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Sitzungsberichte
der
k(ini«i. bayerischen Akademie der Wissenschaften
zu München.
Jalirgong 1862. Band II.
München.
Druck von J. (i. Weiss, Univprsitätshiuliilriu-kei-,
In Commiiiion b«l U. ('ranz.
RS
122.
Cid" •"
Uebersicht des Inhaltes.
Die mit * bezeichneten Vorträge alnd ohne Auszas.
Philosophisch-philologische Classe. Sitzung vom S.Mai 1862.
Seite
Halm: Beiträge zur Berithtiguiig und Ergänzung der Cicero-
nisclicu Fragmente • ^
Mathcmalisch-physikalische Classe. Sitzung vom iO. Mai i 86 2.
Schönbein: Ueber die Erzeugung des salpetrichten Ainino-
niakcs aus Wasser und atinospliäriscber Luft un-
ter dem Einflüsse der Wärme ^^
Pcllenkoler: Uebcr die Bestimmung des Wassers bei der
Respiration und Perspiration. .... 50
r*
IV
Historische C lasse. Sitzung vom i7. Mai 1862.
Seite
*Föringer: Uebor tlie Aiiiiaics Altahenses GH
Pfnlosophisch-philoloyische Classe. Sitzimy mmi 14. Juni 1868.
*S lieber: Beitrag zur Geschichte der griecliischeu Steiiipel-
schiieidekuiist b5
Slathematisch-physikaUscfie Classe. Sitzung vom 14. Juni 1862.
Lamont: a) üeber die zehnjährige Periode iii der täglichen
Bewegung der Magnetnadel, und die Beziehung
des Erdmagnetismus zu den Sonnenflecken . tiO
b) Ueber das Verhältniss der magnetischen Intcu-
sitäts- und Incliaations-Störungen ... 70
Petteiikofer: Ueber die Ausscheidung von Wasserstoffgas bei
der Ernährung des Hundes mit Fleisch und
Stärkmehl oder Zucker 88
Seidel: Ueber die Verallgemeinerung eines Satzes aus der
Theorie der Potenzreihen .... yi
Historische Classe. Sitzung vom 21. Juni 1862.
*Muffat: Ueber VVolfhcr, Patriarchen von Aquileja, einen gc-
borncn Ba\(r ...... <)7
PhilosopIdsch-phUoloyischc Classe. Sitzmig vom 6. Jvli 1862.
Seite
Thomas; Ueber einige Fragmente von versificiiten Fabeln
zum sogenannten Romiilus 9S
Mathematisch-physikalische Classc. Sitzung vom 1 I.Juli 1862.
Lamont: Beitrag zu einer matiieniatischcn Tlieorie des Mag-
netismus 103
Xägeli: Ueber die crystallälinlichen Proteinkürper und ihre
Versthicdenlicil von wahren (irystallen (mit zwei
Tafein) 120
Kinseudungen an Druckschriften (April— Juli 1802) . 155
rhilosophisch-philologische Classe. Sitzung vom 8. Nov. 1862.
*AI. J Müller: Ueber einige Partien der poetischen Literatur
der Araber 161
Mathematisch-physikalische Classe. Sitzung vom 8. Nov. 1862.
Petlenkofer: Ueber die Bestimmung des bei der Respiration
ausgeschiedenen ^Yasserstoff- und (.iruben-Ciases 162
VI
Seile
Historisihe Classe. Sitzung vom 16. Notember 1862.
*\. hol Uli gor : IVher die Kaiscrkruiiung Karls des Grossen ICIi
Oeffmlliche Sifzvng der k. Akademie der Wissenschaften am
28. f<ovember 1862.
Feier des Alleiliöchsten Geburtsfestes Sr. Majestät des Köiiij^^s
Maximilian II. 104
Neu\\ahlen l'~
Einsendungen von Unickschriften November 18Ö2 . 179
,, „ Deccniber ,. . 191
Philnsopliisch-phUologische Classe. Sitz-vng vom 6. Dec. 1862.
Plath: Ueber die häuslichen Verhältnisse der alten (Ihinesen . 201
*A1. J. Müller: a) Ueber die Erzählung von der Doneella Teodor;
b) Ueber den Tod Don Sebastians;
c) Ueber die Pest im 14. Jahrhundert . 248
Mathematisch plu/sikalische Classe. Sitzung r^om 13. Dec. 1862.
Joll^: Ueber Bathonieter und graphische Thermometer (niil
zwei Holzschnitten) 248
Nägeli: Ueber die Reaction von Jod auf Stärkekörner und Zell
menibranen 280
VII
leite
Scilönbein: 1) lieber die Bildung des salpetnchtsauren Am-
moniaks ans Wasser und Luft (Naclitiag) ;{13
2) lieber das oxidirendc Vermögen der Nitrite . 31S
3) lieber das Vorkommen salpetricht- und saipe-
tersaurer Salze in der Pflanzenwelt , . 320
Historische Classe. Sifz-iing vom 20. Dec. iS62
Kunst mann: lieber den Grafen Rapoto (Rasso) von Andeclis,
gestorben 954 • . 334
Ciiesebre« li t : lieber die Kaiserkrönung Karls des Grossen und
ihre Folgen 334
V. H efn cr-A I tt'u eck: Ueber den sogenannten „goldenen Hut"
im Anti(|uariiiin zu München und den
,, goldenen Köcher" im Louvre zuPari.s. 333
Sitzuiigsbericlite
der
kÖnigl. bayer. Akademie der Wissenschaften.
Philosophisch - philologische Classe.
Sitzung vom 3. Mni 1862.
Herr Halm theilte mit:
„Beiträge zur Berichtigung und Ergänzung
der Ciceronischen Fragmente/'
Wenn man liest, was Nobhe über seine Bearbeitung der
Fragmente des Cicero bemerkt : ,,Sedcnt in plurimis adhuc frag-
mentis ed. Ernestianae et Schuelzianae innumera vitia, inde a
Lambini temporibiis fidclilcr Iradila, et, quod vix mireris, nova
quaedam inveleratis illis addila. OuamqU'^'n enim Schuetzius hoc
in genere paullo diiigentius versalus est, quam Ernestius, supe-
riorum commcntalorum Ieg(Mis vestigia : tamen eadem fere vitia,
quae hie admiscrat, dcnuo reliquit. Saepe enim accidit, ut cum
Ernestio falsum auctoris locum indicaret, unde Ciceronis verba
referrcntur, aul quae ad testis orationem pertinent, cum Tullii
verbis coniungeret, aut eliam, quae cohaerent, aliena interponeiido
divelleret et quae sunt huius generis alia" : (s. Ausg. v. Orelli
[1Ö63. n.j i
2 Sitznny der phüos.-philol. Classe vom 3. Mai 1862.
p. 439') SO sollte man meinen, es wäre eigentlich schon alles
zm* Hauptsache abgethan und es bedürfe nur noch einiger
Nachträge und Berichtigungen verderbter Stollen, namentlich bei
solchen Fragmenten, die aus Schrirtstellern entnonnnen sind, von
denen es noch keine kritischen , auf Handschriften begründeten
Auso-aben gibt. Allein trotz der Versicherung Nobbe's fehlt es
noch immer an einer unmittelbar aus den Quellen geschöpften
Bearbeitung der Ciceronischen Fragmente, wie seiner Zeit eine
solche der gelehrte Pole Andreas Patricius, dessen reich-
haltio-en Commentar kein neuerer Bearbeiter gekannt zu haben
scheint, geliefert hat. Nobbe's Autorität hat viel geschadet, weil
man seine Sammlung als eine möglichst vollständige und seine
Angaben als verlässig betrachtete. Dass das nicht der Fall ist,
ergibt sich aus der einzigen Thatsache, dass in der in einem
Band erschienenen Nobbe'schen Gesammtausgabe, die Klotz fast
buchstäblich für die Fragmente hat abdrucken lassen, sogar
starke Rückschritte gegen die Bearbeitung Orelli's unverkennbar
sind der wenigstens das Verdienst hatte bei einigen Schrift-
stellern wenn auch keine Handschriften, doch bessere Ausgaben
zu Grunde zu legen. Die Mängel der bisherigen Bearbeitungen
lassen sich auf folgende Hauptpunkte zurückführen.
1) Ein wesentlicher Mangel in allen bisherigen Samujlungen
ist der dass blos die Fragmente ausgezogen, nicht auch die
Stellen in denen solche vorkommen, im Zusammenhang mitge-
theilt sind. Zum richtigen Verstäudniss eines Fragments ist
häufig von wesentlichem Belange, dass man auch den Grund
weiss, warum eine Stelle von einem Schriftsteller angeführt wird.
Mehr als bei anderen Autoren tritt bei Cicero dieser Mangel zu
Tage, weil man bei einer Benützung der Fragmente immer auf
die Scholiasten zurückgehen muss; wer die von Asconius er-
haltenen Fragmente liest, wird auch wissen wollen, was er über
jedes bemerkt hat, also den Asconius, nicht die Fragmcnten-
(1) Die Citate aus Oiclli beziehen sich auf die erste Ausgabe.
Halm: Ergänt-uny der Ciceronisclien Fi'agmente. 3
saniniliing aufsclilageii, wenn eine solche des Commentars ent-
behrt. Die Coninienlare jedoch des Bobicnsischen Schoh'asten,
(he viele zur Aurkliirung einer Stelle nutzlose rhetorische Be-
nierkungcn enthalten, brauchen nur in Auszügen niitgetheilt zu
werden. Besonders historische Schoben geben hie und da noch
einen weiteren Aufschluss über den Inhalt einer angeführten
Stelle, wovon man in einer Fraginentensammlung wegen des
mangelnden Wortlauts doch nicht wohl einen Gebrauch machen
kann. Auch ist man erst, wenn ein Fragment mit dem Com-
mentar oreireben wird , völlig sicher dass ein wirkliches Cicero-
nisches Fragment vorliegt. Die Orelli'sche Ausgabe hat aus der
Rede de rege Alcxandrino nur 11 Fragmente, die von Nobbe-
Klotz 12. Hinzugekonnncn ist die Stelle Schol. Cic. II, 351:
* * ut bellum gerendum esse censeret qui mentioncm pecuniae
fecerat. Dieses Fragment fehlt jedoch richtig bei Orelli nach
der Mai'schen Ausgabe des Scholiasten. Denn da auf die an-
geführten Worte ein sicheres Fragment des Cicero folgt: „sie
est iusta causa belli, sicuti Crassus conunemoravit cum Juffurtha
fuisse", so müssen die vorausgehenden Worte der Schluss eines
Scholions sein, wozu die belrelTende Stelle des Redners durch
i\e\\ grösseren Defect in der Handschrift verloren gegangen ist.
Es Hessen sich zwar beide Bruchstücke leicht miteinander ver-
binden, wenn man schriebe: ut bellum gerendum esse censeret,
qui mentionem pecuniae fecerat, si esset iusta belli causa, sicuti
Crassus connriemoravit cum Jugurlha fuisse. Allein eine solche
Vermuthung hätte keine grosse Wahrscheinlichkeit, weil die
Anmerkung des Scholiasten , der eine Erklärung über die Ver-
anlassung des Jugurthinischen Kriegs miltheilt, sich nur auf die
letzten Worte ,, sicuti Cras.sus etc.'" bezieht. Für eine solche
historische Erklärung bedurfte es nicht der Anführung eines
längeren Cilals aus Cicero; es genügten zur Anknüpfung einige
wenige Worte vor sicuti Crassus. Bereits in der Orelii'schen
Ausgabe der Scholia Bobiensia sind die besprochenen Worte
unrichtig dem Cicero beigelegt und aus ihr der Fehler in die
Nobbe-Klolz'sche Sammlung übergegangen.
4 Sitzung der philos. philol. Classe vom 3. Mai 1862.
Hätte man den Grundsatz festgehalten, die Fragmente überall
im Zusammenhang mitzulheilen, so halle sich auch mancher
Fehler nicht eingeschlichen oder es wären ofrenbare längst ver-
bessert worden. So liest man unter den Fragmenten der Cor-
neliana das kurze aus Acro zu Hör. Senn. I, 2, 67: ,,aperuit
fores scalarum.'' Die falsche Lesart fores statt forem hätte nie
entstehen können, wenn spätere Herausgeber den Scholiasten
selbst aufgeschlagen hätten , der die Stelle als Beleg für den
Singular von foris anführt. Liest man aus derselben Corneliana
das Fragment : „sed ad urbem dierum fuerit iter complurium^' aus
Arusianus Messius p. 215 Lindem., so kann man mit ihm nichts
anfangen, wohl aber, wenn man den Grund kennt, warum der
Grammatiker die Stelle anführt, nemlich als Beleg für die Structur
abest tot milia. Die nahe liegende Verbesserung gibt Nipp er dey
im Philologus III, 147, die, da Nobbe's letzte Ausgabe 1850
erschien, diesem bereits bekannt sein konnte. In dem Fragment
contra contionem 0 MeteUi ,,Ouaero ab inimicis, sintne haec
investigata comperta patefacta, sublata delata extincta per nie'"
konnte die falsche Lesart delata statt deleta sich unmöglich so
lange in dem Texte erhalten, wenn man den Quintilian ordent-
lich anoresehen oder die ganze Stelle im Zusammenhang milge-
theilt hätte. Denn er bemerkt über die sechs Participia, dass
sie zwei Paare von drei Synonymen bilden: Sunt unius figurae
et mi.xtae quoque et idom et divcrsum significanlia. „Investigata
comperta patefacta'' aliud ostendunt, ,, sublata deleta extincta''
sunt inter se similia, sed non etiam prioribus etc. Die falsche
Lesart delata hat schon Garatoni zu Cic p. Milone §. 103
p. 347 ed. Orelli gerügt.
2) Von den Fragmenten sind die sogenannten Testimonia
durchaus zu scheiden. Jeder wird zustimmen , dass die Mit-
theilung dieser in einer Fragmentensammlung unerlässlich ist,
weil manche Notiz über eine verloren gegangene Rede einen
erwünschten historischen oder rhetorischen Aufschluss enthält.
Fand man sich veranlasst nach blos zufälliger Wahl eine Anzahl
dieser Teslimoiüa mitzulheilen, so mussle man auch auf eine
Halm: Ergänzung der Ciceroniichen Fragmente. 5
vollständige Sammlung bedacht sein ; in den Reden lassen sich
die bisher bekannten Testimonia gewiss um die Hälfte ver-
mehren. Wie nachlässig man in dieser Hinsicht verfahren ist,
davon nur ein Beispiel. Weil man bei Oi'i'ililian ein Fragment
aus der wirklich gehaltenen Rode pro 31ilone aufgefunden zu
haben meinte, so gab man auch die ganz unbedeutende Notiz
aus Oiiintilian IV, 3, 16, nicht aber die sehr wichtige aus As-
conius p. 42 Bait, : Manet autem illa quoque excepta eius
oratio, und aus dem Schol. Bob. p. 276: Exstat* alius praeterea
über actorum pro Milone, in quo omnia interrupta et impolita
et rudia, plena denique maximi crroris agnoscas. Besser ist
man in jenen Roden daran, von denen der fleissige und ge-
wissenhafte Angelo Mai Fragmente aufgefunden und sie mit
Einleitungen herausgegeben hat; doch ist auch ihm zur Rede
de rege Alexandrino die historische Notiz beim Scholiasten des
Lucanus VHI , 518 p. 643 Web. entgangen. Hätte man die
Testimonia ordentlich gesammelt, so würde unter den Tituli
orationum amissarum auch die oratio pro Scauro ambitus reo
erscheinen; die betrcn'ende Notiz bei 0»>ntilian IV, 1, 69, wo
es ausdrücklich heisst: nam bis eundem defcndit, enthält auch
ein neues Zeugniss über die bisher bekannte oratio pro Scauro
repetundarum reo.
3) Ein jeder Herausgeber einer neuen Sammhing von
Fragmenten eines Schriftstellers wird sich bemühen das bisher
bekannte Material zu vermehren; beim Cicero ist es ebenso
nothwendig das vorhandene zu sichten und ungehöriges auszu-
scheiden. Unter den Fragmenten der Corneliana erscheint auch
folgendes aus 0»intilian V, 13, 26: „Obiecta est paulo liberalior
vita." Die Stelle musste schon deshalb Beircmden erregen,
weil Asconius im Eingang seines Arginnentum ausdrücklich sagt:
Cornelius homo non improbus vita habilus est, und am Schlüsse:
cetera vita nihil fecerat quod magno opere improbaretur; allein
('2) So aus der Losart exislat ; die lilslierlfjcn Ausgaben existit.
0 Sitzung der philos. -philol. Classe vom 3. niai 1862.
wie es mit dem fraglichen Fragmente beschaffen ist, ergibt sich
von selbst, wenn man den Quintilian aufschlagt: ut . . . , si acri
et vehemenli fuerit usus oratione (accusator), eandem rem nostris
verbis milioribus proferamus, ul Cicero de Cornelio; codicem
attigit , et protinus cum defciisione, ut si pro luxuriöse di-
ccndum sit: obiecta est pavio libcralior vita. Aus den
Worten des Rhetor selbst ist klar, dass dieser homo luxuriosus
nicht Cornelius gewesen ist. Dass man die Worte doch auf die
Corneliana bezogen hat, geschah wahrscheinlich in Folge einer
falschen Auffassung von protinus. — Aus der Rede pro 0-
Gallio wird folgendes längeres Fragment aus Hieronymus epist.
34 ad Nepotianum de vita cleric. et monach. IV, p. 262 ed.
Bened. angeführt : M. Tullius , in quem pulcherrimum illud elo-
gium est ,,Demoslhenes tibi praeripuit, ne esscs primus orator,
tu illi, ne solus" in oratione pro Gallio quid de favore vulgi et
de imperitis contionibus loqualur attende, ne his fraudibus lu-
daris. Loquor enim quae sum ipse nupor experlus. Unus qui-
dam poeta nominatus, humo perliteratus, cuius sunt illa colloquia
poetarum ac philosophorum, cum facit Euripiden« et Menandrum
inter se et in alio loco Socratem atque Epicurum disserenics,
quorum aetates non annis, sed saeculis scitnus esse disiunctas,
quantos is plausus et clamores movet! Multos enim condiscipulos
habet in theatro, qui simul literas non didicerant. Hier hatte
schon Orelli in den Anmerkungen richtig bemerkt: .,Sane baec
omnia loqnor — — didicernnt Hieronymi sunt, non Tullii'',
liess aber doch die Worte noch im Texte steh(;n. Wiewohl
Hieronymus ausdrücklich sagt: „Loquor enim quae sum ipse
nuper experlus"', so wird dieses Stück der Stelle doch noch
immer unter den Ciceronischen Fragmenten fortgeschleppt Statt
es unter ihnen zu belassen, war es passend die Veranlassung
mitzutheilen, die Hieronymus bestinnnte der Rede zu erwähnen :
Nihil tarn facilc quam picbeculam et indoctam conlioneni linguae
volubilitate decipere, quae quidquid non infellexit plus miratur.
M. Tullius etc.; denn erst, wenn man diese Eingangsworte liest,
wird die Beziehung der Worte ne his fraudibus ludaris klar.
Halm: Evyiinzuny der Ckeroniachen Frat/inente. 7
die man sonst leicht auf das folgende beziehen könnte. — Aus
der wirklich geiiallenen Rede pro Milone wird noch immer als
einziges erhaltenes Fragment die bei Oiiinl'Jia» ^^, 2, 54 als
Beispiel einer unnoicöntjaig niilgelheilte Stelle angeführt: „An
hnius ille legis, quam Clodius a se invcntam gloriatur, men-
tionem faccre ausus esset vivo Milone, non dicam consule? de
noslruin enim onuiium — non audeo tolum dicere", wiewohl
Peyron längst nachgewiesen hat, dass sie in die Lücke der
geschriebenen Rede an den Schluss von cap. 12 gehört. Für
die gewissenhafte Onfllenbennlzung ist die Stelle auch in an-
derer Beziehung belehrend. Sic wird bei Nobbe -Klotz so ab-
gedruckt : An Iivivs ille legis quam Clodius a se inventam
gloriatur etc., woraus man schliessen möchte, dass die Worte
An huius ille legis quam niclit bei Quintilian zu finden, sondern
eine gemachte Ergänzung sind. Diese Herausgeber haben auch
nicht gewusst, dass die Stelle auch von dem Scholiasten zur
interrogalio de aere alieno Milonis angeführt wird, aus dem das
Ouintilianische Fragment, wie jetzt in allen Ausgaben der Milo-
niana zu lesen ist, in folgender Weise zu ergänzen ist: ,,non
audeo tolum dicere. Videte quid ea vitii lex habitura fuerit,
cuius periculosa etiam reprehensio est." So haben wir in den
bislierigen Sammliuigen ein falsches Fragment und dieses noch
dazu unvollstäuflig wegen mangelnder Benützung einer zweiten
Hauplquelle. — Das grösstc Curiosum ist ein neues Fragment,
das Klotz p. 24.3 aus der oratio in toga Candida beibringt : ,,Et
talis Curius p er er ud itus."' Asconius sagt zu seinem letz-
ten Citat aus der Rede p. 95 Bait. : Curius hie notissimus fuit
aleator danuiatusque postea est. In luinc est hendecasyllabus
Caivi elegans: „et talis Curius pererudifus." Weil der hendeca-
syllabus in der Baiter'schen Ausgabe in besonderer Zeile und
mit Cursivschrifl gedruckt ist, ward er zu einem prosaischen
Fragment degradiert.
Ohne die geringste Wahrscheiidichkeit hat Bcier, der für
seine erfolglosen Reslilulionsversuche überallher Material zu-
sammenschleppte, der Scauriana das Fragment bei Quintilian
g Sitzung der philos. - philol. Classe vom 3. Mai 1862.
VIII, 6, 47 vindicierl: ,,Hoc miror enim querorque, quemquam
hominum ita pessum dare alterum [verbis] ' velle , ul eliam na-
vem perforet, in qua ipse naviget." Weil so einmal Beier an-
geordnet hat, steht jetzt die Stelle unter den Fragmenten der
Scauriana, eben so die bekannte von Cicero selbst und von
mehreren Rhetoren angeführte: „Donius tibi deeral? athabebas:
pecunia superabat? at egebas etc.", wiewohl schon langst der
vorsichtige Spaiding zu Quintil. IX, 2, 15 bemerkt hat: Haec
quidem quare orationi pro M. Scauro in fragmentis tribuanlur,
nonduni comperi. — Eine Stelle ist sogar zur Ehre gekommen
zwei verschiedenen Reden zugewiesen zu werden. Den Frag-
menten in Clodium et in Curionem hat Beier nicht ohne Wahr-
scheinlichkeit das Beispiel von der Figur des Chleuasmus bei
Rufinianus de fig. sent. et elocut. c. 2, „quasi vero ego de facie
tua, cafamite, dixerim'' zugewiesen, wiewohl man es vorsich-
tiger unter die fragmenla incertarum orationum aufnehmen
wird Wenn aber Fragmentensamnder das als richtig er-
kennen, so durften sie die Stelle des Rufinianus nicht unter
den Fragmenten der or. pro M. Fundanio in folgender Gestalt
mittheilen: Quasi vero ego de facie tua catamite dixerim
vel alias potuisti contumeliosius facere, si tibi hoc Parmeno
alloqui, ac non ipse Parmeno nuntiasset. Folgte man in
dem einen Punkte Beier, so musste man auch wissen, dass
dieser Gelehrte über die Stelle des Rufiniaiius, an deren Ver-
besserung Ruhnken verzweifelte, richtig bemerkt hat, dass vel
alias Worte des Rhetor sind (vgl. ibid. §. 4 et alias und §. 14
aut alias); es war also, wenn man das erste Citat den Frag-
menten der Scauriana zuwies, bei der Fundaniana blos das
zweite aufzuführen. Die noch immer einer vollständigen Hei-
lung entgegensehende Stelle des Rufinianus ist vielleicht so zu
(3) Dass vcrbis, was im Ambros. I fehl!, ein (ilossem ist, zeigt die
Erklärung des Quintilian, deren Anführung zum riilitigen Verständniss
der Stelle überhaupt nolhwendig ist.
Flalm: Ergänz-viuf der Ciceronischen Fraijmente.
verbessern: Quasi rero cgo de facie ftia , catcunite, dixerim:
vel alias: Pottiistine cimtinucUoshis faccre, si tibi hoc Parmcno
alioqui, ac non ipse Parmcno mitüiassct?
4) Zur Reiiiiguiiff der Fragmente {reliort in einer kritischen
Atisgabe auch die Beseitignng der Beier'schen Ergiinziingen in
den Reden pro Tiiilio, in Clodinin und pro Scauro, deren Lec-
liire neben den» ächten Cicero einen vviderwarligeii Eindrucic
macht und das Verstiindniss des erhaltenen eher stört als för-
dert. Dadurch dass man die vcrsclüedenen Zeichen , die Beier
bei seiner Musivarbeit angewendet hat, zum Theil entfernte, sind
auch Undeutlichlveilen herausgekommen, die leicht, wenn man
nicht auf die Quellen zurückgeht, irre führen können. So liest
man bei Nobbe und Klotz p. 203 aus der Rede in Clod. et
Cur. c. II: ,,Ac vide an facile fieri tu potueris, cum is factus
non sit, cui tu concessisti. Syriam sibi nos extra ordinem poUi-
ceri. [Pseudoasconius. Ouintil. V, 10, §. 92.] ' Nach der ge-
wöhnlichen Citierweise sollte man glauben, das Bruchstück finde
sich so bei beiden Autoren. Es sind aber zwei ganz verschie-
dene Bruchstücke, von denen m;ni nicht absieht, warum sie
gerade hier zusannnengeleimt wurden. Eine Nachlässigkeit ist
hinwiederum, dass das Citat verkehrt steht, indem das erste
Bruchstück von Ouintilian, das zweite vom Schol. Bob. erhallen
ist. Eine zweite Stelle der Art aus derselben Rede hat man
dieser Zusammenschweissung zu lieb sogar gefälscht, p. 206
Klotz: ,,Integritas tua te purgavit, mihi crede: pudor eripuit,
vila ante acta servavit Qualtuor tibi sententias solas ad per-
niciem defin'sse? [Quintil. VIII, 6, 56 et Pseudoasc.]'' Die letz-
ten Worte Ouattuor etc. sind eine indirect angeführte Stelle; um
sie dem Citat aus Oi'i'il'l''»» anzupassen, hat man daraus eine
rhetorische Frage gemacht. Noch schlimmer ist es an einer
dritten Stelle ergangen, pro Vareno n. 7 p. 2ii ed. Klotz:
,,Tum C. Varenus, is qui a familia Anchariana occisus est. —
Hoc quaeso, iudices, diligenter attendile, — [Ouintil. IV, 1, 74
et IX, 2, 56 ]" Bei Nobbe ist die Interpunction : Tum — —
occisus est. (Hoc . . . attendite.) Man wird hier die Klammern
10 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 3. Mai 1862.
bei vorausgehendem Punkt ebenso wenig verstehen, als die
noch schlimmere Klolz'sche Intcrpunclionsweise, bei der man
nach den obigen Beispielen vermulhcn möchte, dass es sich um
zwei von Oni'iUlian an verschiedenen Stellen angeführte Bruch-
stücke handle. Es erwähnt aber Ou''it'l'i'" dieselbe Stelle zwei-
mal ; w ic sie zu interpungieren ist, lehrt ein Blick in den Rhetor.
Er sagt IV, 1, 73: Judices et in narratione nonnumquam et in
argumentis ul atlendant et ut faveant rogamus, quäle est: Tum
C. Vareniis, is qui a famiUa Anchariana occisiis est: — Jioc
(jvaesi, rudices , dilk/enter attenditc. Wir haben also in der
Erzäldung eine kurze digressio (Ouintil. IX, 2, 56), um auf
einen bedeutenden Punkt die Richter besonders aufmerksam zu
machen. Daran wird Niemand denken, der das Bruchstück bei
Nobbe- Klotz liest.
5) Aus nicht benützten Quellen, auch solchen, die bei
Herausgabe der genannten Sammlungen längst vorhanden waren,
lüsst sich einiger Zuwachs, wenn auch kein sehr bedeutender,
an neuem ^lalcrial gewinnen. Ihre Nichtbenutzung ist weniger
befremdend als die unvollständige der wirklich benützten Ouellen.
In der Nobbe'schen Sammlung ist glücklich wieder zur or. in
Clodium das bei Orelli fehlende wörtliche Citat von 8 Zeilen
aus Cic. ep. ad Attic. I, 16, §. 9 nach dem Vorgang von
Patricius hinzugekommen, von dem der Redner selbst sagt: Sed
quid ago? paene orationem in epistolam inclusi. Acht Zeilen
sind doch nicht enie oratio; aber vor diesen 8 Zeilen theilt
Cicero den vorausgegangenen Inhalt der oratio perpelua, die er
ausdrückhch von der auf sie folgenden altercatio scheidet, mit,
und führt dabei eine grössere Stelle indirect an *. Die Aus-
lassung dieser Stelle ist schHmm, aber noch schlimmer, dass
(4) Schon Patricius sagt in seinem Coniinentar: Hacc ibi Cicero, ut
vcliemenler verear, no totum illiul liuc perliiiore vitleatiir al) eo loco,
ne unn plftifd accepta etc. Dass er nicht anch die altercatio als zu
den Fraf^nienten {;ehüri<; crlvannt hat, ist in einer Zeit verzeililich. zu
der die Stücke des Palimpsests noch nicht l)ekannt waren.
Halm: Ergätnuinj der Ciceronischen Fraymente. H
was Cicero ans der allercalio in dem ganzen §.10 niilthcilf,
übergan^ren ist. Denn wir wissen jetzt aus dem Fraijment des
Turiner Pnliiupsests, wie genau diese Relation ist, in der auch
einiges vorkommt, was im I'alimpsest nicht erhalten ist Eine
vom Bübiensischen Siholiaslen unvollständig angeführte Stelle
liisst sich sogar aus dem gemannten §. mit ziemlicher Sicher-
heil ergänzen. Beier konnte hier seinen Nachlretern nicht als
Führer dienen, weil er den ganzen Brief seiner Ausgabe als
Einleitung vorangeschickt hat. — Auch zur or. pro Valinio ist
die Stelle aus Cic. ad fam. I, 9, 19 in den bisherigen Sannii-
lungen nicht vollständig angeführt ; aus der noch hieher ge-
hörigen St(!lle, die von den Worten an ,,Ouod quom'ain tibi
exposui , facilia sinit ea , qnae a me de Vatinio et de Crasso
requiris" anzuführen war, erfährt man ausser den Gründen, die
Cicero zur Vertheidigung bestimmt haben . auch noch dass er
in der Rede seinen früher so bitter verlästerten Feind sogar
gelobt hat, wofür er sich beim Lentulus entschuldigt. — Eine
kleinere Stelle der Art ist ein Fragment aus der Corneliana, das
Boetius de defmilione p. 659 ed. Basil. aufbewahrt hat, in wel-
cher Schrift eine grössere Reihe von Cilaten aus Cicero vor-
kommt. Leider ist dieselbe, wie überhaupt der Text des Boe-
tius noch sehr im argen liegt, in den gedruckten Ausgaben bis
zur Unleserlicbkeit corrumpiert^; ich benutzte für meine Zwecke
eine ausgezeichnete Handschrift saec. X. aus der Münchner
Bibliothek. Das fragliche Fragment lautet nun in der Nobbe-
Klotz'sc hen Ausgabe: ,,'*'g''<^ "^ legebalis , hinc intelligetis nulla
teiiuissima suspicione describi aut significari Cornelium " Orelli
hat doch wenigstens die schlechte Basler Ausgabe aufgeschlagen
und gibt aus ihr drei Worte mehr: Item pro Cornelio : inaie-
(5) So heisst es z. B. p. (iöO Cicero hoc ii-siis est sie: qui pliirimum
liibiiunt edicto . praeter ediitimi, leffeiii animam esse diciint Dass die
Stelle der Verrinen llh. I, § JO'J ijeiiu'int ist, zei};l der cod. Monac. , in
weltliein es richtig heisst: qui pluriitiuin tribuuiit edicto praeloris, cdic-
tuin legem niinuam esse dicunt.
\2^ Sitzuiiff der phitos.-philol. Classe vom 3. Mai 1862-
slalis ipsa sugl ; legite ut legebatis etc. Diese geben freilich
keinen Sinn, aber bei Fragmenten wegzuwerfen, was man nicht
meint brauchen zu können, heisst nicht sie verbessern. Der
iMiinchnor Codex gibt noch ein viertes Wort, aus dein mit ver-
besserter Inlerpunclion zu schreiben ist: item pro Cornelio
inaiestalis: lieplivate; ipsa sinit : Icgite, ut legebatis etc. —
Eine UnvoUstiindigkeit in der Ou^Ucnbeniilzung zeigt sich auch
darin , dass wenn eine Stelle von mehreren Schriflslellern an-
geführt wird, nicht immer alle erwähnt oder benützt sind. Aus
der Rede contra contionem 0- Metelli führt 0»i'itii. IX , 3 , 40
an: „Vestrum iam hie factum deprchenditur , patres conscripti,
non meum, ac pulcherrimum quidem factum, verum, ut dixi,
non meum, sed vestrum." Die Stelle steht auch bei Isidorus
de Origg. II, 21, 8 (und daraus in den Anecdota Parisina ed.
Eckstein p. 15), durch dessen Lesart reprehendo statt depre-
hendilur die einleuchtende Verbesserung von S palding repre-
hendilur bestätigt wird. Das Factum, von dem der Redner
spricht, war die Verurtheilung der neun Häupter der Catilinaii-
schen Verschwörung.
6) Dass man bei so lüderlicher Ausbeutung der Oucllcn
auch den Citaten nicht trauen kann, bedarf kaum einer Erwäh-
nung. Aus der or. de rege Alexandrino lesen wir das Frag-
ment: ,.Di(ricilis ratio belli gerendi, at plena fidei. plena pictatis.
[Aquila c. 14. Forlun. Rhetor. hb. II. in Parlitione et in Hypo-
phoris. Marcianus Capella p. 428 Capp.]*' Einen Forlunatianus
in Partitione et in Hypophoris kann nur ein solcher eitleren, der
diesen Rhetor noch nie in Händen gehabt hat. Abgesehen von
dieser komischen Citationsweise wird Jedermann denken, dass
das fragliche Fragment auch von diesem Rhetor, sei es ein-
oder zweimal, angeführt sei. Beide Stellen, von denen sich
wenigstens eine im Index bei Capperonier finden liess (sie stehen
p. 84 und 80), enthalten keine Spur von dem Fragment, son-
dern gehören zu den von den Herausgebern der Fragmente
nicht mitgetheillen Testimonia für die Rede; wie das irrige
Cilat entstanden ist, zeigt Mai's Vorbemerkung zum Bobiensischen
Halm: Ergänzuny der Ciceronischen Fragmente. 13
Sdioliasten. Eben so gelreu ist auch das daselbst vorkoinmende
falsche Cilal aus Slrabo b'b. VII, 1, §. 13 (statt XVII) in die
Ausgaben von Nobbe und Klotz übergegangen. — Als Ouelle
des ersten Fragments der er. contra contionein 0- Metelli wird
noch in der Ausgabe von Klotz angegeben : Chirii s. Curii For-
tunaliani Artis rheforicae scholicae IIb. III cap. de Figuris con-
troversiarum , wiewohl schon in der ersten Ausgabe von Orelli
das richtige Cilat Auguslini Principia rhet. p. 327 Capper. zu
finden war. Das fehlerhaflc Citat erklärt sich aus dein Um-
stände, dass die sogenaimten Principia rhet. des Augustinus wie
in den allen Ausgaben so in den meisten Handschriften® als
Anhang des in Fragen und Antworten abgefassten rhetorischen
Catechismus des Fortunalianus erscheinen. So fand ich sie in
4 idleren Drucken des F'ortunalianus, in einer Ausgabe s. I. et a.
(circa 1490). in der Aldina vom J. 1523, in einer Basler von 1526
und in der von Erylhraeus besorgten Strassburger Ausg. von
1568, so dass ivh annehmen muss, dass die Schrift des Auguslin
zuerst in der Ausgabe der Anliqui rhetores latini von Pilhoeus
(Paris. 1599) richtig von der nach Form und Gehalt völlig ver-
schiedenen Rhetorik des Furlunalianus getrennt worden ist.
Eben so steht es in den von mir eingesehenen Handschrillen.
In dem Ueperlorium der hiesigen Handschrillen war früher keine
von den Principia rhet. verzeichnet, bis ich sie zuerst in einem
Freisinwer Codex Nr. 206 am Schlüsse eines Fortunalianus fand.
Die einzige Scheidung besteht in der in Mille der Zeile siehen-
den Uebcuschrifl : DE OFFICIO OKATORIS, welche sich auf
den ersten Abschnitt (die Schrift ist in den Handschriften in
11 Capilel abgetheill) bezieht. Eine weitere Untersuchung von
zwei andern Handschriften des Forlunalianus, einer deutschen
aus St. Emmeram in Regensburg, und einer italienischen, die
(6) Mir ist bis jclzt nur eine bekannt, woiclie den Fortunatianus
ohne den Aui^ustinns enthält, neniiich die fiir die römischen Rhctoreii
.so wielitige PariserNr. lo\W; s. die Beseliieibung von H- Keil bei Eckstein,
Anetdota Parisina rhet. |)ag. V.
14 Sitzung der pliitos.-philol. Clause vom 3. Mai 1862.
von der Hand des Petrus Criiiilus geschrieben ist , ergab das
gleiche Resultat. Eben so wenig hat man früher bemerkt, dass
auch in der ohne Zweifel ältesten Handschrift des Fortunalianns,
der berühmten in Uncialen geschriebenen Darmstiidter Nr. 166,
die den Censorinus enthält, am Schlüsse auch der Augustinus
steht, an dessen Ende erst die Subscriptio zum Forlunatianus
folgt: ARS RHETORICA. Uß. Ill EXPLICIT INCPIT DE
DIALECTICA lFb. IUI. Wie Herr Dr. Crccclius, dem ich
eine Cüllation der rhetorischen Schriften des Codex verdanke,
zu August, de dialectica (Elberf. 1857) p. 9 bemerkt, so be-
ruht wohl auf dieser oder auf einer ähnlichen abgeleiteten Hand-
schrift, in der gleichfiiUs des Augustinus Dialektik als viertes
Buch des Fortunatianus erscheint, Columnas Irrthum, der in seiner
Fragmentensammlung des Ennius eine Stelle aus Augustin's
Dialektik so citiert : Fortunatianus de dial., eine Angabe, die auch
in Vahlens Ausgabe übergegangen ist. Da in den mir bisher
bekannten Handschriften der titellosen Principia rhetorica nir-
gends der Name des Augustinus erscheint, so könnte es wohl
der Fall sein , dass er nur dem zufälligen Umstände seine Ent-
stehung verdankt, dass Augustins Dialektik in Handschriften als
viertes Buch an die fragliche rhetorische Schrift gerathen ist.
Da deren völlige Verschiedenheit von dem vorausgehenden For-
tunatianus leicht zu erkennen war, so lag es nahe genug die
herrenlose Schrift gleichfalls dem Augustinus beizulegen.
7) In einer neuen Bearbeitung der Ciceronischen Fragmente
wird man auch eine bisher noch ganz fehlende Sammlung der
Fraffmenta aösannra von Reden in einer besonderen Abthei-
lung erwarten dürfen, da man als sicher voraussetzen darf, dass
die Mehrzahl der bei Rhetoren vorkommenden namenlosen Frag-
mente der Art, die sich nicht aus der Diction als selbstgemachte
erweisen, dem Cicero angehört. Das lässt sich schon aus dem
äusseren Umstände schliessen, dass zahllose bekannte Stellen
aus erhaltenen Ciccronischen Reden ohne Angabe der Quelle
angeführt werden, während kaum ein paar Beispiele aus den
Halm: Ergänzung der Ciceronischen Fragmente. 15
iiberlieferlcn Fraomcntcn anderer Reden sich nachweisen lassen,
die ohne Anoabe des Anlors cilieit wären. So wird z. B. Nie-
rnand leugnen, dass folgendes Fragment hei Oni'ifili'Ti IX, 3, 47
„Perturbalio istuin inenlis et quaedani sceleruin ofTusa caligo et
ardentes furiaruin laces excilarunl" ganz den Geist und die
Sprache des Cicero alhniet. — Die zaidreichen Beispiele, welche
der Rhelor Julius Severianus gibt, sind mit Ausnahme eines
einzigen von Calvus' siimmllich aus Cicero; diesem wird man
auch die zwei Iblgenden namenlosen Bruchslücke zuzuweisen
haben, p. 330 Capp. : „Satisne igitur cernitis, quibus ille merce-
dibus, quibus emolumenlis, quibus praemiis incilaUis ctc.^' und
ebeniiaselbst: „Cum igitur de furto quaereretnr et de co furto,
quod ille sine controversia fecerat, cum ille de eo, quod quae-
rebatur, verbum nulluni l'ecisset*, de veneno stalirn dixit et
reliqua.^^
Nach dieser allgemeinen Erörterung lasse ich nun folgen,
was ich bisher zur Berichtigung und Ergänzung der früheren
b'
Fraonientensannidungen nn'r bemerkt habe.
I. Zu den Fragmenten der Reden.
Or. in Clüdium et Curionem.
In dem 4. Fragment des Bobiensischen Scholiaslen p. 331
Or. hat die Handschrift: ,,Sin esset iudicalum non videri virum
venisse, quo iste venisset." Die Worte enthalten eine Anspie-
lung auf die bekannte Entweihung der sacra Bonae Deae durch
Clodius. Was quo iste veuisset heissen soll, ist unverständlich
und ohne Zweifel ist zu lesen: ,,non videri virum venisse, quom
iste venissel.''
(7) Das Bnulistück ist nach Haiidsclirifteii so zu verbessern: ,,Ho-
iniiU'iii noslrae civitatis audaci.ssiiniiin, de ('actione divitein, sordiduin,
malcciicuni accf/vo." Die Ausgaben des Rlietors liaben acvusato, wo
fiu- schon Ruhnken acciisabo zu lesen vorschlug.
(8) Die Ausgaben unrichtig fecit.
16 Sitzung der pliitos.-j/hilol. Classe vom 3. Mai 1862.
Das nächste Fragment lautet: .,Ut ille iudicio taniquam e
naufraffio nudus eniersit." Da ille offenbar falsch ist und auch
die Präposition nicht erst im zweiten vergleichenden Gliede ein-
treten darf, so hat man zu lesen: „ut illo e iudicio taniquam
e naufragio nudus emersit." Vgl. auch Quintil. VI, 3, 81, der
aus derselben Rede anführt: „quo ex iudicio velut ex incendio
nudus effuoit." Es lässt sich nicht bestimmen, ob das nur ein
ungenaues Citat aus dem Gedächlniss ist oder eine andere Stelle
der Rede; Cicero konnte wohl von der Sache zweimal in ähn-
lichem Bilde sprechen.
In der lückenhaften Stelle des Turiner Palimpsesls c. 4, die
Peyronsogibt:UERUM|TAMENCETERIS |SITlGNOSCERE
. . UERO I I INILLOLOCONULLO MODO | hat man
die Ergänzung versucht: Verum tamen ceteris possit ignoscere,
ei vero, qui villam habeat in illo loco, nullo modo. Die Ergän-
zung possit reicht zur Ausfüllung der Lücke nicht hin, daher
vielleicht facile possit, oder noch lieber, wenn man annehmen
dürfte, dass SIT in d(;r dritten Zeile nicht genau gelesen ist:
verum tamen ceteris [facile se] ait ignoscere. Auch rillam ist
für den Raum ein zu kurzes Wort und wohl ,,ei ucro qui habeat
praediü in illo loco^' zu schreiben, worauf auch die voraus-
gehenden Worte iühren: Non possunt hi mores ferre . . tarn
vehementem magistrum, per quem hominibus maioribus natu ne
in suis quidem praediis impune tunc, cum Romae nihil
agitur, liceat esse valeludinique servire.
Ganz unglücklich ist der bisherige Ergänzungsversuch am
Ende von cap. 4 ausgefallen, wo man liest: „Is me dixit aedi-
ficare, ubi nihil habeo, ibi fuissc. Quo Imodo] enim non [mirerj
alm]entom adversariuni, qui id obiciat , quod vel honeste con-
fileri vel manifesto redargucre possis ?'' Der Palimpsest hat:
HA I BEOIBIFUISSEUU | • ENIMNON |
. . PATENTEMADUERSARI | OVIIDOBICIATQUOD | etc. Ich
habe versucht : Is me dixit acdificare, ubi nihil habeo, ibi fuisse
quio adirc njemini non [licilumst. 0 injpotcntem adversariuni, qui
id obiciat etc.
Halm: Ergänzung der Ciceronischen Fragmente. 17
Cap. 5 hat endlich Orelli in der 2. Ausg. die abscliculiche
Lesart: 0 singuhire prodigium! At, o monslrum! beseitigt und
atque monstruin mit M advig geschrieben. So wird ohne
Zweifel im Palimpsest selbst stelni , nemlich ADO- MONSTRUM,
nicht ADOMONSTRUM.
In dein nicht vollständig von dem Scholiaslen ausgeschrie-
benen Fragment: ,,Onasi ego non confentus sim , quod mihi
qiiinqne et XX iudices crediderunl: qui sequestres abs te locu-
pletes acceperint" scheinen nach acceperiiit blos die Worte tibi
nihil credidornnt zu fehlen. In dem bekamilcn Briefe an Alticus
1, 16, 10 führt Cicero die belrelFende Stelle seiner altercatio
mit folgenden Worten an: Mihi vero, inquam, XXV iudices cre-
diderunl: XXXI, quoniam nummos ante acceperunt, tibi nihil
crediderunt. lieber die sequestres, bei denen die ßestechungs-
sunmien niedergelegt wurden, gibt der Scholiast genügende
Auskunft.
Ueber die unvollständige Anführung der Hauptstelle von
Cic. ad Atlic. I, 16, §. 9 sq. s. oben die Rem. S. 10.
Or. pro Cornelio.
Die Testimonia über die Rede sind ziendich zahlreich; in
den bisherigen Fragmentensamndungen fehlen die meisten, doch
sind drei in der 2. Orellischen Ausgabe hinzugekonnnen. üie
von uns bis jetzt gesammelten stehen bei Plin. epist. I, 20, 8,
Hieronymi epist. 38 ad Pammachium vol. IV, 313 ed. Bened.,
Cic. in Vatin. §. 5, Martianus Capeila lib. V, p. 399 und 435
ed. Kopp, Boelius de defin. p. 654 ed. Bas., Forlunatianus lib.
II p. 86 Capp., Ouintil. V, 11, 25. 13, 18. VI, 5, 10. VIII,
2, 2 sqq. IV, 3, 13 sq. (vgl. auch IX, 2, 55 u. XI, 3, 164),
Julius Victor c. 22 p. 257 Or., Julius Severianus p. 342 Capp.,
Lactantius Inst. div. VI, 2, §. 15. Dazu kommt noch eine Stelle
aus dem unculierten Commenlar des Grillius zu Cic. de Inv. fol.
40'' cod Bamb.: Rursus in Corneliana circnilione (seil, in c.xordio)
usus est, quia erat Cornelii persona vehemontissime oflensa.
Wir beginnen mit den Fragmenten des Asconius, wobei
[lb62. U.J 2
13 Sitzung der phäos.-pliiloi. Classe vom 3. Ittai 1862.
die Miltheilnng einiger Verbesserungen zum Asconius selbst in
dem Umstände gereclitferligl erscheinen wird, dass eine den
Bedürfnissen entsprechende Sammlung der Ciceronischen Frag-
mente auch den vollständigen Commentar des Asconius ent-
halten niuss.
Im Argumentum Asc. heisst es p. 57 Baif.: Cuius re-
lationem repudiavit senatus et decrevit salis factum videri eo
senatus consulto, quod ante annos L. Domitio C. Caelio coss.
factum erat, cum senatus ante pauculos annos illo senatus con-
sulto decrevisset, ne quis Cretensibus pccuniam muluam daret.
Dass bei ante annos etwas fehle, hat man längst erkannt. Die
Ergänzung wird nicht anderswoher zu erholen, sondern aus den
folgenden Worten zu entnehmen sein, die offenbar durch ein
starkes Glossem entstellt sind. Wir verniulhen nemlich, dass
die ganze Stelle so zu lesen sei: ,.satis factum videri eo senatus
consulto. quod ante pauculos annos L. Domitio C. Caeho coss.
factum est, cum senatus decrevisset, ne quis etc.'" Unmittelbar
darauf haben die Handschriften eine Lücke: ,, Cornelius ea re
ofTensus senatni questus est de ea in contione, exhauriri pro-
vincias usuris: providendum ut haberent legati unde praesen-
tia * * darent. Man nimmt gewöhnlich den Ausfall mehrerer
Worte an; vielleicht aber fehlt nur die erste Hallte von darent;
•wir vermuthen nemlich: unde praesentia s upped i tarent.
Das erste Fragment ist in der schlimmen Gestalt überliefert:
„Postulatur a nie praetore primum de pecuniis repetundis. Pro-
spectat videlicet Comenius quid agalur. videlicet homines foeneos
in medium ad tentandum periculum proiectus." Dazu die Er-
klärung des Asconius : ,,Simulacra effigie honunun\ ex foeno
fieri solebant, quibus obiectis ad spectaculum praebendum tauri
irritarentur." In den Worten Ciceros, deren Verbesserung
noch nicht gelungen ist, scheint der Hauptfehler in dem zweiten
videlicet zu stecken: wir haben versucht : Postulatur apud me
praelorem prinnim de pecuniis repetundis. Prospeclat videlicet
Comenius quid agatur: videl homines foeneos in medium ad
tentandum periculum proiectos.
Halm: Ergänzungen der Ciceronischen Fragmente. 19
In den Worten des Asconius „Dictum est etiam supra de
his legibus: quaruni una de libertinorum sufTragiis, quae cum
senatus consulto dainnata esset, ab ipso quoque Manilio t
altera defensa est. altera de bello Mithridalico Cn. Pompeio
extra ordinem mandando etc.'" liest Hot man dem Sinne nach
richtig „ab . . Manilio abiecta est: altera antem defensa est de
bello etc." Der Ueberlieferung jedoch schliesst sich niiher an:
,,ab . . Manilio abiecta est. Defensa est altera de bello etc." '.
Darauf heisst es: Dicit Cicero de dislurbato iudicio Maniliano.
„Aliis ille in illum furorem magnis hominibus auctoribus impul-
sus est etc." Da, wie schon die Stellung lehrt, aliis nicht mit
maofnis hom. auctoribus verbunden werden darf, so ist zu ver-
bessern: „Ab aliis ille . . magnis hominibus auctoribus im-
pulsus est."
In dem Fragment p. 67 „Legem Liciniam et Muciain de
civibus redigundis (regundis cochl.) video constare inter omnes,
quam duo consules, omnium quos vidimus sapienlissimi, tulissent,
non modo inutilem, sed perniciosam rci publicac fuisse" hat
Baiter die handschriftliche Ordnung der Worte wieder herge-
stellt, da man den Relativsatz ,,(iuam . . tulissenl" nach „Lici-
niam et Muciam" umgestellt hatte. Er selbst vermutlict qmün
statt quam ; noch leichter ist es qiiamqumn zu schreiben.
In dem Fragment p 68 „Alterum (genus est), quae lex
lala esse dicatur, ea non videri populum teneri etc." hat E. A.
J. Ahrens (die römischen Volkstribunen Ti. Gracchus etc.
S. 110) richtig contra atispicia vor lata esse aus der Anmer-
kung des Asconius hergestellt.
In dem nächsten Fragment: „Terlium est [de legum abro-
gationibus] , quo de genere persaepe senatus consulta fuerunt,
ut nuper de ipsa lege Calpurnia, cui derogarelur" hat Madvig
die eingeklammerten Worte richtig als Glossem erkannt. Statt
j,sen. consulta fuerunt" schreibt man fiunt; es ist vielmehr /l/r/a
sunt zu lesen.
(8) So jetzt auch Rinkes in der Mneniosyne XI, 187.
2"
20 Sitzung der philos.- philol. Classe vom 3. Mai i862.
Ascon. p. 70 „in hac quidem oratione, quia causa popu-
laris erat . . . paenituisse ait Scipionem , quod passus esset id
fieri, in ea oratione de auruspicum responso, quia in seiiatu lia-
bebatur, . . et magno opere iilum laudat et etc.'' In den W.
in ea oratione steckt ein kleiner Fehler, da entweder ea oder
oratione als überflüssig erscheint; es ist ohne Zweifel zu ver-
bessern: ,,in ea autem de arusp. responso'% wie es gerade so
p. 69 heisst: Et videtiir in hac oratione hunc quidem auctorem
seculus Cicero dixisse . . ., in ea autem, quam post aliquot
annos habuit de aruspicum responso etc.
In den schwer verderbten Worten des Asc. p. 71 sq., wo
die handschriftliche Ueberlieferung lautet : „Et aliquamdiu
Trebellius ea re non perterritus aderat perslabatque in inter-
cessione, quod minitari (damnari codd) magi.s quam persevera-
turum esse Gabinium arbitrabatur, sed postquam VII et X tribus
roo-ationem acceperunt et una mens esset ut modo superat po-
puli iussum, conficeret remisit intercessionem Trebellius" ist viel-
leicht zu schreiben: „sed postquam VII et X tribus rogationem
acceperunt, ut una tantum deesset, ut numero superanle populi
iussiim confieret, remisit intercessionem Trebellius."
In den VV^orten des Asc. p. 72 „eaque res saepe erat agi-
tata saepe omissa, partim propter Sullanarum partium * *, par-
tim quod iniquum videbalur etc. hat man bisher meUim nach
partium ergänzt; leichter erklärt sich der Ausfiill, wenn man
,propter Sullanarum partium uim" schreibt.
In dem Ciceronischen Fragm. p. 73 heisst es vomSisenna:
homo illorum et vita et prudenlia longo dissimilis, sed tamen
nimis in gratificando iure liber, L. Sisenna." Es muss wohl
heissen: „nimis in gratificando iure liberalis."
Das nächste Fragment des Cicero gibt Bailer in folgender
lückenhaften Gestalt: ,,Ouare cum hunc populus Romanus viderel
et cum a tribunis pl. doceretur * * * nisi poena accessisset in
divisores, extinct * * * ullo modo posse, legem hanc Cornelii
flagilabat", weiche Stelle vielleicht so zu verbessern ist: „Quare
cum hunc populus R. videret et cum a tribunis pl. doceretur
Halm: Ergänzung der Ciceronischen Fragmente. 21
idem (als Acciisativ), nisi pocna accessisset in divisorcs, ex-
stingui ambiturn nullo modo posse, legem haue Cornelii
flagitabat."
In den lückenliafton Worten des zweitnächsten Fragments
p. 74, 16 ergänzt Mommsen (Römische Tribus S. 85) passend^
„quasi ignores vulgare nomen esse Philcrotis."
S, 75 führt Asconius ein Fragment mit den Worten ein:
Fiebern ex Maniliana ofTensione victam et domitam dicit: ,,Ante
vestros annos propter illius tribuni pl. temeritatem posse adduci,
ut omnino * * ne illius potestate abalieiiemur etc.", welche
Worte Madvijr mit vieler Wahrscheinlichkeit so verbessert und
ergänzt hat: ,, vestros animos . . posse adduci, ut omnino a
restitutione illius potestatis abalienentur", wobei er bemerkt: in
illo müe quid lateat nescio." Es gehört wahrscheinlich zu den
Worten des Asconius: plebem . . domitam dicit ante, „sagt er
vorher"', d. h. an einer früheren Stelle.
In dem Fragm p. 78 las man bisher: ,,Oui non modo cum
Sulla, verum eliam illo mortuo semper hoc per se sunnnis opi-
bus retinendum putavorunt, inimicissimi C. Cottae fuerunt etc."
Cum vor Sulla, was in ihn Handsohr. fehlt, ist eine verun-
glückte Ergänzung; es ist vielmehr zu schreiben: ,,qui non
modo Sulla uiuo, verum etiam illo mortuo etc."'^
Von den Fragmenten, die von andern Schriftstellern über-
liefert sind, haben wir bereits in der Einleitung mehrere be-
sprochen; s. S. 4. 5. 11.
In dem Fragm. aus Arusianus s. v. certnmen p. 218, wo
man gewöhnlich liest : ,,Onid enim? mihi cerlamen est cum accu-
satore aut contenlio?' hat man die wahrscheinliche Verbesserung
von Patricius ,,Ouod enim mihi certamen est cum accus, aut
contentio?" übersehen.
Von neuen Fragtnenten d('r Cornelianae tragen wir fol-
gende nach :
(9) So jetzt auch Rinkes a. a. 0. p. 190.
22 Sitzung der philos.-phitol. Classe vom 3. Mai 1869.
Ecce insimiatione vstis est (Cicero) per circuitionem in
Conieliana: Si uiiiquam ulla fuit causa, iudices, in quo initio
dicendi finxil sc a diis petere quod a imUcibus poslidabat. Et
quo modo iUud Vcrgilianxnii ,,neque mc Argolica de gente ne-
gabo" , sie et hie: Nam prirnum '" oninium tempore infestissimo
causam dicimus. Grillius ad Cic. de invent. fol. 40" cod.
Bamberg.
Aut a lege aut ab cüiquo ßrmissimo argumenta inchoare
debet orator; sie in Corneliana: Uiide igitur ordiar? an ab
ipsa lege? Grillius fol. 41'*.
Seipio tantus vir, qui prodnctus a tribuno pl. cos dixit
iure caesos videri. Favore nobilitatis hoc fccit , quia et ipsc
ex optimatibus erat, non sicut in Cornelianis Tulliiis : hie mos
iam apud illos anliquos et barbatos fuit ut persequerentur ''
populäres homines. Grillius fol. 16.
,,ExpcUit hoc loco.^" Cic. pro Cornelio I : Satius homiiiem
miserum atque innocentem eripi P. R. '^, expelli patria, divelli a
suis. Arusianus Messius p. 227 Lindem.
„Offendi apud vos."^ Cic. pro Cornelio: Qn\A me apud
equiles Romanos ofTendissedicebanl? Arusianus Messius p. 251.
„Minister an ministrator.^' Ulinister cotidiani negotii vi-
detur esse, ministrator autem vel " administrator in re publica
vel saepius quid faciens. Itaque Cicero oratione secunda pro
Cornelio: quare hominem inpugnare non desinunt nisi remotis
minislratoribus. Valerius Probus de nomine in Analectis
gramm. Endlichcri p. 221.
Zu den Fragmenten scheint auch die Stelle bei Ouinlil. IV,
4, 8 (vgl. Julius Victor p. 238 Or.) zu gehören: Est et nuda
propositio, qualis fere in coniecturalibus: „caedis ago, furtum
(10) primo cod.
(11) persequantur cod.
(12) vielleiciit riclitiger eripi rci publ.
(13) ut cod.
Halm: Ergünrting der Ciceronischen Fragmente. 23
obicio", est ratione suhiecta, ut : Maiestatem ininuit Cornelius;
nain codicem tribunus pl. ipse pro contione legit.
Die beiden Frag-mcnle aus Arusianus fehlen deshalb in den
neueren Sammlungen, weil kein Herausgeber die vollsUindigere
Ausgabe von Lindemann, wiewohl diese schon im J. 1831
erschienen ist, beniifzt hat.
Or. pro 0. Gallio.
Zu den Testimonia der Rede gehört noch die Stelle des
Asconius ad or. in toga cand. p, 88: 0- Gallium, quem postea
reum ambitus defendit, significare videlur.
Das Fragm, 3 ,.qui spurce dictum commemorarent inhbera
civitate" ist ohne die Erklärung des Eugraphius ad Terent.
Eun. H, 2, 4, dass Iwmines saemssimi auch spitrci genannt
wurden , unverständlich , was anzuführen um so unerlässlicher
war, als von einer solchen Bedeutung, die durch den Gegensatz
in libera civitate wohl begründet scheint, in unseren Lexika
nichts zu finden ist. Uebrigens bietet für das Verd(!rbniss der
Handschriften ut Tullius in gallia a qua spurce etc. auch der
kritische Apparat des Herrn Directors Schopen keine Aushilfe.
Im Fraffm. 8 aus dem Rhelor Julius Scverianus haben die
Texte die falsche Lesart: „Similiter pro Gallio, ubi accusator in
se poenas obiecit.'' Die Lesart poenas steht nur in der aus
einer schlechten llandschr. geflossenen Ausgabe von Fruterius
(Antverpen 1584), die leider den Ausgaben von Pithoeus und
Capperonier zur Grundlage gedient hat; die auf besseren Handschr.
beruhenden von CaeUus Scciwdus Curia (Basel 1556) und
Sixfus a Popma (Cöln 1569), so wie zwei von mir benutzte
Handschriften haben richtig pecnnias. Schwierig ist die Ver-
besserung der Lesart in se, die nur in den geringeren Ouellen
steht; meine bessere Handschr. hat dafür tres, woraus vielleicht
reo zu verbessern ist.
lieber das Fragm. 2 s. oben S. 6.
Or. contra contionem 0- Metelli.
Das erste Fragment aus August princ. rhet. lautet in den
24 Sitittng der pialos. -philol. Classe vom 3. Mai 1862.
Ausgaben : .,Sic enim , ul opinor, iiisequar fugientem , qiioniam
concrredi non licet cum resistente." Die den Herausgebern iin-
bekannt gebliebene Vernuithung Madvig's (Opusc. acad. II, 93
not.) sie agom für sie cnim wäre ansprechend, wenn die Hand-
schriften nicht zeigten, dass cnim nicht anzutasten ist. Diese
haben nenilich vor sie enim noch die dunklen Worte: ,,Ubi uis
uel in ipsa consistere'', für die mir eine genügende Verbesserung
nicht beigelallen ist; doch dachte ich an die Lesung: „Ubi vis
tu in ipsa causa consistere?"' Uebrigens ist es merkwürdig, dass
obwohl dieser Zusatz auch in allen oben S. 13 erwähnten älte-
sten Auso-aben des Forlunatianus steht, er doch schon in den
ersten Sammlungen der Ciceronischen Fragmente von Sigonius
und Patricius weffffefallen ist, wiewohl in diesen die Stelle als
aus Fortunatianus citiert wird.
Ueber die Verbesserung der Fragmente 5 und 8 sieh
oben S. 4 und 12.
Interroo-atio de aere alieno Milonis.
Im Fracrm. 7 ,,Sic enim homines egentes et turbarum cupidi
loquebantur: o virum usuum" vermulhet Orelli „o virum sum-
mum", ganz unpassend, wie sich aus der Anmerkung des Sclio-
liasten ergibt: „Rumigerantiumsermonesrettulit, qui cum sumnuun
vigorem constanliae Clodio adscripsissent, quod audacius Pom-
peio repugnaret, post eundem humili salislactione depositum
contcmtui ducerent." Daraus lässt sich vermuthen , dass der
Ausruf wohl eher o virum servmn gelautet habe.
In dem Fragm. III, 2 „Duo praeteristi : nihil de religionibus
violatis, nihil de inceslus slupris queslus es" ist wohl zu lesen:
„nihil de incestis stupris'', wie es in der or. p. Mil. §. 13
heisst: „de illo inccsto stupro."
Die Zahl der Fragmente hat Orelli noch durch das kurze
„vir cautissimus" aus den Schlusswortcn des Scholiaslen ver-
mehrt; man hätte aber doch auch erfahren sollen, wer dieser
vir cautissimus gewesen ist. Die betreffende Stelle des Scholi-
asten, vor der vieles ausgefallen ist, lautet nach unserer Schreibung
Hahn: Ergänzung der Ciceronischen Fragmente. 25
also: ,,Sed hie oratorie vaklo, nc quis exisHiniiret quasi bonum
viriitn iiidicassct Pompeins eiiin , cum quo '* exercere desierit
simullales, invigiiavit Tullius, ut eum virum caulissiinnm diceret,
qui e<c."
Or. pro Oppio.
Orelii hat in der 2. Ausg. ein Fragment mehr als Nobbe-
KIolz, Nr. 13, die Stelle aus 0»i»til. V, 13, 20, die zu den
teslimonia gehört, führt sie aber durch nachlässige Abkürzung
falsch in folgender Gestalt an : („Intuendum an actio sit cru-
delis"): ut in Oppium ex epistola Cottae reum factum. Es heisst
bei Ouintilian: „Eaquc non modo in propositionibus, sed in toto
ffcnere actionis intuenda : an sit crudelis, ut Labieni in Rabirium
lege perduellionis, inhumana , ut Tuberonis Ligarium exulem
accusantis , . „superba, ut in Oppium ex epistola Cottae reum
factum." Dass zwischen einer actio crudelis und a. superba ein
grosser Unterschied obwalte . wird man auch ohm; nähere
Kenntniss der Rhetorik leicht zugeben.
In Fragm 12 hat sich in den neueren Ausgaben die Lesart
,,quorum auxilio freti esse delicremns" eingenistet statt tuti,
wie sowohl die Handschriften als auch die Ausgaben des Se-
verianns in den Rhetores von Pithoeus und Capperonier haben.
Der Fehler stammt auch nicht aus Patricius, der die Stelle als
zu den teslimoniis gehörend im Comnientar beibringt.
Ganz fehlt das Fragm. senati (st. senatus), das Charisius I,
21, 193 p. 143 Keil anführt, und zwar pro Oppio II Es war
um so weniger zu übergehn, als dieses Zeugniss das einzige
von einer oratio secunda pro Oppio ist.
Or. de Othone.
Nachdem das Fragment aus Arusianus p. 223 Lindem., das
nur auf falscher Lesart beruhte, wie zuerst Van der Hoeven
(14) quasi bono uiro iudicasse pompcium cum quo cod*
26 Sitzung der phUos.-philol. Classe vom 3. Mai 1862.
im Spec. litter. de Ariisiano Messio gezeigt hat, ausgeschieden
ward, wird die Rede jetzt nur mehr unter Klanmiern aufgeführt.
Aber mit Wahrscheinlichkeit bezielit sich auf dieselbe die Stelle
des Macrobius Saturn. III, 14, sq.: Nam illam orationem quis est
qui non legerit, in qua populuin Romanum (Cicero) obiurgat
j.quod Rnscio gestum agente tumulluaiit.'' Jedenfalls war die
Stelle unter den Fragmenla incerta nicht zu iibergehn. Die
zwei teslimonia für die Rede aus Cic. ad Attic. II, 1, 3 ,,tertia
oratio (consularis) de Olhone" (vgl auch Plut. v. Cic 13) und
aus Plin. N. Hist. VII, 31, §. IIG ,.te suadente Roscio, thea-
tralis auctori legis, ignoverunt'' konnten schon aus dem Com-
menlar des fleissigen Patricius beigebracht werden.
Or. pro Scauro.
In der lückenhaften Stelle des Argum. Asconii p. 20 Bait.,
die .so überliefert ist: „Post diem autem quartam (quarlum?), quam
postulalus erat Scaurus, Faustus Sulla tum quaestor, filius Sullae
Felicis, fr.iter ex eadem matre Scauri, servus eius vulneratus
prosiluit ex lecticis et questus est pro interempto esse compeli-
toribus Scauri et ambulare cum trecentis armatis. seque, si ne-
cesse esset, vim vi repulsurum" haben wir folgende Ergänzung
versucht: frater . . Scauri, cum servus eius esset vulneratus,
prosiluit ex lectica sua et questus est pro interempto esse re-
hctum a competitoribus Scauri, et ambulare eos cum trecentis etc.
In dem Fragm. p. 21 Bait. „Ab eodom (Servilio Caepione)
etiam lege Varia custos ille rei publicae proditionis est in crimen
vocatus: vexatus a 0- Vario tribuno pl. est non multo ante",
hat man erkannt dass der Schluss nicht ohne Fehler überliefert
sei. Patricius suchte dadurch zu helfen, dass er die Worte „non
multo ante" zur Erklärung des Asconius ziehn wollte. Es er-
scheint aber alles in bester Ordnung, wenn man mit leichter
Aenderung schreibt: „Ab eodem etiam lege Varia custos ille
rei p. proditionis est in crimen vocatus: vexatus a. 0- Vario
trib. pl. erat non multo ante."
In dem Fragment p. 26, das Asconius mit den Worten ein-
Halm : Eryämiing der Ciceronischen Fraymente. 27
führt: .,Dixit dein de Scauro, quem defendil", liest man: ,,Nam
cum ex mullis unus ei reslarel Dolabella paternus inimicus, qui
cum 0- Caepione propinquo suo contra Scaurum patrem suum
obsignaverat literas, cas sibi ininiicilias non susceptas , sed re-
liclas etc.'' Oflenbar ist swiin nach patrem zu streichen, wo-
durch der Satz geradezu sinnlos wird.
Einem Versehen ist es wohl zuzuschreiben, wenn in dem
Fragm. bei Ascon. p. 27 ,,Undique mihi suppcditat quod pro M.
Scauro dicam , quocumque non modo mens , verum eliam oculi
inciderinf^^' nicht längst inciderimt berichtigt worden ist.
In dem Fragm. des ambrosianischen Palimpsosts lieisst es
nach dem lückenhalton Anfang * * litu Aetnam ardere dicunt,
sie Verremoperuissem Sicilia teste tota im Palimpsest: TUüCOP * |
RENDINASTIUM | TESTEPRODUCTO , wofür man gewohnhch
liest: ,.Tu vero comperendinasti reuin teste producto.'' Der
Ueberlieferung scliliesst sich näher die Vermuthungr an: ,,Tu
uero comperendinasti uno teste producto." Wegen des Gegen-
satzes ,. Sicilia teste tota'' erscheint wwo absolut notliweiidig.
Niichzulragen ist die Stelle beim Sclioliasten des Lucanus
I, 427 p. 69 Weber: ,Alvenn a qvodain Troiano vominanhir.
De his Cicero in Scaurinna : , Jnventi sunt qui etiam IVatres
populi Romani vocarentur." Das kurze Bruchstück aus Eugra-
phius ad Tercnt. Heautont. IV, 3, 18, das noch bei Orelli fehlt,
hat Klotz zu §. 45 nachgetragen.
Or. in loga Candida.
Das erste Fragm. lautet: Dico, patres conscripti, snperiore
nocte cuiusdam hominis nobilis et valde in hoc largilionis quaeslu
noli et cogniti domum Catilinam et Antonium cum sequestribus
suis convenisse. An der Lesart noti et cojrniti hat schon Patri-
cius Anstoss genommen, ohne eine; Verbesserung zu versuchen ;
wir vermulhen: in hoc largitionis quaestu docti et cogniti.
Im Conmienlar des Asconius zum 2. Fragm. p. (S4 heisst
es: ,, Catilinam , cum in Sullanis partibus fuisset, crudeliter fe-
cisse, nominatim et postea Cicero dicit, quos occiderit etc.", wo
28 Sitzutiff der pliitos.-philol. Classe vom 3. Mai 1862.
vielleicht zu lesen ist: „Catilinam . . crudeliter fecisse notiiin
satis est; postea Cicero dicit quos occiderit etc." Kurz darauf
ist zu schreiben: ,,Marci autem Mari Gratidiani caput abscisutn
per urbem sua manu CatiÜna tulerat'% statt ,, caput abscissum/'
Weiter unten heisst es: „cum Lucullus id, quod Graeci postu-
labant, decrevisset, appellavit tribunos Antonius iuravitque se
ideo iurare, quod aequo iure uti non posset/' Die Verbesserung
der Worte „iuravitque se . . iurare" ist schwierig; mir fiel bei:
„iuravitque se ideo uocare (sc. tribunos)."
Das 3. Fragm. ist in der schlimmen Gestalt überliefert: „Ne
se iam tum respexit, cum gravissimis vestris decrelis absens
notatus est", worüber Asconius bemerkt: Catilina ex praelura
Africam provinciam obtinuit. Quam cum graviter vexasset, le-
gati Afri in senatu iam tum (wohl etiam tum?) absente illo
questi sunt multaeque graves sententiae in senatu de eo dictae
sunt." In dem Ciceronischen Fraffm. ist wohl zu lesen: Ne
senatum quidem respexit etc. Ueber die Auslassung von
quidem vgl. das gleiche Verderbniss bei Ascon. p. 88, 2.
In dem Fragm. p. 85 ist noch mehreres zu berichtigen. Es
lautet bei Baiter: .,Te tamen, 0 Muci, tam male de populo Ro-
mano existimare molesto fero, qui hesterno die me esse dignum
consulatu negabas. Quid? populus Romanus minus diligenter
sibi constitueret del'ensorem quam tu tibi? Cum tccum He codd.)
furti L. Calenus ageret . me potissimum Ibrtunarum tuarum pa-
tronum esse voluisli. Cuius tu consilium in tua lurpissima causa
delegisfi, hunc honostissimarnm reruuj defcnsorem populus Ro-
manus auctore te repudiaro polest ? nisi forte hoc dicturus es,
quo tempore a L. Caleno furti delatus sis. eo tempore in me
tibi parum auxilii esse vidisse." Wie wir glauben, so ist die
Stelle so zu lesen: „Quid? populus Ro. minus diligentem sibi
constituet defensorem quam tu tibi? . . . Cuius tu auxi-
lium in tua turpissima causa dolegisti, hunc honestissimarum
rerum defensorem populus Ro. auctore te repudiare potest (oder
volet?)? nisi forte hoc dicturus es, quo tempore a L. Caleno furti
delatus sis, eo tempore in me tibi parum auxilii esse visum."
Halm: Eryunzuni/ der Cüeronischen Fraymente. 29
Lückenhaft ist das Fragin. p. 91 : ,,Ouid lu potcs in de-
fensione dicerc, quod Uli non dixcrunt quae tibi dicerc non lice-
jjil/' Wir liaben die Ergänzung versucht: ,,0"id tu poles in
defensione dicerc quod illi non [dixcriiit? At ilh] dixerunl quao
tibi dicere non bcebit/' Cicero erwähnt, wie sich aus Asconius
ergibt, die Verurlheilung mehrerer Vollstreclier der suilanischen
Bhilthatcn; was etwa Calilina zu seiner Vertheidigung beibringen
ivünne, konnten auch diese Verurlheilten sagen, aber auch viel
anderes, was Calilina für sich nicht könne geltend maclien. Vgl.
besonders die Worte des Asconius: „His ergo negat ignotuni
esse, cum et (etiam codd.) imperitos se homines esse et, si
quem etiam interfecissent, imperatori ac diclalori paruisse di-
cerent ac negare quoque possent: Catilinam vero infitiari non
posse."
Pag. 93. ,,Ouid ego, ut involaveris in provinciam, praedicem
cuncto populo clamante ac resistente? Nam ut le illic gesseris
non audeo dicere, quoniam absolulus es." Richtiger scheint:
cuncto populo re clamante et resistente."
In dem Fragm. p. 94, das Asconius mit Agw Worten „dicit
de maus civibus'' einführt , haben die Handschriften : ,,Oui , po-
steaquam illo conati erant Hispaniensi piigiunculo nervös incidere
civium Homanorum, non potuerunt, duas uno tempore conantur
in rem publicam sicas destringere.'' Um eine Construction her-
zustellen, hat man „illo, ut conati eranf' geschrieben; einfacher
scheint es so zu lesen: „Oui posteaquam, quod illo conati
erant Hisp. pugiunculo, nervös incidere civium R. non potuerunt,
duas u. t. conantur etc."
Zu den Fragmenten der or. pro Tullio kommt noch ein
kleines aus Grillius fol. 42 hinzu, wo es heisst: quod facere
lebes, ut docilem facias audilorem, quod fecit in Tulliana: „De
hac re" inquit „iudicabitis."
Or. pro Vareno.
Von den 14 Nummern, die Orelli und Klotz haben, gehören
die drei letzten zu den teslimonia, zu denen noch die Stellen
30 Sitzmig der philos- pht'tol. Ctasse vom 3. Mai 1S62.
hei Onintilian IV, 2, 24 fT. VII, 1, 12 und 2, 22 zu rechnen
sind. Die Stellen desselhen Rhctors VII, 2, 10 (falsch bei Klotz
§. 17) und VII, 2, 36 sind wohl unter Nr. IScitiert, aber nicht
auso-eschrioben, wiewohl sie von der ausgezogenen Stelle VI, 1,
59 dem Inhalt nach verschieden sind.
Frao-mcnt 8 aus Priscianus ist falsch interpunijiert: „h. ille
Sepliniius diceret — eteniin est ad L. Crassi eloquentiam gravis
et vehemens et volubilis — : Erucius hie noster Antoniaster est."
Per Sinn verlangt, wie schon Nipperdey (Ouaestiones Caesar,
p. 173) bemerkt hat, die Intcrpunction : „L. ille Septimius diceret
— etenim est ad L. Crassi eloquentiam gravis et vehemens et
volubilis, Erucius hie noster Antoniaster est — . . ."■ Das rich-
tige Versländniss der Stelle findet sich bereits bei P. Victorius
Var. leclt. XIV, 23. Zu Fragm. 6 führt Orelli wenigstens in
den Noten Gesner's evidente Verbesserung an; bei Nobbe-
Klotz steht folgender Unsinn im Text: „Lege de sicariis com-
nn'sit L. Varenus. Nam C. Varenum occidendo et Cnaeum vul-
nerando et Salarium item occidendo cadit.''
Noch bemerken wir, dass in den Worten des Rhetor Julius
Severianus, der die zwei ersten Fragmente erhalten hat, die
bisherio-e Lesart: cum aut adversariorum calumnias . . memora-
mus, ut pro Vareno: „Amici deficiunt, cognali deserunt." Et
rei aut accusatorum calumnias prodinuis, ut in eodem loco:
„in inimicissima civitate urgent'- etc. aus Handschriften so zu
verbessern ist: cum aut adversariorum calumnias memoranius,
ut pro Vareno, „amioi deficiunt, cognati deserunt et
reliqua", aut accusatorum calumnias prodinuis etc.
Pro P. Vatinio.
Ueber diese Rede war noch anzuführen Ascon. argum. in
or. pro M. Scauro p 18, Cic. epist. ad Qu. frat. II, 16, 3, Val.
Max. IV, 2, 4. Ueber die Hauptstelle aus Cic. cp. ad Fam. I,
9, 19 s. oben S. 11. Uebersehen wurde ein Fragment aus
Onintilian XI, 1, 73, wo es heisst: Decet rem ipsam probare
in qualicumque persona. Dixit Cicero pro Gabinio et P. Vatinio,
Hahn: Ergänzung der Ciceroniichen Fragmente. 31
iiiimicissimis antea sibi honiinibus et in quos oral'ones nliam
scripserat, verum et iiisla sie faciendo: „non sc de ingenii l'ama,
sed de fide esse sollicitum."
Zu den Frasjincnlen der Briefe.
Aus den Briefen ad Axium hat man ein Fiagmoiit bei
Nonius deshalb übersehen, weil im Citat früher unrichtig ad
Allicum gelesen wurde. Die Stelle steht s. v. hnmamter p. 509
Merc. : Ad Axium lib. II: ,,Invilus literas tuas scinderem; ila
sunt humaniter scriptae.'
Zu den Briefen ad C. Caesarem gehört noch Fragm. 8 aus
lib. I ad Caesarem iuniorem , indem die Stelle bei Nonius so
lautet: M. Tullius epistolarum (epistola codd.) ad Caesarem lib. I:
,,ltaque vereor ne ferociorem faciant tu tam praeclara iudicia
telo'^% wofür wahrscheinlich zu schreiben ist: Itaque vereor ne
ferociorem faciant tua tam praeclara iudicia de illo.
In den Fragmenten ad Caesarem iuniorem, in denen meh-
rere Umstellungen durch Zurückführung der in den Handschrif-
ten überlieferten Bücherzahlcn vorzunehmen sind , liest man
Fragm. 13 aus lib. I : „Quod mihi et Philippo vacationem das,
bis gaudeo." Da die Handschr. des Nonius quo mihi haben, so
ist zu lesen: ,,quom mihi et Ph. vacationem das, bis gaudeo/'
In sehr entstelller Form erscheint in den Ausgaben das
Fragm. 4 aus lib. II: ,,cum constet Caesarem Lupercis id vec-
tigal dedisse, qui ante poterat id constare." Die Handschriften
haben conslat und avtem st. ante, wornach zu verbessern sein
wird: ,,cum constaret Caesarem Lupercis id vectigal dedisse.
Qui autem polerat id constarc?"'
Zu dem einzigen Bruchstück aus den Briefen an die Cae-
reUia ist die interessante Notiz bei Ausonius (Idyll, XIII. p. 1252
im Corp. poet. lat. ed. Weber), die Palricius im Commentar
beibringt, nachzutragen: ,,Meminerint eruditi ... in epistolis ad
Caerelliam subesse petulanliam."
Zur richtigen Benrlheilung des Fragments aus den Briefen
an Hirlius, das die Ausgaben unter Nr. 2 ex libro incerto bei-
32 Sitzung der fhilos.-philol. Ctasse vom 3. Mai 1862.
bringen , ist es nolhwendig die ganze Stelle des Nonius in Be-
tracht zu zielin. Sie lautet in der Ausgabe von Gerlach und
Roth p. 296 (437 Merc): Velusliscere et vetuslascere quid
inlersit Nigidius coinnientator graniinalicus lib. X deplanat: ,,di-
cenius quae vetustale deteriora fiuiit velusliscere, i n veter as-
cere quae mebora." M. ad Hirliuni lib VII: ,,cuni enini no-
bililas nihil aliud sit quam cognita virtus , quis in eo , quem
veterascenfem videat ad gloriam, generis anliquilalem desideret?"
In den neueren Ausgaben der Cic. Fragm. (nicht so bei Patri-
cius) ist die Stelle durch falsche Inlerpunctlon (quem veteras-
cenlem videat, ad gloriam generis antiquitalem desideret?) bis
zur Sinnlosigkeit entstellt, indem offenbar die gloriae vetustas
mit der generis antiquitas in Parallele gestellt erscheint ; es wird
aber noch, worauf des Nigidius Worte ,,invelerascere quae me-
liora (fluni)'' hinweisen, zu verbessern sein: ,,quem inveteras-
centem videat ad gloriam", alt wercjen, d. i. zunehmen im
Ruhme.
Zu den Fragmenten aus philosophischen Schriften.
1) Consolatio.
Im Fragm. 3 ,.Sed nescio qui nos teneat error aut misera-
bihs ignoratio veri" aus Lactantii div. instit. hat ein vorzüglicher
Codex aus St. Emmeram (Cod. lat. Mon. 14619), der nur das
dritte Buch enthält, richtig oc statt avt, wie- auch in den Aus-
gaben des Lactantius bei einer nochmaligen Anführung gedruckt
ist. Es heisst nemlich III, 18. welche Stelle unter Fragm. 1
imvollsljindig angeführt wird: „Quid Ciceroni faciemus? Qui cum
in principio consolationis suae dixisset luendorum scelerum causa
nasci homines, iteravit id ipsum postea, quasi obiurgans eum,
qui vitam non esse poenam putet. Rede ergo praefatus'^ est
errore ac miserabili veritatis ignoratione se teneri.
Fragm. 2 aus Lactant. III, 19, wo die Ausgaben haben:
(15) so richtig der cod. Eininer. ; die Ausgaben profatus.
Halm: Eryäntung der Ciceronisthen Fraymente. 33
„Non nasci longo Optimum . . , proximum autem , si nafiis sis,
(liiain priinum inori et lamquam ex incendio efTugere violentiam
lorlunae" hat dieselbe Haiidsohrift die stark abweichende, aber
beachtcnswerthe Lesart : ,,qiiam primum tamquam ex incendio
fiigere (aus aufuoere?) fortunae." Die gleiche Lesart erwähnt
auch Palricius im Connnentar.
Im Fragm. 5 aus Lact. I, 15, das gleichfalls mit ungenü-
gender Vollsliindigkeit angeführt wird, waren wenigstens noch
die Worte mitzulheilen : ,,TuIlius . . in eo libro, quo se ipse de
inorle filiae consolalus est, non dubilavit diccre deos, qui publice
colerenlur, homincs liiisse."'
Als letztes Fragment steht in den Ausgaben folgende Stelle
des Hieronynuis : Pulvillus Capitolium dedicans, mortuum ut
nuntiabatur subito filium, se iussit absente sepeliri. L. Paullus
Septem diebus inter duorum exsequias fdiorum triumphans urbem
ingressus est. Praetermillo Maximos, Catones, Gallos, Pisones,
Brulos, Scacvolas, Metellos, Scauros, Marcios, Crassos, Marcellos
atque Aufidios, quorum non minor in luclu quam in bcllis virtus
fuit et quorun» orbitales in consolatlonis libro Tuilius explicavit.''
Die Stelle lehrt, dass das ganze Capitel bei Valerius Maximus
V, 10 ,,De parentibus, ([ui obitum liberorum forti animo tulerunt"
aus der Consolatio entnommen ist; denn auch Valerius beginnt
in den domestica exempla mit Horatius Pulvillus; als letztes gibt
er die Geschichte von 0- Marcius Rex. Vgl. auch Cic. Tuscul. III,
%. 70. Dass auch die drei exempla externa vom Perikles,
Xenophon und Anaxagoras in der Consolatio vorkamen, lässt
sich aus dem Umstände schliessen , dass die zwei letzten auch
in Plutarch's Consol. ad Apollonium stehn, der ganz aufCrantor,
der Om'llL' Ciceros, fusst, und dass der Ausspruch des Anaxa-
goras auch in den Tusculani'u III, §. 58 wiederholt erscheint.
Man wird also künftighin dieses Capitel des Valerius Maximus
in Cursivschril't den Bruchslücken der Consolatio einzuverleiben
haben.
Dass auch die Erziihlung vom Silenus aus der Schrift des
Crantor in der Consolatio vorkam (s. Plut, cons. c. 27 und Cic
liöb-i. n.j 3
34 Sitzung der philos.-jihiloL Classe vom S. Mai 1862.
Tuscul. I, §.114), deutet schon Orelli zu Fragm. 2 an, das
von folgender Stelle an auszuziehen war (Lact. c. 19): Damnant
igitur vitain oinnem plenamque nihil aliud quam nialis opinantur.
Hinc nala est inepta illa sententia, hanc esse mortem quam nos
vilam pulemus, dlam vitam quam nos pro morte timeamus: ita
primum bonum esse non nasci, secundum citius niori : quae , ut
maioris sit aucloritalis, Sileno altrihuilur. Cicoro in Consola-
tione etc. Eben so wird man annehmen dürfen, dass die in den
Tusculanen unmiltclbar folgende Erziddung vom Elysias, wobei
es ausdrücklich luMSst: ,.simile quid dam est in consolatione
Crantoris" (vgl. Plut. cuns. c 14) nur eine Wiederholung aus
Ciceros eigener Trostschrift ist.
Mit Wahrscheiidichkeit vindiciert Fr. Schneider der Con-
solatio die Stelle bei Seneca de tranquill, animi c. 11: Gladia-
tores, ut ait Cicero, invisos habemus. si omni modo vitam im-
petrare cupiunt, favennis, si contemplum eins prae se ferunt" '^,
da Cicero sich in gleicher Weise über dieselbe Sache auch
Tuscul. II, c. 17 äussert. Wir stelhni daliin auch das in dm
bisherigen Sannidungen noch gänzliih fehlentle Fragment bei
Phicidus Lactaiitius ad Statu Theb.. 1 , 30G, das in der Ausgabe
von Lindenbrog so lautet: „Hoc Her iure tain coniragosum
putamus, vilam picnam esse iniuriarum ac miseriarum et laborum."
Garatoni Iheilt es in seinem handschrifllichen iXachlass aus
einem codex Barbcrinus in bedeutend verbesserter Gestalt so
mit: „Hot; iler vilae tam confragosum pulanms, tarn plenum in-
iuriarum ac nnseriarun« alqne laborum." Vgl. die Bemerkung
bei August, de civit. dei Xl.X, 4: ,,Ouis enim suificit quantovis
eloquentiae flumine vilae huius miserias explicare? quam lamen-
tatus est Cicero in consolatione de morte fdiae, sicut potuit.
Eine Anspielung auf die Bücher de gloria, aus denen sich
nur ein paar Bruchstücke erhalten haben, findet Crecelius mit
(tu) Die Stelle stellt in den Au.snjahen liei den Frasm. incerla
p. .'>7S ed I Oiell , p. \\\:^ Klotz, aher liiderliilier NYei.se i.st die zweite
Hälfte favenius, si coiitenipluni eius prae sc ferutit übergangen.
Ilrtliii: Ergunxuny der Ciceronischen Fi aymente. 53
Rücksicht auf Fnigni. 1 aus Feslus in den Worten von Augu-
slini (lifiloctica (p 9 ed. Crecelii) : ,.Stoici aulumant, quos Cicero
in hac re ul f Cicero '" inridet, nulluni esse verbuin, cuius non
certa explicari origo possit."
2) Hortensius.
Fragm. 12 aus Nonius p. 315. ,,Unde aut agendum aul ad
dicendnin copia depronii maior gravissinioruni exeniploruin quasi
incorruptornni teslimoniorunj polest?'* Dass aul — aul hier nicht
am Orte ist, haben rnehiere Kritiker erkannt; es wird jedoch
das erste mit niclit zu tilg(Mi, sondern in autcm zu verbessern
sein, wie es gerade so Fragni. 11 heisst : „Unde aulem facih'us
quam ex annalium monumenlis aut bcllicae res aut onniis rei
pubhcae discipiina cognoscetur?"'
Fragm. 17 aus Laclantius div. inst. HI, IG wird nicht voll-
ständig angeführt; man hat die vorausgehenden Worte über-
sehen: Ciceronis Horlensius contra [ihilosophiani disserens cir-
cumvenitur arguta conclusione qiiod ,,cum diceret philosophan-
(inm non esse*', nihilo minus pliilosophari videbatur, quoniam
philosophi est (esset cod. Enimer.), quid in vita faciendum vel
non faciendum sit disputare. Schreibt man nnl dem cod. Enuner.
esset, so gehören auch noch die Worte ,,quoin'am etc.'' zu denen
aus dem Hortensius.
Zu Fragm. 24 aus Nonius p. 2(Si, wo man liest: ,,quanlum
inter se homini's studiis (sludentes codd.) , moribus, omni vitae
ratione dilTerant'' ist die auch den Herausoebern des Nonius
unbekannt geblieb(Mie Verbesserung von Patricius beachtens-
wcrlh : quantum inier se homines dissidentcs moribus omni
vitae ratione diffc^rant.
In dem unvollstündigen Fragm. 25 aus Nonius p. 155 ,,his
contrarius Aristo Chius, praefractus, ferreus, nihil bonum nisi
quod rectum et honestum est . ., verlangt der Gedanke: „nisi
quod rectum et honestum esset [contendebal]."
(17) vielleicht: ut ineptos inridet.
36 Sitzung der philov -pln'lol. Classe vom 3 Mai iS62.
Dass Fragm. 29 aus Lactant. III, 16 mit grösserer Wahr-
scheinlichkeit dem Hortensius als den Bücliern de re publica,
wohin es An gel o Mai gestellt hat, zugeschrieben wird, lässt
sich theils aus dem Umstand abnehmen dass in demselben Capitel
noch zweimal der Hortensius cltiert wird , Iheils zeigt es der
ähnliche Inhalt von Fragm. 8 aus Nonius „praecipiunt haec isti,
set facit nemo'^: denn in dem grösseren Theil des Capitels
spricht Lactantius gegen jene Philosophen, „qui docent tanlum
nee faciunt-', wiihrend doch alle Weisheit nichtig und falsch
sei, nisi in aliquo aclu fuerit, quo vim suam e.xerceat." Die
Stelle selbst, in der Lactantius den Cicero wörtlich anführt, lässt
sich aus unserer Emmeramer Handschrift wesentlich verbessern :
Profecto onnn's istorum dispulatio , quamquam uberrimos fontes
virtutis et scientiae continet (contineat edd.), tarnen collata cum
eorum (herum edd.) actis perfeclisque rebus vereor ne non
tantum videatur atlulisse negotii hominibus quanlam oblecta-
tionem.'' Den letzten Satz geben die Ausgaben in der starken
Interpolation: ,,ne non lanlum videatur atlulisse negotiis homi-
num utilitatis quantum obleclationem quandam olii."
Fragm. o7 aus August, de Trinil. AIV, i) haben zwei gute
von mir benutzte Handschriften die grammatisch richtigere Form:
„Si nobis, inquit (Cicero), cum ex hac vila migrassemus (emi-
graverimus edd.), in beatorum insulis innnortale aevum . . .
degere liceret, quid opus esset eloquentia etc."
Fraam. 39, wo die Ilandschr. des Nonius haben: Aptum
conexum et colligatum significat. M. Tullius in Hortensio :
„altera est nexa cum superioribus et inde aptaeque pendens"
dürfte statt der Conjeclur el inde apte pendens folgende grössere
Wahrscheinlichkeit haben: et inde apia atque pendens.
Das sehr dunkle Fragm. 63 aus Nonius p. 22 ,,ad iuveni-
lem lubidinem copia voluptatum gliscit illa ul ignis oleo" erhält
Licht durch den Scharfsinn von Patricius, der nach hihidinem
interpungiert und die Worte ad hwcuilctn Jubidi/icm einem vor-
heratihenden Salze zutheilt, den Nonius in seiner bekannten
kopflosen Weise nicht vollständig ausgeschrieben hat. So er-
Halm: Eryäm-untj der Ciceronischen Frof/mente. 37
hallen wir für das folgende den trefTliclicn Gedaid<oii: Durch
Fülle von Vergnügungen wächst die jugendliche Genufssucht
wie Feuer durch Gel.
Weil sich die neueren Herausgeber um den Commentar
des gelehrlen Palricius nicht bekümmert haben, wurde in der
Ordnunff der Fragmente, die bei Orelli nach Patricius Nr. 65 — 69
noch die richtige ist, von Nobbe und Klotz ein schwerer Ver-
stoss begangen. Es zeigt nemlich das Fragm. 65 aus August,
de vila beata c. 26, dass im Hortensius auch von dem glück-
lichen Wohlleber C. Sergius Grata die Rede war. Diese
Notiz hat Patricius sehr geschickt dazu benützt, um den Frag-
menten bei Nonius ,, Primus balneola suspendit, inclusit pisces"
(Nr. 66 bei Grelli), „sollertiamque eam quae posset vel in le-
gulis Proseminare ostreas'' (Nr. 68 Gr ) und „vixit ad summam
senectulem optima valetudine'' (Nr. 69 Gr) die richtige Stelle
anzuweisen, wie sich für die zwei ersten Stellen ganz evident
aus Valerius Maximus IX, 1, 1 ergibt, wo es vom Sergius Grata
heisst: C. Sergius Grata pensilia balinea primus facere in-
slituit — peculiaria sibi maria excogilavit, . . piscium di-
versos greges separatis molibus includendo und Namque ea
(sc. ostrea) si inde (sc. ex lacu) petere non licuisset, in te-
gulis reperturum. Die Aehnlichkeit dieser Stellen ist so
schlagend, dass man in einer künftigen Fragmentensammhmg
die längere Stelle des Valerius Maximus wird aufnehmen müssen,
jedoch in cursiver Schrift, weil der Wortlaut des Cicero nicht
verbürgt werden kann Bei Nobbe- Klotz haben die betreffen-
den Fragmente die Nummern 6, 7, 10, 11 und 59, so dass alles
zusanunengehörige auscinandergerissen erscheint; die Fragm 6
und 7 (primus balneola suspendit, inclusit pisces etc.) sind fälsch-
lich auf L. Lucullus bezogen. Von einer fleissigen Benützung
des Hortensius durch Valerius Maximus zeugt auch das Frag-
ment 85 aus August, contra Jul. Pelag., wo die Stelle von der
ausgesuchten Grausamkeit der Etrusker fast wörtlich bei Val.
Max. IX, 2, Ext. 10 wiederholt erscheint. Mit einiger Wahr-
scheinhchkeit wird man auch annehmen dürfen, dass Valerius
38 Sitzung der philos. - philot. Classe vom 3. Mai 1862.
Maximus auch die bekannte Geschichte vom Philosophen Polemo
VI, 9, Ext. 1, auf die sich vielleicht das kurze Fragm. 80 bei
Nonius ,,ponendae sunt fidcs et tibiae* bezieht, aus Cicero's
Hortensius entnommen hat. Denn die Geschichte erwähnt auch
Augustinus in der Schrift contra Jul. ?ehg. I, 12, die so viele
Reminiscenzen aus dem Hortensius aufweist.
