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Untersuchungen
Zur
_NATURLEHREDES MENSCHEN
UND DER THIERE.
HERAUSGEGEBEN
Jac. Moleschott.
FÜNFTER BAND. I. HEFT.
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{ Zahl N
FRANKFURT a. M.
VERLAG VON MEIDINGER SOHN & COMP.
1858.
Inhalt
des vorliegenden Heftes.
Seite
Bermerkungen über die Bildung einiger Sprachlaute. Von Prof. Joh.
Czermak I De en KEe 1
Beiträge zur Kenntniss des Winterschlafes der Murmelthiere. Von
GE Valentin. Ran ee ee
Ideen zu einer Lehre vom Zeitsinn. Von Joh. Czermak . .. 65
Beiträge zur Kenntniss der Beihülfe der Nerven zur Speichelseere-
tion. Von Joh. Czermak 5 Et ee a =
Bildung von Vivianit im Thierkörper. Von Hugo Schiff . . . 91
Erklarung.. "SR at ee ae ae oe 0:3
en RT RER re nie,
Inhalt
des vorliegenden Heftes.
Seite
VII. Ueber die Dauer und die Anzahl der Ventrikel-Contraetionen des
ausgeschnittenen Kaninchenherzens Von Joh. Czermak und
G. v. Piotrowski in Krakau . .. 99
VIII. Ueber lebend nach Berlin gelangte Deritterwelker: aus West-Afrika
Von E. du Bois-Reymond . . . . 109
IX Ueber das Accommodationsphosphen. Von Prclsgene J AR na 137
X. Ueber secundäre Zuckung vom theilweise gereizten Muskel aus.
Von Professor Johann Ozeimak. . . 141
XI. Untersuchung über den Druck- und Raumsinn der Haut Von m Au abi ert
und A. Kammler . . . . 145
XI. Ueber directe Reizung der Muskeln mit beshasee Betehagg auf
die von Dr. W. Wundt vertheidigten theoretischen Ansichten. Von
Professor Moritz Schiff . . „2.2. N a den. 183
Untersuchungen
zur
NATURLEHRE DES MENSCHEN
UND DER THIERE.
HERAUSGEGEBEN
Jac. Moleschoett.
FÜNFTER BAND. III. HEFT.
FRANKFURT a. M.
VERLAG VON MEIDINGER SOHN & COMP.
1859,
In unserem Verlage ist erschienen und in allen guten Buchhand- |
lungen vorräthig: or .
Hartmann, Dr. Franz, Privatdocent, Gompendium der speciellen Patho-
{
logie und Therapie für Studirende der Mediein. Circa 40—50 |
Bogen. Preis ca. 2 Thlr. 15 Sgr.
|
Das Werk ist zunächst für die Studirenden bestimmt, um als Leitfaden bei
den Vorlesungen über specielle Pathologie und Therapie benutzt zu werden.
Hiermit ist zugleich auch der wissenschaftliche Standpunkt bezeichnet, von
welchem aus das Werk geschrieben ist. Es hält die Mitte zwischen einem reinen
Compendium und einem Handbuch der speciellen Pathologie und Therapie. In- e
dem es Ersterem durch seine Kürze sich nähert, dringt es wiederum da, es
das wissenschaftliche Interesse erfordert, tiefer, als man dies bei einem Com- -
pendium erwarten darf, in die verschiedenen Theorieen ein. Schon seines ange-
gebenen nächsfen Zweckes halber muss sich das Werk auf der jetzigen Höhe
der Wissenschaft halten, ohne aber dabei irgend einer bestimmten Richtung an-
zugehören. Es gibt die nackten Thatsachen und die hierfür aufgestellten Er-
klärungen, überlässt aber dem Lehrer, die letzteren nach seiner Anschauung
näher zu präeisiren. Das Hauptaugenmerk des Verfassers ist, dem Studirenden
ein gedrängtes, aber deutliches Bild der bezüglichen Krankheiten vorzuführen ;
er hat da, wo es sich um wichtige differenziell-diagnosische Punkte handelt,
kurze Wiederholungen nicht gescheut, um dem Anfänger das Bild so klar wie
möglich zu geben. Alle bei der Diagnostik verwendbaren Hülfsmittel, Mikros-
kopie, physiologische Chemie ete. haben überall nach dem jetzigen Stande jeder
Diseiplin ihre vollkommene Würdigung gefunden. Die pathologische Anatomie
blieb selbstredend nicht zurück ; da jedoch das Werk nicht gleichzeitig auch ein
Compendium für patholog. Anatomie sein sollte, musste überall da, wo die Be-
arbeitung desselben über die Grenzen des Werkes ging, auf die speciellen Hand-
bücher verwiesen werden. Der Verfasser nimmt ebenso auf den Studirenden
wie auf den praktischen Arzt Rücksicht und bietet Beiden etwas Brauchbares,
indem er in seinem Compendium die neuesten Forschungen auf dem Gebiete der
Pathologie und Therapie vorführt. STAR
‚Leydi h Dr. Franz, Professor an der Universität zu Würzbur En
Lehrbuch der Histologie des Menschen und der Thiere. Mit zahl-
reichen Holzschn. 8°. (XII. 551 S.) 1857. geh. Preis 4 Thlr. 15 Sgr.
Die Bedeutung der Gewebelehre für den Arzt und Naturforscher wird
gegenwärtig immer allgemeiner anerkannt und das Interresse an dieser verhält-
nissmässig sehr jugendlichen Doktrin nimmt von Tag zu Tag zu.
Bisher ist es jedoch strenger genommen nur die Histologie des Menschen
gewesen, welche in vorzüglichen Hand- und Lehrbüchern systematisch behandelt
wurde. Gleichwie aber bekanntermaassen in der vergleichenden Anatomie öfters
der Schüssel zum Verständniss der complieirteren menschlichen Formverhältnise
und für die physiologische Erklärung mancher Organe gefunden wird, so wirft
auch die Gewebelehre der Thiere ein Licht über manche dunkle und schwer
zugängige Partie der menschlichen Histologie und eröffnet neue Gesichtspunkte.
Obschon nun allerdings die Handbücher über die Gewebelehre des Menschen
einzelne vergleichende histologische Exeurse machten, so hat doch bis jetzt ein
‘Werk gefehlt, welches sich die Aufgabe hatte, die mensehll he und
die thierische Gewebelehre zugleich als ein Ganzes aufzufassen. ARTE
Der Herr Verfasser, welcher sich bisher seinen Fachgenossen durch eine
Anzahl monographischer, meist in das Gebiet der vergleichenden Histologie ein-
schlagender Arbeiten bekannt zu machen strebte, geht nunmehr an die Aus-
füllung dieser Lücke in der Literatur, indem er obiges Lehrbuch der mensch-
lichen nnd thierischen Histologie dem naturwissenschaftlichen Publikum vorlegt.
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Untersuchungen
zur
NATURLEHRE DES MENSCHEN
UND DER THIERE,
HERAUSGEGEBEN
von
Jac. Woleschott.
wY Fünfter Band.
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; FRANKFURT a. M.
Z "VERLAG VON MEIDINGER SOHN & COMP.
1858.
*
Druck von Aug. Osterrieth,
in Frankfurt a. M.
1.
Bemerkungen über die Bildung einiger Sprachlaute.
Von
Prof. Joh. Gzermak.
1
Obsehon Kempelen, vor bereits 67 Jahren, den luftdichten
Verschluss der Gaumenklappe beim Hervorbringen der reinen Vocale
gekannt undBrücke die gegentheilige irrthümliche Ansicht Dzondi’s
neuerdings widerlegt hat, so ist demmoch in‘ neuester Zeit von Dr.
Merkel in Leipzig und. Prof. Kudelka in Linz wieder aufs Ge-
rathewohl behauptet worden, dass die Gaumenklappe beim Hervor-
bringen der reinen. Vokale offen stehe.
Es ist an der Zeit, „dass man”, wie Brücke sagt*), „den Hun-
derten, welche sich in unserem Zeitalter mit den Sprachlauten be-
fassen, ja gelegentlich über die Entstehung derselben schreiben, den
Weg zeigen solle durch einfache Versuche und leichte Kunstgriffe
sich selbst eine Ueberzeugung zu verschaffen, damit im ‚Gebiete der
Lanutlehre nicht immer von Neuen Üontroversen auftauchen, welche
man längst für beseitigt halten sollte.”
*) Brücke: Nachschnft zu Prof, Kudelka’s Abhandlung. Sitzungsberichte der
Wiener Akademie, Bd. XXVIII, p. 63, 1858,
Moleschott, Untersuchungen. V. 1
Ich habe zwar schon im vorigen Jahre*) durch Fühlhebelver-
suche und Wasserinjectionen in die Nase das wahre und zum Theil
noch nicht gekannte Verhalten des weichen Gaumens beim Hervor-
bringen der reinen Vocale aufgeklärt, und Prof. Schuh**) hat die
von mir gewonnenen Resultate an einem merkwürdigen, von ihm
operirten Falle bestätigt und erweitert, allein die ganze Frage dürfte
doch erst durch die im Folgenden angegebene überaus einfache Un-
tersuchungsmethode als ein- für allemal erledigt und zum Abschluss
gebracht erscheinen, da meine Fühlhebelversuche nicht geeignet sind
(freilich auch nicht zu dem Zwecke angestellt wurden), das Vorhan-
densein eines luftdichten Gaumenverschlusses zu erweisen, die
Wasserinjectionen die betreffenden Theile unter etwas unnatürliche
Verhältnisse setzen, Prof. Schuh’sFall aber ein Unicum ist, während
die älteren Kunstgriffe zur Constatirung des luftdichten Verschlusses
theils unbequem, theils unexact sind.
Das neue Experiment, welches als eine volksthümliche Todten-
probe seit undenklichen Zeiten benützt wird, ist so trivial und nahe
liegend, dass ich Bedenken getragen hätte, damit vor die Oeffentlich-
keit zu treten ***), wenn es nicht trotz seiner Trivialität ein unüber-
treffliches Mittel wäre zur Entscheidung der Frage, ob in einem ge-
gebenen Falle Luft durch die Nase ausströmt oder nicht.
Es besteht einfach darin, dass man einen Spiegel oder eine breite
polirte Messerklinge in horizontaler Richtung unter die Nase hält
und darauf achtet, ob sich die blanke Oberfläche, während ein Laut
z. B. hervorgebracht wird, beschlägt oder nicht.
Die leiseste Spur eines Lufthauches macht sich nämlich auf dem
kalten Glase oder Metalle sofort durch niedergeschlagenen Wasser-
dampf bemerklich.
Von der Empfindlichkeit dieser Probe, welche übrigens durch
Veränderung der Temperatur des Spiegels nach Belieben regulirt
*) Sitzungsberichte der Wiener Akademie 1857, Bd. XXIV, p. 4.
**) Wiener med, Wochenschrift 1858, Nr. 3.
*%*#*) Sitzungsberichte der Wiener Akademie. Monat Februar 1858. Czermak:
„Ueber reine und nasalirte Vocale”.
3
werden kann, bekommt man einen Begriff, wenn man sich erinnert,
dass sich kalte blanke Gegenstände schon beschlagen, wenn man die-
selben schwitzenden Hautstellen nähert, und wenn man erfährt, dass
der unter die Nase gehaltene Spiegel schon einen deutlichen, wenn
auch kleinen Beschlag zeigt, wenn man sich plötzlich stark aufbläht
und damit durch das passiv emporgewölbte Gaumensegel etwas Luft
aus der Nase verdrängt.
Bleibt somit der vorgehaltene Spiegel in einem gegebenen Falle
vollkommen blank, so kann man mit apodietischer Gewissheit auf
den luftdichten Verschluss der Gaumenklappe schliessen.
Es kann sich nun Jedermann, der etwa noch zweifeln konnte,
leieht überzeugen, dass während des regelrechten Hervorbringens
der reinen Vocale keine Luft aus der Nase hervorströmt
und dass also die Gaumenklappe bei der Bildung der
Vocale ohne Nasenton wirklich luftdicht geschlossen
ist, — denn der Spiegel bleibt blank.
Um den Versuch recht sicher anzustellen, bringe man die mög-
lichst rein intendirten Vocale eontinuirlich hervor und schiebe den
Spiegel erst dann unter die Nase, nachdem der Laut schon zu tönen
angefangen, entferne jedoch den Spiegel schon früher, als man aufhört,
den Laut hervorzubringen. Bei wirklich vollkommen reinen Vocalen
bleibt der Spiegel, wie gesagt, unbehaucht, während dieselben tönen.
So wie man den Vocalen den geringsten Nasenton beigiebt, zeigt
ein reichlicher Niederschlag von Wasserdämpfen auf dem Spiegel so-
fort starkes Ausströmen der Luft durch die Nase und das Geöffnet-
sein der Gaumenklappe an.
Hiernach könnte man versucht sein zu glauben, dass reine und
nasalirte Vokale sich bloss dadurch von einander unterscheiden möch-
ten, dass bei jenen die Luft durch den Mund allein, bei diesen durch
Mund und Nase zugleich ausströme.
Diese Vermuthung wäre jedoch unrichtig, denn Brücke*) sagt
schon, „dass es sich von selbst verstehe, dass nicht der Abfluss der
#) Grundzüge der Systematik u. Physiologie derSprachlaute, Wien, Gerold. 1856, p. 28.
1*
4
Luft aus der Nase als solcher, den Nasenton hervorbringe, sondern
die Schwingungen der Luft in der Nasenhöhle.”
Die Luft in der Nasenhöhle wird aber nur dann in akustisch
merkliche Schwingungen versetzt, wenn die Menge der durch die
Nase ausströmenden Luft, d. h. die Stellung der geöffneten Gaumen-
klappe in einem bestimmten Verhältnisse steht zu jenem Luftstrom,
welcher seinen Weg durch den Mund nimmt,
Deshalb nasalirte auch das von Brücke *) mit gewohntem
Scharfsinn untersuchte Mädchen, dem das Velum durch Syphilis voll-
ständig zerstört worden war, zwar alle Vocale, „aber keineswegs alle so
stark, wie sie ein Gesunder zu nasaliren im Stande ist.” „Der Grund
hiervon lag eben im Mangel des Gaumensegels, das bei uns, wenn
es die Rachennasenöffnung, nicht verschliesst, herabhängt und so den
Weg, welcher der; Luft; gegen die Mundhöhle hin offen steht, be-
schränkt.”
Nach dem Gesagten darf es uns nicht Wunder nehmen, dass die
Vocale selbst dann noch keinen sehr auffallenden Nasenton erhalten,
wenn man die Gaumenklappe mit Absicht ein klein wenig öffnet, so
dass sich der Spiegel, der in dieser Beziehung das Ohr an Empfind-
lichkeit weit übertrifft, schon zu beschlagen anfängt, oder dass Manche,
die aus Unachtsamkeit, Bequemlichkeit, übeler Angewöhnung oder
regelwidriger Beschaffenheit der Sprachorgane unabsichtlich die Gau-
menklappe nicht absolut luftdicht schliessen, was die Spiegelprobe
sofort anzeigt, doch nicht nothwendig eine merklich näselnde Sprache
zu haben brauchen.
Uebrigens tritt bei manchen sonst normalen Sprachorganen der
zuletzt erwähnte ausnahmsweise Umstand besonders leicht hinsicht-
lich des deutschen a ein, was im besten Einklang steht mit der That-
sahe **), dass der mit der geringsten Hebung und Spannung des
Gaumensegels bewerkstelligte Nasenverschluss für « auch viel weniger
fest und innig ist als bei den übrigen Vocalen.
*) Nachschrift zu Prof. Kudelka’s Abhandlung, p. 91.
**) Czermak ]. c. Bd. XXIV, 1857.
5
Aber selbst dann, wenn diese Unvollkommenheit häufig vorkom-
men sollte, könnte sie die feststehende allgemeine Regel, dass die
reinen Vocale mit luftdicht geschlossener Gaumenklappe gebildet
werden, nicht umstossen oder beeinträchtigen, da sobald ausnahms-
weise der Verschluss nicht absolut luftdicht ausfällt bei der unend-
lichen Empfindlichkeit, deren die von mir empfohlene Spiegelprobe
fähig ist, auch solche zarte Lufthauche schon deutlich angezeigt wer-
den, welche nur eine zufällige bis zu einer gewissen Grenze unschäd-
liche Mangelhaftigkeit, aber keineswegs von einer akustischen Be-
deutung sein können.
Die Bedeutung des Gaumensegels für die Bildung der Vocale
liest also einmal darin, dass es durch seine Stellung den Luftstrom
zwischen Mund und Nasenhöhle theilt, wodurch die Entstehung des
Nasentons wesentlich ermöglicht oder vermieden wird, und dann
darin, dass es durch seine verschiedene Hebung und Spannung, wie
ich zuerst an mir selbst nachgewiesen habe *), und an der interessan-
ten Operirten auf Schuh’s Klinik von Brücke, Schuh und mir
bestätigt wurde — (beim a stand der gehobene weiche Gaumen am
tiefsten, d. h. noch unter der Linie, in welcher sich der horizontal
nach hinten verlängert gedachte Boden der Nasenhöhle mit der
Rachenwand schneidet, und war am wenigsten gespannt, bei allen
übrigen Vocalen berührte er die Rachenwand über jener Horizontal-
linie und ward stärker gespannt; es betrug der Winkel des Gaumen-
segels mit dem Boden der Nasenhöhle für @ etwa 10°, für u stand er
um zwei Linien tiefer als für 7, für o und e wieder um zwei Linien
tiefer als für w #) — zur regelrechten Bildung und Unterschei-
dung der verschiedenen Vocale beiträgt, obschon — wie das von
Brücke untersuchte Mädchen ohne Gaumensegel beweist, wenn man
von dem bei ihr unvermeidlichen Beiklang des Nasentons absieht —
nicht absolut nothwendig, also nur Nebenbedingung ist.
1.c.
*%) Schuhll. ce.
Bei allen übrigen deutschen Sprachlauten mit Ausnahme der
Resonanten, wo die Gaumenklappe bei geschlossener Mundhöhle weit
geöffnet steht, schliesst das Gaumensegel in verschiedener Höhe *)
die Nase mehr oder weniger fest, aber stets (selbst bei den tönenden
Reibungsgeräuschen in der Regel) absolut luftdicht von dem Cavum
buccopharyngeum ab.
il
Als ein Gegenstück zu den interessanten Beobachtungen Brücke’s
an dem Mädchen ohne Gaumensegel mögen zur vollständigen Er-
schöpfung des Gegenstandes einige Bemerkungen über die Sprache
bei vollständiger Verwachsung des Gaumensegels mit der hinteren
Rachenwand **), hier auch einen Platz finden, welche ich vor einiger
Zeit an einem kleinen Mädchen, das mir Hr. Dr. Semeleder vor-
stellte, zu machen Gelegenheit hatte.
Katharina D., gegenwärtig 14 Jahre alt, kam vor 2 Jahren,
mit Geschwüren an dem Gaumen, den Gaumenbögen und der hinte-
ren Rachenwand behaftet, auf Prof. v. Dummreicher's Klinik und
wurde daselbst als an Ozaena scrophulosa leidend mit Jodglycerin-
einpinselungen und adstringirenden Gurgelwässern behandelt, Der
Verdacht auf Lues erwies sich als unbegründet.
Die Geschwüre wurden geheilt, dagegen konnte eine vollständige
Verwachsung des Gaumensegels mit der hinteren Rachenwand nicht
gehindert werden, so dass die Nasenhöhle von hinten her luftdicht
verschlossen wurde. Die Patientin kann seither natürlich ‚nur durch
den Mund Athem holen. Auch die angewendete Spiegelprobe (s.. 0.)
gab ein negatives Resultat; der. luftdichte Nasenverschluss zur Zeit
der Untersuchung, unterliegt daher keinem Zweifel.
Nichtsdestoweniger giebt die Patientin an, dass. sie zuweilen im
Stande sei, etwas Luft durch die Nase hervorzupressen. , Wenn diese
Aussage nicht auf einer Selbsttäuschung beruht, so erklärt sie sich
*) Sitzungsberichte Bd. XXIV, 1857. (Nachschrift.)
**) Czermak in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie. Märzheft 11858.
7
aus einer theilweisen Lösung der Verwachsung zwischen Gaumen und
Rachenwand in Folge neuauftretender Ulcerationen, deren sich ge-
genwärtig wieder einige von beträchtlicher Tiefe am hinteren etwas
angeschwollenen Theile des Zungenrückens finden.
Das Gaumensegel ist übrigens trotz seiner totalen Verwachsung
mit der Rachenwand nicht unbeweglich, sondern kann nach Willkür
stärker emporgewölbt oder mehr abgeflacht, gespannt oder erschlafft
werden.
Hinsiehtlich der Lautbildung bei der beschriebenen Missbildung
der Sprachorgane ergab sich Folgendes:
1) Die reinen Vocale a, e, o und w konnte das Mädchen ganz
deutlich und gut aussprechen; das © lautete jedoch wie ein gequetsch-
tes e, wenn es continuirlich und für sich allein hervorgebracht
werden sollte, während es doch im Flusse der Rede, zwischen ande-
ren Buchstaben deutlich genug ausgesprochen werden konnte. Diese
Unvollkommenheit war vielleicht durch die in Folge der Verwach-
sung limitirte Hebung des Gaumensegels, welches beim ?, wie gesagt,
am höchsten zu stehen kommt, offenbar aber auch durch die geringe
Biegsamkeit des Zungenrückens in Folge der daselbst vorhandenen
‚Anschwellung und Geschwürsbildung bedingt.
2) Vocale mit Nasenton konnte das Mädchen natürlich auf
‚keine Weise hervorbringen.
3) Dass das Mädchen die wahren Resonanten der drei Ar-
-tieulationsgebiete, welche Brücke*) mitm, » und =. bezeichnet,
nicht würde bilden können, war zu erwarten, da die 'wesentlichste
Bedingung dieser Laute, :Mitschwingungen: der in der Nase enthalte-
‚nen Luft in Folge des Offenstehens der Gaumenklappe, bei ihr nicht
zu realisiren war,
Dass das Mädchen aber nichtsdestoweniger den wahren Resonan-
ten sehr ähnliche Laute hervorbringt und von den entsprechenden
Medien in allen drei Artieulationsgebieten deutlich unterscheidet (sie
spricht mein und bein, nein und dein, lange und lage), so dass man
*) Brücke »Grundzfige ... etc.”
8
ihrer Sprache in dieser Beziehung eine verhältnissmässig nur geringe
Unvollkommenheit anmerkt, muss uns allerdings überraschen, da sich
bekanntlich die Medien von den entsprechenden Resonanten wesent-
lich nur durch den Verschluss der Gaumenklappe unterscheiden *).
Da nämlich die Patientin die Gaumenklappe nicht öffnen kann,
so würde sie, wenn sie die Bewegungen des Gesunden gemacht hätte,
statt der Resonanten immer nur. die entsprechende Media erzeugt
haben. Hiervon hält sie der so verschiedene akustische Effeet ‚ab
und sie ersetzt deshalb die ihr unmöglich gewordenen wahren Reso-
nanten, durch die ihnen ähnlichen Purkyne’schen Blählaute **), wo-
bei sie zugleich bemüht ist, den Verschluss des Mundkanals mög-
lichst geräuschlos zu bewerkstelligen oder zu lösen, was freilich im-
mer einige Aufmerksamkeit und Anstrengung erfordert. Deshalb er-
klärt die Patientin auch, dass es ihr bequemer sei, bein als mein,
dein als nein, lage als lange auszusprechen.
Auf die bezeichnete Art kann man in der That statt der Medien
Laute hervorbringen, welche den entsprechenden Resonanten täuschend
ähnlich sind; hat doch Kempelen selbst, ehe er den wahren Un-
terschied der Tenues von den Mediae aufgefunden hatte, geglaubt,
dass sich z. B. das 5 vom p durch ein vorlautendes m unterscheide.
Freilich lassen sich die für die Resonanten vicarriienden Bläh-
laute nicht continuirlich hervorbringen, weil die aus der zum Tönen
verengten Stimmritze hervorströmende Luft den allseitig gesperrten
Raum alsbald so sehr erfüllt, dass ein weiteres Nachströmen dersel-
ben unmöglich wird; deshalb spricht auch das Mädchen ihre Reso-
nanten-Surrogate sehr kurz und zerfällt, wenn sie recht deutlich spre-
chen will, den Resonanten der dritten Reihe (”, Brücke), bei
welchem der Verschluss der Mundhöhle weit hinten am Gaumen ge-
schieht, in ihr unvollkommenes n und in g. Sie sagt dann unwill-
kürlich Wan-ge, Klin-gel . . . etc.
*%) Brücke „Nachschrift“ . . p. 72.
**) Brücke »Grundzüge ... etc.«, p. 56.
9
Bemerkenswerth ist noch der Umstand, dass das Mädchen jedes-
mal die Nasenflügel mit dem Bestreben die Nasenlöcher zu verengern
bewegt, wenn sie sich anstrengt, einen der Resonanten möglichst
deutlich hervorzubringen.
Diese seltsamen Mitbewegungen deuten darauf hin, dass die Pa-
tientin, wenn sie Resonanten intendirt, instinktiv alles thut, was un-
ter so ungünstigen Umständen beitragen kann, das Mitschwingen der
Nasenluft zu begünstigen. Es unterliegt wohl kaum einem Zweifel,
dass auch das Gaumensegel für die Resonanten möglichst erschlafft,
für die Medien aber straffer gespannt wird, so dass sich von den
Schwingungen bei den ersteren mehr auf die Nasenluft übertragen
können, als bei den letzteren.
4) Das R wulare kann das Mädchen selbstverständlich nicht
sprechen, da bei ihr vom Zäpfchen so gut wie nichts vorhanden ist;
sie bildet das 2% mit der Zungenspitze.
5) Da das Mädchen die Resonanten sehr geschickt durch die
entsprechenden Blähblaute zu ersetzen versteht und da alle übrigen
Laute, mit Ausnahme der nasalirten Vocale, welche im Deutschen
gar nicht vorkommen, ohnehin mit geschlossener Gaumenklappe ge-
bildet werden, so wird ihre Sprache durch die erlittene Missbildung
weit weniger beeinträchtigt, als man erwarten sollte.
Die einzige Unvollkommenheit, welche sich in störender Weise
geltend macht, ist ein gewisses Stocken im Flusse der Rede, welches
daher rührt, dass die bei gewissen Lautfolgen sich ansammelnde Luft
bei ihr nur durch den Mund austreten kann, während dieselbe bei
Gesunden durch Oeffnen der Gaumenklappe unmerklich und ohne
die Lautbildung zu coupiren entweicht. Hält sich ein Gesunder beim
Sprechen die Nase zu, so fühlt er alsbald jenes durch Luftanhäufung
gesetzte Hinderniss, welches bei dem Mädchen aus naheliegenden
Gründen früher und störender auftreten muss.
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Beiträge zur Kenntniss des Winterschlafes der Murmelthiere.
Von
G. Valentin.
Siebente Abtheilung.
$. 13. Willkürliche Aenderung des Körpergewichtes.
Wir ‚haben in der letzten Abtheilung*) gesehen, dass die bis-
weilen vorkommende Gewichtszunahme der erstarrten Murmelthiere
einen doppelten Grund hatte, den Ueberschuss des eingesogenen
Sauerstoffes über die Austrittsmengen von Kohlensäure und Wasser-
dampf und die bygroskopische Thätigkeit der Körpergewebe, vor-
zugsweise der Horngebilde, welche die äussere Oberfläche des Ge-
schöpfes bekleiden. Murmelthiere, deren Ruhe häufiger gestört wird,
liefern seltener eine positive Aenderung des Körpergewichtes, als
solche, die längere Zeit dem tieferen Schlafe verfallen bleiben.
Diese Erscheinungen führten mich zu dem Schlusse, dass es ein
einfaches Mittel geben müsse, die Erhöhung des Körpergewichtes
künstlich hervorzurufen. Lässt man die Murmelthiere möglichst un-
belästigt in einer Vorrichtung, in der sie über ihren eigenen Entlee-
rungen, vorzüglich über ihrem Harne schlafen, so darf mun theore-
tisch erwarten, dass die Vergrösserung ihres Körpergewichtes häufi-
*) 8. diese Zeitschrift Bd, IV, 8. 62—64.
12
u
ger, als unter den gewöhnlichen Verhältnissen wiederkehren werde.
Die Erfahrung hat diese Vermuthung vollkommen bestätigt.
Ich benutzte fünf Murmelthiere zu den hier in Betracht kom-
menden Vergleichsversuchen. Zwei, die wir mit E und F bezeichnen
wollen, schliefen in Blechbüchsen auf den schon früher*) erwähnten
Drahtgittern, die nur den Harn, nicht aber den Koth in die gläser-
nen Untersatzgefässe durchliessen. Ein drittes, G@, ruhte auf einem
mit breiten Zwischenräumen versehenen Holzgitter, durch das alle
Entleerungen hinabfallen konnten. Ein anderes Thier schlief immer
im Heu, in unmittelbarer Nachbarschaft von G. Das fünfte, J, wurde
zu einzelnen Zeiten, wie H und zu anderen, wie E, F und G be-
handelt.
Hatten die Letzteren Koth'und Harn entleert, so liess ich die-
sen oder auch zugleich die Exeremente in dem gläsernen Untersatz-
gefässe Wochen lang stehen. Die stärkste Ammoniakentwickelung
und der übelste durch die Selbstzersetzung der Entleerungen bedingte
Geruch störten die Ruhe der Thiere nicht im mindesten.
Die Wägungen wurden fast täglich und zwar meistentheils um
die gleiche Zeit vorgenommen. Es ergab sich :
*) 8. diese Zeitschrift Bd. I, 8. 221.
I. Männliches Murmelthier E.
Unter-
Körperge- schied
Monat Tag wicht in gegen Bemerkungen.
Gramm. früher in
Grm
December 12 2378,4 —_ Leise schlafend, Untersatz-
gefäss trocken.
15 2288,6 —89,8 Halb wach.
18 2279,4 —9,2 Leise schlafend.
23 2272,4 —7,0 Etwas fester schlafend.
29 2165,4 —7,0 Halb wach. Etwas Harn ge-
lassen.
31 2165,8 10,4 Fest schlafend.
Januar 2 2155,4 — 10,4
4 2095,5 —59,9 Viel Koth und Harn ent-
leert.
5 2088,8 —6,7 Nicht fest schlafend.
h Ba du e,; Schlaf.
11 2037,7 —53,5 Hat viel Urin gelassen.
13 2038,9 +1,2
14 ‘20394 |+0,
17 2038,8 —0,6
18 2038,8 0,0 Fest schlafend.
19 20384 1-04 ||
20 2038,1 |—0,3
21 2037,27 |—0,4
23 u jet Vollkommen wach,
24 Entliess Koth und Harn.
25 2014,4 |—23,3 Ziemlich fest schlafend.
26 _ _ Wach,
27 2005,3 — 9,1 Ziemlich fest schlafend,
28 2005,5 +0,2 Fest schlafend.
29 2005,5 0,0 Desgl.
30 2005,56 |+0,1 Fest schlafend.
Februar 1 2005,1 1—0,5 Desgl. Trockene Unter-
lage.
2 2005,2 —+0,1
3 2004,6 —0,6 Fest schlafend, Feucht.
2004,6 0,0 \
oa 0
Wach.
Unter-
Körperge- schied
Num- Monat Tag wicht in gegen Bemerkungen.
Gramm. | früher in
Grm,
33 Februar 8 1918,8 —85,8 Hat Urin und Koth ent-
leert. Fest schlafend.
3 9 1918,3 0,8. Desgl.
35 11 19195 |+12 |)
ne 1 an are Fest schlafend.
38 16 1919,6 |+0,2
39 18 1999,3 — 10,3 Unruhig schlafend.
40 19 1909,9 |-+0,6
41 21 1910,11. [10,2
42 22 1910,6 |10,5
43 23 1910,2 —0,4 Fest schlafend.
44 24 1910,90 —0,2
45 25 1909,6 —0,4
46 26 1909,2 |—-0,4
47 27 —_ — Wach.
48 28 1898,4 —10,8
49 März 1 1898,3 je!
50 2 18988 |10,5
51 3 1900,6 |+1,8 Ziemlich fester bis tiefer
52 4 1899,7. |—0,9 [ "Schlaf.
53 5 1900,0 10,3 |
54 6 1900,0 0,0
55 7 18992 |-0,8 ||
55 8 = —_ Wach.
57 9 1888,3 — 10,9 Schlaftrunken.
58 10 18896 |+13 ||
59 11 1890,5 0,9
60 12 1890,6 0,1
Er 1a 1889,7 Br, Fester Schlaf.
62 15 1889,38 |—0,4
63 16 1889,2 —0,1
64 17 — _ Wach
65 18 1816,9 — 72,3 Schlaftrunken. Hat viel
Urin gelassen.
66 19 1816,8 —0,1 Sehr leiser Schlaf.
67 20 1817,3 —+0,5 Nicht fester Schlaf.
68 21 1817,1 —0,2 Ziemlich fest schlafend.
April
Monat
Januar
Tag
Tag
Körperge-
wicht in
Gramm.
1816,6
1802,3
1802,3
1802,3
1802,3
1802,0
1801,6
1801,7
1757,3
Körperge-
wicht in
Gramm.
2306,8
2251,7
2244,4
2233,6
2226,4
2228,2
2214,3
2214,7
2215,5
2214,8
2213,7
gegen
früher in
Grm,
—0,5
14,8
0,0
0,0
0,0
—0,3
—0,4
+0,1
—44,4
Unter-
schied
II. Weibliches Murmelthier F.
Bemerkungen.
Ziemlich fest schlafend.
Vollkommen wach.
Schlaftaumel.
Fest schlafend.
Den 31. März und den 1.
April wach. Hat Urin
gelassen.
Grm.
Unter-
schied
gegen
früher in
Bemerkungen.
Ziemlich fest schlafend.
Wach.
Hat Urin und Koth gelas-
sen. Leiser Schlaf.
‚Unruhiger bis leiser Schlaf,
Athmet bei der Berüh-
rung rascher.
Fester Schlaf.
Wach.
Fester Schlaf.
Wach.
Januar
Februar
März
Körperge-
wicht in
Gramm,
2069,2
2067,4
2065,0
2063,7
2063,0
2062,2
2062,0
2047,1
2047,9
2048,5
2048,8
2048,9
2049,4
2048,9
1968,4
1964,4
1961,6
1957,7
1955,4
1953,5
1919,7
1920,9
1921,6
1922,1
1923,0
1922,4
1921,7
1903,3
1904,0
Unter-
schied
gegen Bemerkungen.
früher in
Grm.
— 144,5 Schlaftaumel. Hat Urin
gelassen.
is
—2,4
—1,3
—0,7 Bald festerer, bald leiserer
0,8 Schlaf.
—0,2
= Wach.
— 14,9 Ziemlich festschlafend. Hat
etwas Urin gelassen.
49,1 r schlafend.
Wach.
— 80,5 Hat viel Urin gelassen.
—3,9 Unruhiger Schlaf.
—1,9
— Wach.
—33,8 Hat etwas Urin gelassen.
+1,2
Er Fester Schlaf.
0,9
—0,6 Desgl. Athmet aber stär-
ker während des Ab-
wägens.
—0,7 Desgl,
= Wach.
—18,4 Schlaftrunken.
—+0,7 Leise schlafend.
Unter-
Körperge- .| schied
Neis- Monat Tag wicht in gegen Bemerkungen.
AIER Gramm früher in
Grm.
11 1905,38 |-11,3
128 12 1905,4 +0,1 Fester Schlaf.
129 14 —— _ „Wach.
130 15 _ _ Im Einschlafen begriffen.
131 16 1892,2. .|—13,2
132 18 1891,8 - »|—0,4 ’
133 19 1892,1 +0,3 Leise schlafend.
134 20 18921 0,0
135 21 _ — Wach.
136 22 1819,1 — 173,0 Schlaftrunken. Hat viel
Urin und Koth entleert.
137 23 1819,8. .|-+0,7
138 24 1819,6 —0,2
139 25 1819,6 0,0 Fest schlafend.
140 26 1819,72. :|+0,1
141 27 1819,5 . :|—0,2
142 28 1819,3. -]—0,2
143 29 1819,0 —0,3 Fester Schlaf.
144 30 1818,1. [0,9
145 April 2 1799,2 — 18,9 Wachte den 31. März und
den 1. April.
III. Männliches Murmelthier G.
Unter-
Körperge- schied
wieht in gegen
Gramm früher in
Bemerkungen
Januar 2 1669,7 —_
147 4 _ —_ Wach.
148 5 1649,5 » .|—-20,2
149 7 1634,8. ‚|—14,7 (Halbwach,
150 9 1685,6 -|-40,8
151 11 1635,6 0,0 Fester Schlaf,
152 Be: 1686,3 |-40,7 |
Moleschott, Untersuchungen. V.
. a
Unter-
Körperge- schied
Num Monat Tag wicht in gegen Bemerkungen.
ur Gramm früber in
Grm.
153 Januar 14 und 15 _ i _ Wach,
154 16 1616,9 — 19,4
155 17 1618,2 —-1,3
156 18 1617,8 -]—0,4 Fest schlafend.
157 19 1618,0 —0,2
158 20 1618,2 40,2
159 21 — _ Wach.
160 22 1583,5 |-34,7 | Leiser Schlaf. Hat Harn
und Koth gelassen.
161 23 1577,4 6,1 Nicht fester Schlaf.
162 25 1574,8 —2,6
163 27 1570,4 —4,4
164 28 1569,5 —0,9
165 Februar 1 1561,3 8,2 Bald leiserer, bald fester!
166 2 1561,45 40,15 Schlaf.
167 5 1561,4 —0,05
168 6 1555,1 —6,3
169 8 1556,1 ° |+#1,0
170 9 1556,2° |-ko,ı
171 11 1556,4 +0,2
172 12 1556,3 01 Fester Schlaf.
173 13 1557,72 |+41,4
174 16 15555 |—-0,2 )
175 18 _ —_ "Wach.
176 20 1487,7. ._.|—67,8 Hat viel Koth-und--Urin
gelassen.
177 21 14883 |+40,6 \
178 22 1488,4 +0,1
179 23 1488,2 —0,2
180 24 14880 |—0,2 Fester Schlaf.
181 25 148374 |—0,6
182 26 1487,0 |—0,4
183 27 _ — Wach.
184 28 14764 10,6
185 März 1 1476,9 |!+0,5
286 2 8 Fest schlafend.
187 3 1477,9 . 10,2
188 4 1478,3 \-60,4
19
1
Unter-
— — = Körperge- | schied | ee
Be Monat Tag wicht in gegen Bemerkungen.
mer \ Gramm früher in
sahundıom | „Grm.
u ' |
189 | März 5 14782 |—0,1 Fest schlafend,
"190 6 14764 |=18 ag .
191 7 1473,6.0.11--0,8 (Peiser Schlaf, In Watte.
192 8 1465,0 5 1|—10,6 Schlaftrunken.
193 g 1465,0 0,0 Desgl. In Heu.
194 10 1465,7_ _|—-0,7 |
195 11 1465,4 510,3 |
196 12 ).01464,9 510,5 Fester Schlaf.
197 14 1465,2 1..|40,3 \ |
198: 1.» 15 1465,7 0..|4-0,5 |
199 16 1464,40. 011,3 Leise) schlafend. |
200 17 1464,4 0,0 Fester schlafend. |
201 18 an _ Wach, \
202 19 1423,4°.5|741,0 |'Schlaftrunken. Hat ‚Urin
l ‘ und Koth entleert.
203 20 1423,50; 0,1 ]
204 21 1423,1 2,.]70,4
205 22 1.11423,0 ©, 2] 0,1 Ä \
206 23 422,9 —0,1 Leiser Schlaf. \
207 24 1422,0 4.11 0,9 \
208 25 1421,4 0.1|7-0,6 Bu \
209 26 ER — Wach,
210 27 14144 |—7,0 Schlaftrunken.
211 28 1414,9 [10,5
212 29.1, vo 145,5 406
„213 30 | 14150 |—05 Fester Schlaf.
214 st | 1153 +08 Tran
2142| April 1 . 1415,4
30
IV.
Murmelthier H.
Unter-
schied
gegen
früher in
Körperge-
wicht in
Gramm
Tag
681,6
681,3
681,8
675,5
675,5
675,4
645,9
646,2
646,4
646,2
645,7
645,3
645,3
632,3
632,2
632,0
631,4 10,6
631,0 '. 110,4
16 631,0 0,0
—0,2
23
24
25
26
27
28
1
2
3
4
6
7
8
9
10
11
12
14
15
V. Murmelthier J.
Bemerkungen.
Fester Schlaf.
Wach.
a Schlaf.
w Schlaf.
oth und Harn entleert.
Wach,
Fester Schlaf.
Unter-
schied
gegen
früher in
Körperge-
wicht in
Gramm
Tag
Februar 15 828,7 _
16 _ pi
17 8235 |-5,2
18—22 — ut
23 762,4 —61,1
24 762,3 —0,1
Bemerkungen.
Fester Schlaf.
Wach,
Fester Schlaf.
Wach,
er Schlaf.
Unter-
n Körperge- | schied
Bu: Monat Tag wicht. in gegen Bemerkungen.
mer na
Gramm früher in
Grm.
241 Februar 25 _ _ Wach.
242 26 742,3 — 20,0 Schlaftaumel. ‘Koth und
Harn entleert.
243 27 7425 |-+0,2
244 28 742,2 —0,3 ze Schlaf.
245 März 1 _ — Wach.
246 2 738,7 —3,5
247 3 738,7 0,0 Fester Schlaf.
248 4 7388 |+0,1
249 3 738,7 —0,1 Fester Schlaf. Ueber dem
Urinbehälter von G.
250 6 2394 |+0,7
251 7 739,0 —0,4 Fester Schlaf.
252 8 7387 |-0,3 \
253 9 — — Wach.Kothu.Ham entleert.
254 10 a11,4 |-27,3
255 11 711,7 |+40,3
” y Bu wer Fest schlafend.
258 15 711,7! 110,3
259 16 11,4 |-0,3
260 17 _ _ Wach. Harnentleerung.
261 18 693,5 —17,9 Schlaftrunken.
262 19 6925 |-1,0
263 20 692,9 +0,4 ,
264 21 692,5 94 Leiser Schlaf.
265 22 692,1 —0,4
266 23 692,3 |+0,2 Fester Schlaf,
267 24 — = Wach.
268 25 683,3 —9,0 Schlaftaumel.
269 26 683,6 40,3
270 27 683,5 —0,1
271 28 683,3 |-0,2
272 29 683,0 0,3 Fester Schlaf.
973 30 682,7. 1-03
274 31 682,5 —0,2
275 April 7 634,7 — 47,8 Hatte den 1. bis 3. April
gewacht und Koth und
Harn gelassen,
22
ı Mi Man sieht sogleich, ii, dass, die Menge | ıder F
Körpergewicht zunahm,, in:den Tbieren. B, F und G häufiger a
gewöhnlich vorkommt.) Wir wollen aber den‘ Vergleich“ mit "den
früher *) mitgeteilten Gewiehtsbestimmungen tabellarisch zusabmen‘ \
die Gesammtmenge‘ der Gewichtsunterschiede, die,.um | Eind
kleiner als die Gesammtsumme der Wägungen ist, zur Grundlage)
so haben wir: |
T mi —ı?
Gesammtmenge Procentmengen der Gewichtsunterschiede, f
Murmelthier der Gewiehts- ‚in denen.die Gewichtsänderung
= L
unterschiede
ae war
Summe beider
10. [rpositiv war
|
‚eben, sind in keinem Murmelthiere so reichlich ati gewesen
als ın BR, F und G, ‚die über, ihrem. Harn ‚geschlafen hatten... Sie
kamen selbst noch beträchtlich Ihänißer vor, als in Hen Murmellitiefe
y! und YH, welche‘ sich - ‚in dieser ‚Hinsicht Unter ah güng tigsten
|
5 8! diese Zeitschrift Ba, %eB, 225-238 "ünd Bd, IV, 8. 60, 61,
##) 8, diese'Zeitschrift Bd, I, 8. 224lu. 8, 254,
23
‘| unverändert angab, wenn cs um ‚weniger als ein Deeigramm ab- oder
zugenommen, »so.'kann natürlich die Zahl der Fälle, die unter
‚| der Rubrik»Null verzeichnet worden, Nichts beweisen. Sie lehren aber
wenigstens, ‚dass dann ‚die positive ‚oder ‚die negative Schwankung, des
‚| Körpergewiehtes»/unbedeutend war. ‚Rechnet‘ man selbst ihre
Procentmengen ‚mit: denen der positiven Unterschiede zusammen, 'so
tritt» nur) VI und: VII mit E,..Fıund. Gin Wettstreit... Vergleicht
man/endlich H,.das garinicht, und J,.das nur zeitweise über seinem
Harne gelegen hätte, so.zeigt sich der Unterschied von E, F,und G
in auffallendster Weise , obgleich alle 'fünf/ Thiere neben einander in
demselben 'Zimmer‘',schliefen, | während L bis VII und 1 und 3 in
anderen Wintern geprüft worden.
Man könnte, auf den) ersten Blick glauben, dass sich. die über ihrem
‚Harıie rulienden Thhiere in einem mit Wasserdampf gesättigten Raume
'befinderi, deshalb keiue Wasserdünste entlassen und daher, um den
‚Deberschuss des aufgenommenen Sauerstoffes über ‚die ausgeschiedene
Kohlensäure \schwerer- werden. Diese, Anschauungsweise ist (nicht
begründet.
0 Die Wässerdampfsättigung. würde ‚sich‘. nach verhältnissmässig
kurzer Zeit herstellen, wenn der Raum, indem sich: die. Thiere auf-
halten, abgeschlossen wäre. Da er'äber durch eine grössere oder gerin-
gere Menge kleinerer Oeffnungen in den hier vorliegenden Versuchen
mit der Zimmerluft. verbunden war, s0' liess’ sich "schon ‘von: ; vorn
berein erwarten, ‚dass er nicht mit 'Wasserdämpfen, gesättigt ' war,
wenn ‚es nieht. die. umgebende‘ Zimmerluft ‚ebenfalls gewesen. Die
Erfahrung. bestätigte. ‚diesen. Schluss. Ich... habe ‘13: Wasserbestim-
aonhgen gemacht, indem ich je.21 Liter Atmosphäre durch. Asbest
and ‚Schwefelsäure leitete... Die gefundenen 'Werthe lagen zwischen
4/s, und 940 von. denjenigen‘ Mengen, welche.die vollkommene. W as-
serdamipfsättigung forderte. Die, kleinste Zahl kam. bei. 6%,3. und
‚die grösste bei -+ 70,0 „vor.\. Es versteht ‚sich ‚ übrigens von. ‚selbst,
dass bier ‚nicht -bloss,.die Wärme, sondern auch der. ‚ursprüngliche
Wassergehalt der Luft die Ausscheidung des Thieres wesentlich be-
‚stimmen werden.
24
Schläft das Murmelthier in einer Luft, dievnicht'für ihren Wär: |
megrad gesättigt ist, so kann es immer Wasserdämpfe abgeben: Die
ses wird aber auch selbst für den Sättigungspunkt der Fall’ sein,|}
wenn ‘die Lungenluft‘ wärmer, als die umgebende Atmosphäre ist]!
Da gerade dieser Faetor in den winterschlafenden 'Murmelthierer
sehr‘ klein und die gleichzeitige Temperatur an ‘und für sich nie
drig' bleibt und durch die Verdunstung. des Harnes noch mehr herab
gesetzt wird, so bildet das Verfahren, das Thier über seinem Harn
gaben zu vermindern und dadurch das Körpergewicht zu schonen.
und Kothe schlafen zu lassen, jedenfalls ein Mittel, die Wassera
Die dann, wie es scheint, reichlichere Harnabsonderung ist eine Folge]
dieses Verhältnisses.
Betrachten wir aber die für E, F und G& gewonnenen Gewichts-
tabellen genauer, so finden sich mehrere Thatsachen ‚die sich aus]
dem eben angeführten Grunde allein nicht erklären lassen. Man sollte
nach ihm erwarten, dass der positive Zuwachs der‘ Körperschwere]
nur bei sehr festem Winterschlafe eintreten wird. N®10, 11, 50, 51,1
53, 67, 126, 133, 166, 203 und 263 lehren aber, dass das Körpergewicht
auch bei leisem Schlafe unter unseren künstlichen Verhältnissen
steigen kann. Befindet sich das Thier in dem tiefsten Erstarrungs-
grade, so sollte sein Körpergewicht immer zunehmen. NP13 bis 19,
35 bis 38, 40 bis 46, 48 bis 55, 58 bis 63, 88 bis 91, 103 bis 108,
118 bis 123, 137 bis 141, 154 bis 158, 169 bis 174, 178. bis 182,
184 bis 189 und 194 bis 198 zeigen, dass dieses nicht der Fall
ist. Wir haben häufig eine stetige Abnahme des positiven Zuwach-
ses, bis er endlich in einen negativen umschlägt, ganz wie wir das
Gleiche früher*) bei der Versetzung des Thieres in einen feuchten
Raum gesehen haben. Oft dagegen schwanken die Aenderungen in
unregelmässigerer Weise. Dass diese Verhältnisse zum Theil mit den
hygroskopischen Eigenschaften der Oberflächengebilde des 'Thieres
zusammenhängen, ist schon oben erläutert worden. Und so dürften
die Ergebnisse, welche dieser Abschnitt lieferte, die Ansicht bekräf-
*) 8. diese Zeitschrift Bd. I, $. 239, 240,
25
tigen, dass eine doppelte Ursache, der verhältnissmässige Ueberschuss
des eingenommenen Sauerstoffes und die hygroskopische Wasserein-
saugung, die Vermehrung, der Körperschwere gesondert oder gemein-
schaftlich herbeiführen können.
Ein einfaches Mittel, negative Schwankungen des Körpergewich-
es- herbeizuführen, besteht darin, das Murmelthier mit schlechten
Wärmeleitern zu umgeben, so seine Wärmeverluste zu erniedrigen
und dadurch die tbermoskopisch nachweisbare Eigenwärme zu be-
\ günstigen. Ich hüllte zu diesem Zwecke das Thier G zuerst in Lein-
wand, dann in vier Schichten dicker Watte, und hierauf wieder in
Leinwand, band es so ein, dass nur der Kopf hervorragte und ver-
grub dann das Ganze in Heu. N 190 bis 192 der oben mitgetheil-
ten Gewichtsverzeichnisse zeigen, wie dabei eine Abnahme des Kör-
| pergewichtes fortwährend ‚auftrat, das Thier immer leiser ‚schlief,
\ endlich ‚schlaftrunken wurde und‘ zuletzt erwachte. Lag 'es dann
| wieder frei im Heu, so hatte man bald darauf einen Fall von Be-
ständigkeit des Körpergewichtes.
Da die Eigenwärme des Tbhieres, die wir bestimmen, dem Unter-
/sehiede der, Erzeugung; und der Ableitung der Wärme entspricht,
so wird sie natürlich in denjenigen Gebilden, die durch schlechte
Wärmeleiter geschützt sind, leichter steigen können. Die hintere
‚\Körperhälfte war von Leinwand und Watteschichten in dem erwähn-
‚\ten, Versuche mehrfach umgeben, der Kopf dagegen frei. Es liess
\'sich daher erwarten, dass der Wärmeunterschied, den sonst die
‚Mundhöhle und der Mastdarm darbieten*), in diesem Falle ausblei-
f oder verkleinert erscheinen werde, Ich erhielt in der That :
D
1) ®) 8. diese Zeitschrift Bd. II, 8. 233—240.
ı}
.]
26
"- Wärme in Celsiusgraden
Beobachtungs- :
nummer der' der Mundhöhle zwischen den
Gewichts- Wangen und ‚den, Backenzähnen
tabelle von G
Hin Mhstahrne
der Zimmerluft
i J fi
rechts "© Nnks
190 110,4 110,4 ge 119,4
191 100,7 100,9 100,9 100,9
S. 14.‘ ee von Stoffen.
Wir kommen jetzt zu einer Reihe’ von Thatsachen, die nicht
bloss für die Erscheinungen ‘des: Winterschlafes, sondern auch’ für
viele allgemeine ‘physiologische Fragen von Bedeutung sind. Die
Frstärrung bietet Verhältnisse dar, "welche die ‚Verfolgung gewisser
Hauptprobleme vorzugsweise begünstigen.) ‘Wir werden ' sogleich
sehen, wie sehr sich dieser Ausspruch auf die Bedingungen der Ein-
saugung anwenden lässt. Die so langen Ruhepausen des Herzens
gewähren ein Mittel, manche 'sonst nicht zugängliche Punkte’ der
Kreislaufserscheinungen ind der Ernährungseinflüsse des Blutes zu'ver-
folgen. Die Betrachtung der Muskel- und der Nervenwirkungen wird
uns zur näheren Erläuterung einzelner allgemeiner Probleme führen.
Nur 'der tiefe Winterschlaf, wie ihn die Murmelthiere darbieten, nicht
aber der leise des Igels, der Haselmaus, ‘des Hamsters ‘oder der Ple-
dermäuse können hierzu den entscheidenden Ergebnissen führen. Die
Wissenschaft wird daher, wie ich überzeugt bin, immer zu dem Stu-
dium der Erstarrung der Murmelthiere: zurückkehren, sobald die
Fortschritte derselben neue Fragen gestellt und vollkommenere
Hülfsmittel zur Beantwortung derselben geschaffen haben werden.
Man dürfte auf den ersten Blick glauben, dass man die Auf-
nahme fremdartiger Stoffe am einfachsten verfolgen könnte, wenn
man diese den erstarrten Thieren einverleibte und sie dann später
in dem Harne aufsuchte. Zweierlei Thatsachen stehen aber der Be-
27
folgung dieses Weges entgegen. Da die Härnentleerüngen nach sehr
grossen Zwischenpausen eintreten), so ginge hierbei jedes sichere
Zeitinaass verloren. "Denn Versuche, den"in der Harnblase ange-
häuften Urin durch Druck der Bauchdecken zu jeder beliebigen Zeit
zu entfernen, misslingen in der "Regel und führen meist eher zur
Biweckung des Thieres, "Da es’äber immer erwächt, che es Harn
öder Köth von selbst entleert, so wiirde eine'hieraufbegründete Beobach-
tung I kein zuverlässiges Ergebniss liefern, weil man eine Mischung von
era tind Wachen vor sich hätte.
"Das Letztere führt daher zu der Förderung, den ganzen Versuch
air des’ Schläfzuständes zu beendigen. 'Könnte"man die Mur:
nelthiere in eben \ so reichlicher Menge, wie Kaninchen oder Frösche
haben, 'so würde iman eine Verbindung Auf irgend eine "Weise in
das erstarrte Geschöpf einführen, dieses nach einer bestimmten Zeit
tödten und das Blut und den Harn prüfen. ‘Da aber die Zahl der
iu Gebote stehenden Individuen immer beschränkt ist, s0 muss man
sich auf andere Art zu helfen suchen, wenn man Bich nicht mit nur
wenigen Beobachtungen begnügen will.
"" Eine Lösung durch‘eine Schlundsonde in den url einzufüh-
ren, hat den Nachtheil, dass die Thiere während ‘der Operation in
ihrer Rühe gestört werden und entweder sogleich oder wenigstens in
der Regel am folgenden Tage erwächen. Versuche, Flüssigkeiten in
den Schlund zu spritzen, können schon die gleichen Folgen haben
und tiberdiess "noch durch Uebertritt in die Athmungswerkzeuge
möglicher Weise lebensgefährlich werden. Ich beschränkte mich: da-
her mit wenigen Ausnahmen auf drei Einverleibungsstellen, die keine
Vebelstände der Art darböten, die Mundhöhle, den Mastdarm und
did'Scheide.“ "Einige Vorversuche, die ich an der Letzteren anstellte,
Tehrten "dass hibr die Aufnahme der dargebotenen Körper fäst Null
war. Die Kleinheit der Gaben, auf die man bei dem engen Raume
des Scheidenröhres beschränkt bleibt, bewog mich aber, diese Art
von Prüfung für die Hänptverstiche fallen zu lassen. Ich &ebräuchte
2 BL EVEN
“ 8 diehe Zeitschrift BA. IT, 8. 195—199,
28
den Mastdarm ebenfalls seltener, weil das Einführen von Canülen
oder Glasspritzen nur zu leicht reizt oder weckt. Die vordere oder
die hintere Hälfte der Mundhöhle wurde daher allen anderen Körper-
stellen vorgezogen.
Wollte ich den Uebergang in das Blut einige Zeit später prüfen,
so fand ich es am zweckmässigsten, dem erstarrten 'Thiere einen
Nagel so tief abzuschneiden, dass eine nicht unbedeutende und für
meinen Zweck hinreichende Blutung, entstand. Die fest schlafenden
Geschöpfe ertragen diese Operation, ohne sich zu rühren. Sie pflegen
aber in’ den nächsten 24 Stunden zu erwachen. ‚Diese Folgewirkung
und. die Gefahr, welche alle grösseren Blutverluste, während der Er-
starrungszeit darbieten,; bewogen mich, jene Versuchsweise auf, die
nothwendigsten Fälle zu beschränken. Blosse Hautschnitte geben; in
der Regel so wenig Blut, dass eine genaue Untersuchung nur, aus-
nahmsweise möglich wird.
Ein einfacheres, obgleich nur indirectes Verfahren besteht darin,
dass man den Prüfungskörper vor und nach der Einführung, wägt
und aus dem Unterschiede auf den durch die Einsaugung bedingten
Verlust zurückschliesst. Wir werden sehen, dass dieser Weg mei-
stentheils zum Ziele führt.
Die in dem vorigen Paragraphen erwähnten Thiere E, Fund G
dienten zu den hier mitzutheilenden Beobachtungen, Ich habe das
Datum eines jeden Versuches aus doppeltem Grunde angegeben. Da
die Murmelthiere erst um die zweite Hälfte des Decembers einschlie-
fen, obgleich sie seit der letzten Woche des Novembers keine Nah-
rung genossen hatten, so zeigt jene Angabe an, um welche Periode
des Winterschlafes der Versuch angestellt wurde. ‚Sie macht. es aber
zugleich möglich, das entsprechende Körpergewicht und die Stärke
des Erstarrungszustandes des Thieres in dem $. 13 mitgetheilten Ta-
bellen nachzusehen.
Obgleich die Erfahrungen, die man an wachen Geschöpfen macht,
es für überflüssig erscheinen liessen, die Aufnahmen von Körpern,
wie Eiweiss, Fett und dgl. von der Mund-Rachenhöble aus -zu prü-
fen, so habe ich doch auch diese Verbindungen in erstarrten Murmel-
29
thieren gebraucht, ‚weil eine allzugrosse Vollständigkeit der Versuche
in 'einem’ neuen 'Gebiete jedenfalls weniger schadet, als eine lücken-
hafte Beobachtung, deren Mängel sich nur auf einer vielleicht nicht
ganz begründeten Analogie stützen können.
a. Hühnereiweiss.
I. —4. März. — 0,480 Grm. hart gekochten und eben geschnittenen
Hühnereiweisses wurden zwischen der Zunge und dem harten Gaumen
des Thieres G 24 Stunden lang gelassen. Die parallelipipedische
Form des Ganzen hatte sich nur insofern ‘geändert, als sich die Gau-
menhautfalten in der zierlichsten Weise an der oberen Fläche abge-
druckt zeigten.
1,160 Grm. desselben Hühnereiweisses hinterliessen 0,161 Grm. =
13,9%, festen Rückstandes. Die eingeführten 0,480 Grm. sollten
daher 0,067 dichter Verbindungen liefern Als sie aus der Mundhöhle
des Murmelthieres genommen wurden, wogen sie feucht 0,402 Grm.
und hinterliessen später 0,066 Grm. als festen Rückstand.
Da der Unterschied von einem Milligramm viel zu unbedeutend
ist, als dass sich auf eine erhebliche Stoffaufnahme zurückschliessen
liesse, so werden wir ein rein negatives Ergebniss aus diesem Ver-
suche entnehmen. Während aber das frische Eiweiss 86,1 0/0 Wasser
enthielt, führte dasjenige, welches in der Mundhöhle von G 24 Stun-
den verweilt hatte, nur 83,6. Es war daher durch die Mundflüssig-
keiten weniger erweicht, als durch die Nachbarkörper, vorzugsweise
die umgebende Luft ausgetrocknet worden.
II. — 4. März. — 0,511 Grm. desselben harten Hühnereiweisses
lagen 24 Stunden lang zwischen der Zunge und dem harten Gaumen
von F. Der Mangel an jeder Formveränderung mit Ausnahme der
Abdrücke der Falten der Gaumenschleimhaut wiederholte sich
auch hier.
Jene 0,511’ Grm. führten zu 13,9 0/0 0,071 Grm. festen Rückstan-
des. Sie wogen, aus der Mundhöhle genommen, 0,435 Grm. und
hinterliossen 0,068 Grm. dichter Verbindungen. Wir ‘haben daher
wieder nur eine Abnahme von 0,003 Grm., die leicht in dem Unter-
30
schiede des) gebrauchten: Eiweisses von der. Hauptprobe liegen kann;
Da aber ‚der Wassergehalt «des ‚Eiweissstückes, nachdem. es in der
Mundhöhleigelegen, nur 84,4:°/o ausmachte, so wiederholte sieh.hieridas
Austrockenen in ähnlicher. Weise, «wie'in dem! vorigen Versuche...
III. — 4. März. — 0,593 Grm. des gleichen Eiweisses lagen
24 Stunden in der Mundhöhle von E. ' Wiederum sehr schöne Ab-
drücke.der Falten der Gaumenhaut urid sonst keine Formveränderung.
Das herausgenommene Eiweiss wog: 0,503; und. hinterliess 0,079
Grm. festen Rückstandes.- Dieser. betrug, ursprünglich zwi13)9.%/o
0,082 ‚Grm. Wir ‚haben ‚daher wieder :0,003 Grin. weniger...'Da..der
spätere, Wassergehalt 83,7%/0 glich, so» war das Eiweiss ‚beinahe ‚eben
so stark, als in dem ersten Versuche ausgetrocknet. lau Klo
Der‘ feste. Rückstand der! Körper, (die ‚eine. Zeit, lang; in der
Mundhöhle: lagen! und von ‘denen Nichts. aufgesogen worden, \sollte
grösser. als «ursprünglich /sejn , weil..die' dichten - Verbindungen. dei
durchtränkenden oder anhaftenden Mundflüssigkeiten ‚hinzukommen.
Die geringen. Verluste 'von-\1:bis..3: Milligramm ‚erhalten hierdurch
eine: höhere ‚Bedeutung. Die sind aber dessenungeachtet immer noch
so unbedeutend, dass wir. aus ihnen keine ‚erhebliche Aufsaugung ent-
nehmen können. Das Austrockenen. bildet, dagegen, wie man sieht, ein
beständige: Erscheinung. 9 91
Versuche, ‚ die ich mit em Krystalllinse des Kalbes') anssälkte,
führten zu’ dem: Ergebnisse, dass ‚das Präparat einen etwas grösseren
festen Rückstand als früher darbot. «Es hatte daher. einen Boris
Theil seiner Feuchtigkeit in der Mundhöhle eingebübsth.
b. Fleisch. . -
IV. — 23. Februar. — 0,917. Grm. stark oh gefärbten Pferde.
fleisches wurden zwischen die Zunge und ‚den harten ‚Gaumen. des
Murmelthieres E gebracht und dort 24 Stunden liegen gelassen. Man
fand les 'zuletzt! schwach. 'entfärbt.! Es bot 'aber' immer noch \,eine
verhältnissmässig bedeutende Röthe dar.
Eine Probe von 0,811 Grm. des Fleisches, die fein seineehtniktieh
worden, gab 0,220 Grm. — 27,100 festen Rückstandes. Jene 0,917
3
Grm. sollten. hiernach, 0,249. Grui., dichter, Verbindungen ‚enthalten:
Als..das. Fleisch”aus der Mundhöhle,kam,\wog es 0,362, Grm. oder
0,055, Grm. weniger als. früher. Wurde .es| nun (so, lange, ausgetrock-
net, bis es keinen Gewichtsverlust mehr durch den ferneren| Aufent:
halt im Sandbade erlitt, so zeigte es 0,244 Grm. oder war um 0,005
Grm. niedriger, als sich erwarten liess. Der Wassergehalt glich
72,9% in. dein ‚frischen, Fleisehe ,.‚das.‚aber schon einige Zeit an der
Luft/gelegen hatte: und, daher vielleicht, etwas trockener geworden.
Die Probe,'welche 24. Stunden,(in,; der, ‚Mundhöhle ' verweilt hatte,
lieferte '71,7.0/0. oder\ 1,2 0/0, weniger,
NV. — 123..Februar,, — \.0,989.Grm., desselben: ,E lagen
24 Stunden. zwischen ‘der Zunge ‚und dem; harten. „Gaumen: von, F
und zwar in der hinteren Hälfte der Mundhöhle. Es wurde’ wieder
schwach. .entfärbt und ‚behielt daher, ‚noch ‚einen hohen) Grad) von
Röthe. Sein Gewicht glich, bei(der.Herausnahme ‚0,902. Grm.
Nimmt man, wie früher, 27,1% festen Rückstandes ‚any, so sollte
dieser. 0,268) Grm. ‚für. 0,989. Grm... betragen; Die zuletzt erhaltenen
0,902 Grm. lieferten aber. 0,279 Grm..oder 0,011, Grm. mehr. Dieser
Uebeschuss erklärt sich zum‘ Theile daraus, dass einige, Tage, vorher
ein Versuch mit, Zucker angestellt worden ‚und ‚noch viel: Zueker-
lösung, wie, wir sehen, werden, in der Mundhöhle, enthalten war,\.als
das, .Rleiseh. ‚dort. verweilte.,.ı Es,’führte zuletzt, ı69,1.0/o. statt 72,9.%/0
Wasser, so dass also das Austrockenen dessenungeachtet wiederkehrte,
VI. — 23. Februar. — 1,211 Grm. des, ‚gleichen. Fleisches, ver-
weilten 24 Stunden in der hinteren, Hälfte der Mundhöhle ‚von .G,
Die. Entfärbung, schien ‚hier etwas beträchtlicher zu sein, ‚obgleich
immer noch ein ‚hoher Grad, von Röthe übrig blieb.
Das herausgenommene Fleischstück ‘wog 1,156, Grm. ‚und ‚hinter-
liess 0,526, Grm... dichten Rückstandes;, Berechnet ‚man die) ursprüng-
lichen 1,211 Grm. zu 27,10/,, so liefern sie 0,328 Grm. Wix bekom-
men daher ein Deficit von. 0,002, Grm. ; Der. Wassergehalt betrug
71,8%, statt 72,90/9.
Fassen wir Alles zusammen, so haben wir; die hasse Entfär-
bung, die vermuthlich einen’ geringen Verlust des festen Rückstandes
32
bedingt, und das Austrockenen als beständige Erscheinungen. ‘Der
Farbenwechsel des Fleisches ist aber hier in 24 Stunden geringer,
als in einer viermal so kleinen Zeit des Verweilens in der mensch-
liehen Mundhöhle.
c. Leim.
VII. — 8. Februar. — Ein mit Karmin gefärbtes dünnes paral-
lelipipedisches Leimblättehen von 15 Millimeter Länge und 8 Milli-
meter Breite, das 0,043 Grm. in lufttrockenem Zustande wog, lag
24 Stunden in der hinteren Hälfte der Mundhöhle von E. Es war
hierdurch sichtlich flacher gedrückt und weicher geworden. Seine
Länge betrug dann 16 Mm., seine Breite 11 Mm. und sein Gewicht
0,089 Grm.
0,175 Grm. desselben lufttrockenen Leimes hinterliessen 0,147
Grm. — 84,00/, nach dem vollständigen Austrockenen. Jene 0,043
Grm. sollten daher 0,036 Grm. liefern. Liess ich das Leimstück,
nachdem es in der Mundhöhle des Murmelthieres einen Tag lang ge-
legen, über Nacht wieder lufttrocken werden, so wog es 0,044 Grm.
Das vollkommene Trockenen gab 0,038 Grm. Der Wassergehalt
des frischen Leimes glich 16,00/,, der des Versuchsstückes dagegen,
nachdem eg gedient hatte, 57,30/,. Wir haben also hier eine Was-
seraufnahme von mehr als 40/0. Eine besondere Farbenveränderung
liess sich nicht wahrnehmen.
VII. — 8. Februar. — Ein dünnes parallelipipedisches Stück
des gleichen Leimes von 15 Mm. Länge, 10 Mm. Breite und 0,050
Grm. Gewicht lag dreimal 24 Stunden zwischen der linken Wange
und den Zähnen von G. Es hatte sich nach jenen 3 Tagen nicht
im Geringsten entfärbt, erschier nirgends angefressen oder aufgelöst,
mass der Länge nach 16 Mm., hatte 11,5 Mm. in der Breite und wog
0,085 Grm.
Legt man 84,00 der Bestimmung zum Grunde, so sollten jene
0,050 Grm. lufttrockenen Leimes 0,042 Grm. festen Rückstandes
führen. Liess ich wieder das herausgenommene Stück lufttrocken
werden, so wog es dann 0,049 Grm. Das vollständige Austrocknen
33
gab 0,043 Grm., oder einen Ueberschuss von 0,001 Grm. Der Wasser-
gehalt des Leimes glich 49,4 %/o oder 33,46 mehr, als in dem ur-
sprünglichen Leime.
Der gefärbte Leim, der in der Mundhöhle der erstarrten Murmel-
thiere einen bis drei Tage verweilt hat, schwillt durch Flüssigkeits-
aufnahme an. Die Mengen seines Wassers und des festen Rückstan-
des nehmen zu. Eine irgend merkliche Aufsaugung des Kar-
mins lässt sich nicht nachweisen.
d. Kartoffel.
IX. — 12. Februar. — Ich brachte ein parallelepipedisches aus
dem Innern einer Kartoffel genommenes Stück, das 0,276 Grm. wog,
zwischen den Mitteltheil der Zunge und des harten Gaumens von E.
Als ich es nach 24stündigem Aufenthalte herausnahm, war es sicht-
lich eingeschrumpft und fast lufttrocken geworden. Es wog nur noch
0,235 Grm. und hinterliess 0,062 Grm. festen Rückstandes.
0,906 Grm. des Innern der gleichen Kartoffel führten 0,227 Grm.
= 25,1 dichter Verbindungen. Der Wassergehalt betrug also
74,9°%/0. Jene 0,276 Grm. enthielten daher ursprünglich 0,069 Grm.
fester Stoffe. Wir haben ein Deficit von 0,007 Grm., das
sich, wie ich glaube, auf eine einfache Weise erklären lässt. Als ich
nämlich die Wasserauszüge von Proben der frischen Kartoffel und
von solchen, die in der Mundhöhle der Murmelthiere verweilt hatten,
mit der Fehling’schen Lösung prüfte, fand sich, dass alle nicht un-
bedeutende, aber sehr wechselnde Mengen von Zucker enthielten. Es
war daher vermuthlich eine geringe Quantität Zucker durch die
Mundflüssigkeiten gelöst worden.
Der Wassergehalt des Kartoffelstückes, das in der Mundhöhle
gelegen hatte, glich 73,6 %/o statt 74,9 %/o. Wir finden also ein Aus-
trockenen um 1,3%/0.
X. — 13. Februar. — 0,235 Grm. derselben Kartoffel blieben
drei Tage zwischen der Zunge und dem harten Gaumen von F. Sie
wogen zuletzt 0,212 Grm. und binterliessen 0,056 Grm. festen Rück-
Moleschott, Untersuchungen. V. 3
34
standes. Man erkannte auch hier ohne Weiteres, dass die Ober-
fläche des parallelepipedischen Stückes ausgetrocknet war.
Die ursprünglichen 0,235 Grm. sollten 0,058 Grm. diehter Ver-
bindungen geben, wenn man 25,1% zum Grunde legt. ‘Wir haben
also’ wieder 0,002 Grm. weniger. Der Wassergehalt betrug 73,6%o
statt 74,900. Man fand daher ein Defieit von 1,3%.
XI. — 13. Februar. — Ein parallelepipedisches Stück der glei-
chen Kartoffel, das 0,296 Grm. wog, gab nur noch 0,265 Grm. nach
dreitägigem Aufenthalte in der Mundhöhle des Murmelthieres G. Das
Austrockenen liess sich auch hier erkennen.
Der feste Rückstand glich 0,070 Grm. Er sollte 0,074 Grm. &
25,1% betragen. Mitlin eine Abnahme von 0,004 Grm. ‘Da der
Wassergehalt wieder 73,6°/o glich, so findet man hier eine Aus-
troekenung um 1,3 %.
Wir sehen hieraus, dass die Kartoffelstücke, die 3 Tage lang in
der geschlossenen Mundhöhle der erstarrten Murmelthiere verweilten,
an der Oberfläche austrockneten und wahrscheinlicher Weise eine ge-
ringe Menge ihres Stärkezuckers oder anderer löslicher Verbindungen
an die Mundflüssigkeiten abgaben, sonst aber unverändert blieben.
er Ben,ot.
XI. — 10. März. — 0,447 Grm. weichen Brotes lagen 24 Stun-
den zwischen der Zunge und dem harten Gaumen von E. Sie ver-
grösserten hierdurch ihr Gewicht auf 0,575 Grm. Der feste Rück-
stand betrug 0,313 Grm.
2,425 Grm. desselben Brotes führten 1,605 Grm. = 66,2% dich-
ter Verbindungen. Jene 0,447 Grm. forderten daher nur einen festen
Rückstand von 0,296 Grm., so dass man hiernach 0,017 Grm. Ueber-
schuss hat, ein Umstand, der wahrscheinlich von der Ungleichartig-
keit der Masse grösstentheils herrührte. Der Wassergehalt des fri-
schen ziemlich trockenen Brotes glich 33,8% und der der Probe, die
zum Versuche gedient hatte, 54,40%. Es waren daher 20,6% von
den Mundflüssigkeiten aus aufgenommen worden.
|
35
Prüfte ich den Wassergehalt einer frischen Brotprobe,
deren fester Rückstand 0,540 Grm. betrug, mit einer titrirten Feh-
lin g’schen Lösung, so erhielt ich 0,0145 Grm. Zucker. Dieses entspricht
2,70%/u des festen Rückstandes. Der gleich bereitete Wasserauszug der
Versuchsprobe lieferte 2,63 %/ Zucker, mithin ungefähr das Gleiche.
XI. — 11. März. — 0,873 Grm. neuen Brotes blieben 24 Stun-
den zwischen der Zunge und dem Gaumen des Murmelthieres E, das
am Anfange schlaftrunken und mit offenen Augen da lag. Die Probe
wog zuletzt 0,933 Grm. und gab 0,543 Grm. festen Rückstandes.
Dieser Werth entspricht gerade der von 66,2 %% geforderten Zahl.
Da der Wassergehalt hier 41,8%, im frischen Brote dagegen 33,8%
ausmachte, so waren 8,0 %/u Feuchtigkeit eingedrungen, wenn man die
geringe Menge des festen Rückstandes der Mundflüssigkeiten, die
durch einen entsprechenden Verlust scheinbar ausgeglichen worden,
nicht beachtet.
XII. — 10. März. — 0,423 Grm. Brot verweilten 24 Stunden
zwischen der Zunge und dem harten Gaumen des Murmelthieres F.
Das Brot wog 0,524 Grm. nach Beendigung des Versuches und lie-
ferte 0,503 Grm. festen Rückstandes. Die ursprünglichen 0,428 Grm.
forderten nur 0,283 Grm. für 66,2%. Man hat daher einen wahr-
scheinlich von der Ungleichheit des Brotes herrührenden Ueberschuss
von 0,020 Grm. Der Wassergehalt, der 58,0% ausmachte, war um
24,2°/o höher, als im frischen Brote. Die Zuckerbestimmung lieferte
2,35% des festen Rückstandes, mithin einen noch innerhalb der
Schwankungsgrenzen liegenden Ueberschuss von 0,15%.
XIV. — 10. März. — 0,422 Grm. Brot blieben 24 Stunden zwi-
schen der Zunge und dem harten Gaumen des Thieres G liegen.
Dieses hatte sich dabei in die Zunge gebissen, so dass ein kleines
Bluteoagulum an dem Brote haftete. Es wog ohne den grösseren
Theil des letzteren 0,672 Grm. und führte 0,343 Grm. festen Rück-
standes, 66,2% geben aber nur 0,279 Grm. für die ursprünglichen
0,422 Grm, Der beträchtliche Ueberschuss von 0,064 Grm. rührte
unzweifelhaft zu grossem Theile von den Beständtheilen des beige-
mengten Blutes her.
3»
36
Der Zuckergehalt glich 2,9% oder nur 0,200 mehr, als man für
die frische Brotmasse gefunden hatte.
XV. — 15. März. — Ich liess 0,618 Grm. anderen Brotes zwi-
schen der Zunge und dem Gaumen von G 24 Stunden liegen. Es
wog hierauf 0,643 Grm. und führte 0,338 Grm. festen Rückstandes.
1,400 Grm. frischen Brotes derselben Art lieferten 0,793 Grm.
— 56,7 %/o dichter Stoffe. Dieses hätte demnach 0,350 Grm. betragen
sollen. Der gefundene Werth war aber um 0,012 Grm. niedriger"
Der Wassergehalt betrug hier 45,3 %o.
Die Zuckerprobe des frischen Brotes gab 2,84 °/o des festen Rück-
standes. Die des Stückes, das einen Tag lang in der Mundhöhle des
erstarrten Thieres gelegen hatte, 3,55% oder 0,71, d. h. %, des ur-
sprünglichen Werthes mehr. Obgleich dieses auf den ersten Blick
für eine Zuckerbildung durch die Mundflüssigkeiten des erstarrten
Murmelthieres zu zeugen scheint, so macht doch eine nähere Be-
trachtung den Beweis sehr zweifelhaft. 2,84 %/ der 0,350 Grm. des
ursprünglichen festen Rückstandes betragen 0,0099 Grm. 3,55 % da-
gegen der später gefundenen 0,338 Grm. geben 0,0120 oder bloss
0,0021 Grm. mehr. Dass aber möglicher Weise dieser Zuckerüber-
schuss von 2 Milligramm ursprünglich vorhanden gewesen, lässt sich
nicht mit Sicherheit in Abrede stellen.
Das Brot durchtränkt sich hiernach bisweilen mit so, viel Was-
ser, dass es trotz der Verdunstung an Gewicht zunimmt. Es trock-
net dagegen in anderen Fällen in der Mundhöhle der erstarrten
Murmelthiere aus. Der Unterschied rührt von dem gerade vorhan-
denen Feuchtigkeitsgrade der Mundhöhle her. Eine beträchtliche
Zuckerbildung oder andere bedeutende Veränderungen lassen sich
nicht nachweisen.
f£ Arrowroot.
XVI. — 12. März. — 0,512 Grm. reinen, unmittelbar vorher ge-
trockneten Arrowrootes wurden in ein Leinwandsäckchen gebunden
zwischen Zunge und Gaumen des Murmelthieres E 48 Stunden lang
liegen gelassen. Der dann trocken herausgenommene Bausch enthielt
37
0,521 Grm. Mehles, das man immer noch für trocken seinem äusse-
ren Ansehen nach gehalten haben würde. Der kalte 'Wasserauszug
desselben führte weniger als */ıo %/o Zucker. Eine Probe frischen
Mebhles zeigte gar keine Reduction der Fehling’schen Lösung.
XVH. — 12. März. — Ich wiederholte den gleichen Versuch
mit 0,551 Grm. getrockneten Arrowrootes in dem Thiere FT. Es
blieb dort die ersten drei Tage ruhig liegen’ Da aber das Murmel-
thier am vierten erwachte, so warf es den Bausch heraus. Ich fand
ihn vollkommen unversehrt auf dem Bodengitter des Behälters. Er
enthielt frisch 0,590 Grm. des Mehles, das getrocknet 0,545 Grm. gab.
Die fehlenden 0,006 Grm. kommen gewiss zum grössten Theile auf
diejenigen Mehlpartikelchen, welche in der Leinwand blieben oder
durch diese von dem Thiere durchgedrückt wurden. Der kalte
Wasserauszug enthielt keine Spur von Zucker.
XVII. — 12. März. — Ich stellte endlich den gleichen Versuch
mit 0,469 Grm. Arrowroot in dem Thiere & an und liess hier das
Mehl 2 Tage lang in dem hinteren Theile der Mundhöhle. Es wog
dann feucht 0,551 Grm. Sein Wasserauszug enthielt eben so wenig
eine Spur von Zucker, als der kalte Auszug einer frischen Probe.
Wir sehen hieraus, dass das getrocknete Mehl von Maranta
arundinacea etwas Wasser aufnimmt, nicht aber in Zucker verwan-
delt oder sonst verändert wird.
g- Kleister.
Ich kochte Arrowroot mit destillirtem Wasser, bis sich Kleister
gebildet hatte, entfernte aus diesem, so sehr als möglich, die Mehl-
stückchen, die noch unverändert zurückgeblieben waren und trock-
nete das Ganze zum festen Rückstande ein. Dieser, eine graue halb
durchsichtige Masse, wurde zu den einzelnen Vergleichsversuchen
benutzt.
XIX. — 21. März. — 0,128 Grm. des eingetrockneten Kleisters
blieben 24 Stunden zwischen der Zunge und dem harten Gaumen
des Thieres E. Man nahm dann das Stück schwach durchfeuchtet
heraus. Es wog in diesem Zustande 0,172 Grm. und gab 0,130 Grm.
38
nach dem vollständigen Austrocknen. Man hatte also einen Ueber-
schuss von 0,002 Grm.
Wurden dieses Kleisterstück und: ein anderes, das nicht in dem
Murmelthiere gewesen, 24 Stunden mit Wasser kalt ausgezogen, so
erzeugte die filtrirte Flüssigkeit keine Spur von Kupferoxydreduction bei
dem Gebrauche der Fehling’schen Lösung. Der gewöhnliche Klei-
ster pflegt Zucker zu führen,
XX. — 22. März. — 0,184 Grm. des getrockneten Kleisters ver-
weilten 24 Stunden in der Mundhöhle des Thieres F. Das Stück,
welches an der Mitte der Zunge klebend gefunden worden, wog
0,207 Grm. und hinterliess 0,188 Grm. festen Rückstandes. Das Was-
ser, das 24 Stunden im Kalten auf den Kleister gewirkt hatte, zeigte
keine Spur von Zuckerreaction.
XXI — 21. März. — 0,165 Grm. desselben Kleisters lagen
einen Tag, lang zwischen der Zunge und dem harten Gaumen des
Thieres G. Das schwach durchfeuchtete Stück wog dann 0,221 und
gab 0,168 Grm. festen Rückstandes. Die Zuckerprobe fiel auch hier
negativ aus.
Diese Thatsachen lehren, dass der Kleister etwas Wasser bei
dem Aufenthalte in der Mundhöhle der erstarrten Murmelthiere ein-
saugt, Zucker dagegen bei dieser Gelegenheit nicht erzeugt wird.
h. Rohrzucker.
XXI. — 19. Februar. — 0,678 Grm. getrockneten Rohrzuckers
blieben 24 Stunden zwischen der Zunge und dem. harten Gaumen
von E liegen. Die Mundhöhle führte dann eine nicht unbedeutende
Menge einer klebrigen Zuckerlösung. Ein zusammenhängendes Stück,
das durchfeuchtet 0,444 Grm. und ‚getrocknet 0,434 Grm. wog, konnte
noch herausgenommen, werden, Obgleich offenbar mehr Flüssigkeit
als sonst in die Mundhöhle übergetreten war, so reichte diese doch
bloss hin, 0,244 Grm. Zucker aufzunehmen. Es wurden daher nur
35,3% des Ganzen aufgelöst.
XXI. — 21. Februar. — Ich brachte 0,363 Grm, desselben
trockenen Rohrzuckers zwischen die nicht unbedeutend befeuchtete:
39
Zunge und den harten Gaumen desselben Murmelthieres. Man fand
noch 24 Stunden später ein Stück, das getrocknet 0,029 Grm, wog.
Die in einem Tage geschmolzene Menge glich daher selbst unter. die-
sen günstigeren Verhältnissen nur 0,334 Grm., die hier freilich bei
dem geringeren Gewichte des ursprünglich gebrauchten Stückes 92 %/o
ausmachten.
Die Mundhöhle enthielt länger als drei Tage eine klebrige wäs-
serige. Flüssigkeit, die stark süss schmeckte. Bedenkt man, dass der
Zuckergeschmack einer einprocentigen Lösung fast unmerklich ist, so
liefert diese Thatsache einen neuen Beweis für die äusserst geringe,
fast Null gleiche Stoffaufnahme während des tiefen Winterschlafes
der Murmelthiere.
XXIV. — 22. Februar. — 0,853 Grm. trockenen Rohrzuckers
wurden zwischen der Zunge und dem harten Gaumen des Thieres F
24 Stunden liegen ‚gelassen. Ich konnte zuletzt noch ein Stück
herausnehmen, das feucht 0,253 Grm. und trocken 0,223 Grm. wog.
Es waren mithin 0,600 Grm. — 70,3%. verflüssigt worden. Die
klebrige und süsse Zuckerlösung blieb auch hier mindestens 3 Tage
in der Mundhöhle.
XXV. — 20. Februar. — 0,342 Grm. trockenen Rohrzuckers
verweilten 48 Stunden lang zwischen der Zunge und, dem harten
Gaumen des ThieresG. Man fand zuletzt ein durchfeuchtetes Stück-
chen, das getrocknet 0,015 Grm. wog. Nur 0,327 Grm. Zucker
konnten daher im Laufe zweier Tage geschmolzen werden.
XXVL — 21. Februar. — 0,772 Grm. Zucker kamen in die be-
deutend feuchte Mundhöhle desselben Thieres. Der nach 24 Stunden ge-
fundene Zuckerrest wog frisch 0,240 Grm. und getrocknet 0,188 Grm.
Es waren daher 0,584 Grm. = 75,6°/o gelöst worden.
XXVIH- — 30. März. — Ich führte einen kleinen Zuckereylin-
der, der getrocknet 0,118 Grm. wog, in den Mastdarm von G ein.
Obgleich die Operation Bewegungen und schnarchendes Athmen des
Thieres herbeiführte, so schlief es doch bald wieder fest ein. Es hatte
sogar am nächsten Tage an Gewicht zugenommen (S. 17). ; Ich
konnte dann noch zum After. ein Zuckerstückchen heraus befördern,
40
das 0,041 Grm. im durchfeuchteten und 0,038 Grm. im trockenen
Zustande wog. Eine verhältnissmässig bedeutende Menge von Zucker-
lösung trat übrigens noch zum After heraus.
Die Flüssigkeit, welche der unterste Abschnitt des Mastdarmes
mit den Afterdrüsen im Laufe von 24 Stunden liefern konnte, reichte
hiernach nur hin, 0,080 Grm. Zucker aufzunehmen. Ein grosssr
Theil der Lösung blieb uneingesogen zurück.
Ich hatte noch eimen Zuckereylinder von 0,092 Grm. in den
Mastdarm von E’und einen von 0,091 Grm. in den von F geschoben.
E war aber schon 5 Stunden später und F am folgenden Tage voll-
kommen wach, obgleich sich beide in festem Schlafe zur Zeit der
Einführung befunden hatten.
