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Full text of "Sitzungsberichte"

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Sitzungsberichte 


der 


k(ini«i.  bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 


zu   München. 


Jalirgong  1862.    Band  II. 


München. 

Druck  von  J.  (i.  Weiss,  Univprsitätshiuliilriu-kei-, 


In  Commiiiion   b«l   U.    ('ranz. 


RS 

122. 

Cid"  •" 


Uebersicht  des  Inhaltes. 


Die  mit  *  bezeichneten  Vorträge  alnd  ohne  Auszas. 

Philosophisch-philologische  Classe.  Sitzung  vom  S.Mai  1862. 

Seite 
Halm:  Beiträge  zur  Berithtiguiig  und   Ergänzung  der  Cicero- 

nisclicu  Fragmente •  ^ 


Mathcmalisch-physikalische  Classe.  Sitzung  vom  iO.  Mai  i  86 2. 

Schönbein:  Ueber  die  Erzeugung  des  salpetrichten  Ainino- 
niakcs  aus  Wasser  und  atinospliäriscber  Luft  un- 
ter dem  Einflüsse  der  Wärme ^^ 

Pcllenkoler:  Uebcr   die    Bestimmung    des   Wassers   bei    der 

Respiration  und  Perspiration.     ....  50 


r* 


IV 

Historische  C lasse.     Sitzung  vom   i7.  Mai  1862. 

Seite 

*Föringer:    Uebor  tlie  Aiiiiaics  Altahenses GH 


Pfnlosophisch-philoloyische  Classe.  Sitzimy  mmi  14.  Juni  1868. 

*S  lieber:    Beitrag  zur  Geschichte   der  griecliischeu  Steiiipel- 

schiieidekuiist b5 


Slathematisch-physikaUscfie  Classe.  Sitzung  vom  14.  Juni  1862. 

Lamont:  a)  üeber  die  zehnjährige  Periode  iii  der  täglichen 
Bewegung  der  Magnetnadel,  und  die  Beziehung 
des  Erdmagnetismus  zu  den  Sonnenflecken        .  tiO 

b)  Ueber  das  Verhältniss  der  magnetischen  Intcu- 

sitäts-  und  Incliaations-Störungen      ...  70 

Petteiikofer:  Ueber  die  Ausscheidung  von  Wasserstoffgas  bei 
der  Ernährung  des  Hundes  mit  Fleisch  und 
Stärkmehl  oder  Zucker 88 

Seidel:  Ueber   die    Verallgemeinerung  eines   Satzes   aus    der 

Theorie  der  Potenzreihen    ....  yi 


Historische  Classe.   Sitzung  vom  21.  Juni  1862. 

*Muffat:  Ueber  VVolfhcr,  Patriarchen  von  Aquileja,  einen  gc- 

borncn  Ba\(r       ......  <)7 


PhilosopIdsch-phUoloyischc  Classe.  Sitzmig  vom  6.  Jvli  1862. 

Seite 

Thomas;    Ueber   einige    Fragmente    von    versificiiten    Fabeln 

zum  sogenannten  Romiilus 9S 


Mathematisch-physikalische  Classc.  Sitzung  vom  1  I.Juli  1862. 

Lamont:   Beitrag   zu  einer  matiieniatischcn  Tlieorie  des  Mag- 
netismus       103 

Xägeli:  Ueber  die  crystallälinlichen  Proteinkürper  und  ihre 
Versthicdenlicil  von  wahren  (irystallen  (mit  zwei 
Tafein) 120 


Kinseudungen  an  Druckschriften  (April— Juli  1802)  .  155 


rhilosophisch-philologische  Classe.  Sitzung  vom  8.  Nov.  1862. 

*AI.  J    Müller:  Ueber  einige  Partien  der  poetischen  Literatur 

der  Araber 161 


Mathematisch-physikalische  Classe.  Sitzung  vom  8.  Nov.  1862. 

Petlenkofer:   Ueber  die  Bestimmung  des  bei  der  Respiration 

ausgeschiedenen  ^Yasserstoff-  und  (.iruben-Ciases  162 


VI 

Seile 

Historisihe  Classe.      Sitzung   vom    16.   Notember  1862. 
*\.  hol  Uli  gor :  IVher  die  Kaiscrkruiiung  Karls    des  Grossen  ICIi 


Oeffmlliche  Sifzvng   der  k.  Akademie   der    Wissenschaften    am 

28.  f<ovember  1862. 

Feier   des  Alleiliöchsten   Geburtsfestes  Sr.  Majestät   des  Köiiij^^s 

Maximilian  II. 104 

Neu\\ahlen l'~ 


Einsendungen  von    Unickschriften  November  18Ö2  .  179 

,,  „  Deccniber     ,.  .  191 


Philnsopliisch-phUologische  Classe.  Sitz-vng  vom  6.  Dec.  1862. 

Plath:  Ueber  die  häuslichen  Verhältnisse  der  alten  (Ihinesen  .  201 

*A1.  J.  Müller:  a)  Ueber  die  Erzählung  von  der  Doneella  Teodor; 

b)  Ueber  den  Tod  Don  Sebastians; 

c)  Ueber  die  Pest  im  14.  Jahrhundert      .  248 


Mathematisch  plu/sikalische  Classe.  Sitzung  r^om  13.  Dec.  1862. 

Joll^:      Ueber  Bathonieter    und    graphische  Thermometer    (niil 

zwei  Holzschnitten) 248 

Nägeli:  Ueber  die  Reaction   von  Jod  auf  Stärkekörner  und  Zell 

menibranen 280 


VII 

leite 

Scilönbein:  1)  lieber  die  Bildung  des  salpetnchtsauren  Am- 
moniaks ans  Wasser  und  Luft  (Naclitiag)  ;{13 

2)  lieber  das  oxidirendc  Vermögen  der  Nitrite  .  31S 

3)  lieber  das  Vorkommen  salpetricht-  und  saipe- 
tersaurer  Salze  in  der  Pflanzenwelt       ,        .  320 


Historische  Classe.  Sifz-iing  vom  20.  Dec.   iS62 

Kunst  mann:  lieber  den  Grafen  Rapoto  (Rasso)  von  Andeclis, 

gestorben  954 •     .  334 

Ciiesebre«  li  t :  lieber  die  Kaiserkrönung  Karls  des  Grossen  und 

ihre  Folgen 334 

V.  H  efn  cr-A  I  tt'u  eck:  Ueber  den  sogenannten  „goldenen  Hut" 

im    Anti(|uariiiin    zu    München  und   den 
,, goldenen  Köcher"  im  Louvre  zuPari.s.  333 


Sitzuiigsbericlite 

der 

kÖnigl.   bayer.  Akademie  der  Wissenschaften. 


Philosophisch  -  philologische  Classe. 

Sitzung  vom  3.  Mni  1862. 


Herr  Halm  theilte  mit: 

„Beiträge    zur  Berichtigung    und   Ergänzung 
der  Ciceronischen  Fragmente/' 

Wenn  man  liest,  was  Nobhe  über  seine  Bearbeitung  der 
Fragmente  des  Cicero  bemerkt :  ,,Sedcnt  in  plurimis  adhuc  frag- 
mentis  ed.  Ernestianae  et  Schuelzianae  innumera  vitia,  inde  a 
Lambini  temporibiis  fidclilcr  Iradila,  et,  quod  vix  mireris,  nova 
quaedam  inveleratis  illis  addila.  OuamqU'^'n  enim  Schuetzius  hoc 
in  genere  paullo  diiigentius  versalus  est,  quam  Ernestius,  supe- 
riorum  commcntalorum  Ieg(Mis  vestigia :  tamen  eadem  fere  vitia, 
quae  hie  admiscrat,  dcnuo  reliquit.  Saepe  enim  accidit,  ut  cum 
Ernestio  falsum  auctoris  locum  indicaret,  unde  Ciceronis  verba 
referrcntur,  aul  quae  ad  testis  orationem  pertinent,  cum  Tullii 
verbis  coniungeret,  aut  eliam,  quae  cohaerent,  aliena  interponeiido 
divelleret  et  quae  sunt  huius  generis  alia" :  (s.  Ausg.  v.  Orelli 
[1Ö63.  n.j  i 


2  Sitznny  der  phüos.-philol.  Classe  vom  3.  Mai  1862. 

p.  439')  SO  sollte  man  meinen,  es  wäre  eigentlich  schon  alles 
zm*  Hauptsache  abgethan  und  es  bedürfe  nur  noch  einiger 
Nachträge  und  Berichtigungen  verderbter  Stollen,  namentlich  bei 
solchen  Fragmenten,  die  aus  Schrirtstellern  entnonnnen  sind,  von 
denen  es  noch  keine  kritischen ,  auf  Handschriften  begründeten 
Auso-aben  gibt.  Allein  trotz  der  Versicherung  Nobbe's  fehlt  es 
noch  immer  an  einer  unmittelbar  aus  den  Quellen  geschöpften 
Bearbeitung  der  Ciceronischen  Fragmente,  wie  seiner  Zeit  eine 
solche  der  gelehrte  Pole  Andreas  Patricius,  dessen  reich- 
haltio-en  Commentar  kein  neuerer  Bearbeiter  gekannt  zu  haben 
scheint,  geliefert  hat.  Nobbe's  Autorität  hat  viel  geschadet,  weil 
man  seine  Sammlung  als  eine  möglichst  vollständige  und  seine 
Angaben  als  verlässig  betrachtete.  Dass  das  nicht  der  Fall  ist, 
ergibt  sich  aus  der  einzigen  Thatsache,  dass  in  der  in  einem 
Band  erschienenen  Nobbe'schen  Gesammtausgabe,  die  Klotz  fast 
buchstäblich  für  die  Fragmente  hat  abdrucken  lassen,  sogar 
starke  Rückschritte  gegen  die  Bearbeitung  Orelli's  unverkennbar 
sind  der  wenigstens  das  Verdienst  hatte  bei  einigen  Schrift- 
stellern wenn  auch  keine  Handschriften,  doch  bessere  Ausgaben 
zu  Grunde  zu  legen.  Die  Mängel  der  bisherigen  Bearbeitungen 
lassen  sich  auf  folgende  Hauptpunkte  zurückführen. 

1)  Ein  wesentlicher  Mangel  in  allen  bisherigen  Samujlungen 
ist  der  dass  blos  die  Fragmente  ausgezogen,  nicht  auch  die 
Stellen  in  denen  solche  vorkommen,  im  Zusammenhang  mitge- 
theilt  sind.  Zum  richtigen  Verstäudniss  eines  Fragments  ist 
häufig  von  wesentlichem  Belange,  dass  man  auch  den  Grund 
weiss,  warum  eine  Stelle  von  einem  Schriftsteller  angeführt  wird. 
Mehr  als  bei  anderen  Autoren  tritt  bei  Cicero  dieser  Mangel  zu 
Tage,  weil  man  bei  einer  Benützung  der  Fragmente  immer  auf 
die  Scholiasten  zurückgehen  muss;  wer  die  von  Asconius  er- 
haltenen Fragmente  liest,  wird  auch  wissen  wollen,  was  er  über 
jedes  bemerkt   hat,   also   den  Asconius,   nicht  die  Fragmcnten- 


(1)  Die  Citate  aus  Oiclli  beziehen  sich  auf  die  erste  Ausgabe. 


Halm:  Ergänt-uny  der  Ciceronisclien  Fi'agmente.  3 

saniniliing  aufsclilageii,  wenn  eine  solche  des  Commentars  ent- 
behrt. Die  Coninienlare  jedoch  des  Bobicnsischen  Schoh'asten, 
(he  viele  zur  Aurkliirung  einer  Stelle  nutzlose  rhetorische  Be- 
nierkungcn  enthalten,  brauchen  nur  in  Auszügen  niitgetheilt  zu 
werden.  Besonders  historische  Schoben  geben  hie  und  da  noch 
einen  weiteren  Aufschluss  über  den  Inhalt  einer  angeführten 
Stelle,  wovon  man  in  einer  Fraginentensammlung  wegen  des 
mangelnden  Wortlauts  doch  nicht  wohl  einen  Gebrauch  machen 
kann.  Auch  ist  man  erst,  wenn  ein  Fragment  mit  dem  Com- 
mentar  oreireben  wird ,  völlig  sicher  dass  ein  wirkliches  Cicero- 
nisches  Fragment  vorliegt.  Die  Orelli'sche  Ausgabe  hat  aus  der 
Rede  de  rege  Alcxandrino  nur  11  Fragmente,  die  von  Nobbe- 
Klotz  12.  Hinzugekonnncn  ist  die  Stelle  Schol.  Cic.  II,  351: 
*  *  ut  bellum  gerendum  esse  censeret  qui  mentioncm  pecuniae 
fecerat.  Dieses  Fragment  fehlt  jedoch  richtig  bei  Orelli  nach 
der  Mai'schen  Ausgabe  des  Scholiasten.  Denn  da  auf  die  an- 
geführten Worte  ein  sicheres  Fragment  des  Cicero  folgt:  „sie 
est  iusta  causa  belli,  sicuti  Crassus  conunemoravit  cum  Juffurtha 
fuisse",  so  müssen  die  vorausgehenden  Worte  der  Schluss  eines 
Scholions  sein,  wozu  die  belrelTende  Stelle  des  Redners  durch 
i\e\\  grösseren  Defect  in  der  Handschrift  verloren  gegangen  ist. 
Es  Hessen  sich  zwar  beide  Bruchstücke  leicht  miteinander  ver- 
binden, wenn  man  schriebe:  ut  bellum  gerendum  esse  censeret, 
qui  mentionem  pecuniae  fecerat,  si  esset  iusta  belli  causa,  sicuti 
Crassus  connriemoravit  cum  Jugurlha  fuisse.  Allein  eine  solche 
Vermuthung  hätte  keine  grosse  Wahrscheinlichkeit,  weil  die 
Anmerkung  des  Scholiasten ,  der  eine  Erklärung  über  die  Ver- 
anlassung des  Jugurthinischen  Kriegs  miltheilt,  sich  nur  auf  die 
letzten  Worte  ,, sicuti  Cras.sus  etc.'"  bezieht.  Für  eine  solche 
historische  Erklärung  bedurfte  es  nicht  der  Anführung  eines 
längeren  Cilals  aus  Cicero;  es  genügten  zur  Anknüpfung  einige 
wenige  Worte  vor  sicuti  Crassus.  Bereits  in  der  Orelii'schen 
Ausgabe  der  Scholia  Bobiensia  sind  die  besprochenen  Worte 
unrichtig  dem  Cicero  beigelegt  und  aus  ihr  der  Fehler  in  die 
Nobbe-Klolz'sche  Sammlung  übergegangen. 


4  Sitzung  der  philos.   philol.  Classe  vom  3.  Mai  1862. 

Hätte  man  den  Grundsatz  festgehalten,  die  Fragmente  überall 
im  Zusammenhang  mitzulheilen,  so  halle  sich  auch  mancher 
Fehler  nicht  eingeschlichen  oder  es  wären  ofrenbare  längst  ver- 
bessert worden.  So  liest  man  unter  den  Fragmenten  der  Cor- 
neliana  das  kurze  aus  Acro  zu  Hör.  Senn.  I,  2,  67:  ,,aperuit 
fores  scalarum.''  Die  falsche  Lesart  fores  statt  forem  hätte  nie 
entstehen  können,  wenn  spätere  Herausgeber  den  Scholiasten 
selbst  aufgeschlagen  hätten ,  der  die  Stelle  als  Beleg  für  den 
Singular  von  foris  anführt.  Liest  man  aus  derselben  Corneliana 
das  Fragment :  „sed  ad  urbem  dierum  fuerit  iter  complurium^'  aus 
Arusianus  Messius  p.  215  Lindem.,  so  kann  man  mit  ihm  nichts 
anfangen,  wohl  aber,  wenn  man  den  Grund  kennt,  warum  der 
Grammatiker  die  Stelle  anführt,  nemlich  als  Beleg  für  die  Structur 
abest  tot  milia.  Die  nahe  liegende  Verbesserung  gibt  Nipp  er  dey 
im  Philologus  III,  147,  die,  da  Nobbe's  letzte  Ausgabe  1850 
erschien,  diesem  bereits  bekannt  sein  konnte.  In  dem  Fragment 
contra  contionem  0  MeteUi  ,,Ouaero  ab  inimicis,  sintne  haec 
investigata  comperta  patefacta,  sublata  delata  extincta  per  nie'" 
konnte  die  falsche  Lesart  delata  statt  deleta  sich  unmöglich  so 
lange  in  dem  Texte  erhalten,  wenn  man  den  Quintilian  ordent- 
lich anoresehen  oder  die  ganze  Stelle  im  Zusammenhang  milge- 
theilt  hätte.  Denn  er  bemerkt  über  die  sechs  Participia,  dass 
sie  zwei  Paare  von  drei  Synonymen  bilden:  Sunt  unius  figurae 
et  mi.xtae  quoque  et  idom  et  divcrsum  significanlia.  „Investigata 
comperta  patefacta''  aliud  ostendunt,  ,, sublata  deleta  extincta'' 
sunt  inter  se  similia,  sed  non  etiam  prioribus  etc.  Die  falsche 
Lesart  delata  hat  schon  Garatoni  zu  Cic  p.  Milone  §.  103 
p.  347  ed.  Orelli  gerügt. 

2)  Von  den  Fragmenten  sind  die  sogenannten  Testimonia 
durchaus  zu  scheiden.  Jeder  wird  zustimmen ,  dass  die  Mit- 
theilung dieser  in  einer  Fragmentensammlung  unerlässlich  ist, 
weil  manche  Notiz  über  eine  verloren  gegangene  Rede  einen 
erwünschten  historischen  oder  rhetorischen  Aufschluss  enthält. 
Fand  man  sich  veranlasst  nach  blos  zufälliger  Wahl  eine  Anzahl 
dieser  Teslimoiüa  mitzulheilen,  so  mussle  man  auch  auf  eine 


Halm:  Ergänzung  der  Ciceroniichen  Fragmente.  5 

vollständige  Sammlung  bedacht  sein ;  in  den  Reden  lassen  sich 
die  bisher  bekannten  Testimonia  gewiss  um  die  Hälfte  ver- 
mehren. Wie  nachlässig  man  in  dieser  Hinsicht  verfahren  ist, 
davon  nur  ein  Beispiel.  Weil  man  bei  Oi'i'ililian  ein  Fragment 
aus  der  wirklich  gehaltenen  Rode  pro  31ilone  aufgefunden  zu 
haben  meinte,  so  gab  man  auch  die  ganz  unbedeutende  Notiz 
aus  Oiiintilian  IV,  3,  16,  nicht  aber  die  sehr  wichtige  aus  As- 
conius  p.  42  Bait, :  Manet  autem  illa  quoque  excepta  eius 
oratio,  und  aus  dem  Schol.  Bob.  p.  276:  Exstat*  alius  praeterea 
über  actorum  pro  Milone,  in  quo  omnia  interrupta  et  impolita 
et  rudia,  plena  denique  maximi  crroris  agnoscas.  Besser  ist 
man  in  jenen  Roden  daran,  von  denen  der  fleissige  und  ge- 
wissenhafte Angelo  Mai  Fragmente  aufgefunden  und  sie  mit 
Einleitungen  herausgegeben  hat;  doch  ist  auch  ihm  zur  Rede 
de  rege  Alexandrino  die  historische  Notiz  beim  Scholiasten  des 
Lucanus  VHI ,  518  p.  643  Web.  entgangen.  Hätte  man  die 
Testimonia  ordentlich  gesammelt,  so  würde  unter  den  Tituli 
orationum  amissarum  auch  die  oratio  pro  Scauro  ambitus  reo 
erscheinen;  die  betrcn'ende  Notiz  bei  0»>ntilian  IV,  1,  69,  wo 
es  ausdrücklich  heisst:  nam  bis  eundem  defcndit,  enthält  auch 
ein  neues  Zeugniss  über  die  bisher  bekannte  oratio  pro  Scauro 
repetundarum  reo. 

3)  Ein  jeder  Herausgeber  einer  neuen  Sammhing  von 
Fragmenten  eines  Schriftstellers  wird  sich  bemühen  das  bisher 
bekannte  Material  zu  vermehren;  beim  Cicero  ist  es  ebenso 
nothwendig  das  vorhandene  zu  sichten  und  ungehöriges  auszu- 
scheiden. Unter  den  Fragmenten  der  Corneliana  erscheint  auch 
folgendes  aus  0»intilian  V,  13,  26:  „Obiecta  est  paulo  liberalior 
vita."  Die  Stelle  musste  schon  deshalb  Beircmden  erregen, 
weil  Asconius  im  Eingang  seines  Arginnentum  ausdrücklich  sagt: 
Cornelius  homo  non  improbus  vita  habilus  est,  und  am  Schlüsse: 
cetera  vita  nihil  fecerat  quod  magno  opere  improbaretur;    allein 


('2)  So  aus  der  Losart  exislat ;  die  lilslierlfjcn  Ausgaben  existit. 


0  Sitzung  der  philos.  -philol.  Classe  vom  3.  niai  1862. 

wie  es  mit  dem  fraglichen  Fragmente  beschaffen  ist,  ergibt  sich 
von  selbst,  wenn  man  den  Quintilian  aufschlagt:  ut .  .  . ,  si  acri 
et  vehemenli  fuerit  usus  oratione  (accusator),  eandem  rem  nostris 
verbis  milioribus  proferamus,  ul  Cicero  de  Cornelio;  codicem 
attigit ,  et  protinus  cum  defciisione,  ut  si  pro  luxuriöse  di- 
ccndum  sit:  obiecta  est  pavio  libcralior  vita.  Aus  den 
Worten  des  Rhetor  selbst  ist  klar,  dass  dieser  homo  luxuriosus 
nicht  Cornelius  gewesen  ist.  Dass  man  die  Worte  doch  auf  die 
Corneliana  bezogen  hat,  geschah  wahrscheinlich  in  Folge  einer 
falschen  Auffassung  von  protinus.  —  Aus  der  Rede  pro  0- 
Gallio  wird  folgendes  längeres  Fragment  aus  Hieronymus  epist. 
34  ad  Nepotianum  de  vita  cleric.  et  monach.  IV,  p.  262  ed. 
Bened.  angeführt :  M.  Tullius ,  in  quem  pulcherrimum  illud  elo- 
gium  est  ,,Demoslhenes  tibi  praeripuit,  ne  esscs  primus  orator, 
tu  illi,  ne  solus"  in  oratione  pro  Gallio  quid  de  favore  vulgi  et 
de  imperitis  contionibus  loqualur  attende,  ne  his  fraudibus  lu- 
daris.  Loquor  enim  quae  sum  ipse  nupor  experlus.  Unus  qui- 
dam  poeta  nominatus,  humo  perliteratus,  cuius  sunt  illa  colloquia 
poetarum  ac  philosophorum,  cum  facit  Euripiden«  et  Menandrum 
inter  se  et  in  alio  loco  Socratem  atque  Epicurum  disserenics, 
quorum  aetates  non  annis,  sed  saeculis  scitnus  esse  disiunctas, 
quantos  is  plausus  et  clamores  movet!  Multos  enim  condiscipulos 
habet  in  theatro,  qui  simul  literas  non  didicerant.  Hier  hatte 
schon  Orelli  in  den  Anmerkungen  richtig  bemerkt:  .,Sane  baec 
omnia  loqnor  —  —  didicernnt  Hieronymi  sunt,  non  Tullii'', 
liess  aber  doch  die  Worte  noch  im  Texte  steh(;n.  Wiewohl 
Hieronymus  ausdrücklich  sagt:  „Loquor  enim  quae  sum  ipse 
nuper  experlus"',  so  wird  dieses  Stück  der  Stelle  doch  noch 
immer  unter  den  Ciceronischen  Fragmenten  fortgeschleppt  Statt 
es  unter  ihnen  zu  belassen,  war  es  passend  die  Veranlassung 
mitzutheilen,  die  Hieronymus  bestinnnte  der  Rede  zu  erwähnen : 
Nihil  tarn  facilc  quam  picbeculam  et  indoctam  conlioneni  linguae 
volubilitate  decipere,  quae  quidquid  non  infellexit  plus  miratur. 
M.  Tullius  etc.;  denn  erst,  wenn  man  diese  Eingangsworte  liest, 
wird    die  Beziehung  der  Worte   ne  his  fraudibus  ludaris  klar. 


Halm:  Evyiinzuny  der  Ckeroniachen  Frat/inente.  7 

die  man  sonst  leicht  auf  das  folgende  beziehen  könnte.  —  Aus 
der  wirklich  geiiallenen  Rede  pro  Milone  wird  noch  immer  als 
einziges  erhaltenes  Fragment  die  bei  Oiiinl'Jia»  ^^,  2,  54  als 
Beispiel  einer  unnoicöntjaig  niilgelheilte  Stelle  angeführt:  „An 
hnius  ille  legis,  quam  Clodius  a  se  invcntam  gloriatur,  men- 
tionem  faccre  ausus  esset  vivo  Milone,  non  dicam  consule?  de 
noslruin  enim  onuiium  —  non  audeo  tolum  dicere",  wiewohl 
Peyron  längst  nachgewiesen  hat,  dass  sie  in  die  Lücke  der 
geschriebenen  Rede  an  den  Schluss  von  cap.  12  gehört.  Für 
die  gewissenhafte  Onfllenbennlzung  ist  die  Stelle  auch  in  an- 
derer Beziehung  belehrend.  Sic  wird  bei  Nobbe -Klotz  so  ab- 
gedruckt :  An  Iivivs  ille  legis  quam  Clodius  a  se  inventam 
gloriatur  etc.,  woraus  man  schliessen  möchte,  dass  die  Worte 
An  huius  ille  legis  quam  niclit  bei  Quintilian  zu  finden,  sondern 
eine  gemachte  Ergänzung  sind.  Diese  Herausgeber  haben  auch 
nicht  gewusst,  dass  die  Stelle  auch  von  dem  Scholiasten  zur 
interrogalio  de  aere  alieno  Milonis  angeführt  wird,  aus  dem  das 
Ouintilianische  Fragment,  wie  jetzt  in  allen  Ausgaben  der  Milo- 
niana  zu  lesen  ist,  in  folgender  Weise  zu  ergänzen  ist:  ,,non 
audeo  tolum  dicere.  Videte  quid  ea  vitii  lex  habitura  fuerit, 
cuius  periculosa  etiam  reprehensio  est."  So  haben  wir  in  den 
bislierigen  Sammliuigen  ein  falsches  Fragment  und  dieses  noch 
dazu  unvollstäuflig  wegen  mangelnder  Benützung  einer  zweiten 
Hauplquelle.  —  Das  grösstc  Curiosum  ist  ein  neues  Fragment, 
das  Klotz  p.  24.3  aus  der  oratio  in  toga  Candida  beibringt :  ,,Et 
talis  Curius  p  er  er  ud  itus."'  Asconius  sagt  zu  seinem  letz- 
ten Citat  aus  der  Rede  p.  95  Bait.  :  Curius  hie  notissimus  fuit 
aleator  danuiatusque  postea  est.  In  luinc  est  hendecasyllabus 
Caivi  elegans:  „et  talis  Curius  pererudifus."  Weil  der  hendeca- 
syllabus in  der  Baiter'schen  Ausgabe  in  besonderer  Zeile  und 
mit  Cursivschrifl  gedruckt  ist,  ward  er  zu  einem  prosaischen 
Fragment  degradiert. 

Ohne  die  geringste  Wahrscheiidichkeit  hat  Bcier,  der  für 
seine  erfolglosen  Reslilulionsversuche  überallher  Material  zu- 
sammenschleppte,   der   Scauriana    das  Fragment    bei    Quintilian 


g  Sitzung  der  philos.  -  philol.  Classe  vom  3.  Mai  1862. 

VIII,  6,  47  vindicierl:  ,,Hoc  miror  enim  querorque,  quemquam 
hominum  ita  pessum  dare  alterum  [verbis] '  velle ,  ul  eliam  na- 
vem  perforet,  in  qua  ipse  naviget."  Weil  so  einmal  Beier  an- 
geordnet hat,  steht  jetzt  die  Stelle  unter  den  Fragmenten  der 
Scauriana,  eben  so  die  bekannte  von  Cicero  selbst  und  von 
mehreren  Rhetoren  angeführte:  „Donius  tibi  deeral?  athabebas: 
pecunia  superabat?  at  egebas  etc.",  wiewohl  schon  langst  der 
vorsichtige  Spaiding  zu  Quintil.  IX,  2,  15  bemerkt  hat:  Haec 
quidem  quare  orationi  pro  M.  Scauro  in  fragmentis  tribuanlur, 
nonduni  comperi.  —  Eine  Stelle  ist  sogar  zur  Ehre  gekommen 
zwei  verschiedenen  Reden  zugewiesen  zu  werden.  Den  Frag- 
menten in  Clodium  et  in  Curionem  hat  Beier  nicht  ohne  Wahr- 
scheinlichkeit das  Beispiel  von  der  Figur  des  Chleuasmus  bei 
Rufinianus  de  fig.  sent.  et  elocut.  c.  2,  „quasi  vero  ego  de  facie 
tua,  cafamite,  dixerim''  zugewiesen,  wiewohl  man  es  vorsich- 
tiger unter  die  fragmenla  incertarum  orationum  aufnehmen 
wird  Wenn  aber  Fragmentensamnder  das  als  richtig  er- 
kennen, so  durften  sie  die  Stelle  des  Rufinianus  nicht  unter 
den  Fragmenten  der  or.  pro  M.  Fundanio  in  folgender  Gestalt 
mittheilen:  Quasi  vero  ego  de  facie  tua  catamite  dixerim 
vel  alias  potuisti  contumeliosius  facere,  si  tibi  hoc  Parmeno 
alloqui,  ac  non  ipse  Parmeno  nuntiasset.  Folgte  man  in 
dem  einen  Punkte  Beier,  so  musste  man  auch  wissen,  dass 
dieser  Gelehrte  über  die  Stelle  des  Rufiniaiius,  an  deren  Ver- 
besserung Ruhnken  verzweifelte,  richtig  bemerkt  hat,  dass  vel 
alias  Worte  des  Rhetor  sind  (vgl.  ibid.  §.  4  et  alias  und  §.  14 
aut  alias);  es  war  also,  wenn  man  das  erste  Citat  den  Frag- 
menten der  Scauriana  zuwies,  bei  der  Fundaniana  blos  das 
zweite  aufzuführen.  Die  noch  immer  einer  vollständigen  Hei- 
lung entgegensehende  Stelle  des  Rufinianus   ist  vielleicht  so  zu 


(3)  Dass  vcrbis,  was  im  Ambros.  I  fehl!,  ein  (ilossem  ist,  zeigt  die 
Erklärung  des  Quintilian,  deren  Anführung  zum  riilitigen  Verständniss 
der  Stelle  überhaupt  nolhwendig  ist. 


Flalm:  Ergänz-viuf  der  Ciceronischen  Fraijmente. 

verbessern:  Quasi  rero  cgo  de  facie  ftia ,  catcunite,  dixerim: 
vel  alias:  Pottiistine  cimtinucUoshis  faccre,  si  tibi  hoc  Parmcno 
alioqui,  ac  non  ipse  Parmcno  mitüiassct? 

4)  Zur  Reiiiiguiiff  der  Fragmente  {reliort  in  einer  kritischen 
Atisgabe  auch  die  Beseitignng  der  Beier'schen  Ergiinziingen  in 
den  Reden  pro  Tiiilio,  in  Clodinin  und  pro  Scauro,  deren  Lec- 
liire  neben  den»  ächten  Cicero  einen  vviderwarligeii  Eindrucic 
macht  und  das  Verstiindniss  des  erhaltenen  eher  stört  als  för- 
dert. Dadurch  dass  man  die  vcrsclüedenen  Zeichen ,  die  Beier 
bei  seiner  Musivarbeit  angewendet  hat,  zum  Theil  entfernte,  sind 
auch  Undeutlichlveilen  herausgekommen,  die  leicht,  wenn  man 
nicht  auf  die  Quellen  zurückgeht,  irre  führen  können.  So  liest 
man  bei  Nobbe  und  Klotz  p.  203  aus  der  Rede  in  Clod.  et 
Cur.  c.  II:  ,,Ac  vide  an  facile  fieri  tu  potueris,  cum  is  factus 
non  sit,  cui  tu  concessisti.  Syriam  sibi  nos  extra  ordinem  poUi- 
ceri.  [Pseudoasconius.  Ouintil.  V,  10,  §.  92.]  '  Nach  der  ge- 
wöhnlichen Citierweise  sollte  man  glauben,  das  Bruchstück  finde 
sich  so  bei  beiden  Autoren.  Es  sind  aber  zwei  ganz  verschie- 
dene Bruchstücke,  von  denen  m;ni  nicht  absieht,  warum  sie 
gerade  hier  zusannnengeleimt  wurden.  Eine  Nachlässigkeit  ist 
hinwiederum,  dass  das  Citat  verkehrt  steht,  indem  das  erste 
Bruchstück  von  Ouintilian,  das  zweite  vom  Schol.  Bob.  erhallen 
ist.  Eine  zweite  Stelle  der  Art  aus  derselben  Rede  hat  man 
dieser  Zusammenschweissung  zu  lieb  sogar  gefälscht,  p.  206 
Klotz:  ,,Integritas  tua  te  purgavit,  mihi  crede:  pudor  eripuit, 
vila  ante  acta  servavit  Qualtuor  tibi  sententias  solas  ad  per- 
niciem  defin'sse?  [Quintil.  VIII,  6,  56  et  Pseudoasc.]''  Die  letz- 
ten Worte  Ouattuor  etc.  sind  eine  indirect  angeführte  Stelle;  um 
sie  dem  Citat  aus  Oi'i'il'l''»»  anzupassen,  hat  man  daraus  eine 
rhetorische  Frage  gemacht.  Noch  schlimmer  ist  es  an  einer 
dritten  Stelle  ergangen,  pro  Vareno  n.  7  p.  2ii  ed.  Klotz: 
,,Tum  C.  Varenus,  is  qui  a  familia  Anchariana  occisus  est.  — 
Hoc  quaeso,  iudices,  diligenter  attendile,  —  [Ouintil.  IV,  1,  74 
et  IX,  2,  56  ]"  Bei  Nobbe  ist  die  Interpunction :  Tum  —  — 
occisus  est.  (Hoc  .  .  .  attendite.)    Man  wird  hier  die  Klammern 


10  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  3.  Mai  1862. 

bei  vorausgehendem  Punkt  ebenso  wenig  verstehen,  als  die 
noch  schlimmere  Klolz'sche  Intcrpunclionsweise,  bei  der  man 
nach  den  obigen  Beispielen  vermulhcn  möchte,  dass  es  sich  um 
zwei  von  Oni'iUlian  an  verschiedenen  Stellen  angeführte  Bruch- 
stücke handle.  Es  erwähnt  aber  Ou''it'l'i'"  dieselbe  Stelle  zwei- 
mal ;  w  ic  sie  zu  interpungieren  ist,  lehrt  ein  Blick  in  den  Rhetor. 
Er  sagt  IV,  1,  73:  Judices  et  in  narratione  nonnumquam  et  in 
argumentis  ul  atlendant  et  ut  faveant  rogamus,  quäle  est:  Tum 
C.  Vareniis,  is  qui  a  famiUa  Anchariana  occisiis  est:  —  Jioc 
(jvaesi,  rudices ,  dilk/enter  attenditc.  Wir  haben  also  in  der 
Erzäldung  eine  kurze  digressio  (Ouintil.  IX,  2,  56),  um  auf 
einen  bedeutenden  Punkt  die  Richter  besonders  aufmerksam  zu 
machen.  Daran  wird  Niemand  denken,  der  das  Bruchstück  bei 
Nobbe- Klotz  liest. 

5)  Aus  nicht  benützten  Quellen,  auch  solchen,  die  bei 
Herausgabe  der  genannten  Sammlungen  längst  vorhanden  waren, 
lüsst  sich  einiger  Zuwachs,  wenn  auch  kein  sehr  bedeutender, 
an  neuem  ^lalcrial  gewinnen.  Ihre  Nichtbenutzung  ist  weniger 
befremdend  als  die  unvollständige  der  wirklich  benützten  Ouellen. 
In  der  Nobbe'schen  Sammlung  ist  glücklich  wieder  zur  or.  in 
Clodium  das  bei  Orelli  fehlende  wörtliche  Citat  von  8  Zeilen 
aus  Cic.  ep.  ad  Attic.  I,  16,  §.  9  nach  dem  Vorgang  von 
Patricius  hinzugekommen,  von  dem  der  Redner  selbst  sagt:  Sed 
quid  ago?  paene  orationem  in  epistolam  inclusi.  Acht  Zeilen 
sind  doch  nicht  enie  oratio;  aber  vor  diesen  8  Zeilen  theilt 
Cicero  den  vorausgegangenen  Inhalt  der  oratio  perpelua,  die  er 
ausdrückhch  von  der  auf  sie  folgenden  altercatio  scheidet,  mit, 
und  führt  dabei  eine  grössere  Stelle  indirect  an  *.  Die  Aus- 
lassung  dieser  Stelle   ist   schHmm,    aber   noch  schlimmer,    dass 


(4)  Schon  Patricius  sagt  in  seinem  Coniinentar:  Hacc  ibi  Cicero,  ut 
vcliemenler  verear,  no  totum  illiul  liuc  perliiiore  vitleatiir  al)  eo  loco, 
ne  unn  plftifd  accepta  etc.  Dass  er  nicht  anch  die  altercatio  als  zu 
den  Fraf^nienten  {;ehüri<;  crlvannt  hat,  ist  in  einer  Zeit  verzeililich.  zu 
der  die  Stücke  des  Palimpsests  noch  nicht  l)ekannt  waren. 


Halm:  Ergätnuinj  der  Ciceronischen  Fraymente.  H 

was  Cicero  ans  der  allercalio  in  dem  ganzen  §.10  niilthcilf, 
übergan^ren  ist.  Denn  wir  wissen  jetzt  aus  dem  Fraijment  des 
Turiner  Pnliiupsests,  wie  genau  diese  Relation  ist,  in  der  auch 
einiges  vorkommt,  was  im  I'alimpsest  nicht  erhalten  ist  Eine 
vom  Bübiensischen  Siholiaslen  unvollständig  angeführte  Stelle 
liisst  sich  sogar  aus  dem  gemannten  §.  mit  ziemlicher  Sicher- 
heil  ergänzen.  Beier  konnte  hier  seinen  Nachlretern  nicht  als 
Führer  dienen,  weil  er  den  ganzen  Brief  seiner  Ausgabe  als 
Einleitung  vorangeschickt  hat.  —  Auch  zur  or.  pro  Valinio  ist 
die  Stelle  aus  Cic.  ad  fam.  I,  9,  19  in  den  bisherigen  Sannii- 
lungen  nicht  vollständig  angeführt ;  aus  der  noch  hieher  ge- 
hörigen St(!lle,  die  von  den  Worten  an  ,,Ouod  quom'ain  tibi 
exposui ,  facilia  sinit  ea ,  qnae  a  me  de  Vatinio  et  de  Crasso 
requiris"  anzuführen  war,  erfährt  man  ausser  den  Gründen,  die 
Cicero  zur  Vertheidigung  bestimmt  haben  .  auch  noch  dass  er 
in  der  Rede  seinen  früher  so  bitter  verlästerten  Feind  sogar 
gelobt  hat,  wofür  er  sich  beim  Lentulus  entschuldigt.  —  Eine 
kleinere  Stelle  der  Art  ist  ein  Fragment  aus  der  Corneliana,  das 
Boetius  de  defmilione  p.  659  ed.  Basil.  aufbewahrt  hat,  in  wel- 
cher Schrift  eine  grössere  Reihe  von  Cilaten  aus  Cicero  vor- 
kommt. Leider  ist  dieselbe,  wie  überhaupt  der  Text  des  Boe- 
tius noch  sehr  im  argen  liegt,  in  den  gedruckten  Ausgaben  bis 
zur  Unleserlicbkeit  corrumpiert^;  ich  benutzte  für  meine  Zwecke 
eine  ausgezeichnete  Handschrift  saec.  X.  aus  der  Münchner 
Bibliothek.  Das  fragliche  Fragment  lautet  nun  in  der  Nobbe- 
Klotz'sc  hen  Ausgabe:  ,,'*'g''<^  "^  legebalis ,  hinc  intelligetis  nulla 
teiiuissima  suspicione  describi  aut  significari  Cornelium  "  Orelli 
hat  doch  wenigstens  die  schlechte  Basler  Ausgabe  aufgeschlagen 
und  gibt  aus  ihr  drei  Worte   mehr:    Item  pro  Cornelio :    inaie- 


(5)  So  heisst  es  z.  B.  p.  (iöO  Cicero  hoc  ii-siis  est  sie:  qui  pliirimum 
liibiiunt  edicto  .  praeter  ediitimi,  leffeiii  animam  esse  diciint  Dass  die 
Stelle  der  Verrinen  llh.  I,  §  JO'J  ijeiiu'int  ist,  zei};l  der  cod.  Monac. ,  in 
weltliein  es  richtig  heisst:  qui  pluriitiuin  tribuuiit  edicto  praeloris,  cdic- 
tuin  legem  niinuam  esse  dicunt. 


\2^  Sitzuiiff  der  phitos.-philol.  Classe  vom  3.  Mai  1862- 

slalis  ipsa  sugl ;  legite  ut  legebatis  etc.  Diese  geben  freilich 
keinen  Sinn,  aber  bei  Fragmenten  wegzuwerfen,  was  man  nicht 
meint  brauchen  zu  können,  heisst  nicht  sie  verbessern.  Der 
iMiinchnor  Codex  gibt  noch  ein  viertes  Wort,  aus  dein  mit  ver- 
besserter Inlerpunclion  zu  schreiben  ist:  item  pro  Cornelio 
inaiestalis:  lieplivate;  ipsa  sinit :  Icgite,  ut  legebatis  etc.  — 
Eine  UnvoUstiindigkeit  in  der  Ou^Ucnbeniilzung  zeigt  sich  auch 
darin ,  dass  wenn  eine  Stelle  von  mehreren  Schriflslellern  an- 
geführt wird,  nicht  immer  alle  erwähnt  oder  benützt  sind.  Aus 
der  Rede  contra  contionem  0-  Metelli  führt  0»i'itii.  IX ,  3 ,  40 
an:  „Vestrum  iam  hie  factum  deprchenditur ,  patres  conscripti, 
non  meum,  ac  pulcherrimum  quidem  factum,  verum,  ut  dixi, 
non  meum,  sed  vestrum."  Die  Stelle  steht  auch  bei  Isidorus 
de  Origg.  II,  21,  8  (und  daraus  in  den  Anecdota  Parisina  ed. 
Eckstein  p.  15),  durch  dessen  Lesart  reprehendo  statt  depre- 
hendilur  die  einleuchtende  Verbesserung  von  S palding  repre- 
hendilur  bestätigt  wird.  Das  Factum,  von  dem  der  Redner 
spricht,  war  die  Verurtheilung  der  neun  Häupter  der  Catilinaii- 
schen  Verschwörung. 

6)  Dass  man  bei  so  lüderlicher  Ausbeutung  der  Oucllcn 
auch  den  Citaten  nicht  trauen  kann,  bedarf  kaum  einer  Erwäh- 
nung. Aus  der  or.  de  rege  Alexandrino  lesen  wir  das  Frag- 
ment: ,.Di(ricilis  ratio  belli  gerendi,  at  plena  fidei.  plena  pictatis. 
[Aquila  c.  14.  Forlun.  Rhetor.  hb.  II.  in  Parlitione  et  in  Hypo- 
phoris.  Marcianus  Capella  p.  428  Capp.]*'  Einen  Forlunatianus 
in  Partitione  et  in  Hypophoris  kann  nur  ein  solcher  eitleren,  der 
diesen  Rhetor  noch  nie  in  Händen  gehabt  hat.  Abgesehen  von 
dieser  komischen  Citationsweise  wird  Jedermann  denken,  dass 
das  fragliche  Fragment  auch  von  diesem  Rhetor,  sei  es  ein- 
oder  zweimal,  angeführt  sei.  Beide  Stellen,  von  denen  sich 
wenigstens  eine  im  Index  bei  Capperonier  finden  liess  (sie  stehen 
p.  84  und  80),  enthalten  keine  Spur  von  dem  Fragment,  son- 
dern gehören  zu  den  von  den  Herausgebern  der  Fragmente 
nicht  mitgetheillen  Testimonia  für  die  Rede;  wie  das  irrige 
Cilat  entstanden  ist,  zeigt  Mai's  Vorbemerkung  zum  Bobiensischen 


Halm:  Ergänzuny  der  Ciceronischen  Fragmente.  13 

Sdioliasten.  Eben  so  gelreu  ist  auch  das  daselbst  vorkoinmende 
falsche  Cilal  aus  Slrabo  b'b.  VII,  1,  §.  13  (statt  XVII)  in  die 
Ausgaben  von  Nobbe  und  Klotz  übergegangen.  —  Als  Ouelle 
des  ersten  Fragments  der  er.  contra  contionein  0-  Metelli  wird 
noch  in  der  Ausgabe  von  Klotz  angegeben :  Chirii  s.  Curii  For- 
tunaliani  Artis  rheforicae  scholicae  IIb.  III  cap.  de  Figuris  con- 
troversiarum ,  wiewohl  schon  in  der  ersten  Ausgabe  von  Orelli 
das  richtige  Cilat  Auguslini  Principia  rhet.  p.  327  Capper.  zu 
finden  war.  Das  fehlerhaflc  Citat  erklärt  sich  aus  dein  Um- 
stände, dass  die  sogenaimten  Principia  rhet.  des  Augustinus  wie 
in  den  allen  Ausgaben  so  in  den  meisten  Handschriften®  als 
Anhang  des  in  Fragen  und  Antworten  abgefassten  rhetorischen 
Catechismus  des  Fortunalianus  erscheinen.  So  fand  ich  sie  in 
4  idleren  Drucken  des  F'ortunalianus,  in  einer  Ausgabe  s.  I.  et  a. 
(circa  1490).  in  der  Aldina  vom  J.  1523,  in  einer  Basler  von  1526 
und  in  der  von  Erylhraeus  besorgten  Strassburger  Ausg.  von 
1568,  so  dass  ivh  annehmen  muss,  dass  die  Schrift  des  Auguslin 
zuerst  in  der  Ausgabe  der  Anliqui  rhetores  latini  von  Pilhoeus 
(Paris.  1599)  richtig  von  der  nach  Form  und  Gehalt  völlig  ver- 
schiedenen Rhetorik  des  Furlunalianus  getrennt  worden  ist. 
Eben  so  steht  es  in  den  von  mir  eingesehenen  Handschrillen. 
In  dem  Ueperlorium  der  hiesigen  Handschrillen  war  früher  keine 
von  den  Principia  rhet.  verzeichnet,  bis  ich  sie  zuerst  in  einem 
Freisinwer  Codex  Nr.  206  am  Schlüsse  eines  Fortunalianus  fand. 
Die  einzige  Scheidung  besteht  in  der  in  Mille  der  Zeile  siehen- 
den Uebcuschrifl :  DE  OFFICIO  OKATORIS,  welche  sich  auf 
den  ersten  Abschnitt  (die  Schrift  ist  in  den  Handschriften  in 
11  Capilel  abgetheill)  bezieht.  Eine  weitere  Untersuchung  von 
zwei  andern  Handschriften  des  Forlunalianus,  einer  deutschen 
aus    St.  Emmeram   in  Regensburg,    und   einer  italienischen,    die 


(6)  Mir  ist  bis  jclzt  nur  eine  bekannt,  woiclie  den  Fortunatianus 
ohne  den  Aui^ustinns  enthält,  neniiich  die  fiir  die  römischen  Rhctoreii 
.so  wielitige  PariserNr.  lo\W;  s.  die  Beseliieibung  von  H-  Keil  bei  Eckstein, 
Anetdota  Parisina  rhet.  |)ag.  V. 


14  Sitzung  der  pliitos.-philol.  Clause  vom  3.  Mai  1862. 

von  der  Hand  des  Petrus  Criiiilus  geschrieben  ist ,  ergab  das 
gleiche  Resultat.  Eben  so  wenig  hat  man  früher  bemerkt,  dass 
auch  in  der  ohne  Zweifel  ältesten  Handschrift  des  Fortunalianns, 
der  berühmten  in  Uncialen  geschriebenen  Darmstiidter  Nr.  166, 
die  den  Censorinus  enthält,  am  Schlüsse  auch  der  Augustinus 
steht,   an   dessen  Ende  erst   die  Subscriptio   zum    Forlunatianus 

folgt:     ARS     RHETORICA.    Uß.     Ill    EXPLICIT    INCPIT    DE 

DIALECTICA  lFb.  IUI.  Wie  Herr  Dr.  Crccclius,  dem  ich 
eine  Cüllation  der  rhetorischen  Schriften  des  Codex  verdanke, 
zu  August,  de  dialectica  (Elberf.  1857)  p.  9  bemerkt,  so  be- 
ruht wohl  auf  dieser  oder  auf  einer  ähnlichen  abgeleiteten  Hand- 
schrift, in  der  gleichfiiUs  des  Augustinus  Dialektik  als  viertes 
Buch  des  Fortunatianus  erscheint,  Columnas  Irrthum,  der  in  seiner 
Fragmentensammlung  des  Ennius  eine  Stelle  aus  Augustin's 
Dialektik  so  citiert :  Fortunatianus  de  dial.,  eine  Angabe,  die  auch 
in  Vahlens  Ausgabe  übergegangen  ist.  Da  in  den  mir  bisher 
bekannten  Handschriften  der  titellosen  Principia  rhetorica  nir- 
gends der  Name  des  Augustinus  erscheint,  so  könnte  es  wohl 
der  Fall  sein ,  dass  er  nur  dem  zufälligen  Umstände  seine  Ent- 
stehung verdankt,  dass  Augustins  Dialektik  in  Handschriften  als 
viertes  Buch  an  die  fragliche  rhetorische  Schrift  gerathen  ist. 
Da  deren  völlige  Verschiedenheit  von  dem  vorausgehenden  For- 
tunatianus leicht  zu  erkennen  war,  so  lag  es  nahe  genug  die 
herrenlose  Schrift  gleichfalls  dem  Augustinus  beizulegen. 

7)  In  einer  neuen  Bearbeitung  der  Ciceronischen  Fragmente 
wird  man  auch  eine  bisher  noch  ganz  fehlende  Sammlung  der 
Fraffmenta  aösannra  von  Reden  in  einer  besonderen  Abthei- 
lung  erwarten  dürfen,  da  man  als  sicher  voraussetzen  darf,  dass 
die  Mehrzahl  der  bei  Rhetoren  vorkommenden  namenlosen  Frag- 
mente der  Art,  die  sich  nicht  aus  der  Diction  als  selbstgemachte 
erweisen,  dem  Cicero  angehört.  Das  lässt  sich  schon  aus  dem 
äusseren  Umstände  schliessen,  dass  zahllose  bekannte  Stellen 
aus  erhaltenen  Ciccronischen  Reden  ohne  Angabe  der  Quelle 
angeführt  werden,    während   kaum   ein  paar  Beispiele  aus  den 


Halm:  Ergänzung  der  Ciceronischen  Fragmente.  15 

iiberlieferlcn  Fraomcntcn  anderer  Reden  sich  nachweisen  lassen, 
die  ohne  Anoabe  des  Anlors  cilieit  wären.  So  wird  z.  B.  Nie- 
rnand  leugnen,  dass  folgendes  Fragment  hei  Oni'ifili'Ti  IX,  3,  47 
„Perturbalio  istuin  inenlis  et  quaedani  sceleruin  ofTusa  caligo  et 
ardentes  furiaruin  laces  excilarunl"  ganz  den  Geist  und  die 
Sprache  des  Cicero  alhniet.  —  Die  zaidreichen  Beispiele,  welche 
der  Rhelor  Julius  Severianus  gibt,  sind  mit  Ausnahme  eines 
einzigen  von  Calvus'  siimmllich  aus  Cicero;  diesem  wird  man 
auch  die  zwei  Iblgenden  namenlosen  Bruchslücke  zuzuweisen 
haben,  p.  330  Capp. :  „Satisne  igitur  cernitis,  quibus  ille  merce- 
dibus,  quibus  emolumenlis,  quibus  praemiis  incilaUis  ctc.^'  und 
ebeniiaselbst:  „Cum  igitur  de  furto  quaereretnr  et  de  co  furto, 
quod  ille  sine  controversia  fecerat,  cum  ille  de  eo,  quod  quae- 
rebatur,  verbum  nulluni  l'ecisset*,  de  veneno  stalirn  dixit  et 
reliqua.^^ 

Nach    dieser  allgemeinen  Erörterung  lasse  ich  nun  folgen, 
was   ich    bisher  zur  Berichtigung   und  Ergänzung   der  früheren 


b' 


Fraonientensannidungen  nn'r  bemerkt  habe. 


I.  Zu  den  Fragmenten  der  Reden. 
Or.  in  Clüdium  et  Curionem. 
In  dem  4.  Fragment  des  Bobiensischen  Scholiaslen  p.  331 
Or.  hat  die  Handschrift:  ,,Sin  esset  iudicalum  non  videri  virum 
venisse,  quo  iste  venisset."  Die  Worte  enthalten  eine  Anspie- 
lung auf  die  bekannte  Entweihung  der  sacra  Bonae  Deae  durch 
Clodius.  Was  quo  iste  veuisset  heissen  soll,  ist  unverständlich 
und  ohne  Zweifel  ist  zu  lesen:  ,,non  videri  virum  venisse,  quom 
iste  venissel.'' 


(7)  Das  Bnulistück  ist  nach  Haiidsclirifteii  so  zu  verbessern:    ,,Ho- 
iniiU'iii  noslrae  civitatis    audaci.ssiiniiin,    de    ('actione   divitein,    sordiduin, 
malcciicuni  accf/vo."     Die  Ausgaben  des  Rlietors  liaben  acvusato,  wo 
fiu-  schon  Ruhnken  acciisabo  zu  lesen  vorschlug. 

(8)  Die  Ausgaben  unrichtig  fecit. 


16  Sitzung  der  pliitos.-j/hilol.  Classe  vom  3.  Mai  1862. 

Das  nächste  Fragment  lautet:  .,Ut  ille  iudicio  taniquam  e 
naufraffio  nudus  eniersit."  Da  ille  offenbar  falsch  ist  und  auch 
die  Präposition  nicht  erst  im  zweiten  vergleichenden  Gliede  ein- 
treten darf,  so  hat  man  zu  lesen:  „ut  illo  e  iudicio  taniquam 
e  naufragio  nudus  emersit."  Vgl.  auch  Quintil.  VI,  3,  81,  der 
aus  derselben  Rede  anführt:  „quo  ex  iudicio  velut  ex  incendio 
nudus  effuoit."  Es  lässt  sich  nicht  bestimmen,  ob  das  nur  ein 
ungenaues  Citat  aus  dem  Gedächlniss  ist  oder  eine  andere  Stelle 
der  Rede;  Cicero  konnte  wohl  von  der  Sache  zweimal  in  ähn- 
lichem Bilde  sprechen. 

In  der  lückenhaften  Stelle  des  Turiner  Palimpsesls  c.  4,  die 

Peyronsogibt:UERUM|TAMENCETERIS |SITlGNOSCERE 

. .  UERO  I I INILLOLOCONULLO  MODO  |  hat  man 

die  Ergänzung  versucht:  Verum  tamen  ceteris  possit  ignoscere, 
ei  vero,  qui  villam  habeat  in  illo  loco,  nullo  modo.  Die  Ergän- 
zung possit  reicht  zur  Ausfüllung  der  Lücke  nicht  hin,  daher 
vielleicht  facile  possit,  oder  noch  lieber,  wenn  man  annehmen 
dürfte,  dass  SIT  in  d(;r  dritten  Zeile  nicht  genau  gelesen  ist: 
verum  tamen  ceteris  [facile  se]  ait  ignoscere.  Auch  rillam  ist 
für  den  Raum  ein  zu  kurzes  Wort  und  wohl  ,,ei  ucro  qui  habeat 
praediü  in  illo  loco^'  zu  schreiben,  worauf  auch  die  voraus- 
gehenden Worte  iühren:  Non  possunt  hi  mores  ferre  .  .  tarn 
vehementem  magistrum,  per  quem  hominibus  maioribus  natu  ne 
in  suis  quidem  praediis  impune  tunc,  cum  Romae  nihil 
agitur,  liceat  esse  valeludinique  servire. 

Ganz  unglücklich  ist  der  bisherige  Ergänzungsversuch  am 
Ende  von  cap.  4  ausgefallen,  wo  man  liest:  „Is  me  dixit  aedi- 
ficare,  ubi  nihil  habeo,  ibi  fuissc.  Quo  Imodo]  enim  non  [mirerj 
alm]entom  adversariuni,  qui  id  obiciat ,  quod  vel  honeste  con- 
fileri    vel    manifesto    redargucre   possis  ?''     Der   Palimpsest   hat: 

HA  I  BEOIBIFUISSEUU |  •  ENIMNON | 

.  .  PATENTEMADUERSARI  |  OVIIDOBICIATQUOD  |  etc.  Ich 
habe  versucht :  Is  me  dixit  acdificare,  ubi  nihil  habeo,  ibi  fuisse 
quio  adirc  njemini  non  [licilumst.  0  injpotcntem  adversariuni,  qui 
id  obiciat  etc. 


Halm:  Ergänzung  der  Ciceronischen  Fragmente.  17 

Cap.  5  hat  endlich  Orelli  in  der  2.  Ausg.  die  abscliculiche 
Lesart:  0  singuhire  prodigium!  At,  o  monslrum!  beseitigt  und 
atque  monstruin  mit  M advig  geschrieben.  So  wird  ohne 
Zweifel  im  Palimpsest  selbst  stelni ,  nemlich  ADO-  MONSTRUM, 
nicht  ADOMONSTRUM. 

In  dein  nicht  vollständig  von  dem  Scholiaslen  ausgeschrie- 
benen Fragment:  ,,Onasi  ego  non  confentus  sim ,  quod  mihi 
qiiinqne  et  XX  iudices  crediderunl:  qui  sequestres  abs  te  locu- 
pletes  acceperint"  scheinen  nach  acceperiiit  blos  die  Worte  tibi 
nihil  credidornnt  zu  fehlen.  In  dem  bekamilcn  Briefe  an  Alticus 

1,  16,  10  führt  Cicero  die  belrelFende  Stelle  seiner  altercatio 
mit  folgenden  Worten  an:  Mihi  vero,  inquam,  XXV  iudices  cre- 
diderunl: XXXI,  quoniam  nummos  ante  acceperunt,  tibi  nihil 
crediderunt.  lieber  die  sequestres,  bei  denen  die  ßestechungs- 
sunmien  niedergelegt  wurden,  gibt  der  Scholiast  genügende 
Auskunft. 

Ueber  die  unvollständige  Anführung  der  Hauptstelle  von 
Cic.  ad  Atlic.  I,  16,  §.  9  sq.  s.  oben  die  Rem.  S.  10. 

Or.  pro  Cornelio. 
Die  Testimonia  über  die  Rede  sind  ziendich  zahlreich;  in 
den  bisherigen  Fragmentensamndungen  fehlen  die  meisten,  doch 
sind  drei  in  der  2.  Orellischen  Ausgabe  hinzugekonnnen.  üie 
von  uns  bis  jetzt  gesammelten  stehen  bei  Plin.  epist.  I,  20,  8, 
Hieronymi  epist.  38  ad  Pammachium  vol.  IV,  313  ed.  Bened., 
Cic.  in  Vatin.  §.  5,  Martianus  Capeila  lib.  V,  p.  399  und  435 
ed.  Kopp,  Boelius  de  defin.  p.  654  ed.  Bas.,  Forlunatianus  lib. 
II  p.  86  Capp.,    Ouintil.  V,  11,  25.  13,  18.  VI,   5,   10.  VIII, 

2,  2  sqq.  IV,  3,  13  sq.  (vgl.  auch  IX,  2,  55  u.  XI,  3,  164), 
Julius  Victor  c.  22  p.  257  Or.,  Julius  Severianus  p.  342  Capp., 
Lactantius  Inst.  div.  VI,  2,  §.  15.  Dazu  kommt  noch  eine  Stelle 
aus  dem  unculierten  Commenlar  des  Grillius  zu  Cic.  de  Inv.  fol. 
40''  cod  Bamb.:  Rursus  in  Corneliana  circnilione  (seil,  in  c.xordio) 
usus  est,  quia  erat  Cornelii  persona  vehemontissime  oflensa. 

Wir   beginnen   mit   den   Fragmenten  des  Asconius,    wobei 

[lb62.  U.J  2 


13  Sitzung  der  phäos.-pliiloi.  Classe  vom  3.  Ittai  1862. 

die  Miltheilnng  einiger  Verbesserungen  zum  Asconius  selbst  in 
dem  Umstände  gereclitferligl  erscheinen  wird,  dass  eine  den 
Bedürfnissen  entsprechende  Sammlung  der  Ciceronischen  Frag- 
mente auch  den  vollständigen  Commentar  des  Asconius  ent- 
halten niuss. 

Im  Argumentum  Asc.  heisst  es  p.  57  Baif.:  Cuius  re- 
lationem  repudiavit  senatus  et  decrevit  salis  factum  videri  eo 
senatus  consulto,  quod  ante  annos  L.  Domitio  C.  Caelio  coss. 
factum  erat,  cum  senatus  ante  pauculos  annos  illo  senatus  con- 
sulto decrevisset,  ne  quis  Cretensibus  pccuniam  muluam  daret. 
Dass  bei  ante  annos  etwas  fehle,  hat  man  längst  erkannt.  Die 
Ergänzung  wird  nicht  anderswoher  zu  erholen,  sondern  aus  den 
folgenden  Worten  zu  entnehmen  sein,  die  offenbar  durch  ein 
starkes  Glossem  entstellt  sind.  Wir  verniulhen  nemlich,  dass 
die  ganze  Stelle  so  zu  lesen  sei:  ,.satis  factum  videri  eo  senatus 
consulto.  quod  ante  pauculos  annos  L.  Domitio  C.  Caeho  coss. 
factum  est,  cum  senatus  decrevisset,  ne  quis  etc.'"  Unmittelbar 
darauf  haben  die  Handschriften  eine  Lücke:  ,, Cornelius  ea  re 
ofTensus  senatni  questus  est  de  ea  in  contione,  exhauriri  pro- 
vincias  usuris:  providendum  ut  haberent  legati  unde  praesen- 
tia  *  *  darent.  Man  nimmt  gewöhnlich  den  Ausfall  mehrerer 
Worte  an;  vielleicht  aber  fehlt  nur  die  erste  Hallte  von  darent; 
•wir  vermuthen  nemlich:  unde  praesentia  s  upped  i  tarent. 

Das  erste  Fragment  ist  in  der  schlimmen  Gestalt  überliefert: 
„Postulatur  a  nie  praetore  primum  de  pecuniis  repetundis.  Pro- 
spectat videlicet  Comenius  quid  agalur.  videlicet  homines  foeneos 
in  medium  ad  tentandum  periculum  proiectus."  Dazu  die  Er- 
klärung des  Asconius  :  ,,Simulacra  effigie  honunun\  ex  foeno 
fieri  solebant,  quibus  obiectis  ad  spectaculum  praebendum  tauri 
irritarentur."  In  den  Worten  Ciceros,  deren  Verbesserung 
noch  nicht  gelungen  ist,  scheint  der  Hauptfehler  in  dem  zweiten 
videlicet  zu  stecken:  wir  haben  versucht  :  Postulatur  apud  me 
praelorem  prinnim  de  pecuniis  repetundis.  Prospeclat  videlicet 
Comenius  quid  agatur:  videl  homines  foeneos  in  medium  ad 
tentandum  periculum  proiectos. 


Halm:  Ergänzungen  der  Ciceronischen  Fragmente.  19 

In  den  Worten  des  Asconius  „Dictum  est  etiam  supra  de 
his  legibus:  quaruni  una  de  libertinorum  sufTragiis,  quae  cum 
senatus  consulto  dainnata  esset,  ab  ipso  quoque  Manilio  t 
altera  defensa  est.  altera  de  bello  Mithridalico  Cn.  Pompeio 
extra  ordinem  mandando  etc.'"  liest  Hot  man  dem  Sinne  nach 
richtig  „ab  .  .  Manilio  abiecta  est:  altera  antem  defensa  est  de 
bello  etc."  Der  Ueberlieferung  jedoch  schliesst  sich  niiher  an: 
,,ab  .  .  Manilio  abiecta  est.  Defensa  est  altera  de  bello  etc." '. 
Darauf  heisst  es:  Dicit  Cicero  de  dislurbato  iudicio  Maniliano. 
„Aliis  ille  in  illum  furorem  magnis  hominibus  auctoribus  impul- 
sus  est  etc."  Da,  wie  schon  die  Stellung  lehrt,  aliis  nicht  mit 
maofnis  hom.  auctoribus  verbunden  werden  darf,  so  ist  zu  ver- 
bessern:  „Ab  aliis  ille  .  .  magnis  hominibus  auctoribus  im- 
pulsus  est." 

In  dem  Fragment  p.  67  „Legem  Liciniam  et  Muciain  de 
civibus  redigundis  (regundis  cochl.)  video  constare  inter  omnes, 
quam  duo  consules,  omnium  quos  vidimus  sapienlissimi,  tulissent, 
non  modo  inutilem,  sed  perniciosam  rci  publicac  fuisse"  hat 
Baiter  die  handschriftliche  Ordnung  der  Worte  wieder  herge- 
stellt, da  man  den  Relativsatz  ,,(iuam  .  .  tulissenl"  nach  „Lici- 
niam et  Muciam"  umgestellt  hatte.  Er  selbst  vermutlict  qmün 
statt  quam ;  noch  leichter  ist  es  qiiamqumn  zu  schreiben. 

In  dem  Fragment  p  68  „Alterum  (genus  est),  quae  lex 
lala  esse  dicatur,  ea  non  videri  populum  teneri  etc."  hat  E.  A. 
J.  Ahrens  (die  römischen  Volkstribunen  Ti.  Gracchus  etc. 
S.  110)  richtig  contra  atispicia  vor  lata  esse  aus  der  Anmer- 
kung des  Asconius  hergestellt. 

In  dem  nächsten  Fragment:  „Terlium  est  [de  legum  abro- 
gationibus] ,  quo  de  genere  persaepe  senatus  consulta  fuerunt, 
ut  nuper  de  ipsa  lege  Calpurnia,  cui  derogarelur"  hat  Madvig 
die  eingeklammerten  Worte  richtig  als  Glossem  erkannt.  Statt 
j,sen.  consulta  fuerunt"  schreibt  man  fiunt;  es  ist  vielmehr /l/r/a 
sunt  zu  lesen. 


(8)  So  jetzt  auch  Rinkes  in  der  Mneniosyne  XI,  187. 

2" 


20  Sitzung  der  philos.-  philol.  Classe  vom  3.  Mai  i862. 

Ascon.  p.  70  „in  hac  quidem  oratione,  quia  causa  popu- 
laris  erat  .  .  .  paenituisse  ait  Scipionem ,  quod  passus  esset  id 
fieri,  in  ea  oratione  de  auruspicum  responso,  quia  in  seiiatu  lia- 
bebatur,  .  .  et  magno  opere  iilum  laudat  et  etc.''  In  den  W. 
in  ea  oratione  steckt  ein  kleiner  Fehler,  da  entweder  ea  oder 
oratione  als  überflüssig  erscheint;  es  ist  ohne  Zweifel  zu  ver- 
bessern: ,,in  ea  autem  de  arusp.  responso'%  wie  es  gerade  so 
p.  69  heisst:  Et  videtiir  in  hac  oratione  hunc  quidem  auctorem 
seculus  Cicero  dixisse  .  .  .,  in  ea  autem,  quam  post  aliquot 
annos  habuit  de  aruspicum  responso  etc. 

In  den  schwer  verderbten  Worten  des  Asc.  p.  71  sq.,  wo 
die  handschriftliche  Ueberlieferung  lautet :  „Et  aliquamdiu 
Trebellius  ea  re  non  perterritus  aderat  perslabatque  in  inter- 
cessione,  quod  minitari  (damnari  codd)  magi.s  quam  persevera- 
turum  esse  Gabinium  arbitrabatur,  sed  postquam  VII  et  X  tribus 
roo-ationem  acceperunt  et  una  mens  esset  ut  modo  superat  po- 
puli  iussum,  conficeret  remisit  intercessionem  Trebellius"  ist  viel- 
leicht zu  schreiben:  „sed  postquam  VII  et  X  tribus  rogationem 
acceperunt,  ut  una  tantum  deesset,  ut  numero  superanle  populi 
iussiim  confieret,  remisit  intercessionem  Trebellius." 

In  den  VV^orten  des  Asc.  p.  72  „eaque  res  saepe  erat  agi- 
tata  saepe  omissa,  partim  propter  Sullanarum  partium  *  *,  par- 
tim quod  iniquum  videbalur  etc.  hat  man  bisher  meUim  nach 
partium  ergänzt;  leichter  erklärt  sich  der  Ausfiill,  wenn  man 
,propter  Sullanarum  partium  uim"  schreibt. 

In  dem  Ciceronischen  Fragm.  p.  73  heisst  es  vomSisenna: 
homo  illorum  et  vita  et  prudenlia  longo  dissimilis,  sed  tamen 
nimis  in  gratificando  iure  liber,  L.  Sisenna."  Es  muss  wohl 
heissen:  „nimis  in  gratificando  iure  liberalis." 

Das  nächste  Fragment  des  Cicero  gibt  Bailer  in  folgender 
lückenhaften  Gestalt:  ,,Ouare  cum  hunc  populus  Romanus  viderel 
et  cum  a  tribunis  pl.  doceretur  *  *  *  nisi  poena  accessisset  in 
divisores,  extinct  *  *  *  ullo  modo  posse,  legem  hanc  Cornelii 
flagilabat",  weiche  Stelle  vielleicht  so  zu  verbessern  ist:  „Quare 
cum   hunc  populus  R.   videret  et  cum  a  tribunis  pl.  doceretur 


Halm:  Ergänzung  der  Ciceronischen  Fragmente.  21 

idem  (als  Acciisativ),  nisi  pocna  accessisset  in  divisorcs,  ex- 
stingui  ambiturn  nullo  modo  posse,  legem  haue  Cornelii 
flagitabat." 

In  den  lückenliafton  Worten  des  zweitnächsten  Fragments 
p.  74,  16  ergänzt  Mommsen  (Römische Tribus  S.  85)  passend^ 
„quasi  ignores  vulgare  nomen  esse  Philcrotis." 

S,  75  führt  Asconius  ein  Fragment  mit  den  Worten  ein: 
Fiebern  ex  Maniliana  ofTensione  victam  et  domitam  dicit:  ,,Ante 
vestros  annos  propter  illius  tribuni  pl.  temeritatem  posse  adduci, 
ut  omnino  *  *  ne  illius  potestate  abalieiiemur  etc.",  welche 
Worte  Madvijr  mit  vieler  Wahrscheinlichkeit  so  verbessert  und 
ergänzt  hat:  ,, vestros  animos  .  .  posse  adduci,  ut  omnino  a 
restitutione  illius  potestatis  abalienentur",  wobei  er  bemerkt:  in 
illo  müe  quid  lateat  nescio."  Es  gehört  wahrscheinlich  zu  den 
Worten  des  Asconius:  plebem  .  .  domitam  dicit  ante,  „sagt  er 
vorher"',  d.  h.  an  einer  früheren  Stelle. 

In  dem  Fragm  p.  78  las  man  bisher:  ,,Oui  non  modo  cum 
Sulla,  verum  eliam  illo  mortuo  semper  hoc  per  se  sunnnis  opi- 
bus  retinendum  putavorunt,  inimicissimi  C.  Cottae  fuerunt  etc." 
Cum  vor  Sulla,  was  in  ihn  Handsohr.  fehlt,  ist  eine  verun- 
glückte Ergänzung;  es  ist  vielmehr  zu  schreiben:  ,,qui  non 
modo  Sulla  uiuo,  verum  etiam  illo  mortuo  etc."'^ 

Von  den  Fragmenten,  die  von  andern  Schriftstellern  über- 
liefert sind,  haben  wir  bereits  in  der  Einleitung  mehrere  be- 
sprochen; s.  S.  4.  5.  11. 

In  dem  Fragm.  aus  Arusianus  s.  v.  certnmen  p.  218,  wo 
man  gewöhnlich  liest :  ,,Onid  enim?  mihi  cerlamen  est  cum  accu- 
satore  aut  contenlio?'  hat  man  die  wahrscheinliche  Verbesserung 
von  Patricius  ,,Ouod  enim  mihi  certamen  est  cum  accus,  aut 
contentio?"  übersehen. 

Von  neuen  Fragtnenten  d('r  Cornelianae  tragen  wir  fol- 
gende nach : 


(9)  So  jetzt  auch  Rinkes  a.  a.  0.  p.  190. 


22  Sitzung  der  philos.-phitol.  Classe  vom  3.  Mai  1869. 

Ecce  insimiatione  vstis  est  (Cicero)  per  circuitionem  in 
Conieliana:  Si  uiiiquam  ulla  fuit  causa,  iudices,  in  quo  initio 
dicendi  finxil  sc  a  diis  petere  quod  a  imUcibus  poslidabat.  Et 
quo  modo  iUud  Vcrgilianxnii  ,,neque  mc  Argolica  de  gente  ne- 
gabo" ,  sie  et  hie:  Nam  prirnum  '"  oninium  tempore  infestissimo 
causam  dicimus.  Grillius  ad  Cic.  de  invent.  fol.  40"  cod. 
Bamberg. 

Aut  a  lege  aut  ab  cüiquo  ßrmissimo  argumenta  inchoare 
debet  orator;  sie  in  Corneliana:  Uiide  igitur  ordiar?  an  ab 
ipsa  lege?  Grillius  fol.  41'*. 

Seipio  tantus  vir,  qui  prodnctus  a  tribuno  pl.  cos  dixit 
iure  caesos  videri.  Favore  nobilitatis  hoc  fccit ,  quia  et  ipsc 
ex  optimatibus  erat,  non  sicut  in  Cornelianis  Tulliiis :  hie  mos 
iam  apud  illos  anliquos  et  barbatos  fuit  ut  persequerentur '' 
populäres  homines.    Grillius  fol.  16. 

,,ExpcUit  hoc  loco.^"  Cic.  pro  Cornelio  I :  Satius  homiiiem 
miserum  atque  innocentem  eripi  P.  R.  '^,  expelli  patria,  divelli  a 
suis.  Arusianus  Messius  p.  227  Lindem. 

„Offendi  apud  vos."^  Cic.  pro  Cornelio:  Qn\A  me  apud 
equiles  Romanos  ofTendissedicebanl?  Arusianus  Messius  p.  251. 

„Minister  an  ministrator.^'  Ulinister  cotidiani  negotii  vi- 
detur  esse,  ministrator  autem  vel "  administrator  in  re  publica 
vel  saepius  quid  faciens.  Itaque  Cicero  oratione  secunda  pro 
Cornelio:  quare  hominem  inpugnare  non  desinunt  nisi  remotis 
minislratoribus.  Valerius  Probus  de  nomine  in  Analectis 
gramm.  Endlichcri  p.  221. 

Zu  den  Fragmenten  scheint  auch  die  Stelle  bei  Ouinlil.  IV, 
4,  8  (vgl.  Julius  Victor  p.  238  Or.)  zu  gehören:  Est  et  nuda 
propositio,  qualis  fere  in  coniecturalibus:  „caedis  ago,  furtum 


(10)  primo  cod. 

(11)  persequantur  cod. 

(12)  vielleiciit  riclitiger  eripi  rci  publ. 

(13)  ut  cod. 


Halm:  Ergünrting  der  Ciceronischen  Fragmente.  23 

obicio",  est  ratione  suhiecta,  ut :  Maiestatem  ininuit  Cornelius; 
nain  codicem  tribunus  pl.  ipse  pro  contione  legit. 

Die  beiden  Frag-mcnle  aus  Arusianus  fehlen  deshalb  in  den 
neueren  Sammlungen,  weil  kein  Herausgeber  die  vollsUindigere 
Ausgabe  von  Lindemann,  wiewohl  diese  schon  im  J.  1831 
erschienen  ist,  beniifzt  hat. 

Or.  pro  0.  Gallio. 

Zu  den  Testimonia  der  Rede  gehört  noch  die  Stelle  des 
Asconius  ad  or.  in  toga  cand.  p,  88:  0-  Gallium,  quem  postea 
reum  ambitus  defendit,  significare  videlur. 

Das  Fragm,  3  ,.qui  spurce  dictum  commemorarent  inhbera 
civitate"  ist  ohne  die  Erklärung  des  Eugraphius  ad  Terent. 
Eun.  H,  2,  4,  dass  Iwmines  saemssimi  auch  spitrci  genannt 
wurden ,  unverständlich ,  was  anzuführen  um  so  unerlässlicher 
war,  als  von  einer  solchen  Bedeutung,  die  durch  den  Gegensatz 
in  libera  civitate  wohl  begründet  scheint,  in  unseren  Lexika 
nichts  zu  finden  ist.  Uebrigens  bietet  für  das  Verd(!rbniss  der 
Handschriften  ut  Tullius  in  gallia  a  qua  spurce  etc.  auch  der 
kritische  Apparat  des  Herrn  Directors  Schopen  keine  Aushilfe. 

Im  Fraffm.  8  aus  dem  Rhelor  Julius  Scverianus  haben  die 
Texte  die  falsche  Lesart:  „Similiter  pro  Gallio,  ubi  accusator  in 
se  poenas  obiecit.''  Die  Lesart  poenas  steht  nur  in  der  aus 
einer  schlechten  llandschr.  geflossenen  Ausgabe  von  Fruterius 
(Antverpen  1584),  die  leider  den  Ausgaben  von  Pithoeus  und 
Capperonier  zur  Grundlage  gedient  hat;  die  auf  besseren  Handschr. 
beruhenden  von  CaeUus  Scciwdus  Curia  (Basel  1556)  und 
Sixfus  a  Popma  (Cöln  1569),  so  wie  zwei  von  mir  benutzte 
Handschriften  haben  richtig  pecnnias.  Schwierig  ist  die  Ver- 
besserung der  Lesart  in  se,  die  nur  in  den  geringeren  Ouellen 
steht;  meine  bessere  Handschr.  hat  dafür  tres,  woraus  vielleicht 
reo  zu  verbessern  ist. 

lieber  das  Fragm.  2  s.  oben  S.  6. 

Or.  contra  contionem  0-  Metelli. 
Das  erste  Fragment  aus  August    princ.  rhet.  lautet  in  den 


24  Sitittng  der  pialos. -philol.  Classe  vom  3.  Mai  1862. 

Ausgaben :  .,Sic  enim ,  ul  opinor,  iiisequar  fugientem ,  qiioniam 
concrredi  non  licet  cum  resistente."  Die  den  Herausgebern  iin- 
bekannt  gebliebene  Vernuithung  Madvig's  (Opusc.  acad.  II,  93 
not.)  sie  agom  für  sie  cnim  wäre  ansprechend,  wenn  die  Hand- 
schriften nicht  zeigten,  dass  cnim  nicht  anzutasten  ist.  Diese 
haben  nenilich  vor  sie  enim  noch  die  dunklen  Worte:  ,,Ubi  uis 
uel  in  ipsa  consistere'',  für  die  mir  eine  genügende  Verbesserung 
nicht  beigelallen  ist;  doch  dachte  ich  an  die  Lesung:  „Ubi  vis 
tu  in  ipsa  causa  consistere?"'  Uebrigens  ist  es  merkwürdig,  dass 
obwohl  dieser  Zusatz  auch  in  allen  oben  S.  13  erwähnten  älte- 
sten Auso-aben  des  Forlunatianus  steht,  er  doch  schon  in  den 
ersten  Sammlungen  der  Ciceronischen  Fragmente  von  Sigonius 
und  Patricius  weffffefallen  ist,  wiewohl  in  diesen  die  Stelle  als 
aus  Fortunatianus  citiert  wird. 

Ueber  die  Verbesserung  der  Fragmente  5  und  8  sieh 
oben  S.  4  und  12. 

Interroo-atio  de  aere  alieno  Milonis. 

Im  Fracrm.  7  ,,Sic  enim  homines  egentes  et  turbarum  cupidi 
loquebantur:  o  virum  usuum"  vermulhet  Orelli  „o  virum  sum- 
mum",  ganz  unpassend,  wie  sich  aus  der  Anmerkung  des  Sclio- 
liasten  ergibt:  „Rumigerantiumsermonesrettulit,  qui  cum  sumnuun 
vigorem  constanliae  Clodio  adscripsissent,  quod  audacius  Pom- 
peio  repugnaret,  post  eundem  humili  salislactione  depositum 
contcmtui  ducerent."  Daraus  lässt  sich  vermuthen ,  dass  der 
Ausruf  wohl  eher  o  virum  servmn  gelautet  habe. 

In  dem  Fragm.  III,  2  „Duo  praeteristi :  nihil  de  religionibus 
violatis,  nihil  de  inceslus  slupris  queslus  es"  ist  wohl  zu  lesen: 
„nihil  de  incestis  stupris'',  wie  es  in  der  or.  p.  Mil.  §.  13 
heisst:  „de  illo  inccsto  stupro." 

Die  Zahl  der  Fragmente  hat  Orelli  noch  durch  das  kurze 
„vir  cautissimus"  aus  den  Schlusswortcn  des  Scholiaslen  ver- 
mehrt; man  hätte  aber  doch  auch  erfahren  sollen,  wer  dieser 
vir  cautissimus  gewesen  ist.  Die  betreffende  Stelle  des  Scholi- 
asten,  vor  der  vieles  ausgefallen  ist,  lautet  nach  unserer  Schreibung 


Hahn:    Ergänzung  der  Ciceronischen  Fragmente.  25 

also:  ,,Sed  hie  oratorie  vaklo,  nc  quis  exisHiniiret  quasi  bonum 
viriitn  iiidicassct  Pompeins  eiiin ,  cum  quo  '*  exercere  desierit 
simullales,  invigiiavit  Tullius,  ut  eum  virum  caulissiinnm  diceret, 
qui  e<c." 

Or.  pro  Oppio. 

Orelii  hat  in  der  2.  Ausg.  ein  Fragment  mehr  als  Nobbe- 
KIolz,  Nr.  13,  die  Stelle  aus  0»i»til.  V,  13,  20,  die  zu  den 
teslimonia  gehört,  führt  sie  aber  durch  nachlässige  Abkürzung 
falsch  in  folgender  Gestalt  an  :  („Intuendum  an  actio  sit  cru- 
delis"):  ut  in  Oppium  ex  epistola  Cottae  reum  factum.  Es  heisst 
bei  Ouintilian:  „Eaquc  non  modo  in  propositionibus,  sed  in  toto 
ffcnere  actionis  intuenda :  an  sit  crudelis,  ut  Labieni  in  Rabirium 
lege  perduellionis,  inhumana ,  ut  Tuberonis  Ligarium  exulem 
accusantis  ,  .  „superba,  ut  in  Oppium  ex  epistola  Cottae  reum 
factum."  Dass  zwischen  einer  actio  crudelis  und  a.  superba  ein 
grosser  Unterschied  obwalte .  wird  man  auch  ohm;  nähere 
Kenntniss  der  Rhetorik  leicht  zugeben. 

In  Fragm  12  hat  sich  in  den  neueren  Ausgaben  die  Lesart 
,,quorum  auxilio  freti  esse  delicremns"  eingenistet  statt  tuti, 
wie  sowohl  die  Handschriften  als  auch  die  Ausgaben  des  Se- 
verianns  in  den  Rhetores  von  Pithoeus  und  Capperonier  haben. 
Der  Fehler  stammt  auch  nicht  aus  Patricius,  der  die  Stelle  als 
zu  den  teslimoniis  gehörend  im  Comnientar  beibringt. 

Ganz  fehlt  das  Fragm.  senati  (st.  senatus),  das  Charisius  I, 
21,  193  p.  143  Keil  anführt,  und  zwar  pro  Oppio  II  Es  war 
um  so  weniger  zu  übergehn,  als  dieses  Zeugniss  das  einzige 
von  einer  oratio  secunda  pro  Oppio  ist. 

Or.  de  Othone. 

Nachdem  das  Fragment  aus  Arusianus  p.  223  Lindem.,  das 
nur  auf  falscher  Lesart  beruhte,  wie  zuerst  Van  der  Hoeven 


(14)  quasi  bono  uiro  iudicasse  pompcium  cum  quo  cod* 


26  Sitzung  der  phUos.-philol.  Classe  vom  3.  Mai  1862. 

im  Spec.  litter.  de  Ariisiano  Messio  gezeigt  hat,  ausgeschieden 
ward,  wird  die  Rede  jetzt  nur  mehr  unter  Klanmiern  aufgeführt. 
Aber  mit  Wahrscheinlichkeit  bezielit  sich  auf  dieselbe  die  Stelle 
des  Macrobius  Saturn.  III,  14,  sq.:  Nam  illam  orationem  quis  est 
qui  non  legerit,  in  qua  populuin  Romanum  (Cicero)  obiurgat 
j.quod  Rnscio  gestum  agente  tumulluaiit.''  Jedenfalls  war  die 
Stelle  unter  den  Fragmenla  incerta  nicht  zu  iibergehn.  Die 
zwei  teslimonia  für  die  Rede  aus  Cic.  ad  Attic.  II,  1,  3  ,,tertia 
oratio  (consularis)  de  Olhone"  (vgl  auch  Plut.  v.  Cic  13)  und 
aus  Plin.  N.  Hist.  VII,  31,  §.  IIG  ,.te  suadente  Roscio,  thea- 
tralis  auctori  legis,  ignoverunt''  konnten  schon  aus  dem  Com- 
menlar  des  fleissigen  Patricius  beigebracht  werden. 

Or.  pro  Scauro. 

In  der  lückenhaften  Stelle  des  Argum.  Asconii  p.  20  Bait., 
die  .so  überliefert  ist:  „Post  diem  autem  quartam  (quarlum?),  quam 
postulalus  erat  Scaurus,  Faustus  Sulla  tum  quaestor,  filius  Sullae 
Felicis,  fr.iter  ex  eadem  matre  Scauri,  servus  eius  vulneratus 
prosiluit  ex  lecticis  et  questus  est  pro  interempto  esse  compeli- 
toribus  Scauri  et  ambulare  cum  trecentis  armatis.  seque,  si  ne- 
cesse  esset,  vim  vi  repulsurum"  haben  wir  folgende  Ergänzung 
versucht:  frater  .  .  Scauri,  cum  servus  eius  esset  vulneratus, 
prosiluit  ex  lectica  sua  et  questus  est  pro  interempto  esse  re- 
hctum  a  competitoribus  Scauri,  et  ambulare  eos  cum  trecentis  etc. 

In  dem  Fragm.  p.  21  Bait.  „Ab  eodom  (Servilio  Caepione) 
etiam  lege  Varia  custos  ille  rei  publicae  proditionis  est  in  crimen 
vocatus:  vexatus  a  0-  Vario  tribuno  pl.  est  non  multo  ante", 
hat  man  erkannt  dass  der  Schluss  nicht  ohne  Fehler  überliefert 
sei.  Patricius  suchte  dadurch  zu  helfen,  dass  er  die  Worte  „non 
multo  ante"  zur  Erklärung  des  Asconius  ziehn  wollte.  Es  er- 
scheint aber  alles  in  bester  Ordnung,  wenn  man  mit  leichter 
Aenderung  schreibt:  „Ab  eodem  etiam  lege  Varia  custos  ille 
rei  p.  proditionis  est  in  crimen  vocatus:  vexatus  a.  0-  Vario 
trib.  pl.  erat  non  multo  ante." 

In  dem  Fragment  p.  26,  das  Asconius  mit  den  Worten  ein- 


Halm :  Eryämiing  der  Ciceronischen  Fraymente.  27 

führt:  .,Dixit  dein  de  Scauro,  quem  defendil",  liest  man:  ,,Nam 
cum  ex  mullis  unus  ei  reslarel  Dolabella  paternus  inimicus,  qui 
cum  0-  Caepione  propinquo  suo  contra  Scaurum  patrem  suum 
obsignaverat  literas,  cas  sibi  ininiicilias  non  susceptas ,  sed  re- 
liclas  etc.''  Oflenbar  ist  swiin  nach  patrem  zu  streichen,  wo- 
durch der  Satz  geradezu  sinnlos  wird. 

Einem  Versehen  ist  es  wohl  zuzuschreiben,  wenn  in  dem 
Fragm.  bei  Ascon.  p.  27  ,,Undique  mihi  suppcditat  quod  pro  M. 
Scauro  dicam ,  quocumque  non  modo  mens ,  verum  eliam  oculi 
inciderinf^^'  nicht  längst  inciderimt  berichtigt  worden  ist. 

In  dem  Fragm.  des  ambrosianischen  Palimpsosts  lieisst  es 
nach  dem  lückenhalton  Anfang  *  *  litu  Aetnam  ardere  dicunt, 
sie  Verremoperuissem  Sicilia  teste  tota  im  Palimpsest:  TUüCOP  *  | 
RENDINASTIUM  |  TESTEPRODUCTO ,  wofür  man  gewohnhch 
liest:  ,.Tu  vero  comperendinasti  reuin  teste  producto.''  Der 
Ueberlieferung  scliliesst  sich  näher  die  Vermuthungr  an:  ,,Tu 
uero  comperendinasti  uno  teste  producto."  Wegen  des  Gegen- 
satzes ,. Sicilia  teste  tota''  erscheint  wwo  absolut  notliweiidig. 

Niichzulragen  ist  die  Stelle  beim  Sclioliasten  des  Lucanus 
I,  427  p.  69  Weber:  ,Alvenn  a  qvodain  Troiano  vominanhir. 
De  his  Cicero  in  Scaurinna :  ,  Jnventi  sunt  qui  etiam  IVatres 
populi  Romani  vocarentur."  Das  kurze  Bruchstück  aus  Eugra- 
phius  ad  Tercnt.  Heautont.  IV,  3,  18,  das  noch  bei  Orelli  fehlt, 
hat  Klotz  zu  §.  45  nachgetragen. 

Or.  in  loga  Candida. 

Das  erste  Fragm.  lautet:  Dico,  patres  conscripti,  snperiore 
nocte  cuiusdam  hominis  nobilis  et  valde  in  hoc  largilionis  quaeslu 
noli  et  cogniti  domum  Catilinam  et  Antonium  cum  sequestribus 
suis  convenisse.  An  der  Lesart  noti  et  cojrniti  hat  schon  Patri- 
cius  Anstoss  genommen,  ohne  eine;  Verbesserung  zu  versuchen ; 
wir  vermulhen:  in  hoc  largitionis  quaestu  docti  et  cogniti. 

Im  Conmienlar  des  Asconius  zum  2.  Fragm.  p.  (S4  heisst 
es:  ,, Catilinam  ,  cum  in  Sullanis  partibus  fuisset,  crudeliter  fe- 
cisse,  nominatim  et  postea  Cicero  dicit,  quos  occiderit  etc.",  wo 


28  Sitzutiff  der  pliitos.-philol.  Classe  vom  3.  Mai  1862. 

vielleicht  zu  lesen  ist:  „Catilinam  .  .  crudeliter  fecisse  notiiin 
satis  est;  postea  Cicero  dicit  quos  occiderit  etc."  Kurz  darauf 
ist  zu  schreiben:  ,,Marci  autem  Mari  Gratidiani  caput  abscisutn 
per  urbem  sua  manu  CatiÜna  tulerat'%  statt  ,, caput  abscissum/' 
Weiter  unten  heisst  es:  „cum  Lucullus  id,  quod  Graeci  postu- 
labant,  decrevisset,  appellavit  tribunos  Antonius  iuravitque  se 
ideo  iurare,  quod  aequo  iure  uti  non  posset/'  Die  Verbesserung 
der  Worte  „iuravitque  se  .  .  iurare"  ist  schwierig;  mir  fiel  bei: 
„iuravitque  se  ideo  uocare  (sc.  tribunos)." 

Das  3.  Fragm.  ist  in  der  schlimmen  Gestalt  überliefert:  „Ne 
se  iam  tum  respexit,  cum  gravissimis  vestris  decrelis  absens 
notatus  est",  worüber  Asconius  bemerkt:  Catilina  ex  praelura 
Africam  provinciam  obtinuit.  Quam  cum  graviter  vexasset,  le- 
gati  Afri  in  senatu  iam  tum  (wohl  etiam  tum?)  absente  illo 
questi  sunt  multaeque  graves  sententiae  in  senatu  de  eo  dictae 
sunt."  In  dem  Ciceronischen  Fraffm.  ist  wohl  zu  lesen:  Ne 
senatum  quidem  respexit  etc.  Ueber  die  Auslassung  von 
quidem  vgl.  das  gleiche  Verderbniss  bei  Ascon.  p.  88,  2. 

In  dem  Fragm.  p.  85  ist  noch  mehreres  zu  berichtigen.  Es 
lautet  bei  Baiter:  .,Te  tamen,  0  Muci,  tam  male  de  populo  Ro- 
mano existimare  molesto  fero,  qui  hesterno  die  me  esse  dignum 
consulatu  negabas.  Quid?  populus  Romanus  minus  diligenter 
sibi  constitueret  del'ensorem  quam  tu  tibi?  Cum  tccum  He  codd.) 
furti  L.  Calenus  ageret .  me  potissimum  Ibrtunarum  tuarum  pa- 
tronum  esse  voluisli.  Cuius  tu  consilium  in  tua  lurpissima  causa 
delegisfi,  hunc  honostissimarnm  reruuj  defcnsorem  populus  Ro- 
manus auctore  te  repudiaro  polest  ?  nisi  forte  hoc  dicturus  es, 
quo  tempore  a  L.  Caleno  furti  delatus  sis.  eo  tempore  in  me 
tibi  parum  auxilii  esse  vidisse."  Wie  wir  glauben,  so  ist  die 
Stelle  so  zu  lesen:  „Quid?  populus  Ro.  minus  diligentem  sibi 
constituet  defensorem  quam  tu  tibi?  .  .  .  Cuius  tu  auxi- 
lium  in  tua  turpissima  causa  dolegisti,  hunc  honestissimarum 
rerum  defensorem  populus  Ro.  auctore  te  repudiare  potest  (oder 
volet?)?  nisi  forte  hoc  dicturus  es,  quo  tempore  a  L.  Caleno  furti 
delatus  sis,  eo  tempore  in  me  tibi  parum  auxilii  esse  visum." 


Halm:  Eryunzuni/  der  Cüeronischen  Fraymente.  29 

Lückenhaft  ist  das  Fragin.  p.  91  :  ,,Ouid  lu  potcs  in  de- 
fensione  dicerc,  quod  Uli  non  dixcrunt  quae  tibi  dicerc  non  lice- 
jjil/'  Wir  liaben  die  Ergänzung  versucht:  ,,0"id  tu  poles  in 
defensione  dicerc  quod  illi  non  [dixcriiit?  At  ilh]  dixerunl  quao 
tibi  dicere  non  bcebit/'  Cicero  erwähnt,  wie  sich  aus  Asconius 
ergibt,  die  Verurlheilung  mehrerer  Vollstreclier  der  suilanischen 
Bhilthatcn;  was  etwa  Calilina  zu  seiner  Vertheidigung  beibringen 
ivünne,  konnten  auch  diese  Verurlheilten  sagen,  aber  auch  viel 
anderes,  was  Calilina  für  sich  nicht  könne  geltend  maclien.  Vgl. 
besonders  die  Worte  des  Asconius:  „His  ergo  negat  ignotuni 
esse,  cum  et  (etiam  codd.)  imperitos  se  homines  esse  et,  si 
quem  etiam  interfecissent,  imperatori  ac  diclalori  paruisse  di- 
cerent  ac  negare  quoque  possent:  Catilinam  vero  infitiari  non 
posse." 

Pag.  93.  ,,Ouid  ego,  ut  involaveris  in  provinciam,  praedicem 
cuncto  populo  clamante  ac  resistente?  Nam  ut  le  illic  gesseris 
non  audeo  dicere,  quoniam  absolulus  es."  Richtiger  scheint: 
cuncto  populo  re clamante  et  resistente." 

In  dem  Fragm.  p.  94,  das  Asconius  mit  Agw  Worten  „dicit 
de  maus  civibus''  einführt ,  haben  die  Handschriften  :  ,,Oui ,  po- 
steaquam  illo  conati  erant  Hispaniensi  piigiunculo  nervös  incidere 
civium  Homanorum,  non  potuerunt,  duas  uno  tempore  conantur 
in  rem  publicam  sicas  destringere.''  Um  eine  Construction  her- 
zustellen, hat  man  „illo,  ut  conati  eranf'  geschrieben;  einfacher 
scheint  es  so  zu  lesen:  „Oui  posteaquam,  quod  illo  conati 
erant  Hisp.  pugiunculo,  nervös  incidere  civium  R.  non  potuerunt, 
duas  u.  t.  conantur  etc." 

Zu    den  Fragmenten    der   or.    pro   Tullio   kommt    noch    ein 

kleines   aus  Grillius   fol.  42   hinzu,    wo   es  heisst:    quod  facere 

lebes,  ut  docilem  facias  audilorem,  quod  fecit  in  Tulliana:  „De 


hac  re"  inquit  „iudicabitis." 

Or.  pro  Vareno. 

Von  den  14  Nummern,  die  Orelli  und  Klotz  haben,  gehören 
die  drei  letzten  zu  den  teslimonia,  zu  denen   noch  die  Stellen 


30  Sitzmig  der  philos- pht'tol.  Ctasse  vom  3.  Mai  1S62. 

hei  Onintilian  IV,  2,  24  fT.  VII,  1,  12  und  2,  22  zu  rechnen 
sind.  Die  Stellen  desselhen  Rhctors  VII,  2,  10  (falsch  bei  Klotz 
§.  17)  und  VII,  2,  36  sind  wohl  unter  Nr.  IScitiert,  aber  nicht 
auso-eschrioben,  wiewohl  sie  von  der  ausgezogenen  Stelle  VI,  1, 
59  dem  Inhalt  nach  verschieden  sind. 

Frao-mcnt  8  aus  Priscianus  ist  falsch  interpunijiert:  „h.  ille 
Sepliniius  diceret  —  eteniin  est  ad  L.  Crassi  eloquentiam  gravis 
et  vehemens  et  volubilis  —  :  Erucius  hie  noster  Antoniaster  est." 
Per  Sinn  verlangt,  wie  schon  Nipperdey  (Ouaestiones  Caesar, 
p.  173)  bemerkt  hat,  die  Intcrpunction :  „L.  ille  Septimius  diceret 
—  etenim  est  ad  L.  Crassi  eloquentiam  gravis  et  vehemens  et 
volubilis,  Erucius  hie  noster  Antoniaster  est  —  .  .  ."■  Das  rich- 
tige Versländniss  der  Stelle  findet  sich  bereits  bei  P.  Victorius 
Var.  leclt.  XIV,  23.  Zu  Fragm.  6  führt  Orelli  wenigstens  in 
den  Noten  Gesner's  evidente  Verbesserung  an;  bei  Nobbe- 
Klotz  steht  folgender  Unsinn  im  Text:  „Lege  de  sicariis  com- 
nn'sit  L.  Varenus.  Nam  C.  Varenum  occidendo  et  Cnaeum  vul- 
nerando  et  Salarium  item  occidendo  cadit.'' 

Noch  bemerken  wir,  dass  in  den  Worten  des  Rhetor  Julius 
Severianus,  der  die  zwei  ersten  Fragmente  erhalten  hat,  die 
bisherio-e  Lesart:  cum  aut  adversariorum  calumnias  .  .  memora- 
mus,  ut  pro  Vareno:  „Amici  deficiunt,  cognali  deserunt."  Et 
rei  aut  accusatorum  calumnias  prodinuis,  ut  in  eodem  loco: 
„in  inimicissima  civitate  urgent'-  etc.  aus  Handschriften  so  zu 
verbessern  ist:  cum  aut  adversariorum  calumnias  memoranius, 
ut  pro  Vareno,  „amioi  deficiunt,  cognati  deserunt  et 
reliqua",  aut  accusatorum  calumnias  prodinuis  etc. 

Pro  P.  Vatinio. 

Ueber  diese  Rede  war  noch  anzuführen  Ascon.  argum.  in 
or.  pro  M.  Scauro  p  18,  Cic.  epist.  ad  Qu.  frat.  II,  16,  3,  Val. 
Max.  IV,  2,  4.  Ueber  die  Hauptstelle  aus  Cic.  cp.  ad  Fam.  I, 
9,  19  s.  oben  S.  11.  Uebersehen  wurde  ein  Fragment  aus 
Onintilian  XI,  1,  73,  wo  es  heisst:  Decet  rem  ipsam  probare 
in  qualicumque  persona.  Dixit  Cicero  pro  Gabinio  et  P.  Vatinio, 


Hahn:  Ergänzung  der  Ciceroniichen  Fragmente.  31 

iiiimicissimis  antea  sibi  honiinibus  et  in  quos  oral'ones  nliam 
scripserat,  verum  et  iiisla  sie  faciendo:  „non  sc  de  ingenii  l'ama, 
sed  de  fide  esse  sollicitum." 

Zu  den  Frasjincnlen  der  Briefe. 

Aus  den  Briefen  ad  Axium  hat  man  ein  Fiagmoiit  bei 
Nonius  deshalb  übersehen,  weil  im  Citat  früher  unrichtig  ad 
Allicum  gelesen  wurde.  Die  Stelle  steht  s.  v.  hnmamter  p.  509 
Merc. :  Ad  Axium  lib.  II:  ,,Invilus  literas  tuas  scinderem;  ila 
sunt  humaniter  scriptae.' 

Zu  den  Briefen  ad  C.  Caesarem  gehört  noch  Fragm.  8  aus 
lib.  I  ad  Caesarem  iuniorem ,  indem  die  Stelle  bei  Nonius  so 
lautet:  M.  Tullius  epistolarum  (epistola  codd.)  ad  Caesarem  lib.  I: 
,,ltaque  vereor  ne  ferociorem  faciant  tu  tam  praeclara  iudicia 
telo'^%  wofür  wahrscheinlich  zu  schreiben  ist:  Itaque  vereor  ne 
ferociorem  faciant  tua  tam  praeclara  iudicia  de  illo. 

In  den  Fragmenten  ad  Caesarem  iuniorem,  in  denen  meh- 
rere Umstellungen  durch  Zurückführung  der  in  den  Handschrif- 
ten überlieferten  Bücherzahlcn  vorzunehmen  sind ,  liest  man 
Fragm.  13  aus  lib.  I  :  „Quod  mihi  et  Philippo  vacationem  das, 
bis  gaudeo."  Da  die  Handschr.  des  Nonius  quo  mihi  haben,  so 
ist  zu  lesen:  ,,quom  mihi  et  Ph.  vacationem  das,  bis  gaudeo/' 

In  sehr  entstelller  Form  erscheint  in  den  Ausgaben  das 
Fragm.  4  aus  lib.  II:  ,,cum  constet  Caesarem  Lupercis  id  vec- 
tigal  dedisse,  qui  ante  poterat  id  constare."  Die  Handschriften 
haben  conslat  und  avtem  st.  ante,  wornach  zu  verbessern  sein 
wird:  ,,cum  constaret  Caesarem  Lupercis  id  vectigal  dedisse. 
Qui  autem  polerat  id  constarc?"' 

Zu  dem  einzigen  Bruchstück  aus  den  Briefen  an  die  Cae- 
reUia  ist  die  interessante  Notiz  bei  Ausonius  (Idyll,  XIII.  p.  1252 
im  Corp.  poet.  lat.  ed.  Weber),  die  Palricius  im  Commentar 
beibringt,  nachzutragen:  ,,Meminerint  eruditi  ...  in  epistolis  ad 
Caerelliam  subesse  petulanliam." 

Zur  richtigen  Benrlheilung  des  Fragments  aus  den  Briefen 
an  Hirlius,  das  die  Ausgaben  unter  Nr.  2  ex  libro  incerto  bei- 


32  Sitzung  der  fhilos.-philol.  Ctasse  vom  3.  Mai  1862. 

bringen ,  ist  es  nolhwendig  die  ganze  Stelle  des  Nonius  in  Be- 
tracht zu  zielin.  Sie  lautet  in  der  Ausgabe  von  Gerlach  und 
Roth  p.  296  (437  Merc):  Velusliscere  et  vetuslascere  quid 
inlersit  Nigidius  coinnientator  graniinalicus  lib.  X  deplanat:  ,,di- 
cenius  quae  vetustale  deteriora  fiuiit  velusliscere,  i n veter as- 
cere  quae  mebora."  M.  ad  Hirliuni  lib  VII:  ,,cuni  enini  no- 
bililas  nihil  aliud  sit  quam  cognita  virtus ,  quis  in  eo ,  quem 
veterascenfem  videat  ad  gloriam,  generis  anliquilalem  desideret?" 
In  den  neueren  Ausgaben  der  Cic.  Fragm.  (nicht  so  bei  Patri- 
cius)  ist  die  Stelle  durch  falsche  Inlerpunctlon  (quem  veteras- 
cenlem  videat,  ad  gloriam  generis  antiquitalem  desideret?)  bis 
zur  Sinnlosigkeit  entstellt,  indem  offenbar  die  gloriae  vetustas 
mit  der  generis  antiquitas  in  Parallele  gestellt  erscheint ;  es  wird 
aber  noch,  worauf  des  Nigidius  Worte  ,,invelerascere  quae  me- 
liora  (fluni)''  hinweisen,  zu  verbessern  sein:  ,,quem  inveteras- 
centem  videat  ad  gloriam",  alt  wercjen,  d.  i.  zunehmen  im 
Ruhme. 

Zu  den  Fragmenten  aus  philosophischen  Schriften. 

1)  Consolatio. 

Im  Fragm.  3  ,.Sed  nescio  qui  nos  teneat  error  aut  misera- 
bihs  ignoratio  veri"  aus  Lactantii  div.  instit.  hat  ein  vorzüglicher 
Codex  aus  St.  Emmeram  (Cod.  lat.  Mon.  14619),  der  nur  das 
dritte  Buch  enthält,  richtig  oc  statt  avt,  wie- auch  in  den  Aus- 
gaben des  Lactantius  bei  einer  nochmaligen  Anführung  gedruckt 
ist.  Es  heisst  nemlich  III,  18.  welche  Stelle  unter  Fragm.  1 
imvollsljindig  angeführt  wird:  „Quid  Ciceroni  faciemus?  Qui  cum 
in  principio  consolationis  suae  dixisset  luendorum  scelerum  causa 
nasci  homines,  iteravit  id  ipsum  postea,  quasi  obiurgans  eum, 
qui  vitam  non  esse  poenam  putet.  Rede  ergo  praefatus'^  est 
errore  ac  miserabili  veritatis  ignoratione  se  teneri. 

Fragm.  2  aus  Lactant.   III,   19,    wo   die  Ausgaben   haben: 


(15)  so  richtig  der  cod.  Eininer. ;  die  Ausgaben  profatus. 


Halm:  Eryäntung  der  Ciceronisthen  Fraymente.  33 

„Non  nasci  longo  Optimum  .  . ,  proximum  autem ,  si  nafiis  sis, 
(liiain  priinum  inori  et  lamquam  ex  incendio  efTugere  violentiam 
lorlunae"  hat  dieselbe  Haiidsohrift  die  stark  abweichende,  aber 
beachtcnswerthe  Lesart :  ,,qiiam  primum  tamquam  ex  incendio 
fiigere  (aus  aufuoere?)  fortunae."  Die  gleiche  Lesart  erwähnt 
auch  Palricius  im  Connnentar. 

Im  Fragm.  5  aus  Lact.  I,  15,  das  gleichfalls  mit  ungenü- 
gender Vollsliindigkeit  angeführt  wird,  waren  wenigstens  noch 
die  Worte  mitzulheilen :  ,,TuIlius  .  .  in  eo  libro,  quo  se  ipse  de 
inorle  filiae  consolalus  est,  non  dubilavit  diccre  deos,  qui  publice 
colerenlur,  homincs  liiisse."' 

Als  letztes  Fragment  steht  in  den  Ausgaben  folgende  Stelle 
des  Hieronynuis  :  Pulvillus  Capitolium  dedicans,  mortuum  ut 
nuntiabatur  subito  filium,  se  iussit  absente  sepeliri.  L.  Paullus 
Septem  diebus  inter  duorum  exsequias  fdiorum  triumphans  urbem 
ingressus  est.  Praetermillo  Maximos,  Catones,  Gallos,  Pisones, 
Brulos,  Scacvolas,  Metellos,  Scauros,  Marcios,  Crassos,  Marcellos 
atque  Aufidios,  quorum  non  minor  in  luclu  quam  in  bcllis  virtus 
fuit  et  quorun»  orbitales  in  consolatlonis  libro  Tuilius  explicavit.'' 
Die  Stelle  lehrt,  dass  das  ganze  Capitel  bei  Valerius  Maximus 
V,  10  ,,De  parentibus,  ([ui  obitum  liberorum  forti  animo  tulerunt" 
aus  der  Consolatio  entnommen  ist;  denn  auch  Valerius  beginnt 
in  den  domestica  exempla  mit  Horatius  Pulvillus;  als  letztes  gibt 
er  die  Geschichte  von  0-  Marcius  Rex.  Vgl.  auch  Cic.  Tuscul.  III, 
%.  70.  Dass  auch  die  drei  exempla  externa  vom  Perikles, 
Xenophon  und  Anaxagoras  in  der  Consolatio  vorkamen,  lässt 
sich  aus  dem  Umstände  schliessen  ,  dass  die  zwei  letzten  auch 
in  Plutarch's  Consol.  ad  Apollonium  stehn,  der  ganz  aufCrantor, 
der  Om'llL'  Ciceros,  fusst,  und  dass  der  Ausspruch  des  Anaxa- 
goras auch  in  den  Tusculani'u  III,  §.  58  wiederholt  erscheint. 
Man  wird  also  künftighin  dieses  Capitel  des  Valerius  Maximus 
in  Cursivschril't  den  Bruchslücken  der  Consolatio  einzuverleiben 
haben. 

Dass  auch  die  Erziihlung  vom  Silenus  aus   der  Schrift   des 
Crantor  in  der  Consolatio  vorkam  (s.  Plut,  cons.  c.  27  und  Cic 
liöb-i.  n.j  3 


34  Sitzung  der  philos.-jihiloL  Classe  vom  S.  Mai  1862. 

Tuscul.  I,  §.114),  deutet  schon  Orelli  zu  Fragm.  2  an,  das 
von  folgender  Stelle  an  auszuziehen  war  (Lact.  c.  19):  Damnant 
igitur  vitain  oinnem  plenamque  nihil  aliud  quam  nialis  opinantur. 
Hinc  nala  est  inepta  illa  sententia,  hanc  esse  mortem  quam  nos 
vilam  pulemus,  dlam  vitam  quam  nos  pro  morte  timeamus:  ita 
primum  bonum  esse  non  nasci,  secundum  citius  niori :  quae ,  ut 
maioris  sit  aucloritalis,  Sileno  altrihuilur.  Cicoro  in  Consola- 
tione  etc.  Eben  so  wird  man  annehmen  dürfen,  dass  die  in  den 
Tusculanen  unmiltclbar  folgende  Erziddung  vom  Elysias,  wobei 
es  ausdrücklich  luMSst:  ,.simile  quid  dam  est  in  consolatione 
Crantoris"  (vgl.  Plut.  cuns.  c  14)  nur  eine  Wiederholung  aus 
Ciceros  eigener  Trostschrift  ist. 

Mit  Wahrscheiidichkeit  vindiciert  Fr.  Schneider  der  Con- 
solatio  die  Stelle  bei  Seneca  de  tranquill,  animi  c.  11:  Gladia- 
tores,  ut  ait  Cicero,  invisos  habemus.  si  omni  modo  vitam  im- 
petrare  cupiunt,  favennis,  si  contemplum  eins  prae  se  ferunt"  '^, 
da  Cicero  sich  in  gleicher  Weise  über  dieselbe  Sache  auch 
Tuscul.  II,  c.  17  äussert.  Wir  stelhni  daliin  auch  das  in  dm 
bisherigen  Sannidungen  noch  gänzliih  fehlentle  Fragment  bei 
Phicidus  Lactaiitius  ad  Statu  Theb..  1 ,  30G,  das  in  der  Ausgabe 
von  Lindenbrog  so  lautet:  „Hoc  Her  iure  tain  coniragosum 
putamus,  vilam  picnam  esse  iniuriarum  ac  miseriarum  et  laborum." 
Garatoni  Iheilt  es  in  seinem  handschrifllichen  iXachlass  aus 
einem  codex  Barbcrinus  in  bedeutend  verbesserter  Gestalt  so 
mit:  „Hot;  iler  vilae  tam  confragosum  pulanms,  tarn  plenum  in- 
iuriarum ac  nnseriarun«  alqne  laborum."  Vgl.  die  Bemerkung 
bei  August,  de  civit.  dei  Xl.X,  4:  ,,Ouis  enim  suificit  quantovis 
eloquentiae  flumine  vilae  huius  miserias  explicare?  quam  lamen- 
tatus  est  Cicero  in  consolatione  de  morte  fdiae,  sicut  potuit. 

Eine  Anspielung  auf  die  Bücher  de  gloria,  aus  denen  sich 
nur  ein  paar  Bruchstücke  erhalten  haben,  findet  Crecelius  mit 


(tu)  Die  Stelle  stellt  in  den  Au.snjahen  liei  den  Frasm.  incerla 
p.  .'>7S  ed  I  Oiell  ,  p.  \\\:^  Klotz,  aher  liiderliilier  NYei.se  i.st  die  zweite 
Hälfte  favenius,  si  coiitenipluni  eius  prae  sc  ferutit  übergangen. 


Ilrtliii:  Ergunxuny  der  Ciceronischen  Fi  aymente.  53 

Rücksicht  auf  Fnigni.  1  aus  Feslus  in  den  Worten  von  Augu- 
slini  (lifiloctica  (p  9  ed.  Crecelii) :  ,.Stoici  aulumant,  quos  Cicero 
in  hac  re  ul  f  Cicero  '"  inridet,  nulluni  esse  verbuin,  cuius  non 
certa  explicari  origo  possit." 

2)  Hortensius. 

Fragm.  12  aus  Nonius  p.  315.  ,,Unde  aut  agendum  aul  ad 
dicendnin  copia  depronii  maior  gravissinioruni  exeniploruin  quasi 
incorruptornni  teslimoniorunj  polest?'*  Dass  aul  —  aul  hier  nicht 
am  Orte  ist,  haben  rnehiere  Kritiker  erkannt;  es  wird  jedoch 
das  erste  mit  niclit  zu  tilg(Mi,  sondern  in  autcm  zu  verbessern 
sein,  wie  es  gerade  so  Fragni.  11  heisst :  „Unde  aulem  facih'us 
quam  ex  annalium  monumenlis  aut  bcllicae  res  aut  onniis  rei 
pubhcae  discipiina  cognoscetur?"' 

Fragm.  17  aus  Laclantius  div.  inst.  HI,  IG  wird  nicht  voll- 
ständig  angeführt;  man  hat  die  vorausgehenden  Worte  über- 
sehen: Ciceronis  Horlensius  contra  [ihilosophiani  disserens  cir- 
cumvenitur  arguta  conclusione  qiiod  ,,cum  diceret  philosophan- 
(inm  non  esse*',  nihilo  minus  pliilosophari  videbatur,  quoniam 
philosophi  est  (esset  cod.  Enimer.),  quid  in  vita  faciendum  vel 
non  faciendum  sit  disputare.  Schreibt  man  nnl  dem  cod.  Enuner. 
esset,  so  gehören  auch  noch  die  Worte  ,,quoin'am  etc.''  zu  denen 
aus  dem  Hortensius. 

Zu  Fragm.  24  aus  Nonius  p.  2(Si,  wo  man  liest:  ,,quanlum 
inter  se  homini's  studiis  (sludentes  codd.) ,  moribus,  omni  vitae 
ratione  dilTerant''  ist  die  auch  den  Herausoebern  des  Nonius 
unbekannt  geblieb(Mie  Verbesserung  von  Patricius  beachtens- 
wcrlh :  quantum  inier  se  homines  dissidentcs  moribus  omni 
vitae  ratione  diffc^rant. 

In  dem  unvollstündigen  Fragm.  25  aus  Nonius  p.  155  ,,his 
contrarius  Aristo  Chius,  praefractus,  ferreus,  nihil  bonum  nisi 
quod  rectum  et  honestum  est  .  .,  verlangt  der  Gedanke:  „nisi 
quod  rectum  et  honestum  esset  [contendebal]." 


(17)  vielleicht:  ut  ineptos  inridet. 


36  Sitzung  der  philov  -pln'lol.  Classe  vom  3    Mai  iS62. 

Dass  Fragm.  29  aus  Lactant.  III,  16  mit  grösserer  Wahr- 
scheinlichkeit dem  Hortensius  als  den  Bücliern  de  re  publica, 
wohin  es  An  gel  o  Mai  gestellt  hat,  zugeschrieben  wird,  lässt 
sich  theils  aus  dem  Umstand  abnehmen  dass  in  demselben  Capitel 
noch  zweimal  der  Hortensius  cltiert  wird ,  Iheils  zeigt  es  der 
ähnliche  Inhalt  von  Fragm.  8  aus  Nonius  „praecipiunt  haec  isti, 
set  facit  nemo'^:  denn  in  dem  grösseren  Theil  des  Capitels 
spricht  Lactantius  gegen  jene  Philosophen,  „qui  docent  tanlum 
nee  faciunt-',  wiihrend  doch  alle  Weisheit  nichtig  und  falsch 
sei,  nisi  in  aliquo  aclu  fuerit,  quo  vim  suam  e.xerceat."  Die 
Stelle  selbst,  in  der  Lactantius  den  Cicero  wörtlich  anführt,  lässt 
sich  aus  unserer  Emmeramer  Handschrift  wesentlich  verbessern  : 
Profecto  onnn's  istorum  dispulatio ,  quamquam  uberrimos  fontes 
virtutis  et  scientiae  continet  (contineat  edd.),  tarnen  collata  cum 
eorum  (herum  edd.)  actis  perfeclisque  rebus  vereor  ne  non 
tantum  videatur  atlulisse  negotii  hominibus  quanlam  oblecta- 
tionem.''  Den  letzten  Satz  geben  die  Ausgaben  in  der  starken 
Interpolation:  ,,ne  non  lanlum  videatur  atlulisse  negotiis  homi- 
num  utilitatis  quantum  obleclationem  quandam  olii." 

Fragm.  o7  aus  August,  de  Trinil.  AIV,  i)  haben  zwei  gute 
von  mir  benutzte  Handschriften  die  grammatisch  richtigere  Form: 
„Si  nobis,  inquit  (Cicero),  cum  ex  hac  vila  migrassemus  (emi- 
graverimus  edd.),  in  beatorum  insulis  innnortale  aevum  .  .  . 
degere  liceret,  quid  opus  esset  eloquentia  etc." 

Fraam.  39,  wo  die  Ilandschr.  des  Nonius  haben:    Aptum 

conexum    et   colligatum    significat.     M.  Tullius  in  Hortensio : 

„altera   est  nexa   cum   superioribus   et    inde   aptaeque  pendens" 

dürfte  statt  der  Conjeclur  el  inde  apte  pendens  folgende  grössere 

Wahrscheinlichkeit  haben:  et  inde  apia  atque  pendens. 

Das  sehr  dunkle  Fragm.  63  aus  Nonius  p.  22  ,,ad  iuveni- 
lem lubidinem  copia  voluptatum  gliscit  illa  ul  ignis  oleo"  erhält 
Licht  durch  den  Scharfsinn  von  Patricius,  der  nach  hihidinem 
interpungiert  und  die  Worte  ad  hwcuilctn  Jubidi/icm  einem  vor- 
heratihenden  Salze  zutheilt,  den  Nonius  in  seiner  bekannten 
kopflosen  Weise  nicht   vollständig   ausgeschrieben  hat.     So  er- 


Halm:  Eryäm-untj  der  Ciceronischen  Frof/mente.  37 

hallen  wir  für  das  folgende  den  trefTliclicn  Gedaid<oii:  Durch 
Fülle  von  Vergnügungen  wächst  die  jugendliche  Genufssucht 
wie  Feuer  durch  Gel. 

Weil    sich    die    neueren  Herausgeber  um    den  Commentar 
des  gelehrlen  Palricius  nicht  bekümmert  haben,  wurde  in  der 
Ordnunff  der  Fragmente,  die  bei  Orelli  nach  Patricius  Nr.  65  — 69 
noch  die  richtige  ist,    von  Nobbe  und  Klotz  ein  schwerer  Ver- 
stoss begangen.     Es  zeigt  nemlich  das  Fragm.  65  aus  August, 
de  vila  beata  c.  26,    dass  im  Hortensius  auch  von  dem  glück- 
lichen    Wohlleber     C.    Sergius    Grata     die    Rede    war.     Diese 
Notiz  hat  Patricius  sehr  geschickt  dazu  benützt,    um  den  Frag- 
menten bei  Nonius  ,, Primus  balneola  suspendit,   inclusit  pisces" 
(Nr.  66  bei  Grelli),    „sollertiamque  eam  quae  posset  vel  in  le- 
gulis  Proseminare  ostreas''  (Nr.  68  Gr )  und  „vixit  ad  summam 
senectulem  optima  valetudine''  (Nr.  69  Gr)   die  richtige  Stelle 
anzuweisen,    wie   sich   für  die  zwei  ersten  Stellen  ganz  evident 
aus  Valerius  Maximus  IX,  1,  1  ergibt,  wo  es  vom  Sergius  Grata 
heisst:    C.  Sergius  Grata   pensilia   balinea  primus  facere  in- 
slituit  —         peculiaria  sibi  maria  excogilavit,    .  .  piscium  di- 
versos  greges  separatis  molibus  includendo  und  Namque  ea 
(sc.    ostrea)   si   inde  (sc.  ex  lacu)  petere  non  licuisset,    in  te- 
gulis    reperturum.     Die   Aehnlichkeit    dieser  Stellen    ist    so 
schlagend,    dass    man    in    einer  künftigen  Fragmentensammhmg 
die  längere  Stelle  des  Valerius  Maximus  wird  aufnehmen  müssen, 
jedoch  in  cursiver  Schrift,    weil  der  Wortlaut   des  Cicero  nicht 
verbürgt  werden  kann      Bei  Nobbe- Klotz   haben    die  betreffen- 
den  Fragmente  die  Nummern  6,  7,  10,  11  und  59,  so  dass  alles 
zusanunengehörige  auscinandergerissen   erscheint;    die  Fragm    6 
und  7  (primus  balneola  suspendit,  inclusit  pisces  etc.)  sind  fälsch- 
lich  auf  L.  Lucullus  bezogen.     Von   einer   fleissigen  Benützung 
des  Hortensius   durch  Valerius  Maximus    zeugt  auch  das  Frag- 
ment 85  aus  August,  contra  Jul.  Pelag.,  wo  die  Stelle  von  der 
ausgesuchten   Grausamkeit   der  Etrusker   fast  wörtlich  bei   Val. 
Max.  IX,  2,  Ext.  10  wiederholt  erscheint.     Mit  einiger  Wahr- 
scheinhchkeit  wird   man   auch   annehmen  dürfen,    dass  Valerius 


38  Sitzung  der  philos.  -  philot.  Classe  vom  3.  Mai  1862. 

Maximus  auch  die  bekannte  Geschichte  vom  Philosophen  Polemo 
VI,  9,  Ext.  1,  auf  die  sich  vielleicht  das  kurze  Fragm.  80  bei 
Nonius  ,,ponendae  sunt  fidcs  et  tibiae*  bezieht,  aus  Cicero's 
Hortensius  entnommen  hat.  Denn  die  Geschichte  erwähnt  auch 
Augustinus  in  der  Schrift  contra  Jul.  ?ehg.  I,  12,  die  so  viele 
Reminiscenzen  aus  dem  Hortensius  aufweist. 