Zu Fragm. 71 aus August, c. Jul. Pelag. IV, c. 14 gehört
auch die Stelle aus derselben Schrift V, c. 33 p 646 ed. ßened.,
die noch einen Zusatz zu den Worten .,An vero voluptates
corporis expetendae, quae vere et graviter a Piatone diclae
sunt illecebrae esse atque escae malorunr* enthält, indem es
heisst : ,,non surdo corde illud audires, quod voluptates illecebras
atque escas malorum et vitiosam partem animi dixerunt (philo-
sophi) esse libidinem." Auch war nicht zu übergehn, dass
Fragm. 71 von den Worten ,.cuius niotus" bis ..omnino quid-
quam potest" in derselben Schrift V, 42 p. 650 Bened. wieder-
holt wird. Auch an dieser Stelle hat die Benedictiner Ausgabe
„attendere animo, inire rationcm'S nicht ,,attendere animum,
inire rationes", wie in den Ausgaben der Ciceronischen Frag-
mente gelesen wird.
In dem in sehr schlimmer Gestalt überlieferten Fragm. 74,
wo die Handschr. des Nonius haben: Noxa et noxia haue
habent diversitalem, quod est noxa peccatum leve, noxia no-
centia. M. Tullius in Hortensie: ,,et ceteras quidem res, in
quibus peccata non maxume adferunt noxias. tamen inscii nnat-
attingunt", haben wir versucht: ,,et ceteras q. res, in quibus
peccata non maxumas adferunt noxias, tantum inscii non altin-
gunt.'' Bei so kurzen Fragmenten hat freilich die Phantasie ein
eben so weites als unfruchtbares Feld
Fragm. 79 haben die Handschr. des Nonius lückenhaft:
Acrem'* austerum acerbum asperum. M. Tullius in Hor-
tensie: „quod alterius Ingenium sicut acetum Aegyptium, alterius
(18) Bs ist zu schreiben acre seil, sigiiificat, wie es vorher heisst:
Acre significat celer, velox.
Halm: Kryäm-nny der Ciceronischen Frof/mente. 3d
SIC acre ut «nel Hytueltiiini diciimis." In den Ausgaben ist er-
giinzl: irigeniuin sie dulco, ut accium Aogyptiuin. 3IcUi sollte
eher das Geoonllioil (Mvvarlen : sie aciduiii ut .icotinn Acor."
Aus den Scliriflen des Augusliiuis hat z>vci neue Fraomente
des Horlonsius Kr i sehe (Ucber Cieero's Akademika S. 29 und
31) aus dessen Büchern contra Aeadecimos naehaewiesen , ein
drittes grosseres Creeelius aus der dem Augustinus zuge-
schriebenen Schrift de dialeclica c. 9; s. Jahrb. f. Philol. und
Paed. (1857) 75 , 79. Ucbersclien lial man auch einen in-
teressanten Ausspruch Cieero's bei August, e. Julian. Pelag. IV,
c. 76. der wahrscheinliel», da (h"es(; Schrift so manche Citate
aus dem Horlensius enthalt, in diesem Dialog zu lesen war.
Es heisst nemlich: ,.(juos (die Äloralphilosoplien) Cicero propler
ipsam honestalem consulares philosophos nuncupavit."
Der Liber iocnlaris oder die Facete (bcta lassen sieh be-
sonders aus den Briefen Ciceros noch beträehllich vermehren j
aus andern Schriftstellern haben wir noch bemerkt :
De hoc (Mario) quid amplivs rcqvirahir ignoro, nisi
fjvod evm insi(jniorem brcrissimuin fcrit iniperivin. I\am ut
consul nie, qvi sex pomcridiiuns horis consvlalum svffechis
tcmiit, a HI. Tnliio tali aspcrsns est ioco: Consulem habuimus
tarn severum tamque censorium, ut in eius magistratu nemo
dormierit: de hoc eliam dici posse videtiir, qvi una die factus
est imperator , alia die risus est imperare , tertiit interemptus
est. Trebellius Pollio in XXX tyrannis, VII de Mario p. 187
Salm. Vgl. b.i Klolz p. 298 Nr. 21 und 24.
quod queol A coqvendo sumpsit rrctgö/nninr. Sic et
infra: „sedido vuynco qvue possum pro mca sapientia.^' Et
Ciceronis dictum refertur in evm. qvi coqui filivs secum causas
ogebat: Tu quoque aderas causae. Natn apvd vcteres ,,coquus^'
non per c literatn, sed per q scribcbatur. Donatus ad Terent.
Adolph. III. 3, 69. Vgl. den ähnlichen Scherz bei Ouintil. VI,
2, 47 (Klotz p. 296 Nr. 8).
40 Sitzuiiff der philos.-philol. CUisse vom 3. Mai 1S62.
Um andere Kleinigkeiten zu übergehen, rügen wir noch
einige Fragmente bei, die wir bis jetzt weder in den erhaltenen
Schriften Ciceros noch in den bisherigen Fraanientensainndunaen
gefunden haben.
„DociUs'\- (loctiis; lutis doctoris a (Uscipvlo, iuxla hoc
qtiod Hl. TiiJlius Cicero in rhctoricis dixit : artium magistros
adferre iaiidem sive viliiperalionem discipulis, rursiis discipulos
magistris. Acro ad Horat. carm. III, 11, 1.
Afexcresis est laline exceptio , qvando oliqtiid a generali
complexione distingniiniif;, qnalis est illa exceptio Ciceronis:
minus me commovil hominis summa auctoritas in hoc uno ge-
nere dumtaxat; nam in ceteris egregie commovit. Anecdota
Parisina ed. Eckstein p. 4.
Synchoresis est concessio rei olicuius, vf apud Vergilinm :
„esto: Cassandrae inpnJsus fiiriis."' Cicero: do tibi hoc,
concedo tibi et remitto. Ibidem p. 6.
Lndi dcornm sunt. Cicero: Cum a Uulis contioiiem advo-
cavit, Cerealia, Floraiia ludosque Apoliinis deorum immortahum
esse, non nostros. Arusianus Messius p. 245 Lind.
Deflexit de proposito. Cic Philipp. XVI: Laterensis ne
vesligium quidcm deflexit... Ibid. p. 225.
Disceptata Hs est. Cic. Philipp. XM: non est illa dissensio
disceptata hello. Ibid. p. 225.
Doleo vicetn tuam , id est, propter te doleo. Cicero de
domo: rei publicae viccm lugeo (doleo?) Ibid. p. 222.
Die erste dieser vier Stellen aus Arusianus, für die wir
eine befrieditrende Verbesseruntj nicht wissen, fehlt in den bis-
herigen Sannnlungen'% weil sie erst in der unbenutzt geblie-
benen Ausgabe von Lindemann hinzugckonnnen ist; in den drei
übrigen ist das Citat fehlerhaft.
Übt geniinata u litera nominnfinis est, nomen est, non
participittm, vt „fatutis , ingentius, ardnus, cardtius, exiguus,
(19) Nr. 2 und 3 ist in der 2. Orellisclien Ausgabe nacligetragen.
Halm : Eryänz-ting der Ciceronhchen Fraymente. 41
holuus", vt Cicero dixit. Augustinus de graiiimal. p. 2002
Putsch
Euphonia, id est svaritas bene sonandi, adm'tssa est ad
Latinum scniwnein, vt aspera temperet, et ab arte et ratione^°
reccsstim est, iibi aspcrifas o/fendebat auditum. Sic Cicero ait:
iiiipetraluin est a raliono, ut peccaro suavilatis causa licerel.
Ibid. p. 2007
Item in illo exemplo, cum qnaeritnr qnid sint inimicitiae,
dicimus inimicum esse enm qni aliquid molitus sit, liac Cicero
coHatione vtens dicit iiiiiiiicuin, qui facit contra omnium rem,
voluntatoni, honoroni , dignitatcm. Boelius de drfinilione
p. Gr)0 ed Basil.
In nnmosijUabis inspiciendum est, ntnim ßnalis longa bre-
visne sit. Si enim longa est, praeire debet tr och actis, ut est illnd
Ciceronis''^ : ,.nün scripta sed naia lex", aut ,, debet esse legum
•n re publica prima vox.' Martianus Cape IIa V, §. 520.
p. 447 Kopp
Kaum ist den Fragmenten boizurechneii folgende Stelle des-
selben Rhetors V, §. 508: Cnius (elocutionis) Cicero duo quasi
fundamenta . duo dicit esse lastigia. Fundamenta sunt latineque
(latine?) loqui planeque dicere.., fasligia vero sunt copiose
ornaleque dicere. Vgl. Cic, de orat. I, 32, 144. Dass sich Cicero
selbst des Ausdrucks lastigia elocutionis bedient habe, erscheint
höchst zweilelhalt.
Fretu: Cicero a Gaditano , irupiit , frelu. Charisius
p. 129 Keil.
Irim pro Iridem Maro Aen. Villi.. , cum constet omnia
Graecae ßgurae nominativo singviari is syllaba trrminata
genetivo singulare syllaba crescere , licet Varro et Tidlius et
Cincius . . huius Serapis et huius Isis dixerivt. Ibid. p. 132.
Unsicher ist die Stelle des Charisius p. 210: „Ileres parens
ho7HO^' , etsi in com,mvni sexu inlellcgantur, tarnen masculino
(20) et ratione 2 codd. Monacc.: ex ralioiie v.
{•II) p. Mil. c. i.
42 Sitzuiuj der philos.-philol. Classc vom 3. Mai 1862.
gcnere semper dicuntur. Nemo enim seaindam hercdcm dicit . . .,
sed mascvline, tavictsi de feniitia sermo habealnr. Nam Marcus
ait: liorodos ipsiis seciiiidus, welche letzten Worte vielleicht so
zu verhesseiii sind: heres ipsa secuiidus.
„Manet tc"' , ut Vergilivs . . . idcm tarnen ,,haec eadem
matrique ttiac generiqve manebnnV^ Cicero : tibi poena nianet.
Dioiiiedes p. 314 Keil. Der Name Cicero, wofür die übrigen
Handschr. cetero haben, wurde erst von Keil aus dem cod.
Monac. hergestellt. Vgl jedoch die Addeuda bei Keil S. 610.
TuJUiis hoc modo eam (artem) definit: Ars est perceptionum
exercitalarnin constructio ad unum exitum utilem vitae perli-
nenlium. ttiomedes p. 421 Keil.
Quom illa, qvae nunc in mc iviqna est, aequa de ine
dixcril.] jjiiiqiia aequa'"' naQovnftaoLu sunt Terenlianae. Et
bonum ar(jutnentvm; nam . . inquit et Cicero : Te ipso teste
iniquo alque improbo, verum ad hanc rem satis idoneo, le, in-
qu.im, teste dicanj. Donatus ad Terent Hec. IH. 5, 25.
Crimen proprie dicitur id quod falsum est. Cicero:
Verum tarnen fac, tametsi criminosum id est , id est falsa in-
simulalio est^^. Idem ad Terent. Hec V, 2, 13.
Quod si omnes onmia sua consilia conferant] Hyperbole
cum paronomosia „omnes omnia"' Ilinc Cicero : omnes in hoc
iudicio conferant omnia. Idem ad Ter. Adelph. IH, 2, 1.
Vides ergo falsam inteUegentiom et penitus veritatem sub-
nhersam. Unde illud in Pisonem : putavi gravem : video adnl-
terutn, video ganeonem. Grillius ad Cic. de invent fol. 20.
Ea enim quae inventa fuerint non debent confuse dici,
sed suo quoque componi ordine. unde ipse: meque meum di-
cendi ordinem servare patianu'ni. Idem fol. 22.
Moralis argumcntatio de natura hominum vel morum con-
{Ti) Viciieidit i.st zu scl)ii'il)cn: „Verum tanicii fac, tametsi crimi-
nosum, i(i est TaUa insimuliitio est", so dass die ganze Stelle dem Cicero
angcliürte.
Halm: Eryäm-tiny der Cicerouischen Fraymente. 43
suchidivc (lucilur, nt Cicero : liic ego dubileiii in eaiii disputa-
lionein ingnnli, qiiiic ducaliir (\\ natura honiinuin alquo onniiuni
sensibus?'' et ofnnia qnae scquuntur. Julins Scverianus
p. 342 Cajiper. (liic — — ingredi l'iilirt auch Grillius
Ibl. 10 an)^\
Ihmiiiiatio gcncf'is fcminhn, nt plcniniquc ; jnasrvJini M
Tvilius de re publ. Hb. I ... et de officiis lib. I : qnoruin est
levis fructus, incerlus domiiialus. Nonius p. 203. Die Stelle
findet sich nicht in den Büchern über die Pfliclilen. so dass ent-
weder das Citat des Nonius unrichliff oder die betreflende Sielle
ausgefallen ist.
Proiecluin subtrarlvtii. M. Tvlh'vs in Philippicis lib. IUI:
qui hoc senalus consullo lacto clani te ex urbe proieceris ^*^
Ideni p. 373. Die Steile >sleht in der cilierten Rede nicht.
Dasselbe ist der Fall in dem nächsten Bruchstück.
Ti tu bare trcpidare. M. TuJJius PhiJippicarnm lib. XIIII:
titubare, haesilare, quo se verteret nescire. Idein p. 1(S2. Oder
liegt hier ein Dichterfraoinenl vor?
Unicviqne litterae Iria arcidnnt: nomm , ßgnra , potestas.
f^omcn est, ut scias . qno modo nominetnr: A, B, C hoc est
nomcn. Et genere nentro legivius literas. Legistis in Cicerone:
mvlnsqne alteram R Uteram noti declinis , nnde ilhid in quae-
stionetn venit, sigmitta, sigma , signiatis habet ßgnrani etc.
Pompeii Comnientuni artis Donati p. 33 Lindem. Eine Ver-
besserung dieser unverständlichen Stelle wird ohne neue hand-
schriftliche Mittel kaum möglich sein.
Uaec quidem translatio tcmporuni, qnae proprie f^utä'jraaig
dicitur, in öiaivnwaeL verecundior apvd priores fnit. Prae~
(23) Aiicli (las kleine Fraf^iiu'iif bei (Ipin.soll)cn Rhctor p .340 Capp.
„Fama rel opinio, ut Cicero: Opinio fuit (luplcx, uiia noii abliorreiis
a statu naturaquc rerum et reliqua'" ist viclleiclit ein neues; wenigstens
fand ich es nocli nicht in den erhaltenen Schriften.
(24) so nach unserer Verniulhung; die Handschriften: quid hoc S
(•. facit clam te ex urbe proieceris.
44 Sitzutiff der philos.-phüol. Clnsse vom 3. Mai 1^8.
poncbant cnim talki ..credite vos infueri^' ni Cicero: Haco,
quae non vidislis oculis, animis cernere polestis. Ouintilianus
Inst. orat. IX, 2, 41.
Vt Cicero dicit, isti scripserunt apvd Graecos (de com-
pnsitioiie et numeris et pedihus oratoriis): Thrasymachvs,
ISaucrates, Gorgias, Ephorus, Isocrates, Theodectes, Aristoteles,
Tkeodorus Byzantivs , Theophrastus , Uieromjmm. Rufini
versus de conipos. et metr. orat, in Schol. Cic. I, 191.
Intonsos rigidam in frontem descendere canos Passus
erat] Tnllius dicit quod mundus iste regitur opinione; nam
Arnicniis asperrima et dedecorosa poena est auferre barbam.
Scholiastes Lucani ad II, 375.
Jam nunc te per inane chaos, per tartara coniux, Si
sunt Ulla, sequar] Secundunii eos dicit, qui argumentantur
omnia ßcta esse, quae de infcris dicuntur. Dicunt enim quod
terra solida sit et nuUam concavitateni possit admittere , ut
Cicero. Idem ad IX, 102".
Faucibus orci] Deum posuit pro loco, ut „Jovem" di-
cimus et „aeretn"" signißcamus . . Orcum autern Plulonem dicit
. . Orcus idem est Pluton, ut in Verrinis (IV, §. 111) indicat
Cicero . . Alibi ait: quia Dilein patrein eniersisse ab inferis
putant. S er vi US in Verg. Aen. VI, 273.
(25) Das kleine Fra^meiil ebendaselbst zu IV, 819 „cum sis post
mortem sine momento futurus" hat Orelli in der 2. Ausg. nachgetragen.
Scliönbein: Erzeiiyuiiy des sa/petn'chten Ammoniakes, 45
lAIathcmalisch - physikalische Classe.
Silzuiij»; vom 10. Miii 1802.
Herr Peilen kofor berichtete über einen Aufsatz dos
Herrn Scliönbein:
„lieber die Erzeugung des salpetr ich ton Am-
moniakes aus Wasser und atmosphärischer
Luft unter dem Einflüsse der Warme."
Es \vurd(! in einem Vortrage, den ich im April vorigen
Jahres vor der Akademie im Liebig'schen Laboratorium zu hal-
ten die Ehre hatte, von mir gezeigt, dass bei der langsamen
\ erbrennung des Phosphors in wasserhaltiger almosphiirisiher
Luft salpelriclitsaures Anunoniak entstehe und aus dieser Tliat-
sache der Schluss gezogen, dass unter den erwähnten l'mslän-
den besagtes Salz aus Wasser und atmosphärischem SlickstolTe
gebildet werde.
Auch theilte ich der Akademie die weitere Tlialsachc mit,
dass meinen zahlreichen Beobachtungen gemäss alles aus der
Atmosphäre fallende Wasser kleine Mengen Ammoniaknitiiles
enllialle, daran die Bemerkung knüpfend, dass thalsächliche
Gründe vorlägen, die nnch zu der Annahme berechtigten: es
habe das in der Luft fortwährend vorkonnnende Nitrit noch eine
andere Ouö'h;. als das bei der Fäulniss slickslolThaltigcr orga-
nischer Materien sich bildende Anunoniak . und die unter elec-
Irischem Einfluss aus almosphiüischem Stick- und Sauerstoll' ent-
stehende salpetrichte Säure.
Ich nehme mir nun die Fieiheit, die Akademie mit einer
Reihe von Thatsachen bekannt zu machen, welche nach meinem
Ermessen die Richtigkeil nunner damaligen Andeutungen ausser
Zweifel stellen und zeigen werden, dass es eine allgemeine,
46 Sitzung der titaiU.-phys. Classe vom 10. Mai 1862.
höchst inorkwürdige und bisher giinzlich U!il)ckannl gebliobene
EiitsU'hiiiisjsweise des Aminoniakiiiliiles gebe.
Da dieses Salz unter dem Einflüsse der Wärme so loic\\[
in Wasser und Stickgas sidi umsetzt , so hielt ich es schon
längst für wahrscheinlich, dass dasselbe unter geeigneten Um-
ständen auch aus den beiden letztgenannten Materien gebildet
werden könne und in dieser Vermuthung musste mich die Ent-
deckung der Thatsaclie bestärken, dass bei der langsamen Ver-
brennung des Phosphors in wasserhaltiger Luft wirklich auf
diese Weise Ammoniaknitrit entsteht. Und die weitere That-
sache , dass nicht selten unter anscheinend gleichen Umständen
dieselben Verbindungen wie zersetzt so auch gebildet werden,
liess es mir möglich erscheinen, dass unter <lem Einflüsse der
Wärnie aus Wasser und Stickgas salpetrichtsaures Ammoniak
ebenso gut entstehen könne, als das schon fertig gebildete Salz
in jene Materien zerfällt, üb nun das, was nach den gewöhn-
lichen Vorstellungen als chemische Unmöglichkeil gelten dürfte,
dennoch Wirklichkeil sei, mögen die nachstehenden Angaben
zeigen.
Man erhitze einen ofTenen Platinliegel gerade so stark, dass
ein auf den Boden desselben gefallener \A'assertropfen sofort
aufdampft, ohne noch das Lcidenfrost'sche Phänomen zu zeigen
und lasse nun tropfenweise reinstes Wasser in den Tiegel fallen
so nämlich, dass innner die vollständige Verdampfung der Flüs-
sigkeit abgewartet wird, bevor man einen neuen Tropfen in das
erhitzte Gefäss einführt. Hält man nun über den unter diesen
Umständen gebildeten Dan)pf die Mündung einer kalten Flasche
so lange, bis darin einige Giannne Wassers sich gesanunelt
haben, so wird man finden, dass diese Flüssigkeit, mit einigen
Tropfen verdünnter SO 3 angesäuert, jodkalinudialtigen Kleister
zu bläuen vermag. Ich darf jedoch hier nicht unbemerkt lassen,
dass unter anscheinend vollkommen gleichen Umständen nicht
immer ganz gleiche Ergebnisse erhalten werden. Bei einem
Versuche wird das aus dem nam[)fe entstandene Wasser so
sein, dass es unter Mithilfe verdünnter Schwefelsäure den Jod-
Schönbein: Ert-eugimy des salpelricltten Aninioniakes. 47
kiiliiimkleisler süfort tief bliiut, bei einem zweilen Versuche
kiimi man ein Wasser erliülten , welches die besagle Reaction
zwar auch hervorbringt, uber in einem schwachem Grade und
es tritt bisweilen auch der Fall ein, dass das Wasser eine kaum
merkh'che Wirkung auf das Hcagens hervorbringt. Wodurch
diese Ungleichheit der Ergebnisse herbeigeführt wird , weiss ich
zwar noch nicht anzugeben; wahrsclniinlich ist aber, dass sie
uiil Temperaturverscliiedenheiten des Gefiisses zusammenhängt,
in welchem der Dampf erzeugt wird, da sicli kaum dai'an zwei-
feln iiisst , dass es einen bestimmten Wiirmegrad gebe, welcher
der Bildung unserer oxidirenden Materie am giinsligslen ist.
Hat man es gelroflen, ein Wasser zu erhallen, wclch(!S den an-
gesäuerten Jodkaliumkleister sofort tief zu bläuen v(M-mag, so
entbindet dasselbe auch, in einem kleinen Gefäss mit Kalihydrat
zusannuengebracht, so viel Ammoniak, dass dadurch befeuch-
tetes Curcuniiipapier noch deutlich gebräunt wird oder um ein
mit Salzsäure benetztes Glasstäbchen wahrm^hmbare Nebid ge-
bildet wei<len. Ilier.ius ersieht man, dass diese beiden Reac-
tionen : Bläuung des Jodkaliumkleisters, Bräunung des Curcunia-
pajncres u. s w. schon deuliich genug auf die Anwesenheit
kleiner Älenyen Ammoniakuilritcs in dem fraglichen Wasser
hindeuten. Wir wi^rdon jedoch i>ald noch andere Thatsacheu
kennen lernen , welche keinen Zweifel darüber walten lassen,
dass unter den erwähnten l^mständen das genannte Salz ent-
stehe und von ihm di(^ auijesfebeneu Reactioncn herriUu'en. Man
könnte vielleicht vermuthen, dass das Platin als solches mit
dieser Nitrilbildung etwas zu thun habe; dem ist aber keines-
weges so, wie aus der Thatsache hervorgeht, dass unter sonst
irloichen linständen die nändichen Hlrtiebnisse erhalten werden:
üb man einen l'latintieg(;l, oder silberne, kupferne, eiserne,
thönerne u. s. w. Gelasse zur Dampferzeugung anwende, wie
ich mich hievon durch zahlreiche Versuche zur Genüge über-
zeugt habe. Ich erlaube mir, zwei Proben solchen nitrilhaltigeii
Wassers beizulegen, wovon die eine durch die Verdichtung des
in einem Piatinliegel gebildeten Dampfes erhallen wurde, die
48 Sitzung der math.- phys. Classe vom 10. Mai 1862.
andere aus Dampf, in einem Silberliegel erzeugt, welche beide,
mit verdünnter Schwefelsäure versetzt, den Jodkaliiimkleisler lief
bläuen.
Von der unter den erwähnten Umständen erfolgenden Ni-
Iritbildung kann man sich sehr rasch und leicht durch folgenden
Versuch überzeugen. Ist ein mit Wasser befeuchteter Streifen
Ozonpapieres kaum einige Minuten lang über dem auf die be-
schriebene Weise erzeugten Wasserdampf gehalten worden, so
enthält er schon so viel Nitrit, um beim Benetzen mit verdünnter
Schwefelsäure sich deutlich zu bläuen, welche Färbung das
gleiche Reagenspapier ohne diese vorausgegangene Uampfein-
wirkunsr selbstverständlich nicht zeiüt.
Auch lässt sich der Versuch so anstellen, dass man einen
mit deslillirlem Wasser getränkten Streifen Fillrirpapieres einige
Minuten in den besagten Dampf hält und dann mit einigen
Tropfen angesäuerten Jodkaliunddeisters übergiesst, unter wel-
chen Umständen Letzlerer mehr oder minder stark gebläut wird.
Zur Darstellung grösserer Mengen solchen iiitrithaltigen
Wassers dient am besten eine geräumige kupferne Blase, wie
man sie in Laboratorien zum Bchufe der Destillation des Wassers
zu haben pflegt, mit deren Hilfe die besagte Flüssigkeit in kur-
zer Zeit maassweise sich erhalten lässt. Zu diesem Zwecke er-
lütze ich erst die Blase (durch ihren Helm mit dem Rohre des
Kühll\)sses verbunden) so stark, dass eingespritztes Wasser mit
heftigem Zisihen sofort aufdampll. Giessl man nun durch das
bis auf den Boden der so beumständeten Blase gehende Rohr
je auf einmal nur kleine Mengen reinsten Wassers und wartet
man mit dem Zugiessen neuer Flüssigkeit jedesmal ab, bis das
in der Blase vorhandene Wasser verdampll, d. h. überdestillirt
ist, so erliält man in kurzer Zeit merkliche Mengen einer farb-
losen und vollkonunen neutralen Flüssigkeit, welche folgende
Eigenschaften besitzt:
1) Mit verdünnter Schwefelsäure versetzt, färbt sie den
Jodkaliumkleisler augenblicklich auf das Tiefste blau.
2) Durch Kaliperman^anallösung merklich stark gerölhet
Schönhein : Eiteuyiiny des sal])eirichten Ammoniakes, 49
und mit verdiiiinler SO3 etwas angesäuert, entfiirbt sie
sich bei der Erwärmung sehr rasch.
3) In emcr Flasche, mit verliältnissmiissig viel Kahhydrat
zusammengebracht, entbindet sie Ammoniak, wie daraus
erhellt, dass ein in diesem Gefäss aufgehangener feuchter
Streifen gelben Curcumapapieres sich bald auf das Deut-
lichste bräunt und um ein in die gleiche Flasche einge-
führtes und mit Salzsäure benetztes Glassläbchen die be-
kannten Nebel bilden.
Werden grössere , mit ein wenig Kali versetzte Mengen
unserer Flüssigkeit bis zur Trockniss eingedampft, so lassen sie
einen kleinen Rückstand , welcher alle Eigenschaften eines Ni-
trites besitz! : Entbindung rolhbrauner Dämpfe beim Uebergiessen
mit Vitriolöl, kräftigste Entfärbung der mit SO3 angesäuerten
Kalipermanganatlösung u. s. w.
Werden grössere Mengen des mit einiger SO 3 vermischten
Wassers eingedampft, so bleibt ein kleiner Rückstand, aus wel-
chem Kaliliydral so viel Annnoniak entwickelt, dass dasselbe
schon am Geruch auf das Deutlichste erkannt wird.
Alle diese Thatsachen, denke ich, beweisen auf das Schla-
gendste, dass das in Rede stehende Wasser salpetrichtsaures
Wasser enthalte; ich dnrf aber auch hier nicht unbemerkt lassen,
dass das zu verschiedenen Zeiten unter den erwähnten und an-
scheinend ffleichen UmsläiubMi erhaltene Destillat durch seinen
Nitritoehall keinesweffs innner sich gleich bleibt. Das einemal
ist es so reich daran , dass z. B. ein Raumlheil desselben mit
500 Theilen reinen \^'assers vermischt und einiger SO3 versetzt,
zuffefütrtcn Jodkalinnddeisler noch bis zur Grenze der Undurch-
sichtigkeit tief bläut, wie z. B. dasjenige ist, wovon ich eine
Probe beigelegt habe. Ein andermal enthält das deslillirle Wasser
eben nur noch nachweisbare Spuren des Nitrites, ja es tritt
bisweilen sogar der Fall ein, dass selbst diese fehlen. Wie
schon weiter oben bemerkt worden, bin ich geneigt die Ver-
schiedenheit dieser Ergebnisse Temperaturunterschieden des
\mi. n.] 4
50 SitzHtiff der mnth.-phyi. Classe vom 10. Mai 1862.
Dampf bildungsgefasses beizumessen, welche bei den besagten
Versuchen unvermeidlich sind.
Auf die Frage : Wie oder aus was unter den erwähnten
Umständen das salpetrichtsaure Ammoniak sich bilde, weiss
ich keine andere Antwort zu geben, als diejenige, welche schon
oben angedeutet worden. Ich halte nämlich dafür, dass Stick-
stoff und Wasser unter dem Einflüsse der Wärme zu diesem
Salze zusammentreten und bin der Meinung, dass die Erzeugung
desselben nur auf diese und keine andere Weise denkbar sei.
Gegenüber einer bessern Erklärung werde ich jedoch meine
jetzige Ansicht fallen lassen. Älöglich ist, dass der atmosphä-
rische Sauerstoff dabei eine Rolle spiele, obwohl schwer einzu-
sehen, welche. Würde diess nicht der Fall sein, so müsste
unter geeigneten Umständen Ammoniak aus blossem Stickstoff
und Wasser gebildet werden können, worüber spätere Versuche
Aufklärnng geben werden.
Wenn es nun Thatsache ist, dass unter Mitwirkung der
Wärme aus Wasser und atmosphärischer Luft salpelrichlsaures
Ammoniak erzeugt wird, so versieht es sich von selbst, dass
auch bei der VcMbrennung der Köiper in dieser Lull das gleiche
Salz entstehe, weil bei derselben alle Bedingungen für eine
solche Nitritbildung erfüllt sind: Vorhandensein von Wasser, at-
mosphärischer Luft und Wärme.
Schon der fein beobachtende Theodor von Saus sure fand,
dass bei der Verbrennung des Wasserstoffes in stickgashaltigem
Sauerstoff ausser der salpetrichten Säure, welche der Genfer
Gelehrte fiir Salpetersäure hielt, auch Anunoniak sich erzeuge
und in einer im Jahre 1845 von mir verfassten akademischen
Festschrift, die damals gedruckt wurde nnt dem Titel: ,,Ueber
die langsame und rasche Verbrennung der Körper in atmosphä-
rischer Luft' zeigte ich, dass bei der Verbrennung der Kohlen-
wasserstolfe , Fette u. s. w. eine oxidirende Materie zum Vor-
schein konune, welche die Indigolösung zu zerstören, den Jod-
kaliumkleister zu hläuen und noch andere Oxidationswirkungen
hervorzubringen vermöge. Da ich zu jener Zeil die so era-
Schönbein : Evzeuytmy des salpetrichten Ammoniakes. 5|
pfindliclien Reagentien auf die Nitrite noch nicht gefunden hatte,
welche mir jetzt zu Gebot stehen, so nuissle ich damals noch
uiioiitschieden lassen , ob das fragliche oxidironde Agens sal-
petrichle Saure, was ich für möglich erkliirt, oder etwas an-
deres sei.
Heute , da wir in dieser Hinsicht im Besitze feinerer und
zuverlassig(>rer Mittel sind , ist es leicht , die bei der besagten
Verbrennung slatlfindende Nitritbildung auf das Augenfälligste
nachzuweisen, und nach meinen Eifaiirinigen eignet sich hiezu
am besten die Holzkohle. Zu diesem Behufe bediene ich mich
eines cylindrischen aus Eisenblech verfertigten Ofens von etwa
2' Höbe und 9" Weite , unten mit einem Roste und mehreren
OetTiiungen verscihen. durch welche die iiussere Luft in den
Brennraum strömen kann. Das obere Ende des Ofens ist mit
einem Deckel verschliessbar und etwa 2" unterhalb desselben
befindet sich ein 4" langes und \" weites, wagrecht einge-
setzt(!S Rohr, durch welches der erhitzte Luftstrom austritt.
Leitet mau Letztern in (mmo Vorlage, etwa 100 Gramme Wassers
enthaltend, so wird die F'lüssigkeit schon nach ein(M' Viertel-
stunde so viel Ammoniaknitril enthalten, dass si(!. mit SOg
schwach angesäuert, den Jodkalinmkleister sofort deutlich bläut,
wie auch die übrioen Nitritreactionen hervorbrinot. Lässt man
den erhitzten Luftstrom einige Stunden lang in die kiihlgehal-
tene Vorlaae treten, so wird das darin enthaltene Wasser mit
dem besagten Aunnoniaksalze so stark beladen sein, dass es
die Reactionen desselben in augenfälligster Weise verursacht:
tiefste BUiuuuff des aiiiresäuerlen Jodkaliuuddeisters, d(!Utlichste
Entbindung von Ammoniak milleist Kalihydrales u s. w. , wie
die beiiieleale Probe diess zeiu-eu wird. Ich muss jedoch bei-
fügen, dass um ein solches Ergidmiss zu erhallen, das Kohlenfeuer
nicht zu heftig, d. h. der obere Theil des Ofens nicht zu stark
erhitzt sein darf, weil sonst das Anunoniaknilrit wieder zum
grössern Theile, wo nicht gänzlich sich zersetzte. Man darf
desshalb auf einmal nicht mehr Kohlen anwenden, als nölhig die
Verbrennung derselben zu unterhalten. In meinem Oefelchen
4*
52 Sit-iunt/ der ttial/i.-p/it/s. Classe vom 10. Mai 1862.
lasse ich höchstens ein Pl'und Kohle auf einmal brennen. Mit
dem bezeichneten Umstände hängt unstreitig auch die Thatsache
zusammen, d.iss anräiigiich, wo der obere Theil des Ofens noch
wenig erhitzt ist, mehr Nitrit erhalten wird, als später.
Dass bei der Verbrennung der Fette, des Leuchtgases
u. s. w salpetrichtsaures Ammoniak entstehe, habe ich vor
einioer Zeit dem Herrn Präsidenten der Akademie brieflich mit-
gelheilt, wesshidb ich hier nur noch die Angabe beifüge, dass
nicht unbcirächlliche Mt-ngen dieses Salzes durch (h'e Schorn-
steine gehen, welche den von der Verbrennung i\es Holzes her-
rührenden Rauch abführen. In dem Iiöhern Theile des Kamins
unseres Museums, wo nur Holz gebrannt wird, liess ich einen
grossen, mit destillirtem Wasser geti'änkten Schwanun zwölf
Stunden lang hängen, worauf derselbe ausgepresst. eine neutrale
Flüssigkeit lieferte, welche die Reactionen des Ammoniaknitrites
in einem ausgezeichneten Grade hervorbrachte, wie diess die
beigeffebene Probe darthun wird.
Auch bei der Verbreimung i\^v Steinkohlen erzeugt sich
salpetrichlsaures Annnoniak; da dieselben aber inuner Schwefel-
kies mit sich führen, so IritI dabei schweflichte Säure auf, welche
mit dem Nitrite nicht znsanunen bestehen kann. Es bildet sich
unter diesen Umständen Schwefelsäure, wch^he mit dem Annnoniak
verbunden durch den Rauchfang geht. Je nachdem die Stein-
kohlen mehr oder wiMiigcr Schwefeleisen einschliessen, je nach-
dem wird auch der durch ihre Verbrennuno- crzeuote Rauch
entweder gar kenn Niiiit, oder davon weniger oder m(!hr, im-
mer aber schwefelsaures Annnoniak enihallen. In einem Schorn-
steine, durch welchen Ranch eines Sieinkohlenfeuers geht, liess
ich ebenfalls einen mit destillirtem Wasser ffelränkten Schwamm
einen halben Tag lang hängen und fand, dass das aus ihm ge-
pres.sle Wasser merkliche Mengen Annnoniaksulfates, aber auch
einiges salpetrichtsaure Ammoniak enthielt, wie diess die beige--
legte Probe zeigen wird.
Unschwer begreift sich, dass bei der Verbrennung gewisser
Kor|)er kein Ammoniaknilrit zum Vorschein konunen kann, selbst
Schönhein : Erzeiujtiiiff des salpetrichten Ammoniakes. 53
wenn dabei das Salz anriinolidi entstünde und dieser Fall ein-
treten muss, wenn der BrennstülF mit dem Sauerstoff eine kräf-
tioe Säure bildet; denn unter solclien Umstünden wird Letztere
mit dem Annnoniak des Nilrites sich verbinden und NO3 aus-
treiben.
Einen Körper dieser Art haben wir im Phosphor, welcher
bekanntlich bei seiner raschen Verbreminng zu Phospliorsaure
sich oxidirt. Bildet sieh nun bei der Verbrennung- des besagten
Elementes in wasserhaltiger atmosphärischer Luft wirklich einiges
Annnoniaknitrit, so wird die unt(!r diesen Umständen entstehende
Phosphorsäure auch etwas Ammoniak enthalten niiissen und der
Versuch lehrt, dass dem so ist. Verbrennt man je auf einmal
nur ein kleines Stückchen Phosphors innerhalb einer mit atmo-
sphärischer Luft gefüllten Glasglocke , die auf einem mit destil-
lirtem Wasser biHJeckfen Porcellanteller steht und wird diese
Operation so oft wiederholt, bis das Wasser des Tellers stark
sauer geworden, so entbindet aus dieser Flüssigkeit das Kali-
hydrat nachweisbare Mengen Ammoniakes, wie die beigelegte
Probe diess beweisen wird. lUihrt aber dieses an PO5 gebun-
dene Ammoniak von dem unter dem Einflüsse der Verbren-
nuno-swärme aus wasserhaltiger Luft gebildeten Ammoniaknitrite
her, so wird PO 3 durch die Phosphorsäure als NO, und NO4
ausgeschieden werden, spurweise wenigstens in der Glocke sich
verbreitend. Und dem ist auch so, wie ich aus der Thatsache
zu schliessen geneigt bin, da.ss ein mit Was.ser benetzter Strei-
fen jodkaliumhaltigen Stärkepapieres, in dem obern Theile der
Glocke angeklebt, sich bläut, nachdem in derselben mehrere
Male kleine Stückchen Phosphors verbrannt sind , welche Wir-
kung die Phosphorsäure unter diesen Umständen nicht hervor-
bringen kann. Wie man leicht einsieht, kann auch einem Theile
des frei gewordenen NO, d(M- Sauerstoffgehalt durch den in
Verbrennung begriflenen Phosphor entzogen werden
Bekanntlich fängt das Arsen an, bei einer Temperatur von
etwa 200** in der atmosphärischen Luft langsam zu verbrennen
und nach Art des Phosphors im Dunkeln zu leuchten, und
54 Sitztint/ der »latli. -phi/s. Classe vom iO. Mai 1862.
meine Versuche zeigen, dass unter diesen Umstanden merkliche
Mengen Aninioniakes zum Vorschein konunen. Hat man ein
Stück des besagten Stoffes so stark erhitzt, dass es zu rauchen
beginnt und den bekanntem Geruch nach Knoblauch entwickelt,
so bringe man dasselbe unter eine geraumige, mit atniosphäri-
scher Lult gefüllte Glasglocke, welche auf einem mit Wasser
bedeckten Porcellanteller ruht. Da nach ciniorer Zeit diese Ver-
brennung aufhört, so fache man dieselbe durch gehörige Er-
hitzung des Arsens immer wieder an und hat man diese lang-
same Verbrennung einige Stunden hindurch unterhalten, so wird
das Wasser des Tellers , welches nun merklich sauer reagirt,
nicht nur arsenichte Säure nebst kleinen Meng-en Arsensäure,
sondern auch noch Ammoniak enthalten, wie daraus erhellt, dass
feuchtes Curcumapapier, in einem kleinen Fläschchen aufgehan-
gen , in welchem das besagte Wasser mit Kalihydrat zusannnen
gebracht worden, bald auf das Stärkste sich bräunt und kaum
ist nöthig beizufügen , dass um ein mit Salzsäure benetztes und
in das gleiche Gel'äss eingeführtes Glasstäbchen die bekannten
Nebel entstehen. NO3 ist in dieser Flüssigkeil nicht enthalten,
wie ich auch kein solches in der Verbrennung.sglocke entdecken
konnte, woraus wahrscheinlich wird, dass dasselbe unmittelbar
nach seiner Entstehung entweder durch das verbrennende Me-
tall oder die dadurch entstehende arsenichte Säure o.xidirt werde,
womit die Bildung der kleinen Menge Arsensäure zusammen-
hängen dürfte, welche sich in der besprochenen Flüssigkeit
vorfindet.
Selbst die Verbrennung des Schwefels scheint keine Aus-
nahme von der Regel zu machen; denn ich finde in dem Wasser,
über welchem dieser Körper in atmosphärischer Luft verbrannt
worden, ausser SO^ und kleinen Mengen von SO3 immer, wenn
auch schwache doch noch nachweisbare Spuren von Ammoniak,
wie ich Letzteres gleichfalls in aller englischen Schwefelsäure
angetroffen, welche ich bis jetzt noch untersucht habe.
Wenn nun obige Thatsachen zeigen, dass bei der Ver-
brennung Kehr verschiedenartiger Materien in feuchter almosphä-
Schönbein : Erzeuyunff des .salpetricliten Ammoniakes. 55
rischer Luft salpelrichtsiuires Ainnioniak sich erzeugt, so wird
wohl (he Annahii»o gestattet sein, dass bei jeder, in solcher Luft
staltfindenden Verbrennung dieses Salz entstehe, wenn auch in
manchen Fidlen aus Nehengründen nur die Basis desselben er-
halten wird.
Da aus den voranstehenden Angaben erhellt, dass das
Anunoniaknitrit schon unter dem alleinigen Einflüsse der Witrme
aus Wasser und atmosphärischer Lull gebildet werden kann, so
halte ich dafür, dass die Verbrennung eines Körpers nur insofern
die Erzeugung dieses Salzes verursacht, als dabei ^^'iirme ent-
bunden wird und der V'organg der Oxidation an und für sich
mit der Nitrilbildung m'chts zu thun habe. Es geht somit meine
Annahme im Allgemeinen dahin, dass da immer salpetrichtsaures
Ammoniak entstehe, wo ein mit Wasserdampf und atmosphäri-
scher Luft giifüUter Raum auf irgend eine Weise gehörig er-
hitzt ist.
Von dieser Annahme ausgehend ist desshalb auch das Vor-
kommen von Sainnak in vulkanischer Nachbarschaft für mich
eine leicht erkliirliche Thatsaehe. Dass sich an manchen Stellen
des Vesuvs salzsaures Gas entbinde, hat neulich Herr Deville
wieder beobachtet, wie auch das Vorkommen von Salmiak an
dortigen Oerllichkeiten, wo das Ammoniak dieses Salzes un-
möglich von stickstolThaltigen organischen Materien herrühren
konnte. Nacii meinem Dafürhalten wird das zur Erzeugung
solchen Salmiakes nöthige Ammoniak aus dem salpetrichtsauren
Anunoniak hcrgenommon, welches unter Mitwirkung der vulka-
nischen Warme aus Wasser und Luft gerade so sich erzeufft,
wie diess in einem Plalintiegel geschieht, in welchem bei ge-
höriger Temperatur Wasser verdampft wird. Trelfen nun solche
inlrithaltige Dämpfe mit salzsaurem Gas zusammen, so muss
selbslverstiindlich Salmiak entstehen.
Noch will ich bcmc^rken, dass ich Gründe zu der Annahme
habe, dass auch beim Durchschlagen electrischer Funken oder
des Blitzes durch feuchte almospharische Luft kleine Mengen
salpetrichtsauren Ammoniakes entstehen, nicht in Folge der
5ß Sitzunif der tmith.- jtlii/s. Classe vom 10. Mai 1869.
electrischen Enlladuiiff als Sülclior, tjoiidern der Wiinne halber,
welche bei diesem Vorgang entwickelt wird.
Zum Schlüsse nur noch einige Worte über die Bedeutung
der besprochenen Nitrilbildnng. Dass damit der nie fehlende
Gehalt der atmosphärischen Luft an salpetricht- und salpeter-
saurem Annnonialv eng zusannnenhangl, springt in die Augen
und wenn nach der Annahme der Chemiker der SlickstolF dieser
Salze von den Pflanzen aufgenommen wird, so ist die in Rede
stehende Bildungsweise des Ammoniaknilrites für die Vegetation
von nicht geringer Wichtigkeit.
Möglicher Weise kann diese Nitriterzeugung früher oder
später auch eine praktische Bedeutung erlangen , dadurch näm-
lich, dass sie zu einer wohlfeilem Darstellung salpetersaurer
Salze im Grossen führte. Wie dem aber auch sein möge, jeden-
falls bietet die neu aufgefundene Thatsache ein nicht geringes
theoretisches Interesse dar, indem sie zeigt, dass der Stickstoff
nicht der indifferente Körper ist, lür welchen man ihn so lange
gehalten. Freilich haben schon die schönen Arbeiten Wöhlers
uns von dieser irrthümlichen Ansicht befreit und den thatsäch-
lichen Beweis geliefert, dass dieses anscheinend so träge
Element unter geeigneten Umständen auf unjiiittelbare Weise
mit andern Stoffen vergesellschaftet werden kann.
Herr Pettenkofer trug vor:
,,Ueber die Bestimmung des Wassers bei der
Respiration und Perspiration.''
In den Abhandlungen der malh.-phys. Classe der k. bayer.
Akademie diT Wissenschaften Bd. IX Abth. II habe ich den
Respirationsappar.it lieschrieben, welchen die Munificenz Sr.
Majestät des Königs Ma.v II im physiologischen Institute dahier
Pettenkofer : Bestimmung d. Wassers h. d. Respiration etc. 57
errichten liess, und habe auch nachgewiesen, bis zu welchem
Grado der Genauigkeit di(^ Bestinunungen der Kohlensäure
gehen. Gemeinschaftlich mit Hrn. Professor Dr. Voil habe ich
im vorigen Jahre eine Reihe von Bestimmungen der Kohlensäure
ausgelührt. welche ein grosser Hofhund bei verschiedener Nah-
rung während 24 Stunden in demselben durch Lunge und Haut
ausschied, dabei aber das Wasser vorläufig nicht berücksichtigt.
So interessant und werthvoll die erhaltenen Resultate auch sind,
so lassen sie doch über manchen Punkt in Zweifel, es zeigte
sich, wie wünschenswerlh es wäre, auch die Mengen Sauerstoff
— selbst nur annähernd — - zu kennen, welche während der
Dauer eines Versuches in den Kreislauf eintreten.
Gleichwie man bei der Verbrennung eines organischen Kör-
pers mit Kupferoxyd oder chromsaurem Bleioxyd aus dem Ge-
wichte der verbrennlichen Substanz und ihrer Verbrennungs-
produkte (Kohlensäure, Wasser und — wenn die Substanz
stickslofThallig ist -- auch StickstofT) erfährt, wie viel Sauer-
stoff dem Ku[)f('roxyd bei der Verbrennung entzogen word(!n ist,
so kann man auf ganz analoge Weise erfahren, wie viel Sauer-
stoff in den Körper eines Menschen oder Thieres aus der Luft
eintritt, während Kohlensäure und Wasser ausgeschieden wird.
Da aus Versuchen, welche die Herren Professoren Bisch off
und Voit theils schon vcirölfcuitlicht haben, theils Letzterer na-
mentlich noch verötlentlichen wird, hervorgeht, dass man zur
Annahme einer merklichen Ausscheidung von Stickstoff aus den
stickstoffhaltigen Bestandtheilen des Körpers durch Haut und
Lungen keinen Grund hat, indem sännntlicher in der Nahrung
gegossene Stickstoff selbst bei monatelang fortgesetzten Beob-
achtungen in Harn und Koth wieder erscheint, hat man es in
der Luft des Respirations-Apparates wesentlich nur mit Kohlen-
säure und Wasser, zeitweise vielleicht auch mit geringen Men-
gen Wasserstoff und Grubengas zu thun, wie schon Regnaul t
und Reiset in einigen ihrer Versuche beobachtet haben. Wasser-
stoff und Grubengas sind durch Verbrennung leicht zu bestim-
men, wie ich mich bereits überzeugt habe und bei einer andern
58 Sitzung der tiiath. - pht/s. Classe vom 10. Mai 1869.
Gelegenlieil mitlheiloii werde Für heute erlaube ich mir die
Aufinerksainkeit der Classe nur für die Bestimmung des Wassers
in Anspruch zu nehmen.
In ganz ähnlicher Weise wie hei der Bestimmung der
Kohlensiinre wurden Controlversuche gemacht, um den Grad der
Genauigkeit und Sicherheit der Resultate bemessen zu können.
Das Wasser wurde im Apparate theils durch Verbrennung von
Weingeist von bekannter Zusammensetzung, theils durch Ver-
dunsten von Wasser entwickelt, welches in einem Gefässe über
einer kleinen WiMnjreistflamme erwärmt wurde. Zu andern Ver-
suchen dienten Stearinkerzen von bekanntem KohlenstolF- und
Wasserstoffgehalte. Man sieht ein, wie leicht sich aus dem ver-
brannten Weingeist und aus dem verdunsteten Wasser die in
die Luft der Respirationskannner übergeführte Wassermenge
finden lässt. Eine Untersuchung des Wassergehaltes der ein-
strömenden, und eine gleiche Untersuchung des Wassergehaltes
der abströmenden Luft musste den Zuwachs durch Verbrennung
und Verdunstung im Luflstrome, der durch die grosse Gasuhr
geht, und im Rückstande der Kammer gerade so wie bei der
Koiileiisaure ergeben, vorausgesetzt, dass sich in der Kammer
kein Wasser condensirt, und dass der zur Untersuchung ge-
nommenen Luft, dem nämlichen Bruchlheile vom ganzen Strome,
wie er zur Bestimmung der Kohlensäure dient, das Wasser so
vollständig entzogen werden kann , dass die Differenz nn't der
n()thigen Schärfe gefunden werden kann.
Die erste Voraussf^tzung erfordert, dass die in den Apparat
einströmende Luft nie bis zu dem Grade mit Wasser gesättigt
sei, dass die in der Kammer hinzukommende Wassermenge darin
nicht mehr dunstförmig (gasförmig) bleiben könnte, was man an
den (ilasfenstern der Kammer sofort wahrnehmen würde. Diese
Bedingung ist fast zu allen Jahreszeiten leicht einzuhalten , wi-
drigenfalls man sich nach einem Vorschlage Henneberg's mit
absorbirenden Mitleln hilll, die man in die Kammer bringt und
vor und nach dem Versuch wägt. Ferner ist aber auch erfor-
derlich , dass in der Kammer sich keine hygroskopischen Sub-
Pettenkofer : Besthnmtniifd. Waisers h. d. Respiration etc. 59
stanzen befinden, welche Wasser absorbiren, und vor und nach
dem Versuche nicht gewogen werden könnl(m. — Der hölzerne
Fussboden, der den ßlechboden der Kammer bedeckt, verur-
sachte Anfangs sehr merkliche Felder, bis er mit Leinöl ge-
tränkt, gofirnissl und zuletzt noch mit Wachslcinwand überdeckt
wurde. Bei einer sehr bolriichtlichen Wasserverdunstung wirkt
selbst der Oelaiistrich des Bleches im Innern der Kammer etwas
hygroskopisch , doch beträgt der Fehler bei einem 24 Stunden
dauernden Versuche im ungünsligfsten Falle etwa IV.. Procent.
Bei kürzer diiuernden Versuchen ist dieser Fehler n.ilürlich
grösser, kann aber durch Confrolversuche gefunden und in Rech-
nung gezogen werd(Mi.
Bei Entwicklung kleiner Wassermengen tritt dieser Fehler
sehr in den Hintergrund und kann bei einem 24 stündigen Ver-
suche ganz vernachlässiget werden.
Um einem l.uftstrome das- Wasser vollständig zu entziehen,
ist das Chhircalcium allein nicht ausreichend. Ich habe Chlor-
calcium und Schwefelsänrehydrat combinirt. Ein Chlorcidcinm-
rohr nahm die grösste Menge d(>s Wassers aus der Luft hin-
weg, die letzten Reste ein Rohr mit iJcliwefelsäurehydrat und
Bimsstein gefüllt. Der Gebranch des Chlorcalciums hat einige
Uebelstände, — die mich veraidasslen, es ganz durch SO 3, HO
zu ersetzen. Um eine hinreichende Menge Schwefelsäure auf-
zunehmen, habe ich den Licbig'schen Kugelapparal dahin ab-
geändert, dass ich fünf durch kurze Röhren verbundene Kugeln
im Kreis in eine Ebene legte, welche halb gefüllt etwa 45 — 50
Grammen Schwefelsäure fassen. Der Eintritt der Luft erfolgt
durch ein senkrecht absteigendes Rohr, der Austritt ebenso,
aber an dem senkrecht aufsteigenden Rohre für den Austritt
sind noch 2 Kugeln angeblasen, von denen die oberste mit
Asbest locker gelullt ist, um das Fortschleudern kleiner Tröpf-
chen Schwefelsäure zu verhindern. Die Abänderung des Licbig'-
schen Kugelap[)arates in diese Form war durch die kleinen
Ouecksilberpumpen bedungen, welche die Luftproben zur Unter-
suchung nehmen. Diese arbeiten nändich selbst nur mit Hilfe
60 Sitzung der math.- phys Clmse vom 10. Mai 1862. " .
einer Fliissigkeils- (Quecksilber-) Säule und können desshalb
die hohe Flüssigkeitssaule eines gewöhnlichen Liebig'schen Kugel-
appnrales nur niil grosser Einbusse des Effektes ihrer Hubhöhe
überwinden, und desshnlb war ich bestrebt, den Widerstand im
Kugelapparate auf das geringste Maass zu reduciren. — Dieser
Apparat ninnnl das Wasser aus mehr als 150 Litern Luft, die binnen
24 Stunden durchgehen, so vollständig weg, dass im darauf-
folgenden mit Bimsstein und Schwefelsäure gefüllten Rohr stets
nur mehr ein paar Milligramme aufgenommen werden , während
bei Anwenduiiff von Chlorcalcium das Rohr stets mehr als 100
Milligramme zunahm.
Um den Grad der Uebereinstimmung zwischen Versuch und
Rechnung bei der Wasserbestimmung und den Einfluss der
hygroskopischen Eigenschaft der Kannner zu veranschaulichen,
Iheile ich die 3 folgenden Versuche mit :
I
17. Februar 18()2.
In 8 Stunden verbrannten 122,9 Grm. Weingeist (=108,1
C, Hfi Oj und 14,8 HO) und verdunsteten aus der über der
Flamme stehenden Schaale 398,3 Grm. Wasser, was zusammen
540 Grammen Wasser entspricht.
1000 Liter einströmende Luft hatten 5,1351 Grm. Wasser
1000 ,, abströmende ,, „ 7,8356 ,, „
Die durchgeströmte Luft betrug 174426 Liter, ihre mittlere
Temp. 16" C.
Es wurde gefunden im Strome 471,0
rückständig in der Kammer 34,8
505,8 Grm. Wasser.
Nimmt man diesen Felder von 6,4 °/o als Folge einer
Wassercondensation, einer Ausgleichung zwischen dem erhöhten
Wassergehalte der Luft uiul der hygroskopischen Eigenschaft
der KanniMMwände, so muss der Fehler mit der Zeitdauer des
Versuches inuner kleiner werden, und würde
Pettenkofer: nestiinmxiny d. Was.sers b. d. Respiration et<\ ^\
nach 12 Slunden 4.3
„ 24 „ 2,2 7o beiragen.
II
19. Februar 1S()2.
In 12 Stundon verbrannten 181,8 Weingeist ( = 159,9
C^HcOj und 21,9 HO) und verdunsteten .'34(),5 Grni. Wasser,
was zusammen 756,1 Grin. Wasser entspriclit.
1000 Liter der abströmenden Luft hatten 5,6077 Grm. Wasser
bei 16,5" C.
1000 Liier der abströmenden Luft halten 8,2402 Grm. Wasser
bei 16,5° C.
Die durchgeströmte Luit betrug 264519 Liter.
Es wurden gefunden im Strome 696,3
rückstandig in der Kammer 33,1
729,4 Grm. Wasser.
Fehler 2,6 V,, minus.
ill.
21. Februar 18G2.
In 24 Stunden verl)rannten 250,4 Weingeist ( = 220,3
C, HoOj und 30,1 HO) und verdunsteten 1134,3 Grm. Wasser,
was zusanunen 1423,0 Gm». Wasser entspricht.
1000 Liter der einströmenden Luft hatten 6,3847 Grm. Wasser
bei 17,9*» C.
1000 Liter der abströmenden Luft hallen 8,9456 Grm. Wasser
bei 17,9" C.
Die durchgeströmte Luft betrug 536402 Liter.
Es wurden gefunden im Strome 1373,7
rückstandig in der Kammer 32,0
1405,7 Grm. Wasser.
Fehler 1,5 % minus.
62 Siizunif der math.-phys. Ctasse vom 10. Mai 1868.
Aus dieser Reihe von Versuchen sieht man ganz deuthch,
wie die Genauigkeit der Wasserbestimmung mit der Zeitdauer
des V'crsuches zunimmt. Im ersten Versuche fehlen 34 Grm.,
im zweiten 27, im dritten 29 Grm. Wasser, es wurde mithin
ziemhch gleich viel bei jedem Versuche zur Ausgleichung der
hygroskopischen Eigenschaft der Kammer aufgewendet. Wäre
weniger Wasser in die Luft der Kammer gebracht worden , so
liätten die Wände auch weniger absorbirt. denn die hygrosko-
pische Eigenschaft der Körper wächst und ninnnt ab mit dem
Wassergehalt der Luft. Wenn die Temperatur und damit der
WasseroeJiidl der einströmenden äusseren Luft in der wärmeren
Jahreszeit steigt, nimmt dieser Fehler gleichfalls ab, weil zu
dieser Zeit der Oelanstrich der Blech wände der Kammer mit
der ohnehin feuchteren Luft schon vor Beginn des Versuches
sich mehr in einem hygroskopischen Gleichgewichte befindet, —
geradeso wie unsere Holzmöbel im Sommer viel weniger arbeiten
und sich werfen, als im Winter.
Um zu zeigen bis zu welcher Genauigkeit der Sauerstoff
gefunden wird, den ein in dem Luflstrome d^'S Apparates ver-
brennender Körper verbraucht, diene zum Schlüsse noch ein
Versuch mit einer Stearinkerze.
IV.
25 April tSO'i.
In 8 Stunden verbrannten 93.7 Grm. Stearin, welche nach
der Elementaranalyse 263,2 Grm. Kohlensäure und 106,5 Grm.
Wasser erzeugen und aus der Luft 276,0 Grm. Sauerstoff auf-
nehmen sollten.
1000 Liter der einströmenden Luft enthielten 0,6751 Grm.
Kohlensäure und 7,7282 Grm. Wasser,
1000 Liter der abströmenden Luft enthielten 3,8061 Grm.
Kohlensäure und 9,0691 Grm. Wasser.
Die durchgeströmte Luft betrug 70091 Liter bei 17,5° C.
Es war nahezu die geringste Ventilation angewendet, welche
der Apparat gestattet.
Vettenkofer: Bentimmung d. Wassers b.d.Bespivation etc. 63
Es wurden gefunden im Strome
219,5 Grm. Kuhleiisäure und 93,9 Gim. Wasser
lückstiiiulig- in
der Kammer 45.2 „ „ „ 16,5 „ „
264,7 Grm. Kohlensaure und 1 10,4 Grm. Wasser.
Die gefundtme Kohlensäure und das gefundene Wasser
wieoen um 281,4 Grm. mehr, als das verbrannte Stearin, was
als Sauerstoff aus der Luft in Rechnung kommt. Nach der
Klemenlaranalyse wären zur Verbrennung von 93,7 Grm Stearin,
276,0 Grm. Sauerstoff aus der Luft noihwcndig , die gefundene
Zahl für den Sauerstoff übersteigt sonnt dii; aus der Elementar-
analyse berechnete um 1,9 "/„ bei einem Sslündigen Versuche;
bei einem 24 stündioen Versuche hätte sich diese Differenz sicher
bis auf eine versciiwindend kleine Grösse ausgeglichen, wie die
drei vorhersehenden Versuche beweisen.
Nach dieser M(!thode bestimmen Prof. Dr. Voit und ich
eben in längeren Versuchsreihen am Hunde die täglich ausge-
schiedene Menge Kohlensäure und Wasser und die aufgenom-
mene Menge Sauerstoff im steten Zusanunenhalle mit der (|uan-
titaliv und qualitativ wechselnden Nahrung. Ich hoffe der Classe
noch vor Ablauf dieses Jahres einige Resultate vorlegen zu
können.
Historische Classe.
Sitziiiij^ vom 17. Mai IS(]2.
Herr Föringer trug vor
„Ueber die Annaies AI tahenses.''
Sitzungsberichte
der
köni":I. haver. Akademie der Wissenschaften.
Philosophisch - philologische Classe.
Sitzung vom 14, Juni 1862.
Horr Streber gab einen
„Beilrag zur Geschichte der griechischen
S lenipelschneidekunst."
Diese Abhandhnig wird in den Denksclirilten erscheinen.
ll86^ n.j
ß^ Sitzung der math.-phys. Classe vom 14. Juni 1862.
Mathemalisch - physikalische Ciasso.
Sitzung vom 14. Juni 18G2.
Horr Lamont übersandte zwei Aufsätze:
a) ,,Ueber die zehnjährige Periode in der täg-
lichen Bewegung der Magnetnadel, und die
Beziehung des Erdmagnetismus zu den
Sonnen flecken."
Da nun ein Decennium verflossen ist, seitdem ich das Vor-
handensein einer zehnjährigen Periode in der täglichen Bewe-
gung der Magnetnadel zum erstenmale nachgewiesen habe, so
dürfte es angemessen erscheinen das in diesem Zeiträume ge-
wonnene neue Material mit dem früheren zu vereinigen und die
Frage zu erörtern, in wie ferne dadurch d{>r früher aufgestellte
Satz bestätiget oder modificirt werde. Ehe ich indessen auf
den Gegenstand selbst eingehe, halte ich es für zweckmässig an
einige geschichtliche Data zu erinnern, um so mehr als Miss-
verständnisse dessfalls stattgefunden zu haben scheinen.
Das Vorhandensein einer periodischen Zu- und Abnahme
in der Grösse der täglichen Bewegung kündigte ich bereits im
Jahre 1845 mit folgenden Worten an^: ,.Die Grösse der täg-
lichen Bewegung ist in den verschiedenen Jahren nicht gleich.
Die mittlere Differenz zwischen 8'' MorgcMis und 1 '' Nachmittag
war nach den Göllinger Beobachtungen
1834-35 .... 8. '25
1835— 3G .... 10 04
(1) Dove's Rcpoiloiium der Pli>.sik. Vi! Ril. S. Cll. Man vcrgleiclio
ferner: Resullale de.s niagneti.sclien Oh.sei vatm iuni.s in Rliinclien IHU,
18ii. ]«'ir> Ai)liaiull. der II. (Masse der liajer. Aead. der Wissenseiiaflen.
V. Bd. 1. Abtheil.
Lamont : Tüyliche Beweiiuny der Mai/nein adet. 67
1836-37 .... 12/90
1837 — 38 .... 12.29
1838-39 .... 12. 16
1839-40 .... 11.05
1840 — 41 . . . . 9.50
1841-42 .... 8.50
1842-43 .... 7. 55
1843-44 .... 7.63
1844 — 45 .... 7.41
Die drei letzten Jahre sind aus den Münchcner [Beobach-
tungen eroiinzt, unter Voraussetzung dass die tägliche Bewe-
gung in Gottingen um '/,no grösser ist als in München. Die
periodische Zu- und Abnaliine der nnltleren täglichen Bewegung
stellt sich hier sehr deutlich heraus, um aber das Gesetz aufzu-
linden , bedürfen wir noch länger fortgesetzter Beobachtuno-en.
Dass es sich auf ähnliche Weise mit der Intensität verhalte, er-
sehen wir aus Kreil's Beobachtungen in Mailand: die DilFerenz
zwischen 10'/.^'' Morg und 7'/?'' Abends (in Zehntaus(Midstel der
Intensität au.sgedrückt) war 1837 . . . 18.4, 1838 . . . 15.7;
gegenwärtig kann sie , nach den Beobachtungen anderer Orte
zu schliessen, kaum mehr als 9.0 betragen.'''
Der Satz, diiss die täjxliche Bewegung der inaiiiielischen
Element(! an Grosse periodisch zu- und abnehme;, ist hier unter
Hinweisung auf eine Zahlenreihe, die zwei Wendepunkte um-
fassl, mit aller BestinniilluMt und Präcision ausgesprochen: die
Länge der Periode konnte mit Sicherheil nicht daraus entnommen
werilcn. Ich wartete des.shalb den dritten Wendepunkt ab,
un<l als in den Jahren 1850 uml 1851 b(Meits eine entschie-
dene Abnahme der Bewegung eingetreten war, stc^llte ich die
eigenen Beobachtungen mit d(Mi vorhandenen älteren Bestim-
mungen zusammen und leitete; daraus eine Periode von 10 Vs
Jahren ab. Zu Hnd(! des Jahres 1851 erschien die darauf be-
zügliche Abhandlung ''. Um diese; Zeil beschäftigte sich Herr
(-2) l'ügj;. Ann. LXXXIV. S. 57.2.
5*
68 Sitzung der inath.-plnis. Vlasse vorn 14. Juni 1S62.
Sabine mit einer Untersuclunig inid Ziisaminensteliiing der De-
clinationsstörungen in Toronto und Hobarlon für die fünl" Jahre
1843 — 1848 und bemerkte, dass während dieses Zeilraumes von
Jahr zu Jahr die Grösse sowolil als die Häufigkeit der
Störunijen zunahm. Zur Annahme einer periodischen Aen-
deruno- boten übrigens diese wenigen Jahre gar keine Grund-
lage dar, wohl aber konnte durch Yergioichung derselben mit
der von mir nachgewiesenen Perioile in der Grösse der täglichen
Bewegung eine Uebcreinstimmnng wahrgenommen werden, in so
ferne als auch in den von mir angegebenen Zahlen von 1843
bis 1848 eine fortwährende Zunahme sich zeigte, und der Schluss,
dass in beiden Fällen die gleiche Periode stattfinden müsse, bot
sich um so natürlicher dar, da Herr Sabine schon nachgewiesen
hatte, dass zwischen der regelmässigen Bewegung und den
Störungen ein enger Zusammenhang bestehe. Hr. Sabine ging
aber noch weiter. Da wir, sagt er, die Sonne als Grundursache
anzusehen haben bei allen Vorgängen, welche von der
Tageszeit abhängen, so erscheint es angemessen, so oft
wir an einem Vorgange dieser Art eine periodische oder nicht
periodische Aenderung bemerken, bei der Sonne zu untersuchen
ob sie nichts Analoges darbiete. Im gegenwärtigen Falle trelfen
wir in der That etwas Analoges an, indem die so beharrlich
und conseqiient forlgeführlen Beobachlnngen des Hrn. Schwabe
nachgewiesen haben, dass die Zahl der Sonncnflecke allmählich
zu - und wieder abininmt mit einer Periode von ungefähr zehn
Jahren, und der blosse Anblick der Zahlen eine Uebereinslim-
mung beider Phänomene nachweist.
Die Abhandlung des Hrn. Sabine wurde am 18. März 1852
der könioiichen Socieiät in London voroelefft': ehe sie jedoch
zu allgemeiner Kenntniss gelangte, war auch auf dem Continente
{'.]) Pniddical laws iliscnvorahio in llic incan ('(Tccts of tlic tarier
niagiiflic (lisliirbiiiK CS, by (,'«»1. Kd«. Sabine K. A. (Rfceivcd Blarcli
18 - Kead Ma^ Ü. JS.V2). Phil. Trans. Pari I. iSäl p. J'.'7.
LatHont: Tüylivhe Beiveytiuff der Maynetnadel. 69
von Herrn Wolf * in Cern nnd KcMrn Gautier ^ in Genf die Ucber-
einslinniHiiig der Sonnonllcckcn - Periode mit den von mir be-
kannt o-emaclit(>n periodischen Aenderungen des KrdiniijTiietismus
bemerkt worden : beide veröfTenllichlen ihre Untersuchungen
darüber im Herbste 1852.
Nach (h'eser liistorischen Uebersiclil konnnc ich lum zu der
Darieüuno- des neuen i\Iaterials, welclies der seit 1851 ver-
flossene Zeitraum oelieferl bat, wol)ei ich nur die Decbnation
berücksichligen will, da die zehnjährige Periode an allen Ele-
menten in «leicher Weise sich äussert.
Soll die Grösse der täglichen Bewegung der Declination
durch RelalivzablcMi , was hier genügt, ausgedrückt werden, so
kann diess auf verschiedene \^'eise geschehen. Ich habe früher
den Untersdw'ed zwischen 8 Uhr Morgens und 1 Uhr Mittags
genonnnen , da indessen der Einfluss der Störungen immerhin
nicht unbet:ächllicli ist, so will ich jetzt die Berechnung so ein-
richten dass zwei Bestimmungen stets vereinigt werden, und
zwar im Sonnner die Unterschiede zwisclum 7 Uhr Morgens
und 1 Uhr Mittaas, dann zwischen 8 Uhr Morgens und 2 Uhr
Nachmittags: im WintiT dagegen die Unterschiede zwischen
8 Uhr Morgens und 1 Uhr Mittags, dann zwischen 8 Uhr Mor-
gens und 2 Uhr Nachmittags Als Sommer nehme ich die Mo-
nate April — September inclus., und als Winter (\'\g Monate
Januar, Februar, März, Octobcr, November, December desselben
Jahres, so dass jede Bestimmung der Mitte des Jahres ent-
spricht. Streng genommen sollte man desshalb neben den be-
obachteten Bewegungen nicht 1841, 1842 . ., wie es stets
bisher geschehen ist, sondern 1841,5, 1842,5 . . . schreiben,
indessen will ich , damit die neuen Data an die früheren sich
anschliessen, den bisherigen Gebrauch beibehalten utul nur er-
(4) Miltlu'il der Bcriu-r iialml'. (Jcseiistliaft. Nr. 245. Comptcs
rciicliis 13. Sept. 185'.>. Astr. Nadir. Nr. 8'iO.
(5) Bil)!iotli^(|iie Uiiivorsellc. Juillet et Aoüt 183'2.
70
Sit%ung der math.-phi/s. Classe vom 14. Juni 186$.
innern , dass um die wahren Zeilepocheu zu erhalten, überall
zu den Jahreszahlen 0,5 hlnznzufügen ist. Die ganze jetzt vor-
liegende Reihe der Münchener Beobachtungen nach diesen Grund-
sätzen behandelt, gibt folgende Relativzahlen:
Jalir
Winter
Soni liier
Jaliresniitlol
1841
1
5 07
10.65
7.86
1842
4 66
8.90
6.78
1843
4.49
9.23
686
1844
4.08
8.60
634
1845
4.65
10.13
7.39
184G
6 00
11 23
8.61
1847
6 90
11.87
9 38
1848
8 01
14.40
11.20
1849
8.06
13.22
10.64
1850
7.53
13.31
10.42
1851
6.03
1140
8.71
1852
6.46
11.53
9.00
1853
5.77
11.50
8.63
1854
4 65
10 48
756
1855
501
966
7.33
1856
4.67
9.48
7.08
1857
5.13
1015
7.64
1858
6,91
11.76
9.33
1859
8.37
13.97
11.17
1860
7.67
14.20
10.93
1861
7.15
12.95
10 05
Mittelst graphischer Entwürfe habe ich hieraus die Wende-
punkte abzuleiten gesucht und erhalte folgende Bestimmungen :
1843,0 Minimum,
1848,8 Maximum,
1855,0 Mininuun,
1859,5 Ma.ximum.
Lamont: Tägliche Bewegung der Magnetnadel. 7t
Zu der ohiffon Reihe kommen noch die von mir aus früh-
eren Bcohachlungcn abgeleiteten Wendepunkte, nändich
1786,5 Maximum, Paris — Cassini,
1817,0 Maxinuuu, Bushy-Heath — Beaufoy,
1837,5 Maximum, Göllingen — Gauss.
Leitet man aus dem Maximum von Cassini, welches nach
allen Umständen als sehr zuverlässig zu betrachten ist, und dem
Maxinunn von 1859,5 die Länge der Periode ab, so ergibt sich
J^ = 10,43 Jahre,
nur um '/,„ Jahr von meiner ersten Bestimmung abweichend*.
Die sänimtlichen beobachteten Maxima geben als mittlere
Epoche
1827,8,
und geht man von dieser Grundzahl aus, so erhiill man fol-
gende Zusanuncnstellung der berechneten und beobachteten
Wendepunkte
bcreclinet
beobachtet
Differenz
1786,1
1786,5
- 0,4
1817,4
1817,0
+ 0,4
1838,2
1837,5
+ 0,7
1843,4
1843,0
+ 0,4
(6) Hr. >Tolf liat in seinen znlilreielien Pnhiieationen eine Periode
von 11.11 Jahren ans der Hänliffkeit der Sonnendeeke abjjeleitet und
behanptet, indem er das Maxiniiun von (Cassini ohne irj^end einen Grund
anzuflehen bei Seile selzt, dass .seine Periode besser als die von mir
anjjef^cbene auch die niafjnetisihen Vaiiationen darstelle. Es ist jedoch
hiehei nicht zu iihcrsclien dass die Periode des Hrn. Wolf nur durch
eine willkührliclie Krjjänzunj; fraj^nicntaristhcr Beohaehtunfijen der vori-
gen zwei Jahrliuiiderle bestimmt «urde. und dass dieselben Beobachtun-
gen in anderer V>'eise und mit derselben Freiheit ergänzt an die von
mir bestimmte Periode sich gleich gut anschliessen würden.
72 Sitiung der inath.-phys. Classe vom 14. Juni 1862.
bcrcclmot
beobachtet
DifTercnz
1848,7
1848,8
- 0,1
1853,9
1855,0
- 1,1
1859,1
1859,5
-0,4
Es hätte keine Schwierigkeit diese schon ziemlich kleinen
Differenzen durch eine verschiedene Behandlung der Beobach-
tungen selbst noch weiter auszugleichen , jedoch wiire ein w e-
sentlicher Erfolg dabei nicht zu erlangen. Die genauesten
Methoden des Calculs anzuwenden , wo die Grundlagen auf
Bruchlheile des Jahres als unsicher erscheinen, würde bloss als
eine Rechnungsübung zu betrachten sein.
Das Endresultat, zu welchem wir durch Beiziehung der
neuesten Beobachtungsdata gelangen , besteht also einfach darin
dass wir eine Bestätigung des von mir im Jalu'(; 1851 aufge-
stellten Satzes erhalten : zuoleich liisst sich aus einer einfachen
Vergleichung der gegebenen Zahlen leicht ersehen, dass es keine
zulässige Combination derselben geben kann, wodurch die Dauer
der Periode um mehr als ein paar Zehntel Jahre verändert würde.
Ich komme jetzt zu dem letzten Punkte, der hier bespro-
chen Averden soll, nämlich zu dem Zusammenhange der magne-
tischen Bewegungen mit den Sonnenflecken.
Zunächst wäre die Thatsache selbst zu constatiren Es ist
kein Zweifel dass, wenn man die Tabelle, worin Hr. Schwabe
die jährliche Anzahl von Sonnenflecken zusamniengestellt hat, den
oben von mir nnigelheilten jährlichen Relalivzahlen für die Grösse
der Declinalionsbewegung gegenüberhält, eine allgemeine
Aehnlichkeit sich darstellt, indem den Perioden, wo die Zahl
der Sonnenflecken gering war, auch eine geringere, und den
Perioden, wo die Zahl der Sonnenflecken gross war, eine
grössere magnetische Bewegung entspricht : von; einer genauen
Uebereinstimn)ung kann dagegen keine Rede sein, auch dann
nicht wenn man anstatt der ursprünglichen Zahlen Schwabe's
die nach hypothetischen Voraussetzungen abgeleiteten Relativ-
zahlen des Hrn. Wolf einführt. Zum Beweis hiefür wollen wir
einige Jahre herausheben.
Lamoni : Tät/luhe Deweijung der Mof/netnadel. 73
Zahl der Flocken- R,,,ti,,,,,, .„nsnetische
Jahr -nippen nach ,,^^.,^ ^^,^„. BiMvcguiiK
1849 238 95,6 10.04
1850 186 63,0 10,42
1851 151 61,9 8,71
Während von 1849 auf 1850 die Abnalinie bei den Sonnen-
flecken sehr l)ed(Mitend ist, vermindert sich die magnetische Be-
wegnng nur um 0,2, wogegen von 1850 auf 1851 die Ahnahme
bei den Sonnenflecken ganz utd)edeutcnd war, und die magne-
tische Beweirunor um l',7 kleiner wurde. Hr. Wolf hat in der
N'orausselzung einer slrenge?i Proporlionalilät zwischen der Zahl
der Soniienflecken und dem Excess der magnetischen Bewe-
gung — d. h. der Grösse um welche die magnetische; Dcrlina-
tionsb(?wegung sich über ihren niedrigsten Stand 6',27 erhebt —
aus den Sonnenflecken die mag-nelischen Variationen berechnet
und findet folgende Zahlen , deren Abweichung von der Beob-
achtung ich beifüge
herecliiicter Excess Abweichuniij
Jaiir der inairnelischen von der
Beweguni^
Beoljaclituns:;;
1851 3,16
+ 0,72
1852 2.67
— 0,06
1853 1,93
- 0,43
1854 0,97
- 0,32
1855 0,35
0,71
1856 0,21
0,60
1857 1,11
0,27
1858 2,60
+ 0.46
1859 4,92
4- 0.02
1860 5,03
4- 0.37
:^ht dass die Abweichungen
mehi
• als V^ der ganzen
•agen. Gc^ht man aber uu;
hr
in
(las Detail ein, so
Periode beiragen,
treten aufTallende Diflerenzeu hervor. Ein Beispiel wird hin-
reichen um dieses nachzuweisen. Im Sommerhalbjahr 1860
erhält man
74 Sitiuny der math.-phys. Classe vom 14. Juni 1862.
Excess
der ma^ne-
Relativzahl der
tischei
1 Bewegung
,Soniieiinecken
April
5,04
73,1
Mai
4,74
111,5
Juni
5,78
114,1
Juli
4,81
120,0
August
5,83
95,8
September
3,64
95,6
Nimmt man den Monat April als Grundlage für die Rech-
nung au, so sollte die Sonnenfleckenzahl im Juli 69,8 und im
September 52,7 betragen , während die Beobachtung in beiden
Monaten fast das doppelte gab.
Das jedenfalls merkwürdige Zusammentreffen der Maxima
und Minima bei den magnetischen Bewegungen und den Sonnen-
flecken kann hiernach als ein eigentlicher Causal -Nexus nicht
erkannt werden, vielmehr dürfte ein ganz anderes Verhiiltniss
bestehen , zu dessen Erläuterung ich folgendes Beispiel aus der
Meteorologie entnehmen will.
Wer die von mir für München aus den Beobachtungen der
Jahre 1843 — 1856 abgeleiteten Tabellen' der Temperatur und
des Wolkenzuges vergleichen will, wird bemerken, dass die Zu-
und Abnahme der Lutlwärme eine auffallende Uebereinstimmung
mit der Häufigkeit des westlichen Wolkenzuges zeigt: beide Er-
scheinungen haben ihre Wendepunkte im Januar und Juli, und
auch die Progression ist bei beiden dieselbe. Niemand wird
aber sagen, dass die Temperatur den Wolkenzug oder der
Wolkenzug die Temperatur hervorbringe, sondern beide sind
(7) Monatiiclie und jäliilirlie Resultate der an der k. Sternwarte
bei Minulien von 1825 — 1856 angestellten nieteorologiselien Be()l)acli-
tungen 111. Suppl.-Hd. zu den Ann. der Sternw. — Re.sultate ans den an der
k. Sternwarte veranstalteten meteorologiselien üntersuclmngen nebst An-
deutungen über den Einilus.s de.s Klima von Münehcn u. s. w. Abhandl.
der Acad. d. Wissensch. Bd. 8.
l.ainont : Täyiivhe Bexreyiing der Miuineinadel. 75
(Iiir(;li eine höhere Ursache — die erwiirmeiulc Kraft der
Sonne — bediiifri, während jede Erscheinung für sich durch
eig-enthniidiche Nebeiiursachen und Ziifiillinküiten modificirt wird.
Durch ein ühnliches Verhiillniss wür(U) die beohachtcto
Uebereinstimniuno- der uiao-netischen Bewegungen und der Sonnen-
flecken sich erklären lassen; aber welche cosniische Kraft haben
wir als diejenige zu bezeichnen, wodurch die Grösse der mag-
netischen Variationen und die Häufigkeit der Sonnenfleckcn er-
zeugt wird? Hr. Sabine, welcher in der bereits oben angege-
benen Weise sehr rationell die Möolichkeil eines Zusainnienhanges
im Allgemeinen zu begründen suchte, hat es nicht ange-
messen orefunden iiul die (^ben erwähnte Fraj^e einznirehen,
jedoch kann hier erwähnt w(;rden, dass er bei anderen Unter-
suchungen eine dirccle magnetische Einwirkung der
Sonne anninnnl. Ich meincstheils habe bei verschiedenen
Geleuenheilen auf die Nolhwendiiikeit hincrcnviesen , neben der
(iravilalion die Elcclriciläl als eine allen Himnieiskörpern
zukoninionde und üb(M'all im Welträume wirkende Krall anzu-
nehmen, und zur Unterstützung der Hypothese ausser den Er-
scheinungen der Kometen, des Nordlichtes, des Zodiacallichtes
auch die üscillation des Barometers angeführt. Ich habe ferner
ansjedeutet wie die Electricilät der Sonne als Ursache der täsf-
liehen magnetischen Binvegungen und die Sonnenflecken als
electrische Ausbrüche betrachtet werden könnten. Hiernach
würden zahlreiche Sonnenflecken eine grössere Entwickelung
von Electricität anzeigen , und es wäre auf solche Weise ein
natürlicher Zusannneidiang zwischen der Anzahl der Sonnen-
flecken und den magnetischen Bewegungen hergt!stellt \ Auch
Hr. Broun scheint auf einen eiiii(jermaassen ähnlichen Gedatdten-
gang geführt wordcMi zu sein, wenn er ihn gleich nicht so weit
verfolgt hat : denn er begnügt sich seine Ansicht dahin auszu-
sprechen, dass die bisher in Betracht gezogenen Kräfte nicht
(8) Jaliresberitht der Miinchener Sternwarte für 1858. p. 71.
76 Sitzvtiff der tnaih. phys. Classe vom 14. Juni 1862.
ausreichen, und hebt verschiedene Thalsachen hervor, welche
die Annahme einer magnetischen oder eleclrischen Kraft zu
fordern scheinen'.
Die Unbestimmtheit aller dieser Aeusscrungen in unserer
sonst an ausführlichen Hypothesen so fruchtbaren Zeit scheint
einen hinreichenden Beweis dafür zu liefern, wie unsicher die
jetzt noch vorhandenen Grundlagen sind. In der That steht
kaum zu hoffen, dass es der Speculation gelingen wird die Un-
tersuchung wesentlich zu fördern, bis durch künftige fortge-
setzte Beobachtung neue Anhaltspunkte gewonnen sind. Die
nächste Aufgabe geht also dahin, die Beobachtung der Erschei-
nuno-en in zweckmässiger und methodischer Weise fortzusetzen
und weiter auszudehnen.
b) „Ueber das Verhält niss der magnetischen
Intensitäts- und inclinations-Störungen."
Es sind nun 16 Jahre verflossen, seitdem ich als ein eigen-
tliündiches Ergebniss der an der k. Sternwarte ausgeführten
magnetischen Beobachtungen den Erfahrungs-Satz verkündigte:
,,dass bei jeder Störung der horizontalen Intensität gleich-
zeitig eine Störung der Inclination in entgegengesetztem Sinne
eintrete, und dass zwischen der Grösse der Ausweichungen ein
constantes Verhältniss bestehe, woraus man auf die
Quelle dieser Erscheinungen zurückzuschliessen im Stande sei."
Damals hegte ich die Hofl'nung, dass die magnetischen Ob-
servatorien, welche man allenthalben mit so vielem Eifer ein-
zurichten und zweckmässig auszustatten bemüht war, bald eine
vollständige Darstellung der magnetischen Variationen für
alle V>('lllheil(' liefern würden, so dass es keine Schwierigkeit
hätte, sichere Schlüsse zu ziehen rücksichllich auf den Funkt
des Raumes, wo die magnetischen Störungen ihren Ursprung
(9) Rep. Brit. Association Tor 1830. p. 43.
Laniont: Mof/net. Iidensitiits- u. InclinationsStürtivyen. 77
liaben, so wie rücksidillioli auf die Gesetze, nach welchen sie
in verschiedenen geographischen Breiten modificirt werden.
Die EntwickeUnig der Institute, wodurch der Erdniauno-
tismus ergründet werden sollte, hat aber einen ganz andern
Verlauf genommen als man anfangs zu erwarten berechtiget war:
die meisten lösten sich auf, nachdem sie einige fragmentarische
Bestimmungen geliefert hatten, und die fortbestehenden konnten
zu einer vollständigen Organisation nicht gelangen , so dass die
Data die man nöthig hiitte, um mit Erfolg eine Untersuchung
der gleichzeitigen Variationen der Intensität und Inclinalion in
den verschiedenen Weltlheilen zu unternehmen , jetzt noch nir-
gends zu finden sind.
Unter diesen Umständen hielt ich es gleichwohl für zweck-
mässig, jene Untersuchung neuerdings in Erinnerung zu bringen
und bei dieser Gelegenheit die Frage zu erörtern, ob nicht viel-
leicht das Verhällin'ss der Intensitäts- und Inclinations-Störungen
im Verlaufe der Jahre sich ändere. Eine solche Erör-
teruno- hat desshali) besonderes Interesse weil — wie ich früher
schon nachgewiesen habe — die magnetischen Bewegungen
einer zehnjährigen Periode unterliegen, und jetzt daran gelegen
sein muss zu entscheiden, auf welche Verhältnisse jene Periode
sich ausdehnt. Da jedoch die Münchener Beobachtungen gegen-
wärticT einen Zeitraum von nudn- als zwanzig Jahren umfassen
und somit die Masse des Materials ausserordentlich gross ist,
so muss ich mich hier auf eine übersichtliche Darstellung be-
schränken.
Kleinere Abweichungen von der regelmässigen Periode
kommen alle Tage vor, grössere sind selten: die letzteren
bezeichnet man als Störungen und betrachtet sie als eine
eigene Classe von Erscheinungen, die einen bestimmten Charakter
haben, während die; erstem als zufällig gelten und sonnt in
gleiclie Kategorie mit diMi unregelmässigcMi Aenderungen des
Luftdruckes und der Temperatur gestellt werden. Dieser An-
sicht zufolge pflegt man bei Untersuchung der Störungsgeselze
die klein(Men Abweiciumgen bei Seile zu setzen. Wenn aber,
78 Sitzung der tiiath.-phps. Ctasse vom ii. Juni i862.
wie e«? für wahrscheinlich zu halten ist , die kleinen Abwei-
chungen den gleichen Ursprung wie die grossen haben und
gleichen Gesetzen unterliegen, so erscheint jene Ausscheidung als
unbereclitigct. Gleichwohl wird man finden, dass es nothwendijr
ist, vorläufig die kleineren Abweichungen unberücksichtiget
zu lassen und zwar aus einem Grunde, den man bisher nicht
beachtet zu haben scheint.
Wenn man die Abweichungen beslinnnt, so geschieht diess
dadurch , dass man von der Beobachtung den täglichen Gang
abzieht. Nun ist aber der täghche Gang selbst mehr oder
weniger durch die Störungen entstellt, und dieser Umstand hat
begreillicherweise bei den kleineren Abweichungen einen grossen
Einfluss, während die grossen Abweichungen dadurch nur um
einen kleinen Tlieil ihres Betrages geändert werden. Dieser
Ansicht gemäss habe ich bei der folgenden Untersuchung be-
stiiimile Grenzwerthe angenommen und alle Bewegungen, welche
den Grenzwerlh nicht erreichten, weggelassen.
Rücksichllich der zu den Beobachtungen verwendeten In-
strumente hebe ich folgende Punkte heraus. Als ich im Jahre
1840'° mit der Untersuchung des Erdmagnetisnuis mich speciell
zu befassen anfing, hatte man noch wenige Erfahrungen rücksichllich
der Construclion der Instrumente gemaclit, und die Praxis führte
mich bald zu der Ucberzeugung , dass die damals zu ziemlich
alloemeiner Geltung gekommen(!n Grundsätze verschiedener we-
sentlicher Modificalionen bedurften. Bei den Versuchen, die ich
anstellte, ging ich von dem Grundsalze aus. dass es nicht hin-
reichend sei die theoretischen Bedingungen, welche aus der
Physik und Mathematik gefolgert werden können, zu berück-
sichtigen , vielmehr die Entscheidung über zweckmässige Con-
struction der Instrumente auf practischem Wege erlangt
werden müsse. Erst dann kann man überzeugt sein, dass alle
(10) Die ersten ma«<;iieli.selieii Beol)aelitiin£;<'ii an ''•'r Sternwarte
mndile ich im J. IS.Tt); sie ln'standeii darin dass idi tiii;li(li um 8 Uhr
Morgens und 1 Uhr Nachmittags die Declinatiün bestinunte.
Lamont: Magnet. Jntensitäts- w. JncUnations-Störvvyen. 79
wesentlichen Bedingungen berücksicliliget sind, wenn mehrere
Instrumente in demselben Locale aufgestellt, über-
einstimmende Resultate liefern. Die Vergleichung meh-
rerer Instrumente ist also das wahre Kriterium , nach welchem
die Zulässigkeit einer Conslruction zu entscheiden ist.
Indem ich diesen Grundsätzen zufolge zwei oder mehrere
Instrumente von gleicher Construction gleichzeitig beobachtete,
(ukainite ich zuerst die Nolhwendigkeit den Nadeln kleine
Dimensionen zu geben, ich erkannte ferner den Eiiilhiss der
durch die äussere Temperatur erzeugten Luftströmungen im
Innern der Maonett/elüiuse und die Nothwendiokeit die Nadeln
von allen Seiten eng einzuschliessen, die practisch nicht zu besei-
tigenden Uebelstände der Bifilar-Suspension, die nachtheilige Wir-
kung der Dampfer, welche überdiess bei gehörig eingeschlossenen
Nadeln unnöthig sind , und verschiedene andere Bedingungen
v(m mehr oder weniger wesentlichem Belange. Es ist begreif-
lich dass die Untersuchungen! , welche zu diesen Zweck(Mi aus-
geführt werden nuisslen, Zeit erforderten und genaue Bestim-
munoen nur nach und nach zu Stande kamen. So konnnt es,
dass die Declinalionsbeslinunuiigen im Jahre 1841, di«; Intensi-
tiil.sbestimmungen 1842 und die Inclinationsbestinmiungen ISÜi
anfangen.
Die Intensitiits- Variationen bestimme ich vermittelst einer
Nadel, welche durch einen Deflector aus dem magnetischen
Meridian abgelenkt wird, und zwar sind die Magnete des De-
llectors mit Temperatur-Compensation versehen. Die Inclinations-
Viirialionen erhalte ich mittelst weicher Eisensläbe , und be-
slinnne den Werlh der Scahilheile nach einer eigenlhiindiclien
Methode, welche man in PoggendorO's Amialen Bd. CIX, 79
und Bd. CXII. GOI) entwickelt findet.
Um das Verhältniss der Bewegungen {V''a Intensitiils-Instru-
ments zu ermitteln, win-den zuniichst die Schwankungen d. h.
di(^ Abweiciiung(Mi vom regelmiissigen (Jange bestinnnt, indem
für jede Stunde das Monatmittel berechnet und dieses von den
Beobachtungen der einzelnen Tage des Monats abgezogen wurde.
80 Sitiuni/ der math.-phys. Classe vovi 14. Juni iS6S.
Nachdem auf solche Weise der tägliche Gang eliniinirt war,
wurden die sänunllichen Fälle herausgehoben, wo die zwei-
stündige Bewegung der Inlensitäl eine gewisse Grenze entweder
zunehmend (-f^) oder abnehmend (— ) überschritten hatte, da-
neben wurde dann die correspondirende Bewegung der Inclination
mit ihrem Zeichen eingeschrieben. Als Grenzen nahm ich an :
1843—1845 10 Theilstriche = 0,0012 (absolut)
1846-1858 6 „ = 0,0013
1859-1860 6 „ = 0,0011.
Auf solche Weise erhielt ich eine Tabelle, die 2680 Be-
obachtungen enthält, und die wegen des grossen Umfanges hier
wegorelassen werden muss. Die nähere Betrachtung dieser Ta-
belle zeigt, dass ohne alle Ausnahme einer Zunahme der Inten-
sität eine Abnahme der Inclination und einer Abnahme der In-
tensität eine Zunahme der Inclination entsprach, während das
Verhällniss der beiden Grössen im Mittel zwar ein constantes
bleibt, in den einzelnen Fällen aber kleinen Schwankungen un-
terliegt, deren Betrag aus einer früheren Zusammenstellung
(Abhandl. der II. Classe der k. Akad. der Wissensch. V. Bd.,
1. Ablh. S. 88) entnonunen werden kann.
Zunächst wurden die für die einzelnen Jahre gesammelten
Data in Gruppen von je zehn Beobachtungen abgetheilt und für
jede Gruppe
1) die Summe der positiven Bewegungen der Intensität und
der correspondirenden negativen Bewegungen der In-
clination;
,2) die Summe der negativen Bewegungen der Intensität
und der correspondirenden positiven Bewegungen der
Inclination;
3) die Summe sämmtlicher Bewegungen ohne Bücksicht auf
das Z(;ichen berechnet.
In der auf solche Weise erhaltenen Tabelle gleichen sich
die Zufälligkeiten aus und eine grosse Begelmässigkeit ofTenbart
sich in den Zahlen: di«; Tabelle selbst ist übrigens eben so wie
die üben erwähnte viel zu weitläufig um hier untgetheilt zu werden.
Lamont : Magnet. Intenutats- u. Inclinatioiis-Stünniyen. 81
Eiidlicli wurden die saimnlliclien zu einem Jahr gehörigen
Gruppen ziisaniinengenoninien und so ein Gesaninit-Resullat für
jedes einzelne Jahr gewonnen. Die Erg(>hnisse sind in folgen-
der Tabelle dargestellt, wobei zu bemerken ist^ dass die Inlen-
sitiits - AendernngcMi in Zehntaiisendslel, die Inclinations - Acn-
(lerungen in iMinulen ausgedrückt sind.
Jaltr
Iiiti'iisität
positiv
Incllna-
tioti
iief^ativ
Intensität
ne<^ativ '
Iiuliiia-
tioii
positiv
Aciulciiiiigeii
iibcrliaupt
Intcnsilät \ Inclinat.
1843
4- 754,0
114,7
-1105,8
+103,3
1859,8
278,0
1844
1393,1
203,9
1783,1
262.9 3176.2
466,8
1845
852,4
135,4
1691.3
267.8
2543,7
403,2
1846
2380,2 i
284,8
2791,6
354,8
5171.8
639,6
1847
1823,9 i
233,3
2346.7
374,2
4170.6
580.0
1848
1541,5
205.7
2067,5
291,2
3609.0
496,9
1849
804,2
113,4
1438.4
206.0
2242,6
319,4
1850
697,0
89.8
988.9
138,6
1685.9
228,4
1851
667,4
99,0
1069,1
151.8
1736.5
250,8
1852
2150,7
295.1
2736.9
387,6
4887.6
682,7
1853
1090,0
143,5
1891,5
260.8
2981,5
404,3
1854
1031.4
132,1
1926,4
255.2
2957,8
387,3
1855
552,4
74,3
891,5
124,5
1443,9
198,8
1856
392,2
49,1
746,0
104,1
1138,2
153,2
1857
500,3
63.7
837,4
122,1
1337,7
185,8
1858
1029,2
1 38.5
1042,3
141,0
2071.5
279,5
1859
1667,2
187.0
2192,9
287.9
38(;0,1
474,9
1860
2782,4
345,2
3358,3
468,2
6140,7
813,4
Eine periodische Zu- und Abnahme ixMuerkt man an diesen
Zahlen nicht, was mit ilcw Kesultalen des llrn. Sabine nicht im
Widerspruche steht, da sie nicht die Grösse der Störungen im
Allgemeinen, sondcsrn nur (li(! Grösse der zweistündigen Aen-
derung bei Störungen ausdiücken.
Berechnet man das Verhiiltniss der Intensitiils- und Incli-
nationszahlen, so erhall man folgende Tabelle:
11B6'2 II.] 6
82
Sitztiny der muUt.-phys. Vlatise vom 14. Juni 1862.