0,336 Grm. Rohrzucker wurden zum Vergleich zwischen die
Zunge und den harten Gaumen eines todten Kaninchens gebracht,
dem der oberste Halsknoten des sympathischen Nerven einige Tage
vorher war ausgerottet worden und dessen Kiefermuskeln sich schon
im nachdrücklicher Todtenstarre befanden. Aller Zucker war nach
24 Stunden verschwunden und die Flüssigkeit der Mundhöhle bot
keinen deutlich süssen Geschmack dar. Das todte Kaninchen, 'das
1548 Grm. wog, wirkte also in einem Tage kraftvoller, als das in
dem Versuche XXV erwähnte Murmelthier G, dessen Körpergewicht
1487,7 Grm. betrug, in 48 Stunden. Die Mundhöhle des Kaninchens
enthielt so wenig Flüssigkeit, dass keine nähere Prüfung derselben
möglich war. Schüttelte man aber die Zunge und die Schleimhaut
des harten Gaumens mit destillirtem Wasser, kochte das Ganze mit
ein Paar Tropfen Schwefelsäure und übersättigte mit Kali, so gab
die Fehling’sche Lösung eine starke Reduction des Kupferoxydes.
i. Eigelb.
Da ich die reinen flüssigen Fette quantitativ in den hier anzu-
stellenden Untersuchungen nicht verfolgen konnte, von den festen
dagegen wenig zu erwarten war, so wandte ich mich an das Eigelb
des Hühnereies. Ich liess es aus einem gekochten Eie an der Luft
eintrockenen und schnitt dann hieraus dünne Scheiben, die ich zwi-
41
schen die Zunge und den harten Gaumen der erstarrten Murmel-
thiere brachte. Diese Versuche hatten den Uebelstand, dass sich
kleine Stückchen des Eigelbes auch bei der grössten Vorsicht los-
bröckelten und man sie immer hinzufügen musste, um nicht zu fehler-
haften Ergebnissen verleitet zu werden.
XXVII. — 23. März. — 0,196 Grm. lufttrockenen Eigelbes
blieben 24 Stunden in der ‘Mundhöhle des Murmelthieres F. Sie
wurden dann scheinbar unverändert herausgenommen. Das Ganze
wog frisch 0,198 Grm. und lieferte im Sandbade 0,158 Grm. festen
Rückstandes. Da eine Probe desselben lufttrockenen Eigelbes, die
frisch 0,765 Grm. geglichen, 0,583. Grm. = 76,2 °/o diehter Ver-
bindungen enthalten hatte, so sollte das Versuchsstück 0,149 Grm.
geben. Man bekam daher einen Ueberschuss von 0,009 Grm.
Ich kochte die Proben des Eigelbes in einem Bibra’schen Destil-
lirapparate mit Schwefeläthermehrfach aus. Dieser färbte sich hierdurch
gelb und hinterliess nach dem Verdunsten einen gelben Rückstand,
der zum Theil aus einem gelben Oele, zum Theil aus festen fettigen
und anderen Körpern (bei 14° OÖ.) bestand. Die eiweissreiche unlös-
liche Masse des Eigelbes bildete ein grauweisses Pulver.
0,582 Grm. des festen Rückstandes des Eigelbes gaben an den
Aether 0,348 Grm. = 59,8%,. 0,155 Grm. des Eigelbes, das einen
Tag in der Mundhöhle des Murmelthieres verweilt hatte, lieferte
0,093 Grm. = 60,0%. Es war also kein Fett aufgenommen worden.
XXIX. — 23. März. — 0,244 Grm. lufttrockenen Eigelbes ver-
weilten 24 Stunden in der Mundhöhle des Thieres G. Sein Gewicht
betrug hierauf 0,235Gr., wobei jedoch ein kleines Stück nach der Ab-
splitterung an dem Gaumen hängen blieb. Der trockene Rückstand
/ betrug 0,176 Grm. Er hätte zu 76,2 °/0 0,186 Grm. darbieten sollen.
0,174 Grm, desselben gaben 0,104 Grm. an Schwefeläther. Da
dieses 59,7°/u beträgt, so können wir schliessen, dass auch hier kein
Fett aufgenommen worden.
Nennen wir die Procente des festen Rückstandes, die eine Ver-
‚ bindung giebt m, die Procentmenge eines Stoffes, welche dieses ent-
hält n und suchen die Procente x, welche die letztere in der ur-
42
sprünglichen ‚Verbindung ‚betrug, so ‚haben wir x = (0,01. m.n.
Der Werth von m ist im Durchschnitt 53 für das frische Eigelb. 'n
war aber nach dem ‚oben Erwähnten 60 gewesen. Man findet daher
x — 31,8%. Die Mittelzahlen für die Aetherauszüge, die Prout,
Gobley und Lehmann *) angeben, sind 29% bis 31,2%.
k. Eisenkaliumeyanür.
1,266 Grm. der Blutlaugensalzlösung, deren ich mich bediente,
hinterliessen 0,117 Grm. — 9,3°/o festen Rückstandes.
Ich gebrauchte in dem ersten Versuche ein mit Eisenchlorid
durchtränktes Filtrirpapier zur Entdeckung des Eisenkaliumeyanürs.
Verdünnte man die oben erwähnte Blutlaugensalzlösung so, dass sie
0,230/0 desselben enthielt, so erzeugte sie einen tief blauen Fleck auf
dem Reagenzpapiere. Die blauen Körnchen fielen sogleich auf. Setzte
man zur Lösung von Eisenkaliumeyanür so viel Wasser, dass
der Procentgehalt 0,034 ausmachte, so liessen sich dann noch ein-
zelne Körnchen von Berlinerblau auf dem mit jener Flüssigkeit be-
feuchteten Filtrirpapier erkennen. Eine weitere viermalige Verdün-
nung oder ein Gehalt von 0,009 °/, gab nur noch eine zweifelhafte
Reaction.
Ich befolgte das gewöhnliche Verfahren in den beiden anderen
Versuchen. Die kleine Blutprobe wurde in einem Uhrgläschen
mit destillirtem Wasser und etwas eisenfreier und überhaupt reiner
Salzsäure versetzt und hierauf zu Maassanalysen titrirte Eisen-
chloridlösung hinzugefügt. Nebenversuche belehrten mich, dass diese
letztere einen Gehalt von 0,015 %% Eisenkaliumeyanür noch durch
eine intensiv blaue, und einen solchen von 0,00576°/, durch eine
stark grünblaue Farbe anzeigtee Eine Lösung von 0,00057 %/, da-
gegen lieferte kein entscheidendes Ergebniss mehr, wenn man selbst
die Mischung auf einem intensiv weissen Grunde betrachtete.
*) C. G. Lehmann Lehrbuch der physiologischen Chemie, Bd. II. Leipzig
1850. 8. S. 351.
45
XXX. — 13. Januar, — Der linke Fuss ‘des Murmelthieres G
wurde mit drei starken Lagen Filtrirpapiers, die in der oben er-
wähnten ursprünglichen Lösung des Blutlaugensalzes aufgequollen
waren, umwickelt und das Ganze 6 Stunden lang; unverrückt gelas-
sen. Blut eines Hautschnittes, der an der Grenze des Hinterhauptes
und desHalses während des tiefen Schlafes des Thieresangebracht wurde,
zeigte keine Spur von Blutlaugensalz. Ich erhielt dasselbe negative
Ergebniss, wenn ich das Reagenzpapier in der Tiefe der Wunde
herumbewegte. Das Thier wachte die beiden folgenden Tage. Seine
Fusssohle war durch die anhaltende Wirkung der Flüssigkeit erweicht
worden. Die Oberhaut derselbenspaltete sich später, im grosse Lappen-
abtheilungen, die sich in Folge von selbst losschälten, als sie: theil-
weise eingetrocknet waren. Der den 21. Januar gelassene Harn gab
eine verhältnissmässig starke Reaction auf Blutlaugensalz. Da er aber
mit Hautstellen, welche diese Verbindung enthielten, möglicher Weise
in Berührung gekommen war, so lässt sich kein sicherer Schluss aus
dieser Erfahrung entnehmen.
XXXI. — 7. April. — Demselben Thiere, das ziemlich, fest
schlief und 1406,7 Grm. unmittelbar vor dem Beginn des Versuches
wog, wurde 1 C©.C, des oben erwähnten Blutlaugensalzes in. den
Mastdarm gespritzt. Da die Flüssigkeit eine Eigenschwere , von
1,067 ergab, so führte jener Cubikcentimeter 0,099 Grm. Eisen-
kaliumeyanür.
Es ergab sich:
10 Uhr 8 Minuten, Einspritzung des Blutlaugensalzes in den
Mastdarm.
10 U. 10 bis 11 M. 14 Athemzüge in 1 Minute, Unregelmässig
mit einer Ruhepause von 15 Sekunden.
10 U. 11 bis 12 M. 12, Athemzüge in 1 M. In der Zwischen-
10 U, 19 bis 20 M. 19 \ zeit längere Rulıepausen.
10 U. 26 bis 27 M. 19 -
10 0.28 bis 9 M. 3 er
10 U. 31 bis 32 M. , 28 Herzschläge in 1,M.
10 U. 33 bis 34 M. 20
n 2. m
44
10 U. 40 bis 41 M. 18 Herzschläge in 1 M.
10 U. 42 M. Den inneren Nagel des rechten Vorderbeines tief
abgeschnitten, um Blut zu erhalten.
10 U. 46 bis 47 M. 21
11 U. 17 bis 18 M. 22
Blutproben von 10 U. 42 M.,
10 U. 52 M,
11 U. 7 M. und
11 U. 18 M.
zeigten keine Spur von Reaction auf Blutlaugensalz, nicht einmal
jene zweifelhafte, welche eine wässerige Lösung von 0,00057 °/, dar-
bot. Dasselbe negative Resultat ergab sich für das Wasser, mit dem
ich die Wunde des schlafenden Thieres um 2'/a U. abgewaschen hatte.
XXXIL — 7. April. — Ich wiederholte den gleichen Versuch
mit dem ziemlich fest schlafendan Murmelthier E, das 1734,7 Grm.
unmittelbar vor der Beobachtung wog.
10 0 16 M. 1’/ C. C. der Blutlaugensalzlösung in den Mast-
darm eingeführt.
10 U. 20 bis 21 M.
10 U. 35 bis 36 M.
10 U. 38 bis 59 M. 39 Herzschläge in 1 M.
10 U. 39 bis 40 M. 12,5 Re a
10 U. 49 bis 50M. 15 | grösstentheils tiefe Athemzüge in R
10 U. 52 M. Der innere Nagel des rechten Vorderbeines tief
abgeschnitten, um Blut zu gewinnen.
11 U. 18 M. 12 Athemzüge in 1M.
Blutproben von 10 U. 52 M.,
10 U. 54 M.,
11 U. 8 M. und
11 U. 1%M.
gaben wieder nicht einmal die zweideutige Reaction, wie sie eine
wässerige Lösung von 0,00057 %/, Blutlaugensalz zeigte. Das Thier
war um 2%/a Uhr vollkommen erwacht und so bösartig, dass man
Athemzüge in 1 M,
6 ı
6 | meist tiefe Athemzüge in 1 M.
keine weitere Prüfung vornehmen konnte.
45
1. Kochsalz.
Obgleich die sämmtlichen mit diesem Körper angestellten Ver-
suche in so fern verunglückten, als die Thiere in weniger als 24
Stunden erwachten, so glaube ich sie dennoch anführen zu müssen,
weil die später vorgenommenen Harnprüfungen eine eigenthümliche
Schlussfolgerung gestatten.
XXXIH. — 7. März. — Ich brachte einen fest zugebundenen
Leinwandbausch, der 0,416 Grm. getrockneter Kochsalzkrystalle ent-
hielt, zwischen 3 und 4 Uhr in die Mundhöhle des Murmelthieres E.
Dieses war um 11 Uhr des folgenden Tages wach und sehr reizbar.
Ich fand später den Bausch zerbissen. Er enthielt noch eine gewisse
Salzmenge, die 0,145 Grm. nach dem Trockenen wog. Ich wusch
hierauf das Untersatzgefäss so rein als möglich aus und brachte in
dasselbe nur wenig von dem früheren Urine, um die in $. 13 er-
wähnten Versuche nicht zu stören. Neuer Harn, den das Thier den
17. März gelassen hatte, lieferte, wie gewöhnlich, geringe Mengen
von Kochsalz. Es lässt sich hieraus mit Wahrscheinlichkeit entneh-
men, dass die fehlenden 0,271 Grm. Kochsalz grösstentheils zerstreut,
nicht aber verschluckt worden.
XXXIV. — 7. März. — War ein zugebundener Leinwandbausch,
der 0,397 Grm. trockenen Kochsalzes enthielt, zwischen die Zunge
und den harten Gaumen von F um ungefähr 31/g Uhr geschoben
worden, so war das Thier am folgenden Tage schon um 11 Uhr
wach. Der zerbissene auf dem Boden gefundene Bausch enthielt kein
Kochsalz mehr. Ich wiederholte daher das Gleiche mit dem Unter-
satzgefässe wie in dem vorigen Versuche, Der den 21. März gelas-
seue Harn führte weniger als 0,16°/, Kochsalz, mithin nicht mehr *),
als andere erstarrte Murmelthiere.
XXXV. — 7. März. — Hatte ich einen Leinwandbeutel, der
0,459 Grin. trockenen Kochsalzes enthielt, zwischen 3 und 4 Uhr in
die Mundhöhle von G eingeführt, so war das Thier ebenfalls um
*) 8; diese Zeitschrift Bd.'1II. 8. 2091und 215.
45
11 Uhr des folgenden Tages wach. Der Bausch fand sich später
auf dem Boden aufgebissen.
Alle drei Murmelthiere wurden übrigens bis zum dritten Tage
nach der Einführung des Kochsalzes schlaftrunken und lieferten spä-
ter die gewöhnlichen Erstarrungserscheinungen.
Wir sehen hieraus, dass schon geringe Mengen des Kochsalzes,
welche die Mundflüssigkeiten lösten, als hinreichende Reizmittel wirk-
ten, um die Thiere rasch aufzuwecken. Bleibende weitere Folgen
oder ein Uebergang beträchtlicher Salzmengen in den Körper liessen
sich nicht nachweisen.
m. Schwefelwasserstoff.
Das stets in einer Temperatur von + 4° bis + 8°C. aufbewahrte
Schwefelwasserstoffwasser trübte sich während der Versuchszeiten nur
wenig durch niedergeschlagene Schwefelmilch. 9 C. C. desselben
lieferten 0,222 Grm. Schwefelblei mit essigsauerem Bleioxyd, dem
etwas Essigsäure zugesetzt worden. 1 C. C. des Wassers enthielt
daher 0,0055 Grm. oder 2,26 C. C. Schwefelwasserstoff.
Das mit essigsauerem Blei durchtränkte Filtrirpapier, das ich als
Reactionsmittel gebrauchte, gab noch einen stark geschwärzten Fleck,
wenn ich es 5 Sekunden lang in einem Abstande von 2—4 0. C.
von ungefähr %/30 C. C. jenes Schwefelwasserstoffwassers hielt. Spuren,
die es nicht im Entferntesten anzeigte, wurden noch durch das Ge-
ruchsorgan mit Leichtigkeit erkannt.
Um zu wissen, wie viel Schwefelwasserstoff durch die Excre-
mente des Murmelthieres zersetzt würde, mischte ich 1,230 Grm.
frischen Kothes mit 20,5 ©. C. Wasser. Setzte ich 5 C. C. des
Schwefelwasserstoffwassers hinzu, so entwickelte sich nach dem Schüt-
teln ein sehr widerlicher, aber von dem des Schwefelwasserstoffes
wesentlich verschiedener Geruch. Das Bleipapier zeigte keinen brau-
nen oder schwarzen Fleck, es mochte über der Flüssigkeit gehalten
oder in diese getaucht werden. Fügte ich dagegen noch 4 C. C.
hinzu, so lieferte das Papier eine deutliche Färbung. 9 €. C. des
47
Schwefelwasserstoffwassers enthielten also mehr Schwefelwasserstoff,
als durch 1,230 Grm. frischer Exeremente zersetzt wurden.
0,331 Grm. festen Rückstandes des Murmelthierkothes wurden
mit 6,2 C. C. destillirten Wassers drei Tage lang kalt behandelt.
Die Flüssigkeit wirkte nicht auf das Bleipapier nach einem Zusatze
von 0,5 ©. C. Schwefelwasserstoffwasser. 1,9 C. C. dagegen führten
sogleich zu einer starken braunen Färbung.
XXXVI — 17. Januar. — Temperatur 5° bis 6° C,. Ich stach
um 10 Uhr 18 Minuten eine Explorationsnadel in das Herz des Mur-
melthieres G& und brachte den Kopf in ein Glas, so dass die, Aus-
athmungsluft, sie mochte zum Munde oder. zur Nase hervortreten, ein
vorgelegtes Bleipapier zuerst bestreichen musste. Es ergab,sich:
10 U. 19 M. ‚14 regelmässige Herzschläge in ‚1 Minute.
10 U. 21 M. 2, Athemzüge in 1.M.
10 U. 25.M. 12 bis. 13 ‚Herzschläge in IM,
10 U. 26 M., 6 Athemzüge in 1 M,
10 U. 25. M. ‚14 Herzschläge und 4 bis 5 Athemzüge in 1 M.
10 U. 30 M. 14 Herzschläge und 5 Athemzüge in 1.M.
10 U. 37 M. 15 Herzschläge und 6 Athemzüge in 1.M.
10 U, 38/2 M. 1,8 C, O., des Schwefelwasserstoffwassers in den
Mastdarm gespritzt. Ein wenig läuft zurück.
10 U. 41 M. 15 Herzschläge in 1 M. ‚
10 U. 42 M. 4 Athemzüge in 1M.
10 U. 47 M. 15 Herzschläge und 5 Athemzüge in 1 M.
10 U,,49,.M. ‚Bis jetzt keine Spur von Reaction des (befeuchte-
ten) Bleipapiers und Nichts durch den Geruch zu erkennen,
10 U. 494/; M. 1,8 C. C. Schwefelwasserstoffwasser, von dem
Nichts zurückgetrieben wurde, eingespritzt.
10 U. 54 M. 18 bis 19 Herzschläge in 1 M.
10 U. 55 M. 7 Athemzüge in 1 M.
11 U. 2 M. Keine Spur von Reaction des Bleipapiers oder von
Geruch des Athems nach Schwefelwässerstoff.
11 U. 14 M. 22 Herzschläge und 11 Athemzüge in 1 M.
48
11 U.18 .M. Keine Spur von Nachweisbarkeit des Schwefel-
wasserstoffes in der Athemluft.
XXXVH. — 20. Januar.. — Dasselbe Thier hatte wieder die
beiden Tage vorher fest geschlafen.
3 U. 24 M. 90.0. des Schwefelwasserstoffwassers in :den Mast-
darm gespritzt. Es lief, weniger als 4/s C. C. zurück.
3 U. 28 M. 4 Herzschläge in 1 M.
3 U. 29 M. 2 Athemzüge in 1 M.
3 U. 33 M. 2 Athemzüge in 1 M.
3 U.55 M. 3 Athemzüge in 1 M.
4 U. 9 M. Keine Spur von Farbenveränderung des trockenen
oder befeuchteten Bleipapiers oder von Geruch des Athems nach
Schwefelwasserstoff.
Versuche, beträchtlichere Mengen von Schwefelwasserstoffwasser |
in den Mastdarm zu bringen, scheiterten daran, dass dann der grösste
Theil des Ueberschusses sogleich zurückgetrieben wurde.
Das negative Resultat, vorzüglich des letzten Versuches, spricht
für die Langsamkeit der Aufnahme und des Uebertrittes aus dem
Blute in die Athmungsluft. Ich halte jedoch diese Erfahrungen für |
minder 'entscheidend, weil sehr kleine Mengen, die man in den Mast-
darm eines Hundes oder eines Kaninchens gespritzt hat, selbst nach
mehr als zehn Minuten in dem Athem durch das Geruchsorgan nicht |
nachgewiesen werden.
no. Tellur.
Die Erfahrung, dass Personen, die Tellur gepulvert haben, einen
üblen, an den des Telluräthyls erinnerenden Geruch des Athems be-
kommen, führte Hugo Schiff zu dem Vorschlage, dieses Metall zu
versuchen.
XXXVIII — 24. März. — Ich brachte 0,126 Grm. metallischen
Tellurs in einem Leinwandsäckchen in den Mastdarm des Murmel-
thieres F. Dieses schlief ohne die geringste Störung fest fort, wäh-
rend das Säckchen 5 Tage lang in dem untersten Theile des Mast- |
darmes 'unverrückt stecken blieb. Das wieder herausgenommene
49
Tellur wog nach dem Trockenen zwischen 0,125 und 0,126 Grm,
H. Schiff und ich glaubten am dritten Tage einen schwachen Ge-
ruch des Athems bemerkt zu haben. Da sich aber diese Erscheinung
in den Folgetagen nicht verstärkte, sondern ebenso zweifelhaft, als
früher blieb, so wird man das Ergebniss dieses Versuches als ein
rein negatives ansehen dürfen.
o. Selen.
Der Tellurversuch führte auf den Gedanken, auch das Selen, wel-
ches so stark riechende Präparate liefert und mit dem das Tellur oft
verunreinigt ist, zu prüfen.
XXXIX. — 24. März. — Ein Bausch, in dem 0,058 Grm. me-
tallischen Selens eingebunden waren, wurde in den Mastdarm des
Thieres E gebracht. H. Schiff und ich glaubten nach 24 Stunden
zu bemerken, dass das Thier einen üblen Geruch aus seinem Munde
verbreite. Obgleich der das Selen enthaltende Zapfen sogleich ent-
fernt wurde, so schien doch noch jener Geruch 3 bis 5 Tage, immer
abnebmend, anzuhalten.
XL. — 27. März. — Der gleiche Bausch wurde. in den Mast-
darm des Thieres & geschoben. Auch dieses behielt ihn drei Tage
lang unverrückt und liess sich hierdurch in seinem festen Schlafe
nicht stören. Das Ergebniss war zweifelhaft. 'Trat hier ein Geruch
hervor, so war er jedenfalls nur sehr schwach. Das nach dem Ver-
suche herausgenommene Selen wog befeuchtet 0,061 Grm. und ge-
trocknet 0,047 Grm.
p- Neutrales tellurigsaueres Kali. K. Te.
Die wässrige Lösung dieser Verbindung führte 0,008 Grm. Tel-
lursäure für je einen Cubikcentimeter Flüssigkeit.
XLI. — 7. April. — Das Thier G, das fest schlief, bekam um
2 Uhr 40 Minuten 1 ©. C. der Lösung des tellurigsaueren Kali
in den Mastdarm gespritzt.
2 U. 44 M. 3 Athemzüge in 1M.
2 U. 46 M. 20 Herzschläge in 1 M.
Moleschott, Untersuchungen V. 4
50
2 U. 47 M, Keine Spur von eigenthümlichem Geruch des Athems.
2 U. 49 M. 1,8.C.C. der Lösung des tellursaueren Kali in den
Schlund gespritzt. Das Thier bewegt sogleich den Kopf und stösst
ungefähr 1/0 ©.C. bei einer der nächsten Ausathmungen zu den
Nasenlöchern heraus.
2 U. 55 M. keine Spur von eigenthümlichem Athemgeruch:
Jede Ausathmung schiebt noch etwas Flüssigkeit zu den Nasenlöchern
vor- und rückwärts.
2 U. 54 bis 55 M. 6 Athemzüge m 1 M. Das Thier etwas un-
ruhig. Schwache Bewegungen der Gesichts- und der Halsmuskeln.
2 U. 58 M. Keine Spur von Geruch nach Telluräthyl in der
Athemluft.
3 U. 18 bis 19 M. 15 Athemzüge mit fast fortwährenden Be-
wegungen der Kopf- und der Halsmuskeln.
3 U. 19 M. Kein eigenthümlicher Athemgeruch. Im ersten Augen-
blicke nur eine zweifelhafte Spur.
3 U. 21 bis 22 M. 51 Herzschläge |
3 U. 23 bis 24 M. 25 Athemzüge |
3 U. 244/, M. Keine Spur von eigenthümlichem Athemgerach.
3 U. 50 bis 51 M. 62 Herzschläge inıM.
3 U. 51 bis 52 M. 20: Athemzüge |
3 U. 53 M. und 4 U. 45 M. Keine Spur von besonderem Athem-
geruch. Das am folgenden Tage wache Thier roch auch nicht um
9 oder um 2 Uhr. |
Rechnen wir auch das bald Ausgelaufene zurück, so hatte das
Thier 21,6 Milligramme oder nahebei 1 3 Gran Tellursäure bekommen.
Als Hansen’und Röder*) 40 Milligramm saueres tellurigsaueres
Kali verzehrt hatten, verbreitete ihr Athem den üblen Geruch schon
in 1M.
in den ersten Minuten nach der Einnahme. Jene Forscher geben
nicht an, ob sie zweifach tellurigsaueres oder vierfach tellurigsaueres
Kali gebrauchten. Es lässt sich daher nicht berechnen, wie viel
*) K. Hansen Annalen der Chemie und Pharmacie. Bd. LXXXVI. Heidelberg
1853. 8. 8. 213, 214.
51
tellurige Säure sie einführten. Da sie aber jedenfalls weniger als
40 Milligramme genommen haben und dessenungeachtet so auffallende
Wirkungen erhielten, so gewinnt es an Interesse, dass diese gänzlich
ausblieben, nachdem ich 21,6 Milligramm einem Murmelthier einver-
leibt hatte, das nur 634,7 Grm. wog.
q. Asa foetida.
REIT v2 6, April. — Dem Murmelthier G, das unmittelbar vor
dem Versuche fest schlief und 1406,5 Grm. wog, spritzte ich um
3 Uhr 4 Minuten eine sehr stark riechende, mit wässrigem Wein-
‚geist bereitete Abkochung von Asa foetida in den Mastdarm. Die
eingetriebene Menge betrug ungefähr einen halben Cubikcentimeter.
3U.
5 U.
3U.
3U.
3U.
3U.
3U.
3 U.
3 U.
3U.
3U.
3U.
3U.
3 U.
3U.
3U.
3U.
6 bis 7 M. 20 Athemzüge in 1 M.
10 M. Kein eigenthümlicher Geruch der Athemluft.
11 bis 12 M. 17
14 bs 5M. 5
17 M. Kein besonderer Geruch der Athemluft.
18 bis 19 M. 2
19 bis 20 M. 8
20 bis 21 M. 0
21 bis 22 M. 0
22 bis 3 M. 8
23 bis 24 M. 2
24 bis 25 M. 1 bis 2
5
3
0
unregelmässige Athemzüge in 1 M.
Athemzüge in 1 M.
25 bis 26 M.
26 bis 27 M.
27 bis 28 M.
28 bis 29 M. 4
30 M. Keine Spur von Geruch der Athemluft. Durch-
dringender Geruch am After.
3U.
3U.
3U.
3U.
33 M. Explorationsnadel im das Herz gesteckt.
34 bis 35 M. 24 Herzschläge in 1 M.
36 M. Kein eigenthümlicher Athemgeruch.
37 bis 38 M. 13 Athemzüge in 1 M,
4#
52
3 U. 38 bis 39M. 13
3 U. 39 bis 40M. 10
3 U. 40 bis 44M. 6
3 U. 41 bis 42M. 5 Athemzüge in 1 M.
3 U. 42 bis 43M. 9
3 U. 43 bis 4M. 1
3 U. 4 bis 45M. 3
3 U.45 M. Keine Spur von eigenthümlichem Athemgeruch.
3 U. 53 bis 54M. 5)
3 U. 54 bis 55M. 13 |
3 U. 58 bis 59 M. 7 schwache und ungleiche Athemzüge in1M.
4U. 2bis3 M. 10
4U. 3bs 4M. 2
4 U.5M. Keine Spur von besonderem Athemgeruch. Die After-
gegend riecht stark nach Stinkasand.
Athemzüge in 1 M.
schwache Athemzüge in 1 M.
r. Schwefeläther.
XLII. — 8. April. — Das Murmelthier F, das seit einigen: Ta-
gen ziemlich fest schlief, wog 1744,0 Grm. unmittelbar vor dem
Versuche.
2 U. 20'/s M. Ungefähr einen halben Cubikcentimeter Schwefel-
äther in den Mastdarm gespritzt. Das Thier bewegt sogleich die
Kiefermuskeln.
2 U. 24 M. 4 Athemzüge in iM.
2 U. 25 M. Keine Spur von Aethergeruch der Athemluft.
2 U. 27 M. 12 Athemzüge z
2 U..29,M. «36. Herzschläge) ® =
2 U. 30 M. Keine Spur von Aethergeruch der Athemluft. Am
After eine Mischung von Aether- und unangenehmem Kothgeruch.
2 U. 31%/g M. Von Neuem einen halben Cubikcentimeter in den
Mastdarm gespritzt. ‘Bewegung der Kaumuskeln. Lebhaftes Aus-
atmen. Oeffnen des Auges.
2 U. 35 M. 13 Athemzüge in 1 M.
53
2 U.35 M. Keine Spur von Aethergeruch der Ausathmungs-
luft. Mischung von Koth- und Aethergeruch am After.
2 U. 38 M. 19 Athemzüge
2 U. 39 M. 52 Herzschläge
2 U. 41 M. Scheinbar eine schwache Spur von Aethergeruch in
der Ausathmungsluft.
2 U.45 M. 20 Athemzüge in 1 M.
2 U.44 M. Kein ganz deutlicher Aethergeruch der Athemluft.
2 U. 45 M. Reichliches Muskelspiel am Halse und Kopfe.
2 U. 46 M. Momentan deutlicher Aethergeruch der Athemluft,
der aber bald wieder verschwindet.
2 U. 47 M. 22 Athemzüge in IM.
2 U. 48 M. Momentan wahrnehmbarer entschiedener Aether-
geruch der Ausathmungsluft.
2 U.52 M. Der schwache Aethergeruch der Ausathmungsluft
unzweifelhaft. Das Thier erwacht immer mehr.
3 U. 10 M. Halbwach. Starker Aethergeruch der Athemluft.
3 U. 10 M. Das Thier vollkommen wach. Seine Athemluft
verbreitet einen so bedeutenden Aethergeruch, dass der ganze Be-
hälter, in dem es sich befindet, davon erfüllt ist.
inıM.
Die erste scheinbare Spur von Aethergeruch der Athemluft, die
ich mit meinem sehr feinen Geruchsorgane wahrnehmen konnte, trat
20'/a Minuten nach der ersten Aethereinspritzung auf. Man hatte sie
später nur für Augenblicke, für andere Momente dagegen nicht.
Obgleich das Thier rasch erwachte, so zeigte sich doch erst der un-
zweifelhafte Aethergeruch 31t/a Minuten nach der ersten Einführung
in den Mastdarm. Der Mittelwerth der beobachteten Athemzüge,
der 15 beträgt, gibt offenbar zu kleine Zahlen für die ganze Zwi-
schenzeit, weil die Athemzüge schon nach den ersten drei Minuten
‚ beträchtlich stiegen. Nehmen wir aber dessenungeachtet diese Grösse
‚ als Ausgangspunkt an, so entsprechen 472,5 Athemzüge jenen 31'/a
Minuten. Der Durchschnittswerth der beobachteten Herzschläge ist
44, mithin 1386 für dieselbe Zeitgrösse. Mehr als 1386 Herzschläge
54
und mehr als 472,5 Athemzüge sind daher nöthig gewesen, damit die
Ausathmungsluft unzweifelhaft nach Aether roch.
Ein Kaninchen von ungefähr 11/s Kilogramm Körpergewicht,
dem ein halber Cubikcentimeter Schwefeläther zur Zeit jenes Ver-
suches in den Mastdarm gespritzt worden, entleerte schon nach mehr
als 45 und nach weniger als 60 Secunden eine Athemluft, die um
Vieles stärker nach Aether roch als die des Murmelthieres 311/a Mi-
nuten nach der Einführung des Aethers. Berücksichtigten wir aber
auch diesen Unterschied nicht und gingen selbst von dem zu hohen
Werthe von einer Minute aus, so würde ein im Erwachen begriffenes
Murmelthier 311/s Mal so viel Zeit für die Aufsaugung des Aethers
im Mastdarme und die Abdunstung desselben in die Athemluft for-
dern, als ein ungefähr gleich schweres Kaninchen. Der wahre Werth
wird natürlich viel grösser ausfallen. Der Aether bildete kein Betäu-
bungs-, sondern ein Erweckungsmittel des erstarrten Murmelthieres.
Hätte es aber den Schlaf desselben nicht gestört, so würde wahr-
scheinlich jener verhältnissmässige Zeitwerth noch beträchtlich ge-
wachsen sein.
XLIV. — 10. April. — Das Murmelthier E, das 1692,8 Grm. un-
mittelbar vor dem Beginn des Versuches wog, schlief so leise, dass es
sich oft von selbst, immer aber nach Berührungen träge bewegte.
Um 3 Uhr 35 Minuten. Einen halben Cubikcentimeter Schwefel-
äther in den Mastdarm gespritzt.
3 U. 37 M. 12 Athemzüge in 1 Minute.
3 U. 37'/a M. Keine Spur von Aethergeruch der Athemluft.
3 U. 38 bis 39 M. 44 Herzschläge in 1 M.
3 U. 41 bis 42 M. 10 Athemzüge in 1 M.
3 U. 421/; M. Keine Spur von Aethergeruch der Ausathmungsluft.
3 U. 431/3 M. Muskelbewegungen am Halse, die ungefähr 2 Mi- |
nuten anhalten und dann völlig verschwinden.
3 U.47 M. Das Thier streckt sich von selbst.
3 U. 471/a M. Spur von Aethergeruch des Athems.
3 U. 48 M. Das Thier öffnet die Augen und schliesst sie später
wieder.
55
3 UT. 49 bis 50 M. 12 bis 13 Athemzüge in 1 M.
3 U. 50 M. Der Aethergeruch des Athems etwas deutlicher als
früher, obgleich immer noch schwach.
3 U. 53 M. Aethergeruch eher geringer, denn stärker.
3 U. 56 bis 57 M. 15 Athemzüge in 1 M.
3 U. 58 M. Aethergeruch der Athemluft wieder etwas stärker
als früher, obgleich immer noch schwach.
3 U. 59 M. Das Thier dreht sich und macht Versuche, sich auf
den Vorderbeinen aufzustellen.
4 U.2 M. Das Murmelthier erwacht immer mehr. Der Aether-
geruch noch unbedeutend.
4 U.3 M. 17 Athemzüge in 1 M.
4 U.5 M. Deutlicher aber immer noch schwacher Aethergeruch.
4 U. 11 M. 14 Athemzüge in 1 M.
4 U. 12 M. Schwacher ununterbrochener Aethergeruch der
Athemluft.
4 U. 17 M. 80 Herzschläge in 1 M.
4 U. 18 M. 21 Athemzüge in 1 M. Das Thhier hebt sich empor,
wendet sich und ist überhaupt halbwach.
4 U. 19 M. Ununterbrochener schwacher Aethergeruch der
Athemluft.
4 U. 22 M. 25 Athemzüge in 1 M.
4 U. 23M. Der Athem des Thieres, das jetzt auf den vier
Füssen steht, riecht nur noch schwach nach Aether.
4 U. 30 M. 21 Athemzüge in 1 M. Das halbwache Thier macht.
selbstständige Bewegungen.
4 U. 31 M. Immer noch schwacher Aethergeruch des Athems
Das auf den Boden gesetzte T’hier schleppt sich langsam, aber in
weiter Strecke mit geschlossenen Augen vorwärts.
4 U.38 M. Das Thier vollkommen wach. Die Athemluft riecht
erst jetzt so stark nach Aether, wie etwa eine Minute nach der'Ein-
spritzung im Kaninchen.
Obgleich wir es hier mit einem Anfangs leise schlafenden und
später immer mehr erwachenden Thiere zu thun hatten, so stossen
56
wir doch auf einen ausserordentlich langsamen Uebergang der Aether-
dämpfe in die Athemluft. Das Thier, das am folgenden Tage noch
wach war, hatte dann keinen deutlichen Aethergeruch in seinem
Athem.
XLV. — 10. April. — Das Murmelthier G, das fester schlief
und 1364,0 Grm. wog, diente zu diesem Versuche.
3 U. 26 M. Ein halber Cubikcentimeter Schwefeläther in den
Mastdarm gespritzt.
3 U. 281/;, M. 3 Athemzüge in 1 M. mit zwei Pausen von un-
gefähr je 5 Secunden nach je 4 Athemzügen.
3 U. 29 M. 12 Herzschläge in 1 M.
3 U. 30 M. Keine Spur von Aethergeruch der Athemluft.
3 U. 34 M. Desgleichen.
3 U. 39 M. 7 Athemzüge in 1 M.
3 U.41 M. Keine Spur von Aethergeruch des Athems.
3 U. 45 M. 6 Athemzüge in 1 M.
3 U. 461/g M. Keine Spur von Aethergeruch.
3 U. 51 M. Desgleichen.
3 U. 52 M. 9 Herzschläge in 1 M. Eine verhältnissmässig nicht
unbedeutende Blutung stellt sich nach dem Herausziehen der Explo-
rationsnadel ein.
3 U.55 M. 7 bis 8 Athemzüge m 1 M.
3 U. 56 M. Keine Spur von Aethergeruch des Athems.
3 U. 59 M. 6 Athemzüge in 1 M.
4 U. 1 M. Keine Spur von Aethergeruch. )
4 U.6M. 1 Athemzug in iM. |
4 U.7 M. 5 Athemzüge in 1 M.
4 U.8M. 8 Herzschläge in 1 M.
4 U. 9 M. Scheinbar momentan eine Spur von Aethergeruch
in der Athemluft. |
4 U. 10 M. Wieder keine Spur von Aethergeruch. |
4 U. 13 M. 5 Athemzüge m 1 M.
4 U. 14 M. Keine deutliche Spur von Aethergeruch.
4 U. 19 M. 5 Athemzüge in 1 M.
57
4 U. 21 M. Keine oder höchstens eine augenblickliche Spur
von Aethergeruch.
4 U. 25 M. 4 bis 5 Athemzüge in 1 M.
4 U. 26 M. Spur von Aethergeruch im Augenblicke der Aus-
athmung. In der Zwischenzeit dagegen ist auch nicht der aller-
schwächste Geruch nach Aether wahrzunehmen.
4 U. 38 M. 2 Athemzüge nm IM.
4 U. 41 M. Deutlicher schwacher Aethergeruch im Augenblicke
der Ausatımung. Sonst keine Spur desselben.
5 U.1M. 1 Athemzug in 1 M.
5 U. 2 M. Schwacher Aethergeruch bei jeder Ausathmung, in
der Zwischenzeit aber kann nicht das Geringste von Aethergeruch
wahrgenommen werden.
6 U. 22 M. Kein Athemzug in 1 M.
6 U.23 M. 1 Athemzug in IM.
6 U.25 M. 6 bis 8 Herzschläge in 1 M.
6 U. 26 M. Verhältnissmässig stärkerer Aethergeruch während
und unmittelbar nach der Ausathmung. Sonst dagegen war auch
nicht eine Spur von Aethergeruch zu erkennen.
Das Gleiche zeigte sich auch noch am folgenden Tage 22 Stun-
den nach der Aethereinspritzung. Man hatte dann 2 bis 8 Athemzüge
und 12 Herzschläge in der Minute.
Dieser Versuch zeichnet sich vor den beiden übrigen in doppelter
Hinsicht aus. Die unbedeutende Menge des eingeführten Aethers
regte zwar das fester schlafende Thier in der ersten Zeit in geringem
Maasse auf. Diese Wirkung verschwand aber später, so dass ein
stärkerer Erstarrungsgrad zurückkehrte. Der Austritt der Aether-
dämpfe war unter diesen Verhältnissen nach 22 Stunden noch be-
trächtlich schwächer, als in einem ungefähr gleich schweren Kanin-
chen nach 45 Seeunden. Nimmt man auch nur 4 Athemzüge und
10 Herzschläge als ungefähre Durchschnittswerthe für die Minute an,
so waren 6600 Athemzüge und 13,200 Herzschläge innerhalb jenes
Zeitraumes vorgekommen.
Allgemeine Betrachtung.
Die mitgetheilten Versuche erweisen eine Passivität der Stoffauf-
nahme während des Winterschlafes der Murmelthiere, wie sie bis
jetzt meines Wissens bei keinem anderen Geschöpfe beobachtet wor-
den. Betrachten wir die Einzelheiten, um diesen Ausspruch näher
zu erhärten.
Manche Körper, wie die Platten des geronnenen Hühnereiweisses
(Versuch I. I. III), die Proben des Fleisches (Vers. IV. V.? IV.),
der Kartoffel (Vers. IX. X. XI.), des Brodes (Vers. XV.), des Ar-
rowroots (Vers, XVIL.) und des Eigelbes (Vers. XXIX.) zeigten
zwar eine sehr geringe Massenabnahme. Sie rührte aber nur von
der Abbröckelung bei dem Eigelbe und dem Arrowroot her und war
bei dem Eiweiss, der Kartoffel und dem Brode wahrscheinlicher
Weise bloss durch den Unterschied der Versuchskörper von der dem
Vergleiche zu Grunde gelegten Normalprobe begründet. Die fehlen-
den absoluten Mengen blieben übrigens selbst nach dreitägigem Auf-
enthalte in der Mundhöhle des erstarrten Thieres (Vers. X. XI.) so
klein, dass eine mit Sicherheit annehmbare merkliche Aufnahme kei-
nesfalls hervorleuchtet. Das Fleisch verlor etwas dadurch, dass sich
ein Theil seines Farbestoffes in den Mundflüssigkeiten löste.
Andere Probemassen, wie Leim (Versuch VII. VIII), Brod (Vers.
XII), Kleister (Vers. XIX. XX. XL) und Eigelb (Vers. XXVIIL)
gewannen bisweilen geringe Mengen ihrer dichten Verbindungen. Die
Flüssigkeiten der Mundhöhle traten hier zu dem unveränderten Kör-
per oder reichten zur Hypercompensation einer etwa aufgelösten mi-
nimalen Menge hin. Einer der mit Leim angestellten Versuche (VII)
lehrt am besten, welche kleine Quantitäten in dieser Hinsicht in Be-
tracht kommen. Ein 15 Mm. langes und 10 Mm. breites Leimstück,
das 0,050 Grm. wog, konnte sein Gewicht nur um 0,035 Grm., seine
Länge um 1 und seine Breite um 1,5 Mm. in 72 Stunden vergrössern.
Brod lieferte ein Mal (Vers. XII.) weder eine Zu- noch eine
Abnahme des festen Rückstandes. Sehr geringe Schwankungen, die
auf Beständigkeit zurückschliessen lassen, gaben die Fettbestimmungen
59
des Eigelbes (Vers. XXVII. XXIX.). Die durch Karmin erzeugte
Farbe des Leimes hatte nicht sichtlich gelitten, wenn selbst der Leim
drei Tage lang in der Mundhöhle gelegen.
Die festen bisher erwähnten Prüfungskörper erlitten ein doppel-
tes Schicksal, wenn man den frischen Zustand derselben am Ende
des Versuches vergleichend betrachtet. Die einen, wie Leim (Vers.
VI VIII), Brod (Vers. XTI XIH.), Arrowroot (Vers. XVI. XVII.
XVII) und Kleister (Vers XIX. XX. XXL), die wegen ihrer Pul-
verform oder ihrer chemischen Beschaffenheit hygroskopisch sind,
wurden schwerer herausgenommen, als man sie hineingethan hatte.
Der Unterschied erreichte verhältnissmässig hohe Werthe im Leime.
Die Gewichtsvergrösserung betrug nämlich das eine Mal (Vers. VIII)
33,4°/, im Verlaufe von drei Tagen und das andere Mal (Vers. VII.)
40°/, in 24 Stunden. Die Feuchtigkeitsmenge, die gerade in der
Mundhöhle vorräthig war, übte natürlich hierbei einen wesentlichen
Einfluss aus.
Eine zweite Gruppe von Körpern, wie das geronnene Hühner-
eiweiss (Vers. I. II. II., die halb erhärtete Linse des Kalbes (Vers.
IL), das Fleisch (Vers. IV. V. VI.), die Kartoffelstücke (Vers. IX.
X. XL) und Brod (Vers. XII. XV.) trockneten in der Mundhöhle
mehr oder minder aus. Wer die geringen Feuchtigkeitsmengen der
letzteren während der tiefsten Erstarrungszeit aus eigener Anschauung
kennt, den wird dieses Ergebniss nicht befremden.
Leicht lösliche Körper, wie Rohrzucker, schmelzen zwar in der
Mundhöhle oder in dem Mastdarme der erstarrten Murmelthiere,
aber in so unbedeutenden Quantitäten, dass diese selbst dem, der mit
den Erstarrungserscheinungen vertraut ist, auffallen müssen. Stel-
len wir uns die hierher gehörenden Zahlen tabellarisch zusammen,
so haben wir:
Zuckermenge in Gramm. A n Deu
Verzich Einverleibungs- des
DE ee ein ae stelle. Aufenthaltes
Eingeführt. | Aufgelöst. in 18tandant
xxum. | 0678. 0,244. | | 2.
XXIII 0,363. 0,334. | | 24.
XXIV. 0,853. 0,630. | Mundhöhle. | 24.
XXV. 0,342, 0,327, 48.
xXVI. 0,772. 0,584. | 24,
XXVII. 0,118. 0,080. | Mastdarm 24.
Die Quantität des aufgelösten Zuckers hängt natürlich von der
Summe der am Anfange des Versuches vorhandenen und der wäh-
rend desselben etwa abgesonderten Mundflüssigkeiten ab. Jene erstere
Grösse wird aber z. B. beträchtlicher ausfallen, wenn das Thier un-
mittelbar vorher gewacht hat oder Reizungen der Gebilde der Mund-
höhle stattgefunden haben. Unruhiger Schlaf kann den zweiten
Factor, obgleich nur in mässigem Grade, erhöhen. Die Minimal-
menge des aufgelösten Zuckers wird daher das meiste Interesse
in Anspruch nehmen. Wir haben sie in dem XXV. Ver-
suche, in welchem nur 0,327 Grm. von 0,542 Grm. eingeführten
Zuckers in 48 Stunden gelöst wurden. Da aber 0,336 Grm. Rohr-
zucker in der keineswegs auffallend feuchten Mundhöhle des todten
Kaninchens in weniger als 24 Stunden verschwunden waren, so sieht
man, dass in dieser Hinsicht der Leichnahm besser arbeitete, als das
erstarrte Murmelthier.
Es lässt sich von vorn herein erwarten, dass dieses keinen
Zucker aus Stärkmehl in seiner Mundhöhle erzeugen wird. Die Be-
obachtungen, die an dem Brode (Vers. XI. XII. XTV.), dem Arrow-
root (Vers. XVI. XVII. XVII.) und dem Kleister angestellt wurden,
bestätigen jene Vermuthung. Wir haben schon früher gesehen, dass
der eine Fall von scheinbarer Zunahme des Zuckergehaltes des Bro-
des (Vers. XV.) zu keinem sicheren Schlusse berechtigt.
Die mit dem Kochsalze angestellten Untersuchungen (Vers.
XXXIMN. XXXIV. und XXXV.) lehren, dass schon kleine Mengen
61
dieser Verbindung, welche durch die Mundflüssigkeiten gelöst wurden,
hinreichten, die Thiere in kurzer Zeit vollständig zu wecken und
wahrscheinlich des unangenehmen Geschmackes wegen sehr reizbar
zu‘ machen. Beträchtliche Mengen wurden nicht aufgesogen oder
verschluckt, denn der spätere Harn führt keine übermässige Quantität
von Chlornatrium.
Die Aetherbeobachtungen gehören zu den belehrendsten der
| ganzen Studienreihe. Wir sehen zunächst, dass der Aether hier nicht
‚ als Betäubungs-, sondern als Erregungsmittel wirkte, zwei nicht sehr
' fest schlafende Thiere weckte (Vers. XLIII. und XLIV.) und eines,
| das sich in tiefer Erstarrung befand, wenigstens vorübergehend reizte.
Die Dämpfe des Schwefeläthers gehen zwar in die Athemluft über.
' Man muss aber in dieser Hinsicht vier Stufen unterscheiden, nämlich:
| 1) Der schwache Aethergeruch der Athemluft tritt nur augen-
‚ blieklich auf. Er hält kaum während der Dauer einer Ausathmung
' an, fehlt aber in der Zwischenzeit gänzlich und lässt sich selbst wäh-
rend einzelner Ausathmungen nicht beobachten.
2) Es zeigt sich nicht bloss im Augenblicke der Ausathmung,
sondern auch noch einige Secunden nach dem Schlusse derselben,
fehlt dagegen gänzlich während der übrigen Pausenzeit.
3) Ein schwacher Aethergeruch ist anhaltend vorhanden. Er ver-
| stärkt sich bisweilen während der Ausathmung.
| 4) Man hat immer einen starken Aethergeruch, wenn man die
| Gegend der Nasenlöcher und der Mundspalte prüft.
Diese vierte und höchste Stufe wird in ungefähr 45 Secunden
| im-Kaninchen erreicht ‚ wenn ein halber Cubikcentimeter Schwefel-
äther in den Mastdarm gespritzt worden. Da die mittlere Kreislaufs-
dauer dieses Thieres 7,46 Secunden nach Vierordt*) beträgt, so wird
das erste Stadium schon nach einer verhältnissmässig kleinen Zahl
von Secunden eintreten. Sehen wir nun, wie sich in dieser Hinsicht
| die Murmelthiere verhielten.
*) C. Vierordt, die Erscheinungen und Gesetze der Siromgeschwindigkeiten
des Blutes. Nach Versuchen. Frankfurt a. M. 1858. 80. 8. 128.
62
Das Thier & (Vers. XLV.), dessen fester Schlaf nur unbedeutend
und vorübergehend durch die Aethereinspritzung gestört worden,
kam gar nicht über die zweite Stufe nach drei Stunden und selbst
am folgenden Tage hinaus. Was im Kaninchen in weniger als 3/x
Minuten erreicht wird, konnte hier überhaupt nicht gewonnen wer-
den. Es dauerte selbst mehr als 21/2 Stunden, ehe nur die erste
Stufe in die zweite überging. Das Thier G befand sich noch nicht
in dem festesten Erstarrungszustande. Ich zweifele daher nicht, dass
die Ergebnisse, die es lieferte, immer noch dem möglichen Maximum
beträchtlich fern liegen.
Die beiden anderen Murmelthiere E und F (Vers. XLIII und
XLIV) lieferten erst dann eine dem Kaninchen vergleichbare Ab-
dunstungsmenge der Aetherdämpfe, als sie vollständig erwacht waren.
Der schlaftrunkene Zustand und das Halbwachen blieben in dieser
Hinsicht immer noch beträchtlich zurück. Dieser Umstand bestätigt
daher mittelbar, was das fester schlafende Thier gelehrt hat.
Betrachten wir den Hergang genauer, so dunstet während der
ersten Stufe so wenig Aether in den Lungen ab, dass nur die Luft
die unmittelbar mit der Athmung ausgetrieben wird, eine gewisse
Menge von Aetherdämpfen führt. Der schwache, rasch vorüber-
gehende Geruch, der Umstand, dass er im ersten Anfange und nur
in einzelnen Ausathmungen vorhanden ist, in anderen dagegen man-
gelt oder zu mangeln scheint, lässt den Gedanken aufkommen,
dass vielleicht die Ausathmungsgase zuerst nicht ganz vollständig
mit Aetherdämpfen gesättigt sind. Wenn der Aethergeruch noch
einige Secunden nach dem Ende der Ausathmung in der zweiten
Stufe anhält, dann aber für die übrige Zeit der Ruhepause schwindet,
so heisst dieses, dass sich ein Diffusionsstrom zwischen der mit Aether-
dämpfen versehenen Athmungsluft und der umgebenden Athmosphäre
eine nur kure Zeit einleiten kann. Die dritte Stufe charakterisirt
sich durch die Continuität der Diffusionsverbreitung, bis endlich in
der vierten beträchtliche Mengen von Aetherdämpfen durch die Aus- |
athmung unmittelbar und in der übrigen Zeit auf dem Diffusions-
wege hervortreten. Wir können hiernach den Satz aufstellen, dass
63
es der feste Winterschlaf der Murmelthiere zu keinem continuirlichen
Diffusionsstrome der Atherdämpfe selbst nach vielen Stunden bringt,
wenn geringe Mengen von Aether, z. B. 0,5 C.C., in den Mastdarm
eingeführt worden. Weniger als 10 Seeunden bringen ihn aber wahr-
scheinlich im Kaninchen hervor.
Stellen wir uns endlich noch die seit der Einspritzung des Aethers
verflossenen Zeiten, nach denen die erste zweifelhafte Spur des
Aethergeruches während der Ausathmung auftrat, übersichtlich zu-
sammen, so haben wir:
Murmelthier. Zeit in Minuten. | Erstarrungszustand
E. (Vers. XLIV.) 12,5. Halbwach.
F. (Vers. XLIII.) 20,5. Sehr leiser Schlaf
G. (Vers. XLV.) 43,0. Ziemlich fester Schlaf.
Verhielte sich Alles wie in wachen Geschöpfen, so würde der
endosmotische Uebertritt des Aethers durch die Gewebe des Mast-
darmes, der Blutgefässwände und der Lungenhäute eine so kurze
Zeit fordern, dass man ihn als instantan betrachten könnte. Es unter-
läge dann keinem Zweifel, dass der vorzugsweise von der Grösse
der Kreislaufsdauer abhängige Werth, den G geliefert hat, mehrere
hundert Male höher als die entsprechende Zahl im Kaninchen aus-
fallen würde, wenn beide sich unmittelbar auf dem Erfahrungswege
vergleichen liessen.
Die rein negativen Ergebnisse, zu denen das Blutlaugensalz für
das Blut (Vers. XXX. XXXI. XXXII) und der Schwefelwasserstoff
(Vers. XXXVI. XXXVIL), das Tellur (Vers. XXXVIII.), das neu-
trale tellurigsauere Kali (Vers. XLI.), das Selen (Vers. XXXIX. XL.)
und der Stinkasand (Vers. XLII.) für die Athemluft führten, scheinen
sich aus der blossen Länge der Kreislaufsdauer nicht erklären zu
\ können. Es liegt daher die Vermuthung nahe, dass die Gewebe selbst
der Durchdringung wenigstens eines Theiles jener Körper grössere
Schwierigkeiten entgegensetzten. Dasselbe wird auch durch die Acther-
64
beobachtungen angedeutet, wenn man die grosse Menge der Athem-
züge und der Herzschläge der Zwischenzeit in Betracht zieht. Am
Entscheidendsten sind aber in dieser Hinsicht die Zuckerversuche.
Während die Zuckerlösung des todten Kaninchens endosmotisch in
24 Stunden gänzlich eingesogen wurde, so dass die Oberfläche der
Zunge nicht süss schmeckte, blieb die Solution Tage lang im Munde
der fest schlafenden Murmelthiere und verrieth die ganze Zeit ihren
beträchtlichen Zuckergehalt durch ihren hohen Grad von Klebrigkeit.
Ihr stark süsser Geschmack lässt schliessen, dass sie mehr als 2,4%/,
Zucker führte*).
Das Unsichere, das allen aus negativen Ergebnissen gezogenen
Schlüssen anhaftet, und die Unmöglichkeit der näheren befriedigenden
Prüfung auf dem so schlüpferigen Gebiete der Endosmosebeobach-
tungen, hindern natürlich, jenen Gedanken näher zu begründen. Nehmen
wir aber vorläufig an, dass der Diffusionscoefficient für bestimmte tropf-
bar flüssige Verbindungen herabgesetzt ist, so liesse sich hieraus
vielleicht Manches erklären.
Einzelne Murmelthiere, die ich zu meinen Untersuchungen be-
nutzte, assen reichliche Futtermengen nach dem Erwachen im Früh‘
jahre, schliefen hierauf an kalten regnerischen Tagen von Neuem ein
und gingen bisweilen später nach abermaligem Erwachen und er-
neuerter Futtereinnahme zu Grunde. Die Leichnahme zeigten die
Merkmale des Inanitionstodes, so weit sie sich überhaupt nachweisen
lassen. Das Gleiche wiederholt sich am Ende in hungernden wachen
Geschöpfen. Hat ein Mensch oder ein Thier lange Zeit gefastet, so
wird die Einnahme reichlicher Mengen von Nahrungsmitteln keine
rasche Wiederherstellung, sondern eher Gefahren herbeiführen. Nur
eine allmälige und vorsichtige Steigerung der Einfuhr kann das
frühere Gleichgewicht wiederherstellen. Sollte dieses nicht eben mit
dem durch die Beschaffenheit der Gewebe bedingte Factor der Ab-
sorptionscoöfficienten zusammenhängen ?
*) Lehrbuch der Physiologie. Zweite Auflage. Bd. II. Abth. 2. 8. 301.
IM.
Ideen zu einer Lehre vom Zeitsinn.
Von
Joh. Gzermak *).
Der Begriff der Geschwindigkeit ist bisher noch fast gar nicht
, in das Gebiet der physiologischen Untersuchung gezogen worden-
‚ obschon es keinem Zweifel unterliegt, dass wir nicht bloss das räum-
liche Nebeneinander, die Grösse und die Bewegungen der Gegen-
stände, sondern auch den Grad der Geschwindigkeit dieser letzteren
geradezu sinnlich wahrnehmen **).
Zur völlig befriedigenden Ausfüllung dieser fühlbaren Lücke in
der Lehre von dem Mechanismus unseres sinnlichen Wahrnehmungs-
vermögens müsste jedoch die physiologische Experimental-Unter-
suchung über die sinnliche Wahrnehmung von Geschwindigkeiten,
ganz allgemein gehalten, d. h. auf den Zeitsinn als einen neu zu
' ‚definirenden „Generalsinn“ im Sinne Weber’s **) ausgedehnt
werden.
*) Aus dem Aprilhefte des Jahrganges 1857 der Sitzungsberichte der mathema-
tisch-naturwissenschaftlichen Klasse der kaiserlichen Akademie der Wissen-
schaften vom Herrn Verfasser mitgetheilt.
*##) Vergl. Ludwig, Lehrbuch der Physiologie. Bd. I, pag. 259.
###) Vergl. E. H. Weber. »Ueber den Raumsinn« in den Berichten der königl.
sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften, 1852, pag. 85—87.
Moleschott, Untersuchungen. V. 5
66
Als elassisches Vorbild einer solchen Experimental-Untersuchung
würde ich E.H. Weber’sallbekannte und anerkannte Untersuchungen
über den Raumsinn... ete. bezeichnen, und hätte auch schon längst
die Absicht, den Zeitsinn in ähnlicher Weise physiologisch zu
bearbeiten, wie Weber den Raumsinn, auszuführen versucht, wenn
ich nicht durch mancherlei ungünstige äussere Umstände daran ver-
hindert worden wäre und noch verhindert würde.
Wenn ich mir nun nichtsdestoweniger erlaube, die vorliegenden
Andeutungen zu veröffentlichen, so finde ich dafür nur darin eine
Entschuldigung, dass die mitzutheilenden Gedanken, Versuche und
Vorschläge zu Versuchen, so fragmentarisch dieselben auch sind,
wohl im Stande sein dürften, andere Fachgenossen zur Untersuchung,
des anziehenden, bisher ausschliesslich von Philosophen und Psycho-
logen berührten Gegenstandes anzuregen.
Es handelt sich hier natürlich nicht um die metaphysische oder
psychologische Erklärung der Fähigkeit, Zeitvorstellungen überhaupt
zu bilden, sondern einfach um die physiologischen Bedingun-
gen: der, Wahrnehmungen objeetiver Zeitverhältnisse, und nur miss-
verständlich könnten bei dieser Gelegenheit Grenzstreitigkeiten zwi-
schen der Psychologie und der Physiologie entstehen!
1. Wie sich der Raumsinn dadurch bethätigt, dass wir, gezwun-
gen sind, gewisse Sinneseindrücke räumlich gesondert vorzustellen,
so bethätigt sich der Zeitsinn dadurch, dass wir unsere Empfindungen
auch zeitlich aus einander zu halten vermögen.
Während aber bekanntlich nur einige Sinne die Fähigkeit haben,
räumliche Anschauungen zwingend zu veranlassen, dürfte die
Auffassung, der zeitlichen Verhältnisse der Eindrücke im Allgemeinen
wohl durch alle Empfindungsorgane vermittelt werden können.
Der Zeitsinn scheint also eine viel grössere Verbreitung zu
haben als der Raumsinn, und daher mit doppeltem Bechte die
Bezeichnung eines „Generalsinnes“ zu verdienen.
2.E. H, Weber hat durch genaue Messungen nachgewiesen,
dass in den verschiedenen, mit Raumsinn begabten Organen, ja selbst
in den verschiedenen Regionen derselben Organe, die Schärfe odei
67
die. Feinheit, mit welcher Eindrücke ‚räumlich gesondert werden
können, sehr verschieden sei, das diese Feinheit des Raumsinnes
überall eine bestimmte untere Grenze habe, d.h. endlich (und
nicht wie die abstracte Raumvorstellung unendlich) sei, ferner dass
dieseibe objeetive Raumgrösse, z. B. die Distanz zweier Punkte, dem
stumpferen Organe gar nicht oder kleiner, dem schärferen aber
grösser erscheine, u. dgl. m.
In allen diesen Beziehungen wäre nun auch der Zeitsinn zu
untersuchen,
Aehnlich wie der Grad der Feinheit des Raumsinnes durch die
‚kleinste noch walhrmehmbare Distanz zweier gleichzeitiger und
ungleichzeitiger Eindrücke gemessen wird *), würde der Grad der
Feinheit des Zeitsinnes in dem kleinsten noch wahrnehmharen Zeit-
intervall zwischen zwei auf denselben Punkt und auf räumlich ver-
schiedene Punkte eines Empfindungsorgans gemachte Eindrücke
einen exacten Ausdruck finden.
Zur Ausführuug solcher Versuche wäre nur die Herstellung, eines
‚einfachen Instrumentes nothwendig, durch welches man mit bekann-
ter beliebig veränderlicher Geschwindigkeit eine Reihe von Ein-
drücken auf die Empfindungsorgane hervorbringen könnte.
Dass sich auf diese Weise in verschiedenen Organen in der
That verschiedene Grenzen und Abstufungen der Feinheit des Wahr-
nehmungsvermögens für Zeitintervalle werden nachweisen lassen,
unterliegt wohl kaum einem Zweifel, denn erstens hat diese
-Vermuthung die Analogie der überraschenden Verhältnisse des
Raumsinnes für sich, und zweitens lehrt die Erfahrung, dass die
‚Schnelligkeit der Succession von Impulsen bestimmte Maxima nicht
überschreiten darf, wenn die einzelnen Eindrücke noch zeitlich
unterschieden werden, und nicht verschmelzend, in eine einzige
Empfindung von anderer, oft specifisch verschiedener Qualität
umschlagen sollen. Ich erinnere an die Versuche Valentin’s über die
*) Czermak: Zur Lehre vom Raumsinn, in Moleschott's Untersuchungen zur
Nat. d, M. u, d. Th. Band I, Heft 2, pag. 195.
5*
68
Dauer der Nachwirkung von Tasteindrücken, an die Savart’schen
Zahnräder zur Hervorbringung von Tönen, u. s. w. *).
Die „Nachwirkungen“, welche bei dieser Auffassung in einem
neuen Lichte erscheinen, spielen unter den physiologischen Bedin-
gungen des Zeitsinnes eine ähnliche Rolle, wie, unter jenen des
Raumsinnes, die sogenannten physikalischen Zerstreuungskreise an
den Bildern auf Netzhaut und Haut **).
Wie sich jedoch nicht alle Abstufungen der Feinheit des Raum-
sinnes aus den physikalischen Zerstreuungskreisen erklären lassen,
ebenso wenig dürften auch die muthmasslichen Verschiedenheiten
der Feinheitsgrade des Zeitsinnes einfach nur auf die „Nachwirkun-
gen“ zurückzuführen sein.
In dieser Beziehung wäre es von besonderer Wichtigkeit zu
ermitteln, ob nicht etwa dasselbe objective Zeitintervall, durch ver-
schiedene Organe zur Wahrnehmung gebracht, verschieden lang
erscheine, und wie gross die Differenzen objectiver Zeitintervalle sein
müssen, wenn diese lezteren als verschieden erkannt werden
sollen, wobei die absoluten und relativen Grössen dieser Differenzen
zu berücksichtigen ***), und die einzelnen Organe hinsichtlich ihres
Auffassungsvermögens für dieselben objectiven Verhältnisse zu ver-
gleichen wären.
3. Die Unterscheidung der Länge der Zeitintervalle führt uns
auf den allgemeinen Begriff der Geschwindigkeit und auf den
speciellen Fall der Geschwindigkeit von Bewegungen im Raume,
von welchem ich bei der Entwickelung dieser Gedankenreihe ausge-
gangen war.
Die Geschwindigkeit einer gleichförmigen Bewegung, », lässt
sich bekanntlich durch den Quotient, den der Zahlenwerth des
*) Dass der Zeitsinn verschiedene Feinheitsgrade besitzen kann, beweist schon
die verschiedene Befähigung der einzelnen Individuen hinsichtlich des Tact-
haltens in der Musik,
*) Czermak a. a. O., pag. 191. — Weber, Müller’s Archiv, 1835, 8. 156.
*#+) Weber, Müller’s Archiv, 1835, 8. 158,
.
69
Weges r, durch jenen der zugehörigen Zeit t getheilt, giebt, =
ausdrücken und messen.
Es entsteht nun die Frage, ob diese Formel für den Mechanis-
mus der sinnlichen Wahrnehmung von Bewegungs-Geschwindig-
keiten (welche von der Wahrnehmung durch Reflexion wohl zu
unterscheiden ist) in der Art Geltung hat, dass uns eine Geschwin-
digkeit caeteris paribus um so grösser erscheinen wird, je grösser
der zurückgelegte Theil unseres subjeetiven Raumbildes ist, d. h. je
mehr Raumeinheiten oder „Empfindungskreise“ successive erregt
wurden, dass also die Seele behufs der Wahrnehmung und Unter-
scheidung von Geschwindigkeiten entweder die in der Zeiteinheit
zurückgelesten Wege durch den Raumsinn, oder die für die Raum-
einheit benöthigten Zeiten durch den Zeitsinn vergleicht; oder ob
nicht etwa die verschiedene Schnelligkeit der successiven Reizung
und die Zahl der innerhalb einer gegebenen Zeit gereizten sensiblen
Punkte einen besonderen, intensiven Erregungszustand setzt, welcher
die Seele unmittelbar zur Vorstellung einer bestimmten Geschwin-
digkeit nöthigt ?
Ehe an die Möglichkeit einer Entscheidung dieser schwierigen
und interessanten Frage gedacht werden kann, wird man zunächst
genauere Thatsachen über die wenig gekannten Wahrnehmungen von
Geschwindigkeiten räumlicher Bewegungen sammeln müssen; denn
die bekannte Beobachtung, dass wir uns die wahrgenommene Geschwin-
digkeit einer und derselben objeetiven Bewegung durch optische oder
perspectivische Vergrösserung oder Verkleinerung des durchlaufenen
Raumes beschleunigen oder verzögern können, betrifft eben nur eine
sogenannte Sinnestäuschung, die insofern keine Beziehung zu unserer
Frage hat, als in diesen Fällen die Geschwindigkeit des bewegten
Netzhautbildchens, welches ja das eigentliche Sehobjeet ist, in der
That nicht dieselbe bleibt.
Ich würde folgende, mitunter sehr delicate Versuchsreihen vor-
schlagen, welche, wenn auch nicht die Entscheidung jener Frage, so
doch ganz neue einschlägige Thatsachen liefern müssen.
70
a) Es wäre für jede einzelne der mit einem verschiedenen Fein-
heitsgrade des Raumsinnes begabten Regionen unserer "Sinnesor-
gane*) zu ermitteln, wie gross und wie klein die Geschwindigkeit
einer Bewegung im Raume sein darf, um überhaupt noch als solche
wahrgenommen zu werden (der langsam schleichende Stundenzeiger
einer Uhr scheint uns ganz still zu stehen) ; ferner
b) wie gross die Differenz zwischen den Geschwindigkeiten
zweier Bewegungen im Raume sein müsse, damit diese noch unter-
schieden werden können, wobei, wie oben, die absoluten sowohl, als
relativen Werthe dieser Differenzen zu berücksichtigen sind.
ec) Da wir bekanntlich die scheinbare Grösse eines gesehenen
Raumes, trotzdem dass sein Bild immer dieselbe Ausdehnung auf der
Retina behält, durch Veränderung des Convergenzwinkels der Augen-
axen ansehnlich verändern, vergrössern und verkleinern können, so
wäre es von Wichtigkeit zu untersuchen, ob sich die Geschwindigkeit
einer gesehenen Bewegung durch Veränderung des Convergenzwinkels
der Augenaxen subjecetiv vergrössern und verkleinern lasse, ohne
dass sich dabei die objectiven Verhältnisse ändern.
d) Endlich wäre festzustellen, wie uns die Geschwindigkeit einer
gesehenen oder gefühlten Bewegung erscheint, wenn wir sie auf Re-
gionen der Retina oder der Haut wahrnehmen, die verschiedene Fein-
heitsgrade des Raumsinnes besitzen.
Sollte die obige Formel = auch in subjecetiver Hinsicht volle
Geltung haben, so müsste uns offenbar dieselbe objeetive Bewegung,
je nachdem wir sie im directen oder indireeten Sehen, durch die
Haut der Fingerspitzen oder durch die Haut des Rückens wahrneh-
men, schneller oder langsamer erscheinen (wird z. B. der Secunden-
zeiger einer Taschenuhr bald im direeten, bald im indirecten Sehen
betrachtet, so erscheint mir und den meisten, die ich zur Wieder-
holung dieses Versuches aufforderte, die Bewegung des Zeigers im
*) Prof. Ludwig hat mich auf einige einschlägige Sehversuche älteren Datums
aufmerksam gemacht, welche in Valentin’s Physiologie, Bd. II, 8. 184, zu- |
sammengestellt sind.
71
ersten Falle rascher, im zweiten träger, was namentlich beim Ueber-
gang vom indireeten zum direcfen Sehen frappirt, ohne dass man
jedoch genau angeben könnte, wie dieser Unterschied zu Stande
kommt und ob dabei jene Formel o=— eine wesentliche Rolle
spiele); ferner müssten uns Bewegungen von verschiedener Geschwin-
digkeit auf stumpferen und feineren Stellen der Organe des Raum-
sinnes gleich schnell erscheinen, wenn sich ihre Geschwindigkeiten
umgekehrt wie die subjectiv wahrgenommenen durchlaufenen Wege
verhielten u. s. w.
Es ist jedoch fraglich, ob wir überhaupt so scharf unterscheiden.
dass diese Versuche möglich sind.
Uebrigens wäre zur Anstellung solcher Versuche ein besonderer
Apparat nothwendig, welcher mit beliebig veränderlicher Geschwin-
digkeit Linien von verschiedener Länge auf die Haut zeichnete.
Schon im vorigen Sommer, den ich in Wien zubrachte, hatte ich mir
einen passenden Mechanismus zu diesem Zwecke ersonnen, doch
brachte der Mechaniker leider nur ein verunglücktes Modell zu
Stande und so unterblieb die beabsichtigte Ausführung der Versuche.
Meine kurz darauf erfolgte Uebersetzung nach Krakau hat mir die
Möglichkeit zu diesen ausgedehnten Untersuchungen vollends geraubt,
weshalb ich mich vorläufig begnügen muss, mir die Priorität des
Gedankens zu wahren und gleichsam nur den Samen zu süen, damit
er wenigstens in fremdem Boden aufgehen und Früchte bringen
könne, falls ich selbst noch längere Zeit nicht in der Lage sein
sollte, das abgesteckte neue Feld zu bebauen.
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IV.
Beiträge zur Kenntniss der Beihülfe der Nerven zur Speichel-
secretion.
Von
Johann Czermak *)
(Mit 1 Tafel.)
Prof. Ludwig, der bekanntlich vor einigen Jahren die directe
Beihülfe gewisser Hirnnerven zur Speichelsecretion entdeckte**), hat
im vorigen Sommer gefunden, dass auch die Reizung des sympathi-
schen Astes der Gl. submaxillaris, ja des Halstheiles des Sympathi-
cus selbst die Speichelseeretion einleiten könne.
Ohne von dieser letzteren Thatsache etwas zu wissen, habe ich
im Jänner 1. J. unabhängig von Ludwig durch 9 Versuchsreihen
an Hunden, die ich mit meinem Assistenten Dr. G. v. Piotrowski
in dem unter meiner Leitung stehenden physiologischen Institute der
k. k. Jagell. Universität zu Krakau anstellte, den Einfluss der Rei-
zung des Sympathieus am Halse auf die Speichelseeretion constatirt,
aber die merkwürdige Wahrnehmung gemacht, dass die Reizung die-
ses Nervenstammes unter gewissen Umständen auch hemmend auf
den mächtigen Speichelstrom einwirken könne, der bekanntlich bei
*), Aus dem Junihefte des Jahrganges 1857 der Sitzungsberichte der mathema-
tisch-naturwissenschaftlichen Klasse der kaiserlichen Akademie der Wissen-
schaften vom Herrn Verfasser mitgetheilt.
**) Ludwig in der Mitth. der Zürich. naturf. Gesellsch. 1851,
74
der Erregung des Drüsenastes vom N. lingualis, aus der Gl. sub-
maxillaris hervorquillt.
Eine kurze Notiz über meinen unerwarteten Fund habe ich bei
der kais. Akademie der Wissenschaften in einem versiegelten Schrei-
ben, welches Prof. Brücke am 5. Februar l. J. zu überreichen so
gütig war, hinterlegt.
Jetzt stehe ich nicht mehr an, die vorläufigen Resultate meiner
Untersuchungen zu veröffentlichen, da ich während meines letzten
Aufenthaltes in Wien (Ostern 1857) im Laboratorium der k. k. Jo-
sephs-Akademie gemeinschaftlich mit Prof. Ludwig und vor Kurzem
auch wieder im Krakauer Institute mit Dr. von Piotrowski eine
neue Reihe von einschlägigen Versuchen angestellt habe, die zwar
noch lange nicht als abgeschlossen zu betrachten sind und mich des-
halb auch noch fortwährend beschäftigen, die aber doch schon keinen
Zweifel mehr übrig lassen, dass die aus irgend einem Grunde
im Gange befindliche Speichelsecretion aus der Gl. sub-
maxillaris beim Hunde durch elektrische Reizung des
Halstheiles des Sympathicus unter gewissen Umständen
in kurzer Zeit auffallend verlangsamt, ja selbst gänzlich
zum Stehen gebracht werden könne.
Hinsichtlich der Ausführung meiner letzten Versuche will ich
Folgendes bemerken :
In den Ausführungsgang der Gl. submaxillaris wird ein kleines
Röhrchen eingebunden, an welches eine längere graduirte Glasröhre
von der Dicke eines Gänsekieles leicht angesteckt werden kann.
An der Eintheilung dieser in fast horizontaler Richtung fixirten
Steigröhre kann man den jeweiligen Stand der Speichelsäule genau
ablesen. Ist die Steigröhre voll, so wird sie entfernt, entleert, und
wieder angesteckt.
Die Reizung der Nerven geschieht auf elektrischem Wege ver-
mittelst zweier von derselben Säule getriebener*) Du Bois’scher
*) Es versteht Sich von selbst, dass nur einer der Unterbrecher in 'Thätigkeit
belassen, der andere durch Herabdrehen der Stellschraube festgestellt wird,
75
Inductionsapparate, von denen der eine nur mit dem Drüsenaste des
N. lingualis, der andere nur mit dem Halstheile des Sympathicus
durch seinen Reizträger in Berührung ist.
Als Reizträger empfehlen sich bier (wie überall, wo es sich um
eine möglichst isolirte elektrische Reizung lebender Nerven handelt)
jene einfachen Apparate, welche neuerlich in Ludwig’s Laborato-
rium gebraucht werden.
Sie bestehen aus zwei Platindrähten, die auf einer biegsamen,
nicht leitenden, bandartigen Unterlage befestigt, bequem durch ange-
löthete durchbohrte Kupfereylinder mit den Leitungsdrähten des In-
ductionsapparates in Verbindung zu setzen sind. Sie haben den
grossen Vortheil, dass sie leicht unter dem eine kurze Strecke weit
frei präparirten Nerven durchgesteckt, dann umgebogen und sammt
dem von ihnen umgriffenen Nerven in die Tiefe der Wunde, welche
man schliesslich zunäht, zurückgeschoben werden können, so dass
die Nerven, vor schädlichen äusseren Einflüssen geschützt, unter mög-
lichst günstigen Bedingungen sich befinden, stundenlang ihre Erreg-
barkeit bewahren und unverrückt in der Oese zwischen den Platin-
drähten ruhen.
Behufs der raschen beliebigen Unterbrechung der Wirkung der
Inductionsapparate habe ich nach Pflüger’s Vorgang Nebenschlies-
sungen aus dickem Kupferdrath angebracht.
Die mit Glaspapier blank geriebenen Köpfe der Schrauben,
welche die Leitungsdrühte an die Inductionsrolle befestigen, steckten
nämlich in durchbohrten Korken und bildeten so den Boden kleiner
mit Hg. gefüllter Näpfchen, die dann nach Belieben durch einen
kurzen dicken Kupferdraht leitend verbunden werden konnten.
Ich habe mich überzeugt, dass wenn die Enden des als Neben-
schliessung gebrauchten Kupferdrathes in die Quecksilbernäpfehen
tauchen, auch der empfindlichste Froschschenkel keine Spur von
Wirkung in dem Kreise der Leitungsdrähte anzeigt, während dieselbe
sofort in beliebiger Stärke eintritt, sobald man den Kupferdraht aus
den Quecksilbernäpfehen heraushebt.
76
Auf diese Art konnte ich überaus bequem, sicher und schnell
bald beide Nerven zugleich, bald den einen oder ‘den anderen für
sich allein in Erregung versetzen oder alle Reizung unterbrechen,
ohne irgend eine Störung der Thätigkeit der Säule und der Induc-
tionsapparate, und ohne unipolare Wirkungen befürchten zu müssen.
Je nach der Stellung der beiden Inductionsrollen auf den Du
Bois’schen Schlitten konnten die beiden Nerven nach Belieben mit
gleicher oder verschiedener Intensität erregt werden. Es versteht
sich, dass die Wirkungen der Apparate bei gleicher und bei ver-
schiedener Stellung der Induetionsrollen vorher mit einander ver-
glichen werden müssen.
Ist alles in der angegebenen Weise vorgerichtet, so kann man
zu den Versuchen selbst schreiten, und einem Gehülfen, der die ab-
solute Zeit notirt, die gewählte Anordnung der Erregung und den
jeweiligen Stand der Speichelsäule dietiren.
Herr Dr. v. Piotrowski, der ein geübter Stenograph ist, hat
mir bei diesen Versuchen durch seine Geschicklichkeit und Gewissen-
haftigkeit im Notiren die wesentlichsten Dienste geleistet.
Indem ich zur Mittheilung der Resultate meiner Untersuchungen
übergehe, muss ich jedoch nochmals hervorheben, dass ich nur die
letzten Versuchsreihen in der skizzirten exacten Weise ausgeführt
habe, indem sich die Methode erst mit der öfteren Wiederholung der
Experimente so weit vervollkommnete.
1. Durch Reizung des N. Sympathicus am Halse, mag derselbe
undurchschnitten sein oder nach der Durchschneidung sein Kopfende
gereizt werden, ist es möglich, die Speichelsecretion aus der Gl. sub-
maxillaris einzuleiten.
In weitaus den meisten Fällen ist das Steigen der Speichelsäule
nur unbedeutend und hört dann auch fast immer schon nach sehr
kurzer Zeit, trotz fortdauernder Reizung, gänzlich oder fast gänzlich
auf, begimnt aber manchmal nach Unterbrechung der Reizung von
selbst wieder.
Nur bei einem einzigen Hunde veranlasste die Reizung des
Sympathieus wiederholt ein sehr beträchtliches continuirliches Steigen
77
der Speichelsäule, ähnlich wie die Reizung des Drüsenastes vom N.
lingualis.
Spätere Versuche werden die Bedingungen, unter welchen solche
scheinbare Ausnahmsfälle eintreten, zu ermitteln haben.
Bei der Reizung des Sympathicus erweitert sich zugleich, be-
kanntlich, die Pupille, und es gehen beide Erscheinungen (Pupillen-
erweiterung und Speichelsecretion) meist Hand in Hand, doch habe
ich mich überzeugt, dass zuweilen die eine ohne die andere auftritt.
2. Durch Reizung des Drüsenastes vom N. lingualis wird nach
Ludwig’s glänzender Entdeckung eine in der Regel überaus copiöse
Speichelabsonderung eingeleitet und die Flüssigkeit schreitet sehr
rasch und continuirlich in der graduirten Steigröhre fort, doch steigt
die Speichelsäule nicht immer mit gleichförmiger Geschwindigkeit,
sondern erfährt zuweilen eine beträchtliche Verlangsamung oder Be-
schleunigung ihrer Bewegung, was sich unmittelbar aus der Betrach-
tung einiger schon von Ludwig mitgetheilten Curven ergiebt.
Ludwig schob diese Unregelmässigkeiten auf die Mangelhaftig-
keit seiner damaligen Reizungsmethode. Meine weiter unten mitge-
theilten Erfahrungen scheinen jedoch ein ganz anderes Licht auf
diese Erscheinung zu werfen; namentlich da sich in jenem Drüsen-
aste von Lingualis auch sympathische Fäden, und in der Drüse selbst
Ganglienkugeln finden.
In seltenen Fällen erscheint die Speichelseeretion bei Reizung des
Drüsenastesvom N.lingualis auffallend gering, oder bleibt auch völlig aus.
Ein solcher Fall war es, der mich zur Entdeckung der „Hem-
mnungserscheinungen * bei Reizung des Sympathicus führte.
Ich hatte am 23. Jänner laufenden Jahres die gewöhnlichen Vor-
bereitungen zu den Versuchen über Speichelsecretion getroffen, hatte
aber den Versuch mit der Reizung des Sympathicus, statt wie sonst
mit der des Drüsenastes vom N. lingualis, begonnen und sah nun
zu meinem grossen Erstaunen, dass auf Reizung des Drüsenastes
vom N. lingualis, welche unmittelbar nach Unterbrechung der Sym-
patlieus-Reizung eingeleitet wurde, das Steigen der im Anfangstheile
der graduirten Röhre stockenden Speichelsäule gänzlich ausblieb.
78
Ich reizte,dann den Sympathieus und den Drüsenast vom Lin-
gualis wiederholt nach einander, doch ohne Erfolg, d. h. ohne ein
Steigen der Speichelsäule zu erzielen. Missmuthig, über dieses schein-
bare Misslingen des Versuches gab ich seine Fortsetzung, etwas über-
eilt, auf und verzeichnete denselben mit wenigen Worten als miss-
lungen in meinem Tagebuche. Später jedoch überlegte ich mir die
Sache genauer und kam sofort auf den Gedanken, ob nicht etwa die
wahrgenommene Hemmung: der Speichelsecretion einer durch die
vorangegangene ausgiebige Reizung des Sympathicus bewirkten Ver-
änderung des Kreislaufs, der Gefässe oder irgend welcher Drüsen-
oder Nervenelemente zuzuschreiben sei?
Ein zweiter in derselben Weise angestellter Versuch schien den
in mir aufgestiegenen Verdacht zu rechtfertigen.
Weitere Versuche widersprachen zwar meiner urprünglichen Ver-
muthung, allein die Unmöglichkeit einer irgendwie hemmenden
Wirkung des Sympathicus auf die Speichelseceretion war damit noch
nicht bewiesen.
Ich bin jetzt sehr zufrieden, dass ich mich durch diese negativen
Erfahrungen nicht gleich von der Verfolgung des einmal gefassten
Gedankens habe abschrecken lassen, da an meiner ersten Vermuthung
immerhin etwas Wahres bleibt und die Experimentalphysiologie
durch die sogleich mitzutheilenden Resultate meiner späteren Ver-
suche um eine sehr merkwürdige Thatsache bereichert wird.
3. Ich setzte meine Untersuchung, nachdem sie einmal aus dem
Stadium der beiläufigen Vorversuche herausgetreten war, in der Ab-
sicht fort, zunächst zu ermitteln, wie sich das Steigen der Speichel-
säule verhalte, während der Sympathieus und der Drüsenast vom
Lingualis zu gleicher Zeit gereizt werden.
In dieser Beziehung hat sich bei dem vorletzten und letzten
Hunde, von denen der erstere nur auf einer, der letztere aber auf
beiden Seiten operirt worden war, aus 18 hinter einander angestell-
ten Versuchen mit aller nur wünschenswerthen Sicherheit ergeben,
dass die Speichelsäule gleich beim Beginn der Reizung beider un-
durchschnittener, in ihren natürlichen Verbindungen belassenen Ner-
79
ven (der Sympathicus wurde stets: durch etwas stärkere elektrische
Ströme erregt als der Drüsenast des Lingualis), ‘oder doch bald nach
dem Beginne ‚der Reizung, mit sehr grosser, beschleunigter Geschwin-
digkeit zu steigen begann, aber schon nach 15—30 Sec. eine sehr
auffallende, rasch wachsende Verzögerung ihrer Bewegung erfuhr und
endlich in mehreren Fällen in gänzlichen Stillstand gerieth, wäh-
rend sie bei alleiniger Reizung. des Drüsenastes vom Lingualis
viellängere Zeit in mehr. oder weniger gleichmässigem
raschen Steigen verblieben wäre. (Vgl. Fig. 1 und 5 mit den
übrigen.) Wurde dann die Reizung beider Nerven unterbrochen, so
stellte sich als Nachwirkung (durch Reflex?) ein ganz allmäliges
Steigen der Speichelsäule ein.
Wurde nur die Reizung des Sympathieus. unterbrochen, so er-
gab die fortgesetzte Reizung des Drüsenastes des Lingualis meist eine
verhältnissmässig sehr geringe Wirkung, ja in einem Falle, wo in
Folge der Erregung beider Nerven nach der anfänglichen Beschleu-
nigung des Steigens der Speichelsäule endlich völliger Stillstand
derselben eingetreten war, blieb die Speichelsäule sogar während
einer über eine halbe Minute andauernden Reizung des Drüsenastes
vom Lingualis unverrückt stehen. (Siehe Fig. 2.) Dieser Fall
dürfte beitragen, jenen oben erwähnten, scheinbar misslungenen Ver-
such, der mich zu den vorliegenden Untersuchungen veranlasste, zu
erklären.
Die Wirkung der nach Unterbrechung der Reizung des Drüsen-
astes vom Lingualis fortgesetzten Sympathicus-Reizung ersieht man
aus Fig 2. In ähnlicher hemmender Weise wirkt die Sympa-
thieus-Reizung auch auf den Speichelstrom, der in Folge einer
Nachwirkung einer früheren Erregung aus der Drüse hervorquillt.
(Vgl. Fig. 3.)
Nach meiner unmassgeblichen Auffassung nun dürfte, wie gesagt,
in den von mir aufgefundenen Thatsachen eine neue Art von
„Hemmungserscheinung“ vorliegen, welche unverkennbar eine
gewisse Analogie hat mit der von Ed. Weber und J. Budge ent-
deckten Hemmung der Herzthätigkeit durch Reizung der Vagi, sowie
80
mit dem von Pflüger entdeckten Stillstehen der peristaltischen
Darmbewegungen in Folge einer Reizung der N. splanchniei, und
welche, wie es scheint (wenigstens zum Theil), unter dem Imperium
des sympathischen Nervensystems steht.
Im vorliegenden Falle sind die Verhältnisse offenbar noch viel
verwickelter, die Bedingungen der Erscheinung viel complexer als
bei der Hemmung der Herz- und Darmbewegungen, weshalb es
vorläufig bei der Mittheilung der nackten Thatsachen, welche mit
der Zeit wohl manchen erweiternden und beschränkenden Zuwachs
erhalten werden, sein Bewenden haben muss.