Zu  Fragm.  71  aus  August,  c.  Jul.  Pelag.  IV,  c.  14  gehört 
auch  die  Stelle  aus  derselben  Schrift  V,  c.  33  p  646  ed.  ßened., 
die  noch  einen  Zusatz  zu  den  Worten  .,An  vero  voluptates 
corporis  expetendae,  quae  vere  et  graviter  a  Piatone  diclae 
sunt  illecebrae  esse  atque  escae  malorunr*  enthält,  indem  es 
heisst :  ,,non  surdo  corde  illud  audires,  quod  voluptates  illecebras 
atque  escas  malorum  et  vitiosam  partem  animi  dixerunt  (philo- 
sophi)  esse  libidinem."  Auch  war  nicht  zu  übergehn,  dass 
Fragm.  71  von  den  Worten  ,.cuius  niotus"  bis  ..omnino  quid- 
quam  potest"  in  derselben  Schrift  V,  42  p.  650  Bened.  wieder- 
holt wird.  Auch  an  dieser  Stelle  hat  die  Benedictiner  Ausgabe 
„attendere  animo,  inire  rationcm'S  nicht  ,,attendere  animum, 
inire  rationes",  wie  in  den  Ausgaben  der  Ciceronischen  Frag- 
mente gelesen  wird. 

In  dem  in  sehr  schlimmer  Gestalt  überlieferten  Fragm.  74, 
wo  die  Handschr.  des  Nonius  haben:  Noxa  et  noxia  haue 
habent  diversitalem,  quod  est  noxa  peccatum  leve,  noxia  no- 
centia.  M.  Tullius  in  Hortensie:  ,,et  ceteras  quidem  res,  in 
quibus  peccata  non  maxume  adferunt  noxias.  tamen  inscii  nnat- 
attingunt",  haben  wir  versucht:  ,,et  ceteras  q.  res,  in  quibus 
peccata  non  maxumas  adferunt  noxias,  tantum  inscii  non  altin- 
gunt.''  Bei  so  kurzen  Fragmenten  hat  freilich  die  Phantasie  ein 
eben  so  weites  als  unfruchtbares  Feld 

Fragm.  79  haben  die  Handschr.  des  Nonius  lückenhaft: 
Acrem'*  austerum  acerbum  asperum.  M.  Tullius  in  Hor- 
tensie: „quod  alterius  Ingenium  sicut  acetum  Aegyptium,  alterius 


(18)  Bs  ist  zu  schreiben  acre  seil,  sigiiificat,  wie  es  vorher  heisst: 
Acre  significat  celer,  velox. 


Halm:  Kryäm-nny  der  Ciceronischen  Frof/mente.  3d 

SIC  acre  ut  «nel  Hytueltiiini  diciimis."  In  den  Ausgaben  ist  er- 
giinzl:  irigeniuin  sie  dulco,  ut  accium  Aogyptiuin.  3IcUi  sollte 
eher  das  Geoonllioil  (Mvvarlen  :  sie  aciduiii  ut  .icotinn  Acor." 

Aus  den  Scliriflen  des  Augusliiuis  hat  z>vci  neue  Fraomente 
des  Horlonsius  Kr i sehe  (Ucber  Cieero's  Akademika  S.  29  und 
31)  aus  dessen  Büchern  contra  Aeadecimos  naehaewiesen ,  ein 
drittes  grosseres  Creeelius  aus  der  dem  Augustinus  zuge- 
schriebenen Schrift  de  dialeclica  c.  9;  s.  Jahrb.  f.  Philol.  und 
Paed.  (1857)  75 ,  79.  Ucbersclien  lial  man  auch  einen  in- 
teressanten Ausspruch  Cieero's  bei  August,  e.  Julian.  Pelag.  IV, 
c.  76.  der  wahrscheinliel»,  da  (h"es(;  Schrift  so  manche  Citate 
aus  dem  Horlensius  enthalt,  in  diesem  Dialog  zu  lesen  war. 
Es  heisst  nemlich:  ,.(juos  (die  Äloralphilosoplien)  Cicero  propler 
ipsam  honestalem  consulares  philosophos  nuncupavit." 

Der  Liber  iocnlaris  oder  die  Facete  (bcta  lassen  sieh  be- 
sonders aus  den  Briefen  Ciceros  noch  beträehllich  vermehren  j 
aus  andern  Schriftstellern  haben  wir  noch  bemerkt : 

De  hoc  (Mario)  quid  amplivs  rcqvirahir  ignoro,  nisi 
fjvod  evm  insi(jniorem  brcrissimuin  fcrit  iniperivin.  I\am  ut 
consul  nie,  qvi  sex  pomcridiiuns  horis  consvlalum  svffechis 
tcmiit,  a  HI.  Tnliio  tali  aspcrsns  est  ioco:  Consulem  habuimus 
tarn  severum  tamque  censorium,  ut  in  eius  magistratu  nemo 
dormierit:  de  hoc  eliam  dici  posse  videtiir,  qvi  una  die  factus 
est  imperator ,  alia  die  risus  est  imperare ,  tertiit  interemptus 
est.  Trebellius  Pollio  in  XXX  tyrannis,  VII  de  Mario  p.  187 
Salm.  Vgl.  b.i  Klolz  p.  298  Nr.  21   und  24. 

quod  queol  A  coqvendo  sumpsit  rrctgö/nninr.  Sic  et 
infra:  „sedido  vuynco  qvue  possum  pro  mca  sapientia.^'  Et 
Ciceronis  dictum  refertur  in  evm.  qvi  coqui  filivs  secum  causas 
ogebat:  Tu  quoque  aderas  causae.  Natn  apvd  vcteres  ,,coquus^' 
non  per  c  literatn,  sed  per  q  scribcbatur.  Donatus  ad  Terent. 
Adolph.  III.  3,  69.  Vgl.  den  ähnlichen  Scherz  bei  Ouintil.  VI, 
2,  47  (Klotz  p.  296  Nr.  8). 


40  Sitzuiiff  der  philos.-philol.  CUisse  vom  3.  Mai  1S62. 

Um  andere  Kleinigkeiten  zu  übergehen,  rügen  wir  noch 
einige  Fragmente  bei,  die  wir  bis  jetzt  weder  in  den  erhaltenen 
Schriften  Ciceros  noch  in  den  bisherigen  Fraanientensainndunaen 
gefunden  haben. 

„DociUs'\-  (loctiis;  lutis  doctoris  a  (Uscipvlo,  iuxla  hoc 
qtiod  Hl.  TiiJlius  Cicero  in  rhctoricis  dixit :  artium  magistros 
adferre  iaiidem  sive  viliiperalionem  discipulis,  rursiis  discipulos 
magistris.     Acro  ad  Horat.  carm.  III,  11,  1. 

Afexcresis  est  laline  exceptio ,  qvando  oliqtiid  a  generali 
complexione  distingniiniif;,  qnalis  est  illa  exceptio  Ciceronis: 
minus  me  commovil  hominis  summa  auctoritas  in  hoc  uno  ge- 
nere  dumtaxat;  nam  in  ceteris  egregie  commovit.  Anecdota 
Parisina  ed.  Eckstein  p.  4. 

Synchoresis  est  concessio  rei  olicuius,  vf  apud  Vergilinm : 
„esto:  Cassandrae  inpnJsus  fiiriis."'  Cicero:  do  tibi  hoc, 
concedo  tibi  et  remitto.     Ibidem  p.  6. 

Lndi  dcornm  sunt.  Cicero:  Cum  a  Uulis  contioiiem  advo- 
cavit,  Cerealia,  Floraiia  ludosque  Apoliinis  deorum  immortahum 
esse,  non  nostros.  Arusianus  Messius  p.  245  Lind. 

Deflexit  de  proposito.  Cic  Philipp.  XVI:  Laterensis  ne 
vesligium  quidcm  deflexit...  Ibid.  p.  225. 

Disceptata  Hs  est.  Cic.  Philipp.  XM:  non  est  illa  dissensio 
disceptata  hello.  Ibid.  p.  225. 

Doleo  vicetn  tuam ,  id  est,  propter  te  doleo.  Cicero  de 
domo:  rei  publicae  viccm  lugeo  (doleo?)  Ibid.  p.  222. 

Die  erste  dieser  vier  Stellen  aus  Arusianus,  für  die  wir 
eine  befrieditrende  Verbesseruntj  nicht  wissen,  fehlt  in  den  bis- 
herigen  Sannnlungen'%  weil  sie  erst  in  der  unbenutzt  geblie- 
benen Ausgabe  von  Lindemann  hinzugckonnnen  ist;  in  den  drei 
übrigen  ist  das  Citat  fehlerhaft. 

Übt  geniinata  u  litera  nominnfinis  est,  nomen  est,  non 
participittm,  vt  „fatutis ,   ingentius,  ardnus,  cardtius,  exiguus, 


(19)  Nr.  2  und  3  ist  in  der  2.  Orellisclien  Ausgabe  nacligetragen. 


Halm :  Eryänz-ting  der  Ciceronhchen  Fraymente.  41 

holuus",    vt  Cicero  dixit.    Augustinus  de  graiiimal.  p.  2002 
Putsch 

Euphonia,  id  est  svaritas  bene  sonandi,  adm'tssa  est  ad 
Latinum  scniwnein,  vt  aspera  temperet,  et  ab  arte  et  ratione^° 
reccsstim  est,  iibi  aspcrifas  o/fendebat  auditum.  Sic  Cicero  ait: 
iiiipetraluin  est  a  raliono,  ut  peccaro  suavilatis  causa  licerel. 
Ibid.  p.  2007 

Item  in  illo  exemplo,  cum  qnaeritnr  qnid  sint  inimicitiae, 
dicimus  inimicum  esse  enm  qni  aliquid  molitus  sit,  liac  Cicero 
coHatione  vtens  dicit  iiiiiiiicuin,  qui  facit  contra  omnium  rem, 
voluntatoni,  honoroni ,  dignitatcm.  Boelius  de  drfinilione 
p.  Gr)0  ed    Basil. 

In  nnmosijUabis  inspiciendum  est,  ntnim  ßnalis  longa  bre- 
visne  sit.  Si  enim  longa  est,  praeire  debet  tr och  actis,  ut  est  illnd 
Ciceronis''^ :  ,.nün  scripta  sed  naia  lex",  aut  ,, debet  esse  legum 
•n  re  publica  prima  vox.'  Martianus  Cape  IIa  V,  §.  520. 
p.  447  Kopp 

Kaum  ist  den  Fragmenten  boizurechneii  folgende  Stelle  des- 
selben Rhetors  V,  §.  508:  Cnius  (elocutionis)  Cicero  duo  quasi 
fundamenta .  duo  dicit  esse  lastigia.  Fundamenta  sunt  latineque 
(latine?)  loqui  planeque  dicere..,  fasligia  vero  sunt  copiose 
ornaleque  dicere.  Vgl.  Cic,  de  orat.  I,  32,  144.  Dass  sich  Cicero 
selbst  des  Ausdrucks  lastigia  elocutionis  bedient  habe,  erscheint 
höchst  zweilelhalt. 

Fretu:  Cicero  a  Gaditano  ,  irupiit ,  frelu.  Charisius 
p.  129  Keil. 

Irim  pro  Iridem  Maro  Aen.  Villi..  ,  cum  constet  omnia 
Graecae  ßgurae  nominativo  singviari  is  syllaba  trrminata 
genetivo  singulare  syllaba  crescere ,  licet  Varro  et  Tidlius  et 
Cincius  .  .  huius  Serapis  et  huius  Isis  dixerivt.     Ibid.  p.  132. 

Unsicher  ist  die  Stelle  des  Charisius  p.  210:  „Ileres  parens 
ho7HO^' ,   etsi  in  com,mvni  sexu  inlellcgantur,    tarnen  masculino 


(20)  et  ratione  2  codd.  Monacc.:  ex  ralioiie  v. 
{•II)  p.  Mil.  c.  i. 


42  Sitzuiuj  der  philos.-philol.  Classc  vom  3.  Mai  1862. 

gcnere  semper  dicuntur.  Nemo  enim  seaindam  hercdcm  dicit .  .  ., 
sed  mascvline,  tavictsi  de  feniitia  sermo  habealnr.  Nam  Marcus 
ait:  liorodos  ipsiis  seciiiidus,  welche  letzten  Worte  vielleicht  so 
zu  verhesseiii  sind:  heres  ipsa  secuiidus. 

„Manet  tc"' ,  ut  Vergilivs  .  .  .  idcm  tarnen  ,,haec  eadem 
matrique  ttiac  generiqve  manebnnV^  Cicero  :  tibi  poena  nianet. 
Dioiiiedes  p.  314  Keil.  Der  Name  Cicero,  wofür  die  übrigen 
Handschr.  cetero  haben,  wurde  erst  von  Keil  aus  dem  cod. 
Monac.  hergestellt.  Vgl    jedoch  die  Addeuda  bei  Keil  S.  610. 

TuJUiis  hoc  modo  eam  (artem)  definit:  Ars  est  perceptionum 
exercitalarnin  constructio  ad  unum  exitum  utilem  vitae  perli- 
nenlium.     ttiomedes  p.  421  Keil. 

Quom  illa,  qvae  nunc  in  mc  iviqna  est,  aequa  de  ine 
dixcril.]  jjiiiqiia  aequa'"'  naQovnftaoLu  sunt  Terenlianae.  Et 
bonum  ar(jutnentvm;  nam  .  .  inquit  et  Cicero  :  Te  ipso  teste 
iniquo  alque  improbo,  verum  ad  hanc  rem  satis  idoneo,  le,  in- 
qu.im,  teste  dicanj.  Donatus  ad  Terent    Hec.  IH.  5,  25. 

Crimen  proprie  dicitur  id  quod  falsum  est.  Cicero: 
Verum  tarnen  fac,  tametsi  criminosum  id  est ,  id  est  falsa  in- 
simulalio  est^^.     Idem  ad  Terent.  Hec    V,  2,   13. 

Quod  si  omnes  onmia  sua  consilia  conferant]  Hyperbole 
cum  paronomosia  „omnes  omnia"'  Ilinc  Cicero :  omnes  in  hoc 
iudicio  conferant  omnia.     Idem  ad  Ter.  Adelph.  IH,  2,  1. 

Vides  ergo  falsam  inteUegentiom  et  penitus  veritatem  sub- 
nhersam.  Unde  illud  in  Pisonem :  putavi  gravem :  video  adnl- 
terutn,    video  ganeonem.     Grillius  ad  Cic.  de  invent    fol.  20. 

Ea  enim  quae  inventa  fuerint  non  debent  confuse  dici, 
sed  suo  quoque  componi  ordine.  unde  ipse:  meque  meum  di- 
cendi  ordinem  servare  patianu'ni.  Idem  fol.  22. 

Moralis  argumcntatio  de  natura  hominum  vel  morum  con- 


{Ti)  Viciieidit  i.st  zu  scl)ii'il)cn:  „Verum  tanicii  fac,  tametsi  crimi- 
nosum, i(i  est  TaUa  insimuliitio  est",  so  dass  die  ganze  Stelle  dem  Cicero 
angcliürte. 


Halm:  Eryäm-tiny  der  Cicerouischen  Fraymente.  43 

suchidivc  (lucilur,  nt  Cicero :  liic  ego  dubileiii  in  eaiii  disputa- 
lionein  ingnnli,  qiiiic  ducaliir  (\\  natura  honiinuin  alquo  onniiuni 
sensibus?''  et  ofnnia  qnae  scquuntur.  Julins  Scverianus 
p.  342  Cajiper.  (liic  —  —  ingredi  l'iilirt  auch  Grillius 
Ibl.  10  an)^\ 

Ihmiiiiatio  gcncf'is  fcminhn,    nt  plcniniquc ;   jnasrvJini   M 
Tvilius  de  re  publ.  Hb.  I  ...  et  de  officiis  lib.  I :  qnoruin  est 
levis   fructus,    incerlus  domiiialus.    Nonius   p.  203.     Die  Stelle 
findet  sich  nicht  in  den  Büchern  über  die  Pfliclilen.  so  dass  ent- 
weder das  Citat  des  Nonius  unrichliff  oder  die  betreflende  Sielle 
ausgefallen  ist. 

Proiecluin  subtrarlvtii.  M.  Tvlh'vs  in  Philippicis  lib.  IUI: 
qui  hoc  senalus  consullo  lacto  clani  te  ex  urbe  proieceris  ^*^ 
Ideni  p.  373.  Die  Steile  >sleht  in  der  cilierten  Rede  nicht. 
Dasselbe  ist  der  Fall  in  dem  nächsten  Bruchstück. 

Ti  tu  bare  trcpidare.  M.  TuJJius  PhiJippicarnm  lib.  XIIII: 
titubare,  haesilare,  quo  se  verteret  nescire.  Idein  p.  1(S2.  Oder 
liegt  hier  ein  Dichterfraoinenl  vor? 

Unicviqne  litterae  Iria  arcidnnt:  nomm ,  ßgnra ,  potestas. 
f^omcn  est,  ut  scias .  qno  modo  nominetnr:  A,  B,  C  hoc  est 
nomcn.  Et  genere  nentro  legivius  literas.  Legistis  in  Cicerone: 
mvlnsqne  alteram  R  Uteram  noti  declinis ,  nnde  ilhid  in  quae- 
stionetn  venit,  sigmitta,  sigma ,  signiatis  habet  ßgnrani  etc. 
Pompeii  Comnientuni  artis  Donati  p.  33  Lindem.  Eine  Ver- 
besserung dieser  unverständlichen  Stelle  wird  ohne  neue  hand- 
schriftliche Mittel  kaum  möglich  sein. 

Uaec  quidem  translatio  tcmporuni,  qnae proprie  f^utä'jraaig 
dicitur,  in  öiaivnwaeL  verecundior  apvd  priores  fnit.     Prae~ 


(23)  Aiicli  (las  kleine  Fraf^iiu'iif  bei  (Ipin.soll)cn  Rhctor  p  .340  Capp. 
„Fama  rel  opinio,  ut  Cicero:  Opinio  fuit  (luplcx,  uiia  noii  abliorreiis 
a  statu  naturaquc  rerum  et  reliqua'"  ist  viclleiclit  ein  neues;  wenigstens 
fand  ich  es  nocli  nicht  in  den  erhaltenen  Schriften. 

(24)  so  nach  unserer  Verniulhung;  die  Handschriften:  quid  hoc  S 
(•.  facit  clam  te  ex  urbe  proieceris. 


44  Sitzutiff  der  philos.-phüol.  Clnsse  vom  3.  Mai  1^8. 

poncbant  cnim  talki  ..credite  vos  infueri^'  ni  Cicero:  Haco, 
quae  non  vidislis  oculis,  animis  cernere  polestis.  Ouintilianus 
Inst.  orat.  IX,  2,  41. 

Vt  Cicero  dicit,  isti  scripserunt  apvd  Graecos  (de  com- 
pnsitioiie  et  numeris  et  pedihus  oratoriis):  Thrasymachvs, 
ISaucrates,  Gorgias,  Ephorus,  Isocrates,  Theodectes,  Aristoteles, 
Tkeodorus  Byzantivs ,  Theophrastus ,  Uieromjmm.  Rufini 
versus  de  conipos.  et  metr.  orat,  in  Schol.  Cic.  I,  191. 

Intonsos  rigidam  in  frontem  descendere  canos  Passus 
erat]  Tnllius  dicit  quod  mundus  iste  regitur  opinione;  nam 
Arnicniis  asperrima  et  dedecorosa  poena  est  auferre  barbam. 
Scholiastes  Lucani  ad  II,  375. 

Jam  nunc  te  per  inane  chaos,  per  tartara  coniux,  Si 
sunt  Ulla,  sequar]  Secundunii  eos  dicit,  qui  argumentantur 
omnia  ßcta  esse,  quae  de  infcris  dicuntur.  Dicunt  enim  quod 
terra  solida  sit  et  nuUam  concavitateni  possit  admittere ,  ut 
Cicero.     Idem  ad  IX,  102". 

Faucibus  orci]  Deum  posuit  pro  loco,  ut  „Jovem"  di- 
cimus  et  „aeretn""  signißcamus  .  .  Orcum  autern  Plulonem  dicit 
.  .  Orcus  idem  est  Pluton,  ut  in  Verrinis  (IV,  §.  111)  indicat 
Cicero  .  .  Alibi  ait:  quia  Dilein  patrein  eniersisse  ab  inferis 
putant.     S  er  vi  US  in  Verg.  Aen.  VI,  273. 


(25)  Das  kleine  Fra^meiil   ebendaselbst  zu   IV,   819  „cum   sis   post 
mortem  sine  momento  futurus"  hat  Orelli  in  der  2.  Ausg.  nachgetragen. 


Scliönbein:    Erzeiiyuiiy  des  sa/petn'chten  Ammoniakes,         45 


lAIathcmalisch  -  physikalische  Classe. 

Silzuiij»;  vom   10.   Miii  1802. 


Herr  Peilen  kofor  berichtete  über  einen  Aufsatz  dos 
Herrn  Scliönbein: 

„lieber  die  Erzeugung  des  salpetr  ich  ton  Am- 
moniakes aus  Wasser  und  atmosphärischer 
Luft  unter  dem  Einflüsse  der  Warme." 

Es  \vurd(!  in  einem  Vortrage,  den  ich  im  April  vorigen 
Jahres  vor  der  Akademie  im  Liebig'schen  Laboratorium  zu  hal- 
ten die  Ehre  hatte,  von  mir  gezeigt,  dass  bei  der  langsamen 
\  erbrennung  des  Phosphors  in  wasserhaltiger  almosphiirisiher 
Luft  salpelriclitsaures  Anunoniak  entstehe  und  aus  dieser  Tliat- 
sache  der  Schluss  gezogen,  dass  unter  den  erwähnten  l'mslän- 
den  besagtes  Salz  aus  Wasser  und  atmosphärischem  SlickstolTe 
gebildet  werde. 

Auch  theilte  ich  der  Akademie  die  weitere  Tlialsachc  mit, 
dass  meinen  zahlreichen  Beobachtungen  gemäss  alles  aus  der 
Atmosphäre  fallende  Wasser  kleine  Mengen  Ammoniaknitiiles 
enllialle,  daran  die  Bemerkung  knüpfend,  dass  thalsächliche 
Gründe  vorlägen,  die  nnch  zu  der  Annahme  berechtigten:  es 
habe  das  in  der  Luft  fortwährend  vorkonnnende  Nitrit  noch  eine 
andere  Ouö'h;.  als  das  bei  der  Fäulniss  slickslolThaltigcr  orga- 
nischer Materien  sich  bildende  Anunoniak .  und  die  unter  elec- 
Irischem  Einfluss  aus  almosphiüischem  Stick-  und  Sauerstoll'  ent- 
stehende salpetrichte  Säure. 

Ich  nehme  mir  nun  die  Fieiheit,  die  Akademie  mit  einer 
Reihe  von  Thatsachen  bekannt  zu  machen,  welche  nach  meinem 
Ermessen  die  Richtigkeil  nunner  damaligen  Andeutungen  ausser 
Zweifel  stellen    und  zeigen   werden,    dass  es   eine    allgemeine, 


46  Sitzung  der  titaiU.-phys.  Classe  vom  10.  Mai  1862. 

höchst    inorkwürdige   und  bisher   giinzlich  U!il)ckannl  gebliobene 
EiitsU'hiiiisjsweise  des  Aminoniakiiiliiles  gebe. 

Da  dieses  Salz  unter  dem  Einflüsse  der  Wärme  so  loic\\[ 
in  Wasser  und  Stickgas  sidi  umsetzt ,  so  hielt  ich  es  schon 
längst  für  wahrscheinlich,  dass  dasselbe  unter  geeigneten  Um- 
ständen auch  aus  den  beiden  letztgenannten  Materien  gebildet 
werden  könne  und  in  dieser  Vermuthung  musste  mich  die  Ent- 
deckung der  Thatsaclie  bestärken,  dass  bei  der  langsamen  Ver- 
brennung des  Phosphors  in  wasserhaltiger  Luft  wirklich  auf 
diese  Weise  Ammoniaknitrit  entsteht.  Und  die  weitere  That- 
sache  ,  dass  nicht  selten  unter  anscheinend  gleichen  Umständen 
dieselben  Verbindungen  wie  zersetzt  so  auch  gebildet  werden, 
liess  es  mir  möglich  erscheinen,  dass  unter  <lem  Einflüsse  der 
Wärnie  aus  Wasser  und  Stickgas  salpetrichtsaures  Ammoniak 
ebenso  gut  entstehen  könne,  als  das  schon  fertig  gebildete  Salz 
in  jene  Materien  zerfällt,  üb  nun  das,  was  nach  den  gewöhn- 
lichen Vorstellungen  als  chemische  Unmöglichkeil  gelten  dürfte, 
dennoch  Wirklichkeil  sei,  mögen  die  nachstehenden  Angaben 
zeigen. 

Man  erhitze  einen  ofTenen  Platinliegel  gerade  so  stark,  dass 
ein  auf  den  Boden  desselben  gefallener  \A'assertropfen  sofort 
aufdampft,  ohne  noch  das  Lcidenfrost'sche  Phänomen  zu  zeigen 
und  lasse  nun  tropfenweise  reinstes  Wasser  in  den  Tiegel  fallen 
so  nämlich,  dass  innner  die  vollständige  Verdampfung  der  Flüs- 
sigkeit abgewartet  wird,  bevor  man  einen  neuen  Tropfen  in  das 
erhitzte  Gefäss  einführt.  Hält  man  nun  über  den  unter  diesen 
Umständen  gebildeten  Dan)pf  die  Mündung  einer  kalten  Flasche 
so  lange,  bis  darin  einige  Giannne  Wassers  sich  gesanunelt 
haben,  so  wird  man  finden,  dass  diese  Flüssigkeit,  mit  einigen 
Tropfen  verdünnter  SO 3  angesäuert,  jodkalinudialtigen  Kleister 
zu  bläuen  vermag.  Ich  darf  jedoch  hier  nicht  unbemerkt  lassen, 
dass  unter  anscheinend  vollkommen  gleichen  Umständen  nicht 
immer  ganz  gleiche  Ergebnisse  erhalten  werden.  Bei  einem 
Versuche  wird  das  aus  dem  nam[)fe  entstandene  Wasser  so 
sein,  dass  es  unter  Mithilfe  verdünnter  Schwefelsäure  den  Jod- 


Schönbein:    Ert-eugimy  des  salpelricltten  Aninioniakes.  47 

kiiliiimkleisler  süfort  tief  bliiut,  bei  einem  zweilen  Versuche 
kiimi  man  ein  Wasser  erliülten ,  welches  die  besagle  Reaction 
zwar  auch  hervorbringt,  uber  in  einem  schwachem  Grade  und 
es  tritt  bisweilen  auch  der  Fall  ein,  dass  das  Wasser  eine  kaum 
merkh'che  Wirkung  auf  das  Hcagens  hervorbringt.  Wodurch 
diese  Ungleichheit  der  Ergebnisse  herbeigeführt  wird  ,  weiss  ich 
zwar  noch  nicht  anzugeben;  wahrsclniinlich  ist  aber,  dass  sie 
uiil  Temperaturverscliiedenheiten  des  Gefiisses  zusammenhängt, 
in  welchem  der  Dampf  erzeugt  wird,  da  sicli  kaum  dai'an  zwei- 
feln iiisst ,  dass  es  einen  bestimmten  Wiirmegrad  gebe,  welcher 
der  Bildung  unserer  oxidirenden  Materie  am  giinsligslen  ist. 
Hat  man  es  gelroflen,  ein  Wasser  zu  erhallen,  wclch(!S  den  an- 
gesäuerten Jodkaliumkleister  sofort  tief  zu  bläuen  v(M-mag,  so 
entbindet  dasselbe  auch,  in  einem  kleinen  Gefäss  mit  Kalihydrat 
zusannuengebracht,  so  viel  Ammoniak,  dass  dadurch  befeuch- 
tetes Curcuniiipapier  noch  deutlich  gebräunt  wird  oder  um  ein 
mit  Salzsäure  benetztes  Glasstäbchen  wahrm^hmbare  Nebid  ge- 
bildet wei<len.  Ilier.ius  ersieht  man,  dass  diese  beiden  Reac- 
tionen :  Bläuung  des  Jodkaliumkleisters,  Bräunung  des  Curcunia- 
pajncres  u.  s  w.  schon  deuliich  genug  auf  die  Anwesenheit 
kleiner  Älenyen  Ammoniakuilritcs  in  dem  fraglichen  Wasser 
hindeuten.  Wir  wi^rdon  jedoch  i>ald  noch  andere  Thatsacheu 
kennen  lernen ,  welche  keinen  Zweifel  darüber  walten  lassen, 
dass  unter  den  erwähnten  l^mständen  das  genannte  Salz  ent- 
stehe und  von  ihm  di(^  auijesfebeneu  Reactioncn  herriUu'en.  Man 
könnte  vielleicht  vermuthen,  dass  das  Platin  als  solches  mit 
dieser  Nitrilbildung  etwas  zu  thun  habe;  dem  ist  aber  keines- 
weges  so,  wie  aus  der  Thatsache  hervorgeht,  dass  unter  sonst 
irloichen  linständen  die  nändichen  Hlrtiebnisse  erhalten  werden: 
üb  man  einen  l'latintieg(;l,  oder  silberne,  kupferne,  eiserne, 
thönerne  u.  s.  w.  Gelasse  zur  Dampferzeugung  anwende,  wie 
ich  mich  hievon  durch  zahlreiche  Versuche  zur  Genüge  über- 
zeugt habe.  Ich  erlaube  mir,  zwei  Proben  solchen  nitrilhaltigeii 
Wassers  beizulegen,  wovon  die  eine  durch  die  Verdichtung  des 
in   einem  Piatinliegel  gebildeten  Dampfes  erhallen   wurde,   die 


48  Sitzung  der  math.-  phys.   Classe  vom  10.  Mai  1862. 

andere  aus  Dampf,  in  einem  Silberliegel  erzeugt,  welche  beide, 
mit  verdünnter  Schwefelsäure  versetzt,  den  Jodkaliiimkleisler  lief 
bläuen. 

Von  der  unter  den  erwähnten  Umständen  erfolgenden  Ni- 
Iritbildung  kann  man  sich  sehr  rasch  und  leicht  durch  folgenden 
Versuch  überzeugen.  Ist  ein  mit  Wasser  befeuchteter  Streifen 
Ozonpapieres  kaum  einige  Minuten  lang  über  dem  auf  die  be- 
schriebene Weise  erzeugten  Wasserdampf  gehalten  worden,  so 
enthält  er  schon  so  viel  Nitrit,  um  beim  Benetzen  mit  verdünnter 
Schwefelsäure  sich  deutlich  zu  bläuen,  welche  Färbung  das 
gleiche  Reagenspapier  ohne  diese  vorausgegangene  Uampfein- 
wirkunsr  selbstverständlich  nicht  zeiüt. 

Auch  lässt  sich  der  Versuch  so  anstellen,  dass  man  einen 
mit  deslillirlem  Wasser  getränkten  Streifen  Fillrirpapieres  einige 
Minuten  in  den  besagten  Dampf  hält  und  dann  mit  einigen 
Tropfen  angesäuerten  Jodkaliunddeisters  übergiesst,  unter  wel- 
chen Umständen  Letzlerer  mehr  oder  minder  stark  gebläut  wird. 

Zur  Darstellung  grösserer  Mengen  solchen  iiitrithaltigen 
Wassers  dient  am  besten  eine  geräumige  kupferne  Blase,  wie 
man  sie  in  Laboratorien  zum  Bchufe  der  Destillation  des  Wassers 
zu  haben  pflegt,  mit  deren  Hilfe  die  besagte  Flüssigkeit  in  kur- 
zer Zeit  maassweise  sich  erhalten  lässt.  Zu  diesem  Zwecke  er- 
lütze  ich  erst  die  Blase  (durch  ihren  Helm  mit  dem  Rohre  des 
Kühll\)sses  verbunden)  so  stark,  dass  eingespritztes  Wasser  mit 
heftigem  Zisihen  sofort  aufdampll.  Giessl  man  nun  durch  das 
bis  auf  den  Boden  der  so  beumständeten  Blase  gehende  Rohr 
je  auf  einmal  nur  kleine  Mengen  reinsten  Wassers  und  wartet 
man  mit  dem  Zugiessen  neuer  Flüssigkeit  jedesmal  ab,  bis  das 
in  der  Blase  vorhandene  Wasser  verdampll,  d.  h.  überdestillirt 
ist,  so  erliält  man  in  kurzer  Zeit  merkliche  Mengen  einer  farb- 
losen und  vollkonunen  neutralen  Flüssigkeit,  welche  folgende 
Eigenschaften  besitzt: 

1)  Mit    verdünnter   Schwefelsäure   versetzt,    färbt    sie    den 
Jodkaliumkleisler  augenblicklich  auf  das  Tiefste  blau. 

2)  Durch    Kaliperman^anallösung    merklich    stark    gerölhet 


Schönhein  :    Eiteuyiiny  des  sal])eirichten  Ammoniakes,         49 

und  mit  verdiiiinler  SO3  etwas  angesäuert,    entfiirbt  sie 
sich  bei  der  Erwärmung  sehr  rasch. 

3)  In  emcr  Flasche,  mit  verliältnissmiissig  viel  Kahhydrat 
zusammengebracht,  entbindet  sie  Ammoniak,  wie  daraus 
erhellt,  dass  ein  in  diesem  Gefäss  aufgehangener  feuchter 
Streifen  gelben  Curcumapapieres  sich  bald  auf  das  Deut- 
lichste bräunt  und  um  ein  in  die  gleiche  Flasche  einge- 
führtes und  mit  Salzsäure  benetztes  Glassläbchen  die  be- 
kannten Nebel  bilden. 

Werden  grössere ,  mit  ein  wenig  Kali  versetzte  Mengen 
unserer  Flüssigkeit  bis  zur  Trockniss  eingedampft,  so  lassen  sie 
einen  kleinen  Rückstand ,  welcher  alle  Eigenschaften  eines  Ni- 
trites  besitz! :  Entbindung  rolhbrauner  Dämpfe  beim  Uebergiessen 
mit  Vitriolöl,  kräftigste  Entfärbung  der  mit  SO3  angesäuerten 
Kalipermanganatlösung  u.  s.  w. 

Werden  grössere  Mengen  des  mit  einiger  SO 3  vermischten 
Wassers  eingedampft,  so  bleibt  ein  kleiner  Rückstand,  aus  wel- 
chem Kaliliydral  so  viel  Annnoniak  entwickelt,  dass  dasselbe 
schon  am  Geruch  auf  das  Deutlichste  erkannt  wird. 

Alle  diese  Thatsachen,  denke  ich,  beweisen  auf  das  Schla- 
gendste, dass  das  in  Rede  stehende  Wasser  salpetrichtsaures 
Wasser  enthalte;  ich  dnrf  aber  auch  hier  nicht  unbemerkt  lassen, 
dass  das  zu  verschiedenen  Zeiten  unter  den  erwähnten  und  an- 
scheinend ffleichen  UmsläiubMi  erhaltene  Destillat  durch  seinen 
Nitritoehall  keinesweffs  innner  sich  gleich  bleibt.  Das  einemal 
ist  es  so  reich  daran ,  dass  z.  B.  ein  Raumlheil  desselben  mit 
500  Theilen  reinen  \^'assers  vermischt  und  einiger  SO3  versetzt, 
zuffefütrtcn  Jodkalinnddeisler  noch  bis  zur  Grenze  der  Undurch- 
sichtigkeit  tief  bläut,  wie  z.  B.  dasjenige  ist,  wovon  ich  eine 
Probe  beigelegt  habe.  Ein  andermal  enthält  das  deslillirle  Wasser 
eben  nur  noch  nachweisbare  Spuren  des  Nitrites,  ja  es  tritt 
bisweilen  sogar  der  Fall  ein,  dass  selbst  diese  fehlen.  Wie 
schon  weiter  oben  bemerkt  worden,  bin  ich  geneigt  die  Ver- 
schiedenheit dieser  Ergebnisse  Temperaturunterschieden  des 
\mi.  n.]  4 


50  SitzHtiff  der  mnth.-phyi.  Classe  vom  10.  Mai  1862. 

Dampf bildungsgefasses   beizumessen,    welche   bei  den   besagten 
Versuchen  unvermeidlich  sind. 

Auf  die  Frage :  Wie  oder  aus  was  unter  den  erwähnten 
Umständen  das  salpetrichtsaure  Ammoniak  sich  bilde,  weiss 
ich  keine  andere  Antwort  zu  geben,  als  diejenige,  welche  schon 
oben  angedeutet  worden.  Ich  halte  nämlich  dafür,  dass  Stick- 
stoff und  Wasser  unter  dem  Einflüsse  der  Wärme  zu  diesem 
Salze  zusammentreten  und  bin  der  Meinung,  dass  die  Erzeugung 
desselben  nur  auf  diese  und  keine  andere  Weise  denkbar  sei. 
Gegenüber  einer  bessern  Erklärung  werde  ich  jedoch  meine 
jetzige  Ansicht  fallen  lassen.  Älöglich  ist,  dass  der  atmosphä- 
rische Sauerstoff  dabei  eine  Rolle  spiele,  obwohl  schwer  einzu- 
sehen, welche.  Würde  diess  nicht  der  Fall  sein,  so  müsste 
unter  geeigneten  Umständen  Ammoniak  aus  blossem  Stickstoff 
und  Wasser  gebildet  werden  können,  worüber  spätere  Versuche 
Aufklärnng  geben  werden. 

Wenn  es  nun  Thatsache  ist,  dass  unter  Mitwirkung  der 
Wärme  aus  Wasser  und  atmosphärischer  Luft  salpelrichlsaures 
Ammoniak  erzeugt  wird,  so  versieht  es  sich  von  selbst,  dass 
auch  bei  der  VcMbrennung  der  Köiper  in  dieser  Lull  das  gleiche 
Salz  entstehe,  weil  bei  derselben  alle  Bedingungen  für  eine 
solche  Nitritbildung  erfüllt  sind:  Vorhandensein  von  Wasser,  at- 
mosphärischer Luft  und  Wärme. 

Schon  der  fein  beobachtende  Theodor  von  Saus sure  fand, 
dass  bei  der  Verbrennung  des  Wasserstoffes  in  stickgashaltigem 
Sauerstoff  ausser  der  salpetrichten  Säure,  welche  der  Genfer 
Gelehrte  fiir  Salpetersäure  hielt,  auch  Anunoniak  sich  erzeuge 
und  in  einer  im  Jahre  1845  von  mir  verfassten  akademischen 
Festschrift,  die  damals  gedruckt  wurde  nnt  dem  Titel:  ,,Ueber 
die  langsame  und  rasche  Verbrennung  der  Körper  in  atmosphä- 
rischer Luft'  zeigte  ich,  dass  bei  der  Verbrennung  der  Kohlen- 
wasserstolfe ,  Fette  u.  s.  w.  eine  oxidirende  Materie  zum  Vor- 
schein konune,  welche  die  Indigolösung  zu  zerstören,  den  Jod- 
kaliumkleister zu  hläuen  und  noch  andere  Oxidationswirkungen 
hervorzubringen   vermöge.    Da   ich  zu  jener  Zeil  die  so  era- 


Schönbein  :  Evzeuytmy  des  salpetrichten  Ammoniakes.  5| 

pfindliclien  Reagentien  auf  die  Nitrite  noch  nicht  gefunden  hatte, 
welche  mir  jetzt  zu  Gebot  stehen,  so  nuissle  ich  damals  noch 
uiioiitschieden  lassen ,  ob  das  fragliche  oxidironde  Agens  sal- 
petrichle  Saure,  was  ich  für  möglich  erkliirt,  oder  etwas  an- 
deres sei. 

Heute ,    da    wir   in    dieser  Hinsicht  im  Besitze  feinerer  und 
zuverlassig(>rer  Mittel  sind ,    ist  es  leicht ,    die  bei  der  besagten 
Verbrennung   slatlfindende  Nitritbildung    auf   das  Augenfälligste 
nachzuweisen,    und  nach  meinen  Eifaiirinigen  eignet  sich  hiezu 
am  besten  die  Holzkohle.     Zu  diesem  Behufe  bediene  ich   mich 
eines  cylindrischen  aus  Eisenblech  verfertigten  Ofens   von    etwa 
2'  Höbe  und  9"  Weite ,    unten    mit  einem  Roste  und  mehreren 
OetTiiungen    verscihen.    durch  welche   die   iiussere    Luft   in    den 
Brennraum  strömen    kann.     Das   obere  Ende  des  Ofens   ist  mit 
einem  Deckel   verschliessbar    und    etwa   2"  unterhalb  desselben 
befindet   sich   ein   4"  langes   und    \"   weites,   wagrecht  einge- 
setzt(!S   Rohr,    durch    welches    der    erhitzte    Luftstrom    austritt. 
Leitet  mau  Letztern  in  (mmo  Vorlage,  etwa   100  Gramme  Wassers 
enthaltend,    so   wird    die  F'lüssigkeit   schon   nach    ein(M'   Viertel- 
stunde  so   viel    Ammoniaknitril    enthalten,     dass    si(!.     mit   SOg 
schwach  angesäuert,  den  Jodkalinmkleister  sofort  deutlich  bläut, 
wie   auch   die  übrioen  Nitritreactionen  hervorbrinot.     Lässt  man 
den   erhitzten  Luftstrom   einige  Stunden   lang  in   die  kiihlgehal- 
tene  Vorlaae  treten,   so    wird   das   darin  enthaltene  Wasser  mit 
dem  besagten  Aunnoniaksalze   so    stark   beladen   sein,    dass   es 
die   Reactionen    desselben    in    augenfälligster   Weise    verursacht: 
tiefste  BUiuuuff  des  aiiiresäuerlen  Jodkaliuuddeisters,    d(!Utlichste 
Entbindung   von   Ammoniak    milleist  Kalihydrales   u    s.  w. ,    wie 
die  beiiieleale  Probe   diess    zeiu-eu  wird.     Ich  muss  jedoch  bei- 
fügen,  dass  um  ein  solches  Ergidmiss  zu  erhallen,  das  Kohlenfeuer 
nicht  zu  heftig,  d.  h.  der  obere  Theil  des  Ofens  nicht  zu  stark 
erhitzt  sein   darf,    weil  sonst  das   Anunoniaknilrit   wieder    zum 
grössern   Theile,    wo    nicht   gänzlich    sich  zersetzte.     Man    darf 
desshalb  auf  einmal  nicht  mehr  Kohlen  anwenden,  als  nölhig  die 
Verbrennung   derselben   zu   unterhalten.     In    meinem   Oefelchen 

4* 


52  Sit-iunt/  der  ttial/i.-p/it/s.  Classe  vom  10.  Mai  1862. 

lasse  ich  höchstens  ein  Pl'und  Kohle  auf  einmal  brennen.  Mit 
dem  bezeichneten  Umstände  hängt  unstreitig  auch  die  Thatsache 
zusammen,  d.iss  anräiigiich,  wo  der  obere  Theil  des  Ofens  noch 
wenig  erhitzt  ist,  mehr  Nitrit  erhalten  wird,  als  später. 

Dass  bei  der  Verbrennung  der  Fette,  des  Leuchtgases 
u.  s.  w  salpetrichtsaures  Ammoniak  entstehe,  habe  ich  vor 
einioer  Zeit  dem  Herrn  Präsidenten  der  Akademie  brieflich  mit- 
gelheilt,  wesshidb  ich  hier  nur  noch  die  Angabe  beifüge,  dass 
nicht  unbcirächlliche  Mt-ngen  dieses  Salzes  durch  (h'e  Schorn- 
steine gehen,  welche  den  von  der  Verbrennung  i\es  Holzes  her- 
rührenden Rauch  abführen.  In  dem  Iiöhern  Theile  des  Kamins 
unseres  Museums,  wo  nur  Holz  gebrannt  wird,  liess  ich  einen 
grossen,  mit  destillirtem  Wasser  geti'änkten  Schwanun  zwölf 
Stunden  lang  hängen,  worauf  derselbe  ausgepresst.  eine  neutrale 
Flüssigkeit  lieferte,  welche  die  Reactionen  des  Ammoniaknitrites 
in  einem  ausgezeichneten  Grade  hervorbrachte,  wie  diess  die 
beigeffebene  Probe  darthun  wird. 

Auch  bei  der  Verbreimung  i\^v  Steinkohlen  erzeugt  sich 
salpetrichlsaures  Annnoniak;  da  dieselben  aber  inuner  Schwefel- 
kies mit  sich  führen,  so  IritI  dabei  schweflichte  Säure  auf,  welche 
mit  dem  Nitrite  nicht  znsanunen  bestehen  kann.  Es  bildet  sich 
unter  diesen  Umständen  Schwefelsäure,  wch^he  mit  dem  Annnoniak 
verbunden  durch  den  Rauchfang  geht.  Je  nachdem  die  Stein- 
kohlen mehr  oder  wiMiigcr  Schwefeleisen  einschliessen,  je  nach- 
dem wird  auch  der  durch  ihre  Verbrennuno-  crzeuote  Rauch 
entweder  gar  kenn  Niiiit,  oder  davon  weniger  oder  m(!hr,  im- 
mer aber  schwefelsaures  Annnoniak  enihallen.  In  einem  Schorn- 
steine, durch  welchen  Ranch  eines  Sieinkohlenfeuers  geht,  liess 
ich  ebenfalls  einen  mit  destillirtem  Wasser  ffelränkten  Schwamm 
einen  halben  Tag  lang  hängen  und  fand,  dass  das  aus  ihm  ge- 
pres.sle  Wasser  merkliche  Mengen  Annnoniaksulfates,  aber  auch 
einiges  salpetrichtsaure  Ammoniak  enthielt,  wie  diess  die  beige-- 
legte  Probe  zeigen  wird. 

Unschwer  begreift  sich,  dass  bei  der  Verbrennung  gewisser 
Kor|)er  kein  Ammoniaknilrit  zum  Vorschein  konunen  kann,  selbst 


Schönhein  :  Erzeiujtiiiff  des  salpetrichten  Ammoniakes.         53 

wenn  dabei  das  Salz  anriinolidi  entstünde  und  dieser  Fall  ein- 
treten muss,  wenn  der  BrennstülF  mit  dem  Sauerstoff  eine  kräf- 
tioe  Säure  bildet;  denn  unter  solclien  Umstünden  wird  Letztere 
mit  dem  Annnoniak  des  Nilrites  sich  verbinden  und  NO3  aus- 
treiben. 

Einen  Körper  dieser  Art  haben  wir   im  Phosphor,    welcher 
bekanntlich    bei    seiner   raschen  Verbreminng  zu    Phospliorsaure 
sich  oxidirt.    Bildet  sieh  nun  bei  der  Verbrennung-  des  besagten 
Elementes  in  wasserhaltiger  atmosphärischer  Luft  wirklich  einiges 
Annnoniaknitrit,  so  wird  die  unt(!r  diesen  Umständen  entstehende 
Phosphorsäure  auch  etwas  Ammoniak  enthalten  niiissen  und  der 
Versuch   lehrt,    dass   dem  so  ist.     Verbrennt  man  je  auf  einmal 
nur  ein  kleines  Stückchen  Phosphors  innerhalb  einer  mit  atmo- 
sphärischer Luft  gefüllten  Glasglocke  ,  die  auf  einem  mit  destil- 
lirtem   Wasser    biHJeckfen    Porcellanteller    steht   und  wird  diese 
Operation    so    oft  wiederholt,   bis  das  Wasser  des  Tellers  stark 
sauer  geworden,    so  entbindet   aus   dieser  Flüssigkeit  das  Kali- 
hydrat nachweisbare  Mengen  Ammoniakes,    wie    die    beigelegte 
Probe  diess  beweisen  wird.     lUihrt  aber  dieses  an  PO5  gebun- 
dene Ammoniak    von    dem    unter    dem  Einflüsse    der   Verbren- 
nuno-swärme  aus  wasserhaltiger  Luft  gebildeten  Ammoniaknitrite 
her,    so   wird   PO 3   durch   die  Phosphorsäure  als  NO,  und  NO4 
ausgeschieden  werden,  spurweise  wenigstens  in  der  Glocke  sich 
verbreitend.     Und  dem  ist  auch  so,   wie  ich  aus  der  Thatsache 
zu  schliessen  geneigt  bin,  da.ss  ein  mit  Was.ser  benetzter  Strei- 
fen jodkaliumhaltigen  Stärkepapieres,    in    dem   obern  Theile  der 
Glocke    angeklebt,    sich   bläut,    nachdem   in   derselben  mehrere 
Male  kleine  Stückchen  Phosphors  verbrannt  sind  ,    welche  Wir- 
kung die  Phosphorsäure  unter   diesen  Umständen    nicht   hervor- 
bringen kann.    Wie  man  leicht  einsieht,  kann  auch  einem  Theile 
des    frei    gewordenen    NO,    d(M-   Sauerstoffgehalt    durch   den   in 
Verbrennung  begriflenen  Phosphor  entzogen  werden 

Bekanntlich  fängt  das  Arsen  an,  bei  einer  Temperatur  von 
etwa  200**  in  der  atmosphärischen  Luft  langsam  zu  verbrennen 
und  nach   Art    des   Phosphors    im   Dunkeln    zu    leuchten,    und 


54  Sitztint/  der  »latli.  -phi/s.  Classe  vom  iO.  Mai  1862. 

meine  Versuche  zeigen,  dass  unter  diesen  Umstanden  merkliche 
Mengen  Aninioniakes  zum  Vorschein  konunen.  Hat  man  ein 
Stück  des  besagten  Stoffes  so  stark  erhitzt,  dass  es  zu  rauchen 
beginnt  und  den  bekanntem  Geruch  nach  Knoblauch  entwickelt, 
so  bringe  man  dasselbe  unter  eine  geraumige,  mit  atniosphäri- 
scher  Lult  gefüllte  Glasglocke,  welche  auf  einem  mit  Wasser 
bedeckten  Porcellanteller  ruht.  Da  nach  ciniorer  Zeit  diese  Ver- 
brennung  aufhört,  so  fache  man  dieselbe  durch  gehörige  Er- 
hitzung des  Arsens  immer  wieder  an  und  hat  man  diese  lang- 
same Verbrennung  einige  Stunden  hindurch  unterhalten,  so  wird 
das  Wasser  des  Tellers ,  welches  nun  merklich  sauer  reagirt, 
nicht  nur  arsenichte  Säure  nebst  kleinen  Meng-en  Arsensäure, 
sondern  auch  noch  Ammoniak  enthalten,  wie  daraus  erhellt,  dass 
feuchtes  Curcumapapier,  in  einem  kleinen  Fläschchen  aufgehan- 
gen ,  in  welchem  das  besagte  Wasser  mit  Kalihydrat  zusannnen 
gebracht  worden,  bald  auf  das  Stärkste  sich  bräunt  und  kaum 
ist  nöthig  beizufügen ,  dass  um  ein  mit  Salzsäure  benetztes  und 
in  das  gleiche  Gel'äss  eingeführtes  Glasstäbchen  die  bekannten 
Nebel  entstehen.  NO3  ist  in  dieser  Flüssigkeil  nicht  enthalten, 
wie  ich  auch  kein  solches  in  der  Verbrennung.sglocke  entdecken 
konnte,  woraus  wahrscheinlich  wird,  dass  dasselbe  unmittelbar 
nach  seiner  Entstehung  entweder  durch  das  verbrennende  Me- 
tall oder  die  dadurch  entstehende  arsenichte  Säure  o.xidirt  werde, 
womit  die  Bildung  der  kleinen  Menge  Arsensäure  zusammen- 
hängen dürfte,  welche  sich  in  der  besprochenen  Flüssigkeit 
vorfindet. 

Selbst  die  Verbrennung  des  Schwefels  scheint  keine  Aus- 
nahme von  der  Regel  zu  machen;  denn  ich  finde  in  dem  Wasser, 
über  welchem  dieser  Körper  in  atmosphärischer  Luft  verbrannt 
worden,  ausser  SO^  und  kleinen  Mengen  von  SO3  immer,  wenn 
auch  schwache  doch  noch  nachweisbare  Spuren  von  Ammoniak, 
wie  ich  Letzteres  gleichfalls  in  aller  englischen  Schwefelsäure 
angetroffen,  welche  ich  bis  jetzt  noch  untersucht  habe. 

Wenn  nun  obige  Thatsachen  zeigen,  dass  bei  der  Ver- 
brennung Kehr  verschiedenartiger  Materien  in  feuchter  almosphä- 


Schönbein  :  Erzeuyunff  des  .salpetricliten  Ammoniakes.  55 

rischer  Luft  salpelrichtsiuires  Ainnioniak  sich  erzeugt,  so  wird 
wohl  (he  Annahii»o  gestattet  sein,  dass  bei  jeder,  in  solcher  Luft 
staltfindenden  Verbrennung  dieses  Salz  entstehe,  wenn  auch  in 
manchen  Fidlen  aus  Nehengründen  nur  die  Basis  desselben  er- 
halten wird. 

Da  aus  den  voranstehenden  Angaben  erhellt,  dass  das 
Anunoniaknitrit  schon  unter  dem  alleinigen  Einflüsse  der  Witrme 
aus  Wasser  und  atmosphärischer  Lull  gebildet  werden  kann,  so 
halte  ich  dafür,  dass  die  Verbrennung  eines  Körpers  nur  insofern 
die  Erzeugung  dieses  Salzes  verursacht,  als  dabei  ^^'iirme  ent- 
bunden wird  und  der  V'organg  der  Oxidation  an  und  für  sich 
mit  der  Nitrilbildung  m'chts  zu  thun  habe.  Es  geht  somit  meine 
Annahme  im  Allgemeinen  dahin,  dass  da  immer  salpetrichtsaures 
Ammoniak  entstehe,  wo  ein  mit  Wasserdampf  und  atmosphäri- 
scher Luft  giifüUter  Raum  auf  irgend  eine  Weise  gehörig  er- 
hitzt ist. 

Von  dieser  Annahme  ausgehend  ist  desshalb  auch  das  Vor- 
kommen von  Sainnak  in  vulkanischer  Nachbarschaft  für  mich 
eine  leicht  erkliirliche  Thatsaehe.  Dass  sich  an  manchen  Stellen 
des  Vesuvs  salzsaures  Gas  entbinde,  hat  neulich  Herr  Deville 
wieder  beobachtet,  wie  auch  das  Vorkommen  von  Salmiak  an 
dortigen  Oerllichkeiten,  wo  das  Ammoniak  dieses  Salzes  un- 
möglich von  stickstolThaltigen  organischen  Materien  herrühren 
konnte.  Nacii  meinem  Dafürhalten  wird  das  zur  Erzeugung 
solchen  Salmiakes  nöthige  Ammoniak  aus  dem  salpetrichtsauren 
Anunoniak  hcrgenommon,  welches  unter  Mitwirkung  der  vulka- 
nischen Warme  aus  Wasser  und  Luft  gerade  so  sich  erzeufft, 
wie  diess  in  einem  Plalintiegel  geschieht,  in  welchem  bei  ge- 
höriger Temperatur  Wasser  verdampft  wird.  Trelfen  nun  solche 
inlrithaltige  Dämpfe  mit  salzsaurem  Gas  zusammen,  so  muss 
selbslverstiindlich  Salmiak  entstehen. 

Noch  will  ich  bcmc^rken,  dass  ich  Gründe  zu  der  Annahme 
habe,  dass  auch  beim  Durchschlagen  electrischer  Funken  oder 
des  Blitzes  durch  feuchte  almospharische  Luft  kleine  Mengen 
salpetrichtsauren    Ammoniakes    entstehen,    nicht   in   Folge    der 


5ß  Sitzunif  der  tmith.- jtlii/s.  Classe  vom  10.  Mai  1869. 

electrischen  Enlladuiiff  als  Sülclior,  tjoiidern  der  Wiinne  halber, 
welche  bei  diesem  Vorgang  entwickelt  wird. 

Zum  Schlüsse  nur  noch  einige  Worte  über  die  Bedeutung 
der  besprochenen  Nitrilbildnng.  Dass  damit  der  nie  fehlende 
Gehalt  der  atmosphärischen  Luft  an  salpetricht-  und  salpeter- 
saurem Annnonialv  eng  zusannnenhangl,  springt  in  die  Augen 
und  wenn  nach  der  Annahme  der  Chemiker  der  SlickstolF  dieser 
Salze  von  den  Pflanzen  aufgenommen  wird,  so  ist  die  in  Rede 
stehende  Bildungsweise  des  Ammoniaknilrites  für  die  Vegetation 
von  nicht  geringer  Wichtigkeit. 

Möglicher  Weise  kann  diese  Nitriterzeugung  früher  oder 
später  auch  eine  praktische  Bedeutung  erlangen ,  dadurch  näm- 
lich, dass  sie  zu  einer  wohlfeilem  Darstellung  salpetersaurer 
Salze  im  Grossen  führte.  Wie  dem  aber  auch  sein  möge,  jeden- 
falls bietet  die  neu  aufgefundene  Thatsache  ein  nicht  geringes 
theoretisches  Interesse  dar,  indem  sie  zeigt,  dass  der  Stickstoff 
nicht  der  indifferente  Körper  ist,  lür  welchen  man  ihn  so  lange 
gehalten.  Freilich  haben  schon  die  schönen  Arbeiten  Wöhlers 
uns  von  dieser  irrthümlichen  Ansicht  befreit  und  den  thatsäch- 
lichen  Beweis  geliefert,  dass  dieses  anscheinend  so  träge 
Element  unter  geeigneten  Umständen  auf  unjiiittelbare  Weise 
mit  andern  Stoffen  vergesellschaftet  werden  kann. 


Herr  Pettenkofer  trug  vor: 

,,Ueber   die   Bestimmung  des  Wassers   bei   der 
Respiration  und  Perspiration.'' 

In  den  Abhandlungen  der  malh.-phys.  Classe  der  k.  bayer. 
Akademie  diT  Wissenschaften  Bd.  IX  Abth.  II  habe  ich  den 
Respirationsappar.it  lieschrieben,  welchen  die  Munificenz  Sr. 
Majestät  des  Königs  Ma.v  II  im  physiologischen  Institute  dahier 


Pettenkofer :   Bestimmung d.  Wassers  h.  d.  Respiration  etc.        57 

errichten  liess,  und  habe  auch  nachgewiesen,  bis  zu  welchem 
Grado  der  Genauigkeit  di(^  Bestinunungen  der  Kohlensäure 
gehen.  Gemeinschaftlich  mit  Hrn.  Professor  Dr.  Voil  habe  ich 
im  vorigen  Jahre  eine  Reihe  von  Bestimmungen  der  Kohlensäure 
ausgelührt.  welche  ein  grosser  Hofhund  bei  verschiedener  Nah- 
rung während  24  Stunden  in  demselben  durch  Lunge  und  Haut 
ausschied,  dabei  aber  das  Wasser  vorläufig  nicht  berücksichtigt. 
So  interessant  und  werthvoll  die  erhaltenen  Resultate  auch  sind, 
so  lassen  sie  doch  über  manchen  Punkt  in  Zweifel,  es  zeigte 
sich,  wie  wünschenswerlh  es  wäre,  auch  die  Mengen  Sauerstoff 
—  selbst  nur  annähernd  — -  zu  kennen,  welche  während  der 
Dauer  eines  Versuches  in  den  Kreislauf  eintreten. 

Gleichwie  man  bei  der  Verbrennung  eines  organischen  Kör- 
pers mit  Kupferoxyd  oder  chromsaurem  Bleioxyd  aus  dem  Ge- 
wichte der  verbrennlichen  Substanz  und  ihrer  Verbrennungs- 
produkte (Kohlensäure,  Wasser  und  —  wenn  die  Substanz 
stickslofThallig  ist  --  auch  StickstofT)  erfährt,  wie  viel  Sauer- 
stoff dem  Ku[)f('roxyd  bei  der  Verbrennung  entzogen  word(!n  ist, 
so  kann  man  auf  ganz  analoge  Weise  erfahren,  wie  viel  Sauer- 
stoff in  den  Körper  eines  Menschen  oder  Thieres  aus  der  Luft 
eintritt,  während  Kohlensäure  und  Wasser  ausgeschieden  wird. 
Da  aus  Versuchen,  welche  die  Herren  Professoren  Bisch  off 
und  Voit  theils  schon  vcirölfcuitlicht  haben,  theils  Letzterer  na- 
mentlich noch  verötlentlichen  wird,  hervorgeht,  dass  man  zur 
Annahme  einer  merklichen  Ausscheidung  von  Stickstoff  aus  den 
stickstoffhaltigen  Bestandtheilen  des  Körpers  durch  Haut  und 
Lungen  keinen  Grund  hat,  indem  sännntlicher  in  der  Nahrung 
gegossene  Stickstoff  selbst  bei  monatelang  fortgesetzten  Beob- 
achtungen in  Harn  und  Koth  wieder  erscheint,  hat  man  es  in 
der  Luft  des  Respirations-Apparates  wesentlich  nur  mit  Kohlen- 
säure und  Wasser,  zeitweise  vielleicht  auch  mit  geringen  Men- 
gen Wasserstoff  und  Grubengas  zu  thun,  wie  schon  Regnaul t 
und  Reiset  in  einigen  ihrer  Versuche  beobachtet  haben.  Wasser- 
stoff und  Grubengas  sind  durch  Verbrennung  leicht  zu  bestim- 
men, wie  ich  mich  bereits  überzeugt  habe  und  bei  einer  andern 


58  Sitzung  der  tiiath.  -  pht/s.  Classe  vom  10.  Mai  1869. 

Gelegenlieil  mitlheiloii  werde  Für  heute  erlaube  ich  mir  die 
Aufinerksainkeit  der  Classe  nur  für  die  Bestimmung  des  Wassers 
in  Anspruch  zu  nehmen. 

In  ganz  ähnlicher  Weise  wie  hei  der  Bestimmung  der 
Kohlensiinre  wurden  Controlversuche  gemacht,  um  den  Grad  der 
Genauigkeit  und  Sicherheit  der  Resultate  bemessen  zu  können. 
Das  Wasser  wurde  im  Apparate  theils  durch  Verbrennung  von 
Weingeist  von  bekannter  Zusammensetzung,  theils  durch  Ver- 
dunsten von  Wasser  entwickelt,  welches  in  einem  Gefässe  über 
einer  kleinen  WiMnjreistflamme  erwärmt  wurde.  Zu  andern  Ver- 
suchen  dienten  Stearinkerzen  von  bekanntem  KohlenstolF-  und 
Wasserstoffgehalte.  Man  sieht  ein,  wie  leicht  sich  aus  dem  ver- 
brannten Weingeist  und  aus  dem  verdunsteten  Wasser  die  in 
die  Luft  der  Respirationskannner  übergeführte  Wassermenge 
finden  lässt.  Eine  Untersuchung  des  Wassergehaltes  der  ein- 
strömenden, und  eine  gleiche  Untersuchung  des  Wassergehaltes 
der  abströmenden  Luft  musste  den  Zuwachs  durch  Verbrennung 
und  Verdunstung  im  Luflstrome,  der  durch  die  grosse  Gasuhr 
geht,  und  im  Rückstande  der  Kammer  gerade  so  wie  bei  der 
Koiileiisaure  ergeben,  vorausgesetzt,  dass  sich  in  der  Kammer 
kein  Wasser  condensirt,  und  dass  der  zur  Untersuchung  ge- 
nommenen Luft,  dem  nämlichen  Bruchlheile  vom  ganzen  Strome, 
wie  er  zur  Bestimmung  der  Kohlensäure  dient,  das  Wasser  so 
vollständig  entzogen  werden  kann  ,  dass  die  Differenz  nn't  der 
n()thigen  Schärfe  gefunden  werden  kann. 

Die  erste  Voraussf^tzung  erfordert,  dass  die  in  den  Apparat 
einströmende  Luft  nie  bis  zu  dem  Grade  mit  Wasser  gesättigt 
sei,  dass  die  in  der  Kammer  hinzukommende  Wassermenge  darin 
nicht  mehr  dunstförmig  (gasförmig)  bleiben  könnte,  was  man  an 
den  (ilasfenstern  der  Kammer  sofort  wahrnehmen  würde.  Diese 
Bedingung  ist  fast  zu  allen  Jahreszeiten  leicht  einzuhalten ,  wi- 
drigenfalls man  sich  nach  einem  Vorschlage  Henneberg's  mit 
absorbirenden  Mitleln  hilll,  die  man  in  die  Kammer  bringt  und 
vor  und  nach  dem  Versuch  wägt.  Ferner  ist  aber  auch  erfor- 
derlich ,    dass  in  der  Kammer  sich  keine  hygroskopischen  Sub- 


Pettenkofer :  Besthnmtniifd.  Waisers  h.  d.  Respiration  etc.        59 

stanzen  befinden,  welche  Wasser  absorbiren,  und  vor  und  nach 
dem  Versuche  nicht  gewogen  werden  könnl(m.  —  Der  hölzerne 
Fussboden,  der  den  ßlechboden  der  Kammer  bedeckt,  verur- 
sachte Anfangs  sehr  merkliche  Felder,  bis  er  mit  Leinöl  ge- 
tränkt, gofirnissl  und  zuletzt  noch  mit  Wachslcinwand  überdeckt 
wurde.  Bei  einer  sehr  bolriichtlichen  Wasserverdunstung  wirkt 
selbst  der  Oelaiistrich  des  Bleches  im  Innern  der  Kammer  etwas 
hygroskopisch ,  doch  beträgt  der  Fehler  bei  einem  24  Stunden 
dauernden  Versuche  im  ungünsligfsten  Falle  etwa  IV..  Procent. 
Bei  kürzer  diiuernden  Versuchen  ist  dieser  Fehler  n.ilürlich 
grösser,  kann  aber  durch  Confrolversuche  gefunden  und  in  Rech- 
nung gezogen  werd(Mi. 

Bei  Entwicklung  kleiner  Wassermengen  tritt  dieser  Fehler 
sehr  in  den  Hintergrund  und  kann  bei  einem  24 stündigen  Ver- 
suche ganz  vernachlässiget  werden. 

Um  einem  l.uftstrome  das-  Wasser  vollständig  zu  entziehen, 
ist  das  Chhircalcium  allein  nicht  ausreichend.  Ich  habe  Chlor- 
calcium  und  Schwefelsänrehydrat  combinirt.  Ein  Chlorcidcinm- 
rohr  nahm  die  grösste  Menge  d(>s  Wassers  aus  der  Luft  hin- 
weg, die  letzten  Reste  ein  Rohr  mit  iJcliwefelsäurehydrat  und 
Bimsstein  gefüllt.  Der  Gebranch  des  Chlorcalciums  hat  einige 
Uebelstände,  —  die  mich  veraidasslen,  es  ganz  durch  SO 3,  HO 
zu  ersetzen.  Um  eine  hinreichende  Menge  Schwefelsäure  auf- 
zunehmen, habe  ich  den  Licbig'schen  Kugelapparal  dahin  ab- 
geändert, dass  ich  fünf  durch  kurze  Röhren  verbundene  Kugeln 
im  Kreis  in  eine  Ebene  legte,  welche  halb  gefüllt  etwa  45 — 50 
Grammen  Schwefelsäure  fassen.  Der  Eintritt  der  Luft  erfolgt 
durch  ein  senkrecht  absteigendes  Rohr,  der  Austritt  ebenso, 
aber  an  dem  senkrecht  aufsteigenden  Rohre  für  den  Austritt 
sind  noch  2  Kugeln  angeblasen,  von  denen  die  oberste  mit 
Asbest  locker  gelullt  ist,  um  das  Fortschleudern  kleiner  Tröpf- 
chen Schwefelsäure  zu  verhindern.  Die  Abänderung  des  Licbig'- 
schen Kugelap[)arates  in  diese  Form  war  durch  die  kleinen 
Ouecksilberpumpen  bedungen,  welche  die  Luftproben  zur  Unter- 
suchung  nehmen.     Diese  arbeiten  nändich   selbst   nur  mit  Hilfe 


60  Sitzung  der  math.- phys    Clmse  vom  10.  Mai  1862.  "      . 

einer  Fliissigkeils-  (Quecksilber-)  Säule  und  können  desshalb 
die  hohe  Flüssigkeitssaule  eines  gewöhnlichen  Liebig'schen  Kugel- 
appnrales  nur  niil  grosser  Einbusse  des  Effektes  ihrer  Hubhöhe 
überwinden,  und  desshnlb  war  ich  bestrebt,  den  Widerstand  im 
Kugelapparate  auf  das  geringste  Maass  zu  reduciren.  —  Dieser 
Apparat  ninnnl  das  Wasser  aus  mehr  als  150 Litern  Luft,  die  binnen 
24  Stunden  durchgehen,  so  vollständig  weg,  dass  im  darauf- 
folgenden mit  Bimsstein  und  Schwefelsäure  gefüllten  Rohr  stets 
nur  mehr  ein  paar  Milligramme  aufgenommen  werden ,  während 
bei  Anwenduiiff  von  Chlorcalcium  das  Rohr  stets  mehr  als  100 
Milligramme  zunahm. 

Um  den  Grad  der  Uebereinstimmung  zwischen  Versuch  und 
Rechnung  bei  der  Wasserbestimmung  und  den  Einfluss  der 
hygroskopischen  Eigenschaft  der  Kannner  zu  veranschaulichen, 
Iheile  ich  die  3  folgenden  Versuche  mit : 

I 

17.  Februar  18()2. 

In  8  Stunden  verbrannten  122,9  Grm.  Weingeist  (=108,1 
C,  Hfi  Oj  und  14,8  HO)  und  verdunsteten  aus  der  über  der 
Flamme  stehenden  Schaale  398,3  Grm.  Wasser,  was  zusammen 
540  Grammen  Wasser  entspricht. 

1000  Liter  einströmende  Luft  hatten  5,1351  Grm.  Wasser 
1000     ,,      abströmende     ,,         „       7,8356       ,,  „ 

Die  durchgeströmte  Luft  betrug  174426  Liter,  ihre  mittlere 
Temp.   16"  C. 

Es  wurde  gefunden  im  Strome  471,0 
rückständig  in  der  Kammer     34,8 

505,8  Grm.  Wasser. 
Nimmt  man  diesen  Felder  von  6,4  °/o  als  Folge  einer 
Wassercondensation,  einer  Ausgleichung  zwischen  dem  erhöhten 
Wassergehalte  der  Luft  uiul  der  hygroskopischen  Eigenschaft 
der  KanniMMwände,  so  muss  der  Fehler  mit  der  Zeitdauer  des 
Versuches  inuner  kleiner  werden,  und  würde 


Pettenkofer:  nestiinmxiny  d.  Was.sers  b.  d.  Respiration  et<\         ^\ 

nach  12  Slunden  4.3 
„     24        „      2,2  7o  beiragen. 

II 

19.  Februar  1S()2. 

In    12   Stundon    verbrannten    181,8    Weingeist    (  =  159,9 
C^HcOj   und   21,9  HO)  und  verdunsteten  .'34(),5  Grni.  Wasser, 
was  zusammen  756,1   Grin.  Wasser  entspriclit. 
1000  Liter  der  abströmenden  Luft   hatten   5,6077  Grm.  Wasser 

bei  16,5"  C. 
1000  Liier  der  abströmenden  Luft  halten  8,2402  Grm.  Wasser 

bei  16,5°  C. 
Die  durchgeströmte  Luit  betrug  264519  Liter. 

Es  wurden  gefunden  im  Strome  696,3 
rückstandig  in  der  Kammer     33,1 


729,4  Grm.  Wasser. 


Fehler  2,6  V,,  minus. 


ill. 

21.  Februar  18G2. 

In   24  Stunden   verl)rannten    250,4   Weingeist    (  =  220,3 
C,  HoOj  und  30,1  HO)  und  verdunsteten  1134,3  Grm.  Wasser, 
was  zusanunen  1423,0  Gm».  Wasser  entspricht. 
1000  Liter  der  einströmenden  Luft  hatten  6,3847  Grm.  Wasser 

bei  17,9*»  C. 
1000  Liter  der  abströmenden  Luft  hallen  8,9456  Grm.  Wasser 

bei  17,9"  C. 
Die  durchgeströmte  Luft  betrug  536402  Liter. 

Es  wurden  gefunden  im  Strome  1373,7 
rückstandig  in  der  Kammer     32,0 

1405,7  Grm.  Wasser. 
Fehler  1,5  %  minus. 


62  Siizunif  der  math.-phys.  Ctasse  vom  10.  Mai  1868. 

Aus  dieser  Reihe  von  Versuchen  sieht  man  ganz  deuthch, 
wie  die  Genauigkeit  der  Wasserbestimmung  mit  der  Zeitdauer 
des  V'crsuches  zunimmt.  Im  ersten  Versuche  fehlen  34  Grm., 
im  zweiten  27,  im  dritten  29  Grm.  Wasser,  es  wurde  mithin 
ziemhch  gleich  viel  bei  jedem  Versuche  zur  Ausgleichung  der 
hygroskopischen  Eigenschaft  der  Kammer  aufgewendet.  Wäre 
weniger  Wasser  in  die  Luft  der  Kammer  gebracht  worden ,  so 
liätten  die  Wände  auch  weniger  absorbirt.  denn  die  hygrosko- 
pische Eigenschaft  der  Körper  wächst  und  ninnnt  ab  mit  dem 
Wassergehalt  der  Luft.  Wenn  die  Temperatur  und  damit  der 
WasseroeJiidl  der  einströmenden  äusseren  Luft  in  der  wärmeren 
Jahreszeit  steigt,  nimmt  dieser  Fehler  gleichfalls  ab,  weil  zu 
dieser  Zeit  der  Oelanstrich  der  Blech  wände  der  Kammer  mit 
der  ohnehin  feuchteren  Luft  schon  vor  Beginn  des  Versuches 
sich  mehr  in  einem  hygroskopischen  Gleichgewichte  befindet,  — 
geradeso  wie  unsere  Holzmöbel  im  Sommer  viel  weniger  arbeiten 
und  sich  werfen,  als  im  Winter. 

Um  zu  zeigen  bis  zu  welcher  Genauigkeit  der  Sauerstoff 
gefunden  wird,  den  ein  in  dem  Luflstrome  d^'S  Apparates  ver- 
brennender Körper  verbraucht,  diene  zum  Schlüsse  noch  ein 
Versuch  mit  einer  Stearinkerze. 

IV. 

25    April  tSO'i. 
In  8  Stunden  verbrannten  93.7  Grm.  Stearin,  welche  nach 
der  Elementaranalyse  263,2  Grm.  Kohlensäure  und  106,5  Grm. 
Wasser  erzeugen  und  aus  der  Luft  276,0  Grm.  Sauerstoff  auf- 
nehmen sollten. 
1000   Liter    der    einströmenden    Luft    enthielten   0,6751    Grm. 

Kohlensäure  und  7,7282  Grm.  Wasser, 
1000   Liter     der    abströmenden     Luft    enthielten    3,8061    Grm. 

Kohlensäure  und  9,0691  Grm.  Wasser. 
Die  durchgeströmte  Luft   betrug  70091  Liter  bei  17,5°  C. 
Es    war  nahezu   die   geringste   Ventilation    angewendet,  welche 
der  Apparat  gestattet. 


Vettenkofer:  Bentimmung  d.  Wassers  b.d.Bespivation  etc.        63 

Es  wurden  gefunden  im  Strome 

219,5  Grm.  Kuhleiisäure  und     93,9  Gim.  Wasser 
lückstiiiulig-  in 
der  Kammer        45.2     „  „  „       16,5     „         „ 

264,7  Grm.  Kohlensaure  und  1 10,4  Grm.  Wasser. 

Die  gefundtme  Kohlensäure  und  das  gefundene  Wasser 
wieoen  um  281,4  Grm.  mehr,  als  das  verbrannte  Stearin,  was 
als  Sauerstoff  aus  der  Luft  in  Rechnung  kommt.  Nach  der 
Klemenlaranalyse  wären  zur  Verbrennung  von  93,7  Grm  Stearin, 
276,0  Grm.  Sauerstoff  aus  der  Luft  noihwcndig ,  die  gefundene 
Zahl  für  den  Sauerstoff  übersteigt  sonnt  dii;  aus  der  Elementar- 
analyse berechnete  um  1,9  "/„  bei  einem  Sslündigen  Versuche; 
bei  einem  24 stündioen  Versuche  hätte  sich  diese  Differenz  sicher 
bis  auf  eine  versciiwindend  kleine  Grösse  ausgeglichen,  wie  die 
drei  vorhersehenden  Versuche  beweisen. 

Nach  dieser  M(!thode  bestimmen  Prof.  Dr.  Voit  und  ich 
eben  in  längeren  Versuchsreihen  am  Hunde  die  täglich  ausge- 
schiedene Menge  Kohlensäure  und  Wasser  und  die  aufgenom- 
mene Menge  Sauerstoff  im  steten  Zusanunenhalle  mit  der  (|uan- 
titaliv  und  qualitativ  wechselnden  Nahrung.  Ich  hoffe  der  Classe 
noch  vor  Ablauf  dieses  Jahres  einige  Resultate  vorlegen  zu 
können. 


Historische  Classe. 


Sitziiiij^  vom  17.  Mai   IS(]2. 


Herr  Föringer  trug  vor 
„Ueber  die  Annaies  AI tahenses.'' 


Sitzungsberichte 

der 

köni":I.   haver.  Akademie  der  Wissenschaften. 


Philosophisch  -  philologische  Classe. 

Sitzung  vom  14,  Juni  1862. 


Horr  Streber  gab  einen 

„Beilrag    zur    Geschichte     der    griechischen 
S  lenipelschneidekunst." 

Diese  Abhandhnig  wird  in  den  Denksclirilten  erscheinen. 


ll86^  n.j 


ß^  Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  14.  Juni  1862. 


Mathemalisch  -  physikalische   Ciasso. 

Sitzung  vom  14.  Juni  18G2. 


Horr  Lamont  übersandte  zwei  Aufsätze: 

a)  ,,Ueber  die  zehnjährige  Periode  in  der  täg- 
lichen Bewegung  der  Magnetnadel,  und  die 
Beziehung  des  Erdmagnetismus  zu  den 
Sonnen  flecken." 

Da  nun  ein  Decennium  verflossen  ist,  seitdem  ich  das  Vor- 
handensein einer  zehnjährigen  Periode  in  der  täglichen  Bewe- 
gung der  Magnetnadel  zum  erstenmale  nachgewiesen  habe,  so 
dürfte  es  angemessen  erscheinen  das  in  diesem  Zeiträume  ge- 
wonnene neue  Material  mit  dem  früheren  zu  vereinigen  und  die 
Frage  zu  erörtern,  in  wie  ferne  dadurch  d{>r  früher  aufgestellte 
Satz  bestätiget  oder  modificirt  werde.  Ehe  ich  indessen  auf 
den  Gegenstand  selbst  eingehe,  halte  ich  es  für  zweckmässig  an 
einige  geschichtliche  Data  zu  erinnern,  um  so  mehr  als  Miss- 
verständnisse dessfalls  stattgefunden  zu  haben  scheinen. 

Das  Vorhandensein  einer  periodischen  Zu-  und  Abnahme 
in  der  Grösse  der  täglichen  Bewegung  kündigte  ich  bereits  im 
Jahre  1845  mit  folgenden  Worten  an^:  ,.Die  Grösse  der  täg- 
lichen Bewegung  ist  in  den  verschiedenen  Jahren  nicht  gleich. 
Die  mittlere  Differenz  zwischen  8''  MorgcMis  und  1 ''  Nachmittag 
war  nach  den  Göllinger  Beobachtungen 

1834-35     ....      8. '25 
1835— 3G    ....     10  04 


(1)  Dove's  Rcpoiloiium  der  Pli>.sik.  Vi!  Ril.  S.  Cll.  Man  vcrgleiclio 
ferner:  Resullale  de.s  niagneti.sclien  Oh.sei  vatm  iuni.s  in  Rliinclien  IHU, 
18ii.  ]«'ir>  Ai)liaiull.  der  II.  (Masse  der  liajer.  Aead.  der  Wissenseiiaflen. 
V.  Bd.  1.  Abtheil. 


Lamont :  Tüyliche  Beweiiuny  der  Mai/nein adet.  67 

1836-37    ....     12/90 

1837  —  38    ....    12.29 

1838-39     ....    12. 16 

1839-40    ....    11.05 

1840  —  41     .    .    .    .      9.50 

1841-42    ....      8.50 

1842-43    ....      7. 55 

1843-44    ....      7.63 

1844  —  45  ....  7.41 
Die  drei  letzten  Jahre  sind  aus  den  Münchcner  [Beobach- 
tungen eroiinzt,  unter  Voraussetzung  dass  die  tägliche  Bewe- 
gung in  Gottingen  um  '/,no  grösser  ist  als  in  München.  Die 
periodische  Zu-  und  Abnaliine  der  nnltleren  täglichen  Bewegung 
stellt  sich  hier  sehr  deutlich  heraus,  um  aber  das  Gesetz  aufzu- 
linden ,  bedürfen  wir  noch  länger  fortgesetzter  Beobachtuno-en. 
Dass  es  sich  auf  ähnliche  Weise  mit  der  Intensität  verhalte,  er- 
sehen wir  aus  Kreil's  Beobachtungen  in  Mailand:  die  DilFerenz 
zwischen  10'/.^'' Morg  und  7'/?'' Abends  (in  Zehntaus(Midstel  der 
Intensität  au.sgedrückt)  war  1837  .  .  .  18.4,  1838  .  .  .  15.7; 
gegenwärtig  kann  sie ,  nach  den  Beobachtungen  anderer  Orte 
zu  schliessen,  kaum  mehr  als  9.0  betragen.''' 

Der  Satz,  diiss  die  täjxliche  Bewegung  der  inaiiiielischen 
Element(!  an  Grosse  periodisch  zu-  und  abnehme;,  ist  hier  unter 
Hinweisung  auf  eine  Zahlenreihe,  die  zwei  Wendepunkte  um- 
fassl,  mit  aller  BestinniilluMt  und  Präcision  ausgesprochen:  die 
Länge  der  Periode  konnte  mit  Sicherheil  nicht  daraus  entnommen 
werilcn.  Ich  wartete  des.shalb  den  dritten  Wendepunkt  ab, 
un<l  als  in  den  Jahren  1850  uml  1851  b(Meits  eine  entschie- 
dene Abnahme  der  Bewegung  eingetreten  war,  stc^llte  ich  die 
eigenen  Beobachtungen  mit  d(Mi  vorhandenen  älteren  Bestim- 
mungen zusammen  und  leitete;  daraus  eine  Periode  von  10 Vs 
Jahren  ab.  Zu  Hnd(!  des  Jahres  1851  erschien  die  darauf  be- 
zügliche   Abhandlung ''.     Um    diese;    Zeil    beschäftigte   sich    Herr 


(-2)  l'ügj;.  Ann.  LXXXIV.  S.  57.2. 


5* 


68  Sitzung  der  inath.-plnis.  Vlasse  vorn  14.  Juni  1S62. 

Sabine  mit  einer  Untersuclunig  inid  Ziisaminensteliiing  der  De- 
clinationsstörungen  in  Toronto  und  Hobarlon  für  die  fünl"  Jahre 
1843  —  1848  und  bemerkte,  dass  während  dieses  Zeilraumes  von 
Jahr  zu  Jahr  die  Grösse  sowolil  als  die  Häufigkeit  der 
Störunijen  zunahm.  Zur  Annahme  einer  periodischen  Aen- 
deruno-  boten  übrigens  diese  wenigen  Jahre  gar  keine  Grund- 
lage dar,  wohl  aber  konnte  durch  Yergioichung  derselben  mit 
der  von  mir  nachgewiesenen  Perioile  in  der  Grösse  der  täglichen 
Bewegung  eine  Uebcreinstimmnng  wahrgenommen  werden,  in  so 
ferne  als  auch  in  den  von  mir  angegebenen  Zahlen  von  1843 
bis  1848  eine  fortwährende  Zunahme  sich  zeigte,  und  der  Schluss, 
dass  in  beiden  Fällen  die  gleiche  Periode  stattfinden  müsse,  bot 
sich  um  so  natürlicher  dar,  da  Herr  Sabine  schon  nachgewiesen 
hatte,  dass  zwischen  der  regelmässigen  Bewegung  und  den 
Störungen  ein  enger  Zusammenhang  bestehe.  Hr.  Sabine  ging 
aber  noch  weiter.  Da  wir,  sagt  er,  die  Sonne  als  Grundursache 
anzusehen  haben  bei  allen  Vorgängen,  welche  von  der 
Tageszeit  abhängen,  so  erscheint  es  angemessen,  so  oft 
wir  an  einem  Vorgange  dieser  Art  eine  periodische  oder  nicht 
periodische  Aenderung  bemerken,  bei  der  Sonne  zu  untersuchen 
ob  sie  nichts  Analoges  darbiete.  Im  gegenwärtigen  Falle  trelfen 
wir  in  der  That  etwas  Analoges  an,  indem  die  so  beharrlich 
und  conseqiient  forlgeführlen  Beobachlnngen  des  Hrn.  Schwabe 
nachgewiesen  haben,  dass  die  Zahl  der  Sonncnflecke  allmählich 
zu  -  und  wieder  abininmt  mit  einer  Periode  von  ungefähr  zehn 
Jahren,  und  der  blosse  Anblick  der  Zahlen  eine  Uebereinslim- 
mung  beider  Phänomene  nachweist. 

Die  Abhandlung  des  Hrn.  Sabine  wurde  am  18.  März  1852 
der  könioiichen  Socieiät  in  London  voroelefft':  ehe  sie  jedoch 
zu  allgemeiner  Kenntniss  gelangte,  war  auch  auf  dem  Continente 


{'.])  Pniddical  laws  iliscnvorahio  in  llic  incan  ('(Tccts  of  tlic  tarier 
niagiiflic  (lisliirbiiiK CS,  by  (,'«»1.  Kd«.  Sabine  K.  A.  (Rfceivcd  Blarcli 
18  -  Kead  Ma^  Ü.  JS.V2).  Phil.  Trans.  Pari  I.  iSäl  p.  J'.'7. 


LatHont:  Tüylivhe  Beiveytiuff  der  Maynetnadel.  69 

von  Herrn  Wolf  *  in  Cern  nnd  KcMrn  Gautier  ^  in  Genf  die  Ucber- 
einslinniHiiig  der  Sonnonllcckcn  -  Periode  mit  den  von  mir  be- 
kannt o-emaclit(>n  periodischen  Aenderungen  des  KrdiniijTiietismus 
bemerkt  worden :  beide  veröfTenllichlen  ihre  Untersuchungen 
darüber  im  Herbste  1852. 

Nach  (h'eser  liistorischen  Uebersiclil  konnnc  ich  lum  zu  der 
Darieüuno-  des  neuen  i\Iaterials,  welclies  der  seit  1851  ver- 
flossene  Zeitraum  oelieferl  bat,  wol)ei  ich  nur  die  Decbnation 
berücksichligen  will,  da  die  zehnjährige  Periode  an  allen  Ele- 
menten in  «leicher  Weise  sich  äussert. 

Soll  die  Grösse  der  täglichen  Bewegung  der  Declination 
durch  RelalivzablcMi ,  was  hier  genügt,  ausgedrückt  werden,  so 
kann  diess  auf  verschiedene  \^'eise  geschehen.  Ich  habe  früher 
den  Untersdw'ed  zwischen  8  Uhr  Morgens  und  1  Uhr  Mittags 
genonnnen ,  da  indessen  der  Einfluss  der  Störungen  immerhin 
nicht  unbet:ächllicli  ist,  so  will  ich  jetzt  die  Berechnung  so  ein- 
richten dass  zwei  Bestimmungen  stets  vereinigt  werden,  und 
zwar  im  Sonnner  die  Unterschiede  zwisclum  7  Uhr  Morgens 
und  1  Uhr  Mittaas,  dann  zwischen  8  Uhr  Morgens  und  2  Uhr 
Nachmittags:  im  WintiT  dagegen  die  Unterschiede  zwischen 
8  Uhr  Morgens  und  1  Uhr  Mittags,  dann  zwischen  8  Uhr  Mor- 
gens und  2  Uhr  Nachmittags  Als  Sommer  nehme  ich  die  Mo- 
nate April  —  September  inclus.,  und  als  Winter  (\'\g  Monate 
Januar,  Februar,  März,  Octobcr,  November,  December  desselben 
Jahres,  so  dass  jede  Bestimmung  der  Mitte  des  Jahres  ent- 
spricht. Streng  genommen  sollte  man  desshalb  neben  den  be- 
obachteten Bewegungen  nicht  1841,  1842  .  .,  wie  es  stets 
bisher  geschehen  ist,  sondern  1841,5,  1842,5  .  .  .  schreiben, 
indessen  will  ich ,  damit  die  neuen  Data  an  die  früheren  sich 
anschliessen,  den  bisherigen  Gebrauch  beibehalten    utul   nur  er- 


(4)  Miltlu'il      der    Bcriu-r    iialml'.    (Jcseiistliaft.     Nr.    245.     Comptcs 
rciicliis  13.  Sept.  185'.>.  Astr.  Nadir.  Nr.  8'iO. 

(5)  Bil)!iotli^(|iie  Uiiivorsellc.  Juillet  et  Aoüt  183'2. 


70 


Sit%ung  der  math.-phi/s.  Classe  vom  14.  Juni  186$. 


innern ,  dass  um  die  wahren  Zeilepocheu  zu  erhalten,  überall 
zu  den  Jahreszahlen  0,5  hlnznzufügen  ist.  Die  ganze  jetzt  vor- 
liegende Reihe  der  Münchener  Beobachtungen  nach  diesen  Grund- 
sätzen behandelt,  gibt  folgende  Relativzahlen: 


Jalir 

Winter 

Soni  liier 

Jaliresniitlol 

1841 

1 
5  07 

10.65 

7.86 

1842 

4  66 

8.90 

6.78 

1843 

4.49 

9.23 

686 

1844 

4.08 

8.60 

634 

1845 

4.65 

10.13 

7.39 

184G 

6  00 

11  23 

8.61 

1847 

6  90 

11.87 

9  38 

1848 

8  01 

14.40 

11.20 

1849 

8.06 

13.22 

10.64 

1850 

7.53 

13.31 

10.42 

1851 

6.03 

1140 

8.71 

1852 

6.46 

11.53 

9.00 

1853 

5.77 

11.50 

8.63 

1854 

4  65 

10  48 

756 

1855 

501 

966 

7.33 

1856 

4.67 

9.48 

7.08 

1857 

5.13 

1015 

7.64 

1858 

6,91 

11.76 

9.33 

1859 

8.37 

13.97 

11.17 

1860 

7.67 

14.20 

10.93 

1861 

7.15 

12.95 

10  05 

Mittelst  graphischer  Entwürfe  habe  ich  hieraus  die  Wende- 
punkte  abzuleiten   gesucht   und  erhalte  folgende  Bestimmungen : 

1843,0  Minimum, 
1848,8  Maximum, 
1855,0  Mininuun, 
1859,5  Ma.ximum. 


Lamont:  Tägliche  Bewegung  der  Magnetnadel.  7t 

Zu  der  ohiffon  Reihe  kommen  noch  die  von  mir  aus  früh- 
eren  Bcohachlungcn  abgeleiteten  Wendepunkte,  nändich 
1786,5  Maximum,  Paris  —  Cassini, 
1817,0  Maxinuuu,  Bushy-Heath  —  Beaufoy, 
1837,5  Maximum,  Göllingen  —  Gauss. 

Leitet  man  aus  dem  Maximum  von  Cassini,  welches  nach 
allen  Umständen  als  sehr  zuverlässig  zu  betrachten  ist,  und  dem 
Maxinunn  von  1859,5  die  Länge  der  Periode  ab,  so  ergibt  sich 

J^  =  10,43  Jahre, 

nur  um  '/,„  Jahr  von  meiner  ersten  Bestimmung  abweichend*. 

Die  sänimtlichen  beobachteten  Maxima  geben  als  mittlere 
Epoche 

1827,8, 
und  geht  man    von    dieser  Grundzahl    aus,    so   erhiill   man    fol- 
gende  Zusanuncnstellung    der    berechneten     und     beobachteten 
Wendepunkte 


bcreclinet 

beobachtet 

Differenz 

1786,1 

1786,5 

-  0,4 

1817,4 

1817,0 

+  0,4 

1838,2 

1837,5 

+  0,7 

1843,4 

1843,0 

+  0,4 

(6)  Hr.  >Tolf  liat  in  seinen  znlilreielien  Pnhiieationen  eine  Periode 
von  11.11  Jahren  ans  der  Hänliffkeit  der  Sonnendeeke  abjjeleitet  und 
behanptet,  indem  er  das  Maxiniiun  von  (Cassini  ohne  irj^end  einen  Grund 
anzuflehen  bei  Seile  selzt,  dass  .seine  Periode  besser  als  die  von  mir 
anjjef^cbene  auch  die  niafjnetisihen  Vaiiationen  darstelle.  Es  ist  jedoch 
hiehei  nicht  zu  iihcrsclien  dass  die  Periode  des  Hrn.  Wolf  nur  durch 
eine  willkührliclie  Krjjänzunj;  fraj^nicntaristhcr  Beohaehtunfijen  der  vori- 
gen zwei  Jahrliuiiderle  bestimmt  «urde.  und  dass  dieselben  Beobachtun- 
gen in  anderer  V>'eise  und  mit  derselben  Freiheit  ergänzt  an  die  von 
mir  bestimmte  Periode  sich  gleich  gut  anschliessen  würden. 


72  Sitiung  der  inath.-phys.  Classe  vom  14.  Juni  1862. 


bcrcclmot 

beobachtet 

DifTercnz 

1848,7 

1848,8 

-  0,1 

1853,9 

1855,0 

-  1,1 

1859,1 

1859,5 

-0,4 

Es  hätte  keine  Schwierigkeit  diese  schon  ziemlich  kleinen 
Differenzen  durch  eine  verschiedene  Behandlung  der  Beobach- 
tungen selbst  noch  weiter  auszugleichen ,  jedoch  wiire  ein  w  e- 
sentlicher  Erfolg  dabei  nicht  zu  erlangen.  Die  genauesten 
Methoden  des  Calculs  anzuwenden ,  wo  die  Grundlagen  auf 
Bruchlheile  des  Jahres  als  unsicher  erscheinen,  würde  bloss  als 
eine  Rechnungsübung  zu  betrachten  sein. 

Das  Endresultat,  zu  welchem  wir  durch  Beiziehung  der 
neuesten  Beobachtungsdata  gelangen ,  besteht  also  einfach  darin 
dass  wir  eine  Bestätigung  des  von  mir  im  Jalu'(;  1851  aufge- 
stellten Satzes  erhalten  :  zuoleich  liisst  sich  aus  einer  einfachen 
Vergleichung  der  gegebenen  Zahlen  leicht  ersehen,  dass  es  keine 
zulässige  Combination  derselben  geben  kann,  wodurch  die  Dauer 
der  Periode  um  mehr  als  ein  paar  Zehntel  Jahre  verändert  würde. 

Ich  komme  jetzt  zu  dem  letzten  Punkte,  der  hier  bespro- 
chen Averden  soll,  nämlich  zu  dem  Zusammenhange  der  magne- 
tischen Bewegungen  mit  den  Sonnenflecken. 

Zunächst  wäre  die  Thatsache  selbst  zu  constatiren  Es  ist 
kein  Zweifel  dass,  wenn  man  die  Tabelle,  worin  Hr.  Schwabe 
die  jährliche  Anzahl  von  Sonnenflecken  zusamniengestellt  hat,  den 
oben  von  mir  nnigelheilten  jährlichen  Relalivzahlen  für  die  Grösse 
der  Declinalionsbewegung  gegenüberhält,  eine  allgemeine 
Aehnlichkeit  sich  darstellt,  indem  den  Perioden,  wo  die  Zahl 
der  Sonnenflecken  gering  war,  auch  eine  geringere,  und  den 
Perioden,  wo  die  Zahl  der  Sonnenflecken  gross  war,  eine 
grössere  magnetische  Bewegung  entspricht :  von;  einer  genauen 
Uebereinstimn)ung  kann  dagegen  keine  Rede  sein,  auch  dann 
nicht  wenn  man  anstatt  der  ursprünglichen  Zahlen  Schwabe's 
die  nach  hypothetischen  Voraussetzungen  abgeleiteten  Relativ- 
zahlen des  Hrn.  Wolf  einführt.  Zum  Beweis  hiefür  wollen  wir 
einige  Jahre  herausheben. 


Lamoni :  Tät/luhe  Deweijung  der  Mof/netnadel.  73 

Zahl  der  Flocken-     R,,,ti,,,,,,        .„nsnetische 
Jahr  -nippen    nach         ,,^^.,^    ^^,^„.  BiMvcguiiK 

1849  238  95,6  10.04 

1850  186  63,0  10,42 

1851  151  61,9  8,71 
Während  von  1849  auf  1850  die  Abnalinie  bei  den  Sonnen- 
flecken sehr  l)ed(Mitend  ist,  vermindert  sich  die  magnetische  Be- 
wegnng  nur  um  0,2,  wogegen  von  1850  auf  1851  die  Ahnahme 
bei  den  Sonnenflecken  ganz  utd)edeutcnd  war,  und  die  magne- 
tische Beweirunor  um  l',7  kleiner  wurde.  Hr.  Wolf  hat  in  der 
N'orausselzung  einer  slrenge?i  Proporlionalilät  zwischen  der  Zahl 
der  Soniienflecken  und  dem  Excess  der  magnetischen  Bewe- 
gung —  d.  h.  der  Grösse  um  welche  die  magnetische;  Dcrlina- 
tionsb(?wegung  sich  über  ihren  niedrigsten  Stand  6',27  erhebt  — 
aus  den  Sonnenflecken  die  mag-nelischen  Variationen  berechnet 
und  findet  folgende  Zahlen ,  deren  Abweichung  von  der  Beob- 
achtung ich  beifüge 

herecliiicter  Excess         Abweichuniij 
Jaiir  der  inairnelischen  von   der 


Beweguni^ 

Beoljaclituns:;; 

1851                   3,16 

+  0,72 

1852                   2.67 

—  0,06 

1853                    1,93 

-    0,43 

1854                   0,97 

-  0,32 

1855                   0,35 

0,71 

1856                   0,21 

0,60 

1857                    1,11 

0,27 

1858                   2,60 

+  0.46 

1859                   4,92 

4-  0.02 

1860                   5,03 

4-  0.37 

:^ht  dass  die  Abweichungen 

mehi 

•  als  V^  der  ganzen 

•agen.     Gc^ht  man  aber   uu; 

hr 

in 

(las  Detail   ein,   so 

Periode  beiragen, 
treten  aufTallende  Diflerenzeu  hervor.  Ein  Beispiel  wird  hin- 
reichen um  dieses  nachzuweisen.  Im  Sommerhalbjahr  1860 
erhält  man 


74  Sitiuny  der  math.-phys.  Classe  vom  14.  Juni  1862. 


Excess 

der  ma^ne- 

Relativzahl  der 

tischei 

1  Bewegung 

,Soniieiinecken 

April 

5,04 

73,1 

Mai 

4,74 

111,5 

Juni 

5,78 

114,1 

Juli 

4,81 

120,0 

August 

5,83 

95,8 

September 

3,64 

95,6 

Nimmt  man  den  Monat  April  als  Grundlage  für  die  Rech- 
nung au,  so  sollte  die  Sonnenfleckenzahl  im  Juli  69,8  und  im 
September  52,7  betragen  ,  während  die  Beobachtung  in  beiden 
Monaten  fast  das  doppelte  gab. 

Das  jedenfalls  merkwürdige  Zusammentreffen  der  Maxima 
und  Minima  bei  den  magnetischen  Bewegungen  und  den  Sonnen- 
flecken kann  hiernach  als  ein  eigentlicher  Causal -Nexus  nicht 
erkannt  werden,  vielmehr  dürfte  ein  ganz  anderes  Verhiiltniss 
bestehen ,  zu  dessen  Erläuterung  ich  folgendes  Beispiel  aus  der 
Meteorologie  entnehmen  will. 

Wer  die  von  mir  für  München  aus  den  Beobachtungen  der 
Jahre  1843 — 1856  abgeleiteten  Tabellen'  der  Temperatur  und 
des  Wolkenzuges  vergleichen  will,  wird  bemerken,  dass  die  Zu- 
und  Abnahme  der  Lutlwärme  eine  auffallende  Uebereinstimmung 
mit  der  Häufigkeit  des  westlichen  Wolkenzuges  zeigt:  beide  Er- 
scheinungen haben  ihre  Wendepunkte  im  Januar  und  Juli,  und 
auch  die  Progression  ist  bei  beiden  dieselbe.  Niemand  wird 
aber  sagen,  dass  die  Temperatur  den  Wolkenzug  oder  der 
Wolkenzug   die  Temperatur   hervorbringe,   sondern  beide    sind 


(7)  Monatiiclie  und  jäliilirlie  Resultate  der  an  der  k.  Sternwarte 
bei  Minulien  von  1825 — 1856  angestellten  nieteorologiselien  Be()l)acli- 
tungen  111.  Suppl.-Hd.  zu  den  Ann.  der  Sternw.  —  Re.sultate  ans  den  an  der 
k.  Sternwarte  veranstalteten  meteorologiselien  üntersuclmngen  nebst  An- 
deutungen über  den  Einilus.s  de.s  Klima  von  Münehcn  u.  s.  w.  Abhandl. 
der  Acad.  d.  Wissensch.  Bd.  8. 


l.ainont :  Täyiivhe  Bexreyiing  der  Miuineinadel.  75 

(Iiir(;li  eine  höhere  Ursache  —  die  erwiirmeiulc  Kraft  der 
Sonne  —  bediiifri,  während  jede  Erscheinung  für  sich  durch 
eig-enthniidiche  Nebeiiursachen  und  Ziifiillinküiten  modificirt  wird. 
Durch  ein  ühnliches  Verhiillniss  wür(U)  die  beohachtcto 
Uebereinstimniuno-  der  uiao-netischen  Bewegungen  und  der  Sonnen- 
flecken  sich  erklären  lassen;  aber  welche  cosniische  Kraft  haben 
wir  als  diejenige  zu  bezeichnen,  wodurch  die  Grösse  der  mag- 
netischen Variationen  und  die  Häufigkeit  der  Sonnenfleckcn  er- 
zeugt wird?  Hr.  Sabine,  welcher  in  der  bereits  oben  angege- 
benen Weise  sehr  rationell  die  Möolichkeil  eines  Zusainnienhanges 
im  Allgemeinen  zu  begründen  suchte,  hat  es  nicht  ange- 
messen orefunden  iiul  die  (^ben  erwähnte  Fraj^e  einznirehen, 
jedoch  kann  hier  erwähnt  w(;rden,  dass  er  bei  anderen  Unter- 
suchungen eine  dirccle  magnetische  Einwirkung  der 
Sonne  anninnnl.  Ich  meincstheils  habe  bei  verschiedenen 
Geleuenheilen  auf  die  Nolhwendiiikeit  hincrcnviesen ,  neben  der 
(iravilalion  die  Elcclriciläl  als  eine  allen  Himnieiskörpern 
zukoninionde  und  üb(M'all  im  Welträume  wirkende  Krall  anzu- 
nehmen, und  zur  Unterstützung  der  Hypothese  ausser  den  Er- 
scheinungen der  Kometen,  des  Nordlichtes,  des  Zodiacallichtes 
auch  die  üscillation  des  Barometers  angeführt.  Ich  habe  ferner 
ansjedeutet  wie  die  Electricilät  der  Sonne  als  Ursache  der  täsf- 
liehen  magnetischen  Binvegungen  und  die  Sonnenflecken  als 
electrische  Ausbrüche  betrachtet  werden  könnten.  Hiernach 
würden  zahlreiche  Sonnenflecken  eine  grössere  Entwickelung 
von  Electricität  anzeigen  ,  und  es  wäre  auf  solche  Weise  ein 
natürlicher  Zusannneidiang  zwischen  der  Anzahl  der  Sonnen- 
flecken und  den  magnetischen  Bewegungen  hergt!stellt  \  Auch 
Hr.  Broun  scheint  auf  einen  eiiii(jermaassen  ähnlichen  Gedatdten- 
gang  geführt  wordcMi  zu  sein,  wenn  er  ihn  gleich  nicht  so  weit 
verfolgt  hat :  denn  er  begnügt  sich  seine  Ansicht  dahin  auszu- 
sprechen,  dass    die   bisher   in  Betracht  gezogenen  Kräfte   nicht 


(8)  Jaliresberitht  der  Miinchener  Sternwarte  für  1858.  p.  71. 


76  Sitzvtiff  der  tnaih.  phys.  Classe  vom  14.  Juni  1862. 

ausreichen,  und  hebt  verschiedene  Thalsachen  hervor,  welche 
die  Annahme  einer  magnetischen  oder  eleclrischen  Kraft  zu 
fordern  scheinen'. 

Die  Unbestimmtheit  aller  dieser  Aeusscrungen  in  unserer 
sonst  an  ausführlichen  Hypothesen  so  fruchtbaren  Zeit  scheint 
einen  hinreichenden  Beweis  dafür  zu  liefern,  wie  unsicher  die 
jetzt  noch  vorhandenen  Grundlagen  sind.  In  der  That  steht 
kaum  zu  hoffen,  dass  es  der  Speculation  gelingen  wird  die  Un- 
tersuchung wesentlich  zu  fördern,  bis  durch  künftige  fortge- 
setzte Beobachtung  neue  Anhaltspunkte  gewonnen  sind.  Die 
nächste  Aufgabe  geht  also  dahin,  die  Beobachtung  der  Erschei- 
nuno-en  in  zweckmässiger  und  methodischer  Weise  fortzusetzen 
und  weiter  auszudehnen. 

b)  „Ueber   das   Verhält  niss    der    magnetischen 
Intensitäts-  und  inclinations-Störungen." 

Es  sind  nun  16  Jahre  verflossen,  seitdem  ich  als  ein  eigen- 
tliündiches  Ergebniss  der  an  der  k.  Sternwarte  ausgeführten 
magnetischen  Beobachtungen  den  Erfahrungs-Satz  verkündigte: 
,,dass  bei  jeder  Störung  der  horizontalen  Intensität  gleich- 
zeitig eine  Störung  der  Inclination  in  entgegengesetztem  Sinne 
eintrete,  und  dass  zwischen  der  Grösse  der  Ausweichungen  ein 
constantes  Verhältniss  bestehe,  woraus  man  auf  die 
Quelle  dieser  Erscheinungen  zurückzuschliessen  im  Stande  sei." 

Damals  hegte  ich  die  Hofl'nung,  dass  die  magnetischen  Ob- 
servatorien, welche  man  allenthalben  mit  so  vielem  Eifer  ein- 
zurichten und  zweckmässig  auszustatten  bemüht  war,  bald  eine 
vollständige  Darstellung  der  magnetischen  Variationen  für 
alle  V>('lllheil('  liefern  würden,  so  dass  es  keine  Schwierigkeit 
hätte,  sichere  Schlüsse  zu  ziehen  rücksichllich  auf  den  Funkt 
des    Raumes,   wo    die   magnetischen   Störungen    ihren  Ursprung 


(9)  Rep.  Brit.  Association  Tor  1830.  p.  43. 


Laniont:  Mof/net.  Iidensitiits-  u.  InclinationsStürtivyen.        77 

liaben,  so  wie  rücksidillioli  auf  die  Gesetze,    nach  welchen  sie 
in   verschiedenen  geographischen  Breiten  modificirt  werden. 

Die  EntwickeUnig  der  Institute,  wodurch  der  Erdniauno- 
tismus  ergründet  werden  sollte,  hat  aber  einen  ganz  andern 
Verlauf  genommen  als  man  anfangs  zu  erwarten  berechtiget  war: 
die  meisten  lösten  sich  auf,  nachdem  sie  einige  fragmentarische 
Bestimmungen  geliefert  hatten,  und  die  fortbestehenden  konnten 
zu  einer  vollständigen  Organisation  nicht  gelangen ,  so  dass  die 
Data  die  man  nöthig  hiitte,  um  mit  Erfolg  eine  Untersuchung 
der  gleichzeitigen  Variationen  der  Intensität  und  Inclinalion  in 
den  verschiedenen  Weltlheilen  zu  unternehmen  ,  jetzt  noch  nir- 
gends zu  finden  sind. 

Unter  diesen  Umständen  hielt  ich  es  gleichwohl  für  zweck- 
mässig, jene  Untersuchung  neuerdings  in  Erinnerung  zu  bringen 
und  bei  dieser  Gelegenheit  die  Frage  zu  erörtern,  ob  nicht  viel- 
leicht das  Verhällin'ss  der  Intensitäts-  und  Inclinations-Störungen 
im  Verlaufe  der  Jahre  sich  ändere.  Eine  solche  Erör- 
teruno- hat  desshali)  besonderes  Interesse  weil  —  wie  ich  früher 
schon  nachgewiesen  habe  —  die  magnetischen  Bewegungen 
einer  zehnjährigen  Periode  unterliegen,  und  jetzt  daran  gelegen 
sein  muss  zu  entscheiden,  auf  welche  Verhältnisse  jene  Periode 
sich  ausdehnt.  Da  jedoch  die  Münchener  Beobachtungen  gegen- 
wärticT  einen  Zeitraum  von  nudn-  als  zwanzig  Jahren  umfassen 
und  somit  die  Masse  des  Materials  ausserordentlich  gross  ist, 
so  muss  ich  mich  hier  auf  eine  übersichtliche  Darstellung  be- 
schränken. 

Kleinere  Abweichungen  von  der  regelmässigen  Periode 
kommen  alle  Tage  vor,  grössere  sind  selten:  die  letzteren 
bezeichnet  man  als  Störungen  und  betrachtet  sie  als  eine 
eigene  Classe  von  Erscheinungen,  die  einen  bestimmten  Charakter 
haben,  während  die;  erstem  als  zufällig  gelten  und  sonnt  in 
gleiclie  Kategorie  mit  diMi  unregelmässigcMi  Aenderungen  des 
Luftdruckes  und  der  Temperatur  gestellt  werden.  Dieser  An- 
sicht zufolge  pflegt  man  bei  Untersuchung  der  Störungsgeselze 
die  klein(Men  Abweiciumgen    bei  Seile  zu  setzen.     Wenn  aber, 


78  Sitzung  der  tiiath.-phps.  Ctasse  vom  ii.  Juni  i862. 

wie  e«?  für  wahrscheinlich  zu  halten  ist ,  die  kleinen  Abwei- 
chungen den  gleichen  Ursprung  wie  die  grossen  haben  und 
gleichen  Gesetzen  unterliegen,  so  erscheint  jene  Ausscheidung  als 
unbereclitigct.  Gleichwohl  wird  man  finden,  dass  es  nothwendijr 
ist,  vorläufig  die  kleineren  Abweichungen  unberücksichtiget 
zu  lassen  und  zwar  aus  einem  Grunde,  den  man  bisher  nicht 
beachtet  zu  haben  scheint. 

Wenn  man  die  Abweichungen  beslinnnt,  so  geschieht  diess 
dadurch ,  dass  man  von  der  Beobachtung  den  täglichen  Gang 
abzieht.  Nun  ist  aber  der  täghche  Gang  selbst  mehr  oder 
weniger  durch  die  Störungen  entstellt,  und  dieser  Umstand  hat 
begreillicherweise  bei  den  kleineren  Abweichungen  einen  grossen 
Einfluss,  während  die  grossen  Abweichungen  dadurch  nur  um 
einen  kleinen  Tlieil  ihres  Betrages  geändert  werden.  Dieser 
Ansicht  gemäss  habe  ich  bei  der  folgenden  Untersuchung  be- 
stiiimile  Grenzwerthe  angenommen  und  alle  Bewegungen,  welche 
den  Grenzwerlh  nicht  erreichten,  weggelassen. 

Rücksichllich  der  zu  den  Beobachtungen  verwendeten  In- 
strumente hebe  ich  folgende  Punkte  heraus.  Als  ich  im  Jahre 
1840'°  mit  der  Untersuchung  des  Erdmagnetisnuis  mich  speciell 
zu  befassen  anfing,  hatte  man  noch  wenige  Erfahrungen  rücksichllich 
der  Construclion  der  Instrumente  gemaclit,  und  die  Praxis  führte 
mich  bald  zu  der  Ucberzeugung ,  dass  die  damals  zu  ziemlich 
alloemeiner  Geltung  gekommen(!n  Grundsätze  verschiedener  we- 
sentlicher  Modificalionen  bedurften.  Bei  den  Versuchen,  die  ich 
anstellte,  ging  ich  von  dem  Grundsalze  aus.  dass  es  nicht  hin- 
reichend  sei  die  theoretischen  Bedingungen,  welche  aus  der 
Physik  und  Mathematik  gefolgert  werden  können,  zu  berück- 
sichtigen ,  vielmehr  die  Entscheidung  über  zweckmässige  Con- 
struction  der  Instrumente  auf  practischem  Wege  erlangt 
werden  müsse.     Erst  dann  kann  man  überzeugt  sein,   dass  alle 


(10)  Die  ersten  ma«<;iieli.selieii  Beol)aelitiin£;<'ii  an  ''•'r  Sternwarte 
mndile  ich  im  J.  IS.Tt);  sie  ln'standeii  darin  dass  idi  tiii;li(li  um  8  Uhr 
Morgens  und  1  Uhr  Nachmittags  die  Declinatiün  bestinunte. 


Lamont:  Magnet.  Jntensitäts-  w.  JncUnations-Störvvyen.        79 

wesentlichen  Bedingungen  berücksicliliget  sind,  wenn  mehrere 
Instrumente  in  demselben  Locale  aufgestellt,  über- 
einstimmende Resultate  liefern.  Die  Vergleichung  meh- 
rerer Instrumente  ist  also  das  wahre  Kriterium ,  nach  welchem 
die  Zulässigkeit  einer  Conslruction  zu  entscheiden  ist. 

Indem  ich  diesen  Grundsätzen  zufolge  zwei  oder  mehrere 
Instrumente  von  gleicher  Construction  gleichzeitig  beobachtete, 
(ukainite  ich  zuerst  die  Nolhwendigkeit  den  Nadeln  kleine 
Dimensionen  zu  geben,  ich  erkannte  ferner  den  Eiiilhiss  der 
durch  die  äussere  Temperatur  erzeugten  Luftströmungen  im 
Innern  der  Maonett/elüiuse  und  die  Nothwendiokeit  die  Nadeln 
von  allen  Seiten  eng  einzuschliessen,  die  practisch  nicht  zu  besei- 
tigenden Uebelstände  der  Bifilar-Suspension,  die  nachtheilige  Wir- 
kung der  Dampfer,  welche  überdiess  bei  gehörig  eingeschlossenen 
Nadeln  unnöthig  sind ,  und  verschiedene  andere  Bedingungen 
v(m  mehr  oder  weniger  wesentlichem  Belange.  Es  ist  begreif- 
lich dass  die  Untersuchungen! ,  welche  zu  diesen  Zweck(Mi  aus- 
geführt werden  nuisslen,  Zeit  erforderten  und  genaue  Bestim- 
munoen  nur  nach  und  nach  zu  Stande  kamen.  So  konnnt  es, 
dass  die  Declinalionsbeslinunuiigen  im  Jahre  1841,  di«;  Intensi- 
tiil.sbestimmungen  1842  und  die  Inclinationsbestinmiungen  ISÜi 
anfangen. 

Die  Intensitiits- Variationen  bestimme  ich  vermittelst  einer 
Nadel,  welche  durch  einen  Deflector  aus  dem  magnetischen 
Meridian  abgelenkt  wird,  und  zwar  sind  die  Magnete  des  De- 
llectors  mit  Temperatur-Compensation  versehen.  Die  Inclinations- 
Viirialionen  erhalte  ich  mittelst  weicher  Eisensläbe ,  und  be- 
slinnne  den  Werlh  der  Scahilheile  nach  einer  eigenlhiindiclien 
Methode,  welche  man  in  PoggendorO's  Amialen  Bd.  CIX,  79 
und  Bd.  CXII.  GOI)  entwickelt  findet. 

Um  das  Verhältniss  der  Bewegungen  {V''a  Intensitiils-Instru- 
ments  zu  ermitteln,  win-den  zuniichst  die  Schwankungen  d.  h. 
di(^  Abweiciiung(Mi  vom  regelmiissigen  (Jange  bestinnnt,  indem 
für  jede  Stunde  das  Monatmittel  berechnet  und  dieses  von  den 
Beobachtungen  der  einzelnen  Tage  des  Monats  abgezogen  wurde. 


80  Sitiuni/  der  math.-phys.  Classe  vovi  14.  Juni  iS6S. 

Nachdem  auf  solche  Weise  der  tägliche  Gang  eliniinirt  war, 
wurden  die  sänunllichen  Fälle  herausgehoben,  wo  die  zwei- 
stündige Bewegung  der  Inlensitäl  eine  gewisse  Grenze  entweder 
zunehmend  (-f^)  oder  abnehmend  (— )  überschritten  hatte,  da- 
neben wurde  dann  die  correspondirende  Bewegung  der  Inclination 
mit  ihrem  Zeichen  eingeschrieben.  Als  Grenzen  nahm  ich  an : 
1843—1845  10  Theilstriche  =  0,0012  (absolut) 
1846-1858    6  „         =  0,0013 

1859-1860    6  „  =  0,0011. 

Auf  solche  Weise  erhielt  ich  eine  Tabelle,  die  2680  Be- 
obachtungen enthält,  und  die  wegen  des  grossen  Umfanges  hier 
wegorelassen  werden  muss.  Die  nähere  Betrachtung  dieser  Ta- 
belle  zeigt,  dass  ohne  alle  Ausnahme  einer  Zunahme  der  Inten- 
sität eine  Abnahme  der  Inclination  und  einer  Abnahme  der  In- 
tensität eine  Zunahme  der  Inclination  entsprach,  während  das 
Verhällniss  der  beiden  Grössen  im  Mittel  zwar  ein  constantes 
bleibt,  in  den  einzelnen  Fällen  aber  kleinen  Schwankungen  un- 
terliegt, deren  Betrag  aus  einer  früheren  Zusammenstellung 
(Abhandl.  der  II.  Classe  der  k.  Akad.  der  Wissensch.  V.  Bd., 
1.  Ablh.  S.  88)  entnonunen  werden  kann. 

Zunächst  wurden  die  für  die  einzelnen  Jahre  gesammelten 
Data  in  Gruppen  von  je  zehn  Beobachtungen  abgetheilt  und  für 
jede  Gruppe 

1)  die  Summe  der  positiven  Bewegungen  der  Intensität  und 
der  correspondirenden  negativen  Bewegungen  der  In- 
clination; 
,2)  die  Summe  der  negativen  Bewegungen  der  Intensität 
und  der  correspondirenden  positiven  Bewegungen  der 
Inclination; 
3)  die  Summe  sämmtlicher  Bewegungen  ohne  Bücksicht  auf 

das  Z(;ichen  berechnet. 

In    der   auf  solche  Weise   erhaltenen  Tabelle  gleichen  sich 

die  Zufälligkeiten  aus  und  eine  grosse  Begelmässigkeit  ofTenbart 

sich  in  den  Zahlen:  di«;  Tabelle  selbst  ist  übrigens  eben  so  wie 

die  üben  erwähnte  viel  zu  weitläufig  um  hier  untgetheilt  zu  werden. 


Lamont :  Magnet.  Intenutats-  u.  Inclinatioiis-Stünniyen.        81 

Eiidlicli  wurden  die  saimnlliclien  zu  einem  Jahr  gehörigen 
Gruppen  ziisaniinengenoninien  und  so  ein  Gesaninit-Resullat  für 
jedes  einzelne  Jahr  gewonnen.  Die  Erg(>hnisse  sind  in  folgen- 
der Tabelle  dargestellt,  wobei  zu  bemerken  ist^  dass  die  Inlen- 
sitiits  -  AendernngcMi  in  Zehntaiisendslel,  die  Inclinations  -  Acn- 
(lerungen  in  iMinulen  ausgedrückt  sind. 


Jaltr 

Iiiti'iisität 
positiv 

Incllna- 

tioti 
iief^ativ 

Intensität 
ne<^ativ     ' 

Iiuliiia- 

tioii 
positiv 

Aciulciiiiigeii 
iibcrliaupt 

Intcnsilät    \    Inclinat. 

1843 

4-  754,0 

114,7 

-1105,8 

+103,3 

1859,8 

278,0 

1844 

1393,1 

203,9 

1783,1 

262.9    3176.2 

466,8 

1845 

852,4 

135,4 

1691.3 

267.8 

2543,7 

403,2 

1846 

2380,2  i 

284,8 

2791,6 

354,8 

5171.8 

639,6 

1847 

1823,9  i 

233,3 

2346.7 

374,2 

4170.6 

580.0 

1848 

1541,5 

205.7 

2067,5 

291,2 

3609.0 

496,9 

1849 

804,2 

113,4 

1438.4 

206.0 

2242,6 

319,4 

1850 

697,0 

89.8 

988.9 

138,6 

1685.9 

228,4 

1851 

667,4 

99,0 

1069,1 

151.8 

1736.5 

250,8 

1852 

2150,7 

295.1 

2736.9 

387,6 

4887.6 

682,7 

1853 

1090,0 

143,5 

1891,5 

260.8 

2981,5 

404,3 

1854 

1031.4 

132,1 

1926,4 

255.2 

2957,8 

387,3 

1855 

552,4 

74,3 

891,5 

124,5 

1443,9 

198,8 

1856 

392,2 

49,1 

746,0 

104,1 

1138,2 

153,2 

1857 

500,3 

63.7 

837,4 

122,1 

1337,7 

185,8 

1858 

1029,2 

1 38.5 

1042,3 

141,0 

2071.5 

279,5 

1859 

1667,2 

187.0 

2192,9 

287.9 

38(;0,1 

474,9 

1860 

2782,4 

345,2 

3358,3 

468,2 

6140,7 

813,4 

Eine  periodische  Zu-  und  Abnahme  ixMuerkt  man  an  diesen 
Zahlen  nicht,  was  mit  ilcw  Kesultalen  des  llrn.  Sabine  nicht  im 
Widerspruche  steht,  da  sie  nicht  die  Grösse  der  Störungen  im 
Allgemeinen,  sondcsrn  nur  (li(!  Grösse  der  zweistündigen  Aen- 
derung  bei  Störungen  ausdiücken. 

Berechnet  man  das  Verhiiltniss  der  Intensitiils-  und  Incli- 
nationszahlen,  so  erhall  man  folgende  Tabelle: 

11B6'2  II.]  6 


82 


Sitztiny  der  muUt.-phys.  Vlatise  vom  14.  Juni  1862. 


