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\M 4
UNTEltöUCHUNGEN
UEBER DIE
ÜRUNDFlUaEN DES SPRACHLEßENS
VON
D" PH. WEGENER.
HALLE
MAX NIEMEYEB
1885.
VORWORT.
Die nachfolgenden Untersuchungen sind in ihrer vor-
liegenden Form aus zwei Vorträgen hervorgegangen, die Unter-
zeichneter auf zwei provinziellen Pliilologenversammlungen in
Magdeburg (Herbst 1883) und in Halberstadt (Exaudi 1884)
gehalten hat. Ueber den ersten dieser Vorträge enthalten die
Berliner Zeitschrift fdr Gymnasialwesen (1884) und die Jahr-
bücher für Philologie und Pädagogik desselben Jahres aus-
führlichere Referate. Der Inhalt und Umfang beider Abhand-
lung, besonders der letzteren ist erweitert und vertieft.
Die Themata sind in beiden Fällen beibehalten und von
ihrer Wahl und Begrenzung ist auch die Anordnung und Grup-
pierung des Stoffes bedingt geblieben. Hätte dem Unterzeich-
neten die nötige Buhe und Müsse zur Verfügung gestanden, so
würde ihm selbst eine systematische Bearbeitung der berührten
und einiger verwandten Gebiete zweckentsprechender erschienen
sein. Bei den gegebenen Verhältnissen musste er sich jedoch
mit dieser loseren Form von Untersuchungen begnügen und
eine systematische Ausgestaltung günstigeren Tagen oder
weniger gebundenen Kräften überlassen.
Magdeburg am 4. Mai 1885.
Ph. Wegener.
INHALT.
Aus dem Leben der Sprache. g^.^^
I. Sprache : physiologisches und psychologisches Prinzip, Ver-
such einer Abgrenzung. Leistungen für beide Gebiete.
Methode und Aufgabe der psychologischen Untersuchung 1
II. Die Sprache wird erlernt im Dunkel des Unbewussten. Auf
späteren Stufen der Kindheit vorbessert der Erwachsene
das Sprechen des Kindes durch Bewusstmachen des richtigen
Tonbildes. — Alle Lautbewegung besteht in der Nach-
ahmung solcher Tonbilder, diese werden mit anderen Vor-
stellungsgnippen zu Reihen verknüpft: der Inhalt des
Wortes. Lautbild und Wortinhalt rufen sich gegenseitig
in das Bewusstsein ; das Muskelgefiihl. Gründe für die un-
vollkommene Aussprache des Kindes 7
III. Der Wortschatz des Kindes, ausgelöst aus Sätzen; Gründe
der Auslösung 11
IV. Die erste Art der Verwendung dieser Worte. Eingliederung *
der Worte in eine Reihe von Unlust- und Lustgefiihlcn.
Das Wort wird Hilfe oder Mittel. Das Weinen, das Wort
unter Weinen; ethische Umgestaltung des Weinens. Die
Tempora in der Kindersprache. Verbum substantivum.
Das Wort in der Kindersprache ein Satz 12
V. Der Ton beim Sprechen oder die actio; Bedeutung und
Modificationen des Tones. Gesticulation. Das Ethische . 15
VI. Exposition und Aussage, logisches Subject und logisches
Prädicat. Situation der Anschauung, der Erinnerung oder
des Bewusstseins, der Stimmung, der Weltanschauung und
des Culturlebens 11)
VII. Die Abstufungen in dem Bedürfuiss zur Exposition ... 27
VIII. Das logische Prädicat 29
IX. Wie gestaltet sich das Bedürfniss nach logischem Prädicat
und Exposition in der sprachlich-grammatischen Form? —
Die Correctur: Apposition und Relativsatz 32
X. Die demonstrativen Nebensätze sind Correctursätze ... 34
VI
Seite
XI. Die mit dem interrogativen Pronomen gebildeten Neben-
sätze sind gleichfalls Correctursätze. Verlust des Em-
pfindungstones 37
XII. Das Bestreben die Exposition vor das Prädicat zu stellen
in der entwickelten Sprache. Verbalflexion. Freie Sprache,
Correctur als stilistisches Mittel 40
XIII. Nominalflexion. Stellung der Expositionselemente in den
modernen Sprachen. Noch einige Petrefacten nachträglicher
Exposition 42
XIV. Hat ein Wort verschiedene Bedeutungen? 47
XV. Die Metapher und ihre Entwicklung zum congruenten Aus-
drucke 50
XVI. Die Entstehung congruenter Wortbedeutung überhaupt . . 53
Schluss GO
Zur Frage: Wie verstehen wir Sprache?
Thema 03
A« Zweck nnd Veranlassung des Sprechens*
I. Monolog ist zwecklose Eede 04
II. Dialog ist zweckvolle Rede. Der Zweck des Sprechens.
Die Bedeutung der Sympathie und der selbstischen Triebe 00
B* Die Willensbeeinfliissiing*
III. Imperativ und Frage. Uebergang von monologischen und
dialogischen Lautreihen in einander. Die Bedeutung des
Wortes in den ersten Stadien des Sprechens 70
IV. Mechanisiening des Gebrauchs und des Verständnisses der
Sprachmittel; congruente Sprachmittel. Die indogermanische
Form des Imperativs. Die Form der Frage 73
V. Die freien Sprachmittel der Willensbeeinflussung. Zer-
legende und comprimierte Form der Willensbeeinflussung 70
€• Die Substanz nnd der Satz«
VI. Substantivierte Adjectiva und ihre Ergänzung durch Prä-
dicierung 83
VII. Ergänzung durch nachträgliche Correctur. Die Mitteilung
als Imperativ empfunden. Die Substanzbezeichnung ist
Demonstration eines Anschauungsbildes, d. h. Aufforderung
ein Bild der Anschauung zu betrachten. Substantiv und
Adjectiv ursprünglich Sätze 8b
VIII. Die üntersubstanz und das attributive Adjectiv. Demon-
strativ und Artikel. Proklisis und Enklisis in Folge man-
gelnden Illustrationswertes 90
VII
Seite
jIX. Jedü lautliche Acusserung des Menschen kann Mittel
werden an die Situation zu erinnern, in der diese Aeussening
statt fand. Reflexlaute unf Aflfoctionslaute in der Nach-
ahmung absichtlich oder unabsichtlich verändert. Assimi-
lation der Situation. Das Prädicat Aufiforderung zur Er-
innerung 95
X. Resultate. Beispiele von Worten, die sich aus Sätzen ent-
wickelt haben; Haupt- und Nebensatz 100
D. Die Handlung*
XI. Wie verstehen wir Zeitverhältnisse? Der Hörer construiert
das chronologische Verhältniss; das Hysteron-Proteron und
Proteron-Hysteron 105
XII. Die Tempora des Verbums als Sprachmittel ftir die chrono-
logische Ordnung der Handlungen untereinander; die an-
deren sprachlichen Formen zur Fixierung dieser Ordnung 108
XIII. Beziehung des Subjects zum Verb und des Verb zum Ob-
ject muss vom Hörer construiert werden. Die Verbindung
des Verbs mit Subject und Object vollzieht sich in der
Zeit als Correctur eines verzeichneten Bildes 114
XIV. Die bei der Construction rege werdende Erwartung bildet
das Band unter den sprachlichen Gliedern. Unklarheiten
sind auch in den flectierenden Sprachen durch Constniction
des Hörers zu heben. Möglichkeit der Ergänzung von Be-
ziehungspunkten der Handlung und dieser selbst; sogen.
Ellipse. Thätigkeitssubstantiv 117
XV. Handlung wird verstanden erst durch den Zweck der Thätig-
keit. Automatische und spontane Thätigkeit. Sprachliche
Wichtigkeit der ersteren. — Automatische und spontane
Subjecte. Wichtigkeit der automatischen Subjecte. Be-
stimmtheit der Handlung durch den Zweck; das räumliche
Ziel und das afficierte Object 120
XVI. Das Bewusstsein des Zieles fuhrt zur Umwandlung des
Präsens in die Bedeutung der vollendeten oder der zu-
künftigen Handlung. Zustand und Handlung, rtickwärts-
laufende Construction - 124
XVII. Aus der Andeutung des Anfangs einer Handlung werden
die weiteren Folgen erschlossen und mitgedacht. Das Ver-
ständniss einer Handlungsmitteilung erschliesst sich aus
rückwärts- und vorwärtsgreifenden Schlüssen, die aus der
Erfahrung geschöpft werden. Aus den Erwartungen ent-
wickelt sich das logische Schema der Cansalität .... 126
XVUI. Die Eile der Mitteilung von Thatsachen lässt die Erwartung
in dem Hörer nicht zur Entfaltung kommen. Die Schnellig-
VIII
Seite
keit der Auffassung steigert sich durch das Congruent-
werden der Worte und sjTitactischen Formen LU
XIX. Wie und an welchen Sprachmitteln stellt der Hörende die
einzelne Handlung vor? 1:37
XX. Handlung ergänzt ans Verben des Willens und Objectsan-
gaben. Die Handlungsbezeichnung in der unmittelbaren
Rede mit dem Empfindungstone 14"^
XXI. Das Verbum mit seinen Formen entstanden durch die Be-
dürfiiisse des Referats 140
XXH. Lessings Anschauung von der Darstellbarkeit der Handlung
im Laocoon ist falsch 152
XXni. Die Grenzen der Zerlegbarkeit einer Handlung. Nur durch
Auge und Tastsinn wahrgenommene und mit Bcwusstsein
erfahrene Handlungen sind dem Hörenden bei der Mit-
teilung verständlich 150
XXIV. Nicht erfahrene Handlungen werden durch Analogie , d. h.
nach Mustern, verstanden. Personenmuster 150
XXV. Die Muster für Raum Verhältnisse, quantitative und qualita-
tive Bestimmungen. Die Construction der Handlung nach
Clustern und dem Causalitätsgesetze 103
XXVI. Die Individualisierung. Die Deutlichkeit der Individuali-
sierung bedingt durch das Interesse lOS
XXVII. Der Vergleich. Schluss ITS
Zusätze und Nachträge 1S4
Aus dem Leben der Sprache.
L
Das Gebiet, aus dem ich einige Forschungen vorzulegen
gedenke, habe ich das Leben der Sprache genannt, ein
nicht selten gebrauchter Ausdruck, der die Sprache unter dem
Bilde eines wirklich lebendigen Organismus, etwa dem einer
Pflanze darstellt, darum pflegt man auch vom Wachstum der
Sprache zu reden. Die Lehre von diesem Leben könnte man
die Biologie der Sprache nennen. Selbstverständlich ist jener
Ausdruck ein Bild, — ein Bild, bei dem majU nicht vergessen *
darf, dass die Sprache nicht ein Wesen oder ein Organismus
von räumlicher Selbständigkeit ist, wie etwa der sich selbst
bestimmende Mensch, sondern nur ein CoUectivname, also
eine Abstraction, für gewisse Muskelbewegungen des Menschen,
welche mit einem bestimmten Sinne bei vielen Personen einer
gesellschaftlichen Gruppe verknüpft sind, oder wie der psycho-
logische Terminus lautet, mit gewissen Vorstellungsgruppen
und Vorstellungsreihen associiert sind. Alles dies bildet nur
einen Teil der gesammten psychischen und physischen
Lebensäusserungen des Menschen, einen Teil, 'der mit den
übrigen Vorgängen des menschlichen Organismus in engster
Verbindung und regster Wechselbeziehung steht.
Die physischen Muskelbewegungen treiben Luftströme aus
der comprimierten Lunge, nuancieren diese durch die wechseln-
den Stellungen der Stimmbänder, der Zunge, der Zähne, der
Lippen und des den Nasenkanal schliessenden Gaumensegels.
Der so modificierte Luftstrom wird dem Sprechenden wie anderen
Personen hörbar und ruft im Hörenden wesentlich denselben
Sinn in das Bewusstsein, welchen der Sprechende mit den
Muskelbewegungen und dem diesen entsprechenden akustischen
Bilde verbunden hat
4
Der Name Sprache ist also die abstraete Zusammenfassung
all dieser menschlichen Thätigkeiten, die sich wie die mensch-
liche Thätigkeit überhaupt aus zwei Factoren bilden, dem
physiologischen und psychologischen. Man hat die
Wirksamkeit und die Gebiete beider Factoren oder Prinzipien
zu scheiden gesucht, so Osthoff in seinem Vortrage über das
physiologische und psychologische Prinzip in der Sprache, —
doch meines Erachtens bisher noch ohne Erfolg. Sicher dürfen
die Fälle progressiver Assimilation, wie der deutsche Umlaut
und die deutsche Brechung, die Einwirkungsarten des griech.
j auf vorhergehende Laute, in ihren Gründen nicht zu den
physiologischen Erscheinungen des Sprachlebens gerechnet
werden, sie gehören dem psychologischen Gebiete an. Ferner
darf die Erzeugung der erlernten Laute im Munde eines Men-
schen eben so wenig zu seinen rein physiologischen Thätig-
keiten gerechnet werden, wie die Finger- und Handbewegung
des Ciavierspielers, die technische Bewegung des Schnitzers,
Töpfers, Schreibers u. a. Was man hier physiologisch nennt
ist nichts weiter als eine mechanisch und automatisch
gewordene ursprünglich spontane Bewegung. Das Physiolo-
gische bei der Sache ist nur die Natur der Organe, ihre
Stellung und Bewegungsform , dagegen der Impuls und die
Eegelung der Bewegung derselben hat mit der Lautphysiologie
nur insofern zu thun, als die Natur der Organe der Intention
des Menschen gewisse Schwierigkeiten und Hemmungen ent-
gegensetzt. Die Art wie complicierte Lautbewegungen hervor-
gebracht werden, ist also genau so zu beurteilen, wie die ge-
nannten technischen Bewegungen zu Stande kommen, ferner
das Gehen, Laufen, Tanzen u. a. Soll auf Grund dieser
Mechanisierung etwas über die Giltigkeit, Ausnahmslosig-
keit, Unumstösslichkeit der Lautgesetze ausgesagt werden,
d. h. der Veränderungen, welche im Laufe der Zeit in der
Aussprache der Laute innerhalb grösserer Lautreihen eintreten,
so darf man sich nicht darauf berufen, dass man es mit einem
Naturgesetze zu thun hat, sondern man muss sich stets be-
wusst bleiben, dass man sich auf dem Gebiete automatischer,
mechanisierter psychologischer Vorgänge befindet. Für die
Untersuchung gerade dieses psychischen Gebietes bleibt eigent-
lich noch Alles zu thun; — die zweite Abhandlung wird auf
dieses Gebiet für andere Fragen des Sprachlebens zurück-
kommen.
So viel ist jedoch deutlich, dass die physiologischen wie
die psychologischen Vorgänge bei der Betrachtung der Sprache
in das Auge gefasst und untersucht werden müssen.
Die physiologischen Bedingungen des Sprechens
sind mit Glück und Erfolg in der sogenannten Lautphysio-
logie oder Phonetik behandelt, welche ihre Untersuchungen
selbstverständlich am lebenden Menschen angestellt hat. Dass
auch diese Wissenschaft noch in ihren Anfängen steht, scheint
mir gewiss. Sie grenzt offenbar die Lautvorgänge noch zu
sehr nach den in der alten Grammatik unterschiedenen Lauten
ab, offenbar sehr complicierten Gebilden, so dass man darüber
z. B. streitet, ob die Media als tönender Verschlusslaut zu be-
zeichnen sei oder als Lenis. Offenbar ist doch das Tönen,
d. h. die Verengung der Stimmritze eine Artikulation für sich,
die eben so gut bei der Tenuis stattfinden kann. Und das
Tönen der Stimmritze liesse sich sehr wohl als eine Art Vocal
bezeichnen, welcher beim Verschliessen des Ansatzrohrs, wäh-
rend des Verschlusses und beim Oeffnen desselben fortdauert.
Thatsächlich findet sich dieser reine Stimmton und zwar
silbenbildend, während der Verschluss hergestellt wird, im
Niederdeutschen wenigstens westlich von Magdeburg in den
proklitischen Formen op mik, et iss, ik bin. Ich habe statt des
blossen Stimmtons die Vocale der Pausaform geschrieben, was
natürlich ganz ungenau ist. Die Verengung der Stimmritze
muss natürlich die Exspiration verlangsamen, vor der Media
so gut wie vor der Tenuis.
Viel zu thun bleibt ferner der Lautphysiologie in ihrer
Anwendung auf die Sprachgeschichte, richtiger würde diese
Aufgabe allerdings der Sprachgeschichte selbst zuzuweisen
sein. So ist für die Entstehung von sehr vielen Lautverände-
rungen mit Sicherheit ein Continuum der Organverschiebung
von einem Punkte aus in einer [bestimmten Richtung anzu-
nehmen, bis die sprachgeschichtlich constatierte Stelle erreicht
ist, z. B. bei dem Uebergange von s zu r. Zum vollen Ver-
ständnisse eines solchen Ueberganges gehört die Kenntniss des
Ausgangspunktes, der Entwicklungsstufen dieser Organbewegung
und des Endpunktes. Die lautphysiologische Betrachtung der
Sprachgeschichte hat also z. B. die Articulationsweise aufzu-
suchen, bei der ^ zu r werden konnte. Der Uebergang ge-
schah lateinisch und deutsch beim Tönendwerden des s. Das
neu entstandene r musste ein Zungen -r sein, man mag dies
unmittelbar an den Alveolen bilden oder vorn am harten
Gaumen, — der bei dieser Articulation ohne Vibration der
Zungenspitze entstehende ^-Laut ist nicht das sogenannte reine
s, sondern ein s. Aus dieser Betrachtung ergiebt sich daher
für das Lateinische, Griechische, wie das Deutsche das ge-
rechte Bedenken, ob die graphischen Zeichen s wirklich die
sogenannten reinen ^- Laute waren, vielmehr waren sie wenig-
stens an dieser Stelle s. Dieselbe Thatsache des üeberganges
von s zu s beweist das Französ. raison aus rationem\ wurde
tj zu t mit Zischlaut, so konnte dieser zunächst kein andrer
sein als ts^ entsprechend wird das Italien, ci, ce articuliert;
dieselbe Thatsache ist für das griech. ^ = ds z, ß. in vofii^o),
für griech. rr oder öö anzusetzen, also jcgarxco wurde wenig-
stens zu einer bestimmten Zeit gesprochen prätso. Wenn im
Griechischen 6 zu h wird zwischen Vocalen, also tönendes ö,
so muss die Zunge sich zunächst etwas entfernen vom Gaumen
und bei dieser Entfernung zunächst eine Enge entstehen, welche
nicht sogen, reines s giebt, sondern s.
Weiter, viel weiter zurück ist die Erkenntniss der psy-
chologischen Vorgänge trotz des vortrefflichen Buches von
H. Paul, j Prinzipien der Sprachgeschichte ' Halle 1 880.
Genannt müssen auch werden die verdienstlichen Schriften
Yon Steinthal und Lazarus; genannt muss ferner werden
Whitney, der bei seiner nüchternen Untersuchungsweise manches
gesund beurteilt hat. Der Grund des langsamen Fortschreitens
dieser Erkenntniss ist einerseits in dem wohlverdienten Miss-
credit zu finden, den sich die logische Behandlungsweise der
Sprache zugezogen hat, der aber leider so vielfach zu dem
rohsten Empirismus zurückgeführt hat, — andererseits in der
einseitigen Neigung der modernen Sprachforschung, das über-
lieferte Material vergangener Sprachepochen statistisch fest zu
stellen oder nur alte Sprachstufen als würdige Gebiete der
Forschung zu betrachten. Eine gesundere Richtung ist in Be-
zng auf den letzten Punkt allerdings vor Allem bei den
jüngeren Germanisten zu eonstatieren. — Wie die physiolo-
gischen Erscheinungen nur aus der Beobachtung des lebendigen
Sprechens und zwar in erster Linie des Sprechens der eigenen
Person klar werden konnten, also in erster Linie ein Be-
wusstwerden dessen, was wir täglich thun, — ebenso muss
die lebendige, heut gesprochene und dem Sprechen-
den bis in die feinsten Nuancen verständliche
Sprache, also die lebendige Muttersprache den Boden
und das Orientierungsgebiet aller psychologischen
Beobachtungen bilden. Erst diese Untersuchungen können
sichere Sprachgesetze ergeben, aus denen dann wieder folgen-
reiche Rückschlüsse auf die erstorbenen Sprachen möglich
werden.
Wie der Physiologe nicht an altegyptischen Mumien oder
an Petrefacten seine Studien machen wird, sondern am leben-
digen Thier- oder Menschenleibe, ebenso müssen wir die Ge-
setze vom Leben und Wachsen der Sprache an den uns durch-
sichtigsten Spracherscheinungen der lebendigen Muttersprache
erst kennen lernen, um hieraus den grossen Trümmerhaufen
der Ueberlieferung von den ausgestorbenen Sprachen sichten,
ordnen, verstehen zu lernen.
n.
Die bestimmten Lautreihen, welche wir Worte nennen,
als solche und ihre Verbindung oder Association mit einem
bestimmten Sinne, d. h. mit einer Vorstellungsgruppe, muss
erlernt werden; denn dieselbe Lautreihe bedeutet in verschie-
denen Sprachen ganz Verschiedenes, so ist ndd. ssett = setze
lautlich dem frz. sept = sieben gleich. Der redefertige Mensch
lässt sich daher vergleichen mit einem geübten Clavierspieler,
der nur die Note, einen ganzen Accord, einen ganzen Tact
oder mehr auf dem Notenblatte zu sehen braucht, um ohne
Besinnen die entsprechenden Tasten auf dem Instrumente zu
greifen. Der sprechfertige Mensch braucht nur ein Haus, einen
Baum zu sehen, eine Handlung wahrzunehmen, oder ohne
Wahrnehmung sie zumBewusstseinzu bringen, nur einen Wunsch
8
zu hegen, so findet er ohne bewusste Ueberlegung der einzelnen
Momente das entsprechende Wort und den sinngemässen Satz.
Ja, es ist dem sprechfertigen Menschen geradezu unmög-
lich, ein Bewusstsein von den einzelnen Impulsen zu gewinnen,
durch welche die Muskeln zur Sprachbewegung angeregt werden,
oder von den einzelnen Muskelvorgängen selbst, oder von der
Art der Verbindung dieser physiologischen Thätigkeit mit den
Vorstellungsgruppen seiner Seele. Es herscht hier dasselbe
unbewusste Dunkel wie bei allen anderen Bewegungsvorgängen
unseres Leibes.
Alle diese Bewegungen erlernt der Mensch in einer Zeit
seines Lebens, in der noch Alles in ein bewusstloses Dunkel
gehüllt ist, in das niemals das Licht des Bewusstseins hinein
leuchtet. Ja, es ist sogar schwer, sich einzelner Resultate der
Bewegungen bewusst zu werden, z. B. dass bei dem w- Laute
die Lippen gerundet waren, dass wir bei den Nasalen den
Nasenkanal öffnen, ob wir das r mit dem Zäpfchen sprechen,
oder alveolar an den Zähnen. Ja der orthographische Unter-
richt beweist die Schwierigkeit der Zerlegung der Worte in
ihre Laute. Also die ganze Erlernung der Muttersprache,
sicher in den ersten Jahren des Lebens und zum allergrössten
Teile auch in den späteren Lebensjahren vollzieht jsich im
Dunkel des Unbewusste n. Man ersieht schon hieraus,
welch methodischer Fehler es ist, Spracherscheinungen aus
bestimmt reflectirter Absicht der Sprechenden zu erklären.
Natürlich ist es bei diesem unbewussten Erlernen dei
Sprache nicht ausgeschlossen, dass auf späteren Stufen dei
Kindheit der Erwachsene corrigierend dem unvollkommenen
Sprechen des Kindes zu Hülfe kommt. Doch welche Mittel
verwendet dabei der naive, überhaupt ein jeder lautphysiologisch
nicht gebildete Mensch? — Er sagt dem Kinde: du mussl
nicht sagen / sondern r , nicht ä sondern b u. s. f. Er giebi
also nicht Anweisungen über den richtigen Gebrauch dei
Organe, sondern führt dem Kin,de das correcte Tonbild zum
Bewusstsein, in der unbewussten aber richtigen Voraussetzung
dass alle lautliche Bewegungen des Kindes in dei
Nachbildung solcher Ton- oder Lautbilder bestehen
Also in grossen Zügen besteht das lErlemen der Sprache beim
Kinde in folgenden Vorgängen:
1. Tonbilder oder Lautbilder werden empfunden, die
Muskeln suchen dieselben nachzubilden, es gelingt mehr und
mehr die Laute diesen Originalbildern gleich zu bilden.
2. Diese gehörten und wieder erzeugten Lautbilder werden
unter gewissen Verhältnissen empfunden, verschiedene Laut-
bilder unter verschiedenen Verhältnissen: das eine, wenn das
Kind gevnsse Schmerzgefühle hat vne Hunger oder Durst, das
andere, wenn gewisse optische Empfindungen erregt sind u. s. f.
Gleichzeitig mit diesen Empfindungen oder richtiger in un-
mittelbarer Folge treten die Lautbilder in die Seele, d. h. kurz
nachher oder vorher, und bilden mit diesen zeitlich verknüpfte
Vorstellungsreihen. Je häufiger diese Reihen in der Seele auf-
treten, desto stärker und unzerstörbarer werden sie, desto
fester verknüpfen sich die einzelnen Glieder dieser Reihe
unter einander.
Nun hat der Mensch niemals bloss Lichtempfindungen
oder bloss Gehörsempfindungen, unmittelbar mit diesen ver-
bunden sind auch stets Tast- oder Druckempfindungen, ver-
mittelt durch das fein organisierte Nervengewebe der Finger-
spitzen oder durch andere gröbere und stumpfere Teile der
Epidermis, welche durch den Druck der Lage und Stellung
des Körpers afficiert werden. Dazu kommen die ununter-
brochenen Empfindungen, welche der Ablauf des Stoffwechsels
mit sich bringt. Hört das Kind das Lautbild Milch, so ge-
schieht dies also unter den geschilderten psychologischen Ver-
hältnissen, es wird dies Wort oft in Verbindung mit dem
Schmerzgefühle des Hungers und Durstes hören, es wird bei
dem Worte die Lichtempfindungen der weissen Flüssigkeit in
der glänzenden Flasche haben, es wird die glatte und harte
gewärmte Flasche betasten, es wird saugen nnd das Unlust-
geftihl des Hungers verlieren. Sehr oft wird sich dieser Vor-
stellungsablauf bei dem Worte Milch, Fläschchen und anderen
Worten wiederholen. Nach dem psychologischen Gesetze, dass
gleiche Vorstellungen verschmelzen und sich verstärken, un-
gleiche sich hemmen, wird also das stets Gleiche als Vor-
stellungsgruppe mit dem Lautbilde Milch fest und unzerstörbar
verbunden. Wir nennen die so entstandene Vorstellungsgruppe
den Inhalt oder Sinn des Lautbildes, d.h. des Wortes.
■i - * - , > ■> ,
10
Vorstellungsgruppen, hier also Lautbild und Inhalt,
welche mit einander verbunden sind, können sich gegen-
seitig in das Bewusstsein rufen; wird also das Lautbild
Milch gehört, so tritt jener Inhalt in das Bewusstsein, umge-
kehrt ruft der bewusst gewordene Inhalt das Lautbild hervor;
das Lautbild war durch das häufige Aussprechen mit dem
Gefühle der Muskelbewegungen verbunden, welche beim
Aussprechen des Wortes notwendig eintreten müssen, also wird
auch das Muskelgefühl associiert und durch dieses die Muskel-
bewegung selbst erzeugt, welche jenes Lautbild sprachlich
hervorbringt.
Die Worte, welche die Kinder in der ersten Zeit
erlernen, sprechen sie sehr unvollkommen aus: 1. die
Laute sind denen der Erwachsenen noch nicht vollständig
gleich, 2. die Worte, d. h. die Lautreihen sind unvollständig.
Der Grund für die letztere Erscheinung ist ein dreifacher:
1. gewisse Laute machen besondere Schwierigkeit für die
Nachbildung, so das / und die r- Laute. Vielfach ist es den
Kindern in den ersten Lebensjahren noch nicht gelungen, die
entsprechenden Muskelbewegungen für diese Laute zu finden,
die Laute bleiben daher unausgesprochen. 2. Nicht alle Teile
eines Wortes werden mit gleicher Energie von dem Sprech-
fertigen exspiriert, man unterscheidet hochbetonte und minder-
betonte Silben und auch bei diesen mehrere Grade. Im Satze
wird das Betonungsverhältniss noch mannigfaltiger, da hier
eine Abstufung der einzelnen Worte vor und nach dem Ton-
worte eintritt, gewisse Worte accentlos werden, wie die En-
klitika und Proklitika. Die schwächer betonten Silben und
Worte müssen nach einem bekannten psychologischen Gesetze,
dem Weberschen Gesetze, nemlich dass die Empfindungen
wachsen wie die Logarithmen, wenn die Reize wie die Zahlen
wachsen^), — also die Empfindungen, welche das Kind beim
Hören der minderbetonten Silben hat, müssen in dem an-
gegebenen Verhältnisse schwächer sein als die Empfindungen
für die hochbetonten Silben. Man findet daher in der Kinder-
sprache der ersten Jahre die Tonsilben der stark verstümmelten
^) Vgl. Wundt Vorlesungen über die Menschen- und Thierseele.
Bd. 1, S. 108 ff.
11
Worte verhältnissmässig correcter und praeciser wiedergegeben
als die unbetonten Silben. 3. Man findet oft in der Kinder-
sprache Verwechslung von Lauten. Ich erinnere mich von
einem etwa vierjährigen Kinde den Satz gehört zu haben:
sonne man von dinne wette füttn statt soll ich mal von diesen
welche pflücken. Offenbar ist der /-Laut dem Kinde schwierig
gewesen und darum ersetzt durch n oder in der schwierigen
Verbindung mit f fortgelassen , der Ar-Laut ist ersetzt durch t.
Es ist deutlich, dass das Muskelgefühl für den A- und ^Laut
in der Seele des Kindes zusammengefallen ist, eine Aehnlich-
keit der akustischen Empfindung bei diesem Laute ist ja hand-
greiflich, ebenso wie bei n und /. Es ergiebt sich hieraus, wie
aus einer Reihe anderer Thatsachen, dass die einzelnen Laute
eine Associatioh in der Seele eingehen können, durch Aehn-
lichkeit der akustischen Empfindung und des Muskelgeflihls.
Aehnliche Laute werden als partiell gleich, bei ungenauer Be-
obachtung als total gleich empfunden und verschmolzen. Der-
gleichen sprachwidrige Verschmelzungen verschiedener Laute
müssen in der Weiterentwicklung der Sprache des Kindes
wieder gelöst werden.
m.
Das Kind hört nicht blos einzelne Worte, die meisten
Worte hört es im Zusammenhange des Satzes. Und doch
spricht es zunächst nur einzelne Worte selbständig aus. Also
lösen sich die von ihm in den ersten Stadien seiner Sprach-
entwicklung gebrauchten Worte erst aus grösseren
Gruppen, den Sätzen, aus. Dieser Process ist schon oben
geschildert als unbewusste Abstraction, bei der Gleiches sich
verbindet und verstärkt, Ungleiches sich hemmt. Doch dabei
bleibt es noch unklar, warum nicht sämmtliche gleich häufig
gebrauchten Wörter neben einander auf der ersten Sprachstufe
gebraucht werden. Die Anzahl der auf dieser Stufe wirklich
verwendeten Wörter ist sehr gering. Es muss also unter den
durch jenen Abstractionsprocess in der Kindesseele aufge-
speicherten Wörtern ein Unterschied in der psychischen
Wirksamkeit und Intensität bestehen. Ein solcher Unter-
12
schied wird auf doppelte Weise herbeigeführt: 1. die Wörter
desselben Satzes haben verschiedene Stärke der Beto-
nung, also muss auch die Empfindung des hörenden Kindes
von verschiedener Stärke sein und genau so wie bei den ver-
schieden betonten Silben desselben Wortes eine verschiedene
Präcision der Nachbildung und Verwendbarkeit bedingen. Da
nun die betonten Wörter die für den Sinn wichtigsten Be-
standteile des Satzes sind, so wird das Kind gerade durch
die besondere Stärke der für seine Bedürfnisse und seine Vor-
stellungswelt wichtigsten Worte auch diese am ehesten kennen
und anwenden lernen. Diese Betrachtung führt auf den
zweiten Gesichtspunkt, nach dem sich der Schatz der anwend-
baren Wörter beim Kinde bestimmt: 2. Die wichtigsten
Wörter sind diejenigen, welche mit der Befriedigung der
Strebungen und Bedürfnisse des Menschen, hier also
des Kindes, associiert sind. Worte, welche regelmässig mit
einem starken Lust- oder UnlustgefÜhle verbunden sind, haben
eine unverhältnissmässig grössere Empfindungsstärke als andere.
Also die mit Lust- und Unlustgefühlen in der Kindesseele ver-
knüpften Worte sind es, welche an Stärke der Empfindung
und an Fähigkeit reproduciert zu werden die übrigen weit
übertreffen.
Das hier ausgesprochene psychologische Gesetz ist in
seinen Wirkungen so bekannt, dass ich nur an Tage der
Freude oder des Leids zu erinnern brauche, von diesen sagen
wir: sie werden uns unvergesslich sein. Durch dieses Gesetz
wird das Kind früh in den Stand gesetzt, für seine Bedürf-
niss- und Strebungszustände Wortbezeichnungen anzuwenden.
Die frühsten Worte des Kindes sind daher Worte wie Mama,
Fläschchm^ Milch, Babd, Kuckelicht, Ticktack, Puppe, oppa (auf
den Arm) u. a.
IV.
Es tritt bei dem Kinde in den ersten zwei Jahren eine
Entwickelungsstufe ein, wo es nicht mehr bei einem Unbehagen
blos weint, sondern auch Mama, Fläschchen oder andere der-
artige Worte ruft, Worte die in seiner Seele fest eingegliedert sind
in die Empfindungsreihe vom Schmerzgefühl z. B. des Hungers
13
bis zur Stillung desselben. Und zwar ist das Wort in dieser
Reihe an der Stelle eingefügt, wo die Linderung des Schmerz-
gefühls eintritt, es ist also fest assoeiiert auf der einen Seite
mit dem Gefühle der Unlust, auf der anderen Seite mit dem
nachfolgenden Gefühle der Lust. Es tritt nun die Wahr-
nehmung hinzu, dass diese Lauterzeugung vorhandene Unlust-
gefllhle zu beseitigen pflegt, denn die Mutter kommt auf den
Ruf und weiss das Kind meist zu trösten. So wird das Wort
zur Hilfe oder zum Mittel ein vorhandenes Unlust-
gefühl zu beseitigen.
Diese Hülfe wird angewandt, wenn ein Schmerzgefühl vor-
handen ist; das Schmerzgefühl erzeugt die Reflexbewegung
des Weinens, das Wort also unter Weinen ausgesprochen ist
das Mittel Abhülfe des Schmerzes zu fordern. Das Kind wird
zugleich von den Eltern erzogen, man sucht ihm das ^Weinen
bei jeder Gelegenheit' abzugewöhnen, es gelingt fast immer,
d. h. der Ausbruch des Weinens wird unterdrückt, doch auch
jetzt noch stellt der Schmerz die Muskeln zum Weinen ein,
man hört daher, auch wenn das Weinen unterdrückt ist, noch
immer einen weinerlichen Ton. Dieser Ton vrird im späteren
Leben mehr und mehr gemildert, doch ein Rest bleibt stets in
dem schmerzlichen Tone auch des Erwachsenen, der sich zu
beherschen weiss. Ich mache darauf aufmerksam, dass hier
ein ethischer Factor in die Sprachentwicklung und
in die Form der Lautgebung eingreift.
Das Wort also, welches das Kind weinend oder weinerlich
spricht, ist für das Kind ein Mittel das Unlustgefühl zu besei-
tigen, für den Hörenden, vor Allem die Mutter, die Auf-
forderung Hülfe zu bringen. Dies Wort ist der Im-
perativ des Kindes, den Niemand missversteht. Der Grund
aber, dass diese Form des Ausdrucks vom Hörenden als Im-
perativ gefasst wird, ist in erster Linie ein ethischer, das
Gefühl der Verpflichtung, dem htilfebedtirftigen, leidenden Men-
schen zu helfen, also das Gefühl der Sympathie. Später
werden wir auf diese Punkt näher eingehen.
Insofern diese Aeusserungsweise des Kindes ein Schmerz-
gefühl constatiert, insofern ist sie Ausdruck der Gegenwart.
Und bleibt das Herz des Anwesenden kalt bei dem Schmerzens-
ausdruck, bleibt der Hörer blosser Beobachter, so wird er nicht
14
die Forderung der Hülfe dabei empfinden, nicbt einen Im-
perativ heraushören, sondern die einfache Thatsache, dass das
Kind Schmerz empfindet. So wird der Arzt dem leidenden
Kinde gegenüberstehen, ähnlich wie der Physiologe den Zuck-
ungen des Hundes oder des Kaninchens. Schon hier ist er-
sichtlich, dass nicht die Form des Ausdruck als solche, sondern
die Art der Verknüpfung in der Seele des Hörenden be-
stimmend ist für die Bedeutung und den Inhalt der Worte.
Insofern jedoch der Schmerz durch Gebrauch des Wortes
als Mittel auf die Linderung hinweist, insofern ist jene Aeusser-
ungsweise Ausdruck der Zukuft. — Reine Gegenwart
zeigt das Kind, wenn es aufschreit im Schmerze, oder aufjauchzt
vor Lust beim Anblick des Lichtes oder eines glänzenden
Gegenstandes, oder in der Freude des Spiels. Das jubelnde
Kuckelicht, Ticktack oder auch das verwunderte mein Magert,
meine Puppe, wenn eine Veränderung mit diesen Dingen vor-
gegangen ist, oder wenn die Dinge dem Kinde unerwartet auf-
stossen, ist reiner Ausdruck der Gegenwart. Greift jedoch das
Kind nach der Lampe, und kann es diese nicht fassen, so tritt
das Schmerzgefühl der gehemmten Strebung und getäuschten
Erwartung ein, ein nun weinerlich klingendes Kuckelicht ist
reiner Ausdruck des Strebens, die Zeit, welche jetzt in der
Kindesseele die Herrschaft hat und vom Hörer erschlossen
wird, ist die Zukunft. Aehnlich wenn das Kind einen Gegen-
stand sucht und nicht findet, es ruft vielleicht: mein Wagen.
eine Aeusserung, die als Imperativ, als Frage und als reine
Strebungsäusserung gedeutet werden kann.
Hat sich das Kind gestossen, so läuft es weinend zur
Mama und weinend oder weinerlich ruft es stossen, Thür,
Stein u. a., und die Mutter weiss daraus mit Sicherheit den
Schluss zu ziehen, dass sich das Kind gestossen hat. Oder
hat das Kind die Lampe gesehen, läuft es zur Mutter und ruft
Kuckelicht, so weiss diese, dass das Kind die Lampe gesehen
hat. Hier haben wir die Bedeutung des eigentlichen Per-
fectums, welches die Vollendung einer Handlung und deren
Fortdauer in der Gegenwart berichtet. Die ganze Schärfe der
Bedeutung dieses Tempus wird nur im Gefühlsleben des Men-
schen klar, wo die Handlung als Lust- oder Schmerzgefühl im
Sprechenden noch fortdauert.
15
Kommt der Vater nach einiger Zeit zu dieser Familien-
seene, und erzählt ihm das Kind ohne Spuren des Schmerzes
mit gleichgiltigem oder gar fröhlichem Gefühle: stossen^ so
sind die Folgen und das Nachleben des Schmerzgeflihls ge-
schwunden, die Handlung ist reiner Aorist. Ebenso beim
Lustgefühle. Die Thatsache selbst lebt in der Erinnerung fort,
doch Freude und Schmerz sind nur noch blasse Momente des
Wissens, nicht mehr lebendige Gefühle. Darum ist die gram-
matisch ausgebildete Form des Aorists, nicht die des Perfects,
das rechte Tempus für die kalte Erinnerung des Erfahrenen;
dies ist der sogenannte Aoristus gromicus odör empiricus.
Die Dinge existieren für uns nur durch unsere
Empfindungen von ihnen, die ersten Existenzen, deren
sich der Mensch bewusst wird, sind die, welche Lust- und
Schmerzgefühlen entsprechen. Die abblassende, gefühllose Er-
innerung an diese giebt die wichtigsten Bausteine für die
psychischen Gebilde, welche wir die Dinge nennen. Somit be-
darf der Mensch jener ersten Stufe der Gefühls-
sprache einer sprachlichen Benennung der Formen
des Seins nicht, die Ausdrucksformen des Seins sind eben
die Reflexbewegungen, welche die Empfindungen in den
Stimmorganen der Menschen hervorbringen.
Somit hätte sich herausgestellt, dass das Kind das
Wort als Satz gebraucht. Ja diese Sätze zeigten die-
selben temporalen Nuancen, welche die ausgebildete Sprache auf-
weist: Präsens, Futur, Perfect, Aorist, die Begehrungsform, doch
nicht das Imperfectum. Das Kind meint den Satz in diesem
temporalen Sinne, sobald es bemerkt hat, dass es so verstanden
wird, — denn dadurch wird die Lautform zum Mittel, also zur
Ausdrucksform, — und die Mutter versteht das Kind wirklich
so. Also das Kind spricht einen wirklichen und verständlichen
Satz. All diese Sätse, mit Ausnahme des aoristischen Satzes,
waren von irgendwelcher Erregung des Gefühls begleitet.
V.
Dasselbe Wort konnte für die verschiedenen Satzformen
und die verschiedenen Zeiten gebraucht werden, also nicht das
16
Wort als solches, nicht der Wortkörper bildet d|en Satz
neben diesem ist der Ton oder die Art des Vortrages, die
actio, wie es die römischen Ehetoren nennen, ein zweites
wesentliches Element dieses Wortsatzes. Vom weinenden und
weinerlichen Tone ist die Eede gewesen, die Mutter erkennt
daran die Stärke des Schmerzes oder der Freude und die Be-
gehiTing des Kindes. Das Wort ist für den Hörenden die Er-
klärung oder Illustration des Geflihlsausbruchs, indem es ihm
die Sphäre der Gefühle oder das Object derselben, oder das
Ziel der Begehrung andeutet.
Der Subjectsbergiff, d. h. die Person, an der das Prä-
dicat zur Erscheinung kommt, oder welche das Gefühl hat,
ist nicht im Worte ausgesprochen, sondern liegt 1. im Tone
angedeutet, der es ja zweifellos macht, dass eben das Kind
es ist, welches sich freut, den Schmerz empfindet, oder die
Verwunderung hegt. Und 2. wird der Subjectsbegriff durch die
unbewusste ganz allgemeine Voraussetzung der Mutter gewonnen,
dass das Kind sich nur um die eigenen Empfindungen der
Lust oder Unlust kümmert. Erst der intellectuelle Fortschritt
des Kindes aus den eigenen Aeusserungen der Gefühle Rück-
schlüsse auf die andeter Personen zu machen und der ethische
Fortschritt, für die Geflihlsäusserungen Anderer Mitgefühl zu
empfinden erhebt das Kind über diese Stufe des einseitigen
elementaren Egoismus hinaus.
Auch bei dem sprechfertigen Menschen kann jedes Wort
durch den Ton zum Imperativ werden, oder grammatisch
ausgedrückt, in den Imperativ treten: Brot, Kuchen, essen,
trinken, fort, mir, her, hierher, hier, auf der Stelle, mehr, was
andres, noch etwas, vorwärts, nun, schiiell u. s. f. Diese von
Kindern mit weinerlichem oder unzufriedenem Tone so oft
gebrauchte Ausdrucksweise, z. B. Butterbrod, Apfel, mein Hut,
meine Stiefel ist für die Umgebung nicht missverständlich, gilt
aber für ungezogen, und wir verbieten diese Form der Forde-
rung, da sie den Willen und freien Entschluss der angeredeten
Person nicht respectiert, also rücksichtslos und unhöflich ist.
Doch nicht der Ausdruck durch das einzelne Wort wird
verpönt, das Bittende: ein Stückchen Brod des Bettlers ist durch
die Unterwürfigkeit des Tones ethisch durchaus unantastbar.
Dieser Ton erkennt die Berechtigung und Möglichkeit an, dass
17
die Forderung vom Angeredeten abgeschlagen werde, mit die-
sem Tone tritt das Wort in den Bitt modus.
So zeigt sich, ein wie mächtiger Hebel für die Mitteilung
der Ton des Vortrages ist, die Nuancen und Modifieationen
desselben sind ausserordentlich mannigfaltig. Sie sind bedingt :
1. von der Ordnung, Reihenfolge und Distance der musicalischen
Töne, also der Satzmelodie, 2. von der Stärke, der Form und
dem Tempo, mit der der Luftstrom aus der Lunge tritt, 3.
von der Stellung der Organe, wie sie durch gewisse Eeflex-
bewegungen, besonders Weinen und Lachen, geschaffen wird,
und ebenso von der ethischen Gegenwirkung gegen diese Eeflex-
bewegungen, so dem Verbeissen des Weinens, Unterdrücken
des Lachens, Zurückhalten des Luffcstroms beim Stöhnen.
Und neben dem Tone her geht die beredte Sprache des
Auges, der Mine und des Gestus, der Gefühlsausdmck ist
ja nur die weitere Fortsetzung der Reflexe, welche den Sprach-
ton nuancieren, und oft auch die Bewegung von Arm und
Hand.
Die Satzmelodie und die Reflexe differenzieren
die Qualität der auszusprechenden Empfindungen von Lust
und Schmerz und damit weiter die Qualität der Mitteilungs-
form, des Befehls, der Bitte und des Wunsches, der Verwunde-
rung und Frage, der Behauptung, — die Intensität und
Form der Exspiration n|üanciert die Grade der Leiden-
schaft oder des Gefühls, so der laute Ton der Stimme,
die Hast, mit der gesprochen wird, die Ruhe oder das Phlegma
u. s. f. Natürlich treten diese drei Factoren stets verbunden
im Satze auf. —
Der Vorleser, Redner und Schauspieler kennt, wenigstens
unbewusst, die ausserordentliche Mannigfaltigkeit dieser Nu-
ancen des menschlichen Stimmorgans, sein Erfolg vor dem
Publicum ist zum grossen Teile von der richtigen Wahl und An-
wendung dieser Tonmittel bedingt. Ich kann hier nur wenige
Fälle dieser Nüancierung anführen, da für die Specialunter-
suchung noch eben nichts gethan ist: Wir unterscheiden mit
Sicherheit einen schmeichelnden Ton der Stimme bei gelindem
und verlangsamendem Druck der Muskeln auf die Lunge und
einer Satzmelodie, welche sich von einer hohen Note bedeutend
senkt und am Schluss wieder hebt Dieser Ton stimmt in der
2
18
Satzmelodie mit der Frage und Verwunderung überein, unter-
scheidet sieh aber in der Form und Energie der Exspiration.
Wird ein Befehl auf diese Melodie gesungen, so wird in den
Worten ausser der Aufforderung noch die Anfrage verstanden, ob
der Angeredete die Bitte erfüllen will. Dies ist der Ton, den
wir von einem wohlerzogenen Kinde in der Bitte fordern, weU
wir in diesem Tone den nötigen Respect vor dem Eigenwillen
der gebetenen Persönlichkeit finden. Tritt uns dieser Ton in
einem Behauptungssatze des redefertigen Menschen entgegen,
so empfinden wir dabei Anerkennung der Würde und Bttek*
sieht auf die angeredete Person, der Ton wird von uns als
verbindlich empfunden.
Das Studium und die genaue statistische Fixierung dieser
Nuancen ist für die Sprachwissenschaft ein dringendes Be-
dttrfiiiss. Schon das Gesagte kann zeigen, welche tiefgreifende
Bedeutung die fundamentalen ethischen Anschauungen des
Menschen für das Verständniss dieser Tonnüancen als Mittel
sprachlichen Ausdrucks haben , wie für die Verwendung und
Ausgestaltung dieser Mittel. Jene Ausdrucksformen erhalten
ihren Vorstellungsinhalt erst durch die Erkenntniss einer glei-
chen Organisation des Menschen, die Fähigkeit auf den Willen
zu wirken erst durch die Anerkennung der sittlichen Pflichten,
mit dem Leidenden mitzuleiden und ihm zu helfen. Hier weist
die methodische Sprachforschung auf eine Perspective für die
Erkenntniss des menschlichen Geistes hin, die weit über das
Gebiet der Sprachenerkenntniss im gewöhnlichen Sinne hinaas-
Uegt.
Der Ton bildet erst den Schlüssel zum Verständnisse des
Wortes oder Satzes, nicht blos in der Kindersprache. Wenn
wir im Kaufladen oder im Gasthofe sagen: ich bitte um die
Speisekarie, um dies oder jenes, — so wird die Bitte meist mit
einer Bestimmtheit des Tones ausgesprochen, dass von einer
Frage, ob es dem Kellner, Wirt oder Verkäufer genehm sei,
uns das Geforderte zu geben keine Rede mehr sein kann.
Aehnlich ist oft die Form, deren sich der höher stehende gegen
den Untergeordneten bedient, so sagt der Vorgesetzte zu dem
Untergebenen: ich bitte die Acten in acht Tagen fertig zu stellen.
Der Ton sagt uns trotz der sprachlichen Form der Bitte, dass
wir es mit einem stricten Befehle zu than haben. Offenbar
19
sind einmal dieselben ethischen Rücksichten massgebend ge-
wesen, welche bei dem brüsken Fordern ]and Befehlen des
Kindes erwähnt wurden; man wollte auch im geschäftlichen
und dienstliehen Verkehre die freie Persönlichkeit des Anderen
rücksichtsvoll und höflich respectieren. Aber sobald der Ton
der sprachlichen Bitte befehlend ist, so wird der Wortausdruck
zu einer leeren Form, bei der zunächst eine Incongruenz mit
dem Inhalte empfunden wird; schliesslich schwindet jedoch
[dieses Gefühl, und Inhalt und Form erscheinen als congruent,
mr bleibt an der Form das stilistische Gefühl haften, dass die
Httform eine feinere oder edlere Ausdrucksform des Befehls
|ei, wie sie die Verkehrssprache der höheren Gesellschaft for-
[ert Einen gleichen Vorgang haben wir vermutlich im latei-
ischen Prohibitiv der classischen Zeit, wo die Verkehrssprache
jr höheren Stände den Imperativ verpönt hatte und diesen
irch den wünschenden Conjunctiv Perfecti oder durch noH,
w ersetzte. Die beiden letzteren Ausdrücke sprechen die
[wehr einer Handlung nicht im Interesse des Sprechenden,
idem rücksichtsvoll in dem des Angeredeten aus.
VI.
iine Zeitungsannonce oder eine mündliche Bekanntmachung
lit:
^Der Verein Concordin feiert am 7. Juni sein Stiftungs-
fest im Saale der Vereinigung zu Berlin'.
Igendliches Mitglied dieses Vereins hört oder Uest die
mntmachung und ruft erfreut den Seinen gegenüber aus
iftungsfest im Saale der Vereinigung'. Die Angehörigen ver-
jhen den jungen Mann oder die junge Dame, wissen sie
doch von keinem anderen Stiftungsfeste, über das der Jüngling
sieh freuen könnte, als dem der Concordia, sie kennen auch
den Tag der Feier und die Stadt derselben. Doch warum
hat das Gomit6 des Vereins die umfängliche Bekanntmachung
erlassen, der junge Mann war knapper?
Das Zeitungsblatt, in dem die Mitteilung veröffentlicht
wurde, wendet sich an sehr viele Leser, auch sehr viele, die
nicht Mitglieder der Concordia sind, oder vielleicht von diesem
2*
20
Vereine gar nichts wissen; es giebt auch noch andere Vereine
als die Concordia. Die ersten Worte dienen also dazu, die
Adressaten der Mitteilung zu bezeichnen, ihnen zu sagen, dass
ihnen die Mitteilung gilt. Die Mitglieder ersehen hieraus, dass
ihnen eine Vereinsmitteilung gemacht werden soll, — etwa über
die Beiträge oder einen Gesellschaftsabend? Nein, — betreflfs
des Stiftungsfestes, dessen Feier am 7. Juni den Vergesslichen ein-
geschärft wird. — Nun, was wird denn eigentlich mitgeteilt? —
das Stiftungsfest und seine Feier schwerlich, sondern der Ort,
wo dasselbe gehalten werden soll: im Saale der Vereinigung.
Alles ausser dieser Ortsangabe ist für die Mitglieder ganz
interesselos, das üebrige dient nur dazu, den Kern der Mit-
teilung verständlich zu machen, — verständlich auch für Nicht-
mitglieder, aber für diese wird der Kern der Mitteilung schwer-
lich Interesse haben. Also die Angaben ausser der Ortsangabe
sind wie die Exposition eines Bomans oder Dramas, wie die
Vorerzählung einer Anecdote nur Vorbereitung für die Pointe.
Der Kernpunkt der Mitteilung wird ausgesagt von dem, was
zur Einführung und Orientirung ausgesprochen ist, genau so
wie von einem Hause gesagt wird: das Haus in der Wilhelms-
Strasse ist fertig. Dieses Verhältniss pflegt man grammatisch
durch die Ausdrücke Subject und Prädicat zu bezeichnen, die
Gruppe von Vorstellungen von der eine Aussage gemacht wird,
nennen wir Subject, die Aussage selbst Prädicat. Das Subject ist
das intresselose Bekannte, die Aussage das Intressierende und
Neue, allerdings nicht immer findet dies Verhältniss zwischen
grammatischen Subject und grammatischen Prädicate statt.
Bei der Betonung: dein Vater hat es gesagt, ist das Neue und
interessirende das grammatische Subject, aber logisch das Prä-
dicat. Man darf darum jene Exposition das logische
Subject, das Interessierende und neue dagegen das
logische Prädicat nennen. Allerdings ist dabei der Uebel-
stand, dass der Ausdruck logisches Subject ein fester Terminus
in der Grammatik schon geworden ist: Man versteht darunter
das handelnde Subject, besonders wenn dies die Form des
grammatischen Subjects, den Nominativ, nicht hat, wie in dem
Satze: der Baum ist vom Knaben gesehen, hier ist logisches
Subject vom Knaben. Vorzuziehen ist darum der Deutlichkeit
wegen statt logisches Subject Exposition zu sagen.
21
Die Exposition dient dazn, die Situation klar zn
stellen, damit das logische Prädieat verständlieh wird.
Die Situation ist der Boden, die Umgebung, auf der eine
Thatsache, ein Ding u. s. f. in die Erscheinung tritt, doch auch
das zeitlich Vorausliegende, aus dem heraus eine Thätigkeit
entsprungen ist, nemlich die Thätigkeit, welche wir als Prädieat
aussagen, und ebenso gehört zur Situation die Angabe der
Person, an welche die Mitteilung gerichtet ist. Die Situation
wird bei der sprachlichen Mitteilung nicht blos durch Worte
bestimmt, viel gewöhnlicher und ausgedehnter durch die um-
gebenden Verhältnisse selbst, durch die unmittelbar vorher-
gegangenen Thatsachen und die Gegenwart der Person, mit
der wir sprechen. Die durch die umgebenden Verhältnisse und
die Gegenwort der angeredeten Person gegebene Situation
kommt uns durch die Anschauung zum Bewusstsein, wir nennen
sie daher die Situation der Anschauung.
Stehe ich mit Jemandem vor einem Baume, so genügt voll-
ständig das Wort Linde, um zu sagen: dieser Baum ist eine
Linde. Der vor uns stehende Baum bildet, auch unbenannt,
das Subject des Satzes. Oder sage ich bei dieser Situation:
das ist eine Linde, so erhält doch das Pronomen erst durch die
gegenwärtige Anschauung seinen Inhalt. — Stelle ich Jemanden
in einer Gesellschaft vor, so wäre es gradezu unpassend zu
sagen: dies ist Herr Müller, ich weise nur mit der Hand auf
ihn hin, um ihn von den übrigen anwesenden Personen zu
unterscheiden und sage : Herr Müller, Die lebendige Anschauung,
präcisiert durch den Gestus, ist die Situation und das Subject.
Es ist klar, dass ein gegenwärtiges Anschauungsbild nicht so
einfach ist, dass alle Teile desselben das Subject sein könnten,
noch auch das gesammte Anschauungsbild. Neben jener Linde
im Parke steht vielleicht auch eine Eiche, und vieles Andere
ist sichtbar, die angeredete Person ja auch. Der Gestus und
die Richtung der Augen geben Anhaltepunkte für die Aus-
scheidung eines Teiles aus dieser complicierten Masse, doch
auch ohne diese Illustration bleibt ein derartiges Prädieat be-
ziehbar. Ja, der Gestus selbst ist ja eine Thätigkeit, die Hand,
der Arm, ein Finger wird dabei gezeigt, warum bezieht der
Hörende das Prädieat nicht anf diese Teile der Anschauung?
Es muss ein Sehluss von dem Hörenden aus der Natur des
22
Prädicats sowohl wie ans dem Inhalte der Anschauung gewonnen
werden, um die Beziehung richtig zu machen. Ich deute hier
diese Frage nur an über welche die zweite Abhandlung einigen
Aufschluss geben soll.
Setzt Jemand ein Glas Wein vom Munde und sagt: vor-
trefflich!^ so zweifle ich keinen Augenblick, dass er den eben
genossenen Wein so nennt; selbst wenn ich nur das leere Glas
sehe, so ergänze ich den Ausruf zu dem Satze: der Wein ist
vortrefflich. Also die Situation wird auch bestimmt durch
vollendete Handlungen, die noch im Vordergrunde unseres
Bewusstseins stehen. Und das zu denkende Subject ist nicht
blos die gesammte Handlung, wie hier das Weintrinken, sondern
ein Moment dieser Handlung, der Wein, — also auch hier
Hegt ein Schluss des Verstehenden vor, von dem später die
Rede sein wird. Diese Situation wird passend genannt werden
Situation der Erinnerung.
Sind die Augen von Tausenden auf ein grosses Schau-
spiel, eine Krönung z. B. gerichtet gewesen , so ist der Ausruf
schön, herrlich, auch bei dem Auseinandergehen der Menge
noch verständlich, durch die Voraussetzung, dass alle Zuschauer
nur das Gesehene im Bewusstsein tragen. Die Situation der
Erinnerung besteht in den Vorstellungen, die unmittelbar vor
dem Sprechen oder dem Hören des Gesprochenen bevnisst ge-
wesen sind, an die sich unmittelbar in der Zeit eine sprach-
liche Aeusserung anschliesst. Wegen des Prävalierens der un-
mittelbar in der Zeit vorausgegangenen Vorstellungen wird die
expositionslose sprachliche Aeusserung aus ihnen ergänzt. Es
zeigt sich hier eine neue Schwierigkeit bei Beurteilung dieser
Verhältnisse, die Situation der Erinnerung ist zu einer Zeit in
der Seele des Hörenden das logische Subject, wo auch eine
Anschauung für den Hörenden vorhanden ist, und doch wird
nicht diese zur Exposition vom Hörenden verwandt, sondern jene.
Schon so viel ist jetzt ersichtlich, dass die Bewusstseins-
elemente oder Vorstellungsgruppen, welchen im Augenblick
das grösste Interresse zugewandt ist, auch die grösste Fähig-
keit besitzen müssen die expositioneilen Elemente abzugeben.
Nun gibt es aber anhaltende und feste Interessen und
Neigungen des Menschen, die natürlich gleichfalls diese
Fähigkeit besitzen müssen, und die sogar im hohen Masse
28
geeignet sind eine fehlende ExpoBition zu ersetzen. Bei ihrer
hohen Intensität sind auch diese Interessen im Stande die durch
Anschauung und Erinnerung des unmittelbar Vorhergehenden
gegebenen Vorstellungen so zu verdunkeln, dass diese die
Schwelle des Bewusstseins nicht überschreiten, und sie selbst
haben die grösste Fähigkeit durch andere Vorstellungen, selbst
solche, welche nur eine entfernte Beziehung zulassen, in das
Bewusstsein gehoben zu werden. Sie bilden ein sehr wichtiges
Vorstellungsmaterial, aus dem andere Vorstellungen ergänzt
werden. Man denke, Jemand sagte: die Bretter sind heute
frisch gestrichen, der gewöhnliche Mensch wird darunter irgend
welche Bretter verstehen am Hause oder sonst wo, er wird
sich wahrscheinlich umsehen, wenn er diese Aeusserung ganz
abrupt hört, ob in der Anschauung Bretter vorhanden sind,
die gemeint sein könnten, der Schauspieler versteht darunter
wenigstens sehr leicht ,die Bretter, welche die Welt bedeuten'.
Hört der Jäger von Löffeln, so ist er wenigstens ebenso geneigt
an die Ohren des Hasen zu denken, als an die Suppenlöffel
bei Tisch, selbst wenn er einen solchen bei Tisch in der Hand
hält. So hat der Militär seine besonderen Gruppen der grössten
Associationsfähigkeit, andere der Jurist, andere der Seemann,
andere der Philologe, andere der Geistliche u. s. f. Daher die
hübsche Anecdote, welche Steinthal erzählt, dass ein Menschen-
kenner sich anheischig macht, aus den Antworten, welche ver-
schiedene ihm unbekannte Personen auf eine Bätselfrage geben,
ihren Stand zu bestimmen. Diese verschiedenen Interessenkreise
haben daher ihre eigenen Ausdrucksweisen, die bekannten
termini technici, welche ihren Inhalt aus der Situation
des Bewusstseins, d. h. aus den fest gewordenen Interessen
ergänzen, so die Löffel, der Lauf des Hasen, der Schweiss des
Wildes, die vielen juristischen Termini und die grosse Menge
der Handwerkerausdrücke; testudo bei den Römern kann die
Schildkröte, das militärische Schilddach, die Leier sein.
Die genannten Arten der Situation sind die wichtigsten;
doch darf nicht vergessen werden, dass alle Empfindungen
und Gefühle, welche während der sprachlichen Aeus-
serung vorhanden sind als expositioneile Massen von
Bedeutung werden können. Die durch augenblicklich vor-
handene Anschauung und durch die Erinnerung an kurz vor-
24
hergegangene Thatsachen erregten Gefühle der Freude und
des Schmerzes gehören zu den beiden oben erwähnten Kate-
gorien der Situation, der der Anschauung und der Erinnerung.
Aber wie neben den momentan erregten Interessen die festen
Interessen hergehen, so wird das momentane Gefühl begleitet
von der festen Gesammtempfindung , welche der gehemmte
oder leichte Ablauf der physischen Lebensfunctionen und der
seelischen Vorstellungen mit sich bringt, ebenso von dem Ge-
ftthle, welches einem gewünschten oder behinderten Ablaufe
der Lebenszwecke zu folgen pflegt, diese festgewordenen Ge-
fühle sind die Stimmungen des Menschen, die wir als feste
Grössen in dem geistigen Leben des Menschen auch vielfach
Temperamente nennen. Diese heiteren und lebendigen Stim-
mungen, oder traurigen und melancholischen Gefühle äusseren
sich im gesammten Vorstellungsleben des Menschen und daher
auch in seinem sprachlichen Ausdrucke, sie färben den ge-
sammten Ton der Stimme, die Actio fröhlich oder schmerzlich
und tragen damit direct ein positives Stimmungselement in die
Aeusserungen des Sprechenden hinein. Sie sollten also den
Hörenden auch zu Rückschlüssen auf ein vorhergegangenes
fröhliches oder trauriges Ereigniss veranlassen, auf einen mo-
mentan vorhandenen Schmerzenszustand, der Abhülfe fordert,
wie dies bei dem Imperativ der Fall war und wie es in der
Frage geschieht. Doch wenn der Hörer sieht, dass Heiterkeit
und Schwermut der allgemeine Character oder die Natur des
Sprechenden ist, so sieht er von dieser wie von jeder anderen
Charactereigenschaft des Sprechenden beim Auffassen des In-
haltes der Mitteilung ab. Die Wirkung dieser Stimmung auf
den Hörer bleibt nur eine stilistische. Für die Poesie und
Litteratur ist es von grosser Wichtigkeit diese individuellen
Stimmungen der litterarischen Persönlichkeit zu kennen, ebenso
werden die Urteile des Menschen nach Wert und Unwert erst
aus dieser Quelle voll verstanden und gewürdigt, denn der
Melancholiker wird in seinem Urteile leicht pessimistisch, und
er sieht Galle, wo das heitere Gemüt Honig zu schmecken
glaubt, er sieht Verwesung, wo ein Anderer heiter blühendes
Leben erblickt. Und somit geben diese festen Stimmungen
ein nicht unwesentliches Material expositioneller Elemente, —
doch für das Wortverständniss der lebendigen Rede ist diese
Seite des physischen Lebens ohne tiefere Bedeutung.
