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Full text of "Ursachen und arten der offizierzivilversorgung ... von Kurt Anhalt ..."

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Offizierzivilversorgung 


von 


Kurt  Anhalt. 


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Druck:  "Wilh.  Anhalt  G.  m.  b.  H.,  Ostseebad  Kolberg. 


Ursachen  und  Arten 

der 

Offizierzivilversorgung 


Inaugural-  Dissertation 

zur 

Erlangung  der  Staatswissenschaftlichen  Doktorwürde 

der 

Hohen  Staatswissenschaftlichen  Fakultät 

der 

Eberhard  Karls  - Universität 
Tübingen 

vorgelegt  von 

Kurt  Rnhalt 

aus  Kolberg  a.  d.  Ostsee. 


Kolberg  a.  d.  Ostsee 
Druck:  'Wi  1 h.  Anhalt  G.  m.  b.  H. 

1916 


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A^Leinem  Vater  gewidmet. 


5 


. Literatur.  . 

1.  P.  Laband,  Deutsches  Reichsstaatsrecht  VI.  Auflage  1912. 

2.  Jhering,  Der  Zweck  im  Recht.  Band  I. 

8.  Zivilprozeßordnung  für  das  Deutsche  Reich. 

4.  Gaupp-Stein:  Kommentar  z.  Z.  P.  O. 

5.  Bürgerliches  Gesetzbuch. 

6.  Seidel,  Bayr.  Staatsrecht.  B.  III. 

7.  Meyer,  Deutsches  Verwaltungsrecht.  II. 

8.  Stenographische  Berichte  des  Reichstages,  II.  Session  1905/06. 

9.  Gesetz  über  die  Pensionierung  der  Offiziere  vom  31.  Mai  1906. 

10.  M.  Adam,  Das  Militärversorgungsrecht  im  Heere,  in  der 
Marine  und  in  den  Schutztruppen.  1915. 

11.  Die  Militäranwärterfrage  von  M.  Erzberger,  Berlin  1914. 

12.  Vorschrift  über  die  Ergänzung  der  Offiziere  des  Friedensstan- 
des, Berlin  1905. 

13.  Der  verabschiedete  Offizier.  Eine  Aufsatzreihe  aus  dem  Deut- 
schen Offizierblatt,  Oldenburg  (ohne  Jahr). 

14.  Zivilprozeßordnung. 

15.  Arndt:  Staatsrecht. 

16.  Preuß.  Gesetzes  Sammlung. 

17.  Stier-Semlo:  Verwaltungs- Archiv.  123. 

18.  Dr.  H.  Preuß:  Das  städtische  Amtsrecht. 

19.  Anstellungsnachrichten  für  Offiziere  1913. 

20.  Kommunalbeamten-Gesetz  1892. 

21.  Zentralblatt  f.  d.  Deutsche  Reich.  Jahrg.  1882. 

22.  Ministerialblatt  1885. 

23.  Reichsgesetzblatt  1871,  1874,  1893,  1906. 

24.  Anlage  zu  Nr.  433  der  Drucksachen  des  Reichstages. 

25.  Handelskammerberichte  1913  und  1914. 

26/27.  „Handel  und  Gewerbe“.  Zeitschrift  für  die  zur  Vertretung 
von  Handel  und  Gewerbe  gesetzlich  berufenen  Körperschaften 
XX.  und  XXI.  Jahrgang. 

28.  Statistisches  Jahrbuch  fürs  Deutsche  Reich;  Jahrgänge  1885, 
1892,  1905  und  1912. 

29.  Aktenmaterial  aus  dem  Königlich  Preußischen  Kriegsministerium. 

30.  Eine  Anzahl  Tagesblätter  und  Fachschriften. 

31.  Kommunale  Rundschau.  Zeitschrift  für  alle  Gebiete  der  Selbst- 
verwaltung. 

32.  Kommerzienrat  Felix  Krais:  Die  Verwendungsmöglichkeiten  der 
Kriegsbeschädigten. 


Vorwort. 


Obwohl  jährlich  viele  Offiziere  im  besten  Mannesalter 
aus  Heer  und  Marine  ihren  Abschied  erhalten  und  einen 
neuen  Beruf  ergreifen  müssen,  hat  die  Frage  über  »Ursachen 
und  Arten  der  Offizierzivilversorgung«  noch  keine  Behandlung 
erfahren.  Dies  muß  umsomehr  überraschen,  als  die  Frage 
von  großer  volkswirtschaftlicher  Bedeutung  ist  und  wegen  der 
Anzahl  der  verabschiedeten  Offiziere  auch  privatwirtschaftliches 
Interesse  hat.  Eine  Erklärung  hierfür  kann  nur  in  dem 
Mangel  jeglichen  Materials  gefunden  werden,  der  sich  auch 
bei  der  Fertigstellung  unserer  Abhandlung  als  sehr  störend 
erwies.  Nur  mit  Hilfe  des  Herrn  Kriegsministers,  dem  der 
Verfasser  ganz  ergebenen  Dank  ausspricht,  ist  es  gelungen, 
einige  Unterlagen  für  die  Arbeit  zu  erhalten. 

Ganz  besonderen  Dank  spricht  der  Verfasser  Herrn 
Major  van  den  Bergh  (Ernst)  in  der  Verwaltungs-  und 
Justizabteilung  des  Königlich  Preußischen  Kriegsministeriums 
aus,  der  in  zuvorkommendster  Weise  ihm  zur  Seite  gestanden 
hat.  Auch  dankt  der  Verfasser  Herrn  Professer  Dr.  Wygod- 
zinski  in  Bonn,  der  ihm  die  Anregung  zu  dem  Thema 
gab  und  Herrn  Professor  von  Blume  in  Tübingen  für  die 
freundliche  Mühewaltung  und  die  Hinweise  auf  die  zur 
Vervollständigung  erforderlichen  Ergänzungen. 

Die  Arbeit  ist  unmittelbar  vor  Kriegsausbruch  ab- 
geschlossen worden.  Der  Verfasser  ging  ins  Feld  und  hat 
während  des  Krieges  der  Arbeit  noch  einen  Anhang  bei- 
gegeben, der  einige  Anregungen  über  die  Versorgung  kriegs- 
beschädigter  Offiziere  enthält. 


Kurt  Anhalt. 


y 


' I.  Teil. 

Die  Ursachen  der  Offizierzivilversorgung. 

1.  Abschnitt. 

Die  Pensionsverhältnisse  der  Offiziere. 

Der  Anspruch  der  staatlichen  Beamten  und  der  Offiziere  des 
Landheeres  und  der  Marine  auf  Diensteinkommen  besteht  zwar 
nicht  immer  und  mit  Notwendigkeit,  aber  regelmäßig;  denn  da  die 
Beamten  gewöhnlich  ihre  ganze  Lebenstätigkeit,  die  Offiziere  einen 
größeren  oder  geringeren  Teil  derselben  dem  Staate  widmen  und 
neben  dem  Staatsdienst  einen  anderen  Erwerbsberuf  weder  haben 
können  noch  dürfen,  so  übernimmt  der  Staat  regelmäßig  die  Ver- 
pflichtung, sie  standesgemäß  zu  unterhalten.  Die  rechtliche  Natur 
dieses  Gehaltes  als  standesgemäßer  Versorgung  zeigt  sich  darin, 
daß  seine  Auszahlung  nicht  bedingt  ist  und  durch  wirkliche  Leistung 
der  Dienste,  sondern  auch  in  Krankheitsfällen,  bei  kürzerem  Urlaub 
usw.  erfolgt1),  und  daß  es,  soweit  zum  standesgemäßen  Unterhalt 
unbedingt  erforderlich,  der  Pfändung  nicht  unterworfen  und  unüber- 
tragbar ist2). 

ln  neuerer  Zeit  ist  von  mehreren  Seiten  behauptet  worden, 
daß  die  Besoldung  lediglich  Gegenleistung  für  die  Dienste  sei,  die 
dem  Staate  geleistet  würden  3).  Die  Unrichtigkeit  dieser  Auffassung 
dürfte  sich  schon  daraus  ergeben,  daß  die  Pflicht  zur  Versorgung 
die  Dienstpflicht  überdauert.  Erfolgt  einstweilige  Versetzung  in 
den  Ruhestand,  dann  erhalten  Offiziere  und  Beamte  ein  Warte- 
geld, bei  völliger  Dienstunfähigkeit  eine  Pension. 

Auf  Pension  haben  Beamte  und  Offiziere  unter  gewissen 
Umständen  einen  gesetzlichen  Anspruch,  der  für  die  letzteren  im 

*)  P.  Laband,  Deutsches  Reichsstaatsrecht,  VI.  Aufl.  1912  S.  108. 
J he  ring,  Zweck  i.  B.,  1,  S.  201. 

2)  Zivilprozessordnung  § 850  Abs.  1 Ziffer  8;  Abs.  2 BGB.  § 400. 
— Gaupp-Stein:  Komm.  z.  Z.  P.  O.  Anm.  II,  8 zu  § 850. 

3)  Seydel:  Bayr.  Staatsrecht  III.  S.  415  und  O.  Meyer:  Deut- 
sches Verwaltungsrecht  II.  S.  46. 


10 


»Gesetz  über  die  Pensionierung  der  Offiziere«  (Offizierspensions- 
Gesetz)  vom  31.  Mai  1906  geregelt  ist.  Dieser  Anspruch  ist 
unverkürzbar,  wenn  der  Offizier  nach  mindestens  zehn  Dienstjahren 
zur  Fortsetzung  des  aktiven  Militärdienstes  dauernd  unfähig 
geworden  ist.  Bei  kürzerer  als  zehnjähriger  Dienstzeit  haben  die 
Offiziere  des  Friedensstandes  Anspruch  auf  Pension  nur»  wenn  sie 
infolge  einer  Dienstbeschädigung  zu  jedem  Militärdienst  unfähig 
werden,  ln  diesen  Fällen  wird  die  Pension  jedoch  nur  solange 
gewährt,  wie  die  Dienstfähigkeit  infolge  der  Dienstbeschädigung 
aufgehoben  ist  '). 

Erreicht  das  jährliche  Gesamteinkommen  eines  pensionierten 
Leutnants  nicht  1200  Mark»  eines  pensionierten  Oberleutnants  nicht 
1800  Mark  und  eines  pensionierten  Hauptmanns  nicht  2400  Mark, 
dann  kann  im  Falle  besonderer  Bedürftigkeit  die  oberste  Militär- 
Verwaltungsbehörde  des  Kontingents  eine  Pensionsbeihilfe  bis  zur 
Erreichung  dieser  Beträge  gewähren.  Auch  kann  einem  ohne 
Pensionsberechtigung  ausscheidenden  Offizier  für  die  Dauer  und 
nach  dem  Grade  der  Bedürftigkeit  eine  Pension  bis  zum  Betrage 
von  20/60  des  zuletzt  bezogenen  pensionsfähigen  Diensteinkommens 
zugebilligt  werden* 2).  Offiziere,  welche  durch  besondere,  im  § 1 1 
des  Offizierspensionsgesetzes  aufgezählte  Gründe  dienstunfähig 
werden,  haben  für  die  Dauer  dieses  Zustandes  neben  dem  Anspruch 
auf  Pension  Anspruch  auf  die  sogenannte  Verstümmelungszulage. 

Wie  bereits  angeführt,  haben  Offiziere  mit  mehr  als 
10  Dienstjahren  einen  Anspruch  auf  Pension,  wenn  sie  »zur  Fort- 
setzung des  aktiven  Militärdienstes«  dauernd  unfähig  geworden  sind, 
ln  dieser  Hinsicht  unterscheidet  sich  das  Offizierspensionsgesetz 
von  den  entsprechenden  gesetzlichen  Bestimmungen  der  Beamten 
in  Zivilstellung»  und  gerade  diese  Bestimmung  ist  es,  aus  der  sich 
weitgehende  Folgerungen  ergeben.  Im  juristischen  Sinne  ist  der 
Offizier  ein  Staatsbeamter,  die  von  ihm  verwaltete  Stelle  im  Heere 
ist  im  rechtlichen  Sinne  ein  Staatsamt»  die  ihm  obliegenden  Pflichten 
sind  Beamtenpflichten.  Das  ist  allgemein  anerkannt3).  Anderer 
Meinung  sind  nur  Arndt 4 *)  und  Laband 6). 

0 O.  P.  G.  § 1. 

2)  O.  P.  G.  § 7.  . ' \ 

3)  Vergl.  Gordan  in  Hirths  Annalen  1908,  483  fg, 

4)  Arndt:  Staatsrecht.  S.  551. 

°)  Laband:  Deutsches  Reichsstaatsrecht.  5.  Auf).  1909.  5.  358. 


11 


Diese  Verschiedenheiten  zwischen  Offiziers-  und  Beamten- 
Pensionsgesetz  werden  allseitig  unangenehm  empfunden.  Für  die 
Finanzen  der  öffentlichen  Körperschaften,  also  für  das  Reich, 
bedeuten  die  aus  militärischen  Gründen  erfolgenden  Verabschie- 
dungen der  Offiziere  eine  große  Belastung,  während  die  Offiziere 
in  den  unteren  Stellen  (Leutnant,  Oberleutnant  und  Hauptmann) 
in  sehr  vielen  Fällen  darauf  hinweisen,  daß  nicht  nur  die  ihnen 
zugestandene  Pension  zu  gering  sei,  sondern  daß  sie  sich  in  jeder 
Beziehung  für  fähig  erachten,  den  militärischen  Dienstleistungen 
ihrer  Stelle  auch  weiterhin  gerecht  zu  werden.  Diese  verabschie- 
deten Offiziere  fühlen  sich  als  »unverbraucht«  und  sie  sind  es  in 
erster  Linie,  mit  denen  sich  die  nachfolgenden  Untersuchungen 
beschäftigen  sollen. 


Aus  den  vorliegenden  Unterlagen  über  die  Pensionierungen 
der  Offiziere  ergibt  sich,  daß  bei  den  Regimentskommandeuren 
und  höheren  Offizieren  in  letzter  Zeit  im  frühen  Lebens-  und 

V 

Dienstalter  zur  Verabschiedung  geschritten  wird,  bei  den  andern 
Offizieren  dagegen  im  späteren  Alter.  Eine  Vergleichung  der 


Jahre  1886/87  mit  dem  Jahre  1903 
Kontingent  folgende  Zahlen. 

Es  wurden  pensioniert: 

1886/87  Kommand.  Generäle  . . im 
1903 

1886/87  Divisions-Kommandeure  - 
1903 

1886/87  Brigade  - Kommandeure  - 
1903 

1886/87  Regts.  - Kommandeure  - 
1903 

1886/87  Batl.-Kommandeure  . . - 
1903 

1886/87  Hauptleute u.  Rittmeister  - 
1903 

1886/87  Oberleutnants  u.  Leutnants  - 

1903 


zeigt  z.  B. 

für 

das 

preußische 

69.  Lebens- 

■ u. 

55. 

Dienstjahr 

63. 

- 

48. 

- 

61. 

- 

47. 

- 

58. 

- 

42. 

- 

58. 

- 

43. 

- 

56. 

- 

40. 

- 

54. 

- 

37. 

- 

53. 

- 

36. 

- 

48. 

- 

32. 

- 

49. 

- 

30. 

- 

41. 

- 

24. 

- 

42. 

- 

23. 

- 

31. 

- 

12. 

- 

32. 

- 

13. 

- 

Während  demnach  im  Jahre  1903  die  Regiments-Kommandeure, 
Hauptleute  und  Rittmeister,  Oberleutnants  und  Leutnants  bei  der 
Verabschiedung  an  Lebensjahren  älter  waren  als  die  Inhaber  der 
gleichen  Rangstellen  in  den  lahren  1886/87,  hat  sich  in  allen 


12 


Rangstellen  die  Anzahl  der  bis  zur  Pensionierung  zuriickgelegten 
Dienstjahre  beträchtlich  vermindert.  Die  kommandierenden  Gene- 
räle, welche  1903  pensioniert  wurden,  waren  an  Lebensjahren  6 und 
an  Dienstjahren  7 jünger  als  die  1886/87  verabschiedeten;  bei  den 
Divisionskommandeuren  betrug  der  Unterschied  in  jenen  Zeitpunkten 
an  Lebensjahren  3 und  Dienstjahren  5.  Die  Angaben  über  Lebens- 
und Dienstalter  in  den  übrigen  Rangstellen  weisen  im  Jahre  1903 
gegen  1886/87  nicht  so  große  Unterschiede  auf,  es  ergibt  sich 
sogar,  daß  die  Verabschiedungen  der  Leutnants  und  Oberleutnants 
1903  um  ein  Dienstjahr  später  erfolgte  als  im  Jahre  1886/87. 

Diese  »Verjüngung«  des  Offizierkorps,  die  im  Deutschen 
Reiche  stärker  vor  sich  gegangen  ist  als  in  anderen  Ländern, 
namentlich  schneller  als  in  Frankreich  und  Italien,  worüber  wir 
Angaben  erhalten  konnten,  ist  nicht  nur  auf  militärische  Gründe 
zurückzuführen,  sondern  auch  auf  körperliche  und  geistige  Ursachen 
bei  den  betreffenden  Offizieren,  ln  der  Begründung  der  Vorlage 
des  Offizierspensionsgesetzes,  die  dem  Reichstage  am  28.  November 
1905  zuging,  heißt  es  u.  a.:  »daß  die  Anforderungen,  welche  im 
Frieden  zum  Zwecke  der  kriegsmäßigen  Ausbildung  des  Heeres 
durch  Steigerung  der  Leistungen  an  die  körperlichen  und  geistigen 
Kräfte  der  Offiziere  gestellt  werden  müßten,  im  Laufe  der  Jahre 
erheblich  gewachsen  seien«  x).  Die  natürliche  Folge  davon  ist  das 
früher  eintretende  Versagen  der  körperlichen  und  geistigen  Fähig- 
keiten der  Offiziere  namentlich  in  den  höheren  Altersklassen,  in 
denen  ja  auch,  wie  gezeigt  wurde,  die  Verabschiedungen  viel  eher 
als  1886/87  eintraten,  als  das  Deutsche  Reich  noch  die  dreijährige 
Dienstzeit  hatte. 

Bei  der  hohen  Bedeutung  aber,  welche  ein  geistig  und 
körperlich  frisches,  jederzeit  felddienstfähäges  und  den  hohen  An- 
forderungen des  Krieges  unbedingt  gewachsenes  Offizierkorps  für 
die  Schlagfertigkeit  der  Armee  hat,  ist  es  unvermeidlich,  daß  viele 
Offiziere  ihre  Dienststellung  verlassen  und  somit  den  Lebensberuf 
aufgeben  müssen  in  einem  Lebensalter,  das  für  andere  Stände  erst 
der  Beginn  des  Aufsteigens  in  die  höheren  und  besser  besoldeten 
Stellen  ist,  die  ihnen  ein  Verbleiben  im  Berufe  sowie  in  sicherer 
wirtschaftlicher  Lage  noch  viele  Jahre  gewährleisten.  Die  in  dieser 
Hinsicht  in  Betracht  kommenden  »militärischen«  Gründe  bezwecken 
neben  einer  Verjüngung  des  Offizierkorps  vor  allen  Dingen  die 


*)  Stenogr.  Ber.  d.  Reichstags.  II.  Sess.  1905/06,  2.  Anlageb.  S.  1102. 


13 


Aufgabe,  nur  wirklich  befähigte  Personen  als  Offiziere  zu  behalten, 
und  in  die  Führerstellen  aufrücken  zu  lassen,  Das  deutsche 
Offizierkorps  ist  deshalb  in' seinem  Innenverhältnis  demokratischer 
als  jeder  andere  Berufsstand. 

Das  Lebensalter  der  in  Frankreich,  Italien  und  Deutschland 
verabschiedeten  Offiziere  stellt  sich  im  Durchschnitt  bei  den 

Komm.  Gene- 


rälen  auf  . . . . 

65 

in 

Frankreich 

60 

in 

Italien 

60 

in 

Deutschland 

Divisions- 

Kommandeuren 

65* 

» 

» 

60 

» 

)) 

58 

» 

» 

Brigade- 

Kommandeuren 

62 

» 

)) 

55 

)) 

)) 

55 

)) 

)) 

Regiments- 

Kommandeuren 

60 

» 

)) 

52 

)) 

)) 

52 

» 

)) 

Bataillons- 

Kommandeuren 

57 

» 

» 

52 

» 

» 

48 

)) 

)) 

Haupt- 
leuten   

53 

» 

» 

45 

» 

)> 

41 

» 

)) 

Wenn  in  Frankreich  die  verabschiedeten  Offiziere  in  allen 
Dienstgraden  an  Lebensjahren  älter  sind  als  in  Italien  und  bei 
uns,  muß  beachtet  werden,  daß  die  in  jener  Zusammenstellung 
angegebenen  Lebensalter  für  Frankreich  die  Altersgrenzen  sind, 
in  denen  die  Offiziere  ausscheiden  müssen.  Eine  derartige 
Bestimmung  kennen  Italien  und  Deutschland  nicht,  und  jene  An- 
gaben enthalten  deshalb  nichts  über  die  Ausscheidungen  vor  Er- 
reichung dieser  Grenze.  Ein  Vergleich  zwischen  Italien  und 
Deutschland  zeigt,  daß  nur  die  verabschiedeten  kommandierenden 
Generäle,  sowie  die  Brigade-  und  Regiments-Kommandeure  gleich- 
altrig sind,  während  in  allen  anderen  Rangstellen  bei  uns  die 
Pensionierung  früher  erfolgt,  bei  Bataillons-Kommandeuren  und 
Hauptleuten  um  4 Jahre,  bei  den  Divisions-Kommandeuren  um 
2 Jahre. 

Daß  in  Wirklichkeit  aber  die  »Verjüngung«  des  deutschen 
Offizierkorps  dem  französichen  gegenüber  größere  Fortschritte 
gemacht  hat,  geht  aus  dem  Durchschnittsalter  einiger  Dienstgrade 
hervor.  So  findet  man  in  Frankreich  die  Oberstleutnants  zwischen 
dem  44.  und  58.  Lebensjahre,  die  Obersten  zwischen  dem  54.  und 
60.  Lebensjahre,  während  sie  in  Deutschland  nicht  über  55  Jahre 
alt  sind;  der  Bataillons-Kommandeur  ist  dort  zwischen  38  und 


14 


56  Jahre  alt,  bei  uns  nicht  über  52;  die  französischen  Hauptleute 
sind  30  bis  47  Jahre  alt,  die  unsrigen  32  bis  47. 

Aus  den  hier  angezogenen  Gründen  sind  naturgemäß  auch 
die  Pensionsbeträge  in  den  einzelnen  Etatsjahren  gewachsen.  Die 
verabschiedeten  Offiziere  der  Armee  bezogen: 

pro  Kopf 

1886/87  an  Pensionen  22  377  470  M.  od.  im  Durchschn.  1219  M. 


1895  » 

» 32  108  690 

M.  » » 

» 

1434  M. 

1903  » 

» 40  233  631 

M.  » » 

» 

1692  M. 

Die  Zahl 

der  eine  Pension 

beziehenden 

Offiziere 

betrug: 

1886/87  bei  einer  Etatstärke  von 

17  863 

8 639 

48% 

1895  » » 

» » 

21  931 

10  526 

48% 

1903  » » 

» » 

23  327 

11823 

50% 

Im  ersten  Jahr  dieser  Berichtszeit  stellte  sich  die  Zahl  der 
eine  Pension  beziehenden  Offiziere  auf  48  % des  aktiven  Be- 
standes, im  letzten  Jahre  aber  schon  auf  50%,  während  über  die 
Verhältnisse  späterer  Jahre  keine  Angaben  zu  erhalten  waren,  da 
deren  Spezialisierung  im  Etat  nicht  erfolgt.  Weil  jedoch  im 
Reichshaushalt  die  Gesamtausgaben  für  die  in  Betracht  kommenden 
Titel  74,  79  und  80  keine  Zunahme,  ja  in  einzelnen  Fällen  wegen 
der  geringeren  Zahl  der  Kriegsveteranen  sogar  eine  Abnahme 
erfuhren,  darf  angenommen  werden,  daß  der  Prozentsatz  der  eine 
Pension  beziehenden  Offiziere  nicht  zugenommen  hat. 

Andererseits  kann  aus  den  von  uns  ermittelten  Angaben  über 
die  Pensionsbeträge  gefolgert  werden,  auch  wenn  es  sich  hierbei 
nur  um  Stichproben  handelt,  das  jährlich  weniger  Pensionierte 
wegfallen  als  hinzukommen,  ln  dem  Zeitabschnitt  von  1874  bis 
1888  ist  der  Pensionsfonds  um  12  Millionen  Mark  oder  um 
% Millionen  jährlich  gestiegen;  von  da  ab  bis  1901  hat  er  da- 
gegen eine  Steigerung  von  38  Millionen  oder  von  2,75  Millionen 
Mark  jährlich  erfahren.  Dabei  ist  allerdings  zu  berücksichtigen, 
daß  wiederholt  Aufbesserungen  der  Gehälter  und  dementsprechend 
auch  Erhöhungen  der  Pensionsbezüge  vorgenommen  worden  sind. 

Für  die  Annahme,  daß  weniger  Pensionierte  abgegangen  als 
hinzugekommen  sind,  sprechen  auch  die  folgenden  Tatsachen.  Im 
Jahre  1886  sind  603  Offiziere  des  Reichsheeres  und  12  der  Marine 
in  Pension  gegangen  oder  3,3  bezw.  2,2  %.  Die  entsprechenden 
Zahlen  für 


15 


1890  betrugen  590  oder 3,0°/0 beim  Heere  u.  1 L oder  l,8°/0  b.  d.  Marine 


Daß  bei  den  Pensionierungen  der  Offiziere  aller  Rangstellen 
in  erster  Linie  militärische  Gründe  ausschlaggebend  sind,  dürfte 
durch  die  Zunahme  unbesetzter  Offizierstellen  erhärtet  werden.  Das 
erreichbare  Material  läßt  vermuten,  daß  die  Militärverwaltung  lieber 
viele  Stellen  unbesetzt  läßt,  als  sie  Personen  zuzuerkennen,  deren 
Befähigung  ihr  nicht  ausreichend  erscheint.  Dieser  Mangel  macht 
sich  in  den  drei  unteren  Rangstellen  am  meisten  bemerkbar. 