Schliesslich erlaube ich mir die letzte am 24. Mai 1. J. an einem
mittelgrossen, auf beiden Seiten operzrten männlichen Hunde, mit
aller Exactheit und Bequemlichkeit der oben skizzirten Beobachtungs-
methode angestellte Versuchsreihe in Extenso mitzutheilen.
A. Versuchsreihe auf der rechten Seite.
Es wurde mit der Reizung des Drüsenastes vom N. lingualis
begonnen um:
H | | Jeweiliger Stand der Speichelsäule an der Millimeter-
M 8. su
scale der Steigröhre.
10 30 870.240
= 31 15 0
Tr —— 30 10
== = 35 20
_ — 45 30
= 50 40
Ai 32 0 50
= — 12 60
= — 17 70
= _ 24 80
== —— 26 88
= = 29 90
= — 31 95
—. —— 35 | 100
— u 43 110
8
‚Nun ‘wurde die Reizung. unterbrochen, als Nachwirkung ergab
sich: :
Jeweiliger Stand der Speichelsäule an der Millimeter.
H. M. S. PER
scale der Steigröhre.
10 32 55 | 120
33 25 | 130
—_ 55 | 140
Die Steigröhre wurde entfernt, zum grössten Theil (bis auf
30 Mm.) entleert und wieder angesteckt. Es begann die gleichzeitige
Reizung des Drüsenastes vom Lingualis und des Sympathicus um:
ı0o | 3 | 10 | 30
a ER
—leiza 40
= ll laskıl' (60
= |. .29..|..80
— | '35..[ 90
— |’) 100
la | 108
36 5 | 110
= 1s0,, | 113
Jetzt stand die Speichelsäule still. Die Reizung des Sympathieus
wird unterbrochen um 10% 36” 50 , die fortgesetzte Reizung des
Drüsenastes vom Lingualis allein dauerte bis:
0 | 3 | 25 | 113
der Stand der Speichelsäule blieb derselbe. -Nach Unterbrechung der
Reizung des Drüsenastes vom Lingualis, also nach Unterbrechung
aller Reizung ergab sich als Nachwirkung:
10 37 45 114
38 10 | 115 (Schlingbewegung.)
ag! 86 | 120
44 | 20 123
Moleschott, Untersuchungen. V. 6
e
82
Nachdem Stillstand eingetreten war, wurden wieder beide Nerven
gleichzeitig gereizt um:
Stand der Speichelsäule.
130 (Durch Verrückung der Steigröhre.)
140
150
160
170
175
180
185
189
190
191
192
193
Die Reizung des Sympathieus wird unterbrochen. Die fort-
gesetzte Reizung des Drüsenastes vom Lingualis ergab:
10 43 16
25
194
195
196
197
198
199
200
201
202
203
204
206 Alle Reizung unterbrochen; Nachwirkung:
208 Stillstand; die Steigröhre wird entleert und dann wie-
der beide Nerven gereizt:
H. | M. | 8. | Stand der Speichelsäule.
47 4 40
= 15 41
= 30 41 Die Leitäng zum Drüsenast vom Lingualis unterbrochen,
der allein gereizte Sympathicus ergab:
10 47 45 42
48 0 42
_ 7 43 Alle Reizung unterbrochen um:
10 48 20 43 Nachwirkung:
48 25 44
_ 30 45
50 45 49
52 50 51
53 55 52
57 25 54 Stillstand; abermalige Reizung beider Nerven um:
10 58 35 54
— 45 60
_ 54 65
59 9 70
36 74 Schlingbewegung.
—_ 49 80
11 0 0 85
mit 13 90
= 27 93
— 36 95
— 55 99
1 0 100
_ 20 105
_ 33 106 Die Leitung zum Sympathieus unterbrochen: Reizung
des Drüsenastes vom Lingualis allein.
11 1 43 110
— 54 112
2 10 115
af 20 120
_ 28 121 Alle Reizung unterbrochen; Nachwirkung.
11 2 58 123
4 57 124
7 40 | 124 Stillstand; abermalige Reizung beider Nerven (mit
verstärkten elektrischen Strömen).
11 8 30 124 (Schlingbewegung).
_ 46 | 126 (Reizung noch mehr verstärkt).
9 25 126
55 127 (Stillstand).
B: Versuchsreihe auf der linken Seite. ——
Beide Nerven zu gleicher Zeit gereizt um:
H. | M. | 8. | Stand der Speichelsäule.
12 1 20 5
—_ 27 10
— 30 20
_ 33 30
— 35 40
= 40 45
— 44 50
— 49 52
= 55 54
2 0 55
— 6 56
= 17 60
— 30 61 Alle Reizung unterbrochen; Nachwirkung.
12 2 40 62
_ 50 63
3 25 66
Die Steigröbre wurde entleert und um 12% 4 Min. 20 Sec. wieder
angesteckt, so dass die Flüssigkeit in der Röhre 5 Millim. stand.
Nachwirkung dauert fort:
12 4 20 5
— 28 10
— 35 15
— 45 20
6 35
_ 15 40
= 23 45 Um:
12 3 40 55 wird der Sympathicus allein zu reizen begonnen:
12 —_ 48 58
_ 51 59
= 55 60
6 3 61
= «610% Yan6R
— 25 64. Sympathieusreizung unterbrochen, dafür begonnen um:
12 6 40 die! Reizung des Drüsenastes vom Lingualis,
12 6 45 65
= 47 66
H. | M. | S. | Stand der Speichelsäule.
55 80
7 0 85
u 5 90
—_ 10 95
_ 20 100 Alle Reizung unterbrochen; Nachwirkung:
12 7 30 105
_ 48 110
9 35 | 155 Nach theilweiser Entleerung der Steigröhre:
10 40 15
- 12; 30 35 Um:
12 13 12 40 beginnt abermals die gleichzeitige Reizung beider
Nerven:
12 13 17 50
» — 20 60
_ 22 70
_ 25 80
_ 27 85
= 30 90
_ 35 100
_ 38 107
_ 42 108
45 109
—_ 47 110
_ 51 112
14 0 113
—_ 10 | 115 Alle Reizung unterbrochen; Nachwirkung:
12 14 21 116
23 | 120 Abermalige gleichzeitige Reizung beider Nerven:
12 15 28 125
31 | 130
— | 3 | 135
— | 37 | 10
— | 389 |ı16
— | 44 | 150
— | ar | 155
— | 50 | 158
— | 53 | ıo
- | [1a
16 3 116
a
H | M. | S Stand der Speichelsäule.
_ 13 167 -
—_ 17 168 T
_ 25 169 i
= 36 170 Alle Reizung unterbrochen; Nachwirkung.
12 16 58 171 ' Die Steigröhre' wurde bis auf 7 Mm. die: Nach-
wirkung dauert fort.
12 17 38 Z
es 55 10 ‘
18 12 12
E= 30 14 Um: .
12 18 40 15 beginnt wieder gleichzeitig die Reizung beider Nerven:
12 18 44 20 öl 8
— 47 30
- |9|% i |
— een 50 |
= 53 60
= 55 70
; 59 80
19 10 100
19 20 104 .
> 26 | 105 Alle Reizung unterbrochen; Nachwirkung:
12 19 45 | 109
20 0 111 =
12 21 0 | 120 Steigröhre bis auf 8 Mm, entleert,
22 0 8 R |
12 == 5 10 Um: x
22 30 "14 \begann "'abermäls die ‘gleichzeitige Reizung beider
Nerven. ß . eı
12 22 40 15
= 1046 800 |
= 48 | 40 = |
= 51 60 . 5 |
== 55 70
— 57 75 =
23 0 80
— 5 85
= 12 88
= 16 89 Bi |
— 23 90
= 30 92 |
— 36 93
_ 42 94
837
EEE EEE DEE ES TUE CoweBerr Don PO EEE VER POS OU SS BEIGE EICENEETERBERERESESERERE ORT POBEeIgZETSCPE BRUTTO PoBGBBE TEE rn
H. M. S. Stand der Speichelsäule.
_ 47 95 Unterbrechung aller Reizung; Nachwirkung:
12 24 0 99 ;
— 16 100
25 29 109 Nochmalige gleichzeitige Reizung beider Nerven.
12 25 36 110
— 41 120
= 43 130 -
— .|45. | 140
— 49 150
.- 54 160
_ 56 165
26 0 170
_ 12 173
= 20 175
= 38 179 -
_ 42 180 Unterbrechung aller Reizung; Nachwirkung, -
12 26 54 183
27 15 | 185 Steigröhre bis auf 5 Millim.' entleert; Nachwirkung
dauert fort,
12 27 55 5
28 10 8
— 24 9
= 45 11 Um:
12 29 15 14 abermalige Reizung beider Nerven.
12 29 25 15
nn 34 30
Br 36 40 z
= 38 50 :
= 43 60
— 48 70
= 53 75
IhlB0, 4 80 £
_ 12 82
— 20 83 8
_ 33 84 2
= 40 85 Alle Reizung unterbrochen; Nachwirkung.
12 33 0 9 Um: iy
12 34 23 99 begann abermals die gleichzeitige. Reizung beider
Nerven. ef R
AR. 0184 504. 1:400 h
— 56 410 .|
_ 59 | 130 g
12
12
12
12
12
12
12
12
12
49
20
20
Stand der Speichelsäule.
Alle Reizungen unterbrochen; Nachwirkung?
Steigröhre bis auf 9 Millim. entleert.
Um:
wurden wieder beide Nerven gleichzeitig, jedoch mit
schwächeren Strömen gereizt.
Alle Reizung unterbrochen; Nachwirkung:
Steigröhre bis auf 7 Millim, entleert.
Um:
wurden wieder beide Nerven gleichzeitig, jedoch mit
stärkeren Strömen gereizt.
Die Leitung zum Sympathieus unterbrochen; der allein
gereizte Drüsenast vom Lingualis ergab:
39
H | M. | S | Stand der Speichelsäule.
— [53 | 100
50 0 | 105
+ 6 110
= 13 115
_ 20 | 120 Alle Reizung unterbrochen; Nachwirkung:
12 50 27 | 12
51 1 130 Steigröhre bis auf 5 Millim. entleert:
12 öl 35 5
52 15 8
53 0 9 Abermals wurden die beiden Nerven gleichzeitig ge-
reizt um: f
12 53 40 10
_ 50 30
—_ 55 50
- 58 60
54 2 65
— 7 68
— 11 71
_ 16 75
_ 24 80 Die Leitung zum Drüsenast des Lingualis unterbrochen ;
fortdauernde Sympathicus-Reizung::
12 54 33 84
en 40 85
- 53 87
55 7 89 Alle Reizung unterbrochen; Nachwirkung:
12 55 46 92
57 16 95 Um:
1 4 40 97 wurde der Drüsenast des Lingualis mit verstärktem
Strom allein gereizt.
1 5 27 97
2= 36 110
_ 40 | 130
Zu 44 140
> 52 160
6 0 | 170
- 8 180
_ 22 | 190
er 34 200
en 50 220
7 1 | 230
_ 11 240 Um:
H | M S. Stand der Speichelsäule.
1 7 20 | 250 wurde auch die Leitung zum Sympathieus hergestellt;
die gleichzeitige Reizung beider Nerven (die Ströme
für den Sympathicus waren jedoch nicht verhält-
nissmässig verstärkt worden) ergab nun:
1 7 26 260
_ 31 | 265
—_ 41 275
_ 46 | 288
_ 57 290
8 3° | 295
_ 6 | 300
—_ 24 | 320
= 29 325
- 34 | 330
== 40 335
_ 46 | 340
_ 97 | 344
ce) 13 350
Die beifolgenden Tafeln ‚enthalten die graphischen Darstellungen
einiger Bruchstücke der vorstehenden Versuchsreihe.
Ein Grad der Abseissenaxe entspricht einer Secunde, ein Grad
der Ordinatenaxe einem Millimeter der Scala der Steigröhre.
Welchem: Bruchstücke. der: Versuchsreihe die einzelnen: Ourven
entsprechen, ersieht man leicht aus der absoluten Zeit, welche an der
Abscissenaxe notirt ist. ‚Zur Erleichterung der Uebersicht, habe ich
überdies jede Curve durch Sternehen in» Abschnitte getheilt, welche
mit den Worten Sympathicus und Lingualis, Eingualis allein, Sym-
pathieus allein, Nachwirkung u. s. w. bezeichnet sind, was so viel
heisst, als: während der gemeinschaftlichen Reizung des Sympathieus
und des Drüsenastes vom Lingualis, während der alleinigen Reizung
des Drüsenastes vom Lingualis, während der alleinigen Reizung des
Sympathicus, während der Unterbrechung aller Reizung u.-s. w.
N:
Bildung von Vivianit im Thierkörper.
Von
Hugo Schiff.
Herr Prof. Dr. Friedreich in Würzburg theilt mir mit, dass er
bereits im Jahrgange 1856 von Virchow’s Archiv (X. Bd. p. 201)
eine Mittheilung über den Nachweis krystallinischen Vivianits in der
menschlichen Lunge gemacht habe. Meine Mittheilung im ten Heft
des 4ten Bandes dieser Untersuchungen ist also dahin abzuändern, dass
es Herr Prof. Friedreich war, welcher zuerst eine unzweifelhafte,
nicht durch Eiseneinfuhr von aussen bewirkte, Vivianitbildung im
Thierkörper nachgewiesen hat.
Bern, im März 1858.
haltend dur Spajpbsleinln.
Sn nn m . “
20 eg or he 3
üe girichasitige Rovezukez Bellss Nerven
fir den Byrnpaibiu Ga jedoch nicht wertzh.
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wi oo Drtenggangee vorn Längwtlis, währiad der allskeigen Blieung
din Vrurunuuiee vun Tiguan, währsed der
Pampers - währe day Unsmehrwc hung lands
|
\
v1.
Erklärung.
Herr Brown-S&quard, dessen Verdienste um die Physiologie
"des Nervensystems jedem Fachgenossen bekannt sind, hat unsre „Unter-
suchungen über Ursprung und Wesen der fallsuchtartigen Zuckungen
bei der Verblutung sowie der Fallsucht überhaupt“ (Moleschott's
Untersuchungen zur Naturlehre des Menschen und der Thiere, Bd. II.
H. 1. 1857) einer Besprechung (Journal de la Physiologie de ’homme
et des animaux publie sous la direction du Dr. E. Brown-Sequard,
T. I. Janv. 1858. p. 201—207) unterzogen, die uns einige Bemer-
kungen abzwingt.
Vor allen Dingen weisen wir die Eingangs gemachte Behauptung
zurück, dass wir geglaubt hätten, dieHauptfragen bezüglich
der Fallsucht gelöst zu haben. Wo steht in unsrer Abhand-
lung auch nurein Satz, der Herm Brown-S&quard berechtigte, uns
eine so thörichte Anmassung zuzuschreiben? Es dürfte noch manches
Jahrhundert vergehen, bis die Physiologie sich rühmen dürfte, diese
' „Aufgabe erledigt zu haben.
Wir hegen nur die bescheidene Ueberzeugung, mit redlichem
| ‚Streben einen schon von MarshallHal l,Romberg u. A.angedeuteten
"Weg betreten zu haben, um die Physiologie der Fallsucht versuchs-
mässig zu begründen, und glauben dabei allerdings mehrere That-
‚sachen gefunden zu haben, die von Wichtigkeit für die Theorie der
' -Eallsucht ‘sind: Dass zu derselben Zeitso bedeutende: F orscher, wie
94
Herr Brown-S&quard in Frankreich und Herr Schroeder van
der Kolk in Holland (dessen neuere Forschungen über Fallsucht
Herr Brown-S&quard noch nicht zu kennen scheint), zu vielen,
den unseren gleichlautenden oder doch nahekommenden Ergebnissen
gelangt sind, das spricht um so mehr für die Genauigkeit unsrer eignen
Versuche, als HerrBrown-Se&quard,H. Schroeder van der Kolk
und wir auf sehr verschiedenen Wegen dieselben That-
sachen constatirten. Das ist begreiflicherweise uns eben so
erfreulich, als es die Lehre von der Fallsucht selbst um einen grossen
Schritt fördern muss. |
Herr Brown-S&quard wahrt den alten Aerzten die Priorität der
Erkenntniss, dass die Krämpfe bei Verblutung warmblütiger Thiere
denen bei Fallsucht ähnlich seien. Diese Verwahrung war gewiss
überflüssig, da wir. selbst in unsrer Einleitung die Geschichte dieser
Erfahrung mittheilten und fast jedes Lehrbuch der allgemeinen Pa-
thologie davon spricht. ‚Wir eignen uns nur das Verdienst zu, eine
genauere Beschreibung dieser Krampfanfälle geliefert zu haben, als
vor uns geschah.
Ebenso konnte es uns nicht einfallen, die Entdeckung der Ueber-
einstimmung zwischen den Krämpfen bei der Strangulation und der |
Fallsucht für die unsere auszugeben. Wir erkannten die Verdienste
M.Halls an und hätten nichts einzuwenden, wenn H.Brown-S&quard
selbst bis auf Homer zurückginge, der von den aufgehängten Mägden
der Penelope bekanntlich erzählt:
|
„Also hingen sie dort an einander gereiht mit den Häuptern,
Alle die Schling’ um den Hals, des kläglichsten Todes zu sterben, |
Zappelten dann mit den Füssen ein Weniges, aber nicht lange.“ |
(0d. XXI. 471.) |
Herr Brown-S&quard nimmt für sich selbst die Priorität der
Auffindung einiger wichtiger Thatsachen, die wir ebenfalls ge-
funden haben, in Anspruch, z. B. dass die Krämpfe bei Verblutung
nicht vom Grosshirn ausgehen, dass nur der epileptische Schwindel
hier seine Quelle habe, dass eine Verengerung der Grosshirngefässe
epileptischen Schwindel verursachen könne, dass die Quelle der
Zuckungen in den hinter den Sehhügeln gelegenen Theilen des Ge
|
|
|
95
hirns zu suchen sei u. s. w., und beruft sich auf seine Researches
on Epilepsy, Boston 1856—57, auf seine Mittheilungen dieser Unter-
suchungen in dem Boston med. and surg. Journ. Nov. 1856 —
Oct. 1857, und auf die Veröffentlichung einiger der hier aufgestellten
neuen Theorien in einer Mittheilung, die er der Med. Gesellschaft
des 12. Arrondiss. von Paris im October 1856 gemacht hat. Jedoch
istH.Brown-S&quard sogerecht, anzuerkennen, dass wir unsere
Erfahrungen unabhängig von seinen Veröffentlichungen
gewonnen haben und dass wir, was uns die Hauptsache und
für die Wissenschaft das Erspriesslichste diünkt, grösstentheils auf
anderen Wegen dazu gelangt sind. — Wir hegen die Ansicht,
dass der Nachweis einer Priorität nur insofern Bedeutung habe, als
er vor dem Vorwurfe eines unehrlichen Plagiates schützt, oder in-
sofern er zur Verbesserung der Lebensstellung des Entdeckers noth-
wendig erscheint. Der Ruhm selbst aber, diese oder jene Entdeckung
zuerst gemacht zu haben, däucht uns zweifelhaft, da nur wenigen
grossen Genien der Gegenwart beschieden sein dürfte, die nächsten
Jahrhunderte zu überleben. Die Zahl der talentvollen und eifrigen
Forscher ist zu gross, und die genaueren Methoden der Forschung
sind selbst auf unsrem medicinischen Gebiete allzusehr Allgemeingut
geworden. — Wir würden uns deshalb keineswegs betrübt fühlen,
wenn H. Brown-S&quard die Palme der Priorität davon trüge, da
wir in diesem Falle keinen besonderen Nutzen davon ziehen können.
Doch müssen wir bemerken, dass unsre Versuche bis zum
Winter 1854—55 zurückgehen, dass seit jener Zeit viele Aerzte
von Auszeichnung Zeugen derselben waren, und dass die Ergebnisse
derselben schon am 5. December 1856 und 9. Januar 1857 in
dem hiesigen, kurz zuvor begründeten, naturhist. medic. Vereine mit-
getheilt wurden. (Vgl. Verhandlungen des naturhist. medie. Vereins
zu Heidelberg N. I.v. J. 1856 und 1857). — Wenn also Herr Brown-
S6öquard behauptet, dass die Wahrheiten, die wir unabhängig
von ihm und gleichzeitigmit ihm oder sogar noch früher
als er, aufgefunden haben, uns nicht angehörten (um uns
dieses sonderbaren Wortes zu bedienen), so müssen wir dagegen mit
96
Entschiedenheit protestiren. Herr Brown-S&quard ist ein viel zu
erfahrener Experimentator, als dass er, falls er unsre Schrift
genau durchgelesen hat, nicht die Ueberzeugung gewinnen
sollte, eine derartige Arbeit, — das Ergebniss von mehr als 100 müh-
samen Vivisectionen und eines sorgfältigen Studiums der Geschichte
der Unterbindung, Compression und Thrombose der grossen Hals-
und Kopfgefässe, — könne anders, als durch mehrjährige Thätigkeit
nach einem vorgesteckten Ziele hin gewonnen werden. Und dennoch
glaubt er, an einem Federstriche von seiner Seite genüge es, den
Stimmberechtigten der wissenschaftlichen Republik die Ueberzeugung
aufzudrängen, dass gerade mehrere der wichtigsten Thatsachen, die
wir feststellen, „uns nicht gehörten“, und dass unser Verdienst,
wie er sagt, nur in dem Versuche beruhe, dasselbe leisten gewollt
zu haben, was e, wirklich geleistet hat? *)
Einige unserer Sätze nennt Herr Brown-S&quard ungenau, und
mehrere 'Schlussfolgerungen irrig. So hatten wir behauptet, die
fallsuchtartigen Zuckungen bei der Verblutung rührten nicht von
dem Riückenmarke her, da beim Kaninchen die Anämie dieses Or-
ganes in der Regel nur Lähmung, selten einige leichte zitternde
Bewegungen bewirke. Herr Brown-S@quard giebt das letztere zu,
bemerkt aber, dass bei anderen Warmblütern, z. B. einem Hammel
nach M. Hall, bei den Vögeln und selbst, jedoch in geringerem
Grade, bei der Katze und zuweilen auch beim Hunde nach seinen
Erfahrungen Zuekungen eintreten, wenn das Rückenmark plötzlich
geines Blutes beraubt würde, zumal wenn man es durch einen Schnitt
in der Nackengegend vom Gehirne trenne. Er glaubt deshalb un-
seren Satz dahin modifieiren zu müssen: „Die fallsuchtartigen
Zuckungen bei Verblutung rührten nur zu einem kleinen
Theile vom Rückenmark her.*
#) Wir bemerken noch ausdrücklich, dass unsere Schrift, deren Druck RB un-
sere Schuld sich verspätete, dennoch sehon im Juli 1857 im deutschen Buch-
handel erschien, während das Werk des Herrn Brown-Se&quard in Boston erst
im October oder November desselben Jahres vom Stapel gelaufen zu sein
scheint,
9
Indem wir'den Versuch von M. Hall an dem besagten Hammel,
wie ‘wir dies schon ausführlich Seite 6 und 7 unsrer Abhandlung dar-
legten, abermals für roh und unbeweisend erklären, haben wir den-
noch nichts gegen die etwas andere Fassung unseres Satzes von Herrn
Brown-S&@quard einzuwenden, falls seine eigenen Versuche
an Vögeln, Katzen und Hunden wirklich! beweisender
sind als der von M. Hall. Wirhielten jedoch in diesem Falle die
Fassung von Brown-S&quard für noch genauer, und mit dem Er-
gebnisse unsrer und seiner eigenen Versuche übereinstimmender, wenn
sie lautete: „Die fallsuchtartigen Zuckungen bei Verblutung rüh-
ren nur zu einem kleinen Theile bei gewissen Thierarten
oder Thierindividuen vom Rückenmarke her.“ Daraus folgt
aber eben, dass die Rolle des Rückenmarks (oder doch nach un-
seren Versuchen .desjenigen Rückenmarkes, welches vom obersten
-Dritttheile des Halsmarkes sich abwärts erstreckt) beim Zustande-
kommen ‘der fürchtbaren Zuckungen verblutender Thiere eine
sehr. untergeordnete sein müsse, wie, wir ‚dies besonders
noch in dem Satze 23. (bei H. Brown-S&quard 22). behaup-
ten. Auch bemerken wir, dass uns Versuche von, Compression
der Aorta. des Bauches bei Menschen kekanut sind, die
constant Lähmung, nie aber Zuckungen zur Folge
hatten.
Herr Brown -S&qward sieht. ferner ‚die eigentliche Ursache der
Zuckungen bei der Verblutung und Erwürgung in einer Vergiftung
des Gehirns durch Kohlensäure, während wir es wahrscheinlich zu
machen suchten, dass sie auf die plötzlich unterbrochene Ernährung
zurückzuführen seien und eine Reihe analoger fallsuchtartiger Zuckun-
gen: nach den verschiedensten Einwirkungen unter dieses. Schema
unterzubringen versuchten.‘ Da uns das Werk des Herrn, Brown-
S,@quard über Fallsucht, worin er seine Theorie näher zu begründen
unternommen hat, bis jetzt, nicht zugänglich ‚war, so‘ können. wir
nicht beurtheilen, ob seine Gründe geeignet sind, Proselyten in uns
zu gewinnen, und wir wollen vorläufig ınehrere gewichtige Bedenken
dagegen zurückhalten,
Moleschott, Untersuchungen. V.
=!
98
Auch hat H. Brown-Se&quard drei unsrer Corollarien unrichtig,
übersetzt und sie deshalb nicht verstanden, womit aber ihre Unrich-
tigkeit natürlich nicht bewiesen sein kann.
1) Wir sagten nicht, dass die Blutarmuth bei Verblutung oder
Unterbindung der vier grossen Schlagadern des Halses die kleinen
Arterien, die Haargefässe und die kleinsten Venen der Schädel-
höhle in gleicher Weise, sondern vorzugsweise, also mehr, als die
grossen Gefässe betreffe, und H.Brown-S&quard berichtigt somit
am betr. Orte nur einen Uebersetzungsfehler, den wir nicht verschulden.
2) Der Satz 28 (bei H. Brown-S&quard 27) besagt nur, dass
wir bei Unterbindung der Halsvenen oder bei gleichzeitiger Unter-
bindung der Halsvenen und Durchschneidung der sympathischen
Grenzstränge des Halses an Kaninchen keine wahren epileptischen
Anfälle entstehen sahen, sondern Anfälle von einem mehr
apoplektischen Charakter, ausgezeichnet durch sehr lang-
sames schnarchendes Athmen und zuweilen von leichten Zuckungen
begleitet. Wir führten in unserer Abhandlung zahlreiche pathologische
Beobachtungen vom Menschen an, welche es wahrscheinlich machen,
dass die venöse Congestion des Gehirns auch hier keine ächte Epi-
lepsie, sondern Apoplexie mit Glottislähmung, verlangsamtem Athmen
und bisweilen begleitet von leichten Zuckungen herbeiführe. Was
dagegen H. Brown-S&quard übersetzt, verstehen wir ebensowenig,
als er, weil es in der That keinen Sinn hat.
3) Wir behaupten nicht, dass der Laryngismus die Quelle der
fallsüchtigen Anfälle sei, sondern dass er eine Quelle derselben sei,
eine Quelle von vielen.
Endlich sei bemerkt, dass Herr Brown-S&quard gelegentlich
unseres Satzes: „Das linke Herz sei nicht immer das primum moriens
unter den muskulösen Organen“, nicht nöthig hatte, auf seine so oft
von ihm besprochenen Versuche über Todtenstarre zu verweisen, da
diese allenthalben eines verdienten Ruhmes geniessen.
Heidelberg, den 30. März 1858.
A. Kussmaul. — A Tenner.
_— ———
Czermak. Beiträge zur Kenntnils der Beihilfe der Nerven zur Speichelsecretion..
HEHE EEE
HHH HE HH
=
H H # & H
Bo
Hr s H SH +
HEHE H HE
HH FEH HEHE HEHE ==
E : EEE E n HE
B Hi H
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EERREEEFHEEE H EHEBHH H HE
HH HESHHENE EHE FE
EHRE HERNE HEHE Eh
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E # Hi #
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BEE HEEEEERSE
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HE: HEHE # B Bine men A
EI wi =. a ER
j- u N ‘
oe Si |
Ser ° SQ
SS S NN
N 5 DS N
SE. x RR
Moleschott , Untersichungen, IV’. Band.
vn.
Ueber die Dauer und die Anzahl der Ventrikel-Contractionen
des ausgeschnittenen Kaninchenherzens.
Von
Joh. Gzermak und 6. v. Piotrowski in Krakau.
"Aus den Sitzungsberichten der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse der
kaiserlichen Akademie der Wissenschaften von Herrn Czermak mitgetheilt.
Ein: ausgeschnittenes Herz schlägt, 'sich selbst überlassen, be-
kanntlich noch einige Zeit fort, indem'es' innerhalb: seiner Muskel-
wandungen ein automatisch. erregendes Organ besitzt: Mit Wahr-
scheinlichkeit verlegt man dasselbe indie, in der Herzsubstanz zer-
streuten Ganglien. Die Wirksamkeit ‚dieses Gangliennervensystems,
welches man das musculo-motorische genannt hat, ist'an verschiedene
edingungen geknüpft, namentlich an die.Gegenwart 'von ‚0 haltigem
Blut in den Herzgefüssen, an die Erhaltung einer bestimmten Tem-
peratur, ‚und ‚endlich auch an die Zustände der im Herzen verästelten
ern der N. vagi.
Dr Durch eine hinreichend starke Reizung dieser Vagusfasern,
welche das sogenannte regulatorische Nervensystem des Herzens. dar-
sllen, wird bekanntlich die‘ Herzthätigkeit in Diastole gehemmt.
Man ist noch nicht im Klaren, wie diese Wirkung des Vagus
lie Herzbewegungen zu Stande kommt ; ob die Vagusreizung die
Wickelung selbst oder nur die Fortleitung‘der nach
‚übertragbaren Krüfte des musculo-motorischen Nervensysters
?
@holt, Untersuchungen. YV. 8
100
In dieser Beziehung*) schien es uns von einiger Wichtigkeit, zu
ermitteln, wie lange und wie oft das ausgeschnittene Herz noch
schlägt, je nachdem die Vagi vorher durchschnitten oder einige Zeit
hindurch und während des Ausschneidens elektrisch gereizt worden
waren.
Wir haben dieser Untersuchung, mehr als 60 Kaninchen und
viele Stunden in den Monaten Februar bis Juni 1. J. geopfert.
Nichtsdestoweniger verkennen wir durchaus nicht, dass die ver-
hältnissmässig bedeutende Zahl unserer Versuche noch viel zu gering
ist, als dass einige der von uns erhaltenen Zahlen grosses Vertrauen
beanspruchen könnten, obschon andere derselben allerdings kaum
einen Zweifel über ihre allgemeine Gültigkeit zulassen.
Es ist uns von vornherein klar gewesen, dass es uns unmöglich
sein würde, bei der Ermittelung des Antheils der voraufgegangenen
Vaguswirkung an der, als Function der sie erzeugenden Bedingungen
aufgefassten, Leistung des ausgeschnittenen Herzens die übrigen, an
diesem Vorgange sich betheiligenden Bedingungen: auch: nur: an-
nähernd constant zu erhalten.
Denn hierzu wären wenigstens Kaninchen desselben Wurfes,
in gleicher Weise aufgezogen und unter möglichst gleichen Umstän-
den untersucht, erforderlich gewesen, ‘da selhstverständlich ein und
dasselbe Thier weder: zu gleicher Zeit noch zu wiederholten Malen,
zu diesen Versuchen benützt werden kann.
*) Beiläufig bemerkt auch hinsichtlich der durch Köllik er genauer bekannt ge-
wordenen Wirkung der Chloroforminhalationen auf den Herzschlag, Wir, ha-
ben schon im November und December 1856 Kölliker’s Angaben durch
mehrere Versuche bestätigt, und zugleich die neue Thatsache gefunden, dass
die eintretende Hemmung des Herzschlages nach Durchschneidung der Vagir
nicht ganz. ausbleibt. Ueber die Erklärung, der Chloroformwirkung könn..:
somit dieselbe Controverse angeregt werden, welche über die ganz analo ge
Digitaliswirkung zwischen Traube und Stannius besteht. Wüsste ınan
genau, welchen Einfluss. die voraufgehende Vagusreizung oder: Lähmung auf
die Leistung des. aufgeschnittenen Herzens hat; so) könnte man|das Verlualten.
des in verschiedenen Phasen der Digitalis- und. Chloroformwirkung Aausge-
schnittenen Herzens zur Beilegung jener Controverse gar wohl nit, bei |
nützen. Nr |
101
Das k. k. physiologische Institut in Krakau, dessen Gründung
freilich erst einige Monate zurückdatirt, ist jedoch noch nicht im Be-
sitze einer eigenen Kaninchenzucht, da zunächst noch dringenderen
Bedürfnissen Rechnung getragen werden musste.
Wenn wir uns nun nichtsdestoweniger auf diese Untersuchung
einliessen, so lag der Grund einfach in der vielleicht nicht unberech-
tigten oder doch verzeihlichen Vermuthung, es werde die zu variirende
Bedingung (Vaguswirkung) einen viel grösseren Einfluss auf die Er-
zielung von Differenzen in der Gesammtleistung (Thätigkeit des aus-
geschnittenen Herzens) haben, als sich aus unseren Versuchsresultaten
unmittelbar ergeben hat.
Dass wir unter solchen Umständen die ganze Untersuchung nicht
früher haben fallen lassen und jetzt mit einer zu dem gemachten
Aufwande verhältnissmässig geringen Ausbeute an unzweideutigen
positiven Resultaten vor die Oeffentlichkeit treten, findet wohl darin
eine Entschuldigung, dass wir uns einerseits schon zu tief eingelassen
hatten, um die Untersuchung sofort ganz abzubrechen, dass aber
andererseits auch die Mittheilnng negativer Resultate mitunter för-
derlich sein kann und selbst die kleinste positive Errungenschaft nie-
mals ganz werthlos ist.
Wir theilen im Folgenden 60 unserer Versuche (von Nr. 3 bis
inelusive Nr. 62) mit, von denen 30 an Männchen, 30 an Weibchen
angestellt wurden. Sie sind tabellarisch in drei correspondirenden
Reihen zusammengestellt, je nachdem a) das Herz einfach ausge-
schnitten wurde (Tab. II, A, 3), 5) vor dem Ausschneiden desselben
die Vagi, so dass das Herz möglichst lange und möglichst oft in
Diastole stillstand, elektrisch gereizt (Tab. I, A, B), oder c) durch-
schnitten (Tab. III, A, 3) worden waren.
Hinsichtlich der Ausführung der Versuche sei nur bemerkt, dass
das Herz in allen Fällen nach rascher Eröffnung des Thorax in der
Medianlinie und des Pericardiums, sammt einem Stücke der grossen
Gefässe ausgeschnitten und ohne Zeitverlust auf ein Uhrglas gebracht,
unter einer Glasglocke, unter welcher sich zugleich eine Taschenuhr
mit Seeundenzeiger befand, beobachtet wurde, Die Anzahl der Schläge
. «
“
102
der Ventrikel (die der Vorhöfe wurden vernachlässigt) notirten wir
von 15 zu 15 Secunden, vom Moment des Ausschneidens an; für die
letzten Schläge wurde die absolute Zeit verzeichnet.
Von den Rubriken der einzelnen Tabellen bedürfen nur die mit
„Locationsnummern“ überschriebenen Doppelrubriken einer kurzen
Erklärung. Unter den Locationsnummern verstehen wir die Zahl,
welche jedem einzelnen Versuche seine Stelle in der aufsteigenden
Reihe anweist, die man erhält, wenn man sämmtliche 60 Versuche
entweder nach der Dauer oder nach der Anzahl der Pulsationen an-
ordnet. Jene Versuche, in welchen das ausgeschnittene Herz gleich
lang oder gleich oft geschlagen hat, erhalten selbstverständlich die
gleiche „Locationsnummer der Dauer“ oder „der Anzahl“.
Die Summen der Locationsnummern geben Aufschluss darüber,
welche der 6 Reihen von Herzen im Allgemeinen länger oder kürzer,
häufiger oder seltener pulsirt hat, und dienen somit zur Controle der
aus den absoluten Werthen berechneten Mittelzahlen.
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104
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‘106
Wir formuliren in Kürze die aus den mitgetheilten Tabellen sich
ergebenden Resultate wie folgt:
1. Das’ ausgeschnittene Kaninchenherz*) kann, sich selbst über-
lassen, bei mittlerer Zimmertemperatur, über eine halbe Stunde
fortschlagen. Die beobachtete untere Grenze der Dauer ist 3 Min.
15 See. bis 5Min. 45 Sec. Als Mittel aus allen 60 Versuchen ergiebt _
sich eine Dauer von 11 Min. 46.33 Sec.
2. Das ausgeschnittene Kaninchenherz kann noch über 700
Schläge machen. Die beobachtete untere Grenze sind 86 bis 109
Schläge; im Gesammtmittel —= 332.366.
3. Unter ähnlichen Bedingungen schlägt das ausgeschnittene
Herz der Männchen £ länger und öfter, als das der Weib-
chen 2. Dies ergiebt sich für die Dauer widerspruchslos sowohl
aus den Mittelzahlen der absoluten Werthe und der Locationsnum-
mern, als auch aus den meisten Grenzfällen der einzelnen Tabellen;
für die Anzahl der Schläge machen nur die Locationsnummerfi von
Tabelle IL eine Ausnahme. (Vgl. Tab. IV.)
4. Das nach der Reizung der Vagi ausgeschnittene Herz schlägt
im Allgemeinen länger und öfter, als das nach Durchschneidung
der Vagi ausgeschnittene Herz.
Dies gilt natürlich übereinstimmend für Männchen wie für Weib-
chen und ergiebt sich hinsichtlich der Dauer der Schläge wider-
spruchslos nicht nur aus den Mittelzahlen der absoluten Werthe und
der Locationsnummern der beiden ganzen Tabellen I und III, son-
dern auch ihrer einzelnen, Männchen und Weibchen betreffenden
*) Es sind, wie gesagt, nur die Kammer-Contractionen genauer berücksichtigt
worden. Bezüglich der Vorhöfe bemerken wir beiläufig, dass sie sich in den
meisten Fällen öfter zusammenzogen als die Kammern, in einigen Fällen je-
doch gar nicht. Die Vorhöfe pulsirten gleich lange Zeit wie die Kammern,
nach Durchsehneidung der Vagi in 11, nach Reizung der Vagi in 6, bei ein-
fach ausgeschnittenen Herzen in 9 Fällen. Länger als die Kammern schlugen
die Vorhöfe nach Durchschneidung der Vagi in 6, nach Reizung der Vagi in
10, nach einfacher Ausschneidung des Herzens in 6 Fällen. Unter diesen
letztern ist ein Fall (Nr. XX), ein grosses Weibchen betreffend, in welchem
die Vorhöfe über 1 Stunde und 18 Minuten pulsirten,
107
"Hälften (vel. Tab. IV.), so wie aus der Vergleichung aller unteren
Grenzfälle ; hinsichtlich der Anzahl der Schläge machen wesentlich
nur die Mittel der absoluten Werthe bei den Männchen eine Aus-
nahme. (Vgl. Tab. IV.)
5. Das einfach ausgeschnittene Herz hält in Bezug auf die Dauer
und Anzahl der Pulsationen die Mitte zwischen dem nach Reizung
der Vagi und dem nach Durchschneidung der Vagi ausgeschnittenen
Herzen.
Diesen Satz möchten wir jedoch nur mit der grössten Zurück-
haltung aufstellen, da demselben bei den Männchen die einfachen Mit-
telzahlen sowohl der absoluten Dauer und Anzahl der Schläge als
der Locationsnummern der Anzahl widersprechen. (Vgl. Tab. TV.)
Tabelle IV.
Zusammenstellung sämmtlicher Mittelzahlen.
Einfache Mittelzahlen der Gesammt-Mittelzahlen der
Loca- Loca- Loca- Loca-
'absol. tions- | absol. |tions-| absol. |tions- | absol. | tions-
Werthe | num- | Werthe | num- | Werthe | num- | Werthe | num-
mern mern mern mern
der Dauer der Anzahl | der Dauer „der, Danerse | ‚der. ‚Auzahll /| der Anzahl
d'13-53 319 362 326
Tab. I. 9 1139,1 | 282 3414 30:5 1246,05 | 30'05 | 3517 | 3155
dı639,5 | a#ı | 3339 | 26
Tab. II. ;
ab. II | Ar 3 aldi 123,4 | 250 | 3193 | 27:06
dı12:24,9 | 26:8 | 3627 | 29-9 h ; !
Tab. u. 5 Er | ea 10:28,65 : 2155| 325:81 E 15
6. Eine Beziehung zwischen der Leistung des ausgeschnittenen
Herzens und der Grösse des Thieres, dem Gewichte des Thieres oder
der innerhalb geringer Grenzen schwankenden Lufttemperatur liess
sich nicht entdecken.
7. Wenn man nun auch (in Anbetracht der allerdings nichts
weniger als vorwurfsfreien Anordnung der Untersuchung, so wie des
geringen Unterschiedes der Mittelzahlen für einfach, oder nach vor-
108
aufgehender Vagusdurchschneidung oder Reizung ausgeschnittener
Herzen, ferner in Anbetracht der grossen absoluten Schwankungen
hinsichtlich der Dauer und Anzahl der Schläge) das Hauptresultat
unserer Bemühungen als ein wesentlich negatives bezeichnen und
dahin formuliren wollte, dass die voraufgehende Vagusreizung oder
Durchschneidung anscheinend von keinen erheblichen Folgen für die
Grösse der Leistung des ausgeschnittenen Herzens sei, so dürfte man
als Endergebniss unserer Untersuchung, wie uns dünkt, dennoch mit
einiger Wahrscheinlichkeit annehmen, dass durch die Wirkung
des gereizten Vagus nicht sowohl die Entwickelung der
nach aussen übertragbaren Kräfte des musculo-motori-
schen Nervensystems selbst, sondern wesentlich nur die
Uebertragung dieser Kräfte auf die Muskelsubstanz ge-
hemmt und regulirt werde, da im entgegengesetzten Falle das
nach Reizung, der Vagi ausgeschnittene Herz, welches während der
Dauer der Reizung, wo es in Diastole stillsteht und deshalb verhält-
nissmässig am unvollkommensten mit Ohaltigem Blute versorgt wird,
wohl auch ohne Zweifel (trotz der Steigeming der Erregbarkeit der
in Diastole ruhenden Muskeln) am kürzesten und am wenigsten häufig
schlagen müsste, was gewiss nicht der Fall ist.
vn.
Ueber lebend nach Berlin gelangte Zitterwelse aus West-Afrika.
Von
E. du Bois-Reymond *),
Fast möchte man es, im Sinne Newton’s, eine Anwandlung der
Natur nennen, dass es ihr gefallen hat, aus der Unzahl der Geschöpfe
drei Fische, und zwar der verschiedensten Art, nach Willkür heraus-
zugreifen, um sie mit elektromotorischen Vorrichtungen von furcht-
barer Gewalt als einer Waffe auszustatten, neben welcher der Gift-
zahn der Klapperschlange, ja die nordamerikanische Drehpistole, als
eine plumpe und armselige Erfindung erscheint; einer Waffe die,
ohne ihren Träger der Gefahr blosszustellen, lautlos und mit Blitzes-
schnelle in die Entfernung reicht, und minutenlang eine secundendicht
gedrängte Reihe von Geschossen schleudert, deren keines fehlen
kann, weil alle auf allen Punkten des Raumes gleichzeitig vorhanden
sind. Ohne Verletzung, ohne Todeskampf, gleichsam aufs feinste ge-
mordet, treibt das Opfer der Entladung mit elektrolysirtem Hirn und
Riückenmark dahin, oder, wie Claudius Claudianus es anmuthig
geschildert, an der feuchten Schnur fliegt die geheimnissvolle Kraft
empor, und des nämlichen Entsetzens voll, dem sich Musschenbroek
- um den schönsten Thron der Welt nicht zum zweiten Mal preisgeben
mochte, lässt der Fischerknabe auf dem Felsen seine Angelruthe ins
Meer fallen und die heimtückische Beute im Stich 1).
%) Aus den Monatsberichten der königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin
Ri vom Herm Verfasser mitgetheilt (Oeffentliche Bitzung am 28, Jan. 1858).
110
Kein Wunder daher, wenn diese 'Thiere schon längst, bei den -
Vätern unserer Bildung an den Küsten des Mittelmeers, wie bei den
Orinoko-Indianern und den Arabern des Nils, der Gegenstand eines
ahnungsvollen Staunens gewesen, so dass Galen die Narke mit dem
Herakleischen Steine als ein verwandtes Räthsel zusammenstellt2),
während in den Heil- und Zauberkräften, die allerwärts vom Volk
den Zitterfischen zugeschrieben werden, die Anfänge der Elektro-
therapie zu suchen sind3). Kein Wunder, wenn, nachdem endlich
1773 durch Walsh die elektrische Natur der Erscheinung festgestellt
worden ?), an der Entdeckung der Säule Volta selber Nichts mehr
Freude gemacht zu haben scheint, als das Licht, das sie, kraft ihrer
augenfälligen Aehnlichkeit mit einem elektrischen Organ, auf die
Elektrieitätserzeugung in letzterem zu werfen versprach 5).
Und doch ist das Interesse, welches die Zitterfische damals ein-
zuflössen vermochten, nur gering im Vergleich zu dem, auf welches
‘sie heutzutage Anspruch haben. Bis vor Kurzem stellten diese
Thiere gewissermassen ein Curiosum, ein &ra& Asyöusvov der Natur dar.
Nur die nächsten Verwandten der Torpedineen, die gewöhnlichen
Rochen, und einige Knochenfische (ausschliesslich Bewohner afrika-
nischer Flüsse) besitzen Organe, in denen man die Grundzüge der
elektromotorischen Organe wiedererkennt. Doch hat man bis jezt
noch keine elektrischen Wirkungen jener Organe beobachtet ®), die
man demnach, so lange nicht entweder dies gelungen oder eine andere
Function derselben ermittelt ist, als pseudoelektrische Organe ‚von
den ächten elektrischen Organen wird geschieden halten müssen.
Allein. die Nerven und Muskeln sämmtlicher Thiere und des
Menschen sind jezt als der Sitz eines unablässigen elektrischen Ge-
triebes erkannt. Es ist gewiss, dass diese elektrische Thätigkeit der
Muskeln und Nerven aufs innigste verknüpft ist mit ihren. sonstigen.
Leistungen, und es ist wenigstens in hohem Maasse wahrscheinlich,
dass die elektrischen Erscheinungen nicht bloss gleichgültige, Be-
gleitzeichen, sondern die wesentliche Ursache sind der inneren
Bewegungen, aus denen sich der Vorgang in den Nerven bei der
Innervation, in den Muskeln bei ibrer Verkürzung zusammensetzt 7).
11i
Jetzt also erscheinen die elektromotorischen Organe der Zitter-
fische nicht mehr wie früher als ein in seiner Vereinzelung fast sinn-
loser Ausnahmsfall. Sie erscheinen vielmehr als eine besondere An-
wendung, welche die bildende Natur von einem allgemeinen Attribut
in bestimmten Thieren zu einem bestimmten Zweck gemacht hat, wie
sie anderwärts mit Gliedmaassen und Schweif, mit Zähnen, Stirn-
höckern und Horngebilden aller Art, mit den verschiedensten Abson-
derungen verfahren ist. Sind damit auch die elektrischen Organe
ihrer Erklärung um etwas näher gerückt, so ist denselben doch, was
sie dergestalt an Wunderbarkeit verloren, überreichlich ersetzt durch
die Hoffnung, die sich jetzt an die Erforschung derselben knüpft, dadurch
zugleich die Lösung der grossen Aufgaben der allgemeinen Nerven-
und Muskelphysik gefördert zu sehen. Bei der Untersuchung der
Zitterfische handelt es sich fortan nicht mehr bloss um ein paar
absonderliche Thatsachen, um das Abenteuer, statt des herkömm-
lichen, im Aether schwebenden Aars, die Bewohner der Tiefe mit
Jovis Blitzen spielen zu sehen. Sondern jeder der drei elektrischen
Fische für sich stellt ein von der Natur angestiftetes unschätzbares
Experiment dar, worin uns die nämlichen Kräfte, wie in Nerv und
Muskel, aber anders angeordnet, durch andere Wirkungen ihr Wesen
leichter zu enthüllen versprechen ®).
Wie schmerzlich musste es demnach noch vor Kurzem empfunden
werden, dass von diesen uns so spärlich zugemessenen Experimenten
der Natur das eine bisher fast ganz unbenutzt geblieben war. Der
Zitterroche des Mittelmeers war seit der Wiederbelebung der Wissen-
schaften im 17. Jahrhundert unzühligemal in jeder Beziehung, unter-
sucht worden. Den Zitteraal, den südamerikanischen Temblador,
hatte Hr. von Humboldt in seiner Heimath, den Sumpfwassern von
Calabozo, aufgesucht, und war Zeuge seines wunderbaren Kampfes
mit den Steppenrossen gewesen, Dieser Fisch war überdies bereits
mehrmals lebend nach Europa gebracht worden. Ueber den Zitter-
wels dagegen oder Malapterurus electricus, der die Flüsse Afrika’s
bewohnt und auf dem Fischmarkt zu Kairo keine seltene Erscheinung
ist, der also nüchst dem Zitterrochen den europäischen Gelehrten
112 r
am leichtesten zugänglich schien, über diesen elektrischen Fisch
besass man bis zum vorigen Jahr nur vereinzelte anatomische An-
gaben), und die Kemntniss seiner elektrischen Kraft beschränkte sich
schlechterdings noch immer auf das, was vor 107 Jahren Adanson
am Senegal bereits wusste, dass er nämlich einen elektrischen Schlag
ertheilt 40),
Diesem Mangel ist durch eine glückliche Verkettung von Um-
ständen plötzlich dermassen abgeholfen worden, dass jetzt vielmehr
der Zitterwels dem Zitterrochen den Rang des anatomisch am besten
gekannten Zitterfisches streitig macht, und in physiologischer Be-
ziehung daran wenigstens die nächsten und wichtigsten Fragen mit
genügender Sicherheit beantwortet sind.
Ein in Kairo ansässiger deutscher Forscher, Hr. Bilharz, Pro-
fessor der Anatomie an der medicinischen Schule daselbst, hat näm-
lich im vorigen Jahr eine mit allen neueren Hülfsmitteln ausgearbeitete
anatomische Beschreibung des Zitterwelses bekannt gemacht. Er hat
sich dabei, allem Anschein nach, das Verdienst erworben, zuerst zu
einer klaren Einsicht in den wesentlichen Bau eines elektrischen Organs
gelangt zu sein. Ein solches Organ ist nach ihm, abgesehen von
denjenigen Theilen, die zur Stütze und zur Ernährung dienen, zu
betrachten als eine unmittelbare Fortsetzung des Nervensystems. Es
liegen nämlich darin in ungeheurer Anzahl winzige Plättchen hinter-
und nebeneinander geschichtet, deren Substanz sich in Nichts’ von
der der Ganglienzellen in Hirn und Rückenmark unterscheidet. Diese
Plättehen hängen, auf gleich näher zu bezeichnende Art, mit dem
elektrischen Nerven zusammen. Sie sind der Sitz der Elektrieitäts-
entwicklung, d. h. auf Befehl des elektrischen‘ Nerven wird an allen
Plättchen die nach derselben Seite hinsehende Fläche positiv, die
andere Fläche negativ elektrisch. Die Plättchem werden deshalb’ die
elektrischen Plättchen genannt. Die Richtung des Schläges ist dem
gemäss stets senkrecht auf die Ebne der Plättehen. Im Zitterrochen,
wo‘ die Plättehen wagerecht' liegen, ist die Richtung des’ Schlages
senkrecht, nämlich im Organ vom Bauch zum Rücken. Im Zitteraal,
wo’ die‘ Plättehen senkrecht liegen, ist die Richtung des Schlages
115
wagerecht, nämlich im Organ vom Schwanz zum Kopfe. Beim Zitter-
wels legen, nach Hm. Bilharz, die Plättchen gleichfalls in senk-
rechter Ebne.' Man wird also schliessen dürfen, dass bei diesem
Fisch, wie beim Zitteraal, die Elektrieitätsbewegung in wagrechter
Ebne vor sieh gelien werde. Was aber wird die Richtung des Schla-
ges sein? Wird, im Augenblick desselben, die positive Elektrieität
vom Schwanz nach dem Kopf zu strömen, oder mit anderen Worten,
wird" die vordere Fläche der elektrischen Plättchen die positiv, die
hintere die negativ elektrische werden, wie im Zitteraal, oder wird
das Umgekehrte der Fall sein?
Auch in Betreff dieses Punktes schienen die Untersuchungen des
Hm. Bilharz bereits einen Schluss zu erlauben. Der oben erwähnte
Zusammenhang der elektrischen Plättehen mit dem Nervensystem
besteht nämlich darin, dass der elektrische Nerv sich durch fort-
schreitende Theilung in unzählige Endzweige auflöst, die sich zuletzt
in die eme Fläche der elektrischen Plättchen einsenken, um vollstän-
dig mit deren Substanz zu verschmelzen. Dies Einsenken der letzten
Nervenenden nun geschieht beim Zitterrochen sowohl als beim Zitter- _
aal ausschliesslich in die im Augenblick des Schlages negative Fläche
der elektrischen Plättehen, bei dem ersteren Thier also in die untere,
bei dem letzteren. in die hintere Fläche derselben. Bei dem Zitter-
wels nun glaubte Hr. Bilharz ebenfalls gefunden zu haben, dass
die Nerven’ sich in. die hintere Fläche der elektrischen Plättchen ein-
senken, und er hatte darauf den Schluss gegründet‘, dass bei diesem
Fisch wie beim Zitteraal im Augenblick des Schlages die hintere
Fläche die negative, die vordere die positive, oder‘ dass der Schlag
im Organ von hinten nach vorn gerichtet sein werde. Und bei die-
sem Sehluss hatte es Hr. Bilharz bewenden lassen müssen, ‘ohne
im Stande zu sein, denselben auf die Probe des Versuches zu stellen,
weil nach seinen und nach Hrn. Markusen’s Berichten 44) die Be-
sehaffung lebender Zitterwelse in Kairo mit unüberwindlichen Schwie-
rigkeiten verknüpft ist, die ihren Grund in den Beschränkungen ha-
ben, denen behufs der ‚Steuererhebung der Fischverkauf in’ Bulak
seitens der viceköniglichen‘ Regierung: unterliegt Nw» Im. Dia-
114
manti in Kairo, einem Schüler des Hrn. Matteueci, ist es. durch
besondere Vergünstigung, ‚des Vicekönigs vor Jahren eine Zeitlang
vergönnt gewesen, lebende Zitterwelse zu untersuchen ; ‚es hat aber
nie etwas von seinen Ergebnissen verlautet 12),
Während so ‚die ‚in Aegypten. geführte Untersuchung .in dem
Augenblick in’s Stocken gerieth, wo. sie durch die in.nahe Aussicht
gestellte Entdeckung ‚eines Zusammenhanges zwischen Anordnung
der Nerven und Richtung, des Schlages im Organ die spannendste
Wendung, nahm, sollte plötzlich, von einer Seite her, von der aus: es
am wenigsten zu erwarten war, der Weg zu ihrer Fortsetzung ge-
bahut werden.
In.Creek Town, etwa. 12 deutsche Meilen aufwärts am schlam-
migen Brackwasser des Oldcalabar-Stromes, der östlich vom Niger,
mit demselben ein gemeinsames, von Fieberhauch verpestetes Delta
bildend, sich unter scheitelrechter Sonne in die Bai von Benin er-
giesst13), haben muthvolle schottische Missionare die Stätte ihrer
Wirksamkeit aufgeschlagen, und haben, inmitten der Gefahren und
Mühseligkeiten ihres Berufs, neben den Interessen der. Religion die
der Wissenschaft nicht aus den Augen verloren. Von dort waren
schon im Jahr 1855 unter anderen Naturmerkwürdigkeiten, Wein-
geistexemplare des. Zitterwelses nach Edinburgh gesandt, ‚und von
Hrn. Andrew Murray daselbst unter dem Namen Malapterurus
Beninensis als neue Species beschrieben worden !?).. Im: vorigen Som-
mer hat Mrs. Anderson, die Gattin eines jener Missionare, es, un-
ternommen, drei lebende Exemplare derselben: Species ‘von. Creek
Town nach Edinburgh zu bringen 45), Mit jener Hingebung, und
Ausdauer, wodurch bei einer ernsteren Gelegenheit ihre Landsmän-
ninnen zur selben Zeit sich unvergänglichen Ruhm erwarben, hat
diese Dame, trotz unterwegs. erlittenem Schiffbruch, ihren Vorsatz
glücklich ausgeführt. In Edinburgh gelangten ‚die Fische in die Hände
des Hın. Goodsir, des würdigen Nachfolgers der Monro's auf
dem Lehrstuhl der Anatomie und Physiologie. daselbst. Professor
Goodsir, der gerade im Begriff stand nach Berlin zu reisen, hatte
die ausserordentliche Zuvorkommenheit, einen der Fische mitzubringen,
|
Z——
115
ünd ihn den Berliner Physiologen zu übergeben, bei denen er Grund
hatte, ein besonderes Interesse dafür zu vermuthen. Dies geschah am
8. August. Als er aber fand, dass man hier bereit sei, sich dem Ge-
genstand mit allen Kräften zu widmen, liess Hr. Goodsir auch
noch die beiden anderen Fische über Leith und Hamburg nachkom-
men, wo ich sie am 26. August an Bord des Tantallan in Empfang
nahm.
Die drei Fische waren beziehlich 6, 8 und 9 Zoll lang. Die bei-
den grösseren waren Weibchen, das Geschlecht des kleinsten hat
nicht bestimmt werden können.
Es fehlt an genauer Auskunft, wie und unter welchen Vorsichts-
massregeln sie die Reise von ihrer Heimath bis nach Schottland zu-
rücklegten. Von Edinburgh hierher wurden sie jeder einzeln in
einem gewöhnlichen Goldfischbecken mit einigen Wasserpflanzen ge-
bracht, welches in einem genau passenden Deckelkorbe in der Kajüte
aufgehängt war.
Hier angelangt wurden die Fische in meinem Laboratorium im
Universitätsgebäude anfänglich jeder einzeln in einer flach cylindri-
schen Wanne aus sogenanntem Gesundheits-Geschirr von elf Zoll
Durchmesser und fünf Zoll Tiefe gehalten. Diese Wannen wurden
vier Zoll hoch mit dem filtrirten Spreewasser der hiesigen Wasser-
werke gefüllt, zu dessen Herbeischaffung, da das Universitätsgebäude
noch nicht mit Leitungsröhren versehen ist, Hr. Direetor Gill mit
‚ grosser Freundlichkeit die Hand bot. Alle zwei Tage wurden die
‚ Wannen mittelst eines Hebers so weit geleert, dass der Rücken des
Fisches bloss lag, und mit frischem Wasser gefüllt. Auf dem Boden
der Gefässe befand sich etwas Gartenerde. Im Wasser schwammen
einige Wasserpflanzen, Hydrocharis, Kallitriche, Vallisneria, Lemna
u. d. m., die von Zeit zu Zeit erneuert wurden. In Creek Town
, gingen lebende Zitterwelse, die zur Einschiffung nach Europa bereit
, gehalten wurden, dadurch zu Grunde, dass sie Nachts aus ihren Be-
‚ hältern sprangen. Es wurden deshalb über die Wannen weitmaschige,
‚ lackirte, unten glatte Eisendrahtnetze angebracht. Die Temperatur
des Wassers hielt sich in dieser Zeit ohne weitere Bemühung be-
Moleschott, Untersuchungen. V, 9
116
ständig auf 18—20° C., wobei sich die Fische vollkommen wohl zu
befinden schienen. }
Die in Edinburgh! untersuchten 'Weingeistexemplare enthielten
in ihrem‘ Darm. Reste von: Süsswassererustaceen.. ‘Es; wurde daher
anfangs der Versuch gemacht, die Fische mit solchen. Thieren’(Gam-
marus, Asellus, Daphnia u. d. m.) zu,füttern. Die Beschaffung .der-
selben hatte jedoch, wegen des niedrigen Wasserstandes im verflos-
senen Sommer, grosse Schwierigkeiten, und da, in Edinburgh erkannt
worden war, dass der mittelgrosse Fisch auch Regenwürmer. fresse,
so wurden die Crustaceen, vielleicht zur Unzeit, gegen Regenwürmer
vertauscht. Der erwähnte Fisch frass davon in der That'mit solcher
Begier,, dass er die Würmer aus der’ Pinzette nahm, und, wie, nach
mehr verlangend , an die Oberfläche stieg, so‘ dass man ihn bis zu
einem gewissen Grade als gezähmt ansehen durfte. Er schluckte die
‚Würmer, ‚ohne denselben) einen Schlag zu ertheilen, ‚mit einer raschen
Saugbewegung ein. Auch der kleinste Fisch hat Würmer gefressen,
die in seine Wanne geworfen ‘wurden. ‚Der grösste: Fisch dagegen
liess sich die Würmer um die Bartfäden ringeln, ohne zu schlagen,
oder sich sonst darum zu kümmern und es ist zweifelhaft, ‚ob .erije
davon gefressen.
Da indessen damals zu erwarten stand, dass auch er sich zuletzt
zu dieser Kost bequemen werde, die dem mittleren Fisch so zu be-
hagen schien, so war die beste Aussicht vorhanden, diese wunder-
baren Geschöpfe ebenso , wie es bereits mehrmals mit demZitteraal
geglückt ist, lange Zeit, vielleicht Jahre lang am Leben zu erhalten.
Diese Hoffnung ist nieht-in Erfüllung gegangen. Gegen Anfang No-
vember fingen die Fische zu kränkeln an. ‚Während sie im gesunden
Zustand an der dunkelsten' Stelle’ des Bodens ihrer Wanne mit weit
ragenden Bartfäden unbeweglich ruhten, sah. man. sie jetzt, ihrer
Lichtscheu vergessen, theils auf den Schwanz gestützt, „theils
krampfhaft mit den Brustflossen, arbeitend, ‚ängstlich 'an der. Ober-
fläche nach Luft schnappen.‘ Erneuerung des Wassers, die. kräf-
tigste Lüftung desselben mittelst des Blasebalges, brachten nur. vor-
übergehend Ruhe.
117
Die Wahl der vorher beschriebenen, verhältnissmässig kleinen
Gefässe zur Aufnahme der Fische hatte zum Zweck gehabt, mit den
Fischen in den nämliehen Behältern, worin sie lebten, ohne weiteres
experimentiren zu können, was in einer ausgedehnten Wassermasse
nicht möglich gewesen wäre, und dies Verfahren hatte sich ja bis
dahin in jeder Beziehung; bewährt. Jetzt freilich musste jede andere
Rücksicht zunächst weichen vor der auf die Erhaltung der Fische.
Glücklicherweise hatte ich, mit Unterstützung der Akademie, bereits
den Bau:einer grösseren Vorrichtung begonnen, welche zum Zweck
hatte, den Thieren den Winter über in ihren Wannen eine gleich-
mässige Temperatur zu sichern. Diese Vorrichtung wurde jetzt da-
bin abgeändert, dass an die Stelle der drei Wannen ein einziger
Trog aus Spiegelplatten trat, vier Fuss lang, anderthalb Fuss breit
und zwei Fuss tief. Zwei Zoll hoch wurde der Trog mit Erde, und
bis zu zwei Zoll vom Rande mit Wasser gefüllt. Hr. Braun hatte
die Güte, vom königlichen botanischen Garten aus diesen Trog in
einen kleinen tropischen Teich verwandeln zu lassen, in dem erfri-
schende Pistien, nebst Pontederien und afrikanischen Nymphäen, den
Eremdlingen während des nordischen Winters so viel wie möglich
die heimathliche Umgebung vorspiegeln sollten. Durch den Trog
wurde Tag und Nacht ein Strom frischen Brunnenwassers geleitet.
Um die Temperatur beständig auf der richtigen Höhe zu erhalten,
wurde der Trog in einen fünf Fuss langen, zwei Fuss breiten und
13 Zoll tiefen, mit Wasser gefüllten Zinkkasten gestellt, der mit
' Holz und einer Schicht Sägespäne bekleidet war und dessen Deckel
luftdicht an die Spiegelplatten des Troges schloss. Das Wasser im
Zinkkasten wurde von einem seitlich angebrachten kleinen kupfernen
Kessel aus mittelst einer Tag und Nacht brennenden Oellampe mit
doppeltem Luftzuge dergestalt erwärmt, dass das im Trog' schwim-
mende Thermometer beständig 18—19% C. zeigte,
Diese kostspieligen und mühseligen ‘Vorkehrungen, die am
\ 6. November in Gang kamen, erfüllten ihren Zweck so weit, dass
der grosse Fisch, der überhaupt am wenigsten die beschriebenen
Krankheitssymptome gezeigt hatte, völlig wiederhergestellt wurde,
g#
1183
und noch über zwei Monate in dem Aquarium bei guter Gesundheit
lebte, ohne jedoch im Stande zu sein, wie er es in Edinburgh that
und anfangs auch hier vermocht hätte, die darin ausser ihm befind-
lichen Goldfische, Giebel, Stichlinge u. d. m. zu erschlagen. "Er
wählte sich den Ort, wo zwischen Gestein und wuchernden Ana-
charismassen das kalte klare Brunnenwasser hineinrieselte, um daselbst,
wenn er nicht mit dem Kesser zu Versuchen herausgeholt wurde,
wenigstens (den Tag über unbeweglich auf dem Grunde zu liegen.
Den mittleren Fisch zu retten, der die vielen Regenwürmer ge-
fressen hatte, reichte leider auch diese möglichst vollkommene Nach-
ahmung seiner natürlichen Lebensbedingungen nicht aus. Er wurde
am 11. November todt gefunden, ehe ich mich hatte entschliessen
können, ihn zu solchen Versuchen zu verwenden, die seinen Tod
herbeiführen mussten, und zwar in einem Zustand, in dem er kaum
noch zu feineren anatomischen Zwecken tauglich war, und der darauf
deutete, dass er, der steten Beaufsichtigung ungeachtet, bereits vor
einiger Zeit gestorben und unten im Kraut stecken geblieben sein
musste. In der That hatte man ihn in den letzten Tagen nicht an
der Oberfläche gesehen, dies war aber vielmehr als ein Zeichen der
Genesung; ausgelegt worden.
Da der kleinste der drei Fische, trotz der Versetzung in’s
Aquarium, zu kränkeln fortfuhr, so opferte ich diesen, um einem
ähnlichen Missgeschiek vorzubeugen, am 23. November.
Der grosse Fisch schien sich am 31. December noch vollkom-
men wohl zu befinden, nachdem er aller Wahrscheinlichkeit nach im
rn a en
Lauf des Decembers, wo es wieder gelang Flohkrebse zu erhalten, °
Nahrung zu sich genommen hatte. Er.erkrankte aber kurz darauf
und starb, leider abermals unerwartet, während der Nacht zum 12d.,
als ich schon mit den Vorbereitungen zu denVersuchen beschäftigt
war, bei denen er getödtet werden sollte. Doch war er, als er am
Morgen. todt gefunden wurde, zu einer gewissen Klasse wichtiger
Versuche glücklicherweise noch nieht unbrauchbar.
Dies ist die Geschichte der drei ersten Zitterwelse, welehelebend
nach Europa, ja, mit Ausnahme der von Hrn. Diamanti ohne be-
119
kannten Erfolg untersuchten, meines Wissens, überhaupt in die Hände
eines experimentirenden Physiologen gelangt sind. Ehe ich dazu
schreite, Rechenschaft abzulegen von diesem kostbaren, mir vom
Ausland anvertrauten Pfunde, in dessen Besitz ich oft eine schwere
Verantwortlichkeit empfand, möchte ich Folgendes zu . bedenken
geben.
Von der Ankunft des- kleinsten bis zum Tode des grössten
Fisches sind über fünf Monate verflossen. Im Vergleich zu dieser
Frist wird die gewönnene Ausbeute vielleicht nur spärlich erscheinen,
Erstens aber pflegt man sich einen übertriebenen Begriff von
dem zu machen, was mit einem oder einigen wenigen lebenden Zitter-
fischen aufgestellt werden kann, deren Leben geschont werden soll.
Bei weitem die meisten und wichtigsten Fragen erfordern Versuche,
bei denen die Thiere geopfert werden müssen. Von diesen hat selbst-
verständlich nur ein sehr kleiner "Theil bei Gelegenheit der Tödtung
des kleinsten und des Todes des grössten Fisches erledigt werden
können,
Was sodann die am lebenden Thier, ohne unmittelbare Gefahr
für dasselbe, ausführbaren Versuche betrifft, so befand ich mich mei-
nen Fischen gegenüber einigermassen in der Lage des Mannes in der
Fabel, dem eine Henne jeden Morgen ein goldnes Ei legt. Jetzt, wo
die ungemeine Leistungsfähigkeit und Ausdauer der Zitterwelse be-
kannt ist, kann ich mir freilich selber am besten sagen, dass ich,
auch wenn die Fische schneller zu Grunde gegangen wären, den-
selben vermuthlich mit Leichtigkeit die doppelte Menge elektrischer
Kräfte zur Verwerthung im Experiment entlockt haben könnte, hätte
ich nur von vorn herein rücksichtslos meine Zwecke verfolgt. Anstatt
dessen habe ich damals eine unersetzliche Zeit damit verloren, Schritt
für Schritt auszumitteln, welche Leistungen ich wohl: ohne Gefahr
\ den fastenden, allen natürlichen Lebensbedingungen entrückten Thie-
ren zumuthen dürfte, weil ich bei jedem dreisteren Vorgehen an die
| geschlachtete Henne denken musste. In noch erhöhtem Masse kehr-
ten diese Zögerungen bei jedem einzelnen Fisch natürlich zu der
Zeit wieder, wo derselbe zu kränkeln anfing.
120
Endlich will auch noch bedacht sein, dass in diesem Gebiete,
wie einst in dem des Muskel- und Nervenstromes, grossentheils die
Methoden noch zu schaffen sind. Der erheblichste Fortschritt, der
in dieser Beziehung geschehen ist, besteht in der Ausbildung eines
Kunstgriffes, dessen sich bereits Galvanı 1797 bei seinen Versuchen
am Zitterrochen bedient hat ), in der Anwendung nämlich eines
Nerv-Muskelpräparats vom Frosch, um durch dessen im Augenblick
des Schlages erfolgende Zuckung gewisse experimentelle Dienst-
leistungen verrichten zu lassen.
Die Versuche an den lebenden Fischen wurden ohne Ausnahme in
den vorher beschriebenen Wannen angestellt, in denen die Fische
anfänglich einzeln gehalten wurden. Theils um die Beweglichkeit
der Fische, theils um die Nebenschliessung durch die Wassermasse
zu vermindern, wurde ferner jedes Mal, dass experimentirt werden
sollte, mit den Wasserpflanzen zunächst soviel Wasser aus der Wanne
entfernt, dass der Rücken des Fisches eben bloss lag. Alsdann wur-
den an zwei einander gegenüber liegenden Punkten des Umfanges
der Wanne Zinnplatten versenkt, und durch Drähte mit den Nerven '
eines oder mehrerer Nerv-Muskelpräparate in Verbindung gesetzt. |
Eines dieser Präparate war stets so aufgestellt, dass es bei seiner |
Zusammenziehung einen Hammer an eine Glocke anschlagen machte.
Sobald nun der Fisch seine Batterien entlud, nahm, welches auch seine
Stellung in der Wanne sein mochte, ein grösserer oder geringerer
Bruchtheil des Stromes seinen Weg durch den Nerven, so dass man
bei der fast grenzenlosen Empfindlichkeit des Nerv-Muskelpräparats,
durch einen Glockenschlag von jeder auch der schwächsten Entladung
des Fisches Kunde erhielt. Um diese Vorrichtung, die ich den
Froschwecker nenne, vollkommen zu machen, ist nur noch nöthig,
den Nerven vor der Trockniss zu schützen. Alsdann behält das
Nerv-Muskelpräparat stundenlang seine Leistungsfähigkeit, und arbeitet
mit solcher T’reue, dass man sich seiner zeitweise ganz vortrefflich
zum Telegraphiren würde bedienen können.
Der Froschwecker ist unentbehrlich, um die elektrische Thätig- |
keit des Fisches ausserhalb der Experimente zu überwachen, wo sie
|
121
sich in der ihn umgebenden Wassermasse durch nichts verräth, ‚wenn
nieht zufällig etwas Lebendes, ein Fisch oder Frosch, in hinreichender
Nähe gegenwärtig ist. Er ist aber auch unsehätzbar bei den Ver-
suchen selbst, indem er die Zahl der Schläge, und das Zeitmass ihrer
Aufeinanderfolge, selbst dann kennen lehrt, wenn die ‚eigentliche
Wirkung, auf die es beim Versuch abgesehen war, ausbleibt, so dass
man nie in Zweifel sein kann, ob dies Ausbleiben von mangelnder
Thätigkeit des Fisches oder von sonst welchem Umstande herrührte.
Aber noch in einer anderen Art ist das’ Nerv-Muskelpräparat
hier zu wichtigen Diensten berufen. ‘Die meisten Versuche am leben-
den Zitterwels laufen darauf hinaus, dass dem, wie so eben gesagt
wurde, im Wasser befindlichen Fisch ein Paar metallischer Sättel
aufgesetzt wird, mittelst welcher der‘Schlag des durch das Aufsetzen
gereizten Fisches in einen Kreis abgeleitet wird, worin man ihn ver-
schiedene Wirkungen hervorbringen lässt, und der der Experimen-
tirkreis heissen soll. Vermöge der ausnehmenden Geschwindigkeit
der Muskelzusammenziehung, deren zeitlicher Verlauf uns: übrigens
durch die Untersuchungen des Hrn. Helmholtz im Wesentlichen
wohl bekannt ist 17), kann man sich nun des Nerv-Muskelpräparates
bedienen, um in einem gewissen Zeitpunkt nach dem ‚Beginn des
Schlages diesem den Weg in den Experimentirkreis entweder durch
Oeffnen einer Nebenschliessung zu bahnen oder durch Oeffnen jenes
Kreises selber zu versperren. Natürlich setzt dies voraus, dass die
Dauer des Schlages, von der man’ bisher noch gar nichts wusste, im
Allgemeinen die Zeit übertreffe, welche zwischen Beginn der Reizung
des Nerven und Beginn der Zusammenziehung verfliesst. Dass dies
sich #0 verhalte, wird durch die Ausführbarkeit des obigen Versuchs-
plans bewiesen, und so zugleich der erste Anhaltspunkt zur Beurthei-
lung des zeitlichen Verlaufes des Schlages gewonnen. Welcher
Gebrauch sich aber von diesem Verfahren machen lasse, mag aus
folgendem Beispiel erhellen.
"Der Froschweeker lehrt, dass der gereizte Zitterwels, wenn er
irgend bei Kräften ist, selten nur einmal schlägt. Meistens erfolgen
zwei bis drei Schläge, bald dicht gedrängt, bald durch einen längeren
122
Zeitraum getrennt. Hierdurch wird es, ohne weitere Kunstgriffe
schlechterdings unmöglich, den Einfluss zu ermitteln, den dieser oder
jener Umstand auf die Stärke des in den Experimentirkreis abge-
leiteten Stromzweiges ausübt. Man bleibt stets im Dunkel darüber,
ob ‘etwa sich zeigende Unterschiede von dem betreffenden Umstand
herrühren, oder von der verschiedenen Anzahl und Aufeinanderfolge
der Schläge. Das Nerv-Muskelpräparat, als wachsamer Gehülfe mit
der rechtzeitigen Oeffnung des Experimentirkreises betraut, macht
dieser Verlegenheit ein Ende. Es ist sehr leicht, eine solche Ein-
richtung zu treffen, dass das Präparat in jedem Versuch durchaus
nur den ganzen ersten Schlag, oder gar nur einen stets proportionalen
Antheil der sich darin abgleichenden Elektrieitätsmenge hindurchlässt,
vor den folgenden Schlägen aber, die der gleichzeitig erregte Frosch-
wecker anzeigt, hurtig die Fallbrücke aufzieht.
So gelingt es in mehreren aufeinanderfolgenden, unter denselben
Umständen angestellten Versuchen, den Spiegel der Tangentenbussole
durch den Schlag des gereizten Fisches nicht selten bis auf den
Scalentheil genau denselben Ausschlag beschreiben zu sehen. Die
Ablesung mit Spiegel, Scale und Fernrohr ist beiläufig hier die allein
brauchbare, weil aus leicht ersichtlichen Gründen sie allein hinreichende
Sicherheit gegen die Störungen gewährt, die bei anderen galvanome-
trischen Werkzeugen aus der Veränderung des Magnetismus der
Nadeln durch den Schlag entspringen.
Um den Strom vom Fisch unter möglichst vortheilhaften Be-
dingungen abzuleiten, wurde folgende Einrichtung getroffen. Da der
Fisch nicht ohne Lebensgefahr aus dem eine Nebenschliessung, bilden-
den Wasser an die isolirende Luft gehoben werden konnte, so. wurde
versucht ihn im Wasser selbst in dem Augenblick des Schlages zu
isoliren. Zu diesem Zweck schnitzte ich aus Lindenholz möglichst
genaue Modelle der drei Fische. Diese Modelle dienten als Leisten,
um darüber aus Guttapercha Deckel zu verfertigen, die, Mumiensarg-
deckeln ähnlich, den Fischen im Wasser aufgesetzt werden konnten,
und ringsum möglichst genau an die Fische und an eine den Boden
bedeckende Spiegelplatte anschlossen. Innen waren die Deckel, Kopf
123
und Schwanz entsprechend, mit Stanniolbelegungen versehen, von
denen eine isolirte metallische Leitung nach aussen in den Experimen-
tirkreis führte. Obschon die Deckel zur Schonung der Bartfäden
und der Schwanzflosse vorn und hinten offen bleiben mussten, er-
füllten sie ihren Zweck doch bereits so vollkommen, dass nicht selten,
beim raschen Aufsetzen derselben, der Froschwecker versagte.
Ich gebe nun einen kurzen Ueberblick über die an den Zitter-
welsen im Leben und im Tode gewonnenen Ergebnisse.
An zoologisch-naturgeschichtlichen Bemerkungen habe ich wenig
mitzutheilen.
Hr. Peters, der den Zitterwels im Flussgebiet des Quellimane
im östlichen Afrika lebend beobachtet hat 1%), ist mit der Unter-
suchung beschäftigt, ob wirklich Grund zur Bildung der neuen Species
Malapterurus Beninensis vorliege, oder ob Altersunterschiede u. d. m.
binreichen, um die von Hrn. Andrew Murray hervosgehobenen
Abweichungen vom Malapterurus des Nils zu erklären.
Eine Eigenthümlichkeit im Aussehen der Fische, die an Weim-
geistexemplaren nicht mehr erkennbar ist, besteht in schönen regel-
mässigen Querfalten, die sich bei seitlichen Biegungen der Wirbel-
säule auf Augenblicke an der hohlen Seite des Fisches zeigen. Sie
werden gebildet durch den entsprechenden Theil des den Fisch in
Gestalt einer ziemlich dieckwandigen Röhre umgebenden Organs,
dessen äussere Schichten sich über den verkürzten Seitenmuskeln in
Falten legen müssen, während bei andern Fischen die verhältniss-
mässig dünne, derbe und meist stark befestigte Haut immer genau
dem Umriss des Rumpfes folgt.
Die drei Fische hatten nicht ganz einerlei Farbe. Die beiden
kleineren waren gelbgrau, der grössere tiefbraun gefärbt. Da dieser
Fisch der kräftigste schien und auch am längsten lebte, so ist zu
vermuthen, dass seine Farbe die richtige war. Bei Licht sah man
einen röthlichen Schimmer in der Dicke des Organs. Auch die Farbe
eines und desselben Fisches zeigte sich Wechseln unterworfen. Im
Dunkeln gehalten wurden die Fische binnen Kurzem beinahe schwarz,
und unter dem Einfluss des Lichtes wieder hell, Wenn mit dem
124
grossen Fisch in der letzten Zeit eine längere Versuchsreihe ange-
stellt wurde, sah er zuletzt ganz blass aus, erschien aber nach weni-
gen Tagen abermals hervorgeholt wieder tiefbraun gefärbt.
Obschon für gewöhnlich sehr ruhig, sind die Zitterwelse doch
muthig und kampflustig. Fische und Frösche, die zu ihnen in’s Was-
ser gethan werden, fallen sie sofort mit elektrischen Schlägen an.
Gewöhnlich erwiedern sie jede Berührung mit einem Schlage, doch
kommt es auch vor, dass sie sich der Hand mit einer heftigen Be-
wegung, entziehen, olne zu schlagen. Wenn die Fische in den
Wannen frisches Wasser erhielten, schwammen sie gewöhnlich lebhaft
im Strudel umher, und entluden dabei, wie der Froschwecker lehrte,
nicht selten ihre Batterien, ob zur Gegenwehr gegen eine vermeint-
liche Gefahr oder als Ausdruck des Behagens, möchte schwer zu
sagen sein. Der grosse Fisch hatte offenbar einen Hass auf die Elek-
troden des Froschweckers geworfen, und fiel sie öfter‘mit Bissen an,
die er mit mehreren rasch aufeinander folgenden Schlägen begleitete.
Durch den Anblick der rothen Farbe schienen sich die Fische nicht,
wie dies mit den Fröschen der Fall ist, aufregen zu lassen.
Die nähere Untersuchung der elektrischen Wirkungen der Zit-
terfische hebt natürlich’ mit derjenigen an, die sich zunächst darbietet,
der physiologischen Wirkung nämlich oder des Schlages im engeren
Sinne.
Im Vergleich zu ihrer Grösse ist der Schlag der Zitterwelse ein
überraschend heftiger. Als ich mit beiden wohl durchfeuchteten Hän-
den den im Wasser befindlichen Fisch an’ Kopf und Schwanz ergriff,
erhielt ich einen Schlag, der sich bis an die "Ellbogen erstreckte.
Der Schlag schien mir'nicht so trocken wie der der Leydner Flasche,
sondern hatte mehr 'etwas schwellendes. Berührt man mit der einen
Hand den im Wasser befindlichen Fisch, so empfindet man einen in
der Haut stechenden, und in allen Gelenken schmerzenden Schlag in
dem eingetauchten Theil. Am wunderbarsten ist unstreitig der'Ein-
druck des Schlages, wenn man mit benetzten Händen gewöhnliche
kupferne Handhaben ergreift, die durch Drähte mit den beiden Be-
legungen eines der beschriebenen Guttaperchadeckel verbunden sind,
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und dieser von einem Gehülfen dem Fisch aufgesetzt wird. Da dies
die Art ist, wie man gewohnt ist, elektrische Schläge prüfend zu
empfinden, und da man dabei nicht zerstreut wird durch die Sorge,
dass man dem Thier gehörig beikomme ohne ihm zu schaden, und
durch das an sich widrige Gefühl, das schlüpfrig Zappelnde anzu-
greifen: so tritt das Unerhörte der Erscheinung Einem um 50 reiner
entgegen, zu der es nur ein Seitenstück giebt, das uns freilich alltäg-
lich geworden ist: die mechanische Wirkung nämlich, deren dieselben,
hier elektrisch wirksamen, wenigen Gramme Wasser, Eiweiss, Fette,
Salze unter dem Einfluss derselben Nerven fähig sein würden, wenn
sie, anstatt zum elektromotorischen Organ, zum Muskel zusammen-
gefügt wären 19).
Kleineren Fischen werden wiederholte Schläge der Zitterwelse
leicht tödtlich. Eines Nachmittags that ich in die Wannen der drei
Fische, in deren einer sich das Elektrodenpaar des Froschweckers
befand, einen Schlei von etwa sechs Zoll Länge und einen ebenso
langen Schlammpitzger. Sofort erhob sich in den drei Wannen ein
heftiger Tumult. Hie und da sprang ein Schlei in die Luft, während
die aalähnlich sich schlängelnden Schlammpitzger, wie von Todes-
angst getrieben, am Umkreis des Wasserspiegels umherjagten und
endlich einer nach dem andern sich über den zollhohen Rand der
Wanne zwischen demselben und dem Drahtnetz hindurch in’s Trockne
stürzten. ‘Wieder hineingebracht entkamen sie abermals, bis ich
durch Ablassen des Wassers dem Rande die doppelte Höhe ertheilt
hatte. Das Wasser wurde durch das Aufwühlen des Schlammes
gleich so trübe, dass ich, ohne den Froschwecker, über den eigent-
lichen Hergang im Dunkel geblieben wäre. Dieser aber verrieth
deutlich genug, was geschah. Seine Glocke blieb in fortwährendem
Tönen, bald einen starken, bald einen schwachen Stromzweig im
Nerven anzeigend, sei’s dass der Fisch verschieden stark schlug, sei’s
dass er im Augenblick des Schlages eine verschieden günstige Lage
in Bezug auf das Elektrodenpaar des Froschweckers hatte. Manch-
mal schien der Hammer an der Glocke förmlich zu kleben; dann
tetanisirte sichtlich der Zitterfisch sein Opfer. Nun folgte eine Pause
126
der Ruhe, bis vermuthlich die Schleie, aus der Betäubung erwacht;
wieder anfingen Lebenszeichen von sich zu geben, und die Welse,
ihrerseits ausgeruht, sich zu einem neuen Angriff aufgelegt fühlten.
Aufs Neue erhob sich dann und wann, bald in dem einen, bald in
dem andern Gefäss, aber kürzer als das erstemal und durch immer
längere Pausen der Ruhe getrennt, der Tumult. So verliess ich die
Wahlstatt. Als ich am andern Morgen in’s Laboratorium kam, lagen
die Schlammpitzger todt auf der Erde. Sie waren also, was schwer
zu begreifen ist, in der Nacht doch noch über den glatten, nunmehr
zwei Zoll hohen Rand der Wanne entkommen. In den Wannen der
beiden grösseren Fische waren die Schleie todt. Sie mussten schon
seit geraumer Zeit gestorben sein, denn sie waren starr und ihre
Hornhaut fing an sich zu trüben. Das Wasser war vollkommen
klar, es musste also schon längst Ruhe darin geherrscht haben. Die
bärtigen Donnerer von der Sklavenküste schienen muntrer denn je.
Der kleinste hatte seinen Schlei nicht völlig zu tödten. vermocht;
derselbe starb aber, obschon in ein anderes Gefäss gesetzt, bald dar-
auf. Ein viertes Paar Schlei und Schlammpitzger, die ich zur Con-
trole in einer vierten Wanne aufbewahrte, haben noch Wochen hin-
terher gelebt.
Nachdem die Aechnlichkeit der Empfindungen, welche der Schlag
der Zitterfische, und derjenigen, welche elektrische Entladungen be-
wirken, erkannt worden, ist die nächste Aufgabe, die daraus gefol-
gerte Einerleiheit der Ursache beider Wirkungen dadurch zu bewei-
sen, dass gezeigt wird, wie der Schlag der Zitterfische auch noch
anderer elektrischer Wirkungen fähig, sei, und wie er dieselben Kör-
per, nach denselben Gesetzen, zu Leitern und Nichtleitern habe, wie
die Elektrieität. Obsehon diese Aufgabe an den beiden andern elek-
trischen Fischen, dem Zitterrochen und Zitteraal, bereits als gelöst
anzusehen war, habe ich doch nicht unterlassen wollen, auch durch
den Zitterwelsschlag die vornehmsten, den elektrischen Strom kenn-
zeichnenden Wirkungen zu erzeugen, da dies zugleich der Weg ist,
sich von der rein physikalischen Seite der Erscheinung ein möglichst
entsprechendes Bild zu verschaffen.
x
127
Es gelang zu beobachten die elektrische Anziehung und Abstos-
sung; die Feuererscheinung bei der Berührung zweier einander an-
ziehenden Goldblättchen, die dabei zusammenschmelzen ; die Jodka-
lium-Elektrolyse; die Polarisation von Platinelektroden; die Ablen-
kung der Magnetnadel; die Magnetisirung von hartem Stahl und
weichem Eisen; die Induetion sowohl als Extrastrom in dem näm-
lichen Leiter mit dem primären Strom, als auch in einem getrennten
Kreise, wo der indueirte Strom sogar eine Lücke unter Funkenbil-
dung übersprang; endlich den Trennungsfunken mit und ohne Extra-
strom. Zur Darstellung |des Trennungsfunkens bediente ich mich
unter andern eines durch ein Uhrwerk bewegten Zahnrades, an des-
sen Umfang eine Feder schleifte.