35
Wir sprachen von der Situation der fest gewordenen Inte-
ressen, doch nicht blos einzelne Stände oder Klassen innerhalb
einer Volksgemeinschaft, nicht blos einzelne Familien und
Individuen haben solche gemeinsamen Interessen, auch ganzen
Völkern, ganzen Zeiten und Culturepochen sind derartige feste
Interessen gemeinsam. In diesem Falle pflegt man von den
herrschenden Ideen einer Zeit zu reden. Man denke
z. B. in Berlin hätte man Freiheit gerufen im Jahre 1809, würde
das Volk bei diesem Ausrufe dieselben Vorstellungen gehabt
haben als das Pariser Volk in den Jahren der grossen Revo-
lution, der Preusse würde die Befreiung von der Fremdherr-
schaft, der Franzose die specifisch politische Freiheit und
Gleichheit im inneren Staatsleben verstanden haben. Im heutigen
Paris würde der Ruf revanche vermutlich eine ganz bestimmte
Deutung finden, es würde als Aufruf zum Rachekriege gegen
uns empfunden werden. Welcher Vorstellungsinhalt verbindet
sich dem modernen Franzosen mit dem Worte Prussien und
welcher Inhalt dem Preussen, wenn er stolz bekennt: ich bin
ein Preusse; — was dachte der Römer des goldenen Zeitalters
bei Graecus oder Graeculus, und was wird bei dem Namen der
Perser vorgestellt haben, der bei Salamis mitgekämpft hatte?
Sprachlichen und litterarischen Aeusserungen einer Zeit,
ihren Dichtungen und Schriftwerken merkt man sofort an, dass
eine Menge von Expositionselementen unausgesprochen bleiben,
die wir aussprechen würden. Wir denken und fühlen anders
als jene Menschen, das Ganze hat für uns etwas Fremdes, die
unausgesprochenen Expositionselemente kann man auch die
Vorurteile der Zeit nennen. Wenn Brunhild in den Edda-
dichtungen den Sigurd zu morden sucht aus unbezwingbarer
Liebe, so ist uns die Voraussetzung der Frau nicht unmittel-
bar bewusst, die Voraussetzung dass sie im Jenseits mit ihm
vereint zu sein hofft. Wenn dasselbe gewaltige Weib ihr Dienst-
gesinde durch Geschenke zu bestimmen sucht, ihr freiwillig in
den Tod zu folgen, so ist das für uns unverständlich, wir
kennen nicht den Wunsch jener altgermanischen Zeit, ge-
schmückt und geehrt in das Jenseits einzugehen. Die Edda-
dichtung verliert kein Wort zur Exposition, nur aus einer nach-
träglichen Vorstellung der Brunhilde lässt sich die Anschauung
erschljessen. Man denke, ein moderner Dichter wolle diese
26
Thatsachen fftr moderne Leser gestalten, er würde sicher ent-
weder episch oder dramatisch die leitenden Ideen und bestim-
menden Vorurteile jener Zeit zu exponieren bestrebt sein. Die
Zeit selbst ist sich einig über diese Anschauungen und verliert
darüber kein Wort.
Da die ganze Art die Welt zu denken und aufzufassen
von solchen Ideen bestimmt ist, die Beurteilung der ethischen
Werte, die Anschauungen von dem Zusammenhange der Dinge
unter sich, mit dem Menschen und mit Gott, die Anschauungen
von den Kräften des Lebens und der Welt, die Anschauungen
von den Pflichten des Menschen gegen sich, gegen Andere und
gegen die Gottheit, — so nennt man diese Situation auch die
Weltanschauung des Menschen oder der Zeit und Teile
dieses Weltbewusstseins das religiöse und sittliche Be-
wusstsein. Wie verschieden diese Weltanschauung in den
verschiedenen Völkern und Culturepochen ist, bedarf einer
Ausführung niisht, die litterarischen Denkmäler solcher Zeiten
und Völker werden uns ja erst verständlich durch ausführliche
Commentare, d. h. Expositionen zu Aeusserungen, welche jenen
Zeiten ohne diese Expositionen verständlich waren. Beginnt
Horaz das achte Lied im dritten Buche:
Martiis caelebs quid agam Kalendis,
Quid velint flares et acerra iuris
Plena miraris positicsque carbo in
Cespite vivo —
so war dem religiösen Bewusstsein der damaligen Zeit sofort
mit dem ersten März die Feier der Matronalien gegeben, die
Personen, welche dies Fest feierten, seine Cultusform und viel-
leicht seine religiöse Bedeutung und damit das Staunen des
Maecen verständlich. Wir müssen uns erst mühsam aus anderen
Notizen diese l'hatsachen zusammensuchen, um zu verstehen,
warum Maecenas sich über des Horaz Festfeier wundern soll.
Sprach der Kömer sein pluil aus, so gibt er keine Situation
keine Exposition, es versteht sich ihm von selbst, dass der
Kegengott der Juppiter Pluvius den Kegen bringt, bedeutet uns
das expositionslose es regnet dasselbe?
Hieran schliesst sich von selbst, dass die culturellen Diffe-
renzen der verschiedenen Völker und Zeiten bedeutende Diffe-
renzen in der Exposition hervorbringen müssen. Sagen wir
27
heute: er nahm das Holz um Feuer anzumachen, so wird ein
Jeder darunter Holz verstehen, das durch vorhandenes Feuer
oder durch Zündmasse erzeugtes Feuer in Brand gesteckt werden
soll Würde auch der Culturmensch diese Vorstellung damit
verbinden, welcher das Entzünden des Feuers nur durch Bei-
bung von Hölzern kennt? Würde dieser die Aeusserung Stahl
und Stein verstehen? Diese Situation nennen wir die Cultur-
sitnation.
Erst durch Vergleichung unserer Weltanschauung und
unseres Culturzustandes mit anderen kommen wir zur Empfin-
dung und zum Bewusstsein, was wir beim Sprechen mit Genossen
derselben Weltanschauung und derselben Cultur voraussetzen
und ohne Exposition lassen. Der gesammte Inhalt der Worte
von allen Thätigkeiten , Lebensformen und ; Werkzeugen, also
den Dingen, die jenem Wandel unterstehen, ist bedingt von
diesen Voraussetzungen der Weltanschauung und des Cultur-
lebens.
Das möge genügen, um eine Vorstellung von dem Vor-
stellungsmaterial zu geben, das ich die Situation genannt habe.
vn.
Je klarer und vollständiger die Situation durch
die Anschauung gegeben ist, um so weniger sprach-
licher Mittel bedarf es. Also die sprachliche Aeusserung,
welche auf eine gegenwärtige Anschauung gerichtet ist, wird
am knappsten gehalten werden können. Unter den poetischen
Kunstgattungen bedarf das auf der Bühne gespielte Drama
der wenigsten Worte, der Fantomimus kommt sogar ohne
sprachliche Mittel aus. So fallen bei der Darstellung auf der
Bühne alle Bühnenbemerkungen des Schauspiels fort, denn
das Ensemble der Scene stellt die in diesen Bemerkungen an-
gegebenen Thatsaehen und Verhältnisse eben direct und körper-
lich dar. Wie einfach wird durch dieses Ensemble der Bühne
das Verständniss der Worte z. B. im Anfange des Egmont:
Soest: Nun schiesst nur hin, dass es alle wird! Ihr nehmt mir's
doch nicht! Drei Ringe schwarz, die habt ihr eure Tage nicht
geschossen. Und so war' ich für diess Jahr Meister. — Wie
28
wäre man ohne die Anschauung der Gruppen auf der Btthne im
Stande zu ersehliessen, dass ein Armbrnstsehiessen stattfindet,
dass Soest ein Krämer oder wenigstens Bürger, dass Jetter,
an den er jene Worte richtet, gleichfalls ein Bürger ist? Wer
würde wissen, dass während dieser Worte auch Soldaten an-
wesend sind? Wer könnte auch nur ungefähr die Zeit der
Handlung erraten, oder den Ort, ob die Handlung im Walde,
im Dorfe, in der Stadt etc. statt fände? Der Dramatiker also
benutzt als ein sehr wesentliches Expositionselemente die leben-
dige, gegenwärtige Anschauung. Wie langer Expositionen
würde ein Roman bedürfen, der die eben berührte Situation
wählen wollte! Der Roman und überhaupt die Erzählung
braucht die meisten Worte, weil er die meisten expositionellen
Mitteilungen zu machen hat.
Die Situation wird undurchsichtiger 1, je weiter
und mannigfaltiger die Zahl der umgebenden Personen und
Gegenstände ist. Hier kann vielfach die Hinweisung der Hand
noch aushelfen. Aber die einzelnen Vorgänge bei den einzelnen
Personen können nicht mehr mit gleicher Vollständigkeit be-
achtet werden. In einem grossen und gefüllten Weinhause
würde es sehr zweifelhaft werden, ob ein am fernen Tische
gehörter Ruf vortrefflich sich auf den Wein, auf eine Speise,
auf eine Anecdote, einen Vorschlag oder sonst etwas bezöge.
undurchsichtig wird 2, femer die Situation, wenn räum-
liche Trennung stattfindet: a) zwischen den Personen, die mit
einander sprechen ; b) zwischen der sprechenden und hörenden
Person einerseits und den Personen und Dingen, von denen
sie sprechen, andererseits. Also weniger deutlich und umständ-
licher ist die Mitteilung im Briefe als die mündliche Be-
sprechung über ein gegenwärtiges Anschauungsbild und ebenso
eine Mitteilung über eine Landschaft Indiens in Europa als
an Ort und Stelle. — Undurchsichtig wird die Situation 3.
ferner durch zeitliche Trennung von dem Objecto der Mit-
teilung, dies ist der Fall, den wir beim Egmont berührten.
Soll der Romandichter uns in ferne Zeiten z. B. der ägyptischen
oder griechischen Geschichte führen, so empfindet er eine
viel grössere Schwierigkeit der Exposition als wenn er uns
wie Spielhagen in das moderne Leben einer deutschen Stadt
versetzt.
29
Schwieriger wird nun 4. schliesslich die Exposition, je
grösser der Kreis der angeredeten Personen ist. Ein Dichter,
der sich an eine ganze Nation wendet, oder an die gesammte
gebildete Welt, kann nicht auf eine Situation rechnen, welche
durch festgewordene Interessen geschaflfen wird und nicht auf
die Beihttlfe zur Exposition, wie sie der Handwerker bei seinen
Zunffcgenossen findet oder das Kind im Schosse seiner Familie,
wo der Vater eben sein Vater, Karl sein Bruder, der Schrank
ein ganz bestimmter Schrank ist n. s. f. Je verschiedenartiger
die Interessen der angeredeten Personen, um so grössere An-
forderungen werden an die sprachliche Exposition gestellt
Und je höher die Individualität innerhalb einer Sprachgemein-
schaft entwickelt ist, um so mannigfacher sind die Interessen-
kräfiie, um so höher wachsen die Anforderungen an die Ex-
position. Man vergegenwärtige sich den tausend und aber-
tausenden Individualitäten der modernen gebildeten Gesellschaft
eines Volkes gegenüber die enge Welt der Kinderstube, von
deren leicht verständlichem Stammeln wir ausgingen, oder den
engbegrenzten Horizont und die Gleichheit und Gonstanz der
Beschäftigungen und der Lebensweise bei einem kleinen Stamme
von Wilden. — Hierauf beruht zum guten Teile das Gesetz,
dass räumliche Trennung oder Verschiedenheit in der Lebens-
weise bei ursprünglich eng verbundenen Teilen derselben
Sprachgenossenschaft schnell Verschiedenheiten, allerdings nicht
sowohl in der lautlichen Form, als in der Ausdrucksweise
herbeiführen.
VIII
Der Exposition gegenüber steht das logischePrädicat.
Schon oben war darauf hingewiesen, dass dieses nicht mit dem
grammatischen Prädicate zusammenfällt, obgleich allerdings
ein naher Zusammenhang besteht. Das Glied des Satzes,
welches den Ton trägt, der betonte Satzteil ist das logische
Prädicat. Der grammatischen Form nach kann dies ein
Subject, eine Zeit- oder Ortsbestimmung oder irgend eine
andere grammatische Kategorie sein. So lässt sich der Satz:
die Schlacht bei Leipzig ist am 18. October geschlagen mehrfach
80
betonen, die Schleicht bei Leipzig — , ist am achtzehnten
October — , ist am 18. October — geschlagen. Man empfindet
unmittelbar den Unterschied der Bedeutung des Satzes bei
verschiedener Betonung: wird Leipzig betont, so ist damit gesa^
diese Schlacht fand am 18. October statt, eine andere aller-
dings wurde an einem anderen Tage geschlagen, von der fest-
stehenden Thatsache, dass am 18. October eine Schlacht statt
fand, wird die Angabe prädiciert, welche Schlacht dies war.
Wird die Zahl achtzehnte betont, so wird damit einer An-
nahme widersprochen, etwa der, dass dieselbe am 25. October
stattgefunden habe, von der feststehenden Thatsache, dass
im October bei Leipzig gekämpft sei, wird das richtige
Prädicat ausgesprochen u. s. f. Also bei der verschiedenen Be-
tonung ergibt sich jedesmal ein verschiedener Sinn, denn
jedesmal ist das logische Prädicat und die Situation oder
das logische Subject verschieden. Bemerkenswert ist, dass in
unserem Satze gerade das grammatische Prädicat nicht betont
werden kann.
Auch aus diesem Beispiele ergibt sich, was schon oben
erwähnt war, dass das Prädicat stets das Nene und In-
teressierende derMitteilung enthält, oder noch besser
gesagt das Wertvolle. Ueber diesen Punkt werden wir
mehr hören, wenn wir an die Frage nach dem Zwecke des
Sprechens treten.
So viel ist hieraus schon jetzt ersichtlich, dass nur solche
Worte logisches Prädicat sein können, welche im Stande sind
ein Wertvolles dem Hörer mitzuteilen. So viel ich sehe ist
das nur beim Relativpronomen nicht möglich, sonst können
alle die sogenannten Formworte die betonten Satzteile sein, so
die Präpositionen: janeben dem Hause aber nicht in dem Haus; —
die übrigen Adverbia: sehr schön, sagst du? er macht es gar
zu arg; dein Bruder kam auch n, s, f.; dagegen das Relativum
der, welcher lässt sich nicht betonen, das relative Adverbium
dagegen kann das logische Prädicat sein, vielleicht aber nur
im Widerspruch gegen eine zu corrigierende Behauptung oder
Annahme: ich ging zu ihm erst, als ich es hörte (nicht bevor),
ich habe geschrieben, weil ich dich liebe (nichl obgleich), das
wird geschehen, wenn er kommt {wie du behauptest, aber es ist
zweifelhaft, ob du Recht hast).
SI
Das Mittel also, durch das die beiden scharf zu sondern-
den Klassen von Satzelementen vom Sprechenden auseinander-
gehalten werden, ist die grössere oder geringere Stärke des
Tons, — ich sehe hier davon ab, dass in den Sprachen mit
musikalischem Accente zugleich eine musikalische Erhöhung
des Tones statt findet. Wie wichtig der Accent fttr das Ver-
ständniss des Satzes und seines Sinnes ist, beweist ein Vergleich
zwischen stttmperhaftem und monotonem Lesen gegenüber einem
gut betonten Vortrage.
Dieses Mittel genügt vollständig das logische Prädicat her-
vortreten zu lassen; und doch findet sich in den modernen
Sprachen, speciell dem Französischen und Deutschen, das
Bestreben, auch durch grammatische Construction den
betonten Satzteil hervortreten zu lassen. Man wird
sich dieses Bestrebens besonders bewusst, wenn man die ge-
nannten Sprachen mit dem Lateinischen und Griechischen ver-
gleicht Sätze wie primus Caesar hoc fecit tibersetzen wir häufig
durch Caesar war der erste, der dies that; und ebenso bei der
Betonung Caesar hoc fecit, Caesar war es, der. Im Franzö-
sischen wird in solchen Fällen der Ausdruck c'est que so viel
gebraucht, dass ich Beispiele sparen kann. Man darf sagen,
dass besonders betonte Nebenbestimmungen häufig so in den
modernen Sprachen in den Vordergrund gerückt werden, z.B.
sein Bruder war es, mit dem er kam; lat. cum fratre venit, es
war Nacht, als er zurückkehrte, es ist lange her, seit und viele
andere.
Man hat hierbei den Eindruck, als ob sich ein Wider-
spruch im Sprachgefühle zeige, den betonten Satzteil in ein
syntaktisches Verhältniss zn bringen, das im AUgemeinen zum
Ausdruck von nebensächlichen Bestimmungen dient, man hat
auch das Bedürfniss, das wichtigste Glied der Mitteilung an
den Anfang zu rücken, was bei der fixierten Wortstellung der
modernen Sprachen nicht ohne weiteres möglich ist. Bezeichnend
ist hierbei die Thatsache, dass man das logische Prädicat
in solchen Fügungen auch zum grammatischen Prä-
dicate macht. Ich weise bei dieser Gelegenheit sogleich da-
rauf hin, dass 1. ein Bestreben vorhanden ist, das logische
Prädicat an die Spitze zu stellen, 2. ein Bestreben das logische
Prädicat zum grammatischen Prädicat zu machen, und 3. dass
32
die allgemeine Stellung des grammatischen Prädieats in den
neueren Sprachen hinter dem Subject ist, offenbar ein Wider-
spruch in der Anschauungsweise, auf den wir zurttckkommen
mttssen.
IX.
Es entsteht nun die Frage: wie befriedigt die Sprache
thatsächlieh jenesBedttrfniss nach logischemPrädicate
und Exposition, welche Formen werden hierfür gewonnen,
wie verhält sich die grammatische Form zu den eben ge-
schilderten einen geschlossenen Satzbau begründenden Ver-
hältnissen?
In dem Satze: Themistokles, ein Grieche aus Athen, ein Zeit-
genosse des Aristides, schlug bei Salamis die Perser, welche nach
Griechenland gezogen waren, um dieses Land zu unterwerfen, in
einer Seeschlacht — in diesem Satze steckt ein sehr reicher
Inhalt. Verfolgen wir die Gänge, welche hier die Darstellung
nimmt: zuerst ein Personenname das Subject, — für einen Ge-
schichtskundigen genügend um Vaterland und Lebenszeit zu
bezeichnen; denn es gibt nur einen Themistokles von histo-
rischer Bedeutung. Für Ungelehrte bedarf es einer Erläuterung
nach Ort und Zeit, diese ist enthalten in einer doppelten
Apposition. Offenbar also ist der Erzähler in seinen Angaben
bestimmt durch die Ueberlegung, welche expositionellen Ele-
mente er nach dem Eenntnissstande des Hörenden zu geben
hat. — Die erklärende Apposition folgt nun dem der Erklärung
bedürftigen Subjecte nach; man sollte von einer wohlgeordneten
Darstellung erwarten, dass die Exposition dem der Exposition
bedürftigen Worte voranginge. Es verhält sich hier also Themi-
stokles zu seinen Apposititionen wie das logische Prädicat des
Satzes zn seinen exponierenden Momenten, zu seiner Exposition
oder seinem logischen Subjecte. Eine klare und einfache Er- .
Zählung würde sagen: es lebte zur Zeit des Aristides ein Mann
in Athen mit Namen Themistokles,
Die Anwesenheit der Perser bei Salamis wird durch den
Relativsatz erklärt; dieser ist die Exposition zum logischen
Prädicat: die Perser wurden bei Salamis geschlagen. Beide
Arten der Exposition, Apposition und Belativsatz,
33
stehen stets hinter ihrem logischen Prädicate. Also diese
so einfachen, so vielgebrauchten Formen der Exposition stehen
logisch an falscher Stelle.
Zur Erklärung dieser befremdlichen Thatsache bedarf es
nur der Ueberlegung, wie der Sprechende im Allgemeinen zum
Bewusstsein davon kommt, dass seine Mitteilung einer Ex-
position bedürfe. Im Allgemeinen pflegt der Mensch, besonders
der naive Mensch, anzunehmen, dass sein Mitmensch innerlich
genau so organisirt und gestimmt sei, dass er dasselbe denke
und wisse, wie er selbst. Beginnt er seine Mitteilung mit dieser
Voraussetzung, so wird er sich oft vom Gegenteil überzeugen
müssen durch den verständnisslosen Ausdruck in den Mienen
des Angeredeten oder noch director durch die Frage: von wem
sprichst du, wann war das, wo geschah das u. s. f. Also
ursprünglich wird der Redende erst während des Sprechens
bemerken, dass er zur Erklärung gewisse Angaben hinzufügen
müsse. Auch kann sich der Redende über das Mass dessen
täuschen, was zur Exposition mitzuteilen ist, er kann zu viel
geben und damit langweilig werden und als vorsichtiger Pedant
erscheinen, er kann zu wenig geben, und unklar werden. Da-
rüber belehrt ihn die Miene des Angeredeten, ist dieser zerstreut
bei der Mitteilung und interesselos, so kann der Sprechende
daraus einen Schluss auf seine Weitschweifigkeit ziehen, liest
er auf dem Gesichte des Angeredeten das Befremden und die
Züge des Verständnissmangels, oder hört er geradezu die IVage,
so hat er damit den Hinweis erhalten sich zu corrigieren und
nachzuholen, was er übergangen hatte.
Ferner aber, das logische Prädicat ist ja das den Sprechen-
den am meisten Interessierende, es ist im Augenblicke die
stärkste Vorstellung in ihm, es steht durchaus im Vordergrunde
^ des Bewusstseins und drängt eben darum am stärksten zur
Mitteilung. Diesem mechanischen Uebergewicht des logischen
Prädicats in der Seele hat die ruhige Ueberlegung, dass eine
Exposition zum Verständnisse nötig sei, und was dieselbe er-
fordere, das Gleichgewicht zu halten. Wie oft jedoch die ruhige
Ueberlegung der übermächtigen Gewalt jener psychologischen
Potenzen des Gefühls und der Strebung unterliegt, beweist die
Ethik auf Schritt und Tritt.
Das natürliche Uebergewicht des Interesses wird noch
6
34
verstärkt durch die gesteigerte Animiertheit, welche das leben-
dige Sprechen mit sich bringt gegenüber dem ruhigen Schreiben,
ebenso durch das elementare Bestreben des Menschen inte-
ressant zu sein. Es ist daher psychologisch nur natürlich, dass
der naive Mensch die Expositionselemente erst nach dem Prä-
dicate ausspricht. Die einmal geschaffene und fest gewordene
Sprachform behält auch der künstlerisch gestaltende Dichter
und Schriftsteller bei. Apposition und Relativsatz sind
also nachträgliche Correcturen unserer mangelhaften
Darstellung.
X.
Es ist interessant, dass uns die grammatische Form
der Nebensätze einen Einblick in das Werden der ex-
positioneilen Form gestaltet, etwa wie die Petrefacten uns
Formen eines früheren Daseins erschliessen.
In den indogermanischen Sprachen werden zur Bildung
der Nebensätze vor Allem zwei Klassen von Stämmen ver-
wendet, Demonstrativstämme und Stämme des Fragepronomens.
Im Griechischen, Lateinischen und Deutschen haben wir hier-
für 1. den Demonstrativstamm ta- grich. to-, deutsch tha-^ da-,
nhd. der die das; 2. lateinisch die Interrogativstämme qui und
quo-, deutsch hrva-, woraus nhd. wer, was, welcher, mit ihren
Ableitungen. Von diesen Stämmen sind die meisten und wich-
tigsten Conjunctionen dieser drei Sprachen abgeleitet. Doch
da diese Sprachen in der Wahl der Stämme nicht überein-
stimmen, so haben wir darin den Beweis, dass die Entwick-
lung des Nebensatzes erst innerhalb der einzelnen Sprachen
vollzogen ist. Um so auffallender und interessanter ist also
die Uebereinstimmung in dem inneren Princip der Bildungs-
weise dieser Sätze.
Sehr durchsichtig ist die Entstehung des Relativsatzes
aus dem Demonstrativum: Die Griechen schlugen die Perser,
das war ein Volk aus Asien, — die waren aus Asien gekommen, —
damals war Xerxes König u. s. f. Diese Sätze sind also wirk-
liche Demonstrativsätze, die nur im Deutschen eine den Neben-
sätzen eigentümliche Wortstellung erhalten haben, und die
sich sonst nur durch die geringe Bedeutung ihres Inhaltes und
35
daher durch das geringe Mass ihrer Betonung von den demon-
strativischen Hauptsätzen unterscheiden. Als Demonstrativsätze
sind sie der stets und auch heute gebräuchlichen und leben-
digen Parenthese gleich und functionell Satzappositionen,
also nachträgliche Correcturen der Darstellung.
Selbstverständlich findet sich die Satzapposition in allen
drei Sprachen, doch sie ist nicht überall die feste Form des
Nebensatzes oder wenigstens des Relativsatzes geworden oder
geblieben. Im Deutschen ist sie es in so fern nicht geblieben
als die Relativsätze eine andere Wortstellung erhalten haben
als die parenthetischen Appositionssätze, eine Wortstellung, die
für alle auch auf anderem Wege entstandenen Nebensätze ge-
meinsam ist, z. B. also auch für die mit dem Substantiv Weile
gebildeten Consalsätze: weil ich ihn sah, ftlr die mit einem
Participium gebildeten Sätze: Während ich den Brief erhielt,
für die indirecten Fragesätze: ich fragte ihn, oh er ihn gesehen
halte und ebenso für die aus dem Interrogativum gebildeten
Nebensätze. Die demonstrativen Sätze haben sich der für den
Nebensatz üblichen Weise der Wortstellung angeschlossen, sich
also einem Systemzwange gefügt. — In der griechischen Sprache,
auch in den Dialecten scheint sich das Relativum oq mit der
Zeit durchgesetzt zu haben gegen die Formen vom Stamme ro-,
vgl. Kühner Gr. Gr. 1, 174, 2.
Doch nicht alle mit dem Demonstrativum gebildeten deut-
schen Nebensätze können so erklärt werden. In einem Satze
er reiste ab, nachdem die Sonne aufgegangen war kann der
demonstrativische Ausdruck nach dem etymologisch nur zum
Hauptsatze gezogen werden = er reiste ah nach der Zeit, diese
Zeit war: die Sonne war aufgegangen. Ebenso muss da in
Sätzen wie wir freuen uns, da du kommst etymologisch zum
Hauptsatze gerechnet werden: wir freuen uns da, du kommst.
Ebenso in Sätzen mit indem: indem ich hier verweile, dingt er
schon Mörder; — Je nachdem, — auf dass: du sollst Vater und
Mutter ehren, auf dass dirs wohl gehe,
Ist von uns hier richtig etymologisch bezogen und con-
struiert, so zeigt sich principiell wieder dieselbe Erscheinung
wie in der Apposition. In dem Satze: er reiste ah, nach dein
ist gesprochen, als ob der hinweisende Ausdruck an sich schon
verständlich wäre, der Sprechende selbst verbindet ja aller-
3*
36
dings einen bestimmten Inhalt mit der Demonstration, — der
nachfolgende Satz: die Sonne war aufgegange^i sehliesst sieh
daran als Correctur, als nachträgliehe Exposition. Ebenso sind
gewiss die Sätze etymologisch aufzufassen, nach deren Muster
sich die vielen deutschen Verbindungen mit dass gebildet haben,
z. B. ich glaube dass er kommt. Zunächst war das neutrale das
das einzige Object des Verbums ich glaube, und wenn es un-
verständlich war, so setzte man parenthetisch oder appositionell
er kommt hinzu. Der Gebrauch der Sätze mit dass wird ur-
sprünglich gewiss auf die Verbindung mit transitiven Verben
beschränkt gewesen sein, doch sobald man das Pronomen
nicht mehr als Pronomen fühlte, sondern conjunctionell zum
nachfolgenden Satze zog, war der Ausbreitung der Constructions-
weise Thor und Thtir geöffnet.
Dass der blosse Hauptsatz als nachfolgende Erklärung
eines unverständlichen Wortes dienen kann, verstehen wir aus
dem freien Gebrauche der parenthetischen Sätze vollkommen,
z. B.: er besuchte den anderen Bruder {er n-ar ein Farmer etc.).
Und auch der formelhaft gebundene Gebrauch des Personal-
pronomens im relativen Sinne, z. B.: 7nit dir, du ein krone his/
aller eren (vgl. Paul mhd. Gr. § 342, Anm. 2); ferner in Neben-
sätzen mit nu7i eig. = Jetzt, z. B.: ich sterbe ruhig, mm ich sie
dir empfehle, (Paul mhd. Gr. § 352, 5); ebenso bei eh, mhd.
e, entsprechend der etymologischen Zugehörigkeit von ?^^^ und
ß wird mhd. auch ein daz hinzugefügt; ebenso weil, mhd. die
wile und die wile daz, die wile und. Auch das mhd. doch im
Sinne von obgleich (Paul a. a. 0. 352, 7) gehört hierlier, das ur-
sprüngliche Participium während ist gleichfalls etymologisch zum
Hauptsatze zu construiren.
Man wird daher nicht zweifeln können, dass ein besonders
im Deutschen viel gebrauchtes Verfahren expositionellc Neben-
sätze zu bilden sich an den demonstrativen Hinweis anschloss
in Fällen, wo dieser flir den Hörenden nicht verständlich war,
und darum einer nachträglichen Erläuterung bedurfte. Es ist
das Verfahren der Correctur. Wir haben bei Besprechung
dieser Erscheinung noch andere princijnell gleiche Formen ge-
funden, nur dass in diesen die Correctur sich an ein anderes
der Erklärung bedürftiges Wort anscliloss. Sprachgcschiclitlich
interessant war dabei die Erscheinung, dass der zu allgemein
37
gehaltene Teil des Hanptsatzes mit der Zeit zum erklärenden
Nebensatz bezogen wurde. Dieser Erscheinung werden wir
noch öfter begegnen.
XL
Es mag unentschieden bleiben, ob wir den Stamm des
griechischen Relativpronoms 6g interrogativ oder demonstativ
ansehen sollen, doch da die demonstrative Bedeutung flir das
Griechische sicher bezeugt ist, vgl. Kühner, Gr. Gr. § 518, 3,
und da der Relativsatz sich zweifellos auf dem Boden der
Einzelsprachen entwickelt hat, so sehe ich keinen Grund, auch
für das Griechische entsprechend den relativen Bildungen vom
Stamme to- die Entstehung dieser Nebensätze aus dem Demon-
strativpronomen in Abrede zu stellen.
Doch mag man nun diese griechischen Sätze nach der
Weise der deutschen Sätze erklären oder nach der der Latei-
nischen Relativsätze, das Resultat unserer Untersuchung nach
den Mitteln der Sprache, die Exposition zu bezeichnen, wird
dadurch nicht alteriert. Denn sicher hat sich der lateinische
Relativsatz mit dem Pronomen qui und seinen Ableitungen
aus dem Fragesatze entwickelt. Es besteht hier die That-
sache, dass der Relativsatz als einleitendes Wort eine Form
des Fragepronoms hat, z. B.: Themistocles, qui Athenis natus est,
vicit Persas. Der Relativsatz enthält die Erklärung des Namens
durch die Angabe der Geburtsstätte, es konnte also der
Sprechende den Angeredeten nicht fragen, wer in Athen ge-
boren war, denn das hatte er eben als Thatsache zur Er-
klärung des Namens mitzuteilen. Der Fragesatz kann auch
nicht aus dem Sinne des Angeredeten sein, denn diesem ist
ja von Jemanden, der in Athen geboren war, bisher nichts
gesagt.
Allerdings ist das Fragepronomen aus dem Sinne des An-
geredeten, doch wonach muss dieser fragen, wenn ihm bei
dem Namen Themistokles etwas fragwürdig erscheint? Doch
offenbar, wer Themistokles sei. Die alte Construction war:
A sagt; Themistokles; B: Wer?, — A: Er wurde in Athen
geboren.
38
Latein, quianam lieisst warum? wesswegen (vgl. Georges
Lexic), — quia lieisst 7veiL Die alte Construction war: die
Perser zogen nach Griechenland, — Warum? — Sie wollten
unterwerfen,
Quippini bedeutet warum denn nicht (Georges Lex.), quippe
denn. Der mit quia und quippe eingeflihrte Satz enthält die
Antwort auf die Frage warum! — Die Antwort selbst konnte
unmöglich organisch und bei klarem Bewusstsein von der
Grundbedeutung der Worte quia und quippe mit diesen, also
mit einem Ausdruck = warum? eingeleitet werden.
Zunächst constatieren wir aus dieser Satzforra, dass die
Exposition nachträglich gegeben wird und zwar unter der
Form, unter der in sehr, sehr vielen Fällen dem Redenden
erst das Bewusstsein für die Verpflichtung aufgeht, eine der-
ai-tige Exposition zu geben. Auch diese Form ist in der
freien Sprache, nicht blos in der naiven, häufig genug, z. B.:
Ich will fortziehen. Warum! {Nun) es gefällt mir hier nicht.
An sich wäre es denkbar, worauf wir später zu sprechen
kommen, dass die interrogative Bedeutung dieser Stämme qui-
und quo- sich aus der demonstrativen entwickelt habe, und
ich will eine solche Möglichkeit für die Zeit vor der Ent-
stehung der Einzelsprachen gar nicht in Abrede stellen, aber
eben so sicher ergibt sich aus der Vergleichung des griechischen
Stammes xo- des lateinischen quo- und des germanischen hwa-,
dass vor der Sprachtrennung dieser Stamm die interrogative
Bedeutung erhalten hatte.
Die oben gegebene Erklärung, welche mir die einzig mög-
liche erscheint, gilt daher auch für die übrigen von diesem
Stamme oder diesen Stämmen gebildeten Ableitungen, also für
quod, ubi, unde, ut, quam, quom, cum, quando.
Weiter nun finden wir hier eine sprachgeschichtlich sehr
interessante Thatsache: Zwei Sätze 1. ein Fragesatz, dessen
Prädicat aus dem Vorhergehenden zu ergänzen war und 2. die
Antwort auf diese Frage sind zu einem continuierlichen,
organischen Satzganzen verschmolzen.
Bei diesem Vorgange der Verschmelzung ist vor Allem die
eine Frage zu beantworten: wie ist es möglich, dass ein Frage-
satz seinen Frageton einbüsst? Denn erst wenn der
folgende Ton von dem Frageworte gewichen ist, kann es mit
39
dem Behauptungggatze der Antwort vergehmelzen. — Zunäcligt
igt fegtzugtellen, dagg dag fragende wer, wie u. g. f. von der-
gelben Pergon gegproelien wird, welche auch die Antwort gibt,
dagg algo die gpreehende Pergon der Angeredeten die Frage
referierend entnimmt = ,wie' fragst du.
Dergleichen Fälle, dagg eine directe Aeuggerung referierend
in die Rede einer anderen Pergon tibergenommen wird, gind
auggerordentlich häufig: z. B.: Jemand hat eine Pergon mit du
angeredet, der Angeredete antwortet: du, das verbitte ich mir
oder das du verbitte ich mir, oder in Verbindung mit einer
Präpogition du hast mich mit du angeredet, oder mit verbaler
Ableitung duzen, ihrzen. Die Anrede der einen Pergon algo,
d. h. eine mtindliche directe Aeuggerung wird zum Object der
Auggage der anderen Pergon und nimmt dadurch ganz den
Character eineg appellativen Subgtantivg an. Der Ton, den
dag Wort du in der Anrede trug, kann verloren gehen und
geht natürlich regelmäggig verloren, wenn dag entlehnte Wort
Flexion oder Ableitunggguffixe erhält. Ebengo gagen wir das
wie, das wo, das wenn u. g. f., griech. ro Jtcog, x6 ütov, xo ütolov
u. g. f., das Vaterunser und mit Flexion des Vaterunsers, griech.
dXaXa und aXaXdl<(D, Hurrah, Uussah gchreien oder adverbial
da geht es hurra hopsassa. Dag griechigche r/ fifjv igt Ver-
gicherunggpartikel, daher im Schwur und bei feierlichen Ver-
gprechen gehr am Platze, aber eg wird auch dem von einem
Verbum deg Schwöreng und Vergprecheng abhängigen Infinitiv
beigefügt (vgl. Kühner, Gr. Gr. 502, 4 a). Dag Taciteigche, doch
auch in der klaggigchen Zeit vorkommende, an bei einem
zweifelhaften Grunde hat wahrgcheinlich geinen Frageton ein-
gebüggt, z. B. Tacit., Ann. 2, 42: finem vitae sponte an fato im-
plevit, entwickelt aber hat gich der Augdruck aug der directen
Frage: er starb freiwillig, — oder eines natürlichen Todes?
Diege Herübernahme directer Aeuggerungen einer anderen
Pergon in eine referierende Auggage, wobei der urgprüngliche
Empfindunggton verloren geht, ermöglicht überhaupt ergt die
Bildung wirklicher Sprachworte mit vollentwickelter gram-
matigcher Form aug den interjectionellen Lauten. So ergt war
eg möglich, aug der Interjection ach: das Ach und ^eh, dag
Verbum ächzen zu bilden, vielleicht auch dag griechigche dxog;
ebengo olfico^cQ, örtva^o) u. a. — Und ergt der volle Verlugt
40
des Empfindungstoncs lässt diese Empfindungswoi-te an Laut-
entwicklungen und Lautveränderungen der Sprache wie z. B.
der Lautverschiebung teilnehmen; denn der interjectionelle Laut
selbst steht ausserhalb solcher Lautveränderungen und mit ihm
ein jedes Wort, dass sich deutlich für das Sprachbewusstsein
an jene Interjectionen anlehnt.
Doch ich darf hier diese Gedankenreihe abbrechen. Also
die mit dem Fragepronomen gebildeten Relativsätze sind in
der Form etwa gleich deutschen Sätzen 'wie: er ist gestorhen.
Wie — das will ich dir erzählen, oder das wie will ich dir er-
erzählen. Und wenn das Fragepronomen integrierender Teil
des Relativsatzes wurde, so musste selbstverständlich auch die
grammatische Rection des Pronomens durch das Ver-
bum des ursprünglichen Antwortsatzes bestimmt wer-
den, z. B.: ab urhe profecius est, quem vidisii, etymologisch war
die Construction ab urbe profectus est, Quis? vidisti (eum).
xn.
Also alle Formen des pronominalen Nebensatzes sind aus
der nachträglichen Con-ectur einer Mitteilung ohne genügende Ex-
position hervorgegangen. Erst die Ausbildung der Sprache
zur Kunst und zur Lehre schärft die Verpflichtung ein,
die Exposition dem logischen Prädicate vorauszu-
stellen. Diesem Sti-eben nach vorausgehender Exposition ist
es zu danken, dass in fortgeschrittenen Zeiten, z. B. denen der
klassischen Latinität der relative Expositionssatz so massen-
haft dem Hauptsatze vorausgestellt wird; und bei dem Gefühle,
dass das logische Prädicat das Verbum sei (und allerdings ist
das häufig der Fall), tritt das Verbum an das Satzende, also
hinter all die Bestimmungen, welche als Exposition erscheinen.
Zu demselben Resultate führt eine Beti'achtung der Ver-
balflexion des Indogermanischen. Das die Person be-
zeichnende pronominale Suffix wird dem Woii;stamme nach-
gesetzt, und es ist dem Verbalstamme gegenüber so schwach
betont, dass es sich diesem enklitisch anschliesst und seine
Selbständigkeit als Wort vollständig einbüsst. Da das logische
Prädicat den Ton trägt, so ist entschieden die Form der Ver-
)
41
balflexion aus den Fällen des Sprachgebrauchs hervorgegangen,
in denen nicht die durch das Pronomen bezeichnete Person,
sondeiTi der Verbalstamm das logische Prädicat enthielt. Die
Bildung ist etwa einer deutschen Form kommt V ähnlich, —
eine sehr häufige Verbindungsweise, neben der jedoch auch
der Fall vorgekommen sein wird, der sich widergeben lässt
durch das Deutsche kommt er.
Da die mit Enklisis des Pronomens gebildete Verbalform
das Muster fllr alle Verbalformen abgab, so muss der bei
weitem häufigste Fall der gewesen sein, dass der Verbalstamm
das logische Prädicat enthielt, dass also das exponierende
Subject dem Prädicate erst nachfolgte. Und so fest verschmolz
das pronominale Suffix mit dem Stamme, dass es auch da er-
halten blieb, wo noch ein besonders Subjectswort zum Verbum
trat; — also ich sag* ich, du sagstu, Karl liebfr bilden etwa
das Schema dafllr.
Fttr die dritte Person wird nicht selten auch in der Zeit
wo die pronominale Geltung des Suffixes noch deutlich em-
pfunden wurde, der unbestimmten Exposition mit dem Pronomen
er eine nachträgliche neue Exposition angefügt sein nach dem
Schema: kommt er Karl. Diese der Apposition ganz analoge
Form ist sehr häufig im lebendigen Gespräche und gehört
gleichfalls unter die Kategorie der Expositionscorrecturen. Ich
lasse hier einige Beispiele dieser Con-ecturweise aus der künst-
lerischen Rede folgen: Göthe Herm. und Dor. 1, 95 Freilich ist
er zu preisen, der Mann; 1, 104 Und wer erzählet es wohl, das
mannigfaltigste Elend? 1, 113 Traurig war es zu sehen, die
mannniy faltige Habe u. s. f. — Götz: Lumpenhunde^ die Reiter 1
Es wird einem sauer gemacht, das Bisschen Leben und Freiheit.
Aus Götheschen Liedern z. B.:
Ich kann sie kaum erwarten.
Die erste Blum' im Garten.
Die erste BlülfC am Baum;
oder aus dem getr. Eckard:
f Sic kojnmen, da kommt schon der nächtliche Graus.
Sie sinds die unholdigen Schwestern.
Sie trinken das mühsam geholte, das Bier,
Dann sind sie Euch hold, die Unholden.
42
Diese Beispiele, die sich gerade aus Götbe massenhaft
häufen Hessen, beweisen die Ausdehnung dieser Correcturform
in der Sprache, sie ist hier sogar zu einem belichten und ent-
schieden wirksamen stilistischen Mittel geworden.
xm.
Die Bedeutung der Nominalsuffixe ist uns unbekannt,
aber so viel ist doch klar, dass die Ntiancierung der Beziehung
des Stammes, also die Functionen des Casus, abgesehen vom
Vocativ, der im Princip der reine Stamm ist, im Suffixe an-
gedeutet waren, nicht im Wortstamme. Diese Thatsache ergibt
sich auch aus den wenigen lebendigen Suffixen wie den gTiech.
'd^eVy -da, 'öS, -&i, dem latein. -tus. Da auch hier das Suffix
vom Tone des Stammes verschlungen ist, so wird auch hier .
der häufigste Fall, wo der Stamm das logische Prädicat, die
Ansätze d. h. die Beziehungselemente die Exposition enthielten
das Muster für die Nominalbildung überhaupt geschaffen haben.
Auch hier ist also die Anordnung der Elemente genau wie
beim Verbum. Auch die Form der Nominalflexion hat ihre
Entstehung in der nachträglichen Correctur mangelhafter
Exposition. Diese Bildungsweise ist gleich der deutschen
Vulgärform: wo er draus erkannte, wo er rein ging, da hat er
sich dran gemacht u. a. Häufig setzen wir in der täglichen
Rede ein Substantiv ganz beziehungslos und lassen erst nach-
träglich diese Beziehung folgen: das Haus, da hin ich rein ge-
gangen, — dein Buch, da habe ich viel drin gelesen u. a.
Sehr beachtenswert erscheint es, dass die modernen
Sprachen die Reihenfolge der Elemente in ihren Neu-
bildungen meist umgekehrt stellen. Romanisch und deutsch
wird das Personalpronomen dem Verbum, eigentlich zum zweiten
Male, zugefügt, aber vorgesetzt, so fai, tu as, ich habe, du hast.
Ebenso stehen die neugebildeten Htilfsverba vor dem Verbal-
stamme, während in der älteren indogermanischen Bildung das
Hilfsverb nachsteht, ich nenne die Formen: eXvoa, kvöco,
tXvd-rjv, lat. amabam, amabo, amavi, germ, suohta. Die Casus-
functionen des Genitivs, Dativs, Locativs, Ablativs, Instrumen-
talis werden germanisch vielfach, romanisch regelmässig durch
43
vorgesetzte Präpositionen widergegeben, und flir mehrere Casus
gehen dem Romanisehen das Lateinische und Griechische
darin voran.
Also in diesen Neubildungen stehen die meist expositionell
gebrauchten Satzelemente an ihrer logisch berechtigten Stelle.
Auch hier ist sicher der Fall Muster bildend gewesen, in dem
dfese Vorsatzelemente unbetont also expositionell stehen, das
beweist die p ro kl i tische Form der Präpositionen, wodurch
sie sich vielfach von den älteren Adverbialformen scheiden,
ebenso die proklitisch entstandene Form einiger Personal-
pronomia wie franz. je, ndd. *k = ich. — Auch die Wort-
stellung des modernen Satzes, im Allgemeinen mit dem
Subject vor dem Verbum gehört hierher, und ebenso die pro-
klitische Stellung des Pronom conjoint im Romanischen, ob-
gleich allerdings gi-ammatisches und logisches Prädicat nicht
identisch ist.
Man darf hiernach wohl sagen, dass uns die Sprachge-
schichte ein Bild von dem allgemeinen Fortschritte des Men-
schengeistes entrollt: die ruhige, vemtinflige Ueberlegung und
Berechnung der Verständnissfähigkeit des angeredeten Neben-
menschen gewinnt die Oberhand über die elementare Gewalt
des Gefühls und des Streben s.
Doch, ehe ich diesen Punkt verlasse, muss ich noch auf
einige interessante Petrefacten dieser Erscheinung der
nachträglichen Exposition hinweisen, festgewordene gi*amma-
tische Formen wie aXXoq re xal exslvog; lat. cum alü tum ille,
cum. ceteris rebuts tum hac re; deutsch ausser anderen dieser
(vgl. Kühner, gr. Gr., § 522, 4), aXXoc; re xal = präsertim cum.
Der Ausdruck andere bezeichnet den Rest eines Subtractious-
vorganges. Man spricht von einer Anzahl Menschen, scheidet
von diesen einige oder einen aus, was übrig bleibt, sind die
Uebrigen, die Anderen. Für den Hörer ist der Umfang des
Restes und damit der Ausdruck die Anderen, Andere erst ver-
ständlich, wenn ihm der Minuendus und Subtrahendus vorher
gegeben ist. In den obigen Ausdrücken dagegen wird der
Minuendus als bekannt angenommen, dann folgt cu7n alii, ceteri
u. s. f., also der Rest, und erst auf diesen der Subtrahendus
nie. Offenbar ein Verfahren, gegen das der Mathematiker sehr
energischen Protest einlegen würde. Möglich wird diese An-
44
Ordnung der Elemente dadurch, dass der Sprechende beim
Beginn seines Satzes die Subtraction in seinem Inneren schon
vollzogen hat, und dass er sich nicht darum kümmert, ob auch
der Hörende die zur Subti-action notwendigen Elemente kennt
Also auch hier wird die Situation zunächst unvollständig an-
gegeben, bedarf also einer Correctur und diese Correctur ist
tum ilie, xal exsTvog.
Die gleiche Vernachlässigung der Exposition zeigt sich
bei den correspondirenden Partikeln re — xai, xal — xal,
ovre — ovT£, et — et, que — et, 7iec — nee, nee — et; ij — ij,
aut — aut, sive — sive. Mag man bei et — et nun ausgehen
von der Bedeutung auch oder und, in beiden Fällen besagt es
z. B. im Satze et Caesar et Pompeius , dass das Prädicat auch
vom Cäsar gilt. Also Cäsar wird mit einer noch nicht ge-
nannten Person auf eine Stufe gestellt. Der Hörende kennt
die vorausgesetzte Person nicht, wol aber der Sprechende, es
ist Pompeius, der erst nachträglich genannt wird. Cäsar und
Pompieus sind Summanden; durch das erste et wird die Sum-
mierung vollzogen, doch erst ein Summandus ist genannt, der
andere folgt erst der Summierung nach. Hatten wir im ersten
Falle die Reihenfolge: Minuendus — Rest — Subtrahendus, so
hier die ganz entsprechende: erster Summandus — Summe —
zweiter Summandus.
Genau ebenso steht es mit der Form der Alternative in
f} — Tj, aut — aut, ebenso in der Doppelfrage mit utrum — an,
jtorsQov fi; weder — iioch : die beiden Elemente, auf welche mit
utrum, ütotBQOv, weder hingedeutet wird, sind ja noch nicht
dem Hörenden gegeben, sie müssen daher in der Form der
Satzapposition nachgebracht werden; utrum dbis an manes eigent-
lich was von beiden? setzt die Kenntniss einer Alternative zwischen
zwei Fällen voraus, da diese nicht vorhanden ist, so wird sie
nachträglich gegeben: gehst du oder bleibst du?
Das gleiche Verfahren nachträglicher Exposition gilt flir
die Vergleichung. Der Comperativ grösser enthält schon das
Resultat der Vergleichung: sage ich: er ist grösser als du, so
habe ich mit er ist grösser das Facit einer Vergleichung zweier
Personen (er und du) gegeben, also das Facit einer Rechnung.
Und doch ist nur eine Person, ein Glied der Proportion erst
genannt, ich muss mir daher die Zwischenfrage gefallen lassen:
45
in Verhältniss wozu? = lat. qicam und diese habe ich durch
nachträgliche Angabe der anderen bislier ungenannten Person
zu beantworten, also durch Angabe des zweiten Gliedes der
Proportion.
Gleichfalls hierher gehören auch die Ausdrücke so und
die damit oder in diesem Sinne gemachten Bildungen wie
ianius, talis, roöog, rolog, solch u. s. f. Diese Ausdrücke sind
nur dann unmittelbar aus der Situation verständlich, wenn die
verglichene Vorstellung vor unserem Auge oder Ohre als An-
schauungsbild steht oder wenn sie unmittelbar vorher genannt
ist, z. B. so kam es, nemlich wie es eben gesagt war. Doch
trägt der Sprechende allein das Maass der Beurteilung in
seinem Inneren, so setzt er den Hörenden nicht in den Stand,
die Vergleichung zu verstehen. Es bedarf dalier nachträg-
licher Correctur durch als, wie, quam, ut, dass, oloq, quanlu^s
u. s. f.
Selbstverständlich empfindet das Sprachgefühl
der entwickelten Sprachstufen auch nicht die leiseste
Spur von Unvollkommenheit bei diesen einmal fest-
gewordenen Satzformen, sie erscheinen vielmehr als
der wirklich logische adäquate und congruente Aus-
druck des Gedankens. Und trotzdem sind sie hervor-
gegangen aus der täglich zu beobachtenden naiven Voraus-
setzung des Sprechenden, als müsse der Hörende genau die-
selben Vorstellungen bewusst haben und vergleichen wie der
Sprechende, als wäre der Massstab des Sprechenden ein all-
gemein bekannter und absoluter. So gebraucht das Kind arg-
los sein: so schön, so gross und auch die entwickelte deutsehe
Sprache hat das expositionslose so als Steigerungsform selbst
in den edelsten stilistischen Nuancen, z. B. es war' so schön
gewesen, es hat nicht sollen sein (Scheffel). Expositionslos
ist das lateinische haud ita miillo post, das Taciteische non
perinde = nicht wie es sein sollte und der Comparativ in dem
Sinne von zu, allzu.
Hat der Sprechende jedoch ein mal die Situation geklärt,
so bedürfen die nachfolgenden Prädicate selbstverständlich
nicht von Neuem der Expositionselemente, z. B.: Scipio ging
nach Africa, er schlug ein Lager, Es wäre durchaus anstössig
die Exposition Scipio zu widerholen, ja die lateinische Kunst-
46
spräche hat sogar die Fähigkeit, nach der Exposition die
neuen Prädicate ohne jede Rückbeziehung auf das Subject
durch den Infinitiv, d. h. durch eine nominale, substantivische
Form auszudrücken; so Caesar cum Bubiconem iransiisset, oh-
sidere oppida, vincere exercitus u. s. f., und auch wir können
ähnlich sagen: als Caesar den Rubico überschritten halte, (da)
Belagerung von Städten, Sieg über Heere u. s. f. Diese aus der
Sprache des Gefühls stammende Ausdrucksform hat den stili-
stischen Character der Gefühlssprache, die Lebhaftigkeit und
Anschaulichkeit bevsrahrt.
Wie ein jedes Object der gegenwärtigen Anschauung die
Exposition zu einem Prädicate bilden kann, so kann eine
jede Vorstellungsgruppe, die sprachlich dem Hören-
den in das Bewusstsein gerufen ist, die Exposition
sein für die weiter anschliessenden Aeusserungen, und
nur nach diesem Princip ist es möglich, eine lange Reihe von
Prädicaten und Sätzen zu einer einheitlichen Darstellung zu-
sammenschliessen. Denn unendlich würde die sprachliche Reihe
werden, müsste bei jedem neuen logischen Prädicate die ge-
sammte Exposition in Worten ausgesprochen werden. Zur
Weisung für die Beziehung auf vorhergenannte Stücke der
Darstellung dienen dieselben Mittel, welche für die Hinweisung
auf die gegenwärtige Anschauung verwandt werden, die demon-
strativen Pronomina; natürlich musste sich bei dieser Demon-
stration eines Erinnerungselementes statt eines Anschauungs-
elementes die Bedeutung der Demonstrativa vielfach ändern,
so die der Casus obliqui von lat. is und griech. avxoq des
deutschen er.
Durch die blosse festhaltende Erinnerung werden Satz-
formen möglich wie Caesar kam, sah, siegte, oder beim Objecte
griechischer und lateinischer Sätze wie: Caesar em vidit el amavit,
wo deutsch eine Hinweisung notwendig wird mit ihn: er sah
den Caesar und liebte ihn. Ebenso werden so nominale Ver-
bindungen ermöglicht wie Caesar is frater et filius, mein Sohn
und Bruder, die Ergänzung eines gemeinsamen Verbums wie
vidit Caesarem et Ciceronem u. a. — Ein Blick in die erste
beste Erzählung und eine einfache Ueberlegung muss beweisen,
dass jede frühere Aeusserung des Erzählenden die Exposition
aller nachfolgenden Prädicate bildet. — Doch wir dürfen hier
47
den Faden abbrechen, da wir auf verwandte und ergänzende
Fragen noch an anderer Stelle zurückkommen werden.
XIV.
Man hat darüber gestritten, ob ein Wort mehrere Be-
deutungen haben könne. Das Wort Löwe hat allem An-
scheine nach nur eine Bedeutung. Die Bedeutung dieses, wie
aller Wörter, ist die Summe aller Vorstellungen, welche mit
ihrer Lautreihe, hier Löwe verbunden werden. — Doch bei
und von wem verbunden werden? — Hat wirklich der Zoologe
und das Kind, dem man ein Bild des Tieres gezeigt hat, die-
selben Vorstellungen mit diesem Worte associiert? Hat der
Africareisende, welcher mehr als einmal mit dem Löwen in
Berührung gekommen ist, oder der Tierbändiger nicht andere
Vorstellungen bei diesem Namen als der stille Leser des Reineke
Fuchs?
Der Zoologe hat mehr, deutlichere und besser geordnete
Vorstellungen bei dem Worte als das Kind, der Löwenjäger
hat vermutlich über den anatomischen Bau des Tieres unvoll-
ständige und ungeordnete Vorstellungen, doch er kennt den
Character des Tieres vielleicht besser, jedenfalls verbindet er
alle die Gefllhle der Furcht und des Entsetzens mit dem Namen
der Bestie, welche er bei der Begegnung mit derselben empfun-
den hat. So unterscheidet sich der Inhalt der Worte
1. nach dem Gesichtspunkte der Vollständigkeit der associler-
baren Vorstellungen, 2. nach dem der Ordnung der wirklich
associierten Vorstellungen, 3. nach der Art und Stärke der
Gefühle, welche die Erinnerung unter den associierten Vor-
stellungen aufgespeichert hat.
Man darf die beiden ersten Gesichtspunkte zusammenfassend
die Gesichtspunkte der Erkenntniss nennen, der dritte ist ethisch
und ästhetisch.
Offenbar ist also bei den verschiedenen Individuen der-
selben Sprachgemeinschaft Gleichheit der Bedeutung der Worte
trotz der Gleichheit ihrer lautlichen Form nicht vorhanden.
Aus den angedeuteten Gesichtspunkten ergibt sich auch,
dass die Vorstellungsgruppe eines Wortes, z. B. Löwe bei den
48
verschiedenen Individuen sehr verschiedene Verbin-
dungen mit anderen Vorstellungsgruppen eingegangen
sein kann. Die Verbindung nach dem wesentlichen Inhalte
der Vorstellungsgruppe führt beim Zoologen zu der Unter-
ordnung unter gewisse höhere Gattungen und Klassen; der
Laie und das Kind verbinden nach zufälliger Aehnlichkeit den
Löwen vielleicht mit anderen gelben Geschöpfen oder mit
mähnentragenden Tieren, — oder nach der Art der begleiten-
den Gefühle mit schönen, edlen, guten, furchtbaren, nützlichen
Tieren, bedingen doch diese Gefühle ein ethisches oder ästhe-
tisches Werturteil oder auch beides zusammen.
Ein Unterschied in der Art des Werturteils wird auch da-
durch bedingt, ob die Vorstellungsgruppe eines Wortes dem
Vorstellungsablaufe des alltäglichen Lebens angehört, oder ob
sie durch die Seltenheit, mit der sie in das Bcwusstsein tritt
sich den Reiz der Neuheit und des Interesses wahrt. Man
denke daran, wie verschieden die Gefühle dessen sind, der
ein Gebirge zum ersten Male sieht und des ständigen Be-
wohners des Gebirges. Durch die Häufigkeit und Alltäglichkeit
des Ablaufs einer Vorstellungsreihe und der Lautreihe stumpfen
sich die Wertgefühle für beide ab, es tritt ein Zustand der
Gleichgiltigkeit und Blasiertheit diesen Reihen gegenüber ein.
Die Bedeutung dieser Nüancierung nach den begleitenden Ge-
fühlen und den Werturteilen für die stilistische Geltung der
Worte liegt auf der Hand.
Also Gleichheit der Bedeutung eines Wortes ist weder in
Beziehung auf den realen Inhalt und die Verbindung seiner
Vorstellungsgruppe noch in Beziehung auf die begleitenden
Gefühle vorhanden, weder materielle noch stilistisch -formelle
Gleichheit der Bedeutung bei verschiedenen Individuen der-
selben Sprachgemeinschaft.
Aus dem Gesagten ergibt sich auch, dass innerhalb des
Lebensganges eines Menschen von der Gleichheit der
mit einem Worte verknüpften Vorstellungen nicht die
Rede sein kann. Die meisten Vorstellungsgruppen wachsen
an Umfang und Inhalt, viele, obgleich längst nicht alle, werden
durch wissenschaftliche Arbeit begrifflich gegliedert und lösen
sich dadurch mehr und mehr von Gruppen, mit denen sie nur
nach einer zufälligen und äusseren Aehnlichkeit verknüpft
49
waren. Bei Vielen werden die begleitenden Gefühle, welche
in der Kindheit und Jngend so lebendig waren, stumpf und
schwach, so dass der Greis meist mit Wehmut an die frische
und sprudelnde Freude zurückdenkt, die schon das blosse Wort
erregte. Bei anderen Vorstellungsgruppen schärft; sich das
ethische Geftlhl für ihre Hässlichkeit und Gemeinheit, der Er-
wachsene bedient sich daher sehr vieler gemeiner Worte nicht,
welche das Kind arglos ausspricht und die derbe Jugend als
Kraftausdrücke verwendet.
Wer also meint, die Bedeutung eines Wortes sei stets die-
selbe und nur eine, kann nur daran denken, dass zu einer
bestimmten Zeit in der Seele eines Individuums mit demselben
Worte stets dieselbe Vorstellungs- und Geftlhlsgruppe ver-
bunden wird. Zunächst möchte es schwierig sein, eine Einigung
darüber herbeiführen, wie lang diese Zeit zu bemessen sei; —
wer es weiss, wie blitzartig oft Erkenntnisse von dem Wesen
einer Sache, von der Zusammengehörigkeit einer Gruppe von
Vorstellungen mit anderen einschiesst, wird jede zeitliche Ein-
heit, die hier in Betracht kommen könnte, nach der , ratio
ruentis acervi' von der Hand weisen.
Doch es kommt ein anderer Punkt hinzu, der für die
Spracherkenntniss von tiefgreifender Bedeutung ist. Bleiben
wir noch bei unserem Beispiele Löwe^ so ist jedenfalls klar,
dass in dem Satze: der Löwe kann die stärksten Knochen zer-
malmen andere Eigenschaften des Tieres in den Vordergrund
des Bewusstseins treten als bei dem Satze: der Löwe ist ein
edles königliches Tier, — Beim ersten Satze wird uns das ge-
waltige Gebiss und die Muskelkraft des Tieres bewusst und
zwar in ihrer Bethätigung, also z. B. beim Verzehren eines Stiers.
Bei dem anderen Satze stellen wir uns die Haltung des Tieres,
seine Physiognomie, als Ausdruck seines ethischen Characters
vor, vielleicht auch gewisse grossmütige Handlungen. Denn
wie vollzieht sich das Verständniss des Inhalts jener Sätze?
Der Löwe ist edel, d. h. die Vorstellungen, welche wir unter
der Wortnota edel zusammenfassen, lassen sich mit der Vor-
stellungsgruppe Löwe verbinden, doch offenbar nicht mit jeder
Vorstellung dieser Gruppe, sondern nur mit einigen. Gelingt
es uns, diese einzelnen Vorstellungen, von denen das edd
prädicierbar ist, selbst aufzufinden, so verbinden wir eben mit
4
50
diesen das Prädicat, gelingt dies nicht, so muss der Sprechende
uns angeben, mit welchen Vorstellungen die Verbindung mög-
lich ist. Der Sprechende wird dann erklären, wie das Aus-
sehen des Tieres ist, wie es sich dem Menschen gegenüber
verhält u. s. f. Diese Erklärung ist also nichts als eine Aus-
wahl aus vorhandenen Vorstellungen, mit denen die Verbindung
des Prädicats vollziehbar ist, oder auch das Hinzuthun von
noch fehlenden Vorstellungen. Und der Sprechende? — Nun
der spricht ja eben nur das aus, was im Vordergrunde seines
Bewusstseins lebendig ist, den Edelmut, nicht die Stärke oder
die Verdauung. In dieser Thatsache, dass nur immer Teile einer
Vorstellungsgruppe bewusst sind, wenn nicht das reflectierende
Denken hinzutritt, — in dieser Thatsache liegt der Grund der
so häufigen Erscheinung, dass die Aussage von einem Subject
schief, d. h. zu weit oder zu eng ist.
Somit müssen wir die Annahme der Einheit der
Wortbedeutung fallen lassen.