Berechnet  man  unter  Zugrundlegung  der  bisherigen  Steigerung 
die  Zahl  der  unbesetzten  und  unbesetzbaren  Stellen  im  Offizier- 
korps, dann  ergibt  sich  für  das  Jahr  1915  ein  Fehlbetrag  von  3545 
Offizieren  gegenüber  3253  im  Jahre  1913  und  865  im  Jahre  1905. 
ln  diesem  Jahre  machten  die  unbesetzten  Stellen  4,5 % von  der 
etatsmäßigen  Gesamtsumme  aus,  um  dann  für  das  Jahr  1913  infolge  der 
großen  Heeresvermehrung  auf  13,3%  anzuschwellen.  "Wenn  in  den 
Jahren  1910/11  der  Vomhundertsatz  der  unbesetzten  Stellen  gegen 
die  Vorjahre  zurückging,  dann  dürften  sich  hier  Zusammenhänge 
mit  der  allgemeinen  Wirtschaftslage  ergeben.  Weil  in  den  Jahren 
1907  bis  1909  die  deutsche  Volkswirtschaft  unter  einer  Depression 
zu  leiden  hatte,  welche  die  Kräfte  der  vorhergehenden  Hochkon- 
junktur ausglich,  werden  viele  junge  Leute  den  Offiziersberuf  erwählt 
haben,  die  in  anderen  Erwerbsberufen  entweder  gar  nicht  oder  nur 
unter  schwierigeren  Verhältnissen  als  sonst  Unterkommen  konnten. 
Wir  finden  hier  dieselbe  Erscheinung  wie  bei  den  akademischen 
Berufen:  Ist  ein  zu  großer  Andrang  in  einem  dieser  Berufe  an- 

haltend gewesen,  wodurch  die  Erwerbsmöglichkeiten  nach  Ablauf 
des  Studiums  erschwert  werden,  dann  wendet  sich  die  studierende 
Jugend  einem  anderen  Fache  zu,  oft  unter  Hintenansetzung  der 
erforderlichen  Fähigkeiten  und  Neigungen. 

Andererseits  läßt  die  folgende  Zusammenstellung  eine  Ver- 
größerung des  Offiziersmangels  erkennen,  wenn  die  allgemeine 
wirtschaftliche  Lage  sich  bessert  und  einer  Hochkonjunktur  ent- 
gegengeht. Das  zeigen  die  Angaben  der  Jahre  1905  bis  1907. 
Die  Annahme,  daß  ein  Kausalzusammenhang  zwischen  allgemeiner 
Wirtschaftslage  und  der  Zahl  der  unbesetzten  Offiziersstellen  be- 
steht, dürfte  jedenfalls  nicht  dadurch  widerlegt  werden,  daß  beide 
Erscheinungen  zeitlich  nicht  genau  zusammenfallen. 


1895 

1900 

1903 


560  „ 2,5%  .. 
607  „ 2,8%  „ 

642  „ 2,3 % „ 


16 


Aber  noch  in  weiterer  Hinsicht  ist  die  folgende  Zusammen- 
stellung über  die  Zahl  der  Fehlstellen  im  Offizierkorps  bemerkenswert. 
Vergleicht  man  die  einzelnen  Waffengattungen  untereinander,  dann 
ist  festzustellen,  daß  bei  der  Infanterie  und  beim  Train  in  jedem 
Jahre  Anwärter  fehlen,  bei  den  Pionieren  war  in  der  Berichtszeit 
nur  im  Jahre  1911  ein  Ueberschuß  und  zwar  von  8 Anwärtern 
vorhanden,  bei  der  Fußartillerie  in  zwei  Jahren,  bei  der  Feldartillerie 
und  den  Verkehrstruppen  in  drei,  dagegen  bei  der  Kavallerie  in 
sieben  oder  neun  Jahren.  Der  lieberschuß  bei  dieser  letzten 
Waffengattung  dürfte  auf  soziale  Faktoren  zurückzuführen  sein,  weil 
auch  unter  den  Offizieren  der  einzelnen  Waffengattungen  Standes- 
unterschiede bestehen,  und  mancher  nur  Kavallerieoffizier  wird,  um 
im  späteren  bürgerlichen  Leben  eine  höhere  soziale  Stellung  ein- 
zunehmen. Der  grundbesitzende  Adel  ist  stark  bei  der  Kavallerie 
vertreten,  und  es  gibt  bei  dieser  Waffengattung  Regimenter,  deren 
Offiziere  nur  adelig  sind. 

Die  Fehlstellen  im  Heere: 


Nach 

dem 

Stande 

am 

1.10.  14. 

Inf. 

Jäger 

u. 

Schüt- 

zen 

Ka- 

val- 

lerie 

Feld- 

artil- 

lerie 

Fuß- 

artil- 

lerie 

Ing. 

Pio- 

nier 

Korps 

Ver- 

kehrs 

-trup 

-pen 

Train 

Sum- 

me 

der 

Fehl- 

stellen 

In  % 
der 
Etats- 
stellen 

Zahl  d. 
Fähn- 
riche u. 
Fahnen 
Junker 
am 

15.11.13 

In  % 
auf 
den 
Leut- 
nants 
etat 

1905 

799 

10 

46 

45 

25 

17 

23 

865 

4,5 

1018 

12,1 

6 

828 

-1-37 

62 

31 

17 

12 

15 

928 

4,7 

1092 

12,9 

7 

976 

+86 

+ 10 

45 

42 

28 

10 

1005 

5,1 

1112 

13,1 

8 

944 

+77 

+54 

41 

68 

23 

12 

957 

4,7 

1205 

14,1 

9 

878 

+89 

+ 17 

11 

55 

+ 6 

11 

843 

4,2 

1295 

15,1 

10 

657 

+83 

29 

+ 17 

23 

+30 

25 

604 

3,0 

1435 

11,8 

11 

595 

+95 

6 

+37 

+ 8 

+22 

14 

453 

2,3 

1528 

12,6 

12 

992 

+81 

226 

88 

58 

9 

33 

1325 

6,3 

1742 

14,4 

13 

2291 

129 

324 

72 

183 

163 

91 

3253 

13,3 

2220 

16,4 

17 


2.  Abschnitt. 

Die  Pensionsbeträge. 

Die  Verbesserungen  des  Offizierspensionsgesetzes  vom  31.  Mai 
1906  lassen  deutlich  drei  Ziele  erkennen: 

1.  Aufbesserung  der  Pensionsbeträge  der  drei  unteren  Dienst- 
grade, aber  nicht  in  dem  Maße,  daß  jeder  verabschiedete  Leutnant 
und  Oberleutnant  so  günstig  gestellt  wird,  daß  er  keinen  anderen 
Beruf  zu  ergreifen  braucht. 

2.  Wesentliche  Aufbesserung  der  Pensionen  der  mittleren 
Dienstgrade,  also  der  Bataillons-Kommandeure  und  etatmäßigen 
Stabsoffiziere. 

3.  Endlich  soll  ein  höherer  Prozentsatz  der  höheren  Dienst- 
grade namentlich  der  Regiments-  und  Brigade-Kommandeure  die 
Höchstpension  erreichen  können. 

Auf  Grund  des  erwähnten  Gesetzes  beträgt  die  Pension  bei 
vollendeter  zehnjähriger  oder  kürzerer  Dienstzeit  jährlich  20/60 
und  steigt  nach  vollendetem  zehnten  Dienstjahre  mit  jedem  weiteren 
Dienstjahre  um  1/60  bis  auf  45/60  des  zuletzt  bezogenen  pensions- 
fähigen Diensteinkommens;  jedoch  mit  der  Maßgabe,  daß  in  Stellen 
mit  dem  Diensteinkommen  eines  Regimentskommandeurs  einschließlich 
aufwärts  die  Pension  nach  dem  30.  Dienstjahre  nur  um  1/120  mit 
jedem  weiteren  Dienstjahre  steigt. 

Diese  in  § 6 des  Offizierspensionsgesetzes  festgelegten  Bestim- 
mungen decken  sich  wörtlich  mit  § 34  des  Reichsbeamtengesetzes. 

Während  jedoch  die  Beamten  in  der  Regel  die  Höchstpension 
erreichen,  bildet  diese  für  die  verabschiedeten  Offiziere  die  Ausnahme. 

Auf  Grund  der  Nachweisungen,  welche  der  Reichskanzler  der 
Budgetkommission  für  den  Reichshaushalt  des  Etatjahres  1905/06 
vorlegte  und  die  den  Zeitabschnitt  von  1886/87  — 1903  umfassen, 
ergibt  sich  folgendes  1). 

Nur  die  verabschiedeten  Kommandierenden  Generäle  erreichen 
in  dieser  Berichtszeit  alle  die  Höchstpension,  ebenso  die  Admirale, 
von  den  Divisions-Kommandeuren  91,3  °/0,  den  Brigade-Komman- 
deuren 62,5%  und  den  Regiments-Kommandeuren  nur  15,1% 

*)  Anlage  zu  Nr.  433  der  Drucksachen. 


18 


Diese  Verhältnisse  sind  ungünstig  genug,  werden  aber  noch 
übertroffen  von  denen  für  die  mittleren  und  unteren  Dienstgrade. 
Von  den  verabschiedeten  Bataillons-Kommandeuren  erreichten  nur 
1,3%  in  jener  Zeit  den  Anspruch  auf  die  Höchstpension  auf  der 
Grundlage  ihres  Diensteinkommens;  von  den  Hauptleuten  und 
Rittmeistern  0,14  % und  von  den  Oberleutnants  und  Leutnants 
nur  0,02  %.  Die  verabschiedeten  Oberleutnants  und  Leutnants 
mit  dem  Anspruch  auf  die  Höchstpension  entfielen  in  jener  Bericht- 
zeit allein  auf  des  bayrische  Kontingent,  während  in  Preußen, 
Sachsen  und  Württemberg  kein  Offizier  dieses  Dienstgrades  mit  der 
Höchstpension  abging.  Auch  wurden  im  sächsischen  und  Württem- 
berg! sehen  Kontingent  keine  Hauptleute  und  Rittmeister  mit  dem 
Anspruch  auf  die  Höchstpension  verabschiedet,  in  Preußen  nur  7 
und  in  Bayern  11. 

Bemerkenswert  an  diesen  Tatsachen  erscheint  vor  allem,  daß 
trotz  der  nicht  größer  gewordenen  Zahl  der  Verabschiedungen  die 
Verhältnisse  für  die  Pensionierung  nicht  besser  geworden  sind. 
Die  in  so  großer  Anzahl  erreichten  Höchstpensionen  in  den  unteren 
Dienstgraden  fallen  hauptsächlich  in  die  Jahre  vor  1896  und  dürften 
heute  kaum  noch  Vorkommen. 

Die  Eigenart  des  militärischen  Berufs,  besonders  auch  der 
Umstand,  daß  nur  rund  2,5  % der  Leutnants  Regiments-Komman- 
deure werden  können,  führt  im  Unterschiede  zu  anderen  Berufen 
von  gleicher  sozialer  Bedeutung  dahin,  daß  in  der  Zeit  von  1901 
bis  1903,  worüber  Angaben  vorliegen,  nur  1 % der  Offiziere  das 
Lebensalter  von  65  Jahren  überschritten,  nur  2%  erreichten  ein 
Alter  von  60  bis  64  Jahren  und  11%  waren  55  bis  59  Jahre  alt. 
Demnach  waren  86  % aller  eingetretenen  Offiziere  vor  dem  55. 
Lebensjahre  abgegangen,  also  in  einem  Lebensalter,  in  dem  die 
Mitglieder  anderer  Berufskreise  sich  zur  Erfüllung  ihrer  Pflichten 
noch  völlig  in  der  Lage  fühlen. 

Aus  dem  Dienst  der  allgemeinen  Verwaltung  sind  dem  gegen- 
über in  den  Jahren  1901  bis  1903  ausgeschieden: 

41,7%  mit  einem  Alter  von  65  und  mehr  Jahren 
16,7%  mit  60  bis  64  Jahren  und 
12,5%  mit  55  bis  59  Jahren. 

ln  diesem  Berufszweige  waren  demnach  70,9  % aller  Erwerbs- 
tätigen älter  als  55  Jahre  gegen  14%  im  Heere. 


19 


Aus  der  Justizverwaltung  sind  in  jenem  Zeitabschnitte  aus- 
geschieden: 


65  Jahre  und  älter 
60  bis  64  Jahre  . 
55  bis  59  Jahre  . 


72,41%  | 

5,31  % j 
8,22  % 


77,72  % 


so  daß  hier  sogar  85,94  % aller  Festangestellten  ein  Lebensalter 
von  55  und  mehr  Jahren  erreicht  hatten  und  somit  die  Verhältnisse 
in  diesem  Berufe  noch  günstiger  Jagen  als  bei  der  allgemeinen 
Verwaltung. 

Aus  diesen  Gegenüberstellungen  der  Offiziere  einerseits  und 
der  Beamten  der  Justiz  und  allgemeinen  Verwaltung  andererseits 
ergibt  sich  als  gerechte  Forderung,  den  Offizieren  im  allgemeinen 
mit  55  Lebensjahren,  d.  h.  mit  35  Dienstjahren  die  Höchstpension 
erreichen  zu  lassen.  Denn  die  langjährige  Erfahrung  lehrt,  daß  der 
Offizier  in  den  meisten  Fällen  zu  diesem  Zeitpunkte  abgehen  muß, 
weil  er  verbraucht  ist.  Nur  wenige  Offiziere  können  über  dieses 
Alter  hinaus  im  Dienste  bleiben,  während  der  weit  größere  Teil,  nach 
unseren  Ermittlungen  86  %,  der  Schlagfertigkeit  der  Armee  zum 
Opfer  fallen  muß. 

Diese  ohnehin  schon  ungünstigen  Verhältnisse  der  Offiziere 
werden  es  aber  dadurch  in  letzter  Zeit  noch  mehr,  daß  die 
Feldzugsteilnehmer  in  den  oberen  Dienstjahren  schon  anfangen  zu 
verschwinden.  Die  Offiziere  werden  älter,  ohne  daß  sie  deshalb 
mehr  Dienstjahre  haben,  weil  die  Feldzugsjahre  bei  Gehalts-  und 
Pensionsberechnung  doppelt  gezählt  werden. 

Die  geschilderten,  wenig  erfreulichen  Tatsachen,  welche  mit 
den  Verabschiedungen  der  Offiziere  verbunden  sind,  haben  eine 
über  den  Rahmen  des  aktiven  Offizierkorps  hinausgehende  Beteutung, 
weil  sie  mitbestimmend  sind  für  die  Berufswahl  der  Söhne  aus 
gebildeten  Kreisen.  Offiziere,  die  nach  ihrer  Meinung  zu  früh 
verabschiedet  sind  und  deren  Pensionsbezüge  zum  standesgemäßen 
Unterhalt  nicht  ausreichen,  werden  kaum  ihre  eigenen  Söhne  dem 
Offiziersberuf  zuführen.  Die  wirtschaftliche  Sicherstellung  der 
Kinder  ist  die  erste  Aufgabe,  welche  die  Erziehung  zu  erfüllen  hat, 
und  diese  Sicherstellung  wird  nicht  zuletzt  die  späteren  Lebensjahre 
in  Betracht  ziehen  müssen.  Es  ist  entmutigend  für  einen  Mann, 
von  vorneherein  bei  der  Berufswahl  damit  rechnen  zu  müssen,  daß 
er  höhere  Dienstgrade  kaum  jemals  erreichen  kann  und  bei  seiner 
etwaigen  Verabschiedung  eine  Pension  erhält,  die  eben  ausreicht. 


20 


seine  dringendsten  Existenzbedürfnisse  zu  befriedigen.  Wird  der 
Offizier  der  mittleren  Dienstgrade  pensioniert,  dann  hört  seine 
Aktivität  meist  in  einer  Zeit  auf,  die  an  die  Erziehung  seiner  Kin- 
der hohe  wirtschaftliche  Anforderungen  stellt.  Hierzu  reichen  die 
Pensionsbezüge  in  der  Regel  jedoch  nicht  aus,  so  daß  andere 
Einkommensquellen  nutzbar  gemacht  werden  müssen.  Hat  der 
verabschiedete  Offizier  ein  ausreichendes  Besitzeinkommen,  dann 
wird  er  seine  Pensionierung  nicht  sehr  schmerzlich  empfinden. 
Aber  hinsichtlich  der  Vermögensverhältnisse  der  meisten  Offiziere 
scheinen  falsche  Vorstellungen  zu  herrschen.  Nur  wenige  Offiziere 
sind  im  Besitze  eines  Vermögens,  das  eine  auskömmliche  Rente 
abwirft  während  der  größere  Teil,  meist  Söhne  von  Offizieren  und 
Beamten,  entweder  gar  kein  oder  ein  sehr  geringes  Vermögen  besitzt. 
Besteht  dieses  Vermögen  in  Geldkapital  und  reicht  die  Rente  nicht 
aus  zur  Bestreitung  der  Lebensbedürfnisse,  dann  besteht  für  den 
verabschiedeten  Offizier  die  Gefahr,  daß  er  Vermögensteile  verbraucht 
und  dadurch  seiner  wirtschaftlichen  Existenz  einen  Teil  seiner 
Unterlage  entzieht. 

Diese  ungünstigen  Pensionsverhältnisse  der  Offiziere  sind 
sicherlich  ein  Grund  für  die  große  Anzahl  der  Fehlstellen  im  Heere, 
auf  die  bereits  schon  hingewiesen  wurde,  und  die  die  Schlagfertigkeit 
des  Heeres  zweifellos  schädigen.  Je  weniger  Offiziere  in  den  unteren 
Dienststellen  vorhanden  sind,  desto  unvollkommener  wird  die  Ausbil- 
dung des  einzelnen  Mannes  sein.  Der  Kriegsminister  hat  auf  der 
Tribüne  des  Reichstages  denn  auch  öffentlich  bekannt,  daß  ein  neues 
Pensionsgesetz  der  Offiziere  nötiger  sei  als  eine  Heeresvermehrung. 
Und  zwischen  den  Zeilen  seiner  Ausführungen  war  deutlich  zu 
lesen,  daß  dem  mangelnden  Nachschub  an  Offiziersersatz  am  besten 
durch  eine  Verbesserung  der  Pensionsverhältnisse  abgeholfen  wer- 
den könne. 

Daß  die  materielle  Lage  der  aktiven  Offiziere  nicht  die  Ur- 
sache für  den  Offiziersmangel  ist,  darf  aus  dem  Nichtvorhandensein 
berechtigter  Klagen  geschlossen  werden.  Es  hätte  dann  die  Anzahl 
der  Fehlstellen  immer  abnehmen  müssen,  wenn  die  Gehälter  erhöht 
wurden,  was  wiederholt  seit  der  Reichsgründung  geschehen  ist. 
Die  tatsächlichen  Verhältnisse  legen  indessen  davon  Zeugnis  ab, 
daß  die  Zunahme  der  unbesetzten  Stellen  mit  den  Gehaltsfragen 
in  keinerlei  Verbindung  steht.  Die  Ungewissheit  über  den  Zeit- 
punkt der  Pensionierung  ist  vielmehr  die  Ursache,  die  in  vermögens- 
rechtlicher Hinsicht  an  erster  Stelle  steht. 


21 


Weil  von  den  verabschiedeten  Offizieren  in  den  unteren 
Dienststellen  nur  in  besonderen  Ausnahmefällen  die  Höchstpension 
ihres  Diensteinkommens  erreicht  wird  und  diese  Beträge  nicht 
ausreichen,  um  mehr  als  die  notwendigsten  Lebensbedürfnisse  zu 
befriedigen,  verdient  die  Frage  der  Berufswahl  nach  der  Verab- 
schiedung besondere  Aufmerksamkeit.  Der  Offizier  ergreift  seinen 
Beruf  allerdings,  um  in  ihm  seine  Lebensaufgabe  zu  erfüllen  und 
will  ihn  nicht  als  ein  Durchgangsstadium  für  sein  späteres  Fort- 
kommen betrachten,  wie  es  bei  den  Personen  der  Unterklassen  der 
Fall  ist.  Aber  aus  militärischen  und  gesundheitlichen  Gründen 
muß,  wie  bereits  oben  mitgeteilt  und  auch  allgemein  bekannt  ist, 
die  größte  Anzahl  der  jungen  Offiziere  weit  eher  abgehen,  als  die 
Lebenskraft  verbraucht  ist,  und  es  würde  volkswirtschaftlich  auch 
wenig  erfreulich  sein,  wenn  die  Ueberzahl  der  verabschiedeten 
Offiziere  ihr  ferneres  Leben  untätig  verbringen  würde,  ln  diesem 
letzten  Hinweis  liegt  auch  ein  Grund  dafür,  daß  die  Pensionbe- 
messung der  unteren  Dienstgrade  nicht  so  günstig  gestaltet  werden 
darf,  daß  die  jüngeren  Offiziere  nach  ihrer  Entlassung  auf  jedes 
weitere  Einkommen  verzichten  können,  ganz  abgesehen  davon,  daß 
die  Reichsfinanzen  eine  derartige  Belastung  unter  den  heutigen 
Verhältnissen  garnicht  zu  ertragen  vermögen.  Unter  solchen  Um- 
ständen würde  sicherlich  zu  der  Offizierslaufbahn  ein  viel  größerer 
Andrang  sein  als  heute,  weil  mancher  Anwerber  die  Beschwer- 
lichkeiten des  Dienstes  durch  eine  baldige  Verabschiedung  abzulösen 
wüßte.  Daraus  ergibt  sich  für  die  Pensionsbemessung  der  unteren 
Dienstgrade  ohnehin  schon  ein  Interessengegensatz,  wie  er  im 
gesammten  Wirtschaftsleben  auftritt,  und  der  bei  der  Fortsetzung 
aller  Einkommenzweige  sich  bemerkbar  macht. 

Ist  der  verabschiedete  Offizier  der  unteren  und  mittleren 
Dienstgrade  nicht  im  Besitze  eines  Vermögens,  dessen  Ertrag 
seine  Pension  in  ausreichendem  Maße  ergänzt,  so  ist  er  zu  einer 
neuen  Berufswahl  gezwungen,  die  durch  seine  bisherige  Stellung 
nicht  selten  durch  seinen  Gesundheitsstand,  meist  aber  auch  durch 
mangelnde  spezielle  Vorbildung  eher  erschwert  als  erleichtert  wird. 
Daher  muß  es  anerkannt  werden,  daß  die  maßgebenden  Stellen  sich 
unausgesetzt  mit  der  Frage  beschäftigt  und  bereits  ermutigende 
Resultate  erzielt  haben,  wenn  auch  eine  zufriedenstellende  endgül- 
tige Lösung  der  ebenso  wichtigen  wie  schwierigen  Frage  bisher 
noch  nicht  gelungen  ist. 


22 


II.  Teil. 

Die  Arten  der  Olfizierzivilversorgung. 


1.  Abschnitt. 

Eine  allgemeine  Betrachtung. 

Ist  der  Offizier  nach  seiner  Verabschiedung  gezwungen,  sich 
neben  der  Pension  ein  weiteres  Arbeitseinkommen  zu  verschaffen, 
dann  kann  dies  sowohl  in  bürgerlichen  als  auch  in  öffentlichen  Be- 
rufen geschehen,  ln  den  meisten  Fällen  wird  dann  der  Beruf 
ergriffen,  der  am  leichtesten  zu  erreichen  ist  und  namentlich  die 
wirtschaftlich  Schwachen  überlegen  sich  kaum,  ob  ihnen  die  Tätig- 
keit in  diesem  neuen  Berufe  auch  die  erforderliche  Befriedigung 
zu  verschaffen  vermag.  Fast  stets  wird  der  Offizier  in  den  unteren 
und  mittleren  Dienstgraden  von  der  Verabschiedung  überrascht,  und 
da  er  völlig  in  seinem  bisherigen  Berufe  aufgegangen  ist,  hat  et 
sich  bis  dahin  weder  die  Fähigkeiten  noch  die  Erfahrungen  ange- 
eignet, ohne  welche  eine  Entscheidung  in  der  Berufswahl  niemals 
erfolgen  sollte. 

Im  allgemeinen  darf  behauptet  werden,  daß  der  verabschiedete 
Offizier  einen  öffentlichen  Beruf  lieber  wählt  als  einen  privaten. 
Jener  gewährt  nach  fester  Anstellung  ein  sicheres  Einkommen, 
dieser  kann  aus  irgendwelchen  Gründen  wieder  verloren  gehen. 
Auch  ist  der  öffentliche  Beruf,  von  einzelnen  Ausnahmen  abgesehen, 
mit  einer  Pension  verknüpft,  welche  eine  angenehme  Ergänzung  der 
Offizierspension  ist. 

Wenn  der  Offizier  Gelegenheit  haben  soll,  bei  seiner  Verab- 
schiedung einen  öffentlichen  Beruf  d.  h.  eine  Anstellung  im  Dienste 
des  Staates  und  der  Gemeinde  zu  finden,  dann  müssen  solche  Stellen 
freigehalten  werden.  Einem  solchen  an  den  Staat  gestellten  Ver- 
langen steht  jedoch  entgegen,  daß  der  Offizier  seinen  Beruf  als 
Lebensberuf  und  nicht  als  Uebergangsstadium  und  Vorbereitungszeit 
auffaßt,  wie  es  bei  den  Unterklassen  des  Heeres  der  Fall  ist.  Auch 
wird  es  trotz  der  stark  fortschreitenden  Arbeitsteilung  nicht  möglich 
sein,  einen  für  Offiziere  entsprechenden  Beruf  zu  finden,  für  den  der 


23 


Militärdienst  als  besonders  geeignete  Vorbereitung  erscheint.  Außer- 
dem müßte  es  sich  um  einen  Beruf  handeln,  der  geeignet  wäre, 
wenigstens  die  Mehrzahl  der  verabschiedeten  Offiziere  aufzunehmen. 