Aen
deruni; der Iiiclinatioii in Minuten
t'"i' Vi 0000 'li''" 'iitensitiit
T 1
Iiitensilät
Intensität
Aenderuny der
Jahr
zuiielunend
abnehmend
Intensität
überhaupt
1843
o'l521
o!l477
0,1495
1844
0,1464
0,1474
0,1470
1845
0,1588
0,1583
0,1585
1846
0,1197
0,1271
0,1237
1847
0,1279
0,1475
0.1389
1848
0,1334
0,1408
0,1377
1849
0,1410
0,1432
0.1422
1850
0,1288
0,1402
0.1355
1851
0,1483
0,1420
0.1444
1852
0,1372
0,1416
0.1 397
1853
0,1316
0,1379
0,1356
1854
(M281
0,1325
0.1309
1855
0,1345
0,1397
0.1377
1856
0,1252
0.1395
0,1346
1857
0,1273
0,1458
0,1387
1858
0,1346
0,1353
0,1349
1859
0.1122
0,1313
0,1230
1860
0,1241
0,1394
0,1325
Mittel 1843
1860
0,1340
0,1410
0,1381
Auch in (liosen Zahlen (Mkentit mnn keine Periode und die
Schwankungen scheinen bloss von Zulailigkeiten herzurühren.
Berechnet man die Aenderung der Verlical-Intensilat Y aus
der Horizontal-lntensilät X und der Inclinalion i nach der Formel
Y
X
d'l
sm I cos I
so hat man für die Periode 1843 — 1860
Lamont: Maynet. Intensitäts- ti. Iiiclinations-Stürungen. §3
Aendciiin«»; der correspoiulirciitlc Aeiuierurig
Horizontal- liileiisitüt der Veitical-Iiitciisilüt
+ 0,0001 — 0,00000095
— 0,0001 + 0,00000023
überhaupt 0,0001 0,00000404.
Einer Zunahme der Horizontal - Intensität , d. h, der nach
Norden ziehenden Kraft entspricht denniacli eine Abnahme der
verlicalen Intensität, d. h. eine nach oben wirkende Kraft.
Verbindet man die nach Norden und die nach oben wir-
kende Kraft zu einer Resultante, so wird die Richtung dieser
Resultante eine Höhe a über dem Horizont haben und in der
Ebene des magiu^tischen Meridians liegen. Zur Bestinunung
von « hat man die Gleichung
(5Y Y Y . . Y
X X
Die obigen Zahlen geben
0
für eine Zunahme der Horizontal- Intensität a z=: 1,9
für eine Abnahme der Horizontal-Intensilät a -- 7,31
für eine Aenderung überhaupt a =^ 4,55.
Die Abweichungen der drei Wertlie von einander halte ich
für zufälliff und nehme den hUzten als den sich(!rsten an.
Hiernach ist die Qn^'Ue der Störungen im magnetischen Meridian
nördlich 4° 55' üb(M-, oder südlich 4° 55' unler dem Horizont
zu suchen : da aber die Störungen an Stärke ztniehmen je
weiter man nach Norden aeht, so hat man die erslerc; Bestim-
nmng allein als die richtige zu betrachten.
Ich habe oben erwähnt dass es für das Endresultat mög-
licherweise von Einfluss sein könne, ob man bei Ausscheidung
der Störungen die Grenzwerthe grösser oder kleiner annimmt.
Um zu entscheiden, in wi(! ferne dieser ['instand die von mir
erhaltenen Zahlen modificirt haben konnte, hob ich die grossen
84
Sitzung der »latli. -pli.vs. Ctasse vom 14. Juni iS62.
Beweo-unoeti allein heraus, so dass für die Intensität die Grenze
im Mittel 0,0024 betrug. Auf solche Welse verminderte sich
die Zahl aller Bestimmungen von 1843 bis 1860 auf 492: die
Resultate stellen folgende Tabellen dar:
Summe der grossen Bewegungen der Intensität
und Inclinalion.
liicliiia-
I ^ • a " *
Incliiia-
Grosse Bewcffunircn
IiiteiKsität
Inteiisitiit
'^ '■-'
Jahr
tion
tion
überli
aupt
positiv
negativ
negativ
positiv
Intensität
Iiiclinat.
1843
175,0
22,8
269,0
39,2
444,0
62,0
1844
354,5
51,9
822,6
125,1
1177,1
177,1
1845
170,2
26,8
530,6
86.3
^00,8
113,2
1846
637,6
72,8
872,0
ilO.6
1509,6
183,3
1847
716,9
78,7
1220,0
163,7
1936.9
242,4
1848
398,4
51,4
740,0
102,1
1138.4
153,5
1849
138,7
19.2
380,5
54,2
519,2
73,4
1850
140,4
20,1
280,2
41,4
420,6
61,4
1851
151.7
19,6
367,9
51,2
519,6
70,8
1852
610,7
83,5
1087,9
159.7
1698,6
243,2
1853
201,3
26.6
610.5
88.8
811.8
115,4
1854
150,4
20.1
566,2
79.2
716,6
99.3
1855
97,3
14,4
217,2
30,7
314,5
45,1
1856
88,8
11,6
2094
31,0
298,2
42,6
1857
151,9
18,5
246,6
34.9
398,5
53,4
1858
110,2
15,5
211,7
31.6
321,9
47,1
1859
407,2
44,7
632,5
84,4
1039,7
129,1
1860
1043,4
123,6
1258,3
176,6
2301,7
300,2
Lainont: Magnet. Intensität^- u. Inclinations-Störuntfen. 85
AeiulL'iiing der liuliriation in Minulcn
fwi" Vi 0000 'It'i' Iiitoiisität
Jahr
Intensität
zinK'liineiui
Intonsität
al) nehmend
Aen<lerun? der
Intensität
überhaupt
1843
9
0,1303
o!l457
0,1396
1844
0.1464
0,1521
0.1 505
1845
0,1575
0,1626
0.1615
1846
0,1142
0,1268
0,1214
1847
0,1098
0,1342
0,1251
1848
0,1290
0,1380
0,1348
1849
0,1380
0,1424
0,1413
1850
0,1432
0.1478
0,1460
1851
0,1292
0,1392
0,1365
1852
0,1367
0,1468
0,1432
1853
0,1321
0,1455
0,1422
1854
0,1336
0,1399
0,1386
1855
0,1480
0,1413
0,1434
1856
0.1306
0,1480
0,1429
1857
0.1218
0,1415
0,1337
1858
0,1407
0,1493
0,1463
1859
0,1098
0,1334
0,1243
1860
0.1185
0,1403
0,1305
Mittel 1843 1860
0,1316
0,1430
0,1390
Man sieht. (las.s die orossen Bewegungen fast genau
dasselbe Resultat geben, welches ohv.w aus der Gesamnilheit
der grossem und kleineren Bewegungen abgeleitet worden ist.
Sabine war, wie ich glaube, der er.ste der nachgewiesen
hat, dass dii? Störungen nicht etwa wie man früher glaubte an
allen Punkten d(M- Krde gleichzeitig und in ähnlicher Weise sich
offenliaren, sondern «lass sie ihre liigliche Periode haben eben
so wie die regelmässigen Variationen. Die Störungen treten
in solcher Weise auf, dass sie als eine Verstärkung der
86
Sitzung der math.-phys. C lasse vom 14. Juni 1862.
regelmässigen Bewegung, also auch als eine Verstärkung der
gewöhnlich wirkenden Kraft betrachtet werden können, und in
diesem Falle inüsste in den regelmässigen Bewegungen dasselbe
Verhältniss statt haben, welches oben in den Störungen nachge-
wiesen worden ist, d. h. man hätte die Variationen der Inten-
sität (in Zehnlausendstel) nn't 0,1381 zu multipliciren um die
Variation der Inclinalion (in Minuten) oder letztere uiit 7,241
zu multipliciren um erslere zu erhalten. In wie ferne hiemit
die Beobachtung übereinstimmt, kann man aus folgenden Tabellen
entnehmen.
I n t c n s i t ä t s - V a r i a ti 0 11 e n.
Stunde
aus der Iiuliiiation
berechnet
vSonimer | \Yinler
heobatlitel
Sommer ! VTiriter
Untersiliied
Sommer 1 Winter
l^iMg.
2
4
6
7
8
9
10
11
12
l'-Ab.
2
3
4
5
6
8
10
12
13,87
5.79
13.77
5,06
13,10
5,28
13,11
4.46
12,52
6,58
12.35
6.00
10,20
7,75
10.11
6,79
7,24
7,60
7,47
6,75
2,97
5,94
3,35
5,19
043
3,33
0,42
2,61
0.00
1,08
0.00
0.50
2.17
0,00
2,01
0,00
4,92
1.37
5,59
1,85
7.60
2,24
9.30
3,41
8.54
1„59
10,71
3,32
9,05
1,09
11,96
2.76
8,69
0,36
11,82
2 32
9,12
0,58
12,03
2,16
10 21
1,30
12,88
3,23
13,61
3.52
15,37
3,65
14,12
5,50
15,29
5,34
13,54
6,01
14,28
5,45
—0.10
+0,01
—0,27
-0,09
4-0,23
+0.38
-0,01
-0,00
-0,16
-fO.67
+ 1J0
•+2,17
+2,91
+3,13
+2,91
+2.67
+1,76
+1,17
+0,74
-0,73
-0.82
-0,88
-0.96
-0.85
-0,75
-0,72
—0.58
-0.00
+0,48
+1,17
+1,73
+1,67
+1,96
+1,58
+1,93
+0,13
-0,06
-0,56
Lamont: Mannet. Intensüäts- u. Inclinatiom-Störtinyen. 87
Incliiiations - Variationen.
Stiiiulc
aus der liitciisiliit
berechnet
Soiiiiiier I Winter
beobachtet
Sommer 1 Winter
Unlersehicd
Sommer | Winter
PMg.
2
4
6
7
8
9
10
11
12
PAb
2
3
4
5
6
8
10
12
0,24
0,31
0,42
0,73
1,27
1.66
2,06
2,12
1,75
1,33
0,84
0,64
0,47
0,49
0,46
0 35
0,00
0,01
0,15
0,24
0,32
0,11
0,00
0 01
0.22
0.57
0,87
0,94
0,68
0,47
0.48
0.56
0,62
0,64
0,49
0,44
0,20
0,18
0,02
0,14
0,22
0,54
0,95
1,54
1,89
1,95
1,65
1,27
0,!)0
0,77
0,70
0.75
0,69
0,54
0,07
0,00
0,08
0,27
0,34
0,12
0,00
0,02
0,25
0,61
0.92
1,07
0,88
0,76
0,85
0,92
1,02
0,99
0,89
0,57
0,31
0,24
I
—0,22
-0,17
-0,20
—0,19
-0,32
-0,12
-0,17
-0,17
-0,10
—0,06
+0,06
+0,13
+0,23
+0,26
+0,23
+0,19
+0,07
-0,01
-0,07
+0,03
+0,02
+0,01
+0,00
+0,01
+0,03
+0,04
+0,05
+0,13
+0.20
+0,29
+0,37
+0,36
+0,40
+0,35
+0,40
+0,13
+0,11
+0,06
Die Uebeieinsliininiing^ der täglichen Bewegung mit dem
Gesetze der Störungen geht zwar sein- weit, und es bleiben
verhaltnissmiissig nur kleine Unterschi(Mle übrig, gleichwohl
ofTenbart sich in diesen eine zu grosse Regeliniissigkeit, als dass
sie für zufällig gehalten werden konnten. Wir haben demnach
anzunehmen, dass zwei verschiedene Kräfte bei den mag-
netischen Bewegungen thälig sind, ein Satz den ich bereits in
einer früheren Schrill (Besnilate des magnetischen Observato-
riums in München 1843 — 44 — 45) auf andcrm Wege zu
begründen gesucht habe.
88 Sihutiy der tnath.-phys. VlasiC votn i4. Juni 1862.
Herr P eilen kofer gab eine Millhellnng
„Ueber ilic Ausscheidung von Wassersloffgas
bei der Ernährung des Hundes mit Fleisch
und Slärivinehl oder Zucker."
Die Versuche über die Menge der Ausscheidungen durch
Haut und Lunge in stetem Bezug zur aulgenommenen >'ahrung,
welche ich gemeinschaftlich mit Hrn. Professor Dr. Volt in dem
durch dicMunificenz Sr. Jlajeslüt des Königs Max errichteten
Respiralionsapparal gegenwürticr am Hunde ausführe, haben zu
einem Eroebniss cjcführt . das ich der Classe einstweilen mir
mitzulheilen erlaube, noch bevor die ganze Versuchsreihe abge-
schlossen und von uns beiden im Zusammenhange mifgetheilt
werden wird.
Geht man von reiner Fleischkost zu gemischter Kost (Fleisch
und Stärkmehl oder Zucker) über, so ändert sich das Verhält-
niss zwischen der Menore des aus der Luft aufsjcnonnnenen
Sauerstofles und des in der ausgeschiedenen Kohlensäure ent-
haltenen nach einigen Tagen sehr merklich. — Ans theoretischen
Gründen ist diess von vorneherein zu erwarten , und die Ver-
suche von Regnault und Reiset Hessen diess bereits sehr deut-
lich erkennen. Da dieses Verhältniss sich mit ji^dem Tage nur
um etwas ändert, so wollti-n wir den Punkt erlahren, wo bei
gemischler Kost das Gleichgewicht eintritt, und bei dieser Ge-
legenheit kan)en wir zu dem ganz unerwarteten Resultate, dass
bei Fleisch und Zucker ein Zustand eintritt, wo der in der aus-
geschiedenen Kohlensäure enthaltene SautTstolT ein volles Drittel
melu" beträgt, als der aus der Luft aulgcMionunene. Ein solches
Verhältniss ist nur denkbar, wenn ein beträchllicher Tlieil des
genossenen Kohlehydrates sich in der Weise umsetzt, dass es
zu Kuhleiisäurt! und Wasserstoff zerfällt, ähnlich wie bei der
Bniter.oäuregahrung, wenn also aus den Kohlehydraten Kohlen-
säure; gebildet wird, welche keinen Sauerstod aus d(*r Luft be-
ansprucht, sondern auf Kosten des Saucirsloffes im Kohlenhydrate
entsteht. Und unter diesen Umständen kann allerdings die
Pettenknfer : Ueher Ausscheidung von Wasserstoffi/as. §9
Aiisscheidiiiig von 1 Gnu. Wasserstoff die Bildung von 11 Grm.
Kohlensaure veranlassen , ohne dazu Sauerstoff aus der Luft
nölhig zu haben.
Dieser Wasserstoff Hess sich leicht in der Lufl des Appa-
rates naclnveisen. Zu diesem Behufe wurden von der abströ-
menden Luft zwei Proben auf Kohlensaure und Wasser unter-
sucht, die eine wie gewöhnlich, die andere aber nachdem sie
in einem nn't l'lalinschwamm gelVilllen Verbrennungsrohr geglüht
worden war. Um was in dieser zweiten Probe für ein glei-
ches Vohini abslriimender Luft sich mehr Wasser und Kohlen-
säure ergibt, als bei der erslen Probe, wo die Lufl nicht ge-
glüht wird, um das ist \^'asser und Kohlensaure durch das
Glühen der Luft noch zu der bereits vorhandenen gebildcd wor-
den. Es ergab sich nun, dass die Wassermenge der Luft, wäh-
rend sie über dew glühenden PlalinschwiMum strömte, sehr be-
trächtlich, die Kohlensäuremenge sehr unbedtmtend zunahm. —
Das deutet an, dass man es mit >\'asserstoff zu thun hat, dem
eine uerintj-e Menoe Grubenoas beioemengt ist. Andere orga-
nische Dämpfe können nicht in der Luft des Apparates nachge-
wiesen werden, das Schwefelsäurehydrat , welches zur Absorp-
tion des Wassers in dem kürzlich beschriebenen Kugelapparate
dient, färbt sich binnen 24 Stunden nicht im g(!ringsten. obschon
slündlich mindi'slens G Liter Luft, also während der ganzen
Dauer eines Versuches jedenfalls gegen 150 Liter Luft durch
die erste Kucjel eintreten. >Vären noch andere kohlenstoffhal-
tige Dämpfe in i\en perspirirlen Ga.sen in messbarer Menge vor-
handen , so würde sich bei solchen iMengen der untersuchten
Luft die Schwefelsäure jedenfalls, wenigstens in der (Msten und
zweiten Kugel bräunen. Man hat somit ein volles Hecht, den
auf diese Art gefundenen Kohlenstoff als Grid)engas, den übrigen
Wa.ssersloff als Wassersloifgas zu berechnen. — Auch die
eudiometrischen Versuche Anderer konnten in der Perspirations-
lulY ausser Kohlensäure, Stickstoff und Sauerstoff weiter nichts
als Wasserstoff und Grubengas in einer Menge finden, dass sie
noch quantitativ bestimmbar war.
90 Sitzung der math. -phys. Classe vum 14. Juni 1862.
Per zu uiiscrn Versuchen dienende grosse Hund (circa
30 Kilo schwer) schied bei einer 14 Tage dauernden FüUerung
von 500 Grm. Fleisch und 200 Stärke in zwei Versuchen binnen
24 Stunden folgende Anzahl von Grammen durch Haut und
Lungen aus.
Kolilpiisäiire Wasser Wasserstoff Gnibciiscas
I. 416.0 359,9 7,2 4,1
II. 428,3 360,1 7.2 4.7
7.2 Grm. Wasserstoff ist «lehr Wasserstoff, als in 100 Grm.
Stärke enthalten ist, und mehr, als bei Umwandlung von 200 Grm-
Zucker in Buttersäure frei wird.
Um die Menge Sauerstoff bemessen zu können, welche aus
der Lull in den Stoffwechsel eingetreten ist, muss man säcnmt-
liche Gewichtsverhältnisse vor und nach dem Versuche mit ein-
ander vergleichen. Ein Beispiel wird diese Arte zu rechnen am
besten erklären :
Versuch I.
Gewicht des Hundes
vor dem Versuche 29944 Grm. — nach dem Versuche 2987 3 Grm.
IFIeisch 500 „ Harn 338,8 „
/Stärke 200 „ Koth 1,1 „
Oelulierles ' ^^^ ^.^ ^^ Kohlensäure 416.0 „
(Wasser 144,5 „ Wasser 359,0 „
30795,0 „ Wasserstoff 7,2 „
Grubengas 4,1 „
3IIÖO7I ,,
Um was die Sunune nach dem Versuche grösser ist, als
vor dem Versuche, das ist Sauerstoff aus der Luft eingetreten.
Man kann also sagen, dass während des Versuches 304.1 Grm.
Sauerslofl aus der durch den Apparat strömenden Luft vom
Hunde verzehrt worden sind.
Der Hund bekam nun zu 500 Grm. Fleisch 200 Fett an-
statt Stärke, Am ersten Tage schied er bei dieser Diät in
24 Stunden folgende Anzahl von Grammen aus
Seidel: Zur Theorie der Potenzreihen. 91
Kolilciisäurc Wasser WassorslofF (iiiihengas
417,3 426/J 6,4 3,7
droi Tilge später
427,8 G2r),6 4,3 4,5
Man sieht, wie die WasserslofTausscheidung abnimmt, wenn
die Stärke durch Feit ersetzt wird, während die Menge des
Grubengases sich ziemlich constant erhält. Wie weit der
WasserstofT bei dieser Diät nach und nach zurücktritt, werden
fortgesetzte Versuche lehren.
Gegen diese Zahlen kann man nur den einzigen Einwurf
noch machen, dass vielleicht die in den Apparat einströmende
Luft schon etwas \yasserslüff enlhalle, der von dem in» Apparat
entwickelten abzuziehen wäre. L'm diesem zu begegnen, wird
eben eine vierte Untersuchungspumpe aufgestellt, welche auch
die Untersuchung der fortwährend einströmenden Luft auf
WasserstülT und Grubengas gestaltet. Aller Wahrscheinlichkeit
nach werden diese Grössen verschwindend klein sein, doch er-
fordert das Princip der Diirerenzbeslinunungen , welches meiner
ganzen Unlersuchungsmelhode zu Grunde liegt, auch diese
Rücksicht, und werde ich in Bälde im Stande sein, InCrüber in
entscheidender Weise berichten zu können.
Herr Seidel sprach
,,Ueber die Verallgemeinerung eines Salzes
aus der Theorie der Polcnzrei hen."
Wenn man zwei nach steigenden Potenzen derselben Grösse x
geordnete Reihen hat, welche für alle Werthe von x zwischen o
und h convergiren und übereinstimmende Werthe annehmen, so
92 Sit-zuny der viath.- jihifs. Classe vom 14. Juni 1862.
hat mau den für die ganze Analysis fundamentalen Satz, dass
diese beiden Reihen identisch sein müssen. Der Beweis des-
selben, wie er von Caiichy in exacter Weise gegeben ist, be-
ruht wes«Milhch auf der Belrachtung kleiner Werthc von x; er
erfordert dabei keinen andern Hiifssatz, als dew vorausgegan-
genen Nachweis, dass es möglich ist, in der convergirenden
Polenzreihe x so klein anzunehmen, dass das Yerhidtniss der
in's Unendliche sich erstreckenden wSuinme aller Glieder, von
einem beslimmlen angefangen, zu dem vorausgehenden einzel-
nen Gliede, kleiner wird als eine beliebig kleine Grösse. —
Die Fratro hat sich wohl schon Vielen aufgedriingt, ob man die
Identität der beiden Reihen, deren Summen üliereinslimmen,
auch dann nachweisen kann, wenn die Grenzen g und h von x,
innerhalb deren man dieser Uebereinslimmung gewiss ist, die
Null ansschliessen ; kürzlich ist diese Frage von Herrn H.
Laurent in dem Journale von Terquem und Gerono aufge-
worfen woiden. Dass ihre Beantwortung alTirmativ ausfallen
muss, daran wird nicht leicht Jemand zweifeln; es s<:heint aber
nicht uninteressant, sich davon Rechenschall zu geben, wie der
strenge Beweis zu führen ist. Derselbe liegt darum nicht ganz
so nahe, als man erwarten möchte, weil die Eigenschaften,
welche wir gewohnt sind mit der Natur von Potenzreihen als
unzertrennlich verknüpft zu denken , zum Theile aus der Be-
trachtung erwiesen werden , dass alle Reihen dieser Art
unter das Taylor'sche (oder Maclaurin'sche) Theorem lallen:
man muss aber bemerken , dass die Identität irgend einer con-
vergirenden Potenzreihe mit einer Taylor'schen Reihe unseren
Satz selbst schon zur Voraussetzung hat , und a priori nicht
feststeht, wenn man von den WtMthen der Frsteren nur Kennt-
niss hat für solclie x, die zwischen Grenzen g und h liegen,
welche entweder beide positiv und von Null verschieden oder
beide nejiiitiv und von Null verschieden sind. — OlTenhar kann
man das zu erweisende Theorem auch so aussprechen : wenn
eine nach Potenzen von x geordnete Reihe convergirl und
Null zur Summe hat für alle VVerthe von x zwischen g und h,
Seidel: Zur Theorie der Potenzreihen. 93
SO müssen alle ihre einzelnen Glieder identiscli Null sein. Der
an diese letzlere Fürnudiruno- sich anschliessende Beweis, den
ich im Folgenden andeuten werde, h(M'uiit auf der Id(!e, zu-
nächst «las Intervall der Grenzen von \, innerhalb deren die
Sunnne Null wird , nach unten zu erweitern , so lange bis der
Werlh X =: 0 hineinriillt, wo dann der Cauchy'sche Beweis zu-
trifft; um jedoch diese Erweiterung vornehmen zu können, sind,
soviel ich sehe, einige Hilfssiilze nöthig, die ich bezeichnen werde,
und die übrigens Eigenschaften aussprechen, welche auch sonst
von wesentliclnu* Bedeutung für die Potenzreihen sind :
1) Man zeigt, dass wenn eine vorgelegte nach Potenzen
von X geordnete Reihe convergirt für x =: h , sie auch con-
vergiren muss, und zwar abgesehen von den Vorzeichen ihrer
Glieder, für alle x die der Null naher liegen als h. Desgleichen
zeifft man , dass die Reihe für diese letzterem Werlhe von x
nothwendig eine conlinuirliche Function von x vorstellt.
2) Wenn man eine abgeleitete Reihe dadurch bildet, dass
man in der voi"ii;eI(;iTlen Reihe Glied für Glied nach x Einmal
dilferentiirl, — oder eine zweite abgeleitete dadurch, dass Glied
für Glied zweimal nach x differiMitiirt wird, — u. s w., so wird
bewiesen, dass auch die m"^ abgeleitete Reihe noch convergirt
für alle Werlhe von x, die der Null näher liegen als h. (Nach
Salz 1. ergibt sich dann, dass auch jede dieser Reihen eine con-
linuirliche Function von x ist).
3) Man zeigt , dass diese abgeleiteten Reihen zu Sununen
die wahren Dilferential- Verhältnisse der durch die ursprüngliche
Reihe vorgestellten Function von x haben. (Oiiise Behauptung
bedarf eines B«!vveis(?s, weil man bckannllich keinen Salz hat,
nach welchem es erlaubt wäre, unendliche Heihen im Allge-
meinen zu dilferenliiren , und weil die Identität der vorgelegten
Reihe mit einer Taylor'schen, die diff(Mentiirl werden darf, noch
nicht erwiesen ist.)
Nach di(!sen Sülzen würden man also j(!lzt wissen: die durch
unsere lielhc. dargeslcllU; Function ist conlinuirlich sanwnt allen
ihren Diü'erenlial- Verhällnisseii nicht allein für alle x zwischen
94 SÜ-zung der math. - ]>hys. Classe vom 14 Juni 1S62.
g und h, sondern auch für alle x zwischen o und h •. Ferner
weiss man (nach der Voraussetzung), dass sie constant gleich
Null ist für alle x in den engeren Grenzen g und h, woraus
von selbst folgt, dass iinierhalb dieser Grenzen auch alle
Differential -Verhältnisse Null sind. Es handelt sich darum, aus
der letzteren Eigenschaft mit Hilfe der jetzt erwiesenen Conti-
nuität der Function und ihrer sämmtlichen Differential -Verhält-
nisse zu erweisen, dass auch die Fortsetzung der Function über
das letztere Intervall hinaus , nämlich für Werlhe von x zwi-
schen 0 und g, noch constant gleich Null bleibt. Wenn eine
Function, die zwischen x = g und x = h stelig gegeben ist,
und von der man weiss dass sie jenseits x == g sammt allen
ihren Differential-Coefllcienten continuirlich bleibt, überhaupt nur
auf Eine Art fortgesetzt werden könnte, so wäre es klar, dass
die unsrige auch von x ~ g bis x = o constant und gleich
Null bleiben müsste; die angerührten Data genügen indessen
nicht, um zu diesem Schlüsse zu berechtigen ^ Man kann den-
selben aber für den uns vorliegenden Fall strenge legalisiren,
indem man auf die zu behandelnde Function den Taylor'schen
Satz mit dem Ergänzungsgliede anwendet. In dieser Form
gilt der Satz bekanntlich immer, so lange nur die sämmtlichen
in seiner Entwicklung aufgenommenen Glieder contiiuiirliche
Functionen bleiben: setzt man für x einen Werth zwischen g
und h, dem g sehr nahe liegend, für ^x einen Werth dessen
Vorzeichen mit demjonigen von g — h übereinstimmt, so ver-
schwinden für unseren Fall alle Glieder bis auf das Ergäuzungs-
(1) Man könnte atitli i^Ieith sa^en, zwischen — h und h. — Uli
setze voraus, dass g zwisilien o und li liegt. —
(2) Ks sei Fx ein Ausdruck, welcher für Werthe von x die kleiner
als g sind eine den angeführten Bedingungen entsprechende Fortsetzung
einer zwischen x =r g und x = h gegebenen Function darstellt. .\h-
i
dann wird auch Fx + y(x) c»-« denselben Bedingungen geniigen,
wenn y(x) eine willkiihrlidie Function vorstellt, die aber zugleich mit
allen ihren [lifferential-Verhältnissen continuirlich bleibt zwischen o und g.
Seidel : Zur Theorie der Potenzretlien. 95
gWcd, von diMu letzteren aber kann man beweisen, dass es sich
bei wachsendem Index ebenfalls der Null als seiner Grenze
niihert, vorausgesetzt dass p_- ein ächter Bruch ist. Indem man
Jx dieser Bedinoung entsprechend anninnnt, erweitert man also,
gegen Null zu, die Grenzen des anlanglich gegebenen Inlervalles
innerhalb dessen die Reihe constanl den Werth Null hat: indem
man sich nothitrenfidls eine solche Erweilerungr mehrmals wie-
derholt denkt, brinot man den Werth x == o selbst in das
neue Intervall hinein, und reducirt dadurch di(( Betrachlunof auf
(\c]\ bekannten Fall, für welchen schon demonstrirt ist, dass
alle Glieder der Reihe identisch verschwinden müssen.
Was die Beweise der unter 1), 2), 3) gedachten
Siitze und ebenso denjenigen für die unendliche Abnahme
des Erffänztni(jsi>liedes bei fortwährendem Wachsen des Index
bclrilTt, so beruhen sie alle auf der nändichen B(;trachtnng,
nach welcher gezeigt wird, dass in der convergirenden Totenz-
reihe die Ergänzung beliebig viel kleiner gemacht werden kann
als das einzelne ihr vorangehende Glied. Um bei den Thesen
1) nicht zu verweilen (deren Beweis besonders nahe liegt), so
wird z. B. die Convergenz der sännntlichen nach 2) abgeleiteten
Reihen (welche abgesehen von den Vorzeichen stattfindet) durch
folgende Bemerkung dargethan : Weil die ursprüngliche Reihe
noch convergirt für x i= h , so gibt es eine endliche Grösse M,
welche die Eigenschaft hat grösser zu sein, als irgend ein ein-
zelnes Glied der Reihe dann wird, wenn man h für x setzt.
Nimmt man daher jetzt für x einen kleineren Werth , so wird
das mit x^ mulliplicirte Glied kleiner sein als ( ." j M, d. h.
kh'iner als das allgemeine Glied der geometrischen Reihe, deren
AI
Glieder sännntlich positiv sind, und welche x_ zur Sununc
¥
hiit. Wenn man nun die; einzelnen Glieder der erstem RtMhe
nnt denjenigen Zahienläctoren nudtiplicirt , welche bei ihnen
durch die successiven Diflerenlialionen hiuzulrelen, und zugleich
96 Sitzung der t/iath.-phi/s: Vlasse vom i4. Jvni iS62.
die entsprechenden Erniedrigungen der Potenzen von x vor-
nimmt, so werden die einzelnen Glieder noch immer kleiner
sein, als die auf dieselbe Art veränderlen Glieder der geome-
trischen Heihc. Die letzteren haben aber , wenn m mal
differenliirl worden ist, zur Grenze ihrer Suminme die Grösse
iw <•" r, x\-J 1 .2.3... m.M ,, ... , ,, ..^
M , -l 1 ~ 1^ I ~ - — 7^ ;;;-,-, Welche endlich Dleu)t
für alle Werthe von x die kleiner als h sind; es wird daher
auch der Zahlenwerlh der Reihe, welche durch m maliore
Differentiation der einzelnen Glieder der ursprünglich vorge-
legten Reihe entsteht, den Werth des letzteren Ausdruckes
selbst dann nicht überschreiten können, weim man allen Glie-
dern gleiche Zeichen gibt, — wonn't die Behauptung 2) er-
wiesen ist \
Um endlich zu beweisen, dass die conv(>rgirende Reihe,
welche man durch Differentiation der einzelnen Glieder der vor-
gelegten Reihe erhält, zu ihrer Summe wirklich das DifferiMitial-
Verhältniss der durch die erste Reihe dargestellten Function
hat ( — unsere Behauptung 3) , die offenbar für m malige
DiUerentiation von selbst folgt, wenn sie erst für die einmalige
erwiesen ist — ), bildet man zuerst den Unterschied der beiden
Werthe, welche die vorgelegte Reihe annimmt für x ==: a und
für X == ß (ich nehme an /i^ > a^), und dann, durch wirk-
liche Division der einzelnen Glieder, das Verhältniss dieses Un-
terschiedes zur Dilferenz (i — a. Man hat zu zeigen , dass
dieses Differenzen - Verhältniss bei fortwährender Ainiäherung
von ß an a sich einem Werthe nähert, der kein anderer ist,
als die Summe der Reihe, die man durch Einmalige Differen-
(3) Der rbcn auri>esle!lto Wnlli, uclduMi die Suniinc der in mal
dilTtTcnliiitcii Ki-ilic nie übcrsclircileii kann, dient aniii liir den Beweis,
dass das Er<;änzinigs<rlied der Tajlor'schen Reihe , wie es in der oben
weiter an<;edeuleten Betracbliing auitrill, unter Voian.'Äetzung der dort
angerührten tiedingung sich bei waihsendeni Index der Null als Grenze
liüliern niuss.
Seidel : Zur Theorie der Potemreilien. 9-7
liation der einzelnen Glieder und durch die Substitution x = a
aus der vorgelegten Reihe ableitet; zu dem Ende zieht man die
differenliirte Keilu! von dem Differenzen - Vorhäitniss ab, und
ordnet nach den Dimensionen der Grössen a und ß. Den Zah-
lenvverth der Reilu;, welche den Unterschied zwischen dem
Differenzen - Verhältniss und der ersten abgeleiteten Reihe vor-
stellt, vergrössert man, indem man erstens statt der etwa vor-
konmienden negativen Coefficienten ihre absoluten Zaiilenwerthe
setzt, dann statt des aligemeinen Coefficitiiiten vom Index r den
VVerth Mh~' schreibt, den er. wie vorhin erörtert, nicht über-
schreiten kann, und indem man noch drittens in den additiven
Theilen der AcroTeijate, welche; mit diesen Coefficienten inulti-
plicirtsind, überall ß statt a nimmt. Nach diesen Veränderungen
liisst sich die Reihe summiren, und der Ausdruck, welcher sich
ergibt, zeigt eine Form, an welcher man sogleich erkennt, dass
er sich d(!r Null niiiiert, wenn ß sich dem a ohne Ende niihert.
Das Differenzen-Verhiiltniss der vorgelegten Reihe hat also wirk-
lich zu seiner Grenze die Reihe , welche durch Difl'erentiation
der einzelnen Glieder aus der ersten abgeleitet wird. — Auf diese
Art ertreben sich also leicht die verschiedenen Lemmen, welche
man für den Beweis des Eingangs erwiihnten fundamenlalen
Satzes nach dem hier vorg(!Schlagenen Gange der Betrachtung
nöthig hat.
Illslorlschc Classe.
Sitzung vom '21. Juni lS(i2.
Herr Muffat sprach über
„Wolfher, Patriarchen von Aquileja, einen
gebornen Bayern."
[1^63. u.] 7
§g Sitzung der philos.-pfiiioi Classe rom 5. Juli 1862.
Philosopliisch - philologische Classe.
Silzims vom 5. Juli 18C2.
Herr Thomas herichlete über
„einige Fragmente von versificirten Fabeln
zum sogenannten Romulus.''
In der Münchener Incunabel (c. a. 143), welche das Con-
solatorium theologicum Magistri Johannis de Tambaco enthält,
gedruckt 1492 in Basel durch Johann von Amerbach — aus
der Bibliothek von T cgernsee , stehen aöf dem hintern perga-
mentenen Falzblatt einige Fabeln, im elegischen Versmaass, die
Schrift deutet uiii das 12. Jahrhundert. Dieses Aller allein
macht es werth dieselben abzuschreiben. Sie gehören zum
3. Buch des sogenannten Aesopus, wie ihn die ältesten Aus-
gaben von Johann Zeiner in Ulm (vom J. 14(S9) darbieten.
Unser Text weicht von diesem Drucke nicht unmerklich ab.
Wohl nichts hat grössere Wandelungen durchgemacht als
dieses milteliillerliche Fabelbuch. Für eine künftige Kritik —
wenn sie anders dieser Gattung der Lehrpoesie für jene Zeit
nochmals zu Theil wird — mögen denn diese Bruchstücke der
wahrscheinlichen Verborgenheit entrissen werden.
Um unserer kleinen Gabe etwas an Werth zuzusetzen, habe
ich aus den Handschriften unserer Bibliothek noch .') Eanneramer
Handschriften herbeigezogen, und zwar Cod. Em. B. XLII.,
D. AXVI., F. XXXII., D. LVIII., F. LXXXIX., ich habe sie kurz
Eß, ED, EF, J, (h bezeichnet.
Das Pcrganu'iilbliilt, welches unten abgeschnitten ist, gibt
drei Fabeln (die drei ersten des genannten 3. Buches) ,,de leone
et paslore" — „de equo et leone'' — „de equo ornato'' voll-
Ständig, nur dass in der 2len Fabel durch den Abschnitt Vers 3,
Thomas: Zum versificirten Romulus. 99
in der 3ten die 4 Schlussverse des Epiinylhiunis wegge-
fallen sind.
Ausserdem sieben noch am Anfang der Seite die beiden
Endverse der 20ten Fabel des 2ten Buches ,,de rana et bove"
cum niainre nnnor conferri desinat et se
consulat et uires temperet ipse suas.
/. De leone et pastore.
1 SoUicilus praedae currit leo. spina Iconem
Vulnerat. offendit in pede mersa pedem.
Fit mora de cursu. leuilas inprouida lapsum
Saepe facit. laeso stat pede. turba pedum.
5 Vix aegrum sinit ire dolor saniemqne fatelur
Maior. idem loquitur vubieris ipse dolor.
Cum laesit miseros fortuna medetur eisdem.
Hinc est cur medicnm plaga leonis habet.
Nain leo pastorem r(!pp(Til pastorque Iconem.
10 Pro dapo tendit oues. respuit ille dapem.
Supplicat et plngam lonso pede monstrat et illi.
Oral opem. pastor uulnera soluit acu.
Exit cum sanie dolor et res causa doloris.
Hie blando medicam circuit ore manum.
1 priicdo le(» (unit EB.
2 ofT. iinpftuosa pedeiii EB.
4 pede stat El), J.
C uulniis .siipiTSd iiioiLiis idciii El», morbus EF, _/, <P (pallorZeiiier)
7 laedit EB, El), EF, J, <J'.
0
eosdcin EB, cisdcin J.
8 qiiod iiR'diiuin EH, </' lioc- csl (|iiod iiiod. plaiita (in corr.) leonis
El), EF, J plaiita </'.
f) pastorque leoiii EB, El) in corr., EF, J, <l>.
1U oin. EB, dapes El). J ouem — dapes EF, «/'.
11 et illuni El). J, et ille EF, </'
12 pastorque EB, orat ouans pastor El), J (sanat acu Zeiiier).
7*
100 Sitzung der philos.-philol. Ctasse vom .5. Juti 1862.
15 Hospes abil merilique notas in corde sigillat.
Tempore deleri gratia firma nequit.
Hinc leo uincla subit. Romanae gloria praedae.
Hunc habet et niultas miscet harena feras.
Ecce iiecis poenain pastori culpa propinat.
20 Claudilur in inediis et datur esca feris.
Hunc leo praesentit. petil hunc tiuiet ille. timenti
Huic fera blanditur. sperat abitque limor.
Nil feritatis habens ludit lera cauda resultat.
Dum fera mansuescit. se negat esse feram.
25 Hunc tenet. hunc lingit. pensatque salute salutem.
NuUa sinit fieri uulnera. nulla facit.
Roma stupet parcitque uiro parcitque leoni.
Hie redit in Silvas et redit ille domum.
Non debet meritum turpis delere vetuslas.
Accepti meniores nos decet esse boni.
//. De equo ei leone.
1 Tondet equus pratum. pelit hunc leo. cura leonis
Haec mouel. ut fiat esca leonis equus.
13 sospes EB, ED, EF. J, <P, in raente sig. ED, J.
17 (gloria gentis Zeiner).
a a
18 inullis . . feris EI).
1<.» pastoris J.
20 (lauditur et iiieiliis liic datur esca feris ED, J, «/'. claiiditur hie
niediis el datur c. f. EF. in corr. aiitea: et in. hie d.
'21 pelit hunc, tiinor arguit illuni EB.
22 haec fera El), EF, <fK
23 lanibit fera dira tiiiiontem El), J.
24 et iaiii inansuescens se neg. e. f. El), J (Zeiner); et iani man-
suescit se n. e. f. EF, 'P.
27 parcil uiro EB.
1 iura leonem EB, Eü, EF, J, 'P Zeiner.
Thomas: Zum versificirten Romulus. 101
Et coincs et niedicus sum tibi, paret equus.
5 Sentit enim fraudes et fraiuli fraude resistit.
Cordo prius texotis retia Iraudis. ait.
Ouaesitus placidiisque iioiiis. te teinporis offert
Gratia. te rogitat pes mihi seilte graiiis.
Hie fauet. instat equus subieclo uertice. calcem
10 Inprimit et sopit membra leonis equus.
Vix fugit ille sopor. uix audet uita reuerti.
Vix leo colla niouens respicil. hostis abest.
Sic leo sc danipnat. pacior pro crimine poenam.
Nam gessi speciem pacis et hostis erain.
15 Quod non es. non esse ueh's. quod es. esse fateto (sie).
Est male quod non est qui negat esse quod est.
///. De equo ornalo.
1 Gaudet equus faicris. sella frenoquc superbit.
Ista quidem uexit aureus arma decor.
Obstat asellus equo. uicus premit artus asellum.
Vexat honus lardat natus eundo labor.
3 iiiquit eqiio iiiiscr ave liiior aile incdcmli EB.
. . • . Uli frater auo EI), EF, J, <P.
4 iam conics El), J.
5 .sentit pquus f'raiulos ER.
(j niPiiti' priiLS EB, EM, EF, _/, </> Zciiier.
9 iii.stat equii.s et subito uertico EB. instat cquiis El), EF, J, <I>.
11 ille dolor EB.
12 niouet EI), J.
equus abest Zeiner.
1 4 iam gessi EB.
IT) ucli.s sed quod es esse fateris EB. lalere El), </> Zeiner.
lateris EF, J.
1 freiio seliaquo EB, El>, EF, J, </> Zeiner.
'1 illa qn. uestit El), ista qu. vcstit El), EF, J, * Zeiner, nitor Zeiner.
4 onus ingens tardit EB. t. tantus eundo I. EF, </».
102 Sitrung der pJälos.philol. Vlasse vom .5. Juli 1862.
5 Q\ik\ sibi claudat iter. sonipes inclamat asello.
Occuris domino uilis aselle tiio,
Vix tibi do iiciiiam de lanli criiiiine fastiis.
Cui via danda fiiit libera dio-iuis erani.
Supplicat illo niiiiis niinuitque silendo timorem.
10 Fit timor et surda praelerit aiiro minas.
Sunimus bonor decliiiat equi. dum uincerc temptat
Vincitiir. et ciirsum uiscora rupta negant.
Priuatiir faleris. freno priuatur bonesto.
Hunc premit assiduo roda cruonta iugo.
15 Huic terguin macies aciiit labor ulcerat armos.
Hunc uidet inque iocos aiidet aselbis iners.
Die sonipes ubi sella nitens, ubi nobile fienum.
Cur est baec macies, cur fuit ilie nitor.
Cur manet hie gemitus. cur illa superbia fugit.
5 cur sibi EF, 0 Zeincr. asellnm EB, EU. EF, J, 'P.
6 daudis ilcr domino ED, J.
7 pro tanti EB. taiiti de er. f. EF, 0.
criininis f. J (de taiito Zeiner).
8 foret Zeiner.
9 nuitatque timorem silendo ED, J. metatquc t. s. EF, <P. sidjticct
Zeiner. mutusque timore silendo Zeiner.
10 fit tutior surda EB. tutior et s. ED, EF. J, Zeiner.
il decl. equo EB. equi d. h. Zeincr.
13 priu. faleris Ireno sellaque nitcnli ED, J.
14 assidue EB. debilitat miserum reda ED, J.
15 hinc terguni EB. hunc dolor et macies acuit ED, J.
1<) hunc uidet hunc iocis temptat ascllus iners EB.
hunc teniptare iocis audet ED, EF, J, 4>.
huic inferre iocos audet Zeiner.
17 die sodes EB, EF, 0 Zeiner, die ubi sella nitens falcre uel
nobile frenum ED, J.
18 cur est hie m. quo fugit ille nitor EB.
cur tibi nunc dolor est cui fuit ille nitor ED, J
cur fugit EF, </> Zeincr, iste Zeincr.
10 quo tanta superbia fugit EB.
cur nianel huc macies, cur tanta superbia fugit ED, //.
ista s. Zeincr.
Lamout: Theorie des McKjnetismus. 103
20 Viiulicat elatos iiista riiina gradiis.
Stare diu nee uls. nee honor. nee forma, nee aelas
Suiricit in mundo, plus tarnen isla placenl.
[Viuc diu. sed uiue iniser socicsque minores
Disce pali. risum dat tua uila mihi.
25 Pennalis ne erede bonis. te nulla poleslas
In miseros armet. nam miser esse potes.]
Die poetiselien Fabeln sind am Rande in Prosa gesetzt
und zuirleieh moralisirt. Zwischen den Versen stehen Glosseme
aus späterer Zeit.
Mathematisch - physikalische Classe.
Sitzuiiir vom 11. Jiili 1862.
Herr Lamont übersandte eine Abhandlung
„Beitrag zu einer mathematischen Theorie des
Magnetismus.''
Mathematisch zu bestimmen, wie unter gegebenen Umstan-
den der Magnelisnuis in einer Eisen- oder Stahlmasse vertheilt
sein wird, ist ein Problem wovon noch Niemand, selbst für die
einfachsten in der Naliu- vorkommenden Falle, eine richtige 'Auf-
lösung gefunden hat. Tob. Mayer und später Hansteen suchten zu
zeigen, dass bei einen» prismatischen Magnet die Kraft von der
20 isla supersiT. certa riiitia EP. ccrla r. EF, d, </».
24 risum del mihi (in toir.) uita "jraui.s EU, J. r. dct t. u. mihi EF, ^P.
25 piMin. noii tr. ED, J.
2t) armat EB. nam potes esse miser ED, EF, J, </'.
104 Sitzung der math.-phys. Ctasse vom it. Juli 1862.
Mitte gegen die Enden hin im einfnchen oder im quadratisclien
Verhidtnisse der Enllernung zunehme. Biot, durch eine Analogie
mit der Elcclricilat geleitet, fand eine Vcrtheihing, welche durch
die Gleichung der Ketlenlinie ausgedrückt wird, ein sehr merk-
würdiges Resultat insoferne, als das gefundene Gesetz mit den
zahlreichen bisher angestellten Versuchen eine sehr nahe Ueberein-
stiniMunig zeigt, während die Betrachtungen, auf welchen es ge-
gründet ist, nicht als richtig anerkannt werden können. Eine
eigentliche mathematische Theorie des Magnetismus hat zuerst
Poisson zu geben versucht, konnte aber seine Gleichungen nur
für sphärische oder (^llipsoidische Körper infegriren, und die
Uebereinstimmung mit der Natur ist bisher nur in sehr unge-
nügender Weise nachgewiesen worden. Ein bedenklicher Um-
stand ist es bei der Theorie von Poisson. dass er für Molecule,
die in messbarer Entfernung von einander abstehen und für
Molecule, die sich berühren, dasselbe Gesetz gelten lässt,
während vielerlei Thalsachen und Analogien sehr bestimmt an-
deuten, dass bei der Berührung eine weit intensivere Wir-
kung eintritt'. Von dem Grundsätze nun ausgehend, dass die
magnetische Molecular - Anziehung unverhälliiissmässig grösser
sei als die Fernwirkung, und dass die letztere der erstem ge-
genüber vernachlässiget werden dürfe, habe ich eine mathe-
matische Theorie entworfen \ welche für eine Reihe von Mole-
(J) Icli lial)o jützt noch die Ucberzeugiiiig, tiass niagnetisclio Molo-
cular-Aiizieliuii^ und m;i<xnoti.s(Ii(' Fornwirlunic; von einander wesentlich
verschieeleii sind, obwohl ich nicht in Alirede stellen will, dass es Ex-
perimente <^il)t, die als nicht mit dieser Ansicht übereinstimmend aus-
geleijt werden könnten. Als einen Beweis für das Vorhandensein einer
eij^enlhiinilichcn Mo!e( nlar- .\nzieliiini^ betrachtete ich IViiher anch den
Umsland , dass man von solcher ÜMiothese ausc;chend durch den (]alcul
auf die Kelteiilinie als Vertheiliings-Curve des Mao;netismus und auf an-
dere mit der Erfahruiinj fjenau übereinstimmende (iesclze geführt wird:
jetzt habe ich aber gelundcn, dass mehrere v e r s c h i e d en c Hjpolhcsen
genau zu denselben anal} tischen Ausdriuken führen.
(2) Jahresbericht der Münchener Sternwarte für 1854 S. 27.
Lamoni: Theorie des Magnetismus. 105
culen, d. h für einen Linearmagnelen flenselben Ausdruck gibt,
den Biot gefunden hat ; auch neue Versuche habe ich geh'efert
welche, wie ich glaube, zeigen dass in den Fällen, wo der
Querschnilt vernachlässiget werden darf, also nur die Längen-
dimensionen in Betracht koM)nien, die von mir entwickelten Lehr-
sätze in sehr befriedigendiM* Weise mit der Erfahrung überein-
stimmen. Um aber eine vollständige Vergleichung mit der Natur
durchzuführen und eine eigentliche Bestätigung der Theorie zu
erhalten, wäre es erforderlich gewesen von Linearm agneten
auf Magnete von beliebigem Ouerschni Ite überzugehen,
und hierin bli(!ben alle meine Bemühungen erfolglos: der ana-
lytische Weg führte zu einur endlosen Coinplication und die
zahlreichen Versuche, die ich anstellte, lieferten keine Andeu-
tung über die mathematischen Beziehungen, die hinsichtlich des
Querschnittes stattfinden.
In neuester Zeit indessen ist es mir gelungen Andeutungen,
die von grossem Wichtigkeit für die Theori(; sein können , zu
erhalten und es ist meine Absicht in (1(mi folgenden Zeilen das
W(!S(!nllichste davon mitzntheilen.
Den Anfang meiner Arbeiten in dieser Richtung bildete ein
Versuch, wodurch bestiimnt werden sollte, wie viel von der
Kraft zweier gleich grosser Magnete verloren geht, wenn sie
mit gleich gerichteten Polen auleinander gelegt oder einander
nahe gebracht werden. Zwei Abschnitte einer starken Uhrfeder
(Länge 103,'" l . Breite 8,"'0, Dicke 0,'"2 Par. Maass) wurden
vermittelst 25 pfundiger Stäb(» magnetisirt, und es eigab sich
durch das Zusannnenlegen in der eben bezeichneten Weise ein
permanenter Kraftverlusl von ungefähr Vi? '• durch wiederholtes
Zusammenlegen erfolge kein weiterer permanenter Krallverlust,
dagegen kam, wenn sich die Magnete berührten oder durch
dazwischen gelegte Glasstreifen von einander in beslinniiter Ent-
fernung gehalten wurden, eine gegenseitige Induction zu Stande,
welche dem permanenten Magnetismus entgegengesetzt war und
somit eine Verminderung des (janzen inaijiuHischen Moments
zur F'olge hatte. Wie diese Verminderung von der Grösse des
106 Sitzung der math.-phys. Classe vom lt. Juli 1862.
Zwisclienraums abliäiigt, ersieht man aus folgender Beob-
achtungsroilie :
magnetisches Moment
erster Miiffnot für sich allein . . . 31.7
zweiter ., ., ,, „ ... 32.7
beide aufeinander gelegt,
Zwischenraum 3. '"81 .... 63.4
„ 2."'54 . . . . 63.05
l.'"27 .... 62.70.
Ohne die Wirkung der Induction hätten die Magnete mit-
einander ein magnetisches Moment von 64,4 (Summe der bei-
den Momente) geben sollen, der Verlust durch Induction betrug
demnacli
bei Zwischenraum 3."'8l 1.0 oder V6 4
1."'27 1.70 „ '/3«.
Durch einen spatern Versuch fand sich bei unmittelbarer
1
Berührunof der Verlust durch Induction = ^^ oder 2,30.
" 28
Bei näherer Untersuchung erkannte ich dass der Verlust
als aliquoter Theil des Magnetismus durch den Bruch
1^
28.00 + 8.27 X
oder als absolute Grösse durch
64.4
28.00 + 8.27 X
dargestellt werden könne, wobei x den Zwischenraum in Linien
ausgedrückt bculeulet. Die Uebcreinstimmung dieses Ausdruckes
mit der Beobachtung zeigt folgende Zusannnenstellung.
Verlust
Zwisihenraum berechnet beobachtet Differenz
0."00 2.30 2.30 0.00
l.'"27 1.70 1.67 -}- 0.03
2."'54 1.35 1.31 + 0.04
3."'81 1.00 1.08 - 0.08.
Lamont: Theorie des Miuinelismus. 107
Zunächst ging ich auf das analoge Verhällniss bei der
Magnetisirung des Eisens durch den galvanischen Strom über
und brachte zwei Eisenlainellen A und B (aus einer Blochtafel
ausgeschnitten, Lange 43. '"2, Breite 5.'"IJ, Dicke 0."'4) in eine
sehr lange Spirale. Einzeln gaben diese Lamellen folgende
magnetische Momente
A 37.88
B 38.10,
dann miteinander
in Berührung 44.25, Verlust 31.73
mit Zwischenraum 0.93 48.15 „ 27.83
„ „ l.SO 50.90 „ 25 08
2.'} 9 53.75 „ 22.23.
Der Verlust oder die Verminderung des Magnetismus durch
Induction ist, wie man sieht, hier sehr bedeutend; der Vorgang
ist aber ein anderer als bei permanenten Magneten. Bei per-
manenten Magneten ruft der eine im andern entgegengesetzten
Magnetismus hervor: bei der Magnetisirung des Eisens dagegen
verhindert die eine Lamelle in bestimmtem Maasse das Entstehen
i\es Mafjnetismus in der andern, und orleichzeiti"' ruft der wirk-
lieh entstandene • Maonetismus der einen Lamelle enfoeorenffe-
setzten Magnetismus in der andern hervor. Desshalb ist es
zweckmässig; die mathematische! Ausdrucksweise etwas zu an-
dern. Wird der Magnetismus, der in den Lamellen entsteht,
wenn man jede für sich in die Spirale bringt, durch M, und
Mi, der Magnetismus der entsteht wenn man beide Lamellen
mit dem Zwischenräume x in die Spirale bringt, durch m, und
m^ bezeichnet, und setzt man voraus dass die von der Induc-
tion herrührende Verminderung durch
a -|- bx
ausgedrückt werde, so hat man
mi =:. Ml —
a -j- bx
m, -=. Ml —
m
a 4" bx
108 Sitzung der math.-phys. Clause vom 11. Juli 1S62.
Wir wollen nun M, -|~ ^^ =^ ^^ ""^ ^^^s beobachtete
Moment der gleichzeitig in die Spirale gebrachten Lamellen
m, 4^ nij = m setzen, und erhalten alsdann
m
a + bx =z
M — m
Man niuss also das beobachtete Moment m durch den Ver-
lust M — m dividiren um die Zahl, welche das Verhältniss der
Verminderung ausdrückt, zu erhalten. Für die obige Beobach-
tungsreihe findet sich der Verlust durch Induction
l
~ 1.394 + 0.360 X
wo X in Linien ausgedrückt ist, und die Uebereinstimmung mit
der Beobachtung zeigt folgende Zusammenstellung:
Verl
lust
Zwistlienramn
bcroclinet
beobachtet
Differenz
0."'00
31.74
31.73
+ O.Ol
0."'93
27.85
27.83
+ 0.02
1."'86
24.07
25.08
041
2."'79
22.41
22.23
+ 0.18.
Ich übergehe hier die zahlreichen Versuche, welche ange-
stellt wurden , um das gefundene Abhängigkeits - Verhiiltniss
zwischen der Entfernung x und der durch Induction eintreten-
den Verminderuno- des Magnetismus näher leslzustellen und die
Modificationen, welche bei gehärtetem Stahle, bei weichem Stahle, bei
Eisen von verschiedener Beschaffenheit und verschiedenen Dimen-
sionen stattfinden, genauer zu bestimmen und erwähne nur noch
eines Versuches, welcher den Zweck halte zu ermitteln ob bei
ganz dünium Prismen, welche also der Linearform nahe .kommen,
noch (lass(!ll)e Verhältniss besteht. Ich nahm zwei gleiche Ab-
schnitte von einem Eisendraht (Länge 187, Durchmesser 2.5
Millim.), brachte sie in der oben angegebenen Weise in eine
lange Spirale und fand
Ldtnont: Theorie des Mdi^netismiis. 109
erster Abschnill 1
'ür sich
21.08
zweiter Abschiiilt
für sich
20.10
beide in Berührm
'^
32.67
mit Zwischenraum
11 "1
1 6.7 MiUim.
11.4 „
1G.2
20.5
34.84
37,24
37.77
38.87,
Näherungsweise hat man hiernach
Induction
1
den Ve
durch
3.70 4- 0.44 X
und die Unterschiede zwischen Rechnung und Beobachtung sind
der Reihe nach
— 0.25 + 0.96 — 0 30 — 0 07 — 0.69.
Wenn gleich hier grössere Unterschiede^ hervortreten, so
kann es im Ganzen doch keinem Zweifel unterliegen, dass auch
bei Linearprismen die gegenseitige in Folge der Induction ein-
tretende Verminderung des Magnetismus für verschiedene Ent-
fernunoren x durch einen Ausdruck von der Form
(3) MagiK'tisiruns-s - Versuclie mit diiiineii Drilliten biete» iininer
grosse Uiisiclierlieit dar, und I)ei Wiederholung desselben Versuches
findet man auffallende Unterschiede , als wenn ein präcises Maass der
Induc'tions- und Retentionsfähigkeit nicht vorhanden wäre oder als wenn
Zurülligkeiten mitwirkten. Zugleich ist es merkwürdig wie weit die
magnetischen Eigenschaften dünner Dräiite durch den besondern Zustand,
in welchem sie sich befinden, modificirt werden. \i\n geringer (irad von
permanenten Magnetismus ändert die Inductioiislähigkeit sehr beträcht-
lich. Nach dem Ausglühen ist die Inductioiislähigkeit dreimal grösser
als vor dem Ausglühen: vor dem Ausglühen bleibt bei geringer Strom-
stärke die Hälfte, nach dem Ausglühen '/t des Magnetismus permanent
zurück. Aehnliche Eigentliümlichkeitcn, nur in geringerem (irade, trifft
man auch bei Eisenstücken von grösserem Querschnitte an, wesshalb zu
genauen Magnetisirungs -Versuchen grosse Vorsicht nothwendig ist und
stets durch mehrere gleiche Eisenstucke eine Controlle hergestellt wer-
den sollte.
110 Sitzung der math. - phi/s. Ctasse vom iL Juli 1S62.
sich darstellen lasst. Wahrend die analvlisclie Eiituickeluno-
zu unendlich complicirten Ausdrücken führt, gelangen wir hier
auf dem Wege der Erfahrung zu einem ganz einfachen Gesetze.
Hat man nicht zwei sondern mehrere Lamellen, so wird der
Magnetismus jeder einzelnen Lamelle durch alle übrigen vermin-
dert und wenn man den Magnetismus der ersten Lamelle mitm,, den
Magnetismus der übrigen mit m-^, nig, m4..., dann die Function
der Entfernung a -j- bx für die erste und zweite Lamelle mit a,,
für die erste und dritte mit a^ u. s. w. bezeichnet, so hat man
m. = M, — -^ ^^ ^ — (II)
a, a^ a^
wo M, den Magnetismus bedeutet, den die erste Lamelle haben
würde, wenn die übrigen nicht in der Nähe sich befanden. Für
jede andere Lamelle erhält man eine analoge Gleichung, also
eben so viele Gleichungen als Lamellen vorhanden sind, so dass
die Werihe von m,, m^ , nij daraus abgeleitet werden können.
Dessgleichen kann man jeden prismatischen Körper in unendlich viele
Linearprismen sich zerlegt denken und die Verminderung, welche
(ier Magnetismus eines jeden Linearprisma erleidet, berechnen.
Hievon wollen wir gleich eine Anwendung machen, welche
dazu dienen wird die Richtigkeit der theoretischen Grundlage selbst
^'g* i- zu prüfen. Denken wir uns einen durch den gal-
vanisclien Strom magnotisirten hohlen eisernen
Cyllnder AB (Fig. 1) von geringer Wanddicke
(eine dünne eiserne Röhre) in unendlich viele
Strciifen parallel mit der Axe zerlegt, so wird
vermöue der vorhandenen Svmmetrie die \'er-
minderuna des Magnetismus am jjanzen Um-
fange gleich sein, also auch an jedem Theile des Umfanges
gleicher Magnetismus sich zeigen, ein Umstand der die Berech-
nung sehr vcreinfaclit. Den Halbmesser ac wollen wir mit r,
den ganzen wirklichen Magnetismus durch 2run, den Magne-
lismus, der ohne die Vernnnderung vorhanden wäre, durch
Lamout: Theorie des Magnetismus. \\\
2Mr7r bezeichnen. Wird von einem bestinminilen Anfangs-
punkte a ausgegangen und der Winkel acb = (p gesetzt, so
ist der Magnetismus des Linearprisma b = pxArp , und seine
Entfernung von dem am Anfangspunkte a befindlichen Linear-
1
prisma = 2r sin -^ cp , mithin die Verminderung, welche der
Ml
Magnetismus dieses letztern Prisma durch das erstere erleidet
jt/rdg)
a -\- 2br sin 1 (f
2
und zur Bestimmung von ju hat man die Gleichung
" = " -/,
/»rdqp
(III)
a 4" 2br sin 1 (f
2
Das Integral ist von y =: 0 bis rp z=. 2/r zu nehmen.
Behufs der Integration muss man
.1 z^ — 1
sm -^- .p = —-^
setzen, und erhält alsdann
__ V, _ /[ 4^^
^ Ja- 2br + (a + 2br) z'
wo das Integral von z =: 1 bis z =i: co zu nehmen und dann
mit 2 zu multipliciren ist. Die Integralion lässt sich hier nicht
ausführen, ohne dass vorher bestinunt wird, ob a — 2br eine
positive oder negative Grösse sei. Ans den oben angeführten
Versuchen ist nun leicht zu entnehmen, dass bei (Msernen
Röhren von grösscrm Durchnn^sser a gegen 2i)r sehr klein sein
wird. Unter dieser Voraussetzung führt die Integration zwischen
den angegebenen Grenzen zu der Gleichung
„ , A^ir , 2br — V ~W r' — a'
ft = M 4- — ^ log
V" 4b'' r^ — a'^ a
Ist der Bruch
2br
\\2 Sitzung der maih. - phys Classe vom 11. Juli 1862.
SO klein , dass die dritte und die höheren Potenzen davon ver-
nachlässiget werden können, so geht die eben gefundene Glei-
chung durch Reihenentvvickelung in folgende über
,f . 2;(i , a , //a^ , ,„
" = " + ¥ '"« ibr + 8b^' + <'^'
Wird die Gleichung mit 2nr multiplicirt und das beobachtete
magnetische Moment des hohlen Cylinders 2.t</Tr =: m gesetzt,
so hat man
2M;rrb
m =:
a . „ . a*
b - 2 log 5^ + 2 log r gj^, ^.,
wofür man, wenn der Durchmesser d n: 2r und drei neue
Constanten p, q, c eingeführt. werden, die bequemere Form
d
m
(V)
p + q log d — j^
substltuiren kann; dabei ist a priori zu erwarten, dass das
Glied -^ bei hohlen Cylindern von grösserm Durchmesser weg-
d^
gelassen werden kann.
Um die Anwendbarkeit dieser Gleichung zu prüfen, habe
ich sieben hohle Cylinder aus Eisenblech von 1.5 Millim. Dicke
anfertigen lassen, wovon jedoch die Form besonders an der
Lölhstelle nicht so vollkommen war als zu wünschen gewesen
wäre. Die damit angestellten Beobachtungen gaben die Con-
stanten der obigen Gleichung wie folgt:
_d .
'" — :=n9.0210 + 0.3870 log d'
wie weit die Beobachtungen nnt der Theorie übereinstimmen ist
aus folgender Zusammenstellung zu entnehmen:
Lamont : Theorie des Maynetinjws.
113
liniesscr
«i MagiK
^tisinus
Milliiii.
beobachtet
berechnet
DilTerenz
38.6
64.92
65.09
— 0.17
34.4
59.90
59.97
0.07
29.0
53.70
53.22
+ 0.48
25.2
47.87
48.34
0.47
21.1
43.26
42.93
+ 0.33
17.3
35.65
37.76
2.11
13.6
32.42
32.56
0.14
Wenn gleich orrössere Differenzen vorkonmieii, so betrachte
ich (lüdi unter Berücksichliiiiiiicr der nicht ganz rcoehniissigen
Figur der Cyh'nder die obige Tabelle als eine vullkonnneno Be-
stätigung der Theorie.
Ich habe lür den Fall, dass bei einen» Cyliiider a — 2br
einen positiven Werth hat, dann für den Fall, dass mehrere
Cylinder ineinander gesteckt werden, theoretische Entwickelungeii
vorgenommen und praktisclie Versuche angestellt, die ich hier
übergehe. Bemerken will ich bloss, dass schon'^v. Feilitsch*
ähnliche Versuche bekannt gemacht und denselben eine theore-
tische Giundlage zu geben veisucht hat, welche jedoch den
oben angeführten Thatsachen gegenüber kaum als haltbar er-
scheinen dürfte.
Die bisher erwähnten Anwendungen der im Vorhergehen-
den aufgestellten Theorie sind die einfachsten und die leichtesten:
jede weitere Anwendung stösst sogleich auf ana-
lytische Hindernisse. Man nehme z. B. ein
Haches I'risma , so dünn, dass es als eine
Ueihe von Linearprismen bolraclitel werden
darf, und verzeichne über der Endlläche AB
(l'ig. 2) die Curve alhbd , deren Ordinalen
Aa, kf gh . . . die Stärke des Magnetismus (oder
vielmehr des magnetischen Moments) an den
(4) Pogg, .^nn. L.XXX. 3'.>1.
[iüHZ U.J
114 Sitzung der tiiath. ■ phi/i. Classe vom ii. Juli 1862.
Punkten A, k, h... darstellen. Die Abscissen zähle man von
der Mitte c nach A positiv, nach B negativ und setze cA =
cB = ;i, cg = X', ck = X, gh = f (X'), kl = f (x). Die
Verminderung, welche der Magnetismus in g durch den Magne-
tisnms in k erleidet, ist
f (x) dx
a 4- b (X — x') '
und das Integral dieses Ausdrucks von x =:^ x' bis x = A gibt
die Wirkung aller Linearprismen, die zwischen g und A liegen.
Durch ein Linearprisma, dessen Abscisse x zwischen g und B
liegt, entsteht eine Verminderung des Magnetismus in g
— f (x) dx
"" a 4- b (X' — x) '
und dieser Ausdruck muss von x i= — A bis x :::^ x' integrirt
werden, um die Wirkung aller Linearprismen zwischen g und B
zu erhalten. Demnach haben wir, wenn der Magnetismus, der ohne
die Verminderung zu Stande gekommen wäre, == M gesetzt wird
i(X)—m y a _j. b (X — xO y a + b (X' — x) ^
— X' — /.
Es lässt sich leicht schliessen, dass f (x) eine Exponential-
Function sein wird und dass, wenn man a -{- bx durch Expo-
nentialgrössen ausdrückt, eine Function gefunden werden kann,
welche der obigen Gleichung Genüge leistet. Die wirkliche
Darstellung dieser Function ist aber jedenfalls keine leichte Sache.
Vorläufig habe ich auf folgendem Wege nähere Andeutun-
gen zu erhalten gesucht. Im CXIH. Bde. von PoggendorlT's
Annalen S. 243 findet man eine Versuchsreihe, die ich mit 12
gleichen Lamellen in der Weise angestellt habe, dass zuerst der
Magnetismus einer einzigen, dann zweier aufeinander liegender,
dann dreier aufeinander liegender Lamellen u. s. w. bestimmt
wurde. Wenn 12 Lamellen aufeinander gelegt waren, gaben
sie ein Prisma von 5.3 Linien Breite und 5.0 Linien Dicke, und
es hat keine Schwierigkeit nach (II) die Gleichungen anzuschrei-
'^- Lamont: Theorie des Magnetismus. j|5
ben, wodurch der Magnelisinus der einzelnem Lamellen bestimmt
wird. Bezeichnet man den Magnetismus der ersten Lamelle
mit m,, der zweiten mit m« u. s. \\., und wird noch in Rech-
nung genommen, dass die Dicke einer Lamelle V,2 Linien und
die Verminderung für x Linien Entfernung
1
1.394 + 0.366 X
betrug, so erhält man 12 Gleichungen, woraus die unbekannten
Grössen abzuleiten sind; da aber in Folge der vorhandenen
Symmetrie m, := m,,, nii z= m,, u. s. w. sein wird, so re-
ducirt sich die Anzahl der Gleichungen auf ü und die Auf-
lösung derselben gibt
m. = 0.323
m, zzz 0.172
m, — 0.116
m, — 0.095
m, — 0.087
mg — 0.082.
Als Einheit bei diesen Werlhen ist der Magnetismus ange-
nommen, den eine einzelne Lamelle für sich allein gehabt haben
würde. <l. h. in der Gleichung (II) ist M = 1 gesetzt.
Der grosse Einfluss der Iiuluction tritt hier sehr auffallend
hervor: die äusscsrste Lamelle hat bei der Vereinigung nur '/s
und die mittleren nur V,.i von dem Magnetismus, den sie ohne
die Induction biü gleicher magnetisirender Kraft erlangt hätten.
Der oben gegebenen Andeutinig zufolge sollten die Werthe
von m,, uij, nia . . . durch eine Exponenlial-Fnnction dargestellt
werden können, und diess ist auch der Fall, denn wenn man
m„ =z 0.0821 + 0.2il (0.374"-» —0.374''^-°) (VII)
setzt, so erhält man Zahlen, welche mit den obigen vollkommen
identisch sind, mit Ausnahme von lUg , wovon der Werth um
0.002 von der obigen Bestimnmng abweicht.
8*
116 Sitzunt/ der viath.-phys. Classc vom 11. Jtili 1S62.
Den Fall, dass 10, 8, 6 Lamellen miteinander vereinigt
seien, habe ich auf ähnliche Weise behandelt und übereinstim-
mende Resultate erhallen.
Dass ein ganz ähnliches Verhällniss bei den Polflächen eines
cylindrischen Magnets (den man als zusammengesetzt aus un-
endlich vielen concentrischen Röhren betrachten kann) bestehen
müsse, lässt sich aus der Analogie schliessen und wird auch
durch die Erfahrung bestätigt. So findet man, dass die Messun-
gen , welche vom Kolke ^ an dem Pole eines grossen Electro-
magneten in äquatorialer Richtung vorgenonunen hat, für die
Entfernung n von der Mitte durch die Formel
= 35.0 4- 0.1144 (1.897" + 1.897—) (VIII)
dargestellt werden, und wie gross die Uebereinstimmung der
Rechnung und Beobachtung ist, zeigt folgende Zusammenstellung :
ntfemun»
der Mitte
Beobachtung
Rechriiiiig
DilTcrcnz
8
54.2
54.2
0.0
7
45.5
4.5.1
+ 0.4
6
40.4
40.3
— 0.1
5
38.0
37.8
— 0.2
4
37.0
36.5
-1- 0.5
3
355
35.8
— 0.3
2
35.0
35.4
04
1
350
35.2
0.2
0
35.0
35.2
-0.^.
Man kann in dieser Richtung noch einen Schritt weiter
gehen. Wird bei einer Lamelle von der Breite n der Magne-
tismus in der Entfernung x von der Kante analog mit (VII) und
(VIII) durch
a + b (e-k» + e-''("-^0
ausgedrückt, so ist das magnetische Moment der Lamelle
15) Pügg. Ann. LXXXI, 32J.
n
Lamont: Theorie des Magnetismus. 117
[a_|-b(e-'"' + e-''(°-^))] dx = an + y (1— e-^"),
0
vvolür man einfacher
an -}- p (l — q") (IX)
schreiben kann. Messungen der hier bezeichn(;len Art habe ich
mit 6 Lamellen, deren Breite sich wie 1, 2, 3, 4, 5, 6 ver-
hielten, tuisgeführt und in PoggendorlF's Anniden Bd. CXIII.
S 243 bekannt gemacht. Indem ich nun die dort angegebenen
Zahlen durch einen Au.sdruck von obiger Form darzustellen
suchte, gelangle ich zu folgender Formel
0.6933 n+ 302 (^ - ^). (X)
welche sehr genau die Beobachtungen darstellt, wie folgende
Tabelle zeigt:
Breite der niaj^netischo.s Moment
Lamellen berechnet beobatlitct DifTcrenz
1 2.70 2.69 i- O.Ol
2 4.07 4 05 -4-0 02
3 4.99 5.04 — 0.05
4 5 75 5.77 — 0.02
5 6.48 6.52 — 0.04
6 7.18 7.12 + 0 06.
Die Schwierigkeit eine Function zu ermitteln, welche der
Gleichung (VI) genügt, hat mich veranlasst verschiedene andere
Wege zu versuchen , und dabei gelangte ich zu einer Lösung
des Problems, welche ich hier noch beifügen will, weil der
Entwickelnngsgang ganz eigenlhündich ist und in anderen Pro-
blemen der Physik, numenllidi in der Elcctricitälslehre zweck-
massige Anwendung finden durfte. Man denke sich eine sehr
grosse Anzahl von Linearprismen nach Fig. 2 zusammengelegt,
bilde nach (II) die Gleichungen für das (n — 1)'% das n"» und
(n -j- 1)" Prisma; alsdann ziehe man die mittlere Gleichung
118 Sitzung der math.-))hps. Classe vom 11. Juli 1862.
mit 2 niulliplicirt von der Summe der zwei anderen Gleichungen
ab, so erhält man ein Resultat von der Form
AjUin-j + Aamn-a-l-ll — — -|-~-l m„_, — 2 |1 — — ) nin
(2 1 \
1 1 I nin+, + A2m„+i+ A3 m„+3-f ... — 0 (XI)
a 82/
wo die Glieder rückwärts bis zum ersten und vorwärts bis zum
letzten Linearprisma leicht nach der gegebenen Analogie hinzu-
gefügt werden können. Hiebe! hat man
12 1
A m ^^ -j- ,
flm — 1 3ni am-).)
oder wenn man die unendlich kleine Breite eines Linearprismas
zu £ setzt,
A _ 1 2 , 1 _ 2b^ e* ,
Am ^ r— — -f- j r— 5— -f- . . ,
i^m — D£ fm 3ni -j~ D£ am
Nun sind a und b in dem Ausdrucke (I) Functionen der
Breite der nebeneinander befindlichen Prismen, und zwar neh-
men diese Grössen asymptotisch zu in dem Maasse als die
Breitendimension vermindert wird. Ich habe diess zuerst durch
den Versuch erkannt und dann auch die theoretische Bestätigung
dafür (die z. B. aus der obigen Gleichung (.\) leicht abgeleitet
werden kann) gefunden: es ergab sich dabei, dass wenn a und
b für Prismen von messbarer Breite gelten, bei Prismen von der
unendüch kleinen Breite e
a , b
— und —
€ €
in dem Ausdrucke (I) anstatt a und b gesetzt werden müssen.
Hiernach gehören die CoefHcienten A,. A, . . . zur drillen Ord-
nung und alle dannt multiplicirten Glieder können, den vorhan-
denen Gliedern der zweiten Ordnung gegenüber, weggelassen
werden. Die letzleren sind
0 - a^ + {) (■""-' + '""+') - 2 (1 - ^)»'' =
0.
Lnmont: Theorie des Magnetismus. 119
Subslltuirt man dem Gesagten zufolge - anstatt a,, dann
^ 4- — £ anstatt a«, und lässt man in der Entwicklung von —
die Glieder der dritten und höherer Ordnungen weg, so ergibt sich
bt^
(m„_, — 2mn + mo+i) -- -7- (mn- 1 + mn+i) — 0.
a
Bezeichnet man die Entfernung des n^'° Linearprisma vom
ersten mit x, die der Breite 1 entsprechende Inleiisiiät des
Magnetismus an diesem Punkte mit V, wo V eine Function von x
sein wird, so hat man
m„ :^ Vfi
(IV , . 1 d^V 3 ,
•""-' = ^^- d^c^ + T d7^* +•••
V I dV , , 1 dV 3 ,
so dass die obige Gleichung zuletzt die einfache Form
d^V _ 2b ^ ^ Q
dx' a
annimmt. Setzt man — = k^, so ist das Integral allgemein
V — Ae"^ + Be-»'»,
oder wenn die Constanten nach den Bedingungen des Problems
bestimmt werden
V =: B (C-'^^ + C-Mc-D), (XII)
WO c die Breite der Lamelle bedeutet. Da bei der Bildung der
Gleichung (XI) die Grösse M, wovon die absolute Grösse von V
abhiingl, ausgefallen ist, so drücken die Gleichungen (XI) und
(XIl) nur die Form der Curve , nicht die absolute Grösse
der Ordinaten aus , und um den Bedingiuigen des Problems zu
genügen, nuiss noch eine Conslanle hinzugefügt werden, so dass
man als Endresultat die Gleichung
V = A 4- B (e-''» + e-Mc-x))
120 Sitzung der maih.-phys. Classe vom il. Juli 1S62.
erhält. Damit wäre das, was oben über die Form der Func-
tion f (x) in Gleichung (VI) gesagt wurde, bestätigt. Es kann
zugleich erwähnt werden, dass diese Gleichung die Vertheilung
der Electricilät auf der Oberfläche eines isolirlcn sehr dünnen
Cylinders darstellt.
Wie am Anfange ausgesprochen wurde, war es meine Ab-
sicht, in dem Vorhergehenden nur vorläufige Andeutungen zu
geben über den Weg, der zu befolgen wäre, um die mathe-
matische Theorie des Magnetismus weiter auszubilden. Die an-
geführten Resultate zeigen, wie ich glaube, ganz entschieden,
dass der bezeichnete Weg zum Ziele führt: ob es gelingen wird,
die nicht unbedeutenden analytischen Hindernisse, welche dabei
sich darbieten, zu beseitigen und für die in der Praxis vorkom-
menden Fälle einfache Gesetze und Formeln herzustellen, ist
eine andere Frage,
Herr Nägeli hielt einen Vortrag
„über die crystallähnlichen Proteinkörper und
i h r e V e r s c h i e d e n h e i t von wahren C r y s t a 1 1 e n.^'
(Hiezu •> Tüfeln )
i. Ueber die aus Proleiiisnhstanzen bestehenden Crystalloide
in der Paramiss.
Von Hartig wurde zuerst (Bot. Zeit, 1856 p. 257 und
Pflanzenkeim 1858 p 108) auf crystallähnliche, aus Proteinver-
bindun^on bestehende Bildungen in den Saamen aufmerksam
gemacht. !)i('s(;lben wurden dann von Holle (Neues Jahrbuch
für Phiirmacie von Walz und Winkler 1858 X p. 1 , 1859 XI
p. 3:iS), Hadlkofer (Crystalle proteinartiger Körper 1859),
Maschke (Bot. Zeit 1859 p 409) untersucht. Die genannten
Beobachter bezeichnen sie als Crystalle, was mit Rücksicht
Nägeli. Crirstailähnliche Proteinkörper. 121
fluf die Gpsfalt seine volle Berechliguno; h;it. Sie weichen aber,
■wie ich in i\^'\\ foltjonden Miltheilungen zeigen werde, in sehr
wesentlichen Merkmalen von (\v.\\ eigentlichen Gry stallen ab, und
desswegen will ich sie Crystalloide nennen.
Meine Unlersnchungen beziehen sich bloss anf die Protein-
cryslnlloide der Parannss (Saaiiien von Berlholletia excelsa).
Dieselben wurden aus der zerriebenen Substanz des Saamens
einmal durch Auswaschen mit fettem Oel und nachherige Be-
handlung mit Aether, ein anderes Mal durch Auswaschen mit
Aclher gewormen Ausserdem stand mir zur Untersuchtmg ein
Priiparat von Maschke zu Gebot, von dem derselbe angibt, dass
es durch Crystallisation aus o\\wy gesättigten Lösung künstlich
dargestellt sei.
Cr y s t a 1 1 0 g r a p h i s ch e Ve r h ä 1 1 n i sse.
Mit Bücksicht auf die rrystallform der Proteincrystalloide
der Parannss gibt Hart ig (Bot. Zeit. 1856 p. 300) an, dass
sie Uhomboeder seien . und zwar so scharf wiedergegeben, wie
am schönsten isländischen I)o[>pels[)alh. Radlkofer, der sich
genauer und sorgfaltiger mit der Cryslalil'orm beschäfligle (1. c.
p. 63), sagt eb(Mifalls, dass sie dem liexai];onalen System ange-
höre, und da.ss der spitze \Vink(M d(!r HhomboederfliiclK^ unge-
lahr 60" betrage. Maschke dagegen (Bot. Zeit. 1859 p. 419)
weist sie dem tesserahm System zu; nach ihm kommen die
regelmässigsten Octaeder, Tetraeder, aber auch sechsseitige
Tafeln und ganz besonders spitze Khond)oe(lcr vor, welche letz-
tern oll'enbar dadurch aus einem Octaeder entstanden seien, dass
zwei gegenüberliegende Octarderiliichen durch Wachsen der sie
begrenzenden übrigen Flachen verschwanden
Was zuerst die; Annahnn? Maschke's belrilft. so scheint
mir diesellte unhaltbar Denn einerseits sind die von ihm er-
wähnten Tetraeder von andern Beobachtern nicht gcscdieii wor-
den (ich kann unter (nner Unzahl von (^rystalleiden kein(; An-
deutung dieser Form auffinden) inid das Khondioeder kommt im
tesseralen System nicht vor. Andererseits sind die Crystalloide
122 Sitzttng der tnath. - plnjs. Classe vorn ii. Juli 1862.
doppelhrechend und müssen auch aus diesem Grunde einem an-
dern Systeme angehören.
Dagegen lassen sich allerdings die beobachteten Crystall-
formcn ohne genaue Winkehnessungen alle auf das Rhomboeder
nn't mehr oder weniger weit gehender Abstumpfung der beiden
Endecken zurückführen. Manche Crystalle scheinen wirkliche
Rhomboeder zn sein (Fig. 2), andere sich nur durch die abge-
stumpften Enden zu unterscheiden (Fig. 1, 10, 5 — 9). Bei an-
dern ist die Abstumpfung so weit gegangen, dass sie scheinbar
regelmässige Octaeder geworden sind (Fig. 4, 11, 12). Bei
noch andern hat die Abstumpfung die seillichen Ecken über-
schritten; sie sind Tafeln, an denen man aber noch die Seiten-
kanteu des Rhomboeders sehr deutlich wahrnimmt (Fig. 3, 16).
Anderweitige Abstumpfungen kommen nicht vor.
In den citirten Figuren sind die zwei spitzen Enden des
Rhomboeders oder deren Abstumpfungsflächen mit a und b be-
zeichnet. Von den 6 Rhomboederflächen sind je die zwei ge-
genüberstehenden durch m und n, p und q, r und s angezeigt;
m, p und r grenzen an das eine, n, q und s an das andere
Ende. In Fig 1 und 2 ist die Hauptaxe (a-b) horizontal, in
Fig. 3 und 4 senkrecht zur Papierebene. — Fig. 5 — 10 stellt
das nändiche Crystalloid in verschiedenen Lagen dar. Fig. 5 — 9
wurden dadurch erhalten, dass die um einen Punkt sich drehende
Axe eine zur Papierebene verticale Ebene beschrieb. In Fig. 5
liegt die Axe etwas schief, so dass die eine Endfläche (a) auf
der zugekehrten, die andere (b) auf der abgekehrten Seite sich
befindet. In Fig. 6 ist die Axe etw^as mehr aufgerichtet; die
zwei Flächen r und s stehen vertical Fig. 7 zeigt den Körper
in senkrechter Axenstellung ; die Fläche a ist horizontal und
zugekehrt. In Fig. 8 ist die Axe etwas nach links geneigt;
die Flächen n, p, m und q sind senkrecht; auf der zugekehrten
Seite befinden sich blo.ss r und a. In Fig. 9 ist die Axe noch
mehr geneigt, so dass die zugekehrte Fläche r horizontal liegt
Fig. 10 endlich befindet sich in horizontaler Axenstellung,, ist
aber aus der Lage, die Fig. 5 zeigt, 60° um die horizontale
fiägeli: Cryttallähnliche Proteinkörper. 123
Axe gedreht worden. — Fig. 11 und 12 stellen ein Octaeder
dar; in Fig. 11 ist eine Ecke zugekehrt; in Fig. 12 stehen
4 Seilen verlical.
Alle genannten Formen hissen sich aber ebenso gut aus
einem schiefen rhombischen Prisma mit geringerer oder stär-
kerer Ab-stumpfung der beiden spitzen Ecken erklaren, und
diese Annahme ist aus verschiedenen Gründen die wahrschein-
Hchere. Doch bemerke ich znm Voraus, (hiss die Beobachtung
mit mehreren . fast nicht zu überwindenden Schwierigkeiten zu
kämpfen hat. Einmal ist wegen der Kleinheit der microscopi-
schen Crystalioide eine vollkommen horizontale Lage der zu
messenden Winkel nicht leicht zu conlroliren. Ferner können
die Crystalioide wohl leicht gedreht werden ; aber es ist schwer,
sie in der gewünschten Lage zu fixiren, und noch schwerer
oder beinahe unmöglich, die verschiedenen Seiten der rhom-
boeder- und oclaederähnlichen Formen von einander zu unter-
scheiden. Endlich verändern sich die Winkel mit dem Medium,
in welchem man sie betrachtet: sie zeigen im trockenen Zu-
stande, in Glycerinlösung, in Wasser, in schwachsauren und
alkalischen Lösungen etwas ungleiche Werthe. Obgleich viel
Mühe und Zeit auf die Untersuchung verwandt wurde, so sind
die Erg(^bnisse doch nicht so befriedigend und entscheidend, als
es wünsclibar wäre.
Die Wink<'lmessuiigen nnt einem auf das Ocular aufge-
setzten Goniometer ausgeführt, erlauben eine Genauigkeit bis
auf einen Grad. Jeder Winkel wurde mehrmals (3 — 6 mal)
abgelesen; die \\'erlhe variiren zuweilen nur um l" (z. ß.
6374 — 64V4''), zuweilen auch um 2° (z. B. 61 '/^ —
63'/j°), aber bei den grössern gut ausgebildeten Formen nicht
um mehr. Ninunt man das Mittel, so ist der mögliche Fehler
im erstem Falle höchstens '/,", im zweiten höchstens 1".
Dass die Crystalllorm dem klinorrhombischen und nicht dem
hexagonalen System angehöre, dafür sprechen folgende Gründe :
1) In den rhomboederähnlichen ForuKMi ist der spitze Winkel
aller Rhomben (Fig. 1 ö) etwas grösser als 60"; im trockenen
124 Sthunif der mat/i.-phifs. Classe vom 11. Juli 1862.
Zustande, in GlyctMin und in Wasser wurde er gewöhnlich von
61° bis 65° gofuiid(Mi. Ware die Form ein wirkliches Rhom-
l)oedcr , so miisslen , wenn Sich dasselbe zum Octaeder abge-
sluuipfl hat, die seitlichen Dreiecke einen Winkel zeigen, der
grösser, und zwei, die kleiner sind als 60". Diess ist nicht der
Tall; diese Dreiecke haben consfant 2 grössere und einen klei-
nern Winkel: es wurden z. B. als Mittelwerthe gefunden
63°, 63'// und oi'//
6r//, 62" und 57'//
61°, 62° und 57°.
2) Das Rhoniboeder gibt in 3 verschiedenen Stellungen
das gleiche klinorrhoinbische Prisma (Fig. 2, 10). Bei den
rhomboederähnlichen Formen der Crystalloide scheint diess nicht
genau zuzutreffen. Es gibt ein Prisma, dessen Neigungswinkel
ungefähr 75° beträgt, und ein zweites, bei dem derselbe Winkel
einige Grade weniger ausmacht.
3) Wenn die Crystalloide Rhomboeder wären, so müssten
bei der Einwirkung derjenigen Mittel, welche die relativen Di-
mensionen und die Winkel verändern, diese Veränderungen an
den 6 Rhon)benflächen des Octaeders in gleicher Weise ein-
treten. Diess scheint ebenfalls nicht statt zu haben. Es gibt
eine rhond)ische Fläche, welche im trockenen Zustande und bei
der Befeuchtung mit Wasser ihren spitzen Winkel von 63°— 65°
kaum verändert, während andere ihn um 2° — 4'/2° vergrössern
oder verkleinern.
4) Die Abstumpfungsflächen der Rhomboederenden sind
gleichseitige Dieiecke. Bei einigen Crystalloiden schien diess
ziemlich zuzutreffen, indem die 3 Winkel der Abstinnpfungs-
flächen wenig von 60' abwichen. In andern dagegen differirten
diese Wirdvel deutlich um 2 — 6 Grade von eiiumder.
Betrachten wir die Crystallform als ein schiefes rhombisches
Prisma mit mehr odvv weniger weil fortgeschrittener Abstum-
[)fuiiir der spitzen Ecken, so weicht dasselbe allerdings nur
wenig von dem Rhomboeder ab. Mit Berücksichtigung aller
verschiedenen Messungen können wir folgende Werlhe als der
Näyeli : CrystaUülmliche Proteinkörper. 125
Wirklichkeil luihe koiniuond mit ziemlichor Walirschciiilichkeit
feslliaUeii. Die Neigung der Siiiile ist beinahe 58" (Winkel bei
a und b in Fig. 2, wenn die senkrecht stehenden Flüchen r
und s die EndtÜichen des Prismas sind) ; die Neignniif der
Säulenflächen zu einander fast 75" (Winkel bei a und b in
Fio-. 8); die Neigung der Endfläche zur Säulenfläche 71", der
spitze Wiidvel der Endflächen 65 V^,", derjenige der Säulen-
flächen 63Vi".
Bei der Enlsch(M(luii«r der Frage , ob die Cryslalloide der
Puranuss rhombo«'drisch oder klinonhondjisch seien, ist noch ein
wichtiger L'nisland zu berücksichtigen. Die Cryslalloide weichen
darin von den C'rystallen vvesenüich ab, dass ihre Wiidvel viel
weniüTcr conslant sind. Wenn wir an verschiedenen vollkoniinen
gut entwickelten Cryslalloiden, die sich unter gleichen Verhält-
nissen (z. B. im W^asser) befinden, die nämlichen Winkel messen,
so finden wir häufig Abweichungen von mehreren Graden.
Ebenso beobacditen wir zuweilen, dass die gegenüber liegenden
Flächen nicht genau parallel sind, sondern gleichlälls um meh-
rere Grade dili'eriren. Bei dieser Unbeständigkeit der Winkel
könnten wir auch die Cryslalllurin als rhond)oedrisch betrachten;
nur würde dann die Veränderlichkeit noch grosser. Der Vorzug,
den die Annahme der klinorrhoudjischen Gestalt hat, besteht
also nur darin . dass wir dabei die Winkel imierhalb engerer
Grenzen variiren lassen müssen , als wenn wir die Cryslalloide
dem he.xagonalen System unterwerfen.
Ich habe bereits erwähnt, dass der gleiche Winkel etwas
tmoiciche Werlhe zeiuen kann , wenn das Crvstalloid in ver-
schiedenen Medien sich befindet. Dannl übercMustinnnend ist die
Thalsache, dass die Dimensionen einer und derselben Fläche in
verschiedenen Medien etwas andere Verhältnisse der Durchmesser
darbieten. Vergleichen wir einmal die Cryslalloide im trockenen
und im durch Wasser befeuchteten Zustande , so bemerken wir
sehr olt , dass der näudiche spitze Rhombenwinkel (Fig. 1 , d)
beim Eintrocknen grösser wird. Es wurden z. B. folgende
Werlhe gefunden :
60',/°
6F/,°
60° -
61°
567,° -
57^4"
6l7a° -
627/
60° -
60'/,°
126 Sitzung der vmth.-phys. Classe vom it. Juli 1862.
mit Wasser beCeucIitt't trocken
63'/4° — 64°
63° — 63V/
60'/,° — 61°
64° — 65 V/
65V,° — 66°.
Dabei wurde nicht darauf gesehen, dass die Flache, an
welcher der Winkel gemessen wurde, genau horizontal lag,
wohl aber, dass das Crystalloid beim Eintrocknen und Wieder-
beleuchlen nicht seine Lage veränderte.
In einzelnen Fallen wurde an dem Winkel einer rhonibi-
schen Fläche kein Unterschied zwischen trockenem und befeuch-
tetem Zustande wahrgenommen ; und in einzelnen andern Fällen
wurde die entgegengesetzte Veränderung von der vorhin er-
wähnten beobachtet. Der spitze Winkel war an dem trockenen
Crystalloid kleiner als an dem von Wasser durchdrungenen,
so z. ß.
uiit Wasser befeiiclilet trocken
63° — 63V4° 65° ~ 66°
60° — 61° 63° - 64°
56'/,° - 57V/ 607/— 617/.
Wenn von Wasser durchdrungene Cryslalloide durch Aetz-
kalilösung etwas mehr aufquellen, so werden die spitzen Winkel
der rhombischen Flächen häufig etwas klein(u\ z. B.
mit Wasser befeiiclilet in Aetzkalilösiiiig
64° — 657/ 59° — 60°
62" — 62V4° 57° — 58°.
Auch hier scheint indessen zuweilen das Gegentheil ein-
zutreten und der fragliche Winkel in Kalilösung- grösser zu
werden.
Ich muss es dahin gestellt sein lassen, ob dieses entgegen-
gesetzte Verhalten der Winkel beim Eintrocknen und Wieder-
befeuchliMi mit Wasser, so wie beim stärkern Aufquellen in
einer alkalischen F'lüssigkeit in Beziehung zur Crystallform stehe,
oder üb es auf eine andere Weise zu erklären sei. Wenn
Käf/eli: Crystallühnliche Pioteinköriier. 127
nämlich die Cryslalloide rhomboodrisch wären, so miisslen alle
spitzen Winkel der rhombischen Flächen die nändichen Verän-
derungen zeigen. Wenn sie dagegen klinorrhombisch sind , so
könnte bei der Aufiiahme von Imhiliitiotisflüssigkeit die Ver-
arösserunir in der Kichluno- der Säulenaxe, nnd in 2 (hizu senk-
rechten Richtungen 3 versciiiedenen Werthen entsprechen, und
es könnten demnach die spitzen Winkel der Säulenflächcn klei-
ner, die der Endflächen grösser werden oder umgekehrt.
Die Entscheidung der Frage, wie sich unter den bespro-
chenen Verhältnissen die Zunahme der verschiedenen Durch-
messer verhalte, und ob (he rhombischen Flächen ihre Winkel
in gleicher oder in ungleicher Weise ändern, wäre ein sehr
wichtiges Moment lür die Bestimmung, ob die Crystalloide nach
dem rhomboedrischen oder dem klinorrhombischen Typus gebaut
sind. Aber beider scheint eine ganz sichere Methode fast zu
den Unmöglichkeiten zu gehören.
Wenn die Crystalloide stärker in Kalilösung aufquellen, so
werden die spitzen Winkel der rhond)ischen Flächen deutlich
kleiner, uiui zwar scheinen sich alle Flächen der rhomboeder-
ähnlichcn Formen gleich zu verhalten. Diese Winkel, die früher
610 _ (3io betrugen, sind jetzt nicht grösser als 49" — 50".
Wird die Crystalllorm als klinorrhombisch betrachtet, so ist die
NeicTuno- der SäubMillächen unter einander von 75° auf 68'' —
70'' gesunken, und die Neigung der Säule hat sich von 58"
auf 50" vermindert. Die Winkel der Abstumpfungsflächen sind
annähernd die gleichen geblieben, und die rechten Winkel der
Stellung, wie sie Fig. 6 zeigt, sowie der octaedrischen Formen
(Fig. 11) haben sich nicht verändert.
Die Anwendung des polarisirten Lichtes gibt sehr wenig
Aul'schluss über das C'rystallsystem. Wenn di(! Axe des Ilhom-
boeders senkrecht steht, so zeigen die Crystalloide keine doppel-
brechenden Eigenschaften. Bei horizontaler Axenlage wird das
Koth der ersten Ordnung in Rolhorange und liothviolett umge-
ändert; und zwar in der Art, dass die geringere Aetherdi(;htlg-
keit (oder grössere Elaslicitüt) in der Richtung der Axe sich
128 Sitzutiy der math.-phys. Classe vom il. Juli 1862.
befindet. Daraus ergibt sich , tlass wenn die Crystalloide dem
bexagonalen System angehören, sie optisch positiv sind. Es ist
aber nicht ausgeschlossen, dass sie 2 optische Axen haben, und
dass dieselben sich der Axe i\es scheinbaren Rhoniboeders
nähern.