Noch schärfer zeigt sich die Unzuträglichkeit einer solchen
Annahme aus einer anderen Verwendung des Wortes: er ist
der Löwe des Tages, — Hier gestattet der Ausdruck schlechter-
dings nicht, an die gelbe Farbe des Löwen, seinen anatomischen
Bau, seinen Aufenthalt in der africanischen Steppe zu denken.
Ich persönlich denke bei dem Ausdrucke nur an die hervor-
ragende Rolle, welche die so bezeichnete Person spielt.
Brauchen wir also ein Wort innerhalb eines Satzgefüges,
so gestattet die Verbindung mit den übrigen Worten
nur einem Teile der mit dem Worte verbundenen
Vorstellungsgruppe in das Bewusstsein zu treten, die
übrigen bleiben unter der Schwelle des Bewusstseins. Und
bewusst werden bei dem logischen Subjecte nur die Teile der
Vorstellungsgruppe, welche als Exposition des Prädicats dienen.
XV.
Doch wichtiger für die Entwicklung der Sprache ist noch
die Frage, wie sich in solchen Verbindungen das
logische Prädicat verhält. Bilde ich den Satz: Karthago
nmrde vom jüngeren Scipio ausgelöscht, — so würde ich viel-
51
leicht von denen verstanden werden, welche wissen, dass die
Beziehungen des jüngeren Scipio zu Karthago darin bestehen,
dass er Karthago zerstört hat, — die also zu der von mir
gegebenen Exposition noch ein wesentliches Stück hinzubringen,
nemlich dass Karthago hier unter dem Bilde eines Lichtes zu
denken ist Andere werden sagen: der Satz ist unsinnig, —
und doch Carthago exstincta est muss jedem Römer verständ-
lich gewesen sein. Waren die Römer psychisch anders orga-
nisiert als wir? Sicher nicht.
Schon eher verständlich würde der deutsche Satz werden,
wollte ich sagen: Das Licht Karthagos wurde vom jüngeren
Scipio ausgelöscht; dann würde ich die Exposition, dass Kar-
thago als Licht zu denken sei, dem logischen Prädicate er-
läuternd hinzufügen. Der Römer bedurfte dieser Exposition
bei exstinguo so wenig, als wir ihrer bedürfen in dem Aus-
drucke: der Krieg entbrennt,
Thatsächlich denken wir bei entbrennen in dieser Verbin-
dung nichts weiter als bei ausbrechen, vom Kriege gesagt, —
obwohl wir uns bei einigem Nachdenken sagen können, dass
der Ausdruck entbrennen den Krieg unter dem Bilde eines
Feuers darstellt. Bei ausbrechen dagegen, — sicher gleichfalls
seinem Ursprünge nach ein bildlicher Ausdruck, ist es un-
möglich, auf anderem Wege als dem der historischen Forschung
die ursprüngliche Anschauung aufzufinden. Es kann also im
Laufe der Sprachentwicklung die Erinnerung an das Bild,
unter dem etwas von einer Vorstellungsgruppe prädiciert wird,
vollkommen im Sprachbewusstsein erlöschen.
So zeigt sich uns eine Entwicklungsreihe des metapho-
rischen Gebrauchs, welche damit anhebt, dass zum Verständniss
des metaphorischen Prädicats ein Hinweis in der Exposition
erfordert wird, das Subject unter diesem Bilde zu denken, und
die damit schliesst, dass man das Bild, durch welches der
metaphorische Ausdruck herbeigeführt wird, gar nicht mehr
empfindet.
Unzweifelhaft wird, nach der oben über die sprachlichen
Formen der Exposition gegebenen Ausflihrung, der naive
Mensch recht oft die Exposition erst nachträglich auf Verlangen
des Hörenden beigefügt haben; femer ist ersichtlich, dass diese
oft nicht gefordert wurde, wenn dem Hörenden die gesammte
52
Situation so durchsichtig war, dass er auch ohne Erklärung
den Sinn der Metapher verstand.
Die Metapher beruht auf Verbindung von Vorstellungs-
gruppen nach partieller Gleichheit, wird also 'stets individuell
sein. Hat ein einzelnes Individuum eine glückliche und
treffende Metapher gebraucht, so findet diese Anklang und
Nachahmung, — es geht hier wie in der Mode, — die Me-
tapher wird vielleicht zum constanten Sprachgebrauch. Ein
Vorgang aus neuerer Zeit mag diesen Vorgang erläutern.
Herbart verglich die Vorgänge in der Seele mit mechanischer
Bewegung: wie sich physische Körper hemmen, so hemmten
sich auch die psychischen Vorstellungen. Diese Auffassung
fand allmählich Anklang, oder man hielt doch das Bild fttr
ein glückliches. Heute versteht jeder philosophisch Gebildete
den Ausdruck Hemmung der Vorstellungen. Für diesen bedarf
es also nicht mehr der umständlichen Exposition : ,man hat sich
die Vorstellung als mechanische Grösse zu denken,'
In unserem Beispiele vom Kriege also wird offenbar
innerhalb jener Sätze: der Krieg entbrennt , der Krieg bricht
aus, nur der von der Situation geforderte Sinn empfunden,
die Vorstellungen, welche mit dem Worte entbrennen sonst
verbunden werden, sind in dieser Verbindung total vergessen.
In dieser Entwicklungsreihe sind drei Stufen zu unter-
scheiden :
1. Der Krieg lodert auf wie ein Feuer, man fügt oft eine
expositionelle Ausführung der bildlichen Vorstellung hinzu.
Hier wird neben dem Beginne des Krieges auch noch der
Anfangsmoment des Feuers mitgedacht, der Inhalt dieses
Ausdrucks ist also reich und anschaulich.
2. Der Krieg lodert auf, — man empfindet, dass das Prä-
dicat vom Feuer hergenommen ist, jedoch denkt man die
Aehnlichkeit beider Gruppen nicht mehr aus, weil die Ver-
gleichung schon oft vollzogen und darum geläufig ist; die
Vergleichung ist abgekürzt oder comprimiert.
3. Der Krieg bricht aus, — es werden nur noch in der
Gruppe Krieg liegende Vorstellungen bewusst, nicht mehr
solche aus der Gruppe Feuer.
Dieser Vorgang ist derselbe den man das Abblassen
und Abgreifen der Worte genannt hat. Und es ist nicht
53
Zufall, dass ich den Vorgang an der Abblassung bildlicher
Ausdrücke geschildert habe. Die notwendige Voraus-
setzung alles Abblassens ist die, dass das logische
Subject und das logische Prädicat nicht vollkommen
entsprechend waren, dass das Prädicat seiner Function
nicht ganz congruent war. Das Abblassen besteht eben
darin, dass das Prädicat alle Vorstellungen einbüsst,
welche der vom Subject bestimmten Situation nicht
entsprechen, und dass es die Vorstellungen in sich
aufnimmt, welche von jener Situation gefordert
werden.
Dieses Abblassen kann sich nur am logischen
Prädicate vollziehen, denn das logische Subject muss die
Situation correct in ihrer nackten Realität bezeichnen, darf
also keine Vorstellungen erregen, welche nicht in der Situation
liegen. So kann ich wohl sagen : die Lohe des Krieges ist aus-
gebrochen, doch nie allein vom Kriege: die Lohe ist ausgehrochen.
Wäre jedoch durch Abblassen in der Prädicierung Lohe dem
Kriege congruent geworden, dann könnte es auch das logische
Subject sein. Es ist den Erklärern des Horaz daher mit Recht
eine Stelle anstössig gewesen wie Od. 4, 14, 22 f., wo es vom
Tiberius heisst:
impiger hostium
Vexare iurmas et frementem
Mittere equum medios per ignes.
Geht ignes, wie der Zusammenhang es fordert, auf den
Kampf, so ist der bildliche Ausdruck in der Exposition ge-
braucht, wo gleichsam eine Correctur und Richtigstellung des
Bildes nicht möglich ist. Da es aber sehr unwahrscheinlich
ist, dass ignes abgeblasst war zur Bedeutung von Kampf, so
werden wir entweder die Beziehung auf den Kampf fallen
lassen müssen, oder hier einen von den nicht vereinzelten
Fällen sehen, wo die rhetorisch-poetischen Regeln, an denen
sich die römischen Dichter gebildet haben, zur Unnatur führen.
XVL
Das hier gefundene Gesetz ist für die Entwicklung der
Wortbedeutung und für die gesammte Geschichte der Sprache
54
von grösster Bedeutung. Wenn z. B. dens, odovq der Essende
ist, so konnte es vom Zahne zunächst nur prädicativ stehen,
denn ausser dem Zahne kann auch manches andere der
Essende genannt werden. Als logisches Subject wurde es
erst verwendbar, nachdem es im Umfange und Inhalte der
Vorstellungen der durch die Anschauung gegebenen Vorstel-
lungsgruppe Zahn congruent war. So sind alle Worte
ohne Ausnahme, welche logische Subjecte also ex-
positionsbildend sein können, zu dieser Fähigkeit
erst durch ihr Abblassen im prädicativen Gebrauche
gelangt. Und bevor die Sprache für das logische
Subject abgeblasste Worte hatte, war sie unfähig,
die Situation anders als durch Hinweis auf die Si-
tuation der Anschauung zu bezeichnen. So bildet der
soeben geschilderte Process der Abblassung die Brücke
zwischen der ersten im Anfange unserer Untersuchung
dargelegten Sprachstufe zu der entwickelten Stufe
einer ausführenden Exposition.
Wir wollen versuchen uns diesen Vorgang im Einzelnen
noch klarer zu machen, obwohl erst die folgende Abhandlung
die letzten Gründe dieser Erscheinung angeben kann:
Wir hatten in den letzten Ausführungen mit dem Con-
gruentwerden 1. von Verben wie ausbrechen, entbrennen^ vom
Kriege gesagt, 2. von Substantiven wie dens der Zahn ge-
sprochen. Oflfenbar muss der Ausdruck Congruenz in beiden
Fällen etwas verschieden verstanden werden. Im ersten Falle
der Krieg e7itbrennt wird das Verbum congruent der Thätigkeit
oder dem Zustande, der am Kriege als Anfangszustand zur
Erscheinung tritt, — im zweiten Falle wird dens congruent
der Vorstellungsgruppe, die wir mit Zahn bezeichnen. In
beiden Fällen war es aber die Absicht des Sprechenden das
Betreflfende, also Anfang des Krieges und Zahn damit zu be-
zeichnen, diese Vorstellungen zu erwecken war also die Auf-
gabe oder die Function des Verbs sowohl als des
Substantiv. Schärfer formulirt werden wir sagen, das
Prädicat wird congruent seiner Function.
Die Situation als Anschauungs- oder Erinnerungsbild ent-
hält stets ein substantielles Element. Wenn wir also sagten,
das logische Subject entwickele sich aus dem logischen Prä-
55
dicate, so können wir dies nur auf die substanzbezeichnenden
Worte beziehen, und diese nennen wir Substantiya. So han-
delt es sich nun um die Frage: wie ist es zu denken,
dass prädicative Substantiya zu logischen die
Situation congruent bezeichnenden Subjecten
werden können, die unfehlbar im Stande sind, eine be-
stimmte Vorstellungsgruppe in das Bewusstsein aller Sprach-
genossen zu rufen ? Der Ausdruck der Essende ruft entschieden
eine ganz andere Gruppe in unser Bewusstsein, als der Aus-
druck Zahn,
Setzen wir den Fall, wir treten vor ein Gebäude, für das
die congruente Benennung Schloss wäre: Wir erstaunen viel-
leicht zunächst über die räumliche Masse und rufen: ein ge-
waltiges Bauwerk, ein mächtiger Bau, Wir tiberschauen die
Linien und die Gruppirung der Teile und nennen es einen
schönen, einen edlen, einen herrlichen Bau, Wir beachten die
Ornamente und die Form der Anlage und finden Ueberein-
stimmung mit gewissen historischen Formen der Baukunst, wir
nennen das Schloss ein Renaissancegehäude , einen gothischen
Bau, ein romanisches Haus, Wir werden uns der Thätigkeit
der Menschenhand bei demselben bewusst im Gegensatze zu
den Werken der Natur, wir nennen es ein Werk, ein Bauwerk,
oder ist dieses bewusstsein verbunden mit dem Gefühle der
menschlichen Schwäche gegenüber der Allmacht Gottes, so
reden wir vom Menschenwerk, Tritt uns der Zweck, dem das
Gebäude gedient hat, vor die Seele, so heisst es ci7i Wohnhaus,
ein Palast, ein Palais, ein Residenzschloss. Fernere Benennun-
gen würden etwa sein können je nach verschiedenen Beziehun-
gen : praktisches, wohnliches Gebäude, Castell, Festung u. a. —
Stände uns ein Mensch Namens Müller vor Augen, so kann
der sein ein weiser, kluger Mensch, ein Narr, ein Schurke, ein
Esel u. a.
All diese Benennungen sind Urteile und die Namen selbst
sind die Prädicate des gegenwärtigen Anschauungsbildes. Und
bei jedem Prädicate haben wir das Bewusstsein, dass uns das
Anschauungsbild genannt wird, allerdings nicht mit dem con-
gruenten Namen, sondern so dass der Name das Anschauungs-
bild einer bestimmten Klasse zuweist, die in uns vorhanden
ist. Diese Klasse oder Kategorie ist jedoch nicht die Gattung,
56
unter welche das Anschanungsbild seinen wesentlichen Merk-
malen nach zu subsumieren wäre. So können gothische Ge-
bäude, Kirchen, Privathäuser, ßathhäuser, Innungshäuser u. a.
sein; die eigentliche Kategorie, deren wesentliche Merkmale
auch die wesentlichen Merkmale des angeschauten Individuums
sind, bezeichnen wir mit Schloss. Und trotzdem ergänzt sich
der Anschauung gegenüber jene Benennung goihisches Gebäude
in uns ohne Weiteres zu der Kategorie Schloss, mit dem Prä-
dicate gothisch. Wir haben daher die Empfindung, eine
deckende Benennung zu hören, die nur etwas reicher ist als
das farblose Schloss. Also dem Anschauungsbilde gegenüber
oder auf dem Boden der Situation der Anschauung
ergänzt sich die nicht deckende oder ihrer Fun-
tion nicht congruente Benennung zur congruenten
Benennung. Doch wir müssen hinzufügen, dass bei dieser
Situation sich die Benennung stets zur individuellen
Benennung ergänzt, denn die bei der Benennung em-
pfundene Vorstellungsgruppe ist identisch mit dem Anschauungs-
bilde und das Anschauungsbild ist stets ein Individuum. Das
betreffende Schloss ist also entweder gothisch oder romanisch
u. s. f Die Benennung selbst aber ist generell.
Es besteht ein nicht geringer Vorzug des guten und phan-
tasievollen Stilisten darin, den Gegenstand oder die Person,
von der er spricht, an verschiedenen Stellen, wo eine Substanz-
bezeichnung desselben erforderlich ist, in verschiedener Weise,
abwechselnd zu benennen. Diese Benennungen werden genau
so gemacht, wie eben von dem Anschauungsbilde ausgeführt
war, es sind Prädicate von jenem Gegenstand nach den ver-
schiedensten Beziehungen. So ist von Rom die Rede gewesen,
hindeutend darauf heisst es später die Stadt, das Babel {des
römischen Reichs oder Italiens), die Hauptstadt, die Siebenhügel-
stadt, die Tiberstadt u. a.; es ist von Goethe die Rede, statt
den Namen zu wiederholen sagt der Schriftsteller später der
Dichter, der Lyriker, der Freund Karl Augusts, der geniale Mann,
der edle Geist, der Frankfurter Bürgersohn u. a. In einer all-
gemein gehaltenen Ausführung ist von den vier Cardinal-
tugenden die Rede, die späteren Sätze sagen statt Cardinal-
tugend Tugend, sittlicher Zustand, sittlicher Character, Sittlich-
keit, edler Sinn u. a.
57
Aach in diesem Falle sind die späteren Benennungen nicht
deckend und an sich ihrer Function nicht congruent und doch
werden sie es durch die Erinnerung an die vorher exponierte
Situation, somit werden nicht deckende Benennungen, die ich
als freie Benennungen bezeichnen will, durch die Si-
tuation der Erinnerung zu deckenden und con-
gruenten Benennungen. — Je nachdem die einmal ge-
schaffene Situation individuell oder generell ist, je
nachdem werden auch die freien Benennungen als individuell
oder generell empfunden.
Auf Dörfern, die einer bestimmten Stadt, z. B. Berlin, nahe
liegen, ist es ganz gewöhnliche Ausdrucksweise nach Stadt gehen
oder in die Stadt. Niemand denkt dabei an eine andere Stadt
als z. B. Berlin. Also die dem Bewusst^^ein zunächst liegende
Stadt und die Stadt, welche die im Verbum ausgedrückte Thä-
tigkeit am wahrscheinlichsten betrifft, wird bei dieser freien
Benennung vom Hörenden verstanden. Denn dass Stadt flir
Berlin nicht deckender Ausdruck ist, liegt auf der Hand. Im
eng begrenzten Horizonte des Hörenden wie des Sprechenden
liegt nur diese eine Stadt, und diese ist daher die am leichte-
sten associierbare Gruppe. Also die freieBenennungwird
als congruent empfunden auf dem Boden der Si-
tuation des Bewusstseins, wie wir oben diese Art der
Situation nannten. Die hier bei der Benennung vorgestellte
Gruppe ist individuell. Ebenso in Ausdrücken innerhalb
eines begrenzten Kreises wie aufs Schloss gehen, die Kirche
(== Ortskirche), in den Krug, auf die Kneipe, in die Schtde u. a.,
in allen Fällen wird daher eine bestimmte Schule, Kirche u. s. f.
gedacht.
Ebenso ist innerhalb des Hauses der Schrank, der Koffer^,
die Küche, das Ciavier, der Bücherschrank etwas ganz bestimm-
tes Einzelne. Man denke sich nun, neben jener Stadt ent-
stände eine zweite, die gleich nahe läge, diese würde vielleicht
die Neustadt oder neue Stadt sein. Also lauter Individual-
bezeichnungen, die den eigentlichen, in dieser Weise entstan-
denen, Namen gleich sind, daher so viele Namen mit Hausen,
Haus, Burg und ähnliche; und die Personennamen wie Karl,
August bezeichnen innerhalb einer kleinen Gemeinschaft eine
ganz bestimmte Person.
58
Doch wir finden innerhalb einer engeren Gemeinschaft nicht
blos die Ergänzung eines generellen Ausdrucks zu einem in-
dividuellen durch die Macht oder Situation des Bewusstseins,
ebenso die Ergänzung von Gattung zur Art. Der
Bergmann versteht unter Todliegendem eine bestimmte Gattung
Gesteins, der Schüler unter dem Beinen und Unreinen die Rein-
schrift und den Entwurf, der Erste und Letzte in Schtilerkreisen
ist der, der den ersten oder letzten Platz in der Klasse hat,
für den Infanteristen heisst mit vollem Gepäck mit Tornister,
Mantel und Brotbeutel, dem Eömer ist insigne zum Abzeichen,
bonum zum Gute, mortales zum Begriff Menschen geworden.
Wir haben hier wesentlich dieselbe Erscheinung als bei dem
Entwicklungsgange des generellen Ausdrucks zum Individuellen,
der Unterschied liegt nur im Bewusstsein des Sprechenden und
Hörenden, dass der Ausdruck auf viele Individuen beziehbar
ist. Der einzelne Schüler versteht, wenn er sagt ich habe das
Unreine fertig seinen Entwurf, also etwas Individuelles.
Ebensowohl ist es möglich, Art- oder Individual-
bezeichnungen als generelle zu verstehen, wenn
die Situation des Bewusstseins ergänzend zu Hilfe kommt. Der
bekannte Vers sint Maecenates , non derunt, Flacce, Mar ones
zeigt uns den Weg, wie das römische Palatium die Benennung
für Kaiser paläste, für palas, Pfalz, palais abgeben konnte. Per-
sonen oder individuelle Anschauungsbilder haben ihren Cha-
rakter, d. h. ihre Summe constituierender Merkmale und nach
diesen können Gattungen bezeichnet werden, diese Bezeichungen
werden durch die Situation des Bewusstseins als deckend em-
pfunden.
Die eigentlich wesentliche Art der Situation bei der Um-
IjiT^andlung des logischen Prädicats zum logischen Subjecte ist
somit die Situation des Bewusstseins. Die Situation der An-
schauung und der Erinnerung verfliegen wider nach kurzer
Zeit. Aber die Situation des Bewusstseins, der leichtest asso-
ciierbaren Vorstellungsgruppen, kann nur dadurch entstehen, dass
die Situation der Anschauung und der Erinnerung durch Häu-
figkeit und Interesse in unserer Seele fixiert wird. In so fern
sind auch jene beiden Arten momentaner Situation bedeutungs-
voll für die Entwicklung der Wortbedeutung.
Die Vielheit von Benennungen zeigt sich besonders deut-
59
lieh bei den Namen und Bezeichnungen der Götter. Vielnamig
ist Zeus, und vielnamig Odin. Oben waren Gesichtspunkte
erwähnt, nach denen das tote Ding benannt werden kann, die-
selben Gesichtspunkte kommen natürlich auch bei Personen
und Göttern in Betracht, nur spielen hier die ethischen Be-
zeichnungen eine grosse Rolle und ausserdem Thaten, welche
an diesen Personen haften, also das historische Bewusstsein.
Bekannt sind Beinamen wie Numanlinus, Africanus^ Asiaticus
von den Scipionen, und oft genug müssen diese Beinamen
die Person selbst, ohne Zufügung einer Exposition be-
zeichnen. Bei Göttern fungieren so Beinamen wie Delius, Pythius,
Cypriq, u. a.
Bei Delius, Cypria und anderen Benennungen nach der
Abkunft würde ein Missverständniss sehr leicht möglich sein,
doch hier tritt erläuternd hinzu das Prädicat. So ist Africanus
Carthaginem delevit ganz unzweideutig vom jüngeren Scipio zu
fassen, denn von keinem Anderen lässt sich diese Thatsache
verstehen. Dies ist die Exposition des logischen
Subjects durch das logische Prädicat, eine Ex-
positionsweise, die den Hörer befähigt unter den Arten oder
Individuen einer Gruppe, welche als congruente Bezeichnung
den Namen des logischen Subjects trägt, zu unterscheiden.
Das Nähere über diesen Vorgang werden wir in der folgenden
Untersuchung bringen.
Selbstverständlich kann es sich bei dieser Entwicklung von
freier Bennung zum festen congruenten Namen nicht um das
einfache Wort allein handeln, oder auch nur um solche Worte,
die als Compositionen unter einem Accente stehen wie Bettel-
mann, Rathaus, Auch Edelmann, Rotkehlchen, Gelbschnäbel und
andere Compositionen sind aus attributiver Verbindung von
Adjectiv und Substantiv hervorgegangen und ihre Grund-
bedeutung war der Gruppe von der sie ausgesagt wurden
gleichfalls nicht congruent, sondern wurde als deckend nur
dann empfunden, wenn die Exposition durch Anschauung, Er-
innerung oder Bewusstsein gegeben war. Genau so steht es
mit gewissen Verbindungen von Adjectiv und Substantiv, die
sich zur vollen Compsition nicht entwickelt haben wie der
graue Löwe, die gefleckte, die gestreifte Hyäne, das gelbe Fieber,
der schwarze Tod, die asiatische Cholera, graue Salbe, der
60
schuldige Teil, böswillige Verlassung, fahrlässige Tötung, schwef-
lige Säure, All diese Benennungen bezeichnen als stehende
Namen gewisse Kategorien oder Gruppen, in denen nicht blos
die sprachlich benannten Merkmale enthalten sind, sondern
noch viele andere, und diesen Gruppen sind die mit jenen Be-
nennungen verbundenen Vorstellungen congruent geworden. —
Also das Bedürfniss der Mittheilung des Kindes und des
culturlosen Primitivmenschen führt zu den im einzelnen Worte
bestehenden Sätzen, diese genügen der complicierten Situation
nicht mehr, der Mensch bedarf reichlicher Expositionsmittel;
das Material zu diesen Mitteln liefern die Worte, welche als
Prädicate des Primitivsatzes abgeblasst und ihrer Anschauungs-
und Vorstellungsgruppe congruent geworden sind. Mit Hilfe
dieser Mittel deckt der Sprechende die Mängel der Exposition
welche er aus der unterbrechenden Frage und den verständ-
nisslosen Zügen des Hörenden erschliesst. Diese Formen der
Correctur werden feste Sprachformen, deren Ursprung das
Sprachbewusstsein vollständig vergessen hat. Ursprünglich
Linien, durch welche nachträglich das verzeichnete Bild ge-
bessert wird, werden sie zu den festen und grundlegenden
Conturstrichen, bei denen ein späteres Sprachbewusstsein das
logisch wohlthuende Gefühl der Klarheit und die ästhetisch-
ethische Empfindung der Schönheit und des Adels haben kann.
Man wird erkennen, wie die Grundgedanken der hier mit-
geteilte n Untersuchungen nach allen Seiten über sich hinaus-
weisen, wie sie als Gesichtspunkte der Geschichte des Er-
kenntnisslebens, der Ethik und Aesthetik von Bedeutung sind.
Denn alle Erscheinungen des menschlichen Geisteslebens bilden
einen in sich geschlossenen Organismus, in dem eine jede
Regung des einzelnen Organs nachzittert in den übrigen Or-
ganen, dessen Blüten in Poesie und Kunst, Seelenadel und
sittlicher Anmut auf den Zweigen und Aesten erwachsen sind,
von dessen holzigem Bau hier einige Faser nund Zellen einer
näheren Betrachtung unterzogen waren.
Zur Frage : Wie verstehen wir Sprache?
Alle menschliche Sprache, die wir kennen,
ist artikulierte Lautbewegung, nicht eine Summe oder
ein Aggregat von Naturklängen und Naturlauten ; alle wirklich
in der Sprache verwandten Laute sind von einer grösseren
Zahl von Individuen nach einer tibereinstimmenden Norm ge-
bildet. Die Art, wie der sprechfertige Mensch diese Laute
bildet, und die Verbindung ihrer Reihen mit einem bestimmten
Sinne hat er aus dem Zusammenleben mit anderen
Individuen erlernt. Wir erlernen aber eine Sprache, in-
dem wir uns gewöhnen, mit gewissen Lautbildem einen be-
stimmten Sinn zu verkntipfen und die Verknüpfung dieser
Lautbilder selbst unter einander in einem bestimmten Sinne
zu fassen. Wer hat uns aber gesagt, welcher Sinn mit jenen
Lautreihen verknüpft werden soll? — Niemand; denn das
lässt sich eben Niemandem sagen, der die Sprache nicht schon
versteht. Somit ist deutlich, dass das sprachliche Verstehen
nicht allein von der Kenntniss der Worte und ihrer Bedeutung,
noch von der Kenntniss der syntaktischen Formen und ihrer
Bedeutung abhängig ist. Sonst würden wir nie Sprache ver-
stehen, noch selbständig gebrauchen lernen. Es ist somit
wichtig für das Verständniss des Wesens und
Lebens der Sprache klar zu stellen, welche Fac-
toren und Vorgänge es möglich machen, dass wir
überhaupt Sprache verstehen und zu untersuchen,
in welcher Weise diese Factoren Bedeutung für
die Sprachbildung selbst gewinnen.
64
A. Zweck und Veranlassung des Sprechens.
I.
Wir fragen zuerst nach der Veranlassung und dem
Zweck des Sprechen-s, eine Frage, die schwieriger ist,
als sie auf den ersten Blick erscheinen mag. Jedes Sprechen
hat eine Veranlassung, aber nicht jedes Sprechen auch einen
Zweck. Das zwecklose Sprechen ist der Monolog,
dieser steht mit den unwillkürlichen Reflexlauten wesentlich
auf einer Stufe, also mit dem Husten, dem Räuspern, Niesen,
Schnalzen, Schmatzen, dem hörbarem Athmen, dem Keuchen,
Aechzen, Stöhnen, dem Weinen, Lachen, dem Schmerzensschrei.
Als eigentliche Sprache können diese unarticulierten Naturlaute
nicht gelten , es fehlt ihnen die Gestaltung nach dem festen
Lautsystem der Sprache, obgleich sittliche und ästhetische
Schönheitsrticksichten und die Erziehung auf die Form jener
GefÜhlsausbrtiche wesentlich umgestaltend wirken und so eine
weitere und mannigfachere Gliederung derselben herbeiführen.
Zur Sprache gehören dagegen die Interjectionen o, ach, weh,
na nu, ach Herrje, brr, äks, pfui, ei, Donnerwetter, tarnend,
potztausend, Gott, Christes ne und viele andere. Auch sie
werden zwecklos in gewissen Gefiihlslagen hervorgestossen.
Diese Interjectionen sind nicht blos geformte Naturlaute,
sondern auch vielfach aus Sprachworten hervorgegangen, wie
Gott, Donnerwetter u. a. Die Anrufung Gott und der Fluch
sind eigentlich Gebetsformen, setzen also eine angeredete Per-
son, die Gottheit, voraus und entstammen somit dem zweck-
vollen dialogischen Sprechen. Also auch dialogische
Worte verwachsen so fest mit gewissen Empfindungsvorgängen,
dass sie auch ohne bestimmten Zweck, d. h. unwillkürlich ge-
sprochen werden.
Ja, man sieht zwischen der Interjection und dem syntactisch
ausgebildeten Ausrufssatze einen Wesensunterschied nicht. Rufe
ach wie schön ist das, wie herrlich, grässlich, zu schön sind
sehr vielfach nicht auf einen Hörenden berechnete Sätze, son-
dern unwillkürliche Ausbrüche unserer Empfindung. Die Form
der Sätze mit dem fragenden wie ist aber der dialogischen
65
Rede entlehnt, wo die Frage in der Absieht Antwort zn erhalten
gestellt wird.
Wir constatieren somit den bekannten Uebergang von
willkürlichen zu automatischen Bewegungen (vgl.
Wundt, phys. Psychol. Bd. n 402 flf.) auch für die Sprache,
— begreiflich genug, da Sprache eben Bewegung ist Für
den Hörenden sind diese monologischen Laute und Lautreihen
Zeichen gewisser innerer Vorgänge, die er verstehen muss, da
diese bei ihm so gut wie bei Anderen jene Laute erregen.
Dürften wir das monologische Sprechen, wie es
im Drama verwendet wird, ohne weiteres hierher ziehen, so
würde jener Uebergang noch viel weitgreifender sein, denn die
hier gebräuchlichen Sätze bestehen aus expositioneilen Elemen-
ten, die ursprünglich nur in Bücksicht auf eine angeredete
Person gewählt sind. Die Frage ist interessant und wichtig
wie weit unter der Einwirkung eines starken Aflfectes der Mo-
nolog im wirklichen Menschenleben geht. Ich kann zur Lösung
derselben nur wenig beitragen, doch weise ich darauf hin, dass
bei starker Leidenschaft wohl stets oder doch oft eine Stö-
rung des Situationsbewusstseins eintritt, d. h. dass
sich die Dlusion bildet, als ständen wir irgend einer Person
in Hass oder Liebe, in Schmerz oder Freude, in Furcht oder
Hoflfhung gegenüber. Auch der dramatische Monolog ist viel-
fach deutlich von dieser Illusion getragen, man vergleiche z. B.
den Schlussmonolog im Egmont. Hier redet Egmont zunächst
den Alba an: ^Feindseliger Mann! Du glaubtest nicht mir diese
Wohltthat durch deinen Sohn zu erzeigen'^ u. s. f. Dann ab-
gesehen von den Anreden, , süsser Schlaft ^Du schönes Bild,
das Licht des Tages hat dich verscheucht !\ wendet er sich an
das niederländische Volk ^Schreitet durch! Braves Volk! Die
Siegesgöttin führt dich an!^ Aehnlich unterredet sich Lady
Macbeth mit ihrem Gemahl in dem Monologe Act I Scene 5:
, Glamis und Cawdor bist du, und sollst werden
Was dir verheissen ist! u. s. f.'
Ebenso Banquo IE, 1 *
,Da hast's nun: König, Cawdor, Glamis, Alles,
Nach der Verheissung u. s. f.'
Man wird auch an sich selbst beobachten können, dass
man sich zuweilen so lebhaft in eine Situation des Gesprächs,
5
66
des Zankes, einer Rede, eines Antrages hineinversetzt, dass
man Worte und Sätze so bildet, wie man sie bei dieser Ge-
legenheit etwa sprechen könnte. Allerdings wtisste ich nicht,
dass ich je dabei zu lauten Aeusserungen gekommen wäre. —
Die Möglichkeit ist jedoch bei Entstehung des dramatischen
Dialogs nicht zu vergessen, dass dieses Kunstmittel vielleicht
aus einem Fehlgreifen des Dramatikers hervorgegangen ist,
der gewisse Gedanken seiner Personen dem Hörer mitteilen
musste und diese selbst erzählen liess, ohne zu bemerken, dass
er damit die Grenzen seiner Kunstmittel tiberschritt und in
die epische Situation verfiel. — Auch die Beurteilung vieler
lyrischer Situationen hängt eng mit dieser Frage zu-
sammen, denn die eigentliche Gefiihlslyrik ist Gefühlsausbruch,
der seiner ganzen Situation nach nicht auf eine angeredete
Person berechnet ist. Wenn der lyrische Dichter auch an sein
lesendes Publicum denkt in litterarischen Zeiten wie heute, so
ist dieser Gedanke doch für die lyrische Situation selbst ohne
Bedeutung, trotzdem ein lyrisches Kunstwerk die Expositions-
elemente enthalten muss, aus denen die Stimmung dem Leser
verständlich wird, denn auch die Mitteilung dieser Elemente
muss durchaus zwecklos erscheinen. Also die Frage, in wie-
fern diese Gefiihlslyrik die kunstmässige Ausbildung des natür-
lichen kunstlosen menschlichen Gefühlsausbruchs sei, wird sich
nur aus einer erschöpfenden Behandlung des Umfanges und
des Wesens jenes monologischen Sprechens beantworten lassen.
n.
Erst im Dialog tritt der Zweck und die Absicht
auf, in einer bestimmten Weise auf eine angeredete
Person einzuwirken. Die Lautreihen sind hier also
Sprachmittel.
Die Anschauung, dass der Zweck alles Sprechens die
Mitteilung von Gedanken sei, hat entschieden etwas Wahres,
wenn man diese Definition auf den Dialog beschränkt, aber
sie ist zu weit. Warum teilen wir Gedanken mit und welche?
Die Definition ist auch zu eng, denn alle Willensbeeinflussung
in der Sprache, wie Imperativ, Bitte, Aufforderung, erscheinen
67
uns doch nicht als Gedankenmitteilnng. Ferner ist durchaus
nicht immer das wirklich Mitgeteilte der Zweck nnseres
Sprechens.
Der Zweck unseres Sprechens ist stets der, den
Willen oder die Erkenntniss einer Person so zu be-
einflussen, wie es dem Sprechenden als wertvoll er-
scheint So soll im Imperativ und Wunsche der Wille des
Angeredeten zum Handeln bestimmt werden, in der Frage zur
Aufklärung über eine dem Sprechenden wertvolle Vorstellungs-
gruppe. Das geforderte Handeln und die geforderte Antwort
ist so wenig immer Selbstzweck, wie die Speise, die wir for-
dern; vielmehr ist beides häufig Mittel eines höheren Zwecks.
So enthält der Imperativsatz überlege mal, ob — , denk dir mod — ,
recognosce mecum — , iam intelleges, die rhetorische Frage, die
Frage, welche im Deutschen den Bedingungssatz vertritt, nicht
den Zweck der sprachlichen Aeusserung, sondern sie ist nur
eine Hilfe, ein Mittel. Zum Teil sind diese Sätze in ihrer
untergeordneten Bedeutung für den Zweck sehr deutlieh da-
durch gekennzeichnet, dass sie für das Sprachgefühl Neben-
sätze geworden sind.
Die Zecke ordnen sich wie die Wertgefühle zu
einem unendlich abgestuften System; es beginnt die
Welt der Werte mit der elementaren sinnlichen Lusterregnng,
durchläuft die grosse Reihe der höheren Lustempfindungen bis
zur reinsten Lust, der inneren ethischen Befriedigung. Jene
Welt der Werte schliesst in sich das Lustgefühl der gestillten
Neugier und das stolze Glück, das uns bei der Lösung eines
hohen wissenschaftlichen Problems erfüllt.
Diese Werte sind die Zwecke der sprachlichen Mittel, mit
diesen sucht der Sprechende den Willen des Angeredeten zur
Befriedigung entweder seines eigenen selbstischen Begehrens
zu beeinflussen oder ihn selbstlos zur sittlichen Handlung zu
bestimmen, oder ihm durch Rat und Lehre die Güter des
Lebens zu erschliessen. Mit diesen sucht er ebensowohl in
eigensinniger Rechthaberei den Hörenden zu seiner Ansicht zu
tiberreden als den Unerzogenen und weniger Gebildeten zu
einer menschenwürdigen Erkenntniss zu führen und ihn von
den Idealen seiner eigenen Weltanschauung zu überzeugen. —
Die weitere Ausführung dieser Zwecke gehört der Ethik aa.
5*
68
Auch das leichte Geplauder oder die steife Pflichterfüllung
der Unterhaltung, — sie sind stets von dem Zweck bestimmt,
ein Wertvolles zu realisiren, mag nun der Sprechende Inter-
esse für die eigenen [Interessen zu erregen, oder liebe Er-
innerungen aufzufrischen suchen, oder mag es ihm darum zu
thun sein seinen Geist glänzen zu lassen und Bewunderung
zu ernten, oder der Etiquette zu gentigen und der Missachtung
der Gesellschaft zu entgehen.
All die Zwecke des Sprechenden lassen sich in zwei
grosse Klassen teilen, die selbst wider ethisch und psy-
chisch untereinander verknüpft sind: 1. Sympathie oder
Interesse für die eigenen Zustände und Wertur-
teile zu erregen, und 2. Sympathie und Interesse
für fremde Zustände und Werturteile zu zeigen.
Die erste Kategorie schliesst die selbstischen, die zweite
Kategorie die selbstlosen Zwecke in sich. Es ist unmittelbar
deutlich, wie ein selbstischer Zweck zum Mittel eines
selbstlosen Zweckes werden kann und umgekehrt, denn
alle untergeordneten Zwecke sind Mittel der höheren Zwecke.
So kann der Gelderwerb das Mittel zur Wohlthätigkeit und
Humanität werden, wie bei H. Franke, und die Unterstützung
eines Hilfsbedürftigen das Mittel zum eigenen Emporkommen.
Ebenso können die Formen der selbstischen Zwecke Mittel zu
selbstlosen Zwecken sein, wie der Befehl und die Forderung
Mittel der Erziehung sind, und umgekehrt bei der Schmeichelei
das Beweisen der Sympathie für fremde Zustände Mittel zu
selbstischen Zwecken.
So wenig die Gesellschaft bestehen kann, wenn ihre Glie-
der von rein selbstischen Zwecken beherscht werden, ebenso
wenig die auf der Gesellschaft ruhende Sprache; denn die
Sympathie ist die fundamentalste Voraussetzung
alles Sprachverständnisses. Keine Mutter würde das
Weinen des Kindes als eine Aufforderung verstehen, ihm zu
helfen. Niemand würde das weinerlich gesprochene ßutterbrod,
meine Stiefeln, wovon oben die Rede war, als Imperativ fassen.
Niemand würde die Hinweisung auf einen Gegenstand der An-
schauung als eine Aufforderung verstehen, den Menschen oder
das Tier, das Haus oder den Raum anzusehen. Ja Niemand
würde überhaupt einem Sprechenden nur zuhören oder den
69
Pantominen eines Stummen mit dem Auge folgen, wenn dieser
elementare ethische Zug im Mensehen fehlte.
Die Wichtigkeit der Sympathie fttr die grundlegendste
aller menschlichen Thätigkeit die Sprache ist ein starker Be-
weis, dass der Mensch im Zusammenleben mit dem Neben-
menschen notwendig zur Ausbildung des sympathischen Triebes
und damit zur Ausbildung der Grundlage aller Sittlichkeit ge-
langen muss, eine Entwicklung des Menschen, die in der Ge-
sellschaft sich mit gleicher Sicherheit und Notwendigkeit ein-
stellt als die Entwicklung räumlicher und zeitlicher Anschauung.
Aber ebensowenig wäre Sprachverständniss
möglich, wenn uns der selbstische Trieb fehlte,
wenn wir nicht bei jeder sprachlichen Aeusserung eines Anderen
nach dem Zweck derselben fragten. Wir würden nicht im
Stande sein, in der sprachlichen Aeusserung das Mittel eines
Zweckes zu erkefinen, wenn wir nicht nach unserem eigenen
Muster voraussetzten, dass jeder Mensch gewisse Handlungen
nur dann vornähme, wenn er etwas erreichen wolle.
So veranlasst uns der selbstische Trieb, das Sprechen
eines Andern als zweckvoll anzusehen, die Sympathie dagegen,
auf das Sprechen des Andern zu achten und dasselbe zu
deuten. Der Massstab und das Schema, nach dem Beides
geschieht, sind unsere eigenen inneren Zustände des Begehrens
und der Geftihlserregung. Wir setzen bei dem Sprechenden
unbewusst dieselben psychischen Vorgänge und den gleichen
psychischen Organismus voraus, wie bei uns selbst, und die
sympathische Stimmung ist ja eben der Empfindungszustand,
in den uns die Ausdeutung fremder Zustände nach dem Muster
der eigenen versetzt.
70
B. Die Willensbeeinfiussung.
in.
Verstehen wir jene weinerlichen Ausrufe Butter-
brod, Fläschchen, meine Stiefeln in dem Sinne eines Im-
perativs, so haben wir als Grund des Weinens einen Schmerz-
zustand nach dem Muster unserer eigenen Vorgänge erschlossen,
wir schliessen weiter nach dem Muster unseres Empfindungs-
ablaufs, dass Butterhrod in Beziehung zu dem Schmerzgefühle
stehen muss. Da ein Butterbrod als solches einem Kinde
keinen Schmerz zu machen pflegt, so schliessen wir weiter —
wieder nach eigenem Muster, — da wir auch ein Butterbrod
in der Hand des Kindes nicht sehen, dass dasselbe vermisst,
also begehrt wird. Daraus ergibt sich der weitere Schluss,
dass jenes Schmerzgefühl Hunger sei. Nun*flihlen wir in uns
die ethische Stimme der Sympathie, die uns auffordert den
Leidenden zu helfen, — und damit entsteht die Vorstellung
der Imperativischen Bedeutung jener Sprachform.
Hätte das Kind bei Jenem Ausrufe das Butterbrod in der
Hand, so mtisste der Schluss zu einem ganz verschiedenen
Resultate führen, nemlich zu dem, dass das Kind das Brod
nicht essen wolle. So führt die Andeutung des Schmerzens-
rufes nebst dem Inhalte der Wortvorstellung und der anschau-
lichen Situation zum Verständnisse.
Hätte das Kind das Brod gegessen und riefe in der an-
gegebenen Weise Butterbrod aus, so könnte die Deutung sein
1. noch ein Brod, 2. das Brod habe dem Kinde Schmerzen
gemacht. Hier hat in die Deutung die in der Erinnerung des
Hörenden lebendige Situation eingegriffen. Die Elemente, aus
denen die Deutung gewonnen wird, sind also an sich durch-
aus nicht derart, dass sie den betreffenden Schluss herbei-
führen mtissten.
Ebenso geht es bei der Frage. Wir hören das stau-
nende Tisch, Stuhl, wir sehen das Auge des Sprechenden auf
uns gerichtet und schliessen, dass dieser etwas von uns er-
wartet, wir kennen das Unlustgefühl des Staunens, das aus
dem Unvermögen der Recognition entsteht, oder aus dem Un-
vermögen, eine Verbindung gewisser Vorstellungen zu voll-
71
ziehen, die sich in uns zu verknüpfen snchen. Wir bemessen
bei dem staunenden Ausrufe Stuhl nach unserer Kenntniss von
dem Wissen und den inneren Zuständen des Sprechenden,
ferner nach der Eigentümlichkeit der Situation, ob der Stau-
nende ein Anschauungsbild nicht mit Sicherheit als Stuhl zu
recognoscieren vermag, oder ob er den Stuhl sucht, den er
hier erwartet, oder ob er nicht begreifen kann, wie der Stuhl
in diesen Zusammenhang gekommen ist. Und haben wir dies
Alles erschlossen, so fühlen wir dem UnlustgefÜhle des Spre-
chenden gegenüber sympathisch die ethische Forderung, ihm
zu helfen und ihm Auskunft zu geben.
Die sympathische Forderung, Hilfe zu bringen fühlen wir
auch dann den Leiden eines Anderen gegenüber, wenn dieser
nicht zu sprachlichen Mitteln greift. Mittel wird aber Alles
das, dessen Wirksamkeit wir an uns erfahren haben
und eben nur das; Mittel werden nicht erfunden,
sondern entdeckt. Haben wir die sympathische Wirkung
der Leidensäusserungen eines Anderen, z.B. das Weinen auf
uns erfahren, so werden uns diese Aeusserungen geeignet er-
scheinen, mit ihnen gleiche sympathische Wirkungen bei An-
deren zu erzielen. So werden die zwecklosen monologi-
schen Aeusserungen und alle sonstigen Reflexäusserungen,
deren Wirkung wir an uns erfahren haben, zu Mitteln für
unsere Zwecke. Darum weint das Kind, sobald es die
Wirkung seiner Tränen an der Mutter erfahren hat, um den
Willen der Mutter zu bestimmen. Man gewöhnt daher dem
Kinde das Weinen nur ab, wenn man die bezweckte Wirkung
nicht eintreten lässt.
So stellt sich ein doppelter Uebergang vom mono-
logischen und dialogischen Sprechen heraus: Die zweck-
losen Aeusserungen werden durch die Wirkung, die man an
ihnen beobachtet, zu zweckvollen Aeusserungen und durch die
Mechanisierung der Bewegung wandeln sich die zweckvollen
Aeusserungen wieder zu zwecklosen monologischen Lautaus-
brüchen. Durch diesen Process erhält der Dialog lautliche
Zeichen aus der Masse der Reflexlaute, und die Reflexlaute
werden mehr und mehr in das System der durch den Dialog
geschaffenen Laut- und Wortbildung eingegliedert. Somit sind
auch die Empfindungslaute und Empfindungstöne des sprechen-
72
den Menschen darchans nicht als reine Natnrlante anzusehen,
ja selbst die Satzmelodie nicht. Denn die melodische Tonfolge
innerhalb eines Wortes und der Sätze ist z. B. in den ver-
schiedenen deutschen Dialecten sehr verschieden, daher kommt
es, dass der Pommer dem Thüringer nachsagt, er singe und
umgekehrt der Thüringer dem Pommer. Niemand hört eben
mehr die Melodie, die er selbst singt, um so schärfer dagegen
die anderer Sprachgemeinschaften. — Auch der lautlose Hin-
weis mit der Hand und die Bichtung der Augen sind zunächst
zwecklos, aber auch sie werden infolge ihrer Wirksamkeit zum
zweckvollen Mittel.
Man begreift leicht nach dem Gesagten, wie eine Vocabel,
ein Wort, das bisher unbekannt war, aber durch die übrigen
Elemente, aus denen wir unser Verständniss der Rede schöpfen,
erschlossen wird, — wie ein solches Wort in dieser Verbindung
allmählich als wirksames Mittel empfunden werden muss, wie
es seine Bedeutung und seinen Inhalt allmählich aus dem
Ensemble von Elementen gewinnt, die den Hörenden zu jenen
Schlüssen zwingen, welche wir Sprachverständniss nennen. —
Doch ich deute diesen Vorgang nur an, da ich nicht vorhabe
an jenen Primitivstufen des Worteriemens die Untersuchung
zu ftlhren, sondern an den entwickelten Stufen, wo dem Hören-
den und Sprechenden der Vocabelschatz der Sprache schon
bekannt und geläufig ist. Aber darauf möchte ich an
dieser Stelle doch hinweisen, dass die Worte zunächst
nicht als Lautgefässe mit bestimmtem Inhalte
erlernt werden, sondern alsMittel zu bestimmten
Zwecken. Was wir also Inhalt der Worte zu nennen pflegen,
ist die abgeblasste Abstraction, bei der die Verwendung der
Worte zu den verschiedensten Zwecken den Charakter des
Mittels dem Worte allmählich abstreift; dieser Charakter bleibt
nur den Worten, welche stets ein und derselben oder doch nur
wenigen Functionen dienen, nemlich den Worten mit einseitig
formaler Function wie den Conjunctionen, Partikeln, Pronomi-
nibus und Präpositionen. Ebenso würde es mit Butterbrod,
Fläschchen, meine Stiefeln gegangen sein, wenn diese Worte
nur dem Zwecke in der Sprache dienten, den Hunger zu stillen
oder die blossen Füsse zu bekleiden.
73
IV.
Eg kann nnn scheinen, dass die oben durch Zergliedernng
und Analyse gewonnenen ethischen und psychischen That-
sachen allerdings bei den ersten Schritten des Verstehens und
Sprechens von Bedeutung gewesen sind, aber sehr bald ihre
Wirksamkeit verlieren. Das wäre ein Irrtum, dieselben Factoren
bleiben stets im Sprachleben wirksam. Allerdings empfinden
wir bei der herkömmlichen Imperativform des Verbs und den
grammatisch festgewordenen Formen der Frage nichts mehr
von diesen ziemlich complicierten Schlüssen. Aber es ist ein
allgemeines psychisches Gesetz, dass compli-
cierte Schlussreihen durch Häufigkeit und Ge-
wöhnung schliesslich so schnell ablaufen, dass
das Bewusstsein für die einzelnen Schlüsse voll-
ständig verloren geht und die Schlusscomponenten erst
durch reflectierte Analyse widergefunden werden können. So
ist es bei der Bildung der Raumanschauungen, bei dem Be-
wegungsabläufe des geläufigen Clavierspiels, bei dem Lesen,
bei allen technischen Fertigkeiten gegangen. Bei dem Kinde
müssen daher jene Schlüsse langsamer und behinderter sich
vollziehen als bei dem Erwachsenen, und das ist thatsächlich
der Fall.
Ebenso allgemein gültig ist das Gesetz, dass
ursprünglich spontane und bewusste Mittel all-
mählich automatisch und unbewusst verwendet
werden. Wie daher der Sprechende schliesslich, wenn ihm
der Zweck bewusst ist, ohne Ueberlegung, rein mechanisch zu
Imperativ- und Frageformen greift, so muss das Mittel ebenso
mechanisch bei dem sprechfertigen Hörer den Zweck in das
Bewusstsein rufen. Und diese Mechanisierung von Sprach-
mitteln ist ebenso notwendige Voraussetzung für die Ausbildung
der Sprache zu ihren höheren und höchsten Aufgaben, wie die
Mechanisierung der technischen Zweckbewegungen bei dem
Handwerker und Künstler erst das vollkommene Gelingen ihrer
Kunstthätigkeit garantiert, — die Mechanisierung der Muskel-
thätigkeit beim Gehen und den schwierigen Leistungen des
Seiltänzers und Kunstreiters erst Sicherheit und volle Selbst-
bestimmung mit sich bringt
74
Sprachformen , die in einer Sprachgemeinschaft automa-
tische, mechanische Mittel ihres Zwecke geworden sind, rufen
bei dem Hörenden nur diesen Zweck in das Bewusstein, man
kann sie daher von dem Standpunkte des Sprach-
verstehens auch congruente Sprachzeichen nennen,
— congruent insofern, als der durch sie wirklich bewusst ge-
machte Vorstellungsinhalt gleich ist dem Vorstellungsinhalte,
den sie bewusst machen sollen.
Die indogeraminische Imperativform war natür-
lich nicht von vorn herein mechanisiert, die II. Person Singu-
laris war der reine Stamm, und so lange die eigentliche Verbal-
flexion fehlte, wurden diese Stämme auch in allen anderen
syntactischen Verbindungen verwendet, so haben sie sich in
den späteren Sprachstufen erhalten für den Vocativ des Singu-
lares, ferner in den ersten Bestandteilen vieler Compositionen
wie parricida, [avÖQoxrovoq^ Wohnhaus u. a., also der eigent-
lich echten indogermanischen Composition, wo sie dieselbe
Function wie der limitative Genetiv versehen. Auf der vor-
flexivischen Stufe der indogermanischen Sprache war daher in
jedem einzelnen Falle ein Schluss notwendig, um die für den
besonderen Fall beabsichtigte Bedeutung des Stammes d. h.
seine Function zu verstehen.
Die modernen Sprachen haben in der Frage nicht
von vorn herein eine besondere Wortstellung gehabt, und auch
jetzt ist die fragende Wortstellung nicht den Fragesätzen allein
eigentümlich, dieselbe Stellung ist im eingeschobenen Satze ge-
bräuchlich. Also die Bestimmung des syntaktischen Zweckes
ist noch bis heute nur durch Schlüsse möglich, wenn diese auch
sehr schnell ablaufen mögen. — Die griechischen Fragen
mit ovxovv, aga, äg^ ov, äg ovv zeigen deutlich die Form der
Schlussfolgerung, ebenso äga fiij, ficov, ficov ov, ficov (ir] (vergl.
Madvig, Synt. d. gr. Spr. 199, b) ; das Grundschema für diese
Verwendungsweise ist bei den Formen mit ov ein Satz wie:
also er ist nicht gekommen, für die Formen mit ^rj : behüte dass
er gekommen ist. Ich gehe hier nicht auf die Frage ein, in
wiefern die genannten Verbindungen alle als deckende Frage-
einleitungen angesehen werden können und ob nicht das ety-
mologische Bewusstsein bei der einen oder anderen Verbindung
gewahrt ist. Klargestellt ist diese Sache noch nicht. — Nun
75
derartige folgerade Behauptnngssätze im Verwunderungstone
gesprochen dienen ja auch im Deutschen häufig zur Frage,
nur ist bei uns diese Form nicht wie im Griechischen mecha-
nisiert, — ist Griechisch die Form mit ovxovv doch auch in
Fällen im Gebrauch, wo der Sprechende in der Situation eine
Veranlassung zu einem derartigen Schlüsse nicht finden konnte
(vgl Kühner gi\ Gr. die Abschnitte § 587, 10 ff.).
Die Mechanisierung des Sprachmittels ist eben der Grund
dass die gewählte Form nicht mehr nacli ihrer Grundbedeutung
verstanden wird, sondern nur in ihrer Function für den Zweck
es ist dies die Verdunklung des etymologischen Be-
wusstseins.
Jene griechische Frageform enthält also ursprünglich ausser
dem Vei-wunderungstone keinen Hinweis auf die Forderung um
Auskunft, sie ist nichts als verwundernde Behauptung; ebenso
steht es in den Fragesätzen mit //9y == behüte, oder hoffentlich
ist das yiicht der Fall. Die Mechanisierung wird hier deutlich
bewiesen durch die Verwendung des ^r/ in einem indicativischen
Hauptsatze. Die Forderung einer Auskunft wird vom Hörenden
nur aus der Unsicherheit erschlossen, womit der Sprechende
seine Behauptng aufstellt. — Auch die lateinischen Fragesätze
mit -ne und num sind negative Behauptungssätze dieser Art,
wie die Bedeutung von ne in ne-que, ne-cessarius u. s. f., femer
die Bedeutung num in num-quam neben um-quam beweist, —
aber mechanisierte Behauptssätze.
• Doch der verwundernde Behauptungssatz ist nicht immer
mechanisiert, er lebt daneben frei in der Sprache, allerdings
verwendet er nicht jenes -ne und num, diese Wörtchen fristen
nur noch in den mechanisierten Verwendungen ihr Dasein.
Auch der Verwunderungston selbst kann als me-
chanisiertes Sprachmittel bezeichnet werden. Auch er
kann durch Worte ersetzt werden, die in freier Weise den
Mangel an Verständniss ausdrücken. Statt verwundert zu
sagen : hier fehlt ein Stuhl, könnten wir auch sagen : hier fehlt
ein Stuhl, das versiehe ich nicht, oder ich verstehe nicht, dass
hier ein Stuhl fehlt, — Der Verwunderungston deutet das Un-
lustgeftihl des Nichtverstehens an und wirkt dadurch auf die
Sympathie des Hörenden. Der Satz: das verstehe ich nicht
referiert die Thatsache des Verständnissmangels und lässt
76
darans das Unlnstgeflihl erschliessen ; es kann somit gleich-
falls als Aufforderung Auskunft zu geben aufgefasst werden,
natürlich nicht notwendig, sondern bei bestimmten Situationen.
Man darf somit sagen: Bevor die Sprache durch
Gewöhnung mechanisierte Mittel gewonnen hat,
lässt sich Frage nur durch verwunderte Mittei-
lung bezeichnen. — Wir unterscheiden nun zwei Kate-
gorien der Frage: 1. die Bestätigungsfrage, z. B-
ist A fortgegangen? — , bei der der Sprechende Auskunft ver-
langt, ob eine Vermutung von ihm richtig ist und diese be-
stätigt wissen möchte, 2. die Ergänzungsfrage, z. B.
wer hat das gethan ?, wen hast du gesehen ?, wie, wo, warum u. s. f
Hier wird nach einem im Vorstellungszusammenhange unbe-
kannten Gliede gefragt, während die Thatsache selbst sicher
und bekannt ist.
Für diese zweite Klasse haben die indogermanischen Spra-
chen bestimmte Pronomina entwickelt, die sowohl inter-
rogative als indefinite Bedeutung haben; griech. rlq;
jtovj jtot, jtoöog, jtotog etc. und ionisch die Formen mit k;
lat. quis, qui, ubi (aus cubi), unde {cunde), quo u. s. f ; deutsch:
ahd. hwer, nhd. wer, was, wo, wie, warum u. s. f. — Auch diese
Fragen sind aus dem Behauptungssatze im Verwunderungstone
hervorgegangen; so bedeutete quis (rig, wer) fecit? eigentlich:
irgend einer hat es gethan, der Hörende fühlte sich durch eine
derartige Behauptung in der oben angegebenen Weise zur Be-
antwortung veranlasst.
Natürlich ist auch heute diese Form der Ergänzungsfrage
lebendig. So kann der Suchende sagen: irgendwo habe ich
das Buch hingelegt, und da jenes Indefinitum irgendwo, irgend,
wer u. s. f selbst wieder mechanisiertes Mittel zum Ausdruck
der Unkenntniss ist, so kann dafür gesagt werden: ich kenne
den Mann nicht, der das gethan hat, und auch dieser Ausdruck
wird unter bestimmten Verhältnissen als Frage gefasst werden.
V.
Da wir stets von Neuem die Beobachtung machen, dass
gewisse Aeusserungen uns in einer bestimmten Weise beein-
flussen, und wieder absichtslose Aeusserungen unsererseits für
77
andere wirksam sind, so müssen stets neue Spraehmittel
geschaffen werden, und da die Wirksamkeit sich stets nach
gleichen psychisch -ethischen Gesetzen richtet, so müssen die
neu geschaffenen Mittel sets nach gleichen Gesetzen ge-
bildet sein.
Das eigentliche Beobachtungsfeld für die Wirksam-
keit der Sprachmittel ist daher die freie ausführende Dar-
stellung, nicht die mechanisierten syntactischen For-
men, in denen die Reihe der Schlüsse verkürzt ist. Die syn-
tactischen Mechanisierungen werden wie Petrefacten erst aus
der frei ausführenden Rede verständlich.
Der Sympathie erregende Schmerzton des Imperativs kann
wie bei der Frage durch die thatsächliche Mitteilung des
Schmerzes ersetzt werden; wer zum Arzte kommt, sagt: mir
thut der Arm weh, das Auge schmerzt ?nich, und glaubt damit
den Arzt zur Hilfeleistung aufgefordert zu haben, und dieser
versteht ihn in diesem Sinne. Um zu trinken oder zu essen
erhalten, sagt das Kind: ich bin so hungrig, ich habe Durst;
das Kind, das zu Bette gebracht sein will, klagt: ich bin so
müde. Also die blosse Erregung des Mitgefühls durch Angabe
des Leidens dient zur Imperativischen Willensbeeinflussung.
Aus dem Schmerzausdrucke musste zunächst der Wunsch
oder Wille des Leidenden erschlossen werden, um Imperativisch
zu wirken, die thatsächliche Angabe, was unser Wille oder
Wunsch sei, muss natürlich gleichfalls Imperativisch wirken.
So treten wir in den Buchladen und sagen: ich wünsche den
Lessing, ich möchte den Goethe, ich hätte gern einen Atlas u. s. f.,
— und der Buchhändler empfindet bei dieser Mitteilung des
Begehrens die Aufforderung, das betreffende Buch zu geben,
er antwortet vielleicht sogar: zu Befehl, Der Römer gebraucht
die Form hoc factum volo für einen , gemessenen Befehl.' —
Deutlich ist vdeder aus den angeführten Beispielen, welche
Wichtigkeit der Voraussetzung eines bestimmten Zweckes oder
einer Absicht des Sprechenden für das Verständniss hat. Würde
nicht vom Buchhändler angenommen, dass der Redende mit
seiner Mitteilung bei ihm etwas erreichen wolle, so wäre die
Deutung als Imperativ erschwert.
Der Wunsch oder Wille wird erregt durch die Anschauug
oder Vorstellung eines Gutes oder von etwas Wertvollen. Kin-
78
der, die Knchen auf dem Tische sehen, wollen ihn haben;
dem Gourmand läuft bei Erwähnung von Austern und Cham-
pagner das Wasser im Munde zusammen. In den meisten
Fällen wird es daher genügen, einem Angeredeten gegenüber
einen wertvollen Gegenstand zu nennen oder als wertvoll zu
bezeichnen, um seinen Willen zu erregen. Sieht das Kind Je-
manden Kuchen essen und sagt: ja Kuchen schmeckt schön
oder Kuchen ist mein Liblingsessen u. a., so erschliesst der Hörer
daraus, dass er vom Kuchen abgeben solle. Denn eine Ab-
sicht muss das Kind mit den Worten verbinden, diese ist von
dem Kuchen etwas zu erhalten, und da der Hörende die Er-
füllbarkeit dieses Wunsches in seiner Hand hat, so werden
die Worte als Willensanforderung empfunden.
Zum Willen kann ja nur der Wunsch werden, dessen Er-
füllbarkeit wir glauben einzusehen, nach der geschilderten Si-
tuation muss das Kind also die Realisierbarkeit des Wunsches
als abhängung vom Willen des Hörenden ansehen. Man nennt
derartige Willensbeeinflussungen Winke mit dem Zaun-
pfahle, d. h. Winke, die ein Missverständniss nicht zulassen.
Die Möglichkeit des Verständnisses derselben beweist die
wichtige psychische Thatsache, dass wir allgemein
gehaltene Sprachäusserungen, die das Generelle zu
einem einzelnen in der Anschauung oder dem Be-
wusstsein gegebenen Falle enthalten, auf diese so
beziehen, als sei nicht der Satz allgemein, sondern vom
concreten Falle gesprochen. Es wird also der allgemeine
Satz durch die concrete Anschauung selbst zu einer concreten
Vorstellungsgruppe ergänzt. Im Wesentlichen ist diese That-
sache der gleich, welche wir bei der Namengebung und Prä-
dicierung besprachen, wo z. B. Mensch, Schrank von einem gegen-
wärtigen Anschauungsbilde oder in der Erinnerung enthaltenen
individuellen Erinnerungsbilde trotz der generellen Bedeutung
dem Individualbilde als congruent empfunden wurde. Nur
handelte es sich dort um ein Prädicat, hier um einen ganzen
Satz.
Derselbe Vorgang ist häufig bei sittlichen Mahnungen in
allgemeinen Sätzen, die sich der Hörende anziehen soll, diese
Sätze werden als Prädicate der eigenen ethischen Zustände
empfunden und müssen darum individuell erscheinen. Sagen
7»
wir z. B. einem Unzufriedenen gegenüber: nur der Zufriedene
ist glücklich, so empfindet der Unzufriedene die Aussage als
eine Beurteilung seiner Unfriedenlieit. Dasselbe geschieht beim
Sticheln, — und in der Ironie werden sogar aus dem Bewusst-
sein oder der Anschauung die sprachlich gegebenen Vorstel-
lungen in ihr Gegenteil umgedeutet.
