei, 
vorhanden ist. Der Gegensatz der beiden Tendenzen ist tief und durchaus 
unausgeglichen. Das österreichische Nationalitätenproblem scheint mir 
nicht eindringlich angefaßt. Auch fehlt es gerade hier nicht an groben 
Verstößen. In Mähren und Schlesien ist die Bevölkerung nicht cechiseh, 
sondern deutsch und cechisch, die ungarischen Länder sind nicht die Länder 
der Wenzelskrone (l). Höchst lesenswert, auch heute, da die jüngsten Ereig¬ 
nisse so vieles umgestürzt haben, scheinen mir die Ausführungen über die 
ottomanische Frage zu sein. 

In der zweiten Gruppe vermisse ich neben Kapitalismus, Ultramonta¬ 
nismus und Sozialismus den Nationalismus als politisches Agens gefaßt ln 
der dritten Gruppe wird die Gliederung nach vier Perioden internationaler 
Politik kaum ernsten Widerspruch erfahren; man könnte es natürlich auch 
anders machen. 1815—1830: Vorherrschaft Österreichs unter dem Zeichen 
des Interventionsprinzipes im Sinne der Aufrechterhaltung der überkommenen 
Ordnungen. 1830—1854: die Wiederaufrollung der orientalischen Frage, 
die den beherrschenden Gegensatz der Zeit, den zwischen England und Ru߬ 
land erweckt und wach erhält 1854—1870: Vorherrschaft Frankreichs 
unter dem Zeichen des von Napoleon erkorenen Nationalismus, der in großen 
Kriegen Mitteleuropa umgestaltet Bemerkenswert erscheint die entschiedene 
Art, mit der Gramont für den Krieg von 1870 verantwortlich gemacht, 
die spanische Angelegenheit vorsichtig als »ein Werkzeug in der preußischen 
Politik* gekennzeichnet, die »Fälschung* der Emser Depesche ganz bestimmt 
abgelehnt wird. 1870—1896: Deutsche Vorherrschaft und bewaffneter 
Friede. In der Frage um Elsaß-Lothringen ist der Revanchegedanke ver¬ 
altet; aber die französische allgemeine Meinung stellt dem durch Bismarck 
verkörperten Eroberungsprinzip das moderne Prinzip des Selbstbestimmung»- 
rechtes der Völker und Bevölkerungen entgegen — darum der unüberbrück¬ 
bare Gegensatz. Der Dreibund sei aus der orientalischen Frage geboren 
worden, die das Dreikaiserverhältnis der Ostmächte zerstört habe. l>it 
russisch-französische Verbindung sei die natürliche Gegenaktion dagegen; alvi 



Literatur. 


555 


«larum den Dreibund, der zur Notwendigkeit geworden, einen politischen 
Fehler nennen, geht nicht an. So entspreche einer Vormachtstellung Deutsch¬ 
lands im Okzident eine solche Rußlands im Orient, und schwer und unsicher 
laste der bewaffnete Friede auf der Welt. Es sind Betrachtungen, in die 
das für unser Empfinden gewiß etwas thematische, aber immer ideenreiche 
Buch, Fundgrube und Anregung für jeden Leser, ausklingt. 

Wien. H. Kretschmayr. 


Briefwechsel zwischen König Johann von Sachsen 
und den Königen Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm I. 
von Preußen. Herausgegeben von Johann Georg, Herzog von 
Sachsen, unter Mitwirkung von Hubert Ermisch. Leipzig. Quelle 
und Meyer, 1911. VH, 514 S. 8°. 

Unter den 348 Briefen, welche in dieser Veröffentlichung mitgeteilt 
werden und den Zeitraum von Juli 1825 bis März 1873 umfassen, über¬ 
wiegen zunächst die Briefe zwischen Johann und Friedrich Wilhelm IV. 
Erst nach der unheilbaren Erkrankung des preußischen Königs wird der 
Briefwechsel mit Wilhelm I. ein regerer und wird bis kurz vor dem am 
20. Oktober 1873 erfolgten Tode Johanns unterhalten. Die Originale der 
Briefe der preußischen Prinzen und Könige befinden sich zum größten Teil 
im Besitz des Herausgebers, Herzog Johann Georgs von Sachsen, die Haupt¬ 
masse der Originale der Briefe König Johanns wird im Hausarchiv zu 
Charlottenburg verwahrt. Dies gilt vor allem für den Briefwechsel mit 
Friedrich Wilhelm IV., welcher bis auf neun im Hauptstaatsarchiv und in 
der KgL öffentlichen Bibliothek zu Dresden befindliche Stücke dieser Pro¬ 
venienz ist. Das kühlere, mehr sachliche Verhältnis zwischen Johann und 
Wilhelm L drückt sich auch in der archivalischen Überlieferung aus. Von 
den 94 zwischen ihnen gewechselten Briefen sind zwei Drittel anderer Pro¬ 
venienz u. zw. befinden sich die Originale von 35 Briefen K. Wilhelms im 
Hauptstaatsarchiv und von 2 Briefen im Archiv des auswärtigen Amtes zu 
Dresden, von je 6 Briefen K. Johanns im Staatsarchiv und im Archiv des 
Auswärtigen Amtes zu Berlin; 10 sind nur im Konzept im Hauptstaats¬ 
archiv und im Archiv des Auswärtigen Amtes zu Dresden erhalten, 3 liegen 
nur in Drucken vor. Nur 29 Stück waren bereits früher teilweise oder 
vollständig veröffentlicht worden, die meisten bei Hassel, König Albert als 
Kronprinz. Im Anhang stellen die Herausgeber noch die Daten für 54 ver¬ 
lorengegangene Briefe zusammen. Ein Bekanntwerden dieser wie etwa 
noch anderer Deperdita ist bei der planmäßigen und sorgfältigen Durch¬ 
forschung der Archive und der Literatur durch die Herausgeber kaum mehr 
zu erwarten. 

Über den politischen Inhalt des Briefwechsels hat der Mitherausgeber, 
H. Ermisch, im 32. Band des Neuen Archivs für sächsische Geschichte und 
Altertumskunde S. 89 ff. und 317 ff. einen ausgezeichneten Überblick ge¬ 
geben. Für die österreichische Geschichte ist der Briefwechsel für die 
Jahre 1825—1848 zunächst wenig ergiebig. Von gewissem Interesse er- 



556 


Literatur. 


scheint mir nur der Brief vom 15. März 1833 (S. 145), in welchem Prinz 
Friedrich Wilhelm den Tod Kaiser Franzens, »des lieben, herrlichen Franzeis. 
des letzten Königs der Teutschen* schmerzlich beklagt 1 ) und hinzufügt: 
»Ich wollte, man setzte dem Kayser Ferdinand einen Floh ins Ohr, den: 
sich vom Papst zu Rom oder Mayland zum Römischen Kaiser krönen zu 
lassen 4 . Erst ab 1849 wird die Ausbeute für die österreichische Ge¬ 
schichte reicher. Das Verhältnis zwischen Österreich und Preußen wird 
von da an in den Briefen oft und oft behandelt. K. Johann erscheint 
stets als treuer Verteidiger einer Verbindung Österreichs mit dem übrigen 
Deutschland. Er tritt gegen die Unionsbestrebungen Preußens 1849 und 
1850 auf und rät eine Aussöhnung mit Österreich an: »Ein neuer 7jähriger 
Krieg — den Gott verhüte — wird zwar Preußen tapfer finden wie immer; 
ob aber der gleiche Erfolg ihn krönen dürfte, bleibt doch dahin gestellt: 
denn es ist auch bei Preußens Gegnern vieles anders als damals 4 (S. 267). 
Er billigt die von Österreich beantragte W T iederaufrichtung des Deutschen 
Bundes 1850, in dessen Kräftigung und Ausgestaltung er das Heil Deutsch¬ 
lands erblickt. »W T ir wünschen, daß viel Gemeinsames Gute für 
Teutschland geschehe, daß dies aber durch den Bund geschehe, damit der¬ 
selbe in der öffentlichen Meinung gehoben werde 4 ruft er 1860 (S. 400) 
aus. Nicht ohne Bewegung wird man die Briefe lesen, welche Johann 
und Wilhelm knapp vor und nach der Katastrophe von 1866 gewechselt 
haben (S. 437 ff.). In der italienischen Frage steht Johann durchaus auf der 
Seite Österreichs und befürwortet das Eintreten des Bundes für dieses. Am 
21. März 1859 (S. 386) schreibt er an Prinzregent Wilhelm, nach Mi߬ 
lingen des englischen Vermittlungsversuches müßten Preußen, der Deutsche 
Bund und wo möglich auch England entschieden erklären, daß sie jeden 
Mann, den Frankreich über die Alpen schickt, als eine Kriegserklärung be¬ 
trachten. »Dies wird unsere Ehre, aber auch unser Vorteil erheischen; 
denn in den Kampf erst einzutreten, wenn Österreich vielleicht schon in 
Italien Nachtheile erlitten hat, dürfte doch immöglich zweckmäßig sein 4 . 
Nur in dem Tadel des Verhaltens Österreichs im Krimkrieg schließt er 
sich der preußischen Auffassung an, welcher Friedrich Wilhelm in einigen 
Briefen z. B. S. 326, 352—354 recht derb Ausdruck gibt. 

Der Hauptwert dieser Veröffentlichung liegt aber nicht so sehr in 
neuen Nachrichten über die politischen Voigänge als vielmehr in den 
vielen Zügen, welche wir zur Beurteilung der persönlichen Eigenschaften 
der drei Herrscher und ihrer Beziehungen zu einander daraus gewinnen, die 
ja ihrerseits für die Wertung der politischen Vorgänge von Bedeutung 
sind. Das geschlossenste Bild erhalten wir naturgemäß von der Persön¬ 
lichkeit König Johanns. Es wäre nur zu wünschen, daß die nach 1866 
niedergeschriebenen Lebenserinnerungen dieses Herrschers, welche sowohl in 
den oben erwähnten Übersichten H. Ermischs wie auch in den reichhaltigen 
Anmerkungen zu den Briefen selbst mehrfach herangezogen sind, zur Ver- 


! ) Von etwas einseitiger Auffassung zeugt die Bemerkung E. Brandenburgs in 
seiner Besprechung im Neuen Archiv für Bäche. Geech. 33, 169, daß ihm »die Be¬ 
geisterung Friedrich Wilhelms für Kaiser Franz, über dessen menschliche und po¬ 
litische Nichtigkeit heute alle Beurteiler einig sind, befremdend erscheine«. Jedem, 
der der Persönlichkeit dieses Herrschers einigermaßen unvoreingenommen näherge¬ 
treten ist, wird wol eher Brandenburgs Urteil befremdend erscheinen. 





Literatur. 


557 


-öffentlichung gelangen. Ist dies geschehen, so wird es möglich sein, »der 
großen und schönen Aufgabe, die eine Lebensbeschreibung des Königs Jo¬ 
hann stellt, ernsthaft näher zu treten*. 

Wien. Ludwig Bittner. 


Karl Alexander v. Müller, Bayern im Jahre 1866 und die 
Berufung des Fürsten Hohenlohe. Historische Bibliothek Bd. XX. 
^München und Berlin 1909. R. Oldenbourg. XVI u. 292 S. 

Dieses Buch ist ein Musterbeispiel dafür, welch reiche Ergebnisse durch 
erschöpfende und sorgsam ab wägende Verwertung der gedruckten Quellen 
für die Beurteilung von Ereignissen gewonnen werden können, die der archi- 
valischen Erforschung noch entrückt sind. Der Verfasser hat sich der nicht 
geringen Mühe unterzogen, neben den wissenschaftlichen Werken und Ver¬ 
öffentlichungen über die von ihm behandelten Fragen auch die Tageszeitungen 
und Flugschriften in einer Vollständigkeit zu durchforschen, wie sie bei 
ähnlichen Darstellungen der neuesten Geschichte wohl selten erreicht worden 
ist. Die im Anhang auf S. 227—272 gegebene Zusammenstellung dieser 
Schriften ist daher auch von selbständigem Wert in quellengeschichtlicher 
Beziehung. Ein weiterer Vorzug dieses Buches ist, daß der Verfasser sich 
bei der Darstellung nicht von der gewaltigen Masse des Materials hat er¬ 
drücken lassen, immer die sichere Führung behält und trachtet, das Wesent¬ 
liche in ruhiger und besonnener Beurteilung herauszuarbeiten. Er hat des¬ 
halb darauf verzichtet, seine Arbeit nach der zeitlichen Abfolge der Ereig¬ 
nisse zu gliedern und es vorgezogen, die hervortretenden Persönlichkeiten 
und Strömungen zusammenfassend zu würdigen. Dies ist nur zu billigen 
umsomehr als auf S. 211—226 als Anhang 1 ein Kalendarium der in 
Betracht kommenden Geschehnisse gegeben wird. In lebensvoller Weise wird 
uns so die Wechselwirkung der äußeren Ereignisse, der Politik der leitenden 
Staatsmänner und der Öffentlichen Meinung vor Augen geführt. 

Die Ereignisse des Jahres 1866 trafen Bayern sowohl in politischer 
wie in militärischer Beziehung unvorbereitet. Die Hauptschuld daran trifft 
den Lenker der auswärtigen Angelegenheiten, von der Pfordten. Dieser ver¬ 
schloß ganz im Barme seiner Überzeugung von der Ersprießlichkeit einer 
Politik, welche durch Ausnützung des Gegensatzes zwischen den beiden 
deutschen Großmächten Bayern eine führende Stellung neben diesen ver¬ 
schaffen sollte, seine Augen vor dem wirklichen Gang der Dinge und den 
tatsächlichen Kräfteverhältnissen. Er brachte es dahin, daß Bayern, als die 
Entscheidung nun doch getroffen werden mußte, weder seinem Verbündeten 
ein wirksamer Bundesgenosse noch seinem Gegner ein achtunggebietender 
Feind sein konnte. Er verhinderte den Anschluß des bayrischen Heeres an 
die österreichische Nordarmee was wohl mit eine der Ursachen des unglück¬ 
lichen Ausganges auf dem böhmischen Kriegsschauplatz war. Es ist dabei 
allerdings nicht zu übersehen, daß diese Politik im Lande, besonders aber 
auch in einer mächtigen Partei am Hofe starke Stützen besaß, welche auch 
nach der Niederlage und nach der durch die Berufung Hohenlohes erfolgten 
grundsätzlichen Änderung in der Leitung der auswärtigen Angelegenheiten 



558 


Literatur. 


noch eine starke Verwässerung des Hohenlohe’schen Programms bewirkten. 
König Ludwig II. zeigt gegenüber dieser Politik seiner Minister ganz seine 
widerspruchsvolle Natur. Zuerst, untätiges Gewährenlassen, endlich nach 
dem Kriege aber doch ein fester Entschluß zur Änderung des Kurses und 
beharrliches Festhalten an der Berufung Hohenlohes trotz starker gegen¬ 
teiliger Beeinflussungen. Diese Berufung Hohenlohes erscheint als das per¬ 
sönliche Werk des Königs, bei welchem neben dem günstigen Eindruck, den 
Hohenlohes Auftreten und Programm auf ihn gemacht hatten, auch der Rat 
Richard Wagners mitgewirkt haben mag. Hohenlohe, dessen äußeren und 
inneren Entwicklungsgang der Verfasser uns auf das anziehendste entwickelt, 
war für die von ihm übernommene Aufgabe der richtige Mann. Von der 
Notwendigkeit des Anschlusses Bayerns an Preußen durchdrungen, hatte er 
schon bei einer Audienz beim König und in einer Rede in der Kammer der 
Reichsräte ganz alleinstehend dieser seiner Überzeugung Ausdruck gegeben. 
Andererseits »gehörte er nicht zu den Kämpfematuren, die in überschäumender 
Leidenschaft über alle Hindernisse hinweg sich den Weg suchen* und konnte 
daher »den Verhältnissen sich anschmiegend, nachgiebig und vorsichtig* 
unter mancherlei Zugeständnissen an gegnerische Strömungen und unter 
behutsamer Berücksichtigung der Eigenart des Königs die Erreichung seines 
Zieles vorbereiten, wenn er auch die tatsächliche Vereinigung Bayerns mit 
dem deutschen Reiche selbst nicht mehr durchführen konnte. Gegenüber 
diesen führenden Persönlichkeiten bedeuteten die Strömungen in der Be¬ 
völkerung nicht viel. Gerade diese Ereignisse sind ein gutes Beispiel, welches 
Gewicht der Persönlichkeit in der Geschichte zukommt. Auf Grund der 
mühsamen Durchforschung der Tageszeitschriften und Flugschriften bietet 
uns der Verfasser eine abgerundete und wohldurchdachte Darlegung der 
Stellungnahme der öffentlichen Meinung und der politischen Parteien. Sie 
zeigt uns beide in hilfloser Zersplitterung und Planlosigkeit. Die öffentliche 
Meinung neigt vor dem Krieg mehr zu Österreich hin, ohne jedoch den 
leitenden Minister zu rechtzeitiger, energischer Stellungnahme zu zwingen, 
schlägt nach der Niederlage plötzlich um und zeigt sich dem Anschluß an 
Preußen geneigt, um nach dem Abflauen der ersten Erregung wieder langsam 
in das partikularistische Fahrwasser einzulenken. 

Einen ähnlichen Entwicklungsgang nehmen auch die Parteiverhältnisse 
im Abgeordnetenhaus, wo die kleindeutsche Partei wohl nach dem Kriege 
eine gewisse Stärkung erfährt, aber bei weitem nicht eine ausschlaggebende 
Stellung erreicht. Bemerkenswert ist, daß die partikularistischen Strömungen 
damals noch nicht ihre Hauptstütze in den ultramontanen Kreisen, sondern 
in der demokratischen Partei hatten. Die Stellungnahme der Kammer der 
Reichsräte — stets partikularistisch-konservativ — ko mm t für die Beurteilung 
der öffentlichen Meinung nicht so sehr in Betracht. Als eines der wenigen 
erfreulichen Momente erscheint uns die bei Regierung und Volk gleich¬ 
mäßig vorhandene Abneigung gegen eine Wiederaufnahme der Rheinbund* 
politik. Eine meiner Ansicht nach gelungene Widerlegung der von A. v. 
Ruville in seinem Buche »Bayern und die Wiederaufrichtung des deutschen 
Reiches, Berlin 1909*, vorgetragenen Auffassungen beschließt das durchaus 
erfreuliche Buch. 

Wien. Ludwig B i 11 n e r. 



Literatur. 


559 


Wien. Geschichte der Kaiserstadt und ihrer Kultur. 
Von Richard Kralik und Hans Schiitter. Mit 555 Hlustrationen. 
Wien 1912. Adolf Holzhausen. 

Österreichische Geschichte. Von Richard Kralik. Wien 
1913. Adolf Holzhausen. 

Der Verfasser ist schon vor Jahren mit ein paar Schriften aufgetreten, 
die in das Gebiet der Geschichtsliteratur gehören (»Wesen und weltge¬ 
schichtliche Bedeutung des Germanentums« 1895, »Weltgeschichte nach 
Menschenaltem« 1903), aber weiteren Kreisen ist er bis jetzt doch wohl 
nur als Dichter, Herausgeber Erneuerer, Ausdeuter älterer Dichtungen, als 
Ästhetiker und Philosoph (Weltschönheit, Weltgerechtigkeit, Welt Wissenschaft 
1894—95) bekannt, nicht als Historiker. Nun, nachdem er sein sechzigstes 
Lebensjahr bereits vollendet hat, erscheint er als solcher, bringt binnen 
zwei Jahren diese zwei gewaltigen Bände auf den Markt. Er fühlt selbst, 
daß er damit zunächst Befremden und Mißtrauen erregen wird: als 
einer, der »den größten Teil seiner Lebensarbeit in anderer Betätigung zu¬ 
gebracht hat«, kommt er nun »als anscheinender Neuling den Fachhistorikern 
in die Quere«. Ich glaube nicht, daß die »Fachhistoriker« die unange¬ 
nehmsten Kritiker sein werden, aber das große Publikum, die großen Zei¬ 
tungen, die publizistische Kritik liebt allerdings solche Übergänge in spä¬ 
terem Alter, wenn ein Schriftsteller schon einmal in ein gewisses Fach ein¬ 
gestellt, mit einer Etikette versehen, gestempelt und geaicht ist, nicht. Es 
kommt dabei freilich auch darauf an, ob er dabei nicht etwa parteipolitisch 
verwendbar wird. Wird er das, dann erhält er bei der Partei, die ihn 
brauchen kann, nicht nur Verzeihung, sondern doppelte und dreifache An¬ 
erkennung ftir seine »geniale Vielseitigkeit« : die Gegner brechen natürlich 
um so entschiedener den Stab über seine Wandlung, wenn sie nicht vor¬ 
ziehen, sie völlig zu ignorieren. Der Kritiker von Fach wird schon bei 
flüchtiger Lektüre dieser Bücher zugeben, daß sie nicht von einem Dilet¬ 
tanten herrühren und die Schulung in historischer, rechtsgeschichtlicher, 
philologischer und archäologischer Arbeit, die sich der Verfasser als per¬ 
sönlichen Schüler Mommsens und anderer Meister erworben zu haben rühmt, 
nicht verkennen; er wird verstehen, daß wenn der Verfasser gewisse For¬ 
derungen, die die moderne Geschichtswissenschaft an die Behandlung solcher 
Aufgaben stellt, wie er sie sich gewählt hat, beharrlich nicht erfüllt, er 
dies nicht deshalb tut, weil er die technische Fähigkeit dazu nicht besitzt 
und die Kenntnisse, die dazu gehören, sich nicht zu erwerben versteht, 
sondern weil er seinen Aufgaben eben auf einem andern Weg und mit 
anderen Mitteln beizukommen gedenkt. Speziell seiner Geschichte Wiens 
ist schon von fachlicher Seite 1er* Vorwurf gemacht worden, daß ihr ilas 
fehlt, was als das Bückgrat eirer jeden Stadtgeschichte bezeichnet werden 
müsse: die Geschichte der Verfassung und der Wirtschaft. Das ist 
sehr wahr, ja man kann sagei, Kralik kümmert sich um keines der Pro¬ 
bleme, die heute sonst für den Stadtgeschichtsschreibung im Vordergrund 
stehen: Entstehung der Städte und ihres Rechtes, Verhältnis zur Gmnd- 
herrschaft, zum Marktwesen, zur Gerichtsverfassung, Entstehung der städ¬ 
tischen Stände tu dgL Seiner »österreichischen Geschichte« könnte man 



560 


Literatur. 


ebenso vorwerfen, daß sie an den meisten Fragen, die den Geschichtsschreiber 
einzelner Territorien, Landschaften, Nationen* Staaten beschäftigen, vorbei¬ 
geht: weder auf die Entwicklung der Agrar- oder der Gerichtsverfassung 
geht er näher ein, noch wird die Entstehung und Ausbildung des Stände¬ 
wesens und — im 19. Jahrhundert — des Konstitutionalismus, genetisch 
dargelegt, wenn auch gelegentlich ganze Abschnitte aus Yerfassungsurknnden 
mitgeteilt werden. Aber alle diese Dinge haben für die Aufgabe, die er 
sich setzt, keine so große Bedeutung. In der Geschichte der Stadt kommt 
es ihm darauf an zu zeigen, daß sie von den ältesten Zeiten bis in die 
Gegenwart stets die Stätte einer eigentümlichen Kultur gewesen ist» 
deren Grundelemente dieselben geblieben sind, von der einzelne Trieb* 
vielleicht verkümmerten und abstarben, andere sich dagegen um so reicher 
entwickelten. In der österreichischen Geschichte dagegen ist es ihm — 
wie er selbst sagt — hauptsächlich darum zu tun, »den politischen Aufbau 
des Gesamtreiches darzustellen und verständlich zu machen, ihn in seinen 
großen Zügen zu verfolgen und in seinen besondersten Äußerungen zu be¬ 
lauschen — wie wir es lieber formulieren möchten — zu zeigen, daß 
Österreich gleichsam als weltgeschichtliche Notwendigkeit potentiell schon 
in vorrömischer Zeit vorhanden und sich dazu nur von Jahrhundert zu 
Jahrhundert deutlicher herausgebildet hat, daß es zu jeder Zeit einen 
ethischen Gedanken verkörpert, eine ethische Mission erfüllt hat. Die Art. 
wie er diese seine beiden Leitsätze zu demonstrieren denkt, ist hier wie 
dort dieselbe: er schreitet von Generation zu Generation und trägt für jede alle 
die Einzelerscheinungen zusammen, die ihm eine Beweiskraft für jene zu 
haben scheinen. Und da kommen dann allerdings die Tatsachen des Wirt¬ 
schaftslebens oder die Verfassungs- und Gerichtsformen nicht so sehr in 
Betracht und wenn, so doch eben nur als einzelne Fakta, nicht in ihrer 
Entwicklung. In der Geschichte der Stadt mußten ihm da die gesellschaft¬ 
lichen Phänomene in engerem Sinn, das sogenannte Volksleben, Geselligkeit 
Feste, Theater, Literatur, Kunst wichtiger sein, in der Geschichte des Reiches 
hohe Politik und Krieg und die Reflexe davon wiederum im Volksleben 
und in der Literatur, historischen Werken, Flugschriften, politischen Liedern 
Tendenzdramen. Die schwache Seite liegt denn unserer Meinung nach nicht 
in. der Ignorierung oder allzu flüchtigen Behandlung gewisser Erscheinungen 
und Entwicklungsreihen, auch nicht in einzelnen Irrtümem, wie sie für 
den, der sich ohne Jahrzehntelange Vorarbeit an die Bewältigung eines so 
ungeheuren Stoffes wagt, unvermeidlich sind, sondern darin, daß die Tat¬ 
sachen, die der Verfasser auswählt, häufig die Beweiskraft, die er ihnen 
zutraut, gar nicht besitzen, daß er sie zu gewaltsam ausdeutet. Besonders 
von der »österreichischen Geschichte* gilt dies. Was soll man dazu sagen, 
wenn Kralik in der Chronik der 95 Herrschaften Spuren eines vorge¬ 
schichtlichen Österreichs sieht, weil sie fabelhafte österreichische Herrscher 
von der Mitte des 2. vorchristlichen Jahrtausends bis zu den christlichen 
Zeiten in stete Verbindung mit böhmischen und ungarischen Fabeldynastien 
setzt! In Marbod und Arminias sieht er das spätere Verhalten, von Öster¬ 
reich und Preußen vorgebildet: in jenem »trat so recht die österreichische 
Vermittlematur, in Erscheinung*, durchaus offen und bieder und niemals 
hinterhältig, ist er ihm »der erste österreichische Heldencharakter*. Die 
Marc Aurelsäule nennt er ein anschauliches Bilderbuch altösterreichischer 



Literatur. 


561 


Geschichte, mit der Trajanssftule zusammen bilde sie ein 9ehr lehrreiches 
» österreichisch-ungarisches Denkmal 4 . Das Ostgotenreich Theodorichs — viel¬ 
leicht ein Wiener! — ist wiederum eine »Vorahnung der österreichischen Ge¬ 
samtstaatsidee, eine interessante neue politische Konstruktion mit dem 
Schwerpunkt im Süden 4 — »die germanische Italienschwärmerei hat 
hier ihre Wurzeln ebenso die italienische Sendung des späteren Österreich 
bis 1859 und 1860 und so weiter 4 . Das lateinische Gedicht, dos die Be¬ 
gründung der awarischen Ostmark durch Pipin erzählt, darf als »Staats¬ 
grundgedicht Österreichs 4 betrachtet werden, »ein echt österreichisches 
Ehrengedicht 4 ist auch die Klage des Paulinus von Aquileja auf den in 
Awarenkriegen bei Tersatto gefallenen Herzog Erich von Friaul. In dem 
Kapitel »Die Zeiten des siebenjährigen Krieges 4 in der Geschichte Wiens 
sind, zumeist aus Khevenhüller, folgende Daten zusammengetragen: Buß- 
und Bettage wegen des Erdbebens von Lissabon. Die Gemahlin des spanischen 
Gesandten will dem Kaiserpaar nicht die üblichen Handküsse zugestehem 
Die Paläste des Grafen Ulfeld und des Grafen Haugwitz (heute Ministerium 
des Innern) werden neu aufgeführt. Erzherzog Joseph besteht seine Prüfungen 
aus dem Naturrecht und Staatsrecht. Ein neues Oratorium von Wagenseil 
wird aufgeführt. Das neue Universitätsgebäude wird inauguriert. Der Kaiser 
macht in der Fasten seine gewöhnliche Wallfahrt nach Hernals zu Fuß, 
zum erstenmal kann die Kaiserin, bis dahin immer durch Schwangerschaften 
verhindert, daran teilnehmen. Der Kaiser vermehrte immerzu die Schön¬ 
brunner Menagerie. Ein neues Ballet stellt eine durch Sturm zerstörte 
Flotte dar und macht Sensation. Friedrich d. Gr. schließt mit England 
den Vertrag von Westminster; der preußische Gesandte von Klingrüff 
hat eine sehr merkwürdige Audienz bei der Kaiserin. Truppen marschieren 
durch Wien nach Mähren und Böhmen. In einer bäurischen Komödie, die 
bei Hof gespielt wird, gibt der Kammerheizer Stöckl die Person des Hans¬ 
wurst und zwar so geschickt, »daß ihm keiner an dem dermaligen deutschem 
Theatrt gleichkommen dürfte 4 . Friedrich tut seinen Einfall in Sachsen 
und rechtfertigt ihn durch diverse grobe Denkschriften. Erzherzog Max¬ 
imilian wird geboren — »El rb pastore 4 wird aufgeführt. Der Kammerzahl¬ 
meister von Dier stirbt und vermacht der Kaiserin 400.000 Dukaten. Erz¬ 
bischof Trautson stirbt. Kaunitz kommt zu spät zur österlichen Kommunion. 
Daß der Kaiser den Pater Parhamer, einen Kinderlehrer zum Beichtvater 
wählt, wird spöttisch glossiert u. s. f. Man wird ja zugeben, daß alle diese 
disparaten Details ein Kulturbild ergeben, aber für eine spezifische Wiener 
Kultur sind sie doch nicht charakteristisch, nicht beweiskräftig für die 
Giltigkeit des Leitsatzes. Solche Chroniken haben die andern Haupt- und 
Besidenzstädte in jener Zeit ganz ebenso. 

Aber auf der andern Seite muß zugegeben werden, daß aus den Zu¬ 
sammenstellungen Kraliks mitunter auch der künftige Historiker lernen 
wird, sie erhellen bisweilen Zusammenhänge, an die bisher nicht gedacht 
wurde. Ein spezieller Vorzug beider Werke ist auch, daß die zeitge¬ 
nössische gedruckte Literatur ausgiebig benützt wird, allerdings schließt sich 
ihre Besprechung meist recht äußerlich an die Erzählung, ist nur selten 
organisch mit ihr verbunden, sinkt bisweilen auch zu einem bloßen Titel¬ 
verzeichnis herab. In der Geschichte Wiens werden auch reichlicher als 
dies bisher geschehen ist, die Berichte fremder Besucher der Stadt benützt 



Literatur. 


5Ö2 


und zwar bis in die neueste Zeit. Ebenso wie die ja meist Ausgebeuteten 
Beschreibungen von Enea Silvio Piccolomini, der Lady Montagu, Nicolais 
und Seumes werden auch herangezogeu die Beschreibungen des Mönches 
Georg König aus Solothurn (1715), die Tagebuchaufzeichnungen des gleich¬ 
falls aus der Schweiz stammenden Joh. Heinr. Landolt (1786), die Briefe 
Johannes von Müllers aus der Zeit seines Wiener Aufenthaltes (1792 —1804), 
Eichendorff, Varnhagen, Bettina v. Arnin, Brentano, Jakob Grimm, Holtei 
(1823), Richard Wagner (erster Aufenthalt in Wien 1832), Frances Trollope 
(1836—37; ihr Buch »Wien und die Österreicher* übersetzt von Sporschil 
1838), Hebbel u. 8. f. bis auf Rodenbergs »Wiener Sommertrage* (1873) 
und Tissot (Vienne et la vie viennoise 1878) ja bis Levetus »Imperial 
Vienna* (1905) und Bourgets »Visions d’Autriche* (1911). Es hatten 
noch berührt werden können: Rankes schöne Stimmungsbilder in seinen 
Briefen von 1837, Wolfgang Menzels und Willibald Alexis’ Schilderungen 
(1H31 und 1832), aber die wichtigsten fremden Zeugnisse für das Leben 
und Wesen der Stadt sind alle verwertet. Auch daß daran erinnert wird, 
was an dichterischen und musikalischen Schöpfungen fremder Künstler auf 
vorübergehenden Aufenthalten in Wien geschaffen wurde oder hier zum 
erstenmal zu Tage trat, ist dankenswert; wir erfahren z. B., daß 1810 die 
Uraufführung des Käthchens von Heilbronn in Wien stattgefunden 
(Justinus Kerner als Zuschauer!), daß Tieck den ersten Akt seines »Donau¬ 
weibchens* in Wien geschrieben hat, welche Dramen Hebbels hier ent¬ 
standen sind u. a. 

Mit der Anerkennung dieser Vorzüge wird man aber der Bedeutung 
der beiden Bücher noch nicht gerecht. Man wird bei ihrer Lektüre an 
die Einteilung erinnert, die Nietzsche in der Schrift vom Nutzen und Nachteil 
der Historie für das Leben von dieser gegeben hat: er unterschied be¬ 
kanntlich eine kritische, eine antiquarische und eine monumentale Ge¬ 
schichtsschreibung. Die Kralik’schen Bücher sind wahre Schulbeispiele dieser 
letzteren. Ihm ist alles groß in der Vergangenheit seiner Stadt und 
seines Vaterlandes und diese Größe in der Vergangenheit verbürgt sie ihm 
auch für alle Zukunft. Der hoffhungsfreudigste Optimismus erfüllt ihn, den 
Sechzigjährigen! Auch die alleijüngsten Ereignisse der Stadt- wie der Reichs¬ 
geschichte machen ihn nicht irre, im Gegenteil, er sieht auch da nur 
Zeichen von Gesundheit, Kraft und Glück. Der in Wien im Herbst 1912, 
als er eben die österreichische Geschichte abgeschlossen hatte, tagende 
Eucharistische Kongreß hat in seinen Augen Österreichs Bedeutung als Vor¬ 
macht der höchsten europäischen Zivilisation aller Welt geoffenbart und in 
den darauf folgenden Balkanwirren Österreich ebenso wie in den Zeiten 
des Krimkrieges durch seine tatkräftige, sachgemäße Initiative die Ent¬ 
scheidung gebracht. Stellung für oder wider dieser Auffassung zu nehmen, 
ist hier nicht der Ort, wie denn überhaupt die beiden Werke Kraliks hier 
mehr als bedeutsame literarische Erscheinungen, als Zeichen der Zeit zu 
vermerken, denn als historiographische Leistungen zu kritisieren waren. Als 
solche hätten sie hier allerdings abgelehnt werden müssen, da sie die For- 
derungen nicht erfüllen, die in dieser Zeitschrift prinzipiell immer erhoben 
werden und erhoben werden müssen: Fundierung auf kritisch gesichtete 
Quellen imd Heranziehung der neueren Literatur. 

Wien, Juni 1914. 


E. Guglia. 



Literatur. 


563 


Siegmund Hellmann, Wie studiert man Geschieht«? 
Vortrag, gehalten im freistudentischen Ortsverband München. Mit einem 
Anhang: Bibliographisches zum Studium der deutschen Geschichte. 
Leipzig, Duncker & Humblot, 1911. 8°, 70 S. 

Nach Droysen, Bernheim, Langlois und Seignobos, Zurbonsen eine neue 
,Einführung*. Dem Werkchen liegt ein guter Gedanke zugrunde. Der 
deutsche Student benützt wohl zumeist Bemheim; sein » Lehrbuch* eignet 
sich aber — um anderes nicht zu erwähnen — mehr für den Lehrenden 
als für den Lernenden und seine »Einleitung* in der Sammlung Goschen 
ist zu sehr Auszug aus dem großen Werke, um für den Anfänger recht 
passend zu sein. Hellmann will, meine ich, dem Studierenden einen ein¬ 
fachen und anspruchslosen ersten Behelf geben, ihn ohne alle Voraussetzungen 
mit den Grundbegriffen und dem gewöhnlichsten Handwerkszeug seiner 
Wissenschaft vertraut machen; als Skizze pädagogischen Charakters, die nur 
die ersten Hinweise auf die Theorie uud Praxis bringen, zum Studium erst 
aneifem soll, ist die Schrift gedacht und als solche gewiß berechtigt und 
brauchbar. Man kann denn auch des Verfassers Ausführungen über die 
Fragen nach dem Objekt der Geschichte, dem Verhältnis der äußeren Staats¬ 
geschichte zu der Geschichte des Hechtes, der Wirtschaft und der geistigen 
Kultur, der Stellung der Hilfswissenschaften u. a. ebenso vollständig bei¬ 
pflichten wie den Winken und Ratschlägen, die er den Studierenden gibt; 
ich meine da besonders seinen Hinweis auf den Wert ausgedehnter Lektüre 
in den ersten Semestern und seinen Rat, die Quellen als Ganzes zu lesen 
und sich vor mechanischer Einzelkritik zu hüten. Der Abschnitt »Literatur¬ 
angaben und Notizen* bringt eine sehr gelungene Auswahl von Orientierungs¬ 
mitteln zu den Darlegungen des Vortrages. Etwas genauer muß ich auf 
den Anhang »Bibliographisches zum Studium der deutschen Geschichte. 
Weltgeschichtliche Darstellungen* eingehen; hier hätte eine geringe Ver¬ 
mehrung der Seitenzahl vielen Wünschen Abhilfe schaffen können. Freilich 
wird bei einer solchen Auswahl immer subjektive Wertung mitspielen. 
Manche Bemerkung ist in ihrer knappen Fassung geradezu unrichtig, z. B. 
daß Roscher die historische Schule der Nationalökonomie begründet habe, 
die Änderungen in der quantitativen und qualitativen Bedeutung einzelner 
Quellengattungen für die verschiedenen Epochen hätten eine eingehendere 
Charakteristik verdient, Hilfsmittel für die Chronologie fehlen ganz; auch 
manche praktische Winke hätten noch Platz finden können, so unter den 
Bibliographien ein Hinweis auf die bedauerliche UnVollständigkeit der 
»Jahresberichte der Geschichtswissenschaft*, auf die Bedeutung der Literatur¬ 
übersichten des »Histor. Jahrbuch* für Religions- und Kirchengeschichte, 
bei Besprechung der Zeitschriften könnte man eine Notiz erwarten über 
den Wert der »Deutschen Geschichtsblätter* für die Zusammenfassung von 
Forschungsergebnissen auf bestimmten Gebieten und die Förderung der landes¬ 
geschichtlichen Studien oder über die zumeist unkritische Haltung der »Mi^ 
teilungen aus der historischen Literatur*, zur Quellenkunde hätte ich ge* 
das gute Büchlein von K. Jacob genannt gefunden u. s. w. Einzelne 
Darstellungen deutscher Geschichte erfahren wohl eine* zu einseitig abq 
ch^nde Beurteilung, bei anderen wieder fehlt jede kritische Bern er ku 
z. B. bei Gebhardts Handbuch ist von der Ungleichmäßigkeit der oiuzel] 



564 


Notizen. 


Partien, bei Jägers deutscher Geschichte von seiner Voreingenommenheit keine 
Rede; das aus Wegele übernommene Urteil über Giesebrecht steht in schärf¬ 
stem Gegensätze zu dem Fueters in der » Geschichte der neueren Historio¬ 
graphie* ; wie kann Hellmann Jastrows Hohenstaufen mit den in derselben 
Bibliothek deutscher Geschichte erschienenen notorisch hervorragenden Wer¬ 
ken Kitters, Kosers, Heigels in eine Linie stellen, Lindners Habsburger und 
Luxemburger aber gar nicht nennen? Einige knappe Worte über den Ein¬ 
fluß der politischen Strömungen auf den geistigen Chankkter der deutschen 
Geschichtsschreibung seit der Romantik wären leicht anzubringen gewesen: 
kann man Sybel gleich Treitschke einfach als Gegner des Liberalismus be¬ 
zeichnen? Unter den Hilfsmitteln der Rechts-, Wirtschafts- und Kirchen¬ 
geschichte vermisse ich z. B. die wichtigsten national-ökonomischen und 
kirchenrechtlichen Zeitschriften, Wetzer und Weltes Kirchenlexikon, das neue 
Handbuch von Buchberger. Gut scheint mir dagegen die Auswahl für die 
Geschichte des geistigen und künstlerischen Lebens getroffen zu sein. Die 
Liste der Desiderata wäre noch sehr leicht zu vermehren; ich habe nur 
erwähnt, was wohl jedem beim ersten Einblick auffallen wird. Diese Mängel 
lassen sich leicht verbessern, dann wird das Buch seinem Zwecke, den Stu¬ 
dierenden der Geschichte in ihrer fachlichen Ausbildung an die Hand zu 
gehen, noch besser entsprechen, als dies heute schon der Fall sein kann. 

Graz. Heinrich R. y. Srbik. 


Notizen. 

ln der groß angelegten dreibändigen »Einleitung in die Alter¬ 
tumswissenschaft* herausgegeben von A. Gercke und E. Norden. 
Bd. I (2. Aufl 1912) findet sich in dem Abschnitt »Methodik* (S. 1—128) 
von A. Gercke ein kurzes erstes Kapitel (S. 1—26) über »Das antike 
Buch*, das, wenn es auch nur als »ein historischer Überblick* angesehen 
sein will, schon wegen der großen Verbreitung des Werkes in Studenten¬ 
kreisen, für die es nach der Vorrede in erster Linie berechnet sein soll 
in der hilfewissenschaftlichen Literatur nicht unvermerkt bleiben darf. 

Von dem Gedanken ausgehend, daß für die Philologie die wichtigsten 
Texte die sind, die »in buchmäßiger Form Verbreitung fanden*, will der 
Verf. in großen Zügen »die Geschichte der Buchtexte im Altertum und 
bis zur Zeit des Buchdrucks* vorführen. Wir übergehen aber hier die 
Darstellung, insoweit sie die Entwicklung des griechischen Buches, des 
ältesten öffentlichen und privaten Buchhandels, der Abschreibe- und Über¬ 
setzungstätigkeit in Griechenland betrifft und beschränken uns nur auf die 
Richtigstellung einiger wesentlicheren Äußerungen, die sich auf das mittel¬ 
alterliche Buch- und Schriftwesen beziehen. 

Es erzeugt eine ganz falsche Vorstellung von der Entwicklung der 
Buchform, wenn es im Zusammenhang mit der Erwähnung der Tätigkeit 
der gelehrten Mönchsorden heißt, daß in den Klöstern »die alten Papyrus¬ 
rollen, die noch existierten, in dauerhafte und bequem nachzuschlagende 
Pergamentbände übertragen wurden*. Man kann gewiß in einem kurzen 
Überblick darüber hinweggehen, daß es möglicherweise schon in vorchrist- 




•tfütiiten, 


lieber Zeit gefaltete Papyniäd&tter. gegeben hat, aber . u*$: -' ;(4<>- ; — 

104) .mit pugülftree 'mjtmhrmei Pergamenihüeher m SMes.fcnö rurfßt, 
mm sich spftteatens ins X Jhltrh« für hteruriscboW^h* nebraeisi ander 
-5er Papyrosrolie uä4' 4er pergiuxientn^le, Ans ^ Pergameatbw<ifeeö und de» 
pHpyrnsWbes bediente und (faß die ?^fc vom 4. bis'.#* Jahrhundert die¬ 
jenige m, m welcher mh der fiib 1 die -aatife? Iiitej^ttur' Prozeß 

•dar: UmÄdimbuiög ; d€är';Sefa^ dc^/.I^pymsr^fr m den Per^im«nt- 

kM&z voUxisht sind Jur wfa^iiscbÄftliebeu Forschung* <iie in 

ekter mhbm Id »eracht uicbt fehten durften* 

Aä döi Wie ganfaHeh unrichtig dargelegte Auffcfaamea der 

Itergamesibüchcr «liblieöt Aich mx Bote über $h EutdWbitmg lie« ifapfers; 
der diese durch glänzende Fomböögen gelöste Frage m ganz falschem 
Liebte zeigt/ tefr sehe davon ab, daß in der ersten Äaftage direkt 

tob B&mnwollenpapier die ffefa war 1 ), was ein englischer Kritiker nicht 
mit Unrecht als ein woran von Bankos Grfst äh der Paläo¬ 

graphie Imeielmeie*), In der mien Auflage heißt ©» nun, daß »man erst 
-vrfi dem 12/13*; Jahrhundert-' auch Papier ä»b Hadern mit einem Lmiipen-- 
ixtiate (charta-;: faiß]a.hy^fa) verfertigte,' eine Erhndwig der Araber, der später 
Am Leioenpupter «ur Seite trat*. Vor aBem/ Had&tt ootl Ltuapon ist ein 
uttcj dtoellv^ und lieuaaipapser war •insiner;' ein Hadertte Octer Lumpenpapier; 
cbaartn hoail^rfns ist afer die Btr/eiehimng (nt ein: früher vielgenanntes 
u»& allseits id&Jaä^^ iir^noätmeni^a Papier ans roher JBanm- 

woile, das a? aber nicht gegeben hat. Hadernpapier Terfertigte man neben 
•wiehern aus den Bastfasern vornehmlich des Maulbeerbaumes in China schon 
in Sinex, dem Begum unserer Zeitrechnung recht nahen Periode Von den 
Iluneseu erlemtei schon in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts. die 
Amber & Kunst des Papkm^hens, d. b, »gefiktes^ Fapieg zu er^ngeji. 

Es ist nicht m erweisen* sondern nur recht wnhrschem'lleh^, AfaB/ Avä 
Araber auch erst, von den dimeeischeii/ Papiermaudietn tertiten, Papier aus 
Hadern m verfertigen. Jadonfallshat aber ä$a. papi^ 

erst; nuf'-arnhfaoheth Bodtfü; ihr^i ; ;gjrißejEi Aufschwung \m& vou. hier, aber nicht 
Von China w* ihre Verbreitung nach Europa genommen; 

Axtcb was w : w©uige' .Zeilen später ..über J^llmpscste lesen,' daß nämlich 
.-vite PcrgüineiUe mit he,jdnh*jfcoü. Texten ;mi% der cbrisüicheu Zeit religiöse 
i^ctoifien »nteebfioen mußten und man m <liesem Zwecke die frühere Schritt 
tilgte, ist in dieser Form, besonders für Stiidierenrhv irrefiihrencL »Die 
Bitte des I*alxmpöestiereii8 bcötand schon im Altertum*, sagt bekaxmtlieh 
Triute ebenso wie in anderer Form Wattenbncb, und Traube an nöderer 
Btofe überdies boir />ite ttao ^i - 

beben*, da tiß^jrr .g] r kW fit^r «hj^t-iclkp 

.j adere christlich» i »t-sk-Vi, ••■•. -, ¥ 'X sv*< $>• v*- v 

schrfeben wurde. • :;: ""' 


0 Vgl. J. V. 

m: Sitetn^BbendiU- <#? 

Öd. 168, 5. Abh. & 

*) Derselte 
die Cbergebung 

Kund«), Auch *<A^A§M 

und minder wicbuvi' 


) /* »■ 


Notizen. 


!>(>() 


Der damit in Zusammenhang stehende weitere Satz: »so daß die mo¬ 
derne Technik Mühe hat, die älteren Schriftzüge dieser Codices, reseripti 
oder Palimpseste durch Keagentien wieder leidlich lesbar zu rächenisr 
eine gefährliche Aneiferung der Schüler sich gegebenenfalls dieser Methode, 
die wir alle auf das schärfste verpönen, zu bedienen, während der oft viel 
erfolgreicheren photographischen Methode mit keinem Worte gedacht wird. 

Recht unzulänglich auf kaum zwei Seiten zusammengedrängt ist die 
Geschichte der lateinischen Buchschrift, woselbst sich Bemerkungen finden, 
wie daß aus der langobardischen Mönchsschrift die deutsche oder gotische 
Druckschrift hervorgegangen sei, daß die angelsächsische Schrift auf die 
merowingisch-fränkische Einfluß ausgeübt habe, daß das westgotische und 
das angelsächsische Schriftsystem einige Übung erfordern (als ob dies bei 
anderen nicht notwendig wäre), daß — last not least — vor einem MiiV 
brauche und einer Überschätzung der Paläographie zu warnen sei, da dir 
Konjekturalkritik »der Interpretation, nicht den paläographischen Kennt¬ 
nissen* entspringe, welch letzteren aber doch sofort wieder zu gestanden 
wird, daß ohne sie sich »ein unsicheres Tasten* einstelle. 

Man hat nach der Lektüre dieser Seiten das Gefühl, daß es, wie ein 
Kritiker bereits angedeutet hat, sich doch empfohlen hätte, Buchwesen und 
Paläographie selbständig und wie ich hinzufügen möchte, fachmännisch be¬ 
handeln zu lassen. 

Brünn. B. Bretholz. 


Inscriptiones Latinae. Collegit E. Diehl. (Tabulae in usum 
scholarum editae sub cura J. Lietzmann). Bonnae A. Marcus u. E. Weber. 
1912. — Bezweckt ist ein Faksimileatlas lateinischer Inschriften von den 
ersten Schriftdenkmälern an bis ins 15. Jahrhundert, der für die älter? 
Zeit RitsehTs Priscae latinitatis monumenta epigraphiea und Hübners 
Exempla scripturae epigraphieae Latinae (a Caesaris dictatoris morte ad 
aetatem Justiniani) bei Universitätsübungen einigermaßen ersetzen solL Di? 
Reproduktionen sind technisch durchwegs gelungen, doch ist nicht zu billigen, 
daß ganze Wände des vatikanischen Lapidariums auf so kleinen Baum zum 
Abdruck kamen. In diesen Fällen ist der wahre Zweck des Atlasses ver¬ 
kannt. Tafeln wie 24 sind augenmörderisch, Inschriften wie 18 H 1 nicht 
zu lesen. Weniger wäre in diesem Falle mehr gewesen. Den Tafeln 
sind die notwendigsten Angaben über Art, Inhalt, Zeit (auch bei den In¬ 
schriften selbst angegeben), Fundort und Veröffentlichung der Inschriften 
(bei den meinen mittelalterlichen auch die allerdings nicht ergänzte Um¬ 
schrift) vorangestellt. Proben lateinischer Kursive (Pompeii) finden sich 
daselbst, p. XIII—XXVI. Auffällig ist, daß die Bronceinschriften nur durch 
das S. C. de Bachanalibus vertreten sind. Das Verzeichnis der Abkürzungen 
bedarf der Revision. Befremdet es doch, stets eine Form decretu zu finden. 

J. Weiss. 


Die dritte Auflage von M. Prou Manuel de paleographie la- 
tine et fran^aise. Paris 1910, bezeichnet sich ausdrücklich als gänzlich 
umgearbeitet. Neu ist schon das Vorwort, in welchem der Verfasser er¬ 
klärt, daß er sein Werk nicht als vollständiges und wissenschaftliches Lehr- 



Notizen. 


567 


buch für Gelehrte, sondern als ein elementares und praktisches Handbuch 
der Paläographie für alle diejenigen die alte Schriften lesen wollen, be¬ 
trachtet wissen möchte. Man muß hinzufügen, daß es wie anch die 
beiden früheren Auflagen in erster Linie für Franzosen bestimmt ist, nach 
der Auswahl des Lehrstoffes, der Abbildungen und nach der Angabe der 
Literatur. Ohne Frage hat es durch die Umarbeitung gewonnen und zwar 
nicht nur für den Interessenkreis für den es zunächst berechnet ist, auf 
den aber an dieser Stelle nicht weiter Rücksicht genommen werden solL 
Da die neuere Literatur ausgiebig, wenn auch vielleicht nicht immer gleich¬ 
mäßig herangezogen und verarbeitet ist und für das französische Schrift- 
Wesen vom gelehrten Verfasser auch wertvolle eigene Beobachtungen bei¬ 
gesteuert wurden, wird das Buch namentlich für französische Schreibdenk¬ 
male auch bei uns mit größerem Nutzen als früher verwendet werden 
können. Besonders sei auf das gediegene Kapitel über die tironischen 
Noten hingewiesen, welches Jusselin verdankt wird und auf den nützlichen 
bibliographischen Apparat. Die den früheren Auflagen des Handbuches 
unmittelbar beigegebenen und schon wegen der Anpassung an das Format 
oft allzuklein ausgefallenen Schriftproben sind nun zu einem eigenen Album 
von 24 Bl. umgewandelt, das zum Teil die früheren Schriftproben, aber 
in größerem Umfang wiederholt, daneben aber auch eine bedeutende An¬ 
zahl neuer beifügt, alle französischer Provenienz. Besonders willkommen 
wird man gerade den Zuwachs an Facsimiles französischer Urkunden älterer 
und jüngerer Zeit willkommen heißen. E. v. 0. 


L. Schiaparelli untersucht in seinenNote paleografiche: segni 
tachigrafici nelle notae juris, Archivio storico italiano 1914, den 
Ursprung der in den Notae juris vorkommenden und dann als Gemeingut 
in das mittelalterliche Abkürzungswesen übergegangenen Abkürzungen für 
tpiae, quod, quam, quia, per, prae, pro. Er verweist darauf, daß in den 
tironischen Zeichen der Bobbienser Hs., nun Ambrosiana 0. 210 sup.,des Vero¬ 
neser Codex n° XXII und in Madrider Notae, welche freilich nur in Kopie 
des 16. Jahrh. vorliegen, sowie in der Tacliygraphie langobardischer Ur¬ 
kunden sich Schreibungen dieser Worte finden, welche mit den uns jetzt 
geläufigen Abkürzungen teils parallel laufen, teils Zwischenglieder zwischen 
den in den tironischen Lexica verzeichneten Noten und den Notae juris 
sind. Aus dem Umstand, daß der Gebrauch solcher Kürzungen auch in 
Jahrhunderten und in Schreibprovinzen auftritt, welchen die Notae juris 
unbekannt oder doch nicht geläufig waren, schließt er, daß die gemeinsame 
Wurzel dieser Abbreviaturen, wie in einigen Fällen schon Kopp annab m, 
auf sehr alten tachygraphischen Brauch zurückgreife, daß aus diesem auch 
die Notae juris schöpften. Für quae und prae , quod und per erscheint 
mir die Darlegung fraglos, bei den übrigen besprochenen Wörtern durchaus 
wahrscheinlich. E. v. 0. 


A. Barone, der sich so eingehend mit der Geschichte des im 18. Jahr¬ 
hundert zu Neapel betriebenen diplomatischen Studiums befaßt hat (vgl. 
Mitt. des Inst. 30, 393 und 33, 178), behandelt nun in den Atti dell 1 



5G8 


Notizen. 


Accademia Pontaniana vol.45 (1915) »au documento del secolo XI im- 
pugnato di falsita c difeso nella curia del cappellano mag- 
giore*. Es handelt sich dabei um eine Schenkung des vornehmen Nor- 
mannen Sanaguala an ein beneventanisches Kloster, die bei Gerichtsverhand¬ 
lungen der Jahre 1783 bis 1790 namentlich deshalb Bedenken erregen 
mußte, weil sie mit dem Incamationsjahr 1008 bezeichnet ist, so daß die 
Einwanderung der Normannen in Unteritalien ihretwegen um ein Jahr- 
zelmt hinaufgerückt werden sollte. Barone erweist die Originalität des im 
Staatsarchiv zu Neapel erhaltenen, in sorgfältiger süditalischer Schrift ge¬ 
schriebenen Stückes, gibt sein Aussehen durch eine verkleinerte Abbildung 
wieder und löst in überzeugender Weise die zeitliche Schwierigkeit: der 
Schreiber des Originals hat infolge eines naheliegenden Versehens in de; 
Jahreszahl, welche »millesimo octuagesimo octavo* hätte lauten sollen, da* 
mittlere Wort ausgelassen. — An derselben Stelle (voL 43,1913) veröffentlicht 
Barone unter dem Titel »Per lo Studio de lla paleografia latina* mit 
einer Schrifttafel die Beschreibung einer wohl der zweiten Hälfte de> 
14. Jahrhunderts entstammenden Legendenhandschrift und begründet mit 
den Schwierigkeiten, auf die er dabei stößt, die berechtigte Forderung nach 
einer umfassenden, von dem zeitlich Feststellbaren ausgehenden Bearbeitung 
der süditalischen Schreibschulen. 

Ebenda voL 43 handelt Barone auch »intorno allo Studie 
dei diplomi dei re Aragonesi di Napoli*, indem er über die Re¬ 
gister und über die Originalurkunden des letzten, 1501 durch den ge¬ 
meinsamen Agriff der Franzosen und Spanier beseitigten selbständigen König* 
aus der aragoneaischen Seitenlinie, Friedrich (l49f>—1501), Mitteilungen 
macht und sein Wochenmarktsprivileg für Cesare Pignatelli vom 14. Juni 
1499 in halber Größe abbildet. W. E. 


Paul Lehmann, Vom Mittelalter und von der lateinischen 
Philologie des Mittelalters. München, C. H. Beck, 1914. 25 8. 
Mit diesem Aufsatze leitet Paul Lehmann den 5. Band der »Quellen uni! 
Untersuchungen zur lateinischen Philologie des Mittelalters* ein, die von 
Ludwig Traube begründet, nunmehr von Lehmann fortgeführt werden. Er 
spricht hier zunächst über das Aufkommen des Begriffes und namentlich 
der Bezeichnung Mittelalter (media aetas). Wenn Burdach noch 1914 sagen 
konnte, daß Begriff und Begrenzung des Mittelalters ein Produkt de* 
17. Jahrhunderts waren (Lehmann S. 2 Anm. 6), so war es in der Tat 
nicht überflüssig, nochmals ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß der Begriff 
eines mittleren Zeitalters zwischen der Antike und der eigenen Gegenwart 
schon von italienischen Humanisten des 15. Jahrhunderts, so besonders von 
Fiavio Biondo, klar erfaßt wurde. L. nennt auch (S. 5) Villani und 
Leonardo Bruni, hier wäre wohl ein Hinweis auf E. Fueters Gesch. der 
neueren Historiographie am Platze gewesen. Das Wort Mittelalter aber 
wird, wie L. in sehr dankenswerten Nachweisen zeigt, vereinzelt schon 1469. 
dann von Vadianus und Beatus Bhenanus und seitdem im 16. und 17. Jahr¬ 
hundert immer wieder gebraucht, so daß Horn und Ceilarius seit 1666 und 
1685 in ihren Hand- und Lehrbüchern mit dieser Bezeichnung nicht* 



Notizen. 


569 


jS'fc'ßGB brachten. Wohl aber ist seit .CeiUriua das Wort *«* jjbmer alige- 

Im zweiter Teile schildert k tlle Entwickelung des Sfctuirozti* «tes 
natürlich mit bOBöüder^r Mcteieht wf iAt^inisfefie Spracht? und 
litiVratur, Manch Nette;*, Lhhrtütebes wird da Wülirt» so etwa Vorläufer 
«Jer lateinischen Philologie ^i^ Mittebiiti&rs wie Kaapax Barth und Polytep 
Jaeyser, die allgemeine'«. Pakbiees der khgeja -Hemmung un«l drr. endliche« 
Forderung ini W« 4* i !>/ Jabrimadevts werden gut etuiruktei«iei i t 
L, erkfaknl total vfürdigk tiuet rtwö^ kühl, die Tatsache, <lalV yb«; 

.trriftTroÜe Rmporblolibö des StuiBnink der GA&tfh i cdit e des MittedaUers 
Vor^'öetxiictg ruul mächtigste- Hille fljur das Erstellet» einer selbständig gv- 
-^ujvkpen ktdiAisefaeti fhiJoiogie des Mittelalters- gewesen isk'IMcätbr wifüMbpH 
wir. eines Sinnes mit künnriAu« ScLlußw orten, einen ehrenvolle« Hut/ m 
Y bring und ütitenbdik 0, fl .. 


J nh r ft tim h % n h e x tj i e. H e r *yu « gäbe de r M p n ü m e r* t a 

jpffefin n s i at v fmfconbu 1914* 

In dem Ifefbdii^jfthv 1SK4 aiud erstiueneA» in tkr Äteridng Scrip- 
i o$*£•*: Scrt|d^reä tvTüfn in aVmn ^dkdarum 

■**4Uu- Linfyr;&iB *pjscofti Ch-emoneAsis .Opera, ed* OL, 'rfck Joseph 
Wipomk Opera* ed Slk ree. Il Kresslau, — in der AJifceilung L^e$; : 

IV.-; Cv>e.dil.utiones et Acta Publica Imperöt.orum et Eegimp Turnus 
Vfc P&rüs prioj h tx*\ Ho vrdidit 4. Schwalm. —■ Jtf der Abteilung A n* 
11go Hui es: Foet&e Latini uxedü aevL Turnus IV, Parti* Jk ia.se. L, edidit 
4L;'^tr^terv — ’ I» der Sammlung Aiicf.eres Anti^uii^Jmi: Anetönnft' 
Anri.-jiiissiinoranv Tomi XV pars II. ■*. Aldhelmi Opere, cd, B. EhwalÄ, 

W. n. 

Die Ikarkdt-uiig de» VkterkD für dikj Supplcmeiit-üm dr^ 6. Bönto 
<b‘t- Seripivre* reruru Morovnigicarn ui hat tick Avebiviat Kranit 
iHumioverV durch den Ahsehluh der 'Ausgaben der „ I^bj. Afee 4 . dev 
i.'V itu. Lep> , Treeemii 1 u o d der .* Vita abkitiun A(!u»juiexisium^ 

fur.dert^ >*>, - •/..'•• ’ • • . ..••. <. ,v .. 

Für den :ju. i'oIkknnd der Sr r i »t ».* re ^ hat Prof, Hr. Hbimeisler. die. 
fiteste »VHij Ltluuni " iV rtigcesteUt, Tel der ungedrückt« Prolog Huk bald.« 
zii seiner Bc^rkdtnög wf dgt |St<rmö; Badhödi al«? L«bdlü^ ifaög^sckJajäsen 
werden sollen, 'Lüiü Aldiuodlung über ffj* VcrhäUnis ihr Vit^ Lebui.üi 1 
und der tdxtighfi^ ^bd PfpfmekyU'r f4^5^jen'Uieben i 

■tfÄl» andere über die v >b«tae \sebfitYeal*urgen:' 
stituts für M*ten\ Öt^vbicht^lrrsebung gedrüöfc A 
ikH>eitung der »Transktnj '4 ? , Au,v^7iaÜö . ef . .dö«h7 u 

immerhin n»>;fc Saehforsubimp^A. nach eu*-> 

^teilen sein,. > r ' f -,V i 

I« der, Serie der ScrijKarus veruiü 
a, Auikge deä Liütpxaü^ bearbeitet von P: b >> : >1 
;i. Auilage de^ W i po, benrbejtet von Ömshn. 
ersten Bände >Serie^ ilrg den von ^ 

killen B»^:y.ü«scfl. \.mii iteubfehcr Eitskitta^ 





570 


Notizen. 


deutschem Register ausgegeben werden. Druckfertig sind auch die Neuaus¬ 
gabe des Chronicon Urspergense durch v. Simson und der 3. Auflage 
des Adam von Bremen durch Prof. Dr. Schmeidler. Umfangreiche kri¬ 
tische Untersuchungen zur Neuausgabe des Adam von Bremen von Prof 
Schmeidler werden im Laufe des nächsten Jahres erscheinen können. — 
Prof. Bretholz (Brünn) hat den Text und die Anmerkungen der Cosmas- 
Ausgabe im Manuskript abgeschlossen, mit dem Druck soll aber erst nach 
Beendigung des Krieges begonnen werden. Auf den gleichen Zeitpunkt 
sind die Verhandlungen über die Bearbeitung der durch Uhlirz’ Tod ver¬ 
waisten Annales Austriae verschoben. — Prof Hofmeister hat die 
Chronik des Mathias von Neuenburg weiter gefördert Oberbibliothekar 
Dr. Leidinger (München) wird sich den Quellen für die Geschichte Ludwigs 
des Bayern widmen. Prof. Steinherz (Prag) war bei der Bearbeitung der 
»Autobiographie Karls IV.* durch den Krieg behindert Die Ausgabe der 
unter dem Namen Heinrichs von Rebdorf gehenden Chronik, 
hat an Stelle des auf dem Felde der Ehre gefallenen Dr. Stäbler, Bresslau 
übernommen. Für die Chronik des Johann von Winterthur ist in 
Dr. Karl Brun (Zürich) ein geeigneter Bearbeiter gewonnen. 

Prof. Levison (Bonn) hat sich mit der Fortsetzung des Gesta Pon- 
tifcium Romanorum beschäftigt. Die Untersuchung der teilweise ver¬ 
wickelten Beziehungen der Handschriften ist so gut wie abgeschlossen und 
mit der endgültigen Textgestaltung begonnen. 

Nach Beendigung der Neuausgabe Adams von Bremen wird Prof 
Dr. Schmeidler wieder der Fortsetzung der italischen Geschicht¬ 
schreiber der ausgehenden Stauferzeit in der Quartserie nfiher- 
treten und hier zunächst der Ausgabe des Tolomeo von Lucca. 

In der Abteilung Leges, soweit sie der Leitung Brunner3 unterstand, 
hat Seckel zur Vorbereitung der Ausgabe des Benedictus Levita, zwei 
weitere Studien im 39. und 40. Band des Neuen Archivs veröffentlicht. 

Prof. Freiherr v. Schwerin, der die Ausgabe der Leges Saxonum 
und der Lex Thuringorum in Text und Variantenapparat fertiggestellt 
hat, wird bis zur Aufnahme dieser Quellen in die Hauptserie eine Oktav- 
ausgabe in den Fontes iuris Germanici antiqui voransenden. Prof. 
Freiherr v. Schwind (Wien) hat den Druck der Lex Baiwariorum be¬ 
gonnen und auch während des Krieges langsam gefördert. 

Von den der Leitung Seckeis unterstehenden Arbeiten der Abteilung 
Leges hat Dr. Krammer den Druck der Lex Salica gefördert und im 
Neuen Archiv Band 39 den Vorzug des A-Textes vor allen übrigen Text¬ 
überlieferungen zu erweisen gesucht. Dr. Bastgen (Straßburg L E.) hat den 
Druck des Libri Carolini bei Kriegsbeginn unterbrechen müssen, wird 
ihn aber demnächst wieder aufnehmen und zu Ende führen. In der Sektion 
Constitutiones et acta publica imperii hat Prof. Schwalm (Ham¬ 
burg) den 2. Faszikel des 6. Bandes mit den Akten Ludwigs des Bayern 
bis Ende 1330 veröffentlicht In der Fortführung der Ausgabe der Con¬ 
stitutiones aus der Zeit Karls IV. hatte Dr. Salomon mit dem Druck 
des 2. Faszikels des 8. Bandes begonnen, mit der Fortsetzung der Ausgabe 
ist Dr. K. Demeter betraut worden. Seine unmittelbare Anleitung hat 
Dr. Krammer übernommen, der in einem Aufsatz »Die Frage des Laien- 
kurrechts vom Interregnum bis zur Goldenen Bulle*, N. A. 39. Band, einen 



Notizen. 


571 


Beitrag zur Erläuterung der Goldenen Bulle und ihrer Voi urkunden gab. 
Die Fortsetzung der Karolingischen Konzilien von 843 ab ist 
Dr. Theodor Hirschfeld übertragen worden, dessen Kraft uns durch seine 
Einberufung zum Heeresdienst leider rasch wieder verloren ging. Infolge 
des Krieges ruhen auch die Arbeiten an den Staatsschriften des spä¬ 
teren Mittelalters, da die Bearbeiter des Marsilius von Padua und 
Lupoid von Bebenburg, die Prof. Dr. Richard Scholz (Leipzig) und 
Dr. Hermann Mayer (Berlin) Heeresdienst leisten. 

In der Bearbeitung der Karolingerurkunden der Abteilung Diplo- 
mata hat Dr. Hein die Untersuchung der Urkunden Lothars I. zu Ende 
geführt. Archivar Dr. Müller hat die Diktatuntersuchung der Urkunden 
Ludwigs des Frommen und die Bearbeitung von Fälschungsgruppen fort¬ 
gesetzt. Der Abteilungsleiter Tangl war mit der Bearbeitung von Fäl¬ 
schungsgruppen beschäftigt. — Die Bearbeitung der Diplome Hein¬ 
richs IH. in der Serie Diplomata saec. XL ist durch den Abteilungsleiter 
Bresslau und Prof. Dr. Wibel besonders für die Zeit des Römerzuges 1046 

-1047 gefordert worden. Bresslau hat daneben die verwickelte Lage der 

Benediktbeurener Fälschungen neu untersucht und zu endgültiger Lösung 
gebracht und eine umfangreiche Abhandlung hierüber fertiggestellt, die 
später erscheinen wird. — Für die Serie Diplomata saec. XH. hat der 
Abteilungsleiter v. Ottenthal die chronologische Einreihung der Diplome 
Lothars HL, die Untersuchung der Diktate und die Bearbeitung wichtiger 
Gruppen vorgenommen, unterstützt von Dr. Samanek. Prof. Hans Hirsch 
hat im Frühjahr 1914 auf einer privaten Studienreise in Italien auch die 
besonderen Zwecke der Abteilung gefördert, dann in Wien die Ergebnisse 
ausgearbeitet und die Lothardiplome für S. Benedetto di Polirone und 
S. Simpliciano in Mailand druckfertig gemacht, bis ihn der Kriegsausbruch 
zu den Waffen rief und mit ihm auch Dr. v. Reinöhl, der ihn als ständiger 
Mitarbeiter hätte ersetzen sollen. — In der Abteilung Epistolae hat 
Geh. R. Tangl die Neuausgabe der Briefe des hl. Bonifatius und 
Lullus beendet und den Druck in der hiermit neu eröffneten Oktavserie 
«ler Epistolae selectae begonnen. Umfangreiche kritische Untersuchungen 
werden im 3. Heft des 40. Bandes des Neuen Archivs gleichzeitig mit der 
Ausgabe veröffentlicht werden. Prof. Dr. Caspar war zu Beginn des Be¬ 
richtsjahres auf einer italienischen Reise begriffen, um seine Untersuchungen 
über die handschriftliche Überlieferung der Register Gregors VH. und 
Anaklets H. zum Abschluß zu bringen. Privatdozent Dr. Pereis war mit 
den Briefen des Anastasius bibliothecarius und dem Abschluß der 
Ausgabe des kanonistischen Werkes Bonizos, des Liber de Vita Chri¬ 
stians, beschäftigt 

In der Abteilung Abteilung Antiquitates hat Prof. Strecker den 2. Fas¬ 
zikel des 4. Bandes der Poetle Latini kurz vor seiner Einberufung im 
Druck erscheinen lassen können. Für die Fortsetzung ist so weit vorge¬ 
arbeitet, daß der Druck der 3 Abteilung wird in Angriff genommen werden 
können, sobald Strecker friedlicher Tätigkeit wiedergegeben sein wird. — 
Den Druck des 4. Bandes der Necrologia hat Stiftskanonikus Dr. Fast- 
linger in München dem Abschluß nahegebracht. Die Bearbeitung des Re¬ 
gisters durch Dr. Sturm bat mit der Ausgabe gleichen Schritt gehalten. 



Berichte. 


572 


Den 2. Faszihel des 15, Bandes der Auetores antiquissimi nnd 
mit ihm die Beendigung des Textes der Aid heim-Ausgabe hat Geh. Hof¬ 
rat Ehwald in Gotha im Sommer 1914 erscheinen lassen können. 


Bericht der Kommission für neuere Geschichte Öster¬ 
reichs über das Jahr 1915. 

Die Vollversammlung fand am 31. Oktober 1915 im Institut lür 
österreichische Geschichtsforschung unter dem Vorsitze Sr. Durchlaucht des 
Fürsten Franz von und zu Liechtenstein statt. 

Abteilung Staatsverträge: Prof. Ludwig Bittner dürfte das Ma¬ 
nuskript des umfangreichen Sachregisters zum »Chronologischen Verzeichnis 
der Staatsverträge*, das auch Nachträge enthalten wird, die sich aus der 
inzwischen erschienenen Literatur ergaben, trotz erhöhten Amtsgeschäften 
im November d. J. druckfertig abschließen. Dr. Ernst Molden hat die 
allgemeine Einleitung zu den Staatsverträgen mit Frankreich bis in die 
Zeit Maximilians I. geführt. Da Dr. Roderich Gooss und Dr. Paul Heigl 
noch immer im Felde stehen, haben auch heuer die Arbeiten für die Heraus¬ 
gabe der österreichischen Staatsverträge mit der Türkei und Holland (2. Bd.) 
geruht. 

Abteilung Korrespondenzen: Dr. Wilhelm Bauer hat ungefähr 
die Hälfte des für den 2. Band der Familienkorrespondenz Ferdinands I. 
bestimmten Materials druckfertig gemacht. Zur Fertigstellung des Bandes 
bedarf es der schon im Voijahr in Aussicht genommenen und nur durch 
den Krieg zurückgesteUten Reise nach Dresden, Weimar, Marburg i. H. und 
München. Gegebenenfalls käme hiezu noch ein Besuch des Archivs des 
St. Katherinenspitals zu Regensburg. Prof. Viktor Bibi dürfte mit dem 
1. Bande der Familienkorrespondenz Maximilians H. bis zum Ende dieses 
Jahres herauskommen. Das Manuskript des 2. Bandes, zu dessen Fertig¬ 
stellung noch ein Besuch von Archiven in München, Innsbruck und Kron- 
berg nötig ist, hofft Bibi binnen Jahresfrist vorlegen zu können. Auf 
seine Anregung hin wurde beschlossen, das wichtige eigenhändige Tagebuch 
Maximilians II. über den Türkenfeldzug (August 1566—März 1567) zur 
Entlastung der Familienkorrespondenz abzudrucken. 

Von der 2. Abteilung der Geschichte der österreichischen 
Zentralverwaltung hofft Pro£ Heinrich Kretschmayr, daß der 
eiste Band, das ist der 4. des Gesamtwerkes, im Frühjahr 1916 druckreif 
vorliegen werde. Dieser wird zehn Aktengruppen umfassen und die Vor¬ 
geschichte und Geschichte der Reformen von 1749 bis 1762 zum Inhalt 
haben. Die Hälfte des ganzen Bandes wird der Entstehung des Direktoriums 
gewidmet sein. 

Abteilung: Archivalien zur neueren Geschichte Österreichs. 
Prof. Dopsch teilte mit, daß infolge des Krieges die beabsichtigten Arbeiten 
in Privatarchiven Nieder- und Oberösterreichs ruhen mußten. 



Berichte. 


573 


Bei der Redaktion sind eingelaufen: 

Archiv Cesky cili Stnrö Pisemne Pamatky Ceske i Moravske, Sebrane z 
Archivü Domaclch i Cizich. Dil. 32. Registra Soudu Komorniho z Let 
1519—1524. Vydal Jaromir Öelakovsky. Prag. In Kommission 
lei Bursik & Kohout. 

Beschreibung des Oberamts Tettnang, bernusg. vom Statistischen 
Landesamt. 2. Bearbeitung. Stuttgart. W. Kohlhammer. M. 5*—. 
Didier, Nikolaus, Dr.: Nikolaus Mameranus. Ein Luxemburger Humanist 
des 1G. Jahrh. am Hofe der Habsburger. Sein Leben und seine Werke. 
Freiburg i. Br. Herder’sche Verlagshandlung. M. 6*—. 

Die Stadtpfarrkirche zum Heiligen Blut in Graz. Von ihrem 
Entstehen bis zur Gegenwart. Graz. Ulr. Moser (I. Meyerhoff). K. 4'—•. 
Ebbinghaus, Therese: Napoleon, England und die Presse 1800—1803 
(Histor. Bibliothek Bd. 35) München, Berlin. B. Oldenburg. M. 5*—. 
Fischei, Alfred, v.: Erbrecht und Heimfall auf den Grundherrschatten 
Böhmens und Mährens vom 13. bis zum 15. Jahrh. (SA. aus dem 
Archiv lür österr. Gesch. 106. Bd. 1. Hälfte) Wien in Komm, bei 

A. Hölder. 

Fontes rerum Transy 1 vanarum: Index Locorum et nominum. Ko- 
loszvar. Tanar. 

Gott lieb, Theodor, Dr.: Mittelalterliche Bibliothek skataloge Österreichs. 
Herausg. von der KaiserL Akademie d. Wiss. 1. Bd. (Österreih) Nieder- 
österrcich. Wien. Ad. Holzhausen. 

Hampe, Karl: Belgiens Vergangenheit und Gegenwart. Leipzig-Berlin. 

B. G. Teubner. M. 1*50. 

Hartmann, Ludo Moriz: Geschichte Italiens im Mittelalter. 4. Bd., 1. Hälfte. 
Geschichte der Europäisch. Staaten, herausg. von Heeren, Uckert, 
Giesebrecht und Lamprecht. 32. Werk. (Allg. Staatengesch. 1. Abt.;. 
Gotha. F. A. Perthes. M. 6’—. 

Hirn, Josef: Erzherzog Maximilian, der Deutschmeister, Regent von Tirol. 

Bd. 1. Innsbruck. Verlag der Vereinsbuchhandlung und Buchdruckerei. 
Jahrbuch des Stiftes Klosterneuburg. Bd. 6. Wien und Leipzig. 
W. Braunmüller. 1914. 

Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich. Neue Folge. 
13. u. 14. Jahrg.; Festschrift zur Fünfzig;ahrfeier des Vereines, red. 
von M. Vancsn. Wien. Verlag des Vereines. 

Junghanns, Hermann: Zur Geschichte der englischen Kirchenpolitik von 
1399—1413. Inaugural-Diss. Freiburg i. Br.. 

Kern, Fritz: Quellen zur mittelalterlichen Getchichtaachreibung Bd. 1. 
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Stuttgart. W. Kohlhara mer. 

Klalik, Richard, v.: Geschichte des Weltkrieges, i österreicbf * 

1. Halbband. Dü Jahr 1914. Wien. Adolf HolzhanM 
Meister Johann Dietz. des Größen Kurfürsten Feldscher « 
barbier (,M. J. D. erzählt sein Leben*;. Nach der alt« 



574 


Berichte. 


.... in Druck gegeben von E. Consentius. (Lebensdokumente verg. 
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K. 10-—. 

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39. Werk). Gotha. F. A. Perthes. M. 20*—. 

Dezember 1915. 



Beiträge zur Interpretation der Kapitularien zur 

Lex Salica. 

Von 

Emil Goldmann. 

1. Tefl. 


L Cap. H 4, § 2: «cromaverint*. 

Im Titel «De viris qui alias ducunt uxores* [Cap. H, 4, § 2 l ) = 
Hessels Tit TiXXlIF, 2] findet sich in dem dem Sinne nach vollständig 
durchsichtigen Satze: «Quod si istud non fecerint (so Hessels 1, 
«fecerit 4 Em Q.), tertia sola de dote recoligant; tarnen si per adfiatimus 
anfcea non cromaverint 4 die bisher unaufgeklärte Yerbalfbrm «croma¬ 
verint 4 . Es handelt sich darum, daß die Parteien den im Cap. II, 4, 
§ 2 normierten gesetzlichen Teilungsmodus *) durch Affatomie abandem 
können. Um diese Tätigkeit des Abändems des gesetzlichen Teilungs¬ 
modus zu bezeichnen, verwendet das Gesetz die Verbalform «croma¬ 
verint 4 . Schon der Schreiber des Cod. Yossianus Q 119 (Hessels, 
Em. Q [11]) scheint das Wort nicht mehr verstanden und darum weg- 
gelassen zu bftbfin. Auch die Modernen wissen mit dem Worte nichts 
anzufangen und greifen darum zum Notbehelf der Emendation. Par- 
dessus 3 ) und Bohrend 4 ) emendieren «cromaverint 4 in «convenerint 4 . 

i) Die ZKhlnng der Kapitularien zur lex Salica wird in den nachfolgenden 
Ausführungen in Anschluß an Geffcken« Ausgabe der Lex Salica (vgl. Vorrede, 
p- X) gegeben. 

*) Vgl. Geffcken, Lex Salica, S. 243. 

*) Vgl. Pardessus, Loi Salique, p. 406, n. 717. 

*) VgL J. Fr. Behrend, Lex Salica, 2. Aufl., her. v. Rieh. Behrend, S. 1 
s. v. «adfatimuB«. 

Mitteilungen XXXVI. 


38 



576 


Emil Goldmann. 


Zöpfl wiederum vermutet 1 ), daß in «cromare« ein verderbtes „achra- 
mire* *•) = «gpondere* vorliege. Von der Gleichung: «cromare* — 
«achramire« geht auch H. 0. Lehmann 2 ) aus, setzt aber für «agra- 
mire* im Sinne der von Scherrer ®) und Thevenin 4 ) vorgeschlagenen, 
langst als irrig erwiesenen 6 ) Deutung des Wortes die Bedeutung «fort¬ 
nehmen, bekommen* an 6 ). 

Es ist nun m. E. durchaus nicht notwendig, einen dieser Auswege 
zu wählen, da sich das Verbum «cromare* restlos als eine spätla¬ 
teinische Form mit der Bedeutung «metiri* — «messen, zumessen, 
zuteilen* erklären läßt «groma* war bekanntlich bei den Bomem, die 
das Wort von den Griechen entlehnten, eine Maßbezeichnung 7 ). Dieses 
Wort «groma* begegnet uns nun auch in der Schreibung «croma* 8 ). Vom 
Substantivum «groma* bildete die lateinische Sprache eine Verbalform «gro- 
mare* = «dimetior* °). Da uns nun die Substantivform «croma* über¬ 
liefert ist, sind wir berechtigt anzunehmen, daß auch eine davon ab¬ 
geleitete Verbalform «cromare* (— «gromare“) gebräuchlich gewesen 
sei 10 ), «cromare* bedeutet somit im Cap. II, 4, § 2, wie schon der 
Sinn der Stelle ergibt: «teilen*. 


2. Cap. IV, 4: «preter evisionem dominicam*. 

In der in Bede stehenden Stelle wird bestimmt, daß, wenn jemand 
einen andern zum Kesselfang herausfordert «preter evisionem domini- 
cam*, er zu einer Buße von 15 soL verurteilt werden solle. Die Be¬ 
deutung der Wendung «preter evisionem dominicam* ist streitig. Die 


*) Vgl. H. Zöpfl, Deutsche Rechtsgeschichte, 4. AufL, 8. Bd., 8.18, Anm. 22; 
S. 62, Anm. 2. 

*) Vgl. H. 0. Lehmann, Quellen zur deutsch. Reichs- u. Rechtageschkhte, 
1891, S. 29, Anm. 28. 

•) Vgl Scherrer, Zschr. f. RG., 13. Bd. (1878), 8. 268f. 

4 ) Vgl. Thevenin,Contribution8 k l’histoire du droit germaa., 1880, p. 16 sqo. 

*) VgL 8ohm, Prozeß der Lex Salica, 8. 791g. 

•) Hessels, Lex Salica, Glossarial index, a. v. »cromare« begnügt sich, dem 
Worte ein Fragezeichen beizusetzen. 

*) VgL Forcellini, Totras latinitatu lexicon, s. v. »groma«; Du Cange, 
Glossarium, s. h. v. 

•) Vgl. Thesaurus linguae lat., s. v. croma; Forcellini, 8. h. v. 

•) VgL Forcellini, s. v. »gromo«; Corpus glossariorum latinorum, 
VL Bd. (Thes. giess.), 8. 606, s. v. »grumat«. 

*•) Zum Wechsel von er und gr vgl. E. 81ijper, De formularum Andecar. 
latmitate disp., Amsterd. 1906, 8. 60; zum Wechsel von c und g u. 'a. M. Bonnet, 
Le laiin de Gr^goire de Tours, p. 161. 



577 



. 


Beiträge £u r Interpretation der Kapitularien zur Lex Saiica. 


eine Äöauibtt Tertreteii durch Whiit 1 ), Da hu 2 ), Beth man n-Holl- 
wag 5) und Boretius 4 } behauptet „mit größerer oder gmafpafä. Be* 
stimm feheiti* % daß in unserer Stelle «teti juraionem* zjtu&tonmx* zu 
lesen sei and deutet die Bestimmung dahin, daß die Berauafordening 
mm Kesselfang, somit das Binbnngen der Klage m ordalbedttritäger 
Ftarm, von königliche^ SManimm abhängig gewesen sei Es sei 
iß jedan Einzelfalle besondere königliehe Genehmigung notwendig 
gewesen 7 'y Gegen diese Ännatm« spricht am tob aadereu Aiga- 
menten *) zu schweigen, io ersttt^ dsß leitete Zu* 

äuehi zu einer EnMndation zu nehmen gezwungen ist Ein sedeheft 
Auakujoftemittel wäre aber nur dann gestattet wenn der Stelle auf eine 
ändere Weise nicht beiÄaköiiunen wäre* Daß die« aber möglich ist 
«ollen die folgenden Ausführungen lehren. Einen anderen Weg cur 
Deutung der Iragljchen Stelle schlug 26 p ft ff ein. Zöpfl deutet Ä eyisio» 
al» »e-wisio* « ^Ebeweistam, Bechis Weistum, lex, Verordnung* und 
atelit die „eviste domioiea* in PsfalleJe mit den «iegee döininicae* in 
I SaL t 1 lö )„ Jgöpfinimmt sonach ^einmalige iegislatorische 
Feststellung >ter mxWfeetf^ Klagen durch den König an“ 11 ), weicher 
Anschauung fjefifefceri:. gegenüber der von Walte, Dahn etc. vertretenen 
Lehre von d&r in jedem Einzelfall erforderlichen königlichen Ge¬ 
nehmigung der Einbringung der Klage den Vorzug gibt 1 *). Dieser von 
2opfl vertretenen Ansicht stehen sprachliche Bedenken entgegen, da 
das fränkische Äquivalent de» ahd, nieht ,e* t sondern „ewa“ 

gelautet haben dfu^te, wie aus der Bezeichnung »euua Ohanmvonim* 
hervorgehl 

Weitaus plausibler als der tob Zopü vorgetehlagene Lodtuagsvet- 
snch ist die von Brnnner versuchte' Deutung unserer Stelle. Brunner l9 ) 

*) VgL W Äitr, Da» alte Hecht der saliacheß Franken, 184& 8. löo, Anm, % 
kJ Vgl Ltehß, Die Könige der Geraume», VII, 3, S. 68 v Atun. 7 t S. 68 , 

A um. 6. 

*) Vgl Beih i»a&n-Bol) weg, Der ZiviJproxeß it gern.Hecht«, fV\ & 612. 
4 ) Vgl Boretjus bei Behrend, Lex Bali ca, 8. AufL» & 111* Amn.. 8, 

*} VgL GefCckfcn, x x 0. 

■ty An richte e liebe Erlanbaia denkt 
1. B«L, p- 183, Anm. 11. 

OVgi.Geffcken.am 
•) Vgl Brunner, HG. 1L 8* 407* Amn. &i 
*) Vgl ZöpH, HG. L Bd.» ft 13, Anm* lb*v ■:>•• r.; -■ ■:■ •*- 

hohn Clement, Fc»m*huogea Star d. Hecht 
*•) Ähnlich So hm, Der Prozeß der Lex 

**) Vgl. Gerieten, a. &. 0. * 

**) Vgl Brunner, HG. D.„ Bd M ß. 407, 4 w;j- 


rCuaa 


578 


Emil Goldmann. 


meint, »evisionem* stehe für »ivisionem*, eine «in der Deklination 
latinisierte Form für das romanische „iuisio* (spanisch «iuizio*), alt¬ 
französisch «iuis* (Coui de Bourgogne ch. 6, ed.Mamier), juis, juise, juisium 
= «Gottesurteil*. Ausgehend von dieser Gleichung vermutet er sodann* 
daß «iuisium dominicum* das königlich sanktionierte Gottes¬ 
urteil im Gegensätze zu verbotenen Formen des Gottesurteiles* be¬ 
deutet haben dürfte. «Neben der bereits früh eingefuhrten christlichen 
Form des Kesselfangs mögen die Salier noch eine Zeit lang auch eine 
an das Heidentum erinnernde Form mißbräuchlich angewendet haben*. 
Unsere Stelle habe solche heidnische, dem Königsgebot zuwider¬ 
laufende Formen des Kesselfanges im Auge. Diese Hypothese wurde 
von Brunner später 1 ) wieder zurückgenommen, allem Anscheine nach 
deshalb, weil sie einer zureichenden Begründung entbehrt, und durch 
eine neue Hypothese ersetzt Er meint nunmehr, unsere Stelle könne 
dahin verstanden werden, daß die Buße von 15 solidi nur verwirkt 
war, wenn dem Beklagten der Kesselfang gelang, zu dem der Kläger 
ihn provoziert hatte, während die Buße nicht in Frage stand, falls die 
Klage im Namen des Königs erhoben worden war. Der Heraus¬ 
forderung zum Kesselfang liegt eine antizipierte Eidesschelte zu 
Grunde *). 

Auch diese von Brunner vorgeschlagene bestechende Deutung ver¬ 
mag einer eindringenden Kritik nicht standzuhalten. Die Deutung ist 
vom sachlichen und vom linguistischen Standpunkte aus an¬ 
fechtbar. Es heißt nämlich dem Ausdruck «evisio dominica* doch wohl 
zuviel Gewalt antun, wenn man «evisio dominica* als eine im Namen 
des Königs erhobene Klage mit Herausforderung zur «evisio* (Ordal) 
des Kesselfanges deutet 8 ). Dazu tritt nun noch der gewichtige Um¬ 
stand, daß von unserer Form «evisionem* zu altfranz. «juise* 4 ) eine 
haltbare Brücke zu schlagen nicht möglich ist «juise* kann lautge¬ 
setzlich nicht zu «evisionem* werden. Auch wäre beim Festhalten an 
.Brunners Hypothese merkwürdig, daß unsere Stelle dann das Verbum 
«judicare* («culpabilis judicetur*) noch in der lateinischen Form, 
das Substantiv «judidum* hingegen schon in einer romanischen 
Form («juise*) aufwiese. Wir werden somit zur Schlußfolgerung ge- 

i) Vgl. Brunner, RG. 11, S. 676, Anm. 28. 