Gegen  die  Durchführung  eines  derartigen  Planes,  für  alle  ver- 
abschiedeten Offiziere  in  einem  einzigen  oder  in  mehreren  Berufen 
entsprechende  Stellen  offen  zu  halten,  lassen  sich  außer  jenen  prak- 
tischen noch  Gründe  der  sozialen  Gerechtigkeit  geltend  machen. 
Der  Staat  muß  als  seine  Beamten  die  Anwerber  aus  allen  Schichten 
aufnehmen,  wenn  sie  die  Bedingung  erfüllen  und  die  Befähigung 
nachweisen,  welche  die  Ausübung  des  betreffenden  Berufs  erfordert. 
Es  dürfte  aus  sozialen  Gesichtspunkten  heraus  niemals  angängig 
sein,  die  gewesenen  Offiziere  vorweg  zu  begünstigen,  zumal  jeder 
Leutnant  bei  seinem  Eintritt  in  das  Heer  weiß,  daß  die  Mehrzahl 
der  Offiziere  vorzeitig  den  Dienst  aufgeben  muß. 

Dieser  Auffassung  haben  auch  die  gesetzlichen  Maßnahmen 
Rechnung  getragen.  Sie  sehen  eine  Versorgung  der  unteren  Dienst- 
grade vor  und  in  dieser  scheinbaren  Bevorzugung  der  sogenannten 
Militäranwärter,  die  im  Mannschaftsversorgungsgesetz  ihren  Aus- 
druck findet,  wird  man  bei  objektiver  Würdigung  der  Verhältnisse 
eine  Ungerechtigkeit  gegen  die  verabschiedeten  Offiziere  nicht  er- 
blicken können.  Es  handelt  sich  eben  um  durchaus  verschiedenartige 
Grundsätze,  aus  denen  sich  die  verschiedenartigen  Rechtsverhältnisse 
entwickelt  haben.  Die  zwölfjährige  Dienstzeit  der  Unteroffiziere 
ist  Mittel  zum  Zweck,  der  Offizier  ergreift  seinen  Beruf  aber 
als  Selbstzweck.  Deshalb  erhält  der  verabschiedete  Offizier  auch 
eine  Pension,  der  Unteroffizier  dagegen  einen  Anspruch  auf  einen 
geeigneten  Posten  in  der  Zivilverwaltung.  Würde  der  Staat  die 
Verpflichtung  übernehmen,  für  seine  frühzeitig  ausgeschiedenen  Of- 
fiziere in  derselben  Weise  zu  sorgen  wie  für  seine  Unteroffiziere, 
dann  würde  bei  einem  Teil  der  Offiziere  der  Offizierstand  nicht 
mehr  Beruf,  sondern  Durchgangsstadium  werden.  Dann  würden  aber 
auch  seine  Leistungen  leiden.  Was  nützt  der  Armee  ein  Offizierkorps, 
in  dem  ein  Teil  nur  eine  Versorgung  erreichen  will  nach  einer 
bestimmten  Zeit,  anstatt  dauernd  nach  Vervollkommnung  in  dem 
erwählten  Beruf  zu  streben.  Daß  im  Offizierkorps  unter  diesen 
Umständen  nicht  mehr  soviel  gearbeitet  werden  würde,  ist  klar. 

Hinsichlich  der  Militäranwärter  bestimmt  § 15  des  Mann- 
schafts-Versorgungs-Gesetzes,  daß  Kapitulanten  durch  zwölfjährige 
Dienstzeit  Anspruch  auf  den  Zivilversorgungsschein  erwerben,  wenn 


24 


sie  zum  Beamten  würdig  und  brauchbar  erscheinen.  Als  Kapitu- 
lanten gelten  nach  § 1 d.  M.  V.  G.  diejenigen  Unteroffiziere  und 
Gemeinen,  welche  sich  über  die  gesetzliche  Dienstzeit  hinaus  zum 
aktiven  Dienste  verpflichtet  haben  und  in  dessen  Ableistung  be- 
griffen sind.  Militäranwärter  ist  jeder  Inhaber  des  Zivilversorgungs- 
scheines nach  Antrag  A.  der  Grundsätze  für  die  Besetzung  der 
mittleren  Kanzlei-  und  Unterbeamtenstellen  bei  den  Reichs-  und 
Staatsbehörden  mit  Mi litäran Wärtern  v.  7/21,  März  1882  x).  Die 
Anstellungsberechtigung  eines  Militäranwärters  beschränkt  sich  auf 
denjenigen  Bundesstaat,  dessen  Staatsangehörigkeit  er  seit  zwei  Jah- 
ren besitzt1 2).  Durch  Allerhöchsten  Erlaß  vom  30.  Juni  1885  3)  »st 
das  Stellenverzeichnis  und  dessen  Nachträge  aller  derjenigen  Stellen 
genehmigt,  die  als  Subaltern-  und  Unterbeamtenstellen  zu  erachten 
und  als  solche  den  Militäranwärtern  Vorbehalten  sind.  Die  Beamten 
der  Gemeinden  in  der  Forstverwaltung  fallen  nicht  unter  das  Gesetz, 
vielmehr  bleiben  diese  Stellen  den  Forstversorgungsberechtigten 
Vorbehalten. 

Die  meisten  Staaten  haben  es  jedoch  schon  im  Interesse  des 
Ansehens  des  Offizierstandes  als  ihre  Pflicht  erachtet,  auch  den 
verabschiedeten  Offizieren  ihre  weitere  Fürsorge  angedeihen  zu 
lassen,  indem  sie  ihnen  Stellen  in  öffentlichen  Berufen  offen  hielten 
oder  beim  Unterkommen  in  privaten  Unternehmungen  behilflich  waren. 
Diese  Fürsorge  findet  sich  am  stärksten  in  den  Ländern  mit  aus- 
gesprochenen Berufsheeren  ausgebildet,  und  es  ist  bekannt,  daß 
Friedrich  der  Große  für  Preußen  (1740 — 1786)  die  Versorgung 
der  verabschiedeten  Offiziere  als  Postmeister  und  Salzfaktoren  an- 
geordnet hat. 

Dabei  muß  allerdings  bedacht  werden,  daß  es  damals  leichter 
war  als  heute,  einen  verabschiedeten  Offizier  in  eine  Beamtenstelle 
zu  bringen.  Ja,  der  Offizier  war  meist  einer  der  weniger  ernst- 
haften Bewerber  um  einen  freien  Posten,  weil  er  schreiben  und 
lesen  konnte,  während  heute  weitestgehende  Fachkenntnisse  verlangt 
werden,  welche  der  Offiziersberuf  als  solcher  nicht  kennt.  Auch 
waren  damals  die  für  verabschiedete  Offiziere  geeigneten  Stellen 
verhältnismäßig  viel  zahlreicher  als  es  heute  der  Fall  ist,  weil  mit 
der  fortschreitenden  allgemeinen  Bildung  auch  der  Andrang  zu  allen 


1)  Zentralblatt  für  das  Deutsche  Reich.  S.  123.  Jahrg.  1882. 

2)  § 1.  Abs.  1 d.  Gesetzes  v.  1892. 

3)  Ministerialblatt  1885.  S.  165. 


25 


Berufen  stärker  und  die  gestellte  Anforderungen  erhöht  wurden. 
Viele  Stellen,  die  früher  von  verabschiedeten  Offizieren  verwaltet  wer- 
den konnten,  dürfen  heute  nur  noch  mit  akademisch  vorgebildeten 
Bewerbern  nach  Ablegung  bestimmter  Prüfungen  besetzt  werden, 
die  eine  längere  Vorbereitung  und  Probezeit  erfordern. 

Allerdings  wird  vielen  verabschiedeten  Offizieren  Allerhöchsten 
Orts  die  Aussicht  auf  Anstellung  im  Zivildienst  verliehen, 
da  aber  diese  „Aussicht“  nicht  als  „Anrecht“  im  Sinne  des  Mann- 
schaftsversorgungsgesetzes aufgefaßt  wird,  haben  sich  die  in  Frage 
kommenden  Instanzen,  allen  voran  das  preußische  Kriegsministerium 
bemüht,  den  verabschiedeten  Offizieren  nach  und  nach  eine  ganze 
Reihe  von  Sellungen  zugänglich  zu  machen.  Als  Erfolg  dieser  Be- 
mühungen ist  beim  Bundesrat  zunächst  die  Aufnahme  einer  Bestim- 
mung in  den  „§  10  der  Anstellungsgrundsätze  I.  Teil“  erreicht 
worden,  wonach  die  den  Militäranwärtern  vorbehaltenen  Stellen 
auch  mit  Militärpersonen  im  Offiziersrange  besetzt  werden  können, 
insoweit  hierüber  bei  den  einzelnen  Bundesstaaten  Vorschriften  be- 
stehen oder  erlassen  werden,  ln  Preußen  bestanden  bei  dem  In- 
krafttreten der  Anstellungsgrundsätze  im  Jahre  1882  bereits  solche 
Vorschriften,  doch  wurde  in  einer  Ausführungsbestimmung  zum 
§ 10  erneut  festgesetzt,  daß  die  mit  Aussicht  auf  Anstellung  im  Zivil- 
dienst verabschiedeten  Offiziere  zu  allen  den  Militäranwärtern  vor- 
behaltenen Stellen  mit  den  Rechten  der  Militäranwärter  zuzulassen 
seien,  sofern  von  den  beteiligten  Zentralbehörden  nichts  anderes 
bestimmt  sei  oder  bestimmt  würde.  Infolgedessen  war  es  möglich, 
für  Offiziere  besondere  Vergünstigungen  eintreten  zu  lassen  und  von 
den  den  Militäranwärtern  vorbehaltenen  Stellen  diejenigen  zu  be- 
zeichnen, die,  weil  hierzu  geeignet,  entweder  in  ihrer  Gesamtheit 
oder  zum  Teil  vorzugsweise  mit  Offizieren  besetzt  werden  sollen. 

Die  Verhandlungen  hierüber  zwischen  Militärverwaltung  und 
den  Reichs-  und  Staatsbehörden  gestalteten  sich  um  so  schwieriger, 
als  geprüft  werden  mußte,  inwieweit  etwa  berechtigte  Interessen 
der  Militäranwärter  geschädigt  oder  die  dienstlichen  Interessen  der 
Behörden  gefährdet  werden  könnten. 

Da  die  Mehrzahl  der  Zivilstellen  den  Militäranwärtern  zu- 
gänglich sind,  ergeben  sich  aus  der  gesellschaftlichen  und  militärischen 
Differenzierung,  wie  diese  während  der  Dienstzeit  unter  den  An- 
wärtern bestand,  von  vornherein  Schwierigkeiten.  Namentlich  der 
verabschiedete  junge  Offizier  will  nicht  mit  Peronen  zusammenar- 


26 


beiten,  die  früher  seine  Untergebenen  waren  und  jetzt  ihm  Gleich- 
berechtigte sind.  Wir  meinen,  daß  bei  beiderseitigem  Takt  und 
gutem  Willen  sich  diese  Schwierigkeiten  schon  überwinden  lassen. 
Es  handelt  sich  in  der  Regel  nur  um  die  Vorbereitungszeit  in  der 
ein  Zusammenarbeiten  notwendig  ist  und  die  Wahrscheinlichkeit, 
daß  sich  die  Anwärter  auf  ein  und  demselben  Posten  aus  ihrer 
früheren  Dienstzeit  kennen,  ist  doch  außerordentlich  gering.  Der 
Offizier  hat  bei  der  Vorbereitung  auf  seinen  Zivilberuf  die  beste 
Gelegenheit  zu  zeigen,  daß  er  auf  Grund  seiner  allgemeinen  Vor- 
bildung und  seines  Willens  rascher  voran  kommt,  als  sein  Mitbe- 
werber aus  dem  Unteroffizierstand  und  schon  nach  einigen  Jahren 
wird  er  in  einer  Stellung  sein,  die  der  des  Militäranwärters  vor- 
gesetzt ist.  Wenn  viele  Stellen  gleichzeitig  für  frühere  Offiziere 
und  Unteroffiziere  zugänglich  sind,  dann  bürgt  das  auch  gleichzeitig 
für  einen  guten  Kern,  der  im  deutschen  Unteroffizierkorps  lebendig 
ist.  Daß  ein  Offizier  ebenso  wie  der  Militäranwärter  in  seinem 
neuen  Zivilberufe  von  unten  anfangen  muß,  scheint  genau  so  selbst- 
verständlich, wie  ein  Fahnenjunker  nicht  gleich  Kompagniechef  werden 
kann.  Wer  im  mittleren  Dienst  nicht  von  der  „Pike“  auf  gedient 
hat,  wird  schwerlich  in  den  höheren  Stellen  etwas  Ersprießliches 
leisten,  können. 

Sind  auch  infolge  der  vereinten  Bemühungen  der  Zentral- 
behörden zahlreiche  Stellen  mit  verabschiedeten  Offizieren  besetzt 
worden  — von  5700  verabschiedeten  Offizieren  vom  Leutnant  bis 
zum  Stabsoffizier  konnten  seit  dem  Jahre  1892  bis  1910  nicht 
weniger  als  2589  untergebracht  werden  — so  läßt  sich  doch  nicht 
leugnen,  daß  ein  erheblicher  Prozentsatz  keine  geeignete  Versor- 
gung finden  konnte.  Die  ganze  Frage  der  Zivilversorgung  pensi- 
onierter Offiziere  würde,  wie  das  preußische  Kriegsministerium  in 
einer  Denkschrift  vom  22.  Januar  1910  ^ bemerkt,  in  günstigere 
Bahnen  gelenkt  werden  können,  wenn  es  möglich  wäre,  für  die  ver- 
abschiedeten Offiziere  mehr  als  bisher  solche  Stellen  verfügbar  zu 
machen,  die  ihnen  unmittelbar  oder  nach  kurzer  Vorbereitung  und 
ohne  Konkurrenz  mit  Militäranwärtern  zugänglich  sind.  Es  wird 
daher  zu  untersuchen  sein,  welche  Stellungen  dieser  Art  den  ver- 
abschiedeten Offizieren  schon  jetzt  offen  stehen  und  welche  etwa 
noch  freigehalten  werden  könnten,  ohne  daß  anderweitige  berechtigte 
Interessen  gefährdet  oder  beeinträchtigt  würden.  Bei  der  Wahl 


!)  Abdruck  zu  Nr.  431/1.  10.  C.  2.  Seite  6. 


27 


eines  öffentlichen  Berufes  im  Reichs-  Staats-  oder  Gemeindedienst 
wird  der  verabschiedete  Offizier  berücksichtigen  müssen,  daß  während 
der  Dauer  seines  Amtes  die  Militärpension  eine  Kürzung  erleidet 
beziehungsweise  vollständig  ruht.  Nach  den  Bestimmungen  des 
Reichsgesetzes  betreffend  die  Pensionierung  und  Versorgung  von 
Militärpersonen  vom  27.  Juni  1871  $§  102  u.  ff.  J)  sowie  des  Er- 
gänzungsgesetzes vom  4.  April  1874 *  2)  § 15  durften  die  im  Zivil- 
dienst angestellten  Militärpersonen  ihre  Pension  neben  dem  Dienst- 
einkommen ganz  oder  teilweise  nicht  weiter  beziehen.  Diese 
Bestimmungen  wurden  für  die  im  Kommunaldienst  angestellten  Militär- 
personen durch  das  Reichsgesetz  vom  22.  Mai  1893  3)  außer  An- 
wendung gesetzt.  Durch  die  neuen  Militärversorgungsgesetze  vom 
31.  Mai  1906 4)  ist  das  geändert.  $S  24  und  26  des  genannten 
Gesetzes  bestimmen: 

§ 24.  Das  Recht  auf  den  Bezug  der  Pension  und  des  Pen- 
sionszuschusses (§  6 Abs.  5)  ruht: 

3.  während  einer  Anstellung  oder  Beschäftigung  im  Zivil-  oder 
Gendameriedienste,  soweit  das  Einkommen  aus  diesem  Dienste 
unter  Hinzurechnung  der  Pension  den  Betrag  des  früheren 
pensionsfähigen  Diensteinkommens  oder,  sofern  es  für  den 
Pensionär  günstiger  ist,  folgende  Beträge  übersteigt: 
bei  einer  Gesamt-Militär-  und  Zivildienstzeit 
von  weniger  als 21  Jahren  4000  M. 


bei 

einer  solchen 

von  wenigstens  21  „ 

4400  „ 

9 9 99 

„ , 24  „ 

4800  „ 

t> 

9 9 9 9 

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5100  „ 

99 

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5400  „ 

99 

•9  99 

».  ..  33  ,, 

5700  ,. 

99 

99  99 

„ 36  ,, 

6000  „ 

Als  Zivildienst  gilt  jede  Anstellung  oder  Beschäftigung  als 
Beamter  oder  in  der  Eigenschaft  eines  Beamten  im  Reichs-,  Staats- 
oder Kommunaldienste,  bei  den  Versicherungsanstalten  für  die  In- 
validenversicherung oder  bei  ständigen  oder  solchen  Instituten, 
welche  ganz  oder  zum  Teil  aus  Mitteln  des  Reiches,  Staates  oder 
der  Gemeinden  unterhalten  werden. 

*)  Reichsgesetzblatt  S 275. 

2)  Reichsgesetzblatt  S.  25. 

3)  Reichsgesetzblatt  S.  172. 

4)  Reichsgesetzblatt  S.  565.  u.  593. 


28 


§ 26.  Hat  ein  pensionierter  Offizier  in  einer  der  im  $ 24 
Nr.  3 genannten  Stellen  eine  Zivilpension  erdient,  so  ist  neben 
ihr  die  Militärpension  an  den  Pensionär  bis  zur  Erreichung  des- 
jenigen Pensionsbetrages  zu  zahlen  welcher  sich  für  die  Gesamt- 
dienstzeit aus  dem  pensionsfähigen  Militärdiensteinkommen,  sofern 
es  für  den  Pensionär  günstiger  ist,  aus  den  in  dem  § 24  Nr.  3 
dieses  Gesetzes  festgesetzten  Beträgen  nach  Maßgabe  des  Reichs- 
beamtengesetzes ergibt.  Ist  dieser  Pensionsbetrag  geringer  als  die 
erdiente  Militärpension,  so  ist  dem  Pensionär  neben  der  Zivilpension 
von  der  Militärpension  soviel  zu  zahlen,  daß  deren  Betrag  erreicht 
wird. 


Bei  Berechnung  der  Gesamtdienstzeit  wird  die  nach  den  Vor- 
schriften dieses  Gestzes  festgestellte  pensionsfähige  Mälitärdienstzeit 
angerechnet. 

Der  an  den  Pensionär  nicht  zu  zahlende  Pensionsbetrag  wird 
dem  Zivilpensionsfonds  erstattet,  wenn  bei  Bemessung  der  Zivil- 
pension die  Militärdienstzeit  nach  Maßgabe  des  Reichsbeamtenge- 
setzes oder  doch  mindestens  soweit  angerechnet  worden  ist,  als  die 
Zivildienstzeit  nach  den  Vorschriften  des  Landesrechts  angerechnet 
wird. 


Nach  dem  Gesetz  vom  22.  Mai  1893  (RGB.  S.  171)  wurde 
nur  den  im  Reichs-  und  Staatszivildienst  angestellten  pensionierten 
Offizieren  die  Pension  gekürzt,  soweit  Gehalt  und  Pension  zusam- 
men das  zuletzt  bezogene  pensionsfähige  Diensteinkommen  oder 
doch,  falls  dies  weniger  als  4000  M.  betrug,  4000  M.  überstiegen, 
während  die  im  Kommunaldienste  angestellten  Offiziere  ihre  Pension 
unter  allen  Umständen  unverkürzt  weiter  bezogen.  Der  § 24  des 
Ges.  von  1906  hat  die  Kürzung  auch  wieder  bei  den  Kommunal- 
beamten eingeführt,  allerdings  unter  Höherstellung  der  Beträge,  bei 
deren  Ueberschreitung  die  Kürzung  eintritt  und  zwar  nach  Ver- 
hältnis der  Gesamtdienstzeit.  Das  Gesetz  vom  31.  Mai  1906  ist 
am  1.  Juli  1906  mit  der  Maßgabe  in  Kraft  getreten,  daß  die 
Pensionsverhältnisse  der  seit  dem  1.  April  1905  aus  dem  Militär- 
dienste ausgeschiedenen  Offiziere  nach  den  Vorschriften  dieses 
Gesetzes  festzustellen  sind.  Auch  für  alle  am  1.  Juli  1906  bereits 
pensionierten  Offiziere  gilt  der  § 24,  jedoch  mit  der  Maßgabe, 
daß  keiner  durch  das  neue  Gesetz  gegen  früher  schlechter  gestellt 
werden  darf.  Für  die  im  Privatdienste  angestellten  Offiziere  hat 
der  § 24  keine  Geltung. 


29 


Nach  § 26  wird  auch  den  im  Kommunaldienst  pensionierten 
ehemaligen  Offizieren,  welche  nach  der  Novelle  vom  22.  Mai  1893 
ihre  Militärpension  neben  der  etwa  erdienten  Zivilpension  unver- 
kürzt weiter  bezogen,  unter  den  gesetzlichen  Voraussetzungen  ebenso 
wie  den  im  Reichs-  und  Staatsdienst  angestellt  gewesenen  die 
Militärpension  gekürzt.  Zur  Ermittlung,  ob  und  wie  weit  zu  kürzen 
ist,  wird  berechnet,  wie  viel  die  Pension  betragen  würde,  wenn  sie 
unter  Zugrundelegung  der  Gesamt-  (Militär-  und  Zivil-)  Dienstzeit 
von  dem  zuletzt  bezogenen  pensionsfähigen  militärischen  Einkom- 
men oder  von  den  im  § 24  angegebenen  Beträgen  berechnet  würde. 
Ist  die  Summe  der  tatsächlich  erdienten  Zivil-  und  Militärpension 
höher,  so  wird  die  letztere  entsprechend  gekürzt.  Hat  sich  ein 
Militärpensionär,  der  im  Kommunaldienst  angestellt  ist,  bei  seinem 
Ausscheiden  aus  dem  Zivildienst  eine  Pension  noch  gar  nicht 
erdient,  so  bezieht  er  seine  alte  Militärpension  weiter.  "Werden 
ihm  die  Militärjahre  bei  der  Pensionierung  nicht  oder  nicht  ganz 
angerechnet  und  tritt  nach  den  obigen  Grundsätzen  eine  Kürzung 
der  Militärpension  ein,  so  erspart  diese  gekürzte  Summe  die 
Militärverwaltung;  werden  ihm  aber  auf  Grund  besonderer  Anstel- 
lungsbedingungen die  Militärjahre  bei  der  Pensionierung  als  Dienst- 
zeit und  zu  der  Zivildienstzeit  hinzugerechnet,  so  hat  der  Militär- 
fiskus die  ersparte  Summe  der  betreffenden  Kommune  zu  ersetzen. 


30 


2.  Abschnitt. 

Die  öffentlichen  Berufe. 

Die  Mehrzahl  der  verabschiedeten  Offiziere  hat  von  Anfang 
an  den  Zivilberufen  in  den  staatlichen  und  städtischen  Verwaltungen 
ihre  besondere  Aufmerksamkeit  zugewendet,  und  das  aus  leicht  erklär- 
lichen Gründen.  Der  Offizier  hat  sich  in  seiner  Dienstzeit  an  eine 
Tätigkeit  gewöhnt,  welche  der  eines  Beamten  ziemlich  nahekommt. 
Auch  ist  es  erklärlich,  daß  der  Offizier,  weil  er  schon  einmal  im 
Staatsdienst  war,  den  staatlichen  und  städtischen  Dienst  allen  anderen 
Beschäftigungen  nach  seiner  Verabschiedung  vorzieht.  Das  feste 
Einkommen  ist  ihm  lieber  als  ein  unsicheres  im  privaten  Zivilberufe, 
und  der  Offizier  weiß,  daß  er  im  ersten  Falle  auch  den  Anspruch 
auf  eine  Pension  erwirbt.  Dieser  Auffassung  haben  die  oberen 
Behörden,  namentlich  die  Kriegsministerien,  von  Anfang  an  beson- 
ders Rechnung  getragen,  indem  sie  den  Offizieren  nur  Stellen  dieser 
Art  vermittelten.  Wenn  das  Einkommen  in  diesen  Berufsstellen  auch 
meist  nicht  so  hoch  ist  wie  in  kaufmännischen,  muß  doch  daran 
erinnert  werden,  daß  der  Offizier  außerdem  noch  seine  Pension 
bezieht,  die  allerdings,  wie  noch  gezeigt  werden  soll,  von  einer  ge- 
wissen Höhe  ab  mit  dem  neuen  Einkommen  verrechnet  wird. 

Welche  Stellen  im  Reichs-  und  Staatsdienst  für  verabschiedete 
Offiziere  in  Betracht  kommen,  zeigt  folgende  Zusammenstellung,  zu 
der  die  Anstellungsnachrichten  für  Offiziere  vom  30.  Januar  1913 
als  Unterlage  dienten x).  Da  die  Anstellungs-Nachrichten  vom 
Königlich  Preußischen  Kriegsministerium  herausgegeben  sind,  dürfen 
sie  Anspruch  auf  Vollständigkeit  machen. 

Bei  den  öffentlichen  Berufen  der  verabschiedeten  Offiziere 
sind  zwei  Gruppen  zu  unterscheiden.  Erstens  solche,  welche  nur 
den  Offizieren  zugängig  sind,  zweitens  solche,  welche  auch  den 
Militäranwärtern  Vorbehalten  sind.  Bei  der  Berufswahl  dieser  zwei- 
ten Gruppe  ergeben  sich  (vgl.  die  Ausführungen  des  letzten  Ab- 
schnitts) für  den  Offizier  leicht  soziale  Gegensätze,  die  manchen 
abhalten,  die  Stelle  anzunehmen.  Würde  es  zur  Regel,  daß  der 
verabschiedete  Offizier  in  solchen  Fällen  seinem  Mitbewerber  aus 


*)  Verlag:  E.  S.  Mittler  u.  Sohn. 