Es bedarf einer besonderen Ausführung nicht, dass die-
selben Verhältnisse, die bei der positiven Willensbeeinflussung
hervorgetreten sind, sich auch bei der negativen zeigen, bei der
Prohibition. Ein neues Moment liegt nur darin, dass der
Sprechende bei der Prohibition jedesmal die Voraussetzung
haben muss, der Angeredete beabsichtige oder wünsche etwas
Bestimmtes zu thun, und diese vorausgesetzte und beflirchtete
Handlung will der Sprechende eben abwehren.
Es ist bekannt, wie in diesem Falle ein blosses Abwinken
mit der Hand, — offenbar ein abgekürzter und mechanisierter
Gestus die Annäherung von etwas Ueblem abzuwehren, —
femer wie der drohend ©der warnend erhobene Finger, oder
ein 7iicht, nicht doch genügt. Die Beziehung der Abwehr auf
die im Bewusstsein vorhandene Willensregung oder eine Hand-
lung, bei deren Ausführung wir begriffen sind, ist ja einfach,
aber die richtige Deutung braucht damit noch nicht gewonnen
zu sein. Es reicht z. B. der Diener bei Tische Speisen herum,
die Wirtin macht eine abwehrende Bewegung, da kann je nach
den Umständen darunter gemeint sein : nicht herujnr eichen oder
nicht den betreffenden Personen präsentieren, oder nicht von der
Seite, oder nicht in der Form u. a. m. Versteht der Angeredete
den Wink richtig, so kann das Verständniss nur durch die
Ueberlegung gewonnen werden: was kann unter den obwal-
tenden Umständen verboten sein ? Der Schluss lässt sich also
nur gewinnen aus der Vergleichung des thatsächlichen Vor-
ganges mit dem Bewusstsein des Pflichtgemässen oder dem
Normalgefühl flir das Correcte. Aber der Schluss ist nie
zwingend, nur möglich. Somit richtet sich also das
Verständniss sprachlicher Aeusserung nach der mög-
lichen Beziehbarkeit von Vorstellungen auf einander,
— ein wichtiges psychisches Gesetz.
Der Wink und die prohitive Negation sind mechanisierte
Mittel, die freien Sprachmittel, welche diesem Zwecke dienen,
80
beruhen auf denselben seelischen Vorgängen wie die Mittel des
Befehls.
Zu den Mitteln der Willensbeeinflussung gehört auch Dro-
hung und Versprechen. Auch hier muss der Hörende die
Absicht der Beeinflussung erst erschliessen. Man sagt: es
wird dir schlecht gehn, wenn du das thust, du erhältst Schläge,
wenn — . Dieser Satz ist zunächst ganz allgemeiner Art, er
bedeutet: in Jedem Falle, wenn du das thust, erhältst du Schläge
dieser allgemeine Satz muss also erst vom Hörenden auf seine
besondere Absicht bezogen werden. Es ist auch nicht gesagt,
von wem der Angeredete die Schläge erhalten wird, das Alles
wird durch die Beziehung des allgemeinen Satzes auf den be-
sonderen Fall hineingedeutet. Bei mechanisierten Formen der
Drohung, in denen Aposiopese häufig ist, wird gar nicht mehr
empfunden, dass der Sprechende allgemein spricht, z. B. wehe
dir, wenn du das thust; na, wenn du das thust, thust du das!
Der drohende Ton, der sehr viele Abstufungen in der Inten-
sität und Schärfe hat, erleichtert das Verständniss.
Ebenso muss das Versprechen erst erschlossen werden,
z. B. einen Gulden für ein Glas Wasser, ein Königreich für ein
Pferd! — Nicht missverständlich ist die Drohung: sieh dir mal
die Peitsche an, oder kennst du die Rute? Hier wird eben nur
die Vorstellung eines Uebels in die Seele gerufen, die Ver-
bindung derselben mit der Absicht dieses Bewusstmachens er-
schliesst der Hörende selbst, heute wie in der Urzeit der Sprache.
Darum gentigt es, die Peitsche zu zeigen, oder auf die Rute
am Spiegel hinzuweisen, oder zu sagen: Für artige Kinder habe
ich etwas Schönes,
Es lassen sich noch andere Formen der Willensbeein-
flussung anführen, wie die Frage als Anfrage z.B. beim
Kaufinanne, ob er diese oder jene Waare führe; auch aus
dieser Anfrage wird sofort die Absicht, die Waare zu kaufen,
erschlossen, denn es muss die Kenntniss dieser Thatsache für
den Fragenden einen Wert haben, der Kaufmann erschliesst
daher nach dem ihm nächstliegen Vorstellungscomplex : der
Fragende will die Waare kaufen. Dies ist nur eine von den
möglichen Deutungen, denn der Statistiker kann dieselbe Frage
zu ganz andern Zwecken stellen.
81
Besonders häufig ist die Frage warum nichts z. B. warum
gehst du nicht und lateinisch ist die entsprechende Frageform
mit quin ganz mechanisiert. Seine etymologisch berechtigte
Construction hat diese Frage behalten mit dem Indicativ quin
conscendimics eguos, doch wenn auch gesagt wird quin conscen-
dite, quin conscendamus, so ist eine Construction eingetreten, die
zwar für den gesammten Zweck des Ausdrucks, also für die
Function der ganzen Frage angemessen ist, doch nicht fbr ihre
etymologische Form.
Da auch die festen Sprachformen der Willensbeeinflussung
auf solchen möglichen Deutungen beruhen, so müssen sie in
der Zeit ihres freien Gebrauchs, also bevor sie mechanisiert
wurden, auch andere Deutungen zugelassen haben, doch sobald
sie mechanisch wirkend werden, erscheint ihre Bedeutung als
notwendig gegeben, sie sind ihrem Zwecke congruent geworden.
Auch die künstlerisch gestaltete Volksrede verfolgt
den Zweck eine Anzahl von Individuen zu einer bestimmten
Handlung zu bewegen, oder von einem bestimmten Vorhaben
abzubringen, oder beides zugleich, z. B. Ciceros Rede de im-
perio Cn. Pompei. Also auch sie ist eine Imperativische
resp. prohibitive Sprachform der Willensbeeinflussung.
Die gerichtliche Rede sucht die Richter zur Freisprechung oder
Verurteilung zu bewegen, der Prediger oder Paränetiker den
Hörer zu einer bestimmten Weise des religiösen und sittlichen
Handelns zu bestimmen, also lauter Willensbeeinflussungen
durch sprachliche Mittel. Und allen diesen Rednern stehen
keine anderen Mittel zur Verfügung als die, welche sich auch
beim Imperativ oder dem Prohibitiv gezeigt haben.
Auch sie müssen selbstverständlich die mechanisierten
Mittel der Willensbeeinflussung benutzen, daneben aber im aus-
gedehntesten Masse die freien Sprachmittel. Sie suchen daher
die Sympathie flir die Person der Angeklagten zu erregen, es
werden die Leidenszustände desselben in der sehr wirksamen
miseratio ausführlich dargelegt, das Gefühl für das Leiden
und das Unglück der Mitmenschen wird auch in der politi-
schen und moralischen Rede ein Mittel sein, den Hörer zur
Hülfe dagegen zu veranlassen. Es wird das geforderte Han-
deln als ein Gut, als wertvoll dargestellt, umgekehrt als Uebel
das Gegenteil. Der Weg, der beschritten werden soll, wird als
6
82
möglich und leicht ausführbar geschildert, im Gegenteil der
Weg, von dem der Redner abrät.
Es sind also genau dieselben Gesichtspunkte, die wir bei
den Imperativformen fanden, nur sind hier die Mittel gehäuft,
denn der Hörende soll tiberredet werden, es sind die einzelnen
psychischen Gänge und Reihen nicht zusammengedrängt, son-
dern auseinandergelegt. Somit ist die Rede ein Imperativ^
in dem genau das Gegenteil vorliegt von der Mechanisierung
der Sprachmittel im syntactischen Imperativ, die Mittel selbst
sind jedoch aus derselben Quelle geschöpft. Wir können diese
Form die zerlegende nennen, die festen syntactischen
Formen aber die verdichteten oder conprimierten. In
diesen wird nur noch das Resultat des Vorstellungsablaufes
empfunden, dessen einzelne Teile bei der ersten Form zur
deutlichen und wirksamen Empfindung kommen. Darum er-
scheint uns der Inhalt der zerlegenden Form viel reicher als
der der verdichteten, und darum ist das Stilgefühl für beide
Formen ein ganz verschiedenes. Denn die Unterschiede
des Stilgefühls sind bedingt durch die Zahl und Qua-
lität der Empfindungen, aus denen uns der sprach-
liche Zweck einer redenden Person bewusst wird.
Je häufiger eine Sprachgenossenschaft die Veranlassung
hat, den Willen zu beeinflussen, um so grösser muss die Zahl
der mechanisierten Mittel werden, denn häufiger Gebrauch
mechanisiert. Je schwieriger und mannigfaltiger die Verhält-
nisse sind, unter denen diese Beeinflussung statt findet, um so
mehr wächst das Bedürfniss nach neuen und frischen Bildungen,
welche den psychisch-ethischen Vorstellungsverlauf unverkürzt
in das Bewusstsein treten lassen ; und damit wächst der Reich-
tum der Sprache an stilistischen Nuancen. Und je häufiger
der Hörer grössere Vorstellungsreihen, die auf einen Zweck
zielen, in sich hat producieren und auf den einen Zweck be-
ziehen müssen, um so grösser wird die Fähigkeit, grössere
Sprachmassen zu beherrschen. Characteristisch ist hierfür das
Beispiel der Spartaner, die behaupteten, am Ende einer atti-
schen Rede vergessen zu haben, was am Anfange gesagt sei.
Der Zusammenhang von Grammatik, Rhetorik und
Stilistik ist hiermit angedeutet.
m
C. Die Substanz und der Satz.
VI.
Knüpfen wir an eine Mhere AnsfUhrung an, nemlich an
die Thatsache, dass alle Benennungen von Dingen und Per-
sonen durch Prädiciemng einer Handlung oder Eigenschaft
von ihnen geschieht, wie dens der Essende war und die Be-
deutung Zah7i annahm. Offenbar ist aber eine solche Prädicats-
bezeichnung einer Definition nicht gleich und nur eine Definition
sollte im Stande sein, ein Ding oder eine Person mit voller
Klarheit in das Bewusstsein zu rufen. An einer anderen Stelle
ist gezeigt, dass das Prädieat durch Mechanisierung, wie wir
jetzt sagen werden, also durch den häufigen Gebrauch seinem
Subjecte congruent werden kann. Doch die Thatsache erfordert
noch eine genauere Ausführung.
Wir sind in der glücklichen Lage, einzelne Substantiv-
bildungen genauer zu verstehen; es sind dies die substan-
tivierten Adjectiva, z.B. der Adlige, der Bürgerliche, der
Schwarze, der Neger, der Rote (politisch) u. a. Hier ist
deutlich, dass das Adjectivum die Qualität bezeichnet,
der Artikel die Substanz. Die Substanzbezeichnung ent-
hält die Hinweisung auf eine Person männlichen Geschlechts,
sie ist nicht verschieden von dem Ausdruck der Mensch. Das
ganze Substantiv der Schwarze ist aber nicht gleich einer jeden
schwarzen Person männlichen Geschlechts, man denkt noch
ausserdem mit: von afrikanischer Race, mit gewissen geistigen
und physischen Qualitäten. Die Bezeichnung ist generell wie
jede sprachliche Benennung, sie weist auf eine bestimmt aus
der Gesammtmenschheit ausgesonderte Klasse hin. Haben alle
Individuen einer Sprachgemeinschafi; diese Klasse ausgesondert,
und ist für diese der Ausdruck der Schwarze das allgemein
verständliche Zeichen, so muss eine Gewöhnung, also eine Me-
chanisierung vorausgegangen sein, und bei der Mechanisierung
werden auch die erschlossenen Vorstellungen im Inhalte der
Bezeichnung mitgedacht sein.
Daneben haben wir ganz gleiche Bildungen, die durch
den Gebrauch nicht mechanisiert sind z. B. der Gute, d. h. der
6*
84
Mensch, dessen einzig unterscheidendes Merkmal die Sittlichkeit
ist, dCLs Schöne, das Grüne, das Warme, d. h. Alles was schön,
grün, warm ist. Hier wird zu der angegebenen Eigenschaft
ein anderes Merkmal nicht mitgedacht, wie dies bei der
Schwarze, der Neger, der Rote, ebenso bei honum das Gut, in-
signe das Abzeichen geschieht. Die mitgedachten Merk-
male können nur durch Ergänzung in den Inhalt der
Bezeichnung aufgenommen werden. Ergänzung aber
kann nur aus den Vorstellungen erfolgen, welche den
höchsten Grad der Associierbarkeit besitzen. Wir sahen
oben, dass diesen Vorzug der Associierbarkeit 1. die in der An-
schauung gegebenen, 2. die in der Erinnerung enthaltenen Vor-
stellungen besitzen, welche eben oder vor kurzem bewusst ge-
wesen sind; dazu kommen 3. die in der Situation des Bewusst-
seins enthaltenen Vorstellungen. Aus diesen muss daher die
Ergänzung geschöpft sein. Und diese Ergänzung bleibt not-
wendig für jeden einzelnen Fall, wenn das Wort auch in
anderer Bedeutung möglich ist, und das wird bei den meisten
Worten der Fall sein. So kann der Schwarze auch vom
Schornsteinfeger oder dem Teufel oder einem schwarzgeklei-
deten Manne gesagt sein. Welche Bedeutung gemeint sei, soll
der Zusammenhang ergeben, sagt man, d. h. eben jene Vor-
stellungen der Anschauung und Erinnerung, welche das grösste
Associationsvermögen besitzen.
Ohne Bedenken wird daher der Schwarze vom Africaner
verstanden, wenn vor dem Sprechenden und Hörenden ein
solcher steht, durch Ergänzung aus der Anschauung.
Ebenso sicher wird die Bezeichnung auf den Neger bezogen,
wenn wir ein Kapitel lesen, dessen Ueberschrift lautet : Africa^
und dessen Anfang heisst: die Schwarzen sind ein kräftiger und
bildsamer Stamm. Hier also haben wir die Ergänzung aus
der Erinnerung an das Land Africa gezogen. Ohne irgend
einen derartigen Hinweis, dass Africa und der Schwarze ver-
bunden werden sollen, schliessen wir es aus der Möglichkeit
Africa und der Schwarze auf einander zu beziehen.
Diese Art der Ergänzung ist für das zusammenhängende
Sprechen von grösster Wichtigkeit. Africa ist logisch das Sub-
ject, weil die Exposition, zu die Schwarzen^ und doch wäre es
unmöglich beide Begriffe grammatisch als Subjeet und Prädicat
85
zu verbinden. In der Verbindung würde es etwa heissen: die
Schwarzen in Africa, Und doch ist logisch das angegebene
Verhältniss vorhanden, weil es uns möglich, ja notwendig ist,
bei der Landesvorstellung die Vorstellung der Bewohner mit-
zuempfinden. Genau genommen ist also die bei Africa mit-
gedachte Vorstellungsgruppe ^ewöÄwer Africas logisches Subject.
So werden also fest an eine bezeichnete Gruppe as'so-
ciierte Vorstellungen, trotzdem sie nicht selbst be-
nannt sind, wirksame Factoren fttr Sprachverständniss
und Sprachbildung.
Diese Thatsache ist zu wichtig, als dass.ich ganz an ihr
vorüberginge. Wir sagen z. B. das Feuer im Ofen brennt nicht,
wir denken, in diesem Falle als Subject nicht die erwärmende
Flamme, sondern meinen, das im Ofen vorhandene Brenn-
material steht nicht im Brand, an sich ist jener Ausdruck Wider-
spruch in sich selbst, — durch die an Feuer associierten
Gruppen wie Brennmaterial, Holz, Kohlen erhält die Verbindung
einen guten Sinn. Ebenso ungenau ist der Ausdruck die
Lampe anzünden, gemeint und verstanden wird die associierte
Gruppe der Docht; den Cicero lesen, mitgedacht sind die Schrif-
ten, die ganze Stadt trauert natürlich die Bewohner ; eine Tasse
trinken, ein Glas Eis essen, einen Teller Suppe essen. Sagen
wir ein Haus vergolden, so meinen wir nur die Teile, wo so
etwas zu geschehen pflegt ; dagegen ist das Mittaghrod, Abend-
hrod nicht blos das Brod, was mir zu dieser Zeit essen, ge-
meint sind auch die übrigen Speisen; laden wir zu einer Tasse
Thee ein, so weiss der Eingeladene genau, dass ausserdem
noch manches andere gereicht wird. Bei puppis denkt der
Römer das ganze Schiff mit, wie bei Kiel, Steuer. Wir sehen
also, dass die poetischen Formen des pars pro toto und totum
pro parte mit der Thatsache zusammenhängen, dass wir die be-
kannten Gruppen nie einzeln, sondern in Verbindung
mit einer Reihe associierter Gruppen denken.
Diese Andeutungen mögen genügen, um die Wichtigkeit
dieser Vorstellungscomplicationen flir das Sprach-
verständniss darzuthun. Wir kehren zu der abgebrochenen
Gedankenreihe zurück.
Ich erinnere weiter an die oben behandelte Thatsache;
habe ich von Rom gesprochen, so wird der nachfolgende Satz :
86
die Stadt lag am Tiber sieher von Rom verstanden, und die
Genasbezeiehnnng ergänzt sieh aus der Erinnerung an die
Individaalvorstellung Rom. Das ist nur möglieh, wenn ich die
nene Bezeichnung Stadt als Prädicat auf die vorherbezeichnete
Vorstellung beziehe. -— In dem Beispiele : Cäsar wurde an den
Iden des März ermordert, er war in die Curie gegangen, ist er
ein Prädicat zu dem in der Erinnerung vorhandenen Cäsar.
Diese Beziehung auf den Cäsar würde auch gemacht werden,
wenn der zweite Satz begönne : dieser Mann, selbst dann, wenn
ausser dem Sprechenden und Hörenden noch ein Mann in der
Anschauung gegenwärtig wäre.
Und doch mtisste der Ausdruck notwendig auf die gegen-
wärtige dritte Person bezogen werden, wenn nicht Cäsar vor-
her erwähnt wäre. So prävaliert also ein Moment der Er-
innerung vor einem Momente der gegenwärtigen Anschauung.
— Warum ? — Weil der Sprechende von Cäsar eine Mitteilung
macht, diese muss einen Wert für ihn haben, so schliessen wir,
also wird die mit dem Wertgeflihle verknüpfte Person bei ihm
im Vordergrunde des Bewusstseins stehen. — Ohne diese Be-
ziehung und die daraus folgende Ergänzung wären wir nicht
im Stande, zwei Sätze in ihrem Zusammenhange zu verstehen.
Doch diese Beziehung, das ist festzuhalten, ist nichts
weiter als eine zwar nicht ausgesprochene, aber mit-
gedachte Prädicierung des zweiten Ausdrucks vom
ersten, also z.B. der Schwarzen von Africa.
VII.
Eine dritte Art der Ergänzung erfolgt erst nach-
träglich, also durch nachfolgende Correctur oder Li-
mitation einer zuerst allgemein und ungenau bezeich-
neten Vorstellungsgruppe. Wir hören den Satz: die
Schwarzen wohnen in Africa. Die mehrdeutige Bezeichnung
die Schwarzen wird durch den Zusatz wohnen in Africa ein-
deutig. Der psychische Process verläuft jedoch so schnell, d. h.
so mechanisch, dass wir uns der Veränderung der zuerst bei
dem Subject vorgestellten Gruppe gar nicht bewussten werden.
Doch man denke sich ganz langsam gesprochen: Die Roten —
87
fiäben — wider — einen Putsch in Paris gemacht^ da empfinden
wir die Spannung und Erwartung, was unter den Rolen zu
verstehen sei. D. h. wir sehen voraus , dass eine bestimmte
Species aller der rot zu nennenden Mensehen vom Sprechenden
gemeint sei, wissen aber nicht welche. Haben wir das Prä-
dicat gehört, und sind wir mit dem politischen Jargon bekannt,
so werden sofort die nötigen Ergänzungen erschlossen, und uns
steht das limitierte Vorstellungsbild vor der Seele. Es ist dies
der Vorgang, den wir in der ersten Abhandlung andeutend
benannten die Exposition des logischen Subjects durc|h
das logische Prädicat. Wir bemerkten oben, dass diese
Exposition da eintritt, wo unter einer Mehrzahl möglicher Be-
deutungen eine bestimmte zu wählen ist.
Folgen wir dem Vorgange noch etwas weiter! — Bei dem
vereinzelten die Roten suchen wir also in unserem Vorstellungs-
schatze nach einer Gruppe, auf die wir den Ausdruck beziehen
können, d. h. von der wir den Ausdruck prädicieren können,
= die und die Klasse von Menschen sind die Roten. Die ge-
suchte Gruppe ist das logische Subject zu dem ausgesprochenen
Prädicate, die Frage unseres Inneren würde formuliert lauten:
was ist das, die Roten? Folgt aber das Prädicat: haben in
Paris einen Putsch gemacht schnell jenem grammatischen Sub-
jecte nach, so werden wir uns weder der Frage noch der ent-
sprechenden Antwort bewusst, weil das Satzverständniss für
uns in Folge der Gewöhnung mechanisch verläuft. Anders,
wenn wir einer kantischen Deduction mit kantischen Termini
zuerst entgegentreten, da fragen wir uns: was ist das transcen-
dental? und besinnen uns darauf, d. h. wir geben uns darauf
Antwort. Doch haben wir uns eingelesen, so fungiert auch
die Transcendenz, die Aesthetik, Aprioriiät u. s. f. mit mechani-
scher Sicherheit. Genau so geht es uns bei dem Auffassen eines
fremdsprachlichen Satzes, wenn uns die Sprache nicht mecha-
nisch geläufig ist.
Wir suchen also nach der Vorstellungsgruppe, die mit dem
Sprachworte zu verbinden ist, und das thun wir, weil der
Sprechende zu uns spricht, also müssen wir uns doch in
imserem Willen angeregt fühlen, die den Worten entsprechenden
Vorstellungsgruppen in uns zu producieren, sonst würden die
Laute des Sprechenden ebenso eindruckslos an uns vorüber-
88
rauschen, wie die Menge von Vorstellungen, welche gleichzeitig
mit ihnen in unsere Seele treten. Somit empfinden wir
die Worte des Sprechenden als Imperativ, und auch der
Sprechende bedient sich der imperativischen Formen, um ge-
hört zu werden, wie: denke dir mal, stelle dir einmal vor, überlege
einmal; — er gebraucht den Vocativ, — ein Imperativ = merke
auf, höre zu. Er gebraucht das Demonstrativum, d. h. ein laut-
liches Zeichen der Aufforderung, einem Gegenstande oder einer
Person die Aufmerksamkeit zuzuwenden; dazu macht er dem
Anschauungsbilde gegenttber den Gestus hinzusehen oder hin-
zuhorchen, z. B. dieses Bild! er lässt darauf vielleicht ein
schön! herrlich! hören. Der Hörende schaut hin, sieht das
Bild und fasst schön als Prädicat zu dieses Bild,
Man denke sich diese Wortfolge mechanisiert, so erhalten
wir den einfachen Satz: dieses Bild (ist) schön. Sehr deutlich
zeigen die romanischen Sprachen, wie die Demonstration ur-
sprünglich ein imperativischer Satz war, der in der mechani-
sierten Rede zum Satzteile wurde. Französisch ce livre est
beau, — ce ist entstanden aus lateinisch ecce oder ecce id,
also zunächst ecce id, liber, bellus est. Und wie verhält sich
ecce und id zu einander ? Jedes ist eigentlich ein selbständiger
Satz für sich = sieh nur mal, dies, also zwei Imperativsätze.
Von dem id wird nun wieder in einem selbständigen Satze
liber als Prädicat ausgesagt, = es ist ein Buch, und von dem
so mit einem Prädicat versehenen Anschauungsbilde wird ein
neues Prädicat ausgesagt = bellus est.
Genau so verfährt der elementare Anschauungsunterricht:
dem Kinde ist ein Bild zur Beschreibung vorgelegt, z. B. ein
Baum. Es wird nun beschrieben: das ist ein Baum, der ist
grün, darauf sind Aepfel, die werden abgenommen ml. s. f. Für
den Erwachsenen, der die graphischen und colorativen Zeichen
des Malers mit mechanischer Sicherheit recognosiert, würde
man kurz sagen: Die Aepfel dieses grünen Baumes rverden ab-
genommen. Die Prädicate sind zu Attributen geworden.
Somit liegt in den sprachlichen Worten und
Zeichen zunächst nichts, was seiner Natur nach
die Substanz ausdrückte, sondern das Wort, an
das wir das sprachliche Verständniss der Sub-
stanz anknüpfen, ist ein Imperativ, der von uns
89
Änfmerksamkeit und Beobachtung fordert, and
diese aufmerksame Beobachtung des Auges oder
Ohres führt ein Anschauungsbild in das Bewusst-
sein, dieses Anschauungsbild ist die Substanz.
Doch dieser psychische Process des Verständ-
nisses verläuft schliesslich so schnell, dass wir
die Factoren nicht mehr empfinden, sondern dass
uns die Demonstration der Anschauung gegenüber
als congruente Substanzbezeichnung erscheint.
Es erschliesst sich so ein wichtiges Problem
der Sprachgeschichte. Man hat längst erkannt, dass
das masculinale und femininale -s im Nominativ Singularis der
indogermanischen Sprachen, z. B. in magnus, ayad-o-g, goth.
fisk-s nichts weiter sei als das Demonstrativum sa, das im
gothischen sa, sd im griechischen 6, i} noch vorliegt. Die Be-
deutung mag der unseres nhd. der entsprochen haben, dyad-og
würde dann also sein = ^m^ der, d.h. gleich dem Satze: der
ist gut.
Das neutrale i in illud oder illut, quod, quid, id, hod-ce
wie es vorliegt in hoc, gothisch thata und griechisch mit Apo-
kope im Auslaut in z6, ö, xovro, exetvo ist gleichfalls ein De-
monstrativstamm, und wie der Artikel des Griechischen und
Gothischen beweist, nicht für das persönlich handelnde Subject
im Gebrauche gewesen, — daher griech. m. f. b, ^ goth. sa, so
aber neutral ro thata. Ein iUud würde also gleichfalls ein
Satz gewesen sein : jenes das d. h. jenes ist das. Das -n der
schwachen deutschen Adjeetiva ist wohl gleichfalls ein demon-
strativer Stamm, der im lateinischen an u. s. f. noch deutlich ist.
Ferner geht ein Teil der Suffixe wie das griechische -ß-sv,
'd-t, 'de, -öS mit Sicherheit auf demonstrative Pronomina zurück.
Also beweist die Sprache in ihrer Bildungsweise, die uns
die mechanisierten Reste alter Sprachstufen erhalten hat, dass
das Wort ein Satz war, dessen bedeutungsvolles
Element, das Prädicat, im Stamme erhalten ist,
dessen Substanz aber in den Endungen durch De-
monstration angedeutet wird. Danach müssen wir auch
schliessen, dass das Adjectivum, welches mit denselben Sub-
stanzzßichen versehen ist, wie das Substantivum, ursprünglich
gleichfalls ein Satz war, der sich zum Substantivum conden-
90
sierte oder comprimierte. Der Uebergang vom Substantiv zum
Adjectiv vollzieht sich dann in derselben Weise wie bei victor
exercitus,
vm.
Nur ein Unterschied besteht zwischen jenen alten
indogermanischen Substantivbildungen wie «r^pcö-
jio-q, und den modernen wie der Gute; in den alten Bil-
dungen folgt der die Substanz andeutende demonstrative Im-
perativ nach, in den jüngeren Bildungen geht er voran. Dies
ist genau derselbe Unterschied, den wir zwischen der Bildung
rid^rj-lii und ich stelle fanden. Die Bildungsweise mit nach-
folgendem logischen Subjecte nannten wir die nachträgliche
Correctur, da erst aus Rücksicht auf die Verständlichkeit für
den Hörenden nachträglich das logische Subject mitgeteilt wird-
Wir finden im Indogermanischen zwei grosse
Klassen von Substanzen unterschieden: 1. die per-
sönliche, 2. die unpersönliche. Die persönliche Sub-
stanz zerfällt wider naturgemäss in eine männliche und
eine weibliche. Somit ist die Empfindung, welche man
bei der persönlichen Substanz hat, ungefähr gleich dem Sub-
stantiv Person, Mensch und die unpersönliche dem Substantiv
Ding, Die persönlichen substantiellen Erscheinungen gliedern
sich allmählich wider nach den verschiedensten Gesichtspunkten
in eine grosse Menge von Klassen und Gruppen, die gleichsam
Unter Substanzen genannt werden können, denn unter dem
rein psychologischen Substanzbegriflf dürfen wir uns nicht den
logisch-metaphysischen qualitätslosen Substanzbegriflf denken,
— so enthält ja die männlich-persönliche und die weiblich-
persönliche Substanz gleichfalls schon eine Menge von Quali-
täten. Die psychologischen Substanzen sind stets
mit Qualitäten gedacht, selbst das ganz unbestimmte
Neutrum z. B. in Fällen, wo wir in der Ferne eine Erscheinung
sehen, die wir noch nicht recognoscieren können, sie ist uns
ein etwas^ wir fragen: was ist das^ also neutral. Qualitäten
hat auch diese Erscheinung wie alle Erscheinungen. Ent-
sprechend sind die Untersubstanzen, also die sprachlichen
Substantiva , Genus- und Specialbezeichnungen , z. B. Mensch,
Mann, Tier, Löwe, Ding, Baum, Haus, Berg u. a.
91
Hat die Sprache auf dem angegebenen Wege
die Substanzbezeiehnung durch Ergänzung ge-
wonnen, also Substantiva durch mechanisierte
Sätze erhalten, so können diese Substantiva selbst
wieder vertretend für die allgemeinste Substafnz-
bezeichnung, durch Demonstration, eintreten, so
wird gebildet neben der Gute, der gute Mensch, das schwarze
Tier, die grosse Stadt u. s. f.
Die Stellung der Substanzbezeichnung hinter
dem Adjectiv scheint sehr alt zu sein, man vergleiche
das Griechische und Deutsche; und dies ist dieselbe Stellung,
welche das Demonstrativ in dyad-og einnimmt. Auch die Ver-
bindung die grosse Stadt hatte ursprünglich die Bedeutung
eines Satzes, gebildet nach dem Schema der nachträglichen
Correctur, das Adjectivum war ursprünglich das Prädicat, das
Substantivum das Subject. Ganz entsprechend verfährt auch
die indogermanische Composition, der substantielle Begriff folgt
nach, der prädicative geht voraus: so in Batmann, Hausthür,
parricida, Edelmann, Grossvafer, magnanimus u. a. Das vorauf-
gehende Prädicat enthält stets die limitative Bestimmung, wo-
durch die nachfolgende Genusbestimmung beschränkt wird, der
erste Bestandteil entspricht der logischen differentia specifica,
der zweite Bestandteil dem logischen genus proximum.
Diese alte Form des Satzbaus, die sich uns auch in der
Apposition zeigte, entspringt dem lebhaften Interesse des Spre-
chenden, das eigentlich Wichtige und Wertvolle auszusprechen
und nimmt auf die Möglichkeit des Verständnisses wenig Rück-
sicht. Je fortgeschrittener und ruhiger das gesammte Denken
und die ethischen Formen des Verkehrs werden, um so mehr
wird die Rücksichtnahme auf den Hörer zunehmen. Es trat
daher im Allgemeinen die bekannte Satzform ein : zuerst Subject
dann Prädicat. Die Wortordnung der alten Verknüpfungsweise
war jedoch mechanisiert, blieb also erhalten, aber man empfand
sie nur noch als congruentes Mittel, eine limitierte, substan-
tielle Gruppe zu bezeichnen, nicht mehr als Mittel zur Bezeich-
nung der sich entwickelnden Vorstellungsreihe eines Satzes,
und in dieser Function, also als attributive Verbindung, hat
sich die Form gehalten.
Selbstverständlich konnte die Mechanisierung auch nach
92
der Feststellung dieser Wortordnnng prädieative Satzverbin-
dungen in derselben Weise wie früher ergreifen, und so ist das
griechische ovrog b avriQ zum Substanzausdruek mit Attribut
mechanisiert, nachdem das Griechische seine Unterscheidung
von^Prädieat und Attribut schon festgesetzt hatte. Der Artikel
beweist in dieser Verbindung wie in der mit tTcelvoq, oöe, jcäq
(ganz, all), dass o ccvjjq Subject, das Pronomen Prädicat war.
Ebenso ist es dem Adjectivum :^oXvg ergangen, das zwar stets
prädicativ gestellt, aber augenscheinlich auch attributiv em-
pfanden wurde.
Ging also die Mechanisierung weiter und ergriff auch Ver-
bindungen des Adjeetivs mit dem Substantiv, die nach der
geregelten Wortstellung prädicativ sein sollten, so konnte diese
Form neben der alten, nach dem Schema der nachträglichen
Correctur, Platz greifen, und beide Arten der Stellung, konnten
neben einander für das Attribut gebraucht werden, so Deutsch
der Ritter gut, Lateinisch die offenbar willkttrliche Stellung des
attributiven Adjeetivs.
Ist die obige Ausführung in ihren Grundzttgen richtig, so
muss das psychische Resultat von einer grösseren
Reihe prädicativer Urteile über eine Substanz, also
z. B. über eine Person, ein Tier oder ein Haus, für den Hörer
stets das sein, dass sich all diese Prädicierungen,
welche ausgedehnte Vorstellungsreihen geben, im Bewusst-
sein zu einem ruhenden Bilde, d.h. zu einer Gruppe
von Vorstellungen comprimieren, in die alle jene Prädi-
cate nun als inhärierende Attribute eingegliedert sind. Und
das ist allerdings der Fall. Man denke sich z. B. wir lesen
die Beschreibung eines Tieres, wir hören die Erzählung von
einer historischen Person, oder die Charakteristik eines poeti-
schen Helden, — was tragen wir am Schlüsse der Leetüre,
am Schlüsse der Mitteilung in unserem Bewusstsein? — Nicht
mehr die sich erst zeitlich vollziehenden Reihen von Prädi-
cierungen, sondern eine feste Gruppe, in der alle Züge, alle
Prädicate als anhaflkende Eigenschaften, also als Attribute auf-
genommen sind. Ebenso geht es bei dem einzelnen Prädicats-
satze z. B. der Mensch ist gut, das psychische Resultat dieser
Reihe für den Hörer ist die Gruppe der gute Mensch. Die
Sprachreihen einer ausführlichen Charakteristik sind jedoch zu
98
lang, als dass sie mechanisiert werden könnten, sehr leicht je-
doch ist dies bei den kleineren Satzreihen, besonders solange
sie einer bestimmten Verbalform entbehren. Diese erregen
dann nnr die Grappe im Be^usstsein und werden als con-
gmente Mittel zum Ausdruck einer mit Attribut versehenen
Substanz empfunden.
Die ganze obige Ausführung basierte auf der Demonstration
eines gegenwärtigen Anschauungsbildes; aber die Substantiva
der Gute, der Schwarze u. s. f. sind auf die gegenwärtige An-
schauung nicht beschränkt. Doch wir sahen am Schluss der
ersten Abhandlung, dass das Erinnerungsbild dieselbe Bedeutung
für die Ergänzung eines Prädicats hat, wie das Anschauungs-
bild. Ist z. B. soeben ein Vogel vorüber geflogen und nicht
mehr sichtbar, oder ist der Vogel eben genannt, so beziehen
wir den Hinweis dieser, der, er mit derselben Sicherheit auf
die Gruppe Vogel, als wäre sie anschaulich gegenwärtig. Wir
sahen an jener Stelle femer, dass auch das feste Bewusstseins-
bild die gleiche Kraft der Ergänzung hat, dies Bewusstseins-
bild konnte individuell und generell sein. Ist das Bewusst-
seinsbild einer grösseren Klasse von Individuen gemeinsam, so
wird es unter so vielen verschiedenen individuellen Verhält-
nissen in das Bewusstsein getreten sein, dass diese sich gegen-
seitig hemmen, und nur das Abstractum im Bewusstsein lebendig
ist; dieses Abstractum ist aber eben das generelle Bewusst-
seinsbild. Sage ich z. B. der Tote so wird bei einer grösseren
Sprachgemeinschaft unmöglich an ein bestimmtes gestorbenes
Individuum gedacht werden, was innerhalb eines kleinen Kreises,
z. B. einer Familie, sehr wohl möglich ist, — sondern an den
toten Menschen überhaupt.
Auch in diesem Falle hat die Demonstration der die Func-
tion Imperativisch den Hörer zu veranlassen ein Bild bewusst
zu machen, hier allerdings ein Bild, das als festes Erinnerungs-
bild in ihm vorhanden ist, aber augenblicklich nicht im Vorder-
grunde seines Bewusstseins lebt. Dies so bewusst gemachte
Bild kann natürlich von dem abstracten Genusbilde nicht ver-
schieden sein. Die Hinweisung selbst kann also nichts Neues
geben, wie der Hinweis auf ein Anschauungsbild, an dem die
individuelle Eigentümlichkeit neu sein kann, diese Hinweisung
allein kann also auch nicht mehr als Frädicat empfunden werden.
94
Der Hinweis auf ein festes Bewusstseinsbild ist mögücli,
insofern diese Gruppe etwas Bekanntes ist, wie der Gute, d. h.
die von allen Hörern ausgesonderte Gruppe mit diesem Namen.
Aber der Hinweis an sich ist nicht im Stande, diese Gruppe
bewusst zu machen, das blosse der ist ausser Stande, die
Gruppe guter Mensch zu reproducieren, wenn sie nicht schon
unmittelbar vorher genannt ist. Bei dem gegenwärtigen An-
schauungs- und Erinnerungsbilde ist diese Möglichkeit aller-
dings vorhanden, wie wir sahen ; denn steht ein Schwarzer vor
uns, so kann der Hinweis der uns dieses Bild in das Bewusst-
sein bringen. Hören wir also ohne Anschauungs- und Er-
innerungsbild der Gute, so denken vnr bei dem Artikel noch
nichts Klares, — Klarheit erhalten wir erst, durch Gute, und
somit muss uns nun Gtite viel vrichtiger erscheinen als das
Pronomen. Dieses lehnt sich daher in unserem Bewusstsein
vorwärts weisend an Gute an, vorwärts weisend offenbar in
dem Sinne, als in uns die Erwartung erregt vdrd, dass dieses
der erklärt oder illustriert werden soll. So wird es verständ-
lich, dass eine Folge von Sätzen der — Gute — ist gestorben
zu einer Einheit vereinigt werden kann auf dem Boden der
Situation des Bewusstseins. Dem Anschauungsbilde wäre dies
kaum möglich gewesen, denn hier hätte das geschaute Bild
selbst die Illustration zu der abgegeben.
Somit wurde also das demonstrative Pronomen auf
dem Boden der Situation des Bewusstseins wegen
seines geringen Illustrationswertes dem nachfolgen-
den Prädicatsworte untergeordnet und das Pronomen
musste proklitisch werden, d. h. sich zum Artikel wan-
deln. Folgte dagegen das Pronomen nach, so musste fttr das
Verständniss das erste Wort die entscheidende Bedeutung haben,
das Pronomen wurde hier enklitisch. So entwickelt
sich also die Betonung der Mensch, des oderV Menschen u. s. f.
und auf der andern Seite avB^Qcajto-g,
Somit ist also die Art, wie wir die sprachliche
Aeusserung verstehen, entscheidend für den Illustra-
tionswert der einzelnen Satzteile und damit für die Stärke
des Tones und. das Tempo, mit dem wir diese Teile aus-
sprechen und damit für die Lautgestaltung des Wortes.
Derselbe Vorgang der Vorlehnung war uns schon bei der Ent-
95
atehung des Relativsatzes entgegengetreten: Caesar venit, —
qui? — Ruhiconem transierat; das ursprünglich fragende Wort
hat gar keinen Illustrationswert, erregt aber die Erwartung auf
eine Illustration, die Folge ist die proklitische Hinlehnung auf
die eigentliche Illustration, d. h. den nachfolgenden Antwort-
satz; ebenso: ich glaube das, — er kömmt, das für die Illu-
stration wertlos gewordene das lehnt sich vor an die Illustration
er kömmt, wir schreiben es in diesem Falle dass.
IX.
Zur Vervollständigung des Gesagten ist es notwendig,
noch eine andere Klasse von Substantivbildungen ins Auge zu
fassen, deren Wesen gleichfalls durchsichtig ist. Die moder-
nen Sprachen können wie die griechische von einem
jeden Worte durch Vorsatz des neutralen Artikels
ein Substantiv bilden: to Jtov, ro (laXa, ro jcoaov, das
Ach, das Klingling, das Pfui, das Wenn, das Aber, das Kommen
u. s. f
Pfui ist Empfindungslaut des Ekels, das Pfui bezeichnet
die Thatsache, dass Pfui gesagt wird, ebenso das Ach die
Thatsache des Achsagens, und es lässt sich sagen: da war
viel Ach uyid Weh. Das Wo, Wenn, Wie, Aber u. s. f bezeichnet
das Wenn, Wo sagen oder die Situation und die Verhältnisse,
unter denen man wo, wie, aber gebraucht. Das Morgen, das
Heute, das Gestern ist die unbestimmte, aber dem Hörenden
bekannte Substanz, von der man morgen, heute, gestern sagen
kann.
Hat Jemand gesagt: höre ich etwas, so werde ich es dir
schreiben, so kann ihm geantwortet werden: höre ich etwas,
das ist ein schlechter Trost. Jemand ist von einem Anderen
mein lieber Freund genannt, er kann ihm antworten : mein lieber
Freund das verbitte ich mir oder das, dein (jenes, dieses) mein
lieber Freund verbitte ich mir, oder ach was ! mein lieber Freund.
Der zuerst den Ausdruck gebraucht hat, erkennt in der Ant-
wort seine eigenen Worte wider und versteht darunter: wenn
du mich mein lieber Freund nennst, so verbitte ich mir das.
So kann eine jede lautliche Aeusserung des Menschen
als Zeichen gewählt werden, um damit an die Situation zu
96
erinnern, nnter der diese Aensserung geschah. Gebrauchen
viele Menschen dieselben Laute unter gewissen Verhältnissen,
so erinnert selbstverständlich jenes Zeichen an die Situation,
in der viele Menschen oder der Mensch überhaupt diese Laute
hören lässt Vielen Menschen gemeinsam sind auch auf den
primitivsten Stufen der Entwicklung die Reflexlaute, wie das
Weinen, das Lachen u. a. Also können diese Beflexlaute das
Mittel werden, die Situation des Lachens, Weinens, Stöhnens,
Aechzens u. s. f. dem Hörenden in das Bewusstsein zu rufen.
Nur muss der Hörende erkennen können, dass diese Re-
flexäusserungen nicht eigene Empfindungsreflexe des Sprechen-
den sind, sondern Zeichen und Mittel zum Ausdruck Air eine
fremde Empfindung. Verstanden kann der Gebrauch der Reflex-
laute als Nachahmung der Laute eines anderen höchstens wer-
den, wenn die übrigen Zeichen fUr den Empfindungszustand
des Sprechenden auf eine ganz andere Empfindung weisen als
der Reflexlaut, z. B. wenn gelacht wird mit gerunzelter Stirn
und feindlichem Auge oder drohender Faust, oder das Weinen
nachgeahmt wird fröhlicher Miene. Auch wenn diese Reflex-
nachahmung mitten im Gespräch eintritt, und dieses selbst
keine Motivierung für einen entsprechenden Stimmungswechsel
bietet, — auch dann wird allenfalls die Nachahmung erkenn-
bar sein.
Doch auch in diesen Fällen wird der Hörer Schwierig-
keiten, sogar grosse Schwierigkeiten finden in dem Lachen
oder Weinen des Sprechenden die Nachahmung eines fremden
Lachens oder Weinens zu erkennen. — Einen sehr bedeutungs-
vollen Wink gibt uns die lebendige Sprache, wie wir uns
die Erkennbarkeit einer Reflexäusserung als Nach-
ahmung zu denken haben: es hat Jemand gerufen ach mein
Gott und ein anderer persifliert diesen Ausdruck, so übertreibt
er absichtlich den AflFectton, mit dem die Worte gesprochen
sind. So suchen sich die Kinder gegenseitig dadurch zu ärgern,
dass sie den AflFectton, das Weinen, die Verwunderung u.a.
von anderen Kindern tibertreiben und unschön nachahmen.
Damit ist eine DiflFerenz zwischen dem Originale und der Nach-
ahmung geschaflfen, aus der vom Hörenden sofort die Verhöhnung
erschlossen wird. Die absichtliche Entstellung der Original-
laute ist hier das Mittel 1. jene Laute als fremde Laute dar-
97
zastellen, 2. ein Urteil über dieselben, also ein Prädieat über
dieselben zum Ausdrneke zu bringen.
Daneben haben wir einen andern Fall: Jemand hat ge-
rufen ach, mein Gott, ein anderer gewantwortet: ja, ach mein
Gott — das kann gar nichts helfen. Der Sprechende wird
meist oder doch oft, wie schon in der ersten Abhandlung er-
wähnt wurde, den Empfindungston, mit dem jener Ausruf ge-
sprochen ist, gar nicht widergeben. So ist, wie wir sahen, der
Ausruf ach als Substantiv ganz ohne Empfindungston, ebenso *
wie das Vaterunser ganz ohne Vocativton.
Femer ist es auch begreiflich genug, dass die Empfindungs-
töne dann nur ungenau wiedergegeben werden, wenn der
Sprechende nicht selbst die entsprechende Empfindung hat,
sondern eine andere, und es ist nichts natttrlicher, als dass in
diesem Falle der nachahmende Empfindungston ersetzt wird
durch den Ton, welcher der lebendigen Empfindung des Spre-
chenden gemäss ist. Wir haben es hier offenbar mit dem Er-
satz einer Empfindungssituation durch eine andere zu thun.
Diese für das Sprachleben äusserst wichtige Erscheinung
bedarf einer kurzen Erläuterung. A freut sich und B berichtet
die Thatsache, da sind also zwei persönliche Gefühls- und
Bewusstseinssituationen vorhanden, von A und von B. Hat A
in der freudigen Stimmung Worte gesprochen, so sind diese
erwachsen auf seiner Empfindungs- und Bewusstseinssituation,
das Referat von B erwächst dagegen auf der seinen. Eine
genaue Wiedergabe jener ersten Situation und der in ihr ge-
thanen Aeusserung wttrde erfordern, dass B sich ganz in die
Situation von A versetzt, was sehr schwierig ist, und eigentlich
auch, dass er genau die specifisch der Individualität von A
entsprechende Form der Aeusserung wiederholte, z. B. die Höhe
der Stimme, das Tempo des Sprechens n. a., und dies ist noch
schwieriger. Die Forderungen an das Referat von B sind also
genau dieselben, die man an einem Schriftsteller stellt, der
eine Handlung durchaus objectiv getreu darstellen will, und
ausserdem an einen Schauspieler, der z. B. eine historische
Person wie Friedrich den Grossen getreu copieren will. Dies
letztere ist überhaupt vollständig nicht möglich, und wie schwer
das erstere ist, beweist der Gang der Litteratur, denn wirklich
und ohne Zuthat der eigenen Individualität die Handlung
7
98
anderer Personen, besonders solcher, die vor uns gelebt haben,
darzustellen gelingt annähernd wohl erst der neuesten Zeit
Frühere Stufen aller Zweige der Litteratur beweisen, dass die
Situation, über welche referiert wird, mit der des Referierenden
vermischt ist. Die homerischen Dichtungen geben ein Bild der
historischen und culturhistorischen Situation, in der sie ent-
standen, nicht der Zeit, in der die erzählten Handlungen spielten,
die Helden und Personen der Lucretiaerzählung in der Kaiser-
Chronik sind Personen des 12. Jahrhundert, die des Nibelungen-
liedes Personen der Grenze des 12. und 13. Jahrb., und so geht
es weiter bis auf die griechischen Helden in Alongeperttcken.
Nicht frei von solchen Anachronismen ist Shakespeare und
Goethe.
Genau derselbe Vorgang liegt uns vor bei der einfachen
Wiedergabe von Sprachäusserungen fremder Personen durch
eine andere Person. An jenen grossen Abweichungen lässt
sich die Differenz nur deutlicher erkennen; doch auch das
Resultat dieser einfachen Wiederholung zeigt deutlieh genug
die Stärke der Entstellung, zu der das Referat führen kann,
dies Resultat ist die indirecte Rede. Diese war natürlich nicht
sofort fertig, sondern ihre Formen entwickeln sich allmählich,
je nach der Stellung der referierenden Person wandeln sieh
die Personenbezeichnungen z. B. die II. Person zur I. oder die
I. zur II. oder HI., die Tempora und Modi verschieben sich.
Durch solche in ihrem Wesen der Lautgebung
gleichen Entstellung kann der Reflexlaut einer Per-
son zum Mittel einer anderen Person werden, die
Lage, Situation und Empfindung anzudeuten, unter
der der Reflexlaut zunächst gebraucht war.
Ein ganz ähnlicher Vorgang zeigt sich bei den sehall
nachahmenden Sprachmitteln. Dass diese in der Sprache
vorhanden sind, ist sicher, in welchem Umfange, wird sieh
schwerlich je feststellen lassen, jedenfalls wollen wir die Frage
nicht untersuchen. So sind schallnachahmend in der Kinder-
sprache ohne Zweifel Muh oder Muhkuh, fVauwau, Haufhauf
oder Haufhund, PUepile, Tucktuck^ es sind Wortbildungen, welche
die Tierlaute nachahmen; dazu kommen eine Menge von Nach-
ahmungen mechanischer Geräusche und Töne, z. B. wohl batzen,
klatschen, bauzen, baffen, knattern u. a. Aber diese Nach-
9Ö
ahmungen verzichten ebenso auf eine genaue Wiedergabe des
Eigentons wie das Sc fmetter enteng fttr den Trompetenton. Also
auch hier hat die Situation des Referierenden, nemlich die
Eigentttmlichkeit seiner Lautorgane, die Situation, unter der
jene (xeräusche und Töne sich bildeten assimiliert Auch diese
Sprachbildungen sind zu blossen Andeutungen geworden.
Ebenso werden auch Sprachwörter, die ein Mensch in
komischer Weise oder übertrieben häufig gebraucht, zu charac-
teristischen Zeichen ftlr diese Person: bekannt ist Jasamirgoti,
Marschall Vorwärts \ ich kenne den Spitznamen Eben und Wie
fttr Personen, welche diese Wörter als Flickwörter gebrauchten.
Somit können alle Ton-, Geräusch- und Lauterscheinungen
an einem lebenden Wesen oder leblosen Gegenstand als Mittel
benutzt werden, i diesen Gegenstand selbst in das Bewusstsein
zu rufen. Bis heute brauchen diese lautlichen Zeichen
keine bestimmte grammatische Form zu haben, um
eine grammatische Function zu versehen. Sie vertreten
Sätze, z. B.: Jemand ist gefallen, wir sagen hauzJ bums!, oder
mit zugeftigtem Erklärungssatze bums, bauz, da liegt er. Nach
dem schon oben besprochenen psychischen Gesetze, dass die
Teile des Satzes, die eigentlich illustrative Apposition waren,
wegen ihrer grösseren Verständlichkeit ftlr den Hörenden, oder
wegen ihres Illustrationswertes, zur Hauptsache werden, —
also nach diesem Gesetze empfindet man jenes bums, bauz bei
da liegt er im wesentlichen als einen die Art bezeichnenden
adverbialen Zusatz. — Aehnlieh im Satze: nun huldrdebuldr bei
dem Zusätze ging es oder nun ging es huldrdebtUdr. Die Ver-
wendung der Worte als Substantiva war anfangs schon mitgeteilt.
Als Mittel die betreffende Situation in das Bewusstsein zu
rufen sind diese Worte die sprachlichen Prädicate der Situation.
Wir dttrfen sagen, dass alle Prädicate Mittel sind eine Situation
anzudeuten oder an dieselbe zu erinnern. Sie müssen zunächst
als Aufforderung empfunden werden die betreffende Situation
vorzustellen oder zu vergegenwärtigen, d. h. als Imperative der
Erinnerung. Somit ist das Sprachmittel für die Sub-
stanz (Pron. demonstr.) der Imperativ oder die Auf^
forderung etwas Gegenwärtiges zu sehen oder zu hören;
das Sprachmittel für das Prädicat die Aufforderung
sich an eine Situation zu erinnern.
100
X.
Der Anschauung gegenüber genttgt offenbar in den meisten
Fällen für die Demonstration der blosse Hinweis mit der Hand
und die Richtung der Augen. Wenn nun auch hierfllr Spraeh-
worte gebraucht werden, die sogenannten Demonstrativa, so ist
klar, dass diese Worte zum Vorgänge des Zeigens und Hin-
weisens genau in demselben Verhältnisse stehen müssen, wie
Wauwau, Pfui u. s. f. zur Situation, an die mit diesen Worten
erinnert werden soll. Also auch die Demonstrativstämme
sind Prädicate von der Situation des Hinweisens, als
Sprachmittel mttssen sie also ursprünglich dazu gedient haben,
die Situation des Hinweisens in die Erinnerung zu rufen. Der
Sinn muss etwa gewesen sein: siehe hin oder hier gibt es
etwas zu sehen.
Damit ergibt sich, dass es ursprünglich in der
Sprache kein Lautmittel gibt eine Substanz zu be-
zeichnen, sondern dass alle Sprachmittel Prädicate,
d. h. Erinnerungsmittel sind, durch die bekannte Si-
tuationen angedeutet werden, — Situationen compli-
cierterArt, in denen leblose Körper, Raumverhältnisse
Personen, Sinnesqualitäten enthalten sind. Durch die
Function dieser Prädicate für einen bestimmten Zweck
werden sie zu Bezeichnungen gewisser Teile oder
Merkmale oder Verhältnisse dieses Situationsbildes.
Die einfachste sprachliche Aeusserung ist ur-
sprünglich ein Imperativ, — der Befehl für den Hö-
renden, sieh an eine Situation zu erinnern, jedes neue
Wort ein neuer Imperativ. Durch die Gewöhnung, Ge-
läufigkeit und Mechanisierung des Verständnissablaufs
werden diese Imperativsätze nicht mehr als Sätze em-
pfunden, sondern nur in ihrem Resultate als Vorstel-
lungsgruppen. Durch den Schluss des Hörenden auf
den Zweck des Sprechenden ordnen sich die zu einer
Reihe gefügten Worte zu einem Satze, in dem die ein-
zelnen Teile für den Zweck einen verschiedenen Wert
h^ben. Solehe Reihen oder Sätze können sich wider
von neuem zu einfachen Sprachworten mechanisieren.
101
Man muss sich vorstellen, dass die Sprache zuerst einzelne
Laute als Prädicate der Anschauung verwandte, — Laute wer-
den mit Lauten verbunden zu neuen Sätzen, diese mechani-
sieren sich wieder zu Wurzeln, — Wurzel von Wurzel prädiciert
mechanisiert sich zum Stamm, — Stamm von Stamm prädiciert
zum flectierten Worte, — Wortsätze wieder zu grösseren Wort-
ganzen, also zu Compositionen. Und wie im einfachen Satze
die Worte, welche ursprünglich ja selbst Sätze waren, sich zum
ganzen Satze und seinem Eradicate verhalten, so verhalten sich
die Sätze einer Periode zum Prädicate der Periode, und die
Perioden wieder in der ausgeftlhrten Bede zum Zweck oder
zur Idee derselben.
Das ist das Bild eines steten Absterbens und einer steten
Neugeburt und Erstarkung der einfachen zellenartigen (Gebilde
zu dem gewaltigen Baum der entwickelten Sprache.
Ehe ich dieses Gebiet verlasse und den Nachweis, dass
das Wort in der Sprache sich aus dem Satze entwickelt hat,
sei es mir gestattet, zum Schluss eine Reihe von sicheren
und durchsichtigen Fällen zusammenzustellen, in denen
die einzelnen Satzcomponenten, die sich zum Worte
mechanisiert haben, noch erkennbar sind.
Latein, quamvis ist zur Partikel geworden, obgleich es ur-
sprünglich ein Satz war = wie sehr du willst^ reine Partikel
muss es sein, wo es den Indicativ bei sich hat, also schon
spätestens bei den Augusteischen Dichtern.
Griecb. sl 61 fiij mit steter Auslassung des Verbs ist dem
Adverbium sonsi gleich.
Griech. ov fi^v dXXa ursprünglich doch dies geschah nicht,
sondern erhält die Bedeutung dem ungeachtet, dennoch, so er-
klärt schon Bäumlein, Partik. 156.
Griech. o/cf ort, öijXov on sind reine Adverbia, z. B. Xen.
Anab. 5, 6, 5 Jigcc/imra fihv ovv ol6* ort JtoXv nXelco i^ofiev,
Griech. aXXwg rs xal heisst einfach besonders.
Lateinisch sine ist eigentlich wenn nicht, als Präposition
mit dem Ablativ zeigt sich der Wortcharakter deutlich.
Latein, quisquis, quicunque sind in der Livianischen Zeit
einfache Pronomina in der Bedeutung jeder, klassisch so in
der Verbindung mit modo und ratione.
102
Latein, forsitan^ forsan nnd aueh einfaches fors heissen
vielleicht.
Latein, ideo ist doch sicher nichts als id eo^ d. h. das ist
darum der Fall,
Franz. peut-itre heisst vielleicht.
Latein, quasi = gleichsam aus der Bedentang me werm^
vgl. wq ore in homerischen Gleichnissen.
Ital. e un anno, un anno fa = vor einem Jahre, Franz. iV-y-a
quelque jours == seit\ Ital. tempo fa = vor kurzem, tre mesi fa
n. 8. f.
Ital. poffare (= puo fare) = der Tausend!
Latein.: Terenz braucht idpropterea = darum vgl. Wölfflin,
Archiv 1, 167.
Latein, scilicet, videlicet, nimirum in der Bedeutung selbst-
verständlich.
Eine Zwischenstufe zwischen der Geltung solcher Sätze
als Hauptsätze und als Worte bildet ihre Verwendung als
Nebensätze. Als Nebensätze schon haben sie eine geringere
Wichtigkeit und Bedeutung för den Hauptgedanken, wie man
sagt, oder besser flir den Zweck des Sprechenden oder für
sein Hauptprädicat. Auch bei etymologisch durchsichtigen
Formen tritt daher volle Mechanisierung ein; d. h. all diese
Ausdrücke lassen schliesslich nur noch den Zweck, dem sie
dienen und ihre auf diesen Zweck zielende Function in das
Bewusstsein treten, nicht mehr ihren ursprünglichen Satzsinn,
aus dem diese Function erschlossen werden musste. Auch in
diesem Sinken zum Nebensatze gibt es Stufen, so wird
der Lateinische imperative oder adhortative Bedingungssatz:
tolle hanc opinionem, sustuleris der Form nach wohl noch als
Hauptsatz empfunden, aber die Function ist der der Nebensätze
mit si gleich, darum stets das Asyndeton. Dagegen empfindet
niemand mehr die deutschen fragenden Bedingungssätze als
Hauptsätze z. B. hast du das gesagt, so wirst du, der logische
Hauptsatz wird daher mit der Nachsatzpartikel so eingeleitet,
und die Fragemelodie ist ganz geschwunden. Der Form der
Hauptsätze nahestehend werden wohl die lateinischen Gon-
cessivsätze im Gonjunctiv empfunden, dagegen sind die pro-
hibitiven Sätze mit ne und fii] z. B. nach den Verbeii des
108
Fttrchtens za reinen Nebensätzen geworden, es kann daher
Griechisch auch der Optativ eintreten, d. h. die Form der in-
directen Rede im Nebensatze. — Sätze, von denen noch die
Bede sein wird, wie beim Beginn einer Erzählung Ein Mann
hatte sein Leben lang gearbeitet, aber nur wenig verdient, da
kam eines Tages, oder entsprechende lateinische Formen z. B.
Horaz. Ep. 1, 7, 29 : Forte per angustam tenuis volpecula rimam
Repserat in cumeram etc. — diese Sätze sind Haupsätze der
Form nach, und doch ist ihre Function die der Nebensätze,
wie das Plusquamperfectum beweist, «= als ein Mann gearbeitet
hatte.
Der logische Sinn, die Function, ist in beiden Sätzen
gleich, verschieden aber die Empfindungen des Hörenden, sein
stilistisches Gefühl, denn je langsamer die ergänzenden Schlüsse
sich vollziehen, um so grösser ist die Summe der bewussten
Vorstellungen, welche dem Hörenden den Zweck des Spre-
chenden vermitteln. Aber durch Mechanisierung kann eben
dieses Geftlhl für den Vorstellungsreichtum schwinden und der
Ausdruck seiner Function congruent erscheinen, wie die Zahl-
Wörter, die eigentlich Substantiva waren, z. B. müle, durch ihre
Function zu Adjectiven wurden, wie B^snXayriv durch seine
Function, die dem iq)oßi^O'riv wesentlich gleich war, die Mög-
lichkeit bot, auch die Construction von q)oß6ta9'ai anzunehmen.
Dieselbe Entwicklung hatte übrigens q)oßetod'ai selbst schon
durchgemacht. So wird das ital. si mit dem activen Verbum
im Sinne unseres man dieser Function in der Volkssprache
immer mehr gleich z. B. in einem Ausdrucke wie quando si e
constretti; so der partitive Genetiv im Romanischen, der die
Functionen des Subject und Object vertritt, das Genitivzeichen
wird hier geradezu als ein Teilungsartikel empfunden.
Die einzelnen Sätze und Perioden in einem grösseren
sprachlichen Ganzen gruppieren sich genau in derselben Weise
wie jene Sätze in kurzen Aeusserungen. Der wichtigste Teil
ist das Prädicat des Ganzen, alle anderen Sätze stufen sich
in ihrer Geltung ab nach dem Grade der Wichtigkeit, die sie
fUr das Prädicat haben. Das Prädicat kann hier sein die
Pointe in einer Anecdote, ein allgemeiner Satz in der Fabel
oder Parabel, eine Thatsache, die erwiesen werden soll, oder
die Idee des Ganzen. Aber die Worte selbst und die sprach-
104
liehe Form ist ausser Stande, auch nur annähernd dieses
Gewiehtsverhältniss der einzelnen Sätze klar zu stellen, das
bei den einfacheren Aeassemngen durch die Formen von Haupt-
satz, Nebensatz und Wort wenigstens annähernd bestimmt wird.
Und je weniger entwickelt eine Sprache ist, um so weniger
Mittel besitzt sie dazu.
Die Ordnung und Gruppierung der einzelnen Glieder in
ihrem Verhältnisse zur Idee des Ganzen muss bis zu einem
Grade immer dem combinierenden und construierenden Ver-
ständnisse des Hörenden überlassen bleiben. In der lebendigen
Bede, also auch bei der Declamation bietet die Betonungsweise
und das Tempo dem Hörenden ein wichtiges Hilfsmittel, auch
die Schrift hat einige Zeichen hierfür erfunden, die Inter-
punction.
So haben wir gesehen, dass der Hauptsatz sich
durch eine Beihe von Stufen mechanisiert zum Neben-
satze und zum Worte.