Aen 

deruni;  der  Iiiclinatioii  in  Minuten 
t'"i'  Vi 0000  'li''"  'iitensitiit 

T         1 

Iiitensilät 

Intensität 

Aenderuny  der 

Jahr 

zuiielunend 

abnehmend 

Intensität 
überhaupt 

1843 

o'l521 

o!l477 

0,1495 

1844 

0,1464 

0,1474 

0,1470 

1845 

0,1588 

0,1583 

0,1585 

1846 

0,1197 

0,1271 

0,1237 

1847 

0,1279 

0,1475 

0.1389 

1848 

0,1334 

0,1408 

0,1377 

1849 

0,1410 

0,1432 

0.1422 

1850 

0,1288 

0,1402 

0.1355 

1851 

0,1483 

0,1420 

0.1444 

1852 

0,1372 

0,1416 

0.1 397 

1853 

0,1316 

0,1379 

0,1356 

1854 

(M281 

0,1325 

0.1309 

1855 

0,1345 

0,1397 

0.1377 

1856 

0,1252 

0.1395 

0,1346 

1857 

0,1273 

0,1458 

0,1387 

1858 

0,1346 

0,1353 

0,1349 

1859 

0.1122 

0,1313 

0,1230 

1860 

0,1241 

0,1394 

0,1325 

Mittel  1843 

1860 

0,1340 

0,1410 

0,1381 

Auch  in  (liosen  Zahlen  (Mkentit  mnn  keine  Periode  und  die 
Schwankungen  scheinen  bloss  von  Zulailigkeiten  herzurühren. 

Berechnet  man  die  Aenderung  der  Verlical-Intensilat  Y  aus 
der  Horizontal-lntensilät  X  und  der  Inclinalion  i  nach  der  Formel 


Y 


X 


d'l 


sm  I  cos  I 
so  hat  man  für  die  Periode  1843  —  1860 


Lamont:  Maynet.  Intensitäts-  ti.  Iiiclinations-Stürungen.         §3 

Aendciiin«»;  der  correspoiulirciitlc  Aeiuierurig 

Horizontal-  liileiisitüt  der  Veitical-Iiitciisilüt 

+  0,0001  —  0,00000095 

—  0,0001  +  0,00000023 

überhaupt      0,0001  0,00000404. 

Einer  Zunahme  der  Horizontal  -  Intensität ,  d.  h,  der  nach 
Norden  ziehenden  Kraft  entspricht  denniacli  eine  Abnahme  der 
verlicalen  Intensität,  d.  h.  eine  nach  oben  wirkende  Kraft. 

Verbindet  man  die  nach  Norden  und  die  nach  oben  wir- 
kende Kraft  zu  einer  Resultante,  so  wird  die  Richtung  dieser 
Resultante  eine  Höhe  a  über  dem  Horizont  haben  und  in  der 
Ebene  des  magiu^tischen  Meridians  liegen.  Zur  Bestinunung 
von  «  hat  man  die  Gleichung 

(5Y  Y     Y  .     .     Y 

X  X 

Die  obigen  Zahlen  geben 

0 

für  eine  Zunahme  der  Horizontal- Intensität         a  z=:  1,9 
für  eine  Abnahme  der  Horizontal-Intensilät         a  --  7,31 
für  eine  Aenderung  überhaupt  a  =^  4,55. 

Die  Abweichungen  der  drei  Wertlie  von  einander  halte  ich 
für  zufälliff  und  nehme  den  hUzten  als  den  sich(!rsten  an. 
Hiernach  ist  die  Qn^'Ue  der  Störungen  im  magnetischen  Meridian 
nördlich  4°  55'  üb(M-,  oder  südlich  4°  55'  unler  dem  Horizont 
zu  suchen  :  da  aber  die  Störungen  an  Stärke  ztniehmen  je 
weiter  man  nach  Norden  aeht,  so  hat  man  die  erslerc;  Bestim- 
nmng  allein  als  die  richtige  zu  betrachten. 

Ich  habe  oben  erwähnt  dass  es  für  das  Endresultat  mög- 
licherweise von  Einfluss  sein  könne,  ob  man  bei  Ausscheidung 
der  Störungen  die  Grenzwerthe  grösser  oder  kleiner  annimmt. 
Um  zu  entscheiden,  in  wi(!  ferne  dieser  ['instand  die  von  mir 
erhaltenen  Zahlen  modificirt  haben  konnte,  hob  ich  die  grossen 


84 


Sitzung  der  »latli.  -pli.vs.  Ctasse  vom  14.  Juni  iS62. 


Beweo-unoeti  allein  heraus,  so  dass  für  die  Intensität  die  Grenze 
im  Mittel  0,0024  betrug.  Auf  solche  Welse  verminderte  sich 
die  Zahl  aller  Bestimmungen  von  1843  bis  1860  auf  492:  die 
Resultate  stellen  folgende  Tabellen  dar: 


Summe  der  grossen  Bewegungen  der  Intensität 
und  Inclinalion. 


liicliiia- 

I     ^          •  a  "  * 

Incliiia- 

Grosse  Bewcffunircn 

IiiteiKsität 

Inteiisitiit 

'^        '■-' 

Jahr 

tion 

tion 

überli 

aupt 

positiv 

negativ 

negativ 

positiv 

Intensität 

Iiiclinat. 

1843 

175,0 

22,8 

269,0 

39,2 

444,0 

62,0 

1844 

354,5 

51,9 

822,6 

125,1 

1177,1 

177,1 

1845 

170,2 

26,8 

530,6 

86.3 

^00,8 

113,2 

1846 

637,6 

72,8 

872,0 

ilO.6 

1509,6 

183,3 

1847 

716,9 

78,7 

1220,0 

163,7 

1936.9 

242,4 

1848 

398,4 

51,4 

740,0 

102,1 

1138.4 

153,5 

1849 

138,7 

19.2 

380,5 

54,2 

519,2 

73,4 

1850 

140,4 

20,1 

280,2 

41,4 

420,6 

61,4 

1851 

151.7 

19,6 

367,9 

51,2 

519,6 

70,8 

1852 

610,7 

83,5 

1087,9 

159.7 

1698,6 

243,2 

1853 

201,3 

26.6 

610.5 

88.8 

811.8 

115,4 

1854 

150,4 

20.1 

566,2 

79.2 

716,6 

99.3 

1855 

97,3 

14,4 

217,2 

30,7 

314,5 

45,1 

1856 

88,8 

11,6 

2094 

31,0 

298,2 

42,6 

1857 

151,9 

18,5 

246,6 

34.9 

398,5 

53,4 

1858 

110,2 

15,5 

211,7 

31.6 

321,9 

47,1 

1859 

407,2 

44,7 

632,5 

84,4 

1039,7 

129,1 

1860 

1043,4 

123,6 

1258,3 

176,6 

2301,7 

300,2 

Lainont:  Magnet.  Intensität^-  u.  Inclinations-Störuntfen.        85 


AeiulL'iiing  der  liuliriation  in  Minulcn 

fwi"   Vi 0000  'It'i'  Iiitoiisität 

Jahr 

Intensität 
zinK'liineiui 

Intonsität 
al)  nehmend 

Aen<lerun?  der 
Intensität 
überhaupt 

1843 

9 

0,1303 

o!l457 

0,1396 

1844 

0.1464 

0,1521 

0.1 505 

1845 

0,1575 

0,1626 

0.1615 

1846 

0,1142 

0,1268 

0,1214 

1847 

0,1098 

0,1342 

0,1251 

1848 

0,1290 

0,1380 

0,1348 

1849 

0,1380 

0,1424 

0,1413 

1850 

0,1432 

0.1478 

0,1460 

1851 

0,1292 

0,1392 

0,1365 

1852 

0,1367 

0,1468 

0,1432 

1853 

0,1321 

0,1455 

0,1422 

1854 

0,1336 

0,1399 

0,1386 

1855 

0,1480 

0,1413 

0,1434 

1856 

0.1306 

0,1480 

0,1429 

1857 

0.1218 

0,1415 

0,1337 

1858 

0,1407 

0,1493 

0,1463 

1859 

0,1098 

0,1334 

0,1243 

1860 

0.1185 

0,1403 

0,1305 

Mittel  1843        1860 

0,1316 

0,1430 

0,1390 

Man  sieht.  (las.s  die  orossen  Bewegungen  fast  genau 
dasselbe  Resultat  geben,  welches  ohv.w  aus  der  Gesamnilheit 
der  grossem  und  kleineren  Bewegungen   abgeleitet   worden   ist. 

Sabine  war,  wie  ich  glaube,  der  er.ste  der  nachgewiesen 
hat,  dass  dii?  Störungen  nicht  etwa  wie  man  früher  glaubte  an 
allen  Punkten  d(M-  Krde  gleichzeitig  und  in  ähnlicher  Weise  sich 
offenliaren,  sondern  «lass  sie  ihre  liigliche  Periode  haben  eben 
so  wie  die  regelmässigen  Variationen.  Die  Störungen  treten 
in    solcher   Weise  auf,    dass   sie  als  eine  Verstärkung  der 


86 


Sitzung  der  math.-phys.  C lasse  vom  14.  Juni  1862. 


regelmässigen  Bewegung,  also  auch  als  eine  Verstärkung  der 
gewöhnlich  wirkenden  Kraft  betrachtet  werden  können,  und  in 
diesem  Falle  inüsste  in  den  regelmässigen  Bewegungen  dasselbe 
Verhältniss  statt  haben,  welches  oben  in  den  Störungen  nachge- 
wiesen worden  ist,  d.  h.  man  hätte  die  Variationen  der  Inten- 
sität (in  Zehnlausendstel)  nn't  0,1381  zu  multipliciren  um  die 
Variation  der  Inclinalion  (in  Minuten)  oder  letztere  uiit  7,241 
zu  multipliciren  um  erslere  zu  erhalten.  In  wie  ferne  hiemit 
die  Beobachtung  übereinstimmt,  kann  man  aus  folgenden  Tabellen 
entnehmen. 

I  n  t  c  n  s  i  t  ä  t  s  -  V  a  r  i  a  ti  0 11  e  n. 


Stunde 


aus  der  Iiuliiiation 
berechnet 

vSonimer  |    \Yinler 


heobatlitel 
Sommer   !    VTiriter 


Untersiliied 
Sommer     1    Winter 


l^iMg. 

2 

4 

6 

7 

8 

9 

10 
11 
12 

l'-Ab. 

2 

3 

4 

5 

6 

8 

10 
12 


13,87 

5.79 

13.77 

5,06 

13,10 

5,28 

13,11 

4.46 

12,52 

6,58 

12.35 

6.00 

10,20 

7,75 

10.11 

6,79 

7,24 

7,60 

7,47 

6,75 

2,97 

5,94 

3,35 

5,19 

043 

3,33 

0,42 

2,61 

0.00 

1,08 

0.00 

0.50 

2.17 

0,00 

2,01 

0,00 

4,92 

1.37 

5,59 

1,85 

7.60 

2,24 

9.30 

3,41 

8.54 

1„59 

10,71 

3,32 

9,05 

1,09 

11,96 

2.76 

8,69 

0,36 

11,82 

2  32 

9,12 

0,58 

12,03 

2,16 

10  21 

1,30 

12,88 

3,23 

13,61 

3.52 

15,37 

3,65 

14,12 

5,50 

15,29 

5,34 

13,54 

6,01 

14,28 

5,45 

—0.10 
+0,01 
—0,27 
-0,09 
4-0,23 
+0.38 
-0,01 
-0,00 
-0,16 
-fO.67 
+  1J0 
•+2,17 
+2,91 
+3,13 
+2,91 
+2.67 
+1,76 
+1,17 
+0,74 


-0,73 

-0.82 
-0,88 
-0.96 
-0.85 
-0,75 
-0,72 
—0.58 
-0.00 
+0,48 
+1,17 
+1,73 
+1,67 
+1,96 
+1,58 
+1,93 
+0,13 
-0,06 
-0,56 


Lamont:  Mannet.  Intensüäts-  u.  Inclinatiom-Störtinyen.        87 


Incliiiations  -  Variationen. 


Stiiiulc 


aus  der  liitciisiliit 
berechnet 

Soiiiiiier  I    Winter 


beobachtet 
Sommer    1    Winter 


Unlersehicd 
Sommer     |  Winter 


PMg. 

2 

4 

6 

7 

8 

9 

10 
11 
12 

PAb 

2 

3 

4 

5 

6 

8 
10 
12 


0,24 

0,31 

0,42 

0,73 

1,27 

1.66 

2,06 

2,12 

1,75 

1,33 

0,84 

0,64 

0,47 

0,49 

0,46 

0  35 

0,00 

0,01 

0,15 


0,24 
0,32 
0,11 
0,00 
0  01 
0.22 
0.57 
0,87 
0,94 
0,68 
0,47 
0.48 
0.56 
0,62 
0,64 
0,49 
0,44 
0,20 
0,18 


0,02 
0,14 
0,22 
0,54 
0,95 
1,54 
1,89 
1,95 
1,65 
1,27 
0,!)0 
0,77 
0,70 
0.75 
0,69 
0,54 
0,07 
0,00 
0,08 


0,27 

0,34 

0,12 

0,00 

0,02 

0,25 

0,61 

0.92 

1,07 

0,88 

0,76 

0,85 

0,92 

1,02 

0,99 

0,89 

0,57 

0,31 

0,24 


I 


—0,22 

-0,17 

-0,20 

—0,19 

-0,32 

-0,12 

-0,17 

-0,17 

-0,10 

—0,06 

+0,06 

+0,13 

+0,23 

+0,26 

+0,23 

+0,19 

+0,07 

-0,01 

-0,07 


+0,03 

+0,02 

+0,01 

+0,00 

+0,01 

+0,03 

+0,04 

+0,05 

+0,13 

+0.20 

+0,29 

+0,37 

+0,36 

+0,40 

+0,35 

+0,40 

+0,13 

+0,11 

+0,06 


Die  Uebeieinsliininiing^  der  täglichen  Bewegung  mit  dem 
Gesetze  der  Störungen  geht  zwar  sein-  weit,  und  es  bleiben 
verhaltnissmiissig  nur  kleine  Unterschi(Mle  übrig,  gleichwohl 
ofTenbart  sich  in  diesen  eine  zu  grosse  Regeliniissigkeit,  als  dass 
sie  für  zufällig  gehalten  werden  konnten.  Wir  haben  demnach 
anzunehmen,  dass  zwei  verschiedene  Kräfte  bei  den  mag- 
netischen Bewegungen  thälig  sind,  ein  Satz  den  ich  bereits  in 
einer  früheren  Schrill  (Besnilate  des  magnetischen  Observato- 
riums in  München  1843  —  44  —  45)  auf  andcrm  Wege  zu 
begründen  gesucht  habe. 


88  Sihutiy  der  tnath.-phys.  VlasiC  votn  i4.  Juni  1862. 

Herr  P  eilen  kofer  gab  eine  Millhellnng 

„Ueber  ilic  Ausscheidung  von  Wassersloffgas 
bei  der  Ernährung  des  Hundes  mit  Fleisch 
und  Slärivinehl  oder  Zucker." 

Die  Versuche  über  die  Menge  der  Ausscheidungen  durch 
Haut  und  Lunge  in  stetem  Bezug  zur  aulgenommenen  >'ahrung, 
welche  ich  gemeinschaftlich  mit  Hrn.  Professor  Dr.  Volt  in  dem 
durch  dicMunificenz  Sr.  Jlajeslüt  des  Königs  Max  errichteten 
Respiralionsapparal  gegenwürticr  am  Hunde  ausführe,  haben  zu 
einem  Eroebniss  cjcführt .  das  ich  der  Classe  einstweilen  mir 
mitzulheilen  erlaube,  noch  bevor  die  ganze  Versuchsreihe  abge- 
schlossen und  von  uns  beiden  im  Zusammenhange  mifgetheilt 
werden  wird. 

Geht  man  von  reiner  Fleischkost  zu  gemischter  Kost  (Fleisch 
und  Stärkmehl  oder  Zucker)  über,  so  ändert  sich  das  Verhält- 
niss  zwischen  der  Menore  des  aus  der  Luft  aufsjcnonnnenen 
Sauerstofles  und  des  in  der  ausgeschiedenen  Kohlensäure  ent- 
haltenen nach  einigen  Tagen  sehr  merklich.  —  Ans  theoretischen 
Gründen  ist  diess  von  vorneherein  zu  erwarten ,  und  die  Ver- 
suche von  Regnault  und  Reiset  Hessen  diess  bereits  sehr  deut- 
lich erkennen.  Da  dieses  Verhältniss  sich  mit  ji^dem  Tage  nur 
um  etwas  ändert,  so  wollti-n  wir  den  Punkt  erlahren,  wo  bei 
gemischler  Kost  das  Gleichgewicht  eintritt,  und  bei  dieser  Ge- 
legenheit kan)en  wir  zu  dem  ganz  unerwarteten  Resultate,  dass 
bei  Fleisch  und  Zucker  ein  Zustand  eintritt,  wo  der  in  der  aus- 
geschiedenen Kohlensäure  enthaltene  SautTstolT  ein  volles  Drittel 
melu"  beträgt,  als  der  aus  der  Luft  aulgcMionunene.  Ein  solches 
Verhältniss  ist  nur  denkbar,  wenn  ein  beträchllicher  Tlieil  des 
genossenen  Kohlehydrates  sich  in  der  Weise  umsetzt,  dass  es 
zu  Kuhleiisäurt!  und  Wasserstoff  zerfällt,  ähnlich  wie  bei  der 
Bniter.oäuregahrung,  wenn  also  aus  den  Kohlehydraten  Kohlen- 
säure; gebildet  wird,  welche  keinen  Sauerstod  aus  d(*r  Luft  be- 
ansprucht, sondern  auf  Kosten  des  Saucirsloffes  im  Kohlenhydrate 
entsteht.     Und     unter    diesen    Umständen    kann    allerdings    die 


Pettenknfer :    Ueher  Ausscheidung  von  Wasserstoffi/as.  §9 

Aiisscheidiiiig  von  1  Gnu.  Wasserstoff  die  Bildung  von  11  Grm. 
Kohlensaure  veranlassen ,  ohne  dazu  Sauerstoff  aus  der  Luft 
nölhig  zu  haben. 

Dieser  Wasserstoff  Hess  sich  leicht  in  der  Lufl  des  Appa- 
rates naclnveisen.  Zu  diesem  Behufe  wurden  von  der  abströ- 
menden Luft  zwei  Proben  auf  Kohlensaure  und  Wasser  unter- 
sucht, die  eine  wie  gewöhnlich,  die  andere  aber  nachdem  sie 
in  einem  nn't  l'lalinschwamm  gelVilllen  Verbrennungsrohr  geglüht 
worden  war.  Um  was  in  dieser  zweiten  Probe  für  ein  glei- 
ches Vohini  abslriimender  Luft  sich  mehr  Wasser  und  Kohlen- 
säure ergibt,  als  bei  der  erslen  Probe,  wo  die  Lufl  nicht  ge- 
glüht wird,  um  das  ist  \^'asser  und  Kohlensaure  durch  das 
Glühen  der  Luft  noch  zu  der  bereits  vorhandenen  gebildcd  wor- 
den. Es  ergab  sich  nun,  dass  die  Wassermenge  der  Luft,  wäh- 
rend sie  über  dew  glühenden  PlalinschwiMum  strömte,  sehr  be- 
trächtlich, die  Kohlensäuremenge  sehr  unbedtmtend  zunahm.  — 
Das  deutet  an,  dass  man  es  mit  >\'asserstoff  zu  thun  hat,  dem 
eine  uerintj-e  Menoe  Grubenoas  beioemengt  ist.  Andere  orga- 
nische  Dämpfe  können  nicht  in  der  Luft  des  Apparates  nachge- 
wiesen werden,  das  Schwefelsäurehydrat ,  welches  zur  Absorp- 
tion des  Wassers  in  dem  kürzlich  beschriebenen  Kugelapparate 
dient,  färbt  sich  binnen  24  Stunden  nicht  im  g(!ringsten.  obschon 
slündlich  mindi'slens  G  Liter  Luft,  also  während  der  ganzen 
Dauer  eines  Versuches  jedenfalls  gegen  150  Liter  Luft  durch 
die  erste  Kucjel  eintreten.  >Vären  noch  andere  kohlenstoffhal- 
tige  Dämpfe  in  i\en  perspirirlen  Ga.sen  in  messbarer  Menge  vor- 
handen ,  so  würde  sich  bei  solchen  iMengen  der  untersuchten 
Luft  die  Schwefelsäure  jedenfalls,  wenigstens  in  der  (Msten  und 
zweiten  Kugel  bräunen.  Man  hat  somit  ein  volles  Hecht,  den 
auf  diese  Art  gefundenen  Kohlenstoff  als  Grid)engas,  den  übrigen 
Wa.ssersloff  als  Wassersloifgas  zu  berechnen.  —  Auch  die 
eudiometrischen  Versuche  Anderer  konnten  in  der  Perspirations- 
lulY  ausser  Kohlensäure,  Stickstoff  und  Sauerstoff  weiter  nichts 
als  Wasserstoff  und  Grubengas  in  einer  Menge  finden,  dass  sie 
noch  quantitativ  bestimmbar  war. 


90  Sitzung  der  math.  -phys.  Classe  vum  14.  Juni  1862. 

Per  zu  uiiscrn  Versuchen  dienende  grosse  Hund  (circa 
30  Kilo  schwer)  schied  bei  einer  14  Tage  dauernden  FüUerung 
von  500  Grm.  Fleisch  und  200  Stärke  in  zwei  Versuchen  binnen 
24  Stunden  folgende  Anzahl  von  Grammen  durch  Haut  und 
Lungen  aus. 

Kolilpiisäiire  Wasser  Wasserstoff      Gnibciiscas 

I.  416.0  359,9  7,2  4,1 

II.  428,3  360,1  7.2  4.7 

7.2  Grm.  Wasserstoff  ist  «lehr  Wasserstoff,  als  in  100  Grm. 
Stärke  enthalten  ist,  und  mehr,  als  bei  Umwandlung  von  200  Grm- 
Zucker  in  Buttersäure  frei  wird. 

Um  die  Menge  Sauerstoff  bemessen  zu  können,  welche  aus 
der  Lull  in  den  Stoffwechsel  eingetreten  ist,  muss  man  säcnmt- 
liche  Gewichtsverhältnisse  vor  und  nach  dem  Versuche  mit  ein- 
ander vergleichen.  Ein  Beispiel  wird  diese  Arte  zu  rechnen  am 
besten  erklären : 

Versuch  I. 
Gewicht  des  Hundes 
vor  dem  Versuche  29944  Grm.  —  nach  dem  Versuche  2987  3  Grm. 

IFIeisch     500     „  Harn  338,8  „ 

/Stärke     200     „  Koth  1,1  „ 

Oelulierles  '  ^^^  ^.^     ^^  Kohlensäure  416.0  „ 

(Wasser  144,5  „  Wasser         359,0  „ 

30795,0  „  Wasserstoff      7,2  „ 

Grubengas  4,1  „ 
3IIÖO7I  ,, 
Um  was  die  Sunune  nach  dem  Versuche  grösser  ist,  als 
vor  dem  Versuche,  das  ist  Sauerstoff  aus  der  Luft  eingetreten. 
Man  kann  also  sagen,  dass  während  des  Versuches  304.1  Grm. 
Sauerslofl  aus  der  durch  den  Apparat  strömenden  Luft  vom 
Hunde  verzehrt  worden  sind. 

Der  Hund  bekam  nun  zu  500  Grm.  Fleisch  200  Fett  an- 
statt Stärke,  Am  ersten  Tage  schied  er  bei  dieser  Diät  in 
24  Stunden  folgende  Anzahl  von  Grammen  aus 


Seidel:  Zur  Theorie  der  Potenzreihen.  91 

Kolilciisäurc  Wasser        WassorslofF      (iiiihengas 

417,3  426/J  6,4  3,7 

droi  Tilge  später 
427,8  G2r),6  4,3  4,5 

Man  sieht,  wie  die  WasserslofTausscheidung  abnimmt,  wenn 
die  Stärke  durch  Feit  ersetzt  wird,  während  die  Menge  des 
Grubengases  sich  ziemlich  constant  erhält.  Wie  weit  der 
WasserstofT  bei  dieser  Diät  nach  und  nach  zurücktritt,  werden 
fortgesetzte  Versuche  lehren. 

Gegen  diese  Zahlen  kann  man  nur  den  einzigen  Einwurf 
noch  machen,  dass  vielleicht  die  in  den  Apparat  einströmende 
Luft  schon  etwas  \yasserslüff  enlhalle,  der  von  dem  in»  Apparat 
entwickelten  abzuziehen  wäre.  L'm  diesem  zu  begegnen,  wird 
eben  eine  vierte  Untersuchungspumpe  aufgestellt,  welche  auch 
die  Untersuchung  der  fortwährend  einströmenden  Luft  auf 
WasserstülT  und  Grubengas  gestaltet.  Aller  Wahrscheinlichkeit 
nach  werden  diese  Grössen  verschwindend  klein  sein,  doch  er- 
fordert das  Princip  der  Diirerenzbeslinunungen ,  welches  meiner 
ganzen  Unlersuchungsmelhode  zu  Grunde  liegt,  auch  diese 
Rücksicht,  und  werde  ich  in  Bälde  im  Stande  sein,  InCrüber  in 
entscheidender  Weise  berichten  zu  können. 


Herr  Seidel  sprach 

,,Ueber    die    Verallgemeinerung    eines     Salzes 
aus  der  Theorie  der  Polcnzrei  hen." 

Wenn  man  zwei  nach  steigenden  Potenzen  derselben  Grösse  x 
geordnete  Reihen  hat,  welche  für  alle  Werthe  von  x  zwischen  o 
und  h  convergiren  und  übereinstimmende  Werthe  annehmen,  so 


92  Sit-zuny  der  viath.- jihifs.  Classe  vom  14.  Juni  1862. 

hat  mau  den  für  die   ganze  Analysis   fundamentalen  Satz,    dass 
diese   beiden  Reihen    identisch    sein    müssen.     Der  Beweis  des- 
selben, wie  er  von  Caiichy  in  exacter  Weise  gegeben  ist,  be- 
ruht wes«Milhch  auf  der  Belrachtung  kleiner  Werthc  von  x;    er 
erfordert  dabei  keinen  andern  Hiifssatz,    als    dew   vorausgegan- 
genen Nachweis,    dass   es    möglich   ist,   in   der  convergirenden 
Polenzreihe    x   so    klein    anzunehmen,    dass  das  Yerhidtniss  der 
in's  Unendliche    sich    erstreckenden   wSuinme    aller  Glieder,    von 
einem  beslimmlen  angefangen,    zu  dem  vorausgehenden  einzel- 
nen Gliede,    kleiner  wird    als    eine   beliebig   kleine    Grösse.   — 
Die  Fratro  hat  sich  wohl  schon  Vielen  aufgedriingt,  ob  man  die 
Identität    der    beiden   Reihen,     deren    Summen  üliereinslimmen, 
auch  dann  nachweisen  kann,  wenn  die  Grenzen  g  und  h  von  x, 
innerhalb  deren    man   dieser  Uebereinslimmung   gewiss    ist,    die 
Null   ansschliessen ;     kürzlich    ist    diese    Frage     von    Herrn    H. 
Laurent    in    dem  Journale    von    Terquem   und  Gerono   aufge- 
worfen   woiden.     Dass    ihre    Beantwortung    alTirmativ   ausfallen 
muss,  daran  wird  nicht  leicht  Jemand  zweifeln;   es  s<:heint  aber 
nicht  uninteressant,  sich  davon  Rechenschall  zu  geben,  wie  der 
strenge  Beweis  zu  führen  ist.     Derselbe  liegt  darum  nicht  ganz 
so    nahe,    als   man    erwarten   möchte,    weil    die   Eigenschaften, 
welche    wir   gewohnt   sind   mit   der  Natur   von  Potenzreihen  als 
unzertrennlich   verknüpft   zu    denken ,    zum  Theile  aus  der  Be- 
trachtung   erwiesen    werden ,      dass    alle    Reihen    dieser    Art 
unter    das   Taylor'sche    (oder    Maclaurin'sche)    Theorem    lallen: 
man  muss  aber  bemerken ,  dass  die  Identität  irgend  einer  con- 
vergirenden Potenzreihe    mit    einer   Taylor'schen   Reihe   unseren 
Satz   selbst   schon   zur  Voraussetzung   hat ,    und    a   priori   nicht 
feststeht,  wenn  man  von  den  WtMthen  der  Frsteren  nur  Kennt- 
niss  hat   für   solclie    x,   die    zwischen  Grenzen    g    und  h  liegen, 
welche   entweder   beide  positiv   und   von  Null    verschieden  oder 
beide  nejiiitiv  und  von  Null  verschieden  sind.   —   OlTenhar  kann 
man    das   zu   erweisende  Theorem  auch    so  aussprechen :    wenn 
eine    nach   Potenzen     von    x   geordnete    Reihe    convergirl    und 
Null  zur  Summe  hat  für  alle  VVerthe  von  x  zwischen  g  und  h, 


Seidel:  Zur  Theorie  der  Potenzreihen.  93 

SO  müssen  alle  ihre  einzelnen  Glieder  identiscli  Null  sein.  Der 
an  diese  letzlere  Fürnudiruno-  sich  anschliessende  Beweis,  den 
ich  im  Folgenden  andeuten  werde,  h(M'uiit  auf  der  Id(!e,  zu- 
nächst «las  Intervall  der  Grenzen  von  \,  innerhalb  deren  die 
Sunnne  Null  wird ,  nach  unten  zu  erweitern ,  so  lange  bis  der 
Werlh  X  =:  0  hineinriillt,  wo  dann  der  Cauchy'sche  Beweis  zu- 
trifft; um  jedoch  diese  Erweiterung  vornehmen  zu  können,  sind, 
soviel  ich  sehe,  einige  Hilfssiilze  nöthig,  die  ich  bezeichnen  werde, 
und  die  übrigens  Eigenschaften  aussprechen,  welche  auch  sonst 
von  wesentliclnu*  Bedeutung  für  die  Potenzreihen  sind : 

1)  Man  zeigt,  dass  wenn  eine  vorgelegte  nach  Potenzen 
von  X  geordnete  Reihe  convergirt  für  x  =:  h ,  sie  auch  con- 
vergiren  muss,  und  zwar  abgesehen  von  den  Vorzeichen  ihrer 
Glieder,  für  alle  x  die  der  Null  naher  liegen  als  h.  Desgleichen 
zeifft  man ,  dass  die  Reihe  für  diese  letzterem  Werlhe  von  x 
nothwendig  eine  conlinuirliche  Function  von  x  vorstellt. 

2)  Wenn  man  eine  abgeleitete  Reihe  dadurch  bildet,  dass 
man  in  der  voi"ii;eI(;iTlen  Reihe  Glied  für  Glied  nach  x  Einmal 
dilferentiirl,  —  oder  eine  zweite  abgeleitete  dadurch,  dass  Glied 
für  Glied  zweimal  nach  x  differiMitiirt  wird,  —  u.  s  w.,  so  wird 
bewiesen,  dass  auch  die  m"^  abgeleitete  Reihe  noch  convergirt 
für  alle  Werlhe  von  x,  die  der  Null  näher  liegen  als  h.  (Nach 
Salz  1.  ergibt  sich  dann,  dass  auch  jede  dieser  Reihen  eine  con- 
linuirliche Function  von  x  ist). 

3)  Man  zeigt ,  dass  diese  abgeleiteten  Reihen  zu  Sununen 
die  wahren  Dilferential- Verhältnisse  der  durch  die  ursprüngliche 
Reihe  vorgestellten  Function  von  x  haben.  (Oiiise  Behauptung 
bedarf  eines  B«!vveis(?s,  weil  man  bckannllich  keinen  Salz  hat, 
nach  welchem  es  erlaubt  wäre,  unendliche  Heihen  im  Allge- 
meinen zu  dilferenliiren  ,  und  weil  die  Identität  der  vorgelegten 
Reihe  mit  einer  Taylor'schen,  die  diff(Mentiirl  werden  darf,  noch 
nicht  erwiesen  ist.) 

Nach  di(!sen  Sülzen  würden  man  also  j(!lzt  wissen:  die  durch 
unsere  lielhc.  dargeslcllU;  Function  ist  conlinuirlich  sanwnt  allen 
ihren  Diü'erenlial- Verhällnisseii  nicht  allein  für  alle  x  zwischen 


94  SÜ-zung  der  math.  -  ]>hys.  Classe  vom  14   Juni  1S62. 

g  und  h,  sondern  auch  für  alle  x  zwischen  o  und  h  •.  Ferner 
weiss  man  (nach  der  Voraussetzung),  dass  sie  constant  gleich 
Null  ist  für  alle  x  in  den  engeren  Grenzen  g  und  h,  woraus 
von  selbst  folgt,  dass  iinierhalb  dieser  Grenzen  auch  alle 
Differential -Verhältnisse  Null  sind.  Es  handelt  sich  darum,  aus 
der  letzteren  Eigenschaft  mit  Hilfe  der  jetzt  erwiesenen  Conti- 
nuität  der  Function  und  ihrer  sämmtlichen  Differential -Verhält- 
nisse zu  erweisen,  dass  auch  die  Fortsetzung  der  Function  über 
das  letztere  Intervall  hinaus ,  nämlich  für  Werlhe  von  x  zwi- 
schen 0  und  g,  noch  constant  gleich  Null  bleibt.  Wenn  eine 
Function,  die  zwischen  x  =  g  und  x  =  h  stelig  gegeben  ist, 
und  von  der  man  weiss  dass  sie  jenseits  x  ==  g  sammt  allen 
ihren  Differential-Coefllcienten  continuirlich  bleibt,  überhaupt  nur 
auf  Eine  Art  fortgesetzt  werden  könnte,  so  wäre  es  klar,  dass 
die  unsrige  auch  von  x  ~  g  bis  x  =  o  constant  und  gleich 
Null  bleiben  müsste;  die  angerührten  Data  genügen  indessen 
nicht,  um  zu  diesem  Schlüsse  zu  berechtigen  ^  Man  kann  den- 
selben aber  für  den  uns  vorliegenden  Fall  strenge  legalisiren, 
indem  man  auf  die  zu  behandelnde  Function  den  Taylor'schen 
Satz  mit  dem  Ergänzungsgliede  anwendet.  In  dieser  Form 
gilt  der  Satz  bekanntlich  immer,  so  lange  nur  die  sämmtlichen 
in  seiner  Entwicklung  aufgenommenen  Glieder  contiiuiirliche 
Functionen  bleiben:  setzt  man  für  x  einen  Werth  zwischen  g 
und  h,  dem  g  sehr  nahe  liegend,  für  ^x  einen  Werth  dessen 
Vorzeichen  mit  demjonigen  von  g  —  h  übereinstimmt,  so  ver- 
schwinden für  unseren  Fall  alle  Glieder  bis  auf  das  Ergäuzungs- 


(1)  Man  könnte  atitli  i^Ieith  sa^en,  zwischen  —  h  und  h.  —  Uli 
setze  voraus,  dass  g  zwisilien  o  und   li  liegt.  — 

(2)  Ks  sei  Fx  ein  Ausdruck,  welcher  für  Werthe  von  x  die  kleiner 
als  g  sind  eine  den  angeführten  Bedingungen  entsprechende  Fortsetzung 
einer  zwischen  x  =r  g  und   x  =  h  gegebenen  Function  darstellt.     .\h- 

i 
dann   wird    auch    Fx   +   y(x)    c»-«   denselben    Bedingungen    geniigen, 
wenn  y(x)  eine  willkiihrlidie  Function  vorstellt,    die   aber   zugleich  mit 
allen  ihren  [lifferential-Verhältnissen  continuirlich  bleibt  zwischen  o  und  g. 


Seidel :  Zur  Theorie  der  Potenzretlien.  95 

gWcd,  von  diMu  letzteren  aber  kann  man  beweisen,  dass  es  sich 
bei  wachsendem    Index    ebenfalls    der    Null    als   seiner    Grenze 

niihert,  vorausgesetzt  dass  p_-  ein  ächter  Bruch  ist.  Indem  man 

Jx  dieser  Bedinoung  entsprechend  anninnnt,  erweitert  man  also, 
gegen  Null  zu,  die  Grenzen  des  anlanglich  gegebenen  Inlervalles 
innerhalb  dessen  die  Reihe  constanl  den  Werth  Null  hat:  indem 
man  sich  nothitrenfidls  eine  solche  Erweilerungr  mehrmals  wie- 
derholt  denkt,  brinot  man  den  Werth  x  ==  o  selbst  in  das 
neue  Intervall  hinein,  und  reducirt  dadurch  di((  Betrachlunof  auf 
(\c]\  bekannten  Fall,  für  welchen  schon  demonstrirt  ist,  dass 
alle  Glieder  der  Reihe  identisch  verschwinden  müssen. 

Was  die  Beweise  der  unter  1),  2),  3)  gedachten 
Siitze  und  ebenso  denjenigen  für  die  unendliche  Abnahme 
des  Erffänztni(jsi>liedes  bei  fortwährendem  Wachsen  des  Index 
bclrilTt,  so  beruhen  sie  alle  auf  der  nändichen  B(;trachtnng, 
nach  welcher  gezeigt  wird,  dass  in  der  convergirenden  Totenz- 
reihe  die  Ergänzung  beliebig  viel  kleiner  gemacht  werden  kann 
als  das  einzelne  ihr  vorangehende  Glied.  Um  bei  den  Thesen 
1)  nicht  zu  verweilen  (deren  Beweis  besonders  nahe  liegt),  so 
wird  z.  B.  die  Convergenz  der  sännntlichen  nach  2)  abgeleiteten 
Reihen  (welche  abgesehen  von  den  Vorzeichen  stattfindet)  durch 
folgende  Bemerkung  dargethan :  Weil  die  ursprüngliche  Reihe 
noch  convergirt  für  x  i=  h ,  so  gibt  es  eine  endliche  Grösse  M, 
welche  die  Eigenschaft  hat  grösser  zu  sein,  als  irgend  ein  ein- 
zelnes Glied  der  Reihe  dann  wird,  wenn  man  h  für  x  setzt. 
Nimmt  man  daher  jetzt  für  x  einen   kleineren  Werth ,    so    wird 

das  mit  x^  mulliplicirte  Glied  kleiner  sein  als  (  ."  j    M,     d.    h. 

kh'iner  als  das  allgemeine  Glied  der  geometrischen  Reihe,  deren 

AI 

Glieder  sännntlich  positiv  sind,  und  welche x_    zur    Sununc 

¥ 
hiit.     Wenn    man    nun    die;   einzelnen  Glieder   der  erstem  RtMhe 
nnt    denjenigen    Zahienläctoren    nudtiplicirt ,     welche    bei    ihnen 
durch  die  successiven  Diflerenlialionen  hiuzulrelen,  und  zugleich 


96  Sitzung  der  t/iath.-phi/s:  Vlasse  vom  i4.  Jvni  iS62. 

die  entsprechenden  Erniedrigungen  der  Potenzen  von  x  vor- 
nimmt, so  werden  die  einzelnen  Glieder  noch  immer  kleiner 
sein,  als  die  auf  dieselbe  Art  veränderlen  Glieder  der  geome- 
trischen Heihc.  Die  letzteren  haben  aber ,  wenn  m  mal 
differenliirl   worden  ist,    zur  Grenze  ihrer  Suminme  die  Grösse 

iw    <•"  r,         x\-J          1 .2.3...  m.M  ,,  ...  ,    ,,  ..^ 

M    ,    -l  1  ~  1^  I       ~  - — 7^ ;;;-,-,   Welche    endlich  Dleu)t 

für  alle  Werthe  von  x  die  kleiner  als  h  sind;  es  wird  daher 
auch  der  Zahlenwerlh  der  Reihe,  welche  durch  m  maliore 
Differentiation  der  einzelnen  Glieder  der  ursprünglich  vorge- 
legten Reihe  entsteht,  den  Werth  des  letzteren  Ausdruckes 
selbst  dann  nicht  überschreiten  können,  weim  man  allen  Glie- 
dern gleiche  Zeichen  gibt,  —  wonn't  die  Behauptung  2)  er- 
wiesen ist  \ 

Um  endlich  zu  beweisen,  dass  die  conv(>rgirende  Reihe, 
welche  man  durch  Differentiation  der  einzelnen  Glieder  der  vor- 
gelegten Reihe  erhält,  zu  ihrer  Summe  wirklich  das  DifferiMitial- 
Verhältniss  der  durch  die  erste  Reihe  dargestellten  Function 
hat  (  —  unsere  Behauptung  3) ,  die  offenbar  für  m  malige 
DiUerentiation  von  selbst  folgt,  wenn  sie  erst  für  die  einmalige 
erwiesen  ist  — ),  bildet  man  zuerst  den  Unterschied  der  beiden 
Werthe,  welche  die  vorgelegte  Reihe  annimmt  für  x  ==:  a  und 
für  X  ==  ß  (ich  nehme  an  /i^  >  a^),  und  dann,  durch  wirk- 
liche Division  der  einzelnen  Glieder,  das  Verhältniss  dieses  Un- 
terschiedes zur  Dilferenz  (i  —  a.  Man  hat  zu  zeigen ,  dass 
dieses  Differenzen  -  Verhältniss  bei  fortwährender  Ainiäherung 
von  ß  an  a  sich  einem  Werthe  nähert,  der  kein  anderer  ist, 
als   die  Summe   der  Reihe,   die    man   durch  Einmalige  Differen- 


(3)  Der  rbcn  auri>esle!lto  Wnlli,  uclduMi  die  Suniinc  der  in  mal 
dilTtTcnliiitcii  Ki-ilic  nie  übcrsclircileii  kann,  dient  aniii  liir  den  Beweis, 
dass  das  Er<;änzinigs<rlied  der  Tajlor'schen  Reihe ,  wie  es  in  der  oben 
weiter  an<;edeuleten  Betracbliing  auitrill,  unter  Voian.'Äetzung  der  dort 
angerührten  tiedingung  sich  bei  waihsendeni  Index  der  Null  als  Grenze 
liüliern  niuss. 


Seidel :  Zur  Theorie  der  Potemreilien.  9-7 

liation  der  einzelnen  Glieder  und  durch  die  Substitution  x  =  a 
aus  der  vorgelegten  Reihe  ableitet;  zu  dem  Ende  zieht  man  die 
differenliirte  Keilu!    von    dem   Differenzen  -  Vorhäitniss    ab,    und 
ordnet  nach  den  Dimensionen  der  Grössen  a  und  ß.   Den  Zah- 
lenvverth    der    Reilu;,    welche    den    Unterschied    zwischen    dem 
Differenzen  -  Verhältniss  und  der  ersten  abgeleiteten  Reihe  vor- 
stellt, vergrössert  man,  indem  man  erstens  statt  der  etwa  vor- 
konmienden  negativen  Coefficienten  ihre  absoluten  Zaiilenwerthe 
setzt,  dann  statt  des  aligemeinen  Coefficitiiiten  vom  Index  r  den 
VVerth  Mh~'  schreibt,  den  er.  wie  vorhin  erörtert,  nicht  über- 
schreiten kann,    und  indem  man  noch  drittens  in  den  additiven 
Theilen  der  AcroTeijate,  welche;   mit   diesen  Coefficienten  inulti- 
plicirtsind,  überall  ß  statt  a  nimmt.  Nach  diesen  Veränderungen 
liisst  sich  die  Reihe  summiren,  und  der  Ausdruck,  welcher  sich 
ergibt,  zeigt  eine  Form,  an  welcher  man  sogleich  erkennt,  dass 
er  sich  d(!r  Null  niiiiert,  wenn  ß  sich  dem  a  ohne  Ende  niihert. 
Das  Differenzen-Verhiiltniss  der  vorgelegten  Reihe  hat  also  wirk- 
lich  zu  seiner  Grenze   die  Reihe ,    welche  durch  Difl'erentiation 
der  einzelnen  Glieder  aus  der  ersten  abgeleitet  wird.  —  Auf  diese 
Art  ertreben  sich  also  leicht  die  verschiedenen  Lemmen,  welche 
man    für    den   Beweis    des    Eingangs    erwiihnten    fundamenlalen 
Satzes   nach   dem   hier   vorg(!Schlagenen  Gange  der  Betrachtung 
nöthig  hat. 


Illslorlschc  Classe. 


Sitzung  vom  '21.  Juni  lS(i2. 


Herr  Muffat  sprach  über 

„Wolfher,    Patriarchen     von    Aquileja,    einen 
gebornen  Bayern." 

[1^63.  u.]  7 


§g  Sitzung  der  philos.-pfiiioi    Classe  rom  5.  Juli  1862. 


Philosopliisch  -  philologische  Classe. 

Silzims  vom  5.  Juli  18C2. 


Herr  Thomas  herichlete  über 

„einige    Fragmente    von    versificirten    Fabeln 
zum  sogenannten  Romulus.'' 

In  der  Münchener  Incunabel  (c.  a.  143),  welche  das  Con- 
solatorium  theologicum  Magistri  Johannis  de  Tambaco  enthält, 
gedruckt  1492  in  Basel  durch  Johann  von  Amerbach  —  aus 
der  Bibliothek  von  T cgernsee ,  stehen  aöf  dem  hintern  perga- 
mentenen Falzblatt  einige  Fabeln,  im  elegischen  Versmaass,  die 
Schrift  deutet  uiii  das  12.  Jahrhundert.  Dieses  Aller  allein 
macht  es  werth  dieselben  abzuschreiben.  Sie  gehören  zum 
3.  Buch  des  sogenannten  Aesopus,  wie  ihn  die  ältesten  Aus- 
gaben von  Johann  Zeiner  in  Ulm  (vom  J.  14(S9)  darbieten. 
Unser  Text  weicht  von  diesem  Drucke  nicht  unmerklich  ab. 

Wohl  nichts  hat  grössere  Wandelungen  durchgemacht  als 
dieses  milteliillerliche  Fabelbuch.  Für  eine  künftige  Kritik  — 
wenn  sie  anders  dieser  Gattung  der  Lehrpoesie  für  jene  Zeit 
nochmals  zu  Theil  wird  —  mögen  denn  diese  Bruchstücke  der 
wahrscheinlichen  Verborgenheit  entrissen  werden. 

Um  unserer  kleinen  Gabe  etwas  an  Werth  zuzusetzen,  habe 
ich  aus  den  Handschriften  unserer  Bibliothek  noch  .')  Eanneramer 
Handschriften  herbeigezogen,  und  zwar  Cod.  Em.  B.  XLII., 
D.  AXVI.,  F.  XXXII.,  D.  LVIII.,  F.  LXXXIX.,  ich  habe  sie  kurz 
Eß,  ED,  EF,  J,  (h  bezeichnet. 

Das  Pcrganu'iilbliilt,  welches  unten  abgeschnitten  ist,  gibt 
drei  Fabeln  (die  drei  ersten  des  genannten  3.  Buches)  ,,de  leone 
et  paslore"  —  „de  equo  et  leone''  —  „de  equo  ornato''  voll- 
Ständig,  nur  dass  in  der  2len  Fabel  durch  den  Abschnitt  Vers  3, 


Thomas:  Zum  versificirten  Romulus.  99 

in    der    3ten    die    4    Schlussverse    des    Epiinylhiunis    wegge- 
fallen sind. 

Ausserdem   sieben    noch  am  Anfang  der  Seite   die  beiden 
Endverse  der  20ten  Fabel  des  2ten  Buches  ,,de  rana  et  bove" 
cum    niainre   nnnor   conferri    desinat  et  se 
consulat  et  uires  temperet  ipse  suas. 

/.     De  leone  et  pastore. 

1     SoUicilus  praedae  currit  leo.  spina  Iconem 

Vulnerat.  offendit  in  pede  mersa  pedem. 

Fit  mora  de  cursu.  leuilas  inprouida  lapsum 

Saepe  facit.  laeso  stat  pede.  turba  pedum. 
5     Vix  aegrum  sinit  ire  dolor  saniemqne  fatelur 

Maior.  idem  loquitur  vubieris  ipse  dolor. 

Cum  laesit  miseros  fortuna  medetur  eisdem. 

Hinc  est  cur  medicnm  plaga  leonis  habet. 

Nain  leo  pastorem  r(!pp(Til  pastorque  Iconem. 
10     Pro  dapo  tendit  oues.  respuit  ille  dapem. 

Supplicat  et  plngam  lonso  pede  monstrat  et  illi. 

Oral  opem.  pastor  uulnera  soluit  acu. 

Exit  cum  sanie  dolor  et  res  causa  doloris. 

Hie  blando  medicam  circuit  ore  manum. 


1  priicdo  le(»  (unit  EB. 

2  ofT.  iinpftuosa  pedeiii  EB. 
4  pede  stat  El),  J. 

C  uulniis  .siipiTSd    iiioiLiis  idciii  El»,  morbus  EF,  _/,  <P  (pallorZeiiier) 

7  laedit  EB,  El),  EF,  J,  <J'. 

0 

eosdcin  EB,   cisdcin  J. 

8  qiiod  iiR'diiuin  EH,   </'  lioc-  csl  (|iiod  iiiod.  plaiita  (in  corr.)  leonis 

El),  EF,  J  plaiita  </'. 
f)     pastorque  leoiii  EB,   El)  in  corr.,  EF,  J,   <l>. 
1U     oin.  EB,  dapes  El).  J  ouem  —  dapes  EF,  «/'. 

11  et  illuni  El).  J,  et  ille  EF,   </' 

12  pastorque  EB,  orat  ouans  pastor  El),  J  (sanat  acu  Zeiiier). 

7* 


100         Sitzung  der  philos.-philol.  Ctasse  vom  .5.  Juti  1862. 

15     Hospes  abil  merilique  notas  in  corde  sigillat. 

Tempore  deleri  gratia  firma  nequit. 

Hinc  leo  uincla  subit.  Romanae  gloria  praedae. 

Hunc  habet  et  niultas  miscet  harena  feras. 

Ecce  iiecis  poenain  pastori  culpa  propinat. 
20     Claudilur  in  inediis  et  datur  esca  feris. 

Hunc  leo  praesentit.  petil  hunc  tiuiet  ille.  timenti 

Huic  fera  blanditur.  sperat  abitque  limor. 

Nil  feritatis  habens  ludit  lera  cauda  resultat. 

Dum  fera  mansuescit.  se  negat  esse  feram. 
25     Hunc  tenet.  hunc  lingit.  pensatque  salute  salutem. 

NuUa  sinit  fieri  uulnera.  nulla  facit. 

Roma  stupet  parcitque  uiro  parcitque  leoni. 

Hie  redit  in  Silvas  et  redit  ille  domum. 

Non  debet  meritum  turpis  delere  vetuslas. 

Accepti  meniores  nos  decet  esse  boni. 


//.  De  equo  ei  leone. 

1     Tondet  equus  pratum.  pelit  hunc  leo.  cura  leonis 
Haec  mouel.  ut  fiat  esca  leonis  equus. 


13    sospes  EB,  ED,  EF.  J,  <P,  in  raente  sig.  ED,  J. 

17  (gloria  gentis  Zeiner). 

a  a 

18  inullis  .  .  feris  EI). 
1<.»     pastoris  J. 

20     (lauditur  et  iiieiliis  liic  datur  esca  feris  ED,  J,  «/'.  claiiditur  hie 

niediis  el  datur  c.  f.  EF.  in  corr.  aiitea:  et  in.  hie  d. 
'21     pelit  hunc,  tiinor  arguit  illuni  EB. 

22  haec  fera  El),  EF,  <fK 

23  lanibit  fera  dira  tiiiiontem  El),  J. 

24  et  iaiii  inansuescens  se  neg.  e.  f.  El),  J  (Zeiner);     et  iani  man- 

suescit se  n.  e.  f.  EF,  'P. 
27    parcil  uiro  EB. 
1     iura  leonem  EB,  Eü,  EF,  J,  'P  Zeiner. 


Thomas:  Zum  versificirten  Romulus.  101 


Et  coincs  et  niedicus  sum  tibi,  paret  equus. 
5     Sentit  enim  fraudes  et  fraiuli  fraude  resistit. 

Cordo  prius  texotis  retia  Iraudis.  ait. 

Ouaesitus  placidiisque  iioiiis.  te  teinporis  offert 

Gratia.  te  rogitat  pes  mihi  seilte  graiiis. 

Hie  fauet.  instat  equus  subieclo  uertice.  calcem 
10     Inprimit  et  sopit  membra  leonis  equus. 

Vix  fugit  ille  sopor.  uix  audet  uita  reuerti. 

Vix  leo  colla  niouens  respicil.  hostis  abest. 

Sic  leo  sc  danipnat.  pacior  pro  crimine  poenam. 

Nam  gessi  speciem  pacis  et  hostis  erain. 
15     Quod  non  es.  non  esse  ueh's.  quod  es.  esse  fateto  (sie). 

Est  male  quod  non  est  qui  negat  esse  quod  est. 

///.  De  equo  ornalo. 

1     Gaudet  equus  faicris.  sella  frenoquc  superbit. 
Ista  quidem  uexit  aureus  arma  decor. 
Obstat  asellus  equo.  uicus  premit  artus  asellum. 
Vexat  honus  lardat  natus  eundo  labor. 


3  iiiquit  eqiio  iiiiscr  ave  liiior  aile  incdcmli  EB. 

.     .     •     .       Uli  frater  auo EI),  EF,  J,  <P. 

4  iam  conics  El),  J. 

5  .sentit  pquus  f'raiulos  ER. 

(j     niPiiti'  priiLS  EB,  EM,  EF,  _/,  </>  Zciiier. 

9     iii.stat  equii.s  et  subito  uertico  EB.  instat  cquiis  El),  EF,  J,  <I>. 

11  ille  dolor  EB. 

12  niouet  EI),  J. 

equus  abest  Zeiner. 
1 4     iam  gessi  EB. 

IT)     ucli.s  sed  quod  es  esse  fateris  EB.  lalere  El),   </>  Zeiner. 

lateris  EF,  J. 
1     freiio  seliaquo  EB,  El>,  EF,   J,   </>  Zeiner. 

'1     illa  qn.  uestit  El),  ista  qu.  vcstit  El),  EF,  J,   *  Zeiner,  nitor  Zeiner. 
4     onus  ingens  tardit  EB.  t.  tantus  eundo  I.  EF,  </». 


102        Sitrung  der  pJälos.philol.  Vlasse  vom  .5.  Juli  1862. 

5     Q\ik\  sibi  claudat  iter.  sonipes  inclamat  asello. 
Occuris  domino  uilis  aselle  tiio, 
Vix  tibi  do  iiciiiam  de  lanli  criiiiine  fastiis. 
Cui  via  danda  fiiit  libera  dio-iuis  erani. 
Supplicat  illo  niiiiis  niinuitque  silendo  timorem. 
10     Fit  timor  et  surda  praelerit  aiiro  minas. 

Sunimus  bonor  decliiiat  equi.  dum  uincerc  temptat 
Vincitiir.  et  ciirsum  uiscora  rupta  negant. 
Priuatiir  faleris.  freno  priuatur  bonesto. 
Hunc  premit  assiduo  roda  cruonta  iugo. 
15  Huic  terguin  macies  aciiit  labor  ulcerat  armos. 
Hunc  uidet  inque  iocos  aiidet  aselbis  iners. 
Die  sonipes  ubi  sella  nitens,  ubi  nobile  fienum. 
Cur  est  baec  macies,  cur  fuit  ilie  nitor. 
Cur  manet  hie  gemitus.  cur  illa  superbia  fugit. 


5  cur  sibi  EF,  0  Zeincr.  asellnm  EB,  EU.  EF,  J,  'P. 

6  daudis  ilcr  domino  ED,  J. 

7  pro  tanti  EB.  taiiti  de  er.  f.  EF,  0. 

criininis  f.  J  (de  taiito  Zeiner). 

8  foret  Zeiner. 

9  nuitatque  timorem  silendo  ED,  J.  metatquc  t.  s.  EF,  <P.  sidjticct 

Zeiner.   mutusque  timore  silendo  Zeiner. 
10     fit  tutior  surda  EB.  tutior  et  s.  ED,  EF.  J,  Zeiner. 
il     decl.  equo  EB.  equi  d.  h.  Zeincr. 

13  priu.  faleris  Ireno  sellaque  nitcnli  ED,  J. 

14  assidue  EB.  debilitat  miserum  reda  ED,  J. 

15  hinc  terguni  EB.  hunc  dolor  et  macies  acuit  ED,  J. 
1<)     hunc  uidet  hunc  iocis  temptat  ascllus  iners  EB. 

hunc  teniptare  iocis  audet  ED,  EF,  J,  4>. 
huic  inferre  iocos  audet  Zeiner. 

17  die  sodes  EB,   EF,    0  Zeiner,   die  ubi  sella  nitens   falcre    uel 

nobile  frenum  ED,  J. 

18  cur  est  hie  m.  quo  fugit  ille  nitor  EB. 

cur  tibi  nunc  dolor  est  cui  fuit  ille  nitor  ED,  J 
cur  fugit  EF,  </>  Zeincr,  iste  Zeincr. 
10     quo  tanta  superbia  fugit  EB. 

cur  nianel  huc  macies,  cur  tanta  superbia  fugit  ED,  //. 

ista  s.  Zeincr. 


Lamout:  Theorie  des  McKjnetismus.  103 

20     Viiulicat  elatos  iiista  riiina  gradiis. 

Stare  diu  nee  uls.  nee  honor.  nee  forma,  nee  aelas 

Suiricit  in  mundo,  plus  tarnen  isla  placenl. 

[Viuc  diu.  sed  uiue  iniser  socicsque  minores 

Disce  pali.  risum  dat  tua  uila  mihi. 
25     Pennalis  ne  erede  bonis.  te  nulla  poleslas 

In  miseros  armet.  nam  miser  esse  potes.] 

Die  poetiselien  Fabeln  sind  am  Rande  in  Prosa  gesetzt 
und  zuirleieh  moralisirt.  Zwischen  den  Versen  stehen  Glosseme 
aus  späterer  Zeit. 


Mathematisch  -  physikalische  Classe. 

Sitzuiiir  vom   11.  Jiili  1862. 


Herr  Lamont  übersandte  eine  Abhandlung 

„Beitrag  zu   einer  mathematischen  Theorie  des 
Magnetismus.'' 

Mathematisch  zu  bestimmen,  wie  unter  gegebenen  Umstan- 
den der  Magnelisnuis  in  einer  Eisen-  oder  Stahlmasse  vertheilt 
sein  wird,  ist  ein  Problem  wovon  noch  Niemand,  selbst  für  die 
einfachsten  in  der  Naliu-  vorkommenden  Falle,  eine  richtige 'Auf- 
lösung gefunden  hat.  Tob.  Mayer  und  später  Hansteen  suchten  zu 
zeigen,  dass  bei  einen»  prismatischen  Magnet  die  Kraft  von  der 


20  isla  supersiT.  certa  riiitia  EP.  ccrla  r.  EF,  d,  </». 

24  risum  del  mihi  (in  toir.)  uita  "jraui.s  EU,  J.  r.  dct  t.  u.  mihi  EF,  ^P. 

25  piMin.  noii  tr.  ED,  J. 

2t)  armat  EB.  nam  potes  esse  miser  ED,  EF,  J,  </'. 


104         Sitzung  der  math.-phys.  Ctasse  vom  it.  Juli  1862. 

Mitte  gegen  die  Enden  hin  im  einfnchen  oder  im  quadratisclien 
Verhidtnisse  der  Enllernung  zunehme.  Biot,  durch  eine  Analogie 
mit  der  Elcclricilat  geleitet,  fand  eine  Vcrtheihing,  welche  durch 
die  Gleichung  der  Ketlenlinie  ausgedrückt  wird,  ein  sehr  merk- 
würdiges Resultat  insoferne,  als  das  gefundene  Gesetz  mit  den 
zahlreichen  bisher  angestellten  Versuchen  eine  sehr  nahe  Ueberein- 
stiniMunig  zeigt,  während  die  Betrachtungen,  auf  welchen  es  ge- 
gründet ist,  nicht  als  richtig  anerkannt  werden  können.  Eine 
eigentliche  mathematische  Theorie  des  Magnetismus  hat  zuerst 
Poisson  zu  geben  versucht,  konnte  aber  seine  Gleichungen  nur 
für  sphärische  oder  (^llipsoidische  Körper  infegriren,  und  die 
Uebereinstimmung  mit  der  Natur  ist  bisher  nur  in  sehr  unge- 
nügender Weise  nachgewiesen  worden.  Ein  bedenklicher  Um- 
stand ist  es  bei  der  Theorie  von  Poisson.  dass  er  für  Molecule, 
die  in  messbarer  Entfernung  von  einander  abstehen  und  für 
Molecule,  die  sich  berühren,  dasselbe  Gesetz  gelten  lässt, 
während  vielerlei  Thalsachen  und  Analogien  sehr  bestimmt  an- 
deuten,  dass  bei  der  Berührung  eine  weit  intensivere  Wir- 
kung eintritt'.  Von  dem  Grundsätze  nun  ausgehend,  dass  die 
magnetische  Molecular  -  Anziehung  unverhälliiissmässig  grösser 
sei  als  die  Fernwirkung,  und  dass  die  letztere  der  erstem  ge- 
genüber vernachlässiget  werden  dürfe,  habe  ich  eine  mathe- 
matische Theorie  entworfen  \  welche  für  eine  Reihe  von  Mole- 


(J)  Icli  lial)o  jützt  noch  die  Ucberzeugiiiig,  tiass  niagnetisclio  Molo- 
cular-Aiizieliuii^  und  m;i<xnoti.s(Ii('  Fornwirlunic;  von  einander  wesentlich 
verschieeleii  sind,  obwohl  ich  nicht  in  Alirede  stellen  will,  dass  es  Ex- 
perimente <^il)t,  die  als  nicht  mit  dieser  Ansicht  übereinstimmend  aus- 
geleijt  werden  könnten.  Als  einen  Beweis  für  das  Vorhandensein  einer 
eij^enlhiinilichcn  Mo!e(  nlar- .\nzieliiini^  betrachtete  ich  IViiher  anch  den 
Umsland  ,  dass  man  von  solcher  ÜMiothese  ausc;chend  durch  den  (]alcul 
auf  die  Kelteiilinie  als  Vertheiliings-Curve  des  Mao;netismus  und  auf  an- 
dere mit  der  Erfahruiinj  fjenau  übereinstimmende  (iesclze  geführt  wird: 
jetzt  habe  ich  aber  gelundcn,  dass  mehrere  v  e  r  s  c  h  i  e  d  en  c  Hjpolhcsen 
genau  zu  denselben  anal} tischen  Ausdriuken  führen. 

(2)  Jahresbericht  der  Münchener  Sternwarte  für  1854  S.  27. 


Lamoni:   Theorie  des  Magnetismus.  105 

culen,  d.  h  für  einen  Linearmagnelen  flenselben  Ausdruck  gibt, 
den  Biot  gefunden  hat ;  auch  neue  Versuche  habe  ich  geh'efert 
welche,  wie  ich  glaube,  zeigen  dass  in  den  Fällen,  wo  der 
Querschnilt  vernachlässiget  werden  darf,  also  nur  die  Längen- 
dimensionen in  Betracht  koM)nien,  die  von  mir  entwickelten  Lehr- 
sätze in  sehr  befriedigendiM*  Weise  mit  der  Erfahrung  überein- 
stimmen. Um  aber  eine  vollständige  Vergleichung  mit  der  Natur 
durchzuführen  und  eine  eigentliche  Bestätigung  der  Theorie  zu 
erhalten,  wäre  es  erforderlich  gewesen  von  Linearm  agneten 
auf  Magnete  von  beliebigem  Ouerschni  Ite  überzugehen, 
und  hierin  bli(!ben  alle  meine  Bemühungen  erfolglos:  der  ana- 
lytische Weg  führte  zu  einur  endlosen  Coinplication  und  die 
zahlreichen  Versuche,  die  ich  anstellte,  lieferten  keine  Andeu- 
tung über  die  mathematischen  Beziehungen,  die  hinsichtlich  des 
Querschnittes  stattfinden. 

In  neuester  Zeit  indessen  ist  es  mir  gelungen  Andeutungen, 
die  von  grossem  Wichtigkeit  für  die  Theori(;  sein  können ,  zu 
erhalten  und  es  ist  meine  Absicht  in  (1(mi  folgenden  Zeilen  das 
W(!S(!nllichste  davon  mitzntheilen. 

Den  Anfang  meiner  Arbeiten  in  dieser  Richtung  bildete  ein 
Versuch,  wodurch  bestiimnt  werden  sollte,  wie  viel  von  der 
Kraft  zweier  gleich  grosser  Magnete  verloren  geht,  wenn  sie 
mit  gleich  gerichteten  Polen  auleinander  gelegt  oder  einander 
nahe  gebracht  werden.  Zwei  Abschnitte  einer  starken  Uhrfeder 
(Länge  103,'"  l  .  Breite  8,"'0,  Dicke  0,'"2  Par.  Maass)  wurden 
vermittelst  25 pfundiger  Stäb(»  magnetisirt,  und  es  eigab  sich 
durch  das  Zusannnenlegen  in  der  eben  bezeichneten  Weise  ein 
permanenter  Kraftverlusl  von  ungefähr  Vi?  '•  durch  wiederholtes 
Zusammenlegen  erfolge  kein  weiterer  permanenter  Krallverlust, 
dagegen  kam,  wenn  sich  die  Magnete  berührten  oder  durch 
dazwischen  gelegte  Glasstreifen  von  einander  in  beslinniiter  Ent- 
fernung gehalten  wurden,  eine  gegenseitige  Induction  zu  Stande, 
welche  dem  permanenten  Magnetismus  entgegengesetzt  war  und 
somit  eine  Verminderung  des  (janzen  inaijiuHischen  Moments 
zur  F'olge  hatte.     Wie  diese  Verminderung  von  der  Grösse  des 


106         Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  lt.  Juli  1862. 

Zwisclienraums    abliäiigt,     ersieht    man    aus    folgender    Beob- 

achtungsroilie : 

magnetisches  Moment 
erster  Miiffnot  für  sich  allein  .         .         .         31.7 

zweiter     .,         .,     ,,        „  ...         32.7 

beide  aufeinander  gelegt, 

Zwischenraum  3. '"81         ....         63.4 
„  2."'54        .        .        .        .        63.05 

l.'"27        ....        62.70. 
Ohne  die  Wirkung   der  Induction  hätten   die  Magnete  mit- 
einander  ein   magnetisches  Moment    von  64,4  (Summe  der  bei- 
den Momente)  geben  sollen,  der  Verlust  durch  Induction  betrug 
demnacli 

bei  Zwischenraum  3."'8l       1.0    oder  V6  4 

1."'27      1.70    „      '/3«. 
Durch   einen   spatern  Versuch    fand   sich   bei    unmittelbarer 

1 

Berührunof  der  Verlust  durch  Induction  =  ^^  oder  2,30. 

"  28 

Bei  näherer   Untersuchung   erkannte   ich  dass  der  Verlust 
als  aliquoter  Theil  des  Magnetismus  durch  den  Bruch 

1^ 

28.00  +  8.27  X 
oder  als  absolute  Grösse  durch 

64.4 

28.00  +  8.27  X 

dargestellt  werden  könne,  wobei  x  den  Zwischenraum  in  Linien 

ausgedrückt  bculeulet.    Die  Uebcreinstimmung  dieses  Ausdruckes 

mit  der  Beobachtung  zeigt  folgende  Zusannnenstellung. 

Verlust 
Zwisihenraum      berechnet      beobachtet        Differenz 
0."00  2.30  2.30  0.00 

l.'"27  1.70  1.67  -}-  0.03 

2."'54  1.35  1.31  +  0.04 

3."'81  1.00  1.08  -  0.08. 


Lamont:   Theorie  des  Miuinelismus.  107 

Zunächst  ging  ich  auf  das  analoge  Verhällniss  bei  der 
Magnetisirung  des  Eisens  durch  den  galvanischen  Strom  über 
und  brachte  zwei  Eisenlainellen  A  und  B  (aus  einer  Blochtafel 
ausgeschnitten,  Lange  43. '"2,  Breite  5.'"IJ,  Dicke  0."'4)  in  eine 
sehr  lange  Spirale.  Einzeln  gaben  diese  Lamellen  folgende 
magnetische  Momente 

A         37.88 
B        38.10, 
dann  miteinander 

in  Berührung  44.25,  Verlust  31.73 

mit  Zwischenraum     0.93         48.15        „       27.83 
„  „  l.SO        50.90        „      25  08 

2.'}  9  53.75  „  22.23. 
Der  Verlust  oder  die  Verminderung  des  Magnetismus  durch 
Induction  ist,  wie  man  sieht,  hier  sehr  bedeutend;  der  Vorgang 
ist  aber  ein  anderer  als  bei  permanenten  Magneten.  Bei  per- 
manenten Magneten  ruft  der  eine  im  andern  entgegengesetzten 
Magnetismus  hervor:  bei  der  Magnetisirung  des  Eisens  dagegen 
verhindert  die  eine  Lamelle  in  bestimmtem  Maasse  das  Entstehen 
i\es  Mafjnetismus  in  der  andern,  und  orleichzeiti"'  ruft  der  wirk- 
lieh  entstandene  •  Maonetismus  der  einen  Lamelle  enfoeorenffe- 
setzten  Magnetismus  in  der  andern  hervor.  Desshalb  ist  es 
zweckmässig;  die  mathematische!  Ausdrucksweise  etwas  zu  an- 
dern.  Wird  der  Magnetismus,  der  in  den  Lamellen  entsteht, 
wenn  man  jede  für  sich  in  die  Spirale  bringt,  durch  M,  und 
Mi,  der  Magnetismus  der  entsteht  wenn  man  beide  Lamellen 
mit  dem  Zwischenräume  x  in  die  Spirale  bringt,  durch  m,  und 
m^  bezeichnet,  und  setzt  man  voraus  dass  die  von  der  Induc- 
tion herrührende  Verminderung  durch 


a  -|-  bx 
ausgedrückt  werde,  so  hat  man 

mi  =:.  Ml  — 


a  -j-  bx 


m,  -=.  Ml  — 


m 


a  4"  bx 


108  Sitzung  der  math.-phys.  Clause  vom  11.  Juli  1S62. 

Wir  wollen  nun  M,  -|~  ^^  =^  ^^  ""^  ^^^s  beobachtete 
Moment  der  gleichzeitig  in  die  Spirale  gebrachten  Lamellen 
m,  4^  nij  =  m  setzen,  und  erhalten  alsdann 

m 


a  +  bx  =z 


M  —   m 


Man  niuss  also  das  beobachtete  Moment  m  durch  den  Ver- 
lust M  —  m  dividiren  um  die  Zahl,  welche  das  Verhältniss  der 
Verminderung  ausdrückt,  zu  erhalten.  Für  die  obige  Beobach- 
tungsreihe findet  sich  der  Verlust  durch  Induction 

l 


~  1.394  +  0.360  X 
wo  X  in  Linien  ausgedrückt  ist,   und  die  Uebereinstimmung  mit 
der  Beobachtung  zeigt  folgende  Zusammenstellung: 


Verl 

lust 

Zwistlienramn 

bcroclinet 

beobachtet 

Differenz 

0."'00 

31.74 

31.73 

+  O.Ol 

0."'93 

27.85 

27.83 

+  0.02 

1."'86 

24.07 

25.08 

041 

2."'79 

22.41 

22.23 

+  0.18. 

Ich  übergehe  hier  die  zahlreichen  Versuche,  welche  ange- 
stellt wurden  ,  um  das  gefundene  Abhängigkeits  -  Verhiiltniss 
zwischen  der  Entfernung  x  und  der  durch  Induction  eintreten- 
den Verminderuno-  des  Magnetismus  näher  leslzustellen  und  die 
Modificationen,  welche  bei  gehärtetem  Stahle,  bei  weichem  Stahle,  bei 
Eisen  von  verschiedener  Beschaffenheit  und  verschiedenen  Dimen- 
sionen stattfinden,  genauer  zu  bestimmen  und  erwähne  nur  noch 
eines  Versuches,  welcher  den  Zweck  halte  zu  ermitteln  ob  bei 
ganz  dünium  Prismen,  welche  also  der  Linearform  nahe  .kommen, 
noch  (lass(!ll)e  Verhältniss  besteht.  Ich  nahm  zwei  gleiche  Ab- 
schnitte von  einem  Eisendraht  (Länge  187,  Durchmesser  2.5 
Millim.),  brachte  sie  in  der  oben  angegebenen  Weise  in  eine 
lange  Spirale  und  fand 


Ldtnont:   Theorie  des  Mdi^netismiis.  109 


erster  Abschnill  1 

'ür  sich 

21.08 

zweiter  Abschiiilt 

für  sich 

20.10 

beide  in  Berührm 

'^ 

32.67 

mit  Zwischenraum 

11                         "1 

1     6.7   MiUim. 
11.4        „ 
1G.2 
20.5 

34.84 
37,24 

37.77 
38.87, 

Näherungsweise     hat     man     hiernach 
Induction 

1 

den    Ve 

durch 


3.70  4-  0.44  X 
und  die  Unterschiede  zwischen  Rechnung  und  Beobachtung  sind 
der  Reihe  nach 
—  0.25        +  0.96        —  0  30        —  0  07        —  0.69. 
Wenn  gleich  hier  grössere  Unterschiede^   hervortreten,    so 
kann  es  im  Ganzen  doch  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  auch 
bei  Linearprismen   die   gegenseitige  in  Folge  der  Induction  ein- 
tretende Verminderung  des  Magnetismus  für   verschiedene  Ent- 
fernunoren  x  durch  einen  Ausdruck  von  der  Form 


(3)  MagiK'tisiruns-s  -  Versuclie  mit  diiiineii  Drilliten  biete»  iininer 
grosse  Uiisiclierlieit  dar,  und  I)ei  Wiederholung  desselben  Versuches 
findet  man  auffallende  Unterschiede  ,  als  wenn  ein  präcises  Maass  der 
Induc'tions-  und  Retentionsfähigkeit  nicht  vorhanden  wäre  oder  als  wenn 
Zurülligkeiten  mitwirkten.  Zugleich  ist  es  merkwürdig  wie  weit  die 
magnetischen  Eigenschaften  dünner  Dräiite  durch  den  besondern  Zustand, 
in  welchem  sie  sich  befinden,  modificirt  werden.  \i\n  geringer  (irad  von 
permanenten  Magnetismus  ändert  die  Inductioiislähigkeit  sehr  beträcht- 
lich. Nach  dem  Ausglühen  ist  die  Inductioiislähigkeit  dreimal  grösser 
als  vor  dem  Ausglühen:  vor  dem  Ausglühen  bleibt  bei  geringer  Strom- 
stärke die  Hälfte,  nach  dem  Ausglühen  '/t  des  Magnetismus  permanent 
zurück.  Aehnliche  Eigentliümlichkeitcn,  nur  in  geringerem  (irade,  trifft 
man  auch  bei  Eisenstücken  von  grösserem  Querschnitte  an,  wesshalb  zu 
genauen  Magnetisirungs -Versuchen  grosse  Vorsicht  nothwendig  ist  und 
stets  durch  mehrere  gleiche  Eisenstucke  eine  Controlle  hergestellt  wer- 
den sollte. 


110         Sitzung  der  math.  -  phi/s.  Ctasse  vom  iL  Juli  1S62. 

sich  darstellen  lasst.  Wahrend  die  analvlisclie  Eiituickeluno- 
zu  unendlich  complicirten  Ausdrücken  führt,  gelangen  wir  hier 
auf  dem  Wege  der  Erfahrung  zu  einem  ganz  einfachen  Gesetze. 
Hat  man  nicht  zwei  sondern  mehrere  Lamellen,  so  wird  der 
Magnetismus  jeder  einzelnen  Lamelle  durch  alle  übrigen  vermin- 
dert und  wenn  man  den  Magnetismus  der  ersten  Lamelle  mitm,,  den 
Magnetismus  der  übrigen  mit  m-^,  nig,  m4...,  dann  die  Function 
der  Entfernung  a -j- bx  für  die  erste  und  zweite  Lamelle  mit  a,, 
für  die  erste  und  dritte  mit  a^  u.  s.  w.  bezeichnet,  so  hat  man 

m.  =  M,  —  -^ ^^ ^  —  (II) 

a,  a^  a^ 

wo  M,  den  Magnetismus  bedeutet,  den  die  erste  Lamelle  haben 
würde,  wenn  die  übrigen  nicht  in  der  Nähe  sich  befanden.  Für 
jede  andere  Lamelle  erhält  man  eine  analoge  Gleichung,  also 
eben  so  viele  Gleichungen  als  Lamellen  vorhanden  sind,  so  dass 
die  Werihe  von  m,,  m^ ,  nij  daraus  abgeleitet  werden  können. 
Dessgleichen  kann  man  jeden  prismatischen  Körper  in  unendlich  viele 
Linearprismen  sich  zerlegt  denken  und  die  Verminderung,  welche 
(ier  Magnetismus  eines  jeden  Linearprisma  erleidet,  berechnen. 

Hievon  wollen  wir  gleich  eine  Anwendung  machen,  welche 
dazu  dienen  wird  die  Richtigkeit  der  theoretischen  Grundlage  selbst 
^'g*  i-  zu  prüfen.  Denken  wir  uns  einen  durch  den  gal- 

vanisclien  Strom  magnotisirten  hohlen  eisernen 
Cyllnder  AB  (Fig.  1)  von  geringer  Wanddicke 
(eine  dünne  eiserne  Röhre)  in  unendlich  viele 
Strciifen  parallel  mit  der  Axe  zerlegt,  so  wird 
vermöue  der  vorhandenen  Svmmetrie  die  \'er- 
minderuna  des  Magnetismus  am  jjanzen  Um- 
fange  gleich  sein,  also  auch  an  jedem  Theile  des  Umfanges 
gleicher  Magnetismus  sich  zeigen,  ein  Umstand  der  die  Berech- 
nung sehr  vcreinfaclit.  Den  Halbmesser  ac  wollen  wir  mit  r, 
den  ganzen  wirklichen  Magnetismus  durch  2run,  den  Magne- 
lismus,    der  ohne   die  Vernnnderung  vorhanden   wäre,    durch 


Lamout:  Theorie  des  Magnetismus.  \\\ 

2Mr7r  bezeichnen.  Wird  von  einem  bestinminilen  Anfangs- 
punkte a  ausgegangen  und  der  Winkel  acb  =  (p  gesetzt,  so 
ist  der  Magnetismus  des  Linearprisma  b  =  pxArp ,  und  seine 
Entfernung   von   dem   am  Anfangspunkte   a  befindlichen  Linear- 

1 

prisma  =  2r  sin  -^  cp ,    mithin  die  Verminderung,    welche  der 

Ml 

Magnetismus  dieses  letztern  Prisma  durch  das  erstere  erleidet 

jt/rdg) 
a  -\-  2br  sin   1   (f 
2 
und  zur  Bestimmung  von  ju  hat  man  die  Gleichung 


"  =  "  -/, 


/»rdqp 


(III) 


a  4"  2br  sin    1   (f 
2 
Das  Integral  ist  von  y  =:  0  bis  rp  z=.  2/r  zu  nehmen. 
Behufs  der  Integration  muss  man 

.1  z^  —  1 

sm  -^-  .p  =  —-^ 

setzen,  und  erhält  alsdann 

__  V,  _    /[ 4^^ 

^  Ja-  2br  +  (a  +  2br)  z' 

wo  das  Integral  von  z  =:  1  bis  z  =i:  co  zu  nehmen  und  dann 
mit  2  zu  multipliciren  ist.  Die  Integralion  lässt  sich  hier  nicht 
ausführen,  ohne  dass  vorher  bestinunt  wird,  ob  a  —  2br  eine 
positive  oder  negative  Grösse  sei.  Ans  den  oben  angeführten 
Versuchen  ist  nun  leicht  zu  entnehmen,  dass  bei  (Msernen 
Röhren  von  grösscrm  Durchnn^sser  a  gegen  2i)r  sehr  klein  sein 
wird.  Unter  dieser  Voraussetzung  führt  die  Integration  zwischen 
den  angegebenen  Grenzen  zu  der  Gleichung 

„    ,  A^ir  ,       2br  —  V  ~W  r'  —  a' 

ft  =  M  4-  — ^ log 

V"  4b''  r^  —  a'^  a 

Ist  der  Bruch 


2br 


\\2         Sitzung  der  maih.  -  phys    Classe  vom  11.  Juli  1862. 

SO  klein ,  dass  die  dritte  und  die  höheren  Potenzen  davon  ver- 
nachlässiget werden  können,  so  geht  die  eben  gefundene  Glei- 
chung durch  Reihenentvvickelung  in  folgende  über 

,f    .     2;(i    ,         a       ,        //a^       ,  ,„ 

"  =  "  +  ¥    '"«  ibr   +   8b^'  +  <'^' 

Wird  die  Gleichung  mit  2nr  multiplicirt  und  das  beobachtete 
magnetische  Moment  des  hohlen  Cylinders  2.t</Tr  =:  m  gesetzt, 
so  hat  man 

2M;rrb 
m   =:    


a     .    „  .  a* 


b  -  2  log  5^  +  2  log  r         gj^,  ^., 

wofür    man,    wenn    der  Durchmesser   d  n:  2r   und   drei   neue 
Constanten  p,  q,  c  eingeführt. werden,  die  bequemere  Form 

d 


m 


(V) 


p  +  q  log  d  —  j^ 

substltuiren    kann;    dabei    ist   a  priori    zu  erwarten,    dass    das 

Glied   -^  bei  hohlen  Cylindern  von  grösserm  Durchmesser  weg- 
d^ 

gelassen  werden  kann. 

Um  die  Anwendbarkeit  dieser  Gleichung  zu  prüfen,  habe 
ich  sieben  hohle  Cylinder  aus  Eisenblech  von  1.5  Millim.  Dicke 
anfertigen  lassen,  wovon  jedoch  die  Form  besonders  an  der 
Lölhstelle  nicht  so  vollkommen  war  als  zu  wünschen  gewesen 
wäre.  Die  damit  angestellten  Beobachtungen  gaben  die  Con- 
stanten der  obigen  Gleichung  wie  folgt: 

_d . 

'"  —  :=n9.0210  +  0.3870  log  d' 

wie  weit  die  Beobachtungen  nnt  der  Theorie  übereinstimmen  ist 
aus  folgender  Zusammenstellung  zu  entnehmen: 


Lamont :  Theorie  des  Maynetinjws. 


113 


liniesscr 

«i          MagiK 

^tisinus 

Milliiii. 

beobachtet 

berechnet 

DilTerenz 

38.6 

64.92 

65.09 

—  0.17 

34.4 

59.90 

59.97 

0.07 

29.0 

53.70 

53.22 

+  0.48 

25.2 

47.87 

48.34 

0.47 

21.1 

43.26 

42.93 

+  0.33 

17.3 

35.65 

37.76 

2.11 

13.6 

32.42 

32.56 

0.14 

Wenn  gleich  orrössere  Differenzen  vorkonmieii,  so  betrachte 
ich  (lüdi  unter  Berücksichliiiiiiicr  der  nicht  ganz  rcoehniissigen 
Figur  der  Cyh'nder  die  obige  Tabelle  als  eine  vullkonnneno  Be- 
stätigung der  Theorie. 

Ich  habe  lür  den  Fall,  dass  bei  einen»  Cyliiider  a  —  2br 
einen  positiven  Werth  hat,  dann  für  den  Fall,  dass  mehrere 
Cylinder  ineinander  gesteckt  werden,  theoretische  Entwickelungeii 
vorgenommen  und  praktisclie  Versuche  angestellt,  die  ich  hier 
übergehe.  Bemerken  will  ich  bloss,  dass  schon'^v.  Feilitsch* 
ähnliche  Versuche  bekannt  gemacht  und  denselben  eine  theore- 
tische Giundlage  zu  geben  veisucht  hat,  welche  jedoch  den 
oben  angeführten  Thatsachen  gegenüber  kaum  als  haltbar  er- 
scheinen  dürfte. 

Die  bisher  erwähnten  Anwendungen  der  im  Vorhergehen- 
den aufgestellten  Theorie  sind  die  einfachsten  und  die  leichtesten: 
jede  weitere  Anwendung  stösst  sogleich  auf  ana- 
lytische Hindernisse.  Man  nehme  z.  B.  ein 
Haches  I'risma ,  so  dünn,  dass  es  als  eine 
Ueihe  von  Linearprismen  bolraclitel  werden 
darf,  und  verzeichne  über  der  Endlläche  AB 
(l'ig.  2)  die  Curve  alhbd  ,  deren  Ordinalen 
Aa,  kf  gh  . . .  die  Stärke  des  Magnetismus  (oder 
vielmehr   des    magnetischen  Moments)  an    den 


(4)  Pogg,  .^nn.  L.XXX.  3'.>1. 
[iüHZ  U.J 


114  Sitzung  der  tiiath.  ■  phi/i.  Classe  vom  ii.  Juli  1862. 

Punkten  A,  k,  h...  darstellen.  Die  Abscissen  zähle  man  von 
der  Mitte  c  nach  A  positiv,  nach  B  negativ  und  setze  cA  = 
cB  =  ;i,  cg  =  X',  ck  =  X,  gh  =  f  (X'),  kl  =  f  (x).  Die 
Verminderung,  welche  der  Magnetismus  in  g  durch  den  Magne- 
tisnms  in  k  erleidet,  ist 

f  (x)  dx 
a  4-  b  (X  —  x')  ' 
und  das  Integral  dieses  Ausdrucks  von  x  =:^  x'  bis  x  =  A  gibt 
die  Wirkung  aller  Linearprismen,  die  zwischen  g  und  A  liegen. 
Durch  ein  Linearprisma,    dessen  Abscisse  x  zwischen  g  und  B 
liegt,  entsteht  eine  Verminderung  des  Magnetismus  in  g 

—  f  (x)  dx 

""  a  4-  b  (X'  —  x) ' 
und  dieser  Ausdruck  muss  von  x  i=  —  A  bis  x  :::^  x'  integrirt 
werden,  um  die  Wirkung  aller  Linearprismen  zwischen  g  und  B 
zu  erhalten.  Demnach  haben  wir,  wenn  der  Magnetismus,  der  ohne 
die  Verminderung  zu  Stande  gekommen  wäre,  ==  M  gesetzt  wird 

i(X)—m      y   a  _j.  b  (X  — xO       y   a  +  b  (X'  —  x)  ^ 

—  X'  —  /. 

Es  lässt  sich  leicht  schliessen,  dass  f  (x)  eine  Exponential- 
Function  sein  wird  und  dass,  wenn  man  a  -{-  bx  durch  Expo- 
nentialgrössen  ausdrückt,  eine  Function  gefunden  werden  kann, 
welche  der  obigen  Gleichung  Genüge  leistet.  Die  wirkliche 
Darstellung  dieser  Function  ist  aber  jedenfalls  keine  leichte  Sache. 

Vorläufig  habe  ich  auf  folgendem  Wege  nähere  Andeutun- 
gen zu  erhalten  gesucht.  Im  CXIH.  Bde.  von  PoggendorlT's 
Annalen  S.  243  findet  man  eine  Versuchsreihe,  die  ich  mit  12 
gleichen  Lamellen  in  der  Weise  angestellt  habe,  dass  zuerst  der 
Magnetismus  einer  einzigen,  dann  zweier  aufeinander  liegender, 
dann  dreier  aufeinander  liegender  Lamellen  u.  s.  w.  bestimmt 
wurde.  Wenn  12  Lamellen  aufeinander  gelegt  waren,  gaben 
sie  ein  Prisma  von  5.3  Linien  Breite  und  5.0  Linien  Dicke,  und 
es  hat  keine  Schwierigkeit  nach  (II)  die  Gleichungen  anzuschrei- 


'^-  Lamont:    Theorie  des  Magnetismus.  j|5 

ben,  wodurch  der  Magnelisinus  der  einzelnem  Lamellen  bestimmt 
wird.  Bezeichnet  man  den  Magnetismus  der  ersten  Lamelle 
mit  m,,  der  zweiten  mit  m«  u.  s.  \\.,  und  wird  noch  in  Rech- 
nung genommen,  dass  die  Dicke  einer  Lamelle  V,2  Linien  und 
die  Verminderung  für  x  Linien  Entfernung 

1 

1.394  +  0.366  X 

betrug,  so  erhält  man  12  Gleichungen,  woraus  die  unbekannten 
Grössen  abzuleiten  sind;  da  aber  in  Folge  der  vorhandenen 
Symmetrie  m,  :=  m,,,  nii  z=  m,,  u.  s.  w.  sein  wird,  so  re- 
ducirt  sich  die  Anzahl  der  Gleichungen  auf  ü  und  die  Auf- 
lösung derselben  gibt 

m.  =  0.323 
m,  zzz  0.172 
m,  —  0.116 
m,  —  0.095 
m,  —  0.087 
mg  —  0.082. 

Als  Einheit  bei  diesen  Werlhen  ist  der  Magnetismus  ange- 
nommen, den  eine  einzelne  Lamelle  für  sich  allein  gehabt  haben 
würde.  <l.  h.  in  der  Gleichung  (II)  ist  M  =  1  gesetzt. 

Der  grosse  Einfluss  der  Iiuluction  tritt  hier  sehr  auffallend 
hervor:  die  äusscsrste  Lamelle  hat  bei  der  Vereinigung  nur  '/s 
und  die  mittleren  nur  V,.i  von  dem  Magnetismus,  den  sie  ohne 
die  Induction  biü  gleicher  magnetisirender  Kraft   erlangt   hätten. 

Der  oben  gegebenen  Andeutinig  zufolge  sollten  die  Werthe 
von  m,,  uij,  nia  .  .  .  durch  eine  Exponenlial-Fnnction  dargestellt 
werden  können,  und  diess  ist  auch  der  Fall,  denn  wenn  man 

m„  =z  0.0821  +  0.2il  (0.374"-»  —0.374''^-°)        (VII) 

setzt,  so  erhält  man  Zahlen,  welche  mit  den  obigen  vollkommen 
identisch  sind,  mit  Ausnahme  von  lUg ,  wovon  der  Werth  um 
0.002  von  der  obigen  Bestimnmng  abweicht. 

8* 


116  Sitzunt/  der  viath.-phys.    Classc  vom  11.  Jtili  1S62. 

Den  Fall,  dass  10,  8,  6  Lamellen  miteinander  vereinigt 
seien,  habe  ich  auf  ähnliche  Weise  behandelt  und  übereinstim- 
mende Resultate  erhallen. 

Dass  ein  ganz  ähnliches  Verhällniss  bei  den  Polflächen  eines 
cylindrischen  Magnets  (den  man  als  zusammengesetzt  aus  un- 
endlich vielen  concentrischen  Röhren  betrachten  kann)  bestehen 
müsse,  lässt  sich  aus  der  Analogie  schliessen  und  wird  auch 
durch  die  Erfahrung  bestätigt.  So  findet  man,  dass  die  Messun- 
gen ,  welche  vom  Kolke  ^  an  dem  Pole  eines  grossen  Electro- 
magneten  in  äquatorialer  Richtung  vorgenonunen  hat,  für  die 
Entfernung  n  von  der  Mitte  durch  die  Formel 

=  35.0  4-  0.1144  (1.897"  +  1.897—)  (VIII) 

dargestellt  werden,    und   wie   gross   die  Uebereinstimmung   der 
Rechnung  und  Beobachtung  ist,  zeigt  folgende  Zusammenstellung : 


ntfemun» 

der  Mitte 

Beobachtung 

Rechriiiiig 

DilTcrcnz 

8 

54.2 

54.2 

0.0 

7 

45.5 

4.5.1 

+  0.4 

6 

40.4 

40.3 

—  0.1 

5 

38.0 

37.8 

—  0.2 

4 

37.0 

36.5 

-1-  0.5 

3 

355 

35.8 

—  0.3 

2 

35.0 

35.4 

04 

1 

350 

35.2 

0.2 

0 

35.0 

35.2 

-0.^. 

Man  kann  in  dieser  Richtung  noch  einen  Schritt  weiter 
gehen.  Wird  bei  einer  Lamelle  von  der  Breite  n  der  Magne- 
tismus in  der  Entfernung  x  von  der  Kante  analog  mit  (VII)  und 
(VIII)  durch 

a  +  b  (e-k»  +  e-''("-^0 

ausgedrückt,  so  ist  das  magnetische  Moment  der  Lamelle 


15)  Pügg.  Ann.  LXXXI,  32J. 


n 


Lamont:    Theorie  des  Magnetismus.  117 


[a_|-b(e-'"'  +  e-''(°-^))]  dx  =  an  +  y  (1— e-^"), 

0 

vvolür  man  einfacher 

an  -}-  p  (l  —  q")  (IX) 

schreiben  kann.  Messungen  der  hier  bezeichn(;len  Art  habe  ich 
mit  6  Lamellen,  deren  Breite  sich  wie  1,  2,  3,  4,  5,  6  ver- 
hielten, tuisgeführt  und  in  PoggendorlF's  Anniden  Bd.  CXIII. 
S  243  bekannt  gemacht.  Indem  ich  nun  die  dort  angegebenen 
Zahlen  durch  einen  Au.sdruck  von  obiger  Form  darzustellen 
suchte,  gelangle  ich  zu  folgender  Formel 

0.6933  n+ 302  (^  -  ^).  (X) 

welche  sehr  genau  die  Beobachtungen  darstellt,  wie  folgende 
Tabelle  zeigt: 

Breite  der  niaj^netischo.s  Moment 

Lamellen        berechnet  beobatlitct  DifTcrenz 

1  2.70  2.69  i-  O.Ol 

2  4.07  4  05  -4-0  02 

3  4.99  5.04  —  0.05 

4  5  75  5.77  —  0.02 

5  6.48  6.52  —  0.04 

6  7.18  7.12  +  0  06. 

Die  Schwierigkeit  eine  Function  zu  ermitteln,  welche  der 
Gleichung  (VI)  genügt,  hat  mich  veranlasst  verschiedene  andere 
Wege  zu  versuchen ,  und  dabei  gelangte  ich  zu  einer  Lösung 
des  Problems,  welche  ich  hier  noch  beifügen  will,  weil  der 
Entwickelnngsgang  ganz  eigenlhündich  ist  und  in  anderen  Pro- 
blemen der  Physik,  numenllidi  in  der  Elcctricitälslehre  zweck- 
massige Anwendung  finden  durfte.  Man  denke  sich  eine  sehr 
grosse  Anzahl  von  Linearprismen  nach  Fig.  2  zusammengelegt, 
bilde  nach  (II)  die  Gleichungen  für  das  (n  —  1)'%  das  n"»  und 
(n  -j-  1)"  Prisma;    alsdann   ziehe    man    die   mittlere   Gleichung 


118         Sitzung  der  math.-))hps.  Classe  vom  11.  Juli  1862. 

mit  2  niulliplicirt  von  der  Summe  der  zwei  anderen  Gleichungen 
ab,  so  erhält  man  ein  Resultat  von  der  Form 

AjUin-j  +  Aamn-a-l-ll  — — -|-~-l  m„_,  —  2  |1  — —  )  nin 

(2        1  \ 
1 1 I  nin+,  + A2m„+i+  A3  m„+3-f  ...  —  0  (XI) 
a         82/ 

wo  die  Glieder  rückwärts  bis  zum  ersten  und  vorwärts  bis  zum 
letzten  Linearprisma  leicht  nach  der  gegebenen  Analogie  hinzu- 
gefügt werden  können.     Hiebe!  hat  man 

12  1 

A  m    ^^  -j-     , 

flm  —  1  3ni  am-).) 

oder  wenn  man  die  unendlich  kleine  Breite  eines  Linearprismas 
zu  £  setzt, 

A     _         1  2      ,  1  _    2b^  e*    , 

Am     ^ r—       —      -f-      j r— 5—     -f-   .  .  , 

i^m    —    D£  fm  3ni    -j~  D£  am 

Nun  sind  a  und  b  in  dem  Ausdrucke  (I)  Functionen  der 
Breite  der  nebeneinander  befindlichen  Prismen,  und  zwar  neh- 
men diese  Grössen  asymptotisch  zu  in  dem  Maasse  als  die 
Breitendimension  vermindert  wird.  Ich  habe  diess  zuerst  durch 
den  Versuch  erkannt  und  dann  auch  die  theoretische  Bestätigung 
dafür  (die  z.  B.  aus  der  obigen  Gleichung  (.\)  leicht  abgeleitet 
werden  kann)  gefunden:  es  ergab  sich  dabei,  dass  wenn  a  und 
b  für  Prismen  von  messbarer  Breite  gelten,  bei  Prismen  von  der 
unendüch  kleinen  Breite  e 

a        ,    b 
—  und  — 

€  € 

in  dem  Ausdrucke  (I)  anstatt  a  und  b  gesetzt  werden  müssen. 
Hiernach  gehören  die  CoefHcienten  A,.  A, .  .  .  zur  drillen  Ord- 
nung und  alle  dannt  multiplicirten  Glieder  können,  den  vorhan- 
denen Gliedern  der  zweiten  Ordnung  gegenüber,  weggelassen 
werden.     Die  letzleren  sind 


0  -  a^    +   {)  (■""-'  +  '""+')  -  2  (1  -  ^)»''  = 


0. 


Lnmont:    Theorie  des  Magnetismus.  119 

Subslltuirt  man  dem  Gesagten  zufolge    -  anstatt  a,,    dann 

^    4-    — £  anstatt  a«,  und  lässt  man  in  der  Entwicklung  von  — 

die  Glieder  der  dritten  und  höherer  Ordnungen  weg,  so  ergibt  sich 

bt^ 
(m„_,  —  2mn  +  mo+i)  --  -7-  (mn-  1  +  mn+i)  —  0. 

a 

Bezeichnet  man  die  Entfernung  des  n^'°    Linearprisma  vom 

ersten   mit   x,    die    der   Breite   1    entsprechende   Inleiisiiät    des 

Magnetismus  an  diesem  Punkte  mit  V,  wo  V  eine  Function  von  x 

sein  wird,  so  hat  man 

m„         :^  Vfi 

(IV    ,     .      1    d^V    3    , 

•""-'  =  ^^-  d^c^    +  T  d7^*   +••• 

V      I     dV    ,     ,       1     dV     3    , 

so  dass  die  obige  Gleichung  zuletzt  die  einfache  Form 

d^V   _    2b  ^  ^  Q 


dx'  a 

annimmt.     Setzt  man  —  =  k^,   so   ist   das  Integral  allgemein 

V  —  Ae"^  +  Be-»'», 

oder  wenn  die  Constanten  nach  den  Bedingungen  des  Problems 
bestimmt  werden 

V    =:    B    (C-'^^    +    C-Mc-D),  (XII) 

WO  c  die  Breite  der  Lamelle  bedeutet.  Da  bei  der  Bildung  der 
Gleichung  (XI)  die  Grösse  M,  wovon  die  absolute  Grösse  von  V 
abhiingl,  ausgefallen  ist,  so  drücken  die  Gleichungen  (XI)  und 
(XIl)  nur  die  Form  der  Curve  ,  nicht  die  absolute  Grösse 
der  Ordinaten  aus ,  und  um  den  Bedingiuigen  des  Problems  zu 
genügen,  nuiss  noch  eine  Conslanle  hinzugefügt  werden,  so  dass 
man  als  Endresultat  die  Gleichung 

V  =  A  4-  B  (e-''»  +  e-Mc-x)) 


120         Sitzung  der  maih.-phys.  Classe  vom  il.  Juli  1S62. 

erhält.  Damit  wäre  das,  was  oben  über  die  Form  der  Func- 
tion f  (x)  in  Gleichung  (VI)  gesagt  wurde,  bestätigt.  Es  kann 
zugleich  erwähnt  werden,  dass  diese  Gleichung  die  Vertheilung 
der  Electricilät  auf  der  Oberfläche  eines  isolirlcn  sehr  dünnen 
Cylinders  darstellt. 

Wie  am  Anfange  ausgesprochen  wurde,  war  es  meine  Ab- 
sicht, in  dem  Vorhergehenden  nur  vorläufige  Andeutungen  zu 
geben  über  den  Weg,  der  zu  befolgen  wäre,  um  die  mathe- 
matische Theorie  des  Magnetismus  weiter  auszubilden.  Die  an- 
geführten Resultate  zeigen,  wie  ich  glaube,  ganz  entschieden, 
dass  der  bezeichnete  Weg  zum  Ziele  führt:  ob  es  gelingen  wird, 
die  nicht  unbedeutenden  analytischen  Hindernisse,  welche  dabei 
sich  darbieten,  zu  beseitigen  und  für  die  in  der  Praxis  vorkom- 
menden Fälle  einfache  Gesetze  und  Formeln  herzustellen,  ist 
eine  andere  Frage, 


Herr  Nägeli  hielt  einen  Vortrag 

„über  die  crystallähnlichen  Proteinkörper  und 
i h r  e  V  e r  s c h  i  e  d  e  n  h  e  i  t  von  wahren  C  r  y  s  t  a 1 1  e n.^' 

(Hiezu  •>  Tüfeln  ) 

i.    Ueber  die   aus   Proleiiisnhstanzen   bestehenden    Crystalloide 

in  der  Paramiss. 

Von  Hartig  wurde  zuerst  (Bot.  Zeit,  1856  p.  257  und 
Pflanzenkeim  1858  p  108)  auf  crystallähnliche,  aus  Proteinver- 
bindun^on  bestehende  Bildungen  in  den  Saamen  aufmerksam 
gemacht.  !)i('s(;lben  wurden  dann  von  Holle  (Neues  Jahrbuch 
für  Phiirmacie  von  Walz  und  Winkler  1858  X  p.  1  ,  1859  XI 
p.  3:iS),  Hadlkofer  (Crystalle  proteinartiger  Körper  1859), 
Maschke  (Bot.  Zeit  1859  p  409)  untersucht.  Die  genannten 
Beobachter   bezeichnen   sie   als    Crystalle,   was   mit  Rücksicht 


Nägeli.  Crirstailähnliche  Proteinkörper.  121 

fluf  die  Gpsfalt  seine  volle  Berechliguno;  h;it.  Sie  weichen  aber, 
■wie  ich  in  i\^'\\  foltjonden  Miltheilungen  zeigen  werde,  in  sehr 
wesentlichen  Merkmalen  von  (\v.\\  eigentlichen  Gry  stallen  ab,  und 
desswegen  will  ich  sie  Crystalloide  nennen. 

Meine  Unlersnchungen  beziehen  sich  bloss  anf  die  Protein- 
cryslnlloide  der  Parannss  (Saaiiien  von  Berlholletia  excelsa). 
Dieselben  wurden  aus  der  zerriebenen  Substanz  des  Saamens 
einmal  durch  Auswaschen  mit  fettem  Oel  und  nachherige  Be- 
handlung mit  Aether,  ein  anderes  Mal  durch  Auswaschen  mit 
Aclher  gewormen  Ausserdem  stand  mir  zur  Untersuchtmg  ein 
Priiparat  von  Maschke  zu  Gebot,  von  dem  derselbe  angibt,  dass 
es  durch  Crystallisation  aus  o\\wy  gesättigten  Lösung  künstlich 
dargestellt  sei. 

Cr y s t a 1 1 0 g r a p h i s ch e  Ve r h ä  1 1 n i sse. 

Mit  Bücksicht  auf  die  rrystallform  der  Proteincrystalloide 
der  Parannss  gibt  Hart  ig  (Bot.  Zeit.  1856  p.  300)  an,  dass 
sie  Uhomboeder  seien .  und  zwar  so  scharf  wiedergegeben,  wie 
am  schönsten  isländischen  I)o[>pels[)alh.  Radlkofer,  der  sich 
genauer  und  sorgfaltiger  mit  der  Cryslalil'orm  beschäfligle  (1.  c. 
p.  63),  sagt  eb(Mifalls,  dass  sie  dem  liexai];onalen  System  ange- 
höre, und  da.ss  der  spitze  \Vink(M  d(!r  HhomboederfliiclK^  unge- 
lahr  60"  betrage.  Maschke  dagegen  (Bot.  Zeit.  1859  p.  419) 
weist  sie  dem  tesserahm  System  zu;  nach  ihm  kommen  die 
regelmässigsten  Octaeder,  Tetraeder,  aber  auch  sechsseitige 
Tafeln  und  ganz  besonders  spitze  Khond)oe(lcr  vor,  welche  letz- 
tern oll'enbar  dadurch  aus  einem  Octaeder  entstanden  seien,  dass 
zwei  gegenüberliegende  Octarderiliichen  durch  Wachsen  der  sie 
begrenzenden  übrigen   Flachen  verschwanden 

Was  zuerst  die;  Annahnn?  Maschke's  belrilft.  so  scheint 
mir  diesellte  unhaltbar  Denn  einerseits  sind  die  von  ihm  er- 
wähnten Tetraeder  von  andern  Beobachtern  nicht  gcscdieii  wor- 
den (ich  kann  unter  (nner  Unzahl  von  (^rystalleiden  kein(;  An- 
deutung dieser  Form  auffinden)  inid  das  Khondioeder  kommt  im 
tesseralen  System  nicht  vor.     Andererseits  sind  die  Crystalloide 


122         Sitzttng  der  tnath.  -  plnjs.  Classe  vorn  ii.  Juli  1862. 

doppelhrechend  und  müssen  auch  aus  diesem  Grunde  einem  an- 
dern Systeme  angehören. 

Dagegen  lassen  sich  allerdings  die  beobachteten  Crystall- 
formcn  ohne  genaue  Winkehnessungen  alle  auf  das  Rhomboeder 
nn't  mehr  oder  weniger  weit  gehender  Abstumpfung  der  beiden 
Endecken  zurückführen.  Manche  Crystalle  scheinen  wirkliche 
Rhomboeder  zn  sein  (Fig.  2),  andere  sich  nur  durch  die  abge- 
stumpften Enden  zu  unterscheiden  (Fig.  1,  10,  5  —  9).  Bei  an- 
dern ist  die  Abstumpfung  so  weit  gegangen,  dass  sie  scheinbar 
regelmässige  Octaeder  geworden  sind  (Fig.  4,  11,  12).  Bei 
noch  andern  hat  die  Abstumpfung  die  seillichen  Ecken  über- 
schritten; sie  sind  Tafeln,  an  denen  man  aber  noch  die  Seiten- 
kanteu  des  Rhomboeders  sehr  deutlich  wahrnimmt  (Fig.  3,  16). 
Anderweitige  Abstumpfungen  kommen  nicht  vor. 

In  den  citirten  Figuren  sind  die  zwei  spitzen  Enden  des 
Rhomboeders  oder  deren  Abstumpfungsflächen  mit  a  und  b  be- 
zeichnet. Von  den  6  Rhomboederflächen  sind  je  die  zwei  ge- 
genüberstehenden durch  m  und  n,  p  und  q,  r  und  s  angezeigt; 
m,  p  und  r  grenzen  an  das  eine,  n,  q  und  s  an  das  andere 
Ende.  In  Fig  1  und  2  ist  die  Hauptaxe  (a-b)  horizontal,  in 
Fig.  3  und  4  senkrecht  zur  Papierebene.  —  Fig.  5  —  10  stellt 
das  nändiche  Crystalloid  in  verschiedenen  Lagen  dar.  Fig.  5 — 9 
wurden  dadurch  erhalten,  dass  die  um  einen  Punkt  sich  drehende 
Axe  eine  zur  Papierebene  verticale  Ebene  beschrieb.  In  Fig.  5 
liegt  die  Axe  etwas  schief,  so  dass  die  eine  Endfläche  (a)  auf 
der  zugekehrten,  die  andere  (b)  auf  der  abgekehrten  Seite  sich 
befindet.  In  Fig.  6  ist  die  Axe  etw^as  mehr  aufgerichtet;  die 
zwei  Flächen  r  und  s  stehen  vertical  Fig.  7  zeigt  den  Körper 
in  senkrechter  Axenstellung ;  die  Fläche  a  ist  horizontal  und 
zugekehrt.  In  Fig.  8  ist  die  Axe  etwas  nach  links  geneigt; 
die  Flächen  n,  p,  m  und  q  sind  senkrecht;  auf  der  zugekehrten 
Seite  befinden  sich  blo.ss  r  und  a.  In  Fig.  9  ist  die  Axe  noch 
mehr  geneigt,  so  dass  die  zugekehrte  Fläche  r  horizontal  liegt 
Fig.  10  endlich  befindet  sich  in  horizontaler  Axenstellung,,  ist 
aber  aus  der  Lage,   die  Fig.  5   zeigt,    60°  um   die  horizontale 


fiägeli:  Cryttallähnliche  Proteinkörper.  123 

Axe  gedreht  worden.  —  Fig.  11  und  12  stellen  ein  Octaeder 
dar;  in  Fig.  11  ist  eine  Ecke  zugekehrt;  in  Fig.  12  stehen 
4  Seilen  verlical. 

Alle  genannten  Formen  hissen  sich  aber  ebenso  gut  aus 
einem  schiefen  rhombischen  Prisma  mit  geringerer  oder  stär- 
kerer Ab-stumpfung  der  beiden  spitzen  Ecken  erklaren,  und 
diese  Annahme  ist  aus  verschiedenen  Gründen  die  wahrschein- 
Hchere.  Doch  bemerke  ich  znm  Voraus,  (hiss  die  Beobachtung 
mit  mehreren .  fast  nicht  zu  überwindenden  Schwierigkeiten  zu 
kämpfen  hat.  Einmal  ist  wegen  der  Kleinheit  der  microscopi- 
schen  Crystalioide  eine  vollkommen  horizontale  Lage  der  zu 
messenden  Winkel  nicht  leicht  zu  conlroliren.  Ferner  können 
die  Crystalioide  wohl  leicht  gedreht  werden ;  aber  es  ist  schwer, 
sie  in  der  gewünschten  Lage  zu  fixiren,  und  noch  schwerer 
oder  beinahe  unmöglich,  die  verschiedenen  Seiten  der  rhom- 
boeder-  und  oclaederähnlichen  Formen  von  einander  zu  unter- 
scheiden. Endlich  verändern  sich  die  Winkel  mit  dem  Medium, 
in  welchem  man  sie  betrachtet:  sie  zeigen  im  trockenen  Zu- 
stande, in  Glycerinlösung,  in  Wasser,  in  schwachsauren  und 
alkalischen  Lösungen  etwas  ungleiche  Werthe.  Obgleich  viel 
Mühe  und  Zeit  auf  die  Untersuchung  verwandt  wurde,  so  sind 
die  Erg(^bnisse  doch  nicht  so  befriedigend  und  entscheidend,  als 
es  wünsclibar  wäre. 

Die  Wink<'lmessuiigen  nnt  einem  auf  das  Ocular  aufge- 
setzten Goniometer  ausgeführt,  erlauben  eine  Genauigkeit  bis 
auf  einen  Grad.  Jeder  Winkel  wurde  mehrmals  (3  —  6 mal) 
abgelesen;  die  \\'erlhe  variiren  zuweilen  nur  um  l"  (z.  ß. 
6374  —  64V4''),  zuweilen  auch  um  2°  (z.  B.  61 '/^  — 
63'/j°),  aber  bei  den  grössern  gut  ausgebildeten  Formen  nicht 
um  mehr.  Ninunt  man  das  Mittel,  so  ist  der  mögliche  Fehler 
im  erstem  Falle  höchstens  '/,",  im  zweiten  höchstens  1". 

Dass  die  Crystalllorm  dem  klinorrhombischen  und  nicht  dem 
hexagonalen  System  angehöre,  dafür  sprechen  folgende  Gründe : 

1)  In  den  rhomboederähnlichen  ForuKMi  ist  der  spitze  Winkel 
aller  Rhomben  (Fig.  1  ö)  etwas  grösser  als  60";    im  trockenen 


124         Sthunif  der  mat/i.-phifs.  Classe  vom  11.  Juli  1862. 

Zustande,  in  GlyctMin  und  in  Wasser  wurde  er  gewöhnlich  von 
61°  bis  65°  gofuiid(Mi.  Ware  die  Form  ein  wirkliches  Rhom- 
l)oedcr ,  so  miisslen ,  wenn  Sich  dasselbe  zum  Octaeder  abge- 
sluuipfl  hat,  die  seitlichen  Dreiecke  einen  Winkel  zeigen,  der 
grösser,  und  zwei,  die  kleiner  sind  als  60".  Diess  ist  nicht  der 
Tall;  diese  Dreiecke  haben  consfant  2  grössere  und  einen  klei- 
nern Winkel:  es  wurden  z.  B.  als  Mittelwerthe  gefunden 

63°,      63'//  und  oi'// 

6r//,  62"      und  57'// 

61°,       62°       und  57°. 

2)  Das  Rhoniboeder  gibt  in  3  verschiedenen  Stellungen 
das  gleiche  klinorrhoinbische  Prisma  (Fig.  2,  10).  Bei  den 
rhomboederähnlichen  Formen  der  Crystalloide  scheint  diess  nicht 
genau  zuzutreffen.  Es  gibt  ein  Prisma,  dessen  Neigungswinkel 
ungefähr  75°  beträgt,  und  ein  zweites,  bei  dem  derselbe  Winkel 
einige  Grade  weniger  ausmacht. 

3)  Wenn  die  Crystalloide  Rhomboeder  wären,  so  müssten 
bei  der  Einwirkung  derjenigen  Mittel,  welche  die  relativen  Di- 
mensionen und  die  Winkel  verändern,  diese  Veränderungen  an 
den  6  Rhon)benflächen  des  Octaeders  in  gleicher  Weise  ein- 
treten. Diess  scheint  ebenfalls  nicht  statt  zu  haben.  Es  gibt 
eine  rhond)ische  Fläche,  welche  im  trockenen  Zustande  und  bei 
der  Befeuchtung  mit  Wasser  ihren  spitzen  Winkel  von  63°— 65° 
kaum  verändert,  während  andere  ihn  um  2°  —  4'/2°  vergrössern 
oder  verkleinern. 

4)  Die  Abstumpfungsflächen  der  Rhomboederenden  sind 
gleichseitige  Dieiecke.  Bei  einigen  Crystalloiden  schien  diess 
ziemlich  zuzutreffen,  indem  die  3  Winkel  der  Abstinnpfungs- 
flächen  wenig  von  60'  abwichen.  In  andern  dagegen  differirten 
diese  Wirdvel  deutlich  um  2  —  6  Grade  von  eiiumder. 

Betrachten  wir  die  Crystallform  als  ein  schiefes  rhombisches 
Prisma  mit  mehr  odvv  weniger  weil  fortgeschrittener  Abstum- 
[)fuiiir  der  spitzen  Ecken,  so  weicht  dasselbe  allerdings  nur 
wenig  von  dem  Rhomboeder  ab.  Mit  Berücksichtigung  aller 
verschiedenen  Messungen  können  wir    folgende  Werlhe  als  der 


Näyeli :  CrystaUülmliche  Proteinkörper.  125 

Wirklichkeil  luihe  koiniuond  mit  ziemlichor  Walirschciiilichkeit 
feslliaUeii.  Die  Neigung  der  Siiiile  ist  beinahe  58"  (Winkel  bei 
a  und  b  in  Fig.  2,  wenn  die  senkrecht  stehenden  Flüchen  r 
und  s  die  EndtÜichen  des  Prismas  sind) ;  die  Neignniif  der 
Säulenflächen  zu  einander  fast  75"  (Winkel  bei  a  und  b  in 
Fio-.  8);  die  Neigung  der  Endfläche  zur  Säulenfläche  71",  der 
spitze  Wiidvel  der  Endflächen  65 V^,",  derjenige  der  Säulen- 
flächen 63Vi". 

Bei  der  Enlsch(M(luii«r  der  Frage ,  ob  die  Cryslalloide  der 
Puranuss  rhombo«'drisch  oder  klinonhondjisch  seien,  ist  noch  ein 
wichtiger  L'nisland  zu  berücksichtigen.  Die  Cryslalloide  weichen 
darin  von  den  C'rystallen  vvesenüich  ab,  dass  ihre  Wiidvel  viel 
weniüTcr  conslant  sind.  Wenn  wir  an  verschiedenen  vollkoniinen 
gut  entwickelten  Cryslalloiden,  die  sich  unter  gleichen  Verhält- 
nissen (z.  B.  im  W^asser)  befinden,  die  nämlichen  Winkel  messen, 
so  finden  wir  häufig  Abweichungen  von  mehreren  Graden. 
Ebenso  beobacditen  wir  zuweilen,  dass  die  gegenüber  liegenden 
Flächen  nicht  genau  parallel  sind,  sondern  gleichlälls  um  meh- 
rere Grade  dili'eriren.  Bei  dieser  Unbeständigkeit  der  Winkel 
könnten  wir  auch  die  Cryslalllurin  als  rhond)oedrisch  betrachten; 
nur  würde  dann  die  Veränderlichkeit  noch  grosser.  Der  Vorzug, 
den  die  Annahme  der  klinorrhoudjischen  Gestalt  hat,  besteht 
also  nur  darin  .  dass  wir  dabei  die  Winkel  imierhalb  engerer 
Grenzen  variiren  lassen  müssen ,  als  wenn  wir  die  Cryslalloide 
dem  he.xagonalen  System  unterwerfen. 

Ich  habe  bereits  erwähnt,  dass  der  gleiche  Winkel  etwas 
tmoiciche  Werlhe  zeiuen  kann ,  wenn  das  Crvstalloid  in  ver- 
schiedenen  Medien  sich  befindet.  Dannl  übercMustinnnend  ist  die 
Thalsache,  dass  die  Dimensionen  einer  und  derselben  Fläche  in 
verschiedenen  Medien  etwas  andere  Verhältnisse  der  Durchmesser 
darbieten.  Vergleichen  wir  einmal  die  Cryslalloide  im  trockenen 
und  im  durch  Wasser  befeuchteten  Zustande ,  so  bemerken  wir 
sehr  olt  ,  dass  der  näudiche  spitze  Rhombenwinkel  (Fig.  1 ,  d) 
beim  Eintrocknen  grösser  wird.  Es  wurden  z.  B.  folgende 
Werlhe  gefunden : 


60',/° 

6F/,° 

60°      - 

61° 

567,°  - 

57^4" 

6l7a°  - 

627/ 

60°      - 

60'/,° 

126  Sitzung  der  vmth.-phys.  Classe  vom  it.  Juli  1862. 

mit  Wasser  beCeucIitt't  trocken 

63'/4°  —  64° 
63°      —  63V/ 
60'/,°  —  61° 
64°      —  65  V/ 
65V,°  —  66°. 

Dabei  wurde  nicht  darauf  gesehen,  dass  die  Flache,  an 
welcher  der  Winkel  gemessen  wurde,  genau  horizontal  lag, 
wohl  aber,  dass  das  Crystalloid  beim  Eintrocknen  und  Wieder- 
beleuchlen  nicht  seine  Lage  veränderte. 

In  einzelnen  Fallen  wurde  an  dem  Winkel  einer  rhonibi- 
schen  Fläche  kein  Unterschied  zwischen  trockenem  und  befeuch- 
tetem Zustande  wahrgenommen ;  und  in  einzelnen  andern  Fällen 
wurde  die  entgegengesetzte  Veränderung  von  der  vorhin  er- 
wähnten beobachtet.  Der  spitze  Winkel  war  an  dem  trockenen 
Crystalloid  kleiner  als  an  dem  von  Wasser  durchdrungenen, 
so  z.  ß. 

uiit  Wasser  befeiiclilet  trocken 

63°      —  63V4°  65°      ~  66° 

60°      —  61°  63°      -  64° 

56'/,°  -  57V/  607/—  617/. 

Wenn  von  Wasser  durchdrungene  Cryslalloide  durch  Aetz- 
kalilösung  etwas  mehr  aufquellen,  so  werden  die  spitzen  Winkel 
der  rhombischen  Flächen  häufig  etwas  klein(u\  z.  B. 

mit  Wasser  befeiiclilet  in  Aetzkalilösiiiig 

64°  —  657/  59°  —  60° 

62"  —  62V4°  57°  —  58°. 

Auch  hier  scheint  indessen  zuweilen  das  Gegentheil  ein- 
zutreten und  der  fragliche  Winkel  in  Kalilösung-  grösser  zu 
werden. 

Ich  muss  es  dahin  gestellt  sein  lassen,  ob  dieses  entgegen- 
gesetzte Verhalten  der  Winkel  beim  Eintrocknen  und  Wieder- 
befeuchliMi  mit  Wasser,  so  wie  beim  stärkern  Aufquellen  in 
einer  alkalischen  F'lüssigkeit  in  Beziehung  zur  Crystallform  stehe, 
oder  üb    es    auf  eine    andere   Weise  zu    erklären   sei.     Wenn 


Käf/eli:    Crystallühnliche  Pioteinköriier.  127 

nämlich  die  Cryslalloide  rhomboodrisch  wären,  so  miisslen  alle 
spitzen  Winkel  der  rhombischen  Flächen  die  nändichen  Verän- 
derungen zeigen.  Wenn  sie  dagegen  klinorrhombisch  sind ,  so 
könnte  bei  der  Aufiiahme  von  Imhiliitiotisflüssigkeit  die  Ver- 
arösserunir  in  der  Kichluno-  der  Säulenaxe,  nnd  in  2  (hizu  senk- 
rechten  Richtungen  3  versciiiedenen  Werthen  entsprechen,  und 
es  könnten  demnach  die  spitzen  Winkel  der  Säulenflächcn  klei- 
ner, die  der  Endflächen  grösser  werden  oder  umgekehrt. 

Die  Entscheidung  der  Frage,  wie  sich  unter  den  bespro- 
chenen Verhältnissen  die  Zunahme  der  verschiedenen  Durch- 
messer verhalte,  und  ob  (he  rhombischen  Flächen  ihre  Winkel 
in  gleicher  oder  in  ungleicher  Weise  ändern,  wäre  ein  sehr 
wichtiges  Moment  lür  die  Bestimmung,  ob  die  Crystalloide  nach 
dem  rhomboedrischen  oder  dem  klinorrhombischen  Typus  gebaut 
sind.  Aber  beider  scheint  eine  ganz  sichere  Methode  fast  zu 
den  Unmöglichkeiten  zu  gehören. 

Wenn  die  Crystalloide  stärker  in  Kalilösung  aufquellen,  so 
werden  die  spitzen  Winkel  der  rhond)ischen  Flächen  deutlich 
kleiner,  uiui  zwar  scheinen  sich  alle  Flächen  der  rhomboeder- 
ähnlichcn  Formen  gleich  zu  verhalten.  Diese  Winkel,  die  früher 
610  _  (3io  betrugen,  sind  jetzt  nicht  grösser  als  49"  —  50". 
Wird  die  Crystalllorm  als  klinorrhombisch  betrachtet,  so  ist  die 
NeicTuno-  der  SäubMillächen  unter  einander  von  75°  auf  68''  — 
70''  gesunken,  und  die  Neigung  der  Säule  hat  sich  von  58" 
auf  50"  vermindert.  Die  Winkel  der  Abstumpfungsflächen  sind 
annähernd  die  gleichen  geblieben,  und  die  rechten  Winkel  der 
Stellung,  wie  sie  Fig.  6  zeigt,  sowie  der  octaedrischen  Formen 
(Fig.  11)  haben  sich  nicht  verändert. 