*) Vgl. Brunner, a. a. 0. 

») Vgl. Geffcken, S. 249. 

4 ) So, und nicht »iuis«, wie Brunner meint, lautet die aÜfrauiflsiache 
Umbildung des lat. »judidum«; vgL Godefroy, Dictionnaire de 1’ andenne langoft 
fran 9 &iae, s. v. juise (Nebenformen: juyse, juisse, juwise, juis, joise, joice, jouiase). 




Beiträge zur Interpretation der Kapitularien zur Lex Salica. 


579 


drangt, daß auch die von Brunner vorgeschlagene Lösung unseres 
Problems wohl kaum zutreffend sein dürfte 1 ). 

Zu einer befriedigenden Deutung des Ausdruckes »evisio dominica* 
wird man m~ E. nur gelangen, wenn man, wofür ja von vornherein 
die größte Wahrscheinlichkeit spricht, in »evisio* eine lateinische 
Wortbildung sieht und das Wort in die Bestandteile »e -f- visio« 
(— Sehen, Ansehen, Anblick, Erscheinung etc.) zerlegt. Dem Bestand¬ 
teil »e* in »evisio* dürfen wir im Hinblick auf lat »evidens*, »evi- 
dentia* wohl die Funktion einer Verstärkung des Grundwortes »visio* 
zumessen. Was könnte nun, wenn man von der eben gewählten Basis 
ausgeht und zugleich bedenkt, daß die Wendung »evisio dominica* 
in einem von einem Gottesurteil handelnden Satze gebraucht wird, 
„evisio dominica* bedeuten? Die Antwort kann, meine ich, da ,do- 
minicus* = »göttlich*, »zu Gott gehörig*, »von Gott stammend, ge¬ 
sendet*, nicht schwer fallen: »evisio dominica* ist die »göttliche, 
<L L von Gott inspirierte Wundererscheinung* *), das Zeichen, 
in dem die »virtus (dei) apparet*, die Wunderkraft Gottes beim Gottes¬ 
urteil in Erscheinung tritt 8 ). Die »evisio dominica* ist das Zeichen, 
daß dem Beweisführer das Ordal geglückt ist Übersetzen wir nun 
»praeter evisionem dominicam* mit: »entgegen der von Gott inspi¬ 
rierten Wundererscheinung* 4 ), d. h. also: »ungerechtfertigterweise*, dann 
ergibt die ganze Stelle folgenden Sinn: »Wenn dem Beklagten der 


*) Neben den oben angeführten Deutungen wären noch zu erwähnen die 
Ansicht H. 0. Lehmanns (vgl. Lehmann, Quellen z. deutschen Reichs- und 
Hechtsgeschichte, 8. 37), der »evisio« — »Genehmigung« setzt, und die von 
Behrend, Register, s. v. »evisio« ausgesprochene Vermutung, daß »evisio« «■» 
»evidentia« und im Sinne von »praesentia« zu nehmen sei. Beide Vermutungen 
sind ohne jede nähere Begründung aufgestellt worden. 

# ) Über »visio« — »gottgesandte Erscheinung« vgl. Forcellini, s. v. visio. 

•) Zum Ausdruck »virtus (dei) apparet« in der Terminologie des Ordalinstituts 
vgl. Mon. Germ. leg. secfc. V, p. 608, 609; s. ferner p. 688, Z. 40: »fiat veritas 
tua declarata in corpore sua«. 

4 ) Neben der eben gegebenen Deutung der Wendung »evisio dominica« wäre 
auch noch m. E. diskutabel die Gleichung: »evisio dominica« — »evisio dei« — 
»Erscheinung Gottes«, da im Vulgärlatein »in außerordentlich vielen Fällen statt 
des Genitivs ein aus demselben h ^geleitetes Adjektiv verwendet wird« und gerade 
das Adjektiv »dominicus« überar j häufig in einer für unser Sprachgefühl auffälligen 
Weise statt des Genitivs domini gebraucht wird« (Vgl. Binar Löfstedt, Philo¬ 
logischer Kommentar zur peregrinatio Aetheriae (==* Arbeden utgifna med understöd 
af Vilhelm Ekmans Universitetsfond, Uppsala, 9. Bd.) f S. 76%.). Auch von dieser 
Basis aus ließe sich für »praeter evisionem dominicam«^die Deutung »ungerecht¬ 
fertigterweise«, d. h. entgegen der im befragten Elemente sich manifestierenden 
Erscheinung Gottes — gewinnen. 



580 


Emil Gold mann. 


Kesselfang gelang, zu dem der Klager ihn provoziert hatte, hatte der 
Klager eine Buhe von 15 sol zu entrichten*. 

Der Unterschied zwischen der von mir vertretenen Deutung unserer 
Stelle und der von Brunner gegebenen Erklärung besteht somit in folgen¬ 
dem: Nach meiner Ansicht ist in jedem Falle, wenn das Gottesurteil zu 
ungunsten des Klagers ausgeht, der Klager bußfällig. Der Herausfor¬ 
derung zum Kesselfang lag eben, wie Brunner treffend sagt, eine «an¬ 
tizipierte Eidesschelte* zugrunde* *); für die unberechtigte Eidesschelte 
hatte darum der Kläger Buhe zu entrichten. Nach Brunners An¬ 
sicht ist nur in bestimmten Fällen, nämlich dann, wenn die Ordal- 
klage nicht im Namen des Königs erhoben wurde, der Kläger, 
wenn das Gottesurteil zugunsten des Beklagten ausgeht, bußfallig. Hat 
der Kläger — so meint Brunner — die Ordalklage im Namen des 
Königs eingebracht, dann geht er frei aus, auch wenn das Gottesurteil 
zugunsten des Beklagten spricht 


3. Edictum Chilperici, c. 2: «ut rebus concederemus*. 

Die Wendung des Edict Chilp., c. 2: «... convenit, ut rebus con¬ 
cederemus Omnibus leodibus nostris* hat die verschiedenartigsten Er¬ 
klärungen gefunden. Dahn 8 ) glaubt, dah hier von Geschenken die 
Bede sei, die der König seinen leudes verspreche. Gegen diese Deutung 
wendet Geffcken 8 ) mit Becht ein, daß «res* «dafür doch ein sehr 
verschwommener Ausdruck wäre*. Außerdem sei es aber wohl selbst 
für einen König keine «modica res* mehr, jedem seiner männlichen 
Untertanen 4 ) Geschenke zu machen. Die übrigen Erklärer unserer 
Stelle stimmen darin überein, daß sie das «rebus* in «reibus, 
oder «reipus* emendieren. Gemäß dieser Ansicht ß ) ist somit in unserer 
Bestimmung von der Abgabe, die bei Wiederverheiratung einer Witwe von 
deren Bräutigam zu entrichten ist die Bede. Im einzelnen weichen diese Er¬ 
klärungsversuche von einander ab. EineBeihe von Autoren vertritt die An¬ 
sicht daß Chilperich hier den reipus ganz abgeschafft habe, so Schröder 4 ), 


*) VgL Brunner, RG. II. Bd., S. 676, Anm. 28. 

*) Vgl. Dahn, Könige der Germanen, VII, 1, 8. 191, Anm. 1. 

») Vgl. Geffcken, 8. 269. 

4 ) Ober »leodes« = »Untertanen« vgl. Dahn, Könige der Germanen, VH. 1^ 
S. 190%. ; 3, 8 624, Anm. 7, 8. 

*) Sie wurde, wie es scheint zum erstenmale von Pardessus, Diplomat*, 
chartae etc., 1. Bd., 8. 143 ausgesprochen. 

•) Vgl. B. Schröder, De dote secundum leges gentium Germanicarum an- 
tiquissimas, Dies. Berlin 1861, 8. 62, Anm. 31; derselbe, Eheliches Güterrecht, 



Beiträge tot Interpretation der Kapitularien cur Lex Salica. 


581 


v. Amira 1 ), Sohm 6 ), Bive 6 ), Jungbohn Clement 4 ). Mit 
Brunner 6 ), dem Geffcken 6 ) sich anschließt, darf man dieser An¬ 
sicht entgegenhalten, daß nach dem Wortlaute der Stelle (conoede- 
remns!) an eine völlige Abschaffung *) des reipus nicht gedacht werden 
könne. 

Im Gegensatz zu den eben genannten Autoren vertritt Op et 6 ) die 
Meinung, daß Chilperich durch die fragliche Bestimmung bloß Streitig¬ 
keiten über den reipus den Boden entzogen habe. Diese Ansicht dar£ 
da Opet sie ohne nähere Begründung gelassen, außer Betracht bleiben. 
Brunner a. a. 0. glaubt, daß, wenn in unserer Stelle überhaupt vom 
Institut des reipus die Bede sei, es sich lediglich um den Verzicht des 
Königs auf die fiskalischen Bechte am reipus handeln 9 ) könne. Auch 
diese Ansicht kann wohl kaum auf Gefolgschaft rechnen. Zu ihrer 
Widerlegung genügt wohl der Hinweis auf die Tatsache, daß sich der 
Fall, daß der König die ihm am reipus zustehenden fiskalischen Bechte 
geltend machen konnte, nur sehr selten ereignet haben dürfte und es 
darum kaum wahrscheinlich ist, daß ein Verzicht auf diese fiskalischen 
Bechte als eine allen Untertanen gewahrte Konzession („concederemus 
omnibus leodibus nostris*) hingestellt worden wäre. Geffcken 10 ) 
ist ebenfalls der Ansicht, daß unsere Stelle vom reipus handle, meint 
aber, daß es bei der Unbestimmtheit der Ausdrucksweise der fraglichen 
Bestimmung unentschieden bleiben müsse, welcher Art denn die Neuerung 
des c. 2 gewesen sei 

Die Tatsache, daß es bisher nicht gelungen ist, beim Ausgeben 
von der Basis rebus = reipus zu einer befriedigenden Deutung unserer 

3. 63, Anm. 29; derselbe, Westdeutsche Monatsschrift, 6. B<L, 8. 488; der¬ 
selbe, B6.*, 8. 296, Anm. 18. — 8chroeder schloß sich später (vgL BG.*, 
8. 314) der von Brunner gegebenen Deutung der Wendung »rebus concede- 
remus« an. 

*) VgL v. Amira, Erbenfolge, 8. 34. 

*) VgL Sohm, ZBG„ 5. BcL, 8. 406. 

*) VgL Rive, Geschichte der deutschen Vormundschaft, 8. 284, Anm T 14. 

«) VgL Jungbohn Clement, Forschungen, 8. 269. 

°) VgL Brunner, Berliner Sih-Ber^ Jg. 1894, 8. 1290. 

°) VgL Geffcken, a. a. O. 

*) Den Gegenpol zu der oben erör te r t en Ansicht b ez eichn et die von Par- 
dessus, DipL, L BdL, 8. 143 a n agesprochene Ver mutun g, daß es sich um eine 
Neuemfühnmg des rnposInstituts Ar die vorn Chilperich neugewonnenen Un¬ 
tertanen handle. Irgend einen Beweis Ar diese Behauptung hat Pfcrdessns nicht 
angeführt. 

•) VgL Opet, Kitt. d. hat t Oat Gesch-, Erg.-BL 3, 8L 13, 

•) VgL L 8aL 44, 10: Jam post sexto g c n ucolnm m non foarir* 
reipns ipse vel eaasa quse exinde orta fberit colhgator. 

M ) VgL Geffcken, a. a. 0. 





582 


Emil Goldmann. 


Stelle zu gelangen, legt die Vermutung nahe, daß diese Basis selbst 
nicht tragfahig ist. Somit gelangen wir zur Schlußfolgerung, daß dem 
„rebus" unserer Stelle ein anderer Sinn zukommen müsse als der tob 
„reipus" *). 

Wollen wir beim Versuche, den Sinn des Ausdruckes „rebus" zu 
enträtseln, methodisch Vorgehen, dann dürfen wir uns von der von 
vornherein wahrscheinlichsten Annahme, daß nämlich in „rebus" der 
Dativ oder Ablativ Pluralis des lateinischen Wortes „res" vorliege, nicht 
abdrangen lassen. Dieser Vorsatz muß noch bestärkt werden, wenn 
wir bedenken, daß das Wort „res" wenige Worte nach unserem 
„rebus" in der Wendung „per modicam rem" begegnet Die Er¬ 
kenntnis, daß wir es bei der Form „rebus" mit dem lateinischen Worte 
„res" zu tun haben dürften, führt uns zur Frage, welche von den 
mannigfachen Bedeutungen des Wortes „res" wir auszuwählen haben, 
um zu einer befriedigenden Deutung unserer Stelle zu gelangen. Da 
uns das Wort „rebus" in einem von zivil- und strafrechtlichen Ma¬ 
terien handelnden Gesetze begegnet wird es methodisch das Rich¬ 
tigste sein, die Annahme zu wagen, daß „res" hier in der spezifisch 
juristischen Bedeutung von „Rechtssache", „Rechtsstreit", „Prozeß", 
gebraucht sei*). Setzen wir nun für „res* die Bedeutung „causa ju- 
dicialis" ein, dann gewinnen wir freilich, sofern wir uns der bisher 
üblichen Lesung des Schlußsatzes unserer Bestimmung: „ut per modicam 
rem scandalum non generetur in regione nostra" 8 ) anschließen, keinen 
befriedigenden Sinn. Ganz anders jedoch gestaltet sich die Sachlage, 
wenn wir uns strenge an den Wortlaut der Stelle halten, wie ihn die 
Handschrift Em. Q. — das Edictum Chilperid ist bekanntlich nur in 
dieser Handschrift überliefert — bringt Hier lautet der Schlußsatz: 
„ut per modicam rem scandalos non negetur in regione nostra" 4 ). 
Mit diesem Wortlaute haben unsere modernen Editoren nichts anzu¬ 
fangen gewußt und darum im Anschluß an eine den Codex Vosaianus 
Q 119 bessernde Hand zu einer Emendation des „negetur* in „gene¬ 
retur« ihre Zuflucht genommen 8 ). Dieser für den ersten Augenblick 

*) Zweifel an der Richtigkeit der Gleichung: rebus — reipus waren schon 
Brunner, a. &. 0., aufgestiegen. 

*) »res« in der Bedeutung »causa judicialis« ist auch dem Vulgärlatein wohl 
bekannt; vgL z. B. MG. Legum sectio V. Formulae Merow. e. Kar. aevi ed. 
K. Zeumer, p. 298, Z. 10. 

•) VgL Hessels, Lex Salica, p. 409; Geffcken, S. 84. 

4 ) VgL A Holder, Lex Salica emendata nach dem Cod. Vosrianus Q 119, 
1879, S. 45. 

•) VgL Hessels, a. a. 0., Geffcken, a. a. 0., Behrend, Lex Salica*, 
•8 162. 



Beiträge zur Interpretation der Kapitularien zur Lex Salica, 


583 


so unverständlich scheinende Satz laßt sich non aber in vollkommen 
befriedigender Weise deuten, wenn man sich von dem bisher freilich ohne 
Ausnahme von den Erklärem unserer Stelle begangenen Fehler ferahalt, 
•das Wort »scandalos" im Sinne von »Skandal", »Ärgernis" etc. zu 
nehmen. 

Wir finden in einer Seihe von romanischen Sprachen aus der 
Wurzel *scandal- (von »scandere") aufgebaute Bezeichnungen mit der 
Bedeutung »Senkblei": so das italienische »scandaglio* = »Senkblei", 
-»scandagliare" = »mit dem Senkblei messen" *), das spanische 
»escandallo" = »Senkblei", »Lot", »Bleilot" *), das in letzter Linie auf 
•die gleiche Bedeutung zurfickffihrende provenzalische »escandal" — 
„Hohlmaß", »escandoli" = »kleines Maß für Flüssigkeiten", »escandau* 
— »peson*, »balance ä un seul plateau", »escandaia" — »mesurer", 
„jauger*, »sonder" 8 ), ferner die französischen Bezeichnungen 
„echantillon", »echantillonage", »echantülonner* mit ähnlicher Be¬ 
deutung 4 ). Wir sind auf Grund dieser verschiedenen Wortformen be¬ 
rechtigt, eine romanische Grundform *scandalium — »Senkblei" an¬ 
zusetzen 6 ). Bedenken wir nun, daß im Italienischen dem Worte 
»scandaglio" außer dieser Bedeutung auch noch die Bedeutung »Unter¬ 
suchung", »Erforschung" zukommt 6 ), desgleichen im Spanischen 7 ), 
so werden wir, umsomehr, da eine gleiche Bedeutungsentwicklung bei 
frz. »sonder", bei unserem »erwägen", um von anderen Parallelen zu 
schweigen, vorliegt, keinen Fehlschluß begehen, wenn wir annehmen, 
daß auch schon im Vulgärlatein dem Worte »scandalium* die Be¬ 
deutung »Untersuchung" zugekommen sein dürfte. 

Darf nun aber dem Worte »scandalum" oder »scandalus" 8 ) die 
Bedeutung »Untersuchung" zugeschrieben werden, dann erschließt sich 
uns das in unserer Stelle vorliegende Bätsel restlos. Die Bestimmung läßt 

*) VgL Rigutini, Voc. d. ling. ItaL 8. h. v. 

*) VgL Tolhausen, Spanisch-deutsch. Wbuch s. h. v. 

*) VgL Levy, ProvenzaL Supplementwörfcerb., s. v. escandal, Mistral, Lou 
trdsor d. Felibrige, s. h. v. 

4 ) VgL Sachs-Villatte, s. h. v.; Du Cange, s. t. eecandilare, scanda- 
glare, scandaillare, scandale, scandalium, scandilhare etc. 

Ä ) VgL Körting, Etymolog. Wörterbuch der romanischen Sprachen, 8. v. 
seandalium. 

") VgL Rigutini, s. v. scandaglio, scandagliare. 

*) VgL Diccionario de la lengua Castellana p. L acad. espaäola, 8. ed., 1837, 
8. v. »escandallo*: escandallo =— prueba 6 ens&yo que se hace de alguna 
co88» Examen, exploratio«. 

•) Das »scandalos« der Handschrift Em. Q. ist nichts anderes ab das vulgär- 
lateinische Aequivalent für »scandalus«; vgl. Fr. Schramm, Sprachliches zur 
Lex Salica, 1911, S. 25; M. Bonnet, Le Latin de Vre-jiro de Tours, .S. l.A 



584 


Emil Goldmann. 


sich nämlich dann folgendermaßen deuten: »Wir räumen allen unseren 
Untertanen im Hinblick auf die vor Gericht zu erledigenden Hechts- 
Streitigkeiten die Vergünstigung ein, daß wegen einer noch so 
geringen Hechtsstreitigkeit in unserem Heiche die Unter¬ 
suchung des Falles nicht verweigert werden wird*. Mit 
anderen Worten: es handelt sich um eine Anordnung, die das Ver¬ 
brechen der JustizyerWeigerung im Auge hat. Der König ver¬ 
spricht, dafür Sorge tragen zu wollen, daß, falls eine noch so geringfügige 
Hechtssache vor das Gericht gebracht werden würde, eine Justizver- 
weigerung nicht stattfinden werde 1 ). 


4. Ed. Chilp. c. 8: »marias, qui nuntiabantur ecclesias". 

Trotz vielfachen Bemühungen hat bisher der 8. Abschnitt des 
Edictum Chilperid eine befriedigende Deutung nicht gefunden. Der Text 
unserer Stelle lautet: »Ilias et marias, qui nuntiabantur ecclesias, nuntientur 
consistentes ubi admallat*. Es kommt bei der Erklärung dieses Satzes 
vor allem darauf an, den Sinn des Ausdruckes »marias* festzustellen. 
Unter den verschiedenen Versuchen zur Lösung dieser Aufgabe wäre 
zunächst zu nennen die von Sohm versuchte Deutung unserer 
Stelle. Sohm 8 ) emendiert das handschriftlich überlieferte »marias* in 
»marcas* •) und übersetzt den fraglichen Satz folgendermaßen: »Die 
Markversammlungen, welche bisher bei den Kirchen zusammenbe¬ 
rufen wurden, sollen dort berufen werden, wohin die Umgesessenen zu 
Gericht geladen werden*. Die Markversammlungsstätte soll, so meint 
Sohm, gemäß der Anordnung des Ed. Chilp. an die Zent-(Gerichts-) 
Versammlungsstätte verlegt werden. Chilperichs Gesetz gibt, so spinnt 
Sohm diesen Gedankengang weiter, der Mark und der Zent einen 
örtlichen Mittelpunkt Es setzt nach der Meinung Sohms voraus, daß 

*) Die Übersetzung, die oben im Texte gegeben wurde, basiert auf einer von 
mir vorgenommenen Zusammenziehung des »per« und »modicam« zu »permodiam«, 
welches Adjektiv dem Vulgärlatein sehr geläufig ist (vgL Löfstedt Philologischer 
Kommentar z. peregr. Aetheriae, S. 71), und auf der bekannten Tatsache, daß »in 
der gesamten Vulgärlatinität eine ausgesprochene Neigung zum Gebrauche des 
Akkusativs als allgemeiner Objektskasus bestand« (s. Löfstedt, a. a. 0., S. 217%.). 
Es heißt statt »permodicae rei«: »permodicam rem«. Übrigens läßt sich, auch 
wenn man an der Verbindung von »per« und »modicam« zu »permodicam« An¬ 
stoß nimmt wozu m. E. kein Anlaß vorläge, zu einer ähnlichen Deutung ge¬ 
langen, wenn man »per« = »propter« (vgl. über »per« « »propter« im Vulgär¬ 
latein Bon net, 8. 591; Glotta, Jg. 1912, S. 278%.) setzt 

*) Vgl. Sohm, Fränkische Reichs- u. Gerichtsverf., S. 210. 

*) Vgl. auch Sohm, Prozeß d. 1. Satlica, S. 63, Anm. 16. 



Beiträge zur Interpretation der Kapitularien zur Lex Salica. 


585 


die Zentgeno88en und die Markgenossen, daß die Grenzen von 
Mark nnd Zent in der Regel die nämlichen sind. Die Deu¬ 
tung Sohms fand Zustimmung bei Lamprecht *), wahrend Dahn*} 
sich ihr gegenüber zweifelnd verhielt. Mit voller Entschiedenheit wendet 
sich gegen die von Sohm vorgeschlagene Interpretation unseres Satzes 
Fustel des Goulanges*). Man brauche, meint dieser Autor, nur 
den Text unserer Stelle mit der von Sohm gegebenen Übersetzung zu 
vergleichen, um zu sehen, daß nicht ein Wort der Deutung — mit 
A usnahm e des Wortes ecdesia — mit dem Text übereinstimmt Die 
Deutung Sohms ist nun in der Tat kaum haltbar. Fürs erste ist 
wirklich, selbst wenn man „marias" — „marcas“ gleichsetzen dürfte, 
die Sohm’sche Übersetzung unseres Satzes schwer zu verteidigen. Fürs 
zweite wäre die Emendation von „marias“ in „marcas“ nur dann ge¬ 
stattet, wenn sich beim Festhalten an der Textüberlieferung („marias 11 ) 
eine befriedigende Lösung unseres Problems nicht ergäbe. Die folgenden 
Ausführungen werden nun aber dartun, daß sich auch beim Festhalten 
an der überlieferten Form „marias“ die Stelle in zureichender Weise 
erklären laßt Ebenfalls durch eine Emendation des überlieferten Textes 
sucht H. 0. Lehmann 4 ) die Stelle ins Geleise zu bringen. Er meint 
daß der Satz besage, daß eine Benachrichtigung, die früher in der 
Kirche erfolgte, jetzt bei der Ladung und zwar seitens des Ladenden 
erfolgen solle. Dies könne dann aber nur eine Benachrichtigung 
für den Gerichtstermin sein. Lehmann nimmt daher an, daß statt 
„marias“ „mallas“ (für „maOa“) oder „malli dies“ zu lesen sei «Also 
diejenigen Gerichtstennine, welche früher in den Kirchen bekannt ge¬ 
macht wurden, soll der Klager jetzt bei der Ladung (nachdem er sieb 
darüber informiert) dem Geladenen mitteilen“. Diese Deutung ist 
schon deshalb unzulässig, weil sie zu einer gewaltsamen Emendation 
des Wortes „marias* — weit gewaltsamer als bei der Hypothese Sohm* 
der Fall ist — zu greifen gezwungen ist Viel annehmbarer als die 
bisher mitgeteilten Lösungsrersuche ist die von Brunner 4 ) vorge- 
schlagene Interpretation. Brunner stellt „marias“ zu ahd, „rnäri“ 
„adnuntiatio“ (von „marjan“ = „nuntiare“) und deutet, indem er ler 

*) Vgl. K. Lampreeht, Hiztonscbes Tauchenbuch, 0. Folge, 2. IVJ., H. fM f 

Anm. 1. 

*) VgL F. Dahn, Die Könige der Gerznanen, 7, M., %. AU, H &J25, Kum. 8, 
& 614, Anm. 2. 

*) VgL Fustel des Coulanges, \tt*AAktu*m 

d’histoire, 1886, 324. 

4 ) Vgl. H. 0. Lehmann, znr devUcbe» fUrt/h* u, fU*h Ug<*cfck r 

8. 37, Anm. 62. 

*) VgL Brunner, BG., Ii, 8. &A, kau*. V/,. 



586 


Emil Goldmann. 


Sal 47, Cod. 10 und 1. S&L 84 als Beleg für die Gleichang «nuntiare" 
= «vorladen“ anftlhrt, unsere Stelle folgendermaßen: «Jene Ladungen, 
die bisher in der Kirche verkündet wurden, sollen dort erfolgen, wo 
man die ansässigen Leute (vgL c. 10 Ed. Chilp.: et non habeat unde 
eonsistat) belangt*. Brunner beruft sich bei dieser Deutung darauf^ 
daß flandrische Quellen eine Ladung in der Kirche und im Ding 
kennen *), und die Delfter Dingtalen *) von einer Ladung im Ding 
vermelden *). Dieser Lösungsvorschlag halt sich von dem Fehler 
Sohms und Lehmanns frei, der überlieferten Wortform «marias* Ge¬ 
walt anzutun. Nichtsdestoweniger halte ich auch diese Lösung für 
kaum zureichend, da die von Brunner herangezogenen flandrischen 
Quellen aus einer viel zu späten Zeit stammen, um zur Deutung unserer 
Stelle verwertet werden zu können. Die Quellen unserer Epoche 
wissen, wenn wir von dem einen Ausnahmsfalle Lex Alam. 36, 2 4 ) 
mbsehen, von einer Ladung im Ding nichts zu vermelden 6 ). Im An¬ 
schluß an die eben vorgeführten Versuche zur Deutung unserer Stelle 
sei schließlich noch erwähnt, daß einige Autoren, so beispielsweise 
Fustel des Coulanges 8 ), unser Problem für unlösbar halten. 

M. E. liegt in dem «marias* des c. 8. Ed. Ghilp. das nämlich» 
Wort vor wie in dem ersten Bestandteil des Wortes „marisc&lcus* in 
all. SaL: «mari* — „Roß*, «Mähre*, ahd. marah, mhd. marc, ags. 
mearh, nordg. marr. 7 ). Der ganze Satz ist folgendermaßen zu über¬ 
setzen: «Die Mähren (illas dürfte hier bereits in der Funktion des Ar¬ 
tikels 8 ) stehen), die (erg. bisher) in den Kirchen aufgeboten wurden, 
sollen (erg. nunmehr) dort aufgeboten werden, wo man die «consi- 
stentes* belangt, d. h. im Gericht*. Die Bestimmung bezieht 
sich auf verlaufene Pferde. Wer ein verlaufenes Pferd einfängt 


») Vgl. Warnkönig, Flandrische Rechtsgeschichte, 3. Bd., 8. 279. 

») Vgl. Delfter Dingtalen, S. 34 (Sonderabdruck aus den Nieuwe B^jdr. toot 
Rechtsgeleerdheit en Wetgeving, NiLDl. 4, 1878. 

») Als einen Vorgänger Brunnen darf man Pardessus, Loi Salique, p.599» 
•600 bezeichnen, der dortselbet »marias« durch »märi« = »Mär, Erzählung« er¬ 
klärt und die in Frage stehende Stelle auf eine Ladung durch öffentlichen 
bezieht. 

4 ) Vgl. hiezu Brunner, RG„ II. Bd., S. 341. 

*) Der Deutung Brunnen stimmt Geffeken, S. 278 bei. Sie scheint ihm 
»endgültig das Richtige zu treffen«. 

*) Vgl. Fustel des Coulanges, Recherche«, a. a. 0. 

T ) Das Wort kommt auch in den malbergischen Glossen zu L Sal. 38 vor; 
vgL Kern bei Hessels, Lex Salica, § 191, $ 196 (Sp. 519, 520). 

•) VgL Löfstedt, Philol. Kommentar, S. 64fg.; Wölfflin, Archiv £. lat. 
Xexikogr. u. Grammatik, IV. Bd., S. 273. 



Beiträge zur Interpretation der Kapitularien zur Lex Salica. 587 

oder wem ein solches Pferd zuläuft mußte bekanntermaßen, wollte er 
den Diebetahlsyerdacht von sich abwenden, die Sache ein- oder mehr¬ 
fach aufbieten. Die Aufbietung des Fundgutes hatte zu erfolgen, sei 
es nun im Ding, sei es vor der Obrigkeit, oftmals aber auch in 
der Kirche 1 ). Es darf hier auf folgende Stellen *) verwiesen werden:. 
Xex Visig. VIII, V, 6 (Fuero juzgo, p. 116): Caballos vel animalia 
errantia liceat occupare, ita ut qui invenerit denuntiet aut epis- 
copo, aut comiti, aut iudici, aut senioribus loci, aut etiam in conventu 
publico vicinorum. Quod m non denuntiaverit furis damnum habebit*. 

Jydske Loy II (Thorsen, J. L. p. 204 s.) 126: Of nokeer man hittaer 
nokaer koste, oc sighaer sei til oc lins sei i kirki, oc sei a thingi, 
st han havaer swa wrthen koste hit, tha ma han thser for warthsB 
thivf, swa sum han hafthae thet stolaet 

Der Stadt Braunschweig Ordnung (Hänselmann, Urkundenbuch 
der Stadt Braunschweig, I, 1873, S. 419, § 139; S. 466, § 137): Wer 
gut findet, der sol es dem, so es gehört, wiedergeben. Weis er aber 
nicht, wem es zukompt, sol er es von der cantzel allhie vor¬ 
kündigen lassen; thut er das nicht, soll er vor einen dieb gehalten 
.... werden*. 

Dey aude Schrae der Stat von Soist 37 (J. S. Seibertz, Urkun¬ 
denbuch z. Landes- und Bechtsgeschichte d. Herzogt Westfalen II, 
1843): Vorstreken ghuyt, dat deme richtere weyrt gheantwortet, dat 
mal hey vorkundighen laten drey sunnendaghe vppe deme alden 
kerchoue . 

Lüb. B. (J. F. Hach, Das alte Lübische Hecht 1839, II, 159, 
S. 327): gheit auer en ve bister, dat iemant vorloren heuet 
we so dat op holdet de schalet kundeghen laten des hileghen 
daghes to der kerken."• 

Dortmunder Schiedsspruch a. 1240 (Vgl Dortmunder Statuten und 
Urteile, hgeg. v, F. Frensdorft Hansische Geschichtsquellen, Bd. m, 
1882, Beilage I, I, S. 190): Insuper arbitrati sunt quod equus vel 
aliud animal vel pecus qualecunque sit si forte errando ierit- 
quod illo libere vagari debet per sex ebdomadas, et de illo medio 
tempore debet in ecclesiia pronunciari, et quod si infra prefatas 
ebdomadas verus dominus animalis illius non venerit quod ex tune 
comes illud sibi libere potert usurpare. 

*) Vgl. H. Meyer, Entwerung u. Eigentum im deutsehen Fahmisrecht, 1902, 

a 166 fg. 

•) Die nachfolgende Zusammenstellung zumeist im Anschluß an H. Meyer, 
Entwerung. a. a. 0. 




588 


Emil Goldmann. 


Ssp. II, 37, § 1: ... Svat so en man yint, oder dieven oder 
roveren afjaget, dat sal he up bieden vor einen buren unde to 
der kerken. 

Leges Edwardi Confessoris, c. 24 l ): Si aliqnis adduxerit aliqnid in 
villam, vel apportayerit animal yel pecuniam aliquam et dixerit 
ee invenisse, anteqnam introdncat illud in domum soam yel alterius, 
ante ecclesiam ducat, et faciat venire sacerdotem de ee- 
clesia, et praefectom de villa, et de melioribus hominibus de villa 
qnotqnot habere poterit .... Ipsis congregatis, ostendat eis totnm in- 
ventum, qnicquid sit 2 ). Die eben angeführten Stellen, deren Zahl sich 
leicht vermehren ließe, zeigen wohl zur Genüge deutlich, daß es im 
germanischen Bechtsgebiete seit früher Zeit — man vgL den Beleg 
aus der lex Yisigothorum VIII, V, 6 — gebräuchlich war, zugelaufene 
Pferde in der Kirche aufbieten zu lassen. Um ein solches Aufgebot 
verlaufener Pferde in der Kirche handelt es sich wohl auch in unserer 
Stelle. Es wird bestimmt, daß an die Stelle des »nuntiare* in der 
Kirche (vielleicht aber nur neben dieses) das »nuntiare* in der Ge¬ 
richtsversammlung treten solle. Diese Deutung verdient m. E. 
den Vorzug vor der oben besprochenen Interpretation Brunners, ganz 
abgesehen von dem oben gegen Brunner erhobenen Einwande, schon 
deshalb, weil sie einfacher, ungezwungener ist Brunner ist nämlich 
genötigt anzunehmen, daß es sich in unserer Stelle um eine Ladung 
nichtansässiger Personen handle. Davon vermeldet aber unsere 
Stelle nichts. Aus der Wendung »consistentes ubi admallat* folgt 
keineswegs mit Notwendigkeit, daß es sich um die Ladung eines homo 
non consistens handle, »consistentes ubi admallat* ist nur eine 
Umschreibung für »Gerichtsversammlung". Somit ist klar, daß Brunner 
zur Unterstützung der einen Hypothese, daß »marias* — »nuntiatio* 
sei, eine zweite Hilfshypothese benötigt, daß in unserer Stelle von der 
Ladung von »homines non consistentes" die Bede sei. Einer solchen 
stützenden Hilfshypothese bedarf die hier verteidigte Gleichung »marias* 
= »Pferde" nicht 

5. Ed. Chilp.. c., 9: »quomodo sic ante pavido interficiat*. 

Unsere Stelle handelt vom »malus homo". Wenn die Bemühungen 
des Grafen und diejenigen der Verwandten des malus homo, gerichtet 
auf Stellung des Missetäters vor Gericht, vergeblich sind, tritt das K&» 

*) VgL Liebermann, Gesetze der Angelsachsen I, p. 649. 

*) Vgl. hiezu Liebermann 2, 418 s. v. Fund; s. ferner Lieberxnaxm, s. v. 
Eirehtür 2), Dorf 7 t — Zum Rechte der Bretagne vgL M. Planiol, Les appiro- 



Beiträge zur Interpretration der Kapitalarien zur Lex Salica. 


589 


nigsgericht in Aktion: Graf und klagerische Partei bringen die Ange¬ 
legenheit an den Hof, und der König spricht als ultima ratio die Acht 
aus. Dann darf ihn jeder, der ihn findet, töten l ). Diese Tötungsbe¬ 
fugnis umschreibt das Gesetz mit den Worten: „ut quicumque eum 
inyenerit quomodo sic ante pavido interfidat*. Der Sinn des diese 
Tötungsbefugnis einräumenden Satzes ist klar, unklar ist nur die Be¬ 
deutung des in dieser Stelle verwendeten Wortes „pavido*. Diese Un¬ 
klarheit 2 ) hat eine Beihe von verschiedenen Deutungsversuchen ver¬ 
anlaßt 

Kern bei Hessels, p. 410 glaubt, daß an Stelle von „pauido“ 
„impauido* (= impavide) zu lesen sei, so daß sich als Sinn der frag¬ 
lichen Wendung ergäbe, daß man den v malus homo* ohne Furcht 
töten solle, wie es seit je Herkommen gewesen sei Eine ähnliche An¬ 
sicht hatte schon vorher So hm 8 ) geäußert Gegen diese eben vorge- 
f&hrte Deutung ist einzuwenden, daß sie genötigt ist, das zu erklärende 
Wort in sein Gegenteil zu verkehren, sich also eines gewalttätigen 
Eingriffs in den uns überlieferten Text schuldig macht Boretius 4 ) 
glaubt, daß die Stelle lückenhaft und das „pavido* möglicherweise ein 
auf das „paverit* des c. 56 L Sal. 6 ) weisender Best sei. Auch diese 
Ansicht entbehrt der zureichenden Begründung. Einen anderen Weg 
zur Lösung unseres Problems schlägt Brunner ein 6 ). Brunner geht 
von der Bedeutung „pavidus* = „feig“ aus. „Feig* hieß, so bemerkt 
Brunner, der moribundus, der zum Tode Verurteilte, der dem Tode 
Verfallene. Auch dieser Ansicht wird man schwerlich beipflichten 
können. Aus der Gleichung: „pavidus* — „feig* im nhd. Sinne des 
Wortes und agerm. „feig* = moribundus* folgt durchaus nicht mit 
zwingender Notwendigkeit, daß nun das „pavidus* unserer Stelle = 
„moribundus* sein müsse. Bei dieser Gleichung: „pavidus* = „mo¬ 
ribundus* wäre nämlich vorausgesetzt, daß, wofür kein Anhaltspunkt 
gegeben ist, bereits in altfränkischer Zeit dem Worte „feig* neben der 


priancez par bannies dans T ancienne province de Bretagne, Nouv. rev. hist HI 
Ber„ 14. Bd., S. 446. 


*) Die oben stehende Inhaltsangabe wurde mit den Worten Geffckens, 
fi. 279, wiedergegeben. 

*) Pardessus, Diplomata, 1. Bd., S. 146, Anm. 10 bezeichnet darum unsere 
Stelle als »verba subobscura«. 

*) VgL 8ohm, Prozeß der 1. Sal., 8. 188. 

4 ) VgL Boretius, Die Kapitularien z. 1. Salica in Behrends Ausgabe der 
L SaL, 1. Aufl., 1874, 8. 109, Anm. 38. — ““ 

*) »Et quicumque eum (den Friedlosen) aut paverit aut 
-dederit, etiam ai uxor sua proxima etc.«. 

•) VgL Brunner, RG.* IL, 8. 463, Anm. 9. 



590 


Emil Goldmann. 


Bedeutung „moribundus" auch die Bedeutung «feig* im nhd. Sinne 
des Wortes zugekommen sei, wäre ferner vorausgesetzt, daß der Gesetz¬ 
geber, der vor der Aufgabe stand, das Wort «feig* im Sinne von „mo¬ 
ribundus" ins Lateinische zu übersetzen, dafür irrtümlicherweise jenes 
lateinische Wort wählte, das das Aequivalent des Wortes „feig" im 
heutigen Sinne des Wortes darstellt. Wir wären somit, wollten wir 
die Deutung Brunners akzeptieren, genötigt, zwei ziemlich unwahr¬ 
scheinliche Annahmen in den Kauf zu nehmen. 

Dem Bätsel, das unsere Stelle darbietet, können wir m. EL nur 
beikommen, wenn wir die Bedeutungsentwicklung des Wortes „pavidus* 
auf dem Boden des Mittellateins und der französischen Sprache 
des Mittelalters verfolgen. Da zeigt sich nun, daß das Wort „pa- 
vidus" die Bedeutung „vagans", „errabundus" gewonnen hat Man 
vergleiche die folgenden Belege: Du Gange, s. v. spavus = erra¬ 
bundus, vagans, cuius dominus ignoratur; spaviae = y*. 

gantia et errantia, quae expavefacta et metu seu pavore e domi- 
norum suorum domibus erumpunt; espava, espavia dicitur de ani- 
malibus aberrantibus; epava apium dicitur de apibus perditis; gene- 
ratim epave a practdcis nostris dicitur de animalibus errantibus, quorum 
veni8 ignoratur dominus. VgL ferner Mistral, Trds. d. Felibr., Bd.1, 
8. v. espavo — dpave — bete dpouvantee et perdue; Bageau, 
Glossaire du droit fran^is, s. v. espauite, espaves, S. 207: aberrantia 
animalia, bestes effrayees, egarees et errantes; Diez, Etymolog. WÖrterb. 
d. rom. Sprachen, 5. AufL, S. 572 s. v. epave = „verlaufen", „herren¬ 
los", abzuleiten vom lat „expavidus"; Scheler, Dict de TetymoL 
franf. s. v. dpave. 

Wenn wir diese Belege überblicken, wird es ohne weiteres deutlich, 
wieso das Edictum Chilperici dazu kommen konnte, den im c. 9 ge¬ 
nannten „malu8 homo" als einen „pavidus" zu bezeichnen. „Der malus 
homo erweist sich nämlich im weiteren Verlaufe des gegen ihn durch 
öffentliche Ladung eingeleiteten Prozesses immer mehr als heimat¬ 
loser Vagabund, dessen Aufenthalt die Wildnis ist" *). Da nun das 
Wort „pavidus" zur Bezeichnung von „vagierenden" Tieren verwendet 
wurde, lag nichts näher, als den nämlichen Ausdruck zur Bezeichnung 
vagierender Menschen heranzuziehen. 

Es ist somit das Bätsel, das unsere Stelle darbietet, als gelöst za 
bezeichnen und damit auch dargetan, daß Geffcken in einem Irrtum 


*) VgL Geffcken, 8. 279. — Das Gesetz bezeichnet ihn* an der n&mlichea 
Stelle als einen Mann, >qui per silvas vadit«. 



Beiträge zur Interpretation der Kapitularien zur Lex Solica. 


591 


befangen war, als er die Wendung »quomodo sic ante pavido in- 
terfitiat* als »sicher verderbte Worte* bezeichnet» 1 ). 


6. Decr. Chloth. c. 11: »ad sorte aut ad plibium promo- 

veatur«. 

Im c. 11 des Decretus Cblothario findet sich das rätselhafte Wort 
»plibium*, das in befriedigender Weise zu deuten bisher nicht geglückt 
ist. Die Stelle, die das Wort »plibium* enthält, lautet: De servis ec- 
desiae aut fiscalinis vel cuiuslibet, si a quocumque inculpatur, ad sorte 
aut ad plibium promoveatur, ut ipse precius dominis reformetur; nam 
probatus periculum subiacebit*. Als Sinn der ganzen Stelle scheint 
festzustehen 2 ): Der Herr, der seinen eines Verbrechens bezichtigten 
Sklaven dem Kläger stellt, bekommt vor Beginn des Beweisverfahrens 
den Preis sein es Knechtes als Sicherheit ausbezahlt Wird der Sklave 
überführt so gelangt er in die Gewalt des Klägers, beweist er seine 
Unschuld, so verbleibt er dem bisherigen Herrn, der aber wohl auch 
das Pfand behält weil der Kläger einen Unschuldigen den Gefahren 
des Strafprozesses ausgesetzt hat*). 

Unklarheit besteht wie bereits oben bemerkt wurde, über den 
Sinn des Wortes »plibium«. Eccard«) emendierte »plibium« in „ple- 
feejum*. we lche Lesart die Handschrift Hessels 3 bringt and setzt dieses 
»plebejum* = »laicum*. Auch Du Gange V 300 geht von dieser 
Lesart aus und sieht in diesem »plebeium* soviel wie »locus publicus*, 
»platea*, ,Gerichtsversammlung. Bignonius 5 ) wollte »plibium 0 in 
»aeneum«, »ineum* emendieren. Leseur 8 ) deutet wiederum im An» 
Schluß an Bignon »plibium* als Synonymon von »ineum*. Einen 
gänzlich anderen Weg zur Deutung des rätselhaften Wortes schlägt 
Brunner 7 ) ein. Brunner bringt den Ausdruck in Verbindung mit 
dem altfranzösiachen Verbum »plevir* — »verbürgen« •). Brunner ist 


<) VgL Geffcken, a. a. 0.; sn .ante« — »antea« vgL in der nämlichen 
Stelle den Wechsel von »antea maltare« and »ante mallare*; s. ferner E. Löfstedt, 
Philolog. Kommentar sur peregriiatio Aetheriae, 8. 74. 

*) YgL Geffcken. 8. 264 
•) Wörtlich nach Geffcke/i, a. a. 0. 

*) YgL Leget Fnnoorom Suhcae et Ripoarionun etc., opera et stodio J. G. 
Eecardi, 1720, p. 170. 

•) YgL Da Cange, a. a. 0. 

•) VgL Lesenr, Nourelle revae bistoriqae, Jg. 1888, 8. 688, Anro. 6. 

*) YgL Branner, BG. n, 8. 413, Anm. 78. 

■) Zo .plerir* — »v e r btti gen« vgL Dies, EtymoL Wbach der roinanischST 
Sprachen, k AntL, 8. 688. 



592 


Emil Goldmann. 


der Ansicht, daß mit dem Worte „plibium* das in SaL 40, 4 normierte 
Tortnryerfahren gemeint sei, das nur gegen Sicherstellung des 
Klägers, daß er eventuell den gefolterten Sklaven ersetzen werde, von 
dessen Herrn zugelassen zu werden brauchte. Diese Ansicht hat die 
Zustimmung Meyer-Hombergs 1 ) gefunden, während Geffcken*) 
unentschieden läßt, ob die Wortinterpretation von Brunner oder Leseur 
vorzuziehen sei 

Von den eben vorgeführten Versuchen zur Aufhellung des Wortes 
„plibium* ist wohl nur der Vorschlag Brunners eingehenderer Be¬ 
trachtung wert Le8eur8 Ansicht muß deshalb außer Erörterung bleiben, 
weil dieser Autor einen Beweis für seine Behauptung anzutreten nicht 
versucht hat Aber auch die Anschauung Brunners läßt sich schwerlich 
aufrechterhalten. Es ist wohl kaum anzunehmen, daß das gegen den 
Sklaven zu exekutierende Folterungsverfahren mit einem Ausdrucke 
bezeichnet wurde, der eigentlich nur auf die Sicherstellung des 
Klägers zielt daß er eventuell den gefolterten Sklaven ersetzen werde. 
Dies hieße einen Bedeutungswandel voraussetzen, wie er wohl nur selten 
Vorkommen dürfte. 

Mag nun auch, wie eben gezeigt wurde, die Deutung Brunners 
nicht die Lösung des eben zur Erörterung stehenden Bätsels bedeuten, 
so glaube ich doch, daß der Brunnerschen Ansicht ein richtiger Kern 
zugrundeliegt und daß es nur darauf ankommt diesen zuverlässigen 
Baustein richtig zu verwerten. Die größte Wahrscheinlichkeit spricht 
dafür, daß dem Worte „plibium* jene Bedeutung zukommt die ihm 
Brunner, gestützt auf afrz, „plevir*, mlai „plegium* etc., zugewiesen hat 
Viel weniger Klarheit herrscht bezüglich der Entscheidung der Frage, 
wie das Verhältnis des „plibium* zum Verfahren des Loosordals zu 
denken sei. Geffcken und Brunner glauben übereinstimmend, daß 
dem Kläger das eine Verfahren oder das andere zur Wahl stand, daß 
der Kläger entweder auf das Gottesurteil des Looses antragen konnte 
oder auf das Verfahren mit „plibium*. Diese, wie wir gleich erkennen 
werden, wohl kaum zutreffende Ansicht hat dann Brunner zu der eben¬ 
falls nicht hinreichend fundierten Annahme bestimmt daß hier von 
einer Sicherheitsleistung im Folterungsverfahren die Bede sei; denn 
anders konnte er, da er das „aut* unserer Stelle — „oder* gesetzt 
hatte, das Wort „plibium* dann schwerlich erklären. Gehen wir nun 
aber davon aus, daß das „aut* unserer Stelle wie so of* in den Hand- 


*) Vgl. Meyer-Homberg, Untersuchungen zu den fränkischen Volks¬ 
rechten, 1. Bd., 8. 82. 

*) Vgl. Geffcken, a. a. 0. 



Beiträge rar Interpretation der Kapitalarien rar Lex Salica. 593 

Schriften der lex Salica 1 ) und in anderen vulgarlateinischen Texten 
auch hier = .und* sein konnte, dann lassen sich alle der Interpretation 
unseres Satzes im Wege stehenden Schwierigkeiten mühelos aus dem 
Wege raumen. Die in Frage stehende Stelle darf nämlich dann 
folgendermaßen übersetzt werden: Es soll das Loosordalverfahren 
■eingeleitet und zugleich vom Klager Sicherheit dafür geleistet werden, 
daß der Preis des Sklaven dem Herrn vom Klager werde ersetzt werden, 
falls der Sklave seine Unschuld zu beweisen imstande sei, weil eben 
in diesem Falle der Klager einen Unschuldigen den Gefahren des 
Strafprozesses ausgesetzt hatte. Es hat sonach unsere Stelle weder das 
Ordal des Kesselfangs, noch das Torturverfahren neben dem 
Looeordalver&hren im Auge, sondern einzig und allein das Loosordal 
und eine mit diesem Loosordalverfahren in unmittelbarem Zusammen¬ 
hänge stehende Sicherheitsleistung. Mit anderen Worten: die richtige 
Deutung unserer Stelle ergibt sich aus einer Kombination der Ansichten 
Geffckens und Brunners, unter gleichzeitiger Ausschaltung des von 
beiden Autoren begangenen Fehlers, «aut* — .oder* zu setzen. 


7. .ebrius* in Cap. V, 9. 

In der Bestimmung Cap. V, 9 hat seit jeher das Wort .ebrius* 
die Aufmerksamkeit der Forscher erregt Eine befriedigende Deutung 
ist indeß noch nicht geglückt Die Stelle lautet: .Si quiscumque do- 
mrun violenter distruerit, domum si pro firmamentum ebrius habuisse 
probatur, qui hoc facere praesumpserit et ei fuerit adprobatum, XLV 
aolidos culpabilis iudicetur*. Grimm*) setzt unser .ebrius* 8 )«» 
„curtis ruptura*. Behrend 4 ) erklärt das Wort als .Regendach*. 
Kern 6 ) denkt an ein Lehnwort aus salfr. eher (ahd. epur, eher) und 
legt demselben unter Berufrung auf nL .beer* = .Eberschwein* und 
9 Stützbalken* die letztere Bedeutung bei 8 )« Gegen die Deutung 


i) Vgl die Zusammenstellung bei Geffoken, 8. 161, rar Wendung ,aut 
barbarmn, qui legem Salega vivit«. 

*) Ygl. Grimm in Merkels Ausgabe der lex Salica, Vorrede XLVI. 

•) Handschrift 10 bringt die Lesart »lberus«. 

*) VgL Behrend, Lex Salica, 1. Auag., 8. 148. 

*) VgL Kern bei Hessels $ 293. 

•) Kerns Deutung wird akzeptiert Ton Lamprecht, Deutsches —— 

leben im Mittelalter, 1. BcL, 8. 8, Anm, 6 und A. Meitzen, Siedahn^^ 
wesen der Westgermanen etc., 1. Bd^ 8. 582. Geffcken, 8. 259 Hl 
^ern vorgeschlagene Deutung die plausibelste, fügt jedoch hinzu. 

Dicht gelungen sei, die Gleichung .Eber« = »Stütze« anderweit nad 



594 


Emil Goldmann. 


Kerns hat Van Helten 1 ) linguistische Bedenken erhoben. Gegen 
diese Etymologie spreche fürs erste der Endungsvokal von »epur*, fürs 
zweite das i der Endung der galloromanischen Form. Yan Helten 
möchte darum das Wort .ebrius*, dem er ebenfalls die Bedeutung 
.Stützbalken* zuzuschreiben scheint, auf salfr. *aBri, Derivativum zu 
älterem *aBr — got abrs = lo^opö^, zurückführen. Daraus sei durch 
Entlehnung *abrius (b als Substitut für die labiale Spirans) entstanden, 
A*nn durch Anlehnung an ein durch jüngere Entwicklung entstandenes 
*ebri-, ebrius. Von den eben angeführten Deutungen können als dis¬ 
kutabel nur die Ansichten Kerns und Yan Heltens in Betracht k ommen 
Yon diesen beiden hat infolge der in. E. schwerwiegenden Einwände 
Yan Heltens die Kera’sche Deutung auszuscheiden. Die yon Yan Helten 
vertretene Interpretation scheint nun in der Tat des Rätsels Lösung 
zu bringen. Sie hält sich viel strenger an die Lautgesetze als die 
Kem’sche Deutung, mit der sie im Sachlichen übereinstimmt Sie kann 
überdies auch durch ein m. K beachtenswertes sachliches Argument 
gestützt werden, das sich Yan Helten hat entgehen lassen. Notker 
(ed. Piper I, 150, 6) nennt die den First des Hauses tragende Säule*) 
„mägensül*: „älso wir in demo hüs hdizön mägensül, dia möistün 
sül, ih meino, diu den first tröget* *). »magansül« bedeutet unzweifel¬ 
haft: .kräftige Säule*. Die gleiche Bedeutung .Kraftsäule* wird 
nun aber durch Van Helten dem salfr. »ebrius* zugewiesen, wodurch 
sich ein gewichtiges Indiz für die Richtigkeit der Ansicht Yan Heltens 
ergibt 

f ) Ygl. Yan Helten, Paul und Braunes Beiträge, Jg. 1900, 8. 606. 

*) In der L. Baj. X, 6, 7 »firststl« genannt: >Si eam columnam a qua culmea 
sustentatur, quam firstsül vocant, cum 12 solidis componat«. 

•) VgL Henning, 8. 171; Hjalmar Falk im Reallexikon d. germ. Alter» 
tumskunde, hgeg. von Hoops, b. t. Dach. 



Die Beziehungen der Habsburger zum litauischen 
Hochadel im Zeitalter der Jagellonen. 

Von 

Oskar Ritter v. Haleoki. 


Zur Einführung. 

Die österreichisch-polnischen Beziehungen haben leider noch keine 
Gesamtdarstellung gefunden, wie wir sie für die österreichisch-russischen 
— vorläufig bis 1605 — im grundlegenden Werke H.*Uebersbergers: Öster¬ 
reich und Bußland seit dem Ende des 15. Jahrhunderts, I (Wien und 
Leipzig 1906), besitzen. Und doch waren die letzteren, wenigstens in 
jener Zeit, stets nur eine Folge der ersteren, die daher auch für die 
damalige Geschichte Österreichs und seines Herrscherhauses eine un¬ 
mittelbarere Bedeutung haben, was besonders bei Gelegenheit der ersten 
polnischen Interregna nach dem Aussterben der Jagellonen deutlich zu 
Tage trat Eröffnete sich doch hiebei jedesmal den österreichischen 
Habsburgem eine so viel versprechende Möglichkeit der Machterweiterung, 
daß sie sich im Falle eines erfolgreichen Ausganges ihrer Bestrebungen 
um den polnisch-litauischen Thron der Jagellonen nur mit der Er¬ 
werbung des böhmisch-ungarischen Erbes derselben Dynastie hatte ver¬ 
gleichen lassen. Dementsprechend hat auch in der reichen, vielsprachigen 
Literatur der drei ersten polnischen Königswahlen nach dem Tode 
Sigismund Augusts die habsburgische Kandidatur stets eine eingehende 
Berücksichtigung gefunden; um aber hiebei ihre Aussichten, ebenso wie 
die Ursachen ihres endgültigen Mißerfolges zu verstehen, ist es unum¬ 
gänglich nötig, ihre Vorgeschichte im weitesten Sinne des Wortes zu 



59 6 


Oskar Ritter v. Halecki. 


erforschen, und zwar nicht so sehr das im allgemeinen schon ziemlich 
bekannte Verhältnis des Hauses Habsburg zur polnischen Dynastie, die 
ja nach ihrem Erlöschen nur mehr durch ihre Traditionen wirken 
konnte, als vielmehr seine Beziehungen zum Adel des verwaisten König¬ 
reiches, dem ja doch bei jedem Interregnum die entscheidende Bolle 
zufiel, zu seinen verschiedenen Parteien und Gruppen, wie auch zu den 
einzelnen führenden Geschlechtern. Und gerade zur Aufhellung dieser 
letzteren Beziehungen, die 1572 eine schon ungefähr hundertjährige 
Geschichte hatten, ist bisher noch sehr wenig geschehen. 

Eines dieser Probleme zu lösen, ist die Aufgabe der folgenden Ab¬ 
handlung. Es fällt nämlich besonders bei der Betrachtung der zwei 
ersten Interregna in oft überraschender Weise auf, wie einerseits ge¬ 
rade in der fernen litauischen Reichshälfte, unter den einflußreichstell 
Vertretern der mächtigen litauischen Adelsfamilien, die österreichische 
Partei am stärksten und zuverlässigsten schien, andererseits aber die 
Unterstützung von litauischer Seite, die für die Kandidatur des kaiser¬ 
lichen Hauses eine sichere Grundlage zu bilden versprach, zu keinem 
Erfolge verhelfen konnte. Dies zu erklären, ist umso interessanter und 
notwendiger, als es mit der drei Jahre vor dem Aussterben der Jagd- 
Ionen zu Lublin abgeschlossenen endgültigen polnisch-litauischen Union 
in einem unzweifelhaften, aber noch nicht erschöpfend untersuchten 
Zusammenhänge steht. Die hiebei auftauchenden, bisher ungelösten 
Fragen zu beantworten, ist nur möglich, wenn man die Entstehung 
und Zusammensetzung jener habsburgischen Partei in Litauen im Lichte 
der schon viele Jahrzehnte zurückreichenden Beziehungen der betreffen¬ 
den Magnatengeschlechter zum kaiserlichen Hause zu verstehen sucht 
Mühsame Detailforschung auf bisher wenig bekanntem Gebiete, auf 
Grund teils ungedruckter, teils in den verschiedensten Publikationen 
verstreuter Quellen, muß ein genaues Bild dieser Beziehungen während 
der Jagellonenzeit liefern, bevor Litauens Rolle bei den darauffolgenden 
Königswahlen und diese Seite der österreichischen Politik richtig ge¬ 
würdigt und beurteilt werden kann. 

Neben dieser politischen hat aber das behandelte Thema auch eine 
gewisse kulturgeschichtliche Bedeutung. Es ist nämlich nicht unin¬ 
teressant zu sehen, wie jenes in der Übergangszone zwischen der west¬ 
europäischen und der osteuropäischen Welt gelegene Litauen, das am 
Ende des XIV. Jahrhunderts noch in letzter Stunde durch Polen für 
die entere gewonnen wurde, kaum seiner heidnischen Frühzeit ent¬ 
wachsen, in den Personen seiner vornehmsten Vertreter mit dem tradi¬ 
tionellen Zentrum der westeuropäischen Staatengruppe, dem kaiserlichen 



Die Bestehungen der Habeburger zum litauischen Hochadel etc. 597 


i_ Hofe, in unmittelbare Verbindung tritt Das anziehende kulturelle 
Problem in der Geschichte der polnisch-litauischen Union erfahrt hie¬ 
rdurch, wenn auch nur in einer Einzelfrage, eine genauere Würdigung. 


I. Die Vorbereitungszeit; bis zur Mitte des XVI. Jahr¬ 
hunderts. 

Als der berühmte Freiherr von Herberstein auf seinen beiden Ge¬ 
sandtschaftsreisen nach Moskau nicht nur Polen, sondern auch ganz 
, Litauen durchquerte *), schien ihm, im Gegensätze zum wohlbekannten 
Polen, das Stammland der Jagellonen, in nicht minderem Maße als 
das mo8kowitteche Reich, eine «terra incognita“ zu sein, die dem ge- 
. bildeten Westeuropäer erst näher geschildert werden mußte, so daß er 
.. in seinem epochemachenden Reisewerke über Moskau der benachbarten 
„Ldthuania* ein besonderes Kapitel widmete *)• Waren doch in früherer 
Zeit die dieses Land betreffenden Kenntnisse des Westens so unzu¬ 
länglich, daß selbst ein Aeneas Sylvias 8 ) kaum mehr darüber wußte, 
als daß sich dort, in bitter kaltem Klima, weite, nur spärlich besiedelte 
Wälder und Sümpfe ausdehnten, und mit Ausnahme der Nachrichten, 
die ihm Meister Hieronymus von Prag über seine apostolische Tätigkeit 
unter den dortigen Heiden mitgeteilt hatte, mehr Dichtung als Wahr¬ 
heit über Litauen verbreitete. 

Und doch war es gerade der habsbargische Hof, der sich früher 
als irgend ein anderer im mittleren Europa mit jenem fernen litauischen 
Seiche unmittelbar beschäftigen mußte. Noch kurz vorher hatten Mit¬ 
glieder des österreichischen Hauses, dem Beispiele aller vornehmen Ge¬ 
schlechter des christlichen Europa folgend, an den ständigen Kriegs¬ 
zügen des Deutschen Ordens gegen das heidnische Litauen teilgenommen, 
als eines von ihnen, Herzog Wilhelm der Schöne, auf geradezu demü¬ 
tigende Art die sichere Aussicht auf den polnischen Thron einbüßte (1385) 4 ), 

*) Außer auf seinen beiden Reisen nach Moskau 1617 und 1586 war Herber- 
stein auch noch 1629 und 1640 als Österreichischer Gesandter bei König Sigis¬ 
mund L in Litauen; vgl. seine Selbetbiographie in Fontes rer. austr. 8s. I. 286/7, 
325/6. 

*) Barum Mosooviticarum commentarii, Basileae 1661, pag. 109—117: »De 
XAthuania«. 

*) Vgl. in seiner »Historia« das 26. Kapitel der Beschreibung Europas: »De 
Kdtoania«, heraosg. z. B. 8s. rer. Pruss. IV 237/9; hierüber in der neuesten pol¬ 
itischen Literatur J. Fgaiek: Uchraescijanienie Litwy pries Polak?, Krakdw 1914, 
S. 11—16. 

4 ) Eine kritische Analyse der Quellen bei 8. Smolka: Rok 1386, 2. Aufl. 
S. 124/7. 



598 


Oskar Ritter v. Haleoki. 


um den litauischen Großfürsten Jagieüo beide Nachbarreiche in seiner 
Hand vereinigen za sehen. Allerdings ist dieses für die weitere Ge¬ 
schichte Osteuropas entscheidende Ereignis in der Folgezeit für die ge¬ 
genseitigen Beziehungen beider Herrscherhäuser ohne Bedeutung ge¬ 
blieben; die begreifliche anfängliche Verstimmung wurde ja schon wenige 
Jahre nach Wilhelms Tode durch die verwandtschaftliche und diplo¬ 
matische Annäherung seiner Brüder, der jüngeren Leopoldiner, an den 
neuen Herrscher Polens und Litauens beseitigt 1 ). Und zur Zeit seines 
Sohnes und Nachfolgers, König Wladislaw’s HL, schien gerade die da¬ 
malige Sonderstellung Litauens im jagellonischen Doppelstaate dem 
Haupte des Hauses Habsburg, König Albrecht IL, eine günstige Ge¬ 
legenheit zu bieten, um Polen bei der Rivalität um die böhmische 
Krone in Schach zu halten. Bekanntlich *) sollte dies durch ein Bündnis 
Albrechts mit dem dem polnischen Könige lehenspflichtigen litauischen 
Großfürsten Sigismund, einem Sohne des berühmten Kiejstut, geschehen. 
Von den verschiedenen Umstanden, die das Zustandekommen des Ver¬ 
trages verhinderten, ist für uns eine von besonderem Interesse, daß 
sich nämlich unter dem Adel des Großfürstentums zwei Parteien bildeten, 
von denen nur eine die separatistische Politik Sigismunds begünstigte, 
während die andere zu Polen hielt 8 ). Es zeigte sioh eben schon da¬ 
mals, daß die litauischen Bojaren, die vor der Union mit Polen sich 
unbedingt der großfürstlichen Gewalt beugen mußten, allmählich auch 
in der äußeren Politik ihren Einfluß geltend machen konnten, wozu 
die kurz vorher das Land zerrüttenden inneren Wirren nicht wenig 
beigetragen hatten. Da ferner im weiteren Verlaufe der Jagellonenzeit 
Litauen nur mehr vorübergehend, immer nur durch wenige Jahre (1440 
—1447, 1492—1501, 1644—1548), einen eigenen Herrscher hatte, der 
übrigens, so verschieden auch jedesmal seine staatsrechtliche Stellung 
war, immer der gemeinsamen Dynastie entstammte uud bald auch den 
polnischen Thron bestieg, so ist es einleuchtend, daß wenn von den 
Beziehungen Österreichs zur litauischen Reichshälfte gesondert die Rede 
sein soll, nur die zu ihren politisch bedeutenden Adelsgeschlechtem in 
Frage kommen können. 


*) Über diese Annäherung 1411/2 und ihre Bedeutung vgl. s. B. A. Prochaaka: 
Krdl Wtadystaw Jagietto, Kraköw 1908, I 833, sowie L. B^kowski im Warschauer 
Pmeglqd histor. 1913, XVI S. 10. 

*) Hierüber A Lewicki: Przymierze Zygmunta w. ks. lit. s krölem rxymskim 
Albrechtem, im 37. Bande der histor. Abhandlungen der Krakauer Akademie der 
Wissensch. 

’) Vgl. daselbst Beilage VTH, Bericht an den Hochmeister vom 22. November 

1439. 



Die Beziehungen der Habsburger zum litauischen Hochadel etc. 599 


Die Adelsklasse des hochbegabten litauischen Volkes hatte sich 
durch die Vereinigung mit Polen sowohl rechtlich wie auch kulturell 
durch eine fortschreitende Bezeption polnischer Einrichtungen und Ein¬ 
flüsse ungemein rasch entwickelt l ). Soziale, wirtschaftliche und po¬ 
litische Hechte, um die der Adel in anderen Landern durch lange histo¬ 
rische Perioden hindurch mit der Herrschergewalt rang, fielen ihm hier 
auf einer viel früheren Entwicklungsstufe fast mühelos in den Schoß, 
in einer langen Beihe von Privilegien zusammengefaßt (1387, 1413, 
1434, 1447, 1492 u. s. w.), die Schritt für Schritt die Grundsätze der 
freiheitlichen polnischen Verfassung auch auf die andere Beichshalfte 
übertrugen. Zugleich nahmen die höheren Stande Litauens, nachdem 
sie sich vorher immer mehr dem Einflüsse der reußisch-byzantinischen 
Kultur hingegeben hatten, unter dem Einflüsse Polens nicht minder 
rasch die lateinische Kultur des katholischen Abendlandes an. Ja über¬ 
raschend bald empfanden sie das Bedürfnis, zu dieser neuen Kulturwelt, 
deren Wirkungssphäre mit dem Lichte des katholischen Glaubens in 
Litauens Wälder gedrungen war, in unmittelbare Beziehung zu treten. 
Die Unternehmendsten unter den litauischen Herren begnügten sich 
nicht damit, zusammen mit den polnischen bei diplomatischen Unter¬ 
handlungen oder z. B. auf dem Konzil zu Konstanz den Vertretern der 
verschiedensten europäischen Staaten zu begegnen, sondern begannen auf 
weiten Beisen jene Länder, ihre Pürstenhöfe, ja sogar ihre Univer¬ 
sitäten 8 ), selbst aufzusuchen. 

Es handelte sich hiebei nicht bloß um Einzelfalle, wie etwa jenen 
Georg Butrym, der sich schon am Anfänge des XV. Jahrhunderts durch 
langjährigen Aufenthalt in verschiedenen «katholischen Beichen“ seine 
geistvolle Bildung erwarb 8 ) und vielleicht an der Entstehung der cha¬ 
rakteristischen Sagen vom vornehmen römischen Ursprünge der Litauer 
und ihrer Adelsgeschlechter beteiligt war 4 ). Es mußte dies vielmehr 
eine häufige Erscheinung sein, wenn sogar das Beichsprivileg von 1447 
die Bestimmung enthielt, daß alle litauischen Fürsten und Edelleute 
das Becht haben, sich in fremde Länder zu begeben, um dort ihr Glück 
zu machen oder sich in der Kriegskunst auszubilden, wenn es nur 

*) Näher besprochen im Zusammenhänge mit Litauens verfessungsgesch. Ent¬ 
wicklung bei 8. Kutrzeba: Histoiya ustroju Polski H Litwa, Lwöw 1914, S. 83 u. a. 

*) Schon 1409 studiert z. B. ein „Gregorius de Litwania“ an der Universität 
Leipzig (Metrica ... nationis Polon. univers. Lipriensis, im Archiwum do dziejdw 
lit. i oäwiaty w Polsce II). ' 

•) Joh. Dlugosrii Hist. Pol. IV 482 (1432). 

4 ) A. Brückner: Staroiytna Litwa, Warszawa 1904, S. 64/5. 



600 


Oskar Bitter v. HaleckL 


keine ihrem Vaterlande feindliche Staaten waren 1 ). Das bekannteste 
Beispiel eines solchen litauischen Magnaten, der, wie es ausdrücklich 
in den Quellen heißt, um das Ausland mit seinen fremden Brauchen 
und Einrichtungen kennen zu lernen, die Welt durchwanderte, ist der 
Hofedelmann König Kasimirs des Jagellonen Alexander Soltan, der in 
den Jahren 1467 bis 1469 ganz Westeuropa und das Heilige Land 
bereiste und bei Kaiser und Papst, sowie an den Höfen von Sizilien. 
Mailand, Kastilien, Portugal, Burgund und England gleich ehrenyoll 
empfangen, als Bitter des Goldenen Vließes und Kämmer«: Karls des 
Kühnen heimkehrte 8 ). Es ist hiebei besonders bemerkenswert, daß 
dieser später recht bedeutende Würdenträger und Diplomat des Gro߬ 
fürstentums keineswegs einer ethnographisch litauischen, unmittelbar 
vom Heidentum zum römischen Katholizismus bekehrten Familie ent¬ 
stammte, sondern ruthenischer Herkunft war und, wenn auch Anhänger 
der religiösen Union mit Born, der griechischen Kirche angehörte, was 
deutlich beweist, wie die abendländische Kultur auch auf die Ober¬ 
schicht der ruthenischen Bevölkerung des GroßfÜrstentumes überm- 
greifen begann, was wir im Folgenden noch oft bestätigt finden 
werden. 

Es war kein Zufall und nicht allein durch die geographische Lage 
bedingt, daß dieser »splendidus dominus e Lithuania 11 , wie ihn Galeazzo 
Maria Sforza nennt, seine Europareise am habsburgischen Hofe, bei 
Kaiser Friedrich HI. begann, der ihn dann auch an die übrigen Herrscher 
weiterempfahl. Neben dem traditionellen Nimbus, der gerade in fernen 
Landen das weltliche Oberhaupt der Christenheit umgab, war gewiß 
auch der Umstand dafür entscheidend, daß Friedrich IH. nicht nur mit 
Kasimir dem Jagellonen noch vor dessen Erhebung auf den polnischen 
Thron, als Großfürsten von Litauen, in diplomatischem Verkehr ge¬ 
standen war 8 ), sondern ihm auch Elisabeth, König Albrechts IL Tochter, 
zur Frau gegeben hatte. Schon auf der Zusammenkunft zu Breslau im 
August 1463, wo diese Ehe endgültig festgesetzt wurde, waren außer 
den polnischen Vertretern König Kasimirs auch zwei litauische Herren, 
der einflußreiche Starost von Polock Andreas Sakowicz und Johann 
Niemirowicz, anwesend gewesen 4 ), und als erste Habsburgerin, die 
sich mit einem Jagellonen verband, war Königin Elisabeth auch 

*) Codex epistol. eaeculi XV, Band DI nr. 7 | 6; vgl. auch hiezu bei J. J&- * 
kubowski: ßtudya nad stoftunk&mi narodow. na Litwie, Waraz. 1912, S. 32. 

*) Vgl. seine interessante, auf ungedruckte Urkunden gestützte Biographie 
von Ad. 8oltan in der Zeitschrift Litwa i Bus 1913, Heft 10/2. 

*) Codex epistol. saeculi XV, Band 1/2 nr. 9. 

4 ) Dtug 08 z, V 147; Dogiel: Codex dipl. Regni Poloniae, I S. 165, 157. 



Die Beziehungen der Habsburger zum litauischen Hochadel etc. 601 


die erste ihres Hauses, die sich in Begleitung ihres Gemahls öfter 
in Litauen aufhielt Nichts Näheres wissen wir leider von ihrem Ver¬ 
hältnisse zu ihren dortigen Untertanen und es wäre höchstens zu er¬ 
wähnen, daß, als 1475 eine von ihren nach Deutschland heiratenden 
Töchtern, Prinzessin Hedwig, nach Landshut reiste, um Herzog Georg, 
yon Bayern zu ehelichen, auch einer der vornehmsten litauischen Ma¬ 
gnaten, Adalbert Moniwidowicz, sie begleitete 1 ). Im allgemeinen hatte 
natürlich Kasimir nur als König von Polen unmittelbare Beziehungen zum 
kaiserlichen Oheim seiner Gattin, einmal aber wenigstens wandte sich 
dieser auch als litauischen Herrscher an ihn, als er ihn nämlich im April 
1481 aufforderte*), dem mit Litauen benachbarten Ordensmeister in 
Livland gegen die »Reußen* und anderen Ungläubigen, als gemeinsame 
Feinde der Christenheit, Hilfe zu leisten; da aber schon damals, be¬ 
sonders wegen der durch die Personalunion mit Polen bedingten öfteren 
Abwesenheit des Landesherren,, in Litauen der großfürstliche Rat einen 
immer größeren Einfluß gewann, ja manchmal so gut wie selbständig 
diplomatische Verhandlungen führte, richtete Friedrich HL gleichzeitig 
auch ein gleichlautendes Schreiben »an prelaten, ritterschafft und reten 
des Großfurstentumbs zu Litthaw*, das gleichsam das älteste Denkmal 
politischer Beziehungen der Habsburger zum dortigen Adel bildet 

Von größerer Bedeutung konnten diese aber erst dann werden, ak 
litauische Magnaten nicht nur vorübergehend, z. B. auf einer Reise, 
sondern für längere Zeit den Hof des österreichischen Herrscherhauses 
aufeusuchen begannen, indem sie zeitweise in seine Dienste traten, wie 
dies schon zur Zeit Maximilians 1. mehr als einmal geschah. Einer der 
ersten und zugleich bedeutendsten unter ihnen war der berühmte Fürst 
Michael Glinski, »Pan Michael*, wie ihn die Deutschen nannten, die 
sich in böhmischer Sprache mit ihm verständigten 8 ). Obwohl er seiner 
Abstammung nach, als Sproß eines ursprünglich tatarischen Geschlechtes 
der westlichen Kultur besonders fern zu stehen schien, war er doch 
durch langjährigen Aufenthalt in Italien, wo er studierte und den 
katholischen Glauben annahm, und in Deutschland von ihrem Einflüsse 
stark durchdrungen worden; er hielt sich, eifrig Kriegsdienste leistend,, 
während seiner Wandeijahre bei verschiedenen Fürsten auf, —• so nahm 
er 1498 unter Herzog Albrecht von Sachsen an dessen Kümpfen in 
Friesland teil —, und war euch im Hofdienste Kaiser Maximilians g«- 

*) Ibidem, V 634; über das Aufsehen, das er durch ncino Tmcht /«I. 

F. Pap^e: Stodya i szkice, 8. 291, 295. 

*) Haus-, Hof- und Staatsarchiv zu Wien, Rujwica, fu*c. 1 u. 

*) Herbentein: Herum Moecov. commentarii, 8. 112/4 da Itoianrcr Alwlinitt 
über GlilSski. 



602 


Oskar Ritter v. Halecki. 


standen: unterschreibt er sich doch noch 1609 in dem interessanten 
Briefe, den er aus Moskau an den Kaiser sandte *), als dessen „humilis 
familiaris“. Bekanntlich war nämlich Fürst Glinski, nachdem er nach 
längeren Fehden mit einer ihm feindlichen Partei in Litauen daselbst 
einen Aufstand entfesselt hatte, zum gefährlichsten Feinde dieses Landet, 
dem Großfürsten von Moskau übergegangen, dem er in den darauf¬ 
folgenden Kämpfen seinen Einfluß und seine Kriegskunst zur Verfügung 
stellte. Wenn er sich auch im moskowitischen Reiche, das zu dem 
Westen, wo er aufgewachsen war, in so vollkommenem Gegensätze 
stand, nicht heimisch fühlen konnte und daher eben in dem erwähnten 
Schreiben den Kaiser bat, ihm bei König Sigismund L von Polen eine 
vollkommene Amnestie zu erwirken, waren doch gerade seine Be¬ 
ziehungen zu Maximilian für seinen neuen Herren von besonderer Be¬ 
deutung, indem sie bei der österreichisch-moskauischen Annäherung in 
den Jahren 1608 bis 1514, als der Kaiser durch Erneuerung des schon 
von seinem Vorgänger abgeschlossenen Bündnisses mit Moskau die 
Jagellonen in Schach zu halten suchte, eine nicht unwichtige Bolle 
spielten *). So wurde Litauen, das an dem habsburgisch-jagellonischeu 
Gegensätze im Westen naturgemäß unbeteiligt war, in den Folgen 
dennoch gefährlich davon betroffen und ist es daher begreiflich, daß, 
wie wir gleich sehen werden, auch seine Vertreter an jenen Verhand¬ 
lungen beteiligt waren, die 1516 einen vollständigen politischen Um¬ 
schwung brachten. 

So kommt es, daß der Wiener Kongreß dieses bedeutungsvollen 
Jahres auch für die Verbindungen der Habsburger mit Litauens her¬ 
vorragenden Magnaten von besonderer Wichtigkeit wurde, und zwar 
Tor allem auch deshalb, weil sie damals zum ersten Male mit jenem 
litauischen Geschlechts in Verbindung traten, das ihnen von nun an 
immer am nächsten stand und später so oft an der Spitze der öster¬ 
reichischen Partei seines Heimatlandes erschien, nämlich mit den 
Radziwitt. 

Wenn auch einer der Rivalen dieser Familie, den wir noch naher 
kennen lernen werden, in starker Übertreibung auf die bescheidenen 
Anfänge der Radziwitt vor hundert Jahren hinwies und nicht ohne 


*) Veröffentl. bei L. Finkel: Elekeya Zygmnnta I, Kraköw 1910, Beilage VIL 
Vgl. daselbst über Glinski S. 90 ff. 

*) Ibidem, S. 229, 230, 232; v gl. auch Ueberaberger: Österreich und Rußland, 
I 71 ff., 128/9. Als Glinski 1514 entgültig von Moskau abfallen wollte, wurde er 
bekanntlich ins Gef&ngnis geworfen, aus dem ihn Maximilian L vergeblich durch 
Herberstein zu befreien suchte, indem er ihn eventuell zu seinem Enkel Karl zu 
senden versprach. 



Die Beziehungen der Habeburger zum litauischen Hochadel etc. 603 

Unrecht behaupten konnte, daß erst ihre Verschwägerung mit den 
Herzogen von Masowien (1496/97) und die ungemein freigebigen Güter¬ 
verleihungen (angeblich im Werte von 100.000 Dukaten), die sie von 
König Sigismund I. erhielten, die Grundlage zu ihrer Macht und ihrem 
Ansehen gelegt hatten 1 ), so ist es doch unzweifelhaft, daß sie schon 
seit mehreren Generationen zu den ersten Geschlechtern Litauens ge¬ 
hörten. Schon der Großvater der zu Sigismunds Zeit auftretenden Ge¬ 
schwister wurde einst von wohl unterrichteter Seite als Kandidat für 
die großfürstliche Würde genannt 8 ) und das nunmehrige Oberhaupt 
der Familie, Nikolaus Radziwilt, war schon seit 1510, ebenso wie einst, 
sein Vater, Palatin von Wilna und Großkanzler, somit der höchste 
weltliche Würdenträger des Reiches. Daher ist es begreiflich, daß ge¬ 
rade er an der Spitze jener zahlreichen Litauer erschien, die neben den 
Polen und den Vertretern des polnischen Preußens König Sigismund 
im März 1515 nach Preßburg und hierauf nach Wien begleiteten 8 ). 

Wie schon mit Hecht hervorgehoben wurde 4 ), sind die Einzelheiten 
der dortigen Verhandlungen nur wenig bekannt, da die meisten gleich¬ 
zeitigen Schilderungen hauptsächlich nur von den imposanten Äußer¬ 
lichkeiten des Kongresses, die offiziellen Urkunden nur von den End¬ 
ergebnissen berichten. Von Radziwill, der als Vertreter Litauens jeden¬ 
falls die Aufgabe hatte, den Anschluß Österreichs an Moskau rückgängig 
zu machen und Maximilians Beziehungen zum moskauischen Gro߬ 
fürsten in einem für die Jagellonen und vor allem für Litauen gün¬ 
stigen Sinne zu beeinflussen, wissen wir leider nur so viel, daß er schon 
anfangs, am 2. April, beim Beginne der engeren Verhandlungen der 
Könige von Polen und Ungarn mit dem Kardinal von Gurk, dem Ver¬ 
treter Österreichs, den acht Beiräten Sigismunds zugezählt wurde und 

*) Acta Tomidana, VH/2 nr. 36, 8. 259. Trotz der großen histor. Bedeutung 
der Radziwüt gibt es über sie noch keine größere Familiengeschichte auf Wissen¬ 
schaft!. Basis; E. Kotlubaj’s Galeija Nieswiezska portretdw Radziw., Wilno 1857, 
bringt manche Nachricht aus dem Familienarchiv, ist aber nur mit größter Vor¬ 
sicht zu benützen und für die ältere Zeit sehr mangelhaft. Zur Genealogie vgl. 
die Artikel in Zychlinski’s Zlota ksi^ga XI, und Boniecki’s Poczet rodöw W. 
Ks. lit. 

*) Liv-, Eet- und Kurländ. Urkundenbuch XI nr. 296 (1463). 

*) Seine Anwesenheit ist au Ter in den unten zitierten Quellen auch bei Bar- 
tholinus (Hodoeporicon Mathiae Gurcensis Episcopi, Freher: Rerum Germ. Ss. II. 
666), GOrski (Acta Tomiciana, I I nr. 433 S. 310, vgl. auch nr. 512) und Decius 
(De 8igismundi Regis temporibus, Bibi, pisarzöw polskich Nr. 39, S. 98) erwähnt. 

4 ) Vgl. X. Liske: Der Kongreß zu Wien i. J. 1615 (Forschungen zur deutschen 
Gesch. VII; polnische Neuauflage in Studya z dziejöw wiekuXVI). Zur Ergänzung 
kOnnen die von ihm 1878 in Ss. rerum Polon. IV publizierten zwei neuen Diarien, 
des Kongresses dienen. 



604 


Oskar Ritter v. Halecki. 


mit den polnischen Kanzlern Szydlowiecki und Tomicki die wichtigste 
Solle unter ihnen spielte 1 ). Hiebei scheint er nicht nur, wie ja die 
Ergebnisse des Kongresses beweisen, seine Aufgabe erfüllt, sondern 
auch überhaupt zum Erfolge der Unterhandlungen beigetragen zu haben, 
•da er sich, wie wir sehen werden, in hervorragendem Maße die Gunst 
des Kaisers erwarb. Auf die Augenzeugen, auf Maximilians deutsches 
und italienisches Gefolge und die Wiener Bevölkerung, denen die Litauer 
größtenteils als ein unbekanntes Barbarenvolk galten, machte aber vor 
allem Badziwitt’s prunkvolles Auftreten, die Gefangenen aus den letzten 
Kämpfen mit den Tataren und Moskau, die er dem Kaiser übergab, 
einen mächtigen Eindruck und ganz besonders erstaunt war man über 
die 100 kunstfertigen Musikanten, die er und ein zweiter litauischer 
Magnat, Stanislaus Gasztold, mitgebracht hatten und die beim Gottes¬ 
dienste selbst dem Kaiser vorspielten 8 ). 

Es ist selbstverständlich, daß Maximilian beim Abschiede die vor¬ 
nehmsten Bäte seiner königlichen Gäste zum Danke für ihre erfolg, 
reichen Bemühungen reich beschenkte, was uns auch übereinstimmend 
alle Beschreibungen des Kongresses berichten. Aber Geschenke allein, 
die überdies die stets geldbedürftige kaiserliche Kasse stark in Anspruch 
nahmen, konnten kaum den Zweck erfüllen, jene ohnehin reichen und 
vor allem ehrgeizigen Herren dauernd für das Haus Habsburg zu ge¬ 
winnen. Dies zu erreichen, faßte Maximilian einen andern Plan, der 
auch mit seiner hohen Auffassung der kaiserlichen Würde wohl über¬ 
einstimmte: er beschloß die hervorragendsten der mit Sigismund er¬ 
schienenen Magnaten kraft seiner kaiserlichen Machtvollkommenheit zu 
BeichsfÜrsten, beziehungsweise Beichsgrafen zu machen, wobei für den 
Fürstentitel neben dem polnischen Großkanzler Szydlowiecki auch sein 
litauischer Amtskollege Badziwitt ausersehen war; hatte er doch, wie 
es drei Jahre später im Fürstendiplome ausdrücklich hervorgehoben 
wurde, auf dem Kongresse seine edle Gesinnung und Klugheit deutlich 
bewiesen, sich große Verdienste um die gesamte »res publica Christians» 
erworben und den Kaiser außerordentlich für sich eingenommen *). 

4 ) Sb. rer. Polon. IV 116; im „Diarium de congressu Maximilian^ etc. Cos- 
pinian's (Freher: Herum Germ. Sb. II 598) sind nur Tomicki, Szydlowiecki und 
Radziwitt hiebei genannt, in dessen Tagebuche (ed. H. Ankwicz in den Mitteilungen 
des In8tit. XXX 313) findet sich 2./IV nur die Eintragung: „factum prindpium 
tractatus cum duobus regibus“ ohne Angabe weiterer Namen. 

*) M. Stryjkowski: Eronika litewska, Buch 24, 3. Kapitel; vgl. auch A. W. 
Kojalowicz: Compendium (Herold polski 1897, S. 196/7). 

•) Das Diplom von 1518 (wie alle folgenden) nach dem Original im Radxhr. 
Archiv zu Nieswiei publiziert bei K. Eichhorn: Das Verhältnis des hochfürstL 
Radziwiirschen Hauses zu den Fürstenhäusern Deutschlands, o. J. (verbesserte poln. 
Übersetzung, Warn. 1843), Beilage I. 



Die Beziehungen der Habsburger zum litauischen Hochadel etc. 605 

Diese anscheinend so verlockenden Standeserhöhnngen begegneten 
aber unvermuteten Schwierigkeiten. Als des Kaisers Absicht bekannt wurde, 
versammelten sich die polnisch-litauischen Herren und beschlossen, die 
ihnen zugedachte Auszeichnung dankend abzulehnen, um — wie sie 
nagten — keine Neuerungen einzuführen, die mit dem bestehenden 
Bechte und dar Gleichheit innerhalb des Adelsstandes in Widerspruch 
stünden 1 ). Diese Antwort ist leicht zu verstehen, wenn man bedenkt, 
daß es in Polen bekanntlich keine einheimischen Fürsten- und Grafen¬ 
titel gab, sondern der gesamte Adel, dessen rechtliche Gleichheit schon 
damal« als Dogma galt, in große Wappenstamme zerfiel, deren jeder 
sowohl reiche Magnatengeschlechter, wie auch ganz unbedeutende, un- 
vermögende Familien zu seinen agnatischen Mitgliedern zahlte; und 
wenn auch in der litauischen Beichshalfte zahlreiche einheimische 
Fürstengeschlechter blühten, so waren dies eben wirkliche Dynasten¬ 
sprossen, größtenteils Nachkommen Gedymins und Buryk’s, in deren 
Kreis keine Standeserhöhung Einlaß gewähren konnte. Umso bedenk¬ 
licher, nicht nur in sozialer sondern auch in politischer Beziehung, 
mußten erst solche Verleihungen von seiten eines fremden Staates, wie 
des KL römischen Beiches erscheinen, da sie einen solchen BeichsfÜrsten 
in eine gewisse Abhängigkeit vom Kaiser bringen mußten, so sehr 
dieser auch in solchen Diplomen betonte, daß sie den Hoheitsrechten 
des polnischen Königs in keinerlei Weise präjudizieren sollten. An¬ 
dererseits aber schienen diese ausländischen Titel und Würden, deren 
Annahme später sogar gesetzlich verboten werden mußte, einzelnen 
ehrgeizigen Magnaten außerordentlich begehrenswert und daher meinten 
es auch 1515 nicht alle ganz ernst und ehrlich mit ihrer solidarischen 
Ablehnung, wenn sie auch momentan dem Drucke der öffentlichen 
Meinung nachgaben. 

Zu diesen letzteren, die trotz des offiziellen Beschlusses dennoch 
durch private Bemühungen den ihnen in Aussicht gestellten Titel 
zu »halten suchten 2 ), gehörte auch Nikolaus Badziwilt, was insofern 

*) Ygl. die Schilderung im Briefe Ober die fremden Adelstitel in Polen, den 
der Urenkel eines der 1515 die Standeserhöhung zurückweisenden Magnaten (Nie. 
Firiej) an seinen Sohn schrieb, bei J. Niemcewicz: Zbidr p&mi^tnikdw, IV 115 ff. 
(auch von Dzialynski in den «adnotatäones* znm «Liber geneseos ilL famiKae 
Schidloviciae*’ heranagegeben). 