Ich bemerke noch zum Schlüsse;, dass die Crystalloide meiner
beiden Präparate fast alle rhomboeder- und octaederahnlich, sel-
tener talelartig und am Umfange von den Rhomboederflächeu
begrenzt sind. Die Crystalloide der Maschke'schen Präparate
daffeffcn sind Tafeln, liäufiy njit stun)plen Ecken und bloss un-
deutlichen Rhomboederflächeu (Fig. 13. 10 1; nicht seilen sind
auch die oreu-enüberlieoenden Flächen nicht genau parallel. Unter
meinen Präparaten kommen nur wenige solche Tal'eln mit un-
vollkonnnen oder unregelmässi^ ausgebildeter Crvstallform vor
(Fig. 14 — 16).
Microchemische Reactio neu.
Die microchemischen Reactionen , welche die Proteincry-
stalloide der Paranuss zeigen, sind mannigfaltig uiul werden auch
von den bisherigen Reobachtern abweichend dargestellt. Nach
Hartig (Pflanzenkeim 115) werden sie in Wasser rasch gelöst,
indem sie zuvor in eine Mehrzahl kleincirer ähnlich gebildeler
Crystalle zerfallen. Holle wiederholte diese Angabe. Radlkofer
dagegen (I. c. p. 65) laiul, dass das Wasser sie nur unvoll-
kommen angreife, indem es eine Streuung und Zerklüftung der-
selben hervorrufe und die Bruchtheili! bald gänzlich ausser Ver-
bindung treten mache, andere aber nach längerer Einwirkung
vollkonnnen intakt lasse. Holle slimmle S|iäler dieser Angabe
bei (N. Jahrb. für Pharm. 1850 |>. 0). iNach Maschke (Bot.
Zeil. 1850 p. -417 und 410) bleiben einerseits die Crystalloide
im Wasser beinahe unverändert ; andererseits sollen sie aber in
grössern Mengen Wasscu* rissig werden und ein wenig auf-
quellen, nach längerer Zeit selbst sich lösen; l'cirner gibt der-
selbe an, er habe ein Zerlallen in grössere und kleinere Stücke
Näyeli: Crt/staUültnlühe Protetuliöiper. 129
nur flnnn beobachten können, wenn das Wasser zwischen Deck-
und Objectülas einzutrocknen begann.
Eioenthiiniliche und nicht constante Wirkungen ruft nach
Radikofer die Essigsaure hervor (1. c. 67); dieselbe löst einen
Theil der Cryslalloide. liissl aber ans der Lösung schnell eine
oruniöse Masse lallen : andere verändert sie äusserlich last gar
nicht oder macht sie rundlich aufgequollen und iiohl. Maschke
dagegen cribt an, dass die Crystalloide der Paranuss auf Zusatz
von Essigsäure sofort gelöst werden.
Concentrirte Salzsäure löst nach Radlkcder die Crystalloide
rasch, massig vcrdüinite SchwelVilsäure etwas weniger rasch; in
venlünnter Salzsäure werden sie getrübt wie durch Entstehen
sehr kleiner Vacuolen; auch in Salpetersäure werden sie rund-
lich und vacuolig. Rei Behandlung mit Phos[diorsäure zeigt sich
nach Maschke in (h'r Mitte dos Crystalloids ein Hohlraum (,,eine
durchsichtige, das Licht röthlich brechende Stelle"), welcher an
Grösse immcu* mehr zuninnnl.
Anunoniak löst die Crystalloide nach Radikofer und Maschke,
ebenso verdünnte Kalilauge nach dem Erstem, Kalkwasser nach
Letzterm. Concentrirte Kalilauge macht sie nach Radikofer rund-
lich klumpig.
In Glycerin werden nach Radikofer die meisten Crystalloide
nach längerer (24 stündiger) Einwirkung gelöst, und zwar ohne
erst bedeutend aufge(iuollen zu sein; einzelne aber bleiben
ungelöst.
Jod färbt nach d(;n verschiedenen Beobachtern gelbbraun
oder braun; nach Radikofer zerklüftet es sie zugleich. Das
iMillon'sche Reagens gibt ihrien eine rothe Farbe. Pigmente wer-
den in grösserer Menge aufgenonunen.
Diese Reactionen widersprechen einamhu- nicht nur, son-
dern sie erscheinen theilweise auch ganz unbegreiflich und mau
möchte sagen unmöglich. Ich habe mir nicht die Aufgabe ge-
stellt , die microchemischen Erscheinungen erschöpfend zu be-
handeln und zu untersuchen, unter welchen Verhältnissen die
eine oder andere Wirkung eintritt. Es lag mir vielmehr daran,
[tä6-2. U.J 9
130 Sitzung der maih. - phys. Ctasse rom 11. Juli 1862.
aus dem verschiedenen Verhalten Aufschluss über die innere
Struclur der Crystalloide zu bekommen. Ich benierke daher
nur im Allgemeinen, dass die abweichenden Reaclionen vorzü^r-
lieh von drei Ursachen herrühren. Einmal werden sie, wie das
auch bei andern durchdringbaren Körpern der Fall ist, durch
den Concentralionsgrad des Mittels bedingt, welcher sehr we-
senthche Modificationen herbeiführen kann. Ferner bestehen
die Crystalloide, wie ich zeigen werde, aus 2 Substanzen von
ungleicher Löslichkeit; mit dem Wechsel der relativen Mengen
muss auch der ganze Körper seine Eigenschaften modificiren.
Endlich scheint auch die Art der Darstellung und Aufbewahrung
von Einfluss zu sein; es scheint nicht gleichgiltig, ob die Cry-
stalloide längere Zeit mit Alkohol und Aelher in Berührung ge-
bUeben sind oder nicht; in der Aufbewahrungsflüssigkeit können
Veränderungen vor sich gehen. Meine beiden Präparate ver-
hielten sich bei Zusatz von Glycerin ganz ungleich, obgleich
beide vermittelst Aelher dargestellt waren. Als ich darauf die
Flüssigkeiten untersuchte, reagirte die eine deutlich sauer.
Mit Rücksicht auf die Wirkung des deslillirlen Wassers
weichen meine Beobachtungen von denjenigen meiner Vorgänger
ab. Trockene Crystalloide werden von demselben durchdrungen
und erfahren demoemäss eine Volumenzunahnie. Sonst aber
zeigen sie keine Veränderung; es findet weder Lösung noch
Zerklüftung und Zerfallen statt, sowohl nach tagelanger Ein-
wirkung als nach dem Austrocknen und Wiederbefeuchlen.
Meine beiden Präparate, sowie dasjenige von Maschke verhalten
sich in dieser Beziehung gleich.
Auch die Reaction von Glycerin und Jod weicht nach
meinen Beobachtungen von den erwähnten Angaben ab. Reines
Glycerin. sowohl in beträchtlicher Verdünnung als in starker
Conceniralion angewendet, verändert die Crystalloide durchaus
nicht. Es durchdringt sie bloss und bringt eine Volumenver-
mehrung hervor, die aber noch viel geringer ist als bei der
Durchdringung mit Wasser. Ist dagegen gleichzeitig eine wenn
auch nur schwache Säure vorhanden, so treten verschiedene
Tiägeli : Crystallähnlhhe Proteinköiper. \^\
Vei-Jiiulerungen an den Crystalloiden ein, von denen ich in der
Foloe spiTclien werde. Wie ich bereils bemerkte, verhielten
sich meine beiden rrüparale bei der Einwii-kung von Glycerin
nnoleich. Das eine, weiches die saure Reaction zeiote, h'ess
iihidiche Erscheinungen waluMiehmen wie das anihn-e, wenn dem-
selben schwache Sauren beigefügt wurden. Vielleicht ist auch
die Angabe Radlkofer's über die Lösung der Crystalloide durch
Glycerin auf die nämliche Weise zu erklären.
Jod dringt ein und fiirbt; aber andere Erscheinungen sehe
ich nicht eintreten. Die durch Jod gefärbten Crystalloide sind
nach meinen Beobachtungen im Gegentheil gegen andere i^Iittel
viel beständiger geworden; ihre Substanz wird durch die Jod-
einlagerung bis auf einen gewissen Grad geschützt, wie das
auch mit den durch Jod gebläuten Stärkekörnern der Fall ist.
Ausser von reinem Wasser, Glycerinlösung, Jodlösung,
Alkohol und Aelher werden die Crystalloide auch von sehr
schwachen Säuren nicht vjMändert. Sooar in concentrirter Essiff-
säure bleiben sehr viele derselben selbst nach längerer Zeit voll-
kommen unangefochlcMi. Stärkere Säuren, schwächen! Säurc^n bei
gleichzeitiger Einwirkung von Glycerin, sowie alkalische Lösun-
gen bringen dagegen verschiedene Veränderungen hervor. Die
leichtesten bestehen in einem Aufquellen , ohne dass die innere
Structur wesentlich modificirt wird ; andere bewirken zugleich
mechanische Trennungen oder verändern die feste und spröde
in eine weiche dehnbare Substanz. Die stärkern Veränderungen
sind mit partiellen Lösungen verbunden ; dabei wird entweder
aus allen Punkten ein SlofT von geringerer Widerstandsfähigkeit
ausgezogen; oder es werden einzelne Stellen von dc^r Ober-
Häche aus angegriffen und das Crystalloid zerfallt in Stücke;
oder es werden einzelne Stellen im Innern gelöst, und es bil-
den sich Hohlräume. Endlich findet vollständige Lösung statt.
Bei d(!r leichtesten Einwirkung der angreifenden 3Iittel
quellen die Crystalloide; bloss auf; sie vc^rmehren ihr Volumen
mehr oder weniger, während die Crystallform erlialt(Mi bleibt.
Am schönsten sah ich diess bei gleichzeitiger Anwendung von
DO O
132 Siliiiiii/ der math- phys. Vtasse vom lt. Juli 1862.
verdüiiiilen Siiiireii (z. B. Essigsäure) und Glycerin oder bei der
Anwendung von sehr sclnvacher Aefzkalilauge.
Zuweilen kann man beobachlen, wie das quellende Mittel
an der Oberlliiclie eindringt und nach der Mille Inn vorrückt.
Wenn das Aulquellen sehr gering ist, so ist diess selbst das
einzige Millel, um die stalKindeiide Verändernng nachziiw(Msen.
Die Figuren 32 — 34 zeigen einige Cryslalloide, welche in sehr
verdünnter Essigsäure lagen »nul auf welche nachträglich Gly-
cerinlüsung einwirkte. Ganz gleiche Formen wurden auch in
dem Präparate mit saurer Aurbewahrunnsflüssiokeil beobachtet
(Fig. 25 — 31j. — Die Substanz wird von der Oberfläche aus
heller. Die innere unveränderte Masse ist, wie ihr Randschallen
zeigt, etwas dichter 5 sie wird allmählich kleiner und verschwindet
zuletzt ganz. Anfänglich hat dieselbe genau die Gestalt des
ganzen Crystalloids (Fig. 29, 30, 34) und behält sie oft ziem-
lich lange, so dass ein kleines Crystalloid in dem grossen liegt
(Fig. 25), Später rundet sie sich jedoch meistens ab (Fig. 33).
Das Aufquellen der Masse ist in diesen Fällen äusserst gering;
die Cryslalloide scheinen nach demselben nicht grösser gewor-
den zu sein. Sic können von den unveränderten fast nicht
unterschieden werden; durch Jod nehmen sie die gleiche
Farbe an.
Das regehnässige Vordringen des Glycerins oder überhaupt
der Oui'lliingi^flüssigkeil in der Substanz des Crystalloids be-
weist eine regelmässige überall gleichförmige Struitur im Innern.
Es regte natürlich die Frage an, ob die Widerstände in den
verschiedenen Hichlungen nngleicl» seien und ob das Vorrücken
mit ungleicher Geschwindigkeit erfolge. Diess scheint nun aller-
dings der Fall zu sein. In einigen FälltMi drang bei rhomboe-
derähnlicher Gestalt die Oncllungsflüssigkeit olfenbar von den
AbsUnnpInngsflächen aus langsamer ein als von den übrigen.
In Crystall(ii<len , welche Spalten besitzen, w ird die Sub-
stanz auch von der Spallenoberfläche aus verändert. Ein sol-
ches mit (iiner 0»i<Mspalle ist in Fig. 32 abgebildet; es verhält
sich wie 2 Cryslalloide, indem in jeder Hälfte sich ein dichter
Tiüyeli: Cri/stfillähnliclie Proteinkörper. 133
Korn befindet. Wenn dngcgcii zwei Crystalloide einander fest
iinliegen, und die Oiit-'Hungsfliissigkeit niclit zwischen sie ein-
dringen kann, so verhalten sie sich wie ein einfacher Körper,
und schliessen zusammen eine (jinzige znsannnenhangende dichte
Älasse ein (Fig. 2S) — Selten kommt es vor, dass in einem
unverletzten Crystailoid die dichte noch unveränderte Substanz
in 2 Partien zerliillt (so in Fig. 31); diess scheint damit zu-
sammen zu hängen, dass, wie ich bereits bemerkte, die Quel-
buigsflüssigkeil von den Abstumpfungsfläciien aus langsamer
eindringt.
Die CryslaUoide können bis auf das Doppelte ihrer Dimen-
sionen sich vergrössern, wobei sie sehr hell und durchsichtig
werden, ohne ihre regelmässige stereometrische Form zu ver-
lieren. Die Kanten und Ecken erscheinen oft so scharf, die
Flächen so eben wie im unveränderten Zustande, Aber die ver-
schiedenen Dimensionen hab(Mi nicht in ganz gleichen Verhält-
nissen zugenommen: und die Cryslallgestall hat sich etwas ver-
ändert, wie ich schon ob(Mi angeführt \v,\\n\
Bei etwas stärkerer Einwirkung des Quellungsmiltels ver-
lieren die Crystalloitle mehr oder weniger ihre regelmässige
polyedrische Form. Ecken und Kaulen runden sich ab. Die
inm^e Structur wird modificirl, die Masse erscheint dehnbarer.
Besonders bemerkenswerlh ist es, dass jetzt die Substanz an
der Oberfläche dichter ist als im Innern. Die weiche aufge-
quollene Masse ist von einer mend)ranartigen Rinde umschlossen.
Diese Membran ist bald scdn- zart bald etwas mächtiger, aber
immer sehr deutlich, bei rascher Einwirkung wird sio zer-
sprengt und die innere Masse quillt wolkenartig heraus (Fig.
51, 'Vi) Diese Erscheimnigen wurden bei der Einwirkung von
Kalilösuiig und Ammoniak, aber auch bei gleichzeitiger Anwen-
dung von Salzsäure und Glycerin gesehen.
Eine andere Wirkung <\ii^ ungleichmässigen Aufquellens
sind Risse in der Substanz des Crystalloids Dieselben zeigten
sich besonders Ix'i gleichzeitiger Anwendung von verdünnten
Säuren und Glycerin, ebenso bei Zusatz einer concentrirlen
134 Sitzung der math.-plnjs. Ctasse vom it. Juli 1862.
Glycerinlüsung zu dem Priiparat, dessen Aufbewahrungsflüssig-
kcit eine saure Roaction zeigte, endlich bei Anwendung von
starkern Siiuren allein. Zuerst erscheinen zarte Streifen auf den
Crystalloiden . welche wie Hisse aussehen. Dieselben sind mei-
stens unter einander ziemlich parallel und zur Axe der rhom-
boederähnlichen Formen quer gerichtet. Bald darauf erkennt
man sie als deutliche S|)alteu , die das Crystalloid theilweise
oder auch ganz durchbrechen. Dasselbe zerfiillt dann in Stücke,
welche, besonders wenn eine Bewegung in der Flüssigkeit be-
günstigend mitwirkt, sich' von einander trennen und vertheilen.
Offenbar wird dieses Zerkliiften und Zerfallen nicJit bloss durch
mechanische Trennung, sondern auch durch theilweise Auflösung
der Substanz hervorgebracht, welche an den durch die Risse
blossgelegten Flachen Ihiitig ist. Die sich zerklüftenden und in
Splitter zerfallenden Crystalloide zeigen ein kaum bemerkens-
wcrthes Wachsthum durch Aufquellen.
Zuweilen bildet sich zuerst nur eine Spalte, welche sich
verzweigt (Fig. .21, 22). Durch weitere Verzweigungen und
netzförmige Anastomosen (Fig. 23) wird nach und nach die
ganze Substanz zerklüftet und zerfallt in Trünnner. — Es kann
auch sogleich ohne vorausgehende Rissebildung ein Zerbröckeln
in kleine Körnchen an einer Seite beginnen, und allmählich das
Crystalloid ergreifen (Fig. 24).
Ebenfalls eine theilweise Auflösung, aber ganz in anderer
Form findet gewöludich bei der Einwirkung von verdünnten
Sauren (Salzsäure, Schwefelsäure, Salpetersäure, Phosphorsäure)
statt. Es treten im Innern der Substanz Hohlräume oder Vacu-
olen auf, bald grössere bald kleinere, bald nur einer oder ein-
zelne wenige, bald zahlreiche (Fig. 45, 46, 47; in Fig. 48
umiicben mehrere kleine Vacuolen einen grössern Hohlraum).
Dabei verändert das Crystalloid Form und (Jrösse nur wenig.
Wenn die Vacuolen in grosser Menge vorhanden sind , so er-
scheint die Substanz in Folge davon dunkel. Zuletzt zeigt das
Crystalloid meistens eine einzige grosse Höhlung (Fig. 49, 50);
Näffeli: Crystallähnliche Proteinkörper. 135
es hat noch ziemlich seine polyedrische Gestalt und gleicht einer
Zelle mit dickerer oder dünnerer Wandung.
Auch schwächere Alkalien bringen oft eine ähnliche Wir-
kung hervor. Die Figuren 53-55 zeigen drei Crystalloide, die
durch Auflösung der innern Masse hohl geworden sind. In
Fig. 53 ist die Wandung noch ziemlich dick und hat auf der
einen Seite eine Spalte; in Fig. 55 ist dieselbe sehr dünn ge-
worden.
Wenn die Mineralsäuren stärker einwirken, so treten zwar
auch Vacuolen im Innern auf. Zugleich findet aber in der Sub-
stanz eine Desoiganisation statt. Das Crystalloid quillt nur
wenig auf, rundet sich ab und besteht aus einer weichen und
wie es scheint dehnbaren Substanz.
Eine Form der partiellen Auflösung besteht endlich darin,
dass aus allen Theilen des Cryslalloids ein Stoff ausgezogen
wird. Diese merkwürdige Beobachtung wurde an dem Präparat
mit saurer Aufbewahrungsflüssigkeit bei Zusatz von Glycerin
gemacht. In sehr verdünnter Glycerinlösung bleiben die Crystal-
loide unverändert. In concentrirter Lösunjj werden sie zuerst
am Umfange sehr hell; die Veränderung schreitet dann nach
innen fort, woliei di(! eingeschlossene noch unveränderte Sub-
stanz viel dichter erscheint und durch ihren stärkern Rand-
schatten sich abhebt; zuletzt sind sie in ihrer ganzen Masse
zart und durchsichtig geworden. Fig. 35 — 37 und 40 — 43
zeigen zwei Crystalloide in der fortschreitenden Veränderung.
Selten bleibt die unveränderte Substanz, bis sie verschwunden
ist, zusanunenhängend. Meistens zerfällt sie vorher in einige
oder viele Partieen (Fig. 44). Nicht selten geschieht diese Zer-
klüftung durch Oiiorspalten (mit Rücksicht auf die Axe der
rhomboederähnlichen Formen). Zuweilen ist sie ziemlich regel-
mässig, häufiger mehr oder weniger unregelmässig.
Wenn die Einwirkung vollendet ist, so bleibt ein sehr
zarter Körper zurück , von der ursprünglichen crystallähnlichen
Form und Grösse (Fig. 37, 38, 43); eine Zunahme der Dimen-
sionen (resp. Aufquellen) findet nicht statt. Kanten und Ecken
136 Sit-iung der tnath.-plii/v. Classe vom it. Juli 1862.
sind oft noch gnnz schürf: nianclimal aber auch haben sich die
Kanten etwas gebogen und die Ecken abgerundet. Der Körper
erscheint so, als ob er bloss aus einer dünnen Membran bestehe;
die eingeschhjssene Masse ist in ihrem Lichtbrechnngsvermögen
vom Wasser nicht verschieden. Doeh muss sie eine unlösliche,
aber allerdings äusserst weiche Substanz sein, was sowohl aus
der sorgfältig erhaltenen Ciystallform als aus dem Verhallen zu
Jod, welclics sie gelb färbt, als auch aus dem Umstände hervor-
geht, dass bei der Zerklüftung die Trümmer und Körnchen in
ihrer gegenseitigen Lage verharren und weder zusammenstürzen
noch überhaupt in Bewegung gerathen, was nur dadurch erklärt
wird, dass sie in eine unlösliche Substanz eingebettet sind.
Diese partielle Auflösung der Proteincrystalloide hat die
allergrösste Aehnlichkcit mit der Einwirkung des Speichels auf
die Stärkekörner. In beiden Fällen wird aus einer Mischung
von zwei Stoffen der eine ausgezogen, wobei die Auflösung
immer an der Oberfläche der noch unveränderten Masse thätig
ist. Der StolF, welcher zurückbleibt, beträgt nach dem Licht-
brechungsvermögen zu urlheilen, weniger als V,o der ursprüng-
lichen Masse, und ist, wie schon gesagt, an seinem Umfang
deutlich zu einer incndjranarligen Schicht verdichtet. Jod färbt
die unveränderte Substanz gelbbraun mit einem Stich in's Röth-
liche, die zuiückbleibende helltreib.
Die verschiedeneu Ersch(;inungen der OiK-Hn'ig und par-
tiellen Auflösung können meistens auch, wenn das Mittel ener-
gischer oder länger einwirkt, zu vollständiger Lösung luhrcMi .
Schwache Säuren im Verein mit concentrirter Glycerinlösung,
concenirirtcre Säuren sowie Alivalien haben oft diesen Erfolg.
Concenfrirte Essigsäure für sich allein greift, wie ic'h schon
bemerkt habe, viele Crystalloide gar nicht an. Wenn dagegen
gleichzeitig Glyceriri auf dieselben einwirkt, so quellen sie auf,
werden dabei sehr durchsichtig, und verschwinden zuletzt ganz.
Stark verdünnte Phosphorsäure führt eine eigenthümliche
Trübung der Crystalloide herbei, als ob ihre Substanz durch
zahlreiche Risse in winzige Splitter zertrümmert sei. Setzt man
Nät/eli: Crtistanühnliche Proteinf<örper. 137
hierauf cnnceiilrirlero Phospliorsiinio liiiizu , so quellon sie auf
und worden viel heller. Endlich sind sie sehr undeutlich, und
bestehen nur noch aus oin(Mn iiussorst zarten kaum bemerk-
baren Skelett, das aber oft noch vollkommen die iViUicrc Cry-
slalllbrm zeigt. Sehr wahrscheinlich wird auch hier eine leichter
lösliche Suiislanz ausgezogen, wie das bei der Einwirkung von
toncenlrirter Glycerinlosung auf die Cryslalloide des Präparats
mit saurer Aufhewahrunosflüssigkeit der Fall ist. Das zarte
Skelett verschwindet bald vollsliindig. — Bei der Einwirkung
anderer Mineralsauren werdcMi meistens durch Auflösung im In-
nern zuerst Hohlräume, dann eine einzige grosse Höhlung ge-
bildet, die von einer HiUle umschlossen ist und zuletzt verschwin-
det auch diese Hülle.
Ammoniak in concenlrirterer Lösung löst ebenfalls zuerst
die innere Substanz und zuletzt auch die Hinde. Aetzkali da-
gegen macht das Crystalloid aufquellen und dann verschwinden.
Vergleichung mit den Crystallen.
Die aus Proteinverbindmigen bestehenden Cryslalloide glei-
chen in der Formbildung den C^y^talien aufs Aeussersle; daher
sie auch sogleich von allen Forschern mit diesem Naimm be-
griisst wurden. Doch zeigt eine genauen^ Beobachtung . dass
die strengen Geslallsverhältnisse der Cryslalle bei den C'rystal-
h)iden ziendich la.x werden. Wenn unter ganz gleiclnMi äussern
Einflüssen derselbe Winkel um 2" und 3° variiren kann , und
wenn bei gut ausgebildeten Formen die gegenüIxM-liegenden
gleichwerlhigen Flächen zuw(!ilen so weil von dem Parallelismus
' abweichen, dass es das Auge ohne Goniometer bemerkt, so muss
(Hess wenigstens als ein aulTallendes crystallographisches Ver-
halten bezeichnet werden.
Nicht minder abnorm für die Cryslallnatur sind die Geslalts-
veränderungen der Cryslalloide in verschiedenen Medien. Zwar
ist bekannt, dass die Winkel der Cryslalle bei dem Steigen und
Fallen der Temperatur nicht genau die nämlichen bleiben. Aber
es wäre etwas ganz Neues und Besonderes, dass ein trockener
138 Sitzung der math.-phys. Classe vom 11. Juli 186i.
Crystall, den man in Wasser legt, seine Winkel um 2° — 3"
ändere, und dass er in gewissen Flüssigkeiten aufquellend die
regelniiissige Crystallform zwar behalte, aber doch so sehr nio-
dificire, dass der nüniliche Winkel gegen den trockenen Zustand
eine Differenz von 15" und 16" zeigen kann.
Rücksichtlich des innern Baues können wir von den protein-
artigen Crystalloiden wohl mit Sicherheit aussagen , dass die
Substanz wie in den Crystallen nach verschiedenen Richtungen
geschichtet ist. Diess ergibt sich aus den parallelen Rissen,
welche unter gewissen Verhältnissen manchmal mit grosser
Regelmässigkeit auftreten. Ich habe bereits angegeben, dass
dieselben meistens mit den Abstumpfnngsfliichen parallel sind;
zuweilen aber stimmt ihr Zug auch mit Rhotnbenflächen überein.
Ausserdem aber zeigt die innere Struclur eine wesentliche
Verschiedenheit zwischen Crystallen und Crystalloiden. In jenen
liegen die kleinsten Theilchen unmittelbar nebeneinander; die
Substanz ist undurchdringbar. In diesen befinden sich
Zwischenräume, in welche eine Flüssigkeit eindringen kann; sie
sind imbibitionsfähig. An diese Differenz knüpfen sich eine
Reihe anderer Unterschiede.
Die soeben hervorgehobene Thalsache, dass die Crystalloide,
wenn sie aus dem trockenen Zustande in den befeuchteten über-
gehen, oder wenn man sie aus Wasser in eine andere Flüssig-
keit bringt, ihre Grösse und zum Theil ihre Ge.>lalt verändern,
beruht auf ihrer Imbibitionsfähigkeit. Die Oi'cHungsflüssigkeit
dringt in die Substanz ein, lagert sich in den verschiedenen
Richtungen in ungleicher Menge ein, und bringt dadurch mit
der Vülumenzunahme auch eine Gestaltsveränderung hervor.
Eine andere Folge der Imbibitionsfähigkeit sind die Ver-
änderungen, welche im Innern der Crystalloide vor sich gehen,
wenn sie mit verschiedenen Lösungen und Flüssigkeiten in Be-
rührung konmien. Sie lagern Jod und andere Farbstoffe ein
und ihre Substanz wird durch und durch gefärbt. Sie quellen
ungleichmässig auf und bilden Risse, oder die innere weichere
Substanz zersprengt die dichtere Rinde. Die eindringende
Tiägeli: Cri/stallähnliche Proteinkörper. 139
Flüssigkeil ruft zuerst eine partielle und ungleiclimlissige Lösung
hervor; in Folge derselben bilden sich im Iiniern Höhlungen,
oder die Masse zerfallt in grcissere und kleinere Splitter, oder
es wird aus allen Theilen eine leichlerlösliche Substanz ausge-
zogen. Dieser partiellen Lösung folgt nachher die vollständige
nach. — Von allen diesen Erscheinungen zeigt der Crystall
keine Spur, weil er undurchdringbar ist. Das Lösungsmitlei
greift ihn an seiner Oberfläche an ; er wird kleiner und ver-
schwindet zuletzt. Seine Substanz bleibt unverändert bis zu
(lern Moment, wo sie von dem lösenden Mittel erreicht und
verflüssigt wird.
Die Imbibitionsräliigkeit der Crystalloide bedingt lerner ein
von den Cryslallen verschiedenes Wachsthuni. Die letztem ver-
jrrössern sich durch Schiclitenanllageruntr an ihrer Oberfläche;
wegen ihrer Undurchdringbarkeil können sie keine Substanz in
ihr Inneres aufnehmen. Die Crystalloide dagegen wachsen
durch Inlussusceplion; mit dem durchdringenden Wasser ge-
langen nährende gelöste SlofTe ins Innere und werden in un-
löslicher Modificalion eingelagert Dass diess so sein müsse,
ergibt sich namentlich aus zwei Thatsachen. Einmal ist die in-
nere Substanz in grössern Crystalloiden viel weicher , leichter
qiKdlinigsfähig und leichtc^r löslich als die Rinde : sie ist auch
viel weicher als kleine Crystalloide. Die letzlern können also
nicht durch Anflacrerunir an der Oberfläche zum Kern der
grössern Körper werden.
Die zweite noch viel wichtigere Thatsache ist die oben
erwähnte, dass wenn man dtuch schwache Säuren und Glycerin
eine leichter lösliche Substanz auszieht, die übrig bleibende
relativ unlösliche Substanz an der Oberfläche zu einer Membran
verdichtet ist. Diese M('nd)ran beweist, dass das Wachsthnm
allein durch Inlussusception geschieht. Denn würde auch Auf-
lagerung an der Oberfläche statt haben, so müsste die Membran
ins Innere vergraben werden; und man müsste an grossen
Crystalloiden nach der angegebenen Behandlung nicht nur eine
140 ■^ititttiff der math. - phi/s. Clause vom ii- Juli 1862.
Menibian an der Ohcriläclie , sondern auch noch eine Reihe
anderer in einander geschachlelter irn Innern finden.
Die kleinsten Crystaüoide in meinen Präparaten haben die
Crystalllornien (h^r grossem. In dem Präparat von Maschke
dagegen sind die kleinsten alle kugelig; sie können eine ziem-
liche Grösse erniichen und dabei noch kreisrund (abgeplattet-
kuoeliir) sein (Fig. 20). Von diesen Kugeln gibt es alle mög-
lichen üebergänge zu den sechsseitigen Taleln , welche von
6 Rhniidjoederflächen und den beiden Ab.slumpfungsflächen be-
grenzt sind. Zuerst sieht man 3 Ecken sich an dem Umfange
erheben (Fig. 17); zwischen denselben bilden sich dann nach
und nach die drei andern aus (Fig. 19, 20). Diese Thatsache
scheint darauf hinzudeuten, dass die Cryslalloide zuerst als
Kugeln auftreten und allmählich sich zur spätem Cryslallform
umbilden. Ist diese Vermuthung. die aber jedenfalls noch durch
weitere Beobachtungen bestätigt werden muss, gegründet, so
ergibt sich ein neuer Unterschied gegenüber den Crystallen. welche
auf ganz andere Art entstehen. Auch diese Formverändorungen
der Cryslalloide in d(Mi jüngsten Zuständen wären wohl nur durch
das Wachsthum vermittelst Intussusception zu erklären.
Diese Vergleichung zeigt uns, dass die aus Proleinsub-
stanzen bestehenden Cryslalloide den Crystallen in der Form-
bilduiiff zwar äusserst ähnlich sind, dass sie aber in allen andern
wesentlichen VcMhältnissen sich von densidben entfernen und
dafür genau mit den Slärkekörnem und Zellmendtranen über-
einstimmen. Namentlich mit Rücksickt auf die mannigfaltigen
Ouellungs- und Audösungserscheinungen gibt es selbst keine
einzige, die nicht auch in ganz analoger Weise bei den Stärke-
körnern vorkäme. Die Unterschiede zwischen Slärkekörnem
und Crystidloiden lassen sich wohl alle darauf zurückführen,
dass bei jeuen die innere Organisation diu"ch ein Centrum be-
dingt wird, bei diesen nicht; dass also bei den erstem die
Molecularschichtcn sich concentrisch um einen organischen Mit-
telpunkt gruppiren, bei den letztem aber in parallelen durch
feste Richtungen bedingten Flächen liegen. Da, wie ich für die
Küyeli : Cri/staltähiiiivlte Proteinköriier. 141
Stärkekürner wahrscheinlich goinachl habe, der concenhische
Bau mit i\oth\veii(lii»keit besliininle Spaniimiuen hervorruft und
da aus diesen Spannuntren die DifTcrencirung' der Substanz in
dichte und weiche Schichten sowie die Entstehung von Theil-
körnern im Innern herzuhMten ist. so wird es begreiflicii, warum
diese beiden Merkmale den Crystalloiden mangeln.
Da die Trystalloide sich rücksichtlich derjenigen Erschei-
nungen, welche durch den Innern Bau bedingt werden, wie
oro-anisirte EkMnenlarorgane verhalten , so darf man wohl an-
nehmen, dass sie auch in der iMolecuIarconslilution mit denselben
id)ereinstinnnen. Sie würden somit aus winzigen crystalliihnlichcn
Molecülen (von denen jedes aber aus einer grossen Anzahl von
Atomen zusammenoresetzt sein kann) beslehcMi. welche im Irocke-
neu Zustande einander berührtm. im befeuchleten aber durch
Schichten von Ind)ibitionsflüssiokeit getrennt sind. Diese Annahme
wird auch, wie es scheint, durch das Verhalten der Cryslalloide
selbst gefordert ; denn sie allein gestattet die Möglichkeil . dass
dieselben sidi auf das D()|)pelle ihrer Durchmesser ausdehnen
und dabei eine vollkommen rt^aelmässiije (i(>stalt behalten.
Auch die Wirkungen, welche die Crystalloide auf das po-
larisirte Licht äussern, unterstützen die Annahme, dass ihre
Molecularconslitution mit derjenigen der organisirten Elementar-
gebilde übereinstinnne. Die letztern zeichnen sich alle dadiuch
aus, dass sie auch in wasserlhrien» Zustaiuh; viel schwächere
doppelbrechende Eigenschaften besitzen als Crystalle von glei-
cher Mächtigkeit. Diess gilt ebenfalls für die Crystalloide; die
Interferenzfarben, welche sie hervorrufen, sind so schwach, dass
man sie kaum deutlich wahrninnnt, während gleich grosse Cry-
stalb^ einer Zuckerart oder irgend eines Salzes sehr lebhafte
Färbunuen crzenucn.
Das Wesen der Crystalle bestellt darin , dass die kleinsten
Theilchen nach allen Richtungen in parallelen geraden Reihen,
somit nach verschiedenen Richtungen in paralhdcju ebenen Flä-
chen liegen. Die Folge davon ist die regelmässige Crystallform
mit ihren ebenen Begrenzungen und mit ihrer synunetrischeii
142 Sitzunf/ der math.-phi^s. Classe vom ii. Juli 1862.
Verlheiluncr der Flachen. Die Bedinffunor dafür besieht darin,
dass die kleinsten Theilchen in der ninnlichen Richtung die glei-
chen Molecuhirkriifle wirksam werden lassen. — In den orga-
nisirlen Körpern geniigen bloss jene unsichtbar kleinen crystall-
ähnlichen Mulecüle , aus denen sie bestehen, vollkonnnen diesen
Bedintrunjien. Die crvstallähnlichen Molocüle treten ihrerseits
nach bestiiniriten Gesetzen zusannnen und bilden eine Vereini-
gung höherer Ordnung. Sie können entweder in geraden Linien
und ebenen Flachen sich zusammen ordnen, wie in dem Cry-
stalloid und in der ebenen Membran; oder sie können krumme
Reihen und gebogene Schichten bilden, wie in der cylindrischen
oder ovalen Zellmembran und in dem Stärkekorn. Eine ebene
Membran ist von dem Crystalloid nur dadurch unterschieden,
dass in jener bloss 2 gegenüber liegende Flächen , in diesen»
alle Flächen ausgebildet sind. In beiden ordnen sich die cry-
stallähnlichen .Molecüle, das Gefüge des Crystalls nachahmend,
zwar nahezu aber doch nicht genau in gerade Reihen und ebene
Schichten, wie die optische Analyse mit polarisirtem Lichte bei
beiden und wie die crystallographische Analyse bei den Cry-
stalloiden zeigt. Da sie unter einander nicht fest verbunden sind
und da zwischen ihnen andere Kräfte wirksam werden, als zw i-
schen den Atomen selbst, aus denen sie bestehen, so können
sie ferner innerhalb gewisser Grenzen Modificationen eingehen,
die dem wirklichen crystallinischen Gelüge fremd sind.
Erklärung der Figuren 1 — 55.
(liystalloidc aus der Paraiiuss (Berthoiletia excelsa).
Fig. 1 — 12.
Unveränderte Crystalloide in Wasser; 500 mal vergrössert.
Die spitzen Enden des Rhomboeders oder deren Abslumpfungs-
flächen sind mit a und b, die Flächen des Rhomboeders mit
m, n, p, q, r, s in der Art bezeichnet, dass m und n, p und q,
r und s Paare von opponirten Flächen darstellen.
Tiäyeli : Crt/stallühnliche Proteinkörper. 143
1. Rhomhoeder mit leicht abgestumpften Enden und hori-
zontaler Axe; s, ni und p liegen auf der zugekehrten Seite.
2. Vollständiges Riioinboeder mit horizontaler Axe, die
Flächen r und s stehen senkiechl.
3. Tafel mit auf der Papierebene verlicaler Rhoinboeder-
axe; die Endfläche b horizontal . zugekehrt. Auf der zuge-
kehrten Seite befinden sich ausserdem m, p und r, auf der ab-
gekehrten n, q und s.
4. Octaeder, dessen verlical stehender Durchmesser der
Rhoniboederaxe entspricht. Lage und Bezeichnung wie Fig. 3.
5. Ein abgestumpftes Rhoniboeder ; die Axe wenig nach
rechts aufgerichtet, a, p, m, s auf der zugekehrten, b auf der
abgekehrten Seite.
6. Das nämliche Crystalloid wie Fig. 5 mit etwas stärker
aufgerichteter Axe. Die Flächen r und s stehen senkrecht. Auf
der zugekehrten Seite befinden sich m , p und auf der abge-
kehrten Seite a, b.
7. Das nändiche Crystalloid mit vertical stehender Axe.
a (horizontal), in, p und r auf der zugekehrten Seite.
8. Das gleiche Crystalloid mit etwas nach links geneigter
Axe. Die 4 FläcluMi m, p. n und q stehen senkrecht; r und a
auf der zugekehrten, b auf der abgekehrten Seite.
9. Das gleiche Crystalloid mit stärker nach links geneigter
Axe. r (horizontal), n, q und a auf der zugekehrten Seite.
10. Das gleiche Crystalloid wie 5 — 9, mit horizontal lie-
gender Axe und aus der Lage 5 etwas um diese horizontale
Axe gedreht.
11. Octaeder mit zugekehrter Ecke.
12. Das gleiche Octaeder mit 4 senkrecht stehenden und
2 zugekehrten Flächen. ,
Fig. 13, 17-20.
Unveränderte kleinere Crystalloide des Maschke'schen Prä-
parats, in Wa.«ser; 1000 mal vergrossert.
13. Tafel mit scharfen Ecken.
144 .Si7«w«y der matli.-pUys. Cltisse vom 11. Juli iS62.
17. Tafel mit 3 ausgebildeten und 3 unausgebildeten Ecken.
18. Die gleiche Tafel mit horizontaler Axenstellung.
19. Tafel mit abgerundeten Ecken.
20. Kreisrunde etwas abgeplattete Form.
Fig. 14-16
Ein tafelförnnges Crystalloid aus (\cm Präparat mit saurer
Aufbewahrungsflüssigkeit; 500 mal vergrössert.
14. Mit horizontal liegender Axe. In der Mitte befindet sich
eine kleine Partie dichterer Substanz.
15. Mit zur Pa|)ierebene verticaler Axe.
IG In schiefer Lage; am Umfange sind die Rhond)oeder-
fliichen sichtbar.
Fig. 21 - 24.
(rystalloide aus dem Präparat mit saurer Aufbewahrungs-
flüssigkeit, in Glyceriidösung, durch welche sie zerklüftet und
zerbröckelt werden; 400 mal vergrössert.
21. Khond)oeder mit einer Spalte.
22. Abgestumpftes Rhomboeder mit stärkerer Zcrspallung.
23. Gestutztes Rhomboeder in der gleichen Lage wie Fig. 6,
mit weiter fortgeschrittener Zerklüftung.
24. Die eine Hälfte ist in Körnchen zerbröcki^lt , die an-
dere noch unversehrt.
Fig 25—31.
Crystallüide aus dem Präparat mit saurer Aufbewahrungs-
flüssigkeit , welche durch dieselbe bis auf eine noch dichte und
unveränderte Partie etwas aufgequollen sind; 500 mal vergrössert.
25. RlK)mbo(!der; der dichte iiniere Kern hat ebenfalls
eine rhondjoedrische Gestalt.
20. Tafel mit horizontal liegender Axe.
27. Die gleiche Tafel wie Fig. 26, von der Fläche. Der
innere dichte Kern ist ebenfalls tafelförmig.
28. Zwei zusannnenklebende tafelförnn'ge Crystalloide. Das
Küyeli: OysiuUähnliche ProteinUörper. 145
Körporpaar vcrliält sich beim Aufquellen wie ein einfaclier Kör-
per, der von der Oberfliiclie aus angegrilFen wird.
29. Octaeder; die dichte Substanz hat die gleiche Form.
30. Fast zum Octaeder abgestumpites Rhomboeder; die
dichte Substanz von gleicher Gestalt.
31. Rhomboeder (wie Fig. lOj; die dichte Substanz bildet
2 Parlieen in der Nähe der beiden Ecken,
Fig. 32 — 34.
Crystalloide in verdünnter Essigsäure, welcher dann Glycerin
zugesetzt wurde; öOOmal vergrössert. Das Quellungsmiltel dringt
von der Oberfläche aus ein.
32. Rhomboeder (wie Flg. 10), mit einer durchgehenden
den Abstumplungsflächen parallelen Spalte, von welcher das
Ouellungsmittel gleich wie von der Oberfläche aus eingedrun-
gen ist. In jeder Hälfte befnidet sich ein dichter Kern.
33. Rhondjoeder (wie Fig. 1); dichter Kern im Innern
von länglich ovaler Form.
34. Rhomboeder (wie Fig. 10); die dichte Masse im Innern
hat ebenfalls eine rhomboedrische Form.
Fig. 35 — 44.
Crystalloide aus dem Präparat mit saurer Aufbewahrungs-
flüssigkeit, bei der Einwirkung von concentrirter Glycerinlösung;
500 mal vergrössert.
35. Ein octaedrisches Crystalloid, die Auflösung hat am
Umfange begonnen.
36. Das gleiche, etwas später.
37. Das gleiche Cryslalloid, nachdem die dichte Substanz
vollständig au.sgezogen ganz ist.
38. Ein tafellörnnges Crystalloid (wie Fig. 3), aus wel-
chem die lösliclie Substanz ganz ausgezogen ist.
39. Die Einwirkung hat in abnormaler Weise stattgefun-
den, und die lösliche Substanz grösstenlheils aus der Innern
lu. ia62.J 10
146 Sitzung der math.-phy:. Vlasse vom lt. Juli iS6S.
Masse ausgezogen, eine äussere Schiclit aber noch unverändert
gelassen.
40. Ein rhonibocdrisches Crystalloid (wie Fig. 10); die
Einwirkung hat am Umfange begonnen.
41. Das nämliclie etwas später.
42. Das nämliche noch später.
43. Das gleiche Crystalloid, nachdem die lösliche Substanz
ganz ausgezogen ist.
44. Ein Crystalloid, in welchem die dichte unveränderte
Substanz in mehrere durch Spalten getrennte Partieen sich ge-
schieden hat.
Fig. 45 — 50.
Crystallüide in Wasser, durch den Zutritt von Salzsäure
verändert; 500 mal vergrössert.
45. Octaeder (wie Fig. 12), mit einer kleinen Vacuole
im Centrum.
46. Zur Tafel abgestumpftes Rhomboedcr (wie Fig. 3) mit
mehreren zerstreuten kleinen Hohlräumen.
47. Octaeder (wie Fig. 11) mit zahlreichen zusammenge-
drängten Hohlräumen im Innern.
48. Octaeder (wie Fig. 12) mit einem grossen Hohlraum
in der Mitte und mit kleinen Vacuolen um denselben.
49. Hhomboedor (wie Fig. 10) mit einer sehr grossen
Höhlung, und dadurch einer dickwandigen Zelle ähnlich ge-
worden.
50. Rhomboeder (wie Fig. 1) mit einer sehr grossen
Höhlung, einer Zelle mit massig dicker Wandung ähnlich.
Fig. 51 - 52.
Crystalh)i(lo im Wasser, bei Zutritt von Glycerin und Salz-
säure; 500 mal vergrössert. Die innere starkaufquellende Masse
zersprengt die dichtere Rinde und tritt als eine feinkörnige
Wolke heraus.
Niiyeli: Crystullühnliche ProteinUüvjter. 147
51. Rliomboeder.
52. Gestutztes Rliomboeder.
Fig. 53-55.
Ci-yslalloide in Wasser, durch Zutritt von Ammoniak ver-
ändert; 500 mal vergrösscrt.
53. Oclaeder mit einem Hohlraum im Innern und einer
Spalte.
54. Abgestumpftes Rhomboeder mit einer sehr grossen
Höhlung, einer dickwandigen Zelle ähnlich.
55. Rhomboeder (wie Fig. 2) mit einer sehr grossen
Höhlung, einer dünnwandigen Zelle ähnlich.
2. FarbcnjstaUüide bei den Pßan-zen.
Ich habe früher (Pfianzenphysiolog. Untersuch. I, p. 6)
gefärbte crystallinische Körper beschrieben, welche ich im Jahr
1850 und 1851 in den Hlumenblältern von Viola und Orchis
aufgefunden hatte. Dieselben waren bald ovale oder unregel-
mässige Körner, bald auch ziendich schöne Crystalldrusen. Sie
wurden schon durch Wasser aufgelöst und Hessen dabei eine
weissliche protoplasniaarlige Masse von fast gleicher Grösse und
Gestalt zurück.
Die Unlersuchunir der Früchte von Solanum america-
num Mill. gab Gelegenheit ähnliche Körper in besserer Crystall-
bilduno- zu beobachten. Die Früchte waren halb vertrocknet
(sie wurden im März untersucht). In den grossen Zellen des
Fruchtfleisches befanden sich Cryslalle und Crystalldrusen von
intensiver violetter Färbung, bald einzeln bald zu nuiln-ern bei-
sammen. Ich will zuerst deren Gestall, nachher die chemischen
Reactionen beschreiben.
Die einzelnen Crystalloide sind alle äusserst dünne Tafeln.
Einzelne sind regelmässige Rliondjen oder Rbombciu mit abge-
stutzten Ecken (Fig. 58), oder solche mit einspringenden Ecken
(Fig. 57). Eine grosse Zahl besteht aus Cseitigen bis 75 Mik.
10*
148 Sitzuni/ der math.-phys. Classe vom iL Juli IS62.
grossen Tafeln (Fig. 59) mit gleichen oder alternirend unglei-
chen, oder opponirt gleichen oder unregelmassig ungleichen Seiten.
Ebenfalls eine grosse Zahl besteht aus 6 seitigen Tafeln mit ein-
springenden meist slunipfon, selten spitzen Winkeln. Wenige
Tafeln sind i- und 5 seitig.
Vergleicht man alle diese Formen miteinander, so unter-
liegt wohl keinem Zweifel, dass die Crystallform die rhombische
Säule in sehr verkürzter tafelartiger Gestall ist. Die stumpfen
Winkel der rhombischen Endfläche betragen durchschnittlich
120"; die Messungen geben 1 18" — 122". Die 6 seitigen Tafeln
sind aus mehreren einfachen Tafeln zusammengesetzt, ähnlich
wie beim Aragonit, zuweilen vielleicht aus 3, meistens wohl
aber aus 6. Die Winkel betragen in der Regel ebenfalls zwi-
schen 118" und 122°, selten sind 2 gegenüberstehende Winkel
kleiner (113" — 114"). Es wurden z B. für die mit a — f
bezeichneten Ecken durch Messung gefunden
a
b
c
d
e
f
1
122"
118'/,"
121'//
119'//
120"
121"
2
122"
118"
119"
119 V/
122"
120"
3
119"
120'//
121"
119"
118"
122"
4
119"
118"
121°
121'//
120'//
119"
5
120"
1990
118"
120'/.°
119"
121"
6
119"
120"
119"
122"
121'//
119"
7
114"
121%"
1247/
114'//
122'//
124"
8
113"
122^4^
124V/
113'//
1217/
124V/
Da diese Messungen alle an schön ausgebildeten Tafeln mit
geraden Seilen angestellt wurden, so kann der Fehler nicht
mehr als 1 Grad betragen. Wiederholte Messungen des näm-
lichen Winkels geben bei den besten Tafeln z. B. 118"— 119",
121" — 121V/. bei den weniger guten 119" — 121" oder
120" — 122". Für die Tafeln 1 — 6 könnte man nun zur
Nolh einen conslantcn Winkel von 120° supponiren; doch müssle
man damit der GenanigkcMt der Messungen schon einigermassen
Gewalt unlhun Für 7 und 8 aber wird diese Annahme offenbar
Näyeli: Crystallähnliche Proteinkörper. 149
ganz unmöglich. Es ist dalior wahrscheiiilicli , dass dio Winkel
des lUionibus wolil meistens 120" und 60" beiragen, dass sie
aber auch bis 113" und 07" oder bis 1.21" und 50" variircn
können.
Dass die 6 seiligen Tafeln aus mehreren und zwar vorzugs-
weise aus 6 einlaclien zusannnengesetzt sinil, zeigt sich nament-
lich aus Formen wie Fig. Ol deutlich, wo 0 radiale Trennungs-
linien, ebenso viele EinkerbungcMi an den Ecken und eine durch-
brochene Stelle im Centrum die Enlsleliung anzeigen. — Von
den 4- bis 5seiligen Tafeln haben jene 1, diese 2 rechte Winkel;
sie sind wahrscheinlich Bruchstücke von zusammengesetzten Tafeln.
Das polarisirle Licht wirkt nicht auf die Crystalloido; d. h.
es bringt ohne Gypspliittchen keine Veränderung in der Hellig-
keit, mit Gypspliittchen keine Veränderung im Farbenion hervor.
Die Crystalldrusen sind ein Conglomerat von vielen Tafeln.
Man sieht diess häufig sehr deutlich an i\vn vorspringenden
flachgedrückten Ecken, welche bald einen Winkel von ungefähr
00", bald von ungelahr 120" bilden. Es gibt einzelne Drusen, die
aus einem Bündel von parallelen Tafeln bestehen; einzcdne, die
aus zwei solchen Bündeln, d'u) sich unter einem .spitzen Winkel
kreuzen, gebildet sind. Wenn man die letztem dreht, so zeigen
sie in der einen Lage ein Kreuz, in den übrigen Lagen er-
scheinen sie rundlich. Weitaus die meisten Crystalldrusen sind
mehr oder weniger kugelig (Fig. 56), die Ecken springen überall
vor, und eine bestimmte Lafferunop der Tafeln ist hier nicht zu
erkennen.
Mit Rücksicht auf die chemischen Reactionen ist zuerst zu
erwähnen , dass die Crystalloido in reinem Wasser unverändert
bleiben , während sie in schwach saurem oder schwach alkali-
schem Wasser ihren Farbenion ändern.
Alkohol entfärbt die meisten Cryslalloide, indem sich um
dieselben eine violelle Wolke in der Flüssigkeit ausbreitet.
Wenn die Einwirkung S(dir langsam auf die Oseitigen Tafeln
statt hat, so sieht n)an in denselben zuerst farblose Streifen von
linienförmiger Gestalt und scharfer Begrenzung autlreten. Die-
]^50 Silzuntf der math.-phi/i. Vlasse vom 11. Juli 1862.
selben sind im Allgemeinen wie Radien gestellt (Flg. 62). Die
vollständige Entfärbung IrilFt zuerst das Centrum (Fig. 65). Das
letzte Stadium zeigt noch kurze radiale Streifen oder auch nur
Punkte mit violetter Farbe längs des Randes (Fig. 63). Es
bleibt eine sehr durchsichtige Masse zurück, die zuweilen noch
ziemlich die polyedrische Gestalt des frühern Crystalloids hat,
meist aber mehr rundlich und kleiner ist. Ihre Begrenzung Ist
sehr zart: Jod fiirbt sie braungelb (Fig. 64). Es ist ohne
Zweifel eine Proteinverbindung. — Aelher wirkt wie der
Weingeist,
Sehr schwache Säuren verändern die Farbe der Crystalloide
in ein helles lebhaftes Roth, greifen dieselben aber nicht weiter
an. Wenn sie in den Zellen eingeschlossen sind, so wird zu-
erst die violette Zcllflüssigkeit roth, und kurze Zeit nachher
zeigen auch die Crystalloide diese Färbung. Stärkere Säuren
wirken ähnlich wie Alkohol. Es verbreitet sich eine rothe Wolke
um das Crystallold, und es bleibt, wenn die Auflösung langsam
geschieht, eine geringe Menge von protoplasmaartiger Substanz
zurück. Dieselbe ist aber aufgequollen, äusserst weich und zart,
oft kaum in der umgrebenden Flüssigkeit erkennbar. Befindet
sich die letztere in schwacher Bewegung, so wird die halb-
flüssige Schleimsubstanz in die Länge gezogen und zuweilen
in Stücke gethellt Ich sah sie selbst einmal In der bewegten
Flüssigkeit abwechselnd in verschiedener Richtung sich verlän-
gern, auf ähidiche Weise wie die Sarcode ihre Gestalt ändert.
Wenn die Einwirkung der Säure sehr langsam eintritt, so
sieht man wie beim Alkohol zuerst farblose linienförmlge Strei-
fen auftreten, welche in den 6seitigen Tafeln meistens radial
gestellt sind, zuweilen aber auch andere Richtungen zeigen. Be'
ganz regelmässigem Verlauf gehen zuerst 6 Streifen vom Mittel-
punkt nach den Ecken. In i\Q:n rhombischen Tafeln laufen sie
in der Regel parallel und schneiden die Makrodiagonale unter
einem rechten oder spitzen Winkel. Diese Streifen beginnen
zuweilen im InntTu , häufiger jedoch am Umfange. Es sind
wahre Spalten, durch welche die Masse des Crystalloids in
Nüyeli: Cviistalltihnliche Protei nkörper. 151
stäbchenfürnii<rc Sliickc zerfällt , die dann durch Ouerspalluiig
wieder in kleinere sich liieilcn. Diese Stücke hegen in der
aufgequollenen Schleiujsuhstanz des Cry.stalli)id.s , bis sie voll-
ständig verschwinden.
Wenn die Säure concentrirler oder wenn die Flüssigkeit
in Bewegung ist, so bleibt die schleimartige Substanz nicht bei-
sammen, sondern vertheilt sich in der Flüssigkeit. Die Stücke,
in welche das Crystalloid zerfällt, trennen sich dann von ein-
ander und schwimmen frei herum. Dabei kann die Auflösung
entweder von dem ganzen Umfange aus oder von einer Seite
her erfohi-en. Von dem Crystalloid bleibt in diesem Falle zu-
letzt gar nichts unter dem Microscop Erkennbares übrig.
Die verschiedenen Säuren weichen darin von einander ab, dass
sie mehr oder weniger energisch wirken. Es wurde Schwefelsäure,
Salpetersäure, Salzsäure, Phosphorsäure und Essigsäure ange-
wendet. Die stärkern Säuren bringen eine mehr hellrothe, die
schwachem eine mehr violettrothe Färbung hervor. Schwefelsäure,
Salpetersäure und Essigsäur(; lösen die Crystalloide sogleich auf.
Ziemlich concentrirte Salzsäure und Phosphorsäure verursachen
bloss einzelne radiale farblose Streifen, und lassen viele Cry-
stalloide selbst nach längerer Einwirkung ganz unverändert.
Manche Crystalloide werden durch Alkohol nicht aufgelöst;
es genügt ein wenig Salzsäure beizufügen , um die Auflösung
sogleich zu bewirken. Wenn man die halbverlrockneten Beeren
in Alkohol legt, so färbt sich dieser bloss grün und das Ge-
webe bleibt schwarz ; setzt man etwas Salzsäure zu , so nimmt
er sogleich eine schöne rolhe Farbe an und das Gewebe
wird hell.
Aetzkalilösung reagirt wie die stärkern Säuren. Die Cry-
stalloide färben sich blau, dann werden sie zerspalten und auf-
gelöst, indem sich eine kleine Wolke um dieselben verbreitet.
Es bleibt kein von der Flüssigkeit unterscheidbarer Rest übrig,
sei es, dass die schleimartige Proteinsubstanz gelöst oder in
ihrer stärkeren Vertheilung unsichtbar wird.
Kochendes Wasser wirkt wie Säuren und Alkalien; die
152 Sitzung der math. - pfn/i. Clause vom lt. Juli 1S62.
Cryslallüide vorsclnvinden. iiacluhMn sie zuvor vorzugsweise
durch radiale Spaltung in Stübclien und dann in kleine Körner
zerfallen sind.
Aetherisclies Oel greift die trockenen Crystalloide nicht an ;
auch Chloroform bewirkt an denselben keine Veränderung.
Aus den nnigetheilton Thatsachen ergibt sich 1) dass die
Farbcrystalloide dnrchdringbar sind. Wenn auch eine Contrac-
tion beim Eintrocknen, eine E.xpansiou beim Wiederbefeuchten
nicht direct beobachtet wird, so folgt die Nothwendigkeit dieser
Annahme doch aus der Thatsache, dass die Farbe verändert
werden kann. Einmal geht der Auflösung meist eine Modifi-
cation in der Färbung voraus; durch Säuren wird das Violelt
in Roth, durch Alkalien in Blau umgewandelt. Andererseits
nehmen in Berührung nn't Jodlüsung die Crystalloide einen
dunklern schmutzigen , ins braun gehenden Ton an. Das ist
nalürüch nur dadurch möglich , dass die Alkalien und Säuren
so wie das Jod in die Substanz derselben eindringen.
2) Aus der Thatsache. dass die Crystalloide in Säuren und
Alkalien selbst nicht aufquellen, wohl aber nach erfolgter Re-
acliou eine aufgequollene Schleimsubstanz zurücklassen, welche
ein grösseres Volumen einnimmt als das gatize unveränderte
Crystalloid, folgt, dass nur diese jiroteinartige Substanz, die
gleichsam die Unterlage bildet, ind)ibitionsfähig ist, und dass in
dieselbe lösliche a!»er nicht quellungsfähige Stoffe eingelagert sind.
3) Die Schleimsnbslanz, welche nach Einwirkung von Al-
kohol, Aether und Säuren, von einem Crystalloid übrig bleibt,
ist äusserst zart und im Lichtbrechungsvermögen fast dem
Wasser gleich Insofern diese optische Eigenschaft einen Ver-
gleich zwischen gefärbten und farblosen Körpern erlaultt, möchte
ich vermntlien. dass die Proteinunterlage nicht mehr als Vm der
Masse des Crystalloids beträgt. Die Farbstoffe sind gewöhnlich
in äusserst geringer Menge vorhanden und doch im Stunde eine
sehr intensive Färbung hervorznbring(Mi. Das grün gefärbte
Protoplasn)a, dem man das Chlorophyll entzieht, behält das
gleiche Volumen und die gleiche Dichtigkeit; es hat durch die
Näffeli: CrtistaUähnliche Proteinkörper. 153
Entfärbung- offenbar bloss einen uiimerklidieii Verhist an Masse
cifahrcti. Wenn sich der violelle FarbstofF der Beeren wie das
Chlorophyll verhält, so muss man annehmen, dass mit demselben
noch eine andere Substanz vorhanden sei, welche vorzugsweise
den Körper des Cryslalloids bildet. Dafür spricht auch eine
andere Thatsache, Der Farbstoff der Beeren ist in kaltem
AVasser löslich. Aus den Crystalloiden wird er aber nicht ein-
mal durch schwache Säuren ausgezogen. Diess wäre geradezu
unerklärlich, wenn wir annehmen, es bestehen ^/,o derselben
aus FarbstofF. Ist der letztere aber mit einer andern Substanz
verbunden , so wird er durcli dieselbe vor der Einwirkung des
Wassers und der schwachen Säuren geschützt und mit derselben
von starkem Mitteln gelöst.
Diese Annahmen erklären, wie ich glaube, zur Genüge die
verschiedenen Keaclionen. Das Farbcrystalloid besteht aus Vio
durchdringbarer eiweissartiger Verbindung und ^/,o einer nicht
iinf)ibitionsläliigen Substanz mit etwas Farbstoff. Die letztere
verhindert last alle Ouellungs(;rscli(!inungen, sie gestaltet der
Proteinunterlage des Crystalloids inu* eine sehr geringe Menge
Flüssigkeit aufzunehmen, und schützt den Farbstoff vor der
Lösung. Ist sie durch ein Lösunirsmittel sammt dem letzlern
ausgezogen, so kann die Proteinunterlage ihren angestammten
Neigungen folgen; mit Alkohol und Aether zieht sie sich etwas
zusanunen ; mit Säuren quillt sie mehr oder weniger auf; mit
Alkalien vertheill sie sich stark oder löst sich auf.
Die Farbcryslalloide in den Blumenblättern von Viola und
Orchis unterscheiden sich von dcMien in den Beeren von So-
lanum americanum durch geringere Beständigkeit, Indern
schon in kaltem Wasser die in die protoplasmaartige Unterlage
eingelagerte Substanz sannnt dem Farbstoff ausgezogen wird.
Vielleicht hängt damit auch der Unterschied in der Gestalt zu-
sammen, welche darin besteht, dass die Körper in den Blumen-
blältern eine grosse Neigung zu rundlichen Formen zeigen und
selten als ausgebildete Crystalldruscn auftreten.
Die Farbcryslalloide von Solanum verhalten sich im AH-
154 Sitiunff der maih.-phys. Classe vom 11. Juli 1862.
gemeinen analog wie die Cryslalloide der Paranuss. Beide be-
stehen aus einer durch verschiedene Mittel ausziehbaren Sub-
stanz und einer protophismaahnlichon Unterlage Bei beiden tritt
die letztere gegenüber der erstem quantitativ sehr zurück. Die
Verschiedenheit zwischen den Crystailoiden von Solanum und
Bertholletia besteht in der Natur des ausziehbaren Stoffes;
bei Bertholletia ist es eine imbibitionsfiihige Proteinverbin-
dung, bei Solanum eine nicht imbibitionslähige wahrscheinlich
stickstofflose Verbindung, die durch einen Farbstoff tingirt ist.
Diese chemische und physikalische Verschiedenheit bedingt die
in mancher Beziehung ungleichen Reactionen , welche die einen
und andern Crystalloide bei der Einwirkung von Quellungs-
und Lösungsmitteln zeigen.
Erklärung der Figuren 56 — 65.
Farbcrystalloide in den Früchten von Solanum ameri-
canuin Mili.; 400 mal vergrössert.
56. Crystalldruse von fast kugeliger Gestalt.
57. Rhombische Tafel mit einspringendem Winkel.
58. Rhombische Tafel mit abgestumpften Ecken.
59. Gseitige Tafel.
60 Zwei 6seitioe Tafeln mit einander verwachsen.
61 Eine in der Mitte durchbrochene und deutlich aus
6 einzelnen Crystallen verwachsene Tafel, durch schwache Salz-
säure roth gefärbt.
62. Ein Farbcrystalloid bei der ersten Einwirkung von
Alkohol.
63. Das nämHche etwas später.
64. Das gleiche Crystalloid, nachdem der Farbstoff und
die andern löslichen Stoffe vollständig ausgezogen sind, durch
Jodtinctur gefärbt.
65. Ein FarbcrystaHoid zum Theil durch Alkohol entfärbt.
Einsendungen von üruvkschriften. 155
Verzeichnis^
der in den Silziingen der drei (blassen der k. Akademie der Wissen-
siliaflen vorjTcle{;teii Eiiisendiiii£;en von Ürnckschrirten.
April - Juli 1862.
Von der Accadeniia di scienze, ledere ed arti in Mudeiia:
Meniorie. Tomo III. 1801. i.
Vom Isttfufo dt .seiende, tettere ed arti in Venedig:
Mrmoric. Vol. VII. Part. III. 185'). 4
Von der Academie royule des sciences, des lettres et des heavx arts
de Belyique in Brüssel :
a) (iollec-tion de docnments inedits relalivs a I'histoirc de la Belgique.
Les XIV livres siir riiistoire de la ville de Louvain. I. II. Partie.
1861. i.
b) (Ihronique de Jean de Stavelot piihliee par Ad. Borqiiet. I8l)'2. i.
c) Menioires. Tom XXXIII. 1801. 4.
d) Memoires louronnes et niemoires des savants etrangers. Tom. XXX.
1858-01. 1801. 4.
e) Menioire.s conronnes et aiitres niemoires (lollcction in 8. Tom. XI.
XII. 1861. 02.
1) Bnilelins. 30"»« annee, 'i"« Ser. T. XI. XII. 1861. 8.
g) Annuaire. 1862. 28'ne annee. 1852. 8.
Vom Ohservatoire royal in Brüssel:
a) Annales. Publiecs par le directeur A. Qiietelet. Tom. XIII. 1861. 4.
b) Annuaire. 1862. 2«»«. Annee. 1801 8.
Vom Reute Istituto Louiöardo di scieme, tettere ed urti in Hluiland :
Atli. Vol. II. Fa.sc. JCIX und XX 1802. 4
Von der höhmischen Gesellschaft der Wissenschaften in Prag:
a) Abhandlungen. Fünfte Folge. 11. Bd. v. d. J. 1860—61. 1861. 4.
b) Sitzungsberichte Jahrg. 1861. Juli — Dec. 1861. 8.
156 Einsendungen von Vruchschn'ffen.
Von der Socit'te l.inneenne de Noniiandie in Caen:
a) Memoires. Anii(-e 18t)0-6I. XII Vol. Paris, Cacn 1802. 4
b) Bulli'tin. Si\ii-iiie Volume. Aniiec 1800—01. Pari.s, Caen 1802. 8.
Vom Verein für sicbenhiirgische LandesUunde in Uermannstadt:
a) Ardiiv. Neue Foljic. 5. Bd. 1. Hfft. Kronstadt 1801. 8.
b) Jalirp.sbcritlit für da.s Vereins - Jahr 1800-01. 1. Juli 1800 — letzten
Juli 1801 Heruiannstadt 1801. 8.
Von der Academie rot/nie de Medecine de Belffique in nrüssel:
Bulletin. Annec 1801. Dcuxieme Serie. Tom. IV. Xr. 11. Annee 1862
Deiixieme Serie. Tom V. Nr. 12.
Von der li. k pntriotisch-ökonomixchen GeseUmhoft im Königreiche
Böhmen in Prny :
a) Centralblatt für die gesanimte Landestnltur. Nr. 1 — 52. Jahrg. 1801.
Prag 1861. 4.
b) Woehenhialt der Land-, Forst- und Hauswirthschalt liir den Bürger
und Landmann 12. Jahrg. ISOl Xr. 1—52. Prag 1801. 4.
Von der j>fäl-z.ischen Gesellschaft für Vharmncie in Sf,eipr:
Neues Jahrbuch für Pliarmacie und verwandle Fächer. Zeitschrift des
allg. deutschen Apotheker Vereins, Abth Süddeulschland. Bd. XVII.
Heft 4 und 5. April und Mai. Heidelberg 18H2 8.
Von der gelehrten esthnischen Gesellschaft in Dorpat:
Sitzungsberichte. Sept. — Nov. 1801. Jan., Febr. 1802. 8.
Von der Redaktion des Corresjionden%-Blattes liir die Gelehrten- und
Realschulen in Stuttgart:
Correspondenzblatt. Nr. 5. Mai 1802 Stultg. 1802. 8.
Von der A>!iatic Society of Bengal in Calcutta :
Journal. New Series. Nr. CIX. Nr CCLXX.XIIL Nr. IV. 1801. Calc. 18()1. 8.
Von der Geoingicul Surveg of India in Calcutta :
n) Memoirs. Vol. III. Part I. Calc. 1801. 8.
b) Annual Report of tlie (ieological Snrvey of India and of ihe Museum
of (ieology. Filth jcar 1800-01. Calc. 1801. 8.
Einsendimyen von Druckschriften. 157
Von der Royal Asiatic Society in London :
Journal Vol. XIX. Pait. 3. 18fi2. 8.
Von der Universität in Heidelberg:
Heidelberger Jalirhiiclier der Literatur unter Mitwirkung der vier Faeul-
tiiten. '.>."). Jahrg. ;{. und 4. Heft. März und April 1.SÜ2. 8.
Von dem Secretary of Slats for India in London :
Re.sultat.s of a scientific niission to India and High Asia undcrtakeu be-
tween Ihe years 1854—58 by order of the court of directors of tlie
honourable Ea.st India Company bj Hermann, Adolphe and Robert
Schlagint« eit. Vol. II. Leipzig. London JSlii. Jlit Atla.«. 4.
Von der Real Acudemiu de ciencias in Madrid:
a) Meniorias. Tom. I. 18j0. 4.
b) Meniorias. Tom. IL 1. Serie. Ciencias exactas. Tom. I. Parte 1.
1853. 4.
c) Meniorias. Tom. III. 2. Serie. Ciencias lisicas. Tom. I. Parte. 1. 2.
1851). 59. 4.
d) Meniorias. Tom. IV. 3. Serie. Ciencias naturales. Tom. II. Parte
l. 2. 3. 1850. 57. 59. 4
e) Meniorias. Tom. V. Ciencia.s naturales. Tom. III. Parte 1. 1801. 4.
f) Resiiinen de las aclas en el aüo academico de 1^47. a. 1848. de 1857.
a. 1858. de 18i8. a. 1859. por el secrelario Don Lorente. 1848 — 00 8.
\'on der Real Aiademia de In Itisloria in Madrid:
a) Memorias del Rey I) Fernando IV de Castilia. Tom. I. II. 1800. 4.
b) Memorial hislorico Espanol : (loleccion de documentos, opiisculos y
antigiiedades. (iuaderno 21 — 43. 1853 — 1858. Tom. XI — XIV.
1859-02. 8
c) Discursos leidos en las sesiones publicas que, para dar posesion de
plazas de numero, sc han celebrado desde 1852. Madrid 1858. 8.
d) l)is( urso leido por ,su direclor el Excmo. Sr. I). Lui.s Lopez Ballesteros
al concluir el tiieiiio de su direccion en 1852. Madrid 1859 8.
e) Discurso leido por su director el Excmo Sr. Duque de San Miguel,
al terminar el trienio de su direccion en 1858. Madrid 1859. 8.
f) Discurso sobre el estado de los estudios liistoricos en Kspana durante
el reinado de Carlos III. Leido en la Junta publica que en 1" de
Julio de 18(;0 . . . por Don Carlos Raiuon Kort. 1800. 8.
g) Noticias sobre la vida, escritos y viajes del Fr. Enrique Florez, por
Fr. Francisco Meudez. 1800. 8.
158 Eimendungen von Uruckschriflen
h) Noticia de las actus de la real acadeinia, Icida cn la Junta publica de
l" de Julio de 18C0. Por Don Pedro Sabau. 1860. 8.
i) Examen tritico-historicn dcl influjo quo tuvo en eUomercio, industria
y poblacion de Espafia su doniinacion cn America. Obra premiivda.
Su autor I). Y. Miranda. 185 5. 8
k) Examen de los sucesos y circiinstancias que motivaron cl compromisso
de Caspe, En cl tonturso de 1855 su aulor Don Florencio Janer 8.
I) Juicio critico dcl leudalismo en Espana j de su influencia en el estado
social >• polilico de la nacion. En el concurso de 1855. Su aulor
Don Antonio de la Escosura y Hevia. Madrid 1856. 8
Hl) Condicion Social de los Moriscos de Espana. En el concurso de 1857.
Su autor Don Florencio Janer 8
n) Munda Ponipeiana. Memoria escrila por l). Jose ^j |). Manuel Oliver
Hurtado. En el concurso de 1860 Madrid 1861. 8.
o) Historia del couibate naval de Lepanto. En el concuro de 1853. Su
autor Don Cajetano Rosell. 4.
p) Cortes de los antiguos reinos de Leon y de Castilla. Tom. I. 1861. 4.
q) Historia general y natural de las Indias, Islas j Tierra-Finne del mar
oceano. Por Jose Amador de los Rios. Tom III. IV. 1853 55. 4.
r) Indice de los documentos procedentes de los monasterios j conventos
suprimidos que se conservan en el archivo. Seccion I. (Castilla y
Leon. Tom. I 1861. 8.
s) Coleccion de Cortes de los antiguos reinos de Espana. Catalogo.
1855. 8.
Von der Acudetnie f!e.s- sciemes in Paris:
a) Comptes rendus liebdomadaires des seances. Tom. LIV. Nr. 15 —20;
22. Avril — Juin 1862. 4.
b) Tables des comptes rendus des seances. Deuxiemc semeslre 1861.
Tom. LIII. 1861. 4.
Von der deutschen geologischen Gesellschaft in Berlin:
Zeitschrift. XIII. Bd. 4. Heft. XIV Bd. 1. Heft. 1861. 8.
Vom Herrn A. Grunert in Greif su aide :
Allgemeine Theorie der Krümmungslinien. 8.
Vom Herrn Leopold Auerbach in Breslau :
Ueber einen Plexus myentericus , einen bisher unbekannten ganglio-
ncrvösen Apparat im Darmkanal der Wirbellhiere. Breslau 1862. 8.
Einsendungen von Druckschriften. 159
Vom Herrn Fran-z. Hof mann in Wiirxburg:
Akademische Festrede zur Feier des 100jährigen (lehurlstages Johann
fiottlieb Fichtes. WiirzI). 1802 i.
Vom Herrn E. Gerhard in Berlin:
a) lieber Orpheus und die Orphiker. Eine akademische Abhandlung.
Berlin 1801. i.
b) Die Geburt der Knaben. Auf einem etruskischen Spiegel. Berl. 180?. 4.
Vom Herrn Friedrich Naumann in I.eiptiy:
Lehrbuch der (ieoi;nosie. II Bd. Leipzig 1802. 8.
Vom Herrn A. KöUiker in \Viir%bury:
Untersuchungen über die letzten Endigungen der Nerven. Leipz. 1802. 8.
Vom Herrn Ferdinand Piper in Berlin:
a) Einleitung in die monumentale Theologie. (lOtha 1802. 8.
b) Virgiüus als Theolog und Proplict. Berlin 1802. 8.
c) Verschollene und aufgefundene Denkniiiler und Handschriften, Gotha
18G1. 8.
d) Ueber den Verfasser der dem Athanasiu.'* beigelegten Schrift de
Paschatc nebst Annalen des Jahres 1801. Berl. 1801. 8.
e) De la representation .s^nibolique la plus ancienne du crucitiement et
de la resurrection de notrc; seigneur. Paris 1801. 8.
Sitzungsberichte
der
köniul. bayer. Akademie der Wisseiiscliaften.
Pliilosophisch - philologische Classe.
Sitzung vom 8. Xovcmbcr 1802.
Der Classensecrelär Herr M. J. Müller liielt einen Vor-
trag über
„einige Partien der poetischen Literatur der
„Araber "
Derselbe wurde für die Denkschriften hoslininit.
11862. n.] 11
162 Sitzung der math.-phtis. Classe rotn 8. Nov. 1862.
l\Ialhemalisch - physikalische Classe.
Sitzung vom 8. November 186?.
Herr Petlenkofer hielt einen Vortrag
,,iiber die Bestimmung des bei der Respira-
j,tion ausgeschiedenen Wasserstoff- und
„Gruben-Gases/"
In der Sitzung vom 14. Juni 1862 beehrte ich mich mit-
zutheilen, dass Prof. Voit und ich beträchtliche Mengen Was-
serstoff und etwas Grubengas in der Luft aufgefunden, in wel-
cher ein 30 Kilogramme schwerer Hofhund gelebt hatte. Die
damals von uns gefundenen Mengen mussten notliwendig um so
viel zu hoch sein , als von diesen Gasen bereits in der in den
Respirationsapparat einströmenden Luft enthalten war Obwohl
diese Mengen nur äusserst gering sein konnten, so hielten wir
es nach dem von uns angenonunenen Princip der Differenzbe-
stimmungen doch für nothwendig, unsere Untersuchungen da-
hin zu vervollständigen, dass auch die einströmende Luft fort-
während auf Wasserstoff und Grubengas untersucht wird. Nach-
dem diess nun geschehen , habe ich das Vergnügen mittheilen
zu können, dass die von uns vordem angegebenen Mengen kei-
.nen wesentlichen Abzug erleiden.
Bei einem Versuche, wo binnen 24 Stunden 232,336 Liter
Luft durch den Apparat gingen , ergaben 1000 Liter einströ-
mende Luft
geglüht 0.6789 Grm. CO^ und 10,9391 HO
ungcglüht 0,6776 „ ,. „ 10,9096 „
Bei einem andern Versuche, wo binnen 24 Stunden 228,516
Liter Luft durch den Apparat gingen, ergaben 1000 Liier ein-
strömende Luft
geglüht 0,6440 Grm. CO, und 10.6609 Grm. HO
ungeglühl 0,6444 „ „ ,, 10,6207 „ „
Sitzuttf/ der histor. Classe vom i.f. Nov. iS62 163
Hieraus eroibt sich , dass die einslrömende Luft ausser
COj keine Kohlensloffverbiiuluna- in bcslimmbarer Menge enthalt,
und dass auch der Wasserstoflg ehalt nur ganz unbedeutend ist,
im ersten Falle in 24 Stunden 0,75 Grin., im zweiten 1,02
Grm. H.
Trotzdem werden wir aber diese doppelte Untersuchung
der einströmenden Luft fortan beibehalten , da sie eine sehr
nützliche Controle gegen zufallige Irrthümer darbietet, und da-
durch die Sicherheil der Resultate wesentlich vermehrt.
Historische Classe.
Sitzung vom 15 Nov. 1802.
Der Classensecretär Herr von Döllinger hielt einen
Vortrag
,,über die Kaiserkrönung Karls des Grossen."
Er suchte darin erstens die Bedeutung und Tragweite des
Ereignisses, die Zweckmässigkeit und Nothwendigkeit desselben
in der damaligen Weltlage darzuthun;
zweitens: zu zeigen, dass keine vorherige Verabredung
zwischen Karl und dem Papste .stattgefunden habe, dass viel-
mehr Karls Aeusscrung bezüglich seines Nichtwissens und sei-
ner Ueberraschung der Wahrheit gemäss sei, und keineswegs,
wie jetzt gewöhnlich angegeben wird, auf Verstellung und Heu-
chelei beruht habe.
Herr Giesebrecht behielt sich vor, über die in dem Vor-
trag geäusserten Ansichten in der nächsten Sitzung sich näher
zu erklären.
11*
164 Oeffentliche Sitzung vom 28. Nov. 1862.
Oeffentliche Sitzung der k. Akademie der Wissenschaften
am 28. November ISü'»,
zur Feier des Allerhöclisten Geburtsfestes Sr. Ma-
jestät des Königs Maximilian IL
Der Vorstand der Akademie Frlir. von Liebig leitete die
Festsitzung mit folgender Ansprache ein:
Die in der Vaterlandsliebe gegebene politische Tugend wal-
tet in der Monarchie als sittliches Princip um so inniger und
kraftiger, wenn der Begriff des Vaterlandes mit einer Persön-
lichkeit sich verbindet, welcher der Mensch sein Herz zuwendet.
Diese mit der Person des Fürsten verschmolzene Vater-
landsliebe findet heute, an dem Jahrestage der Geburt unseres
erhabenen Monarchen in allen Theilen des Königreiches einen
erhebenden Ausdruck, und vor allen anderen Körperschaften hat
unsere Akademie die vorwiegende Berechtigung, unserem Mo-
narchen ihre Huldigung darzubringen , weil sie in dessen Liebe
zu den Wissenschanen und seiner grossmüthigen Förderung der
Ziele, welche die Akademie im Geiste ihrer Richtung zu errei-
chen strebt, die wohllhuendste Anerkennung ihrer eigenen Be-
strebungen erblickt.
Der Tag, den wir heule feiern, erneuert in uns die Erin-
nerung an die reiche Unterstützung, welche Se. Maj. der Kö-
nig ans seinen eigenen Mitteln für die Lösung hoher wissen-
schaflliclicr Aufgaben und die Durchführung umlassender wissen-
schafllichtM' Arbeiten und Werke, im Besonderen im Gebiete der
Geschichtsforschung, bewilligt hat und welche schon jetzt, wie
aus den in den ölTenllichen Blattern erschienenen ausführlichen
Berichten allgemein bekaimt ist, durch die erfolgreiche Tliätig-
keit der für diesen Zweck eingesetzten Commission, an welcher
die ersten und berühmtesten Historikcu' Denischlands sich be-
Uieiligt haben^ die reichsten und glänzendsten Früchte bringt.
Oeffentlidie SiHumj vom «". Nov. iS62. 165
Es ist bereits IVUlier an dio.sein Orte erwähnt worden, dass
Se, Maj. der Könio- der leclinisclien Coniniission der k Aka-
demie, ebentalis aus eicrenen Mitlein, für die Herstelinn«»' eines
Apparates zur Untersuchnng der bis jetzt noch so dunkeln Vor-
gänge der Ernährung in ihrem Zusammenhange mit dorn Ath-
mungsprozcss, früher schon die Summii von 7000 (1. und im
Laufe dieses Jahres weitere 1600 fl. zur Fortsetzung der be-
gonnenen Versuche gespendet liat und es gewährt mir nicht
wenig Befriedigung, in (\en Stand gesetzt zu sein, die k. Aka-
demie mit einer der merkwürdigsten Thatsachcn bekannt zu
machen, welche in n<Miesler Zeit von d(?n Herren Professoren
DDr. Pellenkofer und Voit im Verfolg ihrer Versuche entdeckt
worden ist.
Man hat bis dahin geglaubt, dass die atmosphärische Luft
die einzige inid Hnupt(|uelle des Sauerstoffs sei, welcher in den
Prozessen der Ernährung- und des Stoffwechsels in dem thie-
fischen Organismus zur Verwendung kommt. Mit Hilfe des
gedachten Apparates ist es gcilnngen , den Beweiss zu führen,
dass in dem Leibe des fleischfressen(l(;n Thieres , bei vorwie-
gend slicksloff- freier Nahrung . eine sehr beträchtliche Menge
Sauerstoff von dem Wasser genommen wird, und dass dem-
nach in gewissen gegebemvi Vt-rhältnissen ein mächtiger Zer-
setzungsprozess statt hat, welcher darin besteht, dass das Wasser
in seine Beslandtheile zerfällt, dass sein Sauerstoff zur Bildung
von Kohlensäure dient, während der Wasserstofl", dessen Menge
oft das Vohnn des Thieres weit übersteigt , ansgeathmc^t wird.
Dieser merkwürdiije Vorgang im Ihierischen Leibe ist bis jetzt
so gut wie unbekannt oder uid»eachlet gewesen und seine Fest-
stellung karni nicht verfehlen, ein neues Licht auf den Ernäh-
rungsprozess und Slolfwechsel zu w«'rfen. Ohne den erwähn-
ten Apparat, dessen Herslellinig die Munificenz unseres gütigen
Monarchen möglich gemacht hat. wären diese Versuche, welche
für die Physiologie von so grosser Bedeutung sind , kaum zur
Ausführimu gekommen.
Die Geschichte der Wissenschaften wird den Namen Seiner
156 Oeffentltche Silzutit/ vom 2S. Nov. i86i.
Majestät für immer an diese Werke und Entdeckungen knüpfen,
welche durcli die wirksame und gütige Hilfe Sr. Maj. hervor-
gebracht und gemacht worden sind, und uns bleibt die ange-
nehme Pflicht, mit den Gefühlen der innigsten Vereiirung und
Anhänglichkeit die des aufrichtigsten Dankes zu verbinden.
Hierauf gedachte der Secretär der ersten Classe Herr M.
J. Müller der Verstorbenen dieser Classe folgendermaassen :
Joseph von Hefner, Gymnasiallehrer und seit vielen
Jahren Mitglied unserer Akademie, hat schon frühe den Punkt
gefunden, um welchen sich sein arbeitsames Leben drehen sollte.
Es zogen ihn alle jene Spuren an. welche von der altrümischen
Cultur in unserm engeren Vaterlande Kunde gaben; — Inschrif-
ten, Grabdenkmäler, Meilensteine, Kunstprodukte bis zu den
einfachsten Töpferarbeiten, Schanzen, Spuren des Fcldbau's in
den sogenannten Hochäckern, Strassen etc. und all das unend-
liche antiquarische Detail , das sich an diese Gegenstände und
ihre Erforschung knüpft, beschäftigten unablässig seinen Geist,
und seine zahlreichen in dieser Hinsicht unternonnnenen Arbei-
ten, ausser einigen Schulbüchern, wurden von manchen dan-
kensworlhen Resultaten gekrönt und bilden eine wohl zu be-
achtende Sanmdung von Materialien und Versuchen der Deu-
tung, welche für jeden künftigen Forscher auf diesem Gebiete
des Wissens von grossem Werthe sich erzeigen werden.
Die neuere Alterthumswissenschalt hat in den letzten Zei-
ten einen ausserordentlichen Aufschwung gewonnen. Auf der
einen Seite die gründlichste Durcharbeitung der formalen Phi-
lologie, auf der anderen die höhere ästhetische Bildung, die wir
den grossen Heroen des Humanisnnis, der Poesie und Kunst
verdanken, endlich der positive historische Sinn, der die Ent-
Oeff entliehe Sitzung vom 28. Nov. 1862. \ß^
Wickelung der ganzen Menschheit unifassl und das Einzelne
durch Vergieichung mit verwandten Erscheinungen an das Ganze
anknüpft, sind die Elemente, die aus den früheren Antiquitäten
eine grossarlige, in sich geschlossene Disciplin geschaffen haben.
Unter den ausg-ezeichnetsten Forschern in diesem Gebiete
des Wissens ragt hervor Ludwig Prell er, dessen zu frühen
Tod die Akademie betrauert. Seine Wirksamkeit , zuerst in
Russland an der Universität von Dorpat , später im deutschen
Vaterland zu Weimar , zeigte sich zuerst in meistens kürzern
Schriften, die den mannigfachsten Gebieten der Alterthumswis-
senschaft angehören, über i]en Historiker Hellanicus von Les-
bos , über die Bedeutung des schwarzen Meeres für die alte
Geschichte, über Stellen des Pausanias , über die Perser des
Aeschylus, über griechische Münzen zu Dorpat, über den Gram-
matiker Praxiphanes , über den Periegelen Polemon , über die
Regionen der Stadt Rom, über den heiligen eleusinischen Weg,
Schoben zur Odyssee etc. etc. Mit Ritter gab er die Beweis-
stellen zu einer Geschichte der griechischen und rönnschen Phi-
losophie heraus und endlich beschenkte er die gelehrte Welt
mit zwei des luichsten Lobes würdigen umfassenden Werken,
einer Darstellung der griechischen und römischen Mythologie,
Werken, die in ihrer Art Epoche machen, und durch gründliche
Gelehrsand\eit, durch Besonnenheit der Forschung und gedie-
gene Resultate sich auszeichnen.
Aufgewachsen unter den Stürmen der französischen Re-
volution und den krietjerischen Beweoutioen des Kaiserreiches
widmete sich I'hilippe Lebas der classischeh Philologie.
Nach dem Sturze des Kaisers begleitete er eine erlauchte
Frau, als Erzieher ihr(!S Sohnes, in das Exil nach Deutschland,
und zwar in unsere nächste Nähe, nach Augsburg, wo er ne-
ben den Pflichten, die ihm sein Amt auferlegtem, seine Studien
in ausgedehnter und umfassender Weise foitsetzte und in Be-
rührung mit der damals so lebensvoll entwickelt«Mi classischen
Philologie in Deutschland innner weiter ausbildete. Nach Frank-
168 OelfentUdie SiHuny vom 28. Noi\ 1862.
reich zuriickgekehit Ihcillc sicli sein durch strenge Arbeit ans-
gefülltes Leben in zwei, wenn auch durch einen Mittelpunkt
zusamniengelialtene . (hjch den Ricbtunocn uad» getrennte Be-
schäftigungen. Die eine praktische belliiitigle er theils durch
seine Stelhuiff ids maitre de conlerence an der Pariser Ecole
normale, wo seit mehreren Jahrzehnten beinahe der ganze junge
Nachwuchs von französischen Philologen an seinem Unterrichte
sich bildete, theils als Verfasser verschiedener höchst schätzba-
rer Uebungsbiicher , sowohl für die griechische als auch die
deutsche Sprache, deren Verbreitung in Frankreich ihm sehr
am Herzen lag; ausserdem durch sehr sorgfällig gearbeitete
Gescliichtsbücher , betreffend alte Geschichte, römische Ge-
schichte, das Mittelalter, Frankreich, Deutschland. Schweden,
Norwegen u. a.
So dankbar diese Thätigkeit in ihrer Art war, so interes-
sirt sie uns, in unserer Stellung als seine Collegen in der Aka-
demie, doch weniger, als seine Betheiligung an den grossen
theoretischen Forschungen in Sprache, Literatur und Geschichte,
in welchen er durch gediegene und dankenswerthe Leistungen
hervorragte. Ausser einem Commenlar zu Livius und einer
Ausgabe des Prometheus des Aeschylus ( in Verbindung mit
Th. Fix) beschäftigte er sich mit dem in Deutschland wenig be-
arbeiteten Felde der späteren Gräcität und lieferte in diesem
eine Ausgabe des Romans von Eumathins. Liebesjjeschichte der
Hysmine und des Hysminias, und bearbeitete die Roman-Frag-
mente Rhodanthe und Dosicies von Theodoros Ptocho|)rodro-
mos nebst Drosilla und Charides von Nicetas Eugenianus.
Vor allem aber ist seine epigraphische Thätigkeit hervor-
zuheben und zu preisen. Er gab die laleinischi^n und griechi-
schen Inschriften heraus , welche die französische Conunission
unter den älteren Bourbonen während der Besetzung Morea's
gesammelt hatte, und später unter der Orleans-Dynaslie hatte
er das Glück , selbst don classischen Boden Griechenlands und
Kleinasiens zu bereisen und eine Menge aller Inschriften und
Kunstwerke zu sammeln , die er theils in kleineren Schriften,
Oe ff eilt liehe Sitzung vom 28. Nor. 1862 169
flieils in dem Hauptwerke, Voyagc archeologiqiio on Grece et
en Asie iniiieiire, liertUisoab Noch ist zu erwähnen seine thä-
ligeBelheilio^uiiCT an der grossarligon Sannuhnig der liislorischen
Schriftsteller über die Kreiizziigo, welche das Institut de France
herausgibt.
Nach der Denkrede auf .1. Andreas \>'aorner widmete
Herr v. Marti us als Secrctär den* zweiten Classe den ;iudereii
geschiedenen Mitgliedern derselben folgenden Nachruf:
Wagner ist nicht der einzige l\lann, ilcn wir auf dem von
ihm bearbeiteten Gebiete verloren haben, und es füol sich in
schmerzlicher Weise, dass ich aucli von
Heinrich Georu Bronn
sprechen niuss , in weh'hem Dc^ntschlnnd seinen grösslen , uni-
versellsten , mächtigst wirkenden Paläontologen verloren hat.
Geboren am o. IMärz l.SOO zu Ziegelliausen bei Heideiherg, ei-
nes Försters Sohn, ist er, nur 02 Jahre alt. am 5. Juli d. J. zu
Heidelberg als Hofrath und Universilätspiofessor gestorben.
Der biedere, slrenjit;, hoclisinnioe. o-cwisscnhafte Mann war
Gegenstand der Verehrung von Allen, die; iinn nahe gf'konnnen.
In der Geschichte der Wissenschaft bleibt er luhmvoll stehen
als ein heller organisatorischer Geist, dcM- rastlosen Fleisses ei-
nen seltenen Schatz von Anschannngen , Erfahrungen, Kennt-
nissen gesamnujit hatt(! , und von der Oberlläche der Dinge in
die Tiefe dringend, d(Mi Gesefzer» der Bildungen nachforschte,
das Mannigfaltige in seiner Einheit zu verstehen, zu ordnen,
zu gliedern. Nicht die Naturgeschichte, sondern die Geschichte
der Natur, und nicht das Gewordene als das zur Einzelirestalt
Erstarrte, sondern das Gewordene als organischen Theil des
ewigen Ganzen n)a<hte er zu seiner letzten Aufgabe.
170
Oeffeniliche Sitzung vom 28. Kov. 1868.
Er war einer von jenen Morpholoffen, die das Wesen der
Typen gleichsam als ihr geistiges Skelet ergreifen. Er war ein
Philosoph von Jenen , die bei der Betrachtung der natürlichen
Dinge auch das Ideale erschauen, durch das sie, wie derSpie-
gel durch seine Beloffung, uns ihr Bild zuwerfen. Er war ei-
ner von jenen ächten Nalurphilosophen, die, wohlbewusst ihrer
Schranke, nicht die letzte Ursache auf dem Wege der Specu-
lation darzulegen , sondern die Gesetze der Einzelheiten und
ihren harmonischen Einklang zu erforschen bemüht sind.
Schon in der Preisdissertation über die primitiven und ab-
geleiteten Formen der Hülsengewächse (Leguminosae) , womit
sich der Zweiundzwanzigjährige zu Heidelberg den Doctorhut
gewann, betritt er seine sichere und gedankenvolle Forscher-
bahn. ^^'äl^Tnd aber jene Ersllingsarbeit niclit ohne Einfluss
auf die Arbeiten grosser Botaniker blieb, welche seitdem Spe-
cialnnlersuchungen über jene merkwürdige Pllanzenfamilie an-
gestellt haben , wendete sich Bionn zur Geologie und Paläon-
tologie. Er durchforschte einen Theil von Italien, beschrieb die
Tertiärgebirge dieses Landes und deren organische Einschlüsse
und setzte (1833 — 38) die Naturforscher in dankbares Erstau-
nen durch seine Lelhaea geognoslica, die Beschreibung und Ab-
l)ildung der für die Gebirgsformalionen bezeichnenden Verstei-
nerungen. Dieses Werk des scharfsinnigsten Fleisses registrirt
die fossilen Reste der Organismen aus den verschiedenen
Epochen, die unser Planet durchlaufen hat, und gibt uns zu ei-
ner vorher ungeahnten Sicherheit des Urtheils die Materialien
an die Hand.
In Heidelberg war durch das Mineralien- Comptoir, die ver-
dienstliche Schöpfung von Leonhard und Blum , und durch des
Erstem mineralogisches Taschenbuch ein reges Leben für diese
Wissenschaft, so praktisch wie literarisch, geweckt worden.
Diese Wirkungen erhöhte das neue .Jahrbuch für Mineralogie,
Geologie und Petrefacteukinide, welches bezüglich der beiden
letzleren Doclrinen von Bronn redigirt wurde. Dreissig Jahre
OeffentUche Sitzvnff vom 28. Nov. 1S6i. 171
lang hat er hier Schritt für Schritt die Entwickelung der Wis-
senschaft darstellend nnd kritisch beleuchtet und gefördert.
Mit diesen Werken , welche an sich schon genügt hätten,
ihrem Verfasser einen ehrenvollen Platz in der Wissenschaft an-
zuweisen, hat aber Bronn nur seiner „Geschichte der Natur*'
präludirt, die wir ein Gegenstück zu Humboldts Cosmos nen-
nen möchten. Kosmisches, tellurisches, organisches, intellectu-
elles Leben überschreibt der Verl. seine Darstellung, die sich
Satz für Satz auf Erfahrung gründet. Vom Weltall zu unserem
Sonnensysteme, zur Erde, Erdfestc, Erdhülle und zu t\ou gros-
sen Ersch(;inuncTen. die sich auf dem Planeten nach Zeit. Kaum
und Slolf beobachten lassen, so führt er uns herab zu dem or-
ganischen Leben , und behdiit uns aus der Schöpfung der Ge-
genwart über Entwickelung, Verbreitung und Untergang des-
sen, was früher die Erde bevölkert hat Ein abgeschlossenes
Bild, reich an den manni'rfachsten Thatsachen, steht diess W(U-k
vor uns, wie es sich nur in einem Geiste erzeugen konnte, der
sich aus vielseitigster Naluransclianung und gründlichsten Stu-
dien genährt hat. Es wäre eine dankbare Aufgabe, in eine
Analyse dieser Schrift einzutreten, und in der Vergleichnng mit
Hund)oldls Cosmos zu zeigcMi, wie diese beiden Geister, nuf so
verschiedenen Wegen Einem Ziele zusIrelxMid, unsere Literatur
bereichert haben.