Hingegen misslang durchaus Leitung des Schlages durch die
Flamme, und ebensowenig glückte es je, den Schlag die kleinste
Lücke zwischen feststehenden metallischen Leitern überspringen zu
lassen; obschon es keine Schwierigkeit hat, in einem auf eine Glas-
platte geklebten Staniolstreifen mittelst des Rasirmessers einen Spalt
herzustellen, der unter Funkenbildung von Strömen übersprungen
wird, die weder subjeetiv wahrnehmbar sind, noch den Gastrocnemius
des Frosches bei unmittelbarer Reizung zu erschüttern vermögen.
Dieser schon öfter wahrgenommene, scheinbare Widerspruch
zwischen der Stärke des Stromes der Zitterfische bei sonstiger Prü-
fung, und seiner Schlagweite, erklärt sich daraus, dass dieser Strom,
wie er im Experimentirkreis erhalten wird, als abgeleiteter Strom-
zweig zu betrachten ist. Von zwei gleich starken Strömen aber,
deren einer durch Nebenschliessung gewonnen ist, wird dieser letztere,
durch Einführung eines gegebenen Widerstandes in seine Leitung,
mehr als der andere geschwächt.
Bei der Jodkalium-Elektrolyse gab sich der sonderbare Umstand
zu erkennen, der von den Beobachtern an den beiden andern Zitter-
fischen nieht erwähnt worden ist, dass bei Anwendung zweier Platin-
spitzen als Elektroden, unter jeder Spitze ein Fleck gefunden wird.
Beim ersten Blick könnte man glauben, dies rühre daher, dass der
‚ Zitterwelsschlag aus einer Reihe abwechselnd ‚gerichteter Ströme be-
128
stehe. Doch ist leicht zu zeigen, dass’ der einzige Grund jenes Ver-
haltens in der Polarisation der Platinspitzen liegt, welche schneller,
als man nach geschehenem Schlage die Sättel aus dem Wasser heben
und dadurch. den Kreis öffnen kann, einen Strom in umgekehrter
Richtung erzeugt, von dem der Fleck unter der ursprünglich nega-
tiven Spitze berührt. Dasselbe lässt sich in Inductionskreisen und
in verzweigten galvanischen Leitungen wahrnehmen, wo gleichfalls
die Spitzen noch zum Kreise geschlossen bleiben, nachdem der ur-
sprüngliche Strom vorüber ist 20).
Was den zeitlichen Verlauf des Schlages betrifft, von dem bisher
noch gar nichts bekannt war, so hat sich auf dem früher bereits an-
gedeuteten Wege ergeben, dass die Dauer des Schlages eine kleine
Zeitgrösse von einerlei Ordnung ist mit denen, die bei der Muskel-
zusammenziehung in Betracht kommen. Leider bin ich nicht dazu
gelangt, wie ich es beabsichtigte, eine Versuchsreihe über Stärke
und Dauer des Schlages am Magmetometer und Elektrodynamometer
anzustellen, und eben so wenig ist es möglich gewesen, wie hier so-
gleich angemerkt werden mag, verschiedene wichtige Fragen zu be-
antworten, zu deren Entscheidung das Myographion ein geeignetes
Mittel geboten hätte.
Nach dieser mehr physikalischen Erforschung dessen, was
im Augenblick des Schlages im Experimentirkreis vorgeht, wen- |
det sich ‘die Untersuchung der dabei am Körper des Fisches
und im umgebenden Wasser stattfindenden Vertheilung der Span-
nungen zu, und zwar in doppeltem Bezuge, erstens was die
Grösse und zweitens was das Zeichen derselben an verschiedenen
Punkten betrifft.
Die einfachste Wahrnehmung lehrt, dass die elektrischen Gegen-
sätze an diesem Fisch, wie am Zitteraal, in der Richtung der Längs-
axe vertheilt sind. An Kopf- und Schwanzende des Organs sind auch
hier dessen elektrische Polflächen zu suchen, sofern bei einer nicht
isolirten Säule davon die Rede sein kann. Demgemäss erhält man
die stärkste Wirkung, je weiter auseinandergelegene Punkte der
Länge des Organs man zwischen die Enden des ableitenden Bogens
129
begreift, gleichviel übrigens, an welchen Punkt des Umfanges eines
bestimmten Querschnittes man jedes Ende anlege.
Eine sehr unerwartete Thatsache, die im Verein mit histologi-
schen Beobachtungen noch zu, wichtigen: Schlüssen führen kann, ist
die höchst verschiedene, Stärke, mit der verschiedene Theile des Or-
gans ‚elektromotorisch wirken... Die vordere Hälfte des Organs näm-
lich übertrifft die hintere Hälfte dermassen an Wirksamkeit, dass es
kaum möglich ‚scheint, diesen Unterschied allein auf den geringeren
Querschnitt des Organs in der Schwanzgegend: zurückzuführen.
Mit diesen Ermittelungen eng. verknüpft ist das: Ergebniss einer
Versuchsreihe, die ich anstellte, um zu erfahren, welche Ausdehnung
ich den: beiden ‚Stanniolbelegungen an Kopf- und Schwanzende der
oben beschriebenen Guttaperchadeckel zu geben ‚hätte, ‘um einen
möglichst grossen Theil des Schlages in den Experimentirkreis abzu-
leiten, Ich überzeugte mich zunächst‘ von dem grossen Einfluss, den
auf die Stärke des Schlages im Experimentirkreis: bei gleicher Länge
der Belegungen der Umstand ausübt, ob: zwischen beiden Belegungen
der Deckel ein nichtleitendes Ganze bildet, oder. ob statt dessen die
beiden Belegungen ‚nur durch‘ Glasstäbe verbunden sind, Im ersten
Falle ist bei kurzen Belegungen die Stromstärke bedeutend: ‚grösser
als im, letzteren. Sodann stellte ich. für den grossen Fisch | drei
Deckel her, an deren einem die Belegungen in der Mitte fast zusam-
menstiessen, an dem zweiten einen breiten unbelegten Raum zwischen
sich liessen, an dem dritten von den Enden des Deckels nur bis an
die ringförmigen Polflächen des Organs reichten, Ich vermuthete,
dass von diesen drei Deckeln der erste sich bei kleinem ‚; der zweite
bei mittelgrossem‘, und .der dritte bei grossem, Widerstand im Expe-
rimentirkreise am günstigsten erweisen würde; und dies scheint sich
in; der‘ That so zu verhalten,‘ obwohl der Tod des grossen: Fisches
mir leider nicht Zeit liess, durch Vervielfältigung der Versuche meine
Vermuthung vollends, zu bestätigen.
Wie dem: auch sei, es ist somit die eine Vorhersagung des Hrn.
Bilharz eingetroffen, Man erinnert sich, dass er aus der senkrechten
Btellung, der elektrischen Plättehen im ‚Organ des Zitterwelses die
130
wagerechte Richtung der Elektrieitätsbewegung in demselben er-
schlossen hatte. Er war aber weiter gegangen und hatte geglaubt,
aus dem Eintritt der Nervenröhren in die hintere Fläche der elek-
trischen Plättchen folgern zu dürfen, dass beim Zitterwels wie beim
Zitteraal das Kopfende des Organs sich positiv, das Schwanzende
negativ verhalten, oder dass der Strom im Organ vom Schwanz zum
Kopf, im umgebenden Wasser oder jedem andern dem Organ ange-
legten Leiter vom Kopf zum Schwanz gerichtet sein würde.
Diese Muthmassung hat sich nicht bestätigt. Gleich der erste
Versuch, den ich am 13. August an dem kleinsten Fisch mit Hülfe
von Prof. Goodsir anstellte und am nämlichen Tage der Akademie
mittheilte 21), ergab gerade das Umgekehrte von dem, wasHr. Bilharz
aus dem mikroskopischen Befund anscheinend mit so voller Berechti-
gung entnommen hatte. Es hat sich seitdem in zahlreichen Versuchen
bestätigt, dass der Schlag im Organ des Zitterwelses unabänderlich
vom Kopf nach dem Schwanz gerichtet ist, so dass wenn eine Säule
des Zitterrochen-Organs, um zu einer des Zitteraal-Organs zu werden,
sich mit dem oberen Ende nach vorwärts neigen muss, sie sich mit
demselben Ende nach hintenüber zu legen hat, um zu einer Säule
des Zitterwels-Organs zu werden.
Damit schien die Hoffnung vernichtet, in dem Sinne wie Hr. |
Bilharz es gewollt hatte, eine durchgreifende Beziehung zu erkennen |
zwischen der Anordnung der Nerven und der Vertheilung der Span-
nungen in den elektromotorischen Organen. Abermals jedoch sollte
das der Erforschung der Zitterfische günstige Geschick des vorigen
Jahres der drohenden Verwirrung rasche Abhülfe bringen. Hr. Ecker
in Freiburg hatte nämlich bereits in dem pseudoelektrischen Organ |
gewisser Mormyrusarten die Beobachtung gemacht, dass die Nerven-
röhren, anstatt sich unmittelbar in die ihnen zugekehrte Fläche der
pseudoelektrischen Plättchen zu versenken, zuerst durch scharf aus-
geschnittene Löcher in diesen Plättehen treten, um dann kolbig anzu-
schwellen und rückwärts zahlreiche Ausläufer in die ihrer Verbrei-
tungsrichtung ursprünglich abgekehrte Fläche der Plättchen zu
schicken 2). Hr. Max Schultze in Halle, der sich 'ebenfalls mit
131
diesem Gegenstande beschäftigte, erkannte auf den Abbildungen, die
Hr. Bilharz von den elektrischen Plättchen des Zitterwelses giebt,
Spuren eines ähnlichen Verhaltens, und fasste den Gedanken, dass
dies der Grund sein möge der Abweichung zwischen dem von Hrn.
Bilharz verkündigten und dem an den hiesigen Zitterwelsen beob-
achteten Erfolge. Nachdem ich Hrn. Schulze sowohl frische als in
verschiedene Flüssigkeiten eingelegte Stücke des Organs mitgetheilt
hatte, gelang es ihm, seine Vermuthung zur Gewissheit zu erheben 2).
Es bleibt somit die von Hrn. Paeini **) vorgeahnte, von Hrn.
Bilharz sicherer begründete und verallgemeinerte Regel bestehen,
wonach diejenige Seite der elektrischen Plättchen, in die sich die
Nervenröhren versenken, die negative ist; nur dass beim Zitterwels
‚ und bei einigen pseudoelektrischen Fischen die beschriebene, sonder-
bare Einrichtung stattfindet, wodurch die dieser Regel zufolge negative
Fläche zur positiven wird, und umgekehrt.
Unter den an den sterbenden Fischen angestellten Versuchen
nehmen den ersten Platz ein die, welche auf sonst etwa in dem elek-
trischen Organ wahrnehmbare elektromotorische Wirkungen Bezug
haben. Das Organ zeigt nichts dem Muskel- oder Nervenstrom
‚ Aehnliches, wie man sich wohl hätte denken können. Die Haut des
Fisches scheint sich auf den mit Eiweisshäutchen bekleideten Bäuschen
meiner Vorrichtung schwach positiv gegen alle übrigen künstlichen
sowohl als natürlichen Begrenzungen des Organs zu verhalten. Hin-
| gegen ist es mir gelungen, an dem Organ secundär-elektromotorische
ı Wirkungen im grössten Massstabe, und den merkwürdigsten Bezug
auf die Wirkungsrichtung des Organs zeigend, aufzudecken, wodurch
| die Uebereinstimmung zwischen Nerv, Muskel und elektrischem Organ
| vervollständigt wird.
Beim Tetanisiren des elektrischen Nerven gerieth ein strom-
prüfender Schenkel, dessen Nerv das entsprechende Organ berührte,
‚ in Tetanus. Bei dauernder Erregung des Nerven also erzeugt das
| Organ nicht, wie man wohl hätte erwarten können, einen stetigen
Strom, sondern eine dichtgedrängte Reihe von Schlägen, gerade wie
ı ein Muskel dabei nur scheinbar stetige Zusammenziehung und Strom-
Moleschott, Untersuchungen. V. 10
132
abnahme zeigt; eine Frage, die trotz den zahllosen am Zitterrochen
angestellten Versuchen sonderbarerweise noch offen war. Das Organ
erlahmte übrigens stets früher, als die Nadel des gleichzeitig den
Schlägen ausgesetzten Multiplicators eine feste Stellung eingenommen
hatte, ganz wie dies auch bei der negativen Schwankung, des Muskel-
oder Nervenstromes der Fall ist. Der elektrische Nerv, nicht allein
durch seine Wirkungsweise, sondern beim Zitterwels auch durch sei-
nen Bau so überaus merkwürdig, konnte leider nicht gehörig auf
seine elektromotorischen Eigenschaften untersucht werden, weil bei
Gelegenheit der Tödtung des kleinen Fisches alle Multiplicatornadeln
durch die Schläge des sterbenden Fisches demagnetisirt worden wa-
ren, beim Tode des grossen Fisches aber der Nerv muthmasslich
nicht mehr seine volle Leistungsfähigkeit besass. Es ist also nichts
darauf zu geben, dass der Nerv weder im ruhenden Zustande den
Strom vom Längs- zum Querschnitt, noch beim Tetanisiren die ne-
gative Schwankung dieses Stromes wahrnehmen liess, obschon es |
denkbar wäre, dass, da der Nerv bekanntlich nur aus Einer wenn
auch ungewöhnlich dicken Primitivröhre besteht, er jener Wirkungen
in der That nur in verschwindendem Masse fähig ist. Die weit hand-
greiflicheren Erscheinungen des Elektrotonus zu beobachten, gelang
dagegen mit voller Bestimmtheit.
Ich schliesse, indem ich noch einen Augenblick bei meinen Ver-
suchen zur Aufklärung einer Erscheinung verweile, die wohl eine
der räthselhaftesten im ganzen Gebiete der Physiologie genannt wer-
den darf. Ich meine nicht die Erzeugung der Elektrieität im Organ
der Zitterfische; nicht die Herrschaft, die der Wille dieser Thiere |
durch die Nerven über jenen Process übt; nicht die sonderbare Aus-
wahl der Nerven, die in den drei Zitterfischen das Organ versehen;
noch endlich die nicht minder wunderliche Auswahl die, wie Eingangs
gesagt wurde, die Natur beim Vertheilen der elektrischen Waffe un- |
ter den Thieren getroffen hat. Ich meine die Frage, wie es komme,
dass ein Zitterfisch zwar andere Fische erschlägt, aber weder sich
selbst, noch, nach v. Humboldt’s®) und Colladon’s2) Erfah-
rungen, seinesgleichen; dass der Zitterroche, der lebendige Junge
133
gebiert, im trächtigen Zustande nicht durch seinen Schlag die eigne
Brut vernichtet? Schon vor fünfzehn Jahren, in meinem „vorläu-
figen Abriss einer Untersuchung über den Muskelstrom
und die elektromotorischen Fische“ stellte ich diese Frage
auf?”), zu der ich durch die Betrachtung geführt worden war, dass,
in Abwesenheit einer den Körper des Zitterfisches mit Ausschluss des
Organs isolirenden Hülle, der Schlag nothwendig, wie durch jeden
andern Leiter, durch den Körper des Zitterfisches gehen müsse; und
dass in den meisten, wenn nicht allen Fällen, dieser Körper sich
dem eigenen Organ für die Aufnahme des Schlages sogar günstiger
angelegt finden dürfte, als der eines andern dem Zitterfisch genäher-
ten Thiers. x
Jetzt habe ich mir zunächst die Ueberzeugung verschafft von
der Richtigkeit dieser Betrachtung. Durch die natürlichen Oeffnungen
führte ich ins Innere des im Sterben begriffenen kleinsten Zitter-
welses isolirte Drähte mit blanken Spitzen ein, und erbielt im Au-
genblick des Schlages, der auf Berührung der äussern Haut erfolgte,
an dem mit den Drähten verbundenen Multiplicator jedesmal einen
Ausschlag von angemessener Grösse, der die hintere Spitze als po-
sitiy anzeigte. Es ist also keine Vorkehrung irgend einer Art da,
die den Schlag vom Fisch abhielte, sondern der Schlag durchdringt
wirklich das Innere des Fisches, und die Frage kann somit nur noch
sein, weshalb empfindet ihn der Zitterfisch nicht?
Um der Beantwortung derselben einen Schritt näher zu kommen,
that ich mehrmals in eine der Wannen zu dem darin befindlichen
Zitterwels hiesige Flussfische: Schleie, Quappen, Hechte, hiesige
Welse u. s. w., und liess elektrische Ströme durch das Wasser der
Wanne gehen, erst unmerklich, dann immer stärker und stärker.
Bei einer gewissen Stärke der Ströme schlugen die Fische um, und
trieben sinnlos umher. Der Zitterwels schien gar nichts zu spüren,
und nahm sich unter den übrigen Fischen aus, wie neben Säugethier
und Vogel ein Frosch unter der Glocke der Luftpumpe. Als ich
die Schläge ganz ausserordentlich verstärkte, sah man indessen wohl,
dass er sie merkte und mied. Wenn er in die Nähe der Elektroden
10%
134
kam, wo die Dichtigkeit des Stromes am grössten war, zog er sich
eilig zurück, ertheilte auch wohl, gleichsam sein „anch' io“ sprechend,
ein paar Schläge, und suchte mit richtigem Instinkt, als kenne er
die Gesetze der Stromvertheilung in nicht prismatischen Leitern, die
Stellung auf, in der seine Längsaxe die am wenigsten dichten Stro-
mescurven senkrecht schnitt. Allein mitten in dem tobenden Unge-
witter, welches meine Hand, wenn ich sie eintauchte, krampfhaft zu-
sammenbog, beherrschte er alle seine Muskeln, und seine elektrischen
Organe, so völlig, wie etwa ein anderes T'hier im Felde eines grossen
Elektromagnets; und er schwamm aus dem Bereich der heftigsten
Ströme etwa mit derselben gemächlichen Hast, mit der wir uns einem
üblen Geruch oder einem lästigen Zugwind entziehen. Genug, es
kann keine Frage sein, der lebende Zitterwels besitzt Immunität
gegen den elektrischen Strom, sowohl den stetigen als den unter-
brochenen, und dies erklärt hinlänglich, weshalb er durch seine Schläge
weder sich selbst noch seinesgleichen zu beschädigen vermag. 2°)
Worauf diese Eigenschaft, die die übrigen Zitterfische unstreitig
mit ihm theilen, beruhen möge, ist nun freilich eine andere Frage,
zu deren Beantwortung der gegenwärtige Thatbestand bei weitem
noch nicht hinreicht. Da indessen die blossgelegten Muskeln und
Muskelnerven der Zitterfische, und auch die elektrischen Nerven
dem elektrischen Strom gehorchen, so kann jedenfalls schon so viel
gesagt werden, dass jene Immunität bei einer gewissen Strom-
diehte, die in den obigen Versuchen nicht erreicht war, eine Grenze
haben würde. Man könnte, gewissen Anzeichen zufolge, glauben,
dass der Zitterwels durch irgend einen Einfluss vom Rückenmark
aus seine Nerven gegen den Angriff des fremden Stromes stähle.
Diese Muthmassung findet sich aber schon durch einen Versuch an
dem kleinsten Zitterwels widerlegt. Nach Unterbindung des einen
elektrischen Nerven konnte der sterbende Fisch in einem mit Wasser
gefüllten länglichen Glastrog, dessen Querschnitt er fast vollständig
einnahm, den heftigsten Strömen des Schlitten-Magnetelektromotors
ausgesetzt werden, ohne dass die dem Einfluss des Rückenmarks
entzogene Organhälfte dadurch mehr zur Thätigkeit veranlasst wurde,
135
als dies.der Fall war für die andere Hälfte, die noch in unversehrter
Verbindung mit ihrer Riesen-Ganglienzelle stand, oder für die Mus-
keln des Thiers, die auch bei dieser Art der elektrischen Erregung
noch in vollkommner Ruhe verharrten.
Anmerkungen
1) Claudii Claudiani, ex Ed. Bipont. I, nov. Ed. Paris. 1829. p. 416‘.
Eidylliium III.
2) Claudii Galeni Opera omnia. Ed. eur. C. G. Kühn. Lipsiae 1824.
T. VIII, p. 421. 422°. De Locis aflectis. L. VI e. V.
3) G. Wilson, On the electrie Fishes as the earliest electrie Machines em-
ployed by Mankind. The Edinbargh New Philosophical Journal. New Series. Oc-
tober 1857. vol VI. p. 267°.
4) Philosophical Transactions ete. For the Year 1773. p. 461'.
5) Collezione dell’ Opere ec. Firenze 1816. T. II. P. I. p. 99° — L’Identitä del
Fluido elettrico col cosi detto Fluido Galvanico vittoriosamente dimostrata ec Me-
moria comunicata al Signore P. Configliachi ee. Pavia 1814. 4. p.24. 25. $ 17‘,
6) 8. meine Untersuchungen u. s. w. Bd. II Abth. I. 1849, S. 207.
7) 8. ebendas. Bd. I. 1848. Vorrede. S. XV; — Diese Berichte Juli 1851, 8. 409,
6) Vergl. Steffens, Ueber die elektrischen Fische. Frankfurt a. M. 1818. 8. 26‘.
9) Sie finden sich zusammengestellt bei Bilharz, Das elektrische Organ des
Zitterwelses u. 8, w. Leipzig 1857. Fol‘.
10) Reise nach Senegall übersetzt von Martini. Brandenburg 1773. 8. 201‘,
11) Bulletin physico-math@matique de I’Acaddmie de St. Petersbourg, t. XI,
1854. p. 203°.
12) Markusen a. a. O. p. 208° und Bilharz a. a. O. Vorwort 8, VI’.
13) The Journal of the Royal Geographical Society of London. Vol. VII. 1837,
p. 195. 198°; — A. Petermann, Mittheilungen....über wichtige neue Erforschun-
gen auf dem Gesammtgebiete der Geographie. 1855. 4. 8. 206 und Karte 18‘,
%#) The Edinburgh New Philosophical Journal. New Series. 1855. Vol. II. p. 49.
379°; — vol. IH. p. 188°: — Report... . of the British Association ete. 1855.
Transactions of the Sections. p. 114”,
35) G. Wilson. On the electrie Fishes ete. ]. ec. p. 284‘.
46) Memorie sulla Elettricitä animale ..... al celebre Abate Lazzaro Spallan-
zani. Bologna 1797. 4. p. 74‘.
#7) Müller's Archiv für Anatomie und Physiologie u. 8. w. Jahrgang 1850,
B. 276",
#) Müller's Archiv u. 8. w, Jahrgang 1845. 8. 875*,
136
" 419) Vergl. John Davy Philosophical Transactions ete. For the Year 1832. P. II. |
p. 276°; — Researches, physiological and anatomical. London 1839, vol. I, p. 48°,
20) Untersuchungen u. s. w. Bd. II. Abth, I. 8, 400,
21) Diese Berichte, August 1857. 8. 424.
22) Untersuchungen zur Ichthyologie u. s. w. Freiburg i. B. 1857. 4. 8. 29*.
23) Abhandlungen der naturforschenden Gesellschaft in Halle im Jahre 1857. 4.
Bd. IV. 1858. (Separatabdruck*).
24) Pacini, Sulla Struttura intima dell’ Organo elettrico del Gimnoto ec. Fi-
renze 1852, p. 25*.
25) Recueil d’Observations de Zoologie ete. Paris 1811. 4. p. 79.
26) Comptes rendus ete. 24 Octobre 1836. t. III. p. 490°; — L’Institut ete. t. IV.
No. 181. p. 350°; — Poggendorff’s Annalen u. s. w. 1836. Bd. XXXIX. 8. 413*,
27) Poggendorff’s Annalen u. s. w. 1843. Bd. LVIII. S. 29. 30. $ 75.
28) In Hm. Colladon’s Abhandlung über den Zitterrochen liest man (p. 491):
»M. J. Davy a constat6.... que le courant d’une pile ne parait pas faire souf-
frir ceux de ces poissons qui sont interposds dans le courant.« Dies ist, so viel
ich sehe, ein Missverständniss, wie aus folgenden Worten des Hrn. John Davy
erhellt, den einzigen in seinen Abhandlungen über den Zitterrochen, auf die Hrn.
Colladon’s Angabe sich beziehen kann: The effect ofthe electricity of a
small voltaic trough, the shock of which I could just perceive at the extremi-
ies of my moistened fingers, was very distincet on the voluntary muscles
of alive torpedo, just taken from the water; butit didnotappear to
affect in the least the electrical organs. I could not perceive the slightest
contraction of them in whatever manner the wires were applied, not even when a
minute portion of integument was removed, or when one of the wires was placed
in contact with a fascieulus of the electrical nerves. Even after apparent death,
many of the parts decidedly muscular continued to contract under this stimulus....
Other stimulants have been applied to the electrical organs, and with the same ne-
gative result.... Reflecting on the facts and observations which I have just de-
tailed, it appears to me very diffieult to resist the conclusion, that the electrical
organs of the torpedo are not muscular ete.« Philosophical Transactions ete. 1. c.
p- 269°; — Researches ete., 1. c. p. 32. 34°.) Wie man sieht, bezieht sich Hrn.
John Davy’s Angabe hinsichtlich der mangelnden Einwirkung des Säulenstroms
auf den Zitterrochen allein auf die elektrischen Organe desselben, und dient ihm
nur zu dem Schlusse, dass dieselben keine Muskeln seien.
IX.
Ueber das Accommodationsphosphen.
Von
Professor Johann Gzermak *).
Von einem feuerigen Ringe, welcher entstehen soll, wenn man
das Auge im Finstern „zum Nachsehen anstrengt“ und „plötzlich
wieder erschlafft“ spricht schon Purk yne in seinen „Beobachtungen
und Versuchen zur Physiologie der Sinne“. Berlin bei Reimer,
1825, Bd. II, pag. 115.
Ich habe diese unverdienter Weise vergessene subjeetive Licht-
erscheinung, welche ich das „Accommodationsphosphen* nennen
möchte, neuerdings einer sorgfältigen Untersuchung unterworfen und
ihren offenbaren Zusammenhang, mit den Accomodations-Verände-
rungen zu ermitteln versucht.
- Folgendes kann ich als die vorläufigen Resultate meiner Bemü-
hungen mittheilen.
1, Wenn man im Finstern die Augen für das Sehen in nächster
Nähe einrichtet und dann plötzlich wieder für die Ferne accommo-
dirt, so bemerkt man nahe an der Peripherie des Gesichtsfeldes einen
*) Aus dem Novemberhefte des Jahrganges 1857 der Sitzungsberichte der mathe-
matisch-naturwissenschaftlichen Klasse der kais. Akademie der Wissenschaften
vom Herrn Verfasser mitgetheilt.
138
ziemlich schmalen feurigen Saum, welcher, ringförmig in sich selbst
zurücklaufend, m dem Momente aufblitzt, wo man mit der fühl-
baren Anstrengung fürs Nahesehen nachlässt.
2. Nach seiner Form und Lage im Sehfeld muss das Accommo-
dationsphosphen durch eine Zerrung der Retina in der Gegend der
Ora serrata bedingt sein.
3. Da ferner die höchste Intensität gleich beim Auftreten dieser
subjeetiven Lichtentwieklung, nicht mit der höchsten Anspannung
des Auges für die Nähe, sondern, wie gesagt, mit dem Momente der
Accommodationsbewegung zusammenfällt, wo man mit der fühlbaren
Anstrengung fürs Nahesehen plötzlich nachlässt, wo also das Auge
wieder fernsichtiger wird, so ergiebt sich die wichtige Folgerung,
dass eine jener, durch die Accommodation für die Nähe gesetzten
Veränderungen mit solcher Trägheit in dem der Ruhelage seiner
Theile zustrebenden Auge verschwindet, dass eben hierdurch die
momentane Zerrung der Gegend der Ora serrata im plötzlich ab-
gespannten Auge veranlasst wird, welche sich als das beschriebene
Phosphen subjectiv sichtbar macht.
Ueberlegt man, welches diese Veränderung sein kann, so findet
sich meines Erachtens keine andere, als die durch die Cramer-
Helmholtz’schen Untersuchungen ermittelte Gestaltveränderung der
Linse, nämlich ihr mit der Verkleinerung der Krümmungshalbmesser
verbundenes Dickerwerden in der Richtung der optischen Axe.
Die Gestaltveränderungen der Linse lassen sich aber auf fol-
gende Weise ungezwungen mit dem Accommodationsphosphen in
einen causalen mechanischen Zusammenhang bringen.
Beim Nahesehen wird, namentlich durch die Wirkung des tensor
chorioideae Br., die Zonula abgespannt, indem die Aderhaut sammt
der Retina (bis in deren Ora serrata bekanntlich die Fasern der
Zonula zu verfolgen sind) etwas nach vorn gezogen wird.
Die Linse nimmt dann, ledig des abplattenden Druckes der
Blätter der Zonula, die convexere und dickere Gestalt an, welche
der natürlichen Gleiehgewichtsform der Linsenmolekel "entspricht.
(Helmholtz.)
139
Hört. nun ı plötzlich, die Wirkung ‚des Tensor‘ u. s. w..auf, so
kehren alle ‚durch dieselbe verschobenen ‚Theile in ihre frühere Lage
zurück. Indem aber: die Retina ihren alten _Lagerungsverhältnissen
zustrebt, muss sie in der Gegend der Ora serrata durch die daselbst
inniger, als die übrige Glashaut mit ihr verschmolzene Zonula, welche
in Folge der etwas träge weichenden Convexität und Dicke der Linse
plötzlich und heftig gespannt wird, local gezerrt werden — und das
ringförmige Phosphen in dem von mir angegebenen Momente der
Accommodationsbewegung vermitteln.
In so weit nun die gegebene Erklärung des Accommodations-
phosphens befriedigend erscheint, dürfte wiederum die Existenz dieser
Liehterscheinung als ein neues Argument für die Richtigkeit oder
mindestens für die Wahrscheinlichkeit des in seinen Grundzügen an-
gedeuteten Accommodations-Mechanismus, namentlich der beiden von
_ Helmholtz urgirten Momente sprechen, 1. dass die Gleichgewichts-
form der Linse jene ist, für welche der äquatoriale Durchmesser und
die Krümmungsradien der vorderen und hinteren Fläche der Linse
die kleinsten Werthe haben, und 2. dass die Linse im ruhenden,
‚ fernsiehtigen Auge zwischen den gespannten Blättern der Zonula
abgeplattet wird.
Mag dem jedoch sein wie ihm wolle, so viel darf mit Bestimmt-
heit geschlossen und als bleibender Gewinn für die Lehre von den
Accommodations-Veränderungen betrachtet werden, dass gewisse
peripherische Theile der Retina während des plötzlichen
| Ueberganges aus dem Accommodations-Zustand für
‚die grösste Nähe in jenen für die Ferne einer localen
Zerrung ausgesetzt sind, welche in geringerem Grade wohl
\ bei jeder plötzlichen Accommodations-Bewegung für die Ferne statt-
finden mag.
Schliesslich bemerke ich nur noch, dass ich mich noch weiter
mit der Untersuchung des Accommodationsphosphens zu beschäftigen
‚gedenke, um den gemachten Erklärungsversuch entweder fester zu
‚begründen oder zu berichtigen, da die aus demselben fliessenden
Folgerungen für die Ermittelung wenigstens einiger Momente des
140
noch immer ziemlich hypothetischen Accommodations-Mechanismus
von unverkennbarem Werthe sein dürften, obschon sich nicht alle
Augen zur Hervorbringung des Phosphens zu eignen scheinen.
X,
Ueber secundäre Zuckung vom theilweise gereizten Muskel aus.
Von
Professor Johann Czermak *).
So möchte ich der Kürze halber einen besonderen, meines
Wissens bisher noch nicht beschriebenen Fall von „Zuckung ohne
Metalle“ nennen, welcher in mehrfacher Hinsicht nicht ganz ohne
Interesse _sein dürfte.
Ich habe nämlich am 7. Mail. J. die Beobachtung gemacht
(und seither sehr häufig wiederholt), dass ein nach Du Bois Vorschrift
sorgfältig isolirter stromprüfender Froschschenkel eine Schliessungs-
zuckung zeigt, wenn man seinen mit einem Glasstabe aufgenommenen
Nerven plötzlich auf den natürlichen Längsschnitt eines in partieller
idiomusceulärer **) Contraction befindlichen Kaninchen- oder Tauben-
muskels **) in der Art fallen lässt, dass er den contrahirten und den
nicht contrahirten Theil der gereizten Fasern gleichzeitig berührt.
*) Aus dem Maihefte des Jahrganges 1857 der Sitzungsberichte der mathematisch-
naturwissenschaftlichen Klasse der kais. Akademie der Wissenschaften vom
Herrn Verfasser mitgetheilt.
**) Führt man sanft drückend mit einem stumpfen Instrument quer über eine
Strecke irgend eines animalischen Muskels hin, so erhebt sich bekanntlich die
unmittelbar berührte Stelle langsam zu einem Wulste auf dem ruhigen Muskel.
Schiff hat diese Art der partiellen Verkürzung der animalischen Muskelfaser
die idiomusculäre genannt. — Vgl. Froriep’s Tagesberichte 1851, Nr. 300,
pag. 193.
*##) Die meisten Versuche machte ich an der inneren Oberfläche der Bauchmuskeln
lebender oder eben getödteter Kaninchen.
142
Eine Oeffnungszuckung konnte ich niemals ganz unzweideutig
wahrnehmen.
Fiel der Nerv auf den unveränderten, natürlichen Längsschnitt
des Muskels oder auf den nicht contrahirten Theil der Fasern allein,
wenn auch ganz nahe an den idiomuseulären Wulst, oder gegen
indifferente feste Körper, so zeigte sich keine Zuckung — wodurch
einerseits der Verdacht einer mechanischen Reizung des Nerven
beseitigt ist, andererseits erwiesen scheint, dass die Verhältnisse
der elektromotorischen Wirksamkeit des natürlichen Längsschnittes
an. der idiomuseulär ‚contrahirten, sonst aber unverletzten Stelle eine
Aenderung erlitten haben.
Für jene, welche diese Versuche wiederholen wollen, muss ich
bemerken, dass sehr reizbare Froschschenkel'*) zwar auch zucken,
wenn ihre Nerven auf den unveränderten natürlichen Längsschnitt
des Muskels oder auf den nicht contrahirten Theil der local gereizten
Fasern allein, ohne zugleich den idiomusculären Wulst zu berühren,
herabfallen, dass dann aber die Zuckung immer merklich schwächer
ist, als bei der oben angegebenen Anordnung der Berührungspunkte
zwischen Nerv und Muskel.
Will man daher die beschriebene Erscheinung sicher und ganz
unzweideutig sehen, so muss man gerade jenes Stadium der mittleren
Erregbarkeit des physiologischen Rheoskops abwarten und treffen,
in welchem die schwachen elektrischen Ströme des unveränderten
natürlichen Längsschnittes der Muskeln so eben erst aufgehört haben,
Zuckungen hervorrufen zu können.
Verschwindet der idiomusculäre Wulst nach einiger Zeit wieder,
so wird die betreffende Stelle des natürlichen ‘Längsschnittes in der
Regel auch wieder unwirksam, doch scheint sich manchmal die
Störung der, elektrischen Verhältnisse daselbst länger, als die von
*) Beiläufig bemerkt, habe ich an diesen Froschschenkeln von höchster Er-
regbarkeit deutliche, mitunter sogar sehr heftige Zuckungen eintreten sehen,
wenn ich ihren Nerv auf ruhende oder in peristaltischen Bewegungen begriffene
Theile des Darmes von Kaninchen ‚oder auf die Nieren oder die Leber dieser
Thiere herabfallen liess.
143
blossem Auge sichtbare Wulstung zu erhalten — sogar unter Um-
ständen, welche an eine Zerreissung der Fasern innerhalb ihrer
unverletzten Scheiden in Folge des[Druckstriches nicht wohl denken
lassen.
Ich will nun versuchen, die mitgetheilten 'Thatsachen aus den
bekannten Gesetzen des Muskelstromes zu erklären und ihren etwaigen
physiologischen Werth zu beleuchten.
Zunächst dürfte vorauszusetzen sein, dass die elektrischen Ströme
der idiomusculär contrahirten Stelle in die negative Schwankung ge-
rathen, und wir wollen für die vorliegende Betrachtung, mit A. Fick*®),
von der unterbrochenen oder periodischen Natur dieser Veränderung
absehend, unterstellen, während der ganzen Dauer der Zusammen-
ziehung sei die elektromotorische Kraft der Molekel anhaltend ver-
mindert, oder, um die Vorstellung zu vereinfachen, wollen wir: sie
geradezu vernichtet denken. Dann wäre das ganze idiomusculär
eontrahirte Stück der Fasern wie ein unwirksames Leiterstück anzu-
sehen, welches den Längenschnitt ‘und den Querschnitt leitend_ ver-
bindet und von Strömen der starken Anordnung durchflossen, er-
regende Schleifen des ruhenden Muskelstromes der nicht contrahirten
Fasertheile in den plötzlich (als Nebenschliessung) anfallenden Nerven
entsenden muss. Der Froschschenkel zuckt.
Dass nur eine einfache Zuckung, nicht aber Tetanus entsteht,
findet zum Theile vielleicht darin eine Erklärung, dass jene den
Nerven erregenden Stromschleifen, welche wegen des vorhin nur
behufs der Vereinfachung der Vorstellung als völlig unwirksam ange-
nommen, in der That aber in der negativen Schwankung begriffenen
eontrahirten Faserstückes offenbar von schwankender Dichtigkeit sein
müssen, wahrscheinlich eine zu geringe absolute Stromstärke besitzen
werden, als dass sie eine tetanische secundäre Zuckung veranlassen
könnten.
Ist die entwickelte Vorstellung im Allgemeinen richtig, so dürften
die von mir beobachteten Erscheinungen eine neue Stütze für die
*) 8. über theilweise Reizung der Muskcelfaser v. A. Fick. In dem I, Hefte des
zweiten Bandes der Moleschott’schen »Untersuchungen« etc,
144
Existenz des von A. Fick (a.a.O.) kürzlich aufgedeckten oder doch
mehr als wahrscheinlich gemachten Unterschiedes zwischen Muskel
und Nervenfaser abgeben, dass sich nämlich die an einer Stelle der
Muskelfaser durch partielle Contraction hervorgebrachte Aenderung
der elektromotorischen Wirksamkeit, welche in der negativen
Schwankung ihren Ausdruck findet, nicht — wie dies unter allen
Umständen in der local gereizten Nervenfaser der Fall ist — von
einem Ende zum andern fortpflanze.
Entspricht aber dieser Erklärungsversuch nicht der Wirklichkeit,
dann scheint in den mitgetheilten Thatsachen entweder eine bisher
unbekannte Veränderung der elektromotorischen Wirksamkeit des
idiomusculären Verkürzungszustandes verborgen zu sein; oder —
(falls die idiomuseulär contrahirte Stelle nur dann (?) eine Aende-
rung der elektromotorischen Wirksamkeit des natürlichen Längs-
schnittes veranlassen sollte, wenn sich zerrissene Fasern innerhalb
des Wulstes befinden) — gar nur eine untergeordnete Abänderung
der „Zuckung ohne Metalle“ vorzuliegen.
x.
Untersuchungen über den Druck- und Raumsinn der Haut,
Von
H. Aubert und A, Kamnler *).
Ernst Heinrich Weber hat in seiner Abhandlung über den
Tastsinn die Fähigkeit der Haut, die Wahrnehmung distineter Punkte
zu vermitteln, für die verschiedenen Körpergegenden untersucht ; er
hat ferner bestimmt, wie grosse Druckdifferenzen oder Gewichtsun-
terschiede man vermöge der Haut wahrnehmen kann und wie die
Schätzung derselben durch die Temperatur des drückenden Körpers
modifieirt wird: es ist dagegen noch nicht untersucht worden, wie
gross der Druck an verschiedenen Hautstellen min-
destens sein muss, um wahrgenommen zu werden, und ob
die Distanz, welche zwei Punkte haben müssen, um als distinct em-
pfunden zu werden, sich mit der Grösse des Druckes ändert, oder
nicht, oder: ob Raumsinn und Drucksinn von einander
unabhängig sind? — Beide Fragen dürften nach dem Ausspruche
Webers, dass der Physiologe die Sinnesorgane seines Körpers
ebenso auf den Grad ihrer Empfindlichkeit untersuchen müsse, wie
der Physiker seine Instrumente prüft, berechtigt sein; sie gewinnen
#) Adolph Kammler, Experiments de variarum cutis regionum minima pondera
sentiendi virtute,. Diss, inaug. Vratislaviae 1858,
146
noch ein besonderes Interesse durch ihren Zusammenhang mit Meiss-
ner’s Theorie über die Function der Tastkörperchen (Beiträge zur
Anatomie und Physiologie der Haut. Leipzig 1853). Obgleich Funke
bereits das Unhaltbare in dieser Lehre dargelegt und Meissner
wohl in Folge dessen Vieles in seiner Auffassung verändert hat
(Funke, Schmidt’s Jahrbücher Bd. 79. p. 342. Meissner’s Ent-
gegnung in Henle und Pfeuffer’s Zeitschrift, Neue Folge Bd. IV.
p- 260. — Funke’s Erwiderung in Schmidt’s Jahrbüchern Bd.
82. p. 287); so ist immer noch nicht experimentell geprüft, ob die
mit Tastkörperchen versehenen Körpertheile sich in Bezug auf den
Drucksinn wesentlich anders verhalten, als die übrigen? Dies schliesst
sich an die allgemeinere noch ungelöste Frage an: ob den Tast-
körperchen überhaupt eine besondere Rolle beim Tasten
zuzuschreiben ist? Denn dass Meissner durch einen Trugschluss
dazu gekommen ist, seinen Tastkörperchen die „reine Tastempfindung
xa? &£oyijv zuzuschreiben, hat Funke bereits nachgewiesen.
I,
Unsere erste Aufgabe war also, durch Versuche festzustellen:
Wie gross muss der Druck, oder, wie gross muss ein Ge-
wicht von bestimmter Grundfläche an verschiedenen
Körpertheilen mindestens sein, um wahrgenommen wer-
den zu können?
Die Versuche wurden in folgender Weise angestellt. ‘Wir sehnit-
ten kleine Plättehen aus Kork oder aus Hollundermark von 9 Qua-
dratmillimeter Fläche und 1—5 Milligramm Gewicht. An ihnen wurde
ein Coconfaden so befestigt, dass sie allmählig heruntergelassen wer-
den konnten und dann'mit ihrer ganzen Fläche den zu untersuchen-
den Hauttheil berührten und auf ihn drückten. Ferner wurde an
Hollundermarkstückchen von genau derselben Grundfläche eine
Schweinsborste oder ein sehr dünner Messingdraht so angebracht,
dass das Ganze einen kleinen Steigbügel bildete. Auch an diese
wurden Coconfäden gebunden, um sie daran schweben. zu. lassen.
Diese kleinen Steigbügel' wogen 5, 10, 15 Milligramm ; durch
147
Einklemmen kleiner Gewichte zwischen die beiden Schenkel des Steig-
bügels konnten sie bis 1,015 Gramm schwer gemacht werden.; Das
Hollundermark ist wegen seiner Leichtigkeit, Festigkeit und schlech-
ten Wärmeleitung ‚besonders geeignet. Bei den dünnsten Metallplätt-
chen, sogar an Papierstückchen, bemerkt man an vielen Hautstellen
eine Berührung vermöge der Temperaturveränderung, die sie auf der
Haut hervorbringen und man ist alsdann unsicher, ob man einen
Druck fühlt oder nicht. — In den Versuchen wurden nun die klei-
nen Apparate langsam, ohne Drehung und Verschiebung, auf die
Haut niedergelassen. Der Eine von uns legte den zu untersuchenden
Körpertheil auf eine weiche Unterlage auf, so dass er völlig unter-
stützt war und die Muskeln erschlaffen konnten, und schloss die
Augen. Der Andere nahm eines der Gewichte, ohne dass der zu
Untersuchende wusste, welches, und liess es auf die Haut sinken.
Der Untersuchte musste ungefragt angeben, ob und wo er eine Be-
rührung fühlte. Seine Angabe wurde von dem Andern sofort notirt
und der Versuch noch mehrmals wiederholt.
Bei dieser Art des Versuchs wusste der Untersuchte nur, wel-
cher Körpertheil, z. B. ob der rechte oder der linke Arm, oder das
Gesicht u. s. w. untersucht werden sollte, was wegen der Concen-
tration der Aufmerksamkeit nöthig ist. Er wusste dagegen nicht;
a) die Zeit der Berührung; erfolgte die Angabe nicht sofort nach
dem Auflegen des Gewichtes, so wurde angenommen, dass nichts
gefühlt worden sei; b) den genaueren Ort der Berührung, ob z. B.
die erste oder zweite Phalanx des zweiten oder dritten Fingers be-
rührt worden sei u. s. w.; c) die Grösse des Gewichtes, ob der
Untersuchende 1 Milligramm oder 15 Milligramm u. s. w. aufsetzte.
Falsche Angaben des Untersuchten wurden daher sogleich als solche
erkannt. Diese Controle schien uns erstens nöthig, weil wir uns
selbst nicht trauten, und wirklich glaubten wir mitunter eine Berüh-
rung zu empfinden, ohne dass ein Gewicht aufgelegt worden war;
vielleicht waren es Haare, die sich aufrichteten und dadurch das
Gefühl einer Berührung erzeugten; zweitens, weil ausser unseren
Freunden Dr. Förster und Stud, Trenkle auch zwei Damen die
Moleschott, Untersuchungen. V. 11
148
Gnade hatten, die Feinheit ihres Drucksinnes prüfen zu lassen, und
endlich, um an beliebigen Menschen, z. B. Kranken mit beginnender
Lähmung u. s. w., derartige Versuche anstellen zu können.‘ Die Ex-
perimente durften ferner nicht zu lange fortgesetzt werden, weil der
zu Untersuchende darin ermüdet, seine Aufmerksamkeit unausgesetzt
auf den untersuchten Theil zu richten. — Die Zimmertemperatur
betrug 15° R, dio
In der folgenden Tabelle I haben wir die Befunde, wie sie sich
an uns beiden, an Förster, Trenkle und den beiden Damen er-
geben haben, zusammengestellt, und nach den Körpertheilen geord-
net. Die in den sechs Rubriken für jeden Körpertheil angegebenen
Zahlen bedeuten die Gewichte in Milligrammen, bei denen eben noch
eine Berührung empfunden werden konnte,
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153
Es geht aus diesen, Untersuchungen Folgendes hervor:
1) Ueberall, wo eine Tastempfindung stattfinden
soll, muss ein Druck. ausgeübt werden. (Abgesehen natür-
lich von Tastempfindungen durch Temperaturveränderung,.)
Dieser Druck muss unter den angegebenen Bedingungen auf
den am feinsten reagirenden Hautstellen (Gesicht, Dorsalseite der
oberen Extremität) mindestens 2 Milligramm betragen, auf den Thei-
len aber, die wir. am meisten zum Tasten benützen, den Fingerspitzen,
wenigstens 10—15 Milligramm gross sein, wenn eine, Empfindung
entstehen soll. Die vielfach von Meissner erwähnte „Berührung
ohne Druck * kann also, wenn sie überhaupt irgendwo in der Natur
wirklich vorkommt, jedenfalls keine Empfindung erzeugen, wie auch
schon Funke durch das Beispiel einer jedenfalls drückenden und
doch nicht empfundenen Flaumfeder plausibel, gemacht hat. Wenn
Meissner aber behauptet, man könne einen Gegenstand mit den
Fingerspitzen berühren, und diese Berührung empfinden, ohne einen
Druck auszuüben, so lässt sich dies durch ein sehr einfaches Experi-
ment widerlegen. Sucht man bei gut unterstützter Hand die Schale
einer chemischen Wage mit der Fingerspitze möglichst leise zu be-
rühren; so findet schon ein Ausschlag statt, ohne dass man eine
Berührung wahrgenommen hat. Daraus geht also, gerade das Gegen-
theil jener Behauptung bervor, dass nämlich ein Druck mit den
Fingerspitzen ausgeübt werden kann, ohne dass eine Berührung
empfunden wird. In unseren Experimenten musste der Druck auf
die Fingerspitzen 10 Milligramm betragen ; ohne Zweifel kann man
vorläufig annehmen, dass es gleich ist für das Zustandekommen einer
‚Empfindung, ob der Finger gegen einen Körper, oder der Körper
gegen den Finger bewegt, respective gedrückt wird; dann wird die
Berührung der Wagschale mit einem Druck, der weniger als 10
Milligramm beträgt, verbunden sein können, ohne dass eine Em-
‚pfindung entsteht, und erst eine Berührung mit einem stärkeren
‚Druck wird eine Empfindung auslösen.
2) Ist der Druck so gross, dass er überhaupt eine
Empfindung hervorzurufen im Stande ist, so wird er auf
154
allen Körpertheilen ohne Unterschied als Berührung
empfunden.
Wenn 2 Milligramm auf die Stirn aufgelegt wurden, oder 5 Mil-
ligramm auf die Volarseite des Vorderarms, oder 15 Milligramm auf
den Oberschenkel und die Fingerspitzen, oder 215 Milligramm auf
die Fusssohle u. s. w.; so war die Qualität iinmer dieselbe: ein
eigentlicher Druck wurde nicht gefühlt, sondern nur
eine ganz leise Berührung. Durch diese Empfindung einer
Berührung wurde weder, wenn sie an den Fingerspitzen, noch wenn
sie an einem andern Theile des Körpers stattfand, die Vorstellung
eines Körpers, oder eines drückenden Körpers ausgelöst; die Empfin-
dung hat vielmehr den Charakter eines subjectiven Gefühls oder
eines in unserer Haut stattfmdenden Vorganges, für den nicht das
Vorhandensein eines Dinges ausser uns postulirt wird. — Wenn nun
Meissner die Empfindung eines Druckes von der Empfin-
dung einer Berührung (ohne Druckempfindung oder Druckge-
fühl) unterscheidet, so glauben wir ihm völlig beistimmen zu müssen.
Denn allerdings ist das Gefühl, wenn z. B. 10 Gramm auf die Stirn
oder die Wange aufgelegt werden , ein wesentlich anderes, als das
Gefühl der blossen Berührung, und noch etwas anders wird das Ge-
fühl, wenn die 10 Gramm auf einen beweglichen, nicht unterstützten
Theil aufgelegt werden, z. B. auf die Volar- oder Dorsalseite der
Hand.
Nehmen wir aber diese Unterscheidung des Berührungsgefühls
und des eigentlichen Druckgefühles als vollkommen begründet an
und geben die Existenz einer specifischen, von Druck- und Tempe-
raturempfindung unabhängigen Berührungsempfindung zu; so können
wir doch Meissner in seinen weiteren Folgerungen nicht beistim-
men. Erstens schliesst Meissner, dass die Empfindung, einer blos-
sen Berührung, seine „reine Tastempfindung x«r &oy»“ die Vorstel-
lung eines Körpers vermittle oder gar hervorbringe, zweitens soll
diese Berührungsempfindung nur den mit Tastkörperchen versehenen
Theilen ursprünglich zukommen. In Betreff des ersten Punktes
haben uns unsere Versuche gelehrt, dass sich mit der einfachen Be-
155
rührungsempfindung die Vorstellung eines ausser uns befindlichen
Körpers nicht verbindet; man kann dieselbe daher auch nicht als
eine reine Tastempfindung »«r &£0yn» bezeichnen. Was Meissner
in seinem zweiten Aufsatze noch so nennt, scheint uns überhaupt
nur ein neuer Ausdruck für eine alte Sache, die sonst allgemein als
die Fähigkeit, unsere Sinnesempfindungen nach aussen zu setzen,
bekannt ist. Diese Fähigkeit kommt allen Sinnen zu, ist aber immer
mit den specifischen Sinnesenergieen gepaart. Nun können gerade
umgekehrt dieselben Sinnesthätigkeiten so erregt werden, dass wir
sie nicht naCh aussen zu versetzen genöthigt sind, wie es sich in un-
sern Experimenten für die Berührung zeigte, und wie es der Versuch
Eduard Weber’s für den Gehörssinn gelehrt hat, wo man den Ton
im Kopfe wahrzunehmen glaubt, wenn der äussere Gehörgang mit
Wasser gefüllt ist. Allein ein nach aussen Setzen einer reinen, in-
haltlosen Empfindung ist weder beobachtet worden, noch ist eine
solche überhaupt denkbar. Durch diese Fähigkeit, gewisse Sinnes-
eindrücke nach aussen zu versetzen, bekommen wir aber überhaupt
erst die Vorstellung von Körpern, zu welcher erst vermöge einer
Eigenschaft des reinen Verstandes die allgemeinen Schemata für die
Körper geliefert werden. Es existirt nämlich offenbar eine Dishar-
monie zwischen den Regeln unseres Verstandes und unserer Sinnes-
thätigkeit. Unser Verstand ist so eingerichtet, dass er sich vermöge
der reinen Vorstellung -a priori den Raum nach allen Dimensionen
ausgedehnt denken, und diese auf die 3 Dimensionen redueiren muss;
‚er hat ferner das Vermögen (Schematismus des reinen Verstandes),
olıne alle sinnliche Wahrnehmung allgemeine Schemata zu den Vor-
stellungen zu bilden und diesen eine extensive Grösse im Raume
beizulegen (Kant, Kritik der reinen Vernunft p. 131. p. 148).
Durch diese Operationen des reinen Verstandes werden wir also
fähig, Schemata von extensiven Grössen im Raume, d. h. von Kör-
'pern überhaupt zu denken, und zwar zunächst nur völlig inhaltlose
Körper. — Die Sinne dagegen, da ihre Organe in Flächen angeord-
net sind, also nur in zwei Dimensionen ausgedehnt sind, können uns,
wenn nicht neue Einrichtungen hinzukommen, auch nur über diese
156
zwei Dimensionen belehren, Für diese, Disharmonie ‘unserer ‚Sinne
und unseres Verstandes müssen nun , wenn eine; Verschmelzung der
Verstandesthätigkeit und ‚der Sinneseindrücke , oder Empfindungen
stattfinden soll, vermittelnde Functionen vorhanden sein, welche den
Verstand den Sinnesempfindungen; ‚oder diese jenem accommodiren und
unterordnen, , Nun werden unsere Sinnesempfindungen den Vorstel-
lungen und Schematen unseres ‚Verstandes angepasst und unterge-
ordnet durch‘ die Function des Nachaussensetzens unserer ‚Empfin-
dungen. Nun setzen, wir Berührungs- und Druckempfindungen, un-
serer ruhenden, unbewegten. Hautoberfläche nicht nach. aussen ;
wir setzen. sie ‚dagegen nach aussen, wenn, Bewegungen unserer
Haut an einem; Körper ioder Bewegungen, eines: Körpers an unserer
Haut ‚stattfinden. In unserer ‚Haut können wir das, Organ für
die Function ‚des Nachaussensetzens ‚nicht suchen, weil sie ohne
Bewegungen diese Function. nicht ‚hat. Es, sind also entweder
die Bewegungsorgane allein, oder die Bewegungsorgane in Ver-
bindung, mit. einem andern unbekannten Organ, wodurch dafür ge
sorgt wird, ‚dass wir unsere Hautaffectionen nach aussen: setzen
und auf Körper übertragen. (Conf, Weber, Handwörterbuch. IH.
2. p- 454).
Ist diese Auffassung richtig, so fällt, damit, die zweite Behauptung
Meissner's,. dass die mit. Tastkörperchen versehenen Hauttheile
allein die reine Tastempfindung oder: das Nachaussensetzen der, Haut-
empfindungen vermitteln. Denn‘ da, hierzu ausser ‘der Haut noch
andere ‚Organe: nöthig sind, so kann „diese Function nicht im der
Haut allein. liegen. ‚Ferner sind die, Berührungs- und die Druckem-
pfindung, nicht verschieden auf Theilen mit Tastkörperchen ‚und | auf
Theilen ohne Tastkörperchen. ‚Endlich, würde zu einer solchen‘ Fune-
tion, wie das Nachaussensetzen, doch ein nervöses Organ erforderlich
sein, während: die nervöse Natur,der Tastkörperchen durchaus ‚unbe-
wiesen und mindestens sehr zweifelhaft ist. Daraus. geht dann) weiter
hervor, dass die Function der: Tastkörperchen durch die Meiss-
neir'sche‘ Hypothese nieht. aufgeklärt. worden ist... Wir werden auf ‘|
die ‚Tastkörperchen noch zurückkommen,
157
"Wir haben mit Meissner Berührungs- und Druckempfindung
‚unterschieden. Beide werden durch einen physikalischen Druck her-
vorgebracht, der nur an Grösse verschieden ist; beide Empfindungen
scheinen vielleicht Vielen nicht differenter, als die Empfindung , die
"wir im Auge haben; wenn wir auf eine mässig beleuchtete Fläche
sehen, im Vergleich zu der Empfindung, die das Sehen in die Sonne
oder in eine helle Flamme hervorruft; und da wir beim Auge bei-
‘des als Lichtempfindungen bezeichnen, so würden wir, der Analogie
gemäss, auch jene beiden Empfindungen unserer Haut als Druck-
empfindungen bezeichnen müssen. Indessen dürfen wir nicht verges-
sen, dass ein sehr starker Druck keine Druckempfindung mehr aus-
löst, sondern eine Schmerzempfindung, z. B. ein Schlag, ein Hieb.
Hier tritt also bei derselben, nur quantitativ verschiedenen , Einwir-
kung‘ ein wesentlich anderes Gefühl auf; wir werden also ebenso
gut, wie wir Schmerzgefühl von Druckempfindung unterscheiden,
auch Druckempfindung von Berührungsempfindung zu unterscheiden
berechtigt sein. Dass die Grenze zwischen Berührungs- und Druck-
empfindung schwer zu finden ist, kann die Unterscheidung nicht um-
stossen, denn die Grenze zwischen Druck- und Schmerzempfindung
möchte auch schwer zu ziehen sein Für jene Unterscheidung dürfte
auch der verschiedene sichtbare Vorgang auf der Haut bei einem
Druckempfindung und einem Berührungsempfindung erzeugenden
= sprechen. Wird nämlich ein kleines Gewicht‘ von einigen
Milligramm auf die Fingerspitzen z. B. aufgelegt, so wird die Haut
nicht bemerkbar eingedriückt; dies findet aber statt, wenn ein Gewicht
‚ von mehreren Gramm aufgelegt wird. Für den ersten Fall kann
' man wohl annehmen ‚ dass der Eindruck des direeten Druckes auf
die 'berührte Stelle das einzige ist, was zur" Empfindung kommt,
während die wahrscheinlich stattfindende, aber auch "mit dem Gesicht
nieht bemerkbare Bindrückung und Verschiebung der Umgegend der
bertihrten Stelle wegen ihrer Unbedeutendheit nicht mehr 'empfunden
| Are kann. Beim Auflegen eines grösseren Gewichtes ist aber die
ı Verschiebung der die berührte Stelle umgebenden Haut so bedeu-
tend, dass sie gewiss mit empfunden wird. ‚Bei’kleinen Gewichten
158
wird also wohl nur der direete Druck, bei grossen der direete Druck
und ausserdem noch die Hautverschiebung empfunden, woraus sich
wohl die Verschiedenheiten in der Berührungs- und Druckempfin-
dung genügend erklären.
Wir unterscheiden also mit Meissner Berührungs-
empfindung,und Druckempfindung, sind aber der Ansicht,
dass keine von beiden für sich allein zur Wahrnehmung
von Körpern führt, und dass die Tastkörperchen keinen
Unterschied in. der Qualität unserer Empfindung. be-
dingen.
3) Verhältniss des Drucksinnes zum Muskelgefühl.
Die Data der Tabelle, wie sie unsere Untersuchungen ergeben
ee.
haben, sind gewissermassen Bruttoangaben. Die Gewichte wurden
nieht direet auf die empfindenden Theile gesetzt, sie mussten erst
durch die Epidermis hindurchwirken. Ja, sie wurden an den meisten '
Stellen auch nicht auf die Epidermis, sondern auf Haare aufgesetzt.
Die Einflüsse dieser Theile müssten erst ausgeschlossen werden, wenn
wir ‘die Empfindlichkeit der verschiedenen Gegenden des Körpers
gegen Druck mit einander vergleichen wollten. Indessen ist auch
dieses Bruttoresultat für die Bestimmung des thatsächlichen Verhal-
tens unserer Körperoberfläche dadurch wichtig, dass es die grosse
Empfindlichkeit unserer ganzen Haut gegen Druck an-
schaulich macht. Bei diesem feinen Gefühl für Druck werden nun
auch Spannungen und Verschiebungen der Haut, wie sie bei den
Bewegungen stattfinden, bemerkt werden, wenn sie auch nur sehr
unbedeutend sind. Die Wahrnehmung dieser Spannungen und Ver-
schiebungen der Haut wird für uns im gewöhnlichen Leben durch
den bei Bewegungen zugleich gegen unsere Bekleidung
Druck sehr begünstigt. Bei allen Beugungen und Streckungen der
‚Glieder, des Rumpfes und Kopfes tritt ausser dem, Verschieben der
Haut ein veränderter Druck an vielen Hauttheilen ein, über deren)
Lage wir durch den Ortssinn orientirt sind. Da nun alle unsere,
Bewegungen immer Hautaffectionen veranlassen, ‚die zum Bewusst- |
sein gelangen können, so wird es sich fragen: in wie weit sind!
159
wir bereehtigt, ein besonderes Muskelgefühl oder ein
Gemeingefühl der Muskeln als Regulator für unsere Bewe-
gungen anzunehmen?
E. H. Weber nennt Gemeingefühl der Muskeln die Fähigkeit,
„den Grad der Anstrengung zu empfinden, welcher erforderlich ist,
um den uns geleisteten Widerstand zu überwinden“ (Hdwrtrbeh. IH.
2. p. 582), und nimmt an, dass dasselbe, wenn es nicht durch’ den.
Tastsion der Haut unterstützt wird, ebenso feine, ja noch feinere
Gewichtsunterschiede wahrnehmen könne, als die Haut (p. 546, 547)
Später sagt er aber: „ Wir nehmen die Bewegung unserer Muskeln
durch das ihnen selbst beiwohnende Empfindungsvermögen gar nicht
wahr, sondern erhalten nur dann eine Kenntniss von derselben,
wenn sie durch andere Sinne wahrgenommen werden kann. * (Ueber
den Raumsinn im Leipziger Berichte 1852. Heft 2. p. 123.)
Wenn wir ein besonderes Muskelgefühl annehmen, welches uns
über die Grösse der Zusammenziehung und über den
Grad der Spannung unserer Muskeln unterrichtet, so müssen
wir auch ein nervöses, sensibles Organ für diese Function
statuiren, welches sich in den Muskeln befindet, Dass wir in den
Muskeln keinen Schmerz empfinden, wenn dieselben gestochen oder
geschnitten werden, spricht nicht gegen die Existenz eines solchen
| Organs; man kann sich ganz gut ein sensibles Organ denken, wel-
ches Druck wahrnimmt, ohne im Stande zu sein, Schmerz’ zu fühlen,
| was ja auch in den von Weber (Hdwrtrbch. p. 566) angezogenen
| Fällen Gelähmter beobachtet worden ist, in denen bei unbeeinträch-
‚ tigtem Tastsinne eine Anaesthesie für Schmerz, die man wohl
den Ausdrücken Hyperaesthesie und Hyperalgie analog
Analgie nennen könnte, vorhanden war.
Indessen sind wir methodisch genöthigt, ein solches
‚Organ oder eine solehe Function in den Muskeln erst
dann zu statuiren, wenn die bekannten sensiblen Or-
gane zur Erklärung der Erscheinungen nicht ausreichen.
ı Nun können wir Bewegungen unserer Extremitäten, unseres Rumpfes
und Kopfes nicht ausführen, ohne dass verschiedene Theile unserer
160
Haut gedrückt oder gespannt oder verschoben werden. Ebensowenig
sind wir im Stände bei. unveränderter Lage ünserer Glieder Muskeln
anzuspannen, ohne dabei auf die Haut einzuwirken., Man. kann: sich
davon leicht überzeugen , wenn‘ man..z. B. ‚den biceps oder einen
andern Muskel: anspannt, ohne den. Arm. zu.bewegen‘; man sieht
dann die, Haut; an sehr. vielen Stellen mit gespannt und verzo-
gen. werden. Fängt man.aber erst. an, auf die Hautempfindungen bei
Bewegungen Achtung zu ‚geben, so überzeugt man sich ‚bald, ‚dass
die Bewegungen unserer Glieder, ohne ‚dass es uns zum Bewusstsein
kommt, fortwährend ‚von ihrem Hautüberzuge. überwacht werden.
Steigen wir. z.B. im Finstern eine unbekannte und unbequeme Treppe
herab, so leitet uns zunächst die Spannung. der Haut, am Oberschenkel
und Knie des nicht unterstützenden, tappenden Fusses, die Reibung
und der Druck unserer Kleidungsstücke an dem verschobenen Becken
und Rumpfe, der mit. .der Veränderung. des Schwerpunktes. unseres
Körpers wechselnde Druck auf: die.Sohle des unterstützenden Fusses
an, wie. weit wir den nicht unterstützenden Fuss herunterzulassen
haben. Das Urtheil über die Grösse solcher Bewegungen wird um
so genauer, je mehr wir mit Hautparthieen zu thun haben, auf,denen
wir uns vermöge des Ortssinnes gut orientirt haben, und'auf'denen
wir Druckgrössen gut schätzen können. Es ändert sich daher, ‚wenn
wir die Bedeckungen unserer Haut, die Kleider wechseln, indem sich
damit der Druck ändert, den diese auf die, Haut ausüben. "Wir kön-
nen in eng anliegenden Hosen oder Trikots, in eng sich. anschmie-
genden Stiefeln genauer die Grösse unserer Bewegungen bestimmen,
als mit weiten Hosen ‘und Filzschuhen, oder als wenn wir. ganz
nackt sind. Wie sehr wir uns des Druckes der Kleider gegen unsere
Haut zur Abmessung der Grössse unserer" Bewegungen: bedienen,
geht auch aus der Unsicherheit unserer Bewegungen, wenn wirüber-
haupt ungewohnte: Kleider tragen, hervor. Offenbar: machen (wir
theils bewusst, meistens aber unbewusst Erfahrungen über den Druck,
der unsere Haut an ‘verschiedenen Stellen ‘bei gewissen Bewegungen
trifft; ändern sich diese Druckgrössen,, z. B. in neuen Kleidern, so
sind wir 'unsicherer in unseren Bewegungen, «wenn uns nicht das
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f
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161
Auge, durch das wir über die meisten Bewegungen orientirt ‘werden,
hilft," Besonders’ auffallend wird denn auch diese Abhängigkeit der
Bewegungen von dem Drucksinne bei solchen 'Gelegenheiten, wo die
Orientirung durch das Auge grösstentheils ausgeschlossen ist, z. B.
beim Reiten. Man ist schon unsicher über die Stärke der gegebenen
oder zu gebenden Hülfen, wenn man ungewohnte Beinkleider hat,
noch mehr ‘ist dies der Fall, wenn man z.B. gewöhnt auf) einem
englischen Sattel zu sitzen, auf "einem ungarischen Bocke vreitet.
Dies lässt sich sehr gut dadurch erklären, dass dort andere Theile
unseres Gesässes und unserer Beine berührt und‘ gedrückt werden,
als hier, wir aber aus Erfahrung das Verhältniss zwischen der Grösse
der Bewegung und dem Druck auf unsere Haut’ dort‘ kennen und
von den letzteren auf erstere zu schliessen vermögen, während uns
im letzteren Falle diese Erfahrung fehlt.
Dass übrigens die Genauigkeit unserer Schätzung vonder Grösse
unserer Muskelzusammenziehung nicht grösser ist, als nach der Fein-
heit des Druck- und Raumsinnes unserer Haut erwartet werden kann,
ging aus Untersuchungen hervor, die’wir später noch ‚zu erwähnen
haben. War einer von uns bei'geschlossenen Augen an einer Stelle
des rechten Vorderarms berührt worden, und beabsichtigte diese Stelle
/ mit der linken Hand zu treffen, 'so ‘konnte er. sich über: die Grösse
| seiner Bewegung, bevor er den rechten Armberührte, nur durch die
Spannung u.'s. w.' seiner ‚ linken! Armhaut: orientiren. Bei diesen
Bewegungen tappten wir) oft nach dem Handrücken, wenn wir ‚den
mittleren oder oberen Theil des Vorderarms zu berühren beabsich-
tigten; waren wir dann an dem rechten Arme angekommen, so sahen
wir unseren Irrthum ein und orientirten uns’nun vermöge des Orts-
sinnes unseres rechten Armes auf demselben‘ genauer und zwar .be-
dentend genauer. |
Die Erscheinungen der sonst dem Muskelgefühl zugeschriebenen
Kenntniss von der Genauigkeit und Grösse unserer Bewegungen, ‚wie
sie das alltägliche Leben darbietet, lassen sich, ı wie! wir ‚glauben,
völlig genügend erklären, wenn wir die über den Muskeln und Sehnen
liegende Haut als das Organ ansprechen, wodurch wir eine. Vorstel-
162
lung von der Grösse unserer Muskelzusammenziehung und von dem
Grade der Anspannung bekommen. Man muss nur erst anfangen,
auf die vielfachen, stets stattfindenden Affeetionen unserer Haut bei
Bewegungen zu achten, so wird man sich bald von der Richtigkeit
dieser Behauptung überzeugen.
Die Experimente Weber’s (Hdwrtrbch. II. 2) zwingen gleich-
falls nicht zur Annahme eines Muskelgefühls; denn in den dort ange-
führten Versuchen über die Schätzung von Gewichten durch Muskel-
thätigkeit findet immer eine Spannung der Haut oder ein Druck auf
einzelne Hautpartieen statt, wie Weber selbst angiebt.
Es bleiben also nur pathologische Erscheinungen übrig,
aus denen man auf die Existenz eines besondern Muskelgefühls
schliessen zu müssen glaubt. Beweisend können nur solche Fälle
sein: 1) in denen bei völlig ungestörtem Druck- und
Raumsinne kräftigeBewegungen ausgeführt werden kön-
nen und die Kranken nicht im Stande sind, sich über
ihre Bewegungen zu orientiren. Solche Beobachtungen haben
wir aber nicht auffinden können; in den meisten Fällen findet sich
eine Störung des Tastsinnes notirt, oder es sind darüber keine, Ver-
suche angestellt. Dies gilt auch von den Angaben Romberg’s
(Nervenkrankheiten I, zweite Auflage p. 263) über Tabes dorsualis,
wo gewiss nur auf Schmerzhaftigkeit, aber nieht auf Druck- und
Raumsinn untersucht worden ist. Die Angaben der Kranken, es be-
fände sich ein das Gefühl dämpfender Körper zwischen Sohle und
Fussboden, weist sehr entschieden auf eine Störung des. Drucksinnes
hin. Dass diese Empfindung, wie Romberg. meint, auf das Mus-
kelgefühl zu beziehen sei, dürfte wohl genauer auseinanderzusetzen
schwierig sein. — 2) Fälle, in denen bei gestörtem Druck-
und Raumsinne dennoch eine gut erhaltene Fähigkeit,
sich über die Bewegungen ohne Hülfe der‘ Augen zu
orientiren, vorliegt. Dies geht aus dem von Weber (Hand-
wörterbuch III. 2. p..584) angezogenen Falle nicht mit Evidenz hervor,
weil sich der Kranke offenbar mit Hülfe seiner Augen über die Grösse
seiner Bewegungen orientirte. — Ebensowenig. beweist; der von
163
Romberg (Nervenkrankheiten 2te Auflage.I. p. 262) eitirte Fall Olli-
viers. BeiOllivier heisstes nämlich: (Trait€ des maladies de la moölle
Epiniere 3me edit. T. I. p. 509. Obs. 61): Lorsqu’on enfoncait
profond&ment des aiguilles, ou une lancette dans les museles du cöt€
droit, qui &tait soumis & la volonte, il n’&prouyait aucune sensation
douloureuse...... quoique la sensibilit€ füt enti®rement abolie du
cöt& droit, le malade pouvait cependant distinguer avec la main droite
le poids et la densit& des corps exterieurs.
Die sensibilit€ entiörement abolie bezieht sich also ‚ohne Zweifel
nur auf die Fähigkeit, Schmerz zu empfinden, dass dagegen der
Drucksinn der Haut wenigstens zum Theil erhalten gewesen sei,
scheint aus dem bei Romberg wahrscheinlich wegen seiner Unklar-
heit weggelassenen Worte densit@ hervorzugehen. Wenn dies Wort
bedeuten soll, dass der Kranke weiche und harte, nachgiebige und
unnachgiebige Körper unterscheiden konnte, so würde man daraus
schliessen können, dass: der Drucksinn noch vorhanden gewesen sei,
und dass auch hier Analgie ohne Anaesthesie vorgelegen habe. Sollte
dieser Fall, abgesehen von dem unklaren Worte densite, schlussfertig
sein, so müsste auch die Grösse des Gewichts angegeben sein, dass
der Kranke fühlen konnte. Man hebe einmal ein Gewicht von 10 Kilo-
gramm mit der Hand in die Höhe und achte auf seinen Körper, so
wird man eine bedeutende Veränderung in der Spannung der Haut
am Rücken, Bauche, den Beinen bemerken und man wird, wenn ein
am rechten Arm sensibel Gelähmter eine Empfindung von einem
solchen Gewicht hat, nicht ohne weiteres schliessen, dass ein beson-
deres empfindendes Organ in den Muskeln des Armes seinen. Sitz
haben müsse.
Wir sind demnach der Meinung, dass sich sowohl die im gewöhn-
lichen Leben vorkommenden Erscheinungen in. der Abmessung der
Bewegungen, als die Experimente Weber’s über die Schätzung von
Gewichten ohne directen Druck auf die Haut, als die bis jetzt vor-
liegenden Krankheitsfälle durch die Annahme erklären lassen, dass
die Haut mit ihrem überall sehr feinen, Drucksinn und
ihrem Ortssinn: dass Organ ist, welches die ‚Grösse der
Moleschott, Untersuchuugen. V. 12
164
Verkürzung und den Grad der Anspannung der Muskeln
regulirt, dass mithin die Aufstellung eines besondern
von der Haut unabhängigen Muskelgefühls und Voraus-
setzung eines besondern sensibeln Organs dafür in den
Muskeln nicht gefordert ist.
Auf das von diesem Muskelgefühl ganz verschiedene Gefühl von
Ermüdung und Schmerz in den Muskeln einzugehen, würde von
unserem eigentlichen Thema zu weit abführen.
4) Einfluss der Haare auf den Drucksinn.
Dass die Haare einen Einfluss auf unsere Befunde haben würden,
mussten wir von vornherein erwarten. An sehr vielen Stellen wurden
unsere Gewichte nicht direct auf die Epidermis, sondern auf Haare
aufgesetzt, und von dieser allein, oder von ihnen und der Epidermis
zugleich der Druck fortgepflanzt. Hierdurch wird der zu den Nerven
gelangende Druck sehr modifieirt. Statt dass die Gewichte eine
Fläche von 9 Quadratmillimeter berührten und sich ihr Druck auf
diese Fläche vertheilte, wurde an behaarten Theilen der Druck auf
ein oder einige Haare und durch diese auf die Wurzel desselben,
also auf eine viel kleinere Stelle, nämlich den Querschnitt eines Haares
ausgeübt. Ausserdem stehen an sehr vielen Stellen die Haare schief,
sie wirken also hier wie Hebel, beugen sich, und verändern jedenfalls
den durch das Gewicht auszuübenden Druck auf eine unbestimmbare
Weise. Bei kleinen feinen Haaren mussten sich die Einwirkungen
auf das pereipirende Organ auch noch anders gestalten, als bei
dickeren steiferen Haaren. Da nun der grösste Theil unseres Kör-
pers behaart ist, so haben wir in unserer Tabelle meist Wirkungen
der Haare mitbekommen, und deswegen sind die Resultate nicht alle
direct mit einander vergleichbar. Es fiel uns dies schon auf, als
wir Stirn und Augenlider untersucht hatten; auf der Stirn genügten
2 Milligramme, auf die Augenlieder mussten 5 Milligramme aufgelegt
werden, um die Empfindung einer Berührung hervorzubringen. Noch
auffallender war es an den Fingern; auf der Dorsalseite der ersten,
behaarten, Fingerphalangen wurde meist schon ein Gewicht von
5Milligramm bemerkt; auf den dritten, unbehaarten, Phalangen mussten
165
15, 35, oft 115 Milligramm drücken, ehe wir eme Berührung wahr-
nahmen (s. Tab. I. C.). Am Fussgelenk und an der Ferse, wo die
Haare des Unterschenkels aufhören, musste der Druck auf den be-
haarten Theilen 35 oder 15, an den unbehaarten, dicht daneben
215—515 Milligramm betragen (s. Tab. I. D. So finden die hier
angegebenen bedeutenden Schwankungen bei den verschiedenen Füssen
ihre genügende Erklärung). Um diesen Factor zu bestimmen, mussten
wir denselben Theil mit seinen Haaren und unbehaart unter sonst
möglichst gleichen Bedingungen untersuchen. Da sich die Dorsalseite
der obern Extremität als sehr empfindlich gegen Druck gezeigt hatte
(Tab. I. C.), so rasirten wir diese möglichst sorgfältig. und unter-
suchten 1—2 Stunden nach dem Rasiren. Die Ergebnisse dieser
Untersuchung sind in der folgenden Tabelle II zusammengestellt.
Tabelle I
Linke obere Extremität Aubert Kamnler
Dorsalseite Unrasirt | Rasirt Unrasirt Rasirt
oben 2 | 15 3 10
Me | mitten 2 10 3 10
Handgelenk 2 (5?) 10 2 15
Handrücken 2 15 2 15
1 5 65 5 35
1. 1. BERESN NER 5 15
I: 5 15 5 10
IV.ı1. 2 15 5 10
er 10 15 5 15
Zunächst ist hierzu zu bemerken, dass an einigen Stellen des
Handgelenks 10, an einer Stelle nur 5 Milligramm erforderlich waren
bei Aubert; es zeigte sich, dass hier ein kleines Haar stehen ge-
blieben war, woher wohl der Unterschied rührt. Im Uebrigen zeigt
sich in der Zunahme des erforderlichen Druckes keine Uebereinstim-
mung, die Differenzen zwischen rasirter und unrasirter Haut sind
manchmal gross, manchmal klein, das ist aber wenigstens constant,
dass der Druck auf demselben Theile, wenn er unbehaart
ist, grösser sein muss, als wenn er behaart ist. Wir können
12%
166
daraus wohl schliessen, dass die Haare dazu mitwirken, um
kleine Druckwirkungen wahrnehmen zu lassen, und da-
durch wohl auch zur Kenntniss von unsern Bewegungen beitragen.
Wir hatten übrigens noch einige Tage nach dem Rasiren ein
eigenthümliches Gefühl von Glätte und Leichtigkeit an diesem Arme,
wie man es auch mitunter am wohlrasirten Gesichte, freilich nur
kürzere Zeit nach dem Rasiren hat, was dazu einladet, mit der Hand
über die Wangen oder das Kinn zu fahren. Diese Erscheinung war
uns interessant, weil sie vielleicht ein Fingerzeig ist, wie man sich
verschiedene subjective Gefühle anexperimentiren und so zu ihrer
Erklärung beitragen könnte.
5) Einfluss der Dicke der Epidermis auf den Druck-
sinn.
Da die Hautnerven unter der Epidermis zu endigen scheinen,
so muss man erwarten, dass eine Verschiedenheit in der Dicke der
Epidermis gleichfalls von Einfluss auf die grössere oder geringere
Empfindlichkeit der Haut für Druck sein wird. Wir dürfen indess
nieht vergessen, dass die Epidermis ein unentbehrliches Organ für
das Zustandekommen einer Druckempfindung ist. An Stellen, die
von Epidermis entblösst sind, z. B. durch ein Blasenpflaster findet
keine Empfindung von Druck und Temperatur, sondern nur das
Gefühl des Schmerzes statt. — Dass die Dicke der Epidermis von
Einfluss auf das Zustandekommen einer Druckempfindung ist, wird
auch aus Weber’s Versuchen wahrscheinlich, wonach eine dünne
Epidermis geeigneter für Temperaturwahrnehmungen ist. Der Druck,
den man sich ebensogut wie alles andre was unsre Nerven trifft, und
unsre Sinne afficirt, als Bewegung vorzustellen hat, die sich unsern
Nerven mittheilt, und in ihnen gleichfalls eine Bewegung irgend
einer Art, wenn auch nicht gerade eine Oseillation, wie Lotze be-
hauptet, hervorbringt — der Druck muss durch die Epidermis hin-
durchwirken, wenn er die Nervenendigungen affıeiren soll. Nun wird
offenbar eine dieke Epidermis vermöge ihrer grössern Härte und
Umnachgiebigkeit den auf sie wirkenden Druck auf eine grössere
Fläche vertheilen, und daher den Druck auf die einzelnen unter ihr ‚
167
liegenden empfindenden Punkte vermindern; während eine dünne
und deswegen zugleich weichere und nachgiebigere Epidermis dem
drückenden Gewichte leichter ausweichen und so den Druck auf die
unmittelbar unter ihr liegenden empfindenden Punkte übertragen wird.
Dieser von vornherein wahrscheinlichen Annahme scheint ein Ver-
gleich des dünnhäutigen, haarlosen obern Augenlides (5 Mgrm.) mit
dem rasirten Handrücken (15 Mgrm.), dieses letzteren mit den Finger-
spitzen (35) und dieser wiederum mit der Fusssohle (115) günstig;
allein dieser Vergleich lässt sich nicht durchführen, denn es kommen
auch viele Stellen vor, die augenscheinlich eine verschieden dicke
Epidermis, und doch dieselbe Feinheit des Drucksinnes besitzen. Die
Haut des obern Augenlides ist offenbar dünner und bei weitem nach-
giebiger, als die Haut der Vola; sie beträgt nach Kölliker’s Mes-
sungen (Mikroskopische Anatomie II. 1. p. 56) dort 0,008”, während
sie an der Handfläche 0,3 beträgt, sie ist also am Handteller bei-
nahe 40mal so dick, als am obern Augenlide und doch wird hier
wie dort ein Druck von 5 Mgrm. als leiseste Berührung bemerkt.
Die Epidermis ist ferner am Malleolus entschieden dünner, als am
Ballen der grossen Zehe, und doch musste dort der Druck grösser
sein (315) als hier (115).
Da nun nach Ausschluss der Haare die Dieke der Epidermis
nicht genügt, um die Verschiedenheiten in der Feinheit des Druck-
sinnes zu erklären; so bleibt nur übrig anzunehmen, dass die Ner-
venendigungen in der Cutis einen verschiedenen Grad von
Empfindlichkeit für Berührung und Druck besitzen, und hier liegt
es nun wohl am nächsten, an einen Einfluss der Tastkörper-
ehen zu denken. Kölliker hat bereits vermuthet (von Siebold
und Kölliker Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie Bd. IV. p.49),
„dass die Tastkörperchen den Nerven als eine härtere Unterlage
dienen, wodurch bewirkt wird, dass ein Druck, welcher an andern
Orten noch nieht im Stande ist, die Nerven zu comprimiren, "hier
einwirkt;“ eine Auffassung, die auch Gerlach in seiner neusten
Arbeit (Mikroskopische Studien p. 46) unterstützt. Dass die Tast-
körperchen die Wahrnehmung des Druckes begünstigen,
168
wird auch aus unsern Untersuchungen wahrscheinlich, da die Theile
mit dieker Epidermis und Tastkörperchen verhältnissmässig ebenso
fein oder feiner fühlen, als die Theile mit dünner Epidermis ohne
Tastkörperchen. Siehe Tabelle I. Ferner vergleiche man die Zahlen
der zweiten Tabelle für die rasirte obere Extremität, mit denen für
die Vorlarseite. — Zu einer vollständigen Untersuchung dieses Ver-
hältnisses müsste man den ganzen Körper rasiren und dann auf
Drucksinn untersuchen. Da indess die Dicke der Epidermis indivi-
duell sehr verschieden ist, auch die Trockenheit und Feuchtigkeit
derselben gewiss wesentlich ist; so würde selbst eine solche Unter-
suchung keine unbedingt annehmbaren Resultate ergeben, um Pro-
portionen zwischen Epidermisdicke und Feinheit des Drucksinnes
aufzustellen. — Indess ist es doch schon nach diesen Daten wahr-
scheinlich, dass die Tastkörperchen Compensationsvorrichtungen für
die Druckempfindung bei grösserer Dicke der Epidermis sind. Wo
die Epidermis aus andern Ursachen diek ist, da wird der für das
Tasten schädliche Einfluss derselben durch Tastkörperchen compen-
sirt. Dieselben würden eine ähnliche Function, wie die feinen Haare
unserer Haut haben, ja man könnte sie vielleicht als verkümmerte
Haare betrachten.
Wir hatten aber nun noch das Auskunftsmittel, Tastkörperchen
führende Hauttheile mit einander zu vergleichen, um über den Ein-
fluss der Dicke der Epidermis auf den Drucksinn ein Urtheil zu
gewinnen. Es war uns in unserer Tabelle auffallend, dass Fräulein
E. an der Volarseite der dritten Phalanx des zweiten, dritten, vier-
ten Fingers der rechten Hand ein viel bedeutenderes Gewicht (115) |
gebraucht hatte, als an der ganzen übrigen Vola und an den Fingern
und der Vola der linken Hand; da dieselbe im letzten Jahre viel
genäht und gestickt hatte, so glaubten wir, dass diese Beschäftigung |
ihre Oberhaut so verdickt und dadurch ihre Berührungsempfindung
abgestumpft hätte. Wir untersuchten daher zum Vergleich die Hände
einer Nätherin, die ihr Gewerbe seit beinahe 20 Jahren betreibt. Es
ergaben sich folgende Druckgrössen :
169
Tabelle II
Nätherin Luise.
Obere Extremität | Rechts | Links
mn nn m DE m ns Ei Dam nm SS rer Den
Handgelenk 35 15
Handteller 35 15
Ku 35 15
Ile 35 65
a 1 65 15
= ı1?!2 65 35
“ 3 515 215
ee 1 65 15
<|i m!a 65 35
r 3 515 65
1 35 15
IV 2 65 15
3 65 65
1 65 15
vi!2 65 15
3 65 15
Die dritte Phalanx des zweiten Fingers der rechten Hand hat
die Nadel zu dirigiren, der dritte Finger trägt den Fingerhut, die
dritte Phalanx des zweiten Fingers der linken Hand hat hauptsächlich
den zu nähenden Stoff zu halten. An diesen Theilen ist die Epi-
dermis auffallend dick, an ihnen müssen die grössten Gewichte auf-
gelegt werden, wenn eine Berührung empfunden werden soll. Die
Vermuthung, dass die Dicke der Epidermis der Feinheit des Druck-
sinnes entgegenwirkt, wird hierdurch entschieden bestätigt. Dafür
spricht ferner der Umstand, dass Kammler eine auffallend dünne
Epidermis an Händen und Füssen, namentlich linkerseits, desgleichen
Aubert an den Händen hat, während Förster und namentlich
Trenkle eine dickere und trockene Epidermis haben, und dass sich dem-
gemäss die Gewichte in TabelleI und die individuellen Verschiedenheiten
verhalten. Die hohen Angaben bei Trenkle (Tabelle I B) scheinen
ausserdem durch mehrere Narben an seinen Fingern bedingt zu sein.