*) Z. B. der Kronkanzler S'.ydlowiecki; öffentlich lehnte er zwar den Fürsten¬ 
titel ab und nahm nur eine Wappenvermehrung an, die ihm ohnehin genug 
spöttische Kritik eintrug (vgl. die Spottverse Krzyckfs bei X. Luke: Studya z 
dziejöw w. XVI, S. 160/1 Anm. 16): beim Abschiede, am 2. August zu Wiener- 
Neustadt, erhielt er aber dennoch vom Kaiser ein Diplom, in dem ihm für seine 
großen Verdienste wahrend der Verhandlungen des Kongresses neben dieser Wappen- 



606 


Oskar Ritter v. Halecki. 


begreiflich war, als damals schon längst die litauischen Herrenge¬ 
schlechter, darunter auch seine Familie, tatsächlich weit mächtiger 
waren als die alten Fürstenhäuser 1 ) und ihnen nun auch äußerlich 
nicht nachstehen wollten. Nachweisbar 8 ) begann der Palatin von 
Wilna seine Schritte gleich nach dem Wiener Kongresse, welcher 
Mittel er sich aber hiezu bediente und wie er schließlich das scheinbar ver¬ 
schmähte Fürstendiplom vom Kaiser erhielt, kann man dann erst recht 
verstehen, wenn man sich vorher darüber klar wird, wie gerade die 
Litauen betreffenden Ergebnisse des Kongresses weitere Beziehungen 
seiner einflußreichen Magnaten zu Maximilian L hervorrufen mußten. 

Die Verpflichtung des Kaisers, den Großfürsten von Moskau nie¬ 
mals mehr im Kampfe gegen Sigismund L zu unterstützen, ließ sich 
nämlich, wie schon treffend betont wurde 8 ), nur dann mit dem im 
Vorjahre mit Moskau geschlossenen Bündnisse vereinbaren, wenn es 
ihm gelang, zwischen den beiden Gegnern einen Frieden zu vermittele 
der auch seinen Lieblingsplan, den gemeinsamen Kampf der Christenheit 
gegen die Türken, einer Verwirklichung näher zu bringen schien. Da 
nun der moskauische Krieg, wenn auch fast immer polnische Hilfs¬ 
truppen daran teilnahmen, damals vor allem eine Litauen betreffende 
Angelegenheit war, so war es selbstverständlich, daß die diplomatische 
Intervention des Kaisers nicht ohne Verständigung mit den unmittelbar 
daran interessierten, sachkundigen litauischen Magnaten möglich war. 
Zu diesem Behufe wurde daher noch im Sommer 1515 den am kaiser¬ 
lichen Hofe zurückbleibenden Vertretern Sigismunds ein im diploma¬ 
tischen Verkehre mit Moskau oft verwendeter litauischer Würdenträger, 
der einem alten wolhynischen Adelsgeschlechte entstammende gro߬ 
fürstliche Marschall und Reichssekretär Michael Bohusz Bohowitynowicx 
beigegeben 4 ). Er kehrte zwar noch im selben Jahre zu seinem Könige 
zurück, da Maximilian und der von ihm nach Moskau entsendete Pan¬ 
taleon von Thum sich durch ihn mit Sigismund über die bevorstehend 

besserung und der Rotwachsfreiheit auch wenigstens der Reichsfrei- und Banner- 
herrnstand verliehen wurde (das von St. Krzytanowski im Breslauer Staatsarchiv 
entdeckte Dokument veröffentlichte J. Kieszkowski: Kanclerz Krzysztof Szydlo- 
wiecki, Poznan 1912, Beilage II; siehe dort auch S. 200/1, 206). Im „Liber ge* 
neseos ill. ftuniliae Schidloviciae“ v. J. 1631 (ed Dzialynski 1848) heißt es irr¬ 
tümlich, daß er vom Kaiser den Grafenstand erhalten habe. 

*) Vgl. die statistische Zusammenstellung bei L. Kolankowski: Zygmunt 
August, w. ks. Litwy, do r. 1648, Lwdw 1913, 8. 206—211. 

*) Acta Tomiciana XI nr. 260. 

*) H. Uebersberger, o. c., 8. 97/8. 

4 ) Acta Tomiciana EG nr. 669. 



Die Beziehungen der Habssurser nun Iranischen Hochziel etc. 


607 


den Verhandlungen verständigen wollten i y. scheint aber doch selbst in 
dieser kurzen Zeit mit dem kaiserlichen Hofe auch persönlich in nahm 
Beziehung getreten zu sein: wir hören nämlich, daß sein jüngerer 
Bruder Johann in den Dienst Maximilians trat, der ihn dann, ebenso 
wie spater Ferdinand L seinem heimatlichen Herrscher so warm 
empfahl, daß er mit Sucksicht darauf nach seiner Rückkehr nach Litauen 
feierlich zum Hitler geschlagen wurde Bohusz selbst aber sollte bald 
wieder mit der östereichischen Politik in Berührung kommen. 

Es geschah dies zunächst anläßlich der osten Gesandtschaftsreise 
Herbersteins nach Moskau im Jahre 1517, die ja ebenfalls, allerdings 
ganz ergebnislos, einen Frieden mit Litauen vermitteln sollte. Für uns 
ist hiebei nicht nur der Umstand interessant, daß damals zum ersten 
Male Österreichs und Litauens Vertreter gemeinsam in Moskau vor¬ 
handelten, da sich Sigismund L nach einigen Monaten entschloß, eben 
jenen Bohusz Bohowitynowicz, sowie einen zweiten Litauer Johann 
Szczyt dahin zu senden 4 ), sondern auch der Aufenthalt Herbersteins 
in Litauen selbst, auf der Hin- und Rückreise, der ihm Gelegenheit gab, 
den dortigen Herren unmittelbar näher zu treten. Schon als er im 
Marz 1517 zum ersten Male nach Wilna kam, nahmen ihn diese durch 
einen liebenswürdigen, ehrenvollen Empfang außerordentlich für sich 
ein 8 ), was ihn allerdings nicht hinderte, den selbstsüchtigen Eigen¬ 
willen jenes Hochadels, der ihm seine übermäßige Freiheit nur zu mi߬ 
brauchen schien, und seine schädlichen Folgen für das Staatsleben 
wohl zu erkennen 6 ). Umso mehr mußte er es allerdings für nötig 
halten, diese so einflußreichen Herren zu gewinnen, und begreiflichem 
weise waren es die R&dziwiii, deren Beziehungen zum Kaiser er auf¬ 
zufrischen suchte und die ihrerseits, gewiß im Zusammenhänge mit 
ihren Bestrebungen um das erwähnte Fürstendiplom, dem kaiserlichen 
Gesandten aufs herzlichste entgegenkamen. Für den Maximilian schon 
vom Wiener Kongresse her bekannten Palatin von Wilna Nikolaus 
hatte Herberstein ein kaiserliches Schreiben mitgebracht, das er ihm schon 
auf der Hinreise übergab, besuchte ihn aber auf dom Heimwege noch¬ 
mals auf seinem Statthaltersitze in Bielsk und erhielt von ihm heim 

*) Acta Tomidana, III nr. 591, 692, 601; vgl. bei llehernbergor, 8, M>, 101. 

*) Acta Tomiciana XI n. 231 (1629). 

*) VgL die Urkunde Sigismund Augusts vom 30. Augunt 1M1 in «1er kto», 
Bibliothek zu Petersburg (Coli. .ut. 206), freundliohit mittet eilt von IV« t Dr W. 
Semkowicz. 

4 ) Acta Tomiciana IV nr. 244/8, vgl. 8. 101, 187. 

*) Berum Moscov. Commentarii, png, 144; vgl. in «ler Hellmtliiogr. Konten 
rer. Austr. 1/1., S. 113. 

•) Commentarii, p. 111. 



608 


Oskar Ritter ▼. Halecki. 


Abschiede einige ungarische Gulden, um sich daraus, wie Radziwitt 
bat, eine Kette machen zu lassen, die ihn täglich, besonders beim 
Kaiser, an den Spender erinnern sollte. Nicht weniger freundlich er¬ 
wies sich ein mit Nikolaus stammverwandter Magnat, Gregor Oscikowicz, 
der als Palatin von Troki die zweithöchste Reichs würde innehatte und 
daselbst Herberstein auf seiner Rückreise, ^obwohl er unvermutet ein¬ 
getroffen war, sofort zu einem Gastmahle einlud und ebenfalls reich 
beschenkte 1 ). 

Bekanntlich hatte Herberstein auch die Aufgabe gehabt, in Wilna 
König Sigismund L zur Heirat mit der vom Kaiser vorgeschlagenen 
Braut, Bona Sforza, zu bewegen, und dies war ihm auch besser ge¬ 
lungen, als seine Moskauer Mission: sandte doch der König alsbald 
seine Gesandten Ostrorög und Konarski nach Italien, um Bona zur 
Vermählung nach Krakau zu geleiten. Es ist nun bemerkenswert, daß 
anfangs auch Nikolaus Radziwitt’s Schwester, die verwitwete Herzogin 
von Masovien, beziehungsweise ihre Tochter, als Braut für Sigismund L 
in Betracht kam, sich sogar deswegen um Fürsprache an den Kaiser 
wandte, dem es jedoch gelang, durch ein diplomatisches Schreiben an 
ihren Bruder und gewiß auch durch Herbersteins Einfluß einen ernst¬ 
lichen Widerstand des einflußreichen Magnaten gegen die Ehe mit 
Bona zu verhindern *). Gewiß hangt damit zusammen, daß Radziwitt 
eben bei dieser Gelegenheit den so erwünschten Reichsfürstenstand er¬ 
hielt, und zwar durch Vermittlung eines polnischen Prälaten, der nicht 
nur überhaupt damals eine interessante, noch nicht ganz aufgethellte 
politische Rolle spielte 8 ), sondern auch gerade zn den litauischen Herren 
in nahen Beziehungen stand. Es war dies der damalige Propst zu 
Wilna und spätere Bischof von Kamieniec Podolski Laurentius Migdzy- 
leaki 

Wie wir zufällig ans einem späteren Schreiben erfahren 4 ), hatte 
ihn Nikolaus Radziwitt gleich nach dem Wiener Kongresse gebeten, 
ihm beim Kaiser das Fürstendiplom, das er, als es ihm angeboten 
wurde, nicht hatte annehmen können, nachträglich zu verschaffen; es 
scheint aber, daß Maximilian, wohl durch die ursprüngliche Ablehnung 
unangenehm berührt, nun Schwierigkeiten machte, so daß Mi$dzyleski 


i) Commentarii, p. 149; Fontes rer. Anstr. 1/1., 8. 131. Bezeichnenderweise 
nennt ihn Herbergtein Gregor Radziwitt, was darauf hinweist, cUJ beide Familien, 
die wirklich einen gemeinsamen Ahnherrn in der ersten H&lfte des XV. Jahriu 
haben, damals noch allgemein als ein Geschlecht galten. 

*) Vgl. A. Darowski: Bona Sforza, Rom 1904, S. 69/70. 

*) Vgl. über ihn bei L. Kolankowski, o. c., S. 11 Anm. 9. 

4 ) Acta Tomiciana XI nr. 250 (Tomicki an J. Chojedski 20. Juni 1529). 



Die Beziehungen der Habsburger zum litauischen Hochadel etc. 609 


sich erat die Befürwortung des kaiserlichen Sekretärs Jakob Spiegel 
verschaffen mußte, dem er für seine Bemühungen eine Entschädigung 
von 100 Gulden versprach. Es ist dies wohl ein deutlicher Beweis, 
daß Badziwitt seinen Fürstenstand keineswegs, wie er später vor König 
Sigismund behauptete *), ohne irgendwelche eigene Bemühungen oder 
jemandes Fürsprache, bloß «motu proprio« Maximilians erhalten hatte, 
daß vielmehr seine Gegner ganz mit Becht betonten, er habe sich selbst 
vom Kaiser zum Fürsten machen lassen 1 ). Trotz dieser Bestrebungen 
verzögerte sich aber die Erledigung fast drei Jahre lang, bis endlich 
bei Gelegenheit der Beise Bona’s nach Polen die günstige Lösung zu¬ 
stande kam. 

Zur selben Zeit nämlich, wo die polnischen Gesandten in Neapel 
die Braut ihres Königs abholten, weilte in Born bei Papst Leo X. der 
damals eben von Sigismund L zur Kurie entsendete Mi^dzyleski, der 
dort gemeinsam mit den Gesandten des Kaisers, der Könige von Spanien, 
Frankreich, England, Portugal und anderer Fürsten an den Beratungen 
über einen allgemeinen Türkenkreuzzug teilgenommen hatte und nun, 
zur weiteren Verhandlung hierüber und als Nuntius bei Bonas Hochzeit 
vom Papste wieder nach Polen geschickt, zugleich mit dieser und ihren 
Begleitern, wenn auch auf anderem Wege, nach Norden reiste 8 ). Im 
Februar 1518 kam er nach Augsburg und es konnte für ihn keinen 
günstigeren Augenblick geben, um Badziwitts Wunsch zu erfüllen: erstens 
war nämlich Maximilian hochbefriedigt über das Zustandekommen der 
Heirat Bona’s und wollte, wie wir vorhin angedeutet haben, Badziwiit 
für die hiedurch vereitelten Hoffnungen seiner Verwandten entschädigen, 
zweitens aber hatte eben der Fürsprecher selbst den Kaiser dadurch 
gewonnen, daß er in Born seinen Lieblingsplan forderte, indem er er¬ 
klärte, daß sein König trotz der schweren Kämpfe mit Moskau und 
•den Tataren und des ihm vom Sultan angebotenen langjährigen 
Waffenstillstandes an einem etwaigen gemeinsamen Türkenkriege tail- 
zunehmen gewillt war 4 ). So kam es, daß am 25. Februar die kaiser- 

*) Vgl den Farns in dessen unten besprochener Bestätigungsurkonde, Eich¬ 
horn, o. c M Beilage H. 

*) Acta Tomiciana VII/2 nr. 36, S. 260. 

•) Acta Tomiciana IV nr. 317, 344. Über die Verhandlungen, welche damals 
Leo X. mit den christlichen Staaten Europas über die geplante Türkenliga führte, 
siehe bei L. Pastor; Geschichte der Päpste, IV/1. (Freibarg i. B. 1906), S. 152ff.; 
über Mi^dzyleski’s „Descriptio potentiae Turcicae“ vgl. L. Boratynski; Stefan Batory 
i plan ligi przemw Turkom, Abhand 1. der Krakauer Akademie, Band 44, S. 207 
Anm. 1, sowie die Besprechung F. Bujak’s in denselben Abhandl. B. 40, S. 287/8. 

4 ) Ibid. nr. 317. Daher betont auch der Kaiser im Diplom für Mi^dzyleski 
seine verdienstvollen Bemühungen um das Zustandekommen der Türkenexpedition. 

Mt* 



610 


Oskar Ritter v. QaleckL 


liehe Kanzlei zwei adelsgeschichtlich hochinteressante Urkunden ans¬ 
stellte: das Fürstendiplom für Badziwiü *) und ein höchst merkwürdiges 
Privileg für Mi^dzyleski’s Geschlecht 2 ). Bevor wir uns dem uns un- 
unmittelbar interessierenden ersteren zuwenden, müssen wir auch das 
zweite kurz berücksichtigen, da es sich u. a. auch auf litauische Far 
Tnüi en bezieht. 

Der Propst von Wilna war ein masowischer Edelmann aus dem 
hunderte von Familien zählenden Wappenstamme der Jastrzqbiec, der 
in Masowien, wo damals noch die alte Piastendynastie herrschte, sowie 
im übrigen Polen weit verbreitet war und bei der Union mit Litauen 
1413 auch ein dortiges Geschlecht adoptiert hatte. Nun verfügte der 
Kaiser, außer einer Wappenbesserung, daß ständig drei Mitglieder des 
Gesamthauses die Würde eines Bitters (miles et eques auratos) des 
hL römischen Beiches bekleiden sollten; einer sollte stets ein Pole aus 
den Familien Myszkowski und Bielawski, einer ein Masowier aus den 
Familien Miqdzyleski und Dziertgowski und einer schließlich ein Litauer 
aus den Familien Niemirowicz und Szczyt sein, jeder aber, der dieser 
Auszeichnung teilhaftig wurde, den Ältesten des Geschlechtes „nostzo 
ac ßacri imperii nomine“ den Eid der Treue für den Kaiser und seine 
Nachfolger und auf Erfüllung, aller Bitterpflichten leisten. Dieser Ge¬ 
danke entsprach wohl der romantischen Begeisterung Maximilians für 
die Traditionen des Rittertums, konnte auch den Ehrgeiz einzelner 
Edelleute befriedigen und sie für das Kaiserhaus gewinnen, war aber 
eben deshalb schwer durchführbar, da ja der polnische König kaum 
gestatten konnte, daß stets drei Vertreter des zahlreichsten Adelsge¬ 
schlechtes seines Beiches, in seinen drei Hauptbestandteilen, einem 
fremden Herrscher eidlich verpflichtet sein sollten. Höchst bemerkenswert 
ist aber dabei, daß der Kaiser in treffendem Verständnis für den immer 
engeren Zusammenhang des polnischen Adels mit dem litauischen 
auch zwei Familien des letzteren in seinen Plan einbezog und daß 
sich bei den Szczyt, deren einer, wie wir sahen, mit Herberstein in 
Moskau war, die ungenaue Überlieferung erhielt, daß ihr Ahnherr von 
M aximilian L ein Grafendiplom und das Becht, Bitter zu schlagen, ver¬ 
liehen bekommen habe 8 ). 

Von größerer Bedeutung für die Zukunft war das Diplom für 
Badziwiü, als erstes Band, das dieses mächtige Haus dauernd für die 
Habsburger gewinnen sollte. Als Begründung für die Verleihung des 
Fürstenstandes dienten erstens die Verdienste Nikolaus’, die er sich, 

*) Eichhorn, o. c. f Beil. L 

*) Ed. bei B. Paprocki: Herby ryceratwa polskiego (NeuaufL v. 1858), S. 168. 

«) T. Zychlinski: Sota kai^ga szlachty polskiej, IV 360. 



Die Beziehungen der Habsburger zum litauischen Hochadel etc. 611 


'wie erwähnt, auf dem Wiener Kongresse und in den Kämpfen gegen 
die Feinde der Christenheit, denen — wie der Kaiser betonte — Litauen 
unmittelbar ausgesetzt war, erworben hatte, und zweitens seine vornehme 
Abkunft und hohe soziale Stellung: war er doch der Onkel der mit 
den Habsburgem verwandten masowischen Herzoge und waren ihm 
doch nicht wenige litauisch-ruthenische Fürsten untertan oder standen 
in seinem Dienste! 1 ) Da aber bekanntlich damals der Fürstenstand 
noch kein bloßer Adelstitel war, sondern die tatsächliche Begierung in 
einem fürstlichen Territorium bedingte, mußte der Umstand hervorge- 
hoben werden, daß Nikolaus Radziwitt als Herr der Lande Goniadz und 
Medele (in Podlachien), die einst ein eigenes Fürstentum bildeten, viele 
Adelige zu seinen Untertanen, Gerichts- und andere Beamte in seinem 
Dienste und eine besondere Heeresgewalt hatte 8 ). Mit Rücksicht auf 
diese tatsächliche fürstliche Stellung wurde also der Palatin von Wilna 
„nicht nur zum Freiherm und Grafen, sondern auch zum illustris Dux 4 
erhoben, und zwar mit allen Rechten der übrigen Reichsfürsten und 
einer Wappenbesserung. 

Diese Urkunde, durch die zum ersten Male in Litauen ein Herr 
iiichtfürstlicher Herkunft den bisher nur Dynasten zustehenden Titel 
erhielt und vor allen mit ihm rivalisierenden Magnatenfamilien einen 
wenigstens theoretischen Vorrang gewann, brachte Mi^dzyleski dem so 
Ausgezeichneten nach Litauen. Bei der Hochzeit Bona’s in Krakau, wo 
der Propst als päpstlicher Abgesandte eine Ablaßmesse zu lesen hatte*), 
und wo die österreichischen Gäste nur mit zwei Vertretern Litauens, 
dem Fürsten Konstantin Ostrogski und dem Starosten von Brze&5 Georg 
Ilinicz zusammentrafen 4 ), war nämlich Radziwitt nicht anwesend ge- 

J ) Es ist tatsächlich richtig, daß in Litauen durch die Verleihung ganzer 
Territorien an mächtige Magnaten auch Fürsten, die daselbst Besitzungen hatten, 
in eine Art von feudaler Abhängigkeit von ihnen kamen; auch geschah es wirklich, 
daß solche Herren, wie z. B. etwas später der Palatin von Wilna J. Hlebowicz, 
verarmte Fürsten zu ihren privaten „Hofmarschällen“ oder „Kämmerern“ machten 
(vgl. A. Boniecki: Herbarz polski, VII 288). Unrichtig ist nur die Behauptung 
des Diploms, daß diese Fürsten ihren Titel bloß usurpiert hatten. 

*) Wenn man auch Goni%dz und Medele kaum als einstige „ducatus singuläres“ 
bezeichnen kann, so ist doch richtig, daß es vorher fürstliche Besitzungen ge¬ 
wesen waren (vgL bei Eichhorn, Beil. VII) und daß der dortige Kleinadel zu den 
Badziwill in einem ausgesprochenen Untertanenverhältnis stand (J. Baranowski: 
Z dziejdw feudalizmu na Podlasiu, Przegl%d histor. IV), auch erst 1529 von ihrer 
Gerichtsbarkeit befreit wurde (die Urkunde im Rocznik Tow. herald. we Lwowie, 
HI nr. 324). 

# ) Acta Tomiciana, IV nr. 344, vgl. 8. 322. 

4 ) Vgl. des J. Decius’ Beschreibung der Hochzeitsfeier in den Acta Tomiciana 
IV, S. 310, 319. 



612 


Oskar Ritter v. H&lecki. 


weeen. Als er nun schließlich bei sich zu Hause sein Diplom in Em¬ 
pfang genommen hatte, wollte er, trotz der Klausel, daß es den Hoheits¬ 
rechten Sigismunds keinen Eintrag tue, seinen neuen Titel von diesem 
förmlich bestätigt haben« Er benützte daher dessen Anwesenheit auf 
dem litauischen Reichstage, der Ende 1518 zu Brzesd versammelt war, 
und erhielt daselbst am 8. Dezember vom Könige eine die kaiserliche 
Standeserhöhung bestätigende Urkunde 1 ), die ihm die Führung des 
Fürstentitels und des vermehrten Wappens gestattete. Bezeichnender¬ 
weise wurde sie aber in die Beichsmatrikel nicht eingetragen*) und 
dauerte es auch noch lange, bis die Badziwiü in öffentlichen Akten 
ihres Vaterlandes als Fürsten bezeichnet wurden. 

Für uns ist aber noch bemerkenswerter, daß es auch fast 30 Jahre 
dauerte, bis das Diplom von 1518 für die Beziehungen dieses Ge¬ 
schlechts zu den Habsburgem eine politische Bedeutung gewann. Die 
Ursachen lassen sich leicht feststellen. Vor allem verflossen zunächst 
einige Jahre, in denen die österreichische Politik mit Litauen in keine 
unmittelbare Berührung kam. 1518 hatte allerdings noch der uns 
wohlbekannte litauische Marschall Bohusz Bohowitynowicz der polnischen 
Gesandtschaft angehört, durch die Sigismund L auf dem Augsburger 
Reichstage in Vertretung seines unmündigen Neffen Ludwig für die 
Wahl Karls von Spanien zum römischen Könige die böhmische Kur- 
stimme sichern ließ 8 ). In den folgenden Jahren sollte aber erst die 
zweite Reise Herbersteins nach Moskau die kaiserliche Diplomatie wieder 
mit den litauischen Magnaten in Berührung bringen. Bekanntlich hatte 
dieser Versuch, einen Frieden zwischen Litauen und Moskau zu vermitteln 
einen etwas besseren Erfolg, als Maximilians Bestrebungen, indem es 
Ende 1626 wenigstens zu einem fünfjährigen Waffenstillstand kam 4 ); 
wieder aber hatte Herberstein hiebei nicht nur gemeinsam mit den 
litauischen Gesandten (neben dem damals schon die Würde eines Reichs¬ 
schatzmeisters bekleidenden Bohusz war der Palatin von Polock Peter 
Kiszka hiezu abgesendet worden) verhandelt 8 ), sondern auch, im Ge¬ 
gensätze zu den anderen österreichischen Diplomaten, die durch Litauen 
nach Moskau reisten, nochmals die Gelegenheit benützt, um mit den 
einflußreichsten Persönlichkeiten Litauens, so z. B. mit dem Bischöfe 

*) Eichhorn, Beil. II. 

*) Die auf dem Reichstage ausgestellten Urkunden der Reichsmatrikel (da¬ 
runter swei Güterverleihungen für Johann Radziwitt, Nikolaus* Bruder) zusammen- 
gestellt bei N. Maksimiejko: Sejmy litowsko-russkawo gasudarstwa, Charkow 1902, 
Beil. 8. 46/7. 

*) Acta Tomiciana IV nr. 362, 364/5; Theiner: Monum. PoL II 8. 384, 394. 

4 ) Vgl. bei Uebersberger, I 211. 

4 ) Commentarii, pag. 140/2; Fontes rer. austr. 1/1. 8. 274. 



Die Beziehungen der Habsburger zum litauischen Hochadel etc. 613 


von Wilna Johann, einem natürlichen Sohne König Sigismunds 1 ), 
freundliche Beziehungen anknüpfen. Dies sollte ihm schon bald darauf wohl 
zu statten kommen, als er 1529 von König Ferdinand zu Sigismund 
selbst nach Wilna entsendet wurde, um Unterstützung gegen die Türken 
zu erbitten and wohl auch geheime Aufträge in der ungarischen An¬ 
gelegenheit zu entrichten 8 ). Bei dieser Gelegenheit wurde er nämlich 
vom nunmehrigen Palatin von Wilna und Großkanzler Albrecht Gasztold 
aufs ehrenvollste aufgenommen und sowohl beim Könige wie auch den 
anderen litauischen Herren freundlichst befürwortet s ), erhielt auch von 
ihm manche interessante Aufklärung über die litauischen Verhältnisse, 
die er in seinem Beisewerke verwertete 4 ). 

Es kann nun keinem Zweifel unterliegen, daß Herberstein den 
neuen Palatin schon auf der zweimaligen Durchreise durch Litauen 
1526/7 gewonnen hatte. Bereits damals hatte er wohl bemerken 
müssen, daß jetzt nicht mehr, wie im vorigen Jahrzehnte, die BadziwiR, 
sondern eben dieser Gasztold, der 1522 nach des Beichsfttrsten Nikolaus 
Tode ihm in seinen beiden hohen Würden nachgefolgt war, in Litauen 
die leitende Bolle spielte, ja eine Art «Vizekönig« 6 ) war. Einem vor¬ 
nehmen Herrengeschlechte entstammend, das weit ältere Machttraditionen 
besaß, als die BadziwiH, und bis zu seinem Aussterben mit diesen trotz 
naher Verschwägerung aufs hartnäckigste rivalisierte, betrachtete Gasztold 
seinen gefürsteten Vorgänger und dessen überlebende Brüder und Söhne 
geradezu als Emporkömmlinge und gerade, weil damals die gegenseitige 
Feindschaft beider Familien ihren Höhepunkt erreicht hatte 6 ), wollte 


i) Commentarii, pag. 155; 13. August 1528 schreibt der Bischof einen höf¬ 
lichen Brief an Ferdinand I., in dem er ihn von seiner Ergebenheit versichert 
(Acta Tomiciana X nr. 368, vgl. nr. 412). 

*) Uebereberger, I 239; vgl. bes. Acta Tomic. XI nr. 81. Über das Ergebnis 
seiner Mission von 1529, die ihn im Sommer dieses Jahres ein zweites Mal nach 
Polen führte, bei J. Kieszkowski: Kanclerz Krzysztof Szydlowiecki, Poznan 1912, 
8. 250/2. 

») Acta Tomic. XI nr. 259, s. tu! 

4 ) Vgl in den Commentarii, pag. 110, die (allerdings teilweise anekdoten¬ 
artigen) Mitteilungen, die ihm Gasztold über Kiew gemacht hatte, wo sein Vater 
Martin Gasztold zur Zeit Kasimirs d. Jagellonen Palatin gewesen war. 

*) „Regie in Lithuania vicegerens“ nennt ihn L c. Herberetein. VgL auch 
Acta Tomiciana X nr. 292, 471. Auf demselben Reichstage von 1522, auf dem er 
die Würden des verstorbenen Radziwill erhielt, wurde ihm auch das Recht ver¬ 
liehen, mit rotem Wachs zu siegeln; die Urkunde (bei Maksimiejko, o. c., Beil. 
8. 62) wurde durch den vorerwähnten Mi^dzyleski auagefertigt, der, wie früher 
seinem Vorgänger, non Gasztold zur Seite stand. 

«) Vgl. Gasztolds Denkschrift an Bona v. J. 1525, die ein Pamphlet gegen 
die Radziwill und Ostrogski bildet (Acta Tomiciana VU/2 nr. 36; einen charak- 



614 


Oskar Ritter v. Halecki. 


er gewiß auch in den Beziehungen zum Kaiserhause nicht hinter jenen 
zurückstehen 1 ). Schon das höfliche Dankesschreiben, das Ferdinand L 
nach Herbersteins Rückkehr wohl auf dessen Bat an ihn richtete, in¬ 
dem er ihn zugleich dringend aufforderte, die habsburgischen Interessen 
in Litauen wie bisher eitrigst zu fördern *), mag dem stolzen Oligarchen 
eine gewisse Genugtuung gewährt haben; noch mehr mußte ihn aber 
Ferdinands Versprechen, sich hiefür dankbarst erkenntlich zu zeigen, 
in seinem Ehrgeize befriedigen, eröflhete es ihm doch die Aussicht, für 
seine österreich-freundliche Gesinnung ähnlich wie vorher Badziwili 
belohnt zu werden. Zwar erhielt er schon 1529 von Papst Klemens VH 
den Titel eines Grafen auf Murowane Gieranony 8 ), dem alten Stamm¬ 
sitze seines Hauses, doch schien ihm dies eine kaiserliche Standeser¬ 
höhung nicht zu ersetzen, so daß er alsbald die eifrigsten Bemühungen 
begann, von Karl V., wohl mit Berufung' auf Ferdinands Gunst, wenn 
nicht ein Fürsten-, so doch ein Grafendiplom zu erhalten. Wie einst 
Badziwili durch Miqdzyleski, so suchte auch er durch einen geistlichen 
Diplomaten in polnischem Dienste, den bekannten Johann Dantiscus, 
damals erwählten Bischof von Kulm und polnischen Gesandten am 
kaiserlichen Hofe, sein Ziel zu erreichen. Schon war die Sache günstig 
erledigt und das Diplom, im August 1530, ausgestellt, als durch einen 
Irrtum statt der Urkunde, die dem Palatin von Wilna den Reichsgrafen¬ 
stand verlieh, des Danticus eigenes Ritterstandsdiplom nach Polen ge¬ 
schickt wurde. Der Hofedelmann Nikolaus Nipschütz, der hiebei ver¬ 
mittelte und die freudige Nachricht schon vorher Gasztotf angekündigt 
hatte, war über die Verwechslung höchst bestürzt, der Palatin selbst 
aber erkundigte sich ungeduldig beim Bischöfe, ob das Ziel denn noch 
immer nicht erreicht sei. Als endlich im nächsten Jahre alles erfolg¬ 
reich beendet war und Gasztotd erfuhr, daß sein Diplom — wie seiner¬ 
zeit das Radziwills — 100 Gulden gekostet hatte, beeilte er sich, diese 
Summe und außerdem einen kostbaren Pelz als Belohnung an Dantiscus 
zu schicken 4 ). 

Es scheint aber, daß der kluge Herberstein wohl erkannt hatte, 
wie stark auch die Partei der Gegner Gasztolds, zu der außer den 

teristischen Komentar hiezu bilden die bei Makgimiejko, o. c., S. 50, 60, und 
Malinowskij: Sboroik matierialow, Tomsk 1901, 8. 886—426 edierten Akten). 

*) Ebenso bemühte er sich nach, am seine politische Stellung za festigen* 
am die Freundschaft Albrechts von Preußen, vgl. Acta Tomiciana XI nr. 848 
S. 264. 

*) Acta Tomic. XI nr. 259 (27. Juni 1629). 

*) Th einer A.: Vetera monumenta Pol. II S, 466 

4 ) Die diesbezügliche Korrespondenz: Acta Tomiciana XII nr. 260, 270, Xm 
nr. 222; Jagiellonki Polskie (ed. Przezdziecki-Szryski), V 8. 10. 



Die Beziehungen der Habsburger zum litauischen Hochadel etc. 615 


Badziwitt auch die mächtigen Fürsten Ostrogski und Stacki, sowie das 
immer angesehenere Adelsgeschlecht der Sapieha gehörten *), in Litauen 
war. Dementsprechend sehen wir nämlich, daß die Habsburger $uch 
diese Gruppe des litauischen Hochadels bei ihren Bemühungen, sich 
dort eine starke Partei zu bilden, nicht vernachlässigten. Besonders 
der allerdings schon 1530 verstorbene Fürst Konstantin Ostrogski, der 
litauische Großfeldherr und Palatin von Troki, hatte als gefeierter 
Kriegsheld auf Herberstein einen großen Eindruck gemacht 8 ), und ge¬ 
wiß hängt damit zusammen, daß die beiden habsburgischen Brüder 
seinem Sohne, dem jugendlichen Fürsten Elias, freundlichst entgegen¬ 
kamen: Earl V., dem dieser außerdem durch Dantiscus empfohlen 
worden war, sandte ihm nach seines Vaters Tode ein huldvolles 
Beileidsschreiben, das in sehr erfreute 8 ), und als er 1538 durch den 
oben erwähnten Nipschütz König Ferdinand um einen Paß für eine Pilger¬ 
fahrt nach Palästina bat, sandte ihm dieser einen liebenswürdigen Brief, 
worin er mit Bücksicht auf die großen Gefahren von dieser Beise ab¬ 
riet, aber zugleich dem religiösen Eifer des Fürsten und den Verdiensten 
«eines Vaters hohes Lob zollte 4 ). Und als 1541 der Palatin von Pod- 
laehien Johann Sapieha, wahrscheinlich durch Intriguen seiner Gegner, 
«eine Würden und Güter verlor, ja sogar längere Zeit gefangen ge¬ 
halten wurde, war es niemand geringerer als Ferdinand L, der noch 
vier Jahre später für ihn, auf Bitten seines Sohnes Lukas, bei Sigis¬ 
mund L Fürsprache einlegte 8 ). So hatten sich die Habsburger schon 
vor der Mitte des XVL Jahrhunderts unter den verschiedensten Gruppen 
des litauischen Hochadels ergebene Anhänger zu gewinnen gewußt 

Die Badziwitt hatten übrigens um 1537 den hartnäckigen Kampf 
gegen die allmächtige Stellung Gasztotds aufgegeben 6 ) und war hie¬ 
durch in den kleinlichen Parteikämpfen, denen der stolze Kanzler ganz 
mit Unrecht ideelle Gegensätze als Ursache zuzuschreiben liebte 7 ), durch 


*) Acta Tomiciana, VII/2 nr. 36 und X nr. 270- 

*) Commentarii, pag. 112. 

*) Jagiellonki Polskie, V 8. 11. 

4) lbi<L S. VH Anm. 1. Um einen Ähnlichen Paß zur Reise nach Jerusalem 
bemüh te sich bei Ferdinand .im Jahre 1536 der von Moskau nach Litauen ent¬ 
hobene Fürst Semen Bielski (ibid. 8. VI Anm. 3); vgL über dessen wirkliche Ab¬ 
sichten bei L. Kolankowski: Zygmunt August, S. 178. 

*) Jagiellonki V 8. XTX Anm. 2; vgl. über Sapieha’s Sturz: Hoeii Epistolae 
<ed. Hippler-ZakrzewBki) I nr. 90, 98, 102, 104, 107, 110, Niemcewicz: Zbidr pa- 
mi^tn. IV 40, Kolankowski S. 259 Anm. 3. 

•) Kolankowski, 8. 222. 

*) In seiner vorhin zitierten Denkschrift stellt er seinen Hader als einen 
Kampf der rein litauischen Geschlechter gegen die ruthenischen hin; die Unhalt- 



616 


Oskar Ritter v. Halecki. 


Annäherung der Hauptgegner eine gewisse Abschwächung eingetreten, 
allerdings nicht zum Vorteile des Landes selbst, auf dem hiedurch der 
rücksichtslose Druck der Magnatenherrschaft nur umso schwerer lastete» 
Die Nachgiebigkeit der Radziwitt erwies sich alsbald als sehr zweck¬ 
mäßig; Albrecht Gasztold starb nämlich schon 1539 und drei Jahre 
später erlosch mit seinem einzigen Sohne, jenem Stanislaus, der in 
seiner Jugend auf dem Wiener Kongresse gewesen war, sein ganzes 
Geschlecht 1 ) und räumte so den Radziwitt, die es teilweise sogar be¬ 
erbten, den nunmehr unbestrittenen ersten Platz in Litauen ein. Aller¬ 
dings starb auch von ihnen jene Linie, die Fürst Nikolaus begründet 
hatte, fast um dieselbe Zeit aus; aber schon waren seine Neffen heran¬ 
gewachsen, deren einer eben 1542 aus Italien zurückkehrte und sich 
auch eine Zeit lang in dem zur Eroberung Budapests bestimmten Heere 
König Ferdinands aufgehalten hatte *), und sollten bald ihre glanzende 
politische Laufbahn beginnen. 

Diese fallt schon beinahe ganz in die Begierungszeit König Sigis¬ 
mund Augusts (1548—1572), der übrigens bereits 1544, zu Lebzeiten 
seines Vaters, das Großfürstentum Litauen zu selbständiger Verwaltung 
erhalten hatte. Während dieser Zeit nun sollte es sich zeigen, wie 
günstig es für die Habsburger war, daß sie gerade dieses Geschlecht 
von allem Anfänge an für sich gewonnen hatten, und wie allmählich 
ihre Beziehungen zu den mächtigsten Magnaten Litauens hohen poli¬ 
tischen Wert gewannen, nachdem sie in den Yorhergehenden Jahr¬ 
zehnten schon systematisch vorbereitet worden waren. 


IL Das Haus Habsburg und Fürst Nikolaus Radziwill 

der Schwarze. 

Als 1543 zu Krakau bei der Vermahlung Sigismund August» mit 
Ferdinands Tochter Elisabeth unter den litauischen Gästen gerade die 
Radziwitt — aber allerdings auch ihre späteren Rivalen, die Chodkiewicz 
— durch besonders prunkvollen Aufwand die allgemeine Aufmerksam¬ 
keit auf sich lenkten 8 ), da ahnte wohl keiner der österreichischen Be- 


barkeit dieser Auflassung beweist am besten der Umstand, daß die Radziwitt eben¬ 
falls zur Gegenpartei gehörten und er, wie er zugeben muß, den „Ruthenus* 
Ostrogski anfangs selbst unte rstü t zt hatte. 

*) Die Genealogie bei A. Boniecki: Herbarz polski, V 383/4. 

*) Hosii Epistolae, I nr. 118. 

*) L. Kolankowaki, 8. 91/2, wo auch die Quellen zitiert sind; vgL Jagiellonki 
polskie I 107. Der Bischof von Wilna, Fürst Paul Holszanski, hatte ein kostbares 
Hochzeitsgeschenk nach Krakau geschickt (Fontes rer. austr. 1/1. S. 360). 



Die Beziehungen der Habsburger zum Htauischen Hochadel etc. 


617 


gleiter der jungen Königin, daß gerade ihr baldiger Tod ru einer neuen 
Anknüpfung der Beziehungen dieses Geschlechtes zu den Habsburgem 
einen wenigstens mittelbaren Anlaß geben würde. Es vergingen aber 
kaum vier Jahre, als der Marschall Nikolaus Badziwili. genannt ,der 
Schwarze*, als Vertreter Litauens mit der Gesandtschaft nach Oster» 
reich kam, die Sigismund Angnst abgesendet batte, um mit Ferdinand 
über eine Entschädigung für die Ausstattung seiner schon 1545 ver¬ 
storbenen ersten Gattin zu verhandeln 1 ). Daß gerade Badziwili hiezu 
ausersehen wurde, hatte seinen besonderen Grund, der für das richtige 
Verständnis seiner Absichten wichtig ist 

Unmittelbar vorher hatte sich nämlich Sigismund August im ge¬ 
heimen wiedervermählt, und zwar mit Barbara Badziwili, der Witwe 
nach dem letzten der Gasztold und Base Nikolaus des Schwanen. Er 
mußte nun mit Becht befurchten, daß dieser Schritt nicht nur in Polen, 
sondern besonders auch bei seinem Schwiegervater, sobald sich die 
Nachricht hievon verbreiten würde, Befremden und Entrüstung hervor- 
rufen werde, umsomehr als böse Zungen — zwar wohl mit Unrecht — 
behaupteten, daß Barbara schon vorher die Vernachlässigung der Königin 
Elisabeth durch ihren Gatten verursacht habe *). Mag dies letztere auch 
auf böswilliger Erfindung beruht haben, so war es doch, wie schon die 
nächste Zukunft zeigte, für Sigismund August von großer Wichtigkeit, 
daß Ferdinand nicht allzu ungünstig über seine neue Ehe dachte, und 
konnte dies am leichtesten dadurch geschehen, daß sich das Haupt dea 
Hauses Badziwili, noch bevor seine Verschwägerung mit seinem Könige 
bekannt wurde, die Gunst der Habsburger gewann; außerdem handelte 
es sich sowohl f&r ihn, wie auch für Sigismund Angnst darum, daß 
der mit der Goni^dz’er Linie 1546 erloschene Fürstentitel auf die jetzt 
lebenden Familienmitglieder übertragen würde, um so wenigstens in 
einem gewissen Grade der Ehe mit Barbara den Charakter einer Mi߬ 
heirat zu nehmen. So erklärt es sich, daß erstens die polnische Ge¬ 
sandtschaft Ferdinand das größte Entgegenkommen zeigte und sich, von 
seinen finanziellen Nöten wissend, bereit erklärte, für Elisabeths Aus¬ 
stattung eine Entschädigung von 30.000 ung. Gulden zu gewähren •)* 
und zweitens Badziwili schon bei seiner Abreise vorhatte, auch bei 
entsprechender Gelegenheit Kaiser Karl V. aufzusuchen 4 ), an den man 

*) Jagiellonki polskie V P. LDL 

*) Kolankowski, 8. 322. 

*) Dogiel: Codex dipL Poloniae, 1, s. 211/3, nr. 48 (das Abkommen vom 
26. Nov. 1647), vgl. nr. 49. 

4 ) VgL sein Schreiben an Sigmund Angina 22. Sept. 1547 bei M. B&linski: 
Pisma histor., I Beil. 3. 



618 


Oskar Ritter v. Haleoki. 


sich ja wegen des Fürstenstandes wenden mußte. Er benützte denn 
auch wirklich den Umstand, daß beide habsburgischen Brüder des Reichs¬ 
tags wegen zusammen in Augsburg weilten, um neben den Verhand¬ 
lungen mit Ferdinand dem Kaiser, bei dem er überdies mit dem 
Gesandten Sigismunds I. zusammentraf 1 ), auch des jüngeren JageUonen 
aller ding s etwas verspätete Glückwünsche zum Siege bei Mühlberg aus¬ 
zusprechen. Und wirklich erlangte er so ohne jede Schwierigkeit ein 
kaiserliches, vom 10. Dezember 1547 datiertes und vier Tage spater von 
Ferdinand transsumiertes Diplom *), in dem Nikolaus der Schwarze, nein 
Bruder Joh ann und sein Vetter Nikolaus, genannt der Bote, Barbaras 
Bruder, also alle damals lebenden männlichen Familienmitglied», za 
BeichsfÜrsten auf Olyka, Nieswiei, Dubinki und Birie erhoben worden. 
Als Verdienste der so Ausgezeichneten wurden die hervorragenden 
Eigenschaften, die der altere Nikolaus eben bei seiner diplomatischen 
Mission an den Tag gelegt hatte, und bezeichnenderweise ihr „Studium 
et obsequium“ gegen die verstorbene Königin Elisabeth angeführt; be¬ 
sonders das letztere war für die Badziwili wertvoll, da es später, als 
Sigismund Augusts zweite Ehe bekannt wurde, die Bolle der Familie 
in der ganzen heiklen Frage in ein besseres Licht stellte. Es ist selbst¬ 
verständlich, daß auch wieder von der vornehmen, fürstlichen Stellung 
der Radziwiö, der Verteidigung des Christentums durch die Kämpfe 
ihrer Ahnen mit Moskowitern und Tataren und schließlich vom Fürsten¬ 
stande ihres Oheims die Bede ist, neu ist aber die Behauptung, daß 
ihr Geschlecht nicht nur von altadeligem Geblüte sei, sondern von ein¬ 
heimischen Fürsten (indigenae duces) Litauens abstamme 8 ), wovon noch 

*) Hoeii Epistolae, I nr. 276; Sigismund I. hatte schon unmittelbar nach dem 
Siege von Mühlberg dem Kaiser seine Glückwünsche aussprechen lassen, vgL die 
nngedruckten »Tomiciana« im Archiv der Fürsten CzartorysM in Krakau Ms. 286, 
iol. 217*, 220. 

*) Eichhorn, Beil. EL Bekanntlich wurde Nikolaus der Schwane Ahnherr 
der Füsten auf Olyka und Nieswiet, Nikolaus der Rote Ahnherr der Fürsten auf 
Dubinki und Birie. Zugleich erhielten sie eine weitere Wappen Vermehrung. Fast 
gleichzeitig, am 24. Dezember, erhielt auch eines der ersten Magnatengeschlechter 
Polens, die Tamowski, vom Kaiser ein Reichsgrafendiplom (Archiwum Sangusskdw 
V nr. 360). 

•) Schon damals entstanden wirklich genealogische Legenden, welche die 
Radziwift von einer vor den Jagellonen in Litauen herrschenden Dynastie ableiten 
wollten; selbstverständlich sind sie vollkommen unhaltbar, doch scheint es 
nach den neuesten, noch unveröffentl. Forschungen (W. Semxowicz) nicht un¬ 
wahrscheinlich, dafi sie von einem Geschlechte alter Teilfürsten oder Stammes¬ 
häuptlinge nb8tammen, wie es deren ursprünglich in Litauen viele gab, die natürlich 
durch die Entstehung eines einheitlichen Großfürstentums im XIQ. Jahrh. One 
Herrschaft einbüßten. 



Die Beziehungen der Habsburger zum litauischen Hochadel etc. 619 


Maximilians Diplom nichts wußte, was aber jetzt ebenfalls dazu dienen 
konnte, der Ehe Barbaras einen Schein von Ebenbürtigkeit zu ver¬ 
leihen. 

Es ist begreiflich, daß Marschall Nikolaus von Augsburg hochbe¬ 
friedigt heimkehrte *), umso mehr als es ihm gelungen war, außer mit 
Karl und Ferdinand selbst auch mit den Söhnen des letzteren: Maxi¬ 
milian, dem späteren Kaiser, und Ferdinand, nähere Beziehungen an¬ 
zuknüpfen*). Erfreut über seinen Erfolg war aber auch Sigismund 
August, der, nachdem er 1548 infolge seines Vaters Tod auch in Polen 
die Begierung angetreten hatte, bekanntlich gleich auf dem ersten 
Reichstage zu Piotrkdw einen wahren Sturm der Empörung über seine 
Heirat aushalten mußte: mit sichtlicher Befriedigung bestätigt er am 
Ende dieses Reichstages das kaiserliche Beichsfürstendiplom für die Ange¬ 
hörigen seiner Gemahlin 8 ), indem er«nicht nur, wie 1518 sein Vater, 
in kurzen Worten die Führung des Fürstentitels gestattet, sondern 
auch nachdrücklich betont, daß niemand das Alter ihres Geschlechtes 
besser kenne als er selbst und daß er sie umso herzlicher beglück¬ 
wünsche, als er ja ihre Schwester zur Frau habe. Es handelte sich 
aber nicht nur darum, die Legitimität und Unlösbarkeit seiner zweiten 
Ehe zu verteidigen, die ja schließlich nicht ernst angefochten werden 
konnte, sondern Barbara sollte auch als Königin anerkannt und ge- 
- krönt werden, um eventuell zur Stammutter einer neuen Linie- der 
Jagellonen werden zu können; ebenbürtig sollten ja die Nachkommen sein,, 
die der König von ihr erhoffte und denen das unzweifelhafte Erbrecht auf 
das Großfürstentum Litauen zugleich auch die polnische Königswürde ge¬ 
sichert hätte, da man sie unter solchen Umständen, wie mehrere Prä¬ 
zedenzfalle bewiesen, stets auch auf den polnischen Thron gewählt hätte,, 
um die polnisch-litauische Union aufrecht zu erhalten. Dies durch 
Barbaras Krönung zu ermöglichen, war aber umso schwieriger, als 
nicht nur der Widerstand in Polen, sondern auch eine starke Gegen¬ 
partei in Litauen zu bekämpfen war, der außer mehreren den Badziwitt 
feindlichen Familien, wie den Hlebowicz, Chodkiewicz, Oscikowicz 4 ), 


i) Hosii Epistolae, 1 nr. 277 (»rebus praeter spem ßuam ex sententia con- 
fectdfl«), 

*) Katalog der RaczyngüVh^n Bibliothek in Posen (ed. Sosnowski-Kurtzmann), 
Posen 1885, Band L MS. nr. 86 (enthält Originalbriefe verschiedener Monarchen 
und Mitglieder regierender Häuser an die Radziwill, die sich früher in deren Fa- 
milienarchiv zu Nieswiei befanden). 

*) Eichhorn, Beil. IV (24. Jänner 1549). 

*) VgL z. B. die Briefe aus den Jahren 1548—1550 bei M. Balinski: Pisma 
histor. I S. 162, H S. 133, 146 etc. 



€20 


Oskar Ritter v. Halecki. 


sogar Nikolaus des Schwarzen eigener Bruder Johann Radziwiii ange¬ 
hörte 1 ). Da war es nun wirklich von großer Bedeutung, daß auf dem 
•entscheidenden Reichstage zu Piotrköw im Jahre 1550 die Bemühungen 
des Königs durch die vermittelnde Anwesenheit der Gesandten Ferdi¬ 
nands eine wirksame Unterstützung erfuhren*); daß dieser, wenn er 
auch anfangs durch die Wiedervermahlung seines Schwiegersohnes un¬ 
angenehm berührt sein mußte, bei dieser Gelegenheit eine so zuvor¬ 
kommende Stellung einnahm, dazu hatten außer dem im Vorjahre mit 
Sigismund August abgeschlossenen Freundschaftsvertrage unzweifelhaft 
die 1547 so geschickt erneuten Beziehungen der Radziwiii zum Han» 
Habsburg beigetragen: nicht umsonst hat wohl Fürst Nikolaus, der 
während der Verhandlungen des polnischen Reichstages in Piotrköw 
anwesend war 8 ), die österreichischen Gesandten, den seiner Familie langst 
bekannten Herberstein und Dr. Lang, in Begleitung zweier anderer 
litauischer Fürsten, darunter des ihm nahestehenden Holszauski, im 
Kloster zu Witöw besucht 4 ). 

Mit Recht konnte nun König Ferdinand erwarten, auch seinerseits 
bei seinen politischen Beziehungen zu Sigismund August von den Bad- 
ziwiil unterstützt zu werden, umso mehr als diese, besonders Nikolaus 
der Schwarze und teilweise auch der Rote, zu immer höheren Würden 
emporsteigend, trotz Barbaras baldigem Tode einen großen Einfluß auf 
ihren königlichen Schwager gewonnen hatten. Da aber bekanntlich 
gerade in den nächsten Jahren durch die ungarische Frage zwischen 
Ferdinand und Sigismund eine merkliche Verstimmung eintrat, mußte 
cs für die Radziwiii oft schwierig werden, ihre Pflichten als Würden¬ 
träger des Jagellonenreiches, als Räte ihres Königs, mit ihren izaditio- 
jiellen Beziehungen zum Hause Österreich zu vereinbaren. So kam 
es, daß 1552, als Herberstein wieder nach Polen entsendet wurde 
•und eine überraschend kühle, ablehnende Aufnahme fand, Nikolaus Rad¬ 
ziwiii, trotzdem ihm Ferdinand vorher in einem eigenen Schreiben seinen 
<jesandten empfohlen hatte 6 ), diesem auffallend auswich, ihn nicht 
•einmal besuchte, indem er sich wegen Zeitmangels entschuldigen ließ *). 


*) Niemcewicz: Zbiör pami^tnikdw I 8. 421/2, 428, 438. 

*) J. Szujski: Stoeunki dyplom. Zygmunta Aug. z domem austryackim (Opo- 
wiadania i roztrzqsania, Band I, Kraköw 1885), 8. 386; Uebersberger, 1 259. Soeben 
erschien hierüber eine Studie von L. Bogatynski im 59. B. d. Abhdl. d. Krak. Akademie* 
*) Bericht der öeterr. Gesandten vom 18. Juni 1560 im Wiener HHSt-Archir 
Polonica; vgl. auch Balinski: Pinna, II 158, 164. 

*) Fontes rerum austr. 1/1. 8. 376. 

•) 12. Jänner 1562; Katalog der Raczydski’schen Bibliothek, 1. c. 

•) Fontes rer. austr. 1/1. 8. 392. 



Die Beziehungen der Habsburger zum litauischen Hochadel etc. 621 


Trotzdem ist aber die bisherige Annahme 1 ) 1 als habe gerade Rad- 
ziwiö seinen König dem Hause Habsburg abwendig gemacht, voll¬ 
kommen unhaltbar. Richtig ist allerdings, daß Sigismund August in 
«einer überaus häufigen vertraulichen Korrespondenz mit dem Fürsten 
«einerseits kein Hehl daraus machte, daß ihn die weltbeherrschende 
Macht dieses Hauses beunruhige 8 ); aber gerade in diesen interessanten 
Briefen finden wir den deutlichsten Beweis, daß Radziwitt, nachdem er 
•eine Zeit lang in dieser Beziehung eine vorsichtig zurückhaltende Stellung 
eingenommen hatte, alsbald seinen entscheidenden Einfluß dazu be¬ 
nützte, um gerade im Augenblicke, wo der König vom tiefsten Un¬ 
willen und Mißtrauen gegen die Habsburger erfüllt war, eine neuerliche 
Annäherung zwischen beiden Dynastien zustandezubringen. Es geschah 
dies schon 1553, als die in der historischen Literatur bereits mehrmals 
Besprochene 8 ) Nachricht auftauchte, daß Karl V. beim Papste die Be¬ 
strebungen des Zaren, Iwans des Grausamen, durch eine Union mit 
Born die Königskrone zu erhalten, aufs eifrigste unterstütze. 

Es ist nachgewiesen worden, daß von Seiten des Zaren selbst 
keinerlei diesbezügliche Schritte unternommen wurden, sein angebliches 
-Schreiben an den Kaiser eine Fälschung war und dem ganzen Plane 
die Mystifikation der Beteiligten durch einen kühnen Abenteurer zu¬ 
grundelag. Trotzdem läßt sich aber nicht leugnen, daß die unzweifel¬ 
haften Bemühungen Karls V., die Kurie für das moskowitische Reich 
einzunehmen und für solche Annäherungspläne günstig zu stimmen 4 ), 
Sigismund August in berechtigte Unruhe versetzen mußten. Bewiesen 
aie doch, daß auch eine politische Verbindung der Habsburger mit 
Moskau nicht außerhalb des Bereiches der Möglichkeit lag, und da der 
Ausbruch eines neuen Krieges mit Iwan nur eine Frage der Zeit war, 
konnte, wie der König ausdrücklich in seinem Briefe an Radziwiü be¬ 
tonte, wieder eine ähnliche Lage eintreten, wie zur Zeit Kaiser Maxi- 


*) VgL z. B. bei Szqjski, o. c., S. 366. 

*) Die Korrespondenz des Königs mit Nik. Radziwifi dem Schwarzen 1549— 
1566 bei Lachowicz: Pami§tniki do dziejdw Polski. Listy oryg. Zygmunta Augusta, 
"Wilno 1842; die angeführte Stelle S. 41. 

•) In der deutschen Geschichtsschreibung bei J. Fiedler: Ein Versuch der 
Vereinigung der russischen Kirch i mit der römischen. SitzungBber. der Wiener 
Akad. phih-hist. Band 40; Ueber.berger: I 282 ff. 

4 ) Ausdrücklich erwiderte der Papst im Mörz 1553 dem polnischen Gesandten, 
daß in der moskauischen Angelegenheit »multi ac illi quidem gravissimi ac per- 
magni principes apud Stern suam vehementer instant atque urgent« (Uchansdana, 
ed. T. Wierzbowski, II nr. 21). In seinem Schreiben an Ferdinand vom 11. April 
gibt dies auch Karl V., wie wir sehen werden, selbst zu (Fiedler, Beil. 8). 



622 


Oskar Ritter v. Halecki. 


milians 1 ), im Jahre 1514, wo dessen Bündnis mit Iwans Vorgänger 
für Litauen so verderblich geworden war! 

Das erste, was Sigismund August tat, als er jene überraschende 
Nachricht aus Born erhielt, daß dort über eine Verleihung der Königs- 
würde an den Zaren verhandelt werde, war nichts anderes, als sich in 
mehreren Briefen an Radziwill den Schwarzen um Bat zu wenden, wie 
eine Annäherung Moskaus an Kaiser und Papst zu verhindern sei*). 
Was Julius UL betrag genügte es natürlich, ihn durch einen Gesandten 
darauf aufmerksam zu machen, welche Gefahr dem katholischen polnisch¬ 
litauischen Staate von Seiten des schismatischen, es mit einer Union 
niemals ernst meinenden Moskau drohe 8 ); wie sollte man sich aber 
den Habsburgem gegenüber in politischer Hinsicht sicherstellen? Hiezu 
gab es nur zwei Mittel: entweder die bisher schwankende Haltung 
zwischen ihnen und Frankreich in einen rückhaltslosen Anschluß an 
dieses zu verwandeln, um sie auf diese Weise von zwei Seiten zu be¬ 
drohen, wie man es von ihnen durch etwaige Beziehungen mit Moskau 
für Polen befürchtete, oder das in der letzten Zeit getrübte habsburgisch- 
jagellonische Einvernehmen wieder vollkommen herzustellen. Und ge¬ 
rade an diesem bedeutungsvollen Wendepunkte der polnischen Politik 
brachte Radziwitts Einfluß die Entscheidung zu Gunsten Österreichs. 

Da Sigismund August aus politischen Rücksichten, um seinen 
Beichen einen Nachfolger zu hinterlassen, damals eben eine dritte Ehe 
einzugehen dachte, war die Wahl seiner neuen Gemahlin gleichsam ein 
äußeres Zeichen, bei welchem Herrscherhause Europas er in seiner Po¬ 
litik einen Anschluß suchen würde, wobei natürlich nur entweder eine 
der österreichischen oder eine der französischen Dynastie nahestehende 
Prinzessin in Frage kommen konnte 4 ). Dementsprechend lautete auch 

*) Lachowicz, S. 38. 

») Lachowicz, S. 36 (14. Jänner 1663), 37 (16. Jänner), 37-42 (24. Jänner). 
Bei P. Pierling (La Russie et le Saint-Sifege, 1 343, Paris 1896) wird auf den Rat, 
den sich der König bei Albrecht von Preußen holte, der Hauptnachdruck gelegt; 
ein Vergleich der Daten (siehe Ss. rer. pol. I 67/9) beweist aber, daß der König 
erst 11 Tage später an ihn schrieb und die Antwort (vom 14. Februar) ent ein¬ 
traf, als die Sache schon durch Radziwiüs Einfluß entschieden war. 

*) Die ursprüngliche Instruktion dieses Gesandten (Albert Kryaki) erwähnt 
diese Frage noch gar nicht, da sie vom Herbste 1662 stammt (Uchansciana, IQ 
nr. 11, 12); seine spätere Instruktion über Moskau bei Fiedler, Beil. IV, sowie (der 
IL Teil) in Se. rer. pol. I 69—71, sein von Ferdinand 1. am 2. Februar 1553 aas- 
gestellter Paß im Wiener Archiv, Polonica, die Antwort des Papstes Uchansdaoa 
H nr. 21, s. o.I Vgl auch Ss. rer. pol. I 8. 71—75. 

4 ) Uebersberger, 8. 286 ; vgl. über die in Betracht kommenden Heiraispläne 
Dr. Längs Bericht an Erzherzog Ferdinand vom 10. März 1663 in den Wieoer 
Polonica, sowie z. B. Hosii Epistolae H nr. 1000. 



Die Beziehungen der Habsburger zum litauischen Hochadel etc. 


Radziwitts Rat, den wir leider nur aus des Königs Antwort kennen *). 
Von einem Anschlüsse an Frankreich riet er ab: die Lage des fran¬ 
zösischen Königs selbst sei zu ungünstig, um durch die Drohung, sich 
ihm anzuschließen, auf die Habsburger einen Druck auszuüben; hingegen 
schien ihm die drohende Gefahr am besten dadurch abgewendet werden 
zu können, daß der König sich in Ferdinands Familie eine neue Gattin 
suche, und zwar in der Person der Schwester seiner ersten Gemahlin. 
Es war dies bekanntlich die verwitwete Herzogin von Mantua Katharina. 
Sigismund Augusts Antwortschreiben ist vom 24. Jänner 1553 datiert, 
und wenn er auch gegen die Ehe mit der eigenen Schwägerin religiöse 
Bedenken erhob 2 ) und meinte, er müsse die Sache, von der bisher nur 
die beiden Radziwill wußten, noch mit anderen Räten besprechen, so 
ist es doch schon daraus vollkommen klar, daß der unmittelbare Anstoß 
zu Sigismunds folgenschwerer dritter Verehelichung von Nikolaus dem 
Schwarzen ausging und dieser Plan keineswegs, wie immer wieder in 
der wissenschaftlichen Literatur zu lesen ist 8 ), erst während der Ver¬ 
handlungen an Ferdinands Hofe auftauchte. 

Allerdings konnte diese unrichtige Auffassung leicht dadurch ent¬ 
stehen, daß des Polenkönigs schriftliche und zuletzt auch mündliche 
Beratungen mit Radziwill, besonders was die Heiratsangelegenheit be¬ 
traf, geheim gehalten wurden 4 ). Schon war dieser längst nach Öster¬ 
reich abgereist und noch wußte niemand, weder die übrigen polnischen 
Herren, noch die Königin-Witwe Bona, noch der österreichische Ge¬ 
sandte in Polen Dr. Lang 8 ), irgend etwas bestimmtes, ob und wo er 
für den König eine Braut suchen werde. Ja sogar später, als die 
Heiratsverhandlungen schon im Gange waren, herrschte in Polen die 
von Sigismund August geflissentlich verbreitete Meinung, daß erst in 
Wien Ferdinand ganz unerwartet den Vorschlag einer neuerlichen Ver¬ 
schwägerung beider Dynastien durch seine Tochter gemacht habe 6 ). 
Es lag nämlich in des Königs und des Fürsten Nikolaus offenbarem 
Interesse, die Sache so darzustellen, und zwar aus einem doppelten 

*) Lachowicz, 8. 41/2. 

*) Seine längeren AusfÜhnugen über diesen Punkt beweisen, daß man keines¬ 
wegs den Vorwurf erbeben darf (vgl. bei Uebersberger, S. 378), es seien ihm erst 
nach zehnjähriger Ehe, als & gi<h um einen Scheidungsvorwand handelte, derlei 
Bedenken aufgestiegen. 

*) In der neuesten polnichen Literatur richtig dargestellt bei Wh Boga- 
tynski: Hetman Tarnowski, Krakdw 1914, 8. 116. 

4) Vgl. z. B. die Stelle bei Lachowicz, S. 49/50. 

•) Hosii Epistolae H nr. 1000; Lachowicz, 1. c.; Längs zitierter Bericht vom 
10. März. 

4) Jagiellonki polakie, I S. 388/89; Hosii Epistolae, H nr. 1011. 



624 


Oskar Bitter y. H&leckL 


Grande: erstens gab es in Polen nicht wenige Gegner einer neuen 
Verbindung mit den Habsburgern, vor denen man den Heiratsplan als 
Vorschlag von österreichischer Seite darstellen wollte, und zweitens gab 
es noch zahlr eichere Gegner des übermächtigen Badziwiii, die ohnehin 
unzufrieden waren, daß er die Verhandlungen führte *), und denen man 
▼»heimlichen mußte, daß sogar die unmittelbare Initiative von ihm 
stammte. 

Erst die Kenntnis aller Quellen enthüllt den tatsächlichen Sach¬ 
verhalt Wie wir gesehen haben, war Sigismund August schon im 
Januar mit dem Heiratsplan vertraut gemacht, konnte sich ab» noch 
nicht entschließen und hatte bloß vor, an Karl V. und Ferdinand L 
über die moskauische Frage zu schreiben *). Bald aber schien er sich 
überzeugen zu lassen, daß diese Frage zugleich auch einen Vorwand 
bilden könnte, um einen Gesandten an Ferdinand zu senden und hiebei 
auch die Heiratsfrage zu berühren 9 ); schon am 4. Februar teilt er 
Badziwiii diesen Entschluß, außer zum Papst auch zu beiden Habe- 
bürgern einen Gesandten zu schicken, in bestimmter Form mit 4 ), und 
schon Ende des Monats war Fürst Nikolaus in Krakau, besprach alles 
mündlich mit dem Könige 6 ), bewog diesen, nachdem er ihn offenbar 
für seine Plane gewonnen hatte, ihm selbst diese Gesandtschaft anzu¬ 
vertrauen und erhielt wirklich am 24. Februar ein Beglaubigungs¬ 
schreiben 6 ) und Instruktionen, in denen allerdings nur vom .negotium 
Moöchicum“ die Bede war 7 ). 

Dementsprechend kann es nicht mehr, wie in den bisherigen Dar¬ 
stellungen, überraschend erscheinen, daß Sigismund August, als ihm 
Badziwiii aus Österreich von der Geneigtheit Ferdinands, ihm KaUmm* 
zur Frau zu geben, schrieb, sofort dazu entschlossen war 8 ); er war 
eben schon vorher von seinem Gesandten hiefür gewonnen wenden. Es 
bleibt jedoch noch eine viel schwierigere Frage zu lösen, ob nämlich 
Badziwiii selbst, aus eigenem Antriebe, mit dem Vorschläge dieser Ehe 
aufgetreten war oder ob ihn nicht vielleicht vorher König Ferdinand 
gebeten hatte, seinen Einfluß auf den König in diesem Sinne geltend 

*) Hosii Epistolae, 11 nr. 1012. 

») Lachowicz, 8. 41. 

») Ibid., 8. 81 (gehört zu einem der Briefe Anfang 1553, nicht 1654). 

«) Ibid., S. 43. 

•) Ibid., & 46. 

•) Wiener Archiv, Polonica; außerdem erhielt er ein vom 25. Februar datiert» 
Empfehlungsschreiben an Erzherzog Maximilian, ibid. 

*) Fiedler, Beil. III (an Ferdinand, vgl. auch Sa. rer. pol I 76/7), V (an Karl) 

•) Korespondencyja Zebrzydowskiego, nr. 807; Jagiellonki polskie, I 8. 388/9: 
vgl. Uebersberger, 8. 286. 



Die Beziehungen der Habeburger zum litauischen Hochadel etc. 625 

zu machen. Wir wissen allerdings nichtB von einem derartigen, be¬ 
greiflicherweise geheimgehaltenen Schreiben Ferdinands, doch erzählt 
der damals so rührige und einflußreiche polnische Politiker und Schrift¬ 
steller Stanislaus Oxzechowski in einer gleichzeitigen, Sigismunds dritte 
Hochzeit beschreibenden Druckschrift 1 ), daß sich Ferdinand eifrig be¬ 
mühte, die Verheiratung seiner verwitweten Tochter Katharina mit dem 
polnischen Könige durch Nikolaus Badziwill’s Vermittlung zustandezu- 
"bringen. Man muß nun zugeben, daß der Verlauf der Ereignisse eine 
solche Annahme insofern bestätigt, als es sonst Erstaunen erregen 
müßte, wie rasch Ferdinand nicht nur auf Badziwills Werbung einging, 
sondern auch die Hochzeit möglichst zu beschleunigen suchte 8 ). Wie 
dies eich aber auch immer verhalten haben mag, unzweifelhaft bleibt, 
daß Badziwill damals den Habsburgem einen wichtigen Dienst leistete 
und, wie uns dies auch die Einzelheiten seiner Mission beweisen werden, 
seine nahen Beziehungen zu ihnen, trotz manchem, was in der Folge¬ 
zeit dagegen zu sprechen scheint und bisher ein richtiges Verständnis 
seiner Bolle verhinderte, wieder neu gefestigt wurden. 

Mitte März kam Nikolaus der Schwarze, den, wie wir sehen werden, 
noch einige andere seinem Hause nahestehende litauische Magna te n 
begleiteten, zu König Ferdinand, der ihm zu Graz am 24. dieses Monats 
-eine mehrmals konzipierte Antwort auf Sigismunds Moskau betreffende 
Vorstellungen erteilte 8 ). Er erklärte darin, daß er gar nichts davon 
wisse, ob sein Bruder beim Papste für den Zaren eingetreten sei, hielt 
es auch nicht für nötig, daß Badziwili gleich selbst zu Karl V. Weiter¬ 
reise, sondern schrieb noch am selben Tage in dieser Angelegenheit an 
den Kaiser 4 ) und riet dem Gesandten, die Antwort in Österreich ab- 
jsuwarten. Dies war aber nur die offizielle Seite der Verhandlungen, 
bei denen zugleich auch die Heiratsangelegenheit zur Sprache gekommen 
war. Leider sind uns hievon nur die Ergebnisse bekannt, und zwar 


*) Fanagiricns nuptdarum Sigiamundi Augusti Poloniae Begis, Cracoviae 1553. 
Die allerdings nicht ganz deutliche Stelle lautet: »Ferdinandus rex ... nihil prins 
habebat, quam nt e&m filiam ... Sigismunde Angnsto regi, Nicolao Radivilo in- 
ternuncio, collocaret«. Daß diese Bestrebungen Ferdinands bis ins Jahr 1552 zu¬ 
rückreichen, beweisen die Schreiben in Koreepondencyja ZebrzydowaJdego nr. 806, 
806. Zur Vorgeschichte der Ehe vgl. auch Gdmicki: Dzieje w Koronie polskiej 
(Jahr 1653). 

*) Jagiellonki, L c. 

•) Fiedler, BeiL 71; vgl in den Polonica die verschiedenen Konzepte und 
'Kopien dieser Antwort 

4 ) Fiedler, BeiL VH. Er erinnert hiebei den Kaiser, daß der polnische Ge¬ 
sandte jener selbe Badziwiii sei, ,que V« a naguaires 4rig6 en duc de Olicha 
•et Nieswics«. 


41* 



626 


Oskar Ritter v. Halecki. 


einerseits ans dem Antwortschreiben Karls an Ferdinand, in dem er 
Radziwitts Antrag, die verwitwete Katharina mit Sigismund August zu 
vermählen, sehr entsprechend findet und diese Ehe aufs wärmste gut¬ 
heißt *), und andererseits aus einigen polnischen Quellen. Badziwitt hatte 
nämlich schon am 28. März einen Boten nach Krakau gesandt *), der 
offenbar dem Könige die Nachricht vom günstigen Stande der Heirats¬ 
angelegenheit brachte; daraufhin versammelte dieser am 8. April die 
in der Hauptstadt anwesenden Senatoren, teilte ihnen mit, daß Ferdinand 
ihm seine Tochter zur Frau angeboten habe, und beschloß offiziell, trotzdem 
die Befriedigung hierüber keineswegs allgemein war, den Vorschlag an¬ 
zunehmen 8 ). Es wurde zugleich bestimmt, daß zur Finalisierung des 
Ehevertrages auch noch ein Würdenträger der polnischen Beichahälfte^ 
der Vizekanzler Przerqbski, zu Ferdinand abgesendet werden sollte, der 
auch wirklich Ende des Monats nach Wien fuhr 4 ), und daß die Hoch¬ 
zeit am 2. Juli stattfinden würde. Wie schon erwähnt, wollte anfangs 
Ferdinand diesen Termin womöglich noch beschleunigen, da er sich 
vom Zustandekommen der Ehe außerordentlich viel versprach: nicht 
nur schloß sie endgültig die Möglichkeit aus, daß Sigismund August auf 
französischer Seite seine neue Gemahlin und zugleich politische Ver¬ 
bindungen suche, sondern Radziwitt hatte bei seinen vertraulichen Vor¬ 
verhandlungen noch ein wichtiges Versprechen abgegeben, von dem 
wir zufällig aus späteren Briefen Ferdinands erfahren 8 ); er erklärte 
nämlich, daß nach Katharinas Hochzeit jede gegen Österreich gerichtete 
Unterstützung des ungarischen Thronprätendenten und Neffen des pol¬ 
nischen Königs, Johann Sigismund Zapolya, und seiner Mutter IaaMU 
von Seiten Sigismund Augusts aufhören werde. Wenn auch Fürst 
Nikolaus wahrscheinlich zu einer solchen Erklärung keine ausdrückliche 
Vollmacht hatte, so war sie doch angesichts seines bekannten Ein¬ 
flusses nicht weniger wertvoll und konnte Ferdinand, ftr den in seinen 

*) Fiedler, Beil. VIII. 

*) Sein von diesem Tage datierter Paß in den Wiener Polonica; dieser Bote Alex. 
Princza oder Brinza wurde von Radziwiil schon vorher zu vertraulichen Mi—inn*i> 
verwendet, vgl. Lachowicz, 8. 35. 

•) Ho8ii Epistolae, II nr. 1011, 1012; Jagiellonki polakie, L c. 

«) Hosii Epistolae, II nr. 1029; das neue Sendschreiben für Radziwitt und 
Przer^bski vom 29. April in den Polonica. 

*) 21. Jänner 1554 an seine Gesandten in Polen, 3. Februar 1554 an Radziwitt 
(Polonica). Bisher waren diesbezüglich nur die Verhandlungen bekannt, die 1553 
Erzherzog Ferdinand in Polen führte, als er seine Schwester dahin geleitete (vgL 
Jagiellonki V 73—76). Erst E. Zivier hat in seiner Neueren Geschichte Polens I 
(8. 530 Anm. 1), die während des Druckes dieser Arbeit erschien und daher bei 
ihrer Abfassung nicht benützt werden konnte, u. a. auch auf diese beiden Schreiben 
in den Polonica hingewiesen. 



Die Beziehungen der Habsburger zum litauischen Hochadel etc. 627 

Beziehungen zu Polen jene ungarische Frage bekanntlich die Hauptsache 
war, mit den erreichten Ergebnissen wohl zufrieden sein. 

Noch ehe Badziwiiis neue Mission, die mit Przer^bski durchzu- 
führende offizielle Werbung um Katharina, mit des letzteren Ankunft 
begonnen hatte, war jenes «negotium Moschicum«, dem Ferdinand — 
neben der Vermittlung Badziwiüs — seinen Erfolg verdankte, aus der 
Welt geschafft worden. Schon am 24. April konnte nämlich der König 
einen Auszug aus des Kaisers Antwort dem sie in Wiener Neustadt 
erwartenden polnischen Gesandten übersenden 1 ). Sie erhielt Karls feier¬ 
liche Versicherung, daß er bei seiner Verwendung für den Zaren in 
Born keine Ahnung gehabt habe, daß dies dem Könige von Polen 
schaden könne, und daß er nunmehr selbst dem Papste raten werde, 
Moskau gegenüber Zurückhaltung zu üben und SigismundB Wünsche zu 
berücksichtigen. Es müssen die Habsburger auch wirklich sogleich 
dieses Versprechen erfüllt haben, da Julius HL in demselben Breve an 
Ferdinand 2 ), in dem er die zu Katharinas Ehe nötige Dispens erteilt, 
auch auf die Moskau betreffende Bitte antwortet, daß er ohnehin schon 
•mit Bücksicht auf Polen die Vorschläge des Zaren (bekanntlich handelte 
«s sich, wie schon erwähnt, um eine Fälschung, von der dieser gar 
nichts wußte) abzulehnen beschlossen habe. So konnte am 23. Juni 
der endgültige Ehevertrag abgeschlossen werden a ); die ersten Hochzeits¬ 
zeremonien fanden sogleich in Wien statt, wobei Badziwili die Person 
.seines Königs vertrat, die eigentliche Feier in Krakau aber mußte 
wegen Zeitmangels und Unwohlseins Sigismunds vom Anfänge auf die 
Mitte und schließlich auf das Ende des Monates Juli verschoben 
werden 4 ). 

Als sich während der Verhandlungen Ferdinand L anfangs Juni 
in einer uns leider nicht näher bekannten Frage — vielleicht bloß des 
endgültigen Termins der Hochzeit — mit seinem Schwiegersöhne ver¬ 
ständigen wollte, sandte er den «pocillator* von Litauen, Starosten von 

*) Polonica; das Schreiben selbst und Ferdinands Antwort bei Fiedler, Beil. 

vm, EL 

*) Fiedler, Beil. X. Bekanntlich kam es 1561 wieder zu einem, diesmal von 
Bom ausgehenden Versuche, zwischen dem Papste und Moskau mit Wissen des 
Kaisers Beziehungen anzuknüpfen, die auch wieder ähnliche Besorgnisse Sigismund 
Augusts weckten; vgL über den mißglückten Versuch des Legaten Canobio, über 
Polen und Litauen nach Moskau zu gelangen, und die damalige Rolle Radziwiüs 
bei Pierling: La Ruasie et le St.-Si£ge, 1 369, sowie Sauermanns Bericht vom 
7. September 1561 in den Polonica. 

*) Dogiel: Codex dipl I S. 220/8, nr. 52, 53. 

«) Lachowicz, S. 51/2, 53, 56; vgL Oreechowski, o. c. 



628 


Oskar Ritter y. Halecki. 


Tykocin und Mohilew, Stanislaus Kieigajlo nach Krakau 1 ). Dieser, der 
letzte Sproß eines der vornehmsten und reichsten litauischen Adelsge¬ 
schlechter und Neffe Nikolaus Radziwiüs 2 ), einst eine wichtige Ver¬ 
trauensperson bei des Königs geheimer Vermahlung mit Barbara, war 
wahrscheinlich mit seinem Oheim nach Österreich gereist und es ist 
nicht unwahrscheinlich, daß der Titel eines Grafen auf Kro&e, den ihm 
Ferdinand in seinem Paßschreiben gibt, ihm eben damals von diesem 
verliehen worden war. Wieder hatte nämlich das Haus Habsburg die 
Gelegenheit benützt, um seine litauischen Anhänger durch die stets so 
beliebten Titelverleihungen für die geleisteten Dienste zu belohnen und 
sicherer an sich zu fesseln: so erhielt Badziwill selbst, der mit der 
letzten Szydiowiecka vermählt war, den Titel eines Beichsgrafen auf 
Szydlowiec 8 ) und am selben Tage (10 Juli) wurde ein zweiter ihn begleitender 
Neffe, Georg Ilinicz, ebenfalls der letzte seiner Familie, zum Beichs¬ 
grafen auf Mir erhoben 4 ). 

Auch bei den Hochzeitsfeierlichkeitan in Krakau, am 31. Juli, sollte 
Badziwills Ehrgeiz nochmals befriedigt werden. Wenn auch zahlreiche 
Vertreter des litauischen Hochadels, darunter auch Gegner seiner Fa¬ 
milie, anwesend waren 6 ), so nahm doch er, der die Heirat zustandege¬ 
bracht, eine besondere Ehrenstellung ein und ritt beim festlichen Ein¬ 
züge der neuen Königin zur linken ihres Wagens, während den Fiats 
zur rechten ihr Bruder, Erzherzog Ferdinand, einnahm 6 ). Aber Fürst 
Nikolaus knüpfte an sein gelungenes Werk noch viel wichtigere Hoff¬ 
nungen, die mit seiner unvergleichlichen Machtstellung überhaupt und 


>) Polonica, 4. Juni 1553. 

*) Boniecki: Pocset roddw S. 123 und Herban polski X 68. Über seine Be¬ 
ziehungen zu den Radziwiii vgl. z. B. Jagiellonki polakie, 1 329, 337; Lachowia, 
8. 2, 8, 17; Baünski: Pisma histor., passim. Allerdings tituliert sich K. schon 
1549 Graf auf Kroie (Kolankowski, S. 42 Anm. 1). Kulturgeschichtlich ist interessant 
daß er sich 1552 einen Wagen aus Deutschland kommen ließ, der der Königin 
Bona so gefiel, daß sie sich einen ähnlichen bestellte (Lachowicz, S. 27). 

*) Vgl. in den verschiedenen Genealogien der Radziwiii, sowie bei J. K ies »» 
kowßki: Kanclerz Krzysztoi Szydlowiecki, 3. 662; KoÜubaJ: Galeija Nieswieiska, 
8. 246 (nach einer ungedruckten Familiengeschichte) gibt irrtümlich an, er habe 
diesen Titel erhalten, als er in Prag auf dem Wege nach Wien einen Sohn des 
böhmischen Königs Maximilian (Erzherzog Emst) aus der Taufe hob. Dies letztere 
ist allerdings richtig (vgl. in den Polonica Cyras’ Bericht vom 19. Juni 1571, sowie 
das schon oben erwähnte Empfehlungsschreiben an Maximilian vom 25. Februar 
1553) nur die Verknüpfung beider Tatsachen unrichtig. 

4 ) Das Originaldiplom im Archiv der Fürsten Radziwiii zu Nieswieg, Perga¬ 
menturkunden nr. 126. 

») Vgl bei Orzechowski, o. c., und in StryjkowBki’s Chronik, Buch 24 Kap. 7. 

•) Orzechowski, o. c. (»tanti inceptor et confector connubii«). 



Die Beziehungen der Habsburger zum litauischen Hochadel etc. 629 


MTiffl kühnen Zukunftsplänen CTimmmflnhing eri und die auch gleich 
nach der Hochzeit durch einen hochinteressanten Bericht des öster¬ 
reichischen Gesandten in Polen, Dr. Johann Lang 1 ), zur Kenntnis 
Ferdinands kamen. 

Jn Litauen hatten die Badziwili es endlich erreicht, die tatsächliche 
Herrschaft über das Großfürstentum in ihre Hände zu bekommen. Die 
Gunst des Königs hatte ihnen nicht nur einen ungewöhnlichen per¬ 
sönlichen Einfluß auf ihn, sondern auch alle leitenden Würden des 
Landes verschafft, die sich in rascher Folge auf Nikolaus den Schwarzen 
und den Boten gehäuft hatten: war doch der erstere schon seit mehreren 
Jahren nicht bloß Palatin von Wilna und Großkanzler, wie einst sein 
Oheim und sein Großvater, sondern zugleich Beichsmarschall, der latztere 
Palatin von Troki und Großfeldherr, so daß diese beiden Fürsten »von 
Gottes Gnaden*, wie sie sich zu titulieren liebten, die ersten weltlichen 
Sitze im Bäte, die Leitung der äußeren und inneren Politik, die höchste 
Heeresgewalt, sowie die Verwaltung und Justiz in den das Zentrum 
des Beiches bildenden Provinzen vereinten. Dazu kam noch, daß. eben 
in diesen Jahren fast alle übrigen mächtigen Magnatenhäuser Litauens 
erloschen oder doch schon dem Ausstoben nahe waren: wir wissen 
schon vom Ende der Gasztold im Jahre 1542, 1554 starb der letzte 
Kieigajlo, 1556 der letzte Fürst Holszanski, um dieselbe Zeit der letzte 
Hinicz u. s. w n und da alle diese Geschlechter in ihren letzten Ver¬ 
tretern mit den Badziwili verwandt waren, befand sich deren gewaltige 
Hausmacht durch häufige Erbschaften in ununterbrochenem Zunehmen *). 
Es kann daher nicht Wunder nehmen, wenn, wie Dr. Lang in seinem 
Berichte betonte und andere gleichzeitige Quellen bestätigen 8 ), die 
Meinung verbreitet war, daß Nikolaus der Schwarze für den Fall eines 
kinderlosen Todes Sigismund Augusts Großfürst von Litauen zu werden 
hoffte und darauf hinarbeite; es ist möglich, daß er sich garade deshalb 
so lebhaft dafür interessierte, ob Königin Katharina eine Nachkommen¬ 
schaft zu erwarten habe 4 ). 


*) Polonica, 10. August 1563. 

*) Vgl. hiezu die Artikel über die genannten Familien und die Badziwili 
■albst in BoniecJri’s: Poczet rodöw (und teilweise auch Herban polaki). Nach dem 
Aumterben der Hinicz ging auch der ihnen 1653 verliehene Titel eines Reichsgrafen 
auf Mir auf die Badziwili über (z. B. schon 1571 bei Lachowicz, S. 313). 

*) Z. B. eine ungedruckte, gleichzeitige Schilderung eines polnischen Adeligen 
im Archiv der Fürsten Czartoryaki zu Krakau MS. 1604, 8. 64. St. Hosius sdttijto 
1657 über ihn: »gerit se pro duce Lituaniae« (Hoch Epistolae, 11 nr. 1718). / 

4 ) Niemcewkz: Zbidr panriftnikdw, H 432/4. 



630 


Oskar Ritter v. HaleckL 


Wenn aber der ent allmählich politischen Einfluß gewinnende 
niedere Adel Litauens, ja selbst die den ßadziwiö mißgünstigen, aber 
im Vergleich mit ihnen noch zu schwachen übrigen litauischen Herren- 
geschlechter, ihrer Übermacht keinen ernstlichen Widerstand entgegen¬ 
setzen konnten, so lagen die Dinge in der polnischen Keichshälfte ganz 
anders. Der polnische Adel, der unter sich keine aristokratische Oli¬ 
garchie aufkommen ließ, sah nur mit größter Unzufriedenheit, daß 
Nikolaus der Schwarze, der überdies, wie wir sehen werden, bis zu 
seinem Tode der endgültigen Vereinigung Litauens mit Polen entgegen¬ 
arbeitete, den König in seiner Gewalt hatte 1 ), daß gerade er es nun 
wieder war, der die neue Königin nach Polen brachte, und duldete, so 
lange sich der Hof in Polen auf hielt, keine eigenmächtige Einmischung 
des ersten litauischen Würdenträgers in die Politik des Königreiches. 
Daher beschloß Kadziwitt, der selbst Polen möglichst bald zu verlassen 
dachte 8 ), trotz der Unzufriedenheit des dortigen Adels, das königliche 
Paar zu bewegen, ebenfalls nach Litauen zu reisen, wo er beide unge¬ 
stört beeinflussen konnte; erwartete er doch, daß Katharina, die ge¬ 
radezu durch seine Vermittlung Königin geworden war, durch ihre 
Gunst seine Stellung zu einer noch mächtigeren machen werde, als 
bisher. Und wirklich hatte diese sofort bemerkt, welchen Einfluß er 
auf ihren Gatten ausübte, und wollte sich daher seiner Absicht nicht 
widersetzen, wenn sie auch gar keine Lust hatte, die unbequeme Heise 
nach dem kalten, unwirtlichen, schütter bewohnten Großfürstentum 
anzutreten 8 ); ja sogar Ferdinand selbst, den sein Gesandter aufgefordert 
hatte, im Interesse seiner Tochter durch irgend einen Vorwand die 
Verwirklichung dieses Planes zu verhindern, tat, so viel wir wissen, 
gar nichts in dieser Hinsicht, nur um sich den leicht verletzbaren 
Magnaten, der ihm doch so gute Dienste leisten konnte, nicht zu ent¬ 
fremden. 

Badziwiil zeichnete sich nämlich durch ein ungewöhnliches Mi߬ 
trauen aus, wo immer es sich um seine allmählich errungene Macht¬ 
stellung handelte, quälte damit sogar seinen eigenen, ihm so gewogenen 
König, der ihn immer wieder, so z. B. am Ende jenes wichtigen Jahres 
1553 4 ), in seinen Briefen versichern mußte, daß er nach wie vor die 

*) „In potestate sua habet«, wie Dr. Lang ausdrücklich zweimal schreibt; die 
weiter zitierte Stelle Über die Polen lautet: „nec quidquam rerum publicaruxs 
regni in aula eum [seil. Radziwiü] gerere patiuntur“. 

*) Über seine Abreise Hosii Epistolae, II nr. 1079. 

*) Vgl. die Schilderung Litauens in Längs Bericht vom 24. August, ferner 
über die Königin auch den Bericht vom 16. August in den Polonica, sowie Hosii 
Epistolae, II nr. 1079, 1083. 

4 ) Lachowicz, S. 67 und an vielen andern Stellen. 



Die Beziehungen der Habsburger zum litauischen Hochadel etc. 631 

«erste Stelle in seiner Gunst einnehme. Obwohl ihm daher Katharina 
keinen Widerstand entgegensetzte, bemerkte er doch einerseits, wie 
ungern sie sich zur Heise nach Litauen entschloß, und andererseits, daß 
auch sie an der Seite ihres Gatten eine politische Holle spielen wollte, 
und war sofort ton Argwohn erfüllt, daß sie ihm die anfangs bewiesene 
Gunst entziehe und seinen Einfluß, statt zu starken, beeinträchtigen 
werde. In seinen Erwartungen getauscht, zögerte er nicht, in der von 
ihm selbst vermittelten Ehe Mißstimmungen hervorzurufen, um nur zu 
verhindern, daß Sigismund August auf irgend jemanden, und wenn es 
auch seine Gattin wäre, mehr höre, als auf ihn, und da einerseits der 
König, wie Dr. Lang meinte, gleichsam durch teuflische Zauberkünste 
an ihn gefesselt war, und andererseits die Königin nicht gewillt war 
eine rein passive Holle zu spielen, dürfte Hadziwill nicht wenig dazu 
beigetragen haben, daß das gegenseitige Verhältnis der beiden Gatten 
von Anfang an ein getrübtes war 1 ). 

Trotzdem wäre es ganz unrichtig, hieraus, wie es gewöhnlich ge¬ 
schieht, die Folgerung zu ziehen, Fürst Nikolaus sei überhaupt ein 
Gegner des Hauses Habsburg geworden. Allerdings wäre es gewiß für 
die österreichischen Interessen in Polen vorteilhafter gewesen, wenn er 
gemeinsam mit Katharina für sie gewirkt hätte. Wenn sich dies auch 
als unmöglich erwies, so beweist doch seine Korrespondenz mit Fer¬ 
dinand L nach seiner Rückkehr aus Wien in den Jahren 1553 und 
1554 *) ganz unzweifelhaft, daß er den traditionellen Beziehungen seiner 
Familie zu den Habsburgem, die seine Gesandtschaft neu gefestigt batte, 
rückhaltslos treu blieb, ja sogar manchmal seit dieser Zeit dem kaiser¬ 
lichen Hause mehr dienstbar war, als dies den Interessen seines Vater¬ 
landes und seines Königs entsprach. 