Der Index palaeontologicus oder die Uebersicht der bis
jetzt bekannten fossilen Organismen, unter Mitwirkung von Göp-
pert und Herm. v. Meyer ausgearbeitet , und der Enumerator
palaeontologicus oder die systematische Zusannnenslellung und
die geologischen Entwickelungsgesetze der organischen Reiche,
welche die letzten Theile von Bronn's Geschichte der Natur
bilden, dienen wie Beweisstellen für seine Darstellungen.
Gleichsam als eine Sublimation aus dem reichen Schatze
von Thatsachen und Wahrheiten, welche hier niedergelegt wa-
ren, folgten die ..rntersuchungen über die Entwicklungsgesetze
der organischen Welt während der Bildungszeit unserer Erd-
oberfläche'', welche die Pariser Akademie im Jahre 1857, un-
172 Oeff entliehe Sttztuiff vom 28. Sov. 1868.
ter dorn Beifall aller Männer der Wissenschaft, mit ihrem gros-
sen Preise wekrönt hat Auch die holhindische Societat der
>yissenschaflen zn Harlem nnd im Jahre IS61 die (reolotrische
Societat zn London dnrch den A\'oiiastonschen Preis haben die
ausserordentlichen Verdienste Bronn's anerkannt. Unser Col-
Icffa kommt hier zn zwei alltieineinen Grundgesetzen, die er
folgen<iermaassen ausspricht: ,.Die Aufeinanderfolge der Orga-
nismen von dem ersten Beginne der Schöpfung an bis zum
Erscheinen unserer jetzigen Pflanzen- und Thierwelt ist durch
zwei Grundgesetze geleitet worden:
1 ) durch eine extensiv wie intensiv fortwährend sich stei-
gernde selbständige Prodnctionskraft,
2 ) duri h die Natur und die Veränderungen der äusseren
Existenzbedingungen, unter welchen die zu produzirendeii
Organismen leben sollten.
Diese, die Schöpfung unausgesetzt bewaltende Zcugungs-
und Fortbildungskraft ruht aber , nach Bronn's Anschauung,
keineswegs im Organismus, i>n Geschöpfe selbst; sie gilt ihm
vielmehr als eine ewige Emanation des Schöpfers. Damit stellt
er sich auf die Seile von Cuvier, Agassiz. Oii'il''cfages und vie-
len Andern, Jenen gegenüber, welche das grosse Riitlisel durch
das miltelalterliche Stichwort der spontanen Zeugung (Generalio
a('qnivo<'a) lösen oder durch jenes Bild des Dichters bannen
wollen, das die Schöpfung automatisch von ihrer urspriintrlichen
Spule laufen lässt. Zu dieser Consequenz kam der geniale
Gegner Cuviers, Geoflroy de St Hilaire, und kommt auch Dar-
win, dessen Schriften über die ..Entstehung der Arten und über
die Befruchtung der Orchideen" Bronn, wie zum Zeugniss sei-
ner un|)arlheiischen Forschung ilan Deutschen in einer Ueber-
setzung näher gebracht hat.
l'nd nicht genug an diesen vielen schwerwiegenden Lei-
stungen hat der Irciriiche Mann ni>ch ein Werk über die Clas-
scn und Ordnungen des Thierrciches unternommen , worin er.
aufsteigend vom Niederen zum Höheren und die lebende Thier-
welt mit den untergegangenen Formen solidarisch verbindend,
OeffentUche Sitziiiiff vom 28. Nov. 1862. 173
das gesaminte Reich nach seinen morphologischen Stufen schil-
dern wollte. Leider hat der Tod dieses Werk, um das die
deutsche Literatur mit Recht beneidet wird, im dritten, die Mol-
lusken enthaltendeu Bande unterbrochen.
Bronn hatte oft Unpässlichkeiten und Krankheiten zu be-
stehen, und wusste, dass ein Herziibel ihn fortwährend in Le-
bensgefahr erhielt. Darum halte er in sich und um sich schon
lange Alles geordnet. Er lebte das heitere Stilileben eines Na-
turweisen, auf das er iibordiess sich durch eine seit Jahren
zunehmende Taubheit hingewiesen sah. Allerdings kam diese
Concentration seiner Wi.ssenschaft zu Statten. Sie erklärt auf
der einen Seile die Erfolge seiner staunenswerthen Belesenheit,
seiner mühevollen Sorgfalt als Archivar der Natur; sie zeigt
aber auch auf der anderen Seite, wie die nach Innen gewen-
dete Ruhe des Geistes liefer und tiefer zur Erkenntniss des
idealen K(;rns der Dinge hinandringt.
Diese Intuitionen waren in keiner Weise durch Das ver-
n)iltelt, was man di(! naturphilosopliische Speculalion zu nennen
pflegt; sie waren das Facit gründlicher Abstra ctioncn, zu
denen sein klarer Verstand nntlelst einer kräftigen Einbild-
ungskralt und mittelst eines reichbegüterten Gedächtnisses ge-
langt(!. Sie standen vor ihm wie sicher gelöste Rechen-
Exempel.
Eben dieser abstracto Charakter scmier Methode ist es,
was Bronn für alle Zeit eine Autorität in der Wissenschaft si-
chert, hat aber vielleicht seiner Wirkung als populärer Schrill-
steiler Eintrag getlian. Denn war' er in seinen Darstellungen
minder streng und ernst. nn"nder gewissenliaft besorgt gewesen
um die vollständige; Begründung seiner Sätze, — hätte er je-
nen Schwung, jene Farbenbliilhe in seinen Styl aufgenommen,
womit so mancher Geist durch dieNalnrforschung zu poetischer
Schönheit fortgeris.^ien wird, so müssten wir in dem trefTlichen,
edlen Mann incht bloss den deutschen Bronn, sondern auch
einen deutschen Buffon hochhalten.
174
Oe/fentliche Sitzung vom 28. Kov. 1862.
Dietrich Geor^ Kieser, grossherzoglich Sachsen-Wei-
mar'scher geheimer Hofralh und Professor der Medicin zu Jena,
ist am 24. August 1779 zu Harburg im Königreich Hannover
geboren. Er studirte in Würzburg und Göttingen , wo er den
medicinischen Grad erhielt, praclizirte von 1804 bis 1812 in
Winsen an der Luhe und als Badearzt in Nordheim und ward
1812 als ausserordentlicher Professor der allgemeinen und spe-
ciellen Therapie nach Jena berufen, wo er auch über Geschichte
der Medicin, Anatomie und Physiologie der Pflanzen und thie-
rischen Magnetismus Vorträge hielt. Im Befreiungskriege machte
er 1814 als Wachtmeister und Feldarzt bei der Escadron der
Weimaraner freiwilligen Jäger zu Pferde den Feldzug nach
Frankreich mit und leitete 1815 als Oberarzt in k. preussischen
Diensten nach der Schlacht bei Belle Alliance die Kriegsspiläler
zu Lültich und Versailles.
Aus dem Felde zurückgekehrt , nahm er seine akade-
mische Thäligkeit mit steigendem Erfolge auf, preussischer Hof-
rath, 1824 Ordinarius, von 1831 bis 1848 Vertreter der Uni-
versität beim Landtage, von 1844 bis 1848 dessen Vice-Präsi-
dent, als welcher er dem Frankfurter Vorparlamente beiwohnte.
Ein Allliberaler, deutscher Patriot, Opponent des Ministeriums
Schweizer wie des Märzministeriums, wirkte er in jener öffent-
lichen Stellung lür Verbesserung der Schul- und Pfarrstellen,
für das Gefsrngenwesen , zum richtigem Vcrhältniss der Kirche
zum Staate. Seine medicinische Thäligkeit gehörte von 1831
— 47 neben Anderem einer med.-chirurg.-ophlhalmologischen
Privatklinik, dann dem Directorium der grosshcrzoglichen Ir-
renanstalt und einer Privatanslalt für Geisteskrankheiten ( So-
phronisterium). Im Jahre 1857 ward er statt Nees v. Esen-
beck zum Präsidenten der Kaiserl Leopold - Carolin.- Akademie
d(mtschor Naturforscher, dieser ältesten deutschen Akademie,
gewählt, deren Interessen er mit Umsicht, mit einer für sein
Aller bewunderungswürdigen Energie und mit jener treuen
Liebe für das gemeinsame Vaterland geleitet hat, durch die er
sich einst im Kampfe das eiserne Kreuz verdient hatte.
Oeffenttiche Sittting vom 88. Nov. i868. 175
DIess ist in kurzen Ziiffen das Bild vom äussLM'n Lebens-
gange eines Älannes, dem die Verehrung des Vaterlandes schon
wegen dessen gebührt, was er lur dasselbe gefühlt, gewagt
und gethan hat! Die Miinner aus jener grossen Zeit werden
immer seltener, und unsere Akademie wird nur noch Wenigen
ein Lorbeerblatt auf den Sarg legen kcuineu. Was aber die
wissenschaftliche Bedeutung Kiesers betrifft, so füllt seine Haupt-
Ihätigkeit in das Gebiet der Medicin , worauf wir ihm nur zu
einigen allgemeinen Bemerkungim folgen dürf(!n.
Er schrieb: lieber die Ursachen, Kennzeichen und Heilung
des schwarzen Staars, eine Preisschrift (1808), über das Wesen
und die Bedeutung der Exanliieme (1812), (irundzüge der Pa-
thologie und Therapie des Menschen (1812), welche (1817 —
19) im System der Medicin (2 Bde ) weiter ausgeführt worden
— de febris puerperarum indole, varia forma et medendl ra-
lione 7 Theile. (1825—29) — System des Tellurismus oder
thierischen Älagnelisums 2 Bde., 2. Aufl. 1826 — Elemente der
Psychialrik (1855.) Er gab von 1817 — 1825 in Verbindung
mit Eschenmayer, Nasse und Neos v. Esenbeck ein Archiv für
den IhierisrIuMi Magnelisufus heraus.
In allen diesen Schriften ist Kieser bemüht, die Medicin
mit den Ideen der Naturphilosophie zu durchdringen und zu
orffanisiren. Er tritt in die Beihe von Steffens , Oken , Trox-
1er, Schelver, Nees v. Esenbeck, Carus, die alle über ein rei-
ches Capital von Erfahrung, Natur-Anschauung und Gelehrsam-
keit gebietend, jeder nach seiner Begabung mit Scharfsinn,
Witz, Phantasie, poetischer Cond)inalionskra(l oder mystischem
Tiefsinn, die Natur als ein grosses, ideales (Janzc zu ergreifen,
von der ewigcMi Muller Isis ein Bild — schematisch, conslructiv
oder in idealen Speculalionen — zu entwerfen bemüht waren.
Die Wissenschaft ist aus jener P(M-i<)(le , welche wie von
seinem Cenlrum aus das Ganzi; zu begreifen strebte, in eine
neue Phase getreten, in die; ,,WeH des Details', wie sie einst
Napoleon in scMuen Gesprächen mit Monge bezeichnete. Die
Medicin und überhaupt alle Naiurwissenschafleu gehen in con-
176
Oeffenth'che Sitzung vom 38. Nov. 1862.
creler Forschung dem Kleinen und Kleinsten nach, um sich von
der Peripherie aus dem Mittelpunkte des Seyns und Wesens zu
nähern. Und wenn uns diese Geistesrichtung keineswegs be-
rechtigt , auf sie die ethische Warnung la Rochefoucauld's
anzuwenden, „dass diejenigen, welche sich allzuviel mit kleinen
Dingen abgeben, gewöhnlich unfähig werden für grössere'' —
so ruft sie anderseits zu unbefangener Anerkennung dessen auf,
was in jener Schule durch vielumfassendes Wissen, durch ein
offenes Ohr für alle harmonischen Töne der Schöpfung und
durch eine weihevolle Hingebung an das Ideale ist Grosses vor-
bereitet worden. Dass aber Kieser durch den lebendigen Drang
nach schcmalischer Auffassung zu speculativer Einheit keines-
wegs von concreler Forscluuig abgeleitet worden , beweist die
eindringliche Tiefe seiner Beobachtung als glücklicher somati-
scher wie psychischer Arzt und seine pflanzenanatomischen Ar-
beilen , aus der Mitte des zweiten Decenniums , durch welche
er den anatomischen Bau der Pflanze nnt der ihm eigenthümli-
chen Klarheit überblickt und geschildert hat. Mit Moldenhawer,
Rudolphi und Link hat er unter <len Deutschen zuerst die junge
Wissenschalt der Phytolomie gegründet. Sein Memoire sur
rOrganisation des plantes (1812), worin er unter Anderm zu-
erst die Poren in den Zellen aller Zapfenbäume nachgewiesen,
ist von der Harlemer Societät gekrönt worden. Tenax propo-
siti, diess war sein Synd)olum , trat er vor keiner Forschung
müde oder mulhlos zurück, und diese Stinunung eines tapfern
Gemülhes führte den mensclienlVeuiullichen Mann aus den» bäng-
lichen Gebiete der Geisteskrankheiten in das Düster des thieri-
schen Magnetisnms, welches er, an der Hand gewissenhafter
Beobachtung, durch die Leuchte der Speculation zu erhellen suchte.
So breitet sich Kieser's geistiges Leben in mannigfaltigem
Reichthume vor uns aus, und unsere Akadenno huldigt ihm als
einem rüstigen Kämpfer zum Besten des Vaterlandes, der Wis-
senschaft uiul der Menschheit.
Oeffentliche SiHuuy vom 28. Nov. 1S62. 177
Südann wurden die von Sr. Majestät bestätigten Neuwah-
len verkündet, und zwar
Zum Ehrenmitgliede:
Reichsrath Dr. Julius v. Niethammer.
In der mathematisch-physikalische?} Classe.
A. Zum ordentlichen Mitgliede:
Dr. Karl Wilhelm Nägeli, ordentlicher öffentlicher Professor
der Botanik an der k. Ludwig-Max.-Universität und Conser-
vator des k. botanischen Gartens und des k. Herbariums.
B. Zu ausserordentlichen Mitgliedern:
1) Dr. Karl Albert Oppel. ordentl. Professor^ der Paläontolo-
gie an der k. Ludwig-Max. -l'niversität und Conservator der
paläontologischen Sannnluiig des Staates,
2) Wilhelm Gümbel, Bergmeister,
8) Dr. Ludwig Buhl, Professor der pathologischen Anatomie
an der k. Ludwigs-Max.-Universität,
4") Dr. Moriz Wagner, Professor hon. an der k. Ludwigs-
Max.-Universität und Conservator der ethnographischen
Sammlung des Staates.
C. Zu auswärtigen Mitgliedern:
1) Dr. Hermann Kolbe, ordentl. Professor der Chemie an der
Universität Marburg,
2) Thomas Davidson, Esquire in London,
3) Heinrich Ernst Beyrich, Professor der Geologie an der
Universität Berlin,
4) Sir Robert Kane, Professor der Chemie an der Universität
Dublin,
5) K. J. A. Theodor Scheerer, Professor der Chemie an der
Bergakademie zu Freiberg.
[mz n.) 12
178 Oeffentliche Sitzung vom 28. Not'. i86i.
D. Zu Correspond enlen:
1) Dr. Karl Scherz er, Naturforscher in Wien,
2) Dr. Ferdinand Hochstetter, Naturforscher in Wien,
3) Dr. Georg Ha rley, ordentl. Professor der gerichtlichen Chemie
und Medicin an der Universität London,
4) Dr. Hermann v. Schlagintweit auf Schloss Jägersburg bei
Forchheim,
5) Leopold Krön eck er, Professer in Berhn,
6) Ernst Freiherr v. Bibra in Nürnberg,
7) J. Georg Brush, Professor der Metallurgie am Yale College
in Newhaven in Connecticut,
8) Gustav Adolph Kenngott, Professor der Mineralogie in
Zürich.
Am Schlüsse hielt Herr Cornelius einen Vortrag
„über die deutschen Einheitsbeslrebungen im
,,16. Jahrhundert".
Dieser Vortrag, wie die Denkrede des Herrn v. Martius
auf J. A Wagner sind eigens im Verlage der Akademie er-
schienen.
Kinsendttnyen von Druckschriften. 179
Verzeichniss
der in den Sitzungen der drei (Massen der k. Aitadeniie der Wissen-
stlialten vorgelegten Einsendungen von Druckschriften,
November 1862.
Vom historischen Verein der fünf Orte Lvzern, Vri, Scliwyz etc. in
Einsiedeln :
Der (ieschiclitsfreund Mitllieilungen. 18. Band, 1862. 8.
Vom Verein für Naturkunde in Presburg:
a) Verhandlungen. IV^ Jahrg, 1850. Presburg 8.
b) lieber die neuen Fortschritte der Lichcnologie von Albert Grafen v,
Bcntzel-Sternau. 1859. 8.
c) Ueber die Bedingungen der Grösse der Arbeitskraft mit Berücksich-
tigung einiger Hauslhiere, von Dr. A. v.Szontagh. Presburg 1859. 8.
Von der k. preussischen Akademie der Wissenschaften in Berlin:
a) Monatsberichte. April. Mai, Juni, Juli, .August 1862. Berlin 1862.
b) Abhandlungen 1801. Berlin 1802. 4.
Von der pfälzischen Gesellschaft für Pharmacie in Speyer :
Neues Jahrbuch der Pharmacie und verwandter Fächer, Bd. XVII. Heft
f). Juni.
Bd. XVIII Heft 1, Juli. Heft 2, August und Heft 3. Septbr, Heidelberg
1862. 8.
Von der Universität in Heidelberg:
Heidelberger Jahrbücher der Literatur unter Mitwirkung der vier Fa-
kultäten. 55. Jahrg 5. Heft Mai. 6. Heft Juni und 7. lieft. Juli, Hei-
delberg 1862. 8.
Vom landivirthschaftlichen Verein in München:
Zeitschrift. August VUI. 18G2. xMünchcn. 1862. 8,
Von der Geoloyical Society in London :
a) Quarterly Journal, Vo. XVUI. Ma^. 1862. Xr. 70. London 1862. 8,
12*
|§Q Ehisendunf/en von Druckschriften.
b) Address delivered ad tlie aiiniveisary meeting oii the 21. «t of Fe-
bruary 1862 piefai-ed 1\y tlie aiiiiouiicemeiit of ihc award of the
W'ollaston Medal. London 18G2. 8.
Vom historischen Verein in München:
a) Oberbajcrisches Arthiv für vaterländische Geschichte. 20. Band. 3.
Heft. 21. Bd. .3. Hft. Minuhen 1859. 60 8.
b) 23. Jahresbericht für das Jahr 1860. München 1861. 8.
Vom /.-. .statistisch-topographischen Bureau in Stuttgart:
V\'ürttembergische Jahrbüclicr für vaterländisciie Geschichte. Geographie,
Statistik und Topographie. Jahrg. 1860. 61. 12. Ilft. Stiittg. 1862. 8.
Vom Verein twn Alterthums freunden im Rheinlande in Bonn:
a) Jahrbücher XXXII. 16. Jahrg. 2. Bonn 1862. 8.
b) Ueber eine seltene Erzmünze mit dem Monogramm des achäischen
Bundesgeldes. Von Dr Christ. Bellerniann. Bonn 1859 8.
Vom Verein für Geschichte und Alter thmnskunde Westphalens in
Münster:
Zeitschrift. 3 Folge. 2 Band. Münster 1862. 8.
Von der Redaktion des Correspondenz-Blattes für die Gelehrten- und
Realschulen in Stuttgart:
Correspondenzbiatt für die gelehrten nnd Realschulen. 9. Jahrg. Juni 6.
Juli 7. August 8. und Sept. 9. 1862. Stuttgart 1862. 8.
Von der naturforschenden Gesellschaft in Basel:
Verhandlungen. 3. Tbl. 3. Hft. Basel 1862. 8.
Von der naturforschenden Gesellschaft in Dorpat:
Archiv für die Naturkunde Liev , Esth- und Kurlands. I. Serie. Mineral-
Wissensch. nebst Chemie, Phjsik und Erdbeschreibung. II. Bd.
II. Serie. Biologische Naturkunde. IV. Band. Dorpat 1801. 8.
Von der Academie de Stanislas in fiancy:
Mömoires. 1860. Tom. I. II. Nancy. 1861. 8.
Vom Inst Hut o di corrispoudenza archeologica in Rom:
a) Annali Vol. XXX.-XXXIII. Rom 1858-1861.
Einsendungen von Druckschriften. 181
b) Biillolino per raiiito 1838. 59 60. Gl.
c) IMoiiunieiiti inoditi publitati per raiino 1858, 59,60. ül. Roma 1858 —
1861. *>.
Vüii der Societe d' Anthropologie in Paris:
a) Bulletins Tom. I. 11. Tom. III. 1 Fase. Jaiivicr ä Mar.s 186-2. ii. Tom.
Ili. •>. Fa.sc. Avril ä Juin 1862. Paris 1860. 61. 62. 8.
b) Memoircs. Tom. I. 1. 2. Fase, avec uiio earle et einqiie planehes.
Paris 1860. 61.
Von der naturhi^torischen Gesellschaft in Hannorer :
Zehnter und eilfler Jahresbericht 1859—1861. Hannover 1861. 62. 4.
Von der Commission iinperiiile urcheologiqite in St. Petersburg :
Compte-Rendii pour l'annee 1860. mit Atlas. St. Petersburg 1861. 2,
Vom Verein für Kunst und Alterthum in Ulm:
Verhandlungen. 14 VcröfTentliehung, der grösseren Hefte neunte Folge.
Ulm 1862. 4.
V^om Institut hi.storique in Paris:
L'investigateur Journal. 29*me annee. Tom. II. IV. Serie. 332e 333« |i-
vraison, Paris 1862. 8
Vom Verein für Naturkunde in Mannheim :
38. Jahresbericht. Mannheim 1862. 8.
Von der Asiatic Society of Uengal in Valcuttu :
Journal. New Series. Nr. CX. Nr. CCLXXXIV. Nr. I. 1862. Caicutta
1862. 8.
Von der Gesellschaft der Wissenschaften in Prag:
Sitzungsberichte. Jahrg 1860 Juli -- Dezember. Prag 1860. 8.
Von der Societe des Antiquaires de Picardie in Ainiens :
a) Memoires. 2. Serie Tom. VIII. Paris. Amieiis 1861 8.
bj Bulletins Tom. VII, 18.")9. 60. 61. Paris. Amiens 1861. 8.
Vom Alterthtnnsrerein in Lüneburg:
a) Die .\lterlhiimer der Stadt Lüneburg und des Klosters Liine. Lüne-
burg 1862. 4.
182 Einsenänmien von Druckschriften.
b) Der Urspniiif^ unel der älleste Zustaiul der Stadt Lüneburg. Von Dr,
Volger. Lüneburg 186J, 8.
V^on der /?«// Society in London:
a) Ray Society. Inlroduction to the study of tlie Foraminifera. By Wil-
liam B. Carpenter. London 1862. 2-
b) Philosophiial transattioiis for the year 18G1. Vol, 15L P. l. 11. IlL
London 186L 4.
c) Proceedings. Vol. XL Nr. 47. 48.
„ XII. Nr. 49. London 186L 02. 8.
d) Fellows of the Society. Novb. 30 1861. London 1861. 4-
Von der Boyat Asironomical Society in London:
Menioirs. Vol. XXX. London 1862. 4.
Von der Chemical Society in London :
Journal, Vol. XV, 1 — 0, January — Juno 1802, Nr. LVII— LXII. Lon-
don 1862. 8.
Von der naturforscUenden Gesellschaft Grauhündens in Chur:
Jahresbericht. Neue Folge. VILJahrg. {Vereinsjahr 1860. 61). Churl862.8,
Von der Commission zur Eerunsgabe der Kieler Unirersilätsschriflen :
Schriften der Universität zu Kiel aus dem J. 1861. Bd. VIII. Kiel 1862. 4,
Von der B. Accademia F.conomico-Ayraria de' GeorynfiU di Firenre:
Atti. Nr. 27— ,30, Nuova Serie. Vol. VIII. Di.sp. 1 2, 3. Vol. L\, Di.sp 1,
Firenzc 1861, 62. 8,
Vom historischen Verein für Niederhayern in Landshut:
Verhandlungen. VIII. Bd. 1. 2. Heft. Landshut 1862, 8,
Von der W Asiat ic Society in London:
Journal. Vol. XIX. Part, 4. London 1862, 8.
Von der deutschen nioryenlündischen Gesellschaft in Leijnig :
R) Zeitschrift. 16. Bd. 3. i. Hft. London 1802. 8
b) Indische Studien, Beiträge für die Kunde des indischen Alterthums.
Von Dr. Albr. Weber. V. Bd. 2. 3. Hft Leipz. 1862 8.
FJnsen/Itiuyen von Druckschriften, 1S3
c) Abliaiidlimtren liir dio Kiiiide des Moigenlandfs. II. Bd Nr. 5. Die
giaininati.scli. Scliiilcn der Araber, von G. Flügel. Nr. 5. Katliä Sa-
rit Sagara, die Älärclicn-Saminliing des Soinadeva. Buch VI. VH.
VIII. Hcraii.sgcg von II. Brockhaiis Leipzig 186?. 8.
Von der Acndemie des sciences in Paris :
(«oniptes rendiis lielulomadaires des .seaiices.
Tom. LIV. Nr, V3. '24 Jiiin 1862.
„ LV. „ 1— j. Jiiillet-Aout 180*2.
„ LV. ,. 6—10 Aoiit - Sept. 186'2. Paris 186'?. 8.
Von der GeseUschaft für pounner'sclie Geschichte und Alterthums-
kunde in Stettin:
Baltisilic Stildien 19. Jahrg. 1. Heft. Stettin 1861. 8.
Von der svidesischen Gesellsvhafl für vaterländische Cultur in Breslau:
a) Abhandlungen Philosoph -historische Abtheiinng. Heft I. II. 1862.
Breslau 1802. 8.
b) Abhandlungen. Abtheiinng für Naturwissenschaft nnd Medicin. Heft.
III. 1861. 1. 1862. Breslau 1861. 02. 8.
c) Jahresbericht. Enthält den fieneralbericht über die Arbeiten und Ver-
änderungen der Gesellschalt im J. 1861. Breslau 1862. 8.
Von der Societe imperiale des naturalistes in Moskau:
Bulletin Annee 1861. Nr. I— IV. Moskau 1861. 8.
Von der Maatschappij der Wetenschappen in Haar lern:
Natuurkundige Verhandelingen XVI. Ded Haarlein 1862. 4.
Vom lUuseam Francisco-Carolinum in Ijinz:
a) Urkundenbuch des Landes ob der Enns. II. ThI. Winn 1858. 8.
b) 21. und 22. Bericht nebst der 16. und 17. Lieferung der Beiträge
zur Landeskunde von Oesterreich ob der Enns. Linz 1861. 62. 8.
Von der k. k. geologischen Reichsanstalt in Wien:
Jahrbuch. 1861 und 1802. VII. Band. Nr. 3. Mai, Juni, Juli, August
1862. Wien 1862. 8.
184 Einsendungen von Druckschriften.
Von der }thy.sika lisch medizinischen Geseltschufl in Würzbury:
a) Würzburger Mcdicinischc Zeitschrift 3. Bd. II. IH Hft. Wien 1862.8.
b) Würzburger naiurwissensihaftlichc Zcitsciirift. 3. Bd 1. Hft.
Vom Vertvaltunifs-Ausschitss des Ferdinandeunis in Innsbruck:
a) 29. Bericht über die Jahre 1860. Gl. Innsbruck 1861. 8.
b) Zeitschrift des Ferdinandeunis für Tirol und Vorarlberg. 3. Folge. 10.
Heft. Innsbruck 1861. 8.
Vom naturforschenden Verein in Riga :
Correspondenzblatt. 12. Jahrg. Riga 1862. 8.
Von der Historisch Genootschap in Utrecht:
a) Werken. Kronijk. 1861. Blad 20-30. Utrecht 1861. 8.
b) Werken. Berigten. VII. Üeel 2. Stuk. Blad 1—5. Utrecht 1862 8.
c) Werken. Codex diplomaticus. 2. Serie VI. Deel. Blad 1—6. Utrecht
1862. 8.
Vom naturhistorisch-medizinischen Verein in Heidelberg:
Verhandlungen. 2. Bd. 1869—1862. Hft. 3. Heidelberg 1862. 8.
Vom naturhistorischen Verein in Augsburg:
15. Bericht. 1862. Augsburg 1862. 8.
Von der Literart/ and Philosophical Society in Manchester :
a) Proceedings Vol. II. Manchester 1862. 8.
b) Rules of the Society. Instituted 28'i> February. 1781. Manchester
1861. 8.
c) Memoirs. Vol. I. III. Series. Manchester 1862. 8.
Von der k. k. Akademie der Wissenschaften in Wien :
a) Denkschriften. Mathcmat. naturwissensch. Classe. 20. Bd. 1862. 4.
b) Sitzungsberichte. Philos.- histor. Classe. XXXVIIl. Bd. II. III. Heft.
Jahrg. 1861. November. Dezember. XXXIX Bd. 1 Hfl. Jhrg. 1862.
Jänner. 1861. 62. 8.
c) Sitzungsberichte. Mathemat. naturwissenschafll. Classe.
1. Abthcil. XLIV. Bd. IV. V. Heft 1861. Nov. Dezbr.
XLV. „ I. Heft 1862. Jänner.
Einsendungen von Druckschriften. 185
•2. Abtiieil. XLIV. Bd. V. Heft. 1861. Uczbr.
XLV. ., I. II, lil. Heft 18Ü2. Jänner — März, Wien
1862, 8.
d) Archiv fiir Kunde Osterreidiisclier Gcschiclilsquellen. 38. Bd. I. Hälft.
18Ü2. 8.
Von der Academie royale de Medecine de ReUjique in Briitsel:
Bulletin. Annec 1862 Deuxicnie Serie. Tom. V. N'r. 3—7. 1862. 8.
Von der Reale Accademia delle icient-e in Turin :
Memorie Ferie Seeonda. Tom. XVIII XIX. Turin 1859. Gl. 4.
Vom Istituto i'eneto di scieme, lettere ed arti in Venediii :
Memorie. Vol. X. Part. U. Venedig 18S2. 4.
Von der k. k. patriotisch-ökonomischen Geseltschn/t im Königreich
Böhmen in Prag:
a) Centralblatt für die gesammte Landeskultur. 13. Jahrg. 18(52. Nr. 1
-31. Prag 1862. 4
b) Wochenblatt der Land-, Forst- und Hauswirlh.schaft fiir den Bürger
und Landmann. 13. Jahrg. 1862. Nr. 1-31. Prag 1862 4.
Von der Geoloifical Survei/ of India in Calcutta:
Memoirs. Calcutta 1861, 4.
Von der Koninkiejke natunrkundii/e Vereeniginy in Nederlandsch
In die in Bataria :
Natuurkundig Tijdchrift voon Nederlandsch Indie. Deel XXIII. V. Serie.
Deel. III. Batavia 1861. 8.
Von der AcadPntie imperiale de sciences in St. Petersburg :
a) Bulletin. Tom. IV. Nr. 3—6. St. Petersburg 1861. 4.
b) Memoires. Tom. IV. Nr. 19. St. Petersburg 1861. 62. i.
Von der Accademia Pontificia de nuori lincei in Rom:
Atti. Anno XIII XIV. XV. Gennaro 1860 — Febbraio 1862. Rom 4.
186 Einsendunyen von Druckschriften.
Von der Smithsonian Institution in Wasliinyton:
a) Annuai rcport of ihc Siiiillisoniaii lnstitulion for the jear 18G0. Wa-
shington 1861. 8.
b) Rcsults of nieteorological obscivalioiis inuler the dircction of the
Smithsonian Institution froni the year 1854 to 1859. Vol. I. V>'a-
shington 1861. 4.
c) Report upon the (Colorado Exploring Expedition iinder Lient. J. C.
Ives Washington 1861. 4.
d) Catalogue of publicalions of the Smithsonian Institution. Corrected to
June 1862. Washington 1862. 8.
c) Smithsonian Miscellaneous Collections. Vol. I. II. III. IV. Washing-
ton 1862. 8.
0 Smithsonian Museum Miscellanea. Wash. 1862. 8.
Von der American Acadeiny of arts and sciences in Boston :
a) Mcmoirs. New Series. Vol. XIII. Part. I. Boston 1861. 4.
b) Proiecdings. Vol. V. 31—48. Boston 1861. 8.
Von der Boston Societif of Natural History in Boston :
Proccedings. Vol. VIII. 5-20.
„ IX. 1—3 Boston 1861. 62. 8.
Von der Ohio State Board of Agriculture in Ohio:
15. Jahresbericht. Ohio-Staats-Ackcrbau-Bchürde und (ieneralversarara-
lung von Ohio 1860. Columbus, Ohio 1861. 8.
Vom State of HVsco/isj« :
Report of the geological Survcy of the State of Wisconsin. Vol I. Wis-
consin 1862. 8.
Vom Lyceum of natural history in 'Sew-York :
Annais. Vol. VII. Jan. — June 1861. Nr. 10—12 New-York 1861. 8.
Von der Academy of natural sciences in Philadelphia:
a) Journal. New Series Vol. V. Part. I. Philad. 1862. i.
Einsendungen von Druckschriften. 187
b) Proccedings. 18t>l. 7— 36. J8«2 N»» I. and IV. Janiiary- April 1862.
Philadelphia 1861. 62 8.
c) Annual Mceliiig. Jamiary 1860 — April 18(51. Philadelphia. 8.
Vom Herrn Franz Lenormant in Paris:
Recherches archeologiqiies a Eleusis. Paris 1862. 8.
Vom Herrn Karl Robida in Klageuf'nrt:
Erklärung der Beugung, Doppeihreehuiig und Polarisation aus den Grund-
ziigen einer naturgemässen Aloniislik.. Hl. lilt. Klagenlurt 1862. 8.
Vom Herrn Cotnm. Fenicia in Neapel :
Copia deir epistola alla santitä del pontefuc che rcggerä la sauta sede
quando verrä pubblitata la poliliia. Neapel 1862. 8.
Vom Herrn A. Grüner t in Greif xwalde :
Arthiv der Mathematik und Ph.vsik. ;I8. Theil. 2. 3. Heft, (ireifswalde
1862. 8.
Von den Herren Frhrn. k. Stillfried und Dr. J. Mürker in Berlin:
Monumenta Zollerana. IJrkundenbuch der Geschichte des Hauses Hohen-
zollern. 7. Band. Urkunde der Iränkischen Linie lill— lil7. Ber-
lin 1861. 4.
Vom Herrn Kicolai von Kokscharow tu St. Petersburg:
Beschreibung des Alexandrits. St. Petersburg 1862. 4.
Vom Herrn A. Weber in Berlin:
Die vedischen Nachrichten von den Naxalra (Mondstationen) 1. II. Thl.
Berlin 1860. 62. 4.
188 Einsendiinffen von Druckschriften.
Vom Herrn Jose Amador de Los Rio.s in Madrid:
El arte latino-Bizantiiio cii Kspana y las Coronas Visigodas de Guarra-
zar. Madrid ISfil. i.
Vom Herrn Ritter von Burg in Wien:
lieber die Wirksamkeit der Sicherheitsventile bei Damplkesseln. Wien 8.
Vom Herrn A Coppi in Rom:
Memorie storiche di Maccarese, Rom 1862. 8.
Vom Herrn R. L. Tafel in St. Louis :
Investisjations in to the laws of English orthography and pronunciation.
Vol. I. Nr. ]. New-York ISO?. 8.
Von den Herren Leonhard und Rudolpli Tafel in Philadelphia und
St Louis :
a) A reviewofsome points in Bopp'.s comparative (irammar. Andov. !8()I. 8.
b) Latin pronunciation and the latin aiphabet. Philad. 1860.
Vom Herrn Karl Schuller in Hermannstadt:
Die Verhandlungen von Miihlbach im Jahre 1551 und Martinuzzis Ende.
Hermannstadt 1862. 8.
Vom Herrn Dr. Luther in Königsberg :
Astronomische Beobachtungen auf der k. Universitäts-iSternwarte in Kö-
nigsberg 3i. Abtheil. Königsberg 1862. 4.
Vom Herrn J. Worpitiky in Greißwalde:
Beitrag zur Integration der Riccatischen Gleichung. Greifswalde 1862. 8.
Vom Herrn M. E. Vhevreul in Paris:
a) Expose d'un mojen de definir et de nommer les couleurs Mit Atlas.
Paris 1861. 4.
b) Recherches chimiqucs sur la teinture. Paris 1861. 4.
Vom Herrn Dr. M. Block in Gotha :
Die Machtstellung der europäischen Staaten. 8. Mit 1 Atlas von 25 Kar-
ten in Fol. Gotha 1862.
Einsendungen von Druckschriften. 189
Vom Herrn Hl. Steichen in Brüssel:
Memoire sur le caicul des v.'iriations. Brüssel 1862. 8.
Vom Herrn A. Mühry in Göttingen:
Klimatooraphisclie Uebersiclit der Erde in einer Sammlung authentischer
Berichte mit hinzugefügten Anmerkungen zu wissenschat'llithem und
praktiscliem Gebrauche. Leipzig und Heidelljerg 18ü2. 8.
Vom Herrn Christian August Brandts- in Berlin:
Geschichte der Entwicklung der griechischen Philosophie und ihrer Nach-
wirkungen im Rom. Reiche. 1. Hälfte. Berlin 1862. 8.
o
Vom Herrn Dr. Prestel in Emden:
Die mit der Höhe zunehmende Temperatur als Function der Windes-
richtung. Jena 1861. 4.
V^on Herrn Robert Main in Oxford :
Astronomical and nuleorological oLservations made at ihe RadclifTe
übscrvator)', Oxford, in the jears KS-VJ and 1800. Vol. XX. Oxford
1862. 8.
Vom Herrn C. ('. lUalortie in Hannover :
Beiträge zur Geschichte des Braunschweig-Lüneburgischen Hauses und
Hofes. 3. Heft. Hannover 1862. 8.
Vom Herrn Dr. von Tröltsch in Würxburg:
a) Hie Krankheiten des Ohres, ihre Erkenntniss und Behandlung. Würz-
burg 1862. 8.
b) Die Anatomie des Ohres in ihrer Anwendung auf die Praxis und die
Krankheiten des Gehörorganes. Wiirzburg 1860. 8.
Vom Herrn Pasquale Plncido in fieapel:
lllustrazione di tre diplomi Bizantini del grande archivio di Xapoli.
Neapel 1862. 8.
190 Einsendungen von Druckschriften.
V^oui Herr» M. Glösener in Lüttich:
Traite g^üc'-ral des applicatioiis de rclectricite. Tom. I. Paris et Liöge.
18G1. 8.
Vom Herrn P Volpicelli in Rom:
a) Sulla clettricitä dell' atmosfera. Secoiida e tcrza Nota. Rom 186t. 4.
b) Sulla polaritä elcttrostatica quinta i-ommunicazione. Roma 1862. 4.
c) Descrizione di uii nuovo aiiemometrografo e sua teorica. Rom 1859. 4.
d) Sulla legge di Mariotte sopra uii congegno nuovo per dimostraria
nelle sperimciitali lezioni e su varie applicazioiii di essa. Rom 1859. 4.
e) Teorica della compensazione de' pendoli. Rom 1800. 4.
fj Del moto reltilineo lungo uii sistema di piani divcrsamente indinati
e contigui. Rom 1860. 4.
Vom Herrn J. D. Graham in Chicago:
a) Explorations et Surveys for a railroad ronte frora the Mississippi ri-
ver to tlie pacific ocean. Vol. XI. Chicago 1855. 4.
b) Report, mit Karten. Fol.
Vom Herrn James de Dana in Netv-Haven:
.\nierican Journal of science and arts.
Vol. XXXII. Xr. 94—96. Juli Sept. Nov. 1861.
., XXXIII. „ 97—99. Jan. Marcli. Ma^' 18t,2.
New-Haven. 1861. 62. 8.
Vom Herrn TA. Bland in London:
On the geographica! distribution of the genera and species of land
Shells, of the YVest-India Islands. New-York 1861. 8.
Vom Herrn A. F. Ward in Philadelphia :
Universal System of semaphoric color signal.s , a novel and original in-
venlioM, by which 4 6,656, words or sentences ean be represented
with six colors. Philadelphia 18G2. 8.
Vom Herrn William Rhees in Philadelpia:
Manual of public Libraries, Institutions and Societies in the United Sta-
tes and Britisch Provinces of North America. Philadelphia 1859. 8.
Einsendungen von Druckschriften. |91
Vom Herrn Philip T. Tyson in Annapolis:
First report State agrieultural clieiiiist to the house of Delegates of Ma-
ryland. January 1860. Annap. 18G0. 8.
Von den Herren A. A. Ilumphreys und H. L. Ahhot in Philadfli/hia :
Report lipon the plijsics and hydraiilics of tlie Mississippi river 1801.
Philadelphia IStil. 4.
Vom Herrn T. Apoleon Cheney in New-York :
Hlustrations of the ancient moniinienls in Western New-York. Albany
1860. 8,
December 1862.
Vom historischen Verein von Niedersachsen in Hannover
a) Zeitsehrift. Jahr^. 1801. Hannover 1862. 8.
1)) 25. Nachricht über den Verein. Hannover 1862. 8.
Vom akademischen l.esererein in Wien:
.Tahresbcricht 1861—1862. Wien 1802. 8.
Von der naturforschenden Gesellschaft in Emden:
47. Jahresbericht. 1861. Emden 1862. 8.
Vom landu-trthschaft liehen Verein in München:
Zeitschrift. Nr. XI. 1862. München 1802. 8.
Von der Societe des sciences naturelles in Strassburg :
Memoires, Tome cinquieme. Livr. 2. 3. Strassb. Paris 1862. 4.
192 Einsendungen von Druckschriften.
Von der Linnean Society in London :
.1) Traiisaclioiis. Vol. XXIII. Part. II. London 18Ü1. 4.
b) Proceedings. Vol. VI. Botany Nr. 21. 22. 23.
„ „ Zoology Nr. 21. 22. 23. London 1861. 8.
c) Fellows 1861. London 1861. 8.
Von der Universität in Heidelberg :
Heidelberger Jaiirbiulier der Literatur unter Mitwirkung der vier Fa-
tulläten. 55. Jahrg. 8. Heft August. 9. Heft Sept. 18C2. 8.
Vom Astrono7niC(il Observatorg of Harvard College in Cambridge :
a) Annais. Vol. III. Cambridge 1862. 4.
b) On tlie results of pliotomelric experiments upon the liglit of tlie
Moon and of the planet Jupiter. By George P. Bond. (Cambridge
1861. 4.
c) On the relative brightness of the Sun and Moon. By G. P. Bond.
Cambridge 1861. 4.
d) Report of the committee of the overseers of Harvard (College in the
jear 1860. 1861. Boston 1861. 62.
e) Oecultations and Eelipses observed at Dorchester and Cambridge,
Massachusetts. By G. P. Bond. Cambridge 1846 4.
Von der Bataviaasch Genootschap van Künsten en VVetensc/iai>pen
in Rutuvia :
a) Verhandelingen. Deel. XXVII. XXVIil. Batavia 1860. 4.
b) Tijdsthrift voor Indische Taal- Land- en Volkenkunde.
Peel. VII. Derde Serie. Deel. 1. Aft. II.
V
„ „ Nieuwe „ „ „ „ VI.
IV I
,1 IX. Derde „ „ III. „ I-VL
X Vierde ,, I. ,, 1—6.
Batavia 1857. 1860. 8.
Einsendungen von Dnickschriften. 193
c) Vergadcringeii. Bestuursvcrgaderiiicr «rehüiulcii tlcii 23. Februarij
1857. 23. JiiliJ 1857. 28. Decbr. 1857. Balavia. 8.
Von der Chemical Sovieti/ in London.
Journal. Vol. XV. 7. 8. 9. Jul. .\ug. Septbr. 1862. Nr. LXIII -LXV.
London 1802. 8.
Von der Geoloyical Socieiy in London:
Quarterly Journal Vol. XVIII Part. 3. Aug. I. 1862. Nr. 71. London
1862. 8.
Von der h. sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften in Leipzig:
a) Berichte. Pliilos.-liistori.sch6 Classe. II. III. IV. 1861. Lcipz. 1862. 8.
b) „ Mathein. physikai. „ I. II. 1861. Leipzig 1862. 8.
Von der fihstl. Jablononskischen Gesellschaft in Leipzig:
Preis.schriften. IX. Viktor Bühmeit, Beiträge zur Geschichte des Zunft-
wesens. Leipzig 1862. gr. 8.
Von der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften in
Görlitz:
Neues Lausitzisches Magazin. 39. Bd. 1. und 2- Hälfte. iO. Bd. I.Hälfte.
Görlitz 1862. 8.
Von der Academie imperiale des sciences, arts et belles-lettres in
Dijon :
Menioires. 2. Serie. Tom. IX. Annee 1861. Dijon 1802. 8.
Von der Hydrographischen Anstalt der k. k. Marine in Triest:
Mittheilungen der hydrographischen Anstalt. I. Bd. 1. Heft. Nautisch -
physikalischer Theil der Rei.se der österr. Fregatte Novara. I. Ab-
theil. Mit einer Kartenbeilage von 7 Blättern. Wien 1862. i.
Von der Jiatuurkundigen Vereenigiug in Tiederlandsch Indie in
Batavia:
a) Verhandelingen. Vol. V. Vol. VI. (Series nova Vol. I.) Balavia
1859. 4.
libßa. II.J 13
194 Einsendungen ron Druckschriften.
b) Naluuikundige Tijdschrift voor Nedorlandsch Indie. Deel.XVlII. XIX.
4. Serie. Peel. IV. V. Batavia 1859. 8.
Vom historischen Verein für Nassau in Wiesbaden:
a) Denkiiiäler aus Nassau. III. Heft. Die Abtei Eberach im Rlieingau.
II. Lieferung. Die Kirche. Wiesbaden J862. 4.
b) Urkundenbuch der Abtei Eberach im Rheiugau. I. Bd. Heft 3. Wies-
baden 1862. 8,
c) Verzeichniss der Bücher des Vereins. Wiesbaden 18ü2. 8.
Von der Avademie des sciences in Paris:
Comptes rendus hcbdoniadaires des seances. Tom. LV. Nr. 11 — 19. Sept.
— Novbr. 1862. Paris 1862. 4.
V^on der Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingen :
Abhandlungen, lu. Bd. Von den Jahren 1861 und 1862. Göllingen 1862. 4.
Von der k. k. geognostischen Gesellschaft in Wien :
Mittheilungen. V. Jahrg. 1801. Wien 1861. 4.
Vom Verein von Freunden der Erdkunde in Leipzig:
Erster Jahresbericht. 1861. Leipzig 1862. 8.
Von der Societe royale des sciences in Vpsala:
Nova acta regiae societalis scientiarum üpsaliensis. 111. Scr. Vol. IV.
Fase. L 1862. Upsala 1862. 4.
Von der kaiserl. Gesellschaft für die gesammte Mineralogie zu St.
Petersburg:
Verhandlungen. Jahrg. 1862. St. Petersburg 1862. 8.
Vom nuturwissenschaftl. Vereine für Sachsen und Thüringen in Hall«:
Zeilschrift Tür die gesammtcn Naturwissenschaften. Jahrg. 1861. 1862,
18. 19. Bd. Berlin 1862. 8.
Einsendungen von Druchschriften. 195
Von der Soviete d'unthropoloyie in Paris:
Bulletins. Tom. III. 3. Fase. Paris 1862. 8.
Von der Redaction des Corvesponden-zhltittes für die gelehrten und
Itenlschulen in Stuttgart:
Correspondenzblatt Xr. 10. Oklbr. 186t>. Stullj^art J86'2. 8.
Von der k. Akademie der Wissenschaften in Berlin :
Monalsbericlit. Sept. Oetbr. ]8f)2. Berlin 18C2. 8.
Von der Axiatic Societi/ of lienyal in Calcutta :
Journal. New Series. Nr. CXL. Nr. CCLXXXV. Nr. II. 18(52. Calcutta
18Ü2. 8.
V^on der St. Gallischen naturuissen.schaf fliehen Gesellschaft in
St. Galten:
Bericht über die Thäti^keit der (leselLschaft während des Vcrcinsjahres
18C1-02. St. (Jallen 1862. 8.
Von der physikal.-medicinischen Gesellschaft in Würzburg :
Würzburger inedizini.sche ZcitscIiriCt. :5. Bd. IV. und V. Heft. Würzburg
1862. 8.
Von der pfälzischen Gesellschaft für Phartnacie und verwandte
Fächer in Speyer:
Neues Jahrbuch für Pharniacie und verwandte Füiher. Bd.XVlII. Heft 3.
Novbr. Heidelberg 1862. 8.
Vom Verein der Geschichte der Dlark Hrandenhurg in Berlin:
Novus Codex diplomatieus Brandenburgensis. Vierler Haupttheil oder
Sammlung der Ueberreste aller Bran(lenburi;isiher Geschichtsschrei-
bung. 1. Bd. Berlin 1862. 4 und Kr.sler Haupttheil oder Urkunden-
Sauimlung zur (ieschichle der geistlichen Stiftungen, der adeligen
13*
196 Einsendungen von Druckschriften.
Familien, sowie der Städte und Burgen der Mark Brandenburg.
Von Dr. Adolph Riedel. XXlII. Bd. Berlin 1862. 4.
Von der deutschen yeologischen Gesellschaft in Berlin:
Zeitschrift. XIV. Bd. 2. HCt. Febr. — April 1862. Berlin 1862. 8.
Von der Royal viedicul and chirurgical Society in London :
Medico-Cbirurgical Transaclions. Vol. XLV. London 1862. 8.
Vom siehenhürgischen Landesmuseum in Klausenburg:
Erdelji orszägos Muzeum naptära az 1803d'i'. Kozönseges esztendöre.
(des siebenbiirgischen Landes-Museunis Kalender anf 1863. gemei-
nes Jahr). Klau.senburg 1862.
Von dem Herrn E. Regel in St. Petersburg :
a) Reisen in den Süden von Ost-Sibirien im Auftrag der kaiserl. russ.
geographischen Gesellschaft, ausgeführt in den Jahren 1855 — 1859
durch Li. Radde.
Botanische Abtheilung.
Nachträge zur Flora der Gebiete des russ. Reichs östlich vom AI-,
tai bis Kamtschatka und Sitka und dem russ. Nordamerika nach
den von G. Radde, StubendorfT, SensinolT. Pieder und anderen ge-
sammelten Pflanzen von E. Regel. Bd. I. Heftll. Moskau 1861. 62. 8.
b) Tentamen florae Ussuriensis oder Versuch einer Flora des Ussuri-
Gebietes. Nach den von M. Maack gesammelten Pflanzen bearbeitet.
St. Petersburg 1861. i.
Von dem Herrn Prestel in Emden :
Ergebnisse der Witterungsbcohachtungeii in den Jahren 1860. 61, sowie
Andeutungen über die Beziehung der Witterung zur Seefahrt, Land-
wirthschaft, dem Gesundheitszustand u. s. w. Emden 1862. 4.
Einsendungen von Druckschriften. 197
V'on dem Herrn Vikt. Wilh. Rus.s in Prag:
Die Lesehalle der deutschen Studenten zu Prag 18i8 -186->. Prag 1862.8.
Von dem Herrn Fr. Adotf/h Wickenhauser in Cernowi%:
Moldawa oder Beiträge zu einem Urkundenbuche für die Moldau uud
Bukovina. 1. Hell. Wien 18ß2. 8.
Vom Herrn A. Grunert in Greif nwalde:
Archiv der Mathematik und Physik. 38 Thl. 4. Heft, 39 Theil. 1. Heft.
Grcifswalde 1862. 8.
Vom Herrn P. A. Hansen in Leipzig:
Darlegung der theoretischen Berechnung der in den Mondtafeln ange-
wandten Störungen. I. Abhandlung. Leipzig 1862. gr. 8.
Vom Herrn W. G. Hankel in Leipzig :
Messungen über die Absorption der chemischen Strahlen des Sonnen-
lichtes. Leipzig 1862 gr. 8.
Vom Herrn H^iVAefwi Hoscher in Leipzig:
Die deutsche Nationalokononiik an der (irenzscheide des 16. und 17.
Jahrhunderts. Nr. 111. Leipzig 1862. gr. 8.
Vom Herrn G. Hartenstein in Leipzig:
Locke's Lehre von der menschlichen Erkenntniss in Vergleichung mit
Leibniz's Kritik derselben Nr. 11 Leipzig l?s61. gr. 8.
Vom Herrn Ladreg in Dijon:
a) Revue viticole. Annales de la viticulture et de Toenologie Irancaise
et etrangeres. Deuxi(?me serie N'r. 1 — 6. Janvier— Juin. 1862.4. an
nee Paris 1862. 8.
b) Les vins , les eaux-de-vie, les alcool.s , le.s liqueurs, les vinaigres et
les bieres de la France et d'Algerie et des colonies francaises au
toncours general et national d'Agriculture de Paris en 1860. Dijon
1861. 8.
198 Einsendungen von Druckschriften.
Vom Herrn Christian Heinrich Punder in St. Petersburg:
a) Uobcr die Saiirodipterinen, Detidrodcnten, Glyptoleptiden uiidCheiio-
lepideii des Devonischen Sjstenis. Mit 17 lithogr. Tafeln. St. Pe-
tersburg 1860. gr. 4.
b) Ueber die Ctenodiptcrinen des Devonischen Systems. St. Petersburg
1858. gr. 4.
Vom Herrn Georg Ludwig von Maurer in München:
Geschichte der Fronhöfe , der Bauernhöfe und der Hofverfassung in
Deutschland. I. Bd. Erlangen 1862. 8.
Vom Herrn E. ./. Pictet in Genf:
Matcriaux pour la Paleontologie Suisse ou recwcil de monographies sur
les fossiles du Jura et des Alpes. III. Serie 9 et 10 livraisons Con-
tenant : Description des fossiles du terrain cretaze de Saint-Croix
3 parlie Nr. 6 und 7. Genöve 1862 4-
Vom Herrn A. T. Kupfer in St. Petersburg:
Annales de l'observatoire physique central de Russie. Annee 1859. Nr.
12. St. Petersburg 1862. 4.
Vom Herrn J. Z. von Baeyer in Berlin:
Das Messen auf der sphäroidischen Erdoberfläche. Als Erläuterung mei-
nes Entwurfes zu einer mitteleuropäischen Gradmessung Berlin
1862. i.
Von den Herrn Löschner und Ritter von Hochberger in Carlsbad:
Carlsbad. Marienbad, Franzensbad und ihre Umgebung vom naturhisto-
rischen und niedicinisch - geschichtlichen Standpunkte. Carlsbad
1862. 8.
Vom Herrn Ernst von Berg in Si. Petersburg:
Repcrtorium der Literatur über die Mineralogie, Geologie, Paläontologie,
Berg- und Hüttenkunde Russlands bis zum Schlüsse des 18. Jahr-
hunderts. St. Petersburg 1802. 8.
Einsendunf/en von Druckschriften. 199
Vom Herrn August Schleicher in Jenat
Coinpendium der vergleichenden Graniiuatik der indogeruianischen Spra-
chen. I. II. Weimar 1861. 8
Vom Herrn C. C r. Hnifen in liayreuth :
Archiv für Geschichte und Alterlhum.skunde von Oberfranken. 8. Bd. 3.
Heft. Bayreuth 1862. 8.
Vom Herrn H. .7. Otto in Nordhausen:
a) Palla.s Athene. Eine mythologische Abhandlung. Nordhausen 1858. 8.
b) Zur Theorie der ^Yiirme. Nordhausen 1853. 8.
Vom Herrn Karl Bach in Altenbury :
Aus dem Leben der Herzoge Friedrich Wilhelm, Stifter des Altenburgi-
schen und Johann, Stifter des Gothaischen und Weiuiar'schen Hauses.
Altenburg 1862. 8.
Sitziirifij'sberichte
der
köniij:!. baver. Akademie der Wissenschaften.
Philosophisch - philologische Ciasso.
Sitzung vom C». Deccnilier 18G2.
Herr Plath berichtete
„über die häuslichen Verhältnisse der alten
7J
Chinesen.*'
Die Chinesen nehincn 5 Verhältnisse zwischen den
Menschen (U-liin) an: das des Vaters zun» Sohne, das des
Fürsten zum Untorllian , das i\es Gatten zur Gattin , das des
Aeltern zum Jiniyern und das zwischen Freunden und Ge-
nossen.
Die 3 Grundvorhällnisse (San-kang') unter diesen sind:
(las zwischen Mann und Frau , zwischen Aeltern und Kindern
und zwischen Regierenden und Regierten. Kang bedeutet ur-
sprünglich ein grosser Strick am ^^etzo. Wir wollen die beiden
erstem jetzt einzeln betrachten.
Iiä63 n.] 14
202 •'^iHuny der philos. -philol. Classe vom 6 Dec. 1862.
Die Ordnung in der Familie gilt den chinesischen Weisen
als die sicherste Grundlage des Keiches. Im I-king Cap. 37
Kia-jin sagt Coiifucius im Cotnnientare Toen: ,,Der Vater sei
Vater, der Sohn Sohn, der ältere Bruder älterer Bruder, der
jüngere Bruder jüngerer Bruder, der Mann Mann, die Frau
Frau und des Hauses Norm (Kia tao) ist richtig; ist das Haus
richtig, so steht das Reich fest (Tsching kia eul thian-hia fing)"
und dieser Hauptsatz wiederholt sich unzähligemal. Ta-hio C.
3 und auch sonst.
/. Das VerhüUniss der Frau zum Manne. Die Ehe.
•
Zwei Grundideen beherrschen die Verhältnisse der Frau
zum Manne in China: Die Trennung der Geschlechter und
die Unterordnung und Unterwürfigkeit der Frau unter
den Mann, wie diess selbst bei den Griechen , nur in geringe-
rem Masse, der Fall war. S. Fr. A. Wolf. Griech. Aul. p. 277,
Rom. Ant. p. 309, Friedr. Jacobs Vermischte Schriften B IV.
p. 157 igg. „Wenn das Haus (Kung-schi) erbaut wird, lehrt
der y-ki Cap. i\ei-tse 11 (12 fol.73) vgl. Siao-hio ' Cap. 2. 3,
§. 4, theilt man es in 2 Abtheilungen, die innere und die äus-
sere." Der Mann bewohnt die äussere, die Frau die innere. Die
Thüre ist in der Mitte sorgfältig zu verschliessen ^ ein Thür-
steher (Sse, sonst auch Eunuclie) muss sie bewachen; der
Mann geht nidit hinein, die Frau nicht hinaus. Mann und Frau
sollen nicht einmal eine gemeinsame Stange zum Aufhä"oren der
Kleider haben; sie soll nichts an des Mannes Hacken (Hoen)
oder Stange (I) hängte , nichts in seinen Kasten (Kliie) oder
(1) Der Siao-hio oder die Lelire der Kleinen ist eineSaninilunü: von
Spriuhen und Beispielen aus den Alten und Neueren von dem lieriiliin-
ten Tschu-lii. au.s der Dynastie Sunjx. ^Nelclie hi;ui den kleinen Kindern
noch vorhält, daher ist es niciit unuiclilif^, sie anzufiiliren.
(2) Im I king Kia-jin (lap. 37, I heisst es: ,,Vcrschtiesse, wer ein
Haus hat, es, so wird die Reue fehlen.'*
Plath: Die häuslichen Verhältnisse der alten Chinesen. 203
Behfiller (Sse) niederlegen, sie sollen kein gemeinsames Bade-
haus (Pi-yo) haben. Der Mann soll nicht gemeinsam hal)en das
Kissen oder den Pfühl(Tschin), die Mallen (Thien u. Tu) und den
Behalter (Khi), um das Kleid (Scho) darin aulzuhewahren u. s. vv.
Der Mann spricht nach Fol. 57 Ig. nicht von den inneren
Angelegenheiten, die Frau nicht von den äusseren (Amtssachen
und Krieg). Nur der Ahnendienst und die Leichenleier geht
beide an. Sie dürfen ausser bei diesen — auch nach Meng-
tseu II. 7 (1). 17 mit Schol. — kein Gefiiss sich in die Hand
geben , sondern wenn sie sich etwas geben , nimuit die Frau
diess aus einem Korbe (Fei); ist kein Korb da, so legen es alle
beide auf die Erde nieder und der andere nimmt es dann auf.
Ausser dem Hause und drinnen haben sie keinen gemein-
samen Brunnen, kein gemeinsames Badeliaus, nicht dieselbe
i^chlafmalte. Sie dürfen nichts von einander leihen (I-kia),
Männer und Frauen haben kein gemeinsames Kleid (Schang).
Worte aus dem Innern gehen nicht hinaus ; äussere Worte nicht
hinein. Betritt der Mann das Innere, so darf er nicht pfeifen
(Siao), nicht mit den Fingern auf etwas liinzeigen(Tschi). Geht
der Mann des Nachts in ein Weiberzinwner hinein , so braucht
er ein Licht (Tscho) ; ohne ein solches hält er an. Geht die
Frau zur Thiirc hinaus, so verhüllt (pi) sie ihr Gesicht; Nachts
geht sie nur mit einem Lichte, ohne ein solches bleibt sie ste-
hen." — Wenn Mann und Frau einander antworten, verneigen
sie sich gegeneinander nach Li-ki Cap. Kio-li hia 2 Fol. 52.
Sich nicht zu beireiriKin. oehl der Mann auf der rechten, sie auf
d«M- linken Seile des Weges ^ Ein Mann darf noch weniger das
Gemach ein(M- frenuleii Frau betreten ; so ging Conincius nicht
in das der Nan-tsen, der Nebenfrau ch^s Königs von W(m (Sse-
ki B. 47. Fol. 12. v. sq. Mem. T. XII. p. 30;i flg.).
Indess ergibt sich von selber, dass dieses nur cum grano
salis zu verstehen ist. Meng-tseu II. 7 (1), 17 lehrt, dass höhere
(3) Li-ki Cap. 3. Wang-tschi Fol. 37 sagt dasselbi-; die ^Y<VgeI^ fall
ren in der Mitte.
14*
204 Sitzung der philos-pfiilol. Ctasse vom 6. Dec. 1862.
Rücksichten , z. B. eine Schwägerin vom Ertrinken zu retten,
diese Aiistandsregohi bei Seite setzen heissen. Diese raffinirte
Trennung konnte so nur bei der höchsten und reichsten Classe
durchgeführt werden; darauf weisen auch die Ausdrücke Kuno--
schi (Palast-Haus) und Sse (Thürsteher oder Eunuche) , der-
gleichen Privatpersonen nicht halten , im Li-ki schon hin. Die
gewöhnhche Bürger- und Bauernfrau wird das Hauswesen be-
sorgt haben und selbst mit auf das Feld gegangen sein. Diess
bestätigen auch Stellen des Liederbuches IV. 1. 3. 5. H. 6, 7
3 und 8, 3 und I. 15, 1, wo Mann, Frau und Kinder auf das
Feld gehen, den Arbeitern das Essen zu bringen u. s. w. Bei
den Handwerkern und Arbeitern wird es nicht anders gewesen
sein. Auf die Trennung der Geschlechter legen die chinesi-
schen Moralisten aber immer viel Gewicht und Conl'ucius be-
trachtete sie als einen Antrieb zu einer innigeren Vereinigung.
Von Ngai-kung. dem Fürsten von Lu, im jetzigen Schau lung,
nach den Regierungsgrund>iitzen befragt, antwortet er Li-ki Ngai-
kung-wen Cap. 27 Fol. 3 u. l.und Kia-iü c. 4 Fol. 7: ,,Wenn
der Unterschied zwi.'^clien I\Iann und Frau besteht , die Liebe
zwischen Vater und Sohn, die Ehrfurcht desUnterlhanen gegen
den Fürsten und diese 3 (Punkte) feststehen, dann folgt alles
wie von selbst", vgl. Li-ki Ta-tschuen Cap. 16. Fol. 68. Sang
fu-siao-ki Cap. 15 Fol. 48 v., King-kiai Cap. 26 Fol. 81, Hoan-i
Cap. 44, Fol. 40. u. s. w.
Vom 7ten Jahre an sollen nach dem Li-ki Cap. 12 Nei-tse
Fol. 79 vgl. Siao-hio L 3. Knaben und .Madchen nicht mehr
auf derselben Matte beisammen sitzen, noch zusamtnen essen;
vom lOlen Jahre an die Miidchen nicht mehr zum Hause hin-
ausgehen (fol. 81). Selbst im Sterben soll die Absonderung noch
fortdauern nach Li-ki Sang-fu-la-ki c. ,22 fol. 1. Miinner und
Frauen wechseln da die Kleider und legen neue seidene (Vor-
nehme das Hofkleid, das Volk wemgstens gewaschene) an, um
das Abschneiden des Lebensgeistes (Tsiue khi ) zu erwarten.
Per Mann stirbt nicht unter den Händen der Frau, die Frau
nicht unter den Händen des Mannes. Für Jeden ist auch ein
Ptath: Die häuslichen Verhältnisse der alten Chinesen. 205
besonderes Gemach bestimmt; die Frau des Literaten (Sse)
stirbt z. B. im Schlafgemache (Thsin).
Was zweitens die Un terwiirfi g-kei t der Frau unter den
jManu betrifft, so sagt Conl'ucius im Li-ki KiMO-te-seng c. 11
fol. 45 und im Kue-iü c. 26 fol. 7 vgl. Siao-hio Cap 11. §. 3,
M^m. T. XII. p. 281: ,J)ie Frau niuss dem Manne stets unter-
worfen sein. Sie ist daher nie sui juris und kann üi)er nichts
verfügen. Sie ist in dreifacher Abhängigkeit: So hinge sie un-
verheirathet, ist sie von ihrem Vater oder (wenn der gestorben
ist) von ihrem älteren Bruder, verheirathct von ihrem Manne,
alsWittwe von ihrem (ältesten) Sohne abhängig. Ihre Herrschaft
beschränkt sich auf die Grenzen des Frauen-Gemaches, sie hat
das Essen und Trinken zu besorgen.""
Unter Knaben und Mädchen wird daher nach dem Schi-
king II. 4, 5 vgl. Morrison Dict. I. p 601 schon bei der Geburt
ein grosser Unterschied gemacht. Dem Weisen — Einige mei-
nen, dass vom Kaiser Siuan-wang die Rede sei — wird da
ein Sohn geboren. Er wird auf ein Bett gelegt und in glän-
zende Kleider (Tschang) gewickelt. Man gibt ihm als Spielzeug
den Halbscepter (Tschang) und er schreit laut, mit glänzend
rothen Kleidern angethan. Es ist ein Herrscher geboren! —
Wird ein Mädchen geboren, so legt man es nach obiger Stelle
des Schi-king an die Erde, Avickelt es nur in Tücher und legt
ihr als Spielzeug einen Ziegel hin! — (So noch jetzt nach La
Charme; der Ziegel wurde beim Weben zum Pressen des Zeu-
ges gebraucht und sollte diese ihre künitige Beschäftigung gleich
bei der Geburl symbolisch andeuten.)— Genug wenn sie von Schuld
frei ist; nur wie der Wein bereitet,- wie die Speise gekocht wird,
das hat sie zu überlegen und dass sie Vater und Mutter nicht
zur Last falle und ihnen Kummer bereite. S. auch Li-ki Cap. Nei-
tsel2fol. 14 unten, wo von der Geburt des Kindes die Rede
ist. Confucius sagt im I-king Kia-jin c. 37 fol. 6. T. II. p 173 im
CommentareToen: „Die Frau hat ihren rechten Platz im Innern,
der Maim hat seinen rechten Platz draussen : wenn Mann und Frau
so recht gestellt sind (Tsching), so herrscht das grosse Recht
206 Sitzung der phitos-phüoi. Ctasse vom 6. Dec. 186i.
Himmels iiiul der Erde."' Das Mädchen und die Frau sind auf
die hauslichen Beschiilligungen angewiesen. Schi-king I. 1 2
heisst eine Neuvermählte, die ihre Aeltern besuchen will, die
Hauskleider sorgl'ällig waschen, die Keierkleider richten und se-
hen, welche auszubessern sind, welche nicht. Die Blatter der
Kriechpflanze Ko sind gepflückt, gekocht und dann zu dem
Zeuge Ko von feinerer oder gröberer Art verwebt. Man trug
das Zeug daraus im Sommer. Nach Schi-king I. 9. 1 machte
man in Wei aus dem Zeuge auch kühle Sonunerschuhe, mit
welchen man über den Thau gehen konnte. Ihre zarten Finger
und die Hand des Mädchens nahen (säumen) das grobe Kleid ;
einen Anzug daraus, an welches ein Halsluch (Ki) genäht war,
lieble der Mann. Schi-king I. 15. 1, 2 geht das Mädchen mit
eleganten Körbchen. Maulbeerldälter zu pflücken I. 1, 8, auch
das Kraut Feu-i (nach La Charme der Wegebreit, welcher den
Frauen die Geburt erleichtern soll). Siao-ya II. 8, 2 pflückt
die Gattin die Pflanze Lu und hat ihr Haar nicht einmal ge-
kännnt, diess will sie nach der Rückkehr des Mannes thun. Bis
zum Abend sanunelt sie Lan, ein Färbekraut, und thut es in
ihren Rockschooss. Wenn er auf die Jagd geht, will sie sei-
nen Bogen in das Bogengehäuse (Tschang) thun, wenn zum
Fischen, seine Fischleine in Ordnung bringen. Schi-king 1. 1,10
fällen Frauen sogar Holz vomSlauune und brechen es von den
Aesten, während der Abwesenheit des Mannes.
Das Mädchen wird nach Li-ki Nei-tse Cap. 12, fol. 79
angewiesen, langsam Yü (.la) zu antworten, der Knabe schnell
Wei (.la). Sie soll sanft reden, freundliche Gesichter machen,
den Befehlen gehorchen , Seidencocons abwickeln , nähen , we-
ben, Kleider machen und alle Frauenarbeiten thun. Nach iJ-ki
c. 12. Nei-tse fol. 81 flg. lehrte eine ältere Frau (Mu die Frau
MuthT genannt), das Mädchen Artigkeit in Worten und Manie-
ren, zu hören und zu folgen, die (Hanfsorten) Ma und Se zu
behandeln, Seiden-Cocons (Kien) abzuwinden, zuwehen (Tschi-
jin) und Ouaslen zu machen (Tsu-siün) Sie lernen Frauen-
arbeiten, Kleider anzufertigen , die Opfer zu besorgen und den
Ptiith: Die hüusUchen Verhältinsse der alten Chinesen. 207
Wein, dieReisbrühe (Tsiaug) und die Banibusgcfüsse mit Opfer-
g-aben (Pian) zu präseiitiren, ebenso Gefasse mit eingenmchten
Frücbten, Haches (Hai) und die Gebrauche, um bei den Libatio-
nen mit auszuhelfen. DerSiao-hio IV. 3, 8, vgl. Kia-iüc. 41 f. 14 v.
du Halde T. 2. p. 807 u. 329. erzählt eine hübsche Anek-
dote von der Muller des Ministers Kung- lu- wen- pe von Lu.
Er traf seine Mutler nähend. Wie MuUer in dem anoresehenen
Hause nähest Du? Sie seufzte laut auf. Ist denn Lu so ent-
blöst von Weisen? Gäbe es, Knabe, viele Beamte von Deiner
Art, so würde es mit der Thätigkeit bald aus sein! Bleib, ich
will Dich belehren! Wenn das Volk arbeitet, ergibt es sich nicht
der Lust. Warum findet man auf dem fruchtbaren Boden sonst
die meisten anweisen? weil sie müssig sind; auf fruchtbarem
Boden aber honelle Leute? weil sie arbeitsam sind, Sie erzählt
ihm nun, wie einst von der Kaiserin bis zum Volke herab alle
Frauen Frauenarbeiten machten; die der Literaten nicht nur die
Cerenionie-, sondern auch die Ehrenkleider, wie die Frauen des
Volkes das Garn spannen und das Zeug zu den Kleidern ihrer
Männer webten, im Frühlinge beim Opfer des Genius der Erde
und der Feldfrüclile ihre Seidim- und Hanfgevvebe, im Herbste
beim Ahnenopfer ihre Hanfgewebe darbrachten und während
sie webten, ihre Männer das Feld bearbeiteten. Der Charakter
für Mann im Gegensatze der Frau, Nan, ist zusammengesetzt
aus Nerve oder Kraft und Feld (Cl. 102), also der seine Kraft
aufs Feld verwendet.
Im 15ten Jahre wird dem Mädchen nach Li-ki Cap. Nei-tse
12. fol 81 V. vgl. Cap. Tsa-ki 21 fol. 89 v. mit Schol. feierlich die
Haarnadel (Ke), der Kopfputz der Erwachsenen, erlheilt, im 20. Jahre
heiralhet sie; der Mann nach Li-ki Cap. 1 1 (12), Nei-tse p. 68
vgl. Kio-li C. 1 fol. 6 und 21 im 30ten Jahre. - Nach dem Kia-
iü Cap. 26 fol. 6. v. fragte Ngai- kuiig Confucins : ,,ich habe
gc^hörl, dass nach dem Brauche der Mann im 30sten und das
Mädchen im 20sten Jahre lu^irathcn. warum heiralhen sie nicht
später? Confucins erwidert: diess festgeselzle Alter ist das
ausserste, das nicht überschritten werden darf; im 20ten Jahre
208 Siltting der philos.-pMlol. Classe vom 6. Dec. i862.
erhält der Mann den mannliclien Hut, ist Mann nnd kann Vater
werden; im 15ten legt das Mädchen (he Haarnadel an nnd
im 20ten heirathel sie, wenn nicht eine hesondere Ursache
(die dreijährige Trauer um die Aellern) die Heirath bis Ins 23.
Jahr verschieben lässt. Geht eine Verlobung (Phing) vorlier,
so wird sie Ehefrau (Thsi). läuft sie dem Manne nur zu (Pen),
heirathet sie ohne Ceremonien, so wird sie ein Kebsweib (Tsie).
Jenes Wort erklärt der Schol. durch Tsi ordentlich, regelmäs-
sig , dieses durch Tsie verkehren und sieh verbinden, vgl. Du
Halde T. II. p. 822. Der Charakter für Frau Thsi ist zusam-
mengesetzt aus Frau (Cl. 38), die einen Besen in der Hand hat;
der Charakter für Kebse Tsie ist nicht von Cl. 117, sondern
von Hien, Verbrechen und Frau ; zur Zeit der Schriftbilduno-
wurden also wohl verurtheilte Frauen dazu genommen. Zu
frühe Heirathen schaden nach den Chinesen der Gesundheit von
Muller und Kind, der Ruhe der Familie, dem Bestände der Gat-
tenliebe und der Erziehung der Kinder. Cibot Mem. T. XIII. p.
326. Diese weise Anordnung hat oflenbar zur Erhaltung und
Ausbreitung der chinesischen Race wesentlich beigetragen.
Nach dem Tscheu-h B. 13 fol. 43—46 war ein eigener
Beamter, der Mei-schi, für die Verheiralhung der Individuen
eingesetzt. Jedes männliche oder weibliche Individuum schreibt
dieser Beamte zur Zeit, wo es seinen regelmässigen Namen er-
hält (nach dem Li-ki Cap. 12 Nei-Ise gab der Vater im 3len
Monate ihm den Kindernamen Ming S. unten) nach Jahr. Mo-
nat und Tag in sein Register und befiehlt, dass der Mann
Im 30sten, das Mädchen im 20sten Jahre sich verheirathe. Er
registrirl auch ein , wenn einer eine schon einmal verheirathete
Frau ninunl und deren Kinder adoptirf. (Es gab also schon
damals in China Register über Geburten und Verehelichungen.
S. unten). Im mittleren Frühlingsmonale, sagt der Tscheu-Ii —
der kleine Kalender der Hia Nouv. Journ. As. 1840 T. X. p.
554 sagt im zweiten Monate der zweiten Dynastie Hia seien
die Heirathen, der Kia-iü c. 32 fol. 22 die Verbindung (Ho)
Ewischeu Mann und Frau sei im Winter — befiehlt er Männer
und Frauen zu versammeln und die dann sich verbinden, ohne
Plath: Die häuslichen Verhältnisse der alten Chinesen, 209
die 6 Heirallisfrobräuclie zu befolfren , werden daran nicht ge-
liinderl; die jtl)or ohne besondere Ursache den Edikten sich
nicht fügen, bestraft der Beamte. Er sieht, welche Miituier nnd
Franen unverheirathet sind und versannnell sie. Nach dein Schol.
sind aber diese 37 Charaktere erst nnter der ersten Dynastie
der Han dnrch Lieu-hin hinzngefiigt worden; Wang-mang hatte
nämlich 100,000 Menschen weyen Falschmünzerei znr Sklaverei
verurlheilt und man h'ess die Verurtheiiten und ihre Frauen nun
neue Ehen eingehen : diese Stelle ist also mindeslens ange-
fochten.
Alle Streitigkeiten über die geheimen Beziehungen zwi-
schen Mann und Frau entscheidet dieser Beamte auf dem Opfer-
platze vernichteter Reiche (d. h bei verschlossenen Thüren).
Dieser Beamte soll solche Vorkommnisse unter Ehegatteti nicht
publiciren , sind sie aber strafbar, so verweiset er sie an den
Justizbeamten.
Die Ehe und alle einzelnen Ceremonien dabei galten den
Chinesen für äusserst wichtig: Confucius sagt darüber im Li-ki
Cap. Ngai-knng-wen 22 (27. lol. 4) p. 140. T. p 6'J und
Kia-iü c. 4. fol. 7: ..Wenn sich zwei Familien in Liebe vereini-
gen . der früheren Heiligen Naclikommcn fortzusetzen . um sie
zu Tschu ^ Hinnnels und der Erde, im Ahnentempel nnd der
Sche-tsi zu machen, ist das nicht wichtig ? Wie kannst Du denn
sagen, dass ich zu viel Gewicht darauf lege? \Venn Him-
mel und Erde sich nicht vereinigen, entstehen die 10,000 Dinge
nicht ; die Heirath setzt die 10.000 Geschlechter fort — Im In-
nern dient die Ehe. die Gebräuche im Ahnentempel zu voll-
ziehen, genügend in Mann nnd Frau einen Genossen (Phei)
der lichten Geister Himmels und der Erden darzustellen, nach
aussen die Gebräuche zu regeln; um die Worte richtig zustel-
len, genügend die Ehrfurcht zwischen Ob(*n nnd Unten herzustel-
len u. s.w. Wenn vor Alters die erleuchteten KöinVe der 3 Fami-
(i) Der Ausdriuk ist dunkel Sdiin-Isiliu heisst dieAhiicnlafci, Tsi-
tschu der Vorstand der Opfer; so wohl hier.
210 Sitrvng der philos. phüol. Classe vom 6. Dec. 1868.
lien (der 3 ersten Dynastien) die Anordnung trafen, die Gattin
und den Sohn zu ehren, so war das der rechte Weg (Tao).
Die Frau ist die erste (Tschu), derSohn der nachfolgende (Heu)
in der Liebe ; niiiss man sie nicht ehren (king)? u. s. w.'*' Die
Frau war eine nothwendige Person beim Ahnenopfer ; die Kaiserin
zog zu dem Ende selbst die Seidenwürmer und im Palaste
wurde von ihr und den anderen Frauen die Seide zu den Opfer-
kleidern gewonnen. Li-ki Cap. 44 Hoan-i fol. 38 v. sagt: ,,Die
Hochzeitsgebräuche vereinigen 2 Familien in Liebe, nach oben
zum Dienste im Ahnentempel, nach unten die nachkommenden
Geschlechter fortzusetzen , daher hiilt sie der Weise so hoch",
vergl. auch Li-ki Tsi-tung c. 25 fol. 63. Die Ehefrau unter-
stlifzl den Mann beim Opfer. Siehe meine Abhandlung: lieber
die Religion und den Cultus der alten Chinesen. IL S. 37 und
87 flg. Li-ki Cap 10 (11 fol. 44 — 45), Kiao-te-seng T.
p. 33 p 66. auch Siao-hio U. 33 heisst es ,, Himmel und
Erde vereinigen sich , und die 10,000 Dinge entstehen.
Der Hochzeilbrauch ist der Anfang der 10,000 Generatio-
nen. Indem man eine Frau von verschiedenen Namen (aus ei-
nem verschiedenen Geschlechte) nimmt, nähert man was ent-
fernt und vereinigt, was unterschieden war. Das Seidcnzeugr
(Pi), das der Mann seiner Künftigen reicht, nuiss in redlicher
Absicht (tsching) dargebracht werden, die Reden (die man ihr
hält) müssen untadelig sein, und ihr Geradheil (Redlichkeit Tschi)
und Treue (Sin) zurufen, treu zu dienen dem Manne (Sin tse
jinye) — Callery p. 66 übersetzt irrig: la reclitude dirige les
rapports sociaux. — Die Treue ist die Tugend der Frauen. Die
eheliche Verbindung einmal (eingegangen), dauert bis zum Tode
und kein Wechsel (ist mehr erlaubt), drum wenn der Mann
stirbt, hcirathet die Frau nicht wieder." (Bei Callery fehlen diese
Worte, auijeblich nach seiner Ausgabe des Li-ki. der Siaohio
hat sie aber auch und Schi-king Kue-fung Yong 1.4.1 wollen die
Aeltern eineWiltwe wieder verheiralhen, sie weigert sich aber:
sie habe geschworen, bis zum Tode keinen anderen Mann zu
nehmen; ihre Mutler sei ihr der Himmel, aber verstehe sie
Plath: Die häuslichen Verhältnisse tier alten Chinesen. 211
nicht. Nach Siao-hio IV. 2. 25 dichtete dieses Lied die Kurier-
klang, die dem Erbprinzen von Tsi versprochen war, als der
vor N'ollzug der Ehe starb und sie von ihren Aellern zu einer
zweiten Khe gedräntri wurde. So wollte nach Siao-hio §. 26
auch die Tochter des Königs von Sung, die einen Sohn des Fürsten
von Tsai geh(!irathet hatte , als den eine ansteckende Krankheit
befiel , von ihrem l^lanne sich nicht trennen und einen anderen
nehmen, wie ihre Aellern wollten). — „Der Gatte — fahrt der
Li-ki lort — gehl seiner Frau entgegen, sie zu empfangen; der
Mann voran der Frau , die Stiirke und Schwäche bezeichnend,
wie der Himmel voransfeht der Erde, der Fürst dem Unterlha-
nen ; die Bedeutung sei dieselbe. Was er ihr darbringt (nach
dem Schol. die wilde Gans) ist von Respekt begleitet und zeigt
den Unterschied zwischen beiden. Wenn zwischen Mann und
Frau der gehörige Unterschied besteht, dajm herrscht Liebe zwi-
schen Vater und Kindern; wenn diese Liebe besieht, dann ent-
steht das rechte Verhällniss ; wenn das entstanden ist, erfüllt
man die Brauche (Li) ; wenn diese erfüllt werden, ist Alles im
Frieden. Ohne solche Unlerscheidnno- herrscht nicht das rechte
Verhällniss (.1), es wäre die Weise der wilden Thiere. Wenn
der Schwiegersohn (Galle) selber den Wagen lenkt und ihr die
Zügel anvertraut . so zeigt er seine Liebe ; indem er sie liebt,
cultivirl er seine Liebe u. s. w." Der Li-ki Cap. 26 King-kiai
fol. 81 sagt: „werden die Hochzeilsgebräuche nicht gehallen,
dann sieht es elend (ku bitter) aus mit dem Wege von Mann
und Frau. Verbrechen, Ausschweifungen (Yn) und Verderben
(Phi) sind in Menge da.'^
Aus der Trennung der Geschlechter und der Abhängigkeit
der Frau vom Manne folgt schon , dass die Ehe in China nicht
durch gegenseitige Bekanntschaft und Neigung geknüpll, son-
dern von den Aellern abgeschlossen wurde. Schi-king Kue-
fung Th.si Ode Nan-schan 1. 8, 6, 13 und L 15, 5 heisst es:
.,\\'ie wird eine Frau gewornien? sicher werden des Mädchens
Valer und Mutier ange.sproclun , und wenn die angesprochen
sind und zuslinnnen, so ist sie gebunden. Wie wird das Holz
212 f>üzung der philoi.-philol. Classe vom 6. Dec. 1868.
gefalll? ohne Axt kann man es nicht. Eine Frau nehmen, wie
geschieht das? Ohne einen Hochzeilsvermitfler wird es nicht
erlangt; wenn diess erhingt ist, dann ist die Sache abgemacht.''
Confucius bei Kung-tschung-tseu im I-sse B. 95, 4 fol. 6 v, sagt:
..Das Lied sagt: wie heirathet man? Sicher fragt man Vater und
Bliilter. So lange die leben, ist es billig (J), dass sie den Plan
(Tu) zur Heirath entwerfen. Sind sie todt, so nimmt man sich
selbst eine Frau, aber zeigt es seinen Ahnen an (Kaokhi miao)."
Wan-Ischango wendet Meng-tseu I. 2, 3, 6 ein, dass Kai-
ser Schün seine Aeltern nicht gefragt und doch geheirathet
habe. Meng-tseu entschuldigt ihn: die Ehe sei die höchste
Ordnung (Lün) für den Menschen. Hatte Schün sie zuvor ge-
fragt, so hätten diese (die ihm so feindlich gesinnt waren), sie
ihm verweigert, er hätte die höchste Ordnung der Menschen
verletzt und Vater und Mutter verhasst gemacht ( indem sie,
ohne Nachkommen, kein Ahnenopfer bekommen hätten), darum
befragte er sie nicht" Aus diesem Beispiele sieht man, dass
wenigstens der Mann, der unter Umständen , ohne die Aeltern
zu fragen, heirathet, auch in China ein hohes Vorbild hat. vgl.
Confucius bei Kung-tschung-tseu im I-sse B.45. 4. fol. 6. .,Die
jungen Leute dürfen nach Li-ki Kio-Ii c. 1 fol. 20 ohne Heirathsver-
mittlerin gegenseitig nicht auch nur ihren Namen (Ming) erfahren
und bevor die Verlobungsgeschenke (Pi) nicht empfangen sind,
nicht mit einander verkehren und sich nahen oder lieb haben (tshin).
Darum wird dem Flu-sten(Kiün) Tag undMonat der Hochzeil ange-
zeigt, F'asten und Enthaltsamkeit geübt (Tsi-kiai) und den Geistern
und Ahnen (Kuei-schin) es angezeigt , zum Trünke und Essen
die Ortsbewohner (Hiang tang). Freunde und Genossen eingela-
den, um hochzuhalten den Unterschied (der Geschlechter)." , .Ge-
wiss, sagt Meng-tseu I. 6. 10(1). wünschen die Aeltern wie ein
Knabe geboren ist, für ihn eine Frau zu haben, wenn ein Mäd-
chen, für dieses einen Mann; dies Gefühl von Vater und Mut-
ter haben alle Menschen. Wenn die Kinder aber nicht Vaters
und Multcrs Be.scliluss und die Worte der Heiraihsvermitller ab-
warten, sondern durch die Wände Löcher bohren, um sich zu
Plath: Die häuslichen Verhältnisse der alten Chinesen 213
sehen, über Mauern springen, um einander nachzugehen , (hinn
verachlen Vater und Müller und die Leute im Reiche sie alle."
Doch soll als Coni'ucius' Vater in seinem Alter eine der 3 Töch-
ter der Familie Yen zur Frau begehrte, ihr Vater sie befragt
haben; zwei erwiderten nichts, die jüngste erbot sich aber den
Allen zu heirathen. Kia-iü c. 39 l'ol. 5 Amiot. Mem. T. XU. p. 10.
Man heirathet in China nicht um Geld; die Frau bringt keine
Mitgift mit, sondern der ßrauligain nuiss dem Vater für das
Miidchen noch geben. Meng-tseu 11. 10 (4) 5 sagt indess : man
nimmt keine Frau, nm erniihrt zu werden, doch gibt es Zeiten,
wo es weyen der Erniihiung geschieht.
Fünf Arten von Frauen soll man nach Conlücius im Kia-
iü c. 26 fol. 7 V. vgl. Amiot Mem. T. XII. p. 281, Siao-hio
Cap. 11, §. 3, nicht nehmen: 1) Keine aus einer Familie, die
(gegen Aeltern und Obere) widersetzlich (ni) war; 2) denm
Hans Unruhen erregle (loen kia tsche); 3) (aus deren Familien)
Individuen mehrere Geschlechter über peinlich bestraft wurden;
4) die an schlechten Krankheiten leiden, und 5) die älteste
Tochter (vom Hanse) , welche Trauer um den Vater hat. Auch
wird abgerathen, den Sohn einer W'iltwe, wenn er nicht be-
sonders angesehen ist, zu heirathen. Li - ki Cap. 1 Kio-li fol,
20 V. Siao-hio II. 3, 7. Was das Alter betrifft, sagt der I-king
Ta-ko c 28, 2 (T. II. 107) zwar: „auf einer alten trockenen
Weide (Ku-yang) wächst noch Moos (Ti); wenn ein alter Mann
sich eine Frau nimmt, ist das nicht ohne Nutzen" und c, 28, 5
p. 109: ,,Eine alte Weide erzeugt Hlüthen; wenn eine alte Frau
einen Literaten (Sse-fu) ninnnt, ist das an sich weder ein Feh-
ler , noch lobenswerth." Confucius aber meint im Commentare
Siang: ,, können die Hlüthen dauernd sein? Die Heirath könne
auch abscheulich sein (tscheu)."
Zu einer Ehe werden nach dem Li-ki Fang-ki c 30. fol.
33. Kio-Ii C. l, fol. 20 v. und Kiao-le-seng Cap. 10. fol. 66
zwei Familien von verschiedenen Fa milie n-N am en
(Sing) erfordert. Kauft einer daher eine zweite Frau (Tsie) und
weiss deren Familiennamen nicht, so befragt er desshalb das
214 Siliung der philos.-phüol. Classe vom 6. Dec. i862.
Loos (Pu). Der I-li tsing-i zu Cap. 2 fol. 8 v. führt Beispiele
an, wie derselbe Sing verschiedenen Familien (Schi) zukomme
und verschiedene Sing wieder einer Familie. Die Familien theil-
ten sich im Laufe der Zeit, daher wenn die Familie dieselbe,
der Familienname aber nicht gleich, eine Heiralh zulässig sei,
umgekehrt aber nicht. Die Fürsten erlaubten sich indoss wohl
eine Abweichung von der Regel. So waren die Fürsten von
ü, als Nachkonnnen Tai-pe's, aus derselben Familie wie die von
Lu. Doch nahm Tschao-kung von Lu eine U zur Frau. Li-ki
c. 30 Fang-ki fol, 33 mit Schol. Dieses vielleicht nur zu weit
getriebene Verbot des Heirathens in ein und dieselbe Fannlie
hinein hat gewiss zur Erhaltung und Fortpflanzung der chine-
sischen Race ebenfalls wesentlich mit beigetragen.
Die Ehe wird auf die Leben.sdauer nach der schon ange-
führten Stelle des Li-ki abgeschlossen. Der Schi- king L 4, 3.
Kue-fung Yong beginnt etwas kurz und dunkel: Kiün-tseu kiai
lao, d. i. die Weisen alfern zusammen , aber L A, 1 äussert
diess die Wittwe, welche ihre Mutter wieder verheirathen will,
deutlich. S. oben. S. 210.
Der Gründe, sich von derFrau scheiden (Tschu) zu las-
sen, nimmt Confucius (im Kia-iü c. 26 fol. 7. v. Siao-hio IL 2, 6
Amiot Mem. XII. p. 281 flg. vgl. Tseng-tseu im Pe-hu-tung
im I-sse Bd. 95, 1 fol 20) sieben an: 1 ) Ungehorsam ge-
gen Vater und Mutter (des Mannes); 2) Unfruchtbarkeit; 3)
Ehebrucli (der Frau); 4) Abneigung oder Eifersucht; 5) eine
(ansteckende) böse Krankheit; Q) eine unausstehliche Schwatz-
hafligkeit (To kiu sehe tsclie, d. i. viel Mundwerk und Zunge)
und 7) wenn sie den Mann bestiehlt Aber in drei Fällen darf
er sie dennoch nicht Verstössen (Pu-kiü) und dieses zeigt eine
gewi.sse Humanität: 1) wenn sie zur Zeit ihrer Verheirathung
Aeltcrn halte, jetzt «her keine mehr hat, zu welchen sie zu-
rückkehren könnte, 2) wenn sie die dreijährige Trauer (für des
Mannes Aeltern) getragen hat, und 3) wenn sie erst arm und
niedrig (Pin t.sien), jetzt aber reich und angesehen ist (Fu kuei).
Wir werden unten, wo von den Verhältnissen des Kindes zu
Plath : Die häuslichen Verhältnisse der alten Chinesen. 215
den Aellern die Rede ist, indess sehen, dass nach Li-ki Cap.
12 Nei-tse fol. 59 flg. die Ab- und Zuneigung der Aellern ge-
gen seine Frau in Scheidungssaclien des Sohnes auch von Ein-
fluss war.
Wenn La Charme zu Sehi-king Kue-fung Pi I. 3, 10 sagt,
das Recht der Scheidung sei (iur(;haus einseitig gewesen , die
Frau habe sich nie vom Manne scheiden hissen können, so wi-
derspricht die oben erwähnte Geschichte aus Siao-hio IV. 2. 26.
dem. Indess ist da nur von einer Fürstenlochter die Rede.
Rührend ist jenes Lied der Khige, das eine verstosscne Frau
gedichtet haben soll: ,.Wenn man sich Gewalt anthue, sagt sie,
würden (Beide) nur ein Herz sein; zwischen Gatten sollte keine
Feindschaft entstehen. So lange ich der Tugend Stimme nicht
entgegen handle, muss ich mit Dir bis zum Tode leben. Ich
ging den Weg nur langsam, langsam; mein Herz striiubte sich
im Innersten ; nicht weit geleitest Du imcli — Froh gehst Du
eine neue Ehe ein, wie ältere wie jüngere Brüder. Ich scheine
Dir nicht rein genug — Du magst mich nichl mehr erhallen
(tscho), Du hältst mich für einen Feind , achlest meine Tugend
nicht, wie ein Kiinfmann, der die beste W.iare für nichts scliätzl.
Einst ernährtest Du mich Elende, ernälirtest mich Arme und
heglest mich; jetzt meinst Du, ich sei Gift. Ich habe sorgsam
für den Winter die schmackhaftesten Sachen aufbewahrt, Du
aber freuest Dieb der neuen Ehe, verurtheilst mich zur Armulh,
Du bist unwillig und mir böse und überlässl mich d(!r quälen-
den Sorge, uneingedenk des vielen Guten, das ich Dir Ihal.''
Der Manu hatte in China ursprünglich nur eine legitime
Frau (Thsi). Ganz abnorm steht aber zu Anfang der chinesi-
schen Geschichten Schün da, dem Yao seine beiden Tüchler zur
Ehe gab, nach Schu-king Yao-tian 1 1 fin : „Er gab seine
beiden Töchter, heisst es da, Yü- Schün und als er sie nach
Kuei-jui Ceinem kleinen Fluss in Schau- si , wo Schün wohnte)
abreisen liess, hiess er sie ihren neuen (Jatten respekliren." vgl.
Meng-lseu II. 13, 6. Der Schi-king nennt sie Pin ; später sind
die Kieu (U) Pin des Kaisers Kebsen. Der Roman Jü-kiao-li
216 Sitzung der philos.-philol.Cla.sse vom 6. Dec. 1S62.
oder die beiden Cousinen, den A. Remusat übersetzt hat, lässt
zur Belohnung ganz vorzüglicher Talente seinen RomanheUlen
nach Kaiser Schün's Vorgange auch die beiden Nichten heira-
then. Nur wenn die Frau unfruchtbar war, konnte der Mann
ursprünglich . und zwar erst im 40sten Jahre nach 6en Missio-
nären eine zweite Frau dazu nehmen, wie Abraham die Hagar.