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dem  Unteroffizierstand  unterliegt,  dann  litte  nicht  nur  das  Ansehen 
des  Offiziers  im  Heeresdienst,  sondern  die  verabschiedeten  Offiziere 
würden  sich  um  derartige  Stellen  überhaupt  nicht  mehr  bewerben, 
ln  Erwägung  dieses  Umstandes  sind  deshalb  in  den  letzten  Jahren 
Stellen  geschaffen  worden,  die  nicht  den  Militäranwärtern,  sondern 
nur  den  Offizieren  allein  zugängig  sind.  So  sind  die  in  den  An- 
stellungs-Nachrichten aufgeführten  Vorsteherstellen  der  Reichspost- 
und  Telegraphenverwaltung  ausschließlich  für  die  aus  dem  Heere 
ausgeschiedenen  Offiziere  bestimmt.  Die  für  verabschiedete  Offiziere 
in  Betracht  kommenden  Stellen  des  öffentlichen  Dienstes  lassen  sich 
nach  den  Anstellungs-Nachrichten  wie  folgt  einordnen: 

I.  Steilen  im  Reichs-  und  Staatsdienst. 

II.  Stellen  im  Gemeindedienst  der  Einzelstaaten. 

Im  Reichsdienst  gibt  es  wieder  Stellen  in  der 

a)  Heeresverwaltung, 

b)  Marineverwaltung  im  Reichsamt  des  Innern  und 

c)  Reichs-Postamt; 

im  Staatsdienst  der  Einzelstaaten  vor  allem  in  den  Ministerien  und 
in  der  inneren  Verwaltung. 

Im  Reichsdienst  sind  vorhanden  auf  Grund  des  Reichshaus- 
haltes von  1913  für  verabschiedete  Offiziere: 

a)  Heeresverwaltung: 

90  Stellen  bei  den  Militär-Intendanturen  mit  einem  Einkommen 
von  2100 — 4500  M.,  ferner  12  Stellen  mit  1800 — 2500  M., 
27  Stellen  als  Bürovorstände  mit  2400  M.  Jahreseinkommen, 
33  Stellen  im  Militär-Erziehungs-  und  Bildungswesen  mit 

1422—4200  M„ 

2 Stellen  bei  der  Artillerie-Prüfungskommission  mit  1782  M. 
Stellenzulage, 

48  Stellen  bei  der  General -Militärkasse  mit  2100 — 7500  M. 
Einkommen, 

501  Stellen  bei  den  Proviantämtern  mit  2000 — 5500  M.  Einkommen 
79  Stellen  bei  den  Bekleidungsämtern  mit  2000 — 5000  M., 
267  Stellen  bei  den  Garnisonverwaltungen  mit  2000 — 5500  M., 
258  Stellen  beim  Militärmedizinalwesen  mit  2000 — 5000  M., 

1 Stelle  beim  Invalidenhaus  Berlin  mit  2800 — 4200  M. 

b)  Marineverwaltung: 

7 Stellen  beim  Reichsmarineamt  in  Berlin  mit  1800 — 5000  M., 


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15  Stellen  beim  Admiralstab  der  Marine  mit  1500 — 5100  M., 
2 Stellen  beim  Kommando  d.  Marinestationen  mit  1800 — 3300  M, 
1 Stelle  beim  Bildungswesen  der  Marine  mit  1800 — 3300  M., 
35  Stellen  bei  der  Seewarte  in  Hamburg  mit  den  Observatorien 
mit  2400—7200  M., 

1 Stelle  beim  Lotsenkommando  an  der  Jade  mit  5400 — 6600  M., 
1 Stelle  beim  Gouvernement  in  Kiautschou  mit  Schutzgebiet- 
einkommen, 

356  Stellen  bei  den  Kaiserlichen  Werften  in  Danzig,  Kiel  und 
Wilhelmshafen  mit  1800 — 5500  M., 

142  Stellen  bei  den  Marine-Intendanturen  mit  2100 — 4500  M., 
20  Stellen  in  den  Marine-Lazaretten  mit  2000 — 5000  M., 
54  Stellen  bei  den  Garnisonverwaltungen  mit  2000 — 5000  M., 
19  Stellen  bei  den  Bekleidungs-  und  Verpflegungsämtern  mit 
2000—5000  M., 

1 Stelle  bei  der  Schiffsartillerieschule  mit  2500 — 3200  M., 
13  Stellen  bei  den  Militärgerichten  mit  1800 — 4500  M. 

c)  Reichsamt  des  Innern: 

765  Stellen  bei  den  verschiedensten  Aemtern  mit  denselben  Ein- 
kommensklassen wie  bei  der  Heeres-  und  Marinevevwaltung. 

d)  Reichs-Postamt: 

132  Stellen  als  Vorsteher  von  Postämtern  erster  Klasse  in  den 
älteren  preußischen  Provinzen  mit  einem  Einkommen  von 
3000 — -6000  M.  Von  diesen  Stellen,  die,  wie  bereits  be- 
kannt, den  Militäranwärteim  nicht  zugängig  sind,  kommen  7 für 
Stabsoffiziere  und  125  für  Hauptleute  und  Rittmeister  in 
Betracht. 

Weiterhin  gibt  es  im  Reichs-Postamt 
38  192  Stellen  als  Oberpostassistenten  und  Assistenten, 

1 379  Stellen  als  Bureaubeamte, 

3 390  Stellen  als  Sekretäre, 

693  Stellen  als  Vorsteher  an  Postämtern  II.  Klasse, 

1 949  Stellen  als  Postsekretäre  und 
633  Stellen  verschiedenster  Art. 

Im  ganzen  kann  also  das  Reich  49112  verabschiedeten  Offizieren 
eine  Berufsstellung  mit  festem  Einkommen  bieten.  Diese  auffallend 
hohe  Zahl  muß  jedoch  noch  besonders  beachtet  werden.  Einmal 
sind,  mit  Ausnahme  der  132  Stellen  als  Vorsteher  an  Postämtern 
erster  Klasse  in  den  älteren  Preußischen  Provinzen,  diese  Stellen 


33 


nicht  nur  verabschiedeten  Offizieren  zugängig;  außerdem  entfallen 
46  236  Stellen  auf  die  Reichspost,  die  nicht  nur  neben  den  Offizieren 
den  Militäranwärtern  sondern  sogar  Zivilpersonen  offen  stehen.  Bei 
der  Neubesetzung  von  Sekretärstellen  an  der  Post  werden  die  Zivil- 
bewerber in  gleichem  Umfange  berücksichtigt,  wie  die  militärischen, 
sodaß  dadurch  ohnehin  schon  die  Anzahl  der  Stellen  auf  die  Hälfte 
vermindert  wird.  Auch  um  die  übrigen  2744  Stellen  der  Heeres- 
und Marineverwaltung  und  des  Reichsamts  des  Innern  können  sich 
außer  Offizieren  auch  Militäranwärter  und  sonstige  frühere  Unter- 
offiziere bewerben.  Sehr  viele  von  diesen  Stellen,  wie  die  der 
Bureaubeamten  und  Buchhalter,  eignen  sich  für  Offiziere  überhaupt 
nicht  oder  höchstens  in  Ausnahmefällen. 

A.  Preußen. 

Von  den  neun  preußischen  Ministerien,  welche  in  ihrer  engeren 
oder  weiteren  Verwaltung  verabschiedete  Offiziere  unterbringen 
können,  stehen  das  Finanzministerium,  das  Ministerium  des  Innern, 
das  Ministerium  der  öffentlichen  Arbeiten  und  das  Ministerium  für 
Landwirtschaft,  Domänen  und  Forsten  an  erster  Stelle.  Neben 
diesen  beschäftigt  auch  jedes  andere  Ministerium  verabschiedete 
Offiziere,  aber  nicht  in  belangreichem  Umfange. 

Beim  Finanzministerium  können  frühere  Offiziere  Anstellung 
als  königliche  Rentmeister  finden,  deren  Zahl  425  beträgt.  Diese 
Stellen  sind  im  Wege  der  Beförderung  für  die  aus  dem  Militär- 
dienst hervorgegangenen  Beamten  in  gleicher  Weise  wie  für  die 
aus  dem  Zivilstande  hervorgegangenen  erreichbar,  wenn  sie  die 
erforderliche  Befähigung  durch  Ablegung  der  vorgeschriebenen 
Prüfung  nachweisen.  Das  Gehalt  eines  königlichen  Rentmeisters 
beträgt  ohne  Wohnungsgeldzuschuß  3000 — 4800  M.  für  das  Jahr. 
Die  Rentmeisterstellen  kommen  nur  für  Kreiskassen  in  Betracht. 

Bei  der  Verwaltung  der  Zölle  und  indirekten  Steuern  können 
verabschiedete  Offiziere  als  Oberzollkontrolleure,  Inspektoren  und 
Rechnungsdirektoren  Anstellung  finden.  Alle  diese  Posten  werden 
indeß  nur  im  Wege  des  Aufrückens  erlangt,  und  es  darf  als  aus- 
geschlossen gelten,  daß  ein  früherer  Offizier  zur  Erlangung  einer 
solchen  Stelle  zuerst  Zollaufseher  wird. 

Bei  der  Lotterieverwaltung  gibt  es  für  gewesene  Offiziere 
außer  den  begehrten  Stellen  eines  Lotterieeinnehmers  ebenfalls 
Stellen  als  Kontrolleure,  Rendanten  und  Buchhalterei -Vorsteher. 


34 


Das  Ministerium  des  Innern  hat  9 Stellen  als  Grenzkommis- 
sare, die  ebenso  wie  die  176  Polizei-Distriktskommissariate  in  der 
Provinz  Posen,  mit  verabschiedeten  Offizieren  besetzt  werden. 
Auch  kommen  für  die  288  Stellen  der  Polizeileutnants  und  Krimi- 
nalkommissare sowie  der  Polizeihauptleute  und  Kriminalinspektoren 
in  Berlin  und  Vororten  regelmäßig  nur  Offiziere  in  Frage.  Das 
Einkommen  eines  Polizeileutnants  beträgt  ohne  Stellenzulage  und 
Wohnungsgeld  3000 — 4500  M.,  das  der  Polizeihauptleute  und 
Kriminalinspektoren  4200 — 5400  M. 

Bei  der  Strafanstaltsverwaltung  gibt  es  33  Direktorstellen  mit 
einem  Gehalt  von  3600 — 6600  M.,.  während  10  weitere  Direktor- 
stellen an  Gefängnissen  im  Verwaltungsbereiche  des  Justizministe- 
riums den  Zivilanwärtern  Vorbehalten  sind. 

ln  der  Eisenbahnverwaltung  gibt  es  15774  Stellen  für  Assi- 
stenten, Bahnhofs-  und  Materialienverwalter,  von  denen  1051  vor- 
zugsweise Offizieren  Vorbehalten  sind.  Beim  Eintritt  wird  eine 
diätarische  Jahresbesoldung  von  1500  M.  gezahlt,  die  bei  der 
Anstellung  von  1650 — 3300  M.  steigt.  Bewerber  dürfen  das 
vierzigste  Lebensjahr  nicht  überschritten  haben,  müssen  körperlich 
gesund,  rüstig  und  gewandt  sein,  namentlich  auch  das  vorgeschriebene 
Seh-,  Farbenunterscheidungs-  und  Hörvermögen  besitzen. 

Von  den  4161  Stellen  als  Bahnhofs-,  Güter-,  Kassen-  und 
Materialienvorsteher  werden  2080  mit  ehemaligen  Militärs  besetzt, 
ganz  einerlei,  ob  die  Bewerber  aus  dem  Offiziers-  oder  Unter- 
offiziersstande hervorgegangen  sind.  Eine  Bevorzugung  der  ver- 
abschiedeten Offiziere  ist  ausgeschlossen.  Die  Anwartschaft  kann 
frühestens  nach  einer  auf  die  Prüfung  zum  Eisenbahnassistenten 
folgenden  zweijährigen  Beschäftigung  und  Ausbildung  durch  das 
Bestehen  der  Fachprüfung  erster  Klasse  erlangt  werden. 

Die  5805  Stellen  als  Oberbahnhofsvorsteher,  Eisenbahnsekre- 
täre und  Betriebskontrolleure  werden  ebenfalls  zur  Hälfte  mit 
Zivilanwärtern  besetzt,  sind  jedoch  nur  im  Wege  der  Beförderung 
aus  den  vorhin  genannten  Stellen  der  Vorsteher  zugängig. 

Von  den  114  vollbeschäftigten  Forstkassenrendanten  sind  19 
vorzugsweise  den  Offizieren  Vorbehalten,  d.  h.  andere  Bewerber 
kommen  erst  in  Frage,  wenn  sich  geeignete  Offiziere  nicht  melden. 
Bedingung  für  den  Bewerber  ist  eine  mindestens  einjährige  Be- 
schäftigung bei  einer  hauptamtlich  verwalteten  oder  mit  einer 
Königlichen  Kreiskasse  verbundenen  Forstkasse. 


35 


Bei  der  Ansiedlungskonimission  in  Posen  sind  die  Stellen 
eines  Hauptkassenrendanten,  eines  Kassierers  und  Oberbuchhalters 
den  Offizieren  zugängig,  ihnen  aber  nicht  Vorbehalten.  Bedingung 
für  die  Zulassung  ist  der  Nachweis  gründlicher  Kenntnisse  im  Ver- 
waltungs-,  Kassen-  und  Rechnungswesen  durch  das  Bestehen  der 
Sekretärprüfung. 

Bei  der  Besetzung  der  02  Stellen  als  Rechnungsrevisoren, 
Buchhalter  und  Sekretäre  wird  kein  Unterschied  gemacht,  ob  der 
Bewerber  Militäranwärter  oder  Offizier  ist.  Dagegen  werden  die 
Offiziere  in  33  Fällen  bevorzugt  und  bei  weiteren  34  in  Wett- 
bewerb mit  den  Militäranwärtern  gesetzt,  wenn  es  sich  um  An- 
stellung der  Generalkommissions-Sekretäre  handelt.  Die  1 25  Stellen 
der  Spezialkommissions-Sekretäre  sind  für  die  aus  dem  Offiziers- 
stande hervorgegangenen  Beamten  erreichbar,  wenn  diese  die 
erforderliche  Befähigung  und  die  notwendigen  Eigenschaften  hier- 
für besitzen. 

Die  vorhandenen  vier  Badeinspektoren-Posten  der  Domänen- 
verwaltung werden  vorzugsweise  den  Offizieren  Vorbehalten.  Andere 
Bewerber  kommen  demnach  erst  in  Betracht,  wenn  sich  geeignete 
Offiziere  nicht  melden.  Das  Gehalt  beträgt  für  diese  Stellen  außer 
Wohnungsgeldzuschuß  2100  bis  4500  M. 

Von  den  36  Stellen  der  Domänenrentbeamten  werden  sechs 
vorzugsweise  mit  Offizieren  besetzt,  während  die  fünf  Rendanten- 
stellen der  Hauptgestüte  für  verabschiedete  Offiziere  erreichbar  sind. 

Außer  diesen  hier  gesondert  aufgeführten  Stellen  der  Domänen- 
verwaltung gibt  es  noch  einige  als  Rechnungsführer,  Sekretäre, 
Administratoren  und  Rendanten,  welche  den  Offizieren  zugängig  sind. 

Bei  der  Berg-,  Hütten-  und  Salinenverwaltung  sind  190  Schicht- 
meister und  Rendanten  beschäftigt,  die  in  erster  Linie  mit  Militär- 
anwärtern und  Offizieren  besetzt  sind.  Auch  hierfür  sind  gründ- 
liche Kenntnisse  im  Kassen-  und  Rechnungswesen  der  Bergver- 
waltung erforderlich.  Verabschiedete  Offiziere  werden,  falls  sie 
angenommen  sind,  sofort  als  Diätare  beschäftigt,  während  die 
Militäranwärter  nur  in  freie  Diätarstellen  einberufen  werden. 

Der  Bewerber  hat  sich  einer  dreijährigen  Ausbildung  auf 
Staatswerken  zu  unterwerfen,  an  die  sich  die  vorgeschriebene 
Prüfung  schließt.  Für  das  Einrücken  in  Rendantenstellen  ist  ledig- 
lich der  Besitz  der  für  die  Verwaltung  dieser  Stellen  erforderlichen 


33 


besonderen  Befähigung  entscheidend,  während  eine  vorzugsweise 
Berücksichtigung  für  bestimmte  Klassen  von  Anwärtern  hierbei 
nicht  in  Aussicht  gestellt  werden  kann. 

Im  Wege  des  Aufrückens  kann  der  als  Schichtmeister  oder 
Rendant  angestellte  Offizier,  Sekretär  bei  einer  Bergwerksdirektion 
werden. 

Im  Bereiche  des  Ministeriums  der  geistlichen  und  Unter- 
richts-Angelegenheiten sind  ebenfalls  einige  Stellen  für  verab- 
schiedete Offiziere  vorhanden  und  zwar  als  Inspektoren,  Rendan- 
ten und  Bureaubeamte. 

B.  Die  Großherzogtümer. 

1.  Baden. 

ln  Baden  gibt  es  10  Stellen  bei  der  Gendarmerie,  der  Polizei 
und  an  den  Strafanstalten,  die  Offizieren  zugängig  und  mit  einem 
guten  Einkommen  verbunden  sind.  Darüber,  ob  die  Stelle  mit 
einem  Offizier  zu  besetzen  ist,  entscheidet  die  Anstellungsbehörde 
nach  den  durch  das  Interesse  des  Dienstes  gebotenen  Rücksichten 

2.  Hessen. 

Das  Großherzogtum  kündigt  in  den  Anstellungs-Nachrichten 
7 Stellen  für  gewesene  Offiziere  an,  die  an  Strafanstalten  bestehen. 

5.  Die  beiden  Mecklenburg. 

Diese  Staaten  kennen  90  Stellen  für  Offiziere  und  Militär- 
anwärter  nach  dem  Muster  Preußens. 

4.  Oldenburg. 

ln  diesem  Großherzogtum  ist  die  Zahl  der  für  Offiziere  in 
Betracht  kommenden  Staatsstellen  mit  350  außergewöhnlich  groß, 
wofür  die  Erklärung  in  dem  Umstande  liegt,  daß  Oldenburg  viele 
Stellen  in  der  Eisenbahnverwaltung  mit  Offizieren  und  Militär- 
anwärtern besetzt. 

C.  Die  Herzogtümer  und  die  übrigen 
Ei  nzelstaaten. 

ln  Braunschweig  sind  4 Stellen  für  Offiziere  erreichbar,  ihnen 
jedoch  nicht  Vorbehalten. 


37 


ln  Sachsen -Meiningen  ist  eine  Kommandeurstelle  des  Herzog- 
lichen Feldjäger-Korps  den  Offizieren  Vorbehalten,  die  ersten 
Bürgermeisterstellen  einzelner  Städte  können  sie  erlangen. 

Auffallend  groß  ist  die  Anzahl  der  Stellen,  welche  Bremen 
für  Offiziere  und  Militäranwärter  zu  vergeben  hat,  nämlich  338, 
unter  denen  jedoch  nur  4 sind,  bei  denen  Offiziere  bevorzugt 
werden.  Auch  im  Staatsdienste  Elsaß-Lothringens  können  manche 
Offiziere  eine  Anstellung  finden,  namentlich  in  der  dortigen  allge- 
meinen Landesverwaltung. 

II.  Stellen  im  Gemeindedienst  der  Einzelstaaten. 

Bei  Versorgung  der  verabschiedeten  Offiziere  sind  auch  die 
Kommunalbehörden  beteiligt,  obwohl  ihnen  nach  § 8 Ziffer  2 der 
Anstellungsgrundsätze  eine  Verpflichtung  hierzu  nicht  auferlegt 
wird.  Es  handelt  sich  in  den  verschiedenen  Einzelstaaten  haupt- 
sächlich um  die  Stellen  als  Bürgermeister,  Standesbeamte, 
Amtsvorsteher,  Amtmänner  (letztere  in  Westfalen),  ferner  um 
die  Stellen  der  Polizei-Inspektoren  und  Kommissare,  Brand- 
direktoren und  Brandmeister  sowie  der  Vorsteher  kommu- 
naler Kur-  und  Badeetablissements.  Derartige  Stellen  werden, 
da  ihren  Inhabern  eine  selbständige  Verwaltung  übertragen  ist, 
nicht  zu  den  Subaltern-  und  Unterbeamtenstellen  des  Mannschafts- 
versorgungsgesetzes gerechnet,  sie  werden  daher  in  vielen,  allerdings 
nicht  in  allen  Fällen  mit  verabschiedeten  Offizieren  besetzt,  obwohl 
diese  dafür  als  besonders  geeignet  erscheinen. 

Die  Entwicklung  der  Kommunen  hat  übrigens  die  Schaffung 
noch  zahlreicher  anderer  Stellen  sowohl  in  der  eigentlichen  städ- 
tischen Verwaltung  sowie  in  der  Verwaltung  städtischer  Betriebe 
zur  Folge  gehabt,  die  zur  Besetzung  mit  verabschiedeten  Offizieren 
geeignet  sind.  Es  seien  hier  nur  die  Stellen  der  Vorsteher  von 
1 rren-,  H eil  - und  Pflegeanstalten,  Blinden -.Taubstummen-, 
Besserungs-  und  Fürsorgeanstalten,  El  ektri  zitäts-,  Gas- 
und  Wasserwerke  erwähnt,  ebenso  der  Schlachthäuser,  Straßen- 
bau- und  Wasserbau-,  sowie  der  Materialienverwaltung  etc. 

Wenn  bei  der  Besetzung  derartiger  Stellen  verabschiedete 
Offiziere  nur  ausnahmsweise  als  Bewerber  erscheinen,  so  hat  dies 
seinen  Grund: 

1.  in  den  verschiedenartigen  Rechtsverhältnissen  und  An- 
stellungsgrundsätzen der  Kommunalbeamten; 


38 


2.  darin,  daß  die  Eignung  von  der  Ablegung  einer  Prüfung 
abhängig  gemacht  wird. 

Durch  das  Gesetz  betr.  die  Anstellung  und  Versorgung  der 
Kommunalbeamten  vom  80.  Juli  1899 4)  sind  die  Vorschriften  über 
die  Rechtsverhältnisse  der  Gemeindebeamten  für  den  Umkreis  der 
preußischen  Monarchie  neugeregelt  bezw.  ausgestaltet  worden.  Dieses 
Gesetz  aber  gibt  ebensowenig  wie  die  Städteordnung  eine  Defi- 
nition des  Begriffes  „städtischer  Beamter“.  Die  im  § 1 des  Ge- 
setzes gegebene  Begriffserläuterung  „Kommunalbeamter“  soll  keine 
allgemein  gültige  Definition  geben,  sondern  nur  den  Wortgebrauch 
im  Sinne  des  Gesetzes  festlegen.  Die  Begriffsbestimmung  des 
Beamtenverhältnisses  gehört  dem  öffentlichen  Rechte  an.  Danach 
sind  diejenigen  Personen  als  Gemeindebeamte  zu  betrachten,  welche 
zur  Stadt  in  einem  öffentlich-rechtlichen  Dienstverhältnis  stehen 
und  in  dieses  durch  einen  besonderen  öffentlich-rechtlichen  Akt 
zum  Zwecke  der  Ausübung  von  Gemeindegeschäften  bestellt  sind2). 
Nicht  zu  den  städtischen  Beamten  gehören  daher  diejenigen,  welche 
auf  Grund  eines  privatrechtlichen  Dienstvertrages  angestellt  sind. 

Da  die  Vorschriften  der  Städteordnung  über  die  Dauer  der 
Anstellung  von  Gemeändebeamten  von  einander  abweichen,  hat  das 
Kommunal-Beamten-Gesetz  insofern  eine  einheitliche  Regelung  vor- 
genommen, als  es  im  § 8 Abs.  1 die  Anstellung  auf  Lebenszeit  als 
Regel  hinstellt.  Gleichzeitig  aber  erweitert  es  den  Kreis  der  auf 
Kündigung  anzustellenden  Beamten  gegenüber  den  Vorschriften  der 
Städteordnung  1853  und  macht  die  lebenslängliche  Anstellung  der 
Beamten  der  städtischen  Betriebsverwaltungen  von  einem  ausdrück- 
lichen Gemeindebeschluß  abhängig,  stellt  sie  also  in  das  freie 
Ermessen  der  Gemeindeverwaltungen. 

Ob  ein  Beamter  der  eigentlichen  städt.  Verwaltung  angehört 
oder  als  Betriebsbeamter  zu  erachten  ist,  hängt  von  der  Natur  der 
ihm  übertragenen  Geschäfte  ab.  Allerdings  kann  darüber  kein 
Zweifel  bestehen,  daß  alle  gewerblichen  Unternehmungen  einer 
Gemeinde  Betriebsverwaltungen  sind3).  Im  übrigen  aber  leidet  der 
Begriff  der  Betriebsverwaltung  an  großer  Unbestimmtheit,  weshalb 
darüber  ortsstatutarische  Festlegung  vorgeschrieben  äst4). 

x)  Preuß.  Gesetzes-Sammlung  S.  141. 

")  Stier-Semlo.  Verw.  Arch.  12.  S.  447. 

J)  Ausführung® -Anw.  Art.  III.  Nr.  2.  Abs.  2. 