Um nun auch an tastkörperchenlosen Stellen den Einfluss der
Epidermisdicke zu prüfen, legte sich einer von uns ein Blasenpflaster
170
auf die Dorsalseite des linken Arms, der behaart nur sehr kleine
Gewichte, rasirt viel grössere erfordert hatte. Leider ergab dieses
Experiment keine Antwort auf unsere Frage. Die feuchte Wunde
nahm gar keinen Druck wahr, sondern nur Schmerz; als sie
24 Stunden lang trocken gewesen war, wurden 515 Mgrm. noch
nicht gefühlt, ein stärkerer Druck wurde auch nicht eigentlich
als Druck oder Berührung empfunden, sondern eher wie ein unbe-
stimmter Schmerz, auch später, mehrere Tage nachher musste ein
verhältnissmässig sehr starker Druck ausgeübt werden (515 Mgrm.),
ehe eine Berührung gefühlt wurde. Dabei fand noch viele Wochen
lang ein Jucken in dieser Gegend statt. Offenbar hatten also die
Nervenenden sehr gelitten.
Es ist uns nach allen diesen Betrachtungen wahrscheinlich :
dass die Dicke der Epidermis der Feinheit des Druck-
sinnes entgegenwirkt, dass aber diese Beeinträchtigung
zum Theil und bis zu einem gewissen Grade von den
Tastkörperchen compensirt wird.
I.
Welchen Einfluss hat die Grösse des Drucks auf die
Wahrnehmung räumlich getrennter Punkte? oder: Sind
Raumsinn und Drucksinn der Haut von einander ab-
hängig?
6) Drucksinn und Raumsinn der Haut im Vergleich
zum Liehtsinn und Raumsinn der Netzhaut.
Wenn wir die Analogie zwischen Haut und Netzhaut festhalten,
und den Drucksinn, die eine specifische Energie der Haut, mit dem
Lichtsinne, der specifischen Energie der Netzhaut (nach Ausschluss
des Farbensinnes) parallelisiren (conf. Aubert in Gräfe’s Archiv
für Ophtalmologie III. 2. p. 63), so zeigt sich zwischen diesen Thä-
tigkeiten der beiden Sinnesorgane der Unterschied, dass die Feinheit
des Lichtsinnes auf der ganzen Retina nahezu gleich ist (s. Förster
die Hemeralopie ete. p. 30 und Aubert, diese Zeitschrift Bd. IV.
Heft 3. p. 224), während der Drucksinn der Haut an verschiedenen
171
Stellen in seiner Feinheit sehr variirt, mag man nun die Wirkung
der Haare ausschliessen oder nicht. Dieser Befund stimmt mit den
anatomischen Ergebnissen auch insofern überein, als sich auf der
Retina mit Ausnahme der Eintrittsstelle des Sehnerven überall die-
selben Elemente, nur in wechselnder relativer und absoluter Menge
finden, auf der Haut dagegen die Nerven theils an oder in Tastkör-
perchen, theils ohne diese endigen. — Der Raumsinn dagegen zeigt
sich sowohl auf der Haut, wie auf der Netzhaut sehr verschie-
den fein.
Nun finden wir bei der Retina eine sehr auffallende Abhängig-
keit des Raumsinnes von dem Lichtsinne. Es ist eine Erfahrung
des alltäglichen Lebens, dass man bei heller Beleuchtung (Tages-
licht) Buchstaben in grösserer Entfernung, also unter kleinerem Ge-
sichtswinkel erkennen kann, als bei matter Beleuchtung, so dass man
im Dämmerlichte ein Buch instinetmässig den Augen mehr nähert.
Förster sagt daher in seiner Hemeralopie mit Recht: „Gesichtswinkel
und Helligkeit sind gleichsam die beiden Factoren, aus denen die
Schärfe der Eindrücke, welche wir durch unser Auge empfangen,
resultirt. Je kleiner der eine ist, desto grösser muss der andere
sein, wenn noch eine Wahrnehmung zu Stande kommen soll — sie
ergänzen sich gegenseitig.“ Mit specieller Anwendung auf die Wahr-
nehmung zweier Quadrate in bestimmter Distanz zeigt sich dieser
Ausspruch in Aubert’s Untersuchungen bestätigt (diese Zeitschrift
Ba. IV. Heft 1. p. 31). Wenn aber der Raumsinn der Retina ab-
hängig ist von dem Lichtsinne, wenn bei einem gewissen Helligkeits-
‘grade zwei Punkte distinet wahrgenommen werden, die bei einer
geringeren Beleuchtungsstärke nicht mehr als distinet wahrgenommen
werden können: so folgt daraus, dass die Grösse der Empfin-
dungskreise auf der Retina nicht constant ist, dass es also
hier keine festen Empfindungskreise giebt. Die Grösse der
Empfindungskreise der Retina wechselt mit der Inten-
sität der Lichtempfindung oder des Contrastes.
Wie verhält sich mutatis mutandis die Haut? Ist bei einem
geringen Drucke eine grössere Entfernung der Zirkelspitzen zur
172
Wahrnehmung distineter Punkte nöthig, als bei einem starken Drucke,
oder umgekehrt, oder ist die Stärke des Druckes gleichgültig ?
Diese Frage ist experimentell zu entscheiden. Nach einigen ver-
geblichen Bemühungen, einen passenden Apparat zu construiren,
kamen wir bald wieder auf die einfachste Art des Versuches: zurück,
nämlich einen leichten und einen schweren Zirkel aufzusetzen. Der
leichte Zirkel, aus spanischem Rohre gefertigt, wog 3 Gramm; der
schwere Zirkel von Eisen übte einen Druck von über 1000 Gr. aus.
Der leichte Zirkel hatte einen durch das Gelenk gehenden Stift,
welcher 1 Centimeter auf jeder Seite hervorragte, so dass er zwi-
schen 2 Fingern schwebte und beim Aufsetzen nur von diesen abge-
hoben wurde; es drückte also nur das Gewicht des Zirkels selbst,
die aufsetzende Hand fügte keinen Druck hinzu. An den Spitzen
der Zirkel waren Hollundermarkstückchen von je 9 Quadratmilli-
meter Basis befestigt, um Temperaturwirkungen auszuschliessen. Die
Methode war sonst dieselbe, wie sie Weber und später Czermak
angewendet haben (Hdwrtrbch. III. 2. p. 524 und Physiologische
Studien p. 51. Anm.). Wir wählten zur Untersuchung nur solche
Theile, wo die Zirkelspitzen eine verhältnissmässig grosse Distanz
haben mussten, um die aus der Grösse der aufzusetzenden Flächen
hervorgehende Ungenauigkeit zu eliminiren.
Wir haben nun gefunden, dass an der Stirn, am Oberarm,
Vorderarm, Handrücken und Oberschenkel die beiden Zir-
kelspitzen ebensoweit von einander entfernt sein müssen,
um als distinete Punkte wahrgenommen zu werden, wenn sie einen
Druck von 3 Gr., als wenn sie einen Druck von 1000 Gr.
ausüben.
Auf dem Oberarm, dem mittleren Theile des Unterarms, und
dem mittleren Theile des Oberschenkels (rechte Körperhälfte) muss-
ten die Zirkelspitzen 45 Mm.—20 Pariser Linien entfernt sein, um
quer aufgesetzt als 2 Punkte empfunden zu werden; wurden sie in
der Längsrichtung des Gliedes aufgesetzt, so konnte man weder die
Richtung, noch das Vorhandensein zweier Punkte überhaupt wahr-
nehmen. Wurden die Zirkelspitzen dagegen schräg aufgesetzt, so
173
dass sie etwa 45° gegen die Axe des Gliedes gerichtet waren, so
wurden 2 Punkte deutlich gefühlt, aber die Richtung wurde als voll-
ständig quer empfunden oder gedeutet; selbst wenn sich die schräge
Richtung, sehr stark der Längsaxe des Gliedes näherte, so wurden
doch zwei Punkte empfunden und Querrichtung angegeben.
Die Empfindungskreise müssen darnach von einer ganz eigen-
thümlichen Curve begrenzt sein, deren genauerer Bestimmung
sich leider viele Schwierigkeiten entgegenstellen. In der Längs-
richtung mussten die Zirkelspitzen gegen 60 Mm. von einander
entfernt werden.
Auf dem Handrücken konnten wir bei 25 Mm.—11 Par. Linien
Entfernung der Zirkelspitzen deutlich wahrnehmen, ob dieselben quer
oder längs aufgesetzt wurden, bei 22 Mm. Entfernung irrten wir
beim Aufsetzen in der Längsrichtung, indem wir wohl zwei Ein-
drücke wahrnehmen, aber ihre Richtung nicht bestim-
men konnten; bei 20 Mm. Entfernung konnten wir nur beim
queren Aufsetzen zwei Punkte distinet erkennen.
Aehnlich verhielt sich die Stirn; in der oberen Gegend dersel-
ben konnten wir bei 20 Mm. — 9" Entfernung nur die quer oder
schräg aufgesetzten Zirkelspitzen distinet wahrnehmen, dagegen nicht
in der Längsrichtung; an der untern Stirngegend konnten wir bei
dieser Distanz in jeder Richtung zwei Punkte fühlen und die Rich-
tung angeben; deutlicher war aber auch hier die Distinetion beim
queren Aufsetzen.
Diese Angaben stimmen so genau, als es erwartet werden kann,
mit Weber’s neueren Bestimmungen in den Leipziger Berichten
1852 p. 91, so wie mit Czermak’s Untersuchungen in den physio-
logischen Studien p. 54 überein. ‘Wir müssen also nach diesen Er-
gebnissen, die sowohl für den schweren, als den leichten Zirkel, also
für eine Belastung von 3 Gr. und von 1000 Gr. gelten, die oben
gestellte Frage dahin beantworten: dass die Grösse des Drucks für
die Wahrnehmung distineter Punkte ohne Einfluss ist, dass mithin
Drucksinn und Raumsinn unabhängig von einander sind,
dass sich endlich der Raumsinn der Retina ihrem Licht-
174
sinne gegenüber anders verhält, als der Raumsinn der
Haut zu ihrem Drucksinne.
7) Verhältniss des Drucksinnes zum Ortssinne.
E. H. Weber hat die Fähigkeit, zwei Punkte distinet wahrzu-
nehmen, in seinem Aufsatze über den Tastsinn und das Gemeingefühl
als „Ortssinn“, in seinem spätern Aufsatze über den Raumsinn
als „Raumsinn“ bezeichnet. In dieser letzteren Arbeit hat er eine
zweite Methode zur Bestimmung der Feinheit des Raumsinnes ange-
geben, die darin besteht, „dass man einen Menschen den Ort anzei-
gen lässt, wo man seine Haut berührt hat“. Durch diese zweite
Methode bestimmt man offenbar etwas anderes, als durch die erste.
Hier wird die Fähigkeit der Unterscheidung zweier Punkte und
ihre Lage zu einander, dort die Fähigkeit, die Lage eines
Punktes in Bezug auf fühlende Punkte unserer Haut anzu-
geben, geprüft. Die erste Untersuchung giebt Aufschluss darüber,
wie genau unsere Haut die Continuität des Raumes wahrnimmt, und
wie genau sie Formen empfinden und zur Perception bringen kann ;
die zweite zeigt, wie genau wir auf unserer Haut orientirt sind.
Während das Vermögen, uns auf der Haut zu orientiren, von der
Fähigkeit, zwei Punkte in einer gewissen Distanz zu unterscheiden,
abhängig ist; so kann die Fähigkeit, zwei Punkte in geringer Dis-
tanz distinet wahrzunehmen, sehr gut vorhanden sein, ohne dass wir
im Stande sind, uns auf dieser Haut zu orientiren. Die erste Fähig-
keit ist höchst wahrscheinlich von der Menge und Vertheilung der
Nervenenden abhängig, sie ist also theilweise angeboren ; die zweite
ist durch Bewegungen verschiedener Hautregionen an einander er-
worben und ist da weniger ausgebildet, wo die Bewegungen behin-
dert sind. Man fühlt z. B. zwei Punkte auf den Zehen ganz deut-
lich als zwei und kann die Richtung der Spitzen angeben, aber
man irrt sich, weiss also nieht, ob die dritte oder vierte, oder die
zweite und dritte Zehe oder ob nur eine oder zwei nebeneinanderlie-
gende Zehen berührt worden sind.
Da nun schon die beiden Ausdrücke „Ortssinn und Raumsinn®
den Physiologen geläufig sind, so dürfte es wohl zweckmässig sein,
175
mit ihnen die zweierlei eben besprochenen Fähigkeiten unserer Haut
zu bezeichnen, und dann unter „Raumsinn“ die Fähigkeit zu
verstehen, zwei Punkte distinct zu empfinden, dagegen unter
„Ortssinn“ die Fähigkeit, die Lage eines Punktes auf un-
serer Haut oder seinen Ort zu bestimmen.
Wir haben unter 6 das Verhältniss des Drucksinnes zum Raum-
sinne untersucht; bei dem negativen Befunde schien es uns, nöthig,
auch das Verhältniss des Drucksinnes zum Ortssinne zu prü-
fen. Wir stellten die Versuche so an, dass wir auf den ruhenden
und gut unterstützten rechten Vorderarm, der durch schwarze Striche
in halbe Decimeter abgetheilt war, mit Pastellstiften einen starken,
und durch Niederlassen unseres Hollundermarkgewichtes von 15 Milli-
gramm einen schwachen Druck ausübten. Der Untersuchte hatte
einen anders gefärbten Pastellstift in der linken Hand und bemühte
sich, unmittelbar nach erfolgter Berührung den markirten Ort zu
treffen. Bei einer grossen Menge von Versuchen haben wir aber
auch hier keinen Einfluss der Stärke des Druckes auf die Genanig-
keit der Ortswahrnehmung, also keine Abhängigkeit des Orts-
sinnes vom Drucksinne finden können. Die Resultate waren
überhaupt ziemlich schwankend. Eine grössere Abweichung, als der
kleinste Durchmesser eines Empfindungskreises ist nie beobachtet
worden, dagegen kamen bei starkem wie bei schwachem Drucke alle
möglichen Distanzen zwischen dem von dem Untersucher und dem
von dem Untersuchten berührten Orte innerhalb eines Empfindungs-
kreises vor; in der grossen Mehrzahl der Fälle betrug indessen die
bezeichnete Distanz nicht über 2 Oentimeter am Vorderarm, auf dem
Handrücken wurde 1 Centimeter nicht überschritten, aufden Fingern,
namentlich der Volarseite, waren die Bezeichnungen meist ganz ge-
nau oder die Differenzen betrugen nur wenige Millimeter. "Weber
(Leipziger Berichte p. 88) hat ähnliche Mittelzahlen angegeben. Es
ist jedenfalls schr merkwürdig, dass man für gewöhnlich einen
berührten Punkt genauer trifft, ‚als man nach der Fein-
heit des Raumsinnes oder nach der Grösse der Empfin-
dungskreise erwarten sollte.
176
Wir haben bereits oben (unter 3) auf die bei diesen Untersu-
chungen auffallende doppelte Art und Weise, sich über den berühr-
ten Ort zu orientiren, aufmerksam gemacht, erstens, indem man die
Grösse der Bewegungen der linken Hand schätzt und darnach den
berührten Ort zu treffen sucht, zweitens, indem man die Haut des
rechten Armes dazu benützt, sich auf ihr zu orientiren. Bei der
ersten Orientirungsart sind Abweichungen von 1 Deeimeter und
darüber häufig. Die angegebenen Zahlen wurden mittels der zweiten
Orientirungsart gewonnen. Dass beide Arten einer bedeutenden Ver-
vollkommnung fähig sind, lehrt das Spielen verschiedener musikali-
scher Instrumente. Zuerst orientiren wir uns auf dem Olavier, z. B.
(abgesehen von der Hülfe unserer Augen) durch die Schätzung der
Grösse unserer Bewegungen; wie unvollkommen diese ist, darüber
hat wohl Mancher traurige Erfahrungen gemacht; denn das Ohr
leitet den Spielenden erst zu einer genaueren Örientirung auf dem
Clavier an, die in Weber’s Experimenten durch den Ortssinn der
Haut besorgt wird. Mit der Zeit bekommt man indessen eine solche
Uebung und Sicherheit in der Schätzung der Grösse der Bewegungen,
dass man die beabsichtigte Taste selten oder nie verfehlt, auch ohne
Hülfe der Augen.
Für die Genauigkeit unserer Bewegungen ist es aber gewiss
wichtig 1) dass bei schwachem und starkem Druck der
berührte Ort gleich genau gefühlt wird, 2) dass die
Ortsbestimmung eines einzelnen Punktes auf unserer
Haut genauer gemacht wird, als man nach der Feinheit
des Raumsinnes erwarten kann.
8) Verhalten des Drucksinnes zum Raumsinne, wenn
der drückende Körper bewegt wird.
Nach ‘den Untersuchungen Czermak’s (Physiologische Studien
und diese Zeitschrift Bd. I. p. 197) „ist der Abstand, welcher noth-
wendig ist, um zwei ungleichzeitige Eindrücke räumlich geson-
dert wahrzunehmen, bei weitem kleiner, als der Abstand, bei dem
eine deutliche, räumliche Trennung zweier gleichzeitiger Eindrücke
einzutreten pflegt“. Damit steht eine andere Bemerkung Czermak’s
177
in genauem Zusammenhang (Physiologische Studien p. 33 [593 des
Akademieberichtes] Anmerkung), „dass unser Wahrnehmungsvermögen
unter allen räumlichen Beziehungen, für die Richtung bewegter
Eindrücke am schärfsten zu sein scheint, indem wir dieselbe meist
schon vor Ueberschreitung eines jener Bezirke angeben können,
innerhalb welcher uns noch nicht einmal die gegenseitige Lage un-
gleichzeitiger Eindrücke deutlich ist“. Die Richtigkeit dieser Beob-
achtung können wir nur vollkommen bestätigen.
Wir suchten auch nach dieser Methode die Abhängigkeit des
Raumsinns vom Drucksinne zu prüfen. Wir malten daher Empfin-
dungskreise von der Grösse, wie sie sich beim queren Aufsetzen der
Zirkel ergab, auf den Vorderarm und Handrücken, und machten
nun Bewegungen von einem halben, drittel, viertel oder noch klei-
nerem Bruchtheile eines Empfindungskreisdurchmessers auf der Haut
mit einem Stäbchen aus Hollundermark, indem wir bald sehr leise,
bald stark drückten. Es zeigte sich 1) dass bei ganz schwachem
Druck, wo keine bemerkbare Eindrückung oder Ver-
schiebung der Haut stattfand (Ozermak a.a. O.p.33. [593)),
ein Strich vor der Länge des Radius und schon von ?/3 des Durch-
messers eines Empfindungskreises genügte, um die Richtung der Be-
wegung wahrnehmen zu lassen; 2) dass dagegen bei starkemDruck
eine viel kleinere Bewegung von etwa !/ oder !/; des Durch-
messers eines Empfindungskreises hinreicht, um die Richtung der
Bewegung erkennen zu lassen. Dies ist aber keineswegs eine
directe Wirkung des Druckes; dieser Unterschied beruht viel-
mehr, wie man bei einiger Aufmerksamkeit sogleich bemerkt, nur
darauf, dass bei starkem Druck nicht bloss die unmittelbar berührte
Haut affieirt wird, sondern dass die Haut der ganzen Umgebung in
grosser Ausdehnung verschoben und gezerrt wird, und diese Zerrung
der Haut vermittelt, wie man leicht bemerkt, die Wahrnehmung der
Bewegungsrichtung. Eine Abhängigkeit des Raumsinnes vom
Drucksinne existirt daher nach diesen Untersuchungen
nicht.
178
Sehr frappant ist uns aber ein anderes Ergebniss derselben ge-
wesen: Machten wir sehr kleine Bewegungen von weniger als 5 Milli-
meter mit sehr schwachem Drucke des Hollundermarkstäbehens, so
bemerkten wir die Bewegung sehr deutlich und glaubten auch die
Richtung derselben ganz bestimmt wahrzunehmen. Unsere Angaben
waren aber, trotzdem sie nach bestem Wissen und Gewissen ‚gemacht
wurden, fast immer falsch, so dass die wenigen richtigen Angaben
wohl nur zufällig gewesen sind. Nachdem wir uns mit Zuhülfenahme
eines befreundeten Commilitonen als Unparteiischem von der Falsch-
heit unserer Angaben über die Richtung der Bewegung überzeugt
hatten, konnten wir doch unserer Phantasieen nicht Herr werden. Es
wurde z. B. 10mal an derselben Stelle von oben nach unten ge-
striehen; die Angaben des Untersuchten waren: von rechts nach
links, von oben nach unten, von oben und links nach vorn und
rechts, von unten nach oben u. s. w. Erst nach mehrmaliger Unter-
suchung gelang es uns, diese Vorspiegelungen unseres Vorstellungs-
vermögens zu unterdrücken. Wir fanden daher Ozermak’s Behaup-
tung bestätigt, „dass die Vorstellung einer Bewegung ohne angebbare
Richtung erweckt werden kann“. Indess werden hier, wie es scheint,
einfache Empfindungen durch Verstandesthätigkeit so bemeistert, dass
man etwas sinnlich wahrzunehmen glaubt, was man in der That
nicht wahrnimmt. Vielleicht schliessen wir, dass, wenn eine Bewe-
gung da ist, dieselbe auch eine Richtung haben muss; die Richtung
wird ein Postulat unseres Verstandes; da der Sinn dieses Postulat
nicht befriedigen kann, so intervenirt die Phantasie mit „zügellosem '
Fluge“. — Solche Fälschungen scheinbar schr einfacher Sinnesempfin-
dungen durch unser Vorstellungsvermögen sind gewiss für jeden |
Beobachter sehr zu beherzigende Warnungen! Dass wir aber bei
den erwähnten grösseren Verschiebungen eines leise drückenden Kör-
pers auf einem kleineren Raume die Richtung, bemerken, als bei dem
gleichzeitigen Aufsetzen zweier Zirkelspitzen, spricht doch 1) auch
gegen die Annahme fester Empfindungskreise auf der
Haut (worüber Czermak’s physiologische Studien besonders nach- |
zusehen sind); 2) unterstützt es die Annahme, dass der Druck und
179
Raumsinn der Haut unsere Bewegungen überwachen; denn wenn der
Raumsinn bei Bewegungen auf der Haut feiner ist, als für gleich-
zeitige Eindrücke, so werden wir unsere Bewegungen noch genauer
durch die Hautempfindungen schätzen können, als nach der Grösse
der Weber’schen Empfindungskreise zu erwarten ist.
D
2)
3)
4)
5)
6)
Resultate
Ueberall, wo eine Tastempfindung stattfinden soll, muss ein
Druck einwirken. (Abgesehen von Temperaturveränderungen.)
Das Gefühl der Berührung ist ein anderes, als das des Druckes,
und zwar auf allen Theilen des Körpers, mögen sie Tastkör-
perchen enthalten oder nicht.
Bei der grossen Empfindlichkeit unserer ganzen Haut für Druck
bedürfen wir nicht der Annahme eines besonderen Muskelgefühls
und eines diesem dienenden Nervenapparates in den Muskeln
selbst, zur Erklärung für die Präcision auszuführender Bewe-
gungen.
Die Haare tragen zur feineren Wahrnehmung sehr schwachen
Druckes bei.
Die Dicke der Epidermis vermindert die Feinheit der Druck-
empfindung; die Tastkörperchen scheinen diesem Mangel ent-
gegenzuwirken.
Die Grösse des Druckes hat keinen Einfluss weder auf den
Raumsinn, oder die Wahrnehmung zweier gleichzeitiger Ein-
drücke, noch auf den Ortssinn, die Bestimmung der Lage eines
Punktes auf unserer Haut, noch auf die Wahrnehmung der
Richtung von Bewegungen auf unserer Haut.
Die Grösse der Empfindungskreise ändert sich: «) auf der Netz-
haut mit der Grösse des ÜContrastes; 5) auf der Haut mit
der Gleichzeitigkeit und Ungleichzeitigkeit zweier Eindrücke
(Czermak) und je nachdem ein Körper auf der Haut ruht,
oder auf ihr bewegt wird.
Breslau, den 10. Mai 1858.
Molesclott, Untersuchungen V. 13
le
Du a ‚ Untor
Ba .
XI.
Ueber directe Reizung der Muskeln
mit besonderer Beziehung auf die von Dr. W. Wundt
vertheidigten theoretischen Ansichten. “
Von
Professor Moritz Schiff.
In einer so eben erschienenen Schrift über Muskelbewegung,
welche sich ganz den Arbeiten einer theoretisirenden Schule an-
zuschliessen sucht, die in moderner Form an die Stelle der alten
deutschen Naturphilosophie getreten ist, glaubt der Verfasser, Dr.
W. Wundt in Heidelberg, als „Resultat“ seiner Versuche aufstellen
zu können:
„Selbstständig reizbar ist die Muskelfaser nur durch den elek-
trischen Strom, jeder andere Reiz bewirkt eine Zusammenziehung
nur wenn er auf den Nerven wirkt.“
„Dieses Resultat, * fährt Wundt fort, „ist um so wichtiger,
wenn man bedenkt, dass die Erregung des Muskels durch den Ner-
ven höchst wahrscheinlich nur auf elektrischen Stromesschwankungen
in diesem beruht, also mit der unmittelbaren Erregung mittelst des
elektrischen Stromes ihrem Wesen nach zusammenfällt.
So neu, wie es für Manche den Anschein haben könnte, ist diese
Theorie durchaus nicht. Schon im Jahre 1823 ist sie ganz ebenso
von Prevost und Dumas ausgesprochen worden, welche sie in-
dessen nach dem damaligen Stande der Wissenschaft auf andere
182
Weise begründeten. Auch sie führen die Wirkungen der chemischen
und mechanischen Reize auf elektrische Strömungen im Nerven zu-
rück, Diese Elektrieität im thätigen Nerven war aber damals noch
eine physikalische Hypothese. Nach der Umgestaltung, welche
jetzt die Naturwissenschaft, selbst wider ihren Willen, durch den
mächtigen Einfluss der neueren Richtung des Denkens zu erfahren
im Begriff ist, sind Hypothesen im Gebiete der speciellen Physik
(leider noch nicht in den allgemein physikalischen Vorstellungen, wo
noch die Atome und Moleküle ihr luftiges Spiel treiben) nachgerade
so lächerlich geworden, dass die neueren Naturphilosophen gezwungen
sind, der, wenigstens formellen, Ausbildung der physikalischen
Vorbegriffe um so mehr Sorgfalt zuzuwenden, je grösser die Will-
kür ist, mit der sie dieselben bei ihrer nur theoretischen Betrach-
tung der eigentlich physiologischen Aufgaben zu verwerthen
suchen.
Hier haben nun in Betreff der thierischen Elektrieität die schö-
nen Entdeckungen von Du Bois eine neue Bahn gebrochen, welche
Dr. Wundt in einer Weise betrat, die sicher ihren Eindruck bei
demjenigen Leserkreise nicht verfehlen wird, für welchen der Ver-
fasser vorzugsweise geschrieben zu haben scheint.
Hat aber die neuere Zeit einerseits zu Gunsten der von Wundt
angenommenen und vertheidigten Theorie vorgearbeitet, so. hat sie
andererseits auch eine Reihe von Thatsachen enthüllt, welche mit der
Ansicht, dass andere 'als elektrische Reize stets nur durch den. Ner-
ven auf den Muskel wirken, in direetemWiderspruch stehen. Diese
Thatsachen konnten aber von Wundt; um so eher unberücksichtigt
bleiben, als er ihre Kenntniss durchaus nicht aus denjenigen Lehr-
büchern der Physiologie schöpfen konnte, die eine gewisse Richtung
vorzugsweise als „klassische * bezeichnet, und er genoss dadurch den
Vortheil, seine Lieblingstheorie, die er als das „Resultat“ seiner
„ Versuche * vorführt, im Texte seiner Schrift nur um so abgerun-
deter vortragen zu können.
Erst nach Beendigung | seiner Arbeit erhielt Wundt. das'erste
Heft ‘meiner Physiologie, in welchem ich eine Reihe älterer und
183
neuerer Beobachtungen über die idiomuseuläre Contraction kurz und
übersichtlich zusammenzustellen suchte, und in welchem ich nachwies,
dass der elektrische Strom, den Wundt für das einzige Erregungs-
mittel der Muskelzuckung erklärte, gar nicht im Stande sei, direct
auf den Muskel einzuwirken, während ein unmittelbarer mechanischer
Reiz den Muskel kräftig ohne Vermittelung der Nerven errege. Es
ist mehr als sonderbar, es ist sehr traurig, dass solche Widersprüche
über so einfache, leicht zu untersuchende Thatsachen in einer Wis-
senschaft vorkommen können, die niemals mehr als jetzt allen Un-
eingeweihten ibre Exactheit anpreist, die sich in allen Vorreden und
buchhändlerischen Anzeigen, die dem grossen Publikum unter die
Augen kommen, ihrer strengen Forschungsmethoden rühmt. Es ist
hier nicht der Ort, sich weitläufiger darüber auszusprechen, woher
dieser Uebelstand kommt, er dürfte sich aber in der nächsten Zeit
noch gar manchmal, und bei wichtigeren Anlässen, wiederholen
wenn es den Bestrebungen Einzelner gelingen sollte, eine Schule
sogenannter Physiologen zu bilden, welche den Werth einer Ent-
deckung nach der Künstlichkeit der Mittel schätzt, mit welchen sie
gewonnen, und nach der Geschraubtheit der Sprache, in der sie vor-
getragen worden ; welche die Gabe der Beobachtung durch diejenige
der Erfindung zu ersetzen sucht; welche die einzig zum erwünsch-
ten Ziele führende unmittelbar sinnliche Wahrnehmung der Erschei-
nung am lebenden Thierkörper, und die hierzu unumgänglich
nöthige experimentelle Technik und anatomische Kenntniss auszubil-
den verschmäht; welche ihre Blössen mit den mühevoll zusammen-
geflickten Lappen zu decken sucht,die ihr von Lehrern anderer Fächer
nit mitleidigem Lächeln überlassen werden, und auf welche mit vol-
lem Rechte die bedeutungsvollen Worte Herrman’s ihre Anwen-
dung finden; „Der hat keine Heimath, der überall Gast ist.“
Ein empirischer Forscher, welchem thatsächliche Angaben vor-
geführt werden, die mit seinen Resultaten, oder auch den von ihm
daraus gezogenen. Schlüssen in Widerspruch stehen, würde sich zu-
nächst einer beharrlichen und gewissenhaften Wiederholung seiner
eigenen Versuche und derjenigen seines Gegners unterziehen, um wo
184
möglich die Bedingungen zu erkennen, welche der Verschiedenheit
der Ergebnisse zu Grunde liegen, und er würde, wenn ihm letzteres
nicht gelänge, jedenfalls seine Schlüsse so lange vorsichtig: zurück-
ziehen, bis der Widerspruch gelöst ist. Anders verfuhren von je her
die Theoretiker. Viele derselben haben sich ihre „Resultate“ nun
einmal so fest in den Kopf gesetzt, dass eine Bestätigung durch den
directen vielfach wiederholten Versuch ihrer subjeetiven Gewissheit
nichts hinzufügen, ein zweifelhaftes oder gar entgegengesetztes Re-
sultat sie aber nur verwirren könnte. Es ist von ihrem Standpunkte
aus also jedenfalls sicherer, sich der nur Nachtheil drohenden Mühe
einer ausdauernden Prüfung zu enthalten, und den Gegner, wie wir
es euphemistisch ausdrücken wollen, auf dem Wege subjectiver intel-
lectueller Anschauung zu widerlegen, wenn sie seine Ansichten über-
haupt einer Erwähnung für würdig halten.
Wundt hebt unter den von mir für die Unabhängigkeit der
idiomuseulären Contraction von den Nerven angeführten Gründen
drei hervor, die allerdings die wesentlichsten sind.
1) In Betreff der eigenthümlichen Form und des besonders lang-
samen Verlaufes der idiomusculären Contraction gesteht Wundt zu,
dass diese Momente von grösstem Gewichte wären, wenn ich nicht,
wie er behauptet, diese Art der Bewegung vorzugsweise an längere
Zeit gestorbenen Thieren erst dann wahrgenommen hätte, nachdem
die immer langsamer gewordenen peristaltischen neuromuseulären
Bewegungen sich zuletzt allmälig mehr auf die Umgebung der Reiz-
stelle beschränkt hätten. „Nur diese Zusammenziehung in der Um-
gebung der Reizstelle,* sagt Wundt, „nennt nun Schiff idio-
musculär, während er jede weiter verbreitete für eine neuromus-
euläre erklärt; eine solche Abgrenzung ist aber offenbar durchaus
künstlich, wenn die eine Bewegung vom Nerven ausgeht, so ist dies
wohl auch mit der andern der Fall, und es ist kein Grund vorhan-
den, warum wir nicht Schiff’s idiomusculäre Bewegung für eine
local beschränkte Zuckung von sehr langsamem Verlaufe halten sol-
len........ ‘Ein derartiger Grund ist um so weniger vorhanden, als ja
Schiff selbst einen ebenso langsamen Contractionsrhythmus "auch
185
den neuromusculären Bewegungen des erschöpften Muskels zugesteht. *
Wundt fügt hinzu, dass er bei ganz frischen Muskeln nie-
mals eine idiomusculäre Bewegung an der gereizten Stelle von der
übrigen Zuckung zu unterscheiden vermochte, und dass man bei die-
sen Versuchen, leichter als man glauben sollte, die durch das rei-
zende Instrument mitgetheilte mechanische Bewegung mit einer ört-
lichen Contraction verwechseln könne.
In letzterer Beziehung kann ich Wundt einfach darauf aufmerk-
sam machen, dass die unmittelbare Wirkung des reizenden Instru-
mentes auf den Muskel eine Vertiefung bildet, die darnach ent-
stehende idiomuseuläre Contraction aber eine an deren Stelle hervor-
tretende Erhöhung über das Niveau des übrigen Muskels. Dies hätte
Dr. Wundt schon sehr gut aus meinen früheren Angaben entnehmen
können, jetzt aber, wo ich ihn speciell hierauf aufmerksam gemacht,
wird ihn die vorgegebene Schwierigkeit nicht mehr verhindern, die
idiomusculäre Erhebung, als neben der Zuckung bestehend, selbst
bei ganz frischen Muskeln des lebenden Thieres zu unterscheiden,
und noch mehr dann, wenn sich die Zuckung schon zur Peri-
staltik verlangsamt hat. Da ich aber bereits in meinen früheren
Arbeiten ganz ausdrücklich angegeben, dass ich sie auch noch beim
zuckenden Muskel beobachtet, so fehlte ihm das Recht zu behaup-
ten, dass ich sie vorzugsweise bei lange getödteten Thieren mit sehr
ermüdeten Muskeln gesehen hätte.
Eine andere Angabe Wundt’s, durch welche er den Uebergang
zwischen der Zuckung und dem idiomusculären Wulste herzustellen
sucht, ist ebenfalls ganz grundlos. Nirgends habe ich angegeben
und nie beobachtet, dass sich die verlangsamten Wellen der ver-
schwindenden neuromuseulären Contraction mit der Zunahme der
Erschöpfung immer weniger von der Reizungsstelle entfernen, so
dass sie sich hier zuletzt allein fixiren könnten, um nun erst die,
in der That von Anfang an vorhandene idiomusculäre Contraction
darzustellen.
Nie sah ich ferner, wie Wundt vorgiebt, die neuromusculäre
Contraction sich so sehr verlangsamen, dass sie hierin der gleich-
186
zeitig vorhandenen idiomusenlären nahe kam. Man sollte die
Angaben, die man widerlegen will, wenigstens vorher genau durch-
lesen; dies ist gewiss der geringste Grad von Billigkeit, den ein
Schriftsteller beanspruchen darf. /
Man darf nach Allem, was ich in meinem Hefte mitgetheilt, na-
türlich nicht erwarten, bei noch zuckungsfähigem frischem Muskel
die idiomuseuläre Contraction so lange dauern zu sehen wie beim
erschöpften, immer aber ist ihr Verlauf im Vergleich zur Zuckung
ein mehr allmäliger. Im Foetalzustande hingegen kommt,
wie ich neuerdings beobachtet, eine Periode vor, wo auch bei
ganz frischem Muskel sich die idiomusceuläre Contraetion durch
ausserordentliche Langsamkeit im Vergleich zur Zuckung aus-
zeichnet.
2) Als Hauptbeweis für die Unabhängigkeit der idiomusculären
Contraction ‚vom Nervensystem hatte ich Folgendes angegeben:
„Schwankungen galvanischer Ströme sind für den Nerven bei Wei-
tem das wirksamste Reizmittel, sie sind wirksamer als mechanische
oder chemische Reize und der absterbende Nerv lässt diese schon
lange unbeantwortet, wenn jene noch seine Thätigkeit anregen.“
Hingegen — fahre ich fort — gebe es nach dem Absterben oder
während der Unthätigkeit des Nerven im Muskel eine Zeit, wo gal-
vanische Ströme durchaus keine Zuckung mehr bewirken, während
mechanische und chemische Reize eine starke idiomuseuläre Contrac-
tion hervorrufen. „Wo,“ schliesse ich, „die mächtigeren Nervenreize
ihre Wirkung durchaus und bleibend eingebüsst haben, während
die schwachen noch sehr wirksam sind, muss etwas Anderes als der
Nerv gereizt worden sein.“ Die Thatsachen, auf welche ich obige
Aussprüche gründe, sind Versuche an warmblütigen Wirbelthiereu
nach dem natürlichen Tode, nach lähmenden Vergiftungen, nach
Unterbindung aller Arterien eines Gliedes und endlich, um den Ver-
dacht einer durch das Absterben eingeleiteten Veränderung des Mus-
kels, oder seiner Nerven zu umgehen, am noch schlagenden Herzen |
aller Wirbelthiere während der Diastole, wo, wie ich bewiesen habe,
dıe Nervenenden eine Zeit lang nicht erregbar sind.
» 187
Diese Thatsachen, welche allerdings der Wundt’schen Theorie
im-höchsten Grade gefährlich sind, weiss mein Gegner nur dadurch
zu widerlegen — dass er sie geradezu läugnet! Dies kann uns
freilich nichts anderes bedeuten, als den an und für sich sehr gleich-
gültigen Umstand, dass er sie eben nicht geschen hat, und gerne
will ich seine oben vorgebrachte Entschuldigung, dass es sehr schwer
sei, die Contraction zu erkennen und von der Wirkung des Instru-
mentes zu unterscheiden, auch hier gelten lassen, wo eine solche von
ihm angedeutete Verwechselung kaum möglich ist, wenn er sich
entschliessen will, die Versuche jetzt, bei besserer Einsicht, noch ein
Mal zu wiederholen und seine Resultate öffentlich mitzutheilen.
Er wird dann bei warmblütigen Thieren, ohne alle Ausnahme,
finden, dass, nachdem eine zwischen den Polen eines starken galva-
nischen Apparates gelegene Muskelstrecke auch keine Spur von
Zucekung mehr zeigt, mechanische Reize auf dem sonst ruhigen
Muskel eine starke, genau der Ausdehnung, des Reizes entsprechende
idiomusculäre Erhebung bewirken. Er wird dies Resultat bei vielen
Thieren, z.B. bei winterschlafenden, bei grossen Säugethieren, häufig
stundenlang beliebig oft an jedem entblössten Muskel erzeugen kön-
nen, so lange überhaupt der Muskel ein Muskel ist, d.h. so lange,
bis die in stark ausgebildeter Todtenstarre sich aussprechende innere
Veränderung (saure Gährung) den Muskel völlig seiner normalen
Eigenschaften beraubt hat.
Der Anfang der Todtenstarre hindert aber die idiomusculäre
Contraction noch nicht. Der Muskel ist also noch reizbar.
Aus dem Vorhergehenden wird Wundt: bereits bemerkt haben,
dass die Verdächtigungen, die er bei dieser Gelegenheit gegen mich
ausspricht,, mindestens sehr ungeziemend sind. Wir alle können
irren, das ist unzweifelhaft. Hier aber ist der Irrthum nicht ‚auf
meiner Seite. Das ist eben so gewiss.
In Bezug auf diesen Punkt noch eine Bemerkung. Ich sage,
dass mechanische Reize noch wirken, wenn der galyanische Strom
keine Zuckung mehr erregt, wenn dieser letztere für den Muskel
kein Reiz mehr ist. Ich habe mich vorsichtig auf diese Weise aus-
13 #
188
gedrückt und nicht, wie Wundt angiebt, „wenn er (der Muskel) für
elektrische Reize schon abgestorben ist, * weil dieser letztere Aus-
druck zweideutig sein kann. Ich habe nämlich schon vor länger als
10 Jahren gefunden und bereits längst veröffentlicht, dass, wenn der
starke galvanische Strom aufgehört hat, auf den Muskel zu wir-
ken, an dem negativen Pole eines sehr constanten Stromes noch
eine schwach ausgesprochene, sehr beschränkte und der durch mecha-
nische Reize hervorgerufenen sehr an Deutlichkeit nachstehende
idiomuseuläre Contraction auftritt, die so lange gleichmässig anhält
wie der Strom selbst, um sich dann wieder zu lösen.
Diese schwache Contraction, die sich nur an dem sehr erregbaren
Herzmuskel etwas ausbreitet, der man aber an jedem anderen Muskel
jede beliebige Form je nach der Gestalt des Endes der negativen
Elektrode geben kann, habe ich nicht als direete Reizwirkung des
galvanischen Stromes betrachtet, weil sie auf der ganzen übrigen
von letzterem durchflossenen Stelle und am positiven Pole nicht
vorhanden ist, während wahre Stromeswirkungen sich gleichmässig
an den durchflossenen Stellen geltend machen.
Wäre diese Contraction aber eine directe Wirkung des Stromes
und keine secundäre Folge der Elektrolyse, so spräche dies nur noch
um so auffallender für den von mir vertheidigten Satz, dass die
idiomusculäre Contraction von den motorischen Nerven unabhängig
sei, denn 1) ist der hier beobachtete Effeet viel schwächer als der
von jeder mechanischen Reizung; 2) wissen wir, dass motorische
Nerven nur auf Schwankungen des Stromes reagiren, während
die hier beschriebene Erscheinung die ganze Dauer eines con-
stanten Stromes begleitet; 3) lässt sich das ausschliessliche Hervor-
treten am negativen Pol mit keiner bekannten reinen Nervenwirkung
in Einklang bringen *).
*) Wundt giebt an, dass nach Vergiftung mit Coniin (oder Curara), welche
nach seiner Meinung (die ich keineswegs theile, siehe Physiol. I pag. 20)
alle Nerven im Muskel ertödtet, :nur elektrische Reizung, aber: nicht, mehr
mechanische ‘oder chemische den Muskel zum Zucken bringe. Also, schliesst
er, müssen die letzten Arten der Reizung des Nerven bedürfen. In meinen
|
[
|
189
Wenn auch an den Skelettmuskeln die Wirkung des mecha-
nischen Reizes die eben beschriebene des negativen Poles,
so viel der Augenschein lehrt, lange überdauert, so will ich hierauf
keine allgemeine Schlussfolgerung gründen, weil an den Herzohren
beide fast gleich lang wirken und an der Herzkammer des Frosches
die so sehr erregbar ist, der hier erwähnte Unterschied in Betreff
der Dauer ganz verschwindet, wenn auch in Betreff der Stärke
der Wirkung mechanische und chemische Reize zuletzt sehr über-
wiegen.
3) Wundt glaubt, dass der Versuch, in welchem sich die Ner-
venausbreitungen im Muskel während der Einwirkung eines lähmen-
den constanten Stromes für schwache elektrische Reizung unerregbar
zeigen, während schwache mechanische Reize noch idiomusculär
wirken, auf dieselbe Weise widerlegt werden kann, wie Pflüger
.so siegreich Eckhard’s ersten Behauptungen entgegengetreten ist.
Dies ist ein Irrthum. Denn was ich gefunden, ist, dass während vor
der Hemmung bekanntlich schwache elektrische Reize viel ausge-
sprochenere Zuckung erregen als starke mechanische, während der
Hemmung die Wirkung des elektrischen Reizes in der ganzen Aus-
dehnung des Nerven in verschiedener Intensität geschwächt wird
und dies kann in geeigneten Fällen so weit gehen, dass schwache
elektrische Reize gar nicht mehr wirken, und auch vorsichtig ange-
wendete mechanische keine Zuckung hervorrufen. Aber ein
schwacher mechanischer Reiz zeigt dann noch ungeschwächt (selbst
scheinbar verstärkt) die idiomusculäre Contraction. Die Entstehung
der letzteren im Vergleich zur Zuckung hängt also ab a) von anderen
Reizen, die nicht mit den stärkeren Nervenreizen zusammenfallen ;
b) von anderen Bedingungen im Muskel. Es kann also die idiomus-
euläre Contraction nicht nur als eine local beschränkte Art der
Zuckung aufgefasst werden.
Versuchen bekam ich für beide Gifte ein ganz anderes Resultat und ich sah
chemische und unchemische Reizung nach der Vergiftung der Nervenstämmehen
im Muskel noch wirksam.
190
Pflüger’s Bemerkungen gegen Eckhard richten sich um so
weniger gegen meinen Versuch, als meine Folgerung ja gerade der
Eckhard’schen zum Theil entgegengesetzt ist.
Was die chemischen Muskelreize betrifft, so stellt Wundt die
Ansicht auf, dass ich hier öfter eine Gerinnung für eine Muskelzu-
sammenziehung genommen, es dürfte aber kein so leichtes Spiel haben,
wenn ich ihm den Beweis für seine Anklage auferlegen wollte. Die
Sache ist hier allerdings wegen der geringeren Wulstbildung, mit der
die Contraetion auftritt, nicht so ganz klar, wie beim mechanischen
Reiz. Die meisten Versuche in dieser Beziehung habe ich am Herzen
angestellt, nachdem es — gewöhnlich in Folge von Sublimatvergiftung
oder Tödtung durch Rhodankalium — keine Zuckungen mehr spontan
oder auf galvanischen Reiz zeigte. Es ist hier leicht eine grosse
Menge von Stoffen aufzufinden, welche das Herz zur Contraction
bringen, während dieselben Stoffe auf die Vorkammer diese Wir-
kung nicht mehr haben, wenn die Todtenstarre vorüber, alle Reiz-
barkeit also dahin ist. Aehnlich verfuhr ich bei anderen besonders
zarten und membranartig ausgebreiteten Muskeln, die von den reizen-
den Stoffen leicht durchdrungen werden. Ich fand so, dass das Herz
durch manche Substanzen contrahirt wird, die auf andere Muskeln
diese Wirkung nicht oder kaum mehr ausüben, und lernte durch. die
Controle an todten Muskeln die rein physikalischen Einflüsse von
denen sondern, die ausschliesslich nur den lebenden Muskel ver-
kürzen und die ich als Reizwirkungen betrachten zu dürfen glaubte.
Es ist hier indessen immer noch ein Irrthum möglich, da der lebende
Muskel andere chemische und mechanische Verhältnisse zeigt als der
todte. Es könnte vielleicht ein Stoff den ‚lebendigen Muskel phy-
sikalisch so verändern, dass man eine Contraction vor sich zu
haben glaubt, während er, den todten Muskel nicht angreift.
Wie man sieht, gerathen wir hier in ‚dieselbe Alternative, die
sich auch bei anderen organischen Gebilden geltend macht und die
z. B. bei den Samenfäden die Oontroverse zwischen Koelliker und
Ankermann erzeugt hat. Wenn ich mich auch hier und analog
bei den Muskeln den Ansichten von Koelliker angeschlossen, so
191
gestehe ich gerne zu, dass uns in vielen Fällen noch die Mittel zur
unzweifelhaften endgültigen Entscheidung fehlen und selbst ein Macht-
spruch von Seiten Wundt’s dürfte schwerlich geeignet sein, die hier
noch fühlbare Lücke auszufüllen.
Meine Ansicht in Betreff der Todtenstarre hat sich auch seit dem
Erscheinen des ersten Heftes meiner Physiologie immer mehr und
mehr befestigt. Die Producte der chemischen Umsetzung, welche,
wie ich gefunden, der Muskel vom ersten Momente nach der Cireula-
tionshemmung immer mehr eingeht, müssen den reizbaren Muskel
in schwache idiomusculäre Contraction versetzen, die ihn immer un-
dehnsamer macht. Sie müssen also wesentlich dazu beitragen, die
Erscheinung in der Todtenstarre zu bewirken, da sie den beim Eintritt
der letzteren noch reizbaren Muskel so innig durchdringen. Man
kann es ferner durch Versuche in hohem Grade wahrscheinlich
machen, dass die angegebenen Verhältnisse für sich schon genügen,
die Todtenstarre in ihrer Ausbildung hervorzurufen, nicht zu beweisen
ist aber vorläufig, dass nicht dennoch andere, uns bis jetzt noch
unbekannte Ursachen ihr wirkliches Hervortreten unterstützen
oder beschleunigen, dass also die von mir bemerkten Veränderungen
ihre einzige Veranlassung sind. Die Gründe, auf welche Wundt
und vor ihm viele Andere sich stützten, den schwach contrahirten Zu-
stand des Muskels bei der Todtenstarre zu läugnen, haben für mich
keine Beweiskraft, da es durchaus eine unberechtigte Hypothese ist,
dass alle Arten von Muskelzusammenziehungen, die physikalischen
Charaktere der neuromusculären an sich tragen müssen.
Wundt bekennt sich freilich zur Lehre von der Gerinnung des
Muskelfaserstoffes bei der Todtenstarre, da es sich aber herausgestellt
hat, dass jene geistreiche Anfangs mit so vielem Geschick und auf
. 0 verführerische Art vorgetragene Lehre keinen eigentlich wissen-
schaftlichen Halt hat, und da sie mit manchen positiven und zwei-
fellos feststehenden Erfahrungen gar nicht zu vereinigen ist, so
sollte Wundt billig nicht so böse gegen diejenigen werden, welche
sich für eine andere Ansicht entscheiden.
Bern, im Juni 1858. 13 **
XII.
Neue Versuche über die Augenstellungen.
Von
Adolf Fick.
Dem Auge kommt vermöge seiner Gestalt und Befestigung in
der Augenhöhle diejenige Beweglichkeit zu, welche man in der Ana-
tomie die arthrodische nennt und welche geometrisch dadurch charak-
terisirt ist, dass alle Lagen (versteht sich innerhalb eines gewissen
durch ausserwesentliche Umstände beschränkten Umfanges) möglich
sind, bei denen ein Punkt der Mobiles — der Drehpunkt — seinen
Ort im absoluten Raum beibehält. Ein anschauliches Bild von der
Gesammheit aller dieser Lagen erhält man, wenn man eine willkür-
liche Gerade durch den Drehpunkt mit dem Auge fest verbunden
denkt— wir wollen die sogenannte Sehaxe wählen —. Ihr ertheilt man
nacheinander alledie unendlich vielen möglichen Richtungen innerhalb
des Umfanges, welchen die Nebenbedingungen (Befestigungen an Nach-
bartheilen) gestatten. Jede einzelne dieser Richtungen hält man
eine Weile in Gedanken fest, und dreht während derselben das Auge
um sie als Axe im einen und andern Sinne so weit es wiederum
die Nebenbedingungen zulassen. Man sieht so, dass dem Auge bei
einer bestimmt gegebenen Lage der Sehaxe noch unendlich viele
verschiedene Lagen möglich sind. Am eigenen Oberarm, der im
Schultergelenk beweglich ist, wie das Auge im Fettpolster der Orbita,
kann man sich dies jederzeit anschaulich machen. Geben wir seiner
Längsrichtung (sie mag der Sehaxe entsprechen) eine bestimmte
Moleschott, Untersuchungen. V. 14
194
Lage, so können wir ihn um dieselbe herum noch in ziemlich be-
deutendem Umfange drehen, welche Drehung der im Ellenbogen-
gelenke senkrecht daran stossende Unterarm wie ein Zeiger an-
geben kann.
Der Muskelapparat des Auges reicht ebensogut wie der des Ober-
armes aus, den ganzen geometrisch möglichen Bewegungsumfang zu
verwirklichen. Er reicht aus, ‚alle die als möglich bezeichneten La-
gen des Auges hervorzubringen und zu erhalten. Ich habe dies
unter andern in einer früheren Arbeit über die Augenbewegungen
nachgewiesen (Zeitschr. f. rat. Med. 1854. Bd. IV. S. 101.). Eine
absolut zwingende Gewohnheit schliesst aber bei allen Men-
schen die (dauernde) Herstellung unzählicher dieser möglichen Lagen
aus. Wir können zwar, wie jedermann bekannt, innerhalb des begrenz-
ten Bewegungsumfanges der Sehaxe willkürlich jede beliebige
Richtung geben. Ist aber dies einmal geschehen, so kann kein
Mensch das Auge um diese Lage der Sehaxe nach der einen oder
der andern Seite drehen. Von allen den unendlich vielen Lagen,
welche dem Auge bei dieser bestimmten Richtung der Sehaxe geo-
metrisch und mechanisch noch möglich wären, kommt nur eine
einzige in Wirklichkeit zu Stande und zwar immer dieselbe, wie oft
und auf welchem Wege auch die Sehaxe in die bestimmte Lage ge-
kommen ist,
Der soeben ausgesprochene Satz steht unzweifelhaft fest durch
die schönen Untersuchungen von Donders*), Meissner **) und
Ruete ***). Donders und Ruete haben sich der Nachbilder,
Meissner hat sich der Doppelbilder bei binocularem Sehen bedient,
um die bestimmte Lage zu ermitteln, welche das Auge annimmt,
wern man der Sehaxe eine bestimmte Richtung giebt. Man wird mit
Recht suchen dürfen nach einer Regel, welche die bestimmte Dreh-
stellung des Auges um die Schaxe mit der bestimmten Richtung der
*) Holl. Beiträge I.
**) Beiträge zur Physiologie des Sehorgans. Leipzig 1854.
***) Fin neues Ophthalmotrop. Leipzig 1857.
195
letztern, zu welcher sie erfahrungsgemäss gehört, von vorn herein
und allgemein verknüpft, so dass man vorhersagen könnte: wenn
ich der Sehaxe die und die Lage geben werde, so wird der und der
bestimmte Meridian des Auges die und die Neigung gegen den Ho-
rizont haben. Ruete hat a. a. O. 8. 25 eine solche Regel auf-
gestellt. Er hat aus seinen Versuchen eine Interpolatiöonsformel ab-
geleitet. Eine solche gestattet zwar zwischen den zu Grunde gelegten
Werthen liegende Fälle zu berechnen, hat aber keine allgemeinere
gesetzliche Bedeutung, die auch Ruete für seine Formel nicht be-
ansprucht. Man wird indessen kaum bezweifeln, dass der fragliche
Zusammenhang einer ganz bestimmten Augenstellung mit einer be-
stimmten Richtung der Sehaxe eines allgemeinen gesetzlichen Aus-
druckes fähig ist, da er doch wahrscheinlich in besonderen Einrich-
tungen des nervösen oder musculösen Apparates begründet ist. Man
wird daher sogar annehmen dürfen, dass das Gesetz, wenn es einmal
aus Versuchen gefunden ist, so ausgedrückt werden könne, dass es
sich als. nothwendige Folge jener Einrichtungen: darstellt. Meiss-
ner hat dies versucht und sich darüber andeutungsweise a. a. O.
3: 86, und fgd., später ausführlich in einer eigenen Abhandlung *)
ausgesprochen.
So einnehmend das Meissner’sche Gesetz durch die geometrische
Einfachheit seines Ausdruckes auch klingt, so hatte ich doch von
Anfang Bedenken dagegen, sowohl aus inneren Gründen, als auch
deswegen, weil die eigenen Messungen Meissner's keineswegs in
dem: Grade dazu stimmen, der erforderlich ist, wenn ein Gesetz als
unumstösslich begründet angesehen werden soll. Ich habe daher neue
Versuche angestellt in grösserer Breite und Anzahl als Ruete und
Meissner, die entweder des letzteren Gesetz entschieden bestätigen
oder entschieden widerlegen mussten und aus. denen sich im letzteren
Falle vielleicht ein Gesetz, wie es mir a priori vorschwebte, ableiten
lassen würde. Ich muss leider gleich von: vorn herein ankündigen,
dass mir das letztere nicht in dem Maasse geglückt ist, wie ich ge-
*) Arch. f. Ophthalmol. Bd. II. Heft 1.
14*
196
wünscht hätte. Ich halte indessen doch die Mittheilung meiner Ver-
suche nicht für unangemessen. Einmal ist es schon darum wünschens-
werth, die Beobachtungen zu vervielfältigen, um die Breite der indi-
viduellen Schwankungen kennen zu lernen. Zweitens habe ich mit
meinen Versuchen wenigstens den einen Zweck ganz vollständig er-
reicht. Sie sind nämlich mit der Meissner’schen Regel entschieden
unvereinbar. Dadurch ist diese allgemein widerlegt, insofern sie nicht
als Interpolationsformel, sondern als allgemein gültiges, im Mecha-
nismus begründetes Gesetz aufgestellt wurde.
Meine Versuche wurden nach einer von Meissner’s sowohl als
Ruete’s abweichenden Methode angestellt; die Ruete’sche Methode,
welche die Nachbilder auf einen getheilten Kreis projeeirt, ist zwar
meiner Ansicht nach weitaus die bequemste und zuverlässigste, in-
dessen konnte ich sie nicht anwenden, da in meinem Auge keine hin-
länglich dauernden Nachbilder zu Stande kommen. Die Meiss-
ner’sche Methode, die auch einer grossen Genauigkeit fähig ist, habe
ich deshalb nicht angewandt, weil sie bloss die Richtungen der Seh-
axe nach einwärts zu prüfen gestattet. Ich habe deshalb die Lage
des blinden Fleckes zur Ermittelung der Augenstellung angewandt.
Meissner hat diesen Weg auch schon gelegentlich*), jedoch nicht
zum Behufe messender Versuche betreten. Ich habe ferner, um immer
dieselbe Projection des blinden Fleckes auf eine feste Wand zu
haben, nicht der Sehaxe verschiedene Lagen im Raume, sondern dem
Kopfe verschiedene Stellungen bei fest bleibender Sehaxe gegeben.
Im Wesen kann dies keinen Unterschied machen, da offenbar die
bestimmte Stellung des Auges in der Augenhöhle bedingt ist durch
eine bestimmte Lage der Sehaxe im Kopfe, nicht im absoluten
Raume. In der That, Niemand wird gtwa behaupten wollen, dass
mein Auge sich im mindesten um die Sehaxe drehen würde, wenn
das ganze Zimmer, in dem ich mich bei einer bestimmten Lage des
Kopfes und Fixirung eines bestimmten Punktes der Wand befand,
so gedreht worden wäre, dass der Kopf wieder dieselbe Stellung im
*) Beiträge etc. 8. 70.
197
absoluten Raume erhalten hätte, die er Anfangs hatte, d. h. dass
ein Perpendikel zur Antlitzfläche wieder horizontal gerade nach hin-
ten im absoluten Raume gerichtet gewesen wäre.
Meine Beobachtungsart war näher folgende. An der grauen Wand
eines geräumigen Zimmers war in der Höhe, in welcher sich mein
Auge beim geraden Sitzen auf einem bestimmten Stuhle befand, ein
geeignetes kleines Fixationsobject angebracht — ein weisser Kreis
mit schwarzem zackigem Rande. Für das Auge wurde ein etwas
über 6 Meter entfernter Standort so gewählt, dass die Sehaxe, wenn
sie das Object fixirte, die erwähnte Wand senkrecht traf. Unter
diesem Standort waren am Boden die Stellungen bezeichnet, welche
die Füsse des Stuhles haben mussten, wenn seine vordere (oder hin-
tere) Kante bestimmte Neigungen gegen die Wand haben sollten.
Bei allen diesen Stellungen des Stuhles blieb die Mitte zwischen den
hinteren Füssen am selben Platze. Ich wusste somit, wenn ich auf
dem verschieden gestellten Stuhle sass mit angelehntem Rücken und
in Bezug zum eigenen Körper gerade aus gerichtetem Kopfe, welche
Neigung die Medianebene des Kopfes zur gegenüberliegenden Wand
jedesmal hatte. Allerdings ist die Genauigkeit dieses Wissens ab-
hängig von der subjectiven Beurtheilung der Richtung des Kopfes
geradaus nach vorn. Indessen lässt diese Beurtheilung in der That
nichts zu wünschen übrig, wie sich aus der Uebereinstimmung mei-
ner Versuche untereinander selbst am besten zeigen wird. Es war
nun zweitens nothwendig, dem Kopfe bei bestimmter Lage seiner
Medianebene verschiedene Neigungen zu geben und diese messbar
zu machen. Zu diesem Ende wurde ein hölzerner über den Kopf
gehender Bügel mittelst zweier Schrauben in den Gehörgüngen be-
festigt und ein von seiner Mitte herabgehender gebogener Eisenstab
auf die Nasenwurzel gestützt. Der Bügel hatte somit eine feste Lage
zum Kopfe. An der ins linke Ohr gehenden Schraube hing ein Loth,
das vor einem mit dem Bügel fest verbundenen Gradbogen spielte.
80 konnte die Neigung des Kopfes oder einer in der Medianebene
gedachten Geraden gegen den Horizont bestimmt werden. Es ist
nicht zu übersehen, dass bei verschiedenen auf diese Weise erzielten.
198
Lagen des Kopfes das beobachtende linke Auge allerdings nicht ganz
genau an seinem Orte im absoluten Raume blieb. Jedoch kann dies
auf die Folgerungen aus unsern Versuchen keinen merklieh beein-
trächtigenden Einfluss haben, da die Richtung vom Mittelpunkte des
Auges zum Fixationspunkt 'bei der grossen Entfernung desselben erst
um 30° von der Richtung eines Perpendikels auf der Wand abwei-
chen würde, wenn-das Auge eine zur Wand parallele Verschiebung
von 6 Centimeter erlitten hätte. An der Wand war nun folgende
Einrichtung angebracht: auf ein Blatt grauen-Cartons hatte ich einen
schwarzen Fleck gemalt, der nahezu die Projection meines blinden
Flecks ‚auf die Wand ausfüllte. Der Carton war auf einer Leiste
befestigt, deren Länge gleich kam der Entfernung des ungesehenen
Theiles der Wand von dem Fixationspunkte an derselben. Das an-
dere Ende der Leiste war durch einen Stift im Fixationspunkte
drehbar befestigt. Um diesen Punkt konnte ich selbst mittelst einer
über eine Rolle laufenden Schnur auf dem Stuhle sitzend den Car-
ton mit dem schwarzen Flecke drehen. Ich konnte es also bei jeder
Stellung des Kopfes, wenn ich das vorerwähnte Objeet fisirte, dahin
bringen, dass dasBild des schwarzen Fleckes in meinem linken Auge
auf den blinden Fleck fiel, denn verschiedene Stellung ‘des Kopfes “
konnte nicht die Grösse und Entfernung der Projeetion des blinden
Fleckes auf die Wand vom Fixationspunkt ändern, sondern nur die
Neigung der Verbindungslinie beider gegen den Horizont. Jede
einzelne Beobachtung wurde nun folgendergestalt ausgeführt. Ich
setzte mich auf den bestimmt gestellten Stuhl, neigte den Kopf so
lange auf und ab, bis der auf das Loth achtende Gehülfe es auf einen
vorausbestimmten Theilstrich einspielen sah, dann richtete ich mein
linkes Auge (bei nöthigenfalls geschlossenem rechten) nach dem
Fixationspunkt und drehte nun mittelst der Schnur den Carton an
der Wand so lange, bis der schwarze Fleck darauf vollständig ver-
schwunden war. Diese Stellung wurde fest gehalten, bis der Gehülfe
den Stand der Leiste auf einer darunter an die Wand geklebten
Tangentenskala abgelesen und notirt hatte. Wir kennen also in
jedem Versuche 1) die Richtung der Schaxe im Kopfe, gegeben |
|
|
199
‚durch die beiden Winkel, die am Loth und am Stuhle abgelesen
worden. 2) Die zugehörige Drehstellung des Auges um die Sehaxe,
‘denn diese ist unmittelbar gegeben durch die Ablesung der Skala an
der Wand, welche die Lage der Verbindungslinie zwischen dem
fixirten Punkte und einem ganz bestimmt gelegenen Punkte des
ungesehenen Raumes kennen lehrt, mithin die Lage eines bestimm-
ten Meridianes der Netzhaut, auf ,.den allemal dies Bild der gedach-
ten Linie fallen muss.
Meine Versuchsresultate sind in der folgenden Tabelle zusammen-
‚gestellt. In einem Felde der Tabelle stehen die in verschiedenen
Versuchen zu verschiedenen Zeiten gemachten Ablesungen des Win-
kels, welchen die Ebene eines ‚gewissen Meridianes des Auges mit
dem Horizonte machte, bei Fixirung des festen Punktes an der Wand
‚und derjenigen Stellung des Kopfes, welehe ‚bestimmt ist durch ‚die
beiden Winkel, die in den beiden Eingängen der Tabelle auf den-
jenigen Horizontal- und Verticaleolumnen stehen, denen das betref-
fende Feld angehört. Der an sich willkürlich zu ‚wählende ‘Meridian,
durch welchen die ‚Orientirung ‚des Auges ‚bestimmt ‚werden‘ soll, ist
derjenige, welcher im absoluten Raume ‚horizontal legt, wenn die
Schaxe nach dem Fixationspunkte zielt und der Kopf ‚so (steht, ‚dass
seine Meridianebene die Wand senkrecht schneidet und dass die ‚Ant-
litzfläche vertical steht. Diese Lage des Kopfes, die ‚zugleich ‚als
Nullpunkt der Drehungen und Neigungen des Kopfes angenommen
ist, bleibt in der letzteren Beziehung allerdings rein subjectivem Er-
messen überlassen. Eine solche willkürliche Wahl einer Anfangs-
stellung, sei es der Sehaxe in Beziehung zum festgedachten Kopfe,
sei es des Kopfes zur festgedachten Gesichtsaxe, ist übrigens bei
jeder Untersuchung über diesen Gegenstand nothwendig. Die hier
in Rede stehende kann man, wie ich mich überzeugt habe, zu ver-
schiedenen Zeiten mit grosser Genauigkeit rein nach subjectivem
Gefühle wieder hervorbringen. Wir wollen uns nun eine in der
Anfangslage horizontale Gerade, in der Medianebene gelegen, mit
dem Kopfe fest verbunden denken und nach Art geographischer
Ortsbestimmungen jede andere Lage des Kopfes, die in unsern Ver-
200
suchen vorkommen kann, mittelst dieser Linie bestimmen, indem
wir erstens den Winkel angeben, welchen die neue (bei der ange-
wandten Methode nothwendig immer im absoluten Raume lothrechte)
Lage der Medianebene mit ihrer Anfangslage macht; wir wollen
diesen Winkel die Länge nennen. Es ist der aus der Stellung des
Stuhles in den Versuchen sich ergebende Winkel und seine verschie-
denen Grössen sind am seitlichen Eingange der Tabelle mit der Be-
zeichnung long. (longitudo) angemerkt. Zweitens haben wir den
Winkel anzugeben, welchen unsere im Kopfe feste Gerade in ihrer
neuen Lage mit dem Horizonte bildet. Wir wollen ihn die Breite
nennen. Seine verschiedenen Werthe, die sich in den Versuchen aus
den Ablesungen des Lothes ergeben, finden sich am oberen Ein-
gange unserer Tabelle mit der Bezeichnung lat. (latitudo). Den Brei-
ten ist das +Zeichen vorgesetzt, wenn die Linie sich vorn über
den Horizont erhebt, die Längen haben das +Zeichen, wenn die
neue Lage der Medianebene von der alten vorn nach rechts ab-
weicht. In den entgegengesetzten Fällen ist den Winkeln das negative
Vorzeichen gegeben. Man wird nach diesen Erklärungen die folgende
Tabelle verstehen und leicht meine Kopfstellungen redueiren auf
Augenstellungen bei festgedachtem Kopfe, z. B. entspricht natürlich
meinen Lagen mit positiven Längen und negativen Breiten Wendung
des Auges nach oben und aussen.
e+!c+ | 0 = 3uof
++ =
00 ——3uo]
9
e+ +
087 —— duo]
“g
ofr——Bu0o]
s+
94 's+
+ ‘+
09° ——Buof
202
(s—) 2 — ztr-+ie
Kelg-tr—E +++
36 2 +(c+)
‘set !c+
8787:
(s’'s) +8
0+2+
“ıte+'s
o+is Bet
Fett
(Ihsete
+++
00:0
2—1r—s0l
—0:7+9
et
+!
rast
1-7 e+r0
—:(g—):g7 !glo-+2
— 14 — Hit
co-+r—°7
ArHrH
ose+=3uof
62
o62+=Bu0]
"EI
092: +—Zu0]
1
ore-+=Buo]
48
orr+=3uo]
"OL
oer+-=duo]
"6
o0r +=8uo]
‘8
0564 =geL|osr+ =yerloe + = erlor + = 981] 0, = MT (09 — = BLM 48] 077 ——R]|08° ——= FB] 006 — = FeI|ofe —— 481
IX X XI IIIA IA IA A AI 1 06 I
203
Est ist noch zu bemerken, dass die Zahlen ‚der vorstehenden
Tabelle, die um zwei Einheiten algebraisch vermehrten Zahlen der
ursprünglichen Ablesungen sind. Dies hat den Sinn, dass die Leisten-
kante meines Apparates, deren Lage von vorn herein eine zufällige
war, eben nicht in der Anfangstellung (lat. =0, long. —=0) in die
Ebene des horizontalen Netzhautmeridianes, sondern in die eines
Meridianes fiel, der sich nach links 2° unter den Horizont neigte.
Sollten also alle Stellungen durch die Lagen des ursprünglich hori-
zontalen Meridianes bestimmt werden, so mussten alle Ablesungen,
die sich eben auf jenen dagegen um 2% geneigten Meridian bezogen,
‚um 2 vermehrt werden, so dass das Mittel der für die Anfangsstel-
lung gefundenen Zahlen genau —=Null wurde. Ein -++Zeichen vor
dem Drehwinkel bedeutet, dass die linke Seite des ursprünglich
horizontalen Meridianes sich über den Horizont erhebt, ein — Zeichen
das Umgekehrte.
Man sieht nun, dass die Wiederholungen derselben Messung
allerdings beträchtlich von einander abweichen. Die Abweichung er-
reicht sogar den Werth von 3°. Ich glaube gleichwohl behaupten
zu dürfen, dass die Mittelwerthe im vorliegenden Falle ein grosses
Zutrauen verdienen. In der That, man vergegenwärtige sich den
Ursprung der Abweichungen : Der schwarze Fleck auf dem Carton
meines Apparates konnte unmöglich so gross gemacht werden, dass
sein Bild ganz genau den blinden Fleck meines linken Auges deckte.
Es hatte also nothwendig die Drehung des Carton um den Fixations-
punkt herum einen gewissen Spielraum, ohne dass der schwarze Fleck
darauf unsichtbar zu sein aufhörte. Ich habe deshalb absichtlich
denselben bald von oben in den ungesehenen Raum hineinsinksn
lassen, bald ihn von unten dahin gehoben. Wenn in beiden Fällen
die Ablesung gemacht wurde in dem Moment, wo der letzte Rest
(im ersten Falle der obere, im zweiten Falle der untere Rand) des
‚schwarzen Fleckes verschwand, so war sie im ersten Falle constant
grösser als im zweiten. Es folgt nun hier eine Zusammenstellung
der Mittelwerthe bis auf einen halben Grad, genau (also in ganzen
Graden ausgedrückt). Bei Berechnung derselben habe ich einige
204
stärker abweichende Zahlen (sie sind in der obigen Tabelle ein-
geklammert) ausgeschlossen. Sie verdanken meist Versuchen
ihren Ursprung, welche schon vor der Ablesung als unsicher bezeich-
net wurden.
Nro. Drehwinkel Nro. Drehwinkel Nro. Drehwinkel
(1,7) + 20 (IV,9) + 20 (VIIL8) 00
(11,4) _ 20 (v2) +40 (IX,3) +10
(11,10) + 50 (v,12) + 40 (IX,11) 00
(IIL,1) — 50 (VI‚14) -+ 30 (X,4) 50
(IIL,13) + 80 (VII) 00 (X,10) zu
(IV,5) + 20 (VIIL6) +20 (X,14) _ 390
(XL,7) 00
Vergleichen wir zunächst unsere Resultate mit den Ruete’schen,
Es bedarf zu dem Ende einer Umformung unserer Stellungsbezeich-
nung in die Ruete’che. Ruete liess den Kopf bei seinen Be-
obachtungen fest in der Lage, die bei uns die Anfangslage (long. —0,
lat. =0) war und gab nun der Anfangs geradaus nach vorn gerich-
teten Sehaxe andere Lagen; eine solche giebt er an durch zwei
Winkel. Der erste — Azimuth — ist der Neigungswinkel einer durch
die Lage der Sehaxe gelegten Verticalebene gegen die Medianebene
des Kopfes, er rechnet ihn positiv, wenn jene Verticalebene vorn
einwärts von der Medianebene abweicht; der zweite — Höhen-
winkel — ist die Neigung der Sehaxe gegen den Horizont, er rech-
net ihn positiv, wenn sich die Sehaxe vorn über den Horizont er-
hebt. Wir können aus unseren Längen und Breiten durch Auflösung
einiger sphärischer Dreiecke leicht diese Azimuthe und Höhenwinkel
berechnen *), d. h. wir können für jeden unserer Versuche leicht be-
*) Ich habe es absichtlich hier wie im weiteren Verlaufe der Untersuchung unter-
lassen, die mehrfach vorkommenden sphärisch trigonometrischen Rechnungen
ausführlich mitzutheilen. In der That sind die ihnen zu Grunde liegenden
ziemlich verwickelten Raumvorstellungen für den Leser, welcher sich nur
flüchtig mit der Sache bekannt machen will, durch ebene Figuren, die ich
allenfalls hätte beigeben können, doch nicht hinlänglich deutlich zu machen.
205
rechnen, welche Höhe und welches Azimuth die Schaxe gehabt
hätte, wenn wir ihr bei feststehendem Kopfe dieselbe relative Lage
zu ihm gegeben hätten, welche sie in dem Versuche wirklich hatte,
Was die Angabe der Drehstellung des Auges um die Sehaxe
bei Ruete betrifft, so muss ich gestehen, dass ich noch zwischen
zwei Auffassungen seiner Worte schwanke. Ich bin nämlich zweifel-
haft, ob der Winkel, den er mit R in seinen Formeln bezeichnet,
die Neigung des in der Anfangslage verticalen Meridianes *) gegen
eine durch die Sehaxe gelegte zum absoluten Horizont oder zur
Visirebene **) senkrechte Ebene ist. Wäre der letztere Winkel ge-
meint, so wäre der Drehwinkel aus unseren Versuchen bei Reduction
derselben auf die Ruete’sche Bezeichnungsweise geradezu selbst und
mit Beibehaltung des Vorzeichens für den Winkel R zu setzen,
denn er ist ja der Neigungswinkel des in der Anfangslage horizon-
talen Meridianes gegen die Visirebene selbst, die bei unserer Ver-
suchsweise fortwährend im absoluten Horizonte verbleibt. Dieser
Winkel ist offenbar der Neigung des ersten Meridianes gegen eine in
_ der Sehaxe auf die Visirebene senkrecht gestellten Ebene gleich, auch
entspricht einer Abweichung des ersten Meridianes oben nach links
von der gedachten Ebene, die Ruete mit dem — Zeichen versieht,
eine Neigung unseres Anfangsmeridianes links unter den Horizont,
die wir gleichfalls mit dem —Zeichen versahen. Wäre dagegen der
erstgenannte Winkel gemeint, so wäre noch eine Reduction noth-
‚ wendig. Wenn wir nämlich den Kopf aus einer unserer Lagen,
‚ wieder in die Anfangslage zurückbringen, dabei aber das Auge und
‚ die gegenüberliegende Wand mit demselben in unveränderlicher Ver-
| bindung bewegt denken, so liegt nun nicht mehr die Nullinie unserer
|
| Der Leser aber, welcher sich für den hier behandelten Gegenstand näher in-
teressirt, wird sich leicht mit Hülfe einiger Drähte und eines Stückchen
| Wachs oder einer hölzernen Kugel die nöthigen Figuren körperlich bilden
und die Formeln daran entwickeln können.
| #) Er mag fernerhin schlecht weg der erste Meridian heissen.
' *%) Bo nennt man nach Meissner die Ebene, welche den Fixationspunkt nebst
den beiden Augenmittelpunkten enthält.
\
206
Wandskala im absoluten Raume horizontal und ebensowenig liegt
eine zu ihr auf der Wand im Fixationspunkt senkrechte Gerade
alsdann noch in einer durch die Sehaxe auf den absoluten Horizont
senkrecht gestellten Ebene, macht vielmehr einen gewissen (für jede
unserer Lagen im allgemeinen verschiedenen) Winkel mit: dieser
Ebene. Diesen Winkel müssen wir berechnen, bei einer Abweichung
der Linie oben links’ negativ, im umgekehrten Falle positiv nehmen
und zu unserem Raddrehungswinkel' algebraisch summiren, dann
haben wir den Winkel R der Ruete’schen Bezeichnungsweise und
können nun unsere Versuche mit.den Ruete’schen vergleichen. Wir
wollen nun diese Reduction und Vergleichung vornehmen: Es: wird
sich dabei von selbst als fast unzweifelhaft ergeben, dass Ruete
mit R den zuletzt besprochenen Winkel gemeint hat, denn hätte er
den andern Winkel gemeint, so würden meine Versuche von den
seinigen so weit abweichen, wie es bei aller individuellen Verschie-
denheit kaum zu erwarten wäre.
(REEL TEE DETROIT EEE ULRTCRTE STIER ERORETEr BCE EOFEESDEL TITETENRE BEREIT SEEN
Lagenbestimmung in Ruete’s Werke |
Nummer | long lat | — — | (El)
Azimuth (A)| Höhe (H) |RadarehungR
IR 00 | — 330 00 + 330 +2 BL)
11,4 — 14 — 30 + 16 + 28 +6 +9
II,10 +14 — 30 — 16 + 280 eig (5)
IL — 29 Eng „132 + 24 +9 +7
nL1ı3 | +29 — 8 — 32 + 24 ur (— 8)
IV,5 —_—13 | 14 +13 +14 +5 +3)
IV,9 +13 —14 — +14 ee (— 3)
v2 — 26 M + 26 10 + 9(9)
V,12 +25 sn 296 +10 —ı (— 3)
VLtA + 38 =% — 38 +5 — 3)
vI,7 0 0 0 0) 0
VIIL6 — 10 +1 +10 — 1 +2 (0)
voßs | +90 iq —pL, =ı {) e 2
IX,3 — 21 + 4 + 21 —_ 4 0 (— 2)
xıı | +21 Aue? ri _ 4 +1 (1)
x4 — 14 +18 +15 — 18 — 0 (— 2)
x,10 +14 + 18 15 — 18 aim +2
| XL14 -+ 38 +18 — 39 —14 +8 +9
| xL,7 0) +45 () — 45 0 — 2)
207
Eine Vergleichung der vorliegenden Messungen mit den Ruete-
schen drängt uns nun eine Bemerkung auf, die für die Begründung
eines Prineipes der Augenstellungen nicht ohne Interesse ist. In
allen Versuchspaaren z. B. II,4 und II,10 ete., deren Bezeichnung
dieselbe römische Ziffer hat, wäre nach der von Ruete aus seinen
Versuchen abgeleiteten Regel eine Raddrehung von gleichem abso-
lutem Werthe nach entgegengesetzter Seite zu erwarten gewesen,
weil sich die Lagen der Sehaxe, die zu einem solchen Paare gehören,
bei gleichem Höhewinkel nur durch das Vorzeichen des Azimuthes
unterscheiden. Die Zahlen der Spalte R lassen nun aber sehen, dass
in diesen Fällen bei meinen Versuchen ganz constant die positive
Raddrehung nach rechts grösser ist als die negative (oben nach links)
bei der Stellung mit gleicher Höhe, aber entgegengesetztem Azimuth
der Sehaxe. Es passt hiezu sehr gut, dass bei meinem Versuche I,7
sich eine kleine positive Raddrehung ergab, während nach Ruete
gar keine solche zu erwarten gewesen wäre. ‘
| Es ist von Interesse zu bemerken, dass daher meine Tabelle, wenn
man alle Raddrehungen (versteht sich die Ausgangsstellung VII,7,
bei der von einer Raddrehung nicht die Rede sein kann, ausgenom_
men) um 2 Grad (algebraisch) vermindert, in eine der Ruete’schen
sehr analoge übergeht. Ich habe diese verminderten Zahlen der
ursprünglichen eingeklammert unter der Ueberschrift (R’) beigefügt.
Die Zahlen der so gewonnenen neuen Reihe lassen sich wie die
Ruete’schen als in erster Annäherung ausdrückbar durch die Formel
RBi=c. AHansehen; nur ist für meine Zahlen die Constante =,
zu setzen *), während die bei Ruete den Werth Mn hatte. Es mag
noch eine Zusammenstellung der nach dieser Formel für Ri be-
rechneten Werthe folgen, nebst ihren Abweichungen von den unmit-
telbar für R’ gefundenen Werthen. Man wird bemerken, dass die
Abweichungen durchschnittlich nicht grösser sind als bei Ruete.
*) Bei Berechnung dieser Constanten ist auf den Versuch V,2 keine Rücksicht
genommen, weil sein Resultat so auffallend aus der Reihe der übrigen heraus-
fällt, dass der Verdacht eines besonderen Irrthumes nahe liegt.
208
Nummer
17 VII? 00 00
II,4 1 4,8 — 0,8 VIIL6 — 0,1 + 01
1,10 — 4,8 — 0,2 VIIL,8 +01 — 21
IL1 + 8,3 — 18 IX,3 — 0,9 — 11
III13 — 8,3 + 0,3 IX,11 + 0,9 — 1,9
IV,5 +19 +11 xX4 — 2,9 — 0,9
IV,9 — 19 — 11 xX,10 + 2,9 — 09
V,12 — 2,8 — 0,2 x,14 + 5,9 + 1,1
VL14 — 2,0 — 1 XI? 0 —_— 2
Gehen wir nunmehr an die Vergleichung unserer Versuchsre-
sultate mit den Forderungen des Meisner’schen Gesetzes. Wir
können diesem Gesetze folgenden kürzesten Ausdruck geben: Unter
allen in der Wirklichkeit haltbaren Stellungen des Auges gegen den
Kopf ist eine die „Primärstellung“, bei der die Sehaxe der Median-
ebene des Kopfes parallel und 45° gegen die Verticalquerebene des-
selben geneigt ist — ausgezeichnet durch die einfach ausdrückbare
Beziehung zu allen übrigen möglichen Stellungen; in jeder solchen
nämlich haben alle Durchmesser des Auges dieselbe Neigung, wie
in der Primärstellung gegen eine im Kopfe festgedachte Gerade,
welche im Drehpunkt auf der Sehaxe und auf deren primärer Stellung
gleichzeitig senkrecht steht, Diese Gerade würde also bei der zweiten
Stellung des Auges dieselben Punkte des Auges enthalten, die sie
bei der Primärstellung enthielt, sie kann demnach als Drehaxe ange-
sehen werden, um welche sich das Auge aus der Primärstellung, in
die zweite oder zurück in die Primärstellung drehen lassen würde.
Man könnte das Meissner’sche Gesetz auch noch so formuliren:
Denkt man sich das Auge in der Primärstellung und legt durch den
Drehpunkt irgend eine zur Sehaxe senkrechte Gerade und dreht es
um diese als Axe, so ist das Auge allemal in einer möglichen und
haltbaren Stellung, man mag in der Drehung still stehen, wo man
will. Vorausgesetzt natürlich immer, dass man den Bewegungsumfang |
nicht überschritten hat.
209
Um die Forderungen dieses Gesetzes mit meinen Beobachtungen
zu vergleichen, muss man es umkehren und auf die Bewegungen des
Kopfes bei festem Auge beziehen. Dagegen wird Niemand einen
Einwand erheben, da doch offenbar überall nur die relative Lage
des Auges zum Kopfe durch das Gesetz bestimmt sein kann. Es
wäre demnach dem Gesetze zunächst dieser Ausdruck zu geben:
Denken wir uns das Auge in der ‚Primärstellung gegen den Kopf,
so kann dieser letztere, wenn das Auge im absoluten Raume
ganz dieselbe Lage behaupten soll, nur in solche Lagen ge-
bracht werden, die entstehen können durch Drehung um eine zur
Sehaxe senkrechte Gerade. Geht im gedachten Falle der Kopf ın
Wirklichkeit doch in eine andere Stellung über, so kann eben das
Auge nicht mehr seine ursprüngliche Lage im absoluten Raume be-
haupten. Die Sehaxe kann zwar ihre alte Richtung beibehalten
aber der erste Meridian könnte nicht mehr senkrecht stehen.
Man kann sich nun offenbar die Aufgabe stellen: Bei einer
gegebenen Richtung der Sehaxe im absoluten Raume hat der Kopf
irgend eine ganz willkürliche Stellung, um welche Axe im Meiss-
ner’schen Sinne und wie weit hätte der Kopf aus der Lage zu der
die gegebene Richtung der Sehaxe als Primärstellung gehört, gedreht
werden müssen? Und wie weit hätte dann noch der Kopf um die
Richtung der Sehaxe gedreht werden müssen? damit er schliesslich
in die Lage gekommen wäre, die wir ihm in Wirklichkeit gegeben
haben. Die letzte Drehung um die Richtung der Sehaxe hätte das
Auge selbst mitmachen müssen, weil durch dieselbe die räum-
liche Beziehung der Sehaxe zum Kopfe nicht geändert wurde und
von dieser allein die räumliche Beziehung aller Punkte und Rich-
tungen im Auge zum Kopfe abhängt. Diese musste also auch bei
der gedachten Schlussdrehung unverändert bleiben, oder wie wir es
eben ausdrückten, das Auge muss diese Drehung mitmachen. Es wird
also am Ende derselben der erste Meridian des Auges eine Neigung
gegen die absolute Verticalebene haben gleich dem Winkelausschlag
der in Rede stehenden Drehung um die Sehaxe. — In der Rechnung
‚ einfacher gestaltet sich die Lösung des umgekehrten Problems. Ich
Moleschott, Untersuchungen. V. 15
210
habe daher Kopfstellungen zu meinen Versuchen folgendermassen
ausgewählt: Es wurde ‘allemal willkürlich eine zu der festen Lage
der Sehaxe (horizontal — senkrecht gegen die Wand im Fixations-
punkt) senkrechte Gerade als Drehungsaxe angenommen für den Kopf
aus der Stellung heraus, für welche die feste Ricktung der Sehaxe
sich zu ihm in der primären Lage befindet. Diese Kopfstellung war
also eine um 45° hinten übergeneigte (XI, 7), mit zur Wand senkrech-
ter Medianebene. Um die angenommene Axe, die gegeben ist durch
den immer oben nach rechts gezählten Winkel g, welchen sie mit dem
absoluten Loth bildet, wurde der Kopf gedreht gedacht im Sinne
der Zeiger einer Uhr um einen willkürlich gewählten ‘Winkel «.