Ich habe indess bis jetzt keinen Beleg für diese Behauptung
gefunden. Diese heisst Tsie. Die Stelle aus Li-ki Nei-tse c. 12
zu Endefol.Si v. ist schon oben S. 207 angeführt. Der Ausdruck
Concubine für diese wäre aber unpassend, denn es ist ein durch-
aus gesetzliches Verhältniss : ihre Kinder führen den Namen
des Vaters und sind erbfähig: der Ausdruck zweite Frau sagt
aber wieder zu viel; denn sie steht der ersten Frau durchaus nicht
gleich, sondern ist ihr untergeordnet und ihre Kinder nennen
diese Mutter ; sie sind ihr die Pietät schuldig und betrauern sie
bei ihrem Tode als Mutter fCibot Mem. T. IV. p. 289). Die
Heiralh mit ihr ist, wie schon bemerkt, weit weniger feierlich;
sie wird gewissermassen gekauft. Der Ahnendienst , der das
Geschlecht nicht aussterben zu lassen zur heiligsten Pflicht
machte, veranlasste dieses System neben der Neigung des Man-
nes wohl mit , obwohl es mancherlei Inconvenienzen , nament-
lich durch die Eifersucht der Frauen unter sich, mit sich brin-
gen musste. Diess spricht Confucius schon im 1-king Kuei c.
39 fol. 7 Toen aus: ,,Wenn zwei Frauen beisammen wohnen,
geht ihre Absicht nicht zusammen , während vom Manne und
der Frau es heisst : Himmel und Erde bilden einen Gegensata
(Khuei), aber ihr Thun (Schi) geht zusammen. Mann und Frau
bilden ebenso einen Gegensatz, aber ihre Absichfen durchdrin-
gen sich." Die Bildner der Schril'ts|)rache bezeichneten mit dem
Charakter von zwei Frauen auch schon Streit und Zank. Man
würde aber irren, wenn man meinte, dass die Vielweiberei
auch nur im jetzigen China oder im Oriente allgemein sei, nur
die Reichen und Vornehmen können für gewöhnlich mehrere
Frauen haben. Das Verhältniss der im Ganzen gleichen Anzahl
der Geburten von Mädchen und Knaben in Asien wie in Eu-
VUith: Uie häuslichen Verhältnisse der allen Chinesen. 217
ropa, l)ei der fast allgemeinen Verlieiratliiinu; in China, ohne eine
Miidchen-Einfnhr wie in der Tiirkey, und im alten China dazu
•auch olnio einen Mönchsland und einen Privalsklavenstand, würde
schon dageijen sprechen. S meine Einleitung zu Asien S 6G flg.
Ueber das Verhältniss der Geschlechter im allen
China gibt die kurze Beschreil)ung China's im Tscheu-Ii B. 33.
f(d. 8 flg freilich aufTallendt! Angaben. In der Provinz Yang-
Ischeu im SO. sei das Verhältniss der Miiimer zu den Frauen
(unter der 3 D. der Tscheu seit 1122 vor dir J wie 5 : 2 ; in
Kinor-tscheu, oerade im S.. wie 1 : 2: in Yü-lschcn, im S. des
grossen Flusses, wie 2 : 3; in Thsing-tscheu, im 0., wie 2: 2;
in Yen-lsch(!u , im Osten des Hoang-lio, wie 2:3; in Yong-
Ischeu, im VV.. wie 5 : 3; in Yeu-lscheu, im NO., wie 1:3;
in Ki-tscheu. innerhalb des lloang-lio, wie 5:3; in Ping-tscheu
endlich, im N., wie 2 : 3. Aus' Tscheu-Ii B. 30 fol. 28 sehen
wir, dass die Yolksvorslände (Sse-min), welche die Volkslisfen
führten , und alle Individuen , die Knaben vom 8ten Monate an,
die Mädchen vom 7len an verzeichneten (vgl, B. 35 fol. 26 und
Li-ki Nei-tse cap. 12 fol. 7()), ausdrücklich das mämdiche und
weibliche Geschlecht unterschieden und jährlich die Gehörnen
hinznliialen und die Gestorbenen strichen. Man kann also nicht
absprechen , dass die allen Chinesen nicht schon jn dieser frü-
hen Zeit über das Verhältniss der Geschlechter Aulzeichnun-
gen gehabt haber< mögen. Anllallend und uncnklärlich ist nur
die zwischen beiden Geschlechtern in mehreren Provinzen so
grosse Missproportion. Wir kennen aber die Verhältnisse zu
wenig, um sie erklären zu können. Dass einzeln wohl auch ein
gemeiner Mann zwei Fran(m im Hause halte, zeigt die (Jeschichte
bei Men<>--ts<'U 11. 8. 32. Vielleicht war das weibliche Geschlecht
in einigen Provinzen durch Kriege oder sonst so überwiegend
geworden, dass diess Ihuidich war. In den anderen, wo die
Zahl der Männer so überwiegend war, mochten diess einge-
wanderte Colonisten sein, denen die Frauen vielleicht nicht ge-
folgt waren.
Die erste Frau des Kaisers hiess Heu, Fürstin, die der
Uä«'2. u.i 15
218 Silzuntf der phüos.-phUol. Classe vom 6. Dec. iS62.
Vasallenfiirsten (Tschu-lieii) Fii-Jin (wie die 2le Classe kaiser-
licher Frauen;, die der Ta-l'u (Grossbeanilen) Jii-jin, die des
Literaleti Fu-jiii (anders geschrieben als oben) und die des ge-
meinen Mannes (Schu-jin) Thsi nach Li-ki Kio-li hia c. 2.
fol 59 V.
Der Kaiser halle ausser der Kaiserin (Heu) nach Li-ki Kio-
li hia c. 2 fol. 55 ni. Schol. und Hoan-i c. 31 (44) Fol. 42 drei
(Köniürjnnen) Fu-jin , 9 Pin, 27 Schi-lii , 81 Frauen 4ler Ord-
nung und eine nnbeslinimle Zahl weiblicher Dienerinnen (Thsie),
Musikanlen u. s. vv. Sie heissen die 6 Paläste (Lo-kung). Der
Tscheu-Ii B. 7 gibt über die kaiserlichen Frauen näheres De-
tail. Das Cap. des Li-ki Hoan-i sagt: sie seien da, um des
Reiches innere Verwaltung zu führen, um die Folgsamkeit der
Frau ins Licht zu stellen, daher herrsche dann im Innern des
Reiches Einlrachl (Ho) und in der Familie Ordnung (Li). Der
Kaiser conslituire dem entsprechend die 6 Classen von Beam-
ten : die 3 Kung, 6 King, 27 Ta-fu und 81 ersten Sse, um die
Leitung der äusseren Angelegenheiten des Reiches zu führen
und den Unterricht der Männer ins Licht zu stellen, darum
herrsche auch nach aussen Eintracht (Ho) und das Reich sei
so gut regiert; der Kaiser sorge für den Unterricht der Männer,
die Kaiserin für die Folgsamkeit der Frauen ; der Kaiser ordne
den Weg des Yang, die Kaiserin regle (schi) die Tugenden
des Yn u s. w. I):ess sind aber oll'enbar nur spätere künst-
liche Lucubrationen. Wie einem, je vornehmer er war, desto
mehr Schüsseln Speise vorgesetzt wurden, so bewilligte man ihm
oll'enbar auch mehr Weiber, zum grossen Nachlheile der Staats-
verwaltung. Es gab also in China schon damals Harems (De
Maiila VI. p. 409. Gaubil. Mem. T. XV. p. 435. Amiot Mc^m.
T. 5 p. 12(i llg.) Auch Eunuchen (Sse-jin, d. i. die As-
sistenten , eigentlich Yeu-jin genannt ) kommen schon vor. s.
Tscheu-Ii B. 1 fol. 36 B. 7 fol. 20 (lg. Nach einigen soll
der Kaiser Yeu-wang erst 726 v. Chr. die Eunuchen in (Um
Palast eingeführt haben. Es war eine Strafe , castrirl und dann
zum Palasldiensle verurlheilt zu werden. Im Schu-king Cap.
Ptalli : Die härisHchen Verhältinsse der alten Chinesen. 219
Liü-liiiig (4. 27) kommt unler Mii-wang (1002 — 947 v. Chr.)
niil(M- den 5 Strafen (U-hiiig) auch schon (he Strrifo Kung vor,
Uiis man fastriren iihorselzt; chM" Charakter hedeutet aher nur
Palast 0(hM' Pahistdienst. Im Schi-kiiio- II. 5, G ist enier fiilsch-
h'ch eines Verhrechens angeklagt und zurCaslrinmg verurlheill,
und khigt üher seinen Feind, der ein leichtes Vergehen ihm zu
einem schweren Verbrechen angerechnet habe und ruft den
Hinunel an. sich des Armen zu erbarmen. \u\(\ Aon Stolzen da-
für anzusehen. Möge sein Ankliiger Panihern und Tigern zur
Beute werden . wenn die ihn aber nicht fressen u olllen , er in
eine nördliche Gegend verbannt werden und \\c\m die ihn nicht
aufnehmen wolle, der Höchste (Hoang, der Himmel) ihn stra-
fen; diess Gedicht verfasste d(M- Eunuche (Sse-jinj Meug-tseu.
Schi-king I. 11, 1 konnnen Eunuchen auch am Hofe des Kö-
nigs von Thsin vor: einer meldet da den Fremden an. \\\r se-
hen die Eunuchen spater am Hole eine Rolle spielen, in Tsin
iniriguiren, in Thsi dieTlu'onIbIge bestimmen u. s. w., doch da-
von anderswo.
Von d^cn Hochzci Isgebräu c hen.
Eine Frau nehmen, um zunächst die Ausdrücke zu erläutern
heisst Thsili; das Wort bedeutet bloss nehmen, die Schrift setzt
noch CI. 38. das Zeichen von Frau, hinzu, wie bei uns. Kia,
das Haus, mit CI. 38 wieder Frau , erinnert an das lateinische
domum ducere uxorem für heirathen, das Wort heisst aber nicht
die Braut nach Hause führen . sondern eine Tochter V(>rheira-
Ihen. Dasselbe heisst auch Thsi mit dem Accente Kliiu . von
Thsi die Frau. Der Ausdruck Hoan, von der Gruppe Hoan
dunkel, beschallet, welche im Li-ki auch allein dalür gebraucht
wird, während man gewöhidich noch CI. 38 die Frau hinzu-
setzt, wird vom Manne gesagt und bedeutet aiu-h den Bräuti-
gam. Der Ausdruck soll daher rühren, weil er Abends kam,
um die Braut abzuholen. Das Lateinische nubere von der Frau^
15*
220 SiHiing der philos.-philol. Classe vom 6 Vec. 1868.
weil sie sich verhüllte, cnlspriclit dem also wieder ni<:ht. Von
der Braut sagt man Yn. Der einfiiche Charakter bedeutet jetzt
Ursache; man setzt noch das Zeichen CI. 38 Frau hin und deutet
es etwas künstlich: die Frau, die für den Mann gemacht ist;
er gellt aber wohl eher auf die Abgeschlossenheit der Frau, da
der Grundcharakter aus grosser Mensch (Cl. 36) in einem abge-
schlossenen Räume (Cl. 31) zusannnengesetzl ist. Man sagt auch
Kuei und Kuei-mei von Verheiratheiwerden d(!r Frau I-king
Thien c. 53; Kuei heisst eigentlich zurückkehren; mei ist die
jüngere Schwester, als solche wurde wohl die Frau bezeichnet.
S. S. 221.
Wir haben im 1-li einen eigenen Abschnitt Cap. 2: Die
Heiratsgebräuche des Literaten (Sse-hoen-li), der auch im I-sse
B 24. lol. 5 V. — 9 V. aufgenommen ist; kürzer ist das Cap.
im Li-ki C. 44 Hoen-i, die Bedeutung der Heirath fol 38 v.
flg.; das Cap. 4 Ta-hoen-kiai in den s g. Hausgespriichen (des
Confucius) Kia-iü fol. 7 und 8 enthält nichts besonderes. Wir
geben das \A esentliche aus allen diesen u. a. Nachrichten, das
ermüdende Detail über die Emplangsceremonien und die For-
meln der Ansprachen im I-Ii nur abkürzend.
Die Heiraih wurde in China schon vor Alters durch Hei-
rat hsv er mit Her (Mei-jin) abgeschlossen. Der Li-ki Cap. 30
Fang-ki fol. 33 sagt: „Männer und Frauen gehen ohne Hei-
rathsvermittler keine Verbindung (Kiao) ein. ohne Geschenk (Pi)
sehen sie sich gegenseitig nicht; man fürchtet, dass Mann und
Frau sonst nicht getrennt blieben." Wir linnlen sie schon im
Schi-kiiig I 8, 6, 4 und L 15. 5 erwähnt. Confucius führt im
Li-ki die erste Stelle an und diese Anordnung schien ihm ein
nothiger Damm für das Volk gegen die Ausschweilungen (Yn).
W^urde man eins, so sandte mau l)eiderseitige Geschenke und
nun stand die Verlobung fest. Nur die dreijährige Trauer um
Vater oder Mutter des einen oder anderen unterbricht sie und
kann sie aufheben. Confucius im Li-ki cap. 7 Tseng-tseu-wen
fol. 7 V. flg. gibt darüber ein näheres Detail. Die Verbindung
wird abgebrochen, wenn auch die Brautgeschenke schon über-
Plath: üie hätisUchen Verhältnisse der alten Chinesen. 22l
sandt sind und ein LHücklicher Tag zur Hochzeit gewählt ist.
Der Oheim sendet da eine Botschnft an die Familie der Frau,
die sagt: der Sohn !V. N hat Trauer um seinen Vater oder
seine Mutter und kann euer Bruder nicht werden und an Nach-
kommen jetzt nicht denken, er sendet N. N. (mich) euch da-
von zu benachrichtigen. Die Familie der Frau stimmt hei und
safft, sie wajje auch nicht die Heirathsjrebränche zu vollziehen
(Fei kan kia li ye). Ist die Trauer des Schwiegersohnes (jun-
gen Mannes) vorbei, so schicken des Mädchen Vater und Mut-
ter und fragen bei ihm an; wenn er sie dann rn'cht ninunt, hel-
ralhet sie einen anderen. Dasselbe findet beim Tode des Va-
ters und der Mutler der Frau statt
Der I-Ii und Li-ki erwähnen schon der verschiedenen Akte,
welche bei der Verlobung nach P Laureafi* auch noch jetzt vor-
konnnen, aber öfter auch zusammen gezogen werden sollen.
Sie heissen Na-tsai. das Hinsenden um auszuwählen; Wen-
ming das Fragen nach dem Namen (der Familie der Frau, da
Personen desselben Namens sich nicht heiralhen dürfen); Na-khi,
das Erlangen glücklicher Aussprüche (der Loose); Na-tsching
das Anmeldeti der Geschenke und Thsing-khi das Erbitten
eines Tglücklichen) Tages für die Hochzeit. Als Embleme ehe-
licher Treue wird der Braut schon im Schi-king eine wilde
Gans (Yen) überreicht; man sieht sie nach Morrison noch bei
den Hochzeilsceremonien, aber jetzt nur aus Holz oder Zinn.
Bis aul den vorletzten Akt, wo die Seidenzeuge (Pi und phe)
dartrebrachl werden, bemerkt der I-li Tsin-i fol.8, nähern sich
alle bei Ausführung ihrer Aufträore mit d(;r Gans.
Die Akte finden alle im Ahnentempel (des verstorbenen
Vaters (Ni-miao, nach den Schoi ) statt Der Vater des Mäd-
chens legt eine Malle (Yen) an die Westseite der Thüre hin.
stellt oben rechts die Stüfzhank (I\an) für den Geist hin, gehl
(5) Bei Le (ieiitil Vojagc an tour du nioiulf. Paris 1728. 6. T, 11.
p. 73-133.
222 Sitzung der philos.-jihilol. Classe vom 6". I)ec. 1362.
bis an das grosse Thor dem Besucher entgegen und bittet ihn
einzutreten. >'ach den bei einem Besuche üblichen Comphmen-
ten, der dreimahgen Verneigung und Entschuldigung ( den
Vortritt zu nehmen) am Thore des Ahuenlempels, steigt dieser
hinauf, übergibt die Gans und verninnnt den Befehl der Ahnen.
Beim Wen - ming wird für ihn im Osten zur Seite eine Matte
hingelegt und ihm eine Schaale süssen Weines (Li) mitten im
Zimmer dargereicht und getrücknet(^s Fleisch (Fu) und Fleisch-
hasche (Hai) dargebraciit. Des Miidchens Vater geleitet ihn
dann nalürlich mit den üblichen Verbeugungen bis ausserhalb
der Thüre. Beim Na-khi sind die Ccremonien wie beim ersten
Akte. Der Na-tsching aber bringt dunkelblaues (Hiuan) und
rothes oder scharlachenes Zeug (Hiim) mit (\\^.n Ceremonien
des Na-khi dar; der I-li sagt 5 Stücke (Sehn Bündel) Seiden -
zeug (Phe). Der Schob citirt dazu die Stelle des Tscheu- li B.
13 fol. 45: ..wer seine Tochter verheirathe oder eine Frau
nehme, solle die 8 Kostbarkeiten (Pa p(!i, es ist nicht klar, was
darunter gemeint ist), und die schwarzen Seidenzeuge, nicht
mehr als 5 Paar Stücke, darbringen.** Schwarz ist nach dem
Schul, die Farbe der Frau. Der Tsing-khi präsentirt dann
wieder die wilde Gans irn't den Gebräuchen iXcn Na-tsching. Der
I-li Cap. 2. 6 fol. 8 v. gibt die Ansprachen der einzelnen Per-
sonen mit den Antworten ; es scheinen feste Formeln gewesen
zu sein. Der Bote sagt z B.: N. N (der künftige Schwieger-
sohn) sende nach der früheren Leute Brauch (ihn) N. N. als
Na-tsai. Darauf erwiedert ^der Brautvater): er (N. N.) sei nur
ein dummer, einfältiger Mensch (Tschoang-iü). er wage aber
nicht das Gesuch alizuschlagen. Ebenso wird denn auch nach
dem Namen der Familie (Schi) der Frau gefragt.
Zu der Hochzeit bereitet mau sich nach Li-ki Kiao-le-seng
Cap. 11 fol 45 din-ch Fasten und Enthaltsamkeit (Thsi-
kiai) vor, im dunkelblauen Ceremonienhute, um den G(?islern und
Ahnen (Kuei-schin) zu dienen; denn es gilt dem künftigen Vor-
ftande de.s Sche-lsi und dem Nachfolger der früheren Ahnen;
man kann daher nur mit der höchsten Ehrfurcht (King) verfah-
Plath: Die häusUihen Verhältnisse der alten Chinesen. 223
reu Im Li-ki Cap. 7 Tseiig-tseu-wen fol. 9 sagt Coiifucius :
im Hause eines heirallieiideii Mädchens würden 3 Nächte über
die Lichter nicht ausgelöscht, man denke an (!i(! bevorstehende
Trennung; in dem Hause dessen, der eine P'rau nehme, mache
man 3 Taffe über keine Musik, denn man denke an (\{i\\ Nach-
feiger der Aeitern; dasselbe sagt auch Cap. 11 p. 45 v. Jetzt
macht man dagegen bei Hochzeiten viel Musik. S. Morrison Dict.
I. p 602.
Der Ehe gehen Ermahnungen derAellern an die Braut-
leute voraus. Nach I-li 2, G lol. 11 u. Li-ki Cap. 44 vgl Siao-
hio 2, 3, 2 trinkt der Vater dem Sohne zu mit einer Spende
(Tsiao ) und ermahnt ihn ( befiehlt ihm ), gehe deiner Gehilfin
(Siang) entgegen, besorge sorgfältig unsern Ahnendienst und leite
sie an der früheren verstorbeneu Mutter Nachkommen zu eh-
ren und beständig folgsam zu sein. Der Sohn erwiedert : ja
(Wei), ich fürchte nur, dass ich dazu nicht fähig genug bin,
unterstehe imch aber in'cht, den Befehl zu vergessen — — —
Ebenso befiehlt der Vater (\ox Tochter, w(Min er sie geleitet:
hüte dich, sei ehrerbietig ( King), tritt Morgens und Abends
den» Befehle der Schwiegerältern nicht entgegen. Ihre Mutter
hänoft ihr einen Gürtel (Kin) um und bindet daran ein Tuch
(Schue) und sagt: sei eifrig und ehrerbietig; Morgens und
Abends besorge di(; Geschäfte des Hauses — Meng-tseu L
6, 2 (5) führt aus dem Li-ki die Ermahnungen an : sei ehrer-
bietig, sei aufmerksam , widerstrebe nicht deinem Manne — —
die zweite P>au ihres Vaters (Schu-mu) geleilet sie nach dem
I-li bis an die innere Thür, hängt ihr einen langen Gürtel um und
heisst ihr nach dem B«;fehle von Vater und Mutter: ehrfurchts-
voll hitre auf die Worte deines verehrten Vaters und deiner
verehrt(!n Mutter; Morgens und Abends bleibe ohne Schuld und
blicke oft anf den (Jiirtel und das Tuch der Mutter. Nach dem
I-li 2, 4 fol. 10 V. be.sl(!igt der (Schwiegersohn), angethan mit
dem adelichiMi Hute(Tsio-pien) mul in scharlachrolhem Gewände
mit dunkler Kante einen schwarzen Wagen, sein Gefolge zwei
andere. Vor den Pferden werden Lichter oder Fackeln (Tscho)
224 Sit7Hn(f der pfiüoi.-phtlol. Classe vom 6. Vec. 1S62.
hergetracreii. Der ^^'age^ der Frau ist ebenso , bat aber einen
Vorhang- (Tscben). Jetzt bedient jeder sich eines Palankins oder
der Briinligain setzt sich zu Pferde. Kommt er ausserhalb der
(grossen) Pforte (ihres) Hauses an , so legt ihr Vater wesibch
vom Thore eine Matte hin, oben im Westen stellt er eine Stülz-
bank (für den Geist)
Der Kopfputz (Tse) der Frau besteht nach 2, 5. 1 aus feinen Fäden
(Schün), das Kleid ist scharlachroth; sie steht mitten im Zim-
mer, das Gesicht nacl» Süden , ihre Gouvernante bindet ihr das
Hutband fest , steckt ihr die Haarnadel ein und leot ihr den
Schleier an. Ihr Gefolge (nach den Schol. ihre Nichten und
Jüngern Schwestern) steht hinter ihr. Der Schwiegervater geht
dem Schwiegersöhne bis ausserhalb der Pforte enl^eüren. Am
Thore des Ahnentempels finden wieder die üblichen 3 Verbeufrunsjen
und 3 Weigerungen statt. Dann überreicht der Bräutigam die
wilde Gans; sie empfängt sie von Vater und Mutter. Sie stei-
gen dann hinab und sie mittelst eines Schemels in den Wairen.
Der Bräutigam ergreift, währcMid sie hinaufsteigt, die Zügel (sie
zu beruhigen), der Wagen macht 3 Umläufe (Tscheu), die sym-
bolisch gedeutet werden, dann fährt er der Frau voraus und
erwartet sie an seiner Hauslhür.
Im Hause des Bräutigams ist indess nach I-Ii 2, 4 fol. 8
V. das Hochzeitsmahl bereitet. 3 Dreifüsse (Tinor) stellt er
ausser der Tbüre des inneren Gemaches (Tsin). Sie enthalten
ein Schwein, 14 Fische, getrocknetes Fleisch, das wohl gekocht
in die zugedeckten Dreifüsse gelhan wird; es fehlt auch nicht
an Präserven (Hi-siang), cingesalzenen Vegetabilien (Tse), vier
Schüsseln mit (Hirse) Schu und Tsi. Alles wird zugedeckt. Eine
grosse Portion Fleischbrühe kocht auf dem Herde. Mitten im
Hause an der Nordmauer der Halle steht süsser Wein (Li) u. s w.
Wenn die Frau angekommen, verneigt sich der Mann. Die
Frau tritt ein und wenn sie die Thür des Hinterzimmers er-
reicht hat, verncMgt sie sich, steigt die Westtreppe hinauf; der
Mann ordnet die Matte. Es wird nun im Einzelnen angegeben,
Pltith: Die häuslichen Verhältnisse der alten Chinesen. 225
wie die ver.S(;liie(Ieiieii Gerichte fiiifg-estellt werden . was wir
hier ül)ertH'lieii müssen. Nach ijehürijjen Verneijrnnsreii sitzen
alle beide auf der Matle ; man ojjfert (huiii von der Hirse Sehn
und Tsi , die Lunge ( Pei ) und später die Leber (Kang) und
speiset zusammen. Heivor<i:ehol)en zu werden verdient , dass
die Braut nnd der Bräniitram aus der H-äifle einer Kürbisschale
trinken, was symboh'sch die Vereinigung ihrer Glieder andeuten
soll. Sie hängen dann die Kleider auf, breiten die Schlafmatten
ans, die des Mannes (Leang) liegt im Osten, der Pfühl im Nor-
den. Ihr Hutband wird orelöst Nachdem die Hochzeitsochräuche
beendet sind , geht dann das Licht hinaus nnd sie bIcilxMi für
sich. Die Gäste werden wohl ^^ie jetzt ein besonderes Hoch-
zeitsniahl gehalten hnben.
Am 2ten Tage der Hochzeit steht die Frau Morgens auf,
wäscht sich, steckt die Haarnadel ein und kleidet sich an, um
den Besuch der Schwiegerällern zu erwarten. Des Schwieger-
vaters Malte legt sie ausser dem Zinniier nach Süden, sie nimmt
darni ein Band)uso[efäss mit chinesischen Datteln und Kastanien,
das sie ihnen reicht nnd später ein G«M"äss mit gcilrocKnelem
nnd gewürztem Fleische nnd ein Gefäss mit süssem \^'eille (Li),
auch ein Schwein wird ihnen dargebracht, aber keine Fische,
nocli getrocknetes Fleisch, noch Hirse. Die Schwiegeiiillern sit-
zen auf der Matte nnd sie präsentirt ihnen die Speisen; diess
geschieht nach dem Li-ki , um die Folgsamkeit der Frau an's
Licht zu stellen.
Den 3ten Tag reichten nach I-Ii Cap. 2, 5 fol. 13 und
dem Li-ki der Schwiegervater und die Schwiegermuller zusam-
men ihr die Speise nach dem Ritus d(T !>arbringnng. So wer-
den vollend(!t, schliesst der Li-ki, die Gebräuche der Frau, wel-
cher Gehorsam vor Allem eingeprägt werden soll. r);dier be-
lehrten die Alten nach dem I-Ii 2, 6 fol. 4 nnd dem Li-ki 3
Monate, <!he die Frau heirathele, die Frau, wemi der Tsu-miao
noch nicht zerstört war, im Kung-kung, werni er aber zerstört
war im Tsung-schi (im Hause des ältesten Sohnes) über die
Tugenden der Frauen , die Sprache (die sie zu führen haben),
226 Sitzung der phtlos.-philot. Ctasse vom 6. Dec. 1862.
ihre Haltung, die Arbeilen in Hanf und Seide, die sie zu ver-
richten hatten und unterwiesen sie in der Vollziehung der Opfer
und Bereitung der verschiedenen Opfergerichte, um den Gehor-
sam der Frau zu vollenden.
Der Rückkehr der jungen Frau — wohl nur einer Fiirslen-
tochler — in das älterliche Haus nach einem Monate, wo sie
diuin ziendich lange blieb, getrennt von ihrem Gatten, der sie
nur selten und nur im Ceremonienkleide besuchen durfte, den
der Schi-king z. B. I. 1.2 und 3 erwähnt, kommt im Li-ki
und I-li nicht mehr vor. Die Frau wird nun als aus ihrer Fa-
milie aus- und in die ihres Mannes eingetreten betrachtet und
theill Namen, Rang und Ehren ihres Mannes nach Li-ki Cap.
Tsa-ki 20 fol. 57 v. und wird von ihren Aellern nur als Gast
behandelt, wahrend sie im Hause ihrem Manne untergeordnet
ist. Cibot. Mem. T. 13 p. 326 flg.
Nach dem Li-ki Cap. 7 Tseng-tseu wen fol. 9 v. besucht
die jmige Frau im 3ten Monate ^\^\n Ahnentempel (ihres
Mam)es), zeigt den Ahnen an, dass eine Frau ins Haus ge-
kommen ist und bringt da die Opfer dar. Diess vollendet erst
das Recht (J) der Frau; ehe diess nicht geschehen ist, gehört
sie noch nicht vollstandicj zur Familie des Mannes und stirbt
sie vorher , so wird sie in der Familiengruft ihrer Familie be-
erdigt.
Sind die Schwiegerältern bereits gestorben, so bringt die
junge Frau nach I-li 2, 6 1 im 3len Monate ihnen im Ahnen-
saale des verstorbenen Schwiegervaters und der Schwiegermut-
ter Gemüse dar. Der Beter führt sie und zeiirt den Ahnen an:
ans der und der Familie kommt die Frau und wird dem erha-
benen Schwiegervater und ebenso der erhabenen Schwieger-
mutter eine Schüssel mit Gemüse darbringen. Der Schwieger-
sohn opfert dann auch und die Frau unterstüzt ihn dabei. Dies
ist das Wesentliche der Hochzeitsgebräuche der alten Chinesen,
welche mit geringen Veränderungen bis auf die jetzige Zeit
sich erhalten haben.
Ptatit : Die häuslichen Verhältnisse der alten Chinesen. 227
Di(j Elleverhältnisse nach dein Liederbuche.
Wenn uns die 3IoraIislen und Rituale zeigen , wie es in
Lie!)es- und Ehesachen den Verordnnng^en nach sein sollte, so
zeigt uns das Liederbuch die wirkliche Welt auch im alten
China vielfach ganz anders — wie wir das oben schon, wo von
der Trennniig der (Jeschlechler die Rede war, sahen — so anch
in den ehelich(Mi Veihältnissen. Die Fesseln des C(M(>nu)nieIs
sind abgeworfen, und man lebt frei wie bei uns. Natura , ex-
pellas furca, lamen usque recurrit. Das Liederbuch sollte ja
die wirkliche Sitte in d(ni verschiedenen kleinen Roichen dar-
stellen. Namentlich im kleinen Reiche Tschini»-, im jetzigen Si-
noan-lu in Schen-si, linden wir solche freiere Sitten. Da kom-
men junge Miinner und Mäd* hen frei zusanunen und geben sich
Stelldichein. So heisst es L 7, 15 am Oslthore ist ein ebener
Weg; die(Pllanze) Yu-Iiü steht am Ufer. Sein (des Geliebten)
Haus ist in der Nähe, aber der 31ann ist weit weg. Am Ost-
Thore sind Kastanien, es ist da eiin? Reihe Häuser. V/ie sollte
ich deiner nicht gedenken? Aber du willst nicht mit mir zu-
sannnenkommen. L 7, 13 äussert eine Schöne: liebst du nnch,
gedenkst du meiner , so h(d)e die Kleider auf und setze über
den Tschin (Fluss) ; gedenkst du meiner nicht, so wird's ein
anderer Mann sein; du Bursche wärst aber toll. Die zweite
Strophe wiederholt wie gewöhnlich denselben Gedaidven, nur
heisst hier der Fluss Wei. Derselben Flüsse erwähnt I. 7, 21.
J)a heisst es der Tschin und Wei sind schon wasserreich. Der
Mann (Sse) und die Frau halten die Lan (BlunnV) in der Hand;
die Frau sagt: ich will's doch mit ansehen; er: ich hab's gesehen,
will's aber nochmals sehen. .lenseits des Wei schwätzen sie
und freuen sich (sind lustig) Er utid seine Frau sclierzen und
unterhalten sich mit Hlumenpfliicken. Die zweite Strophe wie-
derholt ziemlich diesen Gedanken wieder. 1. 7, 14 erwartet
der Ueppige sie vor dem Thore und schmollt, da sie nicht mit
ihm geht. Ein Elegant erwartet sie in der Halle und grollt,
228 Sitzutig der philos.-philol. Ctasse vom 6. Üec. 1862.
dass sie nicht zu ihm kommt. Pe-hi spannt die Pferde vor den
Wagen und nimmt sie dann mit in seinen Wagen. Strophe 2
lieisst es dafür, sie heirathe ihn. Auch I. 1, 11 kommt dieser
Pe-hi vor: führst du mich, so vereinige ich mit dir. Strophe 2
heissl es dafür: ich bin dir zu Willen I. 7, 12 schilt die
Schöne: Du Unnützer redest nicht mit mir; Deinetwegen kann
ich nicht essen. Du unnützer Bursche isst nicht mit mir, doch
kann ich Deinetwegen nicht verschnaufen, vgl. auch I. 7, 10.
Nach 1. 7, 19 scheint es vor den Thoren schon Freudenmäd-
chen gegeben zu haben. Vor dem Oslthore, heisst es da, sind
Mädchen wie Wolken , aber obwohl sie wie Wolken sind, ge-
hen meine Gedanken doch nicht auf diese ; (meine Frau) in
ihrem einfachen weissen Kleide und grünen Schleier (Kin) er-
freut mich. Strophe 2 wiederholt diess ziemlich. Ausser dem
bethurmlen Stndtlhore sind Frauen wie Theepflanzen ; obwohl
sie aber wie Theepflanzen sind, denke ich doch nicht an sie;
das weisse mit der Pflanze (Yu-liü) gefärbte Kleid erfreut nnch.
I. 7, 20 komnU der Dichter mit einer Schönen zusammen, die
ihm gefallig ist. Auf dem Felde, heisst es, ist die Kriechpflanze
Wan; Thaulropfen benetzen sie. Es ist eine schöne Person da,
rein dehnen sich ihre gebogenen (Brauen) aus. Unerwartet be-
gegneten wir uns und ich erreichte meinen Wunsch. I 7. 2
bittet datjegen eine Schöne ihren Tschung-tseu : Geh doch nicht
durch unser Dorf (Li) und zerbrich nicht unsere Khi ( Weiden -
oder Mispeln-) Pflanzungen. Wie wagte ich dich zu lieben;
ich scheue meinen Vater. Tschung, du kannst es wohl beden-
ken; meiner Aeltern \A'orte muss ich scheuen (Wei). 0 Tschung-r
tseu steig nicht in unsern Garten und zerbrich nicht unsere fan-
Pflanzungen. Wie wagte ich dich zu lieben, ich fürchte das
Gerede der Leute. 0 Tschung-tseu! du kannst es wohl bedenken,
ich muss das Gerede der Lenle scheuen. Eine andere dage-
gen I. 7, 17 sehnt sich nach der Ankunft ihres Geliebten: Be-
ständig denkt mein Herz an ihn ; kann er seine Stinune nicht
vernehmen lassen? Strophe 2 heisst es dafür, kann er nicht
kommen? Flüchtig, sorglos ist er im Warlthurme. Wenn ich
Plath . Die häuslichen VerhälUiisse der ulten Chinesen. 229
einen Tag ihit nicht sehe, dünkt es mir wie 3 Monate. Die
Liedchen sind alle sehr kurz nnd nicht immer sicher zu deuten.
1. 5. 4. 3 hcisst es (higegen in einem Liedchen aus dem R(!iche
Wei. Krau . vergnüge dich nicht mit einem Manne; der Mann
(Sse) der sich so vergniiot, kann sich noch wieder herauszie-
hen: eine Frau aher nimmer. Nach La Charme khifft so eine
ausschweifende Frau, welche ihr Mann Verstössen hat. Sie wirft
die Schuld aber auf ihn. Seil ich zu dir kam. ass ich 3 Jahre
ärmlich, die Frau irrte nicht, der Mann nahm aber einen ande-
ren Gang; er habe kein Maass gehallen, zwei-, dreierlei war
seine Tugend 3 Jahre war ich seine Frau und besortrle sein
Hauswesen, früh stand ich auf und um Mitternacht erst schlief
ich ein; deine Befehle vollzog ich und doch zürnest du. M(;ine
Brüder wussten das nicht und lachten mich aus; indem ich es
bei mir überlege, bin ich bekümmert. Bis in dein Aller dachte
ich mit dir vereint zu leben und jetzt liisst du nnch bis in's
Alter klagen. Als mein Haar noch in ein Hörn aufgebunden
war (vor der Heirathj, war ich froh, sprach und lacheile fröh-
lich. Treue haltest du mir versprochen, an diese Undvehr dachte
ich nicht. Wie wird das enden? Auch im Reiche Yuriir, ei-
nem Theile <les späteren Wei in Ho-nan, finden wir solche
freiere Sitten. L 4, 4 gibt eine Schöne ihrem Geliebten eine
Rendezvous und begleitet ihn. L 4, 7 wird tadelnd erwähnt,
dass ein Mädchen fern \on ihren Aeltern und Brüdern gehe,
ob etwa zur Hochzeit? solche Ausschweifende hielten nicht auf
Treue und kemiten nicht <lie Beslinnnung (Ming). In einem
Liedchen aus dcMu Kaiserlande L (5, 9 ruft eine aus: wenn sie
von ihrem (Gelieblen) gelrennt in einem verschiedenen Hause
leben müsse, so wolle sie wenigstens nach dem Tode in einer
Grolle mit ihm zusammen (ruhen). Sagst du, ich war dir nicht
treu, so hab' ich die »rlänzende S()nn(^ (als Zeuge). In Wei ist
I. 5. 8 ihr tapferer Pe-hi weil nach Osten in den Krieg fort-
gezogen, seitdem ist ihr Haupt (Haar) wie die verwehende ver-
wirrte (Pflanze) Pung , wozu sollte; sie sich das Haupt schmü-
cken und salben; indem sie an ihren Fe-hi denkt, schmerzt ihr
230 Sitzung der phüos. phüot. Clas.se vom 6. l)ec. 1862.
der Kopf, woher sollte sie die Verc/essenheits pflanze bekommen?
I. 3, 1, 4 hören wir die Sehnsiichl der Braut nach dem ferne-
ren Briiuliuani. Zierlich werden anderswo Liebesoaben tjeschil-
dert. Amh der Schmerz der verkainilLn. der verfehlten Licdje
fehlt nicht, noch die Aengsllichkeit der heimlichen, die verra-
then zu werden fürchtet; der Gelieble wird desshalb zur Vor-
sicht ermahnt. Eine klafft den Sternen, dass k(Mn Jünoling- für
sie kommen wolle; der Krieg habe alle hinweguerafl't. Auch
den Freudenausbruch des Wiedersehens vernehmen wir. Doch
genug , um zu zeigen , dass die Menschen überall und auch in
China menschliche Gefühle haben und die Pedanterie der chine-
sischen Geselzffeber diese nicht zu vertilgen vermocht hat!
//. Aelteru vtid Kinder.
Die Geburt des Kindes. Die Namen gebung.
Das Buch von berühmten Frauen (Lie niü tschuen) von Dr.
Lieu-hiang im Siao-hio 1 §. 2 sagt: Einst unterstand eine schwan-
gere Frau sich Nachts lucht auf der Seile zu liegen , beim
Sitzen (auf der Matte) den Körper nicht zu biegen , nicht auf
einem Fusse zu stehen , keine ungesunde oder schlecht zer-
schnittene Speise zu geniessen , auf keiner schlecht gemachten
Matte zu sitzen, keinen garstigen Gegenstand anzuschauen, noch
üppige Töne zu hören. Abends musste der Blinde (Musiker)
die beiden ersten Oden des Tscheu- und Tschao-nan im Lie-
derbuchc (die von der Hausordnung handeln) singen und sie
Hess sich anständige Geschichten erzidilen. So wurde ein auch
geistig gut geartetes Kind g(?boren.
Der Li-ki im Cap. Nei-tse 12 fol. 73 v. sagt: wenn eine
Frau ein Kind gebaren soll, bewohnt sie einen Monat ein Sei-
tenhaus (Tse-schi). " Der Mann schickt zweimal den Tag Je-
(G) Nach den Sclinl. ist vorne der T s »li i n ij - 1 sii i n , hinten der
Yeii-lsiiin und diesem zur Seile das Tsc-.sclii.
Plaih: Die häuslichen Verhältnisse der allen Chinesen. 231
manden n;ich;5urrn^on und fragt auch selber nach; seine Frau
wagt ihn aber niciil zu sehcMi, sondern schickt dit; Mii (S.oben)
seine Anfrage zu beantworten, bis das Kind geboren ist. Dann
schickt der Mann den Tag wiederholt nachzufragen; liat er Fa-
sten (Tsi), so betritt er ni(ht die Thiire des Seitenhauses.
"Wenn ein Kind geboren ist. so legte man bei einem Kna-
ben einen Bogen (Hu) links, bei einem Mädchen ein Gürteltuch
CSchui) rechts von der Thüre. Nach 3 Tagen fiingt man an,
das Kind auf dem Arme zu tragen, beim Knaben schiessl man,
beim Miidchen nicht, vgl. die Stelle ans dem Schi-king II 4. 5
oben S 205.
Wenn einem Reichsfürsien ein Erbprinz (Schi-tseu) gebo-
ren wird, meldet man es dem Fürsten. Man bedient sich eines
grossen Opferlhieres (Ta-Iao, d. i. einer Kuh); am 3ten Tage
befragt man das Loos, ein Sse trägt ihn ; wenn dieses günstig
ist, so faslet man (So-thsi), in Hofkleidern trägt man (das Kind)
ausserhalb der Thüre der Schlafstube. Der Schütze schiesst mit
einem Bogen aus Maulbeerbaundiolz 6 Pfeile gegen den Him-
mel und die Erde und gegen die vier Weltgegenden ab. Die
Schulznuilter(I*ao) nimmt ihn (vom Sse) und trägt ihn; der Be-
amte (der Mann) spendet Wein und beschenkt ihn (den Sse) mit
einem Bündel Sei<lenzeug (5 Stück). Je nach dem Ausspruche
des Looses heisst er die Frau des Sse oder die zweite Frau des
Ta-fu d(!n Sohn ernähren (stillen).
Jedesmal dass man das Kind empfängt, wählt man den
Tag aus. Bein» ältesten Sohne (Tschung-lseu) bringt n)an ein
grosses Üpferthi<M- dar, der gemeine Mann ein Ferkel (Thi tun),
der Sse ein Sehwein (Thi-schi), der Ta-fu ein kleines Opler-
thier (Schao-lao. d. i. ein Schaf); beim Erbprinzen eines H(!ichs-
fürsten ein gross(!s Opferthier. Ist es nicht der Erstgeborne,
so gehen alle einen (irad herunter.
Verschieden von dem Hause der gewöhnlichen Kinder sucht
man im Palaste unter allen Müttern (zweiten Frauen), die mau
haben kann, eine aus, die liberal (Khuan-yü), liebevoll, wohl-
wollend, mitleidig, brav, ehrerbietig, voll Respekt, sorgsam ist
232 SiHung der philos.-plntol. Clause vom 6. Dec. 1862.
und wenig spricht und macht sie zur Lelireriii (Führerin) des
Kindes (Tseu-sse) ; die zweite wird die Niihr- oder Pflegeuuit-
ler (Tseu-nui). die folgende die Schulznmlter (Pao-inu mit der
Aufsicht üher das Schlafgemach und die Wohnung). Alle woh-
nen im Hause des Kindes; ein fremder Manu kommt nicht
dahin.
Am Ende des 'dien Monats wählt man einen Tag, dem
Kinde das Haar zu schneiden und iasst einen kleinen Zupf (To)
stehen. Beim Knaben macht man ein Hörn (Kio) daraus, beim
Mädchen einen Knoten (Ki eigentlich Halfter); geht es nicht,
so hisst man die Haare beim Knaben links, beim Miidclien rechts
stehen. Au diesem Tage wird die Frau mit dem Kinde vom
Vater gesehen. — Vom Literaten im Amte (Mintr-sse) abwärts
baden sich alle (seu hoan)' zuvor. iMänner und Frauen stehen
früh auf, waschen und baden (mo-yo) sich, kleiden sich an und
präsentiren die Speise des ersten 3Ionatstages. Der Mann tritt
in die Thüre (des Seitenhauses) , steigt von der Treppe hinauf
und steht auf der Treppe an der Westseite. Die Frau konnnt.
das Kind auf dem Arme , aus dem Zinuuer heraus und stellt
auf der Schwelle, das Gesicht nach Osten gewendet. Die Mu
sagt: die Mutter N. N. (sie nennt die Familie der Frau) wagt
die Zeit wahrzun(!hnuMi und zeigt respektvoll das Kind (Jü-
tseu); der Mann erwiedert : sorgfältig erziehe es. Der Vater
fasst dann das Kind au der rechten Hand , es lächeil und er
gibt ihm den Namen (Miiig). Die Frau erwiedert und spricht:
des Kindes Lehrerin (Sse) zeige ihm den rechten Weg, über-
nimm die Aufsicht und melde allen Frauen und allen Müttern
den Namen. Die Frau geht dann in das Hintergemach (Thsin)
zurück.
Der Mann zeigt dann dem Gouverneur (Tsai) den Nauien
an. Dieser trägt alle Männer-Namen in sein Buch ein, welches
(7) Die Alten badeten alle 10 Tage, daher iiie.ss Hoan auch die
Decade.
Plath: Die häuslichen Verhalitiis.se der alten Cliinesen. 233
besagt , in dem und dem Jahre, Monate und Tage wurde der
und der geboren. Der Beamte meldet es dann dem Liü-sse
(dem Vorsteher von 25 P'amilien). Dieser behält den Namen
einmal in seinem Buclie , dann meldet er ihn dem Tscheu-sse
(dem Vorsteher von 2500 Familien), der dem Tscheu-pe und
der dem Tscheu- fu Bei der (ieburt und Namengebung (ünes
Erbprinzen (Schi-tseu) ist es ahnUch; wir übergehen sie daher.
Auch bei der des jüngeren Sohnes (Schi-tseu) und des Sohnes
der zweiten Frau (Schu-tsen) ist wenig Unterschied; sie er-
scheinen nur im äusseren Gemache (VTai, d. i. dem Yen-tshin).
Kein Name (Ming) darf von der Sonne, dem Alonde, von
einem Reiche, von einer verborgenen Krankheit — das Cap.
1 Kio-Ii lol. 21 setzt hinzu: auch nicht von Beroen und Flüs-
sen — entlehnt sein. Der Sohn eines Ta-fu und Sse darf sich
nicht unterstehen , denselben Namen nnt dem Erbprinzen (Schi-
tseu) zu führen.
Bei der Geburt des Sohnes einer Kebse (Tshie) des Fürsten
finden nur kleine Unterschiede statt. Der Vater lässt nur ein-
mal nachfragen und sieht ihn im innern Gemache (Nei Tshin).
Je geringer der Stand der Frauen ist, desto weniger Umstände
wird mit den Kindern gemacht. Der gemeine Mann (Schu-jin), der
kein Seitenhaus hat, geht den Tag über aus und erkundigt sich
im gemeinsamen Hanse nach seiner Frau. Der Ritus, wie der
Sohn den Vater sieht , das Ergreifen der Rechte, die Namen-
gebung ist nicht verschieden.
Jeder Vater, der einen Enkel bekonunl, sieht ihn zuersl
im Ahnensaale. Dort gibt ihm der Grossvater (Tsu) auch den
Namen, in derselbcMi Art wie dem Sohne.
Der Sohn des Ta-fn li;it eine Amme, Sse-mu. die Nähr-
mnlter genannt, die das Kind nährt (Schi-Iseu), sie geht wenn das
Kind 3 Jidn-e all aus und zeigt es im Palaste des Fürstcui (Kuno-)
und wird dann da beschenkt. Die Frau des Sse stillt ihr Kind
selber. Ammen komnjen also in China schon früh vor. v^l.
Cibot Mem. T. Mll. p. 32i. Wir haben Unbedenlendes in die-
ser Schilderung übergangen; von dem weiteren Verfahren mit
234 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 6. Dec. 1863
dein heranwachsenden Kinde in den verschiedenen Jahren wird
bei der Elrziehunij besser die Rede sein.
Das Verbältniss zwischen Aellern und Kindern.
Die Pflichten der Kinder g-eo-en die Aellern sind durch-
gängige Aufiiierksaniiveit, vüibge Hingabe an den Vater, mit
Verleugnung aller Selbständigkeit und Selbstheit. Der Siao-hio
Cap. 2 §. 51 , enthält ans dem Li-ki , dem I-li und anderen
alten Schriften eine Zusammenstellung von Aussprüchen über
die Pflichten der Pietät; vgl. auch den Hiao-king oder das clas-
sische Buch von der Pietät und Cibot's Doctrine des Chinois
sur la Piete filiale Mem. conc. la Chine T. IV. p. 1—298 und XIII.
p, 327 flg. Als hohe Muster solcher Pietät fidut der Li-ki cap.
8 Wen-wang Schi-tseu fol. 27 Wen-wang und W^u-waiig auf
(1122 v.Chr.): Als Erbprinz wartete jener täglich 3mal (seinem
Vater) Wang-ki auf. Morgens beim ersten Hahnenruf kleidete
er sich an, trat an die äussersle Thiire des Schlafgemachs und
fragte dann den Diener, ob der Vater heute einen (ruhigen)
guten Tag habe; sagte der ja, so wjir er froh. Pas wieder-
holte er Mittags und Abends; sagte er nein , dann war er be-
kinnmert und konnte sein Fusszeug nicht fertig anziehen. Wir
übersehen die weiteren kleinlichen Einzelnheiten , wie er auch
für sein Essen sorgte u. s. w.
Der Li-ki Cap. 12. Nei-tse fol. 51 v. 57 und daraus I-sse
B. 24, 6 fol. 17 v. —23 v. beginnt: „Das Kind, das dem Va-
ter und der Mutter dient, wäscht, wenn der Hahn zu krähen*
anfängt, Hände und Mund, kämmt das Haar, flicht es, steckt
es mit einer Nadel fest, Ihut das Netz darüber, den Staub aus-
(8) Man .stand in (Jliina friiii mit dem Halinenriire auf, nicht nur der
Jäger (Silii-kini;- 1. 7. 8 und 16), sondern ging autli schon früh an den
Hof I., 8. I, wie noch jezt.
Plath : Die häuatichen Verhältnisse der alten Chinesen. 235
schüttend , bindot die Hutbänder zusammen , zieht ein langes
Kh^id an und Ihut den Gürtel um. An der linken Seite hiinal
es ein Wisch- oder Handluch, ein Messer, einen Schleifstein,
ein kleines Hörn (Knot(Mi aufzumachen) und einen Brennspieg-el
aus Melall, rechts den Schülzenriemen, ein grosses Hörn (Kno-
ten auCzulüsen) und 2 Hölzer (durch Reibung Feuer anzuma-
chen). Er legt die Beinbinden (i'i) an und zieht die Schuhe
an, die er fest bindet, um so anständig vor den Aeltern zu
erscheinen.
Die Frau (Schwiegertochter), um dem Schwiegervater und
der Schwiegermutter zu dienen, wie sie Vater und Mutter
diente, steht, wenn der Halm zu krähen anlangt, auf, wäscht
Hände und Mund, kämmt das Haar, flicht es, steckt es mit
Haarnadeln fest, zieht ein langes Kleid an. Links hängt sie an
den Gürlel ebenfalls ein Tuch, ein Messer, einen Schleifstein,
ein kleines Hörn (Knoten aufzulösen), einen Brennspiegel aus
Metall, rechts eine Nähnadel mit Faden und Seide, ein Säck-
chen und ein grosses Hörn (zum Auflösen der Knoten). 2 Höl-
zer zum Feuerreiben. — Die Schuhe werden festgebunden. Dann
gehen sie an den Ort (in das Schlafgemach) von Vater und
Mutter , Schwiegervater und Schwiegermutter. Dort angekom-
men, frag(!n sie sie mit unierdrücktem Athen» und sachter,
sanfter Stimme, ob sie auch gegen die Kälte warm angezogen
sind, leiden sie an einer Krankheit wie an einem kleinen Ju-
cken (Ho-yang), so stehen sie ihnen ganz ehrerbietig bei, kra-
zen oder reiben sie. Beim Aus- und Eingehen geht einer von
ihnen voraus und einer hinten nach und unterstützt sie ehrer-
bietig. Sie brinoen ihnen Waschwasser; die Kleinen reichen
ihnen die Waschschaale, die Grössern das Wasser und ersuchen
sie , die Hände zu waschen. Nachdem das Wüschen vorbei,
reichen sie ihnen ein Tuch (zum Abtrocknen) und fragen, was sie
zu essen und zu trinken wünsrhcn und ehrerbietig bringen sie
es ihnen, mit sanftem Blicke ihren Wunsch erfüllend (ei<j.: sie
zu erwärmen): Reisschleim, süssen Wein, Suppe mit Gemüse,
Hülsenfrüihte, Waizen, Hanfsamen (Fen), Wasserreiss (Tao)^
16*
236 Sitzung der philos.-pftilot, Classe vom 6. Dec. iSdi.
(Hirse) Sehn und Leang und (die Reisart) Scho und fragen was
sie davon wünschen, dann chinesische Datlehi und Kastanien,
Reiskugein und Honig (Mi), sie zu versüssen (der Zucker war
in China damals noch unbekannt),* eine niehlhaltige Pflanze und
Fett , um (das Essen) zu fetten. Wenn Vater und Mutter,
Schwiegervater und Schwiegermutter sie gekostet haben, gehen
sie wieder fort.
Die Knaben und Mädchen , die noch nicht den männlichen
Hut und die Haarnadel angelegt haben, stehen ebenfalls , wenn
der Hahn zu krähen anlangt , auf, waschen Hände und Mund,
kämmen die Haare, flechten sie und thun die Haare in ein
Netz, ein Hörn (daraus bildend.) Sie hängen an den Gürtel
eine Tasche mit duftenden Sachen. Früh Morgens (gehen sie
zu den Aeltern) und fragen, was sie essen und trinken wollen.
Haben sie schon gegessen, so treten sie zurück; wenn sie noch
nicht weffessen haben , so unterstützen sie die altern Geschwi-
ster und sehen nach den Schüsseln.
Alle (Diener) drinnen und draussen waschen auch Hände
und Mund wie der Hahn zu krähen beginnt . kleiden sich an-
ständig an. nehmen Kopfstück und Decken zusanunen (sie schlie-
fen auf der Erde), bespritzen und kehren das Haus und die
äussere und innere Halle (Tang und Ting), breiten die Matten
aus und jeder geht dann seinem Geschäfte nach. Vom Beam-
ten (Ming-sse) aufwärts haben Vater und Söhne alle eine ver-
schiedene Wohnung (Kung). Früh Morgens (Mei-schoang) war-
ten diese ihnen liebevoll auf, in der Absicht, sie zu erfreuen.
Den Tag über gehen sie weg. Jeder seinem Geschäfte nach,
von Tages Eintritt bis zum Abend. Wenn Vater und Mutter,
Schwieffervater und Scliwiegermutter niedersitzen wollen (Mor-
gens beim Aufstehen nach den» Schol.), bringen sie ihnen die
(9) Einige Clianilvlcre .sind mir uiivprstandliili. Der Scliol. sagt
schon, dass bei der Verse liicdciiluit der alten (ieiällie und «erithte u.
y w mancher Ausdruck nicht sicher zu deuten sei.
Plath : Die hiluslichen Verhältnisse der alten Chinesen. 237
Mallo und fragen, wo sie sie hinlegen sollen. Wollen sie
sich niederlegen, so bringen die altern die Schlarinntte und fra-
ffen, wo sie die Füsse hinrichten wollen; die Kleinen bringen
ein Bänkclien beim Sitzen (Tschoang, jetzt ein Bett, nach dem
Schue-wen damals eine kleine Bank zum Anleimen). Die Die-
ner stellen ein Tischchen hin , legen die Malten Si und Thien
zusammen — jene soll ans Binsen, diese ans Bambus gewe.sen
sein — hängen das Zeug auf, die Kopfslülze'" thun sie in einen
Korb oder eine Büchse (Khie): die Bambusmatle rollen sie
zusammen und thun sie in don Nachtsack des Vaters und der
Muller, des Schwiegervaters und der SchwiegermutliM-. Klei-
der, Decke, Malte, Kopfstütze und Tischchen verrücken sie
nicht: ihren Stock, ihre Schuhe respektiren sie und unterstehen
sich nicht, sich ihrer zu bedienen (ihnen zu nahen); ihre Schüs-
seln, Becher und Gelasse, wenn nicht Ueberbleibsel darin sind,
wagt keiner zu gebrauchen; ihre Speise oder ihren Trank, wenn
es nicht Ueberbleibsel sind, wagt keiner zu essen und zu trin-
ken. So lange Vater und Mutter am Leben sind, ermuntert der
Sohn und seine Frau Morgens und Abends sie beständig zum
Essen, und wenn sie gegessen haben, verspeisen sie die Ueber-
bleibsel. Wenn der Vater gestorben ist, die Mutter aber noch
lebt , wartet der älteste Sohn (Tschung-tseu) ihr beini Essen
auf, die andern Söhne und Frauen helfen ihm, wie zu Anfange
(da der Vater noch lebte).
Weini Vater und Mutter, Schwiegervater und Schwieger-
nmtter ihnen etwas heissen, müssen sie gleich ehrerbietig ja
(wci) antworten; beim Hinkommen und Weggehen sorgsam
und aufmerksam (sie bedienen); beim Hinauf- und Hinabgehen,
beim Aus- und Eingehen sich verneigen und leise auftreten,
nicht wagen zu rülpsen, zu gähnen, zu husten, den Körper zu-
(10) Der .\ii.s(lrii(k Kopfkissen »der Ptiilil für Tsiliiii i.st insofern
unpassend, al.s es dem (liiaraliler nadi nur ein Holz war, das man un-
terlegte, damit der Kopf eUvas lioher liege,
238 Sitzutiff der philos. -philol. Vlasse vom 6. Dec. i868.
saniiueiizuzielieii oder ausziislreckeii, nicht auf einem Fuss zu sie-
ben, nicht wagen sie scharf anzusehen, oder auszuspucken oder
die Nase tröpfeln zu hissen. Wenn sie auch freiem, wagen sie
nicht ein Ueberkleid anzuh'gen, wenn es sie juckt, wagen sie
nicht sich zu kratzen. Sie entblössen die Arme nicht, heben
ihre Kleider nicht auf, wenn sie nicht etwa über einen Fiuss
selZfMi. Ihr Unterkleid (das etwa schmutzig sein könnte) zei-
gen sie nie. Vaters und Mutters Ausgespucktes und Nasentrö-
pfel lassen sie nicht sehen (wischen sie weg), wenn deren Hut
und Binde schmutzig sind, so nehmen sie Asche und bitten sie
waschen (seu) zu dürfen; wenn Unter- und Oberkleider auf-
gegangen und zerrissen sind, nehmen sie eine Nadel und bitten
sie ausbessern zu dürfen. Jeden 5ten Tag nehmen sie warmes
Wasser (Tsiang-tang) und ersuchen sie, sich zu baden (Yo).
Jeden 3ten Tag reichen sie ihnen Wasser zum Kopfwaschen
(mo), wenn das Gesicht schmutzig ist, bringen sie ihnen heis-
ses Reiswasser (Phuan) und ersuchen sie, das Gesicht zu wa-
schen (hoei); wenn die Füsse schmutzig sind, bringen sie heis-
ses Wasser und ersuchen sie die Füsse zu waschen (sien)."
Kleine Sachen besorgt der ältere (Tschang) , geringere Sachen
der geehrtere (Kuei), alle thun die Dienste zur gehörigen Zeit.
Wenn der Sohn und dessen Frau fromm (hiao) und ehr-
erbietig sind, so vollziehen sie Vaters und Mutters, Schwieger-
vaters und Schwiegervaters und Schwiegermutters Befehle, ohne
ihnen zu widerstehen und ohne zu zögern. Wenn diese ihnen
zu trinken oder zu essen geben , so kosten sie es , wenn es
ihnen auch nicht schmeckt (und erwarten bis sie es ihnen nach-
lassen); geben sie ihnen Kleidungsstücke, so tragen sie sie und
warten (bis die es ihnen erlassen); haben sie ein Werk zu ver-
richten, und thut es ein anderer an ihrer Stelle, so lassen sie es
geschehen, wenn sie es auch nicht wünschen, wenn die Schvvie-
(11) Die cliinesische Sprache hat lauter beiondere Wörter für das
TVaichen der Ter«chiedenenThcile dei Leibes.
Plittli : Die häuslichen Verhiiltiiinse der alten Chinesen. 239
gcniiuller es dem gibt und \\e\\x\ die Schwicgennulter (später)
es ihnen daini anls Neue aufträgt, weil der andere nicht damit
fertig werden kann, so übernehmen sie es wieder.
Wenn des Sohnes Frau eine mühsame Arbeit hat, obwohl
sie sie sehr liebt und die Schwieo-ernmiter sie sie aufcreben
heisst, so muss sie sofort davon ablassen.
Wenn des Sohnes Fiau unfromm und ohne Achtung gegen
die Schwiegermutter ist, darf sie sich nicht beklagen (tsi yuan),
wenn die Schwiegernuitter sie belehrt: wenn sie sich aber nicht
belehren lässt und diese ihr daiui nachher zürnt, darf und kann
sie nicht zornig werden, wenn der Sohn sie dann verslössl und
sich von ihr scheidet, indem er da gegen den Brauch sich nicht
vergeht.
Der Sohn und die Frau desselben haben kein besonderes
Eigcnihum (Gut Ho), keine ihnen eigenlhündich zugehörigen
(sse Privat-) Thiere, keine besonderen Gefässe, köinien für sich
nichts aideihen, noch ausleihen. Gibt ein (Verwandter) der Frau
Speise und Trank oder Kleider oder Zeug und Seidenzeug
(I'u-pe), Gürtelanhängsel oder duftende Kräuter, so nimmt sie sie
zwar an . bringt sie aber gleich dem Schwiegervater und der
Schwiegermutter dar. Wenn diese sie annehmen , ist sie er-
freut, wie da sie sie zuerst empfing, wenn die sie aber ihr zu-
rückgeben und sie ihr schenken, dann weigert sie sich erst (sie
zu nehmen); wenn diese aber darauf bestehen, so nimmt sie sie
wie neugeschenkt an und hebt sie auf, bis die ihrer bedürfen.
Wenn aber die Frau einen älteren oder jüngeren Bruder beson-
ders (sse) lieb hat und ihm etwas davon geben will, so wen-
det sie sich erst wieder billend an Jene und wenn die es er-
lauben, gibtsie es ihnen fol 61. Der jüngere Sohn (der Schi-tseu ")
und der Schu-tseu. (nach dem Schol. dessen jüngerer Bruder)
müssen dem ältesten Sohne des directen Nachkonnnen des Fa-
(12) Nach dem Sthol. hier der Sohn von einem Jüngern Zweige der
Familie.
24Ö Sitxung der philov. phüol. Classe vom 6. Dec. i862.
milieiigründers (Tsung-tseii) und dessen Frau (Tsuno;-fii) die-
nen. Wenn sie ano-eselien und reich sind, dürfen sie nicht mit
Ehren und Reichthiimern sein Hhus betreten; wenn sie viele
Wagen (Cnrossen) und Bediente (Tsu) haben, müssen sie diese
draussen (stehen) lassen und nur mit wenig Anhang (Yo An-
gebinde) eintreten. Wenn ein jüngerer Bruder Geräthe (Ki),
Pelz- und andere Kleider, Wagen und Pferde hat, muss er sie
immer erst seinem alteren Bruder (Tschang) anbieten, und erst
demnach sich unterstehen , an zweiler Stelle sie zu gebrau-
chen; hat er sie so nicht angeboten, so untersteht er sich
nicht, in des Tschung-tseu Thür zu treten und wagt nicht mit
Ehren und Reichthümern in des Vaters oder älteren Bruders
Clan ( Tsung-tsho ) zu erscheinen. So lange Vater und Mut-
ter leben, wagt er nicht für sich über seinen Leib (seine Per-
son) zu verfügen, nicht für sich sein Vermögen zu haben. So
lange Vater und Mutter am Leben, verfügt er nicht über den
Wagen und die Pferde, welche der Fürst ihm geschenkt hat.
üiess soll ein Damm sein, dass das Volk seiner Aeltern (Thsin)
nicht vergesse. Wenn Vater oder Mutter den Sohn oder En-
kel einer geringern Frau, wie einen illegitimen Sohn (Schu-
tseu) sehr lieben, so muss der legitime Sohn, auch wenn Va-
ter und Mutter schon todt sind , ihn noch ehren , ohne darin
nachzulassen. Wenn der Sohn zwei Frauen 2ter Classe (Thsie)
hat, von welchen der Valer oder die Mutter die eine, der Sohn
selbst die andere besonders liebt, so darf dieser bei der Ver-
theilung von Kleidern , Speise und Trank, bei der Auflegung
von Arbeiten , die vom Vater und Mutter geliebte nicht fern
(gering) ansehen und wenn Vater und Mutter auch schon todt
sind , sie doch nicht vernachlässigen. Wenn der Sohn auch
ganz einträchtig (schin-i) mit seiner Frau lebt, Vater und Mut-
ter sie aber nicht leiden können , so muss er sie Verstös-
sen; dagegen wenn er mit ihr nicht harmonirt, Vater und
Mutter aber sagen, sie dient uns gut, sie als Frau behalten und
sein Lebelang nicht von ihr lassen Ist der Schwiegervater ge-
storben und die Schwiegermutter alt, so opfert die älteste Frau
Platli : Die häuslichen Verhältnisse der alten Chinesen. 24t
(Tschuiiij-fii) und einpniiifft die fiiislo. abcM- in jeder Suche sucht
sie erst um die Eilaulmiss der Schwiegennulter nach und eben-
so die zweite Frau (Kiai-fu) l)ci der ersten (Tschuncr-fu). Heis-
sen Schwicofervaler und Sch\viei>ernuitter der ältesten Frau et-
was, so darf sie nicht Iriioe sein und darf es nicht gegen den
Brauch der zweiten Frau auflragcMi. Wenn Schwiegervater und
Schwiegermutter dieser aber etwas heissen , darf sie sich nicht
unterstehen , es der ersten Frau niitaufzubürden. Die Kiai-fu
darf sieh nicht unterstehen (mit der ersten Frau) in einer Linie
zu gehen, zugUMch etwas zu befehlen, mit ihr zusammen (ping)
sich zu setzen. Jede Frau (Fu Schwiegertochter) zieht sich
ohne Erhuibniss (Befehl Ming ihrer Schwiegernmtter) nicht in
ihr Privat-Gemach zurück und untersteht sich (ohne solchen)
auch nicht aus demselben wi(?der wegzugehen. Will die Frau
eine Sache thun, sie sei gross oder klein, so ersucht sie zuerst
Schwiegervater und Schwiegermutter um Erhuibniss. Tseng
tseu (ein Schüler des Conlucius) sagt: Nei-lse c. 12 fol. 69 v.:
,,Ein fronnner Sohn ernährt die Allen, erfreut ihr Herz, wider-
strebt nicht ihren Absichten, erfreut ihr Ohr und Auge, berei-
tet ihnen ihr Lager und ihren W(dinsitz, bei ihrer Speisung und
Tränkung sorgt er redlich für ihre Ernährung; daher was Va-
ter und Mutler lieben, das liebt er auch. Diess erstreckt sich
bis auf die Hunde und Pferde, wie viel mehr auf die Menschen"
und Li-ki Cap. Tsi-i 19 p. 121 flg. (c. 2i fol. 51 v.) sagt
dasselbe: „Wenn Vater und Mutler dich lieben, so (reue dich
und vergiss es nicht: wenn sie dich hassen, so fürchte diess
und zürne ihnen nicht ; wenn Vater und Mutter fehlen , er-
mahne sie, aber widerstrebe ihnen nicht." Ebenso lieisst es
Li-ki Cap. Nei-lse c. 12 fol 58 v. : „Wenn Vater imd Mutter
fehlen, so ermahne sie mit sanftem Blicke und milden (weichen)
Worten. Wenn sie die Mahnung nicht beachten, so ehre sie
dennoch; wenn du sie heiter gestimmt siebest, wiederhole die
Mahnung, denn es ist besser, sie unverdrossen zu ermahnen,
wenn sie auch zürnen, als durch ihr Vergehen den ganzen Gau,
242 fiitzung der philos.-phüol. Classe vom 6. Dec. 186$.
das ganze Dorf odor den Bezirk. Weiler (Hiaiig, Tang, Tscheu,
Liü) vor den Kopf zu stossen. \^ enu sie deiner Mahnung wegen
dir aber zürnen und dich selbst blutig schlagen, so darfst du
ihnen doch nicht heftig zürnen, sondern musst ihnen die schul-
dige Eln'fiH-cht und die gewohnte Pietät bezeigen. Li-ki Kio-li
hia c. 2 fol. 60 v. sagt: ..Des Kindes Sache ist die Liebe, drei-
mal ermahne sie (die Aeltern) und wenn sie nicht hören, dann
schreie laut auf, weine und ziehe dich zurück.*'^ Wenn auch
die Aellern todt sind, nuiss der Sohn, der ein gutes Werk vor
hat, denken, dadurch den Aellern einen g^uten Namen zu hin-
terlassen und es dalier ausführen ; daffeaen wenn er ein bö-
ses V>'erk vor hat, denken^ dass er Vater und Muller dadurch
Schande macht und es lassen.
Der gehorsame Sohn behandelt nach Li-ki Cap. 24 Tsi-i
und Siao-hio § 6 seine Aellern , als ob er einen kostbaren
SIein oder ein volles Gefiiss in Händen hatte, voll Aufmerksam-
keit und Achtsamkeit, besorgt jenes zu verlieren, dieses fallen
zu lassen. Nach Li-ki Cap. Kio-h 1 fol. 7 v. Siao-hio §. 5 ist
es Brauch, dass er (der Sohnj im Winter für Wärme, im Som-
mer für Kühle (Thsing Reinheil) sorge, Abends das Bett bereite
und .Morgens nach dem Befinden der Aellern frage.
Sieht er des Vaters Freund und der sagt nicht, dass er
eintreten möge, so wagt er nicht einzutreten; sagt er nicht,
dass er weggehe, so wagt er nicht wegzugehen, fragt er ihn
nicht, so untersieht er sich nicht zu antworten. Das ist die
Weise des frommen Sohnes.
Nach Li ki Cap. Kio-li 1. fol. 9, Siao-hio §. 7 darf der
Sohn in der südwestlichen Ecke des Schlafgemachcs (dem Eh-
renplätze) nicht weilen , nntten auf der Malte nicht sitzen . in
der Mitle der Thüre nicht sieben, (bei Gastmählern und Feier-
lichkeiten) die Zahl der Schüsseln nicht vorschreiben (Kai),
beim Ahnendienste den Todten (Schi) nicht vorstellen; er muss
hören auch ohne Ruf, sehen ohne ihre Gestalt wahrzunehmen,
nicht Höhen ersteigen, nicht in liefe Gründe sich hinablassen,
darf den Ruf (von Anderen) nicht leichtsinnig verletzen (Keu-
Platfi: Die häuslichen Verhältnisse der alten Chinesen. 243
tse), noch aiulere verspotten und den Aelterii dadnrcli Schande
zuziehen; ein Crounner Sohn lliul nichts in» Dunkehi. besteigt
keine Ahhiinae. So lan<re Vater und Muller leben , darf nach
1. c. fol. 10 §. 9 ein Sohn dein Freunde nicht versprechen,
(die diesem widerfahrenden BekMdigungen) selbst mit dem Tode
zu rächen'^ und kein Privalverniögen ( Sse-tsai ) haben. So
lange Vater und Mutter leben, dürfen Hut und Kleider nicht bor-
dirt und weissseiden sein. Siehe mehr ühev die Kleider der
Kinder fol. 10 v.) Nach Li-ki Cap. 30 Fang-ki fol. M Siao-
hio §. 10 darf er, so lange Vater und Mutter leben, nicht über
seinen Körper verfügen, nicht eigene Reichlluinier besil/.cn , er
darf Freunden und Obern keine kostbaren Geschenke machen.
So lange Vater und Mutter leben, sagt Confucius Lün-iü I.
4 §. 23 vgl Siao-hio ib. g. 8 darf der Sohn nicht weit weg-
gehen , muss er aber in dringenden Füllen es Ihun , ihnen
vorher es anzeigen, wohin er geht. Nach Li-ki Cap. Kio-Ii 1
fol. 7 Siao-hio § 5 zeigt er, wenn er ausgeht, es den Aellern
an und kehrt er zurück, so stellt er sich ihnen gleiih vor
(Mien). Es nmss innner ein beslinujiter Ort sein, wohin er
geht, und welche Kunst er auch treibe, sie muss imnici- ehren-
haft sein. Er wird sich nie einen Greis nenncm (und sich so
s«>inem Vater gleich stellen). Nach Li-ki Cap. Yü-tsao 13 fol. 27
Siao-hio §. 15 muss er auf des Vaters Ruf prompt w e i (ja)
(13) Merkwürdig ist noch Li kl Klo li (Jap. 1 tot. 37: ,,Mit dem
Fi'inde (Tsclicu) di-ines Valors dail'sl du iiiclil iinler (leinsellnn Ifiininel
leben, sieli.st du den Feind deines Rriideis, so darfst du nidil erst Iieiin-
keliren , die Waffen zu liolen . mit dem Feinde deines Genossen oder
Freundes nicht in dem.sell)en Keithe bleiben '• Auf die Frage Tscu-hia's,
wie man es mit dem Feinde (KieuJ seint's Vaters und seiner Aluttcr zu
hallen habe? erwiederl (.'onruiius I.i-ki (]ap. 3 Tan kung lol. 'i3: sein
Lager sei eine Trauermalte (Tsin-scliin), seine Koplstiitze der Schild,
er nimmt kein Amt an und bleibt nicht mit ihm im Reiche. Begegnet er
Ihm auch auf dem Markte oder am Hole, so kehrt er nicht erst heim,
•ondern bekämpft ihn (sofort). Dasselbe Kia-iü c. 43.
244 Sitzu7ig der philos.-philol. Classe vom 6. Dec. 1862.
und nicht yü (Ja)'^ antworten. Hat er eine Arbeit unter den
Händen , so nuiss er sie sofort liegen lassen, hat er Essen im
Munde, es ausspeien und hineilen, aber nicht rennen; wenn
die Aeltern alt sind und er weggeht, den angegebenen Ort
nicht wechseln und nicht später als er angegeben, heimkehren;
wenn die Aeltern krank sind und er weggeht, den angegebe-
nen Ort nicht wechseln und nicht später als er angegeben,
heimkehren. Wenn die Aeltern krank sind, darf sein Aussehen
und seine Haltung nicht heiter (voll Ischinff) sein.
Erkranken die Aeltern, so muss der Sohn nach Li-ki Kio-
li c. 1 fol. 26 V. Siao-hio §. 24 , wenn er auch schon den
männlichen Hut trägt, das Haar nicht kämmen, nicht übermü-
thig auftreten, keine verächtlichen Reden führen, er darf die
Harfe und Laute (Khin u. se) nicht rühren, bei Fleisch-Speisen
darf er nicht den Geschmack verändern, beim Weintrinken
darf es nicht bis zur Veränderung (Röthung) des Gesichtes
kommen , sein Lachen darf nicht bis zum Uebermaass gehen,
sein Zorn in keine Schmähungen ausbrechen. Nach Li-ki Kio-
li hia c. 2 fol. 61 und Siao-hio §. 25 vgl. Lün-iü 17 §• 22
muss der Minister (Tschin), wenn der Fürst (Kiün) erkrankt
und ebenso der Sohn, wenn die Aeltern (Tsin) erkranken, zuvor
die Medicin kosten und von keinem die Medicin nehmen, des-
sen Familie nicht schon drei Geschlechter über Arzt war.
Sind die Aeltern gestorben, so soll die Erinnerung an diese
den Sohn auch nach ihrem Tode noch immer zum Guten antreiben
und vom Bösen abhalten. Wir haben die betreffende Stelle aus
dem Li-ki Cap. 12 Nei-tse und Siao-hio §.27 schon oben ange-
führt. Confucius sagt hier §. 26 v. und Lün-iü L 1, 11 und L
4, 19 „Willst du den Sohn kennen, so siehe, was er bei Leb-
zeilen des Vaters im Auge hat, und was er Ihut, nachdem er
gestorben ist. Wenn er 3 Jahre nach des Vaters Tode die
(i;{) Jenes wird nach den Schol. ra.sch und ehrerbietig gesprochen,
dieses sorglos und gleichgUiig.
Plath: Die häuslichen Verhältnisse der alten Chinesen. 945
väterliche Lebensweise nicht aufgibt, kann er für einen gehor-
samen Sohn geilen.'' Die Trauer um die Aellern sollte ur-
sprünglich nach Confucius Lün-iü II. 17, §. 20 (22), Li-ki c. 38,
San-nien-wen fol. 17 v. und Fang-ki c. 30 lol. 31 drei Jahre
währen, weil die Aeltern das Kind so lange getragen haben.
Er gedenkt ihrer aber auch noch später nach Li-ki Cap. 24
Tsi-i , namentlich im Herbste und im Frühlincre. Der Ahnen-
dienst ist eine wesenlUche Pflicht. Meng-tsen sagt daher: Die
Impietät besteht in drei Dingen. Keine Nachkonnnen haben , ist
die grösste (Pu-hiao yeu san , wu heu yen ta) und Confucius
m Tschung-yung §.19 hihrt ,,den Verstorbenen zu dienen wie
man den Lebenden diente, den Weggegangenen dienen, wie
man den Anwesenden diente, ist der Gipfel der Pietät'' (Sse-sse
iu sse seng, sse wang iu sse tsun , hiao tschi Ischi ye). Der
älteste Sohn mit seiner Gattin verrichtet den Ahnendienst. S.
über diesen meine Abhandlung: lieber die Religion und i\en Cul-
tus der alten Chinesen. München 1863. IL S. 84-122. Nach
Li-ki Cap. Tsi-i 19 (24 fol. 39) und Siao-hio §. 31 beobach-
tet der Sohn dabei strenge Enthaltsamkeit im Aeussern und
Innern. Während diesiT Fasttage vergegenwärtigt er sich die
Gewohnheiten und Worte, den Sinn und die Absichten der
Aeltern. gedenkt wessen sie sich erfreuten, und was sie gerne
hatten , so dass sie ihm nach den drei Fasttagen wie gegen-
wärtig erscheinen. Wenn dann der Tag des Opfers gekom-
men, sieht er sie wie vor Augen. Wie sollte er ihnen daher die
gebührende Verehrung nicht erweisen. Siehe meine Abhandlung
über die Religion und den Cultus der allen Chinesen. II. S.
112 %.
Die Trauer um die Aellern (Sang) sollte ursprünglich sehr
strenge sein. Meng-tsen I. 5, 4 fassl die Anforderungen so zu-
sammen : 3jährige Trauer, eine grobe Kleidung, zur Speise nur
Reis in Wasser gekocht, Enthaltsamkeit von Fleisch- und Wein-
genuss ist befohlen, ausser in Krankheiten. Doch soll man in
•ler Enlhallsamkeil auch nicht su weit gehen, dass man zu sehr
abmagerl, besonders wenn man schon all ist; z. B. im 70len
246 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 6. Dec. 1862.
Jahre kann man Fleisch essen, (Reis-) Wein trinken, im ge-
wühniichen Zinmier schlafen; Traucrkleider — in China ist die
Trauerfarbe weiss — o-eniiwn Der Beamte le^t sein Amt nie-
der. Die Trauer ist länger und tiefer, je naher verwandt der
Verstorbene war. vgl. auch Lün-iü II. 17, 20.
Die Mutter genoss in China immer eines bedeutenden
Ansehens. Beispiele erinnern an spartanische Frauen. Du Halde
II. p. 801 und 808. Die Frau ist auch auf ihren Mann nicht
ohne Einfluss. So rüttelte seine Frau den Kaiser Yeu-wang
(807 V. Chr.) aus seiner Indolenz auf. de Mailla II. p. 39; aber
es zeigt sich auch der verdei'bliche Einfluss der Ta-ki unter
Kie, dern letzten Kaiser der ersten Dynastie Hia , der Tan-kl
unter Scheu-sin, dem letzten Kaiser der zweiten Dynastie Yn,
der Pao-sse unter Kaiser Yeu-wang u. s. w.
Der Mutter gehorcht man und liebt sie wie den Vater;
aber sie nimmt doch nur den zweiten Platz ein. Bei des Va-
ters Lebzeiten dauert die Trauer um die Mutler daher nur ein
Jahr. ,,Wie es am Himmel nicht zwei Sonnen gibt, im Reiche
(Thian-hia) nicht zwei Kaiser, im Fürslcnthume nicht zwei Für-
sten, so gibt es in der Familie nur einen Geehrten oder Herrn
(Tsin)'', sagt Confucius im Li-ki Cap. Sang-fu Sse-tschi Cap. 49
fol. 73 und Kia-iü Cap. 26 fol. 8. Die Mutter ist auch nur
so geehrt, so lange sie des Vaters Frau ist. Verstoss! er sie,
so hört wenigstens die äussere Trauer des Kindes beim Tode
der Mutter auf, und es wird von Confucius' Sohne Pe-iü imLi-ki
Cap. 3 fol. 13 V. Kia-iü c. 42 fol. 21 v. als etwas Besonderes erzählt,
dass er um seine von Confucius verstossene Mutter bei ihrem
Tode so lange geweint habe. ,,Als Tseu-lschangs Mutter gestor-
ben war, wird im Li-ki cap. 3 erzählt, beweinte er sie nicht.
Die Schüler befragten desshalb Tseu-sse (seinen Vater, Confu-
cius' Enkel), der erwiderte aber: so lange sie meine (Ki's) Frau
war. war sie seine (Pe's) Mutter, als sie aufhörte meine Frau
zu sein, war sie auch nicht mehr seine Mutter. Daher betrau-
ert die; Familie Kung (des Confucius) die verstossene Mutter
nicht; doch begann das erst seit Tseu-sse,"
Ptath: Die häuslichen Verhältnisse der alten Chinesen. 247
Noch weit schlechter ist aber in China die zweite Frau
(Tshie) gestellt; ihre Kinder müssen, wie schon henierkl, die
erste Frau als Mutter ehr(;n nnd als Tseu-lieu's Mutter oestoi-
hen war und es an dem nölhigen Trauergeräthe Fehlte, wollten
dessen Brüder, um das Nölhige ziu" Bestallung ihres Vaters zu
beschalTen, nach Li-ki Cap. Tan-kiing 3 lol. 28 v. die zweite
Frau ihres Vaters sogar veikaid'en, aber jener meinte doch, ei-
nes Menschen Mutter verkaufen, um die Seinige zu beerdigen,
gehe doch nicht !
Zur Würdigung der häuslichen Verhältnisse der alten
Chinesen brauchen wir kauuj schliesslich noch etwas hinzuzu-
setzen , da sie sich von selbst ergibt. Die Trennung der Ge-
schlechter und die untergeordnete Stellung der Frau konnten
nur nachlheilig wii'ken , da sie der freien Geselligkiut und der
Enlwickluno- eines höheren Lebens nothwendiff hinderlich sein
musste. Die Heiligkeit der Ehe, die Erleichterung dersellxfn, die
zvveckmiissiffen Einrichtunsjen , nicht zu früh zu heiralhen und
nicht in derselben Familie, mussten die Ztniahme der Bevölker-
ung fördern und Hessen die vielen und wilden Ehen und un-
ehelichen Geburten nicht (mtstehen Die Frau halte als Mutter
eine verhältnissmässig würdige Stellung und das System der
zweiten Frau (Tshie) förderte nicht run* die Erhallung der Fa-
milie, hinderte ein uiwegelmässiges Concubinat und gewährte
ihren Kindern eine rechtliche Stellung, die bei uns die ausser-
ehelichen nicht haben, obwohl es sonst nicht ohne Inconvenien-
zen ist. Wir r(^chnen dahin namentlich die Zwietracht unter
den Frauen mid die künstliche, unnatürliclie Stellung der Kinder
der zweiten Frau zu ihrer Mutter. Auch die Arbeitsamkeit war
segensvoll.
Was das Vcjrhiiltniss zwischen AeltiM'u und Kindern be-
trifft, so förderte die tief untergeordnete Slellung des Sohnes
unter den Vater offenbar das System der Unterordnung und des
uribe<lingten Gehorsams, welches das ganze chinesische Leben
beherrscht, aber dii^ gänzliche Unstdbsländigkeit des Sohnes bei
Lebzeiten des Vaters wird auch zu dem Mantrel einer selbst-
248 Sitzung der math.-phps. Classe vom ü. Dec. 1862.
släiidigen freien Entwickelung in China wesentlich mit beigetra-
gen liabcn.
Die Vorschriften über die Pietät gehen oft in's Kleinliche
und fast in's Abgeschmackte.
6>"
»'
Bemerkung.
Die chinesischen Originaltexte konnten hierorts, wie der Vf.
wünschte, nicht beigegeben werden.
Der Classensecretär Herr iM. J. Müller hielt Vorträge
a) „über die Erzählung von derDoncella Teodor;
b) ,.über den Tod Don Sebastians;"
c) „über die Pest im 14. Jahrhundert."
Diese Vorträge werden späterhin in Druck gelegt werden.
Mathematisch - physikalische Classe.
Sitzung vom 13. Deceinber 1862.
Herr Jolly hielt einen Vortrag über
„Bathometer und graphische Thermometer."
Die Messungen der Tiefe der Meere und der Temperatu-
ren in diesen Tiefen haben für die Physik des Meeres ein
nahe liegendes Interesse. Temperatur-Differenzen sind zumeist
die einleitenden Ursachen der Meerosslröme, und Druck und
Temperatur sind in der Lebensökonomie der Meeresgeschöpfe
zwei der wichtigsten Factoren.
Zu Tiefenmessungen sind zwei Apparate in Gebrauch , das
Tiefloth und das Bathometer. das letztere ein Instrument, welches
die Tiefe, in die es herabgelassen wird, graphisch angibt. Mit dem
Jotly: Bathometer und graphische Thermometer. 249
Tieflolh, einem schweren Körper an einer dünnen Schnur, sind
bis jetzt wohl ausnahnislus alle Messungen betrachtlicherer Tie-
fen ausgeführt. Der Apparat empfiehlt sich durch seine Ein-
fachheit. Die Schnur ist in Toisen oder in Meter gellieiit, die
Theilpunkte sind durch gefiirbte Bündchen, die mit fortlaufen-
den Nummern versehen werden , bemerklich gemadit, und für
jedes Tausend ist eine andere Farbe gewählt. Hat das Loth den
Boden erreicht, so wird die abgelaufene Fadenlilnffe abo-elesen.
Eine Verbesserung des Apparates ist dadurch erzielt, dass ein
am Loth zur rascheren Senkung aufgehangenes, schweres Ge-
wicht durch den Stoss am Meeresboden abgelöst wird, wo-
durch das Heraufziehen der Leine mit minderem Kraftaufwand
und minderer Gefahr des Zerreissens ausführbar wird. Von
zwei Fehlerquellen, mit denen man zu kämpfen hat, liisst sich
die Grösse der einen vielleicht genügend genau ermitteln, wäh-
rend die der anderen lediglich Vermuthungen überlassen ist.
Die durch das Senkblei gespannte Schnur erfährt nämlich durch
Benetzung nicht unbedeutende Aenderungen ihrer Länge, und
erleidet zugleich selbst bei vollständiger Windslille durch die
nie fehlenden Strömungen des Wassers Abwcichunoen von der
Vertikalen. Herr Lenz' hat gezeigt, wie die erste dieser Aen-
derungen in Rechnung gezogen werden kaiui, für die zweite
nahm er an, dass die Neigung, welche die Schnur an der Ober-
fläche des Wassers zur Vertikalen zeigt, auch für die ganze
Tiefe ungeändert bleibe. Es ist einleuchtend , dass die durch
Benetznng der Schmu* eintretende Aenderung der Länge un-
ter Anw(Midung der Vorsicht und Umsicht, mit welcher Hr.
Lenz in seinen Messungen zu Werke ging, für die Zwecke, die
hier erreicht weiden sollen, genügend genau bestinunl werden
kann. Die Abweichung der Schimr vom Lolh wird dagegen
aus der Abweichung, welche man an der Oberdäche des Was-
sers walunimmt, nicht b(^urtlieilt werden können. Die Ström-
(1) Pon;gi-iidürfT» Annalen B. 'JO p. 73.
lisiea. u.) 17
250 Sitzung der tnath.-phys. Classe ro/n 13. Dec. 1862.
ungeii, die in der Tiefe oft wesentlich von denen an der Ober-
fläche fibweichen , und die in versclnedencn Tiefen in Stärke
und Riclitunor wechsehid sein können, werden zum Erfolo- ha-
ben , dass die abgehaspeile Schnur keine gleich bleibende Ab-
weichung vom Lolh besitzt, und dass dieselbe überhaupt nicht
mehr einlach eine gerade Linie bildet. Die Unsicherheiten , die
hiedurch in die Messungen mit der Leine eintreten, werden um
so beträchtlicher, je grösser die zu ermessende Tiefe ist , und
lassen bei bedeutenden Tiefen nur angeben, welch' eine Länge
der Leine abgelaufen ist, nicht aber welcheTiefe erreicht wurde.
Dem entsprechend, führen auch die Naturforscher der Novara-
Expedition', die wohl die grössten Tiefenmessungen ausführten,
nur an, dass bei einer Messung im atlantischen Meer, 27** 2' nördl.
Breite und 24" 7' westl. Länge nach einer Abhaspelung einer
Schnurlänge von 24^000' engl., und bei einer zweiten Messung
auf der Fahrt vom Cap nach der Insel Amsterdam, in 40" 44'
südl. Breite und 60® 8' östl. Länge, selbst nach einer Abhas-
pelung von 37,000' engl, das Senkblei noch nicht den Meeres-
grund erreicht halte. Die Tiefen, die in beiden Fällen erreicht
waren, bleiben geradezu unbekannt.
In der Construction graphischer Instrumente sind zwei ver-
schiedene Principien in Anwendung gebracht. Die eine Classe
der Bathomcter gibt die Weglänge an . die das Instrument im
Niedersinken im Wasser zurücklogt, die andere bezeichnet den
Druck der über dem Instrument stehenden Wassersäule. Beide
Vorschläge sind schon vor langer Zeit gemacht, der eine von
Robert Hooke\ der andere von Haies*.
Der Apparat von Hooke besieht in einem oben und unten
offenen Kästchen, in welchem eine verlical stehende, drehbare
(2) Roi.se der öslt'rrc'iclii.schpii Fri'gatte Novara in den Jahren 1857,
1858, 1859, be.stlirieben von Dr. Siiierzer. B. 1.
(3) Robert Hooke's Bathometer ist im .lahre 1726 bt'kannt gemacht,
and ist beschrieben im 1. B. der Philos Transaction.s Nr. 7 p. 147.
(4) Stalical Essays, containing vegetable Stat. Steph. Haies. Lond. 1734.
Jolly: Bathometer und graphische Thermometer. 251
Achse sich befiiulfit. An der Achse sind Blechschaufehi in der
Stclliiiio; von Windniühldüffchi befestigt. Eine Senkung des Ap-
[liu-ales im W;isser hat hieriiacli eine Drehung der Achse zum
Erlolg, und diese wird durch eine Schraube ohne Ende, mit
welcher die Achse versehen ist, auf ein Zähierwerk transmit-
tirt. Hooke hat eine Anordnung hinzugefügt, nach welcher mit
dem Stoss auf der» Meerescrrund eine Auslösung des Zahler-
Werkes eintritt, wodurch die rotirenden Bewegungen, welche
durch das Heraufziehen des Apparates eingeleitet werden, aus-
ser Wirkuno; auf das Zählerwerk bleiben. Der Gebrauch des
Apparates setzt eine Art Eichung voraus Man lässt niimlich
das Instrument in eine abgemessene Tiefe herab , und erfahrt
hieinit die Anzahl der Drehungen, welche einer bekannten Weg-
lange entsprecljen. Hooke behauptet durch Versuche sich über-
zeugt zu haben, dass die Anzahl der Drehungen der bewegli-
chen Achse nur von der Liinge des durchlaufenen Weges und
nicht von der Geschwindigkeit des sinkenden Apparates abhiinge
und dass ebenso die Dichtigkeit des Wassers ausser Einfluss
sei. Begreiflich ist diess nur dahin zu verstehen , dass inner-
halb der engen Grenzen abgeänderter Geschwindigkeiten und
Dichtigkeiten, innerhalb welcher Hooke experimentirte, ein merk-
licher Unterschied sich nicht zu erkennen gab. Die Principien
der Mechanik lassen klar genug erkennen, dass und welch ein
Unterschied in der Arbeit eines Wasserstromes eintritt, je nach
der Geschwindigkeit, mit welcher derselbe durch einen Apparat
wie der von Hooke geleitet wird, und je nach der Dichtigkeit
des Wassers, ob in Salzwasser oder in süssem Wasser, ob in
Wasser von höherer oder von tieferer Temperatur. Wie gross
der Unterschied in der Geschwindigkeit des Niedersinkens mit
den erreichten Tiefen wird, geht wieder aus den j)uljlicirten
Beobachtungen der Begleiter der Novara-Expedition hervor, ein
Unterschicnl, der für den Anfang eine 20mal grössere Geschwin-
digkeit als für den Schluss der Operation ergab. Man müsste
also unter Anwenduno- des Hooke'schen Tiefenmessers zuwleich
auch Zeitmessungen machen. Da aber die Geschwindigkeit in
17»
252 Siizting der t/iath.-ph;/*. Vlasse vom 13. Dec. 1869.
der Abhaspelung sich fort und fort ändert, ohne dass ein ein-
faches Gesetz für diese Aenderung sich aufstellen lässt , so
bleiben die anzubringenden Correcturen höchst unsicher. Doch
abgesehen von Fehlerquellen dieser Art ist auch zu besorgen,
dass in der Technik des Apparates leicht Störungen eintreten,
die seine Angaben illusorisch erscheinen lassen. Geringe Un-
reinigkeiten des Wassers, kleine Fäserchen u. dgl. können die
Beweglichkeit der Achse und die Transnnission der Beweaunff
wesentlich abiindern. Vielleicht sind alle diese Umstünde der
Grund , aus welchem der Bathometer von Hooke mit all den
Abänderungen und Verbesserungen, die im Verlauf der Zeit in
Vorschlag kamen, zu Messungen bedeutender Tiefen nicht in
Anwendung kam.
Nach dem Vorschlag von Haies soll der Druck des Was-
sers zur Compression einer abgegrenzten Lullmenge benutzt,
und aus der Volumen-Vernn'ndcrung der Luft soll auf den Druck,
und hiermit auf die Höhe der pressenden Wassersäule geschlos-
sen werden. Eine eiserne, unten offene Röhre taucht mit dem
unteren Ende in eine gefärbte klebrige , in Wasser nicht lös-
bare Flüssigkeit. In der eisernen Röhre ist ein mit einer Thei-
lung versehenes Elfenbein- Stäbchen eingeschraubt. Durch den
mit der Tiefe zunehmenden Druck des Wassers wird die Luft
comprinn'rt und die gefärbte Flüssigkeit tritt nach Massgabe die-
ses Druckes in die Röhre ein. Wird das Instrument heraufge-
zogen, so dehnt sich die Luft wieder aus , aber am Elfenbein-
Stäbchen lässt sich durch die hängen gebliebene klebrige Flüs-
sigkeit die Höhe beurlheilen. bis zu welcher die Flüssigkeil ein-
getreten war. also auch die Volumen- Verminderung der Luft
erkennen, die der Druck in der Tiefe erzeugte. Der Quotient
aus dem verminderten Luft- Volumen und dem ursprünglichen
Volumen gibt, nach Atmosphärendruck bezeichnet, die Grösse
des Druckes in der erreichten Tiefe an. Man sieht, das Prin-
cip ist richtig, und wird in der Anwendung zu brauchbaren
Resultaten führen, wenn einerseits nur Pressungen in Frage
kommen, innerhalb welcher das Mariotle'sche Gesetz Gültigkeit
Jolhj: Bathomfter und yraphische Thermometef. 253
besitzt, und wenn andererseits der Einfluss der Tempcratur-
DilTerenz oben und unten, und wenn endlich dieDiclitiokeit des
Wassers in Reclinunij g-ezogen werden. Die Technik des Ap-
parates von Haies hisst aber Vieles zu wünschen übrig-, sie er-
laubt namentlich nicht die eingetretene VoluincMi- Verminderung
genügend genau zu messen. Haies selbst hat sich darauf be-
schränkt, den Vorschlag zu machen, Messungen hat er nicht
ausgeführt. Es scheint , dass erst Oersted ^ den gleichen Ge-
danken wieder aufnahm und zugleich auf eine Anordnung des
Apparates verfiel, die eine genaue Messung der eingetretenen
Volumen- Verminderung zulässt. Oersted schlug vor, eine, an
denn einen Ende geschlossene, an dem anderen Ende in eine
Spitze ausgezogene Glasröhre anzuwenden, die Spitze war um-
gebogen und mündete in einem Ouecksilbergefäss. Das Ganze
wird in eine passende Kapsel zum Schutze gegen Zertrüm-
merung eingeschlossen und in die Tiefe herabgelassen. Der
Wasserdruck treibt das O'iecksilber in die Röhre, und vermin-
dert das Volumen der Luft nach Massgabe des Druckes. Zieht
man das Instrument in die Höhe, so tritt aus der Spitze die
comprimirle Luft aus, und das Volumen der comprimirten Luft
Icissl sich aus dem Stand des Ouecksilbers in der Röhre ablei-
ten. Es ist mir nicht bekannt , ob Messungen mit diesem Ba-
thomeler ausgeführt sind. Gewiss ist aber, dass ohne gleich-
zeitige Temperalurbestimmungen eine genügende Genauigkeit sich
nicht erreichen lässt
Von den angegebenen Instrumenten war mir keines be-
kannt, als ich zum Zwecke einiger Tiefen-Messungen der Seen
des bayerischen Gebirges auf die Herstellung eines graphischen
Apparates Bedacht nahm. Ich verfiel ebenfalls auf die Idee
von Haies, imd benützte bei zahlreichen 3Iessungen, die ich am
Königsseo bei Berchtesgaden, am Obersee. und am Walchensee
ausführte, folgende sehr einfache Anordnung:
(5) L'Institut. 1834. Nr. 55.