Die  Anwendung  des  polarisirten  Lichtes  gibt  sehr  wenig 
Aul'schluss  über  das  C'rystallsystem.  Wenn  di(!  Axe  des  Ilhom- 
boeders  senkrecht  steht,  so  zeigen  die  Crystalloide  keine  doppel- 
brechenden Eigenschaften.  Bei  horizontaler  Axenlage  wird  das 
Koth  der  ersten  Ordnung  in  Rolhorange  und  liothviolett  umge- 
ändert; und  zwar  in  der  Art,  dass  die  geringere  Aetherdi(;htlg- 
keit   (oder  grössere  Elaslicitüt)   in  der  Richtung   der  Axe    sich 


128  Sitzutiy  der  math.-phys.  Classe  vom  il.  Juli  1862. 

befindet.  Daraus  ergibt  sich ,  tlass  wenn  die  Crystalloide  dem 
bexagonalen  System  angehören,  sie  optisch  positiv  sind.  Es  ist 
aber  nicht  ausgeschlossen,  dass  sie  2  optische  Axen  haben,  und 
dass  dieselben  sich  der  Axe  i\es  scheinbaren  Rhoniboeders 
nähern. 

Ich  bemerke  noch  zum  Schlüsse;,  dass  die  Crystalloide  meiner 
beiden  Präparate  fast  alle  rhomboeder-  und  octaederahnlich,  sel- 
tener talelartig  und  am  Umfange  von  den  Rhomboederflächeu 
begrenzt  sind.  Die  Crystalloide  der  Maschke'schen  Präparate 
daffeffcn  sind  Tafeln,  liäufiy  njit  stun)plen  Ecken  und  bloss  un- 
deutlichen  Rhomboederflächeu  (Fig.  13.  10 1;  nicht  seilen  sind 
auch  die  oreu-enüberlieoenden  Flächen  nicht  genau  parallel.  Unter 
meinen  Präparaten  kommen  nur  wenige  solche  Tal'eln  mit  un- 
vollkonnnen  oder  unregelmässi^  ausgebildeter  Crvstallform  vor 
(Fig.  14  —   16). 

Microchemische  Reactio  neu. 

Die  microchemischen  Reactionen ,  welche  die  Proteincry- 
stalloide  der  Paranuss  zeigen,  sind  mannigfaltig  uiul  werden  auch 
von  den  bisherigen  Reobachtern  abweichend  dargestellt.  Nach 
Hartig  (Pflanzenkeim  115)  werden  sie  in  Wasser  rasch  gelöst, 
indem  sie  zuvor  in  eine  Mehrzahl  kleincirer  ähnlich  gebildeler 
Crystalle  zerfallen.  Holle  wiederholte  diese  Angabe.  Radlkofer 
dagegen  (I.  c.  p.  65)  laiul,  dass  das  Wasser  sie  nur  unvoll- 
kommen angreife,  indem  es  eine  Streuung  und  Zerklüftung  der- 
selben hervorrufe  und  die  Bruchtheili!  bald  gänzlich  ausser  Ver- 
bindung treten  mache,  andere  aber  nach  längerer  Einwirkung 
vollkonnnen  intakt  lasse.  Holle  slimmle  S|iäler  dieser  Angabe 
bei  (N.  Jahrb.  für  Pharm.  1850  |>.  0).  iNach  Maschke  (Bot. 
Zeil.  1850  p.  -417  und  410)  bleiben  einerseits  die  Crystalloide 
im  Wasser  beinahe  unverändert ;  andererseits  sollen  sie  aber  in 
grössern  Mengen  Wasscu*  rissig  werden  und  ein  wenig  auf- 
quellen, nach  längerer  Zeit  selbst  sich  lösen;  l'cirner  gibt  der- 
selbe an,  er  habe  ein  Zerlallen  in  grössere  und  kleinere  Stücke 


Näyeli:    Crt/staUültnlühe  Protetuliöiper.  129 

nur  flnnn  beobachten  können,  wenn  das  Wasser  zwischen  Deck- 
und  Objectülas  einzutrocknen  begann. 

Eioenthiiniliche  und  nicht  constante  Wirkungen  ruft  nach 
Radikofer  die  Essigsaure  hervor  (1.  c.  67);  dieselbe  löst  einen 
Theil  der  Cryslalloide.  liissl  aber  ans  der  Lösung  schnell  eine 
oruniöse  Masse  lallen  :  andere  verändert  sie  äusserlich  last  gar 
nicht  oder  macht  sie  rundlich  aufgequollen  und  iiohl.  Maschke 
dagegen  cribt  an,  dass  die  Crystalloide  der  Paranuss  auf  Zusatz 
von  Essigsäure  sofort  gelöst  werden. 

Concentrirte  Salzsäure  löst  nach  Radlkcder  die  Crystalloide 
rasch,  massig  vcrdüinite  SchwelVilsäure  etwas  weniger  rasch;  in 
venlünnter  Salzsäure  werden  sie  getrübt  wie  durch  Entstehen 
sehr  kleiner  Vacuolen;  auch  in  Salpetersäure  werden  sie  rund- 
lich und  vacuolig.  Rei  Behandlung  mit  Phos[diorsäure  zeigt  sich 
nach  Maschke  in  (h'r  Mitte  dos  Crystalloids  ein  Hohlraum  (,,eine 
durchsichtige,  das  Licht  röthlich  brechende  Stelle"),  welcher  an 
Grösse  immcu*  mehr  zuninnnl. 

Anunoniak  löst  die  Crystalloide  nach  Radikofer  und  Maschke, 
ebenso  verdünnte  Kalilauge  nach  dem  Erstem,  Kalkwasser  nach 
Letzterm.  Concentrirte  Kalilauge  macht  sie  nach  Radikofer  rund- 
lich klumpig. 

In  Glycerin  werden  nach  Radikofer  die  meisten  Crystalloide 
nach  längerer  (24 stündiger)  Einwirkung  gelöst,  und  zwar  ohne 
erst  bedeutend  aufge(iuollen  zu  sein;  einzelne  aber  bleiben 
ungelöst. 

Jod  färbt  nach  d(;n  verschiedenen  Beobachtern  gelbbraun 
oder  braun;  nach  Radikofer  zerklüftet  es  sie  zugleich.  Das 
iMillon'sche  Reagens  gibt  ihrien  eine  rothe  Farbe.  Pigmente  wer- 
den in  grösserer  Menge  aufgenonunen. 

Diese  Reactionen  widersprechen  einamhu-  nicht  nur,  son- 
dern sie  erscheinen  theilweise  auch  ganz  unbegreiflich  und  mau 
möchte  sagen  unmöglich.  Ich  habe  mir  nicht  die  Aufgabe  ge- 
stellt ,  die  microchemischen  Erscheinungen  erschöpfend  zu  be- 
handeln und  zu  untersuchen,  unter  welchen  Verhältnissen  die 
eine  oder  andere  Wirkung  eintritt.    Es  lag  mir  vielmehr  daran, 

[tä6-2.  U.J  9 


130         Sitzung  der  maih.  -  phys.  Ctasse  rom  11.  Juli  1862. 

aus  dem  verschiedenen  Verhalten  Aufschluss  über  die  innere 
Struclur  der  Crystalloide  zu  bekommen.  Ich  benierke  daher 
nur  im  Allgemeinen,  dass  die  abweichenden  Reaclionen  vorzü^r- 
lieh  von  drei  Ursachen  herrühren.  Einmal  werden  sie,  wie  das 
auch  bei  andern  durchdringbaren  Körpern  der  Fall  ist,  durch 
den  Concentralionsgrad  des  Mittels  bedingt,  welcher  sehr  we- 
senthche  Modificationen  herbeiführen  kann.  Ferner  bestehen 
die  Crystalloide,  wie  ich  zeigen  werde,  aus  2  Substanzen  von 
ungleicher  Löslichkeit;  mit  dem  Wechsel  der  relativen  Mengen 
muss  auch  der  ganze  Körper  seine  Eigenschaften  modificiren. 
Endlich  scheint  auch  die  Art  der  Darstellung  und  Aufbewahrung 
von  Einfluss  zu  sein;  es  scheint  nicht  gleichgiltig,  ob  die  Cry- 
stalloide längere  Zeit  mit  Alkohol  und  Aelher  in  Berührung  ge- 
bUeben  sind  oder  nicht;  in  der  Aufbewahrungsflüssigkeit  können 
Veränderungen  vor  sich  gehen.  Meine  beiden  Präparate  ver- 
hielten sich  bei  Zusatz  von  Glycerin  ganz  ungleich,  obgleich 
beide  vermittelst  Aelher  dargestellt  waren.  Als  ich  darauf  die 
Flüssigkeiten  untersuchte,  reagirte  die  eine  deutlich  sauer. 

Mit  Rücksicht  auf  die  Wirkung  des  deslillirlen  Wassers 
weichen  meine  Beobachtungen  von  denjenigen  meiner  Vorgänger 
ab.  Trockene  Crystalloide  werden  von  demselben  durchdrungen 
und  erfahren  demoemäss  eine  Volumenzunahnie.  Sonst  aber 
zeigen  sie  keine  Veränderung;  es  findet  weder  Lösung  noch 
Zerklüftung  und  Zerfallen  statt,  sowohl  nach  tagelanger  Ein- 
wirkung als  nach  dem  Austrocknen  und  Wiederbefeuchlen. 
Meine  beiden  Präparate,  sowie  dasjenige  von  Maschke  verhalten 
sich  in  dieser  Beziehung  gleich. 

Auch  die  Reaction  von  Glycerin  und  Jod  weicht  nach 
meinen  Beobachtungen  von  den  erwähnten  Angaben  ab.  Reines 
Glycerin.  sowohl  in  beträchtlicher  Verdünnung  als  in  starker 
Conceniralion  angewendet,  verändert  die  Crystalloide  durchaus 
nicht.  Es  durchdringt  sie  bloss  und  bringt  eine  Volumenver- 
mehrung hervor,  die  aber  noch  viel  geringer  ist  als  bei  der 
Durchdringung  mit  Wasser.  Ist  dagegen  gleichzeitig  eine  wenn 
auch  nur  schwache  Säure   vorhanden,   so   treten   verschiedene 


Tiägeli :  Crystallähnlhhe  Proteinköiper.  \^\ 

Vei-Jiiulerungen  an  den  Crystalloiden  ein,  von  denen  ich  in  der 
Foloe  spiTclien  werde.  Wie  ich  bereils  bemerkte,  verhielten 
sich  meine  beiden  rrüparale  bei  der  Einwii-kung  von  Glycerin 
nnoleich.  Das  eine,  weiches  die  saure  Reaction  zeiote,  h'ess 
iihidiche  Erscheinungen  waluMiehmen  wie  das  anihn-e,  wenn  dem- 
selben schwache  Sauren  beigefügt  wurden.  Vielleicht  ist  auch 
die  Angabe  Radlkofer's  über  die  Lösung  der  Crystalloide  durch 
Glycerin  auf  die  nämliche  Weise  zu  erklären. 

Jod  dringt  ein  und  fiirbt;  aber  andere  Erscheinungen  sehe 
ich  nicht  eintreten.  Die  durch  Jod  gefärbten  Crystalloide  sind 
nach  meinen  Beobachtungen  im  Gegentheil  gegen  andere  i^Iittel 
viel  beständiger  geworden;  ihre  Substanz  wird  durch  die  Jod- 
einlagerung bis  auf  einen  gewissen  Grad  geschützt,  wie  das 
auch  mit  den  durch  Jod  gebläuten  Stärkekörnern  der  Fall  ist. 

Ausser  von  reinem  Wasser,  Glycerinlösung,  Jodlösung, 
Alkohol  und  Aelher  werden  die  Crystalloide  auch  von  sehr 
schwachen  Säuren  nicht  vjMändert.  Sooar  in  concentrirter  Essiff- 
säure  bleiben  sehr  viele  derselben  selbst  nach  längerer  Zeit  voll- 
kommen unangefochlcMi.  Stärkere  Säuren,  schwächen!  Säurc^n  bei 
gleichzeitiger  Einwirkung  von  Glycerin,  sowie  alkalische  Lösun- 
gen bringen  dagegen  verschiedene  Veränderungen  hervor.  Die 
leichtesten  bestehen  in  einem  Aufquellen  ,  ohne  dass  die  innere 
Structur  wesentlich  modificirt  wird ;  andere  bewirken  zugleich 
mechanische  Trennungen  oder  verändern  die  feste  und  spröde 
in  eine  weiche  dehnbare  Substanz.  Die  stärkern  Veränderungen 
sind  mit  partiellen  Lösungen  verbunden ;  dabei  wird  entweder 
aus  allen  Punkten  ein  SlofT  von  geringerer  Widerstandsfähigkeit 
ausgezogen;  oder  es  werden  einzelne  Stellen  von  dc^r  Ober- 
Häche  aus  angegriffen  und  das  Crystalloid  zerfallt  in  Stücke; 
oder  es  werden  einzelne  Stellen  im  Innern  gelöst,  und  es  bil- 
den sich  Hohlräume.     Endlich  findet  vollständige  Lösung  statt. 

Bei  d(!r  leichtesten  Einwirkung  der  angreifenden  3Iittel 
quellen  die  Crystalloide;  bloss  auf;  sie  vc^rmehren  ihr  Volumen 
mehr  oder  weniger,  während  die  Crystallform  erlialt(Mi  bleibt. 
Am   schönsten   sah  ich  diess  bei  gleichzeitiger  Anwendung  von 

DO  O 


132  Siliiiiii/  der  math-  phys.  Vtasse  vom  lt.  Juli  1862. 

verdüiiiilen  Siiiireii  (z.  B.  Essigsäure)  und  Glycerin  oder  bei  der 
Anwendung  von  sehr  sclnvacher  Aefzkalilauge. 

Zuweilen  kann  man  beobachlen,  wie  das  quellende  Mittel 
an  der  Oberlliiclie  eindringt  und  nach  der  Mille  Inn  vorrückt. 
Wenn  das  Aulquellen  sehr  gering  ist,  so  ist  diess  selbst  das 
einzige  Millel,  um  die  stalKindeiide  Verändernng  nachziiw(Msen. 
Die  Figuren  32  —  34  zeigen  einige  Cryslalloide,  welche  in  sehr 
verdünnter  Essigsäure  lagen  »nul  auf  welche  nachträglich  Gly- 
cerinlüsung  einwirkte.  Ganz  gleiche  Formen  wurden  auch  in 
dem  Präparate  mit  saurer  Aurbewahrunnsflüssiokeil  beobachtet 
(Fig.  25  —  31j.  —  Die  Substanz  wird  von  der  Oberfläche  aus 
heller.  Die  innere  unveränderte  Masse  ist,  wie  ihr  Randschallen 
zeigt,  etwas  dichter  5  sie  wird  allmählich  kleiner  und  verschwindet 
zuletzt  ganz.  Anfänglich  hat  dieselbe  genau  die  Gestalt  des 
ganzen  Crystalloids  (Fig.  29,  30,  34)  und  behält  sie  oft  ziem- 
lich lange,  so  dass  ein  kleines  Crystalloid  in  dem  grossen  liegt 
(Fig.  25),  Später  rundet  sie  sich  jedoch  meistens  ab  (Fig.  33). 
Das  Aufquellen  der  Masse  ist  in  diesen  Fällen  äusserst  gering; 
die  Cryslalloide  scheinen  nach  demselben  nicht  grösser  gewor- 
den zu  sein.  Sic  können  von  den  unveränderten  fast  nicht 
unterschieden  werden;  durch  Jod  nehmen  sie  die  gleiche 
Farbe  an. 

Das  regehnässige  Vordringen  des  Glycerins  oder  überhaupt 
der  Oui'lliingi^flüssigkeil  in  der  Substanz  des  Crystalloids  be- 
weist eine  regelmässige  überall  gleichförmige  Struitur  im  Innern. 
Es  regte  natürlich  die  Frage  an,  ob  die  Widerstände  in  den 
verschiedenen  Hichlungen  nngleicl»  seien  und  ob  das  Vorrücken 
mit  ungleicher  Geschwindigkeit  erfolge.  Diess  scheint  nun  aller- 
dings der  Fall  zu  sein.  In  einigen  FälltMi  drang  bei  rhomboe- 
derähnlicher  Gestalt  die  Oncllungsflüssigkeit  olfenbar  von  den 
AbsUnnpInngsflächen  aus  langsamer  ein  als  von  den  übrigen. 

In  Crystall(ii<len ,  welche  Spalten  besitzen,  w  ird  die  Sub- 
stanz auch  von  der  Spallenoberfläche  aus  verändert.  Ein  sol- 
ches mit  (iiner  0»i<Mspalle  ist  in  Fig.  32  abgebildet;  es  verhält 
sich  wie  2  Cryslalloide,    indem  in  jeder  Hälfte  sich  ein  dichter 


Tiüyeli:   Cri/stfillähnliclie  Proteinkörper.  133 

Korn  befindet.  Wenn  dngcgcii  zwei  Crystalloide  einander  fest 
iinliegen,  und  die  Oiit-'Hungsfliissigkeit  niclit  zwischen  sie  ein- 
dringen kann,  so  verhalten  sie  sich  wie  ein  einfacher  Körper, 
und  schliessen  zusammen  eine  (jinzige  znsannnenhangende  dichte 
Älasse  ein  (Fig.  2S)  —  Selten  kommt  es  vor,  dass  in  einem 
unverletzten  Crystailoid  die  dichte  noch  unveränderte  Substanz 
in  2  Partien  zerliillt  (so  in  Fig.  31);  diess  scheint  damit  zu- 
sammen zu  hängen,  dass,  wie  ich  bereits  bemerkte,  die  Quel- 
buigsflüssigkeil  von  den  Abstumpfungsfläciien  aus  langsamer 
eindringt. 

Die  CryslaUoide  können  bis  auf  das  Doppelte  ihrer  Dimen- 
sionen sich  vergrössern,  wobei  sie  sehr  hell  und  durchsichtig 
werden,  ohne  ihre  regelmässige  stereometrische  Form  zu  ver- 
lieren. Die  Kanten  und  Ecken  erscheinen  oft  so  scharf,  die 
Flächen  so  eben  wie  im  unveränderten  Zustande,  Aber  die  ver- 
schiedenen Dimensionen  hab(Mi  nicht  in  ganz  gleichen  Verhält- 
nissen zugenommen:  und  die  Cryslallgestall  hat  sich  etwas  ver- 
ändert, wie  ich  schon  ob(Mi  angeführt  \v,\\n\ 

Bei  etwas  stärkerer  Einwirkung  des  Quellungsmiltels  ver- 
lieren die  Crystalloitle  mehr  oder  weniger  ihre  regelmässige 
polyedrische  Form.  Ecken  und  Kaulen  runden  sich  ab.  Die 
inm^e  Structur  wird  modificirl,  die  Masse  erscheint  dehnbarer. 
Besonders  bemerkenswerlh  ist  es,  dass  jetzt  die  Substanz  an 
der  Oberfläche  dichter  ist  als  im  Innern.  Die  weiche  aufge- 
quollene Masse  ist  von  einer  mend)ranartigen  Rinde  umschlossen. 
Diese  Membran  ist  bald  scdn-  zart  bald  etwas  mächtiger,  aber 
immer  sehr  deutlich,  bei  rascher  Einwirkung  wird  sio  zer- 
sprengt und  die  innere  Masse  quillt  wolkenartig  heraus  (Fig. 
51,  'Vi)  Diese  Erscheimnigen  wurden  bei  der  Einwirkung  von 
Kalilösuiig  und  Ammoniak,  aber  auch  bei  gleichzeitiger  Anwen- 
dung von  Salzsäure  und  Glycerin  gesehen. 

Eine  andere  Wirkung  <\ii^  ungleichmässigen  Aufquellens 
sind  Risse  in  der  Substanz  des  Crystalloids  Dieselben  zeigten 
sich  besonders  Ix'i  gleichzeitiger  Anwendung  von  verdünnten 
Säuren   und   Glycerin,     ebenso    bei   Zusatz    einer   concentrirlen 


134         Sitzung  der  math.-plnjs.  Ctasse  vom  it.  Juli  1862. 

Glycerinlüsung  zu  dem  Priiparat,  dessen  Aufbewahrungsflüssig- 
kcit  eine  saure  Roaction  zeigte,  endlich  bei  Anwendung  von 
starkern  Siiuren  allein.  Zuerst  erscheinen  zarte  Streifen  auf  den 
Crystalloiden .  welche  wie  Hisse  aussehen.  Dieselben  sind  mei- 
stens unter  einander  ziemlich  parallel  und  zur  Axe  der  rhom- 
boederähnlichen  Formen  quer  gerichtet.  Bald  darauf  erkennt 
man  sie  als  deutliche  S|)alteu ,  die  das  Crystalloid  theilweise 
oder  auch  ganz  durchbrechen.  Dasselbe  zerfiillt  dann  in  Stücke, 
welche,  besonders  wenn  eine  Bewegung  in  der  Flüssigkeit  be- 
günstigend mitwirkt,  sich'  von  einander  trennen  und  vertheilen. 
Offenbar  wird  dieses  Zerkliiften  und  Zerfallen  nicJit  bloss  durch 
mechanische  Trennung,  sondern  auch  durch  theilweise  Auflösung 
der  Substanz  hervorgebracht,  welche  an  den  durch  die  Risse 
blossgelegten  Flachen  Ihiitig  ist.  Die  sich  zerklüftenden  und  in 
Splitter  zerfallenden  Crystalloide  zeigen  ein  kaum  bemerkens- 
wcrthes  Wachsthum  durch  Aufquellen. 

Zuweilen  bildet  sich  zuerst  nur  eine  Spalte,  welche  sich 
verzweigt  (Fig.  .21,  22).  Durch  weitere  Verzweigungen  und 
netzförmige  Anastomosen  (Fig.  23)  wird  nach  und  nach  die 
ganze  Substanz  zerklüftet  und  zerfallt  in  Trünnner.  —  Es  kann 
auch  sogleich  ohne  vorausgehende  Rissebildung  ein  Zerbröckeln 
in  kleine  Körnchen  an  einer  Seite  beginnen,  und  allmählich  das 
Crystalloid  ergreifen  (Fig.  24). 

Ebenfalls  eine  theilweise  Auflösung,  aber  ganz  in  anderer 
Form  findet  gewöludich  bei  der  Einwirkung  von  verdünnten 
Sauren  (Salzsäure,  Schwefelsäure,  Salpetersäure,  Phosphorsäure) 
statt.  Es  treten  im  Innern  der  Substanz  Hohlräume  oder  Vacu- 
olen  auf,  bald  grössere  bald  kleinere,  bald  nur  einer  oder  ein- 
zelne wenige,  bald  zahlreiche  (Fig.  45,  46,  47;  in  Fig.  48 
umiicben  mehrere  kleine  Vacuolen  einen  grössern  Hohlraum). 
Dabei  verändert  das  Crystalloid  Form  und  (Jrösse  nur  wenig. 
Wenn  die  Vacuolen  in  grosser  Menge  vorhanden  sind ,  so  er- 
scheint die  Substanz  in  Folge  davon  dunkel.  Zuletzt  zeigt  das 
Crystalloid  meistens  eine  einzige  grosse  Höhlung  (Fig.  49,  50); 


Näffeli:  Crystallähnliche  Proteinkörper.  135 

es  hat  noch  ziemlich  seine  polyedrische  Gestalt  und  gleicht  einer 
Zelle  mit  dickerer  oder  dünnerer  Wandung. 

Auch  schwächere  Alkalien  bringen  oft  eine  ähnliche  Wir- 
kung hervor.  Die  Figuren  53-55  zeigen  drei  Crystalloide,  die 
durch  Auflösung  der  innern  Masse  hohl  geworden  sind.  In 
Fig.  53  ist  die  Wandung  noch  ziemlich  dick  und  hat  auf  der 
einen  Seite  eine  Spalte;  in  Fig.  55  ist  dieselbe  sehr  dünn  ge- 
worden. 

Wenn  die  Mineralsäuren  stärker  einwirken,  so  treten  zwar 
auch  Vacuolen  im  Innern  auf.  Zugleich  findet  aber  in  der  Sub- 
stanz eine  Desoiganisation  statt.  Das  Crystalloid  quillt  nur 
wenig  auf,  rundet  sich  ab  und  besteht  aus  einer  weichen  und 
wie  es  scheint  dehnbaren  Substanz. 

Eine  Form  der  partiellen  Auflösung  besteht  endlich  darin, 
dass  aus  allen  Theilen  des  Cryslalloids  ein  Stoff  ausgezogen 
wird.  Diese  merkwürdige  Beobachtung  wurde  an  dem  Präparat 
mit  saurer  Aufbewahrungsflüssigkeit  bei  Zusatz  von  Glycerin 
gemacht.  In  sehr  verdünnter  Glycerinlösung  bleiben  die  Crystal- 
loide unverändert.  In  concentrirter  Lösunjj  werden  sie  zuerst 
am  Umfange  sehr  hell;  die  Veränderung  schreitet  dann  nach 
innen  fort,  woliei  di(!  eingeschlossene  noch  unveränderte  Sub- 
stanz viel  dichter  erscheint  und  durch  ihren  stärkern  Rand- 
schatten  sich  abhebt;  zuletzt  sind  sie  in  ihrer  ganzen  Masse 
zart  und  durchsichtig  geworden.  Fig.  35  —  37  und  40  —  43 
zeigen  zwei  Crystalloide  in  der  fortschreitenden  Veränderung. 
Selten  bleibt  die  unveränderte  Substanz,  bis  sie  verschwunden 
ist,  zusanunenhängend.  Meistens  zerfällt  sie  vorher  in  einige 
oder  viele  Partieen  (Fig.  44).  Nicht  selten  geschieht  diese  Zer- 
klüftung durch  Oiiorspalten  (mit  Rücksicht  auf  die  Axe  der 
rhomboederähnlichen  Formen).  Zuweilen  ist  sie  ziemlich  regel- 
mässig, häufiger  mehr  oder  weniger  unregelmässig. 

Wenn  die  Einwirkung  vollendet  ist,  so  bleibt  ein  sehr 
zarter  Körper  zurück  ,  von  der  ursprünglichen  crystallähnlichen 
Form  und  Grösse  (Fig.  37,  38,  43);  eine  Zunahme  der  Dimen- 
sionen (resp.  Aufquellen)   findet  nicht  statt.     Kanten  und  Ecken 


136         Sit-iung  der  tnath.-plii/v.  Classe  vom  it.  Juli  1862. 

sind  oft  noch  gnnz  schürf:  nianclimal  aber  auch  haben  sich  die 
Kanten  etwas  gebogen  und  die  Ecken  abgerundet.  Der  Körper 
erscheint  so,  als  ob  er  bloss  aus  einer  dünnen  Membran  bestehe; 
die  eingeschhjssene  Masse  ist  in  ihrem  Lichtbrechnngsvermögen 
vom  Wasser  nicht  verschieden.  Doeh  muss  sie  eine  unlösliche, 
aber  allerdings  äusserst  weiche  Substanz  sein,  was  sowohl  aus 
der  sorgfältig  erhaltenen  Ciystallform  als  aus  dem  Verhallen  zu 
Jod,  welclics  sie  gelb  färbt,  als  auch  aus  dem  Umstände  hervor- 
geht, dass  bei  der  Zerklüftung  die  Trümmer  und  Körnchen  in 
ihrer  gegenseitigen  Lage  verharren  und  weder  zusammenstürzen 
noch  überhaupt  in  Bewegung  gerathen,  was  nur  dadurch  erklärt 
wird,  dass  sie  in  eine  unlösliche  Substanz  eingebettet  sind. 

Diese  partielle  Auflösung  der  Proteincrystalloide  hat  die 
allergrösste  Aehnlichkcit  mit  der  Einwirkung  des  Speichels  auf 
die  Stärkekörner.  In  beiden  Fällen  wird  aus  einer  Mischung 
von  zwei  Stoffen  der  eine  ausgezogen,  wobei  die  Auflösung 
immer  an  der  Oberfläche  der  noch  unveränderten  Masse  thätig 
ist.  Der  StolF,  welcher  zurückbleibt,  beträgt  nach  dem  Licht- 
brechungsvermögen zu  urlheilen,  weniger  als  V,o  der  ursprüng- 
lichen Masse,  und  ist,  wie  schon  gesagt,  an  seinem  Umfang 
deutlich  zu  einer  incndjranarligen  Schicht  verdichtet.  Jod  färbt 
die  unveränderte  Substanz  gelbbraun  mit  einem  Stich  in's  Röth- 
liche,  die  zuiückbleibende  helltreib. 

Die  verschiedeneu  Ersch(;inungen  der  OiK-Hn'ig  und  par- 
tiellen Auflösung  können  meistens  auch,  wenn  das  Mittel  ener- 
gischer oder  länger  einwirkt,  zu  vollständiger  Lösung  luhrcMi . 
Schwache  Säuren  im  Verein  mit  concentrirter  Glycerinlösung, 
concenirirtcre  Säuren  sowie  Alivalien  haben  oft  diesen  Erfolg. 

Concenfrirte  Essigsäure  für  sich  allein  greift,  wie  ic'h  schon 
bemerkt  habe,  viele  Crystalloide  gar  nicht  an.  Wenn  dagegen 
gleichzeitig  Glyceriri  auf  dieselben  einwirkt,  so  quellen  sie  auf, 
werden  dabei  sehr  durchsichtig,  und  verschwinden  zuletzt  ganz. 

Stark  verdünnte  Phosphorsäure  führt  eine  eigenthümliche 
Trübung  der  Crystalloide  herbei,  als  ob  ihre  Substanz  durch 
zahlreiche  Risse  in  winzige  Splitter  zertrümmert  sei.    Setzt  man 


Nät/eli:  Crtistanühnliche  Proteinf<örper.  137 

hierauf  cnnceiilrirlero  Phospliorsiinio  liiiizu ,    so   quellon    sie    auf 
und  worden  viel  heller.     Endlich  sind  sie  sehr  undeutlich,    und 
bestehen    nur   noch   aus   oin(Mn   iiussorst  zarten   kaum   bemerk- 
baren Skelett,    das  aber  oft  noch  vollkommen  die  iViUicrc  Cry- 
slalllbrm  zeigt.  Sehr  wahrscheinlich  wird  auch  hier  eine  leichter 
lösliche  Suiislanz  ausgezogen,   wie  das  bei  der  Einwirkung  von 
toncenlrirter  Glycerinlosung    auf  die  Cryslalloide   des  Präparats 
mit    saurer   Aufhewahrunosflüssigkeit     der   Fall    ist.     Das    zarte 
Skelett    verschwindet    bald    vollsliindig.    —    Bei  der  Einwirkung 
anderer  Mineralsauren  werdcMi  meistens  durch  Auflösung  im  In- 
nern zuerst  Hohlräume,    dann  eine  einzige  grosse  Höhlung  ge- 
bildet, die  von  einer  HiUle  umschlossen  ist  und  zuletzt  verschwin- 
det auch  diese  Hülle. 

Ammoniak  in  concenlrirterer  Lösung  löst  ebenfalls  zuerst 
die  innere  Substanz  und  zuletzt  auch  die  Hinde.  Aetzkali  da- 
gegen macht  das  Crystalloid  aufquellen  und  dann  verschwinden. 

Vergleichung  mit  den  Crystallen. 

Die  aus  Proteinverbindmigen  bestehenden  Cryslalloide  glei- 
chen in  der  Formbildung  den  C^y^talien  aufs  Aeussersle;  daher 
sie  auch  sogleich  von  allen  Forschern  mit  diesem  Naimm  be- 
griisst  wurden.  Doch  zeigt  eine  genauen^  Beobachtung .  dass 
die  strengen  Geslallsverhältnisse  der  Cryslalle  bei  den  C'rystal- 
h)iden  ziendich  la.x  werden.  Wenn  unter  ganz  gleiclnMi  äussern 
Einflüssen  derselbe  Winkel  um  2"  und  3°  variiren  kann ,  und 
wenn  bei  gut  ausgebildeten  Formen  die  gegenüIxM-liegenden 
gleichwerlhigen  Flächen  zuw(!ilen  so  weil  von  dem  Parallelismus 
'  abweichen,  dass  es  das  Auge  ohne  Goniometer  bemerkt,  so  muss 
(Hess  wenigstens  als  ein  aulTallendes  crystallographisches  Ver- 
halten bezeichnet  werden. 

Nicht  minder  abnorm  für  die  Cryslallnatur  sind  die  Geslalts- 
veränderungen  der  Cryslalloide  in  verschiedenen  Medien.  Zwar 
ist  bekannt,  dass  die  Winkel  der  Cryslalle  bei  dem  Steigen  und 
Fallen  der  Temperatur  nicht  genau  die  nämlichen  bleiben.  Aber 
es  wäre  etwas  ganz  Neues  und  Besonderes,  dass  ein  trockener 


138         Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  11.  Juli  186i. 

Crystall,  den  man  in  Wasser  legt,  seine  Winkel  um  2°  —  3" 
ändere,  und  dass  er  in  gewissen  Flüssigkeiten  aufquellend  die 
regelniiissige  Crystallform  zwar  behalte,  aber  doch  so  sehr  nio- 
dificire,  dass  der  nüniliche  Winkel  gegen  den  trockenen  Zustand 
eine  Differenz  von  15"  und  16"  zeigen  kann. 

Rücksichtlich  des  innern  Baues  können  wir  von  den  protein- 
artigen Crystalloiden  wohl  mit  Sicherheit  aussagen ,  dass  die 
Substanz  wie  in  den  Crystallen  nach  verschiedenen  Richtungen 
geschichtet  ist.  Diess  ergibt  sich  aus  den  parallelen  Rissen, 
welche  unter  gewissen  Verhältnissen  manchmal  mit  grosser 
Regelmässigkeit  auftreten.  Ich  habe  bereits  angegeben,  dass 
dieselben  meistens  mit  den  Abstumpfnngsfliichen  parallel  sind; 
zuweilen  aber  stimmt  ihr  Zug  auch  mit  Rhotnbenflächen  überein. 

Ausserdem  aber  zeigt  die  innere  Struclur  eine  wesentliche 
Verschiedenheit  zwischen  Crystallen  und  Crystalloiden.  In  jenen 
liegen  die  kleinsten  Theilchen  unmittelbar  nebeneinander;  die 
Substanz  ist  undurchdringbar.  In  diesen  befinden  sich 
Zwischenräume,  in  welche  eine  Flüssigkeit  eindringen  kann;  sie 
sind  imbibitionsfähig.  An  diese  Differenz  knüpfen  sich  eine 
Reihe  anderer  Unterschiede. 

Die  soeben  hervorgehobene  Thalsache,  dass  die  Crystalloide, 
wenn  sie  aus  dem  trockenen  Zustande  in  den  befeuchteten  über- 
gehen, oder  wenn  man  sie  aus  Wasser  in  eine  andere  Flüssig- 
keit bringt,  ihre  Grösse  und  zum  Theil  ihre  Ge.>lalt  verändern, 
beruht  auf  ihrer  Imbibitionsfähigkeit.  Die  Oi'cHungsflüssigkeit 
dringt  in  die  Substanz  ein,  lagert  sich  in  den  verschiedenen 
Richtungen  in  ungleicher  Menge  ein,  und  bringt  dadurch  mit 
der  Vülumenzunahme  auch  eine  Gestaltsveränderung  hervor. 

Eine  andere  Folge  der  Imbibitionsfähigkeit  sind  die  Ver- 
änderungen, welche  im  Innern  der  Crystalloide  vor  sich  gehen, 
wenn  sie  mit  verschiedenen  Lösungen  und  Flüssigkeiten  in  Be- 
rührung konmien.  Sie  lagern  Jod  und  andere  Farbstoffe  ein 
und  ihre  Substanz  wird  durch  und  durch  gefärbt.  Sie  quellen 
ungleichmässig  auf  und  bilden  Risse,  oder  die  innere  weichere 
Substanz     zersprengt    die     dichtere    Rinde.     Die    eindringende 


Tiägeli:  Cri/stallähnliche  Proteinkörper.  139 

Flüssigkeil  ruft  zuerst  eine  partielle  und  ungleiclimlissige  Lösung 
hervor;  in  Folge  derselben  bilden  sich  im  Iiniern  Höhlungen, 
oder  die  Masse  zerfallt  in  grcissere  und  kleinere  Splitter,  oder 
es  wird  aus  allen  Theilen  eine  leichlerlösliche  Substanz  ausge- 
zogen. Dieser  partiellen  Lösung  folgt  nachher  die  vollständige 
nach.  —  Von  allen  diesen  Erscheinungen  zeigt  der  Crystall 
keine  Spur,  weil  er  undurchdringbar  ist.  Das  Lösungsmitlei 
greift  ihn  an  seiner  Oberfläche  an  ;  er  wird  kleiner  und  ver- 
schwindet zuletzt.  Seine  Substanz  bleibt  unverändert  bis  zu 
(lern  Moment,  wo  sie  von  dem  lösenden  Mittel  erreicht  und 
verflüssigt  wird. 

Die  Imbibitionsräliigkeit  der  Crystalloide  bedingt  lerner  ein 
von  den  Cryslallen  verschiedenes  Wachsthuni.  Die  letztem  ver- 
jrrössern  sich  durch  Schiclitenanllageruntr  an  ihrer  Oberfläche; 
wegen  ihrer  Undurchdringbarkeil  können  sie  keine  Substanz  in 
ihr  Inneres  aufnehmen.  Die  Crystalloide  dagegen  wachsen 
durch  Inlussusceplion;  mit  dem  durchdringenden  Wasser  ge- 
langen nährende  gelöste  SlofTe  ins  Innere  und  werden  in  un- 
löslicher Modificalion  eingelagert  Dass  diess  so  sein  müsse, 
ergibt  sich  namentlich  aus  zwei  Thatsachen.  Einmal  ist  die  in- 
nere Substanz  in  grössern  Crystalloiden  viel  weicher ,  leichter 
qiKdlinigsfähig  und  leichtc^r  löslich  als  die  Rinde :  sie  ist  auch 
viel  weicher  als  kleine  Crystalloide.  Die  letzlern  können  also 
nicht  durch  Anflacrerunir  an  der  Oberfläche  zum  Kern  der 
grössern  Körper  werden. 

Die  zweite  noch  viel  wichtigere  Thatsache  ist  die  oben 
erwähnte,  dass  wenn  man  dtuch  schwache  Säuren  und  Glycerin 
eine  leichter  lösliche  Substanz  auszieht,  die  übrig  bleibende 
relativ  unlösliche  Substanz  an  der  Oberfläche  zu  einer  Membran 
verdichtet  ist.  Diese  M('nd)ran  beweist,  dass  das  Wachsthnm 
allein  durch  Inlussusception  geschieht.  Denn  würde  auch  Auf- 
lagerung an  der  Oberfläche  statt  haben,  so  müsste  die  Membran 
ins  Innere  vergraben  werden;  und  man  müsste  an  grossen 
Crystalloiden  nach  der  angegebenen  Behandlung   nicht  nur  eine 


140         ■^ititttiff  der  math.  -  phi/s.  Clause  vom  ii-  Juli  1862. 

Menibian  an  der  Ohcriläclie ,  sondern  auch  noch  eine  Reihe 
anderer  in  einander  geschachlelter  irn  Innern  finden. 

Die  kleinsten  Crystaüoide  in  meinen  Präparaten  haben  die 
Crystalllornien  (h^r  grossem.  In  dem  Präparat  von  Maschke 
dagegen  sind  die  kleinsten  alle  kugelig;  sie  können  eine  ziem- 
liche Grösse  erniichen  und  dabei  noch  kreisrund  (abgeplattet- 
kuoeliir)  sein  (Fig.  20).  Von  diesen  Kugeln  gibt  es  alle  mög- 
lichen üebergänge  zu  den  sechsseitigen  Taleln ,  welche  von 
6  Rhniidjoederflächen  und  den  beiden  Ab.slumpfungsflächen  be- 
grenzt sind.  Zuerst  sieht  man  3  Ecken  sich  an  dem  Umfange 
erheben  (Fig.  17);  zwischen  denselben  bilden  sich  dann  nach 
und  nach  die  drei  andern  aus  (Fig.  19,  20).  Diese  Thatsache 
scheint  darauf  hinzudeuten,  dass  die  Cryslalloide  zuerst  als 
Kugeln  auftreten  und  allmählich  sich  zur  spätem  Cryslallform 
umbilden.  Ist  diese  Vermuthung.  die  aber  jedenfalls  noch  durch 
weitere  Beobachtungen  bestätigt  werden  muss,  gegründet,  so 
ergibt  sich  ein  neuer  Unterschied  gegenüber  den  Crystallen.  welche 
auf  ganz  andere  Art  entstehen.  Auch  diese  Formverändorungen 
der  Cryslalloide  in  d(Mi  jüngsten  Zuständen  wären  wohl  nur  durch 
das  Wachsthum  vermittelst  Intussusception  zu  erklären. 

Diese  Vergleichung  zeigt  uns,  dass  die  aus  Proleinsub- 
stanzen bestehenden  Cryslalloide  den  Crystallen  in  der  Form- 
bilduiiff  zwar  äusserst  ähnlich  sind,  dass  sie  aber  in  allen  andern 
wesentlichen  VcMhältnissen  sich  von  densidben  entfernen  und 
dafür  genau  mit  den  Slärkekörnem  und  Zellmendtranen  über- 
einstimmen. Namentlich  mit  Rücksickt  auf  die  mannigfaltigen 
Ouellungs-  und  Audösungserscheinungen  gibt  es  selbst  keine 
einzige,  die  nicht  auch  in  ganz  analoger  Weise  bei  den  Stärke- 
körnern vorkäme.  Die  Unterschiede  zwischen  Slärkekörnem 
und  Crystidloiden  lassen  sich  wohl  alle  darauf  zurückführen, 
dass  bei  jeuen  die  innere  Organisation  diu"ch  ein  Centrum  be- 
dingt wird,  bei  diesen  nicht;  dass  also  bei  den  erstem  die 
Molecularschichtcn  sich  concentrisch  um  einen  organischen  Mit- 
telpunkt gruppiren,  bei  den  letztem  aber  in  parallelen  durch 
feste  Richtungen  bedingten  Flächen  liegen.    Da,  wie  ich  für  die 


Küyeli :   Cri/staltähiiiivlte  Proteinköriier.  141 

Stärkekürner  wahrscheinlich  goinachl  habe,  der  concenhische 
Bau  mit  i\oth\veii(lii»keit  besliininle  Spaniimiuen  hervorruft  und 
da  aus  diesen  Spannuntren  die  DifTcrencirung'  der  Substanz  in 
dichte  und  weiche  Schichten  sowie  die  Entstehung  von  Theil- 
körnern  im  Innern  herzuhMten  ist.  so  wird  es  begreiflicii,  warum 
diese  beiden  Merkmale  den  Crystalloiden  mangeln. 

Da  die  Trystalloide  sich  rücksichtlich  derjenigen  Erschei- 
nungen, welche  durch  den  Innern  Bau  bedingt  werden,  wie 
oro-anisirte  EkMnenlarorgane  verhalten ,  so  darf  man  wohl  an- 
nehmen,  dass  sie  auch  in  der  iMolecuIarconslilution  mit  denselben 
id)ereinstinnnen.  Sie  würden  somit  aus  winzigen  crystalliihnlichcn 
Molecülen  (von  denen  jedes  aber  aus  einer  grossen  Anzahl  von 
Atomen  zusammenoresetzt  sein  kann)  beslehcMi.  welche  im  Irocke- 
neu  Zustande  einander  berührtm.  im  befeuchleten  aber  durch 
Schichten  von  Ind)ibitionsflüssiokeit  getrennt  sind.  Diese  Annahme 
wird  auch,  wie  es  scheint,  durch  das  Verhalten  der  Cryslalloide 
selbst  gefordert ;  denn  sie  allein  gestattet  die  Möglichkeil .  dass 
dieselben  sidi  auf  das  D()|)pelle  ihrer  Durchmesser  ausdehnen 
und  dabei  eine  vollkommen  rt^aelmässiije  (i(>stalt  behalten. 

Auch  die  Wirkungen,  welche  die  Crystalloide  auf  das  po- 
larisirte  Licht  äussern,  unterstützen  die  Annahme,  dass  ihre 
Molecularconslitution  mit  derjenigen  der  organisirten  Elementar- 
gebilde übereinstinnne.  Die  letztern  zeichnen  sich  alle  dadiuch 
aus,  dass  sie  auch  in  wasserlhrien»  Zustaiuh;  viel  schwächere 
doppelbrechende  Eigenschaften  besitzen  als  Crystalle  von  glei- 
cher Mächtigkeit.  Diess  gilt  ebenfalls  für  die  Crystalloide;  die 
Interferenzfarben,  welche  sie  hervorrufen,  sind  so  schwach,  dass 
man  sie  kaum  deutlich  wahrninnnt,  während  gleich  grosse  Cry- 
stalb^  einer  Zuckerart  oder  irgend  eines  Salzes  sehr  lebhafte 
Färbunuen  crzenucn. 

Das  Wesen  der  Crystalle  bestellt  darin  ,  dass  die  kleinsten 
Theilchen  nach  allen  Richtungen  in  parallelen  geraden  Reihen, 
somit  nach  verschiedenen  Richtungen  in  paralhdcju  ebenen  Flä- 
chen liegen.  Die  Folge  davon  ist  die  regelmässige  Crystallform 
mit  ihren   ebenen   Begrenzungen   und   mit  ihrer  synunetrischeii 


142  Sitzunf/  der  math.-phi^s.  Classe  vom  ii.  Juli  1862. 

Verlheiluncr  der  Flachen.  Die  Bedinffunor  dafür  besieht  darin, 
dass  die  kleinsten  Theilchen  in  der  ninnlichen  Richtung  die  glei- 
chen Molecuhirkriifle  wirksam  werden  lassen.  —  In  den  orga- 
nisirlen  Körpern  geniigen  bloss  jene  unsichtbar  kleinen  crystall- 
ähnlichen  Mulecüle ,  aus  denen  sie  bestehen,  vollkonnnen  diesen 
Bedintrunjien.  Die  crvstallähnlichen  Molocüle  treten  ihrerseits 
nach  bestiiniriten  Gesetzen  zusannnen  und  bilden  eine  Vereini- 
gung höherer  Ordnung.  Sie  können  entweder  in  geraden  Linien 
und  ebenen  Flachen  sich  zusammen  ordnen,  wie  in  dem  Cry- 
stalloid  und  in  der  ebenen  Membran;  oder  sie  können  krumme 
Reihen  und  gebogene  Schichten  bilden,  wie  in  der  cylindrischen 
oder  ovalen  Zellmembran  und  in  dem  Stärkekorn.  Eine  ebene 
Membran  ist  von  dem  Crystalloid  nur  dadurch  unterschieden, 
dass  in  jener  bloss  2  gegenüber  liegende  Flächen ,  in  diesen» 
alle  Flächen  ausgebildet  sind.  In  beiden  ordnen  sich  die  cry- 
stallähnlichen  .Molecüle,  das  Gefüge  des  Crystalls  nachahmend, 
zwar  nahezu  aber  doch  nicht  genau  in  gerade  Reihen  und  ebene 
Schichten,  wie  die  optische  Analyse  mit  polarisirtem  Lichte  bei 
beiden  und  wie  die  crystallographische  Analyse  bei  den  Cry- 
stalloiden  zeigt.  Da  sie  unter  einander  nicht  fest  verbunden  sind 
und  da  zwischen  ihnen  andere  Kräfte  wirksam  werden,  als  zw  i- 
schen  den  Atomen  selbst,  aus  denen  sie  bestehen,  so  können 
sie  ferner  innerhalb  gewisser  Grenzen  Modificationen  eingehen, 
die  dem  wirklichen  crystallinischen  Gelüge  fremd  sind. 

Erklärung  der  Figuren    1  —  55. 

(liystalloidc  aus  der  Paraiiuss   (Berthoiletia  excelsa). 

Fig.    1  —  12. 

Unveränderte  Crystalloide  in  Wasser;  500 mal  vergrössert. 
Die  spitzen  Enden  des  Rhomboeders  oder  deren  Abslumpfungs- 
flächen  sind  mit  a  und  b,  die  Flächen  des  Rhomboeders  mit 
m,  n,  p,  q,  r,  s  in  der  Art  bezeichnet,  dass  m  und  n,  p  und  q, 
r  und  s  Paare  von  opponirten  Flächen  darstellen. 


Tiäyeli :  Crt/stallühnliche  Proteinkörper.  143 

1.  Rhomhoeder  mit  leicht  abgestumpften  Enden  und  hori- 
zontaler Axe;  s,  ni  und  p  liegen  auf  der  zugekehrten  Seite. 

2.  Vollständiges  Riioinboeder  mit  horizontaler  Axe,  die 
Flächen  r  und  s  stehen  senkiechl. 

3.  Tafel  mit  auf  der  Papierebene  verlicaler  Rhoinboeder- 
axe;  die  Endfläche  b  horizontal .  zugekehrt.  Auf  der  zuge- 
kehrten Seite  befinden  sich  ausserdem  m,  p  und  r,  auf  der  ab- 
gekehrten n,  q  und  s. 

4.  Octaeder,  dessen  verlical  stehender  Durchmesser  der 
Rhoniboederaxe  entspricht.     Lage  und  Bezeichnung  wie  Fig.  3. 

5.  Ein  abgestumpftes  Rhoniboeder ;  die  Axe  wenig  nach 
rechts  aufgerichtet,  a,  p,  m,  s  auf  der  zugekehrten,  b  auf  der 
abgekehrten  Seite. 

6.  Das  nämliche  Crystalloid  wie  Fig.  5  mit  etwas  stärker 
aufgerichteter  Axe.  Die  Flächen  r  und  s  stehen  senkrecht.  Auf 
der  zugekehrten  Seite  befinden  sich  m ,  p  und  auf  der  abge- 
kehrten Seite  a,  b. 

7.  Das  nändiche  Crystalloid  mit  vertical  stehender  Axe. 
a  (horizontal),  in,  p  und  r  auf  der  zugekehrten  Seite. 

8.  Das  gleiche  Crystalloid  mit  etwas  nach  links  geneigter 
Axe.  Die  4  FläcluMi  m,  p.  n  und  q  stehen  senkrecht;  r  und  a 
auf  der  zugekehrten,  b  auf  der  abgekehrten  Seite. 

9.  Das  gleiche  Crystalloid  mit  stärker  nach  links  geneigter 
Axe.     r  (horizontal),  n,  q  und  a  auf  der  zugekehrten  Seite. 

10.  Das  gleiche  Crystalloid  wie  5  —  9,  mit  horizontal  lie- 
gender Axe  und  aus  der  Lage  5  etwas  um  diese  horizontale 
Axe  gedreht. 

11.  Octaeder  mit  zugekehrter  Ecke. 

12.  Das  gleiche  Octaeder  mit  4  senkrecht  stehenden  und 
2  zugekehrten  Flächen.  , 

Fig.  13,  17-20. 

Unveränderte  kleinere  Crystalloide  des  Maschke'schen  Prä- 
parats, in  Wa.«ser;  1000  mal  vergrossert. 

13.  Tafel  mit  scharfen  Ecken. 


144         .Si7«w«y  der  matli.-pUys.  Cltisse  vom  11.  Juli  iS62. 

17.  Tafel  mit  3  ausgebildeten  und  3  unausgebildeten  Ecken. 

18.  Die  gleiche  Tafel  mit  horizontaler  Axenstellung. 

19.  Tafel  mit  abgerundeten  Ecken. 

20.  Kreisrunde  etwas  abgeplattete  Form. 

Fig.  14-16 

Ein  tafelförnnges  Crystalloid  aus  (\cm  Präparat  mit  saurer 
Aufbewahrungsflüssigkeit;  500 mal  vergrössert. 

14.  Mit  horizontal  liegender  Axe.  In  der  Mitte  befindet  sich 
eine  kleine  Partie  dichterer  Substanz. 

15.  Mit  zur  Pa|)ierebene  verticaler  Axe. 

IG  In  schiefer  Lage;  am  Umfange  sind  die  Rhond)oeder- 
fliichen  sichtbar. 

Fig.  21  -  24. 

(rystalloide  aus  dem  Präparat  mit  saurer  Aufbewahrungs- 
flüssigkeit, in  Glyceriidösung,  durch  welche  sie  zerklüftet  und 
zerbröckelt  werden;  400 mal  vergrössert. 

21.  Khond)oeder  mit  einer  Spalte. 

22.  Abgestumpftes  Rhomboeder  mit  stärkerer  Zcrspallung. 

23.  Gestutztes  Rhomboeder  in  der  gleichen  Lage  wie  Fig.  6, 
mit  weiter  fortgeschrittener  Zerklüftung. 

24.  Die  eine  Hälfte  ist  in  Körnchen  zerbröcki^lt ,  die  an- 
dere noch  unversehrt. 

Fig   25—31. 

Crystallüide  aus  dem  Präparat  mit  saurer  Aufbewahrungs- 
flüssigkeit ,  welche  durch  dieselbe  bis  auf  eine  noch  dichte  und 
unveränderte  Partie  etwas  aufgequollen  sind;  500 mal  vergrössert. 

25.  RlK)mbo(!der;  der  dichte  iiniere  Kern  hat  ebenfalls 
eine  rhondjoedrische  Gestalt. 

20.     Tafel  mit  horizontal  liegender  Axe. 

27.  Die  gleiche  Tafel  wie  Fig.  26,  von  der  Fläche.  Der 
innere  dichte  Kern  ist  ebenfalls  tafelförmig. 

28.  Zwei  zusannnenklebende  tafelförnn'ge  Crystalloide.  Das 


Küyeli:  OysiuUähnliche  ProteinUörper.  145 

Körporpaar  vcrliält  sich  beim  Aufquellen  wie  ein  einfaclier  Kör- 
per, der  von  der  Oberfliiclie  aus  angegrilFen  wird. 

29.  Octaeder;  die  dichte  Substanz  hat  die  gleiche  Form. 

30.  Fast  zum  Octaeder  abgestumpites  Rhomboeder;  die 
dichte  Substanz  von  gleicher  Gestalt. 

31.  Rhomboeder  (wie  Fig.  lOj;  die  dichte  Substanz  bildet 
2  Parlieen  in  der  Nähe  der  beiden  Ecken, 

Fig.  32  —  34. 

Crystalloide  in  verdünnter  Essigsäure,  welcher  dann  Glycerin 
zugesetzt  wurde;  öOOmal  vergrössert.  Das  Quellungsmiltel  dringt 
von  der  Oberfläche  aus  ein. 

32.  Rhomboeder  (wie  Flg.  10),  mit  einer  durchgehenden 
den  Abstumplungsflächen  parallelen  Spalte,  von  welcher  das 
Ouellungsmittel  gleich  wie  von  der  Oberfläche  aus  eingedrun- 
gen ist.     In  jeder  Hälfte  befnidet  sich  ein  dichter  Kern. 

33.  Rhondjoeder  (wie  Fig.  1);  dichter  Kern  im  Innern 
von  länglich  ovaler  Form. 

34.  Rhomboeder  (wie  Fig.  10);  die  dichte  Masse  im  Innern 
hat  ebenfalls  eine  rhomboedrische  Form. 

Fig.  35  —  44. 

Crystalloide  aus  dem  Präparat  mit  saurer  Aufbewahrungs- 
flüssigkeit,  bei  der  Einwirkung  von  concentrirter  Glycerinlösung; 
500  mal  vergrössert. 

35.  Ein  octaedrisches  Crystalloid,  die  Auflösung  hat  am 
Umfange  begonnen. 

36.  Das  gleiche,  etwas  später. 

37.  Das  gleiche  Cryslalloid,  nachdem  die  dichte  Substanz 
vollständig  au.sgezogen  ganz  ist. 

38.  Ein  tafellörnnges  Crystalloid  (wie  Fig.  3),  aus  wel- 
chem die  lösliclie  Substanz  ganz  ausgezogen  ist. 

39.  Die  Einwirkung  hat  in  abnormaler  Weise  stattgefun- 
den,   und   die   lösliche  Substanz    grösstenlheils  aus  der   Innern 

lu.  ia62.J  10 


146  Sitzung  der  math.-phy:.  Vlasse  vom  lt.  Juli  iS6S. 

Masse  ausgezogen,  eine  äussere  Schiclit  aber  noch  unverändert 

gelassen. 

40.  Ein  rhonibocdrisches  Crystalloid  (wie  Fig.  10);  die 
Einwirkung  hat  am  Umfange  begonnen. 

41.  Das  nämliclie  etwas  später. 

42.  Das  nämliche  noch  später. 

43.  Das  gleiche  Crystalloid,  nachdem  die  lösliche  Substanz 
ganz  ausgezogen  ist. 

44.  Ein  Crystalloid,  in  welchem  die  dichte  unveränderte 
Substanz  in  mehrere  durch  Spalten  getrennte  Partieen  sich  ge- 
schieden hat. 

Fig.  45  —  50. 

Crystallüide  in  Wasser,  durch  den  Zutritt  von  Salzsäure 
verändert;  500 mal  vergrössert. 

45.  Octaeder  (wie  Fig.  12),  mit  einer  kleinen  Vacuole 
im  Centrum. 

46.  Zur  Tafel  abgestumpftes  Rhomboedcr  (wie  Fig.  3)  mit 
mehreren  zerstreuten  kleinen  Hohlräumen. 

47.  Octaeder  (wie  Fig.  11)  mit  zahlreichen  zusammenge- 
drängten Hohlräumen  im  Innern. 

48.  Octaeder  (wie  Fig.  12)  mit  einem  grossen  Hohlraum 
in  der  Mitte  und  mit  kleinen  Vacuolen  um  denselben. 

49.  Hhomboedor  (wie  Fig.  10)  mit  einer  sehr  grossen 
Höhlung,  und  dadurch  einer  dickwandigen  Zelle  ähnlich  ge- 
worden. 

50.  Rhomboeder  (wie  Fig.  1)  mit  einer  sehr  grossen 
Höhlung,  einer  Zelle  mit  massig  dicker  Wandung  ähnlich. 

Fig.  51  -  52. 

Crystalh)i(lo  im  Wasser,  bei  Zutritt  von  Glycerin  und  Salz- 
säure; 500  mal  vergrössert.  Die  innere  starkaufquellende  Masse 
zersprengt  die  dichtere  Rinde  und  tritt  als  eine  feinkörnige 
Wolke  heraus. 


Niiyeli:  Crystullühnliche  ProteinUüvjter.  147 

51.  Rliomboeder. 

52.  Gestutztes  Rliomboeder. 

Fig.  53-55. 

Ci-yslalloide  in  Wasser,  durch  Zutritt  von  Ammoniak  ver- 
ändert; 500  mal  vergrösscrt. 

53.  Oclaeder  mit  einem  Hohlraum  im  Innern  und  einer 
Spalte. 

54.  Abgestumpftes  Rhomboeder  mit  einer  sehr  grossen 
Höhlung,  einer  dickwandigen  Zelle  ähnlich. 

55.  Rhomboeder  (wie  Fig.  2)  mit  einer  sehr  grossen 
Höhlung,  einer  dünnwandigen  Zelle  ähnlich. 

2.     FarbcnjstaUüide  bei  den  Pßan-zen. 

Ich  habe  früher  (Pfianzenphysiolog.  Untersuch.  I,  p.  6) 
gefärbte  crystallinische  Körper  beschrieben,  welche  ich  im  Jahr 
1850  und  1851  in  den  Hlumenblältern  von  Viola  und  Orchis 
aufgefunden  hatte.  Dieselben  waren  bald  ovale  oder  unregel- 
mässige Körner,  bald  auch  ziendich  schöne  Crystalldrusen.  Sie 
wurden  schon  durch  Wasser  aufgelöst  und  Hessen  dabei  eine 
weissliche  protoplasniaarlige  Masse  von  fast  gleicher  Grösse  und 
Gestalt  zurück. 

Die  Unlersuchunir  der  Früchte  von  Solanum  america- 
num  Mill.  gab  Gelegenheit  ähnliche  Körper  in  besserer  Crystall- 
bilduno-  zu  beobachten.  Die  Früchte  waren  halb  vertrocknet 
(sie  wurden  im  März  untersucht).  In  den  grossen  Zellen  des 
Fruchtfleisches  befanden  sich  Cryslalle  und  Crystalldrusen  von 
intensiver  violetter  Färbung,  bald  einzeln  bald  zu  nuiln-ern  bei- 
sammen. Ich  will  zuerst  deren  Gestall,  nachher  die  chemischen 
Reactionen  beschreiben. 

Die  einzelnen  Crystalloide  sind  alle  äusserst  dünne  Tafeln. 
Einzelne  sind  regelmässige  Rliondjen  oder  Rbombciu  mit  abge- 
stutzten Ecken  (Fig.  58),  oder  solche  mit  einspringenden  Ecken 
(Fig.   57).     Eine  grosse  Zahl  besteht  aus  Cseitigen  bis  75  Mik. 

10* 


148  Sitzuni/  der  math.-phys.  Classe  vom  iL  Juli  IS62. 

grossen  Tafeln  (Fig.  59)  mit  gleichen  oder  alternirend  unglei- 
chen, oder  opponirt  gleichen  oder  unregelmassig  ungleichen  Seiten. 
Ebenfalls  eine  grosse  Zahl  besteht  aus  6  seitigen  Tafeln  mit  ein- 
springenden meist  slunipfon,  selten  spitzen  Winkeln.  Wenige 
Tafeln  sind  i-  und  5  seitig. 

Vergleicht  man  alle  diese  Formen  miteinander,  so  unter- 
liegt wohl  keinem  Zweifel,  dass  die  Crystallform  die  rhombische 
Säule  in  sehr  verkürzter  tafelartiger  Gestall  ist.  Die  stumpfen 
Winkel  der  rhombischen  Endfläche  betragen  durchschnittlich 
120";  die  Messungen  geben  1 18"  — 122".  Die  6  seitigen  Tafeln 
sind  aus  mehreren  einfachen  Tafeln  zusammengesetzt,  ähnlich 
wie  beim  Aragonit,  zuweilen  vielleicht  aus  3,  meistens  wohl 
aber  aus  6.  Die  Winkel  betragen  in  der  Regel  ebenfalls  zwi- 
schen 118"  und  122°,  selten  sind  2  gegenüberstehende  Winkel 
kleiner  (113"  —  114").  Es  wurden  z  B.  für  die  mit  a  —  f 
bezeichneten  Ecken  durch  Messung  gefunden 


a 

b 

c 

d 

e 

f 

1 

122" 

118'/," 

121'// 

119'// 

120" 

121" 

2 

122" 

118" 

119" 

119  V/ 

122" 

120" 

3 

119" 

120'// 

121" 

119" 

118" 

122" 

4 

119" 

118" 

121° 

121'// 

120'// 

119" 

5 

120" 

1990 

118" 

120'/.° 

119" 

121" 

6 

119" 

120" 

119" 

122" 

121'// 

119" 

7 

114" 

121%" 

1247/ 

114'// 

122'// 

124" 

8 

113" 

122^4^ 

124V/ 

113'// 

1217/ 

124V/ 

Da  diese  Messungen  alle  an  schön  ausgebildeten  Tafeln  mit 
geraden  Seilen  angestellt  wurden,  so  kann  der  Fehler  nicht 
mehr  als  1  Grad  betragen.  Wiederholte  Messungen  des  näm- 
lichen Winkels  geben  bei  den  besten  Tafeln  z.  B.  118"— 119", 
121"  —  121V/.  bei  den  weniger  guten  119"  —  121"  oder 
120"  —  122".  Für  die  Tafeln  1  —  6  könnte  man  nun  zur 
Nolh  einen  conslantcn  Winkel  von  120°  supponiren;  doch  müssle 
man  damit  der  GenanigkcMt  der  Messungen  schon  einigermassen 
Gewalt  unlhun    Für  7  und  8  aber  wird  diese  Annahme  offenbar 


Näyeli:  Crystallähnliche  Proteinkörper.  149 

ganz  unmöglich.  Es  ist  dalior  wahrscheiiilicli ,  dass  dio  Winkel 
des  lUionibus  wolil  meistens  120"  und  60"  beiragen,  dass  sie 
aber  auch  bis  113"  und  07"  oder  bis  1.21"  und  50"  variircn 
können. 

Dass  die  6  seiligen  Tafeln  aus  mehreren  und  zwar  vorzugs- 
weise aus  6  einlaclien  zusannnengesetzt  sinil,  zeigt  sich  nament- 
lich aus  Formen  wie  Fig.  Ol  deutlich,  wo  0  radiale  Trennungs- 
linien, ebenso  viele  EinkerbungcMi  an  den  Ecken  und  eine  durch- 
brochene Stelle  im  Centrum  die  Enlsleliung  anzeigen.  —  Von 
den  4-  bis  5seiligen  Tafeln  haben  jene  1,  diese  2  rechte  Winkel; 
sie  sind  wahrscheinlich  Bruchstücke  von  zusammengesetzten  Tafeln. 

Das  polarisirle  Licht  wirkt  nicht  auf  die  Crystalloido;  d.  h. 
es  bringt  ohne  Gypspliittchen  keine  Veränderung  in  der  Hellig- 
keit, mit  Gypspliittchen  keine  Veränderung  im  Farbenion  hervor. 

Die  Crystalldrusen  sind  ein  Conglomerat  von  vielen  Tafeln. 
Man  sieht  diess  häufig  sehr  deutlich  an  i\vn  vorspringenden 
flachgedrückten  Ecken,  welche  bald  einen  Winkel  von  ungefähr 
00",  bald  von  ungelahr  120"  bilden.  Es  gibt  einzelne  Drusen,  die 
aus  einem  Bündel  von  parallelen  Tafeln  bestehen;  einzcdne,  die 
aus  zwei  solchen  Bündeln,  d'u)  sich  unter  einem  .spitzen  Winkel 
kreuzen,  gebildet  sind.  Wenn  man  die  letztem  dreht,  so  zeigen 
sie  in  der  einen  Lage  ein  Kreuz,  in  den  übrigen  Lagen  er- 
scheinen sie  rundlich.  Weitaus  die  meisten  Crystalldrusen  sind 
mehr  oder  weniger  kugelig  (Fig.  56),  die  Ecken  springen  überall 
vor,  und  eine  bestimmte  Lafferunop  der  Tafeln  ist  hier  nicht  zu 
erkennen. 

Mit  Rücksicht  auf  die  chemischen  Reactionen  ist  zuerst  zu 
erwähnen ,  dass  die  Crystalloido  in  reinem  Wasser  unverändert 
bleiben  ,  während  sie  in  schwach  saurem  oder  schwach  alkali- 
schem Wasser  ihren  Farbenion  ändern. 

Alkohol  entfärbt  die  meisten  Cryslalloide,  indem  sich  um 
dieselben  eine  violelle  Wolke  in  der  Flüssigkeit  ausbreitet. 
Wenn  die  Einwirkung  S(dir  langsam  auf  die  Oseitigen  Tafeln 
statt  hat,  so  sieht  n)an  in  denselben  zuerst  farblose  Streifen  von 
linienförmiger  Gestalt  und  scharfer  Begrenzung   autlreten.     Die- 


]^50         Silzuntf  der  math.-phi/i.  Vlasse  vom  11.  Juli  1862. 

selben  sind  im  Allgemeinen  wie  Radien  gestellt  (Flg.  62).  Die 
vollständige  Entfärbung  IrilFt  zuerst  das  Centrum  (Fig.  65).  Das 
letzte  Stadium  zeigt  noch  kurze  radiale  Streifen  oder  auch  nur 
Punkte  mit  violetter  Farbe  längs  des  Randes  (Fig.  63).  Es 
bleibt  eine  sehr  durchsichtige  Masse  zurück,  die  zuweilen  noch 
ziemlich  die  polyedrische  Gestalt  des  frühern  Crystalloids  hat, 
meist  aber  mehr  rundlich  und  kleiner  ist.  Ihre  Begrenzung  Ist 
sehr  zart:  Jod  fiirbt  sie  braungelb  (Fig.  64).  Es  ist  ohne 
Zweifel  eine  Proteinverbindung.  —  Aelher  wirkt  wie  der 
Weingeist, 

Sehr  schwache  Säuren  verändern  die  Farbe  der  Crystalloide 
in  ein  helles  lebhaftes  Roth,  greifen  dieselben  aber  nicht  weiter 
an.  Wenn  sie  in  den  Zellen  eingeschlossen  sind,  so  wird  zu- 
erst die  violette  Zcllflüssigkeit  roth,  und  kurze  Zeit  nachher 
zeigen  auch  die  Crystalloide  diese  Färbung.  Stärkere  Säuren 
wirken  ähnlich  wie  Alkohol.  Es  verbreitet  sich  eine  rothe  Wolke 
um  das  Crystallold,  und  es  bleibt,  wenn  die  Auflösung  langsam 
geschieht,  eine  geringe  Menge  von  protoplasmaartiger  Substanz 
zurück.  Dieselbe  ist  aber  aufgequollen,  äusserst  weich  und  zart, 
oft  kaum  in  der  umgrebenden  Flüssigkeit  erkennbar.  Befindet 
sich  die  letztere  in  schwacher  Bewegung,  so  wird  die  halb- 
flüssige Schleimsubstanz  in  die  Länge  gezogen  und  zuweilen 
in  Stücke  gethellt  Ich  sah  sie  selbst  einmal  In  der  bewegten 
Flüssigkeit  abwechselnd  in  verschiedener  Richtung  sich  verlän- 
gern, auf  ähidiche  Weise  wie  die  Sarcode  ihre  Gestalt  ändert. 

Wenn  die  Einwirkung  der  Säure  sehr  langsam  eintritt,  so 
sieht  man  wie  beim  Alkohol  zuerst  farblose  linienförmlge  Strei- 
fen auftreten,  welche  in  den  6seitigen  Tafeln  meistens  radial 
gestellt  sind,  zuweilen  aber  auch  andere  Richtungen  zeigen.  Be' 
ganz  regelmässigem  Verlauf  gehen  zuerst  6  Streifen  vom  Mittel- 
punkt nach  den  Ecken.  In  i\Q:n  rhombischen  Tafeln  laufen  sie 
in  der  Regel  parallel  und  schneiden  die  Makrodiagonale  unter 
einem  rechten  oder  spitzen  Winkel.  Diese  Streifen  beginnen 
zuweilen  im  InntTu ,  häufiger  jedoch  am  Umfange.  Es  sind 
wahre  Spalten,     durch    welche    die    Masse   des    Crystalloids  in 


Nüyeli:  Cviistalltihnliche  Protei nkörper.  151 

stäbchenfürnii<rc  Sliickc  zerfällt ,  die  dann  durch  Ouerspalluiig 
wieder  in  kleinere  sich  liieilcn.  Diese  Stücke  hegen  in  der 
aufgequollenen  Schleiujsuhstanz  des  Cry.stalli)id.s ,  bis  sie  voll- 
ständig verschwinden. 

Wenn  die  Säure  concentrirler  oder  wenn  die  Flüssigkeit 
in  Bewegung  ist,  so  bleibt  die  schleimartige  Substanz  nicht  bei- 
sammen, sondern  vertheilt  sich  in  der  Flüssigkeit.  Die  Stücke, 
in  welche  das  Crystalloid  zerfällt,  trennen  sich  dann  von  ein- 
ander und  schwimmen  frei  herum.  Dabei  kann  die  Auflösung 
entweder  von  dem  ganzen  Umfange  aus  oder  von  einer  Seite 
her  erfohi-en.  Von  dem  Crystalloid  bleibt  in  diesem  Falle  zu- 
letzt  gar  nichts  unter  dem  Microscop  Erkennbares  übrig. 

Die  verschiedenen  Säuren  weichen  darin  von  einander  ab,  dass 
sie  mehr  oder  weniger  energisch  wirken.  Es  wurde  Schwefelsäure, 
Salpetersäure,  Salzsäure,  Phosphorsäure  und  Essigsäure  ange- 
wendet. Die  stärkern  Säuren  bringen  eine  mehr  hellrothe,  die 
schwachem  eine  mehr  violettrothe  Färbung  hervor.  Schwefelsäure, 
Salpetersäure  und  Essigsäur(;  lösen  die  Crystalloide  sogleich  auf. 
Ziemlich  concentrirte  Salzsäure  und  Phosphorsäure  verursachen 
bloss  einzelne  radiale  farblose  Streifen,  und  lassen  viele  Cry- 
stalloide selbst  nach  längerer  Einwirkung  ganz  unverändert. 

Manche  Crystalloide  werden  durch  Alkohol  nicht  aufgelöst; 
es  genügt  ein  wenig  Salzsäure  beizufügen ,  um  die  Auflösung 
sogleich  zu  bewirken.  Wenn  man  die  halbverlrockneten  Beeren 
in  Alkohol  legt,  so  färbt  sich  dieser  bloss  grün  und  das  Ge- 
webe bleibt  schwarz ;  setzt  man  etwas  Salzsäure  zu ,  so  nimmt 
er  sogleich  eine  schöne  rolhe  Farbe  an  und  das  Gewebe 
wird  hell. 

Aetzkalilösung  reagirt  wie  die  stärkern  Säuren.  Die  Cry- 
stalloide färben  sich  blau,  dann  werden  sie  zerspalten  und  auf- 
gelöst, indem  sich  eine  kleine  Wolke  um  dieselben  verbreitet. 
Es  bleibt  kein  von  der  Flüssigkeit  unterscheidbarer  Rest  übrig, 
sei  es,  dass  die  schleimartige  Proteinsubstanz  gelöst  oder  in 
ihrer  stärkeren  Vertheilung  unsichtbar  wird. 

Kochendes  Wasser    wirkt    wie   Säuren    und    Alkalien;    die 


152         Sitzung  der  math.  -  pfn/i.  Clause  vom  lt.  Juli  1S62. 

Cryslallüide  vorsclnvinden.  iiacluhMn  sie  zuvor  vorzugsweise 
durch  radiale  Spaltung  in  Stübclien  und  dann  in  kleine  Körner 
zerfallen  sind. 

Aetherisclies  Oel  greift  die  trockenen  Crystalloide  nicht  an ; 
auch  Chloroform  bewirkt  an  denselben  keine  Veränderung. 

Aus  den  nnigetheilton  Thatsachen  ergibt  sich  1)  dass  die 
Farbcrystalloide  dnrchdringbar  sind.  Wenn  auch  eine  Contrac- 
tion  beim  Eintrocknen,  eine  E.xpansiou  beim  Wiederbefeuchten 
nicht  direct  beobachtet  wird,  so  folgt  die  Nothwendigkeit  dieser 
Annahme  doch  aus  der  Thatsache,  dass  die  Farbe  verändert 
werden  kann.  Einmal  geht  der  Auflösung  meist  eine  Modifi- 
cation  in  der  Färbung  voraus;  durch  Säuren  wird  das  Violelt 
in  Roth,  durch  Alkalien  in  Blau  umgewandelt.  Andererseits 
nehmen  in  Berührung  nn't  Jodlüsung  die  Crystalloide  einen 
dunklern  schmutzigen ,  ins  braun  gehenden  Ton  an.  Das  ist 
nalürüch  nur  dadurch  möglich ,  dass  die  Alkalien  und  Säuren 
so  wie  das  Jod  in  die  Substanz  derselben  eindringen. 

2)  Aus  der  Thatsache.  dass  die  Crystalloide  in  Säuren  und 
Alkalien  selbst  nicht  aufquellen,  wohl  aber  nach  erfolgter  Re- 
acliou  eine  aufgequollene  Schleimsubstanz  zurücklassen,  welche 
ein  grösseres  Volumen  einnimmt  als  das  gatize  unveränderte 
Crystalloid,  folgt,  dass  nur  diese  jiroteinartige  Substanz,  die 
gleichsam  die  Unterlage  bildet,  ind)ibitionsfähig  ist,  und  dass  in 
dieselbe  lösliche  a!»er  nicht  quellungsfähige  Stoffe  eingelagert  sind. 

3)  Die  Schleimsnbslanz,  welche  nach  Einwirkung  von  Al- 
kohol, Aether  und  Säuren,  von  einem  Crystalloid  übrig  bleibt, 
ist  äusserst  zart  und  im  Lichtbrechungsvermögen  fast  dem 
Wasser  gleich  Insofern  diese  optische  Eigenschaft  einen  Ver- 
gleich zwischen  gefärbten  und  farblosen  Körpern  erlaultt,  möchte 
ich  vermntlien.  dass  die  Proteinunterlage  nicht  mehr  als  Vm  der 
Masse  des  Crystalloids  beträgt.  Die  Farbstoffe  sind  gewöhnlich 
in  äusserst  geringer  Menge  vorhanden  und  doch  im  Stunde  eine 
sehr  intensive  Färbung  hervorznbring(Mi.  Das  grün  gefärbte 
Protoplasn)a,  dem  man  das  Chlorophyll  entzieht,  behält  das 
gleiche  Volumen  und  die  gleiche  Dichtigkeit;    es  hat  durch  die 


Näffeli:  CrtistaUähnliche  Proteinkörper.  153 

Entfärbung-  offenbar  bloss  einen  uiimerklidieii  Verhist  an  Masse 
cifahrcti.  Wenn  sich  der  violelle  FarbstofF  der  Beeren  wie  das 
Chlorophyll  verhält,  so  muss  man  annehmen,  dass  mit  demselben 
noch  eine  andere  Substanz  vorhanden  sei,  welche  vorzugsweise 
den  Körper  des  Cryslalloids  bildet.  Dafür  spricht  auch  eine 
andere  Thatsache,  Der  Farbstoff  der  Beeren  ist  in  kaltem 
AVasser  löslich.  Aus  den  Crystalloiden  wird  er  aber  nicht  ein- 
mal durch  schwache  Säuren  ausgezogen.  Diess  wäre  geradezu 
unerklärlich,  wenn  wir  annehmen,  es  bestehen  ^/,o  derselben 
aus  FarbstofF.  Ist  der  letztere  aber  mit  einer  andern  Substanz 
verbunden ,  so  wird  er  durcli  dieselbe  vor  der  Einwirkung  des 
Wassers  und  der  schwachen  Säuren  geschützt  und  mit  derselben 
von  starkem  Mitteln  gelöst. 

Diese  Annahmen  erklären,  wie  ich  glaube,  zur  Genüge  die 
verschiedenen  Keaclionen.  Das  Farbcrystalloid  besteht  aus  Vio 
durchdringbarer  eiweissartiger  Verbindung  und  ^/,o  einer  nicht 
iinf)ibitionsläliigen  Substanz  mit  etwas  Farbstoff.  Die  letztere 
verhindert  last  alle  Ouellungs(;rscli(!inungen,  sie  gestaltet  der 
Proteinunterlage  des  Crystalloids  inu*  eine  sehr  geringe  Menge 
Flüssigkeit  aufzunehmen,  und  schützt  den  Farbstoff  vor  der 
Lösung.  Ist  sie  durch  ein  Lösunirsmittel  sammt  dem  letzlern 
ausgezogen,  so  kann  die  Proteinunterlage  ihren  angestammten 
Neigungen  folgen;  mit  Alkohol  und  Aether  zieht  sie  sich  etwas 
zusanunen ;  mit  Säuren  quillt  sie  mehr  oder  weniger  auf;  mit 
Alkalien  vertheill  sie  sich  stark  oder  löst  sich  auf. 

Die  Farbcryslalloide  in  den  Blumenblättern  von  Viola  und 
Orchis  unterscheiden  sich  von  dcMien  in  den  Beeren  von  So- 
lanum americanum  durch  geringere  Beständigkeit,  Indern 
schon  in  kaltem  Wasser  die  in  die  protoplasmaartige  Unterlage 
eingelagerte  Substanz  sannnt  dem  Farbstoff  ausgezogen  wird. 
Vielleicht  hängt  damit  auch  der  Unterschied  in  der  Gestalt  zu- 
sammen, welche  darin  besteht,  dass  die  Körper  in  den  Blumen- 
blältern  eine  grosse  Neigung  zu  rundlichen  Formen  zeigen  und 
selten  als  ausgebildete  Crystalldruscn  auftreten. 

Die  Farbcryslalloide   von  Solanum  verhalten  sich  im  AH- 


154         Sitiunff  der  maih.-phys.  Classe  vom  11.  Juli  1862. 

gemeinen  analog  wie  die  Cryslalloide  der  Paranuss.  Beide  be- 
stehen aus  einer  durch  verschiedene  Mittel  ausziehbaren  Sub- 
stanz und  einer  protophismaahnlichon  Unterlage  Bei  beiden  tritt 
die  letztere  gegenüber  der  erstem  quantitativ  sehr  zurück.  Die 
Verschiedenheit  zwischen  den  Crystailoiden  von  Solanum  und 
Bertholletia  besteht  in  der  Natur  des  ausziehbaren  Stoffes; 
bei  Bertholletia  ist  es  eine  imbibitionsfiihige  Proteinverbin- 
dung, bei  Solanum  eine  nicht  imbibitionslähige  wahrscheinlich 
stickstofflose  Verbindung,  die  durch  einen  Farbstoff  tingirt  ist. 
Diese  chemische  und  physikalische  Verschiedenheit  bedingt  die 
in  mancher  Beziehung  ungleichen  Reactionen ,  welche  die  einen 
und  andern  Crystalloide  bei  der  Einwirkung  von  Quellungs- 
und  Lösungsmitteln  zeigen. 

Erklärung  der  Figuren  56  —  65. 

Farbcrystalloide  in  den  Früchten  von  Solanum  ameri- 
canuin  Mili.;  400 mal  vergrössert. 

56.  Crystalldruse  von  fast  kugeliger  Gestalt. 

57.  Rhombische  Tafel  mit  einspringendem  Winkel. 

58.  Rhombische  Tafel  mit  abgestumpften  Ecken. 

59.  Gseitige  Tafel. 

60  Zwei  6seitioe  Tafeln  mit  einander  verwachsen. 

61  Eine  in  der  Mitte  durchbrochene  und  deutlich  aus 
6  einzelnen  Crystallen  verwachsene  Tafel,  durch  schwache  Salz- 
säure roth  gefärbt. 

62.  Ein  Farbcrystalloid  bei  der  ersten  Einwirkung  von 
Alkohol. 

63.  Das  nämHche  etwas  später. 

64.  Das  gleiche  Crystalloid,  nachdem  der  Farbstoff  und 
die  andern  löslichen  Stoffe  vollständig  ausgezogen  sind,  durch 
Jodtinctur  gefärbt. 

65.  Ein  FarbcrystaHoid  zum  Theil  durch  Alkohol  entfärbt. 


Einsendungen  von  üruvkschriften.  155 


Verzeichnis^ 

der   in    den  Silziingen    der  drei  (blassen   der  k.    Akademie   der  Wissen- 
siliaflen  vorjTcle{;teii  Eiiisendiiii£;en  von  Ürnckschrirten. 

April  -  Juli   1862. 

Von  der  Accadeniia  di  scienze,  ledere  ed  arti  in  Mudeiia: 
Meniorie.  Tomo  III.  1801.  i. 

Vom  Isttfufo  dt  .seiende,  tettere  ed  arti  in  Venedig: 
Mrmoric.  Vol.  VII.  Part.  III.  185').  4 

Von  der  Academie  royule  des  sciences,    des  lettres  et  des  heavx  arts 

de  Belyique  in  Brüssel : 

a)  (iollec-tion    de   docnments   inedits   relalivs   a  I'histoirc  de  la  Belgique. 

Les   XIV    livres  siir  riiistoire  de  la  ville    de  Louvain.    I.   II.  Partie. 
1861.   i. 

b)  (Ihronique  de  Jean  de  Stavelot  piihliee  par  Ad.  Borqiiet.   I8l)'2.   i. 

c)  Menioires.  Tom    XXXIII.   1801.  4. 

d)  Memoires  louronnes  et  niemoires  des  savants  etrangers.    Tom.  XXX. 

1858-01.  1801.  4. 

e)  Menioire.s    conronnes    et    aiitres    niemoires     (lollcction  in  8.  Tom.  XI. 

XII.  1861.  02. 
1)  Bnilelins.  30"»«  annee,  'i"«  Ser.  T.  XI.  XII.  1861.  8. 
g)  Annuaire.  1862.  28'ne  annee.   1852.  8. 

Vom  Ohservatoire  royal  in  Brüssel: 

a)  Annales.  Publiecs  par  le  directeur  A.  Qiietelet.  Tom.  XIII.  1861.  4. 

b)  Annuaire.  1862.  2«»«.  Annee.  1801    8. 

Vom  Reute  Istituto  Louiöardo  di  scieme,  tettere  ed  urti  in  Hluiland  : 
Atli.  Vol.  II.  Fa.sc.  JCIX  und  XX    1802.  4 

Von  der  höhmischen  Gesellschaft  der  Wissenschaften  in  Prag: 

a)  Abhandlungen.  Fünfte  Folge.  11.  Bd.  v.  d.  J.  1860—61.  1861.  4. 

b)  Sitzungsberichte    Jahrg.  1861.  Juli  —  Dec.  1861.  8. 


156  Einsendungen  von  Vruchschn'ffen. 

Von  der  Socit'te  l.inneenne  de  Noniiandie  in  Caen: 

a)  Memoires.  Anii(-e  18t)0-6I.  XII  Vol.  Paris,  Cacn  1802.  4 

b)  Bulli'tin.  Si\ii-iiie  Volume.  Aniiec  1800—01.  Pari.s,  Caen  1802.  8. 

Vom   Verein  für  sicbenhiirgische  LandesUunde  in  Uermannstadt: 

a)  Ardiiv.  Neue  Foljic.  5.  Bd.  1.  Hfft.  Kronstadt  1801.  8. 

b)  Jalirp.sbcritlit  für  da.s  Vereins  -  Jahr  1800-01.   1.  Juli  1800  —  letzten 

Juli  1801    Heruiannstadt  1801.  8. 

Von  der  Academie  rot/nie  de  Medecine  de  Belffique  in  nrüssel: 

Bulletin.    Annec  1801.    Dcuxieme  Serie.    Tom.  IV.   Xr.  11.     Annee  1862 
Deiixieme  Serie.  Tom    V.  Nr.   12. 

Von  der  li.  k    pntriotisch-ökonomixchen  GeseUmhoft  im  Königreiche 

Böhmen  in  Prny  : 

a)  Centralblatt  für  die  gesanimte  Landestnltur.  Nr.  1  —  52.  Jahrg.   1801. 

Prag  1861.  4. 

b)  Woehenhialt  der  Land-,  Forst-  und  Hauswirthschalt  liir  den   Bürger 

und  Landmann    12.  Jahrg.  ISOl    Xr.  1—52.  Prag  1801.  4. 

Von  der  j>fäl-z.ischen  Gesellschaft  für  Vharmncie  in  Sf,eipr: 

Neues  Jahrbuch  für  Pliarmacie  und  verwandle  Fächer.  Zeitschrift  des 
allg.  deutschen  Apotheker  Vereins,  Abth  Süddeulschland.  Bd.  XVII. 
Heft  4  und  5.  April  und  Mai.  Heidelberg  18H2    8. 

Von  der  gelehrten  esthnischen  Gesellschaft  in  Dorpat: 
Sitzungsberichte.  Sept.  —  Nov.  1801.  Jan.,  Febr.   1802.  8. 

Von   der  Redaktion  des  Corresjionden%-Blattes  liir  die  Gelehrten-  und 

Realschulen  in  Stuttgart: 

Correspondenzblatt.  Nr.  5.  Mai  1802    Stultg.   1802.  8. 

Von  der  A>!iatic  Society  of  Bengal  in  Calcutta  : 
Journal.  New  Series.  Nr.  CIX.  Nr  CCLXX.XIIL  Nr.  IV.  1801.  Calc.  18()1.  8. 

Von  der  Geoingicul  Surveg  of  India  in  Calcutta  : 

n)  Memoirs.  Vol.   III.  Part  I.  Calc.    1801.  8. 

b)  Annual  Report  of  tlie  (ieological  Snrvey  of  India  and  of  ihe  Museum 
of  (ieology.  Filth  jcar  1800-01.  Calc.  1801.  8. 


Einsendimyen  von  Druckschriften.  157 

Von  der  Royal  Asiatic  Society  in  London  : 
Journal    Vol.  XIX.  Pait.  3.  18fi2.  8. 

Von  der  Universität  in  Heidelberg: 

Heidelberger  Jalirhiiclier  der  Literatur  unter  Mitwirkung  der  vier  Faeul- 
tiiten.  '.>.").  Jahrg.  ;{.  und   4.  Heft.  März  und  April    1.SÜ2.  8. 

Von  dem  Secretary  of  Slats  for  India  in  London  : 

Re.sultat.s  of  a  scientific  niission  to  India  and  High  Asia  undcrtakeu  be- 
tween  Ihe  years  1854—58  by  order  of  the  court  of  directors  of  tlie 
honourable  Ea.st  India  Company  bj  Hermann,  Adolphe  and  Robert 
Schlagint« eit.  Vol.  II.  Leipzig.  London  JSlii.   Jlit  Atla.«.  4. 

Von  der  Real  Acudemiu  de  ciencias  in  Madrid: 

a)  Meniorias.  Tom.  I.   18j0.  4. 

b)  Meniorias.    Tom.   IL    1.    Serie.   Ciencias   exactas.    Tom.    I.    Parte    1. 

1853.  4. 

c)  Meniorias.   Tom.  III.    2.  Serie.   Ciencias  lisicas.   Tom.  I.  Parte.    1.  2. 

1851).  59.  4. 

d)  Meniorias.    Tom.  IV.    3.    Serie.    Ciencias  naturales.    Tom.  II.   Parte 

l.  2.   3.   1850.  57.   59.   4 

e)  Meniorias.  Tom.  V.  Ciencia.s  naturales.  Tom.  III.  Parte  1.  1801.  4. 

f)  Resiiinen  de  las  aclas  en  el  aüo  academico  de  1^47.  a.  1848.  de  1857. 

a.  1858.  de  18i8.  a.  1859.  por  el  secrelario  Don  Lorente.  1848 — 00  8. 

\'on  der  Real  Aiademia  de  In  Itisloria  in  Madrid: 

a)  Memorias  del  Rey   I)    Fernando  IV  de  Castilia.  Tom.  I.  II.  1800.  4. 

b)  Memorial  hislorico  Espanol :    (loleccion    de    documentos,    opiisculos  y 

antigiiedades.    (iuaderno  21 —  43.     1853  —  1858.    Tom.  XI  —  XIV. 
1859-02.  8 

c)  Discursos  leidos   en   las  sesiones  publicas  que,    para  dar  posesion  de 

plazas  de  numero,  sc  han  celebrado  desde  1852.  Madrid  1858.  8. 

d)  l)is(  urso  leido  por  ,su  direclor  el  Excmo.  Sr.  I).  Lui.s  Lopez  Ballesteros 

al  concluir  el  tiieiiio  de  su  direccion  en   1852.  Madrid   1859    8. 

e)  Discurso    leido   por  su  director  el  Excmo    Sr.  Duque  de  San  Miguel, 

al  terminar  el  trienio  de  su  direccion  en   1858.  Madrid  1859.  8. 

f)  Discurso  sobre  el  estado  de  los  estudios  liistoricos  en  Kspana  durante 

el    reinado   de  Carlos  III.  Leido  en  la  Junta  publica  que    en    1"    de 
Julio  de  18(;0  .  .  .  por  Don  Carlos  Raiuon  Kort.  1800.  8. 

g)  Noticias  sobre  la  vida,  escritos  y  viajes  del  Fr.  Enrique  Florez,  por 

Fr.  Francisco  Meudez.  1800.  8. 


158  Eimendungen  von  Uruckschriflen 

h)  Noticia  de  las  actus  de  la  real  acadeinia,  Icida  cn  la  Junta  publica  de 

l"  de  Julio  de  18C0.  Por  Don  Pedro  Sabau.   1860.  8. 
i)  Examen  tritico-historicn  dcl  influjo  quo  tuvo  en  eUomercio,  industria 

y  poblacion  de  Espafia  su  doniinacion  cn  America.    Obra  premiivda. 

Su  autor  I).  Y.  Miranda.  185  5.  8 
k)  Examen  de  los  sucesos  y  circiinstancias  que  motivaron  cl  compromisso 

de  Caspe,  En  cl  tonturso  de  1855  su  aulor  Don  Florencio  Janer    8. 
I)  Juicio  critico  dcl  leudalismo  en  Espana  j  de  su  influencia  en  el  estado 

social   >•    polilico    de  la  nacion.    En  el  concurso  de  1855.     Su  aulor 

Don  Antonio  de  la  Escosura  y  Hevia.  Madrid  1856.  8 
Hl)  Condicion  Social  de  los  Moriscos  de  Espana.  En  el  concurso  de  1857. 

Su  autor  Don  Florencio  Janer    8 
n)  Munda  Ponipeiana.   Memoria  escrila  por  l).  Jose  ^j  |).  Manuel  Oliver 

Hurtado.  En  el  concurso  de  1860    Madrid  1861.  8. 
o)  Historia  del  couibate  naval  de  Lepanto.     En  el  concuro  de  1853.    Su 

autor  Don  Cajetano  Rosell.  4. 
p)  Cortes  de  los  antiguos  reinos  de  Leon  y  de  Castilla.  Tom.  I.  1861.  4. 
q)  Historia  general  y  natural  de  las  Indias,  Islas  j  Tierra-Finne  del  mar 

oceano.  Por  Jose  Amador  de  los  Rios.  Tom    III.  IV.  1853    55.  4. 
r)  Indice  de  los  documentos  procedentes  de  los  monasterios  j  conventos 

suprimidos   que    se   conservan   en    el   archivo.    Seccion  I.   (Castilla  y 

Leon.  Tom.  I    1861.  8. 
s)  Coleccion    de   Cortes    de   los    antiguos    reinos    de  Espana.    Catalogo. 

1855.  8. 

Von  der  Acudetnie  f!e.s-  sciemes  in  Paris: 

a)  Comptes  rendus  liebdomadaires  des  seances.  Tom.  LIV.  Nr.  15  —20; 

22.  Avril  —  Juin   1862.  4. 

b)  Tables   des    comptes   rendus  des   seances.    Deuxiemc   semeslre   1861. 

Tom.  LIII.  1861.  4. 

Von  der  deutschen  geologischen  Gesellschaft  in  Berlin: 
Zeitschrift.  XIII.  Bd.  4.  Heft.  XIV    Bd.  1.  Heft.  1861.  8. 

Vom  Herrn  A.  Grunert  in  Greif  su  aide  : 
Allgemeine  Theorie  der  Krümmungslinien.  8. 

Vom  Herrn  Leopold  Auerbach  in  Breslau  : 

Ueber    einen   Plexus    myentericus  ,    einen    bisher    unbekannten   ganglio- 
ncrvösen  Apparat  im  Darmkanal  der  Wirbellhiere.   Breslau  1862.  8. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  159 

Vom  Herrn  Fran-z.  Hof  mann  in  Wiirxburg: 

Akademische  Festrede  zur  Feier   des    100jährigen   (lehurlstages  Johann 
fiottlieb  Fichtes.  WiirzI).  1802    i. 

Vom  Herrn  E.  Gerhard  in  Berlin: 

a)  lieber    Orpheus   und    die    Orphiker.     Eine    akademische   Abhandlung. 

Berlin  1801.  i. 

b)  Die  Geburt  der  Knaben.  Auf  einem  etruskischen  Spiegel.  Berl.  180?.  4. 

Vom  Herrn  Friedrich  Naumann  in  I.eiptiy: 
Lehrbuch   der  (ieoi;nosie.  II    Bd.  Leipzig  1802.  8. 

Vom  Herrn  A.  KöUiker  in   \Viir%bury: 
Untersuchungen  über  die  letzten  Endigungen  der  Nerven.  Leipz.  1802.  8. 

Vom  Herrn  Ferdinand  Piper  in  Berlin: 

a)  Einleitung  in  die  monumentale  Theologie.  (lOtha  1802.  8. 

b)  Virgiüus  als  Theolog  und  Proplict.  Berlin  1802.  8. 

c)  Verschollene  und  aufgefundene  Denkniiiler  und  Handschriften,   Gotha 

18G1.  8. 

d)  Ueber    den    Verfasser   der    dem   Athanasiu.'*    beigelegten   Schrift    de 

Paschatc  nebst  Annalen   des  Jahres  1801.  Berl.   1801.  8. 

e)  De  la  representation    .s^nibolique   la   plus    ancienne  du  crucitiement  et 

de  la  resurrection  de  notrc;  seigneur.  Paris  1801.  8. 


Sitzungsberichte 


der 


köniul.    bayer.  Akademie  der  Wisseiiscliaften. 


Pliilosophisch  -  philologische  Classe. 

Sitzung  vom  8.  Xovcmbcr  1802. 


Der   Classensecrelär  Herr   M.  J.  Müller  liielt  einen  Vor- 
trag über 

„einige  Partien  der  poetischen   Literatur  der 
„Araber " 

Derselbe  wurde  für  die  Denkschriften  hoslininit. 


11862.  n.]  11 


162  Sitzung  der  math.-phtis.  Classe  rotn  8.  Nov.  1862. 


l\Ialhemalisch  -  physikalische    Classe. 

Sitzung  vom  8.  November  186?. 


Herr  Petlenkofer  hielt  einen  Vortrag 

,,iiber  die  Bestimmung  des  bei  der  Respira- 
j,tion  ausgeschiedenen  Wasserstoff-  und 
„Gruben-Gases/" 

In  der  Sitzung  vom  14.  Juni  1862  beehrte  ich  mich  mit- 
zutheilen,  dass  Prof.  Voit  und  ich  beträchtliche  Mengen  Was- 
serstoff und  etwas  Grubengas  in  der  Luft  aufgefunden,  in  wel- 
cher ein  30  Kilogramme  schwerer  Hofhund  gelebt  hatte.  Die 
damals  von  uns  gefundenen  Mengen  mussten  notliwendig  um  so 
viel  zu  hoch  sein  ,  als  von  diesen  Gasen  bereits  in  der  in  den 
Respirationsapparat  einströmenden  Luft  enthalten  war  Obwohl 
diese  Mengen  nur  äusserst  gering  sein  konnten,  so  hielten  wir 
es  nach  dem  von  uns  angenonunenen  Princip  der  Differenzbe- 
stimmungen doch  für  nothwendig,  unsere  Untersuchungen  da- 
hin zu  vervollständigen,  dass  auch  die  einströmende  Luft  fort- 
während  auf  Wasserstoff  und  Grubengas  untersucht  wird.  Nach- 
dem diess  nun  geschehen ,  habe  ich  das  Vergnügen  mittheilen 
zu  können,  dass  die  von  uns  vordem  angegebenen  Mengen  kei- 
.nen  wesentlichen  Abzug  erleiden. 

Bei  einem  Versuche,  wo  binnen  24  Stunden  232,336  Liter 
Luft  durch  den  Apparat  gingen  ,  ergaben  1000  Liter  einströ- 
mende Luft 

geglüht  0.6789  Grm.  CO^  und  10,9391  HO 
ungcglüht  0,6776     „        ,.     „       10,9096  „ 

Bei  einem  andern  Versuche,  wo  binnen  24  Stunden  228,516 
Liter  Luft  durch  den  Apparat  gingen,  ergaben  1000  Liier  ein- 
strömende Luft 

geglüht  0,6440  Grm.  CO,  und  10.6609  Grm.  HO 

ungeglühl  0,6444    „        „      ,,    10,6207    „        „ 


Sitzuttf/  der  histor.  Classe  vom  i.f.  Nov.  iS62  163 

Hieraus  eroibt  sich ,  dass  die  einslrömende  Luft  ausser 
COj  keine  Kohlensloffverbiiuluna-  in  bcslimmbarer Menge  enthalt, 
und  dass  auch  der  Wasserstoflg ehalt  nur  ganz  unbedeutend  ist, 
im  ersten  Falle  in  24  Stunden  0,75  Grin.,  im  zweiten  1,02 
Grm.  H. 

Trotzdem  werden  wir  aber  diese  doppelte  Untersuchung 
der  einströmenden  Luft  fortan  beibehalten  ,  da  sie  eine  sehr 
nützliche  Controle  gegen  zufallige  Irrthümer  darbietet,  und  da- 
durch die  Sicherheil  der  Resultate  wesentlich  vermehrt. 


Historische  Classe. 


Sitzung  vom  15    Nov.  1802. 


Der  Classensecretär  Herr  von  Döllinger  hielt  einen 
Vortrag 

,,über  die  Kaiserkrönung  Karls  des  Grossen." 

Er  suchte  darin  erstens  die  Bedeutung  und  Tragweite  des 
Ereignisses,  die  Zweckmässigkeit  und  Nothwendigkeit  desselben 
in  der  damaligen  Weltlage  darzuthun; 

zweitens:  zu  zeigen,  dass  keine  vorherige  Verabredung 
zwischen  Karl  und  dem  Papste  .stattgefunden  habe,  dass  viel- 
mehr Karls  Aeusscrung  bezüglich  seines  Nichtwissens  und  sei- 
ner Ueberraschung  der  Wahrheit  gemäss  sei,  und  keineswegs, 
wie  jetzt  gewöhnlich  angegeben  wird,  auf  Verstellung  und  Heu- 
chelei beruht  habe. 

Herr  Giesebrecht  behielt  sich  vor,  über  die  in  dem  Vor- 
trag geäusserten  Ansichten  in  der  nächsten  Sitzung  sich  näher 
zu  erklären. 

11* 


164  Oeffentliche  Sitzung  vom  28.  Nov.  1862. 


Oeffentliche  Sitzung  der  k.  Akademie  der  Wissenschaften 

am  28.  November  ISü'», 

zur  Feier   des  Allerhöclisten  Geburtsfestes  Sr.  Ma- 
jestät des  Königs  Maximilian  IL 


Der  Vorstand  der  Akademie  Frlir.  von  Liebig  leitete  die 
Festsitzung  mit  folgender  Ansprache  ein: 

Die  in  der  Vaterlandsliebe  gegebene  politische  Tugend  wal- 
tet in  der  Monarchie  als  sittliches  Princip  um  so  inniger  und 
kraftiger,  wenn  der  Begriff  des  Vaterlandes  mit  einer  Persön- 
lichkeit sich  verbindet,  welcher  der  Mensch  sein  Herz  zuwendet. 

Diese  mit  der  Person  des  Fürsten  verschmolzene  Vater- 
landsliebe findet  heute,  an  dem  Jahrestage  der  Geburt  unseres 
erhabenen  Monarchen  in  allen  Theilen  des  Königreiches  einen 
erhebenden  Ausdruck,  und  vor  allen  anderen  Körperschaften  hat 
unsere  Akademie  die  vorwiegende  Berechtigung,  unserem  Mo- 
narchen ihre  Huldigung  darzubringen ,  weil  sie  in  dessen  Liebe 
zu  den  Wissenschanen  und  seiner  grossmüthigen  Förderung  der 
Ziele,  welche  die  Akademie  im  Geiste  ihrer  Richtung  zu  errei- 
chen strebt,  die  wohllhuendste  Anerkennung  ihrer  eigenen  Be- 
strebungen erblickt. 

Der  Tag,  den  wir  heule  feiern,  erneuert  in  uns  die  Erin- 
nerung an  die  reiche  Unterstützung,  welche  Se.  Maj.  der  Kö- 
nig ans  seinen  eigenen  Mitteln  für  die  Lösung  hoher  wissen- 
schaflliclicr  Aufgaben  und  die  Durchführung  umlassender  wissen- 
schafllichtM'  Arbeiten  und  Werke,  im  Besonderen  im  Gebiete  der 
Geschichtsforschung,  bewilligt  hat  und  welche  schon  jetzt,  wie 
aus  den  in  den  ölTenllichen  Blattern  erschienenen  ausführlichen 
Berichten  allgemein  bekaimt  ist,  durch  die  erfolgreiche  Tliätig- 
keit  der  für  diesen  Zweck  eingesetzten  Commission,  an  welcher 
die  ersten  und  berühmtesten  Historikcu'  Denischlands  sich  be- 
Uieiligt  haben^  die  reichsten  und  glänzendsten  Früchte  bringt. 


Oeffentlidie  SiHumj  vom  «".  Nov.  iS62.  165 

Es  ist  bereits  IVUlier  an  dio.sein  Orte  erwähnt  worden,  dass 
Se,  Maj.  der  Könio-  der  leclinisclien  Coniniission  der  k  Aka- 
demie, ebentalis  aus  eicrenen  Mitlein,  für  die  Herstelinn«»'  eines 
Apparates  zur  Untersuchnng  der  bis  jetzt  noch  so  dunkeln  Vor- 
gänge der  Ernährung  in  ihrem  Zusammenhange  mit  dorn  Ath- 
mungsprozcss,  früher  schon  die  Summii  von  7000  (1.  und  im 
Laufe  dieses  Jahres  weitere  1600  fl.  zur  Fortsetzung  der  be- 
gonnenen Versuche  gespendet  liat  und  es  gewährt  mir  nicht 
wenig  Befriedigung,  in  (\en  Stand  gesetzt  zu  sein,  die  k.  Aka- 
demie mit  einer  der  merkwürdigsten  Thatsachcn  bekannt  zu 
machen,  welche  in  n<Miesler  Zeit  von  d(?n  Herren  Professoren 
DDr.  Pellenkofer  und  Voit  im  Verfolg  ihrer  Versuche  entdeckt 
worden  ist. 

Man  hat  bis  dahin  geglaubt,  dass  die  atmosphärische  Luft 
die  einzige  inid  Hnupt(|uelle  des  Sauerstoffs  sei,  welcher  in  den 
Prozessen  der  Ernährung-  und  des  Stoffwechsels  in  dem  thie- 
fischen  Organismus  zur  Verwendung  kommt.  Mit  Hilfe  des 
gedachten  Apparates  ist  es  gcilnngen ,  den  Beweiss  zu  führen, 
dass  in  dem  Leibe  des  fleischfressen(l(;n  Thieres ,  bei  vorwie- 
gend slicksloff-  freier  Nahrung .  eine  sehr  beträchtliche  Menge 
Sauerstoff  von  dem  Wasser  genommen  wird,  und  dass  dem- 
nach in  gewissen  gegebemvi  Vt-rhältnissen  ein  mächtiger  Zer- 
setzungsprozess  statt  hat,  welcher  darin  besteht,  dass  das  Wasser 
in  seine  Beslandtheile  zerfällt,  dass  sein  Sauerstoff  zur  Bildung 
von  Kohlensäure  dient,  während  der  Wasserstofl",  dessen  Menge 
oft  das  Vohnn  des  Thieres  weit  übersteigt ,  ansgeathmc^t  wird. 
Dieser  merkwürdiije  Vorgang  im  Ihierischen  Leibe  ist  bis  jetzt 
so  gut  wie  unbekannt  oder  uid»eachlet  gewesen  und  seine  Fest- 
stellung karni  nicht  verfehlen,  ein  neues  Licht  auf  den  Ernäh- 
rungsprozess  und  Slolfwechsel  zu  w«'rfen.  Ohne  den  erwähn- 
ten Apparat,  dessen  Herslellinig  die  Munificenz  unseres  gütigen 
Monarchen  möglich  gemacht  hat.  wären  diese  Versuche,  welche 
für  die  Physiologie  von  so  grosser  Bedeutung  sind ,  kaum  zur 
Ausführimu  gekommen. 

Die  Geschichte  der  Wissenschaften  wird  den  Namen  Seiner 


156  Oeffentltche  Silzutit/  vom  2S.  Nov.  i86i. 

Majestät  für  immer  an  diese  Werke  und  Entdeckungen  knüpfen, 
welche  durcli  die  wirksame  und  gütige  Hilfe  Sr.  Maj.  hervor- 
gebracht und  gemacht  worden  sind,  und  uns  bleibt  die  ange- 
nehme Pflicht,  mit  den  Gefühlen  der  innigsten  Vereiirung  und 
Anhänglichkeit  die  des  aufrichtigsten  Dankes  zu  verbinden. 


Hierauf  gedachte  der  Secretär  der  ersten  Classe  Herr  M. 
J.  Müller  der  Verstorbenen  dieser  Classe  folgendermaassen : 

Joseph  von  Hefner,  Gymnasiallehrer  und  seit  vielen 
Jahren  Mitglied  unserer  Akademie,  hat  schon  frühe  den  Punkt 
gefunden,  um  welchen  sich  sein  arbeitsames  Leben  drehen  sollte. 
Es  zogen  ihn  alle  jene  Spuren  an.  welche  von  der  altrümischen 
Cultur  in  unserm  engeren  Vaterlande  Kunde  gaben;  —  Inschrif- 
ten, Grabdenkmäler,  Meilensteine,  Kunstprodukte  bis  zu  den 
einfachsten  Töpferarbeiten,  Schanzen,  Spuren  des  Fcldbau's  in 
den  sogenannten  Hochäckern,  Strassen  etc.  und  all  das  unend- 
liche antiquarische  Detail ,  das  sich  an  diese  Gegenstände  und 
ihre  Erforschung  knüpft,  beschäftigten  unablässig  seinen  Geist, 
und  seine  zahlreichen  in  dieser  Hinsicht  unternonnnenen  Arbei- 
ten, ausser  einigen  Schulbüchern,  wurden  von  manchen  dan- 
kensworlhen  Resultaten  gekrönt  und  bilden  eine  wohl  zu  be- 
achtende Sanmdung  von  Materialien  und  Versuchen  der  Deu- 
tung, welche  für  jeden  künftigen  Forscher  auf  diesem  Gebiete 
des  Wissens  von  grossem  Werthe  sich  erzeigen  werden. 

Die  neuere  Alterthumswissenschalt  hat  in  den  letzten  Zei- 
ten einen  ausserordentlichen  Aufschwung  gewonnen.  Auf  der 
einen  Seite  die  gründlichste  Durcharbeitung  der  formalen  Phi- 
lologie, auf  der  anderen  die  höhere  ästhetische  Bildung,  die  wir 
den  grossen  Heroen  des  Humanisnnis,  der  Poesie  und  Kunst 
verdanken,  endlich   der  positive  historische  Sinn,   der  die  Ent- 


Oeff entliehe  Sitzung  vom  28.  Nov.  1862.  \ß^ 

Wickelung  der  ganzen  Menschheit  unifassl  und  das  Einzelne 
durch  Vergieichung  mit  verwandten  Erscheinungen  an  das  Ganze 
anknüpft,  sind  die  Elemente,  die  aus  den  früheren  Antiquitäten 
eine  grossarlige,  in  sich  geschlossene  Disciplin  geschaffen  haben. 
Unter  den  ausg-ezeichnetsten  Forschern  in  diesem  Gebiete 
des  Wissens  ragt  hervor  Ludwig  Prell  er,  dessen  zu  frühen 
Tod  die  Akademie  betrauert.  Seine  Wirksamkeit ,  zuerst  in 
Russland  an  der  Universität  von  Dorpat ,  später  im  deutschen 
Vaterland  zu  Weimar ,  zeigte  sich  zuerst  in  meistens  kürzern 
Schriften,  die  den  mannigfachsten  Gebieten  der  Alterthumswis- 
senschaft  angehören,  über  i]en  Historiker  Hellanicus  von  Les- 
bos  ,  über  die  Bedeutung  des  schwarzen  Meeres  für  die  alte 
Geschichte,  über  Stellen  des  Pausanias ,  über  die  Perser  des 
Aeschylus,  über  griechische  Münzen  zu  Dorpat,  über  den  Gram- 
matiker Praxiphanes ,  über  den  Periegelen  Polemon ,  über  die 
Regionen  der  Stadt  Rom,  über  den  heiligen  eleusinischen  Weg, 
Schoben  zur  Odyssee  etc.  etc.  Mit  Ritter  gab  er  die  Beweis- 
stellen zu  einer  Geschichte  der  griechischen  und  rönnschen  Phi- 
losophie heraus  und  endlich  beschenkte  er  die  gelehrte  Welt 
mit  zwei  des  luichsten  Lobes  würdigen  umfassenden  Werken, 
einer  Darstellung  der  griechischen  und  römischen  Mythologie, 
Werken,  die  in  ihrer  Art  Epoche  machen,  und  durch  gründliche 
Gelehrsand\eit,  durch  Besonnenheit  der  Forschung  und  gedie- 
gene Resultate  sich  auszeichnen. 

Aufgewachsen  unter  den  Stürmen  der  französischen  Re- 
volution und  den  krietjerischen  Beweoutioen  des  Kaiserreiches 
widmete  sich  I'hilippe  Lebas  der  classischeh   Philologie. 

Nach  dem  Sturze  des  Kaisers  begleitete  er  eine  erlauchte 
Frau,  als  Erzieher  ihr(!S  Sohnes,  in  das  Exil  nach  Deutschland, 
und  zwar  in  unsere  nächste  Nähe,  nach  Augsburg,  wo  er  ne- 
ben den  Pflichten,  die  ihm  sein  Amt  auferlegtem,  seine  Studien 
in  ausgedehnter  und  umfassender  Weise  foitsetzte  und  in  Be- 
rührung  mit  der  damals  so  lebensvoll  entwickelt«Mi  classischen 
Philologie  in  Deutschland  innner  weiter  ausbildete.  Nach  Frank- 


168  OelfentUdie  SiHuny  vom  28.  Noi\  1862. 

reich  zuriickgekehit  Ihcillc  sicli  sein  durch  strenge  Arbeit  ans- 
gefülltes  Leben  in  zwei,  wenn  auch  durch  einen  Mittelpunkt 
zusamniengelialtene .  (hjch  den  Ricbtunocn  uad»  getrennte  Be- 
schäftigungen. Die  eine  praktische  belliiitigle  er  theils  durch 
seine  Stelhuiff  ids  maitre  de  conlerence  an  der  Pariser  Ecole 
normale,  wo  seit  mehreren  Jahrzehnten  beinahe  der  ganze  junge 
Nachwuchs  von  französischen  Philologen  an  seinem  Unterrichte 
sich  bildete,  theils  als  Verfasser  verschiedener  höchst  schätzba- 
rer Uebungsbiicher ,  sowohl  für  die  griechische  als  auch  die 
deutsche  Sprache,  deren  Verbreitung  in  Frankreich  ihm  sehr 
am  Herzen  lag;  ausserdem  durch  sehr  sorgfällig  gearbeitete 
Gescliichtsbücher ,  betreffend  alte  Geschichte,  römische  Ge- 
schichte, das  Mittelalter,  Frankreich,  Deutschland.  Schweden, 
Norwegen  u.  a. 

So  dankbar  diese  Thätigkeit  in  ihrer  Art  war,  so  interes- 
sirt  sie  uns,  in  unserer  Stellung  als  seine  Collegen  in  der  Aka- 
demie, doch  weniger,  als  seine  Betheiligung  an  den  grossen 
theoretischen  Forschungen  in  Sprache,  Literatur  und  Geschichte, 
in  welchen  er  durch  gediegene  und  dankenswerthe  Leistungen 
hervorragte.  Ausser  einem  Commenlar  zu  Livius  und  einer 
Ausgabe  des  Prometheus  des  Aeschylus  ( in  Verbindung  mit 
Th.  Fix)  beschäftigte  er  sich  mit  dem  in  Deutschland  wenig  be- 
arbeiteten Felde  der  späteren  Gräcität  und  lieferte  in  diesem 
eine  Ausgabe  des  Romans  von  Eumathins.  Liebesjjeschichte  der 
Hysmine  und  des  Hysminias,  und  bearbeitete  die  Roman-Frag- 
mente Rhodanthe  und  Dosicies  von  Theodoros  Ptocho|)rodro- 
mos  nebst  Drosilla  und  Charides  von  Nicetas  Eugenianus. 

Vor  allem  aber  ist  seine  epigraphische  Thätigkeit  hervor- 
zuheben und  zu  preisen.  Er  gab  die  laleinischi^n  und  griechi- 
schen Inschriften  heraus ,  welche  die  französische  Conunission 
unter  den  älteren  Bourbonen  während  der  Besetzung  Morea's 
gesammelt  hatte,  und  später  unter  der  Orleans-Dynaslie  hatte 
er  das  Glück ,  selbst  don  classischen  Boden  Griechenlands  und 
Kleinasiens  zu  bereisen  und  eine  Menge  aller  Inschriften  und 
Kunstwerke   zu  sammeln ,    die   er  theils  in    kleineren   Schriften, 


Oe  ff  eilt  liehe  Sitzung  vom  28.  Nor.  1862  169 

flieils  in  dem  Hauptwerke,  Voyagc  archeologiqiio  on  Grece  et 
en  Asie  iniiieiire,  liertUisoab  Noch  ist  zu  erwähnen  seine  thä- 
ligeBelheilio^uiiCT  an  der  grossarligon  Sannuhnig  der  liislorischen 
Schriftsteller  über  die  Kreiizziigo,  welche  das  Institut  de  France 
herausgibt. 


Nach  der  Denkrede  auf  .1.  Andreas  \>'aorner  widmete 
Herr  v.  Marti  us  als  Secrctär  den*  zweiten  Classe  den  ;iudereii 
geschiedenen  Mitgliedern  derselben  folgenden  Nachruf: 

Wagner  ist  nicht  der  einzige  l\lann,  ilcn  wir  auf  dem  von 
ihm  bearbeiteten  Gebiete  verloren  haben,  und  es  füol  sich  in 
schmerzlicher  Weise,  dass  ich  aucli  von 

Heinrich  Georu  Bronn 

sprechen  niuss ,  in  weh'hem  Dc^ntschlnnd  seinen  grösslen  ,  uni- 
versellsten ,  mächtigst  wirkenden  Paläontologen  verloren  hat. 
Geboren  am  o.  IMärz  l.SOO  zu  Ziegelliausen  bei  Heideiherg,  ei- 
nes Försters  Sohn,  ist  er,  nur  02  Jahre  alt.  am  5.  Juli  d.  J.  zu 
Heidelberg    als  Hofrath  und  Universilätspiofessor  gestorben. 

Der  biedere,  slrenjit;,  hoclisinnioe.  o-cwisscnhafte  Mann  war 
Gegenstand  der  Verehrung  von  Allen,  die;  iinn  nahe  gf'konnnen. 
In  der  Geschichte  der  Wissenschaft  bleibt  er  luhmvoll  stehen 
als  ein  heller  organisatorischer  Geist,  dcM-  rastlosen  Fleisses  ei- 
nen seltenen  Schatz  von  Anschannngen ,  Erfahrungen,  Kennt- 
nissen gesamnujit  hatt(! ,  und  von  der  Oberlläche  der  Dinge  in 
die  Tiefe  dringend,  d(Mi  Gesefzer»  der  Bildungen  nachforschte, 
das  Mannigfaltige  in  seiner  Einheit  zu  verstehen,  zu  ordnen, 
zu  gliedern.  Nicht  die  Naturgeschichte,  sondern  die  Geschichte 
der  Natur,  und  nicht  das  Gewordene  als  das  zur  Einzelirestalt 
Erstarrte,  sondern  das  Gewordene  als  organischen  Theil  des 
ewigen  Ganzen  n)a<hte  er  zu  seiner  letzten  Aufgabe. 


170 


Oeffeniliche  Sitzung  vom  28.  Kov.  1868. 


Er  war  einer  von  jenen  Morpholoffen,  die  das  Wesen  der 
Typen  gleichsam  als  ihr  geistiges  Skelet  ergreifen.  Er  war  ein 
Philosoph  von  Jenen ,  die  bei  der  Betrachtung  der  natürlichen 
Dinge  auch  das  Ideale  erschauen,  durch  das  sie,  wie  derSpie- 
gel  durch  seine  Beloffung,  uns  ihr  Bild  zuwerfen.  Er  war  ei- 
ner  von  jenen  ächten  Nalurphilosophen,  die,  wohlbewusst  ihrer 
Schranke,  nicht  die  letzte  Ursache  auf  dem  Wege  der  Specu- 
lation  darzulegen ,  sondern  die  Gesetze  der  Einzelheiten  und 
ihren  harmonischen  Einklang  zu  erforschen  bemüht  sind. 

Schon  in  der  Preisdissertation  über  die  primitiven  und  ab- 
geleiteten Formen  der  Hülsengewächse  (Leguminosae) ,  womit 
sich  der  Zweiundzwanzigjährige  zu  Heidelberg  den  Doctorhut 
gewann,  betritt  er  seine  sichere  und  gedankenvolle  Forscher- 
bahn. ^^'äl^Tnd  aber  jene  Ersllingsarbeit  niclit  ohne  Einfluss 
auf  die  Arbeiten  grosser  Botaniker  blieb,  welche  seitdem  Spe- 
cialnnlersuchungen  über  jene  merkwürdige  Pllanzenfamilie  an- 
gestellt haben ,  wendete  sich  Bionn  zur  Geologie  und  Paläon- 
tologie. Er  durchforschte  einen  Theil  von  Italien,  beschrieb  die 
Tertiärgebirge  dieses  Landes  und  deren  organische  Einschlüsse 
und  setzte  (1833 — 38)  die  Naturforscher  in  dankbares  Erstau- 
nen durch  seine  Lelhaea  geognoslica,  die  Beschreibung  und  Ab- 
l)ildung  der  für  die  Gebirgsformalionen  bezeichnenden  Verstei- 
nerungen. Dieses  Werk  des  scharfsinnigsten  Fleisses  registrirt 
die  fossilen  Reste  der  Organismen  aus  den  verschiedenen 
Epochen,  die  unser  Planet  durchlaufen  hat,  und  gibt  uns  zu  ei- 
ner vorher  ungeahnten  Sicherheit  des  Urtheils  die  Materialien 
an  die  Hand. 

In  Heidelberg  war  durch  das  Mineralien- Comptoir,  die  ver- 
dienstliche Schöpfung  von  Leonhard  und  Blum ,  und  durch  des 
Erstem  mineralogisches  Taschenbuch  ein  reges  Leben  für  diese 
Wissenschaft,  so  praktisch  wie  literarisch,  geweckt  worden. 
Diese  Wirkungen  erhöhte  das  neue  .Jahrbuch  für  Mineralogie, 
Geologie  und  Petrefacteukinide,  welches  bezüglich  der  beiden 
letzleren  Doclrinen    von  Bronn  redigirt  wurde.      Dreissig  Jahre 


OeffentUche  Sitzvnff  vom  28.  Nov.  1S6i.  171 

lang  hat  er  hier  Schritt  für  Schritt  die  Entwickelung  der  Wis- 
senschaft darstellend  nnd  kritisch  beleuchtet  und  gefördert. 

Mit  diesen  Werken  ,  welche  an  sich  schon  genügt  hätten, 
ihrem  Verfasser  einen  ehrenvollen  Platz  in  der  Wissenschaft  an- 
zuweisen, hat  aber  Bronn  nur  seiner  „Geschichte  der  Natur*' 
präludirt,  die  wir  ein  Gegenstück  zu  Humboldts  Cosmos  nen- 
nen möchten.  Kosmisches,  tellurisches,  organisches,  intellectu- 
elles  Leben  überschreibt  der  Verl.  seine  Darstellung,  die  sich 
Satz  für  Satz  auf  Erfahrung  gründet.  Vom  Weltall  zu  unserem 
Sonnensysteme,  zur  Erde,  Erdfestc,  Erdhülle  und  zu  t\ou  gros- 
sen Ersch(;inuncTen.  die  sich  auf  dem  Planeten  nach  Zeit.  Kaum 
und  Slolf  beobachten  lassen,  so  führt  er  uns  herab  zu  dem  or- 
ganischen Leben ,  und  behdiit  uns  aus  der  Schöpfung  der  Ge- 
genwart über  Entwickelung,  Verbreitung  und  Untergang  des- 
sen, was  früher  die  Erde  bevölkert  hat  Ein  abgeschlossenes 
Bild,  reich  an  den  manni'rfachsten  Thatsachen,  steht  diess  W(U-k 
vor  uns,  wie  es  sich  nur  in  einem  Geiste  erzeugen  konnte,  der 
sich  aus  vielseitigster  Naluransclianung  und  gründlichsten  Stu- 
dien genährt  hat.  Es  wäre  eine  dankbare  Aufgabe,  in  eine 
Analyse  dieser  Schrift  einzutreten,  und  in  der  Vergleichnng  mit 
Hund)oldls  Cosmos  zu  zeigcMi,  wie  diese  beiden  Geister,  nuf  so 
verschiedenen  Wegen  Einem  Ziele  zusIrelxMid,  unsere  Literatur 
bereichert  haben. 