Am deutlichsten läßt sich dies in der ungarischen Frage, den Be¬ 
ziehungen Sigismund Augusts zu seiner Schwester IsabeDa Zapolya und 
ihrem Sohne feststellen. Da der König Badziwill auch fernerhin ein 
unumschränktes Vertrauen schenkte und ihm in seine Politik mehr 
Ein blick gewahrte, als irgend einem andern seiner Bäte*), wußte er 
wohl, daß trotz der Annäherung an die Habsburger, die Anfang 1553 


i) Längs Bericht vom 24» August 1563, Polonica; vgL Sanjski, o. c„ 8. 370 
Am. l, sowie Jagielkmki pohkie V, S. LXXXlll. 

*) In den Polonica; besonders zu beachten sein Brief an Ferdinand vom 
15. Oktober 1553 and die folgenden, auch Ferdinands Schreiben an ihn vom 
3. Februar 1554. VgL auch Katalog der Baczyn*kf sehen Bibliothek, L c. über 
Radriwills Beeinflussung durch Ferdinand in der Inländischen Frage (1557) vgL 
be i K Znrier, o. o, 8. 610. 

*) VgL Lachowkx, 8. 87. 



632 


Oskar Ritter v. Halecki. 


so nötig schien, Sigismund Isabellas Bemühungen, ihrem Sohne zunächst 
Siebenbürgen zu sichern und hierauf seine Ansprüche auf ganz Ungarn 
aufrechtzuerhalten, nicht zu hindern, sondern eher zu unterstützen 
dachte oder wenigstens in einer für sie günstigen Weise zwischen ihnen 
und Österreich vermitteln wollte 1 ). Und da mißbrauchte nun Nikolaus 
der Schwarze dieses Vertrauen seines Herrn derart, daß er, nicht zu¬ 
frieden damit, durch seinen Einfluß den österreichischen Interessen zu 
dienen, durch die Gesandten Ferdinands in Polen diesem die ganze 
ungarische Politik seines Königs enthüllte 1 ). Dies erklärt uns auch* 
warum z. B. Anfang 1654 die österreichischen Gesandten danach trachteten, 
daß Sigismund August bei ihren Verhandlungen mit der damals noch 
in Polen weilenden Isabella und ihrer sie unterstützenden Mutter Bons 
gerade Nikolaus BadziwiR zu seinem Vertreter bestimme, was sie aller¬ 
dings «wichtiger Hindernisse* wegen — vielleicht war doch des Königs 
Argwohn rege geworden — nicht erreichten 8 ). Allerdings fehlte es 
auch nicht an Versuchen der Gegenpartei, den mächtigen Palatin von 
Wilna in dieser schwierigen Frage für sich zu gewinnen; ja als Isabella 
1559 starb, schrieb ihr Sohn selbst, «Joannes electus rex orphanus* 
wie er sich Unterzeichnete, sofort an ihn, damit er ihn der Gunst 
Sigismund Augusts empfehle und Bat und Hilfe für* ihn beim Könige 
erwirke 4 ). Und wir hören auch im selben Jahre, sogar schon etwas 
früher, von einem merkwürdigen Plane Badziwitts. der beweist, daß er 
trotz aller österreichfreundlichen Gesinnung auch für den jungen Johann 
Sigismund eine getvisse Sympathie besaß: er meinte nämlich die beider¬ 
seitigen Interessen am besten dadurch befriedigen zu können, daß er 
den Vorschlag machte, Ferdinand solle Zapolya eine seiner Töchter zur 
Frau geben und ihn so an sich fesseln 5 ), wozu man allerdings am öster¬ 
reichischen Hofe keineswegs geneigt war. 

Badziwitts Sympathie für Johann Sigismund Zapolya ist deshalb 
von Bedeutung und Interesse, weil sie mit zwei Fragen zusammen¬ 
hängt, die für die damalige innere Entwicklung Polens, aber auch für 
seine Beziehungen zu den Habsburgem von größter Wichtigkeit waren: es 

*) Siehe z. B. bei Szujski, o. c., 369—374. 

*) Von den Beweisdokumenten in den Polonica ist am deutlichsten des Erasmus 
Haydenreich Bericht an Ferdinand vom 12. Jänner 1565; es erhellt daß 

in dieser Beziehung dieselbe Rolle, wie Radziwill in Litauen, in Polen sein Be¬ 
gleiter bei den Heiratsverhandlungen von 1553, Vizekanzler Prser$bski spielte. 

•) Uchanadana, V 138, bes. die Zitate in Anm. 3. 

4 ) Niemcewicz: Zbidr pami$tniköw, I 468/9; vgl. Katalog der Raczyäakfecben 
Bibliothek, 1. c. 

•) Längs Bericht an Ferdinand I. vom 10. März 1569; vgL bei Ssqjcki, 
S. 373 Anm. 4. 



Die Beziehungen der Habeburger zum litauischen Hochadel etc. 633 

sind dies die Reformation, deren Verbreitung im Jagellonenreiche eben 
damals ihren Höhepunkt erreichte, und die Sukzession, das Problem, wer 
nach dem Tode Sigismund Augusts, der nun auch in dritter Ehe kinderlos 
blieb, seinen verwaisten Thron besteigen würde. 

Was die religiöse Frage betrifft, so neigte sich bekanntlich Johann 
Sigismund, unter dem Siebenbürgen eine Heimstätte weitgehendster To¬ 
leranz bildete, den kühnsten Neuerem auf diesem Gebiete, den ver¬ 
schiedenen Sekten der Antitrinitarier zu, was außer anderen Edel¬ 
leuten Polens und Litauens eben auch Nikolaus Badziwii! für ihn ge¬ 
winnen mußte. War doch dieser seit ungefähr zehn Jahren die Haupt¬ 
stütze, der weltliche Führer der Beformationsbewegnng in Litauen und 
führte ihn sein religiöser Werdegang allmählich zu immer radikaleren 
Glaubenslehren: vom augsburgischen Bekenntnisse zum Kalvinismus, von 
diesem schließlich, in langsamem aber stetigem Übergange, zum Anti- 
trinitarismus, in dem er auch starb 1 ). Dieser Umstand war nun auch 
für seine Stellung in der Sukzessionsfrage maßgebend Trotz jener oben 
erwähnten, vielleicht übertriebenen Gerüchte, daß er selbst wenigstens 
nach dem litauischen Thron strebe, mußte er sich dessen doch wohl bewußt 
sein, daß seine Kandidatur in beiden Reichshälften zugleich vollkommen 
aussichtslos und eine Loslösung der litauischen von der polnischen kaum 
möglich sein würde *), und sich für eine von jenen Parteien entscheiden,, 
die sich unter dem polnisch-litauischen Adel bildeten, seitdem diese 
Frage der Thronfolge offen auf der Tagesordnung war. Eine von ihnen, 
die vielleicht auch der König selbst nicht am wenigsten unterstützte, 
war eben die seines Neffen Zapolya, und deshalb war Badziwiii auf 
jenen Gedanken gekommen, ihn mit einer Habsburgerin zu verheiratet. 
Seit der Ehe mit Katharina, sprach man nämlich in Polen auch von 
der Möglichkeit *), daß das Haus Österreich sich um Sigismund Augusts 
Erbe bewerben würde, und wenn auch Ferdinand selbst keine direkten 
diesbezüglichen Schritte unternahm, so konnte es dem Fürsten Nikolaus 
doch zweckmäßig erscheinen, auf diese Weise beide Parteien und zu¬ 
gleich seine beiderseitigen Sympathien zu verbinden. Er mußte aber 


i) Vgl. s. B. bei Th. Wotscbke: Der Briefwechsel der Schweizer mit den Polen 
(Archiv L Reformationsgesch., Erftänzungsbond HI), nr. 318, 328/9, 332, 339 u.s.w.; 

ar die genaue Schilderung seiner religiösen Entwickelung im Vorworte zu Mo* 
mnnenta reformationis Polon. e. Lithuan., Serie X, Heft 1 (Wilno 1913). 

*) Wer immer König von Polen werden wird, schreibt Lang im zit. Bericht 
vom 10. März 1559, »non Polonis tan tum, verum etiam Lituanis ... imperitabit, eo 
quod ita inter ae duo isti populi sunt confoederati, nt unus idemque utrorumque 
sü princeps. Ipd confrateraitatem vocani« 

•) Vgl. z. B. Lachowicz, 8. 119. 



634 


Oskar Ritter v. Halecki. 


allerdings, als er mit dem österreichischen Gesandten seinen Plan be¬ 
sprach, zugeben, daß Zäpolya in Polen nicht mehr allzuviele Anhänger 
habe, da sie seine geringe Regierungskunst und seine „Turcica plane 
indoles* abschrecke 1 ); selbstverständlich konnte auch die Aussicht, ihn 
auf dem polnischen Throne zu sehen, die Habsburger nicht geneigt 
machen, sich mit ihm zu verschwägern. Übrigens scheint auch Radziwili, 
trotz der religiösen Berührungspunkte, Zapolya’s Kandidatur nicht mehr 
ernstlich unterstützt zu haben, was vielleicht auch mit einer bisher 
wenig beachteten, aber höchst charakteristischen Veränderung in seinen 
Beziehungen zu den Habsburgem zusammenhängt 

Es verdient nämlich gewiß naher erklärt zu werden, warum Ni¬ 
kolaus der Schwarze bei diesen Beziehungen allmählich einem anderen 
Vertreter des österreichischen Herrscherhauses nähertritt als in den vor¬ 
hergehenden Jahren, wo er, wie wir gesehen haben, vor allem mit 
Ferdinand L korrespondierte und verhandelte. Ungefähr von 1558 an 
tritt nun statt dessen die Person seines Sohnes, Erzherzog Maximilians, 
damals schon Königs von Böhmen, in den Vordergrund. Interessant ist 
in dieser Hinsicht Radziwilis Schreiben vom 3. Mai 1558 *), in dem er 
Maximilian seine Gratulation zur Erlangung der kaiserlichen Würde 
durch seinen Vater ausspricht Den Hauptinhalt dieses Briefes bilden 
längere Ausführungen religiösen Inhalts, in denen der Führer der 
litauischen Reformierten die Hoffnung ausspricht daß «das Evangelium 
und die Kirche Gottes von der bisherigen Knechtschaft und unerträg¬ 
lichen pharisäischen Unterdrückung befreit sowie die Zügellosigkeit 
und Straflosigkeit der Sünde, die der römische Antichrist der Welt ver¬ 
sprochen und bei sich käuflich gemacht habe, abgeschafft werde*, was 
auch zum Heile des Reiches gereichen würde. Es ist einleuchtend, daß 
sich Radziwitt in einem solchen Tone nicht an den streng katholischen 
Ferdinand selbst sondern nur an den mit dem Protestantismus innerlich 
sympathisierenden, eben in jenen Jahren so stark von Melanchthon be¬ 
einflußten 8 ) Maximilian wenden konnte. Und wirklich fand Radziwill 
bei diesem ein volles Verständnis für seine konfessionellen Überzeugungen: 
schon am 21. September desselben Jahres schickt ihm der König von 
Böhmen ein warmes Empfehlungsschreiben für den späteren Führer der 
Unitarier Lelio Sozino 4 ), bald darauf dankt hiefür der Palatin von 

l ) Die Stelle über Zäpolya in Lang's zitiertem Berichte ist mit dem Schreiben 
Sauermanns vom 10. Mai 1661 (Polonica) zu vergleichen. 

*) Polonica. 

•) Die Ergebnisse der neuesten Untersuchungen hierüber bei G. Loesche: 
Luther, Melanthon und Calvin in Österreich-Ungarn, Tübingen 1909, S. 146 fL 

<) Th. Wotschke: Der Briefwechsel der Schweizer mit den Polen, S. 81 Anm. 8; 
vgl. dessen Gesch. der Reformation in Polen, S. 196. 



Die Beziehungen der Habeburger zum litauischen Hochadel etc. 635 


Wilna, hochbefriedigt vom Umgänge mit dem geistvollen Szeptiker *),. 
und nimmt überhaupt in der weiteren Korrespondenz zwischen ihnen 
die religiöse Frage beinahe den ersten Platz ein. Wenn vielleicht auch 
Maximilian Radziwitts maßlose, gehässige Angriffe gegen den Katho¬ 
lizismus *) nicht immer billigen konnte, so duldete er sie doch in dessen 
Briefen und begegneten sich beide im allerdings nicht mehr erfüllbarem 
Wunsche, daß die erbitterten Glaubenskampfe und Zweifel einer voll¬ 
ständigen religiösen Einheit Platz machen mögen 8 ). Besonders in¬ 
teressant ist Fürst Nikolaus 9 Schreiben vom 16. August 1564, mit dem 
er Maximilian die in seiner Druckerei zu Brzesc litewski erschienene 
polnische Bibelübersetzung übersandte, weil er bei dieser Gelegenheit 
betont, daß dieser über „Völker derselben Zunge“ herrsche, wie sein, 
eigener König 4 ). 

Diese Bemerkung kann uns als Hinweis dienen, daß dieser regem 
Korrespondenz 5 ) auch noch ein anderes Motiv zugrundelag, als das re¬ 
ligiöse. Wenn man nämlich berücksichtigt, daß sich Maximilian schon 
wenige Monate später 6 ) desselben Argumentes der böhmisch-polnischen 
Stammesgemeinschaft bediente, um seine eventuelle Kandidatur für den 
polnischen Thron zu unterstützen, so Hegt die Vermutung nahe, daß 
für seine Beziehungen zu Badziwiü auch die zweite der von uns vorher 
hervorgehobenen Fragen maßgebend war, nämlich die der polnischen 
Sukzession. Während nämlich, wie schon erwähnt, Ferdinand L, der 
ja ohnehin nicht damit rechnen konnte, den bedeutend jüngeren Sigis¬ 
mund August zu überleben, zwar für alle Falle in Polen und Litauen 
eine starke österreich-freundliche Partei zu bilden bestrebt war, aber 
der Sukzessionsfrage gegenüber eine mehr abwartende, beobachtende 
Stellung einnahm, brachte ihr Maximilian, der schon 1559 in Polen 
selbst bei den Beratungen ernstlich als Kandidat genannt wurde *), ein 


*) 4. Jänner 1569, Jagiellonki polskie, V 145. 

*) Interessant ist n. a. sein Schreiben vom 17. April 1661 in den Polonica* 
wo er behauptet, von Leuten, »quibus nomen meum non alia res ulla exosum red- 
didit quam sacrosanctum Evangelium Jesu Christi«, bei Maximilian verleumdet 
worden zu sein. 

L # ) Vgl. Maximilians Brief vom 18. Oktober 1664, Jagiellonki polskie, V 160/1. 

4 ) Jagiellonki polskie, V 14*7&0. 

•) Vgl. auch 3. Jänner 1559, Polonica, sowie Katalog der Baczynski’schen 
Bibliothek, L c. Im Briefe Ma.* miHa.nw vom 18. Oktober 1664 ist auch ein Kon« 
dolenzschreiben Badziwills anläßlich des Todes Kaiser Ferdinands I. erwähnt. 

•) In der Instruktion vom 5. Februar 1666, Polonica. 

i) In Sauermanns Bericht vom 10. Mai 1561, Polonica, finden sich diese und 
andere interessante Einzelheiten über die Beratungen in der Sukzessionsfrage 
während des Reichstages von 1668/9. Über Ferdinands Politik in der poln. Suk- 



636 


Oskar Ritter v, Halecki. 


viel aktiveres Interesse entgegen, und sobald er nach seines Voten 
Tode selbst als Kaiser die polnische Politik der Habsburger in seine 
Hände bekam, begnügte er sich nicht mehr damit, sich wie dieser von 
seinen Gesandten in Polen über die Aussichten der einzelnen Kandi¬ 
daten benachrichtigen zu lassen, sondern empfahl ihnen von allem 
Anfang an in seinen Instruktionen, für die habsburgische Stimmung 
zu machen 1 ). 

Es ist daher unzweifelhaft, daß er bei seinen Beziehungen zu ein¬ 
zelnen polnischen Magnaten schon zu Ferdinands Lebzeiten jene Zu¬ 
kunftspläne nicht aus dem Auge ließ und waren hiebei gerade die zu 
Eadziwiil von größter Wichtigkeit Nicht nur war es ja durch ihn am 
ehesten möglich, auf Sigismund August selbst, aus dessen Äußerungen 
über die Thronfolge die Habsburger niemals recht klug werden konnten, 
•einen Einfluß auszuüben, sondern schien ja auch seine Stellung in 
dieser Frage für ganz Litauen entscheidend zu sein. Je häufiger ferner 
die österreichischen Gesandten über den Gegensatz zwischen Polen und 
Litauen berichteten 8 ), bei dem eben Badziwill eine Hauptrolle spielte, 
umso notwendiger mußte es erscheinen, neben den Anhängern in Polen 
auch ihn und seine litauische Partei für die Nachfolge eines Habs¬ 
burgers nach Sigismund Augusts Tode zu gewinnen. Hiezu war nun 
gewiß jener intime briefliche Verkehr mit dem Hauptkandidaten Maxi¬ 
milian ein vortreffliches Mittel. Da hiebei die Sukzessionsfrage nicht 
unmittelbar berührt wurde, ist es nicht leicht zu ergründen, wie sich 
Fürst Nikolaus selbst hiezu verhielt; wenn man aber berücksichtigt, wie 
eifrig später sein gleichnamiger Vetter, der in allem und jedem seine 
Politik weiterführte, und sein Sohn Nikolaus Christoph die Wahl eines 
Habsburgers unterstützten, daß er 1559 die siebenbürgische* mit der 
•österreichischen Kandidatur zu vereinbaren suchte, daß er sich schon 
im vorhergehenden Jahre an den späteren Lieblingskandidaten der 
Litauer, Maximilians Sohn Erzherzog Ernst, mit einem Schreiben wandte 8 ), 
kann es wohl kaum einem Zweifel unterliegen, daß er sich mehr und 
mehr mit dem Gedanken befreundete, nach Sigismund Augusts Tode 
einen Habsburger auf dem Throne zu sehen. Ebenso wie bei vielen 
anderen Protestanten verscheuchte wohl auch bei ihm Maximilians 


-sessionsfrage vgl. in der neuesten Literatur B. Kudelka: Jakdb Heraklides Despot*, 
Ewartalnik histor. XXVI 26 Anm. 1, 29 Anm. 1. 

*) Vgl. ausführlich bei Szujski, L c., 378/9, Wierzbowski im Ateneum 1879 
m 408, Uebersberger 8. 378. 

*) VgL die Berichte Sauermanns aus Wilna 26. Februar, 17. April, 10. Mai 
in den folonica. 

*) 3. Mai 1558, Polonica. 



Die Beziehungen der Habeburger zum litauischen Hochadel etc. 637 


, Kompromißkatholizismus “ die konfessionellen Beftbrchtungen, die das 
«onst so glaubenstrene Kaiserhaus geweckt hätte, und seiner aristokra¬ 
tischen Gesinnung, der die auch in Litauen um sich greifende polnische 
Adelsdemokratie so verhaßt war, konnte gerade diese Dynastie, für die 
die aristokratische Begierungsform typisch war r ) und der seine Familie 
ihren BeichsfÜrstenstand verdankte, am ehesten entsprechen. 

In diesem Zusammenhänge gewinnt es besondere Bedeutung, daß 
der häufige Briefwechsel mit Maximilian nicht den einzigen Beweis 
Bildet, wie die traditionellen Beziehungen der Badziwitt zum öster¬ 
reichischen Herrscherhause immer enger und häufiger wurden. So schickt 
der Palatin von Wilna 1560 zwei seiner litauischen Verwandten nach 
Österreich, und zwar jenen 1553 zum Beichsgrafen erhobenen llinicz an 
den Hof des Erzherzogs Karl von Steiermark und Johann Hlebowicz, 
..Freiherm auf D^browno*, an den Maximilians 2 ). Um sie den Habs- 
burgem anzuempfehlen, schrieben nicht nur der polnische König und 
Nikolaus der Schwarze selbst an diese, sondern auch des letzteren Gattin 
Elisabeth, eine geborene Szydtowiecka, an Maximilians Gemahlin, die 
nun auch mit ihr in brieflicher Verbindung bleibt uud z. B. 1564 ihrer 
„amica carissima* Elisabeth Badziwitt für mit einem herzlichen Schreiben 
übersendete Handarbeiten dankt®). Besonders wichtig war es aber, daß 
achon 1561 Fürst Nikolaus der Bote, der wenige Jahre später an seines 
Yetters leitende Stelle in Litauen treten sollte, unmittelbaren Anschluß 
an die Habsburger suchte, indem er durch Ferdinands Gesandten Sauer- 
mann um Aufnahme seines Sohnes an den kaiserlichen Hof bat; selbst- 
werständlich beeilte sich der Gesandte, dem Kaiser die Erfüllung dieser 
Bitte dringendst anzuempfehlen, indem er darauf hinwies, wie außer¬ 
ordentlich einflußreich der Palatin von Troki beim Könige und den 
litauischen Ständen war und wie vorteilhaft es für den Kaiser sei, sich 
«olcbe Persönlichkeiten zu verpflichten und zu treuen Anhängern zu 
machen. Alsbald erfolgte denn auch des Kaisers freundlich zustimmende 
Antwort 4 ), so daß, als 1565 Nikolaus der Schwarze starb und der Bote 
seine hohen Würden erhielt, die österreichische Partei unter dem litauischen 
Bochadel keinerlei Einbuße erlitt. 

Im Anschlüsse daran wäre zu erwähnen, daß damals zu dieser 
Partei neben den allerdings weitaus bedeutendsten Badziwitt auch jenes 
zweite litauische Magnatengeschlecht gehörte, das allmählich mächtig 

*) VgL bei Uebersberger, S. 391. 

*) Mehrere Schreiben hierüber in den Polonica: 25. September, 26. September, 
12. Dezember 1560, 29. April 1561. 

•) Jagiellonki polskie, V 147. 

4 ) Polonica, 9. Juni und 10. Juli 1561. 



638 


Oskar Ritter y. Halecki. 


genug geworden war, um die Stelle ihrer früheren Biyalen einzunehmen^ 
nämlich die Chodkiewicz. Einem übrigens schon im XV. Jahrhundert 
sehr angesehenen Kiew’er Bojarenhause entstammend, waren sie zur Zeit 
Sigismund Augusts, obwohl er ihnen anfangs wenig Sympathien ent¬ 
gegenbrachte *), in drei Vertretern zu hohen Würden emporgestiegen *). 
Die zwei bedeutendsten unter ihnen, die Brüder Hieronymus und Gregor, 
nacheinander Kastellane von Wilna, waren zu jener Zeit die Haupt¬ 
gegner der Badziwili in Litauen^ 8 ), nichtsdestoweniger aber, ebenso wie 
diese, Anhänger der Habsburger. Der erstere hatte yon Kaiser Ferdi¬ 
nand ein Beichsgrafendiplom erhalten 4 ) und sein später so einflußreicher 
Sohn Johann Hieronymus hatte noch an Karls V. Hofe seine Jugend 
yerbracht und sich in dessen Kriegen mit Frankreich ausgezeichnet 8 ),, 
während Gregors Sohn 1566 am Hofe Maximilians II freundliche 
Aufnahme fand, wofür sein Vater dem Kaiser in einem ergebenen 
Schreiben dankt 6 ). 

So sehen wir wieder, daß die Habsburger, wie einst yor 40 Jahren, 
mit verschiedenen Parteien des litauischen Hochadels in Verbindung 
standen, was ihnen auch wirklich schon zur Zeit des ersten Interegnums 
zugutekommen sollte; schon die vorhergehenden Jahre sollten aber 
beweisen, warum dies trotzdem nicht genügte, um auf die gesamte 
litauische Beichshalfte einen entscheidenden Einfluß auszuüben. 


HL Die österreichische Politik und die Union von Lublin. 

Wenn sich auch Badziwili der Schwarze im allgemeinen bis zu 
seinem Tode der königlichen Gunst erfreute und noch unmittelbar vor¬ 
her anläßlich der kaiserlichen Gesandtschaft zu Bäte gezogen wurde 7 ), 
erlebte er doch noch die bittere Enttäuschung, daß in der wichtigsten 

*) Jagiellonki polskie, I 325, 334, 338. 

*) Vgl. die Geschichte dieser Familie bei St. KossakowBki: Monografie histor 
geneal. I, Warszawa 1876*. 

*) Hosii Epistolae II nr. 1935 (1558); Ss. rer. Pol. XV 186 (P. Giovannmi's 
Bericht über Polen 1565). Durch Hieronymus Chodkiewicz suchten seinerzeit Sigis¬ 
mund I. und Bona die Ehe ihres Sohnes mit Barbara Badziwili zu verhindern: vgl. 
Jagiellonki I 348, 351. 

4 ) Koesakowski, S. 46. 

•) Karls V. Brief an Sigismund August 18. September 1555 in den Polonica; 
vgL auch seine ausführliche Lebensbeschreibung im Privileg Sigismund Augusts 
19. Dezember 1568 (Opisanije rukop. otdielenija Wilenskoj Pub*. Bibliotieki, IQ 
8. 76/9). 

•) 13. Juni 1566, Polonica. 

*) Lachowicz, S. 280 (des Königs Brief vom 3. Mai 1565; der Fürst starb am 
28. Mai). 



Die Beziehungen der Habsburger zum litauischen Hochadel etc. 639 


innerpolitischen Frage Sigismund August nicht mehr auf ihn hörte, 
sich in seinen Absichten nicht irre machen ließ 1 ). Es handelte sich 
um den endgültigen Abschluß der Union Litauens mit Polen. Die 
beiden schon seit 1386 mehr oder weniger eng verbundenen Seiche 
sollten noch vor des letzten Jagellonen Tode durch einen klaren, ihrer 
nunmehrigen inneren Entwicklungsstufe und äußeren politischen Lage 
entsprechenden Vertrag für immer vereint werden 1 ). 

Sigismund August hatte nicht immer mit dem gleichen Eifer nach 
diesem Ziele gestrebt So lange die in Litauen erbliche Dynastie der 
Jagellonen blühte, war mindestens die Personalunion beider Reiche ge¬ 
sichert, da man ja auch in Polen, wie schon erwähnt, nicht daran ge¬ 
dacht hatte, jemand anderen zu wählen. Für den Fall ihres Erlöschens 
aber konnte es leicht zu einer Spaltung kommen, da die eine gemein¬ 
schaftliche Herrscherwahl bestimmende Union von 1501 von Litauen 
nicht endgültig angenommen war und die letzte vorhergehende, von 
1499, eigentlich nur ein loses Bündnis schuf. Außerdem kamen seit 
dem Anfang der Sechzigeijahre, als des Königs Hoffnung auf Nach¬ 
kommenschaft immer aussichtsloser wurde, noch zwei Umstande hinzu, 
die die Erneuerung und Festigung der Union unbedingt nötig machten. 
Während dies erstens bisher gewöhnlich bloß ein einseitiges Streben 
Polens war, dem sich die führenden Oligarchen Litauens widersetzten, 
beginnt nun im Gegensätze zu diesen der gesamte litauische Adel eben¬ 
falls energisch nach einer engeren Vereinigung mit dem Bruderstaate, 
Yor allem nach einem gemeinsamen Reichstage zu verlangen, schließt 
sich sogar zu diesem Zwecke 1562 zu einer Konföderation zusammen s ); 
je mehr sich nämlich in Litauen die polnischen Kultur- und Verfassungs- 
einflüsse verbreiteten, je mehr durch die allmählichen Konzessionen der 
Reichsprivilegien und die, wenn auch langsame, Entwicklung des Par¬ 
lamentarismus die soziale Stellung des niedem Adels gehoben und sein 
politisches Verständnis geschult wurde, umso imerträglicher mußte die 
rücksichtslose, egoistische Magnatenherrschaft, die, wie wir sahen, schon 
Herberstein entsprechend verurteilt hatte, allgemeine Unzufriedenheit 


*) Lachowicz, S. 193. 

*) Über die Gesamtgeschichb • der polnisch-litauischen Union vgl. die populäre, 
aber gründliche und quellenmßOige Darstellung bei J. Zerbilio-Labunski: Unia 
Litwy z Polskq, Warsz. 1913, sowie vor allem die neue, vorzügliche Arbeit St. Kofcrzeba’g 
Unia Polski z Litwq, Krakdw 1915 (aus dem Sammelwerke: Polska i Litwa w dziejowym 
stosunäu). 

•) Archiv der Fürsten Czartoiyski in Krakau MS. 1604 pag. 68—74; vgL 
meine Bearbeitung dieser für das Verhältnis des litauischen Adels zur Union ent¬ 
scheidenden Quelle im Przegl%d histor. XVO Heft 8. 



640 


Oskar Ritter v. H&iecki. 


und Sehnsucht nach der in Polen herrschenden Freiheit erwecken. 
Zweitens war Litauen als selbständiger Staat dem rastlosen Vorwärts- 
drangen Moskaus nicht mehr gewachsen; zu allen übrigen Gebietsver- 
lußten in diesen Kämpfen kam 1563 der Fall von Polock und die 
ständige Bedrohung des kaum gewonnenen Livland. Hier konnte nur, 
wie dies nicht viel später Stefan Bäthory’s Erfolge bewiesen, ein ge¬ 
meinsames Vorgehen Polens und Litauens Hilfe bringen. 

Daher wurden einerseits des Königs Bemühungen, eine entsprechende 
Union zustandezubringen, immer energischer und führten zunächst in 
den Jahren 1564/6 zu durchgreifenden, ihren Abschluß vorbereitenden 
Reformen in Litauen, welche die Übermacht des Hochadels einschränkten, 
andererseits begannen auch nach und nach zahlreiche Magnaten die 
Notwendigkeit der Union einzusehen, so daß ihre Gegner immer mehr 
isoliert wurden. Es waren dies schon 1562 fast ausschließlich nur mehr 
die Badziwiii und ihr unmittelbarer Anhang, die mächtigsten Oligarchen, 
die eben am meisten zu verlieren hatten 1 ). Voll Erbitterung über die 
Unionspläne, von denen er den König nicht mehr abbringen konnte, 
über den wachsenden Einfluß der großen Massen des niederen Adels, 
starb Nikolaus Badziwiii der Schwarze 2 ), die Leitung der Oppositions¬ 
partei seinem Vetter überlassend. 

Es läßt sich nun nicht leugnen, daß die kaiserlichen Gesandten in 
Polen, sogar der kluge Andreas Dudic, der seit 1565 unter ihnen die 
Hauptrolle spielte, diese Verhältnisse nicht immer richtig zu beurteilen 
wußten. Erstens überschätzten sie den polnisch-litauischen Gegensatz, 
indem sie den Widerstand der allerdings noch immer übermächtigen 
Badziwiii und ihrer Partei der Gesamtheit Litauens zuschrieben, zweitens 
aber auch die Stärke der Moskau zuneigenden Partei unter den Litauern 1 ), 
was zur Folge hatte, daß der Kaiser allzusehr mit der Gefahr einer 
Kandidatur des Zaren auf den polnischen und litauischen Thron rechnete. 
Diese letztere Partei ließ sich weniger von national-religiösen Motiven 4 ), 

i) Die oben zitierte Adelskonföderation richtet sich vor allem gegen die 
Badziwiii und betont eine sie erläuternde gleichzeitige Notiz im selben Manu sk ri pt 
daß ganz Litauen nach der Union verlangte und nur einige Herren, Nikolaus der 
Schwarze und der Rote und «1er ihnen stets zur Seite stehende Eustachius Wolowkx, 
dagegen waren. 

*) Sein politisches Credo, auch in Bezug auf die Union mit Polen, enthalten 
seine Briefe an Nikolaus den Roten vom 22. Februar und 1. März 1565 im Bad» 
riwiiTschen Archiv zu Nieswiei, Abteilung IV (Familienbriefe). 

# ) Vgl. neben den vorhin zitierten Berichten Sauermanns von 1561, die da 
DudiÖ von 1566 (z. B. 19. August, die interessante Stelle fol. 149 T ) und 1568 
(6. Juni). 

4 ) Die von der russischen Literatur geflissentlich verbreitete Behauptung von 
der „russischen Irreden ta« im litauischen Staate ist dahin zu rektifizieren, daß es 



Die Beziehungen der Habsburger zum litauischen Hochadel etc. 641 


wie Düdic meinte, als von der Hoffnung leiten, daß durch die mos- 
kauißche Herrschaft die endlosen, aussichtslosen Kriege an der Ostgrenze 
aufhören und die Macht des Hochadels gebrochen würde. Das Zu¬ 
standekommen der Union mit Polen, das ja in diesen beiden Bichtungen 
Abhilfe brachte, mußte auch diese Strömung alsbald abschwächen. 

Erst auf dem berühmten Beichstage zu Lublin im Jahre 1569 
Batten die österreichischen Gesandten Gelegenheit, einen genaueren 
'Einblick in diese Fragen zu gewinnen. Sie konnten sich nicht nur 
überzeugen, wie schwach in Litauen die moskauische Partei war 1 ), 
sondern es wurde ihnen auch allmählich klar, daß der Widerstand gegen 
den Unionsabschluß, dessen Zeugen sie waren, nur von einigen Ma¬ 
gnaten genährt und geleitet wurde, während alle übrigen Litauer hiezu 
geneigt waren 8 ). Daher kann man ihnen, wenn sie auch durch ihren 
unbegründeten Optimismus die Aussichten der habsburgischen Sukzession 
im Jagellonenreiche nicht entsprechend zu fordern wußten, auch vom 
Standpunkt der österreichischen Interessen keineswegs den Vorwurf 
machen, daß sie hiezu den polnisch-litauischen Konflikt nicht auszu¬ 
nützen verstanden hatten 8 ). Allerdings standen die hervorragendsten 
Anhänger der Habsburger in Litauen, die Badziwilt und — wenn auch 
nicht so hartnäckig — die Chodkiewicz an der Spitze der Oppositions¬ 
partei, welche im wohlverstandenen Klasseninteresse die Union mit 
Polen so lose als möglich zu gestalten suchte; sie wußten aber selbst, 
daß sie bei der Allgemeinheit des litauischen Adels auf keine Unter¬ 
stützung rechnen konnten 4 ), dieser drohte vielmehr im Gegenteil gegen 

in Litauen keine russische (im heutigen Sinne des Wortes d. h. großrussische) Be¬ 
völkerung gab, sondern Weiß- und Kieinruthenen, die sich überdies kulturell von 
•den großrussischen »Moskovitera« immer mehr entfernten. Die religiöse Gemein¬ 
tschaft (durch den griechisch-orientalischen Glauben) spielte wohl oft eine Bolle, 
doch muß betont werden, daß manche der bedeutendsten Heerführer Litauens 
gegen Moskau orthodoxen Glaubens waren und daß eben damals (1563) der letzte 
liest einer politischen Beeinträchtigung des nichtkatholischen Adels in Litauen 
.aufgehoben wurde. 

*) Vgl. ihren Bericht vom 9. März 1569, Jagiellonki polskie V 251/2. 

*) Ibidem, V 316. 

•) Uebersberger, S. 384. Diese Auflassung ist dadurch zu erklären, daß der 
'Verfasser im Abschnitte über die Union von Lublin den Ausführungen des russischen 
Historikers L L Lappo: Wielikoje kniaiestwo litowskoje I, folgt, der in seiner 
durchaus einseitigen Darstellung die Union als eine vollständig erzwungene, die 
Opposition der Litauer als eine allgemeine und grundsätzliche zu schildern trachtet. 
Über einige besonders strittige Punkte vgl. meine Arbeit: Przyi%czenie Podlasia, 
Wofynia i Kijowszczyzny do Korony w r. 1569, Kraköw 1915, sowie den Aufsatz: 
Unia lubelska, Kraköw 1916. 

*) YgL s. B. das deutliche Eingeständnis im Briefe Ghodkiewicz's an Radzrwifl 
6 . Juni 1569, Archeograficzesky sboraik k’istorii siewierozapadnoj Rusi, Wilna 
1870, VH nr. 25. 40 * 



642 


Oskar Ritter y. HaleckL 


jene Magnatenpartei aufs entschiedenste aufzutreten, falls sie den Ab¬ 
schluß der Union nochmals verzögern sollte 1 ). Bekanntlich kam es 
auch schließlich zu einer Verständigung, die in den beiderseitigen denk¬ 
würdigen Unionsakten vom 1. Juli 1669 ihren Ausdruck fand; es hatten 
aber diese Verhandlungen so lange gedauert, daß dem Reichstage keine 
Zeit blieb, sich mit manchen anderen wichtigen Fragen, so auch der 
Sukzession, zu beschäftigen. So hatten also die österreichischen Ge¬ 
sandten, von privaten Unterredungen mit dem Könige abgesehen, gar 
keine Gelegenheit, in dieser Beziehung die Aussichten der Habsburger 
zu fördern, und hätte ein Anschluß an die an Zahl so geringe und 
schließlich auch überwundene litauische Opposition in diesem Augen¬ 
blicke, wo eine so gewaltige Mehrheit mit Sigismund August an der 
Spitze nach der für beide Staaten so notwendigen Union strebte, ihrer 
Sache nur Schaden gebracht 

Übrigens dürften jene Führer des litauischen Hochadels in der für 
sie so kritischen Zeit selbst wenig Lust gehabt haben, sich durch Ver¬ 
handlungen über die habsburgische Thronkandidatur von der sie mo¬ 
mentan in erster Linie beschäftigenden Unionsfrage ablenken zu lassen, 
und beschränkt sich das, was wir in den stürmischen Monaten vor dem 
Unionsabschlusse von ihren Beziehungen zum Kaiserhause wissen, auf 
einen Brief Maximilians vom 5. Februar 1569 *), worin er dem Sohne 
Nikolaus' des Schwarzen, Nikolaus Christoph Badziwil) mitteilt, daß er 
zwei Pferde an ihn gesendet habe. Diese Artigkeit ist zugleich die 
erste Spur einer Annäherung an den jungen Fürsten, der damals eine 
noch wenig bedeutende Bolle spielte, aber bald darauf zu größtem An¬ 
sehen in Litauen gelangte und zum eifrigsten Anhänger der Habsburger 
wurde. 

Überhaupt wäre es ein Irrtum zu meinen, die litauischen Magnaten 
hätten dadurch, daß sie bei der Union mit mancher für sie wichtigen 
Forderung nicht durchdrangen, ihre bisherige Stellung im Großfürsten- 
tume eingebüßt Es hatte sich wohl gezeigt daß sie die unumschränkte 
Leitung der litauischen Politik verloren hatten, aber gerade um sie für 
das Unionswerk zu gewinnen, hatte sie der König wieder einmal mit 
hohen Würden und Güterverleihungen reich bedacht; so wurde z. B. 
Füst Nikolaus Christoph eben auf dem Reichstage von Lublin litauischer 
Hofmarschall 8 ). Für uns ist hiebei besonders interessant daß Sigismund 
August der gesehen hatte, wie die Habsburger durch schön klingende 

*) Archiv der Fürsten Cxartoryski in Krakau Ms. 1609 p. 1623. 

*) Katalog der Raczynski’schen Bibliothek, 1. c. 

*) Vgl. auch die kolossalen Güterverleihungen an J. H. Chodkiewicz im oben 
zitierten Privileg vom 19. Dezember 1568. 



Die Beziehungen der Habsburger zum litauischen Hochadel etc. 643 


Adelstitel auf den Ehrgeiz dieser Herren zu wirken verstanden, in jenen 
wichtigen Augenblicken ausnahmsweise dasselbe Mittel für seine Zwecke 
anzuwenden begann, wenn es auch nicht nur in Polen, sondern auch 
in Litauen ein ganz ungewöhnliches war. So erhob er vor dem Unions¬ 
reichstage den Johann Hieronymus Chodkiewicz, dessen Vater allerdings 
schon ein Beichsgrafendiplom besaß, nun auch seinerseits, ohne diese kaiser¬ 
liche Standeserhöhung zu erwähnen, am 10. Juni 1568 zum Gräfin auf 
Szklöw, Mysz, Bychöw und Hlusk 1 ), und nach dem Beichstage, am 
5. November 1569, den Palatin Wasil Tyszkiewicz, der ebenfalls zur 
Opposition gehört hatte, zum Grafen auf Lohojsk und Berdyczew*), 
indem er betont, daß seine Grafenstandsverleihung mit einer kaiserlichen 
gleichwertig sei 

Nach dem Abschlüsse der Union von Lublin war aber wirklich 
die Frage, wer des letzten Jagellonen Nachfolger werden sollte, für 
alle, die die Stürme und Gefahren eines unvorbereiteten Interregnums 
voraussahen, zum wichtigsten Probleme des Staatslebens geworden, das 
aber leider auch auf den beiden letzten Beichstagen zur Zeit Sigismund 
Augusts (1570 und 1572) infolge der von der protestantischen Partei 
aufgeworfenen konfessionellen Fragen nicht gelöst werden konnte. Umso 
ausgiebiger entwickelte sich daher in den letzten zweieinhalb Jahren 
vor dem Aussterben der Dynastie die private Agitation der einzelnen 
Parteien, bei der bekanntlich der rührige und scharf beobachtende, aber 
mehr für Intriguen kleineren Maßstabes als für eine großzügige, takt¬ 
volle diplomatische Tätigkeit geeignete kaiserliche Besident, Abt Jo hann 
Oyrus, eine in seinen zahlreichen Berichten an Maximilian deutlich zum 
Ausdruck kommende Hauptrolle spielte 8 ). 

Begreiflicherweise nahmen an dieser inoffiziellen Vorbereitung zur 
kommenden Königswahl auch die führenden Magnaten Litauens her¬ 
vorragenden Anteil; konnte doch nichts ihre durch die Union gefährdete 
Machtstellung so sehr stützen, als ein Herrscher, der ihren Interessen 
entsprechen würde und dem gerade sie zum Thron verholfen hätten. 
Und wirklich beweist ein Brief des Johann Chodkiewicz an Nikolaus 
Badziwiil den Boten vom 15. Oktober 1569 4 ), daß schon damals, kaum 
zwei Monate nach dem Ende des Lubliner Reichstages, die vor den 
Polen streng geheimgehaltenen Intriguen der litauischen Herren in der 

*) EoesakowBki: Monografie hist, geneal. 1 46 Anm. Das Diplom publiziert 
bei J. Malinowskg: Sboraik matierialow k* istorii panow rady, S. 78. 

*) AusfÜhrl. Auszug aus dem Diplom bei J. Lappo, o. c., S. 717 Anm. 1. 

•) Die Charakteristik Cyrus’ bei Szujski: Stosunki dyplom., 8. 393; W. Zakr- 
zewski: Po ucieczce Henryks, Krakdw 1878, S. 96; Uebersberger, S. 386/6. 

4 ) Archeograficzeskü Sbornik, VH nr. 28. 



644 


Oskar Ritttr ▼. HaleckL 


Frage der Königswahl in vollem Gange waren. Er beweist aber dabei 
auch, daß ein Umstand all ihre Bemühungen un gemein erschweren 
mußte, nämlich der Mangel an Solidarität und vor allem an gegen¬ 
seitigem Vertrauen zwischen den einzelnen Familien, So lange es sich 
um die Union mit Polen handelte, war ein vorübergehendes Einver¬ 
ständnis zwischen den Radziwiü und Ghodkiewicz noch eher möglich 
gewesen 1 ), obwohl hiebei letztere in ihrer Opposition keineswegs so 
weit gingen wie jene; jetzt aber, wo es sich in geheimem, ränkevollen 
politischen Spiele um den zukünftigen Einfluß unter einem neuen 
Herrscher handeln mußte, waren alle kleinlichen Rivalitäten wieder an 
der Tagesordnung. So z. B. besteht der Hauptinhalt des erwähnten 
Schreibens in überschwänglichen Versicherungen Chodkiewicz’s, daß der 
Argwohn des Fürsten Nikolaus, er verrate ihre Geheimnisse in der 
Sukzessionsfrage den Polen, vollkommen unbegründet sei! 

Aber der stille Kampf zwischen diesen beiden scheinbar verbündeten 
Familien, den uns erst Cyrus’ Berichte ganz entschleiern werden, sowie 
ihr gemeinsamer Gegensatz zur polenfreundlichen Partei war nicht der 
einzige innere Zwist, der die Bedeutung des litauischen Hochadels im 
entscheidenden Augenblicke schwächen mußte. Vor allem waren es 
die alten dynastischen Fürstengeschlechter, die eine ausgesprochene 
Sonderstellung einnahmen. Schon während des Reichstages zu Lublin 
waren die Mißhelligkeiten zwischen den litauischen Herrengeschlechtem 
und den stolzen Fürstenhäusern der Slucki und Ostrogski zu Tage ge¬ 
treten 8 ) und sollten sich während des Interregnums erst recht fühlbar 
machen. Zwar war mehr oder weniger für alle ein Habsburger der 
erwünschteste Kandidat, aber unmöglich war es, aus den verschiedenen 
sich bekämpfenden Familiengruppen eine einheitlich wirkende Partei 
zu bilden 

Von den litauisch-ruthenischen Fürsten war der mächtigste und 
reichste Konstantin Ostrogski, der allerdings durch die Einverleibung 
der Palatinate Wolhynien und Kiew, wo er seine Würden und Güter 
innehatte, in die polnische Reichshälfte, zu einem Senator der Krone 
Polen geworden war. Er wäre vielleicht am leichtesten für die kaiser¬ 
lichen Pläne zu gewinnen gewesen, da er gerade in jenen Jahren ohnehin 
mit Maximilian IL verhandelte, um die in Böhmen gelegenen Raudnits’er 
Güter, die er von den Tamowski geerbt hatte, übernehmen zu können 8 ); 

t) Ibid., nr. 21, 22, 23, 25. 

*) Dniewnik Lubünskawo sejma 1569 goda (ed. Kojaiowic* 1869), S. 8» 
119/20. 

») Vgl. die Briefe Sigismund Augusts, 1567/8, in der Biblioteka ordyn. Km* 
ginskich 1872, S. 208, 210; sowie die Briefe des Kaisen und Ostrogakis vom 



Die Beziehungen der Habsburger zum litauischen Hochadel etc. 645 


wir finden aber in den Berichten des Cyrus keine Nachricht, daß er 
versucht hätte, sich diesem Fürsten zu nahem, um die alten Be¬ 
ziehungen seiner Familie zum Hause Österreich, deren wir schon einmal 
gedachten 1 ), bei dieser Gelegenheit aufzufrischen. Auch von Ostrogakis 
Verwandten, dem tüchtigen, durch seine Siege über Moskau berühmten 
litauischen Feldherra Fürsten Boman Sanguszko, der allerdings schon 
1571 starb, weiß er nur zu berichten, wie gerne er auch gegen die 
Türken zum Schwerte greifen würde 9 ), was gewiß geeignet war, ihn 
für die habsburgische Kandidatur, die ja stets den Bruch mit den 
Osmanen zur Folge zu haben schien, günstig zu stimmen. Ebenso ge¬ 
wann es keine konkrete Bedeutung, daß Fürst Andreas Kurbskij, der 
seinerzeit von Moskau nach Litauen geflohen war, an den kaiserlichen 
Gesandten mit dem Plane herantrat, Maximilian IL solle zwischen Polen 
und Moskau vermitteln, um eine allgemeine Türkenliga zustandezu¬ 
bringen; wurde doch Kurbskij's Absicht, behufs näherer Verständigung 
zum Kaiser zu fahren, nicht verwirklicht s ). So beschränkten sich denn 
schließlich des Abtes Cyrus Bemühungen und Informationen, soweit sie 
die Magnaten der litauischen Reichshälfte betrafen, fast ausschließlich 
auf jene zwei politisch am meisten tätigen Familien der Radziwili und 
Chodkiewicz. 

Aber selbst was diese betraf, war er sich anfangs nicht ganz im 
klaren, obwohl er sich Anfang 1570 längere Zeit in Wilna aufhielt, 
um die Absichten der eben dort versammelten litauischen Herren zu 
erforschen 4 ). Auch er überschätzte wenigstens in den ersten Monaten 
seiner diplomatischen Tätigkeit die Stärke der moskauischen Partei in 
Litauen; teilweise schien ihm ferner der dortige Adel für die Kandidatur 
Johann Sigismund Zäpolya’s eingenommen zu sein, während er die An¬ 
hänger der Habsburger eher in Großpolen suchte 5 ). Erst Mitte 1571 
beginnt in seinen Berichten die Überzeugung aufeutauchen, daß man 


2. Juni 1570 und 2. Februar 1571 in den Polonica. Ferner Jagiellonki polakie V 
8 . CXLHL 

*) Vgl. auch die Fürsprache, welche 1553 Ferdinand L bei Sigismund August 
für Ostrogski einlegte, Jagiellonki Y S. CXXXVIL 

*) Bericht vom 21. März 1571, Polonica (»vir heroicus et spirans odium 
quoddam erga hostes crucis Christi«). 

*) Außer den von Szujski in den Ss. rer. pol. I 134/5, 141 angegebenen 
Stellen sind auch die von Uebersberger, 8 . 398 Anm T 1 , zitierten interessanten Be¬ 
richte vom 26. November 1569, 8. Jänner und 31. Jänner 1570 in den Polonica 
zu berücksichtigen. 

4 ) Bericht vom 8 . Jänner 1570, Polonica. 

•) Ss. rer. PoL I 134, 137; des Kaisers Brief nn Cyrus vom 13. Jänner 1570 
in den Polonica. 



646 


Oskar Ritter v. Halecki. 


gerade von den Litauern die Wahl eines der Sohne des Kaisers am 
sichersten erwarten könne; wie er zu dieser Anschauung gelangte und 
warum er hiemit manche irrtümliche Vorstellung verknüpfte, erkürt 
uns sein hochinteressantes, bisher ganz unberücksichtigtes Schreiben an 
Maximilian vom 19. Juni 1571 1 ). 

Er berichtet darin von einer bedeutungsvollen Unterredung mit 
dem litauischen Sekretär Mathias Sawicki, einer wenig bekannten, aber 
damals außerordentlich einflußreichen Persönlichkeit Einer ganz unbe¬ 
deutenden, polnischen Adelsfamilie Podlachiens entstammend, war er 
am Hofe Nikolaus Badziwiii des Schwarzen aufgewachsen, in dessen 
Kanzlei er Verwendung fand und dessen Gunst und Vertrauen er rasch 
zu gewinnen wußte; als „homo ingeniosus“, wie ihn Cyrus mit Becht 
nennt, benützte er dies, um in seiner heimatlichen Provinz verschiedene 
Landesämter, sowie die Würde eines litauischen Beichssekretärs zu er¬ 
langen, sein Vermögen schnell zu vermehren und in beiden Beichs- 
halften Güter anzukaufen; als Podlachien bei der Union von 1569 an 
Pblen kam, hatte er es äußerst geschickt verstanden, sich beiden Parteien 
anzupassen und sowohl des Königs, als auch der Badziwiii Gunst zu 
bewahren, und sollte der kluge Emporkömmling schon binnen wenigen 
Jahren als Kastellan von Podlachien sogar Senator werden*). Wenn 
auch sein usprünglicher Protektor nicht mehr lebte, war er doch durch 
seine vertrauten Beziehungen zu dessen Sohne Nikolaus Christoph und 
überhaupt zu allen Badziwiii noch immer in die geheimsten Plane 
dieses Hauses eingeweiht und wurde jetzt dazu ausersehen, in der 
Sukzessionsfrage zwischen ihnen und dem Vertreter des Kaisers zu ver¬ 
mitteln. 

Die Eröffnungen, die er bei seiner Besprechung mit Cyrus machte, 
sind ein klarer Beweis, daß jene geheime, die Thronfolge betreffende 
Aktion der Badziwiii, die, wie wir sahen, nach 1569 begonnen hatte, 
wirklich die Wahl eines Habsburgers zum Ziele hatte. Er erklärte 
nämlich gleich am Anfänge, daß die Litauer, worunter natürlich die 
Partei der Badziwiii zu verstehen ist, niemand anderen zum Nachfolger 
Sigismund Augusts haben wollen, als einen Sohn des Kaisers, am 
liebsten Erzherzog Emst, den einst Nikolaus der Schwarze aus der 
Taufe gehoben hatte; seine Wahl würden sie gegebenen Falls gegen 
Moskau und gegen die anderen Parteien in Polen durchzusetzen wissen. 

J ) Polonica. 

*) In dieser Würde Unterzeichnete er am 31. Dezember 1576 das Wahldekret 
M a ximilians (Uchansciana, II nr. 154). Nähere Angaben über Sawickis Herkunft 
und seine Rolle auf dem Reichstage zu Lublin in meinem Buche: Pr*yi%c*enie 
Podlasia, Wolynia i Kijowszczyzny, S. 74/6. 



Die Beziehungen der Habsburger zum litauischen Hochadel etc. 647 


Sofort deutete er aber auch au, was der Preis für eine so energische 
Unterstützung der habsburgischen Kandidatur sein sollte; getreu der 
zweideutigen Bolle, die er als Vertrauensmann der Radziwiii schon auf 
dem Lubliner Reichstage gespielt hatte, erhob nämlich Sawicki, trotz 
«einer polnischen Herkunft und trotz des vom König reichlich belohnten 
JEides der Treue, den er damals der Krone Polen geleistet hatte, die 
ungeheuerlichsten Anschuldigungen gegen die Polen, die heftigsten 
Torwürfe gegen die kaum abgeschlossene Union, die eine demütigende 
Knechtung Litauens bedeuten solle. Wir hören zwar noch nichts von 
Jenen genauen, das Verhältnis zu Polen betreffenden Bedingungen, die 
1572 von der Partei der Radziwiii dem Kaiser gestellt wurden, aber 
«8 kam schon zum Ausdrucke, daß sie für den Fall der Wahl eines 
Habsburgers auf eine Abänderung des Unionsvertrages rechnete. Sawicki 
wurde nicht müde, dem Kaiser, dem er auch die problematische Aus¬ 
sicht, von Litauen aus ganz Moskau zu erobern, in Aussicht stellte, 
durch Cyrus die Angelegenheit der Wahl seines Sohnes auf den polnisch- 
litauischen Thron angelegentlich ans Herz legen zu lassen, betonte 
•sogar, daß der Erzherzog recht gut tschechisch lernen sollte, um sich 
mit seinen künftigen Untertanen halbwegs verständigen zu können. In 
wessen Aufträge er aber dies alles vorbrachte, bewiesen, wenn es noch 
nötig gewesen wäre, seine Schlußbemerkungen. Erstens gab er deutlich 
zu verstehen, daß das beste Mittel, sich jene Wahl zu sichern, darin 
bestehe, das Haus der Radziwiii — „quae praecipua authoritate in ea 
natione polleat" — durch „Wohltaten" zu gewinnen, hiezu z. B. den 
Aufenthalt der drei jüngeren Brüder des Fürsten Nikolaus Christoph 
an der Universität Leipzig 1 ) zu benützen. Inzwischen aber warnte er 
Cyrus vor jenem anderen mächtigen litauischen Magnaten, mit dem die 
Sadziwitt noch vor kurzem scheinbar zusammenwirkten, dessen mit der 
ihrigen rivalisierende Stellung sie aber im Vorhinein untergraben 
wollten; vollkommen grundlos, in rücksichtsloser Entstellung der Tat¬ 
sachen beschuldigte Sawicki den uns wohl bekannten Johann Chod- 
üewicz, daß er, obwohl ein „homo novus", nach Sigismund Augusts 
Tode, der nach Voraussagen der Astrologen binnen Jahresfrist eintreten 
werde, die Herrschaft über das Großfürstentum Litauen anzustreben be¬ 
absichtige, daß er aber allgemein verhaßt sei, man seine Tyrannei be¬ 
fürchte, weil er am Blutvergießen Vergnügen finde, daß er die Ver¬ 
waltung Livlands aufs nachlässigste führe, in Schulden stecke u. s. w. 


*) 1570/2 sind dort Georg, Albert und Stanislaus Radziwiii, Fügten auf Olyka 
und Nieswici, Grafen auf Szydiowiec, immatrikuliert (Metrica nec non über na- 
tionis PoL nniv. Lipsiensis, Archiwum do dziejöw liter. i oswiaty w Polsce H). 



648 


Oskar Ritter v. HaleckL 


Cyrus brauchte nicht viel diplomatische Fähigkeiten, um angesichts 
dieser Ausführungen den rücksichtslosen Eigennutz, die gegenseitige 
Eifersucht der litauischen Magnaten, den Ehrgeiz Sawicki’s selbst zu 
durchblicken, was er auch hierauf in seinem Berichte an Maximilian 
offen aussprach; ebenso bemerkte er wohl die gehässigen Übertreibungen 
in den erwähnten Behauptungen über die Union von Lublin und er¬ 
widerte daher in richtigem Verständnis ihrer weltgeschichtlichen Be¬ 
deutung, daß sein kaiserlicher Herr die Aufrechtarhaltung der Eintracht 
zwischen Polen und Litauen wünsche, die nur so vereint , vallum um- 
nitissimum contra paganos" bilden können» Wenn er sich aber auch 
überhaupt Sawicki gegenüber wenigstens anfangs einer vorsichtigen 
Zurückhaltung befleißigte, so riet er doch dem Kaiser, dem er diese 
geheime Unterredung ausführlich mitteilte, die vom Vertrauensmann? 
der Badziwiit gemachten Eröffnungen wohl zu berücksichtigen uni 
auazunützen. Ja man kann sogar mit Hilfe von Cyrus' spateren Be¬ 
richten unzweifelhaft feststellen, daß er selbst sich immer stärker in 
dieser Richtung beeinflussen ließ: schon am 11. Juli *) wiederholt er 
in seinem Schreiben an den Kaiser die merkwürdigerweise eingetzoffeoe. 
ihm — wie wir sahen — von Sawicki mitgeteilte Prophezeiung, da:- 
der König bloß ein Jahr mehr zn leben habe, und stellt es schon £5 
ganz unzweifelhaft hin, daß die Litauer, stets bereit, bei entsprechender 
Gelegenheit die Union zu lösen, im Falle daß die Polen einen anderen 
König wählen würden als einen der österreichischen Erzherzoge, «Li 
von ihnen trennen und einen eigenen Herrscher, selbstverständlich einen 
Habsburger, auf den litauischen Thron erheben würden, wobei sie 
den Anschluß Preußens und Livlands hoffen. Welche Bedeutung aber 
Maximilian selbst diesen Aussichten und Nachrichten zuschrieb, erhell: 
aus seinem Antwortschreiben an Cyrus vom 21. Juli 2 ); er fordert 
nämlich seinen Gesandten auf, auch fernerhin jenen Mathias Sa wies: 
in seinen Sympathien und seiner Dienstbereitschaft für das Haus Ham¬ 
burg zu bestärken und ihm in entsprechenden Worten die hohe Gus^ 
deren sich beim Kaiser die Familie Badziwiii erfreue, zu Schilden. 
Und auch spater noch, in den letzten Monaten Sigismund Anguss, 
betont Cyrus immer wieder ’), daß die Litauer erstens zu den eifrigster 
Anhängern der habsburgischen Kandidatur gehören und zweitens 
Union von Lublin rückgängig machen wollen. 


*) Polonkau 
*) Polonica. 

■) Z. B. in seinen Berichten über den Reichstag von 1572, 11. April. 14. lü- 
Polonica. 



Die Beziehungen der Habsburger zum litauischen Hochadel etc. 649 


Während sich aber der kaiserliche Gesandte selbst eigentlich nur 
auf Erkundigungen, Unterredungen wie die mit Sawicki und Berichte 
an Maximilian beschränkte, entwickelte jemand anderer eine viel kon¬ 
kretere Tätigkeit, um den Habsburgem die Nachfolge nach Sigismund 
August zu sichern. Es war dies der päpstliche Nuntius Commendone, 
der eben damals zum zweiten Male im Jagellonenreiche weilte und 
schon während seiner ersten dortigen Legation, in den Jahren 1563/5, 
für die Zukunftsaussichten des Hauses Österreich vorgearbeitet hatte. 
Jetzt, da der entscheidende Zeitpunkt nahte, trachtete er aufs eifrigste, 
sowohl in der polnischen, wie auch in der litauischen Reichshälfte für 
das herannahende Interregnum eine starke österreichische Partei zu 
bilden, und meinte wohl ebenso wie Cyrus, daß in Litauen nur die 
seit Jahrzehnten dem Hause Habsburg nahestehenden Radziwitt ihren 
sicheren Grundstock bilden konnten; besser aber als dieser erkannte 
er, daß es auch unumgänglich nötig war, dem inneren Hader zwischen 
den litauischen Herrengeschlechtem ein Ende zu machen, vor allem 
zwischen den Radziwilt und den ja ebenfalls zu Österreich gravitierenden 
Ghodkiewicz ein aufrichtiges Einvernehmen herzustellen und der gegen¬ 
seitigen Mißgunst, die wir so deutlich in Sawicki’s Anschuldigungen zu 
Tage treten sahen, endlich abzuhelfen. 

In diesem Wunsche begegnete er den gleichfalls dahin ge¬ 
richteten Bestrebungen des jungen Fürsten Nikolaus Christoph Rad- 
ziwitt, der ebenfalls, wie seine Privatkorrespondenz deutlich beweist l ) r 
ein gegenseitiges Einverständnis zwischen den litauischen Magnaten 
für entscheidend wichtig hielt und in diesem Sinne auf seinen 
Oheim Nikolaus den Roten zu wirken suchte. Da es ebendieselben 
Briefe auch ganz unzweifelhaft machen, daß er wirklich die Wahl 
eines Herrschers aus der „domus Austriaca* für die einzig wünschens¬ 
werte hielt *), hatte Commendone vollkommen recht, daß er bei 
ihm mit seinen Bemühungen den Anfang machte. Und wirklich er¬ 
klärte sich der Sohn Nikolaus des Schwarzen nicht nur für seine 
Person zur Unterstützung der östereichischen Kandidatur bereit, sondern 
meinte auch, daß das Haupt der Familie Chodkiewicz, Graf Johann 
Hieronymus, ebenfalls leicht zu gewinnen wäre, da er nichts heftiger 
befürchte, als einen Sieg der Anhänger Moskaus 8 ). Bekanntlich 4 ) kam 

*) A. Traczewskij: Polskoje biezkorolewie, Moskwa 1863, Beilage 4, 6, 7. 

*) Ibidem, Beilage 4 (Brief an Nikolaus den Roten vom 15. Juli 1672). 

*) Vgl. ebendort Beilage 9 (Brief Chodkiewicz’s vom 31. August 1572). Schon 
1570 hatten sich beide Herren einander genähert, vgl. Archeograf. Sboraik VH 
nr. 29, 30. 

*) A. M. Gratiani: De vita J. F. Commendoni cardinalis, Patavii 1685, S. 364 
—370 (Buch 4, Kap. 3). 



•650 


Oskar Ritter v. Halecki. 


es alsbald, noch zu Lebzeiten Sigismund Augusts, auf einer geheimnis¬ 
vollen Zusammenkunft im Wäldchen, wo sich der päpstliche Legat zu 
ergehen pflegte, nicht nur zu einer Verständigung zwischen Badziwill 
und Chodkiewicz, sondern auch zu einer gemeinsamen Vereinbarung 
mit Commendone, betreffend die Wahl eines Sohnes Maximilians: ohne 
auf die Entscheidung der Polen zu warten, sollte er sofort nach des 
Königs Tode zum Großfürsten von Litauen gewählt werden, was dann, 
unterstützt durch die Bereitschaft eines größeren Heeres, gewiß zur 
Folge hätte, daß er nachträglich auch in Polen zum Könige gewählt 
würde. Es sollte also dasselbe Mittel angewendet werden, dessen sich 
seinerzeit Sigismund L zweimal mit vollkommenem Erfolge bedient 
hatte, zunächst im Jahre 1506, als er sich nach seines Bruders Ale¬ 
xander Tode zuerst in Wilna von den Litauern zum Großfürsten 
wählen ließ, um seine Wahl zum König von Polen unzweifelhaft zu 
machen x ), und hierauf 1529, als er es durch die Erhebung seines neun¬ 
jährigen Sohnes auf den litauischen Großfürstenstuhl durchzusetzen 
wußte, daß dieser auch in Polen schon damals, zu Lebzeiten seines 
Vaters gewählt und gekrönt wurde *). 

Trotz dieser Analogien in der Geschichte der Jagellonen, auf die 
man damals hinwies, muß nachdrücklich betont werden, daß diesmal 
der scheinbar so ähnliche Plan einen weit bedenklicheren Staatsstreich 9 ) 
ankündigte. Handelte es sich doch zu Sigismund L Zeiten um das 
angestammte Herrscherhaus, das ohnehin nicht ernstlich zu fürchten 
brauchte, bei der Königswahl zu unterliegen, sondern nur formell seine 
dynastische Stellung dem polnischen Wahlrechte gegenüber starken 
wollte und in Litauen ohnehin ein erbliches Recht auf den Thron 
besaß; außerdem aber hatten doch die Litauer, die sich bei jenen Prä- 
zedenzfallen darauf berufen konnten, daß sie die Union von 1501 nicht 
angenommen hatten, nunmehr zu Lublin feierlich beschworen, daß sie 
von nun an stets gemeinsam mit den Polen den gemeinsamen Herrscher 
wählen würden; es hätte also die Erfüllung des mit Commendone be- 

i) L. Finkei: Elekcya Zygmunta I, Kraköw 1910. 

*) L. Kolankowski: Zygmunt August w. ks. Litwy do r. 1648, I Sukcesor 
Zygmunta I. 

*) ln Polen war man sich auch dessen wohl bewußt; so heißt es in der In¬ 
struktion der Wojewodschaft Reußen für den Konvokationsreichstag (14. Dezember 
1572, bei Noailles: Henri de Yalois et la Pologne en 1572, II T Documenta, Paris 
1867, S. 235) ausdrücklich, daß in den früheren Fällen, »da es sich um Söhne oder 
Brüder der königlichen Dynastie handelte, dies leicht geduldet wurde, jetzt aber 
eine olia fades rerum sei, weil wir uns von anderswo einen Herrscher suchen müssen, 
den sie mit uns gemeinsam haben sollen«. Daher meinte man sogar, sich zu einer 
Konföderation zusammenschließen zu sollen, um jenen Plan zu verhindern. 



Die Beziehungen der Habsburger zum litauischen Hochadel etc, 051 

sprochenen Planes einen unzweifelhaften Bruch des Unions Vertrages 
von 1569 bedeutet und das mühevolle Lebenswerk des letzten Jagellonen, 
dessen Heilighaltung er in seinem Testamente seinen Völkern in so 
ergreifenden Worten ans Herz legte, wäre in kürzester Zeit zerstört 
worden. Um aber die Qesamtlage richtig zu verstehen, die Politik der 
litauischen Magnaten, ihre Ziele und Aussichten beurteilen zu können, 
sowie zu unterscheiden, ob auf diesem Wege, der dem Kaiser von allem 
A n fän ge an bedenklich schien, die Habsburger wirklich den polnisch¬ 
litauischen Thron gewinnen konnten, müssen folgende zwei Fragen 
beantwortet werden: wie weit die Radziwitt und Chodkiewicz in ihrer 
Aktion gegen den Lubliner Unionsvertrag gehen, ob sie ihn vollständig 
lösen oder nur in gewissen Punkten abändern wollten, und inwieweit 
sich die übrigen Litauer mit ihnen solidarisierten, ob das ganze Land 
ihren Standpunkt teilte. 

Commendone’s Biograph, sein Sekretär Graziani, dem wir die Schil¬ 
derung jener geheimen Zusammenkunft verdanken, behauptet, daß die 
beiden litauischen Magnaten hiebei anfangs den Wunsch äußerten, 
überhaupt einen selbständigen Herrscher in Litauen zu haben, da ihr 
Land durch die Verbindung mit Polen nur Schaden gelitten habe; erst 
Commendone, der eine Schwächung beider Länder oder gar einen Krieg 
zwischen ihnen befürchtete, hätte sie dazugebracht, daß sie dies dem 
Kaiser selbst anheimzustellen beschlossen. Man müßte also meinen, daß 
ihre eigentliche Absicht dahin gegangen sei, den gewählten Erzherzog 
ausschließlich in Litauen zu behalten und nicht einmal eine Personal¬ 
union mit Polen zu dulden. Leicht läßt sich aber erweisen, daß Graziani 
in diesem Punkte, wohl um ein neues Verdienst seines Herrn hervor¬ 
heben zu können, unbedingt übertrieben hat In einem der Briefe, die 
Fürst Nikolaus Christoph gleich nach Sigismund Augusts Tode streng 
vertraulich an seinen Oheim schrieb, finden wir z. B. die Ansicht aus¬ 
gesprochen, daß auch ein Vertreter Litauens an den ersten Beratungen 
der Polen während des Interregnums teilnehmen solle, um diese zu 
überzeugen, daß man von litauischer Seite die Union keineswegs zer¬ 
reißen wolle *); allerdings betont er fast gleichzeitig, daß man die Ge¬ 
legenheit benützen müsse, um eine für Litauen günstige Abänderung 
dieser Union durchzusetzen *), und meint, daß es ganz gut wäre, wenn 
die Wahl des neuen Herrscheis in beiden Beichshälften getrennt statt- 
fande, weil ja dann eben je: er Plan, durch die Wahl eines Habsburgers 
von Seiten der Litauer auf die Polen einen Druck auszuüben, am besten 

i) Tracaewak\j, Beilage 6 (18. Juli 1572). 

») Ibid., Beilage 4 (15. Juli 1572). 



652 


Oskar Bitter v. Halecki. 


gelingen konnte. Der radikalste Schritt, an den er denkt, wäre nach 
seinen eigenen Ausführungen der, die Polen nötigen Falles durch Waffen¬ 
gewalt zur Annahme des von den Litauern gewählten österreichischen 
Kandidaten zu zwingen x ); so sehr aber dieser Gedanke dem Geiste der 
Union widerspricht, ebenso deutlich beweist er, daß auch Badziwili an 
keine vollkommene Trennung beider Beiche dachte. 

Übrigens stünde dies mit dem vorhin skizzierten Plane, der eben 
den Gegenstand der Verhandlungen mit Commendone bildete, in un¬ 
vereinbarem Widerspruche, während die konkreten Forderungen der 
litauischen Magnaten, die Graziani im weiteren* Verlaufe seiner Schil¬ 
derung angibt, in Übereinstimmung mit jenem Plane deutlich erkennen 
lassen, um was es sich ihnen in Wirklichkeit handelte. Diese von ihm 
nur kurz dargestellten Wünsche erscheinen aber auch vor allem deshalb 
als einzig glaubwürdig, weil sie, in allerdings viel eingehenderer Form, 
in einem Dokumente vollständige Bestätigung finden, das während der 
beiden ersten Interregna für die Beziehungen des litauischen Hochadeb 
zur habsburgischen Kandidatur von hervorragender Bedeutung war. Es 
sind dies die * Articuli, quos proceres Lythuanici sibi ante eleetionem 
iureiurando confirmari postulant“, die sie schon 1572, jedenfalls gleich 
nach des Königs Tode (7. Juli), nach Wien sandten *) und deren Ent¬ 
stehung, wie wir sehen, auf jene ersten Verhandlungen mit Commen¬ 
done, zu Lebzeiten Sigismund Augusts, zurückgehen muß. Daher ver¬ 
dienen ihre einzelnen Punkte kurz besprochen zu werden. 

Die ersten zwei, Aufrechterhaltung der „eleetio libera* und aller 
von den vorhergehenden Großfürsten von Litauen, und Königen von 
Polen verliehenen Freiheiten und Privilegien, sind bloß jene selbstver¬ 
ständlichen Garantien, welche sowohl die Polen wie die Litauer vor 
der Wahl jedes neuen Herechers verlangten. Aber schon der dritte 
fordert in entschiedenen Worten eine „reformatio* der polnisch-litauischen 


i) Ibid., Beilage 6 (29. Juli 1572). 

*) Polonica, 1572 ohne Datum (fiasc. 10, conv. h., fol. 101); vielleicht ist dies 
eben jenes Dokument, das — wie Nikolaus Christoph Raddwill 29. Juli sehnet 
— Nikolaus der Bote an den kaiserlichen Gesandten schickte. Es ist höchst be¬ 
zeichnend, daß, als später die litauischen Magnaten zur Partei Heinrichs von Vs km 
übergingen, sie sich von dem französischen Gesandten eine Deklaration Kussteüen 
ließen (26. April 1573), in der ihnen die Erfüllung genau derselben Wünsche und 
Bedingungen zugesichert wird (Noailles: Henri de Valois et la Pologne, III 399— 
402); dort finden wir auch einen weiteren Beweis, daß, wie unten im Texte nach 
gewiesen werden wird, alle diese Forderungen bloß von der Partei der Badziwili nmi 
Chodkiewicz ausgingen: Monluc und Lansac erklären ja ausdrücklich, daß sie diese 
Deklaration ausstellen, um die einflußreichsten Würdenträger Litauens, Nikolaus 
Badziwili und Johann Chodkiewicz, für die französische Kandidatur zu gewinnest 



Die Be p^ ^gat *» rra EvXfcikÄ fcc. (v\i 

Union, nicht ihre Auflösung. wohl aber eine Abänderung der »Unictas- 
üannel* von 1569, die. wie hier behauptet wurde, eine »inhoncma 
subiecto* Litauens bedeute. Wie übertrieben diese Behauptung war. erhellt 
am besten darant daß ja im Labliner Vertrage keineswegs litancn dem 
polnischen Reiche ein verleibt wurde, wie dies eine radikale Partei in 
Polen öfter verlangt hatte, sondern ein ausgesprochen dualistischer 
Staat gebildet wurde, dessen eine Hälfte eben auch fernerhin das »Givxß- 
fÜrstentum Litauen* mit eigener Regierung, eigenem Heere und Finanzen, 
•eigenem Rechte und eigener Staatssprache bildete. Womit aber die 
litauischen Magnaten so unzufrieden waren, führten sie im folgenden 
•eingehend ans. Unleidlich schien es ihnen, daß nur mehr ein gemein¬ 
samer polnisch-litauischer Reichstag bestehen sollte, wonach allerdings 
der litauische Adel — gegen ihren Willen — schon seit Jahren ver¬ 
langt hatte, und wollten sie die ehemaligen, gesonderten litauischen 
Reichstage wieder emgeführt haben: auf diesen hatten natürlich der 
Hochadel, die Ratsherren und erblichen, aristokratischen Mitglieder, die 
führende Rolle gespielt, wahrend im gemeinsamen, nach polnischem 
.Muster, die Landbotenkammer, die Vertreter der Allgemeinheit des Adels 
einen entscheidenden Einfluß hatten. Ferner sollten die vier 1569 Polen 
•einverleibten Palatinale Podlachien. Wolhynien, Bractaw und Kiew 
wieder der litauischen Reichshälfte zufallen, sowie auch das gemeinsame 
-Reichsland Livland ausschließlicher Besitz Litauens werden. Schließlich 
verlangte man, daß alle Würden und Ämter im Großfürstentum nur 
mit .Einheimischen besetzt werden sollten; zwar war es ja auch ein 
Hauptgrundsatz der polnischen Verfassung, daß in jedem Gebiete, jeder 
Provinz des Reiches nur ein dort Ansässiger ein Amt erhalten konnte, 
aber den exklusiven litauischen Magnaten genügte dies nicht: nicht 
jeder, der in Litauen ein Gut besaß, sollte dort ein amtsf&higer „In- 
digenar« sein, sondern nur ein solcher Edelmann, dessen Geschlecht seit 
vier Generationen daselbst lebte! Die übrigen Wahlbedingungen, wie 
•Gleichberechtigung der Griechisch-Orthodoxen, Aufrechterhaltung des 
alten Fürstenstandes, waren nicht mehr gegen Polen gerichtet 

Der Standpunkt der Partei der Radziwitt und Chodkiewicz läßt 
«ich also dahin znsammenfaisen, daß der Zusammenhang mit Polen 
xwar aufrechterhalten, aber alles rückgängig gemacht werden sollte, 
wodurch zu Lublin die bisherige Magnatenherrschaft in Litauen geschwächt 
worden war, und die strittigen Territorien, die 1569 Polen zufielen, 
wieder an Litauen fallen sollten. Die Annahme dieser Bedingungen, 
die, wie es am Ende hieß, der kaiserliche Gesandte garantieren und der 
Thronkandidat vor dem Regierungsantritte beschwören mußte, war also 
der Preis, um den der Kaiser jene mächtigen Geschlechter des Groß- 



654 


Oskar Bitter ▼. Halecki. 


fürstentums, mit denen die Habsburger schon seit so langer Zeit 
nahe Beziehungen angeknüpft hatten, für die rückhaltslose Unter¬ 
stützung der österreichischen Kandidatur auf den Thron der Jagellonen 
gewinnen konnte. Konnte aber diese Unterstützung wirklich den er¬ 
wünschten Erfolg gewährleisten? Um dies zu entscheiden, muß jene 
zweite vorhin gestellte Frage beantwortet werden, ob nämlich der Stand¬ 
punkt der Herren, mit denen Commendone verhandelt hatte, auch der 
ganz Litauens war. Nur in diesem Falle war ja mit ihrer Hilfe die 
Wahl eines Habsburgers im GroßfÜrstentume und ein entsprechender 
Druck auf die polnische Keichshälfte durchführbar. 

Wieder kann uns zunächst die Korrespondenz des Fürsten Niko¬ 
laus Christoph Aufschluß geben. Vor allem ist daraus zu entnehmen* 
daß nicht 4 einmal die Verständigung der Familien Badziwiii und Chod- 
kiewicz eine vollständige war, da ja der Fürst seinen Oheim, den Pa¬ 
latin von Wilna, erst dringend bitten muß, sich um des gemeinsamen 
Zieles willen mit Johann Chodkiewicz, dessen guten Willen er betont 
ins Eivemehmen zu setzen 1 ). Ebenso hält er es aber auch für dringend 
nötig, sich auch mit den anderen, den Badziwili bisher feindlichen 
Magnatengeschlechtem, vor allem mit dem Fürsten Siucki, auszu¬ 
söhnen *); wenn er dies aber auch anfangs für leicht möglich hielt, so 
mußte er einige Monate später selbst seinen Oheim warnen, daß ihren 
Gegnern, den Hlebowicz, sowie den Fürsten Stucki und Ostrogski nicht 
zu trauen sei, daß diese sogar im Stande wären, Nikolaus Badziwili 
und Johann Chodkiewicz, als die höchsten und einflußreichsten Würden¬ 
träger, gewaltsam aus dem Wege zu räumen 8 )! Ebenso gut wußte er 
aber auch, daß natürlich nicht nur unter den einzelnen Magnatenge¬ 
schlechtem, sondern vor allem auch zwischen diesen und dem übrigen 
Adel ein gefährlicher und, wie er behauptete, von den Polen genährter 
Unfriede herrschte 4 ). All dies erfahren wir von Badziwili selbst, der 
aber gewiß bemüht war, es vor den Vertretern des Kaisers und seiner 
Interessen verborgen zu halten und die Ziele und Forderungen seiner 
Partei als die ganz Litauens hinzustellen trachtete. Bald jedoch sollte 
auch Cyrus, ab er Ende 1572 nach Litauen gesandt wurde, in die 
dortigen Verhältnisse einen — allerdings verspäteten — besseren Ein¬ 
blick gewinnen, ab bisher; sein bis jetzt vollkommen übersehener Be- 


*) TraczewBkü, Bei 4. 

*) Ibid M Beil. 6. 

•) Ibid„ Beil. 7 (31. Jänner 1673). 
«) IbkL, Beil. 6. 



Die Beziehungen der Habsburger zum litauischen Hochadel etc. 655 

rieht vom 1. Dezember dieses Jahres 1 ), den er aus Wilna an Maxi¬ 
milian IL sandte, ist schon deshalb von größtem Interesse, weil er in 
unparteiischer Darstellung der Tatsachen endlich auch über die Gegen¬ 
partei in Litauen gründlichen Aufschluß gewährt 

Klar und deutlich ist es hier ausgesprochen, daß bloß die Badziwill 
und Johann Chodkiewicz, um sich an den Polen dafür zu rächen, daß 
die Union von Lublin nicht nach ihrem Sinne durchgeführt wurde, 
diese gewaltsam, sogar um den Preis gefährlicher innerer Wirren, zur 
Wahl Erzherzog Emst’s zwingen und hiebei den Unionsvertrag brechen 
wollten. Die vernünftigere Mehrheit aber unter den Litauern („plerique 
tum prudentiores maxime“), mit dem würdigen und klugen Bischof von 
Wilna Valerian Protasewicz an der Spitze, war hiemit keineswegs ein¬ 
verstanden und fürchtete, daß die genannten Herren „durch ihr ver¬ 
wegenes und unerwünschtes Streben, die Union zu lösen, und durch 
die Unzuverlässigkeit ihrer Versprechungen“ sich alle zum Feinde 
machen und Litauen ins Verderben stürzen würden. Als Cyrus selbst 
dem Fürsten Nikolaus Christoph riet, den Polen gegenüber den Weg 
friedlicher Überredung einzuschlagen, stimmten ihm alle übrigen Litauer 
bei und Bischof Protasewicz, ein eifriger litauischer Patriot, der stets 
bei den Unionsverhandlungen die Interessen seines engeren Vaterlandes 
energisch vertreten hatte, erklärte offen, daß, wenn sogar sein Leben 
in Gefahr kommen sollte, er niemals von der Lubliner Union, die er 
zu wahren beschworen hatte, abstehen werde *). Auch die Absicht Bad- 
ziwitts, der behauptete, Litauen habe durch die Angliederung der er¬ 
wähnten vier Palatinate an Polen für den Kriegsfall 10.000 Beiter ein¬ 
gebüßt, diese Gebiete während des Interregnums zurückzugewinnen, 
wurde von der Gegenpartei in Litauen selbst keineswegs gebilligt. 
Wußte man doch, daß, wie es sich teilweise schon 1&69 gezeigt hatte 8 ), 
die strittigen Länder sich mehr der polnischen Beichshälfte zuneigten 
und nicht zu erwarten war, daß sie sich Litauen anschließen würden 4 ). 
Daher war der Bischof gar nicht damit einverstanden, daß die Badziwili 
kurz vorher, selbstverständlich ohne Erfolg, die Todlachier und Wol- 


*) Polonica; die Schilderung der litauischen Verhältnisse in einer dem eigent¬ 
lichen Berichte hinzugefügten Beilage (fase. 10, conv. i, foL 178—181). 

*) ... »aperte dicit se, etfrjnsi capitis snbeundum ait periculum, nunquam 
recessurum ab Unione facti LuMini, quam se servaturum iuravit« ... 

*) Vgl. in meiner vorhin zitierten Arbeit: Przylqczenie Podlama, Wotynia 
, .S. 38, 87, 197/8. 

<) ,Vix esse, quod Volinhios et Podlaschios putent suis accessuros p&rtibus, 
etiam Polonis non adversantibus, a quibus minus quam ab his (seil. Lithuanis 
alienos esse perspectum sit«. 



656 


Osk&r Ritter y. HaleckL 


hynier zum Abfälle von Polen zu bewegen versucht hatten, und sagte 
auch dem kaiserlichen Gesandten, daß er unbedingt dagegen sei, die 
verlorenen Provinzen jetzt zurückzuverlangen, da sie einmal Polen zu¬ 
gesprochen worden waren und ein solcher Schritt nur höchste Ver¬ 
wirrung und den Untergang des Vaterlandes zur Folge haben könnte. 

Höchst bemerkenswert ist hiebei, daß auch die zu Polen haltende, 
den Badziwitt und ihrem Anhänge feindliche Mehrheit Litauens eben¬ 
falls mit der habsburgischen Kandidatur sympathisierte, ihr aber auf 
legalem Wege zum Erfolge zu verhelfen wünschte. Protasewicz stellte 
Cyrus dar, daß er eine gemeinsame, einträchtige — also der Union von 
Lublin entsprechende — Wahl des Erzherzogs durch beide Völker 
wünsche, die Litauen gegen Moskau besser sicherstellen würde, als die 
Intriguen der Magnaten, welche die Polen reizen mußten. Hier schien 
sich den Planen des Kaisers eine viel entsprechendere Aussicht zu er¬ 
schließen und hatten die Bemühungen seiner Gesandten und Agenten einen 
sichereren Grund gefunden, ab bei den geheimen Verhandlungen mit 
einigen in Litauen selbst angefeindeten Magnaten, die sich eigentlich 
nur von ihrem persönlichen Ehrgeiz leiten ließen. Mußte doch Cyrus 
im selben Berichte dem Kaiser mitteilen, daß Johann Chodkiewicz ihm 
nicht ganz zuverlässig schien, daß es sich ihm hauptsächlich darum 
handle, von den Habsburgern, wie einst die Badziwitt, den Fürstentitel 
zu erhalten und dann durch Vermählung seines Sohnes mit der Tochter 
des Herzogs von Kurland Gothard Kettler dieses Herzogtum für sein 
Haus zu gewinnen. Solche Motive waren also für ihn, der einst selbst 
für die Union mit Polen gearbeitet hatte 1 ), maßgebend, um sich den 
Badziwitt, denen er im Grunde immer abgeneigt blieb, in einem so 
kritischen Augenblicke anzuschließen. 

Cyrus’ so inhaltsreiches Schreiben beweist wieder einmal, daß er 
ein besserer Beobachter ab Diplomat war. Es war aber auch über¬ 
haupt, wie erwähnt, schon zu spät, seine in Litauen gemachten Er¬ 
fahrungen zu berücksichtigen. Hatte sich doch der Kaiser sofort nach 
Sigismund Augusts Tode, den traditionellen Beziehungen zu den Bad¬ 
ziwitt entsprechend, gerade an den Fürsten Nikolaus Christoph ge¬ 
wandt 8 ), um ihm, unter Berufung auf. die oft erwiesene Anhänglichkeit 
seiner Familie an das Haus Österreich, die Unterstützung der habs- 


*) 1662 war er sogar einer der Gesandten, die die vorhin erwähnte Adels¬ 
konföderation an den König sandte, am nA/»h der Union mit Polen za verlangen! 

*) Niemcewicz: Zbidr pami$tnikdw, II 73/4, ebenso im zweiten Interregnum 
ibid. S. 74/5; vgL den Katalog der Raczynski’sdien Bibliothek, L c. 



Die Beziehungen der Habsburger zum litauischen Hochadel etc. 657 

burgischen Kandidatur au zuempfehlen und sich mit ihm durch münd¬ 
liche Aufträge des Überbringers seines Schreibens in vertrauliche Ver¬ 
bindung zu setzen. Nun war es ihm nicht mehr möglich, über die 
Badziwitt hinweg Anschluß an ihre Gegner zu suchen. 

Alle unvorteilhaften Folgen des verhängnisvollen Umstandes, daß, 
was Litauen betraf, Mimnnlian seine Hoffnungen auf jene isolierte, 
eigennützige und nicht imm er zuverlässige Magnatengruppe stützen 
mußte, traten in beiden, bekanntlich so rasch aufeinander folgenden 
Interregnen deutlich zu Tage. Ohne näher auf die schon oft geschilderte 
Geschichte dieser Königswahlen einzugehen, sei zum Beweise nur auf 
die bemerkenswertesten Umstände hingewiesen. 

So ist es höchst bezeichnend, daß gleich am Anfänge, als der erste 
kaiserliche Agent nach Litauen eilte, Chodkiewicz ihm in der allge¬ 
meinen Versammlung der litauischen Senatoren nur ausweichend ant¬ 
worten konnte und erst bei einer vertraulichen, privaten Unterredung 
er und Badziwitt die Wahl Emst’s für sicher erklärten, wenn nur der 
Kaiser die vorhin von uns besprochenen Bedingungen annehme, seine An¬ 
hänger zu belohnen und eventuell gegen die Polen zu unterstützen 
verspreche 1 * * ). So mußten die Bestrebungen Österreichs sofort den Cha¬ 
rakter geheimer Intriguen annehmen, der ihnen die Mehrheit des Adels 
abwendig machen mußte, andererseits aber gar keinen Nutzen bringen 
konnte, da der Kaiser von allem Anfänge an schwankte und zögerte, 
auf die ihm von der Badziwitt’schen Partei aufgedrängte Taktik ein¬ 
zugehen*). Sowohl während des ersten, wie des zweiten Interregnums 
betonte er in den Aufträgen seiner Diplomaten, daß er die polnisch¬ 
litauische Union, das alte Einvernehmen beider Reiche, aufrechterhalten 
möchte, aber doch im schlimmsten Falle den Vorschlag einer Sonder¬ 
wahl in Litauen keineswegs endgültig zurückweisen wolle •). So zögerte 
«r denn auch in beiden Fällen längere Zeit, eine definitive Garantie zu 
erteilen, daß er jene so offen gegen Polen gerichteten Bedingungen 
erfüllen werde 4 ), was natürlich die Badziwiü in Ungeduld versetzte, 
und erst am 7. Mai 1675 entschloß er sich, ihnen darauf eine feier- 


i) T. WierabowiM: Zabiegi ces. Maksymiliana Q o koronf polsk% f Ateneum 
1879 Hl 422. 

*) Vgl. z. B. W. Zakrzewski: Po ucieczce Henryks, S. 97* 

») T. Wierzbowski, o. c., HI 423/6 (1572) ; Biblioteka ordyn. Krasföskich 
1872, & 273/6 und 278/9 (die Auszüge aus den Poionica von 1675 in den An¬ 
merkungen). 

4) T. Wierzbowski* HT428/9, IV 69/70. 


43* 



668 


Oskar Ritter v. HaleckL 


liehe Urkunde auszustellen, in der er alle Forderungen, wie wir sie 
oben besprochen haben, oft wörtlich ihren Text wiederholend, an¬ 
nahm 1 ). 