254 Sitxung der matU.-phjjs. Classe vom 13 Dec. 1863.
In eine, am oberen Ende zugeschniol-
zene, am unteren Ende mit einem Hals
versehene Glasröhre, von der Gestalt A
b tli'i* heistehenden Figur, passt eine an
beiden Enden offene engere Glasröhre b,
welche in den Hals c der weiteren Röhre
luftdicht eingeschlifFen ist. Das Volumen
des Apparates wurde durch Wägung de-
sfillirten Wassers, welches der Apparat
fasst, bestimmt, und die Kalibrirung des
oberen Theiles mm wurde mit Quecksil-
ber in der Art ausgeführt, dass die Röhre
b am oberen Ende geschlossen, der Ap-
parat umgekehrt, Onecksilber successiv
eingegossen, und die bekannten Vorsichts-
maassregeln in Betreff des Meniscus be-
achtet wurden. An einem der Instru-
mente war beispielsweise das Volumen
122,2 Cub. Cent, und die auf mm auf-
getragene Theilung erlaubte noch •/,„
Cub.-Cent. direct abzulesen. Die Länge der weiteren Glasröhre
war 45 Cent. M., ihr Durchmesser amTheil mm war 1,2 C. M.
und der Durchmesser der engeren Röhre b war 0.4 C. M.
Das Instrument wird, eingeschlossen in eine Blechkapsel,
an einer Schnur in die zu messende Tiefe herabgelassen. Der
Boden der Kapsel ist mit einer Bleiplatte beschwert, und unten
und oben sind, wie die Zeichnung dies andeutet , eine Anzahl
kreisrunder Oeffnungen zum freien Durchgang des Wassers an-
gebracht. Durch die Röhre b tritt entsprechend dem mit der
Tiefe wachsenden Druck Wasser ein, bis die Luft in A auf das
dem Druck entsprechend kleinere Volumen zusammengedrängt
ist. Zieht man die Röhre in die Höhe, so entweicht die com-
primirte Luft durch die Röhre b, das eingetretene Wasser kann
aber nicht abfliessen. Die Höhe des Wassers im Gefäss A lässt
also sofort erkennen , auf welch ein Volumen die Luft in der
JolUi • rtathometer vnd tirajihische Thermometer. 255
Tiefe zusammeiigcpresst war und die an der Röhre angebrachte
Thcilung gibt uiiniilteibar die Grösse dieses Volumens in Cu-
bik-Centiniclcr an. Ein graphisches Thcrinoineler, auf dessen
Beschreibung ich noch zurückkonnnon werde, war in der glei-
chen Kapsel angebracht. Die Temperatur in der Tiefe wird also
immer mit der Tiefenmessung zugleich gewonnen.
Gesetzt es wäre V das anfängliche Volumen der Luft in
den Röhren A und b. v das Volumen der zusammengepressten
Luft, und t die Temperatur-Differenz der Luft am Wasserspie-
gel und des Wassers in der erreichten Tiefe.
Das Volumen v geht durch eine Temperatur-Erhöhung von
l" in das Volumen v ( 1 -}- a t ) über, wo a den Ausdehn-
ungs-Coeflicienten der Luft bezeichnet. Wäre die Temperatur in
der Tiefe ungeändert, und die gleiche wie an der Oberfläche
geblieben, so hätte man für das Volumen der coniprimirten Luft
nicht V , sondern v ( 1 -j- a t ) gefunden. Der Quotient
V
„ /i I « »\ ff'l>t an, um das wie vielfache der Druck in der
V (1 -j- a l) '=
Tiefe den Druck an der Oberfläche übertrifft. Ist b der Baro-
meterstand an der Oberfläche des Wassers, und s das specifi-
Vbs
sehe Gewicht des Ouecksilbers, so ist ^?T~"Z;~^r\ f'en Druck
in der Tiefe ausgcnlrückt durch die Höhe einer Wassersäule. Da
aber auf der Oberfläche des Wassers schon der Druck der At-
mosphäre . oder eine Wassersäule von der Höhe b s lastet , so
ist die errerchte Tiefe
T ^ { ex T n - 0 ^^'
vv ( l -|- « l) J
Wird nicht in reinem salzfreiem Wasser, und nicht in Wasser
von der Temperatur Null gemessen, sondern in Wasser, dessen
specifisches Gmvlcht s, ist, wenn das des deslillirten Wassers
von 0" zur Einheit angenonnnen wird, so ist die erreichte Tiefe
ausgedrückt durch die Gleichung
Vv (1 + a t) J Si
256 Sitzung der math -phys. Classe vom 13. Vee. i862.
Das Wasser der Landseen hat einen so geringen Salzge-
hall, dass das specifische Gewicht meist erst in der dritten De-
cimale um eine Einheit von dem des deslillirten Wassers ab-
weicht. Zugleich nimmt die Temperatur von der Oberflache
nach der Tiefe rasch ab, und nähert sich mehr und mehr der
Temperatur des Jlaximums der Dichtigkeit des Wassers. Ein
Gesetz, nach welchem die Temperatur sich mit der Tiefe än-
dert, lässt sich nicht aufstellen, also kann auch der Einflnss der
Dichtigkeits - Aenderungen nicht in exacter Rechnung verfolgt
werden. Aber es ist einzusehen, dass der Fehler, den man
begeht, wenn man voraussetzt, s, sei durch die ganze Aus-
dehnung der Wassersäule gleich der Einheit, ein sehr geringer
ist, und bei den Temperatur-Verhältnissen, die bei den Land-
seen in Frage stehen, erst in der 5len Decimale sich von Ein-
fluss zeigen kann.
Das Meerwasser hat eine beträchtlich grössere Dichtigkeit.
Sie ist nach den Messungen des Hrn Lenz' im Mittel 1,026, und
wechselt selbstverständlich je nach den Temperaturen und dem
Salzgehalt. Die Schwankungen sind aber so gering, dass sie
in den extremsten Fällen nur -\- 0,001 betragen.
Von grösserem Einfluss ist der Dampfgehalt der Atmo-
sphäre. Die Röhre ist im Anfang des Versuches nicht mit tro-
ckener Luft, sondern mit Luft gefüllt , die nahezu mit Dämpfen
gesättigt ist. Hat man die Röhre im Innern befeuchtet, wie
diess nach einem ersten Versuche ohnedies eintritt, so ist die
Annahme einer mit Dampf gesättigten Atmosphäre um so exac-
ler erfüllt. Die Tabellen über die Spannkraft der Dämpfe be-
kannter Temperatur lassen leicht beurlheilen , welches das Vo-
lumen der trockenen Luft im .\nfang und welches es am Schluss
des Versuches war. Denn gesetzt, es sei V das anfängliche
Volumen der, mit Dämpfen gesättigten im Apparat enthaltenen,
Lult, b sei der Barometerstand und h die Spannkraft der Dämpfe,
(5) Poggendorff's Ann. E. 20 p. 100.
Jolh/: Bathometer und f/raphische Thermometer. 257
SO ist (las Volumen der trockenen Luft, welche einem Druck b
entspricht V --— . Bezeichnet v das Volumen der comprimir-
' ' b
ten Luft, H den Druck dieser Lult, ansgednickt durch die Hohe
einer Ouecksilbersäule , und h, den Druck der Dämpfe, so ist
V -~-i das Volumen der trockenen Luft unter dem Druck H.
H
Der Quotient der Volumina trockener Luft am Anfanif und am
, V b-h H , ,
Schluss des Versuches ist demnach — - -.- — „ — , , und unter
V b H — h,
BerücksichtiguniT der Tempernlur-Diflcrenz ist er
V b-h^ H
Y (1 + « tl ■ ~^b~ ' H-h,*
LI
Der Bruch f^,-,- nähert sich um so mehr der Einheit,
H- h,
je grösser H im Verhaltniss zu h, ist. Bei Tiefen von nur we-
nigen hundert Füssen ist H ein Vielfaches von 760 m. m., bei
300' beiliiufur schon das lOlache. bei 000' schon das 20lache,
wiihrend h,, entsprechend der liefen Temperatur, die in solchen
Tiefen herrschend ist, kaum 0 bis 7 m m. beträgt. Man begeht
u
also einen sehr gering(Mi Fehler, wenn man rr-y- g'(''^'> ^«r
Einheit selzt, und die fileichung. welche die erreichte Tiefe an-
gibt, hat folgende einlache Form
Vv dHr« t) b J s,
Bei Süsswasser-Seen darf aber überdiess s, = 1 gesetzt
werden. Man erkennt, dass, unter sonst gleichen Verhältnis-
nissen, die Genauigkeit, die erreicht werden kann, wesentlich
Y
vom Ouotienten — abhängt. Sind die Dimensionen der Röhre
V
In der Art gewählt, dass Zehntel eines Cub.-Centimeters direcl
abgelesen und Hundertel nach geschätzt werden können , und
beträgt die Unsicherheit in dieser Schätzung 0,01 C. -C, so er-
gibt sich die Bestimmung der Fehlergrenzen für den Quo-
258 Sitzung der math.-phys. Classe vom iS. Dec. 1862.
V V V — V
tienten — aus dem Ausdruck - — j — ^^-^r^zz: -L, — - 0,01,
V V -)- O.Ol V ' V*
in welchem die Glieder mit liöhertMi Potenzen von 0,01 weg-
gelassen sind. Soll etwa der Tiefenmesser dazu dienen, Tiefen
bis zu 1024' mit einer Genauigkeit zu bestimmen, für welche
V
die Fehlergrenze des Quotienten — den Werth von 0,1 nicht
V
überschreitet, d. h. soll der Druck bis auf Vio Atm. genau an-
gegeben worden , also der Fehler bei 1000' Tiefe nicht mehr
als -}- 3' betragen, so hat man zur Bestimmung der Grösse von
V
V die Gleichung — ^ 0,01 == 0,1. Eine zweite Gleichung
zwischen V und v ergibt sich dadurch, dass in einer Tiefe von
V
1024' der Druck gleichkommt 33 Atm. lilan hat also — = 33.
Durch Elimination von v findet man V = 108,9 Cub. Cent. —
V
Halt man eine Fehlergrenze von 0,2 für den Quotienten — für
zulässig, also bei einer Tiefe von 1024 einen Fehler von -\- 6',
so reicht ein Gefäss aus vom Inhalt V =: 54,45 C. C. Und
wird bei einem lOmal grösseren Druck, also bei einer Tiefe
von etwas über 10000' eine Fehlergrenze in der Bestinuming
, V
des Quotienten — von -j- 1 für zulässig gehalten, so erhäU
man V = 1089 C. C. oder etwas über ein Liter.
In dieser Betrachtung ist vorausgesetzt, dass das Mariotte'-
sche Gesetz für alle Druckgrössen, die hier in Frage konunen,
exact gültig sei. Die Messungen von Regnault " zeigen aber,
dass dieses Gesetz selbst für die sogenannten permanenten
Gase, nicht ein Naturgesetz, sondern nur ein in ziemlich engen
Grenzen gültiges empirisches Gesetz ist , sie zeigen aber zu-
gleich, dass für Dru(;kgrössen bis zu 30 Atm., die .\bweichun-
(6) M^moires de rinstituf. XXI. Paris 1847.
Jolly: Bdthniueter und graphische Thermometer. 259
gen gering sind. Für Druckgrössen, für welche (\U) Grösse der
Abweichung von dem, als.exact gültig aiigenoinniencn, Gesetz
bekannt ist, lässt die erforderliche Correctur sich sofort aus-
führen. Ist etwa zu einer VoUimen-Verniinderung atmosphäri-
scher Luft auf V30 des ursprünglichen Volumens nicht ein 30-
facher, sondern nur ein 29,.")9 facher Druck erforderlich, so ist
V
eben der Ouofient — , der die Druckgrüsse in der Tiefe aus-
r *
drückt, entsprechend zu corrigiren. Unterlässt man die Correc-
tur, so begeht man in der Bcuirtheilung der Druckgrüsse einen
Fehler, der in dem angeführten Falle 0.1 1 Atm. betragen kann,
also dem Druck einer Wassersäule von 4 Meter gleich kiime.
Für Pressuno-en von mehr als 30 Alm. ist noch nicht un-
tersucht, wie weit die nach dem Gesetz von Mariotlc berech-
neten Volumen-Verminderungen von den Nvirklich eintretenden
abweichen. Es ist wahrscheinlich , dass mit der Grösse der
Verdichtung die Abweichung zuninnnt. Von der Aufstellung
eines Gesetzes kann aber nach dem, was bis jetzt experimen-
tell vorliegt, nicht die Rede sein. Also tritt unvermeidlich beim
Gebrauch d(!S Bathometer's zur Frmittcflung sehr bctiiit hlliclier
Tiefen eine Unsicherheit ein. In einer Tiefe von 24,000' be-
trägt der Druck schon mehr als 77!) Atm. Wollte man an-
nehmen, dass die Dichtigkeit der Lult auch nur direcl wie der
Druck zunimmt, so würde in diescjr Tiefe die comprimirte Luft
schon die DichtigkiMt des Wassers besitzen, in noch grösserer
Tiefe würde die Dichtigkeit der Luft die des Wassers über-
schreiten, die dichtere Luft würde also im Wasser niedersinken
und würde nach der Construction des Apparates th(?ilweise
durch die mittlere Röhre entweichen. Für Tiefen so beträcht-
licher Grössen bleiben also immer die Angaben des Instrumen-
tes illusorisch, selbst dann wenn man daran denken wollte, den
Apparat mit einem specifisch leichteren Gas, etwa mit WasserstofT-
gas, zu fidlen. Bis jetzt ist es aber überhaupt noch nicht ge-
lungen, Körper aus einer Tiefe von 24,000' wieder in die Höhe
260 Satzung der math.-phys. Ctasse vom 13. Dec. 1862.
ZU bringen. Beim Aufhaspeln sind noch immer die Schnüre
abgerissen.
Beschrünkt man die Anwendung des Instrumentes auf
Druckgrössen, also auch auf Tiefen, für welche die Abweich-
ung vom Mariotle'schen Gesetz als zu geringfügig vernachlässigt,
oder in anderen Fällen, als der Grösse nach bekannt, in Rech-
nung gezogen werden kann, so bleibt doch immer noch ein
Bedenken übrig. Die über dem Wasser stehende comprimirte
Luft wird von dem Wasser absorbirt und zwar, nach dem von
Henry aufgefundenen und von anderen Forschern bestätigten
Gesetze, in der Art , dass bei gleicher Temperatur immer das
gleiche Volumen aufgenommen wird, al.'-o von comprimirterLuft
dem Volumen nach ebenso viel, wie von nicht comprimirler
Luft. Die zur Vollendung der Absorption erforderliche Zeit
ist aber — wenn nicht Gas und Wasser anhaltend und heftig
gesciiüttelt werden — sehr beträchtlich. Bei ruhigem Stehen
wird die Luft, auch in stark comprinu'rtem Zustand, nur äus-
serst langsam vom Wasscu* aufgenommen. Um einen Anhalts-
punkt zu gewinnen, wurden in einem Mariotte'schen Apparat
10 C. C. W^asser mit Luft von 4 Atm. Druck in Berührung
gebracht, und an einem Ort constanter Temperatur aufgestellt.
Nach 24 Stunden betrug die Absorption noch kaum ,^^ C.-C.
und, da der Inhalt de^r comprimirten Lull 4 C. C, war, noch
kaum Vino dieser Gasmenge. Für die Dauer eines Versuches
mit dem Bathometer wird man also die geringe Absorption,
welche die Luft in dieser Zeit erfährt , vernachlässigen dürfen.
Man umgeht aber diese Unsicherheit vollständig, wenn man das
Instrument mit Quecksilber absperrt. In der Thal hatte ich
auch mit einer Anordnung dieser Art bei den Tiefenmessungen,
die ich ausführte, begonnen. Nachdem ich mich aber überzeugt
halle, dass bei Absperrung mit Wasser die gleichen Resultate
wie bei Absperrung mit Ouecksilber erreicht werden, war es
von selbst angezeigt, das schwerer transportable Quecksilber
zur Seile zu lassen.
Jolly: Bathometer und graphische Thermovieter. 261
Der Gebraiicli des beschriebenen Balliometors setzt die
Kenntniss der Temperatur -Differenz der Tiefe, in die (Ins In-
strument lierabtrelassen war, voraus. Haies hat wohl am Irii-
lieslen «iaraul' Bedacht genonmien . die Temperatur in verschie-
denen Tiefen zu messen. Ein Eimer mit Deckel , der im Bo-
den und im Deckel aufwärts scldagende Ventile besitzt, wird in
die Tiefe herabgelassen. Mit der abwärts gehenden Bewegung
öffnen sich die Ventile , und das Wasser durchströmt den Ei-
mer. Zieht man den Eimer in die Höhe, so schliessen sich die
Ventile, und man erhält Wasser aus dei' Tiefe, in welcher der
Eimer sich befand. Die Temperatur dieses Wassers wird um so
beträchtlicher von der der Tiefe abweichen, je mehr Zeit erfor-
derlich war, um den Eimer in die Höhe zu ziehen. Die Unsi-
cherheit wird also mit der Tiefe zunehmen. Peron' (einer der
wenigen Naturforscher auf Baudins Entdeckungsreise nach Neu-
holland. w(!lcher die Beschwerden der Reise glücklich überstan-
den hat) suchte die Unsicherheiten, welche unter Anwendung
von Haies' Eimer eintreten, dadurch zu umgehen, dass er ein,
in schlechte Wärmeleiter eingehülltes, Thermometer unmittelbar
in die Tiefe lierabliess. Das Gesetz der Abkühlung oder der
Ei'wärmung eines so ausgerüsteten Thermometers hat er nicht
ermittelt. Man kann daher aus Peron's Beobachtungen nur er-
kennen, da.ss überhaupt in der Tiefe eine tiefere Temperatur
angetroffen wird, nicht aber was der wahre Betrag der Tempe-
ratur-Erniedrigung war.
Hr. Lenz hat nach einer Angabe von Parrol den Eimer von
Haies dahin verbessert, dass einerseits die Bewegung <Ier Ven-
tile nnt grösserer Sicherheit eintritt, und dass andererseits durch
wechselnde Schichten schlechter Wärmeleiter, aus welchen die
Hüllen des Eimers be.'^tanden , nur äusserst langsam Tempera-
tur-Aen<lerungen sich geltend machen können. An der Achse
(8) (lilbtrl» Aiiiiali-n. ß. 19. p. 4?2,
262 Sitzung der math.-pht/s. Classe vom 13. Dec. i862.
des Eimers war ein Thermometer von starkem Glas befestiget,
stark genug-, um den Druck des Wassers selbst in bedeutenden
Tiefen noch ertragen zu können. Die Brauchbarkeit des Ap-
parats ist durch Hrn. Lenz dadurch erhöht und gesichert worden,
dass er zuerst das Gesetz aulsuchte, nach weichem die Tem-
peratur-Aenderungen eintreten, wenn das Instrument in einem
Wasserstrom bekannter Temperatur und bekannter Geschwin-
digkeit aufgeliangen wird. Vielleicht sind die einzigen verlas-
sigen Bestimmungen über die Temperaturen in der Tiefe des
Meeres jene, welche man Hrn. Lenz zu verdanken hat.
Graphische Thermometer würden wohl am dienlichsten sein,
wenn anders ihre Construction dahin gebracht werden kann,
dass die Angaben verlassig sind, und dass der Gebrauch keine
weitläufige und schwierig auszuführende Vorbereitungen erfor-
dert. Man hat daran gedacht , ein von James Six' angegebe-
nes Instrument in Anwendung zu ziehen. Doch hat schon Hr.
Lenz darauf aufmerksam gemacht , wie unsicher die Angaben
dieses Instrumentes durch Erschütterung und Bewegung werden
können. In der That war auch von Six selbst das Instrument
nur bestimmt, um local bei fester Aufstellung Temperatur-Ex-
treme anzuzeigen. Die Einrichtung des Minimum-Thermome-
ters, die man M. Walferdin verdankt, ist dagegen in allen Fäl-
len anwendbar, und gibt selbst bei heftiger Bewegung und Er-
schütterung noch verlässige Resultate. Wird das Instrument
genügend stark in Glas ausgeführt, so dass es selbst durch ei-
nen Druck von 100 und mehr Alm. noch nicht zerdrückt wird,
so wird man durch dasselbe die Temperaturen beträchtlicher
Tiefen namentlich dann ermitteln können , wenn zugleich die
Volumen-Verminderungen, die das Instrument durch die bedeu-
tenden Pressungen erfährt, in Rechnung gezogen werden. Die Vor-
bereitungen für den Gebrauch des Instrumentes sind nicht sehr
(U) Tlie construction and use ola llu'rnioniol<'r for sln'wing tlie ex-
tremes of teinperature in tlie alniüspiiere liiiring llie observer's abscnce.
Lond. 1794.
Jolly: Bathometer und yraphische Thermometer. 263
stluvierig, aber sie setzen voraus, tiass man über ein Bad lie-
ferer Temperatur und wo uiöglich über ein Bad von Tempera-
tur Null und nodi tieferen Temperaturen verfügen könne. Auf
Reisen und Excursionen sind dies oft geradezu unübersteiüh'clie
Hindernisse. Ich war daber darauf bedacbt , dem iAIiiilmum-
Thermomeler, welcbes icb bei Tiefenmessungen einiger Land-
seen gebrauchen wollte, eine Einrichtung zu geben, durch
welche die Anwendung des Instrumentes an keine anderen
Vorbedingungen geknüpft ist, als an solche, die allerwärts leicht
erfüllt werden können, und die bei sehr einfacher Technik auch
unter Anwendung sehr dünner, also für die Wiirme leicjit
(lurchdringbarer, Glashüllen in keiner Tiefe ein Zerdrücken des
Instrumentes besorgen lässt.
Das Instrument besieht aus einem Gefass a und aus einer
^3. an beiden Enden olfenen, mit einer willküi liehen Theilung
V versehenen Glasröhre b. Die Röhre ist oben kugelförmig
erweitert und unten in eine feine Spitze ausgezogen,
kann also wie ein Stt^hheber g(d)raucht werden. Das
Gelass a hat einen Hals , in welchem das untere Ende
der Röhre b gut eingeschliffen ist. Das Gefass wird
mit einer Flüssigkeit gefüllt, welche innerhalb der Tem-
peraturen, die in Frage konnnen , einen gleichbleiben-
den Ausdehnungs-Coelficienten besitzt. Ich habe hierzu
in der Regel concentrirte Kochsalzlösung angewendet.
Die Röhre b wird niit Ouecksilber gerülll, mit dem
Finger oben geschlossen , und mit dem eingeschlilTenen Ende
in den Hals des Gelasses a gesteckt. War im Anlang durch
die Wärme der Hand die Temperatur der Flüssigkeit in a nur
um Weniges über die Temperatur des Wassers erhöhet, so er-
folgt rasch die Temperatur- Abnahme , sobald der Ihermomelri-
sche Apparat in ein Wasserbad von der Temperatur der um-
gebenden Alniosphiire gebracht wird. Das Onecksilber fliessl
in feinen Trö[)fch('n . entsprechend der Zusannnenziehung der
sich abkühlenden Salzlösung, in das Gefass. Im Anfang des
Versuches, gleich nach der Zusammenselzung der beiden Stücke
564 SiUuny der math.-pht/s. Ctasse vom 13. Dec. 1868.
des Thermometers, wird das überschüssige Quecksilber aus der
Kugel ausgegossen. Mit der Abkühlung von a tritt also sofort
ein Sinken der Quecksilbersäule ein. Man notirt den Tlieilslrich
an welchem das Quecksilber stehen bleibt, und notirt zugleich
die Temperatur des Bades. In einem zweiten Versuche wird
das Instrument in ein Bad noch tieferer Temperatur gebracht.
Man erfährt hiedurch , um wie viel Theilst^iche die Quecksil-
ber-Säule bei einer bekannten Temperatur-Differenz sinkt. Ist
dies« Eichung des Instrumentes im Laboratorium einmal ausge-
führt, so ist der Gebrauch höchst einfach. Man setzt das In-
strument zusammen, wie es eben beschrieben wurde, und bringt
es in ein VVasserbad, dessen Temperatur nur der einen Be-
dingung unterworfen ist, hoher zu sein als die, welche man
graphisch mit dem Instrumente ermitteln will. Durch die Wärme
der Hand treibt man den Quecksilberfaden in «lieHöhe, so weit
bis er den in eine Spitze ausgezogenen und hiedurch verjüng-
ten Theil der Rühre verlassen hat. Die aufgetragene Theilung
bezeichnet die Länge des Fadens. In einer tieferen Tempera-
tur sinkt ein weiterer Theil des Quecksilbers in das Gefäss, es
bleibt nur ein kürzerer Quecksilberfaden zurück. Der Unter-
schied der beiden beobachteten Fadenlängen, dividirt durch die
Anzahl der Theilstriche , die einem Grad entsprechen, gibt in
Graden die stattgehabte Temperatur-Differenz.
Wird der Apparat beliebig tief in Wasser eingetaucht, so
ist doch ein Zerdrücken des Instrumentes nicht zu besorgen,
weil der Druck aussen und innen immer der gleiche bleibt.
Dagegen tritt durch den Druck eine Volumen-Verminderung der
Salzlösung ein , und Quecksilber fliesst in Folge des Druckes
selbst ohne Temperatur-Erniedrigung, in das Gefäss ab. Also
erfordert der Gebrauch des Instrumentes zu Temperatur-Be-
stimmungen in der Tiefe der Seen eine zweite, im Laborato-
rium auszuführende Vorbereitung, welche die Ermittlung der
Volumen-Verminderung unter gegebenem Druck zum Zwecke
hat. Ich setzte die graphischen Thermometer in ein Piezome-
ter ein, und notirte um wio viel Theilstriche die Quecksilber-
Jottii: Bitthometer und ijrnphische Thermometer 265
siiule unter verscIiitHlcneii Driickgrössoii sinkt. IJer Coiiipres-
sioiisapparal war ircniigond oeräuiuig, ui» ',) Iiistruineiito zugleich
iiurzuiieliincii, wcKlurcli eine Coulrole für die Messungen ge-
wonnen werden konnte. Für die Anwendung der graphischen
Thernionieter ist eine Kenntniss des Werlhes des Compressibili-
läts-Coellicienten nicht geradezu erlorderlich; es genügt für ein
ireoebenes Instrument zu wissen , um wie viel Theilstriche das
Quecksilber unter dem Druck einer Atmosphäre sinkt. Da aber
die Kubicirung der Apparate mit wenig Mühe verbunden ist,
so schien es um so gerathcner , auch diese Arbeit aufzuneh-
men, weil dann die Messungen gleich dazu dienen konnten, die
Compressibililiils-Coc-lficienten der benülztcn Salzlösung zu bc-
stinnnen, und also aus den DilFcrenzen^ die die Instrumente von
verschiedenem Kaliber ergeben, zu erkennen, in wie weit die
Technik der benutzten Instrumente sich bewidu't.
Das Gelass des Thermometers Nr. 1 hatte einen Inhalt von
10,0058 C.-C. und das Kaliber der Röhre war der Art, dass
der übrige Inhalt für 39,5 Liingentheile sich zu 0,00804 C. C.
und an einer andern Stelle für 65,5 zu 0.01331 C. C. ergab.
In beiden Füllen erhält man für den Inhalt des Raumes von
Theilstrich zu Theilsliich 0.000203 C. C. Ein Druck von 6
Atm. bewirkte ein Sinken des Ouetksilberladens im Betrag von
8,9 Theilstrichen. Die Volumen-Verminderung betrug demnach
0,001806 C. C. Da das anfängliche Volumen 10.0058 C. C.
war, so berechnet sich der Compressibilitäts-Coefficient für l
Atm. zu , — i,. ,,,,.„ = 0,000030. Und für den Druck je einer
b. 10,00o8 ^
Atmosphäre erfolgt eine Volumen-Verminderung von 0,00030 C. C,
also ein Sinken der Onecksilbersäule von 1,48 Scalenlheilen. Die
Lösung war eine concentrirte Lösung von käullichem Kochsalz.
Das Gefäss des Thermometers Nr. 2 halle einen Inhalt von
7,1039 C. C. Der Inhalt des Raumes zwischen zwei Theilstri-
chen eruab sich zu 0,000288 C. C. Ein Druck von 6 Atm.
bewirkte ein Sinken des Om'i^k''iIherfadens im Betrag von 3.8
Scalentheilen. Die Volumen- Verminderung beträgt denniach
HH6i n.| 18
26G Sittuny der math. - pfti/i. Clttsse vom IS. Oec. 1869.
0,001094. Es hercclinel sich Ineiiach der Compressibililäts-
Coeflicienl für den Druck einer Almospiiiire zu 0,0000256. [Jnd
lür den Druck einer Almosphäre sinkt das Quecksilber um 0,63
Scalenlheile.
Das Geftiss des Tiiermonieters Nr. 3 halte einen Inhalt von
9,4680 C. C. Der Inhalt des Raunies zwischen zwei Theilstri-
chen ergab sich zu 0,000304 C. C. Ein Druck von 6 Atni.
bewirkte ein Sinken des Quecksilberladens im Betrag von 5,2
Scalentheilen. Die Volumen-Verminderung beträgt demnach
0.001580. Es berechnet sich hienach der Compressibilitäts-
Coefficient für den Druck einer Atmosphäre zu 0,000278. Und
unter dem Druck einer Atmosphäre sinkt der Ouet^ksilbcrfaden
um 0,86 Scalentheile,
Allerdino-s weichen die crelundenen Conjpressibilitats-Coel-
ficienten betrachtlich von einander ab. Der Grund hievon ist
aber naheliegend. Auf den Scalen der Röhren sind nur ganze
Scalentheile aufgetragen, die Zehntel mussten geschätzt werden.
Eine Irrung in dieser Schätzung im Belang von '/,o eines Sca-
lentheiles ist schon genügend , um Ungleichheiten in den End-
Resultaten zu Wege zu bringen, wie die, welche erhalten wur-
den. Die Anwendbarkeit des Apparates hängt hiervon durch-
aus nicht ab. Denn die Aenderungen, die die Wärme bewirkt,
sind weit überwiegend über die Aenderungen, die der Druck
erzeugt. An den Instrumenten Nr. 1, N. 2 und Nr. 3 beträgt
das Sinken des Quecksilbers bei einer Temperatur-Erniedrigung
von 1° nach der Reihe 19 Scalentheile, 9,3 und 12,2. und ein
Druck einer Atmosphäre hat ein Sinken von 1,48 von 0,63 und
von 0,86 zum Erfolg.
Unter einem Druck von 30 Atm., dem beiläufig eine Tiefe
von 1000' entspricht, wird das Ausfliessen des Quecksilbers,
welches in Folge des Druckes eintritt, 44,4, 18,9 und 25,8
betragen. Gesetzt, es wäre die Ablesung für den Druck von
6 Atm. sogar um V^^ eines Scalentheiles unsicher, so würde
diess für die Zahlen, welche die Volumen- Aendernng unter dem
Druck einer Atmosphäre bezeichnen, eine Unsicherheit von
JoHi/. Halhowetci- tiitil tiniphische Thermometer. 207
' oder von 0,05 erzeui^on. [)(!r Fcliler könnte also l)ei oi-
6
uem Druck von 1)0 Alm. 1,5 Thcilstriclio bt'lrag(?n. Dies würde
hei dem Insirnment Nr. 1 eine Unsicherheit in der Temperatnr-
HestimmunjT von 0,079" C, bei dem Inslrument Nr. 2 eincUn-
Sicherheit von 0,12" C, und bei dem Inslrument Nr. 3 eine
Unsiclierheit von 0,12** C, also bei keinem dieser Instrumente
zwei Zehntel Grad der Celsius'schen Scala erreichen. In einer
tOmal grösseren Tiefe, oder unter einem Druck von 300 Atm.
würde die Grösse des F'ehlers schon bedenklicher, sie würde
in der oleiclien Reihenfolge der Instrumente 0,79° C. , 1,5° C.
und 1,2° betraoen. Doch ist hiermit zugleich schon das Mittel
angezeigt, welches man zur Verringerung dieser Fehlerquelle
anzuwenden hat. 3Ian hat nur darauf zu achten, dass der In-
halt des Gelasses im Vergleich zum Kahber der Röhre gross
ist. so dass einer Temperatur-Dilferenz von 1° C. eine noch weit
beträchtlichere Anzahl der Scalentheile entspricht.
Es bleibt noch das Bedenken übrig, ob eine concentrirte
Kochsalzlösung innerhalb der Temperaturen, die hier in Frage
kommen , eine gleichförmige Ausdehnung besitzt oder nicht.
Begreiflich lässt sich dies nur durch messende Versuche ent-
scheiden. Ich hatte zum Zweck einer ganz anderen Untersu-
chung schon vor längerer Zeit diese Messungen ausgeführt,
und mich überzeugt, dass eine concentrirte Kochsalzlösung in
den Temperaturen von — 5° C. bis + 10° C. sich beinahe so
oleichförmitr wie Quecksilber ausdehnt, und einen Ausdehnungs-
Coelficienten besitzt, der etwas mehr als das Doppelte von dem
des Oiit'cksilbers beträgt. Man kaiui indess gleich die graphi-
schen Thermometer selbst benützen, um sich zu überzeugen,
dass in diesen lieferen Temperaluren die Znsannnenziehung pro-
portional der Temperatur-Abnahme erfolgt. Es reicht hin, die
Apparate successiv in verschieden liefe Temperaluren zu ver-
setzen, und zuzusehen, ob proportional der Temperatur-Abnahme
das Sinken des Ouecksilbers erfolgt. Man kann sogar aus den
Angaben der Instrumente selbst rückwärts den Ausdehnungs-
18*
208 Sitzitnif der tiiuth. phys. Ctaii.se vom l3. Vec. IS6S.
Cüeincieiileii der Salzlösung bcrecliiieii , wenn man nur anders
vorausgehend den AusdelinunQS-Coefficienten der benülzlen Glas-
Sorte bestimmt hat. Dies war anderer Zwecke halber gesche-
hen, und es war die cub. Ausdehnung des Glases für 1" C.
gleich 0,0000261 gefunden. Die Rechnung ist hienach sehr
einfach, bezeichnet v das Volumen des Gefässes bei 0°, und ist
/:^derAusdehnungs-Coefficient der Losung, a der des Glases, ist
n die Anzahl der Scalentheile für eine Temperatur- Abnahme
von 1** C. und endlich /ii das Volumen eines Scalentheiles, so ist
V (/i — a) = n. fi.
Für das Instrument Nr. 1 war gefunden v:= 10,0058, n = 19,
,1t = 0,000203. Man erhiüt hiernach für ß.
ß — 0.000411.
Für das Instrument Nr. 2 war gefunden v= 7.1039, n=:9,3,
^i ■— 0,000288. Man erhält hiernach
ß = 0,000403.
Für das Instrument Nr. 3 war gefunden v =: 9,4680, n=:il2,2,
jii — 0,000304. Man erhält hiernach
ß = 0,000417.
Es stinnnen diese Werthe weit exacter unter einander
überein, als jene, welche für die Compressibilitäts Coeincienten
gefunden wurden, einfach weil die Zahlen, welche zu Grunde
hegen, mit weit grösserer E.xaclheit bestimmt werden können,
als jene, welche man durch Ablesen durch dicGlascylinder des
Piezomelers gewinnt.
Sind die Conslanlen eines jeden Instrumentes einmal im
Laboratorium mit Exactheit bestinnnt, so iässt der Gebrauch des
Instrumentes an Bequemliclikeit kaum etwas zu wünschen übrig.
Es genügt ein Fläsclichen Salzlösung bereit zu hallen, von dem
gleichen Concentrations-Grad wie der, für welche die Constante,
d. h. die Anzahl der Scalentheile, um welche bei einer Tempe-
ratur-Abnahme von l^C. das Ouecksilber sinkt, bestinnnt wurde,
und ferner ein kleines Gefäss nnt (juecksilber mitzunehmen, und
man li.il Alles zur Hand, was zum Gebrauch des Instrumentes er-
Jollf/: nathnnieter und arnpbi.iche Tliermnineter. 269
forderlicli ist. Die ZiisaimneMSPtzurio; ist so oinfacli, dass man
solbsl auf Reisen mit keinerlei Schwierigkeiten zu kämpfen lial.
Man kann slalt der Salzlösung auch Weingeist anwenden,
und liat dann den Vorllieil, dass, indem der Weingeist einen
beiläufig doppelt so grossen Ausdelniungs CoelTicienlen liesilzl.
die Anzahl der Sealenlheile, die einer Temperatur-Differenz von
l" C. entspricht, doppelt so gross wie bei der Salzlösung wird,
l'ebcrdicss ist die Wärme-Capacitiit des Weingeistes viel gerin-
ger als die einer Kochsalzlösung. Der Apparat nimmt daher
rascher die Temperatur des umgebenden Mediums an. Dagegen
ist der Concentrationsgrad des Weingeistes Aenderungen unter-
worfen, dieConstante des Instrumentes müsste also immer wie-
der von Neuem geprüft werden. Ich habe mit Weingeist nur
Versuche im Laboratoriunj, nicht aber auf Excursionen, gemacht.
Es kömile daher sein , dass die Besorgniss , die ich in BetrefT
der Aenderung des Weingeistes hege, nicht in dem Grade be-
gründet wäre, wie ich dies annahm.
Die Messungen, die ich von einigen Seen ausführte, lassen
sich in Kürze zusammenstellen. Das Volumen des benutzten
Rathomcter's war V r= 122,2 C. C. In der BIcchkapsel, in
welcher sich das Bathometer befand, waren zugleich zwei gra-
phische Thermometer angebracht, und mit dem BatluMueler
wurde, angeknüpft an der gleichen Schnur, ein Hales'scher
Eimer von einem Inhalt von beiläufig 10 Liter in die Tiefe
herabgelassen. Der Eimer wurde beigefügt, weil mein verehr-
ter Freund und College Hr. v. Siebold, der bei allen Messun-
gen zugegen war, Wasser aus bekannter Tiefe und von be-
kannter Temperatur zum Zwecke der Untersuchung des Tliier-
lebens in jenen Tiefen zu erhallen wünschte.
Beobachtungen am Königssee bei Ber chtosgadcn.
Am ll>. Auir. 1<%2
Temperatur der Lufl über dem Wa.sser 15" C.
Temperatur des Wassers an der Oi)erflä(he 14,1)" C
270 Sit-z-nny der math.-i'Iif/s. Classe mm 13. Vec. IS6S.
Bm-omeler 0.705 M.
Ort der Beobachlung: Fnlkensleiii . ciiu; Felswand, die sleii
in den See abliillt. Die Enlfeinung vom Vier war bei-
läufig 2 Meier. Die Instrumente wurden bis auf den Bo-
den herabgelassen, und verweilten bei diesem, wie bei je-
dem spätem Versuch, 15 Minuten in der Tiefe.
Die Luft im Balhometer zeigte sich comprimirl auf ein Vo-
lumen von 14,52 C. C.
Die graphischen Thermometer geben . unter Berücksichtigung
122 2
derEinwirkung eines Druckes von -TT^ — 1 =: 7.4 Atm.,
^ 14,5
eine Temperatur von 5.62" und C-GST.. also Mittel bei-
der Angaben 6,0' C. In der Gleichung
Vv(l-j-at)b J
ist also zu setzen
V — 122,2
V = 14.52
b =1: 0,705
t — 14.9 — 6,0 — 8,9
h r= 0,012 (nach Rcgnault's Tabellen für den
Druck der Dämpfe.)
« = 0,003665
s = 13,596
Man erliält
T =1 67.20 Meter.
Am 19. Aug. 1862.
Temperatur des Wassers an der Überfläche 14,9" C.
Barometer 0,705 M.
Ort der Beobachtung : mitten im See zwischen dcMu FaUuMi-
stein und dem Königsbach. Die Breite des Sees ist an
dieser Stelle beiläufig 2000 Meter. Die Luft im Bathome-
ler zeigte sich comprimirl auf 6,53 C. C. Die Tempera-
Jollif : lidtliomeler und yrnitlnsche Tliermoineler. 271
liirangnbcM der ynipliischoii TlicrmonieUM' sind 5,01 und
5,40, also im Millel 5,5"* C.
Man erhält liiornach
T =r 1(13,2 Meter.
Am 19. Aug. 18f)2.
Das Biillionieter wurde an der gleicheu Stelle , wie in dem
vorangehenden Versuch nicht bis zum Boden, sondern nur
in eine geringere Tiefe herabgelassen. Die Luft im Ba-
Ihometer zeigte sich comprimirl auf 24,2 C. C.
Die graphischen Thermometer wurden frisch gefüllt, sie ga-
ben in der erreichten Tiefe G,4G und 6,76, das Mittel bei-
der Angaben ist 6,61" C.
Man erliiilt hiernach
T — 36,8 Meter.
Am 21. Aug. 1862.
Temperatur des Wassers an der Oberfläche 15,2" C.
Barometer 0,701 M.
Ort der Beobachtung: Mitterling, beiläufig in gleicher Ent-
o O ? 3 0
fernung von den beiden Ufern , die Breite des Sees ist an
dieser Stelle ungefähr 4000 31eter.
Das Balhometer wurde bis auf den Seeboden herabgelassen.
Die Luft im Batliometer zeigte sich comprimirl auf 4,88
C. C.
Die graphisciien Thermometer gaben an 5,24 und 5,44. Das
Mittel aus diesen Angaben ist 5,34.
Die Spannkraft der Dämpfe von der Temperatur 15,2" C. ist
12,9. Es ist also h = 12,9 zu setzen.
Man findet
T — 216,5 Meier
Am 21. Aug. 1862.
Das Batliometer wurde an der gleichen Stelle wie im voran-
gehenden Versuch in eine geringere Tiefe herabgelassen.
Die Luft im Balhometer zeigte sich comprimirl auf 6.78 C. C.
272 Sitzinuf ile.r mnth.-plnis. Cl(i<se vom f.1 Dpc t^lü.
Die gnijiliischeii Tlierinomotcr gelten an 5,:}0 und 5,:^. Das
Millcl dieser Anüabon ist 5,3(S" C.
Man findet
T = 153,3 Meter
Am 21. Aug. 18G2.
Das Balliomeler wurde an der gleichen Sl(^lle in eine; nodi
geringere Tiefe herabgelassen. Die Lnft im Ralhonielcr
zeigte sich coinprinn"rl auf 10.32 C. C.
Die graphischen Thermometer gaben an 5,92 und 5,74. Das
Mittel dieser Angaben ist 5,83° C.
Man findet
T — 95,5 Meter.
Am 2. Sept. 1862.
Temperatur des Wassers an der Oberfläche 15,2" C.
Barometer 0,707 M.
Ort der Beobachtung- mitten im See zwischen dem kleinen
Watzmann und dem Götzen.
Das Bathometer Avurde bis auf den Seeboden herabgelassen.
Die Luft im Bathometer zeigte .sich comprimirt auf 5,09 CG.
Die Angaben der graphischen Thermometer waren 5,69 und
5,45, also im Mittel 5,52" C.
Man findet
T =: 209,1 Meter.
Am 2. Sept. 1862.
Das Bathometer wurde an der gleichen Stelle in einer gmn-
geren Tiefe herabgelassen. Die Luft im Batliometei" zeigte
sich comprimirt auf (5. 66 G. G.
Die graphischen Thermometer zeigten an 5,56 und 5,32. Das
Mittel dieser Angaben ist 5,44" G.
Mau fmdel
T — 198,0 M.'t(!r.
Jolti/: naihmnefev und (frophinche. Thermometer. 27''
Am 2. Sopl. lSr.2.
Das BiiUiomclor wiinio an der irloiclion SlcIU? in eine noch
oeringoro Tiefe lierabgc^Iassen. Die Luft im Balhomoter
zoioio sich comprimirt auf 12,05 C. C.
Die graphischen Thormonieler zeigten an 5,82 nnd 5,80. Das
Mittel dieser Angaben ist 5,81° C.
Man findet
T =: 104,3 Meter.
Am 2. Sept. 1862.
Das Balhomeler wurde an der gleichen Stelle in eini^ noch
geringere Tiefe herabgelassen. Die Luft im Batliometer
zeigte sich comprimirt auf 28,1 C. C.
Die graphischen Thermometer zeigten an 6,48 und 6,68. Das
Mittel dieser A\igaben ist 6,58° C.
xMan findet
T — 37,8 Metei-.
Am 2. Sept. 1862.
Das Balhometer wurde an der gleichen Stelle in eine noch
geringere Tiefe herabgelassen. Die Luft im Balhometer
zeigte sich comprinn'rt auf 40,7 C. C.
Die graphischen Thermometer zeigten an 7,86 und 7,02. Das
Mittel dieser Angaben ist 7,89'' C.
Man findet
T = 22,6 Meter.
Beobachtungen am 0 b e r s e e.
Der Obensee ist vom Königssee ungeHihr 2 Kilonieier ent-
fernt. Nach den Terrain -Verhältnissen ist nicht zu zweifeln,
(iass er früher einen Theil des Königssee's bildete, und luu'
durcli eine Erdrulsclie abgetrennt wurde.
Am 20. Sept 1862.
Teniperatin- i\r^ Wassers an der 0j)i;rlla(lie 15,1" C.
274 Sihung der math.-phys. Vlasse vom IS. Dec. 1862.
Raromeler 0.702 M.
Ort der Beobacliliino; : miltcn im Soc. Das Balliomelor wurde
bis auf den Seeboden herabgelassen. Die Luft im Balho-
meter zeigte sich comprimirt auf 15.42 C. C,
Die graphischen Tlicrmometer zeigten an 6,C0 und 6,58. Das
Mittel dieser Angaben ist 6,59° C.
Man findet
T = 62.3 Meter.
Am 20. Sept. 1862
Das ßathomefer wurde an der gleichen Stelle in eine gerin-
gere Tiefe herabgelassen Die Luft im Balhometer zeigte
sich comprimirt auf 30.5 C. C.
Die graphischen Thermometer zeigten an 7,48 und 7.62. Das
Mittel dieser Angaben ist 7.55" C.
Man findet
T ..1- 27,1 Meter.
Am 20. Sept. 1862
Ort der Beobachtung: nahe am Ufer des Obersees, an der
Stelle, an der ein Slurzbach sich in den See ergiesst.
Das Balhometer wurde bis auf den Seeboden herabgelassen.
Die Luft im Balhometer zeigte sich comprimirt auf 27.6
C. C.
Die graphischen Thermometer zeigten an 9.02 und 9,22. Das
Mittel dieser Angaben ist 9.12" C. Die Temperatur des in
den See sich ergiessenden Wassers war 13.8" C.
Man findet
T =r 31,2 Meter.
Beobachtungen am Walchensee.
Am 12. Oct. 1862.
Temperatur des Wassers an der Oberfläche 15" C.
Jnltii : liathoineter und graphische Thermometer. 275
Baromelcr 0.694 M.
Ort der Beobachtung: 1 Kilonieler von UiTeld, nalie am steil
Hblallenden Ufer.
Das Balhoineler wurde bis auf den Seeboden herabgelassen.
Die Luft zeigte sicli comprimirt auf 9,42 C. C.
Die graphischen Thernionieter zeigten an 5,88 und 6,04. Das
Mittel beider Angaben ist 5,91° C.
Man findet
T ~ 107.0 Meter.
Am 13. Od. 1862.
Temperatur des Wassers an der Oberflächi^ 15" C.
Barometer 0.692 M.
Ort der Beobachtung: beiläufig in der Mitte zwischen Urfeld
und dem Orte Walchensec.
Das Balhomeler wurde bis auf den Seeboden herabgelassen.
Die Luft im Balhomctor zeigte sich comprimirt auf 4,22 C. C.
Die g-raphischen Thermomeler zeigten an 5,01 und 5,34. Das
Mittel beider Angaben ist 5,17° C.
Man findet
T — 248,8 Meter.
Am 13. Oct. 1862.
Das Bathometer wurde an der gleichen Stelle in eine gerin-
gere Tiefe herabgelassen. Die Luft im Bathometer zeigte
sich comprimirt auf 10,20 C. C.
Die graphischen Thermometer zeigten an 6,22 und 6,02. Das
Mittel beider Angaben ist 6,12° C.
Man findet
T — 98.6 Meter.
Am 13. Oct. 1862.
Das Bathometer wurde an der gleichen Sl(dle in eine noch
geringere Tiefe herabgelassen. Die Lull im Bathometer
zeigte sich comprimirt auf 16,22 C. C
276 SiHuntf der math.php^. Ctasae vom 13. Der. 1862
Die graphisclicn Thermomeler zeigten an 6,66 und 6,86. Da.<«
Miltel dieser Angaben ist 6,76" C.
Man findet
T — 58,3 Meter.
Am 13. Oct. 1862.
Ort der Beobachtung: an einer Stelle des Sees, die beiläufig
l Kilometer östlich von der vorhergehenden liegt.
Das Balhometer wurde bis auf den Seehoden herabgelassen.
Die Luft im Bathomcter zeigte sich comprimirt auf 10,22
C. C.
Die graphischen Thermometer zeigten an 6,10 und 6,04. Das
Mittel beider Angaben ist 6,07" C.
Man findet
T — 97,6 Meter.
Die Zusammenstellung der Beobachtungen liisst .sofort über-
sehen, wie mit der Tiefe die Temperatur abnimmt. Es wurde
gefunden am Königssee
Tiefe
Temperatur
0
14,9" bis 15,2" C.
22,6 M.
7,89
26,8
6.61
37,8
6,58
67,2
6,00
95,5
5,83
104,3
5,81
153,3
5,38
163,2
5,50
198,0
5,44
204,1
5,52
216,5
5,34.
Die Temperatur nimmt also im Anfang sehr rasch ab , sie
ist in einer Tiefe von 22,6 Meter schon um etwas mehr als 7"
liefer als an der Oberfläche; sie iiinmil aber dann mit den
Jolti/: Uuthotiieter und yrujihisclie Thetmomtter. 277
wachsenden Tielen nur äusserst langsam ab , und nähert sich
mehr und mehr der Temperatur des Maximums der Dichtigkeit
des Wassers. Die tielste Stelle, die im Königssee mit dem
Bathometer gefunden wurde, war 210,5 Meter, die Temperatur
in dieser Tide übertrifft aber noch um 1,5^ die Temperatur
der grüssten Dichte des Wassers. Von der Tiefe von 104,3
Meter bis zur Tiefe von 21G,5 M. sinkt die Temperatur nur
noch um 0,47. Lässt sich aus so wenigen Beobachtungen selbst
nicht ein empirisches Gesetz, der Abnahme der Temperatur mit
der zunehmenden Tiefe abieilen, so ist doch jedenfalls nach
den vorlicixcnden Zahlen klar, dass erst in beträchtlich tieferen
Seen, die ähnlich wie die bayerischen Gebirgsseen tiefen Win-
tertemperaturen ausgesetzt sind, eine Temperatur zu erwarten
ist, die der Temperatur des Maximums der Dichtigkeit des Was-
sers näher gelegen ist.
Die Temperaturen, welche die graphischen Instrumente auf-
zeichneten, sind nicht ohne Anomalien. So wurde die Tempe-
ratur in der Tiefe von 143 Meter tiefer gefunden, als die in
der grösseren Tiefe von 103 Meter, und ebenso in der Tiefe
von 198 Meter eine tiefere Temperatur, als in der grösseren
Tiefe von 209 Meter. Es ist aber klar, dass dies lediglich den
nicht sfenüoend exacten Anga!)en der Instrumente zuzuschreiben
ist. Es treten die Hundertel der Grade nur als Rechnungs-
grössen auf, und sie sind nur aufgenonimen , um zu erkennen,
ob sie mehr oder minder nahe einem Zehntel kommen.
Die Beobachtungen und Messungen am Oborsee ergaben
Tiefe in Alcter. Teiuperatiir.
0 15,1° C.
27,1 7,55° C.
31,4 9.12« C.
62,3 6,59» C.
Hier ist die Anomalie bedeutender , und nicht durch die Feh-
lerquellen der graphischen Instrumente zu erklären. In einer
Tiefe von nur 27 Meter war die Temperatur 7,55, und in der
grosseren Tiefe von 31 Meter war sie 9,12, also um 1,57" C.
278 Sitzung der ttitith. fihys. Vitis.se vom 13. liec. /W^.
Die Oertlichkoil erklart aber zur Geiiiige die Ersclieiiuing. An
der Stelle, an welcher in der grösseren Tiefe die relativ hö-
here Temperatur gefunden wurde, ergiesst sich ein wasserrei-
cher Ba(;h in jähem Sturz in den See, und macht die höhere
Temperatur noch in beträchtlicher Tiefe geltend.
Die Beobachtungen im Walchensee waren minder zahlreich.
Es wurde gefunden
Tiefe in Meter Temperatur
0 15" C.
58,3 6,76.
97,6 6,07.
98,6 6,12.
107,0 5,91.
248,8 5,17.
Die tiefste im Walchensee aufgefundene Stelle ist 32 Me-
ter tiefer als die tiefste Stelle im Königssee. Die Abnahme der
Teujperaturen mit der Tiefe ist aber in beiden Seen auffallend
gleich. Sie befinden sich aber auch unter ganz gleichen phy-
sischen Verhältnissen , sie haben nahezu gleiche Tiefen , liegen
in gleicher Breite und beinahe in gleicher Höhe über der Mee-
resoberfläche.
Die graphischen Thermometer müssen längere Zeil in der
Tiefe, deren Temperatur ermittelt werden soll, verweilen. Es
ist also unvermeidlich, sie an einer Schnur herabzulassen und
wieder in die Höhe zu ziehen. Für die Bathometer ist ein
längeres Verweilen in der Tiefe nicht erforderlich. Es ist daher
naheliegend auf eine Einrichtung Bedacht zu nehmen, in welcher
das zeilraubende Auf- und Abhaspeln einer Schnur wegfällt.
Schon llooke und Haies hatten hierhin zielende Vorschläge ge-
macht. Eine Kugel von Holz sollte als Schwinmier dienen, an
der Kugel war das Bathometer aufgehangen, und am unteren
Ende des Balhometers sollte ein Körper von solchem Gewichte
befestigt werden , dass durch denselben der ganze Apparat in
die Tiefe gezogen wird. Endlich sollte mit dem Stoss auf dem
Meeresboden der schwere Körper sich ablösen, und das Batho-
Jollir- Bnthometer und yraphische Thermometer. 279
Mioler durch die Kugel wieder in die Höhe j^ebracht werden.
Der Apparat wird voraussichllith schon in geringen Tiefen den
Dienst versagen. Das Wasser dringt rasch in die Poren des
Holzes und macht den Scluviiinner unwirksam. Ich habe zunächst
hohle Kugeln von diinneni Messingblech angewendet, und fand,
dass sie aus Tiefen bis zu 60 i^ieter uuverseiu't den Apparat
wieder in die Höhe brachten. In Tiefen von 100 Meter wur-
den aber die Kugeln platt gedrückt. Vielleicht \vare es am
dienlichsten, Glocken von dünnem Blech, unten mit weitem
Hals und von einer Gestalt, durch welche der Schwerpunkt der
Gasglocke lief zu liegen kömmt , anzuwenden. Ein schwerer
Stein würde die Glocke sammt dem Bathometer in die Tiefe
ziehen. Wird der Stein durch den Stoss am Seeboden abge-
löst, so Kömmt der Apparat wieder in die Höhe, sobald die Di-
mensionen der Glocke der Art sind, dass das Gewicht des ver-
drängten Wassers grösser ist als das Gewicht der Glocke samml
dem {[gs eingetretenen Wassers und dem der verdichteten
Luft. Ein Zerdrücken des Apparates wird dann sicher in keiner
Tiefe eintreten, dagegen würde seine Anwendbarkeit durch Tie-
fen begrenzt sein , in welchen der Druck des Wassers 770
Atm. erreicht, indem hiemit eine Verdichtung der Luft erzeugt
wird, in welcher die Dichtigkeit der comprimirten Luft der Dich-
liifkeit des Wassers gleich kömmt. In offener See wird ein
Apparat mit Schwimmer überhaupt nicht anwendbar sein , denn
er würde durch die Strömungen oft weit fortgeführt, und wenn
er in die Höhe kömmt, schwer wieder aulzufinden sein. Man
wird also innner die Leine anwenden müssen , wird aber unter
Benützung der Lult-Bathomeler und der graphischen Thermo-
meter mit grösserer Genauigkeit die erreichte Tiefe und die
Temperatur in dieser Tiefe bestimmen können , als durch das
Tiefloth und den Hales'schcn Eimer.
280 Sttruny der math.-phys. Claaae vom 13. Der. 1863.
Herr von Siebold verheisst der Classe Milllieilungen über
das Ihierische Leben in den grösstcn Tiefen, welches vermöge
obiger Forschung erkannt werden konnte.
Hr. Nägeli macht eine erste Mitlheiking über
,,die Reaction von Jod auf Stärkekorner und
„Zellmembranen."'
Es ist schon lange bekannt, dass die Zellmembranen durch
Behandlung mit gewissen Mitteln in einen Zustand übergeführt
werden können, in welchen sie durch Jod sich wie Starkemehl
indigoblau färben. Aber man ist noch streitig darüber, wie
diese Mittel wirken, und was die blaue Reaction des Jod für
eine Bedeutung habe.
Schieiden, der Entdecker der Thatsache, dass Holz und
verschiedene andere Zellgewebe, wenn dieselben entweder nach
Kochen mit Aetzkali oder sofort mit Schwefelsäure und Jod
behandelt werden, eine rothe bis blaue Farbe zeigen, nahm an,
dass die Holzfaser in Stiirkekleister umgewandelt werde 0^'i<^g-
mann's Archiv 1838 und Pogg. Ann. 1838).
Die entgegengesetzte Ansicht hat darauf H. v. Mo hl zu
begründen gesucht. Nachdem schon Meyen, Schi ei den und
Dickie gefunden hatten, dass einzelne Zellmembranen sich ohne
Weiters durch Jod blau fiirben, beobachtete Mohl ferner, dass
manche andere nur einer sehr geringen Einwirkung bedürfen,
um die gleiche Reaction zu zeigen. Er zog daraus den Schluss,
dass die Entwicklung einer blauen Farbe der Zellmembran an
und für sich zukonnne und bloss auf der Aufnahme einer ge-
hörig grossen Menge von Jod beruhe. Dasselbe ertheile der
Zellmembran, je nach der Menge, in welcher es von ihr auf-
genommen werde, sehr verschiedene Farben (von Gelb und
Braun rjurch Violett bis lilan). Die Farbe hiiniie indess auch
Niiofli: Tie.action ron Jod auf Stärkeftfirner u. ZeHmi'iuhr. 281
von (lor BescIiiifTeiilieit der iMomhran selbst nl), indem die wei-
cJjern und xjihern Meiiibraiien schon bei geringen Mengen von
Jod eine violette oder blaue Reaclion zeigen, indess die härte-
ren un<l sprödem gelb oder braun werden und erst, wenn eine
grosse Menge von Jod auf sie eingewirkt habe, eine blaue Farbe
ainiehnien (Flora 1840).
Payen zeigte, dass alle Zellnicnibranen, nachdem sie mit
verschiedenen Ueiiiigungsmitleln behandelt, und von den soge-
nannten incruslirenden Substiinzen befreit worden, aus der näm-
lichen ^'erbinduno bestehen und durch Jod und Schwefelsäure
blau gefärbt werden (Mem. sur le developp. des veget. 1844).
Die gleichzeitigen Untersuchungen Mulder's fiduten die-
sen Forscher zu einem etwas anderen Resultate. Nach dem-
selben bestehen bloss die jugendlichen Zellwände aus Cellulose,
die älteren Wandungen dagegen sind grösstentheils aus andern
Verbindungen zusammengesetzt, da sich dieselben durch Jod
und Schwefelsäure nicht blau färben (Versuch einer physiolog.
Chemie 1844).
Payen und Mulder stimmen darin mit einander überein.
dass reine Cellulose durch Jod und Schwefelsäure eine blaue
Färbung annehme. Dieser Ansicht sind die Chemiker und zun»
Theil die Pflanzenphysiologen gefolgt, wobei zuweilen ausdrück-
lich ang(Miommen wurde, dass Cellulose durch Schwefelsäure in
Amylum oder in Amyloid umgewandelt werde.
In FolüC einer neuen Reihe von Beobachtunffon bildete
Mohl seine frühere Theorie Iheils weiter aus, Ihcils modificirte
er dieselbe einitrermassen. Keine Cellulose soll sich durch Jod
und Wasser allein, wie das Stärkemehl, indigoblau färben. Er
ist geneigt, aiiziniehmen. dass, wo diese Blaufärbung nicht ein-
Irill, die Einlaaerimocn IVemdarliger Subslanzen diesclbi; hin-
dem, indem, wenn die vorinneinigenden Materien durch geeig-
nete Mittel (Aelzkali oder Salpetersäure) entfcM-nt würden, die
Reaction durch .lod und Wasser unniitlelliar erfolge (bot. Zei».
1847, Grundzüge der Anal und l'hysiolog. der vegclab. Zelle
1851).
282 Sttt-iing der math. phys. Clusse vom 13. Dec. 1862.
Bei meinen rnlersuchungen über die Stärkekörner fand
ich, dass, nachdem der Speichel denselben die sich durch Jod
bläuende Substanz (Granulöse) entzogen hat, eine Substanz
übrig- bleibt, die als reine Cellulose zu betrachten ist , und die
sich durch Jod und Wasser nicht, wohl aber bei gleichzeitiger
Einwirkung von Schwefelsäure blau färbt. Damit verglich ich
die andere Thatsache, dass manche Zellmembranen mit Jod
keine blaue Färbung zeigen, diese Reaction aber eintreten las-
sen , nachdem sie eine Behandlung erfahren haben, die man
nicht als Reinigung in Anspruch nehmen kann. Daraus zog ich
den Schluss, dass die Cellulose an und für sich durch Jod al-
lein keine blaue Färbung annehme, dass sie aber durch ver-
schiedene Mittel eine Veränderung ihrer Molecularconstitution
erfahre und in Granulöse übergeführt werde (Stärkekörner 1857).
Gegen diese Darstellung suchte Mo hl geltend zu machen,
<lass der von den mit Speichel behandelten Stärkekörnern übrig
bleibende Stoff nicht Cellulose , sondern eine neue Verbindung
sei , für die er den Namen Farinose vorschlug ( Botan. Zeitg.
1859).
Die bisherigen verschiedenen Ansichten über die Eigen-
schaften der Cellulose und über die Reaction des Jod auf die
Stoffe der Cellulosegruppe entspringen sowohl abweichenden
thatsächlichen Beobachtungen als ungleichen Folgerungen aus
den gleichen Beobachtungen. Es zeigt sich vielleicht bei we-
nigen pflanzenphysiologischen Fragen schlagender , wie die al-
lergeringste Abweichung von der exacten Methode oder von
der logischen Folgerung zu unrichtigen Ergebnissen führen
kann.
Das Jod ist aber für die microscopische Chemie unzwei-
felhaft das wichtigste Reagens , und bei der jetzigen Unsicher-
heit in der Anwendung, bei den widersprechenden Angaben
kann dasselbe beinahe als mibrauchbar bezeichnet werden. Erst
wenn festgestellt ist, unter welchen Bedingungen eine bestimmte
Reaction immer eintritt und unter welchen Tmständen sie im-
mer ausbleibt, wird das Jod zum untrüglichen Mittel , um che-
Näyeli: fleaction von Jod auf stärhehörner k. Zelltiiemhr. 28^
mische oder pliysicalische Zustiiiide zu prüfen und zu beurlhei-
len Ich beabsichtige keine erschöpfende Behtindhing und be-
schränke mich auf die Erledigung einiger Fragen.
/. Verwaiidlschaft des Jod zu rrrschictienen Sub.'danzen.
Es ist bekannt, dass eine ofienslehende wässerige Jodlo-
sung sich entfärbt. In einem flachen Uhrglas findet die Ent-
färbung der gesättigten Lösung in der Dunkelheil und bei Zim-
mertemperatur schon innerhalb 12 Stunden statt. Dieses ent-
färbte Wasser verändert blaues Lacmuspapier nicht; eine Bil-
dung von Jodwasserstüffsäure hat also nicht oder nur in äus-
serst geringer Monge statt gefunden. Das meiste Jod ist durch
Verdunstung entwichen.
In einem engen Probirröhrcheu geht die Entfärbung der
gesättigten wässerigen Jodlösung sehr langsam vor sich. Nach
12 Stunden war bloss eine oberflächliche Schicht von einer
Linie Dicke farblos geworden. Nachdem das offene Probir-
röhrchen 16 Tage lang im Zimmer gestanden hatte, war die
Flüssigkeit bloss etwa drei Linien tief entfärbt. Von da ab-
wärts nahm die Färbung zu und zeigte auf dem Grunde nahe-
zu die ursprüngliche Intensität. Ausser der Verdunstung war
der Abgang des Jod auch auf Rechnung von Säurebildung zu
setzen, wie das gerölhete Lacmuspapier bezeugte.
Wenn man gesättigte wässerige Jodlösung kocht, so geht
die Entfärbung viel rascher von stalten, indem sowohl die Ver-
dunstung als die Säurebildung sich steigert. Die farblos ge-
wordene Flüssigkeit in einem Probirröhrchen reagirl deutlich
sauer. '
(1) (j|psätli<Tto wpiii^cistige Juiltinctur boliält heim Kochen ihre an-
länglicho intensive Färbung, ein l^eweis, dass der NYeingei.st und da»
Jod faxt im gleiehen Verhältnis) verdunsten. Krsl vor vollständigeiu
19*
284 SUzuHtf tlfi- tmith.-phys. Classe vom i3. Dec 186S.
Eino hinreichende Menge von Stärkemehl oder Slärkeklei-
ster enifiirbl die wässerige Jodlösuno-. Lässl man aber in Was-
ser befindliche Jodslärke in einem olfenen Gefässe stehen ,^ so
wird sie ihrerseits farblos, ohne dass das Wasser sich färbt.
Die Erklärung dieser Thalsache liegt auf der Hand.
Die Stärke entzielit nändich der wässerigen Jodlösung nicht
ganz alles Jod; der Rest wird von dem Wasser energisch fest-
gehallen. Das Wasser hat zu dieser geringen Menge von Jod
eine grössere Verwandtschaft als die Stärke. Diese geringe
Menge von Jod hat aber eine noch grössere Neigung zu ver-
dunslen und Säuren zu bilden, als in Lösung zu bleiben. Ein
Theil desselben geht also durch Verdunstung und Säurebildung
verloren; das Wasser ersetzt den Verlust, indem es eine dem-
selben enisprechende Menge der Jodstärke entzieht. Es ist
klar, dass 'dieser Process so langt! fortdauern muss, bis die Jod-
slärke all ihr Jod verloren hat.
Es gibt also einen bestimmten Concenlrationsgrad, welcher
die Grenze für die Verwandtschaft des Jod zu Wasser und
zu Stärke anzeigt, in der Meinung, dass unter diesem Concen-
lrationsgrad das Wasser der Stärke, über demselbiMi die Stärke
dem Wasser das Jod zu entziehen vermag. Bei der Färbung
und Entfärbung der Jodslärke bildet das Wasser das Mittel
für die Bewegung der Jodlheilcheu. Wenig Wasser , das mit
metallischem Jod in Berührung ist, kann eine grosse Menge
von Stärke bläuen; wenig Wasser, das der Verdunstung eine
freie Oberfläche darbietet, kann eine grosse Menge von Jod-
stärke entfärben.
Die Grenze der Verwandtschalt, von der eben gesprochen
wurde, ändert sich mit der Tcmperalur Es ist bekannt, dass
Jodslärke beim Erhitzen farblos wird. Dies gab Payen (Ann.
sc. nat. 1838) die Veranlassung zu der Annahme einer farb-
Verdampfpii wird dor pciinso Res» der Fliissiskoi» lieHi'i- ""fl besieht
grösslentlu'il.'« aus >'YaJSOr.
Tiäffeli: Beiiction von Jod itvf Stärkekörner ii. Zellmembr 285
losen Jodslärke (iodiiro (raiiiidon iiivisihlc directenicnl). Neuer-
dings wurde von Bnudriinont die Enlfarbung aus der Verflüch-
tiguno; des Jod hcrzuieilen versucht. Die allein riclilijje Er-
Klärung hat Schönbein (in diesen Sitzung-sberichten 1861 II.
143) gegeben. Beim Erwärmen wird das Jod von dem Was-
ser der Starke entzogen und beim Erkalten wieder an dieselbe
abgegeben. Bei höherer Temperatur wird also der flüssige
Jodstärkekleisler nicht eigentlich entfärbt, wie man gewöhidicli
sagt, sondern vielmehr entbläut; er wird braungelb und beim
Sinken der Temperatur wieder blau.
Dass es wirklich keine farblose Jodstärke g(?be , geht aus
folffenden zwei Thafsachen hervor. Wenn man Jodstärke mit
überschüssigem metallischen Jod zu heftigem Kochen erhitzt
und das Kochen unterhält, so entwickeln sich Joddämpfe. Die
Jodstärke behält aber trotz der hohen Temperatur ihre unver-
änderte blaue Farbe, so lange Joddärnpfe entweichen. Hören die-
selben auf, so tritt die EntbUiunng ein. Die Concentration der
Jodlösung nimmt , wenn kein metallisches Jod mehr vorhanden
ist, rasch ab und das Wasser entzieht nun der Jodstärke das
Jod. Die Entbläuung der Jodstärke in Wasser , das kein Jod
gelöst enthält, geht selbst bei einer Temperatur, die weil unter
der Siedhitze liegt, vor sich.
Die zweite Thatsache ist folgende. Wenn man durch Jod
gebläuten Stärkekleister mit Wasser in einem Glase erhitzt, so
wird der Kleister farblos und das W^asser gelb. Bereitet man
nun eine wässerige Jodlösung von möglichst gleichem Farben-
ton und gibt eine gleiche Menge von Kleister hinein wie in
dem ersten Glas , so färbt sich derselbe genau so intensiv
blau als der Kleister in dem ersten Glas beim Erkalten. Diess
beweist die Unmöglichkeit der Amiahim? . dass heim Erwärmen
ein Theil des Jod in Lösung und der andere mit Stärke in
farbloser Verbindung bleibe: ein(^ Annahme, zu der man alU^r-
dings aus dem (irnndc leicht verführ! wird , weil (^inc; gleiche
Menge von Jod dem Wasser eine; vl(>l w(»niger intensive Fär-
bung verleiht als dem Sliu'kekl(!isler.
286 StHttny der math-phys. Cluase vom 13. Üec. iS69.
Ich bemerke noch, dass die blaue Farbe der Jodstärko
beim Erhitzen gewöhnlich durch Grün in die gelbe Farbe der
Jodlösung übergeht, und dass umgekehrt beim Erkalten der
Uebergang durch den nämlichen grünen Ton stattfindet. Der-
selbe wird hervorgebracht durch das Gemenge von blauer Jod-
stärke und gelber Jodlösung
Das gegenseitige Verhalten von Wasser, Jod und Stärke
bei verschiedenen Temperaturen lässt sich also so ausdrücken.
Mit der steigenden Temperatur steigt die Löslichkeit des Jod;
während die gesättigte Jodlösung bei gewöhnlicher Temperatur
gelb ist, wird sie gegen die Siedhitze hin braunroth. Mit der
steigenden Temperatur erhebt sich ferner der Concentrations-
grad , welcher die Grenze für die Verwandtschaft von Jod zu
Wasser und Stärke bildet. Wässerige Jodlösung , in welche
man Stärke bringt, vermag bei gewöhnlicher Temperatur so we-
nig Jod zurückzuhalten, dass sie farblos erscheint; nahe der
Siedhitze hält sie so viel davon fest, dass sie eine braungelbe
Farbe zeigt. V^enn man Jodstärke bei verschiedenen Tempe-
raturgraden durch so viel Wasser entfärbt, dass noch etwas
Jodstärke unzerlegt übrig bleibt, so entspricht jedem höheren
Wärmegrad eine intensivere Färbung der Lösung. Bei gewöhn-
licher Temperatur geschieht die Entfärbung der Jodstärke nur
sehr langsam, weil das Wasser derselben so äusserst wenig
Jod entzieht; bei der Siedhitze geht die Entbläuung rasch vor
sich, weil das Wasser viel Jod zu lösen vermag, und weil das
letztere durch Verdunstung und Säurebildung rasch verloren
geht.
Es ist begreiflich, dass die Entbläuung auch bei der Sied-
liilze nicht eintreten kann, so lange metallisches Jod vorhaiulen
ist, weil dieses fortwährend in Lösung übergeht, und weil in
Folge dessen der Concentrationsgrad nicht so weit sinken kann,
tiass die Anziehung der Lösung zum Jod der Jodstärke grösser
würde, als die der Stärke selbst. Sobald das metallische Jod
aufgelöst ist . ninunl die Conceniration der Lösung ab. erreicht
Käyeli: Eeaction von Jod auf Stärkekörner u. Zelhnembr. 287
dann denjenigen Grad , wo das Jod der Slärke entzogen wird
und vermindert sich immer mehr, indem die Flüssigkeit heller
gefärbt und zuletzt ganz farblos wird. Beim Erkalten bleibt
jetzt auch die Stärke ganz farblos. Unterbricht man aber den
Process vor dem Farbloswerden der Flüssigkeit, so färbt sich
beim Erkalten die Stärke nach Älassgabe der in ihr noch ent-
haltenen Menge freien Jods. Ist sie hellgelb gefärbt, so wird
sie beim Erkalten blassblau.
Die Tliatsache, dass mit der Temperatur auch der Con-
centrationsgrad wechselt, welcher die Grenze für die Verwand-
schaft von Jod zu Wasser und zu Stärke bildet, macht es er-
klärlich , dass eine um so geringere Menge von Jod in der
Flüssigkeit durch Stärke sich nachweisen lässl, je niedriger die
Temperatur ist. Es ist dies eine Erscheinung, auf die Frese-
nius (Ann. Chem. Pharm. 1857. CIL 184) hingewiesen und die
er durch Zahlen festgestellt hat.
Analoge Erscheinungen, wie sie durch Stärke mit Jod und
Wasser bei verschiedenen Temperaturen hervorgerufen werden,
zeigen sich, wemi man bei gleicher Temperatur verschiedene
Substanzen, welche ungleiche Verwandischalt zu Jod haben, mit
Jodlösungen zusammenbringt. Diese ungleiche Verwandtschaft
gibt sich darin kund, dass in schwacher Lösung die eine Sub-
stanz vor der andern gefärbt wird.
In dem Werke über die Stärkekörner (Pag. 187) habe ich
bemerkt, dass die Stärke aus einer schwachen Lösung das Jod
aufnimmt, ehe die Cellulose nur die geringste Färbung zeigt.
Ferner dass an unveränderten Weizenstärkekörnern die innere
Substanz bei schwacher Einwirkung von Jod blau gefärbt wird,
indess die Rinde noch fast ganz farblos erscheint.
Im zweiten Hefte der Beiträge zur wissenschaftlichen Bot.
(lieber das angebliche Vorkommen von gelöster und formloser
Stärke bei Ornilhogalum) habe ich angeiührt, dass in den Epi-
dermiszellen von Ornilhogalum die allmähliche Einwirkung von
Jod zuerst die Slärkekörner der SpaltölTnungszellen . dann die
288 Sitiuny der matli. phys. Clause vom iS. Dhc. i86t.
aus Protoplasma bestehenden Gebilde und zuletzt eine fragliche
Substanz, die in der Zellfliissigkeil gelöst ist, gefärbt werden;
und dass die Verwaiidlschafl zu Jod in orlcicher Reihenfolge
abnehme. Ferner, dass die allmähliche Entfärbung in un»ge-
kehrter Folge eintrete. Bei Zygnema und Spirogyra nehmen
zuerst die Slürkekörner , dann die fragliche in der Flüssigkeit
gelöste Substanz und zuletzt das Protoplasma das Jod auf
Diese Beispiele liessen sich noch bedeutend vermehren.
Ich bemerke, dass in einer schwachen Jodlösung Stärkemehl
sich früher färbt als geronnenes Hühnereiweiss, und dass dar-
auf im Wasser das braungelbe Eiweiss vor der blauen Stärke
entfärbt wird. Im Stärkekleister sowohl von Kartoffel- als von
Weizenslärke wird zuerst die granulirtc Masse , nachher die
geschichteten Hüllen gefärbt: dagegen entfärben sich die letz-
tern vor der erstem. Aufgequollene KarlolFelstärkekörner wer-
den durch Jod früher blau als die unveränderten. Wenn Kar-
toffelstärkemehl mit Kartoffelstärkekleister vermischt wird, so
färbt sich durch wenig Jod nur der letztere. Kartoffel- und
Weizenstärkekörner zeigen die Rcaclion auf Jod früher als
Stärkekörner aus der Ingwerwurzel. Vom Weizenstärkemehl
werden die grösseren linsenförmigen Körner vor den kleinen
polyedrischen gefärbt und diese früher als ]e\\G entfärbt. In
einem Gemenge von Dextrinlösung und Stärkekleisler nimmt
der letztere das Jod zuerst auf und verliert es zuletzt wieder.
Die cuticularisirten Schichten der Epidermiszellen färben sich
vor den anderen Membranen
Am leichtesten sind diese Versuche anzustellen, wenn die
verschiedenen Substanzen in einer Zelle eingeschlossen sind,
weil die Zellmembran das Jod nur allmählich eintreten lässl.
Ist diess nicht der Fall, so mengt man sie auf dem mit einem
Tropfen Wasser benetzten Objectträger unter einander und legt
ein oder einige Stückchen metallisches Jod dazwischen. Durch
Diffusion breitet sich die Jodlösung sehr langsam aus und man
beobachtet, dass von zwei neben einander licffcnden umrlcichen
Körpern innner der eine zuerst gefärbt wird. Man kaiui das
Näf/eU : Reection von Jod tnif Stiirkekörner u. Zeltt/iettihr. 280
Priiparal iinbetlockt lassen oder ein Deckgliischon dciiaur lei^tMi.
Man kann auch das Präparat , bevor man die Jodsplitter dazu
gebracht hat, mit einem Dcckg laschen bedecken, und jene daini
(licht an den Rand i\cs letzlern bringen.
Der Versuch gelingt oft sehr leicht. Wenn man z B.
Weizenstiirke bis zum Sieden erlutzl , einen Tropfen des flüs-
sigen Kleisters auf einen Objectträger bringt, und einen Jod-
splilter hineinhigt, so beobachtet man unter dem Microscop
eine schön blaue Farbe um denselben sich ausbreiten. Die fein-
körnige blaue Masse ist aber zuerst durch rundliche oder et-
was unregelmässige farblose Räume unterbrochen. Es sind dies
die aufgequollenen noch geschichteten ( nicht desorganisirten)
Hüllen, welche erst dann langsam anfangen, sich violett zu fal-
ben, wenn die umgebende Masse intensiv blau geworden ist.
In andern Fällen , z. B. wenn es sich um verschiedene
Stärkesorlen handelt, muss die Verbreitung der gelösten Jod-
theilchen äusserst langsam erfolgen, um ein deutliches Resultat
zu geben. Diess geschieht dadurch , dass man die Stärkekör-
ner in dem Tropfen Wasser, in welchem ein kleiner Jodcryslall
liegt, weit von dem letzteren entfernt, da natürlich mit der
grössern Entfernung die 3Ienge der Jodtheilchen abnimmt, welche
in der Zeiteinheit sich durch einen gegebenen Querschnitt der
Flüssigkeit bewegen.
Ein anderes sehr empfehlenswerthes Mittel besteht auch
darin, dass man die verschiedenen zu prüfenden Slärkemehlar-
ten in Wasser bringt, in welchem eine durch Jod gefärbte
Substanz (z. B. Dextrin oder Eiweiss) gelöst oder vertheilt ist.
die zu Jod eine geringere Afl'inität hat. Die Stärkekörner ent-
ziehen ihr um so Inngsamer das Jod , je geringer der Ueber-
schuss ihrer eigenen Verwandtschaft zu Jod ist.
Das Entfärben der von Jod durchdrungenen Substanzen
geschieht auf dem Objectträger in einem freien oder bedeckten
Tropfen Wasser, oder in «inem oflenen GePäss , aus dem hin
und wieder Proben unter dem Microscop geprüft werden. Man
kann stall des Wassers auch Flüssiukeilcn oder Lösungen an-
290 üiHung der uutth. - ithys Ctusne vom 13. Dec. iÄö*.
wenden, welche eine grössere Menge Jod auflösen und daher
den Entfärfcungsprocess beschleunigen.
Es gibt bei der Färbung und Entfärbung der Stärkekörner
durch Jod einige bemerkenswerthe Eigenthümlichkciten, welche
durch die ungleiche Verwandtschaft der verschiedenen Schich-
ten zu Jod sich erklären. Wenn das Jod äusserst langsam
in KartofTelslärkekörner eindringt, so färbt es zuerst die innere
celluloseärmere Substanz, während die cellulosereichere Rinden-
substanz noch fast ungefärbt bleibt. Beim Entfärben beobach-
tet man die nämliche Erscheinung; viele Körner sind im In-
nern gefärbt und aussen farblos. Dringt auf einmal eine etwas
grössere Menge von Jodtheilchen in das Stärkekorn ein, so
färbt dieses sich überall gleichzeitig; es ist dies der häufigste
Fall. Wenn endlich das Stärkemehl mit einer concenlrirten
Jodlösung in Berührung kommt und also sehr viele Jodtheil-
chen auf einmal in ein Korn eintreten, so erscheint die peri-
pherische Schicht bereits intensiv gefärbt, während die in-
nere Masse noch fast farblos ist. Im ersten Fall kann die
innere Substanz wegen ihrer grösseren Affinität die spärlich
eintretenden Jodtheilchen der Rinde vullsländig entziehen, wäh-
rend im letzteren Fall bei der langsamen Diffusionsbewegung
nur ein kleiner Theil der eintretenden Jodmenge in der kur-
zen Zeit bis ins Innere vorzudringen vermag.
Wir können also rücksichtlich der Färbungr durch Jod als
Regel aufstellen:
dass von mehreren neben einander liegenden
Substanzen diejenige, welche die grössere Af-
finität zu Jod hat, dasselbe um so schneller ei-
ner schwachen Lösung entzieht;
ebenso, dass von mehreren neben einander be-
findlichen und durch Jod gefärbten Körpern
derjenige, welcher die geringste Affinität zu
Jod hat, dasselbe auch zuerst verliert.
Die Erklärung ergibt sich aus dem früher Angeführten.
Säyeli : lleaction von Jod auf Stt'irkekörner u.Zellmembr. 291
Die verschiedenen Substanzen, welche wie die Stärke Jud ein-
lagern, haben ungleiche Verwandtschaft zu demselben. Da nun
die Energie , mit welcher das Wasser oder eine andere Flüs-
sigkeit das gelöste Jod festhält, mit der steigenden Concentra-
tion abnimmt, so muss es auch für jede Substanz einen ande-
ren Concentrntionsgrad der Lösung geben, der für sie in ab-
steigender Richtung die Grenze bildet, über welche hinaus sie
der Lösung kein Jod zu entziehen vermag.
Setzen wir den Fall, es lägen im Wasser drei verschiedene
durchdringbare Stoffe A, B und C neben einander (z.B. Stärke-
mehl, unlösliche Proteinkörper und gewisse Zellmembranen). In
das Wasser wird etwas metallisches Jod gebracht, welches sich
allmählich löst. Hat die Lösung diejenige Concentration über-
schritten, welche der Grenze für die Verwandtschaft des Kör-
pers A zu Jod entspricht, so fängt der letztere an, Jod einzu-
lagern; er entzieht fortwährend diejenige Menge, welche über
der Grenzconcentralion in Lösung tritt. Hat der Körper A eine
gewisse Menge Jod eingelagert, so nimmt er dasselbe mit ge-
ringerer Energie auf. Die Concentration der Lösung steigt und
erreicht denjenigen Grad, welcher der Grenze für die Affinität
des Körpers B zu Jod entspricht. Ist dieselbe überschritten,
so nimmt auch dieser Jod auf; und später folgt bei einer noch
höheren Concentration der Körper C nach.
Die Entfärbung zeigt die analogen Erscheinungen in um-
gekehrter Folge. Der Flüssigkeit, in welcher die gefärbten
Substanzen liegen, wird Jod entzogen, z. B. durch Verdunstung
von Jod in die Atmosphäre, durch Säurebildung oder durch
Bildung irgend einer Jodverbindung. Sinkt die Concentration
der Lösung unter denjenigen Grad, welcher der Grenze für
die Alfinilät des Körpers C entspricht, so wird diesem letzlern
das Jod entzogen, später dem Körper B, zuletzt dem Körper A.
Es ist selbstverständlich, dass diese successive Färbung
und Entfärbung verschiedener Substanzen nur dann zu beob-
achten ist, wenn die Concentration der Jodlösung sehr langsam
steigt oder fällt, so dass sie sich einige Zeit zwischen je zwei
292 sitTiniff der math.-pkifs Classe vom 13 Dec iStiS
Grenzen zu hallen vermag. In einer sehr concentrirten Lösung
färben sich alle Substanzen ffleichzeitio- , sowie sie in einem
Strome von reinem Wasser oder in einer Flüssigkeit, welche
Jod chemisch bindet (Kalilösuiig, Ammoniak, Eiweiss etc.) fast
oleichzeiliü- farblos werden.
Wenn die für die ungleichzeitige Fiirbung und Entfärbung
verschiedener Substanzen gegebene Erklärung richtig ist, so
muss auch
ein Körper, der eine grössere Affinität zu Jod
hat, einem andern mit geringerer Affinität das
in demselben eingelag-erte Jod entziehen.
In der That ist diess der Fall. Ich will zuerst die betref-
fenden Beobachtungen anführen, und hernach ein Wort zur Be-
urtheilung derselben beifügen.
Legt man durch Hitze coagulirtes Hühnereiweiss in wäss-
rige Jodlösung, so färbt sich dasselbe allmählich durch und durch
braun. Bringt man es nun in ein verschlossenes mit Wasser
und Stärke gefülltes Gefäss, so verlässt das Jod langsam das
Eiweiss und färbt die Stärke. Wenn man dagegen den umge-
kehrten Weg einschlägt und coagulirtes Eiweiss in Wasser legt,
in welchem Jodstärke enthalten ist, so bleibt die letztere un-
verändert und das Eiweiss ftirbl sich nicht.
Dexfrinlösuno; färbt sich durch Jod schön weinrolh bis
dunkelroth, Stärkemehl , welches man in hinreichender Menge
zufügt, entfärbt sie vollkommen, und bildet einen blauen Bo-
densatz. Durch eine neue Menge von Jod wird die rothe Farbe
herffeslellt, durch neues Stärkmehl die abermalige Entfärbun»
bewirkt. — Kocht man KarlolTelstärkemehl mit verdünnter
Schwefelsäure und unterbricht den Process, wenn die grössere
Hälfte Stärke sich in De.vlrin verwandelt hat . so bewirkt ein
Tropfen Jodlösung eine rolhviolelte Trübung, indem sich Dex-
trin und snspendirte Slärki; gUiichzeilig färben. Die Farbe geht
aber bald in Blativiolcll uml Indigoblaii über, indem das an
Dextrin aebuiideni' Jod sicli weiliM- verbreitet und vollsländijr
Säyeli : Beoclinu ron Jod avf Stärhokiirner u. Zellmehr. 293
an die SUirke Hbgogebeii wird. Man kann den Versuch mehr-
mals mil oleichem Erfolg wiederholen.
Die Fruchtschicht von Flechten (Usnea) wurde zerquetscht
und durch Jod intensiv blau gefärbt, darauf mitKartofrelstiirke-
mehl in ein mit Wasser gefülltes Probirröhrchen gebracht, das
nnt einem Kork verschlossen wurde. Nach einiger Zeil waren
die Lichenenschläuche farblos und dafür das Starkemehl ge-
färbt. — Das Flechlenfruchllager in gleicher Weise mit massig
blauer .lodsliirke zusammengebracht, bleibt ungefärbt.
Daumwülle wurde durch .Jod und Schwefelsäure intensiv
blau trefärbt. dann mit KartofTelstärkemehl in einem verschlos-
senen Raum in Wasser gelegt. Nach einigen Tagen waren die
aufgequollenen Baumwollenfäden völlig farblos geworden; das
Jod war an die Stärkekörner übergegangen und hatte dieselben
gefärbt. Die Enibläuung der Baumwolle wurde nicht etwa
durch den Umstand veranlasst, dass das Wasser derselben die
Schwefelsäure entzogen hatte; denn auf Zusatz von Jod färbte
sie sich wieder intensiv blau. — Den nämlichen Versuch stellte
ich mit gleichem Erfolg bei Filtrirpapier an, welches durch Jod
und Schwefelsäure zuerst blau gefärbt, dann durch Kartoffel-
und Weizenstärkemehl entfärbt wurde.
Bei der Beurtheilung dieser Thatsachen ist zweierlei her-
vorzuheben :
1) dass, wenn einem in Wasser liegenden Gemenge
von verschiedenen Substanzen Jod in geringer
Menge geboten wird, dieses nicht etwa nach
Massgabe der Verwandtschaft sich vertheilt,
sondern vollständig von dem Körper aufge-
nommen wird, welcher die grösste Affinität
hat;
2) dass das Jod eine unlösliche Verbindung ver-
lässt, um mit einer andern Substanz, zu wel-
cher es eine grössere Affinität hat, ebenfalls
eine unlösliche Verbindung zu bilden.
294 -^itinnif ilev math.-phys. Ctasse roin 13. Dec. iS6i.
*
Beides erklärt sich durch das früher erörterte Affinitäls-
verhältniss von Jod zu Wasser und zu verschiedenen imbibitions-
fähigen Substanzen. Von drei Körpern A, B, C, von denen A
die grösste, C die geringste Affinität zu Jod hat, sei B durch
eingelagertes Jod gefärbt, A und C ungefärbt. Alle drei wer-
den zusammen in Wasser gelegt. Dieses entzieht dem Körper
B so viel Jod, dass dadurch die Concentration der Lösung er-
reicht wird, welche der Grenze für die Affinität von Jod zu
Wasser und zum Körper B entspricht. Dieser Lösung vermag
der Körper C kein Jod zu entziehen, weil er nur in einer con-
centrirteren Lösung sich färbt; er bleibt also farblos. Der Kör-
per A dagegen, für welchen eine geringere Concentration die
Grenze für seine Affinität zu Jod bildet, entzieht der Lösung
so lange Jod, als diese Grenzconcentration nicht eintritt. Sie
kann aber nicht eintreten, so lange der Körper B noch gefärbt
ist und somit an W^asser Jod abgeben kann. So färbt sich
demnach A, indessen B seine Farbe verhert.
Es ist also, wenn diese Erklärung richtig ist , nicht noth-
wendig, dass die beiden Körper, von denen der eine dem an-
dern das eingelagerte Jod entzieht, sich unmittelbar berühren.
Sie können selbst weit von einander entfernt sein, wenn sie
nur in derselben Flüssigkeit liegen. Eine interessante Bestäti-
gung liefern Versuche, welche ich mit lebenden Spirogyrenzel-
len anstellte. Wenn man dieselben in Wasser legt, in welchem
sich irgend ein durch Jod gefärbter Körper , mit Ausschluss
von Stärke befindet, so verlässt das Jod den letz/eren und
färbt die Stärkekörner in den Spirogyrenzellen. Es muss also
in Lösung durch eine geschlossene Blase (Zellmembran und
Primordialschlauch) dringen, um mit der Substanz sich zu ver-
binden, zu welcher es eine grössere Verwandtschaft hat. Fä-
den von Oedogonium verhallen sich ganz ebenso wie Spiro-
gyra-
Wenn ein Körper Jod einlagert, so zieht er die ersten
Mengen desselben mit grösserer Kraft an, als die späteren;
drr Verwandtschaft zu der ersten aufgenommenen Jodmengo
Säyeli: lieaction von Jod avf Stärkekörner u. Zetimembr. 295
enlsprichl eine niedrigere, der Affinilüt zu dem später aufge-
nommenen Jod eine höhere Concenfrationsgrenze. Wenn da-
her eine durch Jod gefärbte Substanz mit einer gewissen Menge
der nämlichen aber ungefärbten Substanz zusammen in Wasser
gelegt wird, so bleiben beide nicht unverändert, sondern die
erstere gibt Jod an die letztere ab ; zuletzt sind beide ziemlich
gleich intensiv gefärbt. DifFerirt die Verwandtschaft zweier
Substanzen zu Jod nur um sehr wenig, so ist, nachdem sie
sich in die Jodmenge getheilt haben, die eine intensiver gefärbt
als die andere j und nur wenn die eine eine beträchtlich stär-
kere Anziehung auf Jod ausübt, so entzieht sie es der anderen
vollständig.
Kartoffelstärkemehl wurde durch wässrigc Jodlösung bis zur
Sättigung gefärbt und darauf mit Wasser und einer gleichen
Menge unveränderten Kartoffelstärkemehls in ein Probirröhr-
chen eingeschlossen. Das Präparat blieb einige Wochen ste-
hen; von Zeit zu Zeit wurde umgeschüttelt und hin und wie-
der eine Probe unter dem Microscop untersucht. Die farblosen
Slärkekörrier färbten sich allmählich blau 5 zuletzt waren alle
ziemlich gleich gefärbt.
Mit intensiv-, aber nicht schwarzblau gefärbtem Kartoffel-
stärkemehl wurde eine doppelt so grosse Menge Weizenstärke-
mehl auf gleiche Weise in einem Probirröhrchen eingeschlossen.
Nach drei Tagen waren die Körner der Kartoffelstärke intensiv
indigoblau, die der Weizenstärke hellviolelt. Nach 5 Wochen
waren die erstem immer noch schön blau, die letztern hellroth-
violett.
WeizcnslärkcMTiehl wurde durch wässrige Jodlösung inten-
siv gefärbt; die kleinen Körner waren hell-, die grossen dun-
kel-violettblau Dasselbe wurde hierauf mit Wasser in ein
Probirröhrchen gebracht und dazu unverändertes Kartoffel-,
Maranta- und Maniholstärkcmehl gefügt. Nach vier Tagen wa-
ren die kleinen Körner der Weizenstärke Iheils ganz, Iheils
beinahe farblos, die grössern hell- violettblau. Die Körner der
206 Sitzung der math.-phys. Classe vom tS Der. /Ä6'^.
KartofTel-, Marania- und Manihotstiirke waren alle sehr inten-
siv Indigoblau, zum Theil selbst schwarzblau. Nach 5 Wochen
zeigte sich das Präparat unverändert.
Schwarzblau gefärbtes Kartoffelslärkemehl wurde nn"t Kar-
tofTelslärkekleister in ein Probirrührchen eingeschlossen. Nach
7 Tagen war der Kleister indigoblau, und zwar, wie die mi-
croscopischc Untersuchung zeigte, nur die granulirte Masse,
während die geschichteten Hüllen grösstentheils ganz farblos,
einige schwach violett waren. Die Stärkekörner waren hell-,
liis intensiv blau. Nach 5 Wochen zeigte die granulirte Masse
des Kleisters und der aufgequollenen Körner eine ziemlich gleich
intensive Färbung, wie die nicht aufgequollenen Körner; aber
jene war reinblau, diese violettblau, — In einem anderen Pro-
birröhrchen wurde viel farbloser Kartoflelkleister mit wenig ge-
färbtem KartofTelmehl gemengt. Nach mehreren Tagen waren
beide hellblau ; und nach mehreren Wochen entfärbten sich
beide gleichzeitig.