Der  Index  palaeontologicus  oder  die  Uebersicht  der  bis 
jetzt  bekannten  fossilen  Organismen,  unter  Mitwirkung  von  Göp- 
pert  und  Herm.  v.  Meyer  ausgearbeitet ,  und  der  Enumerator 
palaeontologicus  oder  die  systematische  Zusannnenslellung  und 
die  geologischen  Entwickelungsgesetze  der  organischen  Reiche, 
welche  die  letzten  Theile  von  Bronn's  Geschichte  der  Natur 
bilden,  dienen  wie  Beweisstellen  für  seine  Darstellungen. 

Gleichsam  als  eine  Sublimation  aus  dem  reichen  Schatze 
von  Thatsachen  und  Wahrheiten,  welche  hier  niedergelegt  wa- 
ren, folgten  die  ..rntersuchungen  über  die  Entwicklungsgesetze 
der  organischen  Welt  während  der  Bildungszeit  unserer  Erd- 
oberfläche'', welche  die  Pariser  Akademie  im  Jahre  1857,  un- 


172  Oeff entliehe  Sttztuiff  vom  28.  Sov.  1868. 

ter  dorn  Beifall  aller  Männer  der  Wissenschaft,  mit  ihrem  gros- 
sen Preise  wekrönt  hat  Auch  die  holhindische  Societat  der 
>yissenschaflen  zn  Harlem  nnd  im  Jahre  IS61  die  (reolotrische 
Societat  zn  London  dnrch  den  A\'oiiastonschen  Preis  haben  die 
ausserordentlichen  Verdienste  Bronn's  anerkannt.  Unser  Col- 
Icffa  kommt  hier  zn  zwei  alltieineinen  Grundgesetzen,  die  er 
folgen<iermaassen  ausspricht:  ,.Die  Aufeinanderfolge  der  Orga- 
nismen von  dem  ersten  Beginne  der  Schöpfung  an  bis  zum 
Erscheinen  unserer  jetzigen  Pflanzen-  und  Thierwelt  ist  durch 
zwei  Grundgesetze  geleitet  worden: 

1  )  durch  eine  extensiv  wie  intensiv  fortwährend  sich  stei- 
gernde selbständige  Prodnctionskraft, 

2 )  duri  h  die  Natur  und  die  Veränderungen  der  äusseren 
Existenzbedingungen,  unter  welchen  die  zu  produzirendeii 
Organismen  leben  sollten. 

Diese,  die  Schöpfung  unausgesetzt  bewaltende  Zcugungs- 
und  Fortbildungskraft  ruht  aber ,  nach  Bronn's  Anschauung, 
keineswegs  im  Organismus,  i>n  Geschöpfe  selbst;  sie  gilt  ihm 
vielmehr  als  eine  ewige  Emanation  des  Schöpfers.  Damit  stellt 
er  sich  auf  die  Seile  von  Cuvier,  Agassiz.  Oii'il''cfages  und  vie- 
len Andern,  Jenen  gegenüber,  welche  das  grosse  Riitlisel  durch 
das  miltelalterliche  Stichwort  der  spontanen  Zeugung  (Generalio 
a('qnivo<'a)  lösen  oder  durch  jenes  Bild  des  Dichters  bannen 
wollen,  das  die  Schöpfung  automatisch  von  ihrer  urspriintrlichen 
Spule  laufen  lässt.  Zu  dieser  Consequenz  kam  der  geniale 
Gegner  Cuviers,  Geoflroy  de  St  Hilaire,  und  kommt  auch  Dar- 
win, dessen  Schriften  über  die  ..Entstehung  der  Arten  und  über 
die  Befruchtung  der  Orchideen"  Bronn,  wie  zum  Zeugniss  sei- 
ner  un|)arlheiischen  Forschung  ilan  Deutschen  in  einer  Ueber- 
setzung  näher  gebracht  hat. 

l'nd  nicht  genug  an  diesen  vielen  schwerwiegenden  Lei- 
stungen hat  der  Irciriiche  Mann  ni>ch  ein  Werk  über  die  Clas- 
scn  und  Ordnungen  des  Thierrciches  unternommen  ,  worin  er. 
aufsteigend  vom  Niederen  zum  Höheren  und  die  lebende  Thier- 
welt mit    den  untergegangenen  Formen    solidarisch  verbindend, 


OeffentUche  Sitziiiiff  vom  28.  Nov.  1862.  173 

das  gesaminte  Reich  nach  seinen  morphologischen  Stufen  schil- 
dern wollte.  Leider  hat  der  Tod  dieses  Werk,  um  das  die 
deutsche  Literatur  mit  Recht  beneidet  wird,  im  dritten,  die  Mol- 
lusken enthaltendeu  Bande  unterbrochen. 

Bronn  hatte  oft  Unpässlichkeiten  und  Krankheiten  zu  be- 
stehen, und  wusste,  dass  ein  Herziibel  ihn  fortwährend  in  Le- 
bensgefahr erhielt.  Darum  halte  er  in  sich  und  um  sich  schon 
lange  Alles  geordnet.  Er  lebte  das  heitere  Stilileben  eines  Na- 
turweisen, auf  das  er  iibordiess  sich  durch  eine  seit  Jahren 
zunehmende  Taubheit  hingewiesen  sah.  Allerdings  kam  diese 
Concentration  seiner  Wi.ssenschaft  zu  Statten.  Sie  erklärt  auf 
der  einen  Seile  die  Erfolge  seiner  staunenswerthen  Belesenheit, 
seiner  mühevollen  Sorgfalt  als  Archivar  der  Natur;  sie  zeigt 
aber  auch  auf  der  anderen  Seite,  wie  die  nach  Innen  gewen- 
dete Ruhe  des  Geistes  liefer  und  tiefer  zur  Erkenntniss  des 
idealen  K(;rns  der  Dinge  hinandringt. 

Diese  Intuitionen  waren  in  keiner  Weise  durch  Das  ver- 
n)iltelt,  was  man  di(!  naturphilosopliische  Speculalion  zu  nennen 
pflegt;  sie  waren  das  Facit  gründlicher  Abstra  ctioncn,  zu 
denen  sein  klarer  Verstand  nntlelst  einer  kräftigen  Einbild- 
ungskralt  und  mittelst  eines  reichbegüterten  Gedächtnisses  ge- 
langt(!.  Sie  standen  vor  ihm  wie  sicher  gelöste  Rechen- 
Exempel. 

Eben  dieser  abstracto  Charakter  scmier  Methode  ist  es, 
was  Bronn  für  alle  Zeit  eine  Autorität  in  der  Wissenschaft  si- 
chert, hat  aber  vielleicht  seiner  Wirkung  als  populärer  Schrill- 
steiler  Eintrag  getlian.  Denn  war'  er  in  seinen  Darstellungen 
minder  streng  und  ernst.  nn"nder  gewissenliaft  besorgt  gewesen 
um  die  vollständige;  Begründung  seiner  Sätze,  —  hätte  er  je- 
nen Schwung,  jene  Farbenbliilhe  in  seinen  Styl  aufgenommen, 
womit  so  mancher  Geist  durch  dieNalnrforschung  zu  poetischer 
Schönheit  fortgeris.^ien  wird,  so  müssten  wir  in  dem  trefTlichen, 
edlen  Mann  incht  bloss  den  deutschen  Bronn,  sondern  auch 
einen  deutschen  Buffon  hochhalten. 


174 


Oe/fentliche  Sitzung  vom  28.  Kov.  1862. 


Dietrich  Geor^  Kieser,  grossherzoglich  Sachsen-Wei- 
mar'scher  geheimer  Hofralh  und  Professor  der  Medicin  zu  Jena, 
ist  am  24.  August  1779  zu  Harburg  im  Königreich  Hannover 
geboren.  Er  studirte  in  Würzburg  und  Göttingen ,  wo  er  den 
medicinischen  Grad  erhielt,  praclizirte  von  1804  bis  1812  in 
Winsen  an  der  Luhe  und  als  Badearzt  in  Nordheim  und  ward 
1812  als  ausserordentlicher  Professor  der  allgemeinen  und  spe- 
ciellen  Therapie  nach  Jena  berufen,  wo  er  auch  über  Geschichte 
der  Medicin,  Anatomie  und  Physiologie  der  Pflanzen  und  thie- 
rischen  Magnetismus  Vorträge  hielt.  Im  Befreiungskriege  machte 
er  1814  als  Wachtmeister  und  Feldarzt  bei  der  Escadron  der 
Weimaraner  freiwilligen  Jäger  zu  Pferde  den  Feldzug  nach 
Frankreich  mit  und  leitete  1815  als  Oberarzt  in  k.  preussischen 
Diensten  nach  der  Schlacht  bei  Belle  Alliance  die  Kriegsspiläler 
zu  Lültich  und  Versailles. 

Aus  dem  Felde  zurückgekehrt ,  nahm  er  seine  akade- 
mische Thäligkeit  mit  steigendem  Erfolge  auf,  preussischer  Hof- 
rath,  1824  Ordinarius,  von  1831  bis  1848  Vertreter  der  Uni- 
versität beim  Landtage,  von  1844  bis  1848  dessen  Vice-Präsi- 
dent,  als  welcher  er  dem  Frankfurter  Vorparlamente  beiwohnte. 
Ein  Allliberaler,  deutscher  Patriot,  Opponent  des  Ministeriums 
Schweizer  wie  des  Märzministeriums,  wirkte  er  in  jener  öffent- 
lichen Stellung  lür  Verbesserung  der  Schul-  und  Pfarrstellen, 
für  das  Gefsrngenwesen ,  zum  richtigem  Vcrhältniss  der  Kirche 
zum  Staate.  Seine  medicinische  Thäligkeit  gehörte  von  1831 
—  47  neben  Anderem  einer  med.-chirurg.-ophlhalmologischen 
Privatklinik,  dann  dem  Directorium  der  grosshcrzoglichen  Ir- 
renanstalt und  einer  Privatanslalt  für  Geisteskrankheiten  ( So- 
phronisterium).  Im  Jahre  1857  ward  er  statt  Nees  v.  Esen- 
beck  zum  Präsidenten  der  Kaiserl  Leopold  -  Carolin.- Akademie 
d(mtschor  Naturforscher,  dieser  ältesten  deutschen  Akademie, 
gewählt,  deren  Interessen  er  mit  Umsicht,  mit  einer  für  sein 
Aller  bewunderungswürdigen  Energie  und  mit  jener  treuen 
Liebe  für  das  gemeinsame  Vaterland  geleitet  hat,  durch  die  er 
sich  einst  im  Kampfe  das  eiserne  Kreuz  verdient  hatte. 


Oeffenttiche  Sittting  vom  88.  Nov.  i868.  175 

DIess  ist  in  kurzen  Ziiffen  das  Bild  vom  äussLM'n  Lebens- 
gange  eines  Älannes,  dem  die  Verehrung  des  Vaterlandes  schon 
wegen  dessen  gebührt,  was  er  lur  dasselbe  gefühlt,  gewagt 
und  gethan  hat!  Die  Miinner  aus  jener  grossen  Zeit  werden 
immer  seltener,  und  unsere  Akademie  wird  nur  noch  Wenigen 
ein  Lorbeerblatt  auf  den  Sarg  legen  kcuineu.  Was  aber  die 
wissenschaftliche  Bedeutung  Kiesers  betrifft,  so  füllt  seine  Haupt- 
Ihätigkeit  in  das  Gebiet  der  Medicin ,  worauf  wir  ihm  nur  zu 
einigen  allgemeinen  Bemerkungim  folgen  dürf(!n. 

Er  schrieb:  lieber  die  Ursachen,  Kennzeichen  und  Heilung 
des  schwarzen  Staars,  eine  Preisschrift  (1808),  über  das  Wesen 
und  die  Bedeutung  der  Exanliieme  (1812),  (irundzüge  der  Pa- 
thologie und  Therapie  des  Menschen  (1812),  welche  (1817  — 
19)  im  System  der  Medicin  (2  Bde )  weiter  ausgeführt  worden 
—  de  febris  puerperarum  indole,  varia  forma  et  medendl  ra- 
lione  7  Theile.  (1825—29)  —  System  des  Tellurismus  oder 
thierischen  Älagnelisums  2  Bde.,  2.  Aufl.  1826  —  Elemente  der 
Psychialrik  (1855.)  Er  gab  von  1817  —  1825  in  Verbindung 
mit  Eschenmayer,  Nasse  und  Neos  v.  Esenbeck  ein  Archiv  für 
den  IhierisrIuMi  Magnelisufus  heraus. 

In  allen  diesen  Schriften  ist  Kieser  bemüht,  die  Medicin 
mit  den  Ideen  der  Naturphilosophie  zu  durchdringen  und  zu 
orffanisiren.  Er  tritt  in  die  Beihe  von  Steffens  ,  Oken ,  Trox- 
1er,  Schelver,  Nees  v.  Esenbeck,  Carus,  die  alle  über  ein  rei- 
ches Capital  von  Erfahrung,  Natur-Anschauung  und  Gelehrsam- 
keit gebietend,  jeder  nach  seiner  Begabung  mit  Scharfsinn, 
Witz,  Phantasie,  poetischer  Cond)inalionskra(l  oder  mystischem 
Tiefsinn,  die  Natur  als  ein  grosses,  ideales  (Janzc  zu  ergreifen, 
von  der  ewigcMi  Muller  Isis  ein  Bild  —  schematisch,  conslructiv 
oder  in  idealen  Speculalionen  —  zu  entwerfen  bemüht  waren. 

Die  Wissenschaft  ist  aus  jener  P(M-i<)(le ,  welche  wie  von 
seinem  Cenlrum  aus  das  Ganzi;  zu  begreifen  strebte,  in  eine 
neue  Phase  getreten,  in  die;  ,,WeH  des  Details',  wie  sie  einst 
Napoleon  in  scMuen  Gesprächen  mit  Monge  bezeichnete.  Die 
Medicin  und  überhaupt  alle  Naiurwissenschafleu   gehen  in  con- 


176 


Oeffenth'che  Sitzung  vom  38.  Nov.  1862. 


creler  Forschung  dem  Kleinen  und  Kleinsten  nach,  um  sich  von 
der  Peripherie  aus  dem  Mittelpunkte  des  Seyns  und  Wesens  zu 
nähern.  Und  wenn  uns  diese  Geistesrichtung  keineswegs  be- 
rechtigt ,  auf  sie  die  ethische  Warnung  la  Rochefoucauld's 
anzuwenden,  „dass  diejenigen,  welche  sich  allzuviel  mit  kleinen 
Dingen  abgeben,  gewöhnlich  unfähig  werden  für  grössere''  — 
so  ruft  sie  anderseits  zu  unbefangener  Anerkennung  dessen  auf, 
was  in  jener  Schule  durch  vielumfassendes  Wissen,  durch  ein 
offenes  Ohr  für  alle  harmonischen  Töne  der  Schöpfung  und 
durch  eine  weihevolle  Hingebung  an  das  Ideale  ist  Grosses  vor- 
bereitet worden.  Dass  aber  Kieser  durch  den  lebendigen  Drang 
nach  schcmalischer  Auffassung  zu  speculativer  Einheit  keines- 
wegs von  concreler  Forscluuig  abgeleitet  worden ,  beweist  die 
eindringliche  Tiefe  seiner  Beobachtung  als  glücklicher  somati- 
scher wie  psychischer  Arzt  und  seine  pflanzenanatomischen  Ar- 
beilen ,  aus  der  Mitte  des  zweiten  Decenniums ,  durch  welche 
er  den  anatomischen  Bau  der  Pflanze  nnt  der  ihm  eigenthümli- 
chen  Klarheit  überblickt  und  geschildert  hat.  Mit  Moldenhawer, 
Rudolphi  und  Link  hat  er  unter  <len  Deutschen  zuerst  die  junge 
Wissenschalt  der  Phytolomie  gegründet.  Sein  Memoire  sur 
rOrganisation  des  plantes  (1812),  worin  er  unter  Anderm  zu- 
erst die  Poren  in  den  Zellen  aller  Zapfenbäume  nachgewiesen, 
ist  von  der  Harlemer  Societät  gekrönt  worden.  Tenax  propo- 
siti,  diess  war  sein  Synd)olum ,  trat  er  vor  keiner  Forschung 
müde  oder  mulhlos  zurück,  und  diese  Stinunung  eines  tapfern 
Gemülhes  führte  den  mensclienlVeuiullichen  Mann  aus  den»  bäng- 
lichen Gebiete  der  Geisteskrankheiten  in  das  Düster  des  thieri- 
schen  Magnetisnms,  welches  er,  an  der  Hand  gewissenhafter 
Beobachtung,  durch  die  Leuchte  der  Speculation  zu  erhellen  suchte. 
So  breitet  sich  Kieser's  geistiges  Leben  in  mannigfaltigem 
Reichthume  vor  uns  aus,  und  unsere  Akadenno  huldigt  ihm  als 
einem  rüstigen  Kämpfer  zum  Besten  des  Vaterlandes,  der  Wis- 
senschaft uiul  der  Menschheit. 


Oeffentliche  SiHuuy  vom  28.  Nov.  1S62.  177 

Südann  wurden  die  von  Sr.  Majestät    bestätigten  Neuwah- 
len verkündet,  und  zwar 

Zum  Ehrenmitgliede: 
Reichsrath  Dr.  Julius  v.  Niethammer. 

In  der  mathematisch-physikalische?}  Classe. 

A.  Zum  ordentlichen  Mitgliede: 

Dr.  Karl  Wilhelm  Nägeli,  ordentlicher  öffentlicher  Professor 
der  Botanik  an  der  k.  Ludwig-Max.-Universität  und  Conser- 
vator  des  k.  botanischen  Gartens  und  des  k.  Herbariums. 

B.  Zu  ausserordentlichen  Mitgliedern: 

1)  Dr.  Karl  Albert  Oppel.  ordentl.  Professor^ der  Paläontolo- 
gie an  der  k.  Ludwig-Max. -l'niversität  und  Conservator  der 
paläontologischen  Sannnluiig  des  Staates, 

2)  Wilhelm  Gümbel,  Bergmeister, 

8)  Dr.  Ludwig  Buhl,  Professor  der  pathologischen  Anatomie 
an  der  k.  Ludwigs-Max.-Universität, 

4")  Dr.  Moriz  Wagner,  Professor  hon.  an  der  k.  Ludwigs- 
Max.-Universität  und  Conservator  der  ethnographischen 
Sammlung  des  Staates. 

C.  Zu  auswärtigen  Mitgliedern: 

1)  Dr.  Hermann  Kolbe,  ordentl.  Professor  der  Chemie  an  der 
Universität  Marburg, 

2)  Thomas  Davidson,  Esquire  in  London, 

3)  Heinrich  Ernst  Beyrich,  Professor  der  Geologie  an  der 
Universität  Berlin, 

4)  Sir  Robert  Kane,  Professor  der  Chemie  an  der  Universität 
Dublin, 

5)  K.  J.  A.  Theodor  Scheerer,  Professor  der  Chemie  an  der 

Bergakademie  zu  Freiberg. 
[mz  n.)  12 


178  Oeffentliche  Sitzung  vom  28.  Not'.  i86i. 

D.  Zu  Correspond  enlen: 

1)  Dr.  Karl  Scherz  er,  Naturforscher  in  Wien, 

2)  Dr.  Ferdinand  Hochstetter,  Naturforscher  in  Wien, 

3)  Dr.  Georg  Ha  rley,  ordentl.  Professor  der  gerichtlichen  Chemie 
und  Medicin  an  der  Universität  London, 

4)  Dr.  Hermann  v.  Schlagintweit  auf  Schloss  Jägersburg  bei 
Forchheim, 

5)  Leopold  Krön  eck  er,  Professer  in  Berhn, 

6)  Ernst  Freiherr  v.  Bibra  in  Nürnberg, 

7)  J.  Georg  Brush,  Professor  der  Metallurgie  am  Yale  College 
in  Newhaven  in  Connecticut, 

8)  Gustav   Adolph  Kenngott,    Professor    der  Mineralogie    in 
Zürich. 


Am  Schlüsse  hielt  Herr  Cornelius  einen  Vortrag 

„über  die  deutschen  Einheitsbeslrebungen  im 
,,16.  Jahrhundert". 

Dieser  Vortrag,  wie  die  Denkrede  des  Herrn  v.  Martius 
auf  J.  A  Wagner  sind  eigens  im  Verlage  der  Akademie  er- 
schienen. 


Kinsendttnyen  von  Druckschriften.  179 


Verzeichniss 

der   in    den  Sitzungen    der  drei  (Massen  der  k.   Aitadeniie  der  Wissen- 
stlialten  vorgelegten  Einsendungen  von  Druckschriften, 

November  1862. 

Vom  historischen   Verein    der  fünf  Orte  Lvzern,  Vri,  Scliwyz  etc.  in 

Einsiedeln  : 

Der  (ieschiclitsfreund    Mitllieilungen.  18.  Band,  1862.  8. 

Vom   Verein  für  Naturkunde  in  Presburg: 

a)  Verhandlungen.  IV^  Jahrg,  1850.  Presburg  8. 

b)  lieber  die  neuen  Fortschritte  der  Lichcnologie    von  Albert  Grafen  v, 

Bcntzel-Sternau.  1859.  8. 

c)  Ueber  die  Bedingungen  der  Grösse  der  Arbeitskraft   mit  Berücksich- 

tigung einiger  Hauslhiere,  von  Dr.  A.  v.Szontagh.  Presburg  1859.  8. 

Von  der  k.  preussischen  Akademie  der   Wissenschaften  in  Berlin: 

a)  Monatsberichte.  April.  Mai,  Juni,  Juli,  .August  1862.  Berlin  1862. 

b)  Abhandlungen  1801.  Berlin  1802.  4. 

Von  der  pfälzischen  Gesellschaft  für  Pharmacie  in  Speyer : 

Neues  Jahrbuch  der  Pharmacie  und  verwandter  Fächer,    Bd.  XVII.  Heft 

f).  Juni. 
Bd.  XVIII    Heft  1,  Juli.  Heft  2,  August  und  Heft  3.  Septbr,   Heidelberg 

1862.  8. 

Von  der  Universität  in  Heidelberg: 

Heidelberger  Jahrbücher  der  Literatur  unter  Mitwirkung  der  vier  Fa- 
kultäten. 55.  Jahrg  5.  Heft  Mai.  6.  Heft  Juni  und  7.  lieft.  Juli,  Hei- 
delberg 1862.  8. 

Vom  landivirthschaftlichen  Verein  in  München: 
Zeitschrift.  August  VUI.  18G2.  xMünchcn.  1862.  8, 

Von  der  Geoloyical  Society  in  London : 
a)  Quarterly  Journal,  Vo.  XVUI.  Ma^.  1862.  Xr.  70.    London  1862.  8, 

12* 


|§Q  Ehisendunf/en  von  Druckschriften. 

b)  Address  delivered  ad  tlie  aiiniveisary  meeting  oii  the  21.  «t  of  Fe- 
bruary  1862  piefai-ed  1\y  tlie  aiiiiouiicemeiit  of  ihc  award  of  the 
W'ollaston  Medal.  London  18G2.  8. 

Vom  historischen  Verein  in  München: 

a)  Oberbajcrisches  Arthiv  für   vaterländische  Geschichte.   20.  Band.    3. 

Heft.  21.  Bd.  .3.  Hft.  Minuhen  1859.  60    8. 

b)  23.  Jahresbericht  für  das  Jahr  1860.   München  1861.  8. 

Vom  /.-.  .statistisch-topographischen  Bureau  in  Stuttgart: 

V\'ürttembergische  Jahrbüclicr  für  vaterländisciie  Geschichte.  Geographie, 
Statistik  und  Topographie.  Jahrg.  1860.  61.  12.  Ilft.  Stiittg.  1862.  8. 

Vom  Verein  twn  Alterthums freunden  im  Rheinlande  in  Bonn: 

a)  Jahrbücher  XXXII.  16.  Jahrg.  2.  Bonn  1862.  8. 

b)  Ueber  eine    seltene  Erzmünze   mit   dem  Monogramm   des  achäischen 

Bundesgeldes.  Von  Dr    Christ.  Bellerniann.  Bonn  1859    8. 

Vom    Verein  für  Geschichte  und  Alter thmnskunde    Westphalens    in 

Münster: 
Zeitschrift.  3    Folge.  2    Band.  Münster  1862.  8. 

Von  der  Redaktion  des  Correspondenz-Blattes  für  die  Gelehrten-  und 

Realschulen  in  Stuttgart: 

Correspondenzbiatt  für  die  gelehrten  nnd  Realschulen.  9.  Jahrg.  Juni  6. 
Juli  7.  August  8.  und  Sept.  9.  1862.  Stuttgart  1862.  8. 

Von  der  naturforschenden  Gesellschaft  in  Basel: 
Verhandlungen.  3.  Tbl.  3.  Hft.  Basel  1862.  8. 

Von  der  naturforschenden  Gesellschaft  in  Dorpat: 

Archiv  für  die  Naturkunde  Liev  ,  Esth-  und  Kurlands.  I.  Serie.  Mineral- 

Wissensch.  nebst  Chemie,  Phjsik  und  Erdbeschreibung.  II.  Bd. 
II.  Serie.  Biologische  Naturkunde.  IV.  Band.  Dorpat  1801.  8. 

Von  der  Academie  de  Stanislas  in  fiancy: 
Mömoires.  1860.  Tom.  I.  II.  Nancy.  1861.  8. 

Vom  Inst  Hut  o  di  corrispoudenza  archeologica  in  Rom: 
a)  Annali  Vol.  XXX.-XXXIII.  Rom  1858-1861. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  181 

b)  Biillolino  per  raiiito  1838.  59    60.  Gl. 

c)  IMoiiunieiiti  inoditi  publitati  per  raiino  1858,  59,60.  ül.  Roma  1858  — 

1861.  *>. 

Vüii  der  Societe  d' Anthropologie  in  Paris: 

a)  Bulletins   Tom.  I.  11.  Tom.  III.  1  Fase.  Jaiivicr  ä  Mar.s  186-2.  ii.  Tom. 

Ili.  •>.  Fa.sc.  Avril  ä  Juin  1862.  Paris  1860.  61.  62.  8. 

b)  Memoircs.  Tom.    I.    1.  2.  Fase,    avec  uiio   earle  et   einqiie    planehes. 

Paris  1860.  61. 

Von  der  naturhi^torischen  Gesellschaft  in  Hannorer : 
Zehnter  und  eilfler  Jahresbericht  1859—1861.    Hannover  1861.  62.   4. 

Von  der  Commission  iinperiiile  urcheologiqite  in  St.  Petersburg : 
Compte-Rendii  pour  l'annee  1860.  mit  Atlas.  St.  Petersburg  1861.  2, 

Vom   Verein  für  Kunst  und  Alterthum  in  Ulm: 
Verhandlungen.  14     VcröfTentliehung,  der  grösseren  Hefte  neunte  Folge. 

Ulm  1862.   4. 

V^om  Institut  hi.storique  in  Paris: 

L'investigateur  Journal.  29*me   annee.    Tom.  II.  IV.   Serie.  332e  333«  |i- 
vraison,  Paris   1862.  8 

Vom  Verein  für  Naturkunde  in  Mannheim : 
38.  Jahresbericht.  Mannheim  1862.  8. 

Von  der  Asiatic  Society  of  Uengal  in  Valcuttu  : 

Journal.  New  Series.   Nr.  CX.   Nr.  CCLXXXIV.    Nr.  I.    1862.     Caicutta 

1862.  8. 

Von  der  Gesellschaft  der   Wissenschaften  in  Prag: 
Sitzungsberichte.  Jahrg    1860   Juli  --   Dezember.  Prag  1860.  8. 

Von  der  Societe  des  Antiquaires  de  Picardie  in  Ainiens : 
a)  Memoires.  2.  Serie    Tom.   VIII.   Paris.   Amieiis  1861    8. 
bj  Bulletins    Tom.  VII,  18.")9.  60.  61.  Paris.  Amiens  1861.  8. 

Vom  Alterthtnnsrerein  in  Lüneburg: 
a)  Die  .\lterlhiimer  der  Stadt  Lüneburg   und   des  Klosters  Liine.   Lüne- 
burg 1862.  4. 


182  Einsenänmien  von  Druckschriften. 

b)  Der  Urspniiif^  unel   der  älleste  Zustaiul  der  Stadt  Lüneburg.  Von  Dr, 
Volger.  Lüneburg  186J,  8. 

V^on  der  /?«//  Society  in  London: 

a)  Ray  Society.  Inlroduction  to  the  study  of  tlie  Foraminifera.    By  Wil- 

liam B.  Carpenter.  London  1862.  2- 

b)  Philosophiial  transattioiis    for   the  year  18G1.    Vol,  15L  P.  l.  11.  IlL 

London  186L  4. 

c)  Proceedings.  Vol.  XL  Nr.  47.  48. 

„     XII.  Nr.  49.  London   186L  02.  8. 

d)  Fellows  of  the  Society.  Novb.  30    1861.  London  1861.  4- 

Von   der  Boyat  Asironomical  Society  in  London: 
Menioirs.  Vol.  XXX.  London  1862.  4. 

Von  der  Chemical  Society  in  London : 

Journal,  Vol.  XV,  1  —  0,  January  —  Juno  1802,  Nr.  LVII— LXII.     Lon- 
don 1862.  8. 

Von  der  naturforscUenden  Gesellschaft  Grauhündens  in  Chur: 
Jahresbericht.  Neue  Folge.  VILJahrg.  {Vereinsjahr  1860.  61). Churl862.8, 

Von  der  Commission  zur  Eerunsgabe  der  Kieler  Unirersilätsschriflen : 
Schriften  der  Universität  zu  Kiel  aus  dem  J.  1861.  Bd.  VIII.  Kiel  1862.  4, 

Von  der  B.  Accademia  F.conomico-Ayraria  de'  GeorynfiU  di  Firenre: 

Atti.  Nr.  27— ,30,  Nuova  Serie.  Vol.  VIII.  Di.sp.  1   2,  3.  Vol.  L\,  Di.sp  1, 
Firenzc  1861,  62.  8, 

Vom  historischen  Verein  für  Niederhayern  in  Landshut: 
Verhandlungen.  VIII.  Bd.  1.  2.  Heft.  Landshut  1862,  8, 

Von  der  W    Asiat ic  Society  in  London: 
Journal.  Vol.  XIX.  Part,  4.  London  1862,  8. 

Von  der  deutschen  nioryenlündischen  Gesellschaft  in   Leijnig : 

R)  Zeitschrift.  16.  Bd.  3.   i.   Hft.  London   1802.  8 

b)  Indische  Studien,  Beiträge  für  die  Kunde   des   indischen  Alterthums. 
Von  Dr.  Albr.  Weber.  V.  Bd.  2.  3.  Hft    Leipz.  1862    8. 


FJnsen/Itiuyen  von  Druckschriften,  1S3 

c)  Abliaiidlimtren  liir   dio  Kiiiide    des  Moigenlandfs.  II.  Bd    Nr.   5.  Die 

giaininati.scli.  Scliiilcn  der  Araber,  von  G.  Flügel.  Nr.  5.  Katliä  Sa- 

rit  Sagara,    die  Älärclicn-Saminliing  des  Soinadeva.     Buch  VI.  VH. 
VIII.  Hcraii.sgcg    von  II.  Brockhaiis    Leipzig  186?.  8. 

Von  der  Acndemie  des  sciences  in  Paris : 

(«oniptes  rendiis  lielulomadaires  des  .seaiices. 
Tom.  LIV.  Nr,  V3.  '24    Jiiin  1862. 
„     LV.       „  1— j.  Jiiillet-Aout  180*2. 
„     LV.       ,.     6—10    Aoiit    -  Sept.  186'2.  Paris  186'?.    8. 

Von  der  GeseUschaft  für  pounner'sclie  Geschichte   und    Alterthums- 

kunde  in  Stettin: 

Baltisilic  Stildien    19.  Jahrg.  1.  Heft.  Stettin  1861.  8. 

Von  der  svidesischen  Gesellsvhafl  für  vaterländische  Cultur  in  Breslau: 

a)  Abhandlungen      Philosoph -historische   Abtheiinng.    Heft  I.  II.     1862. 

Breslau  1802.  8. 

b)  Abhandlungen.  Abtheiinng   für  Naturwissenschaft  nnd  Medicin.   Heft. 

III.  1861.  1.  1862.  Breslau  1861.  02.  8. 

c)  Jahresbericht.   Enthält  den  fieneralbericht  über  die  Arbeiten  und  Ver- 

änderungen der  Gesellschalt   im  J.  1861.  Breslau  1862.  8. 

Von  der  Societe  imperiale  des  naturalistes  in  Moskau: 
Bulletin    Annee  1861.  Nr.  I— IV.  Moskau  1861.  8. 

Von  der  Maatschappij  der  Wetenschappen  in  Haar  lern: 
Natuurkundige  Verhandelingen    XVI.  Ded    Haarlein  1862.  4. 

Vom  lUuseam  Francisco-Carolinum  in  Ijinz: 

a)  Urkundenbuch  des  Landes  ob  der  Enns.  II.  ThI.  Winn  1858.  8. 

b)  21.  und  22.  Bericht  nebst   der   16.    und    17.  Lieferung  der   Beiträge 

zur  Landeskunde  von  Oesterreich  ob  der  Enns.  Linz  1861.  62.  8. 

Von  der  k.  k.  geologischen  Reichsanstalt  in   Wien: 

Jahrbuch.  1861  und  1802.    VII.   Band.    Nr.  3.    Mai,  Juni,   Juli,    August 
1862.  Wien  1862.  8. 


184  Einsendungen  von  Druckschriften. 

Von  der  }thy.sika lisch  medizinischen  Geseltschufl  in   Würzbury: 

a)  Würzburger  Mcdicinischc  Zeitschrift   3.  Bd.  II.  IH  Hft.  Wien  1862.8. 

b)  Würzburger  naiurwissensihaftlichc  Zcitsciirift.   3.  Bd    1.  Hft. 

Vom   Vertvaltunifs-Ausschitss  des  Ferdinandeunis  in  Innsbruck: 

a)  29.  Bericht  über  die  Jahre  1860.  Gl.  Innsbruck  1861.  8. 

b)  Zeitschrift  des  Ferdinandeunis  für  Tirol  und  Vorarlberg.  3.  Folge.  10. 

Heft.  Innsbruck  1861.  8. 

Vom  naturforschenden  Verein  in  Riga  : 
Correspondenzblatt.  12.  Jahrg.  Riga  1862.  8. 

Von  der  Historisch  Genootschap  in  Utrecht: 

a)  Werken.  Kronijk.  1861.  Blad  20-30.  Utrecht  1861.  8. 

b)  Werken.  Berigten.  VII.  Üeel    2.  Stuk.  Blad  1—5.  Utrecht  1862    8. 

c)  Werken.    Codex  diplomaticus.  2.  Serie    VI.  Deel.  Blad  1—6.  Utrecht 

1862.  8. 

Vom  naturhistorisch-medizinischen  Verein  in  Heidelberg: 
Verhandlungen.  2.  Bd.  1869—1862.  Hft.  3.  Heidelberg  1862.  8. 

Vom  naturhistorischen  Verein  in  Augsburg: 
15.  Bericht.  1862.  Augsburg  1862.  8. 

Von  der  Literart/  and  Philosophical  Society  in  Manchester : 

a)  Proceedings  Vol.  II.  Manchester  1862.  8. 

b)  Rules  of  the  Society.    Instituted  28'i>     February.  1781.     Manchester 

1861.  8. 

c)  Memoirs.  Vol.  I.  III.  Series.  Manchester  1862.  8. 

Von  der  k.  k.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien  : 

a)  Denkschriften.  Mathcmat.  naturwissensch.  Classe.  20.  Bd.  1862.  4. 

b)  Sitzungsberichte.     Philos.- histor.  Classe.  XXXVIIl.   Bd.  II.  III.  Heft. 

Jahrg.  1861.  November.  Dezember.  XXXIX    Bd.    1  Hfl.  Jhrg.  1862. 
Jänner.  1861.  62.  8. 

c)  Sitzungsberichte.  Mathemat.  naturwissenschafll.  Classe. 

1.  Abthcil.  XLIV.  Bd.  IV.  V.  Heft  1861.  Nov.  Dezbr. 
XLV.     „     I.  Heft  1862.  Jänner. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  185 

•2.  Abtiieil.  XLIV.  Bd.  V.  Heft.  1861.  Uczbr. 

XLV.     .,     I.  II,  lil.  Heft    18Ü2.  Jänner  —  März,    Wien 
1862,  8. 
d)  Archiv  fiir  Kunde  Osterreidiisclier  Gcschiclilsquellen.  38.  Bd.  I.  Hälft. 

18Ü2.  8. 

Von  der  Academie  royale  de  Medecine  de  ReUjique  in  Briitsel: 
Bulletin.  Annec  1862    Deuxicnie  Serie.  Tom.  V.  N'r.  3—7.  1862.  8. 

Von  der  Reale  Accademia  delle  icient-e  in  Turin : 
Memorie    Ferie  Seeonda.  Tom.  XVIII    XIX.  Turin  1859.  Gl.  4. 

Vom  Istituto  i'eneto  di  scieme,  lettere  ed  arti  in  Venediii : 
Memorie.  Vol.  X.  Part.  U.  Venedig  18S2.  4. 

Von  der  k.  k.  patriotisch-ökonomischen  Geseltschn/t   im  Königreich 

Böhmen  in  Prag: 

a)  Centralblatt  für    die  gesammte  Landeskultur.    13.   Jahrg.  18(52.    Nr.  1 

-31.  Prag  1862.  4 

b)  Wochenblatt  der  Land-,  Forst-   und  Hauswirlh.schaft  fiir   den  Bürger 

und  Landmann.   13.  Jahrg.  1862.  Nr.   1-31.  Prag  1862    4. 

Von  der  Geoloifical  Survei/  of  India  in  Calcutta: 
Memoirs.  Calcutta  1861,  4. 

Von  der  Koninkiejke   natunrkundii/e   Vereeniginy    in  Nederlandsch 

In  die  in  Bataria  : 

Natuurkundig  Tijdchrift  voon  Nederlandsch  Indie.  Deel  XXIII.  V.  Serie. 
Deel.  III.  Batavia  1861.  8. 

Von  der  AcadPntie  imperiale  de  sciences  in  St.  Petersburg : 

a)  Bulletin.  Tom.  IV.   Nr.  3—6.  St.  Petersburg  1861.  4. 

b)  Memoires.  Tom.  IV.  Nr.  19.  St.  Petersburg  1861.   62.    i. 

Von  der  Accademia  Pontificia  de    nuori  lincei  in  Rom: 
Atti.  Anno  XIII    XIV.  XV.  Gennaro  1860  —  Febbraio  1862.  Rom    4. 


186  Einsendunyen  von  Druckschriften. 

Von  der  Smithsonian  Institution  in    Wasliinyton: 

a)  Annuai  rcport  of  ihc  Siiiillisoniaii  lnstitulion  for  the  jear  18G0.    Wa- 

shington 1861.  8. 

b)  Rcsults  of  nieteorological    obscivalioiis    inuler    the   dircction   of  the 

Smithsonian  Institution  froni    the   year  1854   to  1859.     Vol.  I.    V>'a- 
shington  1861.  4. 

c)  Report  upon    the  (Colorado  Exploring  Expedition  iinder    Lient.    J.  C. 

Ives    Washington  1861.  4. 

d)  Catalogue  of  publicalions  of  the  Smithsonian  Institution.  Corrected  to 

June  1862.  Washington  1862.  8. 

c)  Smithsonian   Miscellaneous   Collections.    Vol.  I.  II.  III.  IV.   Washing- 
ton 1862.  8. 

0  Smithsonian  Museum  Miscellanea.  Wash.  1862.  8. 

Von  der  American  Acadeiny  of  arts  and  sciences  in  Boston : 

a)  Mcmoirs.  New  Series.  Vol.  XIII.  Part.  I.  Boston  1861.  4. 

b)  Proiecdings.  Vol.  V.  31—48.  Boston  1861.  8. 

Von  der  Boston  Societif  of  Natural  History  in  Boston  : 

Proccedings.  Vol.  VIII.  5-20. 

„     IX.  1—3    Boston  1861.  62.  8. 

Von  der  Ohio  State  Board  of  Agriculture  in  Ohio: 

15.  Jahresbericht.  Ohio-Staats-Ackcrbau-Bchürde  und   (ieneralversarara- 
lung  von  Ohio  1860.  Columbus,  Ohio  1861.  8. 

Vom  State  of  HVsco/isj« : 

Report  of  the  geological  Survcy  of  the  State  of  Wisconsin.  Vol  I.   Wis- 
consin 1862.  8. 

Vom  Lyceum  of  natural  history  in  'Sew-York : 
Annais.  Vol.  VII.  Jan.  —  June  1861.  Nr.  10—12    New-York  1861.  8. 

Von  der  Academy  of  natural  sciences  in  Philadelphia: 
a)  Journal.  New  Series  Vol.  V.  Part.  I.  Philad.  1862.  i. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  187 

b)  Proccedings.   18t>l.  7— 36.  J8«2    N»»   I.  and  IV.  Janiiary- April  1862. 

Philadelphia  1861.  62    8. 

c)  Annual  Mceliiig.  Jamiary  1860  —  April  18(51.  Philadelphia.  8. 


Vom  Herrn  Franz  Lenormant  in  Paris: 
Recherches  archeologiqiies  a  Eleusis.  Paris  1862.  8. 

Vom  Herrn  Karl  Robida  in  Klageuf'nrt: 

Erklärung  der  Beugung,  Doppeihreehuiig  und  Polarisation  aus  den  Grund- 
ziigen  einer  naturgemässen  Aloniislik..  Hl.  lilt.  Klagenlurt  1862.  8. 

Vom  Herrn  Cotnm.  Fenicia  in  Neapel  : 

Copia  deir  epistola  alla  santitä  del  pontefuc  che  rcggerä  la  sauta  sede 
quando  verrä  pubblitata  la  poliliia.  Neapel  1862.  8. 

Vom  Herrn  A.  Grüner t  in  Greif xwalde : 

Arthiv    der  Mathematik   und  Ph.vsik.   ;I8.  Theil.   2.  3.  Heft,  (ireifswalde 
1862.  8. 

Von  den  Herren  Frhrn.  k.  Stillfried  und  Dr.  J.  Mürker  in  Berlin: 

Monumenta  Zollerana.  IJrkundenbuch  der  Geschichte  des  Hauses  Hohen- 
zollern.  7.  Band.  Urkunde  der  Iränkischen  Linie  lill— lil7.  Ber- 
lin 1861.  4. 

Vom  Herrn  Kicolai  von  Kokscharow  tu  St.   Petersburg: 
Beschreibung  des  Alexandrits.  St.  Petersburg  1862.  4. 

Vom  Herrn  A.   Weber  in  Berlin: 

Die  vedischen  Nachrichten  von  den  Naxalra  (Mondstationen)  1.  II.  Thl. 
Berlin  1860.  62.  4. 


188  Einsendiinffen  von  Druckschriften. 

Vom  Herrn  Jose  Amador  de  Los  Rio.s  in  Madrid: 

El  arte  latino-Bizantiiio  cii  Kspana  y   las  Coronas  Visigodas  de  Guarra- 
zar.  Madrid  ISfil.   i. 

Vom  Herrn  Ritter  von  Burg  in  Wien: 
lieber  die  Wirksamkeit  der  Sicherheitsventile  bei  Damplkesseln.  Wien 8. 

Vom  Herrn  A    Coppi  in  Rom: 
Memorie  storiche  di  Maccarese,  Rom  1862.  8. 

Vom  Herrn  R.  L.  Tafel  in  St.  Louis : 

Investisjations  in  to  the  laws  of  English  orthography  and  pronunciation. 
Vol.  I.  Nr.  ].  New-York  ISO?.  8. 

Von  den  Herren  Leonhard  und  Rudolpli  Tafel  in  Philadelphia  und 

St   Louis  : 

a)  A  reviewofsome  points  in  Bopp'.s  comparative  (irammar.  Andov.  !8()I.  8. 

b)  Latin    pronunciation  and  the  latin  aiphabet.    Philad.  1860. 

Vom  Herrn  Karl  Schuller  in  Hermannstadt: 

Die  Verhandlungen  von  Miihlbach  im  Jahre  1551  und  Martinuzzis  Ende. 
Hermannstadt  1862.  8. 

Vom  Herrn  Dr.  Luther  in  Königsberg : 

Astronomische  Beobachtungen  auf  der  k.  Universitäts-iSternwarte  in  Kö- 
nigsberg 3i.  Abtheil.  Königsberg  1862.  4. 

Vom  Herrn  J.    Worpitiky  in  Greißwalde: 
Beitrag  zur  Integration  der  Riccatischen  Gleichung.  Greifswalde  1862.  8. 

Vom  Herrn  M.   E.  Vhevreul  in  Paris: 

a)  Expose  d'un  mojen  de  definir  et  de  nommer  les  couleurs    Mit  Atlas. 

Paris  1861.  4. 

b)  Recherches  chimiqucs  sur  la  teinture.  Paris  1861.  4. 

Vom  Herrn  Dr.  M.  Block  in  Gotha  : 

Die  Machtstellung  der  europäischen  Staaten.  8.    Mit  1  Atlas  von  25 Kar- 
ten in  Fol.  Gotha  1862. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  189 

Vom  Herrn  Hl.  Steichen    in  Brüssel: 
Memoire  sur  le  caicul  des  v.'iriations.  Brüssel  1862.  8. 

Vom  Herrn  A.  Mühry  in  Göttingen: 

Klimatooraphisclie  Uebersiclit  der  Erde  in  einer  Sammlung  authentischer 
Berichte  mit  hinzugefügten  Anmerkungen  zu  wissenschat'llithem  und 
praktiscliem  Gebrauche.  Leipzig  und  Heidelljerg  18ü2.  8. 

Vom  Herrn  Christian  August  Brandts-  in  Berlin: 

Geschichte  der  Entwicklung  der  griechischen  Philosophie  und  ihrer  Nach- 
wirkungen im  Rom.  Reiche.  1.  Hälfte.  Berlin  1862.  8. 


o 


Vom  Herrn  Dr.  Prestel  in  Emden: 

Die  mit  der  Höhe  zunehmende  Temperatur  als  Function  der  Windes- 
richtung. Jena  1861.  4. 

V^on  Herrn  Robert  Main  in  Oxford  : 

Astronomical  and  nuleorological  oLservations  made  at  ihe  RadclifTe 
übscrvator)',  Oxford,  in  the  jears  KS-VJ  and  1800.  Vol.  XX.  Oxford 
1862.  8. 


Vom  Herrn  C.  ('.  lUalortie  in  Hannover : 

Beiträge   zur  Geschichte  des  Braunschweig-Lüneburgischen  Hauses    und 
Hofes.  3.  Heft.  Hannover  1862.  8. 


Vom  Herrn  Dr.  von  Tröltsch  in   Würxburg: 

a)  Hie  Krankheiten  des  Ohres,  ihre  Erkenntniss  und  Behandlung.  Würz- 

burg  1862.  8. 

b)  Die  Anatomie  des  Ohres  in  ihrer  Anwendung  auf  die  Praxis  und  die 

Krankheiten  des  Gehörorganes.  Wiirzburg  1860.  8. 

Vom  Herrn  Pasquale  Plncido  in  fieapel: 

lllustrazione   di   tre   diplomi    Bizantini   del    grande     archivio    di    Xapoli. 
Neapel  1862.  8. 


190  Einsendungen  von  Druckschriften. 

V^oui  Herr»  M.  Glösener  in  Lüttich: 

Traite  g^üc'-ral  des  applicatioiis  de  rclectricite.  Tom.  I.  Paris  et  Liöge. 

18G1.  8. 

Vom  Herrn  P    Volpicelli  in  Rom: 

a)  Sulla  clettricitä  dell'  atmosfera.  Secoiida  e  tcrza  Nota.  Rom  186t.  4. 

b)  Sulla  polaritä  elcttrostatica  quinta  i-ommunicazione.  Roma  1862.  4. 

c)  Descrizione  di  uii  nuovo  aiiemometrografo  e  sua  teorica.  Rom  1859.  4. 

d)  Sulla  legge    di  Mariotte  sopra   uii  congegno    nuovo  per  dimostraria 

nelle  sperimciitali  lezioni  e  su  varie  applicazioiii  di  essa.  Rom  1859. 4. 

e)  Teorica  della  compensazione  de'  pendoli.  Rom  1800.  4. 

fj  Del  moto  reltilineo  lungo  uii  sistema  di  piani  divcrsamente  indinati 
e  contigui.  Rom  1860.  4. 

Vom  Herrn  J.  D.  Graham  in  Chicago: 

a)  Explorations  et  Surveys  for  a  railroad  ronte  frora  the  Mississippi  ri- 

ver  to  tlie  pacific  ocean.  Vol.  XI.  Chicago  1855.  4. 

b)  Report,  mit  Karten.  Fol. 

Vom  Herrn  James  de  Dana  in  Netv-Haven: 

.\nierican  Journal  of  science  and  arts. 

Vol.  XXXII.  Xr.  94—96.  Juli  Sept.  Nov.  1861. 
.,     XXXIII.  „     97—99.  Jan.  Marcli.  Ma^'  18t,2. 
New-Haven.  1861.  62.  8. 

Vom  Herrn  TA.  Bland  in  London: 

On  the  geographica!  distribution  of  the  genera  and  species  of  land 
Shells,  of  the  YVest-India  Islands.  New-York  1861.  8. 

Vom  Herrn  A.  F.   Ward  in  Philadelphia : 

Universal  System  of  semaphoric  color  signal.s ,  a  novel  and  original  in- 
venlioM,  by  which  4  6,656,  words  or  sentences  ean  be  represented 
with  six  colors.  Philadelphia  18G2.  8. 

Vom  Herrn   William  Rhees  in  Philadelpia: 

Manual  of  public  Libraries,  Institutions  and  Societies  in  the  United  Sta- 
tes and  Britisch  Provinces  of  North  America.    Philadelphia  1859.  8. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  |91 

Vom  Herrn  Philip  T.  Tyson  in  Annapolis: 

First  report  State  agrieultural  clieiiiist  to  the  house  of  Delegates  of  Ma- 
ryland. January  1860.  Annap.  18G0.  8. 

Von  den  Herren  A.  A.  Ilumphreys  und  H.  L.  Ahhot  in  Philadfli/hia  : 

Report  lipon   the   plijsics    and    hydraiilics  of  tlie  Mississippi  river  1801. 
Philadelphia  IStil.  4. 

Vom  Herrn  T.  Apoleon  Cheney  in  New-York  : 

Hlustrations   of  the   ancient  moniinienls   in  Western  New-York.     Albany 
1860.  8, 


December  1862. 

Vom  historischen  Verein  von  Niedersachsen  in  Hannover 

a)  Zeitsehrift.  Jahr^.  1801.  Hannover  1862.  8. 

1))  25.  Nachricht  über  den  Verein.  Hannover  1862.  8. 

Vom  akademischen  l.esererein  in  Wien: 
.Tahresbcricht  1861—1862.  Wien  1802.  8. 

Von  der  naturforschenden  Gesellschaft  in  Emden: 
47.  Jahresbericht.  1861.  Emden  1862.  8. 

Vom  landu-trthschaft liehen  Verein  in  München: 
Zeitschrift.  Nr.  XI.  1862.  München  1802.  8. 

Von  der  Societe  des  sciences  naturelles  in  Strassburg : 
Memoires,  Tome  cinquieme.  Livr.  2.  3.  Strassb.  Paris  1862.  4. 


192  Einsendungen  von  Druckschriften. 

Von  der  Linnean  Society  in  London  : 
.1)  Traiisaclioiis.  Vol.  XXIII.  Part.  II.  London  18Ü1.  4. 

b)  Proceedings.  Vol.  VI.  Botany  Nr.  21.  22.  23. 

„       „     Zoology  Nr.  21.  22.  23.  London  1861.  8. 

c)  Fellows  1861.  London  1861.  8. 

Von  der  Universität  in  Heidelberg : 

Heidelberger  Jaiirbiulier  der  Literatur   unter  Mitwirkung   der   vier  Fa- 
tulläten.  55.  Jahrg.  8.  Heft  August.  9.  Heft  Sept.  18C2.  8. 

Vom  Astrono7niC(il  Observatorg  of  Harvard  College  in  Cambridge : 

a)  Annais.  Vol.  III.  Cambridge  1862.  4. 

b)  On   tlie    results   of  pliotomelric   experiments    upon    the    liglit  of  tlie 

Moon   and    of  the  planet   Jupiter.    By  George  P.  Bond.     (Cambridge 
1861.  4. 

c)  On   the    relative   brightness   of  the   Sun    and   Moon.   By  G.  P.  Bond. 

Cambridge  1861.  4. 

d)  Report  of  the  committee  of  the  overseers  of  Harvard  (College  in  the 

jear  1860.  1861.  Boston  1861.  62. 

e)  Oecultations   and   Eelipses    observed   at   Dorchester    and  Cambridge, 

Massachusetts.  By  G.  P.  Bond.  Cambridge  1846    4. 

Von  der  Bataviaasch  Genootschap   van  Künsten  en   VVetensc/iai>pen 

in  Rutuvia : 

a)  Verhandelingen.  Deel.  XXVII.  XXVIil.  Batavia  1860.  4. 

b)  Tijdsthrift  voor  Indische  Taal-  Land-  en  Volkenkunde. 

Peel.  VII.  Derde  Serie.  Deel.  1.  Aft.  II. 

V 

„      „      Nieuwe  „        „      „  „    VI. 

IV  I 

,1     IX.    Derde     „        „     III.  „    I-VL 

X     Vierde     ,,  I.  ,,     1—6. 

Batavia  1857.  1860.  8. 


Einsendungen  von  Dnickschriften.  193 

c)  Vergadcringeii.     Bestuursvcrgaderiiicr     «rehüiulcii   tlcii    23.   Februarij 
1857.  23.  JiiliJ  1857.  28.  Decbr.  1857.  Balavia.  8. 

Von  der  Chemical  Sovieti/  in  London. 

Journal.  Vol.  XV.    7.  8.  9.    Jul.     .\ug.  Septbr.  1862.  Nr.  LXIII  -LXV. 
London  1802.  8. 

Von  der  Geoloyical  Socieiy  in  London: 

Quarterly  Journal  Vol.  XVIII    Part.   3.  Aug.    I.  1862.  Nr.  71.    London 
1862.  8. 

Von  der  h.    sächsischen  Gesellschaft   der  Wissenschaften  in  Leipzig: 

a)  Berichte.  Pliilos.-liistori.sch6  Classe.  II.  III.  IV.  1861.    Lcipz.  1862.  8. 

b)  „        Mathein.  physikai.      „        I.  II.  1861.  Leipzig  1862.  8. 

Von  der  fihstl.  Jablononskischen  Gesellschaft  in  Leipzig: 

Preis.schriften.  IX.  Viktor  Bühmeit,  Beiträge   zur  Geschichte   des   Zunft- 
wesens. Leipzig  1862.  gr.  8. 

Von  der  Oberlausitzischen  Gesellschaft  der   Wissenschaften  in 

Görlitz: 

Neues  Lausitzisches  Magazin.  39.  Bd.  1.  und  2-  Hälfte.  iO.  Bd.  I.Hälfte. 
Görlitz  1862.  8. 

Von  der  Academie  imperiale  des  sciences,  arts  et  belles-lettres  in 

Dijon  : 

Menioires.  2.  Serie.  Tom.  IX.  Annee  1861.  Dijon  1802.  8. 

Von  der  Hydrographischen  Anstalt  der  k.  k.  Marine  in  Triest: 

Mittheilungen  der  hydrographischen  Anstalt.  I.  Bd.  1.  Heft.  Nautisch - 
physikalischer  Theil  der  Rei.se  der  österr.  Fregatte  Novara.  I.  Ab- 
theil. Mit  einer  Kartenbeilage  von  7  Blättern.  Wien  1862.  i. 

Von  der  Jiatuurkundigen    Vereenigiug  in  Tiederlandsch    Indie  in 

Batavia: 

a)  Verhandelingen.  Vol.  V.  Vol.  VI.  (Series  nova  Vol.  I.)  Balavia 
1859.  4. 

libßa.  II.J  13 


194  Einsendungen  ron  Druckschriften. 

b)  Naluuikundige  Tijdschrift  voor  Nedorlandsch  Indie.  Deel.XVlII.  XIX. 
4.  Serie.  Peel.  IV.  V.  Batavia  1859.  8. 

Vom  historischen  Verein  für  Nassau  in  Wiesbaden: 

a)  Denkiiiäler  aus  Nassau.    III.  Heft.     Die  Abtei  Eberach   im  Rlieingau. 

II.  Lieferung.  Die  Kirche.  Wiesbaden  J862.  4. 

b)  Urkundenbuch  der  Abtei  Eberach  im  Rheiugau.  I.  Bd.  Heft  3.  Wies- 

baden 1862.  8, 

c)  Verzeichniss  der  Bücher  des  Vereins.  Wiesbaden  18ü2.  8. 

Von  der  Avademie  des  sciences  in  Paris: 

Comptes  rendus  hcbdoniadaires  des  seances.  Tom.  LV.  Nr.  11 — 19.  Sept. 
—  Novbr.  1862.  Paris  1862.  4. 

V^on  der  Gesellschaft  der  Wissenschaften  in  Göttingen : 
Abhandlungen,  lu.  Bd.  Von  den  Jahren  1861  und  1862.  Göllingen  1862.  4. 

Von  der  k.  k.  geognostischen  Gesellschaft  in  Wien : 
Mittheilungen.  V.  Jahrg.  1801.  Wien  1861.  4. 

Vom  Verein  von  Freunden  der  Erdkunde  in  Leipzig: 
Erster  Jahresbericht.  1861.   Leipzig  1862.  8. 

Von  der  Societe  royale  des  sciences  in  Vpsala: 

Nova  acta  regiae  societalis  scientiarum  üpsaliensis.    111.  Scr.    Vol.  IV. 
Fase.  L  1862.  Upsala  1862.  4. 

Von  der  kaiserl.  Gesellschaft  für  die  gesammte  Mineralogie  zu  St. 

Petersburg: 

Verhandlungen.  Jahrg.  1862.  St.  Petersburg  1862.  8. 

Vom  nuturwissenschaftl.  Vereine  für  Sachsen  und  Thüringen  in  Hall«: 

Zeilschrift  Tür  die  gesammtcn  Naturwissenschaften.     Jahrg.  1861.    1862, 
18.  19.  Bd.  Berlin  1862.  8. 


Einsendungen  von  Druchschriften.  195 

Von  der  Soviete  d'unthropoloyie  in  Paris: 
Bulletins.  Tom.  III.  3.  Fase.  Paris  1862.  8. 

Von  der  Redaction  des  Corvesponden-zhltittes  für  die  gelehrten  und 
Itenlschulen  in  Stuttgart: 

Correspondenzblatt  Xr.  10.  Oklbr.  186t>.    Stullj^art  J86'2.  8. 

Von  der  k.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin : 
Monalsbericlit.  Sept.  Oetbr.   ]8f)2.  Berlin  18C2.  8. 

Von  der  Axiatic  Societi/  of  lienyal  in  Calcutta  : 

Journal.  New  Series.  Nr.  CXL.  Nr.  CCLXXXV.  Nr.  II.  18(52.  Calcutta 
18Ü2.  8. 

V^on  der  St.  Gallischen   naturuissen.schaf fliehen  Gesellschaft  in 

St.  Galten: 

Bericht  über  die  Thäti^keit  der  (leselLschaft  während  des  Vcrcinsjahres 
18C1-02.  St.  (Jallen   1862.  8. 

Von  der  physikal.-medicinischen  Gesellschaft  in  Würzburg  : 

Würzburger  inedizini.sche  ZcitscIiriCt.  :5.  Bd.  IV.  und  V.  Heft.  Würzburg 
1862.  8. 

Von  der  pfälzischen  Gesellschaft  für  Phartnacie  und  verwandte 

Fächer  in  Speyer: 

Neues  Jahrbuch  für  Pharniacie  und  verwandte  Füiher.  Bd.XVlII.  Heft  3. 
Novbr.  Heidelberg  1862.  8. 

Vom   Verein  der  Geschichte  der  Dlark  Hrandenhurg  in  Berlin: 

Novus  Codex  diplomatieus  Brandenburgensis.  Vierler  Haupttheil  oder 
Sammlung  der  Ueberreste  aller  Bran(lenburi;isiher  Geschichtsschrei- 
bung. 1.  Bd.  Berlin  1862.  4  und  Kr.sler  Haupttheil  oder Urkunden- 
Sauimlung  zur  (ieschichle    der  geistlichen  Stiftungen,  der  adeligen 

13* 


196  Einsendungen  von  Druckschriften. 

Familien,    sowie    der  Städte   und  Burgen    der   Mark  Brandenburg. 
Von  Dr.  Adolph  Riedel.  XXlII.  Bd.  Berlin  1862.  4. 

Von  der  deutschen  yeologischen  Gesellschaft  in  Berlin: 
Zeitschrift.  XIV.  Bd.  2.  HCt.  Febr.  —  April  1862.  Berlin  1862.  8. 

Von  der  Royal  viedicul  and  chirurgical  Society  in  London : 
Medico-Cbirurgical  Transaclions.  Vol.  XLV.  London  1862.  8. 

Vom  siehenhürgischen  Landesmuseum  in  Klausenburg: 

Erdelji  orszägos  Muzeum  naptära  az  1803d'i'.  Kozönseges  esztendöre. 
(des  siebenbiirgischen  Landes-Museunis  Kalender  anf  1863.  gemei- 
nes Jahr).  Klau.senburg  1862. 


Von  dem  Herrn  E.  Regel  in  St.  Petersburg : 

a)  Reisen  in  den  Süden  von  Ost-Sibirien  im  Auftrag  der  kaiserl.    russ. 

geographischen  Gesellschaft,  ausgeführt  in    den  Jahren  1855  — 1859 
durch  Li.  Radde. 

Botanische  Abtheilung. 

Nachträge   zur  Flora  der  Gebiete  des  russ.  Reichs   östlich    vom  AI-, 
tai    bis    Kamtschatka   und    Sitka  und    dem    russ.  Nordamerika  nach 
den  von   G.  Radde,  StubendorfT,  SensinolT.  Pieder  und  anderen  ge- 
sammelten Pflanzen  von  E.  Regel.  Bd.  I.  Heftll.  Moskau  1861.  62.  8. 

b)  Tentamen   florae  Ussuriensis  oder  Versuch  einer  Flora   des   Ussuri- 

Gebietes.  Nach  den  von  M.  Maack  gesammelten  Pflanzen  bearbeitet. 
St.  Petersburg  1861.   i. 

Von  dem  Herrn  Prestel  in  Emden  : 

Ergebnisse  der  Witterungsbcohachtungeii  in  den  Jahren  1860.  61,  sowie 
Andeutungen  über  die  Beziehung  der  Witterung  zur  Seefahrt,  Land- 
wirthschaft,  dem  Gesundheitszustand  u.  s.  w.  Emden  1862.  4. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  197 

V'on  dem  Herrn   Vikt.  Wilh.  Rus.s  in  Prag: 
Die  Lesehalle  der  deutschen  Studenten  zu  Prag  18i8 -186->.  Prag  1862.8. 

Von  dem  Herrn  Fr.  Adotf/h   Wickenhauser  in  Cernowi%: 

Moldawa   oder  Beiträge   zu  einem  Urkundenbuche   für   die  Moldau   uud 
Bukovina.   1.  Hell.  Wien  18ß2.  8. 

Vom  Herrn  A.  Grunert  in  Greif nwalde: 

Archiv  der  Mathematik  und  Physik.     38  Thl.  4.  Heft,  39  Theil.  1.  Heft. 
Grcifswalde  1862.  8. 

Vom  Herrn  P.  A.  Hansen  in  Leipzig: 

Darlegung  der  theoretischen  Berechnung  der  in   den  Mondtafeln  ange- 
wandten Störungen.  I.  Abhandlung.  Leipzig  1862.  gr.  8. 

Vom  Herrn   W.  G.  Hankel  in  Leipzig : 

Messungen  über   die  Absorption   der    chemischen  Strahlen  des  Sonnen- 
lichtes. Leipzig  1862    gr.  8. 

Vom  Herrn    H^iVAefwi  Hoscher  in  Leipzig: 

Die  deutsche   Nationalokononiik    an    der  (irenzscheide   des    16.    und    17. 
Jahrhunderts.  Nr.  111.  Leipzig  1862.  gr.  8. 

Vom  Herrn  G.  Hartenstein  in  Leipzig: 

Locke's  Lehre  von   der   menschlichen  Erkenntniss   in   Vergleichung  mit 
Leibniz's  Kritik  derselben  Nr.  11    Leipzig  l?s61.  gr.  8. 

Vom  Herrn  Ladreg  in  Dijon: 

a)  Revue  viticole.  Annales  de  la  viticulture  et  de  Toenologie  Irancaise 

et  etrangeres.  Deuxi(?me  serie  N'r.  1  —  6.  Janvier— Juin.  1862.4.  an 
nee    Paris  1862.  8. 

b)  Les  vins  ,  les  eaux-de-vie,  les  alcool.s ,  le.s  liqueurs,  les  vinaigres  et 

les  bieres  de  la  France  et  d'Algerie  et  des  colonies  francaises  au 
toncours  general  et  national  d'Agriculture  de  Paris  en  1860.  Dijon 
1861.  8. 


198  Einsendungen  von  Druckschriften. 

Vom  Herrn  Christian  Heinrich  Punder  in  St.  Petersburg: 

a)  Uobcr  die  Saiirodipterinen,  Detidrodcnten,  Glyptoleptiden  uiidCheiio- 

lepideii  des  Devonischen  Sjstenis.    Mit  17  lithogr.  Tafeln.     St.  Pe- 
tersburg 1860.  gr.  4. 

b)  Ueber  die  Ctenodiptcrinen  des  Devonischen  Systems.    St.  Petersburg 

1858.  gr.  4. 

Vom  Herrn  Georg  Ludwig  von  Maurer  in  München: 

Geschichte  der  Fronhöfe ,  der  Bauernhöfe  und  der  Hofverfassung  in 
Deutschland.  I.  Bd.  Erlangen  1862.  8. 

Vom  Herrn  E.  ./.   Pictet  in  Genf: 

Matcriaux  pour  la  Paleontologie  Suisse  ou  recwcil  de  monographies  sur 
les  fossiles  du  Jura  et  des  Alpes.  III.  Serie  9  et  10  livraisons  Con- 
tenant :  Description  des  fossiles  du  terrain  cretaze  de  Saint-Croix 
3  parlie  Nr.  6  und  7.  Genöve  1862    4- 

Vom  Herrn  A.  T.  Kupfer  in  St.  Petersburg: 

Annales  de  l'observatoire  physique  central  de  Russie.  Annee  1859.  Nr. 
12.  St.  Petersburg  1862.  4. 

Vom  Herrn  J.  Z.  von  Baeyer  in  Berlin: 

Das  Messen  auf  der  sphäroidischen  Erdoberfläche.  Als  Erläuterung  mei- 
nes Entwurfes  zu  einer  mitteleuropäischen  Gradmessung  Berlin 
1862.  i. 


Von  den  Herrn  Löschner  und  Ritter  von  Hochberger  in  Carlsbad: 

Carlsbad.  Marienbad,  Franzensbad  und  ihre  Umgebung  vom  naturhisto- 
rischen und  niedicinisch  -  geschichtlichen  Standpunkte.  Carlsbad 
1862.  8. 

Vom  Herrn  Ernst  von  Berg  in  Si.  Petersburg: 

Repcrtorium  der  Literatur  über  die  Mineralogie,  Geologie,  Paläontologie, 
Berg-  und  Hüttenkunde  Russlands  bis  zum  Schlüsse  des  18.  Jahr- 
hunderts. St.  Petersburg  1802.  8. 


Einsendunf/en  von  Druckschriften.  199 

Vom  Herrn  August  Schleicher  in  Jenat 

Coinpendium  der  vergleichenden  Graniiuatik  der  indogeruianischen Spra- 
chen. I.  II.  Weimar  1861.  8 

Vom  Herrn  C.  C   r.  Hnifen  in  liayreuth : 

Archiv  für  Geschichte  und  Alterlhum.skunde  von  Oberfranken.  8.  Bd.  3. 
Heft.  Bayreuth  1862.  8. 

Vom  Herrn  H.  .7.  Otto  in  Nordhausen: 

a)  Palla.s  Athene.  Eine  mythologische  Abhandlung.  Nordhausen  1858.  8. 

b)  Zur  Theorie  der  ^Yiirme.  Nordhausen  1853.  8. 

Vom  Herrn  Karl  Bach  in  Altenbury : 

Aus  dem  Leben  der  Herzoge  Friedrich  Wilhelm,  Stifter  des  Altenburgi- 
schen  und  Johann,  Stifter  des  Gothaischen  und  Weiuiar'schen  Hauses. 
Altenburg  1862.   8. 


Sitziirifij'sberichte 

der 

köniij:!.   baver.  Akademie  der  Wissenschaften. 


Philosophisch  -  philologische  Ciasso. 

Sitzung  vom  C».  Deccnilier  18G2. 


Herr  Plath  berichtete 

„über    die   häuslichen    Verhältnisse   der   alten 


7J 


Chinesen.*' 


Die  Chinesen  nehincn  5  Verhältnisse  zwischen  den 
Menschen  (U-liin)  an:  das  des  Vaters  zun»  Sohne,  das  des 
Fürsten  zum  Untorllian  ,  das  i\es  Gatten  zur  Gattin  ,  das  des 
Aeltern  zum  Jiniyern  und  das  zwischen  Freunden  und  Ge- 
nossen. 

Die  3  Grundvorhällnisse  (San-kang')  unter  diesen  sind: 
(las  zwischen  Mann  und  Frau ,  zwischen  Aeltern  und  Kindern 
und  zwischen  Regierenden  und  Regierten.  Kang  bedeutet  ur- 
sprünglich ein  grosser  Strick  am  ^^etzo.  Wir  wollen  die  beiden 
erstem  jetzt  einzeln  betrachten. 

Iiä63  n.]  14 


202        •'^iHuny  der  philos.  -philol.  Classe  vom  6  Dec.   1862. 

Die  Ordnung  in  der  Familie  gilt  den  chinesischen  Weisen 
als  die  sicherste  Grundlage  des  Keiches.  Im  I-king  Cap.  37 
Kia-jin  sagt  Coiifucius  im  Cotnnientare  Toen:  ,,Der  Vater  sei 
Vater,  der  Sohn  Sohn,  der  ältere  Bruder  älterer  Bruder,  der 
jüngere  Bruder  jüngerer  Bruder,  der  Mann  Mann,  die  Frau 
Frau  und  des  Hauses  Norm  (Kia  tao)  ist  richtig;  ist  das  Haus 
richtig,  so  steht  das  Reich  fest  (Tsching  kia  eul  thian-hia  fing)" 
und  dieser  Hauptsatz  wiederholt  sich  unzähligemal.  Ta-hio  C. 
3  und  auch  sonst. 


/.  Das   VerhüUniss  der  Frau  zum  Manne.    Die  Ehe. 

• 

Zwei  Grundideen  beherrschen  die  Verhältnisse  der  Frau 
zum  Manne  in  China:  Die  Trennung  der  Geschlechter  und 
die  Unterordnung  und  Unterwürfigkeit  der  Frau  unter 
den  Mann,  wie  diess  selbst  bei  den  Griechen ,  nur  in  geringe- 
rem Masse,  der  Fall  war.  S.  Fr.  A.  Wolf.  Griech.  Aul.  p.  277, 
Rom.  Ant.  p.  309,  Friedr.  Jacobs  Vermischte  Schriften  B  IV. 
p.  157  igg.  „Wenn  das  Haus  (Kung-schi)  erbaut  wird,  lehrt 
der  y-ki  Cap.  i\ei-tse  11  (12  fol.73)  vgl.  Siao-hio '  Cap.  2.  3, 
§.  4,  theilt  man  es  in  2  Abtheilungen,  die  innere  und  die  äus- 
sere." Der  Mann  bewohnt  die  äussere,  die  Frau  die  innere.  Die 
Thüre  ist  in  der  Mitte  sorgfältig  zu  verschliessen  ^  ein  Thür- 
steher  (Sse,  sonst  auch  Eunuclie)  muss  sie  bewachen;  der 
Mann  geht  nidit  hinein,  die  Frau  nicht  hinaus.  Mann  und  Frau 
sollen  nicht  einmal  eine  gemeinsame  Stange  zum  Aufhä"oren  der 
Kleider  haben;  sie  soll  nichts  an  des  Mannes  Hacken  (Hoen) 
oder  Stange  (I)  hängte ,    nichts   in    seinen  Kasten   (Kliie)  oder 


(1)  Der  Siao-hio  oder  die  Lelire  der  Kleinen  ist  eineSaninilunü:  von 
Spriuhen  und  Beispielen  aus  den  Alten  und  Neueren  von  dem  lieriiliin- 
ten  Tschu-lii.  au.s  der  Dynastie  Sunjx.  ^Nelclie  hi;ui  den  kleinen  Kindern 
noch  vorhält,  daher  ist  es  niciit  unuiclilif^,  sie  anzufiiliren. 

(2)  Im  I  king  Kia-jin  (lap.  37,  I  heisst  es:  ,,Vcrschtiesse,  wer  ein 
Haus  hat,  es,  so  wird  die  Reue  fehlen.'* 


Plath:  Die  häuslichen  Verhältnisse  der  alten  Chinesen.       203 

Behfiller  (Sse)  niederlegen,  sie  sollen  kein  gemeinsames  Bade- 
haus (Pi-yo)  haben.  Der  Mann  soll  nicht  gemeinsam  hal)en  das 
Kissen  oder  den  Pfühl(Tschin),  die  Mallen  (Thien  u.  Tu)  und  den 
Behalter  (Khi),  um  das  Kleid  (Scho)  darin  aulzuhewahren  u.  s.  vv. 

Der  Mann  spricht  nach  Fol.  57  Ig.  nicht  von  den  inneren 
Angelegenheiten,  die  Frau  nicht  von  den  äusseren  (Amtssachen 
und  Krieg).  Nur  der  Ahnendienst  und  die  Leichenleier  geht 
beide  an.  Sie  dürfen  ausser  bei  diesen  —  auch  nach  Meng- 
tseu  II.  7  (1).  17  mit  Schol.  —  kein  Gefiiss  sich  in  die  Hand 
geben ,  sondern  wenn  sie  sich  etwas  geben ,  nimuit  die  Frau 
diess  aus  einem  Korbe  (Fei);  ist  kein  Korb  da,  so  legen  es  alle 
beide  auf  die  Erde  nieder   und  der  andere  nimmt  es  dann  auf. 

Ausser  dem  Hause  und  drinnen  haben  sie  keinen  gemein- 
samen Brunnen,  kein  gemeinsames  Badeliaus,  nicht  dieselbe 
i^chlafmalte.  Sie  dürfen  nichts  von  einander  leihen  (I-kia), 
Männer  und  Frauen  haben  kein  gemeinsames  Kleid  (Schang). 
Worte  aus  dem  Innern  gehen  nicht  hinaus ;  äussere  Worte  nicht 
hinein.  Betritt  der  Mann  das  Innere,  so  darf  er  nicht  pfeifen 
(Siao),  nicht  mit  den  Fingern  auf  etwas  liinzeigen(Tschi).  Geht 
der  Mann  des  Nachts  in  ein  Weiberzinwner  hinein ,  so  braucht 
er  ein  Licht  (Tscho) ;  ohne  ein  solches  hält  er  an.  Geht  die 
Frau  zur  Thiirc  hinaus,  so  verhüllt  (pi)  sie  ihr  Gesicht;  Nachts 
geht  sie  nur  mit  einem  Lichte,  ohne  ein  solches  bleibt  sie  ste- 
hen." —  Wenn  Mann  und  Frau  einander  antworten,  verneigen 
sie  sich  gegeneinander  nach  Li-ki  Cap.  Kio-li  hia  2  Fol.  52. 
Sich  nicht  zu  beireiriKin.  oehl  der  Mann  auf  der  rechten,  sie  auf 
d«M-  linken  Seile  des  Weges  ^  Ein  Mann  darf  noch  weniger  das 
Gemach  ein(M-  frenuleii  Frau  betreten  ;  so  ging  Conincius  nicht 
in  das  der  Nan-tsen,  der  Nebenfrau  ch^s  Königs  von  W(m  (Sse- 
ki  B.  47.  Fol.   12.  v.  sq.  Mem.  T.  XII.  p.  30;i  flg.). 

Indess  ergibt  sich  von  selber,  dass  dieses  nur  cum  grano 
salis  zu  verstehen  ist.  Meng-tseu  II.  7  (1),  17  lehrt,  dass  höhere 


(3)  Li-ki  Cap.  3.  Wang-tschi  Fol.  37  sagt  dasselbi-;  die  ^Y<VgeI^  fall 
ren  in  der  Mitte. 

14* 


204  Sitzung  der  philos-pfiilol.  Ctasse  vom   6.  Dec.  1862. 

Rücksichten  ,  z.  B.  eine  Schwägerin  vom  Ertrinken  zu  retten, 
diese  Aiistandsregohi  bei  Seite  setzen  heissen.  Diese  raffinirte 
Trennung  konnte  so  nur  bei  der  höchsten  und  reichsten  Classe 
durchgeführt  werden;  darauf  weisen  auch  die  Ausdrücke  Kuno-- 
schi  (Palast-Haus)  und  Sse  (Thürsteher  oder  Eunuche)  ,  der- 
gleichen Privatpersonen  nicht  halten ,  im  Li-ki  schon  hin.  Die 
gewöhnhche  Bürger-  und  Bauernfrau  wird  das  Hauswesen  be- 
sorgt haben  und  selbst  mit  auf  das  Feld  gegangen  sein.  Diess 
bestätigen  auch  Stellen  des  Liederbuches  IV.  1.  3.  5.  H.  6,  7 
3  und  8,  3  und  I.  15,  1,  wo  Mann,  Frau  und  Kinder  auf  das 
Feld  gehen,  den  Arbeitern  das  Essen  zu  bringen  u.  s.  w.  Bei 
den  Handwerkern  und  Arbeitern  wird  es  nicht  anders  gewesen 
sein.  Auf  die  Trennung  der  Geschlechter  legen  die  chinesi- 
schen Moralisten  aber  immer  viel  Gewicht  und  Conl'ucius  be- 
trachtete sie  als  einen  Antrieb  zu  einer  innigeren  Vereinigung. 
Von  Ngai-kung.  dem  Fürsten  von  Lu,  im  jetzigen  Schau  lung, 
nach  den  Regierungsgrund>iitzen  befragt,  antwortet  er  Li-ki  Ngai- 
kung-wen  Cap.  27  Fol.  3  u.  l.und  Kia-iü  c.  4  Fol.  7:  ,,Wenn 
der  Unterschied  zwi.'^clien  I\Iann  und  Frau  besteht ,  die  Liebe 
zwischen  Vater  und  Sohn,  die  Ehrfurcht  desUnterlhanen  gegen 
den  Fürsten  und  diese  3  (Punkte)  feststehen,  dann  folgt  alles 
wie  von  selbst",  vgl.  Li-ki  Ta-tschuen  Cap.  16.  Fol.  68.  Sang 
fu-siao-ki  Cap.  15  Fol.  48  v.,  King-kiai  Cap.  26  Fol.  81,  Hoan-i 
Cap.  44,  Fol.  40.  u.  s.  w. 

Vom  7ten  Jahre  an  sollen  nach  dem  Li-ki  Cap.  12  Nei-tse 
Fol.  79  vgl.  Siao-hio  L  3.  Knaben  und  .Madchen  nicht  mehr 
auf  derselben  Matte  beisammen  sitzen,  noch  zusamtnen  essen; 
vom  lOlen  Jahre  an  die  Miidchen  nicht  mehr  zum  Hause  hin- 
ausgehen (fol.  81).  Selbst  im  Sterben  soll  die  Absonderung  noch 
fortdauern  nach  Li-ki  Sang-fu-la-ki  c.  ,22  fol.  1.  Miinner  und 
Frauen  wechseln  da  die  Kleider  und  legen  neue  seidene  (Vor- 
nehme das  Hofkleid,  das  Volk  wemgstens  gewaschene)  an,  um 
das  Abschneiden  des  Lebensgeistes  (Tsiue  khi )  zu  erwarten. 
Per  Mann  stirbt  nicht  unter  den  Händen  der  Frau,  die  Frau 
nicht  unter  den  Händen  des  Mannes.     Für  Jeden  ist    auch  ein 


Ptath:  Die  häuslichen  Verhältnisse  der  alten  Chinesen.       205 

besonderes    Gemach    bestimmt;    die   Frau    des  Literaten   (Sse) 
stirbt  z.  B.  im  Schlafgemache  (Thsin). 

Was  zweitens  die  Un  terwiirfi  g-kei  t  der  Frau  unter  den 
jManu  betrifft,  so  sagt  Conl'ucius  im  Li-ki  KiMO-te-seng  c.  11 
fol.  45  und  im  Kue-iü  c.  26  fol.  7  vgl.  Siao-hio  Cap  11.  §.  3, 
M^m.  T.  XII.  p.  281:  ,J)ie  Frau  niuss  dem  Manne  stets  unter- 
worfen sein.  Sie  ist  daher  nie  sui  juris  und  kann  üi)er  nichts 
verfügen.  Sie  ist  in  dreifacher  Abhängigkeit:  So  hinge  sie  un- 
verheirathet,  ist  sie  von  ihrem  Vater  oder  (wenn  der  gestorben 
ist)  von  ihrem  älteren  Bruder,  verheirathct  von  ihrem  Manne, 
alsWittwe  von  ihrem  (ältesten)  Sohne  abhängig.  Ihre  Herrschaft 
beschränkt  sich  auf  die  Grenzen  des  Frauen-Gemaches,  sie  hat 
das  Essen  und  Trinken  zu  besorgen."" 

Unter  Knaben  und  Mädchen  wird  daher  nach  dem  Schi- 
king II.  4,  5  vgl.  Morrison  Dict.  I.  p  601  schon  bei  der  Geburt 
ein  grosser  Unterschied  gemacht.  Dem  Weisen  —  Einige  mei- 
nen,  dass  vom  Kaiser  Siuan-wang  die  Rede  sei  —  wird  da 
ein  Sohn  geboren.  Er  wird  auf  ein  Bett  gelegt  und  in  glän- 
zende Kleider  (Tschang)  gewickelt.  Man  gibt  ihm  als  Spielzeug 
den  Halbscepter  (Tschang)  und  er  schreit  laut,  mit  glänzend 
rothen  Kleidern  angethan.  Es  ist  ein  Herrscher  geboren!  — 
Wird  ein  Mädchen  geboren,  so  legt  man  es  nach  obiger  Stelle 
des  Schi-king  an  die  Erde,  Avickelt  es  nur  in  Tücher  und  legt 
ihr  als  Spielzeug  einen  Ziegel  hin!  —  (So  noch  jetzt  nach  La 
Charme;  der  Ziegel  wurde  beim  Weben  zum  Pressen  des  Zeu- 
ges gebraucht  und  sollte  diese  ihre  künitige  Beschäftigung  gleich 
bei  der  Geburl  symbolisch  andeuten.)—  Genug  wenn  sie  von  Schuld 
frei  ist;  nur  wie  der  Wein  bereitet,- wie  die  Speise  gekocht  wird, 
das  hat  sie  zu  überlegen  und  dass  sie  Vater  und  Mutter  nicht 
zur  Last  falle  und  ihnen  Kummer  bereite.  S.  auch  Li-ki  Cap.  Nei- 
tsel2fol.  14  unten,  wo  von  der  Geburt  des  Kindes  die  Rede 
ist.  Confucius  sagt  im  I-king  Kia-jin  c.  37  fol.  6.  T.  II.  p  173  im 
CommentareToen:  „Die  Frau  hat  ihren  rechten  Platz  im  Innern, 
der  Maim  hat  seinen  rechten  Platz  draussen  :  wenn  Mann  und  Frau 
so  recht  gestellt  sind  (Tsching),   so  herrscht    das   grosse  Recht 


206        Sitzung  der  phitos-phüoi.  Ctasse  vom  6.  Dec.  186i. 

Himmels  iiiul  der  Erde."'  Das  Mädchen  und  die  Frau  sind  auf 
die  hauslichen  Beschiilligungen  angewiesen.  Schi-king  I.  1  2 
heisst  eine  Neuvermählte,  die  ihre  Aeltern  besuchen  will,  die 
Hauskleider  sorgl'ällig  waschen,  die  Keierkleider  richten  und  se- 
hen, welche  auszubessern  sind,  welche  nicht.  Die  Blatter  der 
Kriechpflanze  Ko  sind  gepflückt,  gekocht  und  dann  zu  dem 
Zeuge  Ko  von  feinerer  oder  gröberer  Art  verwebt.  Man  trug 
das  Zeug  daraus  im  Sommer.  Nach  Schi-king  I.  9.  1  machte 
man  in  Wei  aus  dem  Zeuge  auch  kühle  Sonunerschuhe,  mit 
welchen  man  über  den  Thau  gehen  konnte.  Ihre  zarten  Finger 
und  die  Hand  des  Mädchens  nahen  (säumen)  das  grobe  Kleid ; 
einen  Anzug  daraus,  an  welches  ein  Halsluch  (Ki)  genäht  war, 
lieble  der  Mann.  Schi-king  I.  15.  1,  2  geht  das  Mädchen  mit 
eleganten  Körbchen.  Maulbeerldälter  zu  pflücken  I.  1,  8,  auch 
das  Kraut  Feu-i  (nach  La  Charme  der  Wegebreit,  welcher  den 
Frauen  die  Geburt  erleichtern  soll).  Siao-ya  II.  8,  2  pflückt 
die  Gattin  die  Pflanze  Lu  und  hat  ihr  Haar  nicht  einmal  ge- 
kännnt,  diess  will  sie  nach  der  Rückkehr  des  Mannes  thun.  Bis 
zum  Abend  sanunelt  sie  Lan,  ein  Färbekraut,  und  thut  es  in 
ihren  Rockschooss.  Wenn  er  auf  die  Jagd  geht,  will  sie  sei- 
nen Bogen  in  das  Bogengehäuse  (Tschang)  thun,  wenn  zum 
Fischen,  seine  Fischleine  in  Ordnung  bringen.  Schi-king  1.  1,10 
fällen  Frauen  sogar  Holz  vomSlauune  und  brechen  es  von  den 
Aesten,  während  der  Abwesenheit  des  Mannes. 

Das  Mädchen  wird  nach  Li-ki  Nei-tse  Cap.  12,  fol.  79 
angewiesen,  langsam  Yü  (.la)  zu  antworten,  der  Knabe  schnell 
Wei  (.la).  Sie  soll  sanft  reden,  freundliche  Gesichter  machen, 
den  Befehlen  gehorchen ,  Seidencocons  abwickeln ,  nähen ,  we- 
ben, Kleider  machen  und  alle  Frauenarbeiten  thun.  Nach  iJ-ki 
c.  12.  Nei-tse  fol.  81  flg.  lehrte  eine  ältere  Frau  (Mu  die  Frau 
MuthT  genannt),  das  Mädchen  Artigkeit  in  Worten  und  Manie- 
ren, zu  hören  und  zu  folgen,  die  (Hanfsorten)  Ma  und  Se  zu 
behandeln,  Seiden-Cocons  (Kien)  abzuwinden,  zuwehen  (Tschi- 
jin)  und  Ouaslen  zu  machen  (Tsu-siün)  Sie  lernen  Frauen- 
arbeiten, Kleider  anzufertigen ,  die  Opfer  zu  besorgen    und  den 


Ptiith:  Die  hüusUchen  Verhältinsse  der  alten  Chinesen.      207 

Wein,  dieReisbrühe  (Tsiaug)  und  die  Banibusgcfüsse  mit  Opfer- 
g-aben  (Pian)  zu  präseiitiren,  ebenso  Gefasse  mit  eingenmchten 
Frücbten,  Haches  (Hai)  und  die  Gebrauche,  um  bei  den  Libatio- 
nen  mit  auszuhelfen.  DerSiao-hio  IV.  3,  8,  vgl.  Kia-iüc.  41  f.  14  v. 
du  Halde  T.  2.  p.  807  u.  329.  erzählt  eine  hübsche  Anek- 
dote von  der  Muller  des  Ministers  Kung- lu- wen- pe  von  Lu. 
Er  traf  seine  Mutler  nähend.  Wie  MuUer  in  dem  anoresehenen 
Hause  nähest  Du?  Sie  seufzte  laut  auf.  Ist  denn  Lu  so  ent- 
blöst  von  Weisen?  Gäbe  es,  Knabe,  viele  Beamte  von  Deiner 
Art,  so  würde  es  mit  der  Thätigkeit  bald  aus  sein!  Bleib,  ich 
will  Dich  belehren!  Wenn  das  Volk  arbeitet,  ergibt  es  sich  nicht 
der  Lust.  Warum  findet  man  auf  dem  fruchtbaren  Boden  sonst 
die  meisten  anweisen?  weil  sie  müssig  sind;  auf  fruchtbarem 
Boden  aber  honelle  Leute?  weil  sie  arbeitsam  sind,  Sie  erzählt 
ihm  nun,  wie  einst  von  der  Kaiserin  bis  zum  Volke  herab  alle 
Frauen  Frauenarbeiten  machten;  die  der  Literaten  nicht  nur  die 
Cerenionie-,  sondern  auch  die  Ehrenkleider,  wie  die  Frauen  des 
Volkes  das  Garn  spannen  und  das  Zeug  zu  den  Kleidern  ihrer 
Männer  webten,  im  Frühlinge  beim  Opfer  des  Genius  der  Erde 
und  der  Feldfrüclile  ihre  Seidim-  und  Hanfgevvebe,  im  Herbste 
beim  Ahnenopfer  ihre  Hanfgewebe  darbrachten  und  während 
sie  webten,  ihre  Männer  das  Feld  bearbeiteten.  Der  Charakter 
für  Mann  im  Gegensatze  der  Frau,  Nan,  ist  zusammengesetzt 
aus  Nerve  oder  Kraft  und  Feld  (Cl.  102),  also  der  seine  Kraft 
aufs  Feld  verwendet. 

Im  15ten  Jahre  wird  dem  Mädchen  nach  Li-ki  Cap.  Nei-tse 
12.  fol  81  V.  vgl.  Cap.  Tsa-ki  21  fol.  89  v.  mit  Schol.  feierlich  die 
Haarnadel  (Ke),  der  Kopfputz  der  Erwachsenen,  erlheilt,  im  20.  Jahre 
heiralhet  sie;  der  Mann  nach  Li-ki  Cap.  1 1  (12),  Nei-tse  p.  68 
vgl.  Kio-li  C.  1  fol.  6  und  21  im  30ten  Jahre.  -  Nach  dem  Kia- 
iü  Cap.  26  fol.  6.  v.  fragte  Ngai-  kuiig  Confucins  :  ,,ich  habe 
gc^hörl,  dass  nach  dem  Brauche  der  Mann  im  30sten  und  das 
Mädchen  im  20sten  Jahre  lu^irathcn.  warum  heiralhen  sie  nicht 
später?  Confucins  erwidert:  diess  festgeselzle  Alter  ist  das 
ausserste,  das  nicht  überschritten  werden  darf;  im  20ten  Jahre 


208  Siltting  der  philos.-pMlol.  Classe  vom  6.  Dec.  i862. 

erhält  der  Mann  den  mannliclien  Hut,  ist  Mann  nnd  kann  Vater 
werden;  im  15ten  legt  das  Mädchen  (he  Haarnadel  an  nnd 
im  20ten  heirathel  sie,  wenn  nicht  eine  hesondere  Ursache 
(die  dreijährige  Trauer  um  die  Aellern)  die  Heirath  bis  Ins  23. 
Jahr  verschieben  lässt.  Geht  eine  Verlobung  (Phing)  vorlier, 
so  wird  sie  Ehefrau  (Thsi).  läuft  sie  dem  Manne  nur  zu  (Pen), 
heirathet  sie  ohne  Ceremonien,  so  wird  sie  ein  Kebsweib  (Tsie). 
Jenes  Wort  erklärt  der  Schol.  durch  Tsi  ordentlich,  regelmäs- 
sig ,  dieses  durch  Tsie  verkehren  und  sieh  verbinden,  vgl.  Du 
Halde  T.  II.  p.  822.  Der  Charakter  für  Frau  Thsi  ist  zusam- 
mengesetzt aus  Frau  (Cl.  38),  die  einen  Besen  in  der  Hand  hat; 
der  Charakter  für  Kebse  Tsie  ist  nicht  von  Cl.  117,  sondern 
von  Hien,  Verbrechen  und  Frau  ;  zur  Zeit  der  Schriftbilduno- 
wurden  also  wohl  verurtheilte  Frauen  dazu  genommen.  Zu 
frühe  Heirathen  schaden  nach  den  Chinesen  der  Gesundheit  von 
Muller  und  Kind,  der  Ruhe  der  Familie,  dem  Bestände  der  Gat- 
tenliebe und  der  Erziehung  der  Kinder.  Cibot  Mem.  T.  XIII.  p. 
326.  Diese  weise  Anordnung  hat  oflenbar  zur  Erhaltung  und 
Ausbreitung  der  chinesischen  Race  wesentlich  beigetragen. 

Nach  dem  Tscheu-h  B.  13  fol.  43—46  war  ein  eigener 
Beamter,  der  Mei-schi,  für  die  Verheiralhung  der  Individuen 
eingesetzt.  Jedes  männliche  oder  weibliche  Individuum  schreibt 
dieser  Beamte  zur  Zeit,  wo  es  seinen  regelmässigen  Namen  er- 
hält (nach  dem  Li-ki  Cap.  12  Nei-Ise  gab  der  Vater  im  3len 
Monate  ihm  den  Kindernamen  Ming  S.  unten)  nach  Jahr.  Mo- 
nat und  Tag  in  sein  Register  und  befiehlt,  dass  der  Mann 
Im  30sten,  das  Mädchen  im  20sten  Jahre  sich  verheirathe.  Er 
registrirl  auch  ein ,  wenn  einer  eine  schon  einmal  verheirathete 
Frau  ninunl  und  deren  Kinder  adoptirf.  (Es  gab  also  schon 
damals  in  China  Register  über  Geburten  und  Verehelichungen. 
S.  unten).  Im  mittleren  Frühlingsmonale,  sagt  der  Tscheu-Ii  — 
der  kleine  Kalender  der  Hia  Nouv.  Journ.  As.  1840  T.  X.  p. 
554  sagt  im  zweiten  Monate  der  zweiten  Dynastie  Hia  seien 
die  Heirathen,  der  Kia-iü  c.  32  fol.  22  die  Verbindung  (Ho) 
Ewischeu  Mann  und  Frau  sei  im  Winter  —  befiehlt  er  Männer 
und  Frauen  zu  versammeln  und  die  dann   sich  verbinden,   ohne 


Plath:  Die  häuslichen  Verhältnisse  der  alten  Chinesen,       209 

die  6  Heirallisfrobräuclie  zu  befolfren ,  werden  daran  nicht  ge- 
liinderl;  die  jtl)or  ohne  besondere  Ursache  den  Edikten  sich 
nicht  fügen,  bestraft  der  Beamte.  Er  sieht,  welche  Miituier  nnd 
Franen  unverheirathet  sind  und  versannnell  sie.  Nach  dein  Schol. 
sind  aber  diese  37  Charaktere  erst  nnter  der  ersten  Dynastie 
der  Han  dnrch  Lieu-hin  hinzngefiigt  worden;  Wang-mang  hatte 
nämlich  100,000  Menschen  weyen  Falschmünzerei  znr  Sklaverei 
verurlheilt  und  man  h'ess  die  Verurtheiiten  und  ihre  Frauen  nun 
neue  Ehen  eingehen :  diese  Stelle  ist  also  mindeslens  ange- 
fochten. 

Alle  Streitigkeiten  über  die  geheimen  Beziehungen  zwi- 
schen Mann  und  Frau  entscheidet  dieser  Beamte  auf  dem  Opfer- 
platze vernichteter  Reiche  (d.  h  bei  verschlossenen  Thüren). 
Dieser  Beamte  soll  solche  Vorkommnisse  unter  Ehegatteti  nicht 
publiciren ,  sind  sie  aber  strafbar,  so  verweiset  er  sie  an  den 
Justizbeamten. 

Die  Ehe  und  alle  einzelnen  Ceremonien  dabei  galten  den 
Chinesen  für  äusserst  wichtig:  Confucius  sagt  darüber  im  Li-ki 
Cap.  Ngai-knng-wen  22  (27.  lol.  4)  p.  140.  T.  p  6'J  und 
Kia-iü  c.  4.  fol.  7:  ..Wenn  sich  zwei  Familien  in  Liebe  vereini- 
gen .  der  früheren  Heiligen  Naclikommcn  fortzusetzen  .  um  sie 
zu  Tschu  ^  Hinnnels  und  der  Erde,  im  Ahnentempel  nnd  der 
Sche-tsi  zu  machen,  ist  das  nicht  wichtig  ?  Wie  kannst  Du  denn 
sagen,  dass  ich  zu  viel  Gewicht  darauf  lege? \Venn  Him- 
mel und  Erde  sich  nicht  vereinigen,  entstehen  die  10,000  Dinge 
nicht ;  die  Heirath  setzt  die  10.000  Geschlechter  fort  —  Im  In- 
nern dient  die  Ehe.  die  Gebräuche  im  Ahnentempel  zu  voll- 
ziehen, genügend  in  Mann  nnd  Frau  einen  Genossen  (Phei) 
der  lichten  Geister  Himmels  und  der  Erden  darzustellen,  nach 
aussen  die  Gebräuche  zu  regeln;  um  die  Worte  richtig  zustel- 
len, genügend  die  Ehrfurcht  zwischen  Ob(*n  nnd  Unten  herzustel- 
len u.  s.w.   Wenn   vor  Alters  die  erleuchteten  KöinVe  der  3  Fami- 


(i)  Der  Ausdriuk  ist  dunkel    Sdiin-Isiliu  heisst  dieAhiicnlafci,  Tsi- 
tschu  der  Vorstand  der  Opfer;   so  wohl  hier. 


210  Sitrvng  der  philos.  phüol.  Classe  vom  6.  Dec.  1868. 

lien  (der  3  ersten  Dynastien)  die  Anordnung  trafen,  die  Gattin 
und  den  Sohn  zu  ehren,    so   war  das    der   rechte  Weg  (Tao). 
Die  Frau  ist  die  erste  (Tschu),  derSohn  der  nachfolgende  (Heu) 
in  der  Liebe  ;  niiiss  man  sie  nicht  ehren  (king)?  u.  s.  w.'*'  Die 
Frau  war  eine  nothwendige  Person  beim  Ahnenopfer  ;  die  Kaiserin 
zog   zu   dem    Ende    selbst   die   Seidenwürmer  und    im    Palaste 
wurde  von  ihr  und  den  anderen  Frauen  die  Seide  zu  den  Opfer- 
kleidern gewonnen.  Li-ki  Cap.  44  Hoan-i  fol.  38  v.  sagt:  ,,Die 
Hochzeitsgebräuche  vereinigen  2  Familien   in  Liebe,   nach  oben 
zum  Dienste  im  Ahnentempel,    nach  unten  die  nachkommenden 
Geschlechter  fortzusetzen ,    daher  hiilt  sie  der  Weise  so  hoch", 
vergl.  auch  Li-ki  Tsi-tung  c.  25  fol.  63.     Die  Ehefrau   unter- 
stlifzl  den  Mann  beim  Opfer.     Siehe  meine  Abhandlung:  lieber 
die  Religion  und  den  Cultus  der  alten  Chinesen.    IL  S.  37  und 
87    flg.     Li-ki  Cap    10  (11  fol.  44  —  45),     Kiao-te-seng   T. 
p.   33  p    66.     auch  Siao-hio  U.  33    heisst   es    ,, Himmel    und 
Erde     vereinigen     sich ,     und    die     10,000     Dinge     entstehen. 
Der    Hochzeilbrauch     ist     der   Anfang    der    10,000  Generatio- 
nen.   Indem  man  eine  Frau  von  verschiedenen  Namen  (aus  ei- 
nem  verschiedenen    Geschlechte)  nimmt,   nähert    man   was  ent- 
fernt  und  vereinigt,    was    unterschieden  war.     Das   Seidcnzeugr 
(Pi),  das  der  Mann  seiner  Künftigen  reicht,  nuiss   in  redlicher 
Absicht  (tsching)   dargebracht  werden,  die  Reden  (die  man  ihr 
hält)  müssen  untadelig  sein,  und  ihr  Geradheil  (Redlichkeit Tschi) 
und  Treue  (Sin)  zurufen,    treu  zu  dienen  dem  Manne    (Sin  tse 
jinye)  —   Callery    p.  66  übersetzt  irrig:  la   reclitude  dirige  les 
rapports  sociaux. — Die  Treue  ist  die  Tugend  der  Frauen.     Die 
eheliche  Verbindung  einmal  (eingegangen),  dauert  bis  zum  Tode 
und    kein  Wechsel  (ist   mehr  erlaubt),   drum    wenn    der   Mann 
stirbt,  hcirathet  die  Frau  nicht  wieder."  (Bei  Callery  fehlen  diese 
Worte,  auijeblich  nach  seiner  Ausgabe  des  Li-ki.  der  Siaohio 
hat  sie  aber  auch  und  Schi-king  Kue-fung  Yong  1.4.1  wollen  die 
Aeltern  eineWiltwe  wieder  verheiralhen,  sie  weigert  sich  aber: 
sie  habe   geschworen,    bis  zum  Tode  keinen  anderen  Mann  zu 
nehmen;    ihre  Mutler   sei  ihr  der  Himmel,    aber    verstehe  sie 


Plath:  Die  häuslichen   Verhältnisse  tier  alten  Chinesen.      211 

nicht.  Nach  Siao-hio  IV.  2.  25  dichtete  dieses  Lied  die  Kurier- 
klang,  die  dem  Erbprinzen  von  Tsi  versprochen  war,  als  der 
vor  N'ollzug  der  Ehe  starb  und  sie  von  ihren  Aellern  zu  einer 
zweiten  Khe  gedräntri  wurde.  So  wollte  nach  Siao-hio  §.  26 
auch  die  Tochter  des  Königs  von  Sung,  die  einen  Sohn  des  Fürsten 
von  Tsai  geh(!irathet  hatte ,  als  den  eine  ansteckende  Krankheit 
befiel ,  von  ihrem  l^lanne  sich  nicht  trennen  und  einen  anderen 
nehmen,  wie  ihre  Aellern  wollten).  —  „Der  Gatte  —  fahrt  der 
Li-ki  lort — gehl  seiner  Frau  entgegen,  sie  zu  empfangen;  der 
Mann  voran  der  Frau  ,  die  Stiirke  und  Schwäche  bezeichnend, 
wie  der  Himmel  voransfeht  der  Erde,  der  Fürst  dem  Unterlha- 
nen ;  die  Bedeutung  sei  dieselbe.  Was  er  ihr  darbringt  (nach 
dem  Schol.  die  wilde  Gans)  ist  von  Respekt  begleitet  und  zeigt 
den  Unterschied  zwischen  beiden.  Wenn  zwischen  Mann  und 
Frau  der  gehörige  Unterschied  besteht,  dajm  herrscht  Liebe  zwi- 
schen Vater  und  Kindern;  wenn  diese  Liebe  besieht,  dann  ent- 
steht das  rechte  Verhällniss  ;  wenn  das  entstanden  ist,  erfüllt 
man  die  Brauche  (Li) ;  wenn  diese  erfüllt  werden,  ist  Alles  im 
Frieden.  Ohne  solche  Unlerscheidnno-  herrscht  nicht  das  rechte 
Verhällniss  (.1),  es  wäre  die  Weise  der  wilden  Thiere.  Wenn 
der  Schwiegersohn  (Galle)  selber  den  Wagen  lenkt  und  ihr  die 
Zügel  anvertraut .  so  zeigt  er  seine  Liebe ;  indem  er  sie  liebt, 
cultivirl  er  seine  Liebe  u.  s.  w."  Der  Li-ki  Cap.  26  King-kiai 
fol.  81  sagt:  „werden  die  Hochzeilsgebräuche  nicht  gehallen, 
dann  sieht  es  elend  (ku  bitter)  aus  mit  dem  Wege  von  Mann 
und  Frau.  Verbrechen,  Ausschweifungen  (Yn)  und  Verderben 
(Phi)  sind  in  Menge  da.'^ 

Aus  der  Trennung  der  Geschlechter  und  der  Abhängigkeit 
der  Frau  vom  Manne  folgt  schon  ,  dass  die  Ehe  in  China  nicht 
durch  gegenseitige  Bekanntschaft  und  Neigung  geknüpll,  son- 
dern von  den  Aellern  abgeschlossen  wurde.  Schi-king  Kue- 
fung  Th.si  Ode  Nan-schan  1.  8,  6,  13  und  L  15,  5  heisst  es: 
.,\\'ie  wird  eine  Frau  gewornien?  sicher  werden  des  Mädchens 
Valer  und  Mutier  ange.sproclun ,  und  wenn  die  angesprochen 
sind  und  zuslinnnen,  so  ist  sie  gebunden.     Wie  wird    das  Holz 


212        f>üzung  der  philoi.-philol.  Classe  vom  6.  Dec.  1868. 

gefalll?  ohne  Axt  kann  man  es  nicht.     Eine  Frau  nehmen,  wie 
geschieht  das?     Ohne    einen  Hochzeilsvermitfler    wird    es  nicht 
erlangt;  wenn  diess  erhingt  ist,  dann  ist  die  Sache  abgemacht.'' 
Confucius  bei  Kung-tschung-tseu  im  I-sse  B.  95,  4  fol.  6  v,  sagt: 
..Das  Lied  sagt:  wie  heirathet  man?  Sicher  fragt  man  Vater  und 
Bliilter.    So  lange  die  leben,  ist  es  billig  (J),  dass  sie  den  Plan 
(Tu)  zur  Heirath  entwerfen.     Sind  sie  todt,  so  nimmt  man  sich 
selbst  eine  Frau,  aber  zeigt  es  seinen  Ahnen  an  (Kaokhi  miao)." 
Wan-Ischango  wendet  Meng-tseu  I.  2,  3,  6  ein,  dass  Kai- 
ser Schün  seine    Aeltern   nicht    gefragt   und    doch    geheirathet 
habe.     Meng-tseu    entschuldigt   ihn:     die   Ehe    sei   die   höchste 
Ordnung  (Lün)  für  den  Menschen.     Hatte  Schün  sie  zuvor  ge- 
fragt, so  hätten  diese  (die  ihm  so  feindlich  gesinnt  waren),  sie 
ihm  verweigert,    er    hätte   die   höchste  Ordnung   der  Menschen 
verletzt   und  Vater   und   Mutter    verhasst   gemacht   ( indem   sie, 
ohne  Nachkommen,  kein  Ahnenopfer  bekommen  hätten),  darum 
befragte   er   sie  nicht"  Aus  diesem  Beispiele  sieht  man,    dass 
wenigstens  der  Mann,    der  unter  Umständen  ,  ohne  die  Aeltern 
zu  fragen,  heirathet,  auch  in  China  ein  hohes  Vorbild  hat.    vgl. 
Confucius  bei  Kung-tschung-tseu  im  I-sse  B.45.  4.  fol.  6.  .,Die 
jungen  Leute  dürfen  nach  Li-ki  Kio-Ii  c.  1  fol.  20  ohne  Heirathsver- 
mittlerin  gegenseitig  nicht  auch  nur  ihren  Namen  (Ming)  erfahren 
und   bevor  die  Verlobungsgeschenke  (Pi)  nicht   empfangen  sind, 
nicht  mit  einander  verkehren  und  sich  nahen  oder  lieb  haben  (tshin). 
Darum  wird  dem  Flu-sten(Kiün)  Tag  undMonat  der  Hochzeil  ange- 
zeigt, F'asten  und  Enthaltsamkeit  geübt  (Tsi-kiai)  und  den  Geistern 
und   Ahnen  (Kuei-schin)  es  angezeigt ,   zum  Trünke  und  Essen 
die  Ortsbewohner  (Hiang  tang).  Freunde  und  Genossen  eingela- 
den, um  hochzuhalten  den  Unterschied  (der  Geschlechter)."  , .Ge- 
wiss, sagt  Meng-tseu  I.  6.  10(1).  wünschen  die  Aeltern  wie  ein 
Knabe  geboren  ist,  für  ihn  eine  Frau  zu  haben,  wenn  ein  Mäd- 
chen, für  dieses  einen  Mann;    dies  Gefühl  von  Vater  und  Mut- 
ter haben  alle  Menschen.     Wenn    die  Kinder    aber  nicht  Vaters 
und  Multcrs  Be.scliluss  und  die  Worte  der  Heiraihsvermitller  ab- 
warten, sondern  durch  die  Wände  Löcher  bohren,   um  sich  zu 


Plath:  Die  häuslichen  Verhältnisse  der  alten  Chinesen      213 

sehen,  über  Mauern  springen,  um  einander  nachzugehen  ,  (hinn 
verachlen  Vater  und  Müller  und  die  Leute  im  Reiche  sie  alle." 
Doch  soll  als  Coni'ucius'  Vater  in  seinem  Alter  eine  der  3  Töch- 
ter der  Familie  Yen  zur  Frau  begehrte,  ihr  Vater  sie  befragt 
haben;  zwei  erwiderten  nichts,  die  jüngste  erbot  sich  aber  den 
Allen  zu  heirathen.  Kia-iü  c.  39  l'ol.  5  Amiot.  Mem.  T.  XU.  p.  10. 
Man  heirathet  in  China  nicht  um  Geld;  die  Frau  bringt  keine 
Mitgift  mit,  sondern  der  ßrauligain  nuiss  dem  Vater  für  das 
Miidchen  noch  geben.  Meng-tseu  11. 10  (4)  5  sagt  indess :  man 
nimmt  keine  Frau,  nm  erniihrt  zu  werden,  doch  gibt  es  Zeiten, 
wo   es  weyen  der  Erniihiung  geschieht. 

Fünf  Arten  von  Frauen  soll  man  nach  Conlücius  im  Kia- 
iü  c.  26  fol.  7  V.  vgl.  Amiot  Mem.  T.  XII.  p.  281,  Siao-hio 
Cap.  11,  §.  3,  nicht  nehmen:  1)  Keine  aus  einer  Familie,  die 
(gegen  Aeltern  und  Obere)  widersetzlich  (ni)  war;  2)  denm 
Hans  Unruhen  erregle  (loen  kia  tsche);  3)  (aus  deren  Familien) 
Individuen  mehrere  Geschlechter  über  peinlich  bestraft  wurden; 
4)  die  an  schlechten  Krankheiten  leiden,  und  5)  die  älteste 
Tochter  (vom  Hanse) ,  welche  Trauer  um  den  Vater  hat.  Auch 
wird  abgerathen,  den  Sohn  einer  W'iltwe,  wenn  er  nicht  be- 
sonders angesehen  ist,  zu  heirathen.  Li  -  ki  Cap.  1  Kio-li  fol, 
20  V.  Siao-hio  II.  3,  7.  Was  das  Alter  betrifft,  sagt  der  I-king 
Ta-ko  c  28,  2  (T.  II.  107)  zwar:  „auf  einer  alten  trockenen 
Weide  (Ku-yang)  wächst  noch  Moos  (Ti);  wenn  ein  alter  Mann 
sich  eine  Frau  nimmt,  ist  das  nicht  ohne  Nutzen"  und  c,  28,  5 
p.  109:  ,,Eine  alte  Weide  erzeugt  Hlüthen;  wenn  eine  alte  Frau 
einen  Literaten  (Sse-fu)  ninnnt,  ist  das  an  sich  weder  ein  Feh- 
ler ,  noch  lobenswerth."  Confucius  aber  meint  im  Commentare 
Siang:  ,, können  die  Hlüthen  dauernd  sein?  Die  Heirath  könne 
auch  abscheulich  sein  (tscheu)." 

Zu  einer  Ehe  werden  nach  dem  Li-ki  Fang-ki  c  30.  fol. 
33.  Kio-Ii  C.  l,  fol.  20  v.  und  Kiao-le-seng  Cap.  10.  fol.  66 
zwei  Familien  von  verschiedenen  Fa  milie  n-N  am  en 
(Sing)  erfordert.  Kauft  einer  daher  eine  zweite  Frau  (Tsie)  und 
weiss   deren  Familiennamen  nicht,    so   befragt   er  desshalb  das 


214  Siliung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  6.  Dec.  i862. 

Loos  (Pu).  Der  I-li  tsing-i  zu  Cap.  2  fol.  8  v.  führt  Beispiele 
an,  wie  derselbe  Sing  verschiedenen  Familien  (Schi)  zukomme 
und  verschiedene  Sing  wieder  einer  Familie.  Die  Familien  theil- 
ten  sich  im  Laufe  der  Zeit,  daher  wenn  die  Familie  dieselbe, 
der  Familienname  aber  nicht  gleich,  eine  Heiralh  zulässig  sei, 
umgekehrt  aber  nicht.  Die  Fürsten  erlaubten  sich  indoss  wohl 
eine  Abweichung  von  der  Regel.  So  waren  die  Fürsten  von 
ü,  als  Nachkonnnen  Tai-pe's,  aus  derselben  Familie  wie  die  von 
Lu.  Doch  nahm  Tschao-kung  von  Lu  eine  U  zur  Frau.  Li-ki 
c.  30  Fang-ki  fol,  33  mit  Schol.  Dieses  vielleicht  nur  zu  weit 
getriebene  Verbot  des  Heirathens  in  ein  und  dieselbe  Fannlie 
hinein  hat  gewiss  zur  Erhaltung  und  Fortpflanzung  der  chine- 
sischen Race  ebenfalls  wesentlich  mit  beigetragen. 

Die  Ehe  wird  auf  die  Leben.sdauer  nach  der  schon  ange- 
führten Stelle  des  Li-ki  abgeschlossen.  Der  Schi-  king  L  4,  3. 
Kue-fung  Yong  beginnt  etwas  kurz  und  dunkel:  Kiün-tseu  kiai 
lao,  d.  i.  die  Weisen  alfern  zusammen  ,  aber  L  A,  1  äussert 
diess  die  Wittwe,  welche  ihre  Mutter  wieder  verheirathen  will, 
deutlich.  S.  oben.   S.  210. 

Der  Gründe,  sich  von  derFrau  scheiden  (Tschu)  zu  las- 
sen, nimmt  Confucius  (im  Kia-iü  c.  26  fol.  7.  v.  Siao-hio  IL  2,  6 
Amiot  Mem.  XII.  p.  281  flg.  vgl.  Tseng-tseu  im  Pe-hu-tung 
im  I-sse  Bd.  95,  1  fol  20)  sieben  an:  1  )  Ungehorsam  ge- 
gen Vater  und  Mutter  (des  Mannes);  2)  Unfruchtbarkeit;  3) 
Ehebrucli  (der  Frau);  4)  Abneigung  oder  Eifersucht;  5)  eine 
(ansteckende)  böse  Krankheit;  Q)  eine  unausstehliche  Schwatz- 
hafligkeit  (To  kiu  sehe  tsclie,  d.  i.  viel  Mundwerk  und  Zunge) 
und  7)  wenn  sie  den  Mann  bestiehlt  Aber  in  drei  Fällen  darf 
er  sie  dennoch  nicht  Verstössen  (Pu-kiü)  und  dieses  zeigt  eine 
gewi.sse  Humanität:  1)  wenn  sie  zur  Zeit  ihrer  Verheirathung 
Aeltcrn  halte,  jetzt  «her  keine  mehr  hat,  zu  welchen  sie  zu- 
rückkehren könnte,  2)  wenn  sie  die  dreijährige  Trauer  (für  des 
Mannes  Aeltern)  getragen  hat,  und  3)  wenn  sie  erst  arm  und 
niedrig  (Pin  t.sien),  jetzt  aber  reich  und  angesehen  ist  (Fu  kuei). 
Wir  werden  unten,    wo    von  den  Verhältnissen    des  Kindes   zu 


Plath  :  Die  häuslichen  Verhältnisse  der  alten  Chinesen.     215 

den  Aellern  die  Rede  ist,  indess  sehen,  dass  nach  Li-ki  Cap. 
12  Nei-tse  fol.  59  flg.  die  Ab-  und  Zuneigung  der  Aellern  ge- 
gen seine  Frau  in  Scheidungssaclien  des  Sohnes  auch  von  Ein- 
fluss  war. 

Wenn  La  Charme  zu  Sehi-king  Kue-fung  Pi  I.  3,  10  sagt, 
das  Recht  der  Scheidung  sei  (iur(;haus  einseitig  gewesen ,  die 
Frau  habe  sich  nie  vom  Manne  scheiden  hissen  können,  so  wi- 
derspricht die  oben  erwähnte  Geschichte  aus  Siao-hio  IV.  2.  26. 
dem.  Indess  ist  da  nur  von  einer  Fürstenlochter  die  Rede. 
Rührend  ist  jenes  Lied  der  Khige,  das  eine  verstosscne  Frau 
gedichtet  haben  soll:  ,.Wenn  man  sich  Gewalt  anthue,  sagt  sie, 
würden  (Beide)  nur  ein  Herz  sein;  zwischen  Gatten  sollte  keine 
Feindschaft  entstehen.  So  lange  ich  der  Tugend  Stimme  nicht 
entgegen  handle,  muss  ich  mit  Dir  bis  zum  Tode  leben.  Ich 
ging  den  Weg  nur  langsam,  langsam;  mein  Herz  striiubte  sich 
im  Innersten ;  nicht  weit  geleitest  Du  imcli  —  Froh  gehst  Du 
eine  neue  Ehe  ein,  wie  ältere  wie  jüngere  Brüder.  Ich  scheine 
Dir  nicht  rein  genug  —  Du  magst  mich  nichl  mehr  erhallen 
(tscho),  Du  hältst  mich  für  einen  Feind  ,  achlest  meine  Tugend 
nicht,  wie  ein  Kiinfmann,  der  die  beste  W.iare  für  nichts  scliätzl. 
Einst  ernährtest  Du  mich  Elende,  ernälirtest  mich  Arme  und 
heglest  mich;  jetzt  meinst  Du,  ich  sei  Gift.  Ich  habe  sorgsam 
für  den  Winter  die  schmackhaftesten  Sachen  aufbewahrt,  Du 
aber  freuest  Dieb  der  neuen  Ehe,  verurtheilst  mich  zur  Armulh, 
Du  bist  unwillig  und  mir  böse  und  überlässl  mich  d(!r  quälen- 
den Sorge,  uneingedenk  des  vielen  Guten,  das  ich  Dir  Ihal.'' 

Der  Manu  hatte  in  China  ursprünglich  nur  eine  legitime 
Frau  (Thsi).  Ganz  abnorm  steht  aber  zu  Anfang  der  chinesi- 
schen Geschichten  Schün  da,  dem  Yao  seine  beiden  Tüchler  zur 
Ehe  gab,  nach  Schu-king  Yao-tian  1  1  fin  :  „Er  gab  seine 
beiden  Töchter,  heisst  es  da,  Yü- Schün  und  als  er  sie  nach 
Kuei-jui  Ceinem  kleinen  Fluss  in  Schau- si ,  wo  Schün  wohnte) 
abreisen  liess,  hiess  er  sie  ihren  neuen  (Jatten  respekliren."  vgl. 
Meng-lseu  II.  13,  6.  Der  Schi-king  nennt  sie  Pin  ;  später  sind 
die  Kieu  (U)  Pin   des  Kaisers   Kebsen.      Der  Roman  Jü-kiao-li 


216  Sitzung  der  philos.-philol.Cla.sse  vom  6.  Dec.  1S62. 

oder  die  beiden  Cousinen,  den  A.  Remusat  übersetzt  hat,  lässt 
zur  Belohnung  ganz  vorzüglicher  Talente  seinen  RomanheUlen 
nach  Kaiser  Schün's  Vorgange  auch  die  beiden  Nichten  heira- 
then.  Nur  wenn  die  Frau  unfruchtbar  war,  konnte  der  Mann 
ursprünglich .  und  zwar  erst  im  40sten  Jahre  nach  6en  Missio- 
nären eine  zweite  Frau  dazu  nehmen,  wie  Abraham  die  Hagar. 
Ich  habe  indess  bis  jetzt  keinen  Beleg  für  diese  Behauptung 
gefunden.  Diese  heisst  Tsie.  Die  Stelle  aus  Li-ki  Nei-tse  c.  12 
zu  Endefol.Si  v.  ist  schon  oben  S.  207  angeführt.  Der  Ausdruck 
Concubine  für  diese  wäre  aber  unpassend,  denn  es  ist  ein  durch- 
aus gesetzliches  Verhältniss :  ihre  Kinder  führen  den  Namen 
des  Vaters  und  sind  erbfähig:  der  Ausdruck  zweite  Frau  sagt 
aber  wieder  zu  viel;  denn  sie  steht  der  ersten  Frau  durchaus  nicht 
gleich,  sondern  ist  ihr  untergeordnet  und  ihre  Kinder  nennen 
diese  Mutter ;  sie  sind  ihr  die  Pietät  schuldig  und  betrauern  sie 
bei  ihrem  Tode  als  Mutter  fCibot  Mem.  T.  IV.  p.  289).  Die 
Heiralh  mit  ihr  ist,  wie  schon  bemerkt,  weit  weniger  feierlich; 
sie  wird  gewissermassen  gekauft.  Der  Ahnendienst ,  der  das 
Geschlecht  nicht  aussterben  zu  lassen  zur  heiligsten  Pflicht 
machte,  veranlasste  dieses  System  neben  der  Neigung  des  Man- 
nes wohl  mit ,  obwohl  es  mancherlei  Inconvenienzen  ,  nament- 
lich durch  die  Eifersucht  der  Frauen  unter  sich,  mit  sich  brin- 
gen musste.  Diess  spricht  Confucius  schon  im  1-king  Kuei  c. 
39  fol.  7  Toen  aus:  ,,Wenn  zwei  Frauen  beisammen  wohnen, 
geht  ihre  Absicht  nicht  zusammen ,  während  vom  Manne  und 
der  Frau  es  heisst :  Himmel  und  Erde  bilden  einen  Gegensata 
(Khuei),  aber  ihr  Thun  (Schi)  geht  zusammen.  Mann  und  Frau 
bilden  ebenso  einen  Gegensatz,  aber  ihre  Absichfen  durchdrin- 
gen sich."  Die  Bildner  der  Schril'ts|)rache  bezeichneten  mit  dem 
Charakter  von  zwei  Frauen  auch  schon  Streit  und  Zank.  Man 
würde  aber  irren,  wenn  man  meinte,  dass  die  Vielweiberei 
auch  nur  im  jetzigen  China  oder  im  Oriente  allgemein  sei,  nur 
die  Reichen  und  Vornehmen  können  für  gewöhnlich  mehrere 
Frauen  haben.  Das  Verhältniss  der  im  Ganzen  gleichen  Anzahl 
der  Geburten    von  Mädchen  und  Knaben    in  Asien  wie   in  Eu- 


VUith:  Uie  häuslichen   Verhältnisse  der  allen  Chinesen.       217 

ropa,  l)ei  der  fast  allgemeinen  Verlieiratliiinu;  in  China,  ohne  eine 
Miidchen-Einfnhr  wie  in  der  Tiirkey,  und    im   alten  China    dazu 
•auch  olnio  einen  Mönchsland  und  einen  Privalsklavenstand,  würde 
schon  dageijen  sprechen.  S    meine  Einleitung  zu  Asien  S  6G  flg. 
Ueber  das    Verhältniss    der   Geschlechter    im    allen 
China  gibt  die  kurze  Beschreil)ung  China's   im  Tscheu-Ii  B.  33. 
f(d.  8  flg    freilich  aufTallendt!  Angaben.     In    der  Provinz    Yang- 
Ischeu  im  SO.   sei  das  Verhältniss  der  Miiimer  zu   den    Frauen 
(unter  der  3  D.  der  Tscheu  seit  1122  vor  dir  J  wie  5  :  2 ;  in 
Kinor-tscheu,  oerade  im  S..  wie  1  :  2:  in  Yü-lschcn,  im  S.  des 
grossen  Flusses,  wie  2  :  3;   in  Thsing-tscheu,  im  0.,  wie  2:  2; 
in  Yen-lsch(!u ,  im  Osten  des  Hoang-lio,  wie  2:3;    in  Yong- 
Ischeu,  im  VV..  wie  5  :  3;  in  Yeu-lscheu,  im  NO.,  wie  1:3; 
in  Ki-tscheu.  innerhalb  des  lloang-lio,  wie  5:3;  in  Ping-tscheu 
endlich,  im  N.,  wie  2  :  3.     Aus' Tscheu-Ii  B.  30  fol.  28  sehen 
wir,  dass  die  Yolksvorslände  (Sse-min),  welche  die  Volkslisfen 
führten ,  und  alle  Individuen  ,  die  Knaben   vom  8ten  Monate  an, 
die  Mädchen  vom  7len  an  verzeichneten  (vgl,  B.  35  fol. 26  und 
Li-ki  Nei-tse  cap.    12  fol.  7()),  ausdrücklich   das  mämdiche  und 
weibliche  Geschlecht  unterschieden    und    jährlich    die    Gehörnen 
hinznliialen  und  die  Gestorbenen  strichen.  Man  kann  also  nicht 
absprechen ,  dass  die  allen  Chinesen  nicht  schon  jn  dieser  frü- 
hen   Zeit    über   das  Verhältniss    der    Geschlechter  Aulzeichnun- 
gen gehabt  haber<  mögen.     Anllallend  und  uncnklärlich    ist    nur 
die    zwischen    beiden  Geschlechtern    in    mehreren  Provinzen    so 
grosse  Missproportion.      Wir   kennen    aber    die    Verhältnisse    zu 
wenig,  um  sie  erklären  zu  können.  Dass  einzeln  wohl  auch  ein 
gemeiner  Mann  zwei  Fran(m  im  Hause  halte,  zeigt  die  (Jeschichte 
bei  Men<>--ts<'U  11.  8.  32.  Vielleicht  war  das  weibliche  Geschlecht 
in  einigen  Provinzen    durch    Kriege  oder    sonst   so  überwiegend 
geworden,    dass    diess   Ihuidich   war.     In  den  anderen,   wo  die 
Zahl    der  Männer    so  überwiegend  war,    mochten    diess  einge- 
wanderte Colonisten  sein,  denen  die  Frauen  vielleicht  nicht  ge- 
folgt waren. 