Das Umgekehrte, dass Nebensätze das Haupt-
prädicat enthalten, ist natürlich nicht ausgeschlossen
und kommt oft genug vor; auch ist es so selten nicht, dass
gewisse Sätze, die der Form nach Nebensätze sind, oft oder
regelmässig das Hauptprädicat bezeichnen, ein sicherer Fall
liegt vor in den Hauptsätzen mit eld's, el yccg, deutsch wenn
doch, offenbar eigentlich conditionale Nebensätze. Auch die
oben erwähnte Drohung wenn du das thusi ist Nebensatz. Auch
diese Sätze werden ihrer Function congruent und erscheinen
uns als Hauptsätze. Aehnlich ist in quamvis dicat der Gon-
junctiv ursprünglich bedingt und untergeordnet dem vis, auch
in licety und doch ist dieses conjunctivische Verbum das bei
weitem Wichtigere geworden, sobald quamvis und licet zu Par-
tikeln herabsanken. So kann also auch das untergeordnete
Element durch Steigerung seines Wertes für das Hauptprädicat
zum übergeordneten Elemente werden und Nebensatz zum
Hauptsatze.
Also Schlüsse aus verhältnissmässig geringen Andeutungen,
mit Bücksicht auf den Zweck des Bedenden, und aus dem
Wertverhältnisse der einzelnen bewusst gemachten Vorstellungs-
reihen vollziehen sich in der Seele des Hörenden, ermöglichen
105
das Verständniss des Gesagten und erfttllen die lallenden An-
dentangen und Zeichen des Sprechenden mit einem Inhalte,
der die Sprache zn den höchsten Aufgaben des geistigen Lebens
beföhigt. Das Mechanisieren jener Schlüsse und das Absterben
der Grundbedeutung, die Wandlung des etymologischen Sinnes
in den fhnctionellen , ein Process, der so häufig thöricht be-
klagt wird, — dieser Process des Sterbens ist der wahre Lebens-
odem der Sprache.
D. Die Handlung.
IX.
Die berühmten Worte des Cäsar: veni, vidi, vici fasst man
ohne Bedenken in den Sinne: zuerst bin ich gekommen, dann
habe ich gesehen und dann gesiegt, also als chronologische
Reihe. Offenbar bietet die syntactische Form der Sätze und
die Art ihrer Verbindung gar keine Veranlassung zu dieser
Auffassung, und jenes ganz gleich gebildete excessit, evasit,
erupit wird nicht als chronologischer Ablauf verstanden, viel-
mehr erscheinen jene drei Verba als Bezeichnungen derselben
Thatsache. In dem Satze: ich blieb zu Hause und las fassen
wir beide Handlungen als gleichzeitig.
Offenbar wird die Ordnung mehrerer Handlungen
untereinander vom Hörenden hergestellt nach dem rea-
len Inhalte, der die Handlungen bezeichnenden Verben;
man fragt, wie sie sich verbinden lassen und verbindet so. Die
Möglichkeit dieser Verbindungsweise wird aus der Erfahrung
erschlossen, welche der Hörende bei den benannten Handlungen
gemacht hat. Also kann die chronologische Ordnung von Hand-
lungen nur dann vom Hörenden hergestellt werden, wenn die
Handlungen in ihrem Inhalte, Verlaufe und ihrer causalen Ver-
bindung bekannt sind, es mttssten denn besondere Anweisungen
vom Sprechenden gegeben werden.
106
Sollen die HandluDgen als aufeinander folgend erschlossen
werden, so verlangen wir im Allgemeinen, dass die frühere
Handlang aneh an früherer Stelle genannt wird, sonst haben
wir das logisch anstössige Gefühl eines Hysteron-Pro-
teron. Die zeitliche Folge der Vorstellungen des Hörenden
entspricht dann im Wesentlichen dem zeitlichen Ablaufe der
realen Handlungen. Die zeitliche Aufeinanderfolge der sprach-
lichen Zeichen ist damit selbst zum Zeichen und Mittel der
Darstellung geworden.
So ausnahmslos ist nun allerdings das Gesetz nicht, dass
aufeinander folgende Handlungsworte einen entsprechenden
realen Ablauf der Handlungen in das Bewusstsein rufen. Häufig
bezeichnen wir eine frühere Handlung, die als Exposition der
Prädicatshandlung dient, parenthetisch erst nachträglich: z. B.
er zog das Kleid aus, er trug einen schönen, dunklen Rock,
Und so verfahren wir in all den Fällen, wo durch nachträg-
liche Correctur zeitliche, causale, concessive Nebensätze ent-
standen sind nach den beiden Mustern:
1. Cäsar überschritt den Ruhico , — der hatte sich ent-
schlossen, — daraus der relativische Nebensatz: der sich ent-
schlossen hatte,
2. Cäsar überschritt den Rubico, — wer war das ? er hatte
sich entschlossen, — daraus der lateinissche Relativsatz mit qui.
Diese Satzverbindungen können zu Nebensätzen nur wer-
den, weil der Hörende 1. bekannte Handlungen ihrer realen
Beziehbarkeit nach ordnet, 2. weil er unterscheidet, welches
die ftir die Mitteilung eigentlich wertvolle Handlung ist, d. h.
das Prädicat der Mitteilung, und welches die nur vorbereitende
expositioneile Handlung. Die Exposition ist nicht Zweck der
Mitteilung, sondern nur dienende Hülfe für das Prädicat, also
diesem untergeordnet.
Der Grund für das Proteron-Hysteron, um diesen
Ausdruck für die geordnete Form der Erzählung zu gebrauchen,
ist ein psychologischer: Wird uns etwas erzählt oder mit-
geteilt, so ist die Gesammtheit der Erzählung das Wertvolle,
nicht der einzelne Satz oder die einzelne Handlung, das volle
Wertgefühl tritt also erst mit dem Schluss der Mitteilung ein.
Offenbar muss bei einer Erzählung von Anfang an die Annahme
bei dem Hörer vorhanden sein, dass ihm etwas Wertvolles
107
mitgeteilt wird und damit aneh die Erwartung oder gar Span-
nung auf die Fortsetzung der Anfangs mitgeteilten Handlung.
Wird uns nun nicht die chronologische Weiterentwicklung ge-
boten, sondern eine frühere Handlung, so tritt Enttäuschung
der oft gespannten Erwartung ein, ein Unlustgefühl, das wir
nur dann ertragen, wenn uns dies Hysteron-Proteron hilft,
den Gesammtverlauf der Handlung zu verstehen, wie es bei
der nachträglichen Exposition der Fall ist.
Aber vollständig beseitigt wird das Unlustgeftthl der ge-
täuschten Erwartung nicht durch die Empfindung, dass uns die
nachträgliche Gorrectur in unserem Verstehen fördert, solange
überhaupt in diesen Firmen das Hysteron-Proteron zum
Bewusstsein kommt. Es lässt sich daher das Bestreben
in der Sprache beobachten, das Hysteron-Proteron,
auch das der Exposition zu beseitigen. So kann man
beobachten, dass die aus nachträglicher Exposition hervor-
gegangenen Sätze in der Periodenbildung mehr und mehr an
den Anfang treten. Ist z. B. der Satz mit quom, cum aus dem
fragenden Adverbium = wann hervorgegangen, so kann diese
Frage nur nach dem übergeordneten Satze ursprünglich ge-
standen haben, z. B. Cäsar Rubiconem transiit. — Quom? (=
wann) — viderat; ebenso bei postquam, quando, ut, ubi, quia.
Und doch ist die gewöhnliche periodische Ordnung dieser
Sätze die, dass der Nebensatz vor dem untergeordneten Satze
steht, offenbar weil sie im allgemeinen Früheres als dieser be-
zeichnen.
In der künstlerisch ausgeführten Erzählung finden
sich gleichfalls die beiden Formen des Proteron-Hysteron
und die des Hysteron-Proteron, die letztere wie in der
Satzperiode nur zur nachträglichen Exposition. In ihrer wider-
wärtigen Uebertreibung wird diese Form des Hysteron-Pro-
teron von Immermann im Münchhausen gegeisselt, die andere
Form erscheint als die correcte und ordnungsmässige Weise
der Erzählung.
Beide Formen flihren zu dem gleichen Resultate des Ver-
ständnisses, aber die Ordnung der Vorstellungen und damit die
Formen der Schlüsse, welche zum Verständniss führen, und
der stilistische Eindruck sind verschieden. Bei dem Hysteron-
Proteron wird langsamer und weniger mechanisch der Zweck
108
der Mitteilnng erschlosseD, diese Form ist daher nnter Um-
ständen pikanter nnd sogar spannender, — spannender nem-
lieh, wenn es dem Schriftsteller dnrch eine expositionslose
Erzählung gelingt, das Interesse des Lesers für eine Person so
zu erregen, dass es diesem wertv^oU erscheint, über die Vor-
geschichte der Person näheren Aufschluss zu erhalten. Diese
Erzählungsform ist in unserer modernen Novellistik sehr häufig;
ich weise auf Storms , Immensee' hin: in dieser Novelle wird
unser Interesse wachgerufen ftir einen Alten und uns nun
dessen Jugenderinnerungen mitgeteilt. Da ist also geradezu
das, was formell als Exposition zu fassen ist, zum Hauptgegen-
stande der Erzählung geworden, zum logischen Prädicate, ebenso
in desselben Dichters Novelle, ,Drttben am Markte.'
So vortrefflich auch Storm zu erzählen weiss, leugnen lässt
sich doch nicht, dass an der Stelle, wo in die frühere Zeit
zurückgegriffen wird, also wo die Erwartung auf eine Fort-
setzung der begonnenen Handlung enttäuscht wird, sich ein
nicht unerhebliches Unlustgefühl einstellt, das erst allmählich
durch die Spannung der neuen Erzählung überwunden wird.
Umgekehrt hat aber die andere ordnungsmässige Form
etwas Naives und Kindliches, auch oft wohl gar Pedantisches,
— sie ist die bekannte Form des Mährchens, das mit seinem
es war einmal ein Mann anhebt. Auch Horazens Vorschrift in
der Ars poetica, nicht ab ovo anzufangen, beweist, dass dem
Stilgefühle des römischen Dichters die ganz plane Erzählungs-
form nicht genehm war. Denn Horaz meinte natürlich unter
seiner Forderung, in medias res zu führen, der Dichter solle
möglichst nahe der eigentlich wertvollen Handlung anfangen,
wie Homer, und alles Frühere erschliessen lassen oder durch
nachträgliche Angaben exponieren.
XIL
Durch die Entwicklung der Tempusformen bietet die
Sprache ohne Zweifel eine wertvolle Beihilfe zur rich-
tigen Construction der zeitlichen Ordnung. Die beiden
alten Sprachen und das Romanische sind dem Deutschen gegen-
über noch im Vorteile, da sie das Imperfectum vom Aorist,
109
Perfectam historicum, Pass6 d^fini unterscheiden. Aber ver-
Btändlich wird ja das Zeitverhältniss auch ohne diese Unter-
scheidung durch die sachliche Construction des Hörenden.
Ebenso wichtig sind die Formen der Nebensätze für die
Leichtigkeit und Sicherheit des temporalen Verständnisses, aber
sie sind erst allmählich aus Hauptsätzen entstanden und haben
sich erst im Laufe der Zeiten innerhalb der Einzelsprachen zu
mechanischen und congruenten Zeitbestimmungen entwickelt.
Also auch ohne sie muss das Verständniss der Zeitverhältnisse
möglich sein.
Die Tempora der indogermanischen Sprachen sind zu-
nächst auch gar nicht Ausdrucksformen fUr die Ordnung der
Handlungen unter einander, sondern Ausdrücke fUr das zeit-
liche Verhältnisse des sprechenden Subjects zu den Hand-
lungen, daher wird bei zwei Handlungen der Vergangenheit,
von denen die erste früher ist als die zweite, z. B. veni, vidi,
die erste nicht durch ein Plusquamperfectum, die zweite durch
einen Aorist bezeichnet, sondern beide durch einen Aorist.
Denn das sprechende Subject steht zu beiden in dem gleichen
zeitlichen Verhältnisse. Das Plusquamperfectum bezeichnet
ein Verhältniss einer vergangenen Handlung oder besser voll-
endeten Handlung zu dem Bewusstsein einer nicht mehr gegen-
wärtigen Person, über welche die gegenwärtige und sprechende
Person referiert Nennen wir die sprechende Person A und
die Handlung B, die Person, über welche referiert wird A p.
(p. = perfectum) und die Handlung, welche in Beziehung zum
Bewusstsein von A p. steht, B p., — so verhält sich A : B =
Ap. :Bp. Ap. und Bp. als die Objecte des Referats von A
sind die indirecte Rede in dem oben besprochenen Sinne und
B ist zu A die directe Rede. Man darf somit das Plusquam-
perfectum die indirecte Referatsform zum Perfectum und das
Imperfectum die indirecte Referatsform zum Präsens nennen.
Vergangene Handlungnn haben als directe Referatsform den
Aorist.
Erst im Nebensatz des Lateinischen, Deutschen und Ro-
manischen wird das Plusquamperfect und Imperfectum zur
Ordnung vergangener Handlungen gebraucht, z. B. als Cäsar
überschritten hatte, zog er. Die Umwandlung der Bedeutung
vollzieht sich so : da die für A p. vollendete Handlung, B p.,
110
die zunächst nnr ein Bevmsstseinsverhaltniss zu A p. bezeiebnet,
mit dem directen Referate im Aorist eng verbunden und diesem
als Nebensatz untergeordnet ist, ao gewinnt sie damit auch zu
A ein Zeitverhältniss und man nennt dies die Yorvollendung
oder das Plusquamperfectum. Diese Entwicklung vollzieht sich
also erst im Nebensatze, nicht im Griechischen, denn hier bleibt
in den Sätzen mit ejcsl, ore u. s. f. der Aorist, wie er auch im
Hauptsatze stehen würde, z. B. 7]X0's xal kvlxijös, beide Hand-
lungen auf A bezogen, und ebenso ijcel tjld-sv, kvlxrjös. Auch
im Lateinischen hat sich diese Ausdrucksform in den Zeit-
sätzen mit Ausnahme von den Sätzen mit cum gehalten, daher
haben ubi, ut, postquam, ubi primum, cum primum u. s. f. den
Indicativ Perfecti , d. h. den Aorist bei sich. Und auch das
deutsche Präteritum in diesen Sätzen, wo die sogenannte genaue
Ausdrucksweise das Plusquamperfect verlangen soll, ist als
Rest dieser Construction anzusehen, z. B. als er kam, setzte
er sich.
Die wiederholenden, iterativen Nebensätze, welche lateinisch
das Plusquamperfect und Perfect fordern, haben griechisch den
Optativ resp. den Conjunctiv mit av^ sind also sicher einmal
als bedingt durch das Bewusstsein des Subjects im Haupt-
satze gefasst; und so wird es auch mit den meist conjnnctivi-
schen Nebensätzen mit cum sein, welche gegen die Regel der
Temporalsätze das Plusquamperfectum fordern. Aehnlich ist
erst allmählich statt des Conjunct. Imperfecti in irrealen Be-
dingungssätzen der Conjunctiv Plusquamperfecti eingetreten,
das griechische Imperfect und der Aorist enthalten das Ur-
sprüngliche , jenes setzt die Handlung in Beziehung zu A p.,
dieser (der Aorist) in Beziehung zu A.
Offenbar also war ursprünglich in den Nebensätzen so
wenig wie für die Hauptsätze ein zur Ordnung der Zeiten ge-
eignetes Tempus vorhanden. Der Gebrauch des Plusquam-
perfects für diesen Zweck muss als ein Fortschritt in der Deut-
lichkeit der Sprachmittel gelten.
Ebensowenig bezeichnet das Futurum eine spätere Stufe
in der Entwicklungsreihe der Handlung, — später als eine vor-
hergenannte, in veni, vidi, vici ist jede nachfolgende Handlung
später als jede vorhergehende und wird doch nicht durch das
Futurum ausgedrückt. Das Futurum bezeichnet die zukünftige
Ill
Zeit von dem gegenwärtigen Bewusstsein einer Person aus,
der redenden Person A, d. h. eine Handlung, die von dieser
Person beabsichtigt und gewollt oder von ihr durch Induction
erschlossen und daher erwartet ist. Z. B. 1. Um 10 Uhr werde
ich zu Hause sein^ weil ich es vorhabe oder will, — 2. es wird
heute regnen^ ein Inductionsschluss, da der Regen als die Folge
bestimmter Bedingungen erscheint, welche jetzt vorhanden
sind. — Es kann nicht auffällig sein, dass die Willensform, der
Conjunctiv, als angemessene Form der Zukunft; überhaupt ver-
wendet wurde, vgl. die futurale Bedeutung des Conjunctivs bei
Homer, das lateinische Futurum der HI. und IV. Conjugation
und wahrscheinlich ist das griechische Futurum mit -ö- Xvom
nichts weiter als ein Conjunctiv Aoristi mit verkürztem Binde-
vocal, es fehlt daher natürlich der Conjunctiv dazu.
Auch innerhalb der zukünftigen Handlungen wird lateinisch
eine chronologische Ordnung durch das Futurum exactum be-
zeichnet, wenn die frühere Handlung durch einen Nebensatz
ausgedrückt wird im Griechischen fehlt wieder ein entsprechen-
der Ausdruck, denn der Conjunctivus Aoristi mit av kann als
solcher nicht gelten, und wenigstens ursprünglich nicht das
Participium Aoristi. Doch wir brechen hier diese Special-
betrachtung ab.
Nur ein Fall ist mir bekannt, wo das Plusquamperfectum
auch im Hauptsatze rein dem Zwecke der chronologischen
Ordnung dient, es ist das schon erwähnte exponierende Plus-
quamperfectum, sowohl der Prädicatshandlung vorgestellt als
nachgestellt. In der Nachstellung z. B. er trug ein Kleid, das
hatte er in A gekaufi\ vorgestellt im Beginne der Erzählung z. B.
Forte per angustam tenuis volpecula rimam
Repserat in cumeram frumenti Hör. ep. 1, 29
und häufig so im Deutschen, ferner das Plusquamperfectum vor
einem Satze mit als^ lat cum c. Indic, dem cum des Nachsatzes
oder cum inversum] z. B. kaum hatte er das gesagt, als die
Thüre aufging. Möglich ist hier das Plusquamperfectum in
der Voranstellung, da dem Hörer bevnisst ist, dass ihm etwas
Wertvolles mitgeteilt werden soll, die Handlung des Plusquam-
perfects setzt er Mher als dieses Wertprädicat und erschliesst
zugleich, dass dieses Wertprädicat ein directes Referat über
112
Vergangenes sein mnss. Wie nahe sieh diese Ansdrneksweise
mit dem Nebensatze berührt, ist oben angedeutet, die Bezeich-
nung der Grammatiker cum inversum oder cum im Nachsatze
beweist deutlieh, dass auch die gröbere Empfindung in der
Handlung des Plusquamperfects den logischen Nebensatz er-
blickt.
Sonst also dient das Tempus des Hauptsatzes dazu, das
Verhältniss der Handlung zur Zeitstufe einer gegenwärtigen
Person zu bestimmen. Ein eigentümliches Mittel verwendete
die indogermanische Sprache im Augment, das im Griechi-
schen und Altindischen vorhanden ist. Hat man recht, was
mir nicht zweifelhaft scheint, dass die vorgesetzte Silbe a, b
eigentlich damals bedeutete, so konnte die Vergangenheit daraus
vom Hörenden erschlossen werden, weil das damals im Gegen-
satz zum Jetzt empfunden wird; doch ein Hinweis auf eine
bestimmte frühere Zeit kann nicht mehr dabei empfunden sein,
als man den Vorsatz als präteritales Zeichen ansah. Aehnlich
sprechen wir im Deutschen von dunnemals oder sagen: das war
damals in dem Sinne von früher^ und das Lateinische olim
kommt doch vermutlich von dem Pronomen ille her.
Wurden nun mehrere präteritale Handlungen hinter ein-
ander genannt, so gentigte es ursprünglich jedenfalls, dies prä-
teritale Zeichen einmal zu setzen, nemlich so lange in dem
Augment die Kraft des präteritalen Hinweises empfunden wurde.
So sagen auch wir: einst zogen die Griechen nach Troja, be-
lagerten die Stadt zehn Jahre und nahmen sie ein, ohne dass
wir bei jeder einzelnen Handlung die Zeitbestimmung einst
wiederholen. So werden überhaupt die expositioneilen Mittel
stets nur einmal gesetzt und dann auf alle folgenden Aeusse-
rungen einer continuierlichen Sprachreihe vom Hörenden be-
zogen. Vergass man, welche Bedeutung dem Augmente inne-
gewohnt hatte, und hatte sich die präteritale Form von der
präsentischen in Endung und Stammformation geschieden, so
wurden somit Formen mit und ohne Augment in gleicher
Bedeutung neben einander gebraucht, ein Zustand wie er
bei Homer und im Sanskrit vorhanden ist, bis entweder
die augmentierte Form (attisch und gemeingriechisch) oder
die augmentlose Form (lateinisch deutsch u. s. f.) sich durch-
setzte.
lis
Das wichtigste Sprachmittel zur Andentung der
chronologischen Ordnung ist also die Ausbildung des
Nebensatzes und im Zusammenhange damit die Um-
gestaltung der Tempusbedeutung, insofern das Tempus
des Nebensatzes ein chronologisches Ordnungsverhältniss nicht
blos zur Zeitlage des sprechenden Subjects, sondern auch zur
Handlung des dem Nebensatze ttbergeordneten Satzes bezeichnet.
Damit gewinnt die Sprache die Vorteile der periodischen
Verknüpfung; aber diese Verknüpfung ist doch nur imstande,
kleine Stücke einer grösseren Erzählung in ein chronologisches
Verhältniss zu einander zu setzen, die Perioden selbst müssen
durch den Hörer erst in ihrem zeitlichen Verhältniss wider
construiert werden, genau so wie die oben besprochenen Haupt-
sätze z. B. veni, vidi, vici.
Doch auch zur Ordnung dieser grösseren Glieder hat die
Sprache Ordnungswörter geschaffen, wie darauf, dann^ nun,
ferner, indessen, unterdes u. a., Lat deinde, tum, autem, interea,
interim y postea u. s. f., im Griechischen überwiegt alle Ver-
knüpfungsformen wie sha, isiBtxa das vieldeutige öL Doch
alle Glieder lassen sich in dieser Weise schwerlich verknüpfen,
oder es geschieht doch wenigstens nicht, denn das Gefühl
der Pedanterie wäre die notwendige Folge. So bleibt noch
immer, auch bei der saubersten Ausbildung der Satzverknüpfung^
dem Hörer und Leser die Construction der chronologischen
Ordnung zum ^guten Teile nach dem Inhalte der Handlung
selbst überlassen.
Und ist denn die Satzverbindung so genau, oder kann sie
in allen Verbindungen so genau sein, dass die zeitlichen Ver-
hältnisse vollkommen bestimmt wären? Sage ich: ais Cäsar
den Ruhico überschritten hatte, drang er in Italien ein, enthält
da die Verknüpfungsform auch nur die geringste Andeutung
darüber, wie lang die Zwischenzeit zwischen beiden Handlungen
zu denken ist? Ich erzähle: Jemand liest und fahre fort: indes
klopfte es an die Thür, da fehlt die Angabe, Tyie lange er ge-
lesen u. s. f. Man mache den Versuch, all den zeitlichen Fra-
gen, die zur genauen zeitlichen Fixierung aufgeworfen werden
können, gerecht zu werden, und man wird auf unüberwindliche
Schwierigkeiten stossen. Der Sprechende gibt genau nur die
chronologischen Momente, welche für die Auffassung des Ge-
8
114
sammtprädieats einen besonderen Wert haben, die anderen
Zeitmomente werden nur ungefähr angegeben, oder man lässt
sie ersehliessen.
xni.
Auch die Yerbindungs- und Beziehungsweise des
Subjects zum Verbum und des Verbums zum Object
muss der Hörer erst construieren, die Worte an sieh
bezeichnen dieselbe nicht Wie ganz verschieden sind die
Beziehungen zu denken z. B. bei den verschiedenen Verbin-
dungen des Wortes haben: er hat ein Haus, ein Buch, eine
Krankheit, Kopfschmerzen, einen scharfen Verstand, schwarzes
Haar u. s. f. oder bei machen : er macht eine Reise, Fehler, einen
Tisch, Sprünge u. s. f.
Die richtige Construction dieser Beziehung ist nur möglich,
wenn der Hörende eine Kenntniss z. B. des Besitzverhältnisses,
des Krankheitszustandes, der geistigen Fähigkeiten eines Men-
schen gewonnen hat. Also aus der Kenntniss des realen Ver-
hältnisses, die wir nicht durch die sprachliche MitteUung, son-
dern durch Erfahrung gewonnen haben, ergänzen wir den wenig
besagenden Ausdruck zu seinem vollen Inhalte.
Auch die Art der Bewegung des handelnden Sub-
jects ist bei jeder Thätigkeit ganz verschieden, z.B.
A isst, A lebt, springt, schlägt, schreibt u. s. f. Und ebenso
verschieden ist die Art, wie das Object von der Thä-
tigkeit betroffen wird z. B. ich sehe den Menschen, ich schlage
ihn, vermahne ihn, nähre ihn u. s. f. Aber alle diese Beziehungen
werden durch je eine grammatische Form bezeichnet, durch
den Nominativ als Subjectscasus und durch den Accusativ, resp.
t)ativ, als Objectscasus, ja beim Passiv ist der Nominativ sogar
Objectsbezeichnung.
Somit bietet die Sprache selbst doch nur ausserordenlüeh
wenig Angaben ttber das Verhältniss der Handlungscomponenteu
zur Handlung ; und gerade diese Beziehungsweisen bilden einen
wesentlichen Teil des Inhaltes der Handlungssätze. Es geht
auch hier wie bei den oben behandelten Schlüssen des Hörenden:
zunächst verlaufen diese Schltlsse langsam, bis die Gewöhnung
sie mechanisiert und bis der Hörende und damit der Spre-
chende glaubt, die durch Schlüsse gewonnenen Ergänzungen
116
seien in den Spraehworten selbst ausgedrfiekt, da die mecha-
nisierten SeUnssreihen die SehweUe des Bewusstseins nicht
mehr überschreiten.
Die sprachliche Bezeichnung einer Handlang mit
Subject und Object ist eine allmählich in der Zeit ab-
laufende Reihe, die also dem Hörer nicht auf einmal
als ein Ganzes vor die Seele gestellt wird, sondern
in einzelnen Teilen. Der Vorgang kann hier ein doppelter
sein: 1. die Handlung ist genannt, also dem Hörer in das
Bewusstsein gerufen, und nun erst nach der Handlungsbezeich-
nung folgt die Angabe von Subject und Object, — 2. zuerst
ist die Subjects- und Objects-Bezeichnung gegeben, dann folgt
die Thätigkeitsbezeichnung.
1. Dare librum fratri deceL
Dari a me librum fratri decei.
Hier tritt zuerst das Geben in das Bewusstsein des Hörers,
d. h. eine Art von Bewegung, welche von einer Person auf eine
andere übergeht und dieser ein Object vermittelt. Offenbar ist
diese Bewegung oder Thätigkeit als solche niemals vorhanden,
gesehen und beobachtet wird sie nur am concreten Falle, wo
eine bestimmte Person einer anderen bestimmten Person einen
bestimmten Gegenstand gibt. Erst durch den bekannten Pro-
cess der unbewussten Abstraction fasst man die einzelnen Be-
wegungsmomente gleichsam als Einheit und die Subjecte und
Objecto als allgemeine Personen, Aber ohne diese Subjecte
und Objecto fehlt der Thätigkeit jede Begrenzung, jede Form,
also müssen sie als die bestimmenden Punkte der Thätigkeit
bei der Vorstellung der Handlung selbst von vornherein mit-
gedacht sein. Daher kann man bei einer Aeusserung: er gibt
das Buch fragen : wem denn, weil man diesen Beziehungspunct
zur Begrenzung notwendig mitdenkt.
Hören wir also dare und verstehen wir die Thätigkeit, so
denken wir von vornherein eine Subjectsperson, eine inter-
essierte Person und ein sächliches Object, aber alle diese Punkte
als unbestimmte, als solche, nach denen wir fragen möchten.
Die Verbindung dieser Punkte ergibt uns die Thätigkeit geben.
Wird uns nun weiter ein Dativ mitgeteilt, so setzen wir diesen
in die Function der unbestimmten interessierten Person, die wir
8*
116
bei geben schon mitdenken mossten, ebenso den Aceusatiy,
ebenso den Nominativ. Das abstracto Bewegongsbild mit seinen
anbestimmten and abstracten constitativen Pankten wird also
nachträglich za einem bestimmten and concreten Bilde erhoben,
d. h. dadurch, dass die unbestimmten Punkte corrigiert und in
bestimmte Punkte umgewandelt werden. Der Vorgang ist also
dem der nachträglichen Correctur gleich, von dem wir oben
gesprochen haben.
Bei der Häufigkeit dieses Vorganges empfinden wir in der
eigenen Muttersprache nur selten noch diesen psychischen Wan-
del, wohl aber bei fremden Sprachen, die uns weniger geläufig
sind. Die Probe jedoch, dass dieser Vorgang auch bei dem
geläufigsten Sprachverstehen statt findet, gibt uns die That-
sache, dass wir in unserer Erwartung getäuscht sind, wenn die
fttr die Construction notwendigen Punkte nicht bezeichnet wer-
den, wir vermissen etwas und wissen genau anzugeben, welchen
Beziehungspunkt So erscheint uns z. B. der Satz : wir geben
dir unvollständig, wir fragen daher: was denn.
2. Frater librum tibi dat.
Das Subject, das Object und die interessierte Person werden
dem Handlungsworte vorausgeschickt — Die Form frater wird
seiner Lautgestalt nach als Subject empftinden , d. h. d^r Hö-
rende denkt: der Bruder handelt oder thut etwas, das un-
bestimmte Object etwas erhält seine Bestimmung durch das
nachfolgende Ubrum, ebenso erweckt der Dativ die Erwartung
einer Handlung, welche im Interesse der genannten Person ge-
schieht Hier ist also vor Allem die Handlung zunächst das
Unbestimmte, aber auch die Art, wie Subject und Object in
Verbindung zu bringen sind, kann nur ganz unbestimmt sein,
wie oben gezeigt wurde, bestimmt wird ja diese Beziehung
erst durch die Qualität der Handlung; sobald nun das Thätig-
keitswort genannt wird, erhalten diese abstracten, unbestimmten
Beziehungen ihre Bestimmtheit Also auch hier wird das un-
bestimmte und ganz abstract gehaltene Bild durch die nach-
folgende Bestimmung corrigiert.
Auch hier gibt uns unser Sprachbewusstsein einen Beweis,
dass dieser Process wirklich vorhanden ist, auch wo er sich
unbewusst vollzieht Würde nach einem Accusativ und Dativ
ein Verbum gesetzt werden, das mit diesen Casus nicht ver-
117
bnnden werden kann, so würde ein starkes Geflihl der ver-
letzten Erwartung eintreten, das wir als Anstoss am Sprach-
fehler bezeichnen, z. B. wttrde Lateinisch auf hoc remedium
aegroto — lUor folgen statt adhibeo, so wären wir enttäuscht,
vnr hätten das Unlns^efUhl des Sprachfehlers.
XIV.
4
Ich denke, es ergibt sich aus der oben gegebenen Analyse,
welchen Wert diese fortschreitende Construction der Handlung
ftir das Sprachleben überhaupt hat Die Erwartung auf
Klärung eines unbestimmten, unklaren Verhältnisses
wird bei dem Hörenden erregt und damit ein Band
geschaffen, wodurch die einzelnen Teile als Glieder
zu einem Satzganzen zusammengefasst werden. Ist
die Erwartung befriedigt, so tritt das Geftthl ein,
dass die Mitteilung vollständig geworden ist.
Nun ist aber der sprechfertige Mensch im Stande, eine
ganze Reihe solcher Erwartungen neben einander zu
hegen. Wenn wir z. B. eine Periode verstehen: als Cäsar, der
Gallien unterworfen hatte, denRvhico überschritten hatte, drang er
in kurzer Zeit bis zum Herzen Italiens vor — , so ist mit den Worten
als Cäsar eine Erwartung erregt, — während diese noch unbe-
friedigt bleibt, mit den Worten der Gallien eine neue Erwartung
wachgerufen und mit unterworfen hatte auch befriedigt, aber
die zuerst erregte Spannung der Erwartung dauert fort und
kommt zum Abschluss zunächst bei den Worten überschritten
hatte, doch damit ist die durch die Form des Nebensatzes er-
regte Erwartung noch nicht zum Abschlüsse gekommen, die
Befriedigung hierfttr bringt erst der Hauptsatz.
Aber vielleicht enthält dieser Hauptsatz noch gar nicht das
eigentlich Wertvolle der Mitteilung, dies wird vielleicht erst
nach hundert oder tausend Perioden gegeben, wie z. B. im
Roman, und die Erwartung einer solchen wertvollen Mitteilung
dauert fort, bis das Wertvolle wirklich mitgeteilt ist So also
bildet die erregte Erwartung das innere Band des Satzes, der
Periode und des sprachliehen Kunstwerkes.
Nicht flectierende Sprachen mtlssen der freien Construction
des Hörers offenbar viel mehr überlassen als die flectierenden
lis
Sprachen, obgleich auch diese manche Unklarheiten nnd Un-
sicherheiten ttbrig lassen, die erst ans dem gesammten Inhalte
der Mitteilung geklärt werden können. So sagt man dentseh
sowohl ich werfe den Stein, als ich werfe den Menschen mit
dem Steine, der sprachliche Ansdruck ist in beiden Fällen ganz
gleich, das zu denkende Verhältniss aber ganz verschieden.
Klarheit gibt in jedem einzelnen Falle nur die Reflexion auf den
Character des Objects und die Absicht oder die Folgen der
Thätigkeii Lateinisch kann castra muntre sowohl heissen ein
befestigtes Lager aufschlagen als em vorhandenes Lager be^-
festigen; wenn Horaz sagt:
Velox amotnum saepe Lucretilem
Mutat Lycaeo (c. 1, 17, 1),
so meint er das umgekehrte Verhältniss als mit den Worten:
nunc mitibus
Mutare quaere trisiia (c. 1, 16).
Hier kann der Hörer Gewissheit nur erbalten, wenn er die
Handlung des munire und mutare mit den anderen voraufgehen-
den und nachfolgenden Handlungen causaliter verbindet
Hört man einer Erzählung oder sonstigen sprachlichen Mit-
teilung zu, so wird man oft die Beobachtung machen, dass
man Worte, schon ehe sie ausgesprochen sind, im Vor-
aus weiss, oder wenigstens mit Sicherheit ein Synonymen
dafür angeben kann. Ja, wenn im Gespräche der Redende
stockt, so wird der Hörende nicht selten ihm einhelfen und
ihm das Wort sagen können, nach dem jener vergeblich sucht
Man denke z. B. es würde erzählt : als ich nach Berlin — , mit
Sicherheit werden wir ein Verbum der Bewegung ergänzen,
wie kommen, fahren, gehen, reisen u. s. f. Der Hörende hat da
also aus dem Terminus ad quem die Thätigkeit der Bewegung
ergänzt Die Leichtigkeit einer solchen Ergänzung wächst
1. in dem Masse, als dem Hörenden die Situation der mit-
zuteilenden Handlung bekannt ist, 2. in dem Masse, als die
Verbindung gewisser Worte isoliert und mechanisiert ist So
wttrde der Römer der klassischen Zeit zu legibus scribundis nur
einen Amtsnamen und in erster Linie decemviri ergänzt haben,
die Worte quod felix fährten die bekannte Ergänzung von
selbst herbei. Instructiv ist in dieser Beziehung die Beobaeh-
119
tnng, wie viel wir beim Sehreiben abkttrzen and andeuten, z. B.
Lai S, p. qu. B., etc., u. s. w. 3. Die Leichtigkeit wäehst in dem
Masse, als bei dem Character nnd der Situation des Subjeetes
die Wahl einer möglichen Handlung eng begrenzt ist: griechisch
jtota/iog ixölöcoat kann nur ein Object haben, das Wasser, —
ruft man einem fahrenden Kutscher halt zu, so kann das Object
nicht zweifelhaft sein, bei dem Reiter kann das Aufsitzen nur
einen Zielpunkt haben.
Ich will hier nicht auf weitere Einzelheiten eingehen, son-
dern nur auf die Thatsache hinweisen, dass aus solchen Fällen,
in denen ein Bestimmungspunkt der Handlung oder diese selbst
mit Notwendigkeit ergänzt wird, gewisse Verktlrzungen
des sprachlichen Ausdrucks hervorgegangen sind. Den
absoluten Gebrauch der Verba transitiva habe ich angedeutet,
ebenso werden sich viele intransitive Verba auf diese Weise
aus transitiven entwickelt haben. Bekannt ist femer, dass
beim lateinischen Ablativus absolutus Passivi das logische Sub-
ject nicht sprachlich bezeichnet wird, sondern zu ergänzen ist :
z. B. Cäsar GaUis victis in Jtaliam rediii. Das ganze Gebiet,
das man so häufig unter dem Namen Ellipse zusammenzufassen
pflegt, erfordert eine sorgfältige Ordnung des Materials im Ein-
zelnen, doch die Principien sind klar und, wie es mir scheint,
hier erschöpfend dargestellt
Wie bei dem Verbum die Beziehungspunkte, handelndes
Subject und leidendes Object mitgedacht werden müssen, so
ist auch bei den substantivischen Bezeichnungen einer Handlung
diese Ergänzung notwendig, z. B. das Sterben, der Tod, das
Leben, der Gang, die Reise, der Schlag, der Wurf, ytQo^ig, exer-
citatio u. s. f. Dies ist in erster Linie bei den Substantivis
actionis und actoris der Fall; die zu diesen tretenden Sub-
jects- wie Objectsergänzungen stehen im Genitiv, und erst der
Zusammenhang, also die Construierbarkeit der Factoren muss
zeigen, in welcher Function das genitivische Nomen zu denken
ist Das unmittelbare Geftthl hat diese Genitive in Parallele
mit dem verbalen Subjecte und Objecto gestellt und sie danach
subjective und objective Genetive genannt Nur ein Schritt
weiter ist es daher, wenn diese Worte als Infinitive und Parti-
cipien wirklich in den Verbalcharacter übertreten und verbale
Construction als Infinitive und Farticipien annehmen. — Auch
120
bei ihnen findet bekanntlich der Uebergang der relativen in
die absolute Bedeutung statt wie beim Verbum.
XV.
Sehen wir einen Menschen graben, als Töpfer beschäftigt,
einen Tisch arbeiten u. s. f., so erblicken wir thatsächUch viel-
leicht nichts weiter, als dass er den Spaten senkt, dass er
Thon knetet, dass er hobelt oder sägt. Und doch sprechen
wir es als unsere durch Wahrnehmung gewonnene Erkenntniss
aus: er gräbt, er macht einen Tisch u. s. f. Wir sondern in der
sinnlichen Wahrnehmung deutlich vielleich jeden Spatenstich,
jeden Hobelzug, jede Drehung der Töpferscheibe, — wissen
wir aber die Thätigkeit zu erklären, so bezeichnen vnr nicht
eine Vielheit von Bewegungen, sondern einzelne Handlungen,
als zusammenfassende G^sammtheit jener einzelnen Bewegungen.
Ganz anders, wenn wir die Thätigkeit nicht verstehen,
dann sagen wir: er dreht immerzu eine Scheibe, sticht in den
Boden u. s. f. Worin anders besteht aber dies Yerständniss als
in dem Bevnisstsein des Zweckes, den der thätige Mensch bei
seiner Thätigkeit verfolgt? Handlungen erkennen und
verstehen wir also erst durch den Zweck der Thätig-
keit, so dass diese zum Zwecke der ersteren wird. Der
Zweck ist somit das Band, durch das wir eine Folge
von Bewegungen zu einer Einheit zusammenschliessen.
Auch das Hobeln, das Stechen, das Drehen ist eine Hand-
lung, da gewisse Mittel und Bewegungen angewandt werden
mttssen, um das betreffende Ziel zu erreichen. Ja das Ziel
kann diese Bewegung selbst sein, doch man nimmt bei der
menschlichen Thätigkeit vernünftige Zwecke an, d. h. solche,
die wir als wertvoll ftlr den egoistischen oder sittlichen Men-
schen ansehen können. Einen solchen Zweck kann die Be-
wegung an sich nur unter ganz besonderen Umständen haben.
Darum wird man eine zwecklose, wenn auch zielvollendete Be-
wegung im Allgemeinen nicht zu den Handlungen rechnen,
wie z. B. das zwecklose Stechen, Schlagen, Springen, Schwim-
men, Laufen, Gehen u. s. f. Bei diesen Bewegungen wird man
stets nach einem ausserhalb derselben liegenden Zwecke fragen,
d. h. man wird sie als blosse Mittel ansehen.
121
Diese Anflfassmig hat offenbar in der Mechanisierung der
Thätigkeit ihren Grund, man ftthlt selbst nicht mehr, dass das
Gehen ein Ziel ist, zu dem gewisse Mittel in Bewegung gesetzt
werden müssen. Man könnte solche Thätigkeiten oder Hand-
lungen also mechanisierte Handlungen nennen, die sich
automatisch yoUziehen, und die keine Spur einer spontanen,
zweckbewussten Willensthätigkeit mehr in sich tragen.
Es ist sprachlich von der grössten Wichtigkeit, dass wir
solche Thätigkeiten aussondern, 1. sie bilden die Bausteine,
aus denen sprachlich die complicierten Handlungen
zusammengesetzt werden, 2. sie führen dazu, dass wir
zwei Arten von Subjecten unterscheiden, a) spontane,
absichtlieh und zweckbewusst handelnde, und b) automa-
tische.
Um zunächst an die letzte Thatsache anzuknüpfen: es
wäre schwer denkbar, wie das unpersönliche Ding die Sprach-
formen des persönlichen Wesens annehmen könnte, und wie
die Thätigkeiten der persönlichen Subjecte von den unpersön-
lichen prädiciert werden könnten, wenn das persönliche Subject
immer als spontan, als zweckbewusst und vernttnffcig wollend
in den Thätigkeitssätzen zu denken wäre. Leicht und einfach
dagegen ist es die Formen der automatischen Bewegungen, die
wir an uns selbst wahrnehmen auf das bewegte Ding zu über-
tragen. So geht der Zeiger auf' der Uhr von Stundenzahl zu
Stundenzahl, ohne dass wir daran denken, er mttsse die Ab-
sicht gehabt haben, sich zu bewegen, so läuft, so springt die
Kugel, der Ball über die Ebene u. s. f. Ich weiss sehr wohl,
dass dies nicht der einzige Grund des metaphorischen Ge-
brauches ist, und ich werde später selbst noch auf den Ver-
gleich hinzuweisen Gelegenheit haben, aber ich halte die Me-
chanisierung der Handlung flir einen ausserordentlich mächtigen
Hebel, das Gebiet des Dinglichen und Unpersönlichen auf das
Gebiet der freien Persönlichkeit so hinttberzuheben, dass die
Formen dieses Gebietes die allgemeinen Musterformen für jenes
Gebiet werden konnten.
Durch diese Mechanisierung wird es möglich, dass die
persönlichen Subjeetsformen auch bei den Verben des Zu-
Standes und des Leidens verwandt werden, genau so wie bei
den Verben der wirklichen Handlung; Schmerz empfinden, do-
122
lere, hören, schlafen, liegen, stehen u. s. f. sind keine Thätig-
keiten oder Handlangen.
Wir fühlen ferner keinen Widersprach, wenn die passiven
Verba das leidende Object im Nominativ bei sich haben. —
Diese Thatsache hat es aaeh vermatlich erleichtert, dass indo-
germanisch viele Sachbezeichnangen die persönliche Form des
Nominativs annehmen konnten, denn dies ist die Thatsache,
welche wir mit Personificierang der sachlichen Gmppen be-
zeichnen. Die Neatra der o-Stämme haben zwar einen Acca-
sativ, aber keinen Nominativ, z. B. templum, avzQOV, magnum,
ayad-ov. Nehmen sie einen Nominativ an, so werden sie per-
sönlich zam Mascalinam magnus, ar/ad-oq. Die Sache scheint
arsprttnglich indogermanisch nar als Object gebraucht zu sein,
da ihr die selbstbestimmende Bewegangskraft fehlt, daram fehlt
im sogenannten Nominativ des Neatrams entweder jede Endang
and der blosse Stamm wird verwandt, oder es wird die masca-
linale Accusativform gewählt. Die Bewegang eines Dinges
scheint also einmal stets als darch ein persönliches Subject veran-
lasst gedacht za sein, and erst die Unterscheidung automatischer
Bewegung und automatischer Subjecte ermöglicht es, dass jene
sachlichen Objecte zu automatischen oder mechanischen Sub-
jecten wurden. Es soll damit nicht bestritten werden, dass
auch formale Analogien des Stammes bei dieser Art von gram-
matischer Personificierung mitgewirkt haben, wäre aber diese
formale Aehnlichkeit der Stämme auf volle Verschiedenheit der
Bedeutung und der Function gestossen, so würde sich schwer-
lich die Angleichung durchgesetzt haben. Ausser Acht ist auch
nicht zu lassen, dass das Urteil der Menschen und Völker über
das, was persönlich und unpersönlich sei, sehr verschieden ist
und je nach den Culturstufen verschieden war.
Also nach dem Zwecke sondern wir aus den grossen con-
tinuierlichen Reihen menschlicher Bewegung und menschlicher
Thätigkeit die einzelnen Thätigkeiten als Handlungen aus,
die Thätigkeiten selbst werden also zu Mitteln der
Zwecke.
Die Thätigkeit des Steüens, Legens, Sitzens bestimmt sich
zunächst nach dem niedrigsten Zwecke, dass das Objeet der
Thätigkeit steht oder liegt. Soll ich den Ausdruck: er legt
123
das Buch hin yerstehen, so mass ich den Zweek denken nnd
mir aus demselben die Bewegnngsmittel vergegenwärtigen oder
Bewegungen denken, die mit der Verwirklichung des Zweckes
ihre Begrenzung erfahren. Die Begrenzungen durch das locale
Ziel z. B. ich lege das Buch auf den Tische gibt dem Zwecke
eine bestimmtere Gestalt und damit der Thätigkeit als Mittel
eine begrenztere Form. Ich schreibe einen Briefe — hier ist
der nächste Zweck der Brief selbst, und er bestimmt fest die
Form der Thätigkeit des Sehreibens. Wie wir oben sahen,
auch das Object selbst bestimmt die Form der Thätigkeit.
Nun waren im Indogermanischen die Formen fUr das Object,
das locale Ziel und den Zweck, der gleichfalls als locales
Ziel der Bewegung gedacht wird, gleich. Die Unterscheidung
der verschiedenen Functionen, welche im bestimmten Zusammen-
hange diese Form versah, musste natürlich construiert werden.
Uebrigens ist auch uns diese Construction noch nicht ganz er-
spart, wenn wir auch im Allgemeinen für das Ziel und den
Zweck Präpositionen verwenden; denn das schon oben erwähnte
efficierte Object ist ja nichts als der Zweck der Thätigkeit,
z. B. er baut ein Haus, er schreibt ein Buch, tsixI^bi retxog,
castra munit (= schlägt ein befestigtes Lager auf% und dieses
mtlssen auch wir vom afficierten Objecto unterscheiden.
Es ist interessant zu sehen, worin der eigentliche Unter-
schied dieser Objecto beruht; ist das efficierte Object der
Zweck der Thätigkeit, so ist das afficierte Object stets
das räumliche Ziel der Bewegung, z. B. ich schlage den
Menschen^ die Bewegung des Schiagens hat den Menschen zum
räumlichen Ziele, ich sehe das Haus, ich esse das Fleisch u. s. f.
eine jede Thätigkeit hat als Bewegung zunächst das afficierte
Object zum räumlichen Ziel. Somit ist es nur natürlich, dass
das räumliche Ziel ^ und das afficierte Object gleiche sprach-
liche Formen hatten; und da das efficierte Object den Zweck
bezeichnet, der Zweck aber unter der Form des räumlichen
^ Wie die Städtenamen auf die Frage wohin? Lateinisch im Accusativ
stehen, ebenso die isolierten Formen domum, rus, die PiSpositionen mit
dem Accusativ auf die Frage wohin?, der poetische Gebrauch des blossen
Accusativ auf diese Frage bei Homer und den lateinischen Dichtern be-
weisen, dass dieser Casus ursprünglich die Ausdrucksform des localen
Zieles war.
124
Ziels gedacht wird, ist auch hier die Uebereinstimmang in der
sprachlichen Form nur natürlich.
Und doch empfinden wir zwischen dem afficierten Objecto
und dem räumlichen Ziele einen Unterschied. Ich schlage den
Menschen ist also ursprünglich = ich schlage nach dem Men-
schen^ und doch empfinden wir bei dem ersten Ausdrucke die
Vorstellung, dass die Thätigkeit wirklich ihr räumliches Ziel
erreicht, im zweiten Falle aber, dass die Thätigkeit nur das
Ziel zu erreichen sucht, <»hne die Angabe, dass es gelingt
Hierüber soll der folgende Abschnitt Auskunft geben.
XVI.
Wir sahen, dass der Hörende zum Verständniss einer
Handlung stets den Zweck sich mit vorstellen muss. Diese
Zweckvorstellung gibt der Thätigkeit in den Augen des
Hörenden die Richtung auf die Vollendung, d. h. auf
die Begrenzung der Thätigkeit. Der Zustand, in dem die Thä-
tigkeit ihren Abschluss findet, also der Zustand der Vollendung
ist das Erstrebte, daher die Verbindung der Verba der Absicht
mit dem Infinitiv Perfecti im älteren Latein und im Mittel-
hochdeutschen bei wollen und sollen. Und darum erregt die
Andeutung des Beginns einer Handlung bei dem Hörenden
notwendig die Aussicht und Erwartung, dass das Ziel er-
reicht wird.
So heisst das Präsens ich töte, interftcio doch zunächst nur:
ich wende die Mittel an, den Tod einer Person herbeizuführen, eben-
so ich lege das Buch hin, ich schreibe das Wort u. s. f., also die
Praesentia und dem entsprechend die Imperfecta stehen
eigentlich de con a tu = ich suche zu töten, zu schreiben, zu
schlagen. Trotzdem bedeutet uns die Form des Präsens, dass
die Mittel ihren Zweck auch verwirklichen. Man hat daher
im Lateinischen und Griechischen die Praesentia und Imperfecta
de eonatu als besondere grammatische Verwendungsweisen
unterschieden. Die räumlichen Ziele solcher Praesentia
müssen bei dieser Umwandlung der Bedeutung zu
erreichten Zielen d. h. zu afficierten Objecten mecha-
nisiert werden, und die Zwecke der Handlung müssen
zu verwirklichten Zwecken werden, d.h. zu Resultaten
125
der Handlang oder efficierten Objeeten. Das also ist
die Lösung des oben hervorgetreten Widerspmehs zwischen
Ziel and affieiertem Objecto.
Im Deutsehen hat sieh aus der Bedeutung der unvollendeten
Bewegung, welche einem zukttnftige Ziele zustrebt, die Be-
deutung des Futurums entwickelt, z. B. ich gehe zur nächsten
Musterung, ich gehe morgen in die Kirche, ich thue das doch.
Offenbar ist in diesem Falle, wie in dem vorhergehenden, die
Bewegung und der Zweck zu einer momentanen Einheit con-
densiert, die entweder nach der Zeit der Bewegungsmittel als
gegenwärtig vollendet gedacht werden kann, oder nach der
Zeit des Zweckes als zukünftig vollendet.
Eine ganz gleiche Erscheinung ist es, wenn Praesentia
mit Inchoativformen, wie diöaöxo}, tvQloxm, nicht mehr den
Anfang der Thätigkeit, sondern den ganzen Verlauf bezeichnen.
Femer, — wenn präsentische Zusammensetzungen, deren ur-
sprüngliche Bedeutung inchoativ sein musste, futurale Bedeutung
annehmen, wobei die condensierte Handlung in die Zukunft
projiciert wird, aber der Anfang nicht mehr als in der Gegen-
wart liegend empfunden wird. Hierher gehört das deutsche
zusammengesetzte Futurum: ich werde thun^ eine Ausdrucks-
form, die ursprünglich bezeichnen musste: ich entwickele mich
jetzt zum thun. Ebenso gehört hierher das lateinische Futurum
auf "bo wie amabo, monebo, ibo, vom Stamme des griechischen
9)i;co, lat fui.
Etymologisch gleich in der Bildungsweise ist das deutsche
passive Präsens: ich werde geschlagen, bei dem zunächst nur
der Anfang der Thätigkeit bezeichnet wird, der weitere Verlauf
aber mit Bücksicht auf das Ziel heute deutlich mit empfun-
den wird.
Wir dürfen auch annehmen, dass durch diesen Process
die indogermanischen Sprachen ihr Perfectum ent-
wickelt haben. Die Form dieses Tempus enthält durchaus kein
Element, das die Vollendung der Thätigkeit bezeichnete, denn
die Reduplication, welche der Wiederholung desselben Wortes
in der freien, nicht mechanisierten Bede gleich ist, also auch der
rhetorischen Iteratio und Duplicatio, findet sich auch im Präsens
und im Aorist Der freie Gebrauch der Verdoppelung lehrt
aber als Bedeutung dieser Doppelsetzung des Wortes nur die
126
der Wiederholung der Handlang und der Verstärkung der In-
tensität sowohl dem Grade naeh, als versiehernd der 9^alität
nach. Wie das Präsens geradezu Perfectbedeutung annimmt,
zeigt der Gebrauch einer ganzen Reihe griechischer Verba wie
axovcn, xXvoo, Jtvv&avoiiai, alcd-dvoiuu, yiyvoHixco, ßavd-avco,
Xiyco u. a. Lat. audio, video, deutsch ich höre, sehe, erfahre,
bemerke (vgl Etthner. gr. Gr. § 382, 4).
Die doppelte Bedeutung der dauernden Thätigkeit und der
vollendeten Handlung als Zustand zeigen gleichfalls die Nomina
actionis und actoris wie exercitatio = Uebung als Thätigkeit des
Uebens und als Zustand des Gettbtseins, Mörder, Dieb sowohl
als einen Mord ausführende Person als eine Person dieses Zu-
standes oder Characters.
Wie nahe sich die präsentische und die vollendete Be-
deutung einer Handlung überhaupt berühren, beweist femer
das romanische Praesens Passivi je suis atme ^= nhd. ich werde
gelieht und die gleiche Bildungsweise des alten Deutsch;
ferner die Bedeutung einer Beihe griechischer Perfecta wie
oö(BÖa = ö^co, öiöux, und diöoixa «= g>oßovfiai, ol6a ich weiss,
niipQLxa u. a., dazu die deutschen Praeteritopraesentia.
Zustände bilden den Abschluss einer Bewegungsreihe;
in bestimmten Zusammenhängen wird daher die vorange-
gangene Bewegung aus der Bezeichnung des ruhen-
den Zustandes vom Hörer rückwärts construiert und bei der
Zustandsbezeichnung mitempfunden. Vom Ringer, der zu Boden
fällt, sagt man : da liegt er ^^ er ist hingeworfen. Bekannt sind
Ausdrucksformen wie oiacxoo vjto rivog, cbto&vf^cxQ »* ich
werde getötet, dxovco *= es wird von mir gesagt. Im Lateini-
schen und Deutschen ist aus der Verbindung des Verbum sub-
stantivum und des Zustandsadjectivum das passive Perfect und
Plusquamperfect gebildet, wie interfectus est, mortuus erat. —
Umgekehrt bezeichnet man Zustände durch die zum Ziel ge-
führte Handlung wie Lateinisch cognovi und so vielfach beim
grieehisehen Perfectum.
xvn.
Doch wir verfolgen den Einflnss weiter, den die dur^h die
Andeutung einer Handlung rege gemachte Erwartung des
127
Zieles oder Zweckes der Handlang auf die spraehliehe Dar^
Stellung austtbt Dieser Einflass ist sehr bedeutend.
So erzählt man : der Krieg wurde erklärt, die erste Schlacht
fvar bhitiff, oder m der ersten Schlacht fielen a. s. f. Dass auf
die Erklärung des Krieges auch wirklich die Kriegführung
folgte, ist nicht gesagt; dieser weitere Verlauf wird als selbst-
verständlich ergänzt, denn das Ziel der Kriegserklärung ist
eben die Ftthrung des Krieges, und wird nicht ausdilieklieh
das Gegenteil gesagt, so erschliesst man aus dem mitgedaehten
Zwecke die Verwii^lichung. Man könnte nach grammatischer
Terminologie fast sagen : das Präsens ist zum Perfect erhoben.
Ich erhielt einen Brief, dass der Freund gestorben sei, —
das Lesen des Briefes wird aus dem Zwecke, den ein Brief
überhaupt hat, als selbstverständlich ergänzt Ohne diese
springende Art der Erzählung wäre es unmöglich, eine
grössere Erzählung zu Ende zu bringen.
Diese Thatsaehe lehrt uns ausserdem einen wichtigen Ge-
sichtspunkt fttr die Bedeutungsentwicklung und Bedeu-
tungsveränderung der Worte. Wird nemlich bei einem Worte,
das den Anfang einer Thätigkeit bezeichnet, die zum Ziele
führende Weiterentwicklung mitgedacht, so können diese spä-
teren Entwicklungsstufen schliesslich auch als Inhalt des Wortes
mitempfunden werden. So denkt der Römer bei intacla virgo,
wir bei unberührter Jungfrau thatsächlich nicht bloss an die
Berührung, sondern auch an die weiteren Folgen derselben,
ebenso bei dem deutschen Ausdrucke: er hat das Mädchen nicht
berührt. Bei integer^ dessen Ableitung von in und tango sicher
ist, wird stets nur an gewisse Folgen der Berührung gedacht:
an das Zerbrechen, daher unversehrt, oder an das Beschmutzen
und Beflecken, daher unbesudelt, rein vom Character. Bei dem
Deutschen angreifen den Feind wird stets an die Folgen ge-
dacht, die dem Anpacken des Gegners beim Bingen folgen,
an den Kampf; die Sache richtig anfassen weist aiuf die Thä-
tigkeit hin, welche zur Ausflihmng erforderlich ist. Aehnlich
Lateinisch aggredi hostem, appeller e =■ landen mit dem Ge-
danken auch wirklich an das Land gehen; sich einschiffen nach
America u. s. f.
So bildet sich das Verständniss einer Erzäh-
lung oder sonstigen spra<)hliehen Mitteilung 1. durch
128
Schlüsse auf naehfolgende Momente der Entwicklung
2. durch Bttckschlttsse auf Vorausliegendes. Man ver-
gleiche z. B. den Anfang von Goethes Hermann und Dorothea:
Wie viele Bttckschlttsse sind hier notwendig um die Person
des Sprechenden kennen zu lernen, die Situation, unter der er
spricht und die Thatsachen, welche dem Momente des Anfangs
dieser Dichtung vorausliegen. Man vergleiche femer Uhlands
, klein Boland', ,das Nothemd', und unzählig andere Dichtungen
dieser Art
Selbverständlich können auch solche Bttckschlttsse, wenn
sie sich häufig wiederholen und mechanisieren, in die Be-
deutung des Wortes aufgenommen werden, wie es in den oben
angeführten Beispielen der Fall war: xst/iai als Perfect Passivi
zu rlOTjfii, djto&njöxa} als Passiv zu aütoxTBlvo), exjtljcrco
und ^svya) als Passiv zu kxßaXXco u. s. f.
Es bedarf kaum einer besonderen Ausführung, dass diese
vorwärts und rttckwärts weisenden Schlttsse vom Hörenden
nicht aus den Worten an sich, sondern nur aus der Erfahrung
geschöpft werden können, welche von den betreffenden Hand-
lungen gemacht sind. Wo die Erfahrung fehlt, da fehlt eben
das Verständniss der sprachlich angedeuteten Handlung selbst
So kann die Mitteilung: das Fleisch wird gekocht, das Fleisch
ist gar, der Hund wird geschlagen nur dadurch verstanden wer-
den, dass man den Zweck des Kochens kennt und danach die
Mittel, welche demselben dienen, findet oder aus der Erfahrung
erschliesst, und bei gar^ dass uns der Zustand bekannt ist, in
dem das Fleisch als geniessbar gilt.
Wer nichts weiss von der Art, wie sich ein Eisenbahnzug
in Bewegung setzt, wird auch die Mitteilung nicht verstehen:
ein Pfiff der Locomotive, und der Bruder war verschwunden.
Also zum Verständnisse der sprachlichen Bezeichnung
einer Thätigkeit ist notwendig die Eenntniss der Ent-
wicklungsmomente und des Ziels der Thätigkeit
Die auf die nachfolgenüen Zustände einer Handlung ge-
richteten Schlttsse werden psychologisch durch die Eirwartung
herbeigeführt, die Erwartung entspringt der häufigen
Erfahrung, dass sich eine Thätigkeit in einer be-
stimmten Weise fortzusetzen pflegt — Diese Erwartung
spielt fär die gesammte innere Verknttpfung der Thatsachen,
129
wie sich zum Teil schon oben zeigte, eine sehr grosse Rolle.
Wir haben hier noch eine andere Wirkung der Erwartung zu
betrachten.
In dem obigen Beispiele: der Krieg wurde erklärt können
wir fortfahren: aber es kam nicht zum Kriege, oder, es kam je-
doch oder doch es kam, lai sed, tamen u. a.; — d. h. wir sagen
die Erwartung, welche der Hörende auf den thatsächlichen
Eintritt des Krieges haben muss, ist in diesem Falle nicht zu-
treffend. Der Sprechende nimmt also auf die Erwartung des
Hörers bei der Verbindung seiner Sätze Rttcksicht. Ein Asyn-
deton, also die verbandlose Zusammenordnung der Sätze, würde
in diesem Falle gleichfalls adversativ verstanden werden.
Die Verbindung kann auch eine concessive sein, lateinisch
mit quamquam, etsi, licet, quamvis^ und quam vis nimmt ja deut-
lich Bezug auf die inneren Zustände des Hörenden, ursprüng-
lich wie sehr du willst, die angeredete Person ist aber der
Hörende. — Griechisch könnte in diesem Falle der Adversation
aXXä stehen, dessen Grundbedeutung klar ist = in anderer Weise,
natürlich als der Hörende denkt oder erwartet. Die eigentliche
Bedeutung einer solchen Verbindung war also : Der Krieg wurde
erklärt; — es kam anders, als du, oder man, vermutest; es kam
nicht zum Kriege. Der Begriff in anderer Weise (aXXä) lässt
sich nicht verbinden mit den Worten: es kam nicht zum Kriege,
denn nicht dieser Satz wird alteriert, sondern die Erwartung
des Hörenden. Beide Sätze : es kam anders und der Krieg trat
nicht ein vereinigen sich schliesslich für das Sprachbewusstsein
zu einem, sobald in aXXa nur noch seine Function gefühlt wird,
nemlich die Function des Widerspruchs.
Lautete der Satz: der Krieg wurde erklärt, und es kam
also zum Kriege, — so wird damit die gehegte Erwartung be-
stätigt, die Fortsetzung ist also nicht anders als der Anfang,
sondern ebenso und das bedeutet also. Man gebraucht daher
die Adverbia so, also, somit, Lateinisch ita, itaque. Griechisch
a)öT€ zum Ausdrucke dieses mit der Erwartung übereinstimmen-
den Verhältnisses, und auch das deutsche so im Nachsatze
entspringt diesem Gebrauche. Ja, auch das Asyndeton würde
in diesem Falle durch constructiven Schluss als conclusiv em-
pfunden werden.