Dunkelblau gefärbtes, nicht ganz mit Jod gesättigtes Kar-
tofTelstärkemehl wurde nnt Weizenstärkekleister zusannnenge-
bracht Nach 7 Tagen war der Kleister ungleich gefärbt, hell-
violett bis intensiv blau , da sich das Jod nicht gleichmässig
verbreitet halte. Die einen Kartoffelstärkekörner waren hell,
die anderen intensiv blau. Nach 5 Wochen war das Verhält-
hältniss zwischen Kleister und Körnern ziemlich gleich geblie-
ben; nur zeigten beide etwas hellere Färbung.
So wird also ein mit Jod durchdrungener Körper durch
einen andern, der eine grössere Affinität zu Jod hat, entfärbt,
wofür nun dieser letztere sich färbt. Es gilt diess für die im-
bibilionsfähigen Substanzen , welche Jod einlagern und ferner
auch für die gelösten Vorbindungen (Dexirin), welche sich wie
jene Substanzen verhalten und mit Jod eine eigenlhümliche
Färbung zeigen. Bei Körpern, welche nnt Jod wirkliche che-
mische Verbindungen bilden, kann vollständige Entfärbung ein-
treten, wie z. B. bei der Bildung von Jodkalium, Wie Kali
verhält sich merkwürdiger Weise auch das lösliche Eiweiss.
Nt'iffeli': licaction von Jod auf StürkekÖtner u, Zettmemhr. 207
VVonii man Jod in Kiililösung- briiigl , so löst os sich be-
kantillicli anl", ohno dio FIüssigk(;it zu fiirhen. Erst wonn al-
\o.s Kali mit Jod sich vcrciniol hat, löst sich ein Ueborschuss
ili's i(!lzl('rn mit gelber, braungelbor, brannrothcr, dniikelbrau
iior Farbe auf. Caiiz oloich verhält sich das gelöste lliihner-
ei\v<'iss sowohl im unveriinderlcn Znslande, als wenn dassc^llx^
mit soviel Salzsiiure versetzt wnrde , dass es Lacnnispapier
stark röthet. Von anoesJinertem Hiihnereiw(!iss wird wenig-
stens das sicbeMfache Volninen gesättigter wiissriger Jodlösuncf
vollsländio- entliirbt. Wird noch mehr Jodlösnn"- zugeliint . so
tritt jjelbliche Fürbunir ein. — In gleicher VVi^ise enH'iirbl Hiih-
nereiwoiss eine gewisse Menge von Jodkalinmjodicisnng und
wird von einem Ucibersclniss oeCiirbt.
Wie die Jodlösnngen , so werden auch die durch einge-
lagertes Jod gefärbten Körper von löslichem Eiweiss entfärbt.
Jodslärkekleister oder Jodstärkemehl verliert in unverändertcmi
oder in anoesänertem Hiihncreiweiss sogleich seine Farbe. Ein
üeberschnss von Jodstärke bleibt blau.
Jod bild(!t also mit Eiweiss eine chemische Verbindung.
Dieselbe ist in dünnen Schichten vollständig larblos, sowohl
für das blosse Aug(? als unter dem Microscop. In grösserer
Menge erscheint sie sehr blass (leischfarlxMi (weder gelb , noch
braun), wie das frische Mühnereiweiss selbst; ein Ueberschuss
von Jod Hirbt sie gelblich. Wenn man zu flüssigem Eiweiss
allmiddich geringe Mengen von Jodkaliunijodlösung zusetzt, so
behält es S(!inen ursprünglichen blass fleischfarbenen Ton ; und
so lanae die Flüssiokeit diesen Farbenton zeigt, besitzt sie das
Vi'rmögen, Jodstärke zu entfärben llal sie aber durch fort-
üeselztes Zuführen von Jodkalimnjod eiiuMi gi'Iblichen Ton an-
genomnu^n. so kündet sie dadnrcli die Anwesenheit von ('n;iem
(gelöstem) Jod an. Sie hat nicht tun- «lii; Fähigkeit. Jodstärke
zu entlärben , verloren : sie hal im (^(^gentheil diejenige ge-
wonnen, untrelärbtes Stärkemehl zu blänen
Has jedhalligi; Eiweiss oder Jodalbmnin hat die gleiciuMi
pliysicalischen Eigenschaften, wie das unveränderte Eiweiss.
U'^i. n.i 20
298 "^ftzunij der math. phgs. Vlasse vom 13. Der. 1S62.
Es ist löslich in Wasser und gehl durch dieselben Ulitlel in
den coagulirten Zustand über. In diesem Zustande ist es voll-
koinnien weiss.
Die Schwefelsäure vermag das Jod dem gelösten oder co-
agulirten Jodalbuniin nicht zu entziehen. Der Versuch wurde
gemacht, um zu zeigen , dass das Jod nicht etwa mit Alkalien
sich verbunden habe. Jodstärke wird durch Kali entfärbt und
durch Schwefelsäure wieder gefärbt. Eine Lösung von Jodal-
bumin färbt sich mit Schwefelsäure nicht, wohl aber coao-ulirt
sie. Ebenso wird Jodstärke, wenn man dieselbe durch Eiweiss
entfärbt, durch Znsatz von Schwefelsäure nicht wieder o-ebläut.
Chlor dagegen tritt an die Stelle des Jod und macht die-
ses frei, \yenn man zu einer Lösung von Jodalbumin allmäh-
hch Chlorwasser zusetzt, so färbt sich die Flüssigkeit zuerst gelb
und hat nun die P^ähigkeit, Stärke zu bläuen. Wird mehr Chlor-
wasser zugesetzt, so verschwindet die gelbe Färbung wieder;
in gleicher Weise wie wässrige Jodlösung durch Chlor entfärbt
wird. Aus dem gleichen Grunde tritt, wenn man Jodstärke
durch Kiweiss entfärbt und dann Chlorwasser zusetzt, eine
Bläuung in keinem Stadium mehr ein.
Der Umstand , dass Chlor an die Stelle des Jod treten
kann, zeigt, dass Jodalbumin auf gleiche Weise entsteht wie
Chloralbumin. Jod tritt durch Substitution an die Stelle von
Wasserstoff; der letzlere verbindet sich sogleich mit einer an-
dern Menge Jod. Die Flüssigkeit, in welcher Jodalbumin sich
gebildet hat, reagirt daher deutlich sauer.
Ich füge noch die Bemerkung bei , dass die Verbindung
von Jod und Albumin durch Jodiösungen hergestellt werden
muss. Festes Jod eignet sich nicht dazu. Wenn man Jod-
slückchen in flüssiges Eiweiss bringt, so coaguürt das letztere,
überall wo es mit jenen in Berührung kommt, und färbt sich
dunkelbraun. Die Jodsplitter werden so mit einer festen Kruste
umhüllt, welche die Verbreitung des Jod zwar nicht absolut
hemmt, aber doch sehr verzögert. Das langsam sich ausbrei-
tende Jod bildet zuerst Jodalbunn'n und färbt nachher dasselbe
Näffeli: IteactioH von Jod auf Sfiirkehöiner u. Zeffnieitihr 99!)
goll), dann braun, und coagulirt es, so dass um die mil dun-
kelbraunem Eivvciiss undiülllen Jodsplitter sich (refürbtt; Zonen
biid(!n, deren Intensität nach aussen abnimmt. Man beobachtet
diess am Besten unter dem Microscop. In einem ProI)irröhrchen
war nach 14Taoen fast alles Eiweiss durch einige Jodslückchen
braun und fest geworden ; ein Rest war noch farblos und flüssig.
//. Wie wirkt der grössere oder gerivgere Wassergehalt auf
die Färbung der Stärke durch Jod?
Nach H. V. Mo hl (Flora 1840) ist die Anweserdieit des
Wassers nothwendige Bedingung der blauen Fiirbung. iVach-
dem er o-esagt, ,,die gelbe oder braune Farbe könne das Jod
der trockenen Zellmembran ertheilen. wenn es in Alcohol aul-
aelöst oder in Form von Dämpfen mit ihr in Berührung komme,
die violette oder blaue Farbe trete dagegen nur dann ein, wenn
die Zellmend)ran von Wasser durchdrungen sei; die blaue Farbe
verwandle sich beim Austrocknen der Mend)ran in die vioh^lte
oder rothbraune, kelire jedoch bei einer Benetzung zurück",
fügt er bei, dass ,, analoge Farbenänderungen bekanntlich auch
bei der Jodstärke einfreien, je nachdem dieselbe trocken oder
von Wasser benetzt sei."
Meine früheren Beobachtungen schienen ebenfalls zu die-
sem Resultate zu führen. Ich sah Jodstärke . wc^lcher das
Wasser (mtzogen wurde, braungell), braunroth bis dunkelbraun
werden (Stärkekörner pag. 188). Auch glaubte ich, dass das
Jod nur in die Slärkekcirner eindringen kömie, wenn es vom
V^<lsser frclösl hineingetragen werde , und dass es nur durch
Wasser demselben wieder enlzog(Mi werde.
Die Beobachtungen, auf die sich alle diese Aussagen stü-
tzen, waren zwar richtig; nie Folgerungen waren es nicht Die
Wirkunosweise des Wasseis n»uss loluendernjassen (ornndirt
werden :
20
nOO Sit-z-tiHfi der mfftJi. plii/<i. Clnsse vom 13. Per. /%'?.
1) Boi gleicher Temperalur wird das Jod am
sehn ollsten durch Wasser in die Stärkokörner
hinein und hinaus befördert; durch Alcohol,
Aelher, Oel oder durch Joddänipfe jxeschieht
das Färben und Entfärben viel langsamer.
2) Das nämliche Mittel entfärbt um so rascher, je
höher die Temperatur ist.
li) Die durch Jod gefärbte und von Wasser durch-
drungene Stärke kann den gleichen (blauen,
rothen, gelben) Farbenton behalten, wenn ihr
das Wasser durch Verdunsten oder durch Al-
cohol entzogen wird.
\ ) Die Starke nimmt versch iedene Farben an, wenn
sie im Momente, in welchem das Jod eindringt,
mit mehr oder weniger Wasser imbibirt ist. Die
reinblaue Färbung erlangt sie nur dann, wenn
sie nahezu ihren vollen Wassergelia ll hat.
Es ist bekannt, dass von Wasser durchdrungene Stärke
(Mehl oder Kleister) durch Jod momentan gefärbt wird, man
mag dassel])e in ^v'ässriger, wasserhaltiger wcingcisllger oder
Jodkalium-Lösung zusetzen. Durch metallisches Jod geschieht die
Färbung nur in dem Masse als dieses sich aufiösl.
Zur Ermittelung der Frage , inwiefern das Jod in Dampf-
form aufgenonuncn werde, machte ich folgende Versuche. Luft-
trockene Kartoffelslärkekörncr wurden mit kleinen Jodcrystallen
auf den Objectträger gebracht, mit einem Deckgläsclien bedeckt
und vernnttelst des letztern die Jodcrystalie zerrieben. Das
Präparat blieb 24 Stunden stehen ; das Jod war nach dieser
Zeit noch theiiweise vorhanden ; die Stärkekörner hatten somit
zwischen den l)eiden Gläsern in einer Jodatmos|iliäre gcjlegen.
Zur microscopischen Untersuchung wurde Citronenöl zugesetzt,
so dass die Stärkekörner davon unigeben waren. Die meisten
derselben zeigten sich vollkonuncn liirblos. Ein Theil war gell),
bis braun. Aber die Färbung beschränkte sich auf di(^ Ober-
fläche; (li(! Substanz selbst witr läiblos.
fiätjeli : lienction von Jod auf Stdikekörner u Zelluiembr \\()\
All KörncMii , die; überall i^ülarbl orscliciiicii , ist es zwar
schwor zu cnlsciieideii, ob 'die Finbimo- sich auf die OlxMJliudio
beöcliriinkc odor ob sie diircligoliu. Für das Ersle spricht aber
der Umstand, dass die Körner im Innern enlschi(!den luiiler sind
als am Umfange, während im zweiten Fall das Umsrekehrte stall
finden miissle , um so mehr als in dem Cilron(^nöl der Rand-
schallen beinalie ganz mangelt. Entscheidend sind aber die
zahlreichen Körner, welche nur zur Hiillle oder nur stellen-
weise gelb odei- braungefärbt sich zeigen. Wemi man diesel-
ben rollt, so sieht man ganz deutlich, dass die ganze Sid)slanz
farblos ist und dass die braune; Färbung als eine unmessbar
<liinne Schicht die Oberfläche überzieht. Solche halbgefürble
Körner, welche die gefärbte Hälfle dem Beobachter zukehren,
sehen genau aus, wie die ganz gefärbten; und man überzeugt
sich dadurch um so leichler . dass auch bei den letzleren die
Färbnnof auf dit; Oberfläche beschränkt ist.
Ganz ähnlich wie in Dampfform wirkt Jod in weingeisli-
ger Lösung. Wenn man trockenes KartofTelslärkemehl auf ei-
nem Objectträger mit wasserfreier Jodtinctur übergiesst , so
schwinnnen (li(; Stärkekörner in der braunrolhen Flüssigk(Ml
vollkommen farblos herum. Und dass sie wirklich farblos sind,
sieht man deutlich , wenn man auf einer Seite des Deckgläs-
chens Alcohol zus(!lzt, welcher die .Jodtinctur verdrängt, Lässt
man dagegen die Jodtinctur verdunsten, so werden die Körner,
indem sich Jod auf dieselben niederschlägt, gelb bis braun.
Dass die Färbung auf die Oberfläche beschränkt ist, sieht man
auch hier , nachdem man die Kölner in ätherisches Oel ge-
bracht hat, besonders schön an denjenigen, die nur slellenweise
einen Jodniederschlag erhallen haben. Es gibt solche, die bloss
auf der einen Seite braun sin<l; andere zeigen orösserc und
kleinere Flecken
Wenn ily^v Alcohol . <ler zur nereilnno der JodliiicUir
diente, fast wiisserlV«'! war. so sind die Shirkekörner nach dei
eben ("wähnlen nehiindlmiü braini oder brauniiclb War der-
selbe dagegen elwas wasserlialliii. so zeigen sich iMnzelne Kör-
302 SiHuntf dpr math.-pht/s Vlanae rom 13 Üec. 1868.
nor schwach violett. Diess ist so zu erklären, dass nach dem
Verdunsten des Alcohols die gerinoreMenore des zurückbleiben-
den Wassers in einzelne Körner eindringt und dieselben befä-
higt Jod einzulagern. Dass diese Erklärung richtig sei, ergibt
sich aus folgendem Versuche. Wenn man die durch das Ver-
dunsten der Jodtinctur auf der Oberfläche braungewordenen
Körner wiederholt mit etwas wasserhaltigem Alcoholbegiesst und
denselben verdunsten lässt, so geht das Braun mit jeder Ope-
ration mehr in Violett und Indigoblau über, welche Farben nun
das oranze Korn durchdringen.
. Diese Thatsachen zeigen, dass eine Lösung von Jod in fast
wasserfreiem Alcohol die Stärkekörner stundenlang farblos er-
scheinen lässt Ich kann beifügen, dass selbst nach 40lägigem
Liegen in gesättigter Jodtinctur die meisten Kartoflelstärkekör-
ner vollkommen ungefärbt sind. Daraus habe ich früher ge-
schlossen , dass das Jod von Alcohol überhaupt nicht in die
Stärke hineingeführt werde Diess ist unrichtig, wie ich später
zeigen werde. Der Process geht nur äusserst langsam von
Statten. Nach längerer Zeit aber tritt gelbliche Färbung ein.
Aether verhält sich wie Weingeist, ebenso die flüchtigen
Oele. Wenigstens bleiben trockene Kartoflelstärkekörner in Ci-
tronenöl , in welchem Jod gelöst ist , stundenlang vollkommen
farblos.
Wie das Jod schnell in die von Wasser durchdrungenen
Stärkekörner eindringt , so verlässt es sie auch schnell. Die
Entfärbung der Jodstärke in Wasser gehl aber desswegen
langsam von Stallen , weil das Wasser gegenüber der Stärke
nur eine äusserst geringe Menge von Jod zu lösen vermag,
und weil es dieses Jod nur allmählich durch Verdunstung und
Säurebildung verliert. Findet eine rasche Entführung des Jod
(z. B. durch einen Wasserslrom) statt, so tritt auch die Ent-
färbung rasch ein. Das gleiche Resultat erhält man, wenn man
eine Flüssigkeit anwendet , welche eine grössere Menge von
Jod zu lösen verniag (wasserhaltiger Alcohol, Wasser bei hö-
herer Temperatur). Jodslärke, die man mit Wasser erhitzt, geht
Tiäffeti: Beticffon ron Jod auf Stärkekörnrr u. Zellmembr. ^OÜ
sehr rasch aus dem blauen in den farblosen Ziislaiid über, weil
durch die steigende Wärme das Wasser die Fähigkeit erlangt,
mehr Jod aufzunehmen.
Stärke, die durch wässrige Jodlösung gefärbt wurde und
austrocknet, behält das Jod und in der Regel auch die gleiche
Farbe. Solche trockene Jodstärke verändert sich an der Lull
nach Tagen und Monaten nicht. Wenn die Präparate vor
Feuchtigkeit bewahrt werden, so können sie selbst nach Jahren
noch die ursprüngliche Farbe zeigen. Daraus habe ich früher
den Schluss gezogen, dass das Jod nicht durch Verdunsten die
trockenen Substanzen verlassen könne. Diess ist nicht ganz
richtig. Denn bei erhöhter Temperatur wird das Jodslärkemehl
rasch, der Jodstärkekleister zwar langsamer, aber doch binnen
einiger Zeit entfärbt. Bei gewöhnlicher Temperatur findet die
Verdampfung des Jod aus der Jodstärke ebenfalls aber äusserst
langsam statt.
Trockene Jodslärke, die mit Alcohol übergössen wird, ver-
ändert ihre Farbe nicht. Feuchter Jodstärke wird durch Alco-
hol das Wasser, nicht aber das Jod entzogen. Der Schluss aus
diesen Thatsachen , dass nur wässrige Flüssigkeiten die Jod-
stärke zu entfärben vermögen, ist ebenfalls nicht genau. Denn
nach längerer Zeit und nach wiederholter Erneuerung des Al-
cohols tritt ganz allmählich die Entfärbung ein. Der Proccss
findet bei erhöhter Temperatur weniger langsam statt. Die Ent-
färbung durch Alcohol zeigt also die gleichen Verhältnisse, wie
die durch Verdampfung des Jod.
Wenn man durcl» wässrige Lösungen blaugefärbte Jod-
slärke ( Mehl oder Kleister) bei gewöhnlicher Temperatur ein-
trocknen lässt, so behält sie in der Regel die blaue Farbe bei,
und es gibt Partieen, die im luHlrockeneu Zustande so schön
indigoblau erscheinen als vorher , so dass auch ein abermaliges
Befeuchten mit Wasser keine Veränderung hervorruft.
Der Versucli wird mit Slärkemehl und Kleister am Besten
so aiiyestelll , dass man sie mit wenig deslillirtem Wasser auf
304 SitzuHf/ der m.tth.-phi/s. Clusse vom IS. Vor. IS62.
(ItMi 01)j<M;ttnioor brino;! , (Miiige Jodsliickclicii liineiiileot und
<Iaiiii ciiilrockiuM) liissl i\lan vonneidet dudurch, dass vor und
wahrend dein Einlrocknen die Enträrlnnig beginnt, was. wie ich
später zeigen werde, gerino-ere oder bedeutendere Modificatio-
nen im Farbei)ton bewirken kaini. Das trockene Präparat des
Jodstärkeniehis wird am Besten in Oel (z. B Cilronenöl) oder
auch in wasserlreieni Weingeist und unter einem Deckgläschen
beobachtet. Wenn es riicksichtiich der gehörigen Abstufung
<ier Jodmenge gebnigen ist, so sieht man an den lutttrockenen
KartofTelstärkekörnern alle Grade der Intensität vom hellsten bis
zum dunkelsten Indigoblau.
Manchmal wird durch das Eintrocknen eine Modification
der Farbe bewirkt ; aber die eben angeführte Thatsache be-
weist, dass die Ursache in etwas Anderem als in der Wasser-
enlziehung gesucht werden muss. Ich werde hievon später
S[)rechen; ich werde ebenfalls zeigen, dass man durch wässrige
Jodlösung die Stärke gelb, braungolb, rothbraun und roth fär-
ben kann und dass auch diese Farbentöne beim Eintrockner»
dieselben bleiben.
Aus allen diesen Thatsachen muss der Schluss gezogen
werden, dass es nicht die grössere oder geringere Menge von
Wasser an und für sich ist. die den Faibenton der Stärkekör-
ner bedingt
Es gibt eine Thatsache. welche zwar nicht die Stärke selbst,
aber eine derselben äusserst nahe verwandte Substanz bctrilTl
und welche dem eben gemachten Ausspruch entgegen zu sein
scheint. Eine Dextrinlösung wird durch Jod bei schwächerer
Einwirkung weinroth, bei stärkerer dunkelroth gefärbt. Lässl
man intensiv gefärbte Dcxtrinlösung auf einer Glasplatte ein-
trocknen, so zeigt sich die reinste indigobhuu! Färbung, so
schön als sie nur irgend an Jodstärke wahrzunehnuiu ist Die-
ser Versuch wurde zu wiederholten Malen mit dem gleichen
Erfolge genuichl. Ich habe einen Objectträger vor mir. an!
wtdchem das trockene .biddiixlrin nach zwei Jalncii iiodi noII-
kommen blau ist.
ISäf^eti: Reaction von Jod mif Stttrliehörner u. Zetlmetnf»' 305
Man wiirdo irren , woini man aus dieser Tliatsaclie den
Sciduss begründen wollte, dass das Joddextrin in Vcrhindiin*»
mit Wasser eine andere Farbe zciige als im trockenen Zuslando.
Es ist nicht das Vorbandensein und der Mangel an Wasser,
sondern der gelöste und feste Aggregatzustand , welcher (hc
DifTerenz in der Färbung bedingt. Wenn man das eingetrock-
nete Joddextrin mit Wasser übergiessl, so verändert es seine
indigoblaue Farbe nicht.
Ganz anders verhält sich die Stärke, wenn ihr Wasserge-
halt bei der Auliiahme des Jod verschieden ist. Man kann
diess am Besten durch weingeistige Jodlösung nachweisen.
Wenn man trockenes KartofTelstärkemehl mit hinreichend wasserhal-
tiger Jodlinctnr übergic^sst. so färbt sie dasselbe sogleich schön
indigoblau. Ist die Jodlinctur dagegen wasserfrei, so erlheilt sie
<lcm Stärkemehl erst nach längerer Zeit eine gelbe und später
gelbbraune Farbe. Je nachdem sie aber mn- wenig od(M- etwas
mehr Wasser enthält, treten rolhgelbe, braune, roth-braune,
kupferrothe und violette Töne auf.
Mit crleichem Erfoljr wie durch Jodlinctur, lässt sich die
Stärke durch Joddämpfe färben. Ist dieselbe lufttrocken, so
wird sie gelb und braun. Trockenes Karloflelstärkemchl wurde
mit einigen Stückchen metallischen Jods in ein kleines I'robir-
rohrchen eingeschlossen, und blieb während 4 Tagen den Jod-
dämpfen ausgesetzt. Es erschien nun dem blossen Auge als
ein branngrünes Pulver. Unter dem Microscop zeigten sich
die meisten Körner gelb oder braungelb und zwar waren sie
(Inrch und durch gleichmässig gefärbt. An einigen bem(>j-kto
man in der Mitte eine dunklere ( braune) Stelle , welche biMui
Drehen des Korns als im Innern befindlich sich erwies. Zu-
weilen befand sich diese dunklere Stelle in «ler Cegend des
Kerns Zuweilen war der Kern und eine nach der Mitl(! des
Korns sich crueiltM-inh! Stelle braun gefärbt, so dass sie eltuMU
IvomehMi mit Kern und Schwcil' glich Oil'eidiar halle (bis .lod
>ich in diesen Fallen ni dei- iiohluni> (lt;s Kerns ninl in den
Non derselben ausodunden iiiss.en niedergeschlagen. - W«;-
306 f^itzung der inath -phys. Classe vom 13. Dec. 1862-
nige Körner waren schmutzig blau, wahrscheinlich solche, die
im lufttrockenen Zustande etwas mehr Wasser zurückgehalten
hatten. Wenige andere erschienen schmutzig grün , eine Mi-
schung der blauen und gelben Färbung.
Ist das Stärkemehl nicht vollkommen lufttrocken , so be-
wirken die Joddämpfe braunrothe, rothe und violette Farben.
Jod, das in ätherischem Oel gelöst ist, reagirt, wie die
weingeistige Tinctur und wie die Joddämpfe. Trockenes Kar-
tofFelstärkemehl wurde mit einigen Stückchen Jod in Citronenöl
gelegt und in einem verschlossenen Probirröhrchen aufbewahrt.
Von Zeit zu Zeit untersuchte ich eine Probe unter dem Mi-
croscop. Die Färbung ging sehr langsam vor sich. Nach drei
Wochen hatten alle Körner deutlich Jod in grösserer oder ge-
ringerer Menge aufgenommen. Die Mehrzahl hatte sich gelb-
braun gefärbt ; der Farbenton begann mit Hellgelb und steigerte
sich allmählich durch Braungelb zu Dunkelkaffebraun. Die klei-
nere Zahl war schmutzig rothviolett, und hess ebenfalls alle
Uebergänge von Hellroth bis Schwarzbraun wahrnehmen. Zwi-
schen den beiden Farbenreihen gab es verschiedene Mittelstu-
fen. An hellgefärbten Körnern aller Nuancen sah man oft das
Innere der Körner intensiver gefärbt, als die äussere Substanz
Fast an allen dunkler gefärbten Körnern war die alleräusserste
Schicht deutlich heller oder selbst fast farblos. Einzelne Kör-
ner, offenbar solche, die in der Nähe von Jodsplittern sich be-
funden, hatten auf der einen Seite viel mehr Jod eingelagert.
Die verschiedene Färbung kann für diesen Fall auffallend
erscheinen, weil alle Stärkekörner unter den gleichen Verhält-
nissen sich befanden. Da aber in den übrigen Fällen (bei der
Behandlung mit Alcohol oder mit Joddämpfen) sehr geringe
Verschiedenheiten im Wassergehalt die nändichen Differenzen
des Farbentons bedingen , so lässt sich wohl vermuthen , dass
man es hier mit der nämlichen Ursache zu thun habe. Es mö-
gen die Stärkekörner vermöge ihrer ungleichen Organisation
schon von Anfang an im lufttrockenen Zuslandi; ungleich viel
Wasser zuiückgehalten haben: es mögen auch geringe Was-
Nageli: Reuvtion von Jod auf Stärkekdrner u Zetlmembr. 307
scrmeniren inil dein ätherischen Ocl (feirnscht gewesen und
vorzüglich von den einen Körnern aufgenommen worden sein.
///. Wie wirkt eine grössere oder geringere Menge des ein-
gelagerten Jod auf den Farbenton der Stärke?
Wie bei den ZeUmembranen soll nach den Angaben H.
V. Mohfs auch bei der Starke die ungleiche Ouantität von Jod
unter übrigens gleichen Verhältnissen die verschiedene Färbung
erklären. „Wenn zu gleicher Zeit Jod und Wasser auf die
aufgequollenen oder nicht aufgequollenen Körner einwirke, so
färben sie sich nach der Menge von Jod , welche sie aufneh-
men, weinrolh, indigoblau bis zum tiefsten schwarzblau" (Anat.
und Physiol. der vegetab. Zelle 1851 p. 49). Ich selber (Stärke-
körner 1858 p. 185) glaubte ebenfalls dieses Resultat aus mei-
nen Beobachtungen ableiten zu müssen; habe aber zugleich an
gedeutet, dass es bei gleichen Mengen eingelagerten Jods zu-
weilen ungleiche Farbentöne gebe und dass für diese Erchei-
nung die Erklärung noch mangle.
Wenn man ein Präparat von Stärkekörnern in wässriger
Jodlösung anfertigt, so bemerkt man häufig, besonders nach
einiger Zeit, Körner mit heller, violetter oder selbst rothviolet-
ter Färbung neben solchen mit intensiver, indigoblauer Farbe.
Nichts scheint gerechtfertigter, als den ungleichen Ton von der
verschiedenen Menge des eingelagerten Jod herzuleiten. Den-
noch ist dieser Schluss unrichtig. Die Körner, die ungleich
gefärbt sind, befinden sich nicht unter vollkommen gleichen
Verhältnissen. Ich beschränke mich hier auf den Nachweis, dass
celeris paribus auch der Farbenton der nändiche ist.
Wenn man KarloITelstärkekörner ganz langsam färbt, was
am Bestell durch ein Stückclien Jod geschieht, welches man
m deslillirt(!S Wasser legt, so ist «lie erste sichtbare Färbung
lu'lliilau (nicht violett noch roth) : dieselbe wird nach und nach
308 Sitztitiff der math.-phi/s. Ctasse vom 13. Dec. 1869.
intensiver und zuletzt dunkelblau. WeizenstäiKekorner zeichen
bei gleicher Behandlung ein ähnliches Verhalten, aber die Farbe
geht mehr auf Violett. — Bringt man zu Kartoffelstärkekleister,
der mit destillirtem Wasser auf dem Objectträger liegt, Stück-
chen von metalhschem Jod, so färbt sich die innere, stark auf-
gequollene und granulirte Masse, die zum Theil aus den Kör-
nern herausgetreten ist, erst blassblau, dann intensiv indigo-
blau. Die geschichteten Hüllen werden blass violett, dann in-
tensiv schmutzig- violettblau. Kleister von Weizenstärke ver-
hält sich ebenso.
Bei diesem Verfahren kann ich an dem nämlichen Slärke-
korn oder an der nämlichen Partie eines Korns bei geringerer
und reichlicherer Jodeinlagerung keinen anderen Unterschied
wahrnehmen, als dass der gleiche Farbenton mehr oder weni-
ger intensiv auftritt. Es ist aber begreiflich, dass, je mehr
derselbe sich vom reinen Blau entfernt und dem Violett nähert,
um so mehr bei starker Verdünnung der Farbe das Roth, bei
Condensirung derselben das Blau vorzuherrschen scheint.
Man kann, wie ich schon früher auffeffeben habe, die
Stärke auch äusserst langsam färben, wenn man sie in Wasser
bringt, in welchem durch Jod gefärbte Körper (Dextrin, Ei-
weiss etc.) sich befinden. Jedes Verfahren , bei welchem man
die entstehende Färbung beobachtet, gibt mir immer das näm-
liche Resultat, während eine andere Methode keine Sicherheit
gewährt. Ich werde später zeigen, dass das Jod in der Jod-
stärke, wenn es sich anschickt, aus derselben zu entweichen,
oft eine andero Anordnung der kleinsten Tlieilchen anninnnl
und somit auch eine andere Farbe bedingt Diess ist um so
mehr der Fall, je mehr sich die lu'sprüngliche Farbe dem rei-
nen Blau nähert. Da nun, wenn Jodstärke im Wasser liegt,
dieses immer etwas Jod entzieht, so beobachlot man häufig
Körner, welche ihre Farbe etwas verändert haben. Man isl
daher des Farbentons . wcIcIkmi Jodslärke im Wasser zeigt,
nur dann uanz sicher, wenn man denselben im Momenl dei
Entslehuno sielit
"Säiftfli: Ueacttnit von Jod imf Sliirliehörner u. ZelhnPinhr 30!)
Es ist fornor von WiditiVkoil . dass das Wasser, in doni
«lio Sliirkc lit'ol, rein sei. Salze, weiche in demselben enlliallen
sind, können leiclil die Farben niodificiren. Es ist sonrar, wie
ich zeigen werde, niüi»Iich, ein Präparat in Wasser herzusl(!ilen,
in welchem die Karlofrelsfärkckürner, welche am wein'gsUin Jod
aufgenonnnen haben nnd somit die scliwiichste Färbun*»- zeifj^en.
hellblan, die etwas stiirkcM- gefiirbten violett, die noch mehr Jod
enlhallenden rolli, nnd diejenigen endlich, welche am meisten
Jod eiiiffelaijert haben , braunoelb und oelb sind. Es wiire ein
oanz falscher Schluss, vverui man aus dieser Thatsache Ibloerle,
dass die fferinostc Jodmenoe blau und die grösste gelb larbe.
VcTlblot man in einem solchen Priiparat das einzelne Korn,
wiihrend es sich mehr und mehr fiirbt , so sieht man , dass es
die Farbe nicht ändert, sondern nur verstärkt.
Es gibt nun zwar ausnahmsweise; auch ciiizelne Fälle , wo
das in dcjslillirtem Wasser lieo(>nde KartolTelslärkekorn in dem
Moment, wo es sich durch Jod färbt, eine violette (nicht eini;
blaue) Farbe zeigt. Wenn trockenes KartofTelstärkemehl in
wässrioe oder schwach weingeisligc Jodlosung gebracht wird,
s<» beobatht(!t m;in zuweilen unter der Masse blauen- Körner
einz(dne violette. An einigen derselben konnte ich aber deut-
lich wahrnehmen, dass die äussere Substanz slärk(!r, die innere
schwächer oder gar nicht gefärbt war. Da nun die äuss(!rsten
cellulosereiclKMi Srhichten mit Jod einen violetten Ton anneh-
men , so scheint jene Erscheinung erklärt zu sein. Bei der
grossen Mehrzahl der Körner ist die innere Masse ebensosehr
oder intensiver gefärbt, als die äussere; und daher zeigen diese
alle eine blaue Farbe.
Alle diese Thatsachen zwingen uns also zu dem Schlüsse,
dass unter iibrigcnis gleichen Umständen die
unirleiclie (Quantität des in der Stärke eingela-
gelten Jod niciil e i u e V ersc hied e nh e i t des Kar-
bentons, sondern nur eine ver s c li i ed imi e Inlen-
si tii l de r Fiir b <■ b e w ir kl.
310 Sitzung der math.-p!it/s Clause vom 13 Dec. 1S68.
IV. Wirkung physicalischer und chemischer Verhältnisse in
der Stärkesubstanz auf die Färbung durch Jod.
Ausser den zwei Verhältnissen , die ich bereits besprochen
habe, der grösseren und geringeren Wassermenge und der
grösseren und geringeren Jodmenge, sind noch zwei andere
Erklärungsgründe, ein physicahscher und ein chemischer, für
die Thatsache angegeben worden, dass die Stärke in Verbind-
ung mit Jod verschiedene Farben zeigen, dass sie von Braun
und Roth bis Blau abwechseln kann.
Payen suchte die Ursache in der grössern oder geringe-
ren Aggregalion der Substanz, Er sprach als allgemeines Re-
sultat seiner Beobachtungen aus, „die Wirkung der stufen wei-
sen Desaggregation bestehe darin, dass das Stärkemehl in Ver-
bindung mit Jod violette Töne annehme, welche mehr und mehr
in Roth übergehen; die gleiche Substanz zeige in den ersten
Entwicklungsstadien innerhalb der Pflanzen unter der Einwir-
kung von Jod rothe, violette, dann blaue Töne."
Ich selber (Stärkekörner 1858 p. 185) habe eine der Ur-
sachen , warum die Stärke durch Jod verschiedene Färbungen
annimmt, in der Thatsache gefunden, dass sie ungleich viel
Cellulose enthält. Ich zeigte, dass bei ganz gleicher Behand-
lung die celluloseärniern Partieen durch Jod und Wasser blau,
die cellulosereichern roth oder violett werden.
Was die Theorie von Payen betriflt, so habe ich schon
früher (Stärkekörner p. 187) gezeigt, dass sie nicht überein-
stimmt mit der microscopischen Beobachtung, welche darlhut,
dass im Kartofl'elstärkekleister die stark aufgequollene desorga-
nisirte und feinkörnig gewordene Masse blau, die noch geschich-
tete dichtere Substanz violett oder rolhviolett sich färbt. Wenn
ferner durch Hilze aufgequollene Kartoffelstärke nnt unverän-
derter gemengt und auf dem Objectträger durch ein Stückchen
Jod, das man ins Wasser legt , langsam gefärbt wird , so \w-
obnchtet man nicht nur, dass Aia aufgequollenen Körner, na-
Mienllich deren innere granulirte Masse, das Jo«l IVülior auf-
fiHifeli: Reaction von Jod nvf Stürhehlirner u. Zelhnenihr 311
nehmen, sondern auch, dass sie entschieden einen reiner blauen
Farbenion zeigen als die unveränderten.
Gestützt auf diese Beobachtungen niuss vielmehr gesagt werden,
dass die Stärkosubstanz durch Auflockerung
und Desaggrega tion, insoferne sie nicht etwa zu
Folge von Dextrin bildung ärmer an Granulöse
wird. dieBefähigung erhält, mit Jod einen etwas
reiner blauen Farbenton anzunehmen.
Die Stärke verhält sich in dieser Beziehung also ganz wie
die Cellulose.
Eine Thatsache, welche scheinbar die Ansicht Payen's
unterstützt und welche dieselbe ohne Zweifel veranlasste , wo-
bei aber die nucroscopische Analyse den Grund des Irrthums
nachweist . ist folgende. Wenn man Stärke mit verdünnter
Schwefelsäure kocht, und von Zeit zu Zeit eine Probe der Lö-
sung untersucht, so erhält man durch Zusatz von Jod zuerst
reinblaue Färbungen, blassblau bei geringer, intensiv indigoblau
bis schwarzblau bei stärkerer Einwirkung. Später aber bewirkt
eine geringe Menge von Jod blass blau violette, eine grossere
Menge rothviolette Färbung. Die geringe Jodmenge färbt bloss
die noch vorhandene Stärke, die grössere Jodmenge färbt aus-
serdem das Dextrin, das sich gebildet hat. Bringt man einen
Tropfen Jodlösung in die unveränderte Flüssigkeit, so bewirkt
dieselbe an der Stelle, die sie berührt, eine rothe Trübung, in-
dem sie Stärke und Dextrin färbt. Bald aber breitet sich die
Färbung aus und geht in Blauviolelt über , indem das Dextrin
sein Jod an die Stärke abgibt.
Unter dem Microscop kann man beide Färbungen neben
einander sehen. Wenn man einen Tropfen der eben erwidui-
len Flüssigkeit auf den Objectlräger bringt und einen Joder y-
»lall hineiidegt, so bemerkt man mit blossem Auge einen ro-
llicii Hof sich um denselben ausbreiten. Das Microscop zeigt
HU dem l'mfangc des rotlien Hofes eine schmale blauviolelte
Zone. In der letztem hat das Jod erst die Stärke, in dem er-
slorn auch das Devirin gefärbt.
312 SUzvnf/ der uiath.-phys. Glosse vom 13 Der 1(^6S
Die Ursache, warum die SUirke, die noch nicht in Dexlriit
überofegfancren ist, keinen reinblauen Ton annimmt, besteht da-
rin, dass sie verhiiltnissmässig viel CeHulosc enthält. Die Wir-
kung der Schwefelsaure trifft nändich zuerst diejenigen Partieen.
welche arm an Cellulose sind; am längsten widerstehen ihr die
cellulosereichen Schichten. — Wenn alle Stärke in Dextrin über-
gegangen ist, so wird die Lösung durch Jod natiiilich bloss
noch roth gefärbt.
Folgende Beobachtung stimmt hiermit vollkommen überein.
Alter Kartoifelstärkekleister , welcher Jahr und Tag in einer
verkorkten Flasche im Laboratorium gestanden halte, war ganz
flüssig geworden. Man konnte eine klare Lösung abgiessen,
welche bloss Dextrin enthielt. Der zurückgebliebene Kleister
färbte sich aui" Zusatz von Jod rothviolett. Unter dem Micro-
scop bestand derselbe zum grösseren Theil aus geschichteten
Hüllen, zum geringeren aus feinkörniger desorganisirter Masse.
Bei langsamer Einwirkung des Jod färbte sich diese körnige
Masse zuerst, und zwar violett; später nahmen die Hüllen
orangefarbene und kupferrothe bis rolhviolette Töne an.
Wenn man also Stärkekleister auf irgend eine Weise in
Dextrin überfuhrt, so geht die Farbe, welche di(! Flüssigk(;il
nach und nach mit Jod anninunt, von Indigoblau durch Violett
in Roth über. Diess geschieht aus zwei Ursachen, einmal be-
sonders desswegen, weil das Dextrin an Menge zuninnnt und fer-
ner in geringerem Ma.sse auch des.swegen, weil die noch unver-
änderte Stärke verhällnissmässig innner reicher an Cellulose wird.
In vollkonmnier Harmonie damit steht die Thatsache, dass
mit Schwefelsäure gekochter Stärkekleister, welcher durch Jod
gefärbt und dann mit Stärkemehl vcrmisciit wird, sein Jod voll-
ständig an letzteres abgibt und daher sich entfärbt, wenn er
zum grossem Theil in Dextrin umgewandelt ist; dass er aber
bei der gleichen Procedm- um so mehr Jod zurückhält und um
.so inlen.siver gefäilil blcil/l. Jt; weniger er dir miiwandelnde Ein-
wirkung der Schwclclsiinre erfaliren linl.
Sihrinbein : midiing ilei iaipefricht.i. AmmnnfaUf 313
Hnrr Pol teil kofer referirt über drei von dem auswiirli-
gen Miloliede Hin Scliö nbein \\\ Basel eingesendete AMiand-
hingeii
1) einen Niiclilrag zu der Abluindlung : „über die Bildung
des salpetrich tsau ren Ammoniaks aus Wasser
und Luft." (Vorl. 1862. IF. 1, /i5 [\^
Brinol man reinstes Wa.sser in einem ollenen Geüisse,
z. B. in einer Porcellanschaale zum Sieden und verdichtet man
einige (Irannne des biebei sich bildenden Dampfes in einer
über ihm ffehaltenen kalten Flasche zu Wasser, so wird letzte-
i-es, mitSOa angesiiuert, den Jodkaliumkleisler, wenn auch nicht
stark, doch noch deutlich blauen. Auch bringen nn't reinem
Wa.sser gekränkte und einige Zeit dem gleichen l)ampre aus-
g-esetzte Streifen Filtrirpapieres die gleiche Keaction hervor,
welche selbsherslandlich von kleinen !\lengen des unter diesen
Umständen aebildeten Ammoniaknitritcs herrührt.
Da dieses Salz schon seiner Flüchtigkeil halber unter den
«•rwahnton Verumslandungen nur in geringer Menge im Fapi«!r
sich anhiinfen liisst . so wende ich in der Absicht, grö.ssere
Mengen eines Nilrites zu erhalten, den Kiinslgrilf an , die Pa-
pierstreifen mit kalihaltigem Wasser zu tranken, welches die
.salpelrichte Siiure des Ammoniaksalzes bindet , um dannt Kali-
nilrit zu bilden, der im Papier verbleibt Liisst man so be-
.schaffene Streifen nur eine Viertelstunde über <l(Mn oHen sie-
denden Wasser hängen, so werden sie den angesäuerten .lod-
kaliumkleisler schon merklich stark und noch ticifer bläuen,
nachtiem sie längere Zeit, z. B. ehiige Stunden, der Kinn iiknng
des Dampfes ausgesetzt gewesen.
Lässt man Wasser bei niedrigeren Temperaturen, z. B bei
/iO— 70" in olfener Luft verdampfet», so werden äiniliche Er-
o-ehnisse (^hallen: Die über diesem Wasser hängtuidcn kidili;il-
tiffcn Papierslreiten erlangen schon in kurzer Zeit ilas \ ermo-
ijen. «len oesäuerlen .lodkalininkleisler aul das Ti^'fsle zu blauen
111« n.) 21
314 Sit'innfi der math -phys. Classe vom 13. Dee t86S.
und ich lege eine Probe eines solchen Streifens bei, welcher
einige Stunden über einer Porcellanschaale gehangen, aus der
fortwährend Wasser bei einer Temperatur von 60" verdampfte
und welches Papier, wie man finden wird, den angesäuerten
Kleister auf das Stärkste bläut.
Um sich von der unter diesen Umständen erfolgenden Ni-
tritbildung zu überzeugen, ist es nicht einmal nöthig, über dem
Dampfe befeuchtete Papiere aufzuhängen. Lässt man in einer
offenen Porzellanschaale reinstes Wasser bei 40—50° verdam-
pfen und setzt diese Operation unter jeweiliger Erneuerung des
verdunsteten Wassers einen halben oder ganzen Tag fort , so
wird die rückständige Flüssigkeit, mit verdünnter SO 3 ange-
säuert , zugefügten Jodkaliumklcister schon niei klich bläuen,
welche Reaction von kleinen Mengen Aninioniaknilrites herrührt,
das auf der Verdampfungsfläche sich bildend, wie von dem
Wasser der über ihm hängenden Papierstreifen, so auch von
dem Wasser der Schaale spurweise aufgenommen wird. Wen-
det man anstatt des reinen Wassers kalihalliges an , und lässt
man dasselbe unter den erwähnten Umständen Tage lang ver-
dampfen, den Verlust der Flüssigkeit von Zeit zu Zeit ersetzend,
so Avird das rückständige Wasser die Nitritreactionen in augen-
lalliffster Weise hervorbringen. Dass natürlich kalkhaltiges Was-
ser auf die gleiche Weise nitrithaltig wird, ist kaum nöthig
ausdrücklich zu bemerken. Wenn nun obigen und früheren An-
gaben gemäss während der bei so verschiedenen Temperaturen
bewerkstelligten Wasserverdampfung in atmosphärischer Luft
salpetrichtsaures Ammoniak gebildet wird, so liess sich mit Si-
cherheit vermuthen, dass dieses Salz auch noch bei niedrigem
Wärmegraden, also selbst bei gewöhnlicher Temperatur ent-
stehe und ich denke, dass die nachstehenden Angaben keinen
Zweifel darüber walten lassen.
Lässt man einen mit reinstem Wasser getränkten Bogen
Filtrirpapieres in einem verschlossenen Zimmer bei gewöhnlicher
Temperatur trocknen und zieht man dann denselben mit ver-
hälliiissmässig wenig Wasser aus, so wird die erhaltene Flüs-
Schönbetn: (tildting des satpetrichts. Ammoniaks. 315
sigkeil, mit SO^ angesäuert, den Jüdkaliumkleisler in kurzer
Zeit merklich stark bläuen. Selbstverständlich wird das oleiche
Ergebniss mit reiner benetzter Leinwand erhalten, welche man
in der Luft bei gewölinlicher Temperatur trocknen lässt und ich
will bemerken, dass ich mir auf diese Weise grössere Mengen
ammoniaknitrithaltigen Wassers verschafTe, Daher kommt es
auch, dass nach meinen zahlreichen Untersuchungen alles ge-
waschene Linnenzeug, mit wenig Wasser ausgezogen, eine Flüs-
sigkeit liefert, welche den angesäuerten Jodkuliumkleisler noch
deutlichst bläut. Dass auch noch andere Stoffe, die einmal nass
waren und in der Luft getrocknet wurden, nachweisbar Spuren
von Nitrit enthalten , ist eine selbstverslandene Sache. In die-
sen Fällen ist z. B. das angeleimte Druckpapier.
Hiemit hängt auch die weitere Thatsache zusammen, dass
kalihaltiges Wasser, nachdem man es in einem offenen Gefässe
dem grössern Theile nach bei gewöhnlicher Temperatur hat ver-
dampfen lassen , deutlichst auf Nitrit reagirt und dass Kalihy-
drat nicht selten dieses Salz enthält. Ebenso begreiflich ist
jetzt, warum mit kalihaltigem Wasser getränkte Papierstreifen,
welche man längere Zeit in der Luft hängen lässt, den ange-
säuerten Jodkaliumklcister stark bläuen.
Noch muss ich der hieher gehörig(Mi Thatsache gedenken,
dass nach meinen ßeobachlungen auf der Oberfläche längere
Zeit aufbewahrter und noch ungebrauchter Glasgefässe nach-
weisbare Mengen von Kalinitrit sich vorfinden. In einer Vor-
ralhskammer, wo ich meine Glasgeräthschaften aufbewahre, lie-
gen schon seit Jahren Deckplatten böhmischen Glases iiberein-
der geschichtet und ich finde, dass vorzugsweise die maltge-
schliffene Seile derselben, wenn erst mit verdiiimter SO3 ange-
nezt, darauf getröpfelten Jodkaliumkleisler auf das augenfälligste
bläut. Es versteht sich von selbst, dass die Plauen, mil verhäll-
nissmässig wenig Wasser abgewaschen, eine Flüssigkeil liefern,
welche die Nitrilrcactionen auf das Dcullichsle hervorbringt.
Anderes Glas, auch französisches, wi«^ Röhren, Kolben, Retor-
ten u. s. w. verhallen sich wie die besagten Glasplatten , mil
21*
31 G Sitxunff der math -phps. Claxse vom 13. Vec. 1869.
dem einzigen Unlerschied , dass die maftgeschliffene Seile der-
selben reicher an Nilril ist als das glatte Glas. Dieses so
jiierkwiirdige und scheinbar unerklärliche Vorkommen des sal-
petrichtsauren Kalis ist nun, wie ich glaube, eine leicht zu deu-
tende Thalsache. Da in Folge der in der atmosphärischen Luft
unaufhörlich stattfindenden VVasserverdampfung auch ohne Un-
terlass;Amnioniaknitrit entsteht, so muss dieses Salz, wenn auch
in homöopathischen Mengen, doch überall verbreitet sein und im
Laufe der Zeit mit dem Kali des Glases nachweisbare Mengen
salpetrichtsauren Kalis bilden, welches in einer stagnirenden,
d. h. ozonleeren Atmosphäre, gemäss meinen früheren Ver-
suchen, nicht zu Nitrat sich oxydirt, diess aber wohl in der
freien strönuMKlen Luft Ihul, die fortwährend kleine Menoen
ozonisirten Sauerstoffes mit sich führt.
Mit der durch Wasserverdampfuiig in der atmosphärischen
Luft beworkslelliglen Bildung des salpetrichtsauren Ammoniaks
hängt nun unstreitig auch die sogenannte spontane Erzeugung der
Salpetersäuren Salze auf das engste zusammen, welche Erzeu-
gung viel allgemeiner ist, als man sie sich bis jetzt gedacht.
In der Thal zeigen meine Unlersuchungen, dass seilen, wenn
je, ein Wasser völlig frei von Nitrat angetrolTen wird. Entsteht
nun fortwährend in der angegebenen Weise Ammoniaknilril,
wird dieses Salz beim ZusauimenIrefFen mit alkalischen Basen
in andere Nitrite verwandelt und o.xydiren sich letzlere erfah-
runosffemäss in freier Lull zu Nilralen, so kann es nicht feli-
Ich , dass der Vorgang der Salpelerbildung ein ganz allgemei-
ner und niiaufhörlicher sei. Ist nini ein lockerer Boden, z B.
kalihallig und (indet in demselben Wasserverdampfung stall, so
wird sich schon aus diesem Grunde erst Kalinilrit bilden und
dieses in Berührung mit der Atmosphäre allmählich in Nilrat ver-
wandeln. Dann führt die strömende Luft unaufhörlich dem
crlei("h(!n Roden kh^ne M(Migen anderwärts gebildelen Amtiioniak-
iiitriles zu nn<l auch das ans diesem Salze durch die Einwir-
UiMiii des Kalis u s w. enibnndene Annnoniak kann Einiges
zur MlriilbildiMiü bfilragen. In nns(M-n regenreichen Gegpnden
^
Schönhehl: nuduinf des stiti/etrichts Ammoniaks. ^17
aber koniion sich bogreifliclier Weise diese Salze nicht in merk-
licher Menge an einer solchen Oertlichkeil anhaulcn , weil sie
dnrch das atniüsphärische Wasser innner wieder vveggevvaschen
werden.
Anders in manchen lieissen Ländern , wie z. B. in einigen
Theilen Ostindiens u. s. w. . wo IWonale lang kein Regen fällt.
Hier können sich in einem kalihaltigen Boden so merkliche
Mengen Kalisalpeters im Laufe von Monaten anhauten, dass sie
des Ausbeulens werth sind. Dass die Nitrificalion auch noch
auf eine andere als die angegebene Weise stattfindet, ist eine
selbstverstandene Sache.
Dass die besprochene Art der Bildung des Ammoniakni-
Irites auch für die Pflanzenwelt eine grosse Bedeutung habe,
wurde zwar schon in meiner letzten Mittheilung hervorgehoben;
ich finde mich aber doch veranlasst, noch einige weitere Be-
merkungen beizufügen. Jede Pflanze, insofern sie Wasser ver-
dampft, ist selbst ein Nilriterzeuger und verschafft sich somit,
wenn vielleicht nicht allen, doch einen Theil des ihr nolhigen
assinnlirbaren Stickstoffes j dazu kommt noch die Ackerkrume,
welche gleichfalls eine Bildungsstätte des Ammoniaknitrites ist,
um von der atmosphärischen Luft gar nicht zu reden, die mit
dem gleichen Salze geschwängert ist. Es will mich desshalb
bedünken , dass die bezeichneten Quellen der Pflanze so viel
für sie verwendbaren Stickstofl" zuführen, um ihrem physiolo-
gischen Bedürfnisse vollkommen zu genügen.
Ich bin daher geneigt, meinem Freunde Liebig Recht zn
geben, wenn er behauptist, dass es unnöthig sei, auf ausseror-
dentlichem Wege den Kullurpflanzen anunoniakerzeugende Stolfe
darzubieten und die Wirksamkeit des Düngers von seinen mi-
neralischen Bestandthcilen bedingt sei.
318 SiHtiiiy der math.-phys. Vtasse vom 13. Dec- 186S!
2) einen Aufsatz
„Ueber das oxidirende Vermögen der Nitrite''
Meine früheren Versuche haben gezeigt , dass eine nicht
kleine Zahl unorganischer und organischer Materien schon bei
gewöhnlicher Temperatur reducirend auf die gelösten Nitrate
einwirkt und diese Salze zunächst in Nitrite verwandelt, welche
Thatsache es als möglich erscheinen liess, dass eine solche des-
oxidirende W^irkung noch weiter gehen, d. h. auch der Säure
der Nitrite der Sauerstoff entzogen werden könnte. Wie ich
dafür halte, gewähren die nachstehenden Angaben die Gewiss-
heit, dass die alkalischen Nitrite und namentlich das salpet-
richtsaure Ammoniak gegenüber vielen Körpern als oxidirendes
Agens sich verhalten, wesshalb im hohen Grade wahrscheinlich
ist, dass dieses Salz durch sein oxidirendes Vermögen im Haus-
halte der Natur eine wichtige Rolle spiele.
Zunächst sei bemerkt, dass Eisen und Zink eine solche re-
ducirende Wirkung auf die gelösten alkalischen Nitrite und na-
mentlich auf dasjenige des Ammoniaks hervorbringen, wie man
sich auf folgende Weise leicht überzeugen kann. Da diese
Reduction ziemlich langsam von Statten geht, so muss man,
um etwas rasch zum Ziele zu gelangen, sehr stark verdünnter
Nitritlösungen sich bedienen, solcher jedoch, welche den ange-
säuerten Jodkaliumkleister inmier noch augenblicklich auf das
Augenfälligste zu bläuen vermögen. Setzt man eine derartige
Ammoniaknitritlösung unter Ausschluss der Luft und jeweiligem
Schütteln mit Eisen- oder Zinkfeile in Berührung, so wird nach
einiger Zeit die Flüssigkeit ihr Bläuungsvermögen des Gänzli-
chen eingebüsst , dagegen aber die Eigenschaft eilangt haben,
das Curcumapapier deutlich zu bräunen oder die farblose Hämat-
oxyliidösung sofort violett zu färben, welche Reactionen die
Anwesenheit freien Annnoniaks deutlich genug anzeigen.
In gleicher Weise verhallen sich die genannten Metall«!
Schönbein: Das Oxidirttnysver mögen der fiitrite. 319
auch gegen die stark verdünnten Kali- oder Natronnitritlösun-
gen, woher es kommt , dass gelöster Kali- oder Natronsalpeter
bei längerm Zusammenstehen mit Zink stark alkalisch reagirt
Erst wird unter diesen Umstanden das Nitrat zu Nitrit reducirt
und dann auch der Säure dieses neutralen Salzes durch das
Metall der Sauerstoff entzogen, was das Freiwerden des Kalis
u. s. w., also die alkalische Reaction zur Folge haben muss.
Sägespähne oder Baumwolle mit Wasser getränkt, welches
winzige Mengen Ammoniaknitrites enthält, wirken ebenHalls re-
ducirend auf dieses Salz ein, wie daraus hervorgeht, dass die
Flüssigkeit, nachdem sie einige Zeit mit Baumwolle u. s. w. in
Berührung gestanden, nicht im Mindesten mehr zu bläuen, da-
gegen eine noch deutlich alkoholische Reaction hervorzubringen
vermag. Wendet man eine Lösung an, welche den angesäuer-
ten Jodkaliumkleister zwar noch sehr augenfällig , aber nicht
mehr bis zur Undurchsichtigkeit tief bläut, in der also nur äus-
serst kleine Mengen Nitrites enthalten sind , so reichen einige
Tage hin, damit das mit Sägespähnen u. s. w. zusammenstehende
gelöste Salz völlig zerstört werde. Stärke in Klcisterform' ver-
hält sich in ähnlicher Weise und dass noch andere organische
Materien, wie auf die Nitrate, so auch auf die Nitrite desoxy-
dirend einwirken, wird aus der nachstehenden Millheilung zur
Genüge erhellen.
(I) Hieraus erklären sicli die sonderhareii Veriinderiiiigen , welche
der mit gewöhnlichem Wasser bereitete Jodkaliinukleisler nach und nach
erleidet Frisch dargestellt wird derselbe durch verdünnte chemisch reine
Schwel'elsäure nicht gebläut, erlangt aber nach einiger Zeit diese Eigen-
schaft, um sie jedoch im Laufe einiger Tage für immer zu verlieren.
Die Sache verhält sich so: erst reducirt die Stärke das imBrunnenwas-
ser enthaltenen .Nitrat /u Nitrit , wodurch der besagte Kleister die Fä
higkeit erhält, durch verdünnte Säuren gebläut zu werden; in Folge der
fortdauernden reducircndcn Kinwirkung der Stärke auf das entstandene
Nitrit aber wird auch dieses Salz zerstört und ist die Zersetzung des
selben vollendet, so kann natürlich der Jodkaliumkleisler durch verdünnte
Schwefelsäure u. s, w. nicht mehr gebläut werden.
320 Süzuni/ der iiurfk. -}>hi/t. Cltisst vom 13. Vti. i86g.
Machoii es nua ilit; voranslehenden Angaben g-e\viss, (fass
das Anunoniaknihit viele unorganisdie und organische Materien
zu oxidireii venniig und ist es Thalsache, dass bei der Ver-
dampfung des Wassers in atmosphärischer Luft dieses Salz un-
aufhörlich gebildet wird, so kann es wohl keinem Zweifel uu-
lerworfen sein, dass die Natur desselben zu einer Reihe von
Oxidalionen unorganischer und organischer Substanzen sich be-
dient.
Bekannt ist, wie leicht die Holzfaser, die der gieichzeitig-eri
Einwirkung des Wassers und der atmosphärischen Lull ausge-
setzt ist, mürbe, d. h. oxidirl wird, wie auch die Erfahruno
schon längst gelehrt hat , dass die rohe Leinwand durch ab-
wechselndes Benetzen mit Wasser und Trocknen iu der Lull
rascher sich bleicht, als sie diess im trockenen Zustande thut.
Ich bin daher geneigt anzunehmen, dass durch sein oxidirendes
Vermögen das Annnoniaknitrit bei der Verwesung der Pflanzen,
der Rasenbleiche, dem Rosten der Metalle u. s. w. eine Rolle
spiele, obwohl sicher ist, dass an diesen Oxidationsvorgängen
auch der freie atmosphärische Sauerstoff Theil nehme , dadurch
nämlich, dass derselbe unter dem Einfluss der Luftelectricität
und einer Anzahl unorganischer und organischer Materien ozo-
nisirt oder chemisch polarisirt wird, wie hierüber die Ergeb-
nisse meiner früheren Versuche und namentlich die Tliatsache
kehlen Zweifel übrig lassen, dass in so vielen Fällen langsamer
und in wasserhaltiger Luft stattfindender Oxidation Wasserslolf-
superoxid zum Vorschein kommt.
3) einen Aufsatz
..Ueber das Vorkommen salpetricht- und salpe-
„lersaurer Salze in der Pflanzenwelt.'-
Die Thalsache, dass bei der Verdampfung des \\'as.seis in
atmosphärischer Luft immer Anunoniakiiitril sich bildet , liess
Schönhein: Vorkommen suliietricht u. stit/ietet'^. Sntxe. \\2\
miih venniiUieu, dass sowohl dieses Sylz selbst als mich an-
dere aus ihm ciilslandene Nitrite oder Nitrate in der Pflanzen-
well allgemein verlireilet seien und die Ergebnisse der zahlrei-
chen von mir über diesen Geg-ensland aiigestelilcn Versuche
haben die Riclitigkeil meiner Vernnilhung ausser Zweifel ge-
stellt, wie aus den nachstehenden Angaben zur Genüge erhel-
len wird.
Unter allen von mir bis jetzt uniersuchten Pflanzen Z(Mch-
nel sich das Leontodon taraxacum durch seinen Nitritgehalt ganz
besonders aus, wesshalb auch von ihm zuerst die Rede sein
soll. Ein Gcwichtslheil der Irisch gepflückten und zerquetsch-
ten Blatter dieser Pflanzen mit hundert Theilen reinen Wassers
zusammengerührt, ertheilt dieser FlüssigkcMt die Eigenschaft,
durch schwach mit SO 3 angesäuerten Jodkaliumkleister sofort
auf das Tiefste gebläut zu werden.
Auch die frischen Blätter von Lactuca saliva; Senecio vul-
garis und erucaefolius ; Lapsona communis; Sonchus oleraceus;
Dactylis glommerata; Planlago major; Mentha piperila; Thymus
serpyllum; Echium vulgare; Menispermum canadense ; Magnolia
obovata, discolor, Yulan, glauca, Macrophylla, Paulom'a; Syringa
vulgaris; Hcdera lielix u. v. a. m, liefern Avässrige Auszüge,
welche durch den angesäuerten Kleister sofort mehr oder we-
niger stark gebläut werden. Sehr viele äusserst verschieden-
artige Gewächse sind so, dass der wässrige Auszug ihrer Blät-
ter den angesäuerten Jodkaliumkleister nicht im Mindesten
bläuen, aber bei längerem Stehen oder Maceriren mit den zer-
quetschten Pflanzenlheilen diese Eigenschalt in einem ausge-
zeichneten Grade erlangt. Als typisch in dieser Beziehung
können die frischen Blätter der Spinatia oleracea (Spinal) gel-
ten, welche klein zerhackt und mit Wasser 12— 24 Stunden zu-
sanunengestcllt, einen Auszug liefern, welcher durch ^an ange-
säuerten Jodkaliumkleisler augenblicklich bis zur L-ndurchsich-
liükeit lief oebläut wird. In ähnlicher Weise verhalten sich die
Blätter von Dalura Slramonium ; Ilyosciainus inger; Conium ma-
lulalum; Nicotiana Tabacum; Helianthus annuus; Papaver som-
322 Sitzung der math. phys Classe vorn 13. Dec. 1869.
niferuin; Aristolochia sypho; Poa annua; Daucus carota (ge-
wöhnliche gelbe Rübe); Beta vulgaris (Mangold unserer Gär-
ten) und hundert andere mehr, welche zerquetscht und mit
Wasser 12—24 Stunden bei gewöhnlicher Temperatur macerirt
stark bläuende Auszüge liefern.
Eine dritte Gruppe von Pflanzen hat Blätter, deren wäss-
rige Auszüge ebenfalls ohne vorausgegangene Maceration durch
angesäuerten Jodkaliumkleister gebläut werden, diese Eigenschaft
aber bald verlieren , um sie jedoch bei längerer Maceration in
einem noch viel höheren Grade wieder zu erlangen. Beispiele
hievon sind die Blätter der Urtica dioica; Lactuca sativa , Son-
chus oleraceus u. a. m. Slösst man die Blätter der Urtica mit
einigem Wasser zusammen und wird der dadurch erhaltene
Auszug unverweilt mit angesäuertem JodkaHumkleister versetzt,
so bläut sich das Gemisch augenblicklich ; lässt man aber den
Saft kaum eine Minute lang mit den zerquetschten Blättern zu-
sammenstehen, so hat er schon sein Bläuungsvermögen einge-
büsst, um dasselbe jedoch nach mehrstündiger Maceration aber-
mals zu erlangen. Ganz so verhalten sich die frischen Blätter
der Lactuca sativa , deren wässriger Auszug die gleichen Ver-
änderungen nur etwas langsamer erleidet.
Was das Verhalten der Wurzel, des Stengels, Blattstieles,
der Blüthe u. s. w. einer Pflanze betrifft, so ist dasselbe nicht
selten gleich demjenigen ihrer Blätter; wovon Leontodon tara-
xacum als Beispiel gelten kann, dessen sämmtliche Pflanzen -
theile stark bläuende wässrige Auszüge liefern. Bisweilen tritt
aber auch der Fall ein, dass der eine Pflanzentheil anders als
die übrigen sich verhält, wie z. B. Wurzel, Stengel und Blülhe
von Origanum vulgare oder Verbena olficinalis bläuende Auszüge
liefern, während die Blätter <iieser Pflanzen diess nicht Ihun und
bei Datura Stramonium ist es nur die grüne Samenkapsel, von der
sofort ein solcher Auszug erhallen wird. Aehuliche Verhält-
nisse zeigen die Pflanzen, deren wässrige Blälterauszüge erst
diM'ch längere Maceration ihr Bläuungsvernjögen erlangen. Wur-
Schönbefn: Vorkommen salpetrlcht- u. salpeter.i. Salze. 323
zel, Stengel, Blätter u. s. w. von Beta vulgaris, Conium macu-
latum II. s. w. sind in diesem Falle.
Die getrockneten Blätter mancher Gewächse liefern eben
so gut bläuende Auszüge als diess die grünen thun, wie z. B.
diejenigen von Leontodon, Daclylis glomerata u. a. m. ; doch
gibt es auch Pflanzen, deren Blätter diese Eigenschaft durch
das Trocknen verlieren , wie z. B. diejenigen der Magnolien,
Paulonia u. s. w. Frische Pflanzentheile, welche erst durch
Maceration mit Wasser bläuende Auszüge geben, besitzen diese
Eigenschaft auch im getrockneten Zustande , wie uns hievon
wieder Wurzel, Stengel, Blatt u. s. w. von Beta vulgaris ein
Beispiel liefern.
Das Bläuungsvermögen der wässrigen Pflanzenauszüge geht
in der Regel ohne äusseres Zuthun verloren; sei es, dass man
dieselben sich selbst überlässt oder mit den Pflanzensubstanzen,
aus welchen sie erhalten worden, längere Zeit zusammenstehen
lässt. Der wässrigc Auszug der frischen Blätter von Leonto-
don, bei gewöhnlicher Temperatur einige Stunden sich selbst
überlassen, wird durch den angesäuerten Jodkaliumkleister nicht
mehr gebläut und in der Siedhitze verliert er sein Bläuungs-
vermögen beinahe augenblicklich. Die bläuenden Auszüge vie-
ler anderer Pflanzen verhallen sich in gleicher Weise.
Der Saft der Blätter von Spinatia oleracea, durch Macera-
tion bläuend geworden, verliert bei längerem Zusammenstehen
mit der Blattsubslanz diese Eigenschaft wieder und es ist hier
die Bemerkung am Ort, dass durchschnittlich genommen die
wässrigen, durch Maceration bläuend gewordenen Blätferaus-
züge ihr Bläuungsvermögen rascher einbüssen, als diess die
Auszüge anderer Theile der gleichen Pflanze thun. So z. B.
wird der wässrige Auszug der Stengel von Hyosciamus niger,
der schon rnjuiche Woche alt i.st , liont*^ noch auf das Tiefste
gebläut, wälireiid derjenige der Blatter sein Bläuungsvermögen
schon nach wenigen Tagen verloren hatte. Doch gibt es von
dieser Regel auch Ausnahmen, wovon uns die Datura Stramo-
nium ein Beispiel liefert, deren Blätter und Stengel durch Ma-
324 Sitzung der t/nit/t.- jffij/ft f lasse vom 13. Dec. IS62.
cnalioii Auszügu geben, welclio beide jetzt, (»bwolil mehr als
einen Monat all, den angesiiuei'len Judkab'uinkbiisler noch iniiner
auf (las Stärkste bläucMi. Es unterh'ejjl für mich keinem Zwei-
fei, dass die Eigenschaft der erwainiten Pflanzen safte, durch
ungesäuerten Jodkaliumkleister gebläut zu werden, einem Ni-
lritgehalte derselben beizumessen ist, von dem ich mich durch
zahlreiche Versuche, deren nähere Angabe hier überflüssis' ist,
auf das Genügendste überzeugt habe. Und aus der Thatsache,
dass die Auszüge der einen Pflanzen sofort, diejenigen anderer
Gewächse erst nach längerer Maceralion das Blauungsvermögen
zeigen, darf man schliessen, dass in jenen Pflanzen irgend ein
Nitrit schon ferliff gebildet vorhanden sei , wie z. B. in den
Blättern des Leontodon , in diesen Gewächsen aber erst durch
Maceration entstehe, wie uns hiefür die Biälter von Poa annua,
Hyosciamus niger u. s, w. ein Beispiel darbieten. Woher stammt
aber das salpetrichlsaure Salz im letzteren Falle? Ohne allen
Zweifel aus den Nilraten, welche in den Blättern, Stengeln u.
s. w. vieler Pflanzen enthalten sind und durch gleichzeitige
organische Materien während der Maceration zu Nitriten redu-
cirt werden ; eine Wirkung, die meinen früheren Untersuchun-
gen gemäss unorganische und organische Stoffe , z. B. Zink,
Kadmium, Stärke, Leim u. s. vv. auf die gelösten Nitrate her-
vorzubringen vermögen. Die schon etwas zäh gewordenen
Stengel der in Saamen geschossenen Beta vulgaris oder Urtica
dioica sind ganz besonders geeignet, uns über die fragliche
Entslehungsweise der Nitrite Aufschluss zu geben, welche Sten-
gel klein zerschnitten und nur kurze Zeit mit Wasser zusam-
mengestanden, einen Auszug liefern , der für sich allein durch
den angesäuerten Jodkaliumkleister zwar noch nicht gebläut
wird, diese Reaction aber hervorbringt, nachdem man ihn bei
gewöhidicher Temperatur nur kurze Zeit mit Zucker- oder
Kadmiumspähnen hat in Berührung stehen lassen, Beinahe au-
genblicklich erfolgt die Bläuung des Auszuges dtirch Jodkalium-
kleister, wenn jener erst angesäuert und dann mit Zink in Be-
Schönfiein: Vorkommen safpetrfeht- u. Salpeters. Salre. 325
rührung gesolzl wird. ' Kaum dürfte os nülhig sein, liier noch
heiziiliigen , dass auch die wässrigen Auszüge der trockenen
Stenofel u. s. w. von Beta vulgaris u. s. w. durch längere Ma-
ceration nitrilhaltig werden. Da nach meinen Erlahrungen die
genannten Metalle ungleich sclmeller reducirend auf die gelös-
ten Nitrate einwirken, als diese organischen Materien zu thun
vermögen, so begreift sich leicht, dass Jene dem Auszüge der
Betastengel u. s. w. so rasch die Eigenschaft ertheilen , den
angesäuerten Jodkaliumkleister zu bläuen und eine ungleich
längere Zeit crforderlicli ist, damit das in dem besagtiMi Aus-
zug vorhandene Nitrat durch die gleichzeitig darin enthaltenen
organischen Materien zu Nitrit reducirt wird.
Wie erklärt sich aber das Verschwinden der Nitrite in den
Pflanzensäflen durch längeres Stehen oder Maceration? Dass
diese Salze sowohl durch unorganische als organische Substan-
zen allmählich zerstört werden, ist in der voranstehenden Mit-
theilung gezeigt worden. Da nun in den besagton Säften man-
cherlei organische Materien enthalten sind, so werden diese
auch reducirend auf das vorhandene Nitrit einwirken und selbst-
verständlich muss nach vollständiger Zerstörung besagten Sal-
zes auch der Pflanzensaft sein Bläuungsvcrmögen eingebüssl
haben. Ist in dem gleichen Safte neben dem schon fertig ge-
bildeten Nitrit auch noch Nitrat vorhanden, wie z. B. in den
Blättern der Urtica dioica oder Lactuca sativa, so verwandelt
sich während der Maceration dieses Salz allmählich ebenfiills in
Nitrit (der fortdauernd rcducirenden Wirkung der anwesenden
organischen Materien halber), welches Salz bei hinreichend lang
fortgesetzter Maceration ebenfalls wie das ursprünglich vorhan-
dene Nitrit zerstört wird. In vielen Fällen ist zu diesem Be-
hufs nicht einmal eine verlängerte Maceration der Pflanzonsub-
(2) loh \\\\\ liior boiiipiken. dass auf die.sc Wehe in den fiischfn
iiiid geliockiieleii PnanzentheiU-n piiirr •;ro5st'ii Aiizalil von ficwätli.son
»lip Anvcscnlicit von Nilralfii sich lascli iiacliweiscii lässt.
326 Sitzung der math. phps. Ctasse vom /3 Dec tS62.
stanz mit dem wässrigen Auszug nöthig und enlhäll dieses,
wenn auch klar abfiltrirt,. schon so viel reducirende Materie ge-
löst, dass dieselbe nicht nur zurUmwandelunff des vorhandenen
Nitrates in Nitrit, sondern auch zur völligen Zerstörung des
letzteren hinreicht, in welchem Falle sich z. B. der wässrige
Auszug der Blatter von Poa annua und Hyosciamus niger be-
finden.
Es ist weiter oben bemerkt worden, dass in der Regel die
Blätterauszüge rascher als diejenigen der Stengel, Wurzeln u.
s. w. ihr Bläuungsvermögen, d. h. ihren Nitritgehalt verlieren,
welche Verschiedenheit des Verhaltens dem Umstände beizu-
messen ist , dass die Erstem durchschnittlich reicher als die
Letztern an reducirenden organischen Materien sind. Mit die-
sem Unterschiede hangt unstreitig auch die Thatsache zusam-
men, dass die Stengelauszüge in der Regel schwächer gefärbt
sind als diejenigen der Blätter und Jene mit der Zeit auch we-
niger stark sich trüben und färben, als es Diese thun. Es fragt
sich nun, an welche Basen NO 3 oder NO 5 in den Pflanzen ge-
bunden sind. Bei der an und für sich geringen Menge der
darin vorhandenen Nitrite oder Nitrate und vielartigen organi-
schen Materien und sonstigen Salze , welche gleichzeitig in
den Pflanzensäften vorkommen , ist die Beantwortung dieser
Frage nicht so leicht und für jetzt weiss ich nur Folgendes da-
rüber zu sagen. Alle bisher von mir untersuchten nitrit- oder
nitrathaltigen Pllanzenauszüge enthalten noch nachweisbare Men-
gen von Ammoniak, wie daraus erhellt, dass dieselben, in ei-
nem kleinen Fläschchen mit Kalihydrat zusammengebracht, dar-
über aufgehangenes feuchtes Curcumapapier noch deutlich bräu-
nen, das durch Säure gerölhete Malvenpapier grünen oder ei-
nen mit farbloser Hämaloxylinlösung getränkten Papierstreifen
violett färben, Reactionen , welche über die Anwesenheil des
Ammoniaks keinen Zweifel walten lassen. Je nach der Pflan-
zenart, aus welcher ein solcher Auszug gemacht worden, sind
diese Heaclioneii slärker oder schwächer, so z. B. zeigt der
Schönhein: Vorkovmen sal}iefrlcht- n. lalpefers. Saite. 327
wässrige Auszug der Blätter des Leontodon eine merklich
schwächere, als derjenige der Blätter oder Stengel der Beta
vulgaris.
Manche nitrit- oder nilralhaltige und klar abfiltrirte Pflan-
zenauszüge trüben sich mit kleesaurem Ammoniak nicht im
Mindesten, während andere Säfte damit einen mehr oder min-
der reichlichen, in Salzsäure löslichen Niederschlag hervorbrin-
gen, woraus erhellt, dass die ersteren Auszüge frei von Kalk
sind, die letzteren dagegen diese Basis enthalten. Der Auszug
der Stengel von Beta vulgaris liefert ein Beispiel der ersten,
derjenige der Blätter des Leontodon oder der Dactylis glome-
rata ein Beispiel der zweiten Art. Es ist daher möglich, dass
NO3 und NO5 sowohl an Ammoniak als an Kalk oder anderen
Basen, z. B. an Kali, Natron u. s. w. gebunden sind, worüber
weitere Untersuchungen uns Aufschluss geben werden.
Mit Bezug auf die vorliegende Frage scheint mir die oben
erwähnte Thatsache Beachtung zu verdienen, dass die Blätter
u. s. w. mancher Pflanzen, welche schon fertig gebildetes Nitnt
enthalten, d. h, deren wässrige Auszüge ohne vorausgegan-
gene Maceration durch den angesäuerten Jodkaliumkleister ge-
bläut werden, auch im getrockneten Zustand einen Auszug lie-
fern, welcher die Nitritreaction noch in augenfälligster Weise
hervorbringt, wie es z. B. derjenige der trockenen Blätter des
Leontodon oder der Dactylis glomerata Ihut. Ich darf jedoch
nicht unbemerkt lassen, dass die Auszüge aus gleichen iMengen
der Leontodon Blätter (auf deren Gehalt an festen Beslandthei-
len bezogen) mit den gleichen Mengen Wassers erhalten, der
Eine aus frischen, der Andere ans dürren Blättern, ni.ht gleich
durch den gesäuerten Kleister gebläut werden: es bringt näm-
lich der erstere Auszug diese Nitritieaction etwas stärker als
der zweite hervor, was anzudeuten scheint, dass während dcsi
Trocknens der Blätter ein Theil des dnrin enthaltenen Nitrates
verloren seht, welcher Verlust verdampftem salpelrichtsaurem
Ammoniak beizumessen sein dürfte.
Nach miMuen Beobachtungen vernüchligc^l sich nendich die-
328 Sitzung der math -phys Ctasse mm IS. Dec. tS62
ses Salz schon bei gewöhnlicher Temperatur, wie daraus her-
vorgeht, dass ein mit seiner wässrigen Lösung getränkter Pa-
pierstreifen nach vollsländigeni Austrocknen kaum eine Spur
von Ammoniaknitrit in sich nachweisen lässt. Würde also in
den grünen Blättern des Leontodon oder irgend einer anderen
Pflanze dieses Salz enthalten sein, so müsste es sich während
des Trocknens verflüchtigen, wogegen die Nitrite mit Gxer Ba-
sis : Kalk, Kali u. s. w. in den Blättern u. s. w. zurückbleiben
und desshalb auch aus den getrockneten Pflanzentheilen mit
Wasser sich ausziehen lassen.
Wie schon bemerkt, liefern die dürren Blätter aller von
mir untersuchten Magnolienarten, der Paulonia u. s. w. wäss-
rige Auszüge , welche keine Spur von Nitrit mehr enthalten,
während obigen Angaben gemäss diejenigen ihrer grünen Blät-
ter durch den angesäuerten Jodkaliumkleister stark gebläut wer-
den, wesshalb ich auch vermuthe, dass die frischen Blätter der
genannten Pflanzen nur Ammoniaknitrit und kein anderes sal-
petrichtsaures Salz enthalten. Kommen in den frischen Blättern,
Stengeln u. s. w. schon fertig gebildete Nitrate vor, so bleiben
diese Salze, welche Basen sie auch enthalten mögen, beim
Trocknen in jenen Pflanzentheilen zurück, werden aber erwähn-
ter Maassen während der Maceration mit Wasser zu Nitriten
reducirt. Kaum ist nöthig zu bemerken, dass diejenigen Pflan-
zen, deren frische Auszüge das Bläuungsvermögen besitzen,
dasselbe aber bald verlieren, um bei längerem Stehen es wie-
der zu erlangen, gleichzeitig Nitrite und Nitrate enthalten.
Was nun die Entstehungsweise der in so vielen Pflanzen
vorkommenden Nitrite und Nitrate betrifll , so ist nach meinem
Dafürhalten aller Grund zu der Vermuthung vorhanden, dass
diese Salze ihren Ursprung wo nicht gänzlich doch hauptsäch-
lich in dem Annuoniaknitrite nehmen, welches sich bei der Ver-
dampfung des Wassers in der atmosphärischen Luft sowohl auf
den Pflanzen selbst als in ihrer unmittelbaren Umgebung er-
/.onot. Einen Thnil dieses Salzes eignen sich die Gewächse
znni^ Behufe der Bildung stickstollhalliger organischer Verbin-
Schonhein: Vorhnmmen salpelricht- u. salpeter.t, Saite. :*,29
Illingen an, während ein anderer Theil , falls er in der Pdanze
mit alkalischen Basen zusammentrifTt , in andere Nitrite, z. B.
m salpetrichtsauren Kalk, Kali u. s. w. umgewandelt wird, welche
Nilrile unter geeigneten Umstanden selbst zu Nitraten oxidirl
werden können.
Wenn nun aber auch obigen Angaben gemäss in den Blätleni,
Stengeln u. s. w. ausserordentlich vieler und äusserst verschieden-
artiger Gewächse Nitrite oder Nitrate, ja nicht selten gleichzeitig
beide Salzarten angetrolTen werden, so habe ich sie doch in
einer nicht kleinen Zahl von Pflanzen bis jetzt noch nicht auf-
finden hönnen, was allerdings noch keineswegs die Abwesen-
heit derselben beweist; denn möglicher Weise könnte in der-
artigen Pflanzen eine so grosse Menge reducirender Materien
enthalten sein, dass dadurch die Reaction des gleichzeitig da-
rin vorhandenen Nitrites verhüllt, also ihr Saft durch den an-
gesäuerten Jodkaliumkleister nicht nur nicht gebläut würde,
sondern derselbe sogar noch Jodstärke zu entbläuen vermöchte.
Zu den vielen von mir untersuchten Pflanzen, deren wäss-
rige Blätter- oder Stengelauszüge keine Nitrilreactionen hervor-
bringen, gehört z. B. Cannabis sativa, Catalpa u. s, w. Weder
der frische noch der durch Maceration erhaltene wässrige Aus-
züge der Blätter der lelzlffenannten Pflanze wird durch den
angesäuerten Jodkaliumkleisler gebläut, wohl aber vermag er
noch Jodslärke zu entfärben. Von den Blättern des Leontodon
ist angegeben worden, dass ein Theil derselben mit der hun-
dertfachen Menge Wassers zusammengestossen , einen Auszug
liefern, welcher durch SO3- balligen Jodkaliumkleister augen-
blicklich bis zur Undurchsichligkeit tief gebläut wurde, was also
einen schon merklichen Nilritgehalt dieser Blätter anzeigt. Wird
nun ein Theil derselben mit einem Theile der frischen Blätter
der Catalpa und hundert Theilen Wassers zusammengestampft,
so erhält man einen Auszug, welcher durch den besagten Klei-
ster nicht im Mindesten mehr gebläut wird, zum Beweise, dass
die in dem Cahilpablatl vorhandenen reducirenden Materien
hinreichen, nm ilic Reaction des Nitrites, enthalten in einer
fl86i. ii.i Ti
330 Sitzutif/ der muth. phys. Classe vom l3. Dec. i86Ü.
gleichen Menge von Lcontodonblättern völlig aufzuheben. Hier-
aus ersieht man aber auch, dass die Blätter der Catalpa eben
so viel Nitrit als diejenigen des Leontodon enthalten konnten,
ohne dass deshalb ihr wässriger Auszug mit dem gesäuerten
Jodkaliumkleistcr sich bläuen würde. Wie aber das Blatt der
Catalpa nitrithaltig sein könnte, so auch die Blätter u. s. w.
der übrigen Pflanzen , in welchen sich mit den jetzt uns zu
Gebot stehenden Mitteln noch kein salpetrichtsaures Salz hat
nachweisen lassen. Ebenso wäre es recht wohl möglich, dass
derartige Pflanzen auch Nitrate enthielten, ohne dass sie, selbst
durch längere Maceration Auszüge lieferten , in w^elchen sich
Nitrite erkennen Hessen, da es leicht geschehen könnte, dass
die durch dieReduction kleiner Mengen von Nitraten entstehen-
den Nitrite in Folge der desoxidirenden Einwirkung der vor-
handenen organischen Materien nach Massgabe ihrer Bildung
sofort wieder zerstört würden.
Durch Maceration der frischen Blätter von Solanum tube-
rosum habe ich bis jetzt noch keinen nitrithaltigen Auszug er-
halten können, wohl aber durch diejenige der Stengel dieser
Pflanze. Da nun in so vielen Fällen die verschiedenen Theile
einer Pflanze, namentlich Biälter und Stengel sich gleich ver-
leiten, so ist wahrscheinlich, dass wie der Stengel so auch das
Blatt der Kartoflel nitrithaltig sei, welches Salz jedoch, in klei-
ner Menge vorhanden , durch die reichhch in dem Blättersafte
enthaltenen reducirenden Substanzen sehr rasch zerstört wird,
während in dem Auszuge der Stengel, ärmer an desoxidiren-
der Materie, das in Folge ihrer Einwirkung auf das vorhandene
Nitrat entstandene Nitrit mittelst angesäuerten Jodkaliumklelster
sich noch nachweisen lässt.
In dieser Hinsicht ist auch das Verhalten der Blätter der
Paulonia bemerkenswerth, welche im frischen Zustande ohne
vorausgegangene Maceration einen nitrithaltigen Auszug liefern,
der aber durch längeres Stehen diesen Salzgehalt verliert, ohne
ihn durch lorlgeselzle Maceration mit der Blältersubslanz wie-
der zu erlangen. Heim Ausziehen «ler dürren Bläller mit Was-
Schöiifieiu: \'orUoininen snliieAvicht- u Mtf/ielers Saite. '.\'.\\
SIT orhiilt man jodocli eine Flüssiokeil , welche mit anoesäiier-
lem Jodkaliumkleisler und Zinksphanen ziisannnenoebiaclil.
•sicli bald bläut, was die Anwesenheit von Nitrat in den besag-
ten Blattern beurkimdel. Wie es scheint werden beim Trock-
nen derselben die in ihnen vorhandenen reducirenden Materien
so verändert, dass sie weniger leicht auf das vorliandene Nitrat
einwirken , wesshalb sich dasselbe mittelst Zink noch nachwei-
sen lässt.
Was mich betrifft , so bin ich stark geneigt arizunohmcn.
tiass kleine Mengen von Nitriten und Nitraten in allen Pflanzen
sich vorfinden und nur der Unvollkommenheit unserer jetzigen
Unlersuchuno-smiltel zuzuschreiben sei, dass wir sie in so vie-
len Pflanzen nocli nicht haben entdecken können 5 denn in Be-
tracht der Thatsache, dass überall, wo Wasser in der atmo-
sphärischen Luft verdampft, Ammoniaknilrit gebildet wird und
Nitrite oder Nitrate in so vielen verschiedenartigsten Pflanzen
vorkommen, wäre es in der That höchst aufTallend, wenn diese
Salze nicht in allen Landgevvächsen angetrolTen würden.
Ich kann nicht umhin, bei diesem Anlasse noch eine That-
sache hervorzuheben , w eiche , wie mir scheint . mit der eben
behandelten Frage eng zusammenhängt wie auch einen weitern
Beweis für die Richtigkeit der Annahme liefern möchte, dass
auf den Blällcrn n. s. w. der Pflanzen (in Folge der daselbst
erfolgenden Wasserverdampfung ) fortwährend salpetrichtsaures
Anunoniak uebildet werde. Es ist diess die Thatsache. dass
mir bis jetzt noch kein Pflanzensaft vorgekommen ist , in wel-
chem das Annnoniak gänzlich gefehlt hätte, wovon selbst noch
kleinste Spuren so leicht mittelst eines hämatoxyliidialligenl'apier-
streifens sich nachweisen lassen. Welchen Pflanzenauszng ich
auch noch geprüft habe. Jeder färbte das erwähnte Rcagens-
papier rascher oder langsamer tief viidett, wenn dasselbe in
einem Fläscluhen aufgehangen wurde, in dem sich Saft und
Kalihydrat befanden. Ja in sehr vielen Fällen gab sich das
nnler diesen Umständen aufirelende Annnoniak schon dcullichsl
an den Nebeln zu erkeinicn, welche sich um ein mit Salzsäure
.332 SiUunif ,1er iimtli.-phijs. Clus.e rnm /3. Vec. iSliS.
henetzles und fn das Versiichsgofäss eingerührtes Glasstäbcheii
J)ildeteii. Diese allgemeine Verbreitung des Ammoniaks in den
Pflanzen kann für uns, bullte ich denken, nichts Aufljdlendes
mehr haben, seit wir wissen, dass ihnen diese Basis in dem auf
desselben fortwährend sich bildenden Anmioniaknitrit zugelührl
wird. Wie bereits angedeutet worden, halte ich dafür, dass
die Anwesenheit von Nitriten und Nitraten in wassrigen Pflan-
zenanszügen eine wesentliche Rolle bei den Zersetzungen spiele,
welche diese Flüssigkeiten selbst bei gewöhnlicher Temperatur
erleiden und wohl könnte es sein, dass es eben die genannten
Salze sind, welche den ersten Anstoss zu diesen Veränderun-
gen geben. Indem das Nitrit oder Nitrat an diese oder jene
in dem Pflanzensaft vorhandene organische Materien Sauerstoff
abgibt , muss auch der chemische Bestand einer solchen Sub-
stanz verändert werden, d. h. müssen neue Verbindungen ent-
stehen, die ihrerseits selbst wieder Anlass zu weiteren Zersetz-
ungen der anwesenden organischen Stoffe geben können. Dass
eine genaue Kennlniss dieser Vorgänge, über welche wir bis
jetzt noch so gut als Nichts wissen , eine nicht geringe Wich-
tigkeit für die gesanmite physiologische Chemie hätten und es
desshalb höchst wünschenswerth wäre, diese Zersetzungserschei-
iiungen zum Gegenstände möglichst umfangsreicher und einläss-
licher Untersuchungen zu machen, ist kaum nöthig, hier aus-
drücklich zu bemerken. Nach meinem Dafürhalten würde es
der Mühe werth sein, auf eine solche Arbeit ein ganzes Leben
zu verwenden, da sie nicht fehlen könnte, zu Ergebnissen zu
führen, welche über die uns inmier noch so dunkel und ver-
wickelt erscheinenden Veränderungen pflanzlicher und thieri-
scher Materien ein helles Licht verbreiteten. Obwohl ich gerne
anerkenne, dass die voranstehende Arbeit eine noch höclist lü-
ckenhafte sei, so habe ich sie doch veröffentlichen wollen und
zwar in der Absicht, dadurch jüngere Männer, welche chemische
Keimtnisse mit botanischen verbinden und denen ein grosses
Pflanzenmaterial zu Gebot steht , zu veranlassen . Letzteres mit
Bezug auf das Vorkommen von Nitriten und Nitraten das Wci-
Schönhein : l'orkoinmen saljietricht- u. Salpeters. Salze. 3!t3
tore zu iiiileisiiclien. Wie ich glaube, sollte durch solche For-
schungen zunächst erniiltell werden, ob nicht in dem mehr oder
nnnder reichlichen Auftreten dieser Salze hinsichliich der na-
türlichen Pllanzenfainilien , in welchen sie angetroffen werden,
eine gewisse Gesetzmassinkeit stattfinde. Obgleich diess schon
5in und für sich wahrscheinlich ist, so habe ich auch noch an-
dere Gründe , welche einer solchen Vermuthung Raum geben,
wie z. B. die Thatsache, dass nach meinen bisherigen Beobach-
tungen in den Wurzeln, Stengeln, Blättern und Blüthen sehr
vieler Labiaten Nitrit sich nachweisen lässt und ebenso in den
gleichen Pfhinzentheilen der Compositen, was keine Zufälligkeit
sein kann und mit der Natur dieser Pflanzenfamilien zusammen-
hängen muss. Ich selbst kann mich einer solchen umfangrei-
chen Arbeit nicht unterziehen , Iheils weil mir die hiezu nöthi-
gen botanischen Kenntnisse abgehen, theils und vorzugsweise
aber, weil meine Zeit schon durch anderweitige Arbeiten in
Aollen Anspruch genonnnen ist, wesshalb ich mich damit be-
gnügen muss, Denjenigen, welche dieses Feld zu bearbeiten
die Lust und Befähigung besitzen, einige thatsächliche Anhalts-
punkte geboten zu haben.
Herr V. Liebig fügte die Bemerkung bei, dass Bohl ig (in
einer Abhandlung, welche soeben in den „Aiuialen" gedruckt
wird) gezeigt habe, dass bei Verdunstung von Wasser in einer
Luft, welche zuvor mittelst Scliwefelsäure und Kalk von jed-
inöglicher Spur des salpetrichtsauren Ammoniaks gereinigt wor-
den, keine Neubildung von salpetrichlsaurem Annnoniak beob-
achtet werden konnte.
334 Sitzung der hist. CUitse vom 20. Dec. 1862.
Historische Classe.
Sitzung vom 20. Deceinber 186".*.
Herr Kunst mann hielt einen Vortrag
.,über den Grafen Rapoto (oder Ras so) von A n-
„dechs, gestorben 954",
der mit einem grossen Gefolge eine Pilgerreise unternonnnen
haben soll. Er führte aus, dass die ganze Nachricht bloss aus
den zu dem Messbuche von Andechs gemachten Zusätzen ge-
schöpft sei; dass Aventin. Hundt, die Chronik von Andechs
keine andere Quelle, als diese, dafür gehabt hätten. Diese Zu-
sätze habe zwar selbst Mabillon für acht angesehen, sie seien
aber von einer späteren Hand (frühestens aus dem 14. Jalir-
Imudert) und enthielten liistorische Notizen, in denen sich Zei-
chen von Fälschung fänden. Auch die zweite aus dieser Quelle
geschöpfte Thatsache, die Klosterstiftung in Wenden sei ganz
unsicher und die Gründung dieses Klosters völlig in Dunkel
gehüllt.
Hierauf hielt Herr Gio sehr echt einen Vortrag
. ,,über die Kaiserkrönung Karls des Grossen und
„ihre Folgen",
welcher sich an jenen des Herrn v. DöUinger in der vorigen
Sitzung' anschloss. und besonders die Beziehungen Karls zum
(I) V^l. Ileit :\. s. i(i;{.
Sitzung der Itist, Ctnsse vom 80. Dec. 1862. 335
byzantinischen Reiche und die diplomatischen VerhiiiiiIIun^(Mi
zwischen beiden Machten erörterte. Dabei wies er auf das lli-
nerarlum des Anialarius hin, das bisher nur sehr felilerhall ge-
druckt und fast unbeachtet geblieben sei, und versprach, es
nach einer guten hiesigen Handschrift abdrucken zu lassen.
Zuletzt erklarte Herr v. Hefner- Alte neck den soge-
nannten „goldenen Hut" im Antiquarium zu München, und
den sogenannten ,.gol denen Koch er'' im Louvrc zu Paris.
Es seien goldene Schildbuckeln des 10. Jahrhunderts. Indem
er bildliche Belege hiezu mittheilte, zeigt er , wie Schildformeii
des Mittelalters nicht nur für Siegel- und Münzkunde, .Marui-
scripten-Kennlniss und Heraldik wichtig seien, sondern auch all
Anhaltspunkte für die Zeitbestimmung bei Urkunden und Monu-
menten dienen.
/iii IVitrnkotVr : über die nfwcgung des Grundwassers ni Mumheu s<m1 Miicry. ISöb bis Anfalle Macr-L
1856. 1831. ^_,__,_,__,.^ 1858.
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l:U„H.-lnr,,i,l, ,/,rl. h.ll..l,l '' " '"-:' 1-4
/
Taf.l.
Süunujsherithtc derhhn-rul d W IFf/i Wt.
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Taf.JI.
Silxnnq.fhc richte dr/- k h.lhaJ f1 ^^ A?/';f .IT '1
AS Akademie der Wissenschsiften,
182 Munich
M8212 Sitzungsberichte
1862
Bd. 2
PLEASE DO NOT REMOVE
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