4)  Dr.  Hugo  Preuß:  Das  städtische  Amtsrecht.  1902.  S.  346,  429 


39 


Uebrigens  sind  Abweichungen  von  der  Regel  des  § 8 Abs.  1 
die  lebenslängliche  Anstellung  betreffend,  nach  $ 9 durch  Ortsstatut 
oder  auf  Grund  von  aufsichtsbehördlich  genehmigten  Gemeinde- 
beschlüssen zugelassen.  Diese  Abweichungen  können  in  der  Fest- 
setzung von  Kündigungsfristen  oder  auch  darin  bestehen,  daß  die 
Beamten  auf  eine  bestimmte  Reihe  von  Jahren  mit  Pensionsberech- 
tigung angestellt  werden. 

Jeder  definitiven  Anstellung  von  Gemeindebeamten  kann  nach 
Belieben  der  Gemeinde  eine  Beschäftigung  auf  Probe  vorangehen, 
die  bei  Zivilanwärtern  in  der  Regel  zwei  Jahre1),  bei  Militär- 
anwärtern 6 Monate,  für  den  Dienst  der  Straßenbau-  und  "Wasser- 
bauverwaltung,  sowie  im  Bureau-  und  Kassendienst2)  ein  Jahr  nicht 
übersteigen  darf. 

Bei  den  zur  Vorbereitung  angenommenen  Personen  kann  die 
definitive  Anstellung  von  der  Ablegung  einer  Prüfung  abhängig 
gemacht  werden,  eine  solche  aber  bei  den  auf  Probe  Angenomme- 
nen bezw.  Angestellten  verlangt  werden. 

Dem  Ermessen  und  der  Bestimmung  des  Magistrats  unter- 
liegen ferner  die  persönlichen  Fähigkeiten  und  Fertigkeiten,  die 
der  Gemeindebeamte  für  sein  Amt  mitzubringen  hat.  Gesetzliche 
Vorschriften  über  eine  wissenschaftliche,  technische  oder  praktische 
Vorbildung  der  städtischen  Beamten  bestehen  nicht.  Der  Magistrat 
kann  die  ihm  nötig  erscheinenden  Prüfungen  selbst  vornehmen. 

Diese  Bestimmungen  erscheinen  erfahrungsgemäß  dem  verab- 
schiedeten Offizier  zu  vielgestaltig  und  schwer  zu  überwinden,  da 
er  den  kommunalen  Verwaltungsangelegenheiten  meist  fern  steht 
und  auch  die  Probeanstellung  schon  eine  gewisse  Vertrautheit  mit 
den  gestellten  Aufgaben  zur  Voraussetzung  hat.  Er  zieht  es  des- 
halb in  den  meisten  Fällen  vor,  von  einer  Bewerbung  überhaupt 
abzusehen.  "Wir  meinen  mit  Unrecht;  denn  so  verschieden  auch 
die  Aufgaben  der  Inhaber  der  einzelnen  Stellen  im  Gemeinde- 
dienst sein  mögen,  so  kann  doch  allgemein  festgestellt  werden,  daß 
jeder  Anwärter  mit  einer  guten  Allgemeinbildung  sich  schnell  in 
den  Aufgabenkreis  einarbeiten  kann.  Es  handelt  sich  fast  überall 
nur  um  Kenntnisse  des  Kassen-  und  Rechnungswesens  im  Rahmen 
der  kameralistischen  Buchführung  sowie  um  solche  der  allgemeinen 


9 § 10,  Abs.  1 d.  Komm.-Beamten-Ges.  v.  21.  7.  1892. 
~)  § 13  d.  Komm.-Beamten-Ges.  v.  21.  7.  1892. 


40 


Verwaltung.  Also  alles  Kenntnisse  und  Fähigkeiten,  die  bei  ihrem 
technischen  und  schematischen  Charakter  in  kurzer  Vorbereitungs- 
zeit vom  Bewerber  beherrscht  werden  können. 

Und  weil  die  in  den  Anstellungs-Nachrichten  angeführten  Stellen 
nur  derartige  Fähigkeiten  von  den  Bewerbern  verlangen,  wollen  sie 
uns  als  sehr  wichtig  erscheinen.  Der  aktive  Offizier  hat  mehr 
praktischen  als  wissenschaftlich-theoretischen  Dienst,  so  daß  er  sich 
in  den  neuen  Beruf  leichter  und  freudiger  einarbeitet,  als  wenn  er 
von  Grund  auf  anfangen  müßte *). 

Hat  der  vorzeitig  verabschiedete  Offizier  keine  Lust,  einen 

*)  Uebrigens  bieten  mehrere  geeignete  Spezialinstitute  Gelegenheit 
zur  Ausbildung  für  den  Kommunaldienst.  Zu  erwähnen  wäre  die  Kölner 
Hochschule  für  kommunale  und  sozi  al  e Verwaltung,  ferner  das  in 
Tübingen  geplante  Seminar  für  Kommunalwesen  und  Wohlfahrtspflege,  endlich 
die  ,, Akademie  für  kommunale  Verwaltung“  in  Düsseldorf.  Letztere  hat 
neuerdings  sogar  besondere  Kurse  zur  Vorbildung  kriegsbeschädigter  Offi- 
ziere für  den  Kommunaldienst  eingerichtet  und  bietet  auch  verabschiedeten 
Offizieren,  die  sich  dem  Kommunaldienst  widmen  und  eine  Prüfung  ab- 
legen  wollen,  hierzu  Gelegenheit.  Ein  Anrecht  auf  Zulassung  hat  jeder 
deutsche  Offizier.  Der  Lehrgang  umfaßt  ein  bis  zwei  Semester  und  kann 
mit  einer  Prüfung  abgeschlossen  werden,  über  deren  Resultat  ein  vom 
staatlichen  Prüfungskommissar,  vom  Bürgermeister  und  vom  Studiendirektor 
unterzeichnetes  Diplom  ausgestellt  wird.  Gelegenheit  zur  Einarbeitung  in 
die  kommunale  Praxis  wird  geboten.  Die  zur  Teilnahme  an  allen  Vor- 
lesungen, Uebungen  und  sonstigen  Veranstaltungen  zu  erlegende  Gebühr 
beträgt  105  Mark  für  jedes  Semester  einschließlich  Krankenkassen-  und 
Un  fall  versicherungs- Beitrag. 

Der  Lehrplan  umfaßt  folgende  Gegenstände:  Kommunal-,  Staats-  und 
Reichsverfassung.  Kommunalbeamtenrecht,  Verwaltungs-  und  Polizeirecht, 
Kommunalabgabenrecht,  Reichsversicherungsrecht,  Bürgerliches  Recht  für 
Kommunalbeamte,  Zivilprozeß,  Zwangsvollstreckung,  Konkurs,  freiwillige 
Gerichtsbarkeit,  Arbeitervertrags-  und  Arbeiterschutzrecht,  das  Derzernat  in 
der  Gemeindeverwaltung.  Verwaltungsrechtliche  Uebungen,  Volkswirtschafts- 
politik, Finanzwirtschaft,  Gewerbepolitik,  Kommunale  Wirtschaftspolitik, 
Bauverwaltung,  Schulwesen  und  Schulverwaltung  der  Gemeinden.  Kauf- 
männische Buchführung.  Volkswirtschaftliche  Uebungen.  Uebungen  über 
Fragen  der  kommunalen  Sozialpolitik.  Gewerberecht,  Wege-Baupolizei- 
Wasserrecht.  Jagd-,  Fischereirecht,  Schulrecht,  Volkswirtschaftslehre,  kom- 
munales Finanzwesen,  Staatssteuerwesen,  Armenwesen.  Praxis  des  bürger- 
lichen und  Prozessrechts.  Praktische  Einführung  in  die  kameralistische 
Buchführung.  — lm  Anschluß  an  die  Vorlesungen  finden  Besichtigungen 
kommunalwissenschaftlich  interessierender  Betriebe  und  Anlagen  statt.  Der 
Lehrgang  bietet  demnach  hinreichende  Gelegenheit  zur  Vorbereitung  für 
alle  Zweige  des  Kommunaldienstes  unter  Bedingungen,  die  auch  der  unbe- 
mittelte verabschiedete  Offizier  zu  erfüllen  in  der  Lage  sein  dürfte.  — 
Kommunale  Rundschau.  9.  Jahrg.  Nr.  5.  S.  61.  — Vergleiche  ferner  Stier- 
Semlo:  Kommunale  Wissenschaften  und  kommunale  Ausbildung.  1911. 


41 


neuen  Beruf  zu  ergreifen,  der  ein  längeres  akademisches  Studium 
erfordert,  dann  könnte  er  gegen  die  Wahl  eines  der  öffentlichen 
Berufe,  der  nur  Probe-  oder  Vorbereitungszeit  erfordert,  nur  noch 
einwenden,  daß  es  sich  um  Subaltern-Stellen  handle.  Die  Haupt- 
sache sind  jedoch  tüchtige  Leistungen  im  neuen  Beruf,  der  in  fast 
allen  Fällen  das  Aufrücken  in  eine  höhere  Stelle  ermöglicht.  Hat 
z.  B.  der  Offizier  die  sicherlich  nicht  leichte  Assistentenzeit  bei 
der  Eisenbahnverwaltung  hinter  sich,  dann  kann  er  Bahnhofs-  oder 
Oberbahnhofsvorsteher  werden.  Und  in  solchen  Stellen  des  Eisen- 
bahndienstes brauchen  die  bis  dahin  an  das  Frontleben  Gewöhnten 
nicht  einmal  Stubenhocker  und  Bureaukraten  zu  werden,  sondern  in 
dieser  Laufbahn  können  sie  im  Außendienst  die  Haupteigenschaften 
des  tüchtigen  Soldaten,  Gewissenhaftigkeit,  Pünktlichkeit,  Umsicht 
Tatkraft  und  schnelle  Entschlußfähigkeit  zur  Geltung  bringen. 


42 


3.  Abschnitt. 

Die  privaten  Zivilberufe. 

] m Unterschiede  von  der  Anstellung  der  verabschiedeten 
Offiziere  im  Reichs-,  Staats-  und  Gemeindedienst  ist  die  berufliche 
Tätigkeit  im  kaufmännischen  und  technischen  Gewerbe  nicht  mit 
einem  pensionsfähigen  Einkommen  verbunden,  bietet  auch  keine 
lebenslängliche  Versorgung.  Es  hat  deshalb  auch  lange  Jahre  hin- 
durch eine  Abneigung  der  Offiziere  gegen  die  Wahl  dieser  Berufe 
bestanden.  Im  allgemeinen  wurden  Offiziere  nach  ihrer  vorzeitigen 
Verabschiedung  nur  Kaufmann,  wenn  sie  selbst  aus  einem  Geschäfts- 
hause stammten,  gute  Beziehungen  nach  dieser  Seite  hin  hatten 
oder  spekulativ  genug  veranlagt  waren,  ihr  Vermögen  als  Handels- 
bezw.  Industriekapital  anzulegen. 

Daß  der  Wahl  des  kaufmännischen  Berufs  jedoch  mehr  Auf- 
merksamkeit geschenkt  werden  müsse  als  früher,  ist  in  den  letzten 
Jahren  Gemeingut  der  verabschiedeten  Offiziere  geworden,  und 
diese  Erkenntnis  spricht  auch  aus  einem  Rundschreiben  des  Preußi- 
schen Kriegsministers  an  die  Handelskammern  vom  1.  Mai  1913  *). 
Der  Minister  betont  in  diesem  Rundschreiben,  daß  die  bereits 
bestehende  staatliche  Fürsorge  für  die  mit  Aussicht  auf  Anstellung 
im  Zivildienst  verabschiedeten  Offiziere  ihre  Aufgabe  noch  nicht 
in  dem  Maße  erfüllen  könne,  wie  es  bei  der  Bedeutung  dieser 
Frage,  die  die  Interessen  des  Heeres  aufs  innigste  berührt, 
wünschenswert  ist.  Vor  allen  Dingen  erscheine  es  nötig,  den  Kreis 
der  den  Offizieren  zugänglichen  Stellen  tunlichst  zu  erweitern,  und 
es  sei  dringend  zu  wünschen,  daß  geeigneten  Persönlichkeiten  unter 
den  verabschiedeten  Offizieren  Anstellung  auch  in  Bank-,  Handels- 
und Industriekreisen  verschafft  oder  ihnen  hierzu  wenigstens  die 
Wege  geebnet  würden.  In  dem  Bestreben,  diese  Angelegenheit 
zu  fördern,  bat  das  Kriegsministerium  die  Handelskammern,  in 
ihren  Bezirken  doch  dahin  wirken  zu  wollen,  daß  den  mit  Aussicht 
auf  Anstellung  im  Zivildienst  verabschiedeten  Offizieren  der  Zutritt 
zu  geeigneten  Stellen  des  Handels  und  der  Industrie  ermöglicht 
werde.  Die  Offiziere  würden  sicherlich  in  Stellen,  die  besonderes 


3)  Abgedruckt  in  „Handel  und  Gewerbe  “,  20.  Jahrgang,  S.  719. 


43 


Vertrauen,  Disponierungstalent  usw.  mehr  als  kaufmännisches  Wissen 
erforderten,  vermöge  ihrer  Erziehung  im  Heere  Gutes  zu  leisten 
imstande  sein. 

Um  den  Offizieren  den  Uebergang  in  einen  Zivilberuf  zu 
erleichtern,  hat  das  Kriegsministerium  am  1.  April  1913  die  Aus- 
kunftsstelle für  Offizierzivilversorgung  (Berlin  W.  66,  Wilhelm- 
straße 82/84)  errichtet,  auf  die  in  diesem  Rundschreiben  besonders 
hingewiesen  wird  und  die  einen  Sammelpunkt  für  Angebot  und 
Nachfrage  bilden  soll.  Der  Minister  wies  in  dem  angeführten 
Schreiben  an  die  Handelskammern  darauf  hin,  daß  die  Auskunfts- 
stelle mit  größtem  Dank  Mitteilungen  von  Stellen  entgegennehmen 
würde,  in  denen  Offiziere  Verwendung  finden  könnten.  Sehr  dankens- 
wert seien  auch  Fingerzeige  darüber,  für  welche  Stellen  besondere 
Kenntnisse  verlangt  würden,  und  wo  der  Offizier  Gelegenheit  habe, 
sich  diese  anzueignen. 

Neben  der  Auskunftsstelle  im  Kriegsministerium  besteht  zu 
demselben  Zweck  seit  Anfang  1913  ein  Stellennachweis  für  verab- 
schiedete Marineoffiziere  beim  Reichsmarineamt. 

Gegen  dieses  Ansuchen  des  Preußischen  Kriegsministers,  dem 
bald  darauf  die  Kriegsministerien  in  den  drei  anderen  Königreichen 
folgten,  haben  sich  jedoch  die  meisten  Handelskammern  und  die 
Soziale  Arbeitsgemeinschaft  der  kaufmännischen  Verbände  in  Leipzig, 
bestehend  aus  dem  Verband  deutscher  Handlungsgehilfen  (Leipzig), 
dem  Verein  für  Handlungs-Commis  von  1858  (Hamburg)  und  dem 
Deutschen  Verband  Kaufmännischer  Vereine  (Frankfurt  a.  Main), 
gewandt,  ln  der  Eingabe1)  der  Sozialen  Arbeitsgemeinschaft  vom 
26.  Juli  1913  an  die  Kriegsministerien  von  Preußen,  Bayern, 
Sachsen  und  Württemberg  heißt  es  u.  a. 

„Als  Vertreter  von  mehr  als  300000  deutschen  Handels- 
angehörigen gestatten  wir  uns  hiermit  an  das  hohe  Mini- 
sterium die  ergebene  Bitte  zu  richten,  im  Interesse  der 
Angestellten  in  Handel  und  Industrie,  wie  auch  im  eigenen 
Interesse  der  verabschiedeten  Offiziere  von  der  Verwirk- 
lichung dieses  Vorhabens  abzusehen  und  in  anderer,  geeig- 
neterer Weise  für  die  Beseitigung  etwa  bestehender  Miß- 
stände Sorge  tragen  zu  wollen.“ 

Zur'  näheren  Begründung  wurde  in  dieser  Eingabe  darauf  hinge- 
wiesen, daß  die  Wahl  des  kaufmännischen  Berufes  durch  das 


1)  Abgedruckt  in  „Handel  und  Gewerbe“,  20.  Jahrgang,  S.  719. 


44 


Ministerium  nur  auf  eine  Verkennung  der  näheren  Berufsverhält- 
nisse im  Hände]  zurückzuführen  sei.  lind  in  der  Tat  muß  dieser 
Hinweis  der  Sozialen  Arbeitsgemeinschaft  als  berechtigt  gelten. 
Denn  nach  anderweitigen  Ergebnissen  der  von  der  Stellenvermitt- 
lung des  Verbandes  Deutscher  Handlungsgehilfen  zu  Leipzig  ge- 
führten Gehaltsstatistik  betrug  das  Durchschnittseinkommen  in  den 
Jahren  1911  und  1912  der 

Kontoristen  Reisenden  Lageristen  Verkäufer 

1911  1478  M.  1838  M.  1588  M.  1393  M. 

1912  1496  M.  1818  M.  1691  M.  1422  M. 

Das  Durchschnittseinkommen  der  Angestellten  erreicht  also  in  vielen 
Fällen  kaum  dasjenige  gelernter  Arbeiter. 

Wie  ferner  die  Erfahrungen  der  Stellenlosenkassen  der  Ver- 
bände beweisen,  herrscht  im  kaufmännischen  Beruf  in  außerordent- 
lich hohem  Maße  Stellenlosigkeit.  Diese  Zustände  sind  die  Folge 
eines  übergroßen  Angebots  an  Arbeitskräften,  das  in  dem  Ein- 
dringen zahlreicher  ungeeigneter  und  mangelhaft  vorgebildeter  Kräfte 
seine  Erklärung  findet,  „ln  keinem  andern  Beruf“,  heißt  es  in 
der  Eingabe  der  Sozialen  Arbeitsgemeinschaft,  „ist  daher  eine  in 
jeder  Beziehung  so  umfassende  Ausbildung  notwendig  wie  gerade 
im  Handel,  wenn  anders  der  in  den  Beruf  Eintretende  nicht  von 
vornherein  dazu  bestimmt  sein  soll,  das  große  Heer  der  Stellen- 
losen zu  vermehren“.  Insbesondere  sei,  wie  auch  andere  Körper- 
schaften und  Interessenvertretungen  betonen,  die  Absolvierung  einer 
praktischen  Lehre  unumgängliches  Erfordernis.  Auf  der  von  mehreren 
Hundert  Vertretern  des  Reiches  und  der  Einzelstaaten,  Handels- 
kammern, Fortbildungsschulen  usw.  besuchten  kaufmännischen  Lehr- 
konferenz zu  Leipzig  im  Jahre  1909  ist  auch  ausdrücklich  anerkannt 
worden,  daß  die  Grundlage  der  kaufmännischen  Erziehung  nach  wie 
vor  die  praktische  Lehre  bilden  müsse. 

Indessen  reicht  diese  allein  heute  nicht  mehr  zur  Vermittlung 
der  erforderlichen  Kenntnisse  und  Fähigkeiten  aus;  Hand  in  Hand 
mit  der  praktischen  Lehre  muß  die  Ausbildung  in  der  Fortbildungs- 
schule erfolgen  und  die  praktische  Lehre  ergänzen.  Nur  wenn 
diese  Voraussetzungen  erfüllt  und  die  sonst  erforderlichen  Eigen- 
schaften vorhanden  sind,  können  die  sich  dem  Handel  zuwendenden 
Kräfte  damit  rechnen,  sich  eine  leidliche  Existenz  zu  sichern,  wenn- 
gleich auch  das  Streben  großer  Teile  unter  ihnen  auf  die  Er- 
reichung höherer  und  besser  bezahlter  Posten  gerichtet  ist,  weil 


45 


unter  den  heutigen  wirtschaftlichen  Verhältnissen,  die  infolge  der 
großgewerblichen  Betriebsweise  den  Uebergang  zur  Selbständigkeit 
immer  mehr  erschweren,  nur  dieses  Streben  die  Möglichkeit  zum 
sozialen  Aufstieg  gibt. 

Freilich  gelingt  es  bei  der  beschränkten  Anzahl  solcher  Stel- 
lungen bei  weitem  nicht  allen,  das  gesteckte  Ziel  zu  erreichen. 
Aber  dennoch  muß  dieses  Vorwärtsstreben  als  ein  überaus  erfreu- 
liches Zeichen  für  den  Geist  und  die  Pflichtauffassung  weiter 
Kreise  des  deutschen  Angestelltenstandes  betrachtet  werden,  an  deren 
Erhaltung  im  Interesse  einer  gedeihlichen  Weiterentwicklung  von 
Handel  und  Industrie  alle  Glieder  des  Staates  gleichmäßig  inter- 
essiert sind.  Durch  den  Eintritt  verabschiedeter  Offiziere  in  den 
kaufmännischen  Beruf  würde  dieser  Trieb  nach  vorwärts  aber 
zweifellos  in  hohem  Maße  unterbunden  werden,  da  für  die  Ver- 
wendung der  Offiziere  nach  Ansicht  des  Kriegsministeriums  gerade 
die  Besetzung  derartiger  leitender  Posten  vorgesehen  ist,  was  natür- 
lich eine  wesentliche  Herabminderung  der  an  und  für  sich  sehr 
geringen  Aussicht  der  wirklich  kaufmännisch  gebildeten  Angestellten 
auf  Erlangung  besserer  Stellungen  bedeuten  würde. 

Außerdem  dürfte  die  Unterbringung  der  Offiziere  voraussicht- 
lich auch  zu  einer  weiteren  Verschlechterung  der  oben  geschilderten 
ungünstigen  wirtschaftlichen  Lage  der  Angestellten  beitragen,  da 
derartige  Bewerber  infolge  ihrer  Pensionsbezüge  erfahrungsgemäß 
mit  zum  Teil  außerordentlich  niedrigen  Gehaltsforderungen  an  die 
Geschäftsinhaber  herantreten. 

Daß  die  wirtschaftliche  Lage  und  die  Stellenlosigkeit  der 
kaufmännischen  Angestellten  sich  noch  ungünstiger  gestalten  würden, 
wenn  die  bisher  nur  vereinzelt  in  das  Handelsgewerbe  eingetretenen 
Offiziere  auf  Grund  einer  vom  Kriegsministerium  geleiteten  Organi- 
sation zahlreich  diesen  Beruf  ergreifen,  ist  auch  die  Auffassung  des 
Verbandes  reisender  Kaufleute  Deutschlands,  die  in  dessen  Organ 
„Die  Post“  vom  7.  August  1913  niedergelegt  ist.  Bei  der  An- 
ziehungskraft, die  der  Offiziersrang  und  Offizierstitel  auf  manche 
Menschen  ausübt,  sei  es  nicht  ausgeschlossen,  daß  dem  Rund- 
schreiben des  Kriegsministeriums  einiger  Erfolg  beschieden  sei. 
Aber  ein  tüchtiger  Offizier  brauche  noch  lange  kein  guter  Kauf- 
mann zu  sein.  Der  Verband  reisender  Kaufleute  ist  sogar  der 
Ansicht,  daß  gerade  die  eigentlichen  Offizierseigenschaften  das 
Fortkommen  im  kaufmänni sehen  Leben  erschweren  werden,  denn 


46 


hier  komme  es  nicht  nur  auf  Disziplin  und  strammes  Kommandieren 
an,  sondern  auf  eine  große  Biegsamkeit  und  Geschmeidigkeit,  die 
es  ermöglichen,  sich  leicht  in  veränderte  Verhältnisse  hineinzufinden 
und  in  ihnen  zurechtzukommen.  Gerade  diese  Eigenschaften  gingen 
den  Offizieren  jedoch  meist  ab. 

„Wenn  man  bedenkt“,  heißt  es  in  dem  angeführten  Aufsatze 
der  „Post“  vom  7.  August,  „daß  für  die  besseren  Stellen  in  Handel 
und  Industrie  — und  doch  nur  für  solche  kommen  die  früheren 
Offiziere  in  Betracht  — jetzt  eine  recht  weitgehende  Vorbildung 
verlangt  wird,  und  daß  es  sich  die  Inhaber  dieser  Posten  meist 
durch  Hochschulbesuch  und  Auslandsaufenthalt  haben  etwas  kosten 
lassen,  um  diese  Stellen  zu  erlangen,  so  wird  man  zugeben  müssen, 
daß  es  ungerecht  wäre,  die  verabschiedeten  Militärs  besonders  zu 
bevorzugen“. 

Auch  die  Korporation  der  Aeltesten  der  Kaufmannschaft  in 
Berlin  hat  zu  dem  Rundschreiben  des  Kriegsministers  in  einer  Ein- 
gabe vom  25.  August  1913  Stellung  genommen.  Nachdem  die 
Aeltesten  das  Interesse,  verabschiedeten  Offizieren  Beschäftigung 
in  bürgerlichen  Berufen  zu  verschaffen,  anerkannt  haben,  verweisen 
sie  in  ihrer  Eingabe  darauf,  daß  eine  ersprießliche  Tätigkeit  in 
Handels-  und  Industriekreisen  nur  möglich  sei,  wenn  die  betreffende 
Persönlichkeit  Fachkenntnisse  besitze.  Solche  könnten  aber  im 
allgemeinen  nur  durch  Ausbildung  in  der  praktischen  Lehre  und 
durch  langjährige  Uebung  erworben  werden.  Eine  theoretische 
Ausbildung  in  Handelsschulen  oder  Handelshochschulen  könne  zwar 
diese  praktische  Ausbildung  wirksam  ergänzen,  aber  nur  in  seltenen 
Fällen  völlig  ersetzen. 

Dieser  Hinweis  der  ältesten  von  Berlin  verdient  besondere 
Beachtung,  weil  die  verabschiedeten  Offiziere  in  einem  Lebens- 
alter stehen,  in  welchem  sie  für  eine  solche  Ausbildung  in  der 
Praxis  schwerlich  noch  in  Betracht  kommen  und  vielfach  auch  nicht 
mehr  die  nötige  Anpassungsfähigkeit  an  die  kaufmännischen  Ver- 
hältnisse besitzen.  Die  Erfahrung  hat  dies  in  fast  allen  Fällen 
gelehrt,  in  denen  der  Versuch  gemacht  wurde. 