Diese Unentschlossenheit, die allerdings auch mit des Kaisers Be¬ 
ziehungen zu Moskau zusammenhing *), worauf hier nicht naher ein- 
gegangen werden kann, hatte natürlich zur Folge, daß es auch die 
Radziwili und Chodkiewicz mit ihren Verpflichtungen nicht zu strenge 
nahmen und schließlich, wie bekannt, bei beiden Wahlen das Haus 
Habsburg im Stiche ließen. Zuerst war es beide Male Chodkiewicz, 
der, wie dies Cyrus schon 1572 befürchtet hatte, sich von der öster¬ 
reichischen Partei lossagte, obwohl ihm wirklich der Fürstentitel, das 
goldene Vließ und reiche Belohnungen für ihn und seine Verwandten 
in Aussicht gestellt wurden 8 ); zu seinem Abfall, der angesichts seines 
großen Einflusses in Litauen von schwerwiegenden Folgen war, hatten, 
außer Maximilians II. zögernder Haltung, auch seine Beziehungen zu 
seinem polnischen Schwager Zborowski und, wie sich nicht leugnen 
laßt, seine nicht genügend befriedigten Geldforderungen 4 ) beigetragen. 
Am längsten harrten, besonders im zweiten Interregnum, die Radziwili 
beim Kaiser aus 6 ), die ja auch noch bei der dritten Königswahl im 
Jahre 1587 dank ihrer steten Verbindungen mit den Habsburgem den 
einzigen Stützpunkt der österreichischen Kandidatur in der litauischen 
Beichshälfte bilden sollten 6 ). 

Schließlich waren auch immer im entscheidenden Momente die 
ve rhäng nisvollen Folgen des Mangels .an Solidarität zwischen den 
litauischen Magnatenfamilien deutlich hervorgetreten. 1573 war es der 
schon erwähnte Fürst Stucki, der die Partei der Chodkiewicz und Bad¬ 
ziwill in Polen geheimer Wahlintriguen anklagte *); während des zweiten 


i) Diese bisher wenig beachtete (vgl. aber W. Zakrzewski, S. 344 Anm. 1 
Urkunde ist bei Eichhorn, o. c., Beil. V, ans dem Archiv der Radziwili veröffent¬ 
licht worden. 

*) Biblioteka ordyn. Krasinskich 1872, S. 279 Anm. (Antwort des Kaisen 
vom 22. November 1575 auf die Gesandtschaft Georg Radziwüls); vgl. die ein¬ 
gehende Darstellung der damaligen österreichisch-moskamschen Beziehungen bei 
Uebenberger, I 403 ff., 438 ff. 

■) Wierzbowski, o. c., HI 438/9. 

«) Uchansciana, V 581; vgL Bibi. ord. Krasinskich 1872, S. 274 Anm. 

•) Acta histor. res gestas Poloni&e illustr. XI nr. 22. 

Vgl. Uebersberger, I 611. 

*) Diese schon von Heidenstein erzählte Tatsache muß selbst J. Lappo (IS. 101) 
zugeben, der sonst immer die Solidarität der litauischen Herren betonen möchte; 
vgL auch TraczewBk^j, S. 344/6 und die Quellen in den Anm. S. 46. 



Die Beziehungen der Habsburger zum litauischen Hochadel etc. 659 

Interregnums hatte er sich den Badziwiü genähert, aber nun waren 
es wieder Chodkiewicz und Hlebowicz, die ihn, um jene nicht zu mächtig 
werden zu lassen, ihnen abwendig zu machen suchten 1 ). Sogar als es 
am 1. November 1574 in Wilna zu einer Konföderation des litauischen 
Adels gekommen war, die sich verpflichtete, nur Erzherzog Emst zu 
wählen *), waren es vor allem die Badziwiil und die ihnen nahestehen¬ 
den Familien Wolowicz, Kiszka, Pac u. s. w., die diesen allerdings nur 
26 Unterschriften zahlenden Akt zustandegebracht hatten. Das Wahl¬ 
dekret Kaiser Maximilians vom 31. Dezember 1575 8 ), der einzige, aber 
nicht realisierte Erfolg der habsburgischen Thronbewerbung, bei dem 
selbst Johann Chodkiewicz schon fehlte, tragt, selbst wenn man den 
vorhin erwähnten Sawicki mitrechnet, bloß 19 litauische Unterschriften. 

Trotzdem also, wie wir sahen, die österreichische Kandidatur in 
Litauen bei den verschiedensten Parteien beliebt war, wozu nicht wenig 
der Umstand beitrug, daß sie einen Frieden mit Moskau zu ermöglichen 
versprach 4 ), trotzdem selbst die polnischen Anhänger der Habsburger 
in Litauen die Hauptstütze dieser Kandidatur sahen 6 ), ja selbst die 
Sonderwahl eines Erzherzogs auf den litauischen Thron in den Bereich 
der Möglichkeit gezogen wurde, brachten des Kaisers Bemühungen, 
durch die habsburgische Partei in Litauen eine günstige Entscheidung 
zu erreichen, keinen Erfolg. Die Hauptursache davon war, daß diese Be¬ 
mühungen eben nichts anderes waren, als eine Fortsetzung der schon 
Jahrzehnte zurückreichenden Beziehungen der Habsburger zu einzelnen 
Familien des litauischen Hochadels. 

So lange wirklich einzelne Magnaten Litauens Politik entschieden, 
konnten, wie wir in den vorhergehenden Abschnitten sahen, diese Be¬ 
ziehungen für das kaiserliche Haus manchmal von Nutzen sein, obwohl 
schon damals die gegenseitigen Rivalitäten und ausschließlich selbst¬ 
süchtigen, ehrgeizigen Motive jener Herren die Bildung einer einheit¬ 
lichen österreichischen Partei illusorisch machten. Seitdem aber die 
^Verbindung mit Polen nicht nur einer Oberschicht des litauischen Adels 


*) Acta historica XI nr. 6. 

’) VeröffentL bei Lappo, I 117 Anm. 3, wo aber leider von den 26 Namen 
nur die ersten 10, darunter 3 Radriwüi, angegeben sind. 

f) Uchansriana, H nr. 154, vgl. auch I nr. 197. 

4 ) VgL u. a. die bezeichnenden Stellen in Nik. Chr. Radriwüfs Brief an 
Job. Zamoyaki vom 6. ßeptember 1674 (Archiwum Jana Zamoyskiego, I nr. 53 
8. 71) und in Bischof Krarinaki’s Wahlrede 1575 (Bibi. ord. Kraaüüakich 1872, 
8. 290). 

*) W. Zaknewski, 8. 298 Anm. 2 (aus einem Schreiben P. Myszkowskfs an 
l>odi£). 



660 


Otkar Ritter t. H&leckL 


westeuropäische Kultureinflüsse vermittelte, sondern ihn in seiner Ge¬ 
samtheit zu einem freiheitlichen, regen politischen Leben geweckt hatte, 
war jene in sich selbst uneinige Gruppe von Oligarchen, welche diesen 
historisdien Prozeß rückgängig machen wollte, nicht mehr von der 
entscheidenden Bedeutung wie einst Diese Wendung am Ausgange 
der Jagellonenzeit hatte zur Folge, daß es den Habeburgem keinen 
Nutzen brachte, schon mit den Ahnen der nunmehrigen Oppositions¬ 
partei Beziehungen angeknüpft zu haben. 



Kleine Mitteilungen. 

Ein Sehreiben der Ungarn an die Knrie ans der letzten 
Zeit des Tatareneinfalles (2. Februar 1242). Es ist ein uner¬ 
warteter Zufall, daß neue Kunde über die Tatarenstürme in Ungarn zu 
Beginn des Jahres 1242 aus Siena kommt; aber die internationale 
Bedeutung, die diese Stadt im XIII. Jahrhundert auf dem Qebiete des 
Welthandels errungen hatte, erklärt den Fund ebenso wie ähnliche, so 
eine Gerichtsurkunde des XL Jahrhunderts aus dem Molise *), die 
Mitgiftsurkunde für die Gattin Bohemunds V. von Antiochien 8 ) oder 
die nach England bestimmten politischen Briefe Honorius’ HL, die nie 
angekommen sind 8 ). Wie diese sind auch der ungarische Briefe den 
ich unten abdrucke, und noch drei andere verlorene und uns nur im 
Auszug bekannte Schreiben in derselben Sache offenbar in Siena liegen 
geblieben, ohne an ihren Bestimmungsort zu gelangen. Die Briefe be¬ 
fanden sich ehemals im Archiv des Seneser Dominikanerklosters und 
sind in dessen altem Urkundeninventar des XV1IL Jahrhunderts ver¬ 
zeichnet 4 ); als das Archiv ins Staatsarchiv überführt wurde, sind sie, 
diesen Bescheid erteilte uns die ArchiVerwaltung, nicht abgegeben 
worden, wie auch sonst Verluste des alten Bestands dieses Fonds zu 
verzeichnen sein sollen 6 ). Den vollen Text des einen der vier Schreiben 

’) Gedruckt in Quellen u. Forsch, aus ital. Bibi. u. Archiven XVI 18. 

*) Ebenda S. 45. 

•) Reg. 8en. I n. 898, 716, vgl. Einleitung 8. LYI und N. Mengossi, 11 pon- 
tefice Onorio HI e le sue reladoni col regno d* Inghilterra, in Bulletino Senese XVIII 
283—324, der p. 328 n. 9 das zweite der Stöcke druckt, vgl. p. 284. 

4 ) Vgl. Reg. Sen. I Einleitung S. LV zu Lisini, Inventario generale del R. 
Arch. di Stato in Siena I (1898) 18 n. 26. Das Inventar ist der Spoglio 47 des Staatsarchivs. 

*) Lisini L c. gibt an, daß von 2200 Pergamenen, die das Archiv um die 
Mitte des XVIII. Jahrhunderts (wohl nach dem erwähnten Inventar) besaß, nur 621 



662 


Kleine Mitteilungen. 


hat uns eine Kopie aus dem Jahre 1702 in der Stadtbibliothek zu Siena 
erhalten x ), und aus dem wenigen, das wir über den Inhalt der andern 
wissen, ist sehr wahrscheinlich, daß sie gleichzeitig abgesandt wurden 
und im ganzen die gleichen Mitteilungen enthielten; nur die Adressaten 
und teilweise die Absender waren verschieden. Der erhaltene Text ist 
von den Kapiteln von Stuhlweißenburg 2 ), Gran, Ofen, Yeszprim, Fünf¬ 
kirchen, von den Cisterciensem, Prämonstratensem, Augustinern, Bene¬ 
diktinern, Dominikanern, Franziskanern, Hospitalitern, Templern und 
Brüdern der übrigen Orden, den Grafen, Bittern, Bürgern und überhaupt 
der gesamten vor den Tataren in die genannten und andere feste Plätze *) 
geflüchteten Bevölkerung Ungarns an den Papst gerichtet, um den 
Chorherm und Propst Magister Salomon aus Stuhlweißenburg als Ge¬ 
sandten zu beglaubigen und sofortige Hilfe zu erbitten; dieselben Ab¬ 
sender stellten am gleichen Tage eines der verlorenen Schreiben an den 
Klerus und die weltlichen Obrigkeiten, an alle Gemeinwesen und die 
ganze Christenheit, insbesondere an die Mönche an der römischen 
Kurie aus, das jenem Abgesandten als Geleitbrief dienen sollte 4 ). Die 

ins Staatsarchiv kamen; bei der Neuordnung der Archive unter Großherxog Pietro 
Leopoldo seien einzelne Urkunden in andere Archive geraten, andere zerstreut 
worden. 8oweit man es jetzt nach dem ebenfalls von Lisini verfaßten Inventario del 
diplomatico I (1908), das bis 1250 geht, kontrollieren kann, scheinen für diesen 
Zeitraum allerdings keine Verluste nachweisbar, außer unseren Briefen, die jedoch, 
weil undatiert, leicht den Nachforschungen entgehen konnten und erst zu Tage 
kommen würden, falls das wertvolle Urkundeninventar zu Ende geführt würde, 
was sehr wünschenswert wäre. Vgl. die Bemerkungen Beg. Sen. I Einleitung 
S. LXXin. 

*) Siena Bibi. Com. B VT 14 mit Abschriften von Urkk. verschiedener Ar¬ 
chive, vgl. Arch. der Ges. f. ältere deutsche Geschichtsk. XII 745. Auf p. 182 
beginnt „Copia di alcune bolle e contratti che si conservano nelT archivio de molto 
ER. PP. del convento di 3. Domenico di Siena nel suo Originale in quest’ a. 1702- 
Dieser Teil reicht bis p. 236, auf p. 218 steht der behandelte Brief. 

*) Das capitulum Albense ist auf Stuhlweißenburg zu beziehen, wo ein 
ansehnliches Kollegiatkapitel bestand. Weißenburg, die Siebenbürger Diözese, von 
den Tataren völlig zerstört: Rogerii carmen miserabile c. 40. Pröpste von Stuhl¬ 
weißenburg werden damals mehrfach erwähnt. 

•) Wir werden sehen, daß Ofen sicher, Fünfkirchen wahrscheinlich zur Zeit, 
da das Schreiben abging, verloren waren; dagegen hielten sich Stuhlweißenbmg, 
Veszprim und Gran. 

4 ) Im Spoglio 47 (S. Domenico) unter n. 927: >21 novembre .... Letten 
data in Alba, alle quäle manca 1* anno; vien raccomandato in essa a Patriarchi, 
Primati, Arcivescovi, vescovi, abbati, conventi, propoati etc., Templai e a frati 
d’ altri ordini e a prelati d’ altre chiese, a duchi, marcheai, conti, potestä, cavalieri, 
giudici, a tutte le comunitä e a tutti i Cristiani, e in specie a frati, che abitavano 
in corte di Roma, Salomone Canonico Albense e Proposto nella chiesa di S. Nie- 
colö d’ Alba, scritta dal capitolo Albense, Strigoniense, Budiense, Vesprimiense, 



Ein Schreiben der Ungarn an die Kurie etc. 


663 


andern beiden nur noch auszugsweise erhaltenen Briefe gingen vom 
Abt des Benediktinerklosters Martinsberg im Bistum Baab im Namen 
sämtlicher ungarischen Äbte dieses Ordens aus, hatten, so weit es sich 
aus den erhaltenen Angaben ersehen läßt, den gleichen Inhalt und 
gingen das eine an den Papst, das andere an das Kardinalkolleg 1 ), 

Samiense, QuinquecchieCmjense, degl* Abbati, Priori e Conventi Cisterciensi, Pre- 
mostratensi, di S. Agostdno, di S. Benedetto e d’altri ordini, da i frati Predica- 
tori, Minori, Ospitalari, Templari, Conti, Cavalieri, Cittadini e da tutti i Cristiani 
di tutte le Cittä, castelli e alfcri luoghi muniti dell’ Ungarin avanzo de* Tartari, 
nella quäle scrivendo essi, ehe mandavano il predetto Maestro Salomone per im- 
petrar soccorso contro i Tartari appresso la sede apostolica, voglino per cio dare 
al medesimo sicuro passaporto«. — Auch der erste, von Mari& Lichtmeß (2. Februar) 
datierte Brief, der im gleichen Spoglio unter n. 928 folgt, trägt dort in dem ganz 
kurzen Regest das Datum des 21. November; offenbar liegt ein Mißverständnis der 
Festdatierung durch den Verfasser des Spoglio vor, das ich nicht aufklären kann. 
Wir werden das verlorene Schreiben ebenfalls zum 2. Februar setzen können, zu 
dem das erhaltene sicher gehört. Das cap. Samiense ist zweifellos ein Ab¬ 
schreibefehler für Jaurinense, Raab. Im erhaltenen Schreiben ist das Wort 
offenbar durch Versehen des Kopisten ausgefallen. Raab hielt sich gegen die 
Tataren und wird unter den von den Ungarn besetzten festen Plätzen genannt. 

i) Im genannten Spoglio n. 519: „S(enza) d(ata) .... Lettera di V. Ministro 
del Monastero di S. Martino di Pannonia e dell’Universitä degl*abbati Nigri 
Ordinis di tutte l'Ungaria col sigillo appeso di cera bianca (figura a sedere); 
nella lettera non b scritto n b giorno n b 1* anno, ed b diretta al Papa, ma non vi 
si legge al quäle. Ricorrono alla santitä sua come a singulär loro refugio dopo 
Dio, supplicandola di pronto soccorso, esprimendo nella lettera, come Arcivescovi, 
Vescovi, Abbati, Monaci, Frati Predicatori, Minori e moltitudine infinita di fedeli 
era stata uedsa in contumelia del nome Cristiano. Dicono, che i latori della pre¬ 
sente sarebbero stati un Canonico Albense e il proposto della chiesa di S. Niccolö 
Albense loro Nunzi spedali a domandargli soccorso per 1% chiesa d* Ungarin, pre- 
gando la Santitä sua a volerli quanto piü presto spedire*. Daß Salomon, Chorherr 
v’on Stuhlweißenburg und Propst von St. Nikolaus daselbst, in zwei Personen zer¬ 
legt wird, ist eine Flüchtigkeit des Registrators, der sonst einige Anhaltspunkte 
dafür bietet, daß dieses Schreiben dem unten abgedmekten mindestens teilweise 
wörtlich entsprach. — Ebenda n. 1150, undatiert: „Lettera del Ministro del Monastero 
di S. Maiano o Martino, che ben non s*intende, di Pannonia, alla quäle non vi 
ä giorno n b anno, diretta a tutti i Cardinali della chiese Romana, scritta da lui 
per il convento di detto luogo e per 1*univenitä Albense dell’ordine nero, che 
era per tutta V Ungharia, per la quäle gli domanda pronto soccorso contro i nemlci 
del crocifisso, pregandoli a dar fede a quanto loro esporrä Maestro Salomone, Car 
nonico Albense, Proposto della Chiesa di S. Niccolö d* Alba 44 . Was die Universitas 
Albensis der ungarischen Benediktiner bedeutet, scheint unverständlich, wenn 
™m nicht an die nach Stuhlweißenburg geflüchteten Brüder denkt. Warum flohen 
aie nicht nach der festen Abtei Martinsberg, die sich behauptete? Es wird & 
Irrtum oder Lesefehler vorliegen. Das monasterium s. Martini de Panir 
ist identisch mit dem im abgedruckten Schreiben genannten Mons sacer 
nonie: das bekannte Benediktinerstift Martinsberg in der Diözese Raab. 



664 


Kleine Mitteilungen. 


um ebenfalls dem Magister Salomon als Beglaubigung zu dienen. Jene 
beiden waren vom 2. Februar datiert, während diese, wenn kein Irrtum 
des Registrators vorliegt, überhaupt kein Datum hatten; da sie aber 
von demselben Gesandten wie jene zu überreichen waren, können sie 
nur wenige Tage früher oder später geschrieben sein. 

Nun gab es im Februar 1242 — nur um dieses Jahr kann es 
sich, wie die berichteten Tatsachen zeigen, handeln — bekanntlich keinen 
Papst, und von dem am 10. November 1241 erfolgten Tode Coelestins IV. 
wird man in Ungarn bereits Kunde gehabt haben; aber ein Brief 
König Belas IV. an den Papst, dessen Naipe ebenso wie in den 
beiden an ihn gerichteten Briefen der Ungarn weggelassen ist, beweist, 
daß man 14 Tage vorher am Hofe annahm, die Papstwahl habe in¬ 
zwischen stattgefunden oder würde bis zum Eintreffen des Schreibens 
erfolgen*), und ferner zeigt ja der Brief an die Kardinäle *), daß 
man immerhin mit dem Fall einer noch andauernden Vakanz rechnete. 
Jener Brief Belas vom 19. Januar (1242), der von Dominikanern über¬ 
bracht wurde, ist, während von zwei früheren Gesandtschaften des 
Königs die erste scheiterte, die zweite auf der Überfahrt von Dalmatien 
nach der italienischen Küste ertrank 3 ), an die Kirne gelangt; Inno- 
cenz IV. fand ihn einige Jahre später vor und hielt ihn für wichtig 
genug, um ihn auf der Flucht nach Frankreich mitzunehmen und in 
Lyon trans8umieren zu lassen 4 ). Der König weilte, als er nach Rom 

*) Der Brief Bllas ist gedruckt bei Huillard-Bröholles, Friderici II. historia 
diplomatica VI 2 p. 902, Reg. BFW. 11377. Für die Geschichte Ungarns verweise 
ich auf die allgemeinen Hilfsmittel wie F. Krones, Handbuch der Gesch. Österreich* 
H (1877) 49—96; A. Huber, Gesch. Österreichs I (1885) 422—461; Feßler, Gesch. 
Ungarns, 2. Aufl. von Klein, 1 (1867) 351—377 (die magyarisch geschriebenen 
Werke konnte ich leider wegen Unkenntnis der Sprache nicht heranziehen); für 
den Mongolensturm genügt der Hinweis auf die eingehende Monographie von 
G. Strakoech-Graßmann, Der Einfall der Mongolen in Mitteleuropa in den Jahren 
1241 und 1242 (1893), der S. 161 über das Schreiben Belas handelt. Die Arbeit 
von Nikolaus Pfeiffer, Die Ungar. Dominikanerprovinz von ihrer Gründung 1221 
bis zur Tatarenverwüstung 1241—42, Zürich 1913, reicht nur bis zum Tatareneinfmlle. 
Für den Nachweis einiger Ortsnamen sage ich Oswald Redlich herzlichen Dank. 

*) Oben S. 663 Anm. 1. 

*) Strakosch S. 105—106, 125, l5l. 

4 ) Über die sog. Rouleaux de Cluny (vgl. Bresslau,. Handbuch der Urkunden- 
lehre I* 155—156) handelt Kehr im Neuen Archiv XTV 362—373, mit welt¬ 
lichen Ergänzungen zu Huillard-Bröholles, Examen des chartes de V 6glise Romaine 
contenues dans les rouleaux dits rouleaux de Cluni, in Notices et extraits des ms. 
de la Bibi. Impör. XXI 2 p. 267—363. B41as Brief, Huillard p.301 n. 84, ist nur 
mehr in Kopie von 1413 erhalten: Kehr S. 371. Auch daß, wie noch zu erwähnen 
ist, das Kardinalkolleg dem Könige antwortete, beweist, daß die Gesandtschaft der 
Dominikaner ihr Ziel erreicht hat. 



Ein Schreiben der Ungarn an die Kurie etc. 


66& 


schrieb, nicht in Ungarn, sondern in Kroatien, im Kloster Öaszna bei 
Agram 1 ). Die Briefe vom 2. Februar sind in Stuhlweißenburg ausge¬ 
stellt und begleiten die Gesandtschaft des Propstes Salomon, die nicht 
im Namen des Königs, sondern unabhängig von ihm im Auftrag der 
Kapitel und Klöster, Vornehmen und Bürger geschah, also des gesamtem 
Volkes der Ungarn, soweit es sich vor den Tataren in die letzten festen 
Plätze an der Westgrenze des Königreiches gerettet hatte. Die Ge¬ 
sandtschaft des Propstes Salomon ist demnach von der jener von Bela 
bevollmächtigten Dominikaner zu unterscheiden; diese erreichten ihr 
Ziel, Salomon ist nicht so weit gelangt, seine Beglaubigungsschreiben» 
blieben im Dominikanerkloster zu Siena liegen. 

Der historische Wert des Berichtes der Ungarn an den Papst liegt 
nun eben darin, daß er zwei Wochen später ab der des Königs abge¬ 
faßt ist, der zudem in Kroatien die Ereignisse der letzten Tage in Ungarn 
noch nicht kannte 2 ). So erhalten wir sehr erwünschte urkundliche 
Aufklärungen über das, was sich etwa seit Mitte Januar auf dem 
rechten Donauufer ereignet hat, und eine Bestätigung, teilwebe auch 
Ergänzung, der erzählenden Quellen 8 ). Bela, der kaum positive Tat¬ 
sachen zu melden weiß, erwähnt die Zerstörung dreier Kirchen, der 
beiden Erzbistümer des Reiches, Gran und Kalocza, und des Bistums* 
Raab; die Hirten aller drei Kirchen waren in der fürchterlichen Nieder¬ 
lage bei Mohi am Sajö (11. April 1241) 4 ) umgekommen, und auf dies 
Ereignis, nicht auf die wirkliche Zerstörung der Städte, bezieht sich 
wohl der Ausdruck ecclesiarum destructarum 6 ), wie auch die 
Antwort des Kardinalkollegs an Böla zeigt, in der es heißt, der König 
habe die Sache der vakanten Kirchen Ungarns der Kurie em- 

*) Strakoech 8. 151, 161. B41a befand sich bereits am 18. Mai 1241 in. 
Agram und kehrte erst ein Jahr später von Dalmatien, wohin er seine Flacht 
fortgesetzt hatte, nach Ungarn zurück: Strakoech S. 176. 

*) 641a ergeht sich in allgemeinen Klagen, ohne sich mit den Einzelereig- 
nissen za beschäftigen; daß der Feind vor fast vier Wochen über die Donau ge¬ 
gangen ist (25. Dezember 1241), scheint er noch nicht zu wissen, er bittet um 
Hilfsvölker, die mit ihm und den Seinen, deren noch eine nicht unbedeutende 
Menge übrig sei, nach Ungarn zu schicken sind, presertim ne fl umine Da- 
nubio transvadato, per quod ipsorum transitum prepotens Do¬ 
minus hactenus impedivit.nostre corone gloria ... . amodo 

deleatur, hält also allerdings den Übergang für möglicherweise bevorstehend,. 
ygL Strakoech S. 161—162. Übrigens die einzige tatsächliche Angabe in dem 
Schreiben neben der Erwähnung, daß Gran, Kalocza und Raab vakant sind, siehe 
unten. 

•) Thomas von Spalato und Roger von Großwardein. 

*) Strakoech S. 77—90, bes. 87. 

*) Über Gran und Raab s. Huber S. 468—460. 



666 


Kleine Mitteilungen. 


pfohlen >). Unser Bericht schildert zunächst in schwungvollen allge¬ 
meinen Ausführungen die von den Tataren angerichteten Verheerungen; 
mit der Erzählung des Überganges der Feinde über die gefrorene Donau 
— am Weihnachtstage, wie wir aus anderer Quelle *) wissen — setzt 
aber eine ziemlich vollständige Darlegung der Kriegslage am 2. Februar 
ein, die um so wertvoller ist, als gerade in diesen Tagen der erfolglose 
Sturm der Mongolen auf Stuhlweißenburg, wo unser Bericht abgefaßt 
ist, stattfand 6 ). Danach hielten sich auf dem linken Donauufer nur 
noch einige Orte nördlich der Biegung des Stroms bei Waitzen; östlich 
der Linie Waitzen—Budapest—Kalocza scheint dies Ufer gänzlich ver¬ 
loren gegangen zu sein. Die genannten Orte sind Preßburg, Neutra, 
Komom, Fülek und Nögrad 4 ); diesseits auf dem linken Ufer der 
Donau hielt man noch Stuhlweißenburg, Gran, Veszprim, Tihany am 
Plattensee, Raab, Martinsberg 6 ), Wieselburg, Ödenburg 6 ), Eisenburg, 
Novumcastrum (Neuhaus in der Gespanschaft Eisenburg?), Zala, 
Lovka 7 ) (nahe der Donau im alten Archidiakonat Maroth zwischen 
Donau und Save). 

Wir wissen, daß die Stadtburg von Gran, die Stadt Stuhlweißenburg 
und das Kloster Martinsberg «auf dem heiligen Berge Pannoniens* 
südlich Raab dem Tatarenangriff standhielten, daß Ofen niedergebrannt 
wurde, daß in den Gegenden von Veszprim und Raab größere Ver¬ 
wüstungen stattfanden; im übrigen sind wir über die Kämpfe in 

i) Von Wattenbach nach Dümmlers Abschrift aus einem Kodex des Peter* 
klosters za Salzbarg in Forsch, z. Deutschen Gesch. XII 643 gedruckt, Reg. BFW. 
7382. Das Schreiben ist ungeheuer schwülstig und phrasenhaft, aber an eine Stil¬ 
übung nicht zu denken, weil in den beiden Schlußsätzen die Anregungen B£kt 
durchaus sachgemäß beantwortet werden. Daß in der Vertröstung auf eine baldige 
Papstwahl kein Anlaß liegt, das Schreiben näher an 1243 zu rücken, ist BFW. 
7382 richtig bemerkt; über Datum und Beziehung vgL Strakosch S. 152, bes. 
Änm. 3. 

*) Dem bei Matthäus Paris in den Additamenta zu den Chronica maiora er¬ 
haltenen Schreiben des Abtes von Marienberg vom 4. Januar 1242, edd. Fej6r, Cod. 
dipl Hungariae IV 1, 236, MG. SS. XXVIII 209, Luard VI 78 n. 48, Reg. BFW. 
13376 mit weiterer Literatur, dazu Strakosch S. 191—193. 

») Strakosch S. 171. 

*) Ich bin nicht sicher, ob dies das Novumcastrum Albe ist; Ndgrid 
heißt lateinisch Novumcastrum. Phitek ist ein Versehen für Philek (Fülek) 
im Neograder Komitat. Das platte Land in diesen Gegenden, so um Neutra, Nö- 
gräd, Preßburg, war bald nach der Schlacht von Mohi, etwa sei 1 Juni 1241, von 
den Tataren verwüstet worden: Strakosch S. 157—158. 

*) Mons sacer Pannonie, s. o. S. 663 Anm. 1. 

•) (In Castro) de Suppuno, jedenfalls Sopronio zu emendieren. 

T ) Der Name Leucha begegnet in den Rationen collectorum pontifidorum 
in Hungaria (Mon. Vat. hist, regni Hungariae illustr. series I tomus I) p. 466 (dort 



Ein Schreiben der Ungarn an die Kurie etc. 


667 


Ungarn von der Überschreitung der Donau durch die Tataren bis zu 
deren Abzug (Ende März oder Anfang April) schlecht unterrichtet 1 ) 1 so 
daß die Nachrichten des vorliegenden Briefes eine willkommene Er¬ 
gänzung bieten. Daß Ofen fehlt, ist selbstverständlich; sein KapiteL 
hatte sich wohl nach einer der Burgen oder Städte, vielleicht nach 
Stuhlweißenburg, gerettet Dasselbe mag von Fünfkirchen gelten, das 
nicht unter den noch verteidigten Orten genannt wird und von dem 
auch sonst wahrscheinlich ist daß es damals Schaden litt *). Die andern 
Kapitel gehören Städten an, die sich bis zuletzt hielten. Die Auf¬ 
zahlung ergibt ferner auch die Ausdehnung, die die tatarische Invasion 
auf ihrem Höhepunkt erreichte: auf dem linken Donauufer widerstanden 
die festen Plätze der Komitate Preßburg, Komorn und Neutra, auf dem 
rechten haben die Mongolen wahrscheinlich das Land zwischen Drau 
und Plattensee größtenteils überrannt 8 ) und auch an diesem, ja jenseits 
des Bakonyer Waldes gebrandschatzt 4 ); Fuß gefaßt haben sie jedenfalls 
hier wenigstens bis Anfang Februar, vermutlich aber auch später nur 
auf dem Lande und in unbesehützten Ortschaften: der einzige feste 
Platz, der ihnen erlag, war Ofen. 

Diese kurzen Bemerkungen, neben denen ein besserer Kenner der 
ungarischen Geschichte dem Dokument gewiß noch manche weiteren 
Aufschlüsse wird entnehmen können, mögen hier zum ersteh Verständnis 
der historischen Bedeutung des Schreibens hinreichen. Der Verfasser 
tragt eine gewisse Bescheidenheit nicht ohne Absicht zur Schau; er 
will nicht durch wortreiche Klagen die delikaten Ohren des Papstes 
verletzen: es klingt wie Ironie, wenn man an die ermüdend hohlen 


ein Nicolaus de Leucha, Domherr von Gran) und 269 Lewka » Lovka im 
Bistum Fünfkirchen, im alten Archidiakonat Maroth, oder Luka (Löka) im Komitat 
Eisenburg. 

i) Strakoech S. 170—172; S. 171: „Über die sonstige Tätigkeit der Mon¬ 
golen auf dem rechten Donauufer wissen wir wenig“. 

*) Ebenda S. 172. 

>) Das ist anzunehmen, weil in dieser Gegend außer Lovka keiner der ge¬ 
nannten festen Plätze liegt. Ist die Annahme richtig, so erklärt sich, warum 
König B61a in Kroatien so wenig über die Ereignisse in Ungarn wußte: er war 
von seinem Lande abgeschnitten, in das er nur mit päpstlicher und venetianischer 
Unterstützung zurückzukehren ho len konnte. Dann ist aber auch das selbständige 
Handeln der Ungarn, deren Herrxiher nicht erreichbar war, verständlich. 

4 ) Strakoech S. 172 zeigt, laß ein Ort westlich von Raab seit dem Tataren- 
cinfall bis 1267 unbewohnt blieb. Über die Diözesen sind die der Geogr. eccl. 
Hong. ineunte s. XIV" (1891) beigegebenen vorzüglichen Diözesankarten für das 
XlV. Jahrhundert hier überall zu vergleichen. 



668 


Kleine Mitteilungen. 


.Phrasen der Antwortschreibens der Kardinale an Bela denkt 1 ). Nun 
ist der Stil unseres Schreibens durchaus gefällig, ja fast elegant; wir 
erinnern uns, daß in Stuhlweißenburg Italiener lebten, die in jenen 
Schreckenstagen mit den Waffen in der Hand für ihre ungarischen 
Qastfreunde gefochten haben*); vielleicht haben sie für deren Sache 
auch mit der Feder gewirkt Jedenfalls stammt unser Bericht von 
einem Geistlichen; die Vulgata ist so stark und so frei benützt, daß 
die oft nur in einem Worte bestehenden Anklange zum großen Teile 
nicht genau bestimmbar sind; wo wirkliche Zitate vorliegen, wurden 
sie kenntlich gemacht 

Die Kirche und der Laienstand Ungarns bitten den (zu erwähle*- 
den) Papst um Hüfe gegen die Tataren, die unter entsetzlichen Ver¬ 
wüstungen bis an die Donau torgedrungen sind, diese, als sie gefroren 
war, überschritten und die in eine Reihe fester Plätze geflüchtete Be¬ 
völkerung bedrohen . Sie senden den Magister Salomon, Chorham zu 
Stuhlweißenburg und Propst von St. Nikolaus daselbst, und andere Boten 
mit der Bitte, diese bald mit Bescheid zurückzuschicken. 

Stuhlweißenburg, 2. Februar (1242). 

Orig, verloren, ehemals in Siena, S. Domenico. — Siena Biblioteca 
Comunale B VI 14 p. 218—221 Cop . von 1702 mit dem Vermerk: „Ä 
conserva la detta lettera in detto Archivio di S. Domenico al numero 928“. 
Siena Archivio di Stato Spoglio tom. 47 (Contratti .... di S. Domenico) 
n. 928 Regest 8. XVIII. 

Sanctissimo in Christo patri ac domino . . divina providentia sacro- 
sancte Romane Eccleeie summo pontifici capitulum Albense, Strigoniense, 
Budense, Vesprimiense a ), Quinqueecclesiense, Cisterciensis, Premonstratenais, 
sancti Augustini et sancti Benedicti ordinum abbates, priores et fratres, 
fratres Predicatores, Minores, Hospitalarii, Templarii ac aliorum ordinum 
fratres, comites, milites, cives, burgenses et alie universitates utriusque sexus 
in predictis civitatibus, castris et comitatibus ac aliis locis munitis collecte 
de regno Ungarie, residui scilicet Tartarorum, terram ante sacroe pedes 


*) Ne etiam prolixitas litterarum aures delicatas offendat 
Den Ausdruck aures delicatae lesen wir in klassischer Literatur nur bei Quin» 
tilian, Instit orat III 1 , 3, vgl. Paneg. XI 13. Vgl. o. 8 . 666 Anm. 1 . 

*) Strakosch S. 171 Anm. 4 weist die Latini, die Thomas von Sp&l&to als 
Verteidiger von Stuhlweißenburg nennt, in Urkunden von 1221 und 1226 nach. 
Über Handelsbeziehungen der Italiener, insbesondere der Venezianer, mit Ungarn 
9 . Schaube, Handelagesch. der roman. Völker des Mittehneergebiets bis zum finde 
der Kreuzzüge (in v. Belows und Meineckes Handbuch der mittelalt. und neueren 
Gesch.) S. 463—455. 

») Ergänze Jaurinense, s. o. S. 662 Anm. 2. 



Ein Schreiben der Ungarn an die Kurie etc. 


669 


oaculari. Cum sacrosancta Romana Ecclesia omninm ecclesiamm mater sit 
et magistra, et ad ipsam solam tamquam ad Ä ) matris gremium aliamm 
ecclesiarum, maxiine tribulatarmn et, quid agere debeant, ignorantium, solum 
remduum sit post Deum oculos elevare l ), et ad hoc divina procurante 
clementia de vobis, pater sancte, universali ecclesie sit provisum, ut vos 
exemplo misericordis et miserantis Domini *), cuius yices geritis in terris, 
misericordiam geratis erga omnes, presertim erga illos, qui in contumeliam 
nominis crucifixi miserabiliter sunt afflicti, confidens in id ipsum non im- 
merito ecclesia regni Ungarie, multis yariisque attrita periculis et fere quasi 
nichilo facta similis, ad yos tamquam ad singulare post Deum refogium 
Telut caligantes pre lacrimis oculos de profundo elevat tormentorum 8 ), 
sperans sane et hoc firmiter tenens, ut, si apostolica pietas festinato remedio 
succurrat eidem, mox adiciet, ut resurgat 4 ). Itaque vestre pateiuitatis 
aanctitas nosse velit, quod inimici crucifixi, qui Tartari nuncupantur, nostris, 
ut credimus, hoc peccatis exigentibus subito et quasi ex improyiso in Un- 
gariam irruentes ipsum regnum usque ad flumen Danubii in parte maximn. 
devastarunt; occiderunt etenim episcopos, abbates, monachos, fratres Predi- 
-catores, Minores, Templarios b ), Hospitalarios, prepositoß, archidiaconos, cano- 
nicos, sacerdotes, clericos, comites, milites, infantes vagientes et ceterorum 
utriusque sexus hominum, quos incaute divisos repererunt 6 ), multitudinem 
infinitam, sed et iuyenem simul ac virginem, lactentem cum 
bomine sene 6 ) ignis vorax exussit 7 ), super quos nec quidem remanserunt 
vidue lamentant^, ita ut iam in nobis prophete 8 ) lamentum sit completum 
interfectorum multitudinem inconsolabiliter deplorantis. Sed et qui quasi 
vestiebantnr c ) in croceis 9 ), indifferenter ad captivitatem cum pauperibus 
abierunt 10 ) et — quod hiis omnibus miserabilius est et abhominabile — 
incenderunt in sanctuario Dei n ) simul cum laico sacerdotem, reliquias 
sanctorum et ipsum corpus dominicum pedibus ad sue dampnationis aug- 
mentum conculcantes, ecclesias etiam in stabula et sanctorum sepulchra in 
iumentorum presepia transmutarunt d ). In hac igitur nocte tribulationiß 12 ) 
corde simul et ore clamantes vestre sanctitatis aures prece intentissima 
perpulsamus, quatinus introeat in conspectu misericordie vestre ge- 
mitus compeditorum, ut fiat ultio sanguinis servorum Dei, 
qui effusuß est 18 ), ymmo contumelie nominis crudfixi, ut homicide 

l ) Vgl. 2 Paralip. 20, 12: sed cum ignoremus, quid agere debeamus, hoc 
solum habemus residui, ut oculos nostros dirigamus ad te. 

*) Miserator et misericora Ps. 85, 15. 102, 8. 110, 4. 111, 4. 144, 8. 
Iacob. 5, 11. 

•) VgL Thren. 2, 11: Defecerunt prae lacrimis oculi mei; 3 Reg. 14, 4: 
caligaverant oculi eius prae senectute (dazu Gen. 48, 10). 

4 ) Ps. 40, 9: numquid, qui dormit, non adiciet, ut resurgat? 

•) Vgl. Prov. 23, 28 und Iudic. 20, 48. 

*) Deut. 32, 25. 

*) Vgl. Levit. 6, 10: voraus ignis exussit. 

•) Nahum 3, 3. 9 ) Vgl. Thren. 4, 5. 10 ) Ibid. 1, 18. 

“j Vgl. Ps. 73, 7. 

n ) Vgl. Gen. 35, 3 imd öfter: die tribulationis. 

lf ) P 8. 78,10—11: Ultio sanguinis servorum tuorum, qui effusus est. Introeat 
in conspectu tuo gemitus compeditorum. 

*) at. b ) templares. c) vescebantur. d ) trasmutarunt. 



670 


Kleine Mitteilungen. 


simul et aacrilegi ac blasphemi x ) secundum sue malitie multitudinem iudi- 
centor 2 ), sentientes eum, in quem transfigere presumpserunt 8 ) *). Sed et not 
adversariis nominis Christi ad portas Danubii pro posse resistentes ad auxi- 
lium matris ecclesie respeximus, et non erat 4 ). Congelato b ) tandem Dannbio 
transeundi ad nos über eis aditns nbiqne patnit et facultas. Deniqne 
transeuntes discummt per provinci&s pleni iniqna cogitatione *), 
malitie sue complere propositum cupientes 6 ); nos yero quam plures et 
competenter armati in castris de Alba, de Strigonio, de Vesprimio, de Tyhoiv 
de Iaurino, de Monte sacro Pannonie, de Mussun(o), de Suprun(o) c ), de Fcr- 
reocastro, de Novocastro, de Zala, de Leuca et aliis castris et lods circa 
Danubium munitis, ultra yero de Posonio, de Nitria, de Cornaron, de 
Philek d ), de Noyocastro Albe et aliis castris et lods similiter munitis rece- 
pimus nos, post Dei misericordiam sanctitatis yestre et ecclesie Dei auxilium 
prestolantes et firmiter sperantes, quodsi miserantes nostri celeri nobis sab» 
sidio subvenire velitis, ipsis inimicis posse resistere, licet ab eorum fran- 
dolentia, que nbiqne ipsorum potentia maior est, pluries impngnemnr. Und© 
patemitatis yestre sanctitatem corde contribulato *) et yoce lamentabili ®) 
deprecamur, qnatinns magistrum Salamonem carissimum nobis in Christo 
Albensem canonicum et prepositnm ecclesie sancti Nicholai Albensis et socioa 
eiusdem, latores presentium, speciales nnncios nostros, quos ad pietatis yestre 
pedes pro subsidio ecclesie Ungarice a vobis impetrando destinamua, miss- 
ricorditer audire et liberaliter exandire dignemini propter Deum et, qnia 
mora nobis est pericnlosa, eos ad nos ad honorem Dei et yestram, qnanto 
citins fieri potest, remittatis expeditos. Sed quoniam nostre desolationis 
abhominationem 9 ) longum et quasi propter infinitstem sui impossibile 
est [per]®) singula enarrare, ne etiam prolixitas litteramm aures delicatas 
offendat, ipsis presentium latoribus fidem in Omnibus plenissimam dignemini 
adhibere, que sanctitati yestre ex parte nostra dnxerint proponenda. Datum 
Albe in die pnrificationis virginis gloriose. 

Frankfurt a. M. Fedor Schneider. 


*) Vgl. 2 Mac. 9, 28: homidda et blasphemus; Act. 19, 87: neqne am- 
legos neque blasphemantes. 

*) Vgl. 1 Mac. 7, 42: et iudica illum secundum malitiam illius. 

®) Vgl. Zach. 12, 10: aspicient ad me, quem confixerunt; loh. 19,37: Tide¬ 
bunt, in quem transfixerunt 

4 ) Ps. 70, 12: in auxilium meum respice; lob. 30, 13: et non fnit, qui 
ferret auxilium. 

®) Dan. 13, 28. 

®) Vgl. 1 Reg. 20, 7: oompleta est malitia eins, dazu ▼. 9; 26,17; Ia. 40,2. 

T ) Vgl. Ps. 33, 19: qui tnbulato sunt corde. 

•) Vgl. lerem. 9, 19, und dazu 31, 15: tox lamentationis. 

•) Matth. 24,16. Marc. 13,14: abominationem desolationis; ygl. Dan. 9, 27. 

*) persumpeerunt. b ) Congellato. e) Suppun; s. o. 8. 666 Anw>. & 
d ) Phitek; s. o. S. 666 Anm. 4. «) wohl zu ergänzen. 

Nachtrag zn 8. 622 Ana. 4: Die Angabe im Spoglio 47, d'bfl zwei der Briefe 
vom 21. November w&ren, beruht auf einer Verwechslung von Purificatio und Pte- 
sentatio b. Marie vizg.; diese wurde durch Sixtus IV. in das römische Brevier aof- 
genommen und am 21. November gefeiert: H. Kellner, Heortologie* (1906) S. 193. 
Die Verwechslung erkl&rt sich aus dem Umstande, daß Festdatierung in Itahea 
ungebräuchlich war. 



8. Florian und Roedorf. 


671 


S. Florian nnd Rosdorf. 1. S. Florian. K. Schiffinann hat 
sich in seinen «Beitragen zur historischen Topographie Oberösterreichs 11 
in diesem Bande der Mitt d. Inst S. 345 ff. auch mit S. Florian nnd 
Rosdorf beschäftigt Ich habe in den Abhandlungen über die passio 
8. Floriani nnd die mit ihr zusammenhängenden Urkundenfälschungen 
in der Archiyalischen Zeitschrift N. F. Bd. VIII u. IX den in den 
Traditionen der Frauen Liutswind und Brnnhild erwähnten heil Florian 
auf den Ort S. Florian am In bezogen und denselben als die älteste 
Stätte der Verehrung dieses Heiligen bezeichnen zu müssen mich ver¬ 
anlaßt gesehen. 

Schiffmann meint es läge doch näher, für die Kultusstatte die 
heutige Filialkirche S. Florian, eine Viertelstunde n. ö. von Helpfau, 
anzunehmen, weil selbe mitten im Matiggau gelegen sei, in welchem 
sich das vergabte Gut befand; das Verhältnis der beiden Kirchen zu 
einander könne, wie Beispiele zeigen, das gerade umgekehrte, demnach 
S. Florian die ältere und Helpfau die jüngere, daher S. Florian eine 
der ältesten drei Florianskirchen gewesen sein. 

Diese neu aufgestellte Vermutung fallt in sich selbst zusammen, 
weil die genannte Kapelle (nicht Kirche) erst im Jahre 1403 von 
dem Bischof Jorg von Passau konsekriert worden ist was S. bei Pill- 
wein Inkreis S. 299 oder meiner zweiten Abhandlung S. 249 (Z. 12 v. u.) 
nachzuschlagen übersehen hat Der Bestand der Kapelle durch ganze 
Jahrhunderte vor der Konsekration ist außerdem weder erwiesen noch 
überhaupt nachweisbar. 

2. Rosdorf. Schiffmann bestreitet daß in der karolingischen 
Zollordnung von 904 Rosdorf als der erste Landungsplatz und als die 
erste Zollstätte nach Passierung des Passauer Waldes genannt werde. 
«Mit nichten* sagt er mit aller Bestimmtheit «Die Landungsstelle 
ist hier nicht genannt sondern der erste Handelsplatz am linken 
Donauufer landeinwärts*. In dem Passus der Zollurkunde «Naves 
vero, que ab occidentalibus partibus, postquam egresse sint 
silvam Pataviam et ad Rosdorf vel ubicunque sedere voluerint et 
mercatum habere, donent pro theloneo semidragmam* gehört nach 
seiner Meinung Rosdorf dojh sachlich und grammatikalisch zu «vel 
nbicunque sedere et mercatum habere voluerint*. 

Deshalb hält er meine luffassung, als sei Rosdorf ein Landungs¬ 
platz, also an der Donau g liegen, für eine irrige und fügt mit gleicher 
Bestimmtheit bei: «das Rosdorf der echten Florianer Urkunde 1111. 
23. 8 («ad Bercheim [mausus] dimidius, ad Rostorfh dimidius* o.-ö. 
U.-B. EL 140) lag aber sicherlich in dem ein paar Jahre zuvor dem 
Stifte geschenkten Gebiete Eppos von Windberg*. 



672 


Kleine Mitteilungen. 


Aus der Reihenfolge der in einem S. Florianer Urbar von 1386 
aufgezählten Abgaben vom Zehent zu S. Peter, vom Hause daselbst, 
vom Burgrechte ebenda, vom nicht bestimmbaren Ach, vom Acker in 
Röstor£ vom Zehent in Eidendorf, vom Zehent in Würtzling [Peters¬ 
berg], von S. Stefan am Riedl schließt er, daß Rosdorf nicht zu weit 
von S. Peter entfernt gewesen und eine nähere Umschau in der Um¬ 
gebung weise mit ziemlicher Sicherheit auf die Ortschaft Dorf bei 
S. Peter; es sei nicht ausgeschlossen, daß einst S. Peter selbst Rosdorf 
geheißen habe und im 14. Jahrhunderte die ursprüngliche Bezeichnung 
nur mehr an einer Pertinenz haften geblieben sei. 

Auf welche Weise S. zu dieser Vermutung und in Konsequenz 
derselben zu seiner überraschenden neuen Übersetzung der oben ange¬ 
führten Textstelle gelangt ist, erfahren wir nicht aus dem Aufsatze 2 
der Mitteilungen, wohl aber aus dem Feuilletonartikel ,S. Peter 
am Windberg 11 , welchen S. unter Berufung auf ersteren am 30. Sep¬ 
tember 1915 im Linzer Volksblatte, dem Organe des Linzer 
Bischofs, veröffentlicht hat »Rosdorf — heißt es darin — besaß im 
9. Jahrhundert 6raf Wilhelm der Ostmark, der es um 830 dem Stifte 
S. Emmeram in Regensburg schenkte [»Insuper et quicquid ad Rosdorf 
habere videbatur, omnia et ex omnibus rebus ex illa parte Danubii, 
quicquid sibi pertinebant in mancipiis et aedificiis ac vineis cultis et 
incultis totum et integrum 11 lautet die maßgebende Stelle in der Be¬ 
stätigung Königs Ludwig des Deutschen 853. 18. 1 o.-ö. U.-B. IL 17]. 
Dieses hat bald darauf hier eine Kirche errichtet, was man aus dem 
Patrocinium schließen könne, denn der heilige Petrus war der Patron 
der Domkirche in Regensburg und Schenkungen zum Bischofkloster 
daselbst geschahen mit der Widmungsformel »ad casam quae constructa 
est in honore s. Petri et s. Emmerami 11 . Nun ist es auch verständlich 
— fahrt S. fort —, warum die karolingische Zollordnung von 904, 
die auf die den ganzen Donauhandel beherrschenden Regensburger 
Kaufleute zurückgeht, das ziemlich weit landeinwärts gelegene Rosdorf 
—S. Peter eigens erwähnt. Es war eben ein regensburgischer Ort und 
zu Beginn des 10. Jahrhunderts offenbar ein schon bekannter Handels¬ 
platz für eine weitere Umgebung. Um das Jahr 1100 dürfte die Be¬ 
zeichnung S. Peter schon längere Zeit geläufig gewesen sein und der 
ursprüngliche Name Rosdorf blieb, wie die mittelalterlichen Steuerbücher 
des Stiftes S. Florian lehren, nur an einer Pertinenz haften. Das Ver¬ 
schwinden eines alten Ortsnamens zugunsten der Bezeichnung nach 
dem Patron der Kirche ist in einer ganzen Reihe von Fällen zu be¬ 
obachten. »Mit dieser Feststellung, die uns S. Peter am Windberg 



8. Florian and Roedorf. 


673 


als eine der ältesten, ehrwürdigsten Kirchen des Landes zeigt, werden 
hoffentlich die Fabeleien von der späten Besiedlung des 
Mühlviertels verschwinden 11 . 

Die bisher geltende gemeine Übersetzung der fraglichen Stelle der 
Zollordnung, welcher auch ich zu folgen keinen Anstand genommen 
habe, lautete nach Kiezler, dem Geschichtschreiber Bayerns: «Schiffe, 
welche von Westen kommend, den Passauer Wald hinter sich 
gelassen haben und bei oder vor Bosdorf (einem jetzt abge¬ 
gangenen Orte zwischen Passau und Linz) anlegen und Handel treiben 
wollen, bezahlen als Zoll eine halbe Drachme. Wollen sie weiter 
hinab bis Linz gehen («idem scoti, id est si inferius ire voluerint 
ad Linzam“), so gibt jedes Schiff vom Salz 3 Scheffel, von Sklaven und 
anderen Waren aber nichts; sie können dann anlegen und Handel 
treiben, wo sie wollen, bis zum Böhmerwalde* („sed postea licentiam 
sedendi et mercandi habeant usque ad silvam Boemicam, ubicunque 
voluerint*). Diese Übersetzung ist ebenso natürlich und klar für Jeder¬ 
mann, der an den Text voraussetzungslos herantritt: wo der Passauer- 
wald vom Strom zurückweicht, liegt Bosdorf als erster Landungs- und 
Handelsplatz, weiter stromabwärts Linz als zweiter. Im ganzen Mittel- 
alter begleiten die Lastätte für die weiter im Lande drinnen entstan¬ 
denen Marktplätze das Donauufer und daß hier nur von Landungs¬ 
plätzen, von welchen aus im Beginne des zehnten Jahr¬ 
hunderts Handel getrieben wurde, gesprochen wird, kann füglich 
nicht in Abrede gestellt werden, um so weniger, als eigene von den 
Landungsorten verschiedene Handelsplätze gar nicht erwähnt sind und 
die von S. behauptete Feststellung keine solche ist Woher weiß denn 
S. überhaupt, daß bald nach der Vergabung Wilhelms (vor 853) S. Em¬ 
meram zu Bosdorf eine Kirche errichtet? Woher weiß er, daß der 
Graf die Ortschaft Bosdorf dem heiligen Emmeram schenkte, da doch 
König Ludwig nur von einem Besitze in Bosdorf spricht? Weingärten, 
welche in der Pertinenzformel ausdrücklich hervorgehoben werden, hat 
es in der Pfarre S. Peter a. W. niemals gegeben, sie deuten daher auf 
eine andere Gegend, in welcher Beben gezogen wurden, was in der 
Pfarre Feldkirchen, zu welcher also Bosdorf gehört haben muß, bis vor 
einem Jahrhundert der Fall war, und da in der Fiorianer Urkunde von 
1111 dem halben Mansus in Bosdorf ein halber Mansus in Bergheim 
vorausgeht, in dieser letzteren Örtlichkeit aber füglich nur die östlich 
an Landshag grenzende große Ortschaft dieses Namens in der Pfarre 
Feldkirchen zu erkennen ist, so gelangen wir nur folgerichtig wieder 
zur Identifizierung des karolingischen Bosdorf mit der heutigen Hofinark 
Landshag gegenüber von Aschach an der Donau. Die von S. ange- 

44* 



674 


Kleine Mitteilungen- 


führte Stelle eines Florianer Urbare macht für die Lage von Rosdorf, 
wenn man dasselbe in dem ltöstorf sicher erkennen könnte, keinen 
Beweis, da die Örtlichkeiten ohne Einhaltung einer geographischen Ord¬ 
nung untereinandergemengt sind. 

In der Erzählung von der Errichtung einer horche in S. Peter 
a. W. haben Alois Huber und Max Fastlinger bei S. Schule gemacht* Wie 
ereterer ans einer einzigen Urkunde einen ganzen Koman von der ehe¬ 
maligen Abtei Traunsee herznstellen verstand, so sieht S. bloß aus dem 
gleichen Patrozinium der Domkirche von Begensburg und der Kirche 
am Windberg ohne alle darauf deutende Umstande die Kirche in den 
Ehren des ApostelfÜreten erstehen, die man bisher mit guten Gründen 
für eine Stiftung Eppos oder seiner Sippe angesehen hat, erklärt S. Peter, 
welches doch aus Eppos Besitz in jenen des Klosters S. Florian über¬ 
gegangen war und bei letzterem bis zur Aufhebung des Untertansver¬ 
bandes sogar ausschließend verblieben ist, kurzweg für einen regens¬ 
burgischen Ort, der zu Beginn des 10. Jahrhunderts offenbar schon 
ein bekannter Handelsplatz für eine weitere Umgebung war. Nach 
diesem Ausspruche blieb ihm freilich nichts anderes übrig, als die bis¬ 
herige Anschauung von der späten Besiedlung des Mühlviertels als 
Fabelei zu stigmatisieren, sollte nicht sein Handelsplatz mitten im Nord¬ 
walde stehen. 

Einer ernstlichen Widerlegung dieser Phantasie bedarf es nicht 
mehr. 

Schließlich bemerke ich noch, daß S. irrt, wenn er behauptet, meine 
Erklärung des «jetzigen* Namens Landshag (Archiv £ ö. G M Bd. 94 
S. 92 Anm.) sei unrichtig; ich habe die Bezeichnung Lantshabe der 
Urkunden aus der bischöflichen Kanzlei von Passau im 13. Jahrhundert 
nicht erklärt und überhaupt nicht darauf reagiert, weil ich sie für eine 
dialektische Mißbildung halte, welche im weiteren Verfolge die Tauto¬ 
logie Landshafen, Landungshafen daretellen würde, abgesehen davon, 
daß das mittelhochdeutsche neutram hap und das femininum habe im 
b^juwarischen Sprachgebiete nicht recht gebräuchlich war. 

Nach diesen Ausführungen darf ich wohl meine Identifizierung des 
alten Eosdorf mit dem nachmaligen Landshag aufrecht halten: Boedorf 
war sichtlich die Zoll- und Kaufstatt für die Gegenden der Botalarii^ 
sowie Muthusir (wie die älteste, wenn auch nicht dokumentierte 
Form des Ortsnamens Mauthausen gestaltet gewesen sein wird) 
für jene der Beodarii. Ich kann nicht unerwähnt lassen, daß 
knapp über den Häusern von Landshag, gegen dieselben steil ab¬ 
stürzend, sich ein an den übrigen Seiten mit einem Graben um- 



S. Florian und Boedorf. 


676 


gebenes Plateau erhebt, von dessen östlichem Ende, an welchem ein 
Turm gestanden sein mag, ein alter Burgweg («Burg* nennt man 
dieses Plateau) zum Donauufer führt Ich habe diese Erhebung mit 
einigen Aschacher Bekannten im Jahre 1908 bestiegen, Herr kais. Bat 
Ludwig Benesch (3./4. 1916 f) hat vor mehreren Jahren mit Boussolle 
und Schrittmaß eine Aufnahme gemacht welcher er beifügt daß der 
Schloßgarten in Linz dieselbe Struktur und ähnliche Lage aufweist so 
daß beide Anlagen denselben Zwecken gedient haben könnten. 

Graz. J. Strnadt. 



Literatur. 

Urkunden und Siegel in Nachbildungen für den akade¬ 
mischen Gebrauch herausgegeben von G. Seeliger. IL Papsturkunden, 
bearbeitet von Albert Brackmann (16 Tafeln, 32 Seiten Text). IU. Pri¬ 
vaturkunden, bearbeitet von Oswald Redlich und Lothar Groß 
(16 Tafeln, 32 Seiten Text). IV. Siegel, bearbeitet von F. Philippi 
(11 Tafeln, 34 Seiten Text). Druck und Verlag von B. G. Teubner, 
Leipzig und Berlin 1914. Preis eines jeden Teils & Mark. 

Als zu Anfang des Jahres 1858 Theodor Sickel seine Vorrede zu den 
Monumenta gr&phica schrieb, kündigte er an, daß in diese Sammlung nicht 
bloß Proben von Bücherschrift sondern in besonderem Maße auch Beispiele 
für die Arten der Urkundenschrift aufgenommen werden sollten. Tatsächlich 
enthielten die beiden ersten Lieferungen des Werkes, die damals ansgegeben 
wurden, neben wenigen aus Handschriften geschöpften Abbildungen eine 
überwiegende Menge urkundlichen Stoffes. Von der dritten Lieferung an 
ließ der Herausgeber auch eine Scheidnng der abzubildenden Schrifterzeug- 
nisse eintreten, die bis zur neunten Lieferung festgehalten und erst in der 
von Rieger besorgten zehnten verlassen wurde: Lieferung 4 und 8 wurden 
ausschließlich der Buchschrift, Lieferung 3, 5, 6 und 9 den Urkunden ge¬ 
widmet, ja einmal ging Sickel in der begonnenen Ordnung noch weiter, 
indem er in Lieferung 7 keine einzige kaiserliche oder päpstliche Urkunde 
aufhahm und statt dessen hier eine geschlossene Folge von Fürstenurkünden 
schuf. Dieses bei dem ältesten auf photographischem Weg hergestellten 
hilfewissenschaftlichen Tafelwerk wahrnehmbare Streben nach Schaffung be¬ 
sonderer diplomatischer Unterrichtsbehelfe ist in seinem Wert nicht überall 
erkannt worden und daher nur langsam, nach Überwindung mancher Rück¬ 
fälle zum Durchbruch gelangt. In das verbreitetste deutsche Lehrmittel der 
historischen Hilfswissenschaften, die mit Vorbedacht auf paläographische und 
nicht auf diplomatische Ziele gerichteten Schrifttafeln von Wilhelm Arndt, 
nahm der erste Herausgeber von Urkundenschrift zunächst nur äußerst spär¬ 
liche Proben auf und zwar nur solche, die er wegen gelegentlicher Ver- 



Literatur. 


677 


wertnng gewisser Urkiwdenschriften in den Codices auch für die Kflnntni« 
der Buchschrift als erforderlich ansah. Zwischen dem ersten Erscheinen der 
Schrifttafeln (1874) und ihrer unverändert auf diese Grenzen beschränkten 
zweiten Auflage (1887) kamen allerdings in Frankreich und bald auch in 
Deutschland Abbildungswerke zustande, welche grundsätzlich und in her¬ 
vorragender Art dem Studium der Urkundenlehre dienten; zuerst (1878) 
das an kostbaren Beispielen des privaten Urk nndenwesens unerschöpfliche 
Mnsee des Archives däpartementales, dann das in demselben Jahr von Berlin 
ans angeregte Unternehmen der Kaiserurkunden in Abbildungen, dem bald 
gleichfalls von deutscher Seite besondere, freilich nicht auf gleicher Höhe 
stehende Abbildungswerke für die Papst- und Privaturkunden nachfolgten. 
Im akademischen Lehrbetrieb haben aber diese Rammlnngpri schon der hohen 
Kosten wegen nicht annähernd dieselbe Bolle spielen können wie die Tafeln 
Arndts. So blieb bis um die Wende des Jahrhunderts der Lehrer der 
Diplomatik darauf angewiesen, sich seine Lehrmittel selbst zusammenzu¬ 
suchen, und der Anfänger entbehrte dabei vollends der Erläuterungen, die 
vom Standpunkt der Urkundenlehre an die einzelnen Stücke zu knüpfen 
waren. Mit der Weiterführung der Amdtschen Schrifttafeln betraut bat 
Tangl dem dringendsten Mangel im Jahr 1903 durch ein dem alten Be¬ 
stand hinzugefugtes drittes Heft fürs erste abgeholfen. Indem er auf 
37 Blättern bemerkenswerte Beispiele aus der Entwicklung des mittel¬ 
alterlichen Urkunden wesens zusammenzubringen vers tan d und diesen mannig¬ 
faltigen Stoff nach allen Bichtungen sachkundig erläuterte, schuf Tangl 
ein diplomatisches Lehrmittel, welches seither einer großen Schar jüngerer 
deutscher und österreichischer Historiker nützlich und vertraut geworden 
ist. Es wird den Dank, den ihm Lehrende und Lernende dafür zollen, nicht 
schmälern, wenn jetzt, da die Urkundenforschung wieder um ein Jahrzehnt 
älter geworden ist, auch eine Schwierigkeit, die sich aus der Benützung 
jenes dritten Heftes ergab, deutlicher hervorgehoben wird. Gleich dem 
Bresslauschen Handbuch, das die auf verschiedenen Sondergebieten der Ur¬ 
kundenlehre gewonnenen Ergebnisse zusammenzufassen strebt und dabei 
doch Schritt für Schritt in die alten Geleise der Spezialdiplomatik zurück¬ 
kehren muß, bewegt sich auch das dritte Heft der Amdt-Tangrschen Schrift¬ 
tafeln in zeitlichem Fortschreiten anscheinend auf dem Weg der allgemeinen 
Diplomatik, während sein Stoff doch nach spezial-diplomatischen Gesichts¬ 
punkten ausgesucht werden mußte und nur im Sinne des spezialdiploma¬ 
tischen Unterrichts mit wahrem Erfolg verwertet werden kann. Dem Lehrer 
ist es ja nicht schwer, für sein Kolleg daraus in jedem Fall geeignete 
Blätter auszuwählen und sie aus anderen Sammlungen, soweit dies nötig 
und möglich ist, zu ergänzen. Dem Anfänger aber, der das Heft zu selbst^ 
ständigem Studium benützt, wird das Nebeneinanderlaufen verschiedenartiger 
Reihen von Urkunden, von denen jede in besonderer Weise betrachtet 
werden will, wohl oftmals eine empfindliche Störung gewesen sein. Unsere 
Forschung mag ja immerhin mich den Zielen allgemeiner Urkundenlebre 
hins treben, in der praktischen Arbeit muß jetzt und auf lange hinaus die 
Spezialdiplomatik überwiegen und im Unterricht k a nn nur bei getrennter 
Behandlung der Kaiserurkunden, Papst urkunden und Privaturkunden auf 
sicheren Nutzen gerechnet werden. Sprechen schon diese Gründe dafür, 
au ch in den zum Unterricht dienenden Tafelwerken eine Trennung der 



678 


Literatur. 


drei Hanptgattungen von Urkunden durchzuführen, so fallt in gleichem 
Rinn noch ein anderer Umstand ins Gewicht. Die reiche Entwicklung der 
▼on den Urkunden handelnden Wissenschaft hat auch auf diesem Sonder¬ 
gebiet der geschichtlichen Studien eine fortschreitende Arbeitsteilung er¬ 
zeugt. Die Zahl derjenigen Historiker, welche durch eigene Forschungen 
mit allen drei Zweigen der Urkundenlehre vertraut sind, war niemals groß 
und sie dürfte bei dem auch von den Diplomatikern lebhaft empfundenen 
Bedürfnis, die allgemeingeschichtliche Arbeit neben der hilfswissenschaftlichen 
zu verfolgen und selbsttätig zu pflegen, eher im Rückgang als in der Zu¬ 
nahme begriffen sein. Unter solchen Voraussetzungen führt auch die Wahl 
der Kräfte, die für die Herstellung eines hilfswissenschaftlichen Unterrichts¬ 
mittels zur Verfügung stehen, dazu, die Arbeit welche Tangl allem auf 
sich nahm und in höchst anerkennenswerter Weise löste, die dann auch 
Steffens in seiner (paläographische und diplomatische Dinge wieder ver¬ 
mengenden) Sammlung sich zugetraut aber nicht bewältigt hat, nach den 
drei Zweigen der Urkundenlehre zu teilen, damit für jedes dieser Sonder¬ 
gebiete die berufensten Forscher Auswahl und Erklärung der Bilder be¬ 
sorgen können. 

Das ungefähr mögen die Gedanken gewesen sein, die Gerhard Seeliger 
vorschwebten, als er sich zur Herausgabe des hier zu besprechenden Werkes 
entschloß und die auf dem Titel genannten Fachmänner für die Mitarbeit 
gewann. Der von Seeliger selbst übernommene erste Teil, der den Kaiser¬ 
urkunden gewidmet sein wird, steht noch aus, aber auch die drei vor¬ 
liegenden berechtigen zu dem Urteil, daß wir e3 mit einem gelungenen 
Werk zu tun haben, das dem hilfewissenschaftlichen Unterricht an allen 
Universitäten des deutschen Sprachgebietes einen starken Schritt nach vor¬ 
wärts verheißt. Sowohl die Auswahl der abgebildeten Stücke, als auch die 
Ausführung der Bilder verdienen volle Anerkennung. Brackmaun, der 
in seinem Vorwort neben anderen Fachleuten, besonders P. M. Baumgarten 
und F. Schneider als seine wichtigsten Helfer rühmend hervorhebt, hat auf 
16 Tafeln in 53 Bildern zwar nicht alle aber doch die hauptsächlichsten 
Formen des päpstlichen Urkundenwesens zur Anschauung gebracht Er ist 
dabei, wie es die besonderen Verhältnisse der Kurie durchaus rechtfertigen, 
nicht bei dem Ausgang des 15. Jahrhunderts, mit dem man das Mittel- 
alter zu beschließen pflegt, stehen geblieben, sondern mit einzelnen Stücken 
bis weit in die Neuzeit vorgedrungen und es ist ihm gelungen eine er¬ 
staunliche Mannigfaltigkeit lehrreicher und inhaltlich merkwürdiger Beispiele 
zusammenzubringen, ohne daß dadurch das Streben nach Veranschaulichung 
der Hauptformen gelitten hätte. Von den Privilegien und ihren Fortbil¬ 
dungen sind sechs aus der Zeit von 1020/22 bis 1715, von den Litterae 
eben so viele aus den Jahren 1120 bis 1447 dargestellt worden, von 
Breven wurden zwei Stücke von 1462 und 1597, von den Registern 
je eine Seite aus den Bänden Johanns VHL, Gregors VH. und Innocenz HL 
aufgenommen, den Adressen, Kanzlei- und Registraturvermerk en sind, abgesehen 
von den auf verschiedenen Tafeln ohnehin ersichtlichen Einträgen, 26 Ein¬ 
zeldarstellungen gewidmet, die, mit 1120 beginnend, namentlich die Kanzler¬ 
bräuche des 14. und 15. Jahrhunderts reich beleuchten; daneben findet 
man eine als Konzept vorbereitete Abschrift des 11., eine Legatenurkunde 
des 12., eine Fälschung des 13., je eine Minute, Kämmererurkunde und 



Literatur. 


679 


'Großpönitentiarurkunde des 14 M je eine Eidesformel und Prunksupplik des 
15. Jahrhunderts. Brackmann hat selbst empfunden und zugestanden, daß 
-damit noch immer kein vollständiges Bild des päpstlichen Urkundenwesens 
gegeben werden konnte, und er hat namentlich die Übergangszustände in 
der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts als zu schwach vertreten be¬ 
zeichnet. Ich denke, diese durch den des niedrigen Preises wegen ab¬ 
sichtlich eingeschränkten Baum notwendig gewordene Lücke ist zu ver¬ 
schmerzen ; Pfiugk-Harttungs Specimina können, wenn sie schon für Zwecke 
der Schriftvergleichung nicht ausreichen, bei aller Mangelhaftigkeit doch als 
Ergänzung herangezogen werden, um ein Bild von dem Werden der neuen Pri¬ 
vilegienform zu geben. Ähnlich verhält es sich mit den Registern, die nach 
meiner Erfahrung im Unterricht eine viel ausführlichere Behandlung er¬ 
fordern, als sie an der Hand der Tafeln 4 und 5, die nicht einmal ins 
13. Jahrhundert hineinreichen, geboten werden könnte; hier ist und bleibt 
Denifles Werk der unentbehrliche Begleiter auch für das Kolleg. Daneben 
werden die Tafeln von Arndt-Tangl und etwa auch die von Steffens nütz¬ 
liche Dienste leisten und Br. hat Hecht getan, in der Auswahl der Stücke 
auf einen gewissen Zusammenhang mit der von Tangl gebotenen Auslese 
Bücksicht zu nehmen; das Hildesheimer Papyrusoriginal Benedikts VLLL 
kann nun, wenn man Arndt-Tangl Taf. 80 und Brackmann Taf, 1 zusammen¬ 
hält, zwar immer noch nicht vollständig, aber doch in seinen wesentlichen 
Teilen überblickt werden; Br. 13 zeigt die Eidesformel, die zu der bei 
Arndt-Tangl 103 abgebildeten Provisionsbulle vom Jahr 1472 gehört In¬ 
haltlich beachtenswerte Stücke enthalten die aus dem Register. Gregors VH. 
-auagewählte Stelle (4 b , wozu Br. eine wertvolle Bemerkung F. Schneiders 
über den Doppeleintrag des Bannurteils gegen Heinrich IV. mitteilt), ebenso 
die aus dem Registrum super negotio imperii (5*, der hier berichtigte 
Irrtum der Mom-Ausgabe sowie die Stoffverteilung dieses ganzen Codex sind 
bei Tuöek in den Quellenstudien 2, 72 ff. am bequemsten ersichtlich), die 
von Br. auch an anderen Stellen behandelte Legatenurkunde betreffend die 
Kanonisation Annos von Köln (5 e ), die auf Heinrichs V. Romzug von 1111 
Bezug nehmende littera clausa von 1120 (6*), die vielfach umgeänderte 
Minute des Schreibens, das Innocenz VL im Juli 1353 an den griechischen 
Baiser Johann Cantacuzenos richtete (lO b ), die auf die Kardinalsernennung 
-vom 1. Juli 1517 bezügliche Bulle Leos X. (14/15*), ein Breve Clemens V1U. 
gegen Cesare d’ Este, das im Dezember 1597 erlaasen, an mehreren öffent¬ 
lichen Stellen (ad valvas) von den Cursores angeschlagen und mit einem 
diesen Vorgang beglaubigenden Zusatz versehen wurde (12 d ), endlich die 
große in Heftform prachtvoll ausgefertigte Bulle, durch welche Clemens XL 
im Jahr 1715 die kirchenpolitischen Privilegien Siziliens aufhob (lfi). 

Mit dieser Fülle weitreichender Beziehungen, die uns aus den von 
Br. ausgewählten Papsturkunden entgegentritt, vermag der vierte Teil des 
Werkes, der den Siegeln gilt, nicht den Vergleich auszuhalten, aber sein 
Wert für den hilfswissenschaftlichen Unterricht steht hinter dem zweiten 
nicht zurück und man darf sich freuen, daß Seeliger ihn hier einbezogen 
Bat. Philippi, von dem mustergültigen westfälischen Siegelwerk her zur 
Bearbeitung des sphragistischen Gebietes besonders berufen, hat in der Ein¬ 
leitung zu dem Text desselben über die Grundsätze, die ihn bei der Aus¬ 
wahl leiteten, ausführlich Rechenschaft gegeben. Seine elf Tafeln umfassen 



680 


Literatur. 


262 Abbildungen, wovon 174 auf die deutschen Herrscher von Karl d, Gr. 
bis zu MftTiTnilmn U. und auf deutsche weltliche Siegelfuhrer, 21 auf die 
Päpste von Hadrian I. bis zu Paul UL, 65 auf deutsche Geistliche ent¬ 
fallen. Dazu kommen ein schönes Erfurter Universitätssiegel des 15. Jahr¬ 
hunderts, das Siegel des Baseler Konzils und vierzehn Beispiele für die 
verschiedenen Arten der Siegelbefestigung. Zur Verdeutlichung dieser Dinge 
wird man jetzt neben Ph. mit Nutzen auch die verkleinerten Aufnahmen 
und die schematischen Darstellungen heranziehen können, welche Ewald in 
seiner Siegelkunde (Handbuch der mittelalterlichen und neueren Geschichte 
Abt IV, 1914) am Schluß bietet Dasselbe gilt von den Siegelstempeln, 
von denen Ph. nur drei in einem dem Text beigedruckten Bilde widergibt 
während Ewald ihnen vier ganze Tafeln Vorbehalten und überdies die Um¬ 
änderungen und den Nachschnitt von Stempeln durch besondere Bilder an* 
schaulich gemacht hat Wenn man aber die eigentlichen Siegelbilder ver¬ 
gleichen darf, verdient Ph.'s Zusammenstellung schon um der Ausführung 
willen den Vorzug. Für diese sind die einzelnen Siegel in Gips abgegossen 
und nach solchen Abgüssen sind die photographischen Aufnahmen gemacht 
worden, welche, so viel ich sehe, regelmäßig in Naturgröße, in einigen be¬ 
sonders bezeichnten Fällen auch vergrößert wiedergegeben wurden. Auf 
solchem im. Wesentlichen seit langem eingeschlagenen Weg ist nun aber 
diesmal eine Gleichmäßigkeit und Vollkommenheit der Bilder erzielt worden, 
die nicht bloß von den stark verkleinerten und verschiedenartigen Dar¬ 
stellungen bei Ewald sondern auch von anderen rühmlich bekannten Siegel¬ 
werken vorteilhaft absticht Wo sich nun bestimmte Siegel, die Ph. hier 
abbildet, mit den entsprechenden Bildern in Posses Kaisersiegeln l ) oder in 
dem alten Westfälischen Siegelwerk vergleichen lassen, springt die Über¬ 
legenheit der jetzt erzielten Ergebnisse in die Augen. Gerade um dieses 
Verfahrens willen ist dann freilich eine gewisse landschaftliche Beschränkung 
nicht ganz zu vermeiden gewesen. Wenn man die Papst- und Kaisersiegel 
beiseite läßt, so zeigt mehr als die Hälfte der Bilder Siegel westfälischen 
Ursprungs, die übrigen Landschaften treten viel stärker zurück, als es dem 
wissenschaftlichen Zweck des Unternehmens entspricht; das südliche Deutsch¬ 
land ist, wenn man von den österreichischen Fürsten absieht, fast ganz leer 
ausgegangen. Bei der ungeheuren Menge der erhaltenen Siegel war es 
eben nicht anders zu machen, als daß der Bearbeiter die am besten bear¬ 
beiteten und ihm am besten vertrauten Gebiete bevorzugte. Die getroffene 
Auswahl wird dennoch in jeder Hinsicht genügen, um beim akademischen 
Unterricht die Entwicklung der deutschen Siegel klarzumachen und zur 
Beobachtung aller der heraldischen, kunst- und waffengeschichtlichen Einzel¬ 
heiten anzuleiten, die sich an ihnen verfolgen lassen. 

Überwiegt bei Philippi der Nordwesten Deutschlands, so haben Be dl ich 
und Gr 088 als Bearbeiter der Privaturkunden naturgemäß auf den Süd¬ 
osten das Hauptgewicht ihrer Arbeit gelegt. Aber die in ihrem Teil ein¬ 
gehaltene Auswahl beleuchtet alle Seiten des reichverzweigten priv&t- 

*) Über dieses Werk berichtend hat Wibel im N. Archiv 35, 249 f. für Siegel¬ 
abbildungen die Aufnahme direkt nach den Originalen gefordert, und diese Forderung 
mag unter Umständen berechtigt sein; ob sie sich für größere Siegelwerke em¬ 
pfiehlt, darf nach der jetzt von Philippi mit Abgüssen erzielten Schärfe der Bilder 
wohl bezweifelt werden. 



Literatur. 


681 


urkundlichen Wesens und sie unterscheidet sich gerade durch ihre Viel¬ 
seitigkeit von älteren Unternehmungen ähnlicher Art Die Tafeln in Posses 
Lehre von den Privaturkunden hatten sich mit wenig Ausnahmen in den 
Grenzen der wettinischen Lande gehalten und, sowie das Buch selber, nur 
ein paar Einzelfragen aus dem weiten Gebiet behandelt auf das sein Titel 
hinweist; und auch das dritte Heft der Amdtschen Schrifttafeln, in welchem 
Tangl die Privaturkunden mit Absicht bevorzugte, hatte für das spätere 
Mittelalter fast ausschließlich brandenburgische Beispiele gebracht. Redlich 
und Gross sind über beide hinausgekommen und es ist erfreulich, gerade 
aus solchem Vergleich zu sehen, welche Fortschritte der dritte, in mancher 
Hinsicht schwierigste Teil der Urkundenlehre während der letzten Jahr¬ 
zehnte gemacht hat und wie gut sich das neue Unterrichtsmittel dem jetzt* 
erreichten Stand der Forschung anschließt. An Gattungen, die bei Aradt- 
Tangl unvertreten blieben, sind hier zu begrüßen drei Bilder zur Geschichte 
des italienischen Notariatsinstrumentes vom 13. Jahrhundert (Tafel 7), ein 
Beispiel für die im 14. Jahrhundert gebräuchliche Anwendung des Siegels 
in fremder Sache (8 b ), je eine Seite aus dem ältesten Lüneburger Stadt¬ 
buch (10*) und aus einem Wiener Grundbuch vom Ende des 14. Jahr¬ 
hunderts (l3 b ), dann Offizialats- und Ratsurkunden (ll*, 10 b ) und eine 
Probe aus dem ältesten, 1288 angelegten tirolischen Raitbuch (13*). Die 
Herübemahme einer langobardischen Urkunde von 769 mitsamt ihrer auf 
der Rückseite erhaltenen Vormerkung aus dem kostbaren Werk von Bonelli 
und die Wiedergabe eines Yperner Schuldbriefs von 1288 aus dem Album 
Beige de diplomatique (l und ll bc ) sichern bemerkenswerten Gebräuchen 
die gebührende Beachtung, wenn es auch natürlich hier so wenig wie bei 
anderen Gattungen möglich war, ihre ganze Entwicklung darzustellen. Aber 
auch solche Erscheinungen, die Tangl berücksichtigte, sind nun durch be¬ 
sonders glücklich gewählte Beispiele neu beleuchtet worden, so das St. Gal- 
lener Material des 8. und 9. Jahrhunderts (2 a ist nach Schrift und Sprache 
beachtenswert, 2 b zeigt einen der von Redlich auch schon in den Mitt. des 
Inst. 5 S. 6 berührten Fälle, in welchen die Unterschrift des Gerichts- 
schreibers nicht eigenhändig ist), die bairischen Traditionscodices (4 b ein 
im Mondseer Codex eingehefteter Einzelakt des 10. Jahrhunderts), die Chi- 
rographierung (6* zwei zusammengehörige aber anscheinend nicht genau 
zusammenpassende Stücke), die Beteiligung der Empfängerhand (6 b eine 
ganz nach dem Muster der päpstlichen Kanzlei von einem Heiligenkreuzer 
geschriebene Passauer Bischofsurkunde), die Nachtragung der Anfangsworte 
(8*, deutlicher als in den meisten von Posse, Privaturkunden Taf. 29—32 
herangezogenen Fällen), endlich die Beschaffenheit der Konzepte (9, ein ge¬ 
radezu klassisches Beispiel vom Jahre 1299 aus dem Innsbrucker Archiv). 
Daneben ist auch hier auf den Inhalt der Stücke geachtet und es sind, 
obwohl das Privaturkundenwesen seltener dazu Anlaß gibt, Urkunden über 
geschichtlich bemerkenswerte Vorgänge (8* Wahlversprechen des Pfalzgrafen 
Ludwig für Herzog Albrecht von Österreich von 1292; 15 Antwort der 
bairischen Herzoge an K. Friedrich UI. betreffend die niederländische Erbschaft 
1477) mit aufgenommen worden. Die Klarheit und Schärfe der Urkunden¬ 
bilder ist hier ebenso zu rühmen wie bei dem von Brack mann bearbeiteten 
Teil und wenn ihnen gute Erhaltung beschieden ist (stellenweises Durch¬ 
schlagen und Abdrucken der Schrift auf den Kehrseiten der Blätter mahnen 



682 


Literatur. 


za r Vorsicht), so werden sie wohl auf lange hinaus das beste Unterrichts¬ 
mittel der Urknndenlehre bleiben. Ungern vermißt man die Zeilen vAhlung 
am Bande, auf welche schon die Erklärungen Bezug nehmen und mit 
welcher im Unterricht mancher Zeitverlust erspart werden kann. Auch würde 
•es die Ordnung der Blätter wesentlich erleichtern, wenn neben der Tafel¬ 
nummer auch die Zahl des betreffenden Teiles auf jedes einzelne Blatt ge¬ 
setzt worden wäre. Aber das sind Dinge, die auch der Benützer seihet 
oder aber eine neue Auflage leicht nachholen kann. 

Die von den Bearbeitern beigefugten Erklärungen sind nicht in 
der unhandlichen Form der Tafeln gedruckt worden wie bei den Abbildunge- 
werken von Arndt, Tangl und Steffens, sondern sie bilden besondere 
Oktavhefte von je zwei Bogen Stärke, so daß dem vierten Teil auch sehr 
erwünschte Namen- und Sachverzeichnisse beigefugt werden konnten. 
Eigentliche Übertragungen der auf den Tafeln wiedergegebenen Texte sind 
nur bei schwierigeren Stücken geboten worden, so von Brackmann zu dem 
ersten, in Kuriale geschriebenen Privileg, von Bedlich und Gross ungefähr 
zu der Hälfte der Stücke; so oft es geschah, sind nach Art der pal&ogra- 
phischen Abschriften die Kürzungen ersichtlich gemacht. Das ist ebenso 
zu billigen wie auf der andern Seite der Verzicht auf gekünstelte Nach¬ 
ahmung der Buchstabenformen und Kürzungszeichen in den Siegelinschriften; 
diese werden bei jedem einzelnen Siegel abgedruckt, jedoch in aufgelöster 
Form und in einfacher Antiqua. Wo infolge schlechter Erhaltung bestimmte 
Stellen in der Photographie nicht zum Ausdruck kommen oder des Baumes 
wegen gewisse Teile der Urkunden nicht zur Abbildung gelangen, hat 
Brackmann, bei dem solche Fälle öfter Vorkommen, zumeist in der Er¬ 
klärung darüber berichtet (vgL 5, 6, 14/15 und 16; nähere Angaben fehlen 
nur bei 2/3 und 10). Überall haben Brackmann, Bedlich und Gross an die 
.abgebildeten Papst- und Privaturkunden wertvolle Erörterungen diploma¬ 
tischer und sachlicher Art geknüpft, die mit reichlichen Literaturangaben 
Teraehen das Weiterverfolgen des Gegenstandes nach Form und Inhalt an¬ 
bahnen ; bei Philippi treten die Bemerkungen zu dem einzelnen Siegel zu¬ 
rück, dagegen ist hier durch eine zusammenfassende Einleitung und durch 
Vorbemerkungen zu den ganzen Tafeln derselbe Zweck angestrebt worden. 
Da diese Beigaben der Tafeln sich in eng bemessenem Rahmen halten, so 
wird es nicht zu vermeiden sein, daß diejenigen, die von ihnen im Unter¬ 
richt Gebrauch machen, da oder dort, je nach der eigenen Anteilnahme an 
dem Gegenstand, größere Ausführlichkeit oder weitere Hinweise als wün¬ 
schenswert erachten dürften. Werden nun im folgenden solche Ergänzungen 
und auch einige Berichtigungen, die mir gerade aufüelen, vorgebracht, so 
soll das nicht Tadel sondern vielmehr ein kleiner Beitrag zur besseren 
Ausnützung des trefflichen Unterrichtsmittels sein, das jeder Lehrer der 
historischen Hilfswissenschaften mit aufrichtigem Dank begrüßen muß 1 ). Ich 


*) Einen anderen Standpunkt nimmt Schmitz-Kallenberg ein, der im Histo¬ 
rischen Jahrbuch der Görresgesellschaft 36, 640 ff. über das Werk berichtet. Er 
befaßt sich eingehend mit dem auf die Papsturkunden bezüglichen Teil und bietet 
zu diesem eine Reihe von Erläuterungen und Berichtigungen, wie er sich auch 
eigens zu diesem Zwecke ein Düsseldorfer Original kommen ließ und auf die Ein¬ 
sichtnahme eines Königsberger Stückes nur wegen des Krieges verzichtete. Ergaben 
sich dabei manche nützliche Beobachtungen, so ist doch das absprechende Urteil 



Literatur. 


683 


folge bei der Aufzählung dieser Einzelheiten der Reihenfolge des Werkes» 
indem ich die Teile mit römischen Zahlen, die Tafeln mit arabischen Ziffern 
bezeichne. 

Za IIl hätte wegen der erhaltenen Papyrusoriginale am besten auf 
Breeslau, Handbuch der Urkundenlehre 1 2 , 73 Anm. 2 verwiesen werden 
können; wegen der Kurialschrift auch auf Brandi im Arch. f. Urkfschg. 1,. 
65ff.; an Abbildungen dieser Schrift wären außer den angeführten etwa 
auch die von Brunei (vgL N. Archiv 39, 233 n° 78) und die im Archivio 
paleografico fase. 25 voL 6 tav. 11, 12 enthaltenen von JL. 4395 zu 
nennen. In der Schriftübertragung, die um eine Zeile mehr enthält als. 
auf Tafel 1 zu sehen ist, wurde übergangen, daß hinter dem Bene Valete 
(nicht etwa ein Kreuz, wie S. 3, drittletzte Zeile irrig gedruckt wurde, 
sondern) mehrere Interpunktionszeichen (Komma) und die Überreste von 
zwei langen, in der Mitte durchstochenen s (also wohl das abgekürzte 
subseripsi) sichtbar sind; der Vergleich mit JL. 4001, 4047 und besonders 
4057 bei Pflugk-Harttung, Specimina Taf. 10 und 11 dürfte diesen diplo¬ 
matisch nicht unwichtigen Befund sicherstellen; vgL auch Bresslau in Mitt. 
des Inst. 9, 26 Anm. 2. 

Zu Ü2 empfiehlt sich jetzt auch ein Hinweis auf den freilich erst, 
nach diesem Werk erschienenen Teil des 2. Bandes von Bresslaus Handbuch 
S. 153. Gerne sähe man an dieser Stelle oder allenfalls bei Tafel 10 b 
eine Erwähnung der älteren Minuten und am liebsten auch eine Abbildung 
von einem der acht Florentiner Stücke, die Kehr in den Quellen und 
Forschungen aus itaL Archiven und Bibliotheken 7, 8 ff. behandelt und von 
denen er eines teilweise im Bilde wiedergibt; oder etwa eine Wiederholung 
des winzig kleinen Bildchens aus Arch. paleogr. voL 2 fase. 2 tav. 19, das 
sich wohl auch neben dem jetzt auf Taf. 2 dargestellten hätte unterbringen 
lassen. 