Die  erste  Frau    des  Kaisers   hiess  Heu,  Fürstin,    die  der 
Uä«'2.  u.i  15 


218  Silzuntf  der  phüos.-phUol.  Classe  vom  6.  Dec.  iS62. 

Vasallenfiirsten  (Tschu-lieii)  Fii-Jin  (wie  die  2le  Classe  kaiser- 
licher Frauen;,  die  der  Ta-l'u  (Grossbeanilen)  Jii-jin,  die  des 
Literaleti  Fu-jiii  (anders  geschrieben  als  oben)  und  die  des  ge- 
meinen Mannes  (Schu-jin)  Thsi  nach  Li-ki  Kio-li  hia  c.  2. 
fol    59  V. 

Der  Kaiser  halle  ausser  der  Kaiserin  (Heu)  nach  Li-ki  Kio- 
li  hia  c.  2  fol.  55  ni.  Schol.  und  Hoan-i  c.  31  (44)  Fol.  42  drei 
(Köniürjnnen)  Fu-jin  ,  9  Pin,  27  Schi-lii  ,  81  Frauen  4ler  Ord- 
nung und  eine  nnbeslinimle  Zahl  weiblicher  Dienerinnen  (Thsie), 
Musikanlen  u.  s.  vv.  Sie  heissen  die  6  Paläste  (Lo-kung).    Der 
Tscheu-Ii  B.  7   gibt   über   die  kaiserlichen  Frauen  näheres  De- 
tail.    Das  Cap.    des   Li-ki  Hoan-i  sagt:    sie   seien  da,    um  des 
Reiches  innere  Verwaltung  zu  führen,    um  die  Folgsamkeit  der 
Frau  ins  Licht   zu  stellen,    daher  herrsche   dann  im  Innern  des 
Reiches  Einlrachl  (Ho)  und  in    der  Familie  Ordnung  (Li).     Der 
Kaiser  conslituire   dem    entsprechend    die  6  Classen  von  Beam- 
ten :  die  3  Kung,  6  King,  27  Ta-fu  und  81   ersten  Sse,  um  die 
Leitung  der   äusseren  Angelegenheiten    des   Reiches    zu   führen 
und    den  Unterricht    der  Männer    ins   Licht    zu   stellen,    darum 
herrsche   auch    nach   aussen  Eintracht  (Ho)    und    das  Reich   sei 
so  gut  regiert;  der  Kaiser  sorge  für  den  Unterricht  der  Männer, 
die  Kaiserin  für  die  Folgsamkeit  der  Frauen  ;  der  Kaiser  ordne 
den  Weg  des  Yang,   die   Kaiserin   regle  (schi)   die  Tugenden 
des  Yn  u    s.  w.     I):ess  sind    aber  oll'enbar  nur  spätere  künst- 
liche Lucubrationen.      Wie  einem,  je  vornehmer  er  war,   desto 
mehr  Schüsseln  Speise  vorgesetzt  wurden,  so  bewilligte  man  ihm 
oll'enbar  auch  mehr  Weiber,  zum  grossen  Nachlheile  der  Staats- 
verwaltung.    Es    gab   also  in  China    schon    damals  Harems  (De 
Maiila  VI.  p.  409.    Gaubil.   Mem.  T.  XV.    p.  435.   Amiot    Mc^m. 
T.  5    p.  12(i  llg.)       Auch  Eunuchen  (Sse-jin,   d.  i.  die  As- 
sistenten ,  eigentlich  Yeu-jin  genannt )   kommen    schon    vor.     s. 
Tscheu-Ii   B.  1    fol.    36   B.  7    fol.  20  (lg.       Nach   einigen   soll 
der  Kaiser   Yeu-wang   erst    726  v.  Chr.    die  Eunuchen    in   (Um 
Palast  eingeführt  haben.    Es  war  eine  Strafe  ,  castrirl  und  dann 
zum  Palasldiensle   verurlheilt  zu    werden.      Im  Schu-king  Cap. 


Ptalli  :    Die  härisHchen   Verhältinsse  der  alten  Chinesen.      219 

Liü-liiiig  (4.  27)  kommt  unler  Mii-wang  (1002  —  947  v.  Chr.) 
niil(M-  den  5  Strafen  (U-hiiig)  auch  schon  (he  Strrifo  Kung  vor, 
Uiis  man  fastriren  iihorselzt;  chM"  Charakter  hedeutet  aher  nur 
Palast  0(hM'  Pahistdienst.  Im  Schi-kiiio-  II.  5,  G  ist  enier  fiilsch- 
h'ch  eines  Verhrechens  angeklagt  und  zurCaslrinmg  verurlheill, 
und  khigt  üher  seinen  Feind,  der  ein  leichtes  Vergehen  ihm  zu 
einem  schweren  Verbrechen  angerechnet  habe  und  ruft  den 
Hinunel  an.  sich  des  Armen  zu  erbarmen.  \u\(\  Aon  Stolzen  da- 
für anzusehen.  Möge  sein  Ankliiger  Panihern  und  Tigern  zur 
Beute  werden  .  wenn  die  ihn  aber  nicht  fressen  u  olllen  ,  er  in 
eine  nördliche  Gegend  verbannt  werden  und  \\c\m  die  ihn  nicht 
aufnehmen  wolle,  der  Höchste  (Hoang,  der  Himmel)  ihn  stra- 
fen; diess  Gedicht  verfasste  d(M-  Eunuche  (Sse-jinj  Meug-tseu. 
Schi-king  I.  11,  1  konnnen  Eunuchen  auch  am  Hofe  des  Kö- 
nigs von  Thsin  vor:  einer  meldet  da  den  Fremden  an.  \\\r  se- 
hen die  Eunuchen  spater  am  Hole  eine  Rolle  spielen,  in  Tsin 
iniriguiren,  in  Thsi  dieTlu'onIbIge  bestimmen  u.  s.  w.,  doch  da- 
von anderswo. 


Von  d^cn  Hochzci  Isgebräu  c  hen. 

Eine  Frau  nehmen,  um  zunächst  die  Ausdrücke  zu  erläutern 
heisst  Thsili;  das  Wort  bedeutet  bloss  nehmen,  die  Schrift  setzt 
noch  CI.  38.  das  Zeichen  von  Frau,  hinzu,  wie  bei  uns.  Kia, 
das  Haus,  mit  CI.  38  wieder  Frau  ,  erinnert  an  das  lateinische 
domum  ducere  uxorem  für  heirathen,  das  Wort  heisst  aber  nicht 
die  Braut  nach  Hause  führen .  sondern  eine  Tochter  V(>rheira- 
Ihen.  Dasselbe  heisst  auch  Thsi  mit  dem  Accente  Kliiu .  von 
Thsi  die  Frau.  Der  Ausdruck  Hoan,  von  der  Gruppe  Hoan 
dunkel,  beschallet,  welche  im  Li-ki  auch  allein  dalür  gebraucht 
wird,  während  man  gewöhidich  noch  CI.  38  die  Frau  hinzu- 
setzt, wird  vom  Manne  gesagt  und  bedeutet  aiu-h  den  Bräuti- 
gam. Der  Ausdruck  soll  daher  rühren,  weil  er  Abends  kam, 
um  die  Braut  abzuholen.   Das  Lateinische  nubere  von  der  Frau^ 

15* 


220         SiHiing  der  philos.-philol.  Classe  vom  6    Vec.  1868. 

weil  sie  sich  verhüllte,  cnlspriclit  dem  also  wieder  ni<:ht.  Von 
der  Braut  sagt  man  Yn.  Der  einfiiche  Charakter  bedeutet  jetzt 
Ursache;  man  setzt  noch  das  Zeichen  CI.  38  Frau  hin  und  deutet 
es  etwas  künstlich:  die  Frau,  die  für  den  Mann  gemacht  ist; 
er  gellt  aber  wohl  eher  auf  die  Abgeschlossenheit  der  Frau,  da 
der  Grundcharakter  aus  grosser  Mensch  (Cl.  36)  in  einem  abge- 
schlossenen Räume  (Cl.  31)  zusannnengesetzl  ist.  Man  sagt  auch 
Kuei  und  Kuei-mei  von  Verheiratheiwerden  d(!r  Frau  I-king 
Thien  c.  53;  Kuei  heisst  eigentlich  zurückkehren;  mei  ist  die 
jüngere  Schwester,  als  solche  wurde  wohl  die  Frau  bezeichnet. 
S.  S.  221. 

Wir  haben  im  1-li  einen  eigenen  Abschnitt  Cap.  2:  Die 
Heiratsgebräuche  des  Literaten  (Sse-hoen-li),  der  auch  im  I-sse 
B  24.  lol.  5  V.  —  9  V.  aufgenommen  ist;  kürzer  ist  das  Cap. 
im  Li-ki  C.  44  Hoen-i,  die  Bedeutung  der  Heirath  fol  38  v. 
flg.;  das  Cap.  4  Ta-hoen-kiai  in  den  s  g.  Hausgespriichen  (des 
Confucius)  Kia-iü  fol.  7  und  8  enthält  nichts  besonderes.  Wir 
geben  das  \A  esentliche  aus  allen  diesen  u.  a.  Nachrichten,  das 
ermüdende  Detail  über  die  Emplangsceremonien  und  die  For- 
meln der  Ansprachen  im  I-Ii  nur  abkürzend. 

Die  Heiraih  wurde  in  China  schon  vor  Alters  durch  Hei- 
rat hsv  er  mit  Her  (Mei-jin)  abgeschlossen.  Der  Li-ki  Cap.  30 
Fang-ki  fol.  33  sagt:  „Männer  und  Frauen  gehen  ohne  Hei- 
rathsvermittler keine  Verbindung  (Kiao)  ein.  ohne  Geschenk  (Pi) 
sehen  sie  sich  gegenseitig  nicht;  man  fürchtet,  dass  Mann  und 
Frau  sonst  nicht  getrennt  blieben."  Wir  linnlen  sie  schon  im 
Schi-kiiig  I  8,  6,  4  und  L  15.  5  erwähnt.  Confucius  führt  im 
Li-ki  die  erste  Stelle  an  und  diese  Anordnung  schien  ihm  ein 
nothiger  Damm  für  das  Volk  gegen  die  Ausschweilungen  (Yn). 
W^urde  man  eins,  so  sandte  mau  l)eiderseitige  Geschenke  und 
nun  stand  die  Verlobung  fest.  Nur  die  dreijährige  Trauer  um 
Vater  oder  Mutter  des  einen  oder  anderen  unterbricht  sie  und 
kann  sie  aufheben.  Confucius  im  Li-ki  cap.  7  Tseng-tseu-wen 
fol.  7  V.  flg.  gibt  darüber  ein  näheres  Detail.  Die  Verbindung 
wird  abgebrochen,  wenn  auch  die  Brautgeschenke  schon  über- 


Plath:  üie  hätisUchen  Verhältnisse  der  alten  Chinesen.      22l 

sandt  sind  und  ein  LHücklicher  Tag  zur  Hochzeit  gewählt  ist. 
Der  Oheim  sendet  da  eine  Botschnft  an  die  Familie  der  Frau, 
die  sagt:  der  Sohn  !V.  N  hat  Trauer  um  seinen  Vater  oder 
seine  Mutter  und  kann  euer  Bruder  nicht  werden  und  an  Nach- 
kommen jetzt  nicht  denken,  er  sendet  N.  N.  (mich)  euch  da- 
von zu  benachrichtigen.  Die  Familie  der  Frau  stimmt  hei  und 
safft,  sie  wajje  auch  nicht  die  Heirathsjrebränche  zu  vollziehen 
(Fei  kan  kia  li  ye).  Ist  die  Trauer  des  Schwiegersohnes  (jun- 
gen Mannes)  vorbei,  so  schicken  des  Mädchen  Vater  und  Mut- 
ter und  fragen  bei  ihm  an;  wenn  er  sie  dann  rn'cht  ninunt,  hel- 
ralhet  sie  einen  anderen.  Dasselbe  findet  beim  Tode  des  Va- 
ters und  der  Mutler  der  Frau  statt 

Der  I-Ii  und  Li-ki  erwähnen  schon  der  verschiedenen  Akte, 
welche  bei  der  Verlobung  nach  P  Laureafi*  auch  noch  jetzt  vor- 
konnnen,  aber  öfter  auch  zusammen  gezogen  werden  sollen. 
Sie  heissen  Na-tsai.  das  Hinsenden  um  auszuwählen;  Wen- 
ming  das  Fragen  nach  dem  Namen  (der  Familie  der  Frau,  da 
Personen  desselben  Namens  sich  nicht  heiralhen  dürfen);  Na-khi, 
das  Erlangen  glücklicher  Aussprüche  (der  Loose);  Na-tsching 
das  Anmeldeti  der  Geschenke  und  Thsing-khi  das  Erbitten 
eines  Tglücklichen)  Tages  für  die  Hochzeit.  Als  Embleme  ehe- 
licher Treue  wird  der  Braut  schon  im  Schi-king  eine  wilde 
Gans  (Yen)  überreicht;  man  sieht  sie  nach  Morrison  noch  bei 
den  Hochzeilsceremonien,  aber  jetzt  nur  aus  Holz  oder  Zinn. 
Bis  aul  den  vorletzten  Akt,  wo  die  Seidenzeuge  (Pi  und  phe) 
dartrebrachl  werden,  bemerkt  der  I-li  Tsin-i  fol.8,  nähern  sich 
alle  bei   Ausführung  ihrer  Aufträore  mit  d(;r  Gans. 

Die  Akte  finden  alle  im  Ahnentempel  (des  verstorbenen 
Vaters  (Ni-miao,  nach  den  Schoi  )  statt  Der  Vater  des  Mäd- 
chens legt  eine  Malle  (Yen)  an  die  Westseite  der  Thüre  hin. 
stellt  oben  rechts  die  Stüfzhank  (I\an)  für  den   Geist  hin,    gehl 


(5)     Bei  Le  (ieiitil  Vojagc  an  tour  du    nioiulf.  Paris   1728.  6.   T,  11. 
p.  73-133. 


222         Sitzung  der  philos.-jihilol.  Classe  vom  6".  I)ec.  1362. 

bis  an  das  grosse  Thor  dem  Besucher  entgegen  und  bittet  ihn 
einzutreten.  >'ach  den  bei  einem  Besuche  üblichen  Comphmen- 
ten,  der  dreimahgen  Verneigung  und  Entschuldigung  (  den 
Vortritt  zu  nehmen)  am  Thore  des  Ahuenlempels,  steigt  dieser 
hinauf,  übergibt  die  Gans  und  verninnnt  den  Befehl  der  Ahnen. 
Beim  Wen  -  ming  wird  für  ihn  im  Osten  zur  Seite  eine  Matte 
hingelegt  und  ihm  eine  Schaale  süssen  Weines  (Li)  mitten  im 
Zimmer  dargereicht  und  getrücknet(^s  Fleisch  (Fu)  und  Fleisch- 
hasche (Hai)  dargebraciit.  Des  Miidchens  Vater  geleitet  ihn 
dann  nalürlich  mit  den  üblichen  Verbeugungen  bis  ausserhalb 
der  Thüre.  Beim  Na-khi  sind  die  Ccremonien  wie  beim  ersten 
Akte.  Der  Na-tsching  aber  bringt  dunkelblaues  (Hiuan)  und 
rothes  oder  scharlachenes  Zeug  (Hiim)  mit  (\\^.n  Ceremonien 
des  Na-khi  dar;  der  I-li  sagt  5  Stücke  (Sehn  Bündel)  Seiden - 
zeug  (Phe).  Der  Schob  citirt  dazu  die  Stelle  des  Tscheu- li  B. 
13  fol.  45:  ..wer  seine  Tochter  verheirathe  oder  eine  Frau 
nehme,  solle  die  8 Kostbarkeiten  (Pa  p(!i,  es  ist  nicht  klar,  was 
darunter  gemeint  ist),  und  die  schwarzen  Seidenzeuge,  nicht 
mehr  als  5  Paar  Stücke,  darbringen.**  Schwarz  ist  nach  dem 
Schul,  die  Farbe  der  Frau.  Der  Tsing-khi  präsentirt  dann 
wieder  die  wilde  Gans  irn't  den  Gebräuchen  iXcn  Na-tsching.  Der 
I-li  Cap.  2.  6  fol.  8  v.  gibt  die  Ansprachen  der  einzelnen  Per- 
sonen mit  den  Antworten ;  es  scheinen  feste  Formeln  gewesen 
zu  sein.  Der  Bote  sagt  z  B.:  N.  N  (der  künftige  Schwieger- 
sohn) sende  nach  der  früheren  Leute  Brauch  (ihn)  N.  N.  als 
Na-tsai.  Darauf  erwiedert  ^der  Brautvater):  er  (N.  N.)  sei  nur 
ein  dummer,  einfältiger  Mensch  (Tschoang-iü).  er  wage  aber 
nicht  das  Gesuch  alizuschlagen.  Ebenso  wird  denn  auch  nach 
dem  Namen  der  Familie  (Schi)  der  Frau  gefragt. 

Zu  der  Hochzeit  bereitet  mau  sich  nach  Li-ki  Kiao-le-seng 
Cap.  11  fol  45  din-ch  Fasten  und  Enthaltsamkeit  (Thsi- 
kiai)  vor,  im  dunkelblauen  Ceremonienhute,  um  den  G(?islern  und 
Ahnen  (Kuei-schin)  zu  dienen;  denn  es  gilt  dem  künftigen  Vor- 
ftande  de.s  Sche-lsi  und  dem  Nachfolger  der  früheren  Ahnen; 
man  kann  daher  nur  mit  der  höchsten  Ehrfurcht  (King)  verfah- 


Plath:  Die  häusUihen  Verhältnisse  der  alten  Chinesen.       223 

reu  Im  Li-ki  Cap.  7  Tseiig-tseu-wen  fol.  9  sagt  Coiifucius : 
im  Hause  eines  heirallieiideii  Mädchens  würden  3  Nächte  über 
die  Lichter  nicht  ausgelöscht,  man  denke  an  (!i(!  bevorstehende 
Trennung;  in  dem  Hause  dessen,  der  eine  P'rau  nehme,  mache 
man  3  Taffe  über  keine  Musik,  denn  man  denke  an  (\{i\\  Nach- 
feiger  der  Aeitern;  dasselbe  sagt  auch  Cap.  11  p.  45  v.  Jetzt 
macht  man  dagegen  bei  Hochzeiten  viel  Musik.  S.  Morrison  Dict. 
I.  p    602. 

Der  Ehe  gehen  Ermahnungen  derAellern  an  die  Braut- 
leute voraus.  Nach  I-li  2,  G  lol.  11  u.  Li-ki  Cap.  44  vgl  Siao- 
hio  2,  3,  2  trinkt  der  Vater  dem  Sohne  zu  mit  einer  Spende 
(Tsiao )  und  ermahnt  ihn  ( befiehlt  ihm ),  gehe  deiner  Gehilfin 
(Siang)  entgegen,  besorge  sorgfältig  unsern  Ahnendienst  und  leite 
sie  an  der  früheren  verstorbeneu  Mutter  Nachkommen  zu  eh- 
ren und  beständig  folgsam  zu  sein.  Der  Sohn  erwiedert :  ja 
(Wei),  ich  fürchte  nur,  dass  ich  dazu  nicht  fähig  genug  bin, 
unterstehe  imch  aber  in'cht,  den  Befehl  zu  vergessen  —  —  — 
Ebenso  befiehlt  der  Vater  (\ox  Tochter,  w(Min  er  sie  geleitet: 
hüte  dich,  sei  ehrerbietig  (  King),  tritt  Morgens  und  Abends 
den»  Befehle  der  Schwiegerältern  nicht  entgegen.  Ihre  Mutter 
hänoft  ihr  einen  Gürtel  (Kin)  um  und  bindet  daran  ein  Tuch 
(Schue)  und  sagt:  sei  eifrig  und  ehrerbietig;  Morgens  und 
Abends  besorge  di(;  Geschäfte  des  Hauses  —  Meng-tseu  L 
6,  2  (5)  führt  aus  dem  Li-ki  die  Ermahnungen  an  :  sei  ehrer- 
bietig, sei  aufmerksam ,  widerstrebe  nicht  deinem  Manne  —  — 
die  zweite  P>au  ihres  Vaters  (Schu-mu)  geleilet  sie  nach  dem 
I-li  bis  an  die  innere  Thür,  hängt  ihr  einen  langen  Gürtel  um  und 
heisst  ihr  nach  dem  B«;fehle  von  Vater  und  Mutter:  ehrfurchts- 
voll hitre  auf  die  Worte  deines  verehrten  Vaters  und  deiner 
verehrt(!n  Mutter;  Morgens  und  Abends  bleibe  ohne  Schuld  und 
blicke  oft  anf  den  (Jiirtel  und  das  Tuch  der  Mutter.  Nach  dem 
I-li  2,  4  fol.  10  V.  be.sl(!igt  der  (Schwiegersohn),  angethan  mit 
dem  adelichiMi  Hute(Tsio-pien)  mul  in  scharlachrolhem  Gewände 
mit  dunkler  Kante  einen  schwarzen  Wagen,  sein  Gefolge  zwei 
andere.    Vor  den  Pferden  werden  Lichter  oder  Fackeln  (Tscho) 


224        Sit7Hn(f  der  pfiüoi.-phtlol.  Classe  vom  6.  Vec.  1S62. 

hergetracreii.  Der  ^^'age^  der  Frau  ist  ebenso ,  bat  aber  einen 
Vorhang- (Tscben).  Jetzt  bedient  jeder  sich  eines  Palankins  oder 
der  Briinligain  setzt  sich  zu  Pferde.  Kommt  er  ausserhalb  der 
(grossen)  Pforte  (ihres)  Hauses  an  ,  so  legt  ihr  Vater  wesibch 
vom  Thore  eine  Matte  hin,  oben  im  Westen  stellt  er  eine  Stülz- 
bank  (für  den  Geist) 

Der  Kopfputz  (Tse)  der  Frau  besteht  nach  2,  5. 1  aus  feinen  Fäden 
(Schün),  das  Kleid  ist  scharlachroth;  sie  steht  mitten  im  Zim- 
mer, das  Gesicht  nacl»  Süden ,  ihre  Gouvernante  bindet  ihr  das 
Hutband  fest ,  steckt  ihr  die  Haarnadel  ein  und  leot  ihr  den 
Schleier  an.  Ihr  Gefolge  (nach  den  Schol.  ihre  Nichten  und 
Jüngern  Schwestern)  steht  hinter  ihr.  Der  Schwiegervater  geht 
dem  Schwiegersöhne  bis  ausserhalb  der  Pforte  enl^eüren.  Am 
Thore  des  Ahnentempels  finden  wieder  die  üblichen  3  Verbeufrunsjen 
und  3  Weigerungen  statt.  Dann  überreicht  der  Bräutigam  die 
wilde  Gans;  sie  empfängt  sie  von  Vater  und  Mutter.  Sie  stei- 
gen dann  hinab  und  sie  mittelst  eines  Schemels  in  den  Wairen. 
Der  Bräutigam  ergreift,  währcMid  sie  hinaufsteigt,  die  Zügel  (sie 
zu  beruhigen),  der  Wagen  macht  3  Umläufe  (Tscheu),  die  sym- 
bolisch gedeutet  werden,  dann  fährt  er  der  Frau  voraus  und 
erwartet  sie  an  seiner  Hauslhür. 

Im  Hause  des  Bräutigams  ist  indess  nach  I-Ii  2,  4  fol.  8 
V.  das  Hochzeitsmahl  bereitet.  3  Dreifüsse  (Tinor)  stellt  er 
ausser  der  Tbüre  des  inneren  Gemaches  (Tsin).  Sie  enthalten 
ein  Schwein,  14  Fische,  getrocknetes  Fleisch,  das  wohl  gekocht 
in  die  zugedeckten  Dreifüsse  gelhan  wird;  es  fehlt  auch  nicht 
an  Präserven  (Hi-siang),  cingesalzenen  Vegetabilien  (Tse),  vier 
Schüsseln  mit  (Hirse)  Schu  und  Tsi.  Alles  wird  zugedeckt.  Eine 
grosse  Portion  Fleischbrühe  kocht  auf  dem  Herde.  Mitten  im 
Hause  an  der  Nordmauer  der  Halle  steht  süsser  Wein  (Li)  u.  s  w. 
Wenn  die  Frau  angekommen,  verneigt  sich  der  Mann.  Die 
Frau  tritt  ein  und  wenn  sie  die  Thür  des  Hinterzimmers  er- 
reicht hat,  verncMgt  sie  sich,  steigt  die  Westtreppe  hinauf;  der 
Mann  ordnet  die  Matte.     Es  wird  nun  im  Einzelnen  angegeben, 


Pltith:  Die  häuslichen   Verhältnisse  der  alten  Chinesen.       225 

wie  die  ver.S(;liie(Ieiieii  Gerichte  fiiifg-estellt  werden .  was  wir 
hier  ül)ertH'lieii  müssen.  Nach  ijehürijjen  Verneijrnnsreii  sitzen 
alle  beide  auf  der  Matle ;  man  ojjfert  (huiii  von  der  Hirse  Sehn 
und  Tsi ,  die  Lunge  ( Pei )  und  später  die  Leber  (Kang)  und 
speiset  zusammen.  Heivor<i:ehol)en  zu  werden  verdient ,  dass 
die  Braut  nnd  der  Bräniitram  aus  der  H-äifle  einer  Kürbisschale 
trinken,  was  symboh'sch  die  Vereinigung  ihrer  Glieder  andeuten 
soll.  Sie  hängen  dann  die  Kleider  auf,  breiten  die  Schlafmatten 
ans,  die  des  Mannes  (Leang)  liegt  im  Osten,  der  Pfühl  im  Nor- 
den. Ihr  Hutband  wird  orelöst  Nachdem  die  Hochzeitsochräuche 
beendet  sind ,  geht  dann  das  Licht  hinaus  nnd  sie  bIcilxMi  für 
sich.  Die  Gäste  werden  wohl  ^^ie  jetzt  ein  besonderes  Hoch- 
zeitsniahl  gehalten  hnben. 

Am  2ten  Tage  der  Hochzeit  steht  die  Frau  Morgens  auf, 
wäscht  sich,  steckt  die  Haarnadel  ein  und  kleidet  sich  an,  um 
den  Besuch  der  Schwiegerällern  zu  erwarten.  Des  Schwieger- 
vaters Malte  legt  sie  ausser  dem  Zinniier  nach  Süden,  sie  nimmt 
darni  ein  Band)uso[efäss  mit  chinesischen  Datteln  und  Kastanien, 
das  sie  ihnen  reicht  nnd  später  ein  G«M"äss  mit  gcilrocKnelem 
nnd  gewürztem  Fleische  nnd  ein  Gefäss  mit  süssem  \^'eille  (Li), 
auch  ein  Schwein  wird  ihnen  dargebracht,  aber  keine  Fische, 
nocli  getrocknetes  Fleisch,  noch  Hirse.  Die  Schwiegeiiillern  sit- 
zen auf  der  Matte  nnd  sie  präsentirt  ihnen  die  Speisen;  diess 
geschieht  nach  dem  Li-ki ,  um  die  Folgsamkeit  der  Frau  an's 
Licht  zu  stellen. 

Den  3ten  Tag  reichten  nach  I-Ii  Cap.  2,  5  fol.  13  und 
dem  Li-ki  der  Schwiegervater  und  die  Schwiegermuller  zusam- 
men ihr  die  Speise  nach  dem  Ritus  d(T  !>arbringnng.  So  wer- 
den vollend(!t,  schliesst  der  Li-ki,  die  Gebräuche  der  Frau,  wel- 
cher Gehorsam  vor  Allem  eingeprägt  werden  soll.  r);dier  be- 
lehrten die  Alten  nach  dem  I-Ii  2,  6  fol.  4  nnd  dem  Li-ki  3 
Monate,  <!he  die  Frau  heirathele,  die  Frau,  wemi  der  Tsu-miao 
noch  nicht  zerstört  war,  im  Kung-kung,  werni  er  aber  zerstört 
war  im  Tsung-schi  (im  Hause  des  ältesten  Sohnes)  über  die 
Tugenden    der  Frauen  ,    die  Sprache  (die  sie  zu  führen  haben), 


226  Sitzung  der  phtlos.-philot.  Ctasse  vom  6.  Dec.  1862. 

ihre  Haltung,  die  Arbeilen  in  Hanf  und  Seide,  die  sie  zu  ver- 
richten hatten  und  unterwiesen  sie  in  der  Vollziehung  der  Opfer 
und  Bereitung  der  verschiedenen  Opfergerichte,  um  den  Gehor- 
sam der  Frau  zu  vollenden. 

Der  Rückkehr  der  jungen  Frau  —  wohl  nur  einer  Fiirslen- 
tochler  —  in  das  älterliche  Haus  nach  einem  Monate,  wo  sie 
diuin  ziendich  lange  blieb,  getrennt  von  ihrem  Gatten,  der  sie 
nur  selten  und  nur  im  Ceremonienkleide  besuchen  durfte,  den 
der  Schi-king  z.  B.  I.  1.2  und  3  erwähnt,  kommt  im  Li-ki 
und  I-li  nicht  mehr  vor.  Die  Frau  wird  nun  als  aus  ihrer  Fa- 
milie aus-  und  in  die  ihres  Mannes  eingetreten  betrachtet  und 
theill  Namen,  Rang  und  Ehren  ihres  Mannes  nach  Li-ki  Cap. 
Tsa-ki  20  fol.  57  v.  und  wird  von  ihren  Aellern  nur  als  Gast 
behandelt,  wahrend  sie  im  Hause  ihrem  Manne  untergeordnet 
ist.  Cibot.  Mem.  T.  13  p.  326  flg. 

Nach  dem  Li-ki  Cap.  7  Tseng-tseu  wen  fol.  9  v.  besucht 
die  jmige  Frau  im  3ten  Monate  ^\^\n  Ahnentempel  (ihres 
Mam)es),  zeigt  den  Ahnen  an,  dass  eine  Frau  ins  Haus  ge- 
kommen ist  und  bringt  da  die  Opfer  dar.  Diess  vollendet  erst 
das  Recht  (J)  der  Frau;  ehe  diess  nicht  geschehen  ist,  gehört 
sie  noch  nicht  vollstandicj  zur  Familie  des  Mannes  und  stirbt 
sie  vorher ,  so  wird  sie  in  der  Familiengruft  ihrer  Familie  be- 
erdigt. 

Sind  die  Schwiegerältern  bereits  gestorben,  so  bringt  die 
junge  Frau  nach  I-li  2,  6  1  im  3len  Monate  ihnen  im  Ahnen- 
saale des  verstorbenen  Schwiegervaters  und  der  Schwiegermut- 
ter Gemüse  dar.  Der  Beter  führt  sie  und  zeiirt  den  Ahnen  an: 
ans  der  und  der  Familie  kommt  die  Frau  und  wird  dem  erha- 
benen Schwiegervater  und  ebenso  der  erhabenen  Schwieger- 
mutter eine  Schüssel  mit  Gemüse  darbringen.  Der  Schwieger- 
sohn opfert  dann  auch  und  die  Frau  unterstüzt  ihn  dabei.  Dies 
ist  das  Wesentliche  der  Hochzeitsgebräuche  der  alten  Chinesen, 
welche  mit  geringen  Veränderungen  bis  auf  die  jetzige  Zeit 
sich  erhalten  haben. 


Ptatit :  Die  häuslichen   Verhältnisse  der  alten  Chinesen.       227 


Di(j  Elleverhältnisse  nach  dein  Liederbuche. 

Wenn  uns  die  3IoraIislen  und  Rituale  zeigen ,  wie  es  in 
Lie!)es-  und  Ehesachen  den  Verordnnng^en  nach  sein  sollte,  so 
zeigt  uns  das  Liederbuch  die  wirkliche  Welt  auch  im  alten 
China  vielfach  ganz  anders  —  wie  wir  das  oben  schon,  wo  von 
der  Trennniig  der  (Jeschlechler  die  Rede  war,  sahen — so  anch 
in  den  ehelich(Mi  Veihältnissen.  Die  Fesseln  des  C(M(>nu)nieIs 
sind  abgeworfen,  und  man  lebt  frei  wie  bei  uns.  Natura  ,  ex- 
pellas  furca,  lamen  usque  recurrit.  Das  Liederbuch  sollte  ja 
die  wirkliche  Sitte  in  d(ni  verschiedenen  kleinen  Roichen  dar- 
stellen. Namentlich  im  kleinen  Reiche  Tschini»-,  im  jetzigen  Si- 
noan-lu  in  Schen-si,  linden  wir  solche  freiere  Sitten.  Da  kom- 
men junge  Miinner  und  Mäd*  hen  frei  zusanunen  und  geben  sich 
Stelldichein.  So  heisst  es  L  7,  15  am  Oslthore  ist  ein  ebener 
Weg;  die(Pllanze)  Yu-Iiü  steht  am  Ufer.  Sein  (des  Geliebten) 
Haus  ist  in  der  Nähe,  aber  der  31ann  ist  weit  weg.  Am  Ost- 
Thore  sind  Kastanien,  es  ist  da  eiin?  Reihe  Häuser.  V/ie  sollte 
ich  deiner  nicht  gedenken?  Aber  du  willst  nicht  mit  mir  zu- 
sannnenkommen.  L  7,  13  äussert  eine  Schöne:  liebst  du  nnch, 
gedenkst  du  meiner  ,  so  h(d)e  die  Kleider  auf  und  setze  über 
den  Tschin  (Fluss) ;  gedenkst  du  meiner  nicht,  so  wird's  ein 
anderer  Mann  sein;  du  Bursche  wärst  aber  toll.  Die  zweite 
Strophe  wiederholt  wie  gewöhnlich  denselben  Gedaidven,  nur 
heisst  hier  der  Fluss  Wei.  Derselben  Flüsse  erwähnt  I.  7,  21. 
J)a  heisst  es  der  Tschin  und  Wei  sind  schon  wasserreich.  Der 
Mann  (Sse)  und  die  Frau  halten  die  Lan  (BlunnV)  in  der  Hand; 
die  Frau  sagt:  ich  will's  doch  mit  ansehen;  er:  ich  hab's  gesehen, 
will's  aber  nochmals  sehen.  .lenseits  des  Wei  schwätzen  sie 
und  freuen  sich  (sind  lustig)  Er  utid  seine  Frau  sclierzen  und 
unterhalten  sich  mit  Hlumenpfliicken.  Die  zweite  Strophe  wie- 
derholt ziemlich  diesen  Gedanken  wieder.  1.  7,  14  erwartet 
der  Ueppige  sie  vor  dem  Thore  und  schmollt,  da  sie  nicht  mit 
ihm  geht.     Ein  Elegant   erwartet  sie  in    der  Halle    und    grollt, 


228  Sitzutig  der  philos.-philol.  Ctasse  vom  6.  Üec.  1862. 

dass  sie  nicht  zu  ihm  kommt.  Pe-hi  spannt  die  Pferde  vor  den 
Wagen  und  nimmt  sie  dann  mit  in  seinen  Wagen.  Strophe  2 
lieisst  es  dafür,  sie  heirathe  ihn.  Auch  I.  1,  11  kommt  dieser 
Pe-hi  vor:  führst  du  mich,  so  vereinige  ich  mit  dir.  Strophe  2 
heissl  es  dafür:  ich  bin  dir  zu  Willen  I.  7,  12  schilt  die 
Schöne:  Du  Unnützer  redest  nicht  mit  mir;  Deinetwegen  kann 
ich  nicht  essen.  Du  unnützer  Bursche  isst  nicht  mit  mir,  doch 
kann  ich  Deinetwegen  nicht  verschnaufen,  vgl.  auch  I.  7,  10. 
Nach  1.  7,  19  scheint  es  vor  den  Thoren  schon  Freudenmäd- 
chen gegeben  zu  haben.  Vor  dem  Oslthore,  heisst  es  da,  sind 
Mädchen  wie  Wolken  ,  aber  obwohl  sie  wie  Wolken  sind,  ge- 
hen meine  Gedanken  doch  nicht  auf  diese ;  (meine  Frau)  in 
ihrem  einfachen  weissen  Kleide  und  grünen  Schleier  (Kin)  er- 
freut mich.  Strophe  2  wiederholt  diess  ziemlich.  Ausser  dem 
bethurmlen  Stndtlhore  sind  Frauen  wie  Theepflanzen  ;  obwohl 
sie  aber  wie  Theepflanzen  sind,  denke  ich  doch  nicht  an  sie; 
das  weisse  mit  der  Pflanze  (Yu-liü)  gefärbte  Kleid  erfreut  nnch. 
I.  7,  20  komnU  der  Dichter  mit  einer  Schönen  zusammen,  die 
ihm  gefallig  ist.  Auf  dem  Felde,  heisst  es,  ist  die  Kriechpflanze 
Wan;  Thaulropfen  benetzen  sie.  Es  ist  eine  schöne  Person  da, 
rein  dehnen  sich  ihre  gebogenen  (Brauen)  aus.  Unerwartet  be- 
gegneten wir  uns  und  ich  erreichte  meinen  Wunsch.  I  7.  2 
bittet  datjegen  eine  Schöne  ihren  Tschung-tseu :  Geh  doch  nicht 
durch  unser  Dorf  (Li)  und  zerbrich  nicht  unsere  Khi  ( Weiden - 
oder  Mispeln-)  Pflanzungen.  Wie  wagte  ich  dich  zu  lieben; 
ich  scheue  meinen  Vater.  Tschung,  du  kannst  es  wohl  beden- 
ken;  meiner  Aeltern  \A'orte  muss  ich  scheuen  (Wei).  0  Tschung-r 
tseu  steig  nicht  in  unsern  Garten  und  zerbrich  nicht  unsere  fan- 
Pflanzungen.  Wie  wagte  ich  dich  zu  lieben,  ich  fürchte  das 
Gerede  der  Leute.  0  Tschung-tseu!  du  kannst  es  wohl  bedenken, 
ich  muss  das  Gerede  der  Lenle  scheuen.  Eine  andere  dage- 
gen I.  7,  17  sehnt  sich  nach  der  Ankunft  ihres  Geliebten:  Be- 
ständig denkt  mein  Herz  an  ihn  ;  kann  er  seine  Stinune  nicht 
vernehmen  lassen?  Strophe  2  heisst  es  dafür,  kann  er  nicht 
kommen?    Flüchtig,    sorglos  ist  er  im  Warlthurme.     Wenn  ich 


Plath  .  Die  häuslichen   VerhälUiisse  der  ulten  Chinesen.       229 

einen  Tag  ihit  nicht  sehe,  dünkt  es  mir  wie  3  Monate.  Die 
Liedchen  sind  alle  sehr  kurz  nnd  nicht  immer  sicher  zu  deuten. 
1.  5.  4.  3  hcisst  es  (higegen  in  einem  Liedchen  aus  dem  R(!iche 
Wei.  Krau  .  vergnüge  dich  nicht  mit  einem  Manne;  der  Mann 
(Sse)  der  sich  so  vergniiot,  kann  sich  noch  wieder  herauszie- 
hen: eine  Frau  aher  nimmer.  Nach  La  Charme  khifft  so  eine 
ausschweifende  Frau,  welche  ihr  Mann  Verstössen  hat.  Sie  wirft 
die  Schuld  aber  auf  ihn.  Seil  ich  zu  dir  kam.  ass  ich  3  Jahre 
ärmlich,  die  Frau  irrte  nicht,  der  Mann  nahm  aber  einen  ande- 
ren Gang;  er  habe  kein  Maass  gehallen,  zwei-,  dreierlei  war 
seine  Tugend  3  Jahre  war  ich  seine  Frau  und  besortrle  sein 
Hauswesen,  früh  stand  ich  auf  und  um  Mitternacht  erst  schlief 
ich  ein;  deine  Befehle  vollzog  ich  und  doch  zürnest  du.  M(;ine 
Brüder  wussten  das  nicht  und  lachten  mich  aus;  indem  ich  es 
bei  mir  überlege,  bin  ich  bekümmert.  Bis  in  dein  Aller  dachte 
ich  mit  dir  vereint  zu  leben  und  jetzt  liisst  du  nnch  bis  in's 
Alter  klagen.  Als  mein  Haar  noch  in  ein  Hörn  aufgebunden 
war  (vor  der  Heirathj,  war  ich  froh,  sprach  und  lacheile  fröh- 
lich. Treue  haltest  du  mir  versprochen,  an  diese  Undvehr  dachte 
ich  nicht.  Wie  wird  das  enden?  Auch  im  Reiche  Yuriir,  ei- 
nem  Theile  <les  späteren  Wei  in  Ho-nan,  finden  wir  solche 
freiere  Sitten.  L  4,  4  gibt  eine  Schöne  ihrem  Geliebten  eine 
Rendezvous  und  begleitet  ihn.  L  4,  7  wird  tadelnd  erwähnt, 
dass  ein  Mädchen  fern  \on  ihren  Aeltern  und  Brüdern  gehe, 
ob  etwa  zur  Hochzeit?  solche  Ausschweifende  hielten  nicht  auf 
Treue  und  kemiten  nicht  <lie  Beslinnnung  (Ming).  In  einem 
Liedchen  aus  dcMu  Kaiserlande  L  (5,  9  ruft  eine  aus:  wenn  sie 
von  ihrem  (Gelieblen)  gelrennt  in  einem  verschiedenen  Hause 
leben  müsse,  so  wolle  sie  wenigstens  nach  dem  Tode  in  einer 
Grolle  mit  ihm  zusammen  (ruhen).  Sagst  du,  ich  war  dir  nicht 
treu,  so  hab'  ich  die  »rlänzende  S()nn(^  (als  Zeuge).  In  Wei  ist 
I.  5.  8  ihr  tapferer  Pe-hi  weil  nach  Osten  in  den  Krieg  fort- 
gezogen, seitdem  ist  ihr  Haupt  (Haar)  wie  die  verwehende  ver- 
wirrte (Pflanze)  Pung ,  wozu  sollte;  sie  sich  das  Haupt  schmü- 
cken und  salben;  indem  sie  an  ihren Fe-hi  denkt,  schmerzt  ihr 


230         Sitzung  der  phüos.  phüot.  Clas.se  vom  6.  l)ec.  1862. 

der  Kopf,  woher  sollte  sie  die  Verc/essenheits pflanze  bekommen? 
I.  3,  1,  4  hören  wir  die  Sehnsiichl  der  Braut  nach  dem  ferne- 
ren Briiuliuani.  Zierlich  werden  anderswo  Liebesoaben  tjeschil- 
dert.  Amh  der  Schmerz  der  verkainilLn.  der  verfehlten  Licdje 
fehlt  nicht,  noch  die  Aengsllichkeit  der  heimlichen,  die  verra- 
then  zu  werden  fürchtet;  der  Gelieble  wird  desshalb  zur  Vor- 
sicht ermahnt.  Eine  klafft  den  Sternen,  dass  k(Mn  Jünoling-  für 
sie  kommen  wolle;  der  Krieg  habe  alle  hinweguerafl't.  Auch 
den  Freudenausbruch  des  Wiedersehens  vernehmen  wir.  Doch 
genug  ,  um  zu  zeigen ,  dass  die  Menschen  überall  und  auch  in 
China  menschliche  Gefühle  haben  und  die  Pedanterie  der  chine- 
sischen Geselzffeber  diese  nicht  zu  vertilgen  vermocht  hat! 


//.  Aelteru  vtid  Kinder. 
Die  Geburt  des  Kindes.  Die  Namen  gebung. 

Das  Buch  von  berühmten  Frauen  (Lie  niü  tschuen)  von  Dr. 
Lieu-hiang  im  Siao-hio  1  §.  2  sagt:  Einst  unterstand  eine  schwan- 
gere Frau  sich  Nachts  lucht  auf  der  Seile  zu  liegen ,  beim 
Sitzen  (auf  der  Matte)  den  Körper  nicht  zu  biegen  ,  nicht  auf 
einem  Fusse  zu  stehen  ,  keine  ungesunde  oder  schlecht  zer- 
schnittene Speise  zu  geniessen ,  auf  keiner  schlecht  gemachten 
Matte  zu  sitzen,  keinen  garstigen  Gegenstand  anzuschauen,  noch 
üppige  Töne  zu  hören.  Abends  musste  der  Blinde  (Musiker) 
die  beiden  ersten  Oden  des  Tscheu-  und  Tschao-nan  im  Lie- 
derbuchc  (die  von  der  Hausordnung  handeln)  singen  und  sie 
Hess  sich  anständige  Geschichten  erzidilen.  So  wurde  ein  auch 
geistig  gut  geartetes  Kind  g(?boren. 

Der  Li-ki  im  Cap.  Nei-tse  12  fol.  73  v.  sagt:  wenn  eine 
Frau  ein  Kind  gebaren  soll,  bewohnt  sie  einen  Monat  ein  Sei- 
tenhaus (Tse-schi). "     Der  Mann    schickt   zweimal  den  Tag  Je- 

(G)     Nach  den  Sclinl.  ist  vorne  der  T  s  »li  i  n  ij  - 1  sii  i  n  ,     hinten  der 
Yeii-lsiiin  und  diesem  zur  Seile  das  Tsc-.sclii. 


Plaih:  Die  häuslichen  Verhältnisse  der  allen  Chinesen.        231 

manden  n;ich;5urrn^on  und  fragt  auch  selber  nach;  seine  Frau 
wagt  ihn  aber  niciil  zu  sehcMi,  sondern  schickt  dit;  Mii  (S.oben) 
seine  Anfrage  zu  beantworten,  bis  das  Kind  geboren  ist.  Dann 
schickt  der  Mann  den  Tag  wiederholt  nachzufragen;  liat  er  Fa- 
sten (Tsi),  so  betritt  er  ni(ht  die  Thiire  des  Seitenhauses. 

"Wenn  ein  Kind  geboren  ist.  so  legte  man  bei  einem  Kna- 
ben einen  Bogen  (Hu)  links,  bei  einem  Mädchen  ein  Gürteltuch 
CSchui)  rechts  von  der  Thüre.  Nach  3  Tagen  fiingt  man  an, 
das  Kind  auf  dem  Arme  zu  tragen,  beim  Knaben  schiessl  man, 
beim  Miidchen  nicht,  vgl.  die  Stelle  ans  dem  Schi-king  II  4.  5 
oben  S    205. 

Wenn  einem  Reichsfürsien  ein  Erbprinz  (Schi-tseu)  gebo- 
ren wird,  meldet  man  es  dem  Fürsten.  Man  bedient  sich  eines 
grossen  Opferlhieres  (Ta-Iao,  d.  i.  einer  Kuh);  am  3ten  Tage 
befragt  man  das  Loos,  ein  Sse  trägt  ihn  ;  wenn  dieses  günstig 
ist,  so  faslet  man  (So-thsi),  in  Hofkleidern  trägt  man  (das  Kind) 
ausserhalb  der  Thüre  der  Schlafstube.  Der  Schütze  schiesst  mit 
einem  Bogen  aus  Maulbeerbaundiolz  6  Pfeile  gegen  den  Him- 
mel und  die  Erde  und  gegen  die  vier  Weltgegenden  ab.  Die 
Schulznuilter(I*ao)  nimmt  ihn  (vom  Sse)  und  trägt  ihn;  der  Be- 
amte (der  Mann)  spendet  Wein  und  beschenkt  ihn  (den  Sse)  mit 
einem  Bündel  Sei<lenzeug  (5  Stück).  Je  nach  dem  Ausspruche 
des  Looses  heisst  er  die  Frau  des  Sse  oder  die  zweite  Frau  des 
Ta-fu  d(!n  Sohn  ernähren  (stillen). 

Jedesmal  dass  man  das  Kind  empfängt,  wählt  man  den 
Tag  aus.  Bein»  ältesten  Sohne  (Tschung-lseu)  bringt  n)an  ein 
grosses  Üpferthi<M-  dar,  der  gemeine  Mann  ein  Ferkel  (Thi  tun), 
der  Sse  ein  Sehwein  (Thi-schi),  der  Ta-fu  ein  kleines  Opler- 
thier  (Schao-lao.  d.  i.  ein  Schaf);  beim  Erbprinzen  eines  H(!ichs- 
fürsten  ein  gross(!s  Opferthier.  Ist  es  nicht  der  Erstgeborne, 
so  gehen  alle  einen  (irad  herunter. 

Verschieden  von  dem  Hause  der  gewöhnlichen  Kinder  sucht 
man  im  Palaste  unter  allen  Müttern  (zweiten  Frauen),  die  mau 
haben  kann,  eine  aus,  die  liberal  (Khuan-yü),  liebevoll,  wohl- 
wollend, mitleidig,  brav,  ehrerbietig,  voll  Respekt,  sorgsam  ist 


232         SiHung  der  philos.-plntol.  Clause  vom  6.  Dec.  1862. 

und  wenig  spricht  und  macht  sie  zur  Lelireriii  (Führerin)  des 
Kindes  (Tseu-sse) ;  die  zweite  wird  die  Niihr-  oder  Pflegeuuit- 
ler  (Tseu-nui).  die  folgende  die  Schulznmlter  (Pao-inu  mit  der 
Aufsicht  üher  das  Schlafgemach  und  die  Wohnung).  Alle  woh- 
nen im  Hause  des  Kindes;  ein  fremder  Manu  kommt  nicht 
dahin. 

Am  Ende  des  'dien  Monats  wählt  man  einen  Tag,  dem 
Kinde  das  Haar  zu  schneiden  und  iasst  einen  kleinen  Zupf  (To) 
stehen.  Beim  Knaben  macht  man  ein  Hörn  (Kio)  daraus,  beim 
Mädchen  einen  Knoten  (Ki  eigentlich  Halfter);  geht  es  nicht, 
so  hisst  man  die  Haare  beim  Knaben  links,  beim  Miidclien  rechts 
stehen.  Au  diesem  Tage  wird  die  Frau  mit  dem  Kinde  vom 
Vater  gesehen.  —  Vom  Literaten  im  Amte  (Mintr-sse)  abwärts 
baden  sich  alle  (seu  hoan)'  zuvor.  iMänner  und  Frauen  stehen 
früh  auf,  waschen  und  baden  (mo-yo)  sich,  kleiden  sich  an  und 
präsentiren  die  Speise  des  ersten  3Ionatstages.  Der  Mann  tritt 
in  die  Thüre  (des  Seitenhauses) ,  steigt  von  der  Treppe  hinauf 
und  steht  auf  der  Treppe  an  der  Westseite.  Die  Frau  konnnt. 
das  Kind  auf  dem  Arme ,  aus  dem  Zinuuer  heraus  und  stellt 
auf  der  Schwelle,  das  Gesicht  nach  Osten  gewendet.  Die  Mu 
sagt:  die  Mutter  N.  N.  (sie  nennt  die  Familie  der  Frau)  wagt 
die  Zeit  wahrzun(!hnuMi  und  zeigt  respektvoll  das  Kind  (Jü- 
tseu);  der  Mann  erwiedert :  sorgfältig  erziehe  es.  Der  Vater 
fasst  dann  das  Kind  au  der  rechten  Hand  ,  es  lächeil  und  er 
gibt  ihm  den  Namen  (Miiig).  Die  Frau  erwiedert  und  spricht: 
des  Kindes  Lehrerin  (Sse)  zeige  ihm  den  rechten  Weg,  über- 
nimm die  Aufsicht  und  melde  allen  Frauen  und  allen  Müttern 
den  Namen.  Die  Frau  geht  dann  in  das  Hintergemach  (Thsin) 
zurück. 

Der  Mann  zeigt  dann  dem  Gouverneur  (Tsai)  den  Nauien 
an.     Dieser  trägt  alle  Männer-Namen  in  sein  Buch  ein,  welches 


(7)     Die  Alten  badeten  alle  10  Tage,    daher    iiie.ss  Hoan    auch  die 
Decade. 


Plath:  Die  häuslichen    Verhalitiis.se  der  alten  Cliinesen.       233 

besagt ,  in  dem  und  dem  Jahre,  Monate  und  Tage  wurde  der 
und  der  geboren.  Der  Beamte  meldet  es  dann  dem  Liü-sse 
(dem  Vorsteher  von  25  P'amilien).  Dieser  behält  den  Namen 
einmal  in  seinem  Buclie ,  dann  meldet  er  ihn  dem  Tscheu-sse 
(dem  Vorsteher  von  2500  Familien),  der  dem  Tscheu-pe  und 
der  dem  Tscheu- fu  Bei  der  (ieburt  und  Namengebung  (ünes 
Erbprinzen  (Schi-tseu)  ist  es  ahnUch;  wir  übergehen  sie  daher. 
Auch  bei  der  des  jüngeren  Sohnes  (Schi-tseu)  und  des  Sohnes 
der  zweiten  Frau  (Schu-tsen)  ist  wenig  Unterschied;  sie  er- 
scheinen nur  im  äusseren  Gemache  (VTai,  d.  i.  dem  Yen-tshin). 

Kein  Name  (Ming)  darf  von  der  Sonne,  dem  Alonde,  von 
einem  Reiche,  von  einer  verborgenen  Krankheit  —  das  Cap. 
1  Kio-Ii  lol.  21  setzt  hinzu:  auch  nicht  von  Beroen  und  Flüs- 
sen  —  entlehnt  sein.  Der  Sohn  eines  Ta-fu  und  Sse  darf  sich 
nicht  unterstehen ,  denselben  Namen  nnt  dem  Erbprinzen  (Schi- 
tseu)  zu  führen. 

Bei  der  Geburt  des  Sohnes  einer  Kebse  (Tshie)  des  Fürsten 
finden  nur  kleine  Unterschiede  statt.  Der  Vater  lässt  nur  ein- 
mal nachfragen  und  sieht  ihn  im  innern  Gemache  (Nei  Tshin). 
Je  geringer  der  Stand  der  Frauen  ist,  desto  weniger  Umstände 
wird  mit  den  Kindern  gemacht.  Der  gemeine  Mann  (Schu-jin),  der 
kein  Seitenhaus  hat,  geht  den  Tag  über  aus  und  erkundigt  sich 
im  gemeinsamen  Hanse  nach  seiner  Frau.  Der  Ritus,  wie  der 
Sohn  den  Vater  sieht ,  das  Ergreifen  der  Rechte,  die  Namen- 
gebung  ist  nicht  verschieden. 

Jeder  Vater,  der  einen  Enkel  bekonunl,  sieht  ihn  zuersl 
im  Ahnensaale.  Dort  gibt  ihm  der  Grossvater  (Tsu)  auch  den 
Namen,  in  derselbcMi  Art  wie  dem  Sohne. 

Der  Sohn  des  Ta-fn  li;it  eine  Amme,  Sse-mu.  die  Nähr- 
mnlter  genannt,  die  das  Kind  nährt  (Schi-Iseu),  sie  geht  wenn  das 
Kind  3  Jidn-e  all  aus  und  zeigt  es  im  Palaste  des  Fürstcui  (Kuno-) 
und  wird  dann  da  beschenkt.  Die  Frau  des  Sse  stillt  ihr  Kind 
selber.  Ammen  komnjen  also  in  China  schon  früh  vor.  v^l. 
Cibot  Mem.  T.  Mll.  p.  32i.  Wir  haben  Unbedenlendes  in  die- 
ser Schilderung  übergangen;   von    dem   weiteren  Verfahren  mit 


234        Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  6.  Dec.  1863 

dein  heranwachsenden  Kinde  in  den  verschiedenen  Jahren  wird 
bei  der  Elrziehunij  besser  die  Rede  sein. 


Das  Verbältniss  zwischen  Aellern  und  Kindern. 

Die  Pflichten  der  Kinder  g-eo-en  die  Aellern  sind  durch- 
gängige  Aufiiierksaniiveit,  vüibge  Hingabe  an  den  Vater,  mit 
Verleugnung  aller  Selbständigkeit  und  Selbstheit.  Der  Siao-hio 
Cap.  2  §.  51  ,  enthält  ans  dem  Li-ki ,  dem  I-li  und  anderen 
alten  Schriften  eine  Zusammenstellung  von  Aussprüchen  über 
die  Pflichten  der  Pietät;  vgl.  auch  den  Hiao-king  oder  das  clas- 
sische  Buch  von  der  Pietät  und  Cibot's  Doctrine  des  Chinois 
sur  la  Piete  filiale  Mem.  conc.  la  Chine  T.  IV.  p.  1—298  und  XIII. 
p,  327  flg.  Als  hohe  Muster  solcher  Pietät  fidut  der  Li-ki  cap. 
8  Wen-wang  Schi-tseu  fol.  27  Wen-wang  und  W^u-waiig  auf 
(1122  v.Chr.):  Als  Erbprinz  wartete  jener  täglich  3mal  (seinem 
Vater)  Wang-ki  auf.  Morgens  beim  ersten  Hahnenruf  kleidete 
er  sich  an,  trat  an  die  äussersle  Thiire  des  Schlafgemachs  und 
fragte  dann  den  Diener,  ob  der  Vater  heute  einen  (ruhigen) 
guten  Tag  habe;  sagte  der  ja,  so  wjir  er  froh.  Pas  wieder- 
holte er  Mittags  und  Abends;  sagte  er  nein  ,  dann  war  er  be- 
kinnmert  und  konnte  sein  Fusszeug  nicht  fertig  anziehen.  Wir 
übersehen  die  weiteren  kleinlichen  Einzelnheiten  ,  wie  er  auch 
für  sein  Essen  sorgte  u.  s.  w. 

Der  Li-ki  Cap.  12.  Nei-tse  fol.  51  v.  57  und  daraus  I-sse 
B.  24,  6  fol.  17  v.  —23  v.  beginnt:  „Das  Kind,  das  dem  Va- 
ter und  der  Mutter  dient,  wäscht,  wenn  der  Hahn  zu  krähen* 
anfängt,  Hände  und  Mund,  kämmt  das  Haar,  flicht  es,  steckt 
es  mit  einer  Nadel  fest,  Ihut  das  Netz  darüber,  den  Staub  aus- 


(8)  Man  .stand  in  (Jliina  friiii  mit  dem  Halinenriire  auf,  nicht  nur  der 
Jäger  (Silii-kini;-  1.  7.  8  und  16),  sondern  ging  autli  schon  früh  an  den 
Hof  I.,  8.  I,  wie  noch  jezt. 


Plath  :  Die  häuatichen  Verhältnisse  der  alten  Chinesen.     235 

schüttend ,  bindot  die  Hutbänder  zusammen  ,  zieht  ein  langes 
Kh^id  an  und  Ihut  den  Gürtel  um.  An  der  linken  Seite  hiinal 
es  ein  Wisch-  oder  Handluch,  ein  Messer,  einen  Schleifstein, 
ein  kleines  Hörn  (Knot(Mi  aufzumachen)  und  einen  Brennspieg-el 
aus  Melall,  rechts  den  Schülzenriemen,  ein  grosses  Hörn  (Kno- 
ten auCzulüsen)  und  2  Hölzer  (durch  Reibung  Feuer  anzuma- 
chen). Er  legt  die  Beinbinden  (i'i)  an  und  zieht  die  Schuhe 
an,  die  er  fest  bindet,  um  so  anständig  vor  den  Aeltern  zu 
erscheinen. 

Die  Frau  (Schwiegertochter),  um  dem  Schwiegervater  und 
der  Schwiegermutter  zu  dienen,  wie  sie  Vater  und  Mutter 
diente,  steht,  wenn  der  Halm  zu  krähen  anlangt,  auf,  wäscht 
Hände  und  Mund,  kämmt  das  Haar,  flicht  es,  steckt  es  mit 
Haarnadeln  fest,  zieht  ein  langes  Kleid  an.  Links  hängt  sie  an 
den  Gürlel  ebenfalls  ein  Tuch,  ein  Messer,  einen  Schleifstein, 
ein  kleines  Hörn  (Knoten  aufzulösen),  einen  Brennspiegel  aus 
Metall,  rechts  eine  Nähnadel  mit  Faden  und  Seide,  ein  Säck- 
chen und  ein  grosses  Hörn  (zum  Auflösen  der  Knoten).  2  Höl- 
zer zum  Feuerreiben.  —  Die  Schuhe  werden  festgebunden.  Dann 
gehen  sie  an  den  Ort  (in  das  Schlafgemach)  von  Vater  und 
Mutter ,  Schwiegervater  und  Schwiegermutter.  Dort  angekom- 
men, frag(!n  sie  sie  mit  unierdrücktem  Athen»  und  sachter, 
sanfter  Stimme,  ob  sie  auch  gegen  die  Kälte  warm  angezogen 
sind,  leiden  sie  an  einer  Krankheit  wie  an  einem  kleinen  Ju- 
cken (Ho-yang),  so  stehen  sie  ihnen  ganz  ehrerbietig  bei,  kra- 
zen  oder  reiben  sie.  Beim  Aus-  und  Eingehen  geht  einer  von 
ihnen  voraus  und  einer  hinten  nach  und  unterstützt  sie  ehrer- 
bietig. Sie  brinoen  ihnen  Waschwasser;  die  Kleinen  reichen 
ihnen  die  Waschschaale,  die  Grössern  das  Wasser  und  ersuchen 
sie ,  die  Hände  zu  waschen.  Nachdem  das  Wüschen  vorbei, 
reichen  sie  ihnen  ein  Tuch  (zum  Abtrocknen)  und  fragen,  was  sie 
zu  essen  und  zu  trinken  wünsrhcn  und  ehrerbietig  bringen  sie 
es  ihnen,  mit  sanftem  Blicke  ihren  Wunsch  erfüllend  (ei<j.:  sie 
zu  erwärmen):  Reisschleim,  süssen  Wein,  Suppe  mit  Gemüse, 
Hülsenfrüihte,    Waizen,    Hanfsamen  (Fen),    Wasserreiss  (Tao)^ 

16* 


236        Sitzung  der  philos.-pftilot,  Classe  vom  6.  Dec.  iSdi. 

(Hirse)  Sehn  und  Leang  und  (die  Reisart)  Scho  und  fragen  was 
sie  davon  wünschen,  dann  chinesische  Datlehi  und  Kastanien, 
Reiskugein  und  Honig  (Mi),  sie  zu  versüssen  (der  Zucker  war 
in  China  damals  noch  unbekannt),*  eine  niehlhaltige  Pflanze  und 
Fett ,  um  (das  Essen)  zu  fetten.  Wenn  Vater  und  Mutter, 
Schwiegervater  und  Schwiegermutter  sie  gekostet  haben,  gehen 
sie  wieder  fort. 

Die  Knaben  und  Mädchen  ,  die  noch  nicht  den  männlichen 
Hut  und  die  Haarnadel  angelegt  haben,  stehen  ebenfalls ,  wenn 
der  Hahn  zu  krähen  anlangt ,  auf,  waschen  Hände  und  Mund, 
kämmen  die  Haare,  flechten  sie  und  thun  die  Haare  in  ein 
Netz,  ein  Hörn  (daraus  bildend.)  Sie  hängen  an  den  Gürtel 
eine  Tasche  mit  duftenden  Sachen.  Früh  Morgens  (gehen  sie 
zu  den  Aeltern)  und  fragen,  was  sie  essen  und  trinken  wollen. 
Haben  sie  schon  gegessen,  so  treten  sie  zurück;  wenn  sie  noch 
nicht  weffessen  haben ,  so  unterstützen  sie  die  altern  Geschwi- 
ster  und  sehen  nach  den  Schüsseln. 

Alle  (Diener)  drinnen  und  draussen  waschen  auch  Hände 
und  Mund  wie  der  Hahn  zu  krähen  beginnt  .  kleiden  sich  an- 
ständig an.  nehmen  Kopfstück  und  Decken  zusanunen  (sie  schlie- 
fen auf  der  Erde),  bespritzen  und  kehren  das  Haus  und  die 
äussere  und  innere  Halle  (Tang  und  Ting),  breiten  die  Matten 
aus  und  jeder  geht  dann  seinem  Geschäfte  nach.  Vom  Beam- 
ten (Ming-sse)  aufwärts  haben  Vater  und  Söhne  alle  eine  ver- 
schiedene Wohnung  (Kung).  Früh  Morgens  (Mei-schoang)  war- 
ten diese  ihnen  liebevoll  auf,  in  der  Absicht,  sie  zu  erfreuen. 
Den  Tag  über  gehen  sie  weg.  Jeder  seinem  Geschäfte  nach, 
von  Tages  Eintritt  bis  zum  Abend.  Wenn  Vater  und  Mutter, 
Schwieffervater  und  Scliwiegermutter  niedersitzen  wollen  (Mor- 
gens  beim   Aufstehen  nach    den»  Schol.),  bringen  sie  ihnen    die 


(9)  Einige  Clianilvlcre  .sind  mir  uiivprstandliili.  Der  Scliol.  sagt 
schon,  dass  bei  der  Verse liicdciiluit  der  alten  (ieiällie  und  «erithte  u. 
y  w    mancher  Ausdruck  nicht  sicher  zu  deuten  sei. 


Plath :  Die  hiluslichen  Verhältnisse  der  alten  Chinesen.       237 

Mallo  und  fragen,  wo  sie  sie  hinlegen  sollen.  Wollen  sie 
sich  niederlegen,  so  bringen  die  altern  die  Schlarinntte  und  fra- 
ffen,  wo  sie  die  Füsse  hinrichten  wollen;  die  Kleinen  bringen 
ein  Bänkclien  beim  Sitzen  (Tschoang,  jetzt  ein  Bett,  nach  dem 
Schue-wen  damals  eine  kleine  Bank  zum  Anleimen).  Die  Die- 
ner stellen  ein  Tischchen  hin ,  legen  die  Malten  Si  und  Thien 
zusammen —  jene  soll  ans  Binsen,  diese  ans  Bambus  gewe.sen 
sein  —  hängen  das  Zeug  auf,  die  Kopfslülze'"  thun  sie  in  einen 
Korb  oder  eine  Büchse  (Khie):  die  Bambusmatle  rollen  sie 
zusammen  und  thun  sie  in  don  Nachtsack  des  Vaters  und  der 
Muller,  des  Schwiegervaters  und  der  SchwiegermutliM-.  Klei- 
der, Decke,  Malte,  Kopfstütze  und  Tischchen  verrücken  sie 
nicht:  ihren  Stock,  ihre  Schuhe  respektiren  sie  und  unterstehen 
sich  nicht,  sich  ihrer  zu  bedienen  (ihnen  zu  nahen);  ihre  Schüs- 
seln, Becher  und  Gelasse,  wenn  nicht  Ueberbleibsel  darin  sind, 
wagt  keiner  zu  gebrauchen;  ihre  Speise  oder  ihren  Trank,  wenn 
es  nicht  Ueberbleibsel  sind,  wagt  keiner  zu  essen  und  zu  trin- 
ken. So  lange  Vater  und  Mutter  am  Leben  sind,  ermuntert  der 
Sohn  und  seine  Frau  Morgens  und  Abends  sie  beständig  zum 
Essen,  und  wenn  sie  gegessen  haben,  verspeisen  sie  die  Ueber- 
bleibsel. Wenn  der  Vater  gestorben  ist,  die  Mutter  aber  noch 
lebt ,  wartet  der  älteste  Sohn  (Tschung-tseu)  ihr  beini  Essen 
auf,  die  andern  Söhne  und  Frauen  helfen  ihm,  wie  zu  Anfange 
(da  der  Vater  noch  lebte). 

Weini  Vater  und  Mutter,  Schwiegervater  und  Schwieger- 
nmtter  ihnen  etwas  heissen,  müssen  sie  gleich  ehrerbietig  ja 
(wci)  antworten;  beim  Hinkommen  und  Weggehen  sorgsam 
und  aufmerksam  (sie  bedienen);  beim  Hinauf-  und  Hinabgehen, 
beim  Aus-  und  Eingehen  sich  verneigen  und  leise  auftreten, 
nicht  wagen  zu  rülpsen,  zu  gähnen,  zu  husten,  den  Körper  zu- 


(10)  Der  .\ii.s(lrii(k  Kopfkissen  »der  Ptiilil  für  Tsiliiii  i.st  insofern 
unpassend,  al.s  es  dem  (liiaraliler  nadi  nur  ein  Holz  war,  das  man  un- 
terlegte, damit  der  Kopf  eUvas  lioher  liege, 


238  Sitzutiff  der  philos. -philol.  Vlasse  vom  6.  Dec.  i868. 

saniiueiizuzielieii  oder  ausziislreckeii,  nicht  auf  einem  Fuss  zu  sie- 
ben, nicht  wagen  sie  scharf  anzusehen,  oder  auszuspucken  oder 
die  Nase  tröpfeln  zu  hissen.  Wenn  sie  auch  freiem,  wagen  sie 
nicht  ein  Ueberkleid  anzuh'gen,  wenn  es  sie  juckt,  wagen  sie 
nicht  sich  zu  kratzen.  Sie  entblössen  die  Arme  nicht,  heben 
ihre  Kleider  nicht  auf,  wenn  sie  nicht  etwa  über  einen  Fiuss 
selZfMi.  Ihr  Unterkleid  (das  etwa  schmutzig  sein  könnte)  zei- 
gen sie  nie.  Vaters  und  Mutters  Ausgespucktes  und  Nasentrö- 
pfel  lassen  sie  nicht  sehen  (wischen  sie  weg),  wenn  deren  Hut 
und  Binde  schmutzig  sind,  so  nehmen  sie  Asche  und  bitten  sie 
waschen  (seu)  zu  dürfen;  wenn  Unter-  und  Oberkleider  auf- 
gegangen und  zerrissen  sind,  nehmen  sie  eine  Nadel  und  bitten 
sie  ausbessern  zu  dürfen.  Jeden  5ten  Tag  nehmen  sie  warmes 
Wasser  (Tsiang-tang)  und  ersuchen  sie,  sich  zu  baden  (Yo). 
Jeden  3ten  Tag  reichen  sie  ihnen  Wasser  zum  Kopfwaschen 
(mo),  wenn  das  Gesicht  schmutzig  ist,  bringen  sie  ihnen  heis- 
ses  Reiswasser  (Phuan)  und  ersuchen  sie,  das  Gesicht  zu  wa- 
schen (hoei);  wenn  die  Füsse  schmutzig  sind,  bringen  sie  heis- 
ses  Wasser  und  ersuchen  sie  die  Füsse  zu  waschen  (sien)." 
Kleine  Sachen  besorgt  der  ältere  (Tschang) ,  geringere  Sachen 
der  geehrtere  (Kuei),  alle  thun  die  Dienste  zur  gehörigen  Zeit. 

Wenn  der  Sohn  und  dessen  Frau  fromm  (hiao)  und  ehr- 
erbietig sind,  so  vollziehen  sie  Vaters  und  Mutters,  Schwieger- 
vaters und  Schwiegervaters  und  Schwiegermutters  Befehle,  ohne 
ihnen  zu  widerstehen  und  ohne  zu  zögern.  Wenn  diese  ihnen 
zu  trinken  oder  zu  essen  geben ,  so  kosten  sie  es ,  wenn  es 
ihnen  auch  nicht  schmeckt  (und  erwarten  bis  sie  es  ihnen  nach- 
lassen); geben  sie  ihnen  Kleidungsstücke,  so  tragen  sie  sie  und 
warten  (bis  die  es  ihnen  erlassen);  haben  sie  ein  Werk  zu  ver- 
richten, und  thut  es  ein  anderer  an  ihrer  Stelle,  so  lassen  sie  es 
geschehen,  wenn  sie  es  auch  nicht  wünschen,  wenn  die  Schvvie- 


(11)  Die   cliinesische  Sprache  hat   lauter  beiondere  Wörter   für  das 
TVaichen  der  Ter«chiedenenThcile  dei  Leibes. 


Plittli :   Die  häuslichen  Verhiiltiiinse  der  alten  Chinesen.    239 

gcniiuller  es  dem  gibt  und  \\e\\x\  die  Schwicgennulter  (später) 
es  ihnen  daini  anls  Neue  aufträgt,  weil  der  andere  nicht  damit 
fertig  werden  kann,  so  übernehmen  sie  es  wieder. 

Wenn  des  Sohnes  Frau  eine  mühsame  Arbeit  hat,  obwohl 
sie  sie  sehr  liebt  und  die  Schwieo-ernmiter  sie  sie  aufcreben 
heisst,  so  muss  sie  sofort  davon  ablassen. 

Wenn  des  Sohnes  Fiau  unfromm  und  ohne  Achtung  gegen 
die  Schwiegermutter  ist,  darf  sie  sich  nicht  beklagen  (tsi  yuan), 
wenn  die  Schwiegernuitter  sie  belehrt:  wenn  sie  sich  aber  nicht 
belehren  lässt  und  diese  ihr  daiui  nachher  zürnt,  darf  und  kann 
sie  nicht  zornig  werden,  wenn  der  Sohn  sie  dann  verslössl  und 
sich  von  ihr  scheidet,  indem  er  da  gegen  den  Brauch  sich  nicht 
vergeht. 

Der  Sohn  und  die  Frau  desselben  haben  kein  besonderes 
Eigcnihum  (Gut  Ho),  keine  ihnen  eigenlhündich  zugehörigen 
(sse  Privat-)  Thiere,  keine  besonderen  Gefässe,  köinien  für  sich 
nichts  aideihen,  noch  ausleihen.  Gibt  ein  (Verwandter)  der  Frau 
Speise  und  Trank  oder  Kleider  oder  Zeug  und  Seidenzeug 
(I'u-pe),  Gürtelanhängsel  oder  duftende  Kräuter,  so  nimmt  sie  sie 
zwar  an .  bringt  sie  aber  gleich  dem  Schwiegervater  und  der 
Schwiegermutter  dar.  Wenn  diese  sie  annehmen ,  ist  sie  er- 
freut, wie  da  sie  sie  zuerst  empfing,  wenn  die  sie  aber  ihr  zu- 
rückgeben und  sie  ihr  schenken,  dann  weigert  sie  sich  erst  (sie 
zu  nehmen);  wenn  diese  aber  darauf  bestehen,  so  nimmt  sie  sie 
wie  neugeschenkt  an  und  hebt  sie  auf,  bis  die  ihrer  bedürfen. 
Wenn  aber  die  Frau  einen  älteren  oder  jüngeren  Bruder  beson- 
ders (sse)  lieb  hat  und  ihm  etwas  davon  geben  will,  so  wen- 
det sie  sich  erst  wieder  billend  an  Jene  und  wenn  die  es  er- 
lauben, gibtsie  es  ihnen  fol  61.  Der  jüngere  Sohn  (der  Schi-tseu  ") 
und  der  Schu-tseu.  (nach  dem  Schol.  dessen  jüngerer  Bruder) 
müssen  dem  ältesten  Sohne  des  directen  Nachkonnnen  des  Fa- 


(12)  Nach  dem  Sthol.  hier  der  Sohn  von  einem  Jüngern  Zweige  der 
Familie. 


24Ö         Sitxung  der  philov.  phüol.  Classe  vom  6.  Dec.  i862. 

milieiigründers  (Tsung-tseii)  und  dessen  Frau  (Tsuno;-fii)  die- 
nen. Wenn  sie  ano-eselien  und  reich  sind,  dürfen  sie  nicht  mit 
Ehren  und  Reichthiimern  sein  Hhus  betreten;  wenn  sie  viele 
Wagen  (Cnrossen)  und  Bediente  (Tsu)  haben,  müssen  sie  diese 
draussen  (stehen)  lassen  und  nur  mit  wenig  Anhang  (Yo  An- 
gebinde) eintreten.  Wenn  ein  jüngerer  Bruder  Geräthe  (Ki), 
Pelz-  und  andere  Kleider,  Wagen  und  Pferde  hat,  muss  er  sie 
immer  erst  seinem  alteren  Bruder  (Tschang)  anbieten,  und  erst 
demnach  sich  unterstehen ,  an  zweiler  Stelle  sie  zu  gebrau- 
chen; hat  er  sie  so  nicht  angeboten,  so  untersteht  er  sich 
nicht,  in  des  Tschung-tseu  Thür  zu  treten  und  wagt  nicht  mit 
Ehren  und  Reichthümern  in  des  Vaters  oder  älteren  Bruders 
Clan  (  Tsung-tsho  )  zu  erscheinen.  So  lange  Vater  und  Mut- 
ter leben,  wagt  er  nicht  für  sich  über  seinen  Leib  (seine  Per- 
son) zu  verfügen,  nicht  für  sich  sein  Vermögen  zu  haben.  So 
lange  Vater  und  Mutter  am  Leben,  verfügt  er  nicht  über  den 
Wagen  und  die  Pferde,  welche  der  Fürst  ihm  geschenkt  hat. 
üiess  soll  ein  Damm  sein,  dass  das  Volk  seiner  Aeltern  (Thsin) 
nicht  vergesse.  Wenn  Vater  oder  Mutter  den  Sohn  oder  En- 
kel einer  geringern  Frau,  wie  einen  illegitimen  Sohn  (Schu- 
tseu)  sehr  lieben,  so  muss  der  legitime  Sohn,  auch  wenn  Va- 
ter und  Mutter  schon  todt  sind  ,  ihn  noch  ehren ,  ohne  darin 
nachzulassen.  Wenn  der  Sohn  zwei  Frauen  2ter  Classe  (Thsie) 
hat,  von  welchen  der  Valer  oder  die  Mutter  die  eine,  der  Sohn 
selbst  die  andere  besonders  liebt,  so  darf  dieser  bei  der  Ver- 
theilung  von  Kleidern  ,  Speise  und  Trank,  bei  der  Auflegung 
von  Arbeiten ,  die  vom  Vater  und  Mutter  geliebte  nicht  fern 
(gering)  ansehen  und  wenn  Vater  und  Mutter  auch  schon  todt 
sind ,  sie  doch  nicht  vernachlässigen.  Wenn  der  Sohn  auch 
ganz  einträchtig  (schin-i)  mit  seiner  Frau  lebt,  Vater  und  Mut- 
ter sie  aber  nicht  leiden  können ,  so  muss  er  sie  Verstös- 
sen; dagegen  wenn  er  mit  ihr  nicht  harmonirt,  Vater  und 
Mutter  aber  sagen,  sie  dient  uns  gut,  sie  als  Frau  behalten  und 
sein  Lebelang  nicht  von  ihr  lassen  Ist  der  Schwiegervater  ge- 
storben und  die  Schwiegermutter  alt,  so  opfert  die  älteste  Frau 


Platli :  Die  häuslichen   Verhältnisse  der  alten  Chinesen.       24t 

(Tschuiiij-fii)  und  einpniiifft  die  fiiislo.  abcM-  in  jeder  Suche  sucht 
sie  erst  um  die  Eilaulmiss  der  Schwiegennulter  nach  und  eben- 
so die  zweite  Frau  (Kiai-fu)  l)ci  der  ersten  (Tschuncr-fu).  Heis- 
sen  Schwicofervaler  und  Sch\viei>ernuitter  der  ältesten  Frau  et- 
was,  so  darf  sie  nicht  Iriioe  sein  und  darf  es  nicht  gegen  den 
Brauch  der  zweiten  Frau  auflragcMi.  Wenn  Schwiegervater  und 
Schwiegermutter  dieser  aber  etwas  heissen ,  darf  sie  sich  nicht 
unterstehen  ,  es  der  ersten  Frau  niitaufzubürden.  Die  Kiai-fu 
darf  sieh  nicht  unterstehen  (mit  der  ersten  Frau)  in  einer  Linie 
zu  gehen,  zugUMch  etwas  zu  befehlen,  mit  ihr  zusammen  (ping) 
sich  zu  setzen.  Jede  Frau  (Fu  Schwiegertochter)  zieht  sich 
ohne  Erhuibniss  (Befehl  Ming  ihrer  Schwiegernmtter)  nicht  in 
ihr  Privat-Gemach  zurück  und  untersteht  sich  (ohne  solchen) 
auch  nicht  aus  demselben  wi(?der  wegzugehen.  Will  die  Frau 
eine  Sache  thun,  sie  sei  gross  oder  klein,  so  ersucht  sie  zuerst 
Schwiegervater  und  Schwiegermutter  um  Erhuibniss.  Tseng 
tseu  (ein  Schüler  des  Conlucius)  sagt:  Nei-lse  c.  12  fol.  69 v.: 
,,Ein  fronnner  Sohn  ernährt  die  Allen,  erfreut  ihr  Herz,  wider- 
strebt nicht  ihren  Absichten,  erfreut  ihr  Ohr  und  Auge,  berei- 
tet ihnen  ihr  Lager  und  ihren  W(dinsitz,  bei  ihrer  Speisung  und 
Tränkung  sorgt  er  redlich  für  ihre  Ernährung;  daher  was  Va- 
ter und  Mutler  lieben,  das  liebt  er  auch.  Diess  erstreckt  sich 
bis  auf  die  Hunde  und  Pferde,  wie  viel  mehr  auf  die  Menschen" 
und  Li-ki  Cap.  Tsi-i  19  p.  121  flg.  (c.  2i  fol.  51  v.)  sagt 
dasselbe:  „Wenn  Vater  und  Mutler  dich  lieben,  so  (reue  dich 
und  vergiss  es  nicht:  wenn  sie  dich  hassen,  so  fürchte  diess 
und  zürne  ihnen  nicht ;  wenn  Vater  und  Mutter  fehlen ,  er- 
mahne sie,  aber  widerstrebe  ihnen  nicht."  Ebenso  lieisst  es 
Li-ki  Cap.  Nei-lse  c.  12  fol  58  v.  :  „Wenn  Vater  imd  Mutter 
fehlen,  so  ermahne  sie  mit  sanftem  Blicke  und  milden  (weichen) 
Worten.  Wenn  sie  die  Mahnung  nicht  beachten,  so  ehre  sie 
dennoch;  wenn  du  sie  heiter  gestimmt  siebest,  wiederhole  die 
Mahnung,  denn  es  ist  besser,  sie  unverdrossen  zu  ermahnen, 
wenn  sie  auch  zürnen,  als  durch  ihr  Vergehen  den  ganzen  Gau, 


242         fiitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  6.  Dec.  186$. 

das  ganze  Dorf  odor  den  Bezirk.  Weiler  (Hiaiig,  Tang,  Tscheu, 
Liü)  vor  den  Kopf  zu  stossen.  \^  enu  sie  deiner  Mahnung  wegen 
dir  aber  zürnen  und  dich  selbst  blutig  schlagen,  so  darfst  du 
ihnen  doch  nicht  heftig  zürnen,  sondern  musst  ihnen  die  schul- 
dige Eln'fiH-cht  und  die  gewohnte  Pietät  bezeigen.  Li-ki  Kio-li 
hia  c.  2  fol.  60  v.  sagt:  ..Des  Kindes  Sache  ist  die  Liebe,  drei- 
mal ermahne  sie  (die  Aeltern)  und  wenn  sie  nicht  hören,  dann 
schreie  laut  auf,  weine  und  ziehe  dich  zurück.*'^  Wenn  auch 
die  Aellern  todt  sind,  nuiss  der  Sohn,  der  ein  gutes  Werk  vor 
hat,  denken,  dadurch  den  Aellern  einen  g^uten  Namen  zu  hin- 
terlassen  und  es  dalier  ausführen ;  daffeaen  wenn  er  ein  bö- 
ses  V>'erk  vor  hat,  denken^  dass  er  Vater  und  Muller  dadurch 
Schande  macht  und  es  lassen. 

Der  gehorsame  Sohn  behandelt  nach  Li-ki  Cap.  24  Tsi-i 
und  Siao-hio  §  6  seine  Aellern ,  als  ob  er  einen  kostbaren 
SIein  oder  ein  volles  Gefiiss  in  Händen  hatte,  voll  Aufmerksam- 
keit und  Achtsamkeit,  besorgt  jenes  zu  verlieren,  dieses  fallen 
zu  lassen.  Nach  Li-ki  Cap.  Kio-h  1  fol.  7  v.  Siao-hio  §.  5  ist 
es  Brauch,  dass  er  (der  Sohnj  im  Winter  für  Wärme,  im  Som- 
mer für  Kühle  (Thsing  Reinheil)  sorge,  Abends  das  Bett  bereite 
und  .Morgens  nach  dem  Befinden  der  Aellern  frage. 

Sieht  er  des  Vaters  Freund  und  der  sagt  nicht,  dass  er 
eintreten  möge,  so  wagt  er  nicht  einzutreten;  sagt  er  nicht, 
dass  er  weggehe,  so  wagt  er  nicht  wegzugehen,  fragt  er  ihn 
nicht,  so  untersieht  er  sich  nicht  zu  antworten.  Das  ist  die 
Weise  des  frommen  Sohnes. 

Nach  Li  ki  Cap.  Kio-li  1.  fol.  9,  Siao-hio  §.  7  darf  der 
Sohn  in  der  südwestlichen  Ecke  des  Schlafgemachcs  (dem  Eh- 
renplätze) nicht  weilen ,  nntten  auf  der  Malte  nicht  sitzen .  in 
der  Mitle  der  Thüre  nicht  sieben,  (bei  Gastmählern  und  Feier- 
lichkeiten) die  Zahl  der  Schüsseln  nicht  vorschreiben  (Kai), 
beim  Ahnendienste  den  Todten  (Schi)  nicht  vorstellen;  er  muss 
hören  auch  ohne  Ruf,  sehen  ohne  ihre  Gestalt  wahrzunehmen, 
nicht  Höhen  ersteigen,  nicht  in  liefe  Gründe  sich  hinablassen, 
darf  den  Ruf  (von  Anderen)  nicht  leichtsinnig   verletzen   (Keu- 


Platfi:  Die  häuslichen  Verhältnisse  der  alten  Chinesen.      243 

tse),  noch  aiulere  verspotten  und  den  Aelterii  dadnrcli  Schande 
zuziehen;  ein  Crounner  Sohn  lliul  nichts  in»  Dunkehi.  besteigt 
keine  Ahhiinae.  So  lan<re  Vater  und  Muller  leben  ,  darf  nach 
1.  c.  fol.  10  §.  9  ein  Sohn  dein  Freunde  nicht  versprechen, 
(die  diesem  widerfahrenden  BekMdigungen)  selbst  mit  dem  Tode 
zu  rächen'^  und  kein  Privalverniögen  (  Sse-tsai  )  haben.  So 
lange  Vater  und  Mutter  leben,  dürfen  Hut  und  Kleider  nicht  bor- 
dirt  und  weissseiden  sein.  Siehe  mehr  ühev  die  Kleider  der 
Kinder  fol.  10  v.)  Nach  Li-ki  Cap.  30  Fang-ki  fol.  M  Siao- 
hio  §.  10  darf  er,  so  lange  Vater  und  Mutter  leben,  nicht  über 
seinen  Körper  verfügen,  nicht  eigene  Reichlluinier  besil/.cn  ,  er 
darf  Freunden  und  Obern  keine  kostbaren  Geschenke  machen. 
So  lange  Vater  und  Mutter  leben,  sagt  Confucius  Lün-iü  I. 
4  §.  23  vgl  Siao-hio  ib.  g.  8  darf  der  Sohn  nicht  weit  weg- 
gehen ,  muss  er  aber  in  dringenden  Füllen  es  Ihun ,  ihnen 
vorher  es  anzeigen,  wohin  er  geht.  Nach  Li-ki  Cap.  Kio-Ii  1 
fol.  7  Siao-hio  §  5  zeigt  er,  wenn  er  ausgeht,  es  den  Aellern 
an  und  kehrt  er  zurück,  so  stellt  er  sich  ihnen  gleiih  vor 
(Mien).  Es  nmss  innner  ein  beslinujiter  Ort  sein,  wohin  er 
geht,  und  welche  Kunst  er  auch  treibe,  sie  muss  imnici-  ehren- 
haft sein.  Er  wird  sich  nie  einen  Greis  nenncm  (und  sich  so 
s«>inem  Vater  gleich  stellen).  Nach  Li-ki  Cap.  Yü-tsao  13  fol.  27 
Siao-hio  §.  15    muss   er   auf  des  Vaters  Ruf  prompt   w  e  i   (ja) 


(13)  Merkwürdig  ist  noch  Li  kl  Klo  li  (Jap.  1  tot.  37:  ,,Mit  dem 
Fi'inde  (Tsclicu)  di-ines  Valors  dail'sl  du  iiiclil  iinler  (leinsellnn  Ifiininel 
leben,  sieli.st  du  den  Feind  deines  Rriideis,  so  darfst  du  nidil  erst  Iieiin- 
keliren  ,  die  Waffen  zu  liolen  .  mit  dem  Feinde  deines  Genossen  oder 
Freundes  nicht  in  dem.sell)en  Keithe  bleiben  '•  Auf  die  Frage  Tscu-hia's, 
wie  man  es  mit  dem  Feinde  (KieuJ  seint's  Vaters  und  seiner  Aluttcr  zu 
hallen  habe?  erwiederl  (.'onruiius  I.i-ki  (]ap.  3  Tan  kung  lol.  'i3:  sein 
Lager  sei  eine  Trauermalte  (Tsin-scliin),  seine  Koplstiitze  der  Schild, 
er  nimmt  kein  Amt  an  und  bleibt  nicht  mit  ihm  im  Reiche.  Begegnet  er 
Ihm  auch  auf  dem  Markte  oder  am  Hole,  so  kehrt  er  nicht  erst  heim, 
•ondern  bekämpft  ihn  (sofort).     Dasselbe  Kia-iü  c.  43. 


244         Sitzu7ig  der  philos.-philol.  Classe  vom  6.  Dec.  1862. 

und  nicht  yü  (Ja)'^  antworten.  Hat  er  eine  Arbeit  unter  den 
Händen  ,  so  nuiss  er  sie  sofort  liegen  lassen,  hat  er  Essen  im 
Munde,  es  ausspeien  und  hineilen,  aber  nicht  rennen;  wenn 
die  Aeltern  alt  sind  und  er  weggeht,  den  angegebenen  Ort 
nicht  wechseln  und  nicht  später  als  er  angegeben,  heimkehren; 
wenn  die  Aeltern  krank  sind  und  er  weggeht,  den  angegebe- 
nen Ort  nicht  wechseln  und  nicht  später  als  er  angegeben, 
heimkehren.  Wenn  die  Aeltern  krank  sind,  darf  sein  Aussehen 
und  seine  Haltung  nicht  heiter  (voll  Ischinff)  sein. 

Erkranken  die  Aeltern,  so  muss  der  Sohn  nach  Li-ki  Kio- 
li  c.  1  fol.  26  V.  Siao-hio  §.  24  ,  wenn  er  auch  schon  den 
männlichen  Hut  trägt,  das  Haar  nicht  kämmen,  nicht  übermü- 
thig  auftreten,  keine  verächtlichen  Reden  führen,  er  darf  die 
Harfe  und  Laute  (Khin  u.  se)  nicht  rühren,  bei  Fleisch-Speisen 
darf  er  nicht  den  Geschmack  verändern,  beim  Weintrinken 
darf  es  nicht  bis  zur  Veränderung  (Röthung)  des  Gesichtes 
kommen ,  sein  Lachen  darf  nicht  bis  zum  Uebermaass  gehen, 
sein  Zorn  in  keine  Schmähungen  ausbrechen.  Nach  Li-ki  Kio- 
li  hia  c.  2  fol.  61  und  Siao-hio  §.  25  vgl.  Lün-iü  17  §•  22 
muss  der  Minister  (Tschin),  wenn  der  Fürst  (Kiün)  erkrankt 
und  ebenso  der  Sohn,  wenn  die  Aeltern  (Tsin)  erkranken,  zuvor 
die  Medicin  kosten  und  von  keinem  die  Medicin  nehmen,  des- 
sen Familie  nicht  schon  drei  Geschlechter  über  Arzt  war. 

Sind  die  Aeltern  gestorben,  so  soll  die  Erinnerung  an  diese 
den  Sohn  auch  nach  ihrem  Tode  noch  immer  zum  Guten  antreiben 
und  vom  Bösen  abhalten.  Wir  haben  die  betreffende  Stelle  aus 
dem  Li-ki  Cap.  12  Nei-tse  und  Siao-hio  §.27  schon  oben  ange- 
führt. Confucius  sagt  hier  §.  26  v.  und  Lün-iü  L  1,  11  und  L 
4,  19  „Willst  du  den  Sohn  kennen,  so  siehe,  was  er  bei  Leb- 
zeilen des  Vaters  im  Auge  hat,  und  was  er  Ihut,  nachdem  er 
gestorben    ist.     Wenn    er  3  Jahre    nach    des   Vaters  Tode   die 


(i;{)  Jenes  wird  nach  den  Schol.  ra.sch  und  ehrerbietig  gesprochen, 
dieses  sorglos  und  gleichgUiig. 


Plath:  Die  häuslichen  Verhältnisse  der  alten  Chinesen.      945 

väterliche  Lebensweise  nicht  aufgibt,  kann  er  für  einen  gehor- 
samen Sohn  geilen.''  Die  Trauer  um  die  Aellern  sollte  ur- 
sprünglich nach  Confucius  Lün-iü  II.  17,  §.  20  (22),  Li-ki  c.  38, 
San-nien-wen  fol.  17  v.  und  Fang-ki  c.  30  lol.  31  drei  Jahre 
währen,  weil  die  Aeltern  das  Kind  so  lange  getragen  haben. 
Er  gedenkt  ihrer  aber  auch  noch  später  nach  Li-ki  Cap.  24 
Tsi-i ,  namentlich  im  Herbste  und  im  Frühlincre.  Der  Ahnen- 
dienst  ist  eine  wesenlUche  Pflicht.  Meng-tsen  sagt  daher:  Die 
Impietät  besteht  in  drei  Dingen.  Keine  Nachkonnnen  haben ,  ist 
die  grösste  (Pu-hiao  yeu  san  ,  wu  heu  yen  ta)  und  Confucius 
m  Tschung-yung  §.19  hihrt  ,,den  Verstorbenen  zu  dienen  wie 
man  den  Lebenden  diente,  den  Weggegangenen  dienen,  wie 
man  den  Anwesenden  diente,  ist  der  Gipfel  der  Pietät''  (Sse-sse 
iu  sse  seng,  sse  wang  iu  sse  tsun ,  hiao  tschi  Ischi  ye).  Der 
älteste  Sohn  mit  seiner  Gattin  verrichtet  den  Ahnendienst.  S. 
über  diesen  meine  Abhandlung:  lieber  die  Religion  und  i\en  Cul- 
tus  der  alten  Chinesen.  München  1863.  IL  S.  84-122.  Nach 
Li-ki  Cap.  Tsi-i  19  (24  fol.  39)  und  Siao-hio  §.  31  beobach- 
tet der  Sohn  dabei  strenge  Enthaltsamkeit  im  Aeussern  und 
Innern.  Während  diesiT  Fasttage  vergegenwärtigt  er  sich  die 
Gewohnheiten  und  Worte,  den  Sinn  und  die  Absichten  der 
Aeltern.  gedenkt  wessen  sie  sich  erfreuten,  und  was  sie  gerne 
hatten  ,  so  dass  sie  ihm  nach  den  drei  Fasttagen  wie  gegen- 
wärtig erscheinen.  Wenn  dann  der  Tag  des  Opfers  gekom- 
men, sieht  er  sie  wie  vor  Augen.  Wie  sollte  er  ihnen  daher  die 
gebührende  Verehrung  nicht  erweisen.  Siehe  meine  Abhandlung 
über  die  Religion  und  den  Cultus  der  allen  Chinesen.  II.  S. 
112  %. 

Die  Trauer  um  die  Aellern  (Sang)  sollte  ursprünglich  sehr 
strenge  sein.  Meng-tsen  I.  5,  4  fassl  die  Anforderungen  so  zu- 
sammen :  3jährige  Trauer,  eine  grobe  Kleidung,  zur  Speise  nur 
Reis  in  Wasser  gekocht,  Enthaltsamkeit  von  Fleisch-  und  Wein- 
genuss  ist  befohlen,  ausser  in  Krankheiten.  Doch  soll  man  in 
•ler  Enlhallsamkeil  auch  nicht  su  weit  gehen,  dass  man  zu  sehr 
abmagerl,    besonders    wenn  man  schon  all  ist;  z.  B.  im  70len 


246  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  6.  Dec.  1862. 

Jahre  kann  man  Fleisch  essen,  (Reis-)  Wein  trinken,  im  ge- 
wühniichen  Zinmier  schlafen;  Traucrkleider  —  in  China  ist  die 
Trauerfarbe  weiss  —  o-eniiwn  Der  Beamte  le^t  sein  Amt  nie- 
der.  Die  Trauer  ist  länger  und  tiefer,  je  naher  verwandt  der 
Verstorbene  war.  vgl.  auch  Lün-iü  II.  17,  20. 

Die  Mutter  genoss  in  China  immer  eines  bedeutenden 
Ansehens.  Beispiele  erinnern  an  spartanische  Frauen.  Du  Halde 
II.  p.  801  und  808.  Die  Frau  ist  auch  auf  ihren  Mann  nicht 
ohne  Einfluss.  So  rüttelte  seine  Frau  den  Kaiser  Yeu-wang 
(807  V.  Chr.)  aus  seiner  Indolenz  auf.  de  Mailla  II.  p.  39;  aber 
es  zeigt  sich  auch  der  verdei'bliche  Einfluss  der  Ta-ki  unter 
Kie,  dern  letzten  Kaiser  der  ersten  Dynastie  Hia ,  der  Tan-kl 
unter  Scheu-sin,  dem  letzten  Kaiser  der  zweiten  Dynastie  Yn, 
der  Pao-sse  unter  Kaiser  Yeu-wang  u.  s.  w. 

Der  Mutter  gehorcht  man  und  liebt  sie  wie  den  Vater; 
aber  sie  nimmt  doch  nur  den  zweiten  Platz  ein.  Bei  des  Va- 
ters Lebzeiten  dauert  die  Trauer  um  die  Mutler  daher  nur  ein 
Jahr.  ,,Wie  es  am  Himmel  nicht  zwei  Sonnen  gibt,  im  Reiche 
(Thian-hia)  nicht  zwei  Kaiser,  im  Fürslcnthume  nicht  zwei  Für- 
sten, so  gibt  es  in  der  Familie  nur  einen  Geehrten  oder  Herrn 
(Tsin)'',  sagt  Confucius  im  Li-ki  Cap.  Sang-fu  Sse-tschi  Cap.  49 
fol.  73  und  Kia-iü  Cap.  26  fol.  8.  Die  Mutter  ist  auch  nur 
so  geehrt,  so  lange  sie  des  Vaters  Frau  ist.  Verstoss!  er  sie, 
so  hört  wenigstens  die  äussere  Trauer  des  Kindes  beim  Tode 
der  Mutter  auf,  und  es  wird  von  Confucius' Sohne  Pe-iü  imLi-ki 
Cap.  3  fol.  13  V.  Kia-iü  c.  42  fol.  21  v.  als  etwas  Besonderes  erzählt, 
dass  er  um  seine  von  Confucius  verstossene  Mutter  bei  ihrem 
Tode  so  lange  geweint  habe.  ,,Als  Tseu-lschangs  Mutter  gestor- 
ben war,  wird  im  Li-ki  cap.  3  erzählt,  beweinte  er  sie  nicht. 
Die  Schüler  befragten  desshalb  Tseu-sse  (seinen  Vater,  Confu- 
cius' Enkel),  der  erwiderte  aber:  so  lange  sie  meine (Ki's)  Frau 
war.  war  sie  seine  (Pe's)  Mutter,  als  sie  aufhörte  meine  Frau 
zu  sein,  war  sie  auch  nicht  mehr  seine  Mutter.  Daher  betrau- 
ert die;  Familie  Kung  (des  Confucius)  die  verstossene  Mutter 
nicht;  doch  begann  das  erst  seit  Tseu-sse," 


Ptath:  Die  häuslichen  Verhältnisse  der  alten  Chinesen.      247 

Noch  weit  schlechter  ist  aber  in  China  die  zweite  Frau 
(Tshie)  gestellt;  ihre  Kinder  müssen,  wie  schon  henierkl,  die 
erste  Frau  als  Mutter  ehr(;n  nnd  als  Tseu-lieu's  Mutter  oestoi- 
hen  war  und  es  an  dem  nölhigen  Trauergeräthe  Fehlte,  wollten 
dessen  Brüder,  um  das  Nölhige  ziu"  Bestallung  ihres  Vaters  zu 
beschalTen,  nach  Li-ki  Cap.  Tan-kiing  3  lol.  28  v.  die  zweite 
Frau  ihres  Vaters  sogar  veikaid'en,  aber  jener  meinte  doch,  ei- 
nes Menschen  Mutter  verkaufen,  um  die  Seinige  zu  beerdigen, 
gehe  doch  nicht ! 

Zur  Würdigung  der  häuslichen  Verhältnisse  der  alten 
Chinesen  brauchen  wir  kauuj  schliesslich  noch  etwas  hinzuzu- 
setzen ,  da  sie  sich  von  selbst  ergibt.  Die  Trennung  der  Ge- 
schlechter und  die  untergeordnete  Stellung  der  Frau  konnten 
nur  nachlheilig  wii'ken ,  da  sie  der  freien  Geselligkiut  und  der 
Enlwickluno-  eines  höheren  Lebens  nothwendiff  hinderlich  sein 
musste.  Die  Heiligkeit  der  Ehe,  die  Erleichterung  dersellxfn,  die 
zvveckmiissiffen  Einrichtunsjen  ,  nicht  zu  früh  zu  heiralhen  und 
nicht  in  derselben  Familie,  mussten  die  Ztniahme  der  Bevölker- 
ung fördern  und  Hessen  die  vielen  und  wilden  Ehen  und  un- 
ehelichen Geburten  nicht  (mtstehen  Die  Frau  halte  als  Mutter 
eine  verhältnissmässig  würdige  Stellung  und  das  System  der 
zweiten  Frau  (Tshie)  förderte  nicht  run*  die  Erhallung  der  Fa- 
milie, hinderte  ein  uiwegelmässiges  Concubinat  und  gewährte 
ihren  Kindern  eine  rechtliche  Stellung,  die  bei  uns  die  ausser- 
ehelichen  nicht  haben,  obwohl  es  sonst  nicht  ohne  Inconvenien- 
zen  ist.  Wir  r(^chnen  dahin  namentlich  die  Zwietracht  unter 
den  Frauen  mid  die  künstliche,  unnatürliclie  Stellung  der  Kinder 
der  zweiten  Frau  zu  ihrer  Mutter.  Auch  die  Arbeitsamkeit  war 
segensvoll. 

Was  das  Vcjrhiiltniss  zwischen  AeltiM'u  und  Kindern  be- 
trifft, so  förderte  die  tief  untergeordnete  Slellung  des  Sohnes 
unter  den  Vater  offenbar  das  System  der  Unterordnung  und  des 
uribe<lingten  Gehorsams,  welches  das  ganze  chinesische  Leben 
beherrscht,  aber  dii^  gänzliche  Unstdbsländigkeit  des  Sohnes  bei 
Lebzeiten    des  Vaters   wird   auch  zu    dem  Mantrel  einer  selbst- 


248       Sitzung  der  math.-phps.  Classe  vom  ü.  Dec.  1862. 

släiidigen  freien  Entwickelung  in  China  wesentlich  mit  beigetra- 
gen liabcn. 

Die  Vorschriften    über   die  Pietät  gehen    oft  in's  Kleinliche 
und  fast  in's  Abgeschmackte. 


6>" 


»' 


Bemerkung. 
Die  chinesischen  Originaltexte  konnten  hierorts,  wie  der  Vf. 
wünschte,  nicht  beigegeben  werden. 


Der  Classensecretär  Herr  iM.  J.  Müller  hielt  Vorträge 

a)  „über  die  Erzählung  von  derDoncella  Teodor; 

b)  ,.über  den  Tod  Don  Sebastians;" 

c)  „über  die  Pest  im  14.  Jahrhundert." 

Diese  Vorträge  werden  späterhin  in  Druck  gelegt  werden. 


Mathematisch  -  physikalische    Classe. 

Sitzung  vom  13.  Deceinber  1862. 


Herr  Jolly  hielt  einen  Vortrag  über 
„Bathometer  und  graphische  Thermometer." 

Die  Messungen  der  Tiefe  der  Meere  und  der  Temperatu- 
ren in  diesen  Tiefen  haben  für  die  Physik  des  Meeres  ein 
nahe  liegendes  Interesse.  Temperatur-Differenzen  sind  zumeist 
die  einleitenden  Ursachen  der  Meerosslröme,  und  Druck  und 
Temperatur  sind  in  der  Lebensökonomie  der  Meeresgeschöpfe 
zwei  der  wichtigsten  Factoren. 

Zu  Tiefenmessungen  sind  zwei  Apparate  in  Gebrauch ,  das 
Tiefloth  und  das  Bathometer.  das  letztere  ein  Instrument,  welches 
die  Tiefe,  in  die  es  herabgelassen  wird,  graphisch  angibt.  Mit  dem 


Jotly:  Bathometer  und  graphische  Thermometer.  249 

Tieflolh,  einem  schweren  Körper  an  einer  dünnen  Schnur,  sind 
bis  jetzt  wohl  ausnahnislus  alle  Messungen  betrachtlicherer  Tie- 
fen ausgeführt.  Der  Apparat  empfiehlt  sich  durch  seine  Ein- 
fachheit. Die  Schnur  ist  in  Toisen  oder  in  Meter  gellieiit,  die 
Theilpunkte  sind  durch  gefiirbte  Bündchen,  die  mit  fortlaufen- 
den Nummern  versehen  werden ,  bemerklich  gemadit,  und  für 
jedes  Tausend  ist  eine  andere  Farbe  gewählt.  Hat  das  Loth  den 
Boden  erreicht,  so  wird  die  abgelaufene  Fadenlilnffe  abo-elesen. 
Eine  Verbesserung  des  Apparates  ist  dadurch  erzielt,  dass  ein 
am  Loth  zur  rascheren  Senkung  aufgehangenes,  schweres  Ge- 
wicht durch  den  Stoss  am  Meeresboden  abgelöst  wird,  wo- 
durch das  Heraufziehen  der  Leine  mit  minderem  Kraftaufwand 
und  minderer  Gefahr  des  Zerreissens  ausführbar  wird.  Von 
zwei  Fehlerquellen,  mit  denen  man  zu  kämpfen  hat,  liisst  sich 
die  Grösse  der  einen  vielleicht  genügend  genau  ermitteln,  wäh- 
rend die  der  anderen  lediglich  Vermuthungen  überlassen  ist. 
Die  durch  das  Senkblei  gespannte  Schnur  erfährt  nämlich  durch 
Benetzung  nicht  unbedeutende  Aenderungen  ihrer  Länge,  und 
erleidet  zugleich  selbst  bei  vollständiger  Windslille  durch  die 
nie  fehlenden  Strömungen  des  Wassers  Abwcichunoen  von  der 
Vertikalen.  Herr  Lenz'  hat  gezeigt,  wie  die  erste  dieser  Aen- 
derungen in  Rechnung  gezogen  werden  kaiui,  für  die  zweite 
nahm  er  an,  dass  die  Neigung,  welche  die  Schnur  an  der  Ober- 
fläche des  Wassers  zur  Vertikalen  zeigt,  auch  für  die  ganze 
Tiefe  ungeändert  bleibe.  Es  ist  einleuchtend ,  dass  die  durch 
Benetznng  der  Schmu*  eintretende  Aenderung  der  Länge  un- 
ter Anw(Midung  der  Vorsicht  und  Umsicht,  mit  welcher  Hr. 
Lenz  in  seinen  Messungen  zu  Werke  ging,  für  die  Zwecke,  die 
hier  erreicht  weiden  sollen,  genügend  genau  bestinunl  werden 
kann.  Die  Abweichung  der  Schimr  vom  Lolh  wird  dagegen 
aus  der  Abweichung,  welche  man  an  der  Oberdäche  des  Was- 
sers walunimmt,    nicht  b(^urtlieilt  werden    können.     Die  Ström- 


(1)  Pon;gi-iidürfT»  Annalen  B.  'JO  p.  73. 
lisiea.  u.)  17 


250         Sitzung  der  tnath.-phys.  Classe  ro/n  13.  Dec.  1862. 

ungeii,  die  in  der  Tiefe  oft  wesentlich  von  denen  an  der  Ober- 
fläche fibweichen ,  und  die  in  versclnedencn  Tiefen  in  Stärke 
und  Riclitunor  wechsehid  sein  können,  werden  zum  Erfolo-  ha- 
ben ,  dass  die  abgehaspeile  Schnur  keine  gleich  bleibende  Ab- 
weichung vom  Lolh  besitzt,  und  dass  dieselbe  überhaupt  nicht 
mehr  einlach  eine  gerade  Linie  bildet.  Die  Unsicherheiten ,  die 
hiedurch  in  die  Messungen  mit  der  Leine  eintreten,  werden  um 
so  beträchtlicher,  je  grösser  die  zu  ermessende  Tiefe  ist ,  und 
lassen  bei  bedeutenden  Tiefen  nur  angeben,  welch'  eine  Länge 
der  Leine  abgelaufen  ist,  nicht  aber  welcheTiefe  erreicht  wurde. 
Dem  entsprechend,  führen  auch  die  Naturforscher  der  Novara- 
Expedition',  die  wohl  die  grössten  Tiefenmessungen  ausführten, 
nur  an,  dass  bei  einer  Messung  im  atlantischen  Meer,  27**  2' nördl. 
Breite  und  24"  7'  westl.  Länge  nach  einer  Abhaspelung  einer 
Schnurlänge  von  24^000'  engl.,  und  bei  einer  zweiten  Messung 
auf  der  Fahrt  vom  Cap  nach  der  Insel  Amsterdam,  in  40"  44' 
südl.  Breite  und  60®  8'  östl.  Länge,  selbst  nach  einer  Abhas- 
pelung von  37,000'  engl,  das  Senkblei  noch  nicht  den  Meeres- 
grund erreicht  halte.  Die  Tiefen,  die  in  beiden  Fällen  erreicht 
waren,  bleiben  geradezu  unbekannt. 

In  der  Construction  graphischer  Instrumente  sind  zwei  ver- 
schiedene Principien  in  Anwendung  gebracht.  Die  eine  Classe 
der  Bathomcter  gibt  die  Weglänge  an .  die  das  Instrument  im 
Niedersinken  im  Wasser  zurücklogt,  die  andere  bezeichnet  den 
Druck  der  über  dem  Instrument  stehenden  Wassersäule.  Beide 
Vorschläge  sind  schon  vor  langer  Zeit  gemacht,  der  eine  von 
Robert  Hooke\  der  andere  von  Haies*. 

Der  Apparat  von  Hooke  besieht  in  einem  oben  und  unten 
offenen  Kästchen,  in  welchem  eine  verlical  stehende,    drehbare 


(2)  Roi.se  der  öslt'rrc'iclii.schpii  Fri'gatte  Novara  in  den  Jahren  1857, 
1858,  1859,  be.stlirieben  von  Dr.  Siiierzer.  B.   1. 

(3)  Robert  Hooke's  Bathometer  ist  im  .lahre  1726  bt'kannt  gemacht, 
and  ist  beschrieben  im  1.  B.  der  Philos    Transaction.s  Nr.  7  p.  147. 

(4)  Stalical  Essays,  containing  vegetable  Stat.  Steph.  Haies.  Lond.  1734. 


Jolly:  Bathometer  und  graphische  Thermometer.  251 

Achse  sich  befiiulfit.     An  der  Achse  sind  Blechschaufehi  in  der 
Stclliiiio;  von  Windniühldüffchi  befestigt.   Eine  Senkung  des  Ap- 
[liu-ales  im  W;isser  hat  hieriiacli  eine  Drehung   der  Achse  zum 
Erlolg,  und   diese  wird    durch    eine  Schraube   ohne  Ende,    mit 
welcher  die  Achse   versehen  ist,   auf  ein  Zähierwerk    transmit- 
tirt.    Hooke  hat  eine  Anordnung  hinzugefügt,  nach  welcher  mit 
dem  Stoss   auf  der»  Meerescrrund    eine   Auslösung   des   Zahler- 
Werkes  eintritt,    wodurch    die  rotirenden   Bewegungen,    welche 
durch  das  Heraufziehen  des  Apparates  eingeleitet  werden,  aus- 
ser Wirkuno;    auf  das  Zählerwerk    bleiben.     Der  Gebrauch   des 
Apparates  setzt   eine   Art  Eichung    voraus      Man    lässt  niimlich 
das  Instrument   in    eine   abgemessene  Tiefe  herab ,    und  erfahrt 
hieinit  die  Anzahl  der  Drehungen,  welche  einer  bekannten  Weg- 
lange entsprecljen.  Hooke  behauptet  durch  Versuche  sich  über- 
zeugt zu  haben,  dass  die  Anzahl  der  Drehungen    der  bewegli- 
chen Achse   nur  von  der  Liinge  des  durchlaufenen  Weges  und 
nicht  von  der  Geschwindigkeit  des  sinkenden  Apparates  abhiinge 
und  dass   ebenso   die  Dichtigkeit   des  Wassers    ausser  Einfluss 
sei.     Begreiflich  ist  diess  nur  dahin   zu  verstehen ,    dass  inner- 
halb   der   engen  Grenzen    abgeänderter    Geschwindigkeiten  und 
Dichtigkeiten,  innerhalb  welcher  Hooke  experimentirte,  ein  merk- 
licher Unterschied  sich  nicht  zu  erkennen  gab.     Die    Principien 
der  Mechanik  lassen  klar  genug  erkennen,  dass  und  welch  ein 
Unterschied  in  der  Arbeit  eines  Wasserstromes  eintritt,  je  nach 
der  Geschwindigkeit,  mit  welcher  derselbe  durch  einen  Apparat 
wie  der  von  Hooke  geleitet  wird,   und   je  nach  der   Dichtigkeit 
des  Wassers,    ob  in  Salzwasser  oder  in  süssem  Wasser,  ob  in 
Wasser  von  höherer  oder  von  tieferer  Temperatur.     Wie  gross 
der  Unterschied  in   der  Geschwindigkeit   des  Niedersinkens    mit 
den   erreichten   Tiefen   wird,    geht   wieder  aus    den    j)uljlicirten 
Beobachtungen  der  Begleiter  der  Novara-Expedition  hervor,  ein 
Unterschicnl,  der  für  den  Anfang  eine  20mal  grössere  Geschwin- 
digkeit als  für  den  Schluss   der  Operation  ergab.     Man  müsste 
also  unter  Anwenduno-  des  Hooke'schen  Tiefenmessers  zuwleich 
auch  Zeitmessungen  machen.     Da  aber   die  Geschwindigkeit    in 

17» 


252        Siizting  der  t/iath.-ph;/*.  Vlasse  vom  13.  Dec.  1869. 

der  Abhaspelung  sich  fort  und  fort  ändert,  ohne  dass  ein  ein- 
faches Gesetz  für  diese  Aenderung  sich  aufstellen  lässt ,  so 
bleiben  die  anzubringenden  Correcturen  höchst  unsicher.  Doch 
abgesehen  von  Fehlerquellen  dieser  Art  ist  auch  zu  besorgen, 
dass  in  der  Technik  des  Apparates  leicht  Störungen  eintreten, 
die  seine  Angaben  illusorisch  erscheinen  lassen.  Geringe  Un- 
reinigkeiten  des  Wassers,  kleine  Fäserchen  u.  dgl.  können  die 
Beweglichkeit  der  Achse  und  die  Transnnission  der  Beweaunff 
wesentlich  abiindern.  Vielleicht  sind  alle  diese  Umstünde  der 
Grund ,  aus  welchem  der  Bathometer  von  Hooke  mit  all  den 
Abänderungen  und  Verbesserungen,  die  im  Verlauf  der  Zeit  in 
Vorschlag  kamen,  zu  Messungen  bedeutender  Tiefen  nicht  in 
Anwendung  kam. 

Nach   dem  Vorschlag   von  Haies  soll  der  Druck  des  Was- 
sers zur  Compression    einer    abgegrenzten   Lullmenge    benutzt, 
und  aus  der  Volumen-Vernn'ndcrung  der  Luft  soll  auf  den  Druck, 
und  hiermit  auf  die  Höhe  der  pressenden  Wassersäule  geschlos- 
sen werden.     Eine  eiserne,  unten  offene  Röhre  taucht  mit  dem 
unteren  Ende  in   eine  gefärbte  klebrige ,    in  Wasser  nicht  lös- 
bare Flüssigkeit.     In  der  eisernen  Röhre  ist  ein  mit  einer  Thei- 
lung  versehenes  Elfenbein- Stäbchen  eingeschraubt.      Durch  den 
mit  der  Tiefe   zunehmenden  Druck   des  Wassers   wird  die  Luft 
comprinn'rt  und  die  gefärbte  Flüssigkeit  tritt  nach  Massgabe  die- 
ses Druckes  in  die  Röhre  ein.     Wird  das  Instrument  heraufge- 
zogen, so  dehnt  sich  die  Luft  wieder  aus  ,  aber  am  Elfenbein- 
Stäbchen  lässt  sich  durch  die  hängen  gebliebene  klebrige  Flüs- 
sigkeit die  Höhe  beurlheilen.  bis  zu  welcher  die  Flüssigkeil  ein- 
getreten war.    also   auch   die  Volumen- Verminderung   der   Luft 
erkennen,  die  der  Druck  in  der  Tiefe  erzeugte.      Der  Quotient 
aus    dem    verminderten  Luft- Volumen  und   dem  ursprünglichen 
Volumen  gibt,    nach  Atmosphärendruck  bezeichnet,   die  Grösse 
des  Druckes  in  der  erreichten  Tiefe  an.     Man  sieht,  das  Prin- 
cip  ist  richtig,   und   wird   in   der  Anwendung    zu   brauchbaren 
Resultaten    führen,   wenn   einerseits    nur  Pressungen   in    Frage 
kommen,  innerhalb  welcher   das  Mariotle'sche  Gesetz  Gültigkeit 


Jolhj:  Bathomfter  und  yraphische  Thermometef.  253 

besitzt,  und  wenn  andererseits  der  Einfluss  der  Tempcratur- 
DilTerenz  oben  und  unten,  und  wenn  endlich  dieDiclitiokeit  des 
Wassers  in  Reclinunij  g-ezogen  werden.  Die  Technik  des  Ap- 
parates von  Haies  hisst  aber  Vieles  zu  wünschen  übrig-,  sie  er- 
laubt namentlich  nicht  die  eingetretene  VoluincMi- Verminderung 
genügend  genau  zu  messen.  Haies  selbst  hat  sich  darauf  be- 
schränkt, den  Vorschlag  zu  machen,  Messungen  hat  er  nicht 
ausgeführt.  Es  scheint ,  dass  erst  Oersted  ^  den  gleichen  Ge- 
danken wieder  aufnahm  und  zugleich  auf  eine  Anordnung  des 
Apparates  verfiel,  die  eine  genaue  Messung  der  eingetretenen 
Volumen- Verminderung  zulässt.  Oersted  schlug  vor,  eine,  an 
denn  einen  Ende  geschlossene,  an  dem  anderen  Ende  in  eine 
Spitze  ausgezogene  Glasröhre  anzuwenden,  die  Spitze  war  um- 
gebogen und  mündete  in  einem  Ouecksilbergefäss.  Das  Ganze 
wird  in  eine  passende  Kapsel  zum  Schutze  gegen  Zertrüm- 
merung eingeschlossen  und  in  die  Tiefe  herabgelassen.  Der 
Wasserdruck  treibt  das  O'iecksilber  in  die  Röhre,  und  vermin- 
dert das  Volumen  der  Luft  nach  Massgabe  des  Druckes.  Zieht 
man  das  Instrument  in  die  Höhe,  so  tritt  aus  der  Spitze  die 
comprimirle  Luft  aus,  und  das  Volumen  der  comprimirten  Luft 
Icissl  sich  aus  dem  Stand  des  Ouecksilbers  in  der  Röhre  ablei- 
ten. Es  ist  mir  nicht  bekannt ,  ob  Messungen  mit  diesem  Ba- 
thomeler  ausgeführt  sind.  Gewiss  ist  aber,  dass  ohne  gleich- 
zeitige Temperalurbestimmungen  eine  genügende  Genauigkeit  sich 
nicht  erreichen  lässt 

Von  den  angegebenen  Instrumenten  war  mir  keines  be- 
kannt, als  ich  zum  Zwecke  einiger  Tiefen-Messungen  der  Seen 
des  bayerischen  Gebirges  auf  die  Herstellung  eines  graphischen 
Apparates  Bedacht  nahm.  Ich  verfiel  ebenfalls  auf  die  Idee 
von  Haies,  imd  benützte  bei  zahlreichen  3Iessungen,  die  ich  am 
Königsseo  bei  Berchtesgaden,  am  Obersee.  und  am  Walchensee 
ausführte,  folgende  sehr  einfache  Anordnung: 


(5)  L'Institut.  1834.  Nr.  55. 