Dadurch wäre er in eine Lage gekommen, für welche bei der ge-
dachten im Raume festen Richtung der Sehaxe nach dem Meissner-
schen Gesetze der erste Meridian des Auges im absoluten Raume
vertical geblieben wäre. Ich berechnete nun weiter einen Winkel #,
um welchen der Kopf um die feste Lage der Sehaxe hätte gedreht
werden müssen, damit der Kopf aus der soeben gedachten Lage in
eine solche komme, bei welcher die Medianebene im Raume vertical
steht, d. i. in eine solche, die nach meiner Versuchsweise wirklich
dem Kopfe gegeben werden konnte. Ich berechnete ferner die zu
der bestimmten so entstanden gedachten Lage mit senkrechter Me-
dianebene gehörigen beiden oben „long.“ und „lat.“ genannten Win-
kel, welche die Lage nach meiner Bezeichnungsweise kennzeichnen.
Da wie oben gezeigt wurde, das ganze Auge die Schlussdrehung um
die Sehaxe von der Amplitude $ hätte mitmachen müssen, so musste
sich — wenn das Meissner’sche Gesetz richtig ist — der ungesehene
Raum der Wand gegen die Lage verschoben zeigen, welche er ein-
nimmt, wenn der Kopf so gestellt ist, dass die feste Richtung der
Sehaxe sich gegen denselben in der Meissner’schen Primärstellung,
befindet, und zwar müssten die Verbindungslinien homologer Punkte
des ungesehenen Raumes in den beiden Lagen mit dem festen Fixa-
tionspunkte gerade den Winkel 8 miteinander bilden. Mit andern
Worten: Wenn das Meissner’sche Gesetz richtig ist, so muss sich:
in meinen Versuchen der in der Tabelle S. 204 als Drehwinkel be- |
|
211
zeichnete Winkel finden, gleich dem zu den betreffenden Werthen von
und « oder von long. und lat. gehörige Werth des Winkels 3. Man mag
aus nachstehender Tabelle ersehen, wieviel an einer solchen Ueberein-
stimmung fehlt. Mit 9 ist der Winkel der Axe gegen das Loth
bezeichnet, mit « die Amplitude der Drehung, durch welche der Kopf
in jene nach Meissner bei festem Auge mögliche Lage gekommen
sein würde, aus welcher er dann nur um die Sehaxe um den Winkel 5
gedacht werden musste, um in die Stellung zu kommen, welche er
wirklich einnahm. Zu dem berechneten Werthe von £ ist in jedes
Feld der Tabelle geschrieben 1) in Klammern, die Nummer des Ver-
suches, welcher zu der durch die betreffenden Werthe von «, g und 3
charakterisirten Stellung des Kopfes gehört, 2) dann die beiden Win-
kel long. und lat. welche nach meiner Bezeichnungsweise dieselbe
Kopfstellung charakterisiren, 3) endlich der zugehörige Drehwinkel,
wie er sich in meinen Versuchen gefunden hatte, er ist mit D be-
zeichnet.
15*
212
e—0 a — 30 «= 45 @ — 60 e=75
B=0 d=-90
(XI,7) (X,14)
9=30 | lat=+45 long=+-38
long=0 lat=+18
D=0 D= -30
P=--180
(VL,14)
9=45 long=—+-38
lat=—6
=+30
ß=-+30 —+80 | =+140 | =-++21%
(X,10) an) (V,12) (11,13)
pP=60 long=+14 |Iong=-+ 21 |long=—+ %6 | long=—+29
lat=-+18 | Jat—+4 | lat=—11 | lt=—28
D=-1° D=0 D=-+4 D=-+8
B=+40 | B=+7 | B=+110
(vuL,s) | (dv,9) (11,10)
p=75 long=-+ 10 /long=+ 13/long=—+-14
lat=+1 | lat=—14 | lat=—30
D=0 D=+120 | D=450
B=0
(vIL,7)
990 long=0
lat=0
D=0
B=-42 | B=-% | B=—-11
(vOL6) | (IV,5) (IL,4)
9=105 long=— 10 long= — 13 /long= — 14
lat=+1 | lt=—14 | lat=—30
D=-+20 | D=+20 | DI
B=—30 | B=—80 | B=—-140 | = _210
(X) (IX,3) (V,2) (U,1)
pP=120 long=—-14 |long=— 2, |long= — 26 long= —29
lat=-+18 | lat=+4 | lt=—11 | lat=—28
D=+5° | D=-ı0 | D=-+40 | D=—50
Man sieht nun, dass die beiden Winkel D und $ in den ein-
zelnen Feldern vorstehender Tabelle ganz regellos von einander
abweichen, um Grössen, die aus den gröbsten Beobachtungsfehlern
nicht erklärt werden können. Dem Meissner’schen Gesetze
fügen sich also meine Bestimmungen nicht.
213
Man könnte indessen doch noch einen Versuch machen, meine
Zahlen mit dem Meissner’schen Gesetze in Einklang zu bringen,
wenn man ihm eine etwas allgemeinere Fassung giebt. Man könnte
nämlich daraus die Bestimmung der Primärstellung weg-
lassen und annehmen, dass dieselbe vielmehr bei verschiedenen
Individuen eine verschiedene sein könnte. Es wäre dann zu meinen
Versuchen eine Lage der Sehaxe erst noch zu finden, von der man
als Primärstellung in Meissner’s Sinne auszugehen hätte. Ein
Blick auf meine Versuche in Form der Tabelle S. 206 lässt sehen,
dass man noch am ersten Hoffnung hätte, durch dieselben das
Meissner’sche Gesetz bestätigt zu finden, wenn man die Stellung
der Sehaxe zur primären wählt, in der sie (Versuch VII, 7) der
Medianebene parallel im Horizont des Kopfes *) liegt. Die Ver-
gleichung mit dem Meissner’schen Gesetze unter Annahme dieser
Primärstellung macht sich am bequemsten mit Hilfe der Winkel A und
H (siehe Tabelle S. 206). Bestimmt man nämlich irgend eine zweite
Lage der Sehaxe durch Höhe und Azimuth, erstere vom Horizonte
des Kopfes aus, letzteres von der Primärlage der Sehaxe darin gezählt, so
findet man leicht durch Auflösen einiger sphärischer Dreiecke den Win-
kel, welchen bei dieser zweiten Lage der Sehaxe die Ebene des in der
Primärstellung vertical gewesenen Meridianes mit der absoluten Verti-
ealebene — allgemeiner ausgedrückt mit der Medianebene des Kopfes —
machen muss, Kennt man diesen Winkel, wie in der Tabelle S. 206 R,
so hat man nämlich nach dem Meissner’schen Gesetze die Gleichung
Cosr— Sn? A. Cos H-+ Sin?2H. Cos A
CH Bin AA FBmEH Der Winkel R ist positiv
d. h. oben rechts zu zählen, wenn H und A gleiches negativ, wenn
A und H entgegengesetztes Vorzeichen haben. Wenn also das
Meissner’sche Gesetz mit der Modification, dass fir mein Auge
die Primärstellung nicht 45° unter den Horizont geneigt, sondern
horizontal ist, gültig war, so müsste jeder aus meinen Beobachtungen
*) Bo mag die im Kopfe festzudenkende Ebene genannt werden, welche in mei-
ner Anfangsstellung des Kopfes (long 0, lat=0) wit dem absoluten Hori-
zonte durch die Augenmittelpunkte zusammen fällt.
214
abgeleitete und in der Tabelle S.206 unter R verzeichnete Werth der
Raddrehung übereinstimmen mit dem Winkel R, welchen man mit-
tels der soeben angegebenen Formel aus den zugehörigen Werthen
von A und H berechnete. Ich habe diese Rechnung für einige mei-
ner Versuche durchgeführt und zwar für diejenigen, wo A, H und R
einen ziemlich grossen absoluten Werth hat, weil bei kleineren die
Abweichungen zwischen Rechnung und Beobachtung ohnehin nicht
entscheidend ausfallen konnten. Nachstehend sind die Resultate ver-
zeichnet.
Nummer des Azimuth Höhe R aus meinen B, nach; dem
Versuchs A H Versuchen Meissner'schen
berechnet Gesetze berechnet *) |
L7 0 —+ 33 122 v |
II4 +16 —+ 28 +6 + 4
II,10 — 16 + 28 #0 lag
ULı + 82 + 24 +9 +7
UL13 3% + 24 > 18.
X, +15 — 18 1) Ben.
X,10 — 15 ehe +4 er 3 |
X,14 — 39 — 14 19 +45 |
Die Abweichungen unter Voraussetzung der neuen Primärstel-
lung sind zwar der Grösse nach gar nicht zu vergleichen mit denen,
die sich oben ergaben, wenn man Meissner’s Primärstellung zu
Grunde legt. Aber es ist hier besonders der Umstand herzorzuheben,
dass sie alle nach derselben Seite liegen. Die aus meinen Beob-
achtungen für R berechneten Werth, sind sämmtlich algebraisch
grösser, als die nach dem Meissner’schen Gesetze berechneten ;
hätte man also die Sehaxe nach diesem Gesetze in eine zweite Lage
geführt, so wäre die in meinen Versuchen dazu gehörige Stellung
des Auges zu Stande gekommen, wenn man es noch eine weitere
Drehung um die Sehaxe oben nach rechts hätte vollführen lassen.
Etwas Achnliches ergab sich (siehe $.206) bei Vergleichung mit den
Rueteschen Beobachtungen ebenfalls.
#) Natürlich wurden die Winkel bis auf eine Minute berechnet und hernach die
Zahten abgerundet.
215
Die Beobachtungen, welche Meissner selbst am eigenen Auge
mit Hülfe der Doppelbilder gemacht hat, stimmen übrigens mit den
auf sein hypothetisches Gesetz gegründeten Rechnungen nicht besser
als die meinigen. Meissner bezeichnet die Stellung der Sehaxe durch
zwei Winkel, d und r; der erstere ist die Neigung der beziehlichen
Lage der Visirebene*) gegen ihre Primärstellung; der zweite ist der
Ergänzungswinkel zu dem Winkel, welchen die Sehaxe mit der Ver-
bindungslinie beider Augenmittelpunkte einschliesst. Die Drehstel-
lung des Auges um die Sehaxe giebt er auch durch einen anderen
Winkel, den er mit # bezeichnet, an, als wir bisher thaten. Es ist
nämlich der Winkel, welchen die Ebene des ersten Meridianes mit
einer in der Sehaxe zur Visirebene senkrechten Ebene macht. Nach-
stehende Tabelle **) enthält die aus seinen Versuchen bestimmten
Werthe des Winkels 9, verglichen mit den von seiner Hypothese
geforderten, d war in allen Fällen —=45°.
% berechnet
3 gemessen
r nach dem
en in Versuchen
50 20,8. 00,54
8 30,19 10,53’
10 40,6 20,37‘
15 60,154 2,10 |
16 69,40‘ 30,50° |
17 70,5° 40,36‘ |
Die Art, wie Meissner diese höchst auffallenden und constant
nach derselben Seite ausfallenden Abweichungen der Erfahrung von
seiner Theorie auszugleichen und jene Messungen sogar zur Stützung
statt zur Stürzung der letzteren benutzen zu können glaubt, beruht
auf einem höchst seltsamen Irrthume. Er glaubt nämlich, die Ab-
weichungen seien in der Abweichung der Retinakrümmung von der
Kugelgestalt gegründet und macht ***) diese Schlussfolgerung : „Der
#) Die Ebene, welche die Sehaxe und den Mittelpunkt des andern Auges enthält.
*#) 8, Graefe’s Arch. Bd. II, Heft 1. 8. 97.
Beim O. 8: 9%.
216
Winkel $ ist der Winkel, welchen das Retinabild einer im fixirten
Punkte zur Visirebene senkrecht stehenden geraden Linie mit der
Trennungslinie identischer Netzhauthälften (unserem ersten Meridian)
einschliesst. In einer Kugel wird nun der Flächenwinkel, welchen
zwei durch das Centrum gehende Ebenen mit einander einschliessen,
gemessen durch den Winkel, welchen die beiden grössten Kreise, die
Durchschnittslinien jener beiden Ebenen mit der Kugeloberfläche,
miteinander einschliessen. So berechneten wir den Winkel $,
indem wir ihn gleichsetzten dem Flächenwinkel zwischen den Ebenen
AFE und APE*). Dieser Winkel 4, dessen Schenkel rechtwinklig
zur Durchschnittslinie AE (Sehaxe) der beiden Ebenen stehen, ist
der grösste Winkel, den zwei je in einer der beiden Ebenen liegende
Linien, die gleiche Winkel mit der Durchschnittslinie einschliessen,
mit einander bilden können. Nun ist das Auge und speciell der hin-
tere Umfang, nicht sphärisch gekrümmt, sondern nahezu ellipsoidisch.
Denken wir nun in dieser wahren Gestalt des Auges das in obiger
Weise zu einer Kugel reducirte Auge eingeschlossen, so werden wir
die beiden Ebenen AFE und APE noch über die Kugeloberfläche
hinaus fortgesetzt denken müssen, bis sie die Retina schneiden, und
da ihnen diese nun jedenfalls eine von der Kugelgestalt abweichende
Krümmung darbietet, so werden die beiden Durchschnittslinien der
Ebenen AFE und APE mit der Retina, indem sie, wie jedenfalls
angenommen werden darf, gleiche Winkel mit AE einschliessen,
unter sich auf der Retinaoberfläche einen Winkel 91 bilden, welcher
kleiner ist, ob der Flächenwinkel zwischen AFE und APE, kleiner
also als der Winkel 9. — Somit darf aber nicht nur, sondern muss
nothwendiger Weise erwartet werden, dass die einzelnen berechneten
absoluten Werthe für 9 grösser sind, als die beobachteten für 31. *
Gegen diese Schlussfolgerung an sich ist schon einzuwenden,
dass die in Rede stehenden Durchschnittslinien der beiden Ebenen
mit der Retina oder besser die Tangenten in ihrem Durchschnitts-
%») AFE ist in der Figur, auf die sich M. bezieht, die oben bezeichnete Ebene,
welche in der Sehaxe zur Visirebene senkrecht steht, APE die Ebene des
ersten Meridians,
217
punkte ebenso gut genau auf der Sehaxe senkrecht stehen, wie die
grössten Kreise auf einer hypothetischen Kugeloberfläche, vorausge-
setzt, dass die Sehaxe das Retinaellipsoid im Scheitel trifft, in andern
Fällen wenigstens so annähernd, dass höchstens eine Differenz von
einigen Secunden, nicht aber von 2° und mehr in dem Winkel 9
auf diese Weise erklärt werden könnte. Uebrigens würden in andern
Fällen die beiden fraglichen Linien auch nicht im allgemeinen gleiche
Winkel mit der Sehaxe einschliessen. Ferner ist aber der erste Satz un-
richtig, welcher die factische Unterlage der ganzen Schlussfolgerung
ausdrückt. Meissner misst in seinen Versuchen keineswegs und kann
auch gar nicht messen den Winkel, welchen ein lineäres Retinabild
mit einer andern krummen Linie auf der Retina macht. Seine Versuche
laufen vielmehr, wie sich von selbst versteht, hinaus auf Lagenbestimmung
räumlicher Gebilde ausserhalb des Auges und zwar wird insbeson-
dere allemal die Lage einer Geraden (wenn auch nicht ganz unmittel-
bar) bestimmt, deren Bild auf den ersten Meridian der Netzhaut fällt.
Somit kann Meissner aus seinen Versuchen die Lage der Ebene,
die den ersten Meridian der Netzhaut enthält, folgern. Die Bestimmung
dieser Lage durch den Neigungswinkel gegen irgend eine willkürlich
gewählte Ebene aus Meissner’s Versuchen muss nothwendig ganz
unabhängig sein von der Gestalt, der Curve, in welcher diese Ebene
die Retinaoberfläche schneidet. Es änderte gar nichts an der Sache,
wenn diese Schnitteurve ziekzackig wäre. Der aus den Versuchen
abgeleitete Winkel 91 hat ganz dieselbe Bedeutung als Flächen-
winkel, wie der in der theoretischen Ableitung mit der Bezeichnung
3 auftretende, beider Werthe müssten also in jedem speciellen Falle
übereinstimmen , wofern die Theorie richtig sein sollte.
Die Meissner’sche Theorie hat sich einen so grossen Beifall
erworben — Ludwig hat sie z. B. in der neuen Auflage seines Hand-
buches der Physiologie geradezu aufgenommen — dass wir nicht von
ihr scheiden können, ohne einen Blick auf die innere Begründung
zu werfen, die ihr Urheber angestrebt hat. Ihr muss die Theorie
offenbar den grossen Beifall verdanken, da die Mängel der empiri-
schen Begründung Niemandem entgehen konnten. Sehen wir daher
218
zu, ob nicht doch manche Lücke zu finden ist in der Kette von
Schlüssen, durch welche Meissner sein Gesetz über die Augenstel-
lungen gleichsam als a priori nothwendig ableitet.
Vor allem scheint mir schon der Ausgangspunkt der theoretischen
Betrachtungen bei Meissner, der sich auch in der Fassung seines
Gesetzes (ich habe oben, um unseren Gedankengang nicht zu stören,
eine etwas andere gewählt) zu erkennen giebt,'nicht der richtige, weil
nicht der einfachste zu sein. Er geht nämlich von der Betrachtung
der Bewegungen statt von der der Stellungen des Auges aus,
und fasst sein Gesetz als ein Gesetz der Augenbewegungen, während
sich doch offenbar hernach ‘durch Versuche nur ein Gesetz für die
Augenstellungen prüfen lässt. Er behauptet namentlich, dass jede
endliche Lagenveränderung des Auges bestehe in einer einfachen
Drehung um eine feste Axe, deren Bestimmung freilich im allge-
meinsten Falle ziemlich verwickelt ist. Hier müsste er schon, um
nicht mit sich selbst in Widerspruch zu kommen, beschränkend hin-
zufügen, „wenn nicht während der Lagenveränderung selbst be-
stimmte stetig auf einander folgende Punkte fixirt werden“. Lassen
wir z. B. beim Lesen die Fixationsrichtung einer gedruckten Zeile
entlang gleiten, so kann diese Bewegung zwar wohl in einzelnen
Fällen, aber nicht im Allgemeinen Drehung des Auges um eine feste
Axe sein, vorausgesetzt, dass das Auge in allen Stadien derselben
oder auch nur am Ende sich in einer nach dem Meissner'schen
Gesetze möglichen Lage befinden soll.
Der Grundgedanke der Meissner’schen Deduction ist nun]
wohl der: die Bewegungen des Auges abzielend auf Veränderung der
Fixationsrichtung müssen möglichst einfach bewerkstelligt werden.
Die Einfachheit scheint er dahin zu deuten, dass es dem zu einem
Augenmuskel gehenden Nerven erspart wird, während einer bestimm-
ten absichtlich ausgeführten Bewegung vielfältig mit seinem Erre-
gungszustande zu variiren, dass vielmehr ein Muskel, wenn er einmal
zu einer bestimmten Bewegung in Anspruch genommen ist, auch
während ihrer ganzen Dauer möglichst gleichmässig eontrahirt bleibe.
Angenommen, dass für die Augenbewegungen dieses Prineip mecha-
219
nischer oder physiologischer Einfachheit maassgebend wäre, so würde
daraus doch gewiss keineswegs die geometrische Einfachheit ‚der
Drehungen folgen, wie Meissner zu glauben scheint, wenn ich ihn
anders richtig verstanden habe. Um mich deutlicher auszusprechen,
will ich einen concreten Fall setzen. Denken wir im Anfang alle
Muskeln des Auges ruhend, dann werden sie sich mit der Spannung
des Sehnerven und der andern mit dem Auge verbundenen Theile
bei einer gewissen Lage der letzteren ins Gleichgewicht setzen.
Denken wir uns jetzt die Nervenstämme dreier von den sechs Augen-
muskeln geriethen in einen gewissen Grad der Erregung jeder in
einen andern, aber für jeden bliebe dasselbe constant dauernd bis
ins Unendliche. Der veränderte Zustand würde eine neue Gleich-
gewichtslage erfordern, die sich unter geeigneten Voraussetzungen
leicht berechnen liesse. Offenbar wäre dies der physiologisch ein-
fachste Fall der Contraction und wenn ich Meissner richtig ver-
standen habe, so müsste er nach seiner Meinung auch den geome-
trisch einfachsten Erfolg in der Bewegung haben, d. h. es müsste in
dem gedachten Falle nach seiner Meinung die Bewegung aus der
Anfangslage in die Schlusslage Drehung um eine feste Axe sein.
Ich für mein Theil traue mir nicht zu auszumitteln, wie diese Be-
wegung, deren Anfang und Ende bekannt sind, stattgefunden haben
mag, aber dass sie gerade eine einfache Drehung um eine feste Axe
gewesen sein müsste, scheint mir eine unendlich geringe Wahrschein-
lichkeit von vorn herein zu haben. Ich glaube, im Allgemeinen
würde den die Augenmuskeln beherrschenden Nervencentren gerade
eine ganz besonders schwierige Variation der Reize aufgebürdet, wenn
die Drehungsaxe während einer ganzen endlichen Bewegung dieselbe
bleiben soll. Die geometrische Einfachheit scheint mir der physiolo-
gischen Einfachheit weit eher zu widersprechen, als sie zu bedingen.
Wenn dies zugestanden wird, so fällt die theoretische Begrün-
dung des Meissner’schen Gesetzes in sich zusammen. Ich unter-
lasse es daher, dieser Begründung weiter im Einzelnen nachzugehen,
wo sich übrigens auch bie und da nicht ganz vollkommen bindende
Schlussfolgerungen aufzeigen liessen.
220
Von ganz anderen Vordersätzen ausgehend, habe ich mir eine
Ansicht von dem physiologischen Prineipe der Augenstellungen gebil-
det. Obwohl ich sie weder geometrisch zu formuliren, noch aus mei-
nen vorliegenden Versuchen vollständig zu beweisen im Stande bin,
kann ich doch ihre Mittheilung hier nicht unterdrücken, weil sie mir
in der That a priori unangreifbar zu sein scheint und ich doch zu-
nächst keinen Weg absehe, sie empirisch besser zu begründen.
Richtet man die Sehaxe auf irgend einen Punkt im Raume, so
werden im Allgemeinen unter den sechs Augenmuskelansätzen einige
von den zugehörigen Ursprüngen weiter entfernt sein, als in der
Lage, welche das Auge sich selbst überlassen einnimmt. Die betref-
fenden Muskeln werden also, selbst wenn sie unerregt gedacht wer-
den, eine erhöhte Spannung haben. Ferner werden im Allgemeinen
auch andere Theile, die einerseits im Augapfel, andererseits an der
Augenhöhlenwand befestigt sind, eine Zerrung erleiden und folglich
eine Spannung, entwickeln. Unter diesen Theilen wollen wir, um
nicht die Vorstellung bis zum Unentwirrbaren zu verwickeln, den
Sehnerven allein berücksichtigen. In der 'That wird er ohne Zweifel
unter ihnen die mechanisch hervorragendste Rolle spielen und wir.
werden so trotz Unterdrückung der schlaffen Bindegewebsstränge
und Membranen doch eine angenäherte Einsicht in den mechanischen
Sachverhalt gewinnen können. Die Spannungen des gedehnten Seh-
nerven und der gedehnten Muskeln streben natürlich, den Augapfel
aus der gedachten Lage herauszubewegen, welche sie entwickelte.
Soll er gleichwohl in derselben verharren, so müssen die bei ihr
nicht über ihre natürliche Länge hinaus gedehnten Muskeln ihrer-
seits Spannungen entwickeln, welche jenen Gleichgewicht halten.
Spannungen können in den fraglichen Muskeln aber offenbar nur
vorhanden sein, wenn sie sich im erregten Zustande befinden, für
welchen ihre natürliche Länge kleiner ist, als die Entfernung zwischen
Ursprung. und Ansatz, welche ihnen die in Rede stehende Lage bei-
legt. Es kann demnach keine Lage des Augapfels (ausser
einer einzigen) erhalten werden ohne dauernde Anstren-
gung einiger der sechs Augenmuskeln.
221
Man weiss, dass die Seele zunächt nur ein Bewussstsein darüber
hat, auf welchen Punkt des Raumes die Sehaxe gerichtet ist, und nur
eine solche Richtung willkürlich anordnen kann, es koste welche
Muskelanstrengung es wolle. Ist die Sehaxe einmal gerichtet, so
kann die Seele keine Drehung des Auges um diese Richtung mehr
verfügen. Sie wird also auch keinen veränderten Befehl zu den bei
der betreffenden Lage activ angestrengten Muskeln schicken, wenn
der Augapfel aus rein mechanischen, vor der Hand noch unbekann-
ten Gründen irgend eine Orientirung um die willkürlich gerichtete
Sehaxe annimmt, denn es ist ihr jede Orientirung gleich gerecht.
Man kann sich also bildlich vorstellen, die Seele stellt die Sehaxe in
irgend einer Richtung fest, so, als wenn ein fester Stift in derselben
durch das Auge gestossen wäre, und nun machen es die Muskeln und
der Sehnerv unter sich aus, wie das Auge um diesen Stift herum
sich anordnet. Offenbar ist unter allen diesen unendlich vielen An-
ordnungen eine, welche den bei der betreffenden Lage
der Sehaxe activ contrahirten Muskeln weniger Ge-
sammtanstrengung zumuthet als jeder andere. Dies ist
nach meiner Ansicht diejenige Lage des Auges, welche es unter allen
bei der fraglichen Sehaxenrichtung möglichen in Wirklichkeit einnimmt.
Sie ist bei jeder Sehaxenrichtung eine unzweideutig bestimmte und
es wäre somit durch die gegenwärtige Hypothese vor der Hand der
empirisch feststehende Fundamentalsatz der Lehre von den Augen-
stellungen erklärt, dass bei einer bestimmten Sehaxenrichtung das
Auge nur eine einzige Stellung in der Wirklichkeit annehmen
kann. Es wäre jetzt die nächste Aufgabe, aus den anatomischen
Verhältnissen der Augenmuskeln und der Sehnerven mathematisch
den Zusammenhang zu entwickeln zwischen der Richtung der Seh-
axe und derjenigen Drehstellung um dieselbe, welche von den con-
trahirten Muskeln ein Minimum der Anstrengung fordert. Dann
wäre zu sehen, ob in den beobachteten Fällen Drehstellung und
Sehaxenrichtung in demselben Zusammenhange stehen. An die defi-
nitive Lösung dieser Aufgabe kann darum nieht gedacht werden,
weil niemals die anatomischen Verhältnisse derjenigen Augen be-
222
kannt sind, an welchen die Beobachtungen angestellt werden können.
Die blosse Entwickelung des in Rede stehenden Zusammenhanges in
mathematischer Form auf Grund fingirter anatomischer Verhältnisse
würde die kolossale Mühe nicht lohnen.
Wir müssen uns damit begnügen, einige anschauliche Betrach-
tungen in der angedeuteten Richtung anzustellen, die besonders da-
rum nicht ohne Interesse sein dürften, weil sie auf die so oft bespro-
chene teleologische Bedeutung der mm. obliqui ein sehr helles Licht
werfen. Wenden wir unsere Aufmerksamkeit zunächst dem Sehner-
ven zu. Seine Eintrittsstelle in den Bulbus (die wir als Punkt denken)
würde um den gelben Fleck oder um den Punkt, wo die Sehaxe die
Retina schneidet, herum einen kleinen Kreis beschreiben, wenn man
bei festgehaltener Sehaxe um diese eine volle Umdrehuug des Bulbus
ausführte. Die Ebene dieses kleinen Kreises steht im Allgemeinen
nicht senkrecht zur Verbindungslinie des Augenmittelpunktes mit dem
foramen opticum, daher stehen von diesem letzteren nicht alle Punkte
des kleinen Kreises gleichweit ab. Legen wir durch die Sehaxe und
das foramen opticum, das wir auf einen Punkt reduciren, eine Ebene,
so schneidet sie den Umfang unseres Kreises in zwei Punkten, von
denen der eine die grösste, der andere die kleinste Entfernung vom
foramen optieum hat. Auf diesen letzteren Punkt würde offenbar die
alleinige Wirkung des nervus opticus dessen Eintrittsstelle um die
Sehaxe drehend führen, wenn diese irgendwie in der gedachten Lage
fixirt wäre. Ehe wir weiter gehen, wollen wir uns erst einige quan-
titative Rechenschaft von der Raddrehung geben, welche so der Seh-
nerv für sich hervorbringen würde. Wir müssen dabei irgend eine
bestimmte Sehaxen- und Augenstellung als Ausgangspunkt wählen.
Es empfiehlt sich dazu besonders diejenige, wo die Entfernung der
Sehnerveneintrittsstelle vom foramen opticum ein minimum minimo-
rum ist, wo also diese beiden Punkte mit dem Augenmittelpunkte in
einer geraden Linie liegen. Bei dieser Stellung erleidet der Sehnerve
gar keine Zerrung, und wenn man dem Augenmuskelapparate die-
jenige vernünftige Zweckmässigkeit zutrauen darf, die man so oft
mit Erfolg heuristisch anwendet, so ist er in dieser Stellung bei
223
vollkommener Ruhe im Gleichgewicht. Ohne Zweifel wird diese
Stellung hervorstechende Eigenschaften besitzen und man wird
namentlich geneigt sein, in ihr die Meissner’sche Primärstellung,
zu finden. Damit stimmt es sehr gut zusammen, dass bei Meiss-
ner’s Primärstellung die Sehaxe vorn, unter den Horizont (des
Kopfes) geneigt ist, da nämlich wohl sehr häufig das foramen opticum
höher liegt, als der Miftelpunkt des Bulbus. Freilich passen die
sonstigen Bestimmungen der Primärstellung nicht ganz zu der in
Rede stehenden Annalıme, namentlich dürfte sie der Medianebene
nicht genau parallel und auch wohl nicht so tief unter den Horizont
geneigt sein, wie Meissner will. Nach Ruete steht die Sehaxe
horizontal nach vorn, wenn die Eintrittsstelle des Sehnerven in die
Augenhöhle und in den Bulbus mit dessen Mittelpunkt in eine gerade
Linie fällt. Wir wollen von dieser Annahme ausgehen, da sie die Vor-
stellung am einfachsten macht und auf einer ganzen Reihe von Mes-
sungen beruht. Nehmen wir nun an, die Sehaxe eines linken Auges
würde in einer zweiten Lage festgestellt, bei der ihr vorderes Ende
nach oben und aussen gerichtet wäre, und zwar gerade soweit nach
aussen, dass eine durch sie gelegte Verticalebene das foramen opticum
enthielte, dann müsste der Sehnerv das sonst um die neue Lage der
Sehaxe frei drehbare Auge so weit herumziehen, dass seine Eintritts-
stelle in den Bulbus in diese Verticalebene und zwar über den gelben
Fleck zu liegen käme, Wir würden also eine Raddrehung von 1/2 r
haben, denn der in der Ausgangsstellung horizontal gewesene Meridian
würde jetzt vertical stehen. Stellen wir uns jetzt vor, dass wir der Seh-
axe des zugehörigen rechten Auges dieselbe Richtung im absoluten
Raume (also im Kopfe nach oben und innen) gäben, so würde ihm sein
Sehnerv eine Raddrehung im entgegengesetzten Sinne (freilich klei-
ner als %/2 x) ertheilen. Die Desorientirung der beiden Sehfelder gegen-
einander würde alsdann eine unfehlbar störende Höhe erreichen.
Halten wir das linke Auge in der gedachten Lage fest und rüsten
wir es aus mit seinen 4 mm.reeti. Ursprung und Ansatz vom r. superior
ı und r, externus werden alsdann näher aneinander liegen alsin der An-
fangsstellung; dagegen wird der rectus inferior und internus gedehnt
224
sein. Stellen wir uns immer noch vor, die Richtung der Sehaxe
würde ohnehin durch fremde Veranstaltungen festgehalten, so dass
die mm. reetus externus und superior sich nicht anzustrengen braucht,
so würde gleichwohl jetzt nicht mehr die vorhin abgeleitete Lage
eine Gleichgewichstlage sein. Die in r. inferior und internus ent-
wickelten Spannungen nämlich würden offenbar ein Moment ausüben,
welches das Auge (oben rechts) zurückzudrehen strebt. Bei dieser
Drehung wüchse dann aber auch wieder die Spannung des Sehnerven
und es würde bei einer neuen Drehstellung sich das Gleichgewicht
wieder herstellen. Sehr weit könnte sie von der vorigen nicht ent-
fernt sein, denn die Momente der beiden gespannten Muskeln um die
Sehrichtung als Axe sind jedenfalls sehr klein, da ihre Länge bei
umgekehrter Drehung nur sehr langsam wächst. Die so gefundene
Gleichgewichtsstellung wäre aber jedenfalls diejenige, bei welcher
die beiden contrahirten Muskeln sich am wenigsten anzustrengen hätten,
wenn sie in Verbindung mit einem allerdings immer noch nothwen-
digen dritten Hülfsmuskel statt der vorhin fingirten fremden Veran-
staltungen die Richtung der Schaxe aufrecht zu erhalten hätten. In
der That hätten sie ja jetzt nur noch die Momente zu aequilibriren,
deren Axe zur Sehaxe senkrecht stehen, da die Momente der pas-
siven Spannungen um die Sehaxe einander selbst Gleichgewicht
halten. In jeder andern Drehstellung wäre auch noch ein resul-
tirendes Moment um die Sehaxe zu aequilibriren, was entweder bei
zu grosser Elongation oben links vom Ueberwiegen der Muskelspan-
nungen oder bei zu grosser Elongation oben rechts vom Ueberwiegen
der Sehnervenspannung herrühren würde. Wir wiederholen: die so
gefundene neue Lage der kleinsten Anstrengungen könnte sich un-
möglich beträchtlich von jener Gleichgewichtslage unterscheiden, die
durch die alleinige Wirksamkeit des Sehnerven bedingt sein würde.
Sie würde also immer noch mit einer kolossalen Raddrehung ver-
bunden sein. Ganz anders gestaltet sich die Sache, wenn man die
mm. obliqui mitberücksichtigt. Dass wir im obliques inferior bei der
gedachten Richtung der Sehaxe zunächst den oben nothwendig be-
fundenen dritten activ betheiligten Hülfsmuskel haben, mag nur
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225
einstweilen im Vorbeigehen ‘erwähnt sem. Der obliguüs superior aber
ist’offenbar bei‘ der soeben bestimmten Lage mit grosser Raddrehüng
nach’links ausserordentlich gedehnt. Er würde also, wenn man
nun’ wieder die Sehaxenrichtung durch eine fremde Veranstaltung
festhielte und das Auge den rein physikalisch elastischen Kräften der
Muskeln und des Sehnerven überliesse, den Augapfel um einen sehr
beträchtlichen Winkel oben rechts wieder herumziehen, so dass sich
in der neuen‘ Gleichgewichtslage die Ebene des ersten Meridianes
nichtmehr weit vom Verticalismus im absoluten Raume entfernen
könnte: Dass in der That die Veränderung, welche der obliquus
superior in ‘dem Systeme hervorbringt, eine bedeutende’ sein
müsse, geht unmittelbar aus seiner Zugriehtung hervor. Offenbar ist
nämlich die Componente seines Momentes um die Sehaxe fast seinem
gesammten Momente gleich, die entgegenwirkende Componente des
Momentes des Sehnerven um die Sehaxe ist dagegen nur ein kleiner
Bruchtheil des Gesammtmomentes des letzteren. Daher wird eine
unbedeutende Spannung des obliquus superior (bedingt durch eine
wenig‘ umfangreiche Raddrehung oben nach links) genügen, in Be-
ziehung’ auf Drehungen um die Schaxe einer weit beträchtlicheren
Spannung des Sehnerven Gleichgewicht zu halten. Obendrein wird
in dieser Beziehung die Spannung des obliquus superior unterstützt
durch die Spannungen der beiden andern gedehnten Muskeln. Diese
zuletzt gefundene bedingte Gleichgewiehtslage ist nun meiner Ansicht
nach diejenige, welche das Auge in Wirklichkeit einnehmen wird.
Um noch einmal das Ergebniss vorstehender Betrachtung zu-
sammenzufassen, könnten wir also die besondere Anwendung meines
hypothetischen Prineipes auf die gedachte Richtung der Sehaxe nach
oben und aussen, folgendergestalt aussprechen: Das Auge nimmt’
diejenige Drehstellung um die Richtung der Sehaxe ein, bei welcher
die Spannungen der drei gedehnten Muskeln der Spannung des Seh-
nerven Gleichgewicht halten in Beziehung auf Drehung um die Seh-
axe, Das resultirende Moment dieser vier Spannungen um eine zur
Sehriehtung senkrechte Axe wird aufgewogen : durch active An-
strengung der drei nicht gedehnten Muskeln. Diese TROIBESUEE
Moleschott, Untersuchungen V.
226
ist, kleiner als sie bei jeder andern Drehstellung, sein würde, ‚denn
wenn ich, zu einer ‚solchen überginge, durch Raddrehung oben nach
links, so, würde ‚durch Ueberwiegen: der Muskelspannung,, !wenn
ich ‚durch, entgegengesetzte Raddrehung) dazu überginge »'durch:
Ueberwiegen der Sehnerv enspannung. noch ein resultirendes Moment
um die Sehaxe wach gerufen, dessen, Aequilibrirung der activen An-
strengung der ‚drei nicht, contrahirten Muskeln zur Last fiele.. |
Es ist leicht, unsere Betrachtungen zu verallgemeinern und 'na-
mentlich auch auf die Fälle auszudehnen,' wo statt des ‚superior! der
obliquus. inferior (gedehnt ist... Es springt alsdann) die Bedeutung. .der
mm. obliqui, deutlich in die. Augen. Sie sind gewissermassen dazu
bestimmt, den Sehnerven im Zaume: zu .halten‘\. Es, wäre ohne. die
mm. obliqui —d. h. ohne ein Muskelpaar, dessen. Momentaxen' nahe-
zu‘ mit, der Sehaxe zusammen fallen — ganz unmöglich, die
Sehaxe schräg zu richten, ohne dass das Auge ausserordentlich um-
fangreiche Raddrehungen erlitte. Hier ist es. nun), ‘wo die oben
(8. 207), bei, Vergleichung, meiner ‚Messungen ‚mit den Rwete’schen
gemachte Bemerkung; Bedeutung gewinnt. Ich sehe nämlich in. dem
Umstande,, dass bei meinem, Auge der, erste, Meridian immer\oben
stärker. nach rechts geneigt ist als bei Ruete’s Auge, nichts ‚anderes
als den mechanischen Ausdruck eines besonderen anatomischen Ver-
hältnisses, An meinem ‚Auge ‘wird nämlich, der obliquus superior
sich mit grösseren elastischen Kräften der, Drehung widersetzen ‚sei
es, dass er (sein musculöser Theil) kürzer, sei es, dass er dieker ist,
als an Ruete’s Auge. Er muss \alsdann. nach ‚unserem; Prineipe
allemal das Auge im Sinne seiner Wirkung .d..h., "eben oben ‚nach
rechts weiter herumziehen, bis es sich, mit der‘ Spannung. des Seh-
nerven ins Gleichgewicht gesetzt hat.
Dass die Resultate unserer sowie auch der Meissner’schen und
Ruete’schen Versuche dem Sinne nach. mit dem hier entwickelten Prin-
cipe. übereinstimmen, ist leicht ersichtlich. Allemal ist die wirklich’beob-
achtete Drehstellung, weder die, wo bei der bestimmten,Lage.der Sehaxe
der Sehnerv für sich, noch die, wo die gedehnten Muskeln die. ‚kleimste‘ |
Zerrung erleiden, sondern sie liegt immer zwischen;diesen beiden Ex; |
227
tremen, So muss eslaber'nach unserem Principe sein, ‚weil die Span-
nung des Sehnerven’und die Spannung der gedehnten Muskeln immer
in Beziehung auf Raddrehung in entgegengesetztem Sinne wirken.
Ich habe aus leicht begreiflichen Gründen gar nicht versucht, die
vorstehenden Betrachtungen allgemein mathematisch zu formuliren und
die Forderungen der Theorie mit der Beobachtung quantitativ zu ver-
gleichen. Gleichwohl habe ich die Mühe nicht gescheut, einen einzelnen
Fall mit numerischer Rechnung zu verfolgen. Ich wählte die No.
II,10 meiner Versuche ohne besondere Gründe, nur um eine in Azi-
muth und Höhe ziemlich weit von der ursprünglichen entfernte Rich-
tung der Sehaxe zu haben. Ich legte der Rechnung die zu Ruete’s
neuem Ophthalmotrop benutzten Coordinaten der Muskelursprünge und
Ansätze und der Eintrittsstelle des Sehnerven zu Grunde. Um die ohne-
hin nur schematische und auf mehr oder weniger willkürlichen V oraus-
setzungen ruhende Rechnung nicht unnöthigerweise zu eomplieiren, er-
laubteich mir noch eine Vereinfachung. Ich redueirte die Ursprünge
der vier recti auf einen Punkt, dessen Coordinaten jeden arithmeti-
schen Mitteln aus den entsprechenden vier Ruete’schen Coordinaten
gleich gesetzt wurden. In denselben Punkt wurde die Eintrittsstelle des
Sehnerven in die Augenhöhle gesetzt. Ich will die Zugkräfte der 6
Augenmuskeln in der Reihenfolge rectus ‚superior, rectus inferior,
rectus externus, rectus internus, obliguus superior, obliquus inferior
bezeichnen durch Pı, Ps, Ps, Ps, P;, Ps. Die Zugkraft des Selnerven
will ich bezeichnen durch N. Wenn man noch das Perpendikel vom
Augenmittelpunkt auf die verlängerte Richtung des Sehnerven ausge-
drückt in Theilen des Augapfelhalbmessers mit r. bezeichnet, so ergab
die unter den gemachten‘ Voraussetzungen geführte Rechnung, dass in
meiner Augenstellung II,10 Gleichgewicht herrscht, wenn ‚man hat
Pı=-+ 1,07 Pa— 0,50 Pı+0,23P5+0,83 .r N
Ps=— 0,48 P2-+1,07..Pı—0,64P5s+0,36,r N } A,L.
Pe=—0.P2—0.P4+0,79Ps—0.r N *)
*) Das Vorzeichen vor den Gliedern mit dem Faktor Null hat insofern seine Be-
detitung, als er sich auf die 3. Dezimalstelle bezieht, die im Verlaufe der
Bechnung noch mitberücksichtigt wurde.
16 *
228
Von der Lage 11,10. ging. ich nun zu zwei fingirten Lagen: über
mit derselben Richtung, der: Sehaxe, aber mit andern Drehstellungen,
so zwar, dass die.Lage: Il,10 zwischen ‚den: beiden fingirten gerade
in der Mitte lag. : Ich ging von der Lage II,10.um: 8%, 6‘. nach‘ der
einen und nach der'andern ‚Seite. Wäre also. die eine: oder die andere
von diesen fingirten Lagen die! zul.der betreffenden Sehaxenrichtung
gehörige in Wirkliehkeit) gewesen, ‚so hätte der Drehwinkel: D in
Versuch II,10 (siehe Tabelle 8.204) entweder: -+ 13°, 64. oder 3°, 6
statt +5 betragen müssen. Die Wahl gerade dieser Winkel ge-
schah darum, wei, 80, .6 der: grösste, Winkel ist, dessen Cosinus sich
um weniger als ” von der Einheit und dessen! Sinus sich um weni-
1
ger als ;,; vom zugehörigen‘ Bogen unterscheidet. Hätte ich einen
grösseren Winkelabstand der fingirten Lagen von der wirklichen ge-
wählt, so hätte ich mir bei einer Rechnung auf 2'Decimalstellen die
Vereinfachungen nieht erlauben. dürfen, die ich mir erlauben wollte.
Für die’ erste der fingirten Lagen, welche entstanden wäre’ aus’ der
wirklichen ‘durch Drehung des: Auges um "die Sehaxe' oben nach
rechts, der also ein Winkel D —13s, 6! a würde, ergab
die Rechnung
Pı=+1,06Pa —0,+52 Pr+0,40Ps-+ 0,75 .r N
B—=2057Ps+ 1,07 Pr 073 BP 0M.ır N VAR
Ps=+0.P2=0.Pı-+0,75P;s—0.r N
wenn Gleichgewicht bestehen soll. Für die zweite fingirte Lage 'er-
geben sich als Gleichgewichtsbedingungen die Gleichungen
=+ 1,08P2 — 0,51 Pı +0,21 Ps-+0,83.r N
Ps=—-0,37 Pe+ 1,08 Pr — 0,56 Ps #0,25.r N } A,B3.
P=-+0P—0.B}+0,82Ps—0.r N
Um nun zu sehen, ob in der That die wirkliche Drehstellung un-
ter allen möglichen ein Minimum von Anstrengung zu ihrer Erhal-
tung erfordert, muss man’ mit den vorstehenden Gleichungen noch
einige Umformungen vornehmen, zu’ deren: Ausführung die Kenntniss
einiger anderen Grössen nothwendig ist, welche leider zum Theil
durch ‚willkürliche Annahmen ersetzt werden muss. ‚Wir, dürfen, wohl
vor Allem ungescheut unterstellen, dass die drei 'gedehnten‘ Muskeln,
229
rectus inferiör, rectus internus und obliguus.superior ‚sich: nicht im
Erregungszustande befinde und: dass daher (die Gesammtanstrengung
bloss von: den übrigen herrührt, so dass dieselbe =Pı + Pa +Ps
zu setzen ist. Die Dehnungsgrösse (der' 3 gedehnten Muskeln: und
des Schnerven kann &efunden werden, wenn man als nätürliche Länge
irgend eine festsetzt ;ich'habe angenommen; die natürliche, Länge
sei diejenige ‚ welche diese Gebilde haben, wenn die Schäx& gerade-
aus. nach vorn gerichtet ist.» Ebenso kann die-Grösse| r in jedem
Falle ermittelt werden. Die: Grössen: P auf: der. rechten ‚Seite des
Gleichheitszeichens in unseren Gleichungen lassen sich demnach 'dar-
stellen unter der Form P'=d. p. m., wo d.die numerisch ‘bekannte
Dehnung, m ein allein von der Natur. der Muskelsubstanz’abhängiger,
ihre Elastieität messender, also für die verschiedenen Muskeln gleich-
zusetzender *) Factor ist; p wäre ein von der Form des! einzelnen
Muskels ‚abhängiger Factor ‘in'erster Annäherung dem: Querschnitt
direct, der natürlichen Länge; verkehrt proportional anzunehmen. Die
Grösse N braucht nur in 2 Factoren d'n zerlegt zu werden, won
eine von Form und Substanz des’ Sernerven gleichzeitig abhängige,
die Blastieität messende Grösse, d’die "bekannte Dehnung bedeutet.
Führt man die numerischen Werthe für d’und rin die Gleichungen
ein und bildet die Summen,'so hat man für die’ wirklich beobachtete
Augenstellung (TI,10)
Ps+Ps4-Ps=(3,19 . pe+1,37 #125. ps) m+222.n. ..: Bil,
für‘ die erste fingirte
Pı+Ps-+Po=(2,45 »pe+1,65 .pa+0,76 . ps) m+3,11:m...vB2,
für) die: zweite fingirte
Pı+P3-+-Ps=(4,05 . pa+-0,97 pa+2,07 . p5) m+1,79 3m..., BB.
Man sieht sofort in; vorstehenden drei -Gleichungen, ohne dass
man die Werthe von pz, ps und ps numerisch zu‘ kennen brauchte,
die Bestätigung eines Theiles der-oben' geführten Betrachtungen. Die
Grössen p können jedenfalls nicht sehr von einander‘ verschieden
sein, es muss also der Coefficent. von Mi in der zweiten Gleichung
j
|
"y Weil auch’ vielleicht Hicht gänz Atrenf Pendinriien!
230
kleiner, in»der dritten 'grösser sein als in der ersten, Umgekehrt ist
der 'Coeffieient von mn in‘der zweiten Gleichung; grösser, in: der drit-
ten kleiner als in der ersten. Das heisst aber mit anderen Worten‘:
Wenn wir von der wirkliehen Drehstellung' zu einer andern durch
Raddrehung oben 'nach rechts übergehen, so fällt den zur Erhaltung
der neuem Stellung. activ'thätigen Muskeln die; Spannung,.der gedehn-
ten: Muskeln weniger, dagegen die Sehnervenspannung ‘in «höherem
Grade zur: Last, als in der ersten. Gehen wir durch Raddrehung in
entgegengesetztem‘ Sinne: vonder wirklichen Stellung aus zu ‘einer
neuen über, so wird in der zur Erhaltung; derselben nothwendigen
gesammten activen Anstrengung. der Summand grösser valsıbei der
Ausgangsstellung, welcher von ‘der Spannung der gedehnten Muskeln
abhängt, dagegen’ der, welcher von der Sehnervenspannung abhängt,
kleiner. » In der‘'That ist aber diese Beziehung der wirklichen Dreh-
stellung) zu zwei benachbarten, zwischen denen sie mitten! inne) liegt,
eine ‚von. denjenigen, welche unser hypothetisches Prineip» von. der
wirklichen Drehstellung» verlangt.
Auf. den ersten Blick‘ ‚scheinen ferner ‚unsere. drei: Gleichungen
die ‚aufgestellte Hypothese ganz vollständig) zu. bestätigen‘, d.h. sie
scheinen auszusagen; dass ‚die gesammte ‚active Muskelanstrengüung
(Prı+P3.-+Ps) für.die wirkliche Stellung, kleiner ist, ‚als für die, bei-
den fingirten. Macht man nämlich die Annahme, | dass die-Coefhi-
cienten! p2, ps, Ps untereinander gleich seien. —=p, und nimmt man
ferner an, dass pm = en sei, d. h. dass für jedes: Millimeter 'Deh-
nung der Sehnerv doppelt so, grosse Spannung entwickelt, als einer
der Muskeln, so ergiebt sich für die wirkliche Stellung: die Ge-
sammtanstrengung
Pı + Ps+Ps=10,25. pın,
für die erste Aingirte
Pı+P3+Ps=11,08. pm,
für»die,zweite fingirte
ulsiolk) Pı + Pa-++Ps=10,57.. pm.
Die zur Erhaltung der wirklich beobachteten Stellung erforder-
lichen Gesammtanstrengung „erscheint, ‚also. unter. diesen, Annahmen
231
in der That als ein Minimum, wenn die Richtung der Sehaxe
dieselbe bleiben soll und nur die Raddrehung veränderlich ge-
dacht wird. Eur, (1
"So plausibel äuch die hier gemachten Annahmen an sich sind,
so zeigt sich doch leider, dass sie mit den übrigen Grundlagen un-
serer Rechnung unvereinbar sind. Unter ihnen nämlich würde P3 in
den Gleichungen A einen negativen Werth bekommen, was offenbar
nicht sein darf. "Ich darf nicht verschweigen, dass man unter der
Bedingung P>0 über die Grössen p und n gar nicht so dispo-
niren’ kann, dass Pi # Ps 4 Ps für die 2. fingirte Stellung grösser
wird als für die wirklich beobachtete. Gleichwohl glaubte ich keines-
wegs in diesem unerwünschten Resultate einer eigentlich doch nur
beispielsweise durchgeführten Rechnung eine Widerlegung meines
a priori gewiss überaus’ 'Wwährscheinlichen Prineipes der Augenstel-
lungen‘ sehen zu müssen. Ich bin vielmehr der festen Ueberzeugung,
dass lediglich eine unglückliche Wahl der ursprünglich in die Rech-
hung eingeführten Zahlwerthe der Coordinaten der Muskelursprünge
und Ansätze daran schuld ist, dass das Resultat der Rechnung die
Hypothese nicht vollständig bestätigt. In dieser Ueberzeugung be-
&tärkten mich gerade ‘die numerischen Einzelheiten der ungünstigen
Resultate, die deshalb‘ hier noch kurz erwähnt werden mögen. Dis-
poniren wir über die Grössen p und n folgendermassen : Da der
rectus inferior länger, der’ obliquus stiperiör dünner ist als’ der rectus
internus, so dürfte pa und ps kleiner angenommen werden als pa.
Wir ‘wollen beispielsweise Pe == Pr und pp = p=0,7.p setzen. Es
intıks aledänn m mindestens =!>3,4 P Angenommen “werden, wenn der
Werth von Ps in keiner der'3' Stellungen <'0 werden soll. Setzen
wir n = = 3,4. pP 80 ergiebt sich"hier die wirkliche en an
na Pr,
fr die’erste fingirte 1 aanumo
19 pm,
für die zweite fingirte ’ ıldim oda
Be iin ola Bi4 PS+P=H, 33. pin Eee
wboiw ı j l a1 i Imawgı
232
| liold T 6} D
Stellen wir das Resultat gra-
‘phisch dar, wie. es: in beiste-
hender Figur geschehen ist.
‚ Die_ Abseissen . messen, die
Drehstellung, um, die festge-
: dachte $ehaxe , ‚ausgedrückt
durch, den obem mit, D:-be-
. zeichneten; Winkel. , Die Or-
dinaten bedeuten die Summe
der activen Anstrengungen,
welche zur ‚Erhaltung der
durch _die. zugehörige: Ab-
seisse charakterisirten Stel-
lung; ‚erforderlich ‚sind.; Die
Curye, deren Ordinaten so
die, Anstrengung als ‚F'unc-
' ja tion der Drehstellung dar-
Tnssyab--noranllosmct ade stellen, dürfte sich etwa ‚den
drei: berechneten Werthen zu-
folge ausnehmen, wie die ausgezoge 5 in.der Figur. Das hiesse also, unter
den (immerhin einigermassen willkürlichen) derRechnung. zu Grunde,ge-
legten Annahmen fällt die Stellung, minimaler Anstrengung nicht, genau
mit der wirklich beobachteten zusammen, Sie; wäre vielleicht;die durch
D.= 0 gegebene. _Es wird, nicht: geleugnet werden können, dass
kleine keineswegs ‚ausser dem Bereich der Möglichkeit liegende Ver-
änderungen der Grundannahmen unsere, Curve ein wenig,hätten, ver-
schieben können, so dass, sie,die Lage, der punktirten Linie in der
Figur bekommen hätte, welche sie nach unserem ‚kypothetischen
Prineipe haben müsste. _ yo&ı
Ich habe mich übrigens nicht a ee Mühe, ‚unterziehen
mögen, die Rechnung aufs Gerathewohl noch einige Male mit anderen |
Coordinatenwerthen der Muskelursprünge und Ansätze zu wieder-
233
holen, weil doch keine Garantie vorhanden ist, dass man sich in der
einen oder anderen Richtung den wahren Werthen mehr annähert.
Ich glaube übrigens, die vorstehende Betrachtung ist geeignet, den
scheinbaren Widerspruch der Rechnung gegen die aufgestellte Hypo-
these zu heben.
888
ob ui sloia.tmıa serb dei aobasılıov aiarısd onisd doob fiow ‚anlod
‚tuodiue lo madinoW usıdaw, mob gandoil ‚moreban ober
sah domgioog dei gautdanıtodl obmadelenor ‚sh sogindii odsishe
5 age sib nagog ee ob dawsgesobiW otedaisdoe
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Air wungehien,, wie äle muagteagp 2 in derFinur.Dunh Iso, unter
ion {im gechin einigermassen willkürlichan) der Rechorung‘ Age
I«gten Annaimen Sullk die Stellung minimaler |
mit der wirklich beobachteten zosnynen. Sic; wäre iel!eich
Dis ‚D.gegeben. „Er wird, sicht gelangust. werden. Kinmen, dass
‚laine keing wage ‚atssen lem. Barsich sier:Möglichkaft
‚nderungen, dag, Grwränmalmem anserg,Unree cin werigjhiiäen, Spa, |
hicben kömmein so das sie,.die Lunge An punktirten Einen der
Dir bekonmien hätte, welche sie anch, wisepam Er |
Prasipe haben mllaste.., Br 1. ”
Jah babe mich abeigpne wicht der ansich, Miu
0 Ale ich uung fe Gh
Vierten der 1%
nen
XIV.
Ueber die reducirenden Eigenschaften des Harns ERmLr
Menschen.
Von
Ernst Brücke*).
Man hat bisher allgemein angenommen, der Harn gesunder
Menschen enthalte keinen Zucker, weil er weder mit Hefe versetzt
die Alkoholgährung eingeht, noch die Polarisationsebene dreht, noch
bei der Trommer’schen Zuckerprobe einen rothen oder gelben
Niederschlag von Kupferoxydul oder Oxydulhydrat hervorbringt.
Durch die Gährung oder den Polarisationsapparat kann man be-
kanntlich nur einigermassen bedeutende Mengen von Zucker nach-
weisen, sehr kleine durfte man nur noch durch die Trommer’sche
Probe zu entdecken hoffen; der ‘Schluss also, dass im Harn gesunder
Menschen gar kein Zucker sei, stützte sich wesentlich auf das nega-
tive Resultat der letzteren.
"Man hat aber auch verschiedene ‘andere Mittel 'empfohlen, um
kleine Mengen von Zucker im Harn zu entdecken. Da sich Trauben:
zucker mit Kali bräunt, so hat Heller vorgeschlagen, den zu’ unter-
suchenden Urin mit Aetzkali zu versetzen und dann zu erwärmen.
Wenn’ er sich bräunt, schliesst‘ man auf Zucker. Stellt man diesen
Versuch. mit dem Urin gesunder Menschen an, so wird man bemerken,
dass es kaum einen solchen giebt, der sich nieht etwas bräunte.
„*) Aus dem XXVIII. Bande der Sitzungsberichte, der mathematisch-naturwissen-
schaftlichen Klasse der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften vom Herrn
Verfasser mitgetheilt.
236
Um sich hiervon zu überzeugen, füllt man ein Reagirglas mit
Urin und Aetzkali- oder Aetznatronlösung, mischt durch Umgiessen
in ein anderes gleich weites Reagirglas und theilt die Flüssigkeit
dann so ein, dass sich die Hälfte in dem einen, die andere Hälfte in
dem andern Glase befindet.
Man erwärmt sofort das eine langsam, etwa bis sich die ersten
Zeichen des beginnenden Siedens einstellen, und vergleicht es dann
mit, dem>anderen; man wird |stets, finden, ‚dass' es: intensiver. gefärbt
ist. Um sich zu überzeugen, dass;der Farbenunterschied nicht etwa
von der Temperatur abhängt, kühlt man das Glas in Wasser. Die
Differenz nimmt nicht ab; sie bleibt sich gleich oder nimmt noch zu.
Diese Differenz ist freilich nicht der Art wie beim Diabetischen,
dessen Urin aus blassem Strohgelb in tiefes Braun übergeht, aber sie
ist immerhin merklich und oft bedeutend.
Prof. Böttger hat in neuerer Zeit eine Zuckerprobe ‚vorge-
schlagen, welche: darin besteht, dass man die; zu untersuchende Flüs-
sigkeit mit Kali ‚versetzt, basisch salpetersaures Wismuthoxyd hinzu-
mischt und kocht, Ist Zucker, darin,, so oxydirt‘ sich ‚dieser unter
dem Einfluss des Kali und reducirt dabei das, weisse Wismuthsalz | |
zu schwarzem. Wismuthpulver.
Wenn. man.diese ‘Probe mit/dem Urine ganz gesunder Vengebet
anstellt, so: wird. man. wiederum kaum jemals ‚einen, solchen, finden, |
bei dem sich das Wismuthsalz nicht mehr oder, weniger dunkel: färbte,
besonders’ wenn \manı das Erwärmen (nicht zw. kurze Zeit fortsetzt
und!.die Probe,.auch noch eine Weile’ nachher beobachtet, indem ‚sich
aus ‚der, Flüssigkeit beim Erkalten. oft, langsam. ‚schwarzes Wismuth
herabsenkt.
Die Flüssigkeit. selbst erscheint dabei dunkler, fast wie Rauch“
topas, und auf: dem‘ grauen‘ Bodensatze ‚lagert‘ sich "nach "und nach
eine.“dünie, sammitschwar ze Schicht ab; se @ b
Man könnte glauben, die Schwärzung rühre von Schwefelver-
bindımgen im 'Urin her, welche den Schwefel im! unoxydirten Zu-|
stande enthalten.
237
Man kann sich in jedem. einzelnen Falle durch einen: leichten
Gegenversuch überzeugen, ob dies der Fall sei. Man mische zu dem
mit Kali versetzten Urine statt des 'Wismuthsalzes etwas Mennige
oder feingepulverte Bleiglätte und koche dann. Man wird finden, dass
sich in der Regel, wenn kein Eiweiss zugegen ist, die Flüssigkeit
nicht schwärzt und sich keine Flocken von Schwefelblei abscheiden.
Die Sehwärzung des Wismuthsalzes rührt‘ also nicht von Schwefel-
wismuth, sondern von Wismuthmetall her.
"Wenn aber hier eine Reduction stattfindet, warum reducirt dann
der Harn gesunder Menschen bei der bekannten Trommer’schen
Zuckerprobe nicht auch Kupferoxyd zu Kupferoxydul? Die Antwort
auf diese Frage lautet, dass eine: solche Reduction: in der That statt-
findet, dass nur kein rother Niederschlag entsteht, weil die Fällung
des Oxyduls durch einen andern Körper verhindert: wird.
Um sich hiervon zu überzeugen, stelle man folgenden Versuch
an. Man versetze ‚den Urin eines’ gesunden Menschen mit Kali und
füge dann so viel: von einer verdünnten Kupfervitriellösung hinzu,
dass die Flüssigkeit deutlich blau oder. blaugriün. gefärbt ist, nicht
mehr; dann erwärme man. Man wird bemerken, dass: die blaue oder
blaugrüne Farbe verschwindet und der gelben. ‚oder, braunen Platz
macht. ‚Nun giesse man die Hälfte der Flüssigkeit in- eine Abrauch-
‚ sehale und schwinge sie darin herum, «s0 dass ‚sie rasch Sauerstoff
aus, der Inutt absorbiren kann, und ıman-wird bemerken, dass sie sich
mehr und mehr grün färbt. Um die Grösse der. Farbenveränderung
zu beurtheilen, giesst man. die Flüssigkeit wieder in. ein, Reagirglas
und' vergleicht sie mit der. anderen Hälfte der Probe; diese ist nach
wie vor gelb, wenn man. sie aber längere, Zeit au der Juft stehen
lässt, 80 färbt sie sich erst. oberflächlich und endlich m dex. ganzen
Masse grün. Die Ursache dieser Erscheinung ist, wie Jeder leicht
einsehen wird, die, dass, eine Oxydullösung sich zu ‚Oxydlösung
oxydint, diese letztere ist an sich blau und giebt mit dem. dureh, die
Einwirkung des Kali vertieften Gelb des Harns ‚grün.
Wenn der Harn mit Kali erwärmt, wird, so zeigt; schon‘ der
Geruch, dass sich Ammoniak entwickelt, und, ein mit. Salzsäure. be-
238
feuchteter Glasstab giebt,‘ in die Oeffnung des: Reagirglases einge-
senkt, dieken Salmiaknebel. ' Es liegt also nahe, 'anzunehmen, dass
das im Harn fertig gebildete und das durch Einwirkung von’ Kali
auf andere Substanzen erzeugte Ammoniak das Oxydul in Lösung
erhält. Wenn man zu ‚einer verdünnten Kalilösung weing ' Zucker
und eine: ziemliche Menge Ammoniak hinzusetzt-und:' die Flüssigkeit
durch Zusatz. von einigen Tropfen Kupfervitriollösung‘ bläut, ‘so
kann man sie durch Erwärmen entfärben, ohne’ dass sich Oxydul
ausscheidet, und lässt man dann die farblose oder vielmehr
schwach gelbliche Flüssigkeit Sauerstoff absorbiren, so färbt sie sich
wieder blau.
Es zeigt dies zunächst, dass das negative ‚Resultat der Trom-
mer’schen Probe uns nicht berechtigt, das Nichtvorhandensein von
Zucker im Urin zu behaupten. |
Auch ‘wenn die Ausscheidung von Oxydul‘ oder Oxydulhydrat
nicht ganz ausbleibt, können die übrigen Bestandtheile des Harns
doch das Aussehen der: Probe beträchtlich verändern.
Oft stösst man auf Harn, der sich bei der Trommer’schen
Probe mehr oder weniger stark trübt, aber weder das rothe Sediment
von Kupferoxydul, noch das schön ‘gelbe ‘von’ Oxydulhydrat giebt.
Die Trübung ist gleichmässig durch die ganze Masse verbreitet und
diese bietet bald ein grünlich-graues, bald'ein lehmfarbenes, bald ein
schmutzig-gelbes Ansehen dar. "Während von ‘der Oberfläche mehr
oder weniger von einem grünlichen Lichte zerstreut wird, erscheint
die Flüssigkeit im durchfallenden Strahle in der Regel gelb. Da diese
Erscheinungen weder die gewöhnlichen der mit Erfolg angestellten
Zuekerprobe, noch die des normalen Urins‘sind, so. findet‘ man
sie mitunter als’ zweifelhaftes Resultat‘ "der Trommer’schen
Probe eitirt.
Ich habe sie in allen ihren Abstufungen' hervorgebracht, indem
ich verschiedenen Proben von normalem Urin kleine Mengen von
diabetischem hinzusetzte.
"Es stellt sich nun. die‘ weitere Frage, ob die Fe Sub-
stanz des normalen Urins Zucker sei:
239
Die tiefere Färbung, welche der. Urin, dureh, Kochen mit Kali
annimmt, kann für sich allein, wohl {nicht als ausreichender Beweis
dafür angesehen werden und eben so, wenig, möchte,)ich mir "nach
dem Geruche der, mitKali gekochten Flüssigkeit ein Urtheil zutrauen.
Andererseits müssen ‚wir zugeben, ‚dass, .das „Vorkommen. kleiner
Mengen, von. Zucker, im Urin keineswegs unwahrscheinlich ‚ist,, ja
wir kennen jetzt.zweierlei Quellen, aus denen er, möglicher. "Weise,
herstammen kann. ‚Erstens kann er fertig gebildet aus dem Blute in
den Urin übergehen ‚und zweitens könnte 'er. vielleicht im. Harne
selbst; durch langsame, ‚Zersetzung, ‚aus Herrn Edward Schunck’s
indigobildender Substanz ‚entstehen *).., In.der., That begegnen wir
in, der Literatur einer Menge von, Angaben, nach denen Zucker im
Harn enthalten war nicht nur ‚bei. diabetischen,, sondern. auch‘ bei
anderen Individuen nach Resorption einer reichlichen | Mahlzeit, nach
einem epileptischen Anfalle, nach Chloroform- oder Aether-Narkose
während: der Schwangerschaft, während .des .‚Säugens ‚oder nach
Unterdrückung der Milchseeretion .ete.; aber eben ‚so oft ist auch
diesen Angaben widersprochen worden und die ‚Fragen ‚sind unent-
schieden geblieben, meistens weil, wie wir oben. gesehen haben, die
Beweismittel, welche man auf, ‚beiden. Seiten in ‚Händen hielt, kein
volles Vertrauen verdienten. "Besonders erwähnen ‚will ich. hier den
*) Man, erhält. dieselbe an Bleioxyd gebunden nach Herm Schunck’s Vorschrift,
wenn man, den mit basisch-essigsauremBlei rein ausgefällten und filtrirten Harn
mit Ammoniak versetzt und den dadurch entstehenden Niederschlag auf dem
Filtrum sammelt, Zersetzte ich diesen Niederschlag mit Salzsäure, welche
220 Grammen OlH im Litre enthielt, so. setzte sich auf: der vom Chlorblei
abfiltrirten dunkel gefärbten Flüssigkeit ein Häutchen von Indigo ab, ganz so,
wie es Herr Schunck beschreibt; wenn ich aber den Niederschlag mit einer
kalten verdünnten, Lösung von Oxalskure‘'zersetzte, 50 'erhielt ich eine selr
blassgelbe Flüssigkeit, die gleich frisch untersucht, ' Zuckerreactionen gab,
d. h. sie färbte sich mit Kali dunkler gelb, sehwärzte das basisch-salpetersaure
Wismuthoxyd und reducirte aus Kupferlösungen in der Wärme eine kleine
Menge schön rothen Oxyduls, , Wurde ‘dagegen der Niederschlag in Wasser
aufgeschlemmt und mittelst, Schwefelwasserstoffgas zersetzt, so, liess sich vom
Schwefelblei eine ganz farblose Flüssigkeit abfiltriren, die sich beim Concen-
triren auf dem Wasserbade, grau-röthlich, fast violet färkte und in diesem Zu-
stande reichliche Mengen von Kupferoxyd redueirte,
240
Streit, der in neuerer'Zeit'zwischen den Herren’Blot und Leconte
vor‘der Pariser’ Akademie geführt wurde.
Am6. October 1856 theilte Herr Blot der Akademie mit, dass
der Urin vieler Schwangeren und aller Säugenden vom Beginne der
Milchsecretion an Zucker enthalte. Er habe sich hiervon überzeugt,
1) durch die Reductionsprobe mittelst des liqueur eupropotassique,
2) durch die Bräunung mit Kali, 3) durch Gährung , &) durch den
Polarisations-Apparat. Er gab sogar an, dass er in einem Falle
8 Grammen Zueker in 1000 Grammen Urin gefunden habe.
Dagegen erklärte am 29. Juni 1857 Herr Leeonte in Rück-
sicht auf diese Mittheilung, dass es ihm niemals gelungen sei, Alko-
holgährung einzuleiten, und dass die Kupferreduction nicht von Zucker
herrühre, sondern’ von verschiedenen Substanzen, zumeist von Harn-
säure, die'im Urine der Säugenden in besonders reichlicher Menge
enthalten sei. In der That machte auch bald darauf Herr N.'J. Ber-
lin bekannt, dass die Fehling’sche Flüssigkeit beim Kochen mit
etwas Harnsäure 'einen erst gelben, dann rothbraunen: Niederschlag
gebe*). Dennoch ist die Frage durch Herm Leconte keineswegs
endgültig entschieden. Es ist allerdings beachtenswerth, dass es ihm
nie’gelang, Alkohelgährung einzuleiten, aber selbst wenn dies unmög-
lich’ wäre ‚so würde’ dadurch nur die Abwesenheit verhältnissmässig
grosser Mengen von Zucker erwiesen sein. Die übrigen Versuche,
welche Herr Leeonte für die Richtigkeit seiner Ansicht und gegen
Herrn Blot anführt, scheinen mir ihrer Natur nach nicht beweisend
zu sein.
Die Harnsäure wirkt zwar auf die Fehling’sche Flüssigkeit,
aber sie reducirt das basisch-salpetersaure Wismuthoxyd. nicht und
bräunt sich auch nicht mit Kali, während doch Herr Blot ausdrück-
lich angegeben hatte, dass dies letztere mit dem Urin der Schwan-
geren und Säugenden der Fall sei.
Um. die gänzliche Abwesenheit des Zuekers im Harn der Säu-
genden zu beweisen, füllte Herr Leconte den Urin mit neutralem
*) Chemisches Centralblatt, ‘7. Oct. 1857, (Aus dem Journal für prakt, Chemie
Bd. 71, 8. 184.)
241
essigsaurem Bleioxyd, die abfiltrirte Flüssigkeit reducirte noch, er
versetzte sie deshalb mit Ammoniak und filtrirte wieder, das Filtrat
gab bei der Reduetionsprobe kein Oxydul und eben so wenig die
durch Zersetzen des Niederschlages' mittelst Schwefelwasserstoff er-
haltene ‘Flüssigkeit. Es muss’ hier sogleich erwähnt werden, dass
wenig Sicherheit vorhanden war, kleine Mengen von’Zucker in einer
ammoniakreichen Flüssigkeit mittelst der herkömmlichen Reductions-
probe (Herr Leconte bediente sich einer vorher zubereiteten alka-
lischen Kupferlösung als Probeflüssigkeit) aufzufinden; aber selbst
angenommen, es sei weder in der Flüssigkeit noch im Niederschlage
Zucker gewesen, so macht sich Herr Leconte selbst den Einwand,
dass sich derselbe in Folge der Einwirkung des Ammoniaks zersetzt
haben konnte. Er schlägt deshalb noch einen zweiten Weg ein.
Er versetzt 4 Litre stark sauren Urin einer Säugenden mit Essig-
säure und dampft sie bis auf %/s ihres ursprünglichen Volums ein,
versezt dann mit Alkohol von 380, filtrirt vom Präcipitat ab, verjagt
den Alkohol und probirt mittelst der Kupferlösung. Er erhielt nur
„une reduction insignifiante beaucoup plus faible que celle de lurine*.
Da dieses Verfahren auch von Anderen für ganz sicher gehalten
wird, so habe ich es näher geprüft. Ich setzte zu dem Urin eines
gesunden Mannes so viel von dem eines diabetischen, dass bei der
Trommer’schen Probe eine ziemlich reichliche Ausscheidung von sehr
fein vertheiltem, sich schlecht absetzendem Oxydulhydrat erfolgte.
Dann verfuhr ich nach Herrn Leconte’s Vorschrift. Beim Probiren
des Rückstandes der alkoholischen Lösung erhielt ich während des
Erwärmens kein Oxydul,, erst am andern Tage hatte sich aus einer
\ der Proben solches abgesetzt. Nichts desto weniger war dieser Rück-
' stand stark reducirend; er schwärzte basisch salpetersaures Wis-
muthoxyd vollständig und entfärbte beträchtliche Mengen einer ver-
dünnten Lösung von schwefelsaurem Kupferoxyd ; zugleich aber ent-
| wickelte sich ein stechender Geruch nach Ammoniak, welches die
Ausscheidung des gebildeten Oxyduls verhinderte. Das Vorhanden-
‚ sein desselben wurde durch Reoxydation an der atmosphärischen.
‚ Luft bewiesen. Dies Verfahren leistet also für die Auffindung klei-
| Moleschott, Untersuchuugen, Y. 17
242
nerer Mengen von Zucker keineswegs das, was man von ihm er-
wartet hat.
Ich untersuchte nun ohne Zusatz. von diabetischem 'Urin noch
den Harn eines erwachsenen Mannes, eines Knaben von 8 und eines
Knaben von 4 Jahren auf demselben Wege und fand, dass der er-
wähnte Rückstand in allen drei Fällen basisch salpetersaures Wis-
muthoxyd redueirte und kleine Mengen von Kupferlösung entfärbte,
ohne dass jedoch Oxydul in Pulverform ausgeschieden worden wäre.
XV.
Ueber das Vorkommen von Zucker im Urin gesunder Meuschen.
Von
Ernst Brücke *).
Vor einiger Zeit habe ich darauf aufmerksam gemacht, dass der
Urin gesunder Menschen sich mit Kali gekocht tiefer gelb färbt, und
kleine Mengen von Wismuthoxyd und Kupferoxyd reducirt. Ich
musste es aber zweifelhaft lassen, ob diese Erscheinungen von Zucker
herrühren, weil es mir noch nicht gelungen war, denselben nach einer
der Metlıoden, die zu seiner Abscheidung aus dem diabetischen Urin
vorgeschrieben sind, auch aus dem gesunden darzustellen. Seitdem
habe ich einen wesentlichen Fortschritt gemacht, indem ich Zucker-
Kalı aus dem Urin gesunder Individuen abschied.
Ich erhielt es zuerst aus Urin, den ich bei gewöhnlicher Tempe-
ratur in flachen Schalen in der Zugluft eines schlecht schliessenden
Fensters eingedunstet hatte. Es wurde erkannt:
1) Daran, dass die gelbliche Lösung, welche die farblos erschei-
nende Substanz mit destilirtem Wasser gab, sich mit Kali gekocht
tief bernsteingelb färbte und den Geruch nach Melasse verbreitete.
2) Dass dieselbe Lösung mit Kali und einer verdünnten Kupfer-
vitriollösung gekocht schön rothes Kupferoxydul abschied.
3) Dass sie mit Kali und basisch salpetersaurem Wismuthoxyd ge-
kocht das letztere durch Reduction schwärzte.
*) Aus dem XXIX. Bande der Sitzungsberichte der mathematisch-naturwissen-
schaftlichen Classe der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften vom Herrn
Verfasser mitgetheilt.
17*
244
Ich war indessen mit diesem Erfolge nicht zufrieden. Es war
durch denselben noch nicht bewiesen, dass im frisch gelassenen Harn
Zucker fertig gebildet vorhanden sei.
Nach den Versuchen des Herrn Edward Schunk *), kommt im
Urin in wechselnder Menge ein Körper vor, der unter Einwirkung
selbst schwacher Säuren, in Zucker und Indigoblau (eventuell Indig-
roth, Anthranilsäure ete.) zerfällt. Er vergleicht diesen Körper dem in
der Isatis tinctoria enthaltenen Indican, das so leicht zersetzbar ist, dass
Herr Schunk einen eigenen Apparat construiren musste**), um die
Lösung möglichst rasch bei gewöhnlicher Temperatur einzudunsten.
Es war also möglich, dass sich Zucker erst während des frei-
willigen Verdunstens gebildet hatte.. Mein Bestreben war deshalb
darauf ‚gerichtet, das Zuckerkali, direet aus. dem frischgelassenen Harn
abzuscheiden, und dies ist mir in der That gelungen. Ich habe nach
einander den Harn von neun gesunden männlichen Individuen (sie-
ben Erwachsenen und zwei Knaben) in Arbeit genommen, und in
jedem konnte, ich Zucker nachweisen. Derselbe war darin in sehr
verschiedener Menge enthalten, aber obgleich ich den Harn einiger Indi-
viduen. mehrmals untersucht habe, so sind meine Versuche doch. nicht
zahlreich genug, dass ich angeben könnte, unter welchen Umständen
mehr, unter welchen weniger Zucker gefunden wird, wenn, man auch
im vorhinein vermuthen kann, dass die Qualität und Quantität der
eingenommenen Nahrung hier einen ähnlichen Einfluss wie auf den
Zuckergehalt des Blutes ausübt.
Ich will. deshalb nur noch meinVerfahren beschreiben; da dasselbe
weder grossen Aufwand an Zeit noch besondere Geschicklichkeit ver-
langt, so wird es gewiss bald dazu benutzt werden, der Zucker-
ausscheidung des gesunden und kranken Organismus weiter nach-
zuforschen.
Zuerst versetze ich den Urin mit so viel starkem Weingeist,
dass in der Flüssigkeit etwa %s absoluten Alkohols enthalten sind.
*) On the oceurrence of indigo-blue in urine. Mem. of the. litterary ‚and phi-
losophieal Society of’ Manchester. 7. April 1857.
*#) Ibid. 15. April 1856.
245
Der Weingeist muss stark sein, damit man nicht zuviel Flüssigkeit
bekommt. Ich bediene mich eines solchen, der 94.3 bis 94.4 Volum-
procente eines Alkohols von 0.7951 Dichte bei 12° Reaumur enthält
und füge davon 54 Kubikcentimeter zu je 10 Kubikcentimetern Harn.
Dabei nehme ich gewöhnlich 200 Kubikcentimeter Harn in Arbeit,
aber auch wo mir nur 50 Kubikeentimeter zu Gebote standen, konnte
ieh noch Zucker nachweisen. Nachdem gemischt ist, warte ich kurze
Zeit, bis der entstehende Niederschlag sich zusammenballt und senkt
und filtrire dann in ein Becherglas. Zu dem Filtrat füge ich tropfen-
weise unter stetem Umrühren nur soviel von einer alkoholischen
Kalilösung, dass ein Tropfen der Flüssigkeit auf ein kunstgerecht
bereitetes rothes Lakmuspapier geworfen dasselbe eben deutlich und
entschieden bläut; dann bringe ich das ganze wohlbedeckt in ein
kaltes Zimmer und Isse es daselbst 24 Stunden stehen.
Am anderen Tage giesse man die Flüssigkeit vorsichtig aus
und stürze das Becherglas auf Filtrirpapier um, damit dasselbe den
Rest rasch aufsauge.
Wenn das Filtrirpapier nichts mehr aufnimmt, so richtet man
das Becherglas wieder auf und lässt es stehen bis kein entschiedener
Alkoholgeruch mehr vorhanden ist. Man wird hierbei bemerken,
dass der Boden und zum Theil auch die Wände des Glases mit
einem krystallinischen Ueberzuge bedeckt sind. Diesen löst man in
so viel kaltem destillirten Wasser auf, wie man eben nöthig hat, um
die obenerwähnten drei Proben anzustellen. Nach meinen bisherigen
Erfahrungen enthält der Beschlag am meisten Zuckerkali, wenn er
schön büschelförmig krystallinisch ist, so dass die Wand des Becher-
glases wie eine leicht überfrorene Fensterscheibe aussieht, während
grob körnige oder drusige Massen, die sich bisweilen finden, anderen
gleichzeitig ausgeschiedenen Substanzen angehören.
Einmal erhielt ich aus meinem Morgenurin eine dicke grobkör-
nige sich leicht ablösende Kruste, aber sie enthielt nur wenig Zucker;
ein anderes Mal erhielt ich aus meinem Nachmittagsurin einen dün-
nen Beschlag, der der Glaswand genau das Ansehen einer überfro-
renen Fensterscheibe gab und aus lauter festanliegenden, zierlich ge-
246
bogenen, palmzweigartigen Krystallbüscheln bestand. Dieser enthielt
sehr viel Zucker. Aehnliches habe ich in anderen Fällen beobachtet.
Was endlich die Proben selbst anlangt, so kann man sich hier
zunächst der Trommer’schen Probe bedienen, ‚denn einerseits habe
ich ‚mittelst,.der Murexidprobe niemals Harnsäure in dem Beschlage
finden können, andererseits ist manı hier der Ammoniak bildenden
Substanzen grösstentheils ledig. _Da dies indessen nicht vollständig
der Fall ist, so darf man sich mit der Trommer’schen Probe nicht
allein begnügen; es ist mir vorgekommen, dass sich das Oxydul oder
Oxydulhydrat erst nach längerem Stehen ausschied, und einmal bil-
dete sich beim Erwärmen nur ein, geringer blassblaugrüner. Nieder-
schlag, der durch Kochen nicht mehr verändert wurde, während .die
gleich darauf angestellte Kaliprobe durch die schön bernsteingelbe
Farbe, welche die Flüssigkeit annahm, zeigte, dass auch dieser Urin
nicht frei von Zucker gewesen war. Vorbereiteter Probeflüssigkeiten
bediene ich mich nicht, weil sie eine für unseren Zweck überflüssige
Complication bilden und allerlei Zufälligkeiten ausgesetzt sind. Ich
füge, nachdem ich mit Kalilösung versetzt habe, eine sehr ver-
dünnte Kupfervitriollösung tropfenweise so lange hinzu, als sich die
gebildete Trübung noch durch Umschütteln wieder auflöst, und er-
wärme dann.
In Rücksicht auf die Wismuthprobe rathe ich namentlich hin-
reichend lange zu kochen. Es entwickelt sich beim Erwärmen viel
Gas bei einer Temperatur, die weit unter dem Siedpunkte liegt und
bei der die Reduction des Wismuthsalzes nicht, ‘oder doch nicht so-
fort, von Statten geht. Hierdurch darf man sich nicht täuschen las-
sen. Ich entferne von Zeit zu Zeit das Reagirglas von der Flamme,
und wenn sich dann beim Wiederannähern die ersten Zeichen des
Stossens bemerklich machen, so sagt mir dies, dass die Flüssigkeit
grösstentheils von ihrem Gasgehalt befreit und somit lange genug
auf dem wahren Siedpunkt erwärmt gewesen ist.
Was endlich die Kaliprobe anlangt, so ist sie in Rücksicht auf
die Färbung keinerlei Zufälligkeiten ausgesetzt und hier, wo man es
mit einer wenig gefärbten Flüssigkeit zu thun hat, immer sehr em-
247
pfindlich; dagegen wird der Geruch meistens durch Nebengerüche
verdeckt oder kommt wegen zu geringen Zuckergehaltes nicht ge-
hörig zur Entwicklung. In solchen Fällen habe ich manchmal den
von Heller bei Beschreibung der Kaliprobe *) empfohlenen Zusatz
von Salpetersäure nützlich gefunden; der Geruch wird zwar dadurch
verändert, aber er ist auch jetzt in seiner Art charakteristisch und
intensiver.
Der Leser möge. entschuldigen, dass ich ein an sich einfaches
Verfahren so weitschweifig beschrieben habe; Ausführlichkeit war
hier nothwendig. Da der Zucker im gesunden Urin bisher so viel-
fältig vergeblich gesucht war, wird es manchen befremden zu hören,
dass er nun unmittelbar, ohne vorhergehende Concentration aus dem
frischen Urin abgeschieden worden ist, und zwar in einer Verbindung,
deren Darstellung man seit vielen Jahren in allen Lehrbüchern zur
Isolirung des Zuckers und als Hilfsmittel bei der Harnzuckerprobe
empfiehlt. Ich hatte deshaib die Beschreibung meines Verfahrens
so einzurichten, dass jeder mit Sicherheit darnach arbeiten kann, in-
dem ich sonst fürchten musste, durch meine Publication Anderen
vergebliche Arbeit zu machen und zu unnützen Discussionen Ver-
anlassung zu geben.
*) Archiv für phys. und pathol. Chemie und Mikroskopie; red. v. Heller
J. 1844.
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grösuien innile we Ahrem- Glamgeehait befreit und’ .sornit age Kern
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Was en )Niolı de Hnlieruhe aulangt;,..ao. inl-aie im
deliiebuny <<: ızrins Suhhkligitnidene Be. wu Se. a
zig able an rc (arbteen Fliigkait wu hun It. kgaie Behr aug-
xXVI
Ueber reine und nasalirte Vocale.
Von \
Professor Johann Gzermak.
(Aus dem XXVIII, Bande, Nr. 6, Seite 575 des Jahrganges 1858 der Sitzungs-
berichte der mathem.-naturw. Classe der kais. Akademie der Wissenschaften vom
Herrn Verfasser mitgetheilt.)
Hr. Prof. Kudelka bezweifelte in seiner neuesten Abhandlung *)
die schon von Kempelen richtig erkannte, von Brücke u. A. be-
wiesene allgemeine Regel, dass die Gaumenklappe bei den reinen
Vocalen luftdicht geschlossen ist. Auch meine neueren Ermittelungen
„über das Verhalten des weichen Gaumens beim Hervorbringen der
reinen Vocale“ **) haben ihn nicht eines Besseren belehrt, da sie die
Existenz jener Regel, wie natürlich, als etwas allgemein Anerkanntes
voraussetzen, und die Fühlhebelversuche in der That nicht geeignet
sind und auch nicht zu diesem Zwecke angestellt wurden, das Vor-
handensein eines Juftdiehten Gaumenverschlusses zu erweisen, wäh-
rend die Wasserinjeetionen, welche Hr. Kudelka übrigens bequem
findet, ganz zu ignoriren, die fraglichen Theile — wie ich selbst an-
gedeutet habe ***) — unter etwas unnatürliche Verhältnisse setzen.
Da Hr. Kudelka keine Thatsache, sondern nur ein unbrauch-
bares Experiment 7) zur Widerlegung der alten richtigen Ansicht und
zur Unterstützung seines Irrthums beibringt, so könnte sein Zweifeln
an einer längst feststehenden Sache füglich unberücksichtigt bleiben;
°) „Ueber H. Dr. Brücke’s Lautsystem“, Bd. XXVIII, 1858,
**) Sitzungsber. Bd, XXIV, pag. 4. 1857.
#89) L. c. pag. 6.
+) 8. dessen kritische Beleuchtung in Brücke’s „Nachschrift« zu Kudelka's
Abhandlung, pag. 91.