Allerdings  gibt  es  auch  Betriebe,  wie  Waffen-  und  Munitions- 
fabriken, in  denen  ehemalige  Offiziere  auf  Grund  ihrer  beim  Heer 
erworbenen  Fachkenntnisse  Beschäftigung  finden  können.  Auf  diesem 
Gebiete  dürfte  hauptsächlich  die  Möglichkeit  liegen,  ehemalige 
Offiziere  in  geeignete!*  Weise  zu  verwenden,  ln  verschiedenen 


47 


solcher  Stellungen  haben  sich  verabschiedete  Offiziere  bereits  vor- 
züglich bewährt. 

Wenn  das  Ministerium  in  dem  angeführten  Rundschreiben 
darauf  hinweist,  daß  sich  die  verabschiedeten  Offiziere  jedenfalls 
besonders  in  Stellen,  die  besonderes  Vertrauen,  Disponierungstalent 
usw.  mehr  als  kaufmännisches  Wissen  erfordern,  vermöge  ihrer  Er- 
ziehung im  Heere  Gutes  leisten  würden,  dann  wenden  die  Aeltesten 
dagegen  zweierlei  ein:  Zunächst  ist  die  Korporation  der  Aeltesten 
der  Meinung,  daß  in  den  Kreisen  der  Handelsangestellten  die  Ver- 
trauenswürdigkeit im  weitesten  Umfange  vorhanden  ist,  und  daß  es 
den  Geschäftsinhabern  an  vertrauenswürdigen  Handelsangestellten 
nicht  fehlt.  Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  liegt  daher  keine  Ver- 
anlassung vor,  für  diese  Stellungen  auf  verabschiedete  Offiziere 
zurückzugreifen. 

Andererseits  können  Vertrauensstellungen  aber,  z.  B.  solche 
zur  Beaufsichtigung  von  Geschäftszweigen,  zur  Ueberwachung  des 
Kassenwesens  usw.,  nur  von  solchen  Personen  ausgefüllt  werden, 
die  den  Betrieb  von  Grund  auf  und  in  allen  seinen  Einzelheiten 
kennen.  Ebenso  ist  rasches  und  sicheres  Disponieren  nur  auf  Grund 
gründlicher  kaufmännischer  oder  industrieller  Kenntnisse  möglich. 
Und  daß  durchweg  zu  diesen  beiden  Gruppen  des  kaufmännischen 
Berufs  nur  die  tüchtigsten  Anwärter  emporsteigen,  geht  auch  dar- 
aus hervor,  daß  die  Vertrauens-  und  Disponentenposten  die  am 
besten  bezahlten  Stellungen  sind.  Ein  Kaufmann  kann  eine  solche 
Stellung  nur  erlangen,  wenn  er  von  der  Pike  auf  dient.  Wollte 
man  aber  den  kaufmännischen  Angestellten  durch  das  Einschieben 
von  Offizieren  die  Aussicht  auf  diese  Stellungen  nehmen  oder  zum 
mindesten  erschweren,  dann  wäre  das  eine  Zurücksetzung  für  sie, 
die  von  ihnen  als  Kränkung  bitter  empfunden  werden  würde.  Auch 
von  den  Geschäftsinhabern  könnte  im  Interesse  eines  gut  geschulten 
Personals  dies  nicht  gutgeheißen  werden. 

Zum  Rundschreiben  des  Kriegsministers  vom  2.  Mai  1913 
nehmen  fast  alle  der  149  Handelskammern  im  Deutschen  Reiche 
Stellung,  deren  Auffassung  im  folgenden,  soweit  diese  bemerkens- 
wert sind,  wiedergegeben  werden  sollen. 

Die  Handelskammer  zu  Bochum  x)  hat  das  Rundschreiben  des 
Ministers  mit  einem  empfehlenden  Anschreiben  an  eine  Reihe  von 


\>  Juni-Juli-Mitteilungen  der  Kammer,  1913. 


48 


in  Betracht  kommenden  Firmen  des  Bezirks  gesandt  und  dem 
Ministerium  die  dort  bestehenden  Auffassungen  über  die  Möglich- 
keit der  Verwendung  ehemaliger  Offiziere  dargelegt. 

Die  Handelskammer  zu  Dessau 4)  äst  der  Ansicht,  daß  ver- 
abschiedete Offiziere  im  allgemeinen  nur  dann  auf  Anstellung  im 
Handelsgewerbe  rechnen  könnten,  wenn  sie  sich  eine  entsprechende 
Vorbildung  angeeignet  haben.  Vielleicht  könne  man  sie  aber  in 
Stellungen  verwenden,  in  denen  ihre  genaue  Kenntnis  der  Heeres- 
verhältnisse von  Vorteil  sei. 

Die  Handelskammer  zu  Erfurt *  2)  schloß  sich  der  Stellungnahme 
der  Aeltesten  der  Berliner  Kaufmannschaft  an  (vgl.  oben),  während 
die  Kammer  zu  Karlsruhe  bedauert,  der  Kriegsministeriellen  An- 
regung keine  weitere  Folge  leisten  zu  können 3 4). 

Die  Handelskammer  zu  Liegnitz 4)  kam  nach  eingehender 
Besprechung  des  Kriegsministeriellen  Wunsches  zu  der  Ueberzeu- 
gung,  daß  der  Wunsch  in  der  gedachten  Form  auf  unüberwindliche 
Schwierigkeiten  stoßen  würde.  Es  unterliege  in  der  jetzigen  Zeit 
(Sommer  1913)  keinem  Zweifel,  daß  augenblicklich  im  kaufmänni- 
schen Beruf  die  Aufnahmefähigkeit  für  Angestellte  nicht  mehr  an- 
nähernd in  dem  Maße  vorhanden  sei,  wie  noch  vor  wenigen  Jahren, 
lieberall  besteht  wegen  der  geschäftlichen  Schwierigkeiten  das  Be- 
streben, die  Gestehungs-  und  Handlungskosten  soweit  wie  möglich 
zu  ermäßigen  und  auf  das  Notwendigste  zu  begrenzen.  Deshalb 
bietet  sich  nur  geringe  Anstellungsaussicht  für  Kräfte,  denen  jegliche 
kaufmännische  Ausbildung  fehlt.  „Es  liegt  auch  auf  der  Hand“, 
heißt  es  in  der  amtlichen  Niederschrift  über  die  Sitzung  der  Kammer 
vom  26.  September  1913,  „daß  das  in  Offizierskreisen  gehegte 
Standesbewußtseän,  der  leider  oft  hermetische  Abschluß  von  gewerb- 
lichen Kreisen,  von  vornherein  die  weitaus  größte  Zahl  etwa  zu 
besetzender  Stellen  für  den  gedachten  Zweck  ausschalten  würde“. 
Es  müsse  außerdem  begreiflich  erscheinen,  daß  die  vom  Kriegs- 
minister gewünschte  Rücksichtnahme  bei  Besetzung  freier  Stellen 
bei  den  Handlungsgehilfen -Verbänden  tiefste  Verstimmung  hervor- 
rufen  würde.  Das  gute  Einvernehmen  zwischen  Arbeitgebern  und 
Arbeitnehmern  würde  einen  unheilbaren  Riß  bekommen.  Der  Ein- 

Bericht  über  die  Sitzung  vom  6,  September  1913. 

2)  Amtliche  September-Mitteilungen  1913. 

3)  Bericht  über  die  Sitzung  vom  26.  September  1913. 

4)  Bericht  über  die  Sitzung  vom  26.  September  1913. 


49 


tritt  einzelner  verabschiedeter  Offiziere  in  Großbanken,  großindu- 
strielle  Unternehmungen  werde  nach  wie  vor  zu  verzeichnen  sein, 
aber  ein  Eintritt  von  Offizieren  in  den  kaufmännischen  Beruf  auf 
breiter  Grundlage  dürfte  als  ausgeschlossen  erachtet  werden. 

Die  Handelskammer  zu  Limburg J)  (Lahn)  ist  nicht  geneigt 
die  Anregung  des  Kriegsministers  zu  unterstützen,  und  die  Kammer 
zu  Rostock2)  beschloß,  dem  Ersuchen  insoweit  zu  entsprechen,  als 
sie  dem  Kontingents-Kommandanten  die  jeweilige  Mitteilung  machen 
will,  wenn  ihr  von  einer  Firma  angezeigt  wird,  daß  diese  eine 
Stelle  mit  einem  ehemaligen  Offizier  zu  besetzen  wünsche. 

Die  Handelskammer  zu  Zittau 3)  in  Sachsen,  ,,weit  davon 
entfernt,  auf  die  Firmen  des  Bezirks  einen  Einfluß  im  Sinne  der 
Anstellung  verabschiedeter  Offiziere  auszuüben“,  hat  ihre  Tätigkeit 
lediglich  darauf  beschränkt,  durch  eine  Umfrage  unter  den  in 
Betracht  kommenden  Kreisen  die  tatsächlichen  Verhältnisse  im 
Bezirke  und  die  Stellungnahme  der  Beteiligten  zu  der  Angelegen- 
heit zu  ermitteln.  Aus  dem  Ergebnis  dieser  Umfrage  hat  sie 
feststellen  können,  daß  nicht  nur  kein  Mangel  an  Angebot  geeig- 
neter Bewerber  aus  dem  Zivilstande  für  Stellen  der  in  Frage 
stehenden  Art  beobachtet  worden  ist,  sondern  daß  eine  Ausdehnung 
des  Bewerberkreises  die  Zahl  der  aus  Mangel  an  Nachfrage  un- 
beschäftigt bleibenden  in  bedenklicher  Weise  vermehren  würde. 
Zur  Ausfüllung  der  meisten  unbesetzten  Stellen  sei  eine  praktische 
Vorbildung  der  Bewerber  erforderlich,  die  auf  theoretischem  Wege 
sich  allein  nicht  erwerben  lasse.  Gleichwohl  hat  die  Kammer  zu- 
gegeben, daß  bei  der  außerordentlichen  Vielgestaltigkeit  der  An- 
forderungen und  Bedürfnisse  es  auch  im  Dienste  von  Handel  und 
Industrie  Stellungen  gibt,  für  deren  Ausfüllung  sich  verabschiedete 
Offiziere  in  besonderem  Maße  eignen  würden,  beispielsweise  in 
Fällen,  wo  der  Schwerpunkt  der  mit  der  Stelle  verbundenen  An- 
sprüche an  die  Leistungen  der  Bewerber  auf  repräsentativem  und 
organisatorischem  Gebiete  liegt  oder  bei  Betrieben,  die  in  unmittel- 
barer Beziehung  zur  Heeresverwaltung  stehen. 

Die  Handelskammer  zu  Freiburg4)  (Baden)  erklärt  sich  bereit, 
der  Auskunftsstelle  für  Offizierzivilversorgung  Mitteilungen  zu- 

J)  Amtlicher  Bericht  über  die  Sitzung  vom  23.  September  1913. 

')  Amtlicher  Bericht  über  die  Sitzung  vom  29.  September  1913. 

3)  September-Mitteilungen  1913. 

4)  Amtlicher  Bericht  über  die  Sitzung  vöm  29.  September. 


50 


gehen  zu  lassen,  wenn  an  sie  Nachfragen  nach  Persönlichkeiten  aus 
dem  Stande  ehemaliger  Offiziere  herantreten. 

Die  Handelskammer  zu  Lahr *)  lehnt  wegen  der  bestehenden 
gewichtigen  Bedenken  es  ab,  dem  Ersuchen  des  Kriegsministers 
Folge  zu  leisten,  sie  verpflichtet  sich  aber  der  Auskunftsstelle  für 
Offizierzivilversorgung  sofort  Mitteilung  zu  machen,  wenn  ein  Unter- 
nehmen des  Bezirks  für  einen  ganz  besonders  gearteten  Posten  die 
Anstellung  eines  Offiziers  beabsichtigt. 

Ablehnend  gegen  das  Ersuchen  des  Kriegsministers  verhielt 
sich  auch  der  Hansabund  für  Gewerbe,  Handel  und  Industrie* 2), 
der  in  seiner  Eingabe  an  das  Ministerium  darum  bat,  den  Wett- 
bewerb unter  den  Handelsangestellten  nicht  durch  eine  systema- 
tische Organisation  zu  vermehren.  Und  auch  die  Bezirksgruppe 
Darmstadt3)  dieser  wirtschaftlichen  Interessenvertretung  nahm  den- 
selben Standpunkt  ein. 

Zu  derselben  ablehnenden  Auffassung  bekannten  sich  die  Kreis- 
vereine des  Verbandes  deutscher  Handlungsgehilfen  in  Auerbach 
(Vogtland)4),  Beuthen 5),  Glauchau6)  und  Radebeul7)  in  ihren  Ein- 
gaben an  den  Deutschen  Handelstag. 

Der  Verband  der  deutschen  Versicherungsbeamten  8)  (München) 
betont  in  seiner  Eingabe  an  den  Deutschen  Handelstag  vom  7.  August 
1913,  daß  die  Rentabilität  jedes  Gewerbes  durch  die  Anstellung 
unausgebildeter  Beamten  in  Frage  gestellt  werde.  Die  Tüchtigkeit 
des  deutschen  Offiziers  müsse  sicherlich  anerkannt  werden,  und  es 
sei  auch  berechtigt,  für  die  verabschiedeten  Offiziere  zu  sorgen. 
Aber  das  Versicherungsgewerbe  könne  nur  vereinzelt  diese  im  Heere 

9 Amtlicher  Bericht  über  die  Sitzung  vom  18.  Oktober  1913. 

2)  Mitteilungen  des  Hansa-Bundes,  September-Heft  1913. 

3)  Mitteilungen  des  Hansa-Bundes,  September- Heft  1913. 

4)  Eingabe  des  Kreisvereins  an  den  Deutschen  Handelstag  vom 

27.  Sept.  1913. 

°)  Eingabe  des  Kreisvereins  an  den  Deutschen  Handelstag  vom 

15.  Oktober  1913. 

6)  Eingabe  des  Kreisvereins  an  den  Deutschen  Handelstag  vom 

1.  Oktober  1913. 

7)  Eingabe  des  Kreisvereins  an  den  Deutschen  Handelstag  vom 

14.  Oktober  1913. 

8)  Schreiben  des  Verbandes  an  den  Deutschen  Handelstag  vom 
7*  August  1913. 


51 


freiwerdenden  Kräfte  gebrauchen  und  der  Verband  müsse  den 
Deutschen  Handelstag  bitten,  die  Aufforderung  des  Ministers  zu- 
rückzuweisen. 

Auf  einem  anderen  Standpunkt  stehen  die  Handelskammern 
zu  Wetzlar,  Koblenz  und  Essen-Ruhr. 

Di£  Kammer  zu  Wetzlar *)  teilt  die  Auffassung  des  Kriegs- 
ministers durchaus  und  ist  der  Ansicht,  daß  die  Zahl  der  wirklich 
für  die  Fälle  einer  Anstellung  im  Privatdienst  in  Betracht  kommen- 
den Offiziere  im  Vergleich  allein  zu  der  Zahl  der  drei  großen 
Handlungsgehilfenverbände  so  verschwindend  gering  ist,  daß  an 
eine  überhaupt  merkliche  Verschlechterung  der  finanziellen  Lage 
der  Handlungsgehilfen  nicht  zu  denken  ist.  „Auf  der  anderen 
Seite  ist  der  Vorteil,  den  gerade  Handel  und  Gewerbe  unseres 
Vaterlandes  aus  der  steten  Erneuerung  und  der  sich  damit  steigern- 
den Schlagfertigkeit  des  Heeres  ziehen,  doch  so  erheblich,  daß 
auch  die  Angestellten  in  Handel  und  Industrie  in  wohlverstandenem 
Eigeninteresse  dieses  Mittel  zur  wirksamen  Durchführung  einer 
solchen  Erneuerung  gutheißen  sollten  und  auch  etwaige  für  die 
leitenden  Stellen  der  Privatverwaltungen  daraus  ergebenden  Un- 
bequemlichkeiten hintenangesetzt  werden  müßten.  Von  diesen  Ge- 
sichtspunkten aus  betrachtet,  müssen  wir  den  Standpunkt,  den  die 
Handlungsgehilfenverbände  in  ihrer  Eingabe  vertreten,  als  nicht 
gerechtfertigt  aussprechen“. 

Die  Handelskammer  zu  Koblenz  begrüßt  mit  Genugtuung  den 
Umschwung  der  Anschauungen,  der  sich,  nach  dem  Ersuchen  des 
Ministeriums  zu  urteilen,  in  militärischen  Kreisen  in  der  Bewertung 
der  kaufmännischen  Arbeit  und  der  Einschätzung  der  sozialen 
Stellung  des  Kaufmanns  vollzogen  hat.  Sie  erkennt  auch  das  Be- 
streben der  Militärverwaltung  als  durchaus  berechtigt  an,  Offizieren, 
die  in  ihrer  bisherigen  Laufbahn  keine  weitere  Verwendung  finden 
können,  ein  Unterkommen  in  anderen  Berufen  zu  erschließen.  Wer 
seiner  Veranlagung  nach  Kaufmann  sei,  der  sei  in  diesem  Stande 
willkommen,  komme  er,  woher  er  wolle.  Die  von  einigen  An- 
gestelltenverbänden an  das  Vorgehen  der  Militärverwaltung  ge- 
knüpften Befürchtungen  hält  die  Kammer  für  ungerechtfertigt. 
Allein  schon  die  Notwendigkeit,  die  Leistungsfähigkeit  ihrer  Unter- 
nehmungen auf  das  höchste  anzuspannen,  werde  die  Geschäftsherren 
davon  abhalten,  ihren  bisherigen  bewährten  Mitarbeitern  mangels 


*)  Eingabe  an  den  Deutschen  Handelstag  vom  20.  Oktober  1913. 


52 


genügender  kaufmännischer  Durchbildung  und  Erfahrung  im  all- 
gemeinen weniger  geeignete  ehemalige  Offiziere  vorzuziehen  x). 

Ausführlicher  als  alle  anderen  Kammern  nimmt  die  zu  Essen- 
Ruhr  zu  dem  Ersuchen  des  Kriegsministers  Stellung.  Diese  Handels- 
kammer verweist  darauf,  daß  die  Frage  der  Offizierzivilversorgung 
nicht  lediglich  unter  dem  Gesichtspunkte  betrachtet  werden  könne, 
daß  durch  Einstellung  von  verabschiedeten  Offizieren  in  Privat- 
betrieben den  Kreisen  der  in  Industrie  und  Handel  tätigen  Ange- 
stellten eine  Konkurrenz  erwächst.  Es  müsse  vielmehr  in  erster 
Linie  bei  dieser  Frage  ins  Auge  gefaßt  werden,  daß  die  Erhaltung 
eines  dienst-  und  kriegstüchtigen  Offizierkorps  im  allgemeinen  vater- 
ländischen und  damit  auch  im  Interesse  der  Kreise  von  Handel 
und  Industi'ie  liegt.  Es  kämen  für  die  Anstellung  überdies  nur 
Offiziere  in  Frage,  die  sich  für  derartige  Posten  eigneten  und  die 
Zahl  derer  sei  sicherlich  gering. 

Zur  Ueberwindung  der  Schwierigkeiten,  welche  sich  erfahrungs- 
gemäß dem  verabschiedeten  Offizier  bei  seinem  Bemühen,  in  einem 
Zivilberuf  eine  neue  Tätigkeit  zu  finden,  entgegenstellen,  erscheint 
es  der  Kammer  notwendig,  zwischen  der  im  Kriegsministerium 
eingerichteten  Auskunftsstelle  für  Offiziersversorgung  einerseits  und 
den  Kreisen  von  Handel  und  Industrie  andererseits  eine  Verbin- 
dung herzustellen.  Diese  Verbindung  wäre  so  zu  denken,  daß  den 
beteiligten  Kreisen  im  Lande  periodenweise  eine  Liste  zugeht,  in 
der  angegeben  ist,  welche  Herren,  welchen  Dienstranges  und  Alters, 
den  Wunsch  nach  einer  Anstellung  in  Handel  und  Industrie  haben. 
Welche  näheren  Angaben  zweckmäßig  in  die  Listen  extra  aufzu- 
nehmen wären,  müßte  näheren  Erörterungen  Vorbehalten  bleiben. 
Da  es  ausgeschlossen  erscheint,  daß  diese  Liste  seitens  der  kriegs- 
ministeriellen Auskunftsstellen  sämtlichen  einzelnen  Unternehmungen 
im  Lande  zugeht,  so  dürfte  vielleicht  ins  Auge  zu  fassen  sein,  daß 
man  seitens  des  Kriegsministeriums  an  die  einzelnen  Handelskammern 
und  sonstigen  wirtschaftlichen  Vertretungen  mit  dem  Ersuchen  her- 
antritt, zu  erkären,  ob  sie  bereit  sind,  eine  solche  ihnen  zeitweise 
zugehende  Liste  den  in  ihrem  Bezirk  in  Frage  kommenden  Betrieben 
zuzustellen.  Eine  große  Anzahl  von  Handelskammern  und  wirt- 
schaftlichen Interessenvertretungen,  vielleicht  auch  manche  Städte 
würden  sich  hierzu  bereit  erklären. 


')  Mitteilung  über  die  Sit2ung  der  Kammer  vom  2S.  Oktober  1913. 


Um  den  verabschiedeten,  bezw.  zu  verabschiedenden  Offizieren 
die  Anstellung  im  Zivilberufe  zu  erleichtern,  möge  man  ihnen  Ge- 
legenheit geben,  die  wichtigsten  Kenntnisse  und  Fähigkeiten  für 
den  Kaufmannsberuf  sich  anzueignen.  Vor  allem  sollte  jeder  Offi- 
zier die  Kenntnis  der  Stenographie  besitzen  und  mit  Unterstüt- 
zung des  Ministeriums  könnten  die  Offiziere  auf  Handelsschulen 
und  Handelshochschulen  oder  auch  in  besonderen  Kursen  sich  die 
grundlegenden  kaufmännischen  Kenntnisse  aneignen  '). 

Nach  der  Stellungnahme  der  verschiedenen  Interessenvertre- 
tungen nahm  der  preußische  Kriegsminister  in  einem  Schreiben  an 
die  Soziale  Arbeitsgemeinschaft  vom  13.  August  1013  noch  einmal 
das  Wort,  um  den  Standpunkt  seines  Vorgängers  näher  zu 
erläutern1 2).  Des  weiteren  wurde  in  diesem  Schreiben  darauf 
hingewiesen,  daß  es  sich  nur  um  eine  geringe  Anzahl  von  verab- 
schiedeten Offizieren  handle,  die  für  den  kaufmännischen  Beruf 
in  Betracht  kämen.  Auch  sei  es  seine  Ansicht,  daß  die  jüngeren 
Offiziere  von  der  Pike  auf  den  neuen  Beruf  erlernen  müßten,  ln 
leitende  Stellen  könnten  Offiziere  naturgemäß  nür  dann  kommen, 
wenn  sie  sich  dafür  eigneten,  und  der  Minister  halte  es  für  aus- 
geschlossen, daß  Offiziersbewerber  für  einen  Posten  nur  deshalb 
angenommen  würden,  weil  sie  Offiziere  gewesen  seien.  Die  Aus- 
kunftsstelle für  Offizierzivilversorgung  solle  in  erster  Linie  den 
Offizieren  die  Schwierigkeiten  überwinden  helfen,  welche  sich  ihnen 
nach  der  Verabschiedung  in  den  Weg  stellten. 

ln  den  hier  angezogenen  Berichten  über  die  Stellung  der 
Handelskammern  und  Angestellten -Verbände  zu  dem  oben  ange- 
führten Ansuchen  des  Kriegsministers  scheinen  uns  alle  Gründe  in 
Rechnung  gestellt  zu  sein,  welche  bei  der  Beurteilung  der  Frage 
in  Betracht  kommen.  Daß  die  Angestellten-Verbände  der  Frage 
eine  schrofFe  Ablehnung  entgegenbrachten,  kann  bei  dem  Aufgaben- 
kreis dieser  Interessenvertretungen  nicht  verwundern.  Die  Hand- 
lungsgehilfen-Vereinigungen  sind  Koalitionen  der  Privatbeamten, 
betraut  mit  der  einseitigen  Intercssenwahrnehmung  der  Mitglieder 
Diese  Verbände,  zur  Hebung  der  wirtschaftlichen  Lage  ihrer  Mit- 
glieder berufen,  haben  naturgemäß  alles  Interesse  daran,  die  Anzahl 
der  kaufmännischen  Angestellten  auf  einem  Mindestsatz  zu  halten, 
um  die  unteren  Einkommenstufen  der  Gehilfen  möglichst  hoch  zu 


1)  Sitzungsbericht  vom  28.  Oktober  1913. 

2)  Abgedruckt  in  „Handel  und  Gewerbe“,  20.  Jahrgang  S.  822. 


54 


halten.  Durch  das  Eindringen  der  Frauenarbeit  in  die  kaufmänni- 
schen Gewerbe  ist  ohnehin  schon  die  Lage  der  Handlungsgehilfen 
schlechter  geworden,  und  es  ist  deshalb  erklärlich,  daß  sich  die 
Vereinigungen  gegen  jeden  weiteren  Wettbewerb  von  außen  wenden. 

Die  Handelskammern  dagegen  sind  schon  zu  einem  objekti- 
veren Urteil  befähigt,  namentlich,  da  die  Frage  des  Wettbewerbs 
durch  die  Anstellung  von  Offizieren  für  sie  gänzlich  ausscheidet. 
Nur  ist  bei  der  Stellungnahme  der  Kammern  stets  zu  bedenken, 
daß  sie  diese  nicht  blos  von  allgemein  volkswirtschaftlichen  Er- 
wägungen aus  begründen,  sondern  vor  allem  auf  die  besonderen 
Verhältnisse  ihres  Bezirkes  stützen.  Aus  diesem  Grunde  erklärt 
sich  die  günstige  Beurteilung  des  kriegsministeriellen  Rundschreibens 
durch  die  Handelskammer  zu  Essen-Ruhr  und  die  ablehnende 
Haltung  der  anderen  Kammern. 