254         Sitxung  der  matU.-phjjs.  Classe  vom  13  Dec.  1863. 


In  eine,  am  oberen  Ende  zugeschniol- 
zene,  am  unteren  Ende  mit  einem  Hals 
versehene  Glasröhre,  von  der  Gestalt  A 
b  tli'i*  heistehenden  Figur,  passt  eine  an 
beiden  Enden  offene  engere  Glasröhre  b, 
welche  in  den  Hals  c  der  weiteren  Röhre 
luftdicht  eingeschlifFen  ist.  Das  Volumen 
des  Apparates  wurde  durch  Wägung  de- 
sfillirten  Wassers,  welches  der  Apparat 
fasst,  bestimmt,  und  die  Kalibrirung  des 
oberen  Theiles  mm  wurde  mit  Quecksil- 
ber in  der  Art  ausgeführt,  dass  die  Röhre 
b  am  oberen  Ende  geschlossen,  der  Ap- 
parat umgekehrt,  Onecksilber  successiv 
eingegossen,  und  die  bekannten  Vorsichts- 
maassregeln  in  Betreff  des  Meniscus  be- 
achtet wurden.  An  einem  der  Instru- 
mente war  beispielsweise  das  Volumen 
122,2  Cub.  Cent,  und  die  auf  mm  auf- 
getragene Theilung  erlaubte  noch  •/,„ 
Cub.-Cent.  direct  abzulesen.  Die  Länge  der  weiteren  Glasröhre 
war  45  Cent.  M.,  ihr  Durchmesser  amTheil  mm  war  1,2  C.  M. 
und  der  Durchmesser  der  engeren  Röhre  b  war  0.4  C.  M. 

Das  Instrument  wird,  eingeschlossen  in  eine  Blechkapsel, 
an  einer  Schnur  in  die  zu  messende  Tiefe  herabgelassen.  Der 
Boden  der  Kapsel  ist  mit  einer  Bleiplatte  beschwert,  und  unten 
und  oben  sind,  wie  die  Zeichnung  dies  andeutet ,  eine  Anzahl 
kreisrunder  Oeffnungen  zum  freien  Durchgang  des  Wassers  an- 
gebracht. Durch  die  Röhre  b  tritt  entsprechend  dem  mit  der 
Tiefe  wachsenden  Druck  Wasser  ein,  bis  die  Luft  in  A  auf  das 
dem  Druck  entsprechend  kleinere  Volumen  zusammengedrängt 
ist.  Zieht  man  die  Röhre  in  die  Höhe,  so  entweicht  die  com- 
primirte  Luft  durch  die  Röhre  b,  das  eingetretene  Wasser  kann 
aber  nicht  abfliessen.  Die  Höhe  des  Wassers  im  Gefäss  A  lässt 
also  sofort  erkennen  ,   auf  welch  ein  Volumen  die  Luft  in  der 


JolUi  •  rtathometer  vnd  tirajihische  Thermometer.  255 

Tiefe  zusammeiigcpresst  war  und  die  an  der  Röhre  angebrachte 
Thcilung  gibt  uiiniilteibar  die  Grösse  dieses  Volumens  in  Cu- 
bik-Centiniclcr  an.  Ein  graphisches  Thcrinoineler,  auf  dessen 
Beschreibung  ich  noch  zurückkonnnon  werde,  war  in  der  glei- 
chen Kapsel  angebracht.  Die  Temperatur  in  der  Tiefe  wird  also 
immer  mit  der  Tiefenmessung  zugleich  gewonnen. 

Gesetzt  es  wäre  V  das  anfängliche  Volumen  der  Luft  in 
den  Röhren  A  und  b.  v  das  Volumen  der  zusammengepressten 
Luft,  und  t  die  Temperatur-Differenz  der  Luft  am  Wasserspie- 
gel und  des  Wassers  in  der  erreichten  Tiefe. 

Das  Volumen  v  geht  durch  eine  Temperatur-Erhöhung  von 
l"  in  das  Volumen  v  (  1  -}-  a  t )  über,  wo  a  den  Ausdehn- 
ungs-Coeflicienten  der  Luft  bezeichnet.  Wäre  die  Temperatur  in 
der  Tiefe  ungeändert,  und  die  gleiche  wie  an  der  Oberfläche 
geblieben,  so  hätte  man  für  das  Volumen  der  coniprimirten  Luft 
nicht  V ,    sondern    v     (  1    -j-   a  t )    gefunden.       Der    Quotient 

V 

„  /i  I  «  »\  ff'l>t  an,  um  das  wie  vielfache  der  Druck  in  der 
V  (1   -j-  a   l)  '= 

Tiefe  den  Druck  an  der  Oberfläche  übertrifft.  Ist  b  der  Baro- 
meterstand an  der  Oberfläche  des  Wassers,    und  s  das  specifi- 

Vbs 
sehe  Gewicht  des  Ouecksilbers,  so  ist  ^?T~"Z;~^r\  f'en  Druck 

in  der  Tiefe  ausgcnlrückt  durch  die  Höhe  einer  Wassersäule.  Da 
aber  auf  der  Oberfläche  des  Wassers  schon  der  Druck  der  At- 
mosphäre .  oder  eine  Wassersäule  von  der  Höhe  b  s  lastet ,  so 
ist  die  errerchte  Tiefe 

T   ^   {     ex    T  n   -   0   ^^' 

vv    (  l    -|-    «    l)  J 

Wird  nicht  in  reinem  salzfreiem  Wasser,  und  nicht  in  Wasser 
von  der  Temperatur  Null  gemessen,  sondern  in  Wasser,  dessen 
specifisches  Gmvlcht  s,  ist,  wenn  das  des  deslillirten  Wassers 
von  0"  zur  Einheit  angenonnnen  wird,  so  ist  die  erreichte  Tiefe 
ausgedrückt  durch  die  Gleichung 

Vv  (1  +  a  t)  J    Si 


256         Sitzung  der  math -phys.  Classe  vom  13.  Vee.  i862. 

Das  Wasser  der  Landseen  hat  einen  so  geringen  Salzge- 
hall, dass  das  specifische  Gewicht  meist  erst  in  der  dritten  De- 
cimale  um  eine  Einheit  von  dem  des  deslillirten  Wassers  ab- 
weicht. Zugleich  nimmt  die  Temperatur  von  der  Oberflache 
nach  der  Tiefe  rasch  ab,  und  nähert  sich  mehr  und  mehr  der 
Temperatur  des  Jlaximums  der  Dichtigkeit  des  Wassers.  Ein 
Gesetz,  nach  welchem  die  Temperatur  sich  mit  der  Tiefe  än- 
dert, lässt  sich  nicht  aufstellen,  also  kann  auch  der  Einflnss  der 
Dichtigkeits  -  Aenderungen  nicht  in  exacter  Rechnung  verfolgt 
werden.  Aber  es  ist  einzusehen,  dass  der  Fehler,  den  man 
begeht,  wenn  man  voraussetzt,  s,  sei  durch  die  ganze  Aus- 
dehnung der  Wassersäule  gleich  der  Einheit,  ein  sehr  geringer 
ist,  und  bei  den  Temperatur-Verhältnissen,  die  bei  den  Land- 
seen in  Frage  stehen,  erst  in  der  5len  Decimale  sich  von  Ein- 
fluss  zeigen  kann. 

Das  Meerwasser  hat  eine  beträchtlich  grössere  Dichtigkeit. 
Sie  ist  nach  den  Messungen  des  Hrn  Lenz'  im  Mittel  1,026,  und 
wechselt  selbstverständlich  je  nach  den  Temperaturen  und  dem 
Salzgehalt.  Die  Schwankungen  sind  aber  so  gering,  dass  sie 
in  den  extremsten  Fällen  nur  -\-  0,001  betragen. 

Von  grösserem  Einfluss  ist  der  Dampfgehalt  der  Atmo- 
sphäre. Die  Röhre  ist  im  Anfang  des  Versuches  nicht  mit  tro- 
ckener Luft,  sondern  mit  Luft  gefüllt ,  die  nahezu  mit  Dämpfen 
gesättigt  ist.  Hat  man  die  Röhre  im  Innern  befeuchtet,  wie 
diess  nach  einem  ersten  Versuche  ohnedies  eintritt,  so  ist  die 
Annahme  einer  mit  Dampf  gesättigten  Atmosphäre  um  so  exac- 
ler  erfüllt.  Die  Tabellen  über  die  Spannkraft  der  Dämpfe  be- 
kannter Temperatur  lassen  leicht  beurlheilen ,  welches  das  Vo- 
lumen der  trockenen  Luft  im  .\nfang  und  welches  es  am  Schluss 
des  Versuches  war.  Denn  gesetzt,  es  sei  V  das  anfängliche 
Volumen  der,  mit  Dämpfen  gesättigten  im  Apparat  enthaltenen, 
Lult,  b  sei  der  Barometerstand  und  h  die  Spannkraft  der  Dämpfe, 


(5)  Poggendorff's  Ann.  E.  20  p.  100. 


Jolh/:  Bathometer  und  f/raphische  Thermometer.  257 

SO  ist  (las  Volumen  der  trockenen  Luft,  welche  einem  Druck  b 

entspricht    V  --— .     Bezeichnet  v  das  Volumen  der  comprimir- 
'         '  b 

ten  Luft,  H  den  Druck  dieser  Lult,  ansgednickt  durch  die  Hohe 
einer  Ouecksilbersäule ,    und  h,  den  Druck  der  Dämpfe,   so  ist 

V    -~-i  das  Volumen  der  trockenen  Luft  unter  dem    Druck  H. 

H 
Der  Quotient  der  Volumina  trockener  Luft  am  Anfanif  und  am 

,    V     b-h     H  ,       , 

Schluss  des  Versuches    ist  demnach  — -  -.- — „ — ,   ,  und  unter 

V       b      H — h, 

BerücksichtiguniT  der  Tempernlur-Diflcrenz  ist  er 

V  b-h^  H 

Y  (1  +   «  tl  ■  ~^b~    '  H-h,* 

LI 

Der   Bruch    f^,-,-   nähert  sich    um    so   mehr    der   Einheit, 
H-  h, 

je  grösser  H  im  Verhaltniss  zu  h,  ist.  Bei  Tiefen  von  nur  we- 
nigen hundert  Füssen  ist  H  ein  Vielfaches  von  760  m.  m.,  bei 
300'  beiliiufur  schon  das  lOlache.  bei  000'  schon  das  20lache, 
wiihrend  h,,  entsprechend  der  liefen  Temperatur,  die  in  solchen 
Tiefen  herrschend  ist,  kaum  0  bis  7  m  m.  beträgt.   Man  begeht 

u 

also  einen  sehr  gering(Mi  Fehler,  wenn  man  rr-y-    g'(''^'>  ^«r 

Einheit  selzt,  und  die  fileichung.  welche  die  erreichte  Tiefe  an- 
gibt, hat  folgende  einlache  Form 

Vv  dHr«  t)  b  J   s, 

Bei  Süsswasser-Seen  darf  aber  überdiess  s,  =  1  gesetzt 
werden.  Man  erkennt,  dass,  unter  sonst  gleichen  Verhältnis- 
nissen,  die  Genauigkeit,  die  erreicht  werden  kann,   wesentlich 

Y 
vom  Ouotienten  —  abhängt.     Sind  die  Dimensionen    der  Röhre 

V 

In  der  Art  gewählt,  dass  Zehntel  eines  Cub.-Centimeters  direcl 
abgelesen  und  Hundertel  nach  geschätzt  werden  können ,  und 
beträgt  die  Unsicherheit  in  dieser  Schätzung  0,01  C.  -C,  so  er- 
gibt  sich    die  Bestimmung    der  Fehlergrenzen   für   den   Quo- 


258         Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  iS.  Dec.  1862. 

V  V  V   —   V 

tienten —  aus  dem  Ausdruck     - — j — ^^-^r^zz:         -L, — -    0,01, 

V  V  -)-  O.Ol         V      '     V* 

in  welchem  die  Glieder  mit  liöhertMi  Potenzen  von  0,01  weg- 
gelassen sind.  Soll  etwa  der  Tiefenmesser  dazu  dienen,  Tiefen 
bis  zu  1024'  mit  einer  Genauigkeit  zu    bestimmen,  für  welche 

V 

die  Fehlergrenze  des  Quotienten  —  den  Werth   von  0,1  nicht 

V 

überschreitet,  d.  h.  soll  der  Druck  bis  auf  Vio  Atm.  genau  an- 
gegeben worden  ,  also  der  Fehler  bei  1000'  Tiefe  nicht  mehr 
als  -}-  3'  betragen,  so  hat  man  zur  Bestimmung  der  Grösse  von 

V 

V  die  Gleichung  — ^    0,01    ==    0,1.       Eine     zweite    Gleichung 

zwischen  V  und  v  ergibt  sich  dadurch,  dass  in  einer  Tiefe  von 

V 

1024'  der  Druck  gleichkommt  33  Atm.  lilan  hat  also —  =  33. 

Durch  Elimination  von  v  findet  man  V  =   108,9  Cub.  Cent.  — 

V 

Halt  man  eine  Fehlergrenze  von  0,2  für  den  Quotienten  —  für 

zulässig,  also  bei  einer  Tiefe  von  1024  einen  Fehler  von  -\-  6', 
so  reicht  ein  Gefäss  aus  vom  Inhalt  V  =:  54,45  C.  C.  Und 
wird  bei  einem  lOmal  grösseren  Druck,  also  bei  einer  Tiefe 
von  etwas  über    10000'  eine  Fehlergrenze   in   der  Bestinuming 

,  V 

des   Quotienten   —  von  -j-  1  für  zulässig  gehalten,   so  erhäU 

man  V  =  1089  C.  C.  oder  etwas  über  ein  Liter. 

In  dieser  Betrachtung  ist  vorausgesetzt,  dass  das  Mariotte'- 
sche  Gesetz  für  alle  Druckgrössen,  die  hier  in  Frage  konunen, 
exact  gültig  sei.  Die  Messungen  von  Regnault  "  zeigen  aber, 
dass  dieses  Gesetz  selbst  für  die  sogenannten  permanenten 
Gase,  nicht  ein  Naturgesetz,  sondern  nur  ein  in  ziemlich  engen 
Grenzen  gültiges  empirisches  Gesetz  ist ,  sie  zeigen  aber  zu- 
gleich, dass  für  Dru(;kgrössen  bis  zu  30  Atm.,  die  .\bweichun- 


(6)  M^moires  de  rinstituf.  XXI.  Paris  1847. 


Jolly:  Bdthniueter  und  graphische  Thermometer.  259 

gen  gering  sind.  Für  Druckgrössen,  für  welche  (\U)  Grösse  der 
Abweichung  von  dem,  als.exact  gültig  aiigenoinniencn,  Gesetz 
bekannt  ist,  lässt  die  erforderliche  Correctur  sich  sofort  aus- 
führen. Ist  etwa  zu  einer  VoUimen-Verniinderung  atmosphäri- 
scher Luft  auf  V30  des  ursprünglichen  Volumens  nicht  ein  30- 
facher,  sondern  nur  ein  29,.")9 facher  Druck  erforderlich,   so  ist 

V 

eben  der  Ouofient — ,  der   die   Druckgrüsse   in   der  Tiefe   aus- 

r  * 

drückt,  entsprechend  zu  corrigiren.  Unterlässt  man  die  Correc- 
tur, so  begeht  man  in  der  Bcuirtheilung  der  Druckgrüsse  einen 
Fehler,  der  in  dem  angeführten  Falle  0.1 1  Atm.  betragen  kann, 
also  dem  Druck  einer  Wassersäule  von  4  Meter  gleich  kiime. 

Für  Pressuno-en  von  mehr  als  30  Alm.  ist  noch  nicht  un- 
tersucht,  wie  weit  die  nach  dem  Gesetz  von  Mariotlc  berech- 
neten Volumen-Verminderungen  von  den  Nvirklich  eintretenden 
abweichen.  Es  ist  wahrscheinlich ,  dass  mit  der  Grösse  der 
Verdichtung  die  Abweichung  zuninnnt.  Von  der  Aufstellung 
eines  Gesetzes  kann  aber  nach  dem,  was  bis  jetzt  experimen- 
tell vorliegt,  nicht  die  Rede  sein.  Also  tritt  unvermeidlich  beim 
Gebrauch  d(!S  Bathometer's  zur  Frmittcflung  sehr  bctiiit hlliclier 
Tiefen  eine  Unsicherheit  ein.  In  einer  Tiefe  von  24,000'  be- 
trägt der  Druck  schon  mehr  als  77!)  Atm.  Wollte  man  an- 
nehmen, dass  die  Dichtigkeit  der  Lult  auch  nur  direcl  wie  der 
Druck  zunimmt,  so  würde  in  diescjr  Tiefe  die  comprimirte  Luft 
schon  die  DichtigkiMt  des  Wassers  besitzen,  in  noch  grösserer 
Tiefe  würde  die  Dichtigkeit  der  Luft  die  des  Wassers  über- 
schreiten, die  dichtere  Luft  würde  also  im  Wasser  niedersinken 
und  würde  nach  der  Construction  des  Apparates  th(?ilweise 
durch  die  mittlere  Röhre  entweichen.  Für  Tiefen  so  beträcht- 
licher Grössen  bleiben  also  immer  die  Angaben  des  Instrumen- 
tes illusorisch,  selbst  dann  wenn  man  daran  denken  wollte,  den 
Apparat  mit  einem  specifisch  leichteren  Gas,  etwa  mit  WasserstofT- 
gas,  zu  fidlen.  Bis  jetzt  ist  es  aber  überhaupt  noch  nicht  ge- 
lungen, Körper  aus  einer  Tiefe  von  24,000'  wieder  in  die  Höhe 


260         Satzung  der  math.-phys.  Ctasse  vom  13.  Dec.  1862. 

ZU  bringen.     Beim  Aufhaspeln    sind   noch    immer    die    Schnüre 
abgerissen. 

Beschrünkt  man  die  Anwendung  des  Instrumentes  auf 
Druckgrössen,  also  auch  auf  Tiefen,  für  welche  die  Abweich- 
ung vom  Mariotle'schen  Gesetz  als  zu  geringfügig  vernachlässigt, 
oder  in  anderen  Fällen,  als  der  Grösse  nach  bekannt,  in  Rech- 
nung gezogen  werden  kann,  so  bleibt  doch  immer  noch  ein 
Bedenken  übrig.  Die  über  dem  Wasser  stehende  comprimirte 
Luft  wird  von  dem  Wasser  absorbirt  und  zwar,  nach  dem  von 
Henry  aufgefundenen  und  von  anderen  Forschern  bestätigten 
Gesetze,  in  der  Art ,  dass  bei  gleicher  Temperatur  immer  das 
gleiche  Volumen  aufgenommen  wird,  al.'-o  von  comprimirterLuft 
dem  Volumen  nach  ebenso  viel,  wie  von  nicht  comprimirler 
Luft.  Die  zur  Vollendung  der  Absorption  erforderliche  Zeit 
ist  aber  —  wenn  nicht  Gas  und  Wasser  anhaltend  und  heftig 
gesciiüttelt  werden  —  sehr  beträchtlich.  Bei  ruhigem  Stehen 
wird  die  Luft,  auch  in  stark  comprinu'rtem  Zustand,  nur  äus- 
serst langsam  vom  Wasscu*  aufgenommen.  Um  einen  Anhalts- 
punkt zu  gewinnen,  wurden  in  einem  Mariotte'schen  Apparat 
10  C.  C.  W^asser  mit  Luft  von  4  Atm.  Druck  in  Berührung 
gebracht,  und  an  einem  Ort  constanter  Temperatur  aufgestellt. 
Nach  24  Stunden  betrug  die  Absorption  noch  kaum  ,^^  C.-C. 
und,  da  der  Inhalt  de^r  comprimirten  Lull  4  C.  C,  war,  noch 
kaum  Vino  dieser  Gasmenge.  Für  die  Dauer  eines  Versuches 
mit  dem  Bathometer  wird  man  also  die  geringe  Absorption, 
welche  die  Luft  in  dieser  Zeit  erfährt ,  vernachlässigen  dürfen. 
Man  umgeht  aber  diese  Unsicherheit  vollständig,  wenn  man  das 
Instrument  mit  Quecksilber  absperrt.  In  der  Thal  hatte  ich 
auch  mit  einer  Anordnung  dieser  Art  bei  den  Tiefenmessungen, 
die  ich  ausführte,  begonnen.  Nachdem  ich  mich  aber  überzeugt 
halle,  dass  bei  Absperrung  mit  Wasser  die  gleichen  Resultate 
wie  bei  Absperrung  mit  Ouecksilber  erreicht  werden,  war  es 
von  selbst  angezeigt,  das  schwerer  transportable  Quecksilber 
zur  Seile  zu  lassen. 


Jolly:  Bathometer  und  graphische  Thermovieter.  261 

Der   Gebraiicli  des    beschriebenen    Balliometors    setzt   die 
Kenntniss  der  Temperatur -Differenz  der  Tiefe,  in    die  (Ins  In- 
strument   lierabtrelassen   war,    voraus.     Haies  hat  wohl  am  Irii- 
lieslen  «iaraul'  Bedacht  genonmien .  die  Temperatur   in  verschie- 
denen Tiefen  zu  messen.     Ein  Eimer  mit  Deckel  ,    der  im  Bo- 
den und  im  Deckel  aufwärts  scldagende  Ventile  besitzt,  wird  in 
die  Tiefe  herabgelassen.     Mit  der  abwärts   gehenden  Bewegung 
öffnen  sich  die  Ventile  ,   und  das  Wasser   durchströmt    den  Ei- 
mer.    Zieht  man  den  Eimer  in  die  Höhe,  so  schliessen  sich  die 
Ventile,  und  man  erhält  Wasser  aus  dei'  Tiefe,  in  welcher  der 
Eimer  sich  befand.  Die  Temperatur  dieses  Wassers  wird  um  so 
beträchtlicher  von  der  der  Tiefe  abweichen,  je  mehr  Zeit  erfor- 
derlich war,  um  den  Eimer  in  die  Höhe  zu  ziehen.     Die  Unsi- 
cherheit wird  also  mit  der  Tiefe  zunehmen.     Peron'  (einer  der 
wenigen  Naturforscher  auf  Baudins  Entdeckungsreise  nach  Neu- 
holland. w(!lcher  die  Beschwerden  der  Reise  glücklich  überstan- 
den hat)  suchte   die  Unsicherheiten,   welche    unter  Anwendung 
von  Haies'  Eimer  eintreten,  dadurch  zu  umgehen,    dass  er  ein, 
in  schlechte  Wärmeleiter  eingehülltes,  Thermometer    unmittelbar 
in  die  Tiefe    lierabliess.     Das  Gesetz    der  Abkühlung    oder   der 
Ei'wärmung  eines   so   ausgerüsteten  Thermometers  hat   er  nicht 
ermittelt.     Man  kann  daher  aus  Peron's  Beobachtungen  nur  er- 
kennen,   da.ss   überhaupt   in  der  Tiefe    eine  tiefere  Temperatur 
angetroffen  wird,  nicht  aber  was  der  wahre  Betrag  der  Tempe- 
ratur-Erniedrigung war. 

Hr.  Lenz  hat  nach  einer  Angabe  von  Parrol  den  Eimer  von 
Haies  dahin  verbessert,  dass  einerseits  die  Bewegung  <Ier  Ven- 
tile nnt  grösserer  Sicherheit  eintritt,  und  dass  andererseits  durch 
wechselnde  Schichten  schlechter  Wärmeleiter,  aus  welchen  die 
Hüllen  des  Eimers  be.'^tanden  ,  nur  äusserst  langsam  Tempera- 
tur-Aen<lerungen  sich  geltend  machen  können.     An   der  Achse 


(8)  (lilbtrl»  Aiiiiali-n.  ß.  19.  p.  4?2, 


262         Sitzung  der  math.-pht/s.  Classe  vom  13.  Dec.  i862. 

des  Eimers  war  ein  Thermometer  von  starkem  Glas  befestiget, 
stark  genug-,  um  den  Druck  des  Wassers  selbst  in  bedeutenden 
Tiefen  noch  ertragen  zu  können.  Die  Brauchbarkeit  des  Ap- 
parats ist  durch  Hrn.  Lenz  dadurch  erhöht  und  gesichert  worden, 
dass  er  zuerst  das  Gesetz  aulsuchte,  nach  weichem  die  Tem- 
peratur-Aenderungen  eintreten,  wenn  das  Instrument  in  einem 
Wasserstrom  bekannter  Temperatur  und  bekannter  Geschwin- 
digkeit aufgeliangen  wird.  Vielleicht  sind  die  einzigen  verlas- 
sigen Bestimmungen  über  die  Temperaturen  in  der  Tiefe  des 
Meeres  jene,  welche  man  Hrn.  Lenz  zu  verdanken  hat. 

Graphische  Thermometer  würden  wohl  am  dienlichsten  sein, 
wenn  anders  ihre  Construction  dahin  gebracht  werden  kann, 
dass  die  Angaben  verlassig  sind,  und  dass  der  Gebrauch  keine 
weitläufige  und  schwierig  auszuführende  Vorbereitungen  erfor- 
dert. Man  hat  daran  gedacht ,  ein  von  James  Six'  angegebe- 
nes Instrument  in  Anwendung  zu  ziehen.  Doch  hat  schon  Hr. 
Lenz  darauf  aufmerksam  gemacht ,  wie  unsicher  die  Angaben 
dieses  Instrumentes  durch  Erschütterung  und  Bewegung  werden 
können.  In  der  That  war  auch  von  Six  selbst  das  Instrument 
nur  bestimmt,  um  local  bei  fester  Aufstellung  Temperatur-Ex- 
treme anzuzeigen.  Die  Einrichtung  des  Minimum-Thermome- 
ters, die  man  M.  Walferdin  verdankt,  ist  dagegen  in  allen  Fäl- 
len anwendbar,  und  gibt  selbst  bei  heftiger  Bewegung  und  Er- 
schütterung noch  verlässige  Resultate.  Wird  das  Instrument 
genügend  stark  in  Glas  ausgeführt,  so  dass  es  selbst  durch  ei- 
nen Druck  von  100  und  mehr  Alm.  noch  nicht  zerdrückt  wird, 
so  wird  man  durch  dasselbe  die  Temperaturen  beträchtlicher 
Tiefen  namentlich  dann  ermitteln  können ,  wenn  zugleich  die 
Volumen-Verminderungen,  die  das  Instrument  durch  die  bedeu- 
tenden Pressungen  erfährt,  in  Rechnung  gezogen  werden.  Die  Vor- 
bereitungen für  den  Gebrauch  des  Instrumentes  sind  nicht  sehr 


(U)  Tlie  construction  and  use  ola  llu'rnioniol<'r  for  sln'wing  tlie  ex- 
tremes of  teinperature  in  tlie  alniüspiiere  liiiring  llie  observer's  abscnce. 
Lond.   1794. 


Jolly:  Bathometer  und  yraphische  Thermometer.  263 

stluvierig,  aber  sie  setzen  voraus,  tiass  man  über  ein  Bad  lie- 
ferer Temperatur  und  wo  uiöglich  über  ein  Bad  von  Tempera- 
tur Null  und  nodi  tieferen  Temperaturen  verfügen  könne.  Auf 
Reisen  und  Excursionen  sind  dies  oft  geradezu  unübersteiüh'clie 
Hindernisse.  Ich  war  daber  darauf  bedacbt ,  dem  iAIiiilmum- 
Thermomeler,  welcbes  icb  bei  Tiefenmessungen  einiger  Land- 
seen gebrauchen  wollte,  eine  Einrichtung  zu  geben,  durch 
welche  die  Anwendung  des  Instrumentes  an  keine  anderen 
Vorbedingungen  geknüpft  ist,  als  an  solche,  die  allerwärts  leicht 
erfüllt  werden  können,  und  die  bei  sehr  einfacher  Technik  auch 
unter  Anwendung  sehr  dünner,  also  für  die  Wiirme  leicjit 
(lurchdringbarer,  Glashüllen  in  keiner  Tiefe  ein  Zerdrücken  des 
Instrumentes  besorgen  lässt. 

Das  Instrument  besieht  aus  einem  Gefass  a  und  aus  einer 
^3.  an  beiden  Enden  olfenen,  mit  einer  willküi  liehen  Theilung 
V  versehenen  Glasröhre  b.  Die  Röhre  ist  oben  kugelförmig 
erweitert  und  unten  in  eine  feine  Spitze  ausgezogen, 
kann  also  wie  ein  Stt^hheber  g(d)raucht  werden.  Das 
Gelass  a  hat  einen  Hals  ,  in  welchem  das  untere  Ende 
der  Röhre  b  gut  eingeschliffen  ist.  Das  Gefass  wird 
mit  einer  Flüssigkeit  gefüllt,  welche  innerhalb  der  Tem- 
peraturen, die  in  Frage  konnnen  ,  einen  gleichbleiben- 
den Ausdehnungs-Coelficienten  besitzt.  Ich  habe  hierzu 
in  der  Regel  concentrirte  Kochsalzlösung  angewendet. 
Die  Röhre  b  wird  niit  Ouecksilber  gerülll,  mit  dem 
Finger  oben  geschlossen ,  und  mit  dem  eingeschlilTenen  Ende 
in  den  Hals  des  Gelasses  a  gesteckt.  War  im  Anlang  durch 
die  Wärme  der  Hand  die  Temperatur  der  Flüssigkeit  in  a  nur 
um  Weniges  über  die  Temperatur  des  Wassers  erhöhet,  so  er- 
folgt rasch  die  Temperatur- Abnahme ,  sobald  der  Ihermomelri- 
sche  Apparat  in  ein  Wasserbad  von  der  Temperatur  der  um- 
gebenden Alniosphiire  gebracht  wird.  Das  Onecksilber  fliessl 
in  feinen  Trö[)fch('n  .  entsprechend  der  Zusannnenziehung  der 
sich  abkühlenden  Salzlösung,  in  das  Gefass.  Im  Anfang  des 
Versuches,  gleich  nach  der  Zusammenselzung  der  beiden  Stücke 


564         SiUuny  der  math.-pht/s.  Ctasse  vom  13.  Dec.  1868. 

des  Thermometers,  wird  das  überschüssige  Quecksilber  aus  der 
Kugel  ausgegossen.  Mit  der  Abkühlung  von  a  tritt  also  sofort 
ein  Sinken  der  Quecksilbersäule  ein.  Man  notirt  den  Tlieilslrich 
an  welchem  das  Quecksilber  stehen  bleibt,  und  notirt  zugleich 
die  Temperatur  des  Bades.  In  einem  zweiten  Versuche  wird 
das  Instrument  in  ein  Bad  noch  tieferer  Temperatur  gebracht. 
Man  erfährt  hiedurch  ,  um  wie  viel  Theilst^iche  die  Quecksil- 
ber-Säule bei  einer  bekannten  Temperatur-Differenz  sinkt.  Ist 
dies«  Eichung  des  Instrumentes  im  Laboratorium  einmal  ausge- 
führt, so  ist  der  Gebrauch  höchst  einfach.  Man  setzt  das  In- 
strument zusammen,  wie  es  eben  beschrieben  wurde,  und  bringt 
es  in  ein  VVasserbad,  dessen  Temperatur  nur  der  einen  Be- 
dingung unterworfen  ist,  hoher  zu  sein  als  die,  welche  man 
graphisch  mit  dem  Instrumente  ermitteln  will.  Durch  die  Wärme 
der  Hand  treibt  man  den  Quecksilberfaden  in  «lieHöhe,  so  weit 
bis  er  den  in  eine  Spitze  ausgezogenen  und  hiedurch  verjüng- 
ten Theil  der  Rühre  verlassen  hat.  Die  aufgetragene  Theilung 
bezeichnet  die  Länge  des  Fadens.  In  einer  tieferen  Tempera- 
tur sinkt  ein  weiterer  Theil  des  Quecksilbers  in  das  Gefäss,  es 
bleibt  nur  ein  kürzerer  Quecksilberfaden  zurück.  Der  Unter- 
schied der  beiden  beobachteten  Fadenlängen,  dividirt  durch  die 
Anzahl  der  Theilstriche ,  die  einem  Grad  entsprechen,  gibt  in 
Graden  die  stattgehabte  Temperatur-Differenz. 

Wird  der  Apparat  beliebig  tief  in  Wasser  eingetaucht,  so 
ist  doch  ein  Zerdrücken  des  Instrumentes  nicht  zu  besorgen, 
weil  der  Druck  aussen  und  innen  immer  der  gleiche  bleibt. 
Dagegen  tritt  durch  den  Druck  eine  Volumen-Verminderung  der 
Salzlösung  ein  ,  und  Quecksilber  fliesst  in  Folge  des  Druckes 
selbst  ohne  Temperatur-Erniedrigung,  in  das  Gefäss  ab.  Also 
erfordert  der  Gebrauch  des  Instrumentes  zu  Temperatur-Be- 
stimmungen in  der  Tiefe  der  Seen  eine  zweite,  im  Laborato- 
rium auszuführende  Vorbereitung,  welche  die  Ermittlung  der 
Volumen-Verminderung  unter  gegebenem  Druck  zum  Zwecke 
hat.  Ich  setzte  die  graphischen  Thermometer  in  ein  Piezome- 
ter  ein,    und   notirte  um  wio  viel  Theilstriche  die  Quecksilber- 


Jottii:  Bitthometer  und  ijrnphische  Thermometer  265 

siiule  unter  verscIiitHlcneii  Driickgrössoii  sinkt.  IJer  Coiiipres- 
sioiisapparal  war  ircniigond  oeräuiuig,  ui»  ',)  Iiistruineiito  zugleich 
iiurzuiieliincii,  wcKlurcli  eine  Coulrole  für  die  Messungen  ge- 
wonnen werden  konnte.  Für  die  Anwendung  der  graphischen 
Thernionieter  ist  eine  Kenntniss  des  Werlhes  des  Compressibili- 
läts-Coellicienten  nicht  geradezu  erlorderlich;  es  genügt  für  ein 
ireoebenes  Instrument  zu  wissen ,  um  wie  viel  Theilstriche  das 
Quecksilber  unter  dem  Druck  einer  Atmosphäre  sinkt.  Da  aber 
die  Kubicirung  der  Apparate  mit  wenig  Mühe  verbunden  ist, 
so  schien  es  um  so  gerathcner ,  auch  diese  Arbeit  aufzuneh- 
men, weil  dann  die  Messungen  gleich  dazu  dienen  konnten,  die 
Compressibililiils-Coc-lficienten  der  benülztcn  Salzlösung  zu  bc- 
stinnnen,  und  also  aus  den  DilFcrenzen^  die  die  Instrumente  von 
verschiedenem  Kaliber  ergeben,  zu  erkennen,  in  wie  weit  die 
Technik  der  benutzten  Instrumente  sich  bewidu't. 

Das  Gelass  des  Thermometers  Nr.  1  hatte  einen  Inhalt  von 
10,0058  C.-C.  und  das  Kaliber  der  Röhre  war  der  Art,  dass 
der  übrige  Inhalt  für  39,5  Liingentheile  sich  zu  0,00804  C.  C. 
und  an  einer  andern  Stelle  für  65,5  zu  0.01331  C.  C.  ergab. 
In  beiden  Füllen  erhält  man  für  den  Inhalt  des  Raumes  von 
Theilstrich  zu  Theilsliich  0.000203  C.  C.  Ein  Druck  von  6 
Atm.  bewirkte  ein  Sinken  des  Ouetksilberladens  im  Betrag  von 
8,9  Theilstrichen.  Die  Volumen-Verminderung  betrug  demnach 
0,001806  C.  C.  Da  das  anfängliche  Volumen  10.0058  C.  C. 
war,   so    berechnet   sich  der  Compressibilitäts-Coefficient   für   l 

Atm.  zu  , — i,.  ,,,,.„     =  0,000030.  Und  für  den  Druck  je  einer 
b.  10,00o8  ^ 

Atmosphäre  erfolgt  eine  Volumen-Verminderung  von  0,00030  C.  C, 
also  ein  Sinken  der  Onecksilbersäule  von  1,48  Scalenlheilen.  Die 
Lösung  war  eine  concentrirte  Lösung  von  käullichem  Kochsalz. 
Das  Gefäss  des  Thermometers  Nr.  2  halle  einen  Inhalt  von 
7,1039  C.  C.  Der  Inhalt  des  Raumes  zwischen  zwei  Theilstri- 
chen eruab  sich  zu  0,000288  C.  C.  Ein  Druck  von  6  Atm. 
bewirkte  ein  Sinken  des  Om'i^k''iIherfadens  im  Betrag  von  3.8 
Scalentheilen.  Die  Volumen- Verminderung  beträgt  denniach 
HH6i  n.|  18 


26G  Sittuny  der  math.  - pfti/i.  Clttsse  vom  IS.  Oec.   1869. 

0,001094.  Es  hercclinel  sich  Ineiiach  der  Compressibililäts- 
Coeflicienl  für  den  Druck  einer  Almospiiiire  zu  0,0000256.  [Jnd 
lür  den  Druck  einer  Almosphäre  sinkt  das  Quecksilber  um  0,63 
Scalenlheile. 

Das  Geftiss  des  Tiiermonieters  Nr.  3  halte  einen  Inhalt  von 
9,4680  C.  C.  Der  Inhalt  des  Raunies  zwischen  zwei  Theilstri- 
chen  ergab  sich  zu  0,000304  C.  C.  Ein  Druck  von  6  Atni. 
bewirkte  ein  Sinken  des  Quecksilberladens  im  Betrag  von  5,2 
Scalentheilen.  Die  Volumen-Verminderung  beträgt  demnach 
0.001580.  Es  berechnet  sich  hienach  der  Compressibilitäts- 
Coefficient  für  den  Druck  einer  Atmosphäre  zu  0,000278.  Und 
unter  dem  Druck  einer  Atmosphäre  sinkt  der  Ouet^ksilbcrfaden 
um  0,86  Scalentheile, 

Allerdino-s  weichen  die  crelundenen  Conjpressibilitats-Coel- 
ficienten  betrachtlich  von  einander  ab.  Der  Grund  hievon  ist 
aber  naheliegend.  Auf  den  Scalen  der  Röhren  sind  nur  ganze 
Scalentheile  aufgetragen,  die  Zehntel  mussten  geschätzt  werden. 
Eine  Irrung  in  dieser  Schätzung  im  Belang  von  '/,o  eines  Sca- 
lentheiles  ist  schon  genügend  ,  um  Ungleichheiten  in  den  End- 
Resultaten  zu  Wege  zu  bringen,  wie  die,  welche  erhalten  wur- 
den. Die  Anwendbarkeit  des  Apparates  hängt  hiervon  durch- 
aus nicht  ab.  Denn  die  Aenderungen,  die  die  Wärme  bewirkt, 
sind  weit  überwiegend  über  die  Aenderungen,  die  der  Druck 
erzeugt.  An  den  Instrumenten  Nr.  1,  N.  2  und  Nr.  3  beträgt 
das  Sinken  des  Quecksilbers  bei  einer  Temperatur-Erniedrigung 
von  1°  nach  der  Reihe  19  Scalentheile,  9,3  und  12,2.  und  ein 
Druck  einer  Atmosphäre  hat  ein  Sinken  von  1,48  von  0,63  und 
von  0,86  zum  Erfolg. 

Unter  einem  Druck  von  30  Atm.,  dem  beiläufig  eine  Tiefe 
von  1000'  entspricht,  wird  das  Ausfliessen  des  Quecksilbers, 
welches  in  Folge  des  Druckes  eintritt,  44,4,  18,9  und  25,8 
betragen.  Gesetzt,  es  wäre  die  Ablesung  für  den  Druck  von 
6  Atm.  sogar  um  V^^  eines  Scalentheiles  unsicher,  so  würde 
diess  für  die  Zahlen,  welche  die  Volumen- Aendernng  unter  dem 
Druck    einer  Atmosphäre    bezeichnen,    eine    Unsicherheit     von 


JoHi/.   Halhowetci-  tiitil  tiniphische  Thermometer.  207 

'      oder  von  0,05  erzeui^on.     [)(!r  Fcliler  könnte   also  l)ei  oi- 
6 

uem  Druck  von  1)0  Alm.  1,5  Thcilstriclio  bt'lrag(?n.  Dies  würde 
hei  dem  Insirnment  Nr.  1  eine  Unsicherheit  in  der  Temperatnr- 
HestimmunjT  von  0,079"  C,  bei  dem  Inslrument  Nr.  2  eincUn- 
Sicherheit  von  0,12"  C,  und  bei  dem  Inslrument  Nr.  3  eine 
Unsiclierheit  von  0,12**  C,  also  bei  keinem  dieser  Instrumente 
zwei  Zehntel  Grad  der  Celsius'schen  Scala  erreichen.  In  einer 
tOmal  grösseren  Tiefe,  oder  unter  einem  Druck  von  300  Atm. 
würde  die  Grösse  des  F'ehlers  schon  bedenklicher,  sie  würde 
in  der  oleiclien  Reihenfolge  der  Instrumente  0,79°  C.  ,  1,5°  C. 
und  1,2°  betraoen.  Doch  ist  hiermit  zugleich  schon  das  Mittel 
angezeigt,  welches  man  zur  Verringerung  dieser  Fehlerquelle 
anzuwenden  hat.  3Ian  hat  nur  darauf  zu  achten,  dass  der  In- 
halt des  Gelasses  im  Vergleich  zum  Kahber  der  Röhre  gross 
ist.  so  dass  einer  Temperatur-Dilferenz  von  1°  C.  eine  noch  weit 
beträchtlichere  Anzahl  der  Scalentheile  entspricht. 

Es  bleibt  noch  das  Bedenken  übrig,  ob  eine  concentrirte 
Kochsalzlösung  innerhalb  der  Temperaturen,  die  hier  in  Frage 
kommen  ,  eine  gleichförmige  Ausdehnung  besitzt  oder  nicht. 
Begreiflich  lässt  sich  dies  nur  durch  messende  Versuche  ent- 
scheiden.  Ich  hatte  zum  Zweck  einer  ganz  anderen  Untersu- 
chung schon  vor  längerer  Zeit  diese  Messungen  ausgeführt, 
und  mich  überzeugt,  dass  eine  concentrirte  Kochsalzlösung  in 
den  Temperaturen  von  —  5°  C.  bis  +  10°  C.  sich  beinahe  so 
oleichförmitr  wie  Quecksilber  ausdehnt,  und  einen  Ausdehnungs- 
Coelficienten  besitzt,  der  etwas  mehr  als  das  Doppelte  von  dem 
des  Oiit'cksilbers  beträgt.  Man  kaiui  indess  gleich  die  graphi- 
schen Thermometer  selbst  benützen,  um  sich  zu  überzeugen, 
dass  in  diesen  lieferen  Temperaluren  die  Znsannnenziehung  pro- 
portional der  Temperatur-Abnahme  erfolgt.  Es  reicht  hin,  die 
Apparate  successiv  in  verschieden  liefe  Temperaluren  zu  ver- 
setzen, und  zuzusehen,  ob  proportional  der  Temperatur-Abnahme 
das  Sinken  des  Ouecksilbers  erfolgt.  Man  kann  sogar  aus  den 
Angaben   der  Instrumente    selbst   rückwärts   den  Ausdehnungs- 

18* 


208         Sitzitnif  der  tiiuth.  phys.  Ctaii.se  vom  l3.  Vec.  IS6S. 

Cüeincieiileii  der  Salzlösung  bcrecliiieii ,  wenn  man  nur  anders 
vorausgehend  den  AusdelinunQS-Coefficienten  der  benülzlen  Glas- 
Sorte  bestimmt  hat.  Dies  war  anderer  Zwecke  halber  gesche- 
hen, und  es  war  die  cub.  Ausdehnung  des  Glases  für  1"  C. 
gleich  0,0000261  gefunden.  Die  Rechnung  ist  hienach  sehr 
einfach,  bezeichnet  v  das  Volumen  des  Gefässes  bei  0°,  und  ist 
/:^derAusdehnungs-Coefficient  der  Losung,  a  der  des  Glases,  ist 
n  die  Anzahl  der  Scalentheile  für  eine  Temperatur- Abnahme 
von  1**  C.  und  endlich  /ii  das  Volumen  eines  Scalentheiles,  so  ist 

V  (/i — a)  =  n.  fi. 

Für  das  Instrument  Nr.  1  war  gefunden  v:=  10,0058,  n  =  19, 
,1t  =  0,000203.     Man  erhiüt  hiernach  für  ß. 

ß  —  0.000411. 
Für  das  Instrument  Nr.  2  war  gefunden  v=  7.1039,  n=:9,3, 
^i  ■—  0,000288.     Man  erhält  hiernach 

ß  =  0,000403. 
Für  das  Instrument  Nr.  3  war  gefunden  v  =:  9,4680,  n=:il2,2, 
jii  —  0,000304.     Man  erhält  hiernach 

ß  =  0,000417. 
Es  stinnnen  diese  Werthe  weit  exacter  unter  einander 
überein,  als  jene,  welche  für  die  Compressibilitäts  Coeincienten 
gefunden  wurden,  einfach  weil  die  Zahlen,  welche  zu  Grunde 
hegen,  mit  weit  grösserer  E.xaclheit  bestimmt  werden  können, 
als  jene,  welche  man  durch  Ablesen  durch  dicGlascylinder  des 
Piezomelers  gewinnt. 

Sind  die  Conslanlen  eines  jeden  Instrumentes  einmal  im 
Laboratorium  mit  Exactheit  bestinnnt,  so  iässt  der  Gebrauch  des 
Instrumentes  an  Bequemliclikeit  kaum  etwas  zu  wünschen  übrig. 
Es  genügt  ein  Fläsclichen  Salzlösung  bereit  zu  hallen,  von  dem 
gleichen  Concentrations-Grad  wie  der,  für  welche  die  Constante, 
d.  h.  die  Anzahl  der  Scalentheile,  um  welche  bei  einer  Tempe- 
ratur-Abnahme von  l^C.  das  Ouecksilber  sinkt,  bestinnnt  wurde, 
und  ferner  ein  kleines  Gefäss  nnt  (juecksilber  mitzunehmen,  und 
man   li.il  Alles  zur  Hand,  was  zum  Gebrauch  des  Instrumentes  er- 


Jollf/:   nathnnieter  und  arnpbi.iche  Tliermnineter.  269 

forderlicli  ist.  Die  ZiisaimneMSPtzurio;  ist  so  oinfacli,  dass  man 
solbsl  auf  Reisen  mit  keinerlei  Schwierigkeiten  zu  kämpfen  lial. 

Man  kann  slalt  der  Salzlösung  auch  Weingeist  anwenden, 
und  liat  dann  den  Vorllieil,  dass,  indem  der  Weingeist  einen 
beiläufig  doppelt  so  grossen  Ausdelniungs  CoelTicienlen  liesilzl. 
die  Anzahl  der  Sealenlheile,  die  einer  Temperatur-Differenz  von 
l"  C.  entspricht,  doppelt  so  gross  wie  bei  der  Salzlösung  wird, 
l'ebcrdicss  ist  die  Wärme-Capacitiit  des  Weingeistes  viel  gerin- 
ger als  die  einer  Kochsalzlösung.  Der  Apparat  nimmt  daher 
rascher  die  Temperatur  des  umgebenden  Mediums  an.  Dagegen 
ist  der  Concentrationsgrad  des  Weingeistes  Aenderungen  unter- 
worfen, dieConstante  des  Instrumentes  müsste  also  immer  wie- 
der von  Neuem  geprüft  werden.  Ich  habe  mit  Weingeist  nur 
Versuche  im  Laboratoriunj,  nicht  aber  auf  Excursionen,  gemacht. 
Es  kömile  daher  sein  ,  dass  die  Besorgniss ,  die  ich  in  BetrefT 
der  Aenderung  des  Weingeistes  hege,  nicht  in  dem  Grade  be- 
gründet wäre,  wie  ich  dies  annahm. 

Die  Messungen,  die  ich  von  einigen  Seen  ausführte,  lassen 
sich  in  Kürze  zusammenstellen.  Das  Volumen  des  benutzten 
Rathomcter's  war  V  r=  122,2  C.  C.  In  der  BIcchkapsel,  in 
welcher  sich  das  Bathometer  befand,  waren  zugleich  zwei  gra- 
phische Thermometer  angebracht,  und  mit  dem  BatluMueler 
wurde,  angeknüpft  an  der  gleichen  Schnur,  ein  Hales'scher 
Eimer  von  einem  Inhalt  von  beiläufig  10  Liter  in  die  Tiefe 
herabgelassen.  Der  Eimer  wurde  beigefügt,  weil  mein  verehr- 
ter Freund  und  College  Hr.  v.  Siebold,  der  bei  allen  Messun- 
gen zugegen  war,  Wasser  aus  bekannter  Tiefe  und  von  be- 
kannter Temperatur  zum  Zwecke  der  Untersuchung  des  Tliier- 
lebens  in  jenen  Tiefen  zu  erhallen  wünschte. 

Beobachtungen  am  Königssee  bei  Ber chtosgadcn. 

Am   ll>.  Auir.   1<%2 

Temperatur  der  Lufl  über  dem  Wa.sser  15"  C. 
Temperatur  des  Wassers  an  der  Oi)erflä(he  14,1)"  C 


270  Sit-z-nny  der  math.-i'Iif/s.  Classe  mm  13.  Vec.   IS6S. 

Bm-omeler  0.705  M. 

Ort  der  Beobachlung:  Fnlkensleiii .  ciiu;  Felswand,  die  sleii 
in  den  See  abliillt.  Die  Enlfeinung  vom  Vier  war  bei- 
läufig 2  Meier.  Die  Instrumente  wurden  bis  auf  den  Bo- 
den  herabgelassen,  und  verweilten  bei  diesem,  wie  bei  je- 
dem spätem  Versuch,  15  Minuten  in  der  Tiefe. 

Die  Luft  im  Balhometer  zeigte  sich  comprimirl  auf  ein  Vo- 
lumen von  14,52  C.  C. 

Die  graphischen  Thermometer  geben  .    unter  Berücksichtigung 

122  2 

derEinwirkung  eines  Druckes  von -TT^  —   1    =:  7.4  Atm., 
^  14,5 

eine  Temperatur  von   5.62"    und  C-GST..  also  Mittel  bei- 
der Angaben  6,0'  C.     In  der  Gleichung 

Vv(l-j-at)b  J 

ist  also  zu  setzen 

V  —  122,2 

V  =     14.52 
b   =1:       0,705 

t    —  14.9  —  6,0  —  8,9 

h   r=       0,012    (nach   Rcgnault's    Tabellen    für    den 

Druck  der  Dämpfe.) 
«  =       0,003665 

s   =  13,596 
Man  erliält 

T  =1  67.20  Meter. 

Am  19.  Aug.  1862. 

Temperatur  des  Wassers  an  der  Überfläche  14,9"  C. 

Barometer  0,705  M. 

Ort  der  Beobachtung :  mitten  im  See  zwischen  dcMu  FaUuMi- 
stein  und  dem  Königsbach.  Die  Breite  des  Sees  ist  an 
dieser  Stelle  beiläufig  2000  Meter.  Die  Luft  im  Bathome- 
ler  zeigte    sich  comprimirl    auf  6,53  C.  C.     Die  Tempera- 


Jollif  :  lidtliomeler  und  yrnitlnsche  Tliermoineler.  271 

liirangnbcM   der    ynipliischoii  TlicrmonieUM'    sind    5,01    und 
5,40,  also  im  Millel  5,5"*  C. 
Man  erhält  liiornach 

T  =r  1(13,2  Meter. 

Am  19.  Aug.   18f)2. 

Das  Biillionieter  wurde  an  der  gleicheu  Stelle  ,  wie  in  dem 
vorangehenden  Versuch  nicht  bis  zum  Boden,  sondern  nur 
in  eine  geringere  Tiefe  herabgelassen.  Die  Luft  im  Ba- 
Ihometer  zeigte  sich  comprimirl  auf  24,2  C.  C. 

Die  graphischen  Thermometer  wurden  frisch  gefüllt,  sie  ga- 
ben in  der  erreichten  Tiefe  G,4G  und  6,76,  das  Mittel  bei- 
der Angaben  ist  6,61"  C. 

Man  erliiilt  hiernach 

T  —  36,8  Meter. 

Am  21.  Aug.  1862. 
Temperatur  des  Wassers  an  der  Oberfläche  15,2"  C. 
Barometer  0,701  M. 
Ort  der  Beobachtung:     Mitterling,   beiläufig  in  gleicher  Ent- 

o  O  ?  3  0 

fernung  von  den  beiden  Ufern ,  die  Breite  des  Sees  ist  an 

dieser  Stelle  ungefähr  4000  31eter. 
Das  Balhometer  wurde  bis    auf  den  Seeboden   herabgelassen. 

Die  Luft  im   Batliometer  zeigte  sich   comprimirl  auf  4,88 

C.  C. 
Die  graphisciien  Thermometer  gaben  an  5,24  und  5,44.   Das 

Mittel  aus  diesen  Angaben  ist  5,34. 
Die  Spannkraft  der  Dämpfe  von  der  Temperatur  15,2"  C.  ist 

12,9.     Es  ist  also  h  =  12,9  zu  setzen. 
Man  findet 

T  —  216,5  Meier 

Am  21.  Aug.  1862. 
Das  Batliometer  wurde  an  der  gleichen  Stelle  wie  im  voran- 
gehenden Versuch   in    eine  geringere   Tiefe   herabgelassen. 
Die  Luft  im  Balhometer  zeigte  sich  comprimirl  auf  6.78  C.  C. 


272  Sitzinuf  ile.r  mnth.-plnis.  Cl(i<se  vom   f.1    Dpc    t^lü. 

Die  gnijiliischeii  Tlierinomotcr  gelten  an  5,:}0  und  5,:^.   Das 

Millcl  dieser  Anüabon  ist  5,3(S"  C. 
Man  findet 

T  =  153,3  Meter 

Am  21.  Aug.  18G2. 

Das  Balliomeler  wurde    an  der  gleichen  Sl(^lle  in   eine;   nodi 

geringere    Tiefe    herabgelassen.      Die   Lnft    im    Ralhonielcr 

zeigte  sich  coinprinn"rl  auf  10.32  C.  C. 
Die  graphischen  Thermometer  gaben  an  5,92  und  5,74.    Das 

Mittel  dieser  Angaben  ist  5,83°  C. 
Man  findet 

T  —  95,5  Meter. 

Am  2.  Sept.  1862. 

Temperatur  des  Wassers  an  der  Oberfläche  15,2"  C. 

Barometer  0,707  M. 

Ort  der  Beobachtung-    mitten  im  See    zwischen   dem  kleinen 

Watzmann  und  dem  Götzen. 
Das  Bathometer  Avurde   bis  auf  den  Seeboden  herabgelassen. 

Die  Luft  im  Bathometer  zeigte  .sich  comprimirt  auf  5,09  CG. 
Die  Angaben   der  graphischen  Thermometer  waren  5,69  und 

5,45,  also  im  Mittel  5,52"  C. 
Man  findet 

T  =:  209,1  Meter. 

Am  2.  Sept.  1862. 

Das  Bathometer  wurde  an  der  gleichen  Stelle  in  einer  gmn- 
geren  Tiefe  herabgelassen.  Die  Luft  im  Batliometei"  zeigte 
sich  comprimirt  auf  (5. 66  G.  G. 

Die  graphischen  Thermometer  zeigten  an  5,56  und  5,32.  Das 
Mittel  dieser  Angaben  ist  5,44"  G. 

Mau   fmdel 

T  —  198,0  M.'t(!r. 


Jolti/:  naihmnefev  und  (frophinche.  Thermometer.  27'' 

Am  2.  Sopl.   lSr.2. 

Das  BiiUiomclor  wiinio   an    der   irloiclion  SlcIU?    in    eine  noch 
oeringoro   Tiefe    lierabgc^Iassen.      Die    Luft   im   Balhomoter 
zoioio  sich  comprimirt  auf  12,05  C.  C. 
Die  graphischen  Thormonieler  zeigten  an  5,82  nnd  5,80.   Das 

Mittel  dieser  Angaben  ist  5,81°  C. 
Man  findet 

T  =:  104,3  Meter. 

Am  2.  Sept.   1862. 

Das  Balhomeler   wurde   an    der  gleichen  Stelle   in    eini^   noch 

geringere   Tiefe    herabgelassen.      Die    Luft    im    Batliometer 

zeigte  sich  comprimirt  auf  28,1  C.  C. 
Die  graphischen  Thermometer  zeigten  an  6,48  und  6,68.  Das 

Mittel  dieser  A\igaben  ist  6,58°  C. 

xMan  findet 

T  —  37,8  Metei-. 

Am  2.  Sept.  1862. 

Das  Balhometer  wurde   an  der  gleichen  Stelle   in    eine   noch 

geringere   Tiefe   herabgelassen.      Die   Luft    im    Balhometer 

zeigte  sich  comprinn'rt  auf  40,7  C.  C. 
Die  graphischen  Thermometer  zeigten  an  7,86  und  7,02.  Das 

Mittel  dieser  Angaben  ist  7,89''  C. 

Man  findet 

T  =  22,6  Meter. 


Beobachtungen  am  0 b e r s e e. 

Der  Obensee  ist  vom  Königssee  ungeHihr  2  Kilonieier  ent- 
fernt.    Nach    den  Terrain -Verhältnissen    ist    nicht    zu    zweifeln, 
(iass  er    früher    einen  Theil    des    Königssee's    bildete,    und    luu' 
durcli  eine  Erdrulsclie  abgetrennt  wurde. 
Am  20.  Sept    1862. 

Teniperatin-  i\r^  Wassers  an  der  0j)i;rlla(lie   15,1"  C. 


274  Sihung  der  math.-phys.  Vlasse  vom    IS.  Dec.  1862. 

Raromeler  0.702  M. 

Ort  der  Beobacliliino; :  miltcn  im  Soc.  Das  Balliomelor  wurde 
bis  auf  den  Seeboden  herabgelassen.  Die  Luft  im  Balho- 
meter  zeigte  sich  comprimirt  auf  15.42  C.  C, 

Die  graphischen  Tlicrmometer  zeigten  an  6,C0  und  6,58.  Das 
Mittel  dieser  Angaben  ist  6,59°  C. 

Man  findet 

T  =  62.3  Meter. 

Am  20.  Sept.  1862 

Das  ßathomefer  wurde  an  der  gleichen  Stelle  in  eine  gerin- 
gere Tiefe  herabgelassen      Die  Luft   im  Balhometer   zeigte 
sich  comprimirt  auf  30.5  C.  C. 
Die  graphischen  Thermometer  zeigten  an  7,48  und  7.62.  Das 

Mittel  dieser  Angaben  ist  7.55"  C. 
Man  findet 

T  ..1-  27,1  Meter. 

Am  20.  Sept.  1862 
Ort  der  Beobachtung:    nahe   am  Ufer   des  Obersees,   an  der 

Stelle,  an  der  ein  Slurzbach  sich  in  den  See  ergiesst. 
Das  Balhometer  wurde  bis  auf  den  Seeboden   herabgelassen. 

Die  Luft  im  Balhometer  zeigte   sich    comprimirt    auf  27.6 

C.  C. 
Die  graphischen  Thermometer  zeigten  an  9.02  und  9,22.  Das 

Mittel  dieser  Angaben  ist  9.12"  C.  Die  Temperatur  des  in 

den  See  sich  ergiessenden  Wassers  war  13.8"  C. 
Man  findet 

T  =r  31,2  Meter. 


Beobachtungen  am  Walchensee. 

Am   12.  Oct.  1862. 

Temperatur  des  Wassers  an  der  Oberfläche  15"  C. 


Jnltii :  liathoineter  und  graphische  Thermometer.  275 

Baromelcr  0.694  M. 

Ort  der  Beobachtung:  1   Kilonieler  von  UiTeld,  nalie  am  steil 

Hblallenden  Ufer. 
Das  Balhoineler  wurde  bis  auf  den  Seeboden    herabgelassen. 

Die  Luft  zeigte  sicli  comprimirt  auf  9,42  C.  C. 
Die  graphischen  Thernionieter  zeigten  an  5,88  und  6,04.  Das 

Mittel  beider  Angaben  ist  5,91°  C. 
Man  findet 

T  ~  107.0  Meter. 

Am  13.  Od.  1862. 

Temperatur  des  Wassers  an  der  Oberflächi^  15"  C. 

Barometer  0.692  M. 

Ort  der  Beobachtung:   beiläufig  in  der  Mitte  zwischen  Urfeld 

und  dem  Orte  Walchensec. 
Das  Balhomeler  wurde   bis    auf  den  Seeboden  herabgelassen. 
Die  Luft  im  Balhomctor  zeigte  sich  comprimirt  auf  4,22  C.  C. 
Die  g-raphischen  Thermomeler  zeigten  an  5,01  und  5,34.  Das 

Mittel  beider  Angaben  ist  5,17°  C. 
Man  findet 

T  —  248,8  Meter. 

Am  13.  Oct.  1862. 

Das  Bathometer  wurde  an  der  gleichen  Stelle  in  eine  gerin- 
gere Tiefe  herabgelassen.     Die  Luft   im  Bathometer   zeigte 
sich  comprimirt  auf  10,20  C.  C. 
Die  graphischen  Thermometer  zeigten  an  6,22  und  6,02.  Das 

Mittel  beider  Angaben  ist  6,12°  C. 
Man  findet 

T  —  98.6  Meter. 

Am  13.  Oct.  1862. 

Das  Bathometer  wurde  an  der  gleichen  Sl(dle  in  eine  noch 
geringere  Tiefe  herabgelassen.  Die  Lull  im  Bathometer 
zeigte  sich  comprimirt  auf  16,22  C.  C 


276  SiHuntf  der  math.php^.  Ctasae  vom  13.  Der.     1862 

Die  graphisclicn  Thermomeler  zeigten  an  6,66  und  6,86.  Da.<« 

Miltel  dieser  Angaben  ist  6,76"  C. 
Man  findet 

T  —  58,3  Meter. 

Am  13.  Oct.  1862. 

Ort  der  Beobachtung:  an  einer  Stelle  des  Sees,  die  beiläufig 

l  Kilometer  östlich  von  der  vorhergehenden  liegt. 
Das  Balhometer  wurde   bis   auf  den  Seehoden  herabgelassen. 

Die  Luft   im  Bathomcter   zeigte    sich  comprimirt  auf  10,22 

C.  C. 
Die  graphischen  Thermometer  zeigten  an  6,10  und  6,04.  Das 

Mittel  beider  Angaben  ist  6,07"  C. 
Man  findet 

T  —  97,6  Meter. 

Die  Zusammenstellung  der  Beobachtungen  liisst  .sofort  über- 
sehen, wie  mit  der  Tiefe  die  Temperatur  abnimmt.  Es  wurde 
gefunden  am  Königssee 


Tiefe 

Temperatur 

0 

14,9"  bis  15,2"  C. 

22,6  M. 

7,89 

26,8 

6.61 

37,8 

6,58 

67,2 

6,00 

95,5 

5,83 

104,3 

5,81 

153,3 

5,38 

163,2 

5,50 

198,0 

5,44 

204,1 

5,52 

216,5 

5,34. 

Die  Temperatur  nimmt  also  im  Anfang  sehr  rasch  ab ,  sie 
ist  in  einer  Tiefe  von  22,6  Meter  schon  um  etwas  mehr  als  7" 
liefer   als    an    der   Oberfläche;    sie   iiinmil    aber    dann    mit    den 


Jolti/:  Uuthotiieter  und  yrujihisclie  Thetmomtter.  277 

wachsenden  Tielen  nur  äusserst  langsam  ab ,  und  nähert  sich 
mehr  und  mehr  der  Temperatur  des  Maximums  der  Dichtigkeit 
des  Wassers.  Die  tielste  Stelle,  die  im  Königssee  mit  dem 
Bathometer  gefunden  wurde,  war  210,5  Meter,  die  Temperatur 
in  dieser  Tide  übertrifft  aber  noch  um  1,5^  die  Temperatur 
der  grüssten  Dichte  des  Wassers.  Von  der  Tiefe  von  104,3 
Meter  bis  zur  Tiefe  von  21G,5  M.  sinkt  die  Temperatur  nur 
noch  um  0,47.  Lässt  sich  aus  so  wenigen  Beobachtungen  selbst 
nicht  ein  empirisches  Gesetz,  der  Abnahme  der  Temperatur  mit 
der  zunehmenden  Tiefe  abieilen,  so  ist  doch  jedenfalls  nach 
den  vorlicixcnden  Zahlen  klar,  dass  erst  in  beträchtlich  tieferen 
Seen,  die  ähnlich  wie  die  bayerischen  Gebirgsseen  tiefen  Win- 
tertemperaturen ausgesetzt  sind,  eine  Temperatur  zu  erwarten 
ist,  die  der  Temperatur  des  Maximums  der  Dichtigkeit  des  Was- 
sers näher  gelegen  ist. 

Die  Temperaturen,  welche  die  graphischen  Instrumente  auf- 
zeichneten, sind  nicht  ohne  Anomalien.  So  wurde  die  Tempe- 
ratur in  der  Tiefe  von  143  Meter  tiefer  gefunden,  als  die  in 
der  grösseren  Tiefe  von  103  Meter,  und  ebenso  in  der  Tiefe 
von  198  Meter  eine  tiefere  Temperatur,  als  in  der  grösseren 
Tiefe  von  209  Meter.  Es  ist  aber  klar,  dass  dies  lediglich  den 
nicht  sfenüoend  exacten  Anga!)en  der  Instrumente  zuzuschreiben 
ist.  Es  treten  die  Hundertel  der  Grade  nur  als  Rechnungs- 
grössen  auf,  und  sie  sind  nur  aufgenonimen ,  um  zu  erkennen, 
ob  sie  mehr  oder  minder  nahe  einem  Zehntel  kommen. 

Die  Beobachtungen  und  Messungen  am  Oborsee  ergaben 
Tiefe  in  Alcter.  Teiuperatiir. 

0  15,1°     C. 

27,1  7,55°  C. 

31,4  9.12«  C. 

62,3  6,59»  C. 

Hier  ist  die  Anomalie  bedeutender ,  und  nicht  durch  die  Feh- 
lerquellen der  graphischen  Instrumente  zu  erklären.  In  einer 
Tiefe  von  nur  27  Meter  war  die  Temperatur  7,55,  und  in  der 
grosseren  Tiefe  von  31  Meter  war  sie  9,12,   also   um  1,57"  C. 


278  Sitzung  der  ttitith.  fihys.  Vitis.se  vom  13.   liec.   /W^. 

Die  Oertlichkoil  erklart  aber  zur  Geiiiige  die  Ersclieiiuing.  An 
der  Stelle,  an  welcher  in  der  grösseren  Tiefe  die  relativ  hö- 
here Temperatur  gefunden  wurde,  ergiesst  sich  ein  wasserrei- 
cher Ba(;h  in  jähem  Sturz  in  den  See,  und  macht  die  höhere 
Temperatur  noch  in  beträchtlicher  Tiefe  geltend. 

Die  Beobachtungen  im  Walchensee  waren  minder  zahlreich. 
Es  wurde  gefunden 

Tiefe  in  Meter  Temperatur 

0  15"  C. 

58,3  6,76. 

97,6  6,07. 

98,6  6,12. 

107,0  5,91. 

248,8  5,17. 

Die  tiefste  im  Walchensee  aufgefundene  Stelle  ist  32  Me- 
ter tiefer  als  die  tiefste  Stelle  im  Königssee.  Die  Abnahme  der 
Teujperaturen  mit  der  Tiefe  ist  aber  in  beiden  Seen  auffallend 
gleich.  Sie  befinden  sich  aber  auch  unter  ganz  gleichen  phy- 
sischen Verhältnissen ,  sie  haben  nahezu  gleiche  Tiefen  ,  liegen 
in  gleicher  Breite  und  beinahe  in  gleicher  Höhe  über  der  Mee- 
resoberfläche. 

Die  graphischen  Thermometer  müssen  längere  Zeil  in  der 
Tiefe,  deren  Temperatur  ermittelt  werden  soll,  verweilen.  Es 
ist  also  unvermeidlich,  sie  an  einer  Schnur  herabzulassen  und 
wieder  in  die  Höhe  zu  ziehen.  Für  die  Bathometer  ist  ein 
längeres  Verweilen  in  der  Tiefe  nicht  erforderlich.  Es  ist  daher 
naheliegend  auf  eine  Einrichtung  Bedacht  zu  nehmen,  in  welcher 
das  zeilraubende  Auf-  und  Abhaspeln  einer  Schnur  wegfällt. 
Schon  llooke  und  Haies  hatten  hierhin  zielende  Vorschläge  ge- 
macht. Eine  Kugel  von  Holz  sollte  als  Schwinmier  dienen,  an 
der  Kugel  war  das  Bathometer  aufgehangen,  und  am  unteren 
Ende  des  Balhometers  sollte  ein  Körper  von  solchem  Gewichte 
befestigt  werden ,  dass  durch  denselben  der  ganze  Apparat  in 
die  Tiefe  gezogen  wird.  Endlich  sollte  mit  dem  Stoss  auf  dem 
Meeresboden  der  schwere  Körper  sich  ablösen,   und  das  Batho- 


Jollir-  Bnthometer  und  yraphische  Thermometer.  279 

Mioler  durch  die  Kugel  wieder  in  die  Höhe  j^ebracht  werden. 
Der  Apparat  wird  voraussichllith  schon  in  geringen  Tiefen  den 
Dienst  versagen.  Das  Wasser  dringt  rasch  in  die  Poren  des 
Holzes  und  macht  den  Scluviiinner  unwirksam.  Ich  habe  zunächst 
hohle  Kugeln  von  diinneni  Messingblech  angewendet,  und  fand, 
dass  sie  aus  Tiefen  bis  zu  60  i^ieter  uuverseiu't  den  Apparat 
wieder  in  die  Höhe  brachten.  In  Tiefen  von  100  Meter  wur- 
den aber  die  Kugeln  platt  gedrückt.  Vielleicht  \vare  es  am 
dienlichsten,  Glocken  von  dünnem  Blech,  unten  mit  weitem 
Hals  und  von  einer  Gestalt,  durch  welche  der  Schwerpunkt  der 
Gasglocke  lief  zu  liegen  kömmt ,  anzuwenden.  Ein  schwerer 
Stein  würde  die  Glocke  sammt  dem  Bathometer  in  die  Tiefe 
ziehen.  Wird  der  Stein  durch  den  Stoss  am  Seeboden  abge- 
löst, so  Kömmt  der  Apparat  wieder  in  die  Höhe,  sobald  die  Di- 
mensionen der  Glocke  der  Art  sind,  dass  das  Gewicht  des  ver- 
drängten Wassers  grösser  ist  als  das  Gewicht  der  Glocke  samml 
dem  {[gs  eingetretenen  Wassers  und  dem  der  verdichteten 
Luft.  Ein  Zerdrücken  des  Apparates  wird  dann  sicher  in  keiner 
Tiefe  eintreten,  dagegen  würde  seine  Anwendbarkeit  durch  Tie- 
fen begrenzt  sein ,  in  welchen  der  Druck  des  Wassers  770 
Atm.  erreicht,  indem  hiemit  eine  Verdichtung  der  Luft  erzeugt 
wird,  in  welcher  die  Dichtigkeit  der  comprimirten  Luft  der  Dich- 
liifkeit  des  Wassers  gleich  kömmt.  In  offener  See  wird  ein 
Apparat  mit  Schwimmer  überhaupt  nicht  anwendbar  sein ,  denn 
er  würde  durch  die  Strömungen  oft  weit  fortgeführt,  und  wenn 
er  in  die  Höhe  kömmt,  schwer  wieder  aulzufinden  sein.  Man 
wird  also  innner  die  Leine  anwenden  müssen  ,  wird  aber  unter 
Benützung  der  Lult-Bathomeler  und  der  graphischen  Thermo- 
meter mit  grösserer  Genauigkeit  die  erreichte  Tiefe  und  die 
Temperatur  in  dieser  Tiefe  bestimmen  können ,  als  durch  das 
Tiefloth  und  den  Hales'schcn  Eimer. 


280  Sttruny  der  math.-phys.  Claaae  vom  13.  Der.   1863. 

Herr  von  Siebold  verheisst  der  Classe  Milllieilungen  über 
das  Ihierische  Leben  in  den  grösstcn  Tiefen,  welches  vermöge 
obiger  Forschung  erkannt  werden  konnte. 


Hr.  Nägeli  macht  eine  erste  Mitlheiking  über 

,,die  Reaction  von  Jod  auf  Stärkekorner  und 
„Zellmembranen."' 

Es  ist  schon  lange  bekannt,  dass  die  Zellmembranen  durch 
Behandlung  mit  gewissen  Mitteln  in  einen  Zustand  übergeführt 
werden  können,  in  welchen  sie  durch  Jod  sich  wie  Starkemehl 
indigoblau  färben.  Aber  man  ist  noch  streitig  darüber,  wie 
diese  Mittel  wirken,  und  was  die  blaue  Reaction  des  Jod  für 
eine  Bedeutung  habe. 

Schieiden,  der  Entdecker  der  Thatsache,  dass  Holz  und 
verschiedene  andere  Zellgewebe,  wenn  dieselben  entweder  nach 
Kochen  mit  Aetzkali  oder  sofort  mit  Schwefelsäure  und  Jod 
behandelt  werden,  eine  rothe  bis  blaue  Farbe  zeigen,  nahm  an, 
dass  die  Holzfaser  in  Stiirkekleister  umgewandelt  werde  0^'i<^g- 
mann's  Archiv  1838  und  Pogg.  Ann.  1838). 

Die  entgegengesetzte  Ansicht  hat  darauf  H.  v.  Mo  hl  zu 
begründen  gesucht.  Nachdem  schon  Meyen,  Schi  ei  den  und 
Dickie  gefunden  hatten,  dass  einzelne  Zellmembranen  sich  ohne 
Weiters  durch  Jod  blau  fiirben,  beobachtete  Mohl  ferner,  dass 
manche  andere  nur  einer  sehr  geringen  Einwirkung  bedürfen, 
um  die  gleiche  Reaction  zu  zeigen.  Er  zog  daraus  den  Schluss, 
dass  die  Entwicklung  einer  blauen  Farbe  der  Zellmembran  an 
und  für  sich  zukonnne  und  bloss  auf  der  Aufnahme  einer  ge- 
hörig grossen  Menge  von  Jod  beruhe.  Dasselbe  ertheile  der 
Zellmembran,  je  nach  der  Menge,  in  welcher  es  von  ihr  auf- 
genommen werde,  sehr  verschiedene  Farben  (von  Gelb  und 
Braun  rjurch  Violett    bis  lilan).     Die  Farbe    hiiniie    indess   auch 


Niiofli:  Tie.action  ron  Jod  auf  Stärkeftfirner  u.  ZeHmi'iuhr.   281 

von  (lor  BescIiiifTeiilieit  der  iMomhran  selbst  nl),  indem  die  wei- 
cJjern  und  xjihern  Meiiibraiien  schon  bei  geringen  Mengen  von 
Jod  eine  violette  oder  blaue  Reaclion  zeigen,  indess  die  härte- 
ren un<l  sprödem  gelb  oder  braun  werden  und  erst,  wenn  eine 
grosse  Menge  von  Jod  auf  sie  eingewirkt  habe,  eine  blaue  Farbe 
ainiehnien  (Flora   1840). 

Payen  zeigte,  dass  alle  Zellnicnibranen,  nachdem  sie  mit 
verschiedenen  Ueiiiigungsmitleln  behandelt,  und  von  den  soge- 
nannten incruslirenden  Substiinzen  befreit  worden,  aus  der  näm- 
lichen ^'erbinduno  bestehen  und  durch  Jod  und  Schwefelsäure 
blau  gefärbt  werden   (Mem.  sur  le  developp.  des  veget.  1844). 

Die  gleichzeitigen  Untersuchungen  Mulder's  fiduten  die- 
sen Forscher  zu  einem  etwas  anderen  Resultate.  Nach  dem- 
selben bestehen  bloss  die  jugendlichen  Zellwände  aus  Cellulose, 
die  älteren  Wandungen  dagegen  sind  grösstentheils  aus  andern 
Verbindungen  zusammengesetzt,  da  sich  dieselben  durch  Jod 
und  Schwefelsäure  nicht  blau  färben  (Versuch  einer  physiolog. 
Chemie  1844). 

Payen  und  Mulder  stimmen  darin  mit  einander  überein. 
dass  reine  Cellulose  durch  Jod  und  Schwefelsäure  eine  blaue 
Färbung  annehme.  Dieser  Ansicht  sind  die  Chemiker  und  zun» 
Theil  die  Pflanzenphysiologen  gefolgt,  wobei  zuweilen  ausdrück- 
lich ang(Miommen  wurde,  dass  Cellulose  durch  Schwefelsäure  in 
Amylum  oder  in  Amyloid  umgewandelt  werde. 

In  FolüC  einer  neuen  Reihe  von  Beobachtunffon  bildete 
Mohl  seine  frühere  Theorie  Iheils  weiter  aus,  Ihcils  modificirte 
er  dieselbe  einitrermassen.  Keine  Cellulose  soll  sich  durch  Jod 
und  Wasser  allein,  wie  das  Stärkemehl,  indigoblau  färben.  Er 
ist  geneigt,  aiiziniehmen.  dass,  wo  diese  Blaufärbung  nicht  ein- 
Irill,  die  Einlaaerimocn  IVemdarliger  Subslanzen  diesclbi;  hin- 
dem,  indem,  wenn  die  vorinneinigenden  Materien  durch  geeig- 
nete Mittel  (Aelzkali  oder  Salpetersäure)  entfcM-nt  würden,  die 
Reaction  durch  .lod  und  Wasser  unniitlelliar  erfolge  (bot.  Zei». 
1847,  Grundzüge  der  Anal  und  l'hysiolog.  der  vegclab.  Zelle 
1851). 


282  Sttt-iing  der  math.  phys.  Clusse  vom  13.  Dec.  1862. 

Bei  meinen  rnlersuchungen  über  die  Stärkekörner  fand 
ich,  dass,  nachdem  der  Speichel  denselben  die  sich  durch  Jod 
bläuende  Substanz  (Granulöse)  entzogen  hat,  eine  Substanz 
übrig-  bleibt,  die  als  reine  Cellulose  zu  betrachten  ist ,  und  die 
sich  durch  Jod  und  Wasser  nicht,  wohl  aber  bei  gleichzeitiger 
Einwirkung  von  Schwefelsäure  blau  färbt.  Damit  verglich  ich 
die  andere  Thatsache,  dass  manche  Zellmembranen  mit  Jod 
keine  blaue  Färbung  zeigen,  diese  Reaction  aber  eintreten  las- 
sen ,  nachdem  sie  eine  Behandlung  erfahren  haben,  die  man 
nicht  als  Reinigung  in  Anspruch  nehmen  kann.  Daraus  zog  ich 
den  Schluss,  dass  die  Cellulose  an  und  für  sich  durch  Jod  al- 
lein keine  blaue  Färbung  annehme,  dass  sie  aber  durch  ver- 
schiedene Mittel  eine  Veränderung  ihrer  Molecularconstitution 
erfahre  und  in  Granulöse  übergeführt  werde  (Stärkekörner  1857). 
Gegen  diese  Darstellung  suchte  Mo  hl  geltend  zu  machen, 
<lass  der  von  den  mit  Speichel  behandelten  Stärkekörnern  übrig 
bleibende  Stoff  nicht  Cellulose ,  sondern  eine  neue  Verbindung 
sei ,  für  die  er  den  Namen  Farinose  vorschlug  ( Botan.  Zeitg. 
1859). 

Die  bisherigen  verschiedenen  Ansichten  über  die  Eigen- 
schaften der  Cellulose  und  über  die  Reaction  des  Jod  auf  die 
Stoffe  der  Cellulosegruppe  entspringen  sowohl  abweichenden 
thatsächlichen  Beobachtungen  als  ungleichen  Folgerungen  aus 
den  gleichen  Beobachtungen.  Es  zeigt  sich  vielleicht  bei  we- 
nigen pflanzenphysiologischen  Fragen  schlagender ,  wie  die  al- 
lergeringste Abweichung  von  der  exacten  Methode  oder  von 
der  logischen  Folgerung  zu  unrichtigen  Ergebnissen  führen 
kann. 

Das  Jod  ist  aber  für  die  microscopische  Chemie  unzwei- 
felhaft das  wichtigste  Reagens ,  und  bei  der  jetzigen  Unsicher- 
heit in  der  Anwendung,  bei  den  widersprechenden  Angaben 
kann  dasselbe  beinahe  als  mibrauchbar  bezeichnet  werden.  Erst 
wenn  festgestellt  ist,  unter  welchen  Bedingungen  eine  bestimmte 
Reaction  immer  eintritt  und  unter  welchen  Tmständen  sie  im- 
mer ausbleibt,  wird  das  Jod  zum  untrüglichen  Mittel ,  um  che- 


Näyeli:  fleaction  von  Jod  auf  stärhehörner  k.  Zelltiiemhr.   28^ 

mische  oder  pliysicalische  Zustiiiide  zu  prüfen  und  zu  beurlhei- 
len  Ich  beabsichtige  keine  erschöpfende  Behtindhing  und  be- 
schränke mich  auf  die  Erledigung  einiger  Fragen. 


/.      Verwaiidlschaft  des  Jod  zu  rrrschictienen  Sub.'danzen. 

Es  ist  bekannt,  dass  eine  ofienslehende  wässerige  Jodlo- 
sung sich  entfärbt.  In  einem  flachen  Uhrglas  findet  die  Ent- 
färbung der  gesättigten  Lösung  in  der  Dunkelheil  und  bei  Zim- 
mertemperatur schon  innerhalb  12  Stunden  statt.  Dieses  ent- 
färbte Wasser  verändert  blaues  Lacmuspapier  nicht;  eine  Bil- 
dung von  Jodwasserstüffsäure  hat  also  nicht  oder  nur  in  äus- 
serst geringer  Monge  statt  gefunden.  Das  meiste  Jod  ist  durch 
Verdunstung  entwichen. 

In  einem  engen  Probirröhrcheu  geht  die  Entfärbung  der 
gesättigten  wässerigen  Jodlösung  sehr  langsam  vor  sich.  Nach 
12  Stunden  war  bloss  eine  oberflächliche  Schicht  von  einer 
Linie  Dicke  farblos  geworden.  Nachdem  das  offene  Probir- 
röhrchen  16  Tage  lang  im  Zimmer  gestanden  hatte,  war  die 
Flüssigkeit  bloss  etwa  drei  Linien  tief  entfärbt.  Von  da  ab- 
wärts  nahm  die  Färbung  zu  und  zeigte  auf  dem  Grunde  nahe- 
zu die  ursprüngliche  Intensität.  Ausser  der  Verdunstung  war 
der  Abgang  des  Jod  auch  auf  Rechnung  von  Säurebildung  zu 
setzen,  wie  das  gerölhete  Lacmuspapier  bezeugte. 

Wenn  man  gesättigte  wässerige  Jodlösung  kocht,  so  geht 
die  Entfärbung  viel  rascher  von  stalten,  indem  sowohl  die  Ver- 
dunstung als  die  Säurebildung  sich  steigert.  Die  farblos  ge- 
wordene Flüssigkeit  in  einem  Probirröhrchen  reagirl  deutlich 
sauer. ' 


(1)  (j|psätli<Tto  wpiii^cistige  Juiltinctur  boliält  heim  Kochen  ihre  an- 
länglicho  intensive  Färbung,  ein  l^eweis,  dass  der  NYeingei.st  und  da» 
Jod  faxt    im    gleiehen  Verhältnis)    verdunsten.      Krsl    vor    vollständigeiu 

19* 


284  SUzuHtf  tlfi-  tmith.-phys.   Classe  vom  i3.  Dec    186S. 

Eino  hinreichende  Menge  von  Stärkemehl  oder  Slärkeklei- 
ster  enifiirbl  die  wässerige  Jodlösuno-.  Lässl  man  aber  in  Was- 
ser befindliche  Jodslärke  in  einem  olfenen  Gefässe  stehen  ,^  so 
wird  sie  ihrerseits  farblos,  ohne  dass  das  Wasser  sich  färbt. 
Die  Erklärung  dieser  Thalsache  liegt  auf  der  Hand. 

Die  Stärke  entzielit  nändich  der  wässerigen  Jodlösung  nicht 
ganz  alles  Jod;  der  Rest  wird  von  dem  Wasser  energisch  fest- 
gehallen.  Das  Wasser  hat  zu  dieser  geringen  Menge  von  Jod 
eine  grössere  Verwandtschaft  als  die  Stärke.  Diese  geringe 
Menge  von  Jod  hat  aber  eine  noch  grössere  Neigung  zu  ver- 
dunslen  und  Säuren  zu  bilden,  als  in  Lösung  zu  bleiben.  Ein 
Theil  desselben  geht  also  durch  Verdunstung  und  Säurebildung 
verloren;  das  Wasser  ersetzt  den  Verlust,  indem  es  eine  dem- 
selben enisprechende  Menge  der  Jodstärke  entzieht.  Es  ist 
klar,  dass 'dieser  Process  so  langt!  fortdauern  muss,  bis  die  Jod- 
slärke all  ihr  Jod  verloren  hat. 

Es  gibt  also  einen  bestimmten  Concenlrationsgrad,  welcher 
die  Grenze  für  die  Verwandtschaft  des  Jod  zu  Wasser  und 
zu  Stärke  anzeigt,  in  der  Meinung,  dass  unter  diesem  Concen- 
lrationsgrad das  Wasser  der  Stärke,  über  demselbiMi  die  Stärke 
dem  Wasser  das  Jod  zu  entziehen  vermag.  Bei  der  Färbung 
und  Entfärbung  der  Jodslärke  bildet  das  Wasser  das  Mittel 
für  die  Bewegung  der  Jodlheilcheu.  Wenig  Wasser ,  das  mit 
metallischem  Jod  in  Berührung  ist,  kann  eine  grosse  Menge 
von  Stärke  bläuen;  wenig  Wasser,  das  der  Verdunstung  eine 
freie  Oberfläche  darbietet,  kann  eine  grosse  Menge  von  Jod- 
stärke entfärben. 

Die  Grenze  der  Verwandtschalt,  von  der  eben  gesprochen 
wurde,  ändert  sich  mit  der  Tcmperalur  Es  ist  bekannt,  dass 
Jodslärke  beim  Erhitzen  farblos  wird.  Dies  gab  Payen  (Ann. 
sc.  nat.  1838)    die  Veranlassung  zu   der  Annahme  einer  farb- 


Verdampfpii    wird    dor  pciinso  Res»    der  Fliissiskoi»    lieHi'i-  ""fl  besieht 


grösslentlu'il.'«  aus  >'YaJSOr. 


Tiäffeli:  Beiiction  von  Jod  itvf  Stärkekörner  ii.  Zellmembr    285 

losen  Jodslärke  (iodiiro  (raiiiidon  iiivisihlc  directenicnl).  Neuer- 
dings wurde  von  Bnudriinont  die  Enlfarbung  aus  der  Verflüch- 
tiguno;  des  Jod  hcrzuieilen  versucht.  Die  allein  riclilijje  Er- 
Klärung  hat  Schönbein  (in  diesen  Sitzung-sberichten  1861  II. 
143)  gegeben.  Beim  Erwärmen  wird  das  Jod  von  dem  Was- 
ser der  Starke  entzogen  und  beim  Erkalten  wieder  an  dieselbe 
abgegeben.  Bei  höherer  Temperatur  wird  also  der  flüssige 
Jodstärkekleisler  nicht  eigentlich  entfärbt,  wie  man  gewöhidicli 
sagt,  sondern  vielmehr  entbläut;  er  wird  braungelb  und  beim 
Sinken  der  Temperatur  wieder  blau. 

Dass  es  wirklich  keine  farblose  Jodstärke  g(?be ,  geht  aus 
folffenden  zwei  Thafsachen  hervor.  Wenn  man  Jodstärke  mit 
überschüssigem  metallischen  Jod  zu  heftigem  Kochen  erhitzt 
und  das  Kochen  unterhält,  so  entwickeln  sich  Joddämpfe.  Die 
Jodstärke  behält  aber  trotz  der  hohen  Temperatur  ihre  unver- 
änderte blaue  Farbe,  so  lange  Joddärnpfe  entweichen.  Hören  die- 
selben auf,  so  tritt  die  EntbUiunng  ein.  Die  Concentration  der 
Jodlösung  nimmt ,  wenn  kein  metallisches  Jod  mehr  vorhanden 
ist,  rasch  ab  und  das  Wasser  entzieht  nun  der  Jodstärke  das 
Jod.  Die  Entbläuung  der  Jodstärke  in  Wasser ,  das  kein  Jod 
gelöst  enthält,  geht  selbst  bei  einer  Temperatur,  die  weil  unter 
der  Siedhitze  liegt,  vor  sich. 

Die  zweite  Thatsache  ist  folgende.  Wenn  man  durch  Jod 
gebläuten  Stärkekleister  mit  Wasser  in  einem  Glase  erhitzt,  so 
wird  der  Kleister  farblos  und  das  W^asser  gelb.  Bereitet  man 
nun  eine  wässerige  Jodlösung  von  möglichst  gleichem  Farben- 
ton  und  gibt  eine  gleiche  Menge  von  Kleister  hinein  wie  in 
dem  ersten  Glas ,  so  färbt  sich  derselbe  genau  so  intensiv 
blau  als  der  Kleister  in  dem  ersten  Glas  beim  Erkalten.  Diess 
beweist  die  Unmöglichkeit  der  Amiahim? .  dass  heim  Erwärmen 
ein  Theil  des  Jod  in  Lösung  und  der  andere  mit  Stärke  in 
farbloser  Verbindung  bleibe:  ein(^  Annahme,  zu  der  man  alU^r- 
dings  aus  dem  (irnndc  leicht  verführ!  wird  ,  weil  (^inc;  gleiche 
Menge  von  Jod  dem  Wasser  eine;  vl(>l  w(»niger  intensive  Fär- 
bung verleiht  als  dem  Sliu'kekl(!isler. 


286  StHttny  der  math-phys.  Cluase  vom  13.  Üec.  iS69. 

Ich  bemerke  noch,  dass  die  blaue  Farbe  der  Jodstärko 
beim  Erhitzen  gewöhnlich  durch  Grün  in  die  gelbe  Farbe  der 
Jodlösung  übergeht,  und  dass  umgekehrt  beim  Erkalten  der 
Uebergang  durch  den  nämlichen  grünen  Ton  stattfindet.  Der- 
selbe wird  hervorgebracht  durch  das  Gemenge  von  blauer  Jod- 
stärke und  gelber  Jodlösung 

Das  gegenseitige  Verhalten  von  Wasser,  Jod  und  Stärke 
bei  verschiedenen  Temperaturen  lässt  sich  also  so  ausdrücken. 
Mit  der  steigenden  Temperatur  steigt  die  Löslichkeit  des  Jod; 
während  die  gesättigte  Jodlösung  bei  gewöhnlicher  Temperatur 
gelb  ist,  wird  sie  gegen  die  Siedhitze  hin  braunroth.  Mit  der 
steigenden  Temperatur  erhebt  sich  ferner  der  Concentrations- 
grad ,  welcher  die  Grenze  für  die  Verwandtschaft  von  Jod  zu 
Wasser  und  Stärke  bildet.  Wässerige  Jodlösung ,  in  welche 
man  Stärke  bringt,  vermag  bei  gewöhnlicher  Temperatur  so  we- 
nig Jod  zurückzuhalten,  dass  sie  farblos  erscheint;  nahe  der 
Siedhitze  hält  sie  so  viel  davon  fest,  dass  sie  eine  braungelbe 
Farbe  zeigt.  V^enn  man  Jodstärke  bei  verschiedenen  Tempe- 
raturgraden durch  so  viel  Wasser  entfärbt,  dass  noch  etwas 
Jodstärke  unzerlegt  übrig  bleibt,  so  entspricht  jedem  höheren 
Wärmegrad  eine  intensivere  Färbung  der  Lösung.  Bei  gewöhn- 
licher Temperatur  geschieht  die  Entfärbung  der  Jodstärke  nur 
sehr  langsam,  weil  das  Wasser  derselben  so  äusserst  wenig 
Jod  entzieht;  bei  der  Siedhitze  geht  die  Entbläuung  rasch  vor 
sich,  weil  das  Wasser  viel  Jod  zu  lösen  vermag,  und  weil  das 
letztere  durch  Verdunstung  und  Säurebildung  rasch  verloren 
geht. 

Es  ist  begreiflich,  dass  die  Entbläuung  auch  bei  der  Sied- 
liilze  nicht  eintreten  kann,  so  lange  metallisches  Jod  vorhaiulen 
ist,  weil  dieses  fortwährend  in  Lösung  übergeht,  und  weil  in 
Folge  dessen  der  Concentrationsgrad  nicht  so  weit  sinken  kann, 
tiass  die  Anziehung  der  Lösung  zum  Jod  der  Jodstärke  grösser 
würde,  als  die  der  Stärke  selbst.  Sobald  das  metallische  Jod 
aufgelöst  ist .    ninunl  die  Conceniration  der  Lösung  ab.  erreicht 


Käyeli:    Eeaction  von  Jod  auf  Stärkekörner  u.  Zelhnembr.  287 

dann  denjenigen  Grad ,  wo  das  Jod  der  Slärke  entzogen  wird 
und  vermindert  sich  immer  mehr,  indem  die  Flüssigkeit  heller 
gefärbt  und  zuletzt  ganz  farblos  wird.  Beim  Erkalten  bleibt 
jetzt  auch  die  Stärke  ganz  farblos.  Unterbricht  man  aber  den 
Process  vor  dem  Farbloswerden  der  Flüssigkeit,  so  färbt  sich 
beim  Erkalten  die  Stärke  nach  Älassgabe  der  in  ihr  noch  ent- 
haltenen Menge  freien  Jods.  Ist  sie  hellgelb  gefärbt,  so  wird 
sie  beim  Erkalten  blassblau. 

Die  Tliatsache,  dass  mit  der  Temperatur  auch  der  Con- 
centrationsgrad  wechselt,  welcher  die  Grenze  für  die  Verwand- 
schaft von  Jod  zu  Wasser  und  zu  Stärke  bildet,  macht  es  er- 
klärlich ,  dass  eine  um  so  geringere  Menge  von  Jod  in  der 
Flüssigkeit  durch  Stärke  sich  nachweisen  lässl,  je  niedriger  die 
Temperatur  ist.  Es  ist  dies  eine  Erscheinung,  auf  die  Frese- 
nius (Ann.  Chem.  Pharm.  1857.  CIL  184)  hingewiesen  und  die 
er  durch  Zahlen  festgestellt  hat. 

Analoge  Erscheinungen,  wie  sie  durch  Stärke  mit  Jod  und 
Wasser  bei  verschiedenen  Temperaturen  hervorgerufen  werden, 
zeigen  sich,  wemi  man  bei  gleicher  Temperatur  verschiedene 
Substanzen,  welche  ungleiche  Verwandischalt  zu  Jod  haben,  mit 
Jodlösungen  zusammenbringt.  Diese  ungleiche  Verwandtschaft 
gibt  sich  darin  kund,  dass  in  schwacher  Lösung  die  eine  Sub- 
stanz vor  der  andern  gefärbt  wird. 

In  dem  Werke  über  die  Stärkekörner  (Pag.  187)  habe  ich 
bemerkt,  dass  die  Stärke  aus  einer  schwachen  Lösung  das  Jod 
aufnimmt,  ehe  die  Cellulose  nur  die  geringste  Färbung  zeigt. 
Ferner  dass  an  unveränderten  Weizenstärkekörnern  die  innere 
Substanz  bei  schwacher  Einwirkung  von  Jod  blau  gefärbt  wird, 
indess  die  Rinde  noch  fast  ganz  farblos  erscheint. 

Im  zweiten  Hefte  der  Beiträge  zur  wissenschaftlichen  Bot. 
(lieber  das  angebliche  Vorkommen  von  gelöster  und  formloser 
Stärke  bei  Ornilhogalum)  habe  ich  angeiührt,  dass  in  den  Epi- 
dermiszellen  von  Ornilhogalum  die  allmähliche  Einwirkung  von 
Jod  zuerst   die  Slärkekörner   der  SpaltölTnungszellen .   dann   die 


288  Sitiuny  der  matli.   phys.  Clause  vom  iS.  Dhc.  i86t. 

aus  Protoplasma  bestehenden  Gebilde  und  zuletzt  eine  fragliche 
Substanz,  die  in  der  Zellfliissigkeil  gelöst  ist,  gefärbt  werden; 
und  dass  die  Verwaiidlschafl  zu  Jod  in  orlcicher  Reihenfolge 
abnehme.  Ferner,  dass  die  allmähliche  Entfärbung  in  un»ge- 
kehrter  Folge  eintrete.  Bei  Zygnema  und  Spirogyra  nehmen 
zuerst  die  Slürkekörner ,  dann  die  fragliche  in  der  Flüssigkeit 
gelöste  Substanz  und  zuletzt  das  Protoplasma  das  Jod  auf 

Diese    Beispiele    liessen    sich    noch    bedeutend    vermehren. 
Ich  bemerke,   dass    in   einer   schwachen   Jodlösung   Stärkemehl 
sich  früher  färbt  als  geronnenes  Hühnereiweiss,    und  dass  dar- 
auf im  Wasser  das  braungelbe  Eiweiss    vor   der    blauen  Stärke 
entfärbt  wird.     Im  Stärkekleister  sowohl  von  Kartoffel-  als  von 
Weizenslärke   wird   zuerst   die    granulirtc  Masse ,    nachher    die 
geschichteten  Hüllen  gefärbt:   dagegen   entfärben   sich  die  letz- 
tern vor  der  erstem.    Aufgequollene  KarlolFelstärkekörner  wer- 
den durch  Jod  früher  blau  als  die  unveränderten.     Wenn  Kar- 
toffelstärkemehl mit   Kartoffelstärkekleister   vermischt    wird,    so 
färbt  sich  durch  wenig  Jod    nur  der  letztere.     Kartoffel-   und 
Weizenstärkekörner  zeigen    die  Rcaclion    auf   Jod    früher    als 
Stärkekörner  aus    der  Ingwerwurzel.      Vom   Weizenstärkemehl 
werden   die    grösseren   linsenförmigen    Körner   vor   den  kleinen 
polyedrischen   gefärbt  und   diese  früher   als  ]e\\G    entfärbt.      In 
einem   Gemenge    von    Dextrinlösung    und   Stärkekleisler   nimmt 
der  letztere  das  Jod  zuerst  auf  und  verliert  es  zuletzt  wieder. 
Die   cuticularisirten    Schichten   der  Epidermiszellen   färben    sich 
vor  den  anderen  Membranen 

Am  leichtesten  sind  diese  Versuche  anzustellen,  wenn  die 
verschiedenen  Substanzen  in  einer  Zelle  eingeschlossen  sind, 
weil  die  Zellmembran  das  Jod  nur  allmählich  eintreten  lässl. 
Ist  diess  nicht  der  Fall,  so  mengt  man  sie  auf  dem  mit  einem 
Tropfen  Wasser  benetzten  Objectträger  unter  einander  und  legt 
ein  oder  einige  Stückchen  metallisches  Jod  dazwischen.  Durch 
Diffusion  breitet  sich  die  Jodlösung  sehr  langsam  aus  und  man 
beobachtet,  dass  von  zwei  neben  einander  licffcnden  umrlcichen 
Körpern    innner   der  eine  zuerst  gefärbt  wird.     Man    kaiui  das 


Näf/eU :  Reection  von  Jod  tnif  Stiirkekörner  u.  Zeltt/iettihr.   280 

Priiparal  iinbetlockt  lassen  oder  ein  Deckgliischon  dciiaur  lei^tMi. 
Man  kann  auch  das  Präparat ,  bevor  man  die  Jodsplitter  dazu 
gebracht  hat,  mit  einem  Dcckg laschen  bedecken,  und  jene  daini 
(licht  an  den  Rand  i\cs  letzlern  bringen. 

Der  Versuch  gelingt  oft  sehr  leicht.  Wenn  man  z  B. 
Weizenstiirke  bis  zum  Sieden  erlutzl  ,  einen  Tropfen  des  flüs- 
sigen Kleisters  auf  einen  Objectträger  bringt,  und  einen  Jod- 
splilter  hineinhigt,  so  beobachtet  man  unter  dem  Microscop 
eine  schön  blaue  Farbe  um  denselben  sich  ausbreiten.  Die  fein- 
körnige blaue  Masse  ist  aber  zuerst  durch  rundliche  oder  et- 
was  unregelmässige  farblose  Räume  unterbrochen.  Es  sind  dies 
die  aufgequollenen  noch  geschichteten  ( nicht  desorganisirten) 
Hüllen,  welche  erst  dann  langsam  anfangen,  sich  violett  zu  fal- 
ben, wenn  die  umgebende  Masse  intensiv  blau  geworden  ist. 

In  andern  Fällen  ,  z.  B.  wenn  es  sich  um  verschiedene 
Stärkesorlen  handelt,  muss  die  Verbreitung  der  gelösten  Jod- 
theilchen  äusserst  langsam  erfolgen,  um  ein  deutliches  Resultat 
zu  geben.  Diess  geschieht  dadurch  ,  dass  man  die  Stärkekör- 
ner in  dem  Tropfen  Wasser,  in  welchem  ein  kleiner  Jodcryslall 
liegt,  weit  von  dem  letzteren  entfernt,  da  natürlich  mit  der 
grössern  Entfernung  die  3Ienge  der  Jodtheilchen  abnimmt,  welche 
in  der  Zeiteinheit  sich  durch  einen  gegebenen  Querschnitt  der 
Flüssigkeit  bewegen. 

Ein  anderes  sehr  empfehlenswerthes  Mittel  besteht  auch 
darin,  dass  man  die  verschiedenen  zu  prüfenden  Slärkemehlar- 
ten  in  Wasser  bringt,  in  welchem  eine  durch  Jod  gefärbte 
Substanz  (z.  B.  Dextrin  oder  Eiweiss)  gelöst  oder  vertheilt  ist. 
die  zu  Jod  eine  geringere  Afl'inität  hat.  Die  Stärkekörner  ent- 
ziehen ihr  um  so  Inngsamer  das  Jod ,  je  geringer  der  Ueber- 
schuss  ihrer  eigenen  Verwandtschaft  zu  Jod  ist. 

Das  Entfärben  der  von  Jod  durchdrungenen  Substanzen 
geschieht  auf  dem  Objectträger  in  einem  freien  oder  bedeckten 
Tropfen  Wasser,  oder  in  «inem  oflenen  GePäss ,  aus  dem  hin 
und  wieder  Proben  unter  dem  Microscop  geprüft  werden.  Man 
kann  stall   des  Wassers  auch  Flüssiukeilcn    oder  Lösungen  an- 


290        üiHung  der  uutth.  -  ithys    Ctusne  vom  13.  Dec.  iÄö*. 

wenden,  welche  eine  grössere  Menge  Jod  auflösen  und  daher 
den  Entfärfcungsprocess  beschleunigen. 

Es  gibt  bei  der  Färbung  und  Entfärbung  der  Stärkekörner 
durch  Jod  einige  bemerkenswerthe  Eigenthümlichkciten,  welche 
durch  die  ungleiche  Verwandtschaft  der  verschiedenen  Schich- 
ten zu  Jod  sich  erklären.  Wenn  das  Jod  äusserst  langsam 
in  KartofTelslärkekörner  eindringt,  so  färbt  es  zuerst  die  innere 
celluloseärmere  Substanz,  während  die  cellulosereichere  Rinden- 
substanz noch  fast  ungefärbt  bleibt.  Beim  Entfärben  beobach- 
tet man  die  nämliche  Erscheinung;  viele  Körner  sind  im  In- 
nern gefärbt  und  aussen  farblos.  Dringt  auf  einmal  eine  etwas 
grössere  Menge  von  Jodtheilchen  in  das  Stärkekorn  ein,  so 
färbt  dieses  sich  überall  gleichzeitig;  es  ist  dies  der  häufigste 
Fall.  Wenn  endlich  das  Stärkemehl  mit  einer  concenlrirten 
Jodlösung  in  Berührung  kommt  und  also  sehr  viele  Jodtheil- 
chen auf  einmal  in  ein  Korn  eintreten,  so  erscheint  die  peri- 
pherische Schicht  bereits  intensiv  gefärbt,  während  die  in- 
nere Masse  noch  fast  farblos  ist.  Im  ersten  Fall  kann  die 
innere  Substanz  wegen  ihrer  grösseren  Affinität  die  spärlich 
eintretenden  Jodtheilchen  der  Rinde  vullsländig  entziehen,  wäh- 
rend im  letzteren  Fall  bei  der  langsamen  Diffusionsbewegung 
nur  ein  kleiner  Theil  der  eintretenden  Jodmenge  in  der  kur- 
zen  Zeit  bis  ins  Innere  vorzudringen  vermag. 

Wir  können  also  rücksichtlich  der  Färbungr  durch  Jod  als 
Regel  aufstellen: 

dass  von  mehreren  neben  einander  liegenden 
Substanzen  diejenige,  welche  die  grössere  Af- 
finität zu  Jod  hat,  dasselbe  um  so  schneller  ei- 
ner schwachen  Lösung  entzieht; 

ebenso,  dass  von  mehreren  neben  einander  be- 
findlichen  und    durch    Jod     gefärbten    Körpern 
derjenige,   welcher    die   geringste   Affinität   zu 
Jod  hat,  dasselbe  auch  zuerst  verliert. 
Die   Erklärung   ergibt    sich    aus    dem    früher    Angeführten. 


Säyeli :  lleaction  von  Jod  auf  Stt'irkekörner  u.Zellmembr.  291 

Die  verschiedenen  Substanzen,  welche  wie  die  Stärke  Jud  ein- 
lagern, haben  ungleiche  Verwandtschaft  zu  demselben.  Da  nun 
die  Energie ,  mit  welcher  das  Wasser  oder  eine  andere  Flüs- 
sigkeit das  gelöste  Jod  festhält,  mit  der  steigenden  Concentra- 
tion  abnimmt,  so  muss  es  auch  für  jede  Substanz  einen  ande- 
ren Concentrntionsgrad  der  Lösung  geben,  der  für  sie  in  ab- 
steigender Richtung  die  Grenze  bildet,  über  welche  hinaus  sie 
der  Lösung  kein  Jod  zu  entziehen  vermag. 

Setzen  wir  den  Fall,  es  lägen  im  Wasser  drei  verschiedene 
durchdringbare  Stoffe  A,  B  und  C  neben  einander  (z.B.  Stärke- 
mehl, unlösliche  Proteinkörper  und  gewisse  Zellmembranen).  In 
das  Wasser  wird  etwas  metallisches  Jod  gebracht,  welches  sich 
allmählich  löst.  Hat  die  Lösung  diejenige  Concentration  über- 
schritten, welche  der  Grenze  für  die  Verwandtschaft  des  Kör- 
pers A  zu  Jod  entspricht,  so  fängt  der  letztere  an,  Jod  einzu- 
lagern; er  entzieht  fortwährend  diejenige  Menge,  welche  über 
der  Grenzconcentralion  in  Lösung  tritt.  Hat  der  Körper  A  eine 
gewisse  Menge  Jod  eingelagert,  so  nimmt  er  dasselbe  mit  ge- 
ringerer Energie  auf.  Die  Concentration  der  Lösung  steigt  und 
erreicht  denjenigen  Grad,  welcher  der  Grenze  für  die  Affinität 
des  Körpers  B  zu  Jod  entspricht.  Ist  dieselbe  überschritten, 
so  nimmt  auch  dieser  Jod  auf;  und  später  folgt  bei  einer  noch 
höheren  Concentration  der  Körper  C  nach. 

Die  Entfärbung  zeigt  die  analogen  Erscheinungen  in  um- 
gekehrter Folge.  Der  Flüssigkeit,  in  welcher  die  gefärbten 
Substanzen  liegen,  wird  Jod  entzogen,  z.  B.  durch  Verdunstung 
von  Jod  in  die  Atmosphäre,  durch  Säurebildung  oder  durch 
Bildung  irgend  einer  Jodverbindung.  Sinkt  die  Concentration 
der  Lösung  unter  denjenigen  Grad,  welcher  der  Grenze  für 
die  Alfinilät  des  Körpers  C  entspricht,  so  wird  diesem  letzlern 
das  Jod  entzogen,  später  dem  Körper  B,  zuletzt  dem  Körper  A. 
Es  ist  selbstverständlich,  dass  diese  successive  Färbung 
und  Entfärbung  verschiedener  Substanzen  nur  dann  zu  beob- 
achten ist,  wenn  die  Concentration  der  Jodlösung  sehr  langsam 
steigt  oder  fällt,   so   dass  sie  sich  einige  Zeit  zwischen  je  zwei 


292  sitTiniff  der  math.-pkifs    Classe  vom  13    Dec  iStiS 

Grenzen  zu  hallen  vermag.  In  einer  sehr  concentrirten  Lösung 
färben  sich  alle  Substanzen  ffleichzeitio- ,  sowie  sie  in  einem 
Strome  von  reinem  Wasser  oder  in  einer  Flüssigkeit,  welche 
Jod  chemisch  bindet  (Kalilösuiig,  Ammoniak,  Eiweiss  etc.)  fast 
oleichzeiliü-  farblos  werden. 

Wenn  die  für  die  ungleichzeitige  Fiirbung  und  Entfärbung 
verschiedener  Substanzen  gegebene  Erklärung  richtig  ist,  so 
muss  auch 

ein  Körper,  der  eine  grössere  Affinität  zu  Jod 
hat,  einem  andern    mit  geringerer  Affinität  das 
in  demselben  eingelag-erte  Jod  entziehen. 
In  der  That  ist  diess  der  Fall.     Ich  will  zuerst  die  betref- 
fenden Beobachtungen  anführen,  und  hernach  ein  Wort  zur  Be- 
urtheilung  derselben  beifügen. 

Legt  man  durch  Hitze  coagulirtes  Hühnereiweiss  in  wäss- 
rige  Jodlösung,  so  färbt  sich  dasselbe  allmählich  durch  und  durch 
braun.  Bringt  man  es  nun  in  ein  verschlossenes  mit  Wasser 
und  Stärke  gefülltes  Gefäss,  so  verlässt  das  Jod  langsam  das 
Eiweiss  und  färbt  die  Stärke.  Wenn  man  dagegen  den  umge- 
kehrten Weg  einschlägt  und  coagulirtes  Eiweiss  in  Wasser  legt, 
in  welchem  Jodstärke  enthalten  ist,  so  bleibt  die  letztere  un- 
verändert und  das  Eiweiss  ftirbl  sich  nicht. 

Dexfrinlösuno;  färbt  sich  durch  Jod  schön  weinrolh  bis 
dunkelroth,  Stärkemehl ,  welches  man  in  hinreichender  Menge 
zufügt,  entfärbt  sie  vollkommen,  und  bildet  einen  blauen  Bo- 
densatz. Durch  eine  neue  Menge  von  Jod  wird  die  rothe  Farbe 
herffeslellt,  durch  neues  Stärkmehl  die  abermalige  Entfärbun» 
bewirkt.  —  Kocht  man  KarlolTelstärkemehl  mit  verdünnter 
Schwefelsäure  und  unterbricht  den  Process,  wenn  die  grössere 
Hälfte  Stärke  sich  in  De.vlrin  verwandelt  hat .  so  bewirkt  ein 
Tropfen  Jodlösung  eine  rolhviolelte  Trübung,  indem  sich  Dex- 
trin und  snspendirte  Slärki;  gUiichzeilig  färben.  Die  Farbe  geht 
aber  bald  in  Blativiolcll  uml  Indigoblaii  über,  indem  das  an 
Dextrin  aebuiideni'  Jod    sicli    weiliM-     verbreitet    und  vollsländijr 


Säyeli :  Beoclinu  ron  Jod  avf  Stärhokiirner  u.  Zellmehr.      293 

an  die  SUirke  Hbgogebeii  wird.     Man  kann  den  Versuch  mehr- 
mals mil  oleichem  Erfolg  wiederholen. 

Die  Fruchtschicht  von  Flechten  (Usnea)  wurde  zerquetscht 
und  durch  Jod  intensiv  blau  gefärbt,  darauf  mitKartofrelstiirke- 
mehl  in  ein  mit  Wasser  gefülltes  Probirröhrchen  gebracht,  das 
nnt  einem  Kork  verschlossen  wurde.  Nach  einiger  Zeil  waren 
die  Lichenenschläuche  farblos  und  dafür  das  Starkemehl  ge- 
färbt. —  Das  Flechlenfruchllager  in  gleicher  Weise  mit  massig 
blauer  .lodsliirke  zusammengebracht,  bleibt  ungefärbt. 

Daumwülle  wurde  durch  .Jod  und  Schwefelsäure  intensiv 
blau  trefärbt.  dann  mit  KartofTelstärkemehl  in  einem  verschlos- 
senen  Raum  in  Wasser  gelegt.  Nach  einigen  Tagen  waren  die 
aufgequollenen  Baumwollenfäden  völlig  farblos  geworden;  das 
Jod  war  an  die  Stärkekörner  übergegangen  und  hatte  dieselben 
gefärbt.  Die  Enibläuung  der  Baumwolle  wurde  nicht  etwa 
durch  den  Umstand  veranlasst,  dass  das  Wasser  derselben  die 
Schwefelsäure  entzogen  hatte;  denn  auf  Zusatz  von  Jod  färbte 
sie  sich  wieder  intensiv  blau.  —  Den  nämlichen  Versuch  stellte 
ich  mit  gleichem  Erfolg  bei  Filtrirpapier  an,  welches  durch  Jod 
und  Schwefelsäure  zuerst  blau  gefärbt,  dann  durch  Kartoffel- 
und  Weizenstärkemehl  entfärbt  wurde. 

Bei  der  Beurtheilung  dieser  Thatsachen  ist  zweierlei  her- 
vorzuheben : 

1)  dass,  wenn  einem  in  Wasser  liegenden  Gemenge 
von  verschiedenen  Substanzen  Jod  in  geringer 
Menge  geboten  wird,  dieses  nicht  etwa  nach 
Massgabe  der  Verwandtschaft  sich  vertheilt, 
sondern  vollständig  von  dem  Körper  aufge- 
nommen wird,  welcher  die  grösste  Affinität 
hat; 

2)  dass  das  Jod  eine  unlösliche  Verbindung  ver- 
lässt,  um  mit  einer  andern  Substanz,  zu  wel- 
cher es  eine  grössere  Affinität  hat,  ebenfalls 
eine  unlösliche  Verbindung  zu  bilden. 


294         -^itinnif  ilev  math.-phys.  Ctasse  roin  13.  Dec.  iS6i. 

* 

Beides  erklärt  sich  durch  das  früher  erörterte  Affinitäls- 
verhältniss  von  Jod  zu  Wasser  und  zu  verschiedenen  imbibitions- 
fähigen  Substanzen.  Von  drei  Körpern  A,  B,  C,  von  denen  A 
die  grösste,  C  die  geringste  Affinität  zu  Jod  hat,  sei  B  durch 
eingelagertes  Jod  gefärbt,  A  und  C  ungefärbt.  Alle  drei  wer- 
den zusammen  in  Wasser  gelegt.  Dieses  entzieht  dem  Körper 
B  so  viel  Jod,  dass  dadurch  die  Concentration  der  Lösung  er- 
reicht wird,  welche  der  Grenze  für  die  Affinität  von  Jod  zu 
Wasser  und  zum  Körper  B  entspricht.  Dieser  Lösung  vermag 
der  Körper  C  kein  Jod  zu  entziehen,  weil  er  nur  in  einer  con- 
centrirteren  Lösung  sich  färbt;  er  bleibt  also  farblos.  Der  Kör- 
per A  dagegen,  für  welchen  eine  geringere  Concentration  die 
Grenze  für  seine  Affinität  zu  Jod  bildet,  entzieht  der  Lösung 
so  lange  Jod,  als  diese  Grenzconcentration  nicht  eintritt.  Sie 
kann  aber  nicht  eintreten,  so  lange  der  Körper  B  noch  gefärbt 
ist  und  somit  an  W^asser  Jod  abgeben  kann.  So  färbt  sich 
demnach  A,  indessen  B  seine  Farbe  verhert. 

Es  ist  also,  wenn  diese  Erklärung  richtig  ist ,  nicht  noth- 
wendig,  dass  die  beiden  Körper,  von  denen  der  eine  dem  an- 
dern das  eingelagerte  Jod  entzieht,  sich  unmittelbar  berühren. 
Sie  können  selbst  weit  von  einander  entfernt  sein,  wenn  sie 
nur  in  derselben  Flüssigkeit  liegen.  Eine  interessante  Bestäti- 
gung liefern  Versuche,  welche  ich  mit  lebenden  Spirogyrenzel- 
len  anstellte.  Wenn  man  dieselben  in  Wasser  legt,  in  welchem 
sich  irgend  ein  durch  Jod  gefärbter  Körper  ,  mit  Ausschluss 
von  Stärke  befindet,  so  verlässt  das  Jod  den  letz/eren  und 
färbt  die  Stärkekörner  in  den  Spirogyrenzellen.  Es  muss  also 
in  Lösung  durch  eine  geschlossene  Blase  (Zellmembran  und 
Primordialschlauch)  dringen,  um  mit  der  Substanz  sich  zu  ver- 
binden, zu  welcher  es  eine  grössere  Verwandtschaft  hat.  Fä- 
den von  Oedogonium  verhallen   sich    ganz    ebenso  wie  Spiro- 

gyra- 

Wenn    ein  Körper  Jod  einlagert,    so  zieht  er    die  ersten 

Mengen  desselben    mit    grösserer  Kraft  an,     als   die   späteren; 

drr  Verwandtschaft    zu    der    ersten   aufgenommenen   Jodmengo 


Säyeli:  lieaction  von  Jod  avf  Stärkekörner  u.  Zetimembr.  295 

enlsprichl  eine  niedrigere,  der  Affinilüt  zu  dem  später  aufge- 
nommenen Jod  eine  höhere  Concenfrationsgrenze.  Wenn  da- 
her eine  durch  Jod  gefärbte  Substanz  mit  einer  gewissen  Menge 
der  nämlichen  aber  ungefärbten  Substanz  zusammen  in  Wasser 
gelegt  wird,  so  bleiben  beide  nicht  unverändert,  sondern  die 
erstere  gibt  Jod  an  die  letztere  ab ;  zuletzt  sind  beide  ziemlich 
gleich  intensiv  gefärbt.  DifFerirt  die  Verwandtschaft  zweier 
Substanzen  zu  Jod  nur  um  sehr  wenig,  so  ist,  nachdem  sie 
sich  in  die  Jodmenge  getheilt  haben,  die  eine  intensiver  gefärbt 
als  die  andere j  und  nur  wenn  die  eine  eine  beträchtlich  stär- 
kere Anziehung  auf  Jod  ausübt,  so  entzieht  sie  es  der  anderen 
vollständig. 

Kartoffelstärkemehl  wurde  durch  wässrigc  Jodlösung  bis  zur 
Sättigung  gefärbt  und  darauf  mit  Wasser  und  einer  gleichen 
Menge  unveränderten  Kartoffelstärkemehls  in  ein  Probirröhr- 
chen  eingeschlossen.  Das  Präparat  blieb  einige  Wochen  ste- 
hen; von  Zeit  zu  Zeit  wurde  umgeschüttelt  und  hin  und  wie- 
der eine  Probe  unter  dem  Microscop  untersucht.  Die  farblosen 
Slärkekörrier  färbten  sich  allmählich  blau  5  zuletzt  waren  alle 
ziemlich  gleich  gefärbt. 

Mit  intensiv-,  aber  nicht  schwarzblau  gefärbtem  Kartoffel- 
stärkemehl wurde  eine  doppelt  so  grosse  Menge  Weizenstärke- 
mehl auf  gleiche  Weise  in  einem  Probirröhrchen  eingeschlossen. 
Nach  drei  Tagen  waren  die  Körner  der  Kartoffelstärke  intensiv 
indigoblau,  die  der  Weizenstärke  hellviolelt.  Nach  5  Wochen 
waren  die  erstem  immer  noch  schön  blau,  die  letztern  hellroth- 
violett. 

WeizcnslärkcMTiehl  wurde  durch  wässrige  Jodlösung  inten- 
siv gefärbt;  die  kleinen  Körner  waren  hell-,  die  grossen  dun- 
kel-violettblau Dasselbe  wurde  hierauf  mit  Wasser  in  ein 
Probirröhrchen  gebracht  und  dazu  unverändertes  Kartoffel-, 
Maranta-  und  Maniholstärkcmehl  gefügt.  Nach  vier  Tagen  wa- 
ren die  kleinen  Körner  der  Weizenstärke  Iheils  ganz,  Iheils 
beinahe  farblos,    die  grössern  hell- violettblau.     Die  Körner  der 


206  Sitzung  der  math.-phys.    Classe  vom  tS    Der.   /Ä6'^. 

KartofTel-,  Marania-  und  Manihotstiirke  waren  alle  sehr  inten- 
siv Indigoblau,  zum  Theil  selbst  schwarzblau.  Nach  5  Wochen 
zeigte  sich  das  Präparat  unverändert. 

Schwarzblau  gefärbtes  Kartoffelslärkemehl  wurde  nn"t  Kar- 
tofTelslärkekleister  in  ein  Probirrührchen  eingeschlossen.  Nach 
7  Tagen  war  der  Kleister  indigoblau,  und  zwar,  wie  die  mi- 
croscopischc  Untersuchung  zeigte,  nur  die  granulirte  Masse, 
während  die  geschichteten  Hüllen  grösstentheils  ganz  farblos, 
einige  schwach  violett  waren.  Die  Stärkekörner  waren  hell-, 
liis  intensiv  blau.  Nach  5  Wochen  zeigte  die  granulirte  Masse 
des  Kleisters  und  der  aufgequollenen  Körner  eine  ziemlich  gleich 
intensive  Färbung,  wie  die  nicht  aufgequollenen  Körner;  aber 
jene  war  reinblau,  diese  violettblau,  —  In  einem  anderen  Pro- 
birröhrchen  wurde  viel  farbloser  Kartoflelkleister  mit  wenig  ge- 
färbtem KartofTelmehl  gemengt.  Nach  mehreren  Tagen  waren 
beide  hellblau ;  und  nach  mehreren  Wochen  entfärbten  sich 
beide  gleichzeitig. 