Zu H6 dürfte der Hinweis auf Mon. graphica IX. 4 empfehlenswert 
sein, wo die Art des aufgeschnittenen Verschlusses besonders deutlich zu 
erkennen ist. Auch schiene mir, wenn schon der Hinweis auf andere 

über Brackmanns Arbeit, welches Schm, auf diese Art vertritt, nicht gerechtfertigt, 
und ich sehe auch zu der besonderen Bewertung von Philxppis Teil, der nach 
Schm. S. 652 „zweifellos“ bisher „die beste Leistung“ wäre, keinen Anlaß. Ich 
ändere daher nichts an dem Wortlaut meiner zu Ostern 1915, lange vor Er¬ 
scheinen der Schm.’schen Kritik niedergeschriebenen Besprechung über Br. und 
begnüge mich Punkte anzumerken, an denen Schm, zu berichtigen ist. Irrig meint 
er 8. 642 f., daß der in II1 fehlende Teil des Hildesheimer Privilegs bereits bei 
Arodt-Tangl Tai*. 80 abgebildet sei; es fehlen immerhin noch zehn Zeilen. Die in 
II6c enthaltene Tagesangabe lautet H. id. maii, nicht wie Schm. S. 645 liest: 
IL kal. maii, und daß sie von anderer Hand herrühre, ist mir unwahrscheinlich. 
Was Schm. S. 644 über ungleich?mäßigen Gebrauch der Ausdrücke »Länge“ und 
»Breite« der Urkunde sogt, dessen sich Br. schuldig gemacht habe, erklärt sich, 
wie ich glaube, daraus, daß die beiden Forscher den Sinn des ganzen Ausdrucks 
„der Länge nach gefaltet“ verschieden auftaasen; Schm, scheint an die Richtung 
zu denken, in der die entstandene Falte läuft, Br. dagegen an die Richtung der 
vorangegangenen Bewegung des Haltens. — Brackmann hat im Hist. Jahrbuch 36, 
927 eine ausführlichere Antwort lür ruhigere Zeiten in Aussicht gestellt und sich 
vorläufig begnügt, auf die anerkennenden Besprechungen von Tangl im N. Archiv 
39, 578 und Werminghoff in den Neuen Jahrbüchern f. das klass. Altertum 33. 
(17, 1914), 644 ff. zu verweisen. 



684 


Literatur. 


bildlich zugängliche Calixtusunterschriften vermieden wird, doch die Hervor¬ 
hebung des Chi-Rho-Zeichens wünschenswert 

Zu II 8 b werden die Unterschiede zwischen den Litterae cum ülo serioo 
und cum filo canapis, wie sie von Honorius HL bis zur Mitte des 13. Jahr¬ 
hunderts gehandhabt wurden, besprochen; dabei sollte aber wohl erwähnt 
werden, daß auch in der als 8 b abgebildeten Urkunde, welche die erstge¬ 
nannte Art vertritt das diplomatische Abkürzungszeichen nicht in allen 
Fällen, wo man es erwarten sollte, angewendet wird (vgL vestris, vestras 
Z. 4, nostra Z. 6 u. 8. w.); für die genauere Betrachtung der später ans¬ 
gebildeten Regeln bleibt jedenfalls das vortreffliche Beispiel bei Aradt-Tangi 
Taf. 89, 90, auf das Brackmann mit Recht hin weist der beste Ausgangs¬ 
punkt. Diese beiden und die nächstfolgende Tafel bei Aradt-Tangi hätten 
dann aber auch unter II9 wegen der Kanzleivermerke herangezogen werden 
können. 

Bei HlO* ist außer der im N. Archiv 32, 459 ff. von Salomon be¬ 
sprochenen russischen Veröffentlichung Lichatschevs ganz besonders Cernik's 
Aufsatz zu vergleichen 1 ), wo neben einer der ältesten bisher bekannten 
Prunksuppliken noch andere bemerkenswerte Stücke zur Geschichte des 
Supplikenwesens zu finden sind, darunter ein Brief des Kardinals Bessarion 
an das Dorothea-Stift in Wien, der gerade über die Behandlung und den 
Wert der »sola signatura* gewährten Bitten Aufschluß gibt Auch Cernik’s 
Mitteilungen über Transsumierung einer Prunksupplik, über den bei einem 
.Kardinallegaten eingereichten Supplikenrotulus und über das in Kloster¬ 
neuburg von 1458 bis 1472 geführte »Suppliken-Register* verdienten an 
dieser Stelle der allgemeinen Beachtung empfohlen zu werden. 

Zu H 12 4 mag wegen der littera interclusa, um daran zu erinnern, 
daß solcher Vorgang nicht nur bei Breven beliebt war, etwa auf Redlich, 
Wiener Briefsammlung S. 45 N. 40 (Brief eines Kardinals von 1274) und 
auf Kaiserurk. in Abb. XI, 25 (Schreiben Maximilians von 1488) hinge¬ 
wiesen werden, wegen des Aufkommens der Humanistenschrift auf ein 
Breve Felix V. von 1441 (Musde dee arch. departem. pL 50 Nr. 129), das 
noch die alte Minuskel zeigt 

Zu II ] 2 d , wo die Motus proprii erwähnt sind, vgL Salomon a. a. 0. 470. 
An dieser Stelle wäre auch ein Wort und womöglich eine Abbildung von 
den Cedulae consistoriales am Platz; vgL dazu Archivio paleogr. fase. 23 
vol. 2 tav. 100 und fase. 25 vol. 6 tav. 13. 

Zu II13 könnte wegen des sachlichen Zusammenhanges (vgL oben 
S. 679) Aradt-Tangi Taf. 103 angeführt werden. 

Bei Hl4/15 b vermißt man eine Erwähnung der in Z. 14 sichtbaren, 
durch eine Schnörkellinie verdeckten Lücke. 

Zu II16 vgL die prachtvolle Bulle in Heftform, die 1441 von Eugen IV. 
für den Herzog von Burgund ausgestellt wurde, Musde des arch. departem. 
pL 47 N. 128; über ein Breve apertum in Heftform von 1610 Salomon 
a. a. 0. 475 nach Lichatschev S. 57. 


<) Berthold Cernik, Das Supplikenwesen an der römischen Kurie und 
Suppliken im Archiv des Stiftes Klosterneuburg, im Jahrbuch des Stiltes Kloster¬ 
neuburg 4 (1912) S. 325 bis 345 mit vier Tafeln. 



Literatur. 


685 


Zu HI 1, Text S. 2 lies 524 statt 542; die Worte »quidquid homo 
in loca veneravia contnlerit, centublum acepiet et insuper vitam hederaam 
possedevit 4 dürfen ohne Zweifel als Arenga betrachtet werden; S. 3 in 
der Mitte wäre wohl auf Schiaparelli im Archivio stör. Italiano 39, 1907 
hinzuweißen gewesen. 

In der Sehriftübertragung yon HI 2 Ä ist in der Mitte statt mqrcede: 
mercqde zu lesen. 

IIl4 b ist auch im Salzb. ÜB. 1, 911 Nr. 23 gedruckt, wo zwar der 
Sinn der nachgetragenen Namen, aber noch nicht die Zeit der Nachtragung 
erkannt wurde. 

Zu ID 5 b sei an die über die böhmische Herzogsurkunde gemachten Be¬ 
obachtungen in den Mitt des Inst. 32, 650 fl erinnert 

HI 15 ist schon gedruckt und zwar Mon. Habsburgica I, 1, 463; YgL 
auch Biezler, Gesch. Baiems 3, 451. 

Zu IV 1 und 3 sind die einzelnen Diplome, yon denen der Abdruck 
der wiedergegebenen Kaisersiegel genommen ist Anschluß an den unbe¬ 
quemen yon Posse geübten Brauch ausschließlich nach Regestennummern 
angeführt; also auch dort wo die Monumenta-Ausgabe längst yorliegt nach 
den Nummern der Stumpf-Regesten, die, einst so wertvoll, jetzt doch glück¬ 
licherweise mehr und mehr ein überholtes Werkzeug der Forschung werden. 
Es hängt vielleicht damit zusammen, daß auch die auf den Gebrauch der 
Siegelstempel bezüglichen Feststellungen der Diplomata nicht überall be¬ 
rücksichtigt sind. IV 3 a , der vierte Bullenstempel Ottos HL, ist nicht 
während der ganzen Kaiserzeit dieses Herrschers, wie PL angibt sondern 
nur 1001 und 1002 in Verwendung nachweisbar, vgL DD. 2, 392 b und 
die wörtlich von dort herübergenommene Stelle bei Posse 5, 16. Die IV 3, 8 
abgebildete »Bleibulle Kaiser Heinrichs H. 4 ist doch auch in Gold ausge¬ 
prägt worden und so erhalten an dem jetzt in Graz verwahrten DH. IL 428, 
vgL DD. 3, S. XXX und S. 549 Note f, dazu DD. 4, 430 und jetzt überdies 
noch Ewald a. a. O. 121 Anm. 3 und 146 Anm. 5. Dagegen ist IV 3, 8 , 
der Stempel, den PL S. 11 als »Gold- und Bleibulle Kaiser Konrads IL € und 
in der Beischrift der betreffenden Tafel sogar mit »Gold* allein anfuhrt 
nur in Blei erhalten und bloß Leo von Ostia bezeugt bei DK. IL 270 
nein einstiges Vorkommen in Gold. Die zu dem Siegel der Kaiserin Kon- 
-stanze IV 3, 9 gesetzte Zeitangabe »1186—1197 4 trifft wohl für die Zeit¬ 
dauer ihrer Ehe mit Heinrich VI. aber nicht für das Siegel zu; ebenso 
passen die im Text S. 11 angeführten, auf der Tafel allerdings verbesserten 
•Jahreszahlen bei IV 3, 7 zwar für die. Regierungszeit Ludwigs des Baiern, 
aber nicht für die Anwendung seiner herrlichen Goldbulle, bei welcher 
übrigens auch die von Bressliu, Handbuch 1 l , 932 Anm. 1 beobachtete 
Randverzierung und die Beschreibung von Haberditzl in den Mitt. d. Inst. 
29, 646, die Posse 5, 38 :iur wörtlich wiederholt Erwähnung verdienten. 

Zu IV 4, 3 , einem Siegel Leopolds VL, ist beidemal die Regierungszeit 
dieses Herzogs gesetzt und '.war mit dem unrichtigen 1236 (statt 1230) 
als Todesjahr. Dagegen haben Siegenfeld, Das Landeswappen der Steiermark 
S. 148 und Mitis, Studien zum älteren österr. Urkundenwesen S. 420 das 
Aufkommen dieses Stempels, der übrigens als Münzsiegel angewendet wird 
(Ph. bildet nur die Vorderseite ab), erst seit 1214 feststellen können. 



686 


Literatur. 


Zu IY 5, v dem auffallend gut gezeichneten Siegel der Pfakgr&fin 
Adelheid, hätten die Bedenken von Bresslau, Handbuch 1 *, 708 Anm. 0 
nicht unberücksichtigt bleiben sollen. 

Zu IY 5, 8 vgl. Siegenfeld a. a. 0. 149 und die dort angeführte* 
Stelle bei Sava. 

Zu IV 7, 9 sollte auf S. 5, anstatt S. 9, verwiesen werden, zu IV 11 
A 5 lies in der Beischrift der Tafel Paul HL statt Paul IL; im Text sind 
ferner zu verbessern: zu IV 1 18 statt 1160: 1169; S. 3 unten statt 
m 17: IV17 u. dgL, dann kleine sprachliche Fehler S. 1 Z. 9 und 
S. 8 Z. 6. 

So mag es im Einzelnen gerade bei diesem auf die Siegel bezüglichen 
Teil noch manches zu bessern geben. Aber hier ist ja das Verdienst und 
der Gewinn der neuen Sammlung nicht in den beigegebenen Erklärungen 
sondern in den gelungenen Abbildungen zu suchen. Sie werden der Siegel* 
künde, die bisher über ein gutes und wohlfeiles Lehrmittel überhaupt nicht 
verfügte, erst richtigen Eingang an den Universitäten verschaffen. Von den 
diplomatischen Teilen des Werkes darf wohl noch mehr erhofft werden. Wo 
der Unterricht in der Urkundenlehre zu Hause ist, werden sie es ermög* 
liehen, ihn in engere Fühlung mit den neuesten Forschungsergebnissen zu 
setzen und auch auf solche Gebiete auszudehnen, die in den älteren An* 
Bchauung8mitteln fehlten; und wo aus Mangel an geeigneten Behelfen dieser 
Unterricht bisher vernachlässigt war, kann er gefördert von diesem billigen^ 
selbst manchem der Hörer erschwinglichen Behelf nunmehr aufblühen und 
rasch das Versäumte nachholen. Aufrichtiger Dank gebührt dem Heraus* 
geber, den Bearbeitern und nicht zum wenigsten dem rühmlich bekannten 
Verlag B. G. Teubner für diese Tat, die dem geschichtlichen Unterricht der 
deutschen Hochschulen die Wege ebnet. Mögen alle Berufenen sie benützen t 

Innsbruck. W. Erben. 


Das Königtum der Thronfolger im deutschen Beich 
des Mittelalters. Von Dr. Franz Becker. Quellen und Studien 
zur Verfassungsgeschichte des deutschen Reiches in Mittelalter und 
Neuzeit, herausgegeben von Karl Zeumer. Band V, Heft 3, Weimar 
1913. XH und 134 S. 8°. 

Die Arbeit ist eine Doktordissertation, hervorgegangen aus dem Bo¬ 
stocker historischen Seminar. Sie überragt weit das DurchschnittBnivean 
derartiger Schriften. Dem Verfassungshistoriker wird durch sorgfältige und 
umfassende Quellennachlese zu der behandelten Frage ein reichhaltiges 
Material zur Verfügung gestellt — in den Anmerkungen; der Text dar¬ 
über, der dieses Material verarbeitet, leidet an dogmatischar UnfertigkesL 
Ich möchte aber daraus dem Verfasser, der ja nicht geschulter Rechtshisto¬ 
riker ist, keinen zu schweren Vorwurf machen. Forscher mit größerer 
dogmatischer und methodischer Erfahrung sind an der Schwierigkeit ge¬ 
scheitert, in mittelalterlichen Verfassungsfragen Form und Inhalt, Ausdruck 
und Sinn, Gewohnheit und Recht zu unterscheiden. 



Literatur. 


687 


Der Fehler liegt an der Arbeitsmethode. Es ist unmöglich, histori¬ 
sches Material zu einer juristisch-dogmatischen Darstellung zu verarbeiten, 
wenn man mit den juristischen Begriffen so ungeklärte Vorstellungen ver¬ 
bindet wie Becker. Die an und für sich sehr schätzenswerte Arbeits¬ 
leistung wäre erfreulicher, wenn sie nichts weiter gebracht hätte, wie die 
Quellennachlese. 

Ficker hat derartige Fragen so angepackt, daß er Urkundenzeugnisse 
sammelte und nebeneinander stellte, im Text, nicht in Anmerkungen; so, 
daß Punkt für Punkt die Überzeugung sich aufdrängte: der Masse der Er¬ 
scheinungen muß eine Ordnung, muß Zwang, muß Gesetz zugrundegelegen 
haben. Wie eine reife Frucht fiel dann da3 juristische Ergebnis ab und 
prägte sich um so deutlicher dem Leser ein, je vorsichtiger, je zurück¬ 
haltender es von Ficker zum Schluß als Rechtssatz formuliert wurde. Aller¬ 
dings ging Ficker dabei stets von einem wohl überlegten Plan aus; so 
konnte sich dann das Ergebnis wie von selbst in das Gesamtbild der Ver¬ 
fassungsentwicklung einfügen und da eine Lücke ausfüllen. Die richtige 
Relation zwischen einem besonderen Rechtsbegriff oder einer besonderen 
Reehtsinstitution und der Gesamtheit der gleichzeitigen Rechtseinrichtungen 
und Rechtsanschauungen muß beachtet werden, und das kann nur ein 
Forscher, der die gesamten Verfassungsverhfiltnisae vollkommen überblickt. 

Becker operiert ausgiebig mit den Begriffen »rechtlich 4 , »staatsrecht¬ 
lich* und speziellen Begriffen, wie Wahlrecht (des Königs und des Volkes), 
Wahlreich, eidliche Verpflichtung; »Designation 4 und »Königserhebung 4 werden 
unterschieden. Aber die Darstellung zeigt, daß er von einem Staatsrecht 
des Mittelalters — das ja für den Rechtshistoriker vorläufig eine ziemlich 
problematische Größe bildet — nur konfuse Vorstellungen hat. Was be¬ 
deutet denn »der moralische Anspruch der stirps regia auf die Herrschaft 4 
(SL 4); das »wichtige Recht der Urkundenausfertigung 4 (S. 10); was ist ein 
»VollkÖiiig 4 (S. 64); was heißt ein »staatsrechtlicher 4 Gehorsam des Sohnes, 
im Gegensatz zu einem »natürlichen 4 (S. 68 f.)? Gibt man sich die Mühe 
genau zu analysieren, was sich Becker überhaupt als »Recht 4 vorstellt, so 
zeigt sich, daß er formelle Gebundenheit ohne weiteres als Recht, als 
Äußerung von Gesetzmäßigkeit auffasst. Die formale Betätigung des Königs 
gibt ihm ein Bild »in rechtlicher Hinsicht 4 , dem er die »politische Stel¬ 
lung 4 — nämlich das historische Bild — entgegenstellt (S. 10; vgL auch 
SL 31 £). Außerdem verwechselt er den Willen des Kaisers mit dem 
Verfassungswillen. Ferner ist es eine petitio principii, wenn von 
Anfan g an von einer »staatsrechtlichen Bedeutung 4 der Akte gekrönter 
Kaisersöhne gesprochen wird: die ganze Arbeit soll ja erst ergeben, inwie¬ 
fern der formellen Wahl, Krönung, Betätigung des Sohnes bei Regierungs- 
handlungen eine besondere verfassungsrechtliche Stellung des Thronfolgers 
entsprach. Scheidet mau aus der Darstellung alle juristischen Bewertungen 
aus, so zeigt sich zum Schluß < as eigentümliche Resultat, daß gerade solche 
Thronfolger-Könige, die offenba* tatsächlich keine oder nur sehr beschränkte 
selbständige Befugnisse genoss in, formell mit fast allen Funktionen könig¬ 
licher Macht ausgestattet waren, z. B. Otto H. (unter Otto L), während 
sehr selbständige Thronfolger-Könige mitunter formell in deutlich ab¬ 
hängiger Stellung erscheinen z. B. König Heinrich unter Friedrich IL 


Mittelläufen XXXVI. 


45 



688 


Literatur. 


Daraus ist nur ein Schluß möglich — und der entspricht genau 
unserer bisherigen Anschauung: daß der designierte Thronfolger weder 
durch seine Erwählung, noch durch seine Krönung, noch durch seine Teil¬ 
nahme an königlichen Befugnissen (Mitunterzeichnen, auch Alleinunter¬ 
zeichnen von Königsurkunden, Mitsiegeln, Zählen der Begierungsjahre von 
seiner Krönung ab u. s. w.) in eine materielle verfassungsmäßige Sonder¬ 
stellung einrückte. Die Designation durch den Herrscher (der dabei, den 
mittelalterlichen Auffassungen vom Thronfolgerrecht entsprechend, durchaus 
nicht an seinen erstgeborenen Sohn gebunden war) bleibt das wesentliche; 
und diese Designation war und blieb ein politischer Akt. Ebenso waren 
aber auch alle Mittel, die der Vater zur Sicherung seiner Designation er¬ 
griff^ rein politische Akte. Designation und Anerkennung mit allen mög¬ 
lichen Kautelen haben im Deutschen Beich nie einen anderen Charakter als 
den einer diplomatischen Sicherungsmaßregel bekommen, während sie ander¬ 
wärts sich zu einer formellen Ausgestaltung des staatlichen Thronfolger¬ 
rechts, also zu einem materiellen Verfassungsinstitut entwickeln konnten. 
Historische Tatsache und juristische Institution müssen hier nach dem 
Inhalt, nicht nach der Form auseinandergehalten werden. 

Von dieser historischen Erscheinung hatte die dogmatische Unter¬ 
suchung auszugehen. Dann hätte sich daraus die interessante Frage ent¬ 
wickelt, wieweit der Herrscher frei über die Prärogativen seiner Stellung zu 
Gunsten des designierten Throfolgers verfugen konnte und in wiefern darin 
im Lauf der Jahrhunderte ein Wandel eingetreten ist. Das wäre ein rein 
verfassungsrechtliches Problem — auf das Becker bei seiner pseudojuristi- 
schen Anschauungsweise gar nicht gekommen ist. 

Ein weiteres verfassungsrechtliches Problem, das sich durch die histo¬ 
rische Untersuchung auf drängt: wie allmählich der im Lehnrecht zuerst 
entwickelte Gedanke des Primogeniturrechts auf das Thronfolgerecht ein¬ 
wirkt, könnte mit dem gebotenen Material nicht gelöst werden, sondern 
müßte die Nachfolge in die Bechtsstellung der Beichsmagnaten einbeziehen. 

Beckers Auslegung maßgebender urkundlicher Ausdrücke ist mitunter 
willkürlich. Warum soll »elegerunt 4 bald mit wählen, bald mit huldigen 
(S. 60) übersetzt werden? Von der Acclamation, Huldigung, Treueid für 
Otto DL beim Tode Ottos Lheißt esS. 12: »StaatsrechtlicheBedeutung kommt 
diesen Vorgängen nicht zu, sie sind eine feierliche Anerkennung 4 , aber 
eine S. 129 A. 1 zitierte Stelle aus Ivo von Chartres sagt ausdrücklich, 
daß der erbrechtlich und durch Wahl bestimmte Thronfolger nur »in regno 
• . consecratus 4 sei. Meint Becker etwa, dies bedeute, daß der Thronfolger 
beim Tode der Vorgängers ipso iure König geworden sei? Das würde 
eine Bechtsauffassung voraussetzen, die erst viel später aufkam. 

Auf eine falsch interpretierte Stelle hin wird England zum »Wahl¬ 
reich 4 gemacht (S. 2, 132). Sollen wir denn die historische Anschauung 
von den fortwährenden Erbfolge kriegen in England, von denen sogar 
bei uns jeder Shakespeareleser etwas weiß, einfach über Bord werfen? 
Dänemark soll erst 1660 »wirklich 4 Erbreich geworden sein — seit dem 
15. Jahrh. regiert dort eine Dynastie; sie ist durch Erbfolge auf den 
Thron gekommen; und genau so die früheren Dynastien. Allerdings, das 
englische, das dänische Thronerbfolgerecht war nicht von Anfang an genau 
das moderne — auch heute ist es ja noch in den verschiedenen Monarchien 



Literatur. 


689 


(sogar innerhalb Deutschlands) verschieden genug. Selbst wenn Becker 
(8. 2, 128) für Frankreich Ende des 9. Jahrh. bis zum Jahre 987 Wahl¬ 
königtum im Gegensatz zum Erbkönigtum der Zeit vorher und nachher 
annimmt, so läuft das auf eine terminologische Spitzfindigkeit hinaus. 

Sowohl die Burgunder wie die Capetinger sahen sich als Erben der 
Krone an und konnten das nach den Anschauungen ihrer Zeit. Der letzte 
echte Karolinger galt, genau wie später die jüngeren Capetinger, als Herzog 
von Lothringen nur noch für einen Magnaten, lehnsabhängig wie alle an¬ 
deren Magnaten; das kommt in den Quellen klar zum Ausdruck. Sein 
Erbrecht bestritt niemand, aber andere Magnaten, die auch Erben waren, 
wurden ihm vorgezogen« Nur für ein modernes deutsches Thronfolgerecht 
wäre er als letzter Agnat der einzige Erbe gewesen. Aber ein derartiges 
Thronfolgerecht gab es noch ebensowenig wie ein Becht freier Wahl 

Juristisch stellt sich die Sache folgendermaßen dar: Das Mittelalter 
kannte weder einen Wahlrechtsbegriff, noch einen Thronfolgerechtsbegriff, 
der infolge gesetzlicher Fixierung oder infolge wissenschaftlicher Konstruk¬ 
tion fest umschrieben gewesen wäre *). Die Thronfolge richtete sich nach 
Traditionen und nach gemeinsamen Überzeugungen, die im Lauf der Zeit 
wechseln konnten und tatsächlich sich in den verschiedenen Ländern ver¬ 
schieden entwickelt haben. Ganz unabhängig hiervon lebten und entstanden 
verschiedenartige Erbfolgeregeln: in den Zivilrechten der verschiedenen 
Stände und im Lehnrecht. 

Ganz allgemein fehlt dem Mittelalter die moderne Rechtflau flfassung 
notwendiger Übereinstimmung zwischen wörtlichem und materiellem Inhalt 
einer Beurkundung. Wenn man im Mittelalter etwas dokumentieren oder 
auch nur juristisch spezifizieren wollte, griff man zu irgend einer nahe¬ 
liegenden gangbaren Ausdrucksform. So konnte einerlei juristisches Kleid 
recht verschiedenen Inhalt decken. Wählen kann Wahl im modernen Sinne 
bedeuten (bei den kanonischen Wahlen) oder einfache Ernennung (bei Be¬ 
amtenwahlen) oder Bestätigung (bei den Thronfolgern). Einsetzung zum 
Thronfolger kann politischer Sicherungsakt sein, aber auch Bestellung zu 
-einem außerordentlichen Vertreter. Wir werden in Fragen des Verfassungs¬ 
rechts am weitesten kommen, wenn wir uns ganz an das historische Bild 
halten und danach die juristische Terminologie der Quellen bewerten, nicht 
umgekehrt. Auch das Verschwinden eines technischen Ausdrucks (wie 
Designation) muß durchaus nicht Wandel der Einrichtung bedeuten. 

Becker bedauert, daß er keine Monographie über das byzantinische Mit¬ 
königtum gefunden und dieses deshalb nicht vergleichend habe heranziehen 
können (s. 128). In der Tat hätte sich ihm an byzantinischen Beispielen 
vielleicht am besten die juristische Natur des »Thronfolgerkönigtums* er¬ 
schlossen. 

Czernowitz. Düngern. 


8. 27. 


*) VgL meine Abhandlung »War Deutschland ein Wahlrekh«, Leipzig 1913, 



600 


Literatur. 


Die deutschen Königinnen und Kaiserinnen von 
Konrad IIL bis zum Ende des Interregnums. Von Dr. Wolf¬ 
gang Kowalski Weimar. Verlag von Hermann Böhlaus Nachfolger. 
1913. IV. u. 146 Seiten 8° 

Im Anschluß an Hellmanns »Heiraten der Karolinger*, drei Greife» 
walder Dissertationen von Plischke, Gerken und Mardus über die Heirat»» 
politik der Könige und Kaiser von Heinrich L bis Friedrich IL und drei 
Dissertationen von Kirchner, Krull und Rodeck über die Eheschließungen der 
Kaiser und Könige im Mittelalter, versucht Kowalski möglichst alles Material 
für die Lebensabrisse der Königinnen und Kaiserinnen während des ange¬ 
gebenen Zeitraums, für die Einschätzung der politischen Bedeutung ihrer 
Ehen, die Form ihrer Eheschließungen, die Form der Krönungen, die 
öffentliche und die private Stellung der königlichen Frauen in knappen 
Darstellungen zusammenzufassen. Ein sorgfältiges Personenregister ist bei¬ 
gegeben, außerdem ein Literaturverzeichnis, in dem jedoch auffällt, daß nur 
wenige Werke aus der familiengeschichtlichen bez. aus der genealogischen 
Literatur über die Familien der fürstlichen Frauen benutzt worden sind» 

Die politische Wertung dieser Ehen ist natürlich nur möglich, wenn 
man auf die Verwandtschaft der Königinnen eingeht. Dazu dienen z. B. 
Ahnentafeln, wie sie für sämtliche französischen Königinnen von Le Laboureur 
schon im 17. Jahrhundert und ähnlich neuerdings für alle englischen 
Königinnen von Watson im »Genealogist* zusammengestellt worden sind. 
Für die Frauen der arpadischen Könige von Ungarn hat Wertner in den 
Jahrbüchern des Vereins »Adler* die Verwandtschaft untersucht. Kowalski 
geht über die allernächstliegenden Feststellungen nicht hinaus. Vielfach 
fehlt selbst die Angabe der Mutter der Königin (S. 5, 27, 35, 55, 60). 
Nur vereinzelt geht er etwas weiter auf die Familienbeziehungen ein, die 
durch die Ehe angeknüpft wurden. Die dynastischen Beziehungen waren 
aber im Mittelalter das allerwichtigste! Hier wäre es doch am Platze ge¬ 
wesen, endli&i einmal darauf hinzuweisen, daß Kaiser Friedrich IL teils 
durch Blutsverwandtschaft, teils durch seine Heiraten mit »ganz Europa* — 
wie wir uns heute ausdrücken würden — vervettert oder verschwägert 
war. Ohne genealogischen Überblick läßt sich eine derartige Arbeit über 
die politische Bedeutung von Ehen im Mittelalter allerdings nicht durch¬ 
führen, und der fehlt Kowalski. Hauptquelle für die Feststellung von Ver¬ 
wandschaften ist ihm Bahnson (Stamm- und Regententafeln zur politischen 
Geschichte, 1912) — eine dilettantische Kompilation, die kein sorgfältiger 
Historiker zur Hand nehmen oder gar zitieren darf 1 ); außerdem Voigtel- 


i) Bahnson erklärt in seinem Vorwort selbst, daß er seine Stammtafeln 
Gutdünken aus der Literatur — nicht aus den Quellen — zusammengestellt und 
versäumt habe, diese literarischen Quellen (die er infolgedessen prinzipiell nicht 
angibt) auch nur sich selbst zu merken! Tafel 57, 58 des IIL Bandes führt 
er 40 Generationen sagenhafter dänischer Könige vom Jahr 810 rückwärts auf! 
Tafel I, 96 ist- (wohl aus Helmolts Weltgeschichte I. AufL?) der neuerdings ent 
in der Literatur aufgekommene Fehler in der Abst&mmungsreihe Kaiser Michaels VHL 
des ersten Palaiologen (douplos Palaiologos wegen seiner weiblichen Abstam¬ 
mung von den Palaiologen!) aufgenommen; und Ähnliches mehr; von einer kriti¬ 
schen Kontrolle der Daten ist bei Bahnson gar keine Rede. Ein solches Buch int 
nicht Quelle für einen Historiker. 



Literatur. 


691 


Cohn! Behrs Generalogien scheint er nicht za kennen. Es ist doch in 
Arbeiten, die kritisch sein wollen, angehörig, sich aaf ankritische »Quellen* 
za berufen, wenn bessere Werke zur Hand sind. Die Hauptaufgabe einer 
Arbeit über die Königinnen bleibt also noch za tan 1 ). In der Beurteilung 
der politischen Bewertung der Heiraten kommt infolgedessen Kowalski kaum 
Aber eine Wiedergabe von Nachrichten hinaus, die sich unmittelbar aus den 
zeitgenössischen Quellen und aus allgemein geschichtlichen Urteilen ent¬ 
nehmen lassen. So ist eine gewiß anerkennenswerte und brauchbare 
Notizensammlung entstanden. Aber die kritische Darstellung der mittel¬ 
alterlichen Geschichte gibt sich heute mit solcher Art »Forschung« nicht 
mehr zufrieden. 

In der Reihe der Königinnen hätte der Vollständigkeit halber auch 
die erste Gemahlin Richards von Comwallis (Isabella, Tochter des William 
Mar&hal Earl of Pembroke, t 1219, und der Isabelle de Cläre, heir. 1231, 
+ 1240) erwähnt werden können; wohl auch Bianca Lancia, die nach An¬ 
sicht ihrer Zeit mehr als die Concubine Friedrichs DL, übrigens ihm eben¬ 
bürtig, ja entfernt mit ihm blutsverwandt war. Über Beatrix, letzte Ge¬ 
mahlin Richards von Comwallis, bemerkt Kowalski richtig, daß sie von 
Falkenburg hieß, nicht Falkenstein, wie eine Quellenstelle (M. G. SS. XXV11, 
502, 15) sagt Die letzten Feststellungen ihrer Verwandtschaft finden sich 
aber nicht in der zitierten Bonner Dissertation vou Joh. Ferd. Bappert 
(1905), sondern bei Hillebrand, Annalen d. V. £ nassauische Ak. 35 
(1905/6) und 38 (1908); dort ist auch die entscheidende Untersuchung 
hervorgehoben. Beatrix war also aus dem Hause Cleve, ihre Mutter von 
Montjoie aus dem Hause der Herzöge von Limburg. Beatrix war verwandt 
mit den Häusern Limburg, Luxemburg, Flandern, Holland und Brabant; 
also mit dem König Wilhelm, aber auch mit Adolf von Nassau, Heinrich VIL 
und dem französischen Königshause. — Irene, Gemahlin Philipps von 
Schwaben, wird in den Quellen auch Maria und Cecilie genannt; die 
Mutter mußte hier um so mehr angegeben werden, als vielfach, z. B. von 
Helmolt, Weltgeschichte, V. (1905), Tabelle 8. 96, fälschlich als Mutter 
Margarete von Ungarn erscheint. Die Mutter war eine Byzantinerin, wie 
schon Ducange, fam. byz. 8. 167 richtig angegeben. Die Kaiserin Irene 
soll nach Kowalski 1183/6 geboren sein: 8. 24 A. 8; Quelle: Bahnson! 
Ich weiß nicht, woher Bahnson die Daten hat Nach meinen Notizen sind 
alle Daten dieser Anmerkung falsch, doch bin ich hier in Czemowitz nicht 
in der Lage meine Vermerke nachzuprüfen. Ich halte Irene für älter wie 
ihren Bruder Alexios, den späteren Kaiser, und setzte ihre Geburt minde¬ 
stens 10 Jahre früher wie Kowalski Damit würden die Konsequenzen, 
die er aus dem Alter zieht, um die Frage zu lösen, ob Irene mit Roger, 
8ohn Tancreds von Lecce, verheiratet oder nur verlobt gewesen, fortfallen. 
Will man so alte — wenn auch vielleicht nebensächliche — Fragen er¬ 
ledigen, so genügt wirklich nicht eine Berufung auf Bahnson! Wie können 
wir den Liebhaber-Genealogen Dilettantismus verwerfen und das Mißtrauen 
gegen die »eitele* Genealogie predigen, wenn wir in ernsthaften historischen 

*) Vor langen Jahren habe ich Ahnentafeln sämtlicher deutschen Königinnen 
und Kaiserinnen zusammengestellt, die als Band HL meiner »Ahnen Deutscher 
Fürsten« erscheinen sollten. Der verlegerische Mißerfolg dee ersten Bandes hat 
die Publikation verhindert. 



692 


Literatur. 


Arbeiten ans auf solche unkritischen Arbeiten als einzige Quelle für &llge-~ 
meingeechichtliche Schlüsse berufen! Vielleicht ist Kowalskis Ergebnis richtig, 
aber es ist nicht bewiesen. — Irene hatte außer dem Alexios mindestens 
noch einen Bruder Manuel (f 1205/8) und eine Schwester Euphrosine, 
Nonne, t vor 1208. Vgl, Kernling, Gesch. d. B. v. Speyer, L, 429, wo 
auch ihre Mutter (urkundlich) Heraia = Irene genannt ist. — Die wieder¬ 
holten genealogischen Notizen über Violante, Gattin König Alfons X. von 
Kastilien, und ihre Verwandschaft sind falsch: sie war die Urenkelin König 
Alfons II. von Aragonien; ihr Großvater, König Peter 1L, war der Bruder 
der Konstanze, Gemahlin Kaiser Friedrichs H. (zu S. 62 und S. 38 A 2) 

Anerkennung verdient das Heranziehen der päpstlichen Dispense wegen 
Blutsverwandtschaft mit genealogischer Auflösung. Ich vermisse aber den 
interessanten Dispens für Friedrich U. und Isabella (gt Jolanthe) von Jeru¬ 
salem vom 5. August 1223, dessen Auflössung sich allerdings aus keinem 
der von Kowalski zitierten Werke entnehmen ließe. 

Über die rechtsgeschichtlichen Kapitel hat H. Mitteis, Ztschr. d. Savst 
£ KG. germ. Abt 1913, 486 einige berichtigende Bemerkungen gemacht 
Kowalski verzichtet auf juristisch-dogmatische Durcharbeitung des Material^ 
die ihm wohl fern gelegen hätte. Immerhin wird man einer Polemik gegen 
Fickers Auffassung des Verhältnisses zwischen Verlöbnis und Vermählung 
Beachtung zollen dürfen. Um die Frage zu erledigen, war der gewählte 
Kähmen zu knapp. — Als Materialsammlung ist auch bez. der Titel die 
Arbeit dankenswert 

Noch zwei Äußerlichkeiten: Den Familiennamen der Beatrix, Mutter 
Konstanzas von Sizilien, schreiben wir Bethel (statt Betest: 8. 21). — Die 
wiederholt vorkommende Wendung: »Tochter des Königs N. N. und dessen 
Gemahlin N. N. € ist nicht deutsch. 

Daß wir von der ersten Gattin des Königs Heinrich Baspe nur den 
Vornamen kennen, ist richtig (S. 57 A. 2). Sollte es wirklich unseren 
Genealogen unmöglich sein, von dieser Königsgattin aus dem 13. Jahrh. zu 
ermitteln, aus welcher Familie sie war? Übrigens ist, nebenbei bemerkt, 
auch die Mutter König Günters von Schwarzburg bisher nicht urkundlich 
festgestellt. Das sind genealogische Lücken, wie keine andere europäische 
Königsgeschichte sie aufzuweisen hat, also wohl Stoffe zu nicht ganz un¬ 
nützen Untersuchungen für unsere rührigen jüngeren Genealogen. 

Czernowitz. Düngern. 


Dr. phiL Fritz Schönherr, Die Lehre vom Beichsfürsten- 
stande des Mittelalters, Leipzig. Verlag von K. F. Koehler, 1914. 
Vill und 156 Seiten 8°. 

Der Verfasser revidiert die Lehre, daß sich Ende des 12. Jahrh. der 
Fürstenstand der älteren Zeit aufgelöst und ein neuer Fürstenstand ge¬ 
bildet habe. Urkundliche Nachprüfung und Kritik der Literatur über 
diesen Gegenstand sind prinzipiell ausgeschaltet. Da es sich um eine Ent¬ 
deckung handelt, die, seitdem sie Ficker in seinem Buch vom Beichsfursten- 
stande B. I bekannt gegeben, ziemlich von allen, die sich mit der deutschen 



Literatur. 


693 


Verfassungsgeschichte des Mittelalters zu befassen hatten, übernommen 
worden ist, ergab sich äußerlich eine Durcharbeitung eines großen Teils 
der neueren verfassungsgeschichtlichen Literatur seit Erscheinen des Ficker- 
schen Buches. Eine derartige dogmatische »Vorarbeit weiterer urkundlicher 
Untersuchungen* ist besonders auf dem Gebiet der Rechtsgeschichte niemals 
überflüssig. Sie als gesonderte Abhandlung erscheinen zu lassen war hier 
gerechtfertigt, einmal dadurch daß das behandelte Problem zwar immer 
mehr als wichtig, ja als zentral für die noch ausstehende Geschichte der 
Verfassungsreform im 12. und 13. Jahrh. erkannt wird, dann aber auch 
deshalb, weil, wie Schönherr einleuchtend nachweist, Pickers Resultate viel¬ 
fach kritiklos, ja unverstanden übernommen worden sind. Allerdings waren 
die Nachprüfung und das Verständnis erschwert, da Ficker sein Buch nie 
ganz herausgebracht hat. Auch der inzwischen von Puntschart edierte 
Band II des Werkes enthält nur Beiträge zur Frage und selbst der noch 
nicht herausgegebene Schlußband wird eine abschließende Stellungnahme 
Fickers nicht bringen, geschweige denn eine völlige Erledigung des Problems 
— soviel wissen wir schon aus Puntscharts Einleitung zum B. JL 

Dem versucht Schönherr nachzuhelfen, dadurch daß er aus späteren 
Arbeiten Fickers dessen Ansichten und Gedanken über die ständische Auf¬ 
lösung und Neuordnung im 12. Jahrh. zu rekonstruieren unternimmt — 
gründlich, geschickt und klärend. Denn er hat wenigstens nachzuweisen 
vermocht, daß die Wandlung, die auf Fickers Autorität hin als eine zeit¬ 
lich genau bestimmte Verfassungsänderung aufgefaßt wurde, für Ficker 
selbst nur ein Entwicklungsmoment einer längst vorbereiteten Reorganisation 
darstellte, und daß es Ficker nicht gelungen war, volle Klarheit über die 
Voraussetzungen dieser Wandlung: nämlich über die ständischen Verhält¬ 
nisse vor 1180, noch über die Wirkungen, die ständischen Verhältnisse seit 
1180, zu gewinnen. Schönherr zeigt außerdem, daß die Literatur seit 
Ficker darin bis heute nur wenig weiter gekommen ist, daß sie den von 
Ficker hervorgehobenen Unterschied vor 1180 und der neueren Fürsten¬ 
gruppe nicht genügend in seiner einschneidenden Bedeutung gewürdigt hat, 
und daß offenbar die Forschung erst dann weiter kommen wird, wenn sie 
sich allgemein von der Notwendigkeit einer Rekonstruktion der recht¬ 
lichen Stellung dieser verschiedenen Fürstenkreise überzeugt Zutreffend 
hebt der Verfasser dabei hervor, daß hierzu auch die Frage der Abgrenzung 
des Magnatenkreises, also das Problem der Fürstengenossen, gehört 

Die Arbeit wird zu einem merkwürdigen Stück deutscher Forschungs¬ 
geschichte dadurch, daß Schönherr in strenger Gegenüberstellung die ganze 
Rechtslage — Abgrenzung, Ursprung, Zusammensetzung des Standes, Zeit¬ 
punkt der Reorganisation, lehnrechtliche Verhältnisse, Standschaft der 
jüngeren Reichsfursten, je nach den Ansichten Fickers und nach den An¬ 
sichten der späteren Schriftsteller durchnimmt Der zwingende Einfluß 
Fickers selbst bei den wenigen Forschern, die versucht haben, über seine 
Resultate hinauszukommen, erweist sich als erstaunlich groß. In 8 Punkten 
wird schließlich zusammen gefaßt (S. 144—154), was nach dem heutigen 
Stande der Forschung anerkannt, was behauptet aber unbewiesen ist und 
daraus ergeben sich bestimmte Direktiven für künftige Arbeiten. 

Es ist selbstverständlich, daß eine so intensive Beschäftigung mit dem 
Problem unwillkürlich zum Kritiker macht. Es hätte nicht einer Ent- 



694 


Literatur 


chuldigung bedurft — weil die »quellenmäßige Fundierung* fehle — 
wenn Schönherr am Schluß zwei Gesichtspunkte feststellt, die ihm für die 
Lösung des Reichsfürstenproblems wesentlich scheinen: Er glaubt daß »mit 
den staatsrechtlichen Begriffen, die sich aus der alten Grafschaftsverfassong 
ergeben* das »Wesen des den Fürstenstand begründeten Lehens, des Fürsten¬ 
tums* nicht erfaßt werden könne. Wenn damit — das scheint mir — 
in Bezug auf die späteren Fürstentümer vorsichtig ausgedrückt werden 
soll, daß die Organisation des Beichs in Landeshoheitsbezirke nicht orga¬ 
nisch zusammenhängt mit der vorstaufischen Organisation in Grafschaften 
oder Grafensprengel, so stimme ich Schönherr durchaus zu. (Die Frage, 
ob die hohe Gerichtsbarkeit eine Grundlage der Landeshoheit ansgemacht 
habe, ist damit nicht identisch). Also verlangt Schönherr mit Recht eine 
vergleichende Darstellung der Entwicklung aller einzelnen Terri¬ 
torien. Weiter glaubt Schönherr, das Verhältnis zwischen Herzogtum 
und Fürstentum werde — wie das übrigens schon von Rosenstock ange¬ 
bahnt worden — bei der weiteren Forschung über den Reichsfürstenstand 
in erster Linie im Auge zu behalten sein. Auch dies ist gewiß ein nütz¬ 
licher Gesichtspunkt. Allein man wird sich dadurch nicht verleiten lassen 
dürfen die anderen Gewalten, die von verschiedenen Kaisern zwischen Graf¬ 
schaft und Reichsregierung eingeschoben wurden — Pfalzgrafschaft, Rek¬ 
torat, Landgrafschaft, Landvogtei (im 12. Jahrhundert!) und indirekt 
sogar die Großvogtei bei Kirchen und Klöstern zu vernachlässigen; Ge¬ 
walten, die, scheint mir, tiefer in die Reichsorganisation eingegriffen haben, 
wie aus unseren Rechtsgeschichten zu ersehen ist; die allerdings der rechts¬ 
historischen Erforschung noch schwerer zugänglich sind, wie die Herzogs¬ 
gewalt. Der Nachweis, daß für Ficker selbst ein Zusammenhang zwischen 
Herzogtum und jüngerem Fürstenstand stärker in Betracht kam, wie der 
Einfluß des Lehnsrechts auf diesen jüngeren Fürstenstand, gehört zu den 
interessantesten Ergebnissen des Buches. 

Mir scheint das schlimmste Hindernis für unsere Erkenntnis der mittel¬ 
alterlichen Reichsverfassung ist, daß wir da immer noch unwillkürlich nach 
allgemeinen Rechtssätzen oder Rechtsregeln oder nach bestimmt vom 
Kaiser abgegrenzten Rechtsverhältnissen (Privilegien) fragen. Das ist 
modern gedacht. Die mittelalterliche öffentliche Rechtsordnung kann nicht 
so systematisch, wie die moderne, in Institutionen aufgelöst werden, sondern 
beruhte auf einer Summe höchst verschiedenartiger persönlicher Beziehungen 
der Menschen, hoher wie geringer, untereinander. Die karolingische Gesetz¬ 
gebung hat diesen Zustand nur unterbrochen. Seit Ende des 9. Jahrh. ist die 
Verfassung wieder wie zur Merowingerzeit völlig von individualistischen, 
durch besondere Bedürfnisse diktierten Rechtsverhältnissen, allerdings von 
anderen als früher, beherrscht. Die Idee eines Rechtsdualismus sowohl 
von »frei — unfrei* wie von »Lehnrecht — Landrecht* ist deshalb irre¬ 
führend und verfehlt. In dieser Beziehung hat unsere Rechtsgeschichte 
noch manches in ihren Lehren umzuändern. Ein guter Weg zur Einsicht 
scheint mir nun, abgesehen von denen, die Schönherr anregt, die Erfor¬ 
schung der tatsächlichen Rechtsphären (Abhängigkeit- und Herrschaft»- bez. 
Hoheitsverhältnisse) einzelner Personen, vor allem einzelner 
Wenn wir z. B. im Hause Savoyen sehen, wie die Kumulation von Grafen- 
rechten und anderen dynastischen Hoheitsiechten in einem leidlich ge- 



Literatur. 


695 


«chlossenen Territorium allmählich dem Primogenitorrecht unterworfen 
wird und so dem Geschlecht eine Zwischenstellung zwischen König und 
minderen Grafen gibt 1 ), so ist es klar, das hier die Auffassung des Haus¬ 
gebietes als eines Fürstentums sich nur durch die persönlichen Verhältnisse 
•der einzelnen Stammhalter erklären laßt (das zusammengeerbte Territorium 
lag teils in Burgund, teils in Italien!). Der Fall braucht nicht als typisch 
nufgefaßt zu werden, zeigt aber, daß die Untersuchung sich nicht auf die 
Territorien und die Institution von Zwischengewalten zwischen Königtum 
und Grafschaft beschranken darf! 

Schönherr hat sich das große Verdienst erworben, für alle künftigen 
Untersuchungen einen festen dogmatischen Boden vorbereitet zu haben. 

Czernowitz. Düngern. 


Fehr Hans, Die Rechtsstellung der Frau und der 
Kinder in den Weistümern. Jena. Gustav Fischer 1912 XII u. 
311 S. 

Es war ein glücklicher Griff von Fehr, sich den Weistümern zuzu¬ 
wenden. Jeder, der sich einmal mit diesen Quellen beschäftigt hat, weiß 
den Zauber zu schätzen, der von ihnen ausgeht So etwas, wie herz¬ 
stärkender Wald- und Wiesenduft. Ungekränkt von jeder Konstruktion, 
urwüchsig und derb allerdings, doch nicht selten auch poetisch, voll An¬ 
schaulichkeit und zumeist durchaus zweckmäßig ist das Becht, das sie ent¬ 
halten. Leider pflegt die Bechtsforschung sie stiefmütterlich zu behandeln, 
denn dieser Stoff, riesig aufgehäuft, wird nur selten von kundiger Hand 
•ausgeschöpft. In den letzten Jaliren hat Planitz in seinem großen Werk 
Uber die Vermögensvollstreckung auch die Weistümer herangezogen. Nun 
stellt Fehr einen Teil des Familien- und Strafrechtes der deutschen Bauern 
nach den Weistümern dar. 

Fehr hat eine neue Note in die deutsche Bechtsgeschichte gebracht oder viel¬ 
mehr eine alte neu betont. In seinem geistvollen Buch: Hammurapi und 
das salische Becht gelang es ihm, eine Beihe von Parallelerscheinungen in 
dem Gesetze des alten babylonischen Königs und in der ältesten Aufzeich¬ 
nung eines deutschen Bechtes nachzuweisen. Das schien ihm als gewichtiges 
Beweismittel gegen die Anschauung der historischen Bechtsschule von der 
Abhängigkeit des Bechtes von Basse und Volk, als ein Beweis von dem 
Bestehen eines Naturrechtes, das dem gemeinsamen menschlichen Unter¬ 
gründe entspringe und sich bei verschiedenen Völkern und unter den ver¬ 
schiedensten Verhältnissen wiederfinde. Nun gibt es sicherlich Bechtssätze, 
die, weil aus der Eigenschaft der Menschen als eines sozialen Wesens sich 
•ergebend, allgemeine Geltung beanspruchen, mögen sie auch erst auf vor¬ 
gerückter Kulturstufe zum Bewußtsein kommen, wie der Satz: Du sollst 
nicht töten. Andere Sätze wieder entspringen gleicher wirtschaftlicher 
Lage. Das Lehenswesen a. B. treffen wir überall da, wo das Geld knapp 


*) Vgl C. W. P. Orten, The early histoiy of the house of Savoy, Cambridge 

1912. 



696 


Literatur. 


ist, Ackerland aber reichlich zur Verfügung steht und daher zur Entlohnung 
von Kriegsdiensten verwendet wird. Bis vor kurzem hat die Forschung 
diese Wirkung der wirtschaftlichen Momente, sowie die rein menschlichen 
und zufälligen Einflüsse auf die Bechtsbildung allzuwenig beachtet. Forscher 
wie Julius Ficker betrachteten die Rechte nicht anders wie Pflanzen, die 
streng nach festen Gesetzen sich entwickeln müßten. Jede Ähnlichkeit war 
Ficker geneigt als ein Zeichen ursprünglicher Verwandtschaft zu fassen, un¬ 
bekümmert um wirtschaftliche oder auch persönliche und zufällige Ein¬ 
flüsse. 

In seinem neuesten Buche stellt Fehr einen Teil des Rechtes eines 
Standes dar, des Rechtes der Bauern, wie es sich in den Weistum em 

spiegelt. So versucht der Verf. ohne Rücksicht auf die Stammeszugehörigkeit 
ja auch die soziale Lage der Bauern das Recht eines Berufstandes zu 

zeichnen, das natürlich vorwiegend durch wirtschaftliche Gesichtspunkte be¬ 
stimmt sein muß. Der erste Teil des Buches handelt von der Rechts¬ 

stellung der Frau, dem Rechtsschutz, den sie als der schwächere Teil der 
Gesellschaft, aber auch jener Teil, der neues Leben zu gebären und heran¬ 
zuziehen berufen ist, genießt. Reizende Züge bieten unsere Quellen vor 
allem für die Vorrechte der Schwangeren und Wöchnerin. Doch muß sch 
die Frau bekanntlich auch Zurücksetzungen gefallen lassen, die teils Folgen der 
Munt sind, teils das Erbrecht betreffen. Zwischenhinein stellt der VerL 
strafrechtliche Bestimmungen gegen unwürdige Frauen und gegen Männer, 
die ihre Vorrechte mißbrauchen, um diesen Abschnitt mit Stellen zu be¬ 
schließen, die von einer Gleichstellung von Mann und Frau handeln. Der 
zweite Abschnitt betrifft die Rechtsstellung der Kinder. Auch hier machen 
sich wirtschaftliche Gesichtspunkte geltend, denn frühzeitig wird das Kind 
zur bäuerlichen Arbeit herangezogen. Es werden die Altersstufen, es wird 
das Rechtsverhältnis zwischen Eltern und Kin dern geschildert, der Inhalt 
der elterlichen Gewalt, ihre Äußerungen, ihre Begründung und Aufhebung 
und damit im Zusammenhang die Aussteuer. Sehr ergiebig gestalten sich 
die Weistümer für die Gemeinderschaftsverhältnisse, die in bäuerlichen 
Kreisen lange lebendig blieben. Es reiht sich daran die Darstellung der 
Altersvormundschaft, weiters die Stellung des Kindes in der Gemeinde, 
endlich die Zusammenstellung straf- und prozeßrechtlicher Sätze, die Kinder 
betreffend, üher ihre Deliktfähigkeit, Haftung der Eltern für Delikte der 
Kinder, einzelne Delikte, Vermögenseinziehung u. 8. w. 

Es kann hier nicht auf die Einzelheiten eingegangen werden. Im 
ganzen bietet die Darstellung Fehrs das bekannte Bild der deutschen Rechts¬ 
entwicklung, wobei jedoch mancher wegen seines Inhalts oder seiner Fassung 
interessante Rechtssatz hervorgezogen wird. 

Doch mögen einige methodische Bemerkungen angeknüpft werden. Es 
scheint dem Referenten nicht empfehlenswert, auf Grund nur einer Quellen¬ 
gattung nach dem Beispiele des Verf. einzelne Rechtsinstitute darzustellen. 
Diese Quellen sind ja keine erschöpfenden. Gerade die Weistümer sind sehr 
mannigfaltigen Inhalts und Umfangs. Es kommt dabei auf den Kreis an, 
in dem das Weistum entstanden ist. Das Weistum einer Gerichtsgemeinde 
wird sich mit ganz anderen Dingen beschäftigen, wie das eines Dorfes oder 
einer Nachbarschaft. Dort wo umfangreiche Aufzeichnungen von Land¬ 
rechten bestehen, wo die landesherrliche Gesetzgebung eine umfassende war. 



Literatur. 


697 


bleibt dem ländlichen Weistum ein geringerer Spielraum. Tirol erhielt im 
16. Jahrh. seine umfassenden Landesordnungen; daher sind die Tiroler 
Weistümer, die zumeist jünger sind, verhältnismäßig arm an privat- und 
strafrechtlichen Bestimmungen. Sie sind darum fast ausnahmslos Gemeinde- 
Ordnungen. Wie ganz anders z. B. in Niederösterreich, wo eine solche Ge¬ 
setzgebung fehlt. Für Tirol bildet nur Thurn an der Gader reichen Ertrag* 
Dieses Gericht gehörte dem Bistum Brixen und die Tiroler Landesordnungen 
galten hier nicht. Aber der größte Teil der Statuten des Gerichtes Thum 
stammt wörtlich aus der Landesordnung von 1532. Wer das bäuerliche 
Recht Tirols darstellen will, darf an den Landesordnungen nicht Vorbei¬ 
gehen, zu denen die Weistümer nur ergänzend hinzutreten. Natürlich ist 
auch die Benützung von Urkunden, Gerichtsbüchem und anderen Aufzeich¬ 
nungen rechtlichen Inhaltes erwünscht, die auch hier den Stoff zur Kon¬ 
trolle der Rechtsaufzeichnungen bieten müssen. Kein Verständiger wird 
indessen dem Verf. einen Vorwurf daraus machen können, diese Herkules¬ 
arbeit nicht geleistet zu haben. Das muß vielmehr Aufgabe der Lokal¬ 
forschung bleiben, zumal es sich dabei doch vorwiegend um die späteren 
Jahrh. handelt, aus denen ein gewaltiger Stoff in den Archiven aufge¬ 
speichert liegt. 

Die Beschränkung auf die Weistümer allein birgt noch eine andere 
Gefahr. Das bäuerliche Recht erscheint bei Fehr als ein allzu einheitliches. 
Nicht daß auf Verschiedenheiten nicht hingewiesen wäre. Aber sie sind 
nicht plastisch genug herausgearbeitet. Auch das Recht der Weistümer 
gebt auf Stammes- und territoriales Recht zurück. Gerade für einen Großteil 
der Verhältnisse, die Fehr behandelt, ist das eheliche Güterrecht von Be¬ 
deutung. Dieses ist in späterer Zeit streckenweise zwar Standesrecht ge¬ 
worden, zum guten Teil aber Stammes- oder Territorialrecht geblieben. 
Wie sich nun die verschiedenen Güterrechtssysteme in den Weistümem 
spiegeln, kommt bei Fehr allzuwenig zur Geltung. 

Bedenklicher noch ist ein gewisser Mangel an kritischem Erfassen der 
Quellen, ein Mangel, der sich nicht bloß in diesem Buche, sondern auch 
sonst in der neuesten deutschen rechtshistorischen Literatur nicht selten 
geltend macht. Man sammelt die Quellen ohne ältere kritische Arbeiten 
zu berücksichtigen oder selber die nötigen Untersuchungen anzustellen* 
Selbst ein so vortreffliches Buch wie die Vermögens-Vollstreckung von 
Planitz schiebt zwar mit eleganter Handgebärde die in Acta Tirolensia II 
veröffentlichten Bozner Notariatsimbreviaturen bei Seite ohne zu beachten, 
daß diese Urkunden echt bajwarisches Recht in dürftigem romanischen 
Gewände bieten, aber derselbe Verfasser scheut sich nicht, die deutschen 
Statuten von Trient zu benützen, die übrigens selbst in der neuesten Auf¬ 
lage von Amiras Grundriß des germanischen Rechts S. 46 ihr Spuk wesen 
treiben, obwohl es sich da um eine jüngere fehlerhafte und häufig mi߬ 
verständliche Übersetzung eines lateinischen Textes handelt, der sich aufs 
engste, ja zum Teile wörtlich mit den Statuten von Verona und Vicenza 
berührt, also dem italienisch-lombardischen Rechtskreise angehört Fehr 
verwendet ohne Bedenken S. 21 und in der Folge das sogenannte Rhein- 
gauer Landrecht obwohl es von Herbert Meyer in der Ztschr. der Savigny- 
Stift germ. A. 24, 309 mit aller wünschenswerten Klarheit als eine aus 
niederländischen Quellen zusammengestoppelte Fälschung Bodmanns entlarvt 



698 


Literatur. 


worden ist. Fehr teilt seine Quellen in drei Gruppen, die deutschen, die 
schweizerischen und die österreichischen. Er stellt wohl auch dem deutschen 
Rechte das schweizerische und österreichische entgegen. Es hat seine Be¬ 
rechtigung, dem schweizerischen Rechte eine Sonderstellung einzuräumen. 
Allerdings bildet es auch keine einheitliche Gruppe; besonders scheiden sich 
die Rechte des mittleren Rheintales von den rätischen und denen der Ur- 
kantonen. Diese letzteren weisen dem schwäbisch-alamannischen Rechte im 
Rhein-, Neckar- und obersten Donautale gegenüber derartige Verschieden¬ 
heiten auf, daß Ficker sie nicht den west- sondern den ostgermanischeu 
Rechten zuzählte. Bedenklicher ist die österreichische Gruppe. Nur zu 
häufig werden von jüngeren reichsdeutschen Gelehrten die heutigen Ver¬ 
hältnisse auf die Vergangenheit übertragen. So versichert Poetsch in einem 
sonst verdienstvollen Aufsatze über die Reichsjustizreformen von 1495, 
Kaiser Friedrich III. habe sich fast immer außerhalb des Reiches in seinen 
österreichischen Erblanden aufgehalten. Als ob diese nicht bis zum Jahre 
1806 zum Reiche gehört hätten! Man bezeichnete freilich im 17. und 
18. Jahrh. in untechnischem Sinne mit Reich die Territorien der kleineren 
Reichsstände im Gegensätze zu Österreich und Preußen. Es geht aber doch 
nicht an, diesen Ausdruck in einer rechtshistorischen Arbeit für das Ende 
des 15. Jahrh. zu gebrauchen. Wenn Fehr die österreichischen Lande für 
das Privat- und Strafrecht als ein Rechtsgebiet zusammenfaßt, ist das völlig 
irrig. Es hat kein einheitliches österreichisches Privat- und Strafrecht ge¬ 
geben bis zu den Kodifikationen des 18. und 19. Jahrh. Vielmehr scheiden 
sich nicht nur die Sudetenländer, sondern auch die österreichischen Erb¬ 
lande in scharfer Weise von einander. Tirol hat das altbairische Recht 
zäher erhalten, als das Herzogtum Bayern selber. Das Erzherzogtum Öster¬ 
reich, Steiermark und Kärnten weisen stärkeren fränkischen Einfluß auf und 
bilden eine eigene von Tirol wesentlich abweichende Gruppe. Gerade für 
Rechtsverhältnisse, die Fehr behandelt, trifft dies zu. Die Vormundschaft 
über die Frauen ist in Tirol aufs schärfste festgehalten worden. Ohne Zu¬ 
stimmung ihres Ehemanns kann sich die verheiratete, ohne die eines »An- 
weisers« die ledige Frauensperson noch nach der Landesordnung von 
1574 nicht verpflichten. Im Erzherzogtum Österreich ist schon früher die 
Munt über die Frauen völlig verschwunden *). Und so gehen diese Rechte 
auch in anderem stark auseinander. Aber auch die in den Tiroler Weis- 
tümera gesammelten Quellen bieten nicht alle Tiroler Recht. Da sind 
einmal die gewiß sehr interessanten Münstertaler Statuten, die eigentlich 
in die Tiroler Weistümer gekommen sind wie der Pontius Pilatus ins 
Credo. Denn im Münstertal beanspruchte zwar Österreich zeitweise Vogtei¬ 
rechte, aber seit 1499 gehörte es unzweifelhaft zu Bünden. Seine Statuten 
•zählen nicht zu den tirolischen Rechten, sondern zur Gruppe der rätischen, 
mit denen sie enge verwandt sind, wie sie denn ursprünglich in 
lateinischer Sprache aufgezeichnet worden sind, mögen sie fiir die Unter¬ 
tanen des Stiftes im tirolischen Vinschgau in Geltung gestanden haben. 
In ähnlicher Weise enthält das Weistum von Aschau nicht tirolisch-bayrischee, 


l ) Die Ansicht von Bartsch, daß dieses Verschwinden der Munt über die 
Unverheirateten im bayrischen Rechtsgebiet allgemein gewesen sei, wird von Fehr 
53 n. 3 mit Recht bezweifelt. Sie trifft für Tirol nicht zu. 



Literatur. 


699 


sondern schwäbisches Recht. Das Gericht stand wohl unter tirolischer Vogtei* 
gehörte aber bis 1610 dem Stifte Füssen. Hier gilt Gütergemeinschaft 
unter den Ehegatten, wie in den schwäbischen Rechten und Ausschluß der 
ausgesteuerten Kinder von der Erbschaft. Es geht nicht an, das Recht des 
Münstertales oder Aschaus als Beispiel für österreichisches hinzustellen, wie 
dies der Verf. mehrmals getan hat, ja es ist nicht einmal zulässig, aus dem 
Satze eines Tiroler Weistums auf seine Geltung auch in Österreich zu 
schließen. Es soll daraus dem Verf. kein Vorwurf gemacht werden, viel¬ 
mehr haben die österreichischen Rechtshistoriker es bisher versäumt, auf 
diese Lage der Dinge mit Nachdruck hinzuweisen, wenn auch bei einer 
eingehenderen Einsichtnahme in die Literatur gewiß manches zu entnehmen 
gewesen wäre. Auch entspricht die Ausgabe der österreichischen Weistümer 
mit Ausnahme der österreichischen Bände von Winter, die allen Ansprüchen 
im vollsten Maße genügen und einiger anderen neueren wie des letzter- 
echienenen Steirischen, in keiner Weise den Anforderungen, die man heute 
an eine kritische Ausgabe derartiger Quellen stellt Das gilt insbesondere 
von den tirolischen, die dem Benützer fast gar keine Handhabe für die 
Bewertung dieser Quellen bieten. 

Auch im einzelnen sind dem Verf. Mißverständnisse und Flüchtig¬ 
keiten unterlaufen. Nur einiges sei hier angeführt Schon auf S. 1 u. 2 
ist gewiß nur von über den Jahren der Gebärfähigkeit stehenden Frauen 
die Rede. Den Münstertalern, ja dem Großteil der Tiroler Bauern sieht, 
die ihnen vom Verf. zugeschriebene Sitte gar nicht gleich, mag sie sich 
auch anderwärts, wo man weniger streng denkt finden. Noch dazu ist in 
der Stelle davon die Rede, daß der Mann jünger ist als die Frau. S. 30 
besagen die Weistümer von Heiligenkreuz und Rachsendorf, daß der Dieb 
nur mit dem Leben haftet, nicht mit seinem Vermögen, das vielmehr Frau 
und Kindern bleiben soll. Die Bestimmung des Brixner Stadtrechts ist 
selbstverständlich, da ja in Tirol in der Regel Verwaltungsgemeinschaft 
unter den Ehegatten herrscht Daß der Verf. S. 43 Hermagor nach Tirol 
versetzt, ist ja gewiß nur ein Schreibfehler. Ein Anspruch der Kinder auf 
Lohn ergibt sich aus den S. 89 angeführten Stellen nicht, sondern nur die 
Möglichkeit daß ein Lohn Vorkommen konnte. Im Weistum von Sigmons- 
wald S. 120 ist gesagt daß die Einaben, wenn sie zwölf Jahre alt sind, 
der Äbtissin vereidet werden, wie dies in vielen Grundherrhschaften ge¬ 
fordert wurde, aber nicht daß sie die volle gerichtliche Selbständigkeit er¬ 
langen. Dei- S. 121 angeführte Beweis der lebendigen Geburt entspricht 
bekanntlich dem gemeinen Sachsenrechte. Das Rheintaler Weistum S. 139 
handelt nicht von Aussteuer, sondern von einem Voraus, den die Eltern 
einem besondere verdienten Xinde zuwenden können. Die Rügepflicht 
S. 207 bezieht sich in der Regel nur auf die Rechte der Grundherrschaft. 
Wenn das Weistum von Kcrtsih »knechte, buben oder anderes gesindel € 
»bei der gemeinde* nicht dulden will, so bedeutet Bube hier und an an¬ 
deren Stellen nicht ausschließl ch den Knaben, sondern den Unverheirateten 
und Unbehoften, wie dies noch heute in Tirol gebräuchlich ist, in unserer 
Stelle wohl den losen Buben, den Spitzbuben. Woher weiß der Verf., daß 
in bäuerlichen Kreisen Delikte durch Eiinder nicht häufig verübt wurden? 
Wir glauben, daß diese Kreise nicht besser waren, wie die Städter. Das 
Weistum von Njel handelt in seinem ersten Absatz gar nicht, wie der 



700 


Literatur. 


Verf. S. 283 meint, von einer Haftung der Eltern für Delikte der Kinder, 
sondern davon, daß, wenn den Kindern ein Unglück zustößt oder wenn sie 
ertrinken aus mangelnder Aufsicht der Eltern, die Eltern dafür haftbar ge¬ 
macht werden. Der Fall des Deliktes des Kindes folgt hernach und dafür 
haften die Eltern immer, nicht bloß im Falle eigenen Verschuldens, aller¬ 
dings nur mit dem Vermögen. 

Wien. Voltelini. 


Österreichische Weistümer, gesammelt von der kaiserlichen 
Akademie der Wissenschaften in Wien. 10. Band. Steirische Tai- 
dinge (Nachträge), herausgegeben von Anton Mell und Eugen Freiherr 
von Müller. Wien, Wilhelm Braumüller 1913. XI u. 385 S. 8°. — 
11. Band. Niederösterreichische Weistümer IV. Teil (Nach¬ 
träge und Begister) herausgegeben von Gustav Winter. Mit einem 
Glossar bearbeitet von Josef Schatz. Wien, Wilhelm Braumüller 1913. 
XX u. 739 S. 8o. 

Das Jahr 1913 hat zwei neue Bände der von der k. Akademie der 
Wissenschaften gesammelten Seihe österreichischer Weistümer gebracht. 
Auf die Bedeutung dieser Sammlung für unsere Wissenschaft noch besonders 
hinzu weisen, wäre wohl müßig, muß es doch jeden österreichischen Historiker 
mit Stolz erfüllen, daß das von Grimm begonnene, in seinem hohen Werte 
erkannte Werk einer methodischen Sammlung der Weistümer hier zielbewußt 
gefördert wird. Die Sorgfalt der textlichen Redaktion, der Namen- und 
Sachregister, sowie der Glossare bilden Vorzüge der beiden jüngsten Bände 
dieser Sammlung, wenn auch hie und da besondere Wünsche bezüglich der 
Anlage der Register bestehen mögen, und wenn auch die Glossare, zumal 
durch die Resultate der Arbeit am deutschen Rechtswörterbuche eine Ver¬ 
tiefung oder Richtigstellung erfahren werden (vgL die Besprechung Frhr. 
v. Künssbergs in Zeitschr. d. Savigny-Stift Germ. Abi XXIV S. 552 ff.). 

Beide Bände sollen den Abschluß territorialer Reihen der Sammlung, 
der steirischen und der niederösterreichischen Toidinge bilden. So bringen 
sie beide wesentlich Nachträge. Der niederösterreichische Band enthält über¬ 
dies ein znsammenfassendes Register der Taidingstexte aller niederöster¬ 
reichischen Bände, ein zusammenfassendes Namenregister und ein Glossar zu 
allen vier niederösterreichischen Bänden. Der steirische Band ist durch Ab¬ 
bildungen der Holzmarken bei der Herrschaft Prank bereichert. 

Trotz aller Gleichartigkeit ist es doch nicht ohne wissenschaftlichen 
Reiz, daß uns gerade eine niederösterreichische und eine steirische Taiding- 
sammlnng gleichzeitig vor Augen treten. Es wird so die verschiedene 
Rolle, welche das Dorfweistum im engeren Sinne des Wortes dort und hier 
spielte, offensichtlich dargelegt. 

Der vorliegende letzte Band der niederösterreichischen Weistümer bringt 
wieder eine Fülle wahrer Dorfweistümer und wenn sich der Band auch als 
letzter gibt, so muß der Herausgeber doch erklären, daß er »von seinem 
Werke mit der wenig erfreulichen Gewißheit scheide, daß es ihm nicht be- 



Literatur. 


701 


schieden gewesen ist, damit etwas annähernd Vollständiges geboten zu haben*. 
Dieser bedauernde Zusatz mag allzu bescheiden gehalten sein, in der Tat 
«ibt er der Überzeugung von der Überfalle des Stoffes, — welche ja selbst 
die ursprüngliche Anlage der Zusammenfassung der niederösterreichischen 
Weistümer in drei Bänden sprengte, — beredten Ausdruck. Hiezu kommt, 
daß sich der Herausgeber im Wesen auf die Edition wahrer Dorfweistümer, 
die schon in Form und Ausdrucksweise die Legitimation zur Aufnahme in 
die Sammlung an sich tragen, beschränkte, und nur wenige aus sachlichen 
-Gründen gerechtfertigte Extravaganten aufnahm (vgL Einb. S. XV). 

Ganz anders bei der steirischen Reihe! Hier ergab der Bestand der 
erhalten gebliebenen Materialien die Tatsache, daß »das Institut der Taidinge 
nicht dem ganzen Lande eigen gewesen ist*, daß als Fundort echter Tai- 
dingstexte im Wesen nur das steirische Oberland, das Mittel- und insbes. 
das Unterland aber nur wenig in Betracht kommen. Die von Dopsch ge¬ 
förderte Erkenntnis ergibt, daß der Grund hiefür in der Entwicklung der 
steirischen Grundherrschaft gelegen ist. Der Umstand, daß das, Nieder- 
üeterreich nächst gelegene, steirische Oberland an wirklichen Taidingstexten 
mit Rechtsfrage und Antwort noch ergiebig ist, legt ein Zeugnis dafür ab, 
daß sich dort wie in Niederösterreich die germanische Eigenart durch Fest¬ 
halten an der von altersher eingewurzelten Formen der Rechtsermittelung 
erhalten hat. — Mit Rücksicht auf die geringere Zahl der Taidinge kamen 
die Herausgeber der steirischen Weistümer folgerichtig zu einem anderen 
Standpunkte bezüglich der Aufnahme des zur Verfügung stehenden Stoffes 
in die Sammlung. Es mußte die Grenze weiter gezogen werden, wollte 
man durch die Sammlung ein Bild des Dorf-Rechtslebens bieten, wie es die 
den mederösterreichischen Weistümem gewidmeten Bände tun. Allerdings 
leidet hiedurch die Einheitlichkeit der Sammlung und der für sie schon 
durch den Gesamttitel gegebene quellengeschichtliche Standpunkt. Vielleicht 
hätte man diesem Bedenken — dies gilt auch für die früheren Bände — 
dadurch begegnen können, daß diejenigen Texte, welche wohl inhaltlich den 
Weistümem nahe stehen, äußerlich jedoch nicht Weistümer sind, im Bande 
von den ,wirklichen* Weistümem gesondert worden wären, wobei allerdings 
die Schwierigkeiten, welche sich aus der Unsicherheit des Begriffes »Weistum* 
.selbst ergeben, nicht verkannt werden sollen. 

In beiden hier angezeigten Bänden entstammen die neu aufgenommenen 
Aufzeichnungen zumeist der Neuzeit, vor allem dem 16. Jahrhunderte, was 
ja auch in den vorangehenden Bänden der Fall ist (vgl. bezüglich der 
mederösterreichischen Weistümer die statistische Zusammenstellung S. XII 
der Einleitung). 

Inhaltlich bringen beide hier angezeigte Bände eine Fülle von Be¬ 
reicherung der Kenntnis bäuerlichen Rechtslebens, wie wir sie eben nur 
diesem sachlich und sprachlich so hervorragenden Quellenkreise danken 
können. Hiebei überragen allerdings die »wahren Weistümertexte* die 
verwandten Quellen an Ursp* ünglichkeit der Anschauung und des Aus¬ 
druckes; auch sind sie dort e/giebiger, wo, wie betreffs mancher strafbarer 
Handlungen und privatrechtlicher Beziehungen, das Interesse der Herrschaft 
an einer von ihr ausgehenden Satzung zurücktrat. So sind es durchwegs 
Banntaidinge, welche uns Belege über sinnfällige Scheinbußen und daher 
anschauliche Beispiele des Festhaltens an einer ganz volkstümlichen Rechts- 



702 


Literatur. 


entwicklung bieten. (YgL die mederösterreichischen Banntaidinge von Rosten- 
feld S. 382, von Soss S. 48, von Nieder-Absdorf S. 176} 

Wie die früheren Bände gewähren die vorliegenden einen tiefen Ein¬ 
blick in die Geschichte des Yerwal tungsrechtes und bieten wiederum eine 
reiche Fundstätte interessanter einschlägiger Belege insbes. etwa zur Ge¬ 
schichte des bäuerlichen Gesinde-, Wasser- und Gewerberechtes. 

Möge das Fortschreiten der Sammlung dazu beitragen, immer mehr 
von dem Werte der Dorfweistümer zu überzeugen, welcher diesen nicht 
allein für den Fachgelehrten, sondern für jeden innewohnt, der Kulturzu¬ 
stände früherer Jahrhunderte an der Hand unmittelbarer Nachrichten er¬ 
fassen will und möge uns bald die Sammlung der oberösterreichischen 
Weistümer beschieden werden, welche wohl eine den niederösterreichischen 
vergleichbare Ergiebigkeit verspricht. 

Endlich möchte ich es nicht unterlassen an dieser Stelle noch einen 
Wunsch zu äußern, daß — obgleich der Anlageplan der Sammlung sie 
nicht mitumfaßt — auch die deutschen Dorfweistümer Böhmens und 
Mährens, auf welche zur Zeit nur gelegentliche Mitteilungen (wie von. 
Schlesinger und Chlumecky) hindeuten, einer sorgsamen Nachforschung und 
Sammlung gewürdigt werden mögen. 

Prag. Otto Peterka. 


Ulrich Stutz, Höngger Meiergerichtsurteile des 16. und 
17. Jahrhunderts. (Zum Selbststudium und für den Gebrauch bei 
Übungen erstmals herausgegeben und erläutert). Bonn, L. Bohrscheid 
1912. 124 S. 

Durch die Herausgabe der Höngger Meiergerichtsurteile der frühen 
Neuzeit wird das Interesse des Rechtshistorikers lebhaft geweckt und wenn 
Stutz auch den didaktischen Zweck der Publikation in den Vordergrund 
rückt, so ist sie doch nicht minder theoretisch beachtenswert. Gerade das 
Fortleben deutscher Rechtsgedanken in der anbrechenden Neuzeit verdient 
immer eindringlicher wissenschaftlich ergründet zu werden. Hier wird nun 
für ein rechtsgeschichtlich so bedeutsames Gebiet, wie es Zürich ist, eine 
Reihe originaler Quellen allgemein zugänglich gemacht; es ist in der Tat 
.ein prachtvoller Schatz*, der nun der allgemeinen Kenntnis erschlossen 
worden ist. Die Eigenart der Urteile liegt in der Klarheit ihrer Fassung 
und in der ausführlichen Darlegung des Tatbestandes. Sehr erfrischend 
wirken die Volkstümlichkeit der Rechtsanschauungen und die Ursprüng¬ 
lichkeit der Ausdrucksweise, zwei Eigenschaften, welche unsere Erkenntnisse 
den Weistümern nahe bringen. Fast möchte ich die Urteile als eine pro¬ 
zessuale Illustration der Dorfweistümer bezeichnen. Die Fälle sind mit dem 
ländlichen Rechtsleben eng verknüpft. Die meisten Entscheidungen betreffen 
Kauf und Leihe sowie ehegüterrechtliche Fragen; die Steilung der Frau 
kann an der Hand einer Reihe interessanter Entscheidungen verfolgt werden, 
die den Fall durch mitbehandelte Zwischenfragen sehr anregend beleuchten 
vgL etwa die Entscheidungen Z. 6, 21 und 37. Sehr beachtenswerte Stücke 
sind die unter Z. 2 gebrachte Entscheidung über einen mit der Vieh- 



Literatur. 


703 


pfändung zusammenhängenden Streitfall, eine Notwegentscheidung (Z. 26) 
und die mannigfach wiederkehranden Urteile über Eechtsfragen, die mit 
dem Auffalle (Konkurse) Zusammenhängen. 

Neben dem materiellrechtlichen Inhalte läßt die Deutlichkeit der Angaben 
über prozessuale Vorgänge die vorliegenden Entscheidungen besonders lehr¬ 
reich erscheinen. So treten insbesondere das Fürsprechertum und die 
Stellung des deutschen Eichters klar und plastisch hervor. 

Der reiche Inhalt der Entscheidungen ergibt schon an sich die Er¬ 
sprießlichkeit ihrer Heranziehung auch für Lehrzwecke. Die lokale Ab¬ 
grenzung der Urteile wird allerdings die Sammlung für schweizerische 
Studienzwecke in erster Linie geeignet machen, doch leidet bei dem hohen 
Werte der schweizerischen rechtsgeschichtlichen Quellen für die Erkenntnis 
deutscher, insbes. süddeutscher Eechtsideen die allgemeine Brauchbarkeit 
nicht. 

Die Entscheidungen bringen oft kompliziertere Eechtsfälle; gerade 
hiedurch kommt ihnen eine besondere Stellung in der Eeihe guter Behelfe 
für deutschrechtliche Übungen zu. Die mitunterlaufenden, eine Vertrautheit 
mit den Grundlehren schon voraussetzenden Fragen regen zur Erörterung 
mit einem vorgeschrittenen Hörerkreise an. 

Der objektive Wert der Urteilssammlung wird durch die Sorgfalt der 
Edition gefestigt. Die beigefügten Notenvermerke sind geschickt verfaßt; 
sie klären über das Tatsächliche des Falles, dort wo sich ein Bedenken er¬ 
gäbe, auf, beleuchten ihn auch in sprachgeschichtlicher Hinsicht und geben 
literarische Hinweise auf die Zürichische bezw. schweizerische Eechtsge- 
schichte. Im übrigen wurden Hinweise auf die allgemeine deutschrechtliche 
Literatur in der Eegel vermieden. Auch dies geschah m. E. zum Nutzen 
bei Übungen mit Vorgeschritteneren, denn hiedurch wird die Unterstellung 
unter die rechtshistorischen Gesichtspunkte der selbständigen Arbeit über¬ 
lassen und daher die juristische Denkkraft gestählt. 

Zumal an dieser Stelle möchte ich es endlich nicht unterlassen, auf 
den wertvollen Einblick hinzuweisen, welchen unsere Erkenntnisse — auch 
hierin an die Weistümer erinnernd — in die Lebensbedingungen ihrer 
Zeit und in wirtschaftliche Fragen z. B. in Lohn- und Preisverhältnisse 
gewähren. 

Prag. Otto Peterka. 


Voltelini, Hans von, Die Anfänge der Stadt Wien. Mit 
einem Plan von Wien. Wien und Leipzig. 1913. C. Fromme. 144 S. 8°. 

Diese bedeutende Arbeit schließt sich jenen grundlegenden stadtge¬ 
schichtlichen und stadtrechtHchen Untersuchungen an, die vornehmlich im 
letzten Jahrzehnt des vorigen md in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts 
so außerordentlich reiche Erg'onisse zutage förderten. Überblickt man die 
Berichte, die hierüber K. Uhlirz u. d. T. »Neuere Literatur über deutsches 
Städtewesen* in dieser Zeitschrift in den Jahrgängen 1886 bis 1903 unter 
Berücksichtigung von fast einem und einem viertelhundert Büchern und 
Schriften erstattet hat, so fällt gewiß auf, wie wenig hiebei das öster¬ 
reichische Städtewesen berücksichtigt ist, noch mehr daß kein österreichischer 



704 


Literatur. 


Rechtshistoriker oder Historiker in diese oft lebhaft geführten Streitfragen 
eingegriffen hat. Ganz zutreffend ist al>er dieser Eindruck nicht* denn gerade 
in dieselbe Zeit fällt das Erscheinen der »Quellen zur Geschichte der Stadt 
Wien* und die vom Wiener Altertumsverein herausgegebene monumentale 
»Geschichte der Stadt Wien* 1 ), deren Beurteilung Uhlirz außerhalb der 
oben genannten Berichte vornahm 2 ). Mit umso größerer Genugtuung hätte 
er zweifellos die vorliegende Abhandlung unter die neuere Städtewesenliteratur 
aufgenommen, die durchaus in ihren Bahmen gehört 

Der Titel der Abhandlung sagt weniger, als die Ausführungen dar¬ 
bieten ; denn es handelt sich nicht nur um die Gründung und die Anfänge 
der Stadt, wir erhalten vielmehr eine Darstellung der Entwicklung, aller¬ 
dings beschränkt auf einige Grundfragen, bis ins 14. Jahrhundert, ja ün 
letzten Abschnitt bis zum Ausgang der mittelalterlichen Zeit, bis auf Maxi¬ 
milian und K. Ferdinand I. In drei Abschnitten wird die topographische 
Entwicklung, werden die Grundbesitzverhältnisse und schließlich die Rechts¬ 
und Verfassungsentwicklung voxgeführt. Dabei möchte ich aber die Ein¬ 
leitung nicht unerwähnt lassen, in der V. auf wenigen Seiten die Literatur 
zur Stadtgeschichte Wiens von den frühesten Zeiten bis jetzt, sowie den 
Stand der Quellen so zutreffend und sachlich klarlegt, daß die Notwendigkeit 
einer Arbeit, wie es die seinige ist, dem Leser fast wie etwas selbstver¬ 
ständliches vor Augen tritt. Wie fein und scharf ist z. B. bei aller vei> 
dienten Anerkennung, die V. weder hier noch sonst vorenthält, der Grund¬ 
fehler der Geschichte Wiens des Altertumsvereines angedeutet: eine An¬ 
einanderfügung einer Anzahl höchst wertvoller Aufsätze zur Geschichte 
Wiens, aber keine Geschichte der Stadt, denn es fehlt »die Einheitlichkeit 
der Auffassung*. Schon diese Einleitung zeigt, daß V. nicht nur die ein¬ 
schlägigen Aufsätze dieses großen Werkes, sondern auch die übrige Literatur 
bis ins einzelnste beherrscht, so zwar, daß es ihm möglich war, jene wich¬ 
tigen Fragen herauszufinden, die trotz der letzten eingehenden Untere 
Buchungen einer neuerlichen Prüfung und Behandlung bedürfen. 

Mindestens in zweien jener Aufsätze (£. Müller, Räumliche Entwicklung, 
und W. Böheim, Befestigungs- und Kriegswesen) wird, hier vorsichtiger 
dort bestimmter, der Standpunkt eines verhältnismäßig ruhigen Fortbe¬ 
standes des römischen »Castrum Vindobona* bis zur Ausbildung der mittel¬ 
alterlichen Stadt vertreten, und diese Ansicht gilt auch sonst ziemlich all¬ 
gemein. Volt, spricht sich entschiedenst gegen jeden Zusammenhang zwischen 
Vindobona und Wien aus. »Vindobona sank in Trümmer . . . selbst der 
Name ist verschollen*. Was man für Wiens Bestehen in karolingischer 
oder nachkarolingischer Zeit vorgebracht hat, erweist sich als hinfällig. Vom 
6. bis zum 11. Jahrhundert ist dort, wo einst Vindobona als Römerkastell 
gestanden hat, ein Schutthaufen, eine Ruine ohne Name und Bedeutung, 
nicht einmal ein Dorf, nicht die primitivste Siedlung; »höchstens mögen 
einzelne Romanen, Germanen, Slawen vorübergehend in den Ruinen gehaust 
haben*. 


*) Vgl. Korrespondenzblatt d. Gesamtvereins der deutschen Geschichte- und 
Altertumsvereine. Jg. 64 (1906), Nr. 10, Sp. 435—479. 

*) Vgl. K. Uhlirz, Quellen zur Geschichte der Stadt Wien . . . Innsbruck 

1896. 



Literatur. 


705 


Das ist nun allerdings ein ganz neuer, von anderen, wie etwa ge¬ 
legentlich von K. Uhlirz, nur nebenbei angedeuteter Gesichtspunkt, von dem 
aus Wiens Anfänge — nun versteht man auch den vom Verf. gewählten 
Titel: a potiori fit denominatio — betrachtet werden müssen, und die 
nächstliegende Frage ist naturgemäß: Wann und wie ist diese Stadt ge¬ 
worden? Volt, gibt darauf eine ganz bestimmte Antwort Er hält sie für plan¬ 
mäßige Anlage (S. 17), deren Gründer wir allerdings nicht kennen, aus 
deren Namen man vielleicht aber auch nicht ohne Bedenken, auf fränkische 
Ansiedler schließen darf, und als deren Gründungszeit man nur ungefähr 
den Anfang des 11. Jahrhunderts ansetzen kann. Im Jahre 1030 wird 
Wien bekanntlich zum ersten Male genannt, »nicht weit vor 1030 wird 
diese Siedelung zurückgehen* (S. 13). Als Stadt dürfen wir sie aber nach 
V. erst ansprechen, da sie uns nach »hundertjährigem Schweigen* im Jahre 
1137 zum zweitenmal in den Quellen gegenübertritt 

V. hat mit der Deutung des Satzes in den Altaicher Annalen, in dem 
Wiens erste Erwähnung sich vorfindet insofern gewiß ganz recht daß man 
daraus nicht auf eine »Festung Wien*, die von den Ungarn erobert wurde, 
schließen darf; aber andererseits erscheint mir seine Auslegung gar zu eng, 
wenn er betont, man könne nichts anderes daraus herauslesen, »als daß 
damals eine Örtlichkeit dieses Namens bestanden hat*. Es ergibt sich doch 
auch, daß damals, im Jahre 1030, ein Heer, von Hunger geplagt, sich 
hierher zurückzog und, wie wenigstens die Quelle behauptet hier auch ge¬ 
fangen genommen wurde. Ich lasse es dahingestellt, ob sich mit diesen 
Tatsachen die Vorstellung vereinbaren läßt daß das Wien von 1030 eine 
in den ersten Anfängen befindliche Siedlung gewesen sei. Gegen den 
späten Ansatz der Gründung Wiens wird doch vorgebracht werden können, 
daß, wie auch V. anführt, einzelne Örtlichkeiten des Wiener Beckens »schon 
in der Karolingerzeit erwähnt werden*, Salzburger und Regensburger geist¬ 
licher Besitz in unmittelbarster Nähe Wiens schon vor 1030 nachzuweisen 
ist. Vielleicht liegt es nur daran, daß man die frühere Ansicht von der 
Fortdauer Vindobonos durch die immerwährende Wiederholung so fest in 
sich aufgenommen hat wenn man gerade hier eine noch straffere Beweis¬ 
führung erwartete, um ganz überzeugt zu sein. Umsomehr als die sich 
daran anschließenden Ausführungen über den Umfang der ältesten Stadt 
der dem des alten Römerkastells entsprach, während die innere Anlage der 
Altstadt fast völlig unabhängig von den römischen Lagerbauten erscheint 
über den Stand des babenbergischen Hofs (nicht Burg), über die erste Er¬ 
weiterung der Stadt durch die Gründung des Judenviertels einerseits, der 
Pfarrkirche von St Sephan anderseits, von seltener Klarheit und Folgerich¬ 
tigkeit sind, besonders wenn man die aus dem Quellenmangel entstehenden 
Schwierigkeiten der Beweisführung mitberücksichtigt 

Mit der Verlegung der Residenz der Babenberger nach Wien, mit dem 
Aufblühen des Donauhandels, gefördert noch durch die Kreuzzugsbewegung, 
ist Wiens Zukunft gesichert Im 12. Jahrhundert entwickelt sie sich gegen 
Osten hin, im 13., infolge der Änderung der Handelswege, nach Süden; die 
Kärntnerstraße entsteht mit dem »Neuen Markt*, Klostergründungen sind 
ein Beleg für den stattfindenden Ausbau der Stadt die alsbald um einen 
ganzen neuen Stadtteil, der bis zur Hochstraße (Herren- und Augustiner¬ 
straße) reicht erweitert und noch in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts 

46 * 



706 


Literatur. 


mitsamt der alten Anlage durch eine neue Mauer, entsprechend dem Zuge 
der späteren Glacis abgeschlossen wird. Aber gegen alle bisherige Annahme, 
die sich nur auf ein von v. Mitis als Fälschung erwiesene Urkunde stützte, 
gehört der Bau der neuen Burg nicht in diese Zeit, sondern beginnt erst 
unter Ottokar II. und erfährt unter K. Albrecht L seine spätere Ausge¬ 
staltung. An diese sehr anschauliche Schilderung der topographischen Ent¬ 
wicklung schließt sich noch im selben Abschnitt eine sehr wichtige Dar¬ 
legung der ältesten kirchlichen und gerichtlichen Organisation der Stadt* 
wobei durch die Betonung des Zusammenhangs zwischen Stadtgericht und 
Gerichtsverfassung des flachen Landes neue wertvolle Anregungen für weitere 
Untersuchungen geboten werden. 