9
ISO
Auch die ttbrigen coneessiven Ansdrncksformen berahen
auf dieser Erwartung, das deutsche doch aus d6 uch hat die
Bedeutung : auch in diesem Falle. Also in dem obigen Bei-
spiele: und doch kam es nicht zum Kriege wird gesagt: auch in
diesem Falle nicht, wo man es hätte erwarten sollen; ähnlich
dennoch. Die Bildungen mit auch: auch wenn, wenn auch, xal
d, el xcd, etsi, etiamsi, die mit jceg, xal jcbq sprechen aus:
(mch wenn der Krieg erklärt war, so kam es nicht zum
Kriege, d. h. sie betonen, dass beide Thatsachen neben ein-
ander Gültigkeit haben, während doch die Erwartung beide
nicht mit einander yerbinden mag. Ebenso ist das deutsche
obgleich = wenn in gleicher Weise gedacht. Bei quamquam und
quamvis wird gesagt: wie sehr auch der eine Fall gültig ist
er stösst den anderen doch nicht um. Also diese Concessiv-
sätze sind Gestaltungen der Bede, die der Bedende mit Bttck-
sieht auf die Erwartung des Hörenden entwickelt
Wenn wir nun nicht mehr an die vergleichende Grund-
bedeutung jener Ausdrücke denken, sondern nur an die fol-
gernde oder widersprechende Function, so haben wir es da
zunächst mit der schon wiederholt bemerkten Thatsache zu
thun, dass die Ausdrücke ihrer Function gleich oder congruent
geworden sind. Aber diese Function selbst ist schon eine Um-
gestaltung oder besondere Gestaltung der Erwartung. Die Ver-
hältnisse nemlich, welche in uns die Erwartung auf einen be-
stimmten weiteren Verlauf erweckt haben, erscheinen uns als
die Gründe selbst für den Weiterverlauf; es wjandelt sich
gOmit der psychische Zustand der Erwartung in die
logische Vorstellung eiQ.es Causalitätsverhältnisses,
und unsere durch Erfahrung gewonnenen Erwartungen in ihrer
Totalität sind die Formen und das Schema, nach denen wir
alles Geschehen in der Welt verknüpfen.
Wie unvollständig und lückenhaft die Erfahrung ist, auf
der sieh diese Erwartungen und damit das Causalitätsbewusst-
sein auferbauen, bedarf hier einer besonderen Ausfuhrung nicht
Die Mängel dieser Erfahrung sind ja eine Hauptquelle aller
Irrungen und eine um so gefährlichere Quelle, als auch die
lückenhafteste Erfahrung die Erwartung für den Handlungs-
verlauf erregt und ein Gausalitätsbewusstsein bildet Daher
die vielen thöriehten und kindischen Verknüpfungsformen, wie
sie sich im Aberglauben und in dem sogenannten mythischen
Denken der Völker zeigen. Doch wir verfolgen die Unvoll-
kommenheiten dieser Verbindungsweise nicht weiter, wir con-
statieren jedoch die für das Sprachleben so überaus wichtige
Thatsache, dass aus dieser Erfahrung die Erwartung einer be-
stimmten Weiterentwicklung des Geschehens resultiert und dar-
aus das Schema, wie wir Handlungsfolgen glauben
verknüpfen zu müssen.
Bei dieser Umwandlung der Erwartung verliert sich itn
Hörenden das Gefühl der Spannung, das der Erwartung eigen
ist, und bei dem Widerspruch das Gefühl der getäuschten Er-
wartung ; statt dessen empfindet der Hörer nur das blasse Ge-
fühl logischer Uebereinstimmung und logischen Widerspruchs.
Bei dem Character, den jene Erfahrungen tragen, treten
Durchbrechungen des Schemas oft genug ein, denn die
Erwartung ist nur auf unvollständiger und lückenhafter Er-
fahrung erbaut, sie muss also oft falsch sein. Wie unendlich
häufig sind daher Sätze mit jenem aber, doch in der Erzählung,
wie oft entwickelt sich die Handlung also anders, als man er-
wartet hat I Jenes Schema ist also doch nur ein vermutendes,
es trägt nicht den Character strenger Gesetzmässigkeit
xvin.
Zum Bewusstsein, dass die Schlüsse auf die Weiteren t-r
Wicklung einer Handlung unsicher und nur Vermutungsschlüsse
seien, kommt der Hörer im Ganzen selten, wenn in der Er-
zählung auf die Thatsache, welche unsere Erwartung anregt,
sogleich die Thatsache folgt, welche wir erwartet haben oder
welche unserer Erwartung entspricht Hört man in schneller
Aufeinanderfolge die Sätze: A versprach zu kommen, kam aber
nicht, so hat der Hörer nicht die Zeit, sich der Spannung der
Erwartung bewusst zu werden und der Unsicherheit hinzugeben,
ob wohl A kommen werde. Sobald ihm aber die Zeit bleibt,
diese Erwartung zu empfinden, so wird er auch die Unsicher-
heit seiner Vermutung empfinden, und die Frage wird ihm auf-
tauchen: wird er wohl kommen?
Erzähle ich von Cicero: er ßrchtete, dass er seinen politi-
schen Einfluss verlieren würde, so steht der Hörer erwartungsvoll
9*
132
der Weiterentwicklung gegenüber, wenn ihm vom Sprechenden
die Zeit zur spannenden Erwartung gelassen wird; fährt der
Sprechende aber sogleich fort: und wirklich verlor er seinen
Einfluss^ so hat der Hörer nur die Empfindung, dass Cicero
das Uebel richtig vorausgesehen hat, und dass er von dem
Uebel auch betroffen ist. Der Ausdruck und wirklich hat für
ihn dann nur die Bedeutung: was dem Cicero als möglich er-
schien, ist thatsächlich geworden. Lateinisch würde in solchem
Falle entweder bloss gesagt sein: et amisit^ es bleibt da also
dem Hörer überlassen zu beurteilen, ob sich die Furcht be-
stätigt hat oder nicht, — oder man fügt ein versicherndes vero,
profecto hinzu. Dieser Zusatz kann ursprünglich nur dazu ge-
dient haben, die erwartungsvolle Frage der Unsicherheit bei
dem Hörenden mit einem ja, wahrhaftig zu beantworten, oder
noch richtiger ausgedrückt, die Vermutung des Hörenden zu
bestätigen.
Die gleiche Erscheinung findet sich bei den Verben des
Hoffens, Versprechens, Schwörens, Drohens, Vermutens, bei
denen die Verwirklichung in der Zukunft zwar angenommen,
aber mit einer gewissen Unsicherheit erwartet wird. Wir dür-
fen annehmen, dass das Sprachbewusstsein des Römers bei
jenem et vero, et profecto schliesslich dasselbe war wie bei
dem Deutschen und wirklich^ d. h. dass es als Mitteilung des
Thatsächlichen empfunden wurde. So zeigt sich auch hier,
wie bei dem griechischen aXXa^ dem deutschen also u. s. f. die
Umwandlung eines subjectiven Empfindungszustandes
in die Vorstellung eines objectiven realen Verhält-
nisses, Der Grund liegt in der Schnelligkeit der Erzählung,
bei der es nicht möglich ist, das Gefühl der Erwartung bis
zur Spannung und bis zur Frage kommen zu lassen.
Geht für den Hörenden das Gefühl der Erwartungs-Span-
nung bei einer Form des Ausdrucks verlorep, so verliert dieser
Ausdruck in seiner stilistischen Wirksamkeit einen wichtigen
Factor, eben jenes spannende Gefühl. War der Grund für den
Verlust die Eile der Erzählung oder Mitteilung von Thatsachen,
bei der sich die Spannung nicht entwickeln kann, so wird die
künstlerische Form der Darstellung dem Hörenden die Zeit
lassen, die Erwartung zu voller Kraft auszugestalten, denn
133
gerade die Spannung der Erwartung ist für die künstlerische
Erzählung von der grössten Wichtigkeit
Käme es dem Dichter darauf an, für jene gefahrvollen
Zeiten des Cicero und fttr dessen Person Interesse zu erregen,
so würde er nicht bloss sagen : Cicero ßkrchtete seinen Eiiifluss
zu verlieren, und er verlor ihn wirklich, — sondern er wttrde
im Einzelnen ausfuhren, welche Vorstellungen, Geflihle und
Wünsche im Cicero wach wurden. Damit würde die Furcht
in ihre Teile zerlegt, bei dem Hörer wttrde das Geflihl der
Erwartung länger festgehalten und damit spannender gemacht.
Gerade bei der Handlung ist der stilistische Unterschied der
zerlegenden und comprimierenden Form der Darstellung sehr
bedeutsam. Man sehe z. 6. wie Goethe die nackte Thatsache :
Hermann ßrchiet, äass Dorothea ihn abweisen könnte poetisch
zur Darstellung bringt: (Klio)
,Aber der Jüngling stand, und ohne Zeichen der Freude
Hört' er die Worte des Bolen, die himmlisch waren und tröstlich,
Seufzete tief und sprach : „ Wir kamen mit eilendem Fuhrwerk,
Und wir ziehen vielleicht beschämt und langsam fiach Hause;
Denn hier hat mich, seitdem ich warte, die Sorge befallen,
Argwohn und Zweifel und Alles, was nur ein liebendes Herz kränkt.
Glaubt Ihr, wenn wir nur kommen, so werde das Mädchen uns
folgen.
Weil wir reich sind, aber sie arm und vertrieben einherzieht?
Armut selbst macht stolz, die unverdiente. Genügsam
Scheint das Mädchen und thälig, und so gehört ihr die Welt an.
Glaubt Ihr, es sei ein Weib von solcher Schönheit und Sitte
Aufgewachsen, um nie den guten Jüngling zu reizen?
Glaubt Ihr, sie habe bis jetzt ihr Herz verschlossen der Liebe?
Fahret nicht rasch bis hinan! Wir möchten zu unsrer Beschämung
Sachte die Pferde herum nach Hause lenken. Ich fürchte,
Irgend ein Jüngling besitzt dies Herz, und die wackere Hand hat
Eingeschlagen und schon dem Glücklichen Treue versprochen.
Ach! da steh' ich vor ihr mit meinem Antrag beschämet."
Dagegen bei dem Ausdrucke: Cicero fürchtete wissen wir
von den individuellen Empfindungsvorgängen nichts, die sich
nach dem Character der Situation und der Person bestimmen,
ja wir zerlegen uns den Ausdruck fürchten nicht einmal in
134
seine allgemeinen Merkmale: erwarten und UebeL So mecha-
nisch und schnell verläuft die Vorstellungsreihe: er erwartete
ein Uebel, dass wir uns der einzelnen Factoren einzeln nicht
mehr bewusst werden, natürlich noch weniger der Vorstellungs-
factoren von erwarten und von Uebel und so in fortgesetzter
Zerlegung' weiter. Wir sind gewöhnt, diese Vorstellungsreihen
so schnell zu reproducieren, dass sie als compacte Einheit, als
Vorstellungsgruppe empfunden wird.
Das Fürchten ist uns somit zu einer besonderen Species
der Vorstellung oder Vermutung geworden. Beachten wir nun
die griechische und lateinische Constructionsweise dieser Verben,
so ersehen wir, dass diese Condensierung des Vorstellungs-
ablaufes nicht immer vorhanden war. In beiden Sprachen folgt
ein finaler Satz mit fii], ne, negativ ii^ ov, ne non, ut und
dem Conjunctiv. Die Partikeln fii^ und ne sind blosse Nega-
tionen, zunächst also ohne die Kraft, einen Nebensatz zu bilden.
Der Satz : tinieo ne veniat zerfällt also ursprünglich in die zwei
Hauptsätze: 1. ich fürchte 2. er soll oder möge nicht kommen.
So lange diese Verbindung in dem etymologischen Sinne em-
pfunden wurde, musste also auch bei dem Fürchten mit vor-
gestellt werden, dass die Aussicht auf ein künftiges Uebel das
Begehren oder den Willen hervorruft, das Uebel abzuweisen,
bei dem Uebel selbst also musste das Merkmal empftinden
werden, dass es etwas Abzuweisendes, ein ,fugiendum' sei.
All diese einzelnen Vorstellungen wurden durch die Mechani-
sierung zu einer Gruppe gebunden und condensiert, der Willens-
satz wurde zu einer blossen Ergänzung des transitiven Verbums,
also zum Objectssatze. Dagegen ist die Form des Ausdrucks
im etymologischen Sinne der ausführenden künstlerischen Dar-
stellungsform gleich, wo die prohibitiven Wünsche einer fürch-
tenden Person dargestellt werden; und bei einer solchen Dar-
stellung musste die mitempfindende Erwartung des Hörers viel
spannender sein als bei dem mechanisierten Ausdrucke.
Eine ähnliche Thatsache bieten die lateinischen Verben
des Hindems, welche quominus oder ne bei sich haben. Ein
Ausdruck wie impedio eum, quominus oder ne veniat oder pro-
hibeo mit gleicher Construction bedeutet etymologisch: ich hin-
dere ihn, er soll nicht kommen. Allerdings wird weder impedio
noch prohibeo in einer frühen Zeit einmal ganz deckender Aus-
135
druck für das deutsche hindern gewesen sein, vielmehr be-
zeichneten die Ausdrücke eine Thätigkeit, aus der das Hindern
erst erschlossen wurde, vielleicht ich verwickle Jemandes Fuss,
er soll nicht = impedio und ich halte Jemanden in seiner Be-
wegung nach vom fest = prohibeo. Es kommt hierbei nur darauf
an zu zeigen, dass der Vorstellungsinhalt, welcher durch den
mechanisierten Ausdruck im Hörer erregt wird, ärmer ist als
in der Zeit, wo die etymologische Bedeutung empfunden wurde.
Dasselbe gilt von den übrigen lateinischen Verben, welche
ne bei sich haben (vgl. Kühner, Lat 6r. § 190) und zum Teil
auch quo minus. Zwischen beiden Ausdrucksweisen ist ja ety-
mologisch ein nicht unerheblicher Unterschied, z. B. Cie. Tusc.
1, 38, 91 : non deterret sapientem mors, quominus in omne iempus
rei publica^ consulat: denn entweder ist der Satz mit quominus
ein indirecter Fragesatz wie die griechischen Sätze mit ojtcoc;
und bezeichnet die Art und Weise wie Jemand etwas nicht
thun soll; oder der Satz ist gebildet aus dem relativen Ge-
brauche des Pronomens qui^ wie das deutsche damit und gibt
an, dass die Handlung des deterrere u. a. das Mittel ist, durch
welches Jemand etwas zu thun verhindert wird, also durch
das Abschrecken am Sorgen verhindert. Die Sätze mit ne da-
gegen enthalten die Sprachäusserung des abhaltenden oder
hindernden Subjects zunächst in directer Bede, z. B. Pytha-
goricis interdictum putatur, ne faha vescerentur Cic. Divinat
1, 30,]62 ursprünglich: ,sie sollten nicht essen'. Bei diesen Sätzen
ist das regierende Verbum überflüssig, so lange sie directe
Bede der sprechenden Person sind, es wird dagegen notwendig,
wenn der Satz mit ne ein Beferat über die Willensäusserung
einer anderen Person enthält. Damit ist je nachdem der eine
Satz Exposition für den anderen, entsprechend der Form der
ausführenden Darstellung. — Die bei diesen Gonstriictionen
gebräuchlichen Verba haben natürlich selbst von ihrem etymo-
logischen Sinn eingebüsst, z. B. ist recuso sicher aus der Ge-
richtssprache hergenommen, und die überlieferte technische
gerichtliche Bedeutung: eine Klage ablehnen oder gegen eine
Klage Einspruch einlegen (vgl. Georges) mag die zu Grunde
liegende sein. Interdico heisst gewiss ursprünglich ich spreche
dazwischen, so dass eine Person von ihrem Zwecke getrennt
wird. Das Endresultat der sprachgeschichtlichen Entwicklung
13ß
int dsm: die dareh einen bestimmten Zweek als Mittel
bestimmte Handlang wird ganz allgemein vorgestellt,
nieht mehr in der bestimmten Form, wie sie etymolo-
giseh bezeiehnet wurde.
Dieser Vorgang ist ein so regelmässiger, dass hier noch
einige Beispiele stehen mögen: ich weise ehrt Anerbieten zurück^
Niemand denkt mehr an den abweisenden Gestos der Hand,
— ich lehne etwas ab, vergessen ist die Bedentang des Lehnens,
— ich räume dies ein, concede, permitto, Niemand denkt mehr
an ein räamliehes Platzmaehen, — ich beschreibe mündlich
d(u Haus, describo, wer fühlt noch den Widersprach zwisehen
Sehreiben und der mttndlichen Darstellung? — ich lasse den
Punkt bei Seite, omitto, praetermitto n. a.
So lange der eigentliche Sinn deutlich bei den AusdrUeken
mitempfunden wurde, so lange musste aus der individuell be-
stimmten Handlungsbezeichnung die allgemeine Gattung er-
schlossen werden, z. B. aus dem bei Seite lassen die allgemeine
Kategorie des fiXr unwert halten, aus dem beschreiben das dar-
stellen n. s. f. War dagegen der etymologische Sinn geschwun-
den, so wurde bei dem Ausdrucke nur noch die allgemeine
Kategorie verstanden, der Ausdruck wurde deckend und con-
gruent mit seiner Function und je allgemeiner um so ärmer.
Ich denke, wir verstehen so, wie ein timeo, ne und ver-
wandte Ausdrücke ursprunglich eine viel längere und lang-
samer ablaufende Vorstellungsreihe beim Hörer erregten als
nach dem Eintritt der Gongruenz, denn 1. wurde der Inhalt
des sogenannten regierenden Verbums zur Gongruenz mecha-
nisiert, 2. wurde der selbständige Hauptsatz mit ne zu einem
untergeordneten Ergänzungsgliede für das regierende Verbum,
zu einem blossen Object, damit verkürzte sich a) die Zeit,
welche der Vortrag der Sätze beanspruchte, b) der Inhalt der
syntaotisclion Form, in die der Satz eingekleidet war, erlitt
eine Einbusse seines Inhalts, der Ausspruch des Willens wurde
nicht mehr empfunden. — Damit musste sich weiter die Mög-
lichkeit für den Hörer verringeren, bei dem gesamm-
tcn Ausdrucke die Spannung der Erwartung zu ent-
wickeln, z. B. ob die Furcht sich verwirklicht.
137
XIX.
Doch wir verlassen diese Fragen und kehren zur Unter-
suchung zurück, wie der Hörende Handlungsmitteilung versteht
Wir haben gesehen, wie bei der Verbindung von Subject,
Object und Thätigkeit eine fortgesetzte Gorrectur statt findet,
wir haben die Bedeutung der Zweckvorstellung für die Zu-
sammenfassung der Bewegungen zu einer Handlung kennen
gelernt und die tiefgreifende Bedeutung der Erwartung für die
Verbindung und Verknüpfung von Handlungen zu einer lücken-
losen Handlungsreihe dargestellt, — es bleibt uns nun noch
die Frage ttbrig: wie und an welchen Sprachmitteln stellt der
Hörende sich die einzelne Handlung vor?
Es gibt in allen indogermanischen Sprachen eine Menge
von denominativen Verben, also solchen, die von einem
Substantiv oder Adjectiv durch eine Ableitungssilbe gebildet
werden: so Deutsch ackern, fcutschm, /ussen, stiefeln, zäumen,
satteln, pflügen, Schriftstellern, tischlern, mauern; röten, er-
gänzen, kürzen, schwärzen, künden, ebenen, öffnen, trocknen,
bessern, verschlechtem, entzweien, einen, einigen; donnern, be-
völkern, blättern, begeistern, rändern, zertrümmern, duzen, ihrzen,
siezen, schattieren, grundieren, stolzieren und viele andere;
französische Denominativa stellt Mätzner zusammen, frz. Gramm.
§ 78 : z. B. barricader, pallisader, voyager, fourager, signaler,
enibarasser, cuirasser, actionner, perfectionner, occasiomier u. a.
Italienische Ableitungen dieser Art finden sich unter anderen
verbalen Bildungen bei Baragiola, ital. 6r. § 135. Lateinische
Ableitungen bei Kühner, lat. Gr. § 21G S. (vgl. auch die hier
angegebene Litteratur): comare, cenare, curare, cumulare, nu-
merare, regnare, vagari, laetari, maturare, calcare, pacare;
aegrere, albere, salver e, lucer e, lactere; erudlre, finire, grandire,
ineptire, insanire, ferocire u. a. — Griechische Verba bei Kühner,
Gr. Gramm. § 328 : ripaa), dvTida>, agiörao), eörido/iai, voiw,
oxveo, etöai/ioviw, OoHpQoviw, ^oqbo?, xQ^^oco, 6rjX6a>, yvfi-
v6(o, sXevd^eQoo), ßaOiXe'tw, (povBvoo, jtopjtsvm, öixd^m, ^«u-
pd^oo, rsixl^o), jtXovrl^cD, prjdl^(D, eXXrjvl^a}, ßaQvvo}, r-dvvco
und andere.
Sage ich: er sattelt das Pferd, er pflügt den Acker, er
trocknet das Holz, er blättert im Buche, er schattiert die Zeich-
138
mnig, er ebnet den Weg u. a., so wird der Ausdruck verstanden,
aber was wird durch die Verba zum Verständniss dem Hören-
den wirklich mitgeteilt?
Satteln gibt 1. durch die verbale Ableitungssilbe die Thä-
tigkeit, aber welche? Keine bestimmte, sondern Thätigkeit im
aller allgemeinsten Sinne, 2. durch den substantivischen Stamm
Sattel ein Object dieser Thätigkeit. Die ganze Bildung be-
zeichnet somit etymologisch eine Thätigkeit mit dem Sattel vor-
nehmen oder vielleicht besser die Thätigkeit mit dem Sattel
vornehmen, denn der bestimmende und begrenzende Factor Sattel
steht an erster Stelle und ist schon im Bewusstsein, bevor die
allgemeine Thätigkeitsbezeichnung vernommen wird. Beide
Bestandteile verhalten sich unter einander wieder wie logisches
Prädicat (Sattel) und logisches Subject (das Thätigkeitssuffix)
und nach dem schon vielfach beobachteten Gesetze der alt-
indogermanischen Wortstellung steht das logische Prädicat vor
dem logischen Subjecte.
Da dem Hörer bei jenen Bildungen nicht gesagt wird,
welche Thätigkeit an dem Sattel zu denken sei, so muss er
ein Verständniss dafür gewinnen 1. aus dem ganz allgemeinen
BegrifiFe Thätigkeit 2. aus einem Objecto an dem diese Thä-
tigkeit zu denken ist und, wird das Object das Pferd noch
hinzugefügt, so erhält der Hörer damit einen neuen Beziehungs-
punkt, nach dem er die am Sattel vorzunehmende Thätigkeit
bestimmen und begrenzen kann.
Sagen wir: er pflügt den Acker, so erhalten wir zunächst
wieder die allerallgemeinste Thätigkeit, die am Pfluge vorzu-
nehmen ist, und als weiteren Beziehungs- und Begrenzungs-
punkt das Object Acker. Wir finden hier also die schon oben
bei der Beziehung von Subject, Object und Verbum beob-
achtete Thatsache wieder, dass der Inhalt einer Thätig-
keit vom Hörenden construiert werden muss, indem er
gewisse Beziehungspunkte der Thätigkeit richtig ver-
bindet. Die Verbindungsweise selbst muss er kennen, mit-
geteilt wird sie ihm nicht.
Es ist, um ein Gleichniss zu geben, wie mit einer geome-
trischen Aufgabe: es wird' uns z.B. das Dreieck nicht fertig
gegeben, sondern drei Punkte in der Ebene und die Forderung
ein Dreieck zu construieren, wir haben dann die verbindenden
139
Linie nach unserer Kenntniss des Dreiecks selbst zu finden;
oder werden uns drei Punkte in der Ebene gegeben und der
Name Kreis, so haben wir die verbindende Kreislinie selbst
zu construrieren. Wie nun für die Anschauung der mathe-
matischen Figur die Linien als das eigentlich wichtige er-
scheinen, und in den genannten Fällen doch nicht gegeben
werden, so erscheint die verbindende Thätigkeit bei der Hand-
lung als das eigentlich Wesentliche, aber auch sie ist nicht
gegeben, sondern muss wie die Lösung jen6r geometrischen
Aufgabe gefunden werden.
Sage ich: er einigt die Streit enden, er ebnet den Weg, er
ergänzt das Buch, er öffnet die Thür, so sind fttr den Hörenden
Erkennungsmerkmale der Handlung 1. die Thätigkeit allgemein
gefasst, 2. die Zustandsbezeichnungen wie eben, einig, offen,
ganz 3. das Object worauf diese Thätigkeit gerichtet sein
soll Zunächst construieren wir die Beziehbarkeit dieser Mo-
mente : die Thätigkeit soll so auf das Object gerichtet werden,
dass dieses Object in den angegebenen Zustand kommt, die
Thür z. B. soll so behandelt werden, dass sie offen ist Wie
das geschieht oder geschehen soll, müssen wir wissen, eine
Mitteilung erhalten wir darüber nicht. Also die Handlung wird
nicht mitgeteilt, sondern erschlossen.
Sagen wir: er Schriftsteller l, er tischlert, er sattlert, iii]6i^€i,
eXXijvl^ei u. a., so ist ausser der allgemeinen Thätigkeit eine
Kategorie von Personen genannt: Schriftsteller, Tischler, Sattler,
Meder, Hellene^ eine Kategorie die sich in unserer Seele nach
ihrer Beschäftigung oder nach ihrem Character von den übrigen
Personenkategorien ausgesondert hat Der Hörende erhält so-
mit zwei Personenbezeichnungen das Subject und die Kategorie-
bezeichnung, das Prädicat Beide stehen ungefähr in dem
Verhältnisse, als sagte man: er ist ein Tischler. Der Hörer
muss beide Personenbezeichnungen richtig construieren, er con-
struiert Schriftsteller, Tischler, Sattler u. s. f. hier nicht wie
Pflug, Acker, Sattler, sondern als Personen auch persönlich
handelnd. Er erschliesst daher die Verbindung : er handelt als
Schriftsteller u. s. f. Ich brauche nicht darauf hinzuweisen, dass
solche Verbalbildungen von persönlichen Substantiven, die einen
besonderen Charakter oder eine besondere Kategorie von Men-
schen bezeichnen, in freier Weise stets neu gebildet werden
140
können. So wurde beim Bekanntwerden des Zastrowschen
Verbrechens in Berlin ein Verbum zaslrorven gebräuchlich, eben-
so von dem Verbrechen des Dr. Preuss preussen.
Aus dieser Betrachtung haben wir drei Wege kennen
gelernt, wie eine bestimmte Handlung zum Verständ-
nisse gebracht werden kann: 1. durch Angabe der von
der Handlung berührten oder afficierten Objecte wie satteln,
pflügen, 2. durch Angabe des Zwecks der Handlung, ebenen,
vereinigen, 3. durch Angabe von Personen, an denen wir
eine bestimmte Art von Thätigkeit zu sehen gewohnt
sind, schriftsteilem, tischlern.
Wir sahen oben, dass die afficierten Objecte eigentlich die
räumlichen Ziele der Thätigkeit sind, in sofern Hesse sich die
erste Art der Handlungsbezeichnung auch die nach den räum-
lichen Zielen nennen. Nun unterscheiden wir jedoch in Folge
der Mechanisierung der Thätigkeit und der Trennung der Aus-
drucksform scharf zwischen afficiertem Objecte und räumlichem
Ziele, also bleiben wir lieber bei der Bestimmung durch affi-
cierte Objecte. Aber die Begrenzung der Handlung nach den
räumlichen Zielen ist auch so eine sehr häufige Art Hand-
lungen zu bezeichnen : bekannt ist wohl sehr weit in Deutsch-
land der Vulgärausdruck nach Stadt machen, nach Berlin machen.
Das machen ist verbaler Ausdruck der Thätigkeit ganz im
Allgemeinen, das Bestimmnngsmomente liegt allein in dem
räumlichen Ziele nach Stadt, nach Berlin, Ebenso steht es
vermutlich mit dem latein. proficisci, einer Ableitung von facio
und dem Bestimmungsmomente pro = nach vorn. Das Deutsche
Ollzweien ist eine Ableitung vom alten in zwei, der Ausdruck
bezeichnet also ursprünglich das Ziel, wird aber jetzt als Be-
stimmung nach dem Zwecke anfgefasst, weil wir entzwei als
Zustandsbezeichnung empfinden. Französisch gehören hierher
wohl Bildungen wie amasser {zusajnmenbringen aus *a mas\
amalir (von mat, glanzlos lassen), amaigrir, amari7ier u. a.
Wie das räumliche Ziel und das afficierte Object eigentlich
zusammenfallen, so der Zweck und das efficierte Object. Und
da es sich bei unserer Untersuchung über das Verständniss
der Handlung gar nicht um einzelne Verba allein handelt, so
sind hierher zu ziehen die bekannten Verbindungen wie Romur
lum regem fecit, griech. noutv ßaoiXia, eine Verbindung in der
141
Romulum afficiertes, regem efficiertes Object ist, oder Zweck, und
die ZweckbezeichDung enthält der deutsche Ausdruck zum
Könige machen. Hier ist das Thätigkeitswort ganz allgemein
und die besondere Art derselben muss erst erschlossen werden.
Doch ebenso notwendig ist ein Schluss bei den etwas spe-
cielleren Thätigkeitsbezeichnungen wie xad^cördvai, djtoöeixvpai
efftcere, creare consulem, reddere caecum, declarare, designare
consulem; denn die in der betreffenden Verbindung zu ver-
stehende Thätigkeit ist viel specieller als die durch das Ver-
bum angezeigte.
Wir stehen hier somit vor einer ähnlichen Erscheinung
wie bei der Substanz, die zwei Hauptgattungen der psycho-
logischen Substanz, die persönliche und unpersönliche, zerlegten
wir in Untersubstanzen, wie Jüngling, Neger n. a. Und so lässt
sich auch die allgemeinste Gattung der Thätigkeit in viele
untergeordnete Genera und Species zerlegen. Statt sat-
teln^ ursprünglich in dem Sinne sich mit dem Sattel zu thun
machen lässt sich auch sagen den Sattel dem Pferde auflegen;
legen und auflegen sind untergeordnete Genusbezeichnungen
der Handlung. Statt schattieren lässt sich sagen : den Schatten
zeichnen, statt ihrzen, duzen: ihr sagen, du sagen, statt nach
Berlin machen: nach Berlin reiseti, gehen, fahren.
Es ist jedoch deutlich, dass auch bei dieser Art der Be-
zeichnung ebensogut Ergänzungen notwendig sind wie bei der
allgemeinsten Thätigkeitsbezeichnung. Z. B. auf das Pferd den
Sattel legen soll eine ganz andere Art der Thätigkeit bezeich-
nen als das Buch auf den Tisch legen, die Decke auf den Fuss-
boden legen. Diese besondere Art der Thätigkeit müssen wir
aus dem Character der Beziehungspunkte ergänzen und ferner
aus dem Zweck, z. B. wie wir den Sattel anzufassen haben,
wie das Buch, wie die Decke, wie hoch und mit welcher Kraft
wir diese Dinge heben müssen, wie wir die Decke ausbreiten,
den Sattel festschnallen müssen, damit der Reiter diesen be-
nutzen könne, die Decke ihrem Zwecke entspreche. Und nach
Berlin fahren bezeichnet für Jemanden, der an der Bahnstrecke
nach Berlin wohnt etwas ganz anderes, als für Jemanden, der
die Post oder eigenes Gefährt benutzen muss, nach Hamburg
fahrest ist für den Americaner und Engländer ganz etwas anderes
als für den Leipziger.
142
Die besondere Species mnss also anch bei Angabe der
Unterarten der Handlungsbezeichnung ergänzt und erschlossen
werden, oder wird diese genau bezeichnet, ,so ist die indivi-
duelle Art zu erschliessen, d. h. die Art und Weise, wie gerade
das betreffende Subject diese Thätigkeit ausführt. Auf diesen
Punkt werden wir noch zurückkommen.
Doch wir haben eine Klasse von Begrenziungspünkten der
Thätigkeit noch fast ganz ausser Auge gelassen, die localen
Begrenzungspunkte, wenigstens haben wir von diesen nur
das räumliche Ziel genannt. Die Fahrt geht von Hamburg nach
London, — in diesem Satze ist der terminus a quo ebenso
wichtig für die Handlungsbezeichnung wie der ad quem, — ich
holte Wasser aus dem Brunnen, der terminus a quo Ist hier
von der grössten Bedeutung für die Begrenzung der Thätigkeit
Er ging über die Strasse, durch das Korn, unter der Drücke
durch, jfl>er den Berg u. s. f.; er lebte in Berlin, ass im Gatten
u. s. f. — lauter locale Begrenzungen der Handlung, durch
welche ihr eigentümlicher Character erst constittiiert wird.
Somit kommen zu den genannten Beziehungspnnkten für
das Verständniss der Thätigkeit noch die localen hinzu.
Wir können diese Punkte mit einer Anzahl anderer Punkte
zusammenfassen zu der Klasse der adverbialen Bestim-
mungen. Auch diese bestimmen den Artbegriff der Thätigkeit;
so ist z. B. durch das Schwert bei töten, durch den Strang u. a.
sehr bedeutungsvoll ftbr die Art der Handlung. — Es ist nicht
notwendig an dieser Stelle auf diese Begrenzungspunkte näher
einzugehen, da wir gesehen haben, wie das Verständniss aus
Beziehungspunkten überhaupt erschlossen wird.
Nur das sei bemerkt: eine grosse Zahl dieser Adverbia
sind locale Bestimmungen oder haben sich aus der localen Be-
deutung heraus zur modalen entwickelt z. B. qua lateinisch
eigentlich local dann auch modal und so stets in quasi, man
vergleiche zum Verständnisse dieses Vorganges deutsehe Aus-
drücke: auf dem Wege des Frevels, auf dem Wege der Gewalt,
auf den Bahnen der Sünde, ferner der Gebrauch ursprünglich
localer Präpositionen wie per Utteras, per vim, griech. öia, ix.
148
XX.
Unsere Geftthlslage nimmt als Wunsch und Wille, als Ab-
weisung, als Lust als Sehmerz, als Zorn oder sonstiger Affect
zu den Objecten der Aussenwelt bestimmte Stellungen ein, aus
denen eine Handlung oder ein Zustand des Sinns ergänzt
werden kann. Ganz vul^r sind deutsche Ausdrucke : ick wollte
nach Hamburg, ich wollte fort von Hause und in die Fremde,
das Packet soU nach Berlin, ich möchte fort, nach x, raus, ins
Freie u. s. f.
Wir haben es hier mit Verbindungen von Willensverben
mit örtlichen oder räumlichen Bestimmungspunkten zu thun,
Verbindungen, die vom Hörer aufgefasst werden in dem Sinne :
ich möchte dahin gelangen, fahren, transportieren u. a., und ich
möchte fortgehen von u. a. — Doch sprachlich bezeichnet ist
nur der Wille und das Ziel oder der Ausgangspunkt, und je
nach der Weise, wie sich bei den Beziehungspunkten der Wille
realisieren lässt, ergänzt der Hörer die gewollte, gewünschte
oder geforderte Thätigkeit.
Genau dieselbe Er^nzung erschliesst der Hörende, wenn
bei diesen Verben ein Object genannt wird: ich möchte das
Buch, ergänzt haben, kaufen, — ich will einen Teller Suppe,
ergänzt haben, essen; ich wünsche, möchte Tinte, Fleisch, er soll
einen Teller Suppe u. s. f.
Wir hatten nun in der ersten Untersuchungen gesehen,
dass die Geftihlsvor^nge sehr unmittelbar durch eine besondere
Art der Tonmodulation, des Tempos und der Intensität des
Vortrages bei dem Menschen als Geftihlsausbruch zum Aus-
drucke kommen. Selbstverständlich kann die Form der Actio
dieser Affecte, wie wir dies nannten, die Verba fllr den Affect
ersetzen. Doch dieser Geftthlsausbruch ist unmittelbar
und direct und hat stets das sprechende Subject auch zum
Handlungssubject, also ist der Ersatz durch den Empfindungs-
ton nur in den Fällen möglich, wo der Sprechende auch zu-
gleich das Subject jener Empfindungen selbst ist. Die Form
kann auf die referierende Rede, wie wir an einer früheren
Stelle bemerkten nur nach den Bildungsgesetzen der indirecten
Rede, also mit verändertem Tone und mit Referatsexposition
übertragen werden.
144
So besprachen wir früher ausführlich die in einem Objecte
bestehenden Imperativsätze, wie meine Stiefeln, Butterbrod,
ein SliAckchen Brod u. s. f.
Diese Sätze waren zunächst Angaben des schmerzlieh
vermissten Gegenstandes, wurden aber vom Hörer als Auf-
forderungen empfunden z. B. die Stiefeln zu bringen oder auch
zu putzen, zu gehen, zu flicken, — das Butterbrod zurecht zu
machen und zu geben, den Hut aus dem Schranke zu nehmen,
im Wesentlichen den gewünschten Gegenstand in der ihm
entsprechenden Weise dem rufenden Subjecte zu Teil werden
zu lassen oder zu geben, natürlich je nach der anschaulichen
oder bewussten Situation oder, wie wir nun sagen dürfen, nach
den anschaulichen oder bewussten Beziehungspunkten auch
eine andere Handlung damit vorzunehmen : Z. B. Buch -» aus
demselben vorzulesen , die Bilder = diese zu zeigen, — noch
einen Blick = das Auge noch einmal auf eine Person oder
einen Gegenstand zu richten, — einen Schluck «= thun zu lassen.
Man darf hier einerseits afficierte und efficierte Objecte
unterscheiden, welche bei dieser Ausdrucksweise gegeben wer-
den sollen und andererseits Handlungsobjecte oder innere Ob-
jecte, welche nach ihrer Weise gethan werden sollen, z. B.
einen Zug aus der Pfeife, — bei der Anschauung eines Blei-
stiftes noch einmal nemlich damit schreiben oder zeichnen, noch
einen Druck, noch eine Fahrt,
Einen Unterschied macht es femer, ob das afficierte und
efficierte Object für die sprechende oder die angeredete Person
gefordert wird, ein sprachlicher Unterschied ist dadurch nicht
bedingt. So kann noch ein Butterbrod Forderung für den Hö-
renden sein, dann wird ergänzt und erschlossen nehmen, natür-
lich wieder in der dem Object entsprechenden Weise.
Ebenso ist es bei den Forderungen mit einem localen
Ziele: nach Berlin am Billetschalter gerufen wird verstanden
als: gehen Sie mir ein Billet nach B, Doch ebenso kann
dem Bedienten zugerufen werden: zum Kaufmcmnl — dieser
erschliesst die Aufforderung zum Kaufmann zu gehen oder
etwas dorthin zu bringen. Der Ausruf: her damit ist eigent-
lich wohl gemeint in dem Sinne: komm damit her^ wird
aber verstanden als gib das her. Natürlich ist ein Unterschied
bei den übrigen localen Bestimmungen nicht, so beim Aus-
145
gangspnnkte der Bewegung: runter vom Stuhle, fort, raus, aus
dem Hause, vom Pferde, weg mit den Büchern, fort den Wein;
oder mit einem Objeete bei dem terminus a quo und ad quem:
die Hände aus den Taschen, Hand von der Butter, das Schwert
in die Scheide, das Buch in den Schrank,
Aueh hier kann die Aufforderung eine doppelte Beziehung
haben, entweder einen Befehl für den Angeredeten enthalten
oder aueh eine Aufforderung des Sprechenden an sich selbst
sein oder an sich und den Angeredeten zusammen. Die Selbst-
anrede ist nach den Grundsätzen zu beurteilen, welche wir
beim monologischen Sprechen entwickelt haben, doch die An-
rede des Sprechenden an die anwesende Person mit Einschlnss
der eigenen Person ist die Grundform des Adhortativus, z. B.
fort von hier = lass oder lasst wis fortgehen von hier, Dass
die sprechende Person sich bei der Aufforderung mit meint,
muss der Hörende natürlich erst erschliessen.
Nun noch einige Beispiele fUr die übrigen localen Be-
ziehungen : durchs Thor, über den Tisch, im Schranke (z. B. soll
gesucht werden), mit dem Besen (soll gefegt werden) u. s. f.
Auch die Demonstration lernten wir als Imperativ kennen
z. B. hier, gnädige Frau, da oder vielfach dialectisch /«/, man
ergänzt beim Hören ein nimm, nehmen sie, essen sie u. s. f.
Auch derVocativ ist ein Imperativ und wird verbal, d.h.
als Handlungsausdruck verstanden: du! du da! Sie! Heda!
Holla! Karl! iQ nach der Situation ergänzt man diesen Im-
perativ als: höre, nimm, komm, wach auf als Verwarnung =
thue das nicht, als Anspomung, aufmerksam oder gehorsam
zu sein.
Auch die Frage ist ihrem Wesen nach, wie wir sahen,
imperativisch. Götz ruft: Wa^ für Nachrichten von meinen lieben
Getreuen?^ und ergänzt wird: bringst du entsprechend dem
Character des Objects und der Situation des Subjects. Man
tritt in ein Zimmer und fragt: was? Feuer im Ofen oder ge-
heizt? neue Stühle? (schon) die Lampe? bei der Arbeit? In jedem
Falle ergänzt der Hörende eine andere Handlung. Wenn Götz
ruft: meine Leute, wo sind sie? so ist die Frage: meine Leute
bei der Situation ausreichend, der Zusatz wo sind sie? ist nach-
trägliehe Correctur? Locale Fragen sind: nach Berlin? von
Hamburg? durch das verbotene Thor? auf der neuen Strasse?
10
146
Die Affecte der Freude und des Schmerzes führen zu
derselben Ausdrueksweise und derselben Art des erschliessenden
und ergänzenden Verständnisses seitens des Hörers. Sieg!
Sieg! wird gedeutet als ich, wir haben gesiegt; — der Vater
= ist da, ist gekommen, kommt, wird kommen; — ein Brief!
Hochzeit! ein Kuchen! — heute zu Müllers = wir sind zu
Müllers eingeladen, werden zu Müllers reisen u. s. f. — Beim
Schmerze: weh, weh! der Löwe! ins Geßngniss =^ Bollen wir;
Götz ruft: in Ketten meine Augäpfel, eine Klage im Götz lautet:
Weh, weh! seine Wunden, ein schleichend Fieber;' — eine andere:
Weh, weh! Gift von meinem Weibe! Mein Franz verführt durch
die Abscheuliche!
Im wegwerfenden AflPecte kann gerufen werden: pah!
diese Elenden!, pfui! dieses Stü lieben oder über dieses Still-
leben!, Schwindel! Unsinn! Humbug! Auch diese Prädicate
von einer Handlung, von Personen, von Zuständen können und
werden thatsächlich als Handlungen gedeutet, als Verba des
Verurteilens verstanden oder = sie treiben Schwindel, Unsinn u.s.f.
Als Beispiele für andere affectvolle Ausrufe mögen
folgende Wortsätzchen dienen : Der Gerichtsdiener sagt zu Götz :
Ich werde Euch begleiten, — Götz antwoi*tet: Viel Ehre! —
Dank! vielen Dank! franz, merci, ital. grazie!, Er oder ich! Aus
Egmont: Da gings! Rick, rack, herüber, hinüber! noch einen
Schritt, und ihr seid verloren! Umsonst, der Nachbar schreitet — ;
nach Frankreich! im Unwillen gerufen ist so viel als ich will
nicht nach Frankreich. Ein Knall, und das Haus war ver-
schwunden, — ein Krieg, und nichts bleibt übrig, — eine Brücke,
und ich bin gerettet, — Mir das! mich zu schelten! me miserum!
vae victis! Lauter leidenschaftliche Ausrufe, bei denen eine
Thätigkeit vom Hörenden erschlossen wird.
XXL
Zunächst ist aus diesen Formen der directen und unmittel-
baren GefÜhlsäusserung klar, dass es zum Verständniss
einer Handlung gewisser besonderer Worte, die wir
Verba nennen, gar nicht bedarf. Wo die sprechende und
empfindende Person als solche vor unsem Augen gegenwärtig
thätig oder leidend ist, werden die Handlungen ersohlossen.
147
welche erfahrnngsmässig diesen Empfindnngsznstand herbei-
ftthren oder ihn beseitigen.
Die Beziehungspnnkte der Handlung zerfallen bei dieser
unmittelbaren Mitteilungsweise eigentlich nur in zwei grosse
Klassen: 1. in das Subject, und das ist schliesslich der
sieh selbst bewusste Mensch allein, 2. in Objecto, die
entweder persönlich oder unpersönlich sind; und zu diesen
gehören alle localen Beziehungspunkte der Handlung, nicht
blos das locale Ziel als afficiertes Object und der Zweck als
ef&ciertes Object, auch der Ausgangspunkt und die Punkte
über die sich eine Handlung hin erstreckt und der Ruhepunkt
der Handlung, sie alle werden von der Handlung tangiert, und
sie alle sind Vorstellungsobjecte des redenden sich
selbst bewussten Subjects.
Empfindet der Hörende als selbstbewusst schliesslich sich
nur selbst, so ist diese Empfindungs- und Anschauungsweise bei
jeder anderen Person gleichfalls vorhanden, eine jede empfindet
als selbstbewusst eben nur sich. Und obgleich der Hörende
in dem Sprechenden, mit dessen Zuständen er Sympathie hat
und der ihm als Anschauungsbild objectiy vor Augen steht,
nur ein Object sehen kann, so versteht er dieses Object und
dessen innere Zustände doch nur, insofern er dessen Zustände
den seinen gleich setzt und nach dieser Analogie deutet, indem
er sich also in die Seele des Sprechenden versetzt. Und da
dieser Process des Menschen, einen Anderen mit sich innerlieh
gleich zu setzen, zu den allerhäufigsten gehört, so muss er
auch zu denen gehören, die am stärksten mechanisiert und
darum am meisten unbewusst ablaufen.
So wird der Redende für den Hörenden auch wieder Sub-
ject Das wahre und eigentliche Subject kann also nur Ich
sein, d. h. die erste Person, das nächste Subject ist für die
I. Person die II Person, die fllr die I. Person auch wieder
Object ist, also ein secundäres Subject. Tertiäre Sub-
ject e sind die der III. Person, insofern sie als selbstbewusste
Ursache von Handlungen im Bewusstsein der I. und H. Person
vorhanden sind. Ein vierter Grad würde bei den Subjecten
vorhanden sein, welche im Bewusstsein einer tertiären IIL Per-
son vorhanden sind, ein fünfter Grad bei denen, welche von
einer quartären IIL Person als selbstbewusste Ursachen em-
10»
148
pfunden und vorgestellt werden und so in unendlichen Ab-
stufungen weiter. Ganz entsprechend stufen sich die Ob-
jecte ab.
Würde dieses Verhältniss in der Sprache zum Ausdruck
gebracht, so würde die Durchsichtigkeit und Einfachheit der-
selben darunter ausserordentlich leiden. Doch auch hier hilft
die Mechanisierung, der Sprechende verliert das Bewusstsein,
dass die II. und III. Person ausser ihrer Subjectsfunction ihm
gegenüber zugleich Objectsfunctionen hat. Man vergegenwärtige
sich einmal die endlose Kette, die entstehen würde, wäre dieses
Bewusstseins nicht geschwunden. Wollte man z. B. ausdrücken:
Cicero meinte, dass seine Feinde ihn vernichten wollten, so würde
zu sagen sein: Ich {der Sprechende) habe in mir den Cicero
als Erinnerungsohject, diesen Cicero stelle ich vor, dass er seine
Feinde als Beyvusstseinshild in der Seele hatte, und dass er seine
Feinde vorstellte, dass sie, die ihn zum Bewusstseinsohject
hatten, der wieder Subject für den Cicero selbst war, vernichten
wollten.
Die Vereinfachung des sprachlichen Ausdrucks
besteht darin, dass der Redende das Subjectsbewusstsein, das
er in und an sich selbst erfahren hat, auf andere Subjecte
überträgt, und dabei selbst ganz zurücktritt, obgleich eine An-
deutung des Verhältnisses noch gewahrt bleibt in der Unter-
scheidung der Personen, von denen die I. Person primäres, die
IL und ni. Person secundäres und tertiäres Subject sind. Aber
diese Andeutung ist mechanisiert und so verkürzt, dass sie
nicht mehr das Bewusstsein trifft.
Die üebertragung selbst aber ist nichts weiter als- Ein-
setzung der Sprachformen der I.Person in die IL und
III., d. h. der Formen der directen und unmittelbaren
Rede in das Referat, wobei, wie wir sahen, 1. Veränderungen
des Empfindungstones eintreten, 2. expositioneile Zusätze über
die Situation notwendig werden.
Es würde nun zu fragen sein: welches sind die Formen
des directen und unmittelbaren Empfindungsausdruckes ? Diese
Frage ist im vorhergehenden Abschnitte und in der ersten Ab-
handlung ausführlich erörtert. Diese Ausdrucksform ist der
Woi-tsatz.
149
Die weitere Frage würde die sein: welches sind die Ex-
positionsmittel des Referats?
Diese Mittel sind die Mittel, durch welche es möglich ist
ein logisches Prädicat dem Hörer zum Verständnisse zu bringen,
dessen Situation weder in der Situation der Anschauung noch
in der der unmittelbaren Erinnerung gegeben ist.
Diese Antwort ist allerdings eine sehr allgemeine, doch in
der Definition lässt sie sich nicht anders geben, wohl aber lässt
sie sich veranschaulichen. Bei dem Referat ist 1. die Hand-
lung vollendet und zwar so vollendet, dass die Folgen nicht
mehr als Zustand anschaulich gegenwärtig sind, die Handlung
ist die des Aorist; 2. die Person, welche die Handlung gethan,
ist als handelnde Person nicht gegenwärtig und somit auch
nicht als bei der Handlung empfindende oder leidende Person.
Mag also z. B. die erste Person über eine eigene frühere Hand-
lung referieren, die damaligen Empfindungszustände und ihr
sprachlicher Ausbruch sind nicht gegenwärtig, sie müssen da-
her durch ein Wort bezeichnet werden, das den Empfindungs-
zustand als nicht gegenwärtig sondern verobjectiviert dem
Hörer in das Bewusstsein rafen kann, also z. B. ein Ausdruck
für zürnen, sprechen, klagen, sich /reuen; ferner ist der Em-
pfindungszustand nicht gegenwärtig, so fehlt auch die Bezeich-
nung des handelnden, sprechenden, zürnenden, klagenden Sub-
jects auch dieses muss sprachlich bezeichnet werden. 3. Die
dem früher handelnden Subjecte gegenüberstehende Person
oder Personen, wenn solche vorhanden waren, sind nicht gegen-
wärtig, sie müssen bezeichnet werden, 4. ebenso die nicht als
IL Personen zu rechnenden Personen, auf welche die Handlung
sich bezieht, müssen bezeichnet werden, 5. die Objecto im
weitesten Sinne des Wortes, also auch die localen Punkte, auf
welche die Handlung sich bezog.
Doch hieraus ergibt sich noch kein klarer Unterschied von
der unmittelbaren Rede. Was wurde hier bezeichnet? Nur
die logischen Prädicate. In der referierenden Rede werden
aber auch die logischen Subjecte bezeichnet. Z. B. Sieg^ Sieg!
war directe Rede, der Hörer wusste, wer sprach, wer die Em-
pfindung der Freude hatte, wer gesiegt hatte. Referierend
könnte ein Satz lauten: A ruft: Sieg, Sieg!, dann wäre A ruft
die Exposition. Wollen wir aber referieren, dass A einmal
150
siegte, so müssen wir sagen: A siegte. Was ist hier Exposition
der referierenden Rede? 1. A das Subject, 2. die Elemente
wodurch der Sieg in die Vergangenheit verlegt wird, also hier
etwa die Silbe -te oder im griechischen tvlxfjös die ableitenden
Bestandteile, wodurch der Stamm vcxi]- zur III. Person des
Aorist wird.
Rufe ich: meine Stiefeln, so wird das indirect: A rief:
meine Stiefeln oder A fordert [meine] seine Stiefeln, Exposition
ist hier A rief, A forderte, die Veränderung vom directen mein
in sein steht auf gleicher Stufe mit der Veränderung des Em-
pfindungstones. Ich brauche die gleichen Vorgänge an den
anderen Teilen der Exposition nicht auszuführen: Pest über dich!
würde referierend sein A wünschte die Pest über B, — her da-
mit würde referierend sein, A befahl B den Gegenstand x zu
bringen. Wie wir schon an einer früheren Stelle sahen, werden
aber auch auf dem Boden der Anschauungs- und Erinnerungs-
situation gewisse expositioneile Bestandteile notwendig, daher
auch bei solchen Situationen: her das Buch.
Doch wir dürfen nicht übersehen, dass das Referat auch
auf der Stufe der Gegenwart möglich ist, wenn nemlieh,
1. von einer nicht anwesenden, also III. Person eine gewohn-
heitsmässige Handlung mitgeteilt wird, 2. eine Handlung, welche
sich an einem anderen Orte abspielt, während der Sprechende
die Mitteilung macht, z. B. A lügt = pflegt zu lügen, oder A
geht jetzt auf die Jagd.
Also die Handlungssätze mit den präcisen Formen
des Verbums werden thatsächlich erst notwendig auf
der Stufe des Referats, und die Formen des Referats
müssen einfach als indirecte Rede verstanden werden.
Wenn wir nun in den Referatssätzen das Object, die localen
Beziehungspunkte, die Zustandsbezeichnungen als ergänzende
Bestimmungen bei dem Verbum antreffen, so ist dies nicht das
ursprüngliche, alte Verhältniss. Diese Beziehungspunkte waren
ursprünglich, wie wir sahen, also in der unmittelbaren Em-
pfindungsrede, Sätze, Wortsätze, diese wurden bei dem Referate
zunächst selbständig mit den exponierenden Elementen zu-
sammengestellt, verbanden sich dann aber nach dem Ent-
wicklungsgesetze der indirecten Rede mit den Expositions-
elementen und wurden so zu Satzteilen.
151
Erst bei dieser Auffassung der Satzentstehung erhält auch
das früher Besprochene sein volles Licht: die Sätze timet, ne
und die verwandten lateinischen Sätze mit ne waren deutlich
die Verbindung eines exponierenden Verbums und der directen
Bede = er fürchtet: A soU nicht kommen, er weigert sich: A
soll nicht erhallen. Die directe Bede selbst aber zeigt schon
die entwickelte Form der Beferatsrede mit besonderer Verbal-
form, die directe Empfindungsrede sagt nur : A nicht das Buch.
Utar aliqua re, XQHcO^al xcvl sind in ihrer Construction höchst
wahrscheinlich ebenso zu erklären. Die directe Bede sagte: mit
dem ßeile, die Beferatsrede setzt als Exposition uti und xQV^^^f'
hinzu, der Instrumentalis blieb dabei.
Die Verba der Absicht, welche ursprünglich in den indo-
germanischen Sprachen den Infinitiv regierten, wie das Grie-
chische und Deutsche beweist, daneben das alte Latein und
die Isolierungen dieser Construction bei volo, nolo, malo, cupio
den Verben des Beschliessens, — diese Verba sind alle Ex-
positionen von Empfindungszuständen, welche in der unmittel-
baren Bede kaum Gelegenheit war auszudrücken, oft; dagegen
im Beferat. Bedenken wir nun, dass der Infinitiv in der un-
mittelbaren Empfindungsrede oft Imperativ- oder Willensaus-
druck ist, dass der Infinitiv eigentlich Substantiv war, so wird
es auch hier wahrscheinlich, dass er aus der directen Bede
beibehalten war. Z. B. nicht gehen, gehen direct, — er wünschte
nicht — gehen indirect. — Und nur so erklärt sich die Negation
bei den griechischen Verben z. B. des Hindems mit dem In-
finitiv, z. B. excokvösv avxov fiij levac: nicht gehen! er hin-
derte ihn.
Wenn wir nun sehen, dass Handlung immer erschlossen
wird, erschlossen wird aus den genannten Beziehungspunkten,
wenn wir weiter sehen, dass die unmittelbare Bede dieser
Handlungsbezeichnung entbehrt, oder doch sehr gut entbehren
kann, so werden wir die Entwicklung des Verbums ab-
hängig machen müssen von der Entwicklung des Be-
ferats und als einzig mögliche Momente und Factoren,
aus denen sich dies entwickeln konnte, die genannten
Beziehungspunkte, also die Objecto ansehen. Und that-
sächlich finden wir beim Verbum etymologisch nur eine mecha-
nische Composition nominaler Bestandteile : z. B.
152
Xoyo-c
Xeys-Ts
Xoye.
Die Elemente der Composition sind ausser dem als logisches
Prädicat zu bezeichnenden Stamme expositioneile Elemente, die
dem Referate dienen. Eine Veranlassung zur Exposition lag
nicht vor für die L Person Singularis des Präsens und Futurums,
weil dies in jedem Falle die sprechende und empfindende Per-
son selbst sein muss und hier fehlt tibereinstimmend bei der
grossen Masse der Verbalbildungen das Expositionselement -fii.
Entsprechend fehlt dem primären Subjecte eyoi, ego die Flexion
und dem secundären tu, cv wie dem Vocativ.
Der Stamm, der dem Verbum zu Grunde liegt hat dann
ähnliche Functionen versehen wie der Infinitiv und dem ent-
sprechend finden wir diese Nominalform in der indirecten Rede
nach den Verben des Sagens, z. B. djt^v eXß^elP, er sagte =
Exposition, direct eXß^etv = kommen = ich komme. Auch dieser
Infinitiv ist aus der directen Empfindungrede beibehalten.
XXIL
Bekanntlich hat tiber die Bedeutung der Handlung als
Mittel der Poesie und tiber die Weise, wie sie zu Stande
kommt, Lessing im Laocoon gehandelt, und wir sind es den
Manen des grossen Mannes, wie dem Ansehen, das seine glän-
zende Untersuchung geniesst, schuldig, auf dieselbe soweit ein-
zugehen, als der Zweck gestattet, den wir verfolgen.
Lessing sagt (Laoc. XVI 98 Hempel): ,Wenn es wahr ist,
dass die Malerei zu ihren Nachahmungen ganz andere Mittel
und Zeichen gebraucht als die Poesie, jene nämlich Figuren und
Farben in dem Raiune, diese aber articulierte Tone in der Zeit;
wenn unstreitig die Zeichen ein bequemes VerhcUtniss zu dem Be-
zeichneten haben müssen: so können neben einander geordnete
Zeichen auch nur Gegenstände, die neben einander oder deren
Teile neben einander existieren, auf einander folgende Zeichen
aber auch nur Gegenstände ausdrücken, die auf einander, oder
deren Teile auf einander folgen.'
153
Lessing sagt also hier ttber die Mittel der Poesie, — doch
was von dieser gilt, gilt von der Rede überhaupt, — also die
Mittel der Poesie seien: 1. articulierte Töne in der Zeit, und
damit hat er vollkommen Recht. 2. Die Mittel seien Mittel der
Nachahmung, 3. diese Mittel müssten unstreitig ein bequemes
Verhältniss zu dem Bezeichneten haben. 4. Aus diesen drei
Prämissen wird geschlossen, der Gegenstand der Nachahmung
müsste mit dem Mittel der Nachahmung in der zeitlichen Folge,
dem chronologischen Ablaufe übereinstimmen.
Der Schluss lässt sich nur wirklich würdigen, wenn die
Prämissen richtig gewürdigt sind, doch wir wollen nicht die
Frage allgemein so stellen: ist Sprache Nachahmung der dar-
gestellten Objecte, sondern sogleich fragen ist die sprachliche
Darstellung oder Poesie, welche Lessing für die allein berech-
tigte ansieht, also die sprachliche Darstellung der Hand-
lung Nachahmung der Handlung selbst? Unsere bis-
herige Untersuchung hatte uns gelehrt, dass die Darstellung
der Handlung dem Hörenden die Construction der Handlung
überlässt und ihm nur die Beziehuugspunkte angibt, an denen
er gleichsam die mathematische Aufgabe zu lösen hat, sie durch
die entsprechenden Linien zu verbinden.
Wir sprachen vom Satteln des Pferdes; — wie macht man
es. dass man eine lautlose in Muskelbewegungen eines Men-
schen bestehende, an einem leblosen Objecte vollzogene Hand-
lung, die ein empfindendes Tier berührt nachahmt? Ich ver-
stehe, dass man sagt, die Sprache ahme das Tosen des Meeres,
das Pfeifen des Sturmes, das Schmettern der Trompete, das
Schwirren des Bogens nach, — doch wie ein tönendes Mittel
fähig sein soll eine tonlose Handlung nachzuahmen verstehe ich
nicht. Doch jene Geräusche sind nicht articuliert, die Mittel
der Sprache sind aber aiüculierte Töne! Wird also die Sprache
auf die Nachahmung verwiesen, und sollen die Mittel der
Sprache nur Gegenstände nachahmen, zu denen die Mittel ein
bequemes Verhältniss haben, so darf Sprache und Poesie nur
den articulierten Laut widergeben; wo findet sich der articu-
lierte Laut aber anders als bei dem sprechenden Menschen,
d. h. in der Sprache des Menschen?
Nun sahen wir oben, dass in den Fällen, wo wirklich die
Sprache articulierte oder auch unarticulierte Laute nachahmt,
154
die Nachahmung sich weit vom Originale entfernt; und nur
diese schliesslich unkenntlich gewordene Wiedergabe fremder
Laute wurde zum wirksamen Sprachmittel.
Doch genug von der Nachahmung! Lessing ist vielleicht
nur im Ausdrucke abhängig von der unglücklichen Theorie
der Alten, speciell des Aristoteles, er meint wohl dasselbe, wag
wir Beschreibung nennen, das scheint seine weitere Ausführung
zu beweisen. Allerdings der Beweis ist sofort hinfällig, sobald
die Theorie der Nachahmung beseitigt ist. Aber ist die Dar-
Stellung der Handlung wirklich eine Beschreibung
derselben?
Eine Handlung beschreiben heisst, sie in ihre einzelnen
Momente zerlegen und diese einzelnen Momente hintereinander
aufzählen. Man denke sich, es sollte beschrieben werden, wie
Diomedes zur Schlacht schreitet: würden wir bei dieser Auf-
gabe vom Dichter erwarten, dass er uns angäbe, welche Muskeln
vom Helden in Bewegung gesetzt würden, wie oft diese Muskel-
bewegung statt fände, wie viele Fuss er die Beine spreizte,
wie er die Arme dabei bewegte, wie viele Minuten er dazu
braucht u. s. f. Das würde Beschreibung der Handlung sein,
aber nimmermehr Poesie. Offenbar müssten dabei ^uch Mo-
mente beschrieben werden, die Lessing dem Dichter zu be-
schreiben verbietet, denn die Bewegungen der Arme und Füsse
würden gleichzeitig erfolgen. Das Schreiten des Helden er-
fordert einen Boden, einen Untergrund, und der würde bei der
Thätigkeitsbezeichnung doch mit zu nennen sein, die Be-
wegungen werden beeinflusst durch Beinschienen und Harnisch,
diese Objecto dürften in ihrer Lage nicht unerwähnt bleiben.
Oder wählen wir ein Lessingsches Beispiel, Ilias V, Ge-
sang 722 ff., ich gebe die Stelle in der Jordanschen Ueber-
setzung:
,Hehe schob da sogleich auf des Wagens eiserne Achse
Räder, gerundet aus Erz, acht Speichen zählend. Die Felgen
Sind unvergänglich geformt aus Gold; der darüber in Reifen
725 Angetriebne Beschlag von Erz, erstaunlich zu sehen;
Silberne Naben umlaufen die beiden Enden der Achse;
Streifengeflecht von Gold und Silber bildet den Fahrstuhl, '
Welchen geschweift ein Doppelgestäng als Brüstung einfasst.
155
Vor ihm sireckte sich aus die silberne Deichsei, Ans Ende
730 Band sie das goldene Joch und hakte an diesem die schönen
Goldenen Kummete fest. Nun führte die hurtigen Renner
Hera unter das Joch, nach Streit verlangend und Schlachtruf
Lesging bemerkt dazu (St. XVI S. 100. Hempel): ,Will
Homer uns den Wagen der Juno sehen lassen, so muss ihn
Hebe vor unseren Augen Stück vor Stück zusammensetzen.