Dunkelblau  gefärbtes,  nicht  ganz  mit  Jod  gesättigtes  Kar- 
tofTelstärkemehl  wurde  nnt  Weizenstärkekleister  zusannnenge- 
bracht  Nach  7  Tagen  war  der  Kleister  ungleich  gefärbt,  hell- 
violett  bis  intensiv  blau ,  da  sich  das  Jod  nicht  gleichmässig 
verbreitet  halte.  Die  einen  Kartoffelstärkekörner  waren  hell, 
die  anderen  intensiv  blau.  Nach  5  Wochen  war  das  Verhält- 
hältniss  zwischen  Kleister  und  Körnern  ziemlich  gleich  geblie- 
ben; nur  zeigten  beide  etwas  hellere  Färbung. 

So  wird  also  ein  mit  Jod  durchdrungener  Körper  durch 
einen  andern,  der  eine  grössere  Affinität  zu  Jod  hat,  entfärbt, 
wofür  nun  dieser  letztere  sich  färbt.  Es  gilt  diess  für  die  im- 
bibilionsfähigen  Substanzen  ,  welche  Jod  einlagern  und  ferner 
auch  für  die  gelösten  Vorbindungen  (Dexirin),  welche  sich  wie 
jene  Substanzen  verhalten  und  mit  Jod  eine  eigenlhümliche 
Färbung  zeigen.  Bei  Körpern,  welche  nnt  Jod  wirkliche  che- 
mische Verbindungen  bilden,  kann  vollständige  Entfärbung  ein- 
treten, wie  z.  B.  bei  der  Bildung  von  Jodkalium,  Wie  Kali 
verhält  sich  merkwürdiger  Weise  auch  das  lösliche  Eiweiss. 


Nt'iffeli':  licaction  von  Jod  auf  StürkekÖtner  u,  Zettmemhr.   207 

VVonii  man  Jod  in  Kiililösung-  briiigl ,  so  löst  os  sich  be- 
kantillicli  anl",  ohno  dio  FIüssigk(;it  zu  fiirhen.  Erst  wonn  al- 
\o.s  Kali  mit  Jod  sich  vcrciniol  hat,  löst  sich  ein  Ueborschuss 
ili's  i(!lzl('rn  mit  gelber,  braungelbor,  brannrothcr,  dniikelbrau 
iior  Farbe  auf.  Caiiz  oloich  verhält  sich  das  gelöste  lliihner- 
ei\v<'iss  sowohl  im  unveriinderlcn  Znslande,  als  wenn  dassc^llx^ 
mit  soviel  Salzsiiure  versetzt  wnrde ,  dass  es  Lacnnispapier 
stark  röthet.  Von  anoesJinertem  Hiihnereiw(!iss  wird  wenig- 
stens das  sicbeMfache  Volninen  gesättigter  wiissriger  Jodlösuncf 
vollsländio-  entliirbt.  Wird  noch  mehr  Jodlösnn"-  zugeliint .  so 
tritt  jjelbliche  Fürbunir  ein.  —  In  gleicher  VVi^ise  enH'iirbl  Hiih- 
nereiwoiss  eine  gewisse  Menge  von  Jodkalinmjodicisnng  und 
wird  von  einem  Ucibersclniss  oeCiirbt. 

Wie  die  Jodlösnngen  ,  so  werden  auch  die  durch  einge- 
lagertes Jod  gefärbten  Körper  von  löslichem  Eiweiss  entfärbt. 
Jodslärkekleister  oder  Jodstärkemehl  verliert  in  unverändertcmi 
oder  in  anoesänertem  Hiihncreiweiss  sogleich  seine  Farbe.  Ein 
üeberschnss  von  Jodstärke  bleibt  blau. 

Jod  bild(!t  also  mit  Eiweiss  eine  chemische  Verbindung. 
Dieselbe  ist  in  dünnen  Schichten  vollständig  larblos,  sowohl 
für  das  blosse  Aug(?  als  unter  dem  Microscop.  In  grösserer 
Menge  erscheint  sie  sehr  blass  (leischfarlxMi  (weder  gelb ,  noch 
braun),  wie  das  frische  Mühnereiweiss  selbst;  ein  Ueberschuss 
von  Jod  Hirbt  sie  gelblich.  Wenn  man  zu  flüssigem  Eiweiss 
allmiddich  geringe  Mengen  von  Jodkaliunijodlösung  zusetzt,  so 
behält  es  S(!inen  ursprünglichen  blass  fleischfarbenen  Ton  ;  und 
so  lanae  die  Flüssiokeit  diesen  Farbenton  zeigt,  besitzt  sie  das 
Vi'rmögen,  Jodstärke  zu  entfärben  llal  sie  aber  durch  fort- 
üeselztes  Zuführen  von  Jodkalimnjod  eiiuMi  gi'Iblichen  Ton  an- 
genomnu^n.  so  kündet  sie  dadnrcli  die  Anwesenheit  von  ('n;iem 
(gelöstem)  Jod  an.  Sie  hat  nicht  tun-  «lii;  Fähigkeit.  Jodstärke 
zu  entlärben ,  verloren  :  sie  hal  im  (^(^gentheil  diejenige  ge- 
wonnen, untrelärbtes  Stärkemehl  zu   blänen 

Has    jedhalligi;  Eiweiss    oder  Jodalbmnin    hat    die    gleiciuMi 
pliysicalischen    Eigenschaften,     wie    das    unveränderte    Eiweiss. 
U'^i.  n.i  20 


298         "^ftzunij  der  math.  phgs.  Vlasse  vom  13.  Der.  1S62. 

Es  ist  löslich  in  Wasser  und  gehl  durch  dieselben  Ulitlel  in 
den  coagulirten  Zustand  über.  In  diesem  Zustande  ist  es  voll- 
koinnien  weiss. 

Die  Schwefelsäure  vermag  das  Jod  dem  gelösten  oder  co- 
agulirten Jodalbuniin  nicht  zu  entziehen.  Der  Versuch  wurde 
gemacht,  um  zu  zeigen  ,  dass  das  Jod  nicht  etwa  mit  Alkalien 
sich  verbunden  habe.  Jodstärke  wird  durch  Kali  entfärbt  und 
durch  Schwefelsäure  wieder  gefärbt.  Eine  Lösung  von  Jodal- 
bumin färbt  sich  mit  Schwefelsäure  nicht,  wohl  aber  coao-ulirt 
sie.  Ebenso  wird  Jodstärke,  wenn  man  dieselbe  durch  Eiweiss 
entfärbt,    durch  Znsatz  von  Schwefelsäure  nicht  wieder  o-ebläut. 

Chlor  dagegen  tritt  an  die  Stelle  des  Jod  und  macht  die- 
ses frei,  \yenn  man  zu  einer  Lösung  von  Jodalbumin  allmäh- 
hch  Chlorwasser  zusetzt,  so  färbt  sich  die  Flüssigkeit  zuerst  gelb 
und  hat  nun  die  P^ähigkeit,  Stärke  zu  bläuen.  Wird  mehr  Chlor- 
wasser  zugesetzt,  so  verschwindet  die  gelbe  Färbung  wieder; 
in  gleicher  Weise  wie  wässrige  Jodlösung  durch  Chlor  entfärbt 
wird.  Aus  dem  gleichen  Grunde  tritt,  wenn  man  Jodstärke 
durch  Kiweiss  entfärbt  und  dann  Chlorwasser  zusetzt,  eine 
Bläuung  in  keinem  Stadium  mehr  ein. 

Der  Umstand ,  dass  Chlor  an  die  Stelle  des  Jod  treten 
kann,  zeigt,  dass  Jodalbumin  auf  gleiche  Weise  entsteht  wie 
Chloralbumin.  Jod  tritt  durch  Substitution  an  die  Stelle  von 
Wasserstoff;  der  letzlere  verbindet  sich  sogleich  mit  einer  an- 
dern Menge  Jod.  Die  Flüssigkeit,  in  welcher  Jodalbumin  sich 
gebildet  hat,  reagirt  daher  deutlich  sauer. 

Ich  füge  noch  die  Bemerkung  bei ,  dass  die  Verbindung 
von  Jod  und  Albumin  durch  Jodiösungen  hergestellt  werden 
muss.  Festes  Jod  eignet  sich  nicht  dazu.  Wenn  man  Jod- 
slückchen  in  flüssiges  Eiweiss  bringt,  so  coaguürt  das  letztere, 
überall  wo  es  mit  jenen  in  Berührung  kommt,  und  färbt  sich 
dunkelbraun.  Die  Jodsplitter  werden  so  mit  einer  festen  Kruste 
umhüllt,  welche  die  Verbreitung  des  Jod  zwar  nicht  absolut 
hemmt,  aber  doch  sehr  verzögert.  Das  langsam  sich  ausbrei- 
tende Jod  bildet  zuerst  Jodalbunn'n  und   färbt    nachher  dasselbe 


Näffeli:  IteactioH  von  Jod  auf  Sfiirkehöiner  u.  Zeffnieitihr    99!) 

goll),  dann  braun,  und  coagulirt  es,  so  dass  um  die  mil  dun- 
kelbraunem Eivvciiss  undiülllen  Jodsplitter  sich  (refürbtt;  Zonen 
biid(!n,  deren  Intensität  nach  aussen  abnimmt.  Man  beobachtet 
diess  am  Besten  unter  dem  Microscop.  In  einem  ProI)irröhrchen 
war  nach  14Taoen  fast  alles  Eiweiss  durch  einige  Jodslückchen 
braun  und  fest  geworden ;  ein  Rest  war  noch  farblos  und  flüssig. 


//.    Wie  wirkt  der  grössere  oder  gerivgere   Wassergehalt   auf 
die  Färbung  der  Stärke  durch  Jod? 

Nach  H.  V.  Mo  hl  (Flora  1840)  ist  die  Anweserdieit  des 
Wassers  nothwendige  Bedingung  der  blauen  Fiirbung.  iVach- 
dem  er  o-esagt,  ,,die  gelbe  oder  braune  Farbe  könne  das  Jod 
der  trockenen  Zellmembran  ertheilen.  wenn  es  in  Alcohol  aul- 
aelöst  oder  in  Form  von  Dämpfen  mit  ihr  in  Berührung  komme, 
die  violette  oder  blaue  Farbe  trete  dagegen  nur  dann  ein,  wenn 
die  Zellmend)ran  von  Wasser  durchdrungen  sei;  die  blaue  Farbe 
verwandle  sich  beim  Austrocknen  der  Mend)ran  in  die  vioh^lte 
oder  rothbraune,  kelire  jedoch  bei  einer  Benetzung  zurück", 
fügt  er  bei,  dass  ,, analoge  Farbenänderungen  bekanntlich  auch 
bei  der  Jodstärke  einfreien,  je  nachdem  dieselbe  trocken  oder 
von  Wasser  benetzt  sei." 

Meine  früheren  Beobachtungen  schienen  ebenfalls  zu  die- 
sem Resultate  zu  führen.  Ich  sah  Jodstärke .  wc^lcher  das 
Wasser  (mtzogen  wurde,  braungell),  braunroth  bis  dunkelbraun 
werden  (Stärkekörner  pag.  188).  Auch  glaubte  ich,  dass  das 
Jod  nur  in  die  Slärkekcirner  eindringen  kömie,  wenn  es  vom 
V^<lsser  frclösl  hineingetragen  werde  ,  und  dass  es  nur  durch 
Wasser  demselben  wieder  enlzog(Mi  werde. 

Die  Beobachtungen,  auf  die  sich  alle  diese  Aussagen  stü- 
tzen, waren  zwar  richtig;  nie  Folgerungen  waren  es  nicht  Die 
Wirkunosweise  des  Wasseis  n»uss  loluendernjassen  (ornndirt 
werden : 


20 


nOO  Sit-z-tiHfi  der  mfftJi.  plii/<i.  Clnsse  vom  13.  Per.  /%'?. 

1)  Boi  gleicher  Temperalur  wird  das  Jod  am 
sehn  ollsten  durch  Wasser  in  die  Stärkokörner 
hinein  und  hinaus  befördert;  durch  Alcohol, 
Aelher,  Oel  oder  durch  Joddänipfe  jxeschieht 
das  Färben  und  Entfärben  viel  langsamer. 

2)  Das  nämliche  Mittel  entfärbt  um  so  rascher,  je 
höher  die  Temperatur  ist. 

li)  Die  durch  Jod  gefärbte  und  von  Wasser  durch- 
drungene  Stärke    kann   den   gleichen  (blauen, 
rothen,  gelben)  Farbenton   behalten,   wenn   ihr 
das  Wasser  durch  Verdunsten    oder    durch  Al- 
cohol entzogen  wird. 
\  )  Die  Starke  nimmt  versch  iedene  Farben  an,  wenn 
sie  im  Momente,  in  welchem  das  Jod    eindringt, 
mit  mehr  oder  weniger  Wasser  imbibirt  ist.  Die 
reinblaue  Färbung  erlangt  sie  nur  dann,   wenn 
sie  nahezu  ihren  vollen  Wassergelia  ll  hat. 
Es   ist   bekannt,    dass    von  Wasser    durchdrungene  Stärke 
(Mehl  oder  Kleister)   durch  Jod   momentan    gefärbt    wird,    man 
mag  dassel])e  in  ^v'ässriger,    wasserhaltiger    wcingcisllger    oder 
Jodkalium-Lösung  zusetzen.  Durch  metallisches  Jod  geschieht  die 
Färbung  nur  in  dem  Masse  als  dieses  sich  aufiösl. 

Zur  Ermittelung  der  Frage ,  inwiefern  das  Jod  in  Dampf- 
form aufgenonuncn  werde,  machte  ich  folgende  Versuche.  Luft- 
trockene Kartoffelslärkekörncr  wurden  mit  kleinen  Jodcrystallen 
auf  den  Objectträger  gebracht,  mit  einem  Deckgläsclien  bedeckt 
und  vernnttelst  des  letztern  die  Jodcrystalie  zerrieben.  Das 
Präparat  blieb  24  Stunden  stehen ;  das  Jod  war  nach  dieser 
Zeit  noch  theiiweise  vorhanden ;  die  Stärkekörner  hatten  somit 
zwischen  den  l)eiden  Gläsern  in  einer  Jodatmos|iliäre  gcjlegen. 
Zur  microscopischen  Untersuchung  wurde  Citronenöl  zugesetzt, 
so  dass  die  Stärkekörner  davon  unigeben  waren.  Die  meisten 
derselben  zeigten  sich  vollkonuncn  liirblos.  Ein  Theil  war  gell), 
bis  braun.  Aber  die  Färbung  beschränkte  sich  auf  di(^  Ober- 
fläche; (li(!  Substanz  selbst  witr  läiblos. 


fiätjeli :  lienction  von  Jod  auf Stdikekörner  u  Zelluiembr    \\()\ 

All  KörncMii ,  die;  überall  i^ülarbl  orscliciiicii ,  ist  es  zwar 
schwor  zu  cnlsciieideii,  ob 'die  Finbimo-  sich  auf  die  OlxMJliudio 
beöcliriinkc  odor  ob  sie  diircligoliu.  Für  das  Ersle  spricht  aber 
der  Umstand,  dass  die  Körner  im  Innern  enlschi(!den  luiiler  sind 
als  am  Umfange,  während  im  zweiten  Fall  das  Umsrekehrte  stall 
finden  miissle ,  um  so  mehr  als  in  dem  Cilron(^nöl  der  Rand- 
schallen beinalie  ganz  mangelt.  Entscheidend  sind  aber  die 
zahlreichen  Körner,  welche  nur  zur  Hiillle  oder  nur  stellen- 
weise gelb  odei-  braungefärbt  sich  zeigen.  Wemi  man  diesel- 
ben  rollt,  so  sieht  man  ganz  deutlich,  dass  die  ganze  Sid)slanz 
farblos  ist  und  dass  die  braune;  Färbung  als  eine  unmessbar 
<liinne  Schicht  die  Oberfläche  überzieht.  Solche  halbgefürble 
Körner,  welche  die  gefärbte  Hälfle  dem  Beobachter  zukehren, 
sehen  genau  aus,  wie  die  ganz  gefärbten;  und  man  überzeugt 
sich  dadurch  um  so  leichler .  dass  auch  bei  den  letzleren  die 
Färbnnof  auf  dit;  Oberfläche  beschränkt  ist. 

Ganz  ähnlich  wie  in  Dampfform  wirkt  Jod  in  weingeisli- 
ger  Lösung.  Wenn  man  trockenes  KartofTelslärkemehl  auf  ei- 
nem Objectträger  mit  wasserfreier  Jodtinctur  übergiesst ,  so 
schwinnnen  (li(;  Stärkekörner  in  der  braunrolhen  Flüssigk(Ml 
vollkommen  farblos  herum.  Und  dass  sie  wirklich  farblos  sind, 
sieht  man  deutlich  ,  wenn  man  auf  einer  Seite  des  Deckgläs- 
chens Alcohol  zus(!lzt,  welcher  die  .Jodtinctur  verdrängt,  Lässt 
man  dagegen  die  Jodtinctur  verdunsten,  so  werden  die  Körner, 
indem  sich  Jod  auf  dieselben  niederschlägt,  gelb  bis  braun. 
Dass  die  Färbung  auf  die  Oberfläche  beschränkt  ist,  sieht  man 
auch  hier ,  nachdem  man  die  Kölner  in  ätherisches  Oel  ge- 
bracht hat,  besonders  schön  an  denjenigen,  die  nur  slellenweise 
einen  Jodniederschlag  erhallen  haben.  Es  gibt  solche,  die  bloss 
auf  der  einen  Seite  braun  sin<l;  andere  zeigen  orösserc  und 
kleinere  Flecken 

Wenn  ily^v  Alcohol  .  <ler  zur  nereilnno  der  JodliiicUir 
diente,  fast  wiisserlV«'!  war.  so  sind  die  Shirkekörner  nach  dei 
eben  ("wähnlen  nehiindlmiü  braini  oder  brauniiclb  War  der- 
selbe  dagegen  elwas  wasserlialliii.  so  zeigen  sich  iMnzelne  Kör- 


302  SiHuntf  dpr  math.-pht/s    Vlanae  rom  13    Üec.   1868. 

nor  schwach  violett.  Diess  ist  so  zu  erklären,  dass  nach  dem 
Verdunsten  des  Alcohols  die  gerinoreMenore  des  zurückbleiben- 
den  Wassers  in  einzelne  Körner  eindringt  und  dieselben  befä- 
higt Jod  einzulagern.  Dass  diese  Erklärung  richtig  sei,  ergibt 
sich  aus  folgendem  Versuche.  Wenn  man  die  durch  das  Ver- 
dunsten der  Jodtinctur  auf  der  Oberfläche  braungewordenen 
Körner  wiederholt  mit  etwas  wasserhaltigem  Alcoholbegiesst  und 
denselben  verdunsten  lässt,  so  geht  das  Braun  mit  jeder  Ope- 
ration mehr  in  Violett  und  Indigoblau  über,  welche  Farben  nun 
das  oranze  Korn  durchdringen. 

.  Diese  Thatsachen  zeigen,  dass  eine  Lösung  von  Jod  in  fast 
wasserfreiem  Alcohol  die  Stärkekörner  stundenlang  farblos  er- 
scheinen lässt  Ich  kann  beifügen,  dass  selbst  nach  40lägigem 
Liegen  in  gesättigter  Jodtinctur  die  meisten  Kartoflelstärkekör- 
ner  vollkommen  ungefärbt  sind.  Daraus  habe  ich  früher  ge- 
schlossen ,  dass  das  Jod  von  Alcohol  überhaupt  nicht  in  die 
Stärke  hineingeführt  werde  Diess  ist  unrichtig,  wie  ich  später 
zeigen  werde.  Der  Process  geht  nur  äusserst  langsam  von 
Statten.     Nach  längerer  Zeit  aber  tritt  gelbliche  Färbung  ein. 

Aether  verhält  sich  wie  Weingeist,  ebenso  die  flüchtigen 
Oele.  Wenigstens  bleiben  trockene  Kartoflelstärkekörner  in  Ci- 
tronenöl ,  in  welchem  Jod  gelöst  ist ,  stundenlang  vollkommen 
farblos. 

Wie  das  Jod  schnell  in  die  von  Wasser  durchdrungenen 
Stärkekörner  eindringt ,  so  verlässt  es  sie  auch  schnell.  Die 
Entfärbung  der  Jodstärke  in  Wasser  gehl  aber  desswegen 
langsam  von  Stallen ,  weil  das  Wasser  gegenüber  der  Stärke 
nur  eine  äusserst  geringe  Menge  von  Jod  zu  lösen  vermag, 
und  weil  es  dieses  Jod  nur  allmählich  durch  Verdunstung  und 
Säurebildung  verliert.  Findet  eine  rasche  Entführung  des  Jod 
(z.  B.  durch  einen  Wasserslrom)  statt,  so  tritt  auch  die  Ent- 
färbung rasch  ein.  Das  gleiche  Resultat  erhält  man,  wenn  man 
eine  Flüssigkeit  anwendet ,  welche  eine  grössere  Menge  von 
Jod  zu  lösen  verniag  (wasserhaltiger  Alcohol,  Wasser  bei  hö- 
herer Temperatur).  Jodslärke,  die  man  mit  Wasser  erhitzt,  geht 


Tiäffeti:  Beticffon  ron  Jod  auf  Stärkekörnrr  u.  Zellmembr.    ^OÜ 

sehr  rasch  aus  dem  blauen  in  den  farblosen  Ziislaiid  über,  weil 
durch  die  steigende  Wärme  das  Wasser  die  Fähigkeit  erlangt, 
mehr  Jod  aufzunehmen. 

Stärke,  die  durch  wässrige  Jodlösung  gefärbt  wurde  und 
austrocknet,  behält  das  Jod  und  in  der  Regel  auch  die  gleiche 
Farbe.  Solche  trockene  Jodstärke  verändert  sich  an  der  Lull 
nach  Tagen  und  Monaten  nicht.  Wenn  die  Präparate  vor 
Feuchtigkeit  bewahrt  werden,  so  können  sie  selbst  nach  Jahren 
noch  die  ursprüngliche  Farbe  zeigen.  Daraus  habe  ich  früher 
den  Schluss  gezogen,  dass  das  Jod  nicht  durch  Verdunsten  die 
trockenen  Substanzen  verlassen  könne.  Diess  ist  nicht  ganz 
richtig.  Denn  bei  erhöhter  Temperatur  wird  das  Jodslärkemehl 
rasch,  der  Jodstärkekleister  zwar  langsamer,  aber  doch  binnen 
einiger  Zeit  entfärbt.  Bei  gewöhnlicher  Temperatur  findet  die 
Verdampfung  des  Jod  aus  der  Jodstärke  ebenfalls  aber  äusserst 
langsam  statt. 

Trockene  Jodslärke,  die  mit  Alcohol  übergössen  wird,  ver- 
ändert ihre  Farbe  nicht.  Feuchter  Jodstärke  wird  durch  Alco- 
hol das  Wasser,  nicht  aber  das  Jod  entzogen.  Der  Schluss  aus 
diesen  Thatsachen  ,  dass  nur  wässrige  Flüssigkeiten  die  Jod- 
stärke zu  entfärben  vermögen,  ist  ebenfalls  nicht  genau.  Denn 
nach  längerer  Zeit  und  nach  wiederholter  Erneuerung  des  Al- 
cohols  tritt  ganz  allmählich  die  Entfärbung  ein.  Der  Proccss 
findet  bei  erhöhter  Temperatur  weniger  langsam  statt.  Die  Ent- 
färbung durch  Alcohol  zeigt  also  die  gleichen  Verhältnisse,  wie 
die  durch  Verdampfung  des  Jod. 

Wenn  man  durcl»  wässrige  Lösungen  blaugefärbte  Jod- 
slärke (  Mehl  oder  Kleister)  bei  gewöhnlicher  Temperatur  ein- 
trocknen lässt,  so  behält  sie  in  der  Regel  die  blaue  Farbe  bei, 
und  es  gibt  Partieen,  die  im  luHlrockeneu  Zustande  so  schön 
indigoblau  erscheinen  als  vorher ,  so  dass  auch  ein  abermaliges 
Befeuchten  mit  Wasser  keine  Veränderung  hervorruft. 

Der  Versucli  wird  mit  Slärkemehl  und  Kleister  am  Besten 
so  aiiyestelll ,   dass  man  sie  mit    wenig    deslillirtem  Wasser  auf 


304  SitzuHf/  der  m.tth.-phi/s.  Clusse    vom  IS.  Vor.  IS62. 

(ItMi  01)j<M;ttnioor  brino;!  ,  (Miiige  Jodsliickclicii  liineiiileot  und 
<Iaiiii  ciiilrockiuM)  liissl  i\lan  vonneidet  dudurch,  dass  vor  und 
wahrend  dein  Einlrocknen  die  Enträrlnnig  beginnt,  was.  wie  ich 
später  zeigen  werde,  gerino-ere  oder  bedeutendere  Modificatio- 
nen  im  Farbei)ton  bewirken  kaini.  Das  trockene  Präparat  des 
Jodstärkeniehis  wird  am  Besten  in  Oel  (z.  B  Cilronenöl)  oder 
auch  in  wasserlreieni  Weingeist  und  unter  einem  Deckgläschen 
beobachtet.  Wenn  es  riicksichtiich  der  gehörigen  Abstufung 
<ier  Jodmenge  gebnigen  ist,  so  sieht  man  an  den  lutttrockenen 
KartofTelstärkekörnern  alle  Grade  der  Intensität  vom  hellsten  bis 
zum  dunkelsten  Indigoblau. 

Manchmal  wird  durch  das  Eintrocknen  eine  Modification 
der  Farbe  bewirkt ;  aber  die  eben  angeführte  Thatsache  be- 
weist, dass  die  Ursache  in  etwas  Anderem  als  in  der  Wasser- 
enlziehung  gesucht  werden  muss.  Ich  werde  hievon  später 
S[)rechen;  ich  werde  ebenfalls  zeigen,  dass  man  durch  wässrige 
Jodlösung  die  Stärke  gelb,  braungolb,  rothbraun  und  roth  fär- 
ben kann  und  dass  auch  diese  Farbentöne  beim  Eintrockner» 
dieselben  bleiben. 

Aus  allen  diesen  Thatsachen  muss  der  Schluss  gezogen 
werden,  dass  es  nicht  die  grössere  oder  geringere  Menge  von 
Wasser  an  und  für  sich  ist.  die  den  Faibenton  der  Stärkekör- 
ner bedingt 

Es  gibt  eine  Thatsache.  welche  zwar  nicht  die  Stärke  selbst, 
aber  eine  derselben  äusserst  nahe  verwandte  Substanz  bctrilTl 
und  welche  dem  eben  gemachten  Ausspruch  entgegen  zu  sein 
scheint.  Eine  Dextrinlösung  wird  durch  Jod  bei  schwächerer 
Einwirkung  weinroth,  bei  stärkerer  dunkelroth  gefärbt.  Lässl 
man  intensiv  gefärbte  Dcxtrinlösung  auf  einer  Glasplatte  ein- 
trocknen, so  zeigt  sich  die  reinste  indigobhuu!  Färbung,  so 
schön  als  sie  nur  irgend  an  Jodstärke  wahrzunehnuiu  ist  Die- 
ser Versuch  wurde  zu  wiederholten  Malen  mit  dem  gleichen 
Erfolge  genuichl.  Ich  habe  einen  Objectträger  vor  mir.  an! 
wtdchem  das  trockene  .biddiixlrin  nach  zwei  Jalncii  iiodi  noII- 
kommen  blau  ist. 


ISäf^eti:  Reaction  von  Jod  mif  Stttrliehörner  u.  Zetlmetnf»'   305 

Man  wiirdo  irren ,  woini  man  aus  dieser  Tliatsaclie  den 
Sciduss  begründen  wollte,  dass  das  Joddextrin  in  Vcrhindiin*» 
mit  Wasser  eine  andere  Farbe  zciige  als  im  trockenen  Zuslando. 
Es  ist  nicht  das  Vorbandensein  und  der  Mangel  an  Wasser, 
sondern  der  gelöste  und  feste  Aggregatzustand ,  welcher  (hc 
DifTerenz  in  der  Färbung  bedingt.  Wenn  man  das  eingetrock- 
nete Joddextrin  mit  Wasser  übergiessl,  so  verändert  es  seine 
indigoblaue  Farbe  nicht. 

Ganz  anders  verhält  sich  die  Stärke,  wenn  ihr  Wasserge- 
halt bei  der  Auliiahme  des  Jod  verschieden  ist.  Man  kann 
diess  am  Besten  durch  weingeistige  Jodlösung  nachweisen. 
Wenn  man  trockenes  KartofTelstärkemehl  mit  hinreichend  wasserhal- 
tiger Jodlinctnr  übergic^sst.  so  färbt  sie  dasselbe  sogleich  schön 
indigoblau.  Ist  die  Jodlinctur  dagegen  wasserfrei,  so  erlheilt  sie 
<lcm  Stärkemehl  erst  nach  längerer  Zeit  eine  gelbe  und  später 
gelbbraune  Farbe.  Je  nachdem  sie  aber  mn-  wenig  od(M-  etwas 
mehr  Wasser  enthält,  treten  rolhgelbe,  braune,  roth-braune, 
kupferrothe  und  violette  Töne  auf. 

Mit  crleichem  Erfoljr  wie  durch  Jodlinctur,  lässt  sich  die 
Stärke  durch  Joddämpfe  färben.  Ist  dieselbe  lufttrocken,  so 
wird  sie  gelb  und  braun.  Trockenes  Karloflelstärkemchl  wurde 
mit  einigen  Stückchen  metallischen  Jods  in  ein  kleines  I'robir- 
rohrchen  eingeschlossen,  und  blieb  während  4  Tagen  den  Jod- 
dämpfen  ausgesetzt.  Es  erschien  nun  dem  blossen  Auge  als 
ein  branngrünes  Pulver.  Unter  dem  Microscop  zeigten  sich 
die  meisten  Körner  gelb  oder  braungelb  und  zwar  waren  sie 
(Inrch  und  durch  gleichmässig  gefärbt.  An  einigen  bem(>j-kto 
man  in  der  Mitte  eine  dunklere  (  braune)  Stelle ,  welche  biMui 
Drehen  des  Korns  als  im  Innern  befindlich  sich  erwies.  Zu- 
weilen befand  sich  diese  dunklere  Stelle  in  «ler  Cegend  des 
Kerns  Zuweilen  war  der  Kern  und  eine  nach  der  Mitl(!  des 
Korns  sich  crueiltM-inh!  Stelle  braun  gefärbt,  so  dass  sie  eltuMU 
IvomehMi  mit  Kern  und  Schwcil'  glich  Oil'eidiar  halle  (bis  .lod 
>ich  in  diesen  Fallen  ni  dei-  iiohluni>  (lt;s  Kerns  ninl  in  den 
Non  derselben    ausodunden  iiiss.en    niedergeschlagen.      -  W«;- 


306  f^itzung  der  inath  -phys.  Classe  vom  13.  Dec.  1862- 

nige  Körner  waren  schmutzig  blau,  wahrscheinlich  solche,  die 
im  lufttrockenen  Zustande  etwas  mehr  Wasser  zurückgehalten 
hatten.  Wenige  andere  erschienen  schmutzig  grün  ,  eine  Mi- 
schung der  blauen  und  gelben  Färbung. 

Ist  das  Stärkemehl  nicht  vollkommen  lufttrocken ,  so  be- 
wirken die  Joddämpfe  braunrothe,  rothe  und  violette  Farben. 

Jod,  das  in  ätherischem  Oel  gelöst  ist,  reagirt,  wie  die 
weingeistige  Tinctur  und  wie  die  Joddämpfe.  Trockenes  Kar- 
tofFelstärkemehl  wurde  mit  einigen  Stückchen  Jod  in  Citronenöl 
gelegt  und  in  einem  verschlossenen  Probirröhrchen  aufbewahrt. 
Von  Zeit  zu  Zeit  untersuchte  ich  eine  Probe  unter  dem  Mi- 
croscop.  Die  Färbung  ging  sehr  langsam  vor  sich.  Nach  drei 
Wochen  hatten  alle  Körner  deutlich  Jod  in  grösserer  oder  ge- 
ringerer Menge  aufgenommen.  Die  Mehrzahl  hatte  sich  gelb- 
braun gefärbt ;  der  Farbenton  begann  mit  Hellgelb  und  steigerte 
sich  allmählich  durch  Braungelb  zu  Dunkelkaffebraun.  Die  klei- 
nere Zahl  war  schmutzig  rothviolett,  und  hess  ebenfalls  alle 
Uebergänge  von  Hellroth  bis  Schwarzbraun  wahrnehmen.  Zwi- 
schen den  beiden  Farbenreihen  gab  es  verschiedene  Mittelstu- 
fen. An  hellgefärbten  Körnern  aller  Nuancen  sah  man  oft  das 
Innere  der  Körner  intensiver  gefärbt,  als  die  äussere  Substanz 
Fast  an  allen  dunkler  gefärbten  Körnern  war  die  alleräusserste 
Schicht  deutlich  heller  oder  selbst  fast  farblos.  Einzelne  Kör- 
ner, offenbar  solche,  die  in  der  Nähe  von  Jodsplittern  sich  be- 
funden, hatten  auf  der  einen  Seite   viel  mehr  Jod  eingelagert. 

Die  verschiedene  Färbung  kann  für  diesen  Fall  auffallend 
erscheinen,  weil  alle  Stärkekörner  unter  den  gleichen  Verhält- 
nissen sich  befanden.  Da  aber  in  den  übrigen  Fällen  (bei  der 
Behandlung  mit  Alcohol  oder  mit  Joddämpfen)  sehr  geringe 
Verschiedenheiten  im  Wassergehalt  die  nändichen  Differenzen 
des  Farbentons  bedingen ,  so  lässt  sich  wohl  vermuthen ,  dass 
man  es  hier  mit  der  nämlichen  Ursache  zu  thun  habe.  Es  mö- 
gen die  Stärkekörner  vermöge  ihrer  ungleichen  Organisation 
schon  von  Anfang  an  im  lufttrockenen  Zuslandi;  ungleich  viel 
Wasser  zuiückgehalten   haben:    es   mögen    auch   geringe  Was- 


Nageli:  Reuvtion  von  Jod  auf  Stärkekdrner  u    Zetlmembr.   307 

scrmeniren   inil    dein    ätherischen    Ocl    (feirnscht    gewesen    und 
vorzüglich  von  den  einen  Körnern  aufgenommen  worden  sein. 


///.    Wie  wirkt  eine  grössere  oder  geringere  Menge  des  ein- 
gelagerten Jod  auf  den  Farbenton  der  Stärke? 

Wie  bei  den  ZeUmembranen  soll  nach  den  Angaben  H. 
V.  Mohfs  auch  bei  der  Starke  die  ungleiche  Ouantität  von  Jod 
unter  übrigens  gleichen  Verhältnissen  die  verschiedene  Färbung 
erklären.  „Wenn  zu  gleicher  Zeit  Jod  und  Wasser  auf  die 
aufgequollenen  oder  nicht  aufgequollenen  Körner  einwirke,  so 
färben  sie  sich  nach  der  Menge  von  Jod  ,  welche  sie  aufneh- 
men, weinrolh,  indigoblau  bis  zum  tiefsten  schwarzblau"  (Anat. 
und  Physiol.  der  vegetab.  Zelle  1851  p.  49).  Ich  selber  (Stärke- 
körner 1858  p.  185)  glaubte  ebenfalls  dieses  Resultat  aus  mei- 
nen Beobachtungen  ableiten  zu  müssen;  habe  aber  zugleich  an 
gedeutet,  dass  es  bei  gleichen  Mengen  eingelagerten  Jods  zu- 
weilen ungleiche  Farbentöne  gebe  und  dass  für  diese  Erchei- 
nung  die  Erklärung  noch  mangle. 

Wenn  man  ein  Präparat  von  Stärkekörnern  in  wässriger 
Jodlösung  anfertigt,  so  bemerkt  man  häufig,  besonders  nach 
einiger  Zeit,  Körner  mit  heller,  violetter  oder  selbst  rothviolet- 
ter Färbung  neben  solchen  mit  intensiver,  indigoblauer  Farbe. 
Nichts  scheint  gerechtfertigter,  als  den  ungleichen  Ton  von  der 
verschiedenen  Menge  des  eingelagerten  Jod  herzuleiten.  Den- 
noch ist  dieser  Schluss  unrichtig.  Die  Körner,  die  ungleich 
gefärbt  sind,  befinden  sich  nicht  unter  vollkommen  gleichen 
Verhältnissen.  Ich  beschränke  mich  hier  auf  den  Nachweis,  dass 
celeris  paribus  auch  der  Farbenton  der  nändiche  ist. 

Wenn  man  KarloITelstärkekörner  ganz  langsam  färbt,  was 
am  Bestell  durch  ein  Stückclien  Jod  geschieht,  welches  man 
m  deslillirt(!S  Wasser  legt,  so  ist  «lie  erste  sichtbare  Färbung 
lu'lliilau  (nicht  violett  noch  roth)  :  dieselbe  wird  nach  und  nach 


308         Sitztitiff  der  math.-phi/s.  Ctasse  vom  13.   Dec.  1869. 

intensiver  und  zuletzt  dunkelblau.  WeizenstäiKekorner  zeichen 
bei  gleicher  Behandlung  ein  ähnliches  Verhalten,  aber  die  Farbe 
geht  mehr  auf  Violett.  —  Bringt  man  zu  Kartoffelstärkekleister, 
der  mit  destillirtem  Wasser  auf  dem  Objectträger  liegt,  Stück- 
chen von  metalhschem  Jod,  so  färbt  sich  die  innere,  stark  auf- 
gequollene und  granulirte  Masse,  die  zum  Theil  aus  den  Kör- 
nern herausgetreten  ist,  erst  blassblau,  dann  intensiv  indigo- 
blau. Die  geschichteten  Hüllen  werden  blass  violett,  dann  in- 
tensiv schmutzig- violettblau.  Kleister  von  Weizenstärke  ver- 
hält sich  ebenso. 

Bei  diesem  Verfahren  kann  ich  an  dem  nämlichen  Slärke- 
korn  oder  an  der  nämlichen  Partie  eines  Korns  bei  geringerer 
und  reichlicherer  Jodeinlagerung  keinen  anderen  Unterschied 
wahrnehmen,  als  dass  der  gleiche  Farbenton  mehr  oder  weni- 
ger intensiv  auftritt.  Es  ist  aber  begreiflich,  dass,  je  mehr 
derselbe  sich  vom  reinen  Blau  entfernt  und  dem  Violett  nähert, 
um  so  mehr  bei  starker  Verdünnung  der  Farbe  das  Roth,  bei 
Condensirung  derselben  das  Blau  vorzuherrschen  scheint. 

Man  kann,  wie  ich  schon  früher  auffeffeben  habe,  die 
Stärke  auch  äusserst  langsam  färben,  wenn  man  sie  in  Wasser 
bringt,  in  welchem  durch  Jod  gefärbte  Körper  (Dextrin,  Ei- 
weiss  etc.)  sich  befinden.  Jedes  Verfahren  ,  bei  welchem  man 
die  entstehende  Färbung  beobachtet,  gibt  mir  immer  das  näm- 
liche Resultat,  während  eine  andere  Methode  keine  Sicherheit 
gewährt.  Ich  werde  später  zeigen,  dass  das  Jod  in  der  Jod- 
stärke, wenn  es  sich  anschickt,  aus  derselben  zu  entweichen, 
oft  eine  andero  Anordnung  der  kleinsten  Tlieilchen  anninnnl 
und  somit  auch  eine  andere  Farbe  bedingt  Diess  ist  um  so 
mehr  der  Fall,  je  mehr  sich  die  lu'sprüngliche  Farbe  dem  rei- 
nen Blau  nähert.  Da  nun,  wenn  Jodstärke  im  Wasser  liegt, 
dieses  immer  etwas  Jod  entzieht,  so  beobachlot  man  häufig 
Körner,  welche  ihre  Farbe  etwas  verändert  haben.  Man  isl 
daher  des  Farbentons  .  wcIcIkmi  Jodslärke  im  Wasser  zeigt, 
nur  dann  uanz  sicher,  wenn  man  denselben  im  Momenl  dei 
Entslehuno  sielit 


"Säiftfli:  Ueacttnit  von  Jod  imf  Sliirliehörner  u.  ZelhnPinhr    30!) 

Es  ist  fornor  von  WiditiVkoil .  dass  das  Wasser,  in  doni 
«lio  Sliirkc  lit'ol,  rein  sei.  Salze,  weiche  in  demselben  enlliallen 
sind,  können  leiclil  die  Farben  niodificiren.  Es  ist  sonrar,  wie 
ich  zeigen  werde,  niüi»Iich,  ein  Präparat  in  Wasser  herzusl(!ilen, 
in  welchem  die  Karlofrelsfärkckürner,  welche  am  wein'gsUin  Jod 
aufgenonnnen  haben  nnd  somit  die  scliwiichste  Färbun*»-  zeifj^en. 
hellblan,  die  etwas  stiirkcM-  gefiirbten  violett,  die  noch  mehr  Jod 
enlhallenden  rolli,  nnd  diejenigen  endlich,  welche  am  meisten 
Jod  eiiiffelaijert  haben  ,  braunoelb  und  oelb  sind.  Es  wiire  ein 
oanz  falscher  Schluss,  vverui  man  aus  dieser  Thatsache  Ibloerle, 
dass  die  fferinostc  Jodmenoe  blau  und  die  grösste  gelb  larbe. 
VcTlblot  man  in  einem  solchen  Priiparat  das  einzelne  Korn, 
wiihrend  es  sich  mehr  und  mehr  fiirbt ,  so  sieht  man ,  dass  es 
die  Farbe  nicht  ändert,  sondern  nur  verstärkt. 

Es  gibt  nun  zwar  ausnahmsweise;  auch  ciiizelne  Fälle ,  wo 
das  in  dcjslillirtem  Wasser  lieo(>nde  KartolTelslärkekorn  in  dem 
Moment,  wo  es  sich  durch  Jod  färbt,  eine  violette  (nicht  eini; 
blaue)  Farbe  zeigt.  Wenn  trockenes  KartofTelstärkemehl  in 
wässrioe  oder  schwach  weingeisligc  Jodlosung  gebracht  wird, 
s<»  beobatht(!t  m;in  zuweilen  unter  der  Masse  blauen-  Körner 
einz(dne  violette.  An  einigen  derselben  konnte  ich  aber  deut- 
lich wahrnehmen,  dass  die  äussere  Substanz  slärk(!r,  die  innere 
schwächer  oder  gar  nicht  gefärbt  war.  Da  nun  die  äuss(!rsten 
cellulosereiclKMi  Srhichten  mit  Jod  einen  violetten  Ton  anneh- 
men ,  so  scheint  jene  Erscheinung  erklärt  zu  sein.  Bei  der 
grossen  Mehrzahl  der  Körner  ist  die  innere  Masse  ebensosehr 
oder  intensiver  gefärbt,  als  die  äussere;  und  daher  zeigen  diese 
alle  eine  blaue  Farbe. 

Alle  diese  Thatsachen  zwingen  uns  also  zu  dem  Schlüsse, 
dass  unter  iibrigcnis  gleichen  Umständen  die 
unirleiclie  (Quantität  des  in  der  Stärke  eingela- 
gelten  Jod  niciil  e  i  u  e  V  ersc  hied  e  nh  e  i  t  des  Kar- 
bentons,  sondern  nur  eine  ver  s  c  li  i  ed  imi  e  Inlen- 
si  tii  l   de  r  Fiir  b  <■   b  e  w  ir  kl. 


310  Sitzung  der  math.-p!it/s    Clause  vom  13    Dec.  1S68. 

IV.   Wirkung  physicalischer  und  chemischer   Verhältnisse  in 
der  Stärkesubstanz  auf  die  Färbung  durch  Jod. 

Ausser  den  zwei  Verhältnissen ,  die  ich  bereits  besprochen 
habe,  der  grösseren  und  geringeren  Wassermenge  und  der 
grösseren  und  geringeren  Jodmenge,  sind  noch  zwei  andere 
Erklärungsgründe,  ein  physicahscher  und  ein  chemischer,  für 
die  Thatsache  angegeben  worden,  dass  die  Stärke  in  Verbind- 
ung mit  Jod  verschiedene  Farben  zeigen,  dass  sie  von  Braun 
und  Roth  bis  Blau  abwechseln  kann. 

Payen  suchte  die  Ursache  in  der  grössern  oder  geringe- 
ren Aggregalion  der  Substanz,  Er  sprach  als  allgemeines  Re- 
sultat seiner  Beobachtungen  aus,  „die  Wirkung  der  stufen  wei- 
sen Desaggregation  bestehe  darin,  dass  das  Stärkemehl  in  Ver- 
bindung mit  Jod  violette  Töne  annehme,  welche  mehr  und  mehr 
in  Roth  übergehen;  die  gleiche  Substanz  zeige  in  den  ersten 
Entwicklungsstadien  innerhalb  der  Pflanzen  unter  der  Einwir- 
kung von  Jod  rothe,  violette,  dann  blaue  Töne." 

Ich  selber  (Stärkekörner  1858  p.  185)  habe  eine  der  Ur- 
sachen ,  warum  die  Stärke  durch  Jod  verschiedene  Färbungen 
annimmt,  in  der  Thatsache  gefunden,  dass  sie  ungleich  viel 
Cellulose  enthält.  Ich  zeigte,  dass  bei  ganz  gleicher  Behand- 
lung die  celluloseärniern  Partieen  durch  Jod  und  Wasser  blau, 
die  cellulosereichern  roth  oder  violett  werden. 

Was  die  Theorie  von  Payen  betriflt,  so  habe  ich  schon 
früher  (Stärkekörner  p.  187)  gezeigt,  dass  sie  nicht  überein- 
stimmt mit  der  microscopischen  Beobachtung,  welche  darlhut, 
dass  im  Kartofl'elstärkekleister  die  stark  aufgequollene  desorga- 
nisirte  und  feinkörnig  gewordene  Masse  blau,  die  noch  geschich- 
tete dichtere  Substanz  violett  oder  rolhviolett  sich  färbt.  Wenn 
ferner  durch  Hilze  aufgequollene  Kartoffelstärke  nnt  unverän- 
derter gemengt  und  auf  dem  Objectträger  durch  ein  Stückchen 
Jod,  das  man  ins  Wasser  legt ,  langsam  gefärbt  wird ,  so  \w- 
obnchtet  man  nicht  nur,  dass  Aia  aufgequollenen  Körner,  na- 
Mienllich    deren    innere  granulirte  Masse,    das  Jo«l    IVülior    auf- 


fiHifeli:  Reaction   von  Jod  nvf  Stürhehlirner  u.  Zelhnenihr    311 

nehmen,  sondern  auch,  dass  sie  entschieden  einen  reiner  blauen 
Farbenion  zeigen  als  die  unveränderten. 

Gestützt  auf  diese  Beobachtungen  niuss  vielmehr  gesagt  werden, 
dass  die  Stärkosubstanz  durch  Auflockerung 
und  Desaggrega  tion,  insoferne  sie  nicht  etwa  zu 
Folge  von  Dextrin  bildung  ärmer  an  Granulöse 
wird.  dieBefähigung  erhält,  mit  Jod  einen  etwas 
reiner  blauen  Farbenton  anzunehmen. 
Die  Stärke  verhält  sich  in  dieser  Beziehung  also  ganz  wie 
die  Cellulose. 

Eine  Thatsache,  welche  scheinbar  die  Ansicht  Payen's 
unterstützt  und  welche  dieselbe  ohne  Zweifel  veranlasste ,  wo- 
bei aber  die  nucroscopische  Analyse  den  Grund  des  Irrthums 
nachweist  .  ist  folgende.  Wenn  man  Stärke  mit  verdünnter 
Schwefelsäure  kocht,  und  von  Zeit  zu  Zeit  eine  Probe  der  Lö- 
sung untersucht,  so  erhält  man  durch  Zusatz  von  Jod  zuerst 
reinblaue  Färbungen,  blassblau  bei  geringer,  intensiv  indigoblau 
bis  schwarzblau  bei  stärkerer  Einwirkung.  Später  aber  bewirkt 
eine  geringe  Menge  von  Jod  blass  blau  violette,  eine  grossere 
Menge  rothviolette  Färbung.  Die  geringe  Jodmenge  färbt  bloss 
die  noch  vorhandene  Stärke,  die  grössere  Jodmenge  färbt  aus- 
serdem das  Dextrin,  das  sich  gebildet  hat.  Bringt  man  einen 
Tropfen  Jodlösung  in  die  unveränderte  Flüssigkeit,  so  bewirkt 
dieselbe  an  der  Stelle,  die  sie  berührt,  eine  rothe  Trübung,  in- 
dem sie  Stärke  und  Dextrin  färbt.  Bald  aber  breitet  sich  die 
Färbung  aus  und  geht  in  Blauviolelt  über ,  indem  das  Dextrin 
sein  Jod  an  die  Stärke  abgibt. 

Unter  dem  Microscop  kann  man  beide  Färbungen  neben 
einander  sehen.  Wenn  man  einen  Tropfen  der  eben  erwidui- 
len  Flüssigkeit  auf  den  Objectlräger  bringt  und  einen  Joder y- 
»lall  hineiidegt,  so  bemerkt  man  mit  blossem  Auge  einen  ro- 
llicii  Hof  sich  um  denselben  ausbreiten.  Das  Microscop  zeigt 
HU  dem  l'mfangc  des  rotlien  Hofes  eine  schmale  blauviolelte 
Zone.  In  der  letztem  hat  das  Jod  erst  die  Stärke,  in  dem  er- 
slorn  auch  das  Devirin  gefärbt. 


312  SUzvnf/  der  uiath.-phys.  Glosse    vom  13   Der    1(^6S 

Die  Ursache,  warum  die  SUirke,  die  noch  nicht  in  Dexlriit 
überofegfancren  ist,  keinen  reinblauen  Ton  annimmt,  besteht  da- 
rin,  dass  sie  verhiiltnissmässig  viel  CeHulosc  enthält.  Die  Wir- 
kung der  Schwefelsaure  trifft  nändich  zuerst  diejenigen  Partieen. 
welche  arm  an  Cellulose  sind;  am  längsten  widerstehen  ihr  die 
cellulosereichen  Schichten.  —  Wenn  alle  Stärke  in  Dextrin  über- 
gegangen ist,  so  wird  die  Lösung  durch  Jod  natiiilich  bloss 
noch  roth  gefärbt. 

Folgende  Beobachtung  stimmt  hiermit  vollkommen  überein. 
Alter  Kartoifelstärkekleister ,  welcher  Jahr  und  Tag  in  einer 
verkorkten  Flasche  im  Laboratorium  gestanden  halte,  war  ganz 
flüssig  geworden.  Man  konnte  eine  klare  Lösung  abgiessen, 
welche  bloss  Dextrin  enthielt.  Der  zurückgebliebene  Kleister 
färbte  sich  aui"  Zusatz  von  Jod  rothviolett.  Unter  dem  Micro- 
scop  bestand  derselbe  zum  grösseren  Theil  aus  geschichteten 
Hüllen,  zum  geringeren  aus  feinkörniger  desorganisirter  Masse. 
Bei  langsamer  Einwirkung  des  Jod  färbte  sich  diese  körnige 
Masse  zuerst,  und  zwar  violett;  später  nahmen  die  Hüllen 
orangefarbene  und  kupferrothe  bis  rolhviolette  Töne  an. 

Wenn  man  also  Stärkekleister  auf  irgend  eine  Weise  in 
Dextrin  überfuhrt,  so  geht  die  Farbe,  welche  di(!  Flüssigk(;il 
nach  und  nach  mit  Jod  anninunt,  von  Indigoblau  durch  Violett 
in  Roth  über.  Diess  geschieht  aus  zwei  Ursachen,  einmal  be- 
sonders desswegen,  weil  das  Dextrin  an  Menge  zuninnnt  und  fer- 
ner in  geringerem  Ma.sse  auch  des.swegen,  weil  die  noch  unver- 
änderte Stärke  verhällnissmässig  innner  reicher  an  Cellulose  wird. 

In  vollkonmnier  Harmonie  damit  steht  die  Thatsache,  dass 
mit  Schwefelsäure  gekochter  Stärkekleister,  welcher  durch  Jod 
gefärbt  und  dann  mit  Stärkemehl  vcrmisciit  wird,  sein  Jod  voll- 
ständig an  letzteres  abgibt  und  daher  sich  entfärbt,  wenn  er 
zum  grossem  Theil  in  Dextrin  umgewandelt  ist;  dass  er  aber 
bei  der  gleichen  Procedm-  um  so  mehr  Jod  zurückhält  und  um 
.so  inlen.siver  gefäilil  blcil/l.  Jt;  weniger  er  dir  miiwandelnde  Ein- 
wirkung der  Schwclclsiinre  erfaliren  linl. 


Sihrinbein  :   midiing  ilei  iaipefricht.i.    AmmnnfaUf  313 

Hnrr  Pol  teil kofer  referirt  über  drei  von  dem  auswiirli- 
gen  Miloliede  Hin  Scliö  nbein  \\\  Basel  eingesendete  AMiand- 
hingeii 

1)  einen  Niiclilrag  zu  der  Abluindlung :  „über  die  Bildung 
des  salpetrich  tsau  ren  Ammoniaks  aus  Wasser 
und  Luft."  (Vorl.  1862.  IF.  1,  /i5  [\^ 

Brinol  man  reinstes  Wa.sser  in  einem  ollenen  Geüisse, 
z.  B.  in  einer  Porcellanschaale  zum  Sieden  und  verdichtet  man 
einige  (Irannne  des  biebei  sich  bildenden  Dampfes  in  einer 
über  ihm  ffehaltenen  kalten  Flasche  zu  Wasser,  so  wird  letzte- 
i-es,  mitSOa  angesiiuert,  den  Jodkaliumkleisler,  wenn  auch  nicht 
stark,  doch  noch  deutlich  blauen.  Auch  bringen  nn't  reinem 
Wa.sser  gekränkte  und  einige  Zeit  dem  gleichen  l)ampre  aus- 
g-esetzte  Streifen  Filtrirpapieres  die  gleiche  Keaction  hervor, 
welche  selbsherslandlich  von  kleinen  !\lengen  des  unter  diesen 
Umständen  aebildeten  Ammoniaknitritcs  herrührt. 

Da  dieses  Salz  schon  seiner  Flüchtigkeil  halber  unter  den 
«•rwahnton  Verumslandungen  nur  in  geringer  Menge  im  Fapi«!r 
sich  anhiinfen  liisst .  so  wende  ich  in  der  Absicht,  grö.ssere 
Mengen  eines  Nilrites  zu  erhalten,  den  Kiinslgrilf  an  ,  die  Pa- 
pierstreifen mit  kalihaltigem  Wasser  zu  tranken,  welches  die 
.salpelrichte  Siiure  des  Ammoniaksalzes  bindet ,  um  dannt  Kali- 
nilrit  zu  bilden,  der  im  Papier  verbleibt  Liisst  man  so  be- 
.schaffene  Streifen  nur  eine  Viertelstunde  über  <l(Mn  oHen  sie- 
denden Wasser  hängen,  so  werden  sie  den  angesäuerten  .lod- 
kaliumkleisler  schon  merklich  stark  und  noch  ticifer  bläuen, 
nachtiem  sie  längere  Zeit,  z.  B.  ehiige  Stunden,  der  Kinn iiknng 
des  Dampfes  ausgesetzt  gewesen. 

Lässt  man  Wasser  bei  niedrigeren  Temperaturen,  z.  B  bei 
/iO— 70"  in  olfener  Luft  verdampfet»,  so  werden  äiniliche  Er- 
o-ehnisse  (^hallen:  Die  über  diesem  Wasser  hängtuidcn  kidili;il- 
tiffcn  Papierslreiten  erlangen  schon  in  kurzer  Zeit  ilas  \  ermo- 
ijen.  «len  oesäuerlen  .lodkalininkleisler  aul  das  Ti^'fsle  zu  blauen 
111«  n.)  21 


314         Sit'innfi  der  math  -phys.  Classe  vom  13.  Dee    t86S. 

und  ich  lege  eine  Probe  eines  solchen  Streifens  bei,  welcher 
einige  Stunden  über  einer  Porcellanschaale  gehangen,  aus  der 
fortwährend  Wasser  bei  einer  Temperatur  von  60"  verdampfte 
und  welches  Papier,  wie  man  finden  wird,  den  angesäuerten 
Kleister  auf  das  Stärkste  bläut. 

Um  sich  von  der  unter  diesen  Umständen  erfolgenden  Ni- 
tritbildung zu  überzeugen,  ist  es  nicht  einmal  nöthig,  über  dem 
Dampfe  befeuchtete  Papiere  aufzuhängen.  Lässt  man  in  einer 
offenen  Porzellanschaale  reinstes  Wasser  bei  40—50°  verdam- 
pfen und  setzt  diese  Operation  unter  jeweiliger  Erneuerung  des 
verdunsteten  Wassers  einen  halben  oder  ganzen  Tag  fort ,  so 
wird  die  rückständige  Flüssigkeit,  mit  verdünnter  SO 3  ange- 
säuert ,  zugefügten  Jodkaliumklcister  schon  niei  klich  bläuen, 
welche  Reaction  von  kleinen  Mengen  Aninioniaknilrites  herrührt, 
das  auf  der  Verdampfungsfläche  sich  bildend,  wie  von  dem 
Wasser  der  über  ihm  hängenden  Papierstreifen,  so  auch  von 
dem  Wasser  der  Schaale  spurweise  aufgenommen  wird.  Wen- 
det man  anstatt  des  reinen  Wassers  kalihalliges  an ,  und  lässt 
man  dasselbe  unter  den  erwähnten  Umständen  Tage  lang  ver- 
dampfen, den  Verlust  der  Flüssigkeit  von  Zeit  zu  Zeit  ersetzend, 
so  Avird  das  rückständige  Wasser  die  Nitritreactionen  in  augen- 
lalliffster  Weise  hervorbringen.  Dass  natürlich  kalkhaltiges  Was- 
ser  auf  die  gleiche  Weise  nitrithaltig  wird,  ist  kaum  nöthig 
ausdrücklich  zu  bemerken.  Wenn  nun  obigen  und  früheren  An- 
gaben gemäss  während  der  bei  so  verschiedenen  Temperaturen 
bewerkstelligten  Wasserverdampfung  in  atmosphärischer  Luft 
salpetrichtsaures  Ammoniak  gebildet  wird,  so  liess  sich  mit  Si- 
cherheit vermuthen,  dass  dieses  Salz  auch  noch  bei  niedrigem 
Wärmegraden,  also  selbst  bei  gewöhnlicher  Temperatur  ent- 
stehe und  ich  denke,  dass  die  nachstehenden  Angaben  keinen 
Zweifel  darüber  walten  lassen. 

Lässt  man  einen  mit  reinstem  Wasser  getränkten  Bogen 
Filtrirpapieres  in  einem  verschlossenen  Zimmer  bei  gewöhnlicher 
Temperatur  trocknen  und  zieht  man  dann  denselben  mit  ver- 
hälliiissmässig    wenig  Wasser  aus,    so  wird  die  erhaltene  Flüs- 


Schönbetn:  (tildting  des  satpetrichts.  Ammoniaks.  315 

sigkeil,  mit  SO^  angesäuert,  den  Jüdkaliumkleisler  in  kurzer 
Zeit  merklich  stark  bläuen.  Selbstverständlich  wird  das  oleiche 
Ergebniss  mit  reiner  benetzter  Leinwand  erhalten,  welche  man 
in  der  Luft  bei  gewölinlicher  Temperatur  trocknen  lässt  und  ich 
will  bemerken,  dass  ich  mir  auf  diese  Weise  grössere  Mengen 
ammoniaknitrithaltigen  Wassers  verschafTe,  Daher  kommt  es 
auch,  dass  nach  meinen  zahlreichen  Untersuchungen  alles  ge- 
waschene Linnenzeug,  mit  wenig  Wasser  ausgezogen,  eine  Flüs- 
sigkeit liefert,  welche  den  angesäuerten  Jodkuliumkleisler  noch 
deutlichst  bläut.  Dass  auch  noch  andere  Stoffe,  die  einmal  nass 
waren  und  in  der  Luft  getrocknet  wurden,  nachweisbar  Spuren 
von  Nitrit  enthalten  ,  ist  eine  selbstverslandene  Sache.  In  die- 
sen Fällen  ist  z.  B.  das  angeleimte  Druckpapier. 

Hiemit  hängt  auch  die  weitere  Thatsache  zusammen,  dass 
kalihaltiges  Wasser,  nachdem  man  es  in  einem  offenen  Gefässe 
dem  grössern  Theile  nach  bei  gewöhnlicher  Temperatur  hat  ver- 
dampfen lassen  ,  deutlichst  auf  Nitrit  reagirt  und  dass  Kalihy- 
drat nicht  selten  dieses  Salz  enthält.  Ebenso  begreiflich  ist 
jetzt,  warum  mit  kalihaltigem  Wasser  getränkte  Papierstreifen, 
welche  man  längere  Zeit  in  der  Luft  hängen  lässt,  den  ange- 
säuerten Jodkaliumklcister  stark  bläuen. 

Noch  muss  ich  der  hieher  gehörig(Mi  Thatsache  gedenken, 
dass  nach  meinen  ßeobachlungen  auf  der  Oberfläche  längere 
Zeit  aufbewahrter  und  noch  ungebrauchter  Glasgefässe  nach- 
weisbare Mengen  von  Kalinitrit  sich  vorfinden.  In  einer  Vor- 
ralhskammer,  wo  ich  meine  Glasgeräthschaften  aufbewahre,  lie- 
gen schon  seit  Jahren  Deckplatten  böhmischen  Glases  iiberein- 
der  geschichtet  und  ich  finde,  dass  vorzugsweise  die  maltge- 
schliffene  Seile  derselben,  wenn  erst  mit  verdiiimter  SO3  ange- 
nezt,  darauf  getröpfelten  Jodkaliumkleisler  auf  das  augenfälligste 
bläut.  Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  die  Plauen,  mil  verhäll- 
nissmässig  wenig  Wasser  abgewaschen,  eine  Flüssigkeil  liefern, 
welche  die  Nitrilrcactionen  auf  das  Dcullichsle  hervorbringt. 
Anderes  Glas,  auch  französisches,  wi«^  Röhren,  Kolben,  Retor- 
ten u.  s.  w.    verhallen    sich  wie   die  besagten  Glasplatten  ,    mil 

21* 


31 G         Sitxunff  der  math  -phps.  Claxse  vom  13.  Vec.  1869. 

dem  einzigen  Unlerschied ,  dass  die  maftgeschliffene  Seile  der- 
selben reicher  an  Nilril  ist  als  das  glatte  Glas.  Dieses  so 
jiierkwiirdige  und  scheinbar  unerklärliche  Vorkommen  des  sal- 
petrichtsauren  Kalis  ist  nun,  wie  ich  glaube,  eine  leicht  zu  deu- 
tende Thalsache.  Da  in  Folge  der  in  der  atmosphärischen  Luft 
unaufhörlich  stattfindenden  VVasserverdampfung  auch  ohne  Un- 
terlass;Amnioniaknitrit  entsteht,  so  muss  dieses  Salz,  wenn  auch 
in  homöopathischen  Mengen,  doch  überall  verbreitet  sein  und  im 
Laufe  der  Zeit  mit  dem  Kali  des  Glases  nachweisbare  Mengen 
salpetrichtsauren  Kalis  bilden,  welches  in  einer  stagnirenden, 
d.  h.  ozonleeren  Atmosphäre,  gemäss  meinen  früheren  Ver- 
suchen, nicht  zu  Nitrat  sich  oxydirt,  diess  aber  wohl  in  der 
freien  strönuMKlen  Luft  Ihul,  die  fortwährend  kleine  Menoen 
ozonisirten  Sauerstoffes  mit  sich  führt. 

Mit  der  durch  Wasserverdampfuiig  in  der  atmosphärischen 
Luft  beworkslelliglen  Bildung  des  salpetrichtsauren  Ammoniaks 
hängt  nun  unstreitig  auch  die  sogenannte  spontane  Erzeugung  der 
Salpetersäuren  Salze  auf  das  engste  zusammen,  welche  Erzeu- 
gung viel  allgemeiner  ist,  als  man  sie  sich  bis  jetzt  gedacht. 
In  der  Thal  zeigen  meine  Unlersuchungen,  dass  seilen,  wenn 
je,  ein  Wasser  völlig  frei  von  Nitrat  angetrolTen  wird.  Entsteht 
nun  fortwährend  in  der  angegebenen  Weise  Ammoniaknilril, 
wird  dieses  Salz  beim  ZusauimenIrefFen  mit  alkalischen  Basen 
in  andere  Nitrite  verwandelt  und  o.xydiren  sich  letzlere  erfah- 
runosffemäss  in  freier  Lull  zu  Nilralen,  so  kann  es  nicht  feli- 
Ich  ,  dass  der  Vorgang  der  Salpelerbildung  ein  ganz  allgemei- 
ner und  niiaufhörlicher  sei.  Ist  nini  ein  lockerer  Boden,  z  B. 
kalihallig  und  (indet  in  demselben  Wasserverdampfung  stall,  so 
wird  sich  schon  aus  diesem  Grunde  erst  Kalinilrit  bilden  und 
dieses  in  Berührung  mit  der  Atmosphäre  allmählich  in  Nilrat  ver- 
wandeln. Dann  führt  die  strömende  Luft  unaufhörlich  dem 
crlei("h(!n  Roden  kh^ne  M(Migen  anderwärts  gebildelen  Amtiioniak- 
iiitriles  zu  nn<l  auch  das  ans  diesem  Salze  durch  die  Einwir- 
UiMiii  des  Kalis  u  s  w.  enibnndene  Annnoniak  kann  Einiges 
zur  MlriilbildiMiü   bfilragen.     In  nns(M-n    regenreichen  Gegpnden 


^ 


Schönhehl:   nuduinf  des  stiti/etrichts    Ammoniaks.  ^17 

aber  koniion  sich  bogreifliclier  Weise  diese  Salze  nicht  in  merk- 
licher Menge  an  einer  solchen  Oertlichkeil  anhaulcn ,  weil  sie 
dnrch  das  atniüsphärische  Wasser  innner  wieder  vveggevvaschen 
werden. 

Anders  in  manchen  lieissen  Ländern ,  wie  z.  B.  in  einigen 
Theilen  Ostindiens  u.  s.  w. .  wo  IWonale  lang  kein  Regen  fällt. 
Hier  können  sich  in  einem  kalihaltigen  Boden  so  merkliche 
Mengen  Kalisalpeters  im  Laufe  von  Monaten  anhauten,  dass  sie 
des  Ausbeulens  werth  sind.  Dass  die  Nitrificalion  auch  noch 
auf  eine  andere  als  die  angegebene  Weise  stattfindet,  ist  eine 
selbstverstandene  Sache. 

Dass  die  besprochene  Art  der  Bildung  des  Ammoniakni- 
Irites  auch  für  die  Pflanzenwelt  eine  grosse  Bedeutung  habe, 
wurde  zwar  schon  in  meiner  letzten  Mittheilung  hervorgehoben; 
ich  finde  mich  aber  doch  veranlasst,  noch  einige  weitere  Be- 
merkungen beizufügen.  Jede  Pflanze,  insofern  sie  Wasser  ver- 
dampft, ist  selbst  ein  Nilriterzeuger  und  verschafft  sich  somit, 
wenn  vielleicht  nicht  allen,  doch  einen  Theil  des  ihr  nolhigen 
assinnlirbaren  Stickstoffes j  dazu  kommt  noch  die  Ackerkrume, 
welche  gleichfalls  eine  Bildungsstätte  des  Ammoniaknitrites  ist, 
um  von  der  atmosphärischen  Luft  gar  nicht  zu  reden,  die  mit 
dem  gleichen  Salze  geschwängert  ist.  Es  will  mich  desshalb 
bedünken ,  dass  die  bezeichneten  Quellen  der  Pflanze  so  viel 
für  sie  verwendbaren  Stickstofl"  zuführen,  um  ihrem  physiolo- 
gischen Bedürfnisse  vollkommen  zu  genügen. 

Ich  bin  daher  geneigt,  meinem  Freunde  Liebig  Recht  zn 
geben,  wenn  er  behauptist,  dass  es  unnöthig  sei,  auf  ausseror- 
dentlichem Wege  den  Kullurpflanzen  anunoniakerzeugende  Stolfe 
darzubieten  und  die  Wirksamkeit  des  Düngers  von  seinen  mi- 
neralischen Bestandthcilen  bedingt  sei. 


318         SiHtiiiy  der  math.-phys.  Vtasse  vom  13.  Dec-  186S! 

2)  einen  Aufsatz 

„Ueber  das  oxidirende  Vermögen  der  Nitrite'' 

Meine  früheren  Versuche  haben  gezeigt ,  dass  eine  nicht 
kleine  Zahl  unorganischer  und  organischer  Materien  schon  bei 
gewöhnlicher  Temperatur  reducirend  auf  die  gelösten  Nitrate 
einwirkt  und  diese  Salze  zunächst  in  Nitrite  verwandelt,  welche 
Thatsache  es  als  möglich  erscheinen  liess,  dass  eine  solche  des- 
oxidirende  W^irkung  noch  weiter  gehen,  d.  h.  auch  der  Säure 
der  Nitrite  der  Sauerstoff  entzogen  werden  könnte.  Wie  ich 
dafür  halte,  gewähren  die  nachstehenden  Angaben  die  Gewiss- 
heit, dass  die  alkalischen  Nitrite  und  namentlich  das  salpet- 
richtsaure  Ammoniak  gegenüber  vielen  Körpern  als  oxidirendes 
Agens  sich  verhalten,  wesshalb  im  hohen  Grade  wahrscheinlich 
ist,  dass  dieses  Salz  durch  sein  oxidirendes  Vermögen  im  Haus- 
halte der  Natur  eine  wichtige  Rolle  spiele. 

Zunächst  sei  bemerkt,  dass  Eisen  und  Zink  eine  solche  re- 
ducirende  Wirkung  auf  die  gelösten  alkalischen  Nitrite  und  na- 
mentlich auf  dasjenige  des  Ammoniaks  hervorbringen,  wie  man 
sich  auf  folgende  Weise  leicht  überzeugen  kann.  Da  diese 
Reduction  ziemlich  langsam  von  Statten  geht,  so  muss  man, 
um  etwas  rasch  zum  Ziele  zu  gelangen,  sehr  stark  verdünnter 
Nitritlösungen  sich  bedienen,  solcher  jedoch,  welche  den  ange- 
säuerten Jodkaliumkleister  inmier  noch  augenblicklich  auf  das 
Augenfälligste  zu  bläuen  vermögen.  Setzt  man  eine  derartige 
Ammoniaknitritlösung  unter  Ausschluss  der  Luft  und  jeweiligem 
Schütteln  mit  Eisen-  oder  Zinkfeile  in  Berührung,  so  wird  nach 
einiger  Zeit  die  Flüssigkeit  ihr  Bläuungsvermögen  des  Gänzli- 
chen eingebüsst  ,  dagegen  aber  die  Eigenschaft  eilangt  haben, 
das  Curcumapapier  deutlich  zu  bräunen  oder  die  farblose Hämat- 
oxyliidösung  sofort  violett  zu  färben,  welche  Reactionen  die 
Anwesenheit  freien    Annnoniaks  deutlich  genug  anzeigen. 

In    gleicher    Weise    verhallen    sich    die    genannten    Metall«! 


Schönbein:  Das  Oxidirttnysver mögen  der  fiitrite.  319 

auch  gegen  die  stark  verdünnten  Kali-  oder  Natronnitritlösun- 
gen, woher  es  kommt ,  dass  gelöster  Kali-  oder  Natronsalpeter 
bei  längerm  Zusammenstehen  mit  Zink  stark  alkalisch  reagirt 
Erst  wird  unter  diesen  Umstanden  das  Nitrat  zu  Nitrit  reducirt 
und  dann  auch  der  Säure  dieses  neutralen  Salzes  durch  das 
Metall  der  Sauerstoff  entzogen,  was  das  Freiwerden  des  Kalis 
u.  s.  w.,  also  die  alkalische  Reaction  zur  Folge  haben  muss. 

Sägespähne  oder  Baumwolle  mit  Wasser  getränkt,  welches 
winzige  Mengen  Ammoniaknitrites  enthält,  wirken  ebenHalls  re- 
ducirend  auf  dieses  Salz  ein,  wie  daraus  hervorgeht,  dass  die 
Flüssigkeit,  nachdem  sie  einige  Zeit  mit  Baumwolle  u.  s.  w.  in 
Berührung  gestanden,  nicht  im  Mindesten  mehr  zu  bläuen,  da- 
gegen eine  noch  deutlich  alkoholische  Reaction  hervorzubringen 
vermag.  Wendet  man  eine  Lösung  an,  welche  den  angesäuer- 
ten Jodkaliumkleister  zwar  noch  sehr  augenfällig ,  aber  nicht 
mehr  bis  zur  Undurchsichtigkeit  tief  bläut,  in  der  also  nur  äus- 
serst kleine  Mengen  Nitrites  enthalten  sind ,  so  reichen  einige 
Tage  hin,  damit  das  mit  Sägespähnen  u.  s.  w.  zusammenstehende 
gelöste  Salz  völlig  zerstört  werde.  Stärke  in  Klcisterform'  ver- 
hält sich  in  ähnlicher  Weise  und  dass  noch  andere  organische 
Materien,  wie  auf  die  Nitrate,  so  auch  auf  die  Nitrite  desoxy- 
dirend  einwirken,  wird  aus  der  nachstehenden  Millheilung  zur 
Genüge  erhellen. 


(I)  Hieraus  erklären  sicli  die  sonderhareii  Veriinderiiiigen  ,  welche 
der  mit  gewöhnlichem  Wasser  bereitete  Jodkaliinukleisler  nach  und  nach 
erleidet  Frisch  dargestellt  wird  derselbe  durch  verdünnte  chemisch  reine 
Schwel'elsäure  nicht  gebläut,  erlangt  aber  nach  einiger  Zeit  diese  Eigen- 
schaft, um  sie  jedoch  im  Laufe  einiger  Tage  für  immer  zu  verlieren. 
Die  Sache  verhält  sich  so:  erst  reducirt  die  Stärke  das  imBrunnenwas- 
ser enthaltenen  .Nitrat  /u  Nitrit ,  wodurch  der  besagte  Kleister  die  Fä 
higkeit  erhält,  durch  verdünnte  Säuren  gebläut  zu  werden;  in  Folge  der 
fortdauernden  reducircndcn  Kinwirkung  der  Stärke  auf  das  entstandene 
Nitrit  aber  wird  auch  dieses  Salz  zerstört  und  ist  die  Zersetzung  des 
selben  vollendet,  so  kann  natürlich  der  Jodkaliumkleisler  durch  verdünnte 
Schwefelsäure  u.  s,  w.  nicht  mehr  gebläut  werden. 


320  Süzuni/  der  iiurfk. -}>hi/t.  Cltisst  vom  13.  Vti.  i86g. 

Machoii  es  nua  ilit;  voranslehenden  Angaben  g-e\viss,  (fass 
das  Anunoniaknihit  viele  unorganisdie  und  organische  Materien 
zu  oxidireii  venniig  und  ist  es  Thalsache,  dass  bei  der  Ver- 
dampfung des  Wassers  in  atmosphärischer  Luft  dieses  Salz  un- 
aufhörlich gebildet  wird,  so  kann  es  wohl  keinem  Zweifel  uu- 
lerworfen  sein,  dass  die  Natur  desselben  zu  einer  Reihe  von 
Oxidalionen  unorganischer  und  organischer  Substanzen  sich  be- 
dient. 

Bekannt  ist,  wie  leicht  die  Holzfaser,  die  der  gieichzeitig-eri 
Einwirkung  des  Wassers  und  der  atmosphärischen  Lull  ausge- 
setzt ist,    mürbe,    d.  h.  oxidirl  wird,    wie  auch  die  Erfahruno 
schon  längst   gelehrt   hat ,    dass    die  rohe  Leinwand  durch  ab- 
wechselndes Benetzen    mit   Wasser   und   Trocknen   iu   der  Lull 
rascher  sich    bleicht,   als   sie  diess  im  trockenen  Zustande  thut. 
Ich  bin  daher  geneigt  anzunehmen,  dass  durch  sein  oxidirendes 
Vermögen  das  Annnoniaknitrit  bei  der  Verwesung  der  Pflanzen, 
der  Rasenbleiche,  dem  Rosten  der  Metalle  u.  s.  w.    eine  Rolle 
spiele,  obwohl  sicher  ist,   dass   an   diesen  Oxidationsvorgängen 
auch  der  freie  atmosphärische  Sauerstoff  Theil  nehme  ,   dadurch 
nämlich,   dass  derselbe  unter   dem  Einfluss   der  Luftelectricität 
und  einer  Anzahl  unorganischer  und  organischer  Materien  ozo- 
nisirt    oder  chemisch    polarisirt  wird,    wie   hierüber  die  Ergeb- 
nisse meiner  früheren  Versuche    und   namentlich    die  Tliatsache 
kehlen  Zweifel  übrig  lassen,  dass  in  so  vielen  Fällen  langsamer 
und  in  wasserhaltiger  Luft  stattfindender  Oxidation  Wasserslolf- 
superoxid  zum  Vorschein  kommt. 


3)  einen  Aufsatz 

..Ueber  das  Vorkommen  salpetricht-  und  salpe- 
„lersaurer  Salze  in  der  Pflanzenwelt.'- 

Die  Thalsache,  dass  bei  der  Verdampfung   des  \\'as.seis  in 
atmosphärischer   Luft    immer   Anunoniakiiitril    sich   bildet ,    liess 


Schönhein:   Vorkommen  suliietricht    u.  stit/ietet'^.  Sntxe.       \\2\ 

miih  venniiUieu,  dass  sowohl  dieses  Sylz  selbst  als  mich  an- 
dere aus  ihm  ciilslandene  Nitrite  oder  Nitrate  in  der  Pflanzen- 
well allgemein  verlireilet  seien  und  die  Ergebnisse  der  zahlrei- 
chen von  mir  über  diesen  Geg-ensland  aiigestelilcn  Versuche 
haben  die  Riclitigkeil  meiner  Vernnilhung  ausser  Zweifel  ge- 
stellt, wie  aus  den  nachstehenden  Angaben  zur  Genüge  erhel- 
len wird. 

Unter  allen  von  mir  bis  jetzt  uniersuchten  Pflanzen  Z(Mch- 
nel  sich  das  Leontodon  taraxacum  durch  seinen  Nitritgehalt  ganz 
besonders  aus,  wesshalb  auch  von  ihm  zuerst  die  Rede  sein 
soll.  Ein  Gcwichtslheil  der  Irisch  gepflückten  und  zerquetsch- 
ten Blatter  dieser  Pflanzen  mit  hundert  Theilen  reinen  Wassers 
zusammengerührt,  ertheilt  dieser  FlüssigkcMt  die  Eigenschaft, 
durch  schwach  mit  SO 3  angesäuerten  Jodkaliumkleister  sofort 
auf  das  Tiefste  gebläut  zu  werden. 

Auch  die  frischen  Blätter  von  Lactuca  saliva;  Senecio  vul- 
garis und  erucaefolius ;  Lapsona  communis;  Sonchus  oleraceus; 
Dactylis  glommerata;  Planlago  major;  Mentha  piperila;  Thymus 
serpyllum;  Echium  vulgare;  Menispermum  canadense ;  Magnolia 
obovata,  discolor,  Yulan,  glauca,  Macrophylla,  Paulom'a;  Syringa 
vulgaris;  Hcdera  lielix  u.  v.  a.  m,  liefern  Avässrige  Auszüge, 
welche  durch  den  angesäuerten  Kleister  sofort  mehr  oder  we- 
niger  stark  gebläut  werden.  Sehr  viele  äusserst  verschieden- 
artige Gewächse  sind  so,  dass  der  wässrige  Auszug  ihrer  Blät- 
ter den  angesäuerten  Jodkaliumkleister  nicht  im  Mindesten 
bläuen,  aber  bei  längerem  Stehen  oder  Maceriren  mit  den  zer- 
quetschten Pflanzenlheilen  diese  Eigenschalt  in  einem  ausge- 
zeichneten Grade  erlangt.  Als  typisch  in  dieser  Beziehung 
können  die  frischen  Blätter  der  Spinatia  oleracea  (Spinal)  gel- 
ten, welche  klein  zerhackt  und  mit  Wasser  12— 24  Stunden  zu- 
sanunengestcllt,  einen  Auszug  liefern,  welcher  durch  ^an  ange- 
säuerten Jodkaliumkleisler  augenblicklich  bis  zur  L-ndurchsich- 
liükeit  lief  oebläut  wird.  In  ähnlicher  Weise  verhalten  sich  die 
Blätter  von  Dalura  Slramonium ;  Ilyosciainus  inger;  Conium  ma- 
lulalum;  Nicotiana  Tabacum;   Helianthus  annuus;    Papaver  som- 


322         Sitzung  der  math.   phys    Classe  vorn  13.  Dec.  1869. 

niferuin;  Aristolochia  sypho;  Poa  annua;  Daucus  carota  (ge- 
wöhnliche gelbe  Rübe);  Beta  vulgaris  (Mangold  unserer  Gär- 
ten) und  hundert  andere  mehr,  welche  zerquetscht  und  mit 
Wasser  12—24  Stunden  bei  gewöhnlicher  Temperatur  macerirt 
stark  bläuende  Auszüge  liefern. 

Eine  dritte  Gruppe  von  Pflanzen  hat  Blätter,  deren  wäss- 
rige  Auszüge  ebenfalls  ohne  vorausgegangene  Maceration  durch 
angesäuerten  Jodkaliumkleister  gebläut  werden,  diese  Eigenschaft 
aber  bald  verlieren  ,  um  sie  jedoch  bei  längerer  Maceration  in 
einem  noch  viel  höheren  Grade  wieder  zu  erlangen.  Beispiele 
hievon  sind  die  Blätter  der  Urtica  dioica;  Lactuca  sativa ,  Son- 
chus  oleraceus  u.  a.  m.  Slösst  man  die  Blätter  der  Urtica  mit 
einigem  Wasser  zusammen  und  wird  der  dadurch  erhaltene 
Auszug  unverweilt  mit  angesäuertem  JodkaHumkleister  versetzt, 
so  bläut  sich  das  Gemisch  augenblicklich ;  lässt  man  aber  den 
Saft  kaum  eine  Minute  lang  mit  den  zerquetschten  Blättern  zu- 
sammenstehen, so  hat  er  schon  sein  Bläuungsvermögen  einge- 
büsst,  um  dasselbe  jedoch  nach  mehrstündiger  Maceration  aber- 
mals zu  erlangen.  Ganz  so  verhalten  sich  die  frischen  Blätter 
der  Lactuca  sativa ,  deren  wässriger  Auszug  die  gleichen  Ver- 
änderungen nur  etwas  langsamer  erleidet. 

Was  das  Verhalten  der  Wurzel,  des  Stengels,  Blattstieles, 
der  Blüthe  u.  s.  w.  einer  Pflanze  betrifft,  so  ist  dasselbe  nicht 
selten  gleich  demjenigen  ihrer  Blätter;  wovon  Leontodon  tara- 
xacum  als  Beispiel  gelten  kann,  dessen  sämmtliche  Pflanzen - 
theile  stark  bläuende  wässrige  Auszüge  liefern.  Bisweilen  tritt 
aber  auch  der  Fall  ein,  dass  der  eine  Pflanzentheil  anders  als 
die  übrigen  sich  verhält,  wie  z.  B.  Wurzel,  Stengel  und  Blülhe 
von  Origanum  vulgare  oder  Verbena  olficinalis  bläuende  Auszüge 
liefern,  während  die  Blätter  <iieser  Pflanzen  diess  nicht  Ihun  und 
bei  Datura  Stramonium  ist  es  nur  die  grüne  Samenkapsel,  von  der 
sofort  ein  solcher  Auszug  erhallen  wird.  Aehuliche  Verhält- 
nisse zeigen  die  Pflanzen,  deren  wässrige  Blälterauszüge  erst 
diM'ch  längere  Maceration  ihr  Bläuungsvernjögen  erlangen.  Wur- 


Schönbefn:    Vorkommen  salpetrlcht-  u.  salpeter.i.  Salze.     323 

zel,  Stengel,  Blätter  u.  s.  w.  von  Beta  vulgaris,  Conium  macu- 
latum  II.  s.  w.  sind  in  diesem  Falle. 

Die  getrockneten  Blätter  mancher  Gewächse  liefern  eben 
so  gut  bläuende  Auszüge  als  diess  die  grünen  thun,  wie  z.  B. 
diejenigen  von  Leontodon,  Daclylis  glomerata  u.  a.  m. ;  doch 
gibt  es  auch  Pflanzen,  deren  Blätter  diese  Eigenschaft  durch 
das  Trocknen  verlieren ,  wie  z.  B.  diejenigen  der  Magnolien, 
Paulonia  u.  s.  w.  Frische  Pflanzentheile,  welche  erst  durch 
Maceration  mit  Wasser  bläuende  Auszüge  geben,  besitzen  diese 
Eigenschaft  auch  im  getrockneten  Zustande ,  wie  uns  hievon 
wieder  Wurzel,  Stengel,  Blatt  u.  s.  w.  von  Beta  vulgaris  ein 
Beispiel  liefern. 

Das  Bläuungsvermögen  der  wässrigen  Pflanzenauszüge  geht 
in  der  Regel  ohne  äusseres  Zuthun  verloren;  sei  es,  dass  man 
dieselben  sich  selbst  überlässt  oder  mit  den  Pflanzensubstanzen, 
aus  welchen  sie  erhalten  worden,  längere  Zeit  zusammenstehen 
lässt.  Der  wässrigc  Auszug  der  frischen  Blätter  von  Leonto- 
don, bei  gewöhnlicher  Temperatur  einige  Stunden  sich  selbst 
überlassen,  wird  durch  den  angesäuerten  Jodkaliumkleister  nicht 
mehr  gebläut  und  in  der  Siedhitze  verliert  er  sein  Bläuungs- 
vermögen beinahe  augenblicklich.  Die  bläuenden  Auszüge  vie- 
ler anderer  Pflanzen  verhallen  sich  in  gleicher  Weise. 

Der  Saft  der  Blätter  von  Spinatia  oleracea,  durch  Macera- 
tion bläuend  geworden,  verliert  bei  längerem  Zusammenstehen 
mit  der  Blattsubslanz  diese  Eigenschaft  wieder  und  es  ist  hier 
die  Bemerkung  am  Ort,  dass  durchschnittlich  genommen  die 
wässrigen,  durch  Maceration  bläuend  gewordenen  Blätferaus- 
züge  ihr  Bläuungsvermögen  rascher  einbüssen,  als  diess  die 
Auszüge  anderer  Theile  der  gleichen  Pflanze  thun.  So  z.  B. 
wird  der  wässrige  Auszug  der  Stengel  von  Hyosciamus  niger, 
der  schon  rnjuiche  Woche  alt  i.st ,  liont*^  noch  auf  das  Tiefste 
gebläut,  wälireiid  derjenige  der  Blatter  sein  Bläuungsvermögen 
schon  nach  wenigen  Tagen  verloren  hatte.  Doch  gibt  es  von 
dieser  Regel  auch  Ausnahmen,  wovon  uns  die  Datura  Stramo- 
nium  ein  Beispiel  liefert,   deren  Blätter  und  Stengel  durch  Ma- 


324  Sitzung  der  t/nit/t.-  jffij/ft    f lasse  vom  13.  Dec.  IS62. 

cnalioii  Auszügu  geben,  welclio  beide  jetzt,  (»bwolil  mehr  als 
einen  Monat  all,  den  angesiiuei'len  Judkab'uinkbiisler  noch  iniiner 
auf  (las  Stärkste  bläucMi.  Es  unterh'ejjl  für  mich  keinem  Zwei- 
fei,  dass  die  Eigenschaft  der  erwainiten  Pflanzen  safte,  durch 
ungesäuerten  Jodkaliumkleister  gebläut  zu  werden,  einem  Ni- 
lritgehalte derselben  beizumessen  ist,  von  dem  ich  mich  durch 
zahlreiche  Versuche,  deren  nähere  Angabe  hier  überflüssis'  ist, 
auf  das  Genügendste  überzeugt  habe.  Und  aus  der  Thatsache, 
dass  die  Auszüge  der  einen  Pflanzen  sofort,  diejenigen  anderer 
Gewächse  erst  nach  längerer  Maceralion  das  Blauungsvermögen 
zeigen,  darf  man  schliessen,  dass  in  jenen  Pflanzen  irgend  ein 
Nitrit  schon  ferliff  gebildet  vorhanden  sei ,  wie  z.  B.  in  den 
Blättern  des  Leontodon ,  in  diesen  Gewächsen  aber  erst  durch 
Maceration  entstehe,  wie  uns  hiefür  die  Biälter  von  Poa  annua, 
Hyosciamus  niger  u.  s,  w.  ein  Beispiel  darbieten.  Woher  stammt 
aber  das  salpetrichlsaure  Salz  im  letzteren  Falle?  Ohne  allen 
Zweifel  aus  den  Nilraten,  welche  in  den  Blättern,  Stengeln  u. 
s.  w.  vieler  Pflanzen  enthalten  sind  und  durch  gleichzeitige 
organische  Materien  während  der  Maceration  zu  Nitriten  redu- 
cirt  werden ;  eine  Wirkung,  die  meinen  früheren  Untersuchun- 
gen gemäss  unorganische  und  organische  Stoffe ,  z.  B.  Zink, 
Kadmium,  Stärke,  Leim  u.  s.  vv.  auf  die  gelösten  Nitrate  her- 
vorzubringen vermögen.  Die  schon  etwas  zäh  gewordenen 
Stengel  der  in  Saamen  geschossenen  Beta  vulgaris  oder  Urtica 
dioica  sind  ganz  besonders  geeignet,  uns  über  die  fragliche 
Entslehungsweise  der  Nitrite  Aufschluss  zu  geben,  welche  Sten- 
gel klein  zerschnitten  und  nur  kurze  Zeit  mit  Wasser  zusam- 
mengestanden, einen  Auszug  liefern ,  der  für  sich  allein  durch 
den  angesäuerten  Jodkaliumkleister  zwar  noch  nicht  gebläut 
wird,  diese  Reaction  aber  hervorbringt,  nachdem  man  ihn  bei 
gewöhidicher  Temperatur  nur  kurze  Zeit  mit  Zucker-  oder 
Kadmiumspähnen  hat  in  Berührung  stehen  lassen,  Beinahe  au- 
genblicklich erfolgt  die  Bläuung  des  Auszuges  dtirch  Jodkalium- 
kleister, wenn  jener  erst  angesäuert  und  dann  mit  Zink  in  Be- 


Schönfiein:  Vorkommen  safpetrfeht-  u.  Salpeters.  Salre.       325 

rührung  gesolzl  wird. '  Kaum  dürfte  os  nülhig  sein,  liier  noch 
heiziiliigen ,  dass  auch  die  wässrigen  Auszüge  der  trockenen 
Stenofel  u.  s.  w.  von  Beta  vulgaris  u.  s.  w.  durch  längere  Ma- 
ceration  nitrilhaltig  werden.  Da  nach  meinen  Erlahrungen  die 
genannten  Metalle  ungleich  sclmeller  reducirend  auf  die  gelös- 
ten Nitrate  einwirken,  als  diese  organischen  Materien  zu  thun 
vermögen,  so  begreift  sich  leicht,  dass  Jene  dem  Auszüge  der 
Betastengel  u.  s.  w.  so  rasch  die  Eigenschaft  ertheilen ,  den 
angesäuerten  Jodkaliumkleister  zu  bläuen  und  eine  ungleich 
längere  Zeit  crforderlicli  ist,  damit  das  in  dem  besagtiMi  Aus- 
zug vorhandene  Nitrat  durch  die  gleichzeitig  darin  enthaltenen 
organischen  Materien  zu  Nitrit  reducirt  wird. 

Wie  erklärt  sich  aber  das  Verschwinden  der  Nitrite  in  den 
Pflanzensäflen  durch  längeres  Stehen  oder  Maceration?  Dass 
diese  Salze  sowohl  durch  unorganische  als  organische  Substan- 
zen allmählich  zerstört  werden,  ist  in  der  voranstehenden  Mit- 
theilung gezeigt  worden.  Da  nun  in  den  besagton  Säften  man- 
cherlei organische  Materien  enthalten  sind,  so  werden  diese 
auch  reducirend  auf  das  vorhandene  Nitrit  einwirken  und  selbst- 
verständlich muss  nach  vollständiger  Zerstörung  besagten  Sal- 
zes auch  der  Pflanzensaft  sein  Bläuungsvcrmögen  eingebüssl 
haben.  Ist  in  dem  gleichen  Safte  neben  dem  schon  fertig  ge- 
bildeten Nitrit  auch  noch  Nitrat  vorhanden,  wie  z.  B.  in  den 
Blättern  der  Urtica  dioica  oder  Lactuca  sativa,  so  verwandelt 
sich  während  der  Maceration  dieses  Salz  allmählich  ebenfiills  in 
Nitrit  (der  fortdauernd  rcducirenden  Wirkung  der  anwesenden 
organischen  Materien  halber),  welches  Salz  bei  hinreichend  lang 
fortgesetzter  Maceration  ebenfalls  wie  das  ursprünglich  vorhan- 
dene Nitrit  zerstört  wird.  In  vielen  Fällen  ist  zu  diesem  Be- 
hufs nicht  einmal  eine   verlängerte  Maceration  der  Pflanzonsub- 


(2)  loh  \\\\\  liior  boiiipiken.  dass  auf  die.sc  Wehe  in  den  fiischfn 
iiiid  geliockiieleii  PnanzentheiU-n  piiirr  •;ro5st'ii  Aiizalil  von  ficwätli.son 
»lip  Anvcscnlicit  von  Nilralfii  sich   lascli  iiacliweiscii  lässt. 


326         Sitzung  der  math.  phps.  Ctasse  vom  /3    Dec    tS62. 

stanz  mit  dem  wässrigen  Auszug  nöthig  und  enlhäll  dieses, 
wenn  auch  klar  abfiltrirt,.  schon  so  viel  reducirende  Materie  ge- 
löst, dass  dieselbe  nicht  nur  zurUmwandelunff  des  vorhandenen 
Nitrates  in  Nitrit,  sondern  auch  zur  völligen  Zerstörung  des 
letzteren  hinreicht,  in  welchem  Falle  sich  z.  B.  der  wässrige 
Auszug  der  Blatter  von  Poa  annua  und  Hyosciamus  niger  be- 
finden. 

Es  ist  weiter  oben  bemerkt  worden,  dass  in  der  Regel  die 
Blätterauszüge  rascher  als  diejenigen  der  Stengel,  Wurzeln  u. 
s.  w.  ihr  Bläuungsvermögen,  d.  h.  ihren  Nitritgehalt  verlieren, 
welche  Verschiedenheit  des  Verhaltens  dem  Umstände  beizu- 
messen ist ,  dass  die  Erstem  durchschnittlich  reicher  als  die 
Letztern  an  reducirenden  organischen  Materien  sind.  Mit  die- 
sem Unterschiede  hangt  unstreitig  auch  die  Thatsache  zusam- 
men, dass  die  Stengelauszüge  in  der  Regel  schwächer  gefärbt 
sind  als  diejenigen  der  Blätter  und  Jene  mit  der  Zeit  auch  we- 
niger stark  sich  trüben  und  färben,  als  es  Diese  thun.  Es  fragt 
sich  nun,  an  welche  Basen  NO 3  oder  NO 5  in  den  Pflanzen  ge- 
bunden sind.  Bei  der  an  und  für  sich  geringen  Menge  der 
darin  vorhandenen  Nitrite  oder  Nitrate  und  vielartigen  organi- 
schen Materien  und  sonstigen  Salze ,  welche  gleichzeitig  in 
den  Pflanzensäften  vorkommen ,  ist  die  Beantwortung  dieser 
Frage  nicht  so  leicht  und  für  jetzt  weiss  ich  nur  Folgendes  da- 
rüber zu  sagen.  Alle  bisher  von  mir  untersuchten  nitrit-  oder 
nitrathaltigen  Pllanzenauszüge  enthalten  noch  nachweisbare  Men- 
gen von  Ammoniak,  wie  daraus  erhellt,  dass  dieselben,  in  ei- 
nem kleinen  Fläschchen  mit  Kalihydrat  zusammengebracht,  dar- 
über aufgehangenes  feuchtes  Curcumapapier  noch  deutlich  bräu- 
nen, das  durch  Säure  gerölhete  Malvenpapier  grünen  oder  ei- 
nen mit  farbloser  Hämaloxylinlösung  getränkten  Papierstreifen 
violett  färben,  Reactionen ,  welche  über  die  Anwesenheil  des 
Ammoniaks  keinen  Zweifel  walten  lassen.  Je  nach  der  Pflan- 
zenart,  aus  welcher  ein  solcher  Auszug  gemacht  worden,  sind 
diese    Heaclioneii    slärker   oder  schwächer,    so  z.  B.   zeigt  der 


Schönhein:  Vorkovmen  sal}iefrlcht-  n.  lalpefers.  Saite.        327 

wässrige   Auszug  der  Blätter    des    Leontodon     eine     merklich 
schwächere,    als   derjenige  der  Blätter    oder  Stengel   der   Beta 

vulgaris. 

Manche  nitrit-  oder  nilralhaltige  und  klar  abfiltrirte  Pflan- 
zenauszüge  trüben  sich  mit  kleesaurem  Ammoniak  nicht  im 
Mindesten,  während  andere  Säfte  damit  einen  mehr  oder  min- 
der reichlichen,  in  Salzsäure  löslichen  Niederschlag  hervorbrin- 
gen, woraus  erhellt,  dass  die  ersteren  Auszüge  frei  von  Kalk 
sind,  die  letzteren  dagegen  diese  Basis  enthalten.  Der  Auszug 
der  Stengel  von  Beta  vulgaris  liefert  ein  Beispiel  der  ersten, 
derjenige  der  Blätter  des  Leontodon  oder  der  Dactylis  glome- 
rata  ein  Beispiel  der  zweiten  Art.  Es  ist  daher  möglich,  dass 
NO3  und  NO5  sowohl  an  Ammoniak  als  an  Kalk  oder  anderen 
Basen,  z.  B.  an  Kali,  Natron  u.  s.  w.  gebunden  sind,  worüber 
weitere  Untersuchungen  uns  Aufschluss  geben  werden. 

Mit  Bezug  auf  die  vorliegende  Frage  scheint  mir  die  oben 
erwähnte  Thatsache  Beachtung   zu   verdienen,    dass    die  Blätter 
u.  s.  w.  mancher  Pflanzen,  welche  schon  fertig  gebildetes  Nitnt 
enthalten,    d.  h,    deren    wässrige  Auszüge   ohne    vorausgegan- 
gene Maceration  durch   den   angesäuerten  Jodkaliumkleister  ge- 
bläut werden,  auch  im  getrockneten  Zustand  einen  Auszug  lie- 
fern,   welcher    die  Nitritreaction  noch  in   augenfälligster  Weise 
hervorbringt,  wie  es  z.  B.  derjenige  der   trockenen  Blätter  des 
Leontodon  oder  der  Dactylis    glomerata   Ihut.      Ich  darf  jedoch 
nicht  unbemerkt  lassen,  dass  die  Auszüge  aus  gleichen  iMengen 
der  Leontodon  Blätter  (auf  deren  Gehalt  an  festen  Beslandthei- 
len  bezogen)    mit  den   gleichen  Mengen  Wassers  erhalten,    der 
Eine  aus  frischen,  der  Andere  ans  dürren  Blättern,  ni.ht  gleich 
durch  den  gesäuerten  Kleister  gebläut  werden:  es  bringt  näm- 
lich der    erstere  Auszug  diese  Nitritieaction   etwas    stärker   als 
der  zweite  hervor,  was  anzudeuten  scheint,    dass  während  dcsi 
Trocknens  der  Blätter    ein  Theil    des   dnrin  enthaltenen  Nitrates 
verloren  seht,    welcher    Verlust    verdampftem    salpelrichtsaurem 
Ammoniak  beizumessen  sein  dürfte. 

Nach  miMuen  Beobachtungen  vernüchligc^l  sich  nendich  die- 


328         Sitzung  der  math  -phys    Ctasse  mm  IS.  Dec.  tS62 

ses  Salz  schon  bei  gewöhnlicher  Temperatur,  wie  daraus  her- 
vorgeht, dass  ein  mit  seiner  wässrigen  Lösung  getränkter  Pa- 
pierstreifen nach  vollsländigeni  Austrocknen  kaum  eine  Spur 
von  Ammoniaknitrit  in  sich  nachweisen  lässt.  Würde  also  in 
den  grünen  Blättern  des  Leontodon  oder  irgend  einer  anderen 
Pflanze  dieses  Salz  enthalten  sein,  so  müsste  es  sich  während 
des  Trocknens  verflüchtigen,  wogegen  die  Nitrite  mit  Gxer  Ba- 
sis :  Kalk,  Kali  u.  s.  w.  in  den  Blättern  u.  s.  w.  zurückbleiben 
und  desshalb  auch  aus  den  getrockneten  Pflanzentheilen  mit 
Wasser  sich  ausziehen  lassen. 

Wie  schon  bemerkt,  liefern  die  dürren  Blätter  aller  von 
mir  untersuchten  Magnolienarten,  der  Paulonia  u.  s.  w.  wäss- 
rige  Auszüge  ,  welche  keine  Spur  von  Nitrit  mehr  enthalten, 
während  obigen  Angaben  gemäss  diejenigen  ihrer  grünen  Blät- 
ter durch  den  angesäuerten  Jodkaliumkleister  stark  gebläut  wer- 
den, wesshalb  ich  auch  vermuthe,  dass  die  frischen  Blätter  der 
genannten  Pflanzen  nur  Ammoniaknitrit  und  kein  anderes  sal- 
petrichtsaures  Salz  enthalten.  Kommen  in  den  frischen  Blättern, 
Stengeln  u.  s.  w.  schon  fertig  gebildete  Nitrate  vor,  so  bleiben 
diese  Salze,  welche  Basen  sie  auch  enthalten  mögen,  beim 
Trocknen  in  jenen  Pflanzentheilen  zurück,  werden  aber  erwähn- 
ter Maassen  während  der  Maceration  mit  Wasser  zu  Nitriten 
reducirt.  Kaum  ist  nöthig  zu  bemerken,  dass  diejenigen  Pflan- 
zen, deren  frische  Auszüge  das  Bläuungsvermögen  besitzen, 
dasselbe  aber  bald  verlieren,  um  bei  längerem  Stehen  es  wie- 
der zu  erlangen,  gleichzeitig  Nitrite  und  Nitrate  enthalten. 

Was  nun  die  Entstehungsweise  der  in  so  vielen  Pflanzen 
vorkommenden  Nitrite  und  Nitrate  betrifll  ,  so  ist  nach  meinem 
Dafürhalten  aller  Grund  zu  der  Vermuthung  vorhanden,  dass 
diese  Salze  ihren  Ursprung  wo  nicht  gänzlich  doch  hauptsäch- 
lich in  dem  Annuoniaknitrite  nehmen,  welches  sich  bei  der  Ver- 
dampfung des  Wassers  in  der  atmosphärischen  Luft  sowohl  auf 
den  Pflanzen  selbst  als  in  ihrer  unmittelbaren  Umgebung  er- 
/.onot.  Einen  Thnil  dieses  Salzes  eignen  sich  die  Gewächse 
znni^  Behufe   der  Bildung   stickstollhalliger    organischer    Verbin- 


Schonhein:   Vorhnmmen  salpelricht-  u.  salpeter.t,  Saite.     :*,29 

Illingen  an,  während  ein  anderer  Theil ,  falls  er  in  der  Pdanze 
mit  alkalischen  Basen  zusammentrifTt ,  in  andere  Nitrite,  z.  B. 
m  salpetrichtsauren  Kalk,  Kali  u.  s.  w.  umgewandelt  wird,  welche 
Nilrile  unter  geeigneten  Umstanden  selbst  zu  Nitraten  oxidirl 
werden  können. 

Wenn  nun  aber  auch  obigen  Angaben  gemäss  in  den  Blätleni, 
Stengeln  u.  s.  w.  ausserordentlich  vieler  und  äusserst  verschieden- 
artiger Gewächse  Nitrite  oder  Nitrate,  ja  nicht  selten  gleichzeitig 
beide  Salzarten    angetrolTen    werden,    so  habe  ich  sie   doch  in 
einer  nicht  kleinen  Zahl   von  Pflanzen   bis  jetzt  noch  nicht  auf- 
finden hönnen,   was  allerdings   noch  keineswegs  die  Abwesen- 
heit derselben  beweist;  denn  möglicher  Weise   könnte   in   der- 
artigen  Pflanzen   eine   so   grosse  Menge  reducirender  Materien 
enthalten  sein,    dass   dadurch  die  Reaction  des  gleichzeitig  da- 
rin vorhandenen  Nitrites  verhüllt,   also    ihr  Saft  durch  den  an- 
gesäuerten Jodkaliumkleister    nicht    nur    nicht    gebläut    würde, 
sondern  derselbe  sogar  noch  Jodstärke  zu  entbläuen  vermöchte. 
Zu  den  vielen  von  mir  untersuchten  Pflanzen,  deren  wäss- 
rige  Blätter-  oder  Stengelauszüge  keine  Nitrilreactionen  hervor- 
bringen, gehört  z.  B.  Cannabis  sativa,  Catalpa  u.  s,  w.   Weder 
der  frische  noch  der  durch  Maceration  erhaltene  wässrige  Aus- 
züge   der  Blätter    der    lelzlffenannten  Pflanze   wird   durch    den 
angesäuerten  Jodkaliumkleisler  gebläut,   wohl    aber   vermag  er 
noch  Jodslärke  zu  entfärben.     Von  den  Blättern  des  Leontodon 
ist  angegeben  worden,    dass   ein  Theil  derselben  mit  der  hun- 
dertfachen Menge  Wassers    zusammengestossen ,   einen   Auszug 
liefern,    welcher   durch  SO3- balligen  Jodkaliumkleister   augen- 
blicklich bis  zur  Undurchsichligkeit  tief  gebläut  wurde,  was  also 
einen  schon  merklichen  Nilritgehalt  dieser  Blätter  anzeigt.   Wird 
nun  ein  Theil  derselben    mit  einem  Theile   der    frischen  Blätter 
der  Catalpa  und   hundert  Theilen  Wassers    zusammengestampft, 
so  erhält  man  einen  Auszug,  welcher  durch  den  besagten  Klei- 
ster nicht  im  Mindesten  mehr  gebläut  wird,  zum  Beweise,  dass 
die   in   dem     Cahilpablatl    vorhandenen    reducirenden     Materien 
hinreichen,    nm    ilic  Reaction   des    Nitrites,    enthalten    in    einer 
fl86i.  ii.i  Ti 


330  Sitzutif/  der  muth.  phys.  Classe  vom  l3.  Dec.  i86Ü. 

gleichen  Menge  von  Lcontodonblättern  völlig  aufzuheben.  Hier- 
aus ersieht  man  aber  auch,  dass  die  Blätter  der  Catalpa  eben 
so  viel  Nitrit  als  diejenigen  des  Leontodon  enthalten  konnten, 
ohne  dass  deshalb  ihr  wässriger  Auszug  mit  dem  gesäuerten 
Jodkaliumkleistcr  sich  bläuen  würde.  Wie  aber  das  Blatt  der 
Catalpa  nitrithaltig  sein  könnte,  so  auch  die  Blätter  u.  s.  w. 
der  übrigen  Pflanzen ,  in  welchen  sich  mit  den  jetzt  uns  zu 
Gebot  stehenden  Mitteln  noch  kein  salpetrichtsaures  Salz  hat 
nachweisen  lassen.  Ebenso  wäre  es  recht  wohl  möglich,  dass 
derartige  Pflanzen  auch  Nitrate  enthielten,  ohne  dass  sie,  selbst 
durch  längere  Maceration  Auszüge  lieferten  ,  in  w^elchen  sich 
Nitrite  erkennen  Hessen,  da  es  leicht  geschehen  könnte,  dass 
die  durch  dieReduction  kleiner  Mengen  von  Nitraten  entstehen- 
den Nitrite  in  Folge  der  desoxidirenden  Einwirkung  der  vor- 
handenen organischen  Materien  nach  Massgabe  ihrer  Bildung 
sofort  wieder  zerstört  würden. 

Durch  Maceration  der  frischen  Blätter  von  Solanum  tube- 
rosum habe  ich  bis  jetzt  noch  keinen  nitrithaltigen  Auszug  er- 
halten können,  wohl  aber  durch  diejenige  der  Stengel  dieser 
Pflanze.  Da  nun  in  so  vielen  Fällen  die  verschiedenen  Theile 
einer  Pflanze,  namentlich  Biälter  und  Stengel  sich  gleich  ver- 
leiten, so  ist  wahrscheinlich,  dass  wie  der  Stengel  so  auch  das 
Blatt  der  Kartoflel  nitrithaltig  sei,  welches  Salz  jedoch,  in  klei- 
ner Menge  vorhanden  ,  durch  die  reichhch  in  dem  Blättersafte 
enthaltenen  reducirenden  Substanzen  sehr  rasch  zerstört  wird, 
während  in  dem  Auszuge  der  Stengel,  ärmer  an  desoxidiren- 
der  Materie,  das  in  Folge  ihrer  Einwirkung  auf  das  vorhandene 
Nitrat  entstandene  Nitrit  mittelst  angesäuerten  Jodkaliumklelster 
sich  noch  nachweisen  lässt. 

In  dieser  Hinsicht  ist  auch  das  Verhalten  der  Blätter  der 
Paulonia  bemerkenswerth,  welche  im  frischen  Zustande  ohne 
vorausgegangene  Maceration  einen  nitrithaltigen  Auszug  liefern, 
der  aber  durch  längeres  Stehen  diesen  Salzgehalt  verliert,  ohne 
ihn  durch  lorlgeselzle  Maceration  mit  der  Blältersubslanz  wie- 
der zu  erlangen.  Heim  Ausziehen  «ler  dürren  Bläller  mit  Was- 


Schöiifieiu:   \'orUoininen  snliieAvicht-  u    Mtf/ielers    Saite.        '.\'.\\ 

SIT  orhiilt  man  jodocli  eine  Flüssiokeil  ,  welche  mit  anoesäiier- 
lem  Jodkaliumkleisler  und  Zinksphanen  ziisannnenoebiaclil. 
•sicli  bald  bläut,  was  die  Anwesenheit  von  Nitrat  in  den  besag- 
ten Blattern  beurkimdel.  Wie  es  scheint  werden  beim  Trock- 
nen derselben  die  in  ihnen  vorhandenen  reducirenden  Materien 
so  verändert,  dass  sie  weniger  leicht  auf  das  vorliandene  Nitrat 
einwirken ,  wesshalb  sich  dasselbe  mittelst  Zink  noch  nachwei- 
sen lässt. 

Was  mich  betrifft ,  so  bin  ich  stark  geneigt  arizunohmcn. 
tiass  kleine  Mengen  von  Nitriten  und  Nitraten  in  allen  Pflanzen 
sich  vorfinden  und  nur  der  Unvollkommenheit  unserer  jetzigen 
Unlersuchuno-smiltel  zuzuschreiben  sei,  dass  wir  sie  in  so  vie- 
len  Pflanzen  nocli  nicht  haben  entdecken  können  5  denn  in  Be- 
tracht der  Thatsache,  dass  überall,  wo  Wasser  in  der  atmo- 
sphärischen Luft  verdampft,  Ammoniaknilrit  gebildet  wird  und 
Nitrite  oder  Nitrate  in  so  vielen  verschiedenartigsten  Pflanzen 
vorkommen,  wäre  es  in  der  That  höchst  aufTallend,  wenn  diese 
Salze  nicht  in  allen  Landgevvächsen  angetrolTen  würden. 

Ich  kann  nicht  umhin,  bei  diesem  Anlasse  noch  eine  That- 
sache hervorzuheben ,  w  eiche ,  wie  mir  scheint .  mit  der  eben 
behandelten  Frage  eng  zusammenhängt  wie  auch  einen  weitern 
Beweis  für  die  Richtigkeit  der  Annahme  liefern  möchte,  dass 
auf  den  Blällcrn  n.  s.  w.  der  Pflanzen  (in  Folge  der  daselbst 
erfolgenden  Wasserverdampfung )  fortwährend  salpetrichtsaures 
Anunoniak  uebildet  werde.  Es  ist  diess  die  Thatsache.  dass 
mir  bis  jetzt  noch  kein  Pflanzensaft  vorgekommen  ist ,  in  wel- 
chem das  Annnoniak  gänzlich  gefehlt  hätte,  wovon  selbst  noch 
kleinste  Spuren  so  leicht  mittelst  eines hämatoxyliidialligenl'apier- 
streifens  sich  nachweisen  lassen.  Welchen  Pflanzenauszng  ich 
auch  noch  geprüft  habe.  Jeder  färbte  das  erwähnte  Rcagens- 
papier  rascher  oder  langsamer  tief  viidett,  wenn  dasselbe  in 
einem  Fläscluhen  aufgehangen  wurde,  in  dem  sich  Saft  und 
Kalihydrat  befanden.  Ja  in  sehr  vielen  Fällen  gab  sich  das 
nnler  diesen  Umständen  aufirelende  Annnoniak  schon  dcullichsl 
an  den  Nebeln  zu  erkeinicn,  welche  sich  um  ein  mit  Salzsäure 


.332  SiUunif  ,1er  iimtli.-phijs.  Clus.e  rnm  /3.  Vec.  iSliS. 

henetzles  und  fn  das  Versiichsgofäss  eingerührtes  Glasstäbcheii 
J)ildeteii.  Diese  allgemeine  Verbreitung  des  Ammoniaks  in  den 
Pflanzen  kann  für  uns,  bullte  ich  denken,  nichts  Aufljdlendes 
mehr  haben,  seit  wir  wissen,  dass  ihnen  diese  Basis  in  dem  auf 
desselben  fortwährend  sich  bildenden  Anmioniaknitrit  zugelührl 
wird.  Wie  bereits  angedeutet  worden,  halte  ich  dafür,  dass 
die  Anwesenheit  von  Nitriten  und  Nitraten  in  wassrigen  Pflan- 
zenanszügen  eine  wesentliche  Rolle  bei  den  Zersetzungen  spiele, 
welche  diese  Flüssigkeiten  selbst  bei  gewöhnlicher  Temperatur 
erleiden  und  wohl  könnte  es  sein,  dass  es  eben  die  genannten 
Salze  sind,  welche  den  ersten  Anstoss  zu  diesen  Veränderun- 
gen geben.  Indem  das  Nitrit  oder  Nitrat  an  diese  oder  jene 
in  dem  Pflanzensaft  vorhandene  organische  Materien  Sauerstoff 
abgibt ,  muss  auch  der  chemische  Bestand  einer  solchen  Sub- 
stanz  verändert  werden,  d.  h.  müssen  neue  Verbindungen  ent- 
stehen, die  ihrerseits  selbst  wieder  Anlass  zu  weiteren  Zersetz- 
ungen der  anwesenden  organischen  Stoffe  geben  können.  Dass 
eine  genaue  Kennlniss  dieser  Vorgänge,  über  welche  wir  bis 
jetzt  noch  so  gut  als  Nichts  wissen ,  eine  nicht  geringe  Wich- 
tigkeit für  die  gesanmite  physiologische  Chemie  hätten  und  es 
desshalb  höchst  wünschenswerth  wäre,  diese  Zersetzungserschei- 
iiungen  zum  Gegenstände  möglichst  umfangsreicher  und  einläss- 
licher  Untersuchungen  zu  machen,  ist  kaum  nöthig,  hier  aus- 
drücklich zu  bemerken.  Nach  meinem  Dafürhalten  würde  es 
der  Mühe  werth  sein,  auf  eine  solche  Arbeit  ein  ganzes  Leben 
zu  verwenden,  da  sie  nicht  fehlen  könnte,  zu  Ergebnissen  zu 
führen,  welche  über  die  uns  inmier  noch  so  dunkel  und  ver- 
wickelt erscheinenden  Veränderungen  pflanzlicher  und  thieri- 
scher  Materien  ein  helles  Licht  verbreiteten.  Obwohl  ich  gerne 
anerkenne,  dass  die  voranstehende  Arbeit  eine  noch  höclist  lü- 
ckenhafte sei,  so  habe  ich  sie  doch  veröffentlichen  wollen  und 
zwar  in  der  Absicht,  dadurch  jüngere  Männer,  welche  chemische 
Keimtnisse  mit  botanischen  verbinden  und  denen  ein  grosses 
Pflanzenmaterial  zu  Gebot  steht ,  zu  veranlassen .  Letzteres  mit 
Bezug  auf  das  Vorkommen  von  Nitriten  und  Nitraten  das  Wci- 


Schönhein :   l'orkoinmen  saljietricht-  u.  Salpeters.  Salze.       3!t3 

tore  zu  iiiileisiiclien.  Wie  ich  glaube,  sollte  durch  solche  For- 
schungen zunächst  erniiltell  werden,  ob  nicht  in  dem  mehr  oder 
nnnder  reichlichen  Auftreten  dieser  Salze  hinsichliich  der  na- 
türlichen Pllanzenfainilien  ,  in  welchen  sie  angetroffen  werden, 
eine  gewisse  Gesetzmassinkeit  stattfinde.  Obgleich  diess  schon 
5in  und  für  sich  wahrscheinlich  ist,  so  habe  ich  auch  noch  an- 
dere Gründe ,  welche  einer  solchen  Vermuthung  Raum  geben, 
wie  z.  B.  die  Thatsache,  dass  nach  meinen  bisherigen  Beobach- 
tungen in  den  Wurzeln,  Stengeln,  Blättern  und  Blüthen  sehr 
vieler  Labiaten  Nitrit  sich  nachweisen  lässt  und  ebenso  in  den 
gleichen  Pfhinzentheilen  der  Compositen,  was  keine  Zufälligkeit 
sein  kann  und  mit  der  Natur  dieser  Pflanzenfamilien  zusammen- 
hängen muss.  Ich  selbst  kann  mich  einer  solchen  umfangrei- 
chen Arbeit  nicht  unterziehen ,  Iheils  weil  mir  die  hiezu  nöthi- 
gen  botanischen  Kenntnisse  abgehen,  theils  und  vorzugsweise 
aber,  weil  meine  Zeit  schon  durch  anderweitige  Arbeiten  in 
Aollen  Anspruch  genonnnen  ist,  wesshalb  ich  mich  damit  be- 
gnügen muss,  Denjenigen,  welche  dieses  Feld  zu  bearbeiten 
die  Lust  und  Befähigung  besitzen,  einige  thatsächliche  Anhalts- 
punkte geboten  zu  haben. 


Herr  V.  Liebig  fügte  die  Bemerkung  bei,  dass  Bohl  ig  (in 
einer  Abhandlung,  welche  soeben  in  den  „Aiuialen"  gedruckt 
wird)  gezeigt  habe,  dass  bei  Verdunstung  von  Wasser  in  einer 
Luft,  welche  zuvor  mittelst  Scliwefelsäure  und  Kalk  von  jed- 
inöglicher  Spur  des  salpetrichtsauren  Ammoniaks  gereinigt  wor- 
den, keine  Neubildung  von  salpetrichlsaurem  Annnoniak  beob- 
achtet werden  konnte. 


334  Sitzung  der  hist.  CUitse  vom  20.  Dec.  1862. 


Historische  Classe. 


Sitzung  vom  20.  Deceinber  186".*. 


Herr  Kunst  mann  hielt  einen  Vortrag 

.,über   den    Grafen  Rapoto   (oder  Ras  so)   von  A  n- 
„dechs,  gestorben  954", 

der  mit  einem  grossen  Gefolge  eine  Pilgerreise  unternonnnen 
haben  soll.  Er  führte  aus,  dass  die  ganze  Nachricht  bloss  aus 
den  zu  dem  Messbuche  von  Andechs  gemachten  Zusätzen  ge- 
schöpft sei;  dass  Aventin.  Hundt,  die  Chronik  von  Andechs 
keine  andere  Quelle,  als  diese,  dafür  gehabt  hätten.  Diese  Zu- 
sätze habe  zwar  selbst  Mabillon  für  acht  angesehen,  sie  seien 
aber  von  einer  späteren  Hand  (frühestens  aus  dem  14.  Jalir- 
Imudert)  und  enthielten  liistorische  Notizen,  in  denen  sich  Zei- 
chen von  Fälschung  fänden.  Auch  die  zweite  aus  dieser  Quelle 
geschöpfte  Thatsache,  die  Klosterstiftung  in  Wenden  sei  ganz 
unsicher  und  die  Gründung  dieses  Klosters  völlig  in  Dunkel 
gehüllt. 


Hierauf  hielt  Herr  Gio  sehr  echt  einen  Vortrag 

.     ,,über  die  Kaiserkrönung  Karls  des  Grossen  und 
„ihre  Folgen", 

welcher  sich  an  jenen  des  Herrn  v.  DöUinger  in  der  vorigen 
Sitzung'  anschloss.    und  besonders  die  Beziehungen  Karls  zum 


(I)  V^l.  Ileit  :\.  s.  i(i;{. 


Sitzung  der  Itist,  Ctnsse  vom  80.  Dec.  1862.  335 

byzantinischen  Reiche  und  die  diplomatischen  VerhiiiiiIIun^(Mi 
zwischen  beiden  Machten  erörterte.  Dabei  wies  er  auf  das  lli- 
nerarlum  des  Anialarius  hin,  das  bisher  nur  sehr  felilerhall  ge- 
druckt und  fast  unbeachtet  geblieben  sei,  und  versprach,  es 
nach  einer  guten  hiesigen  Handschrift  abdrucken  zu  lassen. 


Zuletzt  erklarte  Herr  v.  Hefner- Alte  neck  den  soge- 
nannten „goldenen  Hut"  im  Antiquarium  zu  München,  und 
den  sogenannten  ,.gol  denen  Koch  er''  im  Louvrc  zu  Paris. 
Es  seien  goldene  Schildbuckeln  des  10.  Jahrhunderts.  Indem 
er  bildliche  Belege  hiezu  mittheilte,  zeigt  er ,  wie  Schildformeii 
des  Mittelalters  nicht  nur  für  Siegel-  und  Münzkunde,  .Marui- 
scripten-Kennlniss  und  Heraldik  wichtig  seien,  sondern  auch  all 
Anhaltspunkte  für  die  Zeitbestimmung  bei  Urkunden  und  Monu- 
menten dienen. 


/iii  IVitrnkotVr  :   über  die  nfwcgung    des   Grundwassers  ni  Mumheu  s<m1   Miicry.  ISöb  bis  Anfalle  Macr-L 

1856.  1831.  ^_,__,_,__,.^  1858. 

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l:U„H.-lnr,,i,l,     ,/,rl.     h.ll..l,l  ''    "    '"-:'    1-4 


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Taf.l. 


Süunujsherithtc  derhhn-rul  d  W IFf/i  Wt. 


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Taf.JI. 


Silxnnq.fhc richte  dr/- k  h.lhaJ  f1  ^^   A?/';f  .IT  '1 


AS       Akademie  der  Wissenschsiften, 

182      Munich 

M8212       Sitzungsberichte 

1862 
Bd. 2 


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