250
allein Brücke hat vollkommen Recht, wenn er meint, „dass man
den Hunderten, welche sich in unserem Zeitalter mit den Sprachlau-
ten befassen, ja gelegentlich über die Entstehung derselben schreiben,
den Weg zeigen solle, durch einfache Versuche und leichte Kunst-
griffe sich selbst eine Ueberzeugung zu verschaffen....., damit im
Gebiete der Lautlehre nicht immer von Neuem ÜControversen auftau-
chen, welche man längst für beseitigt halten sollte, *
Dies die Veranlassung, wenn ich im Folgenden, behufs der Ent-
scheidung der Frage, ob in einem gegebenen Falle Luft durch die
Nase ausströmt, d. h. die Gaumenklappe offen ist oder nicht, ein
solches leichtes. und einfaches Experiment empfehle, obschon es an
sich als eine volksthümliche Probe zur Constatirung des eingetretenen
Todes allgemein bekannt ist.
Das Experiment ist in der That so trivial und naheliegend, dass
ich Bedenken tragen würde, damit vor die Oeffentlichkeit zu treten,
wenn es nicht, trotz seiner Trivialität ein unübertrefliches Mittel
wäre, die immer wiederkehrenden Zweifel über die Betheiligung des
Nasenverschlusses beim Hervorbringen der reinen Vocale ein für
allemal zu erledigen und zu beseitigen.
Um zu erfahren, ob beim Hervorbringen irgend eines Lautes
Luft aus der Nase strömt oder nicht, halte ich nämlich einfach einen
gewöhnlichen kleinen Handspiegel oder eine polirte Metallplatte,
z. B. eine breite Messerklinge, in horizontaler Richtung unter die
Nasenlöcher und beobachte, ob sich die blanke Oberfläche beschlägt
oder nicht.
Die leiseste Spur eines Lufthauches macht sich auf dem kalten
Glase oder Metall sofort durch niedergeschlagenen Wasserdampf be-
merklich.
Diese Probe lässt an Empfindlichkeit, welche überdies durch
Veränderung der Temperatur des Spiegels nach Belieben regulirt
werden kann, nichts zu wünschen übrig, ‚und übertrifft auch an Be-
quemlichkeit Brücke’s Versuch mit dem brennenden Wachsstock *)
bei weitem.
*) Grundzüge d. Phys. u. Syst. d. Sprachlaute, pag. 28.
251
Es kann sich nun Jedermann, der etwa noch zweifeln könnte,
überzeugen, dass während des regelrechten‘ Hervorbringens der reinen
Vocale keine Luft aus der Nase hervorströmt, und dass somit die
Gaumenklappe bei der Bildung der Vocale ohne Nasenton factisch
geschlossen ist.
Um den Versuch recht sicher anzustellen , bringe man die mög-
lichst rem intendirten Vocale continuirlich hervor, und schiebe den
Spiegel erst dann unter die Nase, nachdem der Laut schon zu tönen
angefangen, entferne ‘jedoch den Spiegel, bevor der Laut zu tönen
aufgehört. Der Spiegel bleibt vollkommen blank und unbehaucht,
während reine Vocale hervorgebracht werden.
So wie man den Vocalen den Nasenton beigiebt, zeigt ein reich-
licher Niederschlag von Wasserdämpfen auf dem Spiegel sofort das
starke Ausströmen der Luft. durch die Nase und das Geöffnetsein
der Gaumenklappe an.
Hiernach könnte man geneigt sein zu vermuthen, dass reine und
nasalirte Vocale sich bloss dadurch unterscheiden möchten, dass bei
den ersteren die Luft durch den Mund allein, bei letzteren durch
Mund und Nase zugleich ausströme.
Diese Vermuthung wäre jedoch unrichtig, denn Brücke sagt
schon in seinen „Grundzügen etc.“ pag. 28: „dass es sich von selbst
verstehe, dass nicht der Ausfluss der Luft aus der Nase als solcher
den Nasenton hervorbringe, sondern die Schwingungen der Luft in
der Nasenhöhble. *
Die Luft in der Nasenhöhle wird aber nur dann in merkliche
Schwingungen versetzt, wenn die Menge der durch die Nase ausströ-
menden Luft die durch die Stellung der hinreichend geöffneten Gau-
menklappe in einem bestimmten Verhältniss steht zu jenem Luft-
atrome, welcher seinen Weg durch den Mund nimmt.
Deshalb nasalirte auch das von Brücke*) mit gewohntem
Scharfsinne untersuchte Mädchen, dem das Gaumensegel durch
Syphilis vollständig zerstört worden war, zwar alle Vocale, „aber
*) „Nachschrift zu H Prof. Kudelka’s Abhandluug ete“ pag. 91.
252
keineswegs „alle so stark, wie sie ein Gesunder zu nasaliren im
Stande ist. Der Grund hiervon lag aber in dem Mangel des Gau-
mensegels, das bei uns, wenn es die Rachennasenöffnung nicht ver-
schliesst, herabhängt und so den Weg, welcher der Luft gegen die
Mundhöhle hin offen steht, beschränkt.“
Nach dem Gesagten darf es uns daher nieht Wunder nehmen,
dass die Vocale selbst dann noch keinen sehr auffallenden Nasenton
erhalten, wenn man die Gaumenklappe mit Absicht ein klein wenig
öffnet, so dass sich der Spiegel, der in dieser Beziehung das Ohr an
Empfindlichkeit bei weitem übertrifft, schon zu beschlagen anfängt,
oder, dass manche Menschen, die aus Unachtsamkeit, Bequemlichkeit,
übler Angewöhnung oder regelwidriger Beschaffenheit der Sprach-
organe, unabsichtlich die Gaumenklappe nicht absolut luftdicht schlies-
sen — was die Spiegelprobe augenblicklich anzeigt — doch nicht
nothwendig eine merklich näselnde Aussprache zu haben brauchen.
Uebrigens tritt bei sonst normalen Sprachorganen der zuletzt
erwähnte ausnahmsweise Umstand am leichtesten hinsichtlich des @
ein, wasim besten Einklang steht mit der von mir zuerst experimen-
tell ermittelten Thatsache, dass der mit der geringsten Hebung des
Gaumensegels bewerkstelligte Nasenverschluss für @, auch viel weni-
ger fest und innig ist als bei den übrigen Vocalen*).
Aber selbst dann, wenn diese Unvollkommenheit häufiger vorkom- |
men sollte, könnte sie die feststehende allgemeine Regel, dass die
reinen Vocale mit luftdieht geschlossener Gaumen -
klappe gebildet werden, nicht umstossen oder beeinträchtigen,
da — sobald ausnahmsweise der Verschluss ‚nicht absolut luftdicht
ausfällt — bei der übermässigen Emfindlichkeit, deren die von mir
empfohlene Spiegelprobe fähig ist, auch solche Lufthauche schon
deutlich angezeigt werden, welche noch von keiner akustischen Be-
deutung sein können und daher nur als zufällige Mangelhaftigkeit
der reinen Vocalbildung betrachtet werden müssen.
®»)L. e
xvın.
Einige Beobachtungen über die Sprache bei vollständiger Ver-
wachsung des Gaumensegels mit der hinteren Schlundwand.
Von
Professor Johann Czermak.
(Aus dem XXIX. Bande, 8. 173, Nr. 8 des Jahrganges 1858 der Sitzungsberichte
der mathem,-naturw. Classe der kais; Akademie der Wissenschaften, vom Herrn
Verfasser mitgetheilt.)
Katharina D,, gegenwärtig 14 Jahre ‚alt, kam vor 2 Jahren mit
Geschwüren am weichen Gaumen, den Gaumenbogen und der hin-
teren Rachenwand behaftet auf Prof. v. Dumreicher’s Klinik und
wurde daselbst als an Özaena scrophulosa leidend mit Jodglycerin-
Einpinselungen ‚und adstringirenden. Gurgelwässern behandelt. Der
Verdacht auf Lues erwies sich als unbegründet.
Die Geschwüre wurden geheilt, dagegen konnte eine vollstän-
dige Verwachsung des Gaumensegels mit der hinteren Rachenwand
nicht gehindert werden, so dass endlich die Nasenhöhle von hinten
her luftdicht verschlossen wurde.
Die Patientin kann seither nur durch den Mund Athem schöpfen.
Auch die angewendete Spiegelprobe*), welche die leisesten
Spuren von Luftströmungen durch die Nase anzeigt, gab ein nega-
tives Resultat; der luftdichte Nasenverschluss unterliegt daher zur
Zeit der Untersuchung keinem Zweifel.
*) Czermak, über reine und nasalirte Vocale. Sitzb. Monat Februar I. J.
254
Nichts desto weniger giebt die Patientin an, dass sie zuweilen im
Stande sei, etwas Luft durch die Nase hindurchzupressen. Wenn
diese Angabe nicht auf Selbsttäuschung beruht, so erklärt sie sich
einfach aus einer theilweisen Lösung der Verwachung zwischen Gau-
men und Rachenwand in Folge neuauftretender Ulcerationen, deren
sich gegenwärtig wieder einige von sehr beträchtlicher Tiefe auf dem
hinteren, etwas angeschwollenen Theile des Zungenrückens finden.
Des Gaumensegel ist übrigens trotz seiner Verwachsung mit der
Rachenwand nicht absolut unbeweglich, sondern kann nach Willkür
stärker emporgewölbt oder mehr abgeflacht, gespannt oder erschlafft
werden. — Die kleine Patientin, welche die beschriebene Missbil-
dung ihrer Sprachorgane erlitten hat, wurde mir vor Kurzem durch
Herrn Dr. Semeleder, dem ich hiemit öffentlich danke, vorgestellt,
und ich benützte die Gelegenheit, einige Beobachtungen über ihre
Lautbildung zu: machen, um so lieber, als dieser Fall ein seltenes
Gegenstück zu dem von Brücke untersuchten interessanten Falle
mit gänzlichem Mangel des weichen Gaumens *) abgiebt. Die Resul-
tate der Untersuchung, welche ich zum Theile gemeinschaftlich mit
Herm Prof. Brücke und Dr. Semeleder anstellte, sind folgende:
1) Die reinen Vocale a, e, o und w konnte das Mädchen ganz
deutlich und gut aussprechen; das 7 jedoch lautete wie ein ge-
quetschtes e, wenn es continuirlich und für sich allein hervorge-
bracht werden sollte, während es doch im Flusse der Rede zwischen
anderen Buchstaben deutlich genug ausgesprochen werden konnte,
Diese Unvollkommenheit war vielleicht durch die im Folge der
Verwachsung limitirte Hebung des Gaumensegels, welches beim z,
wie ich früher**) durch Fühlhebelversuche zeigte, am höchsten zu
stehen kommt, — obschon die normale, verschiedene Stellung des
weichen Gaumens, wie Brücke’soben citirter Fall beweist, nur eine
Nebenbedingung für das Hervorbringen der Vocale sein kann; offen-
bar aber auch durch die geringe Biegsamkeit des Zungenrückens in
*) Brücke, „Nachschrift , . .“ Sitzungsb. 1858, Bd. XXVIII, pag. 63.
**) Sıtzungsberichte 1857, B. XXIV, pag. 4.
255
Folge der daselbst vorhandenen Anschwellung und Geschwürsbildung
bedingt.
2) Vocale mit dem Nasenton konnte das Mädchen, wie zu er-
warten stand, auf keine Weise hervorbringen.
3) Dass das Mädchen die wahren Resonanten der drei Arti-
eulationsgebiete, welche Brücke mit m, n und » bezeichnet, nicht
würde bilden können, war mit Sicherheit vorauszusehen, da die we-
sentlichste Bedingung dieser Laute: Mitschwingungen der in der
Nase enthaltenen Luft, m Folge des Offenstehens der Gaumenklappe
bei ihr nicht zu realisiren war.
Dass das Mädchen aber nichts desto weniger den wahren Reso-
nanten sehr ähnliche Laute in allen drei Articulationsgebieten
hervorbringt und von den entsprechenden Medien deutlich unter-
scheidet (z. B. mein und bein, nein und. dein, lange und lage), so
dass man ihrer Sprache in dieser Beziehung eine verhältnissmässig
geringe Unvollkommenheit anmerkt, muss dagegen einigermassen
überraschen, da sich bekanntlich die Mediae von den entsprechenden
Resonanten wesentlich nur durch den Verschluss der Gaumenklappe
unterscheiden *).
Da die Patientin die Gaumenklappe nicht öffnen kann, so würde
sie, wenn sie die Bewegungen des Gesunden machte, statt des Reso-
nanten immer nur die entsprechende Media erzeugen. Hievon hält sie
der so verschiedene acustische Edect ab und sie. ersetzt deshalb die
ihr unmöglich gewordenen wahren Resonanten durch die ihnen ähn-
liche Purkyn&@’schen „Blählaute“ #*), wobei sie zugleich bemüht
ist, den Verschluss des Mundkanals möglichst geräuschlos zu
bewerkstelligen oder zu lösen, was nur bei grösserer Aufmerksamkeit
und mit einiger Anstrengung möglich ist, weshalb sie auch erklärte,
es sei ihr bequemer bein auszusprechen, als mein, dein als nein
lage als lange !
Auf die bezeichnete Art kann man in der "That mit geschlossener
Gaumenklappe, wovon sich Jeder bei einiger Geschicklichkeit durch
*) Brücke, „Nachschrift“, pag. 72.
%) Brücke, „Grundzüge der Systematik und Physiologie der Sprahlaute“ p. 56.
256
Selbstbeobachtung überzeugen kann, stattıder Mediae Laute hervor-
bringen, welche den entsprechenden Resonanten täuschend ähnlich
sind; hat doch Kempelen selbst, ehe ‘er den wahren Unterschied
der Tenues von den Mediae aufgefunden hatte, geglaubt, dass sich
z. B. das 5 vom‘p durch ein vorlau‘endes m unterscheide.
Freilich lassen sich die für die Resonanten vicariirenden Blählaute
nicht continuirlich hervorbringen, weil die aus der zum: Tönen ver-
engten Stimmritze hervorströmende Luft den allseitig gesperrten
Raum alsbald so sehr erfüllt, dass ein Nachströmen derselben un-
möglich wird. Deshalb spricht das Mädchen ihre Resonanten-Surro-
gate auch sehr kurz und zerfällt, wenn sie ‘besonders deutlich spre-
chen will; den Rosonanten der dritten Reihe, welchen Brücke mit a
bezeichnet und bei welchem der Verschluss der Mundhöhle’ weit hinten
am Gaumen geschieht, sogar unwillkürlich ‘m ihr unvollkommenes
n und g. Sie sagt dann 'Wan-ge, Klin-gel etc.
Bemerkenswerth ist noch der Umstand, dass das Mädchen jedes-
mal die Nasenflügel, mit dem Bestreben die Nasenlöcher zu verengen,
bewegt, wenn sie sich anstrengt einen der Resonanten: möglichst
deutlich hervorzubringen,
Diese seltsamen Mitbewegungen deuten darauf hin, dass die
Patientin, wenn sie Resonanten intendirt, instinetiv Alles thut, was
unter so ungünstigen Umständen beitragen kann, das Mitschwingen
der Nasenluft zu begünstigen.
Es ist daher auch wahrscheinlich, dass sie auch das Gaumensegel
für die Resonanten möglichst erschlafft, für die Mediae aber mehr
anspannt und dass so bei den ersteren mehr von den Schwingungen
auf die Luft der Nasenhöhle sich fortpflanzen 'als bei den letzteren.
4) Das R uvulare kann das Mädchen natürlich nicht sprechen,
da vom Zäpfchen so gut wie nichts vorhanden ist; sie bildet das Zt
nit der Zungenspitze.
5) Da das Mädchen die Resonanten so geschickt durch die ent-
sprechenden 'Blählaute zu ersetzen‘ versteht, und da alle übrigen
Laute, mit Ausnahme der nasalirten Vocale, welche im Deutschen |
gar nieht vorkommen, ohnehin mit geschlossener Gaumenklappe gebil-
257
det werden, so wird ihre Sprache durch die erlittene Missbildung
weit weniger beeinträchtigt als man erwarten durfte. Die einzige
Unvollkommenheit, welche sich in störender Weise geltend macht, ist
ein gewisses Stocken im Flusse der Rede, welches daher rührt, dass
die sich beim Aussprechen mancher Lautfolgen ansammelnde Luft
bei ihr nur durch den Mund austreten kann, während sie bei Gesun-
den durch Oeffnen der Gaumenklappe unmerklich und ohne die
Lautbildung zu coupiren entweicht. Hält sich ein Gesunder beim
Sprechen die Nase zu, so fühlt er alsbald jenes durch die Luft-
anhäufung gesetzte Hinderniss, welches bei dem Mädchen aus nahe-
liegenden Gründen noch früher und weit störender auftreten muss.
Moleschott, Untersuchungen. V. 18
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XV.
Beiträge zur Kenntniss des Winterschlafes der Murmelthiere.
Von
G. Valentin.
Achte Abtheilung.
8.15. Ernährungsveränderungen der Gewebe während
des Winterschlafes.
Die den Winterschlaf begleitende Abnahme des Körpergewichtes
schliesst natürlich die Möglichkeit des Wachsthumes einzelner Gebilde
nicht aus, Eine etwa vorkommende Vergrösserung mancher Gewebe
könnte 'als die Folge einer anderen Massenvertheilung des hungernden
Geschöpfes, das immer noch eine gewisse Menge von Sauerstoff auf-
nimmt, "betrachtet werden. Diese würde aber von der absoluten
Menge der Masse völlig unabhängig und daher mit jedem beliebigen
Wechsel des Körpergewichtes denkbarer Weise verbunden sein.
Ich suchte zunächst die Frage an den äusseren Körpergebilden
zu verfolgen. Die Haare, die Nägel und die Zähne gaben hierfür
die nöthigen Anhaltspunkte.
Hat man eine Hautstelle am Anfange des Winterschlafes kahl
geschoren, so findet man nach mehreren Monaten, dass die Haare
wenig gewachsen sind. Die Tasthaare eignen sich am Besten, die
Veränderung quantitativ zu verfolgen. Zwei Umstände hindern aber
auch hier zu vollkommen scharfen Ergebnissen zu gelangen. Man
muss natürlich die Länge von der Oberfläche ‘der Haut aus‘ bestim-
18 *
260
men. Die Elastieität der Letzteren macht aber den Ausgangspunkt
veränderlich. Die Grösse, um welche der hormige Haarschaft über
der Oberfläche der Haut hervorsteht, hängt von der Dicke der Haut-
gebilde ab. Verkleinert sich diese aus irgend einem Grunde, so wird
natürlich der Haarschaft scheinbar länger geworden, nicht aber
deswegen in Wirklichkeit gewachsen sein, wie ja auch der Leich-
nam eines Menschen, der kurz vor dem Tode rasirt wurde,
unrasirt erscheint, weil später die Haut eingesunken ist. Ungleich-
heiten in der Vertheilung der Blutes und der Ernährungsflüssig-
keit könnten etwas Aehnliches in den winterschlafenden Murmelthieren
herbeiführen.
Diese Gründe bewogen mich, nur wenige Messungen anzustellen.
Ich schnitt den 1sten März die Tasthaare des einjährigen, in der letz-
ten Abtheilung erwähnten Murmelthieres J so weit ab, dass sie nur
1'/a Millimeter über der Haut hervorragten. Ihre Länge betrug 2°/ı
bis 4 Mm. ungefähr einen und einen halben Tag nach dem Tode
des Thieres, der in der Nacht zwischen dem 18. und dem 19. April
erfolgte. Das Körpergewicht hatte in der Zwischenzeit von 738,7
Grm. auf 469,0 Grm, oder um 0,37 abgenommen. Das Thier befand
sich dabei 26 Tage lang in stärkerem oder schwächerem Winterschlafe,
lag 4 Tage im Schlaftaumel und wachte 18 Tage lang. Der letztere
grosse Werth rührt davon her, dass es nur einen Tag vor dem Tode
noch ein Mal einschlief, sonst dagegen 10 Tage mit Unterbrechung
eines einzigen wach blieb, ohne Nahrung, zu sich zu nehmen. Wir
haben dessenungeachtet ein nur geringes Wachsthum der Tasthaare.
Denn beinahe 8.Wochen Zwischenzeit geben im günstigsten Falle
21/ Mm. Längenzunahme.
Die Hornkrallen der Zehen der Hinterfüsse dienten zu einer
anderen Beobachtungsreihe. Da sie bogig gekrümmt sind, so mass
ich die Sehne einer ‚jeden und nahm den Ort, an welchem der weiche
Zehenballen und die Hornmasse ‘winkelig zusammenstossen, als einen
und die Spitze der letzteren als den zweiten’ Grenzpunkt. Die Un-
sicherheit der Ausgangsstellen kann hier: Schwankungen von %/s und
selbst von /a Millimeter ‚herbeiführen.
261
Das Murmelthier E wog, 2005,1 Grm. am 1sten Februar, an dem
die erste Bestimmung vorgenommen wurde, und 1600,3 Grm. einen
Tag vor dem am 17. April bei Gelegenheit eines Manometerver-
suches eingetretenen Tode. Es hatte 64 Tage fast immer fest ge-
schlafen, befand sich 5 Tage lang im Schlaftaumel und wachte
7 Tage der 76 bis 77 Tage umfassenden Versuchszeit, Die Mes-
sungen gaben:
Sehnenlänge der Kralle in Millimeter
Theil. -
am Anfange.| am Ende. | Unterschied
Daumens. | 63/5. 61/,. —lj.
2 | 3 /
Rechter Hinterfuss. ZEIBPÄRERAE | Ehe 9. ra
Kalle ads Mittelfingers. | 8). 83/,. 0.
vierten Fingers. | Til. 73/4. BER
kleinen Fingers. 6. 61/,. HI.
Daumens. 83/,. 8/,. —l.
En Zeepingens. 2. 9. 0.
Kellonden Mittelfingers. 9, 83/.. —1/..
; vierten Eingers. n. | ” v.
kleinen Fingers. Sl). 53/.. a:
Da das Thier in dem Behälter eingeschlossen blieb, so dass es
die Krallen nicht wesentlich durch Abnutzung verkürzen konnte,
so beruhen wahrscheinlich die negativen Unterschiede auf blossen
Messungsfehlern. Die positiven Differenzen sind aber so klein, dass
ihnen die gleiche Ursache zum Grunde liegen kann. Sie lassen
auf ein nur unbedeutendes Wachsthum im günstigsten Falle zurück-
schliessen.
Dasselbe bestätigte sich für das Murmelthier G. Die Messungen
wurden hier den Isten Februar und den 20. April, einen Tag nach
dem Tode vorgenommen. Das Körpergewicht ging in dieser Zwischen-
zeit von 1561,3 Grm. auf 1242,7 Grm. herunter. Sie umfasste 61 Tage
des zum grössten Theile festen Schlafes, 3 des Schlaftaumels und
14 des Wachens. Man hatte;
262
Sehnenlänge der Kralle in Millimeter
T.h’eil, TE
am Anfange.| am Ende. | Unterschied.
Daumens. [3778 61). tn
i 1 1
Rechter Hinterfuss. ee s 10%. Fr
Fran Mittelfingers 104/,. 103/,. Hlla.
vierten Fingers. 9. 91/,. +1).
kleinen Fingers. 6. 63/1. +3/g
Daumens, 6. 6.
A ? Fr
Linker Hinterfuss. en ae Nur +%.
Kralle des Mittelfingers. 101/,. 104/,. 0,
2 ’ vierten Fingers. 93/z. 2. — 2.
kleinen Fingers. 8. 8, 0.
Die Krallen des rechten Hinterfusses scheinen hier in 78 Tagen
um eine unbedeutende Grösse gewachsen zu sein. Die für den linken
Fuss gefundenen Werthe dagegen liefern kein solehes Ergebniss. |
Wir werden daher abermals auf ein höchstens geringes Wachsthum
zurückschliessen.
Ganz anders verhielt sich die Sache, wenn ich ein Murmelthier
längere Zeit nach der Beendigung des Winterschlafes wachen liess.
Ich hatte ähnliche Messungen während der Erstarrungszeit des Thier-
res F und zwar am 1. Februar angestellt. Der 8. April war der
letzte Tag des Winterschlafes. Man nährte das Murmelthier bis zum |
22. Mai oder mehr als 6 Wochen nach dem Erwachen. Es befand '
sich vollkommen wohl und ging erst nach einer Operation zu Grunde. |
Das Körpergewicht hatte 2063,7 Grm. am 15. Februar, 1744,0 Grm.
am 8. April und 1581 Grm. am 22. Mai,
Die Messungen ergaben ;
265
gm nn nn nn nn nnd m zum nina nn nd nis un er Sn nn nn ne nd | mn nn nn us nn
Sehnenlänge der Kralle in Millimeter
TEE \___ zegggiiniBre
Theil.
den den Unterschied
15. Februar.| 22. Mai. a
Daumens. Ta 83/4. + 1%.
Rechter Hinterfuss. Zeigefingers. 104/,. 11. +.
Kralle des Mittelfingers. 103/,. 11t/,. 43/2.
vierten Fingers. 101/,. 11. +3/;-
Daumens. 7, 8. +1.
Linke Hinterfuss) Zeigefingers, 103/,. 11. —+1/..
Kralle des Mittelfingers. 11. 12, +1.
vierten Fingers. 10. 11. 1.
kleinen Fingers. 81/5. 81/,, +5.
Diese Werthe zeugen für ein nicht unbedeutendes Wachsthum
trotz der beträchtlichen wahrscheinlichen Fehlergrössen, mit denen
sie behaftet sind. Das Thier war während des Wachens in einem
mit Blei ausgeschlagenen Kasten, von Heu umgeben, aufbewahrt
worden. Sichere Zeichen eines hohen Grades von Abnutzung der
Nägel konnten nicht bemerkt werden.
Die Lebhaftigkeit des Wachsthumes während des wachen Zu-
standes zeigte sich am Entschiedensten an einem Nagelstumpfe des
kleinen Fingers des rechten Hinterfusses, Dieser hatte um ungefähr
2 Mm, an Sehnenlänge zugenommen, war an seinem Ende merklich
abgerundet und erschien daher missgestaltet und anders geformt, als
während des Winterschlafes.
Aehnliche Beobachtungen, die ich an den freien Theilen der
Nagezähne anstellte , führten ebenfalls nur zu negativen Ergebnissen
für die Dauer der Erstarrungszeit. Ich mass nicht bloss die Längen,
sondern legte noch Feilstriche in bestimmten Entfernungen an, um
so ein Urtheil über ein etwaiges interstitielles Wachsthum zu ge-
winnen, Die, Zwischenzeiten glichen denen, die bei Gelegenheit der
Krallen angeführt wurden, Es fand sich ;
eteerse ! . Länge in Millimeter
- Theil nn {1
Br am Anfange. | am Ende. | Unterschied.
EEE TEE VASE,
Grösste Länge des L
rechten Nagezahnes.| 13,0. 121,. —1/;
Ober Desgl. bein Arean: 11,0. 11,0. 0.
kiefer. Freie Lücke zwi-
schen beiden unter
@ ) dem häutigen Drei-
em ecker. 5. 43/.. — Up
Grösste Länge des
Unter- Innenrandes des
\| Kiefer, rechten Zahnes, 164,. 161/,. 1.
| Desgl. des linken. 161/,. 161),. +1/;.
Rechter Nagezahn: 111/,. 111h. 0.
Ober- Linker Nagezahn, 111),. 114,. 0.
m. I ll Freie Lücke. 5. 51. ie,
Unter- || Rechter Nagezahn. 191),. 183/1. —3;.
kiefer, (| Linker Nagezahn. 191). 183/,. —3/,.
E. Wechselseitige Entfernung der
beiden Feilstriche am rechten
oberen Nagezahn. 5 53/5. +1/y.
Der ähnliche Abstand in dem
gleichartigen unteren Zahne, 31. 3. —1f.
Da die Gelegenheit des Nagens mangelte, so hätte man ein Aus-
wachsen der Zähne erwarten sollen. Die entgegengesetzte Antwort,
welche die unmittelbare Messung giebt, lehrt daher, dass auch kein
irgend bedeutendes Wachsthum während des Winterschlafes stattge-
funden hat. Das Murmelthier F dagegen zeigte wieder eine Ver-
längerung von 1 bis 1%, Mm. für die Nagezähne des Unterkiefers.
Wir werden aus diesen Thhatsachen schliessen, dass kein irgend
beträchtliches Wachsthum der Haare, der Krallen und der Zähne
während der Erstarrungszeit stattfindet. Bedenken wir, dass die Zahl
von Tagen, in denen das Thier wachte, 9,2%/ der Beobachtungs-
periode für E und 18°, für G betrugen, so können wir um so eher
folgern, dass die Wachsthumsgrösse, die während des festen Schlafes
auftritt, nicht weit von Null entfernt liegt,
265
Keine Erscheinung deutet bis jetzt an, dass sich irgend ein
innerer Theil während der Erstarrungszeit durchgreifend ändert.
Die mikroskopische Untersuchung der Gewebe liefert hierfür keine
Anhaltspunkte. Wie wenig übrigens die blosse mikroskopische Be-
trachtung hier leiten könne, zeigen am besten die Muskeln und die
Nerven. Ihre Gewebe bieten die gewöhnlichen Bilder am Anfange
und am Ende des Wintörschlafes dar. Sie besitzen dessenungeachtet
zuletzt Eigenthümlichkeiten, die eine allgemeinere physiologische
Bedeutung haben.
Die negative Stromesschwankung und der Elektrotonus der Ner-
venfasern konnten bis jetzt nur in Fröschen nachgewiesen werden.
Als Schiff und ich diese Phänomene in Säugethieren und Vö-
geln zu verfolgen suchten, um das Verhalten der nach der Durch-
schneidung entarteten Nerven kennen zu lernen, gelang es immer
nur nach zahlreichen vergeblichen Mühen, die Wechselerscheinungen
des Nervenstromes in einzelnen Fällen zur Anschauung zu bringen.
Die Nerven mussten unmittelbar aus dem lebenden Thiere genommen
und so rasch als möglich auf die Bäusche der Zuleitungsgefässe ge-
bracht werden. Diejenige Molecularbeschaffenheit der Nervenfasern,
welche die negative Schwankung und den Elektrotonus möglich
macht, schwindet oft schon, ehe die Galvanometernadel von ihrem
ersten Ausschlage zur Ruhe kommt und ihr durch die Polarisation
bedingtes Zurückweichen auf ein Minimum herabgegangen ist. Ebenso
konnte man bis jetzt die negative Schwankung des Muskelstromes
' nur auf Umwegen in dem Menschen und dem Kaninchen *) darthun.
Murmelthiere, die während der Erstarrungszeit getödtet wor-
den, liefern Präparate, die sich für das Studium der Wechsel-
‚ erscheinungen des Muskel- und des Nervenstromes in hohem
Grade eignen. Da man hier über Massen von bedeutenderem
Querschnitte, mithin von geringerem Leitungswiderstande, als im
Erosche, verfügen kann, so erhält man stärkere Ausschläge der Gal-
vanometernadel unter sonst gleichen Verhältnissen. Nerv und Muskel
*) du Bois in dieser Zeitschrift. Bd, IIL. 8. 167,
266
bewahren hier ihre Lebenseigenschaften mit solcher Zähigkeit, dass
man die negative Stromesschwankung des Nervenstromes durch Te-
tanisirung des Nerven, die beiden Phasen des Elektrotonus, die Wech-
selerscheinung des Muskelstromes während der neuromusculären und
der idiomusculären Zusammenziehung Stunden lang verfolgen kann.
Hat man. dagegen ein Murmelthier ein bis zwei Monate nach dem
Erwachen im 'Frühjahre gefüttert, so verhält es sich wie bei den
übrigen Säugethieren, d. h. jene Wechselerscheinungen verlieren sich
kurz nach dem Tode. Man kann sich hier, wie am Menschen und in
anderen Säugern, überzeugen, dass es ein Irrthum ist, wenn man
den richtigen Nerven- und Muskelstrom nicht lange nach dem Auf-
hören ‚der. Leistungsfähigkeit schwinden ‚oder. sich umkehren lässt.
Um xur ein Beispiel anzuführen, so konnte ich den Nervenstrom
länger als einen und den Muskelstrom zwei Tage nach “dem 'Auf-
hören der negativen Schwankung in amputirten Unterschenkeln des
Menschen verfolgen.
Die oben erwähnte Zähigkeit der Lebenswirkungen ‘der Nerven
und der Muskeln wird wahrscheinlich auch in anderen Winterschlä-
fern, wie dem Igel und dem Hamster, 'wiederkehren.
Die Winterschlafdrüse zeigt eine eigenthümliche‘ Erscheinung,
die mich lange: verwirrt hat. ‚Ihre Ernährungszustände können die
wesentlichsten Verschiedenheiten darbieten, ohne dass sich deswegen
die Stärke oder die Dauer des Winterschlafes in merklicher Weise
ändert.
Wir haben in der zweiten Abtheilung gesehen, dass die Winter-
schlafdrüse im Laufe der Erstarrungszeit beträchtlich abnahm. Denkt
man sich 1000 Grm. des Anfangsgewichtes als Einheit, so betrug *)
sie 12,78: im Beginne der Erstarrungszeit, 9,531 nach 44tägiger und
4,63 bis 3,39 nach durchschnittlich 163tägiger Dauer derselben. Die
sechste Abtheilung lieferte uns dagegen drei Thiere, die 154 bis 169
Tage schliefen und dann 15,90, 19,58 und 3,30 für ihre Winterschlaf
drüse im Vergleich mit jener Einheit hatten. Der relative Werth
*) Diese Zeitschrift Bd. II. 8. 37, 38,
267
war also hier am Ende der Erstarrungszeit beträchtlich höher, als
in den früheren Thieren am Anfange derselben.
Dieser fast unglaubliche Unterschied hat sich in fortgesetzten
Beobachtungen vollkommen bestätigt. Das Thier J, das 828,7 Grm.
am Beginne und 469 Grm. am Ende derselben gewogen und daher
einen Gesammtverlust von 0,43 dargeboten hatte, besass zuletzt eine
sehr kleine braunrothe Winterschlafdrüse, die nur einen Theil’ des
oberen Abschnittes des vorderen Mittelfellraumes ausfüllte und bloss
0,3 Grm. oder 0,36 für 1 Kilogr. Anfangsgewicht ausmachte. Man
hatte dagegen keine Spur von jenem Gebilde längs der Seiten der
Körper der Brustwirbel, an der Aussenfläche des Brustkorbes, am
Halse oder im Nacken. Die fast leberbraunen Läppchen waren von
reichlichen Blutgefässstäimmehen umgeben ‘und enthielten 'körnige
pflasterartig nebeneinander liegende Kugeln.
Ganz anders verhielt sich die Winterschlafdrüse in den grösseren
Thieren E und G. E wog 23784 Grm. am Anfange und 1600,35
Grm. am Ende der Beobachtungszeit. Sein Gesammtverlust betrug
daher 0,355. G lieferte in dieser Hinsicht 1669,7 Grm. ‘und 1242,7
Grm. und mithin eine Abnahme von '0,26.. Beide hatten stark ent-
wickelte Winterschlafdrüsen, die nicht bloss den oberen Abschnitt
des vorderen Mittelfellraumes füllten, sondern sich auch noch zwi-
schen der Pleura und dem Brustbeine, der Speiseröhre und der Aorte,
zu beiden Seiten der Wirbelkörper vor den Rippenköpfchen längs
der ganzen Brusthöhle, an der äusseren Fläche der Brust bis zur
fünften bis sechsten Rippe, am Halse bis zum Winkel des Unterkie-
fers und an der Schulter bis zur Gegend der Schultergräthe hin
ausdehnten. Die Abtheilungen, die vor den Rippenköpfchen lagen,
waren dünner, Ihre Läppchen wurden häufig durch grössere Zwi-
schenräume geschieden. Das Ganze machte den Eindruck, als wenn
die Gewebmassen in raschem Schwunde begriffen wären. Die Win-
terschlafdrüse hatte durchgehends eine gelbliche Farbe und die mi-
kroskopische Untersuchung wies einen ausserordentlichen Reichthum
von grösseren und kleineren Fetttröpfehen nach. Diese verdeckten
in ‘frischem Zustande die körnigen Kugeln, die auch hier in den
268
Läppchen enthalten waren, Sie kamen erst nach der Behandlung
mit Essigsäure zum Vorschein.
Die Winterschlafdrüse von E wog 22,0 Grm. und die von G
17,6 Grm. Jene betrug daher ‚9,25 und diese 10,54 für 1 Kilogr.
des Anfangsgewichtes der Körpermasse.
Ich habe: die von J und die von @ so lange mit Aether in
einem Bibra’schen Apparate ausgekocht, bis sich keine Fetttröpf-
chen mehr bei der mikroskopischen Untersuchung, kleiner Proben |
zeigten. Man musste die Operation in G mit immer neuem Aether
sechs Mal wiederholen, ehe man jenes Ziel erreichen konnte.
0,417 Grm. der braunrothen und kleinen Winterschlafdrüse von
J gaben an Aether nicht ganz 0,002 Grm. oder weniger als 0,48 %/0.
Dagegen zog der Aether aus 1,654 Grm, der gelben und grossen
Winterschlafdrüse von G.0,428—=25,9 %/o eines gelben Oeles, das
einen eigenthimlichen, entfernt an Fischthran 'erinnernden Geruch
darbot. Diese stark entwickelte Winterschlafdrüse führte also mehr
als 54 Mal so viel in Aether löslicher Bestandtheile, als die kleine
des anderen Murmelthieres, Hugo. Schiff konnte keine Spur von
Zucker, Leuein, Tyrosin, ‘Harnstoff, Harnsäure oder Trimethylamin
in der Winterschlafdrüse von E auffinden. |
Da Nr. I. IL II. IV. V..der ersten und J der siebenten
Abtheilung einjährige, E., F. u. G. der sechsten und. der siebenten
Abhandlung zweijährige Thiere waren, so könnte man ‚hieraus schlies-
sen wollen,‘ dass die jungen am Ende der Erstarrungszeit unter-
- suchten Murmelthiere eine sehr kleine, auf den vorderen Mittelfell-
raum beschränkte braunrothe Winterschlafdrüse darbieten, die älteren |
dagegen ein grosses fettreiches oder in Fettumwandlung begriffenes |
Organ: besitzen, das sich noch längs ‚des Halses, des Nackens, der
Schultergegend, des Raumes zwischen der Speiseröhre und der
Aorta und neben den ‚Brustwirbeln ausdehnt. Nr. 1, 2, 3 stehen
aber diesem Schlusse entgegen, weil Nr. 1 u. 2 einjährige mit grosser
und Nr. 3 ein zweijähriges Thier mit kleiner Winterschlafdrüse waren. |
Irre ich nicht, so dürfte eine gewisse Beziehung zwischen diesem
Organe und den Fettmassen des Körpers bestehen. Das Murmelthier
269
J hatte nur noch Spuren von Fett im Gekröse und in den anderen
Bauchfellfalten. Sie bildeten grauröthliche Inseln von geringem Um-
fange, die nur vereinzelte Fetttröpfchen und sehr kleine Fettkörn-
chen zeigten. Die unbedeutende Fettmenge konnte hier dem Gewichte
nach nicht mehr bestimmt werden. E und G besassen noch verhält-
nissmässig_ viel Fett in den Bauchfellfalten und dem Gekröse. Es
betrug 34,2 Grm. und man hatte daher 14,5 Grm. für 1 Kilogr. Au-
fangsgewicht in E. Das Thier G lieferte in dieser Hinsicht einen
absoluten Werth von 7,2 Grm. und einen relativen von 4,3 Grm.
Die völlige Aufzehrung des Fettes und die kleine rothe Winter:
schlafdrüse kamen hier gleichzeitig in den jüngeren, so wie, reich-
lichere Fettreste und eine grössere, von Fett strotzende Winterschlaf-
drüse in den älteren Murmelthieren vor.
Das Thier F, das 6 bis 7 Wochen nach dem Ende des Winter-
schlafes gefüttert worden, lieferte Ergebnisse, die sich. den eben er-
wähnten in befriedigender Weise anschliessen. Das Fett der Bauch-
und der Brusthöhle war hier bis auf einige, nicht genau wägbare
Massen geschwunden. Die in Rückbildung begriffene, in gallertigem
Bindegewebe eingehüllte, braunrothe Winterschlafdrüse betrug weniger
als 2,7 Grm. für 1 Kilogr. Körpergewicht.
Diese Thatsachen lehren zunächst, dass es einen Zeitpunkt giebt,
in dem die reichlichsten Fettablagerungen in der Winterschlafdrüse
angetroffen werden. Da dann noch beträchtliche zur Aufsaugung
bestimmte Fettmassen in den verschiedenen Körpertheilen bereit
liegen, die Drüse selbst aber mit Ende dieser Epoche nicht unter-
| geht, so lässt sich mit Wahrscheinlichkeit annehmen, dass ihr Fett-
reichthum nicht den Ausdruck einer regressiven Metamorphose, son-
dern den einer Verarbeitung von Nahrungsstoffen bildet. Ist alles
Fett aufgezehrt, so führt auch die Winterschlafdrüse keine Fetttropfen
mehr. Ihre Masse nimmt auffallend ab. Ihre verdünnten Läppchen
liegen in gallertigem Bindegewebe eingebettet. Es zeigen sich mit
einem Worte Merkmale des Schwundes, die in magernden oder in
schlecht genährten Whieren nachdrücklicher hervortreten,
270
$.16., Wiedererzeugung.
Die Norm, die wir als Grundlage der Wachsthumserscheinungen
kennen lernten, beherrscht auch die Folgen, welche Verletzungen
nach sich ziehen. Alle hierher gehörenden Veränderungen werden
nur sehr langsam während des Winterschlafes eingeleitet. Berück-
sichtigt man die Zwischenzeiten des Wachens, in denen ein lebhaf-
terer Kreislauf die Ernährungsthätigkeiten begünstigt, so wird man
zu dem Schlusse geführt, dass diese fast auf Null während des tiefen
Winterschlafes herabgedrückt sind.
Murmelthiere, die höheren Erstarrungsgraden verfallen sind, er-
tragen die durchgreifendsten Verletzungen, z. B. den Bruch oder die
Entfernung eines Knochenstückes, ohne während der Operation auf-
zuwachen. Sie athmen aber lebhafter. Da dieses später fortdauert
und selbst noch an Stärke zunimmt, so findet man die Thiere
nach einigen Stunden oder am folgenden Tage wach. Das Gleiche
zeigt sich schon oft nach scheinbar unbedeutenden elektrischen Er-
regungen.
Zieht die Verwundung keine heftigeren Folgen nach sich, so
sind die Murmelthiere in der Regel am zweiten Tage fest einge-
schlafen. Führt hingegen eine schmerzhaftere Operation zu durch-
greifenderen Störungen, so dauert es oft eine halbe bis eine ganze
Woche, ehe das Thier seine Ruhe wiedergewinnt. Ein mehr als
24stündiger Schlaftaumel geht dann häufig den höheren Erstarrungs-
graden voran.
Hat man die Haut eines festschlafenden Murmelthieres einge-
schnitten, so erhält man eine nur geringe Blutung, die sich meist
bloss auf die Trennungsstellen der grösseren Gefässe beschränkt. Das
Ganze troeknet in der Folge ein, ohne dass eine merkliche Eiterung
zum Vorschein kommt. Man findet zuletzt vollständige linienförmige
Narben. Das Eintrocknen wird auch noch beobachtet, wenn man
einen Nagel so tief abgeschnitten hat, dass eine verhältnissmässig‘
nicht unbedeutende Blutung entstanden ist. Ausgedehntere Ver-
letzungen können Eiterung und selbst Verjauchung herbeiführen. Die
271
mikroskopischen Elemente bieten dann keine besondere Eigenthüm-
lichkeit dar. Bluteoagula bleiben oft Monate lang liegen, ohne dass
ein grösserer Theil von ihnen aufgesogen wird. Blutkrystalle wurden
in ihnen bis jetzt nicht wahrgenommen,
M. Schiff hatte ein mehrere Centimeter langes Stück aus dem
Hüftnerven eines ungefähr siebenmonatlichen Murmelthieres den
9. Januar entfemt und 19 Tage darauf den Schenkelnerven durch-
schnitten. Das Thier schlief später meistentheils fest. Es wurde
den 9. Februar todt gefunden. Die Hautnarbe war vertrocknet. Die
beiden Durchschnittsenden des Hüftnerven standen wechselseitig um
33 Millimeter ab. Das obere Nervenstück ging in einen schwachen
Knollen aus. Das untere dagegen bot keine Anschwellung dar. Es
war an die benachbarten Muskeln angeheftet,
Die Primitivfasern des centralen Nervenstückes zeigten keine
Abweichung von den gewöhnlichen Verhältnissen. Der peripherische
Abschnitt war auf dunkelem Grunde silberweiss, eine Erscheinung,
welche: selbst die aufhellende Wirkung des Glycerins in den ersten
Tagen nicht beseitigte. Die meisten Primitivfasern hatten vollstän-
diges Mark, wie man es in gesunden Fasern findet. Einzelne schienen
die erste Stufe der Zerklüftung desselben darzubieten. Man sah
rundlich eckige, gesonderte und hintereinander liegende Abtheilungen,
welche keine durch die Zerfaserung erzeugte Kunstprodukte zu sein
schienen.
Ein starkes Blutcoagulum von ungefähr 23 Millimeter grösster
Länge und 15 Mm. grösster Breite lag zwischen den beiden Durch-
schnittsflächen des Hüftnerven. Man konnte in ihm keine Blutkry-
stalle, aber zahlreiche Blutkörperchen wahrnehmen. Die dasselbe
begrenzenden Muskelfasern zeigten oft keine deutlichen Querstreifen,
dagegen zahlreiche Längsfäden. Die entsprechenden des gesunden
Hinterbeines boten durchgehends die schönsten Querstreifen dar.
= M.Schiff hatte dieselbe Doppeloperation an den gleichen Tagen
anıdem Murmelthiere vorgenommen, das wir mit H in der siebenten
Abtheilung bezeichneten. Der feste Winterschlaf herrschte hier bis zum
Tode des Geschöpfes vor. Man konnte dann immer bemerken, dass
272
die Streekung des gelähmten Fusses gar keinen, die des gesunden
dagegen einen verhältnissmässig bedeutenden Widerstand darbot. Beide
Knie- und Hüftgelenke zeigten diesen Unterschied nicht. Das Gleiche
war übrigens auch schon an dem zuerst erwähnten Thiere bemerkt
worden.
Ich suchte ihn auf zweierlei Art wenigstens annäherungsweise
zu messen. ‚Ich band einen Seidenfaden an einer bestimmten Stelle
des Fusses fest, leitete ihn über einer Rolle, die sich mit möglichst
geringer Reibung drehte, wagerecht hin und liess ihn dann senkrecht
hinabgehend eine Wagschale aufnehmen. Stellte ich nun immer den
Fuss in einer bestimmten Lage ein, so streckte sich der kranke
durch 12 Grm. um den gleichen Bogen, der 18 Grm. für den ge-
sunden forderte. Dieser Unterschied wurde am 50sten Tage nach der
Durchschneidung des Hüftnerven bemerkt. Ich prüfte die Sache
einen Tag später an der Federwaage, die ich früher als Myodyna-
mometer zur Bestimmung des Muskelzuges gebraucht hatte. Der
kranke Fuss forderte hier 20 bis 24 Grammen, wenn der gesunde
30 Grammen nöthig hatte.
Das Thier, das noch den 16. März fest geschlafen hatte, wurde
am 17. todt gefunden. Es war in der Zwischenzeit erwacht und
hatte sich wahrscheinlich die Wunde, welche für die Trennung des
Schenkelnerven gemacht worden, aufgebissen. Man fand hier eine
grosse Menge flüssigen, frisch ergossenen Blutes. Ein beträchtliches
Coagulum umgab den durchschnittenen Hüftnerven. Die Lücke be-
trug wieder ungefähr drei Centimeter. Keine der beiden Durch-
schnittsenden war angeschwollen oder mit den Nachbartheilen ver-
wachsen.
Die Primitivfasern des centralen Abschnittes des Ischiadieus
boten kein sicheres Merkmal irgend einer Veränderung ihres Baues
dar. Die Entartung der Fasern des peripherischen Stückes dagegen,
hatte hier etwas tiefer durchgegriffen, da 66 bis 67 Tage seit der
Trennung verstrichen waren. Die Markmasse war häufiger zerklüftet.
Sie zerfiel in rundliche bis rundlich-eckige Bruchstücke, die, durch
grössere oder kleinere Zwischenräume gesondert, rosenkranzförmig
273
hintereinander lagen. ‘Man hatte aber 'dessenungeachtet höchstens
den Zerklüftungsgrad, welchen Kaninchen oder Hunde nach 6 bis
7 Tagen liefern. Da das Murmelthier 4 bis 5 Tage während jener
66 Tage wachte, so wird man nur den kleinsten "Theil ‘der vorge-
fundenen Nervenentartung dem festen Winterschlaf zuschreiben können.
Um sicher zu gehen, untersuchten Schiff und ich mehrere
Nerven vergleichungsweise in beiden Hinterfüssen. Die N. N. tibialis
postieus, peroneus und’die unteren Muskeläste des Oberschenkels
der kranken Seite zeigten die beschriebene Trennung der Theile des
Markes, während die gleichen Zweige der gesunden Seite einen
ununterbrochenen regelrechten Markinhalt darboten.
Eine Reihe vergleichender Wärmebestimmungen, die ich an bei-
den Leistenbugen anstellte, führte zu keinen scharfen Unterschieden,
Es ergab sich:
| 5 Wärme in Celsiusgraden
5 Tr {U pe
& Zeit, der der Mundhöhle der Leistenbuge
& Beobachtung. der des | zwischen der Wange | — Ze —_
3 . Zimmer- | Mast- |und den Backzähnen.| der rech- [der linken
oo en luft. darmes. | — N ten gesun-| kranken
m Monat. | Tag rechts. | links. | den Seite.| ' Seite.
1 | März 6. | 110,2 110,2.
2 7 100,9: | 100,3 100,4.
3 8. 110,5. |, 99,2; 90,2. 90,0. 90,6. 9,4.
4 9 110,0. | 100,4, 100,6. | 100,8, 100,8. 100,85.
5 10. | 110,5. | 230,5. 230,25.
6 11. | 119,0. 1. ,.110,2/.|..119,3, 110,3, 110,4. 110,5
Das Thier befand sich im Schlaftaumel in der fünften „in. mehr
oder minder ,festem Schlafe, dagegen in den übrigen Beobachtungen.
Es'lag in einer mit Heu gefüllten Kiste auf dem kälteren Fussboden
und rulite dabei. inamer. auf. .der, kranken„Seite,' , Dieses’ erklärt ‚es,
weshalb die. Eigenwärnme hin und wieder kleiner -als die Temperatur
der: Zimmerluft ‚ausfiel. Irgend beständige!Bezieliungen zur Nerven-
lähmung liessen sich hier nicht erkennen.
Moleschott, Untersuchungen. V. 19
274
Ich schnitt den untersten Theil der Fibula in einer Strecke von
2 bis 3: Millimeter dem; in festem Schlafe befindlichen Thiere J am
17. Februar aus. Obgleich ich vorher die Wunde zur Prüfung des
Muskelstromes am Galvanometer benutzt hatte und die Entfernung
des Knochenstückes: eine heftige Blutung nach sich zog, so war doch
das Thier nicht sogleich nach dem Ende der Operation wach gewor-
den. ‚Ich fand es dagegen am folgenden Tage erwacht. Es schien
in,hohem, Grade reizbar zu ‚sein und verfiel erst 4 Tage später in
Schlaftaumel. Es lag an dem darauf folgenden Tage in festem
Schlafe. . Dieser dauerte im Ganzen 24 Tage nach der Operation,
während noch 4 Tage des Schlaftaumels und 16 Tage des Wachens
bis zum ‚Tode vorkamen. Man sieht hieraus, dass die heftige Ver-
wundung die Ruhe dieses Murmelthieres durchgreifender gestört hatte,
als die seiner in geringerem Grade verletzten Genossen. Der Tod
trat zwischen dem 18. und dem 19. April ein.
Die an dem unteren und dem äusseren Theile des Unterschenkels
befindliehe Wunde war zu einem grossen Theile offen und hier mit
grüngelbem übel riechendem' Eiter bedeckt, der durchgehends verän-
derte oder zerstörte Eiterkörperchen neben Fetttröpfehen und sehr
kleinen Molecülen enthielt. Ein grosses Blutextravasat lag über jenem
Eiterherde zwischen der Haut und den Muskeln. Es durchtränkte
als dunkelrothe Masse ein Netzwerk von Bindegewebe und Exsudat-
fasern und erzeugte hier an einzelnen Stellen eine stärkere und an
anderen eine schwächere Färbung. Man konnte aber in ihm weder
Blutkörperchen, noch Blutkrystalle erkennen. Ein Zusatz von Essig-
säure hellte das Ganze auf und brachte viele kleine runde Molecüle
zum Vorschein. Aehnliche, jedoch weniger umfangreiche Blutergüsse
kamen in vielen Bezirken der Unterschenkelmuskeln, vorzugsweise
der Vorderseite vor. Die mikroskopische Untersuchung wies in ihnen
dieselben Elemente, ‘wie in dem grösseren Extravasate nach. Man
sah nur hier oft die erwähnten runden Körperchen auch ohne An-
wendung von Essigsäure. Man hatte daher hier diejenige Umwand-
lungsstufe, ‘bei welcher der: Farbestoff des Blutextravasates die um-
275
gebenden Gewebe durchtränkt und der Untergang der Blutkörper-
chen schon weit vorgerückt ist.
Der äussere Fusssohlennerv, der bei der Operation durchschnit-
ten worden, zeigte Fasern, deren Markinhalt fast durchgehends in
rundliche, durch Zwischenräume getrennte, rosenkranzförmig gestellte
Abtheilungen geschieden war. Man sah einzelne, stellenweise schein-
bar leere Primitivfaserhüllen. Die Orte, an denen sie vorkamen,
waren bei der Zerfaserung nicht gedrückt worden. Bündel des Hüft-
nerven aus dem untersten Abschnitte des Oberschenkels, ein Bündel,
das sich in den Wadenmuskel an der äusseren Seite einsenkte und
der unverletzt gebliebene obere Abschnitt des vorderen Schienbein-
nerven zeigten keine Spur von Unterbrechung in dem. Markinhalte
ihrer Primitivfasern. Man fand hier keine Abweichung von den regel-
rechten Verhältnissen.
Das ungefähr trichterförmige eiternde Geschwür hatte eine grösste
Tiefe von’ nahebei einem halben Centimeter. Es reichte durch die
_ Lücke der Ausschnittswunde der Fibula bis zur Tibia hinüber. Ver-
glich man die Unterschenkelknochen beider Hinterfüsse, so zeigte
sieh, dass ‚die Fibula ‘gegen ‘die Verletzungsstelle hin beträchtlich
anschwoll. Ihr grösster Durchmesser betrug hier 21/ Mm,, während
der entsprechende Theil der gesunden: Fibula nur 14/3, darbot. Diese
schien auch ihrer ganzen Länge nach etwas schwächer, als das Wa-
denbein der kranken Seite zu sein. Der Querschnitt des verletzten
Knochens war zackig, wie ihn die Beisszange gemacht hatte. Die
mikroskopische Untersuchung konnte keine Spur _von knöchernem,
ja selbst nur von knorpeligem Callus nachweisen. Ein weiches, mit
| zahlreichen Körnchen bestreutes Exsudat haftete an der Verletzungs-
stelle. Die Zangenspitzen hatten das Schienbein angeschnitten. Diese
Verletzung war ebenfalls unverändert geblieben.
Fassen wir Alles zusammen, so sehen wir, dass die Langsamkeit
der Ernährungserscheinungen während des Winterschlafes die Wie-
dererzeugung der Nerven und der Knochen wenigstens in den bis-
herigen Versuchen hinderte. Da der äussere Sohlennerv nur ein kurzes
ı Durchschnittsstück in dem zuletzt erwähnten T'hiere darbot, so wäre
| 19*
276
hier ‚die Wiederherstellung am Leichtesten gewesen. Der völlige
Mangel eines knorpeligen Callus an der Verletzungsstelle der Tibia,
die das Geschwür nicht erreicht hatte, würde sich in einem wachen
Geschöpfe nicht, gezeigt haben.
Der gegenseitige Vergleich der drei Thiere kann bei. näherer
Betrachtung nachweisen, dass sich die vorgefundene Entartung, des
Markinhaltes des peripherischen Abschnittes der getrennten Nerven
grösstentheils in wachem Zustande erzeugt hatte. ‘Das erste Thier
lebte 30 bis 31 Tage nach der Operation, befand sich dabei fast fort-
während in tiefem Winterschlafe und lieferte eine Stufe der Zerklüf-
tung, wie man sie in Kaninchen oder Hunden nach etwa 3 bis 4
Tagen findet. Das zweite Murmelthier wachte 4 bis 5 Tage von 66
bis 67 Tagen Zwischenzeit und die Entartung entsprach kaum der-
jenigen Stufe, die man am Ende der ersten Woche in anderen Säuge-
thieren antrifft. Sie war dagegen merklich weiter vorgeschritten '
in dem. dritten Thiere, das 24 Tage geschlafen, 16 gewacht und 4
Tage in Schlaftrunkenheit zugebracht hatte. |
1
Wärmemessungen, welche ich noch an diesem Murmelthiere: |
während des festen Winterschlafes anstellte, lieferten keinen Unter“
schied zwischen den beiden Leistenbugen, während die Knochenwunde:
eine starke Eiterung erzeugt hatte. Es fand sich: |
| Wärme in Celsiusgraden
Beobachtungszeit. Tr
der Leistenbuge
N der TE
Monat. | Tag. Zimmerluft. |ger gesunden Seite. der kranken Seite.
März. N. 100,9, 100,9, 100,9,
8, 119,0; 100,3, 100,3,
“
Das Thier schlief um diese Zeit in einem kalten Behälter über |
Wasser und dieser Umstand erklärt es, weshalb seine Eigenwärme |
die der Zimmerluft nicht übertraf., Sonst vorkommende Unterschiede *)
*).Siehe. diese Zeitschrift’ Bd,.II. 8.233 fg:
277
können sich unter solchen künstlichen Abkühlungseinflüssen umkeh-
ren. Hatte z. B. das Murmelthier mit dem Kopfe gegen die Ver-
dunstungsfläche des Wassers gelegen, so zeigte der Zwischenraum
zwischen der Wange und den Zähnen der Seite, die gegen das Was-
ser gewendet war, 8°%9 C. und der der anderen Seite 99,0 C., der
Mastdarm dagegen 9°,1 ©. Die Zimmerluft hatte wiederum 119,0 C.
Die Nebenverhältnisse führten daher hier zu einer höheren Eigen-
wärme des Mastdarmes, weil dieser den Abkühlungseinflüssen weni-
ger als der Kopf ausgesetzt war.
Air
lost naeh. mpilniltnaeuroolon, ad
“eV. aihimagn Guerilla sch
auusuusdeeiwS, sph, Algian ‚op. umgaleg auareeT/ oh, ad
anlliaekn vounz ya u bu ou m
lobte 30 ki Zt Tage unch der Opa, baipnegeun Be Torte
während 32 tiefer. Wintersehlafe/ und Heinze site Btıfa/de Z
ug, wie an Rai Hünden nach Perer
Fugen ündät. Dasieweite Musmeltkior wachts 4 bie dr De net
Wi 6T-Pagen Zwischenzeit) und ie Entertung en oe
jenigen Stufe, die man an Ende dar ersten Wockeiirandigeh E
iewen, antrill.. Sie war’ dagegen marklich- weiter wog tien-]|
in ‚dem, dritten Threse, das 2 "Tape geschlafen, 16’ g68 und.
Tage in Behlafeunkonbeit zugübeaeht hatte, - IN een
Wärmenessungem, welehe je" nöuls mp: diesem Men
während dor festen Wimlersehilnfes anatellte, ‚liefortäh RR
schied ewwisähun «lisa beiden Leistenhugen, wihrend die Kilock ei
da arks Kiterung urneggt hutte, ı Bas fund ala: TIME But er
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nn. werte nicht überein, Ban: yarkkormın da ng N
in ie Zuuct tel, 0 30 A
XIX.
Ueber die durch den elektrischen Funken erzeugten Nachbilder.
Von
Hermann Aubert in Breslau.
Bei einer weitern Verfolgung meiner Untersuchungen über die
Nachbilder auf den peripherischen Theilen ‘der Netzhaut stellte sich
bald das Bedürfniss heraus, zu erforschen, welchen Einfluss die Dauer
und die Intensität des primären, objeetiven Eindrucks ausübt, Von
besonderem Interesse mussten Versuche scheinen, bei denen der ob-
jeetive Eindruck eine verschwindend kurze Zeit dauert, und hierzu
schien die Anwendung des elektrischen Funkens am geeignetsten.
‚Dass durch ihn trotz seiner sehr kurzen Dauer Nachbilder erzeugt wer-
den, hatten Foerster und ich bereits 'vor vier Jahren bemerkt (s.
‚Foerster Hemeralepie, 'p. 31.). "Sonst habe ich über -Nachbilder
wach dem elektrischen Funken keine Angaben finden können; nur
eine ganz kurze und unbestimmte Angabe hat Scguin im August
dieses Jahres veröffentlicht, die ich hier anführe :
Dans l’&blouissement qui succede A la contemplation: d’un objet
fortement lumineux, comme le disque du soleil, il est encore possible
‚de distinguer des couleurs trös-brillantes, mais tr&s-fugitives, passant
rapidement dans les yeux avant la 'r@gularisation de limage per-
sistante. Les couleurs que je vois ainsi sont Je vert, ‚le bleu, et le
wiolet. J’ai refait cette observation avec la lumißre ‚des: &tincelles
280
electriques produites par un puissant appareil d’induetion. Chaque
etincelle malgr& sa tres-courte dur&e parait done faire dans Yorgane
de la vision une impression accidentelle, sinon directe assez durable
pour qu’on y reconnaisse successivement trois couleurs, et m&me
aprös ces couleurs determinees, une teinte vague et jaunätre par la-
quelle se terminent toujours les images accidentelles des objets blancs.
(Note sur les couleurs accidentelles. Comptes rendus 1858. Aoft.
T. 47. Nr. 5, p. 200.) Wie weit diese Angabe genau ist, werden
wir sogleich sehen.
Gleichwohl sind diese Versuche mit verschwindend kurzer Dauer
des objeetiven Eindrucks; von besonderer Wichtigkeit für, die; theo-
retischen Ansichten über die Nachbilder, z.B. für die vonFechner
gestellte Frage „ob der complementäre Einfluss im Auge dem pri-
mären suecedirt, oder sich mit: ihm; complieirt“; ferner für die Frage
nach der Mitbetheiligung der Netzhaut, wenn nur eine kleine Stelle
derselben. affieirt wird; ferner für das: Verhältniss der‘ positiven
Nachbilder ‘zu den‘ negativen, und so weiter. Im Voraus will ich
bemerken, dass ich bei der Benennung der Nachbilder derBrücke-
schen Bezeichnungsweise folgen werde, die mir von grosser Wichtig-
keit für die Verständigung über das Geschehene zu sein scheint und die
erste scharfe und consequente Trennung der Eindrücke, welche durch |
die Intensität des Liehtes hervorgebracht werden, von denen, welche '
durch die Farbe des Objects erzeugt werden, aufgestellt hat*). |
Brücke nennt bekanntlich „en positives Nachbild ein solches,
in dem das hell ist, was im Objeete hell ist, und das dunkel, was im
Objecte dunkel ist; negativ dagegen ist das Nachbild, bei welchem
das hell ist, was im Objecte dunkel ist, und umgekehrt.* (Poggen-
*) Wenn man diesen Unterschied festhält, so löst sich der scheinbare Wider-
spruch, den Ludwig zwischen Brewster’s Angabe, dass die Seitentheile
ein constantes Licht lebhafter empfinden, als die mittleren, und meiner An-
gabe, dass ein lebhaftes Roth auf den Seitentheilen dunkler und endlich |
schwarz erscheint, anführt. (Ludwig Physiologie 2te Auflage Bd. I. p. 308).
Brewster's Angabe ist vollkommen richtig, sie bezieht sich aber ausschliess-
lich auf die Intensität der Lichtempfindung, abgesehen von jeder Färbung |
\
oder Farbenempfindung.
281
dorff’s Annalen, Bd. 84, p. 436.) In Bezug auf die Farben kann
ausserdem, unabhängig von jener Benennung, ein Nachbild gleich-
farbig sein, wenn es dieselbe Farbe, wie das Object hat, und com-
plementär, wenn es eine andere (entgegengesetzte) Farbe hat. Es
kann demnach geben 1) positive‘ gleichfarbige, 2) positive comple-
mentäre, 3) negative complementäre, 4) negative gleichfarbige Nach-
bilder; die 3 ersten Combinationen kommen wirklich vor, die letzte
ist noch nicht beobachtet worden.
Wir wollen nun untersuchen:
1) die Nachbilder, welche entstehen, wenn der elektrische Fun-
ken direet angesehen wird;
2) wenn: derselbe von peripherischen Netzhautregionen aufge-
fangen wird;
3) die Nachbilder, welche entstehen, wenn der Funken durch
ein farbiges Glas gesehen wird; :
4) die Nachbilder beim Betrachten von Objecten, welche durch
den Funken momentan beleuchtet werden.
So leicht und einfach die Frage auch scheinen mag, so stellen
sich bei ihrer Prüfung durch Versuche mancherlei Schwierigkeiten ein.
Die Versuche müssen grösstentheils im finstern Zimmer ange-
stellt werden, theils damit man die Objeete nur während der Be-
leuchtung durch den Funken sieht, theils um den Lichteindruck vom
Funken selbst durch den Contrast zu erhöhen. Wenn man sich
aber nach dem Aufenthalte im gewöhnlichen Tageslichte in einen
finsten Raum begiebt, so ändert sich die Empfindlichkeit der Retina
sehr bedeutend und es muss sich damit der primäre Eindruck des
Funkens und die Nachwirkung desselben ändern. Die Vorsicht er-
fordert daher wenigstens, dass man die erste Zeit, wo man sich im
finstern Zimmer befindet, nicht zu Versuchen verwendet; man wird
auch finden, dass die Erscheinuugen erst mit gehöriger Intensität
auftreten, wenn man sich wenigstens 10 Minuten im Finstern aufge-
halten hat. Ist das Zimmer nicht total finster, so kann man wohl
annehmen, dass die Retina auf einem ziemlich stationären Reizungs-
zustande sich befindet, der sich wenigstens im Laufe der nächsten
282
halben Stunde “nicht: sehr bedeutend ändert.. Dieser Zustand wird
nun allerdings durch den Eindruck (des elektrischen Funkens wieder
gestört; man wird ‘daher gut thun, immer einige Minuten zwischen
jeder Beobachtung vergehen zw lassen, und dies auch zu thun, wenn
man.die Laden des Fensters hat: öffnen ‚müssen: Die Verfinsterung
des Zimmers muss ferner so stark sein, dass man von den zu'be-
obachtenden Objeeten durchaus nichts wahrnimmt, weil man sonst
leicht glauben kann, da ein Nachbild zu sehen, wo man ein wirk-
liches Bild sieht.
Ferner ist es schwer, im finstern Zimmer den Ort zu fixiren,
wo der Funken überspringen wird, und unmöglich scheint es, während
des Nachbildes mit Sicherheit die Richtung der Augenaxen und die
Accommodation für dieselbe Entfernung beizubehalten. Die Fixation
des Ortes, wo der Funken überspringt, wird indess dadurch möglich,
dass fortwährend kleine Funken an verschiedenen Stellen der Riess’-
schen Flasche und der zuleitenden Drähte überspringen. Durch diese
kann man sich über die Lage der beiden Kugeln orientiren und sich
für dieselbe accommodiren. “Ausserdem hat man einen Beweis dafür,
dass man den Funken wirklich mit dem Centrum der Netzhaut gese-
hen hat, (darin,:dass sich das‘ Nachbild. nicht bewegt. Die’Bewe-
gungen der Nachbilder nach abwärts, aufwärts ‘oder nach
der Seite, welche auch schon dem hochverdienten Beobachter der
Nachbilder, Scherffer, aufgefallen’ sind (Abhandlung von den zufäl-
ligen Farben. Wien, 1765, p. 61), scheinen ‚dadurch bedingt zu
sein, dass; das Nachbild nicht im: Centrum der. Retina liegt. Da’ man
nun gewohnt ist,das Centrum der. Netzhaut: auf die sichtbaren Objecte
zu richten, die man. beobachten will, ‘so wird‘ man dies auch thun,
wenn das: Bild subjectiv- ist, und: man wird dazu im Finstern ganz
besonders geneigt sein, wo man keinen andern Punkt hat, den man
fixiren könnte, ‚als etwa das subjective Nachbild. Liegt dieses nun
2. B. 5° von dem gelben Flecke ‚entfernt ‚und über ihm ‚so‘ wird
man die. Sehaxen um ..diese 5% !senken;, um das: Bild’ mit.dem Cen-
trum betrachten zu können. : Da .das subjective Bild. aber während
dieser Bewegung wieder ‚weiter, rückt, so wird. man ‚auch, mit der
283
Augenaxe wieder weiter nachgehen , bis endlich die Muskeln nicht
mehr im Stande sind, den Bulbus in derselben Richtung weiter zu
bewegen. Alsdann ‚sind wir. genöthigt, einen Lidschlag und eine
Bulbusbewegung auszuführen, durch die nun das Bild wieder an sei-
nen früheren scheinbaren Ort im Raume rückt. Diese Erscheinung,
dass sich das Nachbild bewegt, tritt sehr constant im Finstern auf,
wenn man eben das Object nicht direct gesehen hat, was man sehr gut
beim Ueberspringen des Funkens bemerkt, so dass man schon in
diesem Momente weiss, ob. sich das Nachbild bewegen wird oder
nicht. Es ist sehr schwer, diese Bewegungen im Finstern zu unter-
lassen. Kann man dagegen im Halbdunkel einen Punkt, oder auch
im Finstern einen nur schwachleuchtenden Punkt fixiren, so hören
damit jene Bewegungen des Nachbildes auf. — Tritt nun im Finstern
keine Bewegung des Nachbildes auf, so kann man daraus andrerseits
schliessen, dass das Centrum der Retina das Bild des Funkens auf-
gefangen hat.
In ‚Betreff des Beibehaltens der Richtung der Augenaxen und
der Accommodation während der Dauer des Nachbildes im Finstern,
kann man wohl schliessen, dass man dies gethan hat, wenn sich die
scheinbare Grösse des Nachbildes. nicht verändert... Man. muss das
aus dem sogenannten Lehot’schen Versuche'schliessen, den. übrigens
schon Scherffer gemacht hat“) und den kürzlich Lubimoff noch
einmal erfunden hat (Comptes rendus T. 47. p. 27.5. Juillet 1858).
*) Scherffer sagt in seiner Abhandlung von den zufälligen Farben p. 15:
»... wenn die weisse Fläche, auf’ die wir das Auge wenden, weiter von
demselben entfernt ist, als der wahre Flecken, den wir betrachtet haben,
so kömmt uns der Umfang des Nebenbildes um ebenso viel grösser vor,
als des wahren. Denn wir halten einen Gegenstand für grösser, der in einer
grösseren Entfernung ein gleich so grosses Bild abmalet, als der andere: weil
nur der Eindruck der wahren Figur in dem Auge auf ebendemselben Orte
verharret, auf den er Anfangs geschah, und wir sein Bild auf eben jener
Fläche zu sehen glauben, in welcher sich die Gesichtsaxen schneiden, so
kömmt uns dieses Nebenbild nothwendig vergrössert vor.« Scherffer Dis-
sertation sur les couleurs accidentelles, Journal de Physique de Rozier T,XXVI.
annde 1785, Scherffer Dissertatio. Lateinisch vom Jahre 1761,
Lehots Angabe ist nach Fechner (Bepertorium. 1832 p. 229): nWenn
man ein rothes Feld fixirt bat-and den Blick hierauf‘ gegen einen weissen
284
Zur Erzeugung des Funkens wurde eine Riess’sche Flasche
benutzt; die Entfernung der beiden Messingkugeln lässt sich bei
ihr genau bestimmen und man kann wohl auf nahezu gleich starke
und helle Funken rechnen; indess werden dabei ohne Zweifel
Verschiedenheiten in der Helligkeit durch die Temperatur, den
Feuchtigkeitsgehalt der Luft u. s. w. herbeigeführt; dasselbe kann man
von der Ungleichmässigkeit der Farbe des Funkens behaupten. "Bei
gemässigtem Tageslichte hatte derselbe allerdings constant eine him-
melblaue Farbe, im Finstern dagegen erschien er fast rein weiss, doch
so, dass er mitunter ein wenig gelb, andere Male mehr bläulich tin-
girt schien. Diese Ungleichheiten können indess bei einer grossen
Anzahl von Beobachtungen nicht von besonderem Einflusse auf die
Resultate sein. — Viel störender ist dagegen der mit dem Ueber-
springen des Funkens verbundene Knall. Man kann, wie aus Fech-
ner’s Beobachtungen hervorgeht, nicht vorsichtig genug in der Ver-
meidung von Augenlidbewegungen sein, und doch wird man bei
einem starken Funken schwerlich darüber sicher sein können, dass
man keinen Augenlidschlag ausgeführt habe. Allerdings gewöhnt
man sich mit der Zeit sehr an den Knall, so dass man nicht mehr
dadurch erschreekt wird und keine Zuckung macht — dass indess
in unserm Falle jede Bewegung der Augenlider ausgeschlossen ge-
wesen ist, wage ich nicht zu behaupten. Es ist aber sehr wichtig,
gerade die allerersten Affectionen der Netzhaut nach dem Ueber-
springen des Funkens zu bestimmen; ich habe daher in einer Reihe
von Experimenten sofort nach den Knalle die Augen geschlossen,
und nicht wieder vor dem Vergehen des Nachbildes geöffnet, kann
aber nicht sagen, dass dadurch etwas in dem Verlaufe des Phänomens
geändert worden wäre. Das störendste Moment ist jedenfalls die
sehr kurze Dauer des Funkens, die aber doch gerade wesentlich ist.
Man übersieht gar zu leicht etwas oder sieht es so unbestimmt,
Grund wendet, so sieht man ein grünes Feld, welches aber kleiner, eben
so gross oder grösser als das rothe Feld erscheint, je nachdem das weisse
Papier, welches man ansieht, dem Auge näher, in gleichem oder in
grösserem Abstande ist, als das rothe Feld.“
285
dass man den lebhaftesten Wunsch hat, das Phänomen möchte ein
klein. wenig länger dauern. Es ist daher immer die gespannteste
Aufmerksamkeit auf die Erscheinung zu concentriren und man muss
ausserdem nicht alle Abwandlungen mit einem Male erfassen wollen,
sondern in den verschiedenen Versuchen bald auf das eine, bald auf
das andre Moment in der Metamorphosenreihe des Nachbildes achten.
Dazu ist natürlich eine sehr grosse Anzahl von Einzelversuchen
nothwendig und ich kann daher nur an Alle, die diese Versuche wie-
derholen, die Bitte richten, nicht nach wenigen Versuchen über
meine Resultate abzuurtheilen.
Fri Nachbilder nach directer Betrachtung des Funkens.
Betrachtet man den elektrischen Funken bei Tagesbeleuchtung,
so hat er eine entschieden blaue Färbung, ein schönes Himmelblau.
Er erscheint bei einer gewissen Stärke, z. B. bei 10—11 Mm. Ent-
fernung der beiden Messingkugeln an der Riess’schen Flasche nicht
als ein scharf begrenzter Streifen zwischen den beiden Kugeln, son-
dern mit unbestimmten Contouren, indem seine Lichtintensität nach
der Seite hin abnimmt. Lässt man nun bei nicht zu greller Tages-
beleuchtung, z. B. eine Stunde vor Untergang der Sonne, oder bei
halbgeschlossenen Laden des Fensters den Funken überspringen, fängt
ihn mit dem Centrum der Netzhaut auf und wendet die Augen sofort
auf ein weisses Papier: so sieht man einen bläulich violetten Strich,
welcher schmaler ist, als der überspringende Funken, aber von sehr
lebhafter Färbung und umgeben von einem elliptischen, beinahe
kreisförmigen Hofe, dessen Durchmesser nur wenig ‚grösser ist als
der des Streifens. Der Hof ist rein gelb und nicht scharf begrenzt.
Dieser gelbe Hof bleibt bis zum Ende der ganzen Erscheinung. Der
eentrale oder Kernstreifen geht aus dem bläulichen Violet in ein
reines Violet, aus diesem in ein röthliches Violet über; in ‘den
nächsten Secunden wird die Färbung immer mehr. roth, bis ein
reines Roth erscheint, welches aber sogleich etwas gelblich wird,
ins, Orange übergeht und indem auch ‚dieses immer heller wird,
endlich gelb wird. Nun'fällt es; etwa eine halbe; Secunde lang. mit
286
dem gelben Hofe zusammen, dann aber bemerkt man einen farb-
losen Kernstreifen in dem gelben Hofe. Dieser weisse oder farblose
Streifen ‘verdunkelt sich, ohne im Anfange eine Farbennüance zu
zeigen, wird indess bald grünlich tingirt und geht in ein schönes
Saftgrün über. Dies wird wieder blasser und unscheinbarer, ver-
mischt sich allmälig mit dem gelben Hofe, dieser verblasst gleichfalls,
zieht sich etwas zusammen und vergeht. Alle diese Farben des
Kernstreifens sind von besonderer Schönheit und Lebhaftigkeit; sie
lassen sich nur mit den Farben des Spectrums oder denen der
Edelsteine vergleichen.
Etwas anders gestalten sich die Erscheinungen, wenn man gleich-
falls bei matter Tagesbeleuchtung das Nachbild auf schwarzen
Sammet wirft. Man sieht hier zunächst ein Nachbild von derselben
Bläue, wie sie der Funken selbst hatte, umgeben von einem gelben
Hofe, der indess etwas grösser ist, als der Hof auf weissem Papiere.
Der Kernstreifen geht nun wieder allmälıg zu Violet, dann zu
Roth über. Aus dem Roth geht er nun aber nicht in Orange und
Gelb über, vielmehr verdunkelt er sich, nachdem er roth geworden
ist, so dass ein schwarzer Streifen im gelben Hofe erscheint.
Allmälig wird der Streifen mit einem grünen Teint überzogen,
die grüne Färbung wird lebhafter, fängt indess dann an, sich mit
dem gelben Hofe zu vermischen und der Hof verschwindet, wie ein
nasser Fleck auf einem erwärmten Bleche.
Bedeutender weichen hiervon die Abwandlungen des Nachbildes
ab, wenn dasselbe im finstern Zimmer beobachtet wird. Der Funken
erscheint als heller Fleck, ein bläulich oder gelblich tingirtes Weiss,
und ist mit einem röthlichgelben Lichthofe umgeben. Dieser Lichthof
hat etwa die Grösse eines Tellers, während der helle Funken die
Grösse eines Viergroschenstücks hat. Unmittelbar nachdem der
Funken übergesprungen ist, tritt ein blauer Nebel von etwa Teller-
grösse ohne centralen Kern hervor, welcher am Rande mit einem
röthlichgelben Nebel umgeben ist. Dieser gelbrothe Nebel zieht
sich zusammen, indem der blaue Raum schnell vor ihm auf einen
kleineren Kreis zurückweicht; zugleich wird das Blau intensiver und
287
heller. Dieser Process verläuft sehr schnell, binnen höchstens einer
halben Secunde, und dann bleibt nur ein schmaler, horizontaler
Streifen, wahrscheinlich dem intensivsten Theile des Funkens ent-
sprechend, von derselben Grösse, wie die in den vorigen Versuchen
beschriebenen centralen Streifen, zurück. Er hat manchmal noch
ganz kurze Zeit eine bläuliche Nüance, wird‘ aber dann sogleich
roth und ist dann wieder von einem röthlich oder grünlich gelben
Hofe umgeben. Dieser Hof bleibt meist bis zu Ende. Der Kernstreifen
wird darauf gelb, dann weiss. In der gelben, mitunter auch erst in der
weissen Phase ist er, von dem Hofe durch einen schwarzen Ring
getrennt. Das Nachbild hat also folgende Gestalt: mitten ein sehr
schmaler, hellgelber Streifen von etwa 10 Mm. Länge und 1 Mm.
Breite, von einem schwarzen, 2—3 mal so starken Ringe umgeben,
und um diesen ein gelbrother nach aussen verschwimmender Nebel,
ungefähr von der Grösse eines‘ Handtellers. In dem schwarzen
Ringe geht mitunter der centrale Kern auf, so dass nur ein dunkler
Fleck im hellen Hofe erscheint; oder der centrale helle Fleck bleikt,
überzieht den schwarzen Ring und vermischt sich mit dem Hofe.
Oder der Hof verliert sich in der letzten Phase und der Kern
bekommt undeutliche 'Contouren ‘und vergeht als unbestimmter
Fleck. — Bisweilen habe ich ganz im Anfange des Nachbildes ein
eigenthümliches Wogen in dem Hofe bemerkt, so dass es aussieht,
‚als ob der Hof aus mehreren Kreisen bestände, die gegen ein-
ander wogen und sich dabei auf den oben beschriebenen blauen
‚Nebel zurückziehen. — So sind die Erscheinungen, wenn der elek-
trische Funken mit dem Centrum der Netzhaut gesehen worden ist
‚und sich nicht bewegt.
| Sehr auffallend ist bei dieser Erscheinung die gleichzeitige Mit-
betheiligung der ganzen übrigen Netzhaut, die sich kaum schlagen-
‚ der demonstriren lässt. Ist nämlich das Zimmer nur so finster, dass
| man helle Gegenstände als: matte Nebel sehen kann, oder sind im
‚ Fensterladen kleine Ritzen und Löcher sichtbar, so verschwinden
diese sogleich nach dem Ueberspringen des Funkens und fangen erst
an wieder zu erscheinen, wenn das Nachbild in den letzten Phasen
288
angekommen ist. Bei diesen Versuchen wurde der Funken mit bei-
den Augen betrachtet.
Es geht hieraus hervor:
a) Dass das Nachbild, welches durch direete Betrachtung, ‚des
elektrischen Funkens entsteht, zuerst ein positives ist, welches
verhältnissmässig am längsten dauert, dann ein negatives (dun-
kles) von kürzerer Dauer wird. Dieser: Uebergang, findet statt, mag
das Nachbild im Finstern oder: im Hellen beobachtet werden. In
Bezug auf die Farben findet ein fortwährender Wechsel statt, so
dass hier: von complementären Farben nicht gesprochen werden kann:
Es zeigt sich hier zunächst ‚eine grosse Verschiedenheit, bedingt
durch helle und dunkle Umgebung; das Spiel der abklingenden
Farben ist bei weitem schöner, wenn Tageslicht auf ‚die Retina ein-
wirken kann, als in der Dunkelheit. Man sieht zugleich, welchen
Einfluss der Contrast bei der Wahrnehmung der Farben hervor-
bringt: Jedermann wird den elektrischen Funken bei matter Tages-
beleuchtung blau nennen, im Finstern dagegen ist er kaum gefärbt
und erscheint bald ein wenig bläulich, bald ein wenig gelblich tin-
girt. Der Contrast ‘ist. hier allerdings ein doppelter; erstens ist das
Auge vor dem Ueberspringen des Funkens in tiefer Finsterniss und
der Funken: wirkt als ein verhältnissmässig sehr 'starkes und des-
wegen 'blendendes Licht; bei einem blendenden Lichte tritt aber die
Farbennüance immer zurück. Zweitens ist die Umgebung stark ‚con-
trastirend und: sehr dunkel, wodurch gleichfalls eine Farbe an Inten-
sität verliert, während: die Helligkeit zunimmt. Man. kann sich davon,
wie ich sehon früher ‚gezeigt habe, leicht überzeugen, wenn man.ein
rothes Quadratcentimeter auf ein tief schwarzes, Papier ‚oder auf
schwarzen Sammet legt, «und ein Quadratcentimeter von demselben
rothen. Papier auf ein weisses Blatt Papier. Sieht man-dann 'beide
aus ‚einer. Entfernung von’ 5—10 Füss an, so wird das: Quadratcenti-
meter: auf Schwarz fast Orange erscheinen, während. .das auf’ weissem
Papier sehr» dunkelroth erscheint, und man wird ‚einen Anderm nicht
überreden: können;: dass "beide Quadrate von (demselben Bogen: abge-
schnitten: 'sind.! In ähnlicher" Weise:wird 'also«auch die Farbennüance
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|
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289
des Funkens sich ändern. Hiermit harmonirt die viel schönere Fär-
bung der Nachbilder bei Tagesbeleuchtung gegenüber der blossen
Nüaneirung des Nachbildes mit vorherrschendem Weiss in der Fin-
sterniss. Im Tageslichte wirken Farbeneindruck und Lichteindruck
gemeinschaftlich zur Hervorbringung der abklingenden Farben; im
Dunkeln wirkt nur der Lichteindruck. Daher tritt auch schon eine
Verschiedenheit ein, je nachdem man das Nachbild auf ‚schwarzen
Sammet oder auf weisses Papier wirft: die Farben sind auf weissem
Papier bei weitem am schönsten. — Erwägt man die Verschiedenheit
in der Färbung des Nachbildes im Hellen und Dunkeln, während
der Uebergang vom Hellen (positiven) zum Dunkeln (negativen)
.derselbe bleibt, mag, das Nachbild im ‚hellen oder im dunkeln Zim-
mer beobachtet werden; so wird man die Brücke’sche Unterschei-
dung von positiv und negativ sehr glücklich gewählt finden. Die
Plateau’sche Nomenclatur ist hier gar nicht durchzuführen, wie er
sie auf pag. 402 seiner berühmten Abhandlung in den Annales de
Chimie et de Physique, T.58 (1835) aufstellt: L’intervalle' qui s’&coule
entre l'instant oü la rötine est soustraite A action de l’objet color£,
et celui oü l’impression commence A prendre l’&tat negatif, eonstitue
ce que l’on entend par la Persistance. desimpressions de la
retine; et les phases negatives de limpression constituent/le pheno-
anene des couleurs aceidentelles. Wohört in unsern Versuchen
„die Fortdauer der. Eindrücke auf die Retina auf und wo fangen die
zufälligen Farben an?
r b) Auffallend ist ferner in diesen Versuchen die Form und Grösse
„des ‚überspringenden Funkens. und seines .Nachbildes. Der 'über-
| springende Funken. erscheint. nicht, als eine. scharf begrenzte: Linie,
sondern ist an ‚den Seiten verschwommen. ‚Im Nachbilde 'dagegen
„erscheint er im hellen wie im finstern als ein scharf begrenzter ‚Strich,
der erst ganz am Ende der‘ Erscheinung seine Begrenzung) verliert.
| ma erscheint ‚der ‚überspringende „Funken grösser als, ‚sein
‚Nachbild ‚ ‚wenn dieses. in. ‚dieselbe Entfernung, welche,der, Funken
vom. Auge hatte, pvojieirt. wird. Wir haben ‚es hier, ohne‘ Zweifel
nit Irradiationserscheinungen zu 'thun. - Wie weiti.sich bei ‚dieser
Molesehott Untersuchungen. V. 20
290
Klasse vön.Erscheinungen die brechenden Medien des Auges bethei-
ligen und wie weit,eine sympathische Affeetion der Retina zu statui-
ren sei, «darüber sind‘ die: Verhandlungen keineswegs geschlossen.