Wir sehen die Räder, die Achsen, den Sitz, die Deichsel und
Riemen und Stränge, nicht sowohl wie es beisammen ist, als
wie es unter den Händen der Hebe zusammenkömmt. Auf die
Räder allein verwendet der Dichter mehr als einen Zug und
weiset uns die ehernen acht Speichen, die goldenen Felgen, die
Schienen von Erz, die silberne Nabe, Alles insbesondere. Man
sollte sagen: da der Räder mehr als eines war, so musste in
der Beschreibung ebenso viel Zeit mehr auf sie gehen, als
ihre besondere Anlegung deren in der Natur selbst mehr er-
fordert.'
Zunächst, um ohne Umschweif die Sache zu bezeichnen,
gibt Lessing bei den Rädern zu, dass der Dichter ein räum-
liches Nebeneinander darstellt. Der Grund dafür ist ebenso
frostig und unrichtig, wie die ganze Nachahmungstheorie aus
der er geschöpft ist. Ferner ist die Handlung der Zusammen-
setzung weder nachgeahmt, noch beschrieben, wirkliche Hand-
lungsworte von der Thätigkeit der Hebe sind 722 Hebe schobt
729 ans Ende band sie das goldene Joch 730 und hakte an
diesem — . Die Handlung des Schiebens nun besteht in diesem
Falle zunächst aus einem Nehmen, die Räder müssen irgend
woher genommen werden, emporgehoben, wohin getragen
werden, in die betreffende Stellung gesetzt werden, um ge-
schoben werden zu können, dann befestigt werden. Von all
dem ist nicht eine Spur in der Darstellung. Und wäre das
gesagt, wie und in welcher Haltung, mit welcher Muskel-
anetrengung und Bewegung verrichtet Hebe die einzelnen Thä-
tigkeiten? Wie stemmt sie die Füsse, stellt sie die Beine u. s. f.
Hätte Homer das Alles beschrieben, so wäre er nicht Homer.
Es ist ferner deutlich, dass eine derartige Beschreibung,
mag sie nun ein Dichter oder Prosaist geben, eben so wenig
anschaulich wäre wie die Hallersche Beschreibung der Alpen-
156
blumen, die Lessing (XVII S. 105 Hempel) als poetisch miss-
glückt mit Recht bezeichnet. Also ist nicht blos der von
Lessing angegebene Grund falsch, warum die Poesie
nur Handlungen darstellen könne, sondern auch die
Thatsache falsch, dass Poesie Handlungen anschau-
lich zu beschreiben vermöchte.
Die Lösung des Problems, an das Lessing sich wagte, war
vermutlich bei der mangelhaften psychologischen Kenntniss und
Schulung jener Tage nicht möglich; darum treffen die Auf-
stellungen weniger die Person des grossen Kritikers als die
Zeit, in der er lebte und auch die moderne Zeit, welche so
oft die Lehren Lessings nachgebetet, oder mit stumpfen Waffen
angegriffen hat, obgleich ihr ganz andere Mittel zu Gebote
standen, die Frage zu beantworten als die, über welche Lessing
verfügte, (lieber die Einwürfe gegen Lessing vgl. die An-
merkungen Bltimners in seiner Ausgabe des Laocoon. IL Aufl.
S. 593 ff.)
XXIIL
Ist es nun also unmöglich, Handlungen zu be-
schreiben? Im eigentlichen Sinne des Wortes allerdings:
wir sind ausser Stande, eine genaue, die einzelnsten Vorgänge
darstellende Beschreibung einer Thätigkeit anschaulich zu ver-
stehen und ebenso unfähig sie zu geben.
Die Thätigkeit des Gehens und Legens, welche wir in ihre
einfachen Factoren und Momente zerlegten, wurde für den
Hörer unverständlich, oder verlor doch jede Anschaulichkeit.
Trotzdem bleibt bis zu einem gewissen Grade eine Zerlegung
der Thätigkeit anschaulich, z. B. er 7iahm das Rad, erhob es,
wandte es nach der Achse hin und steckte es darauf. Schwer
für uns zerlegar ist schon das Gehen, doch liesse sich dem
Homerischen ßi} 6* i'fcev entsprechend sagen : er schritt aus und
ging, erhob den Fuss und schritt. Wollten wir: schreiten weiter
zerlegen etwa: er erhob den rechten Fuss, streckte ihn nach
vorwärts, setzte ihn wider zu Boden — so hören wir auf, an-
schaulich zu schildern, wir erklären ti'ocken und umständlich.
Der Hörende verliert die Spannung und das Interesse, letzteres
weil ihm Wertloses mitgeteilt wird, erstere, weil er in seiner
157
Erwartung, wie oben geschildert war, schon weit den Worten
des Sprechenden vorausgeeilt ist.
Wir fühlen unmittelbar, dass zu einer derartig zerlegenden
Darstellungs weise Veranlassung nur da sein kann, wo wir an-
nehmen, der Hörende wisse nicht, was schreiten bedeute, —
ein kaum denkbarer Fall und wird er einmal praktisch, so
machen wir dem Hörenden lieber die Schrittbewegung vor.
Somit zeigt sich, dass wir in der zerlegenden Beschrei-
bung einer Handlung gewisse Grenzen nicht tiber-
schreiten dürfen, 1. Grenzen, die sich nach der geläufigen
Bekanntschaft des Hörers gegentiber der Thätigkeit richten,
2. Grenzen, welche das Gebiet der ganz unbewussten rein
mechanisierten Thätigkeit von der zweckbewussten Bewegung
scheiden.
So sind also bei den verschieden Arten von Thätigkeiten
einfachste Thätigkeiten in unserem Bewusstsein vorhanden, die
nicht selbst mehr beschrieben werden, sondern nur als Bau-
steine der Beschreibung verwendet werden. Man darf im All-
gemeinen wenigstens so viel sagen, dass der Mechanismus der
körperlichen Bewegung nicht mehr im einzelnen beschrieben
wird, sondern dass gewisse grössere Reihen der Muskelthätig-
keit, vrie die Bewegung des Beines, des Auges, des Kopfes,
des Armes, der Hand als solche letzten Bausteine der Be-
schreibung angesehen werden. Diese grösseren Reihen haben
sich in uns gebildet und zu automatischen Bewegungen mecha-
nisiert in einer Zeit der absoluten Unbewusstheit, sie können
also auch in ihre uns unbewussten Elemente nicht zerlegt
werden. Ebenso steht es mit den Elementen, aus welchen sich
die grösseren Reihen und Thätigkeiten unserer Seele zusammen-
setzen. Daher wird der Physiologe und Psychologe mit seiner
zergliedernden Beschreibung nur vom Fachmann verstanden,
nicht vom Laien, auch nicht vom gebildeten Laien.
Nun wird doch aber der Physiologe und Psychologe that-
sächlich von vielen Menschen verstanden, also sind auch diese
elementarsten Thätigkeiten des Menschen durch zerlegende Be-
schreibung verständlich. Gevnssl Es fragt sich nur, durch
welche Mittel? Es sei hier gleich geantwortet: durch die
Mittel, durch welche es dem Menschen überhaupt möglich ist
Thätigkeiten zum Verständniss zu bringen, welche der Hörende
158
noch nicht kennt. Diese Mittel sind jedoch nicht die fort-
schreitende Zerlegung.
Halten wir zunächst fest: Alle mechanisierte Bewe-
gung, von der wir annehmen, dass sie auch dem Hörer
automatisch ist, wird nicht mehr in ihre Bestandteile
zerlegt, ausser zu dem Zwecke, das bewusst zu machen, was
wir unbewusst und automatisch thun.
Diese einfachsten Thätigkeiten sind die früher schon als
Bausteine der Handlungsdarstellung bezeichneten Bewegungen
sie erscheinen uns als die einfachsten Thätigkeiten überhaupt,
sind es aber nicht wirklich, sondern sind wieder aus noch
einfacheren atomistischen Elementen zusammengesetzt. Wir
dürfen uns somit des bequemen Ausdrucks Moleküle der Hand-
lung gegenüber den Atomen bedienen.
Was macht nun das Verständniss jener atomistischen Vor-
gänge so schwierig? Bei einer Beschreibung ans der Mechanik
des menschlichen Körpers, z. B. bei der Beschreibung der Aus-
sprache des a oder r muss uns gesagt werden: m(m lege die
Zunge an die Alveolen, öffne die Stimmritze u. s. f., die mitgeteilte
Handlung des Legens und Oeffnens ist uns an sich ganz be-
kannt, aber nicht die Beziehungspunkte, wir kennen die Alveo-
len nicht so ohne weiteres, nicht die Stimmritze, und damit ist
auch die specielle Thätigkeit unbekannt, die von dem be-
sonderen Falle erfordert vrird. Wir haben hier also genau das
umgekehrte Verhältniss von dem oben gefundenen Handlungs-
ausdrucke: dort waren die Beziehungspunkte bekannt, und die
Handlung wurde ohne Schwierigkeit ergänzt, auch wo sie
nicht mitgeteilt war. Hier ist die Handlungsbezeichnung ge-
geben, die Beziehungspunkte sind unbekannt, uns fehlt das
Verständniss. Denn Thätigkeit ist ohne die Berührung der
Beziehungspunkte nicht vorhanden, und ein Verbum ohne seine
Objecte ist ein nichtssagendes Abstractum.
Die lautphysiologische Angabe wird also darum nicht ver-
standen, weil die Beziehungspunkte unbekannt sind, — nun
kann man diese ja beschreiben : die Alveolen sind das hintere
obere Zahnfleisch. Auch mit dieser Angabe kann der Hörende
nichts anfangen, denn er hat mit Bewusstsein niemals beob-
achtet, wie sich die Zungenspitze an diesen Teil des Mundes
legt, und welcher Effect für das Ohr bei dem Exspirieren dabei
159
heranskommt. Hat er dagegen die Zunge wirklieh nach der
Anweisung dorthin gelegt und nun exgpiriert, dann ist ihm die
Handlung verständlich, verständlich aber nur, weil er die Hand-
lung mit Bewusstsein erfahren hat.
Also nur mit Bewusstsein erfahrene Handlungen
oder Thätigkeiten können dem Hörenden zum Ver-
ständnisse gebracht werden. Man denke sich z. B., man
wolle Jemandem, der nie eine Feder gefUhrt hat, noch auch
je Jemanden hat sehreiben sehen, mit Worten klar machen,
wie die Finger an den Federhalter zu legen sind, es ist diese
Bewegung, wie jede Bewegung, eine zeitlich verlaufende Reihe
und doch nicht anders als durch das Auge und den Tastsinn
erkennbar. — Also eine Thätigkeits-Mitteilung ist nur
dem verständlich, der die Thätigkeit durch Gesicht
oder Tastsinn wahrgenommen und mit Bewusstsein
erfahren hat.
XXIV.
Und doch scheint diese Anschauung zu Widersprüchen mit
den Thatsachen zu führen: wer hat die Handlung des
Faust, der Iphigenie, der Ilias u. s. f. je mit Augen ge-
sehen? Und wir glauben trotzdem diese Handlung zu ver-
stehen und haben wohl, wenigstens bis zu einem gewissen
Grade Recht.
Sehen wir den Anfang der Homerischen Erzählung vom
Zorne des Achilleus an Gesang I, 8 flf.:
,Wer der Unsterblichen reizte sie (Atreus Sohn und Achilleus)
auf zu feindlichem Hader?
Leto's Sohn und des Zeus. Denn der, dem Könige zürnend,
Sandte verderbliche Pest durch das Heer; es sanken die Völker:
Drum weil ihm den Chryses beleidiget, seinen Priester,
Atreus Sohn, Denn er kam zu den rüstigen Schiffen Achaia's,
Frei zu kaufen die Tochter, und bracht' unendliche Lösung,
Tragend den Lorbeersch?nuck des treffenden Phoebos Apollon,
üeber dem goldenen StaV; und er flehele allen Achaiern,
Aber zumeist den Atreiden, den zween Heer fürst en der Völker u. s. f.'
(Voss.)
Offenbar ist die Gesammt-Handlung uns unbekannt, doch
160
unter den einzelnen Handlungen ist nicht eine, die wir nicht
irgend wie durch Erfahrung kennen gelernt hätten: Menschen
zum Zorne reizen, zvmen u. s. f. — Pest senden allerdings werden
die meisten Leser der Ilias nicht durch persönliche Erfahrung
kennen, frei kaufen einen Menschen vermutlich ebenso wenig,
Lorherschmuck tragen vielleicht auch so manche nicht. Und
trotzdem glauben wir auch diese Handlungen zu verstehen.
Offenbar denken wir uns Pest senden nach der Analogie v«n
ansteckende Krayikheit senden, frei kaufen einen Menschen nach
Analogie vom Viehkaufe oder sonstigen Käufen, Lorherschmuck
tragen nach Analogie von Eichenkranz oder sonstigem Baum-
schmuck tragen.
Es ist damit durchaus nicht gesagt, dass diese Vorstel-
lungen, also das Verständniss des Hörenden immer richtig sei,
es gehört zum Verständnisse einer fremdländischen oder zeit-
lich entfernten Erzählung auch eine bedeutende Menge histo-
rischer, ethnologischer, antiquarischer Kenntnisse. Uns handelt
es sich nur darum, wie wir jene Handlungen zu verstehen
glauben. Das Verständniss nach der Analogie von
einem bekannten Vorgange ist das Verständniss nach
einem Muster, einem Gleichnisse.
Solche Muster können als wirklich deckend oder
nur zum Teil deckend erscheinen. In dem ersten Falle
haben wir das Gefühl vollständiger Erkenntniss, im anderen
Falle das Gefühl nur annähernder Erkenntniss, das GefUhl nur
etwas dem, was gemeint ist, Aehnliches vorzustellen.
Dass aber auch die fttr vollständig gehaltenen Handlungs-
erkenntnisse, die sich nach Mustern vollzogen haben, durchaus
nicht immer wirklich vollständig und deckend sind, — das
beweist ein Blick auf bildliche Darstellungen antiker Vorgänge
auf Gemälden oder Zeichnungen des 16. und 17. Jahrhunderts;
doch der Hörende oder Lesende merkt die Abweichung seiner
Vorstellung von der Originalhandlung nicht.
Es wäre auch ein Irrtum, wollten wir glauben, dass die
Muster, nach denen Menschen derselben Culturstufe eine sprach-
liche Handlungsdarstellung in sich nachbilden, gleich wären.
Wir haben oben die Wichtigkeit der Beziehungspunkte der
Handlung für das Verständniss derselben kennen gelernt, also
des Subjects, der Objecte und der Baumangaben.
161
Zunächst werden die Personen, von denen uns eine Er-
zählung berichtet nach einem Muster vorgestellt, wenn
uns diese Personen nicht selbst von Angesicht bekannt sind.
Dass uns überhaupt die Personen einer Handlung innerlich
anschaulich werden, ist leicht zu ersehen: ist uns von einer
unbekannten lebenden Person das Eine oder Andere erzählt
und wir sehen dieselbe nach einiger Zeit mit Augen, so wer-
oen wir sagen: so habe ich mir die Person gedacht oder nicht
gedacht, ich habe sie fnir gross gedacht, klein, blond u. s. f. Das
Bild, das wir uns im Voraus von der Person machen, entsteht
also nicht blos, wenn uns die äussere Erscheinung derselben
geschildert ist, sondern auch, wenn wir nur gewisse innere,
ethische und geistige Characterztige derselben kennen gelernt
haben. Denn diese Züge sind ja nicht vollständig ausgelöst
aus dem Zusammenhange mit der leiblichen Erscheinung, und
ein Jeder stellt bei diesen inneren Zügen solche äusseren Züge
der Person mit vor, wie er sie bei jenen an bestimmten Indi-
viduen kennen gelernt hat. Die Probe für diesen psychischen
Vorgang ist die Art, wie wir und besonders der naive Mensch
eine fremde Person beurteilen. Das Aussehen einer solchen
erinnert in irgend welchen Zügen wohl stets an eine andere
Person, und diese bekannte Person gibt da zunächst das
Muster ab, nach dem wir die neue Person in Betreff ihrer inneren
Eigenschaften beurteilen.
Man höre einmal naiven Personen imd Frauen zu, wie sie
über einen Bomanhelden urteilen, der eine denkt ihn sich
schlank und blond, der andere bärtig, der clritte ohne Bart,
der mit blauen, jener mit schwarzen Augen u. s. f., wollen sie
es deutlicher bezeichnen, so nennen sie ihn einer bekannten
Person mit ähnlichen Character ähnlich. Stellt der Franzose
einen Kopf des Achilles dar, so wird man sicher einen Anklang
an den gallischen Gesichtsschnitt im Bilde erkennen, wenn
hier nicht eine antike Vorlage das Muster abgibt, — jeden-
falls, wo historische Muster fehlen, da wird der nationale Typus
des Künstlers hervortreten.
Die Bildung solcher Muster geschieht auf dem be-
kannten psychologischen Wege der Abstraction. Es ordnen
sich die schönen Männer und schönen Frauen, die edlen Männer
die tapferen Helden, die Schurken und Bösevdchter, die Lieb-
11
162
haber und Liebhaberinnen, die Spanier und Spanierinnen, die
Griechen und Italiener u. s. f. zu Gruppen in unserer Seele zu-
sammen. Die gleichen Züge verbinden und verstärken sich,
die ungleichen hemmen sich. Ausser Ansatz bei der Entstehung
dieser Gemeinbilder darf aber nicht bleiben das Verhältniss
de|r Stärke der einzelnen Bilder zu einander, aus denen
sich jene Gruppen zusammensetzen. Der Grad der Stärke
ist zuerst abhängig vom Grade des Interesses, das wir
an dem betreffenden Einzelbilde haben. FUr die Bildung eines
Musters yon einer gütigen Mutter, einem gütigen Vater wird
stets das Bild der eigenen Eltern eine hervoiTagende Bedeutung
haben. Ferner muss es einen Unterschied machen, in welcher
Reihenfolge die Einzelbilder in unsere Seele ein-
treten.
Es ist ja bekannt, dass wir ein bekanntes Ding erkennen,
auch wenn wir nur wenige Teile von ihm sehen, wir ergänzen
dann die übrigen Teile. Diese Ergänzung ist nur möglich,
wenn wir ein festes Gesammtbild des Dinges in uns tragen.
Werden einzelne Teile desselben durch einzelne Teile eines
anderen Bildes in uns associert, so tritt das Ganze in uns auf.
Daraus folgt, dass die Verbindung verwandter Bilder nur selten
sich so vollzieht, dass alle gleichen Teile sich mit einander
verbinden, alle ungleichen Teile sich hemmen. Vielmehr sieht
man z. B. von einem neuen Menschen nur einzelne Teile und
ergänzt diese durch das in uns vorhandene Gemeinbild, — er-
gänzen ist aber ^nichts anderes als an Stelle des neuen Bildes
Teile des in uns vorhandenen früheren Bildes setzen.
Dieser Vorgang tritt aber nicht erst ein, wenn die Gemein-
bilder aus einer Fülle von Einzelbildern schon entstanden sind :
jedes frühere Bild, durch das wir ein späteres appercipieren,
gibt von sich Teile und Züge dem neu zu appercipierenden
Bilde ab. Darum ist es für die Bildung von Mustern so be-
deutungsvoll, welche Bilder zuerst in unsere Seele getreten sind,
für die Muster von Personen sind daher von der massgebend-
sten Bedeutung diejenigen, welche sich zuerst zu voll aus-
geprägten Bildern in der Seele des Kindes ausgestaltet haben.
Diese Personen haben ausserdem durchgehend den Vorzug des
grössten sympathischen oder antipathisehen Interesses in der
Kinderseele.
168
Diese PersoDenmuBter, die wir in uns tragen, sind formell
genau dasselbe wie die Cliaracter-Ideale der plastischen und
zeichnenden Künstler. Auch der oft besprochene Zug der
Frauen, überhaupt des naiv beobachtenden Menschen, überall
Aehnlichkeiten entdecken zu wollen, entspringt dieser Art der
psychischen Mechanik. So entstehen in uns all jene Muster
fttr Held, Schurke, Geizhals, Bösewicht, Bräutigam, Stiefmutter,
Hexe u. s. f., die wir oben erwähnten. Man prüfe sich nur, ob
diesen Kategorien nicht vielfacli bestimmte persönliche An-
schauungsbilder entsprachen, von denen man selbst fühlen
wird, dass sie einen Anspruch auf AUgemeingiltigkeit nicht
erheben können.
Uebrigens sei hier bemerkt : viele dieser Kategorien lernen
wir erst durch bildliche Darstellung kennen oder aus ge-
schriebenen Erzählungen mit Illustrationen. Natürlich haften
unter den Illustrationen auch wieder die ersten am festesten
und geben die Muster für Personen ab: so bilden für mich
noch immer die Köpfe in den Beckerschen Erzählungen aus
der alten Welt für Odysseus und Achilleus die Muster, für
Hexe die Illustration zum Hansel und Grethel in den Grimm-
schen Mährchen. Es bedarf einer Ausführung nicht, dass die
aus Abbildungen gewonnenen Personenbilder wesentlich auf
gleicher Linie mit den lebendigen Anschauungsbildem von
Menschen fiir die Bildung solcher Muster stehen.
XXV.
Genau dasselbe lässt sich beobachten bei den Objecten
und dem räumlichen Schauplatze der Handlung. Lesen
wir ohne besondere antiquarische Kenntnisse vom Brode, Wagen,
Becher, Wein u. s. f. in den homerischen Dichtungen, so stellen
wir diese Gegenstände nach dem Muster des modernen Brodes,
Wagens u. s. 1. vor. Darum ergänzen wir unmittelbar bei den
auf diese Objecto bezogenen Handlungen die modernen Mani-
pulationen. Dies bedarf einer besonderen Ausführung nicht,
das ist allgemein bekannt.
Doch wie steht es mit dem räumlichen Schauplatze der
Handlung? Man prüfe sich einmal, wie man z. B. ein Pfarr-
haus, eine Försterei, einen Palast, ein Schloss, eine Bauernhtttte,
11*
164
den Strand der See, ein Thal im Hochgebirge denkt. An mir
wenigstens mache ich die Beobachtung, wenn ich mir ver-
gegenwärtige, wie ich mir in früher gelesenen Erzählnngen die
Lage und die Raumverteilung in solchen Gebäuden oder von
solchen Localen vorgestellt habe, — dass ich das Schema des
mir zuerst bekannt gewordenen Försterhauses und Pfarrhauses
auf das von der erzählten Handlung betroffene einfach tiber-
tragen habe; ja so ist es mir noch vor etwa einem Jahre er-
gangen mit dem Försterhause in Spielhagees Roman , In Reih'
und Glied' und ebenso mit dem Pfarrhause derselben Erzählung.
Doch dabei sind Abweichungen zu bemerken, Abwei-
chungen, die sich nach einem oder mehreren festen Mustern
für die Bewegung bestimmten. In einer Heyseschen Novelle
hatte ich gelesen, dass ein Schweizer von Bologna aus auf
staubiger Chaussee fährt, er kommt an einem Landhause vor-
über u. s. f Als ich mich später prüfte, wie sich in mir der-
artige Handlungen geordnet hätten, fand ich, dass mir das
Landhaus vom Fahrenden und der Strasse links lag. Odysseus
wandert zur Kirke, der Palast der Nymphe liegt mir seit
meiner Knabenzeit links vom Odysseus; — Odysseus geht zum
göttlichen Sauhirten, er geht für mich direct auf das Haus
zu, von dort passiert er auf dem Heimwege eine Opferstätte,
sie liegt mir links, er kommt an seinen Palast, dieser liegt
mir rechts, er muss erst an der Umfassungsmauer des Hofes
entlang gehen, er wendet sich dann rechts zur Thür, schreitet
auf das Haus zu, der Herd im Hause liegt vdeder rechts, aber
der Hund auf dem Hofe links. Hermes tritt auf den Odysseus
bei seinem Gange zur Kirke zu, — von rechts ; Athene be-
gegnet dem heimgekommenen Odysseus, von rechts. Kalypso
geht an das Meeresgestade, den Odysseus zu suchen, sie findet
ihn links sitzen ; der Meyerhof, an dem Ingo in Freitags Ahnen
vom Grenzkamm aus vorbeikommt, liegt mir links, die Biegung,
die er macht, um in das Gehöft Herren Answalds zu kommen,
geht nach rechts, der Bach, an dem sich Ingo verlobt, fliesst
rechts von seinem Wege.
Ich wage nicht, diese persönlichen Anschauungsformen zu
einer allgemeinen Regel zusammenzufassen, so wie es mir
scheint, liegt mir Alles links, was zufällig neben dem Wege
wahrgenommen vnrd, dagegen rechts oder vor dem Wanderer,
165
was er absichtlioh aufsucht. Doch finden sich am Wege mehrere
zufällige Punkte hintereinander, so stellt sich bei mir häufig
ein Wechsel ein, der erste liegt links, der zweite rechts. Ebenso
tritt, wenn bei einem Gange oder einem Continuum von Be-
wegungen mehrere Seitenbewegungen vorkommen, unter Um-
ständen ein Wechsel ein.
Es ist sehr fraglich, ob sich diese Anschauungsweise auch
nur bei einer einzelnen Person auf eine feste Regel bringen
lässt. Auch ist es nicht der Zweck dieser Ausführung diese
Regel zu suchen, wir haben diese ganze Betrachtung nur mit-
geteilt, um zu beweisen, dass feste Raummuster in unserem
Inneren vorhanden sind, nach denen wir räumliche Mitteilung
verstehen und dass wir ebenso Muster unserer Bewegung im
Räume in unserer Seele tragen, aus denen wir Bewegungs-
mitteilungen ergänzen und so verstehen. Und es ist von grosser
Wichtigkeit, dass wir ersehen, wie wir nach eigenen Bewegungs-
mustern die örtlichen Verhältnisse einer Handlung ordnen.
Es ist ersichtlich, dass diese Bewegungsmuster sich aus auto-
matischen Bewegungsformen des Menschen bilden, so dass hier
ein Eindringen in die Geschichte der Bildungsweise noch schwie-
riger ist als bei den vorher besprochenen Mustern. Dass die Ge-
brauchsweise des rechten und linken Armes dabei von Bedeutung
ist, scheint mir sicher, und ich will nicht versäumen auf einen
Ausdruck hinzuweisen, der mir bei dergleichen Betrachtungen
mehrfach einfiel : eine Sache links liegen lassen. Auch sonst mag
der sprachliche Ausdruck mehrfach von diesen Mustern bedingt
sein, er ist der rechte z. B. und rechts sind im Stamm identisch;
das Ziel liegt geradeaus, das Recht ist das Gerade, das Unrecht
die Seitenbewegung (vgl. franz. droit und tort, Recht, rectus).
Dieselben Muster bilden sich für andere Bestimmungen
der Handlung, die wir als adverbiale zusammenfassten ;
es sind dies die Beziehungspunkte der Intensität Quan-
tität und Qualität. Sagen vnr stark husten, stark laufen,
so bezeichnen wir damit, dass das Husten und Laufen eine
bestimmte Norm überschreitet, eben die correcte Norm, das
Normativ. Dieses Normativ ist für all die verschiedenen
Handlungen sehr verschieden, die Tonstärke, die wir beim
Husten als gross bezeichnen, ist für den Donner, das Brüllen
der See, des Löwen u. s. f. gering. Die Schnelligkeit des Laufs,
166
die wir beim Mensehen als bedeutend anseheö, erscheint uns
beim Hunde, beim Pferde, bei der Locomotive als gering. So
richten sich diese Normativbilder des Grades nach dem Cha-
racter des Subject und der Art der Thätigkeit.
Ein Kind, das wir gross nennen, ist klein gegen den er-
wachsenen Mann, dieser klein gegen einen Baum, dieser klein
gegen einen Turm. So haben wir Normalbilder der Quantität,
die sich gleichfalls nach dem Character des Subjects und der
Handlung richten; die verschiedenen Subjecte müssen also in
unserem Innern eine Durchschnittsgrösse haben; ebenso bei
viel, wenig, oft, selten.
Bei der Qualität, um der Bequemlichkeit wegen diesen
Ausdruck zu gebrauchen, finden sich dieselben normativen
Muster, die sich je nach dem Character des Subjects und der
Handlung bestimmen : schön ist der Mensch durch ganz andere
Züge als der Löwe, schlecht das Messer, das nicht schneidet,
schlecht das Wetter, das unseren Zwecken zuwider ist; heiss
am Sommertage ist eine andere Temperatur als im Winter die
Stubenwärme u. s. f.
Also alle menschlichen Vorstellungsgruppen erzeugen solche
Normativ- und Durchschnittsbilder, es fehlen uns nur noch die
für die Handlung und Thätigkeit. Es hat allerdings wohl
Niemand von uns gesehen, wie Jemand auf einem Armstuhl
sitzend von einem kleinen Tische sein Mittagsmahl einnimmt,
wie es Sitte war bei den Homerischen Helden, und doch wissen
wir uns ein Bild von dieser Handlung zu machen. Wir be-
sitzen das Muster für essen, in diesem Muster ist das Nehmen
der Speisen, das Einnehmen, Zerkauen u. s. f. einbegriffen.
Wir nehmen die gekochten und gebratenen Speisen allerdings
mit Instrumenten zu uns, nicht so der Alte, also müssen wir
die Gabeln und Löffel fortdenken. Da tritt nun also das Muster
des Speisenehmens ein, wie beim Brode, dem Obste und andern
Speisen. Das Essen von einem seitlich stehenden Tische ver-
stehen wir nach dem Muster, wie man von einem solchen etwas
fortnimmt.
Die Moleküle der Thätigkeit also, vne ich es oben
nannte, sind die stets unveränderlichen, stets nach
denselben Mustern gebildeten Handlungscomponenten,
dagegen die grösseren Complexe dieser Moleküle sind
167
in ihrer Znsammensetzung verschieden, doch so, dass
die Reihenfolge und die Uebergänge von dem einen
Molekül zum andern wieder nach bestimmten Mustern
construiert werden.
Undenkbar ist die Reihenfolge, um bei dem letzten Bei-
spiele zu bleiben: erst in den Mund stecken, dann nehmen.
Die Reihenfolge bestimmt sieh im allgemeinen nach
dem Zwecke der Handlung und dem Causalitäts-
gesetze, das wir aus der Erfahrung gelernt haben, und da-
mit bleibtauch die Form grösserer Handlungscomplexe
bestimmt, nur einzelne Teilchen können unter Umständen
in dieser Reihe umgestellt werden, wenn ihre Aufeinanderfolge
nicht notwendig causaliter durch den Zweck bedingt ist. Wenn
wir daher sagen: die Homerischen Griechen assen ohne Gabeln,
so weiss der Hörer bestimmt, welche Teile des gesammten
Handlungscomplexes, des Essens, also der Reihe durch die
Angabe: ohne Gabeln berührt werden, der gesammte Zusammen-
hang der Reihe bleibt dabei intact.
Daher wissen vdr nach solchen Mustern und dem Cau-
salitätsgesetze noch grössere Handlungsreihen zu reconstruieren :
z. B. er ass, verlicss den Saal, gimj zum Meeresufer, bestieg das
Schiff. Wir kennen überall Muster, die uns die überleitende
Bewegung von einem Stücke der Reihe zum anderen veran-
schaulichen.
Aber hat denn ein jeder Mensch für jede Thätigkeit ein
solches Muster? Sicher nicht z. B. von vielen technischen
Handlungen, darum bleibt eben die Erzählung technischer Thä-
tigkeiten dem Laien unverständlich. Ich erinnere nur an die
technische Handlungsdarstellung des Glockengusses bei Schiller.
Ein jeder kennt die Schwierigkeiten des Verständnisses, der
das Gedicht einmal Schülern erklärt hat. Wo also die ein-
zelnen Handlungen der Erzählung vom Hörer nach
gewissen Mustern nachgebildet werden, wo die Ver-
bindung dieser Handlungen gleichfalls nach Mustern
und dem Causalitätsgesetze, das der Zweck gibt, con-
struiert werden, da ist auf Verständniss beim Hören-
den zu rechnen.
Setzen sich dagegen Thätigkeitsmoleküle ohne den
bindenden Kitt des Causalitätsgesetzes zu einem blos
168
zufälligen Aggregat von Handlungen zusammen, so
ist das Verständniss und die Anschauung des Ganzen
sehr erschwert. Z. B. die Reihenfolge von Handlungen,
welche bei einem fremden Ciiltus- oder Festgebrauche sich
abspielt, verstehen wir zwar in ihren einzelnen Molekülen,
aber diese fallen zusammenhangslos auseinander, oder mit
Lessing zu reden, sie rollen alle den Berg hinab, auf den der
Erzähler sie mühsam gewälzt hat, der Hörer setzt aus ihnen
kein anschauliches Bild zusammen. Es geht ihnen also wie
den Stücken bei Beschreibung eines schönen Mädchens, eines
stattlichen Mannes, einer Blume. Denn hier fehlt der Kitt der
Causalität und damit, wie wir sahen, der verbindende Magnet
der Erwartung.
XXVI.
Wir haben gesehen, wie die Beziehungspunkte gleichsam
die Elemente sind, aus deren Verbindung der electrische Strom
der Handlung sich im Bewusstsein des Hörenden entwickelt,
wie der Zweck der Handlung den electrischen Strom der Er-
wartung erregt, die als Gesetz der Causalität beherschend auf-
tritt, die auch fehlende Elemente tiberspringt und sich auf
entferntere weiterleitet. Wir haben ferner gesehen, wie die
Reproduction dieser Elemente und Ströme sich nach bestimmten
in der Seele vorhandenen Mustern vollzieht. Doch mussten
wir anerkennen, dass in der Reihenfolge der molekularen Ele-
mente gewisse Vertauschungen möglich bleiben, die wir als
zufällig und unabhängig von der Causalität bezeichneten, dass
ferner in dem Bestände der Moleküle eine gewisse Veränder-
lichkeit, also eine Veränderlichkeit der Muster möglich war,
wie die Homerischen Griechen nicht die Gabeln gebrauchten,
nicht die Löffel, nicht vor dem Tische sassen, sondern daneben.
All diese Abweichungen vom Muster sind Abweichungen vom
Gemeinbilde, und das Gemeinbild ist das Generelle, also diese
Abweichungen sind das Individuelle der Handlung. Wir haben
daher die Frage zu stellen und zu beantworten: wie ist Indi-
vidualsierung verständlich?
Alle Substantiva sind Genusbezeichnungen, wie der Mensch,
der Tisch, das La?id, die Bank, der Berg u. s. f., nur die Eigen-
namen sind wenigstens für gewisse Kreise der Sprachgesell-
169
Schaft Individualitätsbezeichnungen, wie Cicero, Augmt, Fried-
rich, Berlin, Baiem u. 8. f. Dazu kommen noch die wenigen
namenartigen Worte der Wesen und Dinge, die uns nur in
einem Exemplar erscheinen, so der Name Gott^ obgleich dem
Polytheisten auch dieses Wort eine Genusbezeichnung ist, Teufel,
Hölle, Himmel, Erde, Unterwelt, Welt.
Der individuelle Character dieser Woii;e beweist, dass der
Character der Individualität eines Wortes einzig da-
von bedingt ist, ob wir mehrere oder nur ein Indivi-
duum unter demselben vorstellen. Werden mehrere Einzel-
wesen unter einer Wortnota einbegriffen, so müssen diese zu
einem Gemeinbilde, einer Art von Abstractum werden, sich also
zu etwas Generellem verbinden.
Ein Substantiv wird auch nicht individualisiert, nicht zur
Bezeichnung einer concreten einzelnen Person oder Sache durch
attributive Verbindung mit dem Adjectiv, z. B. der schöne Tisch,
der schöne Stuhl, der grosse Mann, das dimkle Sopha u. a. ist
stets nur eine Unterabteilung, eine Species jenes Genus Tisch,
Stuhl u. s. f. und ruft alle die Einzelwesen als eine Vielheit in
unser Bewusstsein, welchen die Merkmale zukommen.
Auch das Verbum ruft durchaus etwas Generelles in unser
Bewusstsein: herrschen kann von vielen Subjecten und vielen
Objecten ausgesagt werden, ebenso gehen, laufen, hören und so
alle Verba. Und z. B. der grosse Mann beherrscht die kleinen
Menschen kann eine allgemeine Sentenz sein.
Die adverbialen Ausdrücke wie sehr, wenig, heftig, so,
anders u. s. f. bezeichnen doch eine quantitative und generelle
oder qualitative Modification des Seins, oder Handelns, also
wider nur eine Species zum Genus : sehr starke Menschen, heftig
hegehren u. a.
So gäbe es denn nur eine Möglichkeit Individuelles zu
bezeichnen, die Eigennamen. Aber wir können doch von einer
bestimmten Brücke, einer bestimmten Schule, einem bestimmten
Schranke berichten, ohne Namen zu nennen, das Mährchen
nennt fast nie ein Namen, und doch verstehen wir die Könige^
die Menschenfresser, Fischer, Bauern u. s. f. als bestimmte In-
dividuen. Es muss also, auch abgesehen vom Eigennamen,
möglich sein durch die generellen Mittel, welche uns in
unseren Sprachworten geboten werden, individuelle Dinge,
170
Personen und Thätigkeiten darzustellen und zu ver-
stehen.
Die Personen in Goethes Hermann und Dorothea haben
mit Ausnahme der beiden Titelpersonen keine Namen vom
Dichter erhalten, und doch ist kaum jemals die Individuali-
sierung so meisterhaft gelungen wie bei den Gestalten dieser
Dichtung. Der Wirt des goldenen Löwens tritt uns am An-
fange der Dichtung sogleich mit einer Rede entgegen, dann
erzählt der Dichter:
,So sprach, unter dem Thore des Hauses sitzend am Markte,
Wohlbehaglich zur Frau der Wirt zum goldenen Löwen'
Eine Rede mit bestimmtem Inhalte und in bestimmter
Form kann nur von einem einzelnen Menschen gesprochen
werden. Der Wirt zum goldenen Löwen wird schwerlich bei irgend
einem Menschen zu einer besonderen generellen Kategorie
geworden sein, obwohl man sehr wohl denken kann, dass Je-
mand sagen könnte: die Wirte zum goldenen Löwen prellen die
Leute, dass dieser Jemand also unter den Wirten denen zum
goldenen Löwen einen besonderen Character vindiciert und sie
als Species aus der Gesammtheit der Wirte ausgesondert hätte.
Undenkbar aber ist, dass die Löwenwirte, welche unter dem
Thore des Hauses am Markte sitzen und zur Frau sprechen,
als besondere Kategorie sich in irgend einer Menschenseele
ausgesondert haben. Dazu kommt, dass das Präteritum eine
vergangene Thatsache berichtet.
So viel also ist schon deutlich, dass eine Genusbezeich-
nung, welche individuell getasst werden soll, eine
Reihe von Merkmalen erhalten muss, welche als Merk-
male einer generellen Kategorie in keiner Menschen-
seele vorhanden sind. Es ist ferner deutlich, dass diese
Kategorien nicht bei allen Menschen gleich sind.
Solche Merkmale waren an unserer Stelle 1. locale:
unter dem Thore des Hauses am Markte, 2. temporale: das
Präteritum sprach, 3. Zustände, welche nur vorübergehend
am Menschem vorkommen: sitzend, 4. Verhältnisse, die nicht
bei jedem Menschen vorhanden sind : Frau als Ehefrau und die
Gesellschaft derselben mit dem Manne, 5. eine Handlung, wie
sie nur einmal zu Stande kommen kann: die Rede des Wirts.
171
Diese Merkmale, mit Änsnahme des letzten, würden einzeln
nicht im Stande sein zu individualisieren: der Mensch denkt
unier dem Thore an den Thorzoll^ — das können alle Menschen
sein, — auch die Verbindung mit einem Präteritum kiJnnte in
diesem Sinne verstanden werden = früher dachte der Mensch
unter dem Thore an — .
Eine feste Grenze für die Individualisierung eines
Dinges oder einer Person lässt sich nicht geben, da
die Zahl und die Abgrenzung der Kategorien bei den einzelnen
Menschen eine verschiedene ist. Es genügt jedoch die folgende
ungefäre Begrenzung: Das Verständniss der Indivi-
dualisierung wird da erreicht, wo ein Individuum
durch locale und temporale Merkmale, ferner durch
Merkmale des Characters und der Beziehungen zu
anderen Wesen, durch Merkmale des Grades und der
Quantität so abgegrenzt wird, dass diese nicht mehr
die constitutiven Merkmale einer generellen Kate-
gorie sein können.
Bei der Erzählung: In einer grossen Stadt lebt ein Mann —
weiss der Hörende zunächst nicht, ob von einem Individuum
oder von einer allgemeinen Person die Rede ist, denn ein
einzelnes Merkmal genügt noch nicht zur Individualisiening,
es könnte ja weiter heissen: lebt ?nan billiger oder teuerer als
in einer kleinen Stadt, Doch ebensowohl kann die Fortsetzung
lauten: ein Mann, der viel Gutes gethan hat. — Somit kommt
hier der Hörende erst allmählich zum Bewusstsein,
dass von einem Individuum die Rede ist, und zwar
durc;h fortgesetzte Begrenzung oder Limitation des
Gen US begriff es, den er zuerst gehört hat.
Wenn wir bei unserem Beispiele von der Wortstellung ab-
sehen und vorausstellen: Ein Mann^ so wird dieser Ausdruck
durch das Local in eiiier grossen Stadt beschränkt und weiter
beschränkt in seiner Thätigkeit und der Zeit nach durch lebt,
und weiter durch die vollendete Handlung: der viel Gutes ge-
than hat. Die Beschränkung besteht aber darin, dass eine
vom Hörenden zunächst zu weit gefasste Vorstellungsgnippe
nachträglich, in Folge einer neuen Mitteilung, enger gefasst
und somit corrigiert wird ; — die fortgesetzte Limitation
ist also auch fortgesetzte Correctur. Ganz entsprechend
172
zeigte sich oben, isas die Handlong doreh fortgesetzte Corrector
Terstanden wird. Und auch hier gilt natürlich der Grandsatz:
je schneller und geläniiger eine solche Sprachreihe verläuft,
am so weniger fühlbar ist dem Hörenden die Thatsache der
Limitation and Correctar.
Man weiss daher, dass wir keine EntüLaschang empfinden,
wenn wir gezwangen werden das zaerst vorgestellte Genas im
Nachfolgenden als Individaam za denken. Doch za der That-
sache der Mechanisierang tritt noch ein neaer Grand, der ans
vor Enttäaschang schützt ein Grand, der ans aas dem Vor-
hergehenden schon bekannt ist. Wir sahen, dass wir Alles
nach bestimmten Mastern vorstellen, diese Master waren zwar
darch Abstraction der indi^idaellen Züge vielfach entkleidet,
wie sie die Einzelbilder besassen, aber doch war die Form
eines bestimmten Einzelbildes gleichsam die Grandzeiehnang,
aas der nach Massgabe späterer Bilder nur einzelne Züge, Linien
and Striche getilgt, andere später darin eingezeichnet warden.
Das Muster einer Hexe war eine bestimmte Hexe, dass des
Menschen ein bestimmter Mensch mit mannigfach verwischten
and veränderten Zügen. Somit behält das generelle Gemein-
bild doch immer den Character eines anschaalichen Individaal-
bildes nur mit der Eigenschaft, dass in diese Form eine Mehr-
heit von Einzelwesen gekleidet sind. Nicht gestaltlose Grappen,
sondern fest gestaltete Idealbilder sind es, denen wir die gene-
rellen Merkmale angeheftet haben.
So taucht also bei dem Verständnisse des generellen Aus-
drucks der Mensch dieses idealbildliche Muster von echter
Menschgestalt in unserer Seele auf. — Und doch sollen wir
diesen allgemeinen Menschen später als Vater oder Helden,
als edlen Jüngling oder schöne Jungfrau vorstellen, so muss
notwendig eine Veränderung und Umgestalung dieses Bildes
eintreten.
Je allgemeiner ein Muster, um so weniger Züge besitzt dieses
Gemeinbild; es hat daher keine Schwierigkeit, wenn diesem
Bilde allmählich ein Ausdrack von Kraft oder Güte, ein mäch-
tiger Bart, oder ein rosiges Gesicht, dunkle Locken oder blonde
Flechten wachsen, wenn die Gestalt sich reckt oder verkleinert.
Je weniger Züge wir an einem Bilde vorstellen, um so undeut-
licher ist uns das Bild. Sehen wir eine menschliche Gestalt
178
in der Ferne, so gentigen die wahrgenommenen Merkmale zu-
nächst vielleicht nur, in ihr einen Menschen zu erkennen. Sie
tritt näher, neue Merkmale nehmen wir wahr, es ist eine Frau,
noch näher tritt uns die Gestalt, es ist eine jugendliche Frau,
später erkennen wir die Farbe des Haares, die Züge des Ge-
sichts in voller Schärfe. Es bleibt uns dies scharf und deutlieh
geschaute Bild dasselbe als jenes erste undeutlich wahrgenom-
mene, aber ausgestattet mit einer Menge nun zu einer Einheit
verbundener Ztige.
Und nicht Enttäuschung fbhlen wir bei einem solchen
Vorgange, sondern im Gegenteil die Erwartung wurde gespannt,
als die Gestalt in der Ferne auftauchte, man fragte: wer mag
das sein? jeder Schritt näher, und die Erkenntniss vervoll-
ständigte sich, und als die Gestalt klar vor unseren Augen
stand, da war die Erwartung befriedigt. Die fortschrei-
tende Umgestaltung des Bildes ist also fortschrei-
tende Erkenntniss und fortschreitende Befriedigung
der Erwartung.
Ein Jeder beobachtet an sich selbst, dass die ersten ex-
positionellen Mitteilungen in der Erzählung mit geringerem
Interesse vom Hörer oder Leser aufgenommen werden als die
weitere Handlung. Wie oft hört man z. B. dass ein Leser in
Jen breit angelegten Expositionen der Walther-Scottschen Ro-
mane stecken bleibt. Diese Expositionen sind dazu bestimmt,
den Hörer mit der Individualität der Handlungsmomente, also
in erster Linie mit der Individualität der Personen bekannt
zu machen. Das Interesse und die Spannung wächst also mit
der näheren Kenntniss der Personen und der Handlungen, in
die sie verwickelt sind.
Nun kann man weiter beobachten, dass durchaus nicht
alle Personen, von denen wir einmal haben erzählen hören,
sich zu festen und anschaulichen Individualbildern
in unserer Seele ausgestalten. Viele, sehr viele Personen
der Geschichte kommen über die allgemeinen Züge Mann und
Frau in unserer Seele wenig hinaus. Der Grund dieser Er-
scheinung ist ein doppelter: 1. zum Verständniss einer Indivi-
dualität gehören immer mehrere Züge und je grösser die Zahl
dieser Züge, um so vollständiger ist bei dem Hörer das indi-
viduelle Bild; 2. nicht alle Personen nehmen unser Interesse
174
in gleichem Masse in Anspruch, wo aber das Interesse fehlt
oder doch gering ist, da hebt sich die erregte Vorstellungs-
gruppe mit nur geringer Stärke aus der Masse der übrigen
Gruppen empor, sie wird also nur schwach bewusst und mit ihr
die Muster, aus denen sich das Individualbild erzeugen solL
So zeigt sich 1. eine Abstufung in der Klarheit und
Anschaulichkeit der vom Hörer erzeugten Individual-
bilder, 2. dass diese Abstufung der Klarheitsgrade be-
dingt ist von dem Interesse des Hörers für die Per-
son. Die höchste Schärfe und Anschaulichkeit dieser Bilder
wird daher dann erreicht werden, wenn es dem Erzähler ge-
lingt, dem Hörer den höchsten Grad des Interesses aufzunötigen.
Das Gelingen ist 1. bedingt durch das Wesen und den Character
der mitgeteilten Merkmale, 2. bedingt durch die Art, wie diese
Merkmale vom Erzähler mitgeteilt werden.
Die energischten Interessen, wie wir sahen, sind die
egoistischen Interessen im weitesten Sinne des Wortes
d. h. die Strebungen des Lust- und Unlustgefiihles in der Er-
haltung und Befriedigung unseres Ichs. Fest haften daher die
Bilder unserer Feinde und Wohlthäter in unserer Seele und
gern hört der Mensch seinen Feind getadelt, seinen Freund
gelobt. Gern hört er den Worten, welche seine persönlichen
geistigen Strebungen fördern, hier fehlt nicht das Interesse,
hier erreicht der Sprechende leicht Anschaulichkeit. Man nennt
diese Interessen Fachinteressen und spricht damit aus, dass
sie nur kleineren Gruppen einer Sprachgemeinschaft eigen sind.
Die niederen egoistischen Interessen zu fördern halten wir für
unmoralisch, und diese Interessen hat eine jede einzelne Person
für sich allein, sie tragen also sämmtlich keinen allgemeinen
Character an sich.
Fragen wir nach den allgemeingiltigen Interessen,
den sogenannten allgemeinmenschlichen, die der Erzähler zu
berücksichtigen hat, der sich an ein grosses Publicum wendet,
also in erster Linie der Dichter, — so sind dies die Interessen,
welche die gleichen Gefühle in uns erregen wie die egoisti-
schen, doch ohne dass wir eine Lust empfinden über Förderung
des eigenen Ichs, einen Schmerz über die Hemmung, eine
Furcht über die Gefährdnung unserer eigenen Person. Es sind
dies die sympathischen Gefühle des Menschen, Gefühle
175
gleicher Qualität wie die egoistischen, aber verschieden durch
die Beziehung: die egoistischen Geftihle sind bezogen auf das
empfindende Subject selbst, die sympathischen Gefühle auf
eine fremde Person. Es ist formell der gleiche Vorgang wie
der oben besprochene, wo das primäre Subject durch das
secundäre und tertiäre ersetzt wurde, gleichsam ein indirectes
Interessiertsein, wie der Einsatz des tertiären für das primäre
Subject eine indirecte Rede war.
Diese sympathischen Gefühle der Furcht für einen Anderen,
der Hoffnung, der Freude, des Schmerzes in eines Anderen
Seele treten ein durch entsprechende Zustände, in welche der
Mitmensch versetzt wird, doch so dass wir jene Gefühle haben
würden, wenn wir uns selbst in diesem Zustande befänden.
Zustände des Menschen aber sind Abschlüsse von Vorgängen,
die mit ihm vorgenommen sind. Die Zustände, welche unsere
Furcht und unsere Hoffnung erregen, erregen eben den Wunsch
in uns, dass der leidende Mensch in einen Zustand übergeführt
wird, der unser Lustgefühl erregt. Kurz diese Gefühle erzeugen
sich in uns an und durch Handlungen, welche Leidens- und
Lustzustände einer fremden Person zur Folge haben.
Gelingt es also dem Erzähler, diese Gefühle in Bezug auf
Qine fremde Person bei dem Hörer zu erregen, so wird das
Interesse des Hörers hoch gespannt, durch das Interesse aber
das Individualbild oder auch die Individualbilder sehr energisch
aus der Masse der übrigen Vorstellungen emporgehoben werden.
Also wenn die Merkmale der Individualität mit den
sympathischen Gefühlen eng verknüpft werden, so
tritt gespanntes Interesse ein, das ist nur möglich
bei Handlungen, die zu gewissen Leidenszuständen führen,
also darf der Dichter nur derartige Handlungen dar-
stellen; und Lessings dahingehende Forderung ist
vollkommen richtig, verfehlt war nur seine Begründung.
Doch frei, ganz frei ist die Construction dieser
Individualbilder, eine freie That des Hörers. Thor-
heit wäre es zu glauben, der Dichter könne den Hörer durch
seine Mittel zwingen ein ganz bestimmt geformtes Bild zu er-
zeugen, die Muster des Hörers sind andere als die des Dichters,
and nur nach den eigenen Mustern erzeugen und eonstruieren
wir diese Bilder. Lessing hat daher auch wieder Recht, wenn
176
er die Berechtigung der Besehreibung von Personenbildern be-
streitet. Die That des Dichters, seine ganze Grossthat beruht
darin, dass er den Hörer zwingt, selbständige, rein persönliche
Individualbilder in seinem Bewusstsein vorzustellen mit voller
Stärke, mit voller Anschaulichkeit, kurz mit vollem Interesse.
Aus diesem Hergange lassen sich eine ganze Reihe von
Forderungen für die Kunst des Dichters ableiten doch ich will
nur die Hauptforderungen angeben. Beruht das Interesse auf
der Erregung der Gefühle von Strebungeü für die Person des
Helden einer Erzählung, Strebungen für dessen Wohl- oder
Uebelbefinden, — für das Uebelbefinden z. B. des Schurken
oder Gegenspielers — , so muss der Dichter diesen Strebungen
entgegen kommen und sie befriedigen, denn die Strebungen
erzeugen Erwartungen, über den Verlauf des Leidenszustandes
Weiteres zu hören. Bleiben diese weiteren Mitteilungen aus»
so wird die Erwartuung getäuscht, die weitere Erzählung ver-
liert das Interesse, denn sie gibt den Strebungen keine Be-
friedigung. Wir können die hierin liegende Forderung be-
zeichnen als die Forderung der Einheit der Handlung. Aus
dieser Forderung ergibt sich die andere, von der vielgestaltigen
umgebenden Situation der Personen und der Handlung nur
das mitzuteilen, was zum Verständniss der Handlung und zur
Erregung des Interesses notwendig ist, es ist die Forderung
der straffen Führung der Handlung. Denn an jede Mit-
teilung knüpfen wir Erwartungen, war die Mitteilung z. B. über
die Anlage eines Hauses aber blos in baulichem Interesse und
nicht in Rücksicht auf den WeiteiTcrlauf der Handlung ge-
geben, so bleiben die Erwartungen unerfüllt, welche wir daran
geknüpft haben, und wir fühlen uns in unserem Streben ge-
hemmt, von dem erwarteten Weiterverlauf der angeknüpften
Handlung Weiteres zu erfahren.
Da ich bei dieser Gelegenheit nicht vorhabe die angeregten
Fragen auf das poetische Gebiet weiter zu verfolgen, so weise
ich nur auf folgende concrete Fälle hin: Ist der Hörer ge-
zwungen Interesse für die poetischen Personen zu hegen, so
construiert er frei aus sich Alles, was für die Anschauung eines
Individualbildes notwendig ist, es bedarf dazu keiner Angabe
oder Mittelung des Dichters. Als Beispiel hierfür setze ich
hierher Uhlands Rache.
177
yDer Knecht hat erstochen den edeln Herrn,
Der Knecht tvär* selber ein Ritter gern.
Er hat ihn erstochen im dunkeln Hain
Und den Leih verse^iket im tiefen Rhein;
Hat angeleget die RiXstung blank,
Auf des Herren Ross sich geschwungen frank.
Und als er sprengen will ixber die Brück',
Da stutzet das Ross und bäumt sich zurück,
Und als er die güldnen Sporen ihm gab.
Da schleuderts ihn wild in den Strom hinab.
Mit Arm, mit Fuss er rudert und ringt:
Der schwere Panzer ihn niederzwingt,'
Es ist dieses Gedicht ein Beispiel der Individualisierung
rein aus dem Interesse an der Handlung heraus, die Personen
des Knechts und des Ritters sind sonst in keiner Weise durch
Limitation von anderen Knechten und Rittern abgeschieden.
Ferner die straffe Führung der Handlung, welche die für
die Handlung unwesentlichen Momente der Situation ver-
schmäht mitzuteilen, gebe ich den Anfang von Goethes Braut
von Corinth:
,Nach Corinthus von Athen gezogen
Kam ein Jüngling, dort noch unbekannt.
Einem Bürger hofft' er sich gewogen;
Beide Väter waren gastverwandt.
Hatten frühe schon
Töchterchen und Sohn
Braut und Bräutigam voraus genannt*
Es fehlt hier jede Bezugnahme auf die Zeit, und doch
sagt uns später die Handlung selbst alles Notwendige darüber,
keine Angabe über den Ausgangspunkt des Jünglings, keine
Angabe über Erziehung, Nationalität u. s. f., auch über den
Weg keine Mitteilung. Ueber die Situation ist uns nur das
gesagt, was für die Handlung wertvoll ist, nach der unmittel-
baren Empfindung, dass eine jede Mitteilung auch einen Wert
haben muss entweder für sich oder in Rücksicht auf ein höheres
12
178
Prädieat. Keine Ausfiilinmg der Handlung selbst, — und doch
verstellen wir alle Ilaudlungsmitteilung nach unseren Ilandlungs-
mustern.
XXVII.
Wo also Muster fehlen, da ist es vergeblich durch Be-
schreibung ein Bild entwerfen zu wollen, dem Hörer fehlt die
Fähigkeit ein solches frei zu construiercn, er wird daher weder
einen räumlichen Körper noch eine Handlung anschaulieh zu
verstehen im Staude sein.
Und doch auch hier gibt es ein Mittel, das Verständniss
zu wecken, ein Mittel, das wir schon erwähnten: wo die
deckenden Muster fehlen, da greift mau zu verwandten
Mustern und veranlasst den Hörenden, den Gegenstand und
die Bewegung nach Analogie zu erschliessen, dieses Mittel ist
der Vergleich.
Es ist ein Irrtum zu glauben, dass der Vergleich der Poesie
eigentümlicli sei, er ist eines der allergewöhnlichsten Sprach-
mittel, die wir besitzen. Man denke sich, man wolle eine Be-
wegung genauer mitteilen, die ein Schilf auf dem Wasser
macht, oder ein Fussgänger auf dem Lande. Man wird da viel-
leicht sagen: das Schiff fährt eine Meile nach Osten, macht
eine scharfe Biegung nach Süden, fährt in dieser Richtung
40 Ellen oder 10 Klafter oder 2 Faden u. s. f.; oder man nennt
die Bewegung kreisrund, oval, den Raum, den das Schiff um-
fährt, ein Quadrat.
Deutlich ist die Bezeichnung oval ein Vergleich mit dem
Ei, ein Jeder wird wissen, in wiefern eine plauimetrischc B:-
wcgung mit einem Ei verglichen werden kann und so nach
dem Muster des Eis die Bewegung richtig anschauen. Das Ei
al)er wird zum Vergleiche herbeigezogen, weil man voraussetzt,
dass del* Hörende das Musterbild eines Eis in der Seele trägt.
Die Länge der Bewegung wird nach Fussy Klafter oder
Lachler, Schritt, Ellen, Meilen bestimmt. Der Fuss ist ur-
sprünglich der menschliche Fuss, also ein Anschauungsbild,
von dessen Ausdelinung man sich jeden Augenblick eine Vor-
stellung bilden kann entweder weil es fest in unserer Seele
eingeprägt ist oder weil wir uns am eigenen Fusse das Bild
stets vergegenwärtigen können. Der Normalfuss dagegen ist ein
179
Muster, das wir nnr in unserem Bewusstsein ti-agen, dies Muster
wird bei den meisten Menschen einem Zollstabe ähnlich sehen,
mit diesem also wird die Länge der Fahrt verglichen. Ebenso
war die Elle ursi)rünglich der Unterarm, das Klafter die aus-
gespannten Arme, die Meile 1000 römische Passus u. s. f.
Häufig wird die Länge der räumlichen Bewegung nach der
Zeit bestimmt, die der Mensch gebraucht, um den Raum^zu
durchmessen: eine Stunde, fünf Minuten. Bekannt ist das Mass:
eiji Buchs ens clmss, eiyi Picp-Toback, ein Hunnehlaff, lauter Ver-
gleiche. Schliesslich sind auch die Bezeichnungen der Himmels-
richtungen Vergleiche, Vergleiche mit dem Laufe der Sonne,
Oriens {Sol), (Jccideivt, Aufgang, Niedergang; — Abend, Morgen,
Mittag, Mitternacht sind Vergleiche mit den Tageszeiten. Und
wenn wir die Richtung mit rechts, links bezeichnen, so ver-
gleichen wir die Richtung der Bewegung mit der Lage unserer
Hände.
Und was thun wir, wenn wir ein Bauwerk beschreiben
wollen? Wir sprechen von der Lage der Fenster: sie sind so
und so viele Fuss auseinander, — ein Vergleich, — so und so
viele Meter hoch, — ein Vergleich. Die Bogen bestimmen wir
durch einen Vergleich mit dem mathematischen Kreise, als
Tonnengewölbe durch Vergleich mit der Tonne, bei Zwiebel-
türmen ist der Vergleich aus der Pflanzenwelt hergenommen.
Aber auch die elementaren Nerven- und Sinnesempfindungen
lassen sich nicht beschreiben, sie lassen sich nur vergleichs-
weise andeuten, die grüne Farbe ist uns grasgrün^ wir sprechen
von ziegelrot, pechrabe7isch?rarz, stahlblau, rosenrot, essigsauer,
Obstsäure, honigsüss, gallenbitter u. s. f. Und zerlegen wir die
oben besprochenen einfachen und elementaren Nerven- und
Muskelvorgängc die psychischen Erscheinungen in ihre Atome,
so nehmen wir die Bezeichnungen her aus dem Gebiete der
Thätigkeit, welche dicsseit der Grenze des Unbewussten liegen:
die Muskeln bewegen sich, sie zucken, sie werden gestreckt, zu-
sammengezogcn, die Vorstellungen henimen sich, es geht etwas in
der Seele vor u. s. f.
Doch ich breche hier ab, es ist ja ersichtlich, wie tief ein-
eingreifend diese Bezeichnung nach fremden Mustern für die
Lehre von der Wortbedeutungsentwicklung, für die Semasiologie
ist. Es ist auch in der ersten Abhandhing ausgeführt, wie die
12*
180
bildliche Bezeichnung allmählich ihrer Function congruent wird.
Es ist femer bekannt, eine wie einschneidende Bedeutung der
Vergleich für die kunstmässige Form der Darstellung in Prosa
und Poesie gewonnen hat, und es muss aus den vorliegenden
Untersuchungen klar geworden sein, dass die Fragen der Bhe-
torik und Poetik nach denselben Gesichtspunkten und Gesetzen
beantwortet werden müssen, wie die Fragen der Grammatik.
Zum Schlüsse gebe ich im Ueberblick eine kurze Zu-
sammenstellung der wichtigsten allgemeinen Resul-
tat e vorstehender Untersuchungen:
Wir sehen also, dass die Sprache sich entwickelt aus
ethischen Bedürfnissen, dem Bedürfnisse, den Willen einer
fremden Person so zu beeinflussen, wie es dem Sprechenden
wertvoll erscheint, — in Imperativ, Frage, Hinweis und Auf-
forderung Bewusstseinselemente zu vergegenwärtigen.
Das Verständniss dieser Willensbeeinflussung geschieht
durch Schlüsse, welche der Hörende aus der Situation, ge-
wissen sprachlichen Andeutungen des Sprechenden und den
Empfindungserscheinungen an ihm zieht. Er erschliesst Leidens-
zustände des Sprechenden und fühlt sich durch den ethischen
Trieb der sympathischen Gefühle veranlasst, dem Leidenden
in der erschlossenen Weise zu helfen: so folgt er dem er-
schlossenen Befehle, so beantwortet er die gestellte Frage, so
schaut er auf das gewiesene Bild der Anschauung, so repro-
duciert er auf Geheiss ein Bewusstseinsbild, ein Muster, und
je nach dem Grade, wie der Sprechende die sympathischen
Gefühle des Hörers zu erregen weiss, wächst sein Interesse
und die Schärfe der in das Bewusstsein gehobenen Bilder und
ihre Anschaulichkeit.
Die Schlüsse des Hörers werden durch Häufigkeit und
Uebung mechanisiert, sie comprimieren sich zu momentansten
Vorgängen und verlaufen unbewusst. Der Befehl ein An-
schauungsbild anzuschauen comprimiert sich mit dem Befehle
ein Erinnerungsbild zu reproducieren, dem Prädicate, zu einer
substantiellen Gruppe, dem Substantiv. Neue Prädicate von
dieser Reihe ausgesagt comprimieren sich mit dei-selben wieder
in gleicher Weise zum attributiven Verhältnisse und so fort.