Alle  ablehnenden  Beurteilungen  der  Kammern  werden,  wie 
wir  oben  sahen,  in  mehrfacher  Weise  begründet.  Einmal  ist  es 
der  neue  Wettbewerb,  den  man  für  die  anderen  Angestellten  be- 
fürchtet, wenn  dieser  Wettbewerb  den  Geschäftsherren  selbst  auch 
nur  angenehm  sein  kann.  Zum  andern  halten  die  Handelskammern 
die  Vorbildung  der  aus  dem  Offiziersstande  hervorgehenden  An- 
wärter nicht  für  hinreichend.  Die  Handelskammer  zu  Essen  hat 
deshalb  in  richtiger  Erwägung  dieses  Umstandes  den  Kriegsminister 
auf  besondere  kaufmännische  Ausbildungskurse  hingewiesen.  Zur 
Einrichtung  derartiger  Kurse  ist  das  Kriegsministerium  allerdings 
noch  nicht  übergegangen,  und  wir  glauben  auch  nicht,  daß  es  wegen 
der  bereits  zu  diesem  Zwecke  bestehenden  Einrichtungen,  die  Hand 
dazu  bieten  wird.  Denn  sonst  würde  das  Offizierspensionsgesetz 
von  1906,  § 7,  Abs.  1,  neben  der  gesetzlichen  Pensionsbeihilfe  eine 
fortlaufende  Unterstützung  an  solche  verabschiedete  Offiziere  vor- 
gesehen haben,  die  die  durch  die  Vorbereitung  zu  einem  anderen  Beruf 
entstehenden  besonderen  Ausgaben  nicht  aus  eigenen  Mitteln  be- 
streiten können.  Als  vorbereitend  in  diesem  Sinne  wird  angesehen 
eine  unentgeltliche  informatorische  Beschäftigung  bei  einer  Behörde 
oder  im  Privatdienst,  sowie  der  Besuch  von  Akademien,  Schulen 
und  Kursen  aller  Art.  Die  Unterstützung  wird  nach  Maßgabe  des 
nachgewiesenen  Bedürfnisses  und  der  verfügbaren  Mittel  bis  zu 
einem  ausnahmsweisen  Höchstbetrage  von  100  M.  monatlich  gezahlt, 
und  zwar  ohne  Rücksicht  auf  den  Zeitpunkt  der  Verabschiedung. 
Entsprechende,  begründete  Anträge  sind  an  die  Versorgungsabtei- 
lung des  Kriegsministeriums  zu  richten. 


Das  Ministerium  hat  von  besonderen  Ausbildungskursen  für 
verabschiedete  Offiziere  auch  jedenfalls  deshalb  abgesehen,  weil 
ohnehin  die  Mehrzahl  der  ‘Handelskammern  schon  betont  hat,  daß 
die  theoretische  Vorbildung  für  den  Kaufmannstand  allein  nicht 
genügt,  ln  kriegsministeriellen  Kursen  vorgebildete  Bewerber  würden 
auch  sicherlich  mit  dem  Vorurteil  der  Einseitigkeit  im  Privatdienst 
empfangen  und  dementsprechend  behandelt  werden. 

Wie  auch  die  Auffassungen  der  Handelskammern  lauten,  so 
möge  sich  unseres  Erachtens  kein  Offizier  durch  sie  abhalten  lassen, 
den  Kaufmannsberuf  zu  ergreifen,  wenn  er  Veranlagung  dazu  in 
sich  fühlt.  Ohne  praktische  und  theoretische  Grundkenntnisse  wird 
er  allerdings  wenig  oder  garnichts  erreichen.  Doch  möge  er  be- 
denken, daß  tüchtige  Kräfte  in  allen,  auch  den  überfülltesten  Erwerbs- 
zweigen ein  gutes  Unterkommen  finden.  Im  kaufmännischen  Leben 
haben  die  Bewerber  mit  grundlegenden  Kenntnissen  in  der  Buch- 
führung und  in  fremden  Sprachen,  besonders  Englisch,  Spanisch 
und  Russisch,  wohl  auch  Türkisch,  gute  Anstellungsmöglichkeiten 
und  wer  vorwärts  will,  hat  hier  dazu  mehr  Aussichten  als  in  Reichs- 

« 

Staats-  und  Gemeindestellen. 


56 


4.  Abschnitt. 

Die  Vorbedingungen  für  den  neuen  Beruf. 

a)  Der  Gesundheitszustand. 

Viel  zu  geringe  Aufmerksamkeit  wird  von  Seiten  der  Offiziers- 
aspiranten der  voraussichtlichen  körperlichen  und  geistigen  Wider- 
standsfähigkeit geschenkt.  Wenn  auch  die  militärische  Untersuchung 
die  Militärtauglichkeit  erklärt,  so  handelt  es  sich  doch  nur  um 
Feststellung  des  augenblicklichen  Befundes.  Hereditäre  Disposition 
und  selbst  latente  Krankheiten  entziehen  sich  in  vielen  Fällen  der 
ärztlichen  Feststellung  selbst  bei  gewissenhaftester  Untersuchung, 
treten  vielmehr  erst  im  Verlaufe  der  Dienstzeit,  also  wenn  die 
Berufswahl  bereits  erfolgt  ist,  in  die  Erscheinung.  Leute,  die  in 
einem  Beamten-  oder  Privatberuf  hätten  bis  ins  hohe  Alter  leistungs- 
fähig bleiben  können,  zeigen  sich  in  vielen  Fällen  schon  nach 
wenigen  Dienstjahren  den  Anforderungen  des  militärischen  Dienstes 
nicht  mehr  gewachsen,  müssen  in  Pension  gehen  und  sind  mit  ver- 
minderter Leistungsfähigkeit  gezwungen,  eine  neue  Berufswahl  zu 
treffen,  die  dadurch  naturgemäß  erschwert  wird. 

Schon  an  die  in  die  Armee  eintretenden,  eben  aus  der  Schule 
entlassenen  Offiziersaspäranten  werden  sehr  erhebliche  körperliche 
Anforderungen  gestellt,  die  sich  von  den  an  die  meist  in  höherem 
Lebensalter  stehenden  Rekruten  gestellten  in  keiner  Weise  unter- 
scheiden. Auch  außerhalb  seines  eigentlichen  Dienstes  kann  der 
junge  Offizier  über  seine  Person  nicht  so  verfügen  und  beliebige 
Ruhe  und  Erholung  suchen,  wie  gleichaltrige  Leute  anderer  Berufe. 
Dem  jungen  Offizier  kann  überhaupt  nicht,  zumal  in  Anbetracht 
der  zweijährigen  Dienstzeit,  soviel  Ausspannung  von  der  körper- 
lichen Arbeit  wie  vorübergehende  Dienstbefreiung  und  Urlaub 
gewährt  werden,  wie  den  angehenden  Beamten  zuteil  wird. 

Die  straffe  Zucht  und  Disziplin  im  Heere  stellt  besondere 
Anforderungen  auch  an  die  Nerven  des  Einzelnen.  Schon  der 
junge  Offizier  lebt  dauernd  in  einem  gewissen  Zustande  unruhiger 
geistiger  Spannung,  da  er  niemals  vorher  über  seine  Zeit  verfügen 
kann  und  erst  von  Tag  zu  Tag  seinen  Dienst  erfährt. 


57 


Auch  der  ältere,  ins  volle  Mannesalter  getretene  Offizier 
wird  körperlich  und  geistig  weit  mehr  in  Anspruch  genommen,  als 
seine  Altersgenossen  in  anderen  Berufen.  Als  Kompagniechef 
übernimmt  er  die  persönliche  Verantwortung  für  Ausbildung  und 
Wohlbefinden  des  einzelnen  Mannes.  Sein  Dienst  erfordert  täglich 
eine  unausgesetzte  Arbeit  und  stellt  somit  außerordentliche  An- 
forderungen an  die  Spannkraft,  die  Ausdauer  und  das  Leistungs- 
vermögen des  Einzelnen. 

Seit  der  Einführung  der  zweijährigen  Dienstzeit  ist  die  Pause 
zwischen  Entlassung  der  Personen  und  Neueinstellung  der  Rekruten 
so  kurz,  daß  sie  durch  Vorbereitungen  für  die  nächste  Ausbildungs- 
zeit ausgefüllt  wird  und  dem  Kompagniechef  keine  Zeit  für  einen 
einigermaßen  nutzbringenden  Erholungsurlaub  übrig  bleibt. 

Die  lange  Reihe  von  Jahren,  welche  der  Offizier  diese  Stellung 
bekleidet,  pflegt  daher  häufig  die  Rüstigkeit  und  Kraft  so  aufzu- 
reiben, daß  nicht  wenige  Offiziere  am  Schluß  der  Zeit  als  Kompagnie- 
chef bereits  am  Ende  ihrer  körperlichen  Leistungsfähigkeit  an- 
gelangt sind. 

Von  Krankheitsumständen,  durch  welche  ein  früherer  Körper- 
verbrauch bei  Offizieren  eintritt,  sind  nach  einem  von  dem  General- 
oberarzt Leuthold  im  Jahre  1903  dem  Kriegsministerium  erstatteten 
Gutachten  folgende  besonders  hervorzuheben: 

1.  Erkrankungen  des  Herzens  und  der  Gefäße  mit 
ihren  Folgen.  Die  militärische  Erfahrung  hat  gelehrt,  daß 
namentlich  Herzvergrößerungen  durch  die  von  Jahr  zu  Jahr  ein- 
wirkenden, ununterbrochenen  körperlichen  Anstrengungen  bei  Offi- 
zieren häufig  seien.  Als  unausbleibliche  Folge  dieser  Herzver- 
größerungen müssen  vor  allem  Herzmuskel-Erkrankungen  und  ganz 
besonders  Veränderungen  der  Blutgefäße  bezeichnet  werden,  welche 
die  regelmäßige  Ernährung  der  großen  Körperogane  unfehlbar  stören. 

Von  der  Unversehrtheit  des  Herzens  hängt  in  erster  Linie 
die  Leistungsfähigkeit  des  Körpers  ab.  Mit  geschwächtem  Herzen 
und  mit  geschwächten  Blutgefäßen  versagt  der  Körper  schneller, 
besonders  auch  die  geistige  Leistungsfähigkeit  des  Gehirns;  Körper- 
kraft und  Widerstandsfähigkeit  werden  erschüttert. 

Diese  Verhältnisse  finden  zahlenmäßig  ihren  Beweis  in  den 
von  Militärärzten  gemachten  statistischen  Aufzeichnungen,  ln  der 
Altersklasse  von  50 — 60  Jahren  starben: 


58 


An  Herz-  und  Gefäßkrankheiten 

24%  Offiziere  gegen  20%  der  Zivil-Beamten 
an  Schlaganfällen  zwischen  dem  40.  und  50.  Lebensjahr 
6,34%  Offiziere  gegen  4,97  % der  Zivil-Beamten 
an  Schlaganfällen  zwischen  dem  50.  und  60.  Lebensjahr 
11,81%  Offiziere  gegen  10,81%  der  Zivil-Beamten. 

2.  Nervenleiden  und  zwar  einmal  Krankheiten  der  Nerven- 
bahnen (Nervenentzündung,  Nervenentartung,  Nervenlähmung),  so- 
dann Erkrankungen  der  Zentralorgane  (Gehirn-  und  Rückenmark). 
Die  erste  Gruppe  der  Nervenleiden  geht  meist  zurück  auf  Erkäl- 
tungen und  Durchnässungen,  die  zweite  Gruppe  mehr  auf  die  an- 
dauernde Inanspruchnahme  des  Körpers,  nicht  selten  auf  vorange- 
gangene Verletzungen  wie  Sturz  usw.,  die  im  Offizierkorps  unver- 
meidlich sind.  Hierzu  kommen  als  weitere  Ursache  dann  psychische 
Einflüsse  mannigfacher  Art:  der  hochgespannte  Ehrgeiz,  mit  dem 
oft  so  verschiedenen  Material  in  der  Ausbildung  nicht  zurück- 
zubleiben ; die  Ungewißheit  der  Zukunft  in  Bezug  auf  die  Dauer 
der  militärischen  Dienstfähigkeit;  nicht  selten  materielle  Sorgen  um 
die  spätere  Existenz,  also  alles  Momente,  durch  die  das  Nerven- 
system langsam,  aber  stetig  nachteilig  beeinflußt  wird. 

Kein  Beruf  disponiert  nach  dem  Urteile  Leutholds  wohl  mehr 
zu  Nervenkrankheiten  als  der  militärische.  Für  diese  Krankheits- 
gruppe ergäbt  die  Statistik  der  Todesfälle,  daß  von  100  im  Alter 
von  30 — 40  Jahren  verstorbenen  Offizieren  nicht  weniger  als  21 
infolge  von  Nervenleiden  aus  dem  Leben  schieden. 

Für  das  nächste  Lebensalterjahrzehnt  beträgt  dieser  Vomhun- 
dertsatz fast  30,  für  das  Alter  von  50 — 60  Jahren  immer  noch  14, 
während  sich  die  Zahlen  für  „andere  Mäiitärpersonen“,  also  Zahl- 
meister, Intendanturbeamte,  Aerzte  usw.  auf  rund  15,18  und  9 für 
die  entsprechenden  Lebensalter  stellen. 

3.  Rheumatische  Erkrankungen  aller  Formen. 
Spielen  hierbei  auch  die  Herbst-  und  Winter  Übungen,  namentlich 
die  Biwaks  eine  Hauptrolle,  so  bleibt  doch  zu  beachten,  daß  der 
Offizier  im  Gegensatz  zu  anderen  Berufsklassen  eigentlich  ständig 
die  Unbilden  der  Witterung  in  jedem  Dienst  in  besonderer  Weise 
über  sich  ergehen  lassen  muß.  Einen  Schutz  gegen  Durchnässungen 
und  Erkältungen  gibt  es  bei  plötzlichem  Witterungswechsel  während 
des  Außendienstes  einfach  nicht.  Und  darum  treten  bei  den 


59 


Offizieren  schon  in  frühen  Jahren  rheumatische  Leiden  auf,  die 
sich  fast  regelmäßig  wiederholen,  immer  mehr  Veränderungen  an 
Gelenken  und  Muskeln,  sowie  vorzeitige  Gebrauchsstörungen  der 
Gliedmaßen  hervorrufen  und  den  davon  Betroffenen  früh  dienst- 
unfähig machen. 

4.  Ohrenerkrankungen.  Schwerhörigkeit  wird  bei 
Offizieren  über  50  Jahre  recht  häufig  beobachtet.  Die  hierfür  in 
Betracht  kommenden  Ursachen  sind  dieselben  wie  bei  rheumatischen 
Leiden,  also  vor  allem  Durchnässungen  und  Erkältungen,  welche 
die  Hals-  und  Rachenorgane  angreifen,  als  deren  Folge  sich  dann 
Schwerhörigkeit  einstellt. 

Aus  den  Invalidenakten  des  Offizierkorps  gewinnt  man  die 
Beobachtung,  daß  die  meisten  Offiziere  die  hier  den  Hauptgruppen 
nach  aufgeführten  Krankheiten  während  der  Dienstzeit  nach  Mög- 
lichkeit zu  überwinden  suchen  und  die  körperlichen  Gebrechen 
erst  bei  der  Verabschiedung  klar  hervortreten. 

Das  Todesursachenmaterial  der  Lebensversicherungsanstalt  für 
die  Armee  und  Marine  gibt  darüber  Aufschluß,  daß  der  Tod  auf- 
fallend häufig  in  verhältnismäßig  jungen  Jahren  eintritt.  Selbst 
wenn  die  Todesfälle  im  Alter  von  20  bis  30  Jahren  nicht  mit 
berücksichtigt  werden,  dann  haben  von  je  100  gestorbenen  Offizieren 
(aktiven  und  inaktiven)  nur  rund  27,  von  100  verstorbenen  Sanitäts- 
offizieren sogar  nur  23  das  fünfzigste  Lebensjahr  erreicht,  während 
bei  den  übrigen  versicherten  Militärpersonen  (Beamten)  38  die 
genannte  Altersgrenze  überschritten  haben. 

Diese  Tatsachen  werden  jedoch  erst  in  das  helle  Licht  gerückt, 
wenn  man  sie  mit  denen  in  anderen  Berufsklassen  vergleicht.  So 
werden  nach  den  Angaben  der  Baseler  Lebensversicherungsgesell- 
schaft mehr  als  50°/0  aller  Versicherten  über  50  Jahre  alt,  also 
etwa  doppelt  soviel  als  im  Offizierkorps  des  Deutschen  Reiches. 

Auch  die  Versicherungsdauer  des  Einzelnen  bis  zum  Tode 
ist  bei  den  Offizieren  und  Sanitätsoffizieren  im  Durchschnitt  nicht 
unwesentlich  kürzer  als  bei  anderen  Berufen.  So  betrug  unter 
100  versicherten  und  gestorbenen  Offizieren  und  Sanitätsoffizieren 
in  46  Fällen  die  Versicherungsdauer  weniger  als  10  Jahre,  während 
dies  bei  den  Militärbeamten  nur  40  mal  der  Fall  war.  Nach  den 
Berechnungen  der  Gothaer  Lebensversicherungsbank  auf  Gegen- 
seitigkeit waren  nur  rund  37  % aller  Verstorbenen  weniger  als 


60 


10  Jahre  versichert.  Dabei  ist  zu  beachten,  daß  die  Offiziere  im 

0 

Durchschnitt  in  jüngeren  Jahren  eine  Versicherung  eingehen,  als  es 
bei  den  übrigen  Berufsklassen  geschieht. 

Diese  Tatsachen  beweisen  sicherlich  mit  aller  Klarheit,  daß 
das  frühzeitige  Verbrauchtsein  der  Offiziere  und  Sanitätsoffiziere 
auf  wirklichen,  bestimmt  nachweisbaren  Schädigungen  beruht,  welche 
der  militärische  Beruf  mit  sich  bringt.  Dabei  bleibt  zu  beachten, 
daß  die  Lebensführung  auch  außerhalb  des  Dienstes  Straffheit  und 
Rücksichten  von  den  Standesangehörigen  fordert,  welche  eng  mit 
dem  Dienste  verknüpft  sind  und  in  ihrer  Wirkung  auf  den  Körper 
mit  in  Betracht  zu  ziehen  sind. 

b)  Die  Vorbildung. 

Da  die  Vorbildung  der  Offiziere  nach  der  Verabschiedung 
für  den  ferneren  Lebensberuf  ebenso  wichtig,  ja  vielleicht  noch 
wichtiger  ist  als  die  militärische  Ausbildung,  dürfte  es  notwendig 
sein,  darüber  einiges  mitzuteilen. 

Von  einer  einheitlichen  Vorbildung  der  deutschen  Offiziere 
kann  im  allgemeinen  nicht  gesprochen  werden,  und  wenn  eine 
Einheitlichkeit  in  dieser  Richtung  angeführt  werden  darf,  dann 
kommt  das  bayrische  Kontingent  dafür  in  Betracht,  ln  Bayern 
kann  nur  ein  Abiturient  Offizier  werden. 

Aus  den  Jahresberichten  der  General-Inspektion  des  militäri- 
schen Erziehungs-  und  Bildungswesens,  der  Obermilitär-Examina- 
tions-Kommission  und  der  Inspektion  der  Kriegsschule  ergibt  sich, 
daß  die  sich  der  Offiziersprüfung  Unterziehenden  ihre  Vorbildung 
erhalten  haben  auf  der  Kriegsschule,  den  Kadettenanstalten  und 
sonstigen  Instituten.  Wieviel  Aspiranten  die  einzelnen  Vorbildungs- 
anstalten seit  1899  in  der  preußischen,  sächsischen  und  württem- 
bergischen  Armee  gestellt  haben,  ist  aus  folgender  Zusammen- 
stellung ersichtlich: 


Anzahl  der  vor  der  Ober-Militär-Examinations-Kommission  bestandenen  Offiziere. 


61 


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62 


An  diesen  Aufzeichnungen  aus  den  Akten  der  Ober-Militär- 
Examinations- Kommission  sind  zwei  Tatsachen  bemerkenswert. 
Einmal  das  beständige  Ansteigen  der  Anwerber  im  Besitze  des 
Abiturientenzeugnisses,  ferner  daß  einige  Anwerber  das  Fähnrichs- 
zeugnis von  Kaisers  Gnaden  erhalten,  obwohl  sie  die  Prüfung  selbst 
nicht  bestanden  haben.  Diese  auf  Friedrich  den  Ersten  in  Preußen 
zurückgehende  Einrichtung  dürfte  in  der  öffentlichen  Meinung 
wenig  bekannt  sein,  da  man  niemals  Klagen  darüber  im  Reichstag 
hört  und  die  in  der  bayrischen  Kammer  nicht  Gegenstand  der 
Betrachtung  sein  kann,  weil  in  Bayern  alle  Offiziersaspiranten  das 
Reifezeugnis  einer  neunklassigen  Mittelschule x)  beibringen  müssen. 
Im  18.  Jahrhundert  mochte  jene  Einrichtung  gerecht  und  notwendig 
erscheinen,  da  es  eine  geschichtliche  Tatsache  ist,  daß  viele  Adels- 
familien Gut  und  Blut  zur  Erhaltung  des  Preußischen  Staatswesens 
geopfert  haben  und  erfahrungsgemäß  die  tüchtigsten  Offiziere 
stellten.  Ob  die  ohne  hinreichende  Vorbildung  zur  Offiziersprüfung 
Zugelassenen  auch  bei  den  gegenwärtigen  hochgeschraubten  An- 
forderungen tüchtige  Offiziere  oder  ob  sie  eher  als  die  übrigen 
von  der  unfreiwilligen  Verabschiedung  getroffen  werden,  läßt  sich 
aus  Mangel  an  Unterlagen  nicht  feststellen.  Wir  werden  jedoch 
annehmen  dürfen,  daß  diese  Gruppe  von  verabschiedeten  Offizieren 
im  allgemeinen  nicht  gezwungen  sind,  einem  neuen  Beruf  sich  zu- 
zuwenden, so  daß  sie  aus  unserer  ferneren  Betrachtung  ausscheiden. 

Erfreulich  ist  jedenfalls  die  beständige  Zunahme  derjenigen 
Offiziersaspiranten,  welche  das  Abiturientenzeugnis  erworben  haben 
und  deshalb  von  der  Fähnrichsprüfung  im  allgemeinen  befreit  sind 
und  nur  bisweilen  Nachprüfungen  in  einzelnen  Fächern  abzulegen 
haben.  Rechnet  man  die  Kadettenabiturienten  zu  denen  der  bürger- 
lichen Anstalten  hinzu,  dann  ergibt  sich,  daß  unter  den  Offiziers- 
aspiranten das  Reifezeugnis  besaßen : 


*)  Mittelschulen  sind  nach  dem  in  Norddeutschland  eingeführten 
Sprachgebrauch  „gehobene  Volksschulen“.  Sie  gehören  nicht  zu  den  höheren 
Lehranstalten,  gehen  indessen  weit  über  den  Bildungskreis  der  Volksschulen 
hinaus.  Lehrplan  und  Prüfungsordnung  für  die  Lehrer  der  M.  wurde 
15.  10.  1872  v.  Minister  Falk  erlassen  (Vgl.  Bartholomäus:  d.  Mittelschule 
in  ihrem  Verhältnis  z.  Volksschule.  Gotha  1887).  ln  Süddeutschland  ebenso 
wie  in  österr.  Kronländern  gelten  als  M.  die  höhern,  zwischen  Volksschule 
und  Hochschule  stehenden  Lehranstalten,  Gymnasien,  Realgymnasien  Ober- 
realschulen und  Realschulen.  (Vergi.  d.  Zeitschrift:  Oesterreichische  Mittel- 
schule, Wien). 


63 


1880'  . . 

. 33% 

1890  . . 

• 35% 

1900  . . 

• 44% 

1903  . . 

. 46% 

1904  . . 

. 47% 

1905  . . 

. 48% 

1906  . . 

• 51,66% 

1907  . . 

. 54,49% 

1908  . . 

. 52,68% 

1909  . . 

• 57,86% 

1910  . . 

• 63,16% 

1911  . . 

• 61,87% 

1912  . . 

. 65,10% 

ln  absoluten 

Zahlen  waren 

unter  den  Abiturienten  der 

Offi- 

ziersprüfungen : 

im  Jahre  1905 

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Kadettenanstalten  63  v.  sonst,  höh.  Schulen 

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841 

Die  Angaben  über  die  Kadettenabiturienten  im  Jahre  1910 
waren  aus  besonderen  Umständen  so  niedrig.  Wegen  Platzmangels 
in  den  Kriegsschulen  mußten  95  dieser  Anwärter  zurückgestellt 
werden.  Im  allgemeinen  ergibt  sich  jedoch,  daß  die  Durchschnitts- 
ziffern (trotz  der  Erhöhungen  in  den  beiden  letzten  Jahren)  der 
Kadettenabiturienten  sich  annähernd  gleich  geblieben  sind,  während 
sie  bei  den  Abiturienten  der  bürgerlichen  Anstalten  beträchtlich 
gestiegen  sind.  Das  arithmetische  Mittel  stellt  sich  für  die  Besuchs- 
zeit für  die  Kadettenabiturienten  auf  69,  hat  sich  also  gegen  1905 
kaum  verändert,  für  die  Abiturienten  der  übrigen  höheren  Schulen 
jedoch  auf  547. 

Ueber  die  Zunahme  der  Abiturienten  in  den  Offiziersprüfungen 
sprechen  sich  alle  Berichte  an  das  Militärkabinett  erfreut  aus.  ln 
dem  vom  3.  Februar  1911  datierten  Bericht  heißt  es  sogar:  „Diese 
Erscheinung  (nämlich  die  Zunahme  der  Abiturienten)  weist  von 


64 


neuem  auf  die  Möglichkeit  hin,  in  einigen  Jahrzehnten  die  Abituri- 
entenprüfung als  obligatorische  Bildungsgrundlage  für  den  Offiziers- 
ersatz zu  fordern“. 