Die angeführten Beobachtungen scheinen mir ‚aber für die letztern,
also für: eine‘ scheinbare Vergrösserung des Funkens durch sympathi-
sche Affeetion' der den direct getroffenen benachbarten Retinatheile
zu ;sprechen." Wäre nämlich die Verbreiterung ‘des Funkens durch
die brechenden Medien bedingt, so würde ein grösseres, verwaschenes
Bild auf die Retina fallen, und dann müsste das Nachbild die‘Form
und "Grösse dieses Bildes haben. Das ist nicht der Fall. Ge-
langt dagegen das Bild des Funkens als kleiner, scharf begrenzter
Streifen zur Retina, also so, wie das Nachbild erscheint, so kann das-
selbe ‘gleichwohl, vermöge seiner grossen Lichtstärke, die benach-
barten Theile der Retina mit affieiren und dadurch eme scheinbare
Vergrösserung ‘erzeugen. 'Da aber diese Vergrösserung nicht ‚dem
auf ‘die Retina 'geworfenen Bilde angehört, 'sondern sympatisch er-
zeugt worden ist durch ein kleineres reelles Bild; so wird die Affec-
tion, soweit sie sympatisch war, im Nachbilde verschwinden und nur
das bleiben, was dem reellen Bilde entspricht, oder wenn die sym-
pathische Affection fortdauert, so wird sie sich in ganz anderer Weise
kund geben müssen, als die! directe Affection. Dies letztere tritt nun
in der That ein; denn der direeten Affection der Netzhaut ent-
spricht ohne Zweifel der centrale Kernstreifen, dem sym-
patisch erregten Theile dagegen der gelbe Hof. Damit ist es
ganz im Einklange, dass der Hof bei dem im Finstern beobachteten
Funken so sehr gross ist; ist die Erscheinung auf eine Fortpflanzung
des Reizes auf der Retina zu beziehen, so ist es ganz in der Ord-
nung, dass im Finstern, wo die Empfindlichkeit für schwache Licht-
einwirkungen vermehrt ist, die sympathische Affection eine grössere
Stelle ‘der Retina einnimmt und also der Hof grösser erscheint. Das
mitunter beobachtete Wogen in dem Hofe und das schnelle Zurück-
gehen desselben dürften auch für die letztere Auffassung sprechen,
Dass die Retina in noch weiterer Ausdehnung von dem Lichtreize
afficirt wird, zeigt auch der erwähnte Umstand, dass auf den jenseits
Ms U a 2 2 eaeze
291
des Hofes gelegenen Theilen, wo also keine bemerkbare Lichtein-
wirkung stattfindet, ein solcher Blendungszustand hervorgerufen wird,
dass lichtschwache Objecte während der ersten Seeunden des Nach-
bildes nicht wahrgenommen werden. Es findet also hier eine doppelte
Affection der Retina statt, die man als sympathische und antago-
nistische unterscheiden könnte, und sympathisch die Erregung
nennen, welche eine Lichtempfindung hervorruft, antagonistisch
diejenige, welche, ohne eine subjective Lichtempfindung zu erzeugen,
die Wahrnehmung objeetiver Lichteindrücke schwächt oder aufhebt.
Dieser Befund, dass die Retina so weit von der afhcirten Stelle miterregt
wird, ist keineswegs überraschend, denn schon aus den von Prieur
de la Cöte d’Or (Annales de Chimie et de Physique T. 54 annee 13,
conf. Plateau ibid. T.58 annee 1835, pag. 361) und noch mehr aus
den von Chevreul (Memoires de Institut T. XT, 1832, p. 447)
angestellten interessanten Untersuchungen über den Einfluss gleich-
zeitig gesehener Farben aufeinander geht hervor, dass zwei farbige
Streifen von 2 Centimeter Breite sich in ihren Nüancen modifieiren,
wenn sie um ihre dreifache Breite von einander entfernt liegen. Auch
die Beobachtungen an farbigen Schatten gehören hierher, denn auch
bei diesen wird ja, durch Affeetion einer Stelle der Retina, eine
fern davon liegende Stelle derselben beeimflusst. Endlich gehört hierher
die Erscheinung, dass durch ein starkes auf eine Stelle der Retina
einwirkendes Licht andere Stellen der Retina für ein schwaches Licht
unempfindlich werden, eine den Astronomen geläufige Erscheinung.
So schliessen sich diese Beobachtungen des elektrischen Funkens
dem von Fechner ausgesprochenen Satze an (Poggendorff's An-
nalen, Bd. 50, p. 445):
„Der Eindruck, den eine Stelle der Retina empfängt, reagirt
auf die anderen Stellen der Netzhaut mit und zwar wird, wenn auch
nur ein sehr begrenzter Theil der Netzhaut getroffen wird,
der ganze übrige Theil der Netzhaut in Mitleidenschaft gezogen.“
Diese Mitleidenschaft kann nun entweder sympathisch (positiv)
sein, indem auf andern, als den affıeirten Theilen auch Licht em-
pfunden wird, oder antagonistisch (negativ), indem kein subjectiven
20*
292
Licht ‘empfunden und auch objeetives Licht nicht wahrgenommen
wird. Ich möchte daher dem andern Satze Fechner's nicht unbe-
dingt beistimmen, „dass die Veränderungen des direct und des sym-
pathisch affieirten Theiles stets complementär zu einander sind“,
denn der Kernstreifen und sein Hof waren nicht complementär zu
einander gefärbt, was sich noch deutlicher in den Versuchen mit
farbigen Gläsern, durch die der Funken gesehen wurde, zeigte. Da
ich indess später (unter 4) Beobachtungen mitzutheilen habe, welche mit
Fechner’s Satz in Einklang sind, und Fechner selbst viele Beobach-
tungen für denselben, angeführt hat, so glaube ich, dass derselbe zwar
für viele Erfahrungen Geltung hat, dass aber weitere Beobachtungen
nöthig sind, um zu eruiren, ob er allgemeine Geltung hat, oder nicht.
ce) Die auch hier beobachteten Oseillationen (Plateau) werden
unter 4 besprochen werden.
2. Nachbilder vom elektrischen Funken auf den
peripherischen Theilen der Netzhaut.
Um die Entfernung des Funkens' und seines Bildes von dem
Centrum der Retina bestimmen zu können, musste erstens ein Punkt
im finstern Zimmer fixirt werden, zweitens musste der überspringende
Funken in der Peripherie eines Kreises liegen, dessen Mittelpunkt
das Auge, dessen Halbmesser die Entfernung vom Auge zum‘ fisir-
ten Punkte war. Als Fixationspunkt diente ein in dem Pfropfen
einer Flasche befestigtes Streichhölzchen, welches kurz vor dem Ver-
suche mit nassen Fingern gerieben wurde und dann genügend glänzte
ohne zu beleuchten. Es befand sich in gleicher Höhe mit den bei-
den Kugeln der Riess’schen Flasche. Ferner war auf dem: Tische,
auf dem die Flasche stand, ein Kreisbogen von 10. zu: 10, Graden
abgetheilt, aufgemalt und endlich ein Brett mit ‚einem Ausschnitte
auf dem Tische so angebracht, dass, wenn der Kopf an dasselbe ange-
lehnt wurde, sich das Auge im Mittelpunkte, des Kreises und. in: glei-
cher Höhe mit den Kugeln der Flasche befand. Figur I. Beidem Ver-
suche wurde also das Auge und zwar immer dasrechte Auge ins Centrum,
das; Streichhölzchen ‚auf 0% und die Riess’sche Flasche um. gewisse
293
Grade vom Fixationspunkte entfernt gebracht. Die Funken spran-
gen über bei 10°, 20°, 30°, 45°, 60°, 70°, 80° In allen diesen
Entfernungen vom Centrum erschien immer der Funken als ein
grosser glänzender Fleck ohne bestimmte Begrenzung und Färbung,
und ebenso erschien das Nachbild; es war nur gelblich tingirt.
Besondere Unterschiede in der Helligkeit seines Centrums und seiner
Peripherie waren auf den jenseits 20 Grad gelegenen Theilen nicht
mehr zu bemerken, ebensowenig bestimmte Phasen, es wurde nur im
Verlaufe einiger Secunden matter. Bei 10° und auch noch bei 20°
liess sich ein hellerer Kern, aber auch nicht bestimmt begrenzt,
wahrnehmen, an dessen Stelle nach Verlauf einiger Secunden ein
dunkler Fleck (in dem hellen Nebel) auftrat. In vielen Versuchen
ist mir ein starkes Wogen (Osecillation) im Hofe des Nachbildes auf-
gefallen, ausserdem war der Hof und das ganze Nachbild von viel
bedeutenderer Grösse, als bei directem Sehen. Farben des Nach-
bildes habe ich nicht bemerken können, auch nicht wenn der Funken
durch farbige Gläser indireet gesehen wurde; es war dann nur viel
lichtschwächer. Vielleicht würde eine Unterscheidung von Farben
eher gelingen, wenn man die Versuche im Halbdunkel anstellte. —
Die Nachbilder, welche in der Nähe des gelben Fleckes bei unge-
nauer Fixation entstehen, verhalten sich, so weit sie ohne Augenlid-
bewegung verfolgt werden können, ebenso wie die centralen. — Auf-
fallend ist auch bei diesen Versuchen das Verschwinden des glänzenden
Streichhölzchens, welches fixirt wurde, nach dem Ueberspringen des
Funkens und während der ersten Secunden des Nachbildes. Etwas stö-
rend wirken dagegen die Nachbilder, welche von den im Zimmer befindli-
chen, durch den Funken erleuchteten, Gegenständen gewonnen werden.
Es zeigt sich also auch in diesen Versuchen das Abnehmen der
Schärfe für das Erkennen der Form und der Farbe nach den peri-
pherischen Theilen der Netzhaut hin. Es ist fast immer nur der
Eindruck einer hellen nicht scharf begrenzten Fläche geblieben, er
ist also positiv gewesen; nur mehr nach dem Centrum hin ist der
Uebergang in die negative Phase (einen dunklen Kern) zu bemerken
gewesen. Diese Beobachtung war gleichwohl für mich sehr über-
294
raschend, weil sowohl Foerster wie ich uns häufig bemüht hatten,
Blendungsbilder durch indireetes Sehen in die Sonne, oder in ein
helles Lampenlicht auf den peripherischen Theilen der Netzhaut zu
erzeugen, und uns dies nie, geglückt war. Wir haben weder posi-
tive noch negative Bilder bemerken können, Nun würden allerdings
negative Bilder dort immer eine grosse Unsicherheit haben und es
ist mir bei einer bestimmten Form des Versuchs ‚so vorgekommen,
als befinden sich dunkle Stellen auf der Peripherie, wenn ich längere
Zeit in die helle Lampe und dann auf einen weissen Bogen gesehen
hatte. Sollte sich diess in weiteren Versuchen, mit denen ich noch
beschäftigt bin, bestätigen, so würde vielleicht eine schnelle Ermüdung
der Seitentheile für blendendes Licht zu statuiren sein, was indess
wieder nicht zu meinen früheren Versuchen passen würde, in denen:
die Dauer der im diffusen Tageslichte erzeugten Nachbilder nur
wenig kürzer war, als die der centralen. Hier fehlen also noch
Versuche.
3. Nachbilder, wenn der Funken durch ein gefärbtes
Glas betrachtet wird.
Der Funken, durch ein. farbiges Glas gesehen, ist bedeutend
lichtschwächer; leider verhalten sich aber hierin die Gläser ganz
verschieden, beim rothen Glase ist die Lichtstärke z. B. viel geringer,
als beim grünen, bei diesem schwächer als beim. blauen. Die Ent-
fernung der Messingkugeln betrug immer in diesen Versuchen 10 Mm.
oder 11 Mm. Es ist hier viel schwieriger, einen Punkt zu fixiren,
weil man wegen der Schwächung der Lichtintensität kaum noch die
kleinen von den Drähten ausstrahlenden Lichtbüsche] bemerkt und
daher die Orientirung viel schwieriger ist; indess ist es mir doch
gelungen, Nachbilder, die sich nicht bewegten, zu bekommen. Man
muss auch darauf Acht haben, dass die Gläser nicht mit Wasser-
dampf beschlagen, weil man sonst Lichthöfe bekommt, die von dem
Beschlage des Glases herrühren und die Beobachtung verwirren.
Ganz zu vermeiden ist ein sehr lichtschwacher Hof indess überhaupt
nicht, wenn man eine Flamme durch gefärbte Gläser betrachtet.
295
Rein rothes Glas (überfangen, lässt nur Roth durch).
Der Funken erscheint intensiv, roth mit rothem Hofe, von dem
er nicht deutlich getrennt ist, und sehr lichtschwach. Unmittelbar
nach dem Ueberspringen erscheint ein ziemlich tiefes Grün, dann
ein blasses rundes Nachbild, von dem ich mich vergebens bemüht
habe zu bestimmen, ob es grün oder roth ist. Stellte ich mir’s in
Gedanken grün vor, so hätte ich es ‚eher roth nennen mögen und:
umgekehrt. Wer nicht in dem Falle gewesen ist, sich strenge Rechen-
schaft über Farbennüancen zu: geben, der wird diese Bemerkung
vielleicht abgeschmackt finden; ich führe deshalb zu meiner Recht-
fertigung, einen Ausspruch von Fechner an, dessen, Autorität in
Beurtheilung von Farbennüancen wohl Niemand in Frage stellen
wird: „Statt zu sagen, ich sehe es entweder grünlich oder
röthlich, ist indess richtiger zu sagen, ich sehe beide Nüancen zugleich
im Gemenge neben einander; es kann aber das Auge leicht mehr
auf die eine oder die andere Färbung reflectiren.* (Poggendf. Ann.
Bd.' 44. p. 223).
Grünes Glas (überfangen; lässt vom Tageslichte durch: wenig
Roth, viel Gelb, wenig Blau, fast kein: Violet).
Der Funken erscheint lichtstärker, als durch Roth, und zwar
grün, mit grünem Hofe. Im Nachbilde erscheint der nicht scharf
begrenzte Funken und seine nächste Umgebung blaugrün und ist mit
einem röthlich gelben Nebel umgeben. Dieser Nebel‘ zieht sich,
indem er den Hof gleichsam verzehrt, schnell zu einem roth tin-
girten Striche zusammen. Dieser bleibt bis zuletzt: und löst sich
entweder in einen Hof auf oder verschwindet. ‚Ein Hof’ um den
hellen Streifen war nicht wahrzunehmen.
Blaues Glas (überfangen; lässt vom Tageslichte' alles durch
ausser Violet).
Der Funken ist fast eben so lichtstark, als wenn er ohne Glas
gesehen wird; er ist blau, mit blauem Hofe, Das Nachbild ist ‘gleich-
falls blau, der Rand des Hofes dagegen gelbroth; er verzehrt schnell
den blauen Hof und Kern und schrumpft zu einem röthlichen 'Strei-
fen zusammen. Dieser umgiebt sich oft mit einem gelben Hofe;
296
manchmal aber bleibt er ohne Hof; wird dabei gelb, später weiss;
nachher wird'er wieder gelblich, dann röthlich tingirt und in diesen
letzten Abwandlungen tritt immer ein Hof auf. Ist der Hof inten-
siv, so ist er von dem helleren Kern durch einen dunkeln Ring
getrennt. Zuletzt löst sich alles in einen gelben Hof auf.
Gelbes Glas (lässt durch: sehr wenig Blau und Violet, sonst
Alles).
Beim Ueberspringen des Funkens erscheint eine lichtstarke,
gelbröthliche Scheibe, in der Mitte am hellsten, nach aussen an Inten-
sität abnehmend bis zu der Grösse etwa eines Handtellers: um die-
sen ein rein weisslicher Nebel von etwa Tellergrösse. Dieser äussere
Hof verschwindet sogleich, und das Nachbild ist ein gelblich grüner
Kern, mit einem röthlich gelben Hofe umgeben. Nach dem Grün
erscheint Blau, dann Gelb. Wahrend dessen bleibt die Scheibe und
nun erst schrumpft sie zu dem horizontalen Kernstreifen zusammen,
der nur noch sehr wenig röthlich tingirt ist. Er wird immer mehr
weiss und nimmt zuletzt einen bläulichen Schein an. Zugleich tritt
ein gelber Hof auf, der durch einen dunkeln Ring von dem
Kernstreifen getrennt ist; dann wird alles undeutlich.
Violettes Glas (lässt alles durch, aber nur sehr wenig gelb).
Der Funken ist ungefähr so intensiv, wie bei Grün; schön vio-
let mit gleichem Hofe. Im Nachbilde ist ein grosser Hof, in dem
noch etwas Blaues ausser dem Gelb zu bemerken ist, indess habe
ich nie recht die Form des Blauen bestimmen können. Er zieht
sich auf einen zuerst blauen, dann gelben, oder gleich zu einem gel-
ben Streifen zusammen, der immer schmaler und weisser wird und
sich endlich in einen unbestimmten Fleck auflöst. Ein Hof fehlt in
den letzten Phasen.
Die Variationen der vollständigsten Beobachtungen beziehen
sich zunächst auf einen Zwischenraum zwischen dem Erscheinen des
Funkens und dem Auftreten des Nachbildes, in welchem das ganze
Gesichtsfeld dunkel ist. Mitunter erscheint das Nachbild indess un-
mittelbar nach dem Funken und untrennbar von ihm. Worauf diese
Verschiedenheit beruht, vermag ich nieht anzugeben, vielleicht wird
297
sie durch Augeplidbewegungen im Momente nach dem Funken bedingt,
indess weiss ich dann wieder nicht, ob eine Augenlidbewegung oder
das Unterbleiben derselben jene Dunkelheit des Gesichtsfeldes bedingt.
Ich habe dies auch unter andern Umständen (s. 4.) beobachtet. Ferner
finden Verschiedenheiten in dem Erscheinen des Nachbildhofes statt
so wie in seiner Grösse und Deutlichkeit. — Endlich verschwindet das
Nachbild manchmal ohne Hof, manchmal löst es sich in einen Hof auf.
Abweichend von den Experimenten mit Sonnen- und Lampen-
licht zeigt sich der Hof nicht complementär gefärbt; er ist
fast immer gleichfarbig, während des Ueberspringens von Funken,
und im Nachbilde pflegt auch nur die äusserste Peripherie anders
und zwar öfters complementär gefärbt zu sein. In späteren Stadien
ist der Hof immer gelb. Der Kern zeigt sich immer überwiegend
weiss, seine nicht starken Farbennüancen lassen sich nicht unter eine
Regel bringen; hiervon liegt die Schuld wohl mit an der Unreinheit
der Gläser. — Immer aber ist das Nachbild positiv, und wird
erst im letzten Momente negativ, d. h. dunkel in einem hellen
Nebel. Das nachherige Erscheinen eines positiven Nachbildes habe
ich nicht beobachtet.
Merkwürdig ist das Aufireten eines positiven complemen-
tären Nachbildes bei dem rothen Glase. Es ist dieselbe Erscheinung,
welche Brücke bei Kerzenlicht beobachtet und in seiner Abhand-
lung (Poggendorff’s Annalen Bd. 84) p.443 beschrieben hat, und
die ich ebenso, wieBrücke, sehe, nur hat bei mir das grüne Nach-
bild einen stark bläulichen Teint. Wenn das Experiment nicht so-
gleich gelingen sollte, so kann man es dadurch dahin bringen, ein
intensives grünes positives Nachbild zu erhalten, dass man während
des Beobachtens der Flamme die Augen auf Momente schliesst und
gleich nachher wieder auf das Licht sieht.
Ich habe noch einer eigenthümlichen Erscheinung zu gedenken,
von der ich unsicher bin, ob sie mit den Nachbildern in einem Zu-
sammenhange steht. Ich habe nämlich dreimal, an drei verschiedenen
Tagen, nachdem ich eben den Funken durch rothes Glas beobachtet
hatte, und einmal, als ich ihn durch grünes Glas gesehen hatte, und
298
einige Zeit, nachdem das Nachbild verschwunden war, in das Finstere
starrte, einen hellen Fleck von röthlicher Farbe bemerkt, und von
der. Grösse eines Handtellers, der alsbald im Centrum grünlich zu
werden anfıng und allmälig. ganz grün wurde, dann wieder ‘vom
Centrum aus röthlich wurde, dann wieder grünlich und sofort... Das
eine Mal habe ich diesen Wechsel 15mal, ein anderes Mal, wo.ich
gezählt habe, 10mal erfolgen sehen. Da ich ‘so etwas weder sonst
nach dem Betrachten des Funkens, oder einer Flamme etc. bemerkt
habe, aber auch nicht später nach längerem Verweilen im Finstern,
so. weiss ich nicht, ‚ob diese Erscheinung »als Nachbild zu. deuten
und mit dem Funken in Zusammenhang zu bringen ist, oder nicht.
4. Nachbilder von Objeeten, welche durch den Funken
beleuchtet werden.
Zur Untersuchung dieser Reihe von Nachbildern diente die im
vierten Bande dieser Zeitschrift pag. 217 beschriebene Vorrichtung:
weisse Papierbogen mit rothen, schwarzen ‘oder blauen, je 1 Qua-
dratcentimeter grossen und je 1 Centimeter von einander entfernten
Quadraten; die Bogen sind zu einem Halbeylinder gebogen, in
dessen Axe sich das Auge, den Quadraten gegenüber befindet. Zwei
Fuss davon entfernt in der Verlängerung der Axe des Cylinders
befinden sich die Kugeln der Riess’schen Flasche, so dass der
überspringende Funken die Bogen: mit den Quadraten ziemlich
gleichmässig beleuchtet. In Figur II sieht man die Vorrichtung so,
wie sie gebraucht wurde, aufgestellt; in A ist'das Auge, das unterste
(mittelste) Quadrat F wird fixirt, in E’ springt der Funken über. —
Ausserdem hatte ich Bogen mit verschiedenen Figuren von
1 Quadratcentimeter Flächeninhalt in Zwischenräumen: von je 1 Cen-
timeter beklebt; es waren Kreise, Halbkreise, recht-, spitz- und stumpf-
winklige Dreiecke, Parallelogramme und Quadrate, welche unregel-
mässig mit einander wechselten, von rother: und schwarzer ı Farbe:
Sie: sollten dazu: dienen, angeben zu können, wie. weit vom Centrum
entfernt ein: Vorgang an einer Figur stattfände, weil es sich in den
früheren Versuchen gezeigt hatte, dass: das Zählen von Quadraten
299
bei unbewegter Retina nur sehr mangelhaft geschehen kann. In-
dess wird dadurch die Ortsangabe. auch nur wenig erleichtert,
und da ausserdem farbige Figuren von gleichem. Flächeninhalte
keineswegs gleichwerthig für den Farbensinn sind, so. gebe ich den
Quadraten den Vorzug. Ferner hatte ich tiefschwarze Papierbogen
mit weissen Quadraten und Figuren beklebt. Auf diese Weise
wurde es möglich, zugleich die direeten und die peripherischen Nach-
bilder zu prüfen.
Schwarze Quadrate auf weissem Grunde. Im Augen-
blicke, wo der Funken überspringt, erscheint die ganze Reihe der
Quadrate scharf begrenzt, der weisse Grund etwas bläulich
tingirt. Scheinbar gleichzeitig aber erscheinen mit den schwarzen
Quadraten zugleich an derselben Stelle glänzendhelle Qua-
drate mit bläulichem Teint. Darauf erscheinen sogleich die Qua-
drate wieder und zwar als schwarze Quadrate auf weissem, etwas
gelblichem Grunde. Die Quadrate des Nachbildes erscheinen nur
ganz kurze Zeit scharf begrenzt; zuerst wird der Rand der periphe-
risch gelegenen Quadrate verwischt, dies schreitet allmälig nach dem
fixirten, Quadrate hin fort; dabei wird das Nachbild matter, die
Quadrate fliessen endlich zusammen, und es bleibt nur ein schwarzer
Streifen von wenigstens 3 Centimeter Breite mit verschwommenen
Rändern auf einem helleren Grunde. Das Bild wird immer licht-
schwächer und undeutlicher und verschwindet endlich ganz. — Ebenso
verhalten sich die Figuren, indessen glaube ich mich bei ihnen und
später auch. bei den Quadraten überzeugt zu haben, dass die vor-
erwähnten, scheinbar gleichzeitigen glänzenden Nachbilder nur. in
der mehr centralen Region sichtbar sind, so dass nur 7—10 Figuren
oder (Quadrate glänzend erscheinen; weiter seitlich konnte ich sie
nicht mit Bestimmtheit wahrnehmen. —
Ich habe mich nun sehr bemüht, nachher noch negative Nach-
bilder zu bemerken, indess habe ich nur einige Male einen matten
Streifen im Dunkel zu sehen geglaubt. Eine eigentliche Oseillation
fehlt daher; da aber in den meisten Versuchen das positive Nachbild
seine volle Intensität erst allmälig erlangte, in einigen Versuchen die
300
Quadrate im Anfange des Nachbildes sogar ganz verwaschen und
undeutlich erschienen, im weitern Verlaufe aber schwärzer und scharf
begrenzt wurden, so, glaube ich, kann man hierin, wenn man der
Plateau’schen Darstellungsweise folgt, die erste Curve einer Oseil-
lation sehen, welche folgende Form haben würde (Figur II):
Af bedeutet die Zeit, Ab die Stärke des momentanen objectiven
Gesichtseindruckes, Ac das scheinbar gleichzeitige negative comple-
mentäre Bild; die Curve « entspricht der Erscheinung, wo der
objetive Eindruck sofort in das positive Nachbild übergeht; die
Curve #, wo das Bild im Anfange schwächer ist, aber dann wieder
intensiver wird, die Curve y, wenn ein Zeitraum, wo alles dunkel
ist, zwischen dem objeetiven Eindrucke und dem positiven Nachbilde
liegt. Ac gilt für alle 3 Curven. Ob die dunkeln Quadrate und ihre
negativen Bilder gleichzeitig erscheinen, oder ob nur ein so kurzes
Intervall zwischen ihnen liegt, dass der Zeitsinn nicht scharf genug
ist, um es wahrzunehmen, muss zweifelhaft bleiben.
Rothe Quadrate auf weissem Grunde. Im Augenblicke,
wo der Funken überspringt, erscheinen die Quadrate mehr oder
weniger intensiv roth gefärbt, je nach der Stärke des Funkens,
immer aber scharf begrenzt. Wieder scheinbar gleichzeitig mit ihnen
erscheinen hellgrüne, glänzend helle Quadrate, die rothen nicht ganz
deckend, sondern etwas verschoben gegen sie. Der weisse Grund
erscheint grünlich tingirt. Dann tritt unmittelbar nachher das positive
Nachbild auf, indem die Quadrate nur noch wenig oder gar nicht
mehr roth tingirt sind und sich mehr dem Schwarz nähern. Schnell
werden sie ganz schwarz und verhalten sich nun weiterhin ebenso
wie die schwarzen, d. h. sie verschmelzen unter einander, so dass
nur noch ein breiter, dunkler verschwommener Streifen durch das
helle Gesichtsfeld geht. An der Peripherie fängt das Undeutlich-
werden der Quadrate meist zuerst an, und schreitet dann schnell
nach dem Centrum fort; indess kann auch die ganze Reihe der
Quadrate gleichzeitig undeutlich werden. Der dunkle Streifen verblasst
und verschwindet allmälig, indem die Finsterniss obsiegt. — Auch
bei den rothen Quadraten erschien das positive Nachbild mitunter
301
im Anfange mit verwaschenen Quadraten, die erst allmälig scharf
begrenzt wurden; indess hatte die Färbung derselben ihren eignen
Gang, denn die Farbe war zu Anfang immer am meisten roth und
wurde, mochten die Quadrate schnell oder langsam scharf begrenzt
werden, immer schnell schwarz. Positiv muss man das Nachbild
trotzdem nennen, denn roth ist ja dunkler als weiss.
Blaue Quadrate auf Weiss. Diese ergeben keine bestimmten
Resultate; da nämlich der Funken sehr viel Blau enthält, so kann
der Contrast zwischen den blauen Quadraten und dem weissen Grunde
nicht sehr bedeutend sein; die Quadrate erscheinen daher von einem
sehr hellen Blau und grenzen sich nicht scharf gegen ihre Umgebung
ab. Die negativen gleichzeitigen Bilder wurden daher gar nicht be-
merkt, der Grund war kaum gelblich tingirt und die blauen Nach-
bilder sehr matt und undeutlich.
Weisse Quadrate auf schwarzem Grunde. Diese er-
scheinen beim Ueberspringen des Funkens schwach bläulich tingirt.
Negative Bilder waren nieht zu bemerken. Im positiven Nachbilde
traten sie als schmutzig olivengrün gefärbt auf, kamen unregelmässig
und verschwanden auch so, dass bald das eine, bald das andere un-
deutlich wurde. Zuletzt war nur noch ein etwas hellerer Streifen
auf dunkelm Grunde. Ebenso verhielten sich die. Figuren.
Veränderungen durch. die Stärke des Funkens ‘waren zu be-
merken in Bezug auf die Intensität und die Dauer der Nachbilder.
Das objeetive. Bild ist licht- und farbenschwächer, die negativen
Quadrate treten nur undeutlich auf ‚und sind ‚bei einer Entfernung
der Kugeln von 4,5 Mm. gar nieht mehr zu bemerken. (Sie dauern
ferner bei einem. ‚starken Funken, wie ‚es ‚scheint, länger, als bei
einem mittleren, wenn hier nicht eine ähnliche Sinnestäuschung ob-
waltet, wie sie Volkmann bei den Herztönen ‚gefunden hat.) Merk-
würdigerweise dauert aber umgekehrt das positive Nachbild be-
deutend und zwar mehr als noch einmal so lange‘ bei ‚einem
schwachen, als bei einem starken Funken. Der Unterschied ist
ausserordentlich auffallend, und ich habe. so viel vergleichende Beob-
achtungen gemacht, dass ich‘ dies‘ mit der ‚grössten. Sicherheit. be-
302
haupten kann, Dieser Unterschied tritt besonders deutlich hervor,
wenn, wie dies bei grosser Entfernung der Kugeln leicht vorkommt,
der Funken, nachdem er das erste Mal zwischen den Kugeln über-
gesprungen ist, das nächste Mal von eimer Belegung der Fläsche zur
andern überspringt; in letzterem Falle ist er selir lichtschwach. Es
fällt mit dieser Beobachtung eine Behauptung Plateau’s gegen
Scherffer. Scherfferhatte zur Erklärung der Nachbilder imFinstern,
die ihm viele Schwierigkeiten machte, gesagt, pag. 17: „Zu diesem
kömmt noch, dass, weil wir keinen Körper von einer einfachen Farbe
haben, alle Gattungen des Lichts, z. B. von eimem rothen zurück-
strahlen, obschon die rothe die Oberhand hat. Und diese Strahlen
sind nicht so wenig, als man sich vielleicht einbildet, denn dergleichen
zurückgeworfenes Licht lässt sich sehr deutlich durch ein gläsernes
Dreieck in die sieben Hauptfarben absondern. Wenn man alle diese
Strahlen zusammennimnit, vielleicht verursachen sie in dem Auge
eine gemässigte Bewegung, welche eben darum länger fort-
dauert, als die allzugrosse, welche von der eignen Farbe der Figur
ist erregt worden, und ehender undeutlich wird, nachdem der äussere
Gegenstand zu wirken aufhört.“
Diese letztere Möglichkeit will nun Plateau in seiner Abhand-
lung S. 15 nicht zugeben: „Je n’ai pas besoin d’insister sur le peu
de fondement de cette nouvelle maniere d’envisager les couleurs
aceidentelles, A laquelle du reste personne n’a fait attention. Elle
repose en effet sur ce principe que rien ne justifie et qui a contre
lui toutes les analogies et toutes les probabilites, qu’une impression
forte subsiste moins long-temps, aprös la cessation de la cause
exterieure, qu’une impression plus faible. Elle conduirait d’ailleurs
A cette consequence &videmment fausse, que les eouleurs aceidentelles
ont moins de dure&e lorsque l’objet qui les a fait naitre 6tait plus
&clatant.“ Hier haben wir aber beim elektrischen Funken ein
Beispiel, dass die Nachbilder von geringerer Dauer sind, wenn ein
starker Eindruck gemacht worden ist, als wenn derselbe schwach
gewesen ist. Es ist hier nicht der Ort, auf die Scherffer-Pla-
teau’sche Controverse einzugehen, indess sieht man daraus, wie
303
vorsichtig man mit theoretischen Deductionen bei den Nachbildern
sein muss,'und esist nach dem oben erwähnten die Möglichkeit nicht
ausser Acht zu lassen, dass ein ähnliches Verhalten gegen starke
und schwache Eindrücke die eigenthümliche Reaction der peripheri-
schen Netzhauttheile gegen die Nachbilder bedingt. — Man wird nun
freilich verlangen, dass ich diese Angabe mit bestimmten Zahlen
belege; da mir indess genaue für diesen Zweck passende Instrumente
nicht zur Verfügung standen, und die Grenzen der Nachbilder über-
haupt nieht so leicht: zu, bestimmen ‚sind, so.habe ich es vorgezogen,
statt ungenauer Zahlenangaben lieber gar keine zu machen, und
kann nur wiederholen, dass bei einem Funken von 10 Mm. Länge
das positive Nachbild der Quadrate nur halb so lange dauert, als
bei einem Funken von 45 Mm. Länge. Hoffentlich bietet sich mir
bald Gelegenheit, diesen Mangel nachzuholen.
Da ich bemerkt hatte, dass bei den schwarzen und rothen Qua-
draten auf weissem Grunde, so wie bei den weissen Quadraten auf
schwarzem Grunde das Weiss nicht rein weiss, sondern mit einer
Farbennüance erschien, so untersuchte ich noch farbige Streifen von
30 Ctm. Länge und 8 Ctm. Breite, auf welche schwarze oder weisse
Quadratcentimeter je 1 Centimeter von einander entfernt aufgeklebt
waren. Diese Streifen wurden auf einen weissen Papierbogen oder
auf schwarzen Sammet an meinem Apparate gelegt und bei Funken
von 10 Mm. Länge beobachtet. Das Bild auf die Fläche projieirt
war dann so (s. Figur IV):
ab bedeutet die Reihe der Quadrate auf dem gefärbten Streifen c ec;
d d bezeichnet die weisse resp. schwarze Unterlage.
1) a. Rother Streifen mit weissen Quadraten auf
weissem Papier.
Der Streifen erscheint beim Ueberspringen des Funkens roth,
der Grund grün tingirt ; 'ebenso die Quadrate. "Gleichzeitig oder
unmittelbar nachher erscheint das negative complementäre Bild momen-
tan: hellgrüner Streifen, auf welchem die Quadrate nicht zu bemer-
ken sind. Dann tiefes Dunkel. Aus diesem taucht ein tief grün
304
gefärbter Streifen auf, mit undeutlichen röthlichen Quadraten; der
Streifen wird etwas stärker grün und hebt sich mehr. von dem
röthlichen Grunde ab. Dann wird er wieder dunkel und verschwimmt
mit dem Grunde.
Ebenso verhält sich der rothe Streifen mit den schwarzen Qua-
draten ; nur bleiben die Quadrate immer schwarz auch im Nachbilde,
ohne negative Bilder zu entwickeln.
1) b. Rother Streifen mit weissen Quadraten auf
schwarzem Sammet.
Beim Ueberspringen des Funkens Roth mit grünlichen Quadra-
ten. Dann sofort ziemlich dunkelgrünes Nachbild, welches bleibt;
späte? treten in demselben röthliche Quadrate auf; das Grün wird
sehr bald bläulich und später fast ganz blau, von etwas schmutzigem
Teint. Die Quadrate kommen unregelmässig und trennen sich erst
allmälig von einander. Dann verschwinden sie auch unregelmässig,
indem alles dunkel wird. — Ebenso ist es bei dem Streifen mit den
schwarzen Quadraten.
2) Grüner Streifen.
a. Auf weissem Papier gab derselbe kein bestimmtes Resultat,
wahrscheinlich weil das Grün zu hell war und zu wenig gegen den
Grund contrastirte.
b. Mit weissen Quadraten auf schwarzem Sammet.
Mit dem schwach grünen Bilde beim Funken, erscheinen auch; die
weissen Quadrate mit röthlichem Teint. Unmittelbar nach dem
Funken, scheinbar gleichzeitig mit ihm, eine röthliche Färbung des
Streifens; dann erscheint der Streifen im Nachbilde weiss; ob er
röthlich oder grünlich tingirt ist, lässt ‘sich nicht unterscheiden.
e. Mit schwarzen Quadraten aufischwarzem Sammet.
Der Streifen erscheint beim Funken nur schwach grün, überwiegend
weiss}; im Nachbilde röthlich tingirt.. Von negativen Nachbildern der
Quadrate ist nichts zu. bemerken.
805
3. Blaue Streifen mit weissen Quadraten auf Weiss.
Der Streifen erscheint hellblau mit gelben Quadraten auf gelb-
rothem Grunde. Nachher ist alles dunkel. Aus dem Dunkel ent-
wickelt sich ein dunkler Streifen auf Grau, welcher immer heller
wird und zuletzt schmutzig hellblau aussieht. Der Grund hellt sich
‘gleichfalls auf und wird röthlich; die Quadrate erscheinen hell,
gelb-röthlich tingirt und nicht alle gleich deutlich. Der Streifen
verschwindet von den Seiten her.
b. Blauer Streifen mit schwarzen Quadraten auf
Weiss. Erscheint als Blau mit schwarzen Quadraten auf gelb-
rothem Grunde. Gleichzeitig ein gelbes Nachbild von den Streifen.
Dann schmutzig graublaues Nachbild mit schwarzen Quadraten auf
gelbröthlichem Grunde.
ec. Blaner Streifen mit weissen Quadraten auf schwar-
zem Sammet. Mit dem Blau während des Funkens erscheinen
die Quadrate gelb glänzend. Darauf erscheint ein intensiv gelbes
Nachbild, welches bleibt. Auf ihm entwickeln ‚sich. in unregelmässi-
ger Reihenfolge weisse glänzende, förmlich abgehobene Quadrate,
die auch wieder unregelmässig matt werden und verschwinden, Der
Streifen verschwindet etwas später, bleibt aber bis zu Ende gelb.
d, Blaue Streifen mit schwarzen Quädraten auf
schwarzem Sammet. Während des Funkens etwas matt‘ blau,
gleichzeitig ein weisses Nachbild; darnach in einigen: Versuchen alles
dunkel, in andern sogleich ein gelbes Nachbild mit schwärzen- Qua-
draten; das Gelb. ist etwas grauröthlich tingirt.
4) Gelber Streifen mit weissen Quadraten.
Unterlage weiss. ‚
Erscheint während des Funkens als Gelb; auf bläulich tingirtem
Grunde, gleichzeitig mit ihm ein schönes lichtes Blau. Dann ist
alles dunkel. Aus der Finsterniss taucht ein dunkelblauer Streifen
auf; der Streifen hellt sich auf, es erscheint ein grauer Grund; dann
erscheint der Streifen blau auf röthlichem Grunde mit röthlichen
Quadraten.
Moleschott, Untersuchungen, V, 21
306
b. Mit schwarzen Quadraten. Der Streifen erscheint gelb
mit schwarzen Quadraten auf bläulichem Grunde ;, gleichzeitig der
Streifen dunkelblau ohne ‚Quadrate. Dann alles dunkel. Darauf wird
der Streifen intensiv blau mit schwarzen Quadraten ; das Blau wird
heller, die Quadrate bleiben schwarz, der Grund bleibt röthlichgelb
bis zu Ende.
c. Gelber Streifen mit weissen Quadraten; Unter-
lage schwarz. Er erscheint beim Funken gelb mit bläulich tin-
girten weissen Quadraten. Dann sogleich schön blau; dies wird
schnell hellblau und fast weiss mit schönen gelblichen Quadraten, die
unregelmässig kommen und verschwinden.
d. Mit schwarzen Quadraten. Erscheint beim Funken
gelb mit schwarzen Quadraten, gleichzeitig hellblau; dann sofort
gelb mit schwarzen Quadraten und bleibt bis zu Ende gelb.
Gemeinschaftlich bei allen diesen Versuchen und in Ueberein-
stimmung mit den früheren Versuchen, wo Objecte durch den Funken
erleuchtet wurden, zeigt sich das länger dauernde und constant auf-
tretende Nachbild stets positiv, d. h. das Helle im Object ist auch
hell im Nachbilde und umgekehrt. So sieht man auch Gegenstände
und Personen, die sich in dem finstern Zimmer, welches durch den
Funken erleuchtet wird, befinden, im Nachbilde ebenso, wie während
des Funkens, und ihr Beharren im Nachbilde sowie ihr allmäliges
Vergehen macht einen komisch unheimlichen Eindruck. Diese Nach-
bilder verhalten sich also gerade umgekehrt, wie die nach langem
Betrachten der Objecte entstehenden, welche immer nur negativ er-
scheinen.
Dagegen zeigen sich nun grosse Verschiedenheiten in der Farbe
der Nachbilder, denn sie sind bald complementär, bald gleichfarbig,
wie die folgende Tabelle zeigt.
307
Complementäres Nachbild. Gleichfarbiges Nachbild.
Streifen Quadrate Unterlage Streifen Quadrate Unterlage
Roth weiss weiss |
ditto ditto schwarz
Blau weiss schwarz Blau weiss weiss
Blau schwarz schwarz Blau schwarz weiss
Gelb weiss weiss Gelb schwarz schwarz
Gelb schwarz weiss
Gelb weiss schwarz
Eelatanter konnte sich die Brückesche Warnung wohl nicht
bewahrheiten, „man möge vorsichtiger in der Verallgemeinerung, der
gefundenen Sätze zu Werke gehen, und nicht ohne weiteres aus einer
Erscheinung, welche man bei einer Farbe wahrgenommen hat, auf
analoge Erscheinungen bei andern Farben schliessen.“
Völlig verdutzt gemacht hat mich das Verhalten des Roth. Die
Quadrate auf dem weissen Papierbogen und der rothe Streifen mit
den weissen Quadraten sind von demselben Bogen geschnitten ; sie
verhalten sich gegen das Prisma ganz gleich und doch erscheinen
die ersteren im Nachbilde deutlich roth, der letztere
entschieden grün; ich kann nicht glauben, dass ich mich. ge-
täuscht habe: ich habe die Experimente mit den rothen Quadraten
und mit den rothen Streifen an demselben Tage, unter ganz gleichen
Umständen wechselsweise hintereinander angestellt; die Erscheinung
blieb immer dieselbe. Das einzig Verschiedene ist die Grösse der
rothen Fläche an sich und im Verhältniss zum Weissen, denn wäh-
rend dort im Ganzen nur 30 Quadratcentimeter Roth vorhanden
waren, betrug hier die Fläche des Roth 225 Quadratcentimeter. Im
diffusen Tageslichte zeigen indess beide Objecte das Nachbild von
gleicher complementärer Farbe. Jedenfalls würden zur Aufstellung
eines solchen Satzes, dass die Grüsse einer farbigen Fläche
dafür maassgebend ist, ob das Nachbild von derselben
oder von der complementären Farbe ist, neue Versuche
21%
308
nothwendig sein, um so mehr, da in beiden Fällen der primäre, objec-
tive Eindruck und das scheinbar gleichzeitige negative Nachbild gleich
waren. Jedenfalls wird man aber an die Möglichkeit eines solchen
Verhaltens denken, und auf die Grüsse- der das Nachbild erzeugen-
den Fläche aufmerksam sein müssen. Auch muss ich noch zur
Stütze dieses Parodoxons anführen, dass die weissen Quadrate und
Figuren auf schwarzem Grunde ganz anders nüaneirt im Nachbilde
erschienen, als der weisse Grund bei den schwarzen Quadraten
und Figuren. — Dagegen verhielt sich Blau unter beiden Umständen
gleich; es erzeugte auf Weiss immer ein positives Nachbild.
Merkwürdig ist ferner das Verhalten von Blau und Gelb im
positiven Nachbilde. Beide verhalten sich gerade entgegengesetzt.
Denn während Blau auf schwarzem Grunde und mit schwarzen
Quadraten ein complementäres gelbes Nachbild liefert, giebt
Gelb mit schwarzen Quadraten und auf schwarzem Grunde auch
ein gelbes, also ein gleichfarbiges Nachbild. Allerdings ist
das Nachbild von Blau nicht rein gelb, sondern mit etwas Grau-
Rosa verunreinigt, indessen ist es jedenfalls nicht blau. Wie sehr
sich die Nachbilder dieser beiden Farben gleichen, zeigte sich am
deutlichsten, als ich beide zugleich auf schwarzen Sammet legte, so
dass sie etwa 1 Decimeter von einander entfernt waren, und nun den
Funken überspringen liess; die Nachbilder waren sich sehr‘ ähnlich,
nur das des blauen Streifens hatte eine graue Beimischung. Diese
beiden Farben waren im Tageslichte an Tiefe ziemlich verschieden,
und zwar das Blau viel dunkler, im Lichte des elektrischen Funkens
aber erschien das Blau viel heller, so dass sie ziemlich als gleich
hell angesehen werden konnten. Dasselbe Verhalten zeigt sich, wenn
der Grund weiss ist, nur hat dann Gelb ein complementäres
blaues, Blau ein gleichfarbiges blaues Nachbild. Man sollte
nun glauben, dass, da Blau auf schwarzem Grunde ein gelbes Nach-
bild lieferte, mochten die Quadrate auf ihm weiss oder
schwarz sein, und Gelb auch ein gelbes, wenn es auf schwarzem
Sammet lag und mit schwarzen Quadraten beklebt war, — dass
auch Gelb mit weissen Quadraten auf schwarzem Grunde ein’ gel-
309
bes Nachbild geben würde; aber es ist umgekehrt schön blau, also
complementär. Allerdings ist es später fast gar nicht mehr gefärbt,
indess sprechen seine erste Färbung und die gelbe Färbung, der
weissen Quadrate dafür, dass es als complementär anzusehen ist.
Man erkennt noch mehr, wie vorsichtig man mit Schlüssen und Ana-
logie bei Nachbildern sein muss, wenn man dazu erwägt, dass auch
Blau auf weissem Grunde unabhängig von den schwarzen und
weissen Quadraten immer ein gleichfarbiges Nachbild lieferte.
Interessant ist jedenfalls die bedeutende Wirkung des Con-
trastes, dass dieselbe Farbe ein complementäres oder gleich-
farbiges Nachbild unter sonst ganz gleichen Umständen liefert, je
nachdem der Grund schwarz oder weiss ist, während man
doch a priori nur eine Nüaneirung des Nachbildes annehmen würde.
Eigenthümlich verhält sich der Contrast der Umgebung gegen
die scheinbar gleichzeitigen, schnell vorübergehenden complementären
Bilder. Ihr Verhalten ‘ist gewissermassen umgekehrt, wie das der
positiven Nachbilder,denn während sie constant complementär
gefärbt sind, sind sie bei schwarzer Umgebung positiv, d. h. sie
erscheinen hell, während das objeetive Bild hell auf dunklem Grunde
ist; bei weisser Umgebung negativ, sie erscheinen hell, während
das Objeet dunkel auf hellem Grunde ist. ‘Richtiger wird man indess
vielleicht sagen: sie erscheinen immer heller als ihr Object und unab-
hängig von dem Grunde. — Bei den positiven complementären Nach-
bildern, wenn dieselben unmittelbar dem objeetiven Eindruck folgten,
habe ich sie gar nicht bemerkt.
Es ist die Frage, wie wir überhaupt diese kurz dauernden com-
plementären Bilder anzuschen haben, ob’ sie als wirklich gleich-
zeitig anzusprechen sind, oder ob sie es nur scheinbar sind und
dann also in die Kategorie der eigentlichen ‘Nachbilder gehören.
Gegen ihre wirkliche Gleichzeitigkeit spricht die Verschiebung. der-
selben gegen das Object, indess ist es ja immerhin fraglich, ob in so
kurzer Zeit eine Augenbewegung stattfinden kann. Andrerseits ist
zu bedenken, dass sie vielleicht das Object von allen Seiten etwas
überragen, wie es auch oft den Anschein hat, und es nur wegen der
310
Unzulänglichkeit der Beobachtung als eine Verschiebung aufgefasst
wird; dass wir ferner vielleicht nur auf die Verschiebung schliessen
und sie dann auch wahrzunehmen glauben, weil es gegen unsern Ver-
stand ist, zwei Grössen gleichzeitig an demselben Orte wahrzuneh-
men. Ist aber die Erscheinung wirklich gleichzeitig, so würde darin
der Beweis liegen, dass sich der primäre und der complementäre Ein-
druck mit einander von Anfang an complieiren (Fechner) und
sich nicht succediren (Plateau.). Es würde sich dieser Auffassung
eine andere Erscheinung sehr gut anschliessen lassen, nämlich die
von mir ganz constant bei allen Farben beobachtete complementäre
Färbung des Grundes, wenn derselbe weiss ist, d. h. Licht genug
reflectirt, um die Farbenniance wahrnehmen zu lassen. Im Mo-
mente des Ueberspringens von Funken tritt also
gleichzeitig eine complementare Färbung des Grun-
des auf. Da nun bei einer längeren Betrachtung eines farbigen:
Flecks die complementäre Farbe gleichzeitig mit der objectiven auf-
tritt und dieselbe modificirt, so ist es mir wahrscheinlich, dass jene
complementäre Färbung nicht bloss den Grund, sondern auch die
farbige Fläche selbst überzieht und nun entweder wegen der grösse-
ren Intensität der objeetiven Farbe nicht bemerkt wird, oder unter:
Umständen bemerkt wird und dann jenes stetsmit dem Grunde
gleich gefärbte, scheinbar gleichzeitige, Bild ihr
Ausdruck ist.
Diese complementäre Färbung des Grundes ist auch noch in
anderer Rücksicht wichtig, denn sie beweist die Mitbetheiligung der
ganzen oder eines grossen Theiles der Retina an dem Eindrucke, der
auf einen kleinen Theil derselben gemacht wird. Eine solche sym-
pathische Erregung findet also nicht bloss in Beziehung auf Licht-
wahrnehmung, sondern auch auf Farbenwahrnehmung statt, und in
diesen Versuchen ist, wie Fechner angiebt, die Affection immer
complementär (oder antagonistisch). Dass ich diese längst bekannte
complementäre Färbung des Grundes hier zur ‘Sprache bringe, ge-
schieht deswegen, weil ich immer den Verdacht nicht habe los wer-
en können, jene complementäre Färbung sei ein wirkliches Nach-
311
bild, mittelst Augenbewegungen zu Wege gebracht. Da nun hier
die Augenbewegungen ausgeschlossen sind, so findet diese Befürch-
tung damit ihre Erledigung. Interessant war es mir, dass auch hier
das Nachbild des Grundes complementär zu der complementären
Färbung des Grundes, also ziemlich gleichfarbig mit dem Objecte
erscheint; diese Erscheinung trat besonders schön an den weissen
Quadraten auf den bunten Streifen hervor. Ganz gleichfarbig mit
dem Object sind übrigens die Quadrate nie, weil eben die Comple-
mentar-Farben keine Complementar-Farben sind.
Was nun die Unterschiede zwischen Peripherie und Centrum bei
dieser Art von Nachbildern betrifft, so erscheinen erstens die rothen
Quadrate beim überspringenden Funken dunkler in der Peripherie
als im Centrum; zweitens habe ich auf der Peripherie die scheinbar
gleichzeitigen eomplementären Bilder nicht bemerken können; drit-
tens verblassten und verschwanden die positiven Nachbilder immer
von der Peripherie her. Häufig wurde, namentlich bei den weissen
Quadraten auf den farbigen Streifen ein unregelmässiges Auftreten
und Verschwinden der Quadrate bemerkt, so dass also hierin die
Versuche mit unendlich kurzer Beleuchtung übereinstimmen’ mit den
früheren Versuchen im diffusen Tageslichte. Man sieht bei den Ver-
suchen mit dem elektrischen Funken selten die vollständige Reihe
der Quadrate im positiven Nachbilde,
Eigenthümlich ist die Ausdehnung der Quadrate, namentlich der
schwarzen und rothen auf weissem Grunde. Sie werden verwaschen,
dabei aber so gross, dass sie einander erreichen und so einen breiten
Streifen formiren, der immer verwaschener und breiter wird, bis er
verschwindet. Eine solche Ausdehnung einer dunklen Fläche kann
wohl durch fortschreitende sympathische Affection der benachbarten
Retinatheile nicht ‘gut erklärt werden; indess ist es auch möglich,
dass eigentlich nicht der dunkle Streifen breiter wird, sondern. dass
die weissen Streifen, die ihn begrenzen, schmäler werden, indem die
Retina an den Grenzen des Bildes ‘zuerst ‚aufhört zu ' empfinden.
Sollte wirklich während dieses Vorganges eine Accommodation für’ die
Ferne stattfinden, so könnte diese doch nur die Veränderungen der
312
Grösse , dagegen |.weder das Verschmelzen . der ‚einzelnen Quadrate,
noch ıdas Verwaschenwerden der Begrenzung, erklären.
Vergleichen wir ‚endlich ‚die Ergebnisse bei unmittelbarer Betrach-
tung, des Funkens mit. denen, wo nur Objecte, die er beleuchtet,
betrachtet wurden, so zeigt sich: 1): dass bei. den, Blendungsbildern
durch den elektrischen Funken, abgesehen von dem Farbenwechsel
dem. positiven’ Nachbilde noch ein negatives folgt, während ‚bei den
letzten Versuchen nur eine positive Phase bemerkbar war. Dies ist
wohl durch die Verschiedenheiten in. der Stärke des Lichteindrucks
bedingt; 2) dass bei beiden die Nachbilder auf der Peripherie positiv
sind; 3)‘dass die Blendungsbilder länger dauern, so dass sich .die
merkwürdige Einrichtung zeigt, dass der Eindruck eines: sehr, starken
Funkens. am längsten dauert; der eines bedeutend schwächern kürzere
Zeit und der’ eines noch schwächern ‘wieder l#ngere Zeit. Hierüber
müssen. noch genaue Messungen gemacht werden; 4) dass’ die Mit-
affection. der: Netzhaut dort theilweise sympathisch, andern Theils an-
tagonistisch. ist, ‚bei den Versuchen: mit beleuchteten Objeeten dagegen
nur antagonistisch.
Vergleichungen der auf andere Weise hervorgerufenen Nach-
bilder mit denen des elektrischen Funkens anzustellen, würde zu
weit führen; ich behalte mir das für eine grössere Arbeit vor. —
Ich schliesse diese Mittheilungen mit der Versicherung, dass ich mir
alle Mühe gegeben 'habe,, so aufmerksam und gewissenhaft als mög-
lich die, Erscheinungen zu beobachten; indess ist die Beobachtung 'so
schwierig, dass ich wohl Manches übersehen haben mag, was viel-
leicht Andern. zu, bemerken gelingt, um so mehr, da die Augen so
grosse individuelle Verschiedenheiten in Bezug auf Nachbilder zu
haben scheinen. , Ich: glaube zu derartigen Versuchen um so mehr
auffordern zu können, weil sie für die Augen gar nicht anstrengend
sind, wenigstens habe ich bis jetzt nicht den mindesten Nachtheil
für meine Augen. bemerkt. Möge man aber nicht den Ausspruch
Scherffer’s dabei vergessen, welcher am Schlusse seines Buches sagt:
„Ein wesentlicher Nutzen gegenwärtiger Abhandlung, muss sein, dass
313
man sich, erinnere, "wie, leicht es, sei, sich.in einer Beobach-
tung zu verirren, wenn es auf. die Farbensankommt. *
Schliesslich sage ieh, meinem, hochverehrten Freunde Dr. Mar-
bach meinen verbindlichsten Dank: für, die Bereitwilligkeit, mit der
er mir die Gelegenheit; zu, diesen, Versuchen, 'nebst so. manchem gu-
ten Rathe gegeben hat.
Resultate
1) Der elektrische Funken erzeugt trotz seiner kurzen Dauer
Nachbilder.
2) Die Nachbilder sind positiv und werden später negativ, wenn
der Funken selbst direct angesehen wird.
3) Die Nachbilder haben nur eine positive Phase, wenn sie von
Objeeten herrühren, welche durch den Funken beleuchtet werden.
4) Die Nachbilder des direct gesehenen Funkens klingen durch
verschiedene Farben ab.
5) Die Nachbilder der durch den Funken beleuchteten Objecte
sind bald complentär, bald gleichfarbig. Dies ist abhängig von
dem Grunde, auf dem die farbige Fläche liegt, von der Farbe
an sich, und, wie es scheint, auch von der Grösse der farbigen
Fläche.
6) Centrum und Peripherie der Netzhaut unterscheiden sich haupt-
sächlich in Bezug auf die Deutlichkeit, Färbung und Dauer der
Nachbilder.
7) Welche Bedeutung die mit dem Funken scheinbar gleichzeitig
auftretenden complementären Bilder haben, ist ungewiss.
8) Auch bei der momentanen Beleuchtung durch den elektrischen
Funken wird der Erregungszustand der ganzen übrigen Retina
verändert und zwar theils sympathisch, theils antagonistisch.
314
9) Die Dauer der sowohl bei Betrachtung des Funkens selbst, als
auch bei Betrachtung durch ihn beleuchteter Objecte gewonne-
nen Nachbilder beträgt mehrere Secunden.
10) Die Intensität des Funkens hat einen eigenthümlichen nicht ein-
fachen Einfluss auf die Dauer des Nachbildes.
Breslau, den 15. October 1858.
XX.
Physiologisch-chemische Studie über Leim und Leimbildner.
Von
A. Im Thurn.
Zahlreiche Untersuchungen haben dargethan, dass’alle eiweiss-
artigen Körper durch Einwirkung von Magensaft eine Modification
erleiden, die sich besonders durch verändertes Verhalten gegen
gewisse Reagentien bemerklich macht.
Es lag die Vermuthung nahe, dass auch andere, durch Abstam-
mung, Eigenschaften und Zusammensetzung den eiweissartigen Kör-
pern mehr oder weniger nahe stehende Stoffe sich ähnlich verhalten
möchten. Als hierher gehörig wurden namentlich betrachtet die
beiden Leimarten, das Glutin und das Chondrin.
In Folgendem finden sich die Ergebnisse einer Reihe von Ver-
suchen, angestellt um zu ermitteln, ob und wie die genannten Stoffe
durch Einwirkung des Magensafts und der verdünnten Salzsäure
verändert werden.
Als Material hiefür wurden benutzt: gewöhnlicher käuflicher
Knochenleim, gereinigte und zerkleinerte Knochen und ebenso be-
handelte Sehnen. Letztere erwiesen sich schliesslich am geeignetsten,
indem sie den Leim'an Reinheit, die Knochenstücke an Löslichkeit
übertrafen.
Daneben verwandte ich gereinigte und zerkleinerte Rippen - und
Luftröhrenknorpel.
316
Als Lösungsmittel brauchte ich mit Salzsäure versetztes Wasser
und künstlichen Magensaft, mit Kalbs - oder Schweinemagen bereitet.
Der von seinem Inhalt sorgfältig gereinigte Magen wurde
4/a—1 Stunde in destillirtes Wasser gelegt, dann die Schleimhaut
leicht abgeschabt und mit reinem Wasser (zu der Schleimhaut von
einem Kalbsmagen wurden 250 CC., von einem Schweinemagen
3—40%0 CC. Wasser genommen) 11/a—2 Stunden bei 37° C. digerirt.
Die Lösung wurde filtrirt und zu .etwa 250° CC. derselben ein
Tropfen concentrirte Salzsäure gesetzt, wodurch eine starke Trübung
entstand. , Da diese nur durch ziemlich bedeutende Mengen Säure
wieder gehoben werden konnte, wurde die trübe Lösung von Neuem
durch 4—-8faches Papier filtrirt, wodurch dann eine vollständig klare
Lösung von etwa 1,005 spec. Gewicht erhalten wurde, welche mit
1% Salzsäure versetzt, kräftig auf geronnenes Eiweiss einwirkte.
In vielen Fällen bewirkte gut 'bereitetes Chlorwasser in dem: soge-
nannten künstlichen Magensaft starke Trübung.
Bezüglich. der Menge Salzsäure, welche zugesetzt werden musste,
um die besten Lösungen zu erzielen, kann: ich, da ich auf genaue
quantitative, Untersuchungen verzichtete, nur angeben, dass sich
Zusatz. von: 1/26 -10 %0 Salzsäure (besonders 4 %/0), als tauglich erwies.
In: Flüssigkeiten von mehr als’ 10 °%. Säuregehalt. wurden. nach
längerer Einwirkung Knochen- und Knorpelleim schwach. braun
violet gefärbt.
Die zu lösenden Substanzen wurden zugleich in verschlossene
Gläser ‚gebracht, wovon. eines. destillirtes Wasser, ein anderes ‚ver-
dünnte Salzsäure und ein weiteres Magensaft mit ‚entsprechendem
Säurezusatz enthielt, und zwar so, dass in jedes derselben die gleiche
Menge. feste Substanz und. Flüssigkeit kam. Darauf wurden die
Gläser in einer Brutmaschine der Temperatur von 35—40% ausgesetzt.
Um übrigens zu. genauer Prüfung geeignete Lösungen zu .er-
halten, musste die Einwirkung der betreffenden Flüssigkeiten, .be-
sonders auf getrocknete Knorpel oder Sehnen, lange (1—3 Tage)
dauern. . Leim und gekochte oder in. kaltem. Wasser aufgequollene
Sehnenstücke gaben schon nach 2-6 Stunden brauchbare Lösungen.
317
Sobald: die‘ angesetzten wässrigen‘ Lösungen: mit Chlorwasser
deutliche Reaction ergaben, wurden sämmtliche‘ Flüssigkeiten: filtrirt
und mit allen passenden Reagentien geprüft: Die Lösungen reagirten
alle’ constant positiv auf: Chlorwasser, Gerbsäüre, Sublimat, neutrales
Platinchlorid, ‘Millon’s Quecksilberlösung, Salpetersäure und
Ammoniak.
Die Chondrinlösungen gaben noch ausserdem positive Reactionen
mit: Essigsäure und verdünnten Mineralsäuren ‚(im Ueberschuss lösten
sich die Niederschläge wieder), Alaun, 'sehwefelsaurem Eisenoxyd,
Eisenchlorid, basischem und neutralem essigsaurem Bleioxyd.
Die Lösungen beider Leimarten in Magensaft und in angesäuer-
tem Wasser ergaben die genannten Reactionen schon nach kürzerer
Einwirkung der Flüssigkejten als die wässrigen Lösungen, ausserdem
waren die entstehenden Fällungen und Färbungen stärker.
Starke (13—20 °/0) Kochsalzlösung erzeugte in den Lösungen mit
salzsäurehaltigem Wasser und mit Magensaft deutliche Niederschläge;
ebenso wurde in denselben nach Zusatz von ziemlich viel Essigsäure
durch die beiden Blutlaugensalze Fällung hervorgebracht. In ein-
zelnen Fällen konnte in sehr reichhaltigen Lösungen auch durch
Glaubersalzlösung ein Niederschlag bewirkt werden.
Durch Erhitzen wurden die Lösungen nicht verändert; durch
thierische Kohle filtrirt, gaben sie noch dieselben Reactionen.
Zwischen den Lösungen in Magensaft und denen in verdünnter
Salzsäure dagegen liess sich kein Unterschied finden, auch die Schnel-
ligkeit der Einwirkung schien dieselbe zu sein. Brachte ich Chondrin
und Glutin in die betreffenden Flüssigkeiten, ohne sie der erhöhten
Temperatur auszusetzen, so liessen sich (mit Ausnahme der wässrigen
Knochenleimlösung) sämmtliche Reactionen meist gar nicht und in
den Ausnahmefällen nur sehr undeutlich hervorbringen.
Aus dem Verhalten des Knochenleims und der beiden Leimbildner,
nachdem sie in künstlichem Magensaft gelöst waren, zu Kochsalz-
lösung, sowie zu Essigsäure und Blutlaugensalz, geht hervor, dass
die betreffenden Körper durch Magensaft eine Veränderung in ihren
Eigenschaften erleiden. Denn wässrige Lösungen des Knochenleims
318
und des Knorpelleims werden durch Kochsalzlösung oder durch Essig-
säure und Blutlaugensalz nicht gefällt. Insofern wäre es nicht gerade-
zu :unstatthaft, ‘von Leimpeptonen zu reden. Da jedoch verdünnte
Salsäure dieselbe Veränderung in Leimkörpern hervorruft, wie künst-
licher Magensaft, ist jener Umwandlung nicht dieselbe Bedeutung
beizulegen, wie der Leimpeptonbildung, welche durch Magensaft in
den eiweissartigen Stoffen hervorgebracht wird. Deshalb möchte ich
den Namen :Leimpeptone weder betonen, noch empfehlen.
Zürich, October 1858.
XXI.
Bei welcher Temperatur wird bei Kühen das Futter am besten
verwerthet?
Von
Dr. May.*)
Die theoretischen Ansichten über die Einwirkung niederer und
höherer Temperaturen auf die Thiere gehen dahin, dass sowohl bei
Hitze, als bei Kälte, der Organismus nicht im Stande sei, von einer
bestimmten Quantität Futter so viel thierische Materien anzubilden,
als bei einer zusagenderen mittleren Wärme. Hinsichtlich der Milch-
absonderung wird dazu noch angenommen, dass bei niederen Wärme-
graden die Kühe wenig und rahmarme, bei hohen dagegen wenig,
jedoch rahmreiche Milch secerniren.
Als die geeignete mittlere Temperatur für die Kühe nehmen nun
Einzelne+ 10 bis + 12° **), Andere hingegen + 12 bis-+ 140 an, da
letztere Temperaturverhältnisse der Milch- wie Mast-Nutzung förder-
licher seien.
Da sohin durch blosse (oft kostenlose) Regulirung der (Stall-)
Wärme für Rechnung der Wirthschaft Vor- oder Nachtheile ent-
stehen, — wobei der Gesundheitszustand der Thiere gleiche Berück-
sichtigung verdient, — schien es wünschenswerth, durch das Experi-
*) Aus dem landwirthschaftlichen Centralblatt für Bayern vom Herrn Verfasser
mitgetheilt.
*%*) Die Wärmegrade sind durchgängig nach Reaumur angegeben.
320
ment zu erfahren, welches die zuträglichste Temperatur für die
Kühe sei. Ueberdies musste für die Physiologie der Haus-
thiere die Beantwortung dieser Frage von Wichtigkeit sein, da sie
bislang ihre Lösung mittelst Zahlen nicht gefunden hat. So war
Grund genug vorhanden, einen desfallsigen Versuch anzustellen,
wozu die k. Direction von Weihenstephan bereitwillig Kühe und
entsprechendes Futter überliess, wofür hiermit gedankt wird.
Zum Versuche dienten zwei Kühe, wovon die eine seit drei Mo-
naten gelt stand, die andere vor vier Wochen zur Begattung zuge-
lassen war. Beide gehörten dem Allgäuer Schlage an, waren gesund,
gut genährt und standen bisher in dem allgemeinen Viehstalle, des-
sen Temperatur circa + 10° betrug. Nr. VI ist neun, Nr. IV vier
Jahre alt; erstere hat sechs, letztere zwei Kälber geboren.
Beide Kühe wurden am.2. März in einen gewölbten Raum ge-
bracht, der vielfach Ventilation zulässt und geheizt werden kann.
Sie wurden auf eine, von Bohlen hergerichtete Brücke gestellt, wo-
durch ermöglicht wurde, dass jede ihr Futter einzeln vorgelegt er-
hielt, wie auch die Excremente genau gesondert blieben. Der Urin
floss in aufgestellte Gefässe ab, der Koth wurde fortwährend hinweg-
genommen und in Kästen aufbewahrt. Das Futter bestand während
der Versuchsdauer lediglich aus gutem, ungeschnittenem Kuhheu,
von Einer Wiese und Einem Stocke genommen, Die Kühe wurden
beim Beginne, des Versuchs und fortan über den andern Tag ge-
wogen, um vorkommende Differenzen in dem, jeweiligen Gewichte
der Thiere ausgleichen zu können. Das Wägen geschah, bei zwei-
malig, täglicher Fütterung, um zwei Uhr Nachmittags, mit grösster
Genauigkeit. Täglich wurde Abends halb sechs Uhr nach. dem
Futtereingeben, Melken und Tränken, der Koth und ‚Urin, wie das
Futter für den nächsten Tag gewogen. Streu wurde nicht gegeben,
um die Kothmenge richtiger finden zu können. Das Wägen der
Milch wurde Morgens und Abends vorgenommen. Die Besorgung
der Thiere geschah von Studirenden der Anstalt, die für den Ver-
such sich interessirten und mit grossem Fleisse die vielen mühsamen
und theilweise nicht anziehenden Arbeiten verrichteten.
321
Der Plan und Gang des Versuches war solcher Art, dass jede
Kuh während der Dauer desselben auf 100 Pfund ihres Gewichtes
täglich 3 Pfund Heu erhielt. Sonach bekam Nr. VI per Tag 26,
Nr. IV 25 Pfund Heu. Die Temperatur des Stalles wurde in der
Weise moderirt, dass zehn Tage hindurch dieselbe + 4, zehn Tage
10, zehn Tage 15 und zehn Tage lang 12° betrug. Wasser wurde
nach dem Belieben der Thiere gereicht, das Gewicht indess durch
Vor- und Nachmessen richtig bestimmt. Da im Stalle ein Brunnen-
trog mit fliessendem Wasser befindlich war, stieg und sank die
Temperatur des Wassers mit der des Raumes; dasselbe besass bei-
nahe gleichmässig die Hälfte der Wärmegrade, wie sie das im Stalle
befindliche Thermometer nachwies. Jede einzelne Periode wurde mit
einer besonderen Wägung der Kühe beendigt, so oft die regelmässige
nicht geeignet eintraf, und rechnerisch für sich abgeschlossen.
Aus den vielen Ziffern sind somit Hauptzahlen gebildet worden,
welche zusammengestellt, die Ergebnisse des Versuches leicht er-
kennen lassen.
Zur richtigen Beurtheilung der Versuchsresultate diene noch zur
Nachricht, dass bei der ersten Wägung der Kühe, nach Heraus-
nahme aus der grossen Stallung am 1. März,
Nr. VI 887 Pfund,
n,IV 835. „| „wog;
Durch das Alleinsein der Kühe, das Stehen auf der hölzernen
Vorrichtung, den Mangel an Streu und die Besorgung durch fremde
Menschen, wurden dieselben unruhig und frassen weniger, welche
Umstände bemerklicher bei Nr. VI eintraten. Dazu betrug die
Temperatur des Stalles den ersten Tag nur + 31/20.
In Folge dieser Einwirkungen trat hei den Thieren Zittern,
Sträuben der Haare und Leerwerden des Leibes ein. Erst am dritten
Tage wurden sie ruhiger, frassen wieder gehörig und hatten bis zum
6. März sich gänzlich erholt. An diesem Tage konnte daher mit
dem Experimentiren begonnen werden.
Im landwirthschaftlichen Sinne sind nun an diesen Ver-
such folgende Fragen zu richten:
Moleschott, Untersuchungen. V. 22
322
1) Wie verhieltsich dieKörper-Ab- oderZunahme bei
den Thieren in den verschiedenen Versuchsperioden?
2) Wie gestaltete sich die Milchabsonderung hin-
sichtlich der Quantität und Qualität?
3) Welche Erscheinungen boten sich bezüglich des
Wohlbefindens und der sonstigen Körperverhältnisse
der Thiere?
Frage 1 wird beantwortet durch Tabelle I.
Tabelle.
| ud
Differenz | Endgewicht Verzehrtes
der
Periode Extreme | Zunahme Abnahme Kutter
Pfd, | Pfd. Pfd. Pfd. |
Guss WE en Ser ae u De NE Nee Se en a ET SE Fr a
Nr. VI.
1 50 _ 24 | 253
2 25 20 u 260
3 34 _ 11 260
4 26 _ = 260
Nr. IV.
1 24 4 _ 250
2 20 15 _ 250
3 23 _ 22 246
4 | 23 3 _ 248
Die grösste Vermehrung des Gewichts kam demnach bei + 100,
die mindeste bei + 150 vor.
Interessant ist es, wie sich die Abweichungen in der Zu- und
Abnahme bei den beiden Thieren ziemlich ebenmässig ergaben. Die
bisweilen beträchtlich schwankenden Differenzen in dem Körper-
gewichte an verschiedenen Tagen sind weniger in der unregel-
mässigen Aufnahme von Wasser, als vielmehr in der ungleichen Aus-
scheidung von Koth und Urin zu finden.
Die Beantwortung von Frage 2 geschieht durch die Zusamen-
stellung der einschlägigen Zahlen in Tabelle I.
323
Tabelle Il
Des | Der Milch Des Körpers |
re ie —_ real FIT ARE “ 5
a5 uan- ualität. Sa na. emer. ungen
u tum | ran n. on SoEdanııa |
Pfd. Galakt, pfa. | Pfd |
Nr. VI.
1 Bas) 7,136 ATZE) — 24 |Die Fresslust war etwas
2 30 | 197 5,344 20 — gemindert,
3 20 | ı83 5,1474 u 11
4 260 | 130 ya Al —
NrealVs
vrlır 250 184 4,50 |. 4 | — |Die Fresslust war durch
2 250 | 177 4,32 15 ‚| — alle Perioden etwas
3 246 173 4,28 — 22 geringer.
4 248 | 165 3,927 a ee
Aus dieser Tabelle resultirt, wie die meiste und beste Milch in
den kühleren Perioden abgesondert wurde. Dabei ist jedoch noch zu
berücksichtigen, wie die Grösse der Milchabsonderung allmälig schwin-
det, je weiter die Zeit der vorangegangenen Geburt entfernt liegt.
Die Frage 3 ist dahin zu beantworten, dass die Kühe während
der ganzen Versuchszeit ziemlich wohl waren. Gleich zu Anfang
liess Nr. VI, gegen das Ende der dritten Periode Nr. IV öfters
etwas Heu liegen. Die Kühe erhielten kein Salz. Nr. IV beleckte
gegen das Ende der dritten Periode, mehrere Tage lang, gierig die
Wände. Dagegen wurde Viehsalz gereicht, wovon sie 11/s Pfd. auf
ein Mal aufnahm. Die Lecksucht war hierauf verschwunden. Gleich-
zeitig erhielt auch Nr. VI Salz, wovon sie jedoch nur 3/; Pfund zu
sich nahm. Während der ersten Periode waren bei beiden Thieren
die Haare gesträubt und glanzlos; die Haut lag fest auf. An einzelnen
Körperpartien zeigte sich hie und da Zittern. Der früher vorhandene
Lebensturgor fehlte. Bald nach dem Beginne der zweiten Periode
*) Die Bruchtheile liess man zur leichteren Uebersicht von allen Zahlen weg.
**) Damit die Rahmausscheidung durch verschiedene Temperatur -Verhältnisse
Schwankungen nicht unterliegen konnte, standen die Galaktometer in einer
künstlich unterhaltenen Temperatur von 0°,
227
324
legten die Haare sich und glänzten wieder; die Haut wurde lockerer.
Das Zittern war verschwunden und der Körperumfang und die
Lebensfülle mehrten sich täglich. Nachdem die dritte Periode be-
gonnen hatte, verschwand der Lebensturgor abermals und Ab-
magerung des Körpers trat merklich ein. Das bisher kaum bemerk-
bare Athmen ging schneller und mit stärkerer Muskelbewegung vor
sich, das erst wieder ruhiger wurde in der vierten Periode, in der die
Lebensfülle neuerdings wiederkehrte. Der Koth blieb nach Farbe
und Consistenz durch alle Perioden gleich.
Gemäss diesen Erscheinungen ist anzunehmen, dass für die Er-
haltung der Gesundheit eine Temperatur von + 10° (und vielleicht
noch einige Grade weniger) die angemessenste sei. —
Wirdder Versuch vom physiologischen Standpunkte
aufgefasst, so ergeben sich Fragen, die zwar nicht die Oeconomie
des Geldbeutels, tiefer dagegen jene des thierischen Organismus be-
treffen, gleichzeitig aber die landwirthschaftlichen Fragen gewichtig
ergänzen. Diese Punkte sind:
1) Wie verhielt sich die Futteraufnahme und Koth-
ausscheidung in den verschiedenen Perioden zu ein-
ander?
2) In welches Verhältniss trat die Wasseraufnahme
zur Urinausscheidung?
Angenommen wird, in der höheren Temperatur bedürften die
Thiere grössere Wasserquantitäten. ;
3) Wie war die Körper- Zu- oder Abnahme und die
Milchabsonderung in quanto et quali beschaffen? Ist
damit des Artikels Eingang zu vergleichen ?
4) In welcher Weise verhielt sich die Gesammtein-
nahme und Ausgabe des Körpers innerhalb der Perioden,
und wie viel wurde in den verschiedenen Temperatur-
verhältnissen per Tag durch Ex- und Perspiration (Aus-
athmung und Körperausdünstung) verausgabt?
Frage 1 wird durch Tabelle III beantwortet.
325
Tabelle III.
' Quantum des E Körper- Der Milch
an E — f
E | 8 Ei | = E 3 2 2128 s 3 | Qualität | Bemerku
Eee | as A |IS<|<4 &® n.Gump. an
u ı® kKialkd ia) =) Galakt
| Pfad. | Pra. | Pfad. | Pfd. | Pra. ' ‚Pfad. an e
Nr. VI.
1 253 401 148 _ 24 136 4,974 |Die Fresslust war et-
2 | 260 | 450 190 | 20 _ 137 | 5,34% was vermindert.
BEZa60 | 412 | 1152, | „— 11 133 | 5,14%
4 260 489 2293| — 9 | 130 D,12772
Nr. IV.
1 250 442 192 4 —_ 184 4,50’
2 250 528 278 15 _ 177 4,324 }
3 246 509 263 _ 22 173 4,28° Die Fresslust war et-
A 248 | 540 292 3 _ 165 3,82% was vermindert.
Hieraus wird ersichtlich, wie die Futteraufnahme nahezu gleich
war. Anders dagegen verhielt es sich mit dem Verdauungsvorgange,
dem Assimilationsprocesse. In den ersten Perioden war die ausge-
leerte Kothmenge geringer, als in denen der höheren Temperatur.
Es wurden während jener mehr Nährbestandtheile assimilirt, wonach
die Annahme begründet erscheint, dass bei niederer Temperatur
die Verdauung der nährfähigen Stoffe vollkommener vor sich gehe.
Daraus dürfte weiter geschlossen werden, wie bei angemessener
Temperatur, mit verhältnissmässig kleineren Nahrungsquantitäten
derselbe Effect in der Ernährung erzielt werden könne, wie mit
grösseren, bei höherer Temperatur der Stallungen. Die Untersuchung
des Kothes auf seinen Trockengehalt wurde leider nicht sorgsam
genug vorgenommen, weshalb die Zahlen ohne Werth sind.
Die Frage 2 löst sich in Tabelle IV.
326
Tabelle W.
Quantum des | & „ | Körper- Der Milch
EEE: 2 eiy, ;
2% 2 | & Eu a ii & E > S E32 war Bemerkungen
2 3 = | 3 = Bo = "s.&*# |n.Gump.
Prd. | Pfa. | Pid. Pfad. | Pra.. pra, | Calakt.
Nr. VI.
1 | 755 252 508 | — 24 136 | 4,97’ |Fresslust anfänglich
2 915 360 555 20 —_ 137 5,34’ etwas vermindert.
3 886 274 612 —_ 11 133 5,14
4 | 857 236 621 — 9 130 0,124
Nr. IV.
Ai 824 243 581 4 — 184 4,50’
2 907 240 667 15 _ 177 4,32’
3 907 204 703 — 22 173 | 4,28’ |Fresslust etw. vermin.
«| 865 | 200| e65|l 3 | — | 165 | 3,82% e Jar. \ i
Demnach war in den wärmeren Perioden die Wasseraufnahme
ansehnlicher, die Urinabsonderung hingegen vermindert. Nach dem
Gesetze der Erwärmung musste bei der grösseren Wasseraufnahme
auch dem Körper mehr Nährmaterial entzogen werden, um die be-
trächtlichere Wassermasse auf die Höhe der Körpertemperatur zu
bringen, wodurch nur verminderte Erzeugung neuer thierischer Ma-
terien vor sich gehen konnte. Dazu war die Verdunstung sehr ge-
steigert. So wird es erklärlich, wie der grösseren Wasseraufnahme
und geringeren Urinausscheidung gegenüber die Milch weder der
Quantität noch Qualität nach zu-, sondern gegentheilig abnahm.
Frage 3 klärt sich in Tabelle Ill, die vierte in Tabelle V.
Tabelle V.
Einnahme an Ausgabe an B Bo E15 ER Körper-
= 5 Ge- - ei E- ‚oe | ME HE sen SH
8 2 = . o | =38 |s8233|38%.|88 #3
= 2 | sammt- & 5 io! 1& Es „esaNna <a
u > |summe| | a a Aa aa a a
Prd | Pfd.| Pra ' Pfa. | Pfd. | Pfd. | Pfd. ' Pfd. | Pfad | Pta.| Pfad.
Nr. VI.
| 1 | 253 | 755 1008 401 | 552 | 136 | 789 219 21,9 — | 24
| 2 | 260 | 915 | 1175 450 | 360 | 137 | 947 228 22,8 20 | —
| 3 | 260 | 886 | 1146 412 274 | 133 | 819 327 32,7 — I 1
4 | 260 | 857 1117 489 236 | 130 855 262 26,2 —
Nr. IV.
1 | 250 | 824 1074 442 | 243 | 184 | 869 205 20,5 4| —
2 | 250 | 907 1157 528 240 | 177 945 212 21,2 15 | —
3 | 246 | 907 1153 509 | 204 | 173 | 886 267 26,7 — | 22
4 | 248 | 865 1113 540 200 | 165 | 905 208 20,8 3| —-
Die grössere Ausgabe des Körpers in den wärmeren Perioden
wird in dieser Zusammenstellung auffallend klar. Durch die be-
schleunigte Respiration entstand verstärkter Verbrennungsprocess,
der die Ausgabe einer grösseren Summa Kohlensäure im Gefolge
hatte. Eben so war in der wärmeren, trockneren Luft die Ver-
dunstung erhöht, wodurch der Organismus eine gleich grosse Pro-
duction thierischer Materien, wie früher, nicht mehr zu ermöglichen
im Stande war.
Zur Evidenz klar wird es daher, wie während der wärmeren
Perioden, bei verminderter Assimilation der aufgenommenen Nah-
rungsmittel, vermehrter Aufnahme von Getränk und verstärkter
Ausgabe von Kohlensäure und sonstiger Perspirationsmaterien, der
Körper und in derselben Weise auch die Milchabsonderung ab-
nehmen musste.
Um zur grösseren Vervollständigung der physiologischen Seite
des Versuchs auch die Vorgänge in der Bluteirculation beurtheilen
zu können, wurden die Pulse über den andern Tag zu fast gleichen
Zeiten gezählt und folgen die Durchschnittszahlen nachstehend.
328
Nr. VI. Nr. IV.
1. Perirde: 54 Schläge pr. Minute. 59 Schläge pr. Minute.
2 u Da. ke un Eu
3. n 56 ” » n 54 » ” n
4 » 60 n D » 53 » » »
Als bündige Antwort auf die Frage, welche zur Ueberschrift
des Aufsatzes gewählt wurde, dürfte wohl als Schlusssatz angefügt
werden:
Bei einer Wärme von + 10° R. wird bei Kühen das
Futter am vollständigsten ausgenützt, geht die Bildung
thierischer Materien (Fleisch, Milch) am vollkommen-
sten vor sich, und kann die Gesundheit ungestörter
bestehen, denn beihöheren und niederen Temperaturen.
Weihenstephan, bei Freising, 15. October 1858.
Verlag von Meidinger Sohn & Cie in Frankfurt a. M.:
Gesammelte Abhandlungen
zur
Wissenschaftlichen Medizin
von
Rudolf Virchow.
Mit 3 Tafeln und 45 Holzscehnitten.
(XIV., 1024 $.) gr- 80. geh.
Preis: 5 Rthlr. 15 Sgr.
Die kunstgerechte
Entfernung der Eingeweide
des
menschlichen Körpers.
(Exenteratio viscerum.)
Ein Leitfaden für wissenschaftliche Leichenöffnungen
von
@. Valentin,
Professor in Bern.
Preis: 15 Sgr.
* Menschen und der Thiere.
Von
Dr. Franz Leydig.
Mit zahlreichen Holzschnitten.
Preis: 4 Thlr. 15 Sgr.
Untersuchungen
über Ursprung und Wesen
der
fallsuchtartigen Zuckungen bei der Verblutung
sowie der Fallsucht überhaupt.
Von
Professor A. Kussmaul u. A. Tenner
in Heidelberg.
gr. 8 geh. Preis: 1 Rthlr. 15 Sgr.
um
Die
Erscheinungen und Gesetze
der
Stromgeschwindigkeiten des Blutes
nach Versuchen von
Dr. Karl Vierordt,
Professor der Physiologie in Tübingen.
Mit Holzschnitten und 2 lithographirten Tafeln.
gr. 8. geh. Preis: 1 Rthlr. 15 Sgr.
Pathologische Physiologie.
Grundzüge der,.gesammit em
Krankheitslehre.
Im Zusammenhange dargestellt
von
Dr. 6. A. Spiess,
Pract. Arzte in Frankfurt a. M.
Drei Abtheilungen
gr. 8. geh. Preis: 7 Rtblr.
Druck von Aug. Osterrieth in Frankfurt a. M.
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\ Hg von Weiinger Sohn & Cie in Frankfurt a. M.:
% Gesammelte Abhandlungen ”
> zur
Wissenschaftlichen Medizin
von
Rudolf Virchow.
Mit 3 Tafeln und 45 Holzschnitten. ae
Ev. 1024 8.) gr. 80. geh.
Preis: 5 Rthlr. 15 Sgr.
Die kunstgerochte
nung der Eingeweide
ef J b " des
: AR menschlichen Körpers.
(Exenteratio viscerum.)
für wissenschaftliche Erulesama.n
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Arzt in Hamburg, die Pathologie und
nverengerungen. Mit besonderer Berücksich-
jere Ineision wesentlich erleichternden neuen
ei Tafeln Steindruck. Preis 2 Thlr.
r durch seine Werke: „Pathologie und Therapie der vene-
i en“ und „Die Prostitution in Hamburg“ bereits rühmlich be-
( äftigt sich in diesem neuen Werke mit einer überaus wichtigen
her Bedeutung. Die Harnröhrenverengerungen tödten, werden sie
e gelmässig behandelt, zwar nicht plötzlich, aber desto sicherer
ie zerstören oft die Blüthe des Mannesalters oder bilden die Qual
ebensalters. Viel Intelligenz und geistige Begabung ist ihnen be-
r gefallen — da sie unsere Gelehrten und Künstler mit einer ge-
} chen, einerseits weil dieselben bei blenorrheischer Infeetion
hren sich mehr vernachlässigen, andererseits weil ihre reiz-
azu besonders prädisponirt. — Die Behandlung der Strie-
ler wissenschaftlichen Leistungen vieler auf dem
endeı Specialisien, wie Sımz, Tmomrson, Revaro,
toch immer eine auffallend vernachlässigte
x1’s Streben geht dahin, eine, nr ati 1, Kst
rl » zu machen. Dr. Lifh_ heilende
ae skrankkeie-
eiten vorkommen. \
drei Unterabtheilungen, indem sie
inderungen des Körpers als Ursachen krank- .
betrachtet und somit der allgemeinen pathologischen
‚gebührende Stelle in dem System der Mediein
en Krankheitsursachen in ihrer Einwirkung
8 untersucht. DW:
andelt nn.
dem allgemeinen Verhalten der Krankheit
ng der Entwick:
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Virchow, Prof.
lichen Mediein -”
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"achsmuth Dr. Adolf Privatdocent in gen, Allgeme;
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Es ist das erste Werk, welches seit Griesin rer’s Arbeit übe Kr
"eiten der Seele erscheint, und fusst ‚ganz auf dem neuesten Standpunkt der
Meidinger Sohn & Co:
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Druck von Aug. Osterrieth in Frankfurt a. M.
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