Der zweite Abschnitt betrifft die Fragen der Grundbesitzverhältnisse* 
die, wie der Verf. einleitend bemerkt, für die ältere Geschichte Wiens noch 
nicht Gegenstand genauerer Untersuchung gewesen sind, mit Ausnahme 
etwa der Leiheformen, deren verhältnismäßig reichere Literatur S. 79 ff ge¬ 
würdigt wird. Die Darlegungen setzen sich gleichsam als Ziel* die von 
H. Rudolf IV. im Jahre 1360 für Wien verfügte Aufhebung aller grund¬ 
herrlichen Rechte und die Ablösbarkeit der Rentenrechte aus der Entwicklung 
der Grundbesitzverhältmsse in der Stadt zu erklären, zugleich auch eine 
merkwürdige Behauptung dieses Fürsten, daß er nämlich alleiniger Eigen¬ 
tümer des Grundes und Bodens der Stadt sei, auf ihren richtigen Sinn zu¬ 
rückzuführen. Ursprünglich, zur Gründungszeit, im Beginn des 11. Jahr¬ 
hunderts war gewiß der babenbergische Markgraf — einen der drei ersten 
Babenberger denkt sich doch wohl V. als Stadtgründer — ausschließlicher 
und alleiniger Grundherr wie fast im ganzen Wiener Becken so auch auf 
Wiener späterem Stadtboden. Aber noch unter den Babenbergern gerät 
der landesherrliche Besitz teils als Schenkung teils als Lehen in die Hände 
geistlicher und weltlicher Grundherren: Klosterneuburg, Tulln, Gaming, 
St. Peter, die Schotten sind die namhaftesten und ältesten geistlichen» 
herzogliche Ministerialen und Ritter, dann Wiener Büiger die weltlichen 
Grundherren, ebenso in der nächsten Umgebung der Stadt wie auch inner¬ 
halb der Stadtmauern. Sehr anschaulich wird mit Hilfe der Originalur¬ 
kunden und der ältesten Urbare aus dem letzten Viertel des 14. Jahr¬ 
hunderts — u. zw. nach den Handschriften, da die Ausgaben unbrauchbar 
sind — der Grundbesitz des Schottenklosters innerhalb der Stadt zusammen¬ 
gestellt (S. 48 ff.), daraus sich dann auf die Verhältnisse der übrigen geist¬ 
lichen Institute einigermaßen zurückschließen läßt. Dagegen ist der Besitz 
der Gemeinde als solcher, dann der Bürgerschaft und vor allem der des 
Landesfürsten infolge des ungünstigen Standes der Quellen kaum klar zu 
überblicken. Immerhin scheint sich zu ergeben, daß neben den geistlichen In¬ 
stituten nur noch die Bürger es sind, die ansehnlichen städtischen Grund 
und Boden besitzen. 

Der landesfürstliche Besitz ist in der Habsburgerzeit so sehr herabge¬ 
sunken, daß die Herzoge bei Klostergründungen fremden Grundbesitz er¬ 
werben müssen, um sie entsprechend ausstatten zu können. Was also ehe¬ 
mals fast ausschließlich dem Landesherm gehörte, der ganze Boden Wiens, 
ist in verhältnismäßig kurzer Zeit in den Besitz der Kirchen und der 
Bürgerschaft übergegangen, und zwar im Gegensatz zu ähnlichen Entwick¬ 
lungen in anderen deutschen Städten als zinsfreies Eigen. Volt, deutet 



Literatur. 


707 


«ohin die Bemerkung Rudolfe IV. ,wan wir rechter herre sein der aigen- 
echaft und des grundes der egenannten stafc und der vorsietten 4 dahin, daß 
allerdings der städtische Grund in letzter Linie vom Landesherm herrührte, 
die Behauptung eines wirklichen Besitzes für diese Zeit aber als »völlig 
unrichtig 4 erklärt werden müsse. 

Sehr eingehend beschäftigt sich V. noch mit dem bürgerlichen Grund¬ 
besitz, der nur »in verhältnismäßig wenigen Händen vereinigt war 4 . Wie 
er aus dem bescheidenen und spröden Material den Begriff der Erbbürger, 
zum Teil auf v. Luschins älteren Ausführungen fußend, herausarbeitet, 
ihr Verhältnis zum niederen Ad$l erläutert, ihre wirtschaftliche und stadt- 
politische Sonderstellung klarlegt, aus der sich dann notwendig die Aus¬ 
teilung des städtischen Grundbesitzes zu Lehen nach Burgrecht (ius civile) 
und in weiterer Folge das ungesunde und massenhafte Rentengeschäft ent¬ 
wickelt, bis Rudolfe IV. Reform neue Verhältnisse anbahnt, — ist zweifellos 
einer der wertvollsten Abschnitte dieses Buches und von allgemeiner Be¬ 
deutung für die Rechtsgeschichte. 

Im letzten Abschnitt nimmt V. seinen Ausgangspunkt von dem Wiener 
Stadtrecht vom Jahre 1221 und macht es in sehr interessanter Untersuchung 
wahrscheinlich, daß dieses und das Ennser von 1208 nicht nur, wie wohl 
schon früher vermutet wurde, auf eine gemeinsame Quelle zurückgehen, 
sondern auch, daß diese Quelle jenes Stadtrecht vom Jahre 1198 sein 
dürfte, das Lazius fragmentarisch und ohne jede Provenienzangabe bekannt¬ 
gemacht hat. Flandrische Einwirkungen im Wiener Stadtrecht bestreitet 
er entschieden, dagegen kommen solche der rheinischen Städte Worms und 
Speier, und vor allem Freiburgs i. B. in Betracht. Die nächste Stufe in 
der Verfassungsentwicklung Wiens bildet der Freiheitsbrief Kaiser Frie¬ 
drichs IL von 1237, vernichtet von Herzog Friedrich II. 1244 und nach 
dessen Tode vom Kaiser wieder erneuert, dessen Bedeutung von dem Stand¬ 
punkt aus geprüft wird, weil »das Eingreifen des genialen Staufers in die 
Entwicklung des Wiener Stadtrechtes noch nicht genügend gewürdigt 
worden ist 4 (S. 118). Er verfolgt vor allem die Spur, »wie das vom Kaiser 
verliehene Recht auch nach dem Aufhören der Reichsherrschaft 4 in dem 
herzoglichen Stadtrecht von 1244 »wenigstens teilweise weiterlebte 4 . Sehr 
beachtenswerte Gründe bringt dann V. vor für die Ausfertigung eines 
zweiten heute verlorenen Privilegs Kaiser Friedrichs ü. für Wien, das 
eine Bestätigung und Ergänzung jenes von 1244 darstellen würde. Dieses 
Nebeneinanderlaufen zweier Reihen von Privilegien, einer vom Kaiser und 
einer zweiten vom Landesfürsten ausgehenden, die sich auszuschließen suchen 
und doch wieder beeinflussen, vernichtet und doch wieder bestätigt und er¬ 
neuert werden, ist wohl noch nirgends so klar zur Anschauung gebracht 
worden, wie in dieser Schrift. Bezüglich der beiden oft behandelten Pri¬ 
vilegien K. Rudolfe L für Wien vom 24. und 25. Juni 1278 stellt sich 
V. unter Vorbringung neuer Gründe auf den Standpunkt Oswald Redlichs 
und betont dabei, welchen Fortschritt die Autonomie der Stadt und die 
Stellung des Rates gerade durch sie erzielt hat, Rechte, »wie sie kaum 
einer andern Reichsstadt verliehen worden sind 4 . 

Die rückläufige Bewegung beginnt mit dem Stadtrechtsprivileg 
H. Albrechts II. von 1296, der, wie nicht anders möglich, aus dem reiche- 
unmittelbaren Wien eine seiner Landeshoheit unterstehende Stadt machte, 



708 


Literatur. 


und wird weiter verfolgt über die zwei wichtigen Privilegiengruppen von 
Rudolf IY. und Albrecht IY. bis auf K. Ferdinands I. Stadtrecht von 1526, 
mit dem für Wien eine ganz neue Zeit beginnt. 

Wir können die Anzeige dieses Buches nicht abschließen, ohne dem 
Wunsche Ausdruck zu geben, das glänzende Muster stadtrechtlicher Unter¬ 
suchung möge bei uns in Österreich, wo noch so viel Stoff für derartige 
Arbeiten erliegt, die auch von dem Verf. an vielen Orten direkt ausge¬ 
sprochene und gewünschte Anregung zu weiteren Forschungen geben. 

Brünn. B. Bretholz. 


Eonstanzer Häuserbuch. Festschrift zur Jahrhundertfeier der 
Vereinigung der Stadt Konstanz mit dem Hause Baden. Herausgegeben 
von der Stadtgemeinde. Zweiter Band: Geschichtliche Ortsbe¬ 
schreibung. Erste Hälfte: Einleitung. Bischofsburg und Niederburg. 
Mit einem Titelbild und einem Stadtplane, bearbeitet von Dr. Konrad 
Beyerle, Prof, in Göttingen und Dr. Anton Maurer, am Stadtarchive 
zu Konstanz. — Buchschmuck von Joseph Sattler. Heidelberg 1908 l ). 
Carl Winter, XVI u. 572 S. Gr. 4°. 

Der erste uns nicht zugegangene Band des monumentalen Prachtwerkes 
behandelte, wie aus dem Vorwort zu ersehen ist, die baugeschichtliche Ent¬ 
wicklung der Stadt, wurde bearbeitet vom Gr. Bezirksbauinspektor Dr. Fritz 
Hirsch und ist im Jubiläumsjahr 1906 erschienen. Das Erscheinen des 
zweiten Bandes, ursprünglich für denselben Zeitpunkt bestimmt, verzögerte 
sich »angesichts der zu bewältigenden Stoffmassen € , auch mußte er überdies 
in zwei Teile getrennt werden; der zweite scheint noch nicht erschienen 
oder uns noch nicht zugekommen zu sein. Er wird die Stadtteile des bür¬ 
gerlichen Marktes, der Markterweiterungen und die Vorstädte behandeln 
und das Namenregister für beide Teile enthalten. Ein Sachregister und 
Glossar bietet auch schon dieser Band. 

Die Beschreibung der einzelnen Häuser, bezw. bebauten Grundstücke, 
die erst mit S. 185 beginnt, kann wohl in ihrer Anlage und Durchführung 
als mustergiltig für ähnliche Werke bezeichnet werden. Von jeder Straße 
und jedem Platz erhalten wir zunächst eine Schilderung der geschichtlichen 
Entwicklung nach jeder Richtung: topographisch, verfassungsgeschichtlich, 
wirtschaftegeschichtlich, gelegentlich auch kunstgeschichtlich nebst den not¬ 
wendigen Literaturnachweisen; daran schließen sich die Beschreibungen der 
einzelnen Bauobjekte. Die Überschrift dieser trägt in knappester Form die 
neue Hausnummer, daneben die etwaige heutige Bestimmung des Gebäudes 
(Museum, Gymnasium u. s. w.), dann bei zahlreichen Häusern den Namen 
des alten Hausschildes mit dem Zeitpunkt seines ersten Auftretens, schließlich 
nach dem Grundbuch alle notwendigen Angaben über dermal iges Ausmaß, 


! ) Die Anzeige hatte s. Z. Herr Prof. Karl Uhlirz übernommen, und wurde 
mir nach seinem Tode erst im Jahre 1915 übertragen. Daraus erklärt sich das 
verspätete Erscheinen dieses Berichtes. 



Literatur. 


709 


Bauart, Katasteraummer u. ähnL Dann folgt die Hausgeschichte in zwei 
Kapiteln, 1. die Eigentumsverhältnisse und 2; die Belastungen. Bei Ob¬ 
jekten aber, die, wie die geistlichen Häuser im Gegensatz zu den bürger¬ 
lichen, in keinem eigentlichen Liegenschaftsverkehr standen und keine 
richtige Belastung tragen, ist entgegen dieser Zweiteilung eine zusammen¬ 
hängende chronologisch verlaufende Hausgeschichte geboten, die sich bei 
wichtigen Gebäuden kirchlicher oder städtischer Art, zu einer förmlichen 
kleinen Studie oder Abhandlung ausgestaltet. 

Dem »Häuserbuche* voran geht eine umfangreiche Einleitung (S. 1— 
185), von der eigentlich nur das erste Kapitel, das sich »Stoffbegrenzung, 
Quellenübersicht, Methode* betitelt, diesen bescheidenen Namen verdient. 
Das zweite Kapitel, der weitaus größte Teil der Einleitung, von S. 23 bis 
157, beschäftigt sich mit der Frage des »Fertigungswesens und der Grund¬ 
stücksbelastungen*, zwar naturgemäß beschränkt auf die Konstanzer Ver¬ 
hältnisse, aber einerseits die ganze Entwicklung vom frühesten Mittelalter 
bis auf unsere Tage verfolgend, andererseits mit so vollkommener Be¬ 
herrschung des Stoffes, daß man es als eine wichtige Bereicherung unserer 
stadtrechtlichen und rechtsgeschichtlichen Literatur bezeichnen darf, umso¬ 
mehr als diese Fragen in solchem Ausmaß kaum anderwärts behandelt sein 
dürften. So sehr die Publikation durch diesen Beitrag gewinnt, so sehr 
erscheint es bedauerlich, daß die Darlegungen durch die Einfügung in ein 
großes teures Werk weniger allgemein bekannt werden. Eben aus diesem 
Grunde möchte ich wenigstens den Gang dieser Ausführungen in kurzer 
Übersicht andeuten. 

»Fertigungsbehörde* — so lautet die Überschrift des 1. § dieses 2. Ka¬ 
pitels — ist in Konstanz seit ältester Zeit das Ammangericht (Amman 
-minister civitatis, der bischöfliche Amtmann); aber mit dem Aufkommen 
des Rats um 1215 tritt dieser auch in dieser Funktion langsam in den 
Vordergrund, bis er trotz mehrfacher Rückschläge 1541 das ganze Ferti¬ 
gungswesen in seine Hände nimmt. Der Fortbestand des Ammangerichtes 
bis 1752, »wo es offenbar mangels jeder justiziellen Tätigkeit sang- und 
klanglos verschwand*, hindert nicht, daß schon seit Mitte des 16. Jahr¬ 
hunderts das vom Rat mit zwölf Richtern und einem Oberrichter besetzte 
Stadtgericht das ordentliche Zivilgericht der Stadt bildet und bis 1786 
verbleibt. 

Die Ausführungen des § 2 über die »Fertigungsbücher und die Buch¬ 
führung* berühren zunächst die Frage, seit wann eigentliche Registerführung 
in Konstanz anzunehmen sei, da sich die sogenannten Ammangerichtsbücher 
nur für die Jahre 1423—1434, 1519—1521 und dann von 1543 an er¬ 
halten haben. Die Lücken erklären sich lediglich durch Verluste, so daß 
wahrscheinlich diese Quelle ursprünglich weit über 1423 bis ins 14. Jahr¬ 
hundert zurückreichte. Die Beschreibung der einzelnen erhaltenen Bände 
zeigt dann den allmähligen Übergang der Gerichtaprotokolle in Grundbücher, 
der mit dem Band vom Jahr 1686 durchgeführt ist. An sehr gut ge¬ 
wählten Beispielen verfolgen wir im nächsten Paragraphen »Fertigungs¬ 
urkunden und -einträge* die Entwicklung und den Wandel in den Grand¬ 
eigentumsurkunden nach Form und Inhalt vom Jahr 1246 bis ans Ende 
des 19. Jahrhunderts. 



710 


Literatur. 


Diesen Abschnitten, die mehr in das Gebiet der Privaturknnde ge¬ 
hören, folgen noch zwei, die sich mit den privatrechtlichen und wirtschaft¬ 
lichen Problemen beschäftigen. Unter dem Schlagwort »Abgeleitete Boden- 
nützungsrechte € werden Zinsleihe, Zinseigen, Jahrzeitrenten, Lehen, Miete 
zusammengefaßt, unter »Realkreditgeschäfte* Renten und Pfandrecht. Nicht 
nur durch sachgemäße Darlegungen, sondern auch durch charakteristische 
Urkundenbeispiele werden diese verschiedenen Rechtsformen erläutert, ihre 
wesentlichen Merkmale, ihre Unterschiede, der oft leise Übergang der einen 
in die andere auseinandergesetzt. Besonders hinweisen möchte ich etwa 
auf die interessanten Ausführungen über den Zusammenhang zwischen 
älterer Erbleihe und späterer Wohnungs- bezw. Hausmiete, über die Be¬ 
deutung der Zinsleihe für die Entwicklung des Geld- und Kredit Verkehrs 
in Form des Rentenkaufs, über die Wandlungen des Rentengeschäftes seit 
Beginn des 15. Jahrhunderts oder über die Entwicklung der Konstanter 
Pfandurkunde bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, alles durch urkundliche 
Texte belegt und erläutert. 

Wieder auf ein ganz anderes Feld führt uns dann das dritte und 
letzte Kapitel der Einleitung: »Die räumliche Entwicklung der Stadt Kon¬ 
stanz*. Hiefür scheint allerdings schon mehrfach vorgearbeitet zu sein, so 
daß nun umso rüstiger vorwärts geschritten werden konnte. »Konstanz 
ist ... ein zum mittelalterlichen Bischofssitz aufgestiegener Kastellort*, 
dessen Vorhandensein und Benennung als civitas Constantia zn Beginn des 
6. Jahrhunderts durch den Geographen von Ravenna gesichert, ist. Dieses 
Römerkastell — Mitte des 6. Jahrhunderts erfolgt die Verlegung des Bis- 
tnms von Windisch nach Konstanz — geht dann auf in der weit darüber 
hinausgreifenden Bischofsburg (civitas oder urbs C.), umfassend die Domkirche, 
die Wohnungen des Bischofs und der Domgeistlichen, sowie Häuser von 
Laien, in ihrem ganzen Umfang mit Mauern und Türmen bewehrt. Weitab 
gegen Südlvesten liegt der bischöfliche Fronhof, ein grundherrliches Dorf 
»Stadelhofen*. Zwischen beiden, unmittelbar an die Südmauer der Bischofs¬ 
burg sich anlehnend, entsteht die Marktansiedlnng, dos Forum der Merea- 
tores, »ein ans dem grundherrlichen Gebiet des Stadtherrn ausgeschiedener 
Bezirk, auf dem sich die durch den Bischof kraft königlichen Marktprivilegs 
vollzogene Gründung eines neuen, in Gericht und Verwaltung selbständigen 
Sitzes für Handel und Handwerk verwirklicht*. 

Fragen wir nach dem Zeitpunkt, so finden wir in einer Anmerkung 
(S. 168) eine bescheidene Vermutung ausgesprochen, daß »die Errichtung 
des Konstanzer Marktes in die Tage Bischof Salomos HL (890—919)* zu 
verlegen sein dürfte. Aber zunächst nicht ummauert geht diese Ansiedlung, 
sowie Stadelhofen und die nördlich der Bischofsburg bis an den Rhein sich 
erstreckende kleine Niederlassung von Händlern, Handwerkern, Fischern und 
Schiffsleuten, die sich vielleicht — so glaube ich die unbestimmten Be¬ 
merkungen verstehen zu sollen — aus der Römerzeit ohne wesentliche 
Unterbrechung ins frühe Mittelalter hinüberrettete, beim Ungamsturm im 
Jahre 926 in Flammen auf. Nur die befestigte Bischofsburg leistet« ei> 
folgreichen Widerstand. Diese schwere Heimsuchung dürfte doch wohl, ohne 
daß ein solcher Zusammenhang in der Darstellung betont würde, die Ur¬ 
sache gewesen sein, daß zuerst, noch im 10. Jahrhundert, der der bischöf¬ 
lichen Burg nördlich vorgelagerte tiefer gelegene Teil als »Niederbuig* 



Literatur. 


711 


befestigt wurde. Spätestens gegen Ende des 10. Jahrhunderts besteht auch 
tthon der südlich von der Bischofsburg (Oberburg) begründete Markt von 
neuem, doch wäre seine Ummauerung nicht vor dem Ende des 11. Jahr¬ 
hunderts, jedenfalls aber »geraume Zeit vor der Mitte des 12. Jahrhunderts* 
anzusetzen. Niederburg, Bischofeburg, Markt bilden nun seit der ersten 
Hälfte des 12. Jahrhunderts drei unmittelbar an einander grenzende um- 
, mauerte Gebiete, so daß die Nordmauer des Marktes die Südmauer der 
Bischofburg, die Nordmauer der Bischofburg die Südmauer der Niederbuig 
darstellt, alle drei Teile aber eine gemeinsame Außenmauer umfaßt. Nach 
außen ein ganzes, langgezogenes unregelmäßiges Rechteck vorstellend, werden 
sie im Innern durch die zwei Quermauern von einander geschieden. In die 
erste Hälfte des 13. und in das 15. Jahrhundert fallen dann neue weit 
über das ursprüngliche Gebiet hinausgreifende Ummauerungen der besonders 
gegen Süden, dann auch gegen Osten und Westen hin entstandenen Fort- 
' bcaedlungen, durch die auch Stadelhofen und das zwischen diesem und dem 
Markt gelegene Gartenland in die Befestigung einbezogen wurde. 

Es ist sehr anschaulich, wenn zum Schluß dieser detaillierten Aus¬ 
führungen, die hier nur angedeutet werden sollten, die Entwicklung in 
Zahlen vorgeführt wird. Das Bömerkastell bedeckte etwa 2 Hektar; die 
Bischofburg erweiterte sich auf 4, durch die Niederburg kamen weitere 2, 
durch den Markt 3,3 hinzu; um die Mitte des 10. Jahrhunderts erreicht 
somit Konstanz eine Bodenfläche von 9*3 ha. Von da bis zur Markter¬ 
weiterung um die Mitte des 13. Jahrhunderts erweitert sich das Gebiet um 
18‘5, schließlich seit der zweiten Hälfte des 13. bis zur Ummauerung des 
15. Jahrhunderts um 15*6 ha; wodurch »die Kleinheit des frühmittelalter¬ 
lichen Konstanz deutlich vor Augen gestellt wird*. 

Das »Konstanzer Häuserbuch*, das, wie bemerkt, noch nicht abge¬ 
schlossen ist, bildet eine der interessantesten Publikationen aus dem Gebiete 
der neuesten Literatur über deutsches Städtewesen. 

Brünn. B. Bretholz. 


Die kirchenpolitischen Schriften Wiclifs. 

I. 

Mit dem Erscheinen der Opera minora ist die Ausgabe der wichtigsten 
kirchenpolitischen Werke Wiclifs l ) abgeschlossen. Die wenigen Traktate, 
die noch der Veröffentlichung harren, dürften manche wertvolle Ergänzung 
bringen, das Bild aber, das wir aus den nun bekannten Schriften dieses 
Mannes zu gewinnen vermögen, keinesfalls durch neue Züge verändern. 

Das Verdienst, die Werke Wiclifs der Forschung zugänglich gemacht 
zu haben, gebührt der Wiclif-Society in London und ihren Mitarbeitern. 
Sie war 1882 gegründet worden. Nahezu fünfhundert Jahre waren ver¬ 
flossen, seit Wiclif sein Leben beendet hatte. Gerade in jenen Tagen, als 
England sich rüstete, das Andenken seines großen Sohnes zu feiern, mußte 
man lebhafter als zuvor den Mangel einer geordneten Kenntnis seiner Werke 

*) Übersicht Über die Wiclif Literatur: J. Losertb, Geschichte des späteren Mittel¬ 
alters S. 389 1 — Realenzyklopädie f. prot. Theologie 3. A. 21. 225 f. 



712 


Literatur. 


und seiner Lehren empfinden. Wohl hatten Shirleys Arbeiten *) die Grund¬ 
lage für spätere Forschung geschaffen, hatte Lechlers Lebensbild *) Klarheit 
über Wiclifs äußere Schicksale gebracht und 8*ine Stellung zu den großen 
Reformationsbewegungen des 15. und 16. Jahrhunderts ahnen lassen. Von 
seinen Schriften waren aber nur die in englischer Sprache durch Arnold 5 ) 
und Matthew 4 ), sowie der Trialogus 6 ) und der kleine Traktat 6 ) *De officio 
pastorali € durch Lechler, femer eine Streitschrift gegen das Papsttum 7 ) durch 
Buddensieg veröffentlicht worden. So war es unmöglich, das Werden und 
Wirken Wiclifs und die Bildung seiner Glaubenssätze genauer zu verfolgen. 

Diesem Mangel durch die Ausgabe der lateinischen Schriften Wiclifs, 
seiner philosophischen und kirchenpolitischen Traktate, abzuhelfen, war das 
Ziel der Wiclif-Society, die nach mehr als dreißigjährigem Bestehen mit Stolz 
auf so große und mühevolle Leistungen zurückblicken darf. Wie es der 
historischen Stellung Wiclifs, der durch die Verpflanzung seiner Lehren nach 
Böhmen und Deutschland für die Entwicklung des geistigen Lebens in 
diesen Ländern von unendlicher Bedeutung geworden ist, entspricht, haben 
deutsche Gelehrte vereint mit englischen Forschern an dem großen Werke 
gearbeitet. Neben Matthew, dem ersten Wiclifkenner Englands, müssen wir 
vor allem Loserth und Buddensieg nennen, die in Deutschland das Erbe 
Lechlers angetreten haben. Die langjährige gemeinsame Tätigkeit der Ge¬ 
lehrten beider Länder hat durch den Ausbruch des Weltkrieges ein vor¬ 
zeitiges Ende gefunden und es besteht wenig Hoffnung, daß nach Wiederkehr 
des Friedens das zerrissene Band neuerdings geknüpft werden könnte. 

Zu bedauern ist, daß bei der Ausgabe der Werke Wiclifs nicht strenge 
ein vorher bestimmter Plan eingehalten wurde und daß man mit dem Druck 
der einzelnen Traktate begonnen hat, ehe die notwendigen Vorarbeiten ab¬ 
geschlossen waren, ein Fehler, der den Herausgebern gewiß manche Schwie¬ 
rigkeiten bereiten mußte 8 ). Die kirchenpolitischen Schriften Wiclifs gliedern 
sich in zwei große Gruppen. Die eine umfaßt die zwölf Bücher der Summa 
Theologiae und die mit diesen im Zusammenhänge stehenden größeren Trak¬ 
tate, die anderen die kleineren Werke, die Flug- und Streitschriften und 
die Predigten. Da die zeitliche Folge der einzelnen Teile der Summa 
Theologiae feststand, wäre es günstig gewesen, die Ausgabe mit dem ältesten 
Werke beginnen zu lassen und in entsprechender Weise zu Ende zu fuhren. 
Die übrigen Traktate und die kleineren Schriften, welche, wie man jetzt 
zu erkennen vermag, häufig in einem bestimmten Verhältnisse zu den wich¬ 
tigsten Büchern der Summa stehen, hätten entweder in Verbindung mit 
diesen oder zum Schlüsse erscheinen sollen. So aber enthielt die eiste 


f ) W. W. Shirley. A Catalogue of the original Works of John Widif. Oxford 
1865. — Ders. Fasciculi Zizanniorum. Rer. Brit. SS. medii aevi. V. London 1868. 

*) G. Lechler. Johann von Wiclif und die Vorgeschichte der Reformation. 
2 Bde. Leipzig 1873. 

*) Th. Arnold. Select English Works of John Wyclif. 3 Bde. Oxford. 1869—71. 
4 ) F. D. Matthew. The English Works of Wyclif hitherto rnprinted. London 
1880. Early English Text Society. 74. 

Ä ) Trialogus cum supplemento Trialogi. ed. G. Lechler. Oxford 1869. 

•) Tractatus de officio pastorali. ed G. Lechler, Leipzig 1863. 

T ) De Christo et suo adversario Antichristo. Gotha 1880. 

•) Vgl. J. Loserth, Wiclifs Sendschreiben. Flugschriften und kleinere Werke. 
Sb. d. Ak. Wien. phiL-hist. Kl. 166. 1 f. 



Literatur. 


71S 


Gabe, welche die Wiclif-Society der gelehrten Welt bot, die lateinischen 
Streitschriften, die aas den letzten Lebensjahren des Reformators stammen, 
und ihnen schloß sich eine Reihe späterer Werke an, deren Beurteilung 
ohne Kenntnis des sachlichen Zusammenhanges mit den älteren Schriften 
erfolgen mußte. Auch fiir die Herstellung der Register, die teilweise in 
etwas knapper Form gehalten sind, hätten sich Vorteile ergeben. Die all¬ 
mähliche Entwicklung, die regelmäßige Wiederkehr gewisser Gedankengänge 
in den Werken Wiclifs hätte die Möglichkeit geboten, alle Verzeichnisse nach 
bestimmten Gesichtspunkten zu ordnen und dadurch ihre Benützung zu er¬ 
leichtern. Dieser Mangel in der Anlage wird jedoch bei der Beurteilung des 
gesamten Werkes nicht allen schwer ins Gewicht fallen. Man muß bedenken,, 
welche Unsumme von Arbeit geleistet wurde und welche Schwierigkeiten 
dem ausgedehnten Unternehmen, an dem so zahlreiche, verschieden geartete 
Kräfte mitwirkten, gegenüberstanden. Zum Teil wurde der Fehler endlich durch 
den günstigen Umstand behoben, daß die Bearbeitung der wichtigsten 
kirchenpolitischen Traktate Wiclifs einem Herausgeber, Johann Loserth, an¬ 
vertraut worden war und somit wenigstens für diese eine durchaus gleich¬ 
mäßige Behandlung gesichert wurde. 

Alle Veröffentlichungen der Wiclif-Society enthalten sorgfältig durch¬ 
gearbeitete Texte, denen Verzeichnisse der angeführten Stellen aus der Bibel 
und aus den Schrifstellem sowie Register beigegeben sind. Ihr Wert wird 
noch durch Vorreden, die über Inhalt, Überlieferung und Datierung der 
einzelnen Traktate Aufschluß geben, erhöht. Hervorzuheben sind neben jenen 
Bndden8iegs die inhaltsreichen Abhandlungen Loserths, die nicht nur die 
innere Verwandtschaft der Schriften, sondern auch ihre große historische 
Bedeutung klar erkennen lassen. 

Mit Rücksicht auf den Umfang der Ausgabe mag es nicht ohne Wert 
sein, in raschem Überblick den Inhalt der einzelnen Bände vorzuführen 
doch sei es gestattet, auch die wenigen schon früher erschienenen Schriften 
WicHfe in den Rahmen der Besprechung einzubeziehen. 

Wiclifs erstes kirchenpolitisches Werk war der Traktat De dominio 
divino 1 ), der als Einleitung der Summa Theologiae vorausgehen sollte 
und jedenfalls vor dem Jahre 1377 geschrieben worden ist. Bevor Wiclif 
begann, die kirchlichen und staatlichen Einrichtungen einer Prüfung zu 
unterziehen, wollte er den Begriff der Herrschaft, und da Gott über allea 
Irdische erhaben ist, den der göttlichen Herrschaft gemäß den Worten der 
Heiligen Schrift erläutern. In den zwei ersten Abschnitten behandelt er 
den Gegenstand noch ganz nach Art seiner philosophischen Traktate. Herr¬ 
schaft übt nach Wiclifs Ansicht jeder aus, der andere nach seinem Willen 
lenkt. Der Begriff des Herrschens erfordert als Gegensatz den des Dienens. 
Dienen können aber nur vernunftbegabte Wesen. Folglich gibt es keine 
Herrschaft von Ewigkeit her und erst mit der Erschaffung der Menschen 
begann die Herrschaft Gottes; sie ist die erste und älteste, sie ist unendlich 
und unmittelbar. Alle Menscien sind ihr gleicherweise unterworfen; selbst 
wenn sie sündigen, vermögen sie es nicht, sich dem Dienste Gottes zu ent¬ 
ziehen. Jede ihrer Handlungen, ja sogar jeder ihrer Gedanken hat seinen 
Ursprung in Gott. In diesen Ausführungen weist nichts auf die spätere 

*) ed. R. L. Poole. London 1890. Beigegeben sind die ersten vier Bücher- 
des Traktates De pauperie Salvatoris von Richard Fitzralph 



714 


Literatur. 


Tätigkeit Wiclifs als Reformator hin; erst der dritte Teil des Werkes, der 
von den Gaben Gottes handelt, läßt einen Fortschritt erkennen und enthält 
manchen für die Entwicklung der Lehren Wiclifs bedeutungsvollen Satz. 
Aller Besitz ruht in den Händen Gottes, der seine Gaben den Gläubigen 
auf eine eigentümliche Art, durch , Mitteilung*, verleiht. Er schenkt, ohne 
seine Rechte und Ansprüche als Herr aufzugeben. Die Menschen sind Verwalter 
seiner Güter und dürfen nur nach seinem Willen darüber verfügen. Geraten 
sie in Sünde, treiben sie mit den ihnen anvertrauten Gaben Mißbrauch, so 
fordert Gott sein Eigentum wieder zurück. 

Diese Sätze bilden den Ausgangspunkt des dritten Werkes der Summa 
Theologiae, De civili dominio. Die beiden ersten Traktate De mandatis 
divinis 1 ) und De statu innocentiae sind noch nicht erschienen. Soweit 
sich ihr Inhalt überblicken läßt, tritt Wiclif auch in diesen Schriften 
nicht in Gegensatz zu den Lehren der Kirche. Hervorzuheben ist jedoch, 
daß er schon hier ausdrücklich den Vorrang der göttlichen Gebote, die 
über allen menschlichen Verordnungen stehen, betont und die Ansprüche 
der Kirche auf weltliche Herrschaft ablehnt. Diese Ausführungen bilden, 
so maßvoll sie auch gehalten sind, doch die Grundlagen, auf denen sich 
das Werk Wiclifs, das für seine spätere Entwicklung als Reformator be¬ 
stimmend geworden ist, De civili dominio 2 ) erhebt. Eb umfaßt die 
folgenden drei Bücher der Summa. Der erste Band zerfällt in vier Ab¬ 
schnitte. Wie schon erwähnt wurde, knüpft Wiclif hier an die Ergebnisse 
seiner ältesten Schrift an. Niemand kann mit Recht besitzen, der gegen 
den Willen Gottes, dessen Gnade zur erfolgreichen Verwaltung seines Gutes 
notwendig ist, handelt (cap. 1—16). Die Gläubigen sollen trachten, in 
allen Dingen die Gebote Christi zu befolgen. Für die Leitung von Staat 
und Kirche gibt es nichts Besseres als die göttlichen Gesetze, die sich weit 
über alle bürgerlichen und kanonischen Verordnungen erheben (Cap. 17— 
25). In dem dritten Abschnitte bespricht Wiclif die einzelnen Formen der 
Herrschaft und kommt zu dem Schlüsse, daß die Kirche gegen den Willen 
Christi weltliche Gewalten ausübe (26—33). Die Macht der Könige wird 
jedoch durch die Worte der Heiligen Schrift bestätigt. Wichtige Aufgaben 
sind den Fürsten anvertraut; vor allem müssen sie sorgen, daß in ihren 
Reichen die Gebote Gottes strenge befolgt werden. So gelangt Wiclif za 
seiner bedeutendsten Forderung: Die Könige, Fürsten und weltlichen Herren 
sollen der Kirche, wenn sie in Sünde gerät und mit dem ihr anvertrauten 
Gute Mißbrauch treibt, den irdischen Besitz entziehen (Cap. 34—44). Auch 
dem Volke ist ein Mittel gegeben, um den sündigen Klerus zur Rückkehr 
zu den Geboten Gottes zu zwingen; die Laien mögen ungerechten Priestern 
die Zahlung des Zehents verweigern. Niemals dürfen sie in der Erfüllung 
dieser Pflichten die Androhung und Verhängung der Exkommunikation 
fürchten, denn alle kirchlichen Strafen, die wegen weltlicher Angelegen¬ 
heiten erfolgen, sind wirkungslos. Den Vorschriften der Kirche sollen die 
Laien nur dann Glauben schenken, wenn sie den Worten der Bibel ent¬ 
nehmen können, daß jene gerecht sind. Das Gesetz Gottes ist das richtigste, 
das beste; es ist in der Heiligen Schrift enthalten, deren Lehren die höchste 
Autorität beanspruchen können. Jeder Gläubige soll sich dem Studium 

*) Vgl. J. Loserth. Joh. v. Wiclif und Guilelmus Peraldus. Sb. d. Ak. Wien, 
phil.-hist. Kl. 180. 51 ff. 

*) I. ed. R. L. Poole, London 1885. II—IV. ed. J. Loserth. 1900—1904 



Literatur. 


715 


der göttlichen Botschaft widmen, er soll nach den Worten Wiclifs ein 
»Theolog* sein. 

Diese Sätze deuten darauf hin, daß Wiclif unmittelbar an das erste 
Buch De civili dominio seine Schrift De veritate sacrae scripturae anzu¬ 
schließen gedachte. Doch hatten seine Forderungen, die er, in 18 Thesen 
zusammengefaßt, in jenem Traktate verkündet hatte und denen er vom 
Katheder herab noch größere Verbreitung zu geben suchte, den lebhaften 
Widerstand der kirchlichen Kreise, vor allem der besitzenden Orden, ge- 
weckt. Um die Angriffe seiner Gegner abzuwehren, schrieb Wiclif nun 
das zweite und dritte Buch von der bürgerlichen Herrschaft. Schärfer und 
ausführlicher als im ersten Teil behandelt er hier seine Forderung, daß- 
die Herren das Kirchengut beseitigen sollen. Ihre Pflicht sei es, das Gebot 
der brüderlichen Zurechtweisung zu befolgen und den sündigen Klerus zu 
züchtigen. Man möge nicht den Einwand erheben, daß die Herren Unter¬ 
gebene der Priester seien und die Fehler ihrer geistlichen Oberen nicht 
bestrafen dürfen. Auch der Diener ist berechtigt, die Vergehen seines 
Herrn zu rügen. Vernachlässigt die Kirche ihr Richteramt, überläßt sie 
ihre Angehörigen der Sünde, so müssen die Laien eingreifen. Sie haben 
das Hecht, die irrenden Priester zur Verantwortung zu ziehen. Dieses Recht, 
gilt nicht nur dem einfachen Geistlichen, alle Glieder des Klerus, selbst die 
Bischöfe und der Papst sind ihm unterworfen. Es ist Aufgabe der Laien,, 
den Geboten Gottes Geltung zu verschaffen. Welche Vorschriften hat nun. 
Christus seiner Kirche gegeben? Sie muß vor allem sein Beispiel nach¬ 
ahmen. Christus hat ein Leben der Armut geführt und allen irdischen 
Besitz zurückgewiesen; so sollte auch der Klerus handeln. Die weltliche 
Herrschaft hat nur Sünde und Verderben in die Kirche gebracht. Sylvester* 
Konstantin und alle Heiligen, welche die Macht der Kirche begründen 
halfen und ihre Güter vermehrten, haben gegen den Willen Gottes ge¬ 
handelt Dem Urteil der Päpste, die sagen, daß der irdische Besitz der 
Kirche notwendig und Gott wohlgefällig sei, darf man nicht trauen; si 9 
irren und haben geirrt Für die Kirche wäre es eine Wohltat, wenn die 
Last des weltlichen Gutes beseitigt und der Klerus gezwungen würde, ein 
Leben nach dem Vorbilde Christi und der Apostel zu führen. 

Wie diese kurzen Auszüge erkennen lassen, bilden die Gebote der 
Heiligen Schrift die Stütze aller Forderungen Wiclifs. Der Zweck seines 
nächsten Werkes De veritate sacräe scripturae 1 ) war es nun, die 
Wahrheit (Cap. 1—8), die Autorität (Cap. 9—15) und den göttlichen Ur¬ 
sprung (Cap. 16—19) der Bibel zu erweisen. Die Heilige Schrift ist in 
in allen Teilen wahr, sie enthält keinen Irrtum, keinen Widerspruch. Nur 
Unkenntnis und böser Wille können dazu führen, daß man ihre Worte 
mißversteht. Sie ist das Buch des Lebens, das allen Gläubigen gegeben 
wurde, damit sie in ihm die Richtschnur ihres Tuns und Lassens finden 
können. Wo die reinste Wahrheit ist, muß aber auch die höchste Autorität 
sein. Die Bibel, Gottes Werk, Gottes Offenbarung, muß über alles mensch¬ 
liche Denken, über alle menschlichen Gebote und Lehren erhaben sein. Die 
Aussprüche und Bullen der Päpste können nur insofern Geltung besitzen* 


*)ed. R. Buddensieg. I—III London. 1905—07, Deutsche Ausgabe« 
Leipzig 1904. 



716 


Literatur. 


als sie mit den Worten der Bibel übereinstimmen. In den letzten 13 Ka¬ 
piteln des Traktates behandelt Wiclif einige wichtige Fragen. Zunächst 
spricht er über den Wert der Predigt. Man muß der Verbreitung der 
göttlichen Lehren, deren Kenntnis für das Seelenheil der Gläubigen not¬ 
wendig ist, besondere Aufmerksamkeit zuwenden. Die Predigt soll in einer 
dem Volke verständlichen Sprache erfolgen. Nur jene Männer sollen zu 
Priestern geweiht werden, die geprüft wurden, ob sie die Bibel genau er¬ 
forscht haben und ob sie fähig sind zu predigen. Die Verkündigung der 
Heiligen Schrift ist die vornehmste Pflicht eines jeden Priesters, sie ist das 
wertvollste Sakrament, das an Bedeutung sogar das Abendmahl übertrifft. 
Jede Verhinderung der Predigt ist ein schweres Vergehen und kann nur 
das Werk des Antichrists sein. Aber nicht nur Priester, auch Laien können 
wirksam das göttliche Wort verbreiten. Niemals darf man die Wahrheit 
verschweigen und jeder Gläubige, ob Priester oder Laie, muß trachten, ihr 
zum Siege zu verhelfen. Auch seiner Forderung, daß der Klerus arm sein 
müsse, gedenkt Wiclif in dieser Schrift. Zu groß scheint ihm der Schaden, 
den der »verkaiserte € Klerus der Kirche und dem Staate zufugt, als daß 
dieser Zustand noch länger dauern dürfe. Ein Drittel aller Einkünfte .der 
englischen Krone sind in Händen der Geistlichkeit. Die mildeste Strafe 
für die Priester, die ihre Predigeipflichten vernachlässigen und gegen die 
Gebote Gottes fehlen, ist die Entziehung des weltlichen Gutes. Stehen die 
Geistlichen den Laien an Würde voran, so müssen sie auch strenger als 
diese die Lehren Christi befolgen. Die Gläubigen sollen den Wandel der 
Priester nach den Worten der Bibel beurteilen. Durch die Heilige Schrift 
vermögen sie alle Vergehen des Klerus, alle Haeresien zu erkennen. 
Von dem verbreitetsten Laster der Geistlichkeit, der Simonie, sollte das 
nächste Buch der Summa Theologiae handeln. 

Abermals wird jedoch der ursprüngliche Plan des Werkes unterbrochen. 
Das Verhältnis der Gläubigen zur Kirche, die Scheidung des Machtbereiches der 
staatlichen und geistlichen Gewalt schien Wiclif noch einer eingehenden Unter¬ 
suchung zu bedürfen. In dem 7. Buch der Summa, dem Traktate De 
ecclesia 1 ), der ein Menschenalter später Johannes Huß als Vorlage seines 
gleichnamigen Werkes diente, suchte Wiclif den Begriff der Kirche Christi 
zu erforschen. Geziemt es doch, wie er sagt, jedem Christen, seine Mutter 
kennen zu lernen. Man muß sich aber hüten zu glauben, daß die Kirche 
jene Vereinigung von geistlichen Würdenträgern sei, die in Born ihren Sitz 
habe und an deren Spitze der Papst stehe. Die Kirche ist die Gemein¬ 
schaft aller Gläubigen, die Gott auserwählt hat, ihr Haupt ist Christus 
selbst. Keiner, der von Gott verworfen wurde, kann ihr angehören; außer 
ihr gibt es kein Heil, keine Vergebung der Sünden. Sie umfaßt als ecclesia 
triumphans die Engel und Heiligen des Himmels, als ecclesia militans die 
Praedestinierten auf Erden, als ecclesia dormans die Seelen der Verstorbenen 
im Fegefeuer. Die wahre Kirche ist nicht die römische; sie kann über¬ 
haupt nicht an einen bestimmten Ort gebunden sein, denn sie ist eine all¬ 
gemeine und ist überall, wo sich gerechte Gläubige bennden. Niemand 
darf sich das Haupt einer Ortskirche nennen, auch der Papst soll sich nicht 
als Führer der Gläubigen gebärden. Weiß er doch nicht einmal, ob er der 


*) ed. J. Loaerth. London 1885. 



Literatur. 


717 


wahren Kirche angehört, ob er ein Praedestinierter ist. Seine Stellung ist 
vor allem dadurch bedingt, daß er strenge die Gebote Christi befolgt. Im 
7. Kapitel unterbricht Wiclif diese Ausführungen und beginnt, über die 
Privilegien der Kirche zu sprechen. Den Anlaß bietet ihm ein Zwischen¬ 
fall, der sich 1378 in der Westminsterabtei zugetragen hatte und als eine 
Verletzung des kirchlichen Asylrechtes gedeutet worden war l ). Die Kirche 
darf nur solche Privilegien besitzen, die in der Heiligen Schrift ihre Be¬ 
stätigung finden. Die höchste Gnade, die sie von Gott empfangen hat, ist 
jedoch, daß sie berufen wurde, das Beispiel Christi nachzuahmen. Das Gebot 
der Armut ist das erste Privilegium der Kirche und niemandem ist es ge¬ 
stattet, sie dieses Vorzugs zu berauben. Die Herren und Könige dürfen 
der Kirche keine Privilegien gewähren, die ihr Schaden bringen können 
•oder durch welche die Macht des Staates verringert wird. Vor allem muß 

immer und überall, auch vor den Stufen des Altars, der Gerechtigkeit Ge¬ 

nüge geschehen und unter allen Umständen muß die Gott schuldige Buße 
.geleistet werden. In der zweiten Hälfte des Traktates behandelt Wiclif 
neben einigen liturgischen Fragen neuerdings seine Forderung, daß der 
Kirche das irdische Gut entzogen werden müsse, und kehrt im 17. Kapitel 
wieder zu seinem ursprünglichen Thema zurück. Nachdem er die Ein wände 
«einer Gegner widerlegt hat, beschäftigt er sich zum Schlüsse mit der Lehre 
vom Ablaß. Jeder Ablaß ist verwerflich und niemand, auch nicht der 
Papst, darf sich anmaßen, einen Menschen für Geld von seiner Buße zu 

befreien. Könnte der Papst von Sünden lösen, so wäre er der Herr des 

Himmels und der Hölle und würde Gewalten beanspruchen, die nur Gott 
xukommen. 

Auf diesem Traktat, der zweifellos zu den bedeutendsten Werken 
Wiclifs zählt, folgt das Buch De officio regis 2 ). Die Macht der Könige 
hat ihren Ursprung in Gott und wird durch die Worte der Heiligen Schrift 
bezeugt. Vielfach herrschen jedoch unrichtige Ansichten über die Aus¬ 
dehnung der königlichen Gewalt, so daß es Wiclif nötig findet, ihre Grenzen 
genauer zu bestimmen und festzustellen, inwiefern der Klerus den Geboten 
des Staates unterworfen sei. Der König muß sorgen, daß Friede und Ge¬ 
rechtigkeit in seinem Lande herrsche, daß sein Volk durch gute Gesetze 
geleitet werde und daß alle seine Untertanen frei von Sünde sind. Er ist 
der oberste Richter. Deshalb ist es notwendig, daß sich seine Gewalt über 
alle Untertanen, weltlichen und geistlichen Standes, erstrecke. Die Ver¬ 
gehen der Priester unterliegen wie die der Laien seinem Urteilsspruche. 
Ist auch der König in geistlichen Angelegenheiten dem Priester untertan, 
«o steht er in allen weltlichen Dingen über dem Klerus, ja sogar über 
dem Papste. Eine seiner vornehmsten Pflichten ist es aber, zu achten, daß 
alle Geistlichen ihre Aufgaben erfüllen. Das Studium der Theologie soll 
der König zu seines Reiches Wohlfahrt eifrig fördern; er muß für die 
Heranbildung tüchtiger Priestei sorgen und strenge wachen, daß die Pfarr- 
«tellen nur mit geeigneten Minnem besetzt werden. Vor allem darf er 
es niemals dulden, daß die Geistlichen fern von ihrem Amtsorte in fremden 


*) Vgl. Loserth, Wiclifs Buch »Von der Kirche“ und die Nachbildungen 
desselben in Böhmen. Mitt. d. Ver. f. Gesch. d. Deutsch, i. Böhm. 24 (1886) 
.387 ff. 

*) ed. A. Pollard et Ch. Sayle. London 1887. 



718 


Literatur. 


Ländern weilen, dort ihre Einkünfte verzehren und so das Volk berauben. 
Auch muß der König verhindern, daß seine Untertanen durch schlechte 
Priester bedrückt oder ungerechterweise vor geistliche Gerichte gezogen 
werden. Sein Reich muß er gegen alle äußeren und inneren Feinde be¬ 
schützen. Niemals darf er in der Erfüllung seiner Pflichten den Zorn des 
Klerus fürchten; schwerer als alle Bannsprüche des Papstes wiegt die Ver¬ 
nachlässigung seines von Gott verliehenen Amtes. 

Weiter auf der einmal beschrittenen Bahn führt das nächste Buch der 
Summa De potestate papae *). Schon in den vorausgegangenen Schriften 
vermag man zu erkennen, daß Wiclif in scharfen Gegensatz zu den Macht¬ 
ansprüchen des Papsttums geraten war. Seine heftigsten Vorwürfe gelten 
der prunkvollen Lebensführung der Päpste, ihrem Streben nach weltlicher 
Herrschaft und der Lehre von der Unfehlbarkeit ihrer Entscheidungen. In 
dem Traktate De potestate papae sucht Wiclif nun die Grundlagen der 
Stellung des Papstes zu erforschen. Die Päpste beanspruchen die oberste 
Gewalt über die Gläubigen: sie seien die Nachfolger Petri, dem Christus 
alle Macht auf Erden übertragen habe. Es sei nun richtig, meint Wiclif, 
daß Petrus die erste Stelle unter den Aposteln erhalten habe. Doch weshalb 
hat ihn Christus erwählt? Nur aus dem Grunde, weil er mehr als alle 
andern befähigt war, die Kirche zu leiten, und weil er alle Jünger Christi 
an Glauben, Demut und Liebe übertraf. Wenn wir nun in dem Papste 
den Stellvertreter Petri erblicken sollen, so muß er auch der wahre Nach¬ 
folger des Apostels sein. Allerdings ist es schwer, den geeigneten Mann 
für dieses Amt zu finden. Die Sitte, den Papst zu wählen, führt nur all¬ 
zuleicht zu Irrungen. Die Wähler können niemals wissen, ob der, den sie 
bestimmt haben, ein Praedestinierter ist und ob er imstande sein wird,, 
alle seine Pflichten zu erfüllen. Auch sind sie menschlichen Fehlem und 
Schwächen unterworfen, sie können sich durch Neid und Haß, durch Ver¬ 
langen nach weltlichem Gute irreleiten lassen. Besser als der jetztige Wahl¬ 
vorgang wäre es, die edelsten Männer zu bezeichnen und dann das Los 
entscheiden zu lassen. Der Papst muß jedoch nicht nur auf rechtmäßige 
Weise seine Würde erhalten haben, er muß sich auch in seiner Lebens¬ 
führung als der wahre Nachfolger Petri erweisen. Sowie dieser gemäß den 
Worten Christi das Los der Armut wählte und sieh ganz der Erfüllung 
seiner Pflichten widmete, so soll auch jener in Einfachheit seine Tage ver¬ 
bringen, sich von allem Luxus, allem weltlichen Treiben abwenden und 
strenge seinen priesterlichen Aufgaben nachkommen. Niemals darf der Papst 
größere Rechte in Anspruch nehmen, als Petrus ausgeübt hat Petras war 
wohl der Erste unter den Aposteln, er war aber nicht ihr Herrscher. Sie 
waren in allen Handlungen frei und ohne Aufsicht; sie übten selbständig 
ihre Pflichten aus, ohne ihn um seine Zustimmung zu fragen. So ist auch 
die Gewalt des Papstes innerhalb des Klerus nur eine beschränkte. Ganz 
unberechtigt ist es jedoch, wenn der Papst behauptet, daß ihm die oberste 
weltliche Macht gebühre. Petrus hat nach dem Beispiele Christi alle irdische 
Herrschaft zurückgewiesen und hat sich den Geboten de*. Staates unter¬ 
worfen. So muß auch der Papst handeln. Vor allen andern Priestern soll 
er durch seinen demütigen Lebenswandel hervorleuchten. Seine Pflichten 


*) ed. J. Loserth. London 1907. 



Literatur. 


719 


sind groß. Er trögt die Verantwortung für das Seelenheil der Gläubigen,, 
er muß für die Wohlfahrt der Kirche sorgen. Seiner Herde soll er ein. 
guter Hirte sein. Die Gläubigen müssen aber den wahren Papst von dem 
falschen scheiden 1 ). Sie vermögen ihn an seinen Werken zu erkennen. 
Lebt der Papst nicht nach den Worten der Heiligen Schrift, befolgt er 
nicht das Beispiel Christi, so kann er unmöglich dessen Nachfolger sein. 
Christus nannte keine Stätte sein Eigen, der falsche Papst aber fordert die 
Herrschaft über die ganze Welt; Christus hat im Volke umherwandernd 
gepredigt, der Mund des Papstes ist jedoch verstummt. In allen Dingen 
ist er der Gegensatz Christi, er ist der Antichrist, von dem sich die Gläu¬ 
bigen abwenden müssen. 

Erst nach Vollendung dieses wichtigen Werkes, das wie der Traktat 
De ecclesia auf Johann Huß die größte Wirkung ausübte, kehrte Wiclif zu 
seinem ursprünglichen Plane zurück. Die letzten Bücher der Summa Theo- 
logiae, De simonia 8 ), De apostasia 8 ) und De blasphemia 4 ) sind 
der Besprechung jener drei Arten der Haeresie gewidmet, die im Priester¬ 
stande am weitesten verbreitet sind und der Kirche den größten Schaden 
zufügen. Die Ursache aller Haeresie erblickt Wiclif in dem weltlichen Besitz 
des Klerus. Als Simonie bezeichnet er das unerlaubte Streben, geistliche 
Würden und Gaben durch Kauf zu erlangen oder wegen irdischen Gewinnes, 
ein kirchliches Amt zu übernehmen. Die meisten Priester sind diesem Laster 
verfallen. Sogar der Papst begeht Simonie. Er erläßt unchristliche Gesetze* 
um Geld zu gewinnen, und verkauft geistliche Stellen. Ein Zeichen seiner 
Sünde sind die übergroßen Forderungen, mit denen er die Gläubigen be¬ 
drückt. Ebenso fehlen die Bischöfe. Häufig haben sie ihr Amt auf un- 
rechte Art erhalten und vernachlässigen über weltlichen Geschäften ihre 
geistlichen Pflichten. Ähnlich verhält es sich mit den übrigen Gliedern 
des Klerus; auch die begüterten Orden und die Bettelmönche sind dieser 
Vergehen schuldig. Schwer ist endlich die Sünde der weltlichen Herren,, 
die den Fehlern der Geistlichen beistimmen, obwohl gerade sie die Ver¬ 
pflichtung hätten, gegen alle simonistischen Handlungen aufzutreten. 

Wird dieser Traktat, der in seiner knappen Fassung zu den wirkungs¬ 
vollsten Schriften Wiclifs zählt, seinem Titel vollständig gerecht, so ist das 
folgende Buch De apostasia seinem Wesen nach eine große Streitschrift, 
die ihre Angriffe gegen die Bettelorden richtet. Sie zerfällt in zwei Ab¬ 
schnitte. Zuerst bespricht Wiclif die Mißbräuche, die bei den Bettelbrüdem 
herrschen, dann wendet er sich ihrer Lehre vom Altarssakramente zu. Um 
zu erkennen, was Apostasie ist, müssen wir zuerst wissen, was man unter 
dem Worte »Beligion* zu verstehen hat. Beligion ist die Beobachtung der 
Gebote Christi. Jede schwere Sünde müssen wir als Apostasie bezeichnen * r 
man weicht sogar schon dann von den Gesetzen Gottes ab, wenn man ver¬ 
säumt, etwas Gutes zu tun ocer seine Pflichten zu erfüllen. Die nicht¬ 
begüterten Orden der Bettelbrüder wurden nun in der Absicht gegründet* 
die Kirche auf den rechten V eg zu leiten und den Klerus zur Armut zu- 

*} Vgl. J. Loserth, Wiclifs Lehre vom wahren and falschen Papsttum. 
Hist. Zeitschr. 99. 237—255. 

*) ed. Herzberg-Fränkel et DziewickL London 1898. 

*j ed. M. H. Dziewicki. London 1888. 

«) ed. M. H. Dziewicki. London 1893. 



720 


Literatur. 


rüekzuführen. Sie werden dieser Aufgabe aber nicht gerecht, sie haben 
sich von dem Willen des Herrn abgewandt, sie sind selbst weltlich gesinnt 
und werden so zu Verrätern Gottes, zu Dienern des Teufels. Ihr Bettel 
ist Sünde. Mit Lügen und Schmeicheleien betören sie das Volk und locken 
ihm Gaben heraus, um dann den Erlös ihres Raubes in Luxus und Schwelgerei 
zu vergeuden. Schwere Sünde laden aber die Bettelbrüder auch dadurch 
auf sich, daß sie Irrlehren über das Altarssakrament verbreiten und be¬ 
haupten, die Hcfstie werde durch die Worte der Wandlung zum Leibe 
Christi. Das Wesen des Altarssakramentes vermag man nur dann zu er¬ 
gründen, wenn man sich gegen alle trügerischen Entscheidungen der Päpste 
und der Konzile an die Lehren der Bibel hält Die Heilige Schrift weiß 
nichts davon, daß Christus unter der Gestalt des Brotes körperlich an¬ 
wesend sei. Die Auslegung der Kirche ist ganz unverständlich und ver¬ 
geblich würde sich ein Priester bemühen, ihren Sinn einem Laien klar zu 
machen. Sollten wir denn, sagt Wiclif, wirklich glauben, daß die Geist¬ 
lichen täglich am Altäre Christus »machen 4 können und daß dies an so 
vielen Orten der Erde oft und oft zu gleicher Zeit geschehe? Daß Christi 
Leib gebrochen, verbrannt, von mutwilliger Hand oder von unvernünftigen 
Tieren zerstört werden könne? Blasphemie wäre es, das alles zu be¬ 
haupten. Brot und Wein werden allerdings durch die Worte der Wandlung 
zum Leibe und Blute Christi, aber nicht im körperlichen Sinne. Christus 
ist in geistiger Weise unter jenen Gestalten, die in ihrer Wesenheit be¬ 
stehen bleiben, verborgen. Überall im Volke muß diese wahre Lehre vom 
Abendmahl verbreitet werden. An zwei Stellen unterbricht Wiclif seine 
Ausführungen, um die Angriffe auf die weltliche Macht der Kirche und 
die Stellung des Papstes zu erneuern (Cap. 7, 88 ff. und cap. 15, 201 ff).* 

In dem letzten Buch der Summa De blasphemia sucht Wiclif dar¬ 
zulegen, auf welche Art die einzelnen Glieder der Hierarchie dieses Lasten 
schuldig werden. Ebenso wie jede Sünde Simonie und Apostasie in sich 
schließt, ist sie auch mit Blasphemie verbunden. Blasphemie begeht man, 
wenn man Gott Eigenschaften zuschreibt, die er nicht besitzt, wenn man 
ihm die seinen raubt, oder wenn man selbst göttliche Gewalten beansprucht 
Es ist leicht zu erkennen, daß die römische Kurie die Wurzel aller Blas¬ 
phemie ist. Der Papst läßt sich als heilig verehren und nimmt die erst9 
Stelle in der Kirche ein. Nicht nur die obersten Glieder des Klerus, sondern 
auch die niedersten, die Bettelbrüder, begehen Blasphemie. Sie verbreiten 
falsche Ansichten über das Altarssakrament und sagen, man müsse die Hostie 
wie einen Gott verehren. Endlich behaupten sie auch, daß der Papst un¬ 
fehlbar sei und erheben seine Aussprüche über die Worte der Heiligen 
Schrift Doch sind auch olle Kardinäle, Bischöfe, Prälaten, Äbte, Kanoniker, 
Mönche und Priester von diesem Laster ergriffen. Die Ursache darf man 
nur in dem unerlaubten Streben nach irdischem Gute suchen. Besonders 
verderblich ist daß die Priester selbst durch das Sakrament der Buße Geld 
zu gewinnen trachten. Zum Schlüsse erhebt Wiclif noch sieben Forderungen, 
die er an den König richtet und die mit seinen Lehrsätzen von der Au¬ 
torität der Bibel, von der Wertlosigkeit der päpstlichen Exkommunikation 
und von der Armut der Kirche im Zusammenhänge stehen (cap. 17, 270 f). 

Man vermag in den einzelnen Büchern der Summa Theologiae 
deutlich die allmähliche Ausbildung der Glaubenssätze Wiclife zu verfolgen. 



Literatur. 


721 


Als er begann, seine ersten Traktate zu schreiben, ahnte er wohl selbst 
nicht, zu welchen Ergebnissen ihn seine Untersuchungen fuhren sollten. 
Wenn er auch mit festen Absichten und Zielen an die Ausarbeitung seines 
großen Werkes herantrat, so haben ihn doch seine eigenen Forschungen 
und die Angriffe seiner Gegner weitab yon der vorherbestimmten Bahn 
gelenkt und seiner reformatonschen Tätigkeit neue Gebiete erschlossen. In¬ 
haltlich nehmen die zwei letzten Traktate eine gesonderte Stellung ein. 
Während die ersten neun Bücher vornehmlich dem Kampfe gegen die 
weltlichen Machtbestrebungen der Kirche und den reichen Besitz des Klerus 
gelten, sind jene durch die Abendmahlslehre und durch immer heftiger 
werdende Angriffe auf die Bettelorden gekennzeichnet. Der Traktat De 
simonia vereint beide Gruppen. Er steht dem Inhalte nach in engster 
Beziehung zu den vorangegangenen Werken, läßt aber doch an einzelnen 
Stellen erkennen, daß die Abendmahlstheorie zur Zeit seiner Abfassung 
schon vollkommen ausgebildet war. 

Die Entstehungszeit der Summa Theologiae umfaßt nur eine geringe 
Anzahl von Jahren. Nach den Forschungen Loserths 1 ) stammt der 
Traktat De civili dominio aus dem Jahre 1377. In rascher Folge schlossen 
sich die späteren Werke an. 1378 sind die Traktate De veritate sacrae 
scripturae und De ecclesia, 1379 De officio regis und De potestate papae, 
1379/80 De simonia, 1380 (?) De apostasia und 1381 De blasphemia ver¬ 
faßt worden. (Schluß folgt). 

Graz. Mathilde Uhlirz. 


Der Briefwechsel des Eneas Silvius Piccolomini.Heraus¬ 
gegeben von Rudolf Wolkan. IL Abteilung: Briefe als Priester 
und als Bischof von Triest (1447—1450). [Fontes rerum Austriacarum 
II. Abt LXVII. Band] Wien, 1912. In Kommission bei Alfred Holder. 
8°. XV u. 293 SS. 

Den beiden Bänden der >Briefe aus der Laienzeit* des Eneas (er¬ 
schienen 1908 als Band LXI und LXH der IL Abt. der Fontes rer. Austr.) 
läßt Wolkan nun die private und amtliche Korrespondenz jenes Zeitraumes 
folgen, der zwischen dem Eintritt Eneas* in den geistlichen Stand und seiner 
Ernennung zum Bischof von Siena liegt Eneas selbst hatte die Briefe dieser 
Periode zu einer eigenen Sammlung vereinigt die er dem Krakauer Erz¬ 
bischof Zbigniew Oiesnicki widmete. Leider ist es nicht möglich ge¬ 
wesen, die an Oiesnicki übersandte Handschrift wiederaufzufinden, die den 
Briefwechsel dieser kurzen aber bedeutsamen Epoche jedenfalls ziemlich 
lückenlos darbot während sich mit Hilfe der Drucke und der an mancherlei 
Orten verstreuten Abschriften nur mehr ein bescheidener Best des ursprüng¬ 
lichen Briefmaterials zustandebringen ließ. Immerhin konnte aber Wolkan 
den 31 bereits früher publizierten Stücken noch 16 völlig unbekannte 
hinzufugen, so daß seine Edition auf insgesamt 47 Briefe anwuchs, von 


*) Studien zur Kirchenpolitik Englands im 14. Jahrhundert 1. 8b. d. Ak 
Wien, phil.-hißt. Kl. 136. 78. — De civili dominio. IV. Einl. XIII ff. 


47* 



722 


Literatur. 


denen 44 der privaten, 3 der amtlichen Korrespondenz angehören. Der 
Inhalt der Schreiben ist dem ausgebreiteten Bekannten- und Interessenkreise 
des Eneas entsprechend ein sehr mannigfaltiger, aber im Allgemeinen über¬ 
wiegen doch Mitteilungen politischer Natur; zuweilen wird auch eine um¬ 
fangreiche wissenschaftliche Abhandlung in die Form der »epistula* ge¬ 
kleidet, der Brief wird dann zum »Brieftraktat* und gerade der vorliegende 
Band enthält eine Anzahl Prachtexemplare dieses Genres wie z. B. die 
Traktate über die Entstehung und Bedeutung des römischen Imperiums, 
über die Erziehung der Kinder oder über des Baseler Konzil, Arbeiten, 
deren Wichtigkeit man an dem Umstande ermessen kann, daß sie bereits 
Gegenstand eingehender Spezialuntersuchungen geworden sind. 

Dem eigentlichen Briefwechsel hat Wolkan als Anhang.noch zwei Ge¬ 
sandtschaftsberichte Eneas eingereiht, die zwar schon bekannt waren, 
aber in so unvollkommenen Drucken Vorlagen, daß es geboten schien, die 
beiden Texte in verbesserter Gestalt nochmals herauszugeben. Die anfänglich 
gehegte Absicht, auch die gleichzeitigen Beden des Eneas im Anhang zu 
publizieren, hat Wolkan vorläufig nicht ausgefuhrt, sondern ihre Edition 
für einen späteren Zeitpunkt in Aussicht gestellt. Wir nehmen ihn beim 
Wort und hoffen sowohl der HL Abteilung des Briefwechsels als auch den 
»Beden* des Eneas baldigst begegnen zu können l ). 

Wien. H. v. Ankwicz. 


Studien zur Geschichte Bosniens und Serbiens im 
Mittelalter von Dr. Ludwig v. Thallöczy, deutsch übersetzt von 
Dr. Franz Eck hart, Verlag von Duncker & Humblot, München und 
Leipzig 1913, 8°, XII und 478 S. 

Dieses Werk, 1909 in ungarischer Sprache erschienen, bietet reichen 
Aufschluß über die Verhältnisse besonders des 15. Jahrhunderts. Der Ver¬ 
fasser war nach seinen Worten bestrebt, »dem üppigen Legendengestrüpp 
der Balkangeschichte* aus dem Wege zu gehen und »Bausteine als solides 
Material für die Balkangeschichte* zu sammeln. Das Werk bietet viel neues 
Urkundenmaterial, meist aus dem »Archivo de la corona de Aragon* in 
Barcelona und ans ungarischen und österreichischen Familienarchiven. 

Eröffnet wird das Buch durch eine Untersuchung über den Ursprung 
des bosnischen Banates, auf Grund von slavischen Urkunden von 1320— 
1380 aus dem Archiv des Fürsten Batthyany in Könnend, welche der Ver¬ 
fasser mit Unterstützung des Professors von Beäetar schon in den »Wissen¬ 
schaftlichen Mitteilungen aus Bosnien*, Bd. 11 (1909) mit Faksimilier 
herausgegeben hat. Diese für die Adelsgeschichte und Topographie des 
nordwestlichen Bosniens sehr wichtigen Dokumente betreffen die mächtige, 
mit den kroatischen Subici verwandte Familie Hrvatins, ans welcher später 
der bekannte bosnische Magnat Hrvoje, Herzog von Spalato (f 1416) her- 

*) In der »Vergleichstafel« (Konkordanz) ain Schlüsse des Bandes fehlen die 
Briefhummern 25 und 27, ein wohl nur zufälliges Versehen, das der Brauchbarkeit 
der im Übrigen mit großer Sorgfalt gearbeiteten Ausgabe weiter keinen Ab¬ 
bruch tut. 



Literatur. 


723 


vorgegangen ist. Dabei stellt Thallöczy die bisher so dunkle Genealogie 
der bosnischen Dynastie der Kotromaniöi seit dem 13 . Jahrhundert fest 
Erwähnt wird auch die wahrscheinlich durch die Grafen von Blagay in 
Kroatien vermittelte Verwandtschaft der deutschen Geschlechter der Schärfen¬ 
berge und der Ortenburger in den Ostalpen mit dem bosnischen Herrscher¬ 
haus. 

Es folgen sieben biographische und genealogische Studien. Die erste 
betrifft den auch in Slavonien begüterten Prätendenten »König* Badivoj 
(1429—1463), einen Bruder des vorletzten bosnischen Königs Stephan 
Thomas. Badivoj hatte bei dem Verlust der serbischen Hauptstadt Sme- 
derevo (Semendria) an die Türken 1459 eine große Schuld und wurde 
deshalb von König Mathias von Ungarn verfolgt, aber schon bald nahmen 
ihn die Türken bei der Eroberung Bosniens gefangen und ließen ihn ent¬ 
haupten. Der zweite Artikel bespricht die bosnische Königin Katharina, 
Witwe des Königs Thomas, welche in Born lebte (f 1478) und den bos¬ 
nischen Thron dem päpstlichen Stuhl vermachte. In der dritten Studie 
werden die Brankowiöi besprochen, die letzte serbische Dynastie, deren Nach¬ 
kommen stets noch mit dem Titel von Despoten in Syrmien die Grenze 
von Südungam verteidigten; es folgen ihnen dort bis 1536 die verwandten 
Berislavici aus Kroatien. Weiter bringt das Buch einige ausführliche Ab¬ 
handlungen über die Begründer der Herzegowina, aus der Familie Kosaöa, 
den Großwoiwoden Sandalj (f 1435) und seinen Neffen, den Herzog Stephan 
(t 1466). Den Herzogstitel hat Stephan (1448) nach der gründlichen 
Untersuchung von Thallöczy weder von Friedrich HL, noch von Alfons von 
Aragonien oder vom Papst erhalten, sondern sich selbst beigelegt. Eine 
wichtige Entdeckung sind die Urkunden Friedrichs HI. und des Königs 
Alfons mit der Aufzählung aller Burgen des Stephan. Dunkel und ver¬ 
worren sind die genealogischen Fragen. Die zweite und dritte Frau Stephans 
stammten aus nicht näher angegebenen deutschen Geschlechtern, Barbara 
(1455) als »filia illustris ducis de Payro* (Bayern?) und Caecilia (1460). 
Treffend ist bei Thallöczy die Charakteristik dieses schlauen, veränderlichen, 
leichtsinnigen und egoistischen Dynasten (S. 159, 188); »er hätte das Mo¬ 
dell eines Macchiavelli des Balkans sein können*. Ausführlich wird die 
Geschichte seiner Söhne untersucht, des Vladislav, dessen Nachkommen als 
ungarische Bannerherren noch im 16. Jahrhundert Gutsbesitzer in Slavonien 
waren, des Vlatko, dessen Geschlecht sich unter dem venetianischen Adel 
behauptete, und des Stephan, der als Achmed Mohammedaner wurde und als 
Schwager des Sultan Bajazid H. viermal die Würde eines osmanischen 
Großveziers bekleidete. 

Den Schluß bildet eine wertvolle Studie über die Wappen und Siegel 
der Bosnier und Serben im 13.—15. Jahrhundert, mit zahlreichen ge¬ 
lungenen Abbildungen; dabei werden auch aus den Wappenchroniken von 
Konstanz, des Ulrich von Beichenthal (1418) und Konrad von Grünenberg 
(1483) sehr wichtige, bisher unbeachtete Nachrichten herangezogen. 

Als Beilage H folgen (S. 323—449) ein hundert laleinische Urkunden 
(1301—1528), meist aus Barcelona, Venedig, Mantua und den Archiven 
von Ungarn. Zur Erläuterung dienen zwei Karten, der »Donji Kraji* 



724 


Literatur. 


(partes inferiores) im Nordwesten Bosniens und des Gebietes der Kosaca, 
sowie das Faksimile einer slawisch geschriebenen Urkunde des Königs 
Mathias. Die Benützung des Werkes erleichtert ein gutes Begister. 

Wien. C. Jireöek. 


Walter Sohm, Die Schule Johann Sturms und die 
Kirche Strassburgs in ihrem gegenseitigen Verhältnis 
1530—1581. Ein Beitrag zur Geschichte deutscher Renaissance (Histo¬ 
rische Bibliothek, Bd. 27. München und Berlin, K. Oldenbourg, 1912). 
XIV + 317 S. Kart M. 8-— *). 

Es ist kein Zufall, daß Fragen der Schule und Pädagogik gerade an 
zwei Höhepunkten der nationalen Entwicklung Deutschlands in den engeren 
Gesichtskreis des Historikers treten: die Reformation wie die Erhebung 
Preußens vor 100 Jahren griffen beide so tief in das Leben der Nation 
ein, daß sie mit allen lebendigen Kräften in Berührung kommen mußten, 
und für diese beiden Bewegungen war es andrerseits ein großer und wie¬ 
derum nicht zufälliger Vorteil, daß sie die Schule in solchen Augenblicken 
trafen, in denen diese fähig und bereit war, selber einen großen Auf¬ 
schwung zu nehmen und anderen Bestrebungen den kräftigsten Impuls zu 
geben. Aber wie verschieden waren doch die Mächte, die im Anfang des 
lß. Jahrhunderts an die Schule herantraten, von denen um 1813. Von 
Kirche und Religion war hier nicht mehr und noch kaum wieder die 
Rede, mit der Ästhetik aber und der Philosophie und auch mit dem er¬ 
wachenden Staatsgefühle konnte sie sich schnell zu wundervoll tönenden Sym¬ 
phonien verbinden, die wir etwa in Altensteins Denkschrift von 1807, in Fichte« 
Reden an die deutsche Nation und in Goethes pädagogischer Provinz hören. 

Im 16. Jahrhundert aber trafen sich Schule und Kirche, Pädagogik 
und Religion, und wenn die Schule oder, was hier fast dasselbe ist, der 
Humanismus, sich nicht sofort beugen wollte, so mußte es einen scharfen 
Kampf geben. Denn das ist das Zeichen der Zeit, daß sie sich die Mög¬ 
lichkeit einer gleichberechtigten Vereinigung irgend einer Kraft mit der 
Religion nicht vorstellen konnte. 

Es ist an sich keine neue Kenntnis, daß Johann Sturm, der Straßburger 
Rektor, eine solche Harmonie durch die pietas literata herzustellen suchte, 
eine Harmonie, in der allerdings letzten Endes doch den Literae und ihren 
Vertretern der leoninische Teil zugefallen wäre; aber die Art, wie S. die Vor¬ 
stellungen und Ideen Sturms aus seinen Schriften heraus nachweist und 
unsere Kenntnis verfeinert und vertieft, ist fast ganz neu. In eingehendster 
Interpretation der Begriffe Sturms bestimmt er ihre Stellung zu den antiken 
Quellen und zu den religiösen und pädagogischen Kräften der eigenen Zeit 
Es ergibt sich, daß Sturm sich eng an Ciceros Bild des Orators anschließt 
und daß er gegenüber der sachlichen Vertiefung des Unterrichts, die Me- 
lanchton anstrebt alles Heil für den Menschen und auch für die Religion 
von einer rein formalen Ausbildung erwartet. Diesem ersten mehr syste¬ 
matischen Teil, in dem S. seine Vorgänger an Tiefe, einfühlendem Begreifen 

4 ) Das Ms. dieser Anzeige wurde im Februar 1913 abgesandt_Walter Sohm 

ist zu Beginn des Krieges gefallen; sowohl das hier besprochene Buch wie seine spä¬ 
teren Schriften zeigen, einen wie schweren Verlust die Wissenschaft damit erlitten hat. 



Literatur. 


725 


und an Klarheit teilweise recht erheblich übertrifft, folgt der viel längere 
erzählende, der die Stellung der Sturmschen Schule zu Staat und Kirche 
in seinen verschiedenen Phasen bis zur schließlichen unvermeidlichen Nieder* 
läge Sturms 1581 berichtet. Die Stellung zu Staat und Kirche! Es liegt 
durchaus in der Natur der Sache, daß nicht, wie der Titel wohl erwarten 
lassen müßte, nur vom Verhältnis der Schule zur Kirche die Bede ist (vgL 
auch 8. 195), aber es ist vielleicht zu bedauern, daß nicht die staatlichen 
Beziehungen noch etwas ausführlicher als selbständiger Teil behandelt sind 
und dann dem entsprechend der Titel erweitert worden wäre. 

Der größte Vorzug auch dieser erzählenden Teile liegt durchaus in 
der Erfassung der geistigen Kräfte; es wird hier nach so langer Zeit einmal 
gezeigt, wie viel wirklich gelebtes Leben, wie tiefe praktische Gegensätze 
in den sonst so ungern bearbeiteten Lehrdifferenzen doch verborgen liegen, 
aber S. unterliegt Auch gleich wieder ein wenig — nur ein wenig — der 
Gefahr, andere Momente der historischen Wirklichkeit über den Lehrstreitig¬ 
keiten etwas zu vernachlässigen. Nicht, als ob nicht auch die einzelnen 
Momente des Kampfes durchaus eingehend behandelt seien, klar und durch¬ 
sichtig geordnet an Hand der sorgfältig benutzten Literatur und eines an¬ 
scheinend gut ausgeschöpften umfassenden handschriftlichen Materials — es 
handelt sich bei meinen Bedenken lediglich um die Beurteilung der Wich« 
tigkeit der mehr äußeren Momente des Kampfes. Übrigens beleuchtet doch 
auch S. mindestens die Charaktere der Gegner an manchen Stellen. 

Auf den Verlauf der Kämpfe und auf die Persönlichkeiten — außer 
Sturm vor allem Zanchi, Marbach und Pappus — kann hier nicht einge¬ 
gangen werden, genug daß S. übeiall die typische Bedeutung der lokalen 
Vorgänge heraushebt, daß er überall die Tragweite der allgemeinen Kräfte, 
die in den Gegnern wirken, genau bestimmt, und daß er gerade dadurch, 
obgleich er den weiteren äußeren Kähmen nur leise andeutet, sein Thema 
durchaus in das Gebiet der allgemeinen Geschichte der Renaissance und des 
Humanismus in Deutschland hineinstellt. 

Daß in einem Buch, das so sehr auf scharfe Begriffsbestimmung aus¬ 
geht, die Formulierungen hin und w ieder Anstoß erregen können, ist leicht 
begreiflich. Wenn z. B. S. 16 der Gedanke der Praedestination dem einer 
weltfrohen Bildung gleichgesetzt zu werden scheint, so ist zu bemerken, 
daß zwar logisch die Praedestinationslehre eine solche Folge hätte haben 
können, daß sie sie aber historisch doch nicht gehabt hat; mindestens muß 
man die weitgehendsten Einschränkungen und Unterschiede dabei machen. 

Jena. Albert Elkan. 


Zwingmann Heinrich, Der Kaiser in Beich und Christen¬ 
heit im Jahrhundert nach dem westfälischen Frieden. Ein 
Versuch über die Methode in der gegenwärtigen Geschichtschreibung. 
Leipzig, K. F. Koehler 1913, 64 S. 8°. 

Zwingmann, ein Schüler Max Lehmanns, will die Bedeutung von 
Kaiser und Reich, wie sie nach 1648 wirklich war, untersuchen. Er 
geht hiezu einen eigenartigen Weg. Er verfolgt zunächst in einem ersten 



726 


Literatur. 


Teil streng aktemnäßig in guter und klarer Übersicht die Mobilmachungen 
des immerwährenden Reichstages seit 1663. Er verfolgt diese kläglichen, 
immer wieder vom Kaiser angeregten und immer wieder am Partikularismus 
der Stände scheiternden Versuche der Organisation einer Reichsdefension 
und er macht nun folgenden Schluß (S. 25 f£). Wenn wir sehen, wie vor¬ 
sichtig und ungern die Stände dem Kaiser und dem Reiche zu Hilfe kamen, 
wie unzulänglich die Einzelhilfe und wie unmöglich das beständige Hilfs¬ 
werk war, so müssen wir daraus schließen, wie stark und unverwittert 
noch die Autorität von Kaiser und Reich dastand. Denn wenn die Stände 
so eifersüchtig ihre eigene Autorität zu wahren strebten und sie gegen¬ 
einander und gegen den Kaiser so ängstlich behüten, so muß die Autorität 
des Reiches doch noch verhältnismäßig fest und konkret in der Vorstellung 
der Zeit vorhanden gewesen sein. Und wenn das Reich kein stehendes 
Heer hat und es zu keinem bringt, wenn es immer nur im Einzelfalle, 
mit Mühe und Not eine »Macht 4 schafft, so müssen wir schließen, daß die 
Autorität im Reiche überhaupt nicht auf Macht in unserm Sinne beruhte, 
sondern daß vielmehr die »machtfremde alte Autorität seine wirkliche 
Grundlage 4 gewesen ist. Man dürfe nicht moderne Vorstellungen und 
Voraussetzungen in jene Zeit hineintragen, wolle man nicht dogmatisch 
verfahren (S. VI). 

Syllogismen als Form historischer Beweisführung sind jedenfalls etwas 
ungewohnt und der Verf. macht sie durch die Verwendung philosophischer 
Terminologie (nominalistisch, realistisch) und durch eigenartige Ausdrucks¬ 
weise (z. B. autoritativ = Autorität anerkennend) nicht klarer. Aber sehen 
wir davon ab, so finden wir in den Ausführungen Zwingmanns einen be¬ 
merkenswerten Kern. Wir würden ihn, schlicht ausgesprochen, etwa so er¬ 
fassen können. Die Stände des Reiches hatten ja eine seit 1648 auch 
reichsgesetzlich anerkannte partikulare Macht und Libertät, über die sie 
eifersüchtig wachen, damit sie ihnen nicht geschmälert werde durch die 
Autorität von Kaiser und Reich. Diese Autorität war im Laufe der Zeit 
eine wesentlich ideelle geworden, aber als solche ist sie noch stark, als 
solche ist sie noch eine Macht, auch wenn sie an sich keine reale Macht 
in unserem heutigen Sinne besitzt. Aber, so möchten wir hinzufugen, die 
kaiserliche Autorität stand doch in engster Beziehung und Verbindung mit 
der realen Macht der österreichischen Habsburger und daraus erklärt sich 
erst ganz die ewige Furcht der Reichsstände, daß diese doppelte Macht, 
wenn sie etwa noch stärker würde, die ständische Libertät vernichten und 
eine kaiserliche Tyrannis aufrichten könnte. 

In einem zweiten Teile »Zur Kritik der modernen deutschen Geschicht¬ 
schreibung 4 unternimmt dann Zwingmann zu zeigen, daß neuere Darstel¬ 
lungen der deutschen Geschichte nach 1648 eben infolge des Hineintragens 
moderner Vorstellungen jener Zeit nicht gerecht wurden und ihre Er¬ 
scheinungen nicht befriedigend zu erklären vermochten, da sie die Voraus¬ 
setzung alles Partikularismus der Stände, nämlich die Existenz der Reichs¬ 
und kaiserlichen Autorität, leugneten oder als ganz unwesentlich hinstellten. 
So gerieten manche neuere Historiker in einen gewissen Gegensatz zu den 
wirklichen Verhältnissen und zu den Anschauungen der damaligen 
Zeit selber. An verschiedenen Fällen, wo die Autorität des Reiches ange¬ 
rufen ward, und wo ihr Eingreifen in Reichsangelegenheiten als selbstver- 



Literatur. 


727 


atändlich betrachtet wurde, zeigt der Verf. die Existenz und das Walten 
dieser Autorität. An der Geschichte des Eheinbundes von 1658 sucht er 
in origineller Weise darzutun, daß das Antinationale, das uns bei dieser 
Verbindung deutscher Fürsten mit Frankreich so unsympathisch erscheint, 
nur dadurch erklärlich sei, daß man damals den Gegensatz der fürstlichen 
Libertät gegenüber der kaiserlichen Autorität viel stärker empfand und den 
Schutz der Libertät viel nötiger erachtete, als das nationale Moment und 
so über nationale Bedenken hinübergehoben wurde. Daher muß Kaiser und 
Reich noch eine starke Autorität gewesen sein. Es sei daher falsch und 
eine Interpretation damaliger Verhältnisse nach modernen Maßstäben, 
daher unhistorisch und dogmatisch, wenn das Eeich als fast nicht mehr 
existierend hingestellt werde, oder als etwas ganz Undefinierbares und Ver¬ 
schwommenes. »Die ältere deutsche Geschichtschreibung, sagt Zwingmann 
S. 35 und er meint damit besonders Droysen, streicht das Eeich ganz, die 
jüngere und gemäßigtere — er meint z. B. Erdmannsdörffer, Zwiedineck — 
steht vor ihm, wie vor einem unerklärlichen monstri instar. Auf diesen 
beiden Folien führen nun die beiden Eichtungen Brandenburg ein; wie auf 
einen leeren, verödeten Plan tritt es bei der älteren, als Better in Not 
und Verwirrung nur etwas zaghaft und tastend tritt es bei der gemäßigten 
Geschichtschreibung auf und nimmt fortan die deutschen Angelegenheiten 
in seine Hand, nach der älteren Meinung mit vollem klaren Bewußtsein, 
nach der jungem in dem bekannten dunkeln Drange, der sich des rechten 
Weges wohl bewußt ist«. 

Zwingmann hat nach unserer Ansicht im wesentlichen Recht. Wer die 
Quellen, die Literatur, die Wirklichkeit jener Zeit unbefangen kennen lernt, 
der wird allseitig und immer wieder den Eindruck gewinnen, daß der 
Reichsgedanke, die Reichsautorität im 17. Jahrhundert noch durchaus 
lebendig war, daß das Eeich noch eine Macht war, freilich nicht durch 
Soldaten und Finanzen, aber in der Idee, verkörpert durch den Kaiser. Bei 
all ihrem Partikularismus sahen auch die deutschen Fürsten doch im Kaiser 
das Oberhaupt des Reiches, die Quelle ihrer Rechte und ihres Bestandes, 
und im Kaisertum die zusammenhaltende Autorität Wer von der neueren 
Geschichtschreibung herkommt, an die originalen Zeugnisse der Zeit selbst 
herantritt und sie unbefangen auf sich wirken läßt, der ist ganz erstaunt, 
trotz aller Zerklüftung und Jämmerlichkeit der Zustände, trotz allen Ge¬ 
gensatzes gegen den Kaiser doch den Reichsgedanken so selbstverständlich 
und so kräftig zu finden. Man muß sich nur losmachen von der Vor¬ 
stellung, daß das Reich hätte ein starker oder gar absoluter monarchischer 
Staat sein oder werden sollen, wie etwa Frankreich. Das Deutsche Reich 
war im Grunde schon seit dem Ende des 13. Jahrhunderts das geworden, 
was es eben blieb. Wenn man heute gelernt hat die mittelalterlichen Zu¬ 
stände zu verstehen, so muß man erst noch oder erst wieder lernen, das 
Deutsche Reich der neueren Jahrhunderte zu verstehen. Es war ja nichts 
wesentlich anderes, als das Reich des späteren Mittelalters. Man darf also weder 
eine starke Monarchie verlangen, noch, wenn man diese nicht findet, sagen, 
es habe überhaupt so gut wie kein Reich gegeben, oder das Reich abtun 
wollen mit dem bis zum Überdrusse zitierten Ausspruche Pufendorfs von 
dem »irreguläre aliquod corpus et monstro simile«. Pufendorf sagte dies, 
nebenbei bemerkt, überhaupt nur im Hinblick auf die aristotelischen Ka- 



728 


Literatur. 


tegorien der Staatsformen, in die das alte Deutsche Reich freilich nicht 
paßte — das hat kein Geringerer als Reinhold Koser schon betont (Histor. 
Zeitschr. 96, 196). 

So ist denn, glaube ich, nicht zu bestreiten, daß in der neuem Histo¬ 
riographie öfters eine Verschiebung des wahren, jener Zeit gemäßen Stand¬ 
punktes bei Betrachtung der deutschen Geschichte nach 1648 eingetreten 
ist. Man hat diese Geschichte geschrieben, als wenn schon seit damals 
Brandenburg-Preußen der politische Mittelpunkt Deutschlands gewesen wäre, 
während dies doch in Wirklichkeit noch lange der Kaiser und der Kaiserhof 
geblieben ist 

Wir wissen und verstehen es vollkommen und dürfen es gerade in 
diesen großen Tagen unseres deutschen Volkes ruhig und ohne mißver¬ 
standen zu werden, aussprechen: die Auffassung und Darstellung der 
deutschen Geschichte der letzten Jahrhunderte ist sehr bedeutend durch 
die politische Entwickelung der letzten fünfzig Jahre beeinflußt worden, die 
herrliche Errungenschaft der Begründung des neuen Deutschen Reiches unter 
der Führung Preußens wurde 200 Jahre zurückprojiziert. Nunmehr aber 
ist es Zeit zu einer wahrhaft unbefangenen Anschauung der deutschen 
Vergangenheit Und ich bin davon überzeugt, daß die großen Ereignisse* 
die Deutschland und Österreich in treuester Blutbrüderschaft unlöslich ver¬ 
bunden haben, auch dazu beitragen werden, die Geschichte der letzten Jahr¬ 
hunderte des alten Deutschen Reiches recht zu erkennen und zu beurteilen. 