181
Alle Sprachelemente sind ursprünglich Sätze. Die Sätze
stufen sieh ab nach ihrem Illustrationswerte, den sie für das
eigentlich Wertvolle der Mitteilung enthalten, sie werden zu
Nebensätzen, zu Wollten, zu Wortbestandteilen als Suffixe und
Präfixe. Nach diesem Gesichtspunkte ist das einfache Wort
wie der Satz, wie die Periode, wie das geschlossene sprach-
liche Kunstwerk gebaut und gegliedert.
Es sind zwei grosse Klassen von Sprachelementen zu
unterscheiden, die Exposition und das Prädicat, und zwei For-
men der Anordnung: 1. zuerst das Prädicat gestellt dann die
Exposition, die naive Form der nachträglichen Correctur, 2. erst
Exposition dann Prädicat. Die erstere Form ist die in den
ältesten Bildungsweisen der Flexion, Composition, attributiven
Verbindung, Apposition, Bildung des Nebensatzes herschende.
Die zweite Form herscht in den modernen Sprachbildungen
und bezeichnet einen ethischen Fortschritt.
Die Erwartung des Prädicats der Mitteilung, der letzten
eigentlichen Wertprädicate und der untergeordneten Prädicate,
bildet das innere Band, wodurch der Hörende die Sprach-
massen zusammenschliesst. Sie bildet die Grundlage des cau-
salen logischen Zusammenhanges, die Apperceptionsmittel für
das Verständniss nachfolgender Prädicate.
Erwartung und Zweckvorstellung der Bewegungsreihen
sind wichtige Factoren für das Verständniss der Handlung.
Aus ihnen und aus den durch die Abstraction der Erfahrung
gewonnenen Musterbildern von Alle dem, was den Inhalt unserer
Erfahrung bildet, erschliessen wir die Handlung, aus der Er-
fahrung über den realen Inhalt der mitgeteilten Thätigkeiten
die zeitliche Ordnung, aus der Erfahrung erschliessen wir den
generellen oder individuellen Character d.er Gruppen und Reihen,
von denen Mitteilung gemacht wird. Aus der Erfahrung er-
schliessen wir das Verhältniss von Subject, den Objecten und
der Thätigkeit zu einander, und erst aus dem Inhalte der Ob-
jecte den Inhalt der Thätigkeit.
Unser genaues Sprachverständniss beruht auf Schlüssen,
zunächst aus sehr einfachen Elementen, wie dem Empfindungs-
tone, den mimischen Mitteln, dann aus complicierten, wie dem
Worte, dem Satze, der Periode, dem ausführenden Kunstwerke.
Durch Schlüsse sind wir im stände aus den Empfindungstone
182
die Hcelischcn Zustände eiuer gcgeuwärtigen Person zu er-
kennen und den Satzinhalt der Wortraittel zu verstehen. Durch
Veränderung und Entstellung des Empfindungstones erschliessen
wir, dass über Zustände einer dritten Person referiert wird ;
wir erhalten die indireete Rede, damit einen ungeheuren Vorrat
von lautliehen Aeusserungen , Reflexlauten wie sehallnach-
ahmenden Lauten, durch die wir an Situationen erinnert wer-
den, das sind die Prädicate. Die primären Objecte werden zu
secundären Subjecten und damit erreicht die Sprache den
Character der Einfachheit und Durchsichtigkeit des Referats.
All diese Schlussreihen und Schlussketten verkürzen sich
durch die Mechanisierung, und die sprachlichen Mittel werden
congnient ihrer Function. Sie sind nicht sogleich congruent, —
damit erhält die Sprache congruente und nicht congruente
Mittel flir die gleichen Functionen, d. h. Mittel, durch die ver-
kürzte oder ausgedehnte Schlussreihen in der Seele des Hörers
in Bewegung gesetzt werden. Durch die Verschiedenheit dieser
Schlussreihen sind die stilistischen Unterschiede in der Sprache
bedingt.
Die gleichen Erscheinungen, die sich auf syntactischem
Gebiete finden, wiederholen sich in der Poesie und der aus-
geführten Rede. Diese Gebiete dürfen daher in ihrer Behand-
lung von dem Gebiete der Syntax nicht getrennt werden, im
Gegenteil werden die Erscheinungen in der zerlegenden Dar-
stellung viel klarer als in der mechanisierten Syntax; die zer-
legte Form ist aber das Object der Poetik, Rhetorik, Stilistik.
Das Wort ist comprimierter Satz, also auch die Formenlehre
ist ein Teil der Syntax.
Die Sprache beruht auf dem Verkehr der Menschen unter-
einander, auf den egoistischen und sympathischen Gefühlen,
ihr Leben ist auf das tiefste in den ethischen Bedingungen
der Gesellschaft und des Einzelmenschen verwurzelt. Die
Sprache ist Verkehr der Menschen unter einander und nur die
sprachlichen Vorgänge, welche wir als Hörende verstanden
haben, können uns beim Sprechen als Sprachmittel dienen.
Daher muss die Frage nach dem Sprachverstehen im Vorder-
grunde der sprachwissenschaftlichen Untersuchung stehen.
Dies etwa sind in skizzierenden Umrissen die Haupt-
resultate vorstehender Untersuchungen. Sollte es mir gelungen
183
sein, die Einheit von Grammatik, Rhetorik, Stilistik und Poetik
erwiesen und gezeigt zu haben, wie gerade aus einer solchen
die verdichtenden und zerlegenden Formen der Sprache unter
gleichen Gesichtspunkten behandelnden Betrachtungsweise wich-
tige Resultate gewonnen werden können, und wie in all diesen
Fragen Ethik und Psychologie die lösenden Schlüssel in Hän-
den halten, so würde ich glauben, etwas erreicht zu haben.
Ebenso würde ich wünschen meinesteils die Anschauung in
den Kreisen der Grammatiker zu fördern, dass die eigentliche
Aufgabe aller wissenschaftlichen Grammatik darin besteht, die
grundlegenden Verhältnisse und Gesetze aufzufinden, aus denen
die sprachlichen Einzelerscheinungen hervorwachsen, — dass
die Einzelerscheinung auf dem Gebiete einer einzelnen Sprache
für die Wissenschaft keinen höheren Wert beanspruchen darf
als in der Mineralogie die Thatsache, dass in dieser oder jener
Gegend Quarz oder Bleiglanz gefunden wird, — dass die all-
gemeine Forschung allerdings gesichertes statistisches Material
bedarf dass aber das statistische Material tot und unbrauch-
bar ist ohne die belebenden Gesichtsimnktc und Anschauungen,
welche die allgemeine Betrachtungsweise erschliesst.
Znsäize und Nachträge.
S. 11. Dass dieses Gesetz auch für die Geschichte und Ent-
wicklung der Sprache einschneidende Bedeutung haben muss,
ist leicht ersichtlich. Zunächst ist für die indogermanischen
Sprachen ganz allgemein die Thatsache bekannt, dass die hoch-
betonten Silben ihre Integrität viel treuer bewahrt haben als
die unbetonten Silben, man vergleiche franz. komme mit latein.
hominem, fütes mit fuistis, man vergleiche die Ausdehnung,
welche das deutsche unbetonte e an Stelle anderer Vocale ge-
wonnen hat und weiter die dialectische Beseitigung auch dieses
Restes alter vollerer Vocale.
Die Gründe für den Verlust oder die Verstümmlung der
unbetonten Silben in der Sprache der sprechfertigen Sprach-
gesellschaft sind, soweit ich sehe, folgende: 1. eine grössere
Unsicherheit im Muskelgeftihle für die minder betonten Wort-
teile, — denn je schwächer die akustische Empfindung, um so
geringer ist die Genauigkeit in der Nachbildung des Tonbildes,
d. h. um so schwächer ist die regulierende Kraft des in der
Seele vorhandenen Lautmusters. Man hat hierfür eine Probe:
Bei dem Betrunkenen werden alle Bewegungen unsicherer, die
Bewegung des Gehens, wie des Schreibens und ebenso des
Sprechens. Es ist in diesem Zustande die psychische Leitung
auf die motorischen Nerven unsicher geworden, doch mit Ab-
stufungen : die am meisten mechanisierten Bewegungen werden
mit verhältnissmässig grösserer Sicherheit ausgeführt als die
weniger mechanisierten, so kann in diesem Falle Jemand viel-
leicht noch leidlich gehen, während ihm das Lesen, das Klavier-
spielen und andere technische Fertigkeiten unmöglich geworden
sind. In diesem Zustande nun, wo das Lallen beginnt, werden
die hochbetonten Silben verhältnissmässig sicherer gesprochen
185
als die minder betonten Silben, — ein deutlicher Beweis, dass
Mechanisierung der Aussprache bei jenen Silben weiter fort-
geschritten ist als die bei den minderbetonten. Und da Me-
chansierung die Folge der häufigen Bethätigung einer Bewegung
ist, so ist es begreiflich, dass die Hervorbringung der minder-
betonten Silben weniger mechanisiert ist als die Lautbewegung
der hochbetonten Silben, denn letztere werden Mher gesprochen
als erstere.
2. Ein zweiter Grund liegt darin, dass wir auch bei mangel-
hafter Aussprache der unbetonten Silben in den meisten Fällen
das Wort verstehen, ja dass der Hörende wohl vielfach nur
die betonte Silbe hört und dass er dabei doch das Gefühl hat,
als habe er das ganze Wort vernommen. Dass dieser Fall
sehr häufig ist, kann jeder an sich selbst beobachten. Eine
Bestätigung erhält diese Thatsache aus dem analogen psychi-
schen Gebiete der optischen Wahrnehmungen; hier ist es be-
kannt, dass wir kleine Abweichungen im Aussehen gegenüber
einem früheren Zustande gar nicht bemerken, sondern die
Person oder Sache als identisch mit unserem Erinnerungsbilde
von denselben anerkennen, ferner dass wir die Recognition
einer bekannten Anschauung nie nach all ihren sichtbaren
Merkmalen vollziehen, sondern nur nach einigen besonders
significanten. So ist auch ftir die akustische Wahrnehmung
von Sprachreihen mit Sicherheit anzunehmen, dass Abweich-
ungen an Elementen des Wortes oder Satzes, die ftir das Ver-
ständniss weniger wichtig sind, nicht bemerkt werden. — Ein
director Beweis hierfür ist die Thatsache, dass wir die Ver-
stümmlung der wenig betonten Formen des Artikels, der Co-
pula ist und gewisser anderer Worte, die durch den Satzaccent
Einbusse erlitten haben wie n Tag statt guten Tag^ nicht oder
doch oft nicht bemerken, obgleich wir für diese Worte ein
festes Normalbild in der Seele tragen und demselben in der
gewählten Rede, wo wir uns nicht gehen lassen, gerecht werden.
Man könnte vielleicht glauben, dass die wenigen Jahre, die
wir betonte Silben länger sprechen, als die unbetonten, für die
Mechanisierung nicht in Beti'acht kämen. Das wäre ein Irrtum.
Man achte auf andere Fälle der Mechanisierung, und man wird
die Wichtigkeit gerade der ersten Kinderjahre für die Mecha-
nisierung zu würdigen wissen. So tritt Unsicherheit im Ge-
186
brauch der syntactisclien Formeu, welche später vom Kiude
gebraucht werden als einzelne Worte, durch Störung z. B. des
Alkohols leichter als Unsicherheit in der Wahl der Worte ein.
Der zuerst vom Kinde gebrauchte Wortschatz ist der mechani-
sierteste Teil des Wortschatzes überhaupt, er überwiegt im Ge-
brauch sämmtliche synonymen Worte in der Leichtigkeit der
Reproduction, darum sind die gewählten Worte schwerer zu
handhaben als die gewöhnlichen. — lieber die in der ersten
Kindheit geläufig gewordenen VorstelUungsgruppen drücken
wir uns mit grösserer Leichtigkeit aus als über später erwor-
bene. — Häufiger Gebrauch bringt mit der Zeit Ueberdruss
oder vermindert doch den Genuss an gewissen Dingen. Die
Süssigkeiten und andere Kindergenüsse verlieren zuerst ihren
Reiz.
Zu der Thatsache, dass wir die Worte des Sprechenden
schon nach wenigen Merkmalen auffassen und recognoscieren,
sei ergänzend bemerkt: in kleinen Kreisen, deren Glieder sich
nahe stehen, z.B. innerhalb einer Familie, innerhalb einer
Dorfschft macht man sehr häufig die Beobachtung, dass die
Worte im Gespräche dieser Glieder unter einander viel mangel-
hafter artikuliert werden und mit viel geringerer Exspirations-
stärke gesprochen werden als im Gespräche derselben Leute
mit Fremden. Jeder Einzelne kennt eben so ziemlich die be-
sonderen Eigentümlichkeiten der Artikulation des Anderen, —
und solche hat jeder Mensch. Man erkennt sich daher an der
blossen Stimme, — man versteht den Sprechenden wenn er
die Hand vor dem Munde hält, wenn er gähnt, wenn er die
Pfeife zwischen den Zähnen oder den Lippen hat, wenn er
isst u. s. f. Man darf daher wohl sagen; je ferner stehend die
mit einander sprachlich verkehrenden Menschen, je mehr Wert
wird auf eine genaue Artikulation gelegt. — Uebrigens wirkt
zu dem leichteren Verständniss nahestehender Glieder einer
kleinen Gemeinschaft natürlich auch die Gleichheit der Inter-
essen mit und damit die Durchsichtigkeit der Situation wie der
Sprachzwecke und Prädicate der Mitteilung.
187
S. 11. Die Vcrweehöluug vou Lauten, wie d und /, n und
/, k und /, der vcröchiedenen Arten des r, besonders des alveo-
laren und Uvularen r, ist auch ein in der Spraeligesehielite
wirksamer Vorgang. Ein allmäliliger Uebergang ist in diesen
Fällen nielit denkbar, sondern nur eine Verwechslung, an der
die Sprachgemeinscliaft bei der ähnlichen akustischen Em-
pfindung keinen Anstoss nahra,^ oder auf die sie doch einen
regulierenden Einfluss nicht übte. — Für die Association der
Laute vgl. meine Anzeige von H. Paul Prinzipien etc. Zeitschr.
f. d. Gymnasialwesens. Jahrg. 36 Berl. 1882. 301 ff.
S. 12. Vgl. hierzu meine Ausführungen über den Wort-
schatz des Menschen nach Massgabe seiner Bedürfnisse in dem
Aufsatz über Uialectforschung; Zachers Zeitschr. f. deutsche
Pliilologie Bd. XI S. 4G8 f. Halle 1880.
S. 17. Ich habe absiclitlich diesen Modus den Bittmodus
genannt' und niclit Optativ. Der Grund liierfür ist folgender:
Bei dem Wunsche z. B. ach wenn er doch käme, ulinam veniat
und venirei, n yuQ iXd^oL und yXd^t und anderen Ausdrucks-
formen ist ja allerdings, wie bei der Bitte, das Streben im
Sprechenden vorhanden, das genannte Gut zu erhalten, aber
der Bittende macht die Erreichung des Erstrebten von dem
Willen und der Geneigtlieit der angeredeten Person abhängig,
er suclit daher die Gunst und die Zuneigung dieser Person zu
gewinnen, glaubt also selbst auf die Realisierung des Erstrebten
durch seine Bitte Einfluss üben zu können.
Bei dem Wunsche dagegen wird das Eintreten der er-
strebten Thatsache abhängig von Mächten und Bedingungen
gedacht, auf die wir selbst ganz einflusslos zu sein glauben.
Ein eigentlicher Wunsch wird daher nur da ausgesprochen
werden können, wo uns 1. die bestimmenden Mächte räum-
lieh und zeitlich entrückt sind, z. B. wir wünschen, dass der
abwesende Bruder jetzt etwas thun möchte, sind uns aber be-
wusst, dass wir auf den Willen des Bruders einen Einfluss
nicht üben können. 2, Der eigentliche Wunsch tritt da ein,
wo wir die Erflülbarkeit des Erstrebten abhängig glauben von
Mächten, denen gegenüber unser Wollen überhaupt wirkungslos
erscheint, das sind die Naturgesetze, oder bei gewissen Formen
der Weltanschauung das Fatum: z. B. wenn wir im Winter
wünschen: wenn ich draussen doch Blumen fände.
188
Jedenfalls setzt der eigentliche Wunsch stets einen Ein-
blick in die Bedingungen des Eintritts einer Handlung voraus,
der dem Kinde im Allgemeinen fehlen muss. Wünscht das
Kind, dass der abwesende Bruder etwas thun möge, so sagt
es einfach: er soll das thun und richtet diese Worte an die
Personen, deren Hülfe es in Anspruch zu nehmen pflegt, wenn
es sich selbst nicht zu helfen weiss, also vor Allem an Vater
und Mutter. Geht man mit dem Kinde über Land, und wird
es durstig oder hungrig, so fordert es einfach und rücksichts-
los zu essen und zu trinken, und wenigstens bis zu einer ge-
wissen Stufe der Entwicklung sind alle Vorstellungen der Eltern
vergeblich, dass man doch erst an ein Haus kommen müsse.
Also die Einsicht in die Begrenztheit des eigenen Willens
und des Willens der Personen, mit denen das Kind zu thun
hat, muss es erst sehr allmählig gewinnen, — und schliesslich
bleibt ja noch immer der Ausweg: der liebe Gott kann Alles
und auf dessen Willen kann der Mensch einwirken. Diese
kindliche Stufe ist nicht den Kindern allein eigen, sie ist dem
naiven Menschen niederer Culturen überhaupt eigentümlich,
denn wie lange es gedauert, die unabänderliche Geltung der
Naturgesetze zu erkennen, wie lange der Mensch durch Gebet
und Zauber gegen das Naturgesetz gekämpft hat, ist nur zu
bekannt. Kinder also und Menschen kindlicher Entwicklungs-
stufen erlernen erst mit der Zeit den Wunsch, d. h. das Be-
gehren mit dem Bewusstsein, dass die Realisierung des Be-
gehrens an unumstössliche oder doch unantastbare Bedingungen
geknüpft sei.
Es ist somit deutlich, dass Wunsch und Bedingung Zwil-
linge sind, die eine Vorstellungsform kann ohne die andere
nicht eintreten. Denn man darf sagen, dass die Empfönglich-
keit des strebenden Menschen, die Empfänglichkeit des er-
regten Egoismus das Verständniss für die Bedingung und
damit ftlr den Begriff der Möglichkeit und Unmöglichkeit er-
schlossen hat. Die Formen der Bedingung sind daher natur-
gemäss die Formen des Wunsches — oder soll man umgekehrt
sagen? Das Deutsche: wenn er (doch) käme, das Griechische
al, el {-&£, /«()), das Lateinisch vereinzelte o, si sind Be-
dingungsformen, der Wunschausdruck wird erst dadurch voll-
ständig und dem Hörer verständlich, dass der Begehrungston
189
hinzutritt. Durch den Empfindungston wird, ähnlich wie bei
der Drohung, der Nachsatz ergänzt etwa in dem Sinne: das
wäre schön, da ivürde ich mich freuen. Thatsächlich allerdings
ergänzen wir diesen Nachsatz nicht mehr, sondern durch die
Gewöhnung an die Ergänzung empfinden wir den Inhalt des
Nachsatzes schon im Vordersatze mit, d. h. der Conditionalsatz
ist die deckende und congruente Form des Wunsches ge-
worden.
Wie schwer es ist, wenigstens für das Griechische, zu ent-
scheiden, ob die Bedingung durch die Wunschform, oder die
Wunschfonn durch die Bedingung bezeichnet wird, beweist
die Negation f/i^ im Bedingungssatze, diese stammt entschieden
nicht aus der rein objectiven Bezeichnung der Bedingung, son-
dern aus der Bedingung in der Form der Strebung. — Auch
der griechische Optativ bezeichnet den Wunsch, die (realisier-
bare) Bedingung und die Möglichkeit, also auch hier sind die
Begehrungsformen und die Erkenntnissform der Möglichkeit
und Bedingung unlöslich verquickt. Wie schon angedeutet
war, müssen wir glauben, dass die ersten Erkenntnisse der
Bedingung und der Möglichkeit sich an den Hemmnissen ent-
wickelten, die das Begehren des Menschen an der Notwendig-
keit der Schranken menschlichen Könnens fand, — also bedingt
ist ursprünglich die Handlung, welche begehrt wird, deren
Realisierung aber nicht in dem Willens des Begehrenden liegt.
Wissen wir, dass ein Gut nicht realisierbar ist, so nennen
wir den Wunsch unerfüllbar, die Bedingung irreal. Doch ein
eigentlicher Wunsch ist dies gar nicht mehr, denn es fehlt
diesem Afi^ectzustande des Menschen die Hoffnung und die Er-
wartung der Realisierung. Dieser Wunsch ist thatsächlich nur
ein Bedauren, ein reiner Schmerzensausdruck, dass uns ent-
weder ein- Gut nicht zum Teil geworden ist, oder zu Teil
werden kann. Es ist daher verständlich, dass die Wunsch-
form im Griechischen für diesen Zustand nicht gebraucht wird.
Finden wir im Griechischen nun den Indicativ besonders Im-
perfecti oder Aoristi in diesen Fällen, und gebraucht auch das
Lateinische und Deutsche eine Präteritalform, so* ist auch diese
Form psychologisch verständlich, z. B. wenn er (doch) gekommen
wäre, ein verkürzter Bedingungssatz, der Ton des Bedaurens
ergibt den Nachsatz: dann war es schön. Aber ebenso: wenn
190
(doch) der Mensch nicht stürbe, zu deuken: dann wäre oder
war es schön, griechisch und deutsch dialectisch wenyi die Men-
schen nicht starben, französische Bedingung indicativisch: st
les morts revenaient , . . les peres et les fils ne se comiaitraient
pas (Mätzner 223). Offenbar ist die Unmöglichkeit oder Irrea-
lität einer Handlung ein Erfahrungssatz, und der Ausdruck der
Erfahrungssätze ist passend das Präteritum, wie im Griechi-
schen der Aoristus gnomicus.
Nun wird aber Deutsch und Lateinisch diese Bedingung
meist conjunctivisch bezeichnet, obgleich die deutschen Dialecte
mehrfach den Indicativ bieten und dieser Lateinisch gleichfalls
zum Ausdruck der Irrealität vorhanden ist. Wir werden den
Conjunctly hier aufzufassen haben als eingedrungen aus dem
Wunschsatze, und anzunehmen haben, dass der unerfüllbare
Wunschsatz die conjunctivische Form des verwandten realisier-
baren Wunschsatz angenommen hat.
"Ferner ist Lateinisch und Deutsch der Conjunctiv der
Wunschmodus, nicht der Optativ, oder gleich richtig gesagt:
Lateinisch und Deutsch haben sich Optativ und Conjunctiv als
nah verwandte Begehrungsformen vermischt. Offenbar hat man
also den eigentlichen Wunsch nicht scharf getrennt gehalten
von der Begehrungsform, durch die wir einen fremden Willen
zu beeinflussen suclien. In gewissen Fällen stehen sich nun
auch für ein entwickelteres Bewusstsein beide Begehrungsweisen
sehr nah: per earn, fnoriar, si = ich will sterben, wenn. Als
Gebet gcfasst an die Gottheit, d. h. als Fluch ist der Ausdruck
Willcnsausdruck, tritt die Beziehung auf die Gottheit zurück,
so wird die Formel zum Wunsche.
Ferner sahen wir, dass der Wunsch sich allmählich aus
dem Hcmmungsgcftihle des Willens entwickelt, es liegt daher
nichts näher, als dass der Willcnsausdruck sprachlich bei-
behalten, aber nach dem modificierten Inhalte einen modifi-
cicrten Sinn annahm, dem der Ausdruck allmählich congruent
wurde. Und so sind ohne Zweifel die deutscheu und lateini-
schen Wunschformen: utinam und o, dass {doch) zu verstehen,
es sind eigentlich Willcnsausdrücke genau enssprechend dem
romanischen Imperativ mit que franz., che ital., denn uti-nam
ist finale Conjunction. So hat also das fortgeschrittene Be-
wusstsein die Formen einer kindlichen Stufe beibehalten, wo es
191
einen Wunßeh nicht kannte, aber mit dem neuen Inhalte er-
füllt. —
Entsprechende Wunschformen sind latein.: ut du ilium per-
dant und die übereinstimmenden romanischen Formen bei Diez
fJr. S. 918 (vgl. Kühner, Lat. (Ir. § 47, 4). Auch die lateinischen
WnuRchsätze mit dum, dum modo, modo sind ur8i)rünglich finale
Willensßätze. — Es mag auch darauf hingewiesen werden, dass
die so verschiedenen Begehrungsformen des Wunsches und Willens
vielfach in ihren verbalen und nominalen Ausdrücken nicht
Hcharf gesondert werden, vgl. griech. ßovXofmi, lat. volo, volun-
fas] ferner erinnere ich daran, dass die Wunschform leicht als
lmi)erntiv erschlossen werden kann, wie in der II. Abhandlung
ausgefühii; ist.
S. 18. Vgl. zu dieser Ausführung ,über Dialectforschung'
a. a. (). 41)3. — Ich weise an dieser Stelle auf die Wichtigkeit
hin, welche die Erkcnntniss der menschlichen Satzmelodie, des
Tempos und der Energie des Si)recheus auch für ein wissen-
schafkliches Verständniss der Musik liat. Es bedarf keines
Beweises, dass die Form der sprachlichen Satzmelodie von der
Musik sehr vielfach verwertet wird, ich verweise z. B. unter
Schumanns Kinderstücken auf die , Bitte', in der eine deutliche
Nachahmung der fragenden Satzmelodie des Sprechenden zu
erkennen ist. Verstehen wir ein deraiiages Musikstück, was
ohne programmatische Bezeichnung immerhin seine Schwierig-
keiten hat, so gibt uns das Bewusstsein der Situation, unter
der sprachlich eine derartige Tonfolge gebräuchlich ist, den
Schlüssel zum Verständniss; so ist also in diesem Falle das
Muster, nach dem wir die Tonfolge ihrem Inhalte nach ver-
stehen, die Satzmelodie.
Auch das Tempo und die Energie der Tongebung eines
Musikstückes pflegen wir durch das Medium der sprachlichen
Formen der Leidenschaft und Empfindung aufzufassen, wenn
uns nicht der sprachliche Text oder ein illustrierendes Wort
der programmatischen Musik anweist, ein anderes Wesen als
Tnlger der leidenschaftlichen Bewegung oder als Ursache der
Tcine zu denken. So denken wir in Schuberts Erlkimig die
Bewegungsform der instrumentalen Begleitung als Trappen des
Rosses und auch als Ursache der Time denken wir das Ross,
192
in Beethovens Pastorale werden Töne als Donnergetose und
Schalmeienklang der Hirten gedeutet.
Ist Tempo und Rhythmus mit gewissen Bewegungsformen
des Hörenden fest associiert wie die Tanzrhythmen, so werden
die Tanzsituationen dem Hörer in das Bewusstsein gerufen
und geben die Mittel der Deutung. Oder sind gewisse Har-
monisierungen und Tonfolgen fest für gewisse Situationen, wie
die Kirchentonarten für die Situationen religiöser Erbauung,
so müssen auch diese als Deutungsmaterial in das Bewusstsein
gerufen werden.
Abgesehen von diesen Fällen, wo die Association mit ge-
wissen äusseren Situationen der Musik einen realen und an-
schaulichen Inhalt geben, erregt die wortlose Musik nur ge-
wisse formale Empfindungsqualitäten aus der Linie von der
Lust zum Schmerze, der Hörer kann bei einer deraiügen Ge-
fühlserregung daher Tonfolge, Tempo und Energie auch nur
als Formen deuten, unter denen jene Empfindungen wie die
der Wehmut, der Lust u. s. f zur Erscheinung treten, d. h. er
muss jene musikalischen Erscheinungsformen nach dem Muster
deuten, wie sich Empfindungen überhaupt hörbar äussern, hör-
bar in den Reflex- oder artikulierten Sprachlauten.
S. 19. Der perfectische Conjunctiv ne dixeris ist Rest
einer älteren Verwendungsweise des Conjunctivs des lateini-
schen Perfects, dieser Conjunctiv ist zeitlos. Wir wissen, dass
sich im Lateinischen Perfect Aorist und Perfect einer älteren
Sprachstufe gemischt haben, deutlich beweist dies die Aorist-
bedeutung des lateinischen Indicat. Perf histor. Fassen wir
jenen Conjunctiv als Aoristmodus, so stimmt der Gebrauch
genau überein mit dem griechischen Prohibitiv firj jcoirj6^]g, und
auch dieser Prohibitiv ist auf die IL Person beschränkt. Man
könnte bei der Erklärung des lateinischen conjunct. Perf. pro-
hibit, vielleicht an die Verwendung des Infinitiv Perf. in Willens-
sätzen denken, doch spricht für die Annahme der zeitlosen
Bedeutung des Conj. Perf noch deutlich der Conjunctiv. potential,
der Gegenwart dixerit quis u. s. f. Diese Conjunctivverwendung
schliesst, so weit sich beurteilen lässt, an den alten Optativ
an, der Lateinisch mit dem alten Conjunctiv in Form und Be-
deutung zusammengeflossen ist. — Beide Fälle des Conj. Perf.
193
sind Isolierungen, wie Paul treffend solche Erscheinungen nennt.
Es wäre Zeit, dass man auch auf syntactischem Gebiete der
alten Sprachen anfinge, die Isolierungen zu sammeln, das Urteil
über die syntactische Verbindungsweise würde sich sehr wesent-
lich umgestalten, die Regeln würden vielfach eine ganz andere
Fassung erhalten müssen.
S. 25. Die Erzählung steht in der . Sigurdarkwida III'
und lautet nach Simrocks Uebersetzung :
47 ,I^un geht herzu, die Gold wollen
Und minderes Gut von Mir erlangen;
Ich gehe Jeder goldrothen Halsschmuck,
Schleif und Schleier und schimmernd Gewand'
Also es ist nicht einmal das Ansinnen ausgesprochen, für
die Geschenke mitzusferben, so selbstverständlich erscheint es.
48 Stille schwiegen sie und sannen auf Rat,
Bis endlich zur Antwort sie alle gäben:
„Wie dürftig wir seien, wir wollen doch leben,
Saalweiber bleiben und thun was gebührlich ist."
49 Sinnend sprach die lichtgeschmückte
Jung von Jahren jetzo das Wort:
„Nicht eine soll ungern und unbereit
Sterben müssen um meinetwillen.
50 Doch brennet auf euern Gebeinen dereinst
Karge Zier, kommt ihr zu sterben
Und mich heimzusuchen, nicht herrliches Gut'*
Nur diese leise Andeutung ermöglicht einen Schluss auf
die Anschauungsweise jener Zeit.
S. 33. Sobald die Relativconstruction als congruenter Aus-
druck erschien für die Bestimmung einer Person oder Sache
nach einer bestimmten Handlung oder Qualität, konnte der
Relativsatz auch an die Spitze treten. Eine ähnliche Erschei-
nung liegt in der Umstellung der Glieder einer Periode nach
dem Gesetze des Proteron-Hysteron vor.
S. 37. Der englische Relativsatz ohne Relativpronomen
(vgl. Fölsing, Engl. Gr. § 86) ist jenem deutschen Erklärungs-
13
194
Satze bei weil, dass u. s. f. gleich und hat sich aus der ein-
fachen Parenthese entwickelt.
S. 38. Ich generalisiere natürlich diese Erklärung nicht
auf Fälle mit ut finale, quombius, quin, obgleich auch diese Con-
junctionen von dem Interrogativstamme gebildet sind. Uöber
die Sätze mit quominus und ne ist im Texte der II. Abhandlung
gesprochen. Sicher sind die mit ne gebildeten Sätze eigentlich
die directe Rede, und das sogenannte regierende Verbum mit
hohem Illustrationsweiie ist Referatsexposition ; ebenso steht es
mit quin, z. B. non dubito, quin veniat ist eigentlich wie, warum
sollte er nicht kommen? ich zweifle nicht. Also auch hier haben
wir es mit Umsetzung aus director Frage zu thun.
Bei der Beurteilung des ut finale wird man an die Verba
studii et voluntatis anzuknüpfen haben, wie sie passend die
Schulgrammatik nennt. Hier erinnert die Constiniction der Verba
des Sorgens wie euro, provideo u. a. mit ut sehr deutlich an
die entsprechenden Verba des Griechischen mit ojca)g z. B.
tjüifisjLeTöO^at ojtcoq. Und hier, d. h. bei den Verben der sor-
genden Ueberlegung, ist die Construction als indirecte Frage
etymologisch sehr durchsichtig: ich überlege sorgend, wie ich
thun soll und diese indirecte Frage entwickelt sich aus der
directen: wie soll ich thun, sorgte A. Auch hier ist das sog.
regierende Verb Referatsexposition. Diese Construction des ut
ist unmittelbar verständlich bei Verben wie consulo, prospicio,
video, conte^ido, laboro, nitor, operam do, id ago, id specfo, nihil
antiquius habeo.
Da erscheint es nun wahrscheinlich, dass nach Analogie
dieser Verba all die verwandten Verba, bei denen eine Absicht
empfunden wurde, diese Construction annahmen. Diese Annahme
erscheint um so wahrscheinlicher, wenn wir die in klassischer Zeit
bei den Prosaisten isolierten Constructionen der Verba volo, nolo,
malo, cupio, iubeo, veto in Betracht ziehen, die genau wie die
griechischen Verba der Absicht den Infinitiv bei sich haben,
bei umgleichem Subjecte den Accusativ c. Inf. Dazu gesellt
sich die gleichfalls isolierte Construction von studeo und den
Verben des Beschliessens. Doch auch die übrigen Verba des
Bittens, Forderns, Erlaubens, Ratens, Befehlens, Aufforderns
haben in der älteren Latinität den Infinitiv bei sich. Und wie
195
in so vieleu Punkten folgt in dieser Construction die augusteische
Diclitersprache der alten Latinität, denn das poetische Stilgefühl
der augusteischen Zeit bildet sich an der Sprache des alten Epos
und Dramas. Und an der Sprache der augusteischen Dichter,
in erster Linie des Vergil, bildet sich das Stilgefühl der spätem
Prosa wie z. K. das des Tacitus, daher auch hier die Infinitiv-
construction. — Somit erscheint es wahrscheinlich, dass die
Constructionsweise mit ut finale, die nur für eine Gruppe von
Verben etymologisch angemessen war (denen des Sorgens), im
Laufe der Zeit eine viel weitere Ausdehnung gewann, sich
sowohl mit den übrigen Verben der Absicht verband als da
eintrat, wo deutsch damit gebräuchlich ist.
S. 42. Natürlich ist als nachträgliche Correctur auch der
häufige Ausdruck zu fassen : es kam Karl^ also dem bestimmten
Subjecte voraus erst das unpersönlich unbestimmte es.
Das Deutsche und Französische verwendet das Personal-
pronomen ich, du und die romanischen Vertreter von ego, tu
in nicht betonter Bedeutung (vgl. Diez, Gr. 984), doch auch in
den übrigen romanischen Sprachen hat es durchaus nicht immer
den Nachdruck (Diez 985). Für das Lateinische nimmt man
allgemein an, dass das persönliche Pronomen nur mit be-
sonderem Nachdrucke stehe (z. B. Kühner, Lat. Gr. § 116, 1). In
dieser Allgemeinheit ist die Annahme falsch : zunächst wird es
nicht bestritten , dass bei quidem — sed = zrvar — aber das
persönliche Pronomen ohne Nachdruck hinzugefügt wird, wobei
equidem die Verbindung ego quidem vertritt, für die II. und
III. Person tu quidem und ille quidem gewählt wird. — Bei den
augusteischen Dichtern ferner ist es mir sehr zweifelhaft ge-
worden, ob jene Annahme berechtigt sei. Zu einer Ent-
scheidung dieser Frage würde es eines vollen Stellenverzeich-
nisses bedürfen, das ich nicht besitze, auch nicht für einen
einzelnen der Dichter, ich gebe hier einige Beispiele, aus denen
man ersehen wird, dass jene Annahme allerdings ihre grossen
Bedenken hat: Hör. c. 1,18,11 n07i ego te — quatiam; 2,17,9
non ego perfidum Dixi sacramenium ; 4, 4, 69 Carthagini iam non
ego nuntios Mittam superhos \ 1,9,16 nee dulces amores sperrte
puer neque tu choreas, Ep. 1, 18, 39 Arcanum neque tu scruta-
heris. Es sind dies Fälle mit der Negation non, neque^ die oft
13*
196
mit dem persönlichen Pronomen verbunden steht, Hör. c. 3, 10, 11
non te, 4, 7, 23 non te, epod. 2, 49 non me. In der Antwort
non ego Sat. 1, 2, 19. Ebenso ist es bedenklich Ep. 1, 2, 63 hunc
frenis, hunc tu compesce catena, Sat. 2, 2, 20 tu pulmentaria quaere
Ep. 1, 18, tu cede, hier überall sententiös, im betonten Sinne
zu fassen. Die Frage verdient eine nähere Untersuchung, diese
anzuregen, war der Zweck dieser Mitteilung. —
Es ist interessant, dass sich die altindogermanische Reihen-
folge der Satzelemente auch in der Sprache des Taubstummen
wiedei*findet. Schmalz sagt S. 274 (nach Steinthal, Kl. Schrift
1,40):
, Dasjenige, was dem Taubstummen das Wichtigste scheint,
schickt er dem Uebrigen immer voran, und lässt dabei das
ihm überflüssig Scheinende hinweg. Z. B. um zu sagen : der
Vater gab mir einen Apfel, machte er das Zeichen für Apfel,
dann dasjenige flir Vater und das flir ich ohne das für geben
hinzuzufügen.'
Uebereinstimmend mit unseren Resultaten ist: 1. die Stel-
lung des logischen Prädicats, 2. die Handlung selbst bleibt
unausgedrückt und wird ergänzt aus ihren Beziehuugspunkten,
3. die Beziehungspunkte sind nicht unter einander conform
gemacht, sondern jedesmal eine selbständige Bewegung für
sich, die als solche nur Beziehung hat auf das mimischthätige
Subject. Darum ist das Zeichen für ich nicht besonders ge-
schieden von dem Zeichen für mir,
S. 45. Ich gebe einige sichere Beispiele der expositions-
losen Form des Vergleichs : Latein, aliud ego, aliud tu = anderes
ich als du, — Horaz. Ep. 1, 1, 25 f.: aeque pauperibus prodest,
locupletibus aeque, aeque neglectum pueris senibusque nocebit. —
Die Vergleichung mit tamquam fällt unter die im Texte be-
sprochene Vergleichsweise mit nachträglicher Correctur tarn,
quafu; — quasi ist aus der Frage qua? (o. quam) = wie? und
der Antwort si hervorgegangen; Caesar aeque ac Pompeius eig.
Cäsar in gleicher ff^eise, und (auch) Pomp, zeigt dieselbe Cor-
rectur wie et — et, ebenso das griech. xal nach Ausdrücken
der Gleichheit. Die gegenseitige analogische Beeinflussung
der Vergleichung mit atque und quam 4st durchsichtig ; und es
197
bedarf nur eines Hinweises auf non aliier quam neben melius
atque. Ebenso hat sich Griechisch aualogisch beeinflusst bfiotog
c. Dat. und o avzog xai — Expositionslos ist franz. plusieurs,
lat. complures und plures, deutsch fnehrere, und doch erhalten
sie mit der Zeit den Massstab eins aus dem Bcwusstsein, so
dass sie sind = mehr als einer.
Expositionslos ist das mhd. beide = so wohl — als auch,
z. B. beide mit der nachträglichen Correctur des vater und des
suns (Paul, mhd. Gr. 315). Ebenso er ist uns also leit so dir
und das nhd. als = ebenso.
S. 49. Um nicht selbst derbe Kraftausdrücke zu gebrauchen,
vermeide icli Beispiele, die sich von selbst ergeben. Nur möchte
ich auf gewisse Verschiedenheiten im Sprachbewusstsein der
Zeiten und Völker hinweisen über das Gemeine und Unedle
in der Sprache. Es ist z. B. verständlich, dass man gewisse
Körperteile so wenig benennt als cntblösst, der Grund scheint
ja einfach der zu sein , weil sie mit gewissen Verrichtungen
zusammenhängen, die uns Ekel erregen, oder die wir obscön
nennen. Nun erzählt Ebers in seiner Reisebeschreibuug von
Gosen zum Sinai von erheblichen Abweichungen in der Ver-
hüllung gewisser Körperteile der Frauen bei verschiedenen
Völkern. Finden sich da auch Abweichungen betreffs der Scheu
diese Körperteile zu nennen?
Auch bei dem Vergleich der höheren Dichtersprache ver-
schiedener Völker zeigen sich Abweichungen betreffs der Be-
nennung von Körperteilen. So trägt Horaz in dem höchsten
Odenstil kein Bedenken die popliies zu nennen, z. B. C. 3, 2, 16
nee parcit iuventae poplitibus, Vergil A. 9, 761. 10, 699 a. a. 0.,
kein deutscher Dichter dürfte im höheren Stile wagen von
Kniekehlen zu sprechen. Auch vom Schienbein zu reden möchte
kaum in der höheren deutscheu Poesie möglich sein, doch die
crura werden in der höheren römischen Poesie unbedenklich
gebraucht (vgl. Vergil A 11,639. 777; Georg. 3, 76; Hör. C. 2,
20, 9). Geht diese Abweichung aus einem ethischen oder wohl
gar religiösen Widerwillen hervor, oder ist der Grund die Ab-
neigung in der Poesie, pedantisch genau zu werden? Aber
andere Körperteile wie die Ferse, das Knie, das Äuge, Kinn,
Mund, Zunge, Faust werden viel gebraucht und oft gerade mit
198
dem ästhetisch wohlthuenden Eindruck der individuellen Be-
zeichnung ; an diese Worte müssen sich also Vorstellungen ge-
knüpft haben, die ethisch und ästhetisch höher stehen. Und
wie verhält sich die Freude an individueller Bezeichnung zum
Unlustgeftthle am pedantisch-genauen, wenn die Darstellung
selbst doch nicht den Character der Pedanterie trägt?
S. 53. Es wäre eine dankbare Aufgabe, zu untersuchen,
inwiefern auf den Sprachgebrauch die Festsetzungen von Regeln
eingewirkt haben. Bei den römischen Dichtern ist die An-
nahme unabweisbar, dass sie bestimmte rhetorische und stili-
stische Vorschriften in den Schulen lernten und in ihren poe-
tischen Schöpfungen verwendeten. Z. B. war sicherlich eine
solche Regel die Anweisung, bei gewählter Darstellung pars
pro toto zu gebrauchen. Offenbar ist diese Form in dem natür-
lichen Sprachbewusstsein durchaus begründet, wie, will ich hier
nicht untersuchen, aber in der Anwendungsweise, welche die
römischen Dichter der augusteischen Zeit davon machen, ist
jene Form zur Unnatur geworden. Ein eklatantes Beispiel
liefert Vergils hölzernes Ross im ü. Buche der Acneis: V. 112 f.
heisst es hie trahibus contcxtus acernis staret equus, 185 f.
hanc tarnen immensam Calehas altoller c molem r oh or ihn s textis
caeloque educere iussil, 258 f. inclusos utero Danaos et pine a
furtim laxat clausira Sinon: illos patefactus ad auras reddit
equus, laetiqua caro se roh ore prommit.
Und in ähnlicher Weise geht es mit der Benennung der
Winde, der Musen u. s. f. — Eine solche Ausdrucksform, die
zunächst auf einer bewussten Reflexion beruht, kann aber
ebenso mechanisiert werden wie jede andere Ausdrucksform
und natürlich auch breite und tiefe Spuren in der Sprach-
geschichte zurücklassen, besonders wenn man bedenkt, dass
die junge Generation ihr Stil- und Sprachgefühl an den Dichtern
besonders Vergil in den Schulen bildete.
S. 78. So leiten sich in ganz gleicher Weise Satzformen,
welche eine reale Thatsache bezeichnen, aus allgemeiu^gefassten
Sätzen ab. Bekannt ist die Verbindung des griech. d mit den
Verben d^avfid^ecv, axd^todat, dyavaxrtlv, aiöxvvtö&aCj fiefi-
(fbOüac u. s. f. in dem Sinne eines Satzes mit ore vgl. Kühner,
Gr. Gr. § 551, 8, also {^^avfidc^o), 6tl ravra yiyvtrai und tl ravxa
199
yiyvtrat. Die Ergänzung der Realität musH daö jedesmalige
Situationsbewusstsein des Hörenden ergeben. — Auf derselben
Linie stehen etymologisch die lateinischen Sätze mit eisi, ta-
meisi = obgleich, wo es sich um eine reale Thatsache handelt,
z. B. Cic. Fam. 4, 15, 2 sed tarnen eist anlea scripsi, quae exist i-
mavi scribi oportere, tarnen hoc tempore putavi. Ferner lat. si-
quidem =^ da ja. — Die Sätze in der Beschwörung : weiin ich
dir Opfer gebracht habe, so hilf mir und ebenso Lateinisch und
Griechisch. — Auch das causale quom, cum, quoniam des Latei-
nischen erklärt sich so. Danach ist der Satz da {cum) es regnet,
ist es nass zunächst ein allgemeiner Satz = fvanii es regnet,
ist es nass, die llealität aber wird je nach dem Situations-
bewusstseiu ergänzt. Es ist für diese Frage gleichgiltig, ob
wir annehmen, dass sich die causale Bedeutung von cum direct
aus der Frageform entwickelt hat oder aus der allmählich im
lateinischen Sprachbewusstsein festgewordeueu Verwendung des
Interrogativstammes in relativem Sinne. In beiden Fällen ist
als Grundbedeutung doch ein wann anzusetzen, fragend oder
relativ. Der Satz: es ist nass, wann? es regnet ist ebenso all-
gemein wie der Satz: wann es regnet, ist es nass. Somit muss
sicher die relative Verwendung des cum = wann für die cau-
sale Bedeutung schon vorausgesetzt werden. Ebenso steht es
mit quando. Uebrigens bleibt der Ursprung des Conjr.nctivs
bei dem causaleu cum noch dunkel. — Auch das deutsche die
weil, weil kann etymologisch schwerlich anders als in all-
gemeinen, die Bedingung bezeichnenden, Sätzen gebraucht sein.
Excurs zu Abhandln St. XXI.
Die Welt ist für den sprechenden Menschen zunächst nur
vorhanden als das Object seiner Empfindungen, Strebungen
und Wahrnehmungen. Alles ausser dem sich selbst fühlenden
Menschen, was als existierend vorgestellt wird, wird eben vor-
gestellt und ist somit Object; das einzige Subject ist somit der
sich selbst empfindende Mensch. Diese Vorstellungsweise ist
die eigentlich normale, und in dem Satze z. B. mein Bruder
geht ist das Urteil entsprungen aus der Wahrnehmung, die der
Sprechende am Bruder macht, also eigentlich: ich nehme meinen
200
Bruder währ, er geht; ebenso bei dem Erinnerungs- und Wissens-
nrteile: mein Bruder ist gross, eigentlich: ich weiss meinen Bruder,
er ist gross.
Ebenso steht es bei den Begehrungs- und Willenssätzen:
0, wenn doch der Bruder käme und der Bruder soll kommen, —
eigentlich : ich wünsche oder ich will den Bruder, er soll kommen.
Der Empfindungston ist ja eben einem ausgesprochenen Verbum
des Begehrens und Willens gleich. Ebenso bei der Verwun-
derung, dem Schmerze, der Freude: in mein Bruder kommt ist
mein Bruder das Object des betreflfenden Affects.
Und natürlich ist es in nicht mechanisierter Rede möglich
und häufig, dass der Redende den inneren Vorgang seiner Vor-
stellung oder seines Aflfects durch einen besonderen Satz be-
zeichnet, in dem das secundäre Subject Object ist; z. B. ich
wünsche vom Bruder, dass er; ich hoffe vom — , ich denke vom — ,
ich wundere mich über — , es thut mir tveh am Bruder u. s. f.
Und diese Ausdrucksform ist noch weiterer Zerdehnung fähig.
Nach dem im Texte Gesagten würden wir eine solche
Ausdrucksform die des Referats nennen, die sich offenbar an
solchen Fällen gebildet hat, wo der Aflfect nicht unmittelbar
durch den Empfindungston erschlossen werden konnte, und wo
die referierende und redende Person nicht identisch war. Bei der
direeten Aflfect- oder VorstcUungsmitteilung ist die unmittelbare,
nicht referierende. Form die übliche.
In diesem Falle ist es nun deutlich, dass die innere Thä-
tigkeit des redenden Subjects ein so undeutliches Bewusstseins-
element geworden ist, dass sie im Allgemeinen die Construction
der Aussage nicht mehr bestimmt. An einer Formel veran-
schaulicht würde das Verhältniss folgendes sein, wenn wir das
redende Subject mit A, das Handlungssubject, das flir A Object
ist, mit B und die Handlung selbst mit x bezeichnen:
B X
d. h. A stellt B und x vor oder empfindet diese Objecto in
irgend einer Weise.
201
Tritt (lagegeu die innere Tlüitigkeit von A zurück, so ist
die Formel:
d. b. A mit seinen Beziehungen tritt im Bewusstsein ganz in
den Hintergrund, und B und x verbinden sieh so mit einander,
dass sie dem Hörenden eonform zu sein scheinen.
Wie sich diese Verdunklung im Bewusstsein vollzog, ist
leicht ersichtlich: 1. die Thatsache jener inneren Thätigkeit
tritt bei jeder Sprachäusserung hervor, ist also v^egen ihrer
Häufigkeit mechanisiert. 2. Der innere Vorgang selbst gibt
ein wichtiges Merkmal zum Erschliessen des Prädicats nur,
insofern ihm ein Empfindungston entspricht, also sind unter
jenen Vorgängen nur die Aflfecte bedeutungsvoll und wertvoll;
die objective, leidenschaftlose Vorstellung ist für den Schluss
auf das Wertprädicat bedeutungslos.
Damit werden wir eine Abstufung in der Wirksamkeit
jener inneren Vorgänge auf die Ausdrucksform anzunehmen
haben, die verhältnissmässig stärkste Wirksamkeit werden die
Affects -Vorgänge des redenden Subjects haben.
Bedenken wir weiter, dass wir einen Spraciizustand an-
nehmen mussten, bei dem der Satz aus dem einzelnen Worte
bestand, so wird auf dieser Sprachstufe die Neigung B und x,
also das Ilandlungssubject und die Handlung conform zu machen
zunächst nicht vorhanden gewesen sein. Für diese Zeit würden
wir die Formel erhalten:
A
I
B [x erschlossen].
Diese Ausdrucksform, sahen wir, ist erhalten in den Wort-
sätzen der entwickelten Sprache, z. B. t?iei7ie Stiefeln, meinen
Bock; in Verwunderungssätzen: der Mensch! in Sätzen der
Freude und des Schmerzes wie: ei, der Vogel; ach, der Hund-
Wir sehen auch hier constant den Nominativ ausser in
der Imperativform, offenbar wird also zu dem affectvoU aus-
gerufenen Gegenstande oder der benannten Person eine Hand-
202
lung gedacht, zu der dieser Gegenstand oder diese Person als
Subject empfunden wird. Eine Angleichung zwischen dem
Object des Affects und der zugeliörigen Handlung findet auch
hier statt, wo eine directe Handlungsbezeichnung nicht vor-
handen ist, allerdings vermutlich nach dem Schema des ge-
bräuchlichen vollständigen Satzes.
Diese Angleichung ist weder absolut notwendig, noch in
den indogermanischen Sprachen thatsächlich tiberall vorhanden.
Dialectisch wird im Deutschen (z. B. bei Magdeburg ausgerufen:
den Minschen, sonnen Minschen). Offenbar ist also hier die
Person als Object des aflfectvoll erregten Subjects zu denken.
Derselbe Fall ist aus dem Lateinischen sehr bekannt, vgl.
Kühner, Lat. Gr. § 70, 5. Die Fassung der Regel ist allerdings in
dem Kühnerschen Buche sehr mangelhaft, verkehrt ist erstens, die
Annahme dass besondere Verben wie staunt an, befrachtet, seht,
vernehfnt, ich beschwöre bei pro deum /idem und dergl. mit-
gedacht seien ; wenn auch dergleichen Verba in der zerlegenden
Darstellung ergänzt wer Jen; viel verkehrter aber ist die Be-
dingung, welche Kühner für den Gebrauch des Accusativ an-
gibt, er sei regelmässig mit einem attributiven Adjective oder
Genetiv verbunden. Seine eigenen Beispiele hätten ihn eines
Besseren belehren können, so ohne Adjectiv: pro ftdem, pro
deum fidem, en 7nea malefacta, nieam en avariiiam, ecce me, die
bei Komikern häufigen Formen ellum, eccnm, cccam, eccos,
eccas, eccillnm, eccillam. Mit Adjectiven der Qualität oder des
Zustandes: forliinaliim Nicobulum, lepidum te, edepol morialis
malos, ieu ?ne miserum u. a. Allerdings sind die Adjectiva attri-
butiv verbunden, ihre Function ist jedoch prädicativ, es sind
Ausrufssätze in dem Sinne von : miser sum. Häufig finden sich
bei diesem Accusativ die Interjectionen o, heu, eheu, hem, pro,
edepol, en, ecce.
Ein Ausdruck wie 77ie miserum zeigt, dass das von me
ausgesagte Prädicat miser dem Objectscasus conform geworden
ist, das Gegenteil zeigte sich oben, wo das Object des reden-
den Subjectes conform wurde dem nachfolgenden Prädicate,
wie in der Verwunderung: der Mensch stirbt.
Ein gleicher Vorgang, eine gleiche Entwicklung zur Con-
formität der Formen hat auch an dem oben besprochenen Zu-
stande des lateinischen Ausdrucks geändert; ausser au einer
203
Stelle (Phil. 5, 6 15 m causam) schreibt Cicero bei en den No-
minativ (vgl. Kühner a. a. 0.), und ebenso v^rird ecce mit dem
Nominativ verbunden: ecce homo.
Noch schlagender und tiberzeugender ergibt sich dieser
Fortschritt zur Conformität zwischen Ausrufsobject und ge-
dachter Handlung bei dem deutschen sieh, sieh mal Dieser
Imperativ sollte stets den Accusativ bei sich haben, und so
ist der schriftdeutsche Ausdruck sieh mal den Menschen, doch
vulgär nach der mitgedachten Subjectsf unction: sieh mal, der
Mensch!
Der sprachhistorische Vorgang ist klar: es ist ein Object
der Vorstellung des sprechenden Subjects sprachlich zum Sub-
ject einer Thätigkeit geworden, welche von diesem Objecto
ausgeht. Uebertragen wir dies auf die Stufe des Wortsatzes,
so lautet der Ausruf zunächst: den Menschen, er kommt,
Otfenbar ist dieser Vorgang wesensgleich der sogenannten
Attraction, die im Griechischen besonders so häufig eintritt,
vgl. Ktihner, Griech. Gr. § 600, 4, z. B. Homer B 409 'ijöti yccQ
xata ß'Vfiov ddeXcpsov (hi^ sjiovtlro, Latein, nosti Marcellum,
quam tardus sit. Auch hier zeigt sich eine Concurrenz zwischen
der Thätigkeit des Hauptsubjects in Bezug auf ein Object, und
der eigenen Thätigkeit, welche von diesem Objecto wider aus-
geht. — Das Deutsche zeigt dem Lateinischen gegenüber eine
ähnliche Neigung wie das Griechische; wir sagen gern bei den
Verben des Sagens und Vorstellens z. B. ich stelle mir die
Mittel vor, durch die, Lateinisch ist es viel gewöhnlicher das
Object dem nachfolgenden Nebensatze conform zu machen und
zu sagen: cor/ito quibus rebus.
Vergegenwärtigen wir uns, dass die Sätze, welche wir
in der ausgebildeten Sprache als wirkliche Sätze anzusehen
pflegen, — dass diese Sätze durch allmähliches Aneinander-
rücken melirer selbständiger Sätze entstanden. Es ist daher
nur wahrscheinlich, dass uns die Sprachen selbst Reste der
Beziehung des Objects des redenden Subjects auch da noch
bieten, wo die Conformität längst durchgeführt ist. — Doch
erst noch eine Vorbemerkung: mit Absicht ist im Vorgehenden
stets der Ausdruck Handlung gebraucht, denn ein wahres Sub-
ject kann nur bei einer Handlung vorhanden sein. Unsere
indogermanischen Sprachen zeigen uns aber auch Subjecte von
204
Zuständen und Leiden. Der Grammatiker hat Recht diese als
logische Objecte einer Thätigkeit zu bezeichnen. Wahre Hand-
lungssubjecte können nur Personen sein. So viel also ist deut-
lich, dass bei Objecten, die ihrem Wesen nach nicht eigentlich
Subjecte sein konnten auch die Subjectsfunction nicht hervor-
treten und sie der Subjectsfunction nicht congruent werden
konnten. Das war erst möglich, wenn die Bedeutung des Sub-
jects sich durch gewisse Sprachvorgänge so umgestaltete, dass
auch das leidende Object zum Subject gerechnet wurde.
Nun liegt in den indogermanischen Sprachen die That-
sache vor, dass die unpersönlich gedachten Gruppen, soweit
sie o-Stämme sind, als Subjects-Casus den Accusativ, d. h. den
Objectscasus verwenden, zunächst ist das deutlich am Ad-
jectivum magnum, fiaxQov u. s. f., dann an Substantiven wie
avTQov, arvum, arairum u. s. f. Ich denke, es ist nach dem
Gesagten deutlich, dass hier die Thatsache vorliegt: Objecte
des sprechenden Subjects wurden zunächst nicht zu Subjecten,
da sie nicht Handlungssubjecte sein konnten also auch ein
Congruentwerden mit der Subjectsfunction und ein Conform-
werden mit der Handlungsbezeichnung nicht eintreten konnte.
Diese sogenannten Neutra sehen aus wie Accusative mascu-
linalcr Substantiva; was von ihrer Function als Objecten gilt,
wird auch von den übrigen Neutris anzunehmen sein: dulce,
rj6v, aXrjd^tq etc., deren Subjectsfunction durch den reinen Stamm
versehen wird, ebenso ytQag, öoqv, munus, yivoi; u. s. f. Be-
zeichnend genug wird auch die Objectsfunction durch den
reinen Stamm versehen, man sagt : der Accusativ sei dem No-
minativ gleich. Offenbar ist auch hier die Objectsbezeichnung
durch Veränderung des Sprachbewusstseins vom Subjecte fähig
geworden wirklich als Subject zu gelten.
Die genannten Adjectiva zeigen deutlich, wie man formell
das Handlungssubject vom Vorstellungsobject schied, nemlich
durch eine Satzform, d. h. die Verbindung mit einem Wörtchen,
vielleicht sa, sä. Ohne hierauf näher einzugehen, werden wir
doch daraus schliessen dürfen, dass der reine Stamm eben
nicht zur Subjectsfunction ursprünglich geeignet war, sondern
das Object des redenden Subjects bezeichnete.
Der reine Stamm ist im Allgemeinen als Vocativbezeich-
nuug gewählt, und der Vocativ ist ein Imperativ, der etwa ein
205
ich will den Bruder bezeichnet. Aber als persönliches Object
erp^ünzte besonders der angeredete Hörer aus dieser Form: ich
soll kommen, hören, ihxm n. s. f., und so tritt der Vocativ dem
Nominativ so ausserordentlich nahe, dass der Nominativ selbst
vertretend für den Vocativ eintritt, und dass der Nominativ
appositionell den Vocativ erklärt.
Hatten wir Recht, dass die Thätigkeit oder Handlung in
jedem Falle ergänzt und erschlossen werden muss, so wird der
Ver])al8tamm, der sich in Nichts vom Nominalstamme unter-
scheidet, wohl ursprünglich gleichfalls Object des redenden
Subjects gewesen sein, und At/f im Imperativ wird sich von
avfhQc/)j!:£ in seiner Function nicht unterschieden haben, es
wird gebraucht sein wie meinen Slack u. a. Aber auch diese
Form wird gedeutet als ein Subject du in sich tragend.
Die übrigen Formen des Verbs werden natürlich ursprüng-
lich gleichfalls nach dem Schema gebildet sein:
A oder A
A A
B X X B
In rl&rj-öc also war rt^yy- Object und öc Object zu A.
Und ganz entsprechend werden die Stämme ma, ta für die
erste und dritte Person verwandt, die übereinstimmend die
Casus Obliqui nicht den Subjectscasus bezeichnen.
Die Bildungsweise steht also auf gleicher Linie mit dem
infinitivischen Ausrufe: cum venire, in dem eum wie venire zu-
nächst Object des redenden Subjects waren, — genau so wie
sie es bei einem dico eum venire sind. Aber auch hier tritt
zweifellos jene Conformität ein, bei der eum u. s. f. auch als
Subject zu venire gedacht wird, nur dass der Infinitiv seinen
Objectscasus in der Sprachfunction beibehält. Als wirklicher
Objectscasus erscheint der Accusativ beim Infinitiv, wenn die
passive Construction den Nominativ mit dem Infinitiv fordert
wie dicor venisse. Wo das jedoch nicht der Fall ist, kann
der Accusativ nur noch als Subjectscasus des Infinitivs em-
pfunden sein.
Es ist deutlich, dass wir das hier eben ausgeführte Ver-
hältniss des Stammes zum redenden Subjecte bei allen syn-
206
tactischen Betrachtungen über Formenlehre des Indogerma-
nischen zu Grunde legen müssen.
Ehe wir diesen Punkt verlassen, muss noch auf eins hin-
gewiesen werden: Wir sahen, dass die Formen venis, veyiil
Referatsformen waren, in denen das Suffix die Exposition ent-
hielt zu dem Stamme. Der Stamm allein würde eben nur ein
Object des empfindenden Subjects bezeichnen, dessen Function
aus der sprachlichen Andeutung und dem Empfindungstonc
erschlossen wird. Es bedeutet die Form also etwa Kunft ihn,
Kunfi oder Gang dich. Nach dem eben Gesagten dürfen wir
ungefähr das Lat. te venire, eum venire das Griech. oe eXd^nv
etc. dem gleich setzen.
Wird das Kommen nicht berichtet, sondern spricht es die
redende Person von sich selbst aus = venio^ so fehlt das ex-
positionelle Pronomen. Ist das vcnio nun gleich dem Objecto
Kiin/'t etwa oder gleich sXO'eZv, und lässt sich der innere Vor-
gang des redenden Subjects mit den Verben des Sagens und
Vorstellens explicieren, so haben wir etwa einen Ausdruck:
jLiyco hXd'Blv^ nur dass Ityco blos auf der Referatsstufe aus-
gedrückt wird; also auch hier fehlt das Object-Subject zu Xiyo)
kXd'Elv weil es dasselbe ist wie das sprechende Subject, da-
gegen ist dies verschieden, so heisst es Xiyo) eX^elv es, avxov.
Diese Infinitivconstruction ist fast sämmtlichen Verben eigen-
tümlich, welche referierend über die inneren Vorgänge des
redenden Subjects und das Reden desselben berichten, und auch
das Gesetz galt allgemein, dass bei gleichem Subjecte der
blosse Infinitiv, bei ungleichem der Accusativ mit dem Infinitiv
stehe. Ausser dem Griechischen beweist es das Deutsche: ich
hoffe zu sehen etc., die isolierten Verben der classischen Lati-
nität wie volo, nolo, malo, ciipio, die Verben des Beschliessens
mit blossem Infinitiv und der Dichtergebrauch.
Somit sehen wir, dass die Form des Referatsausdrucks in
den ältesten Zeiten der indogermanischen Sprachen sich nach
demselben Gesetze bildete wie später in der ausgebildeten
Sprache. Die lateinischen Constructionen polUceor me venturum
esse u. a. sind nach dem Muster der Referatsformen gebildet
und stehen auf gleicher Linie mit dem l'örfjfic u. s. f.. Formen
in denen das Pronomen nach dem Muster der echten Referats-
formen iorr/g, iöT7jOc angetreten ist. Bekanntlich hat diese