Wenn  die  Zahl  der  Abiturienten  unter  den  Anwärtern  eines 
Berufs  beständig  wächst,  obwohl  die  Berufswahl  selbst  von  dem 
Reifezeugnis  garnicht  abhängig  ist,  dann  muß  das  besondere  Ur- 
sachen haben.  Einen  gewissen  Anhaltspunkt  für  die  Aufdeckung 
dieser  Gründe  geben  uns  die  Abiturientenziffern  der  Jahre  1910 
bis  1912,  die  ein  plötzliches  und  sicherlich  nicht  zufälliges  An- 
schwellen den  Ziffern  der  Vorjahre  gegenüber  bekunden.  Weil  in 
allen  akademischen  Berufen  sich  eine  Ueberfüllung  geltend  machte, 
namentlich  im  juristischen,  werden  viele  Abiturienten  die  Offiziers- 
laufbahn dem  oft  langwierigen  Studium  vorgezogen  haben.  Eine 
zweite  Gruppe  von  Abiturienten  ist  auf  die  Reifeprüfung  zuge- 
steuert, um  eben  alle  Studienmöglichkeiten  frei  zu  haben  und  als 
sie  in  die  Mittelschule  eintraten,  hatten  sie  an  die  Offizierslaufbahn 
kaum  gedacht.  Eine  dritte  Kategorie  endlich  wird  das  Abiturienten- 
zeugnis auch  als  conditio  sine  qua  non  für  die  Offizierslaufbahn 
angesehen  haben,  um  im  Falle  einer  frühzeitigen  Verabschiedung 
die  Grundlage  für  einen  neuen  Lebensberuf  zu  haben. 


Eine  sehr  wertvolle  Betrachtung  ermöglicht  die  nebenstehende 
Tabelle,  welche  die  Ergebnisse  der  Offiziersprüfung  nach  der  Vor- 
bildung für  das  Jahr  1905  zusammenstellt.  Mit  der  Note  „Vor- 
züglich“ bestanden  von  den  Kadetten  0,00  °/0,  von  den  Abiturienten 
dagegen  3,76°/0;  von  den  auf  Kadettenanstalten  Vorgebildeten  er- 
hielten ebensoviel  das  Prädikat  „Sehr  gut“,  von  den  Abiturienten 
G,7°/0  und  mit  „gut“  bestanden  in  jenem  Jahre  1,2 °/0  der  Kadetten 
gegen  25,2  °/0  der  Abiturienten.  Man  kann  trotzdem  nicht  be- 
haupten, daß  die  auf  den  militärischen  Anstalten  vorgebildeten 
Offiziers- Aspiranten  schlechtere  Resultate  erzielen  als  die  Abituri- 
enten der  Mittelschulen,  da  die  ersteren  unter  den  Abiturienten 
mit  enthalten  sein  dürften,  liebrigens  waren  die  Resultate  der 
Offiziersprüfung  auch  durchaus  zufriedenstellend  bei  den  „ander- 
weitig vorbereiteten“,  also  den  Extenien,  die  sich  entweder  selbst 
vorbereiten  oder  eine  sogenannte  Presse  besucht  haben.  Ob  in 
den  anderen  Jahren  die  Prüfungsergebnisse  von  denen  des  Jahres 
1905  wesentlich  oder  garnicht  abweichen,  konnte  leider  nicht  fest- 
gestellt werden.  - 


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Nicht  hin- 
reichend, 
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der  Aller- 
höchsten 
Gnade 
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1 4 
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(1) 

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Abgang 

durch 

Tod 

1 

1 

1 

1 

Es  wurden  während  des  Kursus 
entlassen 

von  der 
Offiziers- 
prüfung 
zurück- 
gestellt 

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wegen 

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Ursachen 

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Vorbildung 

Kadetten 

Abiturienten 

Anderweitig 

Vorgebildete 

Summe 

Die  in  den  voraufgeführten  Zahlen  enthaltenen  Kriegsschüler 

a)  des  Königlich  Sächsischen  Armeekorps  sind  durch  Rotdruck 

b)  des  Königlich  Württembergischen  Armeekorps  sind  durch  Blaudruck  ersichtlich  gemacht  ; die  in  ( 
bezeichnten  Zahlen  sind  in  den  schwarzen  enthaltenen  Kadetten-Abiturienten. 


65 


Die  Militärbehörde  scheint  eine  Gegnerin  der  Offiziers- Vor- 
bereitung auf  einer  ,, Presse“  zu  sein,  da  es  in  dem  Bericht  vom 
28.  Januar  1912  über  die  Ergebnisse  der  Prüfungen  heißt,  daß  die 
Presse  niemals  eine  öffentliche  Schule  ersetzen  kann.  Die  Tat- 
sachen beweisen  jedoch,  daß  die  meisten  Anwerber  der  Fähnrichs- 
prüfung eine  Presse  besucht  und  sich  nur  wenige  durch  Selbst- 
studium und  andere  Mittel  auf  dieses  Examen  vorbereitet  haben. 
Keine  Presse  hatten  von  den  die  Fähnrichsprüfung  Bestandenen 
besucht : 


im  Jahre 

1995  . . . 

10,88% 

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1906  . . . 

9,52  % 

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1907  . . . 

6,35% 

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1908  . . . 

6,95% 

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1909  . . . 

4,99% 

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1910  . . . 

7,7  % 

tt  tt 

1911  . . . 

5,37% 

tt  tt 

1912  . . . 

4,09% 

so  daß  sogar  ein  bemerkenswerter  Rückgang  zu  verzeichnen  ist, 
ohne  daß  von  einer  Erschwerung  der  Offiziersprüfung  etwas  ver- 
lautete. 


Es  möge  noch  darauf  hingewiesen  werden,  daß  die  Kadetten- 
anstalten in  den  letzten  Jahren  niemals  ihre  etatsmäßige  Besucher- 
zahl aufzuweisen  gehabt  haben.  Bei  einer  Etatstärke  von  2470 
fehlten: 


1905  . . . 

. 231 

Besucher 

1906  . . . 

. 172 

tt 

1907  . . . 

. 128 

tt 

1908  . . . 

51 

1 1 

1909  . . . 

20 

1 1 

1910  . . . 

. 31 

tt 

1911  . . . 

. 27 

1 1 

1912  . . . 

. 29 

tt 

1913  . . . 

4 

tt 

"Wenn  trotz  der  geringen  Erziehungskosten  nicht  alle  Plätze 
der  Kadettenanstalten  belegt  werden,  dann  dürfte  das  auf  besondere 
Gründe  zurückzuführen  sein.  Vor  allem  jedenfalls  auf  den,  daß  der 
junge  Mann  sich  im  frühesten  Alter  den  mililärischen  Einrichtungen 
dieser  Institute  noch  nicht  unterwerfen  will  und  manche  Eltern 


66 


befürchten,  daß  ihren  Söhnen  der  Offiziersberuf  auf  diesen  Anstalten 
verleidet  werden  könnte  bevor  diese  den  Beruf  selbst  kennen  ge- 
lernt haben.  Die  Zahl  der  nicht  besetzten  Stellen  in  den  Kadetten- 
anstalten ist  jedoch  von  Jahr  zu  Jahr  zurückgegangen  und  dieser 
Rückgang  scheint  im  Zusammenhang  mit  der  neuen  Offiziersprüfungs- 
ordnung zu  stehen,  welche  am  1.  April  1903  in  Kraft  trat.  Weil 
die  Prüfung  zum  Offizier  mit  der  neuen  Verordnung  schwieriger 
wurde,  wurde  den  Kadettenanstalten  seitens  der  Aspiranten  be- 
sondere Aufmerksamkeit  geschenkt,  da  diese  Institute  mehr  als  alle 
anderen  auf  die  Prüfungsbedürfnisse  der  Offiziersanwerber  einge- 
richtet sind. 

Außer  Vorbildung  und  Gesundheitszustand  kommt  für  die 
weitere  Berufswahl  der  verabschiedeten  Offiziere  sicherlich  auch 
die  Abstammung  als  Faktor  in  Betracht. 

Für  Söhne  aus  regierenden  Häusern  und  von  Standesherren 
ist  die  Berufswahl  nach  der  freiwilligen  oder  unfreiwilligen  Verab- 
schiedung gänzlich  bedeutungslos.  Die  ersten  beziehen  eine  Apanage 
aus  oder  getrennt  von  der  Zivilliste,  die  letzteren  sind  in  der  Regel 
Mitglieder  von  Familien,  die  aus  umfangreichen  Rdeikommnissen 
jährliche  Renten  beziehen  und  somit  zeitlebens  wirtschaftlich  sicher 
gestellt  sind. 

Die  von  Beamten  und  Offizieren  abstammenden  Offiziere 
werden  jedenfalls  überwiegend  gezwungen  sein,  nach  dem  Abgänge 
sich  ein  ausreichendes  Arbeitseinkommen  zu  verschaffen  und  gerade 
diese  Kategorie  von  Offizieren  ist  es,  für  welche  die  spätere  Berufs- 
wahl von  besonderer  Bedeutung  ist. 

Die  Söhne  von  Gutsbesitzern,  Gutspächtern  und  Gutsverwaltern 
werden  nach  Möglichkeit  den  Beruf  ihres  Vaters  ergreifen,  nament- 
lich in  einer  Zeit,  in  der  die  Rentengutsbildung  eine  Berufswahl 
in  dieser  Hinsicht  sehr  erleichtert.  Viele  Gutsbesitzersöhne  be- 
trachten den  Offiziersberuf  überdies  nur  als  Uebergangsstadium  und 
sind  von  Anfang  an  zur  Uebernahme  des  väterlichen  Gutes  be- 
stimmt. Die  Abstammung  der  Offiziere  im  einzelnen  ist  aus  der 
folgenden  Zusammenstellung  zu  ersehen.  Demnach  sind  rund  60°/0 
der  Offiziere  Söhne  von  aktiven  und  inaktiven  Offizieren,  höheren 
Beamten,  Geistlichen,  Rechtsanwälten  und  Zivilärzten,  während  von 
Standesherren  und  Gutsbesitzern  viel  weniger  abstammen.  Sieht 
man  von  den  Offizieren  ab,  welche  nach  ihrer  vorzeitigen  Verab- 
schiedung als  Söhne  von  Gutsbesitzern  und  Gutspächtern  in  die 


67 


Landwirtschaft  zurücktrefen,  dann  ergibt  sich  aus  der  folgenden 
Tabelle,  daß  im  Durchschnitt  der  Jahre  von  1906—1912  für  87,2 °/0 
der  abgehenden  Offiziere  eine  Erwerbsmöglichkeit  beschafft  werden 
mußte  oder  für  rund  sieben  Achtel.  Diese  ohnehin  schon  ungün- 
stige Ziffer  erhöht  sich  noch,  wenn  auch  die  Söhne  von  Gutsbe- 
sitzern und  Gutspächtern  einen  neuen  Beruf  ergreifen  müssen. 


Abstammung  des  Offiziersersatzes. 


68 


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69 


Die  Versorgung  kriegsbeschfldigter  Offiziere. 

Mit  der  Versorgung  kriegsbeschädigter  Offiziere  haben  sich 
die  leitenden  Stellen  bereits  eingehend  beschäftigt,  umsomehr  als 
die  Zahl  der  zu  Versorgenden  bei  der  Ausdehnung  und  Dauer  des 
Krieges  eine  außergewöhnlich  hohe  sein  wird.  Allerdings  dürfte 
ein  nennenswerter  Prozentsatz  der  Beschädigten  in  die  früheren 
Berufe  zurückkehren  und  selbst  für  schwerer  Verletzte  dürften 
vielfach  Familienangehörige  und  Anverwandte  in  ihren  ländlichen 
und  industriellen  Betrieben  Stellungen  offen  halten.  Die  Arbeits- 
unfähigen können  für  uns  außer  Betracht  bleiben,  da  der  Staat 
für  ihre  Erhaltung  Sorge  zu  tragen  hat. 

Immerhin  bleiben  noch  zahlreiche  Kriegsbeschädigte  zu  ver- 
sorgen, die  nach  der  Art  ihrer  dauernden  Erwerbsverminderung 
höhere  oder  geringere,  in  den  meisten  Fällen  aber  zu  standesge- 
mäßer Lebensführung  nicht  ausreichende  Pensionen  und  Zuschüsse 
beziehen.  Mit  Recht  ist  darauf  hingewiesen  worden,  daß  diese 
zum  größten  Teil  noch  in  jüngerem  Lebensalter  stehenden  Männer 
im  sozialen  Interesse  und  mehr  noch  um  ihrer  selbst  willen  zu 
einem  tatenlosen  Leben  nicht  verurteilt  werden  dürfen.  Die  All- 
gemeinheit kann  nicht  auf  mehrere  tausend  intelligente,  unverbrauchte 
Kräfte  nur  deshalb  verzichten,  weil  mehr  oder  minder  erhebliche 
körperliche  Defekte  einen  Teil  der  Bewegungsfähigkeit,  manuellen 
Geschicklichkeit  oder  allgemeinen  Leistungsfähigkeit  beeinträchtigen. 
In  dem  vielgestaltigen  Staatsgefüge  gibt  es  zahlreiche  Stellungen, 
die  den  Gebrauch  und  somit  den  Besitz  einzelner  Gliedmaßen 
nicht  unbedingt  erforderlich  machen. 

Allerdings  wird  auch  hier  die  Möglichkeit  der  Verwendung 
nicht  nur  von  der  Art  der  Beschädigung  sondern  von  der  Vor- 
bildung abhängig  gemacht  werden  müssen.  Kommerzienrat  Felix 
Krais  hat  dies  in  seinem  umfassenden  Werke  über  „Die  Verwen- 
dungsmöglichkeiten der  Kriegsbeschädigten"1)  auf  Grund  zahlreicher 
fachmännischer  Gutachten  für  die  Mannschaften  ausführlich  gezeigt, 
doch  gilt  es  in  weit  höherem  Maße  für  die  dienstbeschädigten 
Offiziere.  Wo  die  erforderliche  spezialistische  Ausbildung  für 


*)  Stuttgart  1916. 


70 


einzelne  Berufsarten  ihrer  längeren  Zeitdauer  wegen  nicht  durch- 
führbar erscheint,  werden  naturgemäß  solche  Stellungen  in  Frage 
kommen,  die  nur  eine  Allgemeinbildung  erfordern,  wie  sie  bei 
jedem  Offizier  vorausgesetzt  werden  darf.  Es  kämen  hier  die 
Stellungen  der  Direktoren  von  Landtags-  und  Provinzialverwaltungs- 
gebäuden, der  Verwalter  von  Staatsarchiven,  Staats-  und  Landes- 
bibliotheken sowie  einzelner  Museen  in  Frage,  da  hier  der  Verlust 
einer  Ober-  oder  Unterextremität  kaum  als  Hindernis  betrachtet 
werden  könnte. 

Einzelne  Offiziere  dürften  sich  nach  kurzer  Vorbereitungszeit 
als  Fachlehrer  an  Militärschulen,  ebenso  aber  auch  als  Lehrer  für 
Sprachen,  Religionsunterricht  und  Gesang  an  Mittel-  und  Kommunal- 
schulen eignen.  Sie  würden  sogar  sehr  leicht  entsprechende 
Stellungen  finden,  da  der  Verlust  an  Volksschullehrern  nicht  so 
schnell  wie  nötig  ersetzt  werden  kann,  ln  den  Grenzbezirken  im 
Osten  und  Westen  werden  ebenso  wie  in  den  Kolonien  die  Stellun- 
gen der  Dolmetscher  sprachgewandten  kriegsbeschädigten  Offizieren 
offen  gehalten  werden  können.  Auch  die  oft  recht  einträglichen 
Stellungen  der  Güterdirektoren  und  Domänenverwalter  könnten  mit 
geeigneten  kriegsbeschädigten  Offizieren  besetzt  werden,  lieber  die 
Verwendung  kriegsbeschädigten  Offiziere  im  Zolldienst  hat  der 
preußische  Finanzminister  eingehende  Bestimmungen  getroffen.  Ael- 
tere  Berufsoffiziere  können  für  die  allgemeine  Zollverwaltung  als 
Zolldiätare  angestellt  werden,  sofern  ihnen  die  Aussicht  auf  An- 
stellung im  Zivildienst  verliehen  worden  ist.  Die  Zolldiätare  sind 
außeretatsmäßige  Beamte,  die  nach  bestandener  Prüfung  zu  Zoll- 
sekretären ernannt  werden  können.  Während  der  diätarischen  Be- 
schäftigung erhalten  sie  im  ersten  Jahre  1650,  im  zweiten  1800, 
im  dritten  1900  und  vom  vierten  Jahre  ab  2000  Mark.  Der 
Prüfung  hat  eine  mindestens  zweijährige  Ausbildung  vorauszugehen: 
18  Monate  bei  einem  Hauptzollamt,  davon  12  an  der  Grenze,  die 
letzten  6 Monate  bei  einer  Oberzolldirektion. 

Weiter  wäre  die  Verwaltung  aller  neu  zu  errichtenden  Wohl- 
fahrtseinrichtungen, die  der  lange,  opfervolle  Krieg  notwendig  ge- 
macht hat,  vorzugsweise  kriegsbeschädigten  Offizieren  zu  übertragen. 
Neben  den  zahlreichen  Wohlfahrtseinrichtungen  für  die  kriegsbe- 
schädigten Stadtbewohner  werden  solche  für  die  Landbewohner  er- 
forderlich sein.  Sie  könnten  den  Landratsämtern  unterstellt 
und  an  diese  angegliedett  werden.  Von  hier  aus  wäre  die  Fürsorge 


71 


der  kreiseingesessenen  Kriegsbeschädigten,  ihre  Unterbringung, 
Beschäftigung  und  Beaufsichtigung  zu  leiten.  Jedes  Landratsamt 
wüide  demnach  einen  verabschiedeten  Offizier  beschäftigen,  jeder 
Kreis  die  Mittel  aufbringen  können,  die  für  kleine  Einzelgemein- 
den eine  zu  große  Last  bedeuten  würden.  Andererseits  bilden 
solche  K re  i s f ü r s o r ge  s t c 1 1 e n eine  willkommene  Entlastung 
für  die  kleinen  städtischen  und  ländlichen  Gemeindeverwaltungen. 

Während  schon  vor  dem  Kriege  die  Stellen  der  Standes- 
beamten vielfach  den  verabschiedeten  Offizieren  Vorbehalten  waren, 
ist  dies  niemals  der  Fall  gewesen  bei  den  Stellen  der  Schieds- 
und  Einigungsämter.  Diese  bieten  einer  größeren  Zahl  selbst  er- 
heblich Kriegsbeschädigter  Aussicht  auf  Anstellung.  Vielfach  wird 
es  sich  hierbei  allerdings  um  mehr  „nebenamtliche“  Beschäftigung 
handeln,  die  indessen  gerade  den  erheblich  Beschädigten,  zu  an- 
strengender Arbeit  Untauglichen  besonders  willkommen  sein  dürfte. 

Eine  größere  Anzahl  kriegsbeschädigter  Offiziere  könnte  in 
Auskunfteien  Unterkunft  finden.  Allerdings  wird  hierbei  nicht 
an  die  bisherige  Institution  privater  Auskunfteien  zu  denken  sein, 
die  sich  mit  wenigen  Ausnahmen  überlebt  haben  und  von  der 
Geschäftswelt  vielfach  als  Uebelstand  empfunden  werden.  Es 
dürfte  sich  empfehlen,  mit  Hilfe  der  Handelskammern  staatliche 
Auskunfteien  ins  Leben  zu  rufen,  die  einer  Zentralstelle  unterstellt 
sind  und  teils  durch  diese,  teils  direkt  miteinander  in  Verbindung 
stehen.  Diese  Organisation,  auf  die  hier  nicht  näher  eingegangen 
werden  kann,  würde  nicht  nur  das  Anlagekapital  sehr  schnell  amor- 
tisieren, sondern  auch  mehreren  hundert  verabschiedeten  Offizieren 
und  einigen  tausend  Militäranwärtern  Unterkunft  bieten  und  den- 
noch erhebliche  Ueberschüsse  bringen,  die  der  Offiziersfürsorge 
zugeführt  werden  können.  Die  privaten  Auskunfteien  werden  von 
der  Geschäftswelt  nur  ungern  benutzt,  weil  es  bekannt  ist,  daß 
ihre  Auskünfte  nur  ausnahmsweise  auf  Zuverlässigkeit  Anspruch 
machen  können,  eben  weil  es  an  einer  Zentralisation  fehlt  und 
weil  das  oft  wechselnde  Personal  nicht  immer  objektiv  und  ge- 
wissenhaft genug  Auskünfte  einholt  oder  verteilt.  (Ausnahmen  be- 
stätigen die  Regel).  Dennoch  prosperieren  die  Auskunfteien  und 
werfen  erhebliche  Ueberschüsse  ab.  Der  relativ  leichte  Dienst, 
der  Rechercheure  erfordert  diplomatischen  Takt  und  Weltgewandt- 
heit, kann  aber  auch  von  Kriegsbeschädigten  versehen  werden. 
Dasselbe  gilt  vom  Büropersonal,  das  in  der  Hauptsache  mechanische. 


72 


namentlich  statistische  Arbeiten  zu  erledigen  hat,  die  einige  Uebung, 
vor  allem  aber  Gewissenhaftigkeit  erfordern.  Da  alle  wichtigen 
Industrieorte  für  Auskunftei-Nebenstellen  in  Frage  kommen  und 
die  Zentrale  einen  großen  Beamten-Apparat  erfordern  würde, 
dürfte  die  Gründung  einer  solchen  Institution  umsomehr  ins  Auge 
zu  fassen  sein,  als  sie  auch  von  der  gesamten  Geschäftswelt 
freudig  begrüßt  werden  würde. 

Es  soll  hier  nicht  auf  alle  die  zahlreichen  Möglichkeiten  der 
Versorgung  kriegsbeschädigter  Offiziere  eingegangen,  vielmehr  nur 
darauf  hingewiesen  werden,  daß  dieselbe  in  ebenso  großzügiger 
Weise  organisiert  werden  sollte  wie  diejenigen  für  die  Mann- 
schaften. Offenbar  werden  die  Schwierigkeiten  unterschätzt,  die 
sich  der  Zivilversorgung  des  Offiziers  entgegenstellen  und  deren 
Notwendigkeit  in  Privatkreisen  nicht  erkannt.  Mit  dem  Begriff 
„Offizier“  verbindet  sich  gar  zu  leicht  derjenige  der  Wohlhaben- 
heit oder  doch  der  Abstammung  aus  wohlhabender  Familie,  die 
selber  die  Sorge  für  Unterbringung  ihres  kriegsbeschädigten  Mit- 
gliedes übernimmt,  soweit  dies  nicht  der  Staat  tut.  Daß  diese 
Anschauung  ein  für  viele  Offiziere  folgenschwerer  Irrtum  ist, 
dürfte  aus  den  Darlegungen  im  ersten  und  zweiten  Teile  dieser 
Schrift  zur  Genüge  hervorgehen.  Es  dürfte  notwendig  sein,  daß 
der  Offiziersstand  aus  seiner  Reserve  heraustritt,  auf  die  Notlage 
vieler  seiner  vorzeitig  verabschiedeten  oder  kriegsbeschädigten  Mit- 
glieder hinweist  und  im  Interesse  eines  tüchtigen  Nachwuchses 
andere,  den  gegenwärtigen  Lebensforderungen  entsprechende  Ver- 
sorgungsgrundlagen  anstrebt.  Das  Recht  dazu  wird  durch  die 
Bedeutung  des  Offiziersstandes  als  wichtigster  Faktor  der  Wehr- 
kraft gegeben  und  die  Gelegenheit  bietet  der  gegenwärtige  Krieg 
mit  seinen  nach  Zehntausenden  zählenden  Beschädigten.  Den 
hohen  und  schweren  Pflichten  des  Offiziers  stehen  ebenso  hohe 
des  Vaterlandes  gegenüber. 


] nhalts-Verzeichnis. 


Seite 

Literatur 5 

Vorwort 7 

I.  Teil. 

Die  Ursachen  der  Offizierzivilversorgung  ... 

1.  Abschnitt:  Die  Pensionsverhältnisse  der 

Offiziere 9 

2.  Abschnitt:  Die  Pensionsbeträge.  . . 17 

II.  Teil. 

Die  Arten  der  Offizierzivilversorgung  ....  22 

1.  Abschnitt:  Eine  allgemeine  Betrachtung  22 

2.  Abschnitt:  Die  öffentlichen  Berufe  . 30 

3.  Abschnitt:  Die  privaten  Zivilberufe  . 42 

4.  Abschnitt:  Die  Vorbedingungen  für 

den  neuen  Beruf  ....  56 

a)  Der  Gesundheitszustand  . 56 

b)  Die  Vorbildung  ...  60 

Anhang:  Die  Versorgung  kriegsbeschädigter 

Offiziere . 69 

Inhaltsverzeichnis 73 

Lebenslauf  74 


Lebenslauf. 

Am  20.  April  1887  bin  ich,  Kurt,  Karl,  Gustav  Anhalt 
reformierter  Konfession,  zu  Kolberg  a.  d.  Ostsee  (Pommern)  als 
der  Sohn  des  Fabrik-  und  Gutsbesitzers  Wilhelm  Anhalt  und  sei- 
ner Ehefrau  Emma  geb.  Lück  geboren.  Den  Schulunterricht  habe 
ich  in  Kolberg,  Quedlinburg  und  Altona  b.  Hamburg  empfangen, 
wo  ich  die  Oberrealschule  Michaelis  1909  mit  dem  Zeugnis  der 
Reifeprüfung  verlies.  Im  ersten  Semester  studierte  ich  Jura,  trat 
dann  in  das  Geschäft  meines  Vaters  ein,  von  Ostern  1912  an 
Nationalökonomie  und  Staatswissenschaften.