Wiem Osw. Redlich. 


Bertrand Auerbach. La France et le Saint Empire Ro¬ 
main Germanique depuis la paix de Westphalie jusqu’a la revo- 
lution fran9aise. Paris, librairie ancienne Honore Champion, 1912. 
(Bibliotheque de Pecole des hautes Stüdes 196® fase.) [X] — LXX1 V 
— 487 S. 8°. 

Auerbach, dem wir schon die wertvolle Studie, La diplomatie fran^aise 
et la cour de Saxe* verdanken, hat vor einigen Jahren im Reeueil des in- 
structions donnees aux ambassadeure et ministres de la France (XVHL Di£te 
Germanique) das reiche Material an Instruktionen veröffentlicht die 
den Vertretern Frankreichs beim deutschen Reichstage erteilt wurden. Im 
Zusammenhang mit dieser großen Edition muß auch sein bedeutendes dar¬ 
stellendes Werk gewürdigt werden. Ja, die umfangreiche Einleitung des 
letzteren ist in Disposition, Inhalt und Wortlaut mit ganz geringen Ab¬ 
weichungen die gleiche wie im Reeueil: ein guter knapper Überblick über 
die territoriale Zusammensetzung des Reiches, die Theorien der Zeitgenossen 
über seine Verfassung, die Zahl der Mitglieder und die Kollegien des Reichs¬ 
tages, seine Geschäftsordnung und Rechte, die Prärogativen des Kaisers 
u. s. w. Die Beziehungen Frankreichs zur Reichsveraammlung, über die 
im Reeueil nur eine kurze Übersicht gegeben werden konnte, bilden hin¬ 
gegen den Hauptinhalt der gleichzeitig erschienenen umfassenden und ein¬ 
dringenden Darstellung. So ergänzen sich beide Werke. Auerbachs Ar¬ 
beiten haben vor denen so vieler anderer Franzosen den Vorzug gewissen- 



Literatur. 


729 


hafter Heranziehung und Verwertung der deutschen Literatur, selbst der 
entlegeneren, sie benutzen außer den Instruktionen auch reichlich anderes, 
archivalische Material und zeigen nebst wesentlichen Aufschlüssen über die 
Tatsachen auch, wie diese Anzeige wohl ergeben wird, immerhin einen 
Fortschritt der Auffassung. 

Die Darstellung setzt eingehender mit der Sendung Vautortes 1653 ein. 
Natürlich steht die Frage des Elsaß zunächst im Vordergründe. Auerbach 
strebt ersichtlich nach Unbefangenheit; soll man hoffen, daß die Zeit Le- 
grelles in der französischen Geschichtschreibung allmählich überwunden 
wird 1 )? Freilich auch A. sucht zu erweisen, daß die vorläufigen Abmachungen 
vom September 1646 der Krone Frankreich nicht nur die Souveränität 
über den bisher habsburgischen Besitz, sondern auch über die Reichsun- 
mittelb&ren übertragen hätten; aber er kommt doch endlich zu dem klaren 
Schluß, daß weder Frankreich noch Österreich aufrichtig vorgegangen 
sind. Die Stellung als Garant des westfälischen Friedens, mithin auch der 
Beichsverfassung, bot Frankreich die erwünschte Gelegenheit, jederzeit in 
die Beichsfragen sich einzumengen, die Uneinigkeit im Reiche zu befördern,, 
jeder Stärkung der kaiserlichen Gewalt im Interesse der fürstlichen Libertät 
entgegenzutreten. Es geht wohl schwerlich an, diese Garantie als genereux 
(8. LXX), die Politik Frankreichs, das Reich schwach zu erhalten, als Gleich¬ 
gewichtspolitik gegenüber einem Weltmachtstreben des Hauses Habsburg in 
einer Zeit zu bezeichnen, da längst Frankreich selbst nach der Vormacht¬ 
stellung in Europa trachtete. Schon Mazarin vertrat, wie A. an einer sehr 
bezeichnenden Vollmacht für Vautorte 1653 zeigt, den Gedanken, Frankreich 
solle als Reichsstand gleich Schweden und Spanien in das Reich aufge¬ 
nommen werden: er wollte auf die Souveränität der Landgrafschaft Ober¬ 
und Niederelsaß und des Sundgaus, der Landvogtei über die elässischen 
Reichsstädte und selbst der Bistümer Metz, Toul und Verdun verzichten* 
wenn dafür die Aufnahme in den rheinischen Kreis und alle Rechte der 
Beichsstände gewährt und jene Besitzungen und Rechte dem Könige ah 
Reichslehen verliehen werden. Und Ludwig XIV. hat diese Versuche zunächst 
als Marquis de Nomenil, dann als Herr eines Teils des burgundischen Kreises- 
erneuert! War da wirklich das Streben maßgebend, »die Intimität mit 
dem Reiche zu verstärken* ? 

Die größte Zeit der französischen Vertretung bezeichnet die Tätigkeit 
Gravels von 1656 bis 1661 bei der Reichsdeputation in Frankfurt, dann 
bis 1674 beim Reichstage in Regensburg. Der Rheinbund, die Kaiserwahl 
Leopolds L, der Plan Johann Philipps von Mainz eine Generalgarantie zu 
schaffen, — in allem zeigt sich die erstaunliche Geschicklichkeit des Be¬ 
vollmächtigten Ludwigs; er weiß dessen Rolle als »Schiedsrichter der Ge¬ 
schicke Deutschlands, als Protektor seiner Freiheit, als Verteidiger des 
deutschen Landes* ebenso geschickt zu vertreten, wie die beginnende Ge¬ 
waltpolitik des Königs: ihm ist es zum Teile zuzuschreiben, daß das Reich 
den burgundischen Kreis im Devolutionskriege im Stiche ließ, daß das 
Schiedsgericht in der Frage der elsässischen Reichsstädte gänzlich wirkungslos 
blieb und die Städte schließlich vergewaltigt werden konnten; er hat es 
mitbewirkt, daß die Okkupation Lothringens mit einer bloßen Armierung 


*) Vor dem Kriege geschrieben. 



730 


Literatur. 


auf dem Papiere beantwortet und daß selbst der Beginn des holländischen 
Krieges und des Kampfes mit dem Kaiser und Brandenburg untätig er¬ 
tragen wurde. Gravels Mission endete mit einem Mißerfolge, der Erklärung 
des Beichskrieges und der Ausweisung aus Begensburg 1674. Auerbach 
erkennt wohl, wie unvereinbar ein angebliches Beschützen Deutschlands mit 
der Politik der Einschüchterung war; zu voller Freiheit des Urteils vermag 
er sich doch nicht durchzuringen. Das wichtige Memoire Gravels von 1672 
und seine Erfolglosigkeit zeigen doch, daß Ludwig einen Fehlschluß beging, 
wenn er damals noch die deutschen Fürsten mit einer Liga nach dem 
Muster des Blieinbundes ködern wollte. Aber wie Auerbach anläßlich der 
so gefährlichen Bheinbundhilfe gegen die Türken 1664 meint »das Beich 
empfand nicht mit der erwarteten Dankbarkeit die Wohltat einer fran¬ 
zösischen Intervention gegen den Feind der Christenheit*, so erscheinen ihm 
Ludwigs Pläne, zugleich das Beich in Furcht und Schrecken zu setzen und 
sich als Mitglied in seinen Verband einzuschieben, während der ganzen Zeit 
als prätentions toutes modestes. 

Wir treten in die Aera der Beunionen, Verjus de Crecy ist Vertreter 
Frankreichs. Er soll sich jeder Erörterung der Streitfragen des Elsaß, 
Lothringens und der Bistümer enthalten. Unterstützt von Gottfried von 
Jena, dem Minister Brandenburgs, vermag er jede vertragsmäßige Ent¬ 
scheidung zu verhindern, auch als Straßburg fällt. Es muß anerkannt 
werden, daß A. Kaiser Leopolds Haltung gegenüber diesem Ereignisse viel 
objektiver beurteilt, als man es gewöhnt ist; aber er rühmt die Hoch¬ 
herzigkeit Ludwigs, als dieser in die Frankfurter Konferenzen eintritt und 
sich bereit erklärt, auf Grund des Status quo mit seinem bisherigen Baube 
sich zu begnügen. A. ist weit entfernt, der Liga von Augsburg jene Be¬ 
deutung zuzuschreiben, die ihr früher von französischer Seite beigemesBen 
wurde, von der Bezeichnung des Orleansschen Krieges als gu&rre de la 
ligue d’Augsbourg kann auch er sich noch nicht freimachen. 

Frankreich fährt nach der Ausweisung Veijus’ fort, unter dem Schlag¬ 
worte der deutschen Libertät Unfrieden zwischen Kaiser und Beich zu 
säen. In den Fragen des Generalarmaments, des neunten Elektorates und 
der reformierten Beligion in den abgetretenen Orten (Byswicker Klausel) 
bieten sich seinem Vertreter Bousseau de Chamoy nach dem Byswicker 
Frieden Gelegenheiten genug. Aber das nahe Verhältnis Ludwigs zu den 
evangelischen Reichsständen ist nunmehr durch seine Beligionspolitik durch¬ 
brochen, ohne daß er doch dafür die Katholiken gewonnen hätte; er muß 
sich darauf beschränken die »dritte Partei* zu fördern. Nach dem Frieden 
von Baden verliert der Begensburger Posten die alte Bedeutung. Der Re¬ 
gent Philipp von Orleans bricht mit der Politik des großen Königs, seine 
Entfremdung gegenüber dem spanischen Hofe nötigt ihn zur vorsichtigen 
Haltung, dann zur Allianz mit dem Kaiser. Frankreich hält sich zunächst 
in Begensburg vollständig neutral in allen Zwisten, die wieder zwischen 
Katholiken und Protestanten auftauchen, all die großen Ereignisse, der Ab¬ 
schluß der spanischen und nordischen Frage, die Wirren bis einschließlich 
des Wiener Vertrages 1731 gehen fast spurlos an der Begensburger Le¬ 
gation vorbei. »Frankreich hatte keine deutsche Politik im höheren Sinne 
mehr*, ruhig ließ es die Autorität des Kaisers und das Nationalgefühl er¬ 
starken, es fand sein Ziel unter Dubois und Fleury darin, die religiösen 



Literatur. 


731 


Parteien in Deutschland zu versöhnen und auf diese Weise dem Wiener 
Hofe ein Gegengewicht zu schaffen. 

Als dann der Wiener Friede 1738 den diplomatischen Verkehr nach, 
siebenjähriger Unterbrechung wieder eröffnet©, hatte der französische Minister 
nur mehr die Aufgabe, das juste milieu zwischen Anhängern und Gegnern 
des Kaisers zu erhalten, er mühte sich während des österreichischen Erb¬ 
krieges vergeblich, eine französische Partei wieder zu beleben, das Reick 
blieb neutral, wenngleich der Reichstag sich zu Karl VIL nach Frankfurt 
verlegte. Die rechte Mitte blieb die Losung, obwohl tatsächlich seit dem 
entscheidenden Wechsel der Allianzen der Anschluß Frankreichs an Öster¬ 
reich auch auf dem Reichstage fühlbar wurde. Dieses renversement des 
albances hat den Einfluß Frankreichs in Regensburg noch mehr zerstört, 
wenngleich Baron Mackau und Pfeffel jeden Verdacht einer einseitig katho¬ 
lischen Politik abwehren mußten, wenngleich Frankreich sein Eingreifen 
in den siebenjährigen Krieg auch aus dem Titel eines Garanten des west¬ 
fälischen Friedens rechtfertigen konnte, eine iüo in partes der Reichsstände 
verhinderte und wirklich dem Uberwiegen des kaiserlichen Einflusses ent¬ 
gegentrat. Die Allianz mit Habsburg, dem bisherigen Gegner der franzö¬ 
sischen Garantie, mußte ja letztere in den Augen der Verfechter deutscher 
Libertät ihres Wertes völlig entkleiden und immer blieb selbst bei den 
Gegnern Preußens das Mißtrauen lebendig. 

Nach dem Hubertusburger Frieden setzt Frankreich wieder mit größerer 
Kraft den Versuch fort, seine Gleichgewichtsidee durchzuführen, mit Bayern 
als Mittelpunkt eine dritte Partei zwischen Österreich und Preußen, be¬ 
stehend aus katholischen und evangelischen Ständen zweiten Ranges, zu 
schaffen. Keine leichte Aufgabe angesichts des Gegensatzes der beiden 
führenden deutschen Mächte, der das Reich zerriß; an ihr ist Frankreich 
völlig gescheitert. Seine Stellung als Garant verliert den Wert, bald tritt 
ihm auch Rußland in gleicher Eigenschaft zur Seite; seit 1772 beschränkt 
sich Frankreich in Regensburg fast nur auf Repraesentation und Beobachtung.. 
Wohl sucht es Friedrich IL gegen Josef H zu schützen, es steht allen 
Unternehmungen des ruhelosen Kaisers (bayrische Erbfolge, Scheldestreit, 
Kirchenpolitik u. 8. w.) ablehnend und mißgünstig trotz der Verwandt¬ 
schaftsbande gegenüber, aber der Boden in Regensburg ist verloren und 
auch die Vermittlung im bayrischen Erbkriege vermag die verlorenen Sym¬ 
pathien im Reiche nicht wieder zu gewinnen. Der neue Geist der Revo¬ 
lution hat dann den konservativen Reichstag noch mehr abgeschreckt, die 
Beschwerden der im Elsaß begüterten und von der Revolution betroffenen 
Reichsstände führten zu heftigen Zusammenstößen, das neue Regime in 
Frankreich mühte sich wohl, durch den Reichstag auch die deutsche Nation 
mit seinen Ideen zu erfüllen, seine Vertreter Barbö Marbois und Caillard aber 
erlitten an der Einigung Österreichs und Preußens und der ablehnenden 
Haltung der Reichstagsmeh/he t eine vollkommene Niederlage. 

Man wird nach all' diesen Darlegungen Auerbach gewiß nicht zu¬ 
stimmen können, wenn er die Wirksamkeit Frankreichs in Deutschland 
haute et gönereuse nennt oder wenn er die gewiß sehr richtige und schon 
oft hervorgehobene Tatsache, daß Frankreich mit dem Streben nach natür¬ 
lichen geographischen Grenzen einer Lebensnotwendigkeit folgte, gar zu 
sehr in den Vordergrund stellt (un proc&s qui attend encore sa solution I). 



732 


Literatur. 


Derartige Dinge erinnern noch stark an die alte Tendenz der Beschönigung; 
ein so tüchtiges Werk wie das A.s könnte auf sie verzichten und sich von 
der nackten Wahrheit Wirkung genug versprechen. Wie gut er zu be¬ 
obachten versteht, das zeigen u. a. seine feinen Bemerkungen über das 
Erstarken des deutschen Nationalbewußtseins; es ist ein Verdienst, Regens¬ 
burg als noyau de cristallisation de l’idee nationale erkannt zu haben« 

Erdmannsdörffer sollte nicht (S. 39) als antiösterreichischer und anti¬ 
katholischer Historiker bezeichnet werden. Wenn Josef IL ennemi de 
1’ eglise genannt wird (S. 409) oder wenn ihm als Motiv für den Erwerb 
Bayerns zugeschrieben wil d, daß ihm * dieses Land durch die Beherrschung 
der Alpenstraßen neue Aussichten auf Italien er öffnete* (S. 402), so er¬ 
weckt das schiefe Vorstellungen. 

Graz. Heinrich R. v. Srbik. 


Max Grunwald, Samuel Oppenheimer und sein Kreis. 
Ein Kapitel aus der Finanzgeschichte Österreichs. Von der Rappaport- 
Stiftung gekrönte Preisschrift (Quellen und Forschungen zur Ge¬ 
schichte der Juden in Deutsch-Österreich, hg. von der histor. Kommission 
der israelit. Kultusgemeinde in Wien 5. Band.). Wien und Leipzig, 
Wilhelm Braumüller 1913. XU. 358 S. 

Die Stellung der Juden im Wirtschaftsleben Deutsch-Österreichs ist 
nun in den »Quellen und Forschungen* zum zweiten Male durch eine 
wichtige Teiluntersuchung beleuchtet worden. Hatte uns Goldmann im 
Judenbuche der Scheffgasse zu Wien in die Welt der kleinen jüdischen 
Geldleiher um die Wende des 14. und 15. Jahrhunderts, der gefährlichen 
Geschäftsfreunde armer Gewerbetreibender und Handwerker eingeführt, so 
treten wir bei Samuel Oppenheimer und seinem Kreise in die Zeit des 
kapitalistischen Großbetriebes ein; in die Zeit, da Österreich im Kampfe 
gegen Ludwig XIV., in den Türkenkriegen, im spanischen Erbfolgekriege 
zur Großmacht wurde und in diesem Prozesse immer wieder jüdischen Ka¬ 
pitals sich bediente, in Abhängigkeit von ihm geriet. Es war eine sehr 
dankenswerte Aufgabe, die Rolle der »Hoffaktoren* in Österreich einmal 
zu untersuchen, der Hauptbankiers des Kaisers, als das Wiener Bankwesen 
noch in den Anfängen steckte, der größten Gläubiger des Staates; nicht 
nur die Finanzgeschichte, auch die Geschichte der Staatsbildung kann ans 
solchen Studien reichlich Gewinn ziehen. 

Man gewinnt ein eigenartiges Kulturbild, wenn man Grunwalds Buch, 
unbeirrt durch die oft sehr trockene und rein äußerliche Aneinandereihung 
von Zahlen, liest. Die jüdischen Familien in Wien erhalten sich trotz Aus¬ 
treibung und Steuerdruck, trotz der Abneigung der Bevölkerung mit 
staunenswerter Zähigkeit. Nach der Ausweisung von 1679/71 ist Samuel 
Oppenheimer als erster wieder dauernd in Wien «.ngftaaig geworden und hat. 
alsbald eine Reihe von Glaubensgenossen neuerdings um sich gesammelt. 
Fast unabsehbar sind nun die Geschäfte, die er mit dem Staate abschließt: 
die Hofkammer häuft bei ihm Schulden auf Schulden, er liefert immer 
wieder, sein Kredit hängt davon ab, daß neue Armeebestellungen mit ihm 



Literatur. 


733 


abgeschlossen werden, der Hofkammerpräsident Kollonitßch haßt und ver¬ 
folgt ihn und mit dem Präsidenten steht eine Beihe anderer Beamten gegen 
ihn, er wird wiederholt von seinen Konkurrenten — zumeist gleichfalls 
Juden — verdächtigt, daß er bei Sinken der Gedreidepreise doch die alten 
höheren Preise verrechne oder daß er verdorbenes Getreide geliefert habe, 
er selbst und sein Sohn werden ins Gefängnis gesetzt und schließlich weiß 
der Staat doch keinen andern Ausweg als wieder mit ihm abzuschließen. 
Die Armee hat unter Oppenheimers Fürsorge häufig nichts als schlechtes 
Brod zur Speise und Lumpen zur Bekleidung und doch kann der Mann 
nicht mit Unrecht von sich behaupten, daß er oft als einziger die Feldzüge 
ermöglicht und daß »unter seiner Mitwirkung der Kaiser Städte und Länder 
erobert hat«. Allmählich bildet sich ein förmliches Monopol des Faktors 
auf die bedeutendsten Lieferungen und auf die Kreditgewährung an den 
Staat heraus, er besorgt für alle Truppengattungen Uniformen, Waffen, 
Verpflegung, Pferde, er richtet die Feldspitäler ein, liefert das Material für 
Brücken und Schiffbau, er wirkt mit an der Ausrüstung der jungen öster¬ 
reichischen Kriegsmarine, beschafft den Sold, Kautionen, Pensionen und 
Ehrengeschenke, seine Lieferungen erstrecken sich nach Siebenbürgen und 
Serbien so gut wie nach Italien und Westdeutschland, von Holland bis 
nach Bußland verfugt er über Lieferanten, Agenten und Korrespondenten. Da¬ 
neben ist er der nie versagende Hoflieferant und Privatbankier des Kaisers, 
er unterbietet alle Konkurrenten oder verbündet sich mit ihnen, sein Kredit 
scheint unerschöpflich, der Kaiser ist schließlich wirklich, wie es in einem 
Hofk&mmerreferate heißt, fast ganz »in der Juden Hände gefallen«. 

Das alles geht aus Grunwalds Darstellung noch viel deutlicher hervor, 
als man es bisher schon wußte. An einem der wichtigsten Punkte aber 
versagt er vollständig. Es ist, kurz gesagt, die Frage, ob Oppenheimer ein 
ehrlicher Mann war. Sein Gewinst für investierte Kapitalien ist dem An¬ 
scheine nach nicht übermäßig groß: durchschnittlich 6 %, dazu noch Vs— 
3 Vs % Provision und 3 Vs—5 % Wechselagio. Natürlich hatte er be¬ 
deutende Aufwendungen zu leisten. Wie sind aber die geradezu unerhörten 
Widersprüche zwischen Oppenheimers angeblichen Guthaben an den Staat 
und den behördlichen Berechnungen der Staatsschuld zu erklären? Beispiels¬ 
weise will eine Kommission 1690 Oppenheimer an Stelle einer Forderung 
von 214.859 fl. nur 27.655 fl. zusprechen. Oder folgendes: gegen Ende 
des Jahrhunderts schuldet ihm der Staat nach seiner Berechnung mehrere 
Millionen, er besitzt fast kein eigenes Barkapital, arbeitet seit langem über¬ 
wiegend mit fremden Mitteln und leistet doch 1703 nach dem bekannten 
Volkssturme auf sein Haus wieder einen Vorschuß von 666.000 fl. Nach 
seinem Tode verlangt sein Sohn vom Ärare die Begleichung einer Schuld 
von etwa sechs Millionen, das Ärar tritt an Emanuel Oppenheimer mit 
einer Forderung von über vier Millionen heran. Die Bilanzen beider 
Parteien widersprechen sich unaufhörlich. Gewiß liegt ein Teil der Schuld 
nn der Unübersichtlichkeit tpid Wirrnis der staatlichen Finanzwirtschaft 
überhaupt, der Unfähigkeit der Hofkammer im besonderen; der Verdacht, 
•daß auch Oppenheimer falsch bilanziert hat, läßt sich doch nicht beseitigen. 
Das archivalifche Material vermag freilich keine völlige Gewißheit zu geben 
und Oppenheimers Rechnungen mögen schon bei jenem Gewaltstreich von 
1700 zum Teile zugrunde gegangen sein. In mancher Hinsicht wird 



734 


Literatur. 


Oppenheimer auch psychologisch immer ein wenig Rätsel bleiben. Objektir 
läßt sich nur ein Gesamturteil fällen: er verstrickte sich anfänglich ans 
Ehrgeiz und Gewinnsucht in gewagte Geschäfte, geriet immer tiefer in 
Kreditverbindlichkeiten, bei der geringsten Einstellung seiner Tätigkeit als 
Staatskontrahent mußte er seinen völligen Zusammenbruch unvermeidlich 
voraussehen; er hatte nicht die Charakterstärke ehrlicher Kaufleute, offen 
seinen Bankerott zu erklären; der hilflose Staat selbst drängte ihn zu neuen 
Verpflichtungen, er nahm sie immer wieder auf sich, um sich noch eine 
Weile über Wasser zu halten und die Gelegenheit zu neuen, wenig reellen 
Geschäften zu benützen; als schließlich der Staat Oppenheimers Bankerott 
doch aussprach, war das nur die Besieglung einer längst bestehenden Tat¬ 
sache. Samuel Oppenheimer hat für den Staat viel geleistet, ein ehr¬ 
licher Diener des Staates war er weder als Armeelieferant noch als S taats - 
bankier und die allgemeine Geschäftsmoral hat durch ihn schwer gelitten. 

Unter Oppenheimers Glaubensgenossen tritt manche markante Persön¬ 
lichkeit hervor. Zunächst sein Sohn Emanuel, der bis 1719 — wenig 
glücklich — die Geschäftstätigkeit seines Vaters fortzuführen suchte; oder 
Löw Sinzheim, einer der bedeutendsten Finanziers Karls VL, dann namentlich 
Simeon Wertheimer, der bevorzugte Hofbankier des letzten Habsburgers. 
Wertheimer steht in seinem Geschäffcsgebahren weit höher als Oppenheimer: 
kann n* m jenen als den Typus des waghalsigen Spekulanten bezeichnen, so 
erkennt man in diesem den soliden vorsichtigen Finanzmann. Eine lange 
Reihe von kleineren Leuten schließt sich ihnen an, Mautpächter, Münz¬ 
händler, Arendatoren, Lieferanten des Heeres, mancher gewissenlbs, mancher 
ehrliche Mann, in allen aber waltet ein nimmermüder Unternehmungsgeist, 
der schließlich doch auch für den Staat nicht wertlos war. Österreichs 
Handel und Industrie, namentlich die Fabrikengründungen der vortheresia- 
nischen Zeit, haben ihnen mancherlei zu danken. 

Eine ansehnliche Bereicherung unserer Kenntnis vermittelt uns dem¬ 
nach Grunwalds Buch. Wohl ist das ausgedehnte Material, das er vor¬ 
nehmlich dem Hofkammerarchive entnommen hat, nicht hinreichend ver¬ 
arbeitet, wohl scheut der Verfasser manchmal vor schlurfen Urteilen zurück 
und kann sich von einem leichten Schönfärben jüdischer Geschäftsleute und 
»jüdischer Kulturaufgabe, die Stoffe absterbender Gebilde zu neuen Orga¬ 
nisationen umzugestalten*, nicht ganz frei halten. Eine allzu aufdringliche 
Tendenz aber tritt nirgends entgegen und das fast überreiche Mosaik seines 
Werkes läßt sich doch unschwer zu einem einheitlichen, farbenreichen Ge¬ 
mälde gestalten 1 ). 

Graz. Heinrich R. v. Srbik. 

*) S. 1 hätte Grunwald die Bemerkung, ein Finanzetat Österreichs finde sieb 
aus älterer Zeit nur dreimal (1670, 74 und 77), vorsichtiger fassen sollen. Der 
Hofkammerpräsident Graf Sinzendorf wird immer Zinzendorf geschrieben, ein Irrtum, 
der übrigens bei vielen Autoren zu finden ist. S. 176 soll es anstatt Mätzin von 
Springfeld M. von Spiegelfeld heißen. 



Literatur. 


735 


Beschreibung des Oberamts Münsingen. Herausgegeben 
vom K. Statistischen Landesamt. Zweite Bearbeitung. Stuttgart, W. 
Kohlhammer 1912. 8°. XI und 937 S. Preis 7 Mark. 

In der neuen Bearbeitung der Württembergischen Oberamtsbeschrei- 
bnngen, die 1893 mit dem Oberamt Beutlingen einsetzte, dann Ehingen, 
Cannstatt, Ulm, Bottenburg, Heilbronn, Urach folgen ließ, ist nunmehr 
Münsingen erschienen. In dem allgemeinen Teil, der sich in die Kapitel: 
L Geographische Verhältnisse, H. Altertümer, ID. Geschichte, IV. Volkstüm¬ 
liche Überlieferungen, Mundart, V. Wirtschaftliche Verhältnisse, VI. Ver¬ 
waltung, Kirche und Unterrichtswesen, gliedert, kommt alles Wissenswerte 
über Land und Leute von der grauen Vorzeit bis zur Gegenwart nach dem 
neuesten Stand unserer Kenntnisse zur Erörterung. Die Abteilung Geogra¬ 
phische Verhältnisse ist von Bobert Gradmann, Adolf Sauer, August v. 
Schmidt und Kurt Lampert bearbeitet; die Abteilung Altertümer rührt 
von Peter Gößler her mit einem Anhang über Bodenfunde aus dem Mittel- 
alter und Bömerstraßen von Eugen Nägele. Die Abteilung Geschichte hat 
Viktor Ernst zum Verfasser, das Kapitel Volkstümliche Überlieferungen, 
Mundart Prof. Bohnenberger mit einem Anhang über das Bauernhaus von 
Eugen Gradmann und über Volkstracht von Kunstmaler Th. Lauxmann. 
Über Wirtschaftliche Verhältnisse handeln Finanzrat Dr. Trüdinger, Ober¬ 
amtsarzt Dr. Mayer, Medizinalrat Dr. Krimmel, Baurat Oskar G oß und 
Oberförster Bundschu, über Verwaltung, Kirche und Unterrichtswesen Trü¬ 
dinger, Oberamtsrichter Bothfelder, das K. Oberamt, Kameralverwalter Haag, 
Dekan Häcker, Dekan Bothenbacher und Pfarrer Sorg, ferner Oberregierungs¬ 
rat Dr. v. Adam und Oberstudienrat Dr. v. Hartmann. Der spezielle Teil 
gibt die Beschreibung der einzelnen Ortschaften in alphabetischer Beihen- 
folge unter Voranstellung der Oberamtsstadt. Die Ortsbeschreibung ist 
bei sämtlichen Gemeinden von Eugen Gradmann verfaßt, die Ortsgeschichte 
von Viktor Ernst, dem auch die Bedaktion des ganzen Werkes 
oblag; die umfangreiche Geschichte des Klosters Zwiefalten hat Pfarrer 
Dr. Josef Zeller in Bingingen beigesteuert, die wirtschaftlichen Verhält¬ 
nisse sind bei sämtlichen Gemeinden von Finanzrat Dr. Trüdinger be¬ 
schrieben. Wie man sieht, sind es nur berufene Männer, die ihr Wissen 
und ihre Feder in den Dienst der Sache gestellt haben. 

Die Leser dieser Zeitschrift interessiert vor allem der Abschnitt Ge¬ 
schichte, in welcher Viktor Ernst äußerst lehrreiche Ausführungen über 
die germanische Besiedelung des Bezirks, Gemarkungen und 
Hundertschaften — der Kern des Oberamts ist die alte Münsinger 
Hundertschaft, die Munigiseshuntere —, ferner über Grafschaften und 
Territorien, das Grundeigentum, die Dörfer und ihre Ver¬ 
fassung bietet. Da sich das Oberamt aus vielerlei Territorien zusammen¬ 
setzt, ergibt sich der Vorteil, da und dort die Entwicklung benachbarter und 
engverwandter Gebiete vergleichend nebeneinander stellen zu können. Es 
ist ein großes Verdienst von Emst, daß er namentlich auch ein so ein¬ 
wandfreies Material, wie die Lagerbücher, in umfangreichem Maße für seine 
Zwecke herangezogen hat. Im einzelnen möchte ich namentlich auf die 
Erörterungen über Grundherrschaften und bäuerliche Eigengüter, Schupf-, 
Fall- und Erblehen (S. 310), Bauer und Seldner (S. 327 ff.), Entstehung 



736 


Literatur. 


der Seldner (S. 333) hingewiesen haben. Von den Ortschaften hat die 
reichste Vergangenheit Zwiefalten wegen seines alten Benediktinerstiftea, 
dessen Geschichte gebührende Berücksichtigung gefunden hat. Verschiedene 
Tabellen, Bilder und Karten, die dem trefflichen Werke beigegeben sind, 
erhöhen seine Brauchbarkeit. 

Donaueschingen. Georg Tumbült 


Wilhelm Bahnson, Stamm- und Begententafeln zur 
politischen Geschichte. Berlin, Vossische Buchhandlung 1912. 
3 Bände (I. Außereuropa, Balkan 111 Tafeln, II. Italien, Spanien, Por¬ 
tugal, Frankreich 154 Tafeln, HL Niederlande, Belgien, Großbritannien, 
Dänemark, Norwegen, Schweden, Bußland (und Polen), Österreich 154 
Tafeln). 

Trotz des Aufschwunges der Genealogie in den letzten Jahrzehnten 
müssen wir noch immer das corpus genealogicum entbehren, das schon 
Banke als notwendige Ergänzung zur deutschen Geschichte vor Augen 
schwebte. In diesen Blättern habe ich zwar von manchen sehr erfreulichen 
Monographien berichten können, die in den letzten Jahren den Schatz un¬ 
seres genealogischen Wissens bereicherten, ein modernes zusammenfassendes 
Werk über die Genealogien der wichtigsten Begentenfamilien fehlt uns aber 
noch immer. Und doch ist es nachgerade unmöglich, beim heutigen Stande 
der Genealogie und Geschichte als einziges Universalhandbuch den alten 
Hübner und seine französischen und italienischen Nachfolger zu besitzen. 
Ein modernes Nachschlagewerk ist dringendes Bedürfnis. Dem Genealogen, 
der in einem Werke die wichtigsten Stammtafeln vereint finden möchte, 
dem Historiker aber vor allem, dem die Stammreihen der Herrscherfamilien 
zur Erläuterung seines Forschens dienen, ganz abgesehen von den wichtigen 
Lehren, die wir seit Schulte und Düngern den vordem juristisch stumm er¬ 
scheinenden Stammtafelsammelwerken ablesen können. 

So müßte denn jedes Unternehmen mit Freude begrüßt werden, welches 
das Lebensfähige am Hübner, die Universalität mit den Prinzipien moderner 
Wissenschaft vereinigt und uns ein brauchbares genealogisches Handbuch zur 
Staatengeschichte liefert Mit günstigem Vorurteil und keineswegs mit allzu 
hoch gespannten Erwartungen ging ich darum an die Prüfung des vor¬ 
liegenden Werkes, das im großen Stile Ersatz für den Hübner schaffen will. 

Von vomeherein ist einem solchen Universalunternehmen Generalabso¬ 
lution für Detailirrtümer gewährt Ein Sammelwerk von Hunderten von 
Stammtafeln kann nicht fehlerfrei sein, ja sogar das stete Zurückgreifen 
auf die Originalquellen wird man nicht durchwegs verlangen können, ln 
zweiter Linie ist eine richtige Auswahl des Gebotenen am Platz. Ein Uni¬ 
versalwerk muß jedes Geschlecht aufnehmen, das weltgeschichtliches 
Interesse bietet, dafür aber auch rigoros alle überflüssigen Angaben 
vermeiden, die der allgemeinen Geschichte wenig dienen. Daß bei allen 
weltgeschichtlichen Gesichtspunkten ein in deutscher Sprache geschriebenes 
Werk zunächst die Deutschland mehr interessierenden Gebiete ausführlicher 
behandelt, ist natürlich. Endli ch muß dem Werke eine Vertrautheit des 



Literatur. 


737 


Verfassers mit Sprache und Geschichte der führenden Kulturnationen anzu- 
merken sein, die ihn befähigt, das historisch Wertvolle vom bloß genealogisch 
Interessanten zu sondern und die wichtigsten Monographien in der Ursprache 
zu lesen. 

Die vorliegende Arbeit, der ich im Interesse der Sache gerne alles Lob 
spenden würde, der ich gerne auch Hunderte von Irrtümem in den Daten 
nachsehen möchte, würde sie nur wenigstens im allgemeinen als Nachschlage¬ 
werk brauchbar sein, erfüllt jedoch die oben gestellten Anforderungen nicht 
Wenn das Referat über dieses Buch denn länger als üblich ausfällt mag 
dies die Pflicht entschuldigen, mein Urteil zu begründen, das im Gegensatz 
zu einer Rezension der Historischen Zeitschrift tritt, die Bahnsons Werk 
wohl allzu hastig lobte. Zugleich mag auch jedem Benützer der Tabellen 
ein kleines Vademekum bei ihrer Verwertung gegeben werden. 

Ich formuliere zuerst die Bedenken gegen Bahnsons Werk in einige 
Leitsätze. Jeder soll dann aus den Tafeln selbst heraus als berechtigt er¬ 
wiesen werden. 

1. Das Werk ist ohne Kenntnis der monographischen Literatur 
sämtlicher außereuropäischen, slawischen und osteuropäischen Staaten ge¬ 
schrieben. 

2. Infolge der mangelnden Sprachkenntnisse finden sich bei allen 
fremden Familien (mit Ausnahme der romanisch-germanischen) fortgesetzt 
Fehler in der Namenschreibung. 

3. Dem Verfasser fehlt vielfach die Kenntnis auch der gebräuchlichsten 
modernen allgemeinen Werke, nicht bloß der Monographien. 

4. Infolgedessen finden sich Hunderte von Lücken (>N.*), die ergänzt 
werden können, Dutzende falscher Filiationen, Tausende falscher und un¬ 
berechtigt fehlender Daten. 

5. In der Auswahl der behandelten Familien fehlt jedes System. Her¬ 
vorragende Königsfamilien werden übergangen, dagegen sind ganze Seiten 
mit Heroengenealogien oder Stammtafeln von Negerfürsten angeführt 

6. Der Verfasser schreibt kritiklos die Angaben der älteren Lite¬ 
ratur ab. 

7. In den Stammtafeln selbst sind wieder ohne Grund vielfach Per¬ 
sonen nicht angegeben. Dies läßt besonders bei mangelnder Angabe der 
Ehefrauen im Leser die falsche Meinung aufkommen, die letzteren seien 
überhaupt unbekannt. Anderseits prätendiert der Autor Vollständigkeit für 
nlle verheiratet gestorbenen Mitglieder. 

8. Die technische Anlage ist anfechtbar. Die Eltern der einheiratenden 
Frauen sind nicht oder nur sporadisch angegeben. 

9. Es finden sich Verstöße bei der Bestimmung des Standescharakters 
einzelner mediatisierter Familien; dem Verfasser scheinen die nötigen all¬ 
gemeineren Kenntnisse auch auf dem Gebiete der Ständegeschichte zu 
mangeln. 

1., 2. Die mangelnde Spvachenkenntnis zeigt rieh schon in der Ver¬ 
nachlässigung der slawischen Literatur. Des weiteren fehlen vollständig die 
bei einem Handbuch nötigen nationalen Schriftzeichen. Ganz abgesehen 
von den exotischen, wie denen des arabischen, armenischen, georgischen 
Alphabets fehlen z. R die slawischen Laute £, c, die polnischen 1, 8, z, 

das ungarische i, 6, das rumänische $ und BL muß darum den meisten 

18* 



738 


Literatur. 


ausländischen Namen Gewalt antun, um sie in deutsche Form zu pressen 
und verwendet dabei nicht einmal die beste Transkription. Auch mangelt 
natürlich die Einheitlichkeit, indem z. B. bei den polnischen Familien a, 
cz, rz meist wie im Original geschrieben sind, und die Kenntnis der rich¬ 
tigen Aussprache dieser Lautverbindungen voraussetzen, dagegen das russi¬ 
sche «tt in tsch, tu in sch transponiert sind, wahrend l. q und a einfach ganz 
unrichtig durch 1, e, a wiedezgegeben werden. 

Dazu kommt dann eine Legion falsch geschriebener Eigennamen, z. R 
Bathori statt Bathory, Zapolja statt Zapolya u. a. w. Ganz überflüssig ist die 
Beigabe schlecht abgeschriebener nationaler Epitetha der Regenten, z. R 
bei Rumänien Radu cel mace (statt cel mare. Kein Druckfehler, denn auch 
Mircea I. heißt bei B. ccl Mace). Merkwürdig wirkt Tab. 85 der Kanimfr 
(polnisch Kazimierz, nicht Kaziemierz) gegebene Beiname restaurator, der 
mitten unter den sonst polnisch abgedruckten sich seltsam genug ausnimmt, 
bekanntlich im polnischen eine ganz andere Bedeutung hat (Wirt!). 

3. Hier genügt es, darauf hinzuweisen, daß die südslawischen Stamm¬ 
tafeln die Unkenntnis Mas-Latries, die der byzantinischen Kaiser und Ungarns 
die Brömmels verraten, daß aus der Einlftitnng mangelnde Vertrautheit mit 
Stockvis hervorzugehen scheint. 

4. Dieser Punkt wird am Ende dieses Referates genügend belegt. Hier 
nur so viel, daß ich auf Grund der Stichproben die Zahl der bei B. positiv 
falschen Daten und Filiationen auf mehr als 5000 schätze. 

5. Vor allem ist es vollständig unerfindlich, warum in einem modernen 
Werk, bei dem höchste Ökonomie am Platze wäre, ganze Tafeln mit Genea¬ 
logien der griechischen Heroen, mit den Stammreihen der dänischen Könige 
nach Sazo Grammaticus und ähnlichen müßigen Spielereien angefullt and. 

Nicht minder überflüssig ist eine große Anzahl Tafeln des ersten Bandes^ 
die vielleicht in Spezialarbeiten recht interessant wirken mögen, für ein 
Handbuch aber wirklich kein Bedürfnis sind. Zudem getraue ich mich, — 
obwohl ich mich bis nun mit der Genealogie der Nyam-Nyam, Mongbattn, 
Wadai und Kanemiyln nicht genügend beschäftigt habe, die von B. über 
die Dynastien dieser Staaten gegebenen Tabellen ohne weiters als kaum vor 
den Augen der Kritik bestehend anzusehen. Sonst müßte freilich der Ruhm 
der Habsburger und Welfen bedenklich vor dem der Sefiya erblassen, deren 
Stammreihe B. bis auf 580 zurückfuhrt! 

Sind auch die Häuptlinge der Nyam-Nyam in ihrer weltgeschichtlichen 
Rolle genügend gewürdigt, so scheinen die Könige von Armenien und 
Georgien B. nicht ähnlicher Interessen wert In einem Werke wie dem 
seinen fehlt darum eine Stammreihe der Bagratiden in Armenien und Geor¬ 
gien, fehlt die Stammtafel der für die mittelalterliche Geschichte so bedeut¬ 
samen Rupeniden, ist der Stammbaum der byzantinischen Kaiserfamilie der 
Kantakuzinos ein wertloses Fragment. In einem Werke, das die Genealogie 
der Souveräne von Tahiti ausführlich darstellt, umfaßt der Stammbaum der 
Grafen von Tirol 8 Namen, werden die Sponheimer und Eppensteiner mit 
wenigen Zeilen abgetan. 

Die mangelnde Literaturkenntnis mögen folgende Stichproben zeigen. 
Wie aus den Angaben einzelner Tafeln hervorgeht, scheint Bahnson u. a. 
folgende Werke nicht zu kennen: Wlasiew: Potomstwo Rjuryka (vgL Ru߬ 
land); Balzer: Genealogie Piastdw (vgL Polen); Wertner: Az Arpidok csalädi 



739 


törtenete (vgL Urmam : iesseib«! 1 kuzepkuri ielaziav unikndük gene»- 
]ogiai tör tene te (vgL Bulgarien. Sertnei.: JLr®c'-*k: '^scnien® ier BuIgTireii 
(▼gL Bulgarien ; Leeea: Familme boer-su t ui. iumänien : Klan:: ‘^scmeht» 
Bosniens (Kotrotnanic : Wihf: Buh ietfymiiia Jig^ilciieii : Boniecki: Herbarz 
polaki (poln- Familiär - Encanges änuLLes l ■ :urr®-mer Krenzzngzeit': 
BroaBet: ffiatoire *ie ♦Bonner Jusu: I^msmps W*r»rbucii Potbiu Ap- 
menien). Jeder ier <^eneaifigie wiri in -ien von mir angeführten 

so ziemlich da« Wicircese an raieaAOinscnßi Werken Osteuropas erkennen. 

BL vernaehläSBirt anrn «irrers iie besten Xonognphien französischer 
nnA dentacber TW nagMnirpwEn ^.nr pr. wie etwa Eicnarü» 'jescniLnte «ier Grafen 
von Poitou, Öteies Gescmcine ier Grafen von Amiechs. Von arroden Zeit¬ 
schriften scheint er einzige zu benützen. wemgscens ▼enniiit man eine 

|t» pii*Wi<*htTg Trny von Wittes Ansätzen in nesen c lüttem. von Poupardins 
Familie« comtaies in ‘ier Revue 2 istattmj£ ’ Primäre Quellen and überhaupt 
nirgend« herazxgezogen worden. selbst Eegestenwerke mit beigegebenen 
Stammtafeln sfnd übersehen. Am ärseriicnsten wirkt aber *üe Behanliung 
Frankreichs nnd Italiens. Wahrend iie moderne Genes Icvrie einer grinsen 
Ifrdhrf» Familien ohne jede weither«-rische Bedeutung, «iie sofort im Gotha 
oder im Annnazre de La ncb Lesse. o^ier im Anzruarii: ieEa ncbilta zu Enden 
«nd, bis ins kleinste Detail auf i <) Taiein ‘iargesteut ist. sind «iie groben 
Dy naateng eaeh Whter des Jütteiaiters mit derart kastrierten Stamm tafeln ver¬ 
treten, daß ihre Benutzung gänzlich unmöglich wird. Die Tabellen der Her¬ 
zoge von Bor rmd der Alerazniiien von Moutferrat send dafür besonders «deut¬ 
liche Beispiele. Dam fehlen große Familien, wie «Le Chi:ellerauli. die Vienne 
vollständig! 

7. Die Answahl «ier in den Stammtafeln angeführten Personen ist regellos. 
Einige Stichproben beweisen dies. Bei der Stammtafel der Arpaden fehlen 
die Gattinnen des Königs Ladislaus L. des Herzogs Geza und AlnivXs die 
erste Gemahlin Stefans des Lombarden, eine ganze Beine von Arpadenibehtern* 
die in große Geschlechter heirateten. Dagegen nennt R unbedeutende Per¬ 
sonen wie den 1047 verstorbenen Levente, nnd Geza. den Sohn Geza 11. Letz¬ 
teres mag berechtigt sein — ich bin natürlich für Vollständigkeit vier wich¬ 
tigsten Stammtafeln. Die Ignorierung ungarischer Königinnen ist schwor 
za billigen, ebensowenig die Nichterwähnung eyprischer Königinnen. Gänz¬ 
lich unverständlich würde das Prinzip der Selektion bei Kumänien wirken, 
wüßte man nicht, daß R nur die Personal nennt» die Jorgs in seiuer iGe¬ 
schieh te des rumänischen Volkes mitteilt! 

Noch ein letztes DetailbeispieL Die Stammtafeln sollen doch odenbar 
die politische Geschichte erläutern. Wie entspricht diesem Erfordernis etwa 
B.*s Genealogie der Moghila. Das wichtigste Faktum derselben, das ihre 
Stellung als Fürsten erklärt, die Herkunft von der Tochter des IVtcr Kare$ 
ist nicht eisichtlich, das Z wt itwichtigste, die zahlreichen polnischen und 
ungarischen Beziehungen, tue für die gleichzeitige Geschichte Rumäniens 
do minie r end eb enso wenig. 

8. Weiters genügt ein Blick auf eine beliebige Tafel um feaUuateUeu, 
daß die Eltern der Gattinnen nie, der Vater höchst selten erwähnt sind, 
daß der Adelsgrad der einheiratenden Frauen nicht angegeben, daß 
überhaupt deren adelige Qualität nioht klargestellt wird, Ein teelu|ir k 
Mangel ist auch die nicht überall durchgeführte Trennung der KbK 




740 


Literatur. 


schiedener Ehen und die Ungleichmäßigkeit in der Anführung der Daten, 
die bald bei den nebensächlichsten Personen Tag und Monat anfuhrt, bald 
bei wichtigen Geschlechtern generationenweise nicht einmal ein Todesjahr gibt 

6. und 9. Bevor wir B.’s Tafeln im einzelnen prüfen, noch einige letzte 
allgemeine Vorwürfe! So ist z. B. das Wesen der polnischen Wappennamen B. 
unbekannt, darum hält er Sebastian Szreniawa (sic!) für einen Vornamen 
des Sebastian Lubomirski, Stanislaus Prusz (sic!) für den der JablonowskL 
Sehr schlimm ist die Unkenntnis der ständegeschichtlichen Forschungen 
Dungems und Schuttes, wie sie bei den Genealogien der österreichischen 
Standesherren hervortritt, und wohl beim deutschen 4. Band noch ärger 
bemerkbar werden müßte. Nur so ist es erklärlich, daß er einen Adolf von 
Auersperg am Beginn des 11. Jahrhunderts, einen Reinpert von Dietrich¬ 
stein um 1000 kennt, daß er noch immer die Khevenhüller 1080 nach 
Kärnten kommen läßt, den Stammherrn der Collalto ins Jahr 930 versetzt, 
den der Batthyany 970 findet und in den Ministerialen Starhemberg agna- 
tische Deszendenten der steirischen Herzoge erblickt. 

Es erübrigt noch eine stichprobenweise Besprechung einiger Tafeln in 
Bezug auf Einzelerrata und Omissa. 

Die große Zahl von Irrtümem Bahnsons mag dabei als Entschuldigung 
dienen, wenn ich es entgegen meiner sonstigen Gewohnheit unterlasse, für 
jede meiner Korrekturen einen speziellen Beleg anzufahren. Auch ist es 
mir aus Baumrücksichten ganz unmöglich, auch nur die wichtigsten Ver¬ 
sehen Bahnsons vollständig anzuführen. Ich beschränke mich darum dnr^f 
einige der am leichtesten tadellos herzustellenden Tafeln in ihren ärgsten 
Verirrungen vorzuführen. Beginnen wir mit der S tammtaf el des ungarischen 
Königshauses (HI. 120). Die Genealogie desselben ist im wesentlichen voll¬ 
ständig klargestellt. Wertner hat in seiner Arpadengenealogie (1892) nur 
wenig für die Forschung übrig gelassen, dem gewissenhaften selbständigen 
Forscher liegt übrigens in den Quellenpublikationen der ungarischen Aka¬ 
demie genug Material aus erster Hand vor; was endlich die Filiatdonen be¬ 
trifft, so sind sie schon bei Brömmel ziemlich unanfechtbar sichergestellt. 
Es ist unendlich zu bedauern, warum uns demgegenüber B. seine Quellen 
vorenthält. Seine Neuentdeckungen sind nämlich verblüffend. Geza, der Stamm¬ 
vater der Arpaden ist bei B. Nachkomme Leventes; wir glaubten diesen kin¬ 
derlos verstorben, dagegen Taksony als Ahnen Gezas ansehen zu dürfen; König 
Andreas I. ist nach B. Sohn Wasuls; wir hielten Laszlö für dessen Vater. In 
Almos vermutete ich bisher einen Sohn Lamberts, B. kennt dafür Geza L als 
Vater. Abgesehen von den genannten Fihationsirrtümern fehlen die Gattinnen 
von St. Emerich, Gdza L, Laszlö dem Heiligen, Almos, fehlt gänzlich Herzog 
IAszlo, fehlen von Arpädentöchtern Margit 1208, Eufemia von Mähren, 
Sophie von Sachsen, Helene von Kroatien, Helene von Kalisch, Elisabeth 
von Bosenberg, Katharina von Serbien, die Gattinnen des eomes Lambert, 
Jaroelavs von Bußland, Sventlav Jakobs von Bulgarien und die Mutter der 
Elisabeth Huntpazman. Unbekannt (,N. € ) bleiben — die >N. € sind über¬ 
haupt bei Bahnson überall zu finden, wo er irgend einen Namen nicht 
sofort in seinen schon gewürdigten Vorlagen fand — die erste Gattin Kolo- 
mans, namens Busilla, der dritte Mann Margarethens, der Tochter Bölas TTT, 
pamens Nikolaus von St. Omer, endlich eine Anzahl von zirka 10 unver- 



Lisaasrnr. 


741 


ehelicht ^esusr^enm mfembcnen ArpiiaensproaBen: bescmaeis sr-armd ist die 
Kichtanführxzng ibstariaeL bedeutsamer Al-.aji7.PTi. V ör diesen möcht* ich noch 
separat hervoibebm die Nisbfemfthrnng der GfcXÜn Lashb des Heiligen, 
der deutschen KüLigsUK^rier Adelheid, der an Aba vermkLlten Tochter Geza&, 
der nach Hcgifczid verheCTäetai Tochter Stefans des Heiligen, der ersten 
Gattin Stefans HL Elisabeth Traveisari. enchh die TTnkenrtnis des Vor¬ 
namens der Gattiii des Königs Andreas von Habet. Maria von Nowgorod. 
Weniger schrecklich ist die yiertanfnhrxing der 'fingeren Sühne Arpads und 
ihrer Deszendenz : venu sie aber stn:n erwähnt wurden, warum fehlt dann 
die Linie toh Termaez. und vamm erscheinen ihre Kamen in so greulicher 
Verballhorn nng. n B. Taxis starr TakaouT? An die HLhtionsoxnissa und 
Errata reiht sich eine ZLu tot gegen 20o latenter] em. Sie abe kann ich 
natürlich nicht anfünren. nur beispielsweise, daß R Geza 9^5 sterben läßt 
(997). daß Andreas IL 1176 geboren ist. nicht 11 SO, daß der nach R 1101 
geborene St efan IL zwar 1104 auf die Weh ham. dafür aber nicht im 
jugendlichen Alter ron 3 Jahren seine Göttin heimffihrte. daß diese nicht 
Predslawa Ton Eufüand hieß, die Almos mm Gatten harte, sondern Adel¬ 
heid ron B-egeosbuig. So seht die Stammtafel eines der ersten und bekann¬ 
testen Geschlechter Europas bei B. ans. Bei den folgenden Stichproben 


Wnn ich mich kürzer fasser. 

Tabelle LH 85 Piastern Es fehlen der Ahnherr ZiemomvsL Adelheid 
Tochter desselben, eine Tochter Boleslaw Cnrobiys. zwei Tochter Wladislaw 
Herrmanns, drei Töchter Boleslaw KrzywciLStys. eine Tochter Kasimir Spra- 
wiedliwrs, drei Töchter Mieszko Starys eine Tochter Boleslaws Kedzierzawvs; 
hiebei sind nnr die verheirateten berücksichtigt, da ja R nur diese voll¬ 
zählig anfuhren zu woben scheint. Des weiteren kennt R nur einen Gatten 
Richezas, der Tochter Boleslaw Krzywoustvs. während diese noch Wladimir 
von Nowgorod und Swerker von Schweden heiratete. Es fehlen ferner die 
Gattinnen von Boleslaw Kedzierzawy (Wierzchoslawa von Nowgorod^, Les®ek 
Bialys, (Przymisiawa von Luckl und Przemystaws IL (Luitgard von 
Wyszomierz und Eicheza von Schweden"): unbekannt bleiben auch Konrad von 
der Lausitz, als zweiter Mann Elisabeths, der Tochter Mieszko Starys, der 
Vorname der Gattin Mscislaws von Kijew, Agnes, Falsch sind die Daten 
des Todes von Hedwig, der Tochter des frommen Boleslaw, Konstanzen* von 
Brandenburg, die Zahl der ohne Grund nicht angegebenen Daten *hät«e 

ich bei dieser Tafel nur auf etwa 50. „ . 

Tabelle 86, Piasten, Fortsetzung. Es fehlen die erste und dntte itatt 

Kasimirs yon Kujawian, ferner an Piastentüchtem — die ledi^n 

bei Seite gelassen — Eufemia von Halicx, Fennena von l ngaro. Kuphnvsm© 

^TlhSTAmalie von Thüringen-Meißen. Hedwig 

ferner nennt B. als Gattin Ziemowits. t 12«2. ^nul w» 
Perejslawa toi Hali«, den «weiten Gatten ^ An^ T^htrr 

Kasimirs des Großen 

Koiugnnde nnd Margarethe * b R>rnhan i von Sohweiduit*. m 

Von Piastengattinnea, 

^ B ^kX^Twaren Agafia (nicht Ag*»), Gattin Ken- 



742 


Literatur. 


eine russische Fürstin, und Anna, deren Schwiegermutter eine HolszAnska. 
Besonders auffallende Irrtümer in den Daten sind die des Todes von Kasi¬ 
mir von Gniewkowo (recte 1343/1353), Eufemia von Teschen (recte nach 
1364), Margarethe von Brieg (recte nach 1409) und Maria von Pommern 
(recte 1450), und der Elisabeth von Ungarn (recte 1380); der Geburt von 
Kasimir dem Großen (recte 1310). Fehlende Daten etwa 70. 

Haus Poitou. Tabelle I, 101; II, 102. Die zwei ersten Generationen 
fehlen ganz, die sehr interessante Tatsache der Abkunft des königlichen 
Geschlechtes aus der Liaison mit einer Dirne ist ebensowenig ersichtlich, 
wie die uneheliche Geburt Ebles, des Sohnes dieser Dame und Stammvaters 
der Poitous. Die Gattinnen von Eble fehlen, unbekannt sind B. die Vornamen 
von Brisque von Gascogne, Garsinde von Perigord, Gattinnen des dritten 
und des sechsten Wilhelm. Es fehlen ferner Matheode, Wilhelm V. Gemahlin, 
Agnes, Tochter Wilhelms VI., mit ihren Männern Peter von Aragonien und 
Eli»« von Maine, Agnes, Tochter Wilhelms VIL, mit ihren Gatten Aimeri 
von Thouars und B&miro von Aragonien, endlich die letzten der Linie 
Poitou, Aölith und ihr Bruder Wilhelm Aigret Hildegard, die dritte Gattin 
Wilhelms VH. heißt richtig Dangereuse von lle-Bouchard; von der Linie 
Cypern fehlen Margarethe von Armenien und Alix von Ibelin, Töchter, 
Bohemund von Galiläa, Sohn Hugos des HL, Isabella von Dampierre, Tochter 
Guido Camerinos, Eschive von Majorka, Marie, Thomas und Isabella, Kinder 
Hugos des IV., Margarethe von Tripolis und Jakob, Kinder Peters des 
Großen, Maria von Bourbon und Jakob, Kinder Johanns des III„ Maria von 
Neapel, Isabella von Lusignan, Guy, Heinrich, Hugo, Andreas, Philipp, Agnes 
und Eschive, Kinder Jakobs des L; Eschive von Ibelin, Gattin Guido Came¬ 
rinos, Eschive von Montfort, Gattin Peters des Großen; unbekannt ist B. 
die Herkunft von Alix, Gemahlin Hugos des IV., geborenen Ibelin, falsch 
ist die Angabe der ersten Gemahlin Jakobs des L, Heilwig von Braun¬ 
schweig, die B. Esther nennt; die angegebenen Daten sind mindestens zu 
einem Drittel falsch oder leicht zu ergänzen, so die Todesjahre Peters des 
Großen, des Jakob Posthumus, das Geburtsdatum Johanns des IL etc. Auch 
bei der Hauptlinie Poitou gibt es allein unter Berücksichtigung von Bichard 
6 Daten, die zu berichtigen, 17, die zu ergänzen wären. 

Tabelle L 33 Antiochia. Diese kleine Tafel ist besonders lehrreich. 
Obzwar auf ihr nur 18 Personen erscheinen, finden sich 2 falsche Filia- 
tionen, 3 falsche Gattinnen, unter den angeführten 18 Daten nur 9 rich¬ 
tige, dazu fehlen 37 Personen, von denen allerdings ein Teil auf der Tafel 
Poitou erscheint, wo er gar nicht hingehört Übrigens gibt es auch dort 
noch zahlreiche Irrtümer. Als besondere Gedankenlosigkeit erwähne ich, daß 
B. dem 1236 geborenen Bohemund dem VL die 1246 verstorbene Alix 
von Jerusalem als Gattin zugesellt, die dem 10jährigen Witwer nach B. 
einen Sohn hinterläßt Die Verwirrung ist hier aufs höchste getrieben. B. 
vertauscht die Gattinnen Baimunds und Bohemunds des IV., gibt Bohemund 
dem V. seine Stiefmutter zur Frau, und dessem Sohne die eigene Mutter. 

Tabelle I, 103 Brankoviö in Serbien. Es fehlen vor allem fast 
Sämtliche Daten, von den 12 angeführten sind 3 unvollständig, 2 falsch. 
Die Tafel ist nur Fragment Von 31 erwachsenen Mitgliedern des Hauses 
Brankoviö seit Wuk fehlen 20! Darunter eine byzantinische und eine Trape¬ 
zunter Kaiserstochter, eine bosnische Königin, eine Markgräfin von Mont- 



Literatur. 


743 


ferrat und zwei rumänische Hospodarengattinnen. Ganz unzureichend ist 
die ebenfalls auf dieser Tafel befindliche Übersicht über die Familie Lazars, 
dessen Gattin Milizza für R ,N € ist, während er von 8 Kindern nur 3 
nennt, dabei eine Bulgarenczarin und eine bosnische Königstochter mit 
Stillschweigen übergeht. 

Tabelle 104, Nemanjiden in Serbien. Es fehlen Helene, Königin 
von Ungarn, Maria von Znaim, Pfedislav, Erzbischof von Serbien, Elisabeth 
von Bosnien, Lelika Subich, um nur die wichtigsten der ausgelassenen 
Nemanjiden zu nennen, ferner die Gattinnen Stefans des YIL, Anka von 
der Walachei und Elisabeth, die Stefans des VI., Helene von Bulgarien, die 
drei ersten Gattinnen Stefans des IV., Elisabeth, Helene, Angela und die 
Tochter Terterijs, die Gattinnen Stefans des V., Smilia von Bulgarien und 
die Apor; unbek ann ten Vornamen haben für B. die Frauen Wladislaws, 
(recte Beloslawa) und Dragutins (Katharina), sowie der Sohn Stefans des L 
und Vater des Bulgarencaren Konstantin (Tich); falsch ist der Vorname 
bei Maria Dandalo, der Familienname bei Ihomais Orsini. Daten nur allzu 
spärlich, wo vorhanden, unvollständig oder falsch, darunter sogar das Todes¬ 
jahr St Savas. 

Tabelle 105. Bulgarien. L SUmanidem. B. sind im ganzen 2 Daten 
über diese Familie erwähnenswert Falsch ist der Vater des Caren Johann 
Wladislaw, richtig Aaron und nicht David, der B. unbekannte Sohn Gabriels 
hiefi Dejan, Prussian richtig Frufiin. Unter den fehlenden Personen Alusian 
mit seiner armenischen Gattin und Kosara, Gattin Wladimirs von Serbien. 
H. Asöniden. Es fehlen die Frauen von As6n (Helene) und die erste Johann 
Asens, Anna, sowie Agrippina von Halicz, die zweite Gattin des Michael 
Asön, von bedeutenden Familienmitgliedern ferner Thamar, Gattin des 
Michael Komnenos, Maria von Halicz, endlich die ganze Deszendenz Johann 
Asens des ITT., darunter 4 erwachsene Söhne und 2 Töchter, in weiterer 
Folge eine Kaiserin von Byzanz. ITT. Siömaniden H. Es fehlen die Stamm¬ 
eitem Keraca Despotica und Sracimir, deren Sohn Johann As6n und Ge¬ 
mahlin Anna Angela nebst Tochter; beide Frauen Johann Sismans des HL, 
endlich unbegreiflicherweise die beiden letzten des Hauses Konstantin und 
seine Schwester Dorothea, Königin von Bosnien, sowie die Vornamen der 
beiden Theodora, Gattinnen des Michael von Bdyn und des Johann Alexander. 

Tabelle 109 Bumänien. Haus Basaraba. Auf dieser großen Tafel 
die Lücken auch nur vollständig anzudeuten ist ganz unmöglich. Hier sind (s. o.) 
im allgemeinen nur die Personen erwähnt, die Jorga in seiner Geschichte 
des rumänischen Volkes gelegentlich anführt! Indem ich mir Vorbehalte, 
diese Behauptung auf Wunsch zu begründen, stelle ich nur fest, daß von 
den erwachsenen Gliedern des Hauses mindestens 80 fehlen! Dazu eine er¬ 
schreckende Anzahl positiv falscher Filiationen unter dem verbleibenden 
Best. Basarab Tepelu? ist nicht der Sohn L&iots, sondern der Basarabc, des 
Sohnes von Dan, des Sohnes von Mircea, Dan II. ist der Sohn Dan des L, 
nicht des Mircea, Badu ist der Sohn Alexanders und nicht Wladislaws, 
Wladislaw HL ist Enkel nicht Sohn Wladislaws des H., sein Vater WJadia- 
law ist ganz übersehen, Basarab, Sohn Badu de la Afumat^s heißt richtig 
Vlad, Katharina (bei B. Barno waka ist Tochter Mihnea des JIL, nicht 

Badu Mihneaa, die spärlichen Daten auf dieser Tabelle sind fibrigen* isst 
ausnahmslos richtig. 



744 


Literatur. 


Tabelle 110. Die Stefaniden (recte das Hans Mu$ai) in der Moldau. 
Falsche Filiationen: Hia$ ist Sohn des Peter Rare$, nicht yon Lapu^neanu, 
Jon cel cnmplit und Janen Sasul sind Bastarde, nicht Kinder der recht¬ 
mäßigen Frauen, ebenso Peter Rare^, dagegen ist Jnga (nicht Inga) kein 
Bastard des Fürsten Roman, sondern ein legitimer Sohn des Jnrij Koria- 
towicz und der von B. übersehenen Prinzessin Anastasia ans dem Hanse 
der Bogdaniden. Der Ahnherr des Hauses wäre richtig Costea Mu$at zu 
nennen, seine Gattin Mu$ata ist identisch mit der von B. genannten 

Tochter des Bogdan, die übrigens B. fälschlich wieder zu dessen Schwester 
macht, ihr Sohn Stefan identisch mit Stefan dem L Natürlich fehlen die 
Namen der Ehegattinnen und der Töchter wieder in so großer Zahl, daß 
Ergänzung an dieser Stelle nicht möglich ist. Uber die auf derselben Tafel 
befindliche Genealogie der Moghilä wurde schon gesprochen. 

Wir sind am Ende. Nach den allgemeinen Fehlern in der Anlage des 
Werkes und der gebrachten Blütenlese von Details müssen wir Bahnsons 
Werk als ganz unbefriedigend betrachten. Möge das in der Idee richtige 
Unternehmen uns wenigstens mit zu dem verhelfen, was wir im Interesse 
von Geschichte und Genealogie seit langem herbeisehnen, zu einem voll¬ 
wertigen genealogischen Handbuch zur allgemeinen und deutschen Geschichte. 

Otto Forst-Battaglia» 


Notizen. 

Guglia, Eugen, Die Geburts-, Sterbe- und Grabstätten 
der römisch-deutschen Kaiser und Könige. Wien 1914. Schroll. 
VI und 200 S. — Dieses musterhaft ausgestattete, in seinen Grenzen wohl- 
gelungene Buch, bei aller Gründlichkeit der Vorstudien vor allem literarisch, 
man dürfte sagen nationalpädagogisch gemeint, erscheint ungewollt auf den 
Ton der Gegenwart gestimmt, der große historische Erinnerungen, auch 
wenn sie nicht mehr unmittelbar wirksam sein sollten, doppelt teuer ge¬ 
worden sind. Es meldet von Geburts- und Grabstätten von sechsundfunfeig 
Herrschern, die von Karl dem Großen bis zu Franz H. als Kaiser und 
Könige in Deutschland gewaltet haben, wobei freilich viele Fragen im 
Dunkel bleiben müssen. In der Hälfte der Fälle ist der Geburtsort unbe¬ 
kannt; man weiß nicht, wo Karl der Große, Rudolf von Habsburg zur 
Welt gekommen sind. Aber auch manches Herrschergrab ist verschollen, 
nicht nur die langgesuchte Ruhestätte Friedrichs des Ersten. Den Stim¬ 
mungen, die sich an so geweihten Stätten einzustellen pflegen, gibt der 
Verfasser sich unbedenklich hin und hat auch Dichtung und Legende reichlich, 
freilich ohne Vollständigkeit herangezogen. Wie denn der Charakter des 
Gelegenheitswerkes dem Buche deutlich aufgeprägt ist. Aber auch so wird 
es einem weiteren Lesekreis die Anregung bieten, die es geben will, und 
der Fachmann wird für manche hier festgehaltene Nachricht dankbar sein. 

Wien. H. Kretschmajr. 



Literatur. 


745 


Forschungen zur Geschichte Bainaids von Dassel als Dom¬ 
herrn von Hildesheim. Von Karl Schambach. Zeitschr. des Hist. 
Vereines für N.-Sachsen 1913, H. 4. Der Verfasser gibt hier keine neue 
Beurteilung der Persönlichkeit Beinalds, sondern behandelt zwei Detail- 
fragen. Auf Grund eingehenden Quellenstudiums weist Sch. als terminus 
post quem der Probstwahl Bainaids den 13. Oktober 1147 nach, erklärt 
es aber als unsicher, ob Beinald 1148 bereits Probst gewesen sei. Zweitens 
stellt der Verfasser auf Grund verschiedener quellenmäßig überlieferter 
Umstände eine Bomreise Bainaids im Jahre 1146 als wahrscheinlich hin. 

Klemens HL 1187-1191. Von Dr. Johann Geyer. Jenaer Histor. 
Arbeiten, hrsg. von Alex. Cartellieri und Walther Judeich. H. 7. 1914.. 

Marcus & Webers Verlag in Bonn. Es ist der Versuch der Darstellung der 
Geschichte dieses Papstes, hauptsächlich nach drei Bichtungen gehend: im 
Verhältnis zur Stadt Born, zum deutschen Kaiser und zur Kreuzzugsbe¬ 
wegung. Eine neue Anschauung über diesen.Papst bringt der Verfasser 
nicht, stärker betont wird hier aber der im allgemeinen weniger beachtete 
Bischofsstreit unter König Wilhelm von Schottland, in welchen Klemens,, 
seinem Charakter folgend, eine entgegenkommende Haltung einnahm. Haupt¬ 
sächlich wurde sein politisches Verhalten durch den Kreuzzugsgedanken be¬ 
stimmt, dem er manches Opfer brachte. 

Heinrich VI. auf dem Höhepunkt der staufischen Kaiser¬ 
politik. Vortrag, gehalten am 19. Februar 1914 in der Ges. £ Ge¬ 
schichtskunde zu Jena von Dr. Alex. Cartellieri. Leipzig, Dyk, 1914* 
Verfasser betrachtet Heinrich VT. lediglich als Verstandes- und Willens- 
menschen und beurteilt von diesem Standpunkt seine äußere und innere 
Politik. Betreffs der unio regni ad imperium meint Cartellieri, H. VI. habe 
zum Beweis seiner Absicht, eine solche Union nicht vorzunehmen, Konstanze 
zur Begentin eingesetzt. Eine von der allgemeinen Beurteilung abweichende 
Stellung nimmt Verf. zum Erbkaiserplan ein: dessen Ausgangspunkt sei der 
Kreuzzug, das Vermächtnis Barbarossas, gewesen. Um ihn mit möglichst 
vielen Teilnehmern zu unternehmen, habe er den Fürsten auf ihr Verlangen 
die subsidiäre Erbfolge der weiblichen Nachkommen in ihren Lehen zuge¬ 
sagt, habe aber als Gegenleistung, außer der Beteiligung am Kreuzzug, noch 
die Erblichkeit des Kaisertums verlangt. Nur um den Kreuzzug nicht zu 
gefährden, habe H. VI. schließlich verzichtet. Cartellieri setzt also das 
religiöse Unternehmen und das Projekt der Fürsten als das Primäre voraus, 
während in den Quellen das Streben des Kaisers, in seinem Beich die Würde 
des Hauses erblich zu gestalten, deutlich als Tendenz hervortritt, das Ver¬ 
langen der Fürsten hingegen als sekundär erscheint. 

Die Schlacht bei Bouvines (27. Juli 1214) im Bahmen der 
europäischen Politik. Von Dr. Alex. Cartellieri. Leipzig, Dyk, 1914. 
Nur im Bahmen der großen politischen Ereignisse kann diese Schlacht ge¬ 
würdigt werden. Vom bloß deutschen Gesichtspunkt eigibt sich leicht eine 
schiefe Beleuchtung (so sieht z. B. Scheffer-Boichorst darin eine bewußt 
feindliche Einmischung in die deutschen Wirren). Cartellieri betrachtet 
dieses Ereignis vom universalen Standpunkt. Der deutsche Thronstreit, der 
alte Kampf zwischen Welfen und Staufen, wurde durch den Sieg Englands 
über Frankreich entschieden. Die Entscheidung über diese deutsche An¬ 
gelegenheit wurde also von den fremden Mächten herbeigeführt, die Deutschen 



746 


Literatur. 


standen an Bedeutung im Kampf zurück; es kam die Zeit, in welcher 
Deutschland seinen politischen Bang den Westmftchten überlassen mußte. 

Guilelmus Neubrigensis. Ein pragm. Geschichtsschreiber des 
12. Jahrh. Ton Dr. Rudolf Jahncke. Yer£ fuhrt uns hier den tief¬ 
sinnigsten englischen Geschichtsschreiber des 12. Jahrh. vor. Das Besondere 
an diesem ist nicht die Fülle des Stoffes (engL Geschichte von 1066-1198), 
sondern die Art der Stoffbehandlung. Es ist nicht die übliche Kloster¬ 
chronikenart, die trocken die wichtigsten Ereignisse erwähnt und das Haupt¬ 
gewicht auf lokale Vorkommnisse legt. Der Chronist verfugt über die 
Eigenschaften des denkenden Historikers: er sucht die Ursachen der Ereig¬ 
nisse und trachtet sie mit möglichster Objektivität wiederzugeben. Hiedurch 
entstehen historisch und psychologisch interessante Charakteristiken. Der 
innere Zusammenhang der Geschehnisse läßt ihn geschlossene Bilder bringen. 
In seinem Bemühen, gerecht zu sein, hindern ihn zwei Momente: seine 
kirchliche und nationale Anschauung. So verurteilt er Barbarossa und 
Heinrich VI. vom kirchlichen und die kontinentalen Völker mit Ausnahme 
der Franzosen, vom nationalen Standpunkt. Außer seinem und dem fran¬ 
zösischen Volk gibt es nur noch Barbaren. Den Wert der Urkunden wußte 
er noch nicht zu würdigen, aber stets gab er schriftlichen Überlieferungen 
den Vorzug vor den mündlichen, überragt also darin Zeitgenossen. 

Die Ketzerpolitik der deutschen Kaiser und Könige in 
den Jahren 1152-1254. Von Dr. Hermann Köhler. A. Marcus u. 
E. Weber. Bonn 1913. Die Arbeit behandelt das Verhältnis der Staufer 
zur Ketzerfrage und kommt zu dem Resultat, daß wesentlich unter dem 
Einfluß romanischer Anschauungen Friedrich L die Reihe deutscher Ketzer¬ 
gesetze begann, die dann von seinen Nachfolgern fortgeführt wurde. Die 
Stellung der Kaiser zur Ketzerfrage war überwiegend vom politischen Ge¬ 
sichtspunkt bestimmt. Die Verfolgung geschah imm er auf päpstlich-kirchliche 
Anregungen und wie weit der Vogt der Kirche diesen entgegenkam, wurde 
von der Politik bestimmt. Köhler zeigt, wie die einzelnen Herrscher je 
nach ihrem Verhältnis zur Kurie sich ablehnend, entgegenkommend oder 
auch ganz indifferent verhielten. Nur bei Friedrich L erscheint etwas nicht 
ganz klar. K. erklärt, das Veroneser Gesetz sei aus einer gehobenen reli¬ 
giösen Stimmung entsprungen. Könnte man nicht auch hier politische Ur¬ 
sachen (Papst und Kaiser hatten sich eben versöhnt) annehmen? Umsomehr 
als Friedrich I. sich sonst anscheinend wenig von Stimmungen leiten ließ 
(vgL Otto v. Freising IL 3. Kap. über die strenge Haltung Friedrichs bei 
seiner Erhebung zum König gegen einen reuevollen ehemaligen Gegner). 

Die Regentschaft Papst Innozenz HL im Königreich 
Sizilien. Von Friedr. Baethgen. Heidelberger Abhandlungen zur mittL 
u. neueren Gesch. H. 44. 1914. C. Winter. Die sizil. Bestrebungen der 
Päpste schienen durch den Tod Heinrichs VL unendlich erleichtert zu 
werden. Hatte der Kaiser durch Verweigerung des Lehenseides etc. die 
Unabhängigkeit des Landes von der Kurie zu betonen gesucht, so mußt» 
nach 1198 naturgemäß die päpstliche Tendenz das Übergewicht gewinnen. 
Wie schwer es aber war, in Sizilien den päpstlichen Einfluß festen Fuß 
fassen zu lassen, führt das vorliegende Buch aus. An politischen Faktoren kamen 
für den Papst auf der Insel in Betracht: Markward von Anweiler, die 
deutschen Kapitäne, die Familiären (die eigentliche Regierung des Landes, 



Literatur. 


747 


bestehend ans den Adelsh&nptera), die von der staufischen Partei große* 
Handelsvorteile erhoffenden Seestädte, ferner der Schwiegersohn Tankreda 
Walter von Brienne. Die Ziele dieser Gruppen durchkreuzten vielfach die 
pfipstliche Politik. Charakteristisch für die allgemeine Interessenpolitik ist 
die Haltung des bischöflichen Kanzlers. Durchaus klar ist die Persönlichkeit 
des Papstes gezeichnet: immer vorsichtig, weitblickend, rücksichtslos die 
geistlichen Waffen für weltliche Zwecke verwendend, bei aller Leidenschaft¬ 
lichkeit des Kampfes nie die kalte Überlegung verlierend, das Ideal eines. 
Staatsmannes. Bezeichnend für ihn ist sein Verhalten dem Kanzler gegen¬ 
über. Im Augenblicke des Vertrauensbruches tut der Papst dessen keine 
Erwähnung, weil seine Lage es ihm nicht erlaubt. Erst als seine Situation 
sich gebessert hatte, griff er zu dem alten Mittel, der Exkommunikation. 
Er besitzt das Talent, immer das Bichtige im richtigen Moment zu tum 
Trotz aller persönlicher Fähigkeit kann der Papst nicht Herr der Schwie¬ 
rigkeiten werden. In dem ewigen Widerstreit der Parteien endet die 
Anarchie auch nach dem Tode Marquards in Sizilien nicht. Erst das Er¬ 
scheinen Friedrichs IL beendet diese traurige Zeit. Das Gesamturteil über 
die Begentschaft ergibt sich aus dem Charakter des Begenten und der Zeit: 
eine friedlose Unordnung. Die Verfügungen sind an sich weder königsfeindlich,, 
noch zeugen sie von persönlichem Eigennutz, aber sie tragen den Stempel 
der kurialen Politik: es gilt nur eine Bücksicht und Sichtung, das ist der 
Vorteil des Papsttums, alles andere tritt zurück. Zu diesem Ergebnisse 
kommt der Verf. des durchaus klar und gerecht abwägenden Buches. 

Willy Cohn. Das Amt des Admirales in Sicilien unter 
Kaiser Friedrich H. Festschrift für Alfred Hillebrandt Buchhandlung 
des Waisenhauses in Halle a. S. Allem Anscheine nach war das Admiralat 
Friedrich II. eine Neuschöpfung. Ein Beweis hiefür ist nicht zu erbringen. 
Auch in dieser Einrichtung zeigt sich der Grundsatz Friedrichs IL, die Be¬ 
amten in engster Abhängigkeit von der regierenden Person zu erhalten. 
Der Admiral ist nur dem Kaiser verantwortlich und dieser hat dafür ge¬ 
sorgt, sein Herrschertum auch dem höchsten Beamten der Flotte gegenüber 
zur Geltung bringen zu können. Gehaltfrage, Bechte und Pflichten sind 
genau abgegrenzt Es fehlt hier die Unklarheit des Lehenrechts in Sollen 
und Dürfen. Der einzige feudale Überrest im Admiralat war die teilweise 
erbliche Bestellung der Galeerengrafen. 

Jean de Bernin, Archevöque de Vienne (1218—1266) Md- 
moire historique par le Chanoine Ulysse Chevalier. Poris, Libr. Alph. 
Picard & Fils. 1910. Verfasser gibt eine Übersicht aller urkundlich über¬ 
lieferten Handlungen des Erzbischofs. Dessen Tätigkeit war infolge der 
Länge seiner Herrschaft und der lokalen Wichtigkeit seines Sprengels (Nähe 
des Ketzerzentrums) von außergewöhnlicher Bedeutung. Dies bezeugen vor 
Allem die vielen Aufträge seitens der Kurie in diplomatischen und kirch¬ 
lichen Angelegenheiten. Eigentlich ist die Broschüre nur eine Begesten- 
sammlung, die Persönlichkeit Jean’s wird trotz der zahllosen angeführten 
Tatsachen nicht lebendig und trotzdem der Verfasser sich seit 40 Jahren 
mit der Geschichte des Dauphines beschäftigt, gewinnen wir keinen Ein¬ 
druck von den diesem Lande eigentümlichen Verhältnissen. Es bleibt zu 
hoffen, daß Chevalier seine Kenntnisse dem Publikum noch in einem über 
die Details hinausgehenden Werk erschließen wird. 



748 


Literatur. 


Die Entwicklung der Landeshoheit der Vorfahren des 
Fürstenhauses Beuss (1122—1329) von Dr. Walter Finkenwirth. 
(Jenaer hist. Arbeiten hrsg. von A. Cartellieri u. Walther Judeich, Heft 2). 
A. Marcus u. K Weber, Bonn 1912. Verf. setzt der bisherigen Auffassung, 
nach welcher die Herren von Weida erst in Folge der Ächtung Heinrichs 
des Löwen von der Unstrut an die Elster gelangt seien, auf Grund urkund¬ 
licher Forschung die Behauptung entgegen, daß eine Teilung in eine Un- 
struter und eine Vogtländische Linie bereits um 1125 stattgefunden habe. 
Über die Verleihung der Beichsvogtei an letztere gibt keine Quelle Auf¬ 
schluß. F. nimmt an, daß nach Auflösung der Zeitzer Mark das Land den 
Beichsministerialen von Weida als BeichsvÖgten übergeben worden sei. Audi 
als die Ausübung der Vogtei über das ehemalige Zeitzer Gebiet aufgehört, 
hätten die Herren von Weida den Titel >advocatus« beibehalten und zwar 
als Inhaber der Gerichtshoheit über ihre eigenen Lande, sowie als Vögte 
über einige Gebiete, die dann später infolge der Vogtei in die Landeshoheit 
des Weidaer Geschlechtes übergingen. Die Ausübung der Beichsvogtei 
bildete also hier die Grundlage für die allmählich erwachsende Landeshoheit, 
die 1329 als abgeschlossen betrachtet werden kann. 

Die Entwicklung der Landeshoheit der Grafen von Arns¬ 
berg. Von Dr. Josef Tigges. Münster sehe Beiträge zur Geschichts¬ 
forschung, hrsg. von Prof. Dr. Alois Meister. 1909. Diese Arbeit bildet 
einigermaßen ein Gegenstück zu der soeben besprochenen (Fürstenhaus 
Beuss). Im Vogtland ein Territorium, dessen Anfänge auf Vogteirechte und 
Ministerialbesitz zurückgehen, hier die Entwicklung der Landeshoheit nach 
dem oft beobachteten Schema: erst Grafschaft, dann Übergang des Amtes 
in Feudalbesitz und allmählicher Erwerb der Begalien, dadurch Emanzipation 
von der Beichsgewalt und Festigung der Herrschaft nach unten. Die 
Hoheitsrechte die dem Erzb. von Köln als Nachfolger der Herzöge von 
Sachsen zukamen, waren an sich gering und wurden außerdem, solange die 
Grafen die Macht dazu hatten, nicht beachtet. 

Die Entwicklung der Landeshoheit der Mindener Bi¬ 
schöfe. Von Dr. Bernhard Frie. Münster’sche Beitrage zur Geschichts¬ 
forschung, hrsg. von Prof. Dr. Alois Meister. 1909. Hier liegt der Grund¬ 
stock der Territorialhoheit in der schon von den Ottonen verliehenen Im¬ 
munität. Schon um 1000 waren die Bischöfe den Grafen gleichberechtigt 
Hätten die Bischöfe die Möglichkeit gehabt, rechtzeitig Grafschaften zu er¬ 
werben, so würde die Basis ihres Landeäfün tentu ms eine viel breitere ge¬ 
worden sein. Aber ihre bescheidene Macht, die Kämpfe mit ihren Vögten 
und Ministerialen, sowie äußere Feinde nötigten sie zu andauernd defensiver 
politischer Haltung. Außerdem, sagt Frie, sei noch hinzugekommen, daß 
die Bischöfe ihre infolge der sozialen Entwicklung an Wert stark ver¬ 
minderten Freigrafschaften während des 13. Jahrh. eingehen ließen, die an 
deren Stelle tretenden Gografschaften aber infolge mißlicher äußerer Ver¬ 
hältnisse nicht erwerben konnten. S. 55. »Da die Zahl der Vollfreien 
immer mehr abnahm, gewannen die Gogerichte allmählich größere Bedeutung 
als die Freigerichte«. S. 48. »Die Freigrafschaften waren eingegangen und 
so fehlte es außerhalb der Städte an vollfreien Männern, der Vorausetzung 
zur Bildung eines Freigerichtes«. S. 55. »War die Erwerbung der Frei¬ 
grafschaft nicht möglich, oder war sie eingegangen, so bot der Besitz der 



Literatur. 


749 


öografechaft die beste Grundlage für die Landeshoheit«. Mithin scheint 
Verf. anzunehmen, daß die Gografen über Halb- oder Unfreie richteten. 
Hingegen hält nach Schröders Lehrbuch d. dt. Bgsch. S. 614 fL der Gograf 
seit dem 13. Jahrh. das Niedergericht über die unterste Klasse der Freien 
xl zw. der nichtritterlichen Grundbesitzer und der freien Landsassen. Auch 
ist es wohl fraglich, ob (8. 55) ein Gericht über Unfreie die Grundlage 
für die Landeshoheit bilden kann. — Etwas künstlich erscheint ferner die 
Auslegung S. 13: die trotz Immunitätsprivilegs dem Herzog 979 reservierte 
Kriminalgerichtsbarkeit wird vom Verfasser nach einer Urkunde von 1299 
dahin interpretiert, daß der Herzog von Sachsen das Recht gehabt habe, 
Todesurteile zu bestätigen oder zu verwerfen. Man darf nicht außer Acht 
lassen, daß die zwischen 979 und 1299 liegenden drei Jahrhunderte die 
.größten verfassungsgeschichtlichen Veränderungen in sich schließen. 

Wien. G. Laube-Husak. 


Bei der Redaktion sind eingelaufen: 

Anselmi, episcopi Lucensis Collectio canonum unacum collectione minorum 
(Jussu Institut! Savigniani) ree. Fridericus Th an er. Fase. 2 Innsbruck, 
Wagner. K 15*—. 

Bitterauf, Theodor: Friedrich der Große, 2. veränd. AufL (Aus Natur 
und Geisteswelt Nr. 246) f Leipzig. B. G. Teubner 1915. M. 1*25. 

Brandenburg, Erich: Die Reichsgründung. 2 Bde. Leipzig. Quelle & 
Meyer. 1916. M. 12*—. 

Brandt, Otto: England und die Napoleonische Weltpolitik 1800—1803. 
(Heidelberger Abhandlungen zur mittL und neueren Gesch., Heft 48). 
Heidelberg. C. Winters Universitäts-Buchhandlung. M. 5*60. 

Bur dach, Konr.: Vom Mittelalter zur Reformation. Forschungen z. Gesch. 
der deutschen Bildung. 2. Bd. Briefwechsel des Cola di Rienzo, hg. 
von K. Burdach u. Paul Pius. 1. Teil, 1. Hälfte. K. Burdach, Rienzo 
und die geistige Wandlung seiner Zeit. Berlin. Weidmann 1913. M. 12*—. 

Oämmerer, Herrn., von: Die Testamente der Kurfürsten von Brandenburg 
und der beiden ersten Könige von Preussen (Veröffentl desVer. für Gesch. 
d. Mark Brandenburg). München u. Leipzig. Duncker & Humblot M. 16*—. 

•Codex Diplomaticus Silesiae, hg. vom Ver. £ Gesch. Schlesiens. 
28. Bd.: Die Inventare der nichtstaatlichen Archive Schlesiens. 2. Kreis 
und Stadt Glogau. Breslau. Ferd. Hirt. 

Halbedel, Ant: Fränkische Studien. Kleine Beitr. zur Gesch. und Sage 
des deutschen Altertums (Hist Studien, Heft 132). Berlin. Emil 
Ebering. M. 3*50. 

Heigel, Karl Theodor, von: Politische Hauptströmungen in Europa im 
19. Jahrh. 3. verb. und verm. AufL (Aus Natur und Geisteswelt 
Nr. 129). Leipzig und Berlin. B. G. Teubner. M. 1*25. 

Hilt, Käthe: Camille Desmoulins, seine polit Gesinnung und Parteistellung 
(Hist Studien, Nr. 133). Berlin. Emil Ebering. M. 3*80. 

Hofmann, Max: Die Stellung des Königs von Sizilien nach den Assisen 
von Ariano (1140). Münster L W. Borgmeyer & Cie. M. 2*50. 




760 


Literator« 


Jahn, Mart: Die Bewaffnung der Germanen in der älteren Steinzeit, etwa 
von 700 y. Chr. bis 200 n. Chr. (Mamms-Bibliothek, Nr. 16) Würa- 
burg. Curt Kabitzsch. 1916. M. 7—. 

Jahrbuch des Stiftes Klosterneuburg VH- 1. Abt: Ludwige 
V. 0.: Memoiren eines Vergessenen (1691—1716). M. 3*40. 2. Abt: 
Schönsteiner, Ferd.: Die kirchL Freiheitsbriefe des St Klosterneu¬ 
burg. Urkundensamml. mit rechtl. u. geschichtL Erläuterungen. M. 6*80. 
Janssen, Job.: Gesch. des Deutschen Volkes seit dem Ausgang des Mittel¬ 
alters. 2. Bd., 19. und 20. Anfl., bes. durch Ludwig von Pastor. 
Freiburg i. Br. Herder. M. 10*—. 

Joachimsen, Paul: Vom deutschen Volk zum deutschen Staat. Eine 
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Mai 1916. 


Berichtigung. Auf S. 549 Zeile 2 von oben soll es heißen >Zinzen- 
dorff statt Sinzendorff 4